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Full text of "Die Bevölkerung der griechisch-römischen Welt"

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HISTORISCHE  BEITRÄGE 

ZUR 

BEVÖLKERUNGSLEHRE 


VON 

Dr.  JULIUS  BELOCH, 

PROFESSOR  DER  ALTEN  GESCHICHTE  AN  DER  UNIVERSITÄT  ROM. 


ERSTER  THEIL. 

DIE  BEVÖLKERUNG  DER  GRIECHISCH-RÖMISCHEN  WELT. 


LEIPZIG, 

VERLAG  VON  DUNCKER  & HUMBLOT. 
1886. 


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DIE  BEVÖLKERUNG 


DER 


VOX 


Dr.  JULIUS  BELOCH, 

PROFESSOR  DER  ALTEN  GESCHICHTE  AN  DER  UNIVERSITÄT  ROM. 


LEIPZIG, 

VERLAG  VON  DUNCKER  & HUMBLOT 
1886. 


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Das  Recht  der  Uebersetznng  bleibt  Torbehalten. 


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Vorwort. 


Die  Wirtschaftsgeschichte  ist  als  Wissenschaft  erst  im 
Entstehen.  Ja  ihr  vielleicht  wichtigster  Zweig,  die  historische 
Bevölkerungslehre,  hat  überhaupt  bisher  eine  wissenschaftliche 
Behandlung  noch  nicht  gefunden.  Wohl  fehlt  es  nicht  an  Ein- 
zelforschungen; aber  noch  niemals  ist  der  Versuch  gemacht 
worden,  die  Bevölkerungsbewegung  auf  einem  ausgedehnten 
Gebiete  und  während  eines  längeren  Zeitraumes  auf  Grund 
systematischer  Sammlung  und  kritischer  Sichtung  des  gesamm- 
ten  vorhandenen  Materials  zur  Darstellung  zu  bringen.  Und 
doch  werden  wir  nur  auf  diesem  Wege  zu  einem  wirklichen 
Verständniss  der  Geschichte  und  zur  Aufstellung  einer  haltbaren 
Bevölkerungstheorie  gelangen  können. 

Der  vorliegende  Band  unternimmt  es,  diese  Aufgabe  für 
den  Culturkreis  der  griechisch-römischen  Welt,  wenn  nicht  zu 
lösen,  so  doch  der  Lösung  näher  zu  führen.  Die  zeitlichen 
Grenzen  waren  dabei  durch  die  Natur  des  Quellenmaterials 
bestimmt.  Bis  auf  die  Perserkriege  ist  unsere  Kenntniss  der 
Geschichte  so  dürftig,  dass  es  unmöglich  ist,  von  den  Bevöl- 
kerungsverhältnissen mehr  als  eine  ganz  allgemeine  Anschauung- 
zu  gewinnen.  Und  wieder  in  der  Zeit  des  Niederganges  der 
antiken  Cultur,  seit  der  Mitte  des  I.  Jahrhunderts  unserer  Zeit- 
rechnung, fliessen  die  bevölkerungsstatistischen  Angaben  so  spär- 
lich, dass  wenigstens  für  jetzt  irgendwie  gesicherte  Resultate 
nicht  zu  erreichen  waren.  Zwischen  dem  Census  des  Claudius 


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VI 


Vorwort. 


und  dem  Domesday  - book  Wilhelms  des  Eroberers  liegt  die 
dunkele  Zeit  für  die  Bevölkerungsgeschichte  Europas. 

Dass  eine  Untersuchung  dieser  Art  nur  Annäherungswerthe 
ergeben  kann,  bedarf  keiner  Bemerkung.  Um  das  auch  äusser- 
lich  hervortreten  zu  lassen,  habe  ich  durchweg  runde  Zahlen 
gesetzt,  was  hin  und  wieder  zu  kleinen  Incongruenzen  gefühlt 
hat , die  ich  mit  Absicht  nicht  beseitigt  habe.  Selbstver- 
ständlich ist  der  Grad  der  Zuverlässigkeit  der  erreichten  Re- 
sultate ein  sehr  verschiedener.  Am  grössten  ist  derselbe,  aus 
leicht  ersichtlichen  Gründen,  für  die  freie  Bevölkerung  der  grie- 
chischen Halbinsel  und  Italiens:  hier  dürfte  die  Fehlergrenze 
nach  oben  oder  nach  unten  25  % kaum  übersteigen.  Viel 
unsicherer  sind  die  Schätzungen  der  Sklavenzahl,  und  der  Be- 
völkerung der  übrigen  Länder  im  Umkreis  des  Mittelmeeres;  es 
mögen  dabei  Fehler  bis  zu  50°/o,  in  einzelnen  Fällen  auch  da- 
rüber, begangen  sein.  Doch  ist  es  wahrscheinlich,  dass  diese 
Fehler  nach  dem  „ Gesetz  der  grossen  Zahl“  sich  zum  Theil 
gegenseitig  compensiren,  sodass  die  Uebersichten  auf  S.  506 
und  507  ein  wenigstens  in  den  Hauptzügen  treues  Bild  der 
Bevölkerungsverhältnisse  der  antiken  Welt  geben  dürften. 

Ohne  Zweifel  werden  meine  Resultate  vielfachen  Wider- 
spruch  finden:  schlagen  sie  doch  zum  Theil  alten  und  tief- 
gewurzelten  Anschauungen  ins  Gesicht.  Auch  ich  habe  lange 
unter  dem  Banne  dieser  Vorurtheile  gestanden,  und  mich  erst 
im  Laufe  der  Arbeit,  als  das  ganze  Material  gesichtet  vor 
mir  lag,  vollständig  davon  befreit.  Vielleicht  erzielt  dieses 
Material  bei  anderen  die  gleiche  Wirkung.  Wer  es  aber  unter- 
nimmt, mich  zu  widerlegen,  wird  seinen  Angriff  nicht  auf  ein- 
zelne Punkte  zu  richten  haben,  sondern  auf  den  ganzen  Bau 
meines  Systems,  dessen  Steine  gegenseitig  sich  stützen;  es 
wird  darauf  ankommen,  dieses  System  durch  ein  anderes, 
besseres  zu  ersetzen.  Und  da  wohl  nicht  leicht  jemand  den 
Vorwurf  gegen  mich  erheben  wird,  dass  ich  die  Volkszahl  der  . 
antiken  Welt,  als  ganzes  genommen,  wesentlich  überschätzt 
habe,  so  wird  es  die  Aufgabe  meiner  eventuellen  Gegner  sein, 
nachzuweisen,  dass  die  Staaten  des  Alterthums  eine  beträcht- 
lich höhere  Bevölkerung  gehabt  haben,  als  von  mir  angenommen 


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Vorwort. 


vn 


worden  ist.  Wir  werden  dann  sehen,  welches  System  mit  den 
Quellen,  wie  mit  den  allgemeinen  Principien  der  Bevölkerungs- 
lehre in  besserem  Einklang  steht. 

Freilich,  auch  wer  meine  Resultate  im  grossen  und  ganzen 
annimmt,  wird  im  einzelnen  manches  zu  bessern  und  zu 
ergänzen  finden.  Das  bevölkerungsstatistische  Material  aus  dem 
Alterthum  ist  bisher  niemals  auch  nur  in  annähernder  Voll- 
ständigkeit gesammelt  worden ; und  wenn  ich  selbst  auch 
Jahre  lang  meine  Aufmerksamkeit  auf  diese  Fragen  gerichtet 
habe  — es  wäre  merkwürdig,  wenn  ich  nichts  übersehen  hätte. 
Vieles  freilich,  was  mir  weniger  erheblich  schien,  habe  ich  mit 
Absicht  unterdrückt,  um  die  Citatenmasse  des  Buches  nicht 
noeh  mehr  anschwellen  zu  lassen.  Auch  sonst  bin  ich  bestrebt 
gewesen,  mich  so  kurz  wie  möglich  zu  fassen,  und  habe  na- 
mentlich bei  den  immer  wiederkehrenden  Berechnungen  der 
Gesammtbevölkerung  aus  der  Bürgerzahl,  oder  der  Zahl  der 
waffenfähigen  Männer,  in  der  Regel  nur  die  Elemente  der  Rech- 
nung und  das  Resultat  gegeben.  Auch  habe  ich  auf  Leser  ge- 
rechnet, die  wenigstens  mit  den  Grundbegriffen  der  politischen 
Oekonomie  und  der  Bevölkerungsstatistik  vertraut  sind.  — Ganz 
besonders  wünschenswerth  wäre  es,  wenn  die  Areal-  und  Orts- 
statistik weiter  gefördert  würde;  es  ist  aber  wohl  leider  wenig 
Hoffnung,  dass  viele  unserer  Philologen  den  Planimeter  zur 
Hand  nehmen  werden. 

Es  giebt  nun  allerdings  auch  Leute,  die  über  jede  bevöl- 
kerungsstatistische Untersuchung  aus  dem  Gebiete  des  Alter- 
thums vornehm  die  Achseln  zucken.  Das  ist  freilich  eine  sehr 
wohlfeile  Weisheit.  Gewiss  ist  unser  Material  dürftig  im  Ver- 
gleich zu  dem,  was  uns  für  unsere  Zeit  zu  Gebote  steht;  aber 
geben  wir  es  denn  etwa  auf,  die  politische  Geschichte  Griechen- 
lands und  Roms  zu  erforschen,  weil  die  Archive  des  Metroon 
und  des  Capitols  bis  auf  wenige  Trümmer  verloren  sind,  weil 
die  Alten  das  überhaupt  kaum  gekannt  haben,  was  wir  heute 
unter  Geschichtswissenschaft  verstehen?  Mögen  wir  uns  übrigens 
auch  noch  so  ablehnend  gegen  die  historische  Bevölkerungs- 
statistik verhalten,  entbehren  können  wir  sie  dennoch  nicht. 
Es  giebt  kein  grösseres  Werk  über  alte  Geschichte,  das  nicht 


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VIII 


Vorwort. 


statistische  Angaben  in  Menge  enthielte,  und  wären  es  auch 
nur  Angaben  über  die  Stärke  der  Heere;  und  Niemand  wird 
diese  Zahlen  aus  der  Geschichte  verbannen  wollen.  Bei  ihrer 
Verwerthung  aber  herrscht  noch  immer  der  roheste  Empiris- 
mus, und  grobe  Irrthümer  finden  sich  selbst  in  unseren  besten 
Arbeiten.  Ist  es  da  nicht  wünschenswerth,  dass  das  gesammte 
überlieferte  Zahlenmaterial  einmal  in  kritischer  Weise  verar- 
beitet wird? 

Was  Polybios  vor  zweitausend  Jahren  gegen  Phylarchos  ge- 
schrieben  hat,  ist  leider  zum  Theil  auch  heute  noch  zeitgemäss : 
iv  di  Tovroig  xig  ovx.  av  f}ttv(xäaeie  ttjv  ä/ceigiav  /.ai  trp  ayvoiav 
rrjs  -/.otvyjs  iwoiag  vneQ  rrjg  twv  'EkXtjvixiüv  ^cgay/xdiiuv  yoQtj- 
yiag  v.ai  dvvdfisiog;  i\v  /udltara  Sei  naga  t o7g  'iqzoQtoyQmfoig 
inagyeiv.  Freilich  trifft  der  Vorwurf  mehr  unsere  Wissenschaft 
im  ganzen  als  die  Einzelnen.  Möchten  diese  Studien  dazu 
beitragen,  dass  der  Vorwurf  seine  Berechtigung  verliert. 

Frascati,  im  Juni  1886. 


Julius  Belocli. 


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I n li  a 1 1. 


Erstes  Capitel. 

Quellen  und  Htilfsmlttel. 

1 Seite 

1.  Die  bey ölkerungsstatistischen  Aufnahmen  im  Alter- 

thnm 1 

Geburtsregister  1 — Sterbelisten  2 — Bürgerverzeich- 
nisse 2 — Militärkataloge  3 — Volkszählungen  4. 

2.  Die  statistische  Ueberlieferung 7 

Textcorruptelen  7 — Glaubwürdigkeit  unserer  Quellen: 
Thukydides,  Xenophon,  Herodot  7 — Ephoros,  Timacos,  Hiero- 
nymos  9 — Poiybios  10  — griechische  Schriftsteller  der  nack- 
polybianischen  Zeit  11  — römische  Annalisten  12  — Historiker 
der  letzten  Kaiserzeit  12. 

8.  Die  militärische  Dienstpflicht 13 

Dauer  der  Wehrpflicht  13  — Verpflichtung  zum  Feld- 
dienst 15  — Abstufung  der  Dienstpflicht  nach  dem  Vermögen 

16  — Verwendung  der  Leichtbewaffneten  17  — die  Peltasten 

17  — Bewaffnung  der  Truppen  auf  Staatskosten  18  — Be- 
mannung der  Flotten  20  — Dienstpflicht  der  Metoeken  20  — 
Verwendung  der  Sklaven  im  Kriege  21  — Soll-  und  Effectiv- 
stärke  21  — Loskauf  22  — Stärke  der  Aufgebote  im  Verhält- 
niss  zur  Gesammtlievölkerung  23  — statistische  Venvertliung 
der  Angaben  über  die  Heeresstärke  24  — Verhältniss  der  Be- 
sitzenden zu  den  Nichtbesitzenden  24. 

4.  Die  Arealbestimmnngen 26 

Wichtigkeit  der  Arealstatistik  26  — Hülfsmittel  27  — zu 
erreichender  Grad  der  Genauigkeit  28  -g-  befolgte  Methode  28. 

5.  Getreidep roduction  und  Consum 29 

Getreide-Import  und  Export  als  Maassstal)  für  die  Dichtig- 
keit der  Bevölkerung  29  — Getreide-Import-  und  Exportländer 
im  Alterthum  30  — Betrag  der  Production  des  Exports  und 
Imports  30  — Getreideverbrauch  auf  den  Kopf  der  Bevölke- 
rung 32. 


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X 


Inhalt. 


Seite 

84 


6.  Die  neuere  Forschung 

Erste  Versuche  34  — Hume  34  — Wallace,  Sainte-Croix, 
Böckh,  Xiclmhrt  Letronne.  Wiülon  85  — Gibbon,  Bunsen  36  — 
v Clinton  37  -^Zumpt  37  — »Dureau  de  la  Malle,  Moreau  de 
. Jonnös  38  — Wietersheim  38  — Untersuchungen  über  die 
zL römischen  Censuszahlen  39  — Kastorchis  39. 


Zweites  Capitel. 

Die  Zusammensetzung  der  Bevölkerung  nach  Geschlecht 
und  Alter. 

Numerische  Gleichheit  der  Geschlechter  41  — Vertheilung 
der  Bevölkerung  nach  Altersklassen  42  — ITlpians  Renten- 
tafel 43  — die  Hundertjährigen  in  der  VIII.  Region  Italiens  45  — 
Altersangaben  der  Grabinschriften  47  — danach  construirte 
Ueberlebenstafel  50  — Ergebnisse  51. 


Drittes  Capitel. 

Attika. 

1.  Areal 54 

2.  Die  überlieferten  Bevölkerungszahlen 57 

Volkszählung  unter  Demetrios  von  Phaleron  57  — Schät- 
zungen aus  dem  V.  Jahrhundert  59. 

3.  Die  militärischen  Leistungen 60 


Aufgebote  in  den  Perserkriegen  60  — Streitkräfte  beim  Aus- 
bruch des  peloponnesischen  Krieges  60  — Verluste  im  pelopon- 
nesisclien  Kriege  66  — Aufgebote  im  IV.  Jahrhundert  68  — 
Ephebenkataloge  69  — Bewegung  der  wohlhabenden  Klassen 
vom  V.  bis  II.  Jahrhundert  71  — die  Theten  72  — Gesammt- 
bürgerzahl  74. 

4.  Die  Getreidespende  des  Jahres  445/4  75 

Die  Zahl  der  Getreideempfänger  bei  Philochoros  75  — 
Philochoros’  Quelle  77  — Ergebniss  79. 

5.  Die  Kleruchen  . . 81 

Zwei  Klassen  von  Kleruchien  81  — Zahl  der  Kleinchen 
vor  dem  peloponnesischen  Kriege  82  — Kleruchiengründungen 
während  des  Krieges  83  — Kleruchien  im  IV.  Jahrhundert  83. 

6.  Die  Sklavenzahl 84 

Die  Angaben  bei  Athenaeos:  Aegina  und  Korinth  84  — 
Athen : Unhaltbarkeit  der  Auffassung  Böckhs  87  — Entstehung 


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Inhalt. 


XI 


» 


Saite 


des  Fehlers  bei  Athenaeos  95  — Bestimmung  der  Sklavenzahl 

7. 

Attikas  96. 

Die  Bevölkerung  und  ihre  Vertlieilung 

99 

Bewegung  der  Bevölkerung  99  — Volksdichtigkeit,  Bevöl- 

kening  der  Hauptstadt  100  — das  Landgebiet  101  — Ver- 

theilimg  auf  die  einzelnen  Demen  102. 

Anhang:  Zur  Rede  für  Polystratos 

107 

1. 

Viertes  Capitel. 

Der  Peloponnes. 

Arealbestimmung 

109 

Clinton  109  — Puillon-Boblavc  und  Moreau  de  Jonnes  110 

2. 

— Strelbitzky  111  — Areal  der  einzelnen  Landschaften  111. 
Argolis 

116 

. Bevölkerung  in  homerischer  Zeit  116  — Argos  116  — Tiryns 

und  Mykene  118  — Phleius  118  — Sikvon  118  — Korinthos  119 

— die  Akte  121  — Aegina  122  — bürgerliche  Gesanuntbevöl- 

8. 

kerung  123. 

Arkadien 

123 

Gesammtbevölkenmg  123  — Tegea,  Mantineia,  Orchomenos 

4 

125  — Megalopolis  127  — übrige  Städte  128. 

A chaia 

129 

5 

F.  1 e i a 

130 

0. 

Lakonien  und  Messenien  

131 

Die  lakedaemonische  Heeresorganisation  131  — ouohn  und 

inouilovtg  136  — die  militärischen  Leistungen  Spartas  138  — 

Bürgerzahl  141  — die  Perioeken  145  — die  Heiloten  146  — 

7. 

Messenien  148. 

Gesammtbevölkerung 

149 

Uebersicht  149  — militärische  Leistungen  151  — Bevöl- 

kerung  im  II.  Jahrhundert  156  — Abnahme  der  Bevölkerung 

&_ 

unter  römischer  Herrschaft  159. 

Kreta 

-159 

Fünftes  Capitel. 

Mittel-  und  Xord  - Griechenland. 

1.  Mittel  - Griechenland LSI 

Areal  161  — Boeotien:  Gesammtbevölkenmg  162  — Pla- 
taeae,  Thespiae,  Theben,  Haliartos  165  — die  boeotischen 
Militärkataloge  167  — Megaris  172  — Sklavenzahl  in  Megaris 
und  Boeotien  174  — Phokis  174  — Lokris  175. 


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XII 


Inhalt. 


S«it« 


2. 

Euboea  und  die  Kykladen 

176 

Areal  176  — Euboea  179  — die  nördlichen  Sporaden  180 

3, 

— die  Kykladen  181. 

Die.  westlichen  Landschaften 

182 

Areal  182  — wirthscliaftliche  Zustände  185  — Aetolien 

186  — Akamanien  188  — Amphilochien  189  — Leukas, 

Kephallenia,  Zakynthos  190  — Korkvra  191  — Ambrakia  192 

4. 

— Epidamnos,  Apollonia  194  — Epeiros  194. 

Thessalien 

197 

Wirtlischaftliche  Verhältnisse  197  — Areal  197  — Bevöl- 

5. 

kerung  199. 

Makedonien 

202 

Areal  202  — die  Chalkidike  203  — übrige  griechische 

Colonien  206  — die  militärischen  Leistungen  Makedoniens  207 

6. 

— Gesammtbevölkerung  211. 

Thrake 

213 

Areal  213  — Bevölkerung  214. 

Anhang.  Das  Heer  Alexanders 

215 

Sechstes  Capitel. 

Der  hellenische  Osten. 

1.  Kleinasien 223 

Areal  223  — Vertheilung  der  Bevölkerung  225  — Rhodos 

226  — Kos,  Knidos,  Halikamassos  227  — das  innere  Karien 

227  — Miletos  228  — Iasos,  Myus,  Priene  229  — Ephesos  230 

— die  übrigen  Städte  des  ionischen  Festlandes  231  — Samos 
232  — Chips  232  — Lesbos  234  — Kymc  235  — Pergamon  236 

— die  Troas  236  — Kyzikos  237  — Mvsien,  Lydien  237  — 
die  kleinasiatische  Südküste  238  — das  innere  Kleinasien  238 
— Bithynien  240  — Paphlagonien,  Pontos  241  — Gesammt- 
bevölkerung  242. 

2,  Syrien 242 

Areal  242  — Bevölkerung  in  vorpersischer  Zeit  243  — 

Bevölkerung  in  der  Perser-  und  Selenkidenzeit  244  — Pa- 
laestina  245  — Gesammtbevölkerung  Syriens  unter  römischer 
Herrschaft  248  — Kypros  249. 

8.  Das  obere  Asien 250 

Babylonien  und  Susiana  250  — Mesopotamien,  Armenien 
251  — die  Lander  am  Kankasos  251  — die  iranische  Hoch-  j 
ebene  252  — Indien  252  — China  253. j 

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Inhalt. 


XIII 


4.  Aegypten 254 

Areal  254  — Bevölkerung  254  — Alexandreia  258  — die 
Kyrenaika  259. 


Siebentes  Capitel. 

Sicilien  nnd  Grossgriechenland. 

1.  Areal -* 2fil 

Sicilien  und  die  Nachbarinseln  261  — die  einzelnen  Stadt- 
gebiete 262  — Grossgriechenland  263. 

2.  Wirtschaftliche  Zustände 264 

Blüthe  der  westgriechischen  Colonien  264  — bisherige 
Schätzungen  der  Bevölkerung  264  — Unhaltbarkeit  dieser 
Schatzungen  266  — Ackerbau  und  Viehzucht  267  — Wälder 
268  — Vergleich  mit  den  heutigen  Znständen  269  — Getreide- 
production  Siciliens  270. 

3.  Die  Bevölkerung  Siciliens 275 

Syrakus  275  — Akragas  281  — Selinus  285  — Himera 
286  — Naxos,  Katane,  Leontinoi  288  — Messene  288  — Gela, 
Kamarina  289  — Gesammtzahl  der  griechischen  Bevölkerung 
290  — die  militärischen  Leistungen  der  sicilischen  Griechen  290 
— die  phoenikischen  Städte  294  — die  Elymer  295  — die 
Sikaner  und  Sikeler  296  — Sklavenznhl  in  den  griechischen 
Städten  297  — statistische  üebersicht  298  — ;Bevölkerungs- 
geschichte  vom  IV.  bis  zum  I.  Jahrhundert  298  — Sklavenzahl 
in  römischer  Zeit  299  — Bevölkerung  unter  Augustus  301. 

4.  Grossgriechenland 301 

Syharis,  Kroton  301  — Taras  302  — Rhegion  302  — Lo- 
kroi  303  — Thurioi  304  — Gesanimtbevölkerung  304. 


Achtes  Capitel. 

Per  römische  l'ensns. 


1.  Der  Census 306 

Die  lustra  306  — Die  Erhebungen  beim  Census  307  — 
Bürgerliste  in  republikanischer  Zeit  308  — Bürgerliste  in  der 
Kaiserzeit  309  — Provinzialconsus  310. 

2.  Die  Bedeutung  der  Censuszahlen 312 


Civium  capita  812  — Frauen  und  Kinder  sind  ausge- 
schlossen 312  — die  Censuszahlen  umfassen  sämmtliche  er- 
wachsene Männer  313  — entgegenstehende  Hypothesen  314  — 
avium  capita  sind  nicht  Idos  die  Bürger  mit  selbständigem 


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XIV 


Inhalt. 


Saita 


Vermögen  315  — ebensowenig  die  juniores  317  — sie  schliessen 
die  capite  censi  und  Freigelassenen  ein  318  — 'ebenso  die  cives 
sine  suffragio  318. 


3.  Das  römische  Bürgergebiet 


319 


Das  römische  Gebiet  in  Italien  319  — Bürgergemeinden 
ausserhalb  Italiens  bis  auf  Caesar  321  — das  plinianische  Ver- 
zeichniss und  seine  Quelle  322  — Abfassungszeit  dieser  Quelle 
328  — Bürgergemeinden  in  Sicilien  325  — in  Sardinien  328  — 
in  Afrika  328  — in  Spanien  329  — in  Gallien  331  — in  Bri- 
tannien 332  — in  den  Donauländem  332  — auf  der  griechi- 
schen  Halbinsel  333  — in  Asien  334  — üebersicht  der  Bürger- 
gemeinden in  den  Provinzen  384  — Colonien  des  Claudius  335 
— Colonien  Augustus’  und  Caesars  386  — die  Municipien  338. 

4.  Die  Ergebnisse  des  republikanischen  Census  ....  339 

Die  ältesten  Censuszahlen  339  — die  Onsuszahlen  aus 
dem  IV.  Jahrhundert  340  — die  Zahlen  bis  auf  den  L puni- 
schen  Krieg  343  — die  Zahlen  bis  zum  Ende  der  Republik 
346  — Werth  der  Liste  347  — Kritik  der  Ueberlieferung  349. 

5.  Die  form  ul a togatorum 353 

Bestimmung  der  Truppencontingente  im  italischen  Hunde 
353  — Heeresmatrikel  354  — das  Verzeichniss  des  Kabine  355 
— Kritik  der  Zahlen  357  — Bedeutung  der  Liste  360  — 
Militärorganisation  des  Bundes  365  — Gesammtzahl  der  waft'en- 
fähigen  Mannschaft  367  — die  (jualification  zum  Reiterdienst 
868  — Scldussergebniss  369. 

6.  Die  Censuszahlen  aus  der  ersten  Kaiserzeit ■ . . ■ 32Q 

Die  überlieferten  Zahlen  370  , — bedeutet  civiuw  capita 
noch  dasselbe  wie  früher?  372  — der  Provinzialcensns  374  — 
die  Censuszahlen  beziehen  sieh  jetzt  auf  die  bürgerliche  Ge- 
sammtbevölkemng  375  — Motive  der  Aenderung  378. 

7.  Die  militärischen  Leistungen  Italiens 378 

Angaben  aus  älterer  Zeit  378  — die  Flotten  im  ersten 
punischen  Kriege  379  — Heeresstärke  im  gallischen  und  hanni- 

• balischcn  Kriege  380  — Aufgebote  im  II.  Jahrhundert  und 
während  der  Bürgerkriege  384  — das  Heer  der  Monarchie  387. 


Neuntes  Capitel. 


Hallen 


1-  Der  Flächeninhalt  Italiens 


388 


Flächeninhalt  des  heutigen  Königreichs  388  — Areal  unter 
Augustus  390  — die  XI  Regionen  391. 


I 


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Inhalt. 


XV 


Seite 

2.  Die  Bevölkerung  Roms 392 

Die  serviauische  Stadt  392  — Wachsthum  in  republikani- 
scher Zeit  392  — Entwickelung  unter  den  Kaisern  393  — 
Schätzungen  der  Bevölkerung  394  — ' die  Zahl  der  Getreide- 
empfanger  396  — die  Congiarien  400  — die  bürgerliche  Be- 
völkerung 401  — Peregrinen  und  Sklaven  403  — Gesammtbe- 
völkcriuig  404  — Ausdehnung  der  Stadt  404  — die  Häuser- 
zahl  406  — Dichtigkeit  der  Bewohnung  408  — Vergleich  mit 
anderen  Städten  des  Alterthums  410  — Der  Getreideverbrauch 
411  — Schlussergebniss  412. 

3.  Die  Bevölkerung  der  italischen  Halbinsel 413 

Die  freie  Bevölkerung  413  — die  Sklavenzahl  413  — Ge- 
sammtbevölkerung  418  — Campanien  419  — Latium  422  — 
Etrurien  423  die  Landschaften  des  Apennin  424  — der  • 
Süden  425  — Uebersicht  der  Volksvertheilung  426. 

4.  Das  diesseitige  Gallien 427 

Culturentwickelung  427  — Städtewesen  429  — Volksdich- 
tigkeit 430  — Bevölkerung  unter  Angustus  433  — die  Alpen- 
völker 434. 

5.  Die  Gesammtbevolkerung  Italiens 435 

Die  Bevölkerung  in  der  Zeit  Hannibals  435  — im  ersten 
Jahrhundert  der  Kaiserzeit  436  — Vergleich  mit  der  heutigen  Be- 
völkerung 437  — Bevölkerung  einzelner  Gemeinden  440  — An- 
gaben der  Alten  über  die  Volksdiehtigkeit  442. 


Zehntes  Capitel. 

Der  lateinische  Westen. 

1.  Sardinien  und  Gorsica 444 

Areal  Sardiniens  444  — Bevölkerung  Sardiniens  444  — 
Corsica  445  — Gesammtbevolkerung  445. 

2.  Spanien 446 

Areal  440  — Bevölkerung  des  Nordwestens  446  — Ver- 
theilung  der  Bevölkerung  447  — Gesammtbevolkerung  448. 

3.  Gallien 448 

Flächeninhalt  448  — Bevölkerung  der  Narbonensis  449  — 
Caesars  Angaben  4ö0  — die  Zahl  der  Helvetier  450  — das 


Aufgebot  von  Bclgica  458  — ' Das  gallische  Gesammtaufgebot 
vor  Alesia  455  — Bevölkerung  des  Iveltenlandes  und  ihre  Ver- 
theiliuig  457  — Aquitanien  458  — die  Bevölkerung  der  Pro- 
vinzen nach  Augustus’  Eintheilung  460. 

4.  Die  Donauländer 4ßQ 

Areal  460  — Dalmatien  und  Pannonien  462  — Moesien  464. 


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XVI  Inhalt. 


Sait» 


1. 

Africa 

Areal  465  — Volksdichtigkeit  im  karthagischen  Gebiet  466 

405 

473 

— die  Stadt  Karthago  466  — die  karthagischen  Heere  467  — 

Bevölkerung  469  — Nümidien  und  Mauretanien  470. 

Elftes  Capitel. 

Die  städtische  Bevölkerung. 

Quellen  und  Hülfsmittel 

Kein  politischer  Unterschied  zwischen  Stadt  und  Land  473 

— Schätzung  nach  dem  Umfang  473  — Ermittelung  des  Flächen- 

raumes  474  — Schluss  auf  die  Bevölkenmg  475  — Concentri- 

rung  der  Bevölkenmg  innerhalb  der  Mauern  476. 

2. 

Die  Entwickelung  des  Städtewesens  

477 

Anfänge  477  — die  Städte  in  der  klassischen  Zeit  477  — 

Die  Gressstädte  der  hellenistischen  Periode  479  — die  Städte 

am  westlichen  Mittelmeer  480  — Entwickelung  in  der  Kaiser- 

zeit  481. 

3. 

Die  überlieferten  Umfangszahlen 

481 

Flächenrauin . . . 

485 

Griechische  Städte  486  — italische  Städte  487  — Belege 
und  Erläuterungen  487. 


Zwölftes  -Capitel. 

Geschichte  der  Bevölkerung. 

Dichte  Bevölkerung  in  Griechenland  seit  der  homerischen 
Zeit  491  — Anwachsen  der  Bevölkerung  bis  zum  peloponnesi- 


sehen  Kriege  492  — Eindringen  der  Sklaverei  493  — Volks- 

zahl  Griechenlands  zu  Ende  des  V.  Jahrhunderts  494  — An- 

wachsen  der  Bevölkenmg  im  IV.  Jahrhundert  496  — Bevöl- 

kerung  in  Alexanders  Zeit  497  — das  III.  Jahrhundert  497  — 

Ahnalime  seit,  dem  II.  Jahrhundert  498  — der  Orient  seit. 

Alexander  499  — der  Westen  500  — Volkszahl  des  Reiches 

unter  Augustus  502  — Gründe  der  Abnahme  der  Bevölkerung 

im  II.  und  T.  Jahrhundert  502  — Tabellen  zur  Uebcrsieht  506. 

, 

Nachträge. 

Die  griechische  Flotte  bei  Salamis 

508 

Herakleia  Trachis 

512 

Register  

513 

Berichtigungen 

520 

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Erstes  Capitel. 

Quellen  und  Hülfsmittel. 


1.  Die  bevölkernngsstatistischen  Aufnahmen  im  Alterthum. 

Das  Bedürfnis  der  Verwaltung  hat  im  Alterthum  schon 
früh  zu  den  Anfängen  einer  officiellen  Bevölkerungsstatistik  ge- 
führt. Bei  den  grossen  Privilegien,  die  überall  der  Besitz  des 
Bürgerrechtes  gewährte,  musste  sich  zunächst  die  Nothwendigkeit 
geltend  machen,  den  Kreis  der  Berechtigten  durch  unzweifel- 
hafte Urkunden  festzustellen.  Der  Besitz  des  Bürgerrechtes 
aber  war  an  die  bürgerliche  Abkunft  geknüpft;  es  musste  also 
dafür  gesorgt  werden,  dass  kein  Streit  darüber  entstehen  könne, 
oh  ein  Kind  von  bürgerlichen  Eltern  geboren  war.  Das  war 
nur  zu  erreichen  durch  amtlich  geführte  Geburtsregister,  die 
wir  demnach  für  alle  grösseren  griechischen  und  italischen 
Staaten  voraussetzen  müssen,  wenn  auch  Näheres  über  diese 
Einrichtung  nur  von  Athen  und  Rom  überliefert  ist.  In  Athen 
waren  es  die  Phratrien,  die  mit  der  Führung  dieser  Register 
((fQctTEgr/.bv  yQUf.ataielov)  betraut  waren;  den  versammelten 
Mitgliedern  der  Phratrie  stand  auch  die  Controlle  darüber  zu, 
ob  das  zur  Eintragung  in  das  Verzeichniss  vorgeschlagene  Kind 
rechtmässiger  bürgerlicher  Abkunft  sei,  oder  nicht.  Ein  be- 
stimmter Tennin  für  die  Eintragung  war  nicht  vorgeschrieben ; 
in  der  Regel  geschah  sie  wohl  möglichst  bald  nach  der  Geburt, 
doch  war  eine  spätere  Eintragung  nicht  ausgeschlossen1).  In 

*)  Näheres  hei  Gilbert,  Staatsalterthümer  1 S.  134  f. 

Beloch,  Bevölkernngslelirp.  I.  1 


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2 


Capitel  I. 


Rom  soll  bereits  Servius  Tullius  verordnet  haben,  bei  jeder 
Geburt  eine  Gabe  an  den  Tempel  der  Juno  Lucina  zu  zählen 1). 
Aus  diesem  Brauche  entwickelten  sich  im  Laufe  der  Zeit  wirk- 
liche Geburtsregister:  so  musste  nach  einer  Verordnung  des 
Kaisers  Marcus  jede  Geburt  innerhalb  30  Tagen  bei  dem  Prae- 
fectus  aerarii  Saturni  angemeldet  werden,  und  analoge 
Einrichtungen  wurden  in  den  Provinzen  durchgeführt2). 

Dagegen  hat  das  Redürfiiiss  nach  amtlichen  Sterhelisten 
sich  erst  viel  später  geltend  gemacht.  In  Athen  wurden  zur 
Zeit  des  peloponnesischen  Krieges  die  Todesfälle  noch  nicht  ver- 
zeichnet, wie  daraus  hervorgeht , dass  Thukydides  zwar  im 
Stande  ist,  die  Zahl  der  an  der  Pest  gestorbenen  Hopliten  und 
Reiter  genau  anzugeben,  dagegen  die  Zahl  der  Opfer  aus  den 
übrigen  Schichten  der  Bevölkerung  als  „nicht  zu  ermitteln“  lie- 
zeichnet8).  Und  wir  wissen  nicht,  ob  Athen  später  zur  Führung 
von  officiellen  Sterberegistern  vorgeschritten  ist.  In  Rom  soll 
gleichfalls  Servius  Tullius  bei  jedem  Todesfall  eine  Gabe  an  den 
Tempel  der  Libitina  vorgeschrieben  haben  *).  Auch  hieraus 
haben  sich  später  amtliche  Listen  entwickelt5). 

Weiterhin  war  es  erforderlich,  die  Zahl  derer  zu  kennen, 
die  zur  activen  Ausübung  des  Bürgerrechtes  qualificirt  waren. 
Zu  diesem  Zwecke  bestand  bei  jeder  der  politischen  Gemeinden 
— Demen  — , in  die  Attika  durch  Kleisthenes  eingetheilt  worden 
war,  eine  Liste'  {XrfeiaQxiv.bv  ygctfiucaelov),  worin  jeder  zu  dem 
Demos  gehörige  junge  Athener  etwa  mit  vollendetem  17.  Jahre0) 


’)  Piso  bei  Dionys  IV  15. 

C?)  Scriptores  Historiae  Augustae,  Vita  M.  Antonini  9. 

3)  Thuk.  III  87 : Ttrgaxoaiiov  yi(Q  öniirmv  xai  TtTQaxia/iittur  ovx 
iXiloaovs  äniltavov  (x  rwr  räl-etov  xct'i  rgiaxoa/tov  Innitnv,  r ov  ö ’ äli.ov 
o/lov  äie((VQfTo;  agiihiog.  Vergl.  Müller-Strübing,  Aristophanes  S.  642. 

■*)  Dionys  a.  a.  0. 

Suet  Nero  39:  pestilentia  unius  autumni,  qua  triginta  funerum  miliu 
in  rationew  Libitinae  venerunt.  Vergl.  Hieronymus  01.  214,  1 (Eusebius  II 
S.  159  Schoene):  lues  ingens  Konnte  facta,  ita  ul  per  multos  dies  in  e feine- 
ndem X müia  ferme  mortiwum  hominum  referrentttr. 

6)  Da  die  Eintragung  in  die  Geburtsregister  der  Pliratrien  an  kein  be- 
stimmtes Alter  geknüpft  war,  so  konnte  das  auch  bei  der  Eintragung  in 


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Quellen  und  Hülfsmittel. 


3 


eingetragen  wurde.  Diese  Einzeichnung  begründete  die  poli- 
;ischen  Rechte  und  die  civilrechtliche  Mündigkeit;  die  Controlle 
über  die  Qualification  der  Aufzunehinenden  stand  bei  den  ver- 
sammelten Bürgern  des  Demos.  • Auf  Grand  dieser  Verzeichnisse 
wurde  dann  die  Liste  der  zur  Theilnahme  an  der  Volksver- 
sammlung berechtigten  Bürger  ( niva £ buktjaiaauxös)  zusam- 
nengestellt  *).  Sie  gewährte  die  Möglichkeit,  einen  ungefähren 
Ueberblick  über  die  Gesammtzabl  aller  attischen  Bürger  zu 
gewinnen,  wenn  auch  die  so  erhaltene  Zahl  von  absoluter  Ge- 
nauigkeit weit  entfernt  sein  musste.  Denn  einerseits  fehlten 
in  der  Liste  alle  diejenigen  Bürger,  die  ihre  politischen  Rechte» 
temporär  oder  dauernd  verwirkt  hatten  (aitf-tot) ; andererseits 
war  es  bei  dem  Mangel  an  amtlichen  Sterberegistem  unver- 
meidlich, dass  die  Namen  vieler  bereits  Verstorbenen  in  dem 
rciva^  ixvtkyoiaoTixbg  weitergeführt  wurden.  Aehnliche  Listen 
müssen  für  die  übrigen  griechischen  Demokratien  vorausgesetzt 
werden;  in  oligarchischen  Staaten  war  der  mVa$  iy.xXrjaiaoTrxbg 
natürlich  auf  die  bevorrechtete  Klasse  beschränkt. 

Verzeichnisse  anderer  Art  waren  für  die  Militärverwaltung 
erforderlich.  Jedes  Jahr  entwarf  die  oberste  Militärbehörde  — 
in  Athen  die  Strategen,  in  Boeotien  die  Polemarchen  etc.  — 
eine  Liste  der  in  das  kriegspflichtige  Alter  tretenden  Jünglinge, 
die  durch  ihr  Vermögen  dazu  befähigt  waren,  dem  Staat  mit 
schwerer  Rüstung  oder  als  Reiter  zu  dienen.  Diese  Listen  bil- 
deten die  Grundlage  für  die  Aushebung;  bei  ihrer  Wichtigkeit 
wurde  es  seit  Ausgang  des  IV.  Jahrhunderts  üblich,  sie  in  Stein 
gehauen  öffentlich  auszustellen,  und  diesem  Gebrauche  ver- 
danken wir  es,  dass  eine  grosse  Anzahl  derselben,  namentlich 
aus  Athen  und  Boeotien.  auf  uns  gelangt  ist.  Da  nun  der  at- 
tische Bürger  durch  42  Jahre  dienstpflichtig  war,  so  eigab  sich 
die  Gesammtwehrkraft  des  Staates,  wenn  man  die  Listen  der 
letzten  42  Jahre  zusammenzählte.  Dabei  war  es  selbstverständ- 


die  Bürgerlisten  der  Deinen  nicht  der  Fall  sein;  das  Entscheidende  war 
vielmehr  die  physische  Entwickelung  (Arist.  Wespen  578:  nai'iimv  rofrvr 
doxifiatofjfvmv  ctläoia  nttgiart  {Itna&at). 

*)  ü.  g.  Ijeochares  (Demosth.  44)  35  S.  1091. 

1* 


» ✓ 


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4 


Capitel  I. 


lieh  erforderlich,  dass  alle  Abgänge  durch  Todesfälle,  Ausführung 
in  Kleruchien  etc.  genau  vermerkt,  und  andererseits  die  Zugänge 
durch  Aufnahme  wohlhabend  gewordener  Theten,  Ertheilung 
des  Bürgerrechts  oder  der  Isotelie  an  Fremde  berücksichtigt, 
wurden.  Die  so  gebildete  Musterrolle  liiess  der  „Katalog“ 
schlechtweg  (6  nazaloyog) ; ihm  hat  Thukydides  seine  Angaben 
über  die  Wehrkraft  Athens,  wie  über  die  Verluste  durch  die 
Pest  entnommen.  Da  ferner  auch  die  vermögenderen  Schutz- 
verwandten zum  Dienste  als  Hopliten  verpflichtet  waren,  so 
musste  auch  über  sie  ein  analoges  Verzeichniss  geführt  werden. 
Dagegen  hat  Athen,  wenigstens  seit  der  perikleischen  Zeit,  mit 
Ausnahme  eines  kleinen  Corps  Bogenschützen,  regelmässige 
leichte  Truppen  nicht  unterhalten ; über  die  Bürger  der  Theten- 
klasse also,  die  vom  Dienst  als  Hopliten  auf  eigene  Kosten 
befreit  waren,  sind  Listen  zu  militärischen  Zwecken  nur  inso- 
weit geführt  worden,  als  sie  von  Staatswegen  mit  schwerer 
Rüstung  versehen  waren. 

Die  besprochenen  Verzeichnisse  leisteten  allen  Erforder- 
nissen der  Verwaltung  genüge  und  liessen  ein  Bedürfniss  nach 
periodischen  Aufnahmen  der  Bevölkerung  nicht  aufkommen.  So 
ist  die  erste  Volkszählung  in  Athen,  von  der  wir  Kenntniss 
haben,  erst  unter  der  Verwaltung  des  Demetrios  von  Phaleron 
(317 — 307)  gehalten  worden1).  Sie  umfasste  alle  Klassen  der  ’ 
Bevölkerung,  Bürger,  Metoeken  und  Sklaven,  aber,  wie  die  er- 
haltenen Ergebnisse  beweisen,  nur  die  erwachsenen  Männer, 
während  Weiber  und  Kinder  ausgeschlossen  blieben.  Heber  die 
sonstigen  Modalitäten  der  Zählung  sind  wir  nicht  unterrichtet ; 


J)  Athen.  VI  S.  272  B (=  Müller,  Fr.  H.  Gr.  IV  875  Ktesikles  fr.  1): 

Kir]aixXfjq  cf’  Iv  rpi'r rj  XQortxtür xm  ihxdrii  7iobg  raif  ixaröv 

(f  rjOiv  'OivfinidiSi  'Ailrji T]<nv  (Snaouöv  yiv(od-tu  vnb  Aq/urjTQlov  tov  •f’aXr/- 
q(ix>{  Ttöv  xaToixovvrtov  ir\r  ’Attixtiv  . . . xal  evpe&rjvat  ‘Ad-Tjvcti'ovi  utv 
äittft VQi'ov;  nQOi  Toiff  %iMois,  fttroixovs  <!f  [XVfffovs,  o/xfuüv  ifi  [ivQfaäui 
[Tfaaapäxovza].  Man  hat  01.  115  (Schweighäuser),  116  (Casaubonus),  118 
(Scaliger)  emendirt.  Warum  nicht  01.  117?  Wir  kennen  Ktesikles  nur  aus 
Athenaeos ; das  III.  Buch  der  Xpovixa  erzählte  noch  den  Tod  Eiunenes’  I. 
von  Pergamon  241  v.  Chr.,  Ktesikles  kann  also  frühestens  gegen  Ende  des 
III.  Jahrhunderts  geschrieben  haben. 


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Quellen  und  Hulfsmittel. 


5 


es  wird  aber  aller  Analogie  nach  anzunehmen  sein,  dass  die 
rechtlieh  zugehörige,  nicht  die  factiscli  anwesende  Bevölkerung 
gezählt  wurde.  Ob  später  noch  andere  Volkszählungen  in  Athen 
stattgefunden  haben,  wissen  wir  nicht ; ebensowenig  ob  das  von 
Denietrios  gegebene  Beispiel  in  anderen  griechischen  Republiken 
Nachfolge  gefunden  hat.  Dagegen  dürfen  wir  mit  Sicherheit 
annehrnen,  dass  in  den  Grossstaaten  der  hellenistischen  Zeit 
Aufnahmen  der  Bevölkerung  vorgenommen  worden  sind.  Und 
zwar  hat  hier  der  Begriff  der  Gesammtbevölkerung  in  die  Sta- 
tistik Eingang  gefunden.  Wenn  Diodor  unter  Berufung  auf 
die  officiellen  Listen  die  freie  Bevölkerung  von  Alexandreia  zu 
300000  angiebt1),  so  ist  klar,  dass  hier  die  Frauen  und  Kinder 
eingerechnet  sein  müssen.  Ebenso  wenn  Plinius  die  plebs 
urbana  von  Seleukeia  am  Tigris  auf  600 000  beziffert 2).  Dass 
die  aus  Hekataeos  von  Abdera  geflossene  Nachricht,  Aegypten 
habe  unter  dem  ersten  Ptolemaeer  3 Millionen  Einwohner  gezählt, 
ebenfalls  von  der  Gesammtbevölkerung  zu  verstehen  ist,  sagt 
Diodor  selbst3).  Es  ist  wahrscheinlich,  dass  sich  hier  die  pto- 
lemaeische  Verwaltung  an  Einrichtungen  aus  der  Pharaonenzeit 
angelehnt  hat. 

In  die  hellenistische  Zeit  fällt  auch  die  Ausbildung  des 
römischen  Census.  Allerdings  stehen  diese  Erhebungen  nicht 
auf  gleicher  Linie  mit  der  Volkszählung  des  Demetrios,  denn 
der  Zweck  des  Census  war  nur  die  Feststellung  der  römischen 
Bürgerzahl,  während  Fremde  und  Sklaven  unberücksichtigt 
blieben.  Aber  die  periodische  Wiederholung  der  Aufnahmen 
in  kurzen  Zwischenräumen  und  durch  vier  Jahrhunderte,  das 
grosse  und  beständig  wachsende  Gebiet,  auf  das^sich  dieselben 
beziehen,  endlich  und  vor  allem  der  .Umstand,  dass  uns  hier 
allein  auf  dem  Felde  der  antiken  Bevölkerungsstatistik  eine 
verhältnissmässig  reiche  Ueberlieferüng  zu  Gebote  steht,  giebt 
den  römischen  Censuszahlen  eine  Bedeutung,  die  kein  anderes 
Document  dieser  Art  aus  dem  Alterthume  erreicht.  Sie  werden 

!)  Diod.  XVII  52. 

*)  Plin.  H.  N.  VI  122. 

3)  Diod.  I 31,  vergl.  unten  Cap.  VI  4. 


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6 


Capitel  I. 


weiter  unten  (Cap.  VIII)  eine  ihrer  Wichtigkeit  entsprechende 
ausführliche  Behandlung  finden. 

Allerdings  dürfen  die  Ergebnisse  auch  der  sorgfältigsten 
dieser  Aufnahmen  an  Genauigkeit  mit  den  Ergebnissen  unserer 
Volkszählungen  bei  weitem  nicht  auf  eine  Stufe  gestellt  werden. 
Aber  das  vorhandene  statistische  Material  hätte  doch  immer- 
hin ausgereicht,  um  ein  in  der  Hauptsache  treues  Bild  der 
Bevölkerungsverhältnisse  der  griechisch-römischen  Welt  zu 
gewinnen.  Auch  war  dasselbe  keineswegs  der  öffentlichen  Be- 
nutzung entzogen.  In  den  griechischen  Demokratien,  wo  alles 
auf  dem  Markt  verhandelt  wurde,  konnten  selbstverständlich 
die  Ergebnisse  der  officiellen  Statistik  nicht  geheim  ge- 
halten werden,  und  auch  Rom  hat  weder  unter  der  Herrschaft 
der  Aristokratie,  noch  unter  der  Kaiserherrschaft  Bedenken 
getragen,  die  Resultate  seines  Census  zu  veröffentlichen.  Aber 
von  einer  wissenschaftlichen  Verwerthung,  ja  auch  nur  von  einer 
Sammlung  des  statistischen  Materials  finden  sich  im  Alterthum 
kaum  die  rohesten  Anfänge ; sowenig  wie  eine  politische  Oeko* 
nomie  haben  die  Griechen  und  Römer  eine  politische  Arithmetik 
besessen.  Die  praktische  Wichtigkeit  statistischer  Kenntnisse  für 
den  Staatsmann  und  den  Historiker  freilich  haben  sie  nicht  ver- 
kannt. So  stellt  schon  der  Sokrates  den  xenophontischen  Memoiren 
an  einen  angehenden  Volksredner  die  Forderung,  ttl>er  die  mili- 
tärischen Machtmittel  des  eigenen  Staates  wie  der  eventuellen 
Gegner  unterrichtet  zu  sein ') ; und  Unwissenheit,  in  statistischen 
Dingen  ist  einer  der  stärksten  Vorwürfe,  die  Polybios  gegen 
Phylarchos  schleudert2).  Aber  die  Eifüllung  dieser  Anforde- 
rungen war  dem  antiken  Staatsmanne  oder  Forscher  recht 
schwer  gemacht.  Es  mag  sein,  dass  die  politischen  Schriften 
der  peripatetischen  Schule  statistische  Angaben  enthalten  haben ; 
in  der  Hauptsache  aber  blieb  jeder,  der  sich  für  diese  Dinge 


*)  Xen.  Denkteürd.  III  6,  9. 

*)  Polyb.  II  62,  2:  (v  äl  r ovtois  ngtÜTov  /jlv  tCs  ovx  ccv  dav/uatJiif 
tfjV  anugiuv  xal  irjv  äyvoiav  rijf  xoirrj ; ivvolm  vnlg  Trjs  rtSv  'Elkri- 
nxtöv  7i gay n dioiv  /ogrjyla;  xal  ihvauttog ; fjr  fiilXimct  <hi  fragte  -To/'f 
larogioygatfois  vmig/ur. 


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Quellen  und  Ilülfsmittel. 


7 


interessirte,  darauf  angewiesen,  das  Material  seihst  zusammen- 
zubringen,  sei  es  durch  persönliche  Erkundigung,  sei  es  durch 
das  Studium  der  Historiker.  Es  sind  die  Trümmer  der  histo- 
rischen Literatur  des  Alterthums,  denen  auch  wir  in  erster 
Linie  die  Kenntniss  der  Populationsverhältnisse  der  antiken 
Welt  zu  verdanken  haben. 

2.  Die  statistische  Ueberlieferung. 

Zahlen  sind,  wie  bekannt,  bei  handschriftlicher  Ueberliefe- 
rung am  meisten  der  Verderbniss  ausgesetzt.  Schon  in  unserem 
Gedäcbtniss  haften  Zahlen  viel  weniger  fest  als  Worte,  und  es 
erfordert  die  schärfste  Anspannung  unserer  Aufmerksamkeit, 
eine  längere  Zahlenreihe  fehlerlos  abzuschreiben.  Dabei  sind 
Verderbnisse,  die  sich  einmal  in  der  Zahlenüberlieferung  ein- 
geschlichen haben,  in  der  Regel  durch  Conjectur  nicht  zu  heilen, 
da  uns  hier  die  Bestätigung  ahgeht,  die  bei  der  Emendation  ge- 
wöhnlicher Textcorruptelen  der  Wortsinn  gewährt.  So  bietet 
nur  die  epigraphische  Ueberlieferung  ein  absolut  sicheres  Fun- 
dament für  unsere  Untersuchungen;  aber  leider  ist  die  be- 
völkerungsstatistische Ausbeute  aus  den  Inschriften  bis  jetzt  sehr 
gering.  Das  Monumentum  Ancyranum  mit  seinen  Cen- 
suszahlen,  die  griechischen  Epheben-  und  Militärkataloge,  einige 
hie  und  da  gelegentlich  verstreute  Angaben  — das  ist  alles,  was 
uns  die  Inschriften  an  statistischen  Daten  geliefert  haben.  Im 
wesentlichen  bleiben  wir  doch  auf  die  literarische  Tradition 
angewiesen. 

Es  sind  übrigens  nicht  so  sehr  die  Nachlässigkeit  der  Ab- 
schreiber und  die  dadurch  verursachten  Corruptelen,  die  uns 
die  Verwerthung  der  überlieferten  Zahlen  erschweren.  Viel 
grössere  i Schuld  trifft  die  antiken  Historiker  selbst.  Unsere 
nächste  Aufgabe  muss  es  also  sein,  die  Glaubwürdigkeit  unserer 
Quellen  in  statistischen  Dingen  zu  untersuchen. 

Der  erste  Platz  in  der  uns  erhaltenen  Literatur  gebührt 
hier  ohne  Frage  Thukydides.  Mehr  als  eine  Stelle  seines 
Werkes  bezeugt  es,  wie  strenge  Kritik  er  an  den  Angaben 
seiner  Gewährsmänner  übte,  und  wie  er  lieber  eine  Zahl  unter- 


8 


Capitel  I. 


drückte  als  unzuverlässige  Angaben  aufzunehmen  *)•  Dass  trotz- 
dem auch  bei  ihm  einige  Zahlen  sich  finden,  die  nachweislich 
unrichtig  sind,  liegt  in  der  Natur  der  Sache;  auch  bleibt  es 
dabei  meist  zweifelhaft,  ob  nicht  die  Schuld  statt  den  Verfasser, 
die  Verderbniss  der  Ueberlieferung  trifft.  Thukydides  am  näch- 
sten steht  Xenophon.  An  seiner  Wahrheitsliebe  kann  kein 
Zweifel  sein,  und  wo  es  sich  um  Zahlen  handelt,  die  er  zu 
kennen  in  der  Lage  war,  werden  sie  als  unbedingt  zuverlässig 
zu  gelten  haben.  Sonst  freilich  hat  Xenophon  sein  Material 
keineswegs  mit  derselben  Sorgfalt  gesichtet,  wie  Thukydides. 
Viel  weniger  günstig  muss  unser  Urtheil  über  den  „Vater  der 
Geschichte“,  Herodot,  lauten.  Schon  an  und  für  sich  erwecken 
die  vielen  und  detaillirten  Zahlenangaben  aus  der  Geschichte 
der  Perserkriege  schwere  Bedenken.  Handelt  es  sich  doch  hier 
um  eine  Zeit,  die  eine  ganze  Generation  hinter  dem  Verfasser 
zurücklag,  und  über  die  ihm  eine  zusammenhängende  schrift- 
liche Ueberlieferung  nicht  zu  Gebote  stand2).  Ich  sehe  hier 
ganz  ab  von  den  Angaben  über  Heer  und  Flotte  des  Xerxes, 
denen  die  Uebertreibung  deutlich  an  der  Stirn  geschrieben  steht 
und  woran  schon  das  Alterthum  Kritik  geübt  hat.  Aber  auch 
das  Verzeichniss  der  griechischen  Streitkräfte*  bei  Plataeae,  das 
so  lange  Zeit  die  hauptsächlichste  Grundlage  aller  Unter- 
suchungen über  die  griechische  Bevölkerungsstatistik  gebildet 
bat,  und  den  Beweis  hat  hergeben  müssen  für  die  behauptete 
Abnahme  der  Volkszahl  Griechenlands  seit  den  Perserkriegen, 
erweist  sich  bei  näherer  Prüfung  als  keineswegs  zuverlässig. 
Es  ist  längst  erkannt  worden,  dass  Sparta  niemals  5000  Bürger- 
hopliten  ins  Feld  gestellt  haben  kann8);  und  auch  die  Zahlen 
für  einige  der  übrigen  Contingente,  wie  die  von  Sikyon,  Korinth, 


')  Thuk.  III  118:  xtu  ÜQi&fiöv  ovx  eygaipa  xojv  uno'iavovTwv,  «Stört 
«tuotov  rö  nXij&og  Ziytxai  unoMo&ui,  mg  n gog  xd  /uiye9og  x ijg  rxoZtmg. 
V 68:  aQi&ftör  di  ygüxpni,  fj  xn9’  ixaoxovg  ixux^Qtav  rj  l-vfiTxavxag,  ovx 
«v  Idvvttfxriv  äxQißmg'  xd  yng  ^oxidai  /uovimv  niijSog  «ft«  xijg  710/.1- 
xefag  xd  XQV7ITÖV  rjyvotixo,  xmv  tf’  av  did  xd  äv^gamtvov  xofinmdeg  tg 
tu  olxela  nir\9r)  fimaxtixo. 

*)  Vergl.  Nitzscli,  Rh.  Mus.  27  (1872)  S.  226 — 268. 

3)  Stein,  Jahrbücher  für  Philologie  85  (1862)  S.  853 — 864. 


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Quellen  und  Hülfsmittel. 


9 


Megara  und  Plataeae  erregen  durch  ihre  Höhe  die  stärksten 
Bedenken.  Daneben  allerdings  finden  sich  Zahlen,  die  solchen 
Zweifeln  nicht  unterliegen,  ja  die  höchst  wahrscheinlich  exact 
sind.  Dieser  verschiedene  Werth  erklärt  sich  sehr  leicht  aus 
der  Art,  wie  Herodot  seine  Liste  zusammengestellt  hat.  Die 
Grundlage  bildete  das  plataeische  Siegesdenkinal  in  Delphi,  wie 
sich  aus  der  genauen  Uehereinstimmimg  in  den  Namen  ergieht1). 
Da  nun  das  delphische  Siegesdenkmal  keine  Angaben  über  die 
Stärke  der  einzelnen  Contingente  enthält,  so  war  Herodot  ge- 
zwungen, dieselben  aus  eigenen  Mitteln  hinzuzufügen.  Nach 
Verlauf  eines  halben  Jahrhunderts  aber  konnten  zuverlässige 
Angaben  dieser  Art  nur  noch  in  Ausnahmefällen  zu  beschaffen 
sein;  in  der  Regel  blieb  Herodot  auf  Schätzungen  angewiesen, 
deren  Grundlage  offenbar  die  militärische  Leistungsfähigkeit  der 
einzelnen  Gemeinden  in  Herodots  eigener  Zeit  bilden  musste. 
Auch  so  bleibt  die  Liste  für  unsere  Zwecke  sehr  wichtig,  wenn 
sie  auch  einen  absoluten  Werth  nicht  mehr  beanspruchen  kann 
und  nur  mit  Vorsicht  benutzt  werden  darf.  Die  gleiche  Vor- 
sicht wird  natürlich  auch  den  übrigen  Zahlen  bei  Herodot  gegen- 
über geboten  sein. 

Bei  dem  Verlust  der  gesammten  historischen  Literatur  des 
Alterthums  zwischen  Xenophon  und  Polybios  ist  eine  Beurthei- 
lung  des  Werthes  der  in  den  Werken  dieser  Zeit  enthaltenen 
Zahlenangaben  nur  insoweit  noch  möglich,  als  es  der  Quellen- 
forschung bisher  gelungen  ist,  die  Berichte  Diodors,  Plutarchs, 


*)  IGA.  70.  — Dass  unter  den  Fakttoi  des  Denkmals  die  Eieier  zu 
verstehen  sind,  hat  Herodot  nicht  erkannt,  vielmehr  das  Digamma  als  II 
gelesen,  und  so  die  Paleer  aus  Kepliallenia  in  die  Liste  hereingebracht, 
lieber  andere  ähnliche  Versehen  aus  dem  Alterthum  (z.  B.  des  Polemon), 
s.  Wilamowitz,  Hom.  Unters.  S.  305.  — Die  Bürger  von  6 Kykladen : Keos, 
Melos,  Tenos,  Naxos,  Kythnos,  Siphnos,  die  auf  dem  Denkmal  verzeichnet 
sind,  hat  Herodot  ausgelassen,  weil  sie  nur  bei  Salamis,  nicht  auch  bei 
Plataeae  gekämpft  haben.  Vergl.  Herod.  VIII  82:  <fi«  tovto  to  igyov 
lv(yQtt<f  T)Oar  Ti'/Vioi  (v  f(  töv  rginoifn  tv  rotai  tov  ßoQßagor 

xartlovoi.  Wir  haben  hier  zugleich  ein  directes  Zeugniss  dafür,  dass 
Herodot  die  Inschrift  des  delphischen  Dreifusses  für  seine  Geschichte  be- 
nutzt hat. 


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10 


Capitel  I. 


Poinpeius  Trogus’  und  Anderer  mit  Sicherheit  auf  ihre  Vorlagen 
ztirückzuführen.  Soweit  wir  danach  urtheilen  können,  ist  es 
mit  Ephoros’  Zuverlässigkeit  in  statistischen  Dingen  sehr  übel 
bestellt  In  dem  Strel>en  nach  Anschaulichkeit  machte  er  sich 
kein  Gewissen  daraus,  wo  ihm  die  Ueberlieferung  keine  Zahlen- 
angaben an  die  Hand  gab,  dieselben  aus  eigenen  Mitteln  zu 
ergänzen.  So  werden  persische  und  karthagische  Heere  in  der 
Regel  in  Bausch  und  Bogen  zu  300000  Mann  angesetzt,  Ver- 
lustziffern nach  reiner  Willkür  gegeben,  und  Aehnliches  *).  Schon 
Timaeos  hat  es  sich  angelegen  sein  lassen,  einige  von  Ephoros’ 
Uebertreibungen  zu  berichtigen3);  aber  von  Thukydides’  Akribie 
ist  auch  er  sehr  weit  entfernt. 

Ganz  vorzüglich  dagegen  sind  die  Zahlenangaben  in  Diodors 
Diadochengeschichte,  die  wohl  unzweifelhaft,  wenn  auch  vielleicht 
nicht  direct,  aus  Hieronymos  geflossen  sind.  Und  auch  die  unter 
Hieronymos’  Namen  überlieferten  Verlustziffern  aus  Pyrrhos’ 
Krieg  mit  den  Römern  tragen  durchaus  das  Gepräge  der  Zuver- 
lässigkeit. Leider  kommen  alle  diese  Angaben  für  unsere  Zwecke 
nur  wenig  in  Betracht,  da  sie  sich  auf  eine  Zeit  beziehen,  wo 
die  Kriege  zum  grossen  Theil  mit  Söldnern  geführt  wurden. 

Polybios  hängt,  wie  in  seiner  ganzen  Geschichtsauffassung, 
so  auch  in  seinen  Zahlenangaben,  in  viel  höherem  Maasse  von 
seinen  Quellen  ab,  als  man  von  einem  Historiker  seines  Ranges 
erwrarten  sollte.  Das  auffallendste  Beispiel  dafür  bietet  vielleicht 
der  Bericht  über  die  Seeschlacht  von  Chios3),  wo  die  Angaben 
liiodischer  Quellen  über  die  ungeheuren  Verluste  Philipps  kritik- 
los nachgeschrieben  werden,  obgleich  doch  aus  Polybios’  eigener 
Erzählung  klar  genug  hervorgeht,  dass  Philippos  Sieger  blieb, 
wie  denn  auch  seine  Flotte  so  w'enig  geschwächt  war,  dass  sie 
kurz  darauf  den  Ithodiem  bei  Lade  eine  neue  und  entscheidende 
Niederlage  beibringen  konnte.  Die  Angaben  Fabius  Pictors  über 
die  ungeheuren  maritimen  Leistungen  Roms  im  ersten  punischen 
Kriege  werden  ohne  weiteres  wiederholt  und  Polybios  wagt 


')  Vergl.  darüber  Busolt,  Sh.  Mus.  38  (1883)  S.  629. 

2)  S.  unten  Cap.  VIII  5. 

8)  Polyb.  XVI  7;  vergl.  Ihne,  Rom.  Gesell.  III  S.  10  A.  2. 


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Quellen  und  Ilülfsmittel. 


11 


es  kaum,  beiläufig  ein  schüchternes  Bedenken  zu  äussern1). 
Von  Hannibal  berichtet  er  mit  kaltem  Blute,  dass  er  auf  dem 
Zuge  nach  Italien  76000  Mann,  aU  seines  Heeres,  eingebüsst 
habe,  ohne  sich  daran  zu  stossen,  dass  von  diesem  Verluste 
13000  Mann  auf  die  Strecke  von  den  Pyrenäen  zum  Rhodanos 
entfallen  sollten,  auf  der  Hannibal  weder  irgend  welche  Terrain- 
schwierigkeiten zu  überwinden,  noch  grössere  Kämpfe  zu  be- 
stehen gehabt  hat.  Dass  diese  ganzen,  scheinbar  so  ungeheueren 
Verluste  blos  auf  der  gewaltigen  Uebertreibung  der  Heeres- 
stärke beruhen,  die  Hannibal  beim  Aufbruch  von  Neu-Karthago 
unter  seinen  Befehlen  gehabt  hat,  ist  Polybios  offenbar  nicht  in 
den  Sinn  gekommen;  freilich  den  modernen  Bearbeitern  dieses 
Zeitraumes  ebensowenig2).  Dass  ferner  Polybios’  Servilität 
gegen  das  Haus  der  Scipionen  seine  Berichte,  und  namentlich 
seine  Zahlenangaben  überall  da  unbrauchbar  macht,  wo  er 
Thaten  dieser  Familie  zu  erzählen  hat,  ist  längst  allgemein 
anerkannt.  Wo  dagegen  Polybios  als  unmittelbare  Quelle  be- 
richtet und  zur  Fälschung  der  Wahrheit  keine  Veranlassung 
hat,  werden  seine  Zahlen  einen  hohen  Grad  von  Zuverlässigkeit 
beanspruchen  dürfen,  und  halten  in  der  Regel  jeder  Kritik  Stand. 

Bei  den  griechischen  Schriftstellern  der  nachpolybianischeu 
Zeit,  wie  Diodor,  Strabon,  Plutarch,  Appian,  kann  von  einem 
allgemeinen  Uitheil  über  den  Werth  der  vorkommenden 
Zahlenangaben  kaum  mehr  die  Rede  sein,  da  sie  in  diesem 
Punkte  durchaus  von  ihren  Quellen  abhängen.  Mit  ihrem  eigenen 
statistischen  Verständniss  ist  es,  entsprechend  ihrem  ganzen  gei- 
stigen Niveau,  meist  sehr  traurig  bestellt.  So  bemüht  sich 
Diodor,  uns  die  Angaben  über  die  ungeheueren  Heere  der 
Samiramis  als  glaublich  darzustellen,  und  führt  zum  Beweise 
an,  Dionys  habe  aus  der  einen  Stadt  Syrakus  ein  Heer  von 
132000  Mann  zusammenzubringen  vermocht8);  seiner  Vater- 

')  Polyb.  I 38,  5:  'PiouaToi  . . . ? yvtaaav  (x  iSqvu/iüv  elxoat 

xni  Siaxoaui  vavntiyeiafXai  axtiift)'  rovuuv  <fi  rfjv  avvj(Xuctv  tv  rp iftijvm 
XaßovTiov,  ojriQ  oität  n im  j Ca a i (S « <1  e o J\ 

*)  Näheres  unten  Cap.  X 5. 

3)  Diod.  II  5. 


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12 


Capitel  I. 


Stadt  Agyrion  schreibt  er  um  den  Anfang  des  IV.  Jahrhunderts 
eine  Bttrgerzahl  von  20  000  zu 1),  also  nicht  weniger  als  Akragas 
oder  Athen  um  dieselbe  Zeit  hatten. 

Ueber  die  römischen  Annalisten  endlich  brauche  ich  kaum 
ein  Wort  zu  verlieren.  Der  Sinn  für  historische  Wahrheit  lag 
den  Römern  überhaupt  fern,  und  wenn  selbst  die  Feldherrn  in 
ihren  officiellen  Berichten  sich  vor  offenbaren  Lügen  nicht 
scheuten,  was  war  dann  von  den  Schriftstellern  zu  erwarten? 
Systematischer  ist  niemals  Geschichte  gefälscht  worden,  und 
gerade  die  Zahlenangaben  boten  dafür  das  ergiebigste  Feld. 
Erst  mit  der  Verbreitung  griechischer  Bildung  am  Anfänge  der 
Kaiserzeit  sind  die  Dinge  etwas  besser  geworden.  Livius  macht 
doch  hin  und  wieder  wenigstens  einen  Anfang  zur  Kritik,  wenn 
auch  das  Resultat  meist  sehr  kläglich  ausfällt ; und  in  der  That 
befand  sich  die  Ueberlieferung  der  republikanischen  Zeit  in 
einer  so  heillosen  Verwirrung,  dass  bei  dem  damaligen  Stand 
der  historischen  Forschung  an  eine  Auflösung  dieses  Chaos 
nicht  mehr  zu  denken  war.  Wären  uns  nicht  glücklicher  Weise 
die  Ergebnisse  des  römischen  Census  erhalten,  so  würden  wir 
überhaupt  darauf  verzichten  müssen,  zu  einer  Anschauung  der 
Bevölkerungsverhältnisse  des  alten  Italien  zu  gelangen. 

Bei  den  Schriftstellern  der  späteren  Kaiserzeit  endlich  ver- 
schwindet meist  jedes  statistische  Verständniss.  Die  Zahlen 
wachsen  ins  Maasslose.  So  schreibt  Zonaras  — oder  vielmehr 
seine  Quelle  — dem  kappadokischen  Kaisareia  im  IV.  Jahr- 
hundert eine  Bevölkerung  von  400000  Einwohnern  zu2);  Pro- 
kopios  lässt  bei  der  Einnahme  Mailands  durch  die  Gothen  und 
Burgunder  300  000  Männer  getödtet  werden a) ; nach  demselben 
Prokopios  wären  in  Africa  unter  Justinians  Regierung  5 Millionen 
Menschen  zu  Grunde  gegangen,  im  ganzen  römischen  Reich 
und  den  angrenzenden  Barbarenländern  eine  Billion4).  Die 


*)  Diod.  XIV  95. 

8)  Zonar.  XII  23,  S.  141  Dindorf. 

3)  Prokop,  Goth.  Kr.  II  21. 

*)  Prokop,  Geh.  Geschichte  18:  u vgiäias  /uvfuadtov  ulo/u;  if  ijui 
(Inoluikextrai. 


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Quellen  und  Hlilfsmittel. 


13 


Erscheinung  ist  charakteristisch  für  den  Verfall  des  geistigen 
Lebens  in  dieser  Zeit;  und  bekanntlich  geben  die  mittelalter- 
lichen Chroniken  in  diesem  Punkte  den  Byzantinern  nichts  nach. 
Wir  sollten  endlich  aufhören,  von  solchen  Zahlen  Gebrauch  zu 
machen. 


3.  Die  militärische  Dienstpflicht. 

Unsere  Kenntniss  von  der  Bevölkerung  der  Staaten  des 
Alterthums  ruht,  wie  wir  gesehen  haben,  zu  einem  sehr  grossen 
Theil  auf  den  Angaben  über  die  Truppenzahl,  welche  diese 
Staaten,  sei  es  überhaupt  ins  Feld  stellen  konnten,  sei  es  bei 
einer  gegebenen  Gelegenheit  wirklich  ins  Feld  gestellt  haben. 
Um  aber  diese  Angaben  statistisch  verwerthen,  ja  auch  nur  um 
die  Richtigkeit  unserer  Ueberlieferung  kritisch  prüfen  zu  können, 
ist  es  unumgänglich,  uns  zuvor  von  der  Zusammensetzung  der 
Heere  im  Alterthum  ein  deutliches  Bild  zu  machen. 

Der  Grundsatz,  dass  jeder  Bürger  zur  Vertheidigung  der 
Heimath  verpflichtet  ist,  gilt  von  den  heroischen  bis  herab  in 
die  römischen  Zeiten.  Aber  die  Ableistung  dieser  Pflicht  wird 
geregelt  durch  physische  und  rechtliche  Bedingungen;  im  wesent- 
lichen also  durch  Alter,  Stand  und  Vermögen.  Die  physischen 
Voraussetzungen  für  die  Wehrpflicht  werden  im  allgemeinen 
zu  allen  Zeiten  dieselben  sein,  solange  die  menschliche  Natur 
dieselbe  bleibt ; das  Gesetz  hat  hier  nur  einen  verhältnissmässig 
beschränkten  Spielraum.  Wie  die  Staaten  des  modernen  Europa 
den  Jüngling  mit  dem  vollendeten  20.  Jahre  zum  Kriegsdienst 
heranziehen,  so  war  es,  soweit  wir  sehen,  in  Griechenland.  Von 
dem  20.  Jahre  an  wurde  der  junge  Athener  bei  Feldzügen  ausser 
Landes  verwendet;  mit  20  Jahren  begann  in  Boeotien  die  Militär- 
pflicht und  mit  demselben  Alter  ging  der  spartiatische  Jüngling 
in  die  Klasse  der  Eirenen  über  und  damit  in  das  active  Heer. 

Voraus  ging  eine  Zeit  der  militärischen  Vorbereitung,  wäh- 
rend der  die  junge  Mannschaft  nur  zum  Dienst  innerhalb  der 
Landesgrenzen  verwendet  wurde.  So  diente  der  junge  Athener 
nach  seiner  Mündigkeitserklärung  zwei  Jahre,  in  der  make- 
donischen Zeit  ein  Jahr  als  Peripolos,  oder  wie  später  die  officielle 


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14 


Capitel  I. 


Bezeichnung  lautete,  als  Epliebe;  ebenso  ging  in  Boeotien  die 
Ephebie  dem  Eintritt  in  das  Heer  voraus,  und  in  Sparta,  wo 
eigentlich  die  ganze  Erziehung  nichts  anderes  war,  als  eine  Vor- 
bereitung auf  den  Kriegsdienst,  waren  doch  die  beiden  letzten 
Jahre  vor  dem  Eintritt  unter  die  Eirenen  ganz  besonders  diesem 
Zwecke  gewidmet,  wie  schon  der  Name  ueXletgeve g ausdrückt, 
mit;  dem  die  jungen  Leute  während  dieser  Zeit  bezeichnet 
wurden.  Zahlreiche  Ephebeninsehriften  aus  den  verschiedensten 
Theilen  der  griechischen  Welt  bezeugen,  dass  ähnliche  Ein- 
richtungen in  allen,  oder  doch  in  sehr  vielen  Staaten  be- 
standen haben. 

Unter  das  20.  Jahr  ist  in  Griechenland  für  den  activen 
Kriegsdienst  nur  in  Nothfällen  herabgegangen  worden.  So  sind 
vor  der  Schlacht  bei  Tanagra ')  und  einmal  im  peloponnesischen 
Kriege 2)  die  attischen  Peripoloi  in  Megaris  verwendet  worden ; 
so  hat  Philippos  vor  der  Schlacht  bei  Kynoskephalae  zur  Er- 
gänzung seines  Heeres  16jährige  Jünglinge  zu  den  Waffen  ge- 
rufen8), und  210  haben  die  Akamanen  bei  einem  Einfall  der 
Aetoler  die  ganze  männliche  Bevölkerung  vom  15.  bis  zum  60. 
Jahre  aufgeboten4).  Aber  das  sind  eben  Ausnahmefälle,  die 
nur  die  Regel  bestätigen.  — In  Rom  dagegen  begann  die  Wehr- 
pflicht regelmässig  mit  dem  vollendeten  16.  Jahre.  Die  Vor- 
bereitungszeit wie  in  Griechenland  fiel  natürlich  hier  fort. 

Als  obere  Grenze  des  kriegspflichtigen  Alters  galt  in  der 
Regel  das  60.  Lebensjahr.  So  in  Athen,  dessen  Musterrolle 
der  Hopliten  (y-taakoyog)  die  42  Jahrgänge  vom  18.  bis  zum  60. 
Jahre  umfasste.  In  Sparta  blieb  der  Bürger  von  seinem  Eintritte 
in  das  Heer  durch  40  Jahre  zu  Feldzügen  ausser  Landes  ver- 
pflichtet (tuq'QoiQog) ; und  da  bis  auf  den  Tag  von  Leuktra 
ein  feindlicher  Angriff  auf  Sparta  ausser  dem  Bereich  der  Mög- 
lichkeit zu  liegen  schien,  so  war  auch  der  Spartiate  mit  60 
Jahren  thatsächlich  vom  Kriegsdienst  befreit.  Die  Akarnanen 


>)  Thuk.  I 105. 
s)  Thuk.  IV  67. 

3)  Livius  33,  3 nach  Polybios. 

4)  Livius  26,  25  ebenfalls  nach  Polybios. 


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Quellen  und  Hülfsmittel. 


.21 


haben  selbst  in  der  Zeit  der  höchsten  Bedrängniss  nicht  auf  die 
Mannschaften  Uber  60  Jahre  zurückgegriffen1).  Ebenso  war  es 
in  Rom.  Eine  Ausnahme  macht  scheinbar  Makedonien.  In  dem 
Heere,  das  Alexander  334  nach  Asien  führte,  soll  unter  den 
Subalteraoffizieren  keiner  gewesen  sein,  der  nicht  über  60  Jahre 
gezählt  hätte2),  und  von  den  Argvraspiden  sollen  316  die  meisten 
gegen  70,  die  jüngsten  60  Jahre  gezählt  haben3).  Aber  abge- 
sehen von  der  Möglichkeit,  dass  diese  Angaben  übertrieben  sind, 
ist  es  sehr  wahrscheinlich,  dass  diese  Elitetruppe  freiwillig  über 
die  gesetzliche  Zeit  hinaus  weitergedient  hat.  Denn  bekanntlich 
hat  Alexander  seine  übrigen  alten  Soldaten  theils  schon  während 
seiner  Feldzüge,  theils  nach  der  Rückkehr  von  Indien  entlassen. 

Indess  lag  es  in  der  Natur  der  Sache,  dass  die  gesammte 
kriegstüchtige  Mannschaft  nur  in  Ausnahmefällen  aufgeboten 
w'urde.  Das  geschah  z.  B.  in  Sparta  nach  dem  Schlage  von 
Leuktra.  Für  gewöhnlich  musste  schon  das  Bedürfniss,  die 
festen  Plätze  nicht  ohne  Besatzung  zu  lassen,  dahin  führen, 
dass  selbst  bei  Auszügen  „mit  ganzer  Macht“  (navö^uei)  ein 
Theil  der  Wehrpflichtigen  zu  Hause  blieb.  In  der  Regel  be- 
stimmte man  dazu  natürlich  die  ältesten  Jahrgänge.  So  war 
das  spartanische  Heer  bei  Leuktra  aus  den  Bürgern  vom  20. 
bis  zum  55.  Jahre  gebildet4),  und  auch  an  der  Schlacht  bei 
Mantineia  418  haben  die  ältesten  Jahrgänge  nicht  Theil  ge- 
nommen5). Andere  Staaten  konnten  begreiflicher  Weise  so 
hohe  Anforderungen  nicht  stellen.  So  war  es  in  Athen  bis  auf 
die  makedonische  Zeit  Regel,  die  Bürger  nur  etwa  bis  zum 
50.  Jahre  zu  Feldzügen  aufzubieten.  Thukydides  in  seiner 
Uebersicht  der  Machtmittel  Athens  am  Anfang  des  ]>eloponne- 
sischen  Krieges  führt  die  beiden  Kategorien  der  Feldtruppen 
und  der  Besatzungstruppen  gesondert  auf ; zu  letzterer  gehörten 
unter  anderen  die  Bürger  aus  den  jüngsten  (die  nsginoloi) 
und  den  ältesten  Jahrgängen,  d.  h.  offenbar  die  Bürger  vom 

>)  Liv.  26,  25. 

2)  Justin.  XI  6. 

s)  Diod.  XIX  41. 

«)  Xen.  Hell.  VI  4.  17. 

*)  Thuk.  V 75. 


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Capitel  I. 


/ 

w' 

/ 

50.  bis  zum  60.  Lebensjahre  *).  Ebenso  hat  Dionysios  zur  Zeit,  als 
er  noch  Strateg  der  Republik  Syrakus  war  (Frühjahr  405)  für 
einen  Feldzug  gegen  die  Karthager  die  Mannschaft  bis  zu  40 
Jahren  zu  den  Waffen  gerufen2).  Und  auch  in  Rom  war,  wie 
bekannt,  das  46.,  oder  höchstens  das  50.  Lebensjahr  die  obere 
Grenze  des  felddienstpflichtigen  Altere. 

Nicht  weniger  wichtig  sind  die  rechtlichen  Verhältnisse, 
von  denen  die  Ableistung  der  Militärpflicht  bedingt  wird.  Wie  im 
europäischen  Mittelalter,  so  galt  auch  in  den  Staaten  des  Alter- 
thums ursprünglich  der  Satz,  dass  der  Mann  für  seine  eigene 
Ausrüstung  zu  sorgen  hat.  Daraus  ergab  sich  die  Noth Wendig- 
keit, die  Ableistung  der  Dienstpflicht  nach  dem  Vermögen  ab- 
zustufen. Wer  reich  genug  war,  ein  Pferd  halten  zu  können, 
diente  im  Kriege  als  Reiter  ; wer  sich  eine  Panoplie  anzuschaffen 
vermochte  — und  das  war  im  Alterthum  eine  sehr  kostspielige 
Sache  — , kämpfte  als  Hoplite ; alle  übrigen  dienten  als  Leicht- 
bewaffnete oder  auf  der  Flotte.  Natürlich  konnte  man  alles 
das  nicht  der  Willkür  des  Einzelnen  überlassen;  es  musste 
gesetzlich  festgestellt  werden,  bis  zu  welchem  Vermögen  herab 
der  Dienst  zu  Pferde  und  der  Dienst  mit  schwerer  Rüstung 
obligatorisch  war.  In  Athen  war  diese  Verpflichtung  bekannt- 
lich auf  die  drei  oberen  solonischen  Klassen  beschränkt,  während 
die  vierte  Klasse,  die  Theten,  vom  Hoplitendienst  frei  war. 
Analoge  Bestimmungen  müssen  in  den  übrigen  griechischen 
Staaten  bestanden  haben,  wenn  wir  auch  nicht  näher  darüber 
unterrichtet  sind;  man  denke  an  die  ja  offenbar  nach  griechi- 
schen Vorbildern  entworfene  servianische  Verfassung  Roms.  Da 
jeder  Staat  das  höchste  Interesse  daran  hatte,  soviele  Hopliten 
als  möglich  im  Falle  des  Bedürfnisses  aufstellen  zu  können,  so 
liegt  es  in  der  Natur  der  Sache,  dass  man  überall  bei  Bestim- 
mung des  Hoplitencensus  bis  an  die  äusserete  zulässige  Grenze 
hinunterging,  sodass  trotz  aller  Schwankungen  im  einzelnen 
der  zum  Dienste  in  schwerer  Rüstung  berechtigende  und  ver- 
pflichtende Vermögenssatz  sich  durch  die  ganze  hellenische  Welt 

')  S.  unten  S.  61  f. 

2)  Diod.  XIII  95. 


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N. 


(Quellen  und  Hülfsmittel. 


so  ziemlich  gleichbleiben  musste.  Im  allgemeinen  dürfen  wiK 
sagen,  <lass  die  Grenze  zwischen  Hopliten  und  Leichtbewaff- 
neten zusammenfällt  mit  der  Grenze  zwischen  Mittelstand  und 
Proletariat,  zwischen  Wohlhabenden  und  Demos. 

Uebrigens  verlor  die  Verpflichtung  der  unteren  Klassen 
zum  leichtbewaffneten  Dienste  im  Laufe  der  Zeit  immer  mehr 


ihren  Inhalt.  Im  Perserkriege  und  noch  in  den  Schlachten 
des  peloponnesischen  Krieges  hatte  in  der  Regel  neben  den 
Hopliten  eine  mindestens  gleiche  Zahl  Leichtbewaffneter  Ver- 
wendung gefunden1).  Man  musste  endlich  zur  Einsicht  kom- 
men, dass  diese  undisciplinirten  und  schlechtbewaffneten  Haufen 
im  Kriege  nur  ein  Hinderniss  bildeten;  und  so  verschwinden 
denn  seit  dem  Anfang  der  makedonischen  Zeit  die  Leichtbe- 
waffneten im  früheren  Sinne  aus  den  Heeren.  Man  beschränkt 


sich  jetzt  auf  eine  mässige  Zahl  Bogenschützen  und  Schleu- 
dern'. So  befanden  sich  in  dem  Heere,  mit  dem  Alexander 
3S4  nach  Asien  überging,  neben  24 — 26  000  Schwerbewaffneten 
nur  6 — 7000  Mann  leichter  Truppen2).  Pyrrhos’  Heer  zählte 
bei  seinem  Uebergang  nach  Italien  280  neben  20000  Mann 
schweren  und  halbschweren  Fussvolks  2500  Mann  Bogen- 
schützen und  Schleudern’8).  Antigonos  hatte  bei  Sellasia 
unter  28000  Mann  Fussvolk  an  leichten  Tmppen  nur  1000 
Agrianer  und  1600  Illyrier4).  In  ähnlicher  Weise  waren  alle 
Heere  der  makedonischen  Zeit  zusammengesetzt. 

Das  halbschwere  Fussvolk,  die  Peltasten,  oder  wie  sie  in 
Makedonien  heissen,  die  Hypaspisten,  die  in  den  Kriegen  dieser 
Epoche  eine  so  grosse  Rolle  spielen,  steht  keineswegs  mit  den 
Leichtbewaffneten  des  V.  Jahrhunderts  auf  einer  Linie.  Die 


Hypaspisten  gelten  als  Theil  der  Phalanx,  sie  sind  eigentlich 
nichts  weiter  als  Hopliten,  die  durch  Verminderung  des  Ge- 
wichts der  Schutzwaffen  beweglicher  gemacht  sind , und  darum 
werden  sie  auch  öfters  geradezu  als  Hopliten  bezeichnet.  Das 


0 Heroil.  IX  29.  Thuk.  IV  93.  94,  V 57. 

3)  Diod.  XVII  17  und  unten  der  Anhang  zu  Cap.  V. 

3)  Plut  Pyrrli.  15. 

*)  Polyb.  II  65,  2-5. 

Bel  och,  Nevöllterutigslekre.  I.  2 


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14 


Cap.  I. 


Hohe  Ansehen,  das  diese  Truppe  in  Makedonien  genoss  — 
bestand  doch  die  Garde  zu  Fuss,  das  Agema,  aus  Hyp- 
aspisten  — ist  Beweis  genug,  dass  sie  keineswegs  aus  den 
untersten  Schichten  des  Volkes  sich  recrutirte.  Man  denke 
an  die  Stellung  der  Argyraspiden  in  Eumenes’  Heer.  Die 
Peltasten  König  Philipps  V.  erbieten  sich  einmal,  eine  Summe 
von  20  Talenten  zu  bezahlen,  für  die  ihr  Führer  Leontios 
Bürgschaft  geleistet1).  Es  waren  also  jedenfalls  keine  unbe- 
mittelten Leute.  — Da  die  Auslastung  der  Peltasten  offenbar 
weniger  kostspielig  war,  als  die  der  Ilopliten,  so  wäre  es  denk- 
bar, dass  diese  Truppe,  im  eigentlichen  Griechenland  wenig- 
stens, sich  aus  den  Schichten  der  Bevölkerung  recrutirt  hätte, 
die  zwischen  den  Bürgern  von  Hoplitencensus  und  den  Prole- 
tariern in  der  Mitte  standen,  ähnlich  wie  in  Rom  die  velites 
aus  den  am  wenigsten  Bemittelten  unter  den  „ansässigen  Bür- 
gern“ (assidui).  Das  mag  namentlich  für  die  vormakedonische 
Zeit  richtig  sein , wo  die  Peltasten  noch  eine  untergeordnete 
Stellung  im  Heerwesen  einnahmen.  Soviel  ist  jedenfalls  sicher, 
dass  die  Peltasten  gegenüber  den  Hopliten  stets  in  der  Minder- 
zahl waren. 

Der  nichtbesitzende  Theil  der  Bürgerschaft  war  demnach 
seit  dem  IV.  Jahrhundert  thatsächlich  vom  Kriegsdienst  zu 
Lande  frei,  wie  er  denn  auch  vorher  für  die  Entscheidung  der 
Schlachten  kaum  in  Betracht  gekommen  war.  Um  diese  ver- 
lorene Kraft  militärisch  nutzbar  zu  machen,  gab  es  nur  ein 
Mittel:  die  Ausrüstung  der  Soldaten  auf  Staatskosten;  aber  es 
war  ein  Mittel,  das  einen  sehr  bedeutenden  finanziellen  Auf- 
wand erforderte.  Dennoch  sind  die  ersten  Schritte  in  dieser 
Richtung  schon  von  den  Grossmächten  des  V.  Jahrhunderts 
gethan  worden.  Das  Bedürfuiss,  Hopliten  für  die  Bemannung 
der  Flotte  zu  haben,  ohne  genöthigt  zu  sein,  zu  diesem  Zwecke 
beständig  auf  die  in  der  Musterrolle  verzeichneten  Mann- 
schaften (oi  ex  Y.azaXoyov)  zurückzugreifen , führte  Athen  da- 
hin, eine  Anzahl  Theten  — es  mögen  etwa  2 — 3000  gewesen 
sein  — auf  Staatskosten  mit  schwerer  Rüstung  zu  versehen; 


>)  Polyb.  V 27,  7. 


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Quellen  und  111'ilfsmittel. 


21 


im  Laufe  des  peloponnesischen  Krieges  ist  sogar  der  Plan  am 
getaucht,  alle  Theten  zu  Hopliten  zu  machen1),  was  freilich 
nicht  zur  Ausführung  gekommen  ist.  Einmal  während  des 
Krieges  liefert  Athen  auch  500  Mann  argeiischer  leichter  Truppen 
schwere  Bewaffnung®).  In  Mytilene  liess  der  lakedaemonische 
Commandant  Salaethos  während  der  Belagerung  durch  die 
Athener  schwere  Rüstungen  aus  den  Arsenalen  an  das  niedere 
Volk  vertheilen , was  bekanntlich  die  nächste  Ursache  zur  Ca- 
pitulation  der  Stadt  wurde8).  Die  freigelassenen  Heiloten 
(Neodamoden) , die  Sparta  in  dieser  Zeit  in  so  grosser  Zahl 
zu  seinen  Kriegen  verwandte,  und  zwar  als  Hopliten,  müssen 
ebenfalls  von  Staats  wegen  ihre  Bewaffnung  erhalten  haben ; und 
dasselbe  war  offenbar  auch  mit  den  armen  Bürgern  der  Fall, 
die  im  spartanischen  Heere  als  Hopliten  dienten.  Der  thessa- 
lische  Adel  führte  seine-  Penesten  sogar  als  Reiter  ins  Feld4). 
Als  Dionys;  os  von  Syrakus  die  Bürger  entwaffnet  hatte,  ülier- 
naluu  er  damit  zugleich  die  Verpflichtung,  im  Kriegsfälle  selbst 
für  die  Ausrüstung  der  Truppen  Sorge  zu  tragen;  es  ist  be- 
kannt, mit  welchem  Eifer  er  vor  der  Kriegserklärung  gegen 
Karthago  398  die  Fabrikation  von  Waffen  betreiben  liess.  Es 
ist  das  erste  Beispiel  der  Equipirung  eines  ganzen  Heeres  auf 
Staatskosten,  das  die  Geschichte  verzeichnet.  Die  makedoni- 
schen Könige  sind  diesem  Vorgänge  gefolgt:  zuerst,  wie  es 
scheint,  Philipp5)  und  Alexander6),  später  die  Ptolemaeer T), 
und  endlich  Perseus  vor  seinem  letzten  Kriege  mit  Rom8). 
Rom  selbst  ist  bekanntlich  erst  in  Marius’  Zeit  zu  diesem 


0 Antiphon  g.  Philinos  fr.  61  Blass. 

*)  Thnk.  Vm  25. 

»)  Tliuk.  III  27. 

4)  Dem.  g.  Aristokr.  199. 

6)  Diod.  XVI  3:  Toi'c  ni'Cpßf  rote  noltutxoi;  onXois  dtorrais  xo- 

(TUlJfTHf. 

•)  Diod.  XVII  95  = Curtius  IX  21,  3;  vgl.  H.  Droysen,  Alexander 
den  Grossen  Heeneesen  8.  41. 

’)  Polyb.  V 64,  2. 

8)  Livius  42,  52:  Arma  eos  ( Romanos ) habere  ea,  quae  sibi  quisque 
pararerit  pauper  miles,  Macedonas  prompta  ex  regio  apparatu. 

2* 


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System  übergegangen.  Und  auch  die  griechischen  Repu- 
bliken, der  achaeische  Bund  voran,  haben,  soviel  wir  sehen, 
bis  zuletzt  an  der  Ausrüstung  der  einzelnen  Wehrpflichtigen 
auf  eigene  Kosten  festgehalten,  zum  Theil  vielleicht  aus  politi- 
schen Gründen,  hauptsächlich  aber  wohl  aus  Mangel  an  Geld- 
mitteln. Wenigstens  wissen  wir,  dass  im  achaeischen  Bund  die 
Reiterei  aus  den  reichsten  Bürgern  gebildet  war1). 

Eine  Ausgleichung  für  die  Befreiung  der  unteren  Klassen 
vom  Landdienste  lag  in  der  Verpflichtung  zum  Seedienst. 
Sogar  in  Athen  war  die  Bemannung  der  Flotte,  soweit  sie 
überhaupt  aus  Bürgern  bestand,  fast  ausschliesslich  aus  Theten 
zusammengesetzt  ; die  Bürger  der  drei  höheren  Klassen  gaben 
sich  nur  widerwillig  selbst  zum  Dienst  als  Epibateu  an  Bord 
der  Schifte  her2).  In  Lakedaemon  waren  es  die  I leiloten, 
mit  denen  die  Schiffe  bemannt  wurden 3) ; Iason  von  Pherae 
wollte  seine  Penesten  zum  selben  Zwecke  verwenden4),  und 
auch  die  Matrosen  und  Ruderer  der  römischen  Flotte  waren 
ausschliesslich  Freigelassene  und  Proletarier. 

Von  den  nicht-bürgerlichen  Elementen  des  Staates  waren 
in  Athen  wenigstens  die  Metoeken  ebenso  wie  die  Bürger  zum 
Kriegsdienste  verpflichtet,  ja  es  sind  mitunter  selbst  die  vorüber- 
gehend anwesenden  Fremden  aulgeboten  worden.  Die  wohl- 
habenden Metoeken  dienten  in  Athen  als  Hopliten  wie  die 
Büiger  von  entsprechendem  Vermögen,  und  zw'ar  bis  zum  pe- 
loponnesischen  Kriege  in  eigenen  Abtheilungen,  die  ursprüng- 
lich nur  zum  Besatzungsdienst  bestimmt  waren,  später  aber 
immer  häufiger  im  Felde  verwandt  wurden,  bis  schliesslich 
die  Metoeken  in  die  taktischen  Abtheilungen  des  Bürgerheeres 
aufgenommen  wurden  und  Seite  an  Seite  mit  den  Bürgern 
kämpften. 

Aehnliehe  Verhältnisse  dürfen  wir  in  den  übrigen  griechi- 
schen Staaten  voraussetzen.  So  nahmen  an  der  Vertheidigung 


>)  Plut.  Philop.  7;  l’olyb.  X 22,  6—9. 

!)  Thuk.  VIII  25,  vgl.  III  16;  Xen.  Hell  I 6,  24. 
*)  Xen.  Hdl.  VII  1,  2. 

*)  Xen.  Hell  VI  1,  11. 


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Quellen  und  Hülfsmittel. 


21 


von  Megalopolis  gegen  Polysperchon  318  neben  den  Bürgern 
auch  die  Metoeken  Theil '),  und  Inschriften  der  makedonischen 
Zeit  aus  verschiedenen  Theilen  Griechenlands  sprechen  von 
der  Eitheilung  des  Bürgerrechts  an  Metoeken  zur  Belohnung 
für  geleisteten  Kriegsdienst.  Bei  der  Belagerung  durch  De- 
metrios  305  stellten  die  Rhodier  ihren  Metoeken  und  den 
vorübergehend  anwesenden  Fremden  die  Wahl,  ob  sie  die 
Stadt  verlassen  oder  an  der  Verteidigung  Theil  nehmen 
wollten;  eine  grosse  Zahl  wählte  das  letztere2). 

Sklaven  sind  als  Combattanten  im  offenen  Felde  seit  den 
Perserkriegen  kaum  mehr  verwandt  worden;  wenn  es  doch 
geschah,  wie  namentlich  bei  den  spartanischen  Heiloten,  ging 
in  der  Regel  die  Freilassung  vorher  oder  wurde  wenig- 
stens in  Aussicht  gestellt.  Dagegen  bei  Verteidigung  be- 
lagerter Städte  haben  in  der  Regel  auch  Sklaven  mitgekämpft. 
Sonst  war  ihre  Verwendung  im  Landkriege  auf  den  Train 
beschränkt,  der  zum  grössten  Theile  aus  ihnen  gebildet  war; 
für  den  Seekrieg  wurden  sie  in  ausgedehntem  Maasse  als  Ru- 
derer herangezogen.  Immerhin  war  auch  hier  die  Verwendung 
der  Sklaven  nur  ein  Notbehelf,  wie  denn  namentlich  die 
attische  Flotte  fast  ausschliesslich  mit  Freien  bemannt  war 
und  diesem  Umstande  zum  guten  Theil  ihre  Tüchtigkeit  ver- 
dankte. Erst  als  gegen  Ende  des  ]K'loponnesischen  Krieges  es 
nötig  wurde,  zum  Entsatz  von  Mytilene  in  aller  Eile  eine 
grosse  Flotte  auszurüsten,  musste  man  auch  auf  die  Sklaven 
zurückgreifen;  es  geschah  unter  dem  Versprechen  der  Freiheit. 
Im  folgenden  Jahrhundert  ist  man  dann  zu  dem  früheren 
Grundsätze,  nur  Freie  zu  verwenden,  zurückgekehrt. 

Es  war  also  nur  ein  verhältnissmässig  kleiner  Bruchteil 
der  Bevölkenmg,  der  für  den  Kriegsdienst  zu  Lande  in  Betracht 
kam.  Aber  auch  dieser  konnte  keineswegs  vollständig  unter 
Waffen  gebracht  werden.  Abgesehen  von  dauernder  oder  vorüber- 
gehender körperlicher  Untauglichkeit,  die,  wie  es  scheint,  im 
Altertum  einen  geringeren  Procentsatz  der  Wehrpflichtigen  ab- 

*)  Diod.  XVIII  70. 

s)  Diod.  XX  84. 


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22 


Cap.  I. 


sorbirte  als  in  neuerer  Zeit  *) , kommen  hier  verschiedene 
theils  rechtliche,  tlieils  thatsächliche  Befreiungen  in  Frage.  So 
waren  in  Athen  die  nicht-militärischen  Magistrate  vom  Dienste 
frei,  besonders  die  Mitglieder  des  Raths  der  500,  beziehungs- 
weise der  600;  ausserdem  die  Zollpächter,  Kauffahrer,  Cho- 
reuten 2) ; in  Sparta  die  Väter  von  drei  Söhnen3).  Ebenso 
konnten  natürlich  die  Trierarchen  und  sonstigen  Offiziere  der 
Flotte  für  den  Landdienst  nicht  in  Betracht  kommen.  Wer 
längere  Zeit  im  Auslande  lebte,  war  gleichfalls  in  der  Regel 
nicht  zum  Dienste  heranzuzieheu,  weshalb  denn  auch  in  Sparta 
zu  Reisen  in  die  Fremde  eine  besondere  Erlaubniss  erforder- 
lich war.  Namentlich  das  immer  weiter  um  sich  greifende 
Söldnerwesen  musste  den  griechischen  Bürgerheeren  viele 
Kräfte  entziehen,  wenn  auch  die  grosse  Mehrzahl  der  Söldner 
allerdings  den  Klassen  der  Bevölkerung  angehörte,  die  über- 
haupt vom  Hoplitendienste  befreit  waren.  Endlich  veranlasst« 
die  Connivenz  der  Behörden  viele  unrechtmässige  Befreiungen  4). 
Bei  den  Bundesstaaten  der  makedonischen  Zeit  gesellte  sich 
der  Mangel  an  straffer  Centralisation  hinzu,  so  dass  es  schliess- 
lich in  der  Hand  der  Localbehörden  lag,  ob  die  aufgebotene 
Mannschaft  vollzählig  erschien , oder  nicht.  Die  Stärke  eines 
aetolischen  oder  achaeischen  Aufgebots  hing  zum  guten  Theil 
von  der  grösseren  oder  geringeren  Popularität  des  Krieges  ab, 
um  den  es  sich  handelte. 

Loskauf  vom  Kriegsdienst,  wenigstens  von  Theilnahme 
an  Feldzügen  ausser  Landes,  scheint  zur  Zeit  des  homerischen 
Epos  gestattet  gewesen  zu  sein5),  wenn  auch  wohl  nur  als  Aus- 
nahme. In  historischer  Zeit  ist  es  etwas  ganz  gewöhnliches, 
dass  bei  Bundeskriegen  ganze  Städte  die  Verpflichtung  zur 
Stellung  eines  Truppencontingents  durch  Geldzahlung  ablösen. 

*)  Wenigstens  sind  die  militärischen  Leistungen  Athens  im  pelopon- 
nesischen,  Roms  im  hannibalischen  Kriege  nur  unter  dieser  Voraussetzung 
zu  erklären. 

*)  Gilbert,  Staatsalterthümer  I 803  Anm.  2. 

8)  Aristot  Polit.  II  9 S.  1270  b. 

4)  Aristoph.  Ritter  1309  ff. 

*)  11.  H‘  296. 

> 


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Quellen  und  Hülfsmittel. 


23 


Das  stand  z.  B.  den  peloponnesisohen  Bundesstädten  Spartas 
im  IV.  Jahrhundert  für  Feldzüge  über  See  oder  in  entfernte 
Gegenden  frei;  und  der  Tribut  der  athenischen  Bündner  war 
ja  auch  nichts  anderes  als  ein  Aequivalent  für  die  Stellung 
von  Schiffen.  Loskauf  des  Einzelnen  aber  war  z.  B.  in  Athen 
ganz  unbekannt  und  ist  auch  sonst  nur  in  Ausnahmefällen  vor- 
gekoinmen.  So  gab  Agesilaos  den  reichen  Bürgern  der  klein- 
asiatischen  Städte  die  Befreiung  vom  persönlichen  Dienste 
gegen  Lieferung  eines  berittenen  Stellvertreters1);  und  die- 
selbe Einrichtung  bestand  im  achaeischen  Bunde  bis  auf  die 
militärischen  Reformen  Philopoemens 2). 

Unter  diesen  Umständen  erklärt  sich  die  geringe  Truppen- 
zahl, die  von  den  griechischen  Staaten  bei  Landkriegen  wirk- 
lich ins  Feld  gestellt  worden  ist,  trotz  der  verhältnissmässig  so 
hohen  Anforderungen,  welche  die  Militärverfassung  an  den  ein- 
zelnen Wehrpflichtigen  stellte.  Attika  mit  seinen  200000  Ein- 
wohnern hat  im  IV.  Jahrhundert  nicht  vermocht,  mehr  als  etwa 
6000  Mann  aufzustellen,  abgesehen  natürlich  von  den  Söld- 
nern, also  3 °/o  der  Bevölkerung;  Sparta  mit  seinen  pelopon- 
nesiscben  Bundesgenossen  im  boeotischen  Kriege  nur  18  000 
Mann8),  obgleich  der  Peloponnes  ohne  Argos  damals  gegen 
3 4 Million  Einwohner  zählte.  Das  sind  also  etw'a  2 l/a  % der 
Bevölkerung.  Der  achaeische  Bund,  in  dessen  Listen  30-  bis 
40 000  Waffenfähige  verzeichnet  standen4),  vermochte  mit  aller 
Anstrengung  nicht  über  15000  Mann  zusammenzubringen5). 

Aus  dem  Gesagten  ergiebt  sich,  dass  uns  die  Angaben 
unserer  Ueberlieferung  über  die  Stärke  des  Bürgeraufgebots 
eines  hellenischen  Staates  allerdings  ein  ziemlich  sicheres  Mittel 
an  die  Hand  geben,  die  Zahl  der  Angehörigen  der  l»esitzenden 
Klassen  dieses  Staates  zu  bestimmen,  oder  wenigstens  das  Mi- 
nimum, unter  das  unsere  Schätzung  in  keinem  Falle  herab- 

>)  Xen.  Hell.  III  4,  15. 

*)  Plut.  Philopoem.  7. 

s)  Diod.  XV  32. 

*)  Polyb.  XXIX  9,  8. 

*)  Paus.  VII  15,  7. 


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24 


Cap.  I. 


gehen  darf;  keineswegs  aber  gestattet  eine  solche  Angabe  ohne 
weiteres  einen  Schluss  auf  die  Zahl  der  gesammten  bürger- 
lichen oder  freien  Bevölkerung.  Dazu  ist  es  erforderlich,  zu- 
nächst das  ungefähre  Yerhältniss  zu  bestimmen,  in  dem  die 
Besitzenden  zu  den  Nichtbesitzenden  in  Hellas  gestanden  haben. 
Natürlich  kann  dieses  Yerhältniss  in  den  verschiedenen  Zeiten 
und  in  den  verschiedenen  Staaten  keineswegs  dasselbe  gewesen 
sein.  Und  es  sind  nicht  immer  die  reichsten  Landschaften, 
welche  die  grösste  Menge  von  wohlhabenden  Bürgern  aufweisen 
müssen.  Worauf  es  ankommt,  ist  weniger  die  absolute  Höhe 
des  Wohlstandes,  als  seine  Vertheilung  unter  möglichst  weite 
Kreise  der  Bevölkerung.  Eine  ackerbauende  Landschaft,  in 
der  Kleinbesitz  bei  freier  Arbeit  herrschte,  mochte  eine  ver- 
hältnissmässig  viel  grössere  Zahl  zum  Hoplitendienst  quali- 
ficirter  Mannschaft  aufstellen  können,  als  manche  reiche  In- 
dustriestadt mit  grosser  Sklavenbevölkerung.  Aber  unsere 
Quellen  geben  uns  nur  sehr  selten  über  diese  Dinge  nu- 
merische Angaben. 

Wir  müssen  uns  also  darauf  beschränken,  mit  Verzicht 
auf  Genauigkeit  im  einzelnen,  ein  allgemeines  Bild  der  Ver- 
theilung des  Wohlstandes  in  Hellas  zu  gewinnen,  und  glück- 
licherweist1 fehlt  es  in  unserer  Ueberlieferung  ^ nicht  an  den 
nöthigen  Anhaltspunkten.  Herodot  erzählt,  dass  in  dem  helle- 
nischen Heere  bei  Plataeae  auf  jeden  Hopliten  im  Durchschnitt 
ein  Leichtbewaffneter  gekommen  wäre,  abgesehen  von  dem 
spartanischen  Contingent,  wo  jeden  Hopliten  7 Heiloten  be- 
gleitet hätten1).  Numerische  Angaben  lagen  allerdings  Hero- 
dot hier  nicht  vor,  wie  er  denn  die  Zahl  der  leichten  Truppen 
nur  in  Bausch  und  Bogen  berechnet;  aber  auch  so  ist  die 
Notiz  keineswegs  ohne  Werth.  Sie  zeigt  uns,  dass  Herodot 
für  die  Zeit  der  Perserkriege — wir  werden  besser  sagen : für 
die  eigene  Zeit  — die  Zahl  der  Bürger  von  Hoplitencensus 
und  die  der  ärmeren  Klassen  der  Bürgerschaft  in  den  griechi- 
schen Staaten  etwa  gleich  setzte.  Und  dass  er  damit  ungefähr 
das  Rechte  getroffen  hat,  zeigen  andere  Angaben,  die  auf 


')  Herod.  IX  29. 


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Quellen  und  Ilülfsmittel. 


25 


wirklicher  Zählung  beruhen.  So  betrug  das  Gesammtaufgebot 
des  boeotischen  Bundes  424  bei  Delion  1000  Reiter,  gegen 
7000  Hopliten,  500  Peltasten  und  über  10000  Mann  leichter 
Truppen  *),  zusammen  also  8000  Mann  von  Iloplitencensus, 
10500  die  diesen  Census  nicht  erreichten,  also  je  43  und  57°,  o 
der  bürgerlichen  Bevölkerung.  Ganz  dasselbe  Verhältnis  fin- 
den wir  ein  Jahrhundert  später  in  Athen.  Als  Antipatros  nach 
dem  lamischen  Kriege  das  active  Bürgerrecht  auf  die  Athener 
von  über  2000  Drachmen  Vermögen  beschränkte,  verloren  12000 
Bürger  ihre  politischen  Rechte,  während  9000  im  Vollbesitz 
dieser  Rechte  verblieben.  Es  soll  unten  gezeigt  werden,  dass 
die  von  Antipatros  festgesetzte  Grenze  für  das  active  Bürger- 
recht ungefähr  dem  Iloplitencensus  entsprach;  auch  in  Athen 
also  bildeten  die  Wohlhabenden  43  °/o,  die  Annen  57  °/o  der 
bürgerlichen  Gesammtbevölkerung.  In  Sparta  gab  es  371  unter 
vielleicht  3000  Bürgern  gegen  1500,  die  im  Stande  waren,  die 
Beiträge  zu  den  Syssitien  zu  entrichten.  Wir  finden  demnach 
am  Ende  des  V.  und  im  IV.  Jahrhundert  in  den  hauptsäch- 
lichsten Staaten  von  Hellas  ein  Verhältniss  zwischen  Besitzen- 
den und  Besitzlosen,  das  dem  von  Herodot  angenommenen 
Verhältniss  sehr  nahe  kommt.  Und  dass  die  Nichtbesitzenden 
in  Griechenland  jedenfalls  einen  sehr  bedeutenden  Bruchtheil 
der  Bevölkerung  bildeten,  ergiebt  sich  auch  aus  der  Leichtig- 
keit, mit  der  es  die  griechischen  Staaten  vermocht  haben,  die 
Bemannung  für  ihre  Flotten  zusammenzubringen.  Im  Laufe 
des  III.  und  n.  Jahrhunderts  mag  dann  bei  der  stets  wachsen- 
den Ungleichheit  des  Besitzes  das  numerische  Ueltergewicht  der 
Besitzlosen  über  die  Besitzenden  immer  grösser  geworden  sein. 

In  Rom  setzt  Dionysios,  von  Servius  Tullius’  Zeit  redend, 
die  Bürger  von  weniger  als  12  ’/s  Minen  (—  12500  Trientalass) 
Vermögen 2)  den  Bürgern  von  höherem  Vermögen  an  Zahl  etwa 
gleich  a) ; offenbar  ein  Rückschluss  aus  den  Zuständen  des  I.  Jahr- 


!)  Thuk.  IV  93. 

*)  Dionys.  IV  17. 

*)  Dionys.  VII  59:  oi  S'  änoguraroi  riüv  noltTtHv  ovx  (idrioii 
Tiijr  dlXojv  unttVTtov  orrrt. 


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26 


Cap.  I. 


hundert«  v.  Chr.  Ob  wirklich,  wie  berichtet  wird,  dieser 
Census  von  12  500  Ass  in  älterer  Zeit  die  untere  Grenze  der 
Dienstpflicht  bildete,  mag  dahingestellt  bleiben;  in  Polybios’ 
Zeit  wurden  alle  Bürger  mit  Uber  4 Minen  (=  400  Denare 
= 4000  Ass)  Vermögen  zum  Landdienst  herangezogen1).  Er- 
innern wir  uns  dabei,  dass  die  römische  Legion  bei  einer 
Normalstärke  von  4200  Mann  zu  Fuss  3000  Schwerbewaffnete 
und  1200  Leichtbewaffnete  ( velites ) zählte,  und  dass  auch  von 
den  Schwerbewaffneten  nur  die  Bürger  mit  über  10000  Denare 
(100  000  Ass)  Vermögen  Metallpanzer  trugen*);  die  Rüstung 
des  weit  überwiegenden  Theils  der  römischen  Legionen  war 
also  viel  weniger  kostspielig  als  die  der  griechischen  Hopliten, 
wenigstens  der  älteren  Zeit.  So  konnte  man  in  Rom  bei  der 
Aushebung  des  Linienfussvolks  auf  tiefere  Vermögensklassen 
zurückgreifen,  als  es  in  Griechenland  möglich  war. 


4.  Die  Arealbestimmnngen. 

Eine  nothwendige  Ergänzung  unserer  Untersuchungen  bil- 
det die  Bestimmung  des  Flächenraumes  der  Staaten  des  Alter- 
thums. Erhalten  doch  Bevölkerungsangaben  erst  dann  ihren 
vollen  Werth,  wenn  die  Ausdehnung  des  Gebietes  bekannt  ist, 
worauf  sie  sich  beziehen.  Ferner  geben  uns  die  Arealbestim- 
mungen ein  Mittel  an  die  Hand,  die  überlieferten  Bevölkerungs- 
zahlen zu  controliren.  Wenn  wir  z.  B.  die  römischen  Census- 
zahlen  aus  der  Zeit  vor  dem  gallischen  Brande  verwerfen , so 
liegt  der  entscheidende  Grund  dafür  in  der  Unmöglichkeit, 
einem  keineswegs  besonders  fruchtbaren  Gebiete  von  höchstens 
1000  qkm  eine  Bevölkerung  von  4 — 500000  Einwohnern  zu- 
zuschreiben. Vor  allem  aber  gewähren  uns  die  Arealbestim- 
mungen die  Möglichkeit,  auch  die  Volkszahl  solcher  Gebiete 
annähernd  abzuschätzen,  für  die  directe  statistische  Angaben 
nicht  vorliegen.  Denn  unter  allen  Factoren,  von  denen  die 
Höhe  der  Bevölkerung  eines  Landes  bestimmt  wird,  steht  die 

>)  Polyb.  VI  19,  2. 

s)  Polyb.  VI  23,  14. 


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Quellen  und  Hüllsmittel. 


27 


räumliche  Ausdehnung  oben  an ; Länder  von  annähernd  gleichem 
Klima,  gleicher  Bodenbeschaffenheit  und  gleicher  Culturstufe 
werden  in  der  Regel  auch  annähernd  gleiche  Volksdichtigkeit 
haben.  So  heute  die  fünf  westeuropäischen  Grossstaaten1). 
Wenn  also  beispielsweise  der  Peloponnes  im  Jahre  400  gegen 
8— ‘900000  Einwohner  gezählt  hat,  so  kann  das  ungefähr 
ebenso  grosse  Sicilien  in  derselben  Zeit  keine  wesentlich  höhere 
Bevölkerung  gezählt  haben.  Es  ist  diese  Methode,  die  Belnn 
und  Wagner  mit  so  grossem  Erfolge  zur  Bestimmung  der  Be- 
völkerung derjenigen  aussereuropäischen  Gebiete  verwendet 
haben,  für  die  Volkszählungen  oder  zuverlässige  Schätzungen 
der  Volkszahl  nicht  vorliegen.  Dass  die  Methode  mit  Vor- 
sicht und  unter  steter  Berücksichtigung  der  obwaltenden  wirth- 
schaftlichen  Verhältnisse  gehandhabt  werden  muss,  bedarf  keiner 
Bemerkung. 

Es  ist  sehr  charakteristisch  für  den  heutigen  Stand  der 
wirthschaftsgeschichtliehen  Forschung , dass  wissenschaftlich 
brauchbare  Arealbestimmungen  der  Staaten  des  Alterthums  — 
und  ich  kann  hinzusetzen  auch  des  Mittelalters  und  der  neue- 
ren Zeit  bis  tief  ins  vorige  Jahrhundert  hinein  — bis  jetzt 
fast  vollständig  fehlen.  Es  mag  zur  Entschuldigung  dienen, 
dass  es  bis  vor  ganz  kurzer  Zeit  mit  unserer  Kenntniss  des 
Flächenraumes  der  Staaten  unserer  Zeit,  mit  sehr  wenigen 
Ausnahmen,  kaum  besser  bestellt  war.  Die  officiellen  Areal- 
angaben wichen,  und  weichen  zum  grossen  Theil  noch  jetzt 
sehr  weit  von  der  Wirklichkeit  ab.  Erst  die  Fortschritte  der 
Kartographie  in  den  letzten  Jahrzehnten  und  die  Bestimmung 
der  Dimensionen  des  Erdsphäroides  durch  Bessel  haben  uns 
für  diese  Untersuchungen  eine  sichere  Grundlage  gegeben, 
während  die  Erfindung  des  Planimeters  uns  in  den  Stand  ge- 
setzt hat,  Arealberechnungen  sehr  viel  leichter  und  exacter 
auszuftihren,  als  früher  möglich  war. 

Nachdem  zuerst  Behm  und  Wagner  in  ihrer  „Bevölkerung 


*)  Grossbritannien  und  Irland  zählt  107,  Italien  94,  Deutschland  82, 
Oesterreich  diesseits  der  Leitha  72,  Frankreich  70  Einwohner  auf  1 qkni 
(Block-Scheel,  Statistik  S.  228). 


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28 


Cap.  I. 


der  Erde“  das  vorhandene  Material  an  Arealangaben  gesam- 
melt, kritisch  gesichtet  und  durch  eigene  planimetrische  Be- 
rechnungen ergänzt  hatten1),  wurde  auf  Anregung  des  inter- 
nationalen statistischen  Congresses  durch  den  russischen  Ge- 
neral Strelbitzky  der  Flächeninhalt  Europas  planiinetrisch  be- 
stimmt2). Allerdings  lassen  die  Resultate  auch  dieser  Arbeit 
an  Exactheit  manches  zu  wünschen  übrig,  da  nicht  immer  das 
beste  kartographische  Material  verwendet  wurde ; trotzdem  al>er 
bilden  die  Zahlen  Strelbitzkys  die  Grundlage  für  jede  Unter- 
suchung auf  arealstatistischem  Gebiete. 

Nun  ist  es  freilich  in  vielen  Fällen  unmöglich,  die  Grenzen 
der  Staaten  des  Alterthums  mit  absoluter  Genauigkeit  zu  be- 
stimmen. Trotzdem  verzichten  wir  nicht  darauf,  diese  Grenzen 
auf  unseren  historischen  Karten  einzutragen;  und  ebenso  gut 
können  wir  die  so  umschlossenen  Flächen  mit  Hülfe  des  Plani- 
meters ausmessen.  Dass  wir  auf  diese  Weise  nur  Annäherungs- 
werthe  erhalten,  ist  richtig;  alleres  sindWerthe,  die  der  Wahr- 
heit wenigstens  sehr  nahe  kommen  und  für  unsere  Zwecke 
mehr  als  genügend  sind. 

Selbstverständlich  konnte  es  nicht  meine  Aufgabe  sein,  die 
Areale  der  antiken  Staaten  und  ihrer  administrativen  Unter- 
abtheilungen in  derselben  Weise  planiinetrisch  berechnen  zu 
wollen,  wie  es  unter  Strelbitzkys  Leitung  für  das  moderat' 
Europa  geschehen  ist.  Ein  solches  Unternehmen  übersteigt  bei 
weitem  die  Kräfte  des  Einzelnen;  auch  fehlt  uns  noch  immer 
eine  systematische  Untersuchung  über  die  Territorialverhält- 
nisse der  antiken  Welt,  die  dafür  die  noth  wendige  Voraus- 
setzung bildet.  Ich  habe  solche  Berechnungen  daher  nur  in 
einigen  wenigen  Fällen  vorgenommen  und  mich  im  übrigen 
begnügt,  überall  die  besten  bisher  veröffentlichten  Zahlen,  in 
der  Regel  also  die  Strelbitzkys.  zu  Grande  zu  legen.  Für  die 


*)  Zuerst  in  Behms  Geographischem  Jahrbuch  Btl.  I — III  (1866 — 1870), 
seitdem  als  Ergänzungshefte  zu  Petennanns  Geographischen  Mittheihmgev . 
Bis  jetzt  erschienen  Heft  I — MI  (1872 — 1882). 

*)  Superficie  de  VEurope,  etablie  par  J.  Strelbitzky.  Ptiblicaiion  du 
comite  central  Russe  de  Statistique , St.  Pdersbourg  1882. 


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Quellen  und  Hülfsmittel. 


29 


Inseln  und  da,  wo  die  antiken  Grenzen  mit  den  modernen  an- 
nähernd übereinstimmen,  konnten  diese  Zahlen  unmittelbar  be- 
nutzt werden.  Die  Übrigen  festländischen  Gebiete  dagegen 
mussten  in  die  entsprechenden  antiken  Gebietstheile  zerlegt 
werden;  darauf  wurde  mit  dem  Planimeter  bestimmt,  welchen 
Theil  des  Ganzen  jeder  einzelne  dieser  Gebietstheile  ausmacht, 
und  schliesslich  aus  dem  bekannten  Gesammtflächenraum  der 
Flächenraum  der  Theile  berechnet.  Wenn  diese  Methode 
auch  selbstverständlich  keine  ganz  exäcten  Resultate  ergeben 
kann,  so  beschränkt  sie  den  möglichen  Fehler  doch  auf  sehr 
enge  Grenzen.  Ueber  die  Einzelheiten  des  Verfahrens,  die 
benutzten  Karten  u.  s.  w.  wird  unten  jedesmal  am  gehörigen 
Orte  das  Notlüge  bemerkt  werden.  Zu  den  Berechnungen  be- 
diente ich  mich  eines  Amslerschen  Polar -Planimeters  der 
polytechnischen  Section  ( Scuola  degli  Ingegneri ) der  Univer- 
sität Rom  und,  soweit  es  nöthig  war,  der  Wagnerschen  Zonen- 
tabellen1). 


5.  Getreideproduction  und  Consum. 

Ein  nicht  unwichtiges  Hülfsmittel  gewähren  uns  endlich 
die  Angaben  über  Getreideproduction , Getreideconsum  und 
Getreidehandel  im  Alterthum.  Es  wird  stets  das  Zeichen 
einer  dichten  Bevölkerung  sein,  wenn  ein  an  und  für  sich 
fruchtbares  Land  dauernd  auf  die  Zufuhr  fremden  Getreides 
angewiesen  ist;  wie  andererseits  ein  Gebiet,  das  Getreide 
regelmässig  in  grossen  Quantitäten  auszuführen  vermag,  meist 
nur  schwach  bew'ohnt  sein  wird2).  Ist  die  Höhe  der  Pro- 
duction und  der  Einfuhr  oder  Ausfuhr  bekannt,  so  wird  es 


!)  Ich  benutze  die  Gelegenheit,  meinen  Collegen  Herren  Professoren 
J)alla  Yedova , Favcro  und  Pitocchi  meinen  Dank  auszusprechen  für  die 
Bereitwilligkeit,  mit  der  sie  meine  Arbeiten  unterstützt  haben. 

2)  Keine  Regel  ohne  Ausnahme.  So  war  Aegypten  bei  seiner  ver- 
schwenderischen Fruchtbarkeit  im  Alterthum  wie  heute  im  Stande,  trotz 
einer  sehr  dichten  Bevölkerung  beträchtliche  Mengen  Getreide  zu  ex- 
portiren. 


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30 


Cap.  I. 


möglich  sein,  aus  diesen  Daten  die  Höhe  der  Bevölkerung  an- 
nähernd zu  bestimmen. 

Im  Alterthum  ist  Griechenland  schon  früh,  wenigstens  seit 
Anfang  des  V.1),  wahrscheinlich  schon  seit  Ausgang  des  VII. 
Jahrhunderts2)  genöthigt  gewesen,  einen  Theil  seines  Getreide- 
bedarfs vom  Auslande  einzuführen.  Später,  im  III.  Jahrhun- 
dert, trat  Karthago  in  die  Reihe  der  Getreide  importirenden 
Staaten8),  im  II.  Jahrhundert  Rom,  das  von  da  an  der  Mittel- 
punkt des  Getreidehaudels  wird.  Unter  den  Getreide-Export- 
Ländem  nahmen  im  früheren  Alterthum  Aegypten,  die  Nord- 
küste des  Pontos,  Sicilien  und  Sardinien  die  erste  Stelle  (“in; 
dazu  kommt  in  römischer  Zeit,  seit  der  Zerstörung  Karthagos 
und  der  Civilisinmg  Numidiens,  Nordafrika,  das  bald  alle  Con- 
currenten  überflügelt ; in  Sicilien  wird  dagegen  der  Getreide- 
bau immer  mehr  durch  die  Weidewirthschaft  ersetzt  , während 
am  Pontos  die  Cultur  durch  das  Vordringen  der  Barbaren  des 
Innern  zerstört  wird.  Nur  der  aegyptische  Getreide-Export  be- 
hält durch  alle  Jahrhunderte  seine  alte  Bedeutung. 

So  wichtig  nun  auch  der  Getreidehandel  für  die  Welt- 
wirthschaft  des  Alterthums  gewesen  ist,  so  gering  sind  nach 
modernen  Begriffen  die  Mengen,  die  dabei  in  Frage  kommen. 
Die  vier  Kornkammern  der  griechisch  - phoenikischen  Welt: 
Aegypten,  das  bosporanische  Reich,  Sicilien,  Sardinien  hatten 
zusammen  einen  Flächeninhalt  von  kaum  mehr  als  100000 
qkm.  Was  die  Production  angeht,  so  ergab  der  Zehnte  Si- 
ciliens  in  der  Zeit  bald  nach  Sulla  bei  guter  Ernte  einen  jähr- 
lichen Ertrag  von  600  000  Mediinnen  Weizen,  so  dass  in  dem 
dieser  Steuer  unterworfenen  Theile  der  Insel  — aU  bis  *k  des 
Ganzen  — jährlich  6 Mill.  Mediinnen  geerntet  wurden;  mit 
Hinzurechnung  der  steuerfreien  Gebiete  wird  die  Production 
also  auf  gegen  8 Mill.  Medimnen  geschätzt  werden  können*). 


')  Herod.  VII  147;  Athenaeos  VI  S.  232  b. 

*)  Das  gilt  wenigstens  von  Attika:  Plut.  Sohn  22.  24. 
*)  Diod.  XXI  16. 

4 S.  unten  Cap.  VII,  2. 


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Quellen  und  Hüllsmittel. 


31 


Die  Production  des  weit  schlechter  unbebauten  und  bevölkerten 
Sardiniens  wird  kaum  auf  die  Hälfte  der  sicilischen  zu  veran- 
schlagen sein.  Ptolemaeos  Philadelphos  zog  aus  Aegypten 
jährlich  IVb  Mill.  Artaben  Weizen1),  oder  reichlich  1 Mill. 
Medimnen;  und  1 — 1 1 2 Mill.  Medimnen  betrug  jährlich  die 
aegyptische  Getreideausfuhr  nach  Rom  in  der  ersten  Kaiser- 
zeit2). Die  Production  muss  natürlich  bei  der  dichten  Bevöl- 
kerung des  Landes  sehr  viel  grösser  gewesen  sein.  Aus  dein 
bosporanischen  Reiche  wurden  um  die  Mitte  des  IV.  Jahrhun- 
derts nach  Athen  jährlich  400000  Medimnen  ausgeführt8); 
und  König  Leukon  hat  dem  athenischen  Volke  während  seiner* 
40jährigen  Regierung  393 — 353  zusammen  2 100  000  Medimnen 
zum  Geschenke  gemacht4).  In  die  Speicher  König  Mithradates’ 
flössen  aus  dem  bosporanischen  Reiche  jährlich  180000  Me- 
dimnen Weizen5);  wenn  das  der  Ertrag  eines  Zehnten  ge- 
wesen ist,  so  hätte  die  Production  fast  2 Mill.  Medimnen  be- 
tragen. Nordafrika  soll  im  I.  Jahrhundert  der  Kaiserzeit  2 3 
des  Getreidebedarfes  von  Rom  gedeckt  haben8),  d.  h.  etwa 
3 Mill.  Medimnen,  was  wahrscheinlich  übertrieben  ist.  Jeden- 
falls steuerte  Numidien  unter  Caesar  nicht  mehr  als  200000 
Medimnen T). 

Ueber  die  Getreideproduction  von  Attika  und  seinen  Ivle- 
ruchien  in  Alexanders  Zeit  giebt  uns  eine  kürzlich  in  Eleusis 


*)  Hieronymus  zu  Daniel  11,  5 S.  1122. 

a)  Nach  Josepos  */s  des  Bedarfs  der  Stadt  (Jtid.  Kr.  II  16,  4),  der 
damals  4 — 5 Mill.  Medimnen  betragen  haben  mag,  s.  unten  Cap.  IX,  2. 
Wenn  ein  schlechter  Schriftsteller  des  IV.  Jahrh.  (Aurel.  Victor  Epit.  1) 
von  20  Mill.  Modien  redet,  die  Aegypten  unter  Augustus  jährlich  nach 
Rom  exportirt  hätte,  so  verwechselt  er  offenbar  den  Gesammtbetrag  der 
überseeischen  Einfuhr  mit  der  von  Aegypten. 

а)  Dem.  g.  Leptin.  32. 

4)  Strab.  VII  S.  311. 

5)  Strab.  a.  a.  0. 

б)  Josep.  Jtid.  Kr.  II  16,  4. 

1)  Flut.  Caes.  55. 


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32 


Cap.  I. 


gefundene  Urkunde  Aufschluss.  Darnach  wurden  im  Jahre 
329  8 geerntet 1 ) in 


Attika  einschliesslich  der  Oropia 

Areal  m qkm 
2553,5 

Gerste 
363  225 

Weizen 

41475 

Salamis 

93,5 

24  525 

— 

Skyros 

212,7 

28  800 

9 600 

Lemnos 

476,8 

248475 

56650 

Imbros  

254,8 

26  000 

44200. 

Athen  hatte  um  die  Mitte  des  IV.  Jahrhunderts  von  allen 
griechischen  Staaten  die  grösste  Getreideeinfuhr:  sie  betrug 
jährlich  800000  Medimnen2).  Viel  grösser  war  natürlich  der 
Bedarf  Roms,  der  sich  in  der  ersten  Kaiserzeit  auf  etwya 
4 — 5 Mill.  Medimnen  belief  und  so  gut  wie  ganz  durch  über- 
seeische Einfuhr  gedeckt  wurde. 

Um  diese  und  ähnliche  Zahlen  für  die  Bevölkerungs- 
statistik verwerthen  zu  können , müssten  wir  wissen , wie  viel 
der  Verbrauch  von  Getreide  im  Durchschnitt  auf  den  Kopf  der 
Bevölkerung  betragen  hat.  Hierfür  eine  allgemein  gültige 
Norm  aufzustellen , ist  unmöglich;  der  Betrag  wird  wechseln 
je  nach  Rasse,  Zusammensetzung  der  Bevölkerung,  Klima, 
Wohlstand,  Lebensgewohnheiten.  In  Grossbritannien  betrug  inr 
Durchschnitt  der  Jahre  1852 — 1881  die  jährliche  Getreide- 
consumption  pro  Kopf  51/»  Bushel  = 1.9646  hl8).  In  Frank- 
reich rechnete  man4) 

1847:  2,15  hl 
1874:  2,60  hl  • 

1881 : 3,66  hl  (?). 

In  Italien,  wo  Getreide  noch  heute  das  fast  ausschliess- 
liche Nahrungsmittel  des  grössten  Theiles  der  Bevölkerung 
bildet,  betrug  der  mittlere  Getreideconsum  in  den  Jahren 


1)  Foucart,  Bulletin  de  (Jorresp.  Hell.  VIII  (1884)  S.  211. 

2)  Demosth.  g.  Lept.  31. 

*)  Nach  Neumann -Spallart,  Uebersichten  der  Wetttcirthschaß  1881/2 
S.  123. 

4)  Neumann-Spallart  a.  a.  0.  S.  128. 


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Quellen  und  Hülfsmittel. 


33 


1876 — 1881  2,557  metrische  Centner  im  Durchschnitt  auf  den 
Kopf,  oder,  auf  Weizen  reducirt,  3,4  hl  = 6,47  attische  Me- 
dimnen1).  Dabei  ist  der  Bedarf  für  die  Aussaat  eingerechnet, 
über  den  keine  Angaben  vorliegen.  Abzüglich  der  Aussaat 
werden  wir  den  Bedarf  zu  etwa  3 hl.  oder  nahe  an  6 attische 
Medimnen  annehmen  dürfen. 

Im  alten  Griechenland  rechnete  man  auf  den  erwachsenen 
Sklaven  eine  tägliche  Ration  von  1 Choenix  Gerste2),  also  im 
Jahr  von  365]  Tagen  7,6  Medimnen.  Die  Sklaven  in  Rom 
erhielten  monatlich  je  4—5  Modien  Weizen3),  oder  jährlich 
8 — 10  Medimnen;  die  Legionssoldaten  (Infanterie)  ebenfalls 

4 Modien  monatlich4),  d.  h.  8 Medimnen  im  Jahr.  Monatlich 

5 Modien  wurden  bekanntlich  auch  bei  den  Frumentationen 
vertheilt  Wenn  das  der  Bedarf  eines  erwachsenen  Mannes  war, 
so  müssen  Frauen  und  Kinder  natürlich  weniger  verbraucht 
haben;  weiterhin  bildet  bei  den  wohlhabenden'  Klassen  das 
Getreide  einen  kleineren  Theil  der  Gesammtnahrung  als  bei 
den  Armen  und  Sklaven.  Andererseits  wäre  freilich  der  Ver- 
brauch von  Gerste  als  Viehfutter  in  Rechnung  zu  stellen. 

Rechnen  wir  nun  für  den  erwachsenen  Mann  einen  jähr- 
lichen Bedarf  von  8 Medimnen,  für  Frauen  und  Kinder  — 
unter  17  Jahren  — im  Durchschnitt  von  5,  und  nehmen  die 
erwachsenen  Männer  zu  einem  Drittel  der  Gesammtbevölkerung, 
so  ergiebt  sich  für  je  3 Personen  ein  Verbrauch  von  18  Me- 
dimnen Weizen,  oder  durchschnittlich  6 auf  den  Kopf.  Wo 
Gerste  das  Hauptnahrungsmittel  bildet,  wird  der  Verbrauch 
noch  etwas  höher,  etwa  zu  7 Medimnen  anzusetzen  sein5),  da 
sich  das  Gewicht  beider  Getreidearten  wie  75:65  verhält6). 


')  Berechnet  nach  den  Angaben  des  Annuario  Statistico  Italiano  1884, 
S.  102  der  Einleitung. 

3)  Böckh,  Staatsh.  I S.  128. 

3)  Dureau  de  La  Malle  1 S.  274  f.  und  Böckh  I S.  109. 

«)  Polyb.  VI  39,  13. 

5)  Das  ist  annähernd  das  Resultat  Böckhs,  Staatsh.  I S.  110,  der  für 
die  ganze  Bevölkerung  von  Attika  einen  Durchschnittsverbrauch  von  6,83 
Medimnen  rechnet,  da  er  eigenthümlicherweise  das  griechische  Gemeinjahr 

Anm.  6 siehe  S.  34. 

Beloch  , Bevnlkerungslehre.  I.  8 


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34 


Capitei  I. 


6.  Die  neuere  Forschung. 

Die  neuere  Forschung  hat  sich  bereits  früh  den  Problemen 
zugewandt,  deren  Behandlung  den  Gegenstand  der  folgenden 
Untersuchungen  bildet.  F.s  war  die  Zeit,  wo  man  die  Blüthe 
eines  Staates  in  eine  möglichst  grosse  Bevölkerung  setzte ; und 
bei  der  unbegrenzten  Bewunderung  für  das  klassische  Alter- 
thum, die  damals  herrschte,  war  man  natürlich  geneigt,  den 
antiken  Staaten  eine  Volkszahl  zuzuschreiben,  die  weit  über 
die  Bevölkerung  des  damaligen  Europa  hinausging.  Fällige 
missverstandene  oder  verdorbene  Stellen  der  Alten  gaben  zu 
diesen  übertriebenen  Schätzungen  die  Grundlage.  So  schlug 
Justus  Lipsius  die  Bevölkerung  des  kaiserlichen  Rom  auf 
4 Millionen  an1),  Isaak  Vossius  gar  auf  14  Millionen2),  und 
noch  Riccioli  hält  eine  Bevölkerung  von  410  Millionen  für  das 
Reich  unter  Augustus  für  wahrscheinlich s).  Selbst  ein  Montes- 
quieu liess  sich  zu  der  Behauptung  verleiten,  es  gäbe  zu  seiner 
Zeit  auf  der  Erde  nur  noch  den  zehnten  Theil  der  im  Alter- 
thum vorhandenen  Menschenzahl4). 

Diesen  Uebertreibungen  trat  David  Hume  entgegen  in 
seinem  berühmten  „Versuch  über  die  Volkszahl  der  Nationen 
des  Alterthums“  5),  der  1752  zum  ersten  Male  gedruckt  wurde. 
Von  der  Aufstellung  bestimmter  Zahlen  sieht  Hume  ab;  er  l*e- 

statt  des  natürlichen  Jahres  zu  Grande  legt  — als  ob  man  in  Griechenland 
alle  854  Tage  geerntet  hätte.  Auf  natürliche  Jahre  reducirt  ergehen  sich 
fast  genau  7 Medimnen  Gerste. 

•)  [zu  s.  33]  Annuariu  Statistico  Itdliano  1884,  Einleit  S.  102.  Nach 
deutschen  Usancen  wird  1 Hektoliter  Weizen  zu  76,5,  1 Hektoliter  Gerste 
zu  63  Kilogramm  angenommen. 

*)  De  magnitudine  Rom.  III  3. 

s)  Variamm  observationum  Uber  (Lond.  1585)  S.  32. 

a)  Ge^grapliiae  refonnatae  libri  XII  (Venetiis  1672)  S.  678  (üb.  XII 
app.  1). 

*)  Lettres  Personen  112. 

s)  Essay  on  the  Populousness  of  Ancient  Kations  ( Essays  moral , 
political  and  literary  by  David  Hume.  Edited,  uith  preUminary  dieser- 
tations  and  notes  by  T.  H.  Green  and  T.  H.  Gross,  London  1875). 


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Quellen  und  Hülfsmittel. 


35 


gnllgt  sich,  die  Ursachen  auseinanderzusetzen,  die  im  Alter- 
thume  einer  starken  Volksvennehrung  entgegenwirkten,  und  an 
einer  Reihe  von  Beispielen  zu  zeigen,  dass  die  Staaten  des 
Alterthums  selbst  im  Vergleich  zu  dein  Europa  des  vorigen 
Jahrhunderts  eine  nur  mässige  Bevölkerung  hatten.  Bemerkens- 
werth  ist  namentlich  der  Nachweis,  dass  die  liei  Athenaeos 
überlieferten  Sklavenzahlen  weit  übertrieben  sind.  Seine  Er- 
gebnisse fasst  Hurne  selbst  in  folgenden  Worten  zusammen: 
„Nehmen  wir  Dover  oder  Calais  als  Centrum,  und  beschreiben 
darum  einen  Kreis  von  200  englischen  Meilen  (320  km)  Ra- 
dius: er  wird  London,  Paris,  die  (österreichischen)  Niederlande, 
die  vereinigten  Provinzen  (Holland)  und  einige  der  bestbevöl- 
kerten Theile  von  Frankreich  und  England  einschliessen.  Ich 
denke,  es  mag  mit  Sicherheit  behauptet  werden,  dass  kein 
Gebiet  von  gleicher  Ausdehnung  gefunden  werden  kann,  das 
im  Alterthum  auch  nur  annähernd  so  viele  grosse  Städte  ent- 
halten hätte  und  so  reich  und  dicht  bewohnt  gewesen  wäre.“ 
Hurne  war  kein  Philologe  von  Fach  und,  obgleich  er  Geschichte 
geschrieben  hat,  auch  kein  Historiker,  und  so  waren  manche 
Missgriffe  im  einzelnen  unvermeidlich,  die  überdies  zum  Theil 
in  dem  damaligen  Stande  der  Wissenschaft  ihre  Entschuldigung 
finden.  Aber  mit  dem  Scharfblick  des  Genies  hat  er  alle  we- 
sentlichen Punkte  richtig  erkannt,  und  sein  Essay  bildet  noch 
heute  die  Grundlage  für  jede  Untersuchung  auf  dem  Gebiete 
der  Bevölkerungsstatistik  des  Alterthums. 

Zunächst  allerdings  predigte  Hume  zumeist  tauben  Ohren. 
Die  alten  Vorurtheile  waren  nicht  so  leicht  zu  erschüttern. 
Gleich  im  folgenden  Jahre  veröffentlichte  Wallace  eine  Ent- 
gegnung l),  in  der  er  für  die  grössere  Bevölkerung  der  antiken 
gegenüber  der  modernen  Welt  eintrat.  Hume  fand  sich  da- 
durch nicht  veranlasst,  ausser  in  einigen  Citaten,  in  den 
späteren  Auflagen  seines  Essay  etwas  zu  ändern.  Die  bei 
Athenaeos  überlieferten  Sklavenzahlen  wurden  von  Sainte- 


1)  A Dissertation  on  the  Numbers  of  Mankind  in  ancient  and  modern 
times,  icith  an  appendix  containing  observations  on  the  samt  subject,  and 
remarks  on  Mr.  Htime’s  Discourse  on  the  Poptilessness  of  Ancient  Kations. 

3* 


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36 


Capitel  I. 


Croix1)  und  Böckh*)  gegen  Hume  vertheidigt.  Die  grosse 
Autorität  Böckhs  hat  zur  Folge  gehabt,  dass  seine  Resultate, 
in  Deutschland  wenigstens,  eine  fast  kanonische  Geltung  er- 
langt haben  und  selbst  besonnene  Forscher  sich  nicht  scheuen, 
mit  den  400000  Sklaven  Athens  zu  Deinetrios’  von  Phaleron 
Zeit  wie  mit  einer  sicheren  Thatsaehe  zu  operiren,  ja  sogar 
die  Sklavenzahlen  für  Aegina  und  Korinth  in  Schutz  zu  neh- 
men, die  Böekh  selbst  nicht  zu  vertheidigen  gewagt  hatte. 
Für  unsere  ganze  Auffassung  der  socialen  und  politischen  Zu- 
stände Griechenlands  ist  das  verhängnisvoll  geworden;  der 
Widerspruch  Niebuhrs  ist  ungehört  verhallt8).  Dagegen  haben 
in  Frankreich  Letronne4)  und  Wallon5)  mit  richtigem  Tacte 
an  den  Ergebnissen  Humes  festgehalten  und  seine  Ansicht 
mit  neuen  Beweisen  gestützt. 

Inzwischen  hatte  Gibbon  in  seinem  grossen  Geschichts- 
werke auch  die  Populationsverhältnisse  berührt.  Er  nimmt 
an,  dass  die  antike  Welt  unter  den  Antoninen  den  Höhepunkt 
ihrer  Bevölkerung  erreicht  habe.  Ausgehend  von  den  Ergeb- 
nissen des  unter  Claudius  gehaltenen  Census,  die  er  auf  die 
erwachsenen  Männer  bezieht,  gelangt  er  zu  einer  Zahl  von 
20  Millionen  Köpfen  für  die  römische  Bürgerschaft,  nimmt 
die  Latiner  und  Peregrinen  auf  das  Doppelte  an  und  setzt 
schliesslich  die  Sklaven  der  gesainmten  freien  Bevölkerung 
gleich,  sodass  im  ganzen  für  das  römische  Reich  120  Millionen 
herauskommen®).  So  roh  diese  Methode  auch  ist,  soviel  sich 
gegen  jeden  einzelnen  dieser  Ansätze  auch  sagen  lässt,  es  war 
doch  eine  concrete  Zahl  gewonnen,  die  freilich  noch  immer 
weit  über  die  Wahrheit  hinausging,  aber  wenigstens  von  den 
maasslosen  Uebertreibungen  früherer  Zeiten  sich  fern  hielt. 
Wenn  aber  Gibbon  weiter  die  Bevölkerung  der  Stadt  Rom, 

’)  Memoires  de  l’Academie  des  Inscriptions  vol.  48. 

2)  Stfuitshaushaltunfi  der  Athener  I S.  52  f. 

")  Rom.  Gesch.  II  S.  80. 

‘)  Mimoires  de  V Institut,  Acndemie  des  Inscr.  et  Beiles  Ixttres  VI 
S.  165  ff. 

s)  Histoire  de  TKsclavage  1 2 S.  222 — 277. 

6)  Gibbon  ch.  2 S.  59  (Leipzig  1829). 


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Quellen  und  Hülfsmittel. 


37 


auf  Grund  der  „Häuserzahl“,  zu  1200000  berechnet,  so  wird 
hier  allerdings  etwas  Zahlenspielerei  dabei  sein:  die  Bevöl- 
kerung der  Hauptstadt  steht  zu  der  des  Reiches  wie  1 : 100. 
Mit  besserer  Methode,  von  der  Zahl  der  Getreideempfänger 
ausgehend,  hat  dann  Bimsen  die  Bevölkerung  Roms  zu  be- 
rechnen versucht1)  und  bald  zahlreiche  Nachfolger  gefunden, 
deren  Leistungen  unten  gewürdigt  werden  sollen. 

Areal  und  Bevölkerung  des  alten  Griechenland  in  wissen- 
schaftlicher Weise  zu  bestimmen,  unternahm  zuerst  Clinton  im 
II.  Bande  seiner  Fasli  Hellenici2).  Der  Versuch  bleibt  ver- 
dienstlich, so  unvollkommen  er  ausgefallen  ist.  Es  fehlte 
Clinton  an  historischem  Tacte  ebensosehr  wie  an  der  nöthigen 
Beherrschung  des  Materials.  Soweit  Attika  in  Betracht  kommt, 
steht  er  durchaus  auf  dem  Standpunkte  Böckhs;  für  den  Pe- 
loponnes bilden  die  Angaben  Herodots  über  die  griechischen 
Streitkräfte  bei  Plataeae  die  Grundlage  seiner  Berechnung. 
Für  die  Arealbestimmungen  konnten  die  Karten  der  damaligen 
Zeit  nur  eine  sehr  unsichere  Grandlage  abgeben.  Ganz  Griechen- 
land südlich  vom  Olympos  mit  Einschluss  Euboeas  und  der 
ionischen  Inseln,  aber  ohne  Epeiros,  hat  nach  Clinton  auf 
22231  engl.  Q.-Meil.  (=  57578  qkm)  etwa  3x/a  Mill.  Einwoh- 
ner gezählt,  wovon  527  660  auf  Attika,  135000  auf  Boeotien, 
1049570  auf  den  Peloponnes  kommen.  Für  die  übrigen  Land- 
schaften giebt  Clinton  keine  detaillirte  Berechnung. 

Eine  weitere  Förderung  erhielten  diese  Fragen  durch 
A.  W.  Zumpts  Abhandlung  „Ueber  den  Stand  der  Bevölkerung 
und  Volksvermehrung  im  Alterthum“3).  Von  der  Aufstellung 
concreter  Zahlen  sieht  Zumpt  ebenso  ab  wie  einst  Hume;  er 
beschränkt  sich  darauf,  die  allgemeinen  Verhältnisse  zu  be- 
leuchten, die  für  die  Bewegung  der  Bevölkerung  bestimmend 
waren.  Der  Zweck  der  Schrift  ist,  gegen  Gibbon  zu  beweisen, 
dass  die  antike  Welt  nicht  unter  den  Antoninen,  sondern  schon 
im  VI.  Jahrhundert  das  Maximum  ihrer  Bevölkerung  erreicht 


*)  Beschreibung  Roms  1 S.  184. 

*)  Erste  Auflage  Oxford  1824. 

3)  Abhandl  der  Beil.  Akad.  1840  S.  1—92. 


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38 


C'apitel  I. 


habe,  und  diese  von  da  ab  beständig  gesunken  sei.  Zunipt 
stützt  sich  dabei  auf  ein  sehr  unvollständiges  und  zum  Theil 
mit  wenig  Kritik  behandeltes  Material;  aber  auch  wer  den 
Beweis  seiner  These  für  nicht  erbracht  hält,  wird  der  Arbeit 
reiche  Anregung  und  Belehrung  verdanken. 

Dureau  de  La  Malle  in  seiner  gleichzeitig  mit  Zumpts 
Abhandlung  erschienenen  Economic  poliiique  des  Romains 
(Paris  1840)  berührt  die  Bevölkerungsverhältnisse  nur  bei- 
läufig. Bemerkenswerth  ist  die  von  ihm  in  Anwendung  ge- 
brachte Methode  zur  Bestimmung  der  italischen  Sklavenzahl 
und  der  Widerspruch  gegen  die  übertriebenen  Schätzungen  der 
Bevölkerung  Roms.  Leider  lassen  seine  Ausführungen  im  ein- 
zelnen oft  die  nöthige  Kritik  vermissen.  In  noch  viel  höherem 
Grade  trifft  dieser  Vorwurf  die  Statistique  des  peuples  de 
l ’Antiquite  von  Moreau  de  Jonnös  (Paris  1851).  Der  Verfasser 
zeigt  einen  trefflichen  statistischen  Tact , aber  daneben  so 
gänzlichen  Mangel  an  historischer  Kritik  und  so  vollständige 
Unwissenheit  selbst  in  den  Elementen  der  Alterthumskunde, 
dass  sein  Buch  so  gut  wie  ganz  werthlos  ist. 

Moreau  de  Jonnes  gegenüber  bezeichnet  die  Forschung 
Wietersheims  immerhin  einen  bedeutenden  Fortschritt1).  Aber 
auch  Wietersheim  war  ein  philologischer  Dilettant,  dem  die 
nöthige  Sachkenntniss , wie  die  Beherrschung  des  Materials 
durchaus  abging.  Er  operirt  fast  ausschliesslich  mit  rohen 
Bestimmungen  des  Flächeninhalts  und  mit  der  jetzigen  Bevöl- 
kerung; je  nachdem  ein  Land  seit  dem  Alterthum  in  der  Cul- 
tur  fortgeschritten  oder  zurückgegangen  ist,  wird  die  alte  Be- 
völkerung niedriger  oder  höher  angesetzt  als  die  heutige.  Das 
Ergebniss  von  88 — 91  Millionen  für  die  Gesammtbevölkerung 
des  römischen  Reiches  in  der  „Kaiserzeit“  kann  demnach  nur 
eine  sehr  bedingte  Geltung  beanspruchen , wenn  es  auch  der 
Wahrheit  näher  kommt,  als  Gibbons  120  Millionen.  Doch  ent- 


’)  Ueber  die  Bevölkerung  des  römischen  Reiches  und  der  Stadt  Rom. 
In  Oeschichte  der  Völkerwanderung  I1  S.  169 — 268;  auch  als  Separat- 
abdruck. In  der  zweiten,  von  Dahn  besorgten  Auflage  des  Werkes  ist 
dieser  Abschnitt  nicht  wiederholt. 


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Quellen  und  Hülfsmittel. 


39 


hält  die  Untersuchung  daneben  manches  Beachtenswerthe ; so 
namentlich  die  Ausführungen  über  die  Sklavenzahl  und  über 
die  Einwohnerzahl  der  Stadt  Rom.  Auch  hat  Wietersheim  das 
Verdienst,  das  fabisch-polybische  Verzeichniss  der  italischen 
Wehrfähigen  zum  ersten  Male  eingehend  behandelt  zu  haben, 
eine  Untersuchung,  die  dann  von  Ihne1)  und  ausführlicher  von 
Mommsen2)  wieder  aufgenommen  worden  ist. 

Eigentümlicher  und  bezeichnender  Weise  hat  die  wich- 
tigste aus  dem  Alterthum  erhaltene  l>evölkerungsstatistische 
Urkunde,  die  Reihe  der  römischen  Censuszahlen , erst  in  der 
letzten  Zeit  die  gebührende  Berücksichtigung  gefunden.  Nach- 
dem Clinton  die  überlieferten  Daten  zusammengestellt8)  und 
Hildebrand  über  die  Organisation  der  „amtlichen  Bevölkerungs- 
statistik im  alten  Rom“  *)  gehandelt  hatte,  sind  die  Census- 
zahlen gleichzeitig  von  Herzog5)  und  mir  selbst6)  kritisch  be- 
arbeitet worden.  Die  Resultate  dieser  Arbeiten  werden  weiter 
unten  näher  besprochen  werden. 

Die  Untersuchung  über  die  Bevölkerungsverhältnisse  des 
alten  Griechenland  hat  kürzlich  ein  griechischer  Gelehrter, 
Kastorchis,  wieder  aufgenommen1).  Er  steht  im  wesentlichen 
auf  dem  Standpunkt  Clintons,  nur  dass  er  die  von  Athenaeos 
überlieferte  Sklavenzahl  auch  für  Korinth  gelten  lässt  und  für 
Lakonien  und  Messenien  neben  den  Heiloten  noch  150 — 200000 
Kaufsklaven  ansetzt.  So  kommen  für  den  Peloponnes  1720000, 
für  Mittel-Griechenland  südlich  der  Thermopylen  1113  000  Ein- 
wohner heraus;  die  Inseln,  einschliesslich  Kreta  und  Kypros, 
werden  ohne  Einzelnachweise  mit  2 Millionen,  die  Colonien 


')  Köm.  Gesch.  II  S.  400—406. 

ä)  Hermes  XI  (1876)  S.  49 — 60,  wiederholt  Köm.  Forsch.  I S.  882 — 406. 
”)  Fasti  Hellenici  III*  8.  471. 

4)  Jahrbücher  für  Natiotudökonomie  und  Statistik  VI  (1866)  S.  81 — 96. 
*)  In  den  Commentationes  Mommsenianae  S.  124 — 142. 

*)  Ehein.  Mus.  32  (1877)  S.  227—48;  Ital  Bund  S.  70—102. 

’)  ITeßi  xov  nlrjtfovg  xtöv  rrjg  'Axxtxrjg  xaxolxtnv  xcu  xov  xax'  tvi- 
avröv  TiaQaytvofiivov  Iv  aürij  tiooov  xtöv  <T(jt/rjrpt«X(ör  xiiquiöv  xd  7xd- 
km  xal  rvv,  Athjvaiov  III  S.  99  ff. ; /7fpl  rot)  Txkijhoig  xtöv  xijg  aQ/a(ttg 
'EllttiSog  xaxotxmv  ebenda  IV  421  ff.,  V 111  ff. 


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40 


Capitel  I. 


ebenso  mit  5 Millionen  in  Ansatz  gebracht.  Wissenschaftlichen 
Werth  hat  die  Arbeit  nicht. 

Neben  diesen  systematischen  Untersuchungen  finden  sich 
einzelne  Bemerkungen  über  Fragen  aus  der  Bevölkerungs- 
statistik des  Alterthums  verstreut  in  fast  allen  historischen 
oder  antiquarischen  Werken  über  diese  Periode.  Dass  dabei 
sehr  viel  Dilettantismus  mit  unterläuft,  ist  natürlich ; das  wirk- 
lich Werth  volle  davon  wird  unten  berücksichtigt  werden. 


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Zweites  Capitel. 

Die  Zusammensetzung  der  Bevölkerung  nach 
Geschlecht  und  Alter. 


Es  muss  auf  einem  physiologischen  Gesetze  beruhen,  dass 
überall  annähernd  dieselbe  Zahl  Knaben  wie  Mädchen  geboren 
werden.  Der  geringe  Ueberschuss  der  männlichen  Geburten 
wird  durch  die  grössere  Sterblichkeit  der  Knaben  bald  ausge- 
glichen. Und  da  der  Verlust  durch  Kriege  ausschliesslich,  der 
durch  Auswanderung  vorzugsweise  die  Männer  trifft,  so  finden 
wir  im  heutigen  Europa  fast  durchweg  ein  Ueberwiegen  des 
weiblichen  Geschlechts  über  das  männliche;  doch  hält  sich  der 
Unterschied  in  verhältnissmässig  sehr  engen  Grenzen. 

Wir  werden  demnach  berechtigt  sein,  auch  für  das  Alter- 
thum die  beiden  Geschlechter  als  numerisch  annähernd  gleich 
anzusetzen.  Allerdings  wirkten  die  Ursachen,  die  heute  eine 
Verminderung  der  Zahl  des  männlichen  Geschlechts  gegenüber 
dem  weiblichen  hervorbringen,  im  Alterthum  zum  Theil  in  ver- 
stärktem Maasse.  Vom  Ende  des  V.  bis  zum  Anfang  des  II.  Jahr- 
hunderts ist  in  Griechenland  und  Italien  fast  permanent  Krieg 
gefühlt  worden;  fast  alle  Staaten  wurden  von  einer  Reihe 
blutiger  Revolutionen  erschüttert;  der  Solddienst  führte  die 
kräftigsten  Männer  zu  Zehntausenden  in  die  Fremde,  und  von 
den  mythischen  Zeiten  bis  in  das  Jahrhundert  nach  Alexander 
hat  sich  ein  breiter  Strom  der  Auswanderung  fast  ununterbrochen 
aus  Hellas  ergossen.  Es  ist  auch  gar  nicht  zu  bezweifeln,  dass 
diese  Ursachen  zeitweilig  und  in  einzelnen  Gebieten  einen  starken 
Ueberschuss  des  weiblichen  Geschlechts  hervorgebracht  haben; 


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42 


Capitel  II. 


so  namentlich  in  Athen  nach  dem  peloponnesischen  und  in 
Italien  nach  dem  hannihalischen  Kriege.  Aber  dem  gegen- 
über besass  das  Alterthum  in  der  von  Gesetz  und  Sitte  ge- 
statteten Kinderaussetzung  einen  Regulator  der  Bevölkerung, 
auf  den  die  moderne  Civilisation  unter  dem  Einfluss  des  Christen- 
thums verzichtet  hat ; und  es  liegt  in  der  Natur  der  Sache,  dass 
das  Loos,  ausgesetzt  zu  werden,  zumeist  weibliche  Kinder  treffen 
musste,  dann  namentlich,  wenn  sich  ein  Ueberwiegen  der  weib- 
lichen Bevölkerung  fühlbar  machte.  Auf  diese  Weise  mochten 
die  Wirkungen  der  Kriege  und  der  Auswranderang  ungefähr  com- 
pensirt  werden. 

Die  Alten  selbst  haben  denn  auch  bereits  die  Beobachtung 
gemacht,  dass  beide  Geschlechter  sich  an  Zahl  annähernd  gleich 
stehen.  So  nennt  Aristoteles  die  Weiber  „die  Hälfte  des 
Staates“  *).  Und  der  im  Alterthum  gewöhnliche  Ansatz  der 
waffenfähigen  Männer  zu  * * der  Gesammtbevölkerung  beruht 
doch  offenbar  darauf,  dass  die  Männer  den  Weibern  gleichge- 
reehnet  werden  und  von  der  männlichen  Bevölkerung  wieder 
die  Hälfte  als  waffenunfähig  angenommen  wird. 

Viel  verwickelter  ist  die  Frage  nach  der  Vertheilung  der 
Bevölkerung  auf  die  einzelnen  Altersklassen.  Hier  wralten  be- 
kanntlich zwischen  den  Staaten  des  modernen  Europa  sehr  be- 
deutende Verschiedenheiten  ob.  Von  je  1000  Peisonen  stehen 
im  Alter2) 


in 

Deutschland 

Frankreich 

England 

Italien 

Griechenland 

von 

1875 

1872 

1871 

1871 

1879 

bis  zu  15  Jahren: 

348 

271 

361 

323 

392 

15-20 

» 

95 

84 

96 

93 

99 

20—40 

n 

293 

299 

295 

306 

301 

40-50 

n 

103 

125 

101 

112 

100 

50-60 

V 

84 

104 

73 

84 

55 

Uber  60 

n 

76 

115 

74 

82 

53 

')  Allst.  Polit.  I S.  1260  b:  nt  pitv  yhp  yvraixee  rjuiav  fxfgot  tiöv 
fXev9(g(üi’.  — Polit.  II  S.  1269  b:  tiiarrtg  yng  otzlns  Lifüo;  ärr/p  xnl  y vrij, 
ifijioi'  ort  xnl  nöXtv  fyyv s rov  < ft/n  tu  dei  vofti(ttv  tf{  re  xo 

tiöv  ni'dgäv  TrliJOof  xnl  to  tiöv  yvvcux <öv,  tbrtrt  tv  offene  noltTd'ai; 

Xios  f/a  to  ni Qt  Tit(  yvvatxns,  rö  rjfiioi'  i rje  7tolfto{  dti  roitiCav  a vopo- 
.Ȋrijror.  Vergl.  Platon  Gesetze  VI  S.  781  A.  B. 

s)  Flir  Deutschland,  Frankreich,  England  nach  Block-Scheel,  Handbuch 


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Die  Zusammensetzung  der  Bevölkerung. 


43 


Als  Mittel  erhalten  wir  in  den  umstehend  aufgeführten  4 
grossen  Culturstaaten : 


0—15  Jahre 

328 

15-20  „ 

92 

20-  40  „ 

298 

40-50  „ 

111 

50—60  „ 

83 

über  60  „ 

87 

Für  das  Alterthum  fehlt  jede  directe  Angabe  über  diese 
Verhältnisse.  Allerdings  hat  sieh,  wie  wir  gesehen  haben 
(oben  S.  1 f.),  das  Bedürfniss  nach  Verzeichnissen  der  Geburten 
und  Todesfälle  schon  früh  fühlbar  gemacht.  Aber  bis  zum 
Entwurf  von  Sterbetafeln  ist  unseres  Wissens  das  Alterthum 
niemals  gelangt.  Freilich  musste  sich  bald  die  Beobachtung 
aufdrängen,  dass  die  noch  zu  erwartende  wahrscheinliche  Lebens- 
dauer keineswegs  im  geraden  Verhältniss  mit  der  Zahl  der 
verlebten  Jahre  abnimmt,  dass  also  z.  B.  ein  vierzigjähriger 
Mann  mehr  Aussicht  hat,  das  sechzigste  Jahr  zu  erreichen,  als 
ein  zwanzigjähriger.  Praktische  Bedeutung  hatte  diese  Be- 
obachtung namentlich  für  die  Berechnung  des  Capitalwerthes 
lebenslänglicher  Leibrenten.  Ulpian  giebt  dafür  die  folgende 
Tafel1): 


im 

Alter 

von 

Capitalwerth 

bis 

20  Jahre 

das  30  fache  des  jährlichen  Betrages 

n 

25 

n 

n 

28 

r> 

n 

n 

77 

r> 

30 

n 

7) 

25 

n 

17 

7) 

•7 

n 

35 

» 

17 

22 

n 

» 

77 

ft 

rt 

40 

n 

r> 

20 

n 

n 

77 

77 

77 

41 

n 

?» 

19 

» 

n 

77 

77 

« 

42 

n 

n 

18 

n 

» 

77 

17 

77 

43 

n 

» 

17 

n 

n 

77 

77 

77 

44 

n 

n 

16 

» 

n 

77 

77 

S.  237,  für  Italien  nach  Annuario  Statistico  lUiliano  1881  S.  100,  für 
Griechenland  nach  Zr«r«rrtxij  rijc  'EDnöot,  lTfo)frvauös  1879,  S.  28  f. 
Letztere  Angaben  sind  nach  dem  eigenen  Eingeständnis  des  griechischen 
statistischen  Amtes  sehr  unzuverlässig. 

’)  Digg.  35,  2,  68  im  Commentar  zur  IjCX  Falcidia.  Vergl.  Hilde- 
brand, Jahrbücher  für  Nationalökonomie  VT  (1866)  S.  91. 


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44 


Capitel  II. 


im  Alter  von  Capitalwerth 

bis  45  Jahre  das  15  fache  des  jährlichen  Betrages 
4(;  14 

n n » n n 

n 47  n * n 

. 48  „ , 12  , , 

4Q  11 

n n » n n n n 

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über  60  „ „ 5 „ „ 

Da  eine  ewige  Rente  nach  Ulpian  mit  dem  dreissigfachen 
Betrage  capitalisirt  wird,  so  beträgt  der  angenommene  Zins- 
fuss  31 3 °/o.  Dass  nun  unsere  Tabelle  keineswegs  mit  Zu- 
grundelegung einer  wirklichen  Sterbetafel  nach  den  Grund- 

sätzen der  Rentenrechnung  entworfen  ist,  bedarf  kaum  der 
Bemerkung;  wer  das  bestreitet,  möge  sich  die  Mühe  nehmen, 
nachzurechnen.  Vielmehr  sind  Ulpians  Zahlen  offenbar  auf 
rein  empirischem  Wege  gefunden,  und  zwar  in  recht  roher 
Weise.  Die  lebenslängliche  Rente  einer  unterzwanzigjährigen 
Person  wird  einfach  einer  ewigen  Rente  gleichgesetzt.  Der 

Werth  einer  an  ältere  Personen  zu  zahlenden  Leibiente  wird 
gefunden,  indem  der  Capitalwerth  der  ewigen  Rente  vermindert 
wird  um  den  jährlichen  Rentenbetrag  multiplizirt  mit  der  Hälfte 
der  über  20  durchlebten  Jahre,  wobei  der  leichteren  praktischen 
Handhabung  wegen  die  Sätze  auf  fünfjährige  Altersstufen  be- 
rechnet und  auf  ganze  Jahre  abgerundet  sind.  Bei  dieser  Scala 
würde  der  Capitalwerth  der  an  einen  Fünfzigjährigen  zu  zah- 
lenden Leibrente  auf  das  15  fache  des  jährlichen  Rentenbetrages 
sich  stellen,  und  der  Werth  der  Leibrente  an  einen  Sechzig- 
jährigen auf  das  10  fache.  Unseren  modernen  Verhältnissen 
würde  dieses  Resultat  annähernd  entsprechen;  hat  doch  z.  B. 
in  Belgien  nach  Quetelets  Tafeln  ein  fünfzigjähriger  Mann  die 
Wahrscheinlichkeit,  noch  18  Jahre  zu  leben,  ein  sechzigjähriger 
noch  IIV2  Jahre.  Ulpian  aber  hat  diese  Wertbe  für  zu  gross 
gehalten  und  ersetzt  demgemäss  vom  40.  Jahre  au  die  bisher 
angenommene  Scala  durch  eine  andere,  stärker  degressive,  wo- 
nach sich  als  Capitalwerth  der  Leibrente  für  einen  Fünfzig- 
jährigen das  0 fache,  für  einen  Sechzigjährigen  das  5 fache  des 


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Die  Zusammensetzung  der  Bevölkerung. 


45 


jährlichen  Betrages  ergiebt.  Es  scheint  demnach  im  II.  und  III. 
.Jahrhundert  n.  Chr.  die  Sterblichkeit  in  den  höheren  Altersklassen 
grösser  gewesen  zu  sein  als  gegenwärtig. 

In  geradem  Gegensatz  zu  diesem  Resultate  stehen  die  An- 
gaben über  die  Zahl  der  Hundertjährigen,  die  uns  Plinius  und 
Phlegon  für  die  VIII.  Region  Italiens  aufbewahrt  haben  r).  Dass 
beide  derselben  Quelle  gefolgt  sind,  wäre  an  und  für  sich  höchst 
wahrscheinlich  und  wird  ausser  allen  Zweifel  gestellt  durch  das 
Vorkommen  des  135jährigen  L.  Terentius  M.  f.  aus  Bononia 
in  beiden  Verzeichnissen.  Als  diese  Quelle  bezeichnet  Plinius 
die  Listen  des  von  Vespasian  und  Titus  im  Jahre  72  gehaltenen 
Census.  Phlegon  führt  die  einzelnen  Hundertjährigen  nament- 
lich auf,  mit  genauer  Angabe  des  Alters;  Plinius  thut  es  nur 
für  die  höchsten  Altersklassen  und  begnügt  sich  im  übrigen 
mit  summarischer  Aufführung.  Dabei  stimmen  seine  Einzel- 
angaben mit  den  für  die  ganze  Region  gegebenen  Summen  nicht 
überein ; es  ist  bei  letzteren  die  Kategorie  der  Hundertzwanzig- 
jährigen ganz  ausgefallen  und  die  Zahlen  der  Hundertfünfund- 
zwanzigjährigen und  Hundertdreissigjährigen  sind  vertauscht. 
Verbessern  wir  diese  Verderbnisse,  so  erhalten  wir  folgende 
laste : 

nach  Plinius  nach  Phlegon 


Altersjahre 

Individuen 

Altersjahre 

Individuen 

100 

-54 

100 

45 

110 

14 

101 

6 

120 

8 

102 

8 

125 

4 

103 

1 

130 

2 

105 

5 

185  u.  137 

2 

106 

1 

140 

3 

107 

1 

87 

110 

2 

111 

1 

113 

1 

— 

1 

120 

1 

135 

1 

69 

')  Plin.  N.  H.  V 162—164;  Phlegon  fr.  29  Müller,  vergl.  Mommsen, 
Staatsrecht  II'  S.  342  A.  3. 


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46 


Capitel  II. 


Der  Vergleich  zwischen  beiden  Verzeichnissen  zeigt  zu- 
nächst, dass  Phlegons  Liste  am  Ende,  d.  h.  in  den  höchsten 
Altersklassen,  unvollständig  ist.  Ob  unter  den  Hundertjährigen 
bei  Phlegon  9 Namen  ausgefallen  sind,  oder  ob  Plinius  die 
Hundeitein-  und  Hundertzweijährigen  unter  den  Hundertjährigen 
mitrechnet,  muss  dahingestellt  bleiben.  Im  ersteren  Falle  würde 
die  Zahl  der  Hundertzehnjährigen,  genauer  ausgedrückt  der  100- 
bis  110  jährigen,  bei  Plinius  von  XIHI  auf  XXIHI  zu  erhöhen 
sein.  Wie  dem  aber  auch  sein  mag,  jedenfalls  müsste  nach 
diesen  Angaben  die  VIH.  Region  Italiens  im  Jahre  72  n.  Chr. 
gegen  90  hundertjährige  oder  überhundertjährige  Greise  ge- 
zählt haben. 

In  ganz  Italien  wurden  am  31.  December  1881  nur  380 
Greise  an  hundert  Jahren  oder  darüber  gezählt,  davon  133 
Männer  und  247  Frauen,  unter  einer  Bevölkerung  von  gegen 
28 1/g  Mill.  Einwohner,  d.  h.  etwa  13  auf  die  Million.  Aehnlich 
sind  die  Ergebnisse  in  den  übrigen  europäischen  Ländern.  Nur 
in  Griechenland  sollen  nach  der  Zählung  von  1879  unter  einer 
Bevölkerung  von  1 650  000 : 252  in  diesem  Alter  gestanden  haben, 
also  150  auf  die  Million.  Es  ist  klar,  dass  hier  sehr  viele  als 
Hundertjährige  aufgeführt  sind,  die  in  Wahrheit  dieses  Alter 
noch  nicht  erreicht  hatten.  Dasselbe  muss  im  römischen  Census 
der  Fall  gewesen  sein,  wie  schon  die  ganz  unverhältnissmässige 
Zahl  der  Hundertjährigen  gegenüber  den’'!! und erteinj ührigen  in 
Phlegons  Liste  beweist.  Aber  wollte  man  auch  alle  Hundert- 
jährigen ausschliessen,  so  blieben  uns  doch  33  Personen  von 
über  100  Jahren  in  der  VHI.  Region,  soviel  wie  im  heutigen 
Italien  auf  2 llt  Millionen  entfallen,  während  die  freie  Bevöl- 
kerung der  VHI.  Region  im  Jahre  72  n.  Chr.  * 2 Million  kaum 
erreicht  haben  kann.  Sehr  auffällig  bleibt  auch  die  geringe 
Zahl  der  Frauen,  nur  18  unter  69  Namen  bei  Phlegon,  während 
heute  das  weibliche  Geschlecht  in  den  höchsten  Altersklassen 
bedeutend  überwiegt.  Was  also  aus  den  Zahlen  bei  Phlegon 
und  Plinius  folgt,  ist  nicht  so  sehr  die  gegenüber  der  heutigen 
höhere  mittlere  Lebensdauer  der  italischen  Bevölkerung  um  den 
Anfang  unserer  Zeitrechnung,  als  vielmehr  die  Unzuverlässigkeit 
der  Alterserhebungen  im  römischen  Census.  Bekanntlich  ist  das 


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Die  Zusammensetzung  der  Bevölkerung. 


47 


auch  bei  unseren  modernen  Volkszählungen  der  Punkt,  der  am 
meisten  zu  wünschen  übrig  lässt. 

Wenn  uns  demnach  unsere  literarische  Ueberlieferung  keine 
zuverlässige  Auskunft  über  diese  Dinge  zu  bieten  im  Stande 
ist,  liegt  es  nahe,  die  Inschriften  daraufhin  zu  befragen.  Be- 
sitzen wir  doch  viele  Tausende  römischer  Grabschriften  mit 
genauer  Altersangabe,  theilweise  bis  auf  Tag  und  Stunde  herab. 
Sollte  es  nicht  möglich  sein,  aus  diesem  Material  nähere  Auf- 
schlüsse zu  gewinnen? 

Ich  habe  zu  diesem  Zwecke  die  Altersangaben  der  im 
Corpus  lnscriptionum  Laiinarum  enthaltenen  Grabschriften  aus 
der  I.,  II.  und  X.  Region  Italiens  zusammengestellt.  Ausge- 
schlossen blieben  die  christlichen  Inschriften  und  die  in  und  bei 
Misenum  gefundenen  Grabsteine  von  Mannschaften  der  misenati- 
schen  Flotte ; ebenso  die  Nachträge.  Das  so  erhaltene  Material  — 
1831  Altersangaben  — ist  gross  genug,  um  wenigstens  die  gröbsten 
Störungen  zu  eliminiren.  Ich  bemerke  noch  ausdrücklich,  dass 
ich  eine  Garantie  für  absolute  Vollständigkeit  der  Liste  nicht 
übernehme;  es  kann  sehr  wohl  sein,  dass  ich  eine  Anzahl  von 
Altersangaben  übersehen  habe,  doch  wird  das  Resultat  dadurch 
kaum  afficirt  worden  sein.  Wir  erhalten  folgende  Zahlen: 


1.  Nach  fünfjährigen,  beziehungsweise  zehnjährigen 
Altersgruppen: 


Regio  I 

Regio  II 

Regio  X i 

zusammen 

M. 

W. 

zus. 

M. 

W. 

zus. 

M. 

W. 

zus. 

M. 

\V. 

zus. 

0-  5 

77 

33 

110 

16 

20 

36 

20 

14 

34 

113 

67 

180 

6-10 

71 

41 

112 

35 

13 

49 

21 

17 

43 

130 

71 

204 

10—15 

40 

28 

69 

30 

12 

42 

19 

12 

34 

89 

52 

145 

16-20 

72 

67 

140 

32 

19 

51 

31 

33 

66 

135 

119 

257 

21-25 

67 

62 

130 

22 

18 

40 

39 

30 

70 

128 

110 

240 

26-30 

50 

59 

109 

13 

17 

31 

23 

18 

41 

86 

94 

181 

31-35 

38 

27 

65 

18 

15 

34 

13 

15 

30 

69 

57 

129 

36-40 

31 

23 

54 

20 

10 

30 

8 

6 

14 

59 

39 

98 

41-45 

28 

19 

47 

15 

10 

26 

10 

2 

12 

53 

31 

84 

46—50 

20 

10 

30 

7 

8 

15 

5 

4 

10 

32 

22 

55 

51-60 

22 

18 

40 

24 

12 

36 

7 

2 

9 

58 

32 

85 

61-70 

24 

15 

39 

19 

15 

34 

5 

2 

7 

48 

32 

80 

71-80 

16 

8 

25 

9 

2 

12 

5 

2 

7 

30 

12 

44 

81-90 

7 

3 

10 

9 

6 

16 

2 

2 

4 

18 

11 

SO 

91—100 

6 

1 

8 

2 

2 

5 

2 

1 

3 

10 

4 

16 

über  100 

1 

— 

1 

1 

2 

— 

— 

— 

2 

1 

3 

, 570  414 

989 

272 

180  459 

213 

160  384 

j 1055 

754  1831 

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48 


(,'a]>itel  II. 


Ni 

ach 

15  j ähri 

ge 

n Alten 

sgr 

upp 

en: 

Regio 

I 

Regio 

n 

Regio 

X 

zusammen 

M. 

w. 

zus. 

M. 

w. 

zus. 

M. 

W. 

ZUS. 

M. 

W. 

ZllS. 

0- 

-15  1 

188 

102 

291 

81 

45 

127 

63 

43 

m 

332 

190 

529 

16- 

-30 

189 

188 

379 

67 

54 

122 

93 

81 

177 

349 

323 

678 

31- 

-45 

97 

69 

166 

53 

35 

90 

31 

23 

56 

181 

127 

311 

46- 

-60 

42 

28 

70 

31 

20 

51 

12 

6 

19  ! 

85 

.54 

140 

über 

60 

54 

27 

83 

40 

26 

69 

14 

7 

21 

108 

60 

173 

1055  754  1831') 


Von  je  1000  Gestorbenen  standen  also  im  Alter  von 


M. 

W. 

zus. 

0 — 15  Jahren 

315 

252 

289 

16-30 

n 

881 

428 

370 

31—45 

* 

171 

169 

170 

46-50 

n 

81 

71 

76 

über  60 

n 

102 

80 

95 

Zum  Vergleiche  mögen  die  entsprechenden  Zahlen  für 
Prenssen  im  Jahre  1876  hier  angeführt  werden2): 

0 — 15  Jahre  : 540,4 
16—80  „ : 66,8 
31—60  „ : 185,4 

über  60  „ : 198,5 

unbekanntes  Alter  : 9,1 

Unter  der  Hypothese  — ohne  Hypothesen  geht  es  bei 
Sterbetafeln  nun  einmal  nicht  ab,  auch  für  unsere  Zeit  nicht  — , 
dass  alle  auf  den  Grabsteinen  verzeichneten  Personen  im  selben 
Jahre  geboren  wären,  habe  ich  aus  diesem  Material  weiter  eine 
Ueberlebenstafel  entworfen.  Die  Trennung  nach  den  einzelnen 
Regionen  schien  hier  nicht  erforderlich;  auch  sind  die  Steine, 
die  das  Geschlecht  des  Bestatteten  nicht  erkennen  lassen,  aus- 
geschieden.  Mit  0 ist  die  Zeit  von  der  Geburt  bis  zum  voll- 
endeten ersten  Lebensjahre  bezeichnet,  unter  99  sind  auch  die 
wenigen  Hundertjährigen  einbegriffen. 

')  Die  Differenz  der  Summen  mit  den  Hinzelzahlen  für  beide  Ge- 
schlechter beruht  darauf,  dass  bei  einer  kleinen  Zahl  von  Grabschriften 
das  Geschlecht  des  Todten  nicht  zu  erkennen  war. 

ä)  Nach  Block-Scheel  a.  a.  0.  S.  265. 


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Die  Zusammensetzung  der  Bevölkerung. 


49 


Ueberlebenstafel  für  die  Regionen  I,  II  und  X. 


Männlich 

Weiblich 

Männlich 

Weiblich 

Ueberleb. 

Gestorb. 

Ueberleb. 

Geetorb. 

Ueberleb.  Geetorb. 

Ueberleb. 

Geetorb. 

0 

1055 

n 

754 

2 

50 

161 

18 

92 

15 

1 

1044 

28 

752 

13 

51 

143 

1 

77 

— 

2 

1016 

20 

739 

17 

52 

142 

2 

. 77 

3 

3 

996 

27 

722 

13 

53 

140 

2 

74 

— 

4 

969 

27 

709 

22 

.54 

138 

2 

74 

1 

5 

942 

30 

677 

11 

.55 

136 

18 

78 

5 

6 

912 

28 

676 

14 

56 

118 

2 

68 

2 

7 

884 

23 

662 

16 

57 

116 

3 

66 

1 

8 

861 

21 

646 

15 

58 

113 

4 

65 

3 

9 

840 

28 

631 

15 

59 

109 

1 

62 

2 

10 

812 

24 

616 

8 

60 

108 

29 

60 

18 

11 

788 

10 

608 

10 

61 

79 

4 

42 

— 

12 

778 

23 

598 

9 

62 

75 

— 

42 

2 

18 

755 

18 

589 

15 

68 

75 

1 

40 

— 

14 

737 

14 

574 

10 

64 

74 

1 

40 

— 

15 

723 

28 

564 

19 

65 

73 

10 

40 

7 

16 

695 

18 

545 

15 

66 

68 

1 

33 

1 

17 

677 

25 

530 

27 

67 

62 



82 

2 

18 

652 

41 

508 

36 

68 

62 

2 

30 

2 

19 

611 

23 

467 

22 

69 

60 

— 

28 

— 

20 

588 

41 

445 

33 

70 

60 

16 

28 

7 

21 

547 

14 

412 

18 

71 

44 

1 

21 

2 

22 

533 

26 

399 

18 

72 

43 

1 

19 

— 

23 

507 

31 

381 

22 

73 

42 

1 

19 

— 

24 

476 

16 

359 

24 

74 

41 

2 

19 

— 

25 

460 

81 

335 

44 

75 

39 

7 

19 

1 

26 

429 

17 

291 

11 

76 

82 

18 

1 

27 

412 

18 

280 

17 

77 

32 

' 

17 

— 

28 

394 

14 

263 

14 

78 

32 

2 

17 

1 

29 

880 

6 

249 

8 

79 

80 

— 

16 

— 

80 

374 

86 

241 

35 

80 

30 

13 

16 

9 

81 

338 

12 

206 

4 

81 

17 

— 

7 

— 

32 

326 

10 

202 

11 

82 

17 

— 

7 

1 

33 

316 

8 

191 

5 

83 

17 

— 

6 

— 

34 

308 

3 

186 

2 

84 

17 

1 

6 

— 

85 

305 

34 

184 

21 

85 

16 

4 

6 

1 

86 

271 

6 

163 

7 

86 

12 

— 

5 

— 

37 

265 

6 

156 

6 

87 

12 

— 

5 

— 

38 

260 

9 

1,50 

2 

88 

12 

— 

5 

— 

39 

251 

5 

148 

8 

89 

12 

— 

5 

— 

40 

246 

40 

145 

28 

90 

12 

4 

5 

3 

41 

206 

4 

122 

2 

91 

8 

— 

2 

— 

42 

202 

4 

120 

2 

92 

8 

1 

2 

— 

43 

198 

2 

118 

2 

93 

7 

2 

2 

1 

44 

196 

3 

116 

2 

94 

5 

— 

1 

— 

45 

193 

22 

114 

15 

95 

5 

— 

1 

— 

46 

171 

4 

99 

2 

96 

5 

2 

1 

— 

47 

167 

3 

97 

2 

97 

3 

1 

1 

— 

48 

164 

2 

95 

2 

98 

2 

— 

1 

— 

49 

162 

1 

93 

1 

y9 

2 

2 

1 

1 

Bel  och,  BevOlkeraugslebre.  1.  4 


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50 


Capitel  II. 


Was  uns  beim  Anblick  der  umstehenden  Talielle  zunächst 
in  die  Augen  fällt,  ist  die  unverhältnissmässige  Anzahl  der 
Todesfälle  in  den  durch  zehn  und  fünf  dividirbaren  Jahren, 
namentlich  in  den  oberen  Altersklassen.  Die  Altersangabeu  auf 
den  Inschriften  sind  also  zum  grossen  Theile  nur  annähernd 
genau.  Und  zwar  gilt  das  sogar  von  den  Fällen,  wo  das  Alter 
bis  auf  Monate  und  Tage  herab  angegeben  ist;  diese  Bestim- 
mungen wurden  offenbar  nach  dem  letzten  Geburtstage  be- 
rechnet und  dann  die  ungefähre  Zahl  der  Lebensjahre  hinzu- 
gesetzt. Uebrigens  kehlt  eine  ganz  analoge  Erscheinung  auch 
bei  unseren  modernen  Volkszählungen  wieder,  bei  denen  gleich- 
falls «lie  Altersstufen  von  30,  40,  50  Jahren  u.  s.  w.  ganz 
besonders  stark  besetzt  erscheinen. 

Ferner  überrascht  uns  in  obiger  Tafel  die  geringe  Zahl 
der  im  ersten  Lebensjahre  Gestorbenen,  während  bekanntlich 
im  heutigen  Europa  zwischen  15  und  80  °/o  aller  Lebendge- 
borenen iin  ersten  Jahre  hinweggerafft  werden.  Die  Ursache 
wird  darin  zu  suchen  sein,  dass  Kindern  so  zarten  Alters  nur 
in  Ausnahmefällen  Grabsteine  gesetzt  wurden.  Weiterhin  aber 
würde  sieh  aus  unserer  Tabelle  für  das  antike  Italien  eine  ganz 
ausserordentlich  niedrige  Lebensdauer  eigeben  *).  Wie  bekannt 
findet  man  die  wahrscheinliche  Lebensdauer  für  ein  bestimmtes 
Alter,  wenn  man  in  einer  Ueberlebenstafel  die  Zahl  der  Leben- 
den dieser  Klasse  durch  2 dividirt  und  dann  das  der  so  ge- 
fundenen Zahl  entsprechende  Alter  in  der  Tafel  aufsucht. 
Beispielsweise  beträgt  in  unserer  Tafel  die  Zahl  der  zwanzig- 

588 

jährigen  Männer  588 ; -q-  — 294,  die  Zahl  von  294  Ueber- 

lebeuden  fällt  aber  zwischen  die  Jahre  36  und  37,  der  zwanzig- 
jährige Mann  würde  also  die  Wahrscheinlichkeit  gehabt  haben, 
noch  16  bis  17  Jahre  zu  leben.  Im  Vergleich  zu  der  wahr- 
scheinlichen Lebensdauer,  wie  sie  sich  nach  Quetelets  Tafeln 
für  Belgien  ergiebt,  erhalten  wir  aus  unserer  Tabelle  folgende 
Ergebnisse : 

0 Zu  ähnlichen  Resultaten  ist  Schiller  auf  Grund  der  Altersaugaben 
zahlreicher  afrikanischer  Grabschriften  gelangt  (Geschichte  Neros  S.  502), 
ohne  aber  den  Grund  der  Erscheinung  zu  erkennen. 


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Die  Zusammensetzung  der  Bevölkerung  5{ 


1.  Für  das  männliche  Geschlecht: 


Alter 

Wahrscheinliche  Lebensdauer 

nach  unserer  Tafel 

für  Belgien  nach  Quetelet 

10 

27—28 

57—58 

20 

36-37 

59-60 

30 

45—46 

62-63 

40 

55-56 

65—66 

50 

60—61 

68—69 

60 

70-71 

71  -72 

2.  Für  das  weibliche 

Geschlecht: 

Wahrscheinliche  Lebensdauer 

nach  unserer  Tafel 

für  Belgien  nach  Quetelet 

10 

25-26 

58-59 

20 

30-31 

61—62 

30 

41-42 

65 — 66 

40 

55-56 

6S— 69 

50 

60-61 

70—71 

60 

68 

73-74 

Wir  müssen  uns  indess  hüten,  vorschnelle  Schlüsse  aus 
diesen  Zahlen  zu  ziehen.  Bei  weitem  die  meisten  Grabschriften 
sind  gesetzt  entweder  von  Eltern  ihren  Kindern,  oder  von 
Kindern  ihren  Eltern,  oder  von  dem  überlebenden  Ehegatten. 
Im  ersteren  Falle  wird  gewöhnlich,  oder  doch  sehr  häufig,  das 
Alter  des  Gestorbenen  vermerkt.  Im  zweiten  Falle  geschieht 
das  fast  niemals;  im  dritten  endlich  ist  das  Gewöhnliche  die 
Angabe  der  Dauer  der  Ehe,  der  manchmal  noch  das  Alter  des 
Gestorbenen  hinzugefügt  wird.  Selten  steht  dieses  allein,  sehr 
häufig  fehlt  jede  Zahlenangabe.  Die  jüngeren  Altersklassen 
müssen  also  in  unserer  Tafel  weit  stärker  vertreten  sein,  als 
ihnen  im  Verhältniss  zur  Gesammtzahl  der  Todesfälle  zukommen 
würde.  Das  geht  auch  daraus  hervor,  dass  die  Divergenz 
zwischen  unserer  Tafel  und  der  Tafel  Quetelets  immer  geringer 
wird,  in  je  höhere  Altersstufen  wir  hinaufsteigen.  Wir  werden 
also  unsere  Tafel  eist  für  die  Altersklassen  etwa  vom  41.  Jahre 
aufwärts  verwenden  dürfen.  Hier  ist  es  nun  bemerkenswerth, 

4* 


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52 


Capitel  II. 


dass  die  aus  unserer  Tafel  sieh  ergebende  wahrscheinliche 
Lebensdauer  den  Ansätzen  Ulpians  sehr  nahe  kommt.  Wir 
erhalten  noch  zu  durchlebende  Jahre: 


Alter 

nach  Ulpian 

1 

nach 

unserer  Tafel 

Männer 

Weiber 

41 

18 

19—20 

18—19 

45 

14 

15-16 

15—16 

50 

9 

11 

11 

55 

7 

10-11 

10-11 

60 

5 

10-11 

8 

wobei  zu  berücksichtigen  ist,  dass  die  Zahlen  bei  Ulpian  mit 
Absicht  etwas  niedriger  gehalten  sind,  als  die  zu  erwartende 
Lebensdauer. 

Es  scheint  demnach  wirklich,  dass  die  Wahrscheinlichkeit, 
ein  hohes  Lebensalter  zu  erreichen,  für  die  Bewohner  Italiens 
in  der  Kaiserzeit  etwas  geringer  gewesen  ist  als  gegenwärtig. 
Die  höheren  Altersklassen  wären  also  schwächer  besetzt  ge- 
wesen als  heute. 

Indess  kommen  diese  Altersklassen  der  Gesammtbevölkerung 
gegenüber  kaum  in  Betracht.  Viel  wichtiger  wäre  es  zu  wissen, 
in  welchem  Verhältniss  die  unteren  Altersklassen,  also  die 
Kinder  unter  15 — 18  Jahren,  zu  der  Gesammtbevölkerung  ge- 
standen haben.  Bekanntlich  gilt  hier  der  Satz,  dass  die  unteren 
Altersklassen  um  so  stärker  besetzt  sind,  je  rascher  eine  Be- 
völkerung an  Zahl  fortschreitet.  So  stehen  in  England  36,  in 
Deutschland  fast  35  °/o  der  Bevölkerung  im  Alter  von  unter 
15  Jahren;  von  der  stationären  Bevölkerung  Frankreichs  da- 
gegen nur  27  °/o.  Nun  hat,  soviel  wir  sehen,  kein  Land  in 
irgend  einer  Periode  des  Alterthums  eine  auch  nur  annähernd 
so  rapide  Volksvermehrung  aufzuweisen  gehabt,  wie  wir  sie, 
mit  alleiniger  Ausnahme  Frankreichs,  in  unserem  Jahrhundert 
in  Europa  und  Amerika  linden;  ja  im  III.  Jahrhundert  ist  die 
Bevölkerung  in  Griechenland,  im  II.  Jahrhundert  auch  in  Italien 
zum  Stillstand  gekommen,  und  seit  der  Mitte  dieses  Jahrhunderts 
sehen  wir  überall  ein,  wenn  auch  nur  massiges,  Sinken  der 
Volkszahl,  das  erst  in  der  Kaiserzeit  wieder  einer  geringen 


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I>ie  Zusammensetzung  der  Bevölkerung. 


53 


Vermehrung  Platz  machte.  Wir  werden  also  mit  voller  Sicher- 
heit behaupten  dürfen,  dass  im  alten  Griechenland  und  Italien 
die  Kinder  einen  bedeutend  geringeren  Bruchtheil  der  freien 
Gesammtbevölkerung  gebildet  haben,  als  in  den  meisten  Ländern 
des  modernen  Europa. 

Die  beste  Analogie  zu  den  Verhältnissen  des  Alterthums 
bietet  ohne  Zweifel  das  heutige  Frankreich,  wo  die  Kinder  unter 
17  Jahren  gegen  31  0 o der  Gesammtbevölkerung  ausmachen. 
Doch  dürfte  dieser  Procentsatz  für  die  Zeit  vom  V.  bis  zum 
III.  Jahrhundert,  als  die  Bevölkerung  in  Griechenland  und  Italien 
noch  im,  wenn  auch  langsamen,  Fortschreiteu  war,  etwas  zu 
erhöhen  sein,  umsomehr,  wenn  wirklich,  wie  sich  uns  oben 
als  wahrscheinlich  ergeben  hat , die  mittlere  Lebensdauer 
im  Alterthume  etwas  kürzer  gewesen  ist  als  gegenwärtig1). 
Ln  runden  Verhältniss  werden  wir  demnach  die  Kinder 
unter  16 — 18  Jahren  zu  etwa  ‘ a der  Gesammtbevölkerung 
ansetzen  dürfen;  sodass,  beide  Geschlechter  als  gleich  ge- 
rechnet, die  erwachsenen  Männer  ebenfalls  zu  1/a  der  Ge- 
sammtbevölkerung angenommen  werden  können.  Die  über- 
sechzigjährigeu  mögen  auf  rund  7 0 o der  Gesammtbevölkerung, 
oder  10  °/o  der  erwachsenen  Bevölkerung  veranschlagt  werden: 
für  die  Männer  im  wehrfähigen  Alter  von  17  bis  60  Jahren 
bleiben  demnach  gegen  30  0 o der  Gesammtbevölkerung.  Mit 
diesem  Resultat  stimmt  es  annähernd  überein,  wenn  Caesar  die 
waffenfähigen  Männer  bei  den  Helvetiern  zu  V*  der  Gesammt- 
zahl  annimmt 2),  oder  Dionysios  die  Censuszahlen  aus  dem  An- 
fänge der  Republik  mit  4 multiplicirt,  um  die  Gesammtbe- 
völkerung  des  römischen  Gebietes  zu  finden8).  So  sehr  diese 

*)  Was  Zumpt  in  der  oben  S.  87  angeführten  Abhandlung  dagegen 
ein  wendet:  dass  so  viele  berühmte  griechische  Gelehrte  und  Schriftsteller 
ein  hohes  Alter  erreicht  hätten,  hat  gar  kein  Gewicht,  denn  einmal  ist  das 
überlieferte  Material  nicht  der  Art,  um  irgend  welche  allgemeine  Schlüsse 
darauf  zu  gründen,  daun  aber  scheinen  noch  heute  die  sogen,  geleluten 
Stände  eine  besonders  lange  Lebensdauer  zu  haben. 

*)  Gail.  Krieg  I 29.  Dass  es  sich  hier  um  Berechnung,  nicht  um  sta- 
tistische Aufnahme  handelt,  wird  unten  gezeigt  werden  (Cap.  X,  3). 

•)  Dionys  IX  2*5. 


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54 


Capitel  II. 


Ansätze  im  proben  gegriffen  sind,  so  beweisen  sie  doch  wenig- 
stens so  viel,  dass  die  Vertheilunp  der  Bevölkeninp  auf  die 
einzelnen  Altersklassen  im  Alterthume  keine  wesentlich  andere 
gewesen  ist  als  im  modernen  Europa. 

Selbstverständlich  bezieht  sich  alles  bisher  Gesagte  nur  auf 
die  freie  Bevölkerung.  Die  Sklavenbevölkerung,  die  zum  grössten 
oder  doch  wenigstens  zum  sehr  grossen  Theile  durch  den  Im- 
port sich  ergänzte,  musste  eine  ganz  andere  Zusammensetzung 
zeigen.  Die  arbeitsfähigen  Männer,  nach  denen  ja  vor  allem 
Nachfrage  war,  mussten  hier  verhältnissmässig  viel  stärker  ver- 
treten sein,  als  die  Frauen  und  Kinder1),  ja  vielleicht  selbst 
absolut  an  Zahl  überwiegen. 

Wir  sehen,  wie  ungerechtfertigt  es  ist,  für  die  Berechnung 
der  bürgerlichen  Gesammtbevölkerung  eines  antiken  Staates 
aus  seiner  Bürgerzahl  das  Verhältniss  von  1 : 4V*  zu  Grunde 
zu  legen,  wie  z.  B.  Böckh  es  gethan  hat.  Auch  schon 
ein  ganz  oberflächliches  Nachdenken  reicht  aus,  uns  von  der 
völligen  Unhaltbarkeit  dieses  Ansatzes  zu  überzeugen.  Denn 
da  beide  Geschlechter  sich  an  Zahl  ungefähr  gleich  stehen,  so 
bliebe  für  die  männliche  Bevölkerung  das  2 V*  fache  der  Bürger- 
zahl; mit  anderen  Worten,  die  unerwachsenen  Knaben  wären 
zahlreicher  gewesen,  als  die  erwachsenen  Männer. 

*)  Das  deutet  auch  Aristoteles  an,  wenn  er  die  Weiber  rjfurju  ufnng 
TtJv  t Itv&iqtav  nennt  ( Polit . I S.  1260  b). 


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Drittes  Capitel. 

Attika. 

I.  Areal. 

Ueber  das  Areal  von  Attika  finden  sieh  in  Böckhs 
„Staatshaushaltung“  drei  verschiedene  Angaben,  ohne  dass  sich 
der  Verfasser  für  eine  darunter  entschiede.  Nach  der  zu  den 
„Reisen  des  Anacharsis“  gehörigen  Karte  von  Barbiö  du  Bo- 
eage  (Paris  1785)  betrüge  der  Flächeninhalt  der  Landschaft 
37 8 ;8  geogr.  Quadratmeilen,  wovon  36  17it2  auf  das  Festland, 
1i3(4o  auf  Salamis,  5 ie  atif  Helena  kommen.  Nach  der  „neuen“, 
ebenfalls  zu  den  „Reisen  des  Anacharsis“  gehörigen  Karte  des- 
selben Verfassers  (Paris  1811)  ergeben  sieh  für  das  Festland 
39*  i«,  für  Salamis  ls/8,  für  Helena  wie  vorher  5/i«,  zusammen 
also  41  geogr.  Quadratmeilen.  Diese  beiden  Berechnungen  sind 
von  Klöden  gemacht.  Nach  dem  Kiepertschen  Blatt  von  Ar- 
golis,  Korinthia,  Megaris  und  Attika  beliefe  sich  das  Areal  von 
Attika  mit  Oropia,  Salamis  und  Helena  auf  „etwa  47  Quadrat- 
meilen“ ; von  wem  die  Berechnung  ausgeführt  ist,  erfahren  wir 
nicht1).  Das  sind  also,  die  geographische  Quadratmeile  zu 
55,06  qkm  gerechnet,  beziehungsweise  2071,62;  2257,46; 
2587,82  qkm  für  Festland  und  Inseln  zusammen.  Clinton  ge- 
langt auf  Grund  von  Arrowsmiths  Ouilines  of  Greece  auf 
1864,80  qkm  für  das  Festland.  72,52  für  Salamis,  zusammen 
also  1937,32  qkm2).  Moreau  de  Jonnes  nimmt  sogar  nur 


*)  Böekh,  Staatsh.  I3  S.  47. 
s)  Fasti  Hellen ici  II2  S.  385. 


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56 


Capitel  111. 


1500  qkui  an1).  Bursian  beruhigt  sieh  bei  eiuem  Flächenraum 
von  40  Quadratmeilen  ohne  die  Inseln2),  also  2202,4  qkm. 
Wallon  bestimmt  den  Flächeninhalt  von  Attika  einschliesslich 
Salamis  und  Helena  auf  2532  qkm , mit  F.inrechnung  von  Oropos 
auf  2601,11  qkm.  An  anderer  Stelle  setzt  er  dagegen  das 
Areal  von  Attika  mit  Salamis  nur  zu  2491,42  qkm  au8). 

Die  höchste  dieser  Zahlen  kommt  der  Wahrheit  am  nächsten. 
Nach  einer  mit  dem  Amslerschen  Polar-Planimeter  und  Be- 
nutzung der  Wagnerschen  Zonentabelleu  von  mir  auf  Bl.  V 
von  Kieperts  Neuem  Atlas  von  Hellas  (Berlin  1879,  Maass- 
stab 1 : 500  000)  ausgeführteu  Berechnung  hat  das  attische  Fest- 
land in  der  dort  gegebenen  Begrenzung,  also  einschliesslich 
Oropos  und  Eleutherae,  eine  Ausdehnung  von  2527  qkm. 
Die  Küsteninselu  umfassen  nach  der  planimetrischen  Berech- 


nung  von 

Strelbitzky4 ) 

Wisotzky  *) 

qkm 

qkm 

Salamis 

....  93,5 

100 

Patroklu  Cliarax  (Gaidoro).  . . . 

....  4,3 

5 

Helena  (Makronisi) 

....  22.2 

18 

Phaura  ( Phlega ) 

. . . . — 

3 

120 

126 

Ftlr  ganz  Attika  ergeben  sich  demnach  2647,  beziehungs- 
weise 2653  qkm.  Selbstverständlich  kann  dieses  Resultat 
nur  vorläufige  Geltung  beanspruchen.  Eine  definitive  Bestim- 
mung des  Flächenraumes  von  Attika  wird  eist  nach  Vollendung 
der  Karte  des  deutschen  Generalstabes  möglich  sein;  und  Nie- 
mand wäre  berufener,  sie  vorzunehmen , als  die  Herausgeber 
selbst. 

Auf  die  Oropia  mögen  von  diesem  Areal  etwa  110  qkm 


')  Statistique  des  peuples  de  VAntiquiti  I S.  171. 

*)  Geogr.  v.  Griech.  I S.  251. 

8)  Histoire  de  l’Esclavage  I S.  268.  274. 

*)  Superficie  de  VEwrope,  etablie  par  J.  Strelbitzky.  Publicatüm  du 
Comite  Central  Busse  de  Statistique.  St.  Pe'tersbourg  1882. 
r‘)  Bei  Belun  und  Wagner,  Die  Bevölk.  der  Erde  VI  S.  16. 


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Attika. 


57 


eutfalleu,  auf  das  Pediou  vielleicht  400,  auf  das  thriasische 
Feld  140,  die  inarathonische  Ebene  90,  die  Paralia  720,  den 
Parues  und  die  waldigen,  schwachbewohnten  Gebirgsdistricte 
von  der  megarischen  Grenze  bis  Rhamnus  800,  der  Rest  auf 
Hymettos,  Brilettos,  Aegaleos.  Natürlich  sind  alle  diese  Einzel- 
zahlen ganz  im  groben  gegriffen,  schon  darum,  weil  eine  ge- 
naue Grenzbestimmung  der  Natur  der  Sache  nach  unmöglich 
ist.  Auch  hier  wird  erst  die  Vollendung  der  Generalstabskarte 
ein  sicheres  Fundament  schaffen. 

2.  Die  überlieferten  Bevölkerungszahlen. 

Die  Grundlage  unserer  Kenntniss  der  Bevölkeruugsverhält- 
nisse  von  Attika  bildet  die  unter  der  Verwaltung  des  Demetrius 
von  Phaleron,  317 — 307,  gehaltene  Volkszählung,  die  erste  und 
einzige,  von  der  wir  überhaupt  Nachricht  haben.  Dieselbe  soll 
21000  Bürger,  10  000  Metoeken  und  400000  Sklaven  eigeben 
haben1).  Sehen  wir  von  der  letzteren  Zahl  ab,  die  ohne  Zweifel 
corrupt  ist  und  unten  ausführlich  besprochen  werden  soll,  so 
tragen  diese  Angaben  durchaus  das  Gepräge  der  Glaubwürdig- 
keit. Auf  etwa  20000  wird  die  Zahl  der  attischen  Bürger 
auch  sonst  in  dieser  Periode  veranschlagt.  Als  Antipatros  nach 
dem  lamischen  Kriege  322  in  Athen  eine  oligarchische  Ver- 
fassung einfülute  und  allen  Bürgern  von  weniger  als  2000 
Drachmen  Vermögen  das  Wahlrecht  entzog,  sollen  9000  Athe- 
ner diesen  Census  erreicht  haben,  während  12000  von  der 
activen  Theiluahme  am  Staatsleben  ausgeschlossen  wurden2). 
Offenbar  geht  die  erstere  Zahl  zurück  auf  das  Verzeichniss 
der  stimmberechtigten  Bürger  {nitaS  tx/.XrloiaoTiv.6g),  das  bei 
dieser  Gelegenheit  neu  entworfen  werden  musste;  die  ent- 
rechteten Bürger  zu  zählen  dagegen  lag  gar  keine  Veranlas- 
sung vor,  und  ihre  Zahl  ist  offenbar  später  durch  Berechnung 
gefunden,  indem  man  jene  9000  von  den  21 000  abzog,  welche 


')  Ktesikles  bei  Athenaeos  VI  S.  272  B,  s.  oben  S.  4. 

*)  Diod.  XVIII  18;  Pint.  Phnk.  28.  Es  ist  offenbar  ein  Schreibfehler, 
wenn  bei  Diodor  von  22000  armen  Bürgern  die  Rede  ist,  die  ihre  Rechte 
verloren  hätten.  Bei  Plntarch  steht  die  richtige  Zahl. 


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58 


Capitel  III. 


die  Zählung  unter  Demetrios  ergeben  hatte.  Von  20  (XX)  athe- 
nischen Bürgern  spricht  auch  die  erste  Rede  gegen  Aristogeiton '), 
die  zwar  nicht  von  Demosthenes  herrührt,  aber  doch  an  das 
Ende  des  IV.  oder  den  Anfang  des  III.  Jahrhunderts  gehören 
muss,  da  sie  bereits  von  Kallimachos  in  das  Corpus  der  de- 
mosthenischen  Schriften  aufgenonimen  worden  ist.  Von  dem 
160  Talente  betragenden  Vermögen  des  Bergwerksbesitzers 
Diphilos,  das  Lykurgos  für  den  Staat  einziehen  und  unter  die 
Bürger  vertheilen  Hess,  soll  jeder  Athener  50  Drachmen  er- 
halten haben,  was  eine  Zahl  von  19200  Empfängern  voraus- 
setzt2). Audi  die  Annahme,  Athen  habe  bereits  unter  Kekrops 
20000  Bürger  gezählt,  ist  doch  offenbar  ein  Rückschluss  aus 
den  Verhältnissen  des  IV.  Jahrhunderts3). 

Es  kann  demnach  kein  Zweifel  sein,  dass  wirklich  unter 
Demetrios  von  Phaleron  21000  attische  Bürger  gezählt  worden 
sind.  Selbstverständlich  umfasst  diese  Zahl  alle  Athener,  nicht 
etwa  blos  die  Bürger  von  über  1000  Drachmen  Vermögen, 
auf  die  nach  der  damals  geltenden  Verfassung  die  vollen  poli- 
tischen Rechte  beschränkt  waren.  Denn  Bürger  in  civilreeht- 
lichem  Sinne  waren  auch  die  ärmeren,  wenn  auch  ihr  actives 
Bürgerrecht  ruhte.  Und  da  der  Staat  damals,  abgesehen  von 
Salamis  und  etwa  von  Skyros,  keine  Klenichien  mehr  besass, 
so  müssen  unsere  Zahlen  sich  auf  Attika  allein  beziehen,  was 
übrigens  in  dem  uns  vorliegenden  Bericht  über  die  Zählung 
des  Demetrios  auch  ausdrücklich  angegeben  wird4).  Dasselbe 
gilt  dann  natürlich  ebenfalls  von  den  auf  Antipatros’  Verfassungs- 
reform bezüglichen  Bürgerzahlen,  d.  h.  auch  hier  sind  die 
Kleruehen  ausgeschlossen. 

Was  nun  die  Zahl  der  Metoeken  angeht,  so  fehlt  uns  hier 


*)  [Demosth.]  g.  Aristog.  I 50  S.  785. 

*)  Leben  der  zehn  Redner  S.  843 1).  Nach  anderer  Angabe  an  derselben 
Stelle  hätte  freilich  jeder  Bürger  1 Mine  erhalten,  was  die  statistische 
Brauchbarkeit  der  Notiz  stark  beeinträchtigt. 

*)  Platon  Kr  Ui  an  5 S.  112  I):  ?<F»j  x u l rort  zrfpl  <fvo  /jeiXiara 
cvrf(  «iptndnf.  Philochoros  fr.  22  bei  Schob  Pind.  OL  IX  68. 

4)  Ktesikles  a.  a.  0.:  Lj-etao/jor  yerfaftai  irrb  AguriTofov  toC  */>n- 
X r,Qiti>s  t titV  xnTotxoifTciv  rfjr  l4mxr\r. 


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Attika. 


59 


allerdings  die  Möglichkeit  einer  directen  Controle  des  über- 
lieferten Resultats  der  Zählung  des  Demetrios,  da  wir  nume- 
rische Angaben  über  diesen  Theil  der  attischen  Bevölkerung 
aus  dem  IV.  Jahrhundert  sonst  nicht  besitzen.  Nur  dass  die 
Metoeken  in  Athen  sehr  zahlreich  gewesen  sind,  lehren  uns 
unsere  literarischen  Quellen  und  ganz  besonders  die  Inschriften. 
So  stehen  in  Kumanudes’  Sammlung  der  attischen  Grabschriften 
neben  1327  Grabschriften  von  Bürgern  1126  von  Metoeken 
und  Fremden  verzeichnet.  Beim  Ausbruch  des  peloponnesischen 
Krieges  dienten  3000  Metoeken  als  Schwerbewaffnete1),  was 
eine  Gesammtzahl  von  gegen  10000  erwachsenen  Männern, 
vielleicht  auch  darüber,  voraussetzt.  Und  da  Athen  unter  De- 
metrios als  Handels-  und  Fabrikstadt  nicht  weniger  bedeutend 
war  als  unter  Perikies,  so  liegt  kein  Grund  vor,  zu  bezweifeln, 
dass  auch  am  Ausgange  des  IV.  Jahrhunderts  noch,  oder  wieder, 
an  10000  Metoeken  vorhanden  gewesen  sind. 

Aus  der  Zeit  vor  Demetrios  dürfen  wir,  bei  dem  Mangel 
jeder  wirklichen  Volkszählung,  Angaben  von  gleicher  Zuver- 
lässigkeit über  die  Bevölkerung  von  Attika  nicht  zu  finden  er- 
warten. Die  Schätzungen  der  Bürgerzahl  aus  dieser  Periode 
gehen  im  besten  Falle  zurück  auf  das  Verzeichniss  der  zur 
Theilnahme  an  der  Volksversammlung  Berechtigten  (nivajj  «/- 
^l^aiaaTixö c);  wir  haben  oben  (S.  3)  gesehen,  wie  unsicher 
diese  Grundlage  war.  Die  im  V.  Jahrhundert  herrschende  An- 
nahme schrieb  Athen  eine  Bürgerzahl  von  30000  zu;  so  viele 
rechnet  Herodot  für  die  Zeit  der  Perserkriege2),  und  noch 
Aristophanes  in  den  392  aufgeführten  Ekklesiazusen  nimmt 
dieselbe  Zahl  au8).  Der  Verfasser  des  Axiochos  lässt  sogar 
30000  Bürger  an  der  Volksversammlung  Theil  nehmen,  die 


*)  Thuk.  II  81,  Näheres  unten. 

*)  Herod.  V 97;  vgl.  VIII  65  und  Duncker,  Sitrungsber.  der  Bert. 
Akad.  1883  S.  938. 

3)  v.  1133:  noXiriiv  nXeiov  fj  t qio/xvq/wv.  Wenn  Aristophanes  in 
den  Wespen  (v.  709)  von  J vo  ptvQindes  rtöv  tfrjuortxwv  spricht,  die  in  den 
Bandesstädten  versorgt  werden  sollen,  so  hat  er  nur  die  ärmeren  Bürger, 
den  eigentlichen  dfjiuo;  im  Auge,  er  muss  also  auch  hier  die  Gesammt- 
btirgerzahl  beträchtlich  höher  veranschlagt  haben. 


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60  . 


(Japitel  III. 


nach  der  Arginusenschlacht  die  siegreichen  Feldherrn  ver- 
urteilte1); offenbar  in  der  Voraussetzung,  dass  säinmtliche 
Bürger  l>ei  dieser  Gelegenheit  ihr  Stimmrecht  ausübten. 

3.  Die  militärischen  Leistungen. 

Viel  werthvoller  als  diese  vagen  Schätzungen  sind  die  An- 
gaben über  die  militärischen  Leistungen  Athens  aus  derselben 
Zeit.  Bei  Marathon  sollen  9000 2),  bei  Plataeae  8000 a)  attische 
Hopliten  gekämpft  haben,  Zahlen,  die  durchaus  glaubwürdig 
scheinen,  da  ein  halbes  Jahrhundert  später,  beim  Ausbruch 
des  peloponnesischen  Krieges,  14000  felddienstpflichtige  Bürger- 
hopliten  und  Reiter  vorhanden  waren.  Dazu  kommen  weiter 
die  leichten  Truppen,  die  llerodot  für  die  Schlacht  bei  Plataeae 
den  Hopliten  an  Zahl  gleich  setzt;  ausserdem  war  damals  noch 
eine  beträchtliche  Flotte  in  See.  Bei  Salamis  hatten  die  Athe- 
ner 180  Trieren4),  und  wenn  die  Scliiffe  dieser  Klasse  damals 
auch  kleiner  waren  als  später5),  so  wird  die  Bemannung  doch 
immerhin  auf  kaum  unter  25  000  Kopfe  anzuschlagen  sein. 

Ueber  die  am  Anfang  des  peloponnesischen  Krieges  dem 
Staate  zur  Verfügung  stehenden  Streitkräfte  finden  wir  eine 
detaillirte  Uebersicht  bei  Thukydides.  Er  legt  diese  Angaben 
dem  Perikies  in  den  Mund,  und  es  kann  in  der  That  kaum 
ein  Zweifel  sein,  dass  sie  aus  officieller  Quelle  geschöpft  sind. 


Darnach  waren  vorhanden 6) : 

Hopliten  für  den  Felddienst 18000 

Hopliten  für  den  Besatzungsdienst 16  000 

Reiter  und  Hippotoxoten 1 200 

Bogenschützen 1 600 


>)  S.  369  A. 

*)  Nepos  Milt.  5 und  Suidas  'irnilaq  nach  Ephoros.  Paus.  X 20,  2 
hat  „noch  nicht  10000“,  Justinus  II  9:  10000;  vgl.  Duncker,  Gesch.  des 
Alterth.  VII5  S.  126  Anm. 
s)  Herod.  IX  28. 

4)  Herod.  VIII  44. 

5)  Thuk.  I 14. 

6)  Thuk.  II  13:  XQiifiatn  fiiv  ovv  ovrcuy  Ghtyairtv  avroüs'  ötiXfr ar 
de  i (iia^iXfov;  xai  uipioe;  ilrai  arev  riür  fr  roif  UQOvgfois  xni  ToSr 


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Attika. 


61 


Aus  Thukydides  sind  diese  Zahlen  durch  Ephoros’  Ver- 
mittelung1) in  Diodors  Bibliothek  übergegangen,  nur  dass  hier 
die  Feldtruppen  zu  12000,  die  Besatzungstruppen  zu  17000 
Mann  angegeben  werden2).  Dass  mindestens  die  erstere  Zahl 
unrichtig  ist,  zeigt  ein  Vergleich  mit  Thukydides’  Angabe  über 
das  attische  Aufgebot  gegen  Megara  im  Herbst  431  8);  dagegen 
muss  unentschieden  bleiben,  ob  bei  der  Zahl  der  Besatzungs- 
truppen der  Fehler  auf  Seite  Diodors  bezw.  Ephoros’,  oder 
unserer  Thukydides-Handschriften  liegt.  Jedenfalls  aber  giebt 
Diodor  den  Beweis,  dass  bereits  um  die  Mitte  des  IV.  Jahr- 
hunderts bei  Thukydides  im  wesentlichen  dasselbe  gestanden 
hat,  was  wir  noch  heute  dort  lesen. 

Trotzdem  ist  es  ganz  unzweifelhaft,  dass  die  Zahlen,  so 
wie  sie  überliefert  sind,  unmöglich  richtig  sein  können.  Die 
Besatzungstruppen  bestanden  nach  Thukydides’  eigener  Angabe 
aus  den  jüngsten  und  ältesten  Jahrgängen  der  Bürgerhopliten 
und  den  zum  Hoplitendienst  verpflichteten  Schutzverwandten. 
Nun  währte  die  Dienstpflicht  des  athenischen  Bürgern  über- 
haupt 42  Jahre,  vom  18.  bis  60.  Lebensjahre4);  wer  das  60.  Jahr 
überschritten  hatte,  war  vom  Dienste  befreit6).  Es  ist  also 
klar,  dass  die  über  sechzigjährigen  Bürger  unter  den  dem 


71  uq'  inaktiv  UtaxiayiXitov  x«l  uiqIwv ' tooovtoi  yap  itfiXaanov  to  71  qw- 
TOV  077011  ol  noXiulOl  fOßttXoKV,  ((71  ö Tt  T(ÖV  TlQtnßll ttl (i>V  xol  r <öv  vtto- 
rctjiov  xal  fierofxior  Saoi  onXiiai  fjoav  ....  Inniag  <t’  dnigiaivt  3ia- 
xoalovg  xal  yiXfovg  niv  ln7TOTo(oTai(,  i^axudtov;  31  xal  yiXlovg  roföraf, 
xal  TQiriQtis  ras  nX/of/io vs  loiaxaafai.  Varianten  in  den  Handschriften 
finden  sich  nicht,  nur  dass  ein  schlechter  Codex  1200  ro&rai  bietet 

])  Diod.  XII  41.  Volquardsen,  Untersuchungen  über  die  Quellen  dis 
Diodor  S.  52. 

®)  Diod.  XII  40:  OTportftiroc  vntdtCxvvtv  vndpytiv  iij  TtöXa  yeoglg 
Ovuuäyiov  xai  Ttiiv  fv  toi f (fQOVQloig  ovrtor  onX(ra{  /Ar  /ivnlovg  xal 
3ioyiX(or f,  rovg  3'  fv  roi(  ifpovgfois  ovrag  xol  rot'f  /itioixovs  inapyeir 
nXtfovs  t (üv  /ivQttDV  hnaxiaytXhav,  rottjßf »£  31  ras  napovOag  r Qiaxoatag. 

*)  Thuk.  II  31. 

4)  Aristot  bei  Ilarpokr. : irrpartia  tv  rotg  intovv/xoig. 

5)  Bei  Polydeukes  II  11  werden  als  synonym  angeführt  die  Aus- 
drücke: fx  r rjg  «71  oudyov  rjXtxlag , ix  Ttj;  dnoXt/xov,  ix  rijs  aOTparivrov, 
imiQ  tov  xaiäXoyov,  vntp  rö  i^xovTa  yeyovmg  ?tij. 


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62 


Capitel  III. 


Staate  zu  Gebote  stehenden  Streitkräften  nicht  mitgerechnet 
sein  können;  wie  denn  in  der  That  ein  übersechzigjähriger 
Mann  in  der  Regel  selbst  zum  Waehtdienst  nicht  mehr  tauglich 
sein  wird.  Es  fragt  sich  nun,  mit  welchem  Jahre  die  Ver- 
pflichtung zum  Felddienste  aufhörte.  Sokrates  hat  mit  etwa 
37  Jahren  bei  Potidaea,  mit  45  Jahren  bei  Delion,  mit  47  Jahren 
bei  Amphipolis  gekämpft,  aber  an  keinem  der  späteren  Feld- 
züge mehr  Theil  genommen1),  so  dass  die  Annahme  gerecht- 
fertigt sein  wird,  dass  auch  im  V.  Jahrhundert,  ebenso  wie  zur 
Zeit  der  Schlacht  bei  Chaeroneia 2) , das  50.  Jahr  die  obere 
Grenze  der  Verpflichtung  zum  Dienste  im  Felde  gebildet  hat 
Und  in  der  That  war  das  schon  eine  sehr  starke  Anforderung 
an  die  Bürgerschaft;  nahmen  doch  sogar  in  Sparta  die  Bürger 
über  55  Jahre  in  der  Regel  nicht  mehr  an  Feldzügen  Theil. 

Wie  die  ältesten,  waren  auch  die  beiden  jüngsten  Jahr- 
gänge des  Hoplitenkataloges  vom  activen  Felddienste  befreit, 
d.  h.  die  Epheben  (uepi-cokot)  zwischen  18  und  20  Jahren3); 
Ausnahmefälle  natürlich  abgerechnet.  Für  den  Dienst  im  Felde 
blieben  also  die  Altersklassen  vom  20.  bis  zum  50.  Lebens- 
jahre. Und  zwar  dienten  die  Zeugiten  als  Schwerbewaffnete, 
die  Hippeis  und  Pentakosiomedimnen  theils  als  Schwerbewaffnete, 
theils  als  Reiter.  Die  Theten  waren  ursprünglich  vom  Dienste 
als  Hopliten  befreit  und  darum  im  Katalog  nicht  verzeichnet 4). 
Im  Laufe  des  V.  Jahrhunderts  ist  eine  Anzahl  Bürger  dieser 
Klasse  auf  Staatskosten  mit  schwerer  Rüstung  versehen  worden, 
in  erster  Linie,  um  als  Epibaten  auf  der  Flotte  zu  dienen8), 
wozu  man  die  Hopliten  aus  dem  Kataloge  nur  in  Nothfälleu 


’)  Platon  Symp.  219  E,  Apot.  28  E,  Charm.  Auf.,  Ladies  181  A. 
S.  Zeller,  Griech.  Philos.  II  1 3 S.  56  Anm.,  und  über  das  Geburtsjahr 
ebenda  S.  43  Anni. 

*)  Lykurg  <j.  Leokr.  39  f. 

*)  Aeschin.  v.  d.  Ges.  167.  Daher  rechnet  Thukydides  a.  a.  0.  neben 
den  nQtaßviaxoi  auch  die  vtoixaroi  zu  den  Besatzungstruppen. 

*)  Harpokr.  itrjzti.  Tkukyd.  VI  43  stellt  die  öni-ixai  ix  xaraiöyov 
zu  den  önkina  &ijn;  in  Gegensatz.  S.  auch  Thuk.  VIII  97,  Xen.  Hell. 
ü 3,  48. 

»)  Thuk.  VI  43. 


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Attika. 


63 


heranzog1).  Nach  der  sicilischen  Niederlage  ist  sogar  der  Vor- 
schlag gemacht  worden,  sämmtliche  Theten  mit  schwerer  Rüstung 
zu  versehen2),  was  aber,  wie  wir  mit  voller  Sicherheit  behaupten 
können,  nicht  ausgefühlt  worden  ist.  Jedenfalls  kann  bis  zum 
Jahre  412  die  Zahl  der  schwerbewaffneten  Theten  nicht  gross 
gewesen  sein,  denn  es  wurde  damals  nothwendig,  Hopliten  aus 
dem  Kataloge  als  Epibaten  auf  der  Flotte  zu  verwenden8). 
Nach  Sicilien  können  höchstens  1500  Hopliten  aus  der  Theten- 
klasse geschickt  worden  sein4);  einige  Hundert  mochten  auf 
den  im  Jahre  413  und  Anfang  412  in  den  griechischen  Ge- 
wässern in  Dienst  gestellten  Trieren  Verwendung  gefunden 
haben,  so  dass  ihre  Gesammtzahl  kaum  mehr  als  2 — 3000  Mann 
betragen  hallen  kann.  Und  in  der  That  musste  schon  die 
Kostspieligkeit  der  Beschaffung  so  vieler  l’anoplien  einer  grossen 
Vennehrung  dieser  Truppengattung  eine  Grenze  setzen.  Dass 
nun  die  schwerbewaffneten  Theten  unter  den  felddienstpffichtigen 
Hopliten  einbegriffen  sind,  liegt  in  der  Natur  der  Sache  und 
wird  auch  von  Thukydides  bezeugt5),  während  andererseits 
unter  den  Besätzungstruppen  sich  gewiss  keine  Theten  befan- 
den, da  man  in  Athen  nicht  so  thöricht  gewesen  sein  wird,  die 
im  Staatsbesitz  befindlichen  Rüstungen  an  über  fünfzigjährige 

»)  Thuk.  VIII  24,  III  15;  Xen.  Hell  I 6,  24. 

*)  Antiphon  g.  Philin.  bei  Ilarpokr.  »rjrts. 

8)  Thuk.  VIII  24. 

*)  Vgl.  Thuk.  VI  43. 

8)  Thuk.  II  31  von  dem  attischen  Gesammtaufgebot , das  im  Herbst 
431  in  Megaris  einfiel:  uvqIoiv  ydg  önlumv  ovx  lldaaov;  yaar  «iroi 
'AUgraioi,  yoi(i'ig  <I’  aiiTois  of  Ir  Tloridata  TQinyJhoi  i )oav.  Wie  ge- 
wöhnlich bei  Aufgeboten  narjrifitl,  hat  offenbar  auch  hier  Thukydides 
keine  numerische  Angabe  Vorgelegen ; er  berechnet  vielmehr  die  Stärke  des 
athenischen  Heeres,  indem  er  von  der  II  13  angegebenen  Sollstärke  die 
3000  Mann  abzieht,  die  vor  Potidaea  standen.  Nun  sind  aber  unter  den 
10  000  attischen  Hopliten  in  Megaris  auch  die  1000  Epibaten  (II  23)  der 
Flotte  einbegriffen,  die  eben  von  ihrer  Fahrt  um  den  Peloponnes  zurück- 
gekehrt war  (II  31,  1);  und  diese  sind  ohne  Zweifel  Theten  gewesen,  da 
Hopliten  aus  dem  Katalog  nur  in  Nothfällen  zum  Seedienst  herangezogen 
wurden,  was  Thukydides  immer  sorgfältig  angiebt.  Folglich  müssen  die 
onkirui  fUjres  unter  den  13000  felddienstpflichtigen  Hopliten  Thuk.  II  13 
mitgerechnet  sein. 


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64 


Capitel  III. 


Männer  zu  vertheilen , so  lange  junge  Mannsehaft  genug  zur 
Verfügung  stand.  Von  den  1 3 000  felddienstpflichtigen  Hopliten 
hätten  demnach  etwa  10000  den  drei  oberen  Vennögens- 
klassen  angehört,  wozu  dann  noch  die  1000  Reiter  zu  rechnen 
wären1).  Denn  die  Bogenschützen  bestanden  gleichfalls  aus 
Theten,  soweit  sie  nicht  zu  dem  aus  skythischen  Sklaven  ge- 
bildeten Polizeicorps  gehörten.  11000  Mann  aber  zwischen 
20  und  50  Jahren  setzen  eine  Zahl  von  gegen  1000  Peripoloi 
zwischen  18  und  20,  und  etwa  2000  Männern  zwischen  50 
und  60  Jahren  voraus.  Und  was  die  zum  Hoplitendienst  ver- 
pflichteten Metoeken  angeht,  so  berechnet  Thukydides  ihre  Zahl 
bei  dem  ersten  Einfall  der  Athener  in  Megaris  im  Herbst  431 
auf  3000 ä).  Da  es  sich  hier  um  ein  Gesammtaufgebot  der 
attischen  Wehrkraft  handelt,  so  sind  die  Metoeken  offenbar  mit 
denselben  Jahrgängen  herangezogen  worden,  wie  die  Bürger 
selbst,  d.  h.  vom  20.  bis  50.  Jahre;  indess  ist  es  sehr  unwahr- 
scheinlich, dass  Thukydides  sich  die  Mühe  gegeben  hat,  aus 
der  in  den  Listen  verzeichneten  Gesammtzahl  die  Metoeken  im 
Alter  von  20 — 50  Jahren  auszuscheiden.  Hat  er  es  wirklich 
gethan,  so  hätte  sich  die  Gesammtzahl  aller  Metoeken  von 
Hoplitencensus  zwischen  18  und  60  Jahren  auf  3800  belaufen, 
und  folglich  die  Gesammtzahl  aller  Besatzungstruppen  auf  gegen 
7000;  andernfalls  kämen  etwa  6000  heraus. 

Wollten  wir  nun  auch  annehmen,  um  die  bei  Thukydides 
überlieferte  Zahl  von  16000  Mann  Besatzungstruppen  zu  retten, 
es  seien  nicht  blos  die  Bürger  von  50—60  Jahren,  sondern 
alle  Bürger  über  50  Jahre  hier  eingerechnet,  so  würde  die 
Zahl  der  ngtaßviegoi  ungefähr  zu  verdoppeln  sein;  aber  auch 
so  ergeben  sich  im  ganzen  nicht  über  8 — 9000  Hopliten  fin- 
den Besatzungsdienst,  so  dass  immer  noch  eine  Differenz  von 
6000  mit  den  Angaben  bei  Thukydides  bleibt.  Und  wir  dürfen 
zur  Ausfüllung  dieses  Minus  nicht  etwa  die  Zahl  der  schwer- 


’)  Aristoph.  Bitter  225,  l’hilochoros  fr.  100.  Unter  den  1200  Reitern 
ltei  Thukydides  sind  die  skythischen  Ilippotoxoten  eingerechnet 
«)  Thuk.  II  31. 


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Attika. 


65 


bewaffneten  Schutzverwandten  vergrössern 1 ).  Denn  bei  Delion, 
wo  die  gesammte  Macht  Athens,  Bürger  wie  Metoeken,  auf- 
geboten  war2),  standen  doch  nur  7000  Hopliten  in  Linie8), 
-d.  h.  noch  nicht  die  Hälfte  der  Zahl,  die  Athen  am  Anfänge 
des  Krieges  zu  stellen  vermocht  hatte,  wenn  wir  die  schwer- 
bewaffneten Metoeken  mit  3000  Mann  ansetzen.  Eine  noch 
stärkere  Abnahme  bliebe  ganz  unerklärlich. 

Es  gäbe  nur  einen  Weg,  die  überlieferten  Zahlen  bei 
Thukydides  zu  vertheidigen , die  Annahme  nämlich,  dass  auch 
die  Kleruchen  bei  ihm  eingerechnet  sind4).  Allerdings  be- 
dürfte es  zu  diesem  Zwecke  einer  Emendation,  wenn  auch 
einer  verhältnissmässig  leichten;  wir  hätten  nämlich  zu  schrei- 
ben : and  ze  twv  nQeoßrzauDV  xai  twv  veondciov,  xai  an  o t - 
xwv  xai  /.leroiy.wv  oaoi  onXitai  rpav.  Iudess  hat  diese  An- 
nahme doch  wenig  wahrscheinliches , denn  Thukydides  spricht 
ausdrücklich  nur  von  der  Besatzung  der  Hauptstadt  und  der 
festen  Plätze  in  Attika6),  und  wir  hören  nicht,  dass  dazu  je- 
mals Kleruchen  herangezogen  worden  sind.  Es  bleibt  also 


')  Wie,  nach  Vorgang  anderer,  kürzlich  J.  H.  Hansen  gethan  hat,  der 
11 900  schwerbewaffnete  Metoeken  herausrechnet  (Ueber  die  Bevölkerungs- 
dichtigkeit Attikas  und  ihre  politische  Bedeutung  im  Alterthiime,  Hamburg 
1885,  S.  18).  Diese  Arbeit  ist  überhaupt,  trotz  ihres  vielversprechenden 
Titels,  ganz  werthlos. 

а)  Thuk.  IV  90:  'A&r/vafovc  rnivSgpef,  «itobs  xtii  rov;  gtroixors 
xai  Siviav  oaot  nccQrjaav. 

8)  Thuk.  IV  93  f.  Schenkl’s  Behauptung,  die  Athener  hätten  bei 
Delion  17  000  Hopliten  gezählt  (Wiener  Stud.  II  197),  brauche  ich  doch 
hoffentlich  nicht  erst  zu  widerlegen. 

4)  So  Duncker,  Gesell,  d.  Alteith.  IX  409  A.  Das  obige  war  längst 
geschrieben,  als  mir  dieser  Band  wahrend  der  letzten  Revision  des  Mauu- 
scripts  zuging. 

б)  Vgl.  Classen  zu  unserer  Stelle.  Wenn  Pflugk-Harttung  ( Perikies 
S.  69  A.)  die  Angabe  auch  von  den  Besatzungen  in  den  Bundesstädten 
verstehen  will,  so  übersieht  er,  dass  ggoogtov  nichts  anderes  als  „kleine 
Grenzfestung,  Fort“  bedeutet;  hätte  Thukydides  ausdrücken  wollen,  was 
Pflugk-Harttung  ihn  sagen  lässt,  so  hätte  er  schreiben  müssen:  fr  raii 
ipgovQais  oder  fv  rai(  noXtoiv.  Ausserdem  würden  in  auswärtige  Be- 
satzungen nicht  die  ältesten  oder  jüngsten  Leute  geschickt  worden  sein. 

Be  loch,  ßevSlkeningslebre.  I.  5 


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Capitel  IIF. 


66 

kaum  etwas  übrig,  als  anzunehmen,  dass  die  Zahlen  bei  Thu- 
kydides  bereits  in  sehr  früher  Zeit  verschrieben  worden  sind, 
mit  anderen  Worten,  dass  fxvqioiv  bei  der  Angabe  über  die 
Besatzungstruppen  aus  dem  vorhergehenden  irrthümlicher  Weise 
wiederholt  worden  ist,  und  die  Zahl  dieser  Truppen  also  nicht 
16000,  sondern  nur  6000  betragen  hat,  wodurch  statistisch 
Alles  in  Ordnung  käme. 

Entsprechend  diesen  Angaben  beziffert  Thukydides  das 
attische  Heer,  das  im  Herbst  431  in  Megaris  einfiel,  auf 
10000  Mann  Bürgerhopliten , 1000  Reiter  und  3000  schwer- 
bewaffnete  Metoeken;  3000  Bürgerhopliten  standen  ausserdem 
vor  Potidaea1).  Es  war  der  Höhepunkt,  den  die  Wehrkraft 
Athens  jemals  erreicht  hat2).  Von  jetzt  an  beginnt  eine  rück- 
läufige Bewegung,  hervorgerufen  durch  den  Krieg  und  ganz 
besonders  die  Pest.  Nach  Thukydides  erlagen  der  Krankheit 
in  den  Jahren  430 — 426  4400  Hopliten  „aus  den  taktischen 
Verbänden“  und  300  Reiter8),  d.h.  23  °/o,  oder  falls  die  Met- 
oeken nicht  eingerechnet  sind,  28  °/o  der  zu  Anfang  des 
Krieges  vorhandenen  Gesammtzahl.  Die  Zahl  der  felddienst- 
tüchtigen Reiter  und  Hopliten  hatte  sich  demnach  im  Jahre 
426  auf  etwa  12000  vermindert.  Ja  das  Gesammtaufgebot  der 
attischen  Wehrkraft  bei  Delion  zwei  Jahre  später  betrug  nicht 
mehr  als  7000  Hopliten4)  und  1000  Reiter5),  Bürger  und 
Metoeken  zusammen.  Natürlich  dürfen  wir  daraus  nicht  auf 
eine  Abnahme  um  weitere  4000  Mann  während  dieser  beiden 


■)  Thuk.  II  31 ; vgl.  oben  S.  63  Anm.  5. 

2)  Thuk.  II  31 : OTQaTÖntiöv  re  fxfytatov  <fi)  rovro  d9(>6ov  stthjvatiur 
(yh’tro,  ftxfJu£ou<rrif  ht  rrjt  nöXecas  xal  ovm u reioor/xetaf.  Dass  übri- 
gens die  Effectivstärke  weit  geringer  sein  musste,  folgt  aus  dem  oben  S.  63 
Anm.  5 bemerkten. 

3)  Thuk.  III  87 : TiTQaxoa(t» v yd q bnXntiiv  xal  KTQaxiayiXlmv  ovx 

(Xäaaoi  f dnOarov  fx  rwv  rafetuv  xal  TQUtxooltov  Innt ’aiv.  Da  Thukydi- 
des den  Ausdruck  fx  xttiaXöyov  vermeidet,  so  sind  offenbar  die  ausser- 
halb des  Kataloges  stehenden  Bürgerhopliten  (die  onXirai  vielleicht 

auch  die  schwerbewaffneten  Metoeken  hier  mitgerechnet.  Aus  Thukydides 
Diodor  XII  58. 

4)  Thuk.  IV  94. 

*)  Vgl.  Aristoph.  Ritter  225. 


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Attika. 


67 


Jahre  schliessen;  wir  müssen  uns  vielmehr  erinnern,  dass  eine 
beträchtliche  Truppenzahl  durch  die  Besatzungen  in  den  festen 
Plätzen  des  Reiches  absorbirt,  werden  musste,  dass  die  etwa 
70—80  Trieren,  die  im  Herbst  424  in  See  waren,  7—800 
Hopliten  erforderten,  und  vor  allem,  dass  die  Effectivstärke 
eines  militärischen  Aufgebots  immer  beträchtlich  hinter  der 
Sollstärke  zurückbleibt. 

Die  Jahre  424 — 422  brachten  die  verlustvollsten  Schlachten 
des  Krieges;  bei  Delion  fielen  1000 *),  bei  Amphipolis  600 
Athener2),  zum  grössten  Theile  Hopliten.  Nach  Sicilien  gingen 
415—413  im  ganzen  2700  Hopliten  aus  dem  Kataloge3),  etwa 
1500  schwerbewaffnete  Theten4)  und  250  Reiter5),  von  denen 
die  meisten  dort  umkamen6).  Der  natürliche  Zuwachs  der 
Bürgerschaft  in  diesen  Jahren  konnte  solchen  Verlusten  gegen- 
über nur  wenig  in  Betracht  kommen.  Athen  dürfte  also  im 
Jahre  412  schwerlich  mehr  als  8000  feldtüchtige  Hopliten 
und  Reiter  gezählt  haben,  wovon  reichlich  6000  Bürger,  und 
zwar  fast  ausschliesslich  aus  dem  Kataloge,  da  man  jetzt  dazu 
schreiten  musste,  auch  die  Bürger  dieser  Klasse  als  Epibaten 
auf  der  Flotte  zu  verwenden7). 

Dass  diese  Berechnung,  so  sehr  sie  naturgemäss  im  groben 
gegriffen  ist,  doch  annähernd  das  richtige  trifft,  zeigen  die 
Ereignisse  des  Jahres  411.  Es  wurde  damals  in  Folge  der 
oligarchischen  Revolution  festgesetzt,  dass  das  active  Bürger- 
recht auf  die  5000  wohlhabendsten  Bürger  beschränkt  sein 
solle6);  das  war  aber  keineswegs  die  Gesannntzahl  aller  Bür- 


>)  Thuk.  IV  101. 

*)  Thuk.  V 10. 

3)  Thuk.  VI  43,  VII  20. 

*)  Nach  Thuk.  VI  43  allein  700  für  die  60  zum  Kampf  ausgerüsteten 
Trieren  des  Nikias,  woraus  sich  für  alle  130  von  415  bis  413  nach  Sicilien 
geschickten  athenischen  Schlachtschiffe  die  obige  Zahl  von  Epibaten  ergiebt. 

s)  Thuk.  VI  94. 

«)  Thuk.  VII  85. 

’)  Thuk.  VIII  24. 

8)  Thuk.  VIII  65:  oilze  ftt&ex ztov  tm>  npayfuiTwv  nXlloaiv  ij  iuvta- 
xiayü.lotf,  xal  toviois  o'i  uv  juaUrrra  rot'c  yp ijuamv  rj  joit  nwiiucnv 
tötffXeiv  oio(  tt  cuotv. 

5* 


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68 


Capitel  III. 


ger  der  drei  oberen  Vermögensklassen , denn  es  war  eine  Re- 
form im  demokratischen  Sinne,  als  Theramenes  später  die  Be- 
rechtigung auf  alle  diejenigen  ausdehnte,  die  im  Stande  wären, 
auf  eigene  Kosten  als  Hopliten  zu  dienen1).  Ihre  Zahl  betrug 
nach  einer  in  dieser  Zeit  gehaltenen  Rede  9000 2),  wovon 
reichlich  6000  auf  die  Altersklassen  vom  20.  bis  zum  50.  Jahre 
entfallen  mochten. 

Da  grössere  Landschlachten  in  den  letzten  Jahren  des 
Krieges  nicht  mehr  geschlagen  worden  sind,  und  die  Hopliten 
aus  dem  Kataloge  nur  ausnahmsweise  zur  Bemannung  der  Flotte 
herangezogen  wurden,  so  kann  ihre  Zahl  durch  Verluste  im 
Kampfe  bis  404  sich  nicht  wesentlich  vermindert  haben;  wohl 
aber  mögen  in  Folge  der  lakedaemonischen  Occupation  von 
Dekeleia  manche  Burger  der  drei  oberen  Klassen  verarmt  und 
in  die  Thetenklasse  herabgesunken  sein.  Immerhin  bildeten 
die  3000  Bürger,  die  unter  der  Herrschaft  der  Dreissig  als 
vollberechtigt  anerkannt  wurden,  nur  einen  Theil,  wahrschein- 
lich selbst  nur  eine  Minorität  der  Bürger  mit  Hopliten- 
census3).  So  konnte  Athen  10  Jahre  später  im  korinthischen 
Kriege  6000  Hopliten  und  600  Reiter  ins  Feld  stellen4),  was 
eine  wohlhabende  Bevölkerung  von  etwa  10000  erwachsenen 
Männern  voraussetzt;  denn  Theten  konnten  jetzt  bei  der  zer- 
rütteten Finanzlage  als  Schwerbewaffnete  nicht  mehr  verwendet 
werden.  War  das  Verhältniss  zwischen  Bürgern  und  Metoeken 
jetzt  dasselbe  wie  vor  dem  peloponnesischen  Kriege  — und 
es  dürfte  sich  eher  zu  Ungunsten  der  Metoeken  verschoben 
haben  — , so  standen  neben  reichlich  8000  wohlhabenden  Bür- 
gern gegen  2000  Schutzverwandte.  Auch  in  der  Schlacht  bei 
Mantineia  hat  das  attische  Aufgebot  6000  Hopliten  gezählt5). 


l)  Thuk.  VIII  97. 

s)  R.  f.  Polystratos  13;  s.  unten  den  Anhang. 

*)  Xen.  Hell.  II  3,  41.  48.  Dadurch  erledigen  sich  die  Ausführungen 
Müller-Strübings.  Vom  Staat  d.  Athen.  S.  62,  der  der  Ansicht  ist,  es  habe 
im  Jahre  403  überhaupt  nur  noch  6000  athenische  Bürger  gegeben. 

«)  Xen.  Hell.  IV  2,  17. 

“)  Diod.  XV  84.  Dass  es  sich  hier  nur  um  Hopliten  handeln  kann, 
liegt  in  der  Natur  der  Sache. 


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Attika. 


69 


Dass  im  Jahre  322  9000  Bürger  mit  über  2000  Drachmen 
Vermögen  vorhanden  waren,  haben  wir  oben  gesehen1).  Ln 
Jahre  vorher  soll  das  Aufgebot  von  7 Phylen  bis  zur  Alters- 
klasse von  40  Jahren  5000  Mann  zu  Fuss  und  500  Reiter  er- 
geben haben8),  was  auf  eine  Gesammtzahl  von  gegen  18000 
wohlhabender  Bürger  und  Metoeken  führen  würde ; doch  dürfen 
solche  runde  Angaben  selbstredend  nur  mit  Vorsicht  benutzt 
werden.  Annähernd  dieselbe  Zahl  scheint  Athen  noch  40  Jahre 
später  gegen  die  Gallier  ins  Feld  gestellt  zu  haben3). 

Weiteren  Aufschluss  geben  die  Epheben-Inschriften.  Aller- 
dings ist  der  Versuch  verfehlt,  aus  diesen  Urkunden  direct  die 
bürgerliche  Gesammtbevölkerung  Athens  ermitteln  zu  wollen4). 
Denn  wie  in  der  klassischen  Zeit  nur  die  Söhne  der  Wohl- 
habenden in  dem  Corps  der  ntqinoloi  sich  zum  Hopliten- 
dienst  vorbereiteten,  eben  weil  die  Annen  von  diesem  Dienste 
gesetzlich  befreit  waren,  so  ist  es  später  mit  der  Ephebie  ge- 
wesen, die  sich  aus  der  Institution  der  niquroloi  im  IV.  Jahr- 
hundert entwickelt  hat.  Wer  für  sein  tägliches  Brod  mit  der 
Hand  zu  arbeiten  hatte,  der  konnte  natürlich  nicht  die  Müsse 
finden,  ein  ganzes  Jahr  in  der  Hauptstadt  gymnastischen  und 
musischen  Uebungen  sich  hinzugeben.  Ueberhaupt  zeigt  alles, 
dass  das  Corps  der  Epheben  ein  sehr  aristokratisches  gewesen 
ist;  oder  sollten  vornehme  Römer  und  Prinzen  asiatischer 
Königshäuser  wirklich  mit  den  Söhnen  der  attischen  Fischer 
und  Tagelöhner  im  selben  Gliede  gedient  haben? 

Die  älteste,  wenigstens  theil  weise  erhaltene  Liste  aus  dem 


')  S.  57. 

*)  Diod.  XVIII  10. 

a)  Paus.  X 20,  |5 : ntvrttxöowi  <11  ?s  tö  btntxor,  . . . //Ito*  <11 
tiäaauvTo  Iv  toTs  neCut f.  Es  ist  klar,  dass  die  Zahl  der  Tausender  aus- 
gefallen ist,  denn  ein  Verhältniss  der  Reiter  zu  den  Fusstnippen  wie  1 : 2 
ist  kaum  denkbar;  es  mag  [aenaxia]/(lioi  oder  etwas  ähnliches  zu  er- 
gänzen sein. 

*)  Wie  Dumont  wollte  {La  population  de  i’Attique  d’apres  les  in- 
scriptions  recemmmt  decouvertes.  Journal  des  Savants  Dec.  1871),  dem 
übrigens  das  Verdienst  bleibt,  diese  Inschriften  zuerst  für  die  Bevölkerungs- 
statistik verwerthet  zu  haben. 


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70 


Capitel  111. 


Jahre  305.4  enthält  aus  2 Phylen  mindestens  34  Namen,  was 
für  alle  12  Phylen  über  200  Epheben  ergeben  würde1).  Die 
Listen  aus  der  Zeit  zwischen  der  Befreiung  Athens  (287-6)  und 
dem  chremonideischen  Kriege  (ca.  265)  geben  nur  je  einige 
30  Namen2),  während  am  Ende  des  II.  Jahrhunderts  wieder 
100—140  Epheben  aufgeführt  werden3),  ungerechnet  der 
Fremden. 

Wir  wissen  nun  freilich  nicht,  ob  der  Eintritt  in  das 
Kphebencorps  obligatorisch  war,  und  welches  Vermögen  dazu 
berechtigte  oder  verpflichtete;  auch  können  die  Bestimmungen 
darüber  im  Laufe  der  Zeit  sich  geändert  haben.  Wenn  ferner 
unsere  Eithebeninschriften  aus  dem  III.  Jahrhundert  nur  einige 
dreissig  Namen  aufführen,  so  ist  es  höchst  wahrscheinlich,  dass 
nur  ein  Theil  der  Epheben  aufgezeichnet  wurde,  etwa  diejeni- 
gen, die  sich  besonders  gut  geführt  hatten;  denn  hätte  das 
Institut  wirklich  nur  so  wenige  Theilnehmer  gezählt,  so  würde 
es  kaum  im  Stande  gewesen  sein,  sich  zu  halten. 

Nun  entspricht  eine  Ephebenzahl  von  etwa  200,  wie  sie  in 
unserer  Urkunde  aus  305/4  verzeichnet  stand,  einer  Zahl  von 
nahe  an  7000  über-achtzelmjährigen  Bürgern.  17  Jahre  früher 
hatte  Athen  9000  Bürger  mit  über  2000  Drachmen  Vermögen 
gezählt;  da  auf  unserer  Liste  mehr  als  200  Namen  gestanden 
haben  können,  da  ferner  einzelne  Befreiungen  wegen  körper- 
licher Gebrechen  und  anderer  Gründe  nicht  ausbleiben  konnten, 
so  scheint  damals  der  Eintritt  in  das  Ephebencorps  für  die 
Söhne  aus  Familien  mit  über  2000  Drachmen  Vermögen  obli- 
gatorisch gewesen  zu  sein,  und  wir  gewinnen  so  eine  Bestäti- 
gung für  die  auch  aus  andern  Gründen  wahrscheinliche  An- 
nahme, dass  in  dieser  Zeit  ein  Vermögen  von  2000  Drachmen 
die  untere  Grenze  für  die  Verpflichtung  zum  Hoplitendienste 
gebildet  hat.  Wenn  dieselben  Bedingungen  noch  am  Ende  des 
II.  Jahrhunderts  galten,  und  auch  jetzt  sämmtliche  Epheben  in 


*)  Köhler,  Mittheil,  des  archäol.  Inst.  IV  324  fl'. 
s)  CIA.  II  316.  324.  338. 

3)  CIA.  II  465.  467.  469.  470. 


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Attika. 


71 


<len  uns  erhaltenen  Listen  verzeichnet  wurden,  wofür  die  grosse 
Zahl  der  Namen  — im  Mittel  120  — zu  sprechen  scheint,  so 
müsste  sich  in  der  Zwischenzeit  die  Zahl  der  wohlhabenden 
Bürger  Athens  um  40  °/o,  also  auf  5400  vermindert  haben,  was 
an  und  für  sich  ein  sehr  annehmbares  Resultat  wäre.  Jeden- 
falls ist  5000  ein  Minimum,  unter  das  herabzugehen  unsere 
Ephebenlisten  uns.  nicht  gestatten.  In  Folge  der  Katastrophe 
im  mithradatischen  Kriege  hat  ohne  Zweifel  nicht  nur  die 
Bürgerzahl  beträchtlich  abgenommen,  sondern  sind  auch  sehr 
viele  Bürger  verarmt,  sodass  es  nicht  überrascht,  noch  kurz 
. vor  der  Schlacht  bei  Aktion  nur  etwa  die  halbe  Ephebenzahl  zu 
finden,  wie  am  Ende  des  II.  Jahrhunderts,  entsprechend  einer 
Zahl  von  gegen  2500  wohlhabenden  Bürgern.  Ein  aus  dieser  Zeit 
erhaltener  Ephebenkatalog *)  führt  neben  52  Bürgern  67  Fremde 
auf,  woraus  wir  aber  nicht  schliessen  dürfen,  dass  die  Metoeken 
damals  zahlreicher  gewesen  wären  als  die  Bürger,  da  viele 
vornehme  Jünglinge,  die  zu  Studienzwecken  in  Athen  ver- 
weilten, sich  in  das  Ephebencorps  aufnehmen  liessen.  In  der 
Kaiserzeit  finden  wir  wieder  ein  Steigen  der  Ephebenzahl ; eine 
Liste  aus  dem  Jahre  42  n.  Chr.  giebt  120 — 180,  die  Verzeich- 
nisse aus  der  Zeit  der  Antonine  im  Mittel  90  Bürgerepheben 2). 
Athen  mag  also  in  dieser  Periode  gegen  4000  wohlhabende 
Bürger  gezählt  haben. 

Wir  sind  demnach  in  den  Stand  gesetzt,  von  der  Bewegung 
der  wohlhabenden  Klassen  der  attischen  Bevölkerung  vom  V. 
vorchristlichen  bis  Izum  II.  nachchristlichen  Jahrhundert  ein 
ziemlich  befriedigendes  Bild  zu  entwerfen.  Zur  Zeit  der  Perser- 
kriege mochte  Athen  gegen  12 — 13000  Bürger  von  Hopliten- 
eensus.  zählen;  die  Metoeken  fielen  wohl  noch  kaum  ins 
Gewicht.  Zu  Anfang  des  peloponnesischen  Krieges  war  diese 
Zahl  auf  15 — 16000  gestiegen8);  daneben  standen  ungefähr 
4000  Metoeken.  Durch  die  Pest  wurden  diese  Zahlen  um  etwa 


»)  CIA.  II  482.  * 

®)  Dumont  a.  a.  0.,  s.  die  Inschriften  im  III.  Bande  des  CIA. 

*)  Nämlich  14000  im  Alter  von  18—60  Jahren  (oben  S.  64),  und 
15 — 1600  liber-sechzigjährige  (oben  S.  53). 


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72 


Capitel  III. 


1U  vermindert,  also  auf  11 — 12000  Bürger  und  3000  Schutz- 
verwandte. Nach  der  sicilischen  Niederlage  wurden  noch  9000 
wohlhabende  Bürger  gezählt,  bei  Beginn  des  korinthischen 
Krieges  noch  etwa  8000,  und  2000  Metoeken.  Im  Jahre  322 
war  die  Zahl  der  Bürger  von  Hopliteneensus  wieder  auf  9000 
gestiegen,  um  dann  im  Laufe  der  beiden  nächsten  Jahrhunderte 
auf  5 — 6000,  nach  der  sullanischen  Eroberung  auf  2500  zu 
sinken.  Unter  den  Antoninen  hat  dann  Athen,  wie  wir  gesehen 
haben,  wieder  gegen  4000  wohlhabende  Bürger  gezählt. 

Leider  fehlen  uns  die  Mittel,  die  Zahl  des  ärmeren  Theiles  der 
Bürgerschaft,  der  Theten  der  solonischen  Ordnung,  in  derselben 
Weise  zu  bestimmen.  Denn  Athen  besass  schon  zur  Zeit  des 
peloponnesischen  Krieges,  ausser  einem  kleinen  Corps  Bogen- 
schützen, keine  regelmässig  organisirten  leichten  Truppen  *),  und 
die  Flotte  war  zum  grossen  Theil  mit  Söldnern  bemannt.  Wenn 
Herodot,  wie  schon  bemerkt,  die  Zahl  der  Leichtbewaffneten 
bei  Tlataeae  den  Hopliten  gleichsetzt,  so  könnte  Athen,  die  Rich- 
tigkeit dieser  Schätzung  vorausgesetzt,  im  Jahre  479  nicht  unter 
25000  Bürger  gezählt  haben.  Weiter  führen  uns  die  Angaben 
des  Thukydides  über  die  Stärke  des  attischen  Heeres  bei  Delion. 
Es  erfolgte  damals  ein  allgemeines  Aufgebot  aller  Bürger  und 
Metoeken,  ja  selbst  der  vorübergehend  in  Athen  sich  aufhal- 
tenden Fremden8),  wie  es  scheint  bis  zum  50.  Lebensjahre; 
wenigstens  war  der  45  jährige  Sokrates  unter  den  kämpfenden. 
Zahlen  giebt  Thukydides  nicht;  er  sagt  nur,  die  attischen  Ho- 
pliten seien  den  boeotischen  an  Zahl  gleichgekommen,  die  atti- 
schen Leichtbewaffneten  aber  viel  zahlreicher  gewesen  als  die 
boeotischen s).  Die  Stärke  des  boeotischen  Heeres  aber  habe  sich 
auf  1000  Reiter,  7000  Hopliten,  500  Peltasten  und  10000  Mann 


')  Thuk.  IV  94. 

*)  Thuk.  IV  90:  6 <0  'Innoxgaftjt  ttraoiyoag  ’Afh\va(ovt  nardt)/it(r 

avTovg  T(  xai  joitg  fUjolxovg  xnl  £(vtov  0001  nttgrjoar. 

*)  Thuk.  IV  94:  xpiXol  dk  (x  nagaoxtviji  /*(*  tanXiOfi^ vui  ot'rt  ro’rt 
nttgfjanv,  ovrt  tyfvovro  Trj  ttoXh ' oXntg  dl  Si  vtatßaXov,  ovres  n o XX«- 
nXuaioi  Ttöv  ( vnvr  ( dir , aonXnl  re  rroXXoi  fuvt]XoXov&ri<rav,  Sit  nnv- 
orgnTiäg  £(va>v  Ttüv  mtgovrtxtv  xnl  cloitöv  yivo^(vr\g. 


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Attika, 


73 


leichter  Truppen  belaufen1).  Danach  müssen  die  athenischen 
Leichtbewaffneten  bedeutend  mehr  als  10000  Mann  gezählt 
haben,  also  mindestens  12000,  wahrscheinlich  gegen  15000 
Mann ; das  ganze  Heer,  einschliesslich  der  Hopliten  und  Reiter, 
wäre  also  20 — 23000  Mann  stark  gewesen.  Das  war,  abgesehen 
von  den  dienstuntauglichen  oder  gesetzlich  vom  Dienste  be- 
freiten, die  gesammte  freie  männliche  Bevölkerung  zwischen 
20  und  50  Jahren,  die  im  Herbste  424  in  Attika  anwesend 
war;  die  Gesammtzahl  der  freien  Männer  über  18  Jahre  muss 
demnach  mindestens  30 — 35  000  betragen  haben.  Die  in  Athen 
vorübergehend  sich  aufhaltenden  Fremden  wurden  ohne  Zweifel 
reichlich  compensirt  durch  die  ausserhalb  Attikas,  sei  es  auf 
der  Flotte  und  in  den  Besatzungen,  sei  es  in  Privatgeschäften 
abwesenden  Metoeken  und  Bürger2),  auch  wenn  wir  die  Kle- 
ruchen  ganz  aus  dem  Spiele  lassen.  Nun  sind  in  den  Jahren 
430—426  der  Pest  etwa  ll*  aller  athenischen  Hopliten  und 
Reiter  erlegen,  also  der  wohlhabendsten  und  kräftigsten  Männer ; 
und  da  Epidemien  ihre  Opfer  immer  vorzupweise  in  den  un- 
teren Schichten  der  Bevölkerung  suchen,  so  werden  wir  uns 
keiner  Uebertreibung  schuldig  machen,  wenn  wir  dieses  Ver- 
hältniss  auf  die  Gesammtbevölkerung  anwenden.  Zählte  also 
Attika  im  Jahre  424  30 — 85  000  freie  Männer,  so  muss  es  431 
40 — 47000  gezählt  haben,  entsprechend  einer  freien  Bevölke- 
rung von  120 — 140000  Seelen.  Die  Zahl  der  Bürger  von 
Hoplitencensus  betrug  damals,  wie  wir  gesehen  haben,  15000 
bis  16000,  die  der  Metoeken  von  entsprechendem  Vermögen 
4000 ; es  bleiben  also  für  die  Theten  und  die  ärmeren  Metoeken 
20—28000.  Nehmen  wir  24000  als  Mittel,  und  auch  hier 
das  Verhältniss  der  Bürger  zu  den  Metoeken  wie  4:1,  so  er- 
halten wir  19 — 20000  Theten  und  eine  Gesammtbürgerzahl 
von  35000,  neben  9000  Schutzverwandten.  Wenn  diese  Zahlen 
auch  auf  absolute  Richtigkeit  keinen  Anspruch  erheben  können, 
so  werden  sie  der  Wahrheit  doch  wenigstens  nahe  kommen. 

>)  Thuk.  IV  93. 

a)  Thuk.  VIII  72:  xafroi  ov  nämort  'A9r)va(ovt  Jia  r«f  OTQarf(«f 
xal  t rjv  vntQÖpiov  äo/oMav  (t(  ovdlv  nQayijtn  oirai  iX9fiv  ßovlti- 

oonai,  iv  w ntVTaxiayiUov(  (vvtXfteiv. 


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74 


Capitel  111. 


In  Folge  der  I’est  sank  die  Büigerzahl  auf  etwa  26000. 
die  der  Metoeken  auf  7000.  Die  Jalire  nach  dem  Nikiasfriedeu 
brachten  eine  kleine  Besserung '),  die  aber  weitaus  aufgewogen 
wurde  durch  die  Verluste  des  sioilischen  und  dekeleischeu 
Krieges,  und  die  Opfer  der  Revolution.  Diese  Einbusse 
ziffernmässig  zu  bestimmen , fehlen  uns  die  nöthigen  An- 
haltspunkte. Da  indess  Athen  am  Ende  des  IV.  Jahrhunderts 
nicht  über  21 000  Bürger  gezählt  hat,  und  es  nicht  wahrschein- 
lich ist,  dass  die  Bürgerzahl  sich  im  Laufe  dieses  Jahrhunderts 
vermindert  haben  sollte,  so  werden  wir  für  403  nicht  über 
20000  Bürger  annehmen  dürfen.  Andererseits  aber  können 
wir  auch  nicht  weit  unter  diese  Zahl  herabgehen:  denn  wie 
wir  gesehen  haben,  zählte  Athen  im  Jahre  394  noch  8000  Bürger 
von  Hoplitencensus,  was,  dasselbe  Verhältniss  wie  vor  dem 
Kriege  angenommen,  gegen  10000  Theten  voraussetzen  würde. 
Auch  hatte  Attika  selbst  nach  dem  Ende  des  ]>eloponnesischen 
Krieges  von  allen  griechischen  Staaten  immer  noch  die  höchste 
Bürgerzahl2).  Die  Zald  der  Metoeken  mag  in  dieser  Zeit 
gegen  5000  betragen  haben. 

Am  Paule  des  IV.  Jahrhunderts  standen,  wie  wir  gesehen 
haben,  9000  Bürger  mit  einem  Vermögen  von  über  2000  Drach- 
men neben  12000,  die  diesen  Census  nicht  erreichten,  und 
10000  Metoeken.  Wenn  dann  im  Laufe  der  beiden  folgenden 
Jahrhunderte  die  Zahl  der  Bürger  von  Hoplitencensus  auf 
etwa  5000  herabsinkt,  so  folgt  daraus  noch  keineswegs,  dass 
sich  die  Gesammtzahl  der  Bürger  im  selben  Verhältniss  ver- 
mindert habe,  vielmehr  liegt  es  in  der  Natur  der  Sache,  dass 
die  Ungleichheit  des  Besitzes  immer  grösser  werden,  der  Mittel- 
stand immer  mehr  zusammenschmelzen  musste.  Standen  also 
in  Alexanders  Zeit  die  Besitzenden  zu  den  Nicht -Besitzenden 
wie  3 : 4,  so  mag  das  Verhältniss  in  der  Gracchenzeit  wie  3 : 5 
oder  3:6  gewesen  sein,  also  Athen  14—15000  Bürger  gezählt 

')  Thuk.  VI  12:  x« i fitfirijofrt«  /«ij  i)uü?  Sn  rttaaii  uno  roaov 
fi(yäXt]i  xtti  noltuov  fipet/i  ti  XeXaxf  yxetutr,  diare  xtci  yor.uuai  x«i  aaJ- 
finaiv  Tji/j-rjodtu. 

2)  Xen.  Hell.  II  3,  24:  iSiä  re  jö  noXvtir&QunOTttTtir  j tür  'HXXijr/itor 
Tyr  noXtr  f?rai. 


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Attika. 


75 


haben.  Denn  eine  Abnahme  der  BUrgerzahl,  namentlich  während 
des  II.  Jahrhunderts  ist  allerdings  hier  wie  im  übrigen  Griechen- 
land sehr  wahrscheinlich. 

4.  Die  Getreidespeiule  des  Jahres  445  4. 

Es  wird  jetzt  an  der  Zeit  sein,  eine  Angabe  zu  besprechen, 
die  zu  dem  oben  ül>er  die  Bevölkerung  Athens  im  V.  Jahr- 
hundert gewonnenen  Resultate  in  geradem  Gegensatz  zu  stehen 
scheint.  I'hilochoros  erzählte  in  seiner  Atthis,  dass  unter  dem 
Archon  Lysimachides,  445  4,  eine  aegyptische  Getreidespende 
unter  die  Bürgerschaft  zur  Vertheilung  gekommen  sei.  Bei 
dieser  Gelegenheit  sei  eine  Prüfung  der  Bürgerlisten  vorge- 
nommen worden,  4760  Athener  seien  ihres  angemaassten  Bürger- 
rechts für  verlustig  erklärt,  14240  als  echte  Athener  anerkannt 
worden l).  Böckh  hat  sich  über  die  Differenz  dieser  Angabe  mit 
den  Angaben  des  Thukydides  mit  grosser  Leichtigkeit  hinweg- 
gesetzt:  die  Bevölkerung  habe  sich  in  der  Zeit  von  145  bis 
431  etwas  vermehrt  2).  Dass  eine  solche  Vermehrung  stattge- 
funden hat,  soll  nicht  bestritten  werden;  sie  kann  aber  im 
besten  Falle  nur  wenige  Tausende  betragen  haben,  denn  Ein- 
bürgerungen Fremder  in  grossem  Maassstabe  waren  nach  der 
Reinigung  der  Bürgerschaft,  die  im  Jahre  445  vorgenommen 
war,  selbstverständlich  ausgeschlossen.  Eine  Vermehrung  der 
Bürgerschaft  aber  um  das  doppelte  durch  den  blossen  Ueber- 
schuss  der  Geburten  über  die  Todesfälle  in  14  Jahren  wird 
Niemand  behaupten  wollen.  , 

Die  Angaben  des  Thukydides  stehen  also  mit  denen  des 
I’hilochoros  in  unlöslichem  Widersprach;  und  der  Zeitgenosse 
Thukydides  hat  doch  ohne  Frage  den  grösseren  Ansprach  auf 


')  Philoch.  fr.  90  aus  Schol.  Arist.  Wespen  718,  und  ohne  Angabe 
der  Quelle  Piutarch  Perikies  87,  wo  in  Folge  eines  Schreibfehlers  14040 
gelesen  wird.  — Ueber  die  Chronologie  vergl.  Wiedemann,  Gesell.  Aegypt. 
von  Psaimnetich  I.  bis  Alexander  S.  253;  Gutschmid  bei  Sharpe,  Gesch. 
Aegypt.  1 113.  114;  Duncker,  Gesch.  d.  Alterth.  IX  99  A. 

*)  Staat  sh.  I 51. 


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Capitel  III. 


Glaub  Würdigkeit,  selbst  wenn  wir  das  Zeugniss  des  Philochoros 
selbst  hätten,  und  nicht  eine  Angabe  aus  zweiter  oder  dritter 
Hand.  Ganz  abgesehen  davon,  dass  schon  eine  ganz  oberfläch- 
liche Kenntniss  der  Geschichte  des  peloponnesischen  Krieges 
genügt,  uni  die  Ueberzeugung  zu  gewinnen,  dass  Athen  am 
Anfang  desselben  mehr  als  20000  Bürger  gehabt  haben  muss. 

Die  einfachste  Lösung  der  Schwierigkeit  wäre  natürlich 
die  Annahme  einer  Verderbniss  der  Zahlen  bei  Philochoros ; ist 
doch  nichts  häufiger,  als  dass  in  unseren  Handschriften  vor 
fivgtoi  oder  xt'/.tot  die  Zahl  der  Tausender  oder  Zehntausender 
ausgefallen  ist.  Es  könnte  also  an  unserer  Stelle  statt  1 Myriade 
und  4240  z.  B.  3 Myriaden  und  4240  gestanden  haben.  In- 
dess  gegenüber  der  doppelten  Ueberliefening  bei  Plutarch  und 
den  Aristopbanes  - Scholien  ist  diese  Annahme  doch  sehr  be- 
denklich. Noch  weniger  annehmbar  freilich  ist  die  Vermuthung 
Wachsmuths,  die  Spende  sei  blos  unter  die  städtische  Bevölke- 
rung vertheilt  worden  *) ; denn  eine  plebs  urbana  im  römischen 
Sinne  hat  es  in  Athen  niemals  gegeben,  und  eine  solche  Schei- 
dung von  Stadt  und  Land  war  auch  bei  der  Kleinheit  des 
Gebietes  ganz  unthunlich. 

Es  bleibt  also  kaum  etwas  anderes  übrig,  als  die  Annahme, 
dass  unsere  Getreidevertheilung  auf  die  ärmeren  Bürger  be- 
schränkt geblieben  ist.  Eine  solche  Bevorzugung  der  unbe- 
mittelten Klassen  ist  auch  sonst  in  dieser  Zeit  nachweisbar. 
So  enthält  die  einzige  Urkunde,  die  uns  über  die  Einzelheiten 
einer  Kleruchiengründung  unterrichtet,  die  Bestimmung,  dass 
nur  die  Theten  und  Zeugiten  zur  Theilnahme  an  der  Loosung 
um  die  Ackerparzellen  berechtigt  sein  sollten8).  Die  Möglich- 
keit wird  also  zuzugeben  sein,  dass  etwas  ähnliches  auch  für 
die  Getreidespenden  festgesetzt  worden  ist3).  Und  da  die 
Zeugiten  der  Hauptsache  nach  kleine  Grundbesitzer  waren,  die 


’)  AVachsmuth,  Stadt  Athen  I S.  565. 

*)  CIA.  I 31 ; t;  di  [B]gtitv  Ix  9träv  xal  ( tvyirtSv  Ural  toi{ 

«.To[t]*o;  f. 

*)  Deshalb  wird  bei  einer  Getreidespende  des  Jahres  299<8  ausdrück- 
lich bemerkt,  dass  sie  „allen  Athenern“  (nnaiv  ’A&rjvalois)  zu  gute  ge- 
kommen sei  (CIA.  II  314).  Es  war  also  nicht  immer  der  Fall. 


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Attika. 


77 


ihren  eigenen  Bedarf  an  Getreide  producirten,  so  lag  es  nahe, 
die  Vertheilung  auf  die  Theten  zu  beschränken.  Jedenfalls  ist 
die  Zahl  der  Empfänger,  die  Philoehoros  angiebt,  viel  zu  klein 
für  Theten  und  Zeugiten  zusammen;  denn  es  liegt  in  der  Natur 
der  Sache,  dass  die  Zeugiten  zahlreicher  sein  mussten,  als  die 
Bürger  der  beiden  ersten  Vermögensklassen. 

Doch  betrachten  wir  uns  jetzt  die  Zahlen  bei  Philoehoros 
etwas  näher.  Die  Addition  der  beiden  Einzel posten  14  240  und 
4760  ergiebt  genau  19000.  Anzunehmen,  „dass  die  Summanden 
absichtlich  soweit  modificirt  seien,  um  ein  rundes  Resultat  zu 
ergeben“  *),  scheint  mir  ein  Widersinn.  Denn  erstens  giebt 
weder  Plutarch,  noch  der  Scholiast  zu  Aristophanes  die  Summe 
von  19000,  und  es  fehlt  also  jede  Berechtigung  zu  der  An- 
nahme, dass  sie  bei  Philoehoros  gestanden  habe ; zweitens  aber, 
welcher  Grund  ist  denn  denkbar,  warum  Philoehoros  die  runde 
Summe  hätte  geben  sollen,  wenn  ihm  das  Material  zu  Gebote 
stand,  eine  ganz  genaue  Zahl  zu  erhalten.  Wollte  er  über- 
haupt mit  runden  Zahlen  rechnen,  so  hätte  er  schon  die  Einzel- 
posten abrunden  müssen.  Die  runde  Summe  von  19000  führt 
uns  vielmehr  auf  eine  ganz  andere  Folgerung;  sie  giebt  uns, 
wie  ich  glaube,  den  Beweis,  dass  nicht  beide  Zahlen  — 14240 
und  4760  — auf  statistischer  Erhebung  beruhen,  sondern  nur 
die  eine  von  ihnen,  während  die  andere  durch  Subtraction  dieser 
Zahl  von  19000  gefunden  ist. 

Es  fragt  sich,  welche;  oder  mit  anderen  Worten:  über 
welche  der  beiden  Zahlen  konnten  Philoehoros  statistische  An- 
gaben zu  Gebote  stehen?  Die  Antwort  kann  nicht  zweifelhaft 
sein.  Die  Zahl  derer,  die  ihren  Antheil  an  dem  aegyptischen 
Getreide  in  Empfang  genommen  hatten,  musste  in  den  Rech- 
nungen verzeichnet  stehen;  und  wenn  nicht,  liess  sie  sich  aus 
der  Menge  des  überhaupt  vertheilten  Getreides,  und  dem  An- 
theil  jedes  einzelnen  ohne  Mühe  berechnen2).  Dagegen  ist 


')  Kränkei,  Geschworenengerichte  S.  4. 

*)  In  unserem  Aristopkanes-Scliolion'  ;sind  die  hierauf  bezüglichen 
Zahlen  verderbt,  wie  schon  der  Scholiast  selbst  gesehen  hat.  Es  sollen 
30  000  Medimnen  vertheilt  worden  sein,  und  jeder  Bürger  5 Medimnen  em- 


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78 


Capitel  III. 


kaum  abzuselien,  wie  Philochoros  eine  Angabe  über  die  Zahl 
der  TcctQtyyQucf  oi  hätte  erhalten  können.  Erfolgte  ihre  Aus- 
stossung  durch  dtmfiqqnotg,  was  freilich  nicht  wahrscheinlich 
ist,  so  hätte  Philochoros  die  h£iaQyr/.a  ygaftfiartia  aller  170 
Deinen  daraufhin  durchstudiren  müssen,  was  zu  seiner  Zeit 
eine  materielle  Unmöglichkeit  war:  abgesehen  von  allem  anderen, 
weil  diese  Archive  gar  nicht  mehr  vollständig  vorhanden  waren. 
Geschah  dagegen  die  Ausstossung  der  unberechtigten  Bürger 
auf  dem  Wege  der  ygacprj  | eviag '),  so  wurde  über  jeden  Fall 
vor  Gericht  einzeln  verhandelt  und  Philochoros  hätte  im  Be- 
sitze sämmtlicher  Akten  sein  müssen,  um  die  Summe  aus  allen 
diesen  Fällen  zu  ziehen.  Wir  sehen,  so  einfach  es  für  den 
Historiker  war,  sich  die  genaue  Zahl  der  Getreideempfänger  im 
Jahre  445  4 zu  verschaffen,  so  schwierig,  um  nicht  zu  sagen 
unmöglich  musste  es  für  ihn  sein,  auf  directem  Wege  die  Zahl 
derer  zu  erfahren,  die  wegen  mangelnder  Berechtigung  an  der 
Spende  keinen  Antheil  erhielten.  Es  kann  also  gar  kein  Zweifel 
sein,  dass  er  diese  Zahl  durch  Rechnung  gefunden  hat,  und 
dass  die  einzige  auf  statistischer  Erhebung  beruhende  Angabe 
die  Zahl  von  14240  Getreideempfängern  ist. 

Hier  erhebt  sich  nun  natürlich  die  Frage:  was  waren  die 
Grundlagen  der  Berechnung  des  Philochoros?  Mit  anderen 
Worten:  was  bedeutet  die  Zahl  19000,  von  der  er  die  andere, 
14240,  abzog,  um  die  Zahl  der  naQtyygacpoi  zu  erhalten? 
Oder  wenigstens,  was  hat  Philochoros  sich  dabei  gedacht? 
Offenbar  doch  die  Summe  aller  derer,  die  vor  der  Xenelasie 
als  zum  Empfang  der  Getreidespenden  berechtigt  gegolten  hatten. 
Da  nun  statt  19000  nur  14240  wirklich  ihren  Antheil  erhielten, 
so  lag  der  Schluss  sehr  nahe,  dass  die  übrigen  4760  eben  in 
Folge  jener  Maassregel  ihrer  Berechtigung  verlustig  gegangen. 


ptangen  haben.  Wahrscheinlich  stand  bei  Philochoros /o/rtanf  r'fitdi/jvovs  llr 
vielleicht  mit  Abkürzung  geschrieben,  woraus  dann  durch  Missverständnis^ 
jitrte  uctUjurnvs  geworden  ist.  Kin  Antheil  von  je  2 Medimnen  5 Choenikes 
ergiebt  hei  14240  Empfängern  29963  V»  Medimnen.  Poch  können  die  •> 
Medimnen  auch  einfach  aus  Aristophanes  eingesetzt  sein  ( Wespen  717). 

')  Philippi,  Bürgerrecht  S.  36  ff.;  Duncker,  SiUiuigsher.  der  Beil. 
Mod.  1883  S.  935  -48. 


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Attika. 


79 


mit  anderen  Worten,  ihres  Bürgerrechtes  beraubt  worden  waren. 
Dabei  ist  vorausgesetzt,  dass  alle  Berechtigten  sich  auch  wirk- 
lich gemeldet  haben:  und  in  dieser  Voraussetzung  eben  liegt 
das  bedenkliche  des  Schlusses,  und  überhaupt  der  ganzen  Be- 
rechnung, wie  sie  Plutarch  und  das  Scholion  zu  Aristophanes 
nach  Philochoros  bieten.  Denn  diese  Berechnung  kennt  keine 
dritte  Kategorie  neben  den  Getreideempfilngem  (haflövreg)  und 
den  JcaQtyyQatfoi.  Und  doch  musste  es  eine  beträchtliche 
Menge  von  Bürgern  gelten,  die  verhindert  waren,  sich  zur 
Empfangnahme  ihres  Antheils  zu  melden1),  sei  es  wegen  Ab- 
wesenheit von  Attika  zu  Handelszwecken  oder  auf  der  Kriegs- 
flotte, sei  es  durch  Krankheit  oder  auch  aus  Furcht  vor  den 
Chicanen  einer  yQccrprj  geviag,  die  Aristophanes  uns  so  drastisch 
geschildert  hat 2).  Diese  alle  aber  mussten  einen  grossen,  wahr- 
scheinlich den  weit  überwiegenden  Theil  jener  4760  Männer 
ausmachen,  die  Philochoros  einfach  in  Bausch  und  Bogen  als 
naqiyyQtufoi  auffasste.  Wir  sehen  also,  die  Reinigung  der 
attischen  Bürgerschaft  im  Jahre  445/4  hat  sich  in  sehr  viel 
engeren  Grenzen  bewegt,  als  man  bisher  annahm;  und  die 
schauderhafte  Mär,  dass  damals  ll*  der  bürgerlichen  Bevölke- 
rung Attikas  entrechtet  oder  gar  in  die  Sklaverei  verkauft 
worden  sei,  ist  aus  der  griechischen  Geschichte  zu  streichen. 

Gegenüber  dem  so  gewonnenen  Resultat  ist  es  sehr  gleich- 
gültig, ob  Philochoros  unter  jenen  19000  die  Summe  aller 
Bürger  oder  nur  die  Theten  verstanden  hat.  Möglich,  dass 
ihm  in  der  That  eine  Angabe  über  die  Zahl  der  Theten  um  die 
Mitte  des  V.  Jahrhunderts  Vorgelegen  hat;  möglich  auch,  dass 
er  einfach  die  Zahl  der  Bürger,  wie  sie  zu  seiner  eigenen  Zeit 
war,  auf  die  i>erikleische  Zeit  übertrug.  Die  Entscheidung  wird 
Abhängen  von  dem  Grade  des  statistischen  Verständnisses,  das 
wir  Philochoros  zuzuschreiben  geneigt  sind. 

Ich  muss  schliesslich  noch  einen  Einwand  berücksichtigen, 
der  gegen  die  hier  vertretene,  statistisch  einzig  mögliche  Auf- 
fassung der  Zahlen  bei  Philochoros  geltend  gemacht  worden 


*)  Wilamowitz,  Aus  Kydathen  S.  23  A.  42. 
s)  Wespen  718. 


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Capitel  III. 


ist  Herr  Frankel  behauptet  nämlich  *),  „es  könnte  für  einen 
demokratischen  Staat  keine  gehässigere  Maassregel  geben,  als 
eine  umfassende  Revision  der  Bürgerlisten  auf  die  Aenneren 
zu  beschränken“.  Dabei  ist  vorausgesetzt,  dass  die  Revision 
der  Burgerlisten  überhaupt  eine  gehässige  Maassregel  war.  Das 
war  sie  nun  aber  keineswegs : ganz  im  Gegentheil,  sie  war  eine 
sehr  populäre  Maassregel,  wie  man  schon  daraus  sehen  kann, 
dass  sie  von  dem  Führer  der  radicalen  Demokratie,  von  Perikies 
ausging2).  Ganz  ebenso  ist  die  Diapsephisis  des  Jahres  346  5 
von  der  demosthenischen,  d.  h.  ebenfalls  der  radicalen  Partei 
ausgegangen.  Und  das  ist  auch  sehr  begreiflich:  je  kleinei- 
der  Kreis  der  zum  Empfang  der  Spenden  aus  öffentlichen 
Mitteln  berechtigten,  desto  grösser  wird  der  Antheil  jedes  ein- 
zelnen. So  war  ja  auch  in  Rom  der  städtische  Pöbel  das 
hauptsächlichste  Hinderniss  für  die  Ertheilung  des  römischen 
Bürgerrechts  an  die  italischen  Bundesgenossen.  Da  nun  die 
oberen  Klassen  so  wie  so  an  der  Vertheilung  des  Getreides 
nicht  participirten,  so  hatte  die  Menge  auch  gar  kein  Interesse  an 
einer  Revision  der  Bürgerlisten  dieser  Klassen : ohnehin  musste 
aus  naheliegenden  Gründen  die  weit  überwiegende  Anzahl 
der  naqiyyqaffoi  dem  niederen  Volke  angehören.  Endlich 
aber,  und  das  ist  die  Hauptsache,  hat  höchst  wahrscheinlich 
eine  diaipr^taig  überhaupt  im  Jahre  445/4  nicht  stattgefunden, 
sondern  nur  eine  Untersuchung  der  Qualification  bei  denen, 
die  sich  zum  Empfang  der  Spende  meldeten,  ganz  wie  in  dem 
analogen  Falle,  auf  den  Aristophanes  in  den  Wespen  anspielt. 

Das  Ergebiiiss  dieser  Untersuchung  ist  also,  dass  im  Jahre 
445  4 14240  Bürger  der  Thetenklasse  ihren  Antheil  an  einer 
Getreidespende  in  Empfang  genommen  haben8).  Rechnen  wir 
diejenigen  hinzu,  die  sich  wegen  des  einen  oder  anderen 
Grundes  nicht  meldeten,  ferner  den  natürlichen  Zuwachs  wäh- 
rend der  13  Jahre  bis  zum  Ausbruch  des  peloponnesischen 
Krieges,  so  gelangen  wir  auf  etwa  dieselbe  Zahl  von  Theten 


’)  Geschworenengerichte  S.  4. 

s)  Das  war  dieser  damals,  vor  dem  Ostrakismos  des  Thukydides. 
*)  So  auch  Duncker,  Gesell,  d.  AHerth.  IX  411  A.  2. 


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Attika. 


81 


im  Jahre  432/1,  die  sieh  uns  oben  auf  Grund  der  Angaben  des 
Thukydides  ergeben  hat.  Also  weit  entfernt,  durch  die  An- 
gaben des  Philochoros  widerlegt  zu  werden,  wird  unser  obiges 
Ergebniss  vielmehr  dadurch  in  vollem  Maasse  bestätigt. 

5.  Die  Klerncheii. 

Um  nun  die  Gesammtzahl  der  attischen  Bürger  zu  er- 
halten, müssten  wir  zu  den  in  Attika  selbst,  sei  es  thatsächlich 
wohnhaften,  sei  es  rechtlich  domicilirten  Bürgern  die  Kleruehen 
hinzurechnen.  Allerdings  nicht  alle  Kleruehen.  Denn  die  atti- 
schen Ivleruchien  zerfallen  in  zwei  Klassen,  je  nachdem  sie  in 
Gebieten  gegründet  sind,  deren  alte  Bewohner  vertrieben  waren, 
oder  die  Ansiedler  im  Gebiete  noch  bestehender  Staaten  Grund- 
besitz empfangen  hatten.  Zu  der  ersteren  Kategorie  gehören  von 
den  432/1  bestehenden  Kleruchien  Salamis,  Lemnos,  Imbros, 
Skyros,  Oreos,  Brea;  von  denen  späterer  Zeit  Aegina,  Potidaea, 
Melos,  Samos;  zu  der  zweiten  Kategorie  die  Ansiedlungen  im 
übrigen  Euboea,  auf  Andros,  Naxos,  Lesbos  und  dem  Chersonnes. 
Die  Kleruchien  der  ersten  Kategorie  bilden  eigene  Gemeinden, 
und  ihre  Truppen  fechten  im  Kriege  in  eigenen  Abtheilungen; 
die  Kleruehen  der  zweiten  Kategorie  behalten  ihren  legalen, 
und  grösstentheils  wohl  auch  ihren  factischen  Wohnsitz  in  Athen, 
und  dienen  im  Kriegsfall  in  den  alten  Phylenverbänden  *).  Der 
Zweck  dieser  letzteren  Kleruchien  war  einfach  ein  socialpoliti- 
scher : Versorgung  der  Annen;  der  Zweck  der  Kleraehien  der 
anderen  Art  ein  socialpolitisch-militärischer.  Jeder  Vergleich 
hinkt;  aber  es  möge  doch  wenigstens  auf  die  Analogie  hinge- 
wiesen werden,  die  zwischen  diesen  beiden  Arten  attischer 
Kleruchien  und  der  römischen  Colonial-  und  Viritanassignation 
besteht.  Die  Kleruehen  der  zweiten  Kategorie  sind  oben  in 
der  Bürgerzahl  Athens  natürlich  eingerechnet,  denn  sie  waren 
einfach  Athener,  die  ausserhalb  Attikas  Grundbesitz  hatten, 
nur  dass  dieser  Grundbesitz  nicht  gekauft,  sondern  vom  Staate 


*)  Es  muss  einem  anderen  Ort  Vorbehalten  bleiben,  diese  Auffassung 
näher  zu  begründen. 

Beloch,  Btsvölkerungilehre.  I.  6 


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82 


Capitel  III. 


geschenkt  war.  Dagegen  sind  die  Bürger  der  Kleruchenge- 
meinden  ölten  ausgeschlossen.  Thukydides  unterscheidet  ihre 
Contingente  stets  sorgfältig  von  den  eigentlich  attischen  Trap- 
pen *) ; auch  in  den  officiellen  Verlustlisten  werden  sie  gesondert 
aufgeführt2).  Dass  sie  hei  der  Uebersicht,  der  Athen  im  Jahre 
431  zu  Gebote  stehenden  Streitkräfte  nicht  einbegriffen  sind, 
geht  aus  den  Angaben  des  Thukydides  über  die  Stärke  des 
attischen  Heeres  bei  dem  Einfall  in  Megaris  im  Herbste  dieses 
Jahres  hervor;  Thukydides  lässt  dabei  die  volle  Stärke  der 
attischen  Feldtrappen  ausrücken,  erwähnt  aber  eine  Heran- 
ziehung der  Kleraehen  mit  'keinem  Worte,  wie  sie  in  der  That 
auch  sehr  überflüssig  gewesen  wäre. 

Was  nun  die  Zahl  der  Kleraehen  angeht,  so  hören  wir, 
dass  nach  Brea  10008),  nach  Oreos  gleichfalls  10004),  oder 
nach  anderer,  wie  es  scheint  besserer  Angabe  die  doppelte 
Zahl5)  Colonisten  geführt  worden  sind.  Dazu  kommen  weiter 
Salamis,  Skyros  und  namentlich  Lemnos  und  Imbros,  damals 
die  bedeutendsten  aller  Kleruchien,  wie  das  starke  Hervortreteu 
ihrer  Contingente  beweist.  Der  Flächeninhalt  dieser  Inseln, 
einschliesslich  Halonnesos  (Hagiosiraii)  beträgt  1085  qkm, 
also  reichlich  */#  des  Areals  von  Attika  selbst;  davon  ent- 
fallen 476,8  qkm  auf  Lemnos.  Die  Getreideproduction  von 
Lemnos  betrag  im  Jahre  329/8  248475  Medimnen  Gerste  und 
56  750  Medimnen  Weizen,  gegenüber  einer  Getreideproduktion 
Attikas  von  etwa  400000  Medimnen8).  Rechnen  wir  3000 
Bürger  auf  Lemnos7),  je  1000  auf  Imbros  und  Skyros,  500 

’)  Z.  B.  die  Kleruchen  von  Lemnos  und  Imbros  III  5,  IV  28,  V 8, 
VII  57,  die  von  Aegina  VIII  69. 

2)  CIA.  I 443.  444. 

а)  Pint  Perikies  11:  ft(  QQiixtjv  /Mo  v(  Jitankrait  avroixfflovras, 
eine  Angabe,  die  doch  wohl  ohne  Zweifel  auf  Brea  zu  beziehen  ist. 

4)  Epboros  bei  Diod.  XII  22. 

*)  Theopom]),  bei  Strabon  S.  445. 

б)  Foucart,  Bulletin  de  Corresp.  HeU.  VIII  (1884)  S.  211  und  oben 
8.  32.  Dort  ist  durch  ein  Versehen  die  Weizenproduction  um  100  Me- 
dimnen zu  niedrig  angegeben. 

7)  Auch  dass  die  Pest,  ehe  sie  nach  Athen  kam,  Lemnos  verheerte 
(Thnk.  II  47),  zeugt  fiir  verhältnissmiissig  starke  Bevölkerung  der  Insel. 


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Attika. 


83 


auf  Salamis,  was  gewiss  nicht  zu  ltocli  sein  wird  — 5 Bürger 
auf  1 qkm  gegen  18  in  Attika  — , so  würden  sämmtliche 
zu  Anfang  431  bestehenden  Kleruehengeineinden  7500—8500 
Bürger  gezählt  haben;  wir  werden  der  Wahrheit  näher  kommen, 
wenn  wir  in  runder  Zahl  10000  annehmen1).  Danach  können 
wir  die  Zahl  aller  attischen  Bürger  zu  Anfang  431  auf  etwa 
45  000  veranschlagen. 

Im  Laufe  des  peloponnesischen  Krieges  sind  Kleruchen- 
geiueindeu  in  Aegina  (431),  I’otidaea  (429)  und  Melos  (416)  be- 
gründet worden.  Wie  viele  Ansiedler  nach  Aegina  gingen,  wissen 
wir  nicht,  es  werden  wenigstens  500,  vielleicht  1000  gewesen 
sein;  nach  I'otidaea  gingen  1000 2),  nach  Melos  500 8).  Dagegen 
sind  die  2700  attischen  Bürger,  die  427  auf  Lesbos  Grundbesitz 
erhielten,  ohne  Zweifel  zum  grössten  Theile  in  Athen  geblieben 
und  haben  dort  ihren  legalen  Wohnsitz  behalten.  Das  ergiebt 
sich  ebensowohl  aus  den  Ereignissen  des  Jahres  412,  wie  daraus, 
dass  die  Grundstücke  auf  Lesbos  von  den  Kleruchen  nicht 
selbst  bewirthschaftet  wurden. 

In  Folge  des  Friedensschlusses  von  404  wurden  Lemnos, 
Imbros  und  Skyros  vom  Staate  getrennt,  und  aus  Oreos,  Aegina, 
I’otidaea,  Melos,  wohl  auch  aus  Brea  die  attischen  Colonisten 
vertrieben.  Im  IV.  Jahrhundert  sind  nicht  nur  Lemnos,  Im- 
bros und  Skyros  zurückerworben,  sondern  auch  neue  Kleruchien 
ausgeführt  worden:  363  nach  Potidaea,  die  freilich  nur  kurze 
Zeit  Bestand  hatte,  nach  dem  thrakischen  Chersones,  und 
namentlich  nach  Samos,  wohin  352/1  2000  attische  Bürger, 
später,  wie  es  scheint,  noch  weitere  Colonisten  gesandt  wurden4). 
Es  mögen  also  auch  jetzt  an  10000  athenische  Bürger  ausserhalb 
Attikas  angesiedelt  gewesen  sein,  und  die  Gesammtbürgerzahl 
des  Staates  mag  an  30000  betragen  haben. 


Wie  Thuk.  II  54  sagt:  (mvil/juxo  di  L4#>Jv«c  ftiv  ftitXioxit,  fntixn  di 
xiu  uov  itXXtov  xtootaiv  xii  7xiXiav9Qaj7i6xttxn. 

')  Ebenso  Duncker,  (fesch,  d.  Atterth.  IX  238. 

*)  Diod.  XII  46. 
a)  Thuk.  V 116. 

4)  Schäfer,  Demosth.  I2  S.  99  A.  und  unten  Cap.  VI  1. 

6* 


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Capitel  III. 


6.  Die  Sklavenzahl. 

Ueber  die  Sklavenzahl  Attikas  haben  wir  aus  dem  Alter- 
thuin  nur  eine  einzige  bestimmte  Angabe,  die  schon  erwähnte 
Zählung  unter  Demetrios  von  Phaleron,  die  nach  Athenaeos 
400000  Sklaven  ergeben  haben  soll.  In  einem  Athem  damit 
erzählt  unser  Gewährsmann,  dass  Aegina  „einst“  470000,  Ko- 
rinth 460  000  Sklaven  gehabt  hätte  *).  Er  beruft  sich  dafür  auf 
glänzende  Autoritäten:  für  Aegina  auf  Aristoteles,  für  Korinth 
auf  Timaeos,  für  Athen  auf  einen  gewissen  Ktesikles,  über  den 
sonst  allerdings  nichts  bekannt  ist,  der  aber  offenbar  aus  offi- 
ciellen  Materialien  geschöpft  hat,  wie  seine  Angaben  über  die  Zahl 
der  Bürger  und  Metoeken  beweisen,  die  durchaus  das  Gepräge  der 
Wahrheit  tragen  (s.  oben  S.  57).  Aber  nur  der  blinde  Buch- 
stabenglaube kann  irgend  einer  Autorität  zu  Liebe,  und  sei  es 
der  höchsten,  Dinge  annehraen,  die  der  gesunden  Vernunft 
widersprechen.  Die  Insel  Aegina  hat  kaum  zwei  geographische 
Quadratmeilen  Flächenraum ; zur  Bebauung  des  felsigen  Bodens 
sind  einige  Tausend  Arbeiter  ausreichend  *) ; mindestens  46  von 
jenen  47  Myriaden  Sklaven  müssten  also  in  der  Hauptstadt  con- 
centrirt  gewesen  sein.  Dann  wäre  Aegina  die  grösste  hellenische 
Stadt  gewesen,  dreimal  so  gross  als  das  perikleische  und  demo- 
sthenische  Athen,  und  nicht  kleiner  als  Alexandrien  zu  Caesars 
Zeit.  Es  hilft  auch  sehr  wenig,  wenn  wir  etwa  annehmen 
wollten,  ein  Theil  dieser  Sklaven  sei  „auf  den  Schiffen  und  in 
den  auswärtigen  Etablissements“  beschäftigt  gewesen8);  denn 
wie  bekannt,  wurden  die  griechischen  Handelsschiffe  nicht  durch 
Ruder  getrieben,  sodass  sie  eine  verhältnissmässig  sehr  geringe 
Bemannung  erforderten;  und  Ilandelsfactoreien,  wie  z.  B.  die- 


*)  Athenaeos  VI  S.  272  B.  D,  filr  Aegina  aueli  Schot.'  Pind.  Olymp. 
VIII  30. 

2)  Die  Insel  ist  noch  heute  ziemlich  gut  angehaut  (Bursian,  Geographie 
II  83),  zählte  aber  mit  Angistri  (Kekryphaleia)  1879  nur  6646  Einwohner, 
die  noch  dazu  zum  grossen  Theil  vom  Handel  leben. 

3)  Bursian,  Geographie  i>.  Griech.  II  79. 


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Attika. 


85 


jenige,  die  Aegina  in  Naukratis  unterhielt1),  konnten  ebenfalls 
nur  eine  sehr  massige  Zahl  von  Sklaven  beschäftigen.  Colonien 
aber  hat  Aegina  überhaupt  nicht  gegründet.  Die  Bürgerzahl 
der  Insel  im  V.  Jahrhundert  kann  2000  nicht  viel  überschritten 
haben2).  Es  wären  also  auf  jeden  Bürger  im  Durchschnitt 
235  Sklaven  gekommen,  sechsmal  so  viel,  als  der  Vater  des 
Demosthenes  besessen  hat,  einer  der  reichsten  Bürger  und 
grössten  Industriellen  Athens  im  IV.  Jahrhundert.  Dass  Nikias 
1000  Sklaven  besass,  galt  als  etwas  ausserordentliches,  und  die 
Zahl  ist  auch  wahrscheinlich  übertrieben;  in  Aegina  hätte  es 
Dutzende  von  Bürgern  geben  müssen,  die  ebenso  viele  oder  noch 
mehr  besassen.  Und  abgesehen  von  allem  anderen,  wo  hätte 
eine  so  grosse  Sklavenzahl  denn  herkommen  sollen  ? Die  Angabe 
des  Aristoteles  kann  sich  doch  nur  auf  die  Zeit  der  höchsten 
Blüthe  Aeginas  beziehen,  zwischen  den  Perserkriegen  und  der 
athenischen  Eroberung;  und  es  bedarf  wohl  kaum  der  Bemer- 
kung, dass  in  so  früher  Zeit  an  eine  solche  Sklavenzahl  nicht 
zu  denken  ist.  Traurig  genug,  dass  Dinge,  die  schon  so  unzählige 
Male  gesagt  worden  sind,  noch  immer  wiederholt  werden  müssen. 

Nicht  besser  steht  es  mit  der  Angabe  über  die  Sklaven- 
zahl der  Korinthier.  Auch  hier  konnte  bei  der  Kleinheit  und 
Unfruchtbarkeit  des  Gebietes  für  den  Ackerbau  nur  ein  ver- 
schwindender Bruchtheil  jener  460000  Sklaven3)  verwendet 
werden;  alle  übrigen  mussten  in  der  Stadt  mit  industriellen 
Arbeiten  beschäftigt  sein.  Da  die  Angabe  Tiinaeos  entnommen 
sein  soll,  der  keineswegs  von  der  eigenen  Zeit,  sondern  von 
der  Vergangenheit  redet,  so  kann  sie  auf  keine  andere  Periode 
als  die  der  Blüthezeit  Korinths  vor  dem  peloponnesischen  Kriege 
bezogen  werden.  Nun  wissen  wir,  dass  Athen  damals  die  bei 
weitem  volkreichste  griechische  Stadt  war;  und  in  der  That 
betrag  der  Umfang  des  Asty  wie  des  Peiraeeus  je  60  Stadien, 


•)  Herod.  II  178. 

*)  S.  unten  S.  122  f. 

a)  Als  ob  es  mit  der  Angabe  des  Athenaeos  noch  nicht  genug  wäre, 
giebt  Bursian  ( Geogr . v.  Griech.  II  S.  13  A.  2)  durch  einen  Druck-  oder 
Schreibfehler  die  Sklavenzahl  von  Korinth  zu  640000  an. 


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86 


Capitel  111. 


während  Korinth  nur  40,  oder  unter  Einschluss  der  Akropolis 
und  ihrer  Verbindungsmauem  mit  der  Stadt  85  Stadien  Um- 
fang hatte.  Athen  aber  kann,  den  Peiraeeus  eingerechnet,  zu 
Perikies’  Zeit  nicht  inehr  als  100 — 150000  Einwohner  gezählt 
haben,  sodass  sich  für  Korinth  ein  Maximum  der  Bevölkerung 
von  80 — 100  000  Seelen  ergiebt.  Die  freie  Bevölkerung  des 
Staates  mochte  etwa  30—40000  Seelen  betragen,  wovon  doch 
mindestens  die  Hälfte  auf  die  Hauptstadt  kommen  muss;  das 
ergiebt  für  diese  höchstens  CO — 80000  Sklaven,  wozu  dann 
noch  einige  Tausend  für  das  Landgebiet  zu  rechnen  wären. 
Hätte  Korinth  auch  nur  annähernd  soviel  Sklaven  besessen, 
wie  Athenaeos  angiebt,  so  musste  es  der  Stadt  ein  leichtes  sein, 
die  90  Trieren,  die  sie  433  2 gegen  Korkyra  aufstellte,  aus 
eigenen  Kräften  zu  bemannen,  denn  das  Erfordemiss  dafür  be- 
trug nicht  mehr  als  18000  Manu;  statt  dessen  sah  Korinth 
sich  genöthigt  , Seeleute  in  grosser  Zahl  im  Auslande  anzu- 
werben1). Auch  60000  Sklaven  bilden  noch  immer  eine  ge- 
waltige Ueberlegenheit  gegenüber  den  Bürgern,  und  der  Aus- 
druck yoivi/.ouixQai , den  das  Orakel  von  den  Korinthiem 
braucht,  als  ob  ihre  Hauptbeschäftigung  darin  bestände,  den 
Sklaven  ihre  tägliche  Ration  zuzumessen,  bleibt  auch  so  noch 
völlig  gerechtfertigt.  Kommen  doch  auf  jeden  korinthischen 
Bürger  von  Hoplitenschatzung  im  Durchschnitt  noch  15  Sklaven. 

Es  ist  denn  auch  unter  allen  Urtheilsfähigen  nur  eine 
Stimme  über  die  absolute  Unhaltbarkeit  dieser  von  Athenaeos 
überlieferten  Sklavenzahlen.  Hume  findet  sie  „ganz  absurd 
und  unmöglich“2);  Niebuhr  erklärt  „die  lächerlichen  Zahlen 
der  Knechte  zu  Korinth  und  Aegina  der  Erwägung  eines  ernsten 
Mannes  unwürdig“ 3).  Derselben  Ansicht  sind  Clinton4),  Wallon*) 
und  Andere.  Sogar  Böckh,  so  sehr  er  von  seinem  Standpunkte 
aus  Gnind  gehabt  hätte,  diese  Zahlen  aufs  äusserste  zu  ver- 

*)  Thuk.  I 31.  35. 

2)  Essays  I 427  A.  9 : entirely  absurd  and  imiiossible. 

3)  R.  Gesch.  II  80. 

*)  Fasti  HeUenici  II*  423. 

B)  Histoire  de  V Esclavage  I*  277  f. 


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Attika. 


87 


theidigen,  „will  sie  gern  für  übertrieben  halten“  *),  wenn  er  sie 
auch  andererseits  nicht  unbedingt  verwerfen  mag.  Erst  Böckhs 
Nachfolger  haben  den  Muth  gefunden,  das  absurde  als  glaub- 
lich darzustellen  *),  damit  aber  freilich  nichts  anderes  bewiesen, 
als  ihre  eigene  Incompetenz  in  national  ökonomischen  Dingen. 

Wir  werden  demnach  allen  Grund  haben,  auch  der  Angabe 
über  die  Sklavenzahl  Athens,  die  Athenaeos  zugleich  mit  den 
besprochenen  Zahlen  vorbringt,  von  vornherein  ein  starkes 
Misstrauen  entgegenzubringen.  Freilich  springt  die  Absurdität 
liier  weniger  in  die  Augen;  und  so  ist  es,  um  Niebuhrs  Worte 
zu  brauchen,  „begreiflich,  wie  selbst  geistreiche  Männer,  die 
nur  nicht  gewohnt  sind,  sich  philologische  Ueberlieferung  als 
würklieh  zu  vergegenwärtigen,  dadurch  betrogen  werden  konnten“. 

Bereits  Hume  hat  die  Unmöglichkeit  der  von  Athenaeos 
aus  Ktesikles  angeführten  Sklavenzahl  ausführlich  zu  erweisen 
versucht.  Er  kommt  zu  dem  Resultate,  dass  diese  Zahl  wenig- 
stens um  das  Zehnfache  übertrieben  ist,  und  Athen  höchstens 
40000  erwachsene  Sklaven  männlichen  Geschlechts,  oder  eine 
Sklavenbevölkerung  von  160000  gezählt  haben  könne8).  Den 
Ausführungen  Humes  haben  sich  Letronne4)  und  W'allon5)  im 
wesentlichen  angeschlossen;  ersterer  gelangt  auf  100 — 120000. 
letzterer  auf  Grund  einer  sehr  detaillirten  Untersuchung  auf 
201 000  Sklaven  jeden  Geschlechts  und  Alters.  Dagegen  hat 
Böckh  an  der  Zahl  des  Athenaeos  festhalten  zu  müssen  geglaubt 
und  darin  an  Clinton  und  Moreau  de  Jonnös  Nachfolger  ge- 
funden, ausserdem  natürlich  an  allen  denen,  die  sogar  die  für 
Aegina  und  Korinth  überlieferten  Sklavenzahlen  vertheidigen. 


')  Staat  sh.  I 57. 

2)  Bursian,  Geographie  II  13  und  79;  Büchsenschütz,  Besitz  und  Er- 
werb S.  140  f.;  Hermann  - Stark,  Privatalterthümer  S.  5;  Kastorchis, 
raior  V 125. 

3)  Hume,  Essays  I 419:  But  in  tny  opinion  there  is  no  point  of 
criticisme  more  certain,  than  that  Athenäen»  and  Ctesicles,  tehom  he  quotes, 
are  mistaken,  and  that  the  n umher  of  slaves  is,  at  least,  augmented  by  a 
irliole  cypher,  and  ought  not  to  be  regarded  as  more  than  40000. 

*)  Mein,  de  VJnstitut,  Acad.  des  Inscr.  et  helles  Lettres  VI  165  ff. 

5)  Histoire  de  VEsclarage  Is  S.  222  —277. 


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88 


Capitel  III. 


Allerdings  muss  Böckh  dabei  gleich  von  vornherein  von 
einer  willkürlichen  und  schwer  zu  rechtfertigenden  Voraus- 
setzung ausgehen.  Denn  mag  die  Veranlassung  für  die  Zählung 
unter  Demetrios  von  Phaleron,  auf  die  sieh  die  Angaben  des 
Ktesikles  beziehen,  gewesen  sein  welche  sie  will:  rein  statisti- 
sches Interesse,  oder  der  Wunsch,  die  Stärke  der  Wehrkraft 
Athens  kennen  zu  lernen,  so  musste  entweder  die  Gesammt- 
bevülkerung,  oder  die  erwachsene  männliche  Bevölkerung,  aber 
für  alle  Klassen  der  Bewohner  des  Landes  ermittelt  werden. 
Nun  bezieheu  sich  die  Angaben  des  Ktesikles  über  die  Zahl 
der  Bürger  und  Metoeken  zweifellos  nur  auf  die  erwachsenen 
Männer;  die  Angabe  über  die  Sklavenzahl  muss  also  in  dem- 
selben Sinne  zu  verstehen  sein.  Sonst  läge  in  der  ganzen 
Zählung  weder  Sinn  noch  Verstand.  Wenn  Böckh  sich  dieser 
Einsicht  verschlossen  hat,  so  liegt  der  Grund  in  der  Unmög- 
lichkeit, Attika  eine  Sklavenzahl  von  1 Million  und  darüber 
zuzuschreiben,  wie  sie  herauskommen  würde,  wenn  wir  die 
400000  Sklaven  des  Ktesikles  als  erwachsene  Männer  auffassen. 
Die  einzig  logische  Schlussfolgerung  daraus  wäre  nun,  dass, 
diese  Zahl  verschrieben  oder  absichtlich  übertrieben  sein  muss; 
doch  darüber  später. 

Für  jetzt  wollen  wir  Böckh  seine  Prämisse  zugeben.  Die 
400000  Sklaven  des  Ktesikles  sollen  alle  Sklaven  jeden  Altere 
und  Geschlechts  umfassen.  Der  durchschnittliche  Werth  jedes 
Sklaven  soll  nur  zu  einer  Mine  gerechnet  werden,  was  für  das 
IV.  Jahrhundert  sehr  wenig  ist.  Das  ergiebt  also  für  alle 
400000  Sklaven  einen  Gesammtwerth  von  über  6600  Talenten. 
Nun  betrug  aber  der  zum  Zwecke  der  Steuererhebung  abge- 
schätzte Werth  alles  liegenden  und  beweglichen  Eigenthums  in 
Attika  im  Jahre  378  7 nicht  mehr  als  5750  Talente;  es  ist 
klar,  dass  der  Werth  der  Sklaven  allein  nicht  den  dritten  Theil 
dieser  Summe  betragen  haben  kann.  Folglich  muss,  wie  schon 
Hume  gesehen  hat,  die  Zahl  der  Sklaven  beträchtlich  kleiner 
gewesen  sein  als  400000. 

Böckh  hat  sich  auch  dieser  Schlussfolgerung  zu  entziehen 
gesucht  durch  seine  bekannte  Lehre,  dass  die  attische  Eisphora 
eine  Progressivsteuer,  und  das  Timema  seit  Nausinikos  nur  ein 


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Attika. 


89 


Bruchtheil  des  eingeschätzten  Vermögens  gewesen  sei.  Die 
völlige  Haltlosigkeit  dieser  Hypothese  hoffe  ich  an  anderer 
Stelle  erwiesen  zu  haben1).  Ich  will  indess  hier  von  dem  dort 
gewonnenen  Resultat  absehen  und  Böckh  auch  diese  Voraus- 
setzung zugeben.  Wird  seine  Verteidigung  der  Sklavenzahl 
bei  Athenaeos  dadurch  haltbarer? 

Attika  hat  nach  Böckh  in  der  zweiten  Hälfte  des  IV.  Jahr- 
hunderts Va  Million  Einwohner  gezählt.  Der  Bedarf  dieser 
Bevölkerung  an  Getreide  betrug  nach  Böekhs  eigenen  An- 
nahmen 3400000  Medimnen  ohne  die  Aussaat.  Nun  belief 
sich  die  Einfuhr  aus  dem  Pontos,  etwa  die  Hälfte  der  Gesammt- 
einfuhr,  um  355  auf  jährlich  400000  Medimnen;  die  ganze 
Einfuhr  also  auf  800000  Medimnen2).  Böckh  glaubt  diese 
Zahl  auf  1 Million  Medimnen  erhöhen  zu  müssen;  wir  wollen 
um  200000  Medimnen  bei  einer  Rechnung  mit  so  unsicheren 
Factoren  nicht  streiten.  Es  bleiben  also  2 400000  Medim- 
nen  als  Production  von  Attika,  ohne  die  Aussaat,  die  nach 
Böckh  das  siebente  Korn  betragen  haben  soll.  Das  wären 
weitere  400  000  Medimnen,  zusammen  also  2 800  000  Medimnen, 
zu  deren  Erzeugung  1 066  667  Plethren  erforderlich  gewesen 
sein  sollen,  nahezu  die  Hälfte  des  ganzen  Areals  von  Attika, 
das  nach  Böckh  2304000  Plethren  beträgt3). 

Machen  wir  uns  die  Consequenzen  dieser  Annahmen  klar. 
Boeotien  hat  ungefähr  denselben  Flächeninhalt  wie  Attika,  ist 
aber  sehr  viel  fruchtbarer.  Es  wird  also  mindestens  dieselbe 
Menge  Getreide  producirt  haben.  Die  Bevölkerung  Boeotiens 
kann  im  IV.  Jahrhundert  150000  Seelen  kaum  überstiegen 
haben4);  wir  wollen  aber  200000  ansetzen.  Nach  dem  von 
Böckh  für  Attika  angenommenen  Verhältniss  würde  diese  Be- 
völkerung etwas  weniger  als  1 400  000  Medimnen  verbraucht 
haben;  es  wären  also  1 Million  Medimnen  zur  Ausfuhr  ver- 
blieben, das  heisst,  Athen  hätte  seinen  ganzen  Bedarf  an  frem- 


>)  Hermes  1885  S.  237—261. 

8)  Demosth.  g.  Lept.  32. 

*)  Staatshaush.  I S.  108 — 115. 
4)  S.  unten  Cap.  V,  1. 


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Capitel  III. 


dem  Getreide  aus  dem  benachbarten  Boeotien  decken  können, 
statt  darauf  angewiesen  zu  sein,  ihn  aus  fernen  Löndem  zu 
befriedigen.  Und  nun  bedenke  man.  was  Thessalien,  Elis, 
Messenien  producirt  haben  müssten.  Griechenland  wäre  im 
Stande  gewesen,  die  hallte  Welt  mit  Getreide  zu  versorgen, 
statt  dass  es  selbst  der  fremden  Einfuhr  benöthigt  war. 

Indess  es  fehlt  uns  keineswegs  an  Anhaltspunkten,  um 
auch  auf  directem  Wege  die  Unhaltbarkeit  der  Böckhschen 
Annahmen  nachzuweisen.  Attika  war  sprichwörtlich  für  seine 
Unfruchtbarkeit.  Weizen  wurde  sogut  wie  gar  nicht  gebaut; 
Gerste  erzeugte  das  Land  wohl  in  trefflicher  Qualität,  aber  in 
durchaus  ungenügender  Menge.  Bereits  ein  solonisches  Ge- 
setz verbot  unbedingt  die  Ausfuhr  des  in  Attika  gebauten 
Getreides1);  die  Production  kann  also  schon  am  Anfang  des 
VI.  Jahrhunderts  selbst  in  guten  Jahren  nur  höchstens  für  den 
eigenen  Bedarf  hingereicht  haben.  Nun  wird  Niemand  be- 
haupten wollen,  die  bürgerliche  Bevölkerung  Attikas  sei  in 
Solons  Zeit  grösser  gewesen  als  in  der  Zeit  des  Demosthenes; 
und  eine  irgendwie  ins  Gewicht  fallende  Zahl  von  Metoeken 
und  Sklaven  kann  damals  noch  nicht  vorhanden  gewesen  sein. 
Rechnen  wir  also  die  bürgerliche  Bevölkerung  jeden  Alters  und 
Geschlechts  zu  60 — 70000,  die  nichtbürgerliche  auf  die  Hälfte 
dieser  Zahl,  so  werden  wir  die  Bevölkerung  Attikas  ums  Jahr 
600  v.  Chr.  sicher  nicht  zu  niedrig  geschätzt  haben. 

Nehmen  wir  nun  auf  den  Kopf  einen  jährlichen  Dureh- 
sehuittsverbrauch  von  7 Medimnen  Gerste  an2),  und  weiterhin 
das  siebente  Korn  für  die  Aassaat,  so  ergiebt  sich  für  das  VI. 
Jahrhundert  ein  Maximum  der  Getreideproduction  von  reichlich 
800000  Medimnen.  Es  ist  nicht  wahrscheinlich,  dass  sich  die 
Production  später  erhöht  hat,  denn  je  leichter  die  überseeischen 
Verbindungen  wurden,  desto  weniger  musste  der  attische  Acker- 
bau im  Stande  sein,  die  Concurrenz  des  pontischen  und  aegyp- 
tischen  Kornes  auszuhalten8),  namentlich  da  der  Staat  nicht 

')  Plut.  Solon  24,  vergl.  ebenda  22. 

*)  S.  oben  S.  33. 

*)  Vergl.  Xen.  r.  d.  Kink.  IV  6:  x«i  oruv  ye  nolis  oftos  xni  oh o» 
yfvtjrm , ovrtov  uur  xtconiür  ülitJtrdti;  itl  ytiouyfiti  yfyrovtai. 


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Attika. 


91 


nur  nicht  das  geringste  zum  Schutze  des  heimischen  Getreide- 
baues that,  sondern  im  Gegentheil  mit  allen  Mitteln  auf  mög- 
lichst niedrige  Kornpreise  hinwirkte.  Es  musste  in  Attika  im 
V.  und  IY.  Jahrhundert  etwas  ähnliches  eintreten,  wie  im 
heutigen  England,  und  der  Körnerbau  immer  mehr  durch  edlere 
Culturen  verdrängt  werden.  Wir  haben  jetzt  dafür  den  ur- 
kundlichen Beweis : laut  einer  eleusinischen  Tempelrechnung  vom 
Jahre  329/8  betrug  damals  die  Getreideproduction  von  Attika 
einschliesslich  Oropos  etwa  360000  Medimnen  Gerste  und  40000 
Medimnen  Weizen1).  An  eine  Missernte  zu  denken,  liegt  nicht 
der  geringste  Grund  vor;  allerdings  herrschte  damals  in  Attika 
Theuerung,  aber  in  einem  Lande,  das  in  so  hervorragender 
Weise  auf  fremde  Zufuhr  angewiesen  war,  konnte  der  Ausfall 
der  eigenen  Ernte  nur  einen  sehr  geringen  Einfluss  auf  die 
Kornpreise  zu  üben  im  Stande  sein.  So  ist  es  keineswegs  der 
Ausfall  der  Ernte  in  England,  wodurch  die  Preise  des  londoner 
Marktes  bestimmt  werden.  Theuerung  konnte  in  Attika  nur 
entstehen,  wenn  die  Zufuhr  gehemmt  war;  und  es  ist  denn 
auch  ausdrücklich  bezeugt,  dass  die  hohen  Getreidepreise  der 
Jahre  330  bis  326  zum  grossen  Theile  durch  die  Kornspecula- 
tionen  des  Kleomenes  von  Naukratis  veranlasst  waren,  den 
Alexander  an  die  Spitze  der  Finanzverwaltung  Aegyptens  ge- 
stellt hatte2).  Wir  hören  vielmehr,  dass  die  attischen  Grund- 
besitzer von  der  Theuerung  beträchtlichen  Vortheil  hatten8). 
Sollte  übrigens  die  Ernte  des  Jahres  329/8  wirklich  nur  die 
Hälfte  der  normalen  betragen  haben,  so  hätten  wir  doch  erst 
V* — 1/a  der  Getreideproduction,  die  Böckh  für  Attika  ansetzen 
zu  müssen  glaubte.  Die  Möglichkeit,  dass  Attika  l!a  Million 
Einwohner  gezählt  habe,  wird  damit  unbedingt  ausgeschlossen. 


oiOTt  noXXoi  a<f  i{uivot  rov  rtjf  yijv  IpyuCeoihti  (n'  (pnogfas  xni 
Xeia;  xal  roxi ouoiis  Tglnovrat. 

1)  Foucart,  Bulletin  de  Correspondance  HeDenique  VIII  (1884)  S.  194  ff. 
S.  oben  S.  32. 

2)  R.  g.  Dionysod.  7 f.  S.  1285;  Schäfer  Demosth.  III  2,  271. 

*)  R.  g.  Phaenippos  20  f.  S.  1045;  vergl.  Schäfer  Demosth.  III  2, 284  f. 


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92 


Capitel  III. 


Doch  es  fehlt  auch  nicht  an  anderen  Beweisen  für  die 
Unhaltbarkeit  der  Hypothese  Böckhs  über  die  Sklavenzahl 
Attikas.  Athen  zählte  am  Ende  des  IV.  Jahrhunderts  21000 
Bürger,  von  denen  12000  unter  2000  Drachmen  im  Vermögen 
hatten,  also  den  eigentlichen  Demos  bildeten,  der  mit  seiner 
Hände  Arbeit  das  tägliche  Brod  verdienen  musste,  soweit  er 
es  nicht  vorzog,  sich  aus  öffentlichen  Mitteln  erhalten  zu  lassen. 
Sklaven  konnten  also  diese  12000,  wenn  überhaupt,  nur  in 
sehr  beschränkter  Anzahl  besitzen.  Böckh  meint  nun  aller- 
dings, dass  „auch  der  ärmere  Bürger  einen  Sklaven  zu  halten 
pflegte,  zur  Besorgung  seines  Hauswesens“  1 ),  und  beruft  sieb 
zum  Beweise  auf  den  Anfang  des  aristophanischen  Plutos. 
Aber  sollen  wir  denn  annehmen , dass  auch  der  Allanto- 
polos  der  Ritter,  der  Blepyros  der  Ekklesiazusen  sich  ihren 
Bedienten  gehalten  haben  ? Armuth  ist  eben  ein  sehr 
relativer  Begriff ; und  wenn  der  Chremylos  des  Plutos 
auch  kein  reicher  Mann  ist,  so  ist  er  doch  noch  lange 
kein  Proletarier.  Wem  das  Triobolon  ein  Gegenstand  von 
Wichtigkeit  war,  der  hielt  keinen  Sklaven.  Beruht  ja  doch  der 
Unterschied  zwischen  dem  xaZog  xayaiXog  und  dem  ßavavoog 
eben  darauf,  dass  der  letztere  gezwungen  war,  für  seinen  täg- 
lichen Unterhalt  mit  der  Hand  zu  arbeiten,  der  erstere  nicht2). 

Die  Sklaven  befanden  sich  also,  mit  unwesentlichen  Aus- 
nahmen, im  Besitz  der  9000  wohlhabenden  Bürger  und  der 
reicheren  Metoeken.  Rechnen  wir  für  die  Metoeken  dasselbe 
Verhältuiss  zwischen  Besitzenden  und  Nicht  - Besitzenden  wie 
für  die  Bürger,  was  offenbar  zu  hoch  ist8),  so  erhalten  wir 
etwas  über  4000  wohlhabende  Metoeken.  Mit  Einschluss  der 
Waisen,  Erbtöchter  und  Corporationen  werden  wir  15000 
Herren  annehmen  dürfen,  denen  jene  400000  Sklaven  gehört 

*)  Staatshaush.  I 55. 

*)  Wenn  es  nöthig  ist,  für  eine  selbstverständliche  Sache  Zeugnisse 
beizubringen,  verweise  ich  auf  Aristot.  Polit.  VII  (VI)  S.  1322  a.:  roTs 
yap  anoQOii  th'ityxr/  yorjafhtt  xa i yiTittft  xnl  ncuolv  tuantp  äxoXov9ots 
dia  7 1) v uäovXfar,  und  Aristoph.  JiJcliles.  593 : juijcf’  «vifpKTrdrfcxf  xov  fiXv 
XQrjolXiti  7ioXXo?s,  töv  ä’  ov t’  (IxoXoidül. 

8)  Bekanntlich  durften  Metoeken  in  Attika  kein  Grundeigenthiun  er- 
werben. 


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Attika. 


93 


haben  müssten.  Das  ersieht  auf  jeden  im  Durchschnitt  26—27 
Sklaven.  Nun  hatte  Demosthenes’  Vater,  einer  der  grössten 
Industriellen  und  reichsten  Bürger  Athens  am  Anfang  des 
IV.  Jahrhunderts,  nur  einige  dreissig  Sklaven  — denn  die  20 
Möbelarbeiter  hatte  er  nur  im  Pfandbesitz.  Es  ist  klar,  dass 
es  nur  verhältnissmässig  wenige  geben  konnte,  die  so  viele  be- 
sassen.  Platon  hält  50  Sklaven  im  Besitze  eines  einzigen  Herren 
für  eine  sehr  beträchtliche  Zahl 1).  Wenn  belichtet  wird,  dass 
Nikias  in  den  Bergwerken  1000  Sklaven  gehallt  habe,  Hippo- 
nikos  600,  ein  gewisser  Philonides  300 2),  so  sind  das  Aus- 
nahmen, die  eben  deswegen  besondere  hervorgehoben  werden; 
Nikias  und  Hipponikos  waren  die  reichsten  Männer  des  pe- 
rikleisehen Athens.  Auch  steht  keineswegs  sicher,  dass  die 
Zahlen  nicht  übertrieben  sind,  da  sie  einer  Quelle  entstammen, 
die  60  Jahre  jünger  ist,  als  Nikias’  Tod,  und  der  es  darauf  an- 
kommt, recht  hohe  Zahlen  zu  geben. 

Ferner  berichtet  Thukydides,  dass  von  allen  griechischen 
Städten,  Sparta  allein  ausgenommen,  Chios  die  grösste  Sklaven- 
zahl besessen  habe8);  Chios  also  hatte  mehr  Sklaven  als  Athen. 
Nehmen  wir  nun  für  Athen  vor  dem  dekeleischen  Kriege  statt 
der  400000  Sklaven  des  Athenaeos  nur  300000  an,  so  müsste 
Chios  etwa  400000,  Sparta  vielleicht  500000  Sklaven  gezählt 
haben,  denn  die  Unterschiede  müssen  fühlbar  gewesen  sein, 
sonst  hätte  Thukydides  keine  Veranlassung  gehabt,  sie  hervor- 
zuheben. Nun  ist  Chios  im  V.  Jahrhundert  eine  bedeutende 
Stadt,  keineswegs  aber  eine  Grossstadt  gewesen;  und  der 
Flächeninhalt  der  Insel  beträgt,  einschliesslich  der  kleinen 
Nachbarinseln,  nicht  über  957  qkm.  Es  ist  also  ganz  undenk- 
bar, dass  die  Bevölkerung  gegen  */a  Million  betragen  haben 


')  Polit.  IX  S.  578  D.  E:  axönei  <Je  . . . ivot  ixnarov  tiLv  fdicuuär, 
oaut  nlovoiot  fv  nöhair  nrtfpdrrodtt  nollct  x(xit)tTcti  ...  eT  Ti;  d-tiür 
avif(>n  i'va,  orm  tonv  «nfpn^oJ'n  7iivrt]xorra  tj  nXtlm,  itoa;  fx  riji  txo- 
).foj;  9e(j)  di  f Qj)(t(av  xi).  Böckli,  Staatsh.  I 56  hat  sich  erlaubt,  das 
Zeugniss  zu  fälschen,  indem  er  sagt:  „dass  bei  einem  freien  Manne  häufig 
50  Sklaven  waren,  bei  Reichen  mehr,  bemerkt  Haton  ausdrücklich“. 

!)  Xen.  v.  d.  Pinkiinßen  IV  14. 

»)  Thuk.  VIII  40. 


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Capitel  III. 


könnte  — über  500  auf  dem  qkm.  Und  was  die  spartanischen 
Heiloten  angeht,  so  werden  wir  unten  sehen,  dass  ihre  Zahl 
für  das  V.  Jahrhundert  auf  kaum  200000  veranschlagt  werden 
kann.  Bei  jeder  anderen  Annahme  würden  für  Lakonien  im 
Verhältniss  zum  übrigen  Peloponnes  ganz  abnorme  Bevölkerungs- 
verhältnisse sich  ergeben. 

Derselbe  Thukydides  erzählt  uns,  da  wo  er  uns  die  ver- 
derblichen Wirkungen  der  Besetzung  von  Dekeleia  für  Athen 
schildert,  dass  in  Folge  derselben  20  000  Sklaven,  zum  grössten 
Theile  Fabrikarbeiter,  zum  Feinde  übergelaufen  seien1).  Er 
hält  das  offenbar  für  einen  sehr  bedeutenden  Verlust;  wenn 
aber  die  Sklavenzahl  Athens  damals  400000,  oder  auch  nur 
300000  betrug,  so  wären  jene  20000  Ausreisser  kaum  ins 
Gewicht  gefallen.  Schon  Huine  hat  auf  diesen  Punkt  auf- 
merksam gemacht. 

Ebendahin  führt  es,  was  Xenophon,  oder  wer  immer  der 
Verfasser  der  Schrift  „von  den  Einkünften“  ist,  von  der  Zahl 
der  in  den  laurischen  Silbergruben  beschäftigten  Sklaven  er- 
zählt. Er  macht  den  Vorschlag,  der  Staat  solle  1000O  Sklaven 
kaufen  und  in  die  Bergwerke  vermiethen;  dabei  sucht  er  dem 
Einwand  zu  begegnen,  dass  die  Bergwerke  so  viele  Arbeiter 
nicht  beschäftigen  könnten*).  Um  die  Mitte  des  IV.  Jahr- 
hunderts können  also  kaum  5000  Sklaven  in  Laureion  thätig 
gewesen  sein;  wie  denn  2 Jahrhunderte  später  nur  etwa  1000 
Sklaven  hier  beschäftigt  waren3).  Die  Bergwerke  bei  Neu- 
Karthago  in  Spanien  beschäftigten  nach  Polybios  40000  Men- 
schen und  brachten  dem  Staate  jährlich  1500  Talente  ein4); 
es  ist  klar,  dass  die  Gruben  von  Laureion  niemals  auch  nur 
annähernd  diese  Zahl  von  Arbeitern  erreicht  haben  können. 
Es  ist  also  sehr  übertrieben,  wenn  Böckh  dem  Bergwerks- 
distriet  eine  Bevölkerung  von  60000  Einwohnern  zuschreibt5); 


l)  Tliuk.  VII  27. 

*)  Xen.  v.  d.  Hink.  IV  26. 

3)  Diod.  34,  2.  19;  Oros.  V 9. 
4|  Polyb.  bei  Strabon  HI  147  f. 
R)  Staatxli.  I 58. 


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Attika. 


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vielmehr  wird  die  Zahl  der  liier  beschäftigten  Sklaven  selbst 
im  V.  Jahrhundert  10000  kaum  überstiegen  haben. 

Es  bleibt  noch  die  Frage,  wie  Athenaeos  zu  seinen  Sklaven- 
zahlen gekommen  ist.  Denn  dass  er  bei  Aristoteles,  Timaeos 
und  Ktesikles,  auf  die  er  sich  beruft,  solche  absurde  Angaben 
nicht  gefunden  haben  kann,  ist  doch  für  die  ersten  beiden  un- 
zweifelhaft und  für  Ktesikles  mindestens  sehr  wahrscheinlich. 
Wenn  nun  Korinth  46,  Aegina  47,  Athen  40  Myriaden  Sklaven 
gezählt  haben  soll,  so  ist  es  die  beständige  Wiederkehr  der 
Zahl  40,  was  uns  zunächst  in  die  Augen  fällt.  Erinnern  wir 
uns  jetzt,  dass  dasselbe  Zeichen  31  den  Werth  von  40  und  von 
10000  (jivQiac)  ausdrticken  kann,  und  die  Entstehung  des 
Fehlers  wird  sogleich  deutlich:  Athenaeos  fand  in  seiner  Vorlage 
die  Zahlen  31 'F  und  M Z,  übersah  die  Punkte  und  las  statt 
60  000  und  70000:  46  und  47.  Der  Zusammenhang  zeigte, 
dass  von  Zehntausenden  von  Sklaven  die  Rede  war;  was  war 
natürlicher,  als  /ivgiadeg  hinter  die  Zahlen  zu  schreiben?  Bei 
der  aus  Ktesikles  geschöpften  Angabe  scheint  Athenaeos  nur  das 
Zeichen  für  10000  (M)  in  seiner  Vorlage  gefunden  zu  haben, 
während  die  Zahl  der  Myriaden  verwischt  war,  sodass  der  Irr- 
thum hier  noch  erklärlicher  wird.  Es  bleibt  natürlich  auch 
die  Möglichkeit,  dass  Ktesikles  von  ztrQonuauiQioi  öovloi  ge- 
sprochen hat,  und  Athenaeos  daraus  xmagä/.ona  /ji giädec 
gemacht  hat1).  In  der  That  enthält  die  Zahl  von  40000  er- 
wachsenen männlichen  Sklaven  für  die  Zeit  Demetrios’  von 
Phaleron  nichts  unwahrscheinliches;  Attika  würde  danach  im 
ganzen  eine  Sklavenbevölkerung  von  etwa  100000  gehabt 
haben,  da  die  erwachsenen  Männer  unter  den  Sklaven  stärker 
vorwiegen  mussten  als  unter  den  Bürgern  und  Metoeken.  — 
Was  Korinth  angeht,  so  hat  eine  Sklavenzahl  von  60000  zur 
Zeit  des  peloponnesischen  Krieges  grosse  innere  Wahrschein- 
lichkeit, wie  oben  (S.  86)  gezeigt  worden  ist.  Für  Aegina 
allerdings  scheinen  selbst  70000  Sklaven  auffallend  hoch,  doch 
wäre  die  Zahl  mindestens  nicht  undenkbar.  Die  bedeutenden 
Flotten,  welche  die  Insel  in  der  einten  Hälfte  des  V.  Jahr- 


0 Das  war  Humes  Ansicht. 


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Capitel  III. 


hunderts  zu  bemannen  im  Stande  war,  setzen  jedenfalls  eine 
starke  Bevölkerung  voraus,  die  zum  überwiegenden  Theile  aus 
Sklaven  bestanden  haben  muss.  War  doch  Aegina  in  dieser 
Zeit  vielleicht  die  erste  Handelsstadt  des  ganzen  europäischen 
Griechenland. 

Ist  demnach  auch  eine  sichere  Bestimmung  der  Sklaven- 
zahl Attikas  mit  unseren  Mitteln  nicht  möglich,  so  werden  sich 
doch  Annäherungswerthe  aufstellen  lassen,  die  es  uns  gestatten, 
wenigstens  ein  allgemeines  Bild  von  dem  Verhältniss  der  freien 
zu  der  unfreien  Bevölkerung  zu  gewinnen.  Im  Auge  zu  be- 
halten ist  dabei  stets,  dass  die  allgemeinen  Gesetze  der  Be- 
völkerungslehre hier  nur  mit  grossen  Einschränkungen  sich 
anwenden  lassen.  Denn  die  Sklavenhevölkerung  ergänzte  sich 
der  Hauptsache  nach  durch  Einfuhr  aas  den  östlichen  Barbaren- 
ländern; Aufzucht  im  Hause  war  die  Ausnahme,  die  Einfuhr 
aber  lieferte  natürlich  vorzugsweise  männliche  Sklaven  in  arbeits- 
fähigem Alter,  die  also  einen  unverhältnissmässig  grossen  Bruch- 
theil  der  Sklavenzahl  bilden  mussten.  Daher  musste  der  Bestand 
der  unfreien  Bevölkerung  je  nach  der  wirthschaftlichen  und 
politischen  Conjunctur  den  grössten  Schwankungen  ausgesetzt 
sein.  Das  grössere  oder  geringere  Bedürfniss  der  Industrie 
nach  Arbeitskräften  war  hier  das  bestimmende;  jeder  längere 
Krieg,  jede  wirthschaftliche  Krisis  musste  eine  bedeutende  Ver- 
minderung der  Sklavenzahl  zur  Folge  haben,  während  anderer- 
seits die  Perioden  wirthschaftlichen  Aufschwunges  eine  unver- 
hältnissmässig rasche  Vermehrung  mit  sich  bringen  mussten. 

Nun  betrug,  wie  wir  gesehen  haben,  die  jährliche  Getreide- 
production  Attikas  in  der  zweiten  Hälfte  des  IV.  Jahrhunderts 
gegen  400000  Medimnen,  fast  ausschliesslich  Gerste.  Rechnen 
wir  als  Aussaat  das  siebente  Korn1),  und  einen  Durchschnitts- 
verbrauch von  7 Medimnen  auf  den  Kopf2),  so  genügte  das 
zur  Ernährung  von  40  — 45000  Menschen.  Die  Einfuhr  betrug 
nach  Demosthenes  um  die  Mitte  des  IV.  Jahrhunderts  etwa 
800000  Medimnen,  meist  Weizen8);  veranschlagen  wir  hier 

')  Böckh,  Staatsh.  I 118. 

*)  S.  oben  S.  38. 

8)  Demosth.  g.  Leptin.  32. 


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Attika. 


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den  Verbrauch  auf  den  Kopf  zu  je  6 Medimnen,  so  war  das 
ausreichend  für  den  Bedarf  von  130000  Menschen.  Einfuhr 
und  Production  zusammen  also  hätten  für  175  000  Menschen 
hingereicht  Da  nun  die  freie  Bevölkerung  Attikas  in  dieser 
Zeit  ungefähr  100000  Seelen  betragen  hat,  so  ergäbe  sich  eine 
Sklavenzahl  von  etwa  75000.  Natürlich  ist  das  nur  eine  un- 
gefähre Schätzung;  wir  wissen  weder,  ob  die  Ernte  des  Jahres 
329  8,  auf  deren  Ertrag  die  obige  Berechnung  gegründet  ist 
eine  Normalerate  war,  noch  ob  Demosthenes’  Angabe  über  den 
Betrag  der  Getreideeinfuhr  einen  brauchbaren  Durchschnitt 
giebt1);  sehr  weit  aber  dürfte  sich  unsere  Zahl  kaum  von  der 
Wahrheit  entfernen. 

Xenophon  sagt  uns,  die  Sklavensteuer  habe  vor  dem  deke- 
leischen  Kriege  grössere  Erträge  gegeben,  als  um  die  Mitte  des 
IV.  Jahrhunderts2);  folglich  muss  die  Sklavenzahl  am  Anfang  des 
peloponnesischen  Krieges  75  000  beträchtlich  überstiegen  haben. 
Sie  mag  also  auf  1 00  000  oder  etwas  darüber  anzusetzen  sein ; 
höher  hinauf  dürfen  wir  nicht  gehen,  da  nach  Thukydides  Chios 
in  dieser  Zeit  mehr  Sklaven  hatte  als  Athen,  und  Chios  schwer- 
lich viel  über  100000  Sklaven  gezählt  haben  kann3).  An  der 
Pest  muss  etwa  V*  der  attischen  Sklavenschaft  zu  Grande  ge- 
gangen sein  (oben  S.  73),  docli  mochten  die  Verluste  zum  grossen 
Theile  nach  demXikiasfrieden  ersetzt  werden.  Um  so  verderblicher 
wirkte  der  dekeleische  Krieg,  nicht  nur  durch  die  massenhaften 
Desertionen4)  und  die  Freilassungen  vor  der  Arginusenschlacht, 
sondern  noch  mehr  durch  den  allgemeinen  wirthschaftlichen 
Verfall,  den  er  herbeiführte.  Wenn  noch  unter  dem  Archon 
Nausinikos,  378/7,  das  eingeschätzte  Gesammtvermögen  von 
Attika  nicht  mehr  als  5750  Talente  betrag,  so  kann  die  Sklaven- 

')  Immerhin  können  wir  sicher  sein,  dass  Demosthenes  die  pontisclie 
Einfuhr  nicht  zu  niedrig  veranschlagt  hat,  da  es  ihm  darauf  ankommt,  die 
Wichtigkeit  der  Handelsbeziehungen  Athens  zum  kiminerischen  Bosporos 
nachzuweisen. 

*)  Xen.  v.  d.  Eink.  IV  25. 

’)  S.  unten  Cap.  VI,  I. 

4)  Thuk.  VII  27:  dvdQKnoäiav  nteov  fj  dvo  ftinidJef  rji'TO/joXqxfOav 

xa'l  TOVTtOV  TO  71  o). V [i£qOS  /f IQOTfyvia. 

Beloch,  BevSlkerongslehr«.  I.  7 


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Capitel  III. 


zahl  damals  kaum  über  60000  betragen  haben1).  Der  ma- 
terielle Aufschwung  während  der  nächsten  Jahre  hat  dann 
ohne  Zweifel  eine  beträchtliche  Vennehrung  gebracht,  sodass 
sich  die  Sklavenzahl,  wie  oben  berechnet  wurde,  um  die  Mitte 
des  Jahrhunderts  auf  gegen  75000  belaufen  haben  mag.  Auch 
in  den  nächsten  Jahrzehnten  wird  das  Anwachsen  der  Sklaven- 
bevölkerung fortgedauert,  und  Athen  in  Alexandere  Zeit  wahr- 
scheinlich wieder  an  100000  Sklaven  gezählt  haben. 

Man  hat  auf  Grund  eines  Fragmentes  des  Hypereides  be- 
hauptet, dass  es  im  Jahre  338  in  Attika  1 50  000  erwachsene 
männliche  Sklaven  gegeben  habe9).  Das  Fragment  ist  aus  der 
Rede  gegen  Aristogeiton,  und  bezieht  sich  also  höchst  wahr- 
scheinlich auf  das  Massenaufgebot  der  Bevölkerung  Attikas, 
das  Hypereides  nach  der  Schlacht  bei  Chaeroneia  beantragt  hatte. 
Aber  bei  der  Art,  wie  uns  die  Stelle  überliefert  ist,  wäre  es 
sehr  unvorsichtig,  sich  auf  die  Correctheit  der  Zahl  verlassen 
zu  wollen.  Auch  ist  die  Idee,  150000  Sklaven  bewaffnen  zu 
wollen,  gegenüber  einer  Bürgerschaft  von  20000  erwachsenen 
Männern,  so  ungeheuerlich,  dass  wir  kaum  glauben  können, 
Hypereides  habe  im  Ernste  so  etwas  beantragt.  Ein  Heer  von 
150000  Mann  hat  überhaupt  niemals  ein  griechischer  Staat 
aufgestellt;  schon  darum  wäre  die  Angabe  — so  wie  sie  über- 
liefert ist  — zu  verwerfen.  Nur  eine  Emeudation  könnte  helfen; 
und  wenn  irgendwo,  so  ist  es  hier  geboten,  von  dieser  ultima 
ratio  Gebrauch  zu  machen.  Schreiben  wir  statt  des  unattischen 
fivQiäöas  nkiov  r]  dexantvie  mit  leichter  Aenderung  iiiQtdöag 
nXtov  ö'  5)  «'  — das  Zahlzeichen  d'  wird  bekanntlich  öfter  mit 
dr/M  verwechselt  — , also  fivgiddag  nXtov  lendoo»'  rj  rrivie,  so 
käme  alles  in  Ordnung;  doch  bin  ich  natürlich  sehr  weit  ent- 
fernt, Evidenz  für  diese  Verbesserung  in  Anspruch  zu  nehmen. 

>)  Vgl.  Hrnnes  XX  (1885)  S.  242. 

s)  Ilypereides  fr.  33  Blass  (bei  Suidas  «nupriylauio):  ono>;  ttqiütov 
fitv  fj nndiiai  TiXtov  fj  ifexantrre  r oi{  (JoüJLov g roüg ) tx  r iZv  fftyotv  rwv 
ilnyiQfimv  xai  roi'g  xarct  rijv  ttXXr/p  yo>Qar,  ent ira  roi'g  o<ft(Xorrag  r 
Jrjfioni m xai  rovg  änvfjry/iouiicvg  xai  rovg  /utro/xoi  g.  Es  ist  rein  will- 
kürlich, mit  Böekli  die  Sklaven  in  der  Stadt  hier  auszuschliessen  (Staatsh. 
I 53  Anm.  b);  wie  konnte  Hypereides  wissen,  wie  viele  Sklaven  gerade  in 
der  Stadt  Athen  wohnten? 


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Attika. 


09 


Kur  dass  die  Stelle,  so  wie  sie  jetzt  in  unseren  Ausgaben  steht, 
unmöglich  richtig  sein  kann,  scheint  mir  unzweifelhaft.  Uebrigeus 
konnte  Hypereides  selbst  über  die  Zahl  der  waffenfähigen  Sklaven 
nur  vage  Schätzungen  geben;  seine  Quelle  konnte  keine  andere 
st  in,  als  der  Ertrag  der  Sklavensteuer 1 ) , und  diese  wurde  von 
allen  Sklaven  ohne  Rücksicht  auf  Geschlecht  und  Alter  erhoben. 


7.  Die  Bevölkerung  und  ihre  Vertlieilung. 

Wir  werden  jetzt  im  Stande  sein,  uns  ein  ungefähres  Bild 
zu  machen  von  der  Bevölkerungsbewegung  Attikas  im  V.  und 
IV.  Jahrhundert.  Zur  Zeit  der  Perserkriege  betrug  die  Btirger- 
zahl  25—30000,  die  bürgerliche  Bevölkerung  also  75 — 90000, 
und  da  die  Metoeken  und  Sklaven  damals  wohl  noch  kaum  sehr 
zahlreich  sein  konnten,  wird  die  Gesammtbevölkerung  der 
Landschaft  150000  schwerlich  überschritten  haben.  Eiu  halbes 
Jahrhundert  später,  am  Anfang  des  peloponnesiselien  Krieges, 
war  die  Bürgerzahl  auf  35  000,  die  Zahl  der  Metoeken  auf  gegen 
10000  gestiegen,  entsprechend  einer  freien  Bevölkerung  von 
etwa  135  000,  zu  der  noch  ungefähr  100000  Sklaven  hinzutraten. 
Im  ganzen  also  hat  Attika  damals  gegen  lU  Million  Einwohner 
gezählt.  Am  Ende  des  Krieges  war  die  Bürgerzahl  auf  20000,  die 
Zahl  der  Metoeken  auf  vielleicht  5000  herabgegangen,  sodass  die 
freie  Bevölkerung  etwa  75000  betragen  mochte.  Die  Sklaven- 
zahl hatte  sich  jedenfalls  in  noch  stärkerem  Maasse  vermindert, 
die  Gesammtbevölkerung  wird  130000  kaum  erreicht  haben. 
Im  Laufe  des  IV.  Jahrhunderts  ist  dann  die  Bürgerzahl  an- 
nähernd stationär  geblieben,  die  Zahl  der  Metoeken  hat  sich 
etwa  verdoppelt,  die  der  Sklaven  sich  sehr  beträchtlich  ver- 
mehrt. So  zählte  Attika  in  der  Zeit  nach  Alexandere  Tode 
etwa  100000  Freie  und  die  gleiche,  oder  eine  etwas  höhere 
Sklavenbevölkerung.  In  den  beiden  folgenden  Jahrhunderten 
mag  sich  die  Bevölkerung  etwas  vermindert  haben,  doch  fehlt 
jeder  Anhalt  zu  einer  numerischen  Schätzung.  Besonders  al>er 


')  Vergl.  Xenoph.  r.  d.  Eink.  IV  25. 


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100 


Capitel  III. 


musste  die  sullanische  Eroberung  im  mithradatischen  Kriege 
einen  bedeutenden  Rückschlag  bringen,  von  dem  Athen  sieb 
nie  wieder  erholt  hat. 

Attika  gehörte  also  im  V.  und  IV.  Jahrhundert  zu  den  am 
dichtesten  bewohnten  Ländern  der  eivilisirten  Welt.  Um  500 
kommen  etwa  60,  im  Jahre  431  über  90,  um  300  gegen  80 
Bewohner  auf  1 qkm.  Keine  andere  griechische  Landschaft 
von  gleicher  Ausdehnung  hat  diese  Volksdichtigkeit  erreicht, 
ausserhalb  Griechenlands  nur  Aegypten  sie  übertroffen.  Aber 
allerdings  ist  nicht  zu  vergessen,  dass  diese  starke  Bevölkerung 
in  erster  Linie  durch  die  Hauptstadt  bedingt  ist.  Athen  war 
in  der  Zeit  des  peloponnesischen  Krieges  die  grösste  hellenische 
Stadt1),  und  ist  im  IV.  Jahrhundert  an  Volkszahl  nur  etwa 
hinter  Syrakus  zurückgeblieben.  Auch  an  Ausdehnung  des 
von  den  Mauern  umschlossenen  Raumes  steht  Athen  mit  dem 
Peiraeeus  nur  hinter  Syrakus  und  den  Grossstädten  der  helle- 
nistischen Zeit  zurück.  Ueber  die  Bevölkerung  dürfen  wir  na- 
türlich directe  Angaben  nicht  zu  finden  erwarten 2).  Wir  hören 
aber,  dass  noch  in  der  perikleischen  Zeit  der  bei  weitem  grösste 
Theil  der  bürgerlichen  Bevölkerung  Attikas  auf  dem  Lande 
zerstreut  lebte,  und  werden  demnach  die  in  der  Hauptstadt 
und  dem  Peiraeeus  wohnenden  Bürger  jeden  Alters  und  Ge- 
schlechts für  das  Jahr  432  auf  kaum  über  30000  Köpfe  ver- 
anschlagen dürfen.  Andererseits  waren  die  Metoeken  ohne 
Zweifel  zum  überwiegenden  Theile  in  der  Stadt  und  ihren 
Häfen  zusammengedrängt,  sodass  wir  für  diesen  Bestandtheil 
der  hauptstädtischen  Bevölkerung  etwa  20 — 25000  Köpfe  an- 
setzen können.  Von  der  Sklavenbevölkerung  Attikas  mag  dann 

')  Thuk.  IV  95:  7i 6 i. tv  Tipiüirjv  (v  Toi'i  'EkXrftiiv,  I 80:  iStjprurriu 
oy  'tM  Saog  ovx  (v  ttXliii  kvC  yt  yoinlm  'ElArjvixüi  tanv.  Xen.  Hell.  II  3,  24: 
<f»n  it  io  Troluar&QconoTtcTtiv  riov  'EIXrivfdoiv  r f/v  nöltv  tlvav. 

a)  Die  Angabe  Xenophons  (Denktcürd.  III  6,  14:  i)  /uiv  nohq  (x 
Trieiovuir  !j  uupitor  otxiwv  awiartixev)  ist  keineswegs,  wie  man  gemeint 
hat,  auf  die  Stadt  Athen  zu  beziehen.  Der  Sinn  ist  vielmehr:  „der  attische 
Staat  enthält  10  000  Bürgerfamilien“  (W achsmuth,  Stadt  Athen  I 564  A.  2). 
Zehntausend  Häuser  hätten  innerhalb  der  Mauern  der  Asty  und  des  Pei- 
raeeus gar  keinen  Platz  gehabt  (s.  unten  Cap.  IX,  2),  selbst  wenn  das  ganze 
Areal  bebaut  gewesen  wäre,  was  bekanntlich  keineswegs  der  Fall  war. 


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Attika. 


101 


die  grössere  Hälfte,  gegen  60000,  in  der  Hauptstadt  gewohnt 
haben.  Demnach  ergiebt  sich  für  Athen  und  den  Peiraeeus 
im  Jahre  432  eine  Bevölkerung  von  110 — 115000  Einwohnern, 
was  natürlich  nur  eine  ganz  ungefähre  Schätzung  ist,  aber  sich 
doch  kauin  um  mehr  als  etwa  um  20—30000  Köpfe  von  der 
Wahrheit  entfernen  wird ').  Während  des  archidamischen  und 
namentlich  während  des  dekeleischen  Krieges  ist  dann  fast  die 
gesainmte  Bevölkerung  Attikas  in  den  Mauern  der  Hauptstadt 
zusammengedrängt  gewesen;  und  es  liegt  in  der  Natur  der 
Sache,  dass  viele  von  denen,  die  der  Krieg  in  die  Stadt  ge- 
trieben, auch  nach  wiederhergestelltem  Frieden  dort  wohnen 
blieben.  So  wird  die  Bevölkerung  Athens  durch  den  Krieg 
nicht  in  demselben  Verhältnisse  abgenommen  haben,  wie  die 
der  ganzen  Landschaft,  und  die  Verluste  mussten  hier  rascher 
ersetzt  werden  als  dort.  Es  ist  sehr  wahrscheinlich,  dass  Athen 
in  Alexanders  Zeit  die  gleiche,  oder  sogar  eine  etwas  höhere 
Zahl  von  Einwohnern  gehabt  hat,  als  unter  Perikies;  nur 
kam  jetzt  ein  verhältnissmässig  viel  grösserer  Theil  der 
städtischen  Bevölkerung  auf  den  Peiraeeus,  während  das  Asty 
mehr  und  mehr  verödete2). 

Für  das  attische  Landgebiet  bleibt  also  im  Jahre  432  eine 
Bevölkerung  von  gegen  120000  Seelen,  oder  50  auf  1 qkm, 
immer  noch  eine  bedeutende  Volksdichtigkeit.  Aber  die  Be- 
völkerung war  keineswegs  gleichmässig  über  das  Gebiet  ver- 
theilt Werfen  wir  einen  Blick  auf  eine  Karte  des  alten  Attika, 
etwa  auf  Blatt  V in  Kieperts  Neuem  Atlns  von  Hellas,  so  finden 
wir  nördlich  einer  Linie  von  Eleusis  nach  Aphidna  und  Rhamnus 
so  gut  wie  gar  keine  Detuen.  Dieses  ganze  Gebiet,  von  einer 
Ausdehnung  von  etwa  800  qkm,  also  ein  Drittel  von  Attika, 
kann  demnach  nur  sehr  schwach  bewohnt  gewesen  sein;  es  ist 
ein  rauhes  Gebirgsland,  das  im  Alterthum  zum  grossen  Theile 
mit  Wald  bestanden  war.  Für  den  südlichen  Haupttheil  von 


')  Wachsmuth,  Stadt  Athen  I 566  rechnet  200000  als  Minimum,  aber 
auf  Grund  ganz  unhaltbarer  Prämissen.  Vgl.  oben  S.  76  Anm.  1. 

s)  Xen.  v.  d.  Kinl\  II  6;  vergl.  Wachsmuth  a.  a.  0.  S.  608.  648  f. 


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102 


Capitel  III. 


Attika  ergiebt  sich  demnach  eine  Yolksdichtigkeit  von  80 — 00 
auf  1 qkm,  ganz  abgesehen  von  der  Hauptstadt  Und  hier 
hatte  wieder  das  Pedion  die  dichteste  Bevölkerung , wie  die 
Menge  von  Deinen  beweist,  die  sich  hier  an  einander  drängen. 

Besser  unterrichtet  sind  wir  über  die  Vertheilung  der 
bürgerlichen  Bevölkerung  nach  der  rechtlichen  Zugehörigkeit. 
Die  kleisthenisehe  Verfassung  ist  auf  die  Gleichheit  der  Phylen 
lierechnet,  und  da  die  Phyleneintheilung  eine  durchaus  künst- 
liche war,  so  lässt  sich  mit  höchster  Wahrscheinlichkeit  an- 
nehmen,  dass  Kleisthenes  gesucht  haben  wird’  jeder  I’hyle,  so- 
weit es  anging,  die  gleiche  Zahl  Bürger  zuzutheilen  *).  Nun 
bildeten  die  Phylen  bekanntlich  keine  local  geschlossenen 
Districte,  sondern  es  waren  Deinen  aus  den  verschiedensten 
Landestheilen  in  derselben  Phyle  vereinigt,  es  herrschte  ferner 
die  unbeschränkteste  Freizügigkeit,  woliei  aber  politisch  jeder 
Bürger  dem  Demos  zugetheilt  blieb,  dem  er  einmal  durch  seine 
Geburt  angehörte.  Die  Ursachen,  die  eine  Steigerung  oder  eine 
Abnahme  der  bürgerlichen  Bevölkerung  zur  Folge  hatten, 
mussten  also  im  grossen  und  ganzen  auf  alle  Phylen  gleich- 
mässig  einwirken,  und  so  das  ursprüngliche  Verhältniss  im 
allgemeinen  erhalten  bleiben.  Den  besten  Beweis  dafür  giebt 
die  Thatsache,  dass  die  kleisthenisehe  Verfassung  durch  zwei 
Jahrhunderte  in  Kraft  geblieben  ist,  ehe  es  nöthig  wurde,  die 
bestehende  Phyleneintheilung  zu  modifieiren.  Jede  Phyle  muss 
demnach,  von  den  Kleinchen  abgesehen,  in  der  perikleisehen 
Zeit  gegen  3500,  in  der  demosthenisehen  Zeit  etwa  2000  Bürger 
gezählt  haben. 

Ein  Mittel,  die  Vertheilung  der  Bürgerschaft  innerhalb  der 
Phylen  auf  die  einzelnen  Deinen  zu  bestimmen,  bieten  uns  die 
Prytanenkataloge.  Soweit  nämlich  aus  unserem,  freilich  noch 
sehr  lückenhaften  Material  ein  Schluss  gestattet  ist,  war  die 
Zahl  der  Rathsherren  für  jeden  einzelnen  Demos  ein  für  alle  Mal 
festgestellt,  sodass  die  Loosung  nicht  phylenweise,  sondern 
demenweise  geschah,  wodurch  diese  Operation  sich  natürlich 
sehr  vereinfachte. 


')  S.  Müller-StrUbing,  Arüftophantn  S.  014. 


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Attika. 


103 


So  ergiebt  sich 

z.  B.  für  die  Buleuten  de 

r Aegeis  folgende 

Verkeilung  ’) : 

CIA.  II  872 

CIA.  II  870 

CIA.  II  329 

aus  341/0 

aus  der  Mitte  des 
IV.  Jahrhunderts 

aus  der  Zeit  der  Antigonis 
uni  Demetrius,  also  zwi- 
schen 306  und  ca.  230 

'Epxie's  .... 

6 

— 

10 

’yikttlllC  . . . . 

5 

O 

fxrtnuig  .... 

& 

— 

— 

/«pyijiTio«  . . . 

4 

4 

— 

TflftQttiHOl  . . . 

4 

— 

4 

KoiXvzets  • • • 

3 

3 

4 

.... 

3 

4 

3 

cttiÄft($at  .... 

3 

3 

3 

llyxiXtj&n1  . . . 

2 

2 

1 

llQUiftjnoi  . . . 

2 

2 

2 

Vwi’/iVcu  .... 

2 

2 

1 

Kiöttrrlöni  . . 

2 

1 

1 

ix  KoXwcO  . . 

2 

2 

1 (2) 

Barels 

1 

2 

— 

Aiofttuts  . . . 

1 

— 

— 

’Egtxeiis  .... 

1 

— 

2 

'Kariateis-  • . . 

1 

— 

1 

ty  JVllQllOlTT  >j( 

1 

— 

1 

'Orgivtls.  . . . 

1 

— 

1 

JfXioQets  .... 

1 

— 

2 

Die  kleinen  Abweichungen  zwischen  der  ersten  und  zweiten 
Liste  fallen  kaum  ins  Gewicht  und  lassen  sich  sehr  leicht  durch 
die  Annahme  erklären,  dass  aus  einigen  Deinen  nicht  die  ge- 
nügende Zahl  qualificirter  Bewerber  sich  meldete,  und  Bürger 
anderer  Deinen  dafür  eintreten  mussten.  Jedenfalls  aber  kann 
die,  mit  Ausnahme  von  3 Fällen,  absolute  Uebereinstimmung 
der  beiden  Listen  nicht  dem  Zufall  des  Looses  zugeschrieben 
werden.  Die  Abweichungen  der  dritten  Liste  dagegen  sind 
ganz  in  der  Ordnung,  da  mit  der  Vermehrung  der  Rathsherrn- 
stellen von  500  auf  600  im  Jahre  307'6  auch  eine  neue  Ver- 
keilung auf  die  einzelnen  Demen  nothwendig  werden  musste. 


’)  Hauvette-Besnault,  Bull,  de  Corresp.  Hell.  IV  (1881)  S.  367 ; Koehler, 
Mittheil.  188.5  S.  106. 


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104 


Capitel  III. 


Gargettos  war  in  die  Antigonis  versetzt,  Ikaria,  Bäte,  Diouieia 
werden  entweder  zur  Antigonis  oder  zur  Deinetrias  gehört 
haben.  Wir  sehen,  dass  namentlich  die  grösseren  Deinen  bei 
der  Vermehrung  der  Stellen  bedacht  worden  sind. 

Eine  Bestätigung  des  so  gewonnenen  Resultats  geben  drei, 
leider  zum  Theil  sehr  verstümmelte  Listen  der  Pandionis  aus 
dem  IV.  Jahrhundert. 

CIA.  II  871  CIA.  II  867  CIA.  II  873 
aus  348/7 


Ilttiavieis  x<t9ine(>!li  ....  1 1 

Haiavieis  vnh’iQ&t — 11  10 

Kov&vMdtxi — 1 1 

’Sliuijt,  'Oattfv — 4 3 


Wobei  aber  zu  beachten  ist,  dass  die  dritte  Liste  in  einer 
ganz  ungenügenden  Abschrift  vorliegt,  und  also  Namen  aus- 
gelassen sein  können,  auch  die  Zahl  der  unlesbaren  Zeilen 
nicht  angegeben  ist. 

Ausserdem  besitzen  wir  vollständige  Prytanenverzeichnisse 
noch  für  die  Leontis  (CIA . II  864)  *),  die  Oeneis  (CIA.  II  868) 
und  die  Autiochis  (CIA.  II  869),  sämmtlich  aus  dem  vierten 
Jahrhundert.  Die  Prytanenkataloge  aus  der  Kaiserzeit  dürfen 
wir  nicht  heranziehen,  mussten  doch  nach  drei  Jahrhunderten 
voll  politischer  Umwälzungen  die  Bevölkerungsverhältnisse  von 
Attika  sich  völlig  verändert  haben. 

Bei  einer  Bürgerzahl  von  35000,  wie  sie  vor  Anfang  des 
peloponnesischen  Krieges  vorhanden  war,  kommen  nun  auf 
jeden  Buleuten  im  Durchschnitt  70  Bürger.  Mit  Zugrunde- 
legung dieses  Verhältnisses  wird  es  möglich  sein,  die  ungefähre 
Bttrgerzahl  jedes  Demos  zu  ermitteln,  für  den  die  Zahl  der 
Rathsmitglieder  iil>erliefert  ist.  Wir  erhalten  folgende  Er- 
gebnisse : 


*)  Eine  zweite,  leider  stark  verstümmelte  l’rytanenliste  der  Leontis 
ist  kürzlich  entdeckt  worden.  Sie  stimmt  in  der  Vertheilung  der  Buleuten 
auf  die  einzelnen  Deinen  durchaus  mit  der  früher  bekannten  Liste  überein. 
(Koehler,  Mittheil.  1885  S.  106.) 


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Attika. 


105 


Deinen 

Buleuten 

Bürgerzahl 

Achamae  (Oeneis)  .... 

. . 22 

1540 

Paeania  (Pandionis)  . . . 

. . 12 

840 

Alopeke  (Antiochis)  . . . 

. . 10 

700 

Anaphlystos  (Antiochis)  . 

. . 10 

700 

I’hrearrhioi  (Leontis)  . . 

. . 9 

630 

Thria  (Oeneis) 

. . 7 

490 

Pallene  (Antiochis)  . . . 

. . 7 

490 

Aegilia  (Antiochis)  . . . 

. . 6 

420 

Ercbia  (Aegeis) 

. . ß 

420 

Oe  (Oeneis) 

. . 6 

420 

Potamos  (Leontis)  .... 

. . 6 

420 

Halae  (Aegeis) 

. . 5 

350 

Ikaria  (Aegeis) 

. . 5 

350 

Myrrhinus  (Pandionis)  . . 

. . 5 

350 

Gargettos  (Aegeis)  .... 

. . 4 

280 

Phegaea  (Aegeis)  .... 

4(3) 

280  (210) 

Sunion  (Leontis) 

. . 4 

280 

Teithrasia  (Aegeis)  . . . 

. . 4 

280 

Th  trae  (Antiochis)  . . . 

. . 4 

280 

Je  drei  Rathsmänner  — also  ca.  200  Bürger  — halten 
die  Deinen  Kollytos  und  Philaldae  der  Aegeis;  Halünus,  Kettos, 
Leukonoe,  I'aeonidae,  Skamltonidae  der  Leontis;  Angele  und 
Steiria  der  Pandionis;  Perithoedae  der  Oeneis;  Atene  der  An- 
tiochis.  Alle  übrigen  haben  nur  je  1 oder  2 Rathsmänner, 
ihre  Bürgerzahl  kann  also  100  kaum  überstiegen  haben.  Doch 
bezieht  sich  die  obige  Uebersicht  nur  auf  die  Hälfte  von  Attika; 
für  die  fünf  Phylen  Erechtheis,  Akamantis,  Kekropis,  Hippo- 
thontis,  Aeantis  und  einige  Gemeinden  der  Pandionis,  wie  na- 
mentlich Kydathenaeon  fehlt  es  bis  jetzt  an  sicheren  Anhalts- 
punkten zur  Berechnung  der  Bürgerzahl  der  einzelnen  Deinen. 

Wie  Achamae  mit  1540  Bürgern  an  der  Spitze  unserer 
Liste  steht  und  alle  übrigen  Deinen  weit  hinter  sich  lässt,  so 
wird  es  auch  bei  Thukydides  als  die  grösste  der  attischen 
Landgemeinden  bezeichnet1).  Freilich  ist  die  Angabe,  der  Ort 

*)  Thuk.  II  19:  %w()or  [x(yi<nov  rfj(  sttTixrjs  iiöv  ärj/jaiv  xalov- 
p ( viur . 


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106 


Capitel  III. 


habe  3000  Hopliten  gestellt1),  offenbar  übertrieben,  mag  nun 
die  Schuld  Thukydides  treffen  oder  seine  Abschreiber.  Denn 
ganz  Attika  stellte  im  Jahre  431  nicht  mehr  als  16000  Bürger- 
Hopliten,  die  I’hvle  Oeneis  also,  zu  der  Achamae  gehörte, 
kann  kaum  mehr  als  2000  gezählt  haben.  Aber  aus  dem  Pry- 
tanenkatalog  geht  doch  unwiderleglich  hervor,  dass  der  Vor- 
schlag Müller- Strübings  *),  bei  Thukydides  300  statt  3000  zu 
lesen,  ganz  unhaltbar  ist.  Das  folgt  auch,  abgesehen  von  allein 
anderen,  schon  daraus,  dass  300  Hopliten  keineswegs  als  „ein 
grosser  Theil“  der  attischen  Wehrkraft  bezeichnet  werden 
können8). 

Sonst  haben  wir  eine  bestimmte  Angabe  über  die  Bürger- 
zahl nur  noch  von  Halimus,  und  zwar  aus  der  Mitte  des  IV. 
Jahrhunderts.  1 lieser  Demos  muss  damals  etwa  80  - 90  Bürger 
gezählt  haben4).  Da  ganz  Attika  in  dieser  Zeit  etwa  20000 
Bürger  hatte,  so  kam  ein  Rathsherr  im  Durchschnitt  auf  40, 
und  Halimus  hätte  mit  2 Stimmen  im  Rathe  vertreten  sein 
müssen.  Statt  dessen  finden  wir  3 Halimusier  als  Buleuten; 
da  aber  selbstredend  die  Vertretung  der  Wähler  in  einer  par- 
lamentarischen Körperschaft  nie  ganz  genau  dem  wirklichen 
Zahlenverhältniss  entsprechen  kann,  so  ist  auch  diese  Angabe, 
weit  entfernt  unser  obiges  Resultat  zu  entkräften,  vielmehr  für 
dasselbe  eine  neue  Bestätigung. 


')  Thilk.  II  20:  oi  Ayaiirgt  u(yn  ftfgof  ovrfs  r ijf  nöXfto f roiayiXmi 
jnp  on  Xitttt  fytrovTO. 

*)  Aristophanes  S.  639 — 659. 

3)  Gilbert,  Beitrüge  S.  110  A.,  unter  Zustimmung  von  Volquardsen 
in  Bursians  Jahresberielit  1879  III  S.  53.  Duncker,  Gesell,  d.  AUerth.  IX 
S.  429  A.  bezieht  die  3000  Hopliten  auf  die  ganze  Phyle  Oeneis.  Ich  habe 
früher  auch  an  diese  Auskunft  gedacht,  glaube  aber  nicht,  dass  sie  gegen- 
über dem  klaren  Wortlaut  des  Thukydides  haltbar  ist.  Ganz  abgesehen 
davon,  dass  auch  die  ganze  Oeneis  schwerlich  3000  Hopliten  gestellt  haben 
kann,  oder  doch  nur  einschliesslich  der  Kleruchen. 

0 Dem.  g.  Eubulides  9 S.  1301.  10  S.  1302,  15  S.  1303,  57  S.  1306. 


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Anhang  zu  S.  68. 


107 


Anhang  (zu  S.  68). 

In  der  Rede  für  Polystratos  — ob  sie  von  Lysias  ist  oder 
nicht,  ist  hier  für  uns  gleichgültig,  jedenfalls  ist  sie  eine  wirklich 
gehaltene  Gerichtsrede  — heisst  es  § 13:  ni?jg  d’  av  yevoizo 
dr;pozi*.i!rzeQog,  ij  baue  ipiuv  xfzrtfioapivtov  7C£vzay.iaytXUng 
naQtiöoivai  tu  nqäypaza  xazaXoyevg  üv  iwaAiayiXtovg  xaif- 
Xe^ev,  i’va  prjdeig  aizijj  diäzpoqog  etij  rcüv  drjpoziuv.  Polvstratos 
war  unter  der  Regierung  der  Vierhundert  zum  y.azaXoyevg  er- 
nannt worden.  Aber  die  gewöhnliche  Auffassung,  wonach  er 
sein  Bürgorverzeichniss  noch  unter  den  Vierhundert  entworfen 
haben  soll,  scheint  mir  nicht  haltbar.  Die  400  sind  überhaupt 
nicht  dazu  gekommen  — mit  Absicht  nicht  — den  Katalog 
der  5000  festzustellen  (Thuk.  VIII  92),  und  erst  in  der  höchsten 
Noth,  nach  dem  Aufstande  der  Hopliten  unter  Aristokrates  und 
Theramenes  versprechen  sie  zoig  nevzavuayiXiovg  anocpaiveiv, 
unmittelbar  darauf  erfolgt  die  Schlacht  bei  Eretria  und  der  Sturz 
der  Oligarchie,  und  zwar  betrug  den  Zwischenraum  zwischen 
der  Wahl  der  v.azaXoye'ig  und  der  Abfahrt  der  Flotte  nach 
Eretria,  wie  wir  aus  unserer  Rede  ersehen,  8 Tage  (§  14). 
Dass  es  in  so  kurzer  Zeit  materiell  unmöglich  ist,  ein  Ver- 
zeichniss dieser  Art  zu  Stande  zu  bringen,  bedarf  keines  Be- 
weises; schon  unter  normalen  Verhältnissen,  wie  viel  mehr 
damals  mitten  in  der  Revolution  und  dem  Kriege.  Und  ganz 
ebenso  undenkbar  ist  es,  dass,  solange  die  Oligarchie  bestand, 
die  mit  der  Redaction  der  Bürgerliste  betrauten  Beamten  die 
Zahl  von  5000  eigenmächtig  um  fast  das  Doppelte  sollten  über- 
schritten haben.  Das  war  erst  möglich,  als  auf  Theramenes' 
Antrag  der  Beschluss  gefasst  wurde:  zoig  zzevza/uayXioig  za 
jTQuypaza  nuQuöovvai'  elvcu  de  aizwv  bnoooi  v.ai  bjtXa  naq- 
iyovzai  (Thuk.  VIII  97).  Dieser  selbe  Ausdruck:  vpwv  xprr 
eptoapevtov  jruzcr/.iayiXiotg  n agadovvat  za  zrgaypaza  findet 
sich  nun  auch  in  unserer  Rede  (§  13);  offenbar  also  handelt 
es  sich  hier  um  um  denselben  Vorgang,  oder  es  liegt  doch 
wenigstens  kein  Grund  vor  zu  bezweifeln,  dass  der  nach  dem 
Sturz  der  400  gefasste  Volksbeschluss  gemeint  sein  kann.  Dann 


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108 


Capitel  III. 


wären  die  in  den  letzten  Tagen  der  Oligarchie  gewählten  xa- 
raA.oy«<g  auch  nach  der  Herstellung  der  Demokratie  im  Amte 
geblieben,  gerade  so  wie  ja  auch  die  Strategen,  soweit  sie  nicht 
besonders  schwer  bei  der  Oligarchie  comproinittirt  waren. 
Der  Sprecher  der  Rede  stellt  die  Sache  freilich  so  dar,  als 
ob  Polvstratos  auf  eigene  Initiative  und  auf  eigene  Verantwort- 
lichkeit statt  5000  Bürger  9000  auf  die  Liste  gesetzt  hätte. 
Aber  dass  hier  im  Interesse  des  Angeklagten  die  Thatsachen 
gefärbt  sind,  geht  schon  daraus  hervor,  dass  Polystratos  ja 
keineswegs  allein  die  Liste  entworfen  hat,  sondern,  da  er  nur 
von  seiner  eigenen  Phyle  gewählt  war,  mindestens  noch  9 Col- 
legen  l>ei  diesem  Geschäfte  hatte. 


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Viertes  Capitel. 

Der  Peloponnes. 


1.  Arealbestimmnng. 

Das  Areal  des  Peloponnes  ist  zuerst  von  Clinton  bestimmt 
worden ').  Eine  Berechnung  auf  Grund  der  Karte  von  Arrow- 
smith  ergab  ihm  folgende  Zahlen8): 


Engl.  Q.-M. 

qkm 

Achaia 

. . . . 651 

1686,09 

Elis  und  Triphylien  . . . 

...  930 

2408,70 

Arkadien 

. . . 1701 

4405,59 

Korinthia 

...  248 

642,32 

Argeia 

...  524 

1857,16 

Kynnria 

...  60 

155,40 

die  argeiische  Akte  . . . 

...  475 

1230,25 

Sikyon  und  Phleius  . . . 

...  132 

341,88 

Lakonien 

. . . 1896 

4910,64 

Messenien 

. . . . 1172 

3009,58 

7779  20 147,61 


Welche  Grenzen  zwischen  den  einzelnen  Landschaften  an- 
genommen sind , und  auf  welche  Periode  der  griechischen  Ge- 
schichte sich  diese  Zahlen  beziehen,  erfahren  wir  nicht.  Ueber- 
haupt  musste  bei  dem  damaligen  Zustande  des  kartographischen 


')  Fasti  ffelknici  II2  385,  vgl.  S.  421  Anm.  t und  S.  426  Anm.  b. 
s)  Outline«  of  Greece  and  the  adjacent  countries.  Maassstab  und 
•Jahreszahl  giebt  Clinton  nicht  an.  Bei  der  Reduction  auf  qkm  ist  die 
engl.  Quadratmeile  zu  2,59  qkm  angenommen,  statt  des  genauen  Verhält- 
nisses 1 : 2,58989454  (Belim  und  Wagner,  Die  Bevölkerung  der  Erde  I 6). 


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110 


Capitel  IV. 


Materials  das  Resultat  einer  solchen  Berechnung  uothwendig 
höchst  unvollkommen  ausfallen;  wir  werden  unten  sehen,  dass 
Clinton  den  Peloponnes  um  mehr  als  1500  qkm  zu  klein  an- 
genommen hat. 

Erst  die  topographischen  Aufnahmen  der  Franzosen  in  den 
Jahren  1829—1831  machten  eine  exactere  Arealbestimmung 
möglich.  Auf  Grund  dieser  Arbeiten  veröffentlichte  Puillon- 
Boblaye  1836  eine  neue  Berechnung  des  Flächenraumes  der  Halb- 
insel und  ihrer  einzelnen  Landschaften1).  Danach  entfallen  auf: 


Geogr.  Q.-M. 

qkm 

Arkadien  . . . 

....  93,50 

5148 

Achaia 

....  37,75 

2078 

....  46,00 

2532 

Messenien  . . . 

....  48,50 

2670 

Lakonien  . . . 

....  86,50 

4762 

Argolis  .... 

....  61,25 

3372 

Phleiasia  . . . 

....  2,50 

137 

Sikyonia  .... 

....  4,25 

234 

Korinthia  . . . 

....  12,00 

660 

892,25 

21593 

Nur  der  Vollständigkeit  wegen  mögen  noch  die  Zahlen 
Moreau  de  Jonnfes1  hier  eine  Stelle  finden*).  Er  erhält  für 


qkm 

Argolia 2000 

Achaia  und  Koriuthia 4060 

Elia 3000 

Lakonien 4050 

Messenien 3960 

Arkadien 5000 


22070 


')  Rechnches  göographiqttes  sur  les  ruines  de  Ja  Moree  S.  10.  Ich 
entnehme  die  Zahlen  aus  Curtius,  Peloponnesos  I 148,  da  mir  das  Werk 
von  Puillon-Boblaye  hier  nicht  zugänglich  ist.  Dabei  war  ich  gezwungen, 
die  geogr.  Quadratmeilen  wieder  in  qkm  umzurechnen,  was  im  einzelnen 
kleine  Ungenauigkeiten  zur  Folge  gehabt  haben  wird.  Auch  fehlt  leider 
bei  Curtius  jede  Angabe  über  die  zu  Grunde  liegenden  Landschaftsgrenzen, 
je  selbst  darüber,  ob  die  Küsteninseln  eingerechnet  sind  oder  nicht. 

*)  Statistique  des  peuples  de  V Aniiquiti  (Paris  1851)  I 171. 


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Der  Peloponnes. 


111 


Ueber  die  Herkunft  dieser  Zahlen  hat  der  Verfasser  es  nicht 
für  nöthig  gehalten,  uns  aufzuklären. 

Eine  neue  und,  soweit  es  das  vorhandene  Karteumaterial 
gestattet,  exacte  Arealberechnung  des  Peloponnes  verdanken 
wir  jetzt  dem  russischen  General  Strelbitzky  *).  Allerdings  legt 
Strelbitzky  die  moderne  administrative  Eintheilung  zu  Grunde; 
indess  die  Grenze  der  heutigen  Nomarchie  Argolis  und  Kc- 
rinthia  gegen  die  Nomarchie  Attika  und  Boeotien  entspricht  fast 
genau  der  alten  Grenze  zwischen  Korinth  und  Megara,  wie  sie 
in  Kieperts  Atlas  von  Hellas  verzeichnet  ist;  die  geringe  Dif- 
ferenz kann  um  so  eher  vernachlässigt  werden,  als  der  genaue 
Lauf  der  alteu  Grenze  der  Natur  der  Sache  nach  hypothetisch 
bleiben  muss. 

Der  Flächeninhalt  des  Peloponnes  beträgt  danach  22201,1 
qkm,  wovon  21687  qkm  auf  das  Festland,  514,1  qkm  auf  die 
Küsteninseln  entfallen.  Rechnen  wir  die  Inseln  Aegina  und 
Kekryphaleia , die  jetzt  zur  Nomarchie  Attika  gehören,  mit 
zusammen  99,1  qkm  hinzu,  so  erhalten  wir  im  ganzen  für  den 
Peloponnes  22300,2  qkm,  wovon  613,2  auf  die  Inseln  kommen. 

Wie  aber  vertheilt  sich  dieser  Flächenraum  auf  die  ein- 
zelnen Landschaften?  Zur  Beantwortung  dieser  Frage  habe 
ich  mit  Zugrundelegung  einerseits  der  Strelbitzkyschen  Zahlen 
für  die  einzelnen  Nomarchien,  andererseits  der  alten  Land- 
schaftsgrenzen, wie  sie  auf  Bl.  IV  von  Kieperts  Neuem  Atlas 
von  Hellas  (Berlin  1879)  verzeichnet  sind,  durch  planimetrische 
Messung  bestimmt,  in  welcher  Weise  das  festländische  Gebiet 
jeder  einzelnen  Nomarchie  sich  auf  die  entsprechenden  antiken 
Landschaften  vertheilt.  Das  Ergebniss  ist  folgendes: 

1.  Nomarchie  Argolis  und  Korinthia,  4792,9  qkm. 


qkm 

zu  Argolis 3940 

zu  Acliaia 320 

zu  Arkadien -WO 

4790 


')  Super  feie  de  TEurope,  etablie  par  J.  Strelbitzky.  Publication  du 
Comite  Central  Busse  de  Statistique,  St.  Petersbourg  1883.  Die  Berech- 
nung ist  ausgeführt  auf  Grund  der  Carte  de  la  Crece,  redigee  et  gravie  au 
depöt  de  la  guerre,  1 : 200000,  Paris  1853. 


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112 


Capitel  IV. 


2.  Nomarchie  Achaia  und  Elis,  5074,8  qkm. 


qkm 

zu  Achaia 2015 

zu  Elia 2120 

zu  Arkadien 940 

5075 


8.  Nomarchie  Arkadien,  4301  qkm. 


qkm 

zu  Arkadien 2920 

zu  Lakonien 1320 

zu  Messenien 60 


4300 


4.  Nomarchie  Lakonien,  4218,2  qkm. 


qkm 

zu  Lakonien 4170 

zu  Messenien ') 50 

4220 


5.  Nomarchie  Messenien,  3300,1  qkm. 


qkm 

zu  Messenien 2450 

zu  Elis  (Triphylien) 540 

zu  Arkadien 310 


3300 


Es  entfallen  also  auf 


nach 

nach 

meiner  Berechnung 

Puillon-Boblaye 

qkm 

qkm 

Argolis s) 

3940 

4403 

Achaia 

2335 

2078 

Elis 

2660 

2582 

Arkadien 

4700 

5148 

Lakonien  (einschl.  der  Kynuria)8)  . 5190 

4762 

Messenien 

2860 

2670 

21685 

21593 

’)  Die  Grenze  bei  Gerenia  angenommen.  Setzen  wir  die  Grenze  bei 
Thalamae  an,  so  würde  sich  Messenien  um  300  qkm  vergrössem. 

2)  Die  Differenz  zwischen  meinen  Zahlen  und  denen  Puillon-Boblayes 
beruht  offenbar  hauptsächlich  darauf,  dass  letzterer  die  Kynuria  zu  Argolis 
rechnet.  Argolis  und  Lakonien  zusammen  haben  nach  I’uillon-Boblaye 
einen  Flächenraum  von  9165,  nach  meiner  Berechnung  von  9130  qkm. 


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Der  Peloponnes. 


113 


Da  das  alte  Arkadien  heute  unter  vier  Nomarchien  ver- 
theilt ist,  und  demgemäss  fast  alle  Fehler,  die  bei  dieser  Be- 
rechnung etwa  begangen  sein  können,  das  Resultat  hier  beein- 
flussen, war  es  wünschens werth , zur  Controle  den  Flächen- 
raum Arkadiens  noch  auf  einem  anderen  Wege  zu  bestimmen. 
Das  Gradtrapez  zwischen  19u  30'  — 20°  10'  östlicher  Länge 
von  Paris  und  37°  20'  — 38°  nördlicher  Breite  schliesst  das 
alte  Arkadien  fast  vollständig  ein.  Der  Flächeninhalt  dieses 
Trapezes  beträgt  nach  den  Wagnerschen  Zonentafeln  4351,2 
qkm  *).  Messen  wir  nun  auf  Bl.  IV  von  Kieperts  Neuem  Attas 
von  Hellas  mit  dem  Planimeter  die  Ausdehnung  der  in  das 
Trapez  einspringenden  fremden  Gebietstheile  und  andererseits 
die  ausserhalb  des  Trapezes  gelegenen  Stücke  Arkadiens,  so 
bleibt  für  letztere  ein  Uebersehuss  von  340  qkm ; das  Gesammt- 
areal  von  Arkadien  betrüge  demnach  4090  qkm,  was  mit  un- 
serer obigen  Berechnung  fast  genau  übereinstimmt.  Das  ist 
jedenfalls  ein  Beweis  dafür,  dass  diese  Berechnung  im  allge- 
meinen exact  ist.  Eine  absolute  Genauigkeit  ist  bei  der  Un- 
sicherheit über  den  Lauf  der  alten  Grenzen  und  dem  jetzigen 
Stand  unserer  kartographischen  Kenntniss  überhaupt  nicht  er- 
reichbar. 

Die  Inseln  an  den  Küsten  des  Peloponnes  haben  nach 
Strelbitzky  folgenden  Flächenraum : 

1.  An  der  Küste  von  Argolis: 


qkm 

Plateia 2,3 

Ephyra  (?)  (Hypsili) 3,4 

Hydrea 55,8 

Aperopia  (Dolos) 12,5 

Pityussa  (Spetsa,  Petra) 23,0 

Kalaureia  (Poros) 31,3 

Aegina 85,4 

Kekryphaleia  (Angistri) 13,7 

Andere  kleinere  Inseln 18,2 


245,6 


’)  ln  Uehms  Geogr.  Jahrbuch  111  S.  XXXVIII,  auf  Minutendekaden 
erweitert  von  Steinhäuser,  Zeit  sehr.  f.  tcissensch.  Geogr.  V S.  137. 

Beloc b,  BeTölkerungslehre.  I.  8 


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114 


Capitel  IV. 


2.  An  der  Küste  von  Lakonien: 


qkm 

Kythera 284,6 

Ogylos  (Cerigotto) 19,8 

Onugnathos  (Elaphonisi) 18,8 

Btlopulo  oder  Kainieni 2,2 

Kleiue  Ktisteninseln 1,3 


826.2 


3.  An  der  Küste  von  Messenien: 

f ( Cabrera  oder  Schüa)  . . 
Oenussae  { /0  . . 

t (Saptenza) 

Tlieganussa  (Vevetikon) 

Sphakteria  ( Sphagia ) 

Prote  ( Prodatwn ) 

Kleinere  Inseln 


qkm 

15.9 

11.9 

1,7 

4,6 

5,9 

1,5 


41,5 


Mit  Einreclinung  dieser  Inseln  ergiebt  sich  als  Flächen- 
inhalt von 


qkm 

Argolis 4185,6 

Lakonien 5516,2 

Messenien 2901,5 


Es  ist  schliesslich  von  Wichtigkeit,  bei  den  Landschaften, 
die  in  der  Blüthezeit  Griechenlands  keine  politische  Einheit 
gebildet  haben,  die  Yertheilung  des  Flächenraums  auf  die  ein- 
zelnen Stadtgebiete  zu  kennen.  Der  planiinetrischen  Berech- 
nung ist  gleichfalls  Blatt  IV  von  Kieperts  Atlas  von  Hellas  zu 
Grunde  gelegt ; doch  kann  bei  der  Unsicherheit  der  Grenzlinien 
und  der  Kleinheit  der  Gebiete,  um  die  es  sich  handelt  , hier 
selbstverständlich  nicht  der  gleiche  Grad  von  Genauigkeit  er- 
reicht werden,  wie  bei  der  Arealbestinunung  der  ganzen  Land- 
schaften. Indess  compensiren  sich  wenigstens  die  begangenen 
Fehler  unter  einander. 


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Der  Peloponnes. 


115 


Wir  beginnen  auch  hier  mit  Argolis.  Es  entfallen  auf 


die  Gebiete  von 

Sikyon 

Plileius 

Korinth 

Argos  mit  Kleonae  . . 

Epidauros 

Troezen  mit  Kalaureia 
Hermione  mit  Halieis  . 
Aegina 


qkui 

360 

180 

880 

1405 

545 

340 

375 

100 

4185 


Die  arkadischen  Stadtgebiete 
dehnung : 


Megalopolis  . . . . 

Mantineia 

Tegea 

Orchomenos  . . . . 

Kapkyae 

Stymphalos  mit  Alea 

Pheneos 

Kynaetha 

Kleitor 

Psophis 

Tlielpusa 

Heraea 

Pliigaleia 


haben  etwa  folgende  Aus- 


qkm 

1520 

275 

370 

190 

135 

295 

325 

125 

545 

270 

810 

250 

90 

4700 


Von  den  2660  qkm  des  Flächenraums  von  Eleia  kommen  auf 


qkm 

Koele  Elis 1160 

Akroreia 405 

Pisatis 555 

Triphylia 540 


Die  Strandlagunen  bedecken  davon  58,3  qkm  (nach  Strel- 


bitzky),  nämlich  die  von 

qkm 

Myrtuntion  ( Kotiki ) 8,4 

Letrinoi  ( Muria ) 6)3 

Agulonitza  in  Triphylia 32,8 

die  kleineren  Lagunen 10,8 

8* 


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116 


Capitel  IV. 


2.  Argolis. 

Die  hervorragende  Bedeutung,  die  Argolis  in  der  ältesten 
Periode  der  griechischen  Geschichte  gehabt  hat,  lässt  darauf 
schliessen,  dass  hier  schon  früh  eine  verbältnissmässig  dichte 
Bevölkerung  sich  ansammelte.  Nach  dem  homerischen  Schiffs- 
katalog stellte  diese  Landschaft,  allerdings  einschliesslich  von 
Aegialos,  dem  späteren  Achaia,  gegen  Troia  180  Schiffe,  gegen- 
über 240  aus  allen  übrigen  Theilen  des  Peloponnes.  Grössere 
städtische  Mittelpunkte  haben  sich  hier  früher  entwickelt  als 
in  irgend  einer  anderen  griechischen  Landschaft.  Schon  die 
Sage  feiert  Argos,  Tiryns,  das  „goldreiche  Mykene“,  Ephyre. 
Und  Argos,  Korinth,  Sikyon,  Aegina  haben  bis  in  die  römische 
Zeit  hinein  zu  den  ansehnlichsten  Städten  des  europäischen 
Griechenland  gehört;  nirgends  sonst  drängten  sich  die  Gross- 
städte in  dieser  Weise. 

Argos  selbst  gebührt  hier  der  erste  Platz.  In  älterer 
Zeit  unbestritten  die  Hauptstadt  Griechenlands,  hat  es  auch 
im  V.  Jahrhundert  vermocht,  mit  Sparta  um  die  Hegemonie 
der  Halbinsel  zu  rivalisiren,  eine  Stellung,  die  jedenfalls  auf 
eine  ansehnliche  Bürgerzahl  schliessen  lässt.  So  rechnet  Iso- 
krates  Argos  neben  Athen,  Sparta,  Theben  zu  den  vier  be- 
deutendsten Städten  Griechenlands1).  Lysias  setzt  um  das 
Jahr  400  die  Argeier  den  Athenern  an  Zahl  ungefähr  gleich*), 
was  für  Argos  etwa  20000  Bürger  ergeben  würde.  Dem  ent- 
sprechend sollen  nach  Xenophon  394  in  der  Schlacht  bei  Ko- 
rinth 7000  argeiisehe  Hopliten  gekämpft  haben8),  worunter 
ohne  Zweifel  die  Contingente  der  mit  Argos  eng  verbundenen 
Städte  Kleonae  und  Orneae  eingerechnet  sind  4).  Da  nun  Argos 
in  dieser  Zeit  noch  keine  Reiterei  besass,  so  haben  wir  offen- 


')  Isokr.  Punegyr.  64:  tiüv  ulf  yttQ  'Elhr^vläuir  nolfoiv  /<up)f  ijjf 
’lAQyot;  xni  Brjßcu  xni  AnxtSnlynav  xni  töx ' (iu  der  Heroenzeit) 
ijanv  [iiyunat,  xni  yOv  tu  diaitXoCmv. 

s)  Lys.  34  (v.  d.  Verf.)  7 : oüiir  tjuwr  nltlovs- 
»)  Xen.  Hell  IV  2,  17. 

*)  Vgl.  Thuk.  V 74. 


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Der  Peloponnes. 


117 


bar  in  diesen  7000  Mann  die  Gesammtbeit  der  zum  Hopliten- 
dienst  qualificirten,  im  felddienstpflichtigen  Alter,  also  zwischen 
20  und  50  Jahren  stehenden  Bürger  des  Staates  zu  erkennen; 
Argos  musste  demnach  etwa  10000  wohlhabende  Bürger  ge- 
zählt haben,  so  dass  wir  einschliesslich  der  ärmeren  Klassen 
auch  hier  auf  eine  Gesammtzahl  von  gegen  20000  gefühlt 
werden.  Und  viel  unter  diese  Zahl  werden  wir  in  keinem 
Falle  herabgehen  dürfen1).  Schon  in  dem  Kriege  gegen  Kleo- 
menes  I.  soll  Argos  6000  Bürger  verloren  haben,  trotzdem  da- 
mals Mykene  und  Tiryns  noch  unabhängig  waren:  ein  Verlust, 
der  den  Staat  freilich  an  den  Rand  des  Untergangs  brachte2). 
Nach  Tanagra  schickten  die  Argeier  den  Athenern  1000  Ho- 
pliten  zu  Hülfe3),  nach  Sicilien  500*),  nach  Ionien  412  1000  Ho- 
pliten  und  500  Mann  leichter  Truppen6).  Um  dieselbe  Zeit  unter- 
hielt der  Staat  ein  Elitecorps  von  1000  Hopliten6).  Bei  dem 
furchtbaren  Aufstande  von  370,  dem  sogenannten  Skytalismos, 
sollen  1200  wohlhabende  Bürger  erschlagen  worden  sein7). 
Den  Arkadern  sandte  Argos  364  2000  Hopliten  nach  Olympia 
zu  Hülfe8);  Artaxerxes  auf  seinem  Zuge  gegen  Aegypten  ein 
Corps  von  3000  Mann9).  Noch  unter  den  Gliedern  des  achaei- 
schen  Bundes  war  Argos  neben  Megalopolis  der  bedeutendste 
Staat;  beide  stellten  je  500  Mann  zu  Fuss  und  50  Reiter  zu 
dem  ausgewählten  Corps  von  3300  Mann,  das  im  Jahre  217 
auf  Aratos’  Betrieb  aufgestellt  wurde 10) : also  je  Ve  des  ganzen 
Bundesheeres.  FJne  Seemacht  dagegen  hat  Argos  niemals 
besessen. 


*)  Vgl.  Thuk.  V 68  über  die  angebliche  Stärke  der  Argeier  in  der 
Schlacht  bei  Mantineia  418. 

2)  Herod.  VII  148  f.;  Plut.  Moral  S.  245  D— F giebt  7777  Erschlagene. 

3)  Thuk.  I 107. 

*)  Thuk.  VI  43. 

»)  Thuk.  VIII  25. 

•)  Thuk.  V 67. 

’)  Diod.  XV  58. 

8)  Xen.  Hell.  VII  4,  29. 

*)  Diod.  XVI  44. 

10)  Polyb.  V 91,  7;  vgl.  Polyb.  XXX  15,  1:  rö  ßtlno;  r rji  \4oydoir 
nöXfio!  (bei  Suidas  u.  ßuQO(). 


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118 


Capitel  IV. 


Tiryns  und  Mykene,  die  Nachbarstädte  von  Argos, 
haben  nach  Herodots  Schätzung  zur  Schlacht  hei  Plataeae  zu- 
sammen 400  Hopliten  gestellt1),  sie  können  also  nur  unbedeu- 
tend gewesen  sein.  Die  Kleinheit  von  Mykene  hebt  auch 
Thukydides  hervor2).  Wie  bekannt,  wurden  beide  Städte  bald 
nach  den  Perserkriegen  von  den  Argeiern  zerstört  und  ihre 
Gebiete  mit  dem  von  Argos  vereinigt. 

Phi  ei  us  wird  um  die  Zeit  des  Antalkidasfriedens  als 
„Stadt  von  mehr  als  5000  Bürgern“  bezeichnet8),  eine  Angabe, 
die  allerdings  nicht  auf  Zählung,  sondern  nur  auf  ungefährer 
Schätzung  beruht  und  wohl  etwas  übertrieben  sein  wird.  Nach 
Herodot  hätte  die  Stadt  bei  den  Thermopylen  200,  bei  Plataeae 
1000  Hopliten  gestellt4);  bei  Brasidas'  Heer  424  befanden  sich 
400  phleiasische  Hopliten5).  Im  Jahre  369  unterhielt  die  Stadt 
60  Reiter6).  Mehr  als  1000  phleiasische  Verbannte  zogen  380 
mit  Agesilaos  gegen  ihre  Vaterstadt7).  Wenige  Jahre  später, 
nach  der  Schlacht  bei  Leuktra,  sollen  300  Bürger  in  einem 
Kampfe  gegen  die  Verbannten  gefallen  sein,  und  darauf  diese 
letzteren  in  einem  zweiten  Gefechte  600  Mann  verloren  haben ; 
die  übrigen  Verbannten  — es  müssen  also  im  ganzen  auch 
jetzt  gegen  1000  gewesen  sein  — flohen  nach  Argos8). 

Bedeutender  als  Phleius  war  das  benachbarte  Sikyou. 
Herodot  veranschlagt  das  Contingent  der  Stadt  bei  Plataeae  auf 
3000  Hopliten,  während  bei  Artemision  12,  bei  Salamis  15  si- 
kyonische  Trieren  gekämpft  hätten 9).  Diese  Angaben  sind  nun 
allerdings  zweifellos  übertrieben.  25  Jahre  nach  Plataeae  ver- 


0 Herod.  IX  28. 

*)  Thuk.  I 10. 

*)  Xen.  Hell.  V 3,  16:  ü;  oilytov  ivtxa  avftpüjTTaiy  716X11  ttneyjhi- 
votvro  nXior  ntviaxtayiXimv  ärdpoiv  xa)  yap  <f r)  onw;  10C1'  evdt] l.ov 
etri,  ol  ‘PlHaotot  iv  T([i  ifarfQt[i  toi;  t£a>  HcxxXriatnCor. 

*)  Herod.  VII  202,  IX  28. 

»)  Thuk.  IV  70. 

«)  Xen.  Hell.  VII  2,  4. 

’)  Xen.  HtU.  V 3,  17. 

8)  Diod.  XV  40,  der  diese  Ereignisse  irrthümlicher  Weise  schon  vor 
der  Schlacht  bei  Leuktra  erzählt.  Vgl.  auch  Diod.  XIV  91. 

»)  Herod.  IX  28,  VIII  1.  43. 


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Der  Peloponnes. 


119 


mochte  Perikies  mit  1000  attischen  Hopliten  das  ganze  Auf- 
gebot Sikyons  vor  den  Thoren  der  Stadt  in  die  Flucht  zu  trei- 
ben1), und  in  der  Schlacht  am  Nemeabach  394,  die  ebenfalls 
in  unmittelbarer  Nähe  der  Stadt  geschlagen  wurde,  fochten 
nicht  mehr  als  1500  Hopliten  ausSikyon2).  Zu  Brasidas’ Heer 
stellte  Sikyou  im  Jahre  424  600  Hopliten,  neben  400  aus 
Phleius  und  2700  aus  Korinth3);  zehn  Jahre  später  finden  wir 
ein  Corps  von  200  sikyonischen  Hopliten  in  Sicilien  *).  In  einer 
Schlacht  gegen  Iphikrates  im  korinthischen  Kriege  sollen  500 
Sikyonier  gefallen  sein3).  Aratos  führte  251  580  sikyonische 
Verbannte  in  die  Heimath  zurück;  bei  dieser  Gelegenheit  wird 
Sikyon  als  bedeutende  Stadt  bezeichnet,  im  Gegensatz  zu  den 
Kleinstädten  in  Aehaia6).  Nach  alle  dem  werden  wir  die 
Bttrgerzahl  der  Stadt  ums  Jahr  400  auf  nicht  unter  5 — 6000 
veranschlagen  dürfen. 

Grösser  war  Korinth os,  schon  seit  der  Heroenzeit  einer 
der  hervorragendsten  Mittelpunkte  des  Handels  und  Gewerb- 
fleisses  in  Griechenland.  Das  korinthische  Contingent  bei  Pla- 
taeae  giebt  Herodot,  wahrscheinlich  übertrieben  (oben  S.  8 f.),  zu 
5000  Hopliten  an,  bei  Artemision  und  Salamis  zu  40  Trieren  ’) : 
eine  Leistung,  die  von  keinem  anderen  Staate  ausser  Sparta 
und  Athen  übertroffen  oder  erreicht  wurde.  Gegen  Korkyra 
435  stellte  Korinth  3000  Hopliten  auf,  ausserdem  30  Trieren8). 
Die  korinthische  Flotte  galt  damals  neben  der  attischen  und 
korkyraeischen  für  die  erste  in  Griechenland9);  Korinth  ver- 
mochte es,  allerdings  nur  mit  grosser  Anstrengung,  433  gegen 


')  Thuk.  I 111;  Diod.  XI  88:  fm{fi9brrwv  <!'  In'  alibv  r<Ji  2li- 
xvioviiov  TifO'dijiJfi,  Jf fei  ycrofitvr,;,  b ITeoixXrji  rixr/atis ....  xarf- 

xluaiv  «vtovs  tl(  nohooxlav. 

0 Xen.  Hell  IV  2,  16. 
s)  Thuk.  IV  70. 

«)  Thuk.  VII  19. 

*)  Diod.  XIV  91. 

®)  Plut  Aratos  9. 

0 Herod.  IX  28,  VIII  1.  43. 

*)  Thuk.  I 27. 

®)  Thuk.  I 36. 


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120 


Capitel  IV. 


Korkyra  90  Trieren  in  See  gehen  zu  lassen1).  Nach  Potidaea 
sandte  Korinth  im  folgenden  Jahre  1600  Hopliten  und  400 
Mann  Leichtbewaffnete,  es  waren  aber  zum  grössten  Theile 
Söldner®).  Bei  der  Landung  des  Nikias  in»  Herbst  425  kann 
es  die  eine  Hälfte  des  korinthischen  Aufgebots  mit  dem  athe- 
nischen Heere  von  über  2000  Hopliten  und  200  Reitern  auf- 
nehmen, und  wird  erst  nach  längerem  Kampfe  mit  einem  Ver- 
lust von  212  Mann  geworfen.  Dabei  standen  500  Mann  ko- 
rinthischer Besatzungstruppen  in  Leukas  und  Ainbrakia;  die 
Mannschaft  aus  den  Districten  jenseits  des  Isthmos  war  nicht 
aufgeboten  und  die  älteren  Jahrgänge  der  Bürgerschaft  waren 
zum  Schutze  der  Stadt  zurückgeblieben8).  Demnach  würde 
die  junge  Mannschaft  der  Korinthier  in  dieser  Zeit  auf  etwa 
3 — 4000  Hopliten  zu  veranschlagen  sein;  Reiter  unterhielt 
Korinth  damals  noch  nicht4).  Zu  Brasidas’  Heere  stellte  Ko- 
rinth im  folgenden  Jahre  2700  Hopliten5);  da  es  sich  um 
einen  Feldzug  in  nächster  Nähe  der  Stadt  handelte,  so  wird 
Korinth  wahrscheinlich  die  ganze  Macht  aufgeboten  haben,  die 
nach  Abzug  der  Besatzungen  in  Leukas  und  Ambrakia  noch 
verfügbar  war.  Bei  dem  peloponnesischen  Aufgebot  gegen 
Argos  418  finden  wir  2000  korinthische  Schwerbewaffnete®), 
wie  es  scheint  ®/s  der  Gesammtstärke , da  auch  Boeotien  ® 3 
seiner  Macht  zu  diesem  Heere  gestellt  hat.  Und  mit  3000 
Hopliten  erscheinen  die  Korinthier  auch  394  in  der  Schlacht 
am  Nemeabaeh 7),  wo  sie  doch  sicher  alle  verfügbaren  Truppen 
aufgeboten  haben.  Bei  den  Unruhen  im  folgenden  Winter  wurden 
120  Bürger  der  lakonischen  Partei  erschlagen,  500  verbannt8). 

Uebrigens  ist  klar,  dass  die  Bürgerzahl  Korinths  die  von 
Argos  bei  weitem  nicht  erreichen  konnte;  wie  hätte  Argos 


J)  Thuk.  I 46. 
s)  Thuk.  I 60. 

8)  Thuk.  IV  42—44. 

*)  Thuk.  IV  44. 

6)  Thuk.  IV  70. 

«)  Thuk.  V 57. 

1)  Xen.  Hell.  IV  2,  17. 
»)  Diod.  XIV  86. 


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Der  Peloponnes. 


121 


sonst  daran  denken  können,  sich  die  Nachbarstadt  einzuver- 
leiben? So  standen  am  Nemeabach  neben  7000  argeiischen 
nur  3000  korinthische  Hopliten.  Korinth  mag  also  in  der  Zeit 
des  peloponnesischen  Krieges  nahe  an  5000  Bürger  von  Hc- 
plitencensus,  und  im  ganzen  10000,  höchstens  12000  Bürger 
gezählt  haben. 

Die  langwierige  attische  Blokade  im  peloponnesischen 
Kriege,  die  den  Seehandel  der  Stadt  so  gut  wie  ganz  lahm 
legte,  und  noch  mehr  die  Verheerungen  des  sog.  korinthischen 
Krieges,  während  dessen  die  Koriuthia  durch  8 Jahre  den 
Kriegsschauplatz  bildete  und  die  Stadt  durch  blutige  Revolutions- 
kämpfe  erschüttert  wurde,  haben  dem  Wohlstand  Korinths  tiefe 
Wunden  geschlagen.  Athen  mit  seinem  mächtig  aufblühenden 
Emporium,  später  Rhodos  und  Alexandreia  wurden  immer  un- 
bequemere Concurrenten  in  Handel  und  Industrie.  Aber  trotz- 
dem blieb  Korinth  bis  zu  seiner  Zerstörung  eine  der  grössten 
und  blühendsten  Städte  in  Griechenland1).  Die  Wehrkraft 
freilich  gerieth  seit  dem  Verlust  der  Selbständigkeit  in  tiefen 
Verfall.  Schon  während  der  ersten  Hälfte  des  IV.  Jahrhun- 
derts war  die  korinthische  Seemacht  bei  weitem  nicht  mehr, 
was  sie  im  V.  Jahrhundert  gewesen  war;  seit  Chaeroneia  und 
dem  Verlust  der  Colonien  im  Westen  ist  überhaupt  keine  Rede 
mehr  von  korinthischen  Kriegsschiffen.  Was  die  Landmacht 
angeht,  so  waren  um  die  Zeit  der  Schlacht  bei  Kynoskephalae 
kaum  1000  Mann  aus  der  Bürgerschaft  für  den  Felddienst 
verfügbar 2). 

Die  Städte  der  argoli sehen  Akte:  Epidauros, Troezeu, 
Hermione,  Halieis,  Methana,  Kalaureia,  waren  zum  Theil  keines- 
wegs unbedeutend.  Bei  Plataeae  sollen  Epidauros  800,  Troezen 


')  Strab.  VIII  S.  382 : ij  uiv  dij  nolt;  ij  iiüv  Koqivdttav  fteyäitj  7 1 
xal  nlovola  Jic't  navröt  ünijo^tv.  X S.  486:  rrjv  piv  ovv  slijko v ird oft  r 
piro/xivtiv  OL’Ttüi  in  päilov  ijdJijOf  xaiaoxat/Goa  vno  l'aiucti’iny  K<- 

ytvdos’  IxtTat  tjoav  o l furtoQoi.  Cic.  pro  lege  Manilia  5,  11: 

Cbrinthum  patres  restri  totius  Graeciae  lumen  exstindum  esse  voluerunt. 

*)  Das  ergiebt  sich  aus  den  Angaben  bei  Liv.  32,  14  (nach  Polybios); 
doch  mögen  politische  Gründe  Philipp  abgehalten  haben,  der  Stadt  grössere 
Anstrengungen  zuzunmthen. 


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122 


Capitel  IV. 


1000,  Hemiione  300  Hopliten  gestellt  haben;  bei  Salamis 
kämpften  10  epidaurische , 5 troezenisehe , 3 hermionische 
Trieren  *).  Bei  der  korinthischen  Flotte  gegen  Korkyra  finden 
wir  435  5 Trieren  aus  Epidauros,  2 aus  Troezen,  1 aus  Her- 
mione  2) ; zu  der  peloponnesischen  Bundesflotte  von  100  Trieren, 
die  412  aufgestellt  werden  sollte,  wurden  diese  Städte  nebst 
Megara  mit  10  Trieren  veranlagt3).  In  der  Schlacht  am 
Nemeabach,  394,  kämpften  nicht  weniger  als  3000  Hopliten 
aus  den  Städten  der  Akte4),  dieselbe  Zahl,  die  damals  Korinth 
stellte.  Demnach  wird  ihre  Bürgerzahl  zusammen  auf  nicht 
unter  10000  zu  veranschlagen  sein;  wie  sie  denn  auch  die 
Korinthia  an  Ausdehnung  des  Gebietes  um  etwa  400  qkm 
übertreffen. 

Historisch  und  geographisch  einen  Theil  von  Argolis  bildet 
die  Insel  Aegina.  Es  ist.  bekannt,  welch  hohe  Blüthe  Aegina 
am  Anfang  des  V.  Jahrhunderts  erreicht  hatte;  wie  es  nament- 
lich bis  auf  Themistokles  die  erste  Seemacht  des  europäischen 
Griechenland  gewesen  ist.  Die  30  Trieren,  mit  denen  die 
Aegineten  bei  Salamis  kämpften,  bildeten  nur  einen  Theil  ihrer 
Flotte4).  In  der  grossen  Seeschlacht  des  Jahres  458  nahmen 
die  Athener  70  Trieren  der  Aegineten  und  ihrer  Bundes- 
genossen; es  lagen  aber  auch  bei  der  Uebergabe  der  Stadt  im 
folgenden  Jahre  noch  Trieren  im  Arsenal  von  Aegina,  die  da- 
mals von  den  Athenern  hinweggeführt  wurden“).  Bei  Plataeae 
soll  Aegina  500  Hopliten  gestellt  haben7),  gleichzeitig  aller- 
dings auch  Schiffe  zu  der  Flotte  bei  Mvkale.  Immerhin  sehen 
wir,  dass  die  Bürgerzahl  entsprechend  der  Kleinheit  der  Insel 
(mit  Kekrypbaleia  etwa  100  qkm)  nicht  bedeutend  gewesen  ist. 

Im  Sommer  431  wurde  bekanntlich  die  alte  Bevölkerung 
von  den  Athenern  aus  Aegina  vertrieben  und  durch  eine  attische 


>)  Herod.  IX  28.  VIII  43. 
a)  Thuk.  I 27. 

*)  Thuk.  VIII  3. 

4)  Xen.  Hell  IV  2,  16. 

4)  Herod.  VIII  46. 

«)  Thuk.  I 105.  108. 

7)  Herod.  IX  28. 


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Der  Peloponnes. 


123 


Klemcbie  ersetzt.  Die  Aegineten  erhielten  durch  die  Spartaner 
die  Stadt  Thyrea  in  der  Kynuria  zum  Wohnsitz  angewiesen, 
wo  sie  424  von  den  Athenern  angegriffen  und  theils  nieder- 
gemacht,  theils  gefangen  fortgeführt  und  später  hingerichtet 
wurden1).  Zahlen  werden  nicht  angegeben,  doch  geht  aus  der 
ganzen  Erzählung  hervor,  dass  es  sich  nur  um  verhältnissmässig 
wenige  Leute  handeln  konnte.  Aegina  mag  im  V.  Jahr- 
hundert etwa  2000 — 2500  Bürger  gezählt  haben.  Ueber  die 
Stärke  der  attischen  Klemchie  und  die  Bevölkerungsverhält- 
nisse nach  der  Rückkehr  der  alten  Einwohner  im  Jahre  404 
fehlt  jede  Angabe. 

Eür  ganz  Argolis  ergiebt  sich  demnach  in  der  Zeit  des 
peloponnesischen  und  korinthischen  Krieges  folgende  Bürgerzahl : 


qkm 

Bürger 

Argos  und  Kleonae  . . . 

. . . . 1405 

20000 

Phieins 

....  180 

5000 

Sikyon 

. . . . 360 

6000 

Korinth 

....  880 

10000 

die  Akte 

....  1260 

10000 

Aegina 

....  100 

2000 

4185 

53000 

Das  entspricht  einer  bürgerlichen  Gesammtbevölkerung  von 
gegen  160  000,  oder  38  auf  den  qkm.  Da  indess  die  obigen 
Zahlen  der  Hauptsache  nach  auf  Grund  der  militärischen  Auf- 
gebote berechnet  sind,  so  werden  sie  nicht  auf  die  bürgerliche 
Bevölkerung  allein,  sondern  auf  die  gesammte  freie  Bevölkerung 
zu  beziehen  sein.  Die  Dichtigkeit  der  freien  Bevölkerung  ist 
annähernd  dieselbe  wie  in  Attika  während  des  IV.  Jahrhunderts. 

3.  Arkadien. 

A^xnöltfv  fi  ttlitls;  fiiya  ft'  nhtig,  oil  toi  rfwffß). 

7io Hol  iv  'AoxaiSiij  ßalavrjtföyoi  nväqtt  (naiv 
o'i  a(  yt  xioXvaovaiV  tydi  4/  rot  oiln  utyatqio. 

So  schon  das  delphische  Orakel  bei  Herodot *).  Um  die  Mitte  des 
IV.  Jahrhunderts  nennt  Xenophon  die  Arkader  den  zahlreichsten 


>)  Thuk.  IV  56.  57. 
a)  Herod.  I 66. 


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124 


Capite]  IV. 


griechischen  Stamm1);  und  noch  Polybios  erklärt  Arkadien  für  die 
neben  Lakonien  bevölkertste  Landschaft  des  Peloponnes  *).  Dem- 
gemäss wurde  das  arkadische  Contingent  bei  der  Reorgani- 
sation des  peloponnesischen  Bundesheeres  im  Jahre  377  in  2 
Armeeeorps  formirt,  während  Achaia,  Elis  und  Sparta  selbst 
nur  je  1 Armeeeorps  stellten8).  Von  den  vier  Heerhaufen, 
mit  denen  Epameinondas  im  Winter  370  69  in  Lakonien  ein- 
fiel: Boeoter,  Arkader,  Argeier,  Eieier,  war  der  der  Arkader 
der  zahlreichste4).  Für  eine  starke  Volkszahl  Arkadiens 
sprechen  auch  die  bedeutenden  Söldnermassen , welche  die 
Landschaft  namentlich  im  IV.  Jahrhundert  gestellt  hat.  So 
bestand  das  14000  Mann  starke  griechische  Söldnerheer  des 
jüngeren  Kyros  zu  mehr  als  der  Hälfte  aus  Arkadern  und 
Aehaeern5).  Arkadien  muss  also  zu  diesem  Zuge  allein  gegen 
4—5000  Mann  gestellt  haben;  und  gleichzeitig  dienten  arka- 
dische Söldner  noch  in  vielen  andern  Theilen  der  griechischen 
Welt.  Während  der  kurzen  Periode  der  arkadischen  Einheit 
von  370  bis  364  war  Arkadien  ohne  Frage  die  erste  Macht  im 
Peloponnes.  Das  stehende  Heer  des  Bundes,  die  „Epariten“, 
zählte  damals  5000  Mann®);  die  in  Megalopolis  zusammen- 
tretende Bundesversammlung  führte  den  Namen  die  „Zehn- 
tausend“ (0<  (JVQlOt). 

Wenn  aber  Arkadien  bei  seiner  bedeutenden  Ausdehnung 
(4700  qkm)  auch  eine  verhältnissmässig  starke  absolute  Be- 
völkerung gehabt  hat,  so  werden  wir  doch  für  ein  waldreiches 


’)  Xen.  Hell.  VII  1,  23:  nXtiarov  <5i  rmr  'EXXr/rixtäv  tfCXor  tö  'Aq- 
xaitxov. 

*)  Polyb.  IV  32,  3;  II  38,  3. 

s)  Diod.  XV  31. 

4)  Diod.  XV  64. 

8)  Xen.  Anab.  VI  2,  10:  xa)  rtv  <51  rfj  üXrjS  tfti  vniQ  r.fiiav  toi  oXov 
OTQttTtv/jaTos  ’A(jxti<5it  xal  'A/a<of.  Im  Frühjahr  400  waren  noch  über 
4000  arkadische  und  achaeische  Hopliten  übrig,  neben  3000  Hopliten  aus 
andern  griechischen  Landschaften  und  1000  Peltasten:  Anab.  VI  2,  16. 

«)  Diod.  XV  62. 


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Der  Peloponnes. 


125 


Gebirgsland  mit  vorwiegender  Viehzucht1)  und  bis  auf  die 
Gründung  von  Megalopolis  ohne  grössere  städtische  Mittel- 
punkte keine  bedeutende  relative  Bevölkerung  aunehmen 
dürfen.  Wenn  im  IV.  Jahrhundert  in  Attika  80,  in  Boeotien 
50 — 60  Einwohner  auf  den  qkm  entfallen,  werden  demnach 
für  Arkadien  nicht  über  30 — 40  zu  rechnen  sein.  Das  ergäbe 
140 — 190000,  als  Mittel  165000  Einwohner,  oder,  da  die 
Sklavenzahl  in  dieser  Zeit  gewiss  sehr  gering  gewesen  ist,  etwa 
50  000  erwachsene  Bürger.  Tiefer  herabgehen  dürfen  wir  nicht, 
da  sonst  die  Arkader  nicht  mehr  als  der  „zahlreichste  griechische 
Stamm“  bezeichnet  werden  könnten.  Auch  bei  dieser  Annahme 
bleibt  freilich  die  freie  Bevölkerung  von  Arkadien  hinter  der 
von  Argolis  noch  etwas  zurück ; aber  die  Bewohner  von  Argolis 
sind  niemals  als  ein  einziger  Stamm  aufgefasst  worden. 

Was  wir  von  der  Bevölkerung  einzelner  arkadischer  Stadt- 
gebiete erfahren,  steht  mit  diesem  Ergebniss  aufs  beste  im  Ein- 
klang. So  schätzt  Herodot  die  Contingente  von  Tegea  und 
Orchomenos  bei  Plataeae  auf  1500,  bezw.  600  Hopliten  und 
ebenso  viel  leichte  Truppen2).  Das  Contingent  von  Mantineia 
kam  zu  spät  zur  Schlacht;  da  indess  bei  den  Thermopylen 
Mantineer  und  Tegeaten  die  gleiche  Truppenzahl  gestellt  hatten, 
nämlich  je  500  Hopliten 8),  so  wird  auch  die  Bürgerzahl  beider 
Städte  etwa  die  gleiche  gewesen  sein.  Tegea,  Mantineia  und 
Orchomenos  hätten  also  nach  Herodot  für  einen  Feldzug  ausser 
Landes  zusammen  3600  Hopliten  aufbringen  können,  was  eine 
Bürgerzahl  von  über  10000,  und  eine  bürgerliche  Gesammt- 
bevölkerung,  wroftir  wir  in  diesem  Falle  auch  Gesammtbevöl- 
kerung  überhaupt  sagen  können,  von  gegen  35  000  voraussetzt. 


')  Schon  Homer  U 605:  'OQ%6{ttvov  noXv/jrjXov.  Hymn.  19,  30: 
'AqxaStriv  7toXvn(^axa,  /ojrlp«  yrjXojx.  Pind.  Ol.  VI  169:  evfii)Xoio  'Ayxa- 
ö(as-  Simonid.  104:  f-vurjÄov  $vöti ticn  Tfyfuv.  Inscr.  Gr.  Ant.  95:  (v 
AQxadly  TiolnfjaXo).  Und  noch  Theokrit  22,  157:  'A^xadla  t’  ttiyaXos. 
I’hilostr.  Leben  des  Apollonios  von  Tyana  VIII  7 S.  161  Kayser:  fort  Jf 
noXvXrjio;  xal  notoJtjt  i\  'Ayxctäla  xal  iXtidq;  ov  ia  ytifiu^a  yirov,  «11« 
xai  nt  Ix  n oai  ndvra. 
a)  Herod.  IX  28. 

»)  Herod.  VII  202. 


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126 


Capitel  IV. 


Der  Flächeninhalt  dieser  drei  Stadtgebiete  beträgt  835  qkm, 
es  kommen  also  etwa  40  Einwohner  auf  den  qkm.  Nun  ist 
die  tegeatisch  - mantineisehe  Hochebene  einer  der  am  meisten 
zum  Ackerbau  geeigneten  Theile  Arkadiens,  und  hier  allein 
fanden  sich  im  V.  Jahrhundert  einigermaassen  ansehnliche  Städte. 
Die  Bevölkerung  muss  also  hier  offenbar  stärker  gewesen  sein, 
als  in  den  engen  Gebirgsthälem  des  arkadischen  Nordens;  die 
\ olksdichtigkeit  von  ganz  Arkadien  könnte  folglich  40  Einwohner 
auf  den  qkm  noch  nicht  erreicht  haben. 

Und  es  scheint  nicht,  dass  Herodot  die  Bürgerzahl  von 
Tegea  und  Orchomenos  unterschätzt  hat.  Mantineia  war  sicher 
nicht  kleiner  als  Tegea;  und  doch  soll  es  nach  Lvsias  am 
Ende  des  V.  Jahrhunderts  „noch  nicht  3000  Bürger“  gezählt 
haben1).  Lvsias  mag  die  Zahl  absichtlich  etwas  verkleinert 
haben,  da  das  hier  in  seinem  Interesse  lag;  aber  soviel  be- 
weist sein  Zeugniss  doch  jedenfalls,  dass  Mantineia  nur  eine 
verhältnissmässig  schwache  Bürgerzahl  hatte.  Wenn  Mantineia 
im  peloponnesischen  Kriege  eine  bedeutende  politische  Rolle 
gespielt  hat,  so  hat  es  das  nur  vermocht,  indem  es  die  benach- 
barten schwächeren  Cantone  seiner  Herrschaft  unterwarf.  Noch 
zwei  Jahrhunderte  später,  in  Kleomenes’  Zeit,  scheint  Manti- 
neias  Bevölkerung  nicht  viel  über  10000  Einwohner  betragen 
zu  haben.  Denn  als  Antigonos  im  Jahre  222  die  Stadt  ein- 
nahm und  die  Bewohner  in  die  Sklaverei  verkaufte,  betrug  der 
ganze  Erlös  aus  der  Beute  nicht  mehr  als  300  Talente 2).  Bei 
solchen  Massenverkäufen  wurden  natürlich  die  Preise  gedrückt; 
aber  wenn  wir  auch  annehmen,  dass  Antigonos  nur  Via  Minen 
für  den  Kopf  löste,  was  vielleicht  Vs  des  damaligen  Durch- 
schnittspreises entspricht,  und  dass  ai*  jener  300  Talente  aus 
dem  Erlöse  für  die  Sklaven  gewonnen  waren,  so  betrüge  die 
Zahl  der  verkauften  Gefangenen  doch  um-  9000.  Mit  Einrech- 
nung der  im  Kampfe  Gefallenen,  der  Verbannten  oder  zufällig 
Abwesenden  oder  Begnadigten  werden  für  Mantineia  also  kaum 
mehr  als  12000  Einwohner  zu  rechnen  sein. 


V Lysias  34  (r.  d.  Verf.\  7 : otilf  Toia^iUovs  orra;. 
*)  Polyb.  II  56,  6. 


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Der  Peloponnes. 


127 


Ueber  Tegea  hören  wir  um-,  dass  es  zur  Zeit  des  pelo- 
pounesischen  Krieges  eine  für  Arkadien  bedeutende  Stadt  war  *) 
und  dass  bei  den  Unruhen  des  Jahres  370  800  lakonisch  ge- 
sinnte Oligarchen  von  hier  vertrieben  wurden 2).  Auch  diese 
Angaben  stehen  mit  einer  Bürgerzahl  von  4 — 5000  sehr  gut 
im  Einklang. 

Alle  diese  alten  städtischen  Mittelpunkte  Arkadiens  wurden 
verdunkelt  durch  die  im  Jahre  370  gegründete  neue  Bundes- 
hauptstadt Megalopolis.  Der  Umfang  der  Mauern  betrug  50 
Stadien,  was  eine  Ausdehnung  des  umschlossenen  Raumes  von 
3 — 400  Hektaren  voraussetzt.  Das  weit  gedehnte  Gebiet  um- 
fasste den  grösstem  Theil  des  fruchtbaren  Süd-Arkadien.  Die 
Vertreter  der  Stadt  hatten  10  Sitze  im  arkadischen  Buudes- 
rath,  soviel  wie  Mantineia  und  Tegea  zusammen"),  was  auf 
eine  Bürgerzahl  von  10000  und  darüber  schliessen  lässt.  Dem 
entsprechend  giebt  Diodor  an,  die  Megalopoliten  hätten  bei  der 
Belagerung  durch  Polysperchon  318  eine  Zählung  aller  waffen- 
fähigen Einwohner  der  Stadt  und  des  Gebietes  vorgenommen: 
Bürger,  Metoeken  und  Sklaven,  die  15000  Mann  ergeben  hätte4), 
so  dass  die  Megalopolitis  damals  gegen  60000  Einwohner  ge- 
zählt haben  müsste;  wir  haben  keinen  Grund,  an  der  Richtig- 
keit der  Angabe  zu  zweifeln.  Allerdings,  die  Entwicklung  der 
Stadt  Megalopolis  hat  den  Erwartungen  der  Gründer  nicht 
entsprochen;  der  von  den  Mauern  umschlossene  Raum  wmrde 
nie  auch  nur  zur  Hälfte  mit  Häusern  bebaut,  und  der  Vers 

jUtycDi)  'axiv  ij  Aliyiilrj  716h f 

wurde  bald  sprichwörtlich.  Am  Ende  des  III.  Jahrhunderts 
kann  Phylarchos  Mantineia  als  die  grösste  Stadt  Arkadiens  be- 
zeichnen, und  auch  der  Megalopolite  Polybios  giebt  zu,  dass 

*)  Thuk.  V 32 : Tty(av  . . . o«»«m vns  fxfya  i/fooj  ov. 

s)  Xen.  Hell.  VI  5,  10. 

a)  S.  das  arkadische  Bundesdecret  für  den  Athener  Phylarchos  hei 
Le  Bas,  Pelop.  Nr.  340  a = Dittenberger,  Sylloge  Nr.  167. 

4)  Diod.  XVIII  70:  (iprjxfiiaavro  rn  /uiv  an  6 xijf  /mqus  xxxi i'ytiv  t/ff 
rijv  nohv , rwv  <fi  noXiriäv  xal  (fyair  xai  äoüXuiv  ägi9/uo v noirjad- 
/Jtvoi  [xvQtoi’t  xal  ntvx  axiayxXlovt  fuoov  tovs  ävvaftfvovt  naafyto&at 
r ii(  noXtfuxät  /Qxlat. 


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128 


Capitel  IV. 


Mantineia  vor  seiner  Eroberung  durch  Antigonos  Megalopolis 
an  Grösse  nicht  nachstand 1).  Aber  der  Staat  Megalopolis  blieb 
dank  der  Ausdehnung  seines  Gebietes  für  immer  der  erste  Ar- 
kadiens, und  bis  zum  Beitritte  Spartas  neben  Argos  der  eiste 
des  achaeischen  Bundes.  So  wird  von  dem  217  aufgestellten 
Bundesheere  von  3300  Mann  */s  zu  gleichen  Theilen  von  Me- 
galopolis und  Argos  gestellt2).  — Das  Gebiet  von  Megalopolis 
umfasste  zu  der  Zeit,  wo  die  Stadt  in  den  achaeischen  Bund 
eintrat,  etwa  1500  qkm.  Hatte  dasselbe  schon  318  den  gleichen 
Umfang,  so  würde  sich  bei  einer  Bevölkerung  von  60000  eine 
Volksdichtigkeit  von  40  auf  den  qkm  ergeben;  doch  Ist  frag- 
lich, ob  Maenalien  und  Kynurien,  die  bei  dem  Synoekismos 
von  370  selbständig  geblieben  waren8),  bereits  damals  integri- 
rende  Theile  des  megalopolitischen  Gebietes  bildeten. 

Für  die  übrigen  arkadischen  Städte  fehlen  directe  Angaben 
über  die  Bevölkerung.  Wir  hören  nur,  dass  im  Jahre  220 
Kvnaetha  300  Verbannte  hatte4).  Da  die  in  der  Stadt  zurück- 
gebliebenen natürlich  viel  zahlreicher  sein  mussten,  so  kann 
Kvnaetha  in  dieser  Zeit  kaum  unter  1000  Bürger  gezählt 
haben,  oder  eine  bürgerliche  Bevölkerung  von  3000,  was  für 
eine  Kleinstadt  im  Gebirge  mit  einem  Gebiete  von  nur  125 
qkm  recht  ansehnlich  ist.  Wenn  wir  die  Sklaven  auch  nur  zu 
1000  rechnen,  erhalten  wir  34  Einwohner  auf  den  qkm. 

Das  nördliche  und  nordwestliche  Arkadien  umfasst  etwa 
die  Hälfte  der  ganzen  Landschaft,  oder  gegen  2300  qkm.  Da 
diese  Gebirgsdistricte  jedenfalls  schwächer  bevölkert  waren,  als 
die  Ebenen  im  Osten  und  Süden,  so  wird  hier  für  das  Ende 
des  V.  Jahrhunderts  keine  grössere  Volksdichtigkeit  als  etwa 
25  auf  den  qkm  zu  rechnen  sein.  Das  ergäbe  für  diesen  Theil 

*)  Phylarch.  bei  Polyb.  II  56,  6:  irjv  «p^moTniijr  xal  peytorrjr 
7iui.lV  TIÜV  XttTic  ir\v  l4(tx«<f(av.  Polyb.  II  62,  11:  ovtftvög  yä(j  olrtg 
SdttQui  r<üf  'Aqxntitov  Alnrurftg  oüif  xara  rr/r  dvvapiv  ovTi  xarä  lrir 
mgiovoiav. 

*)  Polyb.  V 91,  7. 

*)  Le  Bas,  Pelop.  Nr.  340  a = Dittenberger,  Sylloge  Nr.  167,  eine  In- 
schrift, die  in  die  ersten  Zeiten  des  arkadischen  Bundes,  vor  der  Secession 
von  Mantineia,  gehören  muss. 

*)  Polyb.  IV  17,  9. 


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Der  Peloponnes. 


129 


Arkadiens  60000  Einwohner,  d.  h.  auf  jede  der  9 Städte 
Heraea,  Thelpusa,  Psophis,  Kleitor,  Kynaetha,  I'heneos,  Ka- 
phyae,  Stymphalos,  Alea  im  Durchschnitt  etwa  2000  Bürger. 
Auf  ganz  Arkadien  würden  demnach  155000,  oder  mit  Ein- 
rechnung von  I'higaleia  gegen  160000  Einwohner  kommen,  was 
mit  unseren  obigen  Ansätzen  so  nahe  übereinstimmt , wie  wir 
bei  der  Lage  der  Sache  nur  irgend  erwarten  können. 


4.  Achaia. 

Der  Flächenraum  von  Achaia  beträgt  etwa  die  Hälfte  des 
Mächenraums  von  Arkadien.  Demgemäss  sagt  uns  Polybios, 
dass  letzteres  auch  eine  viel  stärkere  Bevölkerung  gezählt 
hat1).  Ganz  Achaia  zusammen  hatte  am  Anfang  des  HI.  Jahr- 
hunderts kaum  die  Macht  einer  einzigen  ansehnlichen  Stadt, 
wie  Plutarch  angiebt2).  Das  wird  bestätigt  durch  die  unbe- 
deutende Rolle,  die  Achaia  in  der  älteren  griechischen  Ge- 
schichte gespielt  hat.  Immerhin  bildet  das  Contingent  von 
Achaia  vor  der  Schlacht  bei  Leuktra  eines  der  10  Armeecorps 
des  peloponnesischen  Heeres;  und  der  Bund  konnte  um  244, 
als  ausser  Alt-Achaia  nur  Sikyon  dazu  gehörte,  10000  Mann 
ins  Feld  stellen3).  Auch  war  Achaia  eins  der  hauptsächlichsten 
griechischen  Söldnerländer.  Wir  werden  also  hier  etwa  die- 
selbe relative  Bevölkerung  annehmen  dürfen,  wie  in  dem  be- 
nachbarten Arkadien,  und  alle  achaeischen  Städte  mögen  um 
400  v.  Chr.  zusammen  25000  Bürger,  jede  im  Durchschnitt 
2000,  gezählt  haben. 


Polyb.  II  38,  3:  rö  % e j'«p  jcSv  'AQxatSwv  Z&vos,  ofioiot;  ö'i  xal 
TO  Ttüv  Joinw,  nZrjd-u  fxiv  avSgtüv  xal  ytüyas  oväi  n aga  /uixqov 
WltQZZtt. 

*)  Plut  Arni.  9:  ol  rijs  fth  ntlXut,  Ttüv  'ElXrjvtov  üxftfjs  oviZv,  tü c 
Zn of  ilntlv,  ftZttog  oVTtg,  tv  tU  r<ü  tot«  fnt’S  tt£ioX6yov  noXttos  ovfinav- 
Tff  öftoC  ävva^uv  fiiix  Z%ovt(s- 
8)  Plut  Arat.  16. 

Beloch,  ßevölkerangslehre.  I.  9 


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130 


Capitel  IV. 


5.  Eleia. 

Die  Ebene  von  Elis  gehört  zu  den  fruchtbarsten  und  im 
Alterthum  am  besten  bevölkerten  Theileu  des  Peloponnes1). 
Als  reich  angebaut  und  dicht  bewohnt  schildert  uns  die  Land- 
schaft Xenophon  am  Anfang  des  IV.  Jahrhunderts2),  und  das- 
selbe Bild  giebt  zwei  Jahrhunderte  später  Polybios8).  Aber  es 
fehlte  neben  der  Hauptstadt  jeder  städtische  Mittelpunkt  , und 
selbst  diese  ist  nie  sehr  bedeutend  gewesen.  Auch  ist  die  Aus- 
dehnung des  „hohlen  Elis“  eine  ziemlich  beschränkte,  etwa 
1160  qkm.  Die  Perioekenlandschaften  Akroreia,  Pisatis  und 
Triphylien  dagegen  sind  theils  rauhes  Gebirgsland , theils 
sumpfige  Küstenebenen,  im  Alterthum  stark  bewaldet  und  reich 
an  Wild 4).  Die  zahlreichen  Städte  verdienten  mehr  Dörfer  zu 
heissen;  selbst  die  bedeutendste,  Lepreon,  hat  bei  Plataeae 
nach  Herodots  Schätzung  nur  200  Hopliten  gestellt8),  und  wird 
demnach  kaum  viel  über  1000  Bürger  gezählt  haben.  Wenn 
wir  also  auch  für  die  Koele  Elis  eine  verhältnissmässig 
dichte  Bevölkerung  ansetzen  müssen  — etwa  50  auf  1 qkm, 
wie  in  Boeotien,  was  für  einen  rein  agricolen  District  sehr 
hoch  ist,  namentlich  nach  antiken  Verhältnissen  — , so  waren 
dafür  die  1500  qkm  des  Perioekenlandes  um  so  dünner  be- 
völkert, und  wird  hier  eine  Volksdichtigkeit  von  kaum  über 
20  auf  den  qkm  anzunehmen  sein.  Das  ergäbe  für  die  Eleia 
zusammen  gegen  90000  Einwohner  oder  30000  erwachsene 
Männer.  Jedenfalls  sind  die  militärischen  Leistungen  von  Elis 


1)  Epboros  bei  Strab.  VIII  S.  856:  tL'an  x«i  tinriiijijnat  pjdUora 

JIttVT  mv. 

*)  Xen.  Hell.  III  2,  26:  xcci  vn((>no).).a  filv  *n jnj,  vnfynoXXa  S' 
ur6(>u7ioSa  rjKaxiro  Ix  rfjs  ycutmc  , . . xai  lyhtxu  itvttj  r/  tnoartla  tSrrnto 
tnituxiau'ot  r ij  Uelortorrijaiji. 

8)  Polyb.  IV  78,  6:  avfjßatrti  yito  ri)r  Tiür  ‘IDtitur  yutnav  im- 
(f  tgov ituf  otxtto&cu  xal  yt/jftr  oaifiartov  xal  xaxadxf  rrje  naoa  rrjv  aXbjp 
ITtlon6vrt\oor. 

«)  Xen.  Anal.  V 8,  8—11. 

6)  Herod.  IX  28. 


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Der  Peloponnes. 


131 


sehr  geringfügig  gewesen.  Gegen  Sparta  stellte  die  Landschaft 
im  Jahre  418  3000  Hopliten  auf1),  und  annähernd  ebenso 
viele  stellte  Elis  mit  den  damals  davon  unabhängigen  alten 
Perioekenlandsehaften  Triphylien  und  Akroreia  394  in  der 
Schlacht  am  Nemeabach 2).  Danach  würden  wir  versucht  sein, 
der  Landschaft  eine  Bürgerzahl  von  höchstens  15000  zu  geben; 
doch  ist  der  unkriegerische  Sinn  der  Bevölkerung  in  Rechnung 
zu  ziehen,  und  es  mag  in  Elis  ein  starkes  agricoles  Proletariat 
vorhanden  gewesen  sein. 

6.  Lakonien  und  Messenien. 

Die  Frage  nach  der  Bürgerzahl  Spartas  ist  aufs  engste 
verknüpft  mit  der  Frage  nach  der  Organisation  des  lakedae- 
monischen  Heeres,  wie  das  bei  einem  solchen  Militärstaat  nicht 
anders  sein  kann8).  Bekanntlich  zerfiel  das  gesammte  Auf- 
gebot von  Lakonien  in  6 grosse  Abtheilungen  — Moren  — zu 
je  2 Lochen  zu  4 Pentekostyen  zu  2 Enomotien.  So  nach  der 
Angabe  Xenophons4),  der  hier  gewiss  ein  klassischer  Zeuge  ist, 
und  dem,  was  die  Moren  betrifft,  Aristoteles  beistimmt 5).  Da- 
neben aber  wird  aus  Aristoteles  noch  eine  andere  Eintheilung 
angeführt,  in  5 Lochen:  'Ediolog  {silöiuhog) , Eivtg  (Eivijs), 


»)  Thuk.  V 58.  75. 

2)  Xen.  IM.  IV  2,  16. 

3)  Die  folgenden  Ausführungen  stehen  im  Gegensatz  zu  den  Resultaten 
der  neuesten  Behandlung  dieses  Gegenstandes  in  der  Dissertation  von 
Stehfen:  De  Lacedaemoniorum  (der  Verf.  schreibt  Spaiianorum)  re  mili- 
tari, Greifswald  1882.  Die  Arbeit  zeugt  von  achtenswertken  philologischen 
Kenntnissen;  leider  ist  dem  Verf.  darüber  die  lebendige  Anschauung  der 
Dinge  abhanden  gekommen. 

*)  Xen.  v.  Staat  d.  Laked.  11,  4:  ovtvi  yt  xaraaxeiiuati/xeros 
/juQa(  fiiv  ditiltr  l'S  xai  tnadaiv  xal  unXiuiiv  ■ . . Ixtiotij  dl  rd »»>  noUnxdir 
loiirtov  juopcüi'  t/a  noli/Aaqxov  Ir«,  Xo/ayoiis  rlrr«p«f,  7Tf »r»)*o)ri]pa,- 
öxzco,  troifjoraoya;  txxaldtxtt.  Dass  für  lo^ayovs  rlrr«p« c zu  emendiren 
ist  Xo^ayous  Sio  (nach  Hell.  VII  4,  20  uhd  VII  5,  10),  ist  jetzt  wohl  all- 
gemein anerkannt. 

R)  Bei  Ilarpokration  udpwr. 

9* 


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132 


Capitel  IV. 


Agluac,  (^uQivaq) , TlXodg,  Meooäi^g *) , die  offenbar,  ebenso 
wie  die  5 Ephoren,  den  5 Komen  entsprechen,  in  die  Sparta 
zerfiel. 

Den  anscheinenden  Widerspruch  zwischen  diesen  Angaben 
schlichtet  man  gewöhnlich  durch  die  Hypothese,  es  sei  gegen 
Ende  des  i»eloponnesiseheu  Krieges  eine  Veränderung  der  tak- 
tischen Gliederung  des  lakedaemonisehen  Heeres  vorgenommen 
worden,  bei  der  Spartiaten  und  Perioeken  in  dieselben  Ab- 
theilungen verschmolzen  worden  seien  und  die  6 Moren  an 
Stelle  der  5 Lochen  getreten  wären4).  Irgend  welches  directe 
Zeugniss  steht  dieser  Annahme  nicht  zur  Seite;  und  wenn  es 
schon  an  sich  bedenklich  ist,  aus  reiner  Willkür  so  weit- 
gehende Schlüsse  zu  ziehen,  so  ist  es  doppelt  gewagt  gegen- 
über der  Verfassung  Spartas , deren  hervorstechendstes  Merk- 
mal ihr  conservativer  Charakter  ist.  Bezeichnet  doch  Xenophon 
die  Moren  - Eintheilung  geradezu  als  lykurgische  Einrichtung, 
was  er  unmöglich  hätte  thun  können,  wäre  diese  Eintheilung 
erst  zu  seiner  Zeit,  ja  gewisscrmaassen  unter  seinen  Augen  ge- 
schaffen worden.  Allerdings  ist  der  Versuch  missglückt,  die 
Moren  schon  bei  Herodot  nachzuweisen;  aber  die  Führer  der 
Moren,  die  Polemarchen,  erwähnt  nicht  nur  Thukydides  in  der 
Beschreibung  der  Schlacht  bei  Mantineia  (418),  sondern  be- 
reits Herodot8).  Und  zwar  sind  die  Polemarchen  bei  Thuky- 
dides keineswegs,  wie  man  behauptet  hat,  blosse  Adjutanten 
des  Königs,  die  nur  dessen  Befehle  vermitteln,  sondern  sie 
stehen  selbst  an  der  Spitze  von  Truppenkörpern,  sind  die  Vor- 
gesetzten der  Lochagen  in  derselben  Weise,  wie  diese  die 
Vorgesetzten  der  Pentekosteren  und  diese  wieder  der  Enomo- 
tarchen  sind;  hätte  doch  die  Insubordination  zweier  Pole- 
marchen beinahe  den  Verlust  der  Schlacht  bei  Mantineia  her- 
beigeführt4). 


')  Sckol.  Arist.  Lysistr.  454  und  zu  Tlmk.  V 8. 
ä)  So  z.  B.  Gilbert,  Stmtsaüerth.  I 74  f. 
s)  Herod.  VU  173. 

*)  Vgl.  Trieber,  Forschungen  zur  spartanischen  Verfassungsgeschichte 
(Berlin  1871)  S.  1. 


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Der  Peloponnes. 


133 


Wir  müssen  uns  also  nach  einer  anderen  Erklärung  dieses 
angeblichen  Widerspruchs  umsehen,  und  sie  liegt  nahe  genug. 
Das  lakedaemonische  Heer  war  nämlich,  wie  bekannt,  wenn 
wir  von  den  Heiloteu  und  Neodamoden  absehen,  aus  zwei  Be- 
standtheilen  zusammengesetzt,  aus  dem  Aufgebote  der  spartia- 
tischen  Bürgerschaft  und  den  Contingenten  der  Perioekenstädte. 
Beide  Theile  bildeten  besondere  taktische  Einheiten.  So  sind 
in  dem  Feldzuge  von  479  die  spartiatischen  Bürgertruppen  zu- 
erst ausgerückt,  und  die  Perioeken  erst  später  gefolgt '),  und 
auch  sonst  sind  die  Perioeken  mitunter  für  sich  allein  zu  mili- 
tärischen Operationen  verwendet  worden.  Ja  noch  mehr:  auch 
die  Contingente  jeder  einzelnen  Perioekengemeinde  bildeten  selb- 
ständige Truppenkörper.  Von  den  Skiriten  ist  das  allbekannt; 
es  liegt  aber  überhaupt  in  der  Natur  der  Sache.  So  hören 
wir  denn,  dass  bei  der  Unternehmung  gegen  Pylos  zwar  die 
nächstgelegenen  Perioekenstädte  ihre  Truppen  sofort  zu  dem 
Belagerungsheere  stossen  Hessen,  die  übrigen  Gemeinden  aber 
mit  ihrer  Hülfe  zögerten2). 

Wenn  nun  die  Skiriten,  das  einzige  Perioekeneontingent, 
über  dessen  Formation  wir  näher  unterrichtet  sind,  einen  eigenen 
Lochos  im  lakedaemonischen  Heere  bildeten,  so  müssen  wir  an- 
nehmen, dass  die  Perioeken  überhaupt  in  eigenen  Lochen  ge- 
dient haben.  Und  zwar  standen  diese  perioekischen  Lochen, 
von  den  Skiriten  abgesehen,  ohne  jeden  Zweifel  in  dem  Ver- 
band der  6 Moren.  Allerdings  bezeichnet  Xenophon  diese  Ab- 
theilungen einmal  als  nohzi/.ai  uogai 3);  aber  nicht  im  Gegen- 
satz zu  perioekischen  Moren,  von  denen  wir  überhaupt  nie 
etwas  hören,  sondern  zu  den  Divisionen  («£(>»/)  des  pelopon- 
nesischen  Bundesheeres.  Denn  auch  sonst  werden  bei  Xenophon 
Spartiaten  und  Perioeken  zusammen  als  noXlrai  den  Bundes- 
genossen (ovuuayoi)  gegenübergestellt4).  Und  überhaupt  ist 
es  ganz  undenkbar,  dass  die  spartiatische  Bürgerschaft  für  sich 


’)  Herod.  IX  10.  11. 

*)  Thuk.  IV  8. 

*)  Oben  S.  131  Anm.  4. 

4)  Trieber  in  Fhckeisens  Jnhrb.  103  (1871)  S.  445  ff. 


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134 


Capitel  IV. 


allein  im  Stande  gewesen  sein  sollte,  6 Moren  in  der  von 
Xenophon  beschriebenen  Zusammensetzung  auszufüllen.  Wenn 
wir  die  Enomotie,  wie  bei  Leuktra,  zu  36  Mann  rechnen,  so 
zählte  jeder  Lochos,  einschliesslich  der  Offiziere,  300,  und  alle 
6 Moren  zusammen  3600  Mann.  Nun  betrug  aber  das  lakedaemo- 
nische  Gesammtaufgebot  in  der  Schlacht  bei  Korinth  (394)  nicht 
über  6000  Hopliten  *),  von  denen  also  höchstens  2400  Perioeken 
gewesen  sein  könnten,  wobei  von  den  Neodamoden  ganz  ab- 
gesehen ist.  Diese  Zahl  ist  aber  viel  zu  gering  gegenüber  dem, 
was  wir  sonst  von  dem  numerischen  Verhältniss  zwischen  Spar- 
tiaten  und  Perioeken  in  dem  lakedaemonischen  Heere  erfahren. 

Die  Moren  waren  also  aus  spartiatischen  und  perioekischen 
Lochen  combinirt,  und  zwar  aus  je  einem  spartiatischen  und 
einem  perioekischen  Lochos,  da  jede  Mora  überhaupt  nur  2 
Loehen  enthielt.  Aristoteles  zählt  allerdings  nur  5 spartiatisehe 
Lochen  namentlich  auf;  aber  ausserdem  bestand  bekanntlich 
in  Sparta  noch  ein  6.  Lochos  ausgewählter  Hopliten  (Äoyadec), 
die  300  sogenannten  Ritter  ( Innelg ),  die  in  der  Schlacht  die 
Leibgarde  des  Königs  bildeten.  Diese  selbe  Leibgarde  bezeichnet 
Xenophon  einmal  als  „Agema  der  ersten  Mora“  ®),  womit  denn 
bewiesen  ist,  dass  das  Rittercorps  innerhalb  des  Verbandes  der 
Moren  gestanden  hat.  Ganz  entsprechend  berichtet  auch  Ari- 
stoteles, dass  die  Moren  sämmtliche  Lakedaemonier  umfasst 
haben3);  und  Thukydides  erwähnt  zwar  die  Ritter  ausdrücklich 
bei  der  Beschreibung  der  Schlacht  bei  Mantineia4),  übergeht 
sie  aber  bei  der  Berechnung  der  lakedaemonischen  Streitkräfte : 
ein  Zeichen,  dass  er  sie  schon  unter  den  7 grossen  Heeres- 
abtheilungen begriffen  hatte,  deren  Stärke  er  angiebt.  Und  in 


')  Xen.  Hell.  IV  2,  16. 

a)  Staat  d.  Lak.  18,  6 : rjv  dt  non  uüyrjv  oTtorrai  tenoihu,  Xaßo'iv  io 
ayijfia  riji  71QOIT1J g fionas  ö ßaotXevt  ayei  axgtxpag  trt'i  ßoQV,  tax'  Sv  y(~ 
vtjxat  tv  /utaqi  ßvoTv  fjoQttn1  xal  ßvoiv  noXtfjügyoiv.  Man  denke  an  die 
Stellung  des  Agema  im  makedonischen  Heere. 

a)  Bei  Harpokr.  fiügtav:  xai  ßi tjQqvxnt  tlq  rä;  uoq ag  jiaxtSaiuö wn» 
narris- 

«)  Thuk.  V 72. 


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Der  Peloponnes. 


135 


der  That  entspricht  die  Zahl  der  Ritter  genau  der  Stärke  der 
übrigen  Lochen  des  Heeres. 

Nur  ein  Loehos  stand  ausserhalb  der  Morenverbände,  das 
Corps  der  Skiriten,  wie  es  sich  auch  in  der  Bewaffnung  von 
den  übrigen  Hopliten  unterschied.  Auf  dem  Marsche  bildeten 
sie  die  Avantgarde,  in  der  Schlacht  den  linken  Flügel  des 
Heeres.  Bei  Mantineia  waren  sie  durch  das  Corps  der  Neoda- 
moden  von  den  übrigen  spartiatisch  - perioekischen  Lochen  ge- 
trennt, ein  Beweis,  dass  sie  taktisch  in  keiner  Verbindung  mit 
ihnen  gestanden  haben.  Und  als  sich  nach  Epameinondas’  Ein- 
fall in  Lakonien  die  Skiritis  gegen  ihre  spartiatischen  Herren 
erhob,  bleibt  doch  das  Heer  aus  12  Lochen  zusammengesetzt; 
die  Skiriten  also  hatten  einen  13.  Loehos  gebildet1). 

Eine  Bestätigung  des  gesagten  bieten  die  Angaben  des 
Thukydides  über  die  Besatzung  von  Sphakteria.  Unter  den 
292  Gefangenen  befanden  sich  nämlich  120  Spartiaten 2) ; da 
nun  die  Verluste  im  Kampfe  offenbar  im  Durchschnitt  alle  Ab- 
theilungen gleichmässig  getroffen  hatten3),  so  müssen  von  den 
420  Hopliten,  die  auf  der  Insel  eingeschlossen  worden  waren, 
gegen  170  Spartiaten  gewesen  sein.  Das  Besatzungscorps  war 
aus  sämmtlichen  Lochen  combinirt  worden4)’,  und  da  man 
dabei  die  kleinsten  taktischen  Verbände  unmöglich  zerreissen 
konnte,  so  ist  von  jedem  Loehos  mindestens  eine  Enomotie 
nach  der  Insel  hinübergegangen.  Aber  auch  nicht  mehr;  denn 
die  420  Mann  der  Besatzung  entsprechen  genau  12  Enomotien 
zu  35  Mann,  wovon,  nach  dem  Verhältniss  der  Gefangenen, 
5 aus  Spartiaten  (175  Mann),  7 aus  Perioeken  (245  Mann) 
bestanden  haben  müssen.  Die  Hippeis  haben  offenbar  keine 
Abtheilung  für  die  Besatzung  der  Insel  abgegeben,  wohl  aber 
die  Skiriten. 


')  Xen.  Hell.  VII  4,  20;  5,  10;  allerdings  ist  die  Zahl  12  an  der 
zweiten  Stelle  erst  durch  Emendation  hergestellt. 

*)  Thuk.  IV  38. 

*)  Vgl.  den  Ausspruch  des  gefangenen  Spartiaten  bei  Thuk.  IV  40: 
TToilov  av  afitov  thiu  r ov  ctTQaxTOv,  ll  Toi'S  ayaflovs  ihiyfyrtuoxf. 

4)  Thuk.  IV  8:  ärroxlriQninnrif(  anö  rrtirriov  uöv  loytov. 


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136 


C'apitel  IV. 


Nun  zählte  hei  Leuktra,  wie  schon  erwähnt,  jede  Enornotie 
36  Mann1),  jeder  Lochos  also  300,  und  alle  6 Lochen  1800 
Mann.  Dazu  kommt  weiter  die  Reiterei,  die  damals  aus  600 
Pferden  bestand 3),  und  von  der  wir  nicht  Missen,  wieweit  sie 
aus  Spartiaten  gebildet  war.  An  der  Schlacht  nahmen  4 Moren8), 
oder  ala  der  gesummten  Macht  Spartas  Theil,  d.  h.  1200  Bürger- 
hopliten,  und  200  Bürgerreiter,  wenn  wir  annehmen,  dass 
auch  die  Reiterei  zur  Hälfte  aus  Spartiaten  und  zur  an- 
deren Hälfte  aus  Perioeken  bestanden  hat.  Steht  denn  aber 
dieses  Ergebniss  nicht  in  geradem  Widerspruch  mit  der  Angabe 
Xenophons,  wonach  nur  700  Spartiaten  an  der  Schlacht  l>ei 
Leuktra  Theil  genommen  haben4)? 

Wir  müssen  uns  hier  erinnern,  dass  die  spartiatische  Bürger- 
schaft aus  zMei  Theilen  bestand,  den  vollberechtigten  Bürgern 
(oftoioi)  und  den  Bürgern  niederen  Rechts  (vnofieioves).  Zu 
den  Ilomoeen  gehörte  jeder,  der  im  Stande  war,  seinen  regel- 
mässigen Beitrag  zu  den  Syssitien  zu  leisten,  d.  h.  der  reich 
genug  war,  ohne  eigene  Arbeit  von  dem  Ertrage  seines  Grund- 
besitzes zu  leben.  Wer  diesen  Beitrag  nicht  mehr  zu  leisten 
vermochte,  der  hörte  darum  natürlich  nicht  auf,  Spartiate  zu 
sein,  so  wenig  Mie  in  irgend  einer  anderen  griechischen  Oli- 
garchie die  nicht  zu  der  bevorrechteten  Klasse  gehörenden 
das  Bürgerrecht  verloren  haben.  Die  familienrechtliche  Stellung 
dieser  Bürger  in  Geschlecht,  Obe  und  Pbyle  blieb  vielmehr 
davon  ganz  unberührt,  und  ebenso  ihre  privatrechtliche  Stellung; 
nur  ihr  volles  actives  Bürgen-echt  ruhte,  so  lange  als  sie  nicht 
im  Stande  waren,  den  vom  Gesetz  vorgeschriebenen  Census 
nachzuweisen.  Wozu  auch  die  Bezeichnung  o/xoioi,  wenn  jeder, 
der  nicht  zu  diesem  Kreise  gehörte,  überhaupt  nicht  mehr  als 
Spartiate  gegolten  hätte? 

Und  auch  die  militärische  Dienstpflicht  war  keinesMegs  auf 
die  Ilomoeen  beschränkt.  Wie  hätte  der  Staat  auch  auf  die 


>)  Xen.  HeU.  VI  4,  12. 

*)  Xen.  HeU.  IV  2,  16;  jede  Reitemiora  also  zählte  100  Pferde. 
*)  Xen.  Hell.  VI  I,  1;  4,  17. 

*)  Xen.  HeU.  VI  4,  15. 


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Der  Peloponnes. 


137 


Dienste  eines  Theiles  seiner  Bürger  verzichten  sollen,  wenn  er 
hei  seinen  Aushebungen  sogar  auf  die  Heiloten  zurückgriff? 
Xenophon  berichtet,  der  König  habe  drei  Zeitgenossen  aus  der 
Zahl  der  Homoeen  ‘} ; es  muss  demnach  auch  Bürger  im  Heere 
gegeben  haben,  die  nicht  zu  den  Homoeen  gehörten.  Ja  selbst 
Befehlshaberstellen,  wenn  auch  untergeordnete,  waren  den  vno- 
fieloves  zugänglich,  wie  das  Beispiel  des  Verschwörers  Kinadon 
beweist  -). 

Da  nun  Sparta,  von  den  Heiloten  und  etwa  einigen  Pe- 
rioeken  abgesehen,  leichte  Trappen  in  historischer  Zeit  nicht 
gehabt  hat,  so  müssen  auch  die  Bürger  niederen  Rechts  als 
Hopliten  gedient  haben.  Dass  Kinadon  Hoplit  gewesen  ist, 
wird  nach  den  Angaben  Xenophons  Niemand  bezweifeln;  und 
dasselbe  ergiebt  sich  aus  Plutarch  für  die  vnoueioveg  im  Heere 
des  Agis3).  Zum  Ueberfluss  berichtet  es  Xenophon  auch  aus- 
drücklich in  einer  Stelle  der  Kyropaedie 4),  an  der  wie  so  oft 
die  Lakedaemonier  unter  der  persischen  Verkleidung  hervor- 
sehen.  Und  zwar  erfahren  wir  daraus  zugleich,  was  freilich 
an  und  für  sich  klar  ist,  dass  die  Bürger  niederen  Rechts  in 
denselben  taktischen  Abtheilungeu  dienten,  wie  die  Homoeen. 
Nur  zum  Rittercorps  haben  sie  offenbar  keinen  Zutritt  gehabt; 
wie  andererseits  die  Reiterei,  soweit  sie  überhaupt  aus  spar- 
tiatischen  Bürgern  bestand,  nur  aus  den  in o/deiovsg  recrutirt 
wurde 8). 

Wenn  nun  aber  auch  die  Bürger  niederen  Rechtes,  ebenso 
wie  die  Homoeen,  vollen  Anspruch  darauf  hatten,  als  Spartiaten 
zu  gelten,  so  kamen  politisch  doch  fast  ausschliesslich  die  Ho- 
moeen  in  Betracht;  und  so  ist  es  gekommen,  dass  schon  die 
Alten,  wenn  von  Spartiaten  die  Rede  ist,  zunächst  nur  an  die 

')  Staat  (1.  Laked.  18,  1. 

s)  Xen.  Hell.  111  8,  5. 

*)  Affin  5.  14. 

*)  II  1,  18:  ogält  r a Ca  Xu.  6 jfpi/fo»’  htufiarhio  ti<  vtct  xrti 
ärayoftif  (a(hi>  elg  Trjr  öfxoletv  t«$iv  T)[jTv. 

8)  Xen.  Hell.  VI  4,  11:  hfitifov  fiir  yäy  rov;  Xnnovs  o t ni-ovami- 
rorot'  f 7i(l  Ji  (fgovQct  (ftti'&tltj,  t6tc  ijxev  6 awitiay/jivoi'  Xttfiuiv  J’  «r 
Tor  Xnnov  xcti  t«  oni.it  öjtoia  So&eii)  avrti)  fx  roO  nitQitXQTjua  avr- 
eoTQarevfTo. 


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Capitol  IV. 


Homoeen  denken.  Wenn  Aristoteles  sagt.  Sparta  sei  durch 
seinen  Menschenmangel  zu  Grunde  gegangen,  da  es  nicht  im 
Stande  gewesen  sei,  einen  einzigen  Schlag  zu  überstehen,  denn 
die  Spartiaten  seien  „noch  nicht  1000  an  Zahl“  gewesen1),  so 
ist  unzweifelhaft,  dass  er  nur  von  den  Homoeen  reden  will. 
Und  in  demselben  Sinne  braucht  Xenophon  mehrfach  den  Aus- 
druck Spartiaten.  Es  steht  demnach  nichts  der  Annahme  ent- 
gegen, (lass  auch  die  Angabe,  es  hätten  bei  Leuktra  700  Spar- 
tiaten gekämpft,  so  aufzufassen  ist. 

An  dieser  Schlacht  waren  4 Moren  betheiligt  mit  zusammen 
700  Homoeen,  es  müssen  also  nach  diesem  Verhältniss  alle 
(>  Moren  1050  Homoeen  umfasst  haben.  Und  zwar  waren  für 
diesen  Feldzug  die  35  ersten  Altersklassen  der  dienstpflichtigen 
Mannschaft  aufgeboten,  also  die  Bürger  vom  20.— 55.  Jahre; 
rechnen  wir  die  Bürger  über  55  Jahre  hinzu,  so  erhalten  wir 
1300,  oder  mit  Einschluss  der  dienstuntauglichen  oder  im 
öffentlichen  Dienste  anderweitig  verwendeten  vielleicht  1500 
Homoeen2).  Annähernd  ebenso  zahlreich  müssen  die  Bürger 
niederen  Rechts  gewesen  sein,  da  unter  den  Spartiaten  bei 
Leuktra  (4  Lochen  zu  8 Enomotien  zu  36  Mann,  dazu  200 
Reiter)  700  Homoeen  waren.  Sparta  zählte  also  im  ganzen 
im  Jahre  371  gegen  3000  Bürger;  das  Verhältniss  zwischen 
Besitzenden  und  Nichtbesitzenden  ist  etwa  dasselbe  wie  im 
übrigen  Griechenland. 

Sehen  wir  jetzt,  wieweit  dieses  Resultat  im  Einklänge  steht 
mit  dem,  was  sonst  über  die  militärischen  Leistungen  Spartas 
im  V.  und  IV.  Jahrhundert  überliefert  ist.  Bei  Korinth  394 
zählten  die  Lakedaemonier  6000  Hopliten  und  600  Reiter3). 
Offenbar  war  das  ihre  gesammte  Kriegsmacht,  alle  6 Moren, 
und  die  Neodamoden,  die  nicht  mit  Agesilaos  in  Asien  standen ; 
denn  die  Mora,  die  wir  später  als  Besatzung  in  Orchomenos 
finden,  ist  doch  wohl  erst  nach  der  Schlacht  dahin  abgegangen. 
Die  Stärke  der  Moren  um  diese  Zeit  betrug  nach  Xenophon 


')  Arist.  Poh't.  II  9 S.  1270  a. 

2)  So  rechnet  auch  Gilbert,  Stadtnah.  I 40  A.  3. 
*)  Xen.  ffrlt.  IV  2,  16. 


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Der  Peloponnes. 


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600  Mann1);  das  ergiebt  für  6 Moren  zusammen  3600,  ein- 
schliesslich der  600  Skiriten  4200,  sodass  1800  Mann  für  die 
Neodamoden  übrig  bleiben. 

An  der  Schlacht  bei  Mantineia  418  nahmen  nach  Thuky- 
dides  ausser  den  Skiriten  7 lakedaemonische  Lochen  Theil, 
jeder  zu  4 Pentekostyen  zu  4 Enomotien;  jede  Enomotie  im 
Durchschnitt  zu  32  Hopliten 2).  Dass  hier  die  Lochen  mit  den 
Moren  verwechselt  sind,  oder  besser  ausgedrückt,  die  Bezeich- 
nung Moren  mit  Absicht  vermieden  ist,  unterliegt  keinem  Zweifel. 
Entspricht  doch  die  Stärke  des  Lochos  bei  Thukydides  genau 
der  Stärke  der  Mora  bei  Xenophon.  Beide  bestehen  aus  16 
Enomotien;  und  ohne  Frage  ist  Xenophon  gegenüber  Thuky- 
dides im  Rechte,  wenn  er  eine  solche  Abtheilung  als  Mora, 
nicht  als  Lochos  bezeichnet.  Einmal  deswegen,  weil  er  durch 
seine  Stellung  als  lakedaeinonischer  Offizier  in  diesen  Dingen 
ganz  andere  competent  war  als  Thukydides,  dann  aber  auch 
aus  Gründen,  die  in  der  Sache  selbst  liegen.  Nach  Thukydides 
hätte  jede  Pentekostys  4 Enomotien  umfasst,  d.  h.  128  Mann; 
damit  wird  aber  die  Bezeichnung  Pentekostys  (Abtheilung  von 
50  Mann)  zur  Absurdität.  Durch  Emendation  hier  helfen  zu 
wollen,  ist  verkehrt,  denn  die  ganze  Berechnung  der  Stärke 
des  spartanischen  Heeres  bei  Thukydides  beruht  auf  diesem 
Ansatz.  Feiner  ist  evident  — obgleich  es  bekanntlich  geleugnet 
worden  ist  — , dass  auch  die  Perioeken  an  der  Schlacht  bei 
Mantineia  Theil  genommen  haben;  waren  doch  sogar  die  ar- 
kadischen Bundesgenossen  zur  Stelle,  und  selbst  die  Boeoter 
und  Korinthier  sind  aufgeboten  worden,  wenn  sie  auch  ihre 
Vereinigung  mit  den  Lakedaemoniem  nicht  mehr  rechtzeitig 
bewirken  konnten.  Und  überhaupt  beweist,  wie  schon  oben 
hervorgehoben  wurde,  die  Erwähnung  der  Polemarchen,  dass 
das  lakedaemonische  Heer  bei  Mantineia  in  der  That  in  Moren 
gegliedert  war.  Und  zwar  müssen  alle  6 Moren  bei  der  Schlacht 
betheiligt  gewesen  sein,  da  die  Lakedaemonier  mit  ihrem  ganzen 
Aufgebote  ( navdr^tl ) ausgezogen  waren8).  Das  sind  6 von 

')  Xen.  HeU.  IV  5,  12. 

*)  Thuk.  V 68. 

»)  Thuk.  V 64. 


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140 


Capitel  IV. 


den  7 Lochen  bei  Thukydides;  die  7.  bilden  die  Heiloten  des 
Brasidas  und  die  Neodainoden.  Die  Behauptung,  jene  7 Lochen 
umfassten  nur  die  Truppen  im  Centrum  der  lakedaemonischen 
Stellung,  nicht  aber  der  beiden  Moren  — Moren,  nicht  Lochen, 
weil  sie  von  Polemarchen  befehligt  wurden  — auf  dem  äus- 
sersten  rechten  Flügel,  steht  ganz  in  der  Luft;  Thukydides 
will  die  Gesammtstärke  des  lakedaemonischen  Heeres  angeben, 
nichts  anderes. 

Das  lakedaemonische  Heer  bei  Mantineia  war  demnach  in 
folgender  Weise  zusammengesetzt: 

6 Moren  zu  16  Enomotien  zu  82  Mann,  einschliesslich 


27  Offizieren 8234  Mann 

Skiriten 600  „ 

Reiter  (Thuk.  IV  55) 400  „ 


4234  Mann 

Dazu  noch  die  Neodainoden  und  die  Besatzung  des  Lagers. 
In  Sparta  war  der  6.  Theil  der  waffenfähigen  Mannschaft  zurück- 
geblieben l).  Die  Zahl  der  waffenfähigen  Spartiaten  ergiebt  sich 
demnach  in  folgender  Weise: 


Hippeis 300  Mann 

5 Lochen  zu  256  Mann,  einschliesslich  der  Offiziere  . 1360  „ 

die  Hälfte  der  Reiter 200  „ 

Reserve  in  Sparta  870  „ 


2220  Mann 

Einschliesslich  der  Besatzung  des  Lagers,  der  Männer  über  60 
Jahre  und  der  dienstuntauglichen  mögen  auch  hier  annähernd 
3000  Spartiaten  herauskommen,  soviel  als  ein  hallies  Jahr- 
hundert später  vor  der  Schlacht  bei  Leuktra. 

Ein  halbes  Jahrhundert  früher,  bei  Plataeae,  haben  nach 
Herodot  5000  spartiatische  Hopliten  gekämpft,  während  die 
Gesammtzahl  der  Spartiaten , und  zwar  der  Homoeen,  8000 
betragen  hätte 2).  Demnach  müsste  sich  die  Bürgerzahl  Spartas 


>)  Thuk.  V 64. 

*)  Herod.  IX  10.  28,  VII  234. 


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Der  Peloponnes. 


141 


zwischen  479  und  418  um  5000  Köpfe,  über  60  °i o vermindert 
haben.  Dass  eine  solche  Abnahme  ganz  undenkbar  ist,  ist 
längst  hervorgehoben  worden1).  Indess  wir  haben  bereits  ge- 
sehen, wie  geringe  Autorität  Herodots  Zahlenangaben  l>ean- 
spruchen  können.  Ist  es  doch  sogar  einem  Thukydides  unmöglich 
gewesen,  etwas  zuverlässiges  über  die  Stärke  des  spartanischen 
Heeres  zu  exfahren2);  wie  hätte  Herodot  zu  solchen  Angaben 
gelangen  sollen?  Offenbar  liegt  also  bei  ihm  nur  eine  will- 
kürliche Schätzung  vor,  bei  der  jede  der  5 Lochen  zu  1000 
Mann  angesetzt  ist.  Immerhin  mögen  wirklich  gegen  5000 
lakedaemonische  Hopliteu  bei  Plataeae  gekämpft  haben,  aber 
Spartiaten  und  Perioeken  zusammen.  Wenn  jede  Mora  mit 
700  Mann  ausrückte,  so  ergeben  sich  einschliesslich  der  600 
Skiriten  4800  Schwerbewaffnete,  worunter  reichlich  2000  spar- 
tanische Bürger. 

Die  4500  oder  gar  9000  Spartiaten,  die  zur  Zeit  Lykurgs 
vorhanden  gewesen  sein  sollen3),  dürfen  wir  hier  auf  sich  be- 
ruhen lassen;  die  Tradition  darüber  hat  sich  vielleicht  erst  im 
III.  Jahrhundeit  gebildet4).  Weit  besser  ist  die  Angabe  des 
Isokrates,  wonach  die  Dorer  bei  ihrer  Ansiedlung  in  Sparta 
2000  Mann  stark  gewesen  wären5);  offenbar  ist  sie  ein  Rück- 
schluss aus  den  Zuständen  der  eigenen  Zeit,  wie  die  ähnliche 
Angabe  über  die  20000  Bürger  Athens  zur  Zeit  des  Kekrops. 
In  Wirklichkeit  kann  die  Zahl  der  waffenfähigen  Spartiaten, 
zur  Zeit  als  die  Heeresverfassung  geschaffen  wurde,  kaum  über 
1000  betragen  haben.  Denn  die  Pentekostys  muss  doch,  wie 
der  Name  sagt,  ursprünglich  eine  Abtheilung  von  50  Mann 
gewesen  sein,  der  Lochos  also  200  Mann,  alle  5 Lochen  1000 
gezählt  haben.  Das  Rittercorps  wird  erst  später  errichtet  sein. 

')  Stein,  Jahrbücher  für  Philologie  85  (1862)  S.  853 — 64. 

*)  Tliuk.  V 68:  tö  ftlv  Haxtifaifioriiov  7tXfj9oe  < J«i  rijt  noXirtlct s rö 
xqi’Mov  rjyvoeito. 

a)  Plut.  Lyk.  8. 

4)  Grote,  Hist,  of  Greece  (1869)  II  ch.  VI  S.  393  ff.;  Oncken,  Staats- 
lehre des  Aristot.  I S.  226. 

B)  Panath.  255:  bvrai  ov  nXetov s rörf  <fi ayih'tar.  Bekanntlich  zwi- 
schen 342  und  339  geschrieben. 


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142 


Capitel  IV. 


Ueber  die  Bürgerzahl  Spartas  im  III.  Jahrhundert  haben 
wir  folgende  Angaben.  Als  König  Agis  mit  seinen  socialen 
Refonuprojeeten  hervortrat,  zwischen  244  und  240,  befand  sich 
das  Grundeigenthuw  im  Gebiete  von  Sparta  zum  grössten  Theile 
in  den  Händen  von  etwa  100  Besitze™,  während  im  ganzen 
nur  noch  700  „Spartiaten“  vorhanden  gewesen  sein  sollen1). 
Es  ist  ohne  weiteres  klar,  dass,  wenn  die  Angabe  überhaupt 
irgend  welchen  Werth  besitzt,  hier  unter  Spartiaten  nur  die 
vollberechtigten  Bürger,  die  Homoeen,  verstanden  sein  können. 
Denn  wollten  wir  annehmen  — wie  das  in  der  Regel  geschieht  — , 
dass  es  damals  überhaupt  nur  noch  700  Spartiaten  gegeben 
hätte,  und  die  100  Grossgrundbesitzer  allein  die  vollberechtigte 
Bürgerschaft  gebildet  hätten,  so  verwickeln  wir  uns  in  eine 
Reihe  von  Absurditäten.  Die  lykurgische  Verfassung  ist  bis 
auf  König  Kleomenes  in  Kraft  geblieben;  bei  nur  100  Voll- 
bürgern aber  wäre  es  unmöglich  gewesen,  auch  nur  für  die 
Gerusie  eine  hinreichende  Zahl  von  qualificirten,  d.  h.  über- 
sechzigjährigen Candidaten  zu  finden.  Die  Zahl  der  Bürger 
hätte  kaum  hingereicht,  auch  nur  die  wichtigsten  obrigkeitlichen 
Stellen  zu  besetzen;  von  einem  Reitercorps  hätte  keine  Rede 
mehr  sein  können.  Je  mehr  man  sich  die  Consequenzen  dieser 
Annahme  ausmalt,  desto  klarer  überzeugt  man  sich  von  ihrer 
vollständigen  Unhaltbarkeit.  Die  Reformpläne  des  Agis  und 
Kleomenes  werden  ganz  unverständlich.  Wenn  Agis  die  Zahl 
der  Bürger  durch  Aufnahme  von  Perioeken  auf  4500  veraiehren 
wollte 2),  und  Kleomenes  diesen  Plan  wirklich  ausführte,  so  wäre 
das  keine  Verjüngung,  sondern  geradezu  eine  Vernichtung  der 
spartanischen  Bürgerschaft  gewesen ; die  wenigen  Altbürger 
hätten  sich  unter  der  Masse  der  Neubürger  völlig  verlieren 
müssen.  War  aber  wirklich  eine  so  radicale  Maassregel  be- 
absichtigt, dann  musste  man  den  begonnenen  Schritt  auch 


’)  Plut.  Agis  5:  aneXtjg  fitjanv  ovv  inraxoaitov  ov  nXilov;  2nag~ 
r inrcu,  xnl  toviiov  tacu ; ixazov  rjtjav  ol  ytjv  xixzrjutvot  xa't  xXijgov  6 J ' 
liXXo;  o/Xo(  an opof  xnl  azi/uo ; tv  zrj  noXet  nagixnxXgzo,  zoi/t  uir  e^tuittv 
noX(/Aovs  agyiü;  y.ai  ctnQo&vuto;  duiiöfilvo;,  «{)  rivct  xcupör  intt ij- 
Q<öv  ,t ittaßoXijs  xa't  ftfraoTnaeots  ruir  nagovian. 

*)  Plut.  Agis  8. 


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Der  Peloponnes. 


143 


ganz  thun  und  allen  Perioeken  das  Bürgerrecht  geben;  die 
hallte  Maassregel  hätte  nur  Spartiaten  und  Perioeken  gleicli- 
mässig  der  neuen  Ordnung  der  Dinge  zu  Feinden  gemacht. 

Von  solchen  Bestrebungen  waren  Agis  und  Kleomenes  weit 
entfernt.  Vielmehr  war  der  hauptsächlichste  Zweck  ihrer  Re- 
form der,  die  Gütergleichheit,  wie  sie  einst  unter  Lykurg  ge- 
herrscht haben  sollte,  unter  der  spartanischen  Bürgerschaft 
selbst  wieder  herzustellen ; die  Aufnahme  von  Perioeken  in  das 
Bürgerrecht  war  nur  eine  Maassregel  von  secundärer  Bedeutung. 
Es  muss  also  die  Mehrzahl,  oder  doch  wenigstens  annähernd 
die  Hälfte  der  4500  Bürger,  die  Sparta  unter  Kleomenes  zählte, 
aus  Altbürgern  bestanden  haben.  Wir  haben  denn  auch  eine 
Angabe,  wonach  Kleomenes  beim  Beginn  seiner  Reform  1500 
Bürger  vorgefunden  hat1),  eine  Zahl,  die  an  sich  nicht  unbe- 
dingt zu  verwerfen  wäre;  nur  müsste  sie  besser  bezeugt  sein, 
als  dies  der  Fall  ist. 

Wir  sehen,  wie  völlig  verkehrt  die  landläufige  Ansicht  ist, 
die  Bürgerzahl  Spartas  habe  sieh  seit  dem  Anfang  des  V.  Jahr- 
hunderts beständig  und  in  starkem  Verhältniss  vermindert.  Viel- 
mehr ist  von  den  Perserkriegen  bis  auf  die  Reformen  des 
Kleomenes,  d.  h.  während  etwa  eines  Vierteljahrtausends,  die 
spartanische  Bürgerschaft  so  ziemlich  stationär  geblieben  und 
hat  zwischen  2-  und  3000  Köpfen  geschwankt.  Wer  erwägt, 
dass  die  Aufnahme  Fremder  so  gut  wie  unerhört  war,  und  dass 
an  die  Spartiaten  militärische  Anforderungen  gestellt  wurden, 
wie  sie  nie  wieder  an  ein  anderes  Volk  gestellt  worden  sind, 
wird  nicht  umhin  können  die  Lebenskraft  zu  bewundern,  mit 
der  Sparta  alle  Verluste  im  Kriege  ersetzt  hat.  Wenn  wir 
freilich  nur  die  vollberechtigtem  Bürger,  die  Homoeen,  in  Be- 
tracht ziehen,  ergiebt  sich  ein  ganz  anderes  Bild.  Von  1500 
im  Jahre  371  sinkt  ihre  Zahl  auf  700  in  der  Mitte  des 
HI.  Jahrhunderts:  von  der  Hälfte  auf  etwa  das  Viertel  der 
ganzen  Bürgerschaft.  Doch  ist  es  in  erster  Linie  der  Verlust 
Messeniens  und  des  dort  gelegenen  Grundeigenthums,  der  diese 
Abnahme  verursacht  hat. 


')  Macrob.  Saturn.  I 11,  34. 


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1 


144  Capitel  IV. 

Auch  so  bleibt  es  wahr,  was  Xenophon  sagt,  dass  Sparta 
zu  den  am  schwächsten  bevölkerten  Staaten  gehörte1);  zählte 
doch  selbst  ein  Kleinstaat  wie  Phleius  in  der  ersten  Hälfte  des 
IV.  Jahrhunderts  mehr  Bürger  als  die  Hauptstadt  von  Hellas. 
Aber  wir  müssen  verstehen,  um  bewundern  zu  können;  und 
wenn  Sparta  in  der  That  im  Jahre  371  nicht  1500  Homoeen, 
sondern  1500  Bürger  überhaupt  gezählt  hätte,  so  bliebe  die 
politische  Stellung,  die  Sparta  während  der  vorhergehenden 
2 Jahrhunderte  eingenommen  hat,  ganz  unbegreiflich.  Auch 
müsste  man  annehmen,  dass  sich  die  Bürgerzahl  gerade  zur 
Zeit  von  Spartas  höchster  Macht  (479—371)  vermindert  hätte, 
während  sie  in  derZeit  des  Verfalles  (371 — 230)  sich  vermehrt 
haben  müsste,  oder  mindestens  stationär  geblieben  wäre.  End- 
lich lässt  sich  unter  dieser  Voraussetzung  eine  irgendwie  wahr- 
scheinliche Erklärung  der  spartanischen  Heeresorganisation  nicht 
aufstellen. 

Die  Reformen  des  Kleomenes  machen  Epoche  auch  in  den 
Bevölkerungsverhältnissen  Spartas.  Die  Bürgerschaft  wurde  auf 
4000  kriegstüchtige  Ilopliten  gebracht2),  im  ganzen  also  offen- 
bar auf  4500  Köpfe,  wie  einst  Agis  beabsichtigt  hatte.  6000 
Heiloten  wurde  die  Freiheit  gegeben8).  Einschliesslich  etwa 
6000  Söldnern  und  wenigen  — kaum  über  1000  — Bundes- 
genossen hatte  Kleomenes  bei  Sellasia  20000  Mann,  also  13000 
Combattanten  aus  Lakonien,  von  denen  4000  Spartiaten,  der 
Rest  Perioeken  und  Neodamoden  waren4).  Dass  sämmtliche 
spartiatisehe  Bürger  bis  auf  200  in  der  Schlacht  gefallen  wären, 
wie  Phylarchos  angab,  ist  natürlich  eine  starke  Uebertreibung. 

Antigonos  scheint  den  überlebenden  Neubürgern  das  Bürger- 
recht nicht  entzogen  zu  haben.  Gegen  die  Aetoler  sollte  Sparta 
220  ein  Contingent  von  2500  Manu  zu  Fuss  und  250  Reitern 
ins  Feld  stellen,  die  Hälfte  der  Truppenzahl,  die  der  ganze 

')  Vom  Staat  d.  Lakedaem.  1 1 : ij  Zniipr-g  icü v ohyav&pamoTattov 
n 6i f tov  ovaa. 

*)  Plut  Kleom.  11,  vgl.  Agis  8. 

®)  Plut  Kleom.  23. 

4)  Polyb.  II  65,  7 — 10;  69,  3;  vgl.  Droysen,  Hellen.  III2  2 S.  141  A. 

6)  Plut  Kleom.  28. 


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Der  Peloponnes. 


145 


achaeische  Bund  aufbrachte,  zu  dem  damals  ausser  Achaia 
auch  Argolis  und  Arkadien  gehörten1).  In  der  Schlacht  bei 
Mantineia  (207)  sollen  über  4000  Lakedaemonier  gefallen  sein2). 
Nabis  batte  beim  Einfall  der  Römer  und  Achaeer  (195),  ausser 
3000  Söldnern  und  2000  Kretern,  10000  Mann  lakonischer 
Truppen,  unter  denen  sich  freilich  viele  freigelassene  Heiloten8) 
und  Contingente  der  Ferioekengemeinden  befanden4). 

Was  nun  die  nichtbttrgerlichen  Elemente  der  Bevölkerung 
Lakoniens  angeht,  so  stellten  die  Perioeken,  wie  wir  gesehen 
haben,  die  reichliche  Hälfte  der  spartanischen  Hoplitenmacht 
Schon  daraus  ergiebt  sich,  dass  sie  viel  zahlreicher  sein  mussten, 
als  die  Spartiaten  selbst;  denn  während  diese  sämmtlich  als 
Hopliteu  dienten,  konnten  in  den  Perioekenstädten  nur  die 
wohlhabenden  Bürger  zu  diesem  Dienste  herangezogen  werden. 
Und  überhaupt  war  es  aus  politischen,  ebenso  wie  aus  mili- 
tärischen Gründen  geboten,  die  Perioeken  nicht  zu  stark  im 
Heere  überwiegen  zu  lassen5).  Bestimmte  Angaben  über  ihre 
Zahl  haben  wir  erst  aus  der  Mitte  des  HI.  Jahrhunderts.  Da- 
mals sollen  15000  Perioeken  vorhanden  gewesen  sein6);  und 
dem  entspricht  es,  dass  sie  6 - 7000  Mann  zur  Schlacht  bei 
Sellasia  gestellt  haben7).  Ihr  Gebiet  umfasste  die  grössere, 
freilich  auch  unfruchtbarere  Hälfte  Lakoniens:  die  Küste  des 
argolischen  Golfes  von  Prasiae  südwärts  und  die  beiden  Halb- 
inseln von  Malea  und  Taenaron,  mit  24  Städten,  die  in  römi- 
scher Zeit  den  Bund  der  Eleutherolakonen  bildeten8);  ferner 


')  l'olyb.-  IV  15,  6. 
s)  Plut.  Philop.  10. 
s)  Liv.  34,  27  nach  Polybios. 

■*)  Liv.  34, 36:  iuventutem  praeterea  civitatiwn  earum  ad  supplementum 
lange  optimi  generis  militum  habebat. 

5)  Man  denke  an  die  Zusammensetzung  des  römisch  - italischen 
Bundesheeres. 

8)  Plut  Agis  8. 

7)  Polyb.  II  65.  69  und  Droysen,  Heil.  III a S.  141  A.,  der  aber  im 
Irrthum  ist,  wenn  er  meint,  die  6000  freigekauften  Heiloten  wären  Perioeken 
geworden.  Natürlich  wurden  sie  Neodamoden. 

*)  Paus.  III  31,  7 ; Le  Bas-Foucart,  Expiication  des  inscr.  H S.  110. 

Belach,  Bevöllcerungslehre.  I.  10 


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146 


Capitel  IV. 


das  Quellgebiet  des  Eurotas,  oder  die  Skiritis  und  Tripolis; 
die  Insel  Kythera1);  endlich  vor  369  auch  eine  Anzahl  von 
Städten  in  Messenien,  wie  Thuria 2),  Asine3),  Aulon4)  und  wohl 
auch  Methone,  Kyparissiae  und  Pherae.  Wohl  mag  Isokrates 
Recht  haben,  wenn  er  angiebt,  dass  diese  „Städte“  an  Bedeu- 
tung vielen  der  attischen  Deinen  nachstanden5).  Aber  die 
Skiritis  vermochte  doch  im  V.  Jahrhundert  600  Bewaffnete  zu 
stellen8)  und  muss  demnach  gegen  1000  Bürger  gezählt  haben; 
und  auf  das  300  qkm  grosse  Kythera  wird  vielleicht  die  dop- 
pelte Zahl  zu  rechnen  sein.  Wir  werden  also  auch  im  V.  und 
IV.  Jahrhundert  gegen  15000  Perioeken  annehmen  müssen, 
wobei  die  messenischen  Städte  eingerechnet  sind,  sodass  sich 
bis  auf  Agis'  Zeiten  noch  immer  eine,  wenn  auch  unliedeutende 
Vermehrung  ergeben  würde.  Auf  jede  Perioekenstadt  entfallen 
demnach  im  Durchschnitt  etwa  500  Bürger. 

Es  bleibt  noch  der  ohne  Frage  zahlreichste  Bestandtheil 
der  Bevölkerung  des  lakedaemonischen  Gebietes,  die  Heiloten. 
Aus  Thukydides  wissen  wir.  dass  zur  Zeit  des  peloponnesisehen 
Krieges  Chios  von  allen  griechischen  Staaten  die  grösste 
Sklavenzahl  hatte;  Sparta  allein  ausgenommen7).  Da  nun 
Sparta  Sklaven  im  eigentlichen  Sinne  des  Wortes  in  irgend 
nennenswerther  Anzahl  damals  noch  nicht  besessen  hat,  so 
muss  Thukydides  hier  an  die  Heiloten  gedacht  haben.  Diese 
waren  also  zahlreicher,  als  die  Sklaven  in  Athen  oder  Korinth, 
und  müssen  demnach  über  100000  Köpfe  stark  gewesen  sein. 
Auf  eine  etw  as  geringere  Zahl  würden  Ilerodots  Angaben  führen, 
wonach  in  der  Schlacht  bei  I’lataeae  jeder  Spartiate  7 Heiloten 
bei  sich  gehabt  haben  soll8);  da  nun  5000  Spartiaten  l>ei  Pla- 

>)  Thuk.  IV  53. 

»)  Thuk.  I 101. 

*)  Xen.  IleU.  VII  I,  25;  Paus.  IV  34,  9. 

*)  Xen.  HeU.  III  3,  8. 

B)  Panath.  179:  ovöfiaai  uiv  nQoaayuouo/jtrcn;  o>{  nölei;  olxoir- 
T«f,  rr/v  di  ifuvautr  f/oyuts  (XnTTO)  T<ür  ifrutov  rüv  nnn'  <lutv. 

6 ) Thuk.  V 68. 

7)  Thuk.  VIII  40:  ot  yäo  olxtrai  Tot(  Xtotf  rrollol  orris  xal  ftiit 
ye  itöl-tt  Ttltiv  AaxiJaiu.or(oir  n liiaroi  ylrofitroi. 

8)  Ilerod.  IX  28. 


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Der  Peloponnes. 


147 


taeae  gekämpft  hätten,  so  müssten  35  000  Heiloten  damals  auf- 
geboten  worden  sein.  Allerdings  hat  nun,  wie  wir  oben  ge- 
sehen haben,  Herodot  die  Zahl  der  Spartiaten  weit  überschätzt, 
und  demzufolge  auch  die  danach  berechnete  Zahl  der  Heiloten; 
aber  das  von  ihm  angenommene  Verhältnis  zwischen  Spartiaten 
und  Heiloten  wie  1 : 7 könnte  trotzdem  richtig  sein.  I)a  nun 
die  spartiatische  Bürgerschaft  am  Ende  des  V.  Jahrhunderts 
etwa  2500  erwachsene  Männer  gezählt  hat,  so  erhielten  wir 
in  runder  Zahl  20000,  oder  einschliesslich  der  Weiber  und 
Kinder  60000  Heiloten.  Indess  haben  wir  nicht  die  geringste 
Gewähr  dafür,  dass  die  Heiloten  wirklich  im  selben  Verhältnis 
zum  Kriegsdienst  aufgeboten  wurden,  wie  die  Bürger;  vielmehr 
spricht  alles  gegen  eine  solche  Annahme.  Die  Angabe  Herodots 
also  giebt  uns  im  besten  Falle  ein  Minimum,  unter  das  wir 
bei  Schätzung  der  Heilotenzahl  nicht  herabgehen  dürfen. 

Weiter  kommen  wir  mit  einer  Notiz  bei  Polybios,  wonach 
die  Lakonen  und  Arkader  die  beiden  stärksten  Völkerschaften 
des  Peloponnes  und  unter  einander  an  Zahl  etwa  gleich  waren *). 
In  der  That  ist  auch  der  Flächeninhalt  beider  Landschaften 
ungefähr  derselbe,  und  es  sind  beide  Gebirgsländer,  mit  ver- 
hältnissmässig  wenig  zum  Ackerbau  geeignetem  Boden.  Da  nun 
Arkadien  um  400  v.  Chr.  etwa  150000  Einwohner  gezählt  hat, 
so  wird  dieselbe  Zahl  auch  für  Lakonien  anzusetzen  sein,  was 
27  Bewohner  auf  den  qkm  ergiebt.  Messenien  war  allerdings 
fiuchtbarer;  dafür  fehlten  aber  hier  unter  spartanischer  Herr- 
schaft Städte  von  irgend  welcher  Bedeutung,  und  namentlich 
der  Westen  und  Süden  der  Landschaft  war  sehr  schlecht  an- 
gebaut2). Also  wird  für  Messenien  höchstens  dieselbe  Volks- 
dichtigkeit anzunehmen  sein  wie  für  Lakonien.  Das  ergiebt 

')  Polyb.  IV  32,  3;  II  38,  8. 

*)  So  war  am  Anfang  des  peloponnesischen  Krieges  Methone  fast 
unbewohnt  (Tliuk.  II  25),  Pylos  lag  wüst:  Igriftov  avro  u xal  (ni  nolv 
rij t gwpaf  (Thuk.  IV  3);  das  gegenüberliegende  Sphakteria  war  mit  Wald 
bedeckt  und  ohne  Bewohner:  elwdtjf  re  xnl  nrgt/itj;  n äaa  in' 

(Thuk.  IV  8).  Curtius,  Pehp.  II  S.  127  nennt  Messenien  das  unglücklichste, 
vernachlässigt« te  und  menschenleerste  Land  auf  der  sonst  so  blühenden 
Halbinsel. 

10* 


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148 


Capital  IV. 


für  diese  Landschaft  etwa  80  000  Einwohner.  Da  nun  die  freie 
Bevölkerung  des  spartanischen  Staates  ums  Jahr  400  etwa 
18  000  erwachsene  Männer,  oder  55000  Köpfe  gezählt  hat,  so 
bleiben  für  die  Heiloten  gegen  175000,  eine  Zahl,  die  sich 
durch  den  Verlust  Messeniens  auf  90 — 1 00  00O  vermindern 
musste. 

Mit  der  Befreiung  von  der  spartanischen  Herrschaft  durch 
Epameinondas  (869)  beginnt  für  Messenien  eine  neue  Blüthezeit. 
Die  Nachkommen  der  einst  nach  dem  Fall  von  Ithome  ver- 
triebenen Messenier  kehrten  zurück,  und  mit  ihnen  kamen  eine 
Menge  Kolonisten  aus  verschiedenen  Theilen  Griechenlands. 
Die  neu  erbaute  Hauptstadt  trat  mit  einer  Ausdehnung  von 
95  Hektaren  in  die  Reihe  der  ersten  Städte  des  Peloponnes; 
an  der  Küste  wurden  Pylos  und  Korone  gegründet.  Sparta 
allerdings  ist  Messene  an  Macht  niemals  gleichgekommen1). 
Immerhin  hören  wir,  dass  bei  der  Aufstellung  eines  peloponne- 
sischen  Bundesheeres  von  11000  Mann  gegen  die  Aetoler  im 
Jahre  220  die  Contingente  von  Sparta  und  Messene  auf  die 
gleiche  Stärke  nonnirt  wurden,  d.  h.  auf  je  2500  Mann  zu  Fuss 
und  250  Reiter2).  Bei  dem  Einfalle  Philipps  in  Lakonien 
stellen  die  Messenier  ein  Hülfscorps  von  2000  Mann  und  200 
Reitern3).  Eine  Berechnung  der  Volkszahl  ist  freilich  auf  Grund 
dieser  Angaben  nicht  möglich. 

Weiterhin  besitzen  wir  aus  Messenien  einige  Epheben- 
inschriften.  Die  ältesten  stammen  aus  Thuria;  sie  gehören 
wahrscheinlich  an  das  Ende  des  III.,  spätestens  in  das  n.  Jahr- 
hundert. Die  eine  enthält  19  Namen  vonEpheben;  die  andere, 
unvollständige,  ein  Verzeichniss  von  TQiTtgeveg,  nach  Phylen 
geordnet4).  Aus  der  Daiphontis  sind  7 Namen  aufgeführt,  aus 


!)  Vgl.  z.  B.  Polyb.  IV  32,  9.  10:  elrj  uiv  ovv  olox  ei  av/utf-Orai  xijv 
vOv  imaQyovaav  xaxäaxaaiv  ITeXortorvrjaiotg  . . . täv  3(  nute  xlvr\oiv  xal 
fiexclaxuotv  aytj  xavxa,  ft(av  uqoi  Mtooijvfoig  xal  MeyaXonoXIxaig  XXnlda 
xoD  J rj  an!) ui  vtfxeafXai  ri/v  aiiriör  yoiQay  inl  nle(b)  yjtorov,  für  ai'pj- 
(fQOvqoavTeg  xara  rrjV  'Ena^ietvi"Vdov  yvttifxr\v  nuvxot  xt <tnov  xal  TiQtiy- 
fiaxo;  eXtorxiu  xoivioreiv  «XXrjXoig  ilXrj9xriüg. 
a)  Polyb.  IV  15,  6. 

»)  Polyb.  V 20,  1. 

*)  Le  Bas-Foucart  301.  302. 


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Der  Peloponnes. 


149 


der  Aristomachis  5,  doch  können  mehr  dagestanden  haben; 
eine  dritte  Phyle  ist  wahrscheinlich  weggebrochen.  So  kommen 
wir  also  auch  hier  auf  etwa  20  Namen.  Unter  r girigeveg  sind 
jedenfalls  die  Irenen  des  3.  Jahres  zu  verstehen,  d.  h.  da  die 
Institutionen  von  Thuria  offenbar  den  spartanischen  nachgebildet 
sind,  die  22jährigen  Jünglinge1).  Das  würde  einer  Zahl  von 
etwa  700  erwachsenen  Bürgern  entsprechen;  da  indess  ohne 
Zweifel  auch  hier  nur  die  Wohlhabenderen  an  der  Ephebie 
Theil  nehmen  konnten,  so  muss  sich  die  Bürgerzahl  von  Thuria 
in  dieser  Zeit  auf  über  1000  belaufen  haben.  Eine  Epheben- 
inschrift  von  Korone  aus  dem  Jahre  131  n.  Chr.2)  enthält 
80  Namen,  obgleich  sie  am  Ende  verstümmelt  ist,  was  der 
Ephebenzahl  Athens  in  dieser  Zeit  nahe  kommt.  Korone  müsste 
demnach  mindestens  5000  Bürger  gezählt  und  zu  den  bedeutend- 
sten Städten  Griechenlands  gehört  haben,  was  schwer  zu  glauben 
ist.  Wahrscheinlich  also  ist  die  Inschrift,  die  keinen  Stadtnamen 
hat,  aus  dem  nahen  Messene  hierher  verschleppt  worden8). 


7.  Gesammtbevölkerung. 

Für  den  Ausgang  des  V.  Jahrhunderts  ergiebt  sich  nach 
dem  gesagten  die  folgende  Uebersicht  der  Bevölkerungsver- 
hältnisse der  Halbinsel: 


Bürgerzahl 

freie  Bevölkerung 

Argot  is 

53000 

160000 

Arkadien 

50000 

150000 

Achaia 

25000 

75  000 

Eleia 

30000 

90000 

Lakonien  und  Messenien  . 

18000 

55000 

176000 

530000 

*)  Vgl.  Foucart  zu  unserer  Inschrift  und  Gilbert,  Staatsalterth.  I 68. 

!)  'A&r\v«Tor  IV  (1875)  S.  103.  Der  Anfang  auch  hei  Le  Bas -Fou- 
cart 305. 

s)  Diese  Annahme  würde  sich  auch  aus  dem  Grunde  empfehlen,  weil 
unsere  Inschrift  nach  der  achaeischen  Provinzialaera  datirt  ist,  und  der 
darin  genannte  Gyinnasiarcli  TrpoarnrTjc  di«  ßtov  tov  xoivoF  rrnv  'A/anäv 
heisst;  während  Korone  in  der  ersten  Kaiserzeit  zu  Sparta  gehört  hat 
(CIG.  1243.  1255.  1258  und  Foucart  zu  unserer  Inschrift). 


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150 


Capitel  IV. 


Es  mag  sein,  dass  einige  dieser  Ansätze  zu  niedrig  ge- 
griffen sind  und  dass  eine  Volkszahl  von  600000  der  Wahrheit 
näher  kommen  würde.  Keinesfalls  aber  dürfen  wir  weit  über 
600000  hinaus,  noch  unter  500000  herabgehen.  Auch  Clinton, 
der  einzige,  der  bisher  eine  methodische  Berechnung  der  Be- 
völkerung des  Peloponnes  unternommen  hat,  ist,  wenn  auch 
zum  Theil  auf  anderem  Wege,  zu  annähernd  demselben  Re- 
sultate gelangt.  Kr  erhält  folgende  Zahlen1): 


Bürgerzahl 

freie  Bevölkerung 

Lakonien  und  Messenien  . 

24044 

98985 

Arkadien 

26198 

107856 

Achaia 

10004 

41 186 

Argolis 

45343 

186680 

Eleia 

22575 

92937 

128104 

527644 

Dazu  kommt  weiter  die  unfreie  Bevölkerung,  die  indess,  von 
den  Heiloteu  Spartas  abgesehen,  für  diese  Periode  noch  nicht 
sehr  ins  Gewicht  fällt.  Thukydides  nennt  den  Peloponnes  ein 
Land  freier  Arbeit®),  im  Gegensatz  zu  dem  sklavenhaltendeu 
Athen.  Grössere  Sklavenmassen  können  demnach,  mit  Aus- 
nahme der  Handels-  und  Fabrikstädte  in  der  Nähe  des  Isthmos, 
im  V.  Jahrhundert  auf  der  Halbinsel  noch  nicht  vorhanden 
gewesen  sein.  Denn  die  Heiloten  sind  keine  Sklaven  im  eigent- 
lichen Sinne  des  Wortes.  Korinth,  das  von  allen  peloponnesi- 
schen  Staaten  bei  weitem  die  grösste  Sklavenzahl  hatte,  zählte 
doch,  wie  wir  oben  gesehen  haben,  im  V.  Jahrhundert  kaum 
über  60  000 a);  für  ganz  Argolis  werden  demnach  nicht  mehr 
als  100-  bis  höchstens  150000  zu  rechnen  sein.  Die  wenigen 
Sklaven,  die  in  den  reichen  Häusern  von  Arkadien,  Elis,  Achaia 
zur  persönlichen  Bedienung  schon  in  dieser  Zeit  gehalten  werden 
mochten,  konnten  numerisch  kaum  in  Betracht  kommen.  Die 
Zahl  der  lakedaemonischen  Heiloten  ist  oben  zu  etwa  175000 


>)  Fasti  Hellenici  II a S.  431. 

*)  Thuk.  I 141:  aviovQyol  it  yitQ  (tat  /ftlonovrijotui. 
®)  Oben  S.  85  f. 


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Der  Peloponnes. 


151 


berechnet  worden,  sodass  sich  für  die  unfreie  Bevölkerung  des 
Peloponnes  rund  300000  bis  vielleicht  350000  Köpfe  ergeben 
würden.  Die  Gesammtbevölkerung  der  Halbinsel  ums  Jahr 
400  hat  also  8 — 900000  Seelen  betragen.  Das  entspricht 
einer  relativen  Bevölkerung  von  36 — 40  auf  1 qkm. 

Sehen  Avir  jetzt,  wieweit  die  Angaben  über  die  militärischen 
Leistungen  des  Peloponnes  mit  diesem  Resultate  im  Einklang 
stehen.  Dass  Herodot  die  Gesammtstärke  der  peloponnesischen 
Contingente  in  der  Schlacht  bei  Plataeae  auf  24300  Hopliten 
und  54300  Leichtbewaffnete  veranschlagt1),  hat  wenig  zu  be- 
deuten, da  einerseits  Herodot,  wie  wir  oben  gesehen  haben, 
die  Zahl  der  meisten  Contingente  stark  überschätzt,  andererseits 
der  grössere  Tlieil  der  peloponnesischen  Staaten  bei  Plataeae 
gefehlt  hat.  Das  peloponnesisehe  Bundesheer,  das  Nikomedes 
den  Doriern  zu  Hülfe  über  den  Isthinos  führte,  und  das  bei 
Tanagra  über  die  Athener  gesiegt  hat,  zählte  1 1 500  Hopliten, 
da\ron  1500  Lakedaemonier  und  10000  Bundesgenossen2).  Das 
lakedaemonische  Contingent  hat  hier  offenbar  aus  2 Moren  be- 
standen, also  1/ä  der  gesammten  kriegstüchtigen  Mannschaft; 
dasselbe  Verhältniss  würde  demnach  auch  für  die  Bundesge- 
nossen anzunehmen  sein.  Etwas  stärker  war  das  Heer,  mit 
dem  Agis  407  seinen  Angriff  gegen  Athen  unternahm ; er  hatte 
14000  Hopliten,  ebensoviel  leichte  Truppen  und  1200  Reiter8). 
Dabei  befand  sich  aber  auch  ein  boeotisches  Contingent,  sodass 
die  peloponnesischen  Truppen  nur  etwa  dieselbe  Stärke  gehabt 
haben  werden,  Avie  bei  Tanagra.  In  der  Schlacht  am  Nemea- 
baeh,  394,  zählte  das  peloponnesisehe  Heer  ohne  die  arkadischen 
und  achaeischen  Contingente  13500  Hopliten4);  Korinth  war 
damals  Sparta  feindlich,  dafür  aber  waren  die  Lakedaemonier 


>)  Herod.  IX  28  f. 

8)  Thuk.  I 107. 

a)  Diod.  XIII  72. 

«)  Xen.  HeU.  IV  2,  16.  Wenn  Diod.  XIV  83  die  Stärke  der  Lake- 
daemonier und  ihrer  Bundesgenossen  auf  23000  Mann  zu  Kuss  und  500 
Reiter  angiebt,  so  kann  er,  oder  vielmehr  seine  Quelle,  die  bei  Xenophon 
fehlenden  Contingente  berücksichtigt  haben;  vielleicht  sind  einige  Posten 
in  unserem  Text  der  Hellenika  ausgefallen'. 


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152 


Capitel  IV. 


selbst  mit  ganzer  Macht  zur  Stelle.  Agesilaos  führte  378  gegen 
Theben  über  1 8 000  Mann,  wobei  5 Moren  Lakedaemonier  gewesen 
sein  sollen  *) ; indess  ist  es  nach  der  Art,  wie  Diodor  bei  dieser 
Gelegenheit  von  dem  skiritischen  Loehos  spricht,  wahrscheinlich, 
dass  die  eine  dieser  angeblichen  5 Moren  eben  von  den  Skiriten 
gebildet  wurde,  sodass  also  Sparta  für  diesen  Feldzug  nur  2/a 
seiner  Macht  aufgeboten  hätte.  Auch  bei  Leuktra  371  standen 
4 lakedaenionische  Moren2);  die  Gesannntstärke  des  Heeres 
wird  zu  10000  Hopliten  und  1000  Reitern  angegeben8).  Es 
war  also  auch  dieses  ein  Zweidrittelaufgebot;  die  geringe  Zahl 
der  Bundesgenossen  hier  und  schon  378  ist  ein  Symptom  der 
nahenden  Auflösung  der  peloponnesischen  Symmachie. 

Nach  dem  gesagten  werden  wir  ohne  weiteres  beurtheilen 
können,  was  von  der  Angabe  zu  halten  ist,  Arehidamos  habe 
im  Jahre  431  60000  Hopliten  nach  Attika  geführt4).  Thuky- 
dides  bezeugt  uns,  dass  zu  diesem  Zuge  2 s der  verfügbaren 
Streitkräfte  des  Peloponnes  aufgeboten  wurden5);  also  z.  B. 
Sparta  stellte  von  seinen  6 Moren  4:  d.  h.  die  gesammte,  für 
Feldzüge  ausser  Landes  verfügbare  Streitmacht  der  pelopon- 
nesischen  Symmachie  und  Boeotiens  müsste  90000  Hopliten 
betragen  haben.  Es  bedarf  keiner  Bemerkung,  dass  eine  solche 
Annahme  einfach  absurd  ist  ®) ; niemals,  weder  vorher  noch  nach- 
her, hat  der  Peloponnes  mehr  als  etwa  30  000  Hopliten  ins 
Feld  gestellt.  Ich  habe  oben  walirscheinlich  gemacht,  dass 
10000  Hopliten  etwa  Vs  der  felddiensttauglichen  Hopliten  der 
peloponnesischen  Bundesgenossen  Spartas  bildeten;  zu  dem  Heere 


i)  IMod.  XV  32. 

*)  Xen.  Hell.  VI  4,  17. 

’)  Plut.  Pelop.  20.  Frontin.  IV  2,  6 giebt  24000  Hopliten  und  1000 
Heiter,  Polyaen  II  3,  8 u.  12  sogar  40000  Manu:  die  Uebertreibung  ist 
handgreiflich. 

*)  Plut.  Perikies  33. 

B)  Thuk.  II  10:  ree  Jiio  fifotj  et n 6 noktuis  lxetarq(. 

6)  Cobet  hat  das  richtig  erkannt  (Mnetnos.  »lor.  ser.  1 139),  nur  ist 
seine  Emcndation  l$axeo/ik(oi's  für  l£etxeO[ivQlovt  bei  Plutarch  natürlich  ganz 
unhaltbar,  wie  Milller-Strübing,  Thuk.  Forsch.  S.  249—54  ihm  mit  leichter 
Mühe  nachgewiesen  hat.  Vgl.  jetzt  auch  Duncker,  Gesch.  cl.  Alteiih.  IX 
S.  425. 


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Der  Peloponnes. 


153 


Archidamos’  müssten  sie  demnach  20000  Hopliten  gestellt  haben. 
Dazu  4 lakedaemonische  Moren  mit  zusammen,  einschliesslich 
der  Skiriten,  3 — 4000  Mann,  ferner  5000  boeotische  Hopliten 
und  vielleicht  1000  Megarer,  ergiebt  zusammen  ein  Hopliten- 
heer  von  gegen  30000  Mann.  Dazu  mochte  Korinth  2000, 
die  argolische  Akte  ebensoviel,  Megara,  Sikyon,  Phleius  und 
Pellene  etwa  je  1000,  Elis  3000,  Arkadien  10000,  Boeotien 
5000.  Sparta  3—4000  stellen. 

Die  Heere  dieser  Zeit  bestanden  in  der  Regel  zu  ziemlich 
gleichen  Theilen  aus  Hopliten  und  Leichtbewaffneten;  und  das 
des  Archidamos  wird  keine  Ausnahme  gemacht  haben.  So 
mochten  denn  in  der  That  gegen  00000  Bewaffnete  unter 
seinem  Befehle  stehen,  woraus  dann  Plutarch,  der  von  den 
Militärverhältnissen  der  perikleischen  Zeit  keinen  klaren  Begriff 
mehr  hatte,  60000  Hopliten  gemacht  hat.  Wenn  Androtion 
das  Heer  des  Archidamos  auf  100000  Mann  angiebt1),  so  sind 
hier  entweder  die  Nichtcombattanten  eingerechnet,  oder,  was 
wahrscheinlicher,  es  liegt  nur  eine  vage  Schätzung  vor. 

Die  gesammte  Wehrkraft  des  Peloponnes,  ohne  Argos  und 
Achaia,  hat  sich  demnach  im  Jahre  431  auf  34—35  000  Hopliten 
belaufen.  Auf  Argos  und  Achaia  werden  etwa  je  6 — 7000  Hopliten 
zu  rechnen  sein;  im  ganzen  also  für  die  Halbinsel  45—50000 
Hopliten.  Die  leichten  Truppen  mochten  den  Hopliten  an  Zahl 
mindestens  gleich  kommen;  die  zu  Feldzügen  ausser  Landes 
verfügbare  Truppenmacht  lvelief  sich  demnach  auf  etwa  100000 
Mann.  Da  selbst  Sparta  bei  solchen  Feldzügen  in  der  Regel 
nicht  auf  die  Mannschaften  von  über  55  Jahren  zurückgriff,  so 
ist  es  nicht  wahrscheinlich,  dass  die  übrigen  Staaten  der  Halb- 
insel die  Grenze  von  50  Jahren  für  ein  solches  Aufgebot  über- 
schritten haben  sollten.  Nun  bilden  die  Männer  zwischen  20 
und  50  Jahren  im  heutigen  Europa  etwa  40—41  % der  ge- 
summten männlichen  Bevölkerung,  also  rund  2/b ; und  folglich 
1;j  der  Gesannntbevölkerung  überhaupt.  Die  freie  Bevölkerung 
des  Peloponnes  am  Ende  des  V.  Jahrhunderts  hat  also  auch 
nach  dieser  Berechnung  etwa  */«  Million  Seelen  betragen,  und 


’)  Fr.  45  bei  Scliol.  Soph.  Oed.  Kol.  697. 


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154 


(Japitel  IV. 


wahrscheinlich  noch  etwas  darüber,  da  offenbar  viele  Männer 
von  militärpflichtigem  Alter  wegen  körperlicher  Gebrechen  oder 
aus  anderen  Ursachen  ihrer  Dienstpflicht  nicht  genügen  konnten. 

Das  Heer,  mit  dem  Epameinondas  im  Winter  370/69  in 
Lakonien  einfiel,  geben  Diodor  und  I’lutarch  übereinstimmend 
auf  70000  Mann  an,  wahrscheinlich  nach  Ephoros1).  Davon 
wären  40000  Mann  Hopliten  gewesen2).  Das  waren  die  Auf- 
gebote von  Boeotien,  Euboea,  l’hokis,  Lokris,  Akarnanien,  Malis, 
Argos,  Arkadien,  Elis.  Es  ist  wahrscheinlich,  dass  diese  Staaten 
bei  Anspannung  ihrer  gesummten  Wehrkraft  im  Stande  waren, 
eine  solche  Truppenzahl  aufzubringen ; w omit  natürlich  noch  nicht 
gesagt  ist,  dass  Epameinondas  wirklich  ein  so  grosses  Heer  unter 
seinem  Befehle  hatte.  Brauchbarer  sind  die  Angaben  Diodors 
über  die  Stärke  der  kämpfenden  Heere  in  der  Schlacht  bei 
Mantineia,  der  grössten  Schlacht,  die  bis  dahin  zwischen  Griechen 
geschlagen  worden  war8).  Die  Boeoter  und  ihre  Bundesge- 
nossen sollen  danach  über  30000  Mann  und  3000  Reiter,  ihre 
Gegner  über  20000  Mann  und  2000  Reiter  gezählt  haben,  zu- 
sammen also  hätten  über  50000  Mann  und  5000  Reiter  ge- 
kämpft4). Die  Athener  zählten  6000  Mann5);  die  Lakedaemonier 
waren  mit  ihrer  ganzen  Macht  zur  Stelle,  also  — mit  Rücksicht 
auf  die  Verluste  bei  Leuktra  — wohl  mit  nicht  mehr  als  5000 
Mann : so  dass  die  Eieier,  Achaeer,  Phleiasier,  Mantineer  und  die 
mit  diesem  verbündeten  Arkader")  zusammen  etwa  11  000  Mann 
gezählt  haben  müssen.  Auf  der  andern  Seite  hatten  die  Boe- 
oter ihre  ganze  Macht  aufgeboten 7),  also  etwa  6000  Hopliten 
und  1000  Reiter;  die  Contingente  aus  Euboea,  Lokris  und 
Thessalien  können  höchstens  dieselbe  Stärke  gehabt  haben, 
sodass  für  die  peloj>onnesisehen  Bundestruppen  — Argeier,  Süd- 


»)  Diod.  XV  62;  Piut.  Pelop.  24,  Agesilaos  31. 
s)  Plut.  Agesilaos  31. 

a)  Diod.  XV  86:  ovSinoTl  yvQ'EXXgrm’  7rpöf  "EXX>]VttS  nymri(oft(r(uv 
ovti  nlr/froi  iil'dQtöv  loooixo  nttgirnlitro  xrX. 

*)  Diod.  XV  84. 

Diod.  a.  a.  0. 

«)  CIA.  11  57  b. 

’)  Xen.  Hell  Vll  5,  4. 


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Djr  Peloponnes. 


155 


Arkader,  Messenier,  Sikyonier  noch  gegen  20000  Mann  bleiben 
würden,  was  nicht  übertrieben  scheint.  Es  hätten  demnach 
bei  Mantineia  etwa  36  000  Peloponnesier  gekämpft,  das  Ge- 
sammtaufgebot  aller  Staaten  bis  auf  Korinth  und  die  argolische 
Akte.  Diese  Berechnung  macht  selbstverständlich  nur  auf 
approximativen  Werth  Anspruch,  kann  sich  aber,  die  Richtig- 
keit der  Angaben  Diodors  vorausgesetzt,  nur  um  einige  Tausende 
von  der  Wahrheit  entfernen.  Rechnen  wir  Korinth  und  die 
Akte  hinzu,  so  erhalten  wir  reichlich  40000  Mann  als  Gesammt- 
wehrkraft  des  Peloponnes  um  die  Mitte  des  IV.  Jahrhunderts. 
Das  ist  annähernd  dieselbe  Zahl,  die  sich  uns  oben  für  die 
Zeit  des  peloponnesischen  Krieges  ergeben  hatte. 

Im  Jahre  331  betrug  das  Aufgebot  der  an  dem  Aufstande 
gegen  Antipatros  theilnehmenden  Staaten  20000  Mann  und 
2000  Pferde1);  die  8 — 10000  Mann  starken  Söldner2)  sind 
hier  nicht  mitgerechnet.  Das  waren  die  Contingente  von  Sparta, 
Elis,  Achaia  mit  Ausnahme  von  Pellene,  und  Nord-Arkadien, 
während  Messene,  Süd -Arkadien,  Argos  und  Pellene  an  dem 
makedonischen  Bündniss  festhielten;  es  war  also  nur  etwa  die 
Hälfte  des  Peloponnes,  die  dieses  Heer  gestellt  hatte.  Hundert 
Jahre  später,  in  der  Schlacht  bei  Pallantion  227,  soll  das  Heer 
des  achaeisehen  Bundes  20000  Mann  zu  Fuss  und  1000  Reiter 
gezählt  haben 8) ; der  Bund  umfasste  damals  ausser  Achaia  selbst 
ganz  Argolis,  und  Arkadien  bis  auf  Tegea,  Mantineia,  Orehomenos, 
Psophis,  Phigaleia,  Alipheira : also  ebenfalls  etwa  die  Hälfte  des 
Peloponnes.  Bei  Sellasia  allerdings  fochten  die  Achaeer  mit 
nicht  mehr  als  4000  Mann  zu  Fuss  und  300  Reitern4);  der 
Bund  war  aber  damals  durch  den  langen  und  unglücklichen 
Krieg  gegen  Kleomenes  aufs  tiefste  erschöpft,  und  Antigonos 

')  Diod.  XVII  62:  ThXonorvtjOitov  J'  ol  nXtlovi  xai  jtiiv  tiXltuv 
itvif  o vuif  (toignun  ti  Ü7ii j'p«i/f«i'TO  ngöi  ihv  n oXifior,  xat  xaiu  dvrafJtv 
t <ör  noXauv  xaitiyQayortii  rtbf  rfmv  robs  agiaioat  xmlXiinv  otqutim- 
i n(  7i c(o bi  [iiv  oix  IXüttovs  rtüv  liiOfiiQlior,  Snntii  i ft  ntgt  ihnyiXloti. 

8)  Diod.  XVII  48;  Deinarcli.  g.  Dem.  34. 

3)  Plut  Kleom.  4,  nach  Phylarchos. 

*)  Polyb.  II  65,  3:  Ij/aitöv  J ' ln  iXlxtoii  nt(vb(  fjiv  igia/ülovi, 
Inntis  di  jgutxoalovs,  xttl  MiyaXonoXljti t ytXloti  di  tgv  lUaxtäunxoV 
rgönov  xafrcun  XtaulvoLi. 


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156 


Capitel  IV. 


hatte  Grund,  seine  neuen  Bundesgenossen  zu  schonen.  Im  fol- 
genden Jahre,  220,  wurde  gegen  die  Aetoler  ein  Corps  aus- 
gewählter Bürgertruppen  von  5000  Mann  und  500  Pferden  aul- 
gestellt1). Gegen  Nabis,  195,  stellten  die  Achaeer  10000  Mann 
und  1000  Reiter,  wovon  freilich  ein  Theil  Söldner  waren®); 
Argos  war  damals  vom  Bunde  abgefallen. 

Die  Stärke  des  Gesammtaufgebotes  des  aehaeischen  Bundes 
im  Jahre  168,  also  zu  einer  Zeit,  wo  der  Bund  den  ganzen 
Peloponnes  umfasste,  belief  sich  nach  Polybios  auf  30 — 40000 
Mann8):  d.  h.  noch  annähernd  auf  dieselbe  Zahl,  die  der  Pelo- 
ponnes 2 Jahrhunderte  früher,  zur  Zeit  der  Schlacht  bei  Manti- 
neia,  hatte  ins  Feld  stellen  können.  Wir  dürfen  nicht  vergessen, 
dass  die  Dienstpflicht  auch  im  aehaeischen  Bunde  nach  dem 
Vermögen  geleistet  wurde,  und  dass  leichte  Trappen  in  den 
Kriegen  dieser  Zeit  nur  noch  in  sehr  beschränkter  Zahl  zur 
Verwendung  kamen.  Es  waren  also  im  wesentlichen  nur  die 
wohlhabenden  Klassen  der  Bevölkerung  des  Peloponnes,  aus 
denen  die  aehaeischen  Bundesheere  gebildet  waren. 

Natürlich  ist  der  achaeische  Bund  sowenig  wie  irgend  ein 
anderer  Staat  des  Alterthums  oder  der  Neuzeit  im  Stande  ge- 
wesen, die  ganze,  in  den  Listen  verzeichnete  Heeresstärke 
wirklich  ins  Feld  zu  stellen.  In  der  Schlacht  bei  Leukopetra 
gegen  Mummius,  146,  zählte  das  Bundesheer  600  Reiter  und 
14000  Mann  zu  Fuss,  die  mit  aller  Anstrengung  unter  Ein- 
reihung freigelassener  Sklaven  zusammengebracht  waren4). 
Allerdings  hatten  die  Achaeer  bereits  bei  Skarpheia  starke  Ver- 
luste erlitten,  Elis  und  Messenien  hatten  ihre  Contingente 
zurückgehalten5),  und  Sparta  war  abgefallen,  sodass  das  Auf- 
gebot l>ei  Leukopetra  nur  etwa  von  der  Hälfte  der  peloponne- 
sischen  Gemeinden  gestellt  war.  Der  ganze  Peloponnes  würde 

>)  Polyb.  IV  15,  3. 

*)  Liv.  34,  25  nach  Polybios. 

s)  Polyb.  XXIX  9,  8:  xakiö;  yaQ  notoCvras  avrovs  xa'i  tqcis  ayftv 
xal  r(TTUQ(ts  (iVQinSas  nrägär  uttyluotr. 

*)  Pausan.  VII  15,  7. 

®)  Polyb.  XL  3,  3:  'Illttot  uir  y«p  xcu  Mtaar^noi  xuj«  yojnnr 
tufirav,  ngootSoxonris  tov  « 770  roO  arölov  xlrüvvov. 


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Der  Peloponnes. 


157 


also  gegen  30000  Mann  haben  aufstellen  können,  was,  wie  man 
sieht,  der  von  Polybios  für  das  Jahr  168  angenommenen  Heeres- 
stürke ziemlich  nahe  kommt. 

Die  Zahl  der  wehrfähigen  Mannschaft,  die  der  Peloponnes 
aufzustellen  vermochte,  ist  demnach  seit  der  Mitte  des  IV.  Jahr- 
hunderts etwas  zurückgegangen,  und  dieses  Deficit  erscheint 
noch  grösser,  wenn  wir  erwägen,  dass  in  der  Zwischenzeit  die 
lakedaemonischen  Heiloten  wenn  nicht  sämmtlich,  so  doch  zum 
weit  überwiegenden  Theile  emancipirt  worden  sind.  Ob  aber 
dieser  Abnahme  der  wehrfähigen  Mannschaft  eine  Abnahme  der 
freien  Bevölkerung  überhaupt  entsprochen  hat,  muss  dahinge- 
stellt bleiben,  da  wir  nicht  wissen,  an  welche  Voraussetzungen 
die  Wehrpflicht  im  achaeischen  Bunde  geknüpft  war.  Bei  dem 
Schwinden  des  militärischen  Geistes  in  dieser  Periode  ist  es 
aber  wahrscheinlich,  dass  der  Staat  jetzt  geringere  Anfof- 
derungen an  seine  Bürger  gestellt  hat,  als  im  V.  und  IV.  Jahr- 
hundert. Die  freie  Bevölkerung  scheint  also  am  Anfang  des  II. 
Jahrhunderts  noch  annähernd  ebenso  zahlreich  gewesen  zu  sein, 
wie  die  freie  und  Heilotenbevölkening  am  Ende  des  V.;  d.  h. 
sie  mag  sich  auch  jetzt  auf  gegen  700000  belaufen  haben. 

Dagegen  hat  sich  die  Sklavenbevölkerung  in  der  Zwischen- 
zeit ohne  Zweifel  bedeutend  vermehrt.  Im  Laufe  des  IV.  Jahr- 
hunderts ist  die  Sklaverei  auch  in  diejenigen  Theile  Griechen- 
lands vorgedrungen,  die  bis  dahin  in  der  Hauptsache  davon 
frei  geblieben  waren.  So  waren  die  Sklaven  in  Megalopolis 
bereits  318  so  zahlreich,  dass  sie  für  die  Verteidigung  der 
Stadt  gegen  Polysperchon  wesentlich  mit  in  Betracht  kamen1). 
Im  Jahre  194  gab  es  im  Gebiet  des  achaeischen  Bundes,  der 
damals  Sparta,  Messenien  und  Elis  noch  nicht  umfasste,  nicht 
weniger  als  1200  italische  Sklaven,  die  während  des  Kanni- 
balischen Krieges  dahin  verkauft  w orden  w aren ä).  Diaeos  befahl 
bei  Ausbruch  des  Krieges  gegen  Rom  die  Freilassung  der  im 
Lande  geborenen  Sklaven  kriegstüchtigen  Alters  bis  zu  einer 

*)  Diod.  XVIII  70.  Vgl.  Philoch.  Leben  d.  Äpollonios  VIU  7 S.  161, 
Kayseriiber  die  Sklaven  in  Arkadien. 

*)  Polyb.  bei  Liv.  34,  50. 


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158 


Capitel  IV. 


Gesainmtzahl  von  12000,  welches  Contingent  auf  die  einzelnen 
Bundesstaaten  repartirt  wurde.  Wir  hören,  dass  in  einigen 
Städten  die  Sklaven  dieser  Kategorie  nicht  ausreichten,  die 
geforderte  Zahl  voll  zu  machen  *) ; Diaeos  scheint  demnach  bei 
der  Bemessung  des  Contingents  bis  an  die  Grenze  des  mög- 
lichen gegangen  zu  sein.  Der  Bund  wird  also  in  dieser  Zeit 
etwa  60000  im  Lande  geborene  Sklaven  jeden  Alters  und 
Geschlechts  gezählt  haben2).  Nun  stehen  in  den  von  Wescher 
und  Foucart  publicirten  delphischen  Freilassungsurkunden,  die 
dieser  selben  Zeit  angehören,  die  im  Hause  geborenen  Sklaven 
(oixoyeveis)  zu  den  Kaufsklaven  wie  84:129  oder  wie  2:3. 
Nach  diesem  Verhältniss  würde  die  gesammte  Sklavenzahl  des 
Peloponnes  um  die  Mitte  des  II.  Jahrhunderts  gegen  150000 
Köpfe  betragen  haben;  da  indess  die  im  Lande  geborenen 
grössere  Chancen  der  Freilassung  haben  mussten,  als  die  durch 
Kauf  erworbenen,  so  mag  die  Zahl  immerhin  auf  250000  an- 
zusetzen sein.  Höher  hinaufgehen  dürfen  wir  nicht;  denn  Si- 
cilien,  damals  ohne  Frage  das  an  Sklaven  reichste  Land  der 
Welt,  kann  in  dieser  Zeit  kaum  über  400000  Sklaven  gezählt 
haben  (s.  unten  Cap.  VII). 

Die  Gesammtbevölkerung  des  Peloponnes  hat  sich  demnach 
ums  Jahr  200  auf  etwa  950000  Menschen  belaufen,  oder  reich- 
lich 42  auf  1 qkm.  Wenn  der  epeiro tische  Bund,  der  nie  eine 
hervorragende  politische  Rolle  gespielt  und  kaum  irgend  eine 
bedeutende  Stadt  besessen  hat,  im  Jahre  170  auf  etwa  8000 
qkm  eine  Bevölkerung  von  gegen  300000  F.inwohnem  zählte, 
also  nahe  an  40  auf  1 qkm  (s.  unten  Cap.  V,  3),  so  wird  die 
hier  ermittelte  Volksdichtigkeit  für  den  Peloponnes  gewiss  nicht 
zu  hoch  scheinen. 

*)  Polyb.  XL  2,  3;  iy^atft  raig  jtoltai  Titian;  rtür  olxoytvtüv  xtri 
7i aoaToötf tuv  t ovg  dxfjttgorrag  rtti g jjltxftug  tlg  uvQioig  xai  äiaytUo vg 
fltv&tgovv  xai  xaftonh'aa ring  71 tun ttv  tlg  KÖqiv&ov.  fuintat  di  rmg 
Tlöl.tat  Tt)V  lnißuXi]V  Ttüv  otufjattuv  llxij  xai  dvlatog,  xaHtiutQ  xai  nt  Qi 
ttüv  aXXtov  fnoaiTtv.  oig  d'  dv  flltfrrrj  id  r tüv  napaiQOtftor  nlij&og, 
dvanXrjQOvv  tdti  tijv  ixdaroig  xafh;xovaav  pjoTgav  fx  Ttüv  aXltov  olxtvür. 

*)  Bei  dieser  Kategorie  wird  es  gestattet  sein,  die  allgemeinen  Ge- 
setze der  Bevölkerungsstatistik  anzuwenden,  was  bei  den  Kaufsklaven  un- 
zulässig ist. 


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Der  Peloponnes. 


159 


Eine  fühlbare  Abnahme  der  Bevölkerung  ist  im  Peloponnes 
wie  im  übrigen  Griechenland  erst  seit  dem  Anfang  des  II.  Jahr- 
hunderts eingetreten,  trotz  des  tiefen  Friedens,  den  die  römische 
Hegemonie  gebracht  hatte,  und  obgleich  Griechenland  in  dieser 
Zeit  von  Epidemien  verschont  blieb1).  Diese  Entvölkerung, 
deren  Ursachen  an  anderer  Stelle  zu  erörtern  sind,  hat  dann 
in  den  folgenden  Jahrhunderten  ihren  Fortgang  genommen,  und 
wenn  auch  der  Peloponnes  in  der  Kaiserzeit  keineswegs  so 
menschenleer  gewesen  ist,  wie  manche  sich  vorstellen z),  so 
kann  doch  kein  Zweifel  sein,  dass  die  Bevölkerung  in  dieser 
Zeit  die  frühere  Höhe  bei  weitem  nicht  mehr  erreicht  hat3). 
Aber  es  fehlen  alle  Daten  zur  numerischen  Bestimmung  dieser 
Abnahme. 

8.  Kreta. 

Es  mögen  hier  die  wenigen  Notizen  angefügt  werden,  die 
wir  über  die  Bevölkerung  des  alten  Kreta  besitzen.  Der  Flächen- 
inhalt beträgt  nach  Strelbitzky : 


qkm 

Kreta 8591,3 

Gaudos 29,7 

Ophiussa  (Gaudopulo) 4,3 

Cbrysea  ( Gaidaronisi ) 6,6 

8631,9 


Das  ist  mehr  als  das  Areal  von  Lakonien  und  Messenien  zu- 
sammen. 

Die  grosse  Bevölkerung  hebt  schon  Homer  hervor4): 

Aoij’r/j  ri{  yai'  torf,  plaqi  M ofvom  ttovto), 
xalri  xni  tiIhqu,  tuq(qovtos ' (v  <t’  in  ftgiiinoi 
77o).).o(,  aJTHQtaioi,  xai  /ynjxorra  iTo/qff. 

In  der  Ilias  ist  sogar  von  100  kretischen  Städten  die  Rede5). 


>)  Polyb.  37,  4. 

*)  Vgl.  z.  B.  die  oben  S.  149  angeführte  messenische  Ephebeninschrift 
aus  131  n.  Clir. 

s)  Näheres  unten  Cap.  XII. 

*)  Odyss.  t 172. 

5)  Ilias  1i  649. 


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160 


Capitel  IV. 


Bei  der  politischen  Zersplitterung  der  Insel  in  eine  Menge 
selbständiger  Staaten,  und  dem  geringen  Antheil,  den  Kreta  in 
Folge  dessen  an  den  hellenischen  Angelegenheiten  genommen 
hat,  dürfen  wir  Angaben  über  die  Bevölkerung  in  der  klassi- 
schen Zeit  nicht  zu  finden  erwarten.  Doch  ist  kaum  ein  Zweifel, 
dass  die  gebirgige  und  waldreiche,  aber  in  ihren  Thälern  frucht- 
bare Insel ')  auch  in  dieser  Zeit  stark  bevölkert  gewesen  ist. 
Wenigstens  finden  wir  kretische  Söldner  seit  dem  V.  Jahrhundert 
in  beträchtlicher  Zahl  in  fast  allen  griechischen  Heeren 2).  Eine 
bedeutendere  Stadt  freilich  fehlte;  selbst  Knosos,  das  in  der 
Odyssee  als  solche  bezeichnet  wird  und  auch  später  unter  den 
kretischen  Städten  den  ersten  Rang  einnimmt,  hatte  nicht  mehr 
als  30  Stadien  Umfang8).  Gegen  Metellus  soll  Kreta  im  Jahre 
68  ein  Heer  von  24000  Mann  aufgestellt  haben4),  was  kaum 
übertrieben  scheint,  da  es  die  Kreter  vermochten,  in  offener 
Feldschlacht  sich  dem  römischen  Consul  entgegenzustellen  und 
nach  dem  Verluste  dieser  Schlacht  noch  einen  mehrjährigen 
Widerstand  zu  leisten.  Vor  Ausbruch  des  Krieges  hatten  die 
Römer  die  Stellung  von  300  Geiseln  und  Zahlung  von  4000 
Talenten  verlangt5).  Kreta  wird  also  kaum  schwächer  bevölkert 
gewesen  sein,  als  das  stammverwandte  Lakonien,  dessen  sociale 
Einrichtungen  den  kretischen  in  so  vieler  Beziehung  analog 
waren.  Das  würde  auf  eine  Bevölkerung  von  rund  200000 
Einwohnern  führen. 


■)  Strab.  X S.  475:  Ion  J’  ogtivf/  *«)  itaaeia  ij  vijaoq,  ixei 

vaq  tvxdgnnvq. 

2)  Vgl.  Strab.  X S.  477 : m/vaC  0"  ovroq  (v  airij  tov  ptfiftotfonixoi 
xctl  ntQtti itiirixov  nXijdovq,  iS  ov  xat  t«  XijOTijgtn  nlr/QoCaUcu  avvißiuvf. 

s)  Odyssee  r 178:  rij  <?'  äp'  ivi  Krioaiq,  ueydlrj  nöXiq.  Strab.  X 
S.  476.  Die  nächstbedeutenden  Städte  waren  Gortyn  und  Kydonia:  Strab.' X 
S.  476.  478. 

4)  Veil.  II  34:  quattuor  et  viginti  milibus  iuvenum  coactis  velocitate 
pernicibus,  armorum  laborumque  paratissimis. 

8)  Appian  Sik.  6. 


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Fünftes  Capitel. 

Mittel-  und  Nord-Griechenland. 


1.  Mittel-Griechenland. 

Die  Landschaften  zwischen  dem  Isthmos  und  den  Thermo- 
pylen:  Megaris,  Attika,  Boeotien,  Phokis,  Lokris,  entsprechen 
im  grossen  und  ganzen  den  heutigen  Nomarchien  Attika  und 
Boeotien,  und  Fhthiotis  und  Phokis.  Das  festländische  Areal 
dieser  beiden  Nomarchien  beträgt  nach  Strelbitzky  12 141,5  qkm. 
Davon  kommen  auf  Attika,  wie  wir  oben  gesehen  haben, 
2527  qkm;  auf  Süd-Thessalien  entfallen  2630  (davon  200  auf 
Dolopien),  während  etwa  545  zum  alten  Aetolien  gehören.  So 
bleiben  für  die  mittelgriechischen  Landschaften  6439,5  qkm. 
Dagegen  gehört  von  der  heutigen  Nomarchie  Aetolien  und 
Akamanien  ein  kleines  Stück  von  ungefähr  80  qkm,  die  Um- 
gegend von  Naupaktos,  zum  alten  Lokris;  weitere  5,5  qkm 
kommen  für  die  kleinen,  an  der  lokrischen  Küste  gelegenen 
Inseln  (Atalanta  etc.)  hinzu;  im  ganzen  also  ergiebt  sich  für 
das  Gebiet,  das  uns  hier  beschäftigt,  ein  Areal  von  6525  qkm. 
Dasselbe  vertheilt  sich  in  folgender  Weise: 


qkin 

Megaris 470 

Boeotien 2580 

Phokis 1615 

Doris 185 

östliches  Lokris 805 

westliches  Lokris 870 

‘6525 

B»T61kening«lehr«.  I.  11 


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162 


Capitel  V. 


Alle  diese  Zahlen  beruhen  auf  planimetrischer  Messung, 
ausgeführt  mit  Zugrundelegung  der  Strelbitzkyseheu  Werthe 
auf  Bl.  25  a von  Kieperts  Neuem  Handatlas  und  Bl.  V seines 
Neuen  Atlas  von  Hellas.  Sie  beziehen  sich  sonach  zunächst 
auf  das  V.  Jahrhundert.  In  den  Jahren  411  bis  ca.  386  und 
366 — 338,  als  Oropos  zu  Boeotien  gehörte,  ist  der  Flächen- 
inhalt dieser  Landschaft  um  reichlich  100  qkm  höher  anzusetzen, 
also  auf  2700;  am  Ende  des  III.  Jahrhunderts,  nach  Einverlei- 
bung von  Megara  und  Lamuna,  und  Wiedergewinn  von  Oro- 
pos, hat  der  boeotische  Bund  sogar  ca.  3300  qkm  umfasst. 
Davon  kommen  auf  die  Seen  (nach  Strelbitzky) : 


qkm 

Kopa'is  ( Tripolirut ) 218,7 

Hylike  (Likeri) 12,9 

Ti'cphia?  [Paralivtui 9,1 

23.5,7 


Wie  wir  sehen,  hat  Boeotien  im  V.  und  IV.  Jahrhundert 
ungefähr  denselben  Flächenraum  gehabt  wie  Attika.  Dem  ent- 
sprechend schätzt  Xenophon  die  bürgerliche,  oder  vielleicht 
besser  die  freie  Bevölkerung  beider  Länder  annähernd  gleich1). 
Das  würde  für  Boeotien  eine  Bürgerzahl  von  etwa  25 — 30000 
ergeben.  Eine  Bestätigung  findet  dieser  Ansatz  in  den  An- 
gaben des  Thukydides  über  die  Stärke  des  boeotischen  Heeres 
bei  Delion  424,  wo  die  gesammte  Streitmacht  aller  Städte  des 
Bundes  aufgeboten  war*).  Es  kämpften  in  dieser  Schlacht  auf 
boeotischer  Seite8): 


Hopliten  gegen  (utUtoja) 7 000 

Leichtbewaffnete  über 10000 

Peltasten -500 

Reiter 1000 


zusammen  1*500 


')  Xen.  Delikte.  111  5,  2:  ovxoijr  oiaOte,  tqij,  5ti  nlrjOtt  /utv  ovtfiv 
ut(ov;  tlalv  'ASr\v<tio t Hoiainov ; OiSn  yaQ,  Itftj.  Die  fingirte  Zeit  des 
Gespräches  ist  vor  der  Wahl  des  jüngeren  Perikies  zum  Strategen,  also 
vor  406. 

*)  Thuk.  IV  91 : «tto  naatuv  roh-  noUtor. 

3)  Thuk.  IV  93. 


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Mittel-  und  Nord-Griechenland. 


163 


Nun  wissen  wir  aus  den  boeotischeu  Inschriften  des  UL  Jahr- 
hunderts, dass  die  Verpflichtung  zum  activen  Kriegsdienst  in 
Boeotien  ebenso  wie  in  Attika  mit  dem  vollendeten  20.  Jahre 
begann;  wir  werden  dasselbe  auch  für  das  V.  Jahrhundert  an- 
nehmen dürfen.  Ferner  konnten  bei  einem  allgemeinen  Auf- 
gebot die  festen  Plätze  unmöglich  ohne  Besatzung  gelassen 
werden  ; es  liegt  in  der  Natur  der  Sache,  dass  diese  Besatzun- 
gen aus  den  Epheben  unter  20  Jahren  und  den  ältesten  Jahr- 
gängen der  übrigen  waffenfähigen  Bürger  gebildet  wurden. 
Selbst  in  Sparta  hat  man  bei  Feldzügen  nicht  leicht  auf  die 
Mannschaften  von  über  55  Jahren  zurückgegriffen;  in  Athen  ist, 
soviel  wir  sehen,  die  Grenze  von  50  Jahren  nie  überschritten 
worden.  Wir  werden  also  berechtigt  sein,  in  den  18500  Com- 
battanten  bei  Delion  die  waffenfähige  Mannschaft  des  Landes 
von  20 — 50  Jahren  zu  erkennen.  Dabei  werden  allerdings  die 
Metoeken  einbegriffen  sein;  indess  war  deren  Zahl  in  einem 
vorwiegend  ackerbautreibenden  Lande  wie  Boeotien  gewiss 
nicht  beträchtlich,  und  sie  können  um  so  mehr  ausser  Ansatz 
bleiben,  als  ja  auch  ein  Theil  der  bürgerlichen  Bevölkerung, 
sei  es  aus  Untauglichkeit  zum  Militärdienst,  sei  es  aus  andern 
Gründen,  verhindert  sein  musste,  beim  Aufgebot  zu  erscheinen. 

Rechnen  wir  die  Männer  von  20 — 50  Jahren  zu  21  °/o  der 
Gesammtbevölkerung , oder  zu  63  °/o  der  männlichen  Bevölke- 
rung über  18  Jahren,  so  ergäbe  sich  für  Boeotien  eine  Bürger- 
zahl von  29  000  und  eine  bürgerliche  Gesammtbevölkerung  von 
88000,  Zahlen,  die  nur  unbedeutend  von  der  Wahrheit  ab- 
weichen können.  Mit  Einrechnung  der  Metoeken  weiden  wir 
sagen  dürfen,  dass  Boeotien  im  Jahre  424  eine  freie  Bevölke- 
rung von  rund  100000  besessen  hat.  — Nach  Ephoros  sollen 
die  Boeoter  keinem  hellenischen  Volke  an  Zahl  nachgestanden 
haben'),  und  Isokrates  rechnet  Theben,  d.  h.  Boeotien,  neben 
Sparta,  Athen , Argos  unter  die  vier  mächtigsten  hellenischen 
Staaten  *). 


J)  Diod.  XV  26:  rö  ynp  ffrvog  toDtu  xu'i  nlrjüti  ruv  uri(tcSr 
firtSpttn  xara  noi-tfiov  oüdtvöf  rtü r Eilrjvixdi'  idoxti  Xe/rrtofhti. 
aj  Isokr.  Paneij.  64. 

11* 


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164 


Capitel  V. 


Was  wir  sonst  über  die  militärischen  Leistungen  Boeotiens 
im  peloponnesischen  Kriege  und  der  nächstfolgenden  Zeit  hören, 
stimmt  aufs  beste  zu  diesem  Ergebnisse.  In  dem  Sommer  des- 
selben Jahres,  in  dessen  Herbst  bei  Delion  gekämpft  wurde, 
wollten  die  Boeoter  mit  ganzer  Macht  Megara  zu  Hülfe  ziehen ; 
auf  die  Nachricht,  dass  Brasidas  dort  bereits  angelangt  sei, 
kehrt  der  grössere  Theil  des  Heeres  zurück,  und  nur  2200 
Hopliten  und  600  Reiter  setzen  den  Marsch  auf  Megara  fort1). 
Sechs  Jahre  später  schicken  die  Boeoter  5000  Hopliten,  500 
Reiter  und  5500  Mann  leichter  Truppen  in  den  Peloponnes; 
es  wird  aber  ausdrücklich  bemerkt,  dass  es  sich  hier  um  kei- 
nen Auszug  mit  ganzer  Macht  handelt2).  In  der  Schlacht  bei 
Korinth,  394,  kämpften  5000  boeotische  Hopliten  und  800 
Reiter8);  dabei  fehlte  das  Contingent  von  Orchomenos,  während 
andererseits  Oropos  damals  zum  boeotischen  Bunde  gehörte. 
An  der  Belagerung  der  Kadmeia  im  Winter  379/8  sollen  sich 
7000  boeotische  Hopliten  und  1500  Reiter  betheiligt  haben4). 
Bei  Leuktra  371  wird  das  boeotische  Heer  auf  6000  Mann  an- 
gegeben6); offenbar  sind  hier  nur  die  Hopliten  gerechnet.  Bei 
dem  Einfalle  des  Epameinondas  in  Lakonien  im  Winter  370/69 
belief  sich  sein  Heer  angeblich  auf  70000  Mann,  wovon  „we- 
niger als  der  12.  Theil“  Thebaeer,  d.  h.  Boeoter  waren6),  also 
5000  Mann.  Auf  einem  zweiten  Zuge  in  den  Peloponnes 
führte  Epameinondas  7000  Mann  zu  Fuss  und  600  Reiter7); 
das  zur  Befreiung  des  Pelopidas  367  nach  Thessalien  gesandte 
Heer  betrug  8000  Mann  und  600  Reiter8);  in  beiden  Fällen 
werden  die  Contingente  von  Phokis,  Lokris  und  Euboea  ein- 


»)  Thuk.  IV  72. 

*)  Thuk.  V 57. 
s)  Xen.  Hell  IV  2,  17. 

4)  Nach  Diod.  XV  26  zählte  das  athenisch -boeotische  Heer  12000 
Mann  zu  Fuss  und  über  2000  Reiter,  davon  waren  Athener  5000  Hopliten 
und  500  Reiter. 

6)  Diod.  XV  52. 

8)  Plut.  Pelop.  24. 

’)  Diod.  XV  68. 

*)  Diod.  XV  71. 


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Mittel-  und  Nord-Griechenland. 


165 


gerechnet  sein.  Wie  viel  Boeoter  unter  den  30000  Mann  und 
3000  Reitern  gewesen  sind,  die  Epameinondas  bei  Mantineia 
befehligte1),  wird  nicht  angegeben. 

Sehr  bedeutende  Streitkräfte  hat  Boeotien  im  heiligen 
Kriege  aufgestellt.  Gegen  Philomelos  kämpften  die  Boeoter 
mit  13000  Mann2);  darnach  geht  Pammenes  mit  5000  Mann 
nach  Asien,  ohne  dass  doch  deswegen  der  Krieg  mit  geringerem 
Nachdrucke  weitergeführt  wird8).  Da  die  Boeoter  keine  Sold 
ner  hielten4)  und  ausser  etwa  den  opuntischen  Lokrem  auch 
keine  Bundestruppen  verwendet  werden  konnten,  so  sind  diese 
Streitkräfte  in  der  Hauptsache  aus  Boeotien  selbst  ausgehoben 
worden ; doch  sind  die  Angaben  statistisch  wenig  brauchbar,  da 
wir  über  die  Zusammensetzung  dieser  Truppen  nicht  unter- 
richtet sind.  In  dem  Kriege  gegen  die  Gallier,  280,  soll 
Boeotien,  nach  Pausanias,  500  Reiter  und  10000  Hopliten  ge- 
stellt haben8).  Bei  Sellasia  endlich  betrug  das  boeotische 
Contingent  2000  Mann  zu  Fuss  und  200  Reiter,  während  der 
ganze  achaeische  Bund  nicht  mehr  als  etwa  4000  Mann 
stellte 6). 

lieber  die  Bevölkerung  einzelner  boeotischer  Städte  ist 
folgendes  überliefert.  In  der  Schlacht  gegen  Mardonios,  479, 
sollen  600  plataeische  Hopliten  gekämpft  haben7),  was  einer 
Bürgerzahl  von  mindestens  1500  entsprechen  würde,  uud  bei 
der  Kleinheit  der  Stadt8)  und  des  Gebietes  (85  qkm)  etwas 
übertrieben  sein  mag.  Bei  Beginn  der  Belagerung  429  wurde 
die  Stadt  von  400  Plataeern  und  80  Athenern  vertheidigt;  die 
Weiber,  Kinder,  Greise  und  die  zur  Vertheidigung  nicht  erfor- 
derliche Mannschaft  hatte  man  vorher  nach  Athen  geschafft9), 


«)  Diod.  XV  84. 
a)  Diod.  XVI  30. 

*)  Diod.  XVI  34. 

*)  Isokr.  Philipp.  55,  vgl.  Dem.  v.  d.  Symm.  34. 

®)  Pausan.  X 20,  3. 

•)  Polyb.  II  Ö5,  3. 

’)  Herod.  IX  29. 

»)  Thuk.  II  77. 

°)  Thuk.  II  78:  ITlauuiis  tk  naitfa;  /ulr  xai  yvvaixas  xal  toit 


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166 


Capitel  V. 


so  dass  ein  Schluss  auf  die  Höhe  der  Bürgerzahl  hier  nicht 
möglich  ist.  Jedenfalls  waren  die  300  Thebaeer,  die  im  Früh- 
jahr 431  sich  der  Stadt  durch  Ueberfall  bemächtigen  wollten, 
den  Plataeem  an  Zahl  keineswegs  gewachsen1),  obgleich  ein 
Theil  der  Bürger  in  dem  Gebiete  zerstreut  war.  Darnach  kann 
die  Zahl  der  Plataeer  kaum  auf  unter  1000  erwachsene  Männer 
geschätzt  werden. 

Von  den  Bürgern  von  Thespiae  sollen  zur  Zeit  der  Schlacht 
bei  Plataeae  noch  gegen  1800  übrig  gewesen  sein2),  nachdem 
700  bei  den  Thermopylen  gefallen  waren8).  Das  ergäbe  für 
Thespiae  vor  den  Perserkriogen  eine  Bürgerzahl  von  2500,  was 
an  sich  keineswegs  unwahrscheinlich  ist,  wenn  es  auch  besser 
bezeugt  sein  müsste,  um  für  sicher  gelten  zu  können. 

Bei  der  Einnahme  von  Theben  durch  Alexander  fielen 
mehr  als  6000  Bürger  mit  den  Waffen  in  der  Hand,  während 
die  Zahl  der  Gefangenen  jeden  Alters,  Geschlechtes  und  Stan- 
des über  30000  betrug4).  Der  boeotische  Bund  war  damals 
in  Folge  der  Schlacht  bei  Chaeroneia  aufgelöst,  und  die  Trup- 
pen der  boeotischen  Landstädte,  wie  Thespiae,  Orchomenos, 
Plataeae,  kämpften  im  Heere  des  Königs.  Die  Vertheidiger 
Thebens  also  bestanden  im  wesentlichen  aus  den  Bürgern  der 
Stadt  selbst.  Da  nun  der  grösste  Theil  der  Reiter  und  auch 
sonst  viele  sich  retteten,  eine  grosse  Anzahl  Einwohner  in  den 
festen  Plätzen  des  Gebietes  zerstreut  sein  mussten,  endlich  die 
ganz  kleinen  Kinder  in  der  Zahl  der  Gefangenen  offenbar  nicht 
mitbegriffen  sind,  so  wird  die  damalige  Bevölkerung  des  the- 
baeischen  Gebietes  auf  nicht  unter  50000  veranschlagt  werden 
können. 

Bei  der  Eroberung  von  Haliartos  durch  die  Römer  im 
Jahre  171  wurden  2500  Gefangene  gemacht,  nachdem  ein 


7i  nt  aß  vi  f (io  us  xtä  to  TiXrjöos  TtSv  avSptuniav  n Q&ttQov  txxt- 

xofuafitvoi  jj oav  ts  rus  AOyra g. 

*)  Thuk.  II  3:  xaTivojjaav  ov  noXlovs  roi’S  Olßn/oug  Svras,  xal 
(vouioav  (TttfXffUvoi  pniTCeuf  xnar tjitiv. 

*)  Herod.  IX  30. 
a)  Herod.  VII  202. 

<)  Diod.  XVII  14. 


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Mittel-  und  Nord-Griechenland. 


16,7 


grosser  Theil  der  Einwohner  schon  während  der  Belagerung 
und  bei  dem  Sturme  gefallen  war1).  Demnach  mag  Haliar- 
tos  am  Anfang  des  II.  Jahrhunderts  4 — 5000  Einwohner  ge- 
zählt haben. 

Sichereren  Aufschluss  über  die  Bevölkerung  boeotischer 
Städte  in  dieser  Zeit  geben  uns  die  sog.  Militärkataloge.  Wir 
besitzen  nämlich  von  einer  Reihe  boeotischer  Bundesstädte 
inschriftliche  Verzeichnisse  der  in  einem  bestimmten  Jahre 
aus  der  Klasse  der  Epheben  in  den  activen  Kriegsdienst  über- 
getretenen jungen  Leute.  Soweit  diese  Verzeichnisse  chrono- 
logisch bestimmbar  sind,  gehören  sie  in  die  zweite  Hälfte  des 
ni.,  oder  an  den  Anfang  des  II.  Jahrhunderts  vor  unserer  Zeit- 
rechnung. An  der  Spitze  tragen  unsere  Listen  den  Namen  des 
Archon  der  betreffenden  Gemeinde  und  der  drei  Polemarchen; 
daneben  erscheint  öfters  der  Bundesarchon.  Erhalten  sind  fol- 
gende Verzeichnisse: 

1.  Chaeroneia. 

[r  ul  i;  iv  tu  rdyfiara' 

M 2)  379  Name  des  Archon  weggebrochen,  8 Namen,  unvollständig. 

2.  Lebadeia. 

fixunj-ixiet  ÜTiiygciipavfro  (txntyQttif/avTo)' 

N amen 


417  = 

L 3)  67 

Archon  der  Stadt  Enetos 

ca.  30 

unvollständig. 

418 

68 

Bundesarchon  Charopinos 

26 

426 

66a  I.  — — 

10 

Fragment 

427 

66a  II.  — - 

7 

» 

3.  Orchomenos. 

t oil  (riA)  npuTor  tatyntf  trith] ' 

Bundesarchon 

N amen 

M 476 

= L 13 

Philokomos  

. 75 

483 

21 

Kteisias 

. 17 

unvollständig. 

484 

22 

Protomachos 

3 

n 

485 

17 

Onasimos 

. 62 

486 

18 

Damophilos 

. 59 

*)  Liv.  42,  63  nach  Polybios. 

*)  Meister,  Die  boeotischen  Inschriften,  in  Cöllnitz’  Sammlung  der 
griechischen  Dialektinschriflen,  Heft  Ul. 

*)  Larfeld,  SyUoge  inscriptionum  Boeoticarum,  Berlin  1883. 


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168 


Capitel  V. 


4.  Hyettos. 


tvI  itntyQti tpav&o  («TUygntJ/avTo)  tu  ntkToifÖQus' 


Bundesarchon 

Namen 

M 528  — 

L 155 

Agatharchidas  . . . 

...  13 

529 

156 

Apollodoros  .... 

...  10 

530 

167 

Ariston 

...  7 

531 

158 

Eumaridas  .... 

...  14 

582 

159 

Potidaichos  .... 

...  10 

533 

160 

Kaphisias 

...  18 

534 

161 

Kaphisotimos  . . . 

...  7 

535 

162 

Kteisias 

...  9 

536 

163 

Nikias 

...  5 

verstümmelt. 

537 

164 

Thiotimos 

...  16 

538 

165 

Philoxenos  .... 

...  7 

589 

166 

— .... 

...  2 

verstümmelt. 

540 

167 

.... 

...  8 

541 

168 

. . . . 

...  11 

542 

144 

Philon  I 

...  6 

543 

145 

Ilipparchos  . . . . 

...  10 

544 

146 

Philon  II 

...  9 

545 

147 

Ar 

...  9 

546 

148 

Damatrios  I.  ... 

...  6 

Fragment. 

547 

149 

Damatrios  II.  ... 

...  5 

548 

150 

Euklidas 

...  9 

549 

151 

Xenartiudas  . . . . 

...  18 

550 

152 

Aristomachos  . . . 

...  20 

551 

153 

Dioniusios 

...  11 

M 553  = L 169 


5.  Kopae. 

T oi'  üntypaiJ/M'TO  tv  onlttaf 

Archon  Namen 

Melantichos 27 


rot  nniyf/üipavTo  tfj  rtiiroifogas' 

Archon  Namen 

M 554  = L 170  Agatharchos 17 

555  172  Kaphisodoros 10 

556  173  Mnasikles 14 

557  174  Kaphisias  10 

558  175  Nikaristos 5 unvollständig. 


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Mittel-  und  Nord-Griechenland. 


169 


6.  A k r a e p h i a. 

tu)  «TityQaiuar'to  tu;  tif[etß]nrP  fr  [iSupJfOyöpftif ' 

Archon  Namen 

Mittheil.  IX  (1884)  S.  10  Dorkylos 34 

Tel  it7i(yi)i'of/ttväo  [/f  f}if  t[l\ßtur  tu  jiflrotpofitt; • 

Archon  Namen 

M 574  = L 184,  6—11  Ptoion 2 verstümmelt. 

7.  Chorsiae. 

oi'iSe  footyQaif  tv  Ir  TttkTOifÖQtt;' 

M 735  = L 189  Archon  Meliton 1 Name 

736  190  Bundesarchon  Sostrotos  . . 2 Namen,  verstümmelt. 

8.  Thespiae. 

toii  [t;  vi]toTf(to>v  fr  Ttü;  bnlfxa;  [x^]  fr  toi;  innor  af 
M 798  = L 237  Bundesarchon ikos  . . tO  Namen,  verstümmelt. 

r<7i4il[>jlo]y[$]orrff  («nflijleSdrff)  t;  t[(Ü]v  tifti\ß)m’  fr  itxyfia  • 
Archon  Namen 

M 813  = L 251  Kallikratidas ca.  36 

814  252  Timeas 29 

9.  Aegosthenae. 

ToCtSl  ft  ftfujßmv. 

Bundesarchon  Namen 

Le  Bas  3 Kaphisias 11 

6 1 los 5 

8 Charilaos 8 

9 Mnason 12 

10  Aristokles 9 

11  Theotimos 7 

t£  fifirißcuv  tu  nflroifVQtt;  ämyyttipamj 
oder  einfach  fr  rtth tu/cfta;  Hn  lypttißaV&o • 
Bundesarchon  Namen 

4 Onasimos 1 

5 Hippias 1 

7 a Leonidas 1 verstümmelt. 


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170 


Capitel  V. 


10.  Megara. 

toiSe  anrjiSov  (£  iif  ijßuv  t/f  u'c  räyfini«' 


Bandesarchon  Namen 

Le  Bas  34  a Potidaichos 16 

34  b Aristokles 25 


fifijßoi  ol'ife  ivtxpdhiottV 
34  c Gymnasiarch  Herakleitos,  28  Namen. 

34  e „ Matroxenos,  8 „ , unvollständig. 

Von  (Jen  übrigen  boeotischen  Bundesstädten : Theben,  An- 
thedon,  Haliartos,  Koroneia,  Larymna,  Mykalessos,  Onchestos, 
Oropos,  Pagae,  Plataeae,  Siphae,  Tanagra,  Thisbe  sind  bis 
jetzt  keine  Militärkataloge  zum  Vorschein  gekommen,  wenigstens 
keine  deutlich  als  solche  bezeichneten  Urkunden,  wenn  es  auch 
wahrscheinlich  ist,  dass  manches  Bruchstück  mit  Namensver- 
zeichnissen dieser  Kategorie  angehört. 

Wie  man  sieht,  zerfallen  unsere  Verzeichnisse  in  zwei 
Klassen.  Die  einen  führen  alle  Jünglinge  ohne  Unterschied 
auf,  die  in  das  kriegspflichtige  Alter  getreten  sind,  was,  wie 
uns  die  Listen  aus  Lebadeia  lehren,  mit  dem  vollendeten 
20.  Jahre  erfolgte.  Die  andere  Klasse  sondert  die  jungen  Sol- 
daten nach  den  Waffengattungen:  auf  der  einen  Seite  die 
Schwerbewaffneten  (Hopliten,  Thyreophoren)  und  Reiter,  auf 
der  anderen  die  Peltophoren.  Zu  der  ersten  Klasse  gehören 
die  Verzeichnisse  von  Chaeroneia,  Lebadeia,  Orchomenos,  Me- 
gara; zu  der  zweiten  die  von  Hyettos,  Kopae,  Chorsiae, 
Akraephia ; Thespiae  und  Aegosthenae  haben  Verzeichnisse  aus 
beiden  Klassen.  Eine  dritte  Klasse  bilden  die  Ephebenver- 
zeichnisse,  die  nur  in  Megara  Vorkommen. 

Was  das  Zahlenverhältniss  der  einzelnen  Waffengattungen 
zu  einander  angeht,  so  pflegten  in  den  griechischen  Heeren 
dieser  Zeit  die  Hopliten  über  die  Peltasten  bedeutend  zu 
überwiegen.  Antigonos  z.  B.  hatte  bei  Sellasia  10000  make- 
donische Phalangiten  neben  3000  Peltasten1).  So  ergeben  un- 
sere Inschriften  für  Kopae  27  Hopliten  gegenüber  im  Durch- 


>)  Polyb.  11  65,  2. 


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Mittel-  und  Nord-Oriechenland. 


171 


schnitt  13  Peltasten;  in  Aegosthenae,  wo  im  Durchschnitt  jedes 
Jahr  gegen  9 Jünglinge  in  das  militärpflichtige  Alter  traten, 
ward  in  den  2 Jahren,  über  die  wir  Nachricht-  haben,  nur  je 
einer  unter  die  Peltasten  eingeschrieben.  Dagegen  scheinen 
einige  Kleinstädte,  wie  Hyettos,  nur  Peltasten  zu  dem  Bundes- 
heere gestellt  zu  haben,  da  in  24  Militärkatalogen  ausschliess- 
lich Peltasten  erwähnt  werden.  — Dass  die  Zahl  der  in  das 
kriegspflichtige  Alter  getretenen  Jünglinge  in  den  einzelnen 
Jahren  sehr  starke  Schwankungen  aufweist,  hat  bei  der  Klein- 
heit der  Städte,  um  die  es  sich  handelt,  nichts  auffälliges. 
Wenn  möglich,  müssen  wir  aus  einer  grösseren  Reihe  von 
Jahren  die  Mittelzahl  nehmen. 

Rechnen  wir  nun,  wie  im  modernen  Europa,  die  das 
20.  Jahr  erreichenden  Jünglinge  zu  1,8  °/o  der  männlichen  Be- 
völkerung oder  zu  3,6  % der  männlichen  Bevölkerung  zwischen 
20  und  60  Jahren,  und  betrachten  wir  das  60.  Jahr  in  Boeotien 
wie  in  Attika,  Sparta  und  Rom  als  die  äusserste  Grenze  der 
militärischen  Dienstpflicht,  so  erhalten  wir  folgende  Zahlen  für 
die  gesammte  kriegspflichtige  Mannschaft  der  oben  aufgefühlten 
10  Städte,  für  die  uns  Militärkataloge  erhalten  sind: 


20jährige 

20  — 60jährige 

Chaeroneia  (im  ganzen)  .... 

....  über  8 

über  220 

Lebadeia  (im  ganzen) 

....  ca.  80 

830 

Orchomenos  (im  ganzen)  . . . 

65 

1800 

Hyettos  (Peltasten) 

10,5 

300 

Kopae  (Hopliten) 

27 

750 

(Peltasten) 

13 

360 

Chorsiae  (Peltasten) 

....  über  2 

über  55 

Akraephia  (Hopliten) 

34 

945 

Thespiae  (im  ganzen)  .... 

32,5 

900 

222 

6160 

Aegosthenae  (im  ganzen)  . . . 

9 

250 

Megara  (im  ganzen) 

20,5 

570 

Da  wir  über  die  Stärke  des  Aufgebots  von  12  boeotischen 
Städten,  darunter  die  Hauptstadt  Theben,  nicht  unterrichtet 
sind,  auch  von  den  oben  aufgeführten  Städten  für  Chaeroneia, 
Akraephia  und  Chorsiae,  vielleicht  auch  für  Hyettos,  unvoll- 


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172 


Capitel  V. 


ständige  Angaben  vorliegen,  so  können  die  obigen  Zahlen 
höchstens  fl/* , vielleicht  nur  Vs  des  boeotischen  Gesammt- 
aufgebots  umfassen.  Dieses  muss  sich  also  auf  wenigstens 
15400,  vielleicht  18500  Mann  belaufen  haben.  Diese  Zahlen 
würden  einer  Gesaunntbevölkerung  von  61 — 74000  entsprechen; 
mit  andern  Worten:  selbst  wenn  unsere  Militärkataloge  sämmt- 
liehe  ins  20.  Jahr  getretenen  Bürger  umfassen  sollten,  könnte 
sich  die  bürgerliche  Bevölkerung  Boeotiens  ohne  Megaris  am 
Ende  des  III.  Jahrhunderts  auf  nicht  viel  weniger  belaufen 
haben,  als  am  Ende  des  V. 

Indess  ist  diese  Voraussetzung  keineswegs  wahrscheinlich. 
Seitdem  man  irreguläre  leichte  Truppen  militärisch  nicht  mehr 
verwendete,  waren  die  ganz  armen  Schichten  der  Bürgerschaft 
in  Griechenland  wie  in  Italien  in  der  Regel  vom  Kriegsdienst 
befreit,  und  mussten  es  sein,  wenn  nicht  der  Staat  die  Kosten 
der  Ausrüstung  übernehmen  wollte.  Dass  es  in  Boeotien  nicht 
anders  war,  zeigt  schon  das  Ueberwiegeu  der  Hopliten  ül>er 
die  Peltasten  in  unseren  Militärkatalogen,  während  die  wold- 
habenden Volksschichten,  aus  denen  allein  die  Hopliten  sich 
recrutiren  konnten,  gewiss  nur  die  Minderheit  oder  höchstens 
die  Hälfte  der  Gesammtzahl  ausmachten.  Im  Jahre  der  Schlacht 
bei  Delion  hatten  die  zum  Dienst  als  Hopliten,  Reiter  oder 
Peltasten  qualificirteu  Bürger  46  °'o  der  ganzen  waffenfähigen 
Mannschaft  gebildet.  Es  ist  wahrscheinlich,  dass  man  im  Laufe 
des  IV.  und  HI.  Jahrhunderts  mit  den  Ansprüchen  an  die 
Vermögensqualification  der  Dienstpflichtigen  etwas  herunter- 
gegangen ist;  schon  das  Sinken  des  Geld  werths  musste  von 
selbst  dazu  führen.  Immerhin  aber  werden  wir  annehmen 
müssen,  dass  wenigstens  V*  der  Bürger  wegen  Armuth  vom 
Dienste  befreit  war,  was  auf  eine  bürgerliche  Bevölkerung  von 
80—100000  Bürgern  führen  würde,  wozu  dann,  um  die  freie 
Gesammtbevölkerung  zu  erhalten,  weiterhin  die  Metoeken  zu 
rechnen  wären. 

Megaris  hat,  wenn  wir  Pagae  ungefähr  Aegosthenae 
gleich  rechnen,  nach  unseren  Katalogen  eine  kriegspfliehtige 
Mannschaft  von  gegen  1100  gezählt;  die  Gesammtbürgerzabl 
am  Ende  des  III.  Jahrhunderts  würde  demnach  auf  rund  1500 


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Mittel-  und  Nord-Griechenland. 


173 


zu  veranschlagen  sein.  Gegen  die  Gallier  280  soll  Megara  ein 
Contingent  von  400  Mann  gestellt  halten1),  was  mit  einer 
Bürgerzahl  von  1500  in  gutem  Einklang  steht  In  älterer  Zeit 
hat  Megara  ohne  Zweifel  grössere  Bedeutung  gehabt.  Man 
denke  an  die  Colonisationsthätigkeit  der  Stadt  im  VIII.  und 
VII.  Jahrhundert,  an  die  Kriege  mit  Athen  wegen  Salamis,  an 
die  beträchtliche  Marine,  die  Megara  noch  am  Anfang  des 
peloponnesischen  Krieges  besass2).  Herodot  schätzt  das  me- 
garische Contingent  bei  Plataeae  auf  3000  Hopliten8),  was 
freilich  stark  übertrieben  ist:  konnte  doch  das  viel  mächtigere 
Korinth  nur  etwa  diese  Zahl  aufstellen4).  Herodot  selbst  setzt 
das  Verhältniss  des  korinthischen  zu  dem  megarischen  Aufgebot 
wie  5 : 3 und  wird  darin  wohl  Glauben  verdienen;  da  nun 
Korinth,  wie  wir  gesehen  haben,  im  V.  Jahrhundert  etwa 
10000  Bürger  gezählt  hat,  so  eigeben  sich  für  Megara  6000, 
entsprechend  einer  bürgerlichen  oder  sagen  wir  lieber  freien 
Bevölkerung  von  gegen  20000,  über  40  auf  1 qkm,  wozu  dann 
weiter  eine  grosse  Sklavenzahl  kam8).  Eine  so  dichte  Bevöl- 
kerung hätte  das  unfruchtbare  Ländchen  nicht  ernähren  kön- 
nen ohne  lebhaften  Handel  und  bedeutende  Industrie,  die  Me- 
gara noch  im  IV.  Jahrhundert  zu  einer  der  reichsten  Städte  in 
Hellas  machten  “).  Den  ersten  Stoss  erhielt  diese  Bltithe  durch 
die  Einnahme  und  Plünderung  der  Stadt  durch  die  Truppen 
des  Demetrios  Poliorketes  307,  bei  der  sämmtliche  Sklaven 
verloren  gingen7),  womit  die  Grundlage  der  megarischen  In- 
dustrie zerstört  wurde.  Und  Megara  hat  sich  um  so  weniger 
von  diesem  Schlage  zu  erholen  vermocht,  als  im  Laufe  des 

>)  Paus.  X 20,  4. 

*)  Thuk.  I 27.  46,  II  93. 

a)  Herod.  IX  28. 

«)  S.  oben  S.  119  f. 

*)  Xen.  Denkw.  II  7,  6:  Mryaqfior  3'  ol  nXltmoi  an  6 ffwfii3onoi- 
fa i 3iaTQfif  ovrnt  . . . oiiroi  fifv  yiig  ruvov/itrui  ßttQfhtQous  Äv&Qtanov s 
f/ovair. 

e)  Isokr.  1).  Fr.  117:  Mfyantts  <11  uixQt'iv  avroT(  xal  (fnvltov  rtüv 
ff  anyijc  vnapfitruor,  xal  yrjv  fjiv  ovx  t/orr  ff  ....  7i  fr  ga{  31  yeoig- 
yovrrft,  (teylatovs  ofxov(  roiv  'Eiitjvair  xfxrijvrai. 

7)  Plut  Demetr.  9. 


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174 


Capitel  V. 


III.  Jahrhunderts  überhaupt  die  Industrie  des  griechischen 
Mutterlandes  durch  die  Concurrenz  Asiens  und  Aegyptens  zu 
Grunde  gerichtet  wurde.  So  sank  die  Stadt  unaufhaltsam;  in 
Cieeros  Zeit  lag  sie  fast  ebenso  wüst,  wie  das  von  Muinmius 
zerstörte  Korinth,  oder  der  von  Sulla  zerstörte  Peiraeeus1). 

Dass  Megara  in  seiner  Blüthezeit  eine  bedeutende  Sklaven- 
menge  besessen  hat,  wurde  schon  erwähnt ; sie  mag  ebenso  wie 
in  Athen  der  freien  Bevölkerung  an  Zahl  etwa  gleich  gekom- 
men sein.  In  Boeotien  dagegen  scheint  die  Sklaverei  in  grös- 
serem Maassstabe  erst  spät  Eingang  gefunden  zu  haben.  Aller- 
dings werden  Sklaven  in  I’lataeae  schon  im  Jahre  431  erwähnt, 
al>er  ihre  Zahl  war  doch  noch  so  gering,  dass  nicht  einmal  die 
110  Weiber,  die  während  der  Belagerung  zur  Bereitung  der 
Speisen  für  die  Besatzung  zurückblieben,  aus  den  Sklavinnen 
genommen  werden  konnten2).  Boeotien  scheint  demnach  im 
V.  Jahrhundert,  ebenso  wie  der  Peloponnes  und  das  benach- 
barte Phokis  und  Lokris,  im  wesentlichen  noch  ein  Land  freier 
Arbeit  gewesen  zu  sein.  Und  wenn  Alexander  in  Theben  nur 
30000  Gefangene  gemacht  hat,  so  kann  noch  335  selbst  in  der 
Hauptstadt  Boeotiens  die  Zahl  der  Sklaven  die  der  Freien 
keineswegs  erreicht  haben;  wir  müssten  denn  die  Bürgerzahl 
Thebens  in  ganz  unzulässiger  Weise  herabsetzen  wollen.  Für 
die  erste  Hälfte  des  IV.  Jahrhunderts  möchte  ich  die  Sklaven- 
zahl in  Boeotien  auf  höchstens  die  Hälfte  der  freien  Bevölke- 
rung veranschlagen,  was  eine  Gesammtzahl  von  150000  Ein- 
wohnern oder  60  auf  den  qkm  ergeben  würde. 

Boeotien  gegenüber  stand  Phokis  wie  an  Flächenraum, 

’)  Ser.  Sulpicius  bei  Cic.  epist.  ad  /'am.  IV  5,  4 (von  45  v.  Chr.):  post 
me  erat  Aegina,  ante  me  Megara,  dextra  Piraeeus,  sinistra  Corinthus ; quae 
oppida  quodam  tempore  florentissima  fuerunt,  nunc  prostrata  et  diruta  ante 
ocuJos  iacent.  Vgl.  Wilamowitz,  Homerische  Untersuchungen  S.  252. 

*)  Thuk.  111  68  in  dem  Bericht  über  das  Schicksal  Plataeaes  nach 
der  Einnahme:  yvraixat  dl  grdganöihactv.  Wenn  Müller-Strübing,  Thuk. 
Forsch.  S.  188  ff.  die  Richtigkeit  dieser  Angabe  bestreitet,  so  generalisirt 
er  in  unzulässiger  Weise  attische  Zustände  und  beweist  eben  dadurch, 
dass  ihm  selbst  die  „lebendige  Anschauung  griechischer  Verhältnisse  fehlt“, 
deren  Mangel  er  seinen  Gegnern  vorwirft. 


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Mittel-  und  Nord-Griechenland. 


175 


so  auch  an  Bevölkerung  bedeutend  zurück.  Der  Bergstock  des 
Pamassos  erfüllt  einen  grossen  Theil  des  Gebietes;  nur  im 
Norden  im  Kephisosthal  und  im  Osten  in  der  Einsenkung 
zwischen  Parnass  und  Helikon  ist  zum  Feldbau  geeigneter 
Boden.  Die  22  Städte  des  phokischen  Bundes  waren  denn 
auch  durchaus  unbedeutend,  mit  Ausnahme  etwa  von  Elateia; 
und  selbst  Delphi  hatte  nur  einen  Umfang  von  16  Stadien1). 

Bei  den  Thermopylen  auf  griechischer,  und  ein  Jahr 
darauf  bei  Plataeae  auf  persischer  Seite  sollen  1000  phokische 
Hopliten  gestanden  haben2);  es  hielten  aber  keineswegs  alle 
phokischen  Städte  mit  Mardonios.  Seitdem  hören  wir  für  ein 
Jahrhundert  nichts  mehr  von  der  Stärke  phokischer  Aufgebote. 
Verhältnissmässig  sehr  grosse  Heere  hat  Phokis  im  heiligen 
Kriege  aufgestellt,  bis  20000  Mann  und  darüber;  indess  be- 
standen diese  Truppen  zum  überwiegenden  Theile  aus  Söld- 
nern. Gegen  die  Gallier  280  brachte  Phokis  3000  Mann  zu 
Fuss  und  500  Reiter  unter  Waffen8),  was  bei  der  dringenden 
Gefahr  gewiss  das  Gesannntaufgebot  des  Landes  gewesen  ist 
und  auf  eine  Bürgerzahl  von  rund  10000  führen  würde.  Das 
eigäbe  eine  freie  Bevölkerung  von  etwas  über  30000  oder 
etwa  20  auf  den  qkm,  während  in  Boeotien  etwa  40  Freie 
auf  den  gleichen  Flächenraum  kommen:  ein  Verhältniss,  das 
durchaus  angemessen  scheint.  Sklaven  in  irgend  bedeutender 
Zahl  hat  es  in  Phokis  bis  auf  den  heiligen  Krieg  nicht  ge- 
geben. Philomelos’  Gattin  soll  die  eiste  gewesen  sein,  die 
sich  auf  der  Strasse  von  zwei  Sklavinnen  begleiten  liess;  und 
als  Mnason  von  Elateia,  Aristoteles’  Freund,  1000  Sklaven 
hielt,  sprach  sich  die  öffentliche  Meinung  mit  Entschiedenheit 
dagegen  aus,  dass  er  so  viele  Bürger  um  ihr  Brot  brächte4). 
Phokis  also  war  noch  um  die  Mitte  des  IV.  Jahrhunderts  ein 
Land  freier  Arbeit. 

Lokris  hat  ungefähr  denselben  Flächeninhalt  wie  Phokis, 


«)  Strab.  IX  8.  418. 
a)  Herod.  VII  203,  IX  17.  31. 

»)  Paus.  X 20,  3. 

4)  Timaeos  fr.  67  bei  Atbenaeos  VI  S.  264  C und  272. 


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176 


Capitel  V. 


der  sich  zu  etwa  gleichen  Theilen  auf  die  östlichen  und  west- 
lichen Lokrer  vertheilt.  An  Bevölkerung  scheint  es  noch 
hinter  Phokis  zurückgestanden  zu  haben.  Bei  den  Thermo- 
pylen  480  fochten  die  opuntischen  Lokrer  mit  ihrer  ganzen 
Macht1);  und  Ephoros  veranschlagt  dieses  Aufgebot  auf  1000 
Hopliten 2).  Zwei  Jahrhunderte  später  gegen  die  Gallier  stellte 
Opus  sogar  nur  700  Mann,  Amphissa  400 8).  Bedeutender 
war  wohl  Naupaktos,  namentlich  zu  der  Zeit,  wo  die  Athener 
hier  die  aus  der  Heimath  vertriebenen  Messenier  angesiedelt 
hatten.  Freilich  war  auch  damals  die  Bürgerschaft  der  Stadt 
nicht  sehr  zahlreich4);  aber  immerhin  konnte  Nikostratos 
427  ein  Corps  von  500  messenischen  Hopliten  nach  Korkyra 
führen8),  und  Konon  410  eine  Besatzung  von  600  Messeniem 
eben  dorthin  legen®).  Als  nach  dem  Ende  des  peloponnesi- 
schen  Krieges  die  Messenier  aus  Naupaktos  vertrieben  wurden, 
sollen  600  nach  Sicilien  gegangen  sein 7) , 3000  sich  nach 
Kyrene  gewandt  haben8).  Doch  ist  mindestens  letztere  Zahl 
ohne  Zweifel  stark  übertrieben. 

2.  Euboea  und  die  Kykladen. 

Für  die  zum  heutigen  Königreich  Griechenland  gehörigen 
Inseln  des  aegaeischen  Meeres  liegen  uns  zwei  planimetrische 
Berechnungen  vor,  denen  gegenüber  alle  früheren  Arealangaben 
veraltet  sind.  Wir  verdanken  sie  dem  russischen  General 
Strelbitzky  und  I)r.  E.  Wisotzkv  in  Königsberg9).  Beide  Be- 


')  Herod.  VH  203,  ohne  Zahlenangabe.  Bei  Artemision  sollen  7 
opuntische  Fünfzigrudrer  gekämpft  haben:  Herod.  V1H  1. 

*)  Bei  Diod.  XI  4.  Die  Schätzung  des  lokrischen  Aufgebots  auf 
6000  Mann  bei  Pausan.  X 20,  2 ist  rein  aus  der  Luft  gegriffen. 

3)  Paus.  X 20,  2. 

4)  Thuk.  III  102:  dtivov  yag  ijv  fii],  /ueydlov  bvtot  toO  te(/ovi, 
öl  Cytov  öl  TÖiv  nuvvofifvtov,  ovx  arrfa/ioaiv. 

»)  Thuk.  III  75.' 

«)  Diod.  XIII  48. 

7)  Diod.  XIV  78. 

8)  Diod.  XIV  34. 

•)  Bei  Behm  und  Wagner,  Die  Bevölk.  der  Erde  VI  S.  16  f. 


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Mittel-  und  Nord-Griechenland. 


177 


rechnungen  zeigen  im  einzelnen  nicht  unbedeutende  Abwei- 
chungen, Uber  die  icli  mir  kein  abschliessendes  Urtheil  erlauben 
möchte;  bei  einigen  der  auffallendsten  Differenzen,  wo  ich 
habe  nachprüfen  können,  hat  sieh  mir  die  grössere  Zuverlässig- 
keit, der  Strelbitzkysehen  Zahlen  ergeben.  Ich  stelle  also  hier 
die  Ergebnisse  Strelbitzkys  und  Wisotzkys  netten  einander,  unter 
Hinzufügung  der  klassischen  Namen  neben  den  modernen,  wo 
sich  seit  dem  Alterthume  der  Name  geändert  hat. 


nach  nach 

Strelbitzky  Wisotzky 


r.  U 0 0 P a . qkm  qkm 

Eulmea 3575,2  3681 

I’etalia 13.7  — 

Aegileia  {Sturn) 3.4  — 

3592,8  3681 

Nördliche  S p o r a d e n : 

Peparethos  ( Skopelos ) 122,6  85 

Ikos  ( Chelidromia ) 81,6  72 

(Sarakinon) 3,4 

Skandile  ( Skantiuro ) • . . 10,2  4 

Pciistera  (Xeronisi) 29,6  1 1 

(Adelphi) 3,6  — 

Polyaegos  ( Pelagonisi , Pelerissa)  . . . 25,0  24 

(■yaros  (Giura) 15,9  13 

(. Pipen] ) 9,3  6 

Skiathos 61,8  42 

Skyros 208,1  204 

( Skyropvlon ) 4,6  4 

(Chamilodromi,  Vnlaxa ) 4,7  3 

Kleinere  Inseln 26,4  — 

606.8  468 

Kykladen: 

Andros 405,1  382 

Tenos 201,1  204 

Mykonos 89,7  86 

Delos 5,1  3 

Rheneia  (Meyali  Delos) 17,1  17 

Syros 80,8  80 


Latus  798,9  772 


Bdloch.  Bevölkerangttlehre.  1. 


12 


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178 


Capitel  V. 


nach 

nach 

Strelbitzky 

Wisotzky 

qkm 

qkm 

Transport  798,9 

772 

Gyaros 

22,8 

17 

Keos 

173,4 

103 

Kythnos  ( Thtrmia ) 

85,2 

76 

Seriphos  

. . 77,8 

66 

(Striphopulon) 

2,3 

— ■ 

Siphnos 

. — 

74 

Melos 

147,7 

162 

(Antimilo«,  Krimo  Milo)  . . . 

8,5 

11 

Kimolos 

42,1 

42 

Polyaegos  ( Politios ) 

18,6 

14 

Pholegandros  ( Polykandro «).  . . . 

35,8 

32 

Sikinos 

48,9 

42 

(Kardiotissa) 

2.4 

— 

Paros 

209,3 

165 

Oliaros  (Antiparos) 

. 45,5 

35 

Prepesinthos  (Episkopi)  . . . 

10,2 

14 

Strongylos 

2,5 

— 

Naxos 

. 448,8 

423 

Donussa  (Denttsn,  istenosa)  . . 

20,4 

15 

Keria  (Karos) 

20,5 

16 

(Antikaros) 

. — 

1,7 

Scliinussa  (Echinosa) 

10,4 

9 

Herakleia 

23,9 

18 

(Kuplionisi  - Inseln) 

14,3 

10 

Amorgos 

134,5 

127 

(Amorgopulo,  Nikuria)  . . . . 

3,1 

4 

los  (Xios) 

119,9 

120 

Thera 

81,7 

71 

Theresia 

. 

7 

Hiera  (Neo  Kaimeni ) 

. — 

0,8 

(Palaco  Kaimeni) 

— 

0,4 

Anaphc 

46,9 

36 

Belbina  (Hagios  Georgios)  . . . . 

6,8 

2 

Kleinere  Inseln 

38,3 

— 

2701,4 

2485,9 

Siplinos  fehlt  bei  Strelbitzky;  setzen  wir  seinen  Flächen- 
raum mit  Wisotzky  zu  74  qkm  an,  so  ergeben  sich  für  die 
Kykladen  zusammen  2775,4  qkm. 


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Mittel-  und  Nord-Griechenland. 


179 


Wenden  wir  uns  jetzt  zur  Bevölkerung.  Chalkis  und 
Eretria  sind  vom  VIII.  bis  zum  VI.  Jahrhundert  neben  Korinth 
die  bedeutendsten  Handelsstädte  im  europäischen  Griechenland 
gewesen ; ihre  grossartige  Colonisationsthätigkeit  in  dieser  Zeit 
spricht  für  eine  verhältnissmässig  bedeutende  Volkszahl.  Nach 
einer  alten  Inschrift  im  Tempel  des  Artemis  Amarynthia,  von 
der  Strabou  berichtet,  soll  Eretria  im  Stande  gewesen  sein, 
3000  Hopliten,  600  Reiter,  60  Streitwagen  aufzubieten ').  Schon 
um  die  Zeit  der  Perserkriege  aber  beginnt  der  Verfall.  Chalkis 
geräth  in  politische  Abhängigkeit  von  Athen,  das  angeblich 
4000  seiner  Bürger  als  Kleruchen  auf  den  Ländereien  der  ver- 
triebenen Hippoboten  hier  ansiedelte*);  Eretria  hat  sich  von 
den  Folgen  der  j>ersischeu  Eroberung  nie  mehr  erholt.  Immer- 
hin blieben  beide  Städte,  und  namentlich  Chalkis,  bis  zur  Römer- 
zeit bedeutende  Handelsplätze.  Wenn  aber  die  Gegend  am 
Euripos,  das  fruchtbare  lelantische  Feld,  eine  dichte  Bevölke- 
rung hatte,  so  war  dafür  der  gebirgige  Rest  der  Insel  um  so 
spärlicher  bewohnt.  Hier  standen  noch  im  IV.  Jahrhundert8), 
ja  selbst  in  der  Kaiserzeit  ausgedehnte  Waldungen4).  An  der 
ganzen  Ostküste  findet  sich  im  Alterthum,  mit  Ausnahme  des 
früh  verschwundenen  Kerinthos,  keine  einzige  Stadt.  Von  den 
Städten  an  der  Nord-  und  Westküste  waren,  nach  Ausweis  der 
attischen  Tributlisten,  Dion  und  Athenae  Diades  ganz  unbe- 
deutend; Styra  ist  im  IV.  Jahrhundert  zum  Demos  von  Eretria 
geworden;  nur  Oreos  und  Karystos  waren  einigermaassen  an- 
sehnlich. Aber  auch  Chalkis  und  Eretria  haben  bei  Plataeae  nach 
Herodot  nur  1000  Hopliten  gestellt,  ersteres  400,  letzteres  mit 
Styra  600 5).  So  konnte  Perikies  bei  dem  Aufstande  von  446 
die  Insel  mit  5000  Hopliten  und  50  Schiffen  in  kurzer  Zeit  zum 
Gehorsam  zurückbringen8).  Damals  wurden  die  Bürger  von 


*)  Strab.  X S.  448. 

*)  Ilerod.  V 77;  Aclian,  Venn.  Gesell.  VI  1 giebt  2000  an. 
*)  Theoplir.  Pflanzengesch.  V 2,  1. 

4)  S.  die  unten  angeführte  Schrift  des  Dion  (’hrysostomos. 
•)  Herod.  IX  28. 

8)  Plut.  Perikies  23. 

12* 


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180 


Capitel  V. 


Histiaea  (Oreos)  vertrieben  und  durch  10001),  nach  anderer 
Angabe  2000  attische  Kleinchen  ersetzt2),  die  ihrerseits  nach 
der  Capitulation  von  Athen  404  die  Stadt  räumen  mussten.  In 
der  Schlacht  am  Nemeabach  304  kämpften  auf  athenisch-boeo- 
tischer  Seite  3000  llopliten  aus  allen  Städten  der  Insel8),  offen- 
bar das  für  Feldzüge  ausser  Landes  zur  Verfügung  stehende 
( lesammtaufgebot.  Demnach  müsste  Euboea  damals  gegen  12000 
Bürger  gezählt  haben,  wovon  etwa  je  4000  auf  Chalkis  und 
Eretria  mit  Styra,  je  2000  auf  Histiaea  und  Karystos  entfallen 
mochten.  Die  Zahl  der  Sklaven  mag  immerhin  verhältniss- 
mässig  beträchtlich  gewesen  sein,  mehr  als  die  Zahl  der  bürger- 
lichen Bewohner  aber  kann  sie  schwerlich  betragen  haben.  Die 
Bevölkerung  der  Insel  darf  also  im  V.  und  IV.  Jahrhundert 
im  Maximum  auf  70000,  wahrscheinlicher  auf  nicht  über  60000 
Seelen  veranschlagt  werden,  17 — 20  auf  1 qkm.  Erinnern 
wir  uns  dabei,  dass  Euboea  im  Stande  war.  Nahrungsmittel 
nach  Athen  auszuführen,  was  das  viel  fruchtbarere  Boeotien 
nicht  vermochte4).  — Eine  lebhafte  Schilderung  des  Zustandes 
der  Insel  in  der  Kaiserzeit  hat  uns  Dion  Chrysostomos  in  seiner 
bekannten  „Dorfgeschichte“  hinterlassen5).  Danach  war  die 
Bevölkerung  in  furchtbarerWeise  zusammengeschmolzen,  2 3 des 
Bodens  lag  wüst,  die  Städte  so  verfallen,  dass  der  grösste  Theil 
des  Baumes  innerhalb  der  Mauern  zum  Feldbau  oder  als  Weide 
benutzt  wurde. 

lieber  die  Bevölkerung  der  nördlichen  Spora  den, 
Beparetbos,  Skyros  usw.,  fehlt  jede  Angabe.  Nehmen  wir  dieselbe 

>)  Diod.  XII  22. 

2)  Theopomp  bei  Strabon  X S.  445. 

3)  Xen.  Hell.  IV  2,  17:  (i  Eißofnt  ärrtiaqs. 

4)  Thuk.  VII  28:  rj  rt  Ttür  (n nijtfeftuv  nanaxoimiri  Ix  Tiji  Eißolas, 
ngörtgnr  fx  rov  ’ilnoinov  xnrn  j'ijf  äiä  rfj;  xtfXfXt'as  ftäoaov  oinn  xrX. 
Allst.  TI7£3;>.  715  f.:  14XX'  bnnrttv  ftiv  Jtiaota'  avro(,  rrjr  Evßniae  finfoamr 
Yuiv  xnt  m'ror  vff  ini (triai  xarä  nevTijxnvra  fjttßfu ro  f ’C  ITogiti r.  Vgl. 
Wiskemann,  Die  antike  Landirirthschafl  S.  13  (Leipzig  1859.  Jablonows- 
kisclie  Gesellschaft). 

s)  I S.  233  Reiske:  rit  77 ob  mir  nvXtir  «ygia  TtavrtXtös  fart  xrt) 
a iaynit  (Santo  (r  (grjafa  ßaitcrärij,  ov/  ft»,  noodartiov  nnXtcif. 

ja  if  yt  frrbi  Tt(/m  ( anefgtuei  ri<  nXtiara  xai  xararffJtrai. 


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Mittel-  und  Nord-Griechenland. 


181 


Dichtigkeit  wie  für  Euboea,  so  erhalten  wir  10—12000  Ein- 
wohner. Die  K y k 1 a d e n sind  wahrscheinlich  stärker  bevölkert 
gewesen.  Allerdings  ist  es  offenbare  Uebertreibung , wenn 
Herodot  Naxos  zur  Zeit  der  Perserkriege  eine  Hoplitenzahl  von 
8000  zuschreibt1).  8000  Hopliten  setzen  gegen  20000  Bürger 
voraus,  eine  Zahl,  die  nur  von  den  bedeutendsten  griechischen 
Staaten,  wie  Athen  oder  Argos,  erreicht  worden  ist,  bei  einer 
gebirgigen  Insel  ohne  eigentliche  Gressstadt  und  von,  ein- 
schliesslich der  kleineren  Nachbarinseln,  wenig  über  500  qkm 
Flächeuraum  aber  undenkbar  wäre.  Vielleicht  indess  bezieht 
sich  die  Angabe  auf  die  Kykladen  überhaupt,  die  damals  unter 
naxiseher  Hegemonie  standen2);  und  in  diesem  Falle  hätte  sie 
uichts  unwahrscheinliches.  Zur  Flotte  des  Xerxes  sollen  die  Inseln 
17  Schiffe  gestellt  haben8),  während  gleichzeitig  7 Trieren  und 
7 Fünfzigruderer  auf  hellenischer  Seite  kämpften4).  Auf  Melos 
siedelten  die  Athener  415  nach  Vertreibung  der  altem  Bevölke- 
rung 500  Kleruchen  an*);  vorher  musste  die  Bürgerzahl  viel 
grösser  sein,  wie  die  bedeutenden  Anstrengungen  zeigen,  die 
Athen  zur  Unterwerfung  der  Insel  zu  machen  gezwungen  war8). 
Aber  Melos  war  eine  der  bedeutendsten  unter  den  Kykladen. 
Bei  der  Tributschätzung  von  425  4 war  die  Insel  zu  15  Tal. 
veranlagt  worden,  soviel  wie  Naxos  oder  Andros;  nur  Paros 
zahlte  in  der  Inselprovinz  eine  noch  höhere  Summe7).  Diese 
vier  Inseln  mögen  damals  im  Durchschnitt  je  3000  Bürger  ge- 
zählt haben;  Tenos,  Keos,  Siplmos,  die  9— 10  Talente  zahlten, 
vielleicht  je  2000.  Das  ergäbe  18  000  Bürger  auf  1815,6  qkm8). 
Die  übrigen  Kykladen  sind  unbedeutend;  sie  haben  zusammen 

*)  Herod.  V 28:  tovro  uir  y«Q  17  A'rifoc  füiUuuoviij  tiöv  vritrmr 
n . . . ; V 30:  n w9ävofim  ytto  oxraxto/tKriv  üanläa  Ntt^loiatv 
tivai  *«!  nkaitt  unxoä  noXXd. 

*)  Herod.  V 31. 

*)  Herod.  VII  95. 

4)  Herod.  VIII  46.  48. 

6)  Thuk.  V 116. 

8)  Thuk.  III  91,  V 84. 

’)  CIA.  I 37. 

8)  Die  im  Alterthume  politisch  zu  diesen  Inseln  gehörenden  kleineren 
Nachbarinseln  sind  hier  eingerechnet. 


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182 


Capitel  V. 


einen  Flächenraum  von  959,8  qkin.  Bei  der  Annahme  einer 
durchschnittlich  gleichen  Volksdichtigkeit  würden  also  alle 
Kykladen  am  Ende  des-  V.  Jahrhunderts  27 — 28000  Bürger 
gezählt  haben,  oder  eine  bürgerliche  Bevölkerung  von  über 
80000,  d.  h.  30,  mit  Einrechnung  der  Sklaven  vielleicht  50 
auf  1 qkm. 

In  der  hellenistischen  Periode  hat  sich  dann  Delos  zur 
Grossstadt  entwickelt.  Bei  der  Einnahme  der  Insel  durch 
Menophaues,  den  Feldherrn  des  Mitbradates,  sollen  hier  20000 
Männer  niedergemacht,  die  Weiber  und  Kinder  in  die  Sklaverei 
geschleppt  worden  sein1).  Jedenfalls  scheint  für  den  seit  der 
Zerstörung  von  Korinth  eisten  Handelsplatz  Griechenlands  eine 
Bevölkerung  von  50  00O  Einwohnern,  wie  sie  sich  demnach  er- 
geben würde,  keineswegs  übertrieben.  Delos  hat  sich  bekanntlich 
von  diesem  Schlage  nie  mehr  erholt.  Auch  die  übrigen  Kykladen 
scheinen  immer  mehr  gesunken  zu  sein.  So  konnte  in  der 
ersten  Kaiserzeit  die  Kopfsteuer  der  ganzen  freien  Bevölkerung 
von  Tenos  aus  den  Zinsen  eines  Kapitals  von  18500  Denaren 
bestritten  werden2).  Betrug  der  Zinsfuss  8 % — und  höher 
kann  er  in  dieser  Zeit  für  sichere  Anlagen  kaum  veranschlagt 
werden  — , so  ergiebt  sich  ein  Ertrag  von  1480  Denaren.  Setzen 
wir  nun  die  Kopfsteuer  für  den  erwachsenen  Mann  auf  1 Denar, 
für  Weiber  und  Kinder  auf  die  Hälfte,  so  würde  Tenos  in  dieser 
Zeit  740  Bürger,  und  eine  bürgerliche  Bevölkerung  von  2220 
Köpfen  gezählt  haben.  Zu  niedrig  kann  diese  Berechnung 
kaum  sein,  wohl  aber  möglicher  Weise  bedeutend  zu  hoch. 

3.  Die  westlichen  Landschaften. 

Der  Flächeninhalt  der  weiten  Gebirgslandschaften  westlich 
vom  Oeta  imd  Pindos  kann  nur  approximativ  bestimmt  werden, 
einmal  weil  unser  Kartenmaterial  hier  noch  schlechter  ist,  als 
für  das  übrige  Griechenland,  dann  und  hauptsächlich  wegen  der 

*)  App.  Mithr.  28;  vgl.  Strub.  X S.  486,  Paus.  III  23,  3. 

*)  CIG.  2336:  tlvad-h va  ....  rjj  noXu  ärjvuQia  fjufiin  oxinxia/lUtt 
ntVTaxöaia,  Xvtt  Ix  roß  toxov  nvTiüv  vniQ  nvÖQtüv  xal  yvvatxtüv  xn\  7iaC- 
<5 (uv  ihcufttgtov  Tr/viuv  xar ’ hof  (hddjiui  j 6 t rux(<( ctXor . 


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Mittel-  und  Nord-Griechenland. 


183 


Unmöglichkeit,  den  Lauf  der  alten  Grenzen  anders  als  durch 
willkürliche  Hypothese  festzustellen. 

Die  heutige  Nomarchie  Akamanien  und  Aetolien  hat  nach 
Strelbitzky  einen  Flilchenraum  von  7465,2  qkm.  Davon  ent- 


fallen auf 

Aetolien 

Akamanien  .... 
Amphilochien  . . . 

Dolopien 

Das  westliche  Lokris 


qkm 

4230 

1585 

470 

1100 

80 


Die  alten  Grenzen  von  Aetolien  sind  dabei  nach  Bl.  VH  von 
Kieperts  Atlas  von  Hellas  angesetzt,  die  heutige  Grenze  der 
Nomarchie  ist  als  identisch  mit  der  Grenze  von  Amphilochien 
gegen  Epeiros  angenommen.  Da  ferner  von  Aetolien  545  qkm 
jetzt  zur  Nomarchie  Phthiotis  und  Phokis  gehören  (s.  oben 
S.  161),  so  ergiebt  sich  für  diese  Landschaft' ein  Flächenraum  von 
4775  qkm.  Die  Seen  betragen  nach  Strelbitzky  (a.  a.  0.  S.  204  f.) 


in  Aetolien: 

Trichonis  ( Agrinion , Vrichori) 
Hyria  ( Angelo-Kastron ) . . . 


qkm 

82,2 

11,7 


in  Akamanien : 

Limnaea  ( Ambarakion ) 5,8 

See  von  Metropolis  (0 mos) 8,9 

Myrtuntion  ( Vullcharia ) 8,9 


Die  Ausdehnung  des  aetolischen  Bundes  bei  Ausbruch  des 
achaeischen  Bundesgenossenkrieges,  220  v.  Chr.,  berechnet  sich, 
einschliesslich  Kephallenia,  auf  14000  qkm. 

Epeiros,  ausschliesslich  Tymphaea,  Parauaea  und  Atintanien, 
hat  nach  meiner  planimetrischen  Berechnung  auf  Grund  von 
Kieperts  Carte  de  TEpire  et  de  la  Thessalie  (Berlin  1880, 
1 : 500  000)  und  Bl.  VII  des  Neuen  Atlas  von  Hellas  eine  Aus- 
dehnung von  etwa  10500  qkm1). 

*)  Nach  der  planimetrischen  Berechnung  von  Neumann-Partsch  ( Geogr . 
t’.  Griechenland  S.  187)  auf  Grund  der  österreichischen  Generalstabskarte 


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184 


Capitel  V. 


Davon  kommen  auf 


qkm 

Molossis 3600 

Thesprotia 2050 

Chaonia 2400 

zus.  epeirotischer  Bund:  7950 

Athamanin 1950 

Ambrakiotis 600 


Waren  fUr  diese  Gebiete  nur  approximative  Schätzungen 
möglich,  so  sind  wir  dafür  über  den  Flächeninhalt  der  west- 
griechischen  Inseln  um  so  besser  unterrichtet.  Wir  besitzen 
hier  zwei  planiinetrische  Berechnungen,  die  eine  ausgeführt 
durch  den  General  Strelbitzky  *),  die  andere  in  der  Perthesschen 


Anstalt2).  Die  annähernde  Uebereinstimmung 

beider  Resultate 

bietet  die  beste  Gewähr  für 

ihre  Richtigkeit. 

Es  beträgt  das 

Areal  von 

Strelbitzky 

Perthessclie 

Anstalt 

qkm 

qkm 

Korkvra 

719.2 

712 

Othronus  (Fatio)  .... 

•»  15,9 

15 

Erikusa  ( Merlera ) .... 

8,0 

8 

Malthake  ( Salmastraki ) . . 

....  4,6 

4 

Paxos 

19,5 

19 

Propaxos  {Anti paxos)  . . 

3,4 

3 

770,6 

761 

Leukas  

287,2 

285 

Taphos  (Meganisi)  . . . 

....  24,0 

23 

lvarnos  ( Kalamos ) .... 

....  20,5 

20 

(Arkudi) 

. . . . 4,6 

4 

(A’astus) 

....  8,4 

8 

(Atokos) 

3.5 

4 

Latus  348,2 

344 

in  1:300000  hat  Epeiros  einen  Flächenraum  von  17595  qkm.  Dabei 
ist  für  die  Grenzbestimmung  Bl.  VII  von  Kieperts  Atlas  von  Hellas  maass- 
gebend gewesen;  es  si  id  also  Tymphaea,  Parauaea,  Atintanien  einge- 
schlossen. 

*)  Super  fiele  de  tEurope  .3.  153  f.,  s.  oben  8.  2H. 

2)  Behm  und  Wagner,  Die  Bevolk.  der'  Erde  VI  S.  17. 


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Mittel-  und  Nord-Griechenland. 


185 


Strelbitzky 

Perthessche 

Anstalt 

qkiu 

qkm 

Transport  348,2 

344 

(Petala) 

6,6 

7 

1 Oxia ) 

M 

5 

( Vromoita) 

i,i 

1 

( A fahrt) 

1,4 

1,7 

(liioni) 

2,3 

— 

(Dragontra-lmein)  . . . 

LI 

7 

Kleinere  Inseln 

10,9 

— 

383,0 

365,7 

lthaka  ( Thiaki ) 

92,7 

97 

Kephallenia 

688,8 

664 

Zakynthos 

434,3 

427 

Strophades  ( Strivoli ) . . . 

»,5 

3 

westgriechische  Inseln 

zusammen:  2372,9') 

2317,7 

Es  ergiebt  sich  demnach  für  die  westgriechischen  Land- 
schaften folgende  Uebersicht: 


qkm 


Aetolien . . . 
Akarnanien 
Amphilochien 
Epeiros  . . 
die  Inseln  . . 


4775 

1585 

470 

10500 

2872,9 

19702,9 


Mit  Ausnahme  der  Inseln  und  der  korinthischen  Ansied- 
lungen an  der  Küste  sind  diese  Gebiete  erst  in  hellenistischer 
Zeit  zu  höherer  Gesittung  gelangt.  Den  Zeitgenossen  des  pe- 
loponnesischen  Krieges  galt  Aetolien  noch  als  halbes  Barbaren- 
land, Epeiros  als  völlig  barbarisch.  Abgesehen  von  den  beiden 
korinthischen  Kolonien  Leukas  und  Ainbrakia  gab  es  in  diesem 
ganzen  Gebiete  noch  am  Anfang  des  IV.  Jahrhunderts  keine 
einzige  einigermaassen  bedeutende  Mittelstadt;  und  selbst 
2 Jahrhunderte  später  können  nur  etwa  Stratos  und  Phoenike 


*)  Strelbitzky  giebt  als  Summen  für  die  Nomarchien  Corfü,  Cephalonia 
und  Zante  1120,5;  810,4;  437,9  qkm,  zusammen  also  2868,8  qkm:  4,1  qkm 
weniger  als  die  Addition  seiner  Einzelposten  ergiebt.  Wo  der  Fehler  steckt, 
vermag  ich  nicht  zu  ermitteln. 


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186 


Oapitel  V. 


auf  diesen  Namen  Anspruch  erheben.  Die  Masse  der  Be- 
völkerung wohnte  in  kleinen  befestigten  Weilern  zerstreut, 
in  Aetolien1)  ebenso  wie  in  Epeiros 2) ; und  auch  die  „Städte“ 
Akamaniens  sind  kaum  etwas  anderes  gewesen.  Von  Industrie 
konnte  kaum  die  Rede  sein;  Ackerbau  und  namentlich  Vieh- 
zucht bildeten  die  Hauptnahrungsquellen 3 ). 

Dass  unter  diesen  Umständen  die  Bevölkerung  hier  weni- 
ger dicht  sein  musste,  als  in  den  höher  cultivirten  Theilen  von 
Griechenland,  liegt  in  der  Natur  der  Sache  und  wird  auch  für 
Aetolien  von  Thuk  vdides  ausdrücklich  hervorgehoben  *).  Aber 
bei  seiner  beträchtlichen  Ausdehnung  und  dem  kriegerischen 
Geiste  seiner  Bevölkerung  hat  Aetolien  trotzdem  es  vermocht, 
verhältnissmässig  bedeutende  Heere  ins  Feld  zu  stellen,  schon 
zu  einer  Zeit,  als  das  Gebiet  des  aetolischen  Bundes  im  we- 
sentlichen noch  auf  die  Landschaft  gleichen  Namens  beschränkt 
war.  Im  lamischen  Kriege,  323,  stellten  die  Aetoler  zu 
Leosthenes’  Heer  7000  Mann5);  als  im  folgenden  Jahre  Anti- 
patros  und  Krateros  in  Aetolien  einfielen,  soll  die  Zahl  der 
waffenfähigen  Aetoler  10000  Mann  betragen  haben6),  worunter 
doch  wohl  die  Bürger  von  15 — 60  Jahren  zu  verstehen  sein 
werden 7).  Natürlich  kann  es  sich  hier  nur  um  eine  rohe 
Schätzung  handeln,  wie  schon  die  runde  Zahl  zeigt;  es  kann 
sein,  dass  sie  bedeutend  hinter  der  Wahrheit  zurückbleibt 

*)  Thuk.  III  94:  oixoOv  dl  xard  xtüpag  dttiylorovg  xal  ravrag  diä 
noXlov.  Vgl.  Kuhn,  Die  Entstehung  der  Städte  der  Alten  (Leipzig  1878) 
S.  92  f. 

3)  Skylax  29:  olxovot  dl  xa rd  xwpug  ot  Xdovig.  31  GtartnotTai  . . . 
otxoCai  dl  xal  ovrot  xard  xwpag.  Ebenso  § 32  von  den  Kassopiern,  § 38 
von  den  Molossern.  Vgl.  Kuhn  a.  a.  O.  S.  150  f. 

а)  Von  Epeiros  Find.  Nem.  IV  52:  ßovßörai  n owvi;  l£o/ot  und 
noch  Caesar  Bürgerkr.  III  47 : peeus  vero,  cuius  rei  summa  erat  ex  Epiro 
copia;  auch  Varro  (de  re  rust.  II  praef.  7)  spricht  von  pecuariae  magnae 
in  Epiro.  Ueber  Akamanien  und  Aetolien  Bursian,  Geogr.  v.  Griech.  I 
S.  107  f.  126. 

4)  Thuk.  III  94:  rt»  ydg  eOrog  p(ya  plv  tlvai  räjv  Aluolär  xai 
nd/ifiov,  o/xoCv  dl  xard  xoturtg  drHytaroeg  mi  ravrag  diä  n oiioO. 

')  Diod.  XVIII  9. 

б)  Diod.  XVIII  24. 

7)  Vgl.  Linus  26,  25  (nach  Polybios). 


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Mittel-  und  Nord-Griechenland. 


187 


Wenigstens  wird  das  Heer,  mit  dem  die  Aetoler  im  Jahre 
darauf  in  Thessalien  einfallen,  auf  12000  Mann  zu  Fuss  und 
400  Heiter  angegeben 1 ).  Auch  das  war  ein  Gesammtaufgebot; 
aber  für  eine  Expedition  ausser  Landes  konnten  wohl  kaum 
mehr  als  die  Altersklassen  vom  20.  bis  zum  50.  Jahre  aufge- 
boten  werden.  Legen  wir  diese  Angabe  zu  Grunde,  so  würde 
sich  die  Bevölkerung  Aetoliens  in  dieser  Zeit  auf  etwa  60000 
belaufen  haben,  da  eine  irgend  nennenswerthe  Zahl  von  Sklaven 
noch  nicht  vorhanden  sein  konnte;  das  ergäbe  eine  Volks- 
dichtigkeit von  12,6  auf  den  qkm,  also  eine  sehr  dünne  Bevöl- 
kerung. Die  Zahl  der  erwachsenen  Männer  würde  20000  be- 
tragen haben.  Halten  wir  uns  dagegen  an  die  niedrigere  An- 
gabe, so  kämen  nur  höchstens  35000  Einwohner,  7 auf  den 
qkm  heraus. 

Die  Angaben  aus  späterer  Zeit  sind  mit  den  bisher  ange- 
führten Zahlen  nicht  mehr  direct  vergleichbar,  da  der  aetoliscbe 
Bund  sich  seit  dem  Ende  des  IV.  Jahrhunderts  über  die  Nachbar- 
gebiete auszudehnen  beginnt  Gegen  die  Gallier  280  stellten 
die  Aetoler  ein  grösseres  Contingent  als  irgend  ein  anderer 
griechischer  Staat,  wie  sie  denn  auch  zunächst  bedroht  waren. 
Die  Zahl  ihrer  Hopliten  belief  sich  auf  7000;  die  der  Reiter 
und  leichten  Truppen  wird  nicht  angegeben2),  sie  kann  aber 
bei  der  Vorliebe  der  Aetoler  für  den  Dienst  als  Peltasten  kaum 
geringer  gewesen  sein,  als  die  Zahl  der  Hopliten.  Jedenfalls 
müssen  die  Aetoler,  da  die  Boeoter  10500  Mann  stellten, 
stärker  gewesen  sein8),  und  mögen  also  an  15000  Mann  ge- 
zählt haben.  Der  Bund  umfasste  damals  ausser  dem  eigent- 
lichen Aetolien  das  ozolische  Lokris,  Herakleia  Trachinia  und 
damit  wohl  überhaupt  das  ganze  Land  am  Oeta,  vielleicht  auch 
schon  das  östliche  Akaraanien.  — Als  Philipp  218  gegen 

*)  Diod.  XVIII  38. 

a)  Pausan.  X 20,  4:  jHtoiIiüv  <fi  nltiartj  K lytvtxo  aiaam't  xnl  (g 
näaav  fitixvi  Iffav,  fiiv  Vnnog  ov  Ityoiaiv  onöarj,  if/ilol  tTi  (revqxovtii 
xal ....  kmaxia/iXitov  uyt&uov  ijoav  ol  onXntvovTtg.  Die  Angaben  des 
Pausanias  über  die  Stärke  des  griechischen  Heeres  an  den  Thermopylen 
scheinen  aus  guter  Quelle  geflossen  zu  sein. 

8)  Vgl.  Droysen,  Hellen.  II  2 S.  347. 


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188 


Capitel  V. 


Thermon  zog,  stellten  sich  ihm  3000  Aetoler  entgegen ; elieusn 
viele  nebst  400  Reitern  standen  in  Stratos1);  ausserdem  war 
der  Strateg  Dorimachos  mit  der  Hälfte  des  Bundesaufgebots 
auf  einem  Zuge  nach  Thessalien8).  Der  Bund  hat  also  auch  iu 
dieser  Zeit  über  12000  Mann  aufzustellen  vermocht.  Bei  der 
Schwäche  der  Centralregierung  ist  es  freilich  den  Aetoleru 
niemals  möglich  gewesen,  auch  nur  annähernd  diese  Zahl  auf 
einem  Punkt  zu  versammeln.  Auch  musste  das  Sölduerwesen 
dazu  beitragen,  die  militärische  Leistungsfähigkeit  des  Bundes 
zu  verringern;  war  doch  Aetolieu  im  III.  Jahrhundert  einer 

der  hauptsächlichsten  Werbeplätze.  So  warb  Skopas  im  Jahre 

200  für  den  aegyptischen  Dienst  iu  Aetolieu  (5000  Mann  zu 
Fuss  und  500  Reiter;  er  würde  die  ganze  Jugend  des  Landes 
fortgeführt  haben,  wäre  nicht  der  Strateg  Damokritos  einge- 
schritten3). Drei  Jahre  später  kämpfen  die  Aetoler  bei  Kyuos- 
keplialae  mit  6000  Manu  und  400  Pferden4).  Zur  Unter- 
stützung des  Königs  Antiochos  sandten  die  Aetoler  191  3000 
Manu  und  200  Reiter  nach  Thessalien;  im  nächsten  Jahre 
4000  Mann  nach  den  Tbermopylen;  es  wird  aber  ausdrücklich 
hervorgehoben,  dass  dies  nur  ein  kleiner  Theil  ihrer  Macht 

war5).  Sonst  haben  wir  aus  dem  Kriege  der  Aetoler  gegen 

Rom  keine  Zahlenangaben;  einem  consularischen  Heere  von 
2 Legionen  nebst  den  zugehörigen  Bundesgenossen  waren  sie 
freilich  nicht  gewachsen,  wohl  aber  zeigt  der  Umstand,  dass 
die  Römer  solche  Massen  gegen  Aetolieu  iu  Bewegung  setzen 
mussten  und  dennoch  keineswegs  schnelle  Erfolge  errangen, 
wie  bedeutend  die  Macht  des  Bundes  gewesen  ist. 

Akarnanien  stand  wie  an  Ausdehnung  so  auch  an  mi- 
litärischer Leistungsfähigkeit  weit  hinter  Aetolieu  zurück,  so- 
bald dieses  erst  zur  Ausbildung  einer  festen  Bundesverfassung 


»)  Polyb.  V 13,  3;  14,  1. 

*)  Polyb.  V 5,  1. 

’)  Livius  31,  48  nach  Polybios. 

4)  Plut.  Titus  7;  Liv.  83,  3,  wo  für  sexcent i pedites  6000  zu  lesen 
ist ; vergl.  Ihne,  Röm.  Gesch.  III  42  Asm.  gegen  Nissen,  Liv.  Unters. 
S.  141. 

R)  Liv.  36,  10;  36,  16  nach  Polybios. 


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Mittel-  unil  Nord-Griechenland. 


189 


gelangt  war;  mir  durch  fremde  Hülfe  hat  es  überhaupt  seine 
Selbständigkeit  gegenüber  dem  mächtigen  Nachbarn  zu  be- 
haupten vermocht1).  — Im  peloponnesischen  Kiiege  stellten 
die  Akarnanen  den  Athenern  1000  Hopliten  zur  Verteidigung 
von  Naupaktos*);  das  Gesannntaufgebot  Akamaniens  war  im 
Stande,  einem  peloponnesisch-ambrakiotischen  Heere  von  4000 
Hopliten  die  Spitze  zu  bieten  und  es  zu  schlagen  und  einzu- 
schliessen8).  — Bekanntlich  wurde  im  Laufe  des  III.  Jahr- 
hunderts ein  grosser  Theil  von  Akarnanien,  dabei  die  alte 
Hauptstadt  Stratos  selbst,  mit  Aetolien  vereinigt,  wofür  aller- 
dings der  Anschluss  von  Leukas  Ersatz  gab.  Tn  diesem  Um- 
fange hat  der  akarnanische  Bund  zur  Schlacht  bei  Sellasia 
1000  Mann  zu  Fuss  und  50  Beiter  gestellt  , ebenso  viel  wie 
Epeiros  und  etwa  die  Hälfte  des  boeotischen  (Kontingentes  *). 
Bei  Philipps  erstem  Einfall  in  Aetolien  219  folgten  ihm  2000 
Akarnanen  zu  Fuss  und  200  zu  Pferde s);  bei  Philipps  zweitem 
aetolischen  Zuge  im  folgenden  Jahre  bot  der  Bund  seine  ganze 
Macht  auf,  eine  numerische  Angabe  liegt  nicht  vor. 

Es  ist  sehr  wahrscheinlich,  dass  die  Bevölkerung  des  zum 
grossen  Theil  ebenen  oder  nur  von  Hügeln  erfüllten  Akarna- 
nien dichter  gewesen  ist,  als  die  des  aetolischen  Berglandes, 
um  so  mehr,  als  es  diesem  auch  in  der  Culturentwicklung 
voraus  war.  Der  Flächeninhalt  beträgt  1585  qkm,  wobei  der 
Acheloos  als  Grenze  gegen  Aetolien  angenommen,  Leukas  da- 
gegen nicht  mitgerechnet  ist.  Veranschlagen  wir  die  Volks- 
dichtigkeit für  das  IV.  Jahrhundert  zu  20  auf  1 qkm,  so  er- 
gäbe sich  eine  Bevölkerung  von  etwas  über  30000,  eine 
Bürgerzahl  von  10000,  was  mit  den  oben  beigebrachten  An- 
gaben iilier  die  militärischen  Leistungen  Akamaniens  gut  über- 
einstimmt. — Für  das  benachbarte  Amphilochien  dürfte 
bei  dem  völligen  Mangel  jeder  di  ree  teil  Angabe  etwa  dieselbe 

')  Polyb.  IV'  30.  2.  3.  Schon  321  waren  die  Akarnanen  den  Aetolem 
nicht  gewachsen:  Diod.  XVIII  88;  Liv.  26,  25. 

s)  Thnk.  III  102. 

3)  Thuk.  III  100.  105.  106;  vgl.  unten  S.  193  f. 

*)  Polyb.  II  65.  4. 

Polyb.  IV  63,  7. 


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190 


Capitel  V. 


Volksdichtigkeit  zu  rechnen  sein,  wie  für  Aetolien  (12,6  auf 
1 qkm),  was  eine  Bevölkerung  von  etwa  6000  ergeben  würde. 

Was  die  Bevölkerung  von  Leukas  angeht,  in  der  Zeit, 
wo  die  Insel  noch  nicht  zum  akamanischen  Bunde  gehörte,  so 
sollen  800  leukadische  und  anaktorische  Hopliten  bei  Plataeae 
gefochten  haben,  8 leukadische  Trieren  bei  Salamis  ’).  Zu  der 
korinthischen  Flotte  gegen  Korkyra  435  und  433/2  stellte 
Leukas  je  10  Trieren2).  Demnach  mag  Leukas  im  V.  Jahr- 
hundert gegen  3000  Bürger  gezählt  haben;  das  sehr  gebirgige 
Gebiet  umfasst  etwa  300  qkm. 

Ueber  die  Bevölkerung  von  Kephallenia  haben  wir  so 
gut  wie  gar  keine  Angaben.  Hero,dot  berichtet,  dass  Pale  zu 
dem  griechischen  Heere  bei  Plataeae  200  Hopliten  gestellt 
habe8);  indess  ist  oben  gezeigt  worden  (S.  9 Anm.),  dass  die 
I’aleer  überhaupt  bei  Plataeae  nicht  gefochten  haben  und  nur 
durch  ein  Versehen  Ilerodots  in  das  Verzeichniss  der  griechi- 
schen (Kontingente  gekommen  sind.  Immerhin  behält  unsere 
Angabe  als  Schätzung  Ilerodots  ihren  Werth.  Bei  der  korinthi- 
schen Bundesflotte,  die  435  nach  Korkyra  in  See  ging,  befan- 
den sich  auch  4 Trieren  von  Pale4).  Demnach  wird  Pale  nicht 
unter  1000  Bürger  gezählt  haben.  Da  ausserdem  noch  drei 
andere  Städte  auf  Kephallenia  lagen:  Kranioi,  Same,  Pronoi5), 
so  werden  für  die  ganze  Insel  gegen  4000  Bürger  anzunehmen 
sein,  entsprechend  einer  bürgerlichen  Bevölkerung  von  12000. 
Das  wären  nur  17 — 18  auf  1 qkm;  diese  Schätzung  möchte 
also  vielleicht  hinter  der  Wahrheit  Zurückbleiben. 

Dichter  bewohnt  scheint  Zakynthos  gewesen  zu  sein, 
das  den  Korkyraeern  im  Jahre  433/2  ein  Corps  von  1000  Ho- 
pliten zu  Hülfe  schicken  konnte0)  und  demnach  mindestens 
1500  Bürger  von  Hoplitencensus  gezählt  haben  muss,  was  eine 


')  Herod.  IX  28,  VIII  45. 
s)  Thuk.  I 27.  46. 

“)  Herod.  IX  28. 

0 Thuk.  I 27. 

5)  Thuk.  II  30. 
o)  Thuk.  I 47. 


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Mittel-  und  Nord-Griechenland. 


191 


Bürgerzahl  von  3—4000,  oder  eine  bürgerliche  Gesammtbevöl- 
kening  von  10 — 12000  voraussetzt,  auf  einem  Flächenraum 
von  434  qkm.  Bei  der  Fruchtbarkeit  der  Insel  scheint  diese 
Zahl  wenigstens  keineswegs  zu  hoch1).  Auch  das  heutige 
Zante  ist  relativ  bevölkerter  als  Cephalonia,  wenn  auch  nicht 
in  demselben  Verhältniss ; es  ist  aber  sehr  leicht  möglich,  dass 
wir  oben  die  Bevölkerung  von  Kephallenia  unterschätzt  haben. 

Bei  weitem  die  wichtigste  unter  den  Inseln  an  der  grie- 
chischen Westküste  war  im  Alterthum  wie  noch  heute  Korkyra. 
Der  fruchtbare  Boden  war  aufs  trefflichste  angebaut2);  die 
glückliche  Lage  machte  die  Insel  zum  Brennpunkt  des  Handels 
mit  dem  hellenischen  Westen  und  den  Küstenländern  des 
adriatischen  Meeres;  die  Kriegsmarine  war  im  V.  und  IV.  Jahr- 
hundert nach  der  von  Athen  die  erste  in  Griechenland8). 
Schon  zur  Zeit  der  Perserkriege  soll  Korkyra  60  Trieren  haben 
aufstellen  können 4) ; kurz  vor  dem  Anfang  des  peloponnesischen 
Krieges  bemannte  die  Insel  Flotten  von  110  und  120  Trieren5). 
Korkyra  zählte  also  damals  mindestens  24000  zum  Seedienst 
taugliche  Männer.  Darunter  bildeten  allerdings  die  Sklaven 
die  Mehrzahl;  denn  unter  den  1050  Gefangenen,  die  in  der 
Schlacht  bei  Sybota  den  Korinthiern  in  die  Hände  fielen,  waren 
nur  250  Freie,  so  dass  nach  diesem  Verhältniss  von  jenen 
24  000  Mann  gegen  6000  Freie,  über  18000  Sklaven  gewesen 
sein  müssten.  Stellen  wir  nun  auch  das  Landheer  in  Rech- 
nung8), berücksichtigen  wir,  dass  die  Stadt  doch  nicht  ohne 
jede  Besatzung  gelassen  werden  konnte,  und  rechnen  die  durch 
Alter  oder  Krankheit  kriegsuntüchtigen  hinzu,  so  werden  wir  die 
freie  Bevölkerung  der  Insel  auf  nicht  unter  10000  erwachsene 
Männer  veranschlagen  dürfen,  oder  mit  anderen  Worten,  die 
Bürgerzahl  Korkyras  muss  der  seiner  Mutterstadt  Korinth  un- 
gefähr gleichgekommen  sein.  Die  Sklavenbevölkerung  muss 

')  Plin.  H.  N.  IV  54:  maijnifica  et  fertilitate  praecipua  Zaeynthun. 

2)  Xen.  Hell.  VI  2,  6. 

a)  Herod.  VII  163;  Tliuk.  I 36;  Xen.  Hell.  VI  2,  9. 

4)  Herod.  a.  a.  O. 

*)  Thuk.  I 29.  47. 

°)  Thuk.  I 47. 


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192 


Capitel  V. 


nach  dem  obigen  mindestens  20000  Männer  in  kräftigem  Alter 
umfasst  haben;  und  wenn  auch  Weiber  und  Kinder  hier  einen 
geringeren  Bruehtlieil  der  Gesamratbevölkerung  ausmachten  als 
unter  den  Freien,  so  werden  wir  doch  die  Sklavenzahl  von 
Korkyra  zu  wenigstens  40000  Köpfen  veranschlagen  dürfen. 
Das  ergäbe  für  die  Insel  zusammen  70000  Einwohner,  oder 
00  auf  den  qkm , etwa  dieselbe  Volksdichtigkeit  wie  in 
Attika.  Die  Bevölkerung  kann  aber  sehr  wohl  auch  grösser 
gewesen  sein. 

Was  wir  sonst  über  die  Bevölkerung  Korkyras  erfahren, 
steht  mit  dem  bisher  gewonnenen  Resultate  im  besten  Ein- 
klang. Bei  der  Revolution  des  Jahres  427  flüchten  400  der 
besiegten  Oligarchen  in  das  Heraeon,  wo  sie  später  nebst  noch 
vielen  anderen  Anhängern  derselben  Partei  von  den  Demo- 
kraten umgebracht  wurden1);  dennoch  konnten  noch  500  olig- 
archisch  Gesinnte  auf  das  Festland  sich  retten2),  die  dann 
nach  zwei  Jahren  ebenfalls  dem  Demos  in  die  Hände  fielen, 
womit  die  ganze  oligarchische  Partei  auf  der  Insel  vernichtet 
war3).  Die  Gesammtzahl  der  während  dieser  Jahre  getödteten 
( Higarchen  giebt  Diodor  auf  1 500  an 4),  was  mit  den  Einzelangaben 
des  Tlmkydides  sehr  mit  übereinstimmt.  Bei  der  Revolution 
des  Jahres  410  wurden  noch  einmal  1000  wohlhabende  Bürger 
verbannt8),  die  dann  freilich  bald  wieder  zurückberufen  wurden. 
Beide  Revolutionen  hatten  die  Freilassung  einer  grossen  Zahl 
Sklaven  zur  Folge8),  so  dass  die  freie  Bevölkerung  der  Insel 
trotz  allen  Blutvergiessens  einen  beträchtlichen  Zuwachs  er- 
halten haben  muss. 

Die  korinthisch-korkyraeischen  Pflanzstädte  auf  dem  Fest- 
lande: Ambrakia,  Apollonia  und  Epidamnos,  waren  gleichfalls 
nicht  unansehnlich.  Namentlich  Ambrakia  war  ohne  Frage 
die  erste  Stadt  in  Epeiros,  wie  sie  denn  Pyrrhos  später  zu 

>)  Thuk.  III  75.  81. 

2)  Thnk.  III  85. 

8)  Tlitik.  IV  48. 

*)  Diod.  XIII  48. 

*)  Diod.  a.  a.  0. 

6)  Thuk.  111  73;  Diod.  XIII  48. 


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Mittel-  und  Nord-Griechenland. 


193 


seiner  Hauptstadt  gemacht  hat.  Bei  Plataeae  sollen  500  arn- 
brakiotische  Hopliten  gekämpft  haben1),  während  7 Trieren 
der  Stadt  an  der  Schlacht  bei  Salamis  Theil  nahmen2).  An 
der  korinthischen  Expedition  gegen  Korkyra  435  betheiligte 
sich  Ambrakia  mit  8,  an  dem  Seezuge  von  433/2  mit  27 
Trieren3),  für  deren  Bemannung  über  5000  Soldaten  und 
Matrosen  erforderlich  waren.  3000  Hopliten  aus  Ambrakia 
kämpften  nach  Thukydides’  Angabe  426  bei  Olpae  gegen  die 
Akamanen4),  was  keineswegs  die  Gesammtmaeht  der  Stadt  ge- 
wesen sein  kann,  denn  diese  rückte  erst  nach  der  Niederlage 
jenes  Corps  ins  Feld5).  Eine  Zahlenangabe  fehlt  hier,  wie 
gewöhnlich,  wejm  bei  Thukydides  von  Massenaufgeboten  die 
Rede  ist.  Wir  hören  nur,  dass  dieses  Heer  zum  grössten 
Theil  vernichtet  wurde6);  die  Zahl  der  Erschlagenen , die 
Thukydides  angegeben  wurde,  erschien  ihm,  im  Verhältniss  zu 
der  Grösse  der  Stadt,  so  unglaublich  hoch,  dass  er  es  vor- 
gezogen hat,  sie  zu  unterdrücken , und  sich  auf  die  Angabe 
beschränkt,  es  wären  Waffen  „von  mehr  als  1000  Mann“  er- 
beutet worden7);  der  Feldherr  Demosthenes  erhielt  daraus  als 
seinen  Beuteantheil  300  Panoplien 8).  Grote  hat  darnach  den 
Verlust  der  Ambrakioten  auf  6000  Mann  berechnet,  was  offen- 
bar viel  zu  hoch  ist*);  aber  rechnen  wir  auch  die  Gesammt- 
stärke  des  zweiten  Aufgebots  nur  zu  2000  Hopliten,  so  er- 
hielten wir  einschliesslich  der  3000,  die  bei  Olpae  gekämpft 


»)  Herod.  IX  28. 

2)  Herod.  VIII  45. 

3)  Thuk.  1 27.  46.  Die  Zahl  von  27  Trieren  erscheint  auffallend  hoch, 
doch  ist  eine  Corruptel  ausgeschlossen. 

*)  Thuk.  UI  105. 

5)  Thuk.  m 110. 

*)  Thuk.  111  112:  öKyoi.  nnö  nolXmv  laiu&tjcrav  TT)V  tioXiv. 

’)  Thuk.  III  113. 

")  Thuk.  III  114.  Es  mag  Vio  aller  in  diesen  Kämpfen  von  Ambra- 
kioten und  Peloponnesiem  erbeuteten  Rüstungen  gewesen  sein.  Die  Zahl 
der  Gefallenen  war  natürlich  kleiner,  da  viele  auf  der  Flucht  ihre  Waffen 
wegwerfen  mochten. 

*)  Hist,  of  Greece  VI  ch.  51  p.  89  (London  1870);  vgl.  Classen  zu 
Thuk.  m 113. 

Beloch,  BevölkeruiiRslehre.  I.  13 


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194 


Capitel  V. 


hatten,  für  Ambrakia  5000  Hopliten.  Nun  hat  selbst  die 
Mutterstadt  Korinth  in  dieser  Zeit  kaum  über  3000  Hopliten 
ins  Feld  zu  stellen  vermocht;  es  ist  also  im  höchsten  Grade 
unwahrscheinlich,  dass  Ambrakia  eine  so  viel  grössere  Bürger- 
zahl besessen  haben  sollte.  Denn  Ambrakia  war  keineswegs 
eine  Grossstadt,  der  Mauerumfang  betrug  selbst  nach  Pyrrhos’ 
Zeit  nur  25  Stadien1).  Es  wird  also  die  Zahl  von  3000  am- 
brakiotischen  Hopliten,  die  bei  Olpae  gekämpft  haben  sollen, 
übertrieben  sein.  Diodor,  der  mittelbar  von  Thukydides  ab- 
hängt, giebt  nur  1000  Hopliten2);  es  ist  möglich,  dass  Thuky- 
dides so  geschrieben  hat.  Auch  bei  dieser  Annahme  müsste 
das  ambrakiotische  Gesammtaufgebot  2500 — 3000  Hopliten  ge- 
zählt haben,  was  einer  Bürgerzahl  von  etwa  7000  entsprechen 
würde. 

Epidamuos  nennt  Thukydides  eine  „grosse  und  volk- 
reiche“ Stadt8).  Kassandros  nahm  bei  seinem  Ueberfall  im 
Jahre  314  in  dem  Gebiete  mehr  als  2000  Menschen  gefan- 
gen4). In  der  römischen  Zeit  muss  die  Stadt  als  hauptsäch- 
licher Uebergangspunkt  von  Griechenland  nach  Italien  noch 
gewachsen  sein.  Auch  das  benachbarte  Apollonia  wird  von 
Cicero  als  grosse  und  bedeutende  Stadt  bezeichnet5). 

Ueber  die  Bevölkerung  von  Epeiros  selbst  haben  wir 
aus  vorrömischer  Zeit  nur  wenige  vereinzelte  Angaben.  Die 
Chaoner  betheiligten  sich  im  Jahre  429  mit  1000  Mann  an 
dem  peloponnesischen  Kriegszuge  nach  Akarnanien #).  15000 
Molosser  sollen  um  385  in  einer  Schlacht  gegen  die  Illyrier 
gefallen  sein,  eine  Angabe,  die  vermuthlich  sehr  übertrieben  ist T). 
Das  Heer,  das  Pyrrhos  im  Frühjahr  280  nach  Italien  führte, 
bestand  aus  3000  Reitern,  20000  Mann  Linienfussvolk  (Pha- 

*)  S.  unten  Cap.  XI  und  vgl.  Thuk.  III  113:  ihon  ümoxov  ro  nXrj- 
flot  teytrai  Ütt olfa&cu  tot  7tqos  ro  (*(yt&o s tijs  rtöletos-  Also 
auch  nach  Thukydides  war  Ambrakia  keine  grosse  Stadt. 

*)  Diod.  Xll  60. 

a)  Thuk.  I 24:  yfycclri  xttl  noXviiv&Qiano;. 

4)  Polyaen.  IV  11,  4. 

s)  Cic.  Phil.  XI  11,  26:  AnoTloniam  maqnnm  urhem  et  qravem. 

•)  Thuk.  II  80. 

')  Diod.  XV  13. 


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Mittel-  und  Nord-Griechenland. 


195 


langiten  und  Hypaspisten)  und  2500  Mann  Bogenschützen  und 
Schleuderern  *) ; doch  war  dasselbe  keineswegs  ausschliesslich 
aus  Epeiroten  zusammengesetzt,  wenn  diese  auch  die  Haupt- 
masse bildeten2).  Es  werden  thessalische  Reiter  und  makedo- 
nische Hülfetruppen  ausdrücklich  erwähnt8),  und  Söldner  kön- 
nen so  wenig  wie  in  anderen  griechischen  Heeren  dieser  Zeit 
gefehlt  haben.  Auch  begriff  Pyrrhos’  Reich  ausser  den  ur- 
sprünglich zu  Epeiros  gehörenden  Provinzen  noch  Ambrakia, 
Akarnanien,  Amphilochien,  und  von  Makedonien  die  Parauaea 
und  Tymphaea. 

Jedenfalls  hat  der  epeirotische  Bund  in  der  letzten  Hälfte 
des  III.  und  der  ersten  des  II.  Jahrhunderts  es  nicht  vermocht, 
auch  nur  annähernd  die  gleiche  Truppenzahl  aufzustellen.  Bei 
Sellasia  stellten  die  Epeiroten  nur  1000  Mann  und  50  Pferde4); 
und  in  den  römischen  Kriegen  haben  sie  nie  ein  irgend  be- 
deutendes Gewicht  in  die  Wagschale  gelegt.  Immerhin  haben 
die  Chaonen  und  Thesproter  im  perseischen  Kriege  den  Le- 
gaten Ap.  Claudius  mit  6000  Mann  unterstützt 5) ; die  Molosser 
standen  damals  auf  makedonischer  Seite. 

Aus  derselben  Zeit  haben  wir  noch  eine  Angabe,  die  zu 
dem  werthvollsten  gehört  , was  uns  überhaupt  aus  der  Bevöl- 
kerungsstatistik des  Alterthums  überliefert  ist.  Polybios  be- 
richtet uns  nämlich , dass  die  Römer  nach  der  Besiegung  des 
Perseus,  um  Epeiros  für  seinen  Abfall  zu  strafen  und  zugleich 
das  Heer  für  den  Verlust  der  makedonischen  Beute  zu  ent- 
schädigen, 70  Städte  des  Landes  der  Plünderung  Preis  gaben 
und  ihre  Einwohner,  150000  an  Zahl,  in  die  Sklaverei  ver- 
kauften6). So  sehr  auch  unsere  Phantasie  sicli  sträubt,  einen 


x)  Plut.  Pyrrh.  15. 

3)  Plut.  Pyrrh.  10.  28.  30;  Diod.  XXII  10. 

»)  Plut.  Pyrrh.  17;  Justin.  XVII  2. 

*)  Polyb.  II  65,  4. 

V*  5)  Liv.  43,  21,  nach  Madvigs  evidenter  Emendation  des  überlieferten 
Amnenacaum.  Athamanum,  was  Weissenborn  in  den  Text  gesetzt  hat,  ist 
ganz"unpassend.  Vgl.  auch  Liv.  43,  23. 

*)  Polybios  bei  Strab.VH  S.  822:  rüv  'Uneigmuav  ißSoufixovra  nolns 
ZToXvßio;  (f  Tjrrtv  ttvaTgtipai.  ITaDlor  /uuä  rijr  Maxtiöviov  xnl  JllgOims 

13* 


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196 


Capitel  V. 


Akt  so  namenloser  Barbarei  und  Perfidie  für  möglich  zu  hal- 
ten — denn  die  Epeiroten  hatten  sich  bereits  seit  einem  Jahre 
unterworfen  und  waren  scheinbar  zu  Gnaden  angenommen 
worden  — , so  ist  doch  dem  ausdrücklichen  Zeugnisse  des  Po- 
lybios gegenüber  ein  Zweifel  nicht  möglich.  Polybios  spricht 
hier  beinahe  als  Augenzeuge;  er  stand  ausserdem  dem  Hause 
des  Paulus  so  nahe,  dass  er  in  der  Lage  war,  die  besten  In- 
formationen zu  haben;  seine  bekannte  Vorliebe  für  die  Römer 
giebt  uns  die  Gewähr,  dass  er  nicht  die  Geschichte  in  ten- 
denziöser Weise  gefälscht  hat.  Und  da  Strabon,  Livius  und 
Plutarch,  die  alle  unabhängig  von  einander  aus  Polybios  ge- 
schöpft haben,  übereinstimmend  dieselbe  Zahl  geben,  ist  auch 
ein  Fehler  in  unserer  Ueberliefenuig  hier  von  vornherein 
ausgeschlossen.  Es  ist  nun  allerdings  keineswegs  das  ganze 
Epeiros,  das  von  dieser  Maassregel  betroffen  ward.  Athama- 
nien,  Amphilochien,  Ambrakia,  Atintanien,  Parauaea  und 
Tymphaea  gehörten  überhaupt  in  dieser  Zeit  nicht  zum 
epeirotisehen  Bunde  und  hatten  in  dem  Kriege  mit  Perseus 
theils  Rom  die  Treue  bewahrt,  theils  waren  sie  als  makedo- 
nische Provinzen  in  den  Frieden  eiugeschlossen  worden.  Und 
auch  von  den  Gliedern  des  epeirotisehen  Bundes  hatten  die 
Chaonen  und  Thesproter  wenigstens  zum  bei  weitem  grössten 
Theil  an  der  Freundschaft  mit  Rom  festgehalten.  So  hat  das 
Strafgericht  des  Jahres  168  im  wesentlichen  nur  die  Molosser 
betroffen,  wie  auch  unsere  Quellen  ausdrücklich  hervorheben, 
so  dass  ein  epeirotischer  Bund  um  die  Hauptstadt  Phoenike 
auch  später  noch  fortbestanden  hat.  Das  molossische  Gebiet 
aber  umfasste  etwa  die  Hälfte  des  ganzen  epeirotisehen  Bundes, 
3500  von  7900  qkm.  Es  liegt  nicht  der  geringste  Grund  vor, 
dem  chaonischen  und  thesprotischen  Gebiete  eine  weniger 
dichte  Bevölkerung  zuzuschreiben,  als  der  Molossis;  eher  das 
Gegentheil,  da  in  Chaonien  die  grösste  Stadt  von  Epeiros, 
Phoenike,  gelegen  hat.  Wenn  die  Molosser  das  Hauptvolk 


xarnl vatv'  Molo tj<öv  <f  V7inQicu  Ta f nltimaf  nivtt  xai  cT (xa  fiv- 
piöiSm  üv9q<Inoiv  artipanotUnaadai.  Daraus  Plut.  Paulus  29;  Liv.  45,  34; 
App.  III  9;  vgl.  Nissen,  Quellen  des  Livius  S.  308. 


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Mittel-  und  Nord-Griechenland. 


197 


gewesen  sind,  so  erklärt  sieh  das  hinlänglich  aus  der  grösseren 
Ausdehnung  ihres  Landes.  Auch  müssen  natürlich  viele  Mo- 
losser der  Gefangenschaft  entgangen  sein.  Für  den  ganzen  Bund 
werden  wir  also  im  ersten  Drittel  des  II.  Jahrhunderts 
eine  Bevölkerung  von  ungefähr  300000  Seelen  anzunehmen 
haben,  oder  38  auf  den  qkm,  eine  Volksdichtigkeit,  die  der 
des  heutigen  Vilajets  Janina  (39  auf  den  qkm)  etwa  gleich 
kommt.  Wir  sehen,  wie  falsch  es  ist,  die  Bevölkerung  der 
Bundesstaaten  dieser  Zeit  einfach  auf  Grund  der  militärischen 
Leistungen  bestimmen  zu  wollen,  in  derselben  Weise,  wie  das 
für  die  Stadtrepublikeu  des  V.  und  IV.  Jahrhunderts  möglich 
ist.  Diese  Methode  wird  hier  stets  zu  niedrige  Resultate  er- 
geben. — Dagegen  wird  das  athamanisehe  Borgland  offenbar 
relativ  viel  schwächer  bevölkert  gewesen  sein,  als  das  eigent- 
liche Epeiros,  und  kaum  mehr  als  10  Einwohner  auf  den  qkm, 
im  ganzen  also  etwa  20000  Einwohner,  gezählt  haben. 


4.  Thessalien. 

Wenn  wir  den  Pindos  nach  Osten  hin  überschreiten,  ge- 
langen wir  in  ein  ganz  anderes  Wirthschaftsgebiet.  Statt  des 
rauhen  aetolisch-epeirotischeu  Berglandes  empfängt  mis  die 
fruchtbare  thessalische  Ebene,  ein  Land  uralter  Cultur,  wo 
städtisches  Leben  sich  schon  in  sehr  frühen  Zeiten  entwickelt 
hat.  Allerdings  war  auch  hier  der  Ackerbau  entschieden  vor- 
herrschend; Thessalien  ist  die  einzige  Landschaft  des  euro- 
päischen Griechenland , die  Getreide  in  grösseren  Mengen 
auszuführen  vermochte  *) ; und  die  thessalische  Pferdezucht  war 
berühmt.  Auch  Sklaven  wurden  aus  Thessalien  ausgeführt; 
dagegen  ist  von  einer  thessalischen  Industrie  so  gut  wie  gar 
nicht  die  Rede.  Thessalien  scheint  denn  auch  niemals  eine 
Grossstadt  in  griechischem  Sinne  — wie  Theben  oder  Ar- 
gos  — besessen  zu  haben;  dagegen  finden  wir  mehrere  an- 
sehnliche Mittelstädte,  wie  Larisa,  Pharsalos  und  namentlich 


»)  Xen.  Hell.  VI  1,  11. 


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198 


Capitel  V. 


Pherae  mit  seinem  Hafen  Pagasae.  in  makedonischer  Zeit  De- 
metrias. 

Der  Flächeninhalt  Thessaliens  und  seiner  Nebenländer  bis 
zu  den  Thermopylen  ist  von  Clinton  zu  5674  engl.  Quadrat- 
meilen = 14695,66  qkm  berechnet  worden1).  Moreau  de  Jon- 
n£s  nimmt  12900  qkm  an2);  über  die  zu  Grunde  liegende 
Begrenzung  giebt  er  so  wenig  wie  Clinton  eine  Andeutung. 
Meine  eigene  planimetrische  Berechnung,  auf  Grund  von  Kie- 
perts Carte  de  l’Epire  et  de  Ja  Thessalie  (Berlin  1880)  im 
Maassstab  von  1 : 500000  und  für  die  Landschaften  am  Oeta 
und  den  Thermopylen  von  Bl.  VH  von  Kieperts  Neuem  Atlas 
von  Hellas,  das  überhaupt  für  den  Lauf  der  alten  Grenzen 
maassgebend  war,  ergiebt  folgende  Zahlen8): 


qkm 

die  Tetrarchien 9790 

Perrhaebia 1700 

Magnesia 1550 

Dolopia 1300 

Aenianen,  Oetaeer,  Malier 1460 


15800 

Der  See  Boebeis  ( Karla ) hat  nach  Strelbitzky  78,3,  der 
See  Nestoris  (Kara  Tschair)  33,2  qkm*). 

')  Fasti  Hell.  II2  885. 

2)  Statistique  I 171. 

a)  Neumann-Partsch,  Phys.  Geogr.  v.  Griech.  S.  137,  geben  den  Flächen- 
inhalt Thessaliens  nördlich  der  früheren  Grenze  des  Königreichs  Griechen- 
land zu  12034  qkm  an,  auf  Grund  einer  planimetrischen  Berechnung  nach 
der  österreichischen  Generalstabskarte  in  1 : 300  000  und  Bl.  VII  von  Kie- 
perts Atlas  von  Hellas.  Da  von  den  obigen  15800  qkm  2630  zur  No- 
marchie  Phthiotis  und  Phokis  (oben  S.  161),  1100  zur  Nomarchie  Akarna- 
nien  und  Aetolien  (oben  S.  183)  gehören,  so  bleiben  für  das  übrige  zum 
Theil  heute  noch  türkische,  zum  Theil  durch  den  Berliner  Vertrag  an 
Griechenland  abgetretene  Thessalien  12070  qkm,  was  also  bis  auf  36  qkm 
(0,8%)  mit  dem  Ergebnisse  von  Partsch  übereinstimmt.  Die  Differenz  ver- 
schwindet vollständig,  wenn  wir  berücksichtigen,  dass  ich  oben  absichtlich 
die  Zahlen  abgerundet  habe.  Ich  bemerke  noch,  dass  ich  meine  Berech- 
nung längst  vorgenommen  hatte,  als  das  Buch  von  Neumann -Partsch 
erschien. 

4)  Superficie  de  VEurope  S.  205. 


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Mittel-  und  Nord-Griechenland. 


199 


Ueber  die  Wehrkraft  Thessaliens  erfahren  wir,  dass  das 
Land  zu  Iasons  Zeit  6000  Reiter  und  über  10000  Hopliten1), 
mit  den  Nebenländern,  zu  denen  damals  auch  Epeiros  gehörte, 
8000  Reiter  und  20000  Hopliten  aufstellen  konnte*),  ausser- 
dem eine  sehr  grosse  Zahl  von  Peltasten.  Diese  Angaben 
mögen  allerdings,  wenigstens  was  die  Reiter  angeht,  über- 
trieben sein.  Denn  Isokrates  schätzt  kurze  Zeit  später  die 
thessalische  Reiterei  nur  zu  „über  3000  Pferden“ 8) ; Alexander 
hat  1500  thessalische  Reiter  nach  Asien  geführt4),  wozu  später 
ein  Nachschub  von  weiteren  200  hinzutrat5);  im  hämischen 
Kriege  haben  nicht  mehr  als  2000  thessalische  Reiter  auf 
griechischer  Seite  gefochten6),  obgleich  die  ganze  Landschaft 
mit  Ausnahme  zweier  Städte  von  Makedonien  abgefallen  war.  — 
Allerdings  müssten  von  den  50000  griechischen  Httlfstmppen 
der  Perser,  die  nach  Herodot  bei  Plataeae  gekämpft  haben 
sollen 7),  über  die  Hälfte  Thessalien  angehört  haben ; aber  diese 
ganze  Zahl  ist  ohne  jeden  Zweifel  rein  willkürlich.  Der  Tyrann 
Alexandros,  der  ausser  Pherae  auch  Magnesia  und  einen  Theil 
des  phthiotischen  Achaia  beherrschte,  stellte  363  gegen  Pelo- 
pidas  mehr  als  20000  Mann  ins  Feld8),  die  keineswegs  alle, 
vielleicht  nicht  einmal  zur  Hälfte,  Söldner  gewesen  sein  kön- 
nen , während  gleichzeitig  bei  Pelopidas’  Heer  sich  gegen 
10000  Mann  thessalischer  Truppen  befanden9).  Bei  dem  321 


*)  Xen.  HeU.  VI  1,  8:  <5j  ye  ft^v,  ui  itv  rayt vrfTtn  BeriaXia,  eli 
e{axiaytX/o ff  fiiv  ot  Innevovtes  ylyvorrai , önXlrni  <te  nXelovs  fj  u i'oiot 
xafHoxavxai. 

*)  Xeu.  Hell.  VI  1,  19:  IneC  ye  /xt)V  ( räyevae , difraUev  Inmxöv  re 
oaov  ixuaxrj  noXi;  <1 vrarfj  rjv  nttfj(yeiv  xal  cmXinxuv.  xctl  ly(vovro 
aÜTip  hiTieis  fx'ev  ovv  roi'f  avf/ftäyois  nXetov(  rj  oxraxiaylXioi,  önXhat 
«f ’ (Xoyfo&rjOav  otix  IXtrrrovs  dtvuiQfiüv,  neXtnajixöv  ye  urjv  Ixctvöv  tiqo; 
nnvTttc  riv&QtuTTO  vs  ctVTiTuy&rjt’tti. 

s)  Isokr.  f.  Fr.  118. 

*)  Diod.  XVU  17. 

5)  Arrian  Anab.  I 29,  4. 

«)  Diod.  XVIII  15. 

’)  Herod.  IX  32,  der  die  Zahl  aber  mit  grosser  Reserve  giebt. 

»)  Diod.  XV  80. 

»)  Plut.  Pelop.  32. 


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200 


Capitel  V. 


mit  aetolLscher  Hülfe  unternommenen  Aufstande  stellte  Thessa- 
lien 13000  Mann  zu  Fuss  und  1000,  oder  wohl  richtiger  2000 
Eeiter  auf1).  Angaben  aus  späterer  Zeit  fehlen. 

Alle  diese  Zahlen  indess  können  uns  bei  den  eigentüm- 
lichen socialen  Zuständen  Thessaliens  kein  ausreichendes  Bild 
der  Bevölkerungsverhältnisse  des  Landes  gewähren.  Denn  die 
bei  weitem  zahlreichste  Klasse  der  Einwohner,  die  Penesten 
wurden  für  gewöhnlich  ebenso  wie  die  lakedaemonisehen  Hei- 
loten  zum  Kriegsdienste  nicht  herangezogen,  wenn  das  auch  in 
Ausnahmsfällen  hier  wie  in  Sparta  geschehen  ist8).  Iason 
glaubte  mit  ihnen  eine  der  athenischen  an  Zahl  überlegene 
Hotte  bemannen  zu  können3),  er  scheint  also  die  Zahl  der 
thessalischen  Penesten  höher  veranschlagt  zu  haben,  als  die 
Bevölkerung  von  Attika,  also  auf  mehr  als  200000.  Eben 
dahin  führt  eine  Audeutung  bei  Thukydides,  wonach  die  Pe- 
nesten zahlreicher  gewesen  wären,  als  die  Heiloteu  in  Lakonien 
und  Messenien,  was  bei  der  grösseren  Ausdehnung  und  Frucht- 
barkeit Thessaliens  gegenüber  dem  spartanischen  Gebiete  auch 
an  sich  hohe  Wahrscheinlichkeit  hat4).  Auch  damit  kämen 
wir  also  auf  über  200000  Penesten,  während  die  freie  Bevöl- 
kerung Thessaliens  bei  einer  militärischen  Leistungsfähigkeit 


')  Diod.  XVIII  88.  Die  Zahl  ergiebt  sich  daraus,  dass  das  Gesammt- 
aufgebot  25000  Mann  und  1500  Reiter  betrug,  wovon  die  Aetoler  12  000 
Mann  und  400  Reiter  stellen.  1100  Reiter  sind  für  Thessalien  so  auf- 
fallend wenig,  dass  die  Annahme  einer  Corruption  der  Zahl  fast  unab- 
weisbar wird. 

2)  So  unterhielt  Menon  von  Pharsalos  ein  Corps  von  300  berittenen 
Penesten:  Dem.  g.  Aristohr.  199  und  daraus  wörtlich  nt  gl  auvxäfrois  23, 
nur  dass  dort  <Siaxoa(ois  S'  Imttvoi  steht. 

s)  Xen.  Hell.  VI  1,  11:  tlräguv  yt  fit,v  ravias  nlggoCv  nöxtgur 
'A&gvaCovs  y tjuüs  tfxös  fiäXXov  iSvraoHai , xoaovxovs  xu'i  xoiovxovs  t%ov- 
xas  ntvfaxas ; 

*)  Thuk.  VIII  40:  ol  yttQ  olxhcu  xois  X(oi;  noXXoi  övxts  xa't  /.i  i <f 
yt  n o Xt  i 7iXijV  AaxtäaifxovU vv  nXtiaxoi  ytvö/jtvoi.  Unnütze  Worte 
macht  Thukydides  nicht;  das  utet  yt  noXtt  deutet  also  wohl  darauf  hin, 
dass  es  Landschaften  gegeben  hat,  die  noch  mehr  Sklaven  besassen;  und 
hier  muss  Thukydides  der  Natur  der  Sache  nach  zuerst  Thessalien  im 
Sinne  gehabt  haben. 


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Mittel-  und  Nord-Griechenland. 


201 


von  3 — 4000  Reitern,  über  10000  Hopliten  und  einem  ent- 
sprechenden städtischen  Proletariat  auf  nahe  an  100000  Seelen 
zu  veranschlagen  sein  wird.  Da  das  eigentliche  Thessalien, 
die  Tetrarchien,  gegen  10000  qkm  Flächenraum  hat,  so  er- 
gäbe sich  eine  Yolksdichtigkeit  von  etwa  30  auf  den  qkm.  Es 
mag  sein,  dass  das  etwas  zu  niedrig  ist  und  400000  Ein- 
wohner (40  auf  1 qkm)  für  das  IV.  Jahrhundert  der  Wahrheit 
näher  kommen;  höher  hinauf  dürfen  wir  aber  kaum  gehen,  da 
Boeotien,  das  bei  annähernd  derselben  Fruchtbarkeit  nur  eben 
seinen  eigenen  Bedarf  an  Getreide  zu  produciren  vermochte, 
eine  Volksdichtigkeit  von  höchstens  60  auf  den  qkm  gehabt  hat. 

Die  grösstentheils  gebirgigen  thessalischen  Nebenländer 
müssen  natürlich  eine  weit  geringere  relative  Bevölkerung  ge- 
habt haben.  Für  Dolopien  wird  höchstens  dieselbe  Volks- 
dichtigkeit wie  für  Aetolien  anzusetzen  sein,  also  bei  einer 
Ausdehnung  von  1300  qkm  etwa  15000  Einwohner;  für  die 
zum  Theil  städtereichen  Landschaften  am  Oeta,  Pelion  und  Olymp 
etwas  mehr,  aber  w’ohl  kaum  über  20  auf  den  ([km , wras  auf 
4700  qkm  eine  Bevölkerung  von  gegen  100000  ergiebt.  Ganz 
Thessalien  mit  den  Nebenländern  wird  also  im  IV.  Jahi  hundert 
400000  bis  höchstens  V«  Million  Einwohner  gezählt  haben. 

Im  III.  Jahrhundert  hat  Thessalien  das  beständige  Schlacht- 
feld zwischen  Aetolien  und  Makedonien  gebildet.  Die  Bevöl- 
kerung ging  in  Folge  dieser  unaufhörlichen  Kriege  bedeutend 
zurück.  Wir  haben  dafür  ein  officielles  Zeugniss  in  zwei  Re- 
scripten  König  Philipps  an  die  Gemeinde  Larisa  aus  den  Jahren 
219  und  214,  worin  den  Larisaeern  empfohlen  wird,  die  bei 
ihnen  wohnenden  Metoeken  hellenischer  Abkunft  zu  Bürgern 
zu  machen,  damit  das  in  Folge  der  Kriege  wüst  liegende  Ge- 
biet besser  bebaut  würde1).  Demgemäss  verliehen  die  Lari- 
saeer  einer  grossen  Zahl  Metoeken  das  Bürgenecht;  der  er- 


')  Cöllnitz,  Griech.  Dial.-Imchr.  I 345:  xat  ij  v(mt(q«  noUs  <ft« 
tovs  JToA^uo vs  nffooätixai  nXeövmv  olxrjjmv . . . rovrov  y«Q  owreleod-iv- 
rof  ninuatxut  xal...  r t/v  ytigav  fiäilov  xrl. . . . ori 

y«Q  nävrmv  xällitnöv  lariv  ms  nleCarmv  fjtreyovrmv  roö  nolnecuarog 
t r\v  re  rröhv  layvtiv  xal  r/'/v  ympav  urj  marreQ  vvv  ata/Qms  yeootv- 
eo.'tcu  xrl. 


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202 


Capitel  V. 


haltene  Theil  der  Urkunde  führt  auf:  1 Neubürger  aus  Samo- 
thrake,  142  aus  Krannon,  60  aus  Gortyn;  mitten  in  dem  Ver- 
zeichniss der  Gortvnier  bricht  die  Inschrift  ab.  Ein  Schluss 
auf  die  Gesammtzahl  ist  demnach  nicht  möglich,  es  können  500, 
es  können  aber  auch  1000  und  darüber  gewesen  sein.  — Ein 
ähnliches  Verzeichniss  aus  etwa  derselben  Zeit  besitzen  wir  aus 
Pharsalos;  es  scheint  vollständig  und  führt  176  Namen  auf1). 
Auch  wer  Polybios  und  die  daraus  übersetzten  Stücke  des  Livius 
liest,  wird  den  Eindruck  gewinnen,  dass  Thessalien  am  Ende 
des  III.  und  Anfang  des  II.  Jahrhunderts  ein  keineswegs  dicht 
bevölkertes  Land  war.  Wie  gross  die  Abnahme  gewesen  ist, 
bleibt  freilich  mit  unseren  Mitteln  unbestimmbar. 

5.  Makedonien. 

Makedonien  ist  die  ausgedehnteste  aller  griechischen  Land- 
schaften. Eine  genaue  Arealbestimmung  ist  bei  unserer  Un- 
sicherheit über  den  Lauf  der  alten  Grenzen  unmöglich;  meine 
planimetrische  Berechnung  auf  Grund  von  Bl.  VII  des  Kiepert- 
sehen Atlas  von  Hellas  (1 : 1 000  000)  ergiebt  ungefähr  32  000  qkiu. 
Dabei  ist  die  Chalkidike,  Tymphaea  und  Parauaea  bis  18° 
östl.  Länge  von  Paris  eingerechnet;  die  Nordgrenze  gegen 
Paeonien  ist  bei  den  Axiu  Stenai  angesetzt;  dagegen  sind  das 
bisaltische  Gebiet  rechts  von  Strymon  und  Amphipolis  ausge- 
schlossen. Von  diesem  Fläehenraum  entfällt  etwa  die  Hälfte 
auf  Ober -Makedonien , westlich  einer  Linie  vom  Gipfel  des 
Titaros  über  den  Kamm  des  Pieros,  des  Bennios  und  der  Bora, 
also  auf  die  Landschaften  Lynkestis,  Orestis,  Eordaea,  Eleimiotis, 
Tymphaea,  Parauaea.  Auf  die  Chalkidike,  südlich  vom  See 
Bolbe  und  einer  Linie  von  dessen  Westende  bis  zum  aeneischen 
Vorgebirge  kommen  etwa  4000  qkm,  davon  auf  den  Rumpf  3000, 
auf  die  drei  Halbinseln: 


qkm 

Atlios 321,0 

Sithonia 887,0 

Pal  lene 386,6 


1094,6 

r)  Cöllnitz,  Gr.  Dial.  Inschr.  I 326. 


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Mittel-  und  Nord-Griechenland. 


203 


Letztere  Zahlen  nach  der  planimetrischen  Berechnung  Strel- 
bitzkys  ( Superf  eie  de  l’Europe  S.  217).  Die  makedonischen 
Seen  haben,  ebenfalls  nach  Strelbitzky,  folgenden  Flächen- 


raum  (a.  a.  0.  S.  205) : 

qkm 

Bolbe  (Beschik-(rÖT) 91,3 

Begorrites  (Ostroro) 65,3 

(Presba) 198,0 

(Kastoria) 50,8 


405,4 

Wenden  wir  uns  jetzt  zu  den  Angaben  über  die  Bevölkerung. 
Am  besten  unterrichtet  sind  wir  hier,  wie  begreiflich,  über  die 
griechischen  Pflanzstädte  an  der  Küste.  Der  Mehrzahl  nach 
waren  diese  Städte  ziemlich  unbedeutend.  Potidaea,  vor  dem 
peloponnesischen  Kriege  w'ohl  die  erste  darunter,  hat  nach 
Herodots  Schätzung  bei  Plataeae  nicht  mehr  als  300  Hopliten 
gestellt1);  die  attische  Kleruchie,  die  429  an  die  Stelle  der 
korinthischen  Kolonie  trat,  zählte  nicht  über  1000  Bürger2). 
Mende  konnte  423  zur  eigenen  Vertheidigung  nur  400  Hopliten 
aufstellen,  einschliesslich  der  peloponnesischen  Besatzung,  die 
allerdings  nur  gering  an  Zahl  war3).  Skione  sandte  bei  dieser  Ge- 
legenheit der  Nachbarstadt  300  Hopliten  zu  Hülfe 4) ; und  bei  der 
Wichtigkeit,  welche  die  Vertheidigung  Mendes  auch  für  Skione 
hatte1,  können  wir  nicht  zweifeln,  dass  die  ganze  überhaupt  zum 
Felddienst  verwendbare  Hoplitenzahl  der  Stadt  aufgeboten  wurde. 
Bei  der  Einnahme  von  Torone  durch  Kleon  im  folgenden  Jahre 
betrug  die  Zahl  der  Gefangenen,  Bürger  und  peloponnesische 
Besatzungstruppen  zusammen,  aber  ausschliesslich  der  Weiber 
und  Kinder,  nicht  mehr  als  700  Mann5);  mögen  auch  manche 
entkommen  sein,  so  kann  die  Stadt  doch  kaum  viel  über  1000 
Bürger  gezählt  haben.  Für  Skione  und  Mende  mögen  etwa  je 
1500,  für  Potidaea  2 — 3000  Bürger  anzusetzen  sein.  Das  ent- 

»)  Herod.  IX  28. 

*)  Diod.  Xn  46. 

»)  Thuk.  IV  129. 

*)  Thuk.  IV  129.  130. 

5)  Thuk.  V 3. 


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204 


Capitel  V. 


spricht  etwa  den  Sätzen  der  attischen  Tributlisten,  da  um  die 
Zeit  des  Ausbruchs  des  peloponnesischen  Krieges  Torone  einen 
regelmässigen  Tribut  von  6 Talenten,  Mende  von  8,  Skione 
von  9,  Potidaea  von  15  Talenten  bezahlt  zu  haben  scheinen. 
Aphytis  hat  nur  3 Talente  bezahlt  und  ist  also  ohne  Zweifel 
kleiner  gewesen;  Sane,  Neapolis  und  Aegae  waren  ganz  unbe- 
deutend. Die  Halbinsel  Pallene  muss  also  bei  einem  Flächen- 
raum von  386,6  qkm  um  diese  Zeit  etwa  6—7000  Bürger 
gezählt  haben,  entsprechend  einer  bürgerlichen  Bevölkerung 
von  47 — 57  auf  1 qkm,  eine  bedeutende  Volksdichtigkeit,  die  bei 
einem  so  fruchtbaren  und  städtereichen  Gebiete  nicht  überrascht. 

Sithonia  hat  dieselbe  Ausdehnung  wie  Pallene  (387  qkm), 
ist  aber  gebirgiger : während  der  höchste  Punkt  von  Pallene 
nur  330  Meter  über  dem  Meere  liegt,  erhebt  sich  Sithonia  bis 
auf  790  Meter1).  Auch  fehlt  hier  ein  grösseres  städtisches 
Centrum,  wie  es  Potidaea,  und  später  Ivassandreia,  für  Pallene 
bildete.  Die  grösste  Stadt  auf  Sithonia,  Torone.  kann  422,  wie 
wir  gesehen  haben,  kaum  über  1000  Bürger  gezählt  haben. 
Die  übrigen  Städte  der  Halbsinsel : Singos,  Galepsos,  Sermylia, 
und  die  ganz  unbedeutenden  Sarte  und  Piloros,  können  nach 
Ausweis  unserer  Tributlisten  um  den  Ausbruch  des  pelopon- 
nesischen Krieges  zusammen  nicht  über  9 Talente  regelmässige 
Steuer  an  Athen  gezahlt  haben,  also  einundeinhalbmal  soviel 
wie  Torone.  Wir  werden  demnach  für  ganz  Sithonia  nicht 
mehr  als  etwa  2500 — 3000  Bürger  ansetzen  dürfen.  Koch 
schwächer  bevölkert  musste  die  rauhe  Athos  - Halbinsel  sein; 
ihre  6 Städtchen  zahlten  den  Athenern  im  ganzen  nur  gegen 
4 Talente  und  werden  schwerlich  über  1000  Bürger  gezählt 
haben,  auf  einem  Flächenraum  von  321  qkm.  Für  die  drei 
Halbinseln  zusammen  ergiebt  das  etwa  10000  Bürger,  auf  nahe 
an  1100  qkm. 

Der  an  3000  qkm  grosse  Rumpf  der  chalkidischen  Halb- 
insel hat  nun  ohne  Zweifel  eine  relativ  viel  schwächere  Be- 
völkerung gehabt.  Allerdings  lag  hier  seit  dem  peloponnesischen 
Kriege  bis  347  die  bedeutendste  Stadt  der  Chalkidike  nicht 


fr  Nach  Bl.  XV  von  Kieperts  Neuem  Atlas  von  Hellas  (Berlin  1879). 


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Mittel-  und  Nord-Griechenland. 


205 


nur,  sondern  überhaupt  der  ganzen  makedonisch  - thrakischen 
Küste,  Byzantion  allein  vielleicht  ausgenommen:  Olynthos*). 
Ihre  Bürgerzahl  giebt  Demosthenes  für  das  Jahr  383  zu  5000  a), 
für  347  zu  10000  an8),  Zahlen,  die  durchaus  das  Gepräge 
der  Glaubwürdigkeit  tragen,  mag  auch  die  letztere  immerhin 
nach  oben  abgerundet  sein.  — Die  nächst  Olynth  bedeutendsten 
Städte  der  Chalkidike  waren  Apollonia  und  Akanthos4).  Um 
383  vermochten  sie  an  400  Reiter  aufzustellen5),  d.  h.  etwa 
soviel,  wie  Olynthos  selbst.  Später,  unter  Alexander,  bildeten 
die  Reiter  von  Apollonia  eine  Ile  der  makedonischen  Ritter- 
schaft8), was  einen  Bestand  von  annähernd  200  Pferden  vor- 
aussetzt. Beide  Städte  zusammen  können  also  kaum  unter 
5000  Bürger  gezählt  haben.  — Die  Städte  der  Krusis  waren 
mit  Ausnahme  von  Aenea  ganz  unansehnlich.  Mehr  ins  Ge- 
wicht fallen  die  Bottiaeer,  wie  ihr  starkes  Hervortreten  im 
peloponnesischen  Kriege  beweist;  ein  Anhalt  zur  numerischen 
Schätzung  fehlt.  — Alles  in  Allem  genommen  mag  die  chalki- 
disehe  Halbinsel  zur  Zeit  des  peloponnesischen  Krieges  gegen 
25  000,  in  Philipps  Zeit  an  30  000  Bürger  gezählt  haben.  Nicht 
mit  Unrecht  also  nennt  Xenophon  die  Chalkidike  „ein  bei 
seinem  Kornreichthum  stark  bevölkertes  Land“ 7).  Bei  dem 
Zuge  nach  Lynkestis  im  Winter  423  auf  422  hatten  Brasidas 
und  Perdikkas  3000  hellenische  Hopliten 8),  von  denen  min- 

')  Xen.  Hell.  V 2,  12:  ort  fiiv  yng  riöv  in l öpoxijj  fxeylarri  nöXig 
"OivvSos,  o% edov  niivreg  iniarno9e.  Der  Ausdruck  ric  fn'i  öp«x»jf  schliesst 
bekanntlich  die  hellespontischen  Landschaften  aus. 

*)  Dem.  v.  d.  Ges.  263:  ixefvoi  yng1  fpeixa  plv  Tejgnxooloug  Inning 
IxixTrjvro  fjövov  xal  avunnrreg  ovdiv  fjonv  nXeloug  n evrnxiayiXCutv  tov 
noift/jöv,  ovnai  XnXxtdicov  nnvjcav  flg  iv  OvvtpxiOfrivtav  xrX. 

*)  Ebenda  266:  ytXiovg  utv  Inning  xexrrj/jivoi,  nXeloig  d'  oyreg  rj 
uvgioi,  nnvrug  di  to vg  negiycdoorg  eyovreg  ovfifrnyovg.  Dass  sich  die 
Zahl  10000  auf  Olynthos  allein  beziehen  muss,  ist  klar;  die  Reiterzahl  da- 
gegen ist  die  des  ganzen  chalkidisehen  Bundes,  s.  unten  S.  206. 

4)  Xen.  HeU.  V 2,  11 : ntneg  uiytatni  rtüv  negl  OXvvllov  nöXeatv. 

*)  Xen.  Hell.  V 2,  14  vgl.  mit  V 3,  1. 

*)  Arrian  Anetb.  I 12,  7.  Ich  halte  es  für  unzweifelhaft,  dass  es 
westlich  des  Strymon  nur  ein  Apollonia  in  dieser  Gegend  gegeben  hat. 

7)  Xen.  Hell.  V 2,  16:  noXvnvügwntn  ye  frrjv  dih  rrjv  noXvOirlnv 
vnngyei. 

*)  Thuk.  IV  124. 


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206 


Capitel  V. 


destens  die  Hälfte  von  den  Colonien  an  der  makedonischen 
Küste  gestellt  sein  musste,  da  die  1700  Schwerbewaffneten, 
die  Brasidas  aus  dem  Peloponnes  herangeführt  hatte1),  durch 
Detachirungen  zu  Besatzungszwecken  stark  geschwächt  waren. 
Bei  Amphipolis  im  folgenden  Herbste  hatte!  Brasidas  2000  Ho- 
pliten,  300  ehalkidische  und  am  phipolitische  Reiter  und  1000 
chalkidische  Peltasten 2).  Xenophon  — allerdings  in  einer 
Tendenzrede  — erklärt  die  Macht  der  geeinten  Chalkidike 
für  grösser  als  die  von  Boeotien8).  Das  Aufgebot  an  Reitern 
habe  1000  Pferde  betragen,  eine  Zahl,  die  auch  Demosthenes 
angiebt4)  und  die  ohne  Zweifel  richtig  ist.  Als  Akanthos, 
Apollonia  und  die  Städte  auf  Pallene  noch  nicht  zum  olynthi- 
schen  Bunde  gehörten,  habe  dieser  800  Hopliten  und  „eine 
viel  grössere  Zahl  von  Peltasten“  aufstellen  können.  Da  diese 
Zahlen  angeführt  werden,  um  einen  möglichst  hohen  Begriff 
von  der  Macht  der  Olynthier  zu  geben,  so  ist  die  Zahl  800 
offenbar  comuupirt;  eine  Kmendation  wage  ich  nicht5).  Jeden- 
falls hat  Olynthos  es  vermocht,  einem  pelopounesischen  Heere 
von  10000  Mann  durch  längere  Zeit  erfolgreichen  Widerstand 
zu  leisten.  Nach  der  Unterwerfung  durch  Sparta  bildeten  die 
Contingente  der  chalkidisehen  Städte  das  10.  Armeecorps  des 
pelopounesischen  Bundesheeres  ®). 

Wenden  wir  uns  jetzt  zu  den  übrigen  Colonien  an  dieser 
Küste.  Pydna  war  eine  verhältnissmässig  ansehnliche  Stadt, 
wie  der  lange  Widerstand  zeigt,  den  sie  Archelaos  von  Make- 
donien leistete7);  später  finden  wir  mehrere  ihrer  Bürger  in 
hohen  Stellungen  im  Heere  Alexanders.  Kleiner  war  das  be- 
nachbarte Methone,  das  3 Talente  Tribut  an  Athen  zahlte  und 
Nikias  423  120  Mann  leichter  Truppen  gegen  die  Chalkidier 


»)  Thuk.  IV  78. 

*)  Thuk.  V 6. 

8)  Xen.  Hell.  V 2,  16. 

4)  Xen.  Hell.  V 2,  14  und  oben  S.  205  Anm.  3. 

')  Xen.  Hell.  V 2,  14 ; vgl.  Grote,  Hist,  of  Greece  IX  268  A.  (London 
1870)  und  die  Herausgeber  der  Hellenika. 

«)  Diod.  XV  31. 

7)  Diod.  XIII  49. 


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Mittel-  und  Nord-Griechenland. 


207 


als  Hülfe  stellte1).  Ein  Volksbeschluss  aus  dem  Jahre  426 3) 
ertheilt  der  Stadt  das  Privileg,  jährlich  eine  gewisse  Menge 
Getreide  aus  Byzantion  auszuführen;  die  Zahl  ist  leider  ver- 
stümmelt, es  können  4000,  und  es  können  auch  8000  Medimnen 
gewesen  sein.  Selbst  letztere  Zahl  genügt  bei  einem  jährlichen 
Verbrauche  von  5 Medimnen  nur  für  1800  Menschen;  sollte 
das  Privileg  für  Methone  irgend  welchen  Werth  haben,  so  kann 
die  Stadt  nur  unbedeutend  gewesen  sein. 

Ueber  die  Bevölkerung  des  inneren  Makedonien  sind  wir 
erst  seit  Philipps  und  Alexanders  Zeit  unterrichtet.  Im  Jahre 
360  war  König  Perdikkas  mit  4000  Makedonen  in  einer  Schlacht 
gegen  die'  Illyrier  gefallen3).  Dennoch  konnte  Philipp  im  fol- 
genden Jahre  10000  Mann  zu  Fuss  und  600  Reiter  gegen  sie 
ins  Feld  führen*),  offenbar  die  ganze  Macht,  die  Makedonien 
damals  überhaupt  aufstellen  konnte.  Gegen  Onomarchos  brachte 
Philipp  352  20000  Mann  zu  Fuss  und  3000  Reiter  zusammen, 
aber  einschliesslich  der  thessalischen  Contingente,  die  nament- 
lich von  der  Reiterei  den  grössten  Theil  bildeten5).  Perinthos 
belagerte  der  König  340  mit  30000  Mann8),  die  freilich  auch 
nicht  ausschliesslich  Makedonen  gewesen  sein  werden.  Bei 
Chaeroneia  zählte  Philipps  Heer  diesellte  Stärke,  30000  Mann 
zu  Fuss  und  2000  Reiter7).  Ebensoviel,  30000  Mann  und 
3000  Reiter,  soll  Alexandros  bei  Theben  gehabt  haben8). 

So  charakteristisch  diese  Zahlen  die  Entwickelung  der 
makedonischen  Militärmacht  von  360  bis  335  veranschaulichen, 
so  wenig  brauchbar  sind  sie  zur  Bestimmung  der  Bevölkerung 
des  Landes,  da  wir  über  die  Zusammensetzung  dieser  Heere 


!)  Thuk.  IV  129. 

*)  CIA.  I 40. 

3)  Diod.  XVI  2. 

«)  Diod.  XVI  4. 

s)  Diod.  XVI  35:  roi  di  <l‘iX(nnoii  /jitii  tüv  dtTTni-üv  «VTi7tagaTa- 

{etfih'ov  toi s 4>toxcüoiv x«l  Jiär  BirraXiSv  Inniiov  uij  nlr/Set  xal 

t«i i ccgiTttis  diaiffgovrtav  xxl. 

«)  Diod.  XVI  74. 

7)  Diod.  XVI  85 ; die  Zahl  der  Reiter  scheint  nicht  richtig  überliefert, 
s.  Schaefer  Demosth.  II  S.  530. 

8)  Diod.  XVII  9. 


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208 


Capitel  V. 


nicht  unterrichtet  sind.  Erst  bei  Gelegenheit  von  Alexanders 
asiatischem  Zuge  finden  wir  darüber  nähere  Angaben.  Alexander 
ging  über  den  Hellespont  mit  12000  Mann  makedonischer  Fuss- 
truppen  (Phalangiten  und  Hypaspisten)  und  1500  Hetaeren  zu 
Pferde ; eine  gleiche  Zahl  wurde  unter  Antipatros  zum  Schutze 
der  Heimath  zurückgelassen1).  Die  gesammte  Wehrkraft  Ma- 
kedoniens betrug  also  um  334 : 27  000  Mann,  hatte  sich  demnach 
seit  25  Jahren  etwa  verdoppelt,  theils  in  Folge  der  Einver- 
leibung der  Chalkidike,  theils  durch  den  wachsenden  Wohlstand 
des  Landes. 

Während  der  asiatischen  Feldzüge  hat  das  Heer  sehr  be- 
deutende Nachschübe  erhalten.  Zu  den  6 Taxen  der  schwer- 
bewaffneten Phalanx,  die  am  Granikos  gefochten  hatten,  traten 
allmählich  weitere  4 Taxen  hinzu2).  Diesem  Verhältniss  ent- 
spricht es,  wenn  unter  den  10000  Veteranen,  die  nach  dem 
indischen  Feldzuge  zur  Entlassung  kamen,  6000  Mann  von  den 
alten,  mit  Alexander  nach  Asien  hinübergegangenen  Truppen 
und  4000  Mann  von  den  später  zum  Heere  gestossenen  Ver- 
stärkungen sich  befanden3).  Da  auch  die  alten  Taxen,  und 
besonders  die  Reiterei,  während  des  Krieges  Nachschübe  er- 
halten hatten,  welche  die  Verluste  mindestens  ausglichen,  so 
mögen  die  10  000  im  Jahre  323  entlassenen  Veteranen  etwa 
die  Hälfte  des  damals  in  Asien  vorhandenen  Bestandes  an 
makedonischen  Truppen  ausgemacht  haben. 

Wir  glauben  es  gern,  dass  Makedonien  durch  die  unauf- 
hörlichen Truppenentsendungen  an  waffenfähiger  Mannschaft 
erschöpft  wurde 4).  Trotzdem  konnte  Antipatros  beim  Ausbruch 
des  hellenischen  Aufstandes  323  nach  Zurücklassung  einer  ge- 
nügenden Besatzung  in  Makedonien  13000  Mann  zu  Fuss  und 
600  Reiter  nach  Thessalien  führen5),  während  Leonnatos  im 


>)  S.  den  Excurs  am  Ende  des  Capitels. 

2)  S.  unten  den  Excurs:  das  Heer  Alexanders. 
a)  Diod.  XVIII  16. 

*)  Diod.  XVIII  12:  Itmuvifc  ynp  ij  Maxtäovia  arparicoTuv  noXixt- 
xmv  <fia  xo  izXijSos  u5v  antoxalfitvmv  eit  xrjv  'AaCav  bil  Jiarfo/q»'  zrjf 
(JTQitTtfa;. 

»)  Diod.  XVÜI  12. 


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Mittel-  und  Nord-Griechenland.  209 

folgenden  Jahre  mit  20000  Mann  zu  Fuss  und  2500  Reitern 
nachrttekt 1).  Freilich  wird  ein  beträchtlicher  Theil  dieser 
Truppen  aus  Söldnern  und  illyrisch-thrakischen  Hülfsvölkern 
bestanden  haben.  Nach  Ankunft  der  Veteranen  des  Krateros 
beliefen  sich  die  makedonischen  Streitkräfte  in  Thessalien  auf 
40000  Hopliten  und  Hypaspisten,  3000  Mann  leichter  Truppen 
und  5000  Reiter2).  Nicht  viel  schwächer  kann  das  Heer  ge- 
wesen sein,  mit  dem  Antipatros  und  Krateros  321  nach  Asien 
übergingen;  es  wird  ausdrücklich  hervorgehoben,  dass  dasselbe 
zum  überwiegenden  Theile  aus  Makedonen  bestand3).  Nach 
der  Besiegung  des  Perdikkas  liess  Antipatros  unter  Antigonos 
8000  Makedonen  in  Asien  zurück4);  ausserdem  standen  dort 
die  3000  Argyraspiden , die  sich  später  Fumenes  anschlossen, 
und  eine  Anzahl  kleinerer  Corps,  wie  z.  B.  Arrhidaeos,  der 
Satrap  am  Hellespont,  1000  Mann  makedonischer  Truppen  be- 
sass8).  Auch  bei  Ptolemaeos  in  Aegypten  waren  Makedonen 
zurückgeblieben.  Alle  übrigen  makedonischen  Truppen  führte 
Antipatros  wieder  in  die  Heimath. 

Polysperchon  rückte  318  an  der  Spitze  von  20000  Make- 
donen zu  Fuss,  4000  Bundesgenossen  und  einer  entsprechenden 
Zahl  Reiter  in  Hellas  ein  *) ; Kassandros  stellte  302  gegen  De- 
metiios  sogar  29000  Mann  zu  Fuss  und  2000  Reiter  auf7), 
während  ein  Corps  unter  Prepelaos  — wie  es  scheint  6000 
Mann  zu  Fuss  und  1000  Reiter  — nach  Asien  detachirt  war8). 
Doch  sind  hier  wahrscheinlich  die  thessalischen  Bundescontin- 
gente  einbegriffen. 

Von  jetzt  an  fehlen  durch  80  Jahre  Angaben  über  die 
Stärke  makedonischer  Heere.  Antigonos  hatte  221  bei  Sellasia 


>)  Diod.  XVIII  14. 

8j  Diod.  XVIII  16. 

s)  Diod.  XVIII  29.  80.  Der  Heerestheil  des  Krateros  allein  zählte 
20000  Mann  zu  Fuss:  on<  qaav  ol  nlelov j Mnxedovet,  und  2000  Reiter. 
«)  Diod.  XIX  29. 

»)  Diod.  XVIII  51. 

*)  Diod.  XVIII  68.  Die  Zahl  der  Reiter  ist  corrumpirt. 

0 Diod.  XX  110. 

®)  Diod.  XX  107. 

B«loch,  BeTfUeronesUhre.  I.  14 


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210 


Capitol  V. 


28000  Mann  und  1200  Pferde,  darunter  etwas  über  13000 
Makedonen1);  doch  lag  kein  Grund  vor,  die  ganze  Macht  des 
Landes  aufzubieten.  Bei  Kynoskephalae  197  zählte  das  make- 
donische Heer  25500  Mann,  darunter  16000  Phalangiten,  2000 
Hypaspisten,  2000  Reiter,  zusammen  also  20000  Makedonen, 
der  Rest  Bundesgenossen  und  Söldner2).  Dazu  kamen  aber 
weiter  sehr  zahlreiche  Besatzungen,  so  in  Korinth  allein  5300 
Mann,  wovon  1500  Makedonen3).  Es  hatte  grosser  Anstren- 
gungen bedurft,  diese  Macht  zusammenzubringen',  Philippos 
hatte  bei  der  Recrutirung  im  Winter  198/7  auf  die  Alters- 
klassen bis  zu  16  Jahren  herabgreifen  und  ausgediente  Vete- 
ranen einstellen  müssen4). 

Nach  dem  Friedensschluss  war  Philippos  bemüht,  seine 
Makedonen  zur  Rinderzucht  auzuhalten,  um  die  Lücken  aus- 
zufüllen, welche  die  lange  Kriegszeit  in  die  waffenfähige  Mann- 
schaft des  Landes  gerissen  hatte 5).  Mehr  als  diese  gesetzlichen 
Maassregeln  musste  der  sechsundzwanzigjährige  Frieden  be- 
wirken, dessen  Makedonien  sich  zum  ersten  Male  seit  andert- 
halb Jahrhunderten,  von  der  Schlacht  bei  Kynoskephalae  bis 
zum  perseischen  Kriege  erfreute.  Es  wuchs  eine  zahlreiche 
junge  Mannschaft  heran®),  die  es  Perseus  möglich  machte,  ein 
grösseres  Heer  gegen  Rom  aufzustellen,  als  es  sein  Vater  ver- 


>)  Polyb.  II  65. 

s)  Liv.  33,  4 nach  I’olybios. 

3)  Liv.  33,  14. 

4)  Liv.  33,  3:  Philippus  dikctum  per  omnia  oppida  regni  habere 
instituit  in  magno  inopia  iuniorum.  absuinpserant  enim  per  multas  iam 
aetates  continua  bella  Macedonas  ....  ita  et  tirones  ab  s edecim  annis 
mildes  scribebat  et  emeritis  quidam  stipendiis  quibus  modo  quicquam  re- 
liqui  roboris  erat,  ad  siqna  revocabantur.  Polybios  scheint  hier  etwas  ge- 
färbt zu  haben. 

*)  Liv.  39,  24  nach  Polybios:  ut  vero  antiquam  muttitudinem  homi- 
n um,  qttae  belli  cladibus  amissa  erat,  restäueret,  non  subolem  tantum 
stirjris  parabat  cogendis  Omnibus  procreare  atque  educare  liberos  etc. 

8)  Liv.  42,  11:  florere  praeterea  iuventute,  quam  stirjiem  longa  pax 
ediderit.  42,  52 : sextus  et  vicesimus  annus  agebatur,  ex  quo  petente  Phi- 
lippo  data  pax  erat:  per  id  omne  tempus  quieta  Macedonia  et  progeniem 
ediderat,  ctiius  magna  pars  matura  militiae  esset  etc. 


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Mittel-  und  Nord-Griechenland. 


211 


mocht  hatte.  Bei  Ausbruch  des  Krieges  hatte  er  eine  Feld- 
armee von  43000  Mann,  abgesehen  von  den  Besatzungen,  die 
freilich  jetzt  bei  dem  Verluste  der  meisten  auswärtigen  Be- 
sitzungen einen  geringeren  Bruchtheil  der  Gesammtmacht  ab- 
sorbireu  mussten,  als  vor  Kynoskephalae.  Unter  jenen  43  000 
Mann  befanden  sich  26000  Makedonen  zu  Fuss  und  3000  zu 
Pferde,  also  reichlich  soviel,  wie  Alexander  bei  seinem  Ueber- 
gang  nach  Asien  zur  Verfügung  gestanden  hatten1). 

Die  Wehrkraft  Makedoniens  ist  also,  wie  wir  sehen,  von 
der  Einverleibung  der  Chalkidike  durch  Philipp  bis  zum  Unter- 
gang der  Selbständigkeit,  einzelner  Rückschläge  ungeachtet,  im 
allgemeinen  etwa  dieselbe  geblieben.  Es  ist  demnach  wahr- 
scheinlich, dass  die  freie  Bevölkerung  des  Landes  in  dieser  Zeit 
etwa  stationär  geblieben  ist,  um  so  wahrscheinlicher,  als  das- 
selbe auch  im  übrigen  Griechenland  während  des  III.  Jahr- 
hunderts der  Fall  war,  und  Makedonien,  den  gallischen  Ein- 
fall abgerechnet,  von  Philipp  II.  bis  auf  die  Schlacht  bei  Pydna 
nie  von  einem  Feinde  betreten  worden  ist;  von  Verheerungen 
einzelner  Grenzbezirke  natürlich  abgesehen.  Leider  sind  wir 
über  die  makedonische  Conscriptionsordnung  völlig  im  dunkeln  ; 
doch  spricht  die  grosse  Wahrscheinlichkeit  dafür,  dass  auch 
hier,  wie  im  übrigen  Hellas,  die  Dienstpflicht  nach  dem  Ver- 
mögen geordnet  war.  Jedenfalls  ist  nicht  daran  zu  denken, 
dass  ein  Land  von  der  Ausdehnung  Makedoniens  je  im  Staude 
gewesen  sein  sollte,  seine  gesammte  wehrfähige  Bevölkerung 
für  längere  Zeit  unter  Waffen  zu  halten.  Rom  hat  selbst  in 
der  höchsten  Bedrängniss  des  hannibalischen  Krieges  es  nicht 
vermocht,  mehr  als  etwa  die  Hälfte  seiner  Bürgerschaft  unter 
die  Fahnen  zu  rufen;  und  Makedonien  hatte  weder  zu  Alexan- 
ders Zeit,  noch  vor  der  Schlacht  bei  Pydna  Veranlassung,  so 
grosse  Anstrengungen  zu  machen.  Haben  die  gegen  30000  Mann, 
die  Makedonien  334  und  171  aufgestellt  hat,  etwa  Vs  seiner 
Bürgerschaft  gebildet,  so  müsste  die  bürgerliche  Gesanunt- 


')  Livius  42,51 : satis  constabat,  secundum  eum  exercitum  quem  magms 
Alexander  in  Asiam  traiecit  nunquam  ullius  Maccdonum  regis  copias 
tantas  fuisse. 


14* 


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212 


Capitel  V. 


bevölkerung  des  Landes  ungefähr  300000,  die  Gesammtbevöl- 
kerung  einschliesslich  der  Sklaven  und  angesiedelten  Fremden 
mindestens  400000,  vielleicht  */*  Million  betragen  haben.  Da- 
bei ist  nur  das  eigentliche  Makedonien  gerechnet,  also  mit 
Ausschluss  der  unterworfenen  illyrischen  Grenzbezirke,  von 
Paeonien  und  der  thrakischen  Gebiete  am  Strymon.  Bei  einem 
Flächenraum  von  32  000  qkm  würde  dieses  Gebiet  also  eine 
Volksdichtigkeit  von  12,5 — 15,6  Einwohnern  auf  1 qkm  gehabt 
haben. 

Das  ist  eine,  auch  nach  antiken  Verhältnissen,  keineswegs 
dichte  Bevölkerung,  die  hinter  der  aller  übrigen  griechischen 
Landschaften  zurücksteht , Aetolien  allein  etwa  ausgenommen. 
Aber  alle  Nachrichten  stimmen  darin  überein,  dass  Makedonien 
in  der  That  ein  sehr  schwach  bevölkertes  Land  gewesen  ist. 
F.s  war  die  waldreichste  Landschaft  in  Griechenland;  Nutzholz 
bildete  den  hauptsächlichsten  Ausfuhrartikel,  und  namentlich 
die  athenische  Flotte  ist  hauptsächlich  mit  makedonischem 
Holze  gebaut  worden.  Wild  gab  es  in  Menge,  die  Viehzucht 
wurde  in  grossem  Maassstabe  betrieben.  Sehr  charakteristisch 
ist  es  auch,  dass  die  makedonischen  Könige  schon  seit  Kassan- 
dros  sich  veranlasst  sahen,  thrakische,  gallische  und  illyrische 
- Barbaren  in  grosser  Zahl  in  Makedonien  anzusiedeln,  ein  Ver- 
fahren, das  an  die  Maassregeln  der  römischen  Kaiser  in  der 
Verfallzeit  des  Reiches  erinnert.  Auch  war  die  Bevölkerung 
sehr  ungleich  vertheilt.  Am  besten  bevölkert  war  die  Chalki- 
dike;  sie  mag  bei  der  Eroberung  durch  Philipp  auf  4000  qlan 
an  100000  freie  Einwohner  gezählt  haben,  also  25  und  ein- 
schliesslich der  Sklaven  jedenfalls  30 — 40  auf  1 qkm.  Die  Zer- 
störung Olyntks  347  musste  allerdings  einen  schweren  Rück- 
schlag bringen,  der  aber  30  Jahre  später  durch  die  Gründung 
von  Kassandreia  wieder  ausgeglichen  wurde.  Ober-Makedonieu 
dagegen  war  ein  rauhes  Gebirgsland,  mit  Ausnahme  von  Hera- 
kleia  Lynkestis  ohne  jede  Ortschaft,  die  es  verdiente,  als  Stadt 
bezeichnet  zu  werden.  Und  Ober-Makedonien : die  Landschaften 
Lynkestis,  Orestis,  Eordaea,  Eleimiotis,  Tymphaea,  umfasst 
etwa  die  Hälfte  des  Flächenraums  von  ganz  Makedonien.  In 
Alexanders  Heer  bildeten  die  Contigente  von  Ober-Makedonien 


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Mittel-  und  Nord-Griechenland. 


213 


3 von  den  12  Taxen  der  Phalanx,  während  die  Reiterei  fast 
ausschliesslich  von  den  nieder-makedonischen  Städten  gestellt 
wurde.  Bei  der  Theilung  Makedoniens  in  4 selbständige  Re- 
publiken nach  der  Schlacht  bei  Pydna  bildete  ganz  Ober-Ma- 
kedonien den  einen  dieser  Staaten,  während  Nieder-Makedonien 
westlich  vom  Strymon  in  zwei  Staaten  getheilt  wurde1).  Ober- 
Makedonien  wird  demnach  schwerlich  mehr  als  den  vierten 
Theil  der  Gesammtbevülkerung  Makedoniens  gezählt  haben, 
d.  h.  in  Alexanders  Zeit  etwa  100000  Einwohner,  6 auf  1 qkm, 
während  in  Nieder-Makedonien  etwa  20  auf  denselben  Fläeheu- 
raum  kommen. 


6.  Thrake, 

Die  Küsten  von  Thrakien  und  Skythien,  vom  Strymon  bis 
zum  kimmerischen  Bosporos,  waren  von  einem  dichten  Kranz 
griechischer  Colonien  eingefasst.  Wie  weit  sich  das  Gebiet 
dieser  Städte  nach  Innen  erstreckt  hat,  ist  mit  unsern  Mitteln 
festzustellen  meist  völlig  unmöglich ; und  damit  schwindet  auch 
die  Möglichkeit  einer  Arealberechnung  der  griechischen  Staaten 
in  diesen  Gegenden.  Nur  die  der  Küste  vorgelagerten  Inseln 
und  die  ganz  von  griechischen  Colonisten  besiedelten  Halb- 
inseln bilden  hier  eine  Ausnahme.  Es  ergeben  sich  dafür  fol- 


gende  Zahlen: 

nach 

nach 

Strelbitzky  “) 

Behm  u.  Wa: 

qkm 

qkm 

Thasos 

. 294,3 

393 

Samothrake 

. 177,4 

177,1 

Imbros 

. 254,7 

255,5 

Lernnos 

. 476,7 

4-54,2 

Halonnesos  (Hagiosirati) 

. 50,1 

42,3 

Thrakischer  Chersonnes 

. 905,4 

— 

Halbinsel  von  Pantikapaeon  ( Keiisch ) 3031,7 

— 

Halbinsel  von  I’hanagoria  (Taman) 

. 1720,7 

— 

*)  Liv.  45,  29.  30. 

a)  Superficie  de  VEurope  S.  155.  216  f. 
8)  Bevölkerung  der  Erde  VI  22. 


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214 


Capitel  V. 


Wie  mau  sieht,  stimmen  beide  planimetrischen  Berech- 
nungen für  die  thrakischen  Inseln  sehr  gut  überein ; nur  bei 
Thasos  ergiebt  sich  eine  bedeutende  Differenz,  die  wohl  auf 
einem  Versehen  Strelbitzkys  lieniht;  wenigstens  hat  meine 
Nachmessung  auf  Bl.  VII  von  Kieperts  Atlas  von  Hellas  das 
Resultat  von  Behm  und  Wagner  annähernd  bestätigt. 

Angaben  über  die  Bevölkerung  fehlen  so  gut  wie  ganz.  . 
Wir  wissen,  dass  einige  von  diesen  Städten,  wie  Thasos.  Ab- 
dera '),  Byzantion,  Olbia*),  zu  den  ansehnlichsten  griechischen 
Gemeinden  gehörten.  Aber  zu  einer  numerischen  Schätzung 
mangelt  jeder  Anhalt. 

Von  den  Thrakern  selbst  sagt  Herodot,  sie  seien  das  zahl- 
reichste aller  Völker  nach  den  Indern8).  Freilich  möchte  es 
Herodot  schwer  genug  geworden  sein,  diese  Behauptung  zu 
rechtfertigen;  sagt  er  doch  selbst,  das  Land  jenseits  des  Istros 
sei  wüst  und  unfruchtbar4).  Die  Aegypter,  Babylonier  und  die 
Griechen  selbst  mussten  offenbar  viel  zahlreicher  sein,  als  die 
Thraker,  auch  wenn  wir  die  Bithyner  in  Kleinasien  einrechnen. 
Immerhin  muss  Thrakien  im  V.  Jahrhundert  eine  verhältniss- 
mässig  nicht  mißdeutende  Bevölkerung  gehabt  haben.  Das 
Heer,  mit  dem  Sitalkes  429  in  Makedonien  einfiel,  soll  nach 
Thukydides  150000  Mann  stark  gewesen  sein5).  Die  Zahl  ist 
zweifellos  sehr  übertrieben,  aber  es  ist  doch  bemerkenswert!!, 
dass  ein  so  genauer  Kenner  thrakischer  Verhältnisse  und  in 
Zahlenangaben  so  vorsichtiger  Schriftsteller  wie  Thukydides  ein 
solches  Aufgebot  wenigstens  nicht  für  unmöglich  gehalten  hat. 
Das  Odrvsenreich  begriff  damals  das  ganze  Gebiet  von  Abdera 
bis  zum  Istros,  also  ein  Areal  von  100 — 130000  qkm.  150000 


l)  Diod.  XIII  72:  7f oXiv  tv  icttf  d waimnTtut  ovaav  tot*  roh'  fnl 
Hnitxrj;.  Vgl.  die  attischen  Tributlisten. 

*)  Strab.  VII  S.  306. 

s)  Herod.  V 3:  finrjtxaiv  di  fSvos  fifyurrov  Ion  uirn  ye  'irdoig 

TutVToiv  tcvSnojnaiv. 

*)  V 9:  «iln  Tn  rrfgnv  rjdrj  rov  "/mnov  tgfjuos  /oioi)  (fah'trm  xul 
anonof. 

5)  Thuk.  II  98:  «u ore  to  nnv  JilrjSo;  liytrat  ovx  flaaaov  tktti- 
yaldtxct  mnindojv  yeviaSai. 


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e 


Anhang.  Das  Heer  Alexanders. 


215 


waffenfähige  Männer  würden  eine  Bevölkerung  vou  600000 
voraussetzen;  das  ergäbe  eine  Volksdichtigkeit  von  5 — 6 auf 
1 qkni,  was  nicht  unangemessen  scheint. 


Anhang. 

Das  Heer  Alexanders. 

Ueber  die  Stärke  des  Heeres,  mit  dem  Alexander  nach 
Asien  überging1),  fanden  sich  schon  bei  den  Zeitgenossen  ver- 
schiedene Angaben.  Sie  betrag  nach 


zu  Fuss  Reiter 

Ptolemaeos 30000  5000  (Plutarch  v.  Alex.  Glück  1 8,  8.  327 X 

Aristobulos 30000  4000  (Plut.  a.  a.  O.), 

Anaximenes 43  000  5500  (Plut.  a.  a.  O.), 

Kallisthenes 40000  4500  (Polyb.  XII  19,  1). 


Ptolemaeos  folgt  , ohne  ihn  an  dieser  Stelle  zu  nennen, 
Arrian  (I  11,  3):  i&Xavvei  iq’  "EXX^anovrov,  . . . üyiov  ne'Covg 
liiv  avv  xpiXolg  ts  xai  loSgöraig  ov  n oXXq  nXtiovg  cwv 
TQiafivQUüv,  \nniag  ös  vn bq  xovg  7tevray.iaxiXiovg.  Wie  wir 
sehen,  hat  Plutarch  die  Zahlen  seiner  Quelle  abgerundet;  ja 
es  scheint  nach  den  Worten  Arrians,  dass  Ptolemaeos  ein  de- 
taillirtes  Verzeichniss  der  Streitkräfte  Alexanders  gegeben  hat, 
wie  das  ja  auch  bei  einem  militärischen  Schriftsteller  eigentlich 
selbstverständlich  ist.  Auf  Aristobulos  dagegen , wenn  auch 
nicht  direct,  gehen  die  Zahlen  bei  Diodor  (XVII  17)  und 
Justin  (XI  6,  2)  zurück:  beide  geben  4500  Reiter,  Diodor 
30000,  Justin  genauer  32000  Mann  zu  Fuss.  Dass  Aristobulos 
nach  Plutarch  nur  4000  Reiter  angab,  darf  uns  nicht  irre 
machen.  Aristobulos  stimmt  in  der  Zahl  der  Fusstrappen  mit 
Ptolemaeos  überein;  es  ist  ganz  undenkbar,  dass  er  in  der 


*)  Die  neueste  Behandlung  des  Gegenstandes  durch  Hans  Droysen 
Alexanders  des  Grossen  Heencesen,  Freiburg  1885,  hat  den  Resultaten 
J.  ß.  Droysens  (Hermes  XII  S.  226 — 52)  nichts  wesentliches  hinzugefugt. 


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216 


Capitel  V. 


Zahl  der  Reiter  um  mehr  als  ein  volles  Tausend,  über  20, 
bezw.  25  °/o  der  Gesammtstärke , von  ihm  abgewichen  sein 
sollte.  Plutarch,  oder,  da  er  selbst  das  Werk  des  Aristobulos 
schwerlich  in  der  Hand  gehabt  hat,  seine  Vorlage,  hat  also 
bei  der  Zahl  der  Reiter  offenbar  die  Hundeiter  unterdrückt, 
ebenso  wie  die  Zahl  der  Fusstruppen  auf  ganze  Myriaden  ab- 
gerundet ist. 

Die  Abweichungen  zwischen  den  numerischen  Angaben 
unserer  verschiedenen  Quellen  erklären  sich  nun  ohne  Zweifel 
daraus,  dass  die  Gesammtzahl  aus  der  Stärke  der  einzelnen 
taktischen  Verbände  berechnet  ist,  und  bald  die  Normal-,  bald 
die  Effectivstärke  zu  Grunde  gelegt  wurde.  Die  Histoiiker 
Kallistheues  und  Anaximenes  haben  offenbar  das  erstere  ge- 
than  und  dadurch  höhere  Zahlen  erhalten.  Mag  dem  indess 
sein,  wie  ihm  wolle,  jedenfalls  verdienen  die  unter  sich  uahe 
übereinstimmenden  Zahlen  unserer  militärischen  Quellen  Ptole- 
maeos  und  Aristobulos  den  Vorzug,  und  es  ist  verkehrt,  sie 
mit  den  Zahlen  des  Kallisthenes  und  Anaximenes  durch  die 
Annahme  zu  combiniren,  es  sei  das  nach  Asien  unter  Panne- 
nion vorausgeschickte  Corps  bei  letzteren  eingerechnet , bei 
«■steren  nicht. 

Eine  detaillirte  Uebersieht  über  die  Stärke  der  einzelnen 
Abtheilungen  des  Heeres  giebt  uns  nur  Diodor  (XVII  17). 
J.  G.  Droysen  (Hermes  XII  S.  226 — 52)  hat  diesem  Verzeich- 
nisse jeden  Werth  abgesprochen , aus  Gründen,  die  ich  als 
durchschlagend  keineswegs  anerkennen  kann.  Denn  wenn  bei 
Diodor  unter  dem  Fussvolk  Odrysen  und  Triballer  aufge- 
führt werden,  bei  Arrian  einfach  Thraker,  so  ist  das  in  der 
Sache  dasselbe;  dass  die  Illyrer,  die  jedenfalls  wenig  zahlreich 
gewesen  sind,  bei  Arrian  fehlen,  kann  Zufall  sein.  Auch  ist 
nicht  zu  vergessen,  dass  wir  das  Verzeichniss  erst  aus  dritter 
Hand  haben,  so  dass  kleine  Unrichtigkeiten  im  einzelnen  nicht 
der  ursprünglichen  Quelle  zur  Last  zu  legen  sind.  Dass  aber 
die  Zahlen  im  allgemeinen  correct  sind,  zeigt  nicht  nur  die 
Uebereinstimmung  mit  Aristobulos’  Gesammtsumme , sondern 
ist  auch,  allerdings  unfreiwillig,  aber  eben  darum  um  so  schla- 
gender, von  Droysen  selbst  bewiesen  worden  durch  die  Be- 


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Anhang.  Das  Heer  Alexanders. 


217 


rechnung,  die  er  auf  Grund  der  Angaben  Annans  vorgenoin- 
men  hat.  Ich  stelle  Droysens  Ergebnisse  den  Zahlen  Diodors 
gegenüber: 


I.  Fussvolk : 


Diodor 

Droysen  s.  250. 

Makedonen 

...  12000  (18000) 

12  000 

Bundesgenossen 

. . 7000 

5 000 

Söldner  

, . . 7000  (5000) 

7 000 

Thraker  (und  Illyrer) 

. . 5000 

4000 

Agrianer  u.  Bogenschützen  . . . 

. . 1000 

2 000 

30000  (1-  32000) 

30  000 

II.  Reiterei : 

Diodor 

Droysen  s.  240. 

Makedonen 

1800 

Thessaler 

1500  (1800) 

1200 

Hellenische  Bundesgenossen  . . 

600 

400 

Thraker,  Paeoner,  Sarissoplioren  (n uoäouuoi)  900 

1800 

4500 

5000 

Wie  wir  sehen,  stimmen  Droysens  Zahlen  mit  denen  Dio- 
dors so  nahe  überein,  wie  den  Umständen  nach  nur  immer  zu 
erwarten  ist.  Wir  werden  also  das  ganze  Verzeichniss  unbe- 
denklich auf  Aristobulos  zurückführen  dürfen.  Es  ist  auch  gar 
nicht  abzusehen,  wie  Kleitarchos,  der  für  ein  Publicum  schrieb, 
das  „den  Militarismus  gründlich  satt  hatte“,  darauf  gekommen 
sein  sollte,  eine  solche  trockene  Liste'  zu  erfinden,  wenn  er  sie 
nicht  in  seiner  Quelle  schon  vorfaud.  Wenn  aber  Droysen 
weiter  meint,  das  Verzeichuiss  könne  aus  keiner  militärischen 
Quelle  geflossen  sein,  da  es  nur  die  Zusammensetzung  des 
Heeres  nach  Nationalitäten,  nicht  nach  Waffengattungen  an- 
giebt,  so  übersieht  er,  dass  beides  zusammenfällt.  Die  Make- 
donen,  Thessaler,  die  hellenischen  Bundesgenossen  und  Söldner 
bildeten  das  Linienfussvolk  und  die  schwere  Reiterei , die 
übrigen  Contingente  die  leichten  Truppen  zu  Fuss  und  zu 
Pferde.  Zwischen  Peltasten  (Ilvpaspisten)  und  Hopliten  war 
in  dieser  Periode  kein  so  grosser  Unterschied  mehr,  beide  zu- 
sammen bildeten  in  der  Schlachtordnung  die  Phalanx ; auch  ist 
es  sehr  wahrscheinlich,  dass  das  Original  unseres  Verzeichnisses 
ausführlicher  war,  als  der  bei  Diodor  erhaltene  Auszug.  — Die 


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218 


Capitel  V. 


Zahlen  sind  in  unseren  Diodorhandschriften  bekanntlich  stark 
corrumpirt,  so  dass  die  Möglichkeit  nicht  ausgeschlossen  ist, 
dass  in  den  Einzelposten  Fehler  steekeu,  um  so  mehr,  als  die 
Handschriften  zum  Theil  unter  einander  abweichen.  Nament- 
lich ist  es  sehr  unwahrscheinlich,  dass  die  Gesammtzahl  der 
Fusstruppen  wirklich  gerade  30000  betragen  hat;  ich  möchte 
Justins  Zahl  von  32000  vorziehen  und  setze  demgemäss  die 
Söldner  zu  7000  Mann  an,  was  ebenso  gut,  wo  nicht  besser 
bezeugt  ist,  als  die  in  unseren  Ausgaben  aufgenommene  Zahl 
von  5000.  Dagegen  lässt  sich  die  überlieferte  Summe  der 
Reiter,  4500,  nicht  ohne  Gewaltsamkeit  emendiren,  um  so  we- 
niger, als  sie  durch  Justin  gestützt  wird;  es  ist  also  an  der 
Zahl  von  je  1500  für  die  makedonische  und  thessalisehe  Ritter- 
schaft festzuhalten. 

Diodor  giebt  ferner  an,  dass  12000  Mann  zu  Fuss  und 
1500  Reiter  unter  Antipatros  zum  Schutze  Makedoniens  zurück- 
blieben. Bundesgenossen  können  darunter  nicht  begriffen  sein, 
da  in  Europa  kein  Krieg  war,  zu  dem  sie  hätten  aufgeboten 
werden  können.  Und  ebenso  wenig  wahrscheinlich  ist  es,  dass 
Alexander  für  die  blosse  Eventualität  eines  Krieges  in  Make- 
donien ein  grosses  Söldnercorps  unterhalten  hat;  er  konnte 
sein  Geld  besser  anwenden,  und  die  Werbetrommel  zu  rühren 
— man  verzeihe  den  Anachronismus  — blieb  im  Falle  des 
Bedürfnisses  immer  noch  Zeit.  Also  diese  12000  Mann  zu 
Fuss  und  1500  Reiter  sind  Makedonen  gewesen1)-  Natürlich 
standen  auch  sie  nicht,  oder  doch  nur  zum  kleinsten  Theil 
unter  Waffen;  es  sind  die  Mannschaften,  die  aufgeboten  werden 
konnten,  sobald  es  nöthig  war,  ein  Fall,  der,  wie  bekannt,  erst 
4 Jahre  nach  Alexanders  Uebergang  nach  Asien  eintrat.  Von 
einer  wirklichen  Zählung  kann  also  hier  noch  weniger  die  Rede 
sein  als  bei  der  Operationsarmee.  Wenn  nun  bei  Diodor, 
d.  h.  wie  ich  gezeigt  zu  haben  glaube,  bei  Aristobulos,  die 
Zahl  der  zu  Hause  gelassenen  Makedonen  und  der  für  den 


!)  Das  ergiebt  sich  auch  daraus,  dass  Antipatros  330  gegen  Agis 
40000  Mann  zusammenbringen  konnte  (Diod.  XVII  62),  trotzdem  er  bereits 
bedeutende  Verstärkungen  nach  Asien  gesandt  hatte. 


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Anhang.  Das  Heer  Alexanders. 


219 


asiatischen  Feldzug:  aufgebotenen  dieselbe  ist,  so  heisst  das  offen- 
bar nichts  anderes,  als  dass  Alexander  von  den  taktischen  Ver- 
bänden — Taxen  der  Phalanx,  Chiliarchien  der  Hypaspisten, 
Ilen  der  Ritterschaft  — , in  die  das  makedonische  Aufgebot 
zerfiel,  die  Hälfte  zum  Schutze  der  Heimath  zurtickgelassen  hat. 

Dass  es  sich  wirklich  so  verhielt,  lässt  sich  auch  auf  an- 
derem Wege  beweisen.  Alexandros  hatte  nach  Aman  (I  14, 2) 
am  Gramkos  ausser  den  Hypaspisten  6 Taxen  schweren  make- 
donischen Fussvolks,  die  des  Perdikkas,  Koenos,  Krateros, 
Amyntas,  Philippos,  Meleagros.  Dieselben  Taxen,  mit  Aus- 
nahme der  des  Philippos,  kehren  bei  Issos  wieder  (Curtius  III 
9,  7.8;  Aman  II  8,3,  wo  die  Taxis  des  Krateros  nur  durch 
ein  Versehen  der  Abschreiber  nicht  ausdrücklich  erwähnt  ist), 
als  6.  Taxis  finden  wir  die  des  Ptolemaeos.  F.benso  bei  Ar- 
bela  (Arrian  III  11,  9.  10);  nur  dass  die  Taxis  des  bei  Issos 
gefallenen  Ptolemaeos  jetzt  von  Polysperchon  befehligt  wird 
(Arrian  II  12,  2)  und  statt  Amyntas,  der  nach  Makedonien 
zur  Aushebung  von  Verstärkungen  geschickt  war,  sein  Bruder 
Simmias  dessen  Abtheilung  führt.  Es  würde  aber  verfehlt 
sein,  wenn  wir  aus  diesen  Angaben  den  Schluss  ziehen  wollten, 
dass  die  Taxis  des  Ptolemaeos  und  später  des  Polysperchon 
dieselbe  sei , die  Philippos  am  Granikos  geführt  hatte ; denn 
die  Taxis  des  Philippos  wird  noch  im  indischen  Feldzuge  er- 
wähnt (Aman  IV  24,  10),  und  zwar  neben  der  Polysperchons 
(vgl.  Arrian  IV  22,  1;  25,  6;  V 11,  8;  VI  5,  5).  Da  nun  an 
eine  Detaehirung  dieser  Taxis  während  der  Schlachten  von  Issos 
und  Arbela  in  keiner  Weise  gedacht  werden  darf,  so  bleibt 
nur  die  Annahme,  dass  sie  bei  Arrian,  oder  vielleicht  schon  in 
der  Arrian  vorliegenden  Quelle  in  den  Berichten  über  diese 
beiden  Schlachten  ausgefallen  ist.  Das  wird  bestätigt  durch 
Diodors  und  Curtius’  Beschreibung  der  Schlacht  bei  Ar- 
bela. Die  Ordnung  der  Taxen  ist  hier  dieselbe  wie  bei  Arrian, 
folglich  gehen  alle  diese  Relationen  in  letzter  Instanz  auf  die- 
selbe Quelle  zurück.  Die  Folge  ist  bei  Diodor  (XVII  57): 
Koenos,  Perdikkas,  Meleagros,  Polysperchon,  Philippos,  Krateros; 
bei  Curtius  (IV  13,  28):  Koenos,  die  Oresten  und  Lynkesten, 
d.  h.  Perdikkas  (vgl.  Diod.  a.  a.  0.),  Polysperchon,  Amyntas, 


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220 


Capitel  V. 


Philippos,  Krateros.  Es  ist  also  in  unseren  drei  Berichten  je 
1 Taxis  ausgefallen,  und  zwar  jedesmal  eine  andere : bei  Arrian 
die  des  Philippos,  bei  Diodor  die  des  Amyntas  (Simmias),  bei 
Curtius  die  des  Meleagros1).  Die  ursprQngliche  Folge  war 
diese:  Koivog  nokeiuu/.Qct ivvg,  IleQÖtxxag  'Oqqvvov,  MektayQog 
ISeoictokifJOv,  llot.vaniQyiov  — ififiiov,  Ajiiviag  (Sififita g)  Avöqo- 
jitvotg,  Oikatitog  Afivvto v,  ÄQuiegog  ‘Ake^ävÖQOv.  Der  Aas- 
fall je  'einer  Taxis  bei  Arrian  und  Diodor  erklärt  sich  durch 
das  Nebeneinanderstehen  der  gleichen  Namen:  HokiantQyuiv 
2 iiniiov , —luuiag  Aidgoiitvoig  o ‘Afivvtov  adekcptg,  Oikinnog 
Autviov ; bei  Curtius  ist  überhaupt  die  ganze  Stelle  corrupt. 

Es  bleibt  nun  allerdings  die  Möglichkeit,  dass  Alexanders 
Heer  bereits  am  Granikos  7 Taxen  schweres  makedonisches 
Fussvolk  gezählt  hat,  so  dass  Arrian  die  Taxis  des  Ptolemaeos 
aufzuführen  vergesen  hätte.  Und  wirklich  war  dieser  damals 
beim  Heere  in  Asien,  aber  als  ainfiaioiftkag , nicht  als  Stra- 
tege (Arrian  I 24,  1):  freilich  ein  Zeugniss  von  zweifelhaftem 
Werth,  da  Arrian  hier,  wie  es  scheint,  unseren  Ptolemaeos  mit 
dem  oojiiaioqtkag  Ptolemaeos  verwechselt,  der  soeben  vor 
Halikarnassos  gefallen  war  (Arrian  1 22,  4).  Im  Winter  334  3 
nach  der  Heimath  beurlaubt,  kehrte  er  im  nächsten  Frühjahre 
mit  Verstärkungen  zum  Heere  zurück:  es  waren  3000  Make- 
donen  zu  Fuss  und  300  Reiter  (Arrian  I 29,  4).  Diese  grosse 
Zahl  macht  es  wahrscheinlich , dass  es  sich  hier  nicht  blos  um 
Ersatz  für  die  im  Felde  stehenden  Abtheilungen  handelte,  son- 
dern ein  frisches  Corps  aus  Makedonien  herüberkam,  eben  die 
Taxis,  die  Ptolemaeos  bei  Issos  geführt  hat. 

Nach  der  Schlacht  bei  Arbela  sind  noch  weitere  Ver- 
stärkungen zum  Heere  gestossen,  so  dass  Alexander  auf  dem 
indischen  Feldzuge  10  makedonische  Taxen  unter  sich  hatte: 
die  des  Gorgias,  Kleitos,  Meleagros  (Arrian  IV  22,  7),  Attalos 
(IV  24.  1 ; 25),  Balakros,  Philippos,  Phiiotas  (IV  24.  25),  Koe- 
nos  (IV  24.  1 ; 25,  6 ; 26,  5),  Polysperchon  (IV  25,  6),  Alketas 
(IV  26,  1.  5).  Von  diesen  Befehlshabern  sind  Attalos  und 

’)  Das  ist  übrigens  von  den  Herausgebern  des  Curtius  längst  gesehen 
worden. 


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Anhang.  Das  Heer  Alexanders. 


221 


Alketas  an  die  Stelle  ihrer  Brüder  Amyntas  und  Perdikkas 
getreten ; Balakros  oder  Kleitos  muss  den  Befehl  über  Krateros’ 
Taxis  übernommen  haben,  seit  dieser  zu  einem  höheren  Com- 
mando  befördert  war1).  Es  hat  also  neben  den  6 Taxen,  mit 
denen  Alexander  im  Jahre  334  nach  Asien  hinübergegangen 
war,  noch  mindestens  4 weitere  Taxen  gegeben;  und  da  Ma- 
kedonien doch  nicht  ohne  Besatzung  bleiben  konnte,  so  wird 
es  sehr  wahrscheinlich , dass  im  ganzen  12  Taxen  bestanden 
haben. 

Man  hat  bekanntlich  die  Frage  aufgeworfen,  ob  alle  diese 
Taxen  aus  Makedonen  gebildet  waren.  Für  die  Taxen  des 
Perdikkas,  Koenos  und  Polysperchon  beantwortet  diese  Frage 
Diodor  (XVII  57  = CurtiusIV  13,  26):  sie  bestanden  aus  den 
Aufgeboten  von  Orestis  und  Lynkestis,  Eleimiotis,  Tymphaea. 
Arrian  bezeichnet  ferner  die  Taxen  des  Krateros,  Meleagros, 
Perdikkas,  Amyntas,  Phiiotas,  Koenos  ausdrücklich  als  make- 
donische (III  18);  was  für  7 Taxen  gilt,  wird  auch  für  die 
drei  anderen  (Philippos,  Gorgias,  Kleitos  oder  Balakros)  zu 
gelten  haben  (vgl.  auch  Arr.  II  5,  6).  Denn  ein  Rangunter- 
schied zwischen  den  einzelnen  Taxen  tritt  nirgends  hervor. 
Und  dass  keine  Taxis  ausschliesslich  aus  griechischen  Bundes- 
genossen gebildet  war,  ergiebt  sich  daraus,  dass  sie  sämmt- 
lieh  bestehen  blieben,  auch  nachdem  die  Bundesgenossen  in 
Ekbatana  entlassen  waren.  Und  was  die  Söldner  angeht,  so 
bilden  sie  bei  Arbela  ein  eigenes  Corps  (ol  agxaiot  xalor- 
fievoi  Stvoi)  unter  Kleandros  (Arrian  III  12,  2),  und  ebenso  in 
der  Schlacht  am  Hydaspes  (Arr.  V 12, 1).  Hätten  ganze  Taxen 
aus  Söldnern  bestanden,  so  bliebe  es  unerklärlich,  wie  trotz 
der  vielen  zurückgelassenen  Besatzungen  noch  alle  6 ursprüng- 
lichen Taxen  im  indischen  Feldzuge  erscheinen  können.  Ar- 
rians  Schlachtberichte  müssten  viel  besser  sein,  als  es  der 


*)  Andere  Taxen  sind  nicht  nachznweisen ; denn  Antigonos,  dessen 
Taxis  Arrian  VI  17,  3 erwähnt,  war  bekanntlich  Führer  der  Hypaspisten 
(Arrian  V 16,  3),  und  Peithon  (Arrian  VI  6,  1)  hat  wahrscheinlich  nach 
Koenos’  Tode  dessen  Taxis  geführt.  — Dass  makedonische  Taxen  in 
Baktrien  zurückgeblieben  wären,  ist  sehr  unwahrscheinlich,  da  Alexander 
sonst  niemals  Makedonen  zu  Besatzungszwecken  verwendet  hat 


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222 


Capitel  V.  Anhang. 


Fall  ist,  um  uns  das  Recht  zu  geben,  aus  der  seltenen  Erwäh- 
nung der  Bundesgenossen  und  Söldner  ein  Argument  gegen 
die  hier  vertretene  Auffassung  zu  entnehmen. 

Dass  die  einzelnen  taktischen  Abtheilungen  des  makedo- 
nischen Heeres  je  aus  einem  besonderen  Bezirk  recrutirt  waren, 
folgt  schon  daraus,  dass,  so  viel  wir  wissen,  alle  griechischen 
Heere  nach  diesem  System  gebildet  waren.  Auch  nennt  Arrian 
die  Ilen  von  Apollonia  (I  12,  7),  Anthemus  (H  2,  3),  Ober- 
Makedonien,  Bottiaea,  Amphipolis  (I  2,  5);  Diodor  (XVII  57) 
die  Taxen  von  Orestis  und  Lvnkestis,  Eleimiotis,  Tyinphaea. 
Die  im  Herbst  331  in  Susa  eingetroffenen  Ersatzmannschaften 
vertheilt  Alexander  y.rna  i'&vij  unter  die  einzelnen  Taxen 
(Arr.  III  16,  11).  Da  Orestis  und  Lvnkestis  zusammen  einen 
Aushebungsbezirk  bildeten,  so  können  Eleimiotis  und  Tyinphaea 
unmöglich  mehr  als  je  eine  Taxis  gestellt  haben;  ganz  Ober- 
Makedonien  also,  Eordaea  vielleicht  ausgeschlossen,  hat  nur  V* 
des  gesammten  schweren  Fussvolks  gestellt.  Bei  der  Reiterei 
musste  das  Missverhältniss  noch  grösser  sein  (vgl.  Air.  I 2, 5). 


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Sechstes  Capitel. 

Der  hellenische  Osten. 


].  Kleinasien. 

Eine  zuverlässige  Arealbestimmung  der  kleinasiatischen 
Halbinsel  fehlt  uns  bisher.  Auch  die  folgenden  Zahlen  er- 
heben nur  auf  approximative  Richtigkeit  Anspruch;  sie  sind 
gewonnen  durch  planiinetrische  Messung  auf  der  Kiepertsehen 
Karte  (Bl.  IV  des  Atlas  Antiquus)  in  1 : 4000000,  mit  Zuhilfe- 
nahme der  Wagnerschen  Zonentafeln.  Die  ganze  Halbinsel 
westlich  des  Euphrat  hat  demnach  einen  Flächenraum  von 
540000  qkm';  auf  die  einzelnen  Landschaften  entfallen: 


qkm 

Karien 19350 

Lydien 24  250 

Mysien 3t  100 

Phrygien 46950 

Kibyratis 6 400 


Prov.  Asien  128  050 

Lykien 8250 

Pisidien  und  Pamphylien 21 800 

Kilikien 35  700 

Kappadokien 85800 

Pontos  mit  Kleinarmenien 131900 

Galatien 40  000 

Lykaonien 41 000 

Bithynien 47  500 


Ganz  Kleinasien  540000 


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224 


Capitel  VI. 


Für  die  Inseln  an  der  kleinasiatischen  Westküste  besitzen 
wir  eine  planimetrische  Berechnung  von  Strelbitzky ').  Sie  er- 
gab folgende  Resultate: 

1.  l’ropontis. 

qkm 

Prokonnesos  ( Marmara ) 107,8 

Ophiussa  (Afsia) 15,9 

Alone  ( Pascha  Liman ) 24,7 

Besbikos  ( KaloUmni ) 8,5 

(Kutalt) 8,4 

Demonnesoi  (Primen- Inseln) 18,8 

Kleinere  Inseln 7,1 

185,7 

2.  A e o 1 i s. 

Tenedos 40,9 

Kalydnae  (Tauschan  Adasi) 1,5 

Lesbos 1749,7 

Pordoselene  (Muskonüsia) 88,7 

(Pyrgonisi) 12,8 

184$, 1 

3.  I o n i e n. 

Cliios 826.7 

Psyra 90,1 

Kleinere  Inseln  bei  Psyra 7,8 

Oenussae  (Spalmadores,  Kajun  Adasi)  . 26,6 

Hippoi  ((ronf) 6,4 

Chios  und  Nachbarinseln  zusammen 957,1 

Drymussa  (Makronisi) 20,0 

Samos 468,8 

Korasiae  (Furni,  Themcno,  Minas)  . . 42,9 

Ikaros 267,8 

Trageae*)  (Gaidaronisi) 14,9 

Akrite  (Arki) 9,9 

Lat  1780,4 


’)  Superfxcie  de  l’Europe  S.  155. 

s)  Vergl.  Pflugk-Ilarttung,  Perikies  als  Feldherr  (Stuttgart  1884)  S.  124  ff. 
Bei  Kiepert  heisst  die  Insel  Ilyettussa,  mit  beigesetztem  Fragezeichen. 


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Der  hellenische  Osten. 


225 


((km 

Transport  1780,4 


Lepsia  ( Lipsos ) 15,0 

Patmos 89,6 

Leros 49,5 

Lebintlios  ( Levitha ) 14,9 

1899,4 

4.  Doris. 

Rhodos 1460,4 

Karpathos 382,1 

Kasos 49,4 

Chalke  (Charki) 19,7 

Dimastos  ( Limniona ) 7,5 

Syme 68,9 

Telos  (Episkopi) 59,2 

Nisyros 84,6 

Istros?  (Jab) 15,8 

Kos 286,1 

Hypereisma  ( Kappnri ) 6,5 

Kalymna 108,9 

Astypalaea 98,7 

Syrnae  (Syritw) 7,4 


2555,2 


Das  Gesamintareal  aller  dieser  Inseln  beträgt  demnach  6483,4 
qkm;  dazu  andere  kleinere  Inseln  mit  350,4  qkm.  Für  ganz 
Kleinasien,  Festland  und  Inseln  zusammen,  ergeben  sich  also 
nahe  an  547000  qkm. 

Die  Bevölkerung  der  Halbinsel  war  sehr  ungleich  vertheilt. 
Am  dichtesten  bewohnt  war  zu  allen  Zeiten  die  Westküste. 
Hier  lagen  bis  auf  die  spätere  Kaiserzeit  alle  bedeutenderen 
städtischen  Centren : Sardes  und  Miletos,  Rhodos,  Halikamassos, 
Ephesos,  Smyrna,  Pergamon,  Kyzikos,  Nikomedeia.  Nach  der 
Steuerordnung  des  Dareios  zahlten  die  Landschaften  von  Pam- 
phylien  bis  zum  Golf  von  Assos  900  Talente  jährlichen  Tribut, 
Kilikien  500,  der  ganze  Rest  der  Halbinsel  nur  360 J).  F.benso 
bildete  später  die  Provinz  Asia  für  die  römischen  Finanzen  die 
ergiebigste  Steuerquelle.  Betrachten  wir  die  Bevölkerungsver- 
hältnisse im  einzelnen. 

•)  Herod.  III  90. 

Bel  och,  Bevölkerungslelm*.  I.  15 


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226 


Capitel  VI. 


Rhodos  heisst  schon  bei  Thukydides  „eine  Insel,  mächtig 
durch  die  Zahl  ihrer  Landtruppen  und  Seeleute“ ') ; und  diese 
Bevölkerung  musste  stark  zunehmen,  seit  die  407  neu, ge- 
gründete Hauptstadt  eines  der  Centren  des  Weltverkehrs  wurde. 
Bereits  im  korinthischen  Krieg  tritt  Rhodos  bedeutend  hervor  *) ; 
im  Bundesgenossenkrieg  stellte  es  zusammen  mit  Chios,  Kos 
und  Byzantion  eine  Flotte  von  100  Trieren8).  10  Schiffe 

schickten  die  Rliodier  332  Alexander  gegen  Tyros  zu  Hülfe4), 
und  ebensoviele  20  Jahre  später  Antigonos  zur  Befreiung  von 
Griechenland *).  Doch  soll  bei  der  Belagerung  durch  Demetrios 
304  die  Zahl  der  waffenfähigen  Bürger  nur  6000  betragen 
haben,  wozu  1000  Metoekeu  als  Freiwillige  hinzutraten:  die 
übrigen  Fremden  wurden  aus  der  Stadt  gewiesen8).  Das  er- 
gäbe eine  Gesammtbürgerzabl  von  8000,  oder  eine  bürgerliche 
Gesammtbevölkerung  von  24000,  und  eine  freie  Bevölkerung 
von  etwa  30000,  20  auf  1 qkm,  auffallend  wenig  für  eine  so 
fruchtbare  Insel  mit  einer  bedeutenden  Stadt.  Doch  mögen  die 
Besatzungen  in  Lindos,  Ialysos,  Kameiros  und  der  Peraea  nicht 
mitgerechnet  sein;  ausserdem  wird  Rhodos  eine  sehr  starke 
Sklavenbevölkerung  gehabt  haben.  Das  folgende  Jahrhundert 
und  der  Anfang  des  H.  ist  die  eigentliche  Glanzzeit  der  Insel. 
Rhodos  zeigt  eine  sehr  bedeutende  maritime  Leistungsfähigkeit. 
So  konnte  es  190  gegen  Antiochos  36  Schiffe  aufstellen,  und 
nach  der  Vernichtung  dieser  Flotte  durch  Polyxenidas  — nur 
5 Schiffe  entkamen  — sogleich  andere  20  Schiffe  in  See  stechen 
lassen,  die  bald  wieder  auf  36  vermehrt  wurden7).  Im  letzten 


')  Thuk.  VIII  44:  vfjao;  ovx  äövvazos  xa't  vavßauüv  7zi.rj&ci.  x«i 
Zu  dem  sicilischen  Zuge  stellte  Rhodos  den  Athenern  2 Fünfzigruderer 
und  700  Schleuderer  (Thuk.  VI  43). 

а)  Xen.  Hell.  IV  8,  20:  Inti  <fi  ijli&ov  its  AuxtSalfjova  ol  (xntit rw- 
xöztf'Poßltav  vno  zov  dtjjuov,  l<f(<Saaxov  tü;  ovx  «ftov  ftij  ntQuSiiv  'A&tj- 
vnlovs'PöSov  xazaazQtxßafzirovi  xctl  zoouvztjv  <1  uv  ct  u ir  avr9t/j(vov;. 

s)  Diod.  XVI  21. 

4)  Arr.  Anal).  II  20,  2. 

s)  Diod.  XIX  77. 

б)  Diod.  XX  84. 

7)  Liv.  (d.  h.  Polybios)  37,  9.  11.  12.  23. 


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Der  hellenische  Osten. 


227 


mithradatischen  Kriege  stellte  Rhodos  zur  Belagerung  von 
Herakleia  20  Schiffe  *),  und  im  Jahre  43  v.  Chr.  33  Schiffe  gegen 
Cassius2).  — Die  Stadt  Rhodos  selbst  bedeckte  ein  Areal  von 
200  Hektaren  und  mag  also  in  ihrer  besten  Zeit  gegen  100000 
Einwohner  gezählt  haben. 

Von  den  übrigen  Inseln  an  der  karischen  Küste  hatte  nur 
Kos  grössere  Bedeutung,  namentlich  seit  dem  Synoekismos  von 
366  5 8).  Auf  dem  Festlande  war  im  V.  Jahrhundert  nach  dem 
Zeugniss  der  attischen  Tributlisten  Knidos  die  bedeutendste 
Stadt.  Im  folgenden  Jahrhundert  ist  Knidos  durch  Halikarnassos 
weit  überflügelt  worden,  das  unter  Maussollos  und  seinen  Nach- 
folgern zur  glänzendsten,  und  nach  Sardes  wohl  auch  grössten 
Stadt  Kleinasiens  wurde4);  die  Befestigungslinie  umschliesst 
einen  Raum  von  350  ha.  Aber  die  Blüthe  der  Stadt  war  von 
kurzer  Dauer.  Die  Belagerung  und  Erstürmung  durch  Alexander 
334  und  der  gleichzeitige  Sturz  des  karischen  Fürstenhauses 
waren  Schläge,  von  denen  sich  Halikarnassos  niemals  vollständig 
erholt  hat5).  Immerhin  aber  blieb  die  Stadt  auch  später  sehr 
ansehnlich.  Ein  Dekret  aus  dem  III.  Jahrhundert  erwähnt  die 
Anwesenheit  von  4000  Bürgern  in  der  Volksversammlung *). 
Wenn  wir  uns  erinnern,  dass  selbst  in  Athen  5000  Bürger  nur 
selten  auf  der  I’nyx  zusammenkamen 7),  so  werden  wir  für  Hali- 
karnassos  danach  kaum  unter  10000  Bürger  annehmen  dürfen, 
was  für  Stadt  und  Gebiet  eine  Gesammtbevölkerung  von  gegen 
50000  voraussetzen  würde. 

Alle  dorischen  Kolonien  in  Karien  zusammen  sollen  nach 
Herodot  zur  Flotte  des  Xerxes  30  Trieren  gestellt  haben8), 


')  Memnon  c.  SO. 

*)  Appian,  Bürgerb-.  IV  66.  71. 

®)  Diod.  XV  76:  Irt-fuXlos  tyivtxo  rai;  TiQinniovaitts  nöXeniv. 

Strab.  XV  S.  701.  Doch  vergl.  schon  die  attischen  Tributlisten. 

4)  Vergl.  Kallisthenes  bei  Strab.  XIII  S.  611,  Plin.  V 107  und  Kuhn, 
Entstehung  der  Städte  der  Alten  S.  261 — 273. 

B)  Strab.  XIV  S.  656:  Inxaiae  di  xni  avxrfg  xioXtt  ß tq  Xr)<p&c7aa  vni 
'AXftttVÖQO  v. 

«)  Bull,  de  Corr.  HeU.  V S.  211. 

')  Thuk.  Vm  72. 

8)  Herod.  VII  93. 

15* 


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228 


Capitel  VI. 


wovon  5 auf  Halikarnassos  und  die  damals  davon  abhängigen 
Inseln  Kos,  Nisyros  und  Kalydna  kamen1).  Die  übrigen  25 
müssten  also  im  wesentlichen  von  Rhodos  und  Knidos  gestellt 
sein,  was  offenbar  viel  zu  hoch  ist,  wenigstens  wenn  wir  mit 
Herodot  Trieren  verstehen  sollen.  Die  Karer  selbst  hätten 
70  Schiffe  gestellt2);  und  gewiss  kann  kein  Zweifel  sein,  dass 
das  eigentliche  Karien  eine  viel  stärkere  absolute  Bevölkerung 
gehabt  hat,  als  die  griechischen  Küstenstädte.  Auch  Maussollos, 
der  allerdings  neben  Karien  auch  Lykien  beherrschte,  hat 
Flotten  von  100  Trieren  aufzubringen  vermocht8).  Dicht  be- 
wohnt war  namentlich  das  reiche  Maeanderthal,  wo  bedeutende 
Städte  sich  drängten : Magnesia,  Tralles,  Alabanda,  Nvsa,  Aphro- 
disias,  Laodikeia.  Das  südliche  Karien  dagegen  ist  ein  hohes 
und  rauhes  Gebirgsland,  hauptsächlich  zur  Weidewirthschaft 
geeignet  und  zum  grossen  Theile  mit  Wald  bedeckt*).  Erst  die 
Diadochenzeit  hat  hier  in  Stratonikeia  ein  grösseres  städtisches 
Centrum  geschaffen. 

Wenden  wir  uns  jetzt  nach  Ionien.  Die  erste  Stadt  war 
hier  im  VI.  Jahrhundert  Miletos8);  schon  die  grosse  Zahl 
ihrer  Kolonien e)  giebt  Zeugniss  für  die  bedeutende  Volksmenge. 
Bei  Lade  sollen  80  milesische  Trieren  gekämpft  haben7),  eine 
Angabe,  die  kaum  übertrieben  scheint;  nur  müssen  wir  nicht 
vergessen,  dass  die  Trieren  in  dieser  Zeit  viel  kleiner  waren, 
als  später.  Die  persische  Eroberung  brach  die  Blüthe  der  Stadt 
für  immer,  wenn  es  auch  keineswegs  richtig  ist,  dass  Miletos 
damals  zerstört  wurde8).  So  war  Miletos  im  Jahre  441  den 
Samiem  nicht  gewachsen  und  gezwungen,  die  Hülfe  Athens 


»)  Herod.  VII  99. 

*)  Herod.  VII  93. 

*)  Xen.  Ages.  II  26. 

4)  Kiepert,  Geographu  S.  118. 

®)  Herod.  V 28:  r]  AKlgro;  avrg  t t lowiijt  fiältorct  ifij  tot«  «*- 
fitiactaa,  xal  äi]  xttl  r/jf  'itoVtag  gv  Tinoa/gutt. 

«)  Vergl.  Strab.  XIV  S.  635. 

’)  Herod.  VI  8. 

8)  Herod.  VI  22:  MlXgiog  fiiv  vvv  Milgalatv  gQguojxo.  Aber  schon 
479  erwähnt  Herodot  ein  milesisches  Contingent  im  persischen  Heere  IX  99. 


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Der  hellenische  Osten. 


229 


•aazurufen  *).  Vierzig  Jahre  später  stellt  Milet  den  Athenern 
800  Hopliten  entgegen2);  da  vor  den  Thoren  der  Stadt  seihst 
gekämpft  wurde,  sollte  man  annehmen,  dass  es  die  ganze  ver- 
fügbare Macht  der  Milesier  war8).  Im  Jahre  405/4  erfolgte 
in  Milet  eine  oligarchisehe  Erhebung,  bei  der  angeblich  340 
Demokraten  getödtet,  1000  verbannt  wurden4).  Nach  alledem 
wird  die  Bürgerzahl  in  der  Zeit  des  peloponnesischen  Krieges 
auf  etwa  4000  anzusetzen  sein,  wie  denn  Milet  an  die  Athener 
den  hohen  Tribut  von  10  Talenten  bezahlt  hat,  mehr  als  irgend 
eine  andere  Gemeinde  Ioniens.  Laut  eines  milesischen  Volks- 
beschlusses aus  der  Mitte  des  11.  Jahrhunderts  war  damals  der 
höchste  Gerichtshof  mit  600  Geschworenen  besetzt,  sodass  Milet 
mehrere  Tausend  Bürger  gezählt  haben  muss3).  Auffallend  ist 
die  grosse  Zahl  Milesier,  die  unter  den  Metoeken  in  Athen  Vor- 
kommen6); vielleicht  bezeichnet  der  Name,  ähnlich  wie  früher 
der  Name  Plataeer,  nicht  sowohl  die  Herkunft,  als  eine  privi- 
legirte  Klasse  von  Schutzverwandten. 

Das  benachbarte  Iasos  war  ganz  unbedeutend;  die  Stadt 
hatte  10  Stadien  im  Umfang7)  und  zählte  im  Jahre  405  nur 
800  Bürger 8) ; der  Tribut  an  Athen  hat  meist  1 Talent,  zuletzt 
3 Talente  betragen.  Nicht  grösser  waren  Myus  und  Prieue; 
ersteres  ist  später  in  Miletos  aufgegangen9).  Zur  ionischen 


>)  Thuk.  I 115. 

2)  Thuk.  VIII  25. 

8)  Wenn  Thuk.  IV  54  von  2000  milesischen  Hopliten  spricht,  die  an 
der  attischen  Expedition  gegen  Kythera  Theil  genommen  hätten,  so  ist 
längst  anerkannt,  dass  die  Zahl  verschrieben  sein  muss;  es  wird  500  (Stahl, 
Jahrb.  f.  Philologie  1870  S.  333)  oder  200  (Classen  zu  unserer  Stelle)  zu 
lesen  sein. 

*)  Diod.  XIII  104. 

6)  Dittenberger , Sylloge  240:  xa't  txb^goiSr]  xginjgiov  tx  naviis 
t uv  <Ti )fjov  To  ftfyiaior  tx  twv  röftatr,  xgn cd  tlaxöoioi. 

8)  So  in  Kumanudes,  ‘Atnxfjs  tncygatfcd  tnixifißioi  unter  1126  Grab- 
schriften von  Metoeken  237  von  Milesiern.  Vergl.  auch  die  Epheben- 
verzeiclmisse. 

7)  Polyb.  XVI  12,  2. 

8)  Diod.  XIII  104. 

®)  Strab.  XIV  S.  636:  >j  vBv  Je'  öiiya rjgtav  Mtlr\a(oi;  nvun cioitai tu. 


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230 


Capitel  VI. 


Bundesflotte  hei  Lade  soll  Priene  12,  Myus  3 Schiffe  gestellt 
haben  *). 

Ephesos  stand  im  V.  Jahrhundert  an  Bedeutung  Miletos 
annähernd  gleich2).  Der  Aufschwung  zur  Grossstadt  begann 
erst -seit  dem  Ende  des  peloponnesischen  Krieges,  nachdem 
Lysandros  das  Hauptquartier  der  Flotte  hierher  verlegt  hatte8). 
Im  Laufe  des  folgenden  Jahrhunderts,  und  besonders  seit  der 
Neugründung  durch  Lysimachos  erhob  sich  Ephesos  zur  ersten 
Stadt  in  Kleinasien.  Bei  der  grossen  Uebersehwemmung  zu 
Anfang  des  III.  Jahrhunderts  sollen  10000  Menschen  den  Tod 
in  den  Wellen  gefunden  haben4).  Einen  allgemeinen  Anhalts- 
punkt für  die  Bestimmung  der  Bürgerschaft  giebt  uns  die  Ein- 
theilung  in  Phylen  und  Chiliastyen.  Von  Alters  her  zerfiel  die 
Bürgerschaft  von  Ephesos  in  5 Phylen5),  die,  wie  es  scheint, 
durch  den  Synoekismos  des  Lysimachos  nicht  vermehrt  worden 
sind8).  Dagegen  sind  wahrscheinlich  die  Unterabtheilungen  der 
Phylen,  die  Chiliastyen,  damals  vennehrt  worden.  So  kommt 
eine  Chiliastys  der  Lebedier  vor,  und  wir  wissen,  dass  die 
Bewohner  von  Lebedos  durch  Lysimachos  nach  Ephesos  ver- 
pflanzt worden  sind 7).  Bis  jetzt  sind  20  Chiliastyen  epigraphisch 
bezeugt8),  und  höchst  wahrscheinlich  ist  die  Zahl  noch  grösser 


*)  Herod.  VI  8. 

ä)  Das  zeigen  unter  anderem  auch  die  Tributsätze,  die  für  Ephesos 
6 — Vis  Tal.,  für  Miletos  5—10  Tal.  betragen. 

3)  Plut.  Lys.  8:  diart  npiörov  an'  Ixtivov  toO  /qovov  rijv  noXiv  tv 
IXniäi  toC  neol  avrtjv  vvv  oviog  oyxov  xaX  uiyt&ovs  dia  AvaavÖQOv 
ytvio9at. 

4)  Steph.  v.  Byz.  unter  "Eif  iao(.  — Duris  von  Elaea  (bei  Stephanos) 
nennt  Ephesos  hei  dieser  Gelegenheit  ri )v  'lää iov  noXXov  äoidotdxr\v. 

s)  Steph.  v.  Byz.  u.  Bfvra. 

6)  Die  ZtßaaxT)  und  ’AdQiavlt,  die  in  den  von  Wood  entdeckten  In- 
schriften erwähnt  werden,  gehören  natürlich  in  die  Kaiserzeit,  wenn  auch 
die  Möglichkeit  nicht  ausgeschlossen  ist,  dass  ältere  Phylen  'umgenannt 
worden  sind. 

7)  Paus.  I 9,  7;  VII  3,  5. 

9)  S.  die  Inschriften  bei  Wood,  Ephesos  und  die  Zusammenstellungen 
bei  Menadier,  Qua  conditione  Ephesii  usi  sint  inde  ab  Asia  in  prov. 
formam  redacta  (Dissert.  Berlin  1880)  und  Röhl  in  Bursians  Jahresbericht 
1883  III  65. 


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Der  hellenische  Osten. 


231 


gewesen.  Da  uns  aus  der  Phyle  der  „Ephesier“  die  Namen 
von  5 Chiliastyen  überliefert  sind,  und  es  sehr  wahrscheinlich 
ist,  dass  alle  Phylen  die  gleiche  Zahl  von  Chiliastyen  gehabt 
haben,  so  müssten  im  ganzen  mindestens  25  Chiliastyen  vor- 
handen gewesen  sein.  Die  Organisation  war  also  auf  25000 
Bürger  berechnet.  Bei  dem  beständigen  Aufschwung , den 
Ephesos  bis  in  die  Kaiserzeit  hinein  genommen  hat1),  spricht 
die  hohe  Wahrscheinlichkeit  dafür,  dass  die  Chiliastyen  bald 
die  ursprüngliche  Normalzahl  der  Bürger  überschritten  haben. 
Wenn  Pergamon  im  II.  Jahrhundert  nach  unserer  Zeitrechnung 
40000  Bürger  gezählt  hat,  so  werden  für  Ephesos,  „die  grösste 
Handelsstadt  in  Asien  diesseits  des  Tauros“,  mindestens  50000 
anzunehmen  sein,  entsprechend  einer  bürgerlichen  Bevölkerung 
von  150000,  und,  die  Sklaven  wie  in  Pergamon  zu  der  Hälfte 
der  Freien  angenommen,  einer  Gesammtbevölkerung  von  225000 
Einwohnern.  Das  Areal  innerhalb  der  Stadtmauer  beträgt  415  ha. 
Alexandreia  in  Aegypten  hatte  bei  einer  Ausdehnung  von  920  ha 
im  Jahre  60  v.  Chr.  etwa  V*  Million  Einwohner,  also  543  auf 
1 ha.  Setzen  wir  für  Ephesos  dieselbe  Dichtigkeit  der  Bewoh- 
nung voraus,  so  ergiebt  sich  uns  gleichfalls  eine  Bevölkerung 
von  225000  Einwohnern. 

Kolophon  soll  in  alter  Zeit  1000  reiche  Bürger  gezählt 
haben,  wie  der  kolophonisehe  Dichter  Xenophanes  singt2): 

Ijeactv  di  nyogfjv  TinvnXovpy^a  (pagc'  S-/ovTti 
ov  (Jtlovi  toontp  ythoi  tti  (nlnav. 

Und  zwar  sollen  nach  Aristoteles  die  Wohlhabenden  hier  zahl- 
reicher gewesen  sein,  als  der  Demos8).  Jedenfalls  hat  Kolophon 
in  historischer  Zeit  keine  besondere  Bedeutung  gehabt.  Grösser 
waren  Teos  und  Erythrae,  die  nach  dem  Zeugniss  der 
attischen  Tributlisten  im  V.  Jahrhundert  kaum  hinter  Ephesos 
und  Miletos  zurückstanden,  vor  allem  aber  Smyrna  seitseiner 

')  Strab.  XIV  S.  641 : ij  nölti  rij  noug  tk  äM.tt  tvxcupla  ttov 
jöntav  ttvEertu  xa9-'  lxccatT)V  rjutgav,  tfinögiov  oioa  uiyimov  tüv  xarn 
tt/v  'Aalav  rijv  (vto{  tov  Taiipov.  CIG.  2968.  2992:  npwrt]  xal  ftiyi'orrj 

urji Q07i ohi  T rji  ’Aaitti. 

s)  Fr.  8 Bergk,  vergl.  Strabon  XIV  S.  643. 

s)  Arist.  Polit.  VI  (IV)  1290  b. 


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232 


Capitel  VT. 


Neugründung  durch  Antigonos  und  Lysiinachos,  das  bald  zu 
den  ansehnlichsten  Städten  Asiens  zählte  und  in  der  Kaiserzeit 
selbst  mit  Ephesos  rivalisirt  hat. 

Alle  festländischen  Gemeinden  Ionieus  wurden  im  V.  und 
mit  Ausnahme  von  Ephesos  noch  im  IV.  Jahrhundert  weit  über- 
troffen von  den  beiden  Inseln  Samos  und  Chios.  Samos  war 
unter  Polykrates’  Herrschaft  die  erste  Seemacht  im  aegaeischen 
Meer.  Bei  Lade  sollen  60  samische  Trieren  gefochten  haben1), 
und  im  Kriege  gegen  Athen  stellte  Samos  70  Trieren  aufä). 
Damals  wurde  die  Seemacht  der  Insel  für  immer  zerstört; 
bei  den  Arginusen  kämpfen  10  samische  Schiffe  auf  athenischer 
Seite8),  und  seitdem  ist  überhaupt  von  einer  samischen  Flotte 
kaum  mehr  die  Rede. 

Siebzig  Trieren  setzen  eine  Bemannung  von  14000  Köpfen 
voraus;  so  hoch  mindestens  musste  sich  also  die  waffenfähige 
Mannschaft  der  Insel  im  Jahre  440  belaufen,  Freie  und  Sklaven 
zusammen.  Das  ergäbe  eine  Bevölkerung  von  etwa  60000, 
oder  125 — 130  auf  1 qkm.  Bei  der  demokratischen  Erhellung 
des  Jahres  411  wurden  200  reiche  Bürger  getödtet,  400  ver- 
bannt4), was  aber  keineswegs  sämmtliche  Angehörige  der  lie- 
sitzenden  Klasse  gewesen  sind.  Die  Bürgerschaft  war  in  3 Phvlen 
zu  3 Chiliastyen  getheilt,  das  ganze  Schema  also  auf  9000  Bürger 
berechnet5),  eine  Zahl,  die  natürlich  nicht  nothwendig  voll  zu 
sein  brauchte.  Die  Athener  führten  352/1  eine  Kleruchie  von 
2000  Ansiedlern  nach  der  Insel,  die  sämmtlich  Grundbesitz 
erhielten;  vielleicht  war  das  aber  blos  die  Verstärkung  einer 
schon  bestehenden  Kleruchie6). 

Noch  bedeutender  als  Samos  war  Chios.  Zu  der  ionischen 
Bundesflotte  bei  Lade  soll  es  100  Trieren  gestellt  haben,  jede 
mit  40  Hopliten  an  Bord7),  was  wohl  sehr  übertiielien  ist.  Im 

0 Ilerod.  VI  8. 

2)  Thuk.  I 116. 

»)  Xen.  Hell,  I 6,  25.  29. 

‘)  Thuk.  VIII  21. 

6)  C.  Curtius,  Inschriften  und  ütudien  zur  Geschichte  ton  Samos 
(Progr.  Lübeck  1877)  S.  25;  vergl.  Philippi,  Bürgerrecht  S.  11. 

®)  Ilerakl.  Pont.  X 7;  Strab.  XIV  S.  638;  Schaefer  Dem.  Ia  S.  99. 474. 

’)  Herod.  VI  8.  15. 


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Der  hellenische  Osten. 


233 


flämischen  Kriege  stellten  Chios  und  Lesbos  zusammen  erst  25, 
dann  noch  30  Trieren,  insgesannnt  also  551);  annähernd  die- 
selbe Zahl  — 50  Trieren  — stellten  beide  Inseln  im  zweiten 
Jahre  des  peloponnesischen  Krieges2).  Wie  viele  Schiffe  Chios 
mit  Nikias  nach  Sicilien  sandte,  erfahren  wir  nicht,  doch  ist 
wohl  unzweifelhaft,  dass  zu  den  34  bundesgenössischen  Trieren 
bei  dieser  Hotte  Chios  das  grösste  Contingent  gestellt  hatte, 
wie  denn  Thukydides  die  Chier  an  erster  Stelle  nennt3).  Bei 
der  Verstärkung,  die  mit  Demosthenes  413  nach  Syrakus  ab- 
ging, befanden  sich  5 chiische  Schiffe 4) , 7 Trieren  stellte  die 
Insel  im  folgenden  Jahre  zu  der  attischen  Flotte8).  Obgleich 
alle  nach  Sicilien  geschickten  Schiffe  zu  Grunde  gingen,  besass 
Chios  bei  seinem  Abfall  zu  den  Lakedaemoniera  412  noch  immer 
eine  Flotte  von  60  Trieren6).  Das  Contingent  von  Chios  bildete 
von  jetzt  an  einen  Hauptbestandteil  der  peloponnesischen  Bun- 
desflotte. Im  Bundesgenossenkriege  rüstete  Chios  in  Gemein- 
schaft mit  Rhodos,  Kos  und  Byzantion  100  Trieren  aus7).  Die 
Zahl  der  chiischen  Hopliten  freilich  kann  nicht  beträchtlich  ge- 
wesen sein,  da  ein  Corps  von  noch  nicht  1000  attischen  Schwer- 
bewaffneten  mit  30  Schiffen  im  Winter  412/11  genügte,  die  Stadt 
zu  Lande  und  zur  See  einzuschliessen  und  das  gesannnte  Auf- 
gebot der  Chier  mit  ihren  peloponnesischen  Bundesgenossen  zu 
besiegen 8).  Doch  war  Chios  damals  durch  innere  Unruhen  ge- 
schwächt9). Bei  der  Rückführung  der  Verbannten  durch  den 
lakedaemonischen  Nauarcheu  Kratesippides  408  7 sollen  600 
Bürger  der  bisher  herrschenden  Partei  getödtet  worden  sein 10)- 
— Die  Sklavenzahl  der  Insel  war  sehr  beträchtlich.  Chios  war 


i)  Thuk.  I 116.  117. 
s)  Thuk.  II  56. 

*)  Thuk.  VI  43. 

*)  Thuk.  VII  20. 

*)  Thuk.  VIII  9.  10. 
«)  Thuk.  VIII  6. 

■>)  Diod.  XVI  21. 

8)  Thuk.  VIII  30.  55. 
«)  Thuk.  VIII  33. 
i°)  Diod.  XIII  65. 


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234 


Cbpitel  VI. 


der  erste  griechische  Staat,  der  Sklaven  in  grösserer  Zahl  gehalten 
hat1);  und  es  gab  nach  Thukydides  zur  Zeit  des  peloponne- 
sischen  Krieges  in  Griechenland  keine  Gemeinde,  ausser  Sparta, 
die  mehr  Sklaven  besessen  hätte,  als  Chios 2).  Das  ist  aller- 
dings wohl  nur  eine  Schätzung  nach  dem  Augenschein,  da 
numerische  Angaben  Thukydides  kaum  vorliegen  konnten; 
immerhin  muss  Chios  wenigstens  annähernd  so  viele  Sklaven 
gezählt  haben,  wie  Athen,  d.  h.  gegen  100000.  Die  freie  Be- 
völkerung werden  wir  kaum  auf  mehr  als  30000  Köpfe  zu 
schätzen  berechtigt  sein.  Es  kommen  also  auch  hier  über  130 
Bewohner  auf  1 qkm.  Für  die  fruchtbare,  wohlangebaute  Insel  3), 
die  reichste  Stadt  in  Hellas4)  scheint  dieses  Resultat  nicht 
unangemessen. 

Lesbos  stand  an  Macht  nicht  hinter  Chios  zurück.  Bei 
Lade  sollen  70  lesbische  Trieren  gekämpft  haben5),  und  der 
Abfall  der  Insel  im  Jahre  428  war  eine  ernste  Gefahr  für  den 
Bestand  des  attischen  Seebundes6).  Eine  athenische  Flotte  von 
40  Trieren  erwies  sich  als  unzureichend ; erst  als  ein  Hopliten- 
corps  von  1000  Mann  nebst  Bundescontingenten  gelandet  war, 
gelang  die  Einschliessung  von  Mytilene7).  Nach  der  Unter- 
werfung wurden  1000  der  schuldigsten  Lesbier  hingerichtet8), 
viele  verbannt9),  das  confiseirte  Grundeigenthum  der  abge- 
fallenen  Städte  an  2700  attische  Kleruchen  vertheilt ,0). 


*)  Theopomp.  fr.  134. 

s)  Thuk.  VIII  40:  ol  yag  oix(rai  r oig  X/otg  noilol  örreg  xal  ui  g 
ye  rtoin  nXrji-  Auxeäaipovltov  nXeiorot  ytvöfiivoi,  xal  atta  Sut  rö  nlri&vg 
/(O.in (Di foms  (v  raig  dihxtaig  xoXagdutrot. 

3)  Thuk.  VIII  24:  ytägav  xultäg  xaTKrxtuao(i(yr;v  xal  ana9i j ovaav 
an 6 Tiäv  Mrjfhxäiv. 

4)  Thuk.  VIII  45:  Tiloi atürnroi  övreg  tiöv  'Ellqratv. 

s)  Herod.  VI  8. 

®)  Thuk.  III  3:  fi(ya  ftlv  Igyuv  tjyoCvro  tlvai  Aioßov  ngoanoXtuoi- 
aaoHat,  vavrucov  tyoiaav  xal  Sirautv  dxiguiov. 

7)  Thuk.  UI  4.  5.  18. 

8)  Thuk.  m 50,  was  Müller-Strübing,  Tliuk.  Forsch.  S.  150—242  mit 
unzureichenden  Gründen  bestreitet. 

9)  Thuk.  IV  52.  75. 

>°)  Thuk.  III  50. 


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Der  hellenische  Osten. 


235 


Die  Hauptstadt  der  Insel,  Mytilene,  war  schon  im  V.  Jahr- 
hundert sehr  volkreich1)  und  heisst  in  Alexanders  Zeit  eine 
grosse  Stadt2).  Von  der  zweiten  Stadt  auf  Lesbos,  Methymna, 
wissen  wir  nur,  dass  die  Bürgerschaft  in  mehrere  Chiliastyen 
getheilt  war,  von  denen  drei  in  unseren  Inschriften  mit  Namen 
erwähnt  werden8).  Methymna  muss  also  jedenfalls  mehrere 
Tausend  Bürger  gezählt  haben.  Die  übrigen  drei  Städte: 
Pyrrha,  Antissa,  Eresos  — Arisbe  ist  früh  untergegangen  — , 
waren  unbedeutend.  In  dem  Prozesse  gegen  den  Tyrannen 
Agonippos  von  Eresos,  der  vorder  als  Gericht  constituirten  Volks- 
versammlung geführt  ward,  wurden  883  Stimmen  abgegeben4), 
und  bei  der  Wichtigkeit  der  Sache  nahm  gewiss  fast  die  ganze 
Bürgerschaft  an  der  Verhandlung  Theil.  Andererseits  ist  es 
möglich,  ja  wahrscheinlich,  dass  auch  die  Gesetze  von  Eresos 
für  die  Ausübung  gerichtlicher  Functionen  eine  gewisse  untere 
Altersgrenze,  etwa  das  30.  Jahr,  festsetzten.  Eresos  hat  also 
in  jedem  Falle  in  Alexanders  Zeit  gegen  1000,  es  kann  1200 
bis  1500  Bürger  gezählt  haben.  Rechnen  wir  auch  für  Antissa 
und  Pyrrha  je  1000  Bürger,  für  Methymna  2—3000,  für  Myti- 
lene 6 — 7000,  so  ergeben  sich  für  die  ganze  Insel  12000,  oder 
eine  bürgerliche  Gesammtbevölkerung  von  gegen  40000  Ein- 
wohnern. Dieser  Anschlag  wird  wahrscheinlich  noch  etwas  zu 
niedrig  sein. 

Das  Festland  vonAeolis  enthielt  in  vormakedonischer 
Zeit  nur  eine  bedeutendere  Stadt,  Kyme6),  das  nach  den  atti- 
schen Tributlisten  im  V.  Jahrhundert  Miletos  und  Ephesos  kaum 

')  Xen.  Hell.  16,  19:  ol  di  ävxXQwnoi  aoXXol  Iv  rjj  nöXu  fjanv,  von 
der  Belagerung  Mytilenes  durch  Kallikratidas  406.  Vergl.  das  mytilenaeische 
Volkslied  bei  Blut.  Gastmal  der  VII  Weisen  14  S.  157. 

*)  Diod.  XVII  29:  r fjv  dl  AfuTiDjl'ij*’  /jeydXrjv  oiiottv  xcü  naga- 
axeeals  fttynXcug  xal  nXtjüii  ttnv  dfivvopXvair  ävdgwv  xeyogrjyrjulft]v. 

8)  Bull  de  Corresp.  Hell.  IV  S.  434  ff.,  VII  S.  37  f. 

4)  Cöllnitz,  Gr.  Dialekt- Inschr.  I 281  A.  30. 

5)  Skymnos  239  f. : paXiara  ä‘  edavdgoep(vr)  xard  rijv  'Aolav  Klpi\ 

'an  xhuIvt]  jtöXis,  wo  Letronnes  Umstellung  hinter  V.  251  und  Müllers 
Emendation  filr  A'üutj  gleich  willkürlich  und  unbegründet  sind. 

Allerdings  folgt  Skymnos  hier  der  Autorität  des  Kymaeers  Ephoros.  Vergl. 
Strabon  XIII  S.  622. 


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236 


C'apitel  VL 


nachgestanden  haben  kann,  mochte  es  auch  Mytilene  oder  Chios 
bei  weitem  nicht  gleichkommen.  In  hellenistischer  Zeit  hat 
sich  dann  Pergamon  zu  der  neben  Ephesos  ersten  Stadt  Klein- 
asiens entwickelt.  Noch  bei  Lysimachos’  Tode  eine  unbedeutende 
Bergfestung  ‘),  ist  die  Stadt  zugleich  mit  dem  Reiche  der  Atta- 
liden  gewachsen,  besonders  seit  dem  Siege  von  Magnesia,  nach- 
dem Pergamon  die  politische  Hauptstadt  des  ganzen  westlichen 
Kleinasien  geworden  war.  In  römischer  Zeit  hat  das  Wachs- 
thum der  Stadt  fortgedauert,  sodass  sie  unter  den  Antonineu 
40000  Bürger  zählte,  wobei  die  Weiber  sicher,  die  Kinder 
wahrscheinlich  nicht  eingerechnet  sind;  die  Sklaven  betrugen 
etwa  die  Hälfte  der  bürgerlichen  Bevölkerung.  Das  eigiebt 
für  Stadt  und  Gebiet  120000,  oder  wahrscheinlicher  180000 
Einwohner 2). 

Auch  die  Troas  erhielt  erst  durch  Antigonos  und  Lysi- 
machos  in  Alexandreia  einen  grösseren  städtischen  Mittelpunkt. 
Das  Gebiet  umfasst  beinahe  die  ganze  Landschaft:  Kolonae, 
Larissa,  Hamaxitos,  Kebrene8).  Gegen  die  Galater  vermochte 
die  Stadt  216  ein  Heer  von  4000  Mann  aufzustellen,  was  eine 
Bürgerzahl  von  nicht  unter  10 — 15000  voraussetzt4).  Sie  war 
sehr  ansehnlich  noch  in  römischer  Zeit 5),  wo  sie  durch  Caesar 
eine  Kolonie  erhielt.  — Das  asiatische  Ufer  des  Hellespontes 
muss  stark  bewohnt  gewesen  sein,  wie  die  zahlreichen  Städte 
beweisen,  die  hier  in  ununterbrochener  Reihe  sich  folgen;  die 
bedeutendste  war  zu  allen  Zeiten  Lampsakos 6).  — An  der  Süd- 


>)  Strab.  XIII  S.  623. 

*)  Galen.  V S.  49  Kulm : ttmg  ovv  f/ftiv  ot  noUrai  ng'ot  roi%- 
ittgctxio/ui  gtoug  iiatv,  c/joO  lav  ngoa'tijs  aiiitäv  tkj  yuvaixa;  xal  roig 
SovXoug,  ei'Q))Oti{  aeavzöv  tSioxaiiixa  fjvgiadoiv  avägioniux  ovx  ägroi- 
(jtrov  tlvcti  tjXoi  auöregor. 

*)  Strab.  XIII  S.  597.  604;  vergl.  Kuhn,  Entstehung  der  Städte  der 
Alten  S.  347. 

4)  Polyb.  V 111,  4. 

6)  Strab.  XIII  S.  393:  xal  di]  xat  avvtultvt  xal  avfqoiv  layt,  rir 
<fk  xal  ' täüfjdiiav  änoixiar  JXJtxiai.  xal  tan  Ttüv  IXXoytutuv  nöXttoV. 

•)  Es  zahlte  an  Athen  einen  Tribut  von  12  Talenten.  Noch  Strabon 
XIII  S.  589:  7TcXt(  tvXfuerui  xal  a$wXoyos  av/jufrovaa  xaXtüg. 


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Der  hellenische  Osten. 


237 


küste  der  Propontis  war  K y z i k o s schon  zur  Zeit  des  pelopon- 
nesischen  Krieges  ansehnlich,  wenn  auch  damals  noch  hinter 
Lampsakos  zurllckstehend  *) ; im  Laufe  des  folgenden  Jahr- 
hunderts wuchs  es  zur  Grossstadt  empor2)  und  ist  durch  die 
ganze  hellenistische  Zeit  und  bis  in  die  Kaiserzeit  hinein  eine 
der  ersten  Städte  Asiens  geblieben 8).  Die  Mauern  umschlossen 
eine  Fläche  von  160  ha,  das  Gebiet  war  verhältnissmässig  sehr 
ausgedehnt4).  Wie  bedeutend  die  Bürgerzahl  war,  zeigt  der 
erfolgreiche  Widerstand  gegen  Mithradates  bei  der  denkwürdigen 
Belagerung  des  Jahres  74.  Leider  fehlen  bestimmte  Zahlen- 
angaben ; wir  hören  nur,  dass  die  Kyzikener  in  der  Seeschlacht 
bei  Kalchedon  10  Schiffe  und  3000  Mann  verloren  hatten8). 
Eine  kyzikenische  Flotte  von  20  Tetreren  wird  imter  dem 
Jahre  154  erwähnt0). 

Das  innere  Mysien  war  ein  waldiges  Bergland,  das  die 
Perser  nie  zu  unterwarfen  vermocht  haben;  städtisches  Leben 
hat  sich  hier  erst  spät  und  nur  in  unbedeutendem  Maasse  ent- 
wickelt. Dagegen  besitzt  Lydien  in  dem  weiten  und  frucht- 
baren Hennosthale  die  grösste  Alluvialebene  der  ganzen  Halb- 
insel. Hier  liegt  Sardes,  zur  Zeit  der  Mermnaden  und  der 
Perserkriege  bei  weitem  die  erste  Stadt  Kleinasiens,  und  auch 
später,  obwohl  von  Ephesos  und  Pergamon  überflügelt,  noch 
immer  sehr  ansehnlich 7).  Es  ist  kaum  ein  Zweifel,  dass  dieses 
alte  Culturland  die  am  dichtesten  bevölkerte  Landschaft  Klein- 
asiens gewesen  ist,  wie  denn  Lydien  unter  persischer  Herrschaft 
einen  höheren  Tribut  bezahlt  hat,  als  das  ganze  Innere  imd 
der  Norden  der  Halbinsel8). 


')  Lampsakos  zahlte  an  Athen  12  Tal.,  Kyzikos  nur  9 Tal.  Tribut 
*)  Diod.  XVIII  51  (819  v.  Chr.):  ovotjt  dl  rijs  Xv(ixt]vüv  noXitu; 

i/nxaiQOTttTrjt  xnt  / uyiOTrjt . 

*)  Strab.  XII  S.  575:  fort  d’  IrafuXXos  rnis  ngiorai;  rtüv  xara  rijv 
Aalttv  7i öXfiuv  utyOtu  Tf  xal  xaXXei. 

4)  Marquardt,  Cyzicus  und  sein  Gebiä. 

5)  Plut.  LucuU.  9;  vergl.  App.  Mithr.  78. 

•)  Polyb.  38,  11,  2. 

7)  Strab.  XIII  S.  625:  ai  dl  Xagäets  tt öXis  lorl  /jtydX ij. 

®)  Herod.  III  90;  vergl.  Kiepert,  AUe  Geographie  S.  111. 


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238  (’apitel  VI. 

Audi  die  kleinasiatische  Südküste  mit  ihren  frucht- 
baren Flussthälern  und  Küstenebenen  war  ein  stark  bevölkertes 
Land.  Kibyra  vermochte  im  III.  und  II.  Jahrhundert  30000 
Mann  zu  Fuss  und  2000  Reiter  ins  Feld  zu  stellen1).  Aspen- 
dos  stellte  Achaeos  218  ein  Hülfscorps  von  4000,  Etenua  von 
8000  Hopliten2).  Selge  wird  in  Alexanders  Zeit  eine  grosse 
Stadt  genannt3);  10000  ihrer  Bürger  sollen  218  in  einer  Schlacht 
gegen  Achaeos  gefallen  sein4),  sodass  die  Angabe,  dass  Selge 
20000  Bürger  gezählt  hat5),  nicht  unglaubwürdig  scheint.  Sa- 
galessos  wird  im  IV.  wie  im  II.  Jahrhundert  als  volkreiche 
Stadt  bezeichnet  ®) ; auch  Side,  Perge,  Termessos  waren  ansehn- 
lich. Das  benachbarte  Lykien  war  ein  sehr  städtereiches  Gebiet ; 
der  Bund  zählte  23  Städte,  von  denen  allerdings  nur  6:  Xan- 
tlios,  Patara,  Pinara,  Olympos,  Myra,  Tlos,  grössere  Bedeutung 
gehabt  haben7);  immerhin  muss  das  wenig  über  8000  qkm 
grosse  Gebiet  stark  bevölkert  gewesen  sein.  — Die  reiche 
kilikische  Ebene 8)  mit  der  Gressstadt  Tarsoi B)  und  einer  Reihe 
anderer  ansehnlichen  Städte  hat  ohne  Zweifel  gleichfalls  eine 
dichte  Bevölkerung  gehabt.  Dagegen  war  das  rauhe  Kilikien 
grösstentheils  mit  Wald  bedeckt',  und  hat  in  seinen  inneren 
Theilen  städtische  Ansiedlungen  bis  auf  die  Kaiserzeit  nicht 
besessen.  Dasselbe  gilt  von  den  Landschaften  am  Ainanos. 

Das  innere  Kleinasien  ist  von  einer  weiten  Hoch- 
ebene eingenommen,  die  bereits  im  Alterthum  so  gut  wie 
völlig  waldlos  war,  zum  grossen  Theil  eine  wasserlose  Einöde. 


J)  Strabon  XIII  S.  631. 

8)  Polyb.  V 73,  3;  über  Aspenilos  8.  auch  Strab.  XIV  S.  667. 
s)  Arrian.  Anab.  I 28,  1. 

*)  Polyb.  V 72—76. 

5)  Strab.  XII  S.  570. 

®)  Arrian.  Anab.  1 28,  2;  Polyb.  bei  Liv.  38,  15. 

’)  Strab.  XIV  S.  665  nach  Artemidoros. 

8)  Xen.  Anab.  I 2,  22:  ntSlov  ptiya  x«l  xaXov ; I)iod.  XIV  20:  ni- 
fi(ov  t tüv  xara  TijV  'AoCav  ovfievä;  tü>  xuV.fi  hinauf  vor. 

®)  Xen.  Anab.  I 2,  23:  nöhv  pfyaVjv  xal  evSa(fiora-,  Diod.  XIV  20: 
/jey(arr)v  uöv  (v  Kihxiu  Ttöhmv,  Curtius  III  4,  14;  Ammian.  Marc.  XIV 
8,  3:  Cilieiam  rero  Tarsus  nobiKiat,  urbs  perspicabilis. 


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I>cr  hellenische  Osten. 


289 


Die  Cultur  ist  in  dieses  Gebiet  erst  spät  vorgedrungen , von 
Westen  her  langsam  vorschreiteud.  Städte  gab  es  hier  bis  auf 
die  Römerzeit  fast  nur  im  Südwesten,  da  wo  die  Ebene  sieh 
gegen  das  Maeanderthal  senkt,  oder  zu  den  Vorhöhen  des 
Tauros  emporsteigt;  sonst  war  die  Bevölkerung  in  Dörfer  zer- 
streut, die  Viehzucht  die  hauptsächlichste  Nahrungsquelle.  Ein 
solches  Gebiet  kann  nur  verhältnissmftssig  dünn  bewohnt  ge- 
wesen sein.  So  hören  wir,  dass  die  galatischen  Trokmer  und 
Tektosagen  im  Jahre  189  gegen  den  Consul  Cn.  Manlius 
50000  Mann  zu  Fuss  und  10000  Reiter  ins  Feld  stellten1), 
offenbar  doch  ihr  gesainmtes  Aufgebot,  da  es  sich  um  die  Ver- 
teidigung der  eigenen  Heimath  handelte.  60  000  Waffenfähige 
würden  eine  Gesammtbevölkerung  von  240000  Seelen  voraus- 
setzen. Der  dritte  Stamm,  die  Tobst obogi er,  verlor  bei  der 
Erstürmung  seiner  befestigten  Stellungen  am  Olympos  40000 
Gefangene,  meistens  Weiber  vuid  Kinder,  nach  der  Angabe  des 
Polybios,  der  diesen  Feldzug  selbst  mitgemacht  hat:  die  Zahl 
der  Gefallenen  konnte  Polybios  nicht  in  Erfahrung  bringen, 
nach  Valerius  Antias  hätte  sie  10000,  nach  Claudius  Quadri- 
garius  gar  40000  betragen2).  Und  jedenfalls  hatten  sich  viele 
durch  die  Flucht  gerettet,  da  ja  der  Stamm  durch  die  Nieder- 
lage keineswegs  vernichtet  wurde.  Rechnen  wir  die  drei 
Stämme  zu  durchschnittlich  gleicher  Stärke,  so  eigäbe  sich  für 
Galatieu  eine  Volkszahl  von  360000,  oder  da  die  Bevölkerung 
von  Pessinus  dabei  nicht  mitgerechnet  ist,  etwa  von  400000. 
Ueber  */*  Million  werden  wir,  die  Richtigkeit  von  Polvbios’ 
Angaben  vorausgesetzt,  schwerlich  hinausgehen  dürfen.  Das 
ergiebt  bei  einem  Flächenraum  von  40000  qkm  eine  Volks- 
dichtigkeit von  10  bis  12,5  auf  1 qkm,  also  eine  ziemlich 
dünne  Bevölkerung.  Das  eigentliche  Phrygien  wird  dichter 
bewohnt  gewesen  sein,  Kappadokien  dagegen  kaum  eine  stär- 
kere Bevölkerung  gehabt  haben  als  Galatien.  Der  Prätendent 
Ariarathes  brachte  323  gegen  Perdikkas  30000  Mann  zu  Fuss 


')  Liv.  38,  26,  nach  Polybios. 
2)  Liv.  88,  23. 


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240 


Capitel  VI. 


und  15000  Reiter  zusammen1);  Ariarathes  VII.  stellte  gegen 
Mithradates  im  Jahre  100  ein  „ungeheures  Heer“  auf,  das 
aber  den  90  000  Mann  des  pontischen  Königs  nicht  gewachsen 
war2).  Im  Laufe  der  Römerzeit  mag  die  Bevölkerung  des 
Landes  sich  allerdings  bedeutend  vermehrt  haben,  wie  denn 
seit  Augustus  städtisches  Leben  hier  Wurzel  zu  fassen  begann. 
Kaesareia  (Mazaka)  soll  im  II.  Jahrhundert  n.  Chr.  sogar 
400000  Einwohner  gezählt  haben3),  eine  Angabe,  die  freilich 
bei  der  trüben  Quelle,  aus  der  sie  stammt,  auf  irgend  welchen 
Werth  keinen  Anspruch  erheben  kann. 

Viel  reicher  von  der  Natur  ausgestattet  sind  die  Terrassen- 
länder an  der  Südküste  des  Schwarzen  Meeres:  Bithynien, 
I’aphlagonien,  I’ontos.  Aber  auch  diese  Länder  sind  erst  spät 
der  Cultur  erschlossen  worden.  Am  frühesten  natürlich  Bi- 
thynien. Hier  lagen  schon  seit  dem  VH.  und  VI.  Jahrhun- 
dert die  hellenischen  Colonien  Kalchedon  und  Herakleia,  die 
bald  zu  bedeutender  Blüthe  gelangt  sind.  Kalchedon  hat  um 
die  Mitte  des  V.  Jahrhunderts  an  Athen  den  hohen  Tribut  von 
9 Talenten  gezahlt.  Noch  mächtiger  war  Herakleia,  haupt- 
sächlich durch  die  starke  Bevölkerung  seines  ausgedehnten 
Landgebiets,  die  leibeigenen  Mariandyner,  die  der  Stadt  die 
Möglichkeit  gab,  eine  bedeutende  Flotte  zu  bemannen4).  Den 
Byzantiern  konnte  Herakleia  gegen  Antioehos  II.  40  Trieren 
zu  Hülfe  senden;  im  mithradatisehen  Kriege  stellte  die  Stadt 
gegen  Rom  ein  Contingent  von  5 Trieren  und  rüstete  während 
der  römischen  Belagerung  30  Kriegsschiffe  aus5).  Die  Er- 
stürmung und  Zerstörung  durch  Cato  war  ein  Schlag,  von 
dem  Herakleia  sich  nie  wieder  erholt  hat;  immerhin  kamen, 

»)  Diod.  XVIII  16. 

s)  Justin  88,  1.  7 : ingentem  exercitum. 

*)  Zonaras  XII  23. 

4)  Arist.  Pdlit.  IV  (VII)  S.  1327b:  nXq&ot(  ä'  i'/rop/otrof  ntgtoixux 
xa  J üjv  ztjv  XMOttv  yetüQyoiVTOJV,  (xifSon'av  «j ’nyxalav  ilvai  xai  tav- 
t iov  * oqüuiv  di  xai  tovto  xai  viv  indg/ov  t to(r,  olov  rij  noXet  rür 
I/gtsxXeunüv ' noXXä;  yäg  fxnXggovUt.  igujga;  xixrrjuhoi  r$  fttydXtt 
noXiv  irXguiv  tfifieXtartfittv. 

*)  Memnon  c.  23.  38.  50. 


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Der  hellenische  Osten. 


241 


als  Thrasymedes  die  Stadt  wieder  aufbaute,  einschliesslich  der 
Sklaven  8000  Ansiedler  zusammen1),  was  auf  die  frühere 
Volkszahl  einen  Schluss  gestattet. 

Im  eigentlichen  Bithynien  hat  sich  städtisches  Leben  erst 
seit  dem  HI.  Jahrhundert  entwickelt  mit  der  Gründung  von 
Xikaea  durch  Lysimachos,  von  Nikomedeia  und  Prusa  durch 
die  einheimischen  Könige;  die  Gründung  der  Städte  im  Innern 
fällt  sogar  zum  Theil  erst  in  römische  Zeit.  Doch  fand  schon 
Xenophon  in  Bithynien  „viele  und  wohlbevölkerte  Dörfer“ 3). 
Die  bithynischen  Könige  haben  denn  auch  bedeutende  Truppen- 
massen ins  Feld  stellen  können:  Nikomedes  z.  B.  gegen  Mi- 
thradates  von  Pontos  50000  Mann  zu  Fuss  und  6000  Reiter8). 

Paphlagonien  soll  am  Anfang  des  IV.  Jahrhunderts 
120000  waffenfähige  Männer  gezählt  haben4),  was  einer  Be- 
völkerung von  mindestens  */»  Million  Einwohner  entsprechen 
würde.  Das  Land  umfasste  damals  das  Gebiet  vom  Thermodon 
bis  zum  Parthenios,  also  auch  einen  grossen  Theil  des  späteren 
Pontos.  Die  einzige  bedeutendere  Stadt  war  hier  die  grie- 
chische Colonie  Sinope8),  blühend  schon  in  der  Zeit  der  Un- 
abhängigkeit, besondere  aber  seit  es  die  Residenz  der  ponti- 
schen  Könige  geworden  war.  Bei  der  Erstürmung  durch  Lu- 
cullus  sollen  8000  Bürger  umgekommen  sein6). 

Die  Küste  östlich  von  der  Mündung  des  Thermodon  war 
in  der  Pereerzeit  von  barbarischen  Stämmen  bewohnt  und 
noch  zu  Strabons  Zeit  grösstentheils  mit  Wald  bedeckt7);  die 
Bevölkerung  kann  hier  nur  eine  wenig  dichte  gewesen  sein. 
Kleinarmenien  im  Innern  theilt  die  Bodenbeschaffenheit  Kappa- 
dokiens;  Städte  hat  es  hier  vor  der  Römerzeit  nicht  gegeben. 

')  Memnon  c.  60. 

*)  Anab.  VI  4,  6:  r}  <D  niiij  ;yo5p«  — ausser  dem  waldigen  Kftsten- 
saum  — xaXi)  xnl  noXXij  xai  xintt at  (v  avrij  elat  noXXal  xal  [tu]  olxov- 
fiertti. 

3)  App.  Mithr.  17. 

4)  Xen.  Anab.  V 6,  9. 

B)  Strab.  XII  S.  545:  ä(toXoya>Tniri  tcüv  lauTy  nölttov. 

«)  Plut.  LucuVuh  28. 

7)  Strab.  XII  S.  549:  inf^xetrai  y«Q  ti9vs  ra  opf)  fitjaXXtov  tIjjptj 
xnl  Sgcftüv,  ytUQyeiuu  rf’  ov  n oXXa. 

Beloch,  Bevölkerungslehre.  I.  16 


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242 


Capitel  VI. 


Wollen  wir  nun  den  Versuch  machen,  die  Bevölkerung 
der  Halbinsel  in  Zahlen  auszudrücken , so  wäre  für  die  Hoch- 
ebene des  Innern  westlich  von  Phrygien,  nebst  dem  politischen 
Gebiet  etwa  die  Volksdichtigkeit  von  Galatien  zu  Grunde  zu 
legen,  also  für  den  Anfang  des  H.  Jahrhunderts  gegen  10  bis 
12  V»  auf  1 qkm.  Das  ergäbe  für  das  ganze  an  300000  qkm 
grosse  Gebiet  3 — 4 Millionen  Einwohner.  Bithynien  und  Phry- 
gien mögen  etwa  die  doppelte  Volksdichtigkeit  gehabt  haben, 
also  auf  95  000  qkm  gegen  2— 21/*  Millionen.  Für  die  Kiby- 
ratis  ergiebt  sich  nach  Strabons  Angaben  eine  relative  Bevöl- 
kerung von  30  auf  1 qkm;  rechnen  wir  die  gleiche  Volks- 
dichtigkeit für  alle  Landschaften  südlich  des  Tauros,  so  erhalten 
wir  für  diesen  Theil  der  Halbinsel  eine  Bevölkerung  von  reich- 
lich 2 Millionen.  Der  dicht  bevölkerte  Westen  — Karten, 
Lydien,  Mysien  — mag  50 — 60  Einwohner  auf  1 qkui  gezählt 
haben,  also  im  ganzen  auf  75  000  qkm  4 — 4‘/a  Millionen.  Eine 
weitere  halbe  Million  wird  auf  die  Inseln  zu  rechnen  sein 
(73  auf  1 qkm);  das  ergiebt  zusammen  llx/'s  bis  131/b  Mil- 
lionen Einwohner.  Bis  auf  Augustus’  Zeit  mag  die  Bevölke- 
rung, namentlich  im  Osten,  noch  etwas  gewachsen  sein  und  in 
der  ersten  Kaiserzeit  sich  noch  weiter  vermehrt  haben.  Ueber- 
haupt  ist  die  Schätzung  naturgemäss  nur  eine  ganz  ungefähre, 
die  sich  vielleicht  um  Millionen  von  der  Wahrheit  entfernt. 
Dass  aller  in  den  Jahren  65 — 61  v.  Chr. , als  Pompeius  die 
asiatischen  Verhältnisse  ordnete,  die  Bevölkerung,  wenigstens 
des  Ostens  der  Halbinsel,  nicht  wesentlich  höher  gewesen  sein 
kann,  als  hier  angenommen  worden  ist,  soll  unten  gezeigt 
werden. 


2.  Syrien. 

Eine  genaue  Scheidung  des  Wüstengebietes  von  dem  cultur- 
fähigen  Boden  in  Syrien  ist  uns  für  jetzt  noch  nicht  möglich. 
Ich  nehme  daher  das  obere  Syrien  mit  Kommagene  in  der 
Begrenzung  wie  auf  Bl.  IV  von  Kieperts  Atlas  Antiquus 
(Ausg.  von  1882),  aber  einschliesslich  von  Phoenike  nördlich 


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Der  hellenische  Osten. 


243 


des  Eleutheros  *) ; Palaestina  in  den  auf  Bl.  III  desselben  Atlas 
angegebenen  Grenzen,  also  einschliesslich  Batanaea  und  Aura- 
nitis,  aber  ausschliesslich  Idumaea;  Koele-Svrien  begrenze  ich 
im  Norden  durch  den  Eleutheros  und  den  See  des  Orontes; 
im  Osten  durch  deii  Meridian  34°  30'  östl.  Länge  von  Paris; 
im  Süden  durch  den  33.  Breitengrad  und  die  Nordgrenze  von 
Palaestina.  Eine  planimetrische  Berechnung  der  so  umschrie- 
benen Gebiete  auf  den  beiden  angeführten  Kiepertsehen  Blät- 
tern (Bl.  III  im  Maassstabe  von  1 : 1250000,  Bl.  IV  von 
1 : 4 000  000)  ergab  folgende  Zahlen : 


qkm 

Ober-Syrien  mit  Kommagene 59500 

Koele-Syrien  mit  Phoenike 20 100 

Palaestina  mit  Batanaea 29600 


109200 

Auch  bei  dieser  Begrenzung  Syriens  sind  noch  sehr  be- 
deutende Wüstenstrecken  eingeschlossen,  wobei  allerdings  zu 
berücksichtigen  ist,  dass  das  Wüstengebiet  im  Alterthum  we- 
niger ausgedehnt  war  als  heute. 

Die  einzelnen  Landschaften  von  Palaestina  haben  an 
Flächeninhalt : 


qkm 

Galilaea 

3200 

Samareia 

1800 

Judaea  

9600 

Peraea 

15000 

29600 

wobei  wieder  die  Grenzen  auf  Kieperts  Karte  zu  Grunde  ge- 
legt sind.  Nur  ist  Skythopolis  zu  Galilaea  gezogen,  während 
unter  Peraea  das  ganze  Ost-Jordanland , also  auch  Batanaea, 
Auranitis,  Amnionitis  usw.  zu  verstehen  ist. 

Dass  ein  von  der  Natur  reich  ausgestattetes  altes  Cultur- 
land  wie  Syrien  schon  früh  zu  einer  bedeutenden  Volkszahl 
gelangen  musste,  liegt  in  der  Natur  der  Sache.  Die  angeb- 
liche Volkszählung  im  jüdischen  Reiche  unter  David,  die 


>)  Strab.  XVI  S.  753. 

16* 


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244 


(,'apitel  VI. 


1 300  000  waffenfähige  Männer  ergeben  haben  sollte,  hat  frei- 
lich keine  historische  Gewähr;  aber  um  so  lauter  spricht  die 
grossartige  Colonisationsthätigkeit  der  Phoeniker.  Salmanassar  n. 
erzählt  in  seinen  Annalen,  er  habe  854  ein  syrisches  Coalitions- 
heer  geschlagen,  bestehend  aus  20000  Mann  von  Damaskos, 
10000  von  Hamath,  10000  von  Israel  und  mehreren  anderen 
Contingenten 1).  König  Menachem  von  Israel  hatte  728  an 
Tiglath  Pilesar  II.  1000  Talente  Silbers  zu  zahlen.  Zu  ihrer  Bei- 
treibung legte  er  jedem  Heerpflichtigen,  d.  h.  jedem  Besitzen- 
den, eine  Steuer  von  50  Schekel  auf;  es  muss  also  60000 
solcher  Männer  in  Israel  gegeben  haben2).  Sargon  führte  722 
aus  Samaria  27  280  Gefangene  hinweg 3) ; Sanherib  703  aus 
Aram  208000,  701  aus  Juda  200150  Menschen4).  Die  Be- 
völkerung Syriens  wird  demnach  schon  in  dieser  Zeit  auf 
mehrere  Millionen  Einwohner  zu  veranschlagen  sein5). 

Die  assyrischen  Eroberungskriege  müssen  jedenfalls  einen 
bedeutenden  Rückschlag  gebracht  haben,  und  es  ist  nicht  an- 
zunehmen, dass  die  Bevölkerung  unter  dem  Druck  der  persi- 
schen Fremdherrschaft  wesentlich  gewachsen  ist.  Ein  um  so 
grösserer  Aufschwung  erfolgte  nach  der  griechischen  Eroberung, 
als  Syrien  durch  Antigonos  und  Seleukos  zum  Mittelpunkt  des 
neuen  asiatischen  Reiches  gemacht  wurde  und  sich  mit  make- 
donischen Colonien  bedeckte.  Zur  Perserzeit  W'aren  in  Syrien 
ausser  den  phoenikischeu  Küstenstädten  Tyros,  Sidon,  Byblos, 
Tripolis  nur  Damaskos  und  etwa  Thapsakos6)  von  einiger  Be- 
deutung: und  auch  das  waren  keineswegs  Gressstädte  in  un- 
serem Siime,  denn  selbst  Tyros7)  und  Sidon8),  die  ersten 
darunter,  haben  um  die  Mitte  des  IV.  Jahrhunderts  nicht  über 

’)  Duncker,  Gesch.  des  Alterth.  II6  244. 

a)  E.  Meyer,  Gesch.  des  Alterth.  I 449. 

*)  Duncker  II 8 323. 

0 EL  Meyer  I 464.  467. 

*)  Das  Urtheil  über  den  Werth  dieser  Zahlen  muss  natürlich  den 
Assyriologen  überlassen  bleiben. 

*)  Xen.  Anab.  14,  11:  jtoXis  /neyalrj  xnl  (vJcu'uatv. 

T)  Arrian  Anab.  II  24;  Diod.  XVII  46. 

«)  Diod.  XVI  45. 


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Der  hellenische  Osten. 


245 


40  000  Einwohner  gezählt.  Unter  der  Herrschaft  der  Seleukiden 
dagegen  erhielt  Syrien  in  Antioeheia  eine  Weltstadt,  die  hinter 
dem  aegyptischen  Alexandreia  nicht  weit  zurückstand1)  und 
also  um  den  Beginn  unserer  Zeitrechnung  nahe  an  300000 
freie  Einwohner  gezählt  haben  muss.  Apameia  zählte  6/7 
n.  Chr.  eine  freie  Bevölkerung  von  117  000,  die  freilich  zum 
grossen  Theil  in  ilem  weiten  und  fruchtbaren  Gebiete  zerstreut 
lebte2).  Auch  Laodikeia  war  eine  sehr  ansehnliche  Stadt3). 
Kleiner  war  Seleukeia  in  Pierien , das-  220  nicht  über  6000 
Bürger  gezählt  hat4).  Sidon  und  Tvros  haben  sich  bald  von 
den  Schlägen  durch  Ochos  und  Alexander  erholt,  und  in  der 
Diadoehenzeit  ihren  alten  Rang  wieder  eingenommen5).  Dazu 
treten  jetzt  als  neue  Grossstädte  in  Phoenikien  Ptolemais6),  in 
Judaea  seit  der  Makkabaeerzeit  Hierosolyma,  seit  Herodes 
Kaesareia 7). 

So  hat  Syrien  während  der  ganzen  hellenistischen  Periode 
die  Länder  des  Westens  mit  Sklaven  versorgt,  in  noch  höherem 
Maasse  als  Kleinasien.  Man  denke  an  den  national-syrischen 
Charakter  des  ersten  sicilischen  Sklavenkrieges.  Daneben  hat 
namentlich  aus  Palaestina  eine  sehr  starke  freie  Auswanderung 
stattgefunden.  Um  den  Beginn  unserer  Zeitrechnung  waren 
alle  Nachbarländer,  besonders  Aegypten,  Kyrene  und  Kypros 
von  Juden  erfüllt8). 

Ueber  die  Volkszahl  des  nördlichen  und  mittleren  Syrien 
fehlt  jede  Angabe.  Um  so  besser  unterrichtet  sind  wir  an- 
scheinend über  die  Bevölkeinng  Palaestinas.  Josepos  berichtet 


*)  Strab.  XVI  S.  750:  ov  nolv  tc  lelnuai  xal  d vvuutt  xal  ufyOlu 
JZtXtvxtfa;  rrjf  (nl  tiü  TtyQH  xal  'Alt£avd(>e(a;  rrji  nn6(  Alyvnrqi. 

a)  Ephemeris  epigraphica  IV  S.  587 — 542;  über  das  Gebiet  Strabou 
XVI  S.  752  f. 

s)  S.  den  Art.  Laodicea  in  Paulys  Beal-Encydopacdie. 

*)  Polyl).  V 61,  1.  Unter  den  ti.ev&tQoi  sind  docli  wohl  nur  die  er- 
wachsenen Männer  zu  verstehen,  da  sonst  Seleukeia  zur  Kleinstadt  würde. 

*)  Strab.  XVI  S.  756:  äfiipoTtQat  d‘  ovv  fr  cfofo»  xal  Xap7iQui  xal 
TTttlai  xal  vvv. 

«)  Strab.  XVI  S.  758:  pcydlr,  n6hS- 

1)  Josep.  Jüd.  Kr.  III  9,  1:  peytarrjv  rijf  'fovdalas  mUv. 

8)  Philon  g.  Flaccus  7,  Gesandtschaft  an  Gaitis  31. 


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246 


Capitel  VI. 


uns  nämlich,  es  seien  unter  Nero  am  Paschafeste  in  Jerusalem 
256  500  Opferthiere  dargebracht  worden,  nach  einer  Zählung, 
welche  die  Priester  auf  Veranlassung  des  römischen  Statthalters 
Cestius  vomahmen.  Jedes  Thier  wurde  von  einer  Gesellschaft 
von  10 — 20  Köpfen  geopfert  — 10  war  das  Minimum  — , so 
dass,  15  als  Mittel  genommen,  die  Zahl  der  Opfernden  sich 
auf  3 847  500  belaufen  müsste1).  Kein  Verständiger  wird 
glauben,  dass  bei  den  damaligen  Verkehrsverhältnissen  eine 
solche  Menschenzahl,  oder  um  das  Minimum  zu  nehmen,  auch 

nur  2 1 2 Millionen  sich  auf  einem  Punkt  versammeln  konnten: 

/ 7 

vielmehr  ist  die  Angabe  nur  ein  Beweis  für  die  Grossmäulig- 
keit  des  Josepos  und  den  Mangel  an  Kritik  derer,  die  ihm 
nachgeschrieben  halten.  Im  besten  Falle  hat  er  die  ihm  vor- 
liegende Zahl  der  Opferthiere  einfach  mit  10  multiplicirt. 
Auch  dann  kommt  noch  eine  ganz  ungeheure  Zahl  von  Pilgern 
zum  Paschafeste  heraus. 

Nach  dieser  Probe  werden  wir  auch  die  übrigen  Zahlen 
bei  Josepos  mit  gerechtfertigtem  Misstrauen  betrachten.  Das 
Papier  ist  geduldig;  und  wo  es  sich  um  Judenverfolgungen 
oder  um  Befriedigung  der  eigenen  Eitelkeit  handelt,  haben 
Juden  immer  den  Mund  vollgenommen.  Trotzdem  wollen  wir, 
in  Ermangelung  eines  bessern,  Josepos’  Angaben  hier  zu  Grunde 
legen.  Josepos  sagt,  er  habe  in  Galilaea  bei  dem  Aufstande 
gegen  Nero  100  000  Mann  ausgehoben.  Von  diesen  aber  habe 
er  nur  die  Hälfte  bei  den  Fahnen  behalten,  die  anderen  in 
ihre  Heimath  zurückgeschickt,  zur  Bestellung  der  Felder4). 
Wenn  das  nöthig  war,  müssen  überhaupt  alle  Waffenfähigen 
ausgehoben  wrorden  sein.  Galilaea  also  hätte  68  n.  Chr.  gegen 
400000  Einwohner  gezählt,  125  auf  1 qkm:  das  ist  eine  sehr 
hohe  Bevölkerung,  die  aber  für  ein  fruchtbares  Land  wie  Ga- 
lilaea, den  reichsten  District  in  Palaestina,  immerhin  möglich 

')  Jüd.  Kr.  VI  9,  8.  Josepos  selbst  rechnet  2700000  heraus.  Sehr 
richtig  sagt  Smith,  Dictionary  of  the  Bible  I 1025:  the  assertions,  that 
3000000  leere  codected  at  the  Passover,  that  a million  of  people  perished 
in  the  siege,  that  1 OO  OOO  escaped,  etc.  are  so  childish,  that  it  is  surprizing 
that  any  one  could  ever  hare  rejteated  them. 

»)  Jüd.  Kr.  II  20,  6.  8. 


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Der  hellenische  Osten. 


247 


ist.  Auf  jede  der  204  Städte  und  Dörfer1)  kämen  dann  im 
Durchschnitt  2000  Einwohner.  Von  der  Peraea  sagt  Josepos 
ausdrücklich,  dass  sie,  obwohl  Galilaea  an  Grösse  überlegen, 
doch  an  Bevölkerung  dahinter  zurückstand2).  Unter  Peraea 
versteht  er  das  Ost-Jordanland  südlich  von  Pella,  also  dem  See 
Genezaretb;  indess  haben  Batanaea  und  Auranitis  dieselbe, 
oder  noch  ungünstigere  Bodenbeschaffenheit,  so  dass  ihre  Volks- 
dichtigkeit hinter  der  von  Peraea  im  engeren  Sinne  noch  zurück- 
geblieben sein  muss.  Wir  werden  also  für  das  Ost-Jordanland 
höchstens  eine  Bevölkerung  von  Vs  Million  ansetzen  dürfen, 
Sollen  doch  die  benachbarten  Nabataeer  im  III.  Jahrhundert 
nur  etwa  10000  erwachsene  Männer  gezählt  haben8),  was  auf 
eine  noch  viel  dünnere  Bevölkerung  dieser  Gegenden  führen 
würde.  Samareia  und  Judaea  allerdings  waren  stärker  be- 
völkert 4),  stehen  indess  an  Fruchtbarkeit  hinter  Galilaea  zurück ; 
wie  denn  das  ganze  Gebirgsland  von  Jericho  bis  Skythopolis 
unbewohnt  war5),  und  die  Ufer  des  todten  Meeres  in  Judaea 
völlig  wüst  lagen.  Bei  dem  grossen  Aufstande  gegen  Nero  und 
Vespasian  betrug  das  Aufgebot  von  Samareia  nicht  über  11600 
Mann B) ; mag  das  auch  nur  der  dritte  Theil  aller  Waffenfähigen 
gewesen  sein,  so  erhielten  wir  eine  Bevölkerung  von  140  000 
Einwohnern , oder  annähernd  80  auf  1 qkm.  Dieselbe  Volks- 
dichtigkeit auf  Judaea  angewandt,  würde  für  dieses  768000 
Bewohner  ergeben.  Allerdings  sollen  in  Jerusalem  zu  Anfang 
der  Belagerung  nach  Tacitus  600  000  Menschen 7),  nach  Josepos 
sogar  fast  die  doppelte  Zahl8)  zusammengedrängt  gewesen  sein; 


’)  Josep.  Autobiographie  45:  du xxoOittl  xa't  t (ooagi;  xaia  rr]i'  rnXi- 
Xaiav  itoi  nöXns  x«!  xtöptu.  Nach  Jüd.  Kr.  III  8,  2 hätte  die  kleinste 
xtifig  in  Galilaea  über  15000  Einwohner  gezählt. 

*)  Jüd.  Kr.  III  3,  3. 

8)  Diod.  XIX  94:  rbv  itgdt/xov  ovtt;  ov  7toXv  nXtfov { xüv  u vgitav. 

4)  Josep.  Jüd.  Kr.  III  3,  4:  ptyioiov  yi  figv  rfx/jrjQiov  flgtrgs  x«i 
ei'ihjvittf  TO  nXrjfXveiv  itvSgdji’  ixaidgav. 

5)  Josep.  Jüd.  Kr.  IV  8,  2. 

*)  Josep.  Jüd.  Kr.  III  7,  32.  Vielleicht  hat  Josepos  hier  ausnahms- 
weise einmal  nicht  gelogen. 

7)  Tacitus  Hist.  V 18;  Oros.  VII  9. 

8)  Jüd.  Kr.  VI  9,  3. 


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248 


Capitel  VI. 


aber  einerseits  sind  diese  Angaben  ohne  Zweifel  sehr  ül>er- 
trieben,  andererseits  wissen  wir,  dass  ein  grosser  Theil  der 
Landbevölkerung  Judaeas  und  des  übrigen  Palaestina  hinter 
den  Mauern  der  Hauptstadt  Schutz  suchte.  Der  Flächeninhalt 
von  Jerusalem  innerhalb  der  herodisehen  Mauer  beträgt  etwa 
112  Hektar;  die  Bevölkerung  kann  also  auch  bei  der  dich- 
testen Bebauung  kaum  über  100000  betragen  haben.  Nach 
Hekataeos  von  Abdera  soll  die  Stadt  unter  Ptolemaeos  I.  an- 
geblich 120000  Einwohner  gezählt  haben1).  Bei  der  Erobe- 
rung durch  Titus  betrog  nach  Josepos  die  Zahl  der  Gefangenen 
97  000 2),  was  glaubwürdig  scheint.  Wenn  die  Belagerung  und 
Erstürmung  sehr  zahlreiche  Opfer  gefordert  hatten,  so  waren 
dafür  sehr  zahlreiche  Flüchtlinge  von  auswärts  in  Jerusalem 
zusammengedrängt. 

Die  Bevölkerung  von  Palaestina  unter  Nero  kann  dem- 
nach 2 Millionen  kaum  erreicht  haben.  Der  Aufstand  hat 
natürlich  eine  beträchtliche  Verminderung  gebracht;  doch  liegt 
es  in  der  Natur  der  Sache,  dass  solche  Verluste  bald  wieder 
ausgeglichen  werden.  Bei  dem  Aufstaude  unter  Hadrian  sollen 
dann  nochmals  580  000  Juden  umgekommen  sein  ausser  denen, 
die  Krankheiten  und  Hunger  erlagen,  so  dass  Judaea  angeblich 
fast  ganz  verödete8). 

Wenn  wir  die  so  für  Palaestina  gefundene  Volksdichtig- 
keit von  67  auf  1 qkm  auf  ganz  Syrien  anwenden,  so  erhalten 
wir  für  Neros  Zeit  eine  Bevölkerung  von  7 Millionen:  ein  Er- 
gebnis, das  mindestens  nicht  hinter  der  Wahrheit  Zurück- 
bleiben wird.  Wir  haben  dafür  auch  ein  officielles  Zeugniss. 
Auf  seinem  Weihgeschenk  im  Tempel  der  Minerva  zu  Rom 
gab  Pompeius  an,  er  habe  12183000  Menschen  in  1538  Städten 
oder  befestigten  Plätzen  getödtet,  gefangen  genommen  oder 
unterworfen,  und  zwar  in  Asien,  Pontos,  Armenien,  Paphlago- 
nien,  Kappadokien,  Kilikien,  Syrien,  Skythien,  Judaea,  Albanien, 


*)  Bei  Josep.  g.  Apion  I 22.  Doch  ist  Josepos  so  durch  und  durch 
verlogen,  dass  das  Zeugniss  des  Hekataeos  sehr  wohl  gefälscht  sein  kann. 
!)  Josep.  Jüd.  Kr.  VI  9,  3. 
s)  Dio  Cass.  69,  14. 


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Der  hellenische  Osten. 


249 


Kreta  und  dem  Gebiet  der  Bastarener 1).  Dass  es  sieh  hier  um 
die  Gesammtbevölkerung  der  unterworfenen  Landschaften  han- 
delt, ist  evident®),  und  ebenso,  dass  Pompeius  nicht  sein  Licht 
unter  den  Scheffel  gestellt  und  die  Zahl  der  Unterworfenen  zu 
gering  angegeben  haben  wird.  Andererseits  waren  die  errun- 
genen Erfolge  so  gross,  dass  ein  Grund  zur  Uebertreibung 
kaum  vorlag.  Ausserdem  war  Pompeius,  der  Reorganisator 
von  Pontos,  Kappadokien,  Kilikien  und  Syrien,  wenn  irgend 
Jemand,  in  der  Lage,  die  Einwohnerzahlen  dieser  Länder  zu 
kennen.  Für  Armenien  und  die  Kaukasosländer  freilich  war 
er  auf  vage  Schätzungen  angewiesen,  die  er  immerhin  besser 
zu  machen  im  Stande  war,  als  irgend  ein  anderer  seiner  Zeit- 
genossen. Also  das  Gebiet  von  der  aegyptischen  Grenze  zum 
Pontos  Euxeinos  und  Kaukasos  und  zwischen  Halys  und 
Euphrat  hat  um  60  v.  Chr.  nicht  über  12  Millionen  Einwohner 
gezählt.  Auf  die  östlichen  Landschaften  Kleinasiens  werden  nach 
dem  oben  gesagten  kaum  ül>er  4 Millionen  zu  rechnen  sein; 
nehmen  wir  weitere  2 — 3 Millionen  für  Armenien  und  die 
Nachbarländer,  so  bleiben  für  Syrien  5 — 6 Millionen.  Es  ist 
durchaus  wahrscheinlich , dass  die  Bevölkerung  dieses  Landes 
von  60  v.  Chi-,  bis  60  n.  Chr.  sich  um  1 — 2 Millionen  vermehrt 
hat.  Aber  natürlich  bleibt  auch  die  Möglichkeit,  dass  die 
obige  Schätzung  um  einige  Millionen  zu  hocli  ist. 


Kypros  hat  eineu  Flächenraum  von  9599,2  qkm8).  Dass 
die  fruchtbare 4),  alteultivirte  Insel  eine  bedeutende  Bevölkerung 
gezählt  hat,  werden  wir  voraussetzen  dürfen.  Zu  der  Flotte 
des  Xerxes  soll  Kypros  150  Trieren  gestellt  haben5);  Euagoras 
von  Salamis  hatte  70  Trieren,  und  ohne  die  Bundesgenossen 


>)  Plin.  N.  H.  VII  97 : Cn.  Pompeius  ....  fusis,  fugatis,  occisis,  in 
deditionem  accqitis  hominum  centiens  riciens  semel  LXXXI1I  oppidis 
Castellis  MDXXXVIII  in  fidetn  receptis,  terris  a Maeoti  ad  Rubrum  Mare 
subactis,  votum  merito  Minervas. 

9)  Mominsen.  R.  G.  III8  S.  147. 

*)  Nach  der  planimetrisohen  Berechnung  von  Strelbitzky  a.  a.  0.  S.  155. 
0 Vgl.  Strab.  XIV  S.  684. 

8)  Herod.  VII  90. 


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250 


Capitel  VI. 


und  Soldtruppen  ein  Landheer  von  6000  Mann;  während  des 
Krieges  gegen  die  Perser  stellte  er  noch  weitere  50  Trieren 
auf1).  Bei  der  Belagerung  von  Tyros  wurde  Alexander  von 
den  kyprisehen  Königen  mit  120  Trieren  unterstützt 2).  Dem 
Judenaufstand  unter  Traian  117  n.  Chr.,  bei  dem  Salamis  zer- 
stört wurde,  sollen  240000  Bewohner  der  Insel  zum  Opfer 
gefallen  sein8).  Weniger  als  50  Seelen  auf  1 qkm  werden 
wir  für  die  beste  Zeit  der  Insel  kaum  rechnen  dürfen,  was 
annähernd  eine  halbe  Million  Einwohner  ergeben  würde;  viel- 
leicht, ja  wahrscheinlich,  ist  die  Bevölkerung  grösser  gewesen. 

3.  Das  obere  Asien. 

Ueber  die  Bevölkerung  der  oberen  Satrapien  des  persischen 
oder  Seleukidenreiches,  und  später  des  Fartherreiches  fehlt  so 
gut  wie  jede  numerische  Angabe.  Dass  diese  Bevölkerung, 
absolut  genommen,  ansehnlich  sein  musste,  zeigen  die  grossen 
Heeresmassen,  die  von  den  persischen  und  parthischen  Königen 
ins  Feld  gestellt  worden  sind;  aber  bei  der  gewaltigen  Aus- 
dehnung der  Länder  zwischen  Euphrat  und  Indos  verträgt  sich 
damit  sehr  wohl  eine  relativ  gelinge  Bevölkerung. 

Am  dichtesten  bewohnt  war  ohne  Zweifel  die  Tiefebene 
am  unteren  Euphrat  und  Tigris.  Die  Ausdehnung 
dieser  Ebene  muss  zu  mindestens  130000  qkm  veranschlagt 
werden4),  d.  h.  viermal  der  Fläche  des  aegyptisehen  Kilthaies. 
I lass  Babylonien  an  absoluter  Bevölkerung  Aegypten  überlegen 
war,  ist  schon  hiernach  sehr  wahrscheinlich,  mochte  es  auch 
an  Dichtigkeit  der  Bevölkerung  dahinter  zurückstehen.  Baby- 
lonien und  Susiana  zusammen  haben  unter  Dareios  etwa  den 
doppelten  Tribut  bezahlt  wie  Aegypten  (1300  gegen  700  Ta- 
lente) s) ; da  nun  Aegypten  am  Ende  der  Perserherrschaft  etwa 
3 Millionen  Einwohner  gezählt  hat,  so  mögen  für  die  Länder 


J)  Diod.  XV  2.  3. 

2)  Arr.  Anab.  II  20,  3. 

3)  PioCass.  68,  32;  vgl.  Eus.  Chron.  II  S.  164  Schoene;  Oros.  VII  12,8. 

4)  Kiepert,  Alte  Geographie  S.  138  Anm.  3. 

*)  Herod.  III  91.  92. 


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Der  hellenische  Osten. 


251 


am  unteren  Euphrat  und  Tigris  etwa  6 — 8 Millionen  auzuneh- 
men  sein,  d.  h.  46 — 60  auf  1 qkm. 

Um  so  dünner  bewohnt  war  Mesopotamien.  Sesshafte 
Bevölkerung  und  städtisches  Leben  fand  sich  hier  nur  im 
Norden,  in  Osroene  und  Mygdonien;  alles  übrige  ist  und  war 
Wüste,  von  arabischen  Nomaden  durchzogen.  Dagegen  das 
Quellgebiet  des  Euphrat  und  Tigris  und  die  Länder 
am  Südabhang  des  Kaukasos  sind  im  ersten  Jahrhundert 
vor  unserer  Zeitrechnung  zu  einer  verhältnissmässig  zahlreichen 
Bevölkerung  gelangt.  Mögen  die  Angaben  über  die  Zahl  der 
von  König  Tigranes  ins  Feld  gestellten  Heere  auch  sehr  über- 
trieben sein1),  so  lässt  doch  die  politische  Stellung  Armeniens 
in  dieser  Zeit  keinen  Zweifel,  dass  das  Land  im  Stande  war, 
bedeutende  Truppenmassen  zu  liefern. 

Die  Albaner  am  Kaukasos  sollen  gegen  Pompeius  60000 
Mann  zu  Fuss  und  12000  Reiter  ins  Feld  gestellt  haben2).  Die 
Angabe  stammt  von  dem  Augenzeugen  Theophanes  von  Mvtilene, 
dem  Freund  und  Geschichtschreiber  des  Pompeius,  und  wird 
also  wohl  Glauben  verdienen;  auch  scheint  eine  Bevölkerung 
von  300000  Einwohnern,  oder  wenn  es  hier  wie  in  Iberien8) 
neben  den  Kriegern  noch  eine  Klasse  von  Leibeigenen  ( ßaot • 
h/.oi  dovXoi)  gegeben  hat,  vielleicht  von  V»  Million,  wie  sie 
sich  danach  für  Albanien  ergeben  würde,  keineswegs  übertrieben. 

Die  westlich  benachbarten  Iberer  waren  nach  Theophanes 
weniger  zahlreich  als  die  Albaner4);  immerhin  stellten  auch 

*)  Nach  Plut.  ImcuIL  26  : 225  000  Combattanten , 35000  Nichtcom- 
battanten.  Es  war  das  Gesamm taufgebot  von  Armenien,  Medien,  Adiabene 
nebst  arabischen  und  kaukasischen  Hülfsvölkem.  Plutarchs  Quelle  waren 
wahrscheinlich  die  Historien  Sallusts  (Peter,  Quellen  Plutarchs  S.  106  f.). 
Eutropius  VI  9 giebt,  ohne  Zweifel  nach  Livius,  das  Heer  zu  7500  Panzer- 
reitem  und  100  000  Bogenschützen  und  Schwerbewaffneten  an. 

*)  Strab.  XI  S.502;  Plut.  Pomp.  35;  vgl.  Neumann,  Strabons  Landes- 
kunde von  Kaulcasien  in  Fleckeisens  Jahrb.  Supjd.  XIII  S.  346. 

»)  Strab.  XI  S.  501. 

*)  Strab.  XI  502  (von  den  Albanern):  <rr(Xi.ovot  <Ji  rijf 

ot quj tag.  Bei  Plut.  Potnp.  34:  tnl  rov { IßrfQnc  e,  nX>}9ei  fiiv  orx 
SitiTTora(,  fiaxifituTfyot’S  ßf  tiüv  ir^iov  (14 Ißavtör)  ovuti,  ist  ovx  wohl 
zu  streichen. 


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252 


Capitel  VI. 


sie  bedeutende  Streitkräfte.  In  der  Schlacht  gegen  Pompeius 
sollen  sie  9000  Todte  und  über  10000  Gefangene  verloren 
haben1).  Einschliesslich  Kolchis  mag  demnach  für  die  Land- 
schaften am  Südabhange  des  Kaukasos  im  I.  Jahrhundert  eine 
Bevölkerung  von  gegen  1 Million  anzunehmen  sein. 

Von  den  Landschaften  der  iranischen  Hochebene 
war  zu  Alexanders  Zeit  Persis  am  besten  bevölkert2).  Doch 
schätzt  Xenophon  die  Zahl  der  Perser  auf  nicht  mehr  als 
120000  erwachsene  Männer3),  was  auf  etwa  Vs  Million  Ein- 
wohner führen  würde.  Und  als  Alexander  im  Winter  381  auf 
330  in  Persis  einfiel,  betrug  das  persische  Aufgebot  nur  40  000 
Mann  zu  Fuss  und  700  Reiter4);  allerdings  waren  die  schweren 
Verluste  bei  Issos  und  Arbela  vorausgegangen.  Das  Areal  be- 
trägt etwa  140000  qkm,  so  dass  nach  Xenophon  3,6  Ein- 
wohner auf  1 qkm  entfallen  wären.  Selbst  im  heutigen  Persien, 
das  so  w eite  Wüstenstrecken  einschliesst,  zählt  man  5 Einwohner 
auf  1 qkm.  Xenophons  Schätzung  wird  also  immerhin  etwas 
hinter  der  Wahrheit  Zurückbleiben,  wenn  auch  schwerlich  sehr 
viel.  Die  meisten  übrigen  Theile  der  im  ganzen  etwa  3 Mil- 
lionen qkm  grossen  iranischen  Hochebene  sind  dagegen  im 
Alterthum  ohne  Zweifel  nur  spärlich  bewohnt  gewesen. 

Die  Inder  erklärt  Herodot  für  das  zahlreichste  aller 
Völker  der  Erde5);  wie  denn  auch  heute  Indien  an  Volkszahl 
nur  hinter  China  zurücksteht.  Ebenso  zeigen  uns  die  Berichte 
über  den  Zug  Alexanders,  dass  das  nordwestliche  Indien  ein 
Land  mit  starker  Bevölkerung  gewesen  ist.  Allein  im  Lande 
der  Glauganiten  zwischen  Hydaspes  und  Akesines  nahm  Alexan- 
der angeblich  37  Städte,  von  denen  die  kleinste  5000.  viele 
über  10000  Einwohner  hatten,  ausserdem  viele  volkreiche 
Dörfer®);  zwischen  Hydaspes  und  Hypanis  sollen  5000  Städte 

*)  Plut.  Pomp.  34. 

2)  I)iod.  XIX  21:  nolvttv&Qomfx}  rt  nolii  ötaififynv  auußcttvti  tjj>’ 
yuifiav  tccvttjv  Ttöf  aXlwP  auToantioh-, 

8)  Kyrop.  12,  15:  Myovxai  /uh'  y«p  ntyoiu  tx/jif  i rä(  iSioßexa  uu- 
Qtäifa;  tlvat. 

4)  Arr.  Anal.  III  18,  2. 

B)  Herod.  V 3:  Öpiji'xcur  e&vo;  utyiaiöv  (an  pfra  ye  'IrAovt 
nav-rtov  avftodmttiv.  Ebenso  Ktesias  am  Anfang  der  Inäika. 

B)  Arr.  Annh.  V 20,  4. 


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Der  hellenische  Osten. 


253 


„nicht  kleiner  als  Kos“  gelegen  haben.  Poros  konnte  gegen 
Alexandros  300  Streitwagen.  4000  Reiter,  50000  Mann  zu  Fuss 
ins  Feld  führen1).  Nach  Plinius  soll  der  König  der  Prasier 
um  Palibothra,  des  mächtigsten  indischen  Volkes,  ein  Heer  von 
600000  Mami  zu  Fuss  und  30000  Reitern  unterhalten  haben; 
andere  indische  Staaten  hätten  Heere  von  50000,  60000, 
100  000  Mann ä).  Eine  numerische  Bestimmung  der  Bevölkerung 
Indiens  im  Alterthum  ist  auf  Grund  solcher  und  ähnlicher,  zum 
Theil  offenbar  sehr  übertriebener  Angaben  natürlich  unmöglich ; 
nur  dass  das  Land  nach  antiken  Begriffen  sehr  bevölkert  war, 
beweisen  sie  allerdings.  Freilich  wird  aller  Analogie  nach  die 
Bevölkerung  Indiens  in  dieser  Zeit  hinter  der  heutigen  Bevöl- 
kerung weit  zurückgeblieben  sein. 

Dagegen  besitzen  wir  über  die  Bevölkerungsverhältnisse 
Chinas  einheimische  Angaben  aus  sehr  alter  Zeit,  angeblich 
zum  Theil  aus  officiellen,  zu  Steuerzwecken  gemachten  Er- 


hebungen.  Danach  hätte  China 

gezählt8) : 

Familien 

Seelen 

2275  v.  Chr 

. 

13  553  923 

im  XI.  Jahrh 

. — 

13  704  923 

685  v.  Chr 

. 

11  941  923 

2 n.  Chr. 

. 12  233  062 

59  594978 

57  „ 

. 4 27  9 634 

21  007  820 

75  „ 

. 5 860  173 

34  125  021 

88  „ 

. 7 456784 

43  356  367 

105  „ 

. 9 237112 

53  256  229 

125  „ 

. 9 647  838 

48  690789 

144  „ 

. 9 946  919 

49  730550 

145  „ 

. 9 937  680 

49  524 183 

146  „ 

. 9 348  227 

47  566  772 

157  „ 

. 10  677  960 

56  486  856 

220—242  „ 

. 1363000 

7 682  881 

280  „ 

. 2 459  804 

16163  863 

580  „ 

. 3 590  000 

9 009  604 

606  „ 

. 8 907  536 

46  019  956 

l)  Diod.  XVII  87;  Aman  Anal.  V 15,  5. 

*)  Plin.  H.  N.  VI  66—68. 

*)  Nach  J.  Sacharoff,  Historische  Uebersicht  über  die  Bevölkerungs- 
verhältnisse  Chinas  in  den  Arbeiten  der  kaiserl.  russischen  Gesandtschaft 
zu  Peking  über  China,  II  S.  127 — 195,  Berlin  1858.  ; ; ......  •' 


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254 


Capitel  VI. 


Der  Rückgang  der  Bevölkerung  im  III.  Jahrhundert  er- 
klärt sich  zum  Theil  durch  die  Spaltung  des  Reiches  in  mehrere 
selbständige  Staaten.  Das  Urtheil  über  den  Werth  der  Zahlen 
seihst  muss  natürlich  den  Sinologen  überlassen  bleiben. 


4»  Aegypten. 

Das  Nilthal  von  Syene  abwärts  hat  nach  Schweinfurths 
Berechnung  einen  Flächenraum  von  31001  qkm;  davon  ent- 
fallen auf 

Ober-  und  Mittel-Aegypten  mit  dem  Fayiun  12  959  qkm 
das  Delta 18942  qkm'). 

Eine  officielle  Angabe  von  1873  giebt  29400  qkm8);  eine  an- 
dere ebenfalls  officielle  Angabe  von  1879  berechnet  das  nutz- 
bare und  vermessene  Gebiet  nur  auf  24 1 97  qkm 3).  Nach  der 
neuesten  Angabe  von  Amici-Bey4)  hat  Aegypten  ohne  die 
Wüste  ein  Areal  von  33238,5  qkm,  wovon  aber  5551  qkm 
auf  die  Seen  und  Strandlagunen  entfallen.  Es  bleibt  also  ein 
cultui  fähiges  Areal  von  27687,5  qkm.  Die  Oasen  der  libyschen 
Wüste  haben  nach  Rohlfs  nicht  mehr  als  103  qkm  angebaute 
Fläche r>).  Der  ganze  Rest  des  Landes  — über  500  000  qkm  — 
ist  Wüste;  und  mag  immerhin  im  Alterthum  die  Bewässerung 
und  damit  die  Cultur  etwas  weiter  vorgedrungen  sein  als  heute, 
sehr  bedeutend  kann  der  Unterschied  bei  dem  nahen  Heran- 
treten der  Höhenzüge  an  den  Nil  nicht  gewesen  sein. 

Dass  ein  altes  Culturland  von  solcher  Fruchtbarkeit  eine 
starke  Bevölkerung  haben  musste , würden  wir  auch  ohne 


*)  Belun  und  Wagner,  Die  Bevölkerung  der  Erde  II  S.  54. 

2)  Bei  Behm  und  Wagner  a.  a.  0. 

3)  a.  a.  0.  VI  S.  65,  nach  Amid,  Essay  de  Statistique  ginerale  de 
VEgypte,  Kairo  1879. 

4)  VEgypte  ancienne  et  moderne  et  son  dernier  recensement  ( Alexan - 
drie  1884)  S.  51.  Die  Siulgrenzc  ist  hier  bei  Wadi-Halfa  angenommen, 
doch  hat  das  Nilthal  von  dort  bis  Assuan  nur  einen  sehr  geringen  Flächen- 
raum. 

, 6)  Behm, und  Wagner  a.  a.  0.  IV  S.  59. 


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Der  hellenische  Osten. 


255 


Zeugnisse  voraussetzen  dürfen.  Es  ist  denn  auch  nur  eine 
Stimme  darüber  im  Alterthum1).  Das  Nilwasser  sollte  die 
Eigenschaft  besitzen,  die  Fruchtbarkeit  der  Frauen  zu  beför- 
dern2). Schon  Herodot  weiss  von  20000  Städten  zu  be- 
richten, die  Aegypten  unter  Amasis  gezählt  haben  sollte8); 
nach  Theokrit  hätte  Ptolemaeos  Philadelphos  gar  über  33333 
Städte  geherrscht  *).  Timon  von  Phleius,  der  Sillograph,  spricht 
um  die  Mitte  desselben  Jahrhunderts  von  dem  „volkreichen 
Aegyptos“ s).  Als  der  jüngere  Scipio  unter  Ptolemaeos  Physkon 
nach  Aegypten  kam,  bewunderte  er  die  Menge  der  Städte  und 
die  „unzähligen  Myriaden  der  Bewohner“  ®).  Noch  Prokop 
sagt,  Aegypten  habe  „von  Alters  her“  eine  starke  Bevölkerung; 
olfenbar  also  hatte  es  dieselbe  noch  zu  seiner  Zeit7).  Uebri- 
gens  gehört  auch  heute  das  Nilthal  zu  den  am  besten  l>evöl- 
kerten  Gebieten  der  Erde. 

Statistische  Aufnahmen  sind  in  Aegypten  schon  früh  ver- 
anstaltet worden.  Verzeichnisse  der  Geburten  und  Todesfälle 
wurden  gehalten,  und  mindestens  seit  der  Lagidenzeit  die  Be- 
völkerung zum  Zwecke  der  Steuererhebung  censirt8).  Ueber 
die  Zahl  der  Einwohner  berichtet  Diodor  nach  Hekataeos  von 
Abdera,  Aegypten  hal>e  „vor  Alters“  alle  bekannten  Länder 
an  Menge  des  Volks  übertroffen  und  stehe  auch  jetzt  darin 
keinem  andern  Lande  nach;  in  den  alten  Zeiten  habe  es  nach 
Angabe  der  heiligen  Schriften  über  18000  Städte  und  ansehn- 
liche Dörfer  gezählt,  unter  Ptolemaeos  I.  mehr  als  30000;  die 
Einwohnerzahl  habe  vor  Alters  gegen  7 Millionen  betragen 


»)  S.  Diod.  I 80. 

*)  Aelian,  Thierg.  III  13;  Pliu.  VII  3,  vgl.  1X84;  Seneca,  Nat.Quacst. 
III  25;  Stral).  XV  S.  695  und  daselbst  Aristoteles. 

*)  Ilerod.  II  177;  daraus  I’lin.  V 60. 

*)  Theokr.  17,  82—84. 

®)  Fr.  60  Wachsmuth  bei  Athen.  I S.  22  d:  JToklol  piv  ßooxoitai 
(v  Alyinrtg  7ioiv<fvlig  Bißhuxo i yagaxirai. 

6)  Diod.  33,  28  a.  2,  wohl  nach  Poseidonios. 

7)  Vatul.  Krieg  II  10:  tnu  tv  Alyvnug  nokuavSgtDnia  fx  nit- 
Xaiov  r\v- 

*)  Lumbroso,  Economic  politique  de  7’  Egyptc  S.  297. 


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256 


Capitel  VI. 


und  belaufe  sich  jetzt  auf  nicht  unter  3 Millionen.  Wegen 
dieser  starken  Bevölkerung  hätten  die  alten  Könige  Aegyptens 
so  gewaltige  Bauten  ausführen  können1). 

Da  Josepos,  wie  wir  gleich  sehen  werden,  die  Einwohner- 
zahl Aegyptens  zu  seiner  Zeit  auf  7ba  Millionen  angiebt,  so 
hat  Dindorf  in  seiner  grossen  Ausgabe  des  Diodor  die  Zahl 
3 Millionen  als  verdächtig  eingeklammert,  darauf  Bekker  sie 
ganz  aus  dem  Texte  gestrichen,  dem  dann  Dindorf  in  seiner 
kleinen  Ausgabe  gefolgt  ist.  Der  Sinn  wird  dadurch:  auch  zu 
Diodors  Zeit  habe  Aegypten  7 Millionen  Einwohner  gezählt 
Es  fehlt  dieser  sog.  Emendation  jede  handschriftliche  Gewähr; 
denn  dass  ein  nachlässig  geschriebener  Codex  des  XV.  Jahr- 
hunderts (M  bei  Dindorf)  die  Zahl  auslässt,  kann  in  keiner 
Weise  in  Betracht  kommen.  Und  ebensowenig  ist  sie  sachlich 
berechtigt.  Es  genügt,  die  Stelle  Diodors  durchzulesen,  um  auf 
den  eisten  Blick  einzusehen,  dass  darin  der  Verfall  Aegyptens 
seit  den  „alten  Zeiten“,  d.  h.  der  Pharaonenzeit  hervorgehoben 
werden  soll ; es  soll  erklärt  werden,  wie  es  den  alten  Pharaonen 
möglich  gewesen  sei,  so  gewaltige  Bauten  zu  errichten.  Also 
nicht  die  Zahl  3 000  000  war  zu  emendiren,  wohl  aber  die  ganz 
sinnlose  Angabe  von  den  30000  Städten,  die  unter  Ptole- 
maeos  I.  bestanden  haben  sollen.  Bei  einem  Dichter  wie 
Theokrit  lassen  wir  uns  solche  Dinge  gefallen,  nimmermehr 
aber  von  einem  verständigen  Historiker,  wie  es  doch  Hekataeos 
von  Abdera  gewesen  ist.  Da  nun  die  meisten,  und  darunter 
einige  der  besten  Codices  hier  3000  bieten,  so  werden  wir 
diese  Lesart  unbedenklich  in  den  Text  setzen  dürfen. 

Die  Zahl  von  7 Millionen  für  Aegypten  vor  der  Perserzeit 
giebt  ausser  Hekataeos  auch  Baton  von  Sinope,  nur  dass  er, 
oder  vielmehr  sein  Ausschreiber  Stephanos,  die  Angabe  auf 
Theben  allein  bezieht.  Es  scheint,  dass  Baton  ganz  Aegypten 
als  Landgebiet  von  Theben  betrachtet  hatte,  wie  er  denn  dieser 
Stadt  33330  (lies  33333)  Körnen  zuschreibt,  soviel  wie  nach 


')  Diod.  I 31:  roO  <f(  ovfxnavjog  Xttov  to  uiv  nalaidv  <fa<n  yfyo- 
vfvai  7i (n\  rmaxuoltt;  ^iiQiädas,  x«l  x«#’  yunf  dl  oix  fXnirov;  eircti 
TQtnxaoCtov.  Vergl.  I 80. 


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Der  hellenische  Osten. 


257 


Theokrit  Aegypten  Städte  gezählt  hat1).  Statistischen  Werth 
können  solche  Zahlen  selbstverständlich  nicht  beanspnichen. 
Das  gilt  ebenso  von  den  Angaben  Herodots,  wonach  allein  die 
Kriegerkaste  im  V.  Jahrhundert  410000  Männer  gezählt  hätte; 
die  Uebertreibung  ist  hier  ganz  handgreiflich2). 

Wie  verhält  es  sich  nun  aber  mit  den  3 Millionen  Ein- 
wohnern, die  Aegypten  nach  Diodor  „in  unserer  Zeit“  (xa#5 
r,u&g)  gezählt  haben  soll?  Dass  die  Angabe  über  die  Zahl  der 
Städte  unter  den  Pharaonen  und  unter  dem  ersten  Ptolemaeos 
auf  Hekataeos  von  Abdera  zurückgeht,  ist  allgemein  anerkannt3). 
Dann  muss  aber  auch  die  Zahl  von  7 Millionen  Einwohnern 
für  Aegypten  zur  Pharaonenzeit  aus  derselben  Quelle  entnom- 
men sein,  und  damit  auch  die  Zahl  von  3 Millionen,  die  davon 
nicht  zu  trennen  ist.  Also  das  r)iiag  bezieht  sich  nicht 
auf  die  Zeit  Diodors,  sondern  des  Hekataeos,  d.  h.  Ptolemaeos’  I., 
unter  dem  dieser  Aegypten  besucht  hat.  Diodor  hat  die  Zahl, 
ebenso  wie  die  der  3000  Städte  und  Körnen,  einfach  aus  seiner 
Quelle  herübergenommen. 

Eine  andere  Frage  ist  es  natürlich,  welchen  statistischen 
Werth  die  Angabe  des  Hekataeos  beanspnichen  darf.  Die  Zahl 
ist  zu  nind,  um  völlig  genau  zu  sein,  auch  steht  sie  zu  der 
Zahl  der  Städte  und  Körnen  in  einem  verdächtigen  geraden 
Verhältniss.  Andererseits  empfiehlt  sie  sich  durch  ihre  massige 
Höhe,  denn  dass  sie  sich  auf  die  Gesammtzahl  der  Einwohner, 
oder  doch  mindestens  der  freien  Einwohner  bezieht,  sagt  Diodor 
ausdrücklich 4).  Auch  steht  nichts  der  Annahme  entgegen,  dass 
sich  Hekataeos  von  der  griechischen  Verwaltung  des  Landes 
officielle  Zahlen  verschafft  und  diese  nur  abgerundet  hat.  Jeden 


*)  Bei  Stepli.  v.  Byzanz  JtöanoU;  und  Porphyrios  zu  Ilias  I 383. 
Damit  erledigt  sich  die  Variante  8000000,  die  einige  schlechte  Hand- 
schriften Diodors  bieten. 

2)  Herod.  II  165  f . ; vergl.  Meyer,  Gesch.  d.  Aiterth.  I 566  Anm. 

3)  Schneider,  De  Diodori  fontibus  (Berlin  1880)  S.  26 ; Schwartz,  Rh. 
Mus.  1885  S.  224. 

4)  Diod.  I 31:  jov  <51  vvfina vros  Aicov  tö  /uiv  nalcuov  tfaai 

yeyovh'iti  ntnl  inruxoalng  u<  ytu<5(tg,  xttl  xttft'  T/fiüs  <5i  ovx  iXtttrovs  Grat. 
TQiaxoatiüv . ’ ; ......  I* 

Beloch,  Betülkerungslelire.  I.  I7_.  J* 


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258 


Capitel  VI. 


falls  aber  verdient  auch  die  blosse  Schätzung  eines  so  genauen 
Kenners  von  Aegypten  volle  Beachtung.  Die  Volksdichtigkeit 
würde  danach  etwa  100  auf  1 qkm  betragen  haben.  Kein  anderes 
Gebiet  von  gleicher  Ausdehnung  hat  im  Alterthum  auch  nur 
annähernd  diese  Zahl  eireicht;  nur  einige  der  griechischen  Inseln 
und  in  Italien  die  cainpaniscbe  Ebene  haben  sie  übertroffen. 

Die  Beseitigung  der  persischen  Misswirtschaft  brachte 
Aegypten  eine  neue  Bliithezcit.  Die  griechische,  und  später  die 
römische  Verwaltung  waren  mit  allen  Mitteln  bestrebt,  das 
materielle  Wohl  des  Landes  zu  fördern:  mit  wie  glänzendem 
Erfolge,  ist  bekannt.  Dass  die  Bevölkerung  sich  in  dieser  Zeit 
heben  musste,  werden  wir  von  vornherein  anzunehmen  geneigt 
sein.  Josepos  berichtet  denn  auch,  Aegypten  halte  beim  Aus- 
bruch des  jüdischen  Aufstandes  unter  Nero  7Vs  Millionen  Ein- 
wohner gezählt,  und  zwar  abgesehen  von  Alexandreia,  „wie 
man  aus  dem  Ertrage  der  Kopfsteuer  berechnen  könne“  l).  Es 
ist  also  evident,  dass  Josepos  in  seiner  Quelle  nur  diesen  Er- 
trag angegeben  gefunden  hat,  und  keineswegs  eine  directe 
Angabe  über  die  Zahl  der  Bevölkerung.  Und  bei  der 
notorischen  Unzuverlässigkeit  des  Josepos  in  statistischen 
Dingen  muss  es  sehr  zweifelhaft  erscheinen,  ob  er  die  Berech- 
nung der  Volkszahl  nach  dem  Steuerertrage  nach  richtiger 
Methode  ausgeführt  hat.  Diese  Angabe  ist  also  nur  mit  grosser 
Vorsicht  zu  benutzen.  Und  ebenso  unzuverlässig  ist  die  An- 
gabe des  Juden  Philon.  es  hätten  unter  Tiberius  1 Million 
jüdische  Einwohner  in  Aegypten  gelebt2).  Denn  es  kommt 
Philon  darauf  an,  die  jüdische  Kolonie  als  möglichst  bedeutend 
darzustellen.  Immerhin  mag  Aegypten  in  dieser  Zeit  an  5 Mil- 
lionen Einwohner  gezählt  haben,  180  auf  1 qkm. 

Alexandreia  galt  in  der  hellenistischen  Zeit  als  die 


’)  Josep.  Jüd.  Kr.  II  16,  4:  7icirtjxovrtt  xal  inxttxoalat  i/ovaa  uv- 
gu'idas  dv^Qturrcar,  d(/a  rwr  ‘AU£drä paar  xaToixovrTiov,  tb f HvlOTir  ix  rfjs 
xaS  Ixamrjv  xetpalyv  elaifopäs  nxugpaafhxt. 

*)  Philon  g.  Flaceus  6 (II  S.  523  Mang.):  ort  oix  anoSiovai  u vpi- 
äiftov  ixajbv  ol  tgv  'AXtidripaav  xal  zgr  /wguv  'Toväaioi  xaroixoCrree 
cino  tov  TtQOS  Aißiiijv  xaiaßa9fioC  pi/pt  rdir  bpltor  Alyvnrov.  VergL 

&etpndtschaft  sn  Gams  18.  31  (II  S.  563.  577  fl'.). 

: : 

• • • _ _ « • 


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Der  hellenische  Osten. 


259 


grösste  Stadt  der  civilisirten  Welt ')  und  behauptete  den  zweiten 
Rang  auch  in  der  ersten  Kaiserzeit,  nachdem  es  von  Rom  über- 
flügelt worden  war.  Der  von  den  Mauern  umschlossene  Raum 
beträgt  920  ha,  gegenüber  1230  ha  des  aurelianischen  Rom. 
Die  Bevölkerung  giebt  Diodor  etwa  für  das  Jahr  60  v.  Chr.  auf 
300000  freie  Einwohner  an,  unter  Berufung  auf  die  officiellen 
Bürgerverzeichnisse;  einschliesslich  der  Sklaven  mochte  die 
Stadt  also  gegen  V*  Million  Einwohner  zählen.  Unter  Augustus 
und  seinen  nächsten  Nachfolgern  wird  Alexandreia  vielleicht 
noch  gewachsen  sein. 

Kyrenaika  (Bnrlca)  hat  einen  Flächenraum  von  159000 
qkm,  einschliesslich  der  Wüste  bis  zum  Oasenzug2);  die  Aus- 
dehnung des  culturfähigen  Bodens  wird  12 — 15000  qkm  kaum 
übersteigen8):  das  entspricht  etwa  der  halben  Grösse  von  Si- 
cilien.  Es  ist  ein  sehr  fruchtbares  Land,  reich  an  allen  Natur- 
producten  der  Mittelmeerländer;  besonders  wichtig  war  im 
Alterthum,  wie  bekannt,  das  nur  hier  vorkommende  Silphion.  So 
blühte  die  um  623  gegründete  Colonie  Kyrene  mit  ihren  etwas 
jüngeren  Nachbarstädten  Barka  und  Euesi>erides  bald  mächtig 
empor.  Schon  50  Jahre  nach  der  Gründung  vermochte  Kyrene 
einen  Angriff  des  aegyptischen  Königs  Apries  siegreich  zurück- 
zuweisen. Wenig  später  sollen  7000  kyrenaeische  Hopliten  in 
einer  Schlacht  gegen  die  Bürger  des  benachbarten  Barka  ge- 


1)  Diod.  XVII  52:  to  di  xaroixoCr  ni.ij&og  imtQßäXkti  rovg  tv  r«ij 

alkatg  noktaiv  otxi'iTOQai.  xa&‘  Sv  ycig  yuetg  nitQißaXoutv  /(tuvov  ilg 
jityvriTOv , eipaaav  ol  rag  ävayQaxpäg  lyovrtg  uöv  xotoixoiIvtiov  firitt 
rovg  tv  «vitj  {hmQlßovjag  l).iv!i(Qoig  nltlovg  räv  TQutxovza  u vQutitov. 
I 50:  (Satt  nuQtt  roig  nXtlaxoi g n Qiortjv  tj  devr^Qttv  uöv 

xnra  rtjv  olxüvu(vTjV  noktuir.  Strab.  XVII  S.  798:  ptiyiaiov  (pinopeior 
rijg  olxov[t(vi\g. 

2)  Behin  und  Wagner,  Berölk.  der  Erde  II  S.  54,  nach  einer  plani- 
metrischen  Berechnung  auf  Grund  der  Karten  von  Kordwest-  und  Nordost- 
Afrika  in  Stielers  Hand-Atlas. 

®)  Nach  Behm  und  Wagner  a.  a.  0.  VI  S.  59  beträgt  die  Ausdehnung 
des  culturfähigen  Bandes  in  Tripolis,  Fessan  und  Barka  zusammen  33974 
qkm,  wovon  der  grösste  Theil  auf  Barka  kommen  muss ; doch  scheint  die 
Angabe  stark  zu  überschätzen.  Vergl.  die  Specialkarte  von  Afrika  von  H. 
Habenicht,  Bl.  II,  Gotha  1885. 

17* 


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260  Capitel  VI. 

fallen  sein ').  Im  Jahre  322  brachten  die  Kyrenaeer  gegen  den 
SöldnerfUhrer  Thibron  und  die  mit  ihm  verbündeten  Städte 
Barka  und  Euesperides  angeblich  ein  Heer  von  30000  Mann 
zusammen,  unter  denen  sich  aber  die  Contingente  der  unter- 
thänigen  Libyer  und  karthagische  Bundesgenossen  befanden2). 
Dreizehn  Jahre  später  unternahm  der  Satrap  von  Kyrene, 
Ophelias,  seinen  Zug  gegen  Karthago  an  der  Spitze  von  10000 
Mann  zu  Fuss,  600  Reitern  und  100  Streitwagen,  ausser  10000 
Mann  irregulärer  Truppen,  allerdings  zum  grösseren  Theile 
Söldner  und  Colonisten  aus  dem  eigentlichen  Griechenland3). 
Jedenfalls  war  Kyrene  im  V.  und  IV.  Jahrhundert  eine  der 
bedeutendsten  griechischen  Städte,  was  auch  durch  die  weit- 
gedehnten Ruinen  bestätigt  wird;  mul  noch  Strahon  nennt  es 
eine  grosse  Stadt4).  Unter  Traian  sollen  die  hier  zahlreich 
angesiedelten  Juden  bei  einem  Aufstande  220000  griechische 
und  römische  Einwohner  getödtet  haben5).  Mag  diese  Angabe 
auch  sehr  übertrieben  sein,  so  hat  doch  die  Kyrenaika  ohne 
Zweifel  im  Alterthum  eine  dichte  Bevölkerung  gehabt.  Rechnen 
wir  auch  nur  20  Bewohner  auf  den  qkm  eulturfähigen  Landes, 
so  ergäbe  sich  eine  Gesainmtbevölkerung  von  240 — 300000; 
es  ist  sehr  wahrscheinlich,  dass  in  der  Blüthezeit  der  Land- 
schaft unter  der  ptolemaeischen  Herrschaft  die  Bevölkerung 
grösser  gewesen  ist  und  die  halbe  Million  erreicht,  oder  über- 
stiegen hat. 


’)  Herod.  IV  160 ; dass  es  gerade  7000  sind,  macht  die  Angabe  sehr 
verdächtig. 

*)  Diod.  XVIII  21. 

*)  Diod.  XX  41. 

*)  Strab.  XVII  S.  837. 

6)  Dio  Cassius  68,  32. 


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Siebentes  CapiteL 

Sicilien  und  Grossgriechenland. 


1.  Areal. 


Der  Flächeninhalt  Siciliens  und  seiner  kleinen  Nachbar- 
inseln, soweit  sie  heute  zum  Königreich  Italien  gehören,  wurde 
bisher  officiell  auf  29241  qkm  angegeben.  Dass  diese  Zahl 
viel  zu  hoch  ist,  war  längst  erkannt  worden.  Aber  erst  die 
Vollendung  der  neuen  Generalstabskarte  in  1 : 50000  gab  die 
Möglichkeit,  zu  richtigeren  Werthen  zu  gelangen.  Auf  Grund 
dieser  Karte  sind  in  den  letzten  Jahren  zwei  planimetrische 
Berechnungen  des  Areals  der  Insel  vorgenommen  worden,  zu- 
erst durch  den  rassischen  General  Strelbitzky  *),  und  bald  darauf 
durch  das  italienische  militärgeographische  Institut2).  Sie  er- 
gaben folgende  Resultate: 

n.ch  Strelbiuky 

qkm  qkm 

Sicilien 25537,1  25461,3 

die  aeoliscken  Inseln 125,1  116,3 

Ostreodes  (Ustica) 8,3  8,7 

die  aegatischen  Inseln 43,5  48,5 

kleinere  Inseln  — 1,7 

25714,0  25631,5 


Wie  man  sieht,  sind  die  Abweichungen  zwischen  beiden  Be- 
rechnungen nur  unbedeutend;  für  uns  müssen  natürlich  die 
officiellen  Zahlen  des  militärgeographischen  Instituts  maass- 
gebend sein. 


J)  Superficie  de  V Europe  S.  152  f.  134. 

*)  Superficie  del  Eeejno  d’ Italia  valutata  nel  1884.  Firenze  1885. 


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262 


Capitcl  Yll. 


Dazu  kommen  weiter  die  Inseln  zwischen  Sicilien  und 
Afrika : 


nach  Strelbitzky 
qkm 

Kossyra  (Pantellaria) 84,1 

Lampos  (Lampedma) — 

(Linosa) — 

Melitc  (Malta)  und  sein  Archipel  . . . 322,6 


nach  d.  miiitär- 
geogr.  Institut 
qkm 
82,9 
20,2 
5,4 


406,7  108,5 


oder,  wenn  wir  für  Pantellaria,  Lampedusa  .und  Linosa  die 
Zahlen  des  militärgeographischen  Instituts,  für  Malta  die  Zahl 
Strelbitzkys  einsetzen,  432,3  bezw.  431,1  qkm.  Im  ganzen  er- 
geben sich  also  für  Sicilien  mit  den  Naehbarinseln  26146,3  be- 
ziehungsweise 26  062,6  qkm.  Davon  entfallen,  nach  Strelbitzky, 
11,3  qkm  auf  den  See  von  Lentini. 

Ueber  die  Begrenzung  der  einzelnen  Stadtgebiete  auf  Si- 
cilien in  griechischer  Zeit  sind  wir  nur  sehr  unvollständig  unter- 
richtet. Da  die  Darstellung  auf  Bl.  XI  von  Kieperts  Neuem 
Atlas  von  Hellas  nur  zum  Theil  dem  heutigen  Stand  unserer 
Kenntniss  entspricht,  lege  ich  hier  für  den  Westen  und  Süden 
der  Insel  die  Uebersieht  der  Territorialverhältnisse  der  Insel 
zu  Gninde,  wie  ich  sie  auf  dem  Kärtchen  zu  geben  versucht 
habe,  das  meine  Abhandlung  über  das  Reich  des  Dionysios  be- 
gleitet1). Danach  entfallen  auf  die  Gebiete  von 


qkm 

Syrakus  mit  Leontinoi 4 680 

Kamarina 845 

fiel« 1720 

Akragas 4285 

Selinus 1 140 

Himera 1 185 

Messene 770 

Naxos  und  Katane 1060 

Lipara 116 


Griechische  Städte  15  801 


')  L’Impero  Siciliano  di  Dionisio  in  Atti  della  R.  Accademia  dt? 
Lincei  1881.  Wegen  der  Begründung  s.  S.  1 — 6 des  Separatabdruckes 
und  Holm,  Gesch.  Sic.  I S.  156  f. 


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Sicilieu  und  Grossgriechenland. 


26B 


qkm 

Freie  Sikeler 5855 

Freie  Sikaner  1280 

Elymer 1 830 

Phoenikische  Städte 810 

Aegaten,  Ostreodes 52 

Melite 322 

Kossyra  usw 108 


Barbarische  Gebiete  10  257 

Diese  Zahlen,  die  natürlich  nur  auf  ganz  approximative 
Genauigkeit  Anspruch  erheben,  beziehen  sich  zunächst  auf  das 
V.  Jahrhundert,  [speciell  auf  die  Zeit  der  grossen  athenischen 
Expedition.  Im  IV.  Jahrhundert  hat  sich  dann  die  karthagische 
Provinz  bis  zum  Halykos  (Plaümi)  ausgedehnt,- ja  sie  umfasste 
östlich  dieses  Flusses  noch  Herakleia  Minoa.  Der  Flächenraum 
beträgt,  einschliesslich  Melite,  etwa  8800  qkm,  also  Vs  des 
Ganzen. 

Viel  grössere  Schwierigkeiten  bietet  die  Bestimmung  des 
Flächeninhalts  von  Grossgriechenland.  Die  brettische  Halbinsel 
südlich  von  39°  50'  Nordbreite  umfasst  nach  der  planimetn- 
schen  Berechnung  des  italienischen  militärgeographischen  Instituts 
ein  Areal  von  13846,7  qkm.  Dazu  kommen  dann  weiter  die 
Gebiete  der  Städte  am  tarantinischen  GolfeJ,  und  von  Pyxus, 
Eleia,  Poseidonia,  Neapolis,  Kyme,  deren  Grenzen  nach  dem 
Innern  hin  nicht  einmal  annähernd  festzustellen  sind.  Jeden- 
falls war  die  Ausdehnung  dieser  Gebiete  bis  zum  Anfang  des 

IV.  Jahrhunderts  sehr  ansehnlich,  und  es  ist  kein  Zweifel,  dass 
die  griechischen  Besitzungen  auf  dem  italischen  Festlande  im 

V.  Jahrhundert  ein  grösseres  Areal  umfasst  haben  als  auf 
Sicilien.  Eine  bestimmte  Zahl  zu  geben  wage  ich  nicht; 
18— 20000  qkm  dürfte  der  Wahrheit  wenigstens  nahe  kommen. 
Im  VI.  Jahrhundert,  zur  Zeit  der  Blüthe  des  sybaritischen 
Reiches,  mag  die  Ausdehnung  der  griechischen  Herrschaft  noch 
grösser  gewesen  sein. 


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264 


Capitel  VII. 


2.  Die  wirthscliaftlichen  Zustände. 

Die  Griechen  der  klassischen  Zeit  blickten  voll  Bewunde- 
rung auf  die  staunenswerthe  Entwickelung  ihrer  Pflanzstädte 
in  Italien  und  Sicilien.  Man  erzählte,  dass  Sybaris  zur  Zeit 
seiner  Blüthe  300000  Mann1),  Kroton  100 — 120000  Mann2) 
habe  ins  Feld  stellen  können;  und  Thukydides  wird  nicht 
mtlde,  die  grosse  Bevölkerung  Siciliens  zur  Zeit  des  peloponne- 
sischen  Krieges  hervorzuheben8).  Von  der  Grösse  von  Syrakus, 
Akragas,  Taras  geben  die  Reste  ihrer  Mauerringe  noch  heute 
beredtes  Zeugniss;  keine  Stadt  des  hellenischen  Mutterlandes, 
ausser  Athen,  kommt  ihnen  an  Ausdehnung  gleich,  und  auch 
Athen  nur  dann,  wenn  wir  das  Asty  und  den  Peiraeeus  zu- 
sammennehmen.  An  Flächenraum  steht  Sicilien  dem  Peloponnes 
nicht  nach  und  das  Colonialgebiet  in  Italien  übersteigt  um  ein 
bedeutendes  die  Ausdehnung  Mittelgriechenlands  zwischen  Isth- 
mos  und  Thermopylen.  An  Fruchtbarkeit  aber  war  kein  Ver- 
gleich zwischen  dem  felsigen  Mutterland  und  den  reichen  sici- 
lischen  und  italischen  Fluren.  Ging  mau  doch  soweit,  diese 
letzteren  geradezu  als  „ G rossgri echenland  “ zu  bezeichnen. 

Wenn  w'ir  mit  diesem  Bilde  die  heutige  Bedeutung  Siciliens 
und  Calabriens  vergleichen,  so  liegt  der  Schluss  allerdings  sehr 
nahe,  dass  beide  Länder  seit  dem  Alterthume  ökonomisch  zu- 
rückgegangen sind,  und  demgemäss  ihre  Bevölkerung,  mindestens 
während  der  Zeit  höchster  Blüthe,  im  V.  Jahrhundert,  grösser 


*)  Diod.  XII  9;  Strab.  VI  S.  262,  beide  aus  Timaeos  (s.  Iiunrath, 
Die  Quellen  des  Sirabon  im  VI.  Buch  S.  26,  Kassel  1879).  Massiger  ist 
der  sog.  Skymnos,  aber  auch  er  giebt  Sybaris  100000  Bürger  (v.  840,  aus 
Ephoros?) 

*)  Diod.  XII  9;  Justin  20,  3. 

s)  Thuk.  VI  1:  dnttgoi  ol  nokko i tov  ptyOovs  rij;  rtjoov,  xal  r <Sv 
ivoixovvTtov  tov  Trlijfloi /ff  xai  'Ekkijrmv  xal  ßagßdgary.  VI  17:  oykoi, f ydg 
ivfifitxjoii  nokvardgovair  cd  nokac.  VI  20:  nokkoi  /ulv  ydg  inkiiai 
tvitai  xal  roförai  xal  dxovuoral,  nokkai  Ji  toctjou;  xai  byko;  ö nkrj- 
gcoocov  ab rof.  VII  57:  Trpof  di  rovs  inck&öt’Tai  tovzovs  ol  Xcxtktiözai 
«i’rol  nkijUos  nk(or  xazd  ndrza  nagta/orzo,  rrre  ueydkag  nokei;  olxovrzeg. 


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Sicilien  und  Grossgriechenland. 


265 


gewesen  sein  müsse  als  in  unserer  Zeit.  In  der  That  sind, 
bewusst  oder  unbewusst,  alle  neueren  Berechnungen  über  die 
Bevölkerung  des  italienischen  Südens  im  Alteithume  von  dieser 
Voraussetzung  ausgegangen.  So  haben  neapolitanische  Gelehrte 
die  Volkszahl  des  ehemaligen  Königreichs  Apulien  (also  Neapel 
diesseits  des  Faro)  in  der  Zeit  vor  der  llömerherrschaft  auf 
12 — 18  Millionen,  ja  noch  höher  veranschlagt1).  Rafinesque- 
Sehmalz2)  schätzte  die  Einwohnerzahl  Siciliens  in  der  griechi- 
schen Zeit  auf  4 Millionen;  und  auch  der  neueste  Geschichts- 
schreiber der  Insel  ist  zu  annähernd  demselben  Resultate  gelangt. 
Holm8)  stellt  folgende  Zahlen  auf,  die  sich  auf  die  Zeit  der 
grossen  athenischen  Unternehmung  gegen  Syrakus  (415 — 413) 
beziehen : 


Syrakus  und  Gebiet 800000 

Akragas  und  Gebiet 800000 

Hiniera,  Selinus,  Messene  je  100000,  zus 300000 

Gela,  Kamarina,  Katane,  Naxos  im  Durchschnitt  je 

80000,  zus 320000 

griechische  Städte  zus.  2220000 

Phoeniker  in  I'anormos,  Solus,  Motye 300000 

Elymer 100000 

Sikeler  und  Sikaner 1000000 


3620000 

wovon  etwa  10  °/o,  also  360000,  griechischer  Herkunft. 

Das  Verdienst,  hier  jüngst  neue  Gesichtspunkte  geltend 
gemacht  zu  haben,  gebührt  Theobald  Fischer4).  Er  liefert  den 
überzeugenden  Nachweis,  dass  von  einem  Verfall  der  Insel 
gegenüber  dem  Alterthum,  von  einer  Erschöpfung  des  Bodens 

*)  Vergl.  Cagnazzi,  Saggio  sulla  popölazione  del  Regno  di  Buglia, 
ne’  passati  tempi  e nel  presente.  Parte  I.  Napoli  1820. 

*)  Specchto  delle  Scienze,  Palermo  1814.  Mir  nur  bekannt  aus  einer 
Anführung  bei  Pietro  Castiglioni  in  der  Einleitung  zu  dem  Census  des 
Königreichs  Sardinien  vom  1.  Jan.  7858  (Turin  1862). 

*)  Geschichte  Siciliens  II  8.  402  f.  (Leipzig  1874).  Vergl.  meinen  gleich- 
zeitig erschienenen  Aufsatz  in  der  Rii-ista  di  Filologia  classica  II  S.  545—62. 

4)  Beiträge  zur  physischen  Geographie  der  Mitielmeerländer , besonders 
Siciliens  (Leipzig  1877)  S.  154—162. 


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266 


Capitel  VII. 


keine  Rede  sein  kann,  dass  vielmehr  der  Ertrag  der  Weizen- 
felder wahrscheinlich  nie  höher  war  als  jetzt,  dass  die  Baum- 
cultur  nie  zuvor,  auch  nicht  entfernt,  ihre  jetzige  Höhe  erreicht 
hat,  dass  man  nie  so  kostbare  Handelsgewächse  wie  jetzt  baute. 
Die  Folgerungen,  die  sich  daraus  für  die  Bevölkerungsgeschichte 
ergeben,  hat  Theobald  Fischer  nicht  in  vollem  Maasse  zu  ziehen 
gewagt;  er  begnügt  sich  zu  sagen,  dass  die  Bevölkerung  Siciliens 
in  den  besten  Perioden  überhaupt  nicht,  oder  nur  wenig  höher 
sein  konnte  als  jetzt,  zur  Zeit  des  peloponnesischen  Krieges 
also  höchstens  3 Millionen  erreichte. 

Indess  es  genügt,  einen  Blick  über  die  Grenzen  Siciliens 
hinaus  zu  werfen,  um  sofort  iune  zu  werden,  dass  auch  diese 
Schätzung  noch  bedeutend  zu  hoch  ist.  Attika,  dessen  Flächen- 
raum etwa  den  zehnten  Theil  von  Sicilien  beträgt,  hat  in  seiner 
besten  Zeit  nicht  über  250000  Einwohner  gezählt,  von  denen 
aller  die  Hälfte  auf  die  Hauptstadt  entfällt;  sollen  wir  denn 
annehmen,  dass  Sicilien  dieselbe  Volksdichtigkeit  gehabt  hat? 
Denn  wenn  auch  Syrakus  nicht  kleiner  war  als  Athen,  so  fiel 
seine  Bevölkerung  doch  der  ganzen  Insel  gegenüber  weit  weniger 
ins  Gewicht,  als  die  Athens  gegenüber  der  Bevölkerung  von 
Attika.  Boeotien,  das  an  Flächenraum  Attika  etwa  gleichkommt, 
und  also  ebenfalls  ‘/io  der  Fläche  Siciliens  umfasst,  hatte  im 
V.,  IV.  und  HI.  Jahrhundert  eine  Bevölkerung  von  100000  bis 
höchstens  150000  Seelen.  Die  wirtschaftlichen  Verhältnisse 
waren  hier  denen  in  Sicilien  ganz  analog;  auch  Boeotien  war 
eine  vorwiegend  ackerbauende  Landschaft  mit  fruchtbarem 
Boden  und  enthielt  in  Theben  einen  ansehnlichen  städtischen 
Mittelpunkt,  hatte  aber  dabei  vor  Sicilien  den  Vorzug  einer 
viel  älteren  Cultur ; es  ist  demnach  sehr  unwahrscheinlich,  dass 
Sicilien  die  doppelte  Volksdichtigkeit  besessen  haben  sollte.  Der 
Peloponnes,  der  nur  um  ein  weniges  kleiner  ist  als  Sicilien 
(22  000  gegen  26  000  qkm),  hat  im  V.  Jahrhundert  etwa  800  000, 
im  IV.  kaum  über  1 Million  Einwohner  gezählt;  und  wenn  Sicilien 
auch  im  allgemeinen  fruchtbarer  ist,  so  war  dafür  der  Pelo- 
ponnes schon  seit  dem  V.  Jahrhundert  auf  die  Einfuhr  fremden 
Getreides  zur  Ernährung  seiner  Bevölkerung  angewiesen,  während 
Sicilien  durch  das  ganze  Alterthum  hindurch  Getreide  in  sehr 


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Sicilien  und  Grossgriechenland. 


267 


beträchtlichen  Mengen  exportirt  hat.  So  setzt  Thukydides,  wo 
er  von  der  attischen  Unternehmung  gegen  Sicilien  spricht,  die 
materiellen  Hülfsquellen  der  Insel  denen  des  Peloponnes  an- 
nähernd gleich;  aber  eben  nur  annähernd *) : es  geht  aus  den 
Worten  des  Historikers  deutlich  hervor,  dass  die  Macht  der  I’elo- 
ponnesier  grösser  war,  als  die  der  sicilischen  Colonien.  Hätte 
Sicilien  wirklich  dreimal  soviel  Einwohner  gezählt  als  der  Pelo- 
ponnes, so  hätte  Thukydides  sich  ganz  anders  ausdrilcken  müssen. 

In  der  That  sind  Ackerbau  und  Viehzucht  durch  das  ganze 
Alterthum  hindurch  die  hauptsächlichsten  Erwerbsquellen  für 
die  Insel  geblieben2).  Wohl  fehlte  es  daneben  nicht  an  Ge- 
werbsthätigkeit ; die  einheimische  Wolle  wurde  zu  Geweben 
verarbeitet8),  die  Töpferei  lebhaft  betrieben  *),  die  syrakusischen 
Erzarbeiten  waren  berühmt5),  und  überhaupt  ist  die  Ent- 
stehung von  Gressstädten  wie  Syrakus  imd  Akragas  ohne  In- 
dustrie nicht  zu  denken.  Aber  der  Charakter  der  Insel  als 
vorwiegend  ackerbauenden  Landes,  der  schon  in  den  Mythen 
sich  ausspricht,  wurde  dadurch  nicht  berührt.  Der  Getreide- 
export nach  Griechenland,  vornehmlich  nach  Korinth6)  und 
Athen7),  lässt  schon  seit  dem  V.  Jahrhundert  sich  nachweisen 8). 


')  Thuk.  VI  1 : aneigot  ol  nollol  bvrtg Sn  oi  nolliii  rm 

vnodtlartgov  nöleuov  avrjgovvro  ij  rbv  ngög  TTtlonovvrjaloog. 

s)  Cic.  Verr.  III  5,  II:  in  hac  causa  frumentaria  cognoscenda  haec 

vobis  proponite  iudices,  vos  de  rebus  fortunisque  Siculorum  omnium 

cognituros ; III  97,  226 : quid  est  enim  Sicilia,  si  agri  cultionem  sustuleris  ? 

*)  Cic.  Verr.  II  2,  5 ; 72,  176 ; Eubulos  bei  Athen.  II  S.  57  f. ; Phile- 
mon  bei  Athen.  XV  S.  658  b;  Plut.  Akx.  32;  S.  Büchsenschütz , Die 
Hauptstätten  des  Geicerbfleisses  im  klassischen  Alterthum,  Leipzig  1869, 
Seite  74. 

♦)  Büchsenschütz  a.  a.  0.  S.  23 ; Blümner,  Die  gewerbliche  Thätigkeit 
der  Völker  des  klassischen  Alterthums,  Leipzig  1869,  S.  125. 

B)  Blümner  a.  a.  0. 

«)  Athen.  VI  S.  232  b;  Thuk.  III  86. 

7)  Schrift  r.  Staat  der  Athener  II  7 ; Dem.  g.  Zenothemis  4 S.  883, 
g.  Dionysod.  IX  S.  1285. 

®)  Diod.  XI  72  (unter  dem  Jahre  463/2):  tlgijvr\v  ydg  tyorrtg  ol  2äxs- 
iitbiru  xal  /tugav  aya9riv  vtfiöptvot,  di«  r 6 nlrj9o;  uüv  xagntüv  rajrv 
Talg  ovolms  nvIiQtyov-  Vergl.  Diod.  XVI  83  von  der  Friedenszeit  unter 
Timoleon. 


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268 


Capitcl  TO. 


Akragas  verdankte  seinen  Reiehthum  der  Ausfuhr  von  Wein 
und  Oel  nach  Karthago1).  Das  Aufblühen  des  Ackerbaues  in 
der  langen  Friedenszeit  von  210 — 138  liess  Sicilien  die  Folgen 
der  punisehen  Kriege  verwinden2).  Cato  nannte  die  Insel 
die  Kornkammer  des  römischen  Volkes8).  Die  Getreidezehnten 
bildeten  die  wichtigste  Einnahmequelle  der  sicilischen  Könige 
bis  auf  Hieron  II.4),  daneben  blühte  die  Viehzucht.  Schon 
Pindar  preist  das  „heerdenreiche  Sicilien“ 5)  und  nennt  Syrakus 
die  Mutter  kampfesfreudiger  Rosse6).  Dass  es  noch  im  dritten 
Jahrhundert  nicht  anders  war,  zeigen  die  Idyllien  Theokrits. 
Bei  Gelegenheit  der  Sklavenkriege  an  der  Scheide  des  zweiten 
und  ersten  Jahrhunderts  wird  ims  das  ungebundene  Leben  der 
Hirten  auf  den  einsamen  Bergtriften  mit  lebhaften  Farben  ge- 
schildert7). Sicilischer  Käse8)  und  sicilischer  Talg“)  waren 
schon  im  V.  Jahrhundert  in  Athen  berühmt.  Schlachtvieh, 
Häute  und  Wolle  wurden  in  Augustus’  Zeit  in  grossen  Mengen 
nach  Rom  ausgeführt10). 

Auch  die  Wälder  müssen  im  Alterthum  eine  bedeutende 
Ausdehnung  gehabt  halten.  Das  ergiebt  sich  schon  daraus,  dass 
noch  in  arabischer  Zeit  die  Flüsse  der  Insel  viel  wasserreicher 
waren  als  heute11).  Und  auch  an  directen  Zeugnissen  aus 
dem  Alterthum  ist  kein  Mangel.  Aus  dem  Holze  des  Aetna 


»)  Diod.  XIII  81. 

*)  I)iod.  XXXIV  2,  1.  26.  27. 

®)  Bei  Cic.  Veir.  II  2,  5:  ceUarn  penariam  reipublicae  nostrae,  «u- 
i ricein  plebis  Bomanae. 

4)  Cic.  Ferr.  III  8,  20:  scripta  lex  (Hieronica)  üa  diligenter  est,  i it 
eum  scripsisse  appareat,  gut  alia  vectigalia  non  haberet.  Die  ZvQaxoaitov 
ätxnrti  (Getreidezehnte)  sprichwörtlich:  Strab.  VI  S.  269. 

®)  Pind.  Ol.  I 12:  Iv  7iolvpdX.ii>  JZixtXia. 

*)  Pind.  Pyth.  I 1:  ueyctXonoXif;  tu  2vpdxovaai . . . «vdptüi’  &'  SVr- 
nmv  tt  aiSaQoxaqpäv  daiuöviai  TQoqttl. 

7)  Diod.  XXXIV  2,  27  f. 

8)  Axist  Wesp.  838;  Antiphanes  und  Hermippos  bei  Athen.  I 27  E 
und  F ; Philemon  ebenda  XIV  658  B. 

»)  Plut  Nik.  1. 

>°)  Strab.  VI  S.  273. 

u)  Th.  Fischer,  Beiträge  8.  165. 


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Sicilien  und  Grossgriechenland. 


269 


konnte  Dionysios  grosse  Flotten  erbauen  *),  und  die  Heraeischen 
Berge  bei  Caltagirone,  die  heute  ganz  kahl  sind,  waren  von 
dichtem  Walde  bedeckt1 2).  Ueberhaupt  scheint  das  ganze  Ge- 
biet vom  Aetna  bis  zum  Tyrrhenischen  Meer,  die  Nebrodischen 
Berge  und  die  Nordküste  zwischen  Himera  und  Messene,  oder 
besser  zwischen  Kephaloedion  und  Mylae,  also  gerade  der  Theil 
der  Insel,  der  heute  am  stärksten  bevölkert  ist,  bis  ins  V.,  ja 
ins  IV.  Jahrhundert  ein  schwach  bevölkertes  Waldland  gewesen 
zu  sein.  Das  zeigen  die  zahlreichen  Colonien,  die  hier,  und 
nur  hier  auf  Sicilien,  in  dieser  Zeit  gegründet  wurden.  Zuerst 
um  450  Kalakte  durch  Duketios;  d^inn  um  400  Hadranon  und 
wenige  Jahre  später  Tyndaris  durch  Dionysios ; endlich  um  die- 
selbe Zeit  Ilalaesa  durch  Archonides,  den  Tyrannen  von  Herbita3). 

Ein  Land  aber,  das  Getreide  in  sehr  grossem  Maassstabe 
exportirte,  das  eine  bedeutende  Viehzucht,  und  namentlich 
Schafzucht  trieb,  und  zwar  durchaus  mit  Weidewirthsehaft,  von 
dessen  Areal  endlich  ein  grosser  Theil  mit  Wald  bedeckt  war, 
kann  unmöglich  eine  sehr  dichte  Bevölkerung  gezählt  haben.  Ein 
Blick  auf  das  heutige  Sicilien  wird  das  veranschaulichen.  Auch 
jetzt  ist  Sicilien  ein  ganz  vorwiegend  ackerbauendes  Land,  aber 
es  ist  nicht  mehr  im  Stande,  Getreide  in  irgend  nennenswerter 
Menge  für  die  Ausfuhr  zu  produciren,  vielmehr  reicht  die  Pro- 
duction für  den  heimischen  Bedarf  nur  eben  aus.  Die  Vieh- 
zucht hat  nur  noch  eine  ganz  untergeordnete  Bedeutung.  Am 
13.  Februar  1881  wurden  auf  der  Insel  125556  Rinder  und 
649  051  Schafe  und  Ziegen  gezählt4),  oder  53  beziehungsweise 
222  auf  je  1000  Einwohner,  gegen  178  und  373  im  Durch- 
schnitt von  ganz  Italien,  oder  384  bezw.  609  im  Deutschen 
Reiche®).  Man  sieht,  Pindar  würde  die  7coXv/jaXog  SixeMa, 
Theokrit  den  Schauplatz  seiner  Hirtenlieder  nicht  wiedererkennen. 


1)  Diod.  XIV  42:  to  xnrü  rqy  Ativrjv  oqo;,  yfitatv  xax  (xlivovc  tovs 
XQÖvovs  noivrtXoCs  lXäxr\t  re  xcd  ntvxtjt.  Vergl.  Strab.  VI  S.  273. 

*)  Diod.  IV  84. 

3)  Diod.  XIV  16. 

*)  Annuario  statt  et  ico  Italiano  1884  S.  450.  451. 

B)  Am  10.  Jan.  1873  (Block -Scheel,  Handb.  der  Statistik,  Leipzig 
1879,  S.  291). 


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270 


Capitel  VII. 


Die  "Wälder  sind  heute  so  gut  wie  ganz  von  der  Insel  ver- 
schwunden und  nehmen  nur  noch  3Va  °/o  der  Gesammtfläche 
ein.  Dagegen  waren  gerade  diejenigen  Productionen,  auf  denen 
jetzt  hauptsächlich  der  Reichthum  der  Insel  beruht,  im  Alter- 
thum theils  ganz  unbekannt,  theils  nur  in  geringem  Grade 
entwickelt.  Die  Cultur  der  Agrumen  ist  erst  im  Mittelalter 
eingeführt  worden  und  verdankt  unserem  Jahrhundert  ihren 
mächtigen  Aufschwung.  Für  den  Schwefel  hatten  die  Alten 
noch  kaum  eine  Verwendung.  Wein  wurde  natürlich  gebaut, 
aber  hauptsächlich  nur  für  den  eigenen  Bedarf;  ja  die  massen- 
haft auf  Sieilien  gefundenen  Scherben  rhodischer  Amphoren 
beweisen,  dass  im  III.  und  II.  Jahrhundert  ein  sehr  bedeutender 
Import  griechischer  Weine  nach  Sieilien  stattfand.  Es  kann 
also  kein  Zweifel  sein,  dass  die  Bevölkerung  der  Insel  im  Alter- 
tliurn  bei  weitem  nicht  ihre  jetzige  Höhe  erreicht  hat. 

Dasselbe  ergiebt  sich  aus  dem  Betrage  der  Getreidepro- 
duction  des  alten  Sieilien.  Wir  haben  darüber,  wie  bekannt, 
eist  aus  dem  letzten  Jahrhundert  der  römischen  Republik  be- 
stimmte Angaben.  Unter  Verres’  Verwaltung  (73—71  v.  Chr.) 
betrug  der  Ertrag  des  Getreidezehnten  jährlich  nahe  an  3 Mil- 
lionen Modien  oder  600000  Medimnen1).  Da  aber  die  Er- 
hebung der  Steuer  verpachtet  wurde,  und  die  Pächter  natürlich 
bei  dem  Geschäfte  gewinnen  mussten,  so  musste  die  wirkliche 
Belastung  der  Steuerpflichtigen  beträchtlich  höher  sein,  als  der 
Ertrag  für  das  römische  Aerarium.  Indess  war  der  Ertrag  des 
Zehnten,  wie  die  Anklage  gegen  Verres  selbst  zugiebt,  in  diesen 
Jahren  ein  ungewöhnlich  hoher,  sodass  wir  hier,  wo  es  sich  um 
Durchsehnittswerthe  handelt , die  Erhebungskosten  vernach- 
lässigen und  600  000  Medimnen  als  den  zehnten  Theil  der  mitt- 
leren Production  ansehen  können,  umsomehr,  als  der  Zehnte 
etwas  unter  3 Millionen  Modien  zurückblieb. 

Um  nun  die  Gesammtproduction  der  Insel  zu  erhalten, 


*)  Cic.  Verr.  111  70,  16S.  Es  wird  von  den  sicilisclien  Städten  gegen 
Bezahlung  ein  zweiter  Getreidezehnt  eingefordert;  flir  den  Modius  werden 
8 HS  bezahlt,  die  ganze  verwendete  Summe  beträgt  fere  ad  nonagiens, 
gegen  9 Millionen  Sesterzen. 


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Sicilien  und  Grossgriechenland. 


271 


müssen  wir  die  Production  der  dem  Zehnten  nicht  unterworfenen 
Städte  hinzurechnen.  Das  waren  die  8 foederirten  oder  steuer- 
freien Gemeinden  Messene,  Tauromenion,  Neeton,  Kentoripa, 
Halaesa,  Panonnos,  Egesta,  Halykiae,  deren  Gesammtareal  sich 
schwerlich  auf  mehr  als  4000  qkm  belaufen,  also  gegen  V«  der 
ganzen  Insel  umfasst  hat.  Diese  Städte  wurden  nur  dann  zu 
Getreidelieferungen,  und  zwar  gegen  Bezahlung,  herangezogen, 
wenn  der  Zehnte  für  das  Bedürfniss  des  römischen  Staates  nicht 
ausreichte,  und  in  den  civitates  decumanae  ein  zweiter  Zehnt 
ausgeschrieben  wurde1).  Die  Menge  des  so  zu  liefernden  Ge- 
treides — frumentum  imperatum  — war  für  jede  Stadt  ein  für 
alle  Mal  festgesetzt : für  Messene  und  Halaesa  z.  B.  l>etrug  sie 
je  60  000 8),  im  ganzen  für  die  Insel  800000  Modien8).  Wenn 
also  hieraus  auch  ein  directer  Schluss  auf  die  Grösse  der  Pro- 
duction nicht  möglich  ist,  so  wird  doch  wohl  die  Annahme  ge- 
stattet sein,  dass  diese  Leistung,  die  ja  eben  zum  Ersatz  des 
Zehnten  erhoben  wurde,  ungefähr  Vio  des  Ertrages  entsprochen 
hat.  Denn  ungünstiger  als  die  civitates  decumanae  wird  man 
die  foederirten  und  steuerfreien  Gemeinden  doch  nicht  gestellt 
haben;  andererseits  aber  ist  der  Betrag  des  frumentum  im- 
peratum so  bedeutend,  dass  es  zu  ganz  unwahrscheinlichen  Re- 
sultaten führen  würde,  wollten  wir  annehmen,  es  wäre  viel 
weniger  als  ein  Zehnt  gefordert  worden.  Die  Weizenpro- 
duction  dieser  Städte  hat  also  gegen  8 Millionen  Modien,  oder 
l1  8 Millionen  Medimnen  betragen,  oder  sich  zu  der  der  civitates 
decumanae  wie  1 : 41/*  verhalten : ein  sehr  annehmbares  Ergeb- 
niss,  da  die  Gebiete  im  Verhältniss  wie  1 : 5 stehen. 

Ausserdem  gab  es  in  Sicilien  noch  „einige  wenige  Städte“, 
deren  Gebiet  in  den  punischen  Kriegen  als  römische  Staats- 
domäne eingezogen  worden  war.  Näheies  darüber  erfahren 


')  Dass  dieses  frumentum  imperatum  nur  von  diesen  Städten  erhoben 
wurde,  ist  allerdings  nicht  bezeugt,  wird  aber  sehr  wahrscheinlich  dadurch, 
dass  solche  Lieferungen  nur  von  Messene  Halaesa  und  Kentoripa  erwähnt 
werden,  die  foederirt  oder  steuerfrei  waren.  Vergl.  Marquardt,  Staatsver- 
tcatiunQ  II8  S.  189. 

s)  Cic.  Verr.  III  73,  170;  IV  9,  20. 

3)  Cic.  Verr.  III  70,  163. 


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272 


Capitel  VH. 


wir  nicht,  doch  können  diese  Städte  kaum  sehr  ins  Gewicht 
gefallen  sein1). 

Die  Weizenproduction  Siciliens  hat  also  unter  Verres’ 
Verwaltung  7Vs  Millionen  Medimnen  betragen;  um  nicht  zu 
wenig  zu  rechnen,  und  im  Hinblick  auf  die  römischen  Staats- 
domänen wollen  wir  im  ganzen  8 Millionen  Medimnen  an- 
nehmen. Der  durchschnittliche  Ertrag  eines  iugcrum  im  Gebiet 
von  Leontinoi,  dem  fruchtbarsten  Theile  Siciliens,  war  bei 
1 Medimnos  Aussaat  in  Jahren  guter  Ernte  8 bis  höchstens 
10  Medimnen2);  für  die  ganze  Insel  wird  also  ein  Durchschnitts- 
ertrag von  nicht  über  6 Medimnen  anzunehmen  sein,  was  etwa 
dem  heutigen  Verhältniss  entsprechen  würde.  Das  ergäbe  eine 
mit  Weizen  bestellte  Fläche  von  lVs  Millionen  iugera , oder, 
auf  unser  Maass  umgerechnet,  336000  ha,  mit  einem  Ertrage 
von  4200000  hl.  Die  heutige  Weizenproduction  der  Insel  be- 
trügt 6 609  755  hl,  die  auf  565955  Hektaren  erzeugt  werden*). 
Der  Ertrag  pro  ha  betrug  also  im  Alterthum  12,5  hl,  gegen 
11,68  hl  in  unserer  Zeit. 

Weizen  ist  heute  die  für  Sicilien  bei  weitem  wichtigste 
Feldfrucht.  Die  Cultur  aller  übrigen  Cerealien  und  Hülsen- 
früchte zusammen  nimmt  nur  231546  ha4)  ein,  also  nur  etwa 
*/s  der  mit  Weizen  bestellten  Hache.  Im  Alterthume  ist  es 
ähnlich  gewesen.  Schon  die  griechischen  Dichter  feiern  Sicilien 
als  nvQO(poQog,  und  in  den  Verrinen  Ciceros  ist  fast  ausschliess- 


’)  Cic.  Verr.  III  6,  13:  Rerpaucae  Sidliae  civitaUs  sunt  beJJo  a ma- 
ioribus  nostris  subactae:  quarum  ager  quum  esset  publicus  popidi  Romani 
I actus,  tarnen  Ulis  est  redditus:  is  ager  a censoribus  locari  solet.  Wie 
Marquardt  (I2  S.  245)  dem  gegenüber  behaupten  kann,  es  hätte  26  solche 
cimtates  censoriae  (*k  aller  Städte  der  Insel !)  gegeben,  ist  mir  unverständlich. 
Es  ist  eine  ganz  ungerechtfertigte  Annahme,  Cicero  habe  alle  civitates 
decumanae  in  seiner  Rede  aufführen  müssen;  er  sprach  natürlich  nur  von 
denen,  die  Verres  geschädigt  hatte.  Uebrigens  ist  die  Liste  der  cintates 
decumanae  bei  Marquardt  unvollständig;  es  fehlen  die  Agrigentini  und 
Scherini. 

2)  Cic.  Verr.  III  47,  112. 

s)  Annuario  statistico  Italiano  1881  S.  236.  237.  Die  Zahlen  sind 
die  Mittel  aus  dem  fünfjährigen  Zeitraum  1870 — 1874. 

4)  Ebenda  S.  236.  237  und  244.  245. 


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Sicilien  und  Grossgriechenland. 


273 


lieh  von  den  Weizenzehnten  die  Rede,  ein  deutlicher  Beweis, 
dass  die  anderen  Früchte  gegenüber  dem  Weizen  kaum  in 
Betracht  kamen.  Und  da  die  Insel  fast  überall  Weizenboden 
hat,  so  ist  auch  gar  nicht  abzusehen,  warum  Gerste  darauf 
hätte  gebaut  werden  sollen;  denn  von  Fruchtfolge  hatte  das 
Alterthum  noch  keinen  Begriff.  Wir  wollen  indess  reichlich 
rechnen  und  annehmen,  dass  der  Ertrag  an  Gerste  — andere 
Getreidearten  kommen  nicht  in  Betracht  — und  Hülsenfrüchten 
zusammen  etwa  die  Hälfte  des  Weizenertrages  betragen  hat. 
Das  ergiebt  eine  Gesammtproduction  von  12  Millionen  Medimnen. 
Davon  musste  die  Aussaat  etw'a  den  6.  Theil,  also  16  2ia  °/o 
absorbiren.  Wie  hoch  sich  der  Export  belief,  wissen  wir  nicht; 
da  indess  Rom  zeitweise  einen  doppelten  Zehnten  forderte  und 
doch  offenbar  auch  ausserdem  noch  Getreide  ausgeführt  wurde, 
werden  wir  das  für  den  Export  zur  Verfügung  stehende  Quan- 
tum auf  nicht  unter  30°/o  der  Production  veranschlagen  dürfen. 
Für  den  inneren  Consum  bliebe  demnach  etwa  die  Hälfte  des 
überhaupt  erzeugten  Getreides. 

Rechnen  wir  nun  mit  Böekh  auf  den  Kopf  der  Bevölkerung 
einen  durchschnittlichen  Consum  von  jährlich  6 Medimnen,  so 
würde  Sicilien  in  Ciceros  Zeit  im  Maximum  1 Million  Bewohner 
gezählt  haben.  Natürlich  ist  damit  noch  keineswegs  gesagt, 
dass  dieses  Maximum  wirklich  erreicht  worden  ist;  es  ist  sogar 
sehr  wahrscheinlich,  dass  die  Bevölkerung  dahinter  beträchtlich 
zurückblieb. 

Man  hat  nun  behauptet,  die  Getreideproduction  in  vor- 
römischer Zeit  sei  grösser  gewesen.  Für  diese  Annahme  fehlt 
nicht  nur  jeder  Beweis,  sondern  sie  ist  auch  an  sich  im  höchsten 
Grade  imwahrscheinlich2).  Die  römische  Herrschaft  sicherte 
Sicilien  eine  Periode  des  Friedens  wie  es  nie  zuvor  im  Laufe 
seiner  Geschichte  genossen  hatte.  In  Rom  besass  die  Insel  in 
nächster  Nähe  einen  zahlungsfähigen  Markt  für  alle  ihre  Acker- 
producte.  Italisches  Capital  suchte  mit  Vorliebe  in  Sicilien 


’)  Staatsh.  I 110  und  oben  S.  33. 

2)  Den  Zustand  Siciliens  bei  Beginn  des  ersten  punischen  Krieges 
schildert  Theokrit  16,  88  ff. 

Belach,  Bevölkerungslehre.  I.  18 


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274 


Capitel  VII. 


Anlage.  Endlich  lieferte  der  Sklavenhandel  aus  dem  Orient 
billige  Arbeitskräfte  in  beliebiger  Menge.  Gewiss  war  die 
Fremdherrschaft  drückend;  aber  die  Römer  schonten  doch  so 
viel  als  möglich  die  alten  Einrichtungen,  behielten  namentlich 
das  alte  Steuersystem  bei,  und  es  ist  nicht  zu  vergessen,  dass  ein 
Drittel  der  Insel  schon  vor  der  römischen  Eroberung  ein  Jahr- 
hundert lang  unter  fremder  Herrschaft  gestanden  hatte.  Rein 
ökonomisch  betrachtet,  hat  Sicilien  wahrscheinlich  keine  blühen- 
dere Zeit  gesehen,  als  die  70  Jahre  zwischen  dem  hannibalischen 
und  dem  ersten  Sklavenkriege1).  Und  auch  die  Wunden,  die 
dieser  Krieg  geschlagen  hatte,  vernarbten  schnell,  wie  am  besten 
daraus  hervorgeht,  dass  kaum  80  Jahre  später  die  Sklaven 
wieder  zahlreich  genug  waren,  einen  neuen  Aufstand  zu  wagen. 
Und  wir  dürfen  nicht  zweifeln,  dass  die  Folgen  auch  dieses 
Krieges  rasch  überwunden  wurden2).  Solange  das  Zehntsystem 
bestand , hatte  die  römische  Regierung  das  höchste  Interesse 
daran,  den  sicilischen  Getreidebau  nicht  verfallen  zu  lassen. 
Erst  seit  Caesar  beginnt  der  wirthschaftliche  Rückgang  der 
Insel.  Wie  das  billige  sieilische  Korn  einst  den  italischen  Ge- 
treidebau ruinirt  hatte,  war  Sicilien  selbst  jetzt  nicht  mehr  im 
Stande,  gegen  die  afrikanische  Concunenzj  anzukämpfen.  War 
Sicilien  die  Kornkammer  der  römischen  Republik  gewesen,  so 
wurde  Afrika  die  Kornkammer  des  Kaiserreichs.  Die  Aufhebung 
der  Zehnte  durch  Caesar  und  ihre  Ersetzung  durch  eine  in 
Geld  fixirte  Grundsteuer,  das  Stocken  der  Sklavenzufuhr  seit 
der  Ausrottung  der  Seeräuber  und  Herstellung  geordneter  Zu- 
stände im  Orient,  endlich  die  Bürgerkriege,  von  denen  Sicilien 
so  schwer  getroffen  wurde,  beschleunigten  diese  Entwickelung. 
Es  spielte  sich  jetzt  in  Sicilien  derselbe  Prozess  ab,  der  sich  ein 
Jahrhundert  früher  in  Italien  abgespielt  hatte,  die  Ersetzung 
des  nicht  mehr  rentirenden  Getreidebaues  durch  die  Vieh- 


')  Diod.  XXXIV  4. 

*)  Cic.  Verr.  III  54,  125:  quum  bettis  Karthaginiensibus  Sicilia  vexata 
est,  et  post  nostra  patrumque  memoria  quum  bis  in  ea  provincia  magna 
fugitivorum  copiae  versatae  sunt,  tarnen  aratorum  interiUo  facta  nuda  est . 
Tum  sementi  prohibita  aut  messe  amissa  fructus  annuus  interibat:  tarnen 
incolumis  numerus  manebat  dominorum  atque  aratorum. 


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Sicilien  und  Grossgriechenland. 


275 


wirthschaft.  Das  Bild  der  Insel  in  dieser  Periode  hat  uns 
Strabon1)  geschildert,  wenn  er  auch  wahrscheinlich,  wie  es  zu 
gehen  pflegt,  die  Farben  zu  stark  aufgetragen  hat. 

Wenn  wir  nun  auch  annehmen  wollen,  dass  der  wirth- 
schaftliehe  Rückgang  der  Insel  unter  Verres’  Verwaltung  bereits 
begonnen  hatte,  und  dass  der  Getreideexport  in  der  griechischen 
Zeit  weniger  bedeutend  war  als  unter  römischer  Herrschaft,  so 
kann  Sicilien  doch  auch  in  der  Zeit  seiner  Selbständigkeit  kaum 
im  Stande  gewesen  sein,  mehr  als  etwa  IVa  Millionen  Einwohner 
zu  ernähren.  Wir  kommen  also  hier  annähernd  auf  dasselbe 
Ergebniss,  das  wir  oben  durch  Vergleichung  mit  der  Volks- 
dichtigkeit der  Landschaften  des  griechischen  Mutterlandes  er- 
langt hatten.  Jedenfalls  aber  bleibt  die  Möglichkeit  völlig  aus- 
geschlossen, dass  Sicilien  in  irgend  einer  Periode  des  Alter- 
thurns  3 — 4 Millionen  Einwmhner  gezählt  haben  könnte.  Sehen 
wir  jetzt,  wie  weit  eine  Specialuntersuchung  diese  Resultate 
bestätigt. 


3.  Die  Bevölkerung  Sicilieus. 

Von  den  9,  oder  mit  Einschluss  von  Lipara  10  griechischen 
Stadtgemeinden,  die  im  Jahre  415  auf  Sicilien  bestanden,  war 
seit  Gelons  Zeit2)  Syrakus  bei  weitem  die  eiste.  Schon 
Pindar  feiert  unter  Hieron  die  Grösse  der  Stadt8).  Die  10000 
Söldner,  die  Gelon  hier  angesiedelt  hatte,  bildeten  nur  den 
kleineren  Theil  der  Bürgerschaft,  wie  sie  denn  auch  nach  dem 
Sturze  der  Deinomeniden  trotz  ihrer  überlegenen  militärischen 
Tüchtigkeit  von  den  Altbürgem  vertrieben  wurden4).  ZurZeit 


*)  VI  S.  272  f. : jj  <f  ’ aXlt)  xnroixla  xai  1 ijs  fjeaoyata;  noifjhiov  t) 

nXtCarr)  ytyfft/Tai r r/v  oiv  (grffjtav  xaTavor)OavTiS  Piu/jaioi  xara- 

xrr]nafi(voi  Tn  n ofiij  xnl  tiö v niiS/atr  tcc  nlfitna  innoifogßois  xai  ßov- 
xoXois  xai  noifiiai  Trag(dooav. 

a)  Herod.  VII  156:  at  de  (J^vptjxo uaacu)  nagavTixa  ivä  r’  Idp afjov 
xai  avißXaOTOv. 

*)  Pindar  01.  I 1:  aeyaXonöUt:  o!  Zvgdxovoaj,  ßadvrroltfjov  t{- 
/uevos  "Agios . 

4)  Diod.  XI  73:  ot  dl  f (voi  roi'f  fj.lv  nXij&eoiv  (XetnovTo  tcSv  2. vga- 
xoaltov,  Tals  d’  IfjnugCais  Tais  xa Ta  tov  nohtfior  nokv  ngott/ov. 

18* 


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276 


Capitel  VII. 


des  peloponnesischen  Krieges  stand  Syrakus  an  Grösse  Athen 
■ nicht  nach1),  und  muss  also  gegen  20 — 25000  Bürger  gezählt 
haben.  Was  wir  von  den  militärischen  Leistungen  des  Staates 
in  dieser  Periode  wissen,  steht  damit  im  besten  Einklang.  In 
der  ersten  Schlacht  gegen  die  Athener  kämpfen  die  Syrakusier 
mit  1200  Reitern,  wovon  200  von  Selinus  und  Gela,  20  von 
Kamarina  gestellt  waren;  Syrakus  selbst  also  muss  1000  Reiter 
gehabt  haben,  dieselbe  Zahl  wie  Athen2).  Ueber  die  Zahl 
der  Hopliten  hören  wir  nur,  dass  die  Syrakusier  mit  ganzer 
Macht  (navdrtfiei)  ausgerückt  wären3).  Es  ist  nun  allerdings 
sehr  wahrscheinlich , dass  die  Syrakusier  ihren  Gegnern  nume- 
risch überlegen  waren4),  geradezu  erdrückend  aber  kann  diese 
Ueberlegenheit  nieht  gewesen  sein,  da  die  Athener  in  der 
Schlacht  Sieger  blieben.  Das  attische  Heer  zählte  nun,  ein- 
schliesslich der  Epibaten  der  Schiffe,  etwa  5000  Hopliten,  die 
syrakusische  Schlachtreihe  kann  demnach  kaum  über  7000  ge- 
zählt haben,  von  denen  ein  Theil,  allerdings  wohl  nur  ein  sehr 
kleiner  Theil,  von  Selinus  gestellt  war.  Das  ergäbe  7 — 8000 
Mann  von  Hopliten-  und  Reitercensus ; unter  der  Annahme 
also,  dass  die  Bürger  von  über  50  und  unter  20  Jahren  zum 
Schutze  der  Mauern  zuriickblieben , hätte  Syrakus  in  dieser 
7 Zeit  etwa  10 — 12000  wohlhabende  Bürger  gezählt.  Thuky- 
dides  berichtet  uns  denn  auch,  dass  Syrakus  allein  im  attischen 
Kriege  mehr  Trappen  stellte,  als  alle  seine  Bundesgenossen 
zusammen5);  da  nun  die  Bundescontingente  auf  etwa  5000 


*)  Thuk.  VII  28:  Ttcliv  ovitiv  thiaaio  ndrijv  ye  xa9’  nvrr/y  (d.  h. 
abgesehen  von  den  beiderseitigen  Bundesgenossen)  rfji  'Ath\vat<ov. 

s)  Thuk.  VI  67. 

*)  Thuk.  VI  67:  oi  Ji  ZvQtcxootoi  (ia£tn>  tov(  fi'ev  önkitttf  (<fT 
fxxatifl  xtt,  ovtb;  Tittvtirj/jt't  £vq<xxoö(ov(  xnt  ca  nt  (v/Jttayoi  nagijOav. 

4)  Thuk.  VI  37  sagt  der  syrakusische  Volksredner  von  den  Athenern : 
ois  y’  Iniaritfiai  ov&'  tjinovf  äxoXov9qoot>Tai , ....  oü&'  6jiX(t ng 
ioon Xij&f Ts  to's  i)un(Qoti  (nl  veäv  ye  IX&ovrng.  Das  ist  doch  offenbar 
ex  eventu  gesagt. 

8)  Thuk.  VII  58:  xal  7rpcif  unavrug  avfhg,  <og  ein eiv,  roüg  ciXX otg 
Zvq  vöatot  Birot  nXei'u  inoQtoavto  dt«  /jTyiih'ig  re  ncXetog  xat  oti  tv 
fxeyTaity  xtväivtp  riOttv. 


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Sicilien  und  Grossgriechenland. 


277 


Hopliten  zu  veranschlagen  sind '),  so  ergeben  sich  auch  hieraus 
für  Syrakus  mindestens  6000  Schwerbewaffnete. 

Wenige  Jahre  später,  408,  schicken  die  Syrakusier  3000 
Mann  auserwählte  Truppen,  ohne  jeden  Zweifel  Hopliten,  den 
Selinuntiem  zu  Hülfe,  und  dieses  selbe  Corps  wirkt  dann  bei 
der  Vertheidigung  von  Himera  mit*).  Das  war  also  nur  ein 
Theil  der  gesammten,  für  Feldzüge  ausser  Landes  zur  Ver- 
fügung stehenden  Truppenmacht.  An  dem  Aufstande  gegen 
Dionysios  403,  der  von  den  Hopliten  ausging,  betheiligten  sich 
ausser  den  Reitern  7000  Mann8).  Dionysios  I.  soll  10000 
Bürger  haben  umbringen  lassen4),  eine  Angabe,  die  allerdings 
ohne  Zweifel  sehr  ül>ertrieben  ist. 

Unter  der  Regierung  der  beiden  Dionyse  hat  sich  die 
Bürgerzahl  von  Syrakus  bedeutend  vermehrt.  Söldner  und  frei- 
gelassene  Sklaven  erhielten  in  Masse  das  Bürgerrecht5),  ganze 
Bevölkerungen , wie  die  von  Kaulonia8) , wurden  hierhin  ver- 
pflanzt; die  wenigen  Verbannten,  zuletzt  gegen  1000 T),  konnten 
dagegen  nicht  in  Betracht  kommen.  Selbst  die  Zeit  der  Re- 
volution, die  mit  Dions  Unternehmen  begann,  vermochte  die 
Folgen  dieses  Aufschwunges  nicht  zu  zerstören.  Unter  Timo- 
leon,  der  allerdings  neue  Colonisten  aus  dem  Mutterlande  und 
dem  übrigen  Sicilien  herbeirief,  zählte  Syrakus  50 — 60000 
Bürger8),  soviel  wie  nie  zuvor  eine  andere  griechische  Stadt. 


')  Aus  dem  eigentlichen  Griechenland  kamen  2300  Schwerbewaffnete 
(Thuk.  VII 1. 19),  die  sicilischen  Bundescontingente  waren  noch  zahlreicher: 
Thuk.  VII  58:  7ip<f  di  tovs  IntXOövTac  tovtovs  ol  ZixtXiänai  avroi 
rrXrj9o;  nXfov  xarä  rtärra  naQtayovTO,  an  fityaXaq  jiöXtts  olxoOvnf 
Xttl  yag  önXirai  noXXot  xai  rrjti  rat  \'jin oi  xat  6 aXXo(  c/uiXoc  ai/Aoroc 
(iftXLfy  ij. 

*)  Diod.  XIII  59:  tqio/Ii l*ot  naoä  ^vpaxoattor  (nCXexxot. 

*)  Diod.  XIV  9. 

4)  Plut.  lieber  Alexanders  Glück  oder  Verdienst  II  5 S.  338. 

s)  Diod.  XIV  7,  die  sog.  vionoXnai. 

•)  Diod.  XIV  106. 

7)  Plut.  Dion  22. 

8)  50000  nach  Diod.  XVI  82  und  Nepos  Timol.  3,  60000  nach  dem 
Zeugniss  des  Zeitgenossen  Athanis  bei  Plut.  Timol.  23.  Diese  Zahl  darf 
natürlich  nicht  mit  Diodor  und  Plutarch  auf  die  von  Timoleon  neuberufeneu 


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278 


Capitel  VII. 


Freilich  mit  der  Wehrkraft  des  Staates  war  es  übel  bestellt. 
Die  fünfzigjährige  Tyrannenherrschaft  mit  ihrer  systematischen 
Entwöhnung  der  Bürger  vom  Waffendienst  hatte  den  kriegeri- 
schen Geist  unter  der  Bevölkerung  von  Syrakus  noch  rascher 
schwinden  lassen,  als  das  ohnehin  in  dem  Griechenland  dieser 
Zeit  überall  der  Fall  war.  Schon  Dion  hatte  seine  Erfolge 
fast  ausschliesslich  seinen  peloponnesischen  Söldnern  zu  danken, 
gehabt;  und  als  Timoleon  gegen  die  Karthager  nach  dem 
Krimisos  zog,  sollen  ihm  nur  3000  syrakusische  Bürger  gefolgt 
sein1).  Allerdings  ist  hier  zu  Timoleons  Ruhme  die  Wahrheit 
gebeugt  worden;  nach  anderen  Angaben  hat  sein  Heer 
12000  Mann  gezählt,  unter  denen  4000  Mann  Söldner2),  der 
Rest  also  Syrakusier  und  Sikelioten  aus  anderen  Städten.  Auch 
war  zu  dieser  Zeit  die  Reorganisation  des  Staates  noch  keines- 
wegs beendet.  Immerhin  hat  auch  Agathokles,  zum  Theil  aller- 
dings aus  politischen  Gründen,  seine  Kriege  hauptsächlich  mit 
Söldnern  geführt.  Auf  seiner  afrikanischen  Expedition  z.  B. 
hatte  er  3500  syrakusische  Bürger  gegenüber  6000  Mann  grie- 
chischer und  baibarischer  Miethstruppen 3).  Und  ähnlich  ist  es 
auch  in  der  Folge  geblieben. 

Wir  sehen  hier  aufs  neue,  wie  verkehrt  es  ist,  aus  der 
Abnahme  an  militärischer  Leistungsfäliigkeit  in  den  hellenischen 
Staaten  dieser  Epoche  auf  eine  entsprechende  oder  überhaupt 
auf  eine  Abnahme  der  bürgerlichen  Bevölkerung  schliessen  zu 
wollen.  Es  spricht  vielmehr  alles  dafür,  dass  die  Bevölkerung 
von  Syrakus  in  dem  Jahrhundert  von  Timoleon  bis  auf  die 
römische  Eroberung  sich  eher  vermehrt  als  vermindert  hat. 
Als  Agathokles  317  seinen  Staatsstreich  machte,  sollen  4000 
wohlhabende  Bürger  erschlagen,  6000  verbannt  worden  sein4). 


Colonisten  bezogen  werden,  diese  betragen  vielmehr  einschliesslich  der 
syrakusischen  Verbannten  nicht  über  10000  (Flut  Timol.  a.  a.  0.;  Nepos 
Timöl.  3),  sondern  auf  die  Gcsammtbürgerzahl  der  Stadt.  Dass  nur  die  er- 
wachsenen Männer  gemeint  sind,  ist  selbstverständlich,  vgl.  Plut.  Timol.  25. 
>)  Plut.  Timol.  25. 
a)  Diod.  XVI  77;  Plut.  Timol  25. 

3)  Diod.  XX  11. 

4)  Diod.  XIX  8. 


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Skilien  und  Grossgrieehenland. 


279 


Das  Emigrantenheer,  das  10  Jahre  später  unter  Deinokrates’ 
Führung  gegen  den  Tyrannen  sieh  sammelte,  zählte  zuletzt 
über  25000  Mann  zu  Fuss  und  3000  Reiter1);  kein  Zweifel, 
dass  ein  sehr  grosser  Theil  davon  Syrakusier  waren.  Und  da- 
neben dienten  syrakusisehe  Verbannte  im  karthagischen  Heere 
— Agathokles  nahm  in  Afrika  eimnal  500  davon  gefangen  — 
und  andere  waren  über  ganz  Hellas  zerstreut2).  Mögen  auch 
diese  Zahlen,  um  die  Grausamkeit  des  Tyrannen  ins  rechte 
Licht  zu  setzen,  zum  Theil  absichtlich  übertrieben  sein,  sie 
mussten  doch  im  Bereiche  der  Möglichkeit  liegen,  da  sie  auf 
die  Angaben  von  Zeitgenossen  zurückgehen.  Noch  Timaeos 
nennt  Syrakus  die  grösste  der  griechischen  Städte8)  trotz 
Alexandreia,  und  um  dieselbe  Zeit  feiert  Theokrit  das 

pfyu  aOTv  Tiaq'  iöitai  yi  voipeXtltt;  *)■ 

Der  Verfall  beginnt  erst  mit  der  römischen  Eroberung;  um 
das  Jahr  70  war  die  Bürgerzahl  auf  unter  10000  herabgesun- 
ken5). Ein  halbes  Jahrhundert  später  musste  Augustus  der 
Stadt  durch  eine  Veteranen-Colonie  aufhelfen6). 

Neben  der  Bürgerschaft  umfasste  das  syrakusisehe  Gebiet, 
in  älterer  Zeit  wenigstens,  eine  sehr  ansehnliche  halbfreie  Be- 
völkerung, die  sog.  Kyllyrier  oder  Kallikyrier : ferner  eine 
Reihe  von  sikelischen  Perioekenstädten , wie  Heloros,  Neeton, 
Motyka,  Morgantia ; endlich  die  Colonien  Akrae  und  Kasmenae, 
von  welchen  die  letztere  allerdings  schon  sehr  früh  zu  Grunde 
gegangen  sein  muss,  da  sie  seit  dem  V.  Jahrhundert  nicht 
mehr  erwähnt  wird.  Die  grosse  Zahl  der  Kyllyrier  ist  sprüch- 
wörtlich  geworden7).  Als  Dionysios  im  Jahre  398  die  ge-  i 

9 Diod.  XX  89,  vgl.  XX  57. 

*)  Alexandros  von  Aetolien  bei  Athen.  XV  S.  699  B : Oi'f  slya&oxXijos 
IkOicu  (fQtiff  rjXaaav  ?{ u>  UaTQ(do{,  ag/a(tov  tjv  orf’  ävfig  ngoyoviov. 

8)  Cic.  v.  Staat  III  31,  43:  uris  itta  pracclara,  quam  ait  Timaeus 
Graecarum  tnaxumam,  omnium  avtem  esse  pulcherrimam  (=Verr.  IV  52, 117). 

*)  Theokr.  16,  84. 

5)  Soviel  zählte  Kentoripa  (Cic.  Verr.  II  68,  163),  das  Cicero  (Verr.  IV 
23,  50)  die  bei  weitem  grösste  Stadt  Siciliens  nennt. 

«)  Strab.  VI  S.  270. 

7)  Timaeos  fr.  56  bei  Suidas  unter  KaXXixbgioi : noXXol  nvts  to  nXij- 
&o  . . 89 ev  tov(  v7te(>ßoXrj  nolXovt  KbXXixvq(ov{  (Xtyov. 

»i  . 


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280 


Capitel  VII. 


sannnte  arbeitsfähige  Bevölkerung  des  syrakusisehen  Land- 
gebiets für  seinen  Mauerbau  auf  bot,  sollen  00000  Mann 
zusamniengekomnien  sein1),  eine  Angabe,  die  kaum  über- 
trieben scheint,  wenn  wir  die  Schnelligkeit  erwägen,  mit  der 
die  Befestigung  vollendet  wurde.  Aus  Morgantia  und  der  Um- 
gegend konnte  Agathokles  vor  seinem  Staatsstreich  3000  Mann 
ausheben2).  Dass  es  ferner  in  Syrakus  an  Sklaven  im  eigent- 
lichen Sinne  des  Wortes  nicht  fehlte,  ist  selbstverständlich, 
wenn  es  auch  bei  den  darauf  bezüglichen  Angaben  aus  älterer 
Zeit  zweifelhaft  bleibt,  ob  nicht  vielmehr  von  den  Kyllyriern 
die  Rede  ist.  So  bei  der  Erzählung  von  dem  Sklavenaufstand 
während  der  athenischen  Belagerung,  den  Hermokrates  nieder- 
schlug8). Doch  scheint  es,  dass  Dionysios  die  Emancipation 
der  Kyllyrier  durchgeführt  hat*),  da  sie  später  nicht  mehr  er- 
wähnt werden.  In  ähnlicher  Weise  haben  um  dieselbe  Zeit 
die  thessalischen  Tyrannen  die  Penesten  zu  l>efreien  versucht, 
und  später  Machanidas  und  Nabis  die  Heiloten  in  Lakonien. 
Die  Sklaven  im  engeren  Sinne  des  Wortes  konnten  nicht  sehr 
zahlreich  sein,  so  lange  die  Bestellung  der  Felder  in  den  Hän- 
den der  Kyllyrier  lag.  Im  karthagischen  Kriege  396  bemannte 
Dionysios  60  Trieren  mit  freigelassenen  Sklaven8);  Syrakus 
hat  also  damals  mindestens  12000  waffenfähige  Sklaven  ge- 
zählt. Nach  90  Jahren,  vor  seiner  afrikanischen  Expedition, 
wiederholte  Agathokles  dieselbe  Maassregel ; er  soll  sänuntliche 
Sklaven  in  kriegstüchtigem  Alter  in  Freiheit  gesetzt  und  zur 


I)  Diod.  XIV  18:  ßovkofjtvos  <‘Vr  raytiav  rqr  xamaxtvrjP  uöv  rti- 
%tüv  yh’ftJftcu,  zov  dnö  irj{  yoipaf  ujrXot-  rjftpotrru',  ((  ov  rovf  ti&froi  f 
ctrtfpai  [(Xii>&(pou(]  (ntXf^a;  tl(  e£axiOfi vgfovs  (niditiXt  toutoic  töv  rtt- 
X^ofiivnv  rönov.  Wie  es  scheint,  geht  die  Angabe  in  letzter  Instanz  auf 
den  Zeitgenossen  Fhilistos  zurück. 

»)  Diod.  XIX  6. 

*)  Polyaen.  I 48,  1. 

l)  Diod.  XIV  7 : aiuruQtXaßtin  rtß  rdtr  noXirtdr  orouart  to(i{ 

ijXtv&epta/udroi'S  ßovlovs,  OVS  (xdl.it  riOTtoXiTag. 

5)  Diod.  XW  58:  jIiovvmos  d’  (v  mit  ZuQnxovoait  rout  JouXovf 
(Xtv9tQmaat,  (nXijQcoaiv  (£  avjtar  vaCt  i£rixoyra. 


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Sicilieu  und  Grossgriechenland. 


281 


Bemannung  seiner  Flotte  verwendet  haben1).  Da  diese  Flotte 
aus  nicht  mehr  als  60  Schiffen  bestand2),  wäre  die  Zahl  der 
Sklaven  in  Syrakus  auch  in  dieser  Zeit  auf  nicht  über  12000 
erwachsene  Männer  zu  veranschlagen;  doch  bleiben  natürlich 
alle  diese  Berechnungen  sehr  unsicher.  Alles  in  allem  genom- 
men, mag  Syrakus  mit  seinem  Gebiete  um  den  Ausgang  des 
V.  Jahrhunderts  1U  Million  Einwohner  gezählt  haben ; ein  Jahr- 
hundert später  vielleicht  100000  mehr.  Das  ergiebt  53,  bezw. 
75  auf  1 qkm.  Syrakus  selbst  mag  zur  Zeit  der  athenischen 
Belagerung  eine  Stadt  von  100000,  unter  Timoleon  und  Aga- 
thokles  von  200  000  Einwohnern  gewesen  sein. 

Nach  Syrakus  war  A k r a g a s die  bedeutendste  griechische 
Stadtgemeinde  der  Iusel.  Ihr  Gebiet  kam  im  V.  Jahrhundert 
dem  von  Syrakus  annähernd  gleich ; der  Umfang  ihrer  Mauern 
liess,  ausser  Syrakus  selbst,  alle  anderen  sicilischen  Städte 
weit  hinter  sich.  Akragas  allein  hat  es  gewagt,  Syrakus  die 
Hegemonie  der  Insel  streitig  zu  machen,  zuerst  in  Hierons  I. 
Zeit,  dann  noch  einmal  unter  Agathokles. 

Ueber  die  Bevölkerung  der  Stadt  haben  wir  eine  Angabe 
des  Timaeos,  wonach  Akragas  im  Jahre  406,  vor  der  karthagi- 
schen Eroberung,  über  20000  Bürger  gezählt  hätte,  und  mit 
Einschluss  der  ansässigen  Fremden  und  Sklaven  im  ganzen 
200000  Einwohner8).  Dass  die  Zahl  der  Bürger  hier  ungefähr 


i)  Justin  22,  4 : omnes  deinde  serws  militans  uetaiis  libertute  donatos 
sacramento  adegit , eosgue  ....  navibus  impoxuit. 

*)  Diod.  XX  5. 

*)  Diod.  XIII  84:  x«r’  txtirov  ydg  rov  ygövov  'Axgayarrivot  uiv 
tjtruv  nlttov;  ro'rv  duru vgfmv,  avv  dt  rois  xcctoixoCOi  fA'otf  ovx  tldirovs 
jöiv  etxorn  fiVQiäduv.  Dass  die  Beschreibung  von  Akragas  Diod.  XIII 
81 — 84  aus  Timaeos  entnommen  ist,  sagt  Diodor  selbst  XIII  88,  2 und 
wird  durch  die  Uebereinstimmung  von  Tim.  fr.  118  bei  Aelian  Verm.Gesch. 
XII  29  mit  Diod.  XIII  82,7  bestätigt.  Auch  wird  Timaeos  in  dem  Stücke 
noch  zweimal  citirt  (c.  80,  5 und  82,  6).  Das  Citat  aus  Polykleitos  oder 
Polykritos  (Müller,  Scriptores  rer.  Alex.  Magni  S.  180)  ist  offenbar  aus 
Timaeos  geflossen.  Eine  Verderbniss  der  Zahl  ist  ausgeschlossen,  denn 
Diodor  nennt  auch  weiter  unten  (c.  90,  8)  Akragas  noicr  olxovptvgv  vno 
ävdQÜiv  iixom,  pugiädcav.  Dass  nun  Akragas  nicht  neben  20000  Bürgern 
180000  Metoeken  gezählt  haben  kann,  ist  ohne  weiteres  klar.  Mindestens 


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282 


Capitel  VIL 


richtig  angegeben  ist,  zeigt  die  Bedeutung  der  Stadt,  die  auf 
Sicilieu  nur  Syrakus  nachstand,  allen  anderen  Gemeinden  aber 
überlegen  war.  Zwischen  10000  und  20000  Bürger  muss 
Akragas  in  jedem  Falle  gezählt  haben,  wenn  auch  immerhin 
Tiraaeos  in  dem  Bestreben,  seinen  Lesern  einen  recht  hohen 
Begriff  von  der  Bedeutung  der  Stadt  zu  geben,  die  Zahl  nach 
oben  abgerundet  haben  mag.  Btirgerlisten  wurden  in  Akragas 
ohne  Zweifel  ebenso  geführt,  wie  in  Syrakus,  Athen  und 
anderen  griechischen  Städten;  es  ist  also  sehr  wohl  möglich, 
dass  Timaeos  hier  aus  authentischer  Quelle  geschöpft  hat. 
Etwas  anders  verhält  es  sich  mit  der  Angabe  über  die  Gesammt- 
bevölkerung.  Dass  im  V.  Jahrhundert  in  irgend  einem  grie- 
chischen Staat  Volkszählungen  zu  statistischen  Zwecken  ge- 
halten worden  wären,  wird  niemand  behaupten  wollen.  Es  ist 
nur  eine  Veranlassung  denkbar,  bei  der  eine  solche  Zählung 
vorgenommen  sein  könnte,  eben  die  Belagerung  selbst.  In  der 
That  war  es  von  der  höchsten  Wichtigkeit  für  die  Leiter  der 
Vertheidigung , die  Zahl  derer  genau  zu  kennen,  für  deren 
Unterhalt  sie  zu  sorgen  hatten;  nur  so  war  es  möglich,  über 
das  zur  V erpro viantirung  der  Stadt  erforderliche  Quantum  an 
Lebensmitteln  einen  Ueberblick  zu  bekommen.  Auch  im  Mittel- 
alter  sind  bei  solchen  Anlässen  Volkszählungen  vorgenommen 
worden,  die  sonst,  wie  bekannt,  jener  Zeit  ebenso  fern  lagen, 
wie  dem  Zeitalter  des  peloponnesiseben  Krieges.  Und  da  wäh- 
rend der  Belagerung  fast  die  ganze  Bevölkerung  des  akragan- 
tinischen  Landgebietes  in  den  Mauern  der  Hauptstadt  concen- 


die  Sklaven  müssen  in  der  Summe  begriffen  sein.  Aber  auch  dann  ist  es 
undenkbar,  dass  Timaeos  mit  seinen  20  Myriaden  nur  die  erwachsenen 
Männer  gemeint  hat;  wir  kämen  sonst  für  Akragas  auf  mehr  als  600000 
Einwohner.  Diodor  allerdings  scheint  die  Stelle  so  aufgefasst  zu  haben 
(s.  die  oben  angeführte  Stelle  c.  90, 3),  und  ebenso  die  Quelle  des  Laertius 
Diogenes  VIII  68:  ufyuv  tfi  rbv  AxQnyarru  liuüv  IIoTnuIXla, 

tml  uvgiiidf;  avtov  xattpxovv  öyJotjxovnt,  wo  die  800000  offenbar  durch 
Multiplication  der  von  Timaeos  gegebenen  Zahl  mit  4,  dem  im  Alterthum 
allgemein  angenommenen  Verhältniss  der  Waffenfähigen  zur  Gesammt- 
bevölkerung,  gewonnen  ist.  Vgl.  Niebuhr,  K.  G.  II  S.  83  Anm.  Vielmehr 
muss  die  Angabe  des  Timaeos,  wenn  sie  überhaupt  einen  Werth  haben 
soll,  so  verstanden  werden,  wie  oben  im  Texte  geschehen  ist.’ 


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Sicilien  und  Grossgriechenland. 


283 


trirt  sein  musste  ’),  ähnlich  wie  in  Athen  während  der  sparta- 
nischen Einfälle,  so  würde  die  Zahl  bei  Timaeos  auf  Stadt  und 
Gebiet  zusammen  zu  beziehen  sein;  sie  müsste  ferner  die  Be- 
satzungstruppen einschliessen , ja  vielleicht  selbst  das  sicilisehe 
Entsatzheer  von  über  30000  Mann.  Aber  dass  Timaeos  wirk- 
lich aus  dieser  Quelle  geschöpft  hat,  folgt  daraus  natürlich 
noch  nicht.  Vielmehr  spricht  manches  dafür,  dass  wir  es  hier 
nur  mit  einer  subjectiven  Schätzung  zu  thun  haben:  vor  allem 
das  runde  Verhältniss  zwischen  der  Bürgerzahl  und  der  Ge- 
sammtbevölkerung  (1:10),  weiterhin,  dass  die  Bürgerzahl  von 
Akragas  nach  Timaeos  genau  der  Bürgerzahl  von  Athen  gleich 
ist,  wie  sie  die  Zählung  unter  Demetrios  von  Phaleron  ergeben 
hatte.  Es  sieht  fast  aus,  als  ob  Timaeos  die  Bevölkerungs- 
Verhältnisse  des  Athen  seiner  eigenen  Zeit  einfach  auf  Akragas 
übertragen  hätte. 

Indess  mag  dem  sein  wie  ihm  will,  jedenfalls  muss  Akragas 
mit  seinem  Gebiete  annähernd  die  Bewohnerzahl  gehabt  haben, 
die  Timaeos  ihm  zuschreibt.  Die  Akragantine  hatte  einen 
Flächenraum  von  4300  qkm ; und  wenn  auch  die  inneren 
Theile  nur  spärlich  bewohnt  sein  mochten,  wie  das  fast  gänz- 
liche Fehlen  aus  dem  Alterthum  überlieferter  Ortsnamen  be- 
weist, so  waren  doch  die  Striche  an  der  Küste  gut  angebaut 2), 
und  Akragas  selbst,  das 

/uiya  aOJv  nitgct  f nv&ov  Axgclyavros *), 

gehörte  zu  den  bedeutendsten  griechischen  Städten. 

Die  karthagische  Eroberung,  so  tiefe  Wunden  sie  auch 
dem  Wohlstände  von  Akragas  schlug,  kann  doch  eine  nennens- 
werthe  Verminderung  der  Bürgerzahl  nicht  zur  Folge  gehabt 
haben,  da  es  gelang,  die  Räumung  der  Stadt  in  guter  Ord- 
nung zu  bewirken  und  die  Bevölkerung  nach  Leontinoi  in 


’)  Diod.  XIII  81:  idogiv  ovv  aitoig  r 6v  r i aizov  xal  rovs  diloig 

xttgnoiif,  in  cf i litt  xrtjoeis  it7tdaas  anö  rrj(  %i ugtt;  xaiaxo/uiCfiv  tvrdi 

tu'i v iHxürv.  Natürlich  mussten  die  Personen  vor  allem  in  Sicherheit  ge- 
bracht werden. 

2)  Diod.  XIII  81. 

3)  Empedokl.  397  Mullach. 


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284 


Capitel  VII. 


Sicherheit  zu  bringen,  woher  sie  im  folgenden  Jahre  der 
Frieden  in  die  Heimath  zurückführte.  Ebenso  wenig  hat  ja 
die  persische  Eroberung  die  Volkszahl  Athens  in  fühlbarer 
Weise  zu  vermindern  vermocht.  So  heisst  denn  Akragas  zu 
Dions  Zeit  wieder  eine  „grosse  Stadt“  und  war  im  Stande, 
die  Unternehmung  gegen  Syrakus  mit  200  Reitern  zu  unter- 
stützen1). Ein  halbes  Jahrhundert  später  brachte  der  akra- 
gantinische  Stratege  Xenodikos  ein  Bürgerheer  von  10000 
Mann  zu  Fuss  und  1000  Reitern  gegen  Agathokles  zusammen2), 
doch  befanden  sich  dabei  Contingente  von  Enna,  Herbessos, 
Leontinoi,  Kamarina  und  namentlich  Gela8),  so  dass  für  die 
Bevölkerung  von  Akragas  aus  der  Angabe  sich  nicht  viel  er- 
giebt.  Doch  war  Akragas  noch  am  Anfang  des  ersten  punischen 
Krieges  die  erste  Stadt  des  karthagischen  Sicilien*).  Bei  der 
römischen  Eroberung  262  wurde  die  „ganze  Bevölkerung“,  über 
25000  Köpfe,  in  die  Sklaverei  geführt5);  mögen  auch  viele 
bei  der  Belagerung  und  der  Erstürmung  gefallen  sein,  andere 
sich  mit  der  karthagischen  Besatzung  durch  die  feindlichen 
Linien  durchgeschlagen  haben,  oder  in  den  weiten  Gebieten 
verstreut  geblieben  sein:  wir  sehen,  wie  Akragas  nur  noch 
der  Schatten  seiner  einstigen  Bedeutung  war.  Der  Verlust 
der  Gebietstheile  westlich  des  Halykos  mit  Herakleia  Minoa, 
etwa  der  Hälfte  der  gesammten  Akragantine,  nach  der  Schlacht 
bei  Kronion,  mag  den  ersten  Anstoss  zum  Verfalle  gegeben 
haben;  noch  verderblicher  musste  die  Einführung  des  Oel-  und 


')  riut.  Dion  26. 

*)  Diod.  XX  56.  62. 

*)  Diod.  XX  31. 

*)  Polyb.  I 17,  5:  öpönrtf  dt  xnl  Trjv  'Axgayarrlvtnr  nolir  ....  ßa- 
Qvxäjriv  T<js  aiiTtöi’  (ÄnpjfijdoWW)  inuQ/lai. 

s)  Diod.  XXIII  9 nach  I’hilinos:  Sovlovt  Sk  npmrtf  änavtat  rtltov 
für  Sio/uipitor  xai  Tierraxiayiliair.  Polyb.  I 19,  15:  noliair  ftkv  out- 
fittTtav  (yh’ovro  (yxQareis-  Nach  Polyb.  I 18,  7 betrug  das 
Ir  t jj  716 lei  ooyxtxleifxfvm’  avSpoiv  nicht  weniger  als  50000,  worunter 
offenbar  nicht  blos  die  erwachsenen  Männer,  sondern  überhaupt  alle  Ein- 
wohner zu  verstehen  sind,  denn  es  ist  von  der  Hungersnoth  in  der  be- 
lagerten Stadt  die  Rede.  Die  sehr  zahlreiche  karthagische  Besatzung  ist 
hier  natürlich  eingerechnet. 


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Sicilien  und  Grossgriechenland. 


285 


Weinbaues  in  Libyen  wirken1),  wodurch  die  hauptsächlichste 
Erwerbsquelle  der  Stadt  untergraben  wurde.  Uebrigens  hat 
Akragas  auch  nach  der  Katastrophe  von  262  als  selbständige 
Gemeinde  fortexistirt  und  im  hannibalischen  Kriege  210  noch 
einmal  das  Schicksal  gehabt  , von  den  Römern  erstürmt  zu 
werden  und  seine  Bevölkerung  in  die  Sklaverei  verkauft  zu 
sehen2);  und  wenn  die  Stadt  selbst  diesen  Schlag  überdauert 
hat,  so  war  es  doch  jetzt  mit  ihrer  Blüthe  für  immer  vorbei. 

Alle  übrigen  Gemeinden  der  Insel  standen  im  V.  und 
IV.  Jahrhundert  Akragas  an  Bedeutung  nach,  und  können  also 
die  Zahl  von  20000  Bürgern  nicht  erreicht  haben.  Das  findet 
in  den  erhaltenen  Quellen  seine  volle  Bestätigung.  Am  besten 
unterrichtet  sind  wir  in  dieser  Beziehung  über  Himera  imd 
Selinus  in  Folge  ihrer  Zerstörung  durch  die  Karthager  408. 
Bei  der  Erstürmung  von  Selinus  sollen  16000  Einwohner 
gefallen,  5000  gefangen  worden  sein,  2600  sich  nach  Akragas 
gerettet  haben8).  Die  auffallend  geringe  Zahl  der  Gefangenen 
kann  sich  durch  die  barbarische  Wildheit  erklären,  mit  der  die 
Sieger  in  der  eroberten  Stadt  hausten4),  wenn  auch  die  Mög- 
lichkeit bleibt,  dass  in  unserer  Quelle  ein  Zehntausender  aus- 
gefallen ist.  Jedenfalls  aber  dürfen  wir  die  Zahlen  Diodors 
nicht  einfach  addiren,  um  die  Gesammtbevölkerung  der  Stadt 
zu  erhalten.  Unter  den  Gefangenen  und  Erschlagenen  sind 
zweifellos  alle  Bestandtheile  der  Bevölkerung  einbegriffen;  da- 
gegen bei  den  2600  Geflüchteten  ebenso  zweifellos  die  Sklaven, 
Unterthanen  und  Fremden  ausgeschlossen,  ja  aller  Wahrschein- 


')  Das  ist  im  Laufe  des  IV.  Jahrhunderts  geschehen:  ij  x«'ip«  ij 
ftlv  tjv  äfi7ttXo(fVTo ff,  i)  <J’  (Xaioifvpoi  x«l  ti»v  r’t'XXca »•  rüv  xnpnifjuiv 
J (väpaiv  avttJtkto)!,  heisst  es  Diod.  XX  8 in  der  Beschreibung  des  afrika- 
nischen Zuges  des  Agathokles.  Vgl.  dagegen  Diod.  XIII  81:  oiimo  yäp 
xbt’  txtivovg  Toi'f  xpovoii  (vor  406)  Tr]s  yUßvtit  n"pvTtv(i(riis. 

*)  Liv.  26,  40. 

’)  Diod.  XIII  57.  58  nach  Timaeos. 

4)  Diod.  XIII  57:  TtJr  <f’  {yxarttXti(fd(vitav  atofutriuv  « ftiv  rais 
olxlan  oiyxarfxttov,  riüv  <T’  tU  roff  öJovf  ßinCo^fvtuv  ov  (haxpivovif; 
ovti  tf  vatv  ovS-'  TjXixlav,  k XX'  Lfiattas  naidtt i vynlovt,  yvviiixai,  npiaßu- 
ras  (ifovtvov,  ov<i(/j(ctr  aifjnd&HttV  Xa/xßti rovi((. 


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286 


Capitel  VII. 


lichkeit  nach  sind  nur  die  erwachsenen  Bürger  männlichen  Ge- 
schlechts darunter  zu  verstehen.  Da  nun  von  den  21 OOO  Ge- 
fangenen und  Erschlagenen  mindestens  Vs,  also  7000,  auf  die 
erwachsenen  Männer  entfällt,  ausserdem  2 selinuntische  Trieren 
mit  400  Mann  Besatzung  in  Asien  standen  *),  so  hat  Selinus  im 
Jahre  408  eine  Bevölkerung  von  10000  Männern  oder  30000 
Einwohnern  gezählt.  Dabei  ist  die  bürgerliche  Bevölkerung  des 
ganzen  Gebietes  eingeschlossen,  die  nichtbürgerliche  aber  nicht 
vollständig.  Die  Bürgerzahl  von  Selinus  kann  also  10000 
nicht  erreicht  haben  und  mag  etwa  auf  7 — 8000  zu  veran- 
schlagen sein.  Unter  der  Annahme,  dass  Bürger  und  Nicht- 
bürger sich  in  gleichem  Verhältniss  bei  der  Katastrophe  des 
Jahres  408  gerettet  haben,  erhalten  wir  also  eine  Gesammt- 
bevölkerung  des  Staates  von  32  — 33  000 , oder  bei  einem 
Flächenraum  von  1140  qkm  gegen  30  auf  1 qkm.  Vielleicht 
bleibt  diese  Zahl  hinter  der  Wahrheit  etwas  zurück  ; sehr  gross 
aber  kann  die  Differenz  nicht  sein,  vorausgesetzt  dass  die 
Zahlen  bei  Diodor  richtig  sind.  Allerdings  erführen  wir  gern, 
woher  die  Angabe  über  die  Zahl  der  Erschlagenen  geflossen  ist. 

Wenige  Monate  nach  der  Katastrophe  besetzte  Hermokrates 
die  Stätte  der  zerstörten  Stadt,  rief  die  geflüchteten  Seli- 
nuntier  in  die  Heimath  zurück  und  brachte  bald  ein  Heer  von 
6000  Mann  zusammen2).  Doch  haben  sich  keineswegs  alle 
diese  Leute  dauernd  in  Selinus  angesiedelt.  Karthago  erkannte 
im  Frieden  von  405  das  Bestehen  der  neuen  Ansiedlung  an, 
imd  die  wiedererstandene  Stadt  hat,  freilich  ohne  die  frühere 
Bedeutung  erreichen  zu  können,  noch  durch  150  Jahre  fort- 
existirt.  Im  ersten  punischen  Kriege  wurden  die  Einwohner 
durch  die  Karthager  nach  Lilybaeon  verpflanzt,  und  seitdem 
scheint  Selinus  aus  der  Reihe  der  selbständigen  Gemeinden 
verschwunden  zu  sein. 

Etwa  die  gleiche  Bevölkerung  wie  Selinus  besass  Hirne ra. 
Die  Stadt  unterstützte  Gylippos  auf  seinem  Zuge  nach  Syrakus 
mit  1000  Mann  zu  Fuss  — Hopliten  und  Leichtbewaffneten  — 

>)  Xen.  Hell.  I 2,  8. 

*)  Dioil.  XIII  63. 


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Sicilien  und  Grossgriechenland. 


287 


und  100  Reitern1);  später  scheint  sie  noch  weitere  Hülfstruppen 
nach  Syrakus  gesandt  zu  haben.  Während  der  karthagischen 
Belagerung  408  unternahmen  die  Bürger  mit  10000  Mann 
einen  Ausfall;  unter  diesen  Truppen  waren  4000  Bundes- 
genossen, und  folglich  der  Rest  von  6000  Himeraeer.  Dass 
ausserdem  eine  Besatzung  zum  Schutze  der  Mauern  Zurück- 
bleiben musste,  ist  selbstverständlich  und  wird  auch  ausdrück- 
lich hervorgehoben.  Dieser  Ausfall  kostete  einen  Verlust  von 
3000  Mann,  wovon  nach  dem  Verhältnis  der  theilnehmenden 
Truppen  1800  auf  die  Himeraeer  selbst  kommen  mussten2). 
In  Folge  dessen  ward  der  Beschluss  zur  Räumung  der  Stadt 
gefasst  und  zunächst  die  Hälfte  der  Bevölkerung  eingeschifft, 
während  gleichzeitig  die  Bundesgenossen  abzogen 8).  Kurz 
darauf  nahmen  die  Karthager  die  Stadt  mit  Sturm,  es  erfolgt 
zunächst  wie  in  Selinus  ein  furchtbares  Blutbad;  von  den  Ge- 
fangenen lässt  Hannibal  die  Männer,  angeblich  3000,  den 
Manen  seines  Grossvaters  Hamilkar  als  Sühnopfer  schlachten 4). 
Sind  diese  Zahlen  richtig,  wird  die  Bürgerschaft  von  Himera 
auf  etwa  8 — 9000  erwachsene  Männer  zu  veranschlagen  sein 5). 

Von  den  geflüchteten  Himeraeera  finden  wir  bald  darauf 
1000  im  Heere  des  Hennokrates8).  Später  wurde  der  Rest 
der  Bürgerschaft  in  dem  neu  gegründeten7)  Thermae  angesie- 
delt, das  bald  zu  einer  der  bedeutendsten  Mittelstädte  Siciliens 
emporblühte.  Nähere  Angaben  über  die  Bevölkerung  fehlen. 

Von  den  übrigen  griechischen  Gemeinden  Siciliens  werden 


1)  Thuk.  VII  1. 

*)  Diod.  xm  60,  vgl.  c.  59. 
s)  Diod.  XIII  61. 

4)  Diod.  XIII  62:  xara  xgar o;  ouv  äi-ovatj;  rfjg  nolttnq  Inl  noi.Vov 

Xqovov  ol  ßunßagui  navxai  ttpovtvov  robg  xctTcü.außaiouhovs  otjvuna- 
&(ä(.  rov  <f  'Avrlßa  ^oygiiv  nctoayyf(i.caio;  6 uh  (pövoi  thjUir.  . . . riöv 
’ alyuui. v,i an  yvvaixüs  rt  xat  naiäa;  äiaäov;  eli  rb  aifiarontSov 
7TaQe<fvA.aTTC,  t wv  <f’  ctvßgiü v rov f älovr a;  tt;  rgtO/Movs  • . . • navras 
alxiottfievos  xartocpafc. 

5)  Vergl.  Holm,  Gesch.  Sic.  II  428,  der  8000  Bürger  zwischen  16 
und  60  Jahren  rechnet. 

*)  Diod.  XUI  68. 

7)  Diod.  a.  a.  0. 


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Capitel  VII. 


Naxos  und  Katane  zur  Zeit  des  peloponnesischen  Krieges 
als  unbedeutend  bezeichnet1),  womit  alle  übrigen  Angaben 
übereinstimmen.  Naxos  konnte  den  Athenern  gegen  Syrakus 
kaum  50  Reiter  zu  Hülfe  schicken2)  und  war  im  Jahre  425 
nicht  im  Stande,  sein  Gebiet  gegen  die  Messenier  zu  verthei- 
digen3).  Als  Hieron  I.  die  Bewohner  Katanes  vertrieb  und 
10000  neue  Colonisten  in  die  Stadt  führte,  musste  er  das  Ge- 
biet auf  Kosten  der  umliegenden  Gemeinden  vergrössem  *). 
Bedeutender  war  die  dritte  ionische  Stadt  Siciliens,  Leontinoi5), 
aber  sie  hat  bereits  423  ihre  Selbständigkeit  verloren,  und  ihr 
Gebiet  bildet  seitdem  einen  Theil  des  Gebietes  von  Syrakus. 
Später,  um  396,  führte  Dionysios  eine  Militärcolonie  von  an- 
geblich 10000  Söldnern  hierher6). 

Auch  Messene  war  eine  verhältnissmässig  bedeutende 
Stadt.  Um  400  soll  es  im  Stande  gewesen  sein,  400  Reiter, 
4000  Mann  zu  Fuss  und  30  Trieren  aufzustellen,  eine  Angabe, 
die  freilich,  wie  unten  gezeigt  werden  soll,  starken  kritischen 
Bedenken  unterliegt.  Bei  dem  oben  erwähnten  Einfall  in  das 
Gebiet  von  Naxos,  wozu  die  Messenier  mit  ihrer  ganzen  Macht 
ausgezogen  waren,  hatten  sie  einen  Verlust  von  mehr  als  1000 
Mann;  auf  dem  Rückzuge  wurde  der  grössere  Theil  des  noch 
übrigen  Heeres  durch  die  Sikeler  aufgerieben7).  Als  Dionysios 
nach  der  Zerstörung  durch  die  Karthager  Messene  aufs  neue 
gründete,  soll  er  hier  ausser  600  Messeniern  aus  dem  Pelo- 
ponnes, die  bald  weiter  nach  Tyndaris  verpflanzt  wurden,  und 
1000  Lokrern  noch  4000  „Medinmaeer“ 8)  angesiedelt  haben, 
unter  welch  letzteren  wohl  die  Bürger  von  Medma  in  Italien 


l)  S.  Nikias’  officiellen  Bericht  bei  Thuk.  VII  14. 

*)  Thuk.  VI  98.  Die  Sikeler,  Naxier  „und  einige  andere“  stellen  zu- 
sammen gegen  100  Reiter. 

>)  Thuk.  IV  25. 

*)  Diod.  XI  49. 

6)  Thuk.  IV  25. 

•)  Diod.  XIV  78. 

7)  Thuk.  IV  25. 

8)  Diod.  XIV  78.  Die  Emendation  Mtfifjuloug  für  Mtdi/tvaio vs  ist 
von  Cluverius,  Sic.  Ant.  lib.  II  S.  888.  Vgl.  Wesseling  zu  unserer  Stelle, 


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Sicilien  und  Grossgriechenland. 


289 


zu  verstehen  sind.  Die  Zahl  müsste  dann  freilich  verderbt 
sein,  da  eine  Kleinstadt  wie  Medina  unmöglich  so  viele  Colo- 
nisten  abgeben  konnte.  Uebrigens  lehrt  die  Geschichte  dieser 
ganzen  Zeit,  dass  Messene  Rhegion  ebenso  wie  Lokroi  an 
Macht  nachstand.  Erst  seit  der  Besitznahme  durch  die  Ma- 
mertiner  tritt  Messene  in  die  Reihe  der  ersten  Städte  der 
Insel , unter  denen  es  seitdem  seinen  Platz  behauptet  hat.  In 
der  Schlacht  am  Longanos  kämpften  die  Mamertiner  gegen 
Hieron  mit  8000  Mann,  die  zum  grössten  Theil  niedergemacht 
wurden1),  und  das  war  keineswegs  ihre  gesammte  Macht,  da 
die  Stadt,  allerdings  mit  karthagischer  Hülfe,  auch  nach  diesem 
Schlage  sich  hielt. 

Wichtiger  als  Messene  war  im  V.  und  IV.  Jahrhundert 
Gela,  obgleich  es  unter  Gelon  die  Hälfte  seiner  Bevölkerung 
an  Syrakus  hatte  abgeben  müssen.  Die  Stadt  konnte  500 
Reiter  ins  Feld  stellen2),  und  Agathokles  soll  einmal  4000 
ihrer  wohlhabenden  Bürger  haben  umbringen  lassen3).  Die 
Quelle,  der  Plutarch  im  Dion  folgt,  nennt  Gela  ebenso  wie 
Akragas  eine  „grosse  Stadt“4);  und  in  der  That  stand  es  an 
Mauerumfang  wie  an  Ausdehnung  des  Gebietes  in  Sicilien  nur 
Syrakus  und  Akragas  nach.  Kleiner  war  Kamarina,  das 
lange  zwischen  Syrakus  und  Gela  den  Zankapfel  bildete. 
Nähere  Angaben  über  die  Bevölkerung  fehlen;  wir  hören  nur, 
dass  die  Stadt  im  Jahre  413  den  Syrakusiem  500  Hopliten, 
300  Speerwerfer  und  300  Bogenschützen  zu  Hülfe  schickte6): 
offenbar  nur  einen  kleinen  Theil  ihrer  Gesammtmacht. 

Wir  werden  demnach  für  das  Ende  des  V.  Jahrhunderts 
die  Bürgerzahl  von  Gela  etwa  zu  10000,  die  von  Kamarina 


der  gleichfalls  an  der  Richtigkeit  der  Zahl  zweifelt.  Es  läge  nahe  ,A  (/i- 
Kov f)  für  (riT(faxto/tXlov()  zu  verbessern.  Uebrigens  ist  die  Stelle  auch 
sonst  verderbt:  statt  tu>v  tx  IUio7torrr)Ooi>  Mtoarjvimv  steht  in  der  Hand- 
schrift JVUXtjOfcov. 

>)  Diod.  XXII  13. 

0)  Diod.  XIII  83,  vgl.  Thuk.  VI  67,  VII  33. 

»)  Diod.  XIX  107. 

*)  PluL  Dion  35. 

»)  Thuk.  VII  33. 

Belocb,  BerMlterurgilehre.  I.  19 


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290 


Capitel  VH. 


und  Messene  vielleicht  zu  je  5000,  die  von  Katane  und  Naxos 
zu  je  3000  veranschlagen  dürfen,  und  uns  damit  jedenfalls 
nicht  weit  von  der  Wahrheit  entfernen.  Lipara  war  ganz  un- 
bedeutend und  mag  mit  etwa  1000  Bürgern  angesetzt  werden1). 
Die  Bürgerzahl  von  Syrakus,  Akragas,  Selinus  und  Hiinera  ist 
oben  bestimmt  worden.  Danach  ergiebt  sich  80—90000  als 
Gesanuntbürgerzahl  aller  griechischen  Städte  der  Insel  oder 
eine  bürgerliche  Bevölkerung  von  gegen  V*  Million. 

Im  Laufe  des  IV.  Jahrhunderts  ist  die  Bürgerzahl  von 
Syrakus  auf  60000  Bürger  angewachsen.  Akragas,  Gela,  Ka- 
marina,  Messene  haben  annähernd  ihre  alte  Bevölkerung  be- 
halten. Selinus  hat  sich  nie  von  der  Zerstörung  im  Jahre  408 
erholt,  Thermae  wird  die  Bürgerzahl  von  Himera  schwerlich 
erreicht  haben.  An  Stelle  von  Naxos  trat  die  Militärcolonie 
Tauromenion,  die  in  der  Römerzeit  als  civitas  focderata  grosse 
Bedeutung  gewonnen  hat.  Von  neuen  Städten  sind  Hadranon 
um  400,  Tyndaris  um  395  von  Dionysios  gegründet  worden; 
letzteres  hat  bald  eine  Bürgerzahl  von  5000  erreicht2).  Von 
der  Neugründung  von  Leontinoi  durch  Dionysios  ist  schon  oben 
gesprochen  worden. 

Die  Gesammtbürgerzahl  der  griechischen  Städte  Siciliens 
ist  also  im  IV.  Jahrhundert  beträchtlich  höher  gewesen,  als 
vor  dem  peloponnesischen  Kriege  und  wird  kaum  auf  unter 
120000  zu  veranschlagen  sein,  was  einer  bürgerlichen  Bevöl- 
kerung jedes  Geschlechts  und  Alters  von  360000  entsprechen 
würde.  Freilich  wurde  dieser  Zuwachs  nicht  so  sehr  der 
natürlichen  Vermehrung  verdankt,  als  der  Ertheilung  des 
Bürgerrechts  an  Fremde  und  Sklaven,  der  Einwanderung  aus 
dem  Mutterlande  und  der  Ansiedelung  ausgedienter  Mieths- 
truppen.  Nicht  alle  diese  Elemente  waren  griechischen  Ur- 
sprungs, sie  haben  sich  aber  sämmtlich  rasch  hellenisirt. 

Werfen  wir  jetzt  einen  Blick  auf  die  militärischen  Leistun- 
gen der  sicilischen  Griechen.  Gelon  soll  i.  J.  480  bei  Himera 
50000  Mann  zu  Fuss  und  5000  Reiter  gehabt  haben3),  eine 

«)  Vgl.  Diod.  V 9. 

*)  Diod.  XIV  78. 

a)  Diod.  XI  21  nach  Timaeos. 


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Sicilien  und  Grossgriechenland. 


291 


Angabe,  die  sehr  übertrieben  ist,  selbst  wenn  wir  die  Truppen 
Therons  hier  einrechnen  wollten.  Namentlich  eine  Zahl  von 
5000  Reitern  hat  Sicilien  nie  aufzubringen  vermocht.  Nach- 
dem man  einmal  die  Stärke  des  karthagischen  Heeres  zu 
300000  Mann  angesetzt  hatte,  mussten  Anstands  halber  die 
Griechen  dazu  ins  Verhältniss  gesetzt  werden.  Es  ist  also  hier 
ähnlich  gegangen  wie  mit  der  Schlacht  bei  Plataeae.  Gegen 
die  Perser  soll  Gelon  den  verbündeten  Hellenen  20000  Ho- 
pliten,  2000  Reiter,  6000  Mann  leichter  Truppen,  200  Trieren 
angeboten  haben1),  und  das  mochte  in  der  That  ungefähr  die 
Macht  sein,  die  Gelons  Reich  aufzustellen  im  Stande  war, 
wenn  auch  schwerlich  für  einen  Zug  in  so  weite  Ferne.  Am 
Ende  des  Jahrhunderts  betrug  das  Aufgebot  der  Gemeinden 
des  östlichen  Theiles  der  Insel,  Syrakus,  Messene,  Gela,  Ka- 
marina  etc.,  zum  Entsatz  von  Akragas  30000  Mann  zu  Fuss 
und  3000  Reiter ; dabei  sind  aber  die  Contingente  der  italischen 
Griechen  einbegriffen2).  Etwa  die  gleiche  Stärke  zählte  im 
folgenden  Jahre  das  Heer  des  Dionysios  bei  Gela,  das  aus  den- 
selben Contingenten  bestand;  doch  enthielt  es  daneben  eine 
nicht  unbedeutende  Zahl  von  Miethstruppen8).  Im  ersten  Feld- 
zuge des  Befreiungskrieges  gegen  Karthago  soll  Dionysios 
ausser  200  Kriegsschiffen  80000  Mann  zu  Fuss  und  3000 
Reiter  gehabt  haben4).  Nie,  weder  vorher,  noch  nachher,  hat 
das  griechische  Sicilien  eine  so  grosse  Truppenmasse  zusammen- 
gebracht; schon  im  Feldzuge  des  nächsten  Jahres  wird  Diony- 
sios’ Heer  wieder  wie  gewöhnlich  zu  30000  Mann  zu  Fuss 


*)  Herod.  VII  158. 

s)  Diod.  XIII  86  nach  Timaeos. 

a)  Nach  Timaeos  bei  Diodor  XIII  109  : 30000  Mann  zu  Fuss,  1000 
Reiter;  nach  „anderen“  (di  piv  nvti\  wahrscheinlich  Ephoros,  50 000  Mann. 
Es  ist  klar,  dass  die  kleinere  Zahl  den  Vorzug  verdient.  Dass  die  Zahl 
der  Reiter  hier  wie  in  der  oben  angeführten  Stelle  XIII  86  verderbt  ist, 
zeigt  das  Missverhältniss  zu  der  Zahl  der  Fusstruppen  und  beider  Angaben 
unter  einander.  Es  wird  an  der  ersten  Stelle  für  ,E  (juvraxiaxiUovi) 
, r (TQioxiMovi)  zu  lesen  sein;  an  der  zweiten  Steüe  entweder  ,/t  (4000) 
für  ,A  (1000),  oder  wahrscheinlicher,  es  ist  hier  wie  so  oft  bei  Diodor  vor 
XiUovi  die  Zahl  der  Tausender  ausgefallen. 

4)  Diod.  XIV  47. 

19* 


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292 


Capitel  VII. 


mit  3000  Reitern  angegeben1).  Und  nennenswerthe  Verluste 
hatten  die  Sikelioten  in  der  Zwischenzeit  nicht  erlitten;  die 
Belagerung  von  Motye  kann  höchstens  ein  paar  tausend  Mann 
gekostet  haben.  Dazu  kommt  weiter  das  auffallende  Missver- 
hältnis (1 : 262;a)  zwischen  Reitern  und  Fusstruppen,  während 
sonst  in  den  sicilischen  Heeren  dieser  Zeit  das  Verhältnis  wie 
1 : 10  ist.  Bei  der  elenden  Zahlenüberlieferung  in  unseren 
Handschriften  Diodors  wird  also  jene  hohe  Zahl  nur  auf  einem 
Textverderbnis  beruhen.  Die  Italioten  betheiligten  sich,  so 
viel  wir  wissen,  an  diesem  Kriege  nicht;  es  sind  also  nur  die 
»Streitkräfte  des  griechischen  Sicilien,  und  zwar  aller  Städte2), 
neben  den  Soldtruppen  des  Tyrannen,  die  hier  in  Betracht 
kommen.  Zu  den  Feldzügen  gegen  die  Italioten  in  den  Jahren 
389  und  388  bot  Dionysios  je  20000  Mann  zu  Fuss  und  3000 
Reiter  auf3);  es  war  eben  hier  nicht  nöthig,  die  Kraft  in  dem- 
selben Maasse  anzustrengen,  wie  gegen  die  Karthager.  In  der 
Schlacht  bei  Kronion  um  378  sollen  gegen  diese  14000  Si- 
kelioten gefallen  sein4).  Nichts  desto  weniger  hat  Dionysios 
zehn  Jahre  später  in  seinem  letzten  Kriege  gegen  die  Karthager 
wieder  seine  alte  Macht  von  30000  Mann  zu  Fuss  und  3000 
Reitern  ®). 

Die  stereotype  Wiederkehr  derselben  Zahlen  beweist  uns, 
dass  hier  keineswegs  authentische  Ueberlieferung  vorliegt,  son- 
dern nur  approximative  Schätzung.  So  wenig  wie  Thukydides 
die  Stärke  des  peloponnesisehen  Invasionsheeres  oder  der  Com- 
battanten  bei  Mantineia  und  vor  Syrakus  angegeben  hat,  so 
wenig  scheint  das  Philistos  für  die  Kriege  des  Dionysios  ge- 
than  zu  haben,  und  Ephoros  und  Timaeos  sahen  sich  so  ge- 
zwungen, das  Fehlende  durch  eigene  Conjectur  zu  ersetzen. 
Dass  beide  dabei  zu  sehr  verschiedenen  Resultaten  gelangen 


>)  Diod.  XIV  58. 

*)  Diod.  XIV  47. 

a)  Diod.  XIV  100.  108.  An  ersterer  Stelle  ist  fiir  das  überlieferte 

irtmii  di yü.lüvs  offenbar  TQin^ih'ov;  oder  allenfalls  auch  Sia/tUovs 

zu  emendiren;  vergl.  Anm.  3 auf  der  vorigen  Seite. 

9 Diod.  XV  17. 

')  Diod.  XV  73. 


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Sicilien  und  Grossgriechenland. 


293 


mussten,  ist  natürlich;  Ephoros  verleugnet  auch  hier  nicht 
seine  Vorliebe  für  hohe  Zahlen1),  während  Timaeos  sich  als 
besonnener  Kritiker  zeigt.  Von  den  oben  zusammengestellten 
Zahlen  wird  die  eine  ausdrücklich  als  aus  Timaeos  stammend 
bezeichnet;  eine  andere  lässt  sich  mit  unzweifelhafter  Sicher- 
heit auf  ihn  zurückführen:  die  Uebereinstimmung  der  übrigen 
macht  es  höchst  wahrscheinlich,  dass  sie  alle  auf  ihn  zurück- 
gehen2). Wir  werden  diese  Zahlen  natürlich  nur  insoweit  an- 
nehmen, als  sie  innere  Wahrscheinlichkeit  haben.  Da  nun 
Syrakus  allein  im  Jahre  415  nach  Thukydides’  Zeugnis«  1000 
Reiter  aufstellen  konnte,  so  sind  3000  für  die  ganze  Insel  eine 
ganz  angemessene  Annahme,  die,  wenn  überhaupt  , die  Wahr- 
heit nur  unbedeutend  übersteigen  kann,  um  so  mehr,  als  auch 
Söldner  unter  diesen  3000  begriffen  sind.  Und  ebenso  wenig 
kann  die  Zahl  von  30000  Manu  Fusstruppen,  d.  h.  im  wesent- 
lichen Hopliten,  begründete  Bedenken  erregen  gegenüber  einer 
Bürgerzahl  der  hellenischen  Städte  der  Insel  von  80 — 120000, 
besonders  da  auch  hier  eine  bedeutende  Zahl  Söldner  einge- 
rechnet sind.  Auch  von  dieser  Seite  also  wird  unser  oben  er- 
langtes Ergebniss  bestätigt. 

Zu  Agathokles’  Zeit  soll  das  hellenische  Sicilien  sogar  über 
40  000  Mann,  ausschliesslich  an  Bürgertnippen , aufzustellen 
vermocht  haben,  nämlich  das  Heer  von  Akragas  und  der  ihm 
verbündeten  Städte  von  10000  Mann  und  1000  Pferden8),  das 
Emigrantenheer  des  Deinokrates  von  20000  Manu  und  1500 
Pferden,  die  in  der  Folge  auf  25000  Mann  mit  3000  Pferden 
auwuchsen4),  und  die  syrakusischen  Bürgertruppen  im  Heere 
des  Agathokles,  von  denen  allein  3500  den  Tyrannen  auf  seinem 


')  S.  oben  S.  291  Anm.  8. 

*)  Wir  haben  hier  einen  weiteren  Beweis  dafür,  dass  die  sicilischen 
Stücke  in  Diodors  XIII.,  XIV.  und  XV.  Buch  sämmtlich  oder  doch  zum 
grössten  Theil  auf  Timaeos  zurückgehen.  Vergl.  ausser  Volquardsens 
grundlegenden  Untersuchungen  Bachof,  Jahrb.  f.  Phil.  1879  S.  161  mit 
meinen  Bemerkungen  ebendas.  S.  507.  Vielleicht  finde  ich  einmal  Zeit, 
ausführlich  auf  diese  Frage  zurückzukommen. 

»)  Diod.  XX  56. 

♦)  Diod.  XX  57.  89. 


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294 


Capitel  VII. 


Zuge  nach  Afrika  begleiteten  *).  Etwas  später,  auf  seinem 
brettischen  Feldzuge,  hatte  Agathokles  30000  Mann  zu  Fuss 
und  3000  Reiter2);  doch  hat  ohne  Zweifel  ein  sehr  grosser 
Theil  dieser  Truppen  aus  Söldnern  bestanden.  Und  Söldner 
waren  auch  die  4000  Mann  und  500  Pferde,  die  Herakleidas, 
der  Tyrann  von  Leontinoi,  und  die  8000  Mann  und  800  Pferde, 
die  Sosistratos  in  Akragas  dem  Pyrrhos  übergaben8).  Aus 
Bürgern  und  Söldnern  gemischt  waren  die  10000  Mann  und 
1500  Pferde,  mit  denen  Hieron  die  Mamertiner  am  Longanos 
schlug4),  und  die  etwa  20000  Mann,  mit  denen  Hieronvnios 
215  den  Krieg  gegen  Rom  eröffnete  *). 

Was  nun  die  nichtgriechischen  Bewohner  der  Insel  angeht, 
so  zählte  Panormos,  die  grösste  der  phoenikischen  Städte, 
mit  seinem  nicht  sehr  ausgedehnten  Gebiete  zur  Zeit  des  ersten 
punischen  Krieges  etwa  30000  Einwohner 6) , und  es  ist  sehr 
unwahrscheinlich,  dass  die  Bevölkerung  der  Stadt  seit  dem 
V.  Jahrhundert  sich  vermindert  haben  sollte.  Wenigstens  hat 
Hennokrates  407  mit  etwa  3000  Mann  die  gesammte  panormi- 
tische  Bürgerschaft  im  offenen  Felde  geschlagen  und  mit 
einem  Verluste  von  500  Mann  hinter  ihre  Mauern  zurück- 
getrieben7). Auch  die  Motyener  waren  nicht  im  Stande  ge- 
wesen, ihr  Gebiet  gegen  Hennokrates  zu  vertheidigen 8) ; und 
in  der  That  bietet  die  kleine  Insel , worauf  Motye  lag , trotz 

i)  Diod.  XX  11. 

•)  Diod.  XXI  7. 

»)  Diod.  XXII  8.  10. 

*)  Diod.  XXII  13;  Polyb.  I 9,  7. 

6)  Livius  24,  7 nach  Polybios. 

®)  Diod.  XXIII  18.  Bei  der  römischen  Eroberung  254  kamen  13000 
Einwohner  in  Sklaverei,  während  14000  den  Bedingungen  der  Capitulation 
gemäss  mit  je  2 Minen  sich  auslösten.  Einige  Tausende  mochten  während 
der  Belagerung  und  namentlich  bei  der  Erstürmung  der  Neapolis  (Polyb.  I 
38,  9)  gefallen  sein. 

7)  Diod.  XIII  63:  twv  <fi  Tluvogu it lüv  Tiaväijud  tz  agar  u{a[itvo>v 
n gö  i fji  nuXtwg  it;  7itvuxxoo(ovs  uiv  avitöv  itvtTXt,  rovg  ’ aXXoig 
oi  vMtiatv  Ivros  twv  th/wv.  Da  Hermokrates  zu  seiner  letzten  Unter- 
nehmung gegen  Syrakus,  wo  er  alle  Kräfte  einsetzen  musste,  nur  3000 
Mann  anfbot  (Diod.  XIII  75),  wird  er  bei  Panormos  nicht  stärker  ge- 
wesen sein. 

8)  Diod.  XIII  63. 


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Sicilien  und  Grossgriechenland. 


295 


der  nach  phoenikischer  Art  hoch  aufgethürmten  Häuser  für 
eine  grosse  Bevölkerung  keinen  Raum.  Jedenfalls  war  im 
IH.  Jahrhundert  nach  Akragas  Panormos  die  wichtigste  Stadt 
der  karthagischen  Provinz  auf  Sicilien1).  Lilybaeon  also, 
das  im  IV.  Jahrhundert  an  die  Stelle  des  zerstörten  Motye  ge- 
treten ist,  muss  kleiner  gewesen  sein,  als  Panonnos,  wie  auch  aus 
den  Berichten  über  die  Belagerung  der  Stadt  durch  die  Römer 
hervorgeht,  obgleich  damals  auch  die  Bevölkerung  von  Selinus 
durch  die  Karthager  nach  Lilybaeon  verpflanzt  war *).  Bei  dem 
grossen  Ausfall  gegen  die  römischen  Werke  zählten  die  Karthager 
20  000  Mann,  davon  10000  frisch  aus  Afrika  angekommene  Trup- 
pen, während  10000  Söldner  schon  von  früher  her  in  der  Stadt 
lagen  3),  so  dass  die  Bürgerschaft  nur  eben  zur  Besetzung  der 
Mauern  genügt  haben  kann.  Da  nun  die  dritte  phoenikische 
Stadt  der  Insel,  Solunt,  stets  unbedeutend  geblieben  ist,  so 
wird  die  phoenikische  Bevölkerung  der  Insel  im  III.  Jahrhundert, 
Freie  und  Sklaven  zusammen,  auf  kaum  mehr  als  50000  Seelen 
zu  veranschlagen  sein;  im  IV.  und  V.  Jahrhundert  wird  sie  diese 
Zahl  kaum  erreicht  haben4).  — Ueber  die  Bevölkerung  von 
Melite  usw.  und  Kossyra  ist  nichts  überliefert. 

Unter  den  einheimischen  Völkern  der  Insel  waren  die 
Ely  mer  das  am  wenigsten  bedeutende.  Die  grösste  von  ihren 
vier  Städten,  Segesta,  soll  zu  Agathokles’  Zeit  10 (MIO  Bürger 
gezählt  haben5),  und  es  ist  sehr  wahrscheinlich,  dass  sie  da- 
mals bevölkerter  war  als  ein  Jahrhundert  früher.  Wenigstens 
haben  die  Elymer  den  Athenern  zur  Belagerung  von  Syrakus 
nur  ein  Hülfscorps  von  300  Reitern  gestellt6);  und  410  ver- 

’)  Polyb.  I 88,  7 : ßagiriiri]  noics  rrjf  Kag^l^ovimv  (nng^rla;. 
Akragas,  das  I 5,  17  ebenso  bezeichnet  wird,  war  schon  seit  8 Jahren  in 
der  Gewalt  der  Römer. 

*)  Diod.  XXIV  1. 

»)  Polyb.  I 42,  11;  44,  2;  45,  8 (nach  Philinos). 

*)  Wenn  Holm,  Sic.  II  408  die  Bevölkerung  der  phoenikischen  Städte 
in  Sicilien  auf  800000  Seelen  veranschlagt,  so  hat  er  sich  offenbar  nicht 
klar  gemacht,  dass  bei  dieser  Annahme  auf  jede  der  3 Städte  eine  Durch- 
schnittsbevölkerung von  100  000  Einwohnern  kommt. 

»)  Diod.  XX  71. 

#)  Thuk.  VI  98;  Diod.  XIII  7.  Dass  Eryx  damals  mit  Segesta  im 
Bunde  stand,  zeigt  Thuk.  VI  46;  vergl.  die  Münzen. 


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296 


Capitel  VII. 


mochten  sie  es  nicht,  den  Selinuntiern  zu  widerstehen l).  Wenn 
auch  daraus  nicht  gerade  auf  eine  numerische  Inferiorität  der 
Elymer  gegenüber  den  7 — 8000  Bürgern  von  Selinus  geschlossen 
werden  darf,  so  kann  doch  mindestens  die  Bevölkerung  des 
elymischen  Gebietes  nicht  beträchtlich  grösser  gewesen  sein  als 
die  des  Gebietes  von  Selinus.  Rechnen  wir  demnach  fürEryx 
und  das  unbedeutende  Halykiae  zusammen  etwa  die  Hälfte  der 
Bürgerzahl  von  Segesta,  so  erhalten  wir  für  das  ganze  Volk  in 
Agathokles’  Zeit  eine  Bürgerzahl  von  etwa  15  000.  Für  die 
Zeit  des  peloponnesischen  Krieges,  obgleich  damals  Entella 
noch  den  Elymem  gehörte,  wird  wohl  etwas  weniger  zu  rechnen 
sein.  Die  Sklaven  konnten  numerisch  kaum  ins  Gewicht  fallen. 
Bei  einer  Ausdehnung  von  über  1800  qkm  hat  das  elymische 
Gebiet  im  V.  und  IV.  Jahrhundert  eine  Volksdichtigkeit  von 
25 — 30  Einwohnern  auf  dem  qkm  gehabt. 

Dass  die  Gebiete  der  Sikaner  und  Sikeler  eine  dich- 
tere, oder  auch  nur  eine  ebenso  dichte  Bevölkerung  gezählt 
haben  sollten,  ist  kaum  anzuuehmen;  haben  wir  doch  oben  ge- 
sehen, wie  spärlich  noch  am  Ende  des  V.  Jahrhunderts  die 
Nordküste  der  Insel  bewohnt  war.  Die  durch  Duketios  ge- 
einigte sikelische  Nation  war  der  Macht  von  Syrakus  und 
Akragas  nicht  gewachsen.  In  dem  karthagischen  Heere  vor 
Himera  408  standen  nach  Timaeos  20000  Sikeler  und  Si- 
kaner2); und  bei  dem  Feldzuge  von  396  sollen  die  sicilischen 
Bundescontingente  der  Karthager  sogar  30000  Mann  betragen 
haben8).  In  dieser  letzteren  Zahl  sind  aber  offenbar  auch  die 
Elymer  und  die  Bürger  der  phoenikischen  Städte  auf  Sicilien 
einbegriffen.  Es  ist  nun  sehr  unwahrscheinlich,  dass  die  sicili- 
schen Verbündeten  der  Karthager  wirklich  solche  Massen  ins 
Feld  gestellt  haben  sollten;  vielmehr  werden  unsere  Zahlen 
nichts  anderes  sein,  als  eine  Schätzung  der  sikanisch-sikelischen 
Gesammtwehrkraft.  Das  würde  auf  eine  Bevölkerung  von 

*)  Diod.  XII  82:  ol  rf'  'EytaraToi . . . xn&'  tavtov(  ovx  orr ti  ö(tö- 
fiayoi\  XIII  44:  ot  <fi  EtXivoumoi  . . . xtanfnöro vv  rtüv  'Eyioralaiv, . . . 
7ioXv  nQoXyovTtg  rm'f  4 vvaufoi. 

»)  Diod.  XIII  59. 

*)  Diod.  XIV  55. 


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Sicilien  und  Grossgriechenland. 


297 


100—150000  Einwohnern  führen,  oder  14—21  auf  1 qkm,  was 
mit  unseren  bisherigen  Ergebnissen  sehr  gut  Ubereinstimmt. 
Wenn  Diodor  die  Bürgerzahl  seiner  Vaterstadt  Agyrion  um 
400  auf  20000  angiebt1),  so  ist  das  nur  ein  Beweis  für  seinen 
Loealpatriotismus ; es  bedarf  kaum  der  Bemerkung,  dass  Agyrion 
nicht  dieselbe  Bürgerzahl  gehabt  haben  kann,  wie  Akragas  oder 
Athen.  Das  benachbarte  Kenturipae  freilich  hat  in  sullanischer 
Zeit  10000  Bürger  gezählt2);  aber  diese  Blüthe  war  nur  das 
künstliche  Erzeugniss  der  Privilegien,  welche  die  Römer  der 
Stadt  verliehen  hatten.  Galeria  soll  in  Timoleons  Zeit  1000 
Hopliten  haben  ins  Feld  stellen  können8).  Aus  dem  Verkaufe 
der  Bewohner  der  sikanischen  Stadt  Hykkara  lösten  die  Athe- 
ner 415  120  Talente,  was,  1 Mine  für  den  Kopf  gerechnet, 
eine  Bevölkerung  von  7—8000  Seelen  ergeben  würde;  doch 
mag  der  Erlös  aus  der  übrigen  auf  dieser  Expedition  gemachten 
Beute  hier  eingerechnet  sein*).  Wie  man  sieht,  ergiebt  sich 
aus  diesen  vereinzelten  Notizen  kein  Anhalt  zur  Bestimmung 
der  Gesammtbevölkerung  der  sikelischen  und  sikanischen  Städte. 

Es  bleiben  noch  die  nicht-bürgerlichen  Elemente  der  Be- 
völkerung der  hellenischen  Gemeinden.  Von  Syrakus  und 
Akragas  ist  in  dieser  Beziehung  bereits  gehandelt  worden.  Die 
übrigen  Städte  haben,  soviel  wir  sehen,  keine  einheimischen 
Unterthanen  gehabt.  Die  Sklavenzahl  kann  im  V.  und  IV. 
Jahrhundert  nicht  sehr  beträchtlich  gewesen  sein 6),  kam  sie  doch 
selbst  in  Athen  zur  Zeit  von  dessen  höchster  wirtschaftlicher 
Blüthe  nur  etwa  der  Zahl  freien  Einwohner  gleich.  Es  wird 

i)  Diod.  XIV  95. 

*)  Cic.  Verr.  II  68,  163. 

*)  Diod.  XVI  67. 

4)  Thuk.  VI  62;  vgl.  Holm,  Sic.  H 411 , der  einschliesslich  der  Ge- 
flüchteten 9—10  000  Einwohner  herausrechnet.  Da  Alexander  aus  der 
Beute  von  Theben  nur  440  Talente  (Diod.  XVII  14),  Antigonos  Doson  aus 
der  von  Mantineia  nur  300  Talente  gelöst  hat  (Polyb.  H 56,  6),  so  erregt 
die  überlieferte  Zahl  starke  Bedenken , um  so  mehr,  als  Thukydides  Hyk- 
kara ausdrücklich  als  n 6 X ta pj  a Sixavixor  bezeichnet.  Sollte  statt  120 
Talente  20  Talente  zu  lesen  sein? 

»)  Es  ist  bemerkenswert,  dass  die  sicilischen  Kriegsschiffe  zur  Zeit 
des  peloponnesischen  Krieges  fast  ausschliesslich  mit  freien  Leuten  be- 
mannt waren.  Thuk.  VIII  84. 


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298 


Capitel  VTL 


also  reichlich  gerechnet  sein,  wenn  wir  neben  einer  bürger- 
lichen Bevölkerung  von  130000  die  Sklaven  in  diesen  Städten 
zu  etwa  70  000  ansetzen.  Damit  erhalten  wir  für  das  Jahr  415 


folgendes  Bild  der  Bevölkerung  der  Insel: 

Areal  in  qkm 

Bevölkerung 

auf  den  qkm 

Syrakus  

....  4680 

250  000 

53 

Akragas 

....  4285 

150  000 

35 

übrige  Griechenstädte 

....  6835 

200000 

29 

Sikeler  und  Sikaner  . 

. . . . 7135 

120  000 

17 

Elymer 

. . . . 1830 

40  000 

22 

Phoeniker  (ohne  Melite 

u.  Kosb.)  865 

40000 

46 

25630 

800  000 

31 

Wir  haben  oben  gesehen,  wie  sich  die  Bürgerzahl  der 
hellenischen  Städte  im  Laufe  des  IV.  Jahrhunderts  etwa  um 
die  Hälfte  vermehrt  hat.  Eine  Vermehrung  der  Sklavenzahl 
wird  durch  die  Analogie  der  übrigen  Theile  der  hellenischen 
Welt  gleichfalls  sehr  wahrscheinlich,  und  auch  in  den  barbari- 
schen Theilen  der  Insel  musste  die  fortschreitende  Civilisirung 
eine  Zunahme  der  Bevölkerung  herbeiführen.  Der  Rückschlag 
in  der  Zeit  der  Anarchie  nach  dem  Sturze  des  jüngeren  Dio- 
nysios,  der  in  unseren  Quellen,  um  Timoleons  Verdienste  ins 
hellste  Licht  treten  zu  lassen,  in  sehr  übertriebenem  Maasse 
betont  wird,  konnte  so  bedeutend  nicht  sein  und  musste  sich 
nach  Herstellung  geordneter  Zustände  bald  ausgleichen  *).  Si- 
cilien  mag  also  unter  Agathokles  immerhin  1 Million  Einwohner 
oder  darüber  gezählt  haben2).  Erst  mit  dem  Tode  des  Ty- 
rannen beginnt  der  Verfall.  Die  Kriege,  die  von  da  an  fast 
ununterbrochen  durch  80  Jahre  die  Insel  verheerten,  in  denen 
ihre  hauptsächlichsten  Städte,  eine  nach  der  andern,  mit  Sturm 
genommen  wurden,  müssen  einen  sehr  beträchtlichen  Rückgang 
der  Bevölkerung  zur  Folge  gehabt  haben8).  Allerdings  brachte 

»)  Diod.  XVI  83. 

2)  Kurz  nach  Agathokles’  Tode  wird  Sicilien  eine  vrjaof  ivdaiyuv 
xa'i  noXvovSpamot  genannt:  Plut.  Pyrrh.  14. 

3)  Theokr.  Hieron  82  ff. : nt  yag  Zev  xvdiott . . . "Aorta  rt  ngortgoiot 
nai.iv  vaCoiro  noXireu;  Avoyfv(uiv  ooa  ytipes  tXcoßyoarro  xaraxpccf 
'Aygoiis  ä’  (pyafrivro  rt9aXdrt{.  Das  Gedicht  ist  263  geschrieben,  also 
im  2.  Jahre  des  ersten  punischen  Krieges,  s.  Jcthrb.  f.  Phil.  1885  S.  366—68. 


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Sicilien  und  Grossgriechenland.  299 

die  Herstellung  des  Friedens  dureh  die  Römer  seit  210  eine 
neue  Periode  ökonomischen  Aufschwungs,  aber  zugleich  ein 
immer  weiteres  Umsichgreifen  der  Sklavenwirthschaft J).  Unter 
diesen  Umstünden  musste  die  Abnahme  der  freien  Bevölkerung 
in  Sicilien  noch  rascher  erfolgen,  als  in  Griechenland  oder 
Italien.  So  hören  wir,  dass  die  Bürgerzahl  von  Syrakus  zu 
Ciceros  Zeit  auf  unter  10000  herabgesunken  war;  die  Süd- 
küste der  Insel  war  wenige  Jahre  später  fast  gänzlich  ver- 
ödet2). Nur  der  Norden,  und  namentlich  der  Nordosten  der 
Insel  nahm  an  dem  Verfalle  nicht  Theil8);  ja  Kenturipae, 
Halaesa,  Messene,  Tauromenion,  Katane  haben  im  II.  und 
zum  Theil  im  I.  Jahrhundert  vor  unserer  Zeitrechnung  gerade 
ihre  blühendste  Zeit  gehabt.  Wie  trefflich  das  Symaethosgebiet 
angebaut  war,  zeigen  Ciceros  vermische  Reden.  Wir  werden 
demnach  die  freie  Bevölkerung  in  diesem  Theile  Siciliens  in  der 
ersten  Hälfte  des  I.  Jahrhunderts  nicht  geringer  veranschlagen 
dürfen,  als  ums  Jahr  400:  d.  h.  für  das  Gebiet  nördlich  einer 
Linie  von  Lilybaeon  bis  Katane  etwa  auf  250000.  Rechnen 
wir  weitere  100000  auf  den  verödeten  Süden,  so  ergiebt  sich 
für  ganz  Sicilien  eine  freie  Gesammtbevölkerung  von  etwa 
350  000 ; auf  jede  der  68  Stadtgemeinden  entfallen  im  Durch- 
schnitt 5000  freie  Einwolmer,  oder  1700  erwachsene  Bürger. 

Hand  in  Hand  mit  dieser  Verminderung  der  freien  Bevöl- 
kerung geht  seit  dem  Ende  des  hannibalischen  Krieges  eine 
sehr  bedeutende  Vennehrung  der  Sklavenzahl4).  Wahrschein- 
lich hat  Sicilien  unter  allen  Ländern  am  Mittelmeer  im  II.  Jahr- 
hundert vor  unserer  Zeitrechnung  im  Verhältniss  zu  seiner 
Grösse  und  Gesammtbevölkenmg  die  meisten  Sklaven  besessen : 
und  hier  ist  denn  auch  zuerst  ein  grosser  Sklavenaufstand  zum 
Ausbruch  gelangt.  Es  würde  nun  allerdings  verkehrt  sein,  aus 


»)  Diod.  XXXIV  2,  1. 

3)  Strab.  VI  272:  rtöv  dl  Xuimüv  rrjt  2txiltus  tiXivqmv  rj  ftiv  and 
toC  IJa/ivov  7i(>bs  vlii-vßctiov  äirjxovaa  (xXXXtmiat  riXitaq. 

a)  Strab.  VI  272:  17  di  Xoittti  xai  utylrrxrj  nXevQÜ  (die  Nordküste), 
xuiirtQ  ovd'  avirj  noXvuvQpumot  oiaa,  o/uuis  ixartöf  avvoutüxai. 

4)  Diod.  XXXIV  2,  1.  27. 


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300 


Capitel  VII. 


den  raschen  Erfolgen  dieser  Empörung  auf  ein  absolutes  Ueber- 
wiegen  der  unfreien  Bevölkerung  in  Sicilien  schliessen  zu 
wollen;  diese  Eifolge  erklären  sich  vielmehr  in  erster  Linie 
aus  dem  Mangel  an  kriegerischem  Geiste  unter  den  Sikelioten 
und  daraus,  dass  auch  das  freie  Proletariat  mit  den  Sklaven 
gemeinsame  Sache  machte.  Die  Zahl  der  Aufständischen  im 
ersten  Sklavenkriege  soll  200000  betragen  haben1),  und  da 
der  Aufstand  sich  über  die  ganze  Insel  verbreitete,  und  auch 
eine  Reihe  fester  Städte,  wie  Henna,  Tauromenion,  Katane,  den 
Sklaven  in  die  Hände  fiel,  so  ist  diese  Angabe  wahrscheinlich 
kaum  übertrieben.  Der  zweite  Sklavenkrieg  hielt  sich  in 
kleineren  Verhältnissen;  immerhin  sollen  bei  Skirthaea  40000 
Sklaven  gekämpft  haben8),  und  es  wird  ausdrücklich  hervor- 
gehoben, dass  die  Führer  nur  die  tüchtigsten  Mannschaften  in 
das  Heer  einreihten8).  Rechnen  wir  die  Weiber  und  Kinder 
auch  nur  zur  Hälfte  der  waffenfähigen  Männer,  und  weitere 
100000  Sklaven  in  den  Städten,  die  sich  am  Aufstande  nicht 
betheiligen  konnten,  so  erhalten  wir  für  das  Jahr  140  v.  Chr. 
eine  Sklavenbevölkerung  von  etwa  400000.  Dieses  Resultat 
findet  auch  auf  anderem  Wege  seine  Bestätigung.  Die  Weizen- 
production  Siciliens  ums  Jahr  75  erforderte,  einen  Arbeiter  auf 
je  10  iugera  gerechnet4),  eine  Arbeiterzahl  von  130 — 140000. 
Die  übrigen  landwirtschaftlichen  Productionszweige : der  An- 
bau von  Gerste  und  Hülsenfrüchten,  von  Wein  und  Oel,  end- 
lich die  sehr  ausgedehnte  Viehzucht  mochten  zusammen  reich- 
lich dieselbe  Arbeiterzahl  beschäftigen,  so  dass  wir  im  ganzen 
auf  etwa  300000  ländliche  Arbeiter  kommen.  Ohne  Zweifel 
waren  ein  grosser  Theil  davon  Freie,  dafür  aber  sehr  viele 
Sklaven  in  der  Industrie  und  mit  häuslichen  Diensten  beschäf- 
tigt. Auch  hiernach  also  muss  Sicilien , einschliesslich  der 
Weiber  und  Kinder,  an  400000  Sklaven  gezählt  haben.  Wir 
sehen,  die  Verluste  der  Sklavenkriege  sind  bald  ersetzt  worden. 


l)  Diod.  XXXIV  2,  18 ; vgl.  Liv.  Epit.  56. 
*)  Diod.  XXXVI  8. 

*)  Diod.  XXXVI  5. 

4)  Näheres  darüber  s.  unten  Cap.  IX,  3. 


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Sicilien  und  Grossgriechenland. 


301 


Ini  runden  Anschlag  also  werden  wir  sagen  dürfen,  dass  Si- 
cilien in  den  beiden  letzten  Jahrhunderten  vor  unserer  Zeit- 
rechnung etwa  ebenso  viele  Sklaven  wie  freie  Bewohner  be- 
sessen hat,  so  dass  die  Gesamintbevölkerung  der  Insel,  wenn 
auch  gegen  das  IV.  Jahrhundert  etwas  vermindert,  doch  noch 
annähernd  ebenso  zahlreich  war,  wie  zur  Zeit  des  peloponne- 
sischen  Krieges. 

Erst  der  Verfall  des  sicilischen  Getreidebaus  in  Folge  der 
afrikanischen  Concurrenz  seit  Caesars  Zeit  musste  einen  starken 
Rückgang  der  Volkszahl  hervorbringen,  der  allerdings  zunächst 
hauptsächlich  die  Sklavenbevölkerung  traf,  aber  doch  auch 
nicht  ohne  Rückwirkung  auf  die  freie  Bevölkerung  bleiben 
konnte.  Die  Bürgerkriege  nach  Caesars  Tode,  von  denen  Si- 
cilien so  schwer  gelitten  hat,  mussten  diesen  Rückgang  be- 
schleunigen. Unter  Augustus  werden  wir  demnach  für  die 
Insel  kaum  mehr  als  600000  Einw'ohner  ansetzen  dürfen. 
Wie  die  Verhältnisse  sich  weiter  gestaltet  haben,  wissen  wir 
nicht. 


4.  Grossgriechenland. 

Wenden  wir  uns  jetzt  zu  den  Colonien  auf  dem  italischen 
Festland.  Einst  war  Sybaris  hier  die  bedeutendste  Stadt  ge- 
wesen; nach  dessen  Zerstörung  nahm  Kr o ton  den  ersten 
Platz  ein.  Noch  zur  Zeit  von  Dionysios’  italischen  Feldzügen 
war  Kroton  die  bevölkertste  Griechenstadt  in  Italien,  wie  es 
auch  in  dem  Bunde  der  Italioten  die  Hegemonie  hatte l).  Mit 
der  Schlacht  am  Helleporos  und  der  Einnahme  durch  Diony- 
sios wenige  Jahre  später  beginnt  der  Verfall,  bald  beschleunigt 
durch  das  Vordringen  der  Lukaner  und  später  der  Brettier; 
zmr  Zeit  des  hannibalischen  Krieges  zählte  Kroton  nicht  mehr 
als  2000  Bürger2). 


0 Diod.  XIV  10S:  tiji  ifi  Kgoxtamarmv  noXeiog  /xiihaxa  nollvoxlov- 

ftfvrn zovTots  irjp  ryytfiovluv  TOii  tioMuoi  nuQtdoaav. 

s)  Liv.  23,  30 : Crotonem,  opulentam  quondum  armis  virisque,  tum  iam 
adeo  multis  magnisque  cladibus  adllictnin,  ut  omnis  aetatis  minus  duo  milia 
civium  mperessent. 


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302 


Capitel  VII. 


Dafür  entwickelte  sich  im  IV.  Jahrhundert  Taras  zu 
immer  grösserer  Macht  Der  Umfang  der  Mauern,  der  den 
von  Akragas  noch  um  ein  geringes  übertrifft  und  keineswegs 
durch  fortificatorische  Rücksichten  bedingt  ist,  zeugt  besser  als 
alles  andere  für  die  Bedeutung  der  Stadt,  wenn  auch  ein 
grosser  Theil  des  städtischen  Areals  (570  ha)  unbebaut  war1). 
Gegen  Ende  des  IV.  Jahrhunderts  soll  Tarent  im  Stande  ge- 
wesen sein,  Heere  von  20000  Mann  zu  Fuss  und  2000  Reitern2), 
ja  von  30000  Mann  zu  Fuss  und  4000  Reitern3)  ins  Feld  zu 
stellen,  natürlich  einschliesslich  von  Söldnern  und  Bundesgenossen. 
Auch  die  tarantinische  Flotte  war  ansehnlich;  noch  im  haimi- 
balischen  Kriege  vermochte  es  die  Stadt,  20  Kriegsschiffe  in  See 
stechen  zu  lassen4).  Bei  der  Eroberung  durch  Fabius  Maximus 
209  wurden  30000  Einwohner  in  die  Sklaverei  geschleppt®); 
sehr  viele  müssen  in  dem  barbarischen  Blutbade  umgekommen 
sein,  das  die  Römer  bei  der  Erstürmung  unter  der  wehrlosen 
Bevölkerung  anrichteten8);  viele  andere  werden  sich  gerettet 
haben,  oder  als  Römerfreunde  verschont  worden  sein , wie  denn 
Tarent  auch  nach  der  Katastrophe  als  selbständige  Gemeinde 
fortbestanden  hat,  wenn  es  sich  auch  niemals  von  diesem  Schlage 
erholen  konnte.  Am  Anfang  des  hannibalischeu  Krieges  muss 
also  Tarent  eine  Stadt  von  50000,  vielleicht  60000  Einwohnern 
gewesen  sein;  in  der  Zeit  seiner  Unabhängigkeit  vor  dein 
pyrrhischen  Kriege  ist  es  vielleicht  noch  grösser  gewesen. 

Alle  übrigen  italiotischen  Städte  standen  gegen  Taras  be- 
deutend zurück.  Rhegion  soll  um  das  Jahr  400  ein  Heer 
von  6000  Mann  und  600  Pferden,  eine  Flotte  von  50  Trieren 


')  Polyb.  VIII  30,  5—6. 

*)  Diod.  XX  104;  vgl.  Lorenz,  De  Civitate  veterum  Tarent.  S.  51. 

а)  Strab.  VI  S.  280. 

*)  Liv.  26,  39. 

б)  Liv.  27,  16:  milia  triyinta  servilium  capitum  dicuntur  capti.  Plut. 
Fab.  22:  ot  di  ngadivra  ly  (vor  jo  tota/u  vgtoi. 

6)  Liv.  a.  a.  0.:  alii  alios  passim  sine  discrimine  armatos  inermes 
caedunt.  Plut.  a.  a.  0.:  an  (davor  dt  nolXol  xa  X jiiir  Tagavrlv  orv. 


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Sicilien  und  Grossgriechenland. 


803 


haben  aufetellen  können  *).  Die  Gesammtstärke  der  rheginischen 
Flotte  soll  80  Trieren  betragen  haben8);  ja  im  ersten  attischen 
Kriege  hätte  Rhegion  sogar  100  Trieren  aufgestellt8).  Dass 
diese  Angaben,  soweit  sie  die  Marine  betreffen,  sehr  stark 
übertrieben  sind,  ist  leicht  nachzuweisen.  Nach  Thukydides’ 
imbedingt  zuverlässigem  Zeugniss  haben  nur  10  rheginische 
Trieren  die  Athener  auf  ihrem  Zuge  nach  den  liparischen  In- 
seln im  Winter  427  auf  426  unterstützt*);  in  der  Seeschlacht 
im  Faro  425  kämpften  gar  nur  8 rheginische  Schiffe5).  Damit 
wird  denn  auch  die  obige  Angabe  über  die  Stärke  der  rhegi- 
nischen Landmacht  verdächtig.  Als  Dionysios  die  Stadt  im 
Jahre  387  nach  elfmonatlicher  Belagerung  einnahm,  soll  die 
Zahl  der  Gefangenen  nicht  mehr  als  6000  betragen  haben®). 
Ohne  Zweifel  hatte  die  Belagerung  viele  Opfer  gekostet,  da 
Rhegion  sich  erst  ergab,  als  die  Hungersnoth  den  höchsten 
Grad  erreicht  hatte;  aber  mehr  als  etwa  10000  Einwohner 
kann  Rhegion  bei  Beginn  des  Krieges  nach  dieser  Angabe 
kaum  gezählt  haben.  Das  ergäbe  eine  Bürgerzahl  von  höchstens 
3000,  was  freilich  auffallend  wenig  ist  im  Verhältniss  zu  Messene, 
dessen  Bürgerzahl  am  Ende  des  IV.  Jahrhunderts  kaum  auf/ 
unter  5000  angesetzt  werden  kann,  und  das  nach  allen  An- 
gaben an  Macht  Rhegion  nachstand. 

Lokroi  scheint  mächtiger  gewesen  zu  sein  als  Rhegion; 
wenigstens  das  Gebiet  war  sehr  viel  ausgedehnter,  und  auch 
die  Stadt  Lokroi  gehört  zu  den  ansehnlichsten  des  hellenischen 
Westens,  so  weit  sie  auch  hinter  Akragas  und  Taras  zurüek- 
blieb 7).  Im  peloponnesischen  Kriege  waren  die  Rheginer  nicht 
im  Stande,  ihr  Gebiet  gegen  die  Lokrer  zu  vertheidigen ; aber 
allerdings  war  Rhegion  damals  durch  innere  Unruhen  ge- 


*)  Diod.  XIV  40,  vgl.  XIV  8. 
s)  Diod.  XIV  103.  106. 
s)  Diod.  XII  54. 

*)  Thuk.  III  88,  vgl.  IR  86. 

5)  Thuk.  IV  25. 

•)  Diod.  XIV  111. 

7)  S.  unten  Cap.  XI,  4. 


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304 


Capitel  VII. 


schwächt1).  Eine  lokrisehe  Flotte  von  10  Trieren  operirte  im 
Jahre  425  gegen  Messene2),  30  Jahre  später  siedelte  Diony- 
sios  dort  1000  lokrisehe  Colonisten  an3).  Die  Angabe,  dass 
in  der  Schlacht  am  Sagras  15000  Lokrer  gegen  120000  Kro- 
toniaten  gekämpft  hätten4),  kann  natürlich  historischen  Werth 
nicht  beanspruchen. 

Auch  Thurioi  war,  wenigstens  in  den  ersten  Zeiten  nach 
seiner  Gründung,  eine  bedeutende  Stadt,  die  selbst  mit  Tarent 
sich  zu  messen  vermochte.  Den  Athenern  sandte  es  413  gegen 
Syrakus  700  Hopliten  und  300  Mann  leichter  Trappen  zu 
Hülfe6),  später  den  Peloponnesiem  gegen  Athen  10  Trieren6). 
Bei  der  Revolution,  die  hier  nach  der  sicilischen  Katastrophe 
erfolgte,  sollen  300  Bürger  verbannt  worden  sein 7).  Gegen  die 
Lukaner  hat  Thurioi  im  Jahre  390  angeblich  14000  Mann  und 
1000  Reiter  aufgestellt,  von  denen  mehr  als  10000  Mann  in 
der  Schlacht  am  Flusse  Laos  niedergemacht  worden  sein 
sollen 8).  Darunter  waren  auch  Contingente  der  Nachbarstädte, 
und  offenbar  sind  die  Zahlen  überhaupt  sehr  übertrieben ; aber 
dass  es  ein  tödtlicher  Schlag  war,  den  die  Stadt  damals  em- 
pfing, ist  unzweifelhaft,  und  sie  hat  sich  nie  mehr  davon  erholt. 
Nur  mit  Mühe  hat  Thurioi  seitdem  seine  Unabhängigkeit 
gegenüber  seinen  lukanischen  und  brettischen  Nachbarn  be- 
haupten können. 

Trotz  der  bei  Laos  erlittenen  Verluste  waren  die  Streit- 
kräfte der  Italioten  zahlreich  genug,  um  zwei  Jahre  später 
gegen  Dionysios  von  Syrakus  am  Flusse  Helleporos  eine  offene 
Feldschlacht  zu  wagen.  Das  Heer  des  Tyrannen  wird  auf 
20000  Mann  zu  Fuss  und  3000  Reiter  angegeben,  was  durch- 
aus glaubwürdig  scheint;  wir  haben  also  keinen  Grund  zu 

1)  Thak.  IV  1. 

2)  Thuk.  a.  a.  0. 

*)  Diod.  XIV  78. 

4)  Justin.  XX  8. 

8)  Thuk.  VII  33. 

«)  Thuk.  VIU  35. 

’)  Dionys,  v.  Halik.  Lysias  1 ; [Plutarch]  Leben  der  sehn  Redner  S.  835. 

8)  Diod.  XIV  101;  vgl.  Strahon  VI  S.  253. 


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Sicilien  und  Grossgriechenland. 


305 


bezweifeln,  dass  die  überlieferte  Angabe  von  25000  Mann  zu 
Fuss  und  2000  Reitern1)  für  das  italiotisehe  Heer  wenigstens 
in  der  Hauptsache  richtig  ist.  Lokroi  war  damals  mit  Diony- 
sios  verbündet,  Rhegion  durch  die  Truppen  des  Tyrannen  von 
den  übrigen  Städten  abgeschnitten ; im  ganzen  also  müssen  die 
Italioten  im  Stande  gewesen  sein,  mehr  als  30000  Mann 
aufzustellen,  d.  h.  so  viel  wie  die  Griechen  Siciliens.  Es  wird 
demnach  auch  die  Bürgerzahl  der  italischen  Griechenstädte  im 
V.  und  am  Anfang  des  IV.  Jahrhunderts  annähernd  dieselbe 
gewesen  sein,  wie  die  der  Griechenstädte  auf  Sicilien,  also 
etwa  80000.  Im  Laufe  des  IV.  und  III.  Jahrhunderts  sind 
die  meisten  jener  Städte  den  Lukanern  und  Brettiern  in 
die  Hände  gefallen,  so  dass  zu  Anfang  des  hannibalischen 
Krieges  nur  noch  Neapolis,  Elea,  Rhegion,  Lokroi,  Kaulonia, 
Kroton,  Thurioi,  Herakleia,  Metapont,  Taras  ihre  hellenische 
Nationalität  bewahrten,  und  zwar  meist  als  unbedeutende  Klein- 
städte. Es  mag  damals  Italien,  von  den  Sklaven  abgesehen, 
kaum  mehr  als  100000  griechische  Einwohner  gezählt  haben, 
eine  Zahl,  die  sich  in  Folge  des  hannibalischen  Krieges  viel- 
leicht auf  die  Hälfte  vermindert  hat.  Seitdem  war  der  Unter- 
gang der  griechischen  Nationalität  in  Italien  nur  noch  eine 
Frage  der  Zeit. 


»)  Diod.  XIV  103. 


Bel  och,  Beyolkemngslehre.  I. 


20 


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Achtes  Capitel. 

Der  römische  Census. 


1.  Der  Census. 

Unsere  bei  weitem  wichtigste  Quelle  für  die  Erkenntniss 
der  Bevölkerungsverhältnisse  des  alten  Italien  nicht  nur,  son- 
dern überhaupt  der  Länder  am  westlichen  Mittelmeer  bilden 
die  Ergebnisse  des  römischen  Census.  Schon  seit  sehr  früher 
Zeit  sind  in  Rom  periodische  Aufnahmen  über  die  Zahl  der 
Bürger  und  ihr  Vermögen  gehalten  worden.  Die  Tradition 
knüpft  die  Anfänge  dieser  Institution  an  den  Namen  des  Servius 
Tullius;  und  jedenfalls  wurde  es  bereits  im  Jahre  443  nöthig, 
eine  eigene  Behörde,  die  Censoren,  zur  Vornahme  dieser  Er- 
hebungen einzusetzen.  Der  Regel  nach  sollten  die  Aufnahmen 
(lnstra)  alle  4 Jahre  (quinto  quoque  anno)  stattfinden ; aber  die 
praktischen  Schwierigkeiten,  mit  denen  sie  verknüpft  waren, 
haben  zur  Folge  gehabt,  dass  der  Census  thatsächlich  viel 
seltener  gehalten  worden  ist.  Aus  der  Zeit  vor  Errichtung 
der  Censur,  also  vor  443  v.  Chr.,  werden  10  Lustren  erwähnt1), 
mit  deren  Authenticität  es  freilich  sehr  problematisch  bestellt 
ist;  von  da  bis  318  weitere  15,  d.  h.  im  Durchschnitt  ein 
Lustruin  alle  8—9  Jahre.  In  den  233  Jahren  von  318  bis  86 
sind  41  Lustren  gehalten  worden,  was  durchschnittlich  5—6 
Jahre  auf  ein  Lustrum  ergiebt.  Seit  der  Verleihung  des  rö- 


')  Für  die  Zahl  und  Folge  der  Lustren  verweise  ich  auf  die  bekannte 
Dissertation  von  Boor,  Fasti  censorii,  Berlin  1873. 


Der  römische  Census. 


307 


mischen  Bürgerrechts  an  die  latinischen  Colonien  und  italischen 
Bundesgenossen  in  Folge  des  Socialkrieges  wurde  der  Census 
zu  einer  so  complicirten  Operation,  dass  erst  nach  16  Jahren, 
70/69,  wieder  ein  Lustruin  gehalten  worden  ist,  das  letzte 
in  republikanischer  Zeit.  Der  Monarchie  war  es  Vorbehalten, 
nach  zweiundvierzigjähriger  Unterbrechung  die  Institution  zu 
erneuern.  Aber  ein  Festhalten  an  den  alten  fünfjährigen  Pe- 
rioden war  jetzt  eine  Unmöglichkeit.  Augustus  hat  seine  3 
Census  mit  zwanzigjährigen  Intervallen  vorgenommen  (28  und 
8 v.  Chr.,  14  n.  Chi-.),  und  sein  letzter  Census  verspätete  sieh 
um  ein  Jahr.  Noch  mehr  war  das  der  Fall  mit  dem  Census 
des  Claudius,  der  erst  33  Jahre  nach  dem  Jahr  14  gehalten 
wurde  (47  n.  Chr.),  und  weitere  25  Jahre  verflossen  bis  zu 
dem  Census  Vespasians.  Das  ist  der  letzte  Census,  der  über- 
haupt gehalten  worden  ist.  Seit  Italien  von  directer  Steuer 
und  von  der  Conscription  befreit  war,  hatte  diese  Aufnahme 
ihre  praktische  Bedeutung  verloren;  die  in  den  Provinzen  an- 
sässigen Bürger  waren  ohnehin  dem  Provinzialcensus  unter- 
worfen. Für  blosse  statistische  Zwecke  aber  der  Bürgerschaft 
die  mit  dem  Census  verbundenen  Opfer  an  Zeit  und  Geld  zu- 
zumuthen,  war  auf  die  Dauer  nicht  durchführbar. 

Der  Census  war  gleichzeitig  Volkszählung  und  Steuerein- 
schätzung1). Demgemäss  gelangte  zur  Aufzeichnung  einerseits 
Name  und  Alter  jedes  selbständigen,  d.  h.  in  eigner  Gewalt 
stehenden  römischen  Bürgers  imd  aller  Glieder  seiner  Familie; 
andererseits  der  Werth  des  Vermögens,  mochte  dieses  nun  aus 
Grundbesitz  oder  aus  beweglicher  Habe  bestehen.  Bei  letzterer 
Kategorie  wurden  auch  die  Sklaven  verzeichnet.  Dagegen  unter- 
lagen in  Rom  oder  auf  römischem  Gebiete  ansässige  Fremde 
dem  Census  nur  mit  ihrer  Habe,  nicht  mit  ihrer  Person. 

Die  Erhebung  geschah  auf  Grund  eidlicher  Aussagen,  die 
jeder  Pflichtige  persönlich  zu  machen  gehalten  war,  sei  es  vor 
den  Censoren  in  Rom  selbst,  sei  es  vor  den  Quinquennalen 
der  Colonien  und  Municipien,  die  dann  die  Listen  ihrer  Ge- 
meinden nach  Rom  überbrachten.  Witt  wen  und  Waisen  wurden 


l)  Für  das  Folgende  vergl.  Mommsen,  Staatsrecht  II®  S.  347  ff. 

20* 


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308 


Capitel  VIII. 


dabei  durch  ihren  Vormund  vertreten,  Haussöhne  durch  ihren 
Vater  oder  Grossvater.  Es  war  ein  Missbrauch,  wenn  ein  nicht 
eniancipirter  Sohn  sich  gesondert  von  seinem  Vater  eintragen 
liess.  Abwesenheit  im  Staatdienste,  namentlich  auf  Feldzügen, 
bildete  einen  legitimen  Entschuldigungsgrund  für  das  Ausbleiben 
beim  Census;  doch  stand  es  den  Censoren  frei,  einen  solchen 
Bürger  commissarisch  vernehmen  zu  lassen.  Wie  weit  sonstige 
Gründe  für  das  Nicht -Erscheinen  beim  Census  berücksichtigt 
werden  sollten,  hing  von  dem  freien  Ermessen  des  Censors  ab. 
Wer  ohne  genügende  Entschuldigung  fehlte,  hatte  schwere 
Strafe  zu  gewärtigen. 

Auf  Grund  aller  dieser  Erhebungen  stellten  dann  die  Cen- 
soren in  Rom  die  Bürgerliste  zusammen.  Zunächst  wurden 
sämmtliche  Vollbürger  unter  die  einzelnen  Tribus  vertheilt,  und 
innerhalb  jeder  Tribus  die  Bürger  unter  46  Jahren  (iuniores) 
von  den  Bürgern  über  46  Jahre  (seniores)  geschieden;  inner- 
halb jeder  Halbtribus  wurden  dann  die  Bürger  nach  den  fünf 
Vermögensklassen  geordnet.  Aus  der  ersten  Klasse  wurden 
weiterhin  die  durch  ihr  Vermögen  zum  Reiterdienst  qualificirten 
Bürger  ausgesondert;  aus  der  letzten  Klasse  diejenigen,  deren 
Vermögen  zu  gering  war,  um  zur  Tributzahlung  herangezogen 
zu  werden  (capite  censi) ').  Eigene  Verzeichnisse  umfassten  die 
Wittwen  und  vaterlosen  Waisen  (orbi  orbaeque,  pupitti  pupillae 
et  viduae)  und  die  Bürger  ohne  Stimmrecht;  letztere,  die  sog. 
tabulae  Caeritum , waren  nach  Verwaltungsbezirken  (praefeeturae) 
geordnet,  wie  das  in  der  Natur  der  Sache  liegt  und  in  einem 
Falle  auch  ausdrücklich  bezeugt  wird.  In  der  Zeit  von  der 


')  Hauptstelle  ist  Cicero,  v.  d.  Gesetzen  III  8,  7 : censores  populi 
aevitates  suboles  familias  pecuniasque  censento  (sollen  die  Declarationen 
der  Börger  über  Alter,  Familienmitglieder,  Dienerschaft,  Vermögen  in  Em- 
pfang nehmen)  . . . poptdique  partes  in  tribus  distribunto  (die  Bürger  unter 
die  einzelnen  Tribus  vertheilen),  exin  pecunias  aevitates  ordines  partiunto 
(sie  nach  dem  Vermögen  in  die  Steuerklassen,  nach  dem  Alter  in  die  Ka- 
tegorien der  iuniores  und  seniores,  nach  dem  Stande  in  liberti,  ptebs  ingentut, 
Ritter  und  Senatoren  eintheilen),  equitum  peditumque  prolem  describunto 
(bestimmen,  wer  zu  Pferde,  wer  zu  Fuss  zu  dienen  hat).  Vergl.  die  Be- 
merkungen von  Mommsen,  Staatsrecht  II3  S.  385  A.  8. 


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Der  römisehe  Census. 


309 


Schliessung  der  Tribuszahl  (241  v.  Chr.)  bis  zum  Socialkriege 
muss  die  Censusliste  demnach  etwa  folgende  Gestalt  gehabt 
haben : 

A.  Tributes. 

I.  Tribun  Palatina  Iuniorum 

Equitum  capita  tot 
Pedüum  capita  tot 

Specificirt  nach  Vermögensklassen,  ingenui  und  liberti  getrennt. 

II.  Tribun  Palatina  Seniorum 
nach  denselben  Kategorien  geordnet 

W eiter  die  übrigen  Halbtribus  nach  der  officiellen  Folge  des  ordo  tribuum. 

Zuletzt 

LXX.  Tribun  Amiensin  Seniorum. 

B.  Caerites. 

Geordnet  nach  l’raefecturen,  Vemiögensklassen  und  Alter. 

C.  Orbi  orbaeque. 


Summa  equitum  capita  tot 
Summa  peditum  capita  Jot 

Summa  civium  Romanorum  praeter  orbos  orbanque  capita  tot. 

Die  so  geordnete  Liste  leistete  allen  Erfordernissen  der 
Verwaltung  Genüge.  Als  Wahlliste  konnte  sie  ohne  weiteres 
verwendet  werden.  Für  die  Erhebung  des  Iributum  reichte  es 
aus,  die  Proletarier  ( capite  censi)  bei  Seite  zu  lassen,  und  die 
übrigen  Bürger  (assidui)  jeden  nach  seiner  Vermögensklasso  zu 
besteuern.  Für  die  Aushebung  bildeten  die  Verzeichnisse  der 
centuriae  iuniorum  die  Stammrolle;  je  nach  der  Vermögens- 
klasse bestimmte  sich  dann  die  Waffengattung,  in  der  jeder 
Einzelne  zu  dienen  hatte. 

So  war  es  in  republikanischer  Zeit.  Unter  Augustus  ist 
dieses  Verfahren  in  wesentlichen  Punkten  modifieirt  worden. 
Seit  Italien  steuerfrei  geworden,  die  Aushebung  auf  die  Pro- 
vinzen beschränkt  war  und  die  Comitien  ihre  politische  Be- 
deutung verloren  hatten,  würde  die  Anordnung  der  Bürgerschaft 
nach  den  Tribus  die  Uebersicht  über  die  Resultate  des  Census 


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310 


Capitel  VIII. 


nur  unnütz  erschwert  haben.  Nicht  darauf  kam  es  mehr  an, 
ob  ein  Bürger  zur  Galeria  oder  etwa  zur  Tromentina  gehörte, 
sondern  in  welcher  Gemeinde  Italiens  oder  der  Provinzen  er 
ansässig  war.  So  wurden  die  Verwaltungsbezirke  maassgebend 
für  die  Anordnung  der  Bürger  im  augusteischen  Census:  in 
Italien  die  Regionen,  ausserhalb  Italiens  die  Provinzen,  und 
innerhalb  derselben  die  einzelnen  Gemeindebezirke1);  die  zu 
jeder  Gemeinde  gehörigen  Bürger  waren  nach  Ständen  ge- 
ordnet2). Die  Erhebungen  selbst  umfassten  dieselben  Gegen- 
stände wie  in  republikanischer  Zeit,  doch  war  jetzt  nicht  mehr 
das  praktische,  sondern  das  theoretische,  fast  könnten  wir  sagen, 
das  wissenschaftliche  Interesse  das  Maassgebende8).  Die  Re- 
sultate wurden  statistisch  weiter  verarbeitet : namentlich  wissen 
wir,  dass  die  Bevölkerung  regionenweise  nach  dem  Alter  klas- 
sificirt  wurde4). 

Aus  dem  Census  der  Bürgerschaft  hervorgegangen  ist  der 
rrovinzialcensus.  Die  Anfänge  dieser  Einrichtung  fallen  wahr- 
scheinlich schon  in  das  III.  Jahrhundert,  als  die  ersten  Pro- 
vinzen, Sicilien,  Sardinien,  beide  Spanien  gebildet  wurden. 


')  Huschke,  Der  Census  und  die  Steu erverfassung  der  römischen 
Kaiserzeit  (Breslau  1847)  S.  60  f.;  Marquardt,  Staatsvenealtung  II2  S.  214  ff. 

*)  Strab.  III  S.  169:  rjxovaa  yovr  Iv  mit  rtüv  xa9’  q/jag  ri/uqaetov 
rriVTaxoaious  tivtlgui  Tip qttfrrai  Imnxoit  raSnavovt , otjoi;  ovdirae 
oiidl  növ  'iTaUtoTtäv  nhqv  reu v Haraovirtov.  V S.  213:  Tlaxtioviov-  . . - 
r\  ye  vttooj l Uyettu  TipqaaaSai  ntviaxoaiovs  Itt7UXOvs  avdgag. 

*)  Rede  des  Claudius  über  das  tut  honorum  der  gallischen  Bürger 
(bei  Boissieu,  Inscr.  de  Lyon  S.  136  und  Nipperdey  im  Anhang  zu  seiner 
grossen  Tacitusausgabe : ob  census  novo  tune  opere  et  inadsueto  Galliis; 
quod  opus  quam  arduum  sit  nobis,  nunc  cumj  Maxime , quamvis  nihil  ultra, 
quam  ut  publice  notae  sint  facultates  nostrae,  exquiratur , nimis  magno 
experimento  cognosdmus. 

*)  Auszüge  daraus  bei  Plin.  VII  162,  4;  Phlegon  fr.  29  Müller,  be- 
treffend die  VIII.  Region  Italiens.  Sehr  richtig  bemerkt  Hildebrand  ( Jahr- 
bücher für  Nationalökonomie  VI  1866  S.  90),  dass  „die  Ermittelung  dieser 
Summen  der  höchsten  Alterklassen  für  einen  Privatmann  unmöglich  war“. 
Nur  hätte  er  nicht  daraus  schliessen  sollen,  dass  eine  solche  Rubricirung 
der  Bevölkerung  nach  Alterklassen  schon  in  republikanischer  Zeit  stattfand. 
Ciceros  Worte:  censores  . . . aevitates  . . . partiunto  gehen  nur  auf  die  Schei- 
dung zwischen  iuniores  und  seniores. 


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Der  römische  Census. 


311 


Bestimmte  Nachrichten  darüber  haben  wir  freilich  erst  aus  viel 
späterer  Zeit.  So  wissen  wir,  dass  Sicilien  im  I.  Jahrhundert 
v.  Chr.  alle  vier  Jahre  censirt  wurde  *) ; jede  der  68  Gemeinden 
der  Insel,  mit  Ausnahme  der  drei  foederirten  Städte  Messana, 
Tauromenion,  Neeton,  wählte  zu  diesem  Zwecke  zwei  Censoren, 
die  Controle  über  die  ganze  Operation  hatte  ohne  Zweifel  der 
Statthalter.  Aus  der  ersten  Kaiserzeit  ist  es  bezeugt,  dass 
die  Einrichtung  jeder  neuen  Provinz  mit  der  Vornahme  eines 
Census  begann,  der  dann  in  bestimmten  Perioden  erneuert 
wurde.  Die  Provinz  wurde  zu  diesem  Zwecke  in  Bezirke  ge- 
theilt,  die  eine  grössere , oder  mehrere  kleinere  Gemeinden 
umfassten,  in  denen  kaiserliche  Beamte  den  Census  entweder 
selbst  abhielten,  oder  den  von  den  städtischen  Behörden  abge- 
haltenen Census  controlirten.  Der  Census  der  ganzen  Provinz 
wurde  von  einem  Provinzialcensor  geleitet,  mitunter  dem  Statt- 
halter der  Provinz  selbst,  meist  alter  von  einem  besonderen 
Beamten2).  Die  Aufnahmen  betrafen,  ebenso  wie  bei  dem  rö- 
mischen Census,  die  Bevölkerung  und  das  Vermögen,  und  er- 
streckten sich  ohne  Unterschied  auf  römische  Bürgergemeinden 
wie  auf  Gemeinden  latinischen  und  peregrinischen  Rechts.  Aber 
im  einzelnen  herrschten  für  jede  Provinz  besondere  Normen, 
und  es  ist  aus  dem  Provinzialceusus  ein  wirklicher  Reichscensus, 
wenigstens  in  der  früheren  Kaiser/ eit,  nicht  hervorgegangen3). 
Die  mit  Rom  im  Bündniss  stehenden  souveränen  Staaten  und 
die  Colonien  latinischen  Rechts  waren  ursprünglich  dem  rö- 
mischen Census  nicht  unterworfen,  und  hatten  ihre  eigenen  Auf- 
nahmen, die  allerdings  in  der  Hauptsache  den  römischen  ent- 
sprochen haben  werden.  Aber  schon  am  Ende  des  hannibalischen 
Krieges  (204  v.  Chr.)  wurde  in  den  12  latinischen  Colonien, 
die  wenige  Jahre  vorher  ihre  Contingente  verweigert  hatten, 
der  Census  nach  der  Formel  und  unter  der  Controle  der  rö- 
mischen Censoren  eingeführt4).  Es  scheint,  dass  diese  Maass- 

>)  Cic.  Verr.  II  55,  137;  56,  139. 

2)  Vergl.  Mommsen,  Staatsrecht  II2  408 — 10;  Marquardt,  Staatsver- 
waltung II2  214  ff. 

3)  Mommsen,  Staatsrecht  11 2 412. 

4)  Livius  29,  37. 


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312 


Capitel  VIII. 


regel  im  Laufe  des  folgenden  Jahrhunderts  auch  auf  die  übrigen 
latiuischen  Colonien,  vielleicht  auf  alle  italischen  Bundesstädte 
übertragen  worden  ist1).  Jedenfalls  haben  die  Latiner  der 
Kaiserzeit  dem  Provinzialcensus  unterstanden,  und  dieser  ist 
sehr  bald  auch  auf  die  foederirten  Staaten  in  den  Provinzen 
ausgedehnt  worden2). 


2.  Die  Bedeutung  der  Censuszahlen.  , 

Von  keinem  römischen  Census  sind  uns  die  Resultate  im 
Detail  überliefert.  Nur  einmal  wird  die  Hauptsumme  nach 
Fussvolk  und  Reitern  specificirt;  ein  anderes  Mal  erhalten  wir 
eine  Angabe  über  die  Bürgerzahl  einer  Praefectur;  in  allen 
übrigen  Fällen  ist  uns  nichts  als  die  Hauptsumme  des  Census 
erhalten. 

Die  stehende  Formel,  mit  der  die  Censuszahlen  in  unserer 
Ueberlieferung  angeführt  werden,  ist  censa  sunt  avium  capita 
tot.  Einmal,  bei  dem  Census  von  465  v.  Chr.,  findet  sich  da- 
bei der  Zusatz  praeter  orbos  orbasque 8);  ein  anderes  Mal,  bei 
dem  Census  von  131/0,  der  Zusatz  praeter  pupillos  pupillas  et 
viduas  *).  Es  fragt  sich  nun,  was  haben  wir  unter  civium  capita 
zu  verstehen? 

Dass  zunächst  unsere  Censuszahlen,  in  republikanischer 
Zeit  wenigstens,  die  Frauen  und  Kinder  ausschliessen,  beweisen 
die  Zusätze  praeter  orbos  orbasque,  praeter  pupillos  pupillas  et 
viduas ; denn  wenn  die  Wittwen  und  Waisen  nicht  inbegriffen 
sind,  so  können  es  auch  die  verheiratheten  Frauen  und  die  in 
väterlicher  Gewalt  stehenden  Töchter  und  unerwachsenen  Söhne 
nicht  sein.  Der  Grund,  warum  die  Wittwen  und  Waisen  aus- 
drücklich aufgeführt  werden,  ist  nur  der,  dass  sie  eine  eigene 
Kategorie  in  der  Censusliste  bildeten;  es  sollte  jeder  Zweifel 


')  Mommsen,  Staatsrecht  II a S.  851. 

*)  Vergl.  z.  B.  den  Wilm.  2246  d.  c.  erwähnten  censor  civitatis  Re- 
morum  foederatae. 

*)  Liv.  UI  3. 

4)  Liv.  Epit.  39  und  Mommsen,  Staatsrecht  II a S.  853  A.  1. 


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Der  römische  Census. 


313 


beseitigt  werden,  ob  die  Hauptsumme  auch  diese  Kategorie  mit 
umfasste.  Uebrigens  ergiebt  sich  schon  aus  der  Kleinheit  der 
Censuszahlen,  verglichen  mit  den  militärischen  Leistungen  Roms, 
dass  die  Frauen  und  Kinder  ausgeschlossen  sind.  Die  Census- 
zahlen beziehen  sich  also  nur  auf  die  erwachsenen  Männer ; und 
da  sie  einfach  auf  civium  capita  lauten,  ohne  jede  Beschränkung, 
so  scheint  der  Schluss  unabweisbar,  dass  sie  die  erwachsenen 
Bürger  männlichen  Geschlechts  sämmtlich  umfassen. 

Unsere  Ueberlieferung  steht  denn  auch  mit  diesem  Er- 
gebniss  in  bestem  Einklang.  Fabius  Pictor,  der  für  seine 
griechischen  Leser  die  Bedeutung  der  Censuszahlen  erklären 
musste,  bemerkt  bei  dem  Bericht  über  den  ersten  Census  aus- 
drücklich, dass  die  angegebene  Summe  die  waffenfähigen  Bürger 
(qui  amia  ferre  possent , wie  Livius  übersetzt)  umfasse1).  Und 
ebenso  setzt  er  bei  der  Aufzählung  der  römischen  Streitkräfte 
im  Jahre  225  die  Zahl  der  waffenfähigen  Bürger  (dnäpevot 
on'ka  ßaaxaleiv)  der  Censuszahl  gleich*).  Die  jüngeren  An- 
nalisten haben  die  Censussummen  ebenso  aufgefasst,  wie  aus 
Dionysios  von  Halikarnassos  hervorgeht,  der  civium  capita  mit 
aQiitpog  tojv  tyonuv  t r oiQaievoipov  rjkty.iav ®)  oder  agt^pog 
ziüv  ev  rißrj'Pwpaiwv*)  wiedergiebt.  Die  Gesammtbevölkerung, 
einschliesslich  der  Frauen,  Kinder,  Sklaven  und  ansässigen 
Fremden  sei  viermal  so  gross  gewesen8).  Wehrpflichtig  aber 
war  der  römische  Bürger  bis  zum  60.  Jahre,  wehrfähig  in  ge- 
setzlichem Sinne  auch  später;  und  da  die  Büiger  von  über 
60  Jahren  jedenfalls  in  den  centuriae  seniorum  verzeichnet 
standen,  so  ist  nicht  abzuseheu,  wie  sie  in  den  Censussummen 
nicht  einbegriffen  sein  sollten.  Numerisch  kommen  sie  ohne- 
hin kaum  in  Betracht. 

Auch  statistisch  ist  diese  Auffassung  der  Censuszahlen  die 
einzig  haltbare.  Im  Jahre  339  wurden  auf  den  etwa  6000  qkm, 
welche  das  römische  Gebiet  damals  umfasste,  165000  civium 


')  Fr.  10  Peter  bei  Liv.  I 44. 

*)  Polyb.  I 24,  näheres  unten. 

*)  Dionys.  XI  63. 

*)  Dionys.  V 20.  75,  VI  63,  IX  25. 
B)  Dionys.  IX  25. 


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314 


Capitel  VIII. 


capita  gezählt,  entsprechend  einer  freien  Gesammtbevölkerung  von 
1/a  Million,  oder  einer  Volksdichtigkeit  von  80  auf  1 qkm,  wobei 
die  Sklaven  noch  nicht  einmal  mitgerechnet  sind.  Das  ist  an- 
nähernd dieselbe  Dichtigkeit  der  Bevölkerung  wie  in  Attika, 
das  damals  von  allen  griechischen  Landschaften  die  dichteste 
Bevölkerung  hatte.  Doch  es  mag  sein,  dass  das  überlieferte 
Ergebniss  dieses  Census  gefälscht  ist.  Nehmen  wir  also  die 
zweifellos  authentische  Censuszahl  für  234  3 : 270  713.  Sind 
darunter  alle  erwachsenen  Bürger  zu  verstehen,  so  ergiebt  sich 
eine  bürgerliche  Bevölkerung  von  800000,  und  einschliesslich 
der  Fremden  und  Sklaven  eine  Gesammtbevölkerung  von  kaum 
unter  einer  Million,  auf  gegen  25  000  qkm,  also  dieselbe  Volks- 
dichtigkeit wie  im  Peloponnes  oder  in  Sicilien,  40  auf  1 qkm. 
Es  wäre  jedenfalls  eine  höchst  unwahrscheinliche  Annahme, 
dass  das  damals  noch  halb  barbarische  Mittelitalien  eine  dichtere 
Bevölkerung  gehabt  haben  sollte,  als  diese  alten  Culturländer ; 
und  doch  wäre  das  die  nothwendige  Consequenz  jeder  Annahme, 
die  in  den  civium  capita  unserer  Ueberliefening  nur  einen 
Theil  der  römischen  Bürger  sieht.  Wir  sehen,  die  civium  capita 
sind  in  der  That  das,  wofür  sie  sich  geben:  die  Summe  aller 
erwachsenen  römischen  Bürger  männlichen  Geschlechts. 

Trotzdem  hat  die  neuere  Forschung  bei  diesem  Ergebniss 
sich  nicht  beruhigen  wollen,  und  mit  Hintansetzung  der  Ueber- 
lieferung  eine  Reihe  von  Hypothesen  aufgestellt,  wonach  unter 
civium  capita  nur  gewisse  Kategorien  der  erwachsenen  Bürger 
männlichen  Geschlechts  zu  verstehen  wären.  Der  hauptsäch- 
liche Grund  dafür  liegt  olfenbar  in  den  über  die  Höhe  der  Be- 
völkerung des  antiken  Italien  herrschenden  Vorurtheilen.  So  hat 
der  Census  von  70/69,  als  ganz  Italien  südlich  des  Padus  das 
römische  Bürgerrecht  hatte,  910000  civium  capita  ergeben;  ist 
es  denn  denkbar,  dass  die  freie  Bevölkerung  der  Halbinsel  sich 
damals  auf  wenig  über  2x/s  Millionen  Seelen  belaufen  hat?  Eine 
Stütze  fand  diese  Ansicht  ausserdem  in  den  Ergebnissen  des 
Census  der  Kaiserzeit.  Unter  Octavian  sind  im  Jahre  28  v.  Chr. 
4 063  000  civium  capita  gezählt  worden ; fassen  wir  dieselben  als 
erwachsene  Bürger  männlichen  Geschlechts,  so  ist  klar,  dass 
Italien  im  Jahre  70/69  eine  bürgerliche  Bevölkerung  von  weit 


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Der  römische  Census. 


315 


über  21/*  Millionen  gehabt  haben  muss.  Der  Ausdruck  civiutn 
capita  im  republikanischen  Census  könnte  sieh  also  nicht  auf 
die  Gesammtheit  aller  erwachsenen  Männer  beziehen1). 

Abgesehen  von  der  Frage,  ob  die  Censussummen  auch  die 
Bürger  ohne  Stimmrecht  umfassen,  sind  hier  drei  Annahmen 
möglich,  die  sämmtlich  ihre  Vertreter  gefunden  haben.  Ent- 
weder hätten  wir  unter  civium  capita  nur  die  in  eigener  Gewalt 
stehenden  Bürger  zu  verstehen,  sodass  die  erwachsenen  Haus- 
söhne ausgeschlossen  wären.  Das  war  die  Ansicht  Hildebrands2), 
Zumpts3),  und  früher  auch  Mommsens4).  Oder  der  Ausdruck 
civium  capita  bezieht  sich  nur  auf  die  [zum  activen  Kriegsdienst 
fähigen  Bürger,  die  iuniores.  Das  ist  Mommsens  jetzige  An- 
sicht5). Oder  endlich,  civium  capita  begreift  zwar  die  Bürger 
aller  Altersklassen,  aber  nur  diejenigen,  deren  Stand  und  Ver- 
mögen zum  Dienst  in  den  Legionen  qualificirt,  also  ausschliess- 
lich der  Freigelassenen  und  Proletarier.  Das  list  die  Ansicht 
Herzogs6).  Es  wird  noth wendig  sein,  diese  drei  Hypothesen 
auf  ihre  Berechtigung  hin  zu  untersuchen. 

Die  erste  Annahme  geht  von  der  Voraussetzung  aus,  dass 
die  Censusliste  zuerst  und  hauptsächlich  eine  Steuerliste  gewesen 
ist.  Sie  stützt  sich  ferner  auf  die  Thatsache,  dass  die  Declara- 
tionen vor  dem  Censor  nur  von  den  Familienhäuptem  gemacht 
wurden,  während  die  Haussöhne,  die  ja  kein  selbständiges  Ver- 
mögen hatten,  durch  den  Vater  oder  Grossvater  vertreten  wurden. 
Die  Censoren  hätten  in  jeder  Tribusliste  den  einzelnen  Declara- 
tionen eine  Ordnungsziffer  vorgesetzt,  und  aus  diesen  Tribus- 
summen  die  Hauptsumme  gezogen.  Endlich  erkläre  sich  nur 

*)  Diese  Gründe  haben  auch  mich  früher  zu  der  Ansicht  bestimmt, 
die  seniores  und  die  Proletarier  wären  in  unseren  Censuszahlen  nicht  ein- 
begriffen. Die  nachstehende  Untersuchung  hat  mich  selbst  von  der  Un- 
richtigkeit dieser,  Annahme  überzeugt  und  wird  hoffentlich  bei  anderen 
dieselbe  Wirkung  haben. 

*)  Jahrbücher  für  Nationalökonomie  und  Statistik  VI  (1866)  S.  81 — 96. 

s)  Bevölkerung  und  Volksvermehrung  im  Alterthum,  Ahh.  der  Berl. 
Akademie  1840. 

*)  Staatsrecht  II1  S.  371. 

B)  Staatsrecht  II2  S 400  A.  2. 

6)  Commentationes  in  honorem  Mommseni  S.  124 — 142. 


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310 


Capitel  VIII. 


so  der  Zusatz  praeter  orbos  orbasque\  denn  der  Gegensatz  zu 
den  „Knaben  und  Frauen“,  d.  h.  den  das  aes  equestre  zahlenden 
Personen,  seien  die  dem  tributum  unterworfenen  Personen,  nicht 
die  Wehrfähigen.  — Bei  dieser  Auffassung  der  Censuszahlen 
müssten  wir  annehmen,  dass  die  Censoren  neben  der  Steuer- 
liste noch  eine  besondere  Aushebungsliste  entworfen  hätten, 
wofür  jeder  Anhalt  in  unserer  Ueberlieferung  fehlt;  denn  die 
tabulae  iuniorum. , die  einmal  bei  Livius l)  erwähnt  werden,  sind 
nichts  weiter  als  ein  Theil  der  Hauptliste  selbst,  nämlich  die 
Bürgerverzeichnisse  der  Halbtribus  der  iuniores.  Weiterhin 
ist  die  Hauptsumme  des  Census  zusammengesetzt  aus  den 
Theilsummen  nicht  der  35  Tribus,  sondern  der  70  Halbtribus; 
und  es  liegt  in  der  Natur  der  Sache,  dass  die  erwachsenen 
Haussöhne  der  Mehrzahl  nach  zu  den  iuniores  gehören  mussten, 
wie  ihre  Väter  zu  den  seniores.  Die  Vertheilung  der  Bürger- 
schaft unter  die  Halbtribus  der  iuniores  und  seniores  hat  also 
zur  Voraussetzung,  dass  die  Haussöhne  neben  ihren  Vätern 
gesondert  aufgeführt  waren.  Darauf  führt  auch  der  Name 
duicensus,  den  die  römische  Amtssprache  für  einen  Bürger  an- 
wandte, der  mit  seinem  erwachsenen  Sohne  censirt  wurde; 
d.  h.  seine  Declaration  wurde  bei  der  Zusammenstellung  der 
Bürgerliste  doppelt  gezählt  *).  Der  Zusatz  praeter  orbos  orbas- 
que  endlich  findet  seine  Erklärung,  mochte  die  Censusliste  wie 
immer  angeordnet  sein  (s.  oben  S.  309.  312). 

Also  wenn  auch  gar  nichts  über  die  Bedeutung  der  Census- 
zahlen überliefert  wäre,  so  würden  wir  doch  gezwungen  sein, 
die  Annahme  zu  verwerfen,  dass  diese  Zahlen  sich  nur  auf  die 
Bürger  mit  selbständigem  Vermögen  beziehen.  Nun  haben  wir 
aber  das  ausdrückliche  Zeugniss  des  Fabius  und  Dionysios, 
wonach  die  Censuszahlen  alle  wehrfähigen  Bürger  umfassen, 
also  die  erwachsenen  Haussöhne  einschliessen.  Ja  Dionysios, 
von  dem  Census  von  474  sprechend,  sagt  uns  das  letztere  so- 


»)  Liv.  24,  18. 

®)  Festus  S.  66:  duicensus  dicebatur  cum  altero,  id  est  cum  filio, 
census.  Es  ist  klar,  dass  hier  nur  von  erwachsenen  Söhnen  die  Rede  sein 
kann,  denn  sonst  wären  die  meisten  römischen  Bürger  duicensi  gewesen. 


Der  römische  Census. 


317 


gar  mit  klaren  Worten:  «tat  r/sav  oi  tip^adpevoi  noXitai  ayag 
te  aicovg  x ai  tu  y^r^iata  y.ai  toig  sv  rjßij  naldag  oXiyip 
nXeiovg  tQia%iXiiov  te  xal  dt/.u  pvqiädtov  (IX  36). 

Die  zweite  der  oben  angeführten  Annahmen,  wonach  die 
Censussummen  auf  die  iuniores  zu  beziehen  wären,  setzt  sich 
allerdings  mit  der  Ueberlieferung  nicht  in  so  offenbaren  Wider- 
spruch. Da  der  active  Kriegsdienst,  in  historischer  Zeit 
wenigstens,  auf  die  Bürger  unter  46  Jahren  beschränkt  war, 
so  wäre  es  immerhin  denkbar,  dass  Fabius  mit  seinen  „Wehr- 
fähigen“ nur  diese  Klasse  gemeint  hätte.  Dionysios  freilich, 
oder  vielmehr  der  römische  Annalist,  dem  er  folgt,  ist  anderer 
Ansicht  gewesen,  da  er  die  Gesammtbevölkemng,  einschliesslich 
der  Fremden  und  Sklaven,  auf  das  Vierfache  der  civinm  capita 
anschlägt,  während  die  iuniores  nur  etwa  1/s  und  zwar  der 
bürgerlichen  Bevölkerung  ausmachen  würden.  Und  solange 
überhaupt  in  Italien  Krieg  geführt  wurde,  hatte  auch  die  Wehr- 
pflicht der  seniores  praktische  Wichtigkeit,  wenn  auch  nur  für 
die  Verteidigung  fester  Plätze.  Die  Censuszahlen  aus  der  Zeit 
von  247 — 131  aber  bilden  eine  geschlossene  Reihe,  deren  ein- 
zelne Glieder  so  gut  an  einander  passen,  dass  jede  Möglichkeit 
wegfällt,  die  Bedeutung  von  avium  capita  habe  sich  in  dieser 
Periode  verändert.  Wenn  ferner  beim  Ausbruch  des  hanni- 
balisehen  Krieges  mehr  als  270000  iuniores  vorhanden  waren, 
so  ist  die  Schwierigkeit  nicht  zu  begreifen,  für  die  bei  Cannae 
vernichteten  Truppen  Ersatz  zu  schaffen.  Denn  die  Verluste 
der  drei  ersten  Kriegsjahre  werden  mit  40000  Bürgern  reich- 
lich berechnet  sein1);  andere  25000  mochte  der  Abfall  von 
Capua  kosten,  sodass  immer  noch  über  200000  iuniores  zur 
Verfügung  gestanden  hätten.  Die  Normalstärke  der  18  Bürger- 
legionen, die  im  Jahre  214  aufgestellt  wurden,  betrug  etwa 
80000  Mann,  doch  waren  dieselben  bei  weitem  nicht  vollzählig; 
trotzdem  hören  wir,  dass  damals  sämmtliche  überhaupt  dienst- 
fähige iuniores  unter  Waffen  gerufen  winden2).  Es  ist  also 
klar,  dass  die  Zahl  der  am  Anfang  des  Krieges  vorhandenen 
iuniores  bei  weitem  nicht  270000  erreicht  haben  kann,  mit 

')  Vergl.  Appian  Hannib.  25. 

8)  Liv.  24,  18.  Vergl.  Liv.  25,  5 von  der  Aushebung  des  Jahres  212. 


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Capitel  VIU. 


anderen  Worten,  dass  die  Censuszahlen  aus  dieser  Zeit  auch 
die  seniores  mituinfassen.  Uebrigens  wäre  es  auch  ganz  un- 
verständlich, wie  eine  Zahl,  die  sich  nur  auf  die  iuniores  be- 
zieht, als  civium  capita  bezeichnet  werden  könnte.  Es  müsste 
dann  iuniormi  nutnerus  oder  ähnlich  heissen. 

Noch  weniger  zu  verstehen  wäre  es,  wie  die  Angabe:  censa 
sunt  civium  capita  tot  die  capite  censi  ausschliessen  könnte; 
und  die  Freigelassenen  waren  bezüglich  ihrer  Dienstpflicht  den 
capite  censi  völlig  gleichgestellt,  mussten  also  in  einer  Liste 
der  dienstpflichtigen  Bürger  ganz  ebenso  wie  diese  behandelt 
werden.  Man  hat  dagegen  geltend  gemacht,  dass  die  Census- 
zahl  von  130  bis  124  um  75000  Köpfe  gestiegen  sei,  was  nur 
eine  Folge  des  sempronischen  Ackergesetzes  sein  könne1).  Wäre 
das  richtig,  dann  könnten  allerdings  die  Proletarier  in  den 
Censussummen  nicht  einbegriffen  sein;  woher  sonst  der  Zu- 
wachs? Indess  unsere  Ueberlieferung  begünstigt  diese  Auf- 
fassung keineswegs.  Wir  hören  vielmehr,  dass  die  Agrarreform 
bald  nach  dem  Tode  des  Tiberius  Gracchus  ins  Stocken  kam, 
sodass  Gaius  im  Jahre  123  das  Ackergesetz  seines  Bruders  er- 
neuern musste.  Unter  diesen  Umständen  ist  es  sehr  unwahr- 
scheinlich, dass  die  lex  Sempronia  wirklich  einen  so  durch- 
greifenden Erfolg  gehabt  haben  sollte,  wie  die  Schaffung  von 
75  000  neuen  Bauernstellen 2).  Die  Erklärung  dieses  plötzlichen 
Steigens  wird  also  auf  anderem  Wege  zu  suchen  sein8). 

Es  bleiben  die  sog.  cives  sine  suffragio.  Wer  die  Ceusus- 
zahlen  für  339  bis  275  für  authentisch  hält,  wird  ohne  w eiteres 
zugeben  müssen,  dass  die  Bürger  ohne  Stimmrecht  hier  ein- 
geschlossen sind;  die  Höhe  dieser  Zahlen  im  Verhältniss  zur 
Ausdehnung  des  römischen  Gebiets  in  dieser  Zeit  wäre  sonst 
ganz  unerklärlich.  Und  für  die  Zeit  des  hanuibalischeu  Krieges 
sagt  Fabius  Pictor  ausdrücklich,  dass  die  Censuszahlen  Römer 
und  Campaner  umfassen4);  es  bedarf  keiner  Bemerkung,  dass, 

')  Mommsen,  R.  G.  II 5 S.  100;  Herzog,  Staatsverfassung  I S.  459. 

*)  Ihne,  Rinn.  Gesell.  V S.  55;  Lange,  R.  Alterthümer  IUS  S.  27  f. 

*)  Näheres  weiter  unten. 

*)  Bei  Polyb.  II  24,  14:  'PotftaCtov  xal  Kafinavärv  ij  nkrjSvs  ne- 
{(Sv  fiiv  eis  etxoai  xal  n(rte  xaTtii/Orjaetv  fivginiStts,  titnCtov  <f(  Int 


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Der  römische  Census. 


319 


wenn  die  bedeutendste  Halbbürgergemeinde  in  der  Censuszahl 
eingeschlossen  ist,  auch  die  anderen  Städte  derselben  Kategorie 
es  sein  mussten.  Auch  sind  die  aus  dieser  Zeit  überlieferten 
Btlrgerzalilen  gegenüber  der  Gesamintbevölkerung  Italiens  so 
hoch,  dass  wir  selbst  ohne  das  Zeugniss  des  Fabius  kaum  um- 
hin können  würden,  sie  auf  Voll-  wie  Halbbürger  zusammen 
zu  beziehen.  Und  da  die  Passivbürger  ebenso  wie  die  Voll- 
bürger tributmn  gezahlt  und  in  den  Legionen  gedient  haben, 
so  ist  auch  gar  nicht  abzusehen,  wie  sie  unter  den  avium  capita 
nicht  begriffen  sein  sollten,  mögen  diese  nun  auf  die  steuer- 
pflichtigen oder  auf  die  wehrpflichtigen  Bürger  zu  beziehen  sein. 

Die  Detailuntersuchung  hat  uns  also  bestätigt,  dass  wir 
unter  civnrn  capita  wirklich  die  Gesammtheit  aller  erwachsenen 
römischen  Bürger  männlichen  Geschlechts  zu  verstehen  haben, 
ohne  Unterschied  des  Standes  oder  Vermögens.  Wenigstens  in 
republikanischer  Zeit.  Ob  es  sich  in  der  Kaiserzeit  ebenso  ver- 
halten hat,  soll  unten  erwogen  werden. 

3.  Das  römische  Bürgergebiet. 

Ehe  wir  uns  nun  zur  Betrachtung  der  überlieferten  Census- 
zahlen  wenden,  wird  es  nöthig  sein,  uns  Rechenschaft  zu  geben 
von  der  Ausdehnung  des  Gebietes,  worauf  sich  diese  Zahlen 
beziehen.  Nur  so  werden  wir  ein  wirkliches  Verständniss  der- 
selben gewinnen,  und  zugleich  erhalten  wir  damit  ein  wichtiges 
Hülfsmittel  zur  Kritik  der  Zahlen  selbst.  Die  Unfruchtbarkeit 
so  mancher  bisherigen  Untersuchung  über  den  römischen  Census 
ist  zumeist  darauf  zurückzuführen,  dass  man  es  versäumt  hat, 
zuerst  diese  unentbehrliche  Grundlage  zu  schaffen. 

Wie  bekannt,  umfasste  das  unmittelbar  römische  Gebiet 
bis  auf  den  Socialkrieg  nur  einen  verhältnissmässig  kleinen 
Theil  Italiens.  Den  Flächeninhalt  dieses  Gebietes  in  den  ver- 
schiedenen Perioden  der  älteren  römischen  Geschichte  habe 
ich  an  anderer  Stelle  annähernd  zu  bestimmen  versucht1). 

Tttti  (fi io  /uvQidoiv  tnfjaav  in  tqiis  /iXiaiSe;.  Zusammen  also  278000. 
Der  Census  von  234/3  hatte  270  718  civium  capita  ergeben.  Näheres 
unten  § 4. 

')  Ital.  Bund  (Leipzig  1880)  S.  69 — 74. 


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320 


Capitel  VIII. 


Es  ergaben  sich  folgende  Zahlen: 

qkm 

am  Ende  der  Königsherrechaft 983 

vor  dem  Latinerkrieg,  340  v.  Chr. 3096 

vor  dem  zweiten  Samniterkrieg,  328  6039 

vor  der  Schlacht  bei  Sentinum,  296  7688 

nach  der  Einigung  Italiens,  264  27000 

nach  dem  kannibalischen  Kriege,  200  37000 

nach  der  Unterwerfung  des  diesseitigen  Galliens  bis  zum 

Socialkrieg 55000 

nach  dem  Socialkrieg  bis  auf  Caesar 160000 


Dass  diese  Werthe  auf  absolute  Richtigkeit  keinen  Anspruch 
erheben  können,  liegt  in  der  Natur  der  Sache.  Einmal  ist  es 
bei  vielen  italischen  Städten  zweifelhaft,  ob  sie  schon  vor  der 
lex  lulia  römisches  Bürgerrecht  besessen  haben.  Weiterhin 
lässt  sich  die  Begrenzung  der  einzelnen  Stadtgebiete  in  der 
Regel  nur  annähernd  feststellen.  Endlich  war  ich  gezwungen, 
meiner  Berechnung  die  sehr  ungenauen  officiellen  Angaben  über 
den  Flächenraum  der  Bezirke  und  Gemeinden  des  Königreichs 
zu  Grunde  zu  legen,  da  eine  zuverlässige  Arealbestimmung  für 
Italien  damals  noch  nicht  vorhanden  war.  Inzwischen  ist  der 
Flächeninhalt  des  Königreiches  durch  das  italienische  militär- 
geographische Institut  planimetrisch  berechnet  worden.  Indess 
wäre  es  verfrüht,  daraufhin  schon  heute  eine  neue  Arealbe- 
stimmung des  römischen  Gebietes  vornehmen  zu  wollen;  die 
Zeit  dafür  wird  erst  da  sein,  wenn  einmal  alle  Italien  betref- 
fenden Bände  des  grossen  Inschriftenwerkes  vollendet  vorliegen 
werden.  Für  jetzt  habe  ich  mich  darauf  beschränkt,  zur  Con- 
trole  der  früher  erhaltenen  Zahlen  eine  ungefähre  Schätzung 
der  Ausdehnung  des  römischen  Gebietes  bei  Beginn  des  hanni- 
balischen  Krieges  vorzunehmen,  mit  Zugrundelegung  der  Re- 
sultate des  militärgeographischen  Institutes.  Danach  umfassen 

qkm 

das  römische  Gebiet  in  Latium  und  Süd-Etrurien  ....  7800 

das  römische  Gebiet  in  Campanien  südlich  von  Tarracina  . 3900 


der  Ager  Sabinus  mit  Fulginia  5000 

der  Ager  Praetuttianus 1000 

der  Ager  Picenus 2400 

der  Ager  Gallicus  2600 


22700 


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Der  römische  Census. 


321 


Das  Minus  von  4300  qkm  gegenüber  meiner  früheren  Berech- 
nung erklärt  sich  zum  Theil  daraus,  dass  die  officiellen  Areal  - 
zahlen,  worauf  diese  beruhte,  bedeutend  zu  hoch  sind;  zum 
Theil  und  hauptsächlich  aus  dem  Umstande,  dass  einige  Städte, 
die  ich  früher  ohne  genügenden  Grund  dem  römischen  Gebiete 
zugerechnet  hatte,  wie  Tarquinii,  Volci,  Asisium,  Hispellum, 
die  Insel  Ischia,  jetzt  davon  ausgeschlossen  sind.  Der  Domänen- 
besitz in  Süditalien,  wie  der  Ager  Taurasinus  in  Samnium,  der 
Silawald  in  Brettien  ist  jetzt  sowenig  wie  früher  berücksichtigt, 
da  römische  Bttrgergemeinden,  soviel  wir  sehen,  in  dieser  Zeit 
dort  noch  nicht  bestanden  haben. 

Seitdem  Caesar  den  Transpadanera  die  Civität  verliehen 
hatte,  reichte  das  römische  Bürgergebiet  bis  an  den  Fuss  der 
Alpen.  Die  Alpenvölker  selbst  blieben  noch  unabhängig;  nach 
ihrer  Unterwerfung  durch  Augustus  haben  sie  latinisches  Recht 
erhalten  und  sind  erst  allmählich  im  Laufe  der  Kaiserzeit  — 
die  Anauner  im  Gebiet  von  Tridentum  z.  B.  durch  Claudius 
im  Jahre  46  — zur  Civität  gelangt.  Der  Flächeninhalt  dieser 
Alpengebiete  mag  zu  etwa  20—25000  qkm  veranschlagt  werden; 
und  da  ganz  Italien  in  den  von  Augustus  festgestellten  Grenzen 
nach  den  neuesten  planimetrischen  Berechnungen  250000  qkm 
umfasst,  so  wird  die  Ausdehnung  des  römischen  Btirgergebietes 
in  Italien  in  der  ersten  Kaiserzeit  zu  etwa  225 — 230000  qkm 
anzunehmen  sein. 

Ausserhalb  Italiens  gab  es  bis  auf  Caesar  nur  sehr  wenige 
Bürgergemeinden.  In  Spanien  ist  Tarraco  von  Cn.  und  P.  Scipio 
in  den  ersten  Jahren  des  hannibalischen  Krieges  angelegt 
worden1);  Italica  von  P.  Africanus  205 2),  Metellinum  höchst 
wahrscheinlich  von  Q.  Metellus  Pius  nach  dem  Siege  über  Ser- 
torius8);  auch  Corduba,  Valentia,  Hasta,  Salaria4),  Palma, 


')  Plin.  III  21:  colonia  Tarraco,  Scipwnum  opus,  sicut  Carthago 
Poenorum.  Dass  Tarraco  wahrscheinlich  als  conciliabuhim  civium  jRoma- 
norum  gegründet  ist,  nicht  als  Colonie,  thut  hier  nichts  zur  Sache. 

*)  App.  Hisp.  88;  Mommsen,  CIL.  I 546. 

*)  Hübner,  CIL.  II  S.  73;  Berl.  Monatsberichte  1861  S.  405. 

4)  Hübner,  Hermes  I S.  101  und  im  Corpus  unter  den  einzelnen 
Städten. 

Bel  och,  Bevölkerongslehre.  I.  21 


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322 


Capitel  VIII. 


Pollentia1)  scheinen  schon  vor  Caesar  Bürgerrecht  besessen  zu 
haben.  In  Gallien  bestand  seit  118  v.  Chr.  die  Bürgercolonie 
Narbo  Martius2).  Auf  Corsica  hat  Marius  die  Colonie  Mariana, 
Sulla  die  Colonie  Aleria  gegründet8).  In  Illyrien  finden  wir 
bereits  vor  Caesar  die  Bürgergemeinden  Salonae4)  und  Narona5), 
wozu  während  Caesars  zehnjähriger  Verwaltung  der  Provinz 
(58— 49)  Lissus6)  gekommen  ist.  Im  wesentlichen  aber  ist  das 
römische  Bürgergebiet  bis  auf  die  Mitte  des  I.  Jahrhunderts  vor 
unserer  Zeitrechnung  auf  Italien  beschränkt  geblieben. 

Erst  Caesar  und  sein  Erbe  Octavian  haben  angefangen, 
das  römische  Bürgerrecht  systematisch  über  die  Provinzen  aus- 
zubreiten, sei  es  durch  Gründung  von  Colonien,  sei  es  durch 
Verleihung  der  Civität  an  ganze  Gemeinden.  Unter  Tiberius 
und  Gaius  ist  diese  Bewegung  ins  Stocken  gerathen,  um  dann 
von  Claudius  und  später  von  Vespasian  wieder  aufgenommen 
zu  werden.  Unsere  bei  weitem  wichtigste  Quelle  zur  Erkeunt- 
niss  dieser  Entwickelung  ist  die  Universal -Encyclopädie  des 
Plinius. 

Plinius  hat,  wie  bekannt,  seine  Angaben  über  die  politischen 
Verhältnisse  des  römischen  Reiches  einem  Staatshandbuche  ent- 
nommen, das  ohne  Zweifel  nach  officiellen  Materialien  gearbeitet 
war.  Dieses  Staatshandbuch  — missbräuchlich  „Statistik“  ge- 
nannt — soll  nun  nach  der  gewöhnlichen  Annahme  unter 
Augustus,  und  auf  Veranlassung  des  Kaisers  selbst  zusammen- 
gestellt sein,  und  demgemäss  die  Zustände  der  augusteischen  Zeit 
darstellen7).  Und  allerdings  hat  Plinius  seiner  Beschreibung 
Italiens  eine  Schrift  des  Augustus  zu  Grunde  gelegt8).  Aber 

')  Hübner,  CIL.  II  S.  494.  496;  Kubitsclieck,  De  trib.  Rom.  orig.  S.  186. 

*)  Vellerns  I 15;  Eutrop.  IV  23;  Cic.  Brut.  43,  160. 

*)  Plin.  HI  80;  Sen.  ad  Heb.  VII  9. 

*)  Caesar,  Bürgerkr.  HI  9;  Hirtius,  Alex.  Kr.  43;  Momrasen,  CIL. 
III  S.  304. 

8)  Mommsen,  CIL.  IH  S.  291. 

*)  Caesar,  Bürgerkr.  III  29. 

b Zumpt,  Comm.  Epigr.  I S.  197  ff.;  Detlefsen,  Comment.  Momms. 
S.  31  f. 

8)  Plin.  IH  46:  qua  in  re  praefari  necessarium  est  auctorem  nos 
Divum  Augustum  secuturos,  discriptionemque  ab  eo  factam  Italiae  totius 
in  regiones  XI. 


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Der  römische  Census. 


323 


eben  der  Umstand,  dass  Plinius  es  für  nöthig  hält,  hier  seine 
Quelle  ausdrücklich  hervorzuheben,  macht  es  sehr  unwahrschein- 
lich, dass  die  Provinzialbeschreibungen  aus  derselben  Quelle 
geflossen  sind.  Und  es  fehlt  auch  nicht  an  directen  Beweisen. 
So  führte  die  discriptio  Italiae  des  Augustus  nur  die  Städte  als 
Colonien  auf,  die  von  dem  Kaiser  selbst,  sei  es  als  Triumvir, 
sei  es  als  Alleinherrscher  begründet  waren1);  die  Provinzial- 
beschreibungen bei  Plinius  dagegen  nennen  sämmtliche  Bürger- 
colonien  ohne  Unterschied,  mögen  sie  nun  vor  Augustus,  von 
Augustus  selbst  oder  nach  Augustus  gegründet  sein.  Feiner, 
und  das  ist  der  wichtigste  Punkt,  war  die  Begrenzung  Italiens 
nach  der  discriptio  des  Divus  Augustus  eine  andere,  als  nach 
der  Provinzialbeschreibung.  Plinius  zählt  nämlich  in  der  X.  Re- 
gion Italiens  eine  Reihe  von  Gemeinden  auf,  die  dann  unter 
niyricum  noch  einmal  aufgeführt  werden.  Es  sind  die  Ahitrenses 
(=  Alutae ),  Flanonienses  (=  Flanates),  Varvari  (==  Varvarint), 
Asseriaies,  Foretani  (= Fertinates  ?),  Flanonienses  Cttrici  (—  Our- 
rictae)2).  Nicht  nur  diese  doppelte  Aufzählung,  sondern  eben- 
sosehr die  verschiedenen  Namensformen  für  dieselben  Gemeinden 
sind  Beweis,  dass  Plinius  an  jeder  dieser  beiden  Stellen  ver- 
schiedenen Quellen  gefolgt  ist.  Mit  anderen  Worten,  die  di- 
scriptio Italiae  des  Augustus  war  keineswegs  ein  Theil  des 
Staatshandbuches,  dem  Plinius  die  Beschreibung  der  Provinzen 
entnommen  hat. 

Ueber  die  Abfassungszeit  jener  Schrift  des  Augustus  über 
Italien  wissen  wir  nur  soviel,  dass  sie  nach  dem  aktischen 
Kriege  nicht  nur,  sondern  auch  nach  dem  Jahre  25  v.  Chr. 
fallen  muss ; denn  Augusta  Praetoria  Salassorum,  das  in  diesem 
Jahre  gegründet  ist,  wird  bereits  darin  aufgeführt  8).  Das  Staats- 
handbuch dagegen,  dem  Plinius  in  der  Beschreibung  der  Pro- 


l)  S.  darüber  meinen  Ital.  Bund  S.  5. 

*)  Plin.  HI  180. 139  f. ; Kubitscheck,  De  tribuum  Rom.  orig,  et  propag. 
S.  81  ff. 

*)  Wenn  Nissen,  Ital  Landeskunde  I S.  81,  mit  Berufung  auf  Strab. 
VII  S.  814  die  Regioneneintheilung  Italiens  im  Jahre  18  oder  14  n.  Chr. 
erfolgen  lässt,  so  legt  er  in  diese  Stelle  einen  Sinn,  den  sie  keineswegs 
mit  Nothwendigkeit  haben  muss. 

21* 


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I 


324  Capitel  VIII. 

vinzen  gefolgt  ist,  muss  später  verfasst  sein,  denn  jene  Städte 
am  Golf  von  Quarnero,  die  Augustus  zu  Italien  rechnete,  werden 
bei  Ttoleinaeos  ebenso  unter  Ulyricum  aufgeführt,  wie  bei  Plinius 
in  der  Provinzialbeschreibung.  Ferner  kennt  Plinius’  Quelle 
bereits  die  beiden  von  Claudius  eingerichteten  Provinzen  Maure- 
tania  Tingitana  und  Caesariensis  und  giebt  genau  deren  Aus- 
dehnung an1);  endlich  werden  eine  ganze  Reihe  claudischer 
Colonien  und  Municipien  aufgeführt,  und  zwar  in  den  ver- 
schiedensten Theilen  des  Reiches.  Dass  Plinius  alle  diese  An- 
gaben aus  eigenen  Mitteln  hinzugefügt  haben  sollte,  ist  bei  der 
sonstigen  Art  seiner  Quellenbenutzung  sehr  unwahrscheinlich. 
Und  noch  weniger  ist  ein  Grund  dafür  abzusehen,  weshalb,  er 
nach  einem  veralteten  Staatshandbuche  gearbeitet  haben  sollte. 
Hatte  sich  unter  Augustus  das  Bedürfhiss  nach  einem  solchen 
Werke  herausgestellt,  so  war  es  in  der  Folgezeit  noch  weniger 
zu  entbehren ; und  sollte  das  Buch  nicht  jede  praktische  Brauch- 
barkeit verlieren,  so  musste  es  die  tief  eingreifenden , seit 
Augustus  eingetretenen  politisch-administrativen  Veränderungen 
berücksichtigen. 

Wenn  demnach  das  von  Plinius  benutzte  Staatshandbuch 
nicht  vor  dem  Jahre  50  n.  Chr.  verfasst  sein  kann  — denn 
die  in  diesem  Jahre  gegründete  Colonie  Agrippinensis  ist  bereits 
aufgeführt  — , so  fällt  es  andererseits  aller  Wahrscheinlichkeit 
nach  früher  als  Vespasian.  Plinius  nennt  allerdings  eine  kleine 
Zahl  flavischer  Colonien,  aber  in  einer  Weise,  die  deutlich  zeigt, 
dass  er  sie  in  seiner  Quelle  nicht  erwähnt  fand2).  Ebenso 
hinkt  die  Angabe,  dass  Vespasian  ganz  Spanien  die  Latinität 
verliehen  habe,  erst  am  Ende  der  Beschreibung  der  Halb- 
insel  nach8),  während  vorher  die  spanischen  Gemeinden  nach 
den  vor  Vespasian  bestehenden  Rechtskategorien  aufgeführt 


')  Plin.  V 2.  17.  19.  21. 

*)  IV  110:  ubi  nunc  Flartibbrica  colonia ; IV  45:  Develcon  cum  stagno, 
quod  nunc  Deultum  rocattir  veteranorum ; IV  47:  colonia  Flatwjmlis,  ubi 
< inten  Caela  oppidum  vocabatur;  V 69:  Caesarea  ...  nunc  colonia  Prima 
Flavia  a Vespasiano  imperatore  dedueta.  — Aventicum  (cd.  Flaria  Heine- 
tiorum ) fehlt. 

*)  III  30 


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Der  römische  Census. 


325 


werden.  Das  Staatshandbuch  muss  demnach  in  den  letzten 
Jahren  des  Claudius  oder  unter  Nero  verfasst,  oder  doch  damals, 
wenn  ein  älteres  Original  zu  Grunde  liegt,  wie  wir  heute  sagen 
würden,  neu  aufgelegt  sein. 

Man  wende  nicht  ein,  dass  Plinius  die  Provinz  Britannien 
und  die  dort  unter  Claudius  gegründete  Colonie  Camolodunum 
ganz  übergeht.  Denn  Plinius  giebt  überhaupt  nur  die  geo- 
graphische Beschreibung  der  Insel,  berührt  aber  mit  keinem 
Worte  die  ethnographischen  und  politischen  Verhältnisse.  Aehn- 
lich  ist  die  administrative  Eintheilung  der  asiatischen  Provinzen 
nur  sehr  flüchtig  behandelt ; es  wäre  verkehrt,  daraus  Schlüsse 
auf  die  Abfassungszeit  von  Plinius’  Quelle  ziehen  zu  wollen. 

Doch  betrachten  wir  jetzt  der  Reihe  nach  die  Angaben 
des  Plinius  über  die  einzelnen  Provinzen1). 

1)  Sicilien.  Die  Provinz  enthielt  5 Colonien  und  63 
andere  Gemeinden  ( urbes  ac  dvitaies ) ®).  Die  5 Colonien  werden 
denn  auch  richtig  aufgeführt,  es  sind 

Tauromenium  (III  88) 

Catina  (III  89) 

Syracusae  (III  89) 

Thermae  (III  90) 

Tyndaris  (III  90). 

Andere  Colonien  lassen  sich  in  Sicilien  während  der  ersten 
Kaiserzeit  nicht  nachweisen.  Lilybaeuin,  das  auf  Inschriften  des 
III.  Jahrhunderts  Colonia  Augusta  genannt  wird,  war  unter 
Augustus  Municipium 8) ; und  auch  Panormus  heisst  erst  im 
HI.  Jahrhundert  Colonie 4).  Dass  Strabon  die  Stadt  als  römische 

*)  Marquardt  (Köm.  Staatsvenealtung  I)  ist  leider  für  diese  Frage  sehr 
ungenügend.  Ich  hake  mich  bemüht,  so  kur/  wie  möglich  zu  sein,  und 
nur  das  für  meinen  Zweck  unumgänglich  nothwendige  beizubringen.  Das 
reiche  Thema  in  dem  hier  gegebenen  Rahmen  zu  erschöpfen, "ist  selbstver- 
ständlich unmöglich. 

a)  III  88. 

*)  CIL.  X 7223;  Mommsen  ebenda  S.  742. 

4)  Dass  Panormus  in  der  Inschrift  CIL.  X 7279,  aus  223  n.  Chr.,  Col. 
Aug.  heisst,  beweist  für  die  Deduction  durch  Augustus  so  wenig,  wie  für 
Lilybaeum  die  Inschrift  CIL.  X 7222,  welche  der  Col.  Aug.  Lilybitana 
erwähnt. 


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326 


Capitel  VIII. 


Ansiedlung  bezeichnet1),  fällt  gegenüber  dem  Schweigen  des 
Plinius2)  nicht  ins  Gewicht;  Augustus  kann  Veteranen  hier  an- 
gesiedelt haben,  ohne  die  Stadt  zur  Colonie  zu  erheben. 

Von  den  übrigen  63  sicilischen  Städten  bezeichnet  Plinius 
zwei,  Messana  und  Lipara,  als  Bürgergemeinden  ( oppida  avium 
Romanorum )3) ; drei  als  latinischen  Rechts  ( Latinae  condicionis ): 
Centuripa,  Neaetum,  Segesta;  46  Städte  des  Inneren  werden, 
als  steuerpflichtig  in  alphabetischer  Ordnung  aufgeführt,  während 
bei  den  Küstenstädten  in  der  Regel  die  Bezeichnung  der  poli- 
tischen Stellung  fehlt.  Und  auch  der  Katalog  der  siipendiarii 4) 
ist  mit  grosser  Nachlässigkeit  redigirt.  So  haben  Naxos,  Zankle 
und  auch  wohl  Selinus  und  Eryx  in  der  Kaiserzeit  administrative 
Selbständigkeit  nicht  mehr  besessen 5) ; die  Geloer  von  Phintias*) 
werden  zweimal  aufgeführt,  das  eine  Mal  als  Gelani , das  andere 
Mal  als  Phintimses.  Aber  wegen  dieser  Versehen  dem  Ver- 
zeichnisse bei  Plinius  jeden  Werth  abzusprechen,  sind  wir 
durchaus  nicht  berechtigt.  Mommsen  allerdings  hat,  gestützt 
auf  eine  Stelle  Diodors7),  die  Behauptung  aufgestellt,  ganz 
Sicilien  habe  seit  Caesars  Tod  das  Bürgerrecht  gehabt8).  Wie 
bedenklich  eine  solche  Annahme  ist,  liegt  auf  der  Hand.  Denn 
es  ist  ausser  allem  Zweifel,  dass  Plinius  sein  Gemeindever- 
zeichniss  Siciliens  demselben  Staatshandbuch  entnommen  hat, 
auf  das  auch  die  Beschreibungen  der  übrigen  Provinzen  zurück- 
gehen ; und  dieses  Staatshandbuch  gehört,  wie  wir  oben  gesehen 
haben,  in  die  elaudisehe  Zeit.  Ferner  aber  ist  eine  Verleihung 
der  Civität  an  Sicilien  durch  Augustus  auch  an  sich  schon  sehr 
unwahrscheinlich.  Denn  Caesar  hatte  bei  Lebzeiten  den  Sike- 
lioten  nur  die  Latinität  verliehen ; erst  Antonius  gewährte  ihnen 

')  Strab.  VI  S.  272:  Ihivogpog  dl  xal  'Poipttluv  f/n  xaroixtav. 

s)  III  90:  oppida  Panhonnum,  Soluus. 

»)  III  88.  93. 

«)  in  91. 

*)  Mommsen,  CIL.  X S.  713. 

»)  Schubring,  Rh.  Mus.  XXVUI  S.  75  f. 

7)  Diod.  XIII  35  von  der  Gesetzgebung  des  Diokles:  itoliai  yoiv 
tüv  xa tu  rrjv  vijoov  tiÖIhdV  yjnoutna  Sm(i.taav  roi'g  tovtov  vöuoig, 
Uf/Ql  Sxov  7TttV1(S  ol  £lXlitti>TUl  rij(  'Ptopaiwv  7U>i.lTt(«S 

s)  CIL.  X S.  713. 


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Der  römische  Census. 


327 


das  Bürgerrecht,  angeblich  auf  Grund  von  Caesars  Testament, 
eine  Verleihung,  die  aber  durch  den  Senat  für  ungültig  erklärt 
wurde.  Und  Octavian  hatte  später  doch  gewiss  keine  Veran- 
lassung, die  Provinz,  welche  die  hauptsächlichste  Stütze  für 
Sextus  Pompeius  gewesen  war,  für  ihre  feindliche  Haltung  noch 
besonders  zu  belohnen.  Dass  er  die  Zustände,  wie  sie  durch 
Caesar  geordnet  waren,  wiederherstellte  oder  bestehen  liess, 
ist  begreiflich ; dass  er  darüber  hinaus  Sicilien  begünstigt  haben 
sollte,  wäre  ganz  unverständlich. 

Indess  die  Lösung  der  Schwierigkeit  ist  sehr  einfach. 
Niemand  wird  annehmen  wollen,  dass  Caesar  bei  der  Verlei- 
hung der  Latinität  an  Sicilien  der  Insel  auch  gleichzeitig  Steuer- 
freiheit gegeben  hat;  er  hat  sich  vielmehr  darauf  beschränkt, 
den  bisherigen  Bodenzehnten  in  eine  feste  Abgabe  zu  ver- 
wandeln. Es  liegt  also  gar  kein  Grund  vor,  den  von  Plinius 
als  stipendiarii  aufgeführten  Gemeinden  das  latinische  Recht 
abzuspreehen.  Wir  haben  nur  hinter  den  Worten  intus  Latinae 
coiulicionis  einzuschieben,  oder  stillschweigend  zu  verstehen 
immunes : intus  Latinae  condicionis  ( immunes ) Centuripini, 
Netini,  Segestani]  stipendiarii  (ebenfalls  Latinae  condicionis) 
Assorini,  Aetnenses , Agyrini  etc.  Wenn  wir  uns  erinnern,  dass 
Neaeton  bis  auf  Caesar  foederirte  Stadt,  Kenturipae  und  Segesta 
steuerfrei  gewesen  waren,  so  verstehen  wir  ohne  weiteres, 
warum  diese  Gemeinden  bei  der  Verleihung  der  Latinität  eine 
privilegirte  Stellung  erhielten.  Auch  war  Kenturipae  im  Kriege 
gegen  Sex.  Pompeius  auf  Octavians  Seite  getreten  und  hatte 
dafür,  wie  ausdrücklich  berichtet  wird,  nach  dem  Siege  die 
verdiente  Belohnung  erhalten1);  Segesta  aber  hatte  wegen  der 
Stammverwandtschaft  mit  Rom  und  dem  iulischen  Hause  An- 
spruch auf  besonders  rücksichtsvolle  Behandlung.  Die  Worte 
Diodors  aber,  es  seien  „alle  Sikelioten  des  römischen  Bürger- 
rechtes gewürdigt  worden“,  können  sich  sehr  wohl  auf  die  Ver- 
leihung des  ins  Latii  beziehen,  das  ja  in  dieser  Zeit  thatsächlich 
nichts  anderes  war,  als  ein  niederer  Grad  der  Civität2). 

J)  Strab.  VI  8.  272. 

8)  Vergl.  Josepos  g.  Apion  II  4,  wo  die  Iberer  als  römische  Bürger 
bezeichnet  werden,  obgleich  Spanien  damals  mit  Ausnahme  verhältniss- 


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828 


Capitel  VIII. 


Wie  schon  bemerkt,  werden  bei  Plinius  nur  zwei  Städte 
der  Provinz  als  municipia  civium  Bomanorutn  aufgeführt : Mes- 
sana  und  Lipara.  Die  Inschriften  der  ersten  Kaiserzeit  nennen 
noch  eine  Reihe  anderer  Municipien:  Lilybaeum,  Aluntium, 
Halaesa,  Gaulos,  Melite;  Henna  heisst  auf  seinen  Münzen 
Muuicipium.  Und  es  ist  allerdings  sehr  leicht  möglich,  dass 
Plinius  bei  der  Küstenbeschreibung  versäumt  hat,  die  eine  oder 
andere  Stadt,  Lilybaeum  z.  B.,  als  oppidum  civium  Romanorum 
zu  bezeichnen.  Indessen  nothwendig  ist  diese  Annahme  keines- 
wegs, da  die  oben  angeführten  Städte  auch  latinische  Muni- 
cipien gewesen  sein  können,  was  wenigstens  für  Halaesa  und 
Henna,  die  von  Plinius  in  dem  alphabetischen  Verzeichniss  der 
stipendiarii  des  Binnenlandes  aufgeführt  werden,  die  höchste 
Wahrscheinlichkeit  hat. 

2)  Sardinien.  Auf  Sardinien  gab  es  nach  Plinius’  Zeug- 
niss  nur  eine  Colonie,  ad  Turrem  Libisonis 1).  Auf  Corsica 
führt  er  zwei  Colonien  auf,  Mariana  und  Aleria;  wie  wir  aus 
Seneca  wissen,  gab  es  in  Claudius’  Zeit  nur  diese  beiden8). 
Bürgermunicipien  scheinen  auf  Corsica  überhaupt  nicht  bestan- 
den zu  haben  ; auf  Sardinien  erwähnt  Plinius  mit  Bestimmtheit 
nur  ein  einziges,  Carales,  es  wäre  indess  möglich,  dass  auch  die 
unmittelbar  vorher  aufgeführten  Sulcitani , Valentini,  Neapolitani, 
Vitenses  und  die  auf  die  Caralitani  folgenden  Norenses  als  Bür- 
gergemeinden bezeichnet  werden  sollen8).  Dazu  kommt  dann 
vielleicht  noch  Uselis4). 

3)  Africa,  vom  Flusse  Ampsaga  bis  zu  den  Altären  der 
Philaenen,  hat  nach  Plinius  516  Gemeinden,  darunter  6 Colo- 


mässig  weniger  Städte  latinisches  Recht  hatte,  und  dazu  Monunsen,  2f.  G. 
V S.  62  Anm. 

')  III  85:  colonia  autem  una  quae  vocatur  ad  turrem  Libisonis. 

*)  Plin.  III  80;  Seneca  ad  Heb.  VII  9. 

a)  III  85 : Sulcitani,  Valentini,  Neapolitani,  Vitenses,  Caralitani  civium 
1{.  et  Norenses. 

*)  Mommsen,  CIL.  X S.  810.  Die  Stadt  heisst  im  II.  Jahrhundert 
Col.  Julia  Augusta  Uselis  (CIL.  X 7845X  und  wird  also  von  Caesar  oder 
Augustus  als  Municipium  constituirt  sein;  ob  als  latinisches  oder  Bürger- 
municipium,  muss  ungewiss  bleiben. 


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Der  römische  Census. 


329 


nien  und  15  oppida  civium  Romanorum , die  sänuntlich  mit 
Namen  aufgeführt  werden.  Es  sind  die  Colonien: 

Carthago  (V  24)  Sicca  (V  22) 

Maxula  (V  24)  Thuburbi  (V  29) 

Cirta  Sittianorum  (V  22)  Uthina  (V  29) 

und  die  Municipien: 

Urica  (V  24) 

Tabraca  (V  22) 

Municipium  Absuritanum  (V  29,  so  auch  die  folgenden) 

Mun.  Abutucense  Mun.  Thubumicense 

„ Aboriense  „ Tbinidnunense 

„ Canopicum  „ Tibigense 

n Chiniavense  „ Ucitanum  maius 

„ Simittuense  „ Ucitanum  minus 

„ Thunusidense  „ Vagense. 

4)  Mauretaniae.  Die  Gesammtzahl  der  Colonien  und 
Municipien  in  Mauretanien  giebt  Plinius  nicht.  Aufgeführt  werden 
11  Colonien  des  Augustus: 

Iulia  Constantia  Zulil  (V  2)  Rusguniae  (V  20) 

Iulia  Campestris  Babba  (V  5)  Rusazus  (V  20) 

Banasa  Valentia  (V  5)  Saldae  (V  21) 

Cartenna  (V  20)  Igilgili  (V  21) 

Gunugu  (V  20)  Succbabar  (V  21) 

Tubusuctu  (V  21) 

und  4 des  Claudius: 

Traducta  Iulia  Tingi  (V  2)  Caesarea  (V  20) 

Lixos  (V  2)  Oppidum  Novum  (V  20); 

ferner  2 Bürgermunicipien : 

Portus  Magnus  (V  29)  und 

Rusuccurium,  civitate  honoratum  a Claudio  (V  20). 

5)  Hispaniae.  Die  Zahl  der  Bürgergemeinden  in  den 
hispanischen  Provinzen  war  nach  Plinius  folgende1): 

')  Ul  7.  20;  IV  117.  Die  Zahlen  nach  den  besten  Handschriften; 
s.  die  Varianten  bei  Detlefsen. 


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Capitel  VIII. 

Baetica  . . . . 

....  9 Col. 

10  Munic. 

Lusitania  . . . 

....  5 „ 

1 , 

Tarraconensis  . 

....  12  B 

13  „ 

zus.  [26  Col.  24  Munic.] 


Dazu  kouimeu  weiter  die  Balearen  mit  den  zwei  Bürgermuni- 
cipien  Palma  und  Pollentia  *),  wodurch  die  Zahl  der  römischen 
Städte  in  Spanien  auf  52  steigt.  Aufgeführt  werden  in  Baetica 
8 Colonien: 

Patricia  Corduba  (111  10)  Augusta  Gemella  Tucci  (III  12) 

Hispal  Romulensis  (III  11)  Virtus  Iulia  Iptuci  (III  12) 

Ilasta  Regia  (III  11)  Claritas  Iulia  Ucubi  (III  12) 

Augusta  Firma  Astigitana  (III 12)  Genua  Urbanorum  Urso  (m  12). 

Die  9.  ist  nicht  sicher  nachzuweisen.  Dagegen  werden  die 
5 Colonien  in  Lusitanien  sämmtlich  aufgeführt  (IV  117): 

Col.  Augusta  Emerita  Col.  Pacensis 

Col.  Metellinensis  Col.  Norbensis  Caesarina 

Col.  Praesidium  Iulium  Scallabis. 

Ebenso  wie  es  scheint  die  12  Colonien  der  Tarraconensis : 


Carthago  Nova  (III  19) 
Ilici  PH  19) 

Valentin  (RI  20) 

Tarraco  GH  21) 

Faventia  Barcino  (III  22) 
Caesaraugusta  (III  24) 


Bilbilis  0n  24)*) 

Celsa  (III  24) 

Gemella  Accitana  an  25) 
Ldbisosa  Foroaugustana  (DI  25) 
Salariensis  (III  25) 

Flaviobrica  GV  110). 


Weniger  gut  unterrichtet  sind  wir  über  die  Municipien. 
Zwar  Lusitanien  enthielt  nur  eine  Gemeinde  dieser  Kategorie, 
Olisippo  (IV  117);  und  auch  von  den  13  Municipien  der  Tarra- 
eonensis  nennt  Plinius  1 1 : 

Saguntuin  (III  20)  Iluro  an  22) 

Baetulo  (III  22)  Blandae  (III  22) 

')  III  77.  Dass  die  Inseln  bei  der  Uebersicht  über  die  Gemeinden 
der  Tarraconensis  nicht  mitgerechnet  sind,  sagt  Plinius  selbst  HI  25;  es 
folgt  auch  daraus,  dass  die  Tarraconensis  nach  III  20  nur  ein  oppidum 
foederatum  zählte,  nämlich  die  Tarracenses  im  Convent  von  Caesaraugusta 
(m  24),  während  auf  den  Pithyusen  noch  Ebusus  foederirt  war  (UI  76). 

*)  Detlefsen,  Philol.  32  S.  616. 


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Der  römische  Census. 


331 


Emporiae  (III  22)  Calagurris  (UI  24) 

Dertosa  (UI  23)  Ilerda  HU  24) 

Bisgargis  (IU  23)  Osca  (in  24) 

Turriaso  (UI  24). 


wozu  als  12.  nach  dem  Zeugniss  der  Inschriften  noch  Clunia 
kommt.  Das  13.  muss  unbestimmt  bleiben.  Dagegen  nennt 
Plinius  von  den  10  Municipien  in  Baetica  nur  2, 

Regina  (III  15)  und 

Iulia  Gaditana  Augustanorum  (UI  119). 


wozu  dann  Italica  und  wahrscheinlich  Asido  Caesarina  hinzu- 
zufUgen  sind. 

6)  Narbonensis.  Plinius  führt  folgende  Bürgercolonien 
auf: 


Narbo  Martius  decumanorum  (UI  32) 
Pacensis  Classica  Forum  Iuli  octava- 
norum  (III  35) 

Arelate  sextanorum  (iil  36) 


Baeterrae  septimanorum  (III  86) 
Arausio  secundanorum  (IU  86) 
Valentia  (UI  36) 

Vienna  (UI  36). 


Dazu  kommt  nach  dem  Zeugniss  ihrer  zwischen  27  und  23  v.  Chr. 
geprägten  Münzen  die  Colonie  Rusc(ino)  Leg.  VI1),  die  wahr- 
scheinlich nur  durch  ein  Textverderbniss  bei  Plinius  unter  den 
Colonien  fehlt ; es  wird  statt  Ruscino  Latinorum  (III  32)  Rus- 
cino  sextanorum  zu  lesen  sein.  — Dagegen  liegt  nicht  der 
geringste  Grund  vor,  die  von  Plinius  als  latinische  Städte  be- 
zeichneten  Carcaso  und  Aquae  Sextiae 8)  als  augusteische  Colonien 
in  Anspruch  zu  nehmen.  Allerdings  heissen  sie  auf  späteren 
Inschriften3)  Col.  Iulia  Carcaso  und  Col.  Iulia  Aug.  Aquis 
Sextis,  aber  sie  können  diese  Beinamen  bei  ihrer  Constituirung, 
beziehungsweise  Reorganisation  als  latinische  Gemeinden  durch 
Caesar  oder  Augustus  empfangen  haben.  — Bürgermunicipien 
hat  es  in  der  Narbonensis,  soviel  wir  sehen,  in  dieser  Zeit 
überhaupt  nicht  gegeben. 


')  De  la  Saussaye,  Numistnatique  de  la  Gaule  Narbonnaise  S.  193 
pl.  28. 

’)  III  36.  Vergl.  Mommsen,  Rom.  Gesch.  V 79. 

*)  Herzog,  Gallia  Narbonensis  Nr.  266  und  356. 


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332  Capitel  VIII. 

7)  Tres  Galliae.  Plinius  führt  4 Colonieu  auf: 

Lugdunura  (IV  107)  Kaurica  (IV  106) 

Equestris  (IV  106)  Agrippinensis  (TV  106). 

Auch  Augusta  Treviroram  muss  in  der  Zeit  zwischen  Augustus’ 
Tode  und  70  v.  Chr.  Colonie  geworden  sein,  das  Jahr  ist  nicht 
zu  bestimmen  *).  Doch  haben  Augusta  Trevirorum  und  Claudia 
Ara  Agrippinensis  vielleicht  latinisches  Recht  gehabt2).  — 
Bürgenuunicipien  hat  es  in  den  Tres  Galliae  zu  der  Zeit,  die 
uns  hier  interessirt,  so  wenig  gegeben  wie  in  der  Narbonensis. 

8)  Britannia.  Plinius  giebt  uns,  wie  schon  bemerkt, 
nur  die  geographische  Beschreibung  der  Insel,  ohne  jede  An- 
deutung über  die  Organisation  der  Provinz.  Aus  Tacitus  wissen 
wir,  dass  Claudius  im  Jahre  50  die  Veteranencolonie  Camolo- 
dunum  hier  anlegte8);  bei  Gelegenheit  des  Aufstandes  von  68 
wird  das  Munieipiuiu  Verulamiuin  erwähnt4). 

9)  Die  Donau provinzen.  Römische  Bürgergemeinden 
bestanden  im  I.  Jahrhundert  der  Kaiserzeit  fast  nur  an  der 
dalmatischen  Küste.  Plinius  führt  hier  4 Colonien  auf: 

Iader  (III  140)  Narona  (III  142) 

Salonae  (III  141)  Epidaurum  (III  144); 

ausserdem  noch 

Siculi  in  quem  locum  IHvus  Claudius  veteranos  misit  (III  141), 

was  demnach  keine  Colonie  gewesen  zu  sein  scheint.  Inschrift- 
lich ist  die  Colonia  Claudia  Aequum  bezeugt5),  als  Colonie 
auch  von  Ptolemaeos ®),  natürlich  noch  kein  voller  Beweis,  dass 
die  Stadt  auch  wirklich  von  Claudius  als  Bürgercolonie  de- 
ducirt  ist. 


')  Mommsen,  Mot i.  Ancyr.  2.  Aufl.  S.  120;  Tac.  Hist.  IV  62.  72.' 
s)  Mommsen,  Hermes  19  (1884)  S.  69  ff.;  ebenda  16  S.  458  f. 
s)  Tac.  Annal.  XII  32. 

«)  Tac.  Annal.  XIV  33. 

5)  CIL.  III  2026. 

«)  II  17,  11. 


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Der  römische  Census. 


333 


Als  Bürgermunicipien  werden  von  Plinius  erwähnt 


Tragurium  (III  141) 
Risiniiun  (III  144) 
Acrusium  (III  144) 
Butua  (III  144) 


Olcinium  (III  144) 
Scodra  (III  144) 
Lisa  all  144) 

Issa  (UI  152). 


Das  ius  Italicum  und  also  ohne  allen  Zweifel  das  Bürgerrecht, 
hatten  die  (III  139) 


Alutae  Varvari 

Flanates  Fertinates 

Lopsi  Currictae 

die  ebenso  wie  die  Asseriates  immunes  von  Augustus  der  X. 
Region  Italiens  zugetheilt  gewesen  waren  (s.  oben  S.  323). 
Scardona  heisst  später  Municipium  Flavium , und  wird  also 
kaum  vor  Vespasian  das  Bürgerrecht  erlangt  haben1). 

In  Pannonia  nennt  Plinius  die  Colonien: 


Sabaria  (m  146) 
Aemona  (Iü  147) 
Siscia  UH  147). 


Die  oppida  Claudia  in  Noricum  (III  146):  Virunum,  Celeia. 
Teumia,  Aguntum,  Iuvavum  können  latinisches  Recht  gehabt 
haben2),  ebenso  wie  Augusta  Vindelicorum  in  Rhaetien.  In 
Moesien  scheint  es  bis  auf  Vespasian  überhaupt  noch  keine 
römischen  Gemeinden  gegeben  zu  haben. 

10)  Die  griechische  Halbinsel.  Plinius  führt  hier 
14  Colonien  auf,  von  denen  eine,  Actium  (IV  5),  nur  aus  Irr- 
thum in  die  Liste  gekommen  ist,  da  eine  Stadt  Actium  neben 
Nikopolis  niemals  bestanden  hat3);  die  übrigen  sind: 


Dyrrhachium  UU  145) 
Buthrotum  (TV  4) 
Corinthus  (IV  11) 

Patrae  (TV  11) 

Dyme  (IV  18) 

Pella  (IV  34) 

Develcon  quod  nunc  DeuUum 


Bullis  (IV  35) 

Dium  (IV  35) 

Cassandrea  (IV  36) 
Philipp!  (IV  42) 

Apri  (IV  47) 

Flaviopolis  (IV  47) 
vocatur  reteranörum  (IV  45). 


')  CIL.  UI  2802. 

a)  Mominsen,  Hermes  19  S.  69  f. 

a)  Mommsen,  Rom.  Gesch.  V S.  271  A. 


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334 


Capitel  VIII. 


Municipien  scheint  es  nur  zwei  gegeben  zu  haben,  Denda  (DI  145) 
und  Stobi  (IV  34).  — Die  Angabe  Strabons,  dass  Knossos  auf 
Kreta  römische  Colonie  gewesen  sei1),  beruht  doch  wohl  nur 
auf  einem  Missverständniss ; wie  bekannt,  hatte  die  Colonie 
Capua  im  Gebiete  von  Knossos  bedeutenden  Domänenbesitz. 

11)  Die  asiatischen  Provinzen.  Plinius  nennt  hier 
folgende  Colonien: 

Prima  Flavia  Caesarea  (V  69) 

Ptolemais  (V  75) 

Berytus  (V  78) 

Caesarea  Antiochia  (V  94) 

Archelais 

Dazu  kommt  weiter 

Iulia  Augusta  Olbasa,  als  Colonie  in  einer  Inschrift:  des  Jahres  42/3 
bezeichnet  (Ephem.  Epigr.  IV  S.  33  Nr.  48), 

vielleicht  auch 

Augusta  Cremna,  für  dessen  Deduction  durch  Caesar  oder  Augustus 
nur  das  Zeugniss  Strabons  (XII  S.  569)  vorliegt,  vergl.  Le  Bas- 
Waddington,  Aste  Mineure  Nr.  1200, 

Iulia  Augusta  Pariais  (nach  den  Münzauischriften), 

Iulia  Augusta  Felix  Heliopolitana  (CIL.  III  202). 

Von  Bürgermunicipien  in  Asien  findet  sich  in  dieser  Zeit  keine 
Spur.  Wohl  nur  aus  Flüchtigkeit  redet  Plinius  von  einer  Co- 
lonie Caesars  auf  der  Insel  Pharos  bei  Alexandreia  in  Aegypten 
(V  128). 

Wir  erhalten  demnach  folgende  Uebersicht  der  Bürger- 
gemeinden in  den  Provinzen,  wobei  die  flavischen  Colonien, 
die  Plinius  doch  nicht  vollständig  giebt  und  geben  kann  und 
die  zudem  für  unseren  Zweck  nicht  in  Betracht  kommen,  aus- 
geschieden sind  (es  sind  Flaviobrica,  Siscia,  Deultum,  Flaviopolis, 
Caesarea),  und  ebenso  die  zu  Augustus’  Zeit  der  X.  Region 
Italiens  zugerechneten  illyrischen  Gemeinden  nicht  berück- 
sichtigt werden. 


')  x S.  477. 


Alexandria  Troas  (V  124) 
Parium  (IV  48,  V 141) 
Apamea  (V  149) 

Sinope  (VI  6) 

(VI  8) 


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Der  römische  Census.  335 

Col.  Munic. 

Sicilien 5 2 

Sardinien 3 1 

Afrika 6 15 

Mauretanien 15  2 

Hispanien 25  26 

Narbonensis 8 

Tres  Galliae 5(8?)  — 

Britannia 1 1 

Illyricum  mit  den  Donauprovinzen  ....  6(8?)  8(10?) 

Griechische  Halbinsel 11  2 

Asiatische  Provinzen 12  — 


97  57(59?) 

Was  die  Colonien  angeht,  so  wird  dies  Verzeichniss  den 
Bestand  bei  Claudius’  Tode  annähernd  vollständig  wiedergeben. 
Wir  dürfen  mit  voller  Sicherheit  behaupten,  dass  es  damals 
nicht  mehr  als  etwa  100  Bürgercolonien  ausserhalb  Italiens 
gegeben  hat.  Nicht  ganz  so  günstig  steht  es  mit  unserer  Kennt- 
niss  der  Municipien.  Indess  ist  auch  hier  unsere  Liste  für  die 
Provinzen,  in  denen  die  meisten  Municipien  gelegen  haben, 
Afrika  und  Spanien,  ganz,  für  Illyricum  und  wohl  auch  Maure- 
tanien wenigstens  annähernd  vollständig.  Da  nim  in  Gallien 
und  Asien,  so  weit  wir  sehen,  gar  keine,  in  Griechenland  nur 
sehr  wenige  Municipien  bestanden  haben,  so  bleibt  die  Un- 
sicherheit im  wesentlichen  auf  Sicilien  und  Sardinien  beschränkt. 
Wir  werden  sagen  dürfen,  dass  die  Gesammtzahl  der  Btirger- 
municipien  in  den  Provinzen  bis  auf  Vespasian  zwischen  60  und 
70  betragen  hat. 

Viel  verwickelter  ist  die  Frage  nach  der  Zeit,  zu  der  die 
einzelnen  Gemeinden  gegründet,  beziehungsweise  in  den  römi- 
schen Bürgerverband  eingetreten  sind.  Was  sich  darüber  bei 
dem  jetzigen  Stand  unserer  Kenntniss  mit  Sicherheit  oder  Wahr- 
scheinlichkeit sagen  lässt,  ist  etwa  folgendes: 

Als  Colonien  des  Claudius  werden  von  Plinius  bezeugt: 

in  Afrika:  Tingi,  Lixos,  Caesarea,  Oppidum  Novum, 

in  Asien:  Ptolemais  und  Archelais, 

in  Noricum:  Sabaria, 

in  Illyricum : Siculi,  wenn  dies  wirklich  Colonie  gewesen  ist,  s.  oben  S.  332. 


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836 


Capitel  VIII. 


Die  Gründung  von  Colonia  Claudia  Ara  Agrippinensis  und  Ca- 
molodunum  im  Jahre  50  berichtet  Tacitus  (Annal.  XII  27.  32). 
Inschriftlich  sind  als  claudische  Colonien  bezeugt  Apri  in  Thra- 
kien (CIL.  III  386)  und  Aequuin  in  Illyricum  (CIL.  III  2026). 
Ob  Augusta  Trevirorum  von  Claudius  zur  Colonie  erhoben 
worden  ist  (Zunipt,  Commcnt.  Epigr.  I S.  385),  muss  dahin- 
gestellt bleiben,  jedenfalls  fällt  die  Deduction  nach  Augustus’ 
Tod  (Mommsen,  Mon.  Ancijr.  S.  120). 

Das  wären  zusammen  1 1 , oder , wenn  wir  Siculi  und 
Augusta  Trevirorum  einrechnen,  13  claudische  Colonien.  Dabei 
ist  aber  zu  berücksichtigen,  dass  keineswegs  alle  diese  Grün- 
dungen auch  eine  Erweiterung  der  Grenzen  des  römischen 
Bürgergebietes  zur  Folge  gehabt  haben.  So  war  Tingi  bereits 
seit  38  v.  Chr.  römisches  Municipium  *) ; und  auch  Aequum 
scheint  bereits  vor  Claudius  Bürgerrecht  gehabt  zu  haben2). 
Auf  Gaius  und  Tiberius  lässt  sich  mit  Sicherheit  die  Gründung 
keiner  einzigen  Colonie  in  den  Provinzen  zurttckführen3);  es 
spricht  also  die  grosse  Wahrscheinlichkeit  dafür,  dass  mit  Aus- 
nahme der  oben  aufgezählten  claudischen  Colonien  alle  oder  doch 
fast  alle  übrigen  Colonien  des  plinianischen  Verzeichnisses  be- 
reits bei  Augustus’  Tode  bestanden  haben.  Wie  weit  dieselben 
von  Augustus  selbst,  oder  von  Caesar  oder  endlich  vor  Caesar 
gegründet  sind,  ist  für  unsere  Zwecke  gleichgültig;  uns  interessirt 
hier  allein  die  Frage,  welche  Colonien  im  Jahre  28  bei  dem  ersten 
augusteischen  Census  bestanden,  und  welche  in  der  Zwischenzeit 
vom  ersten  bis  zum  zweiten  Census  des  Augustus  (28 — 8 v.  Chr.) 
gegründet  sind.  Diese  Frage  lässt  sich  allerdings  nur  sehr  un- 
genügend beantworten.  Zwar  giebt  die  Annahme  des  Augustus- 
Titels  durch  Octavian  im  Jahre  27  v.  Chr.  uns  einen  allgemeinen 
Anhaltspunkt,  da  in  Folge  dessen  die  nach  diesem  Jahre  ge- 
gründeten Colonien  als  coloniae  Augustae  bezeichnet  werden. 
Indess  ist  im  Laufe  der  Zeit  auch  sehr  vielen  vor  dem  Jahre 

')  Dio  Cass.  XLVIII  45,  3. 

*)  Kubitscheck,  He  trib.  Rom.  S.  191. 

")  Zumpt,  Comment.  Epigr.  I S.  381  ff.  Nach  Mommsen,  Köm.  Gesch. 
V 79  wäre  Vienna  durch  Gaius  zur  Bürgercolonie  erhoben  worden.  Ich 
suspendire  mein  Urtheil,  bis  der  XI.  Band  des  Corpus  erschienen  sein  wird. 


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Der  römische  Census. 


337 


27  gegründeten  Colonien  der  Beiname  Augusta  verliehen 
worden ; und  andererseits  ist  bei  weitem  nicht  von  allen  Colonien 
der  vollständige  Name  bekannt.  Immerhin  werden  wir  die  nach 
dem  Jahre  28  v.  Chr.  von  Augustus  deducirten  Colonien  zu- 
nächst unter  den  Coloniae  Augustae  zu  suchen  haben,  während 
andererseits  die  Gründung  einer  Colonie,  die  nur  Julia,  aber 
nicht  Augusta  heisst,  mit  ziemlicher  Sicherheit  vor  das  Jahr  28 
oder  in  dieses  Jahr  selbst  gesetzt  werden  darf. 

Direct  bezeugt  ist  aus  der  Periode  seit  28  v.  Chr.  die 
Deduction  folgender  augusteischer  Colonien  in  den  Provinzen: 

Im  Jahre  21  v.  Chr.  Syracusae  (Dio.  Cass.  54,  7,  vergl. 
Strab.  VI  S.  270);  da  angegeben  wird,  dass  gleichzeitig  noch 
andere  Colonien  nach  Sicilien  geführt  wurden,  so  sind  wahr- 
scheinlich Augusta  Tyndaris  {CIL.  X 7474  etc.)  und  Augusta 
Himeraeorum  Thermitanorum  {CIL.  7345)  zur  selben  Zeit  de- 
ducirt  worden,  vielleicht  auch  Catina  (Strab.  VI  S.  268.  270); 
dagegen  ist  Tauromenion  wohl  schon  nach  der  Besiegung  des 
Sex.  Pompeius  gegründet1). 

Im  Jahre  16  v.  Chr.  Augusta  Aroe  Patrensis  und  Iulia 
Augusta  Felix  Berytus  (Euseb.  01.  191,  2),  wohl  auch  Iulia 
Augusta  Felix  Heliopolitana  {CIL.  III  202). 

Im  Jahre  15  v.  Chr.  und  während  der  nächsten  Jahre  soll 
Augustus  bei  seinem  Aufenthalte  in  Gallien  und  Hispanien  in 
diesen  Provinzen  „zahlreiche  Colonien“  gegründet  haben  (Dio 
Cass.  54,  23).  Namen  werden  nicht  überliefert.  Da  indessen 
von  sämmtlichen  bei  Plinius  aufgeführten  Colonien  der  Nar- 
bonensis  nur  Vienna  und  Valentia  nicht  auf  Caesar  zurück- 
gehen, so  wird  es  sehr  wahrscheinlich,  dass  diese  Städte  eben 


')  Diod.  XVI  7 : t)  6k  noi.it . . . KnCaaQag  n fanirjanvio;  rovt  Tciuqo- 
fiffiras  ix  Ttjt  natQidot,  'l’w/jal ’mv  itnoixCnv  i&iSaro.  Diese  Austreibung 
der  Tauromeniten  kann  nur  zu  dem  oben  bezeichneten  Zeitpunkt  erfolgt 
sein  (vergl.  Dio  Cass.  49,  12,  5;  Appian,  Bürgerkr.  V 109);  es  ist  doch 
wahrscheinlich,  dass  sich  die  Deduction  der  Colonie  gleich  daran  an- 
geschlossen hat  Jedenfalls  haben  wir  kein  Recht,  die  Abfassungszeit 
des  Werkes  Diodors  auf  Grund  unserer  Stelle  mit  Mommsen  (Jf.  Forsch. 
II  549  A.)  unter  das  Jahr  21  herabzurücken. 

ßeloch,  Bevölkernngslehre.  I.  22 


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Capitel  VIII. 


3:58 

jetzt  von  Augustus  deducirt  worden  sind ').  In  Spanien  mögen 
Augusta  Emerita,  Caesaraugusta , Augusta  Gemella  Tucci, 
Augnsta  Finna  Astigi,  Faventia  Iulia  Augusta  Barcino,  Augusta 
Bilbilis,  vielleicht  auch  Libisosa  Foroaugustana  um  dieselbe  Zeit 
begründet  sein.  Unbestimmt  wann,  jedenfalls  nach  der  akti- 
schen  Schlacht,  und  höchst  wahrscheinlich  nach  dem  Jahre  28 
sind  deducirt:  Alexandria  Augusta  Troas,  Augusta  Cremna, 
Iulia  Augusta  Olbasa,  Julia  Augusta  Pariais : und  auch  Cartenna 
und  Tupusuctu  in  Mauretanien  werden  in  diese  Zeit  gehören. 

Von  Caesar,  oder  von  Octavian  während  seiner  ersten 
Regierungszeit  bis  zur  Annahme  des  Augustus-Titels,  oder  end- 
lich vor  Caesar,  sind  folgende  Colonien  gegründet,  wie  theils 
aus  directen  Zeugnissen,  theils  aus  den  Beinamen  hervorgeht: 

in  S i c i 1 i e n : wahrscheinlich  Tauromenion,  s.  oben ; 
in  Sardinien:  Aleria,  Mariana,  Turris  Libisonis  (vergl.  Mommsen, 
Mm.  Ancyr.  S.  120); 

in  Afrika:  Iulia  Veneria  Carthago,  Iulia  Iuvenalis  Cirta,  Veneria  Sicca, 
Iulia  Babba,  Iulia  Zulil; 

in  Spanien:  Patricia  Corduba,  Hispal  Romulensis,  Hasta  Regia,  Virtus 
Iulia  Iptuci,  Claritas  Iulia  Ucubi,  Genua  Urso,  Metellinensis,  Pax 
Iulia,  Norba  Caesarina,  Praesidium  Iulium  Scallabis,  Victrix  Iulia 
Nova  Carthago,  Valentin,  Iulia  Tarraco,  Iulia  Victrix  Celsa,  Iulia 
Gemella  Acci,  Salaria; 

in  Gallien:  Narbo,  Forum  Iuli,  Arelate,  Baeterrae,  Arausio,  Ruscino, 
Lugdunum,  Equestris,  Raurica; 
in  Il)lyricum:  Iader,  Salonae,  Narona,  Emona; 
in  Griechenland:  I>yrrhachium,  Buthrotum,  Corinthus,  Philippi; 
in  Asien:  Sinope,  Apamea,  Caesarea  Antiochia,  Parium. 

Die  Gründungszeit  der  noch  übrigen  16  Colonien  unseres  obigen 
Verzeichnisses  (Maxula,  Thuburbi,  Uthina,  Banasa,  Gunugu, 
Rusguniae,  Rusazus,  Saldae,  Igilgili,  Succhabar,  Epidaurum, 
Dyme.  Pella,  Bullis,  Dium,  Cassandrea)  muss  unbestimmt  bleiben. 

Von  den  bis  auf  Vespasian  bestehenden  Bürgermunicipien 
lassen  sieh  nur  3 auf  Claudius  zurückfuhren:  Rusuccurium  und 
Portas  Magnus  in  Mauretanien  (Plin.  V 19.  20),  Verulamium 

*)  Doch  vergl.  wegen  Vienna  oben  S.  386  A.  8. 


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Der  römische  C’ensus. 


339 


in  Britannien.  Gaius  und  Tiberius  scheinen  das  Munieipalreeht 
überhaupt  nicht  verliehen  zu  haben;  ebensowenig  Augustus 
während  seiner  Alleinherrschaft.  Ist  es  doch  bekannt,  wie 
sparsam  er  mit  der  Ertheilung  der  Civität  umging  *).  Fast  alle 
in  dem  plinianischen  Verzeichnisse  aufgezählten  Municipien 
müssen  demnach  in  der  Zeit  von  Caesars  Dictatur  bis  zur 
Schlacht  bei  Aktion  das  Bürgenecht  erhalten  haben,  wie  das 
für  die  beiden  bedeutendsten  unter  ihnen,  Gades2)  und  Utica8), 
ausdrücklich  bezeugt  ist. 

Es  scheinen  demnach  bei  Augustus’  erstem  Census  28  v.  Chr. 
etwa  50 — GO  Colonien  und  etwas  über  60  Municipien  in  den 
Provinzen  bestanden  zu  haben;  bei  Augustus’  Tode  80 — 90 
Colonien  und  über  60  Municipien. 

4.  Die  Ergebnisse  des  republikanischen  Censns. 

Der  erste  Census  soll,  wie  bekannt,  unter  Servius  Tullius 
gehalten  sein.  Er  hat  nach  Fabius  Pictor  eine  Hauptsumme 
von  80000  waffenfähigen  Bürgern  ergeben4).  Die  späteren 
Annalisten  haben  sich  mit  der  runden  Zahl  nicht  begnügt,  und 
wissen  das  ganz  genaue  Resultat  anzugeben : nach  Eutrop 
83  000 5),  nach  Dionysios  84700  ®).  Schon  hieraus  geht  her- 
vor, was  auch  sonst  keines  Beweises  bedarf,  dass  es  über  diesen 
Census  eine  directe  Ueberlieferung  überhaupt  nicht  gegeben 
hat,  und  die  Hauptsumme  nur  durch  Rechnung  gefunden  ist 
Wahrscheinlich  hat  Fabius  die  80  Centurien  der  ersten  Klasse 
mit  der  Normalzahl  von  je  100  angesetzt,  die  ganze  Klasse 
also  zu  8000  berechnet,  und  jeder  der  4 folgenden  Klassen 


0 Suet.  Aug.  40. 

*)  Pio  Cass.  41,  24. 

®)  Dio  Cass.  49,  16. 

*)  Bei  Livius  I 44. 

8)  Eutrop.  I 7:  sub  eo  (Seivio  Tfdlio)  Roma  Omnibus  in  censum  de- 
latis  halmit  eapita  LXXXIII  nrilia  civium  Romanorum  cum  bis  qui  in 
agris  erant. 

•)  Dionys.  IV  22 : iyfvtxo  tll  o ovuna;  niv  iifirjaaufvwr  rov s ßlovt 
‘Pcojuatcov  iuu'Hibt,  tot  (v  zois  Ti/arjtixoii  iftyercu  yoauuaotr,  tni  [xvQtctatv 
bxrtü  nfvrt  TQiaxuaimr  ct7Toif{ovo«i. 

22* 


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340 


Capitel  VIII. 


4000  Bürger  mehr  gegeben,  als  der  vorhergehenden.  Da  es 
sieh  nur  um  eine  ungefähre  Schätzung  handelte,  konnten  die 
Centurien  der  Ritter,  Werk-  und  Spielleute  etc.  ausser  Rech- 
nung bleiben.  Die  Späteren  haben  diesen  Fehler  verbessern 
zu  müssen  geglaubt,  und  so  sind  die  Zahlen  bei  Dionysios  und 
Eutropius  entstanden. 

Aus  dem  ersten  halben  Jahrhundert  der  Republik  bis  zur 
Einsetzung  einer  eigenen  Behörde  für  den  Census  sind  die  Re- 
sultate von  7 Aufnahmen  überliefert: 

508 *)  : 130000 
503»)  : 120000 
498»)  : 150700 
493*)  : 110000 
474 6)  : 103000 
465«)  : 104  714 
459’)  : 117  319 

Hier  bricht  für  uns  die  Liste  ab;  aus  den  IVa  Jahr- 
hunderten bis  294/3  sind  nur  die  Resultate  von  zwei  Census 
erhalten : 

3932  Lustrum  XVII.  Cem.  L.  Papirius  Cursor 

C.  Iulius 152  573 8) 

340/39  Lustruin  XXIII.  Cem.  P.  und  L.  Cornelius  Seipio  . . 165  000  e) 


')  Dionys.  V 20. 

2)  Hieronymus  Ol.  69,  1. 

*)  Dionys.  V 75.' 

*)  Dionys.  VI  96. 

s)  Dionys.  IX  36  Kicssling.  Früher  wurde  130000  gelesen. 

*)  Liv.  III  3 : censa  civium  capita  C1III  ACCXIIII  dicuntur  praeter 
orbos  orbasque,  mit  der  gewöhnlichen  Verwechslung  von  A für  I).  Die 
Epitome  hat  census  bis  actus  est.  priore  lustro  censa  sunt  cicium  capita 
VIII  milia  DCCXI1II,  wobei  CI  in  U corrumpirt  ist. 

7)  Liv.  III  24:  censa  sunt  civium  capita  CXVU  CCCXVIIII.  Eutrop 
I 16  und  seine  griechische  Metaphrase  haben  dieselbe  Zahl.  Die  Epitome 
hat  CXVII  milia  CCXVIIII-,  es  ist  ein  C ausgefallen. 

8)  Plinius  H.  N.  33,  16. 

*)  Euseh.  Armen.  Ol.  110,  1;  Hieronymus  Ol.  110, 1 und  Prosper 

Aquitanus  I 539  Rone,  haben  160000;  offenbar  ist  hier  V am  Ende  aus- 
gefallen. 


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Der  römische  Census. 


341 


Livius,  der  aus  dieser  ganzen  Periode  Censuszahlen  überhaupt 
nicht  anführt,  bemerkt  gelegentlich,  in  den  Lustren  zu  Alexandere 
des  Grossen  Zeit  seien  250000  Bürger  gezählt  worden1).  Dass 
diese  Zahl  corrumpirt  und  ein  C zu  streichen  ist,  zeigt  Orosius 
an  einer  Stelle,  die  ohne  jeden  Zweifel  aus  Livius  stammt:  er 
giebt  dort  den  Verlust  der  Römer  im  Socialkriege  und  sul- 
lanischen  Bürgerkriege  auf  über  150000  Mann  an,  soviel,  wie 
die  Censusaufnahmen  in  Alexanders  Zeit  ergeben  hätten 2).  Dass 
der  Fehler  nicht  etwa  bei  Orosius  liegt,  ergiebt  sich  aus  Eutrop, 
der  ebenfalls  aus  Livius  dieselbe  Zahl  bietet8).  Eine  weitere 
Bestätigung  giebt  Plutarch.  Wir  lesen  in  seiner  Schrift  vom 
Glücke  der  Römer,  dass  Rom  bei  Alexandere  Tode  130000  Bürger 
gezählt  habe4);  es  bedarf  nur  einer  ganz  leichten  Aenderung 
(IE'  für  /r'  /Livgiddes),  um  auch  hier  die  Zahl  des  Orosius  und 
Eutrop  herzustellen6).  Also  kein  Zweifel,  dass  bei  Livius  ur- 
sprünglich 150000  gestanden  hat. 

Gegen  die  Richtigkeit  dieser  letzteren  Zahlen  wird  statistisch 
kaum  etwas  einzuwenden  sein.  Das  römische  Gebiet  umfasste 
nach  dem  Latinerkriege  etwa  6000  qkm6),  und  zwar  den  im 
Alterthum  am  besten  bevölkerten  Theil  Italiens,  mit  den  beiden 
bedeutendsten  Städten  der  Halbinsel.  165000  Bürger  ent- 
sprechen einer  bürgerlichen  Gesammtbevölkerung  von  gegen 
500000;  die  Zahl  der  Sklaven  und  Fremden  kann  in  dieser 
Zeit  nur  sehr  unbedeutend  gewesen  sein.  Eine  Volksdichtigkeit 
von  etwa  90  Einwohnern  auf  den  qkm  aber  hat  ftlr  Latium  und 
Campanien  gar  nichts  auffallendes;  lebten  doch  in  der  cain- 
panischen  Praefectur  zu  Hannibals  Zeit  weit  über  100  Menschen 


*)  Liv.  IX  19:  censebcmtur  eius  aetate  lustris  ducena  quinquagena 
milia  capitum. 

*)  Oros.  V 22,  2 un($  Zangemeister  zur  Stelle. 

*)  Eutrop.  V 9.  .< 

4)  Plut.  v.  Glück  d.  Börner  13  S.  326. 

6)  Dass  die  Zahl  bei  Plutarch  aus  Livius  entnommen  ist,  oder  doch 
derselben  Quelle  entstammt,  wie  die  lirianische  Zahl,  ist  auch  Mommsens 
Ansicht:  Köm.  Forsch.  II  401,  wenn  er  auch  die  Stelle  des  Orosius  über- 
sehen hat. 

*)  Mein  Ital.  Bund  S.  71  und  oben  S.  320. 


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342 


Capitel  VIII. 


auf  dem  qkm  ‘).  Es  ist  höchst  wahrscheinlich,  dass  der  grosse 
Krieg  mit  den  Samniten  eine,  wenn  auch  nicht  sehr  bedeutende 
Abnahme  der  Bürgerzahl  zur  Folge  gehabt  hat,  weniger  durch 
die  Verluste  im  Feld,  als  durch  die  massenhafte  Deduction 
latinischer  Colonien.  So  erklärt  es  sich,  dass  Eusebios  für 
340  39  165000  Bürger  angiebt,  Livius  für  die  Zeit*  um  323 
nur  150000.  Aber  diese  Zahlen  sind  nur  haltbar,  wenn  wir 
annehmen,  dass  Voll-  und  Halbbürger,  iuniores  und  senior  es, 
assidui  und  proleturii  gleichmässig  darin  begriffen  sind;  bei 
jeder  anderen  Auffassung  werden  sie  statistisch  unmöglich. 

Wenn  aber  Rom  zu  einer  Zeit,  wo  sein  Gebiet  über  fast 
ganz  Latium,  Süd -Etrurien  und  Campanien  ausgedehnt  war, 
nicht  mehr  als  150—165000  Bürger  gezählt  hat,  so  folgt  un- 
widerleglich, dass  im  V.  Jahrhundert,  bei  einer  Ausdehnung 
des  römischen  Gebietes  von  etwra  1000  qkm,  nicht  100 — 150000 
Bürger  gezählt  worden  sein  können.  Ja  auch  nach  der  In- 
corporining  von  Vei,  als  das  römische  Gebiet  mehr  als  2000  qkm 
umfasste,  bleibt  eine  Bürgerzahl  von  152  000  ganz  unbegreiflich. 
Mit  anderen  Worten : die  aus  dem  ersten  Jahrhundert  der  Re- 
publik überlieferten  Bürgerzahlen  sind  statistisch  unhaltbar,  oder 
doch  haltbar  nur  unter  zwei  gleich  unwahrscheinlichen  Voraus- 
setzungen. Wir  müssen  entweder  annehmen,  was  Plinius  ge- 
glaubt zu  haben  scheint*),  dass  die  Censussummen  nicht  die 
Zahl  der  waffenfähigen  Bürger  ausdrücken,  sondern  die  ge- 
sammte  bürgerliche  Bevölkerung  jeden  Alters  und  Geschlechts; 
oder,  wie  Niebuhr  wollte8),  dass  sie  nicht  die  Römer  allein, 
sondern  auch  die  Bundesgenossen  umfassen.  Beides  widerspricht 
unserer  Ueberlieferung  gleich  sehr,  wie  den  Grundsätzen  des  re- 
publikanischen Census  in  historischer  Zeit.  Und  abgesehen 
davon,  ist  es  denn  an  sich  wahrscheinlich,  dass  sich  im  halb- 
barbarischen Rom  statistische  Angaben  dieser  Art  aus  einer 
Zeit  erhalten  haben  sollten,  wo  man  in  Griechenland  an  Auf- 
zeichnung solcher  Dinge  noch  gar  nicht  dachte?  Das  Urtheil 


')  Unten  Cap.  IX,  3. 

»)  H.  N.  33,  16. 

’)  Köm.  Geseh.  I S.  613. 


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Der  römische  Census. 


343 


Mommsens,  dass  „die  ganze  bis  auf  die  vier  Lustren  des  Servius 
Tullius  hinaufgeführte,  und  mit  reichlichen  Zahlen  ausgestattete 
ältere  Censusliste  nichts  ist,  als  eine  jener  scheinbar  urkund- 
lichen Traditionen,  die  eben  in  ganz  detaillirten  Zahlenangaben 
sich  gefallen , und  sich  verrathen“ '),  wird  denn  auch  heute 
kaum  noch  von  irgend  einer  Seite  bestritten. 

Doch  kehren  wir  zurück  zu  unserer  Ueberlieferung.  Vom 
Jahre  294  an  fliessen  unsere  Quellen  wieder  reichlicher.  Es 
wurden  gezählt: 


Jahr  Lustrum  Censoren  civium  capita 

294  3 XXX  P.  Cornelius  Arvina 

C.  Marcius  Rutilus 262  821 4) 

290/89-288  7 XXXI  Q.  Fabius  Gurgcs 

Sp.  Carvilius  Maximus 272000*) 

280/79  XXXII  L.  Cornelius  Scipio 

Cn.  Domitius  Calvinus 287  222 4) 

276/5  XXXIII  C.  Fabricius  Luscinus 

Q.  Aemilius  Papus 271224') 

265/4  XXXV  Cn.  Cornelius  Blasio 

C.  Marcius  Rutilus 292284*) 

252/1  XXXVII  M’  Valerius  Maximus  Messalla 

P.  Sempronius  Sophus 297  797  T) 


')  Rom.  Gesch.  I®  S.  428  A.  Vergl.  die  erschöpfende  Untersuchung 
Schweglers,  R.  G.  II  S.  679 — 691.  Auch  ich  habe  Ital.  Bund  S.  89  f.  diese 
Zahlen  keineswegs  unbedingt  vertheidigt,  sondern  nur  zeigen  wollen,  dass, 
wer  die  Censussummen  der  späteren  Zeit  auf  die  Vollbürgerschaft  allein 
bezieht,  nothwendig  auch  die  älteren  Zahlen  gelten  lassen  muss. 

*)  Liv.  X 47 : censa  sunt  civium  capita  CCLXJI  CCCXXI.  So  die 
beste  Handschrift  Die  Epitome  hat  (VLXXII  et  CCCXX.  Eusebius 
01.  121,  4 : 22  Myriaden,  Hieronymus  01.  121,  3 und  Prosper  Aquitanus  I 542 
Rone.  (VLXX,  Synkellos  S.  525,  5:  26  Myriaden.  Natürlich  muss  die  Zahl 
bei  Livius  für  uns  maassgebend  sein. 

*)  Liv.  Epit.  11. 

*)  Liv.  Epit.  13. 

®)  Liv.  Epit.  14  nach  Zangemeisters  Collation  des  Nazarianus,  bei 
Herzog,  Comment.  Momms.  S.  129.  Bei  Jahn  steht  CCLXXJ  CCXXXU11. 

«)  Liv.  Epit.  16:  civium  capita  CCCLXXXII CCXXXI1I.  Eutrop.  II 18 
hat  CCXCII  milia  CCCXXX II II,  sein  griechischer  Uebersetzer  Paeanios 
292234.  S.  unten  S.  345. 

’)  Liv.  Epit.  18:  CCXCVJI  DCCXCV1I. 


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344 


Capitel  VIII. 


Jahr  Lustruin  Censoren  civium  capita 

247/6  XXXVIII  A.  Atilius  Caiatinus 

A.  Manlius  Torquatus 241 712 ') 

241/0  XXXIX  C.  Aurelius  Cotta 

M.  Fabius  Buteo 260000*) 


Durch  den  zweiten  Samnitenkrieg  hat  Rom  einen  Gebietszu- 
wachs von  etwa  1600  qkm  gewonnen®).  Es  ist  aber  höchst 
unwahrscheinlich,  um  nicht  zu  sagen  völlig  unmöglich,  dass 
diese  Eroberungen  ein  Steigen  der  Bürgerliste  um  100000 
Köpfe  verursacht  haben  sollten,  während  die  so  ausgedehnten 
Gebietserwerbungen  der  folgenden  Jahre  fast  ohne  jeden  Ein- 
fluss auf  die  Bürgerzahl  geblieben  wären.  Die  für  das  XXX. 
Lustrum  (des  P.  Cornelius  Arvina  und  C.  Marcius  Rutilus) 
überlieferte  Bürgerzahl  ist  nur  verständlich,  wenn  die  Sabiner 
darin  einbegriffen  sind.  Die  Unterwerfung  der  Sabiner  ist 
allerdings  nach  unserer  TJeberlieferung  erst  3 Jahre  später  er- 
folgt, aber  bei  der  chronologischen  Unsicherheit  dieser  ganzen 
Epoche  hat  das  nicht  viel  auf  sich.  Der  Umfang  des  Sabiner- 
landes mit  den  angrenzenden  Districteu  von  Umbrien  (Spole- 
tiuni,  Fulginia)  und  dem  Agtr  Prartuttianus  beträgt  über 
6000  qkm4),  und  kommt  also  dem  ganzen  bisher  römischen 
Gebiete  (ca.  7600  qkm)  beinahe  gleich.  Mochte  die  Volks- 
dichtigkeit in  diesen  Bergdistricten  auch  schwächer  sein,  so 
musste  die  Bürgerschaft  doch  in  Folge  dieser  Annexionen  einen 
gewaltigen  Zuwachs  erhalten,  was  unsere  Quellen  auch  aus- 
drücklich hervorheben  8). 


*)  Liv.  Epit.  19:  CCXL1  ACCXII  nach  Zangemeisters  Collation  des 
Nazarianus  bei  Herzog  a.  a.  O.  A steht  für  D,  vergl.  Mommsen,  B.  Forsch. 
II  S.  385  A. 

*)  Euseb.  Armen.  01.  134,  3:  25  Myriaden.  Hieronymus  01.  134,  1 
hat  260000,  was  vorzuziehen  ist,  da  leichter  eine  Stelle  ausfällt,  als  zn- 
gesetzt  wird. 

*)  Mein  Hol.  Bund  S.  71  f. 

4)  S.  oben  8.  320. 

B)  Oros.  III  22,  II:  Curius  — cum  in  senatu  magnitudinem  adqui- 
siti  agri  Sabini  et  mu/titudinem  capti  populi  referre  rettet,  numerttm  ex- 
plicare  non  potuit.  Sollte  sich  nicht  hierauf  die  Angabe  beziehen,  die 


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Der  römische  Census. 


345 


Wenn  den  späteren  römischen  Gebietserwerbungen  bis  zur 
vollendeten  Eroberung  Italiens  nur  ein  Zuwachs  von  etwa 
30000  Bürgern  entspricht,  so  ist  zu  erwägen,  erstens,  dass  wir 
nicht  wissen,  ob  Atina  und  Venafrum  nicht  schon  vor  293  römisch 
geworden  sind;  ferner,  dass  der  Ager  Galliens  jedenfalls  bei 
der  Besitznahme  eine  ausserordentlich  dünne  Bevölkerung  ge- 
habt hat.  Was  Picenum  angeht,  so  blieb  ein  Theil  der  Land- 
schaft (Asculum)  auch  nach  der  Eroberung  im  Bundesverhält- 
niss  zu  Rom;  ein  Theil  des  Restes  wurde  zur  Gründung  der 
latinischen  Colonie  Firmum  verwendet,  und  die  unterworfenen 
Picenter  zum  Theil  nach  der  Küste  des  Golfs  von  Salerno  ver- 
pflanzt. Auch  ist  nicht  zu  vergessen,  dass  der  Krieg  gegen 
Pyrrhos  sehr  starke  Verluste  brachte,  die  in  der  Verminderung 
der  Bürgerzahl  zwischen  279  und  275  um  16000  Köpfe  ihren 
Ausdruck  finden;  zwischen  275  und  265  aber  fällt  die  Deduction 
der  latinischen  Colonien  Paestum,  Cosa,  Ariminum,  Beneventum, 
die  eine  weitere  Abnahme  der  Bürgerzahl  bringen  musste. 

Dass  am  Anfang  des  ersten  punischen  Krieges  nicht,  wie 
die  livianische  Epitome  angiebt,  382000  Bürger  gezählt  worden 
sein  können,  zeigt  ein  Blick  auf  die  vorangehenden  und  fol- 
genden Censussummen ; wir  hätten  weder  für  die  plötzliche 
Vermehrung,  noch  für  die  ebenso  plötzliche  Abnahme  eine  aus- 
reichende Erklärung.  Es  ist  also  klar,  dass  eins  der  drei  C 
hier  zu  streichen  ist;  zweifelhaft  bleibt  nur,  ob  wir  in  der  so 
emendirten  Zahl  der  Epitome  282  234,  oder  in  der  Zahl  Eutrops 
292334  die  echte  livianische  Ueberlieferung,  erkennen  sollen. 
Für  unseren  Zweck  kommt  freilich  kaum  etwas  darauf  an. 

Grössere  Schwierigkeiten  bieten  die  Zahlen  aus  der  Zeit 
des  ersten  punischen  Krieges.  Zwar  eine  Verminderung  der 


Plinius  bei  der  V.  Region  (Picenum)  macht  (III  110),  es  seien  360000 
Menschen  in  die  Gewalt  des  römischen  Volkes  gekommen?  Ist  doch  ein 
Theil  der  V.  Region  (Hatria  und  Umgegend)  schon  durch  M’  Curius  zu- 
gleich mit  dem  Sabinerlande  erobert  worden  (Florus  I 10,  mein  Ital. 
Bund  S.  54).  Eine  Gesammtbevölkerung  von  360000  würde,  mit  Zugrunde- 
legung des  Verhältnisses  von  1 : 4 (oben  S.  313  A.  4),  einer  Bürgerzahl  von 
90000  entsprechen. 


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346 


Capitel  VIII. 


Bürgerschaft  um  20—30000  Köpfe  zwischen  265  und  240 
hätte  nichts  auffallendes  in  einem  Kriege,  der  den  Römern  und 
ihren  Bundesgenossen  700  Kriegsschiffe  und  100000  Mann  ge- 
kostet hat;  hat  doch  der  Krieg  gegen  Hannibal  die  Bürgerliste 
um  gegen  60000  Köpfe  sinken  machen.  Aber  wenn  in  der 
Zeit  der  grössten  Verluste,  von  265  bis  251,  die  Bürgerschaft 
sich  um  5000,  oder  sogar  15000  Köpfe  vermehrt  haben  soll, 
um  dann  in  den  5 Jahren  von  251  bis  246  um  55000  zu 
fallen  und  in  den  nächsten  5 Jahren  wieder  um  20000  Köpfe 
zu  steigen,  so  suchen  wir  vergeblich  nach  einer  Erklärung  dieser 
Erscheinung,  Hier  bleibt  keine  andere  Möglichkeit,  als  dass 
die  Censussumme  für  252/1  verderbt  ist.  Auch  an  sich  erregt 
die  Zahl  Bedenken,  da  die  Tausender  einfach  mit  Vorgesetztem 
D wiederholt  werden:  CCXCVII  DCCXCV11.  Oder  vielmehr 
umgekehrt : die  Tausender  sind  verloren  gegangen,  und  aus  der 
Zahl  der  Einer  bis  Hunderter  ergänzt  worden.  Diese  Zahl  ist 
also  für  uns  ganz  werthlos.  Was  nun  die  Censussumme  für 
247/6  angeht,  so  ist  es  sehr  wahrscheinlich,  dass  hier  die  auf 
Sicilien  stehenden  Trappen,  soweit  die  Leute  nicht  mehr  in 
väterlicher  Gewalt  standen,  nicht  mitgezählt  sind.  Denn  die 
commissarische  Vernehmung  ausserhalb  Italiens  im  Staatsdienst 
abwesender  Bürger  beim  Census  scheint  erst  im  hannibalischen 
Kriege  üblich  geworden  zu  sein. 

Aus  der  Zeit  bis  zum  Ausgang  der  Republik  haben  wir 
folgende  Zahlen: 


Jahr  Lustrum  Censoren  civiutn  capita 

234'8  XL  C.  Atilius  Baibus 

A.  Postumius  Albinus 270  718 1 J 

209/8  XLIII  M.  Cornelius  Cethegus 

P.  Sempronius  Tuditanus 237  108  2) 

204/3  XLV  M.  Livius  Salinator 

C.  Claudius  Nero 214000*1 


»)  Liv.  EpÜ.  20:  CCLXX  ACCXIII-,  s.  Mommsen,  R.  Forsch.  II  S.398- 
2)  Liv.  27,  36:  CXXXVII  milia  CVIII,  minor  aliquanto  numerus 
quam  qui  ante  bellum  fuerat.  Die  Epitome  hat  dieselbe  Zahl,  lieber  die 
Emendation  s.  unten. 

*)  Liv.  29,  87 : lustrum  conditum  serius , quia  per  provincias  dimi- 


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Der  römische  Census. 


347 


Jahr 

Lustrum 

Gen soren 

civium  capita 

194/3 

XL  VII 

Sex.  Allius  Paetus 

C.  Cornelius  Gethegus 

. . . 243  704 ’) 

189/8 

XLVI1I 

T.  Quinctius  Flamininus 
M.  Claudius  Marcellus 

. . . 258318*) 

179/8 

L 

M.  Aemilius  Lepidus 
M.  Fulvius  Nobilior 

. . . 258794*) 

174/3 

LI 

Q.  Fulvius  Flaccus 
A.  Postumius  Albinus 

. . . 269015«) 

169/8 

LII 

C.  Claudius  Pülcher 

Ti.  Sempronius  Gracchus  . . . 

. . . 312805*) 

164/3 

LIII 

L.  Aemilius  Paullus 
Q.  Marcius  Philippus 

. . . 387452«) 

159/8 

Lim 

P.  Cornelius  Scipio  Xasica 
M.  Popillius  Laenas 

. . . 328  3161) 

1543 

LV 

M.  Valerius  Messalla 
C.  Cassius  Longinus 

serunt  censores,  tä  cicium  Romanorum  in  exercitibus,  quantus  ubique  esset, 
referretur  numerus.  censa  cum  iis  (JCX1V  milia  hominum.  Dieselbe 
Zahl  in  der  Epitome. 

*)  Liv.  35,  9:  CXLIU  milia  DCCI1II.  In  der  Epitome  fehlt  die 
Zahl.  Dass  bei  den  Tausendem  ein  C ausgefallen  ist,  hat  schon  Pighius 
gesehen. 

*)  Liv.  38,  36:  CCLVIII  milia  CCCXV11I.  Die  Epitome  lässt  die 
VI 11  am  Ende  aus,  und  giebt  also  CCLVIII  CCCX.  Vielleicht  richtig. 

*)  Bei  Livius  ist  der  Bericht  über  das  Lustram  ausgefallen.  Die  Epi- 
tonte  41  giebt  CCLVIII  DCCXCIIII,  nach  Zangemeisters  Collation  des  Naza- 
rianus  bei  Herzog  a.  a.  0.;  die  editio  Roinana  princeps  hat  CCLXI11  milia. 

*)  Liv.  42,  10:  censa  sunt  civium  Botnanorum  capita  CCLXV1I11 
milia  et  XV,  minor  aliquanto  numerus  quia  L.  Postumius  consul  pro 
contione  edixerat,  qui  socium  Latini  nominis  ex  edicto  C.  Claudii  consulis 
redire  in  civitates  suas  debuissent,  ne  quis  eorum  Bomae,  et  omnes  in  suis 
icvitatibus  censerentur.  Die  Epitome  hat  CCLXV II  CCXXXI-,  die  Varianten 
schlechter  Handschriften  können  nicht  in  Betracht  kommen. 

s)  Bei  Livius  ist  der  Bericht  Uber  das  Lustrum  ausgefallen.  Die 
Epitome  45  giebt  CCCXI1  DCCCV. 

«)  Liv.  Epit.  46 : CCCXXXVII  XXII.  Plut.  Paullus  38 : dmyqmpav- 

ro  . . . . uiqtddei  dvHqtanwv  TqiitxovTu  rijtis,  irt  f'  imtts.ioyiXioi  ut pn- 

xöaioi  Ti t vt qxovra  3vo  (—CCCXXXVII  CCCCLI1).  Die  Differenz  mit  der 
Epitome  ist,  wie  man  sieht,  sehr  unbedeutend;  ich  ziehe  die  grössere 
Zahl  vor. 

’)  Liv.  Epit.  47:  CCXXVIII  CCCXV1. 

*)  Liv.  Epit.  48:  CCCXXIlli. 


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348 

Capitel  VIII. 

Jahr 

Lustrum 

Censoren 

civium  capita 

147/6 

LVI 

L.  Cornelius  Lentulus  Lupus 
L.  Marcius  Censorinus 

. . 322000») 

1421 

LVII 

P.  Cornelius  Scipio  Africanus 
L.  Mummius 

. . 327442*) 

136/5 

LVIII 

Ap.  Claudius  Pülcher 

Q.  Fulvius  Nobilior 

. . 317933*) 

131/0 

LIX 

Q.  Caecilius  Metellus 

Q.  Pompeius 

. . 318823*) 

125  4 

LX 

Cn.  Servilius  Caepio 

L.  Cassius  Longinus 

. . 394736*) 

115'4 

LXII 

L.  Caecilius  Metellus 

Cn.  Domitius  Ahenobarbus 

. . 394336®) 

865 

LXVI 

L.  Marcius  Philippus 

M.  Perpema 

. . 463  000 7) 

70/69 

LXVTI 

Cn.  Cornelius  Lentulus  Clodianus 
L.  Gellius  Poplicola' 

. . 910  000 8) 

Seit  dem  Ende  des  ersten  punischen  Krieges  kann  an  der 
Echtheit  der  überlieferten  Censussunmien  kein  Zweifel  mehr 
sein.  Unsere  Kenntniss  der  römischen  Geschichte  geht  von 
jetzt  an  zurück  auf  gleichzeitige  Ueberlieferung ; und  da  Fabius 
Pictor  selbst  die  Censuszahl  des  Servius  Tullius  angegeben  hat, 
so  muss  er  auch  die  Ergebnisse  der  Zählungen  seiner  eigenen 
Zeit  in  sein  Werk  aufgenommen  haben.  In  der  That  ist  uns 
das  Resultat  des  Census  von  230/29  oder  225/4  aus  Fabius 
Pictor  erhalten9).  Auch  bilden  die  Censuszahlen  von  234/3  bis 
70/69  eine  in  sich  wohlgeschlossene  Reihe,  deren  einzelne  Glieder 


»)  Euseb.  Armen.  01.  158,  3:  myriades  XXX11  et  milia  II.  Ebenso 
Hieronymus  01.  158,  2 und  Prosper  Aquit  I 546  Rone. 

*)  Liv.  Epit.  54:  CCCXXVU  CCCCXLII. 

*)  Liv.  Epit.  56:  CCCXVU  DCCCCXXXI11. 

*)  Liv.  Epit.  59:  CCCXV1II  DCCCXX1II. 

*)  Liv.  Epit.  60:  CCCXCIII1  DCCXXXVI.  So  nach  Zangemeisters 
Collation  des  Nazarianus  bei  Herzog  a.  a.  0. 

®)  Liv.  Epit.  63:  CCCXCHII  CCCXXXVI. 

’)  Hieronymus  01.  173,  4:  CCCCLXIII  milia. 

8)  Phlegon  01.  177,  3 (=  70/60)  bei  Photios  Bibi.  cod.  97:  pv piddeg 
tvrivrixavTtt  xal  pfu.  Liv.  Epit.  98:  DCCCC,  s.  Mommsen  zu  Borghesi, 
Oeuvres  IV  S.  9 Anm.  1. 

9)  S.  unten  S.  353  ff. 


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Der  römische  Census. 


349 


gegenseitig  sich  stützen;  es  ist  undenkbar,  dass  eine  solche 
Urkunde  eine  Fälschung  sein  sollte. 

Aber  allerdings  steht  von  vornherein  zu  erwarten,  dass  es 
bei  der  handschriftlichen  Ueberlieferung  so  vieler  Zahlen  im 
einzelnen  nicht  ohne  Verderbnisse  abgegangen  ist,  um  so  mehr 
als  uns  für  die  Kenntniss  der  Censusliste  durchweg  nur 
Quellen  zweiter  oder  dritter  Hand  zu  Gebote  stehen.  Soweit 
es  sich  dabei  um  wenige  Hunderte  oder  Tausende  von  Köpfen 
handelt,  sind  diese  Fehler  für  uns  in  der  Regel  nicht  mehr 
erkennbar;  es  kommt  auch  weiter  nicht  so  viel  darauf  an. 
Wir  können  hier  nichts  thun,  als  der  Lesart  der  besten  Hand- 
schriften folgen.  Sowie  der  Fehler  aber  grösser  wird  und  in 
die  Zehntausende  oder  gar  Hunderttausende  steigt,  sind  wir 
meist  auch  im  Stande,  ihn  nachzuweisen,  mag  auch  nicht  immer 
eine  evidente  Emendation  möglich  sein. 

So  beträgt  die  überlieferte  Hauptsumme  des  Census  von 
209/8  CXXX  VII  CV11I.  Der  letzte  Census  vor  dem  Kriege, 
dessen  Ergebniss  wir  kennen,  hatte  270713  ergeben;  der 
Census  von  204  3 ergab  wieder  214000  Köpfe.  Es  ist  ebenso 
undenkbar,  dass  sich  die  Bürgerschaft  durch  die  Verluste  der 
Jahre  218—210  um  die  Hälfte  ihres  Bestandes  vermindert, 
wie  dass  sie  in  den  fünf  Kriegsjahren  von  208  bis  204  um  77  000 
Köpfe  sich  vermehrt  haben  sollte.  Man  pflegt  zur  Erklärung 
darauf  hinzuweisen,  dass,  wie  Livius  angiebt,  die  Censoren 
von  204/3  in  die  Provinzen  geschickt  hätten,  um  die  dort  bei 
den  Heeren  stehenden  römischen  Bürger  commissarisch  ver- 
nehmen zu  lassen1).  Aber  daraus  folgt  doch  noch  nicht,  dass 
die  Censoren  des  vorhergehenden  Lustrum  nicht  dasselbe  ge- 
than  haben2).  Wollen  wir  aber  selbst  dieses  argumentum  ex 
silentio  gelten  lassen,  so  standen  doch  im  Jahre  209  in  de 
Provinzen  nicht  mehr  als  8 keineswegs  vollzählige  Legionen, 
so  dass  das  Effectiv  der  römischen  Bürgertruppen  dort,  selbst 
einschliesslich  der  Flotten,  kaum  mehr  als  40000  Mann  be- 
tragen haben  kann.  Und  davon  mussten  sehr  viele  noch 


*)  Liv.  29,  37 ; s.  oben  S.  846  Anm.  8. 

*)  Das  macht  mit  Recht  geltend  Herzog,  Comment.  Momms.  S.  138. 


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850 


Capitel  VIII. 


in  väterlicher  Gewalt  stehen  und  hatten  also  persönlich  gar 
keine  Declarationen  zu  machen.  Wir  sehen,  dieser  Grund 
reicht  bei  weitem  nicht  aus  zur  Erklärung  der  für  209/8  über- 
lieferten Censuszahl.  Und  wenn  Livius  dazu  bemerkt:  minor 
aliquanto  numerus  quam  qui  ante  bellum  fuerat,  so  wäre  diese 
Bemerkung  doch  sehr  eigentümlich , im  Falle  die  Verminde- 
rung wirklich  die  volle  Hälfte  betragen  hätte.  Der  Verfasser 
der  Epitome  hat  das  auch  sehr  wohl  gefühlt  und  deshalb  aus 
eigenen  Mitteln  hinzugefügt : ex  quo  mmero  apparuit , quantum 
hominum  tot  proeliorum  adversa  fortuna  populo  Romano  abs- 
tulisset.  Es  wird  also  kaum  etwas  anderes  übrig  bleiben,  als 
die  Annahme,  dass  auch  hier,  wie  noch  manchmal  sonst  in  un- 
serer Liste,  am  Anfang  ein  C ausgefallen  ist,  und  gelesen 
werden  muss:  CCXXXVI1  milia.  Die  Conuptel  ist  freilich 
sehr  alt,  da  bereits  der  Verfasser  der  Epitome  sie  in  seinem 
Exemplar  gefunden  hat;  mag  sie  nun  auf  einen  Schreibfehler 
Livius’  selbst  zurückgehen,  oder  Correctur  eines  Lesers  sein, 
dem  die  Abnahme  von  33  000  Köpfen  zwischen  234  3 und  209/8 
mit  den  Verlusten  des  hannibalisehen  Krieges  ausser  Verhält- 
niss  zu  stehen  schien.  Und  allerdings  erscheint  diese  Abnahme 
auf  den  ersten  Blick  zu  niedrig  gegenüber  einer  Verminderung 
um  23000  zwischen  208  und  203.  Indess  ist  nicht  zu  ver- 
gessen, dass  die  15  Jahre  von  233 — 218  eine  Vermehrung  um 
10 — 20000  Köpfe  gebracht  haben  können  und  werden,  und 
dass  den  Verlusten  im  Kriege  gegen  Hannibal  sehr  zahlreiche 
Freilassungen  gegenüberstehen. 

In  ganz  derselben  Weise  ist  auch  die  Censuszahl  für  194/3 
durch  Auslassung  eines  C am  Anfang  verderbt  worden.  Der 
Census  von  204/3  hat  214000,  der  von  189/8  258318  Bürger 
ergeben,  und  seitdem  hat  sich  die  Censuszahl  beständig  auf 
über  250000  gehalten.  Es  ist  evident,  dass  der  Census  von 
194/3  nicht,  wie  überliefert  wird,  143  704  exgeben  haben  kann. 
Schon  Pighius  hat  denn  auch  die  Corruptel  verbessert. 

Aus  anderen  Gründen  verdächtig  ist  die  Zahl  für  179/8: 
258  794;  sie  ist  nämlich  in  den  Tausenden  die  einfache  Wieder- 
holung der  voihergehenden  Censuszahl  258318.  Der  Verdacht 
wird  bestätigt  durch  den  Bericht  des  Livius  über  das  folgende 


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Der  römische  Censiis. 


351 


Lustrum  1 74/3.  Dieser  Census  ergab  269015  Bürger,  eine 
kleine  Verminderung  der  Zahl  (minor  aliquant o numerus),  wie 
Livius  hinzusetzt , weil  die  Censoren  alle  Latiner  ausschlossen, 
die  sich  während  der  letzten  Jahre  unrechtmässiger  Weise  in 
das  Bürgerrecht  eingedrftngt  hatten.  Der  Census  von  179/8 
muss  also  mehr  als  269  000,  etwa  280 — 290  000  Köpfe  ergeben 
haben.  Dies  würde,  im  Verhältniss  zu  dem  Ergebniss  von 
1 89/8,  der  durchschnittlichen  jährlichen  Vennehrung  der  Bürger- 
schaft in  diesem  Zeiträume  (etwa  3000  Köpfe)  entsprechen. 
Wenn  in  den  5 Jahren  von  174/3  bis  169/8  die  Bürgerliste 
eine  Steigerung  um  43  790  Köpfe  aufweist,  so  wird  der  Grund 
hauptsächlich  darin  zu  suchen  sein,  dass  die  Censoren  dieses 
Lustrums  — der  eine  war  der  Vater  der  Gracchen , der  andere 
der  Oheim  von  Ti.  Gracchus’  Schwiegervater  und  Gesinnungs- 
genossen Ap.  Claudius  Pülcher  — den  Latinern  gegenüber  ein 
Auge  zudrückten. 

Von  jetzt  an  bietet  die  überlieferte  Liste  bis  zum  Census 
von  125/4  keinen  Anlass  mehr  zu  Verdacht.  Um  so  mehr  ist 
das  der  Fall  mit  dem  Ergebnisse  dieses  und  des  zweitfolgen- 
den Lustrums,  115/4.  Die  beiden  Zahlen  stimmen  nämlich 
genau  mit  einander  überein,  nur  dass  in  der  zweiten  statt 
eines  D ein  C gelesen  wird  ( CCCXCIllI  DCCXXXV1  und 
CCCXC11I1  CCCXXXVI).  Es  ist  also  zweifellos  die  eine  aus 
der  anderen  einfach  wiederholt.  Aber  es  ist  sehr  leicht  mög- 
lich, dass  beide  verderbt  sind.  Die  Bürgerzahl  war  seit  dem 
Jahre  163  stationär  geblieben  oder  zeigte  eher  eine  Tendenz 
zur  Abnahme.  Es  ist  also  klar,  dass  sie  in  den  6 Jahren  von 
130  bis  124,  oder  auch  in  den  16  Jahren  von  130  bis  114, 
durch  natürlichen  Zuwachs  nicht  um  76000  Köpfe  sich  ver- 
mehrt haben  kann.  Und  es  ist  sehr  unwahrscheinlich,  dass  in 
dieser  Zeit  eine  Aufnahme  von  Bundesgemeinden  in  den  römi- 
schen Bürgerverband  in  grösserem  Maassstabe  erfolgt  sein 
sollte1).  Unsere  Ueberlieferung  schweigt  vollständig  darüber, 
und  es  würde  sehr  schwer  halten,  die  Städte  namhaft  ’zu 
machen,  auf  die  eine  solche  Maassregel  sich  erstreckt  haben 


»)  Wie  Lange  will,  R.  Altertli.  III  S.  27  f. 


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352 


Capitel  VIII. 


könnte.  Denn  gerade  die  latinischen  Colonien,  die  den  meisten 
Anspruch  «auf  die  Ertheilung  der  Civitilt  hatten,  sind,  so  \iel 
wir  sehen,  bis  auf  den  Socialkrieg  in  ihrer  Stellung  geblieben 1). 
Es  bleibt  also  nur  die  gleichfalls  sehr  missliche  Annahme,  dass 
man  in  dieser  Zeit  die  untere  Altersgrenze  für  die  in  die 
Hauptsumme  aufzunehmenden  Bürger  herabgesetzt  habe.  Sonst 
müssen  die  Zahlen  verderbt  sein.  Die  Aufnahmen  seit  168 
hatten  ohne  Ausnahme  über  300000  Köpfe  ergeben;  betrug 
nun  das  Resultat  des  Census  von  125/4  oder  115  4 nur 
294  736,  also  gegenüber  dem  Census  von  13130  eine  Ab- 
nahme von  24  000,  so  lag  gerade  hier  die  Gefahr  einer  falschen 
Correctur  durch  Hinzufügen  eines  C am  Anfang  besonders  nahe. 
Es  wäre  «also  sehr  unvorsichtig,  diese  Censusz«ahlen  irgendwie 
historisch  verwerthen  zu  wollen. 

Nach  der  entgegengesetzten  Seite  hin,  aber  aus  ähnlichem 
Grunde,  ist  die  Censuszahl  für  70/69  und  wahrscheinlich  auch 
die  für  86  5 corrumpirt  worden.  In  Folge  der  Ertheilung  der 
Civität  an  die  italischen  Bundesgenossen  hatte  sich  die  römische 
Bürgerzahl  mehr  als  verdoppelt,  und  dem  entsprechend  stiegen 
die  Censuszahlen.  Die  meisten  Abschreiber  und  die  eisten 
Herausgeber  der  livianischen  Epitome  aber  vermochten  sich 
dieses  plötzliche  Steigen  nicht  zu  erklären,  und  haben  so  das 
Ergebniss  des  Census_von  70/69:  DCCCC  (so  der  Nazarianus) 
mit  Auslassung  des  D am  Anfang  in  CCCCL  corrumpirt.  In 
ähnlicher  Weise  wird  bei  der  Zahl  des  Hieronymus  (hier  un- 
serer einzigen  Quelle)  für  das  Ergebniss  des  Census  von  86/5 
CCCCLX11I  müia  ein  Z)  ausgefallen  sein.  Was  nun  den  Cen- 
sus von  70/69  angeht,  so  ist  klar,  dass  er  nicht  gerade  900000 
Köpfe  ergeben  habeu  wird;  offenbar  sind  die  niederen  Stellen 
der  Zahl  im  Nazarianus  ausgefallen,  wie  denn  Phlegon  91  My- 
riaden als  Resultat  giebt.  Die  Abmahme  um  53000  seit  85 
wäre  die  Folge  des  Sullanischen  Bürgerkrieges. 


')  Venusia  hat  sich  bekanntlich  am  Aufstand  betheiligt,  Spoletium 
war  latinische  Colonie  zur  Zeit  von  Marius’  kimbrischem  Siege  (Cic.  f.  Com. 
Baibus  21,  48). 


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Der  römische  Census. 


353 


ä.  Die  formula  togatorum. 

Die  römischen  Censuszahlen  umfassen,  wie  bekannt,  erst 
seit  dem  Socialkrieg  die  bürgerliche  Bevölkerung  der  ganzen 
italischen  Halbinsel.  Bis  dahin  hatten  die  Bundesstaaten  und 
latinisehen  Colonien  ihren  eigenen,  vom  römischen  unabhängigen 
Census.  Aber  die  Verpflichtung  der  Latiner  und  Bundesgenossen, 
im  Kriegsfall  zu  den  römischen  Heeren  ihre  Truppencontingente 
zu  stellen , brachte  es  mit  sich  , dass  der  führende  Staat  in 
irgend  einer  Weise  über  die  militärische  Leistungsfähigkeit 
auch  der  nichtrömischen  Gemeinden  Italiens  unterrichtet  sein 
musste.  Nach  der  jetzt  herrschenden  Ansicht  wäre  das  Maxi- 
mum der  von  jedem  Staate  zu  fordernden  Truppenzahl  ein  für 
allemal  in  den  Bundesverträgen  fixirt  gewesen1).  Indess  die 
Ueberlieferung  bestätigt  diese  Annahme  keineswegs.  Nicht  nur 
in  dem  Texte  des  rassischen  foedus,  der,  wennschon  vielleicht 
nicht  authentisch,  so  doch  jedenfalls  nach  dem  Muster  wirklich 
geschlossener  foedera  entworfen  ist,  sondern  auch  in  dem  un- 
zweifelhaft echten  Bundesvertrage  mit  Aetolien  fehlt  jede  Be- 
stimmung über  die  Höhe  des  zu  leistenden  Contingents.  Der 
cassische  Vertrag,  ein  foedus  aequum,  setzt  fest,  dass  beide 
Theile  einander  im  Kriegsfall  „mit  ganzer  Macht“  zu  Hülfe 
kommen  sollen2);  der  Vertrag  mit  Aetolien,  ein  ungleiches 
Bündniss,  bestimmt,  dass  Aetolien  gegen  alle  Feinde  Roms 
Krieg  führen  soll8).  Nur  wenn  es  sich  um  Leistungen  zur  See 
handelt,  enthielten  die  Bundesverträge  speciellere  Bestimmun- 
gen. So  setzt  der  im  Jahre  211  abgeschlossene  erste  Vertrag 
mit  Aetolien  fest,  dass  die  Römer  gehalten  sein  sollten,  die 
Aetoler  während  des  Krieges  gegen  Philippos  mit  25  Penteren 
zu  unterstützen4);  und  in  ähnlicher  Weise  verpflichtete  das  264 
abgeschlossene  foedus  mit  Messana  diese  Stadt,  den  Römern 
zu  jedem  Kriege  eine  Bireme  zu  stellen5).  Der  Grund  dafür 

’)  Mommsen,  R.  F.  II  S.  398;  mein  Ital.  Bund  S.  202  f. 

*)  Dionysios  VI  95. 

*)  Polyb.  22,  13  und  daraus  Liv.  38,  11. 

*)  Liv.  26,  24. 

»)  Cic.  Verr.  V 19,  50  f. 

Beloeb,  Bevolkernngjlehro.  I.  23 


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354 


Capitel  VIII. 


liest  auf  der  Hand.  Die  Leistungsfähigkeit  eines  Staates  zu 
Lande  hängt  in  letzter  Linie  von  seiner  Bevölkerung  ah  und 
wird  sich  mit  dem  Wachsen  oder  Abnehmen  der  Bürgerzahl 
vergrössern  oder  vermindern;  die  Leistungsfähigkeit  zur  See 
aber  ist  zunächst  bedingt  von  dem  finanziellen  Aufwande,  den 
ein  Staat  für  seine  Flotte  zu  machen  gewillt  ist.  Hätten  die 
foedera  keine  Bestimmungen  über  die  Höhe  der  Flottencontin- 
gente  enthalten,  so  würden  die  Bundesstaaten  einfach  ihre  Ma- 
rine haben  verfallen  lassen,  da  sie  ja  in  ihren  Handelsinteressen 
durch  die  römische  Flotte  geschützt  waren. 

Indess  je  weiter  die  römische  Herrschaft  sich  ausdehnte, 
desto  unabweisbarer  musste  die  Nothwendigkeit  sich  geltend 
machen,  auch  die  Verpflichtung  der  Bundesgenossen  zum  Land- 
dienst in  vertragsmässiger  Weise  zu  regeln.  Ein  gleichzeitiges 
Aufgebot  der  gesammten  waffenfähigen  Mannschaft  in  allen 
Bundesstaaten  war  seit  der  Einigung  Italiens  nahezu  eine  Un- 
möglichkeit; Rom  forderte  für  gewöhnlich  nur  einen  Bruch- 
theil  der  Contingente,  die  es  nach  den  Verträgen  zu  for- 
dern berechtigt  war.  Es  lag  im  Interesse  des  führenden 
Staates  ebenso  sehr  wie  der  Bundesgenossen,  die  Last  mög- 
lichst gleichmässig  zu  vertheilen.  Den  einzigen  gerechten 
Maassstab  dafür  bildete  die  Zahl  der  zum  Heerdienst  taug- 
lichen Mannschaften,  der  iuniores\  und  es  ist  ausdrücklich  be- 
zeugt, dass  die  Aushebung  der  Bundescontingente  im  Jahre 
193  wirklich  nach  diesem  Maassstabe  vorgenommen  worden 
ist1).  Ebenso  erliess  die  römische  Regierung  beim  Ausbruch 
des  gallischen  Krieges  225  an  alle  Bundesstaaten  den  Befehl, 
die  Verzeichnisse  ihrer  wehrfähigen  Mannschaft  einzusenden2), 
was  nur  dann  einen  Zweck  hatte,  wenn  man  die  Einforderung 
der  Contingente  danach  bemessen  wollte. 

Es  ist  also  in  Rom  eine  Liste  geführt  worden,  auf  der 
sämmtliche  Bundesstaaten  mit  der  Zahl  ihrer  waffenfähigen 
Mannschaft  verzeichnet  standen:  die  formula  togaiorum , wie 

»)  Liv.  34,  56. 

!)  Polyb.  II  23,  9 (aus  Fabius):  xu&6).ov  <f<  tois  vnoTtTayufrots 
ivaiffijav  tn(Ta{av  unoyntufctg  t<üv  tv  reut  i)hx(cug,  anovääZovrts  tl- 
litvai  tö  ovunttY  7i krj&os  Trjt  vTiaoyovo^g  aVToig  Ji/iciufoig. 


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Der  römische  Census. 


355 


sie  amtlich  bezeichnet  wird.  Die  Feststellung  dieser  Heeres- 
matrikel musste  natürlich  eine  Operation  sehr  complicirter 
Katar  sein.  Sie  basirte  allerdings  auf  den  Ergebnissen  der 
Censusaufnahmen  in  den  Einzelstaaten;  da  aber  der  Census  in 
allen  Bundesgemeinden  und  latinischen  Colonien  wenigstens  bis 
auf  die  Zeit  des  hannibalischen  Krieges  in  völlig  autonomer 
Weise  und  ohne  jede  Controle  römischerseits  gehalten  wurde1), 
so  Hessen  sich  diese  Ergebnisse  keineswegs  ohne  weiteres  zur 
Matrikel  zusammenstellen.  Auch  wissen  wir  nicht,  wie  weit 
dabei  neben  der  Volkszahl  noch  andere  Momente  in  Betracht 
kamen,  z.  B.  das  mehr  oder  weniger  günstige  foedus:  und  es 
kann  sehr  wohl  sein,  dass  die  latinischen  Colonien  verhältnissmässig 
stärker  herangezogen  wurden  als  die  Bundesstaaten.  Pis  müssen 
lange  Verhandlungen  und  mannigfache  Compromisse  erforder- 
lich gewesen  sein.  Und  nicht  minder  schwer  musste  es  sein, 
die  einmal  aufgestellte  Heeresmatrikel  zu  ändern,  da  jede  Ent- 
lastung des  einen  Staates  eine  Mehrbelastung  aller  anderen 
mit  sich  brachte.  Man  hat  sich  denn  auch  nur  sehr  ungern 
zu  Aenderungen  in  dieser  Beziehung  entschlossen.  So  führen 
im  Jahre  177  die  Samniten  und  Paeligner  in  Itom  Beschwerde, 
es  seien  4000  ihrer  Bürger  nach  Fregellae  ausgewandert,  ohne 
dass  deswegen  ihre  Contingente  vermindert  oder  das  fregella- 
nische  Contingent  erhöht  worden  wäre.  Und  es  scheint  nicht, 
dass  der  Senat  eine  andere  Abhülfe  wusste,  als  die  Auswan- 
derer zur  Rückkehr  in  die  Heimath  zu  nöthigen2). 

Vielleicht  die  erste  Feststellung,  oder  wenn  nicht,  jeden- 
falls eine  neue  Regulirung  der  Heeresmatrikel  ist  im  gallischen 
Kriege  225  erfolgt.  Das  Ergebniss  derselben,  zugleich  mit  An- 
gaben über  die  römische  Bürgerzahl  und  die  gegen  die  Gallier 
aufgestellten  activen  Streitkräfte  hat  uns  Polybios  aufbewahrt8), 
der  hier,  wie  wir  gleich  sehen  werden,  aus  Fabius  Pictor  ge- 
schöpft hat.  Das  polybianisehe  Verzeichniss  wird  dadurch  zu 


l)  Vgl.  Livius  29,  87. 

!)  Liv.  41,8. 

»)  Polyb.  II  24. 

28* 


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356 


Capitel  VIII. 


einer  unserer  werthvollsten  Quellen  für  die  Bevölkerungs- 
statistik des  alten  Italien1). 

Die  römische  Feldarmee  war  in  folgender  Weise  zusammen- 


gesetzt : 

Fu>wvolk 

Reiterei 

zusammen 

Zwei  consularische  Heere,  4 Legionen  zu  5200 
Mann  und  300  Pferden 

20  800 

1200 

22000 

Bundesgenössische  Contingeute  dazu  . . . 

30000 

2000 

32000 

Mobilisirtes  Aufgebot  der  Etrusker  und  Sa- 
biner   über 

50000 

4000 

54000 

Aufgebot  der  Umbrer  und  SarBinaten  . . . 

20  000 

— 

20000 

Aufgebot  der  Veneter  und  Cenomanen.  . . 

20  000 

— 

20000 

Zwei  Legionen  in  Tarent  und  Sicilien . . . 

8400 

400 

8800 

149  200 

7600 

156800 

Die  zum  Schutze  der  Hauptstadt  aufgestellte 

Reserve 

betrug : 

Fassvolk 

Reiterei 

zusammen 

Vier  Bürgerlegionen 

20000 

1500 

21500 

Bundescontingente  dazu 

30000 

2000 

32000 

50000 

3500 

53500 

In  den  Listen  standen  verzeichnet: 

Fassvolk 

Reiterei 

zusammen 

Latiner 

80000 

5000 

85000 

Samniten 

70000 

7000 

77000 

Japyger  und  Messapier 

50  000 

16000 

66000 

Lueaner 

30000 

3000 

33000 

Marser,  Marruciner,  Frentaner,  Vestiner . . 

20000 

4000 

24000 

Römer  und  Campaner gegen 

250000 

23000 

273000 

500000 

58000 

558000 

Die  Gesammtsuuune  der  einzelnen  Posten  ergiebt  699200 
Mann  zu  Fuss,  69100  Reiter,  im  ganzen  768300  Mann.  Po- 
lybios giebt  statt  dessen  „über  700000  Mann  zu  Fuss  und 
gegen  70000  Reiter“.  Und  zwar  hat  er  diese  Summe  bereits 
in  seiner  Quelle  vorgefunden.  Denn  bei  Diodoros,  der  in  der 


*)  Ich  folge  in  der  Anordnung  des  Verzeichnisses  im  wesentlichen 
Mommsen,  Ii.  F.  II  S.  386  f. 


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Der  römische  Census. 


357 


Beschreibung  des  keltischen  Krieges  von  Polybios  unabhängig 
ist,  finden  sich  dieselben  Zahlen1).  Plinius,  der  aus  Valerius 
Antias  geschöpft  zu  haben  scheint,  hat  700000  Mann  zu  Fuss 
und  80000  Reiter2).  Die  Epitome  des  Livius,  ebenso  wie 
Eutrop  und  Orosius,  die  gleichfalls  aus  Livius  schöpfen,  geben 
800000  Mann8),  von  denen  nach  Orosius  348200  Mann  zu 
Fuss  und  26600  Reiter  von  den  Römern  und  Campanem  ge- 
stellt wurden.  Wie  Eutrop  und  Orosius  ausdrücklich  hervor- 
lieben,  berief  sich  Livius  für  diese  Zahlen  auf  Fabius  Pictor; 
es  kann  also  kein  Zweifel  sein,  dass  auch  die  Angaben  bei 
Polybios,  Diodor  und  Plinius,  direct  oder  indirect,  auf  dieselbe 
Quelle  zurückgehen 4). 

Die  annähernde  Uebereinstimmung  der  überlieferten  Ge- 
sammtzahl  mit  der  Summe  der  einzelnen  Posten  des  polybia- 
nischen  Verzeichnisses  beweist  einerseits,  dass  uns  dieses  Ver- 
zeichniss in  der  Hauptsache  noch  so  vorliegt,  wie  es  Fabius 
gegeben  hat.  Andererseits  aber  zeigt  ein  Blick  auf  die  Liste, 
dass  im  einzelnen  manche  Corruptelen  sich  eingeschlichen 
haben,  was  ja  bei  einer  so  grossen  Menge  von  Zahlen  nicht 
anders  zu  erwarten  ist.  Es  fällt  zunächst  auf,  dass  zu  den 
beiden  Legionen  in  Tarent  und  Sicilien  keine  Bundescontin- 
gente  gehört  haben  sollen.  Doch  ist  es  möglich,  dass  man 
damals  in  Friedenszeiten  nur  römische  Bürgertruppen  zu  Be- 
satzungszwecken verwendete.  Wichtiger  ist  das  Fehlen  der 
Brettier  und  der  italischen  Griechenstädte.  Man  hat  allerdings 


*)  I>iod.  XXV'  13.  Man  braucht  nur  dieses  Capitel  durchzulesen,  um 
sich  von  der  Richtigkeit  des  gesagten  zu  überzeugen.  Diodor  giebt  die 
Stärke  der  Kelten  zu  200000  Mann  an,  Polybios  (II  23,  4)  zu  70000; 
Diodor  weiss  von  3 Schlachten,  Polybios  nur  von  2;  bei  Diodor  fällt  der 
Consul  C.  Atilius  in  der  zweiten,  für  die  Römer  imglücklichen  Schlacht, 
bei  Polybios  in  der  letzten,  wo  die  Gallier  geschlagen  werden.  Liegt  nun 
der  Erzählung  bei  Polybios,  wie  wohl  unzweifelhaft,  Fabius  zu  Gmnde,  so 
muss  Diodore  Quelle  jünger  sein;  ihr  Verfasser  hat  aber  offenbar  Fabius 
vor  Augen  gehabt,  und  ihm  die  Angabe  über  die  römischen  Streitkräfte 
entnommen. 

*)  Plin.  H.  N.  UI  138;  vgl.  Mommsen,  B.  F.  II  S.  383. 

*)  Liv.  Epit.  20;  Eutrop.  III  5;  Orosius  IV  13. 

*)  Mommsen,  E.  F.  II  S.  383  f. 


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358 


Capitel  VIII. 


gemeint,  die  Brettier  seien  unter  den  Lucanern  einbegriffen 
und  die  italischen  Griechen  überhaupt  vom  Landdienste  frei 
gewesen1).  Indess  fehlt  nicht  nur  für  letztere  Annahme  jeder 
Anhalt  — war  doch  das  foeclus  von  Taras  z.  B.  besonders  un- 
günstig — , sondern  sie  wird  auch  durch  directe  Zeugnisse 
widerlegt2).  Und  was  die  Brettier  angeht,  so  ist  ihre  Ein- 
rechnung bei  den  Lucanern  aus  statistischen  Gründen  sehr  un- 
wahrscheinlich3).  Brettien  hat,  den  Parallelkreis  von  39“  50' 
als  Nordgrenze  angenommen,  einen  Flächenraum  von  13846,7 
qkm4);  Lucanien  wird  ungefähr  dieselbe  Ausdehnung  haben. 
Eine  Zahl  von  33000  in  der  formula  togatorum  verzeichneten 
Waffenfähigen  entspricht,  wie  unten  gezeigt  werden  wird,  einer 
freien  Gesammtbevölkerung  von  etwa  150000;  das  ergäbe, 
wenn  wir  die  Zahl  auf  Lucanien  und  Brettien  zusammen 
beziehen,  5,5  auf  1 qkm.  Rechnen  wir  auch  einige  Tausend 
qkm  für  die  Gebiete  der  griechischen  Städte  ab,  so  wird  das 
Verhältniss  kein  wesentlich  anderes.  Wir  haben  Mühe,  eine 
so  geringe  Volkszahl  für  glaublich  zu  halten  in  einem  alten 
Culturiand,  das  zwischen  dem  dicht  bevölkerten  Sicilien  und 
dem  dicht  bevölkerten  Campanien  und  Samnium  in  der  Mitte 
liegt.  In  dem  benachbarten  Japygien  kommen  nach  unserer 
Liste  etwa  14  freie  Einwohner  auf  1 qkm;  in  dem  römischen 
Gebiete  etwa  35.  Selbst  wenn  wir  die  Zahl  von  33  000  Waffen- 
fähigen auf  Lucanien  allein  beziehen,  ergiebt  sich  eine  Dichtig- 
keit von  nur  12 — 13  auf  1 qkm,  also  noch  immer  eine  sehr 
dünne  Bevölkerung. 

Es  kann  sein,  dass  die  Brettier  und  italischen  Griechen 
nur  durch  Schuld  der  Abschreiber  oder  vielleicht  des  Polybios 
ausgefallen  sind;  die  Hauptsumme  ist  so  rund,  dass  für  einige 
Tausend  Reiter  und  einige  Myriaden  Fussvolk  mehr  bei  den 
Einzelposten  Spielraum  bleibt.  Noch  wahrscheinlicher  ist  es 
aber,  dass  die  Bürger  der  Griechenstädte  und  die  halb  helleni- 

*)  Mommsen,  R.  F.  II  894  f. 

ä)  Liv.  24,  13. 

8)  Vgl.  Wietersheim,  Völkerwanderung  I1  S.  197. 

4)  Nach  der  planimetrischen  Berechnung  des  italienischen  militär- 
geographischen Instituts. 


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Der  römische  Census. 


359 


sirten  Brettier  überhaupt  nicht  als  zu  den  Togainännem  ge- 
hörig betrachtet  wurden,  sowenig  wie  die  Unterthanen  in  Si- 
cilien,  die  ja  bei  Fabius  ebenfalls  fehlen.  Erinneni  wir  uns, 
dass  Tarent  mit  Brettien  noch  lange  Zeit  nach  dem  hannibali- 
schen  Kriege  einen  eigenen  Verwaltungsbezirk  gebildet  hat  und 
dass  in  der  Zeit,  auf  die  sich  unser  Verzeichniss  bezieht,  hier 
allein  in  Italien  eine  römische  Legion  als  Besatzung  lag. 

Dagegen  beruht  es  offenbar  auf  einem  einfachen  Versehen, 
wenn  unsere  Liste,  die  sonst  immer  Reiterei  und  Fussvolk 
sorgfältig  auseinander  hält,  die  Contingente  der  Umbrer  und 
Trauspadaner  durch  je  eine  einzige  Zahl  ausdrückt.  Die  An- 
nahme wird  kaum  zu  umgehen  sein,  dass  die  Angaben  über 
die  Stärke  der  Reiterei  hier  ausgefallen  sind1).  Die  Umbrer 
und  Sarsinaten  mögen  nach  dem  Verhältniss  bei  den  übrigen 
italischen  Contingenten  gegen  2000  Reiter  gezählt  haben;  die 
Veneter  und  Cenomanen  wahrscheinlich  beträchtlich  mehr. 
Denn  ihre  Nachbarn,  die  Boier  und  Insubrcr,  hatten  bei  ihrem 
Marsch  auf  Rom  225  neben  50000  Mann  zu  Fuss  20000 
Reiter2).  Nach  diesem  Verhältniss  würden  für  die  Veneter 
und  Cenomanen  etwa  8000  Reiter  anzunehmen  sein;  unter 
4 — 5000  werden  wir  kaum  herabgehen  dürfen3). 

Wir  erhalten  damit  eine  Reiterzahl,  die  ln  jedem  Falle 
über  die  „gegen  70  000“  der  polybianischen  Summe  weit  hinaus- 
geht und  80000  Mann  nahe  gekommen  sein  mag.  Nun  steht 
es  durch  das  übereinstimmende  Zeugniss  des  Polybios  und 
Diodor  ausser  Zweifel,  dass  Fabius  nur  von  70000  Reitern 
gesprochen  hat.  Es  muss  demnach  irgendwo  in  den  Einzel- 
angaben unserer  Liste  ein  Fehler  stecken.  Und  wir  brauchen 
nicht  lange  zu  suchen.  Dass  Apulien  neben  50000  Mann  zu 
Fuss  16000  Reiter  gestellt  haben  soll,  also  ein  Viertel  seines 
Contingentes,  ist  schwer  zu  glauben.  Das  Contingent  von  Arpi 
in  der  Schlacht  bei  Ausculum  wird  auf  4000  Mann  zu  Fuss 
und  400  Reiter  angegeben4);  Campanien,  wo  die  Verhältnisse 

')  Mommsen,  II.  F.  II  S.  388. 

*)  Polyb.  II  23,  4 (nach  Fabius). 

*)  Mommsen  a.  a.  0. 

4)  Dionys.  XX  3. 


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360 


Capitel  VIII. 


sehr  ähnlich  lagen,  stellte  neben  30000  Mann  zu  Fuss  nur 
4000  Reiter1).  Ich  halte  es  demnach  für  unzweifelhaft,  dass 
Apulien  nicht  16000,  sondern  nur  6000  Reiter  gestellt  hat; 
das  Verhältniss  der  Reiterei  zum  Fussvolk  bleibt  auch  dann 
noch  ein  höheres,  als  in  irgend  einer  andern  italischen  Land- 
schaft. 

So -erklärt  sich  auch  die  Zahl  von  80000  Reitern,  die 
Fliuius  bietet.  Sein  Gewährsmann  hat  offenbar  sich  die  Mühe 
genommen,  Fabius  durch  eine  Addition  der  Einzelposteu  zu 
controliren ; und  da  er  in  seinem  Exemplar,  ebenso  wie  Poly- 
bios, die  Reiterei  Apuliens  um  10000  Mann  zu  hoch  ver- 
zeichnet fand,  so  ergab  sich  ihm  natürlich  eine  um  ebensoviel 
höhere  Gesam mtsumme. 

Fast  noch  unglaublicher,  als  die  Angabe  über  die  Reiter- 
zahl Apuliens,  scheint  es,  dass  die  Bergvölker  der  Abruzzen, 
die  Marser,  Vestiner,  Marruciner,  Frentaner,  [Paeligner,]  neben 
20000  Mann  Fussvolk  4000  Reiter  gestellt  haben  sollen,  also 
Vs  ihrer  Gesammtzahl.  Doch  liegt  der  Fehler  hier  vielleicht 
in  der  Zahl  der  Fusstruppen ; denn  für  ein  so  grosses  (ca.  7000 
qkm)  und  im  Alterthum  dicht  bewohntes  Gebiet2)  wären  etwa 
20000  Waffenfähige  oder  gegen  100000  freie  Einwohner  auf- 
fallend wenig.  Denn  von  einer  nennenswerthen  Sklaven- 
zahl kann  hier  in  Hannibals  Zeit  doch  wohl  kaum  die  Rede 
sein.  Und  dass  jedenfalls  irgendwo  in  unserer  Liste  die  Zahl 
der  Fusstruppen  zu  niedrig  angegeben  ist,  zeigt  die  Gesammt- 
summe  von  „über  700000“,  während  die  Summe  der  Einzel- 
posten nur  699200  beträgt. 

Und  jetzt  zur  Bedeutung  der  Liste.  Wir  haben  gesehen, 
dass  Fabius  seine  Gesammtsumme  durch  Addition  der  einzelnen 
Posten  gewonnen  hat.  Demnach  müsste  er  die  in  den  Listen  ver- 
zeichneten  Mannschaften  als  den  Rest  angesehen  haben,  der  nach 


*)  Liv.  23,  5. 

a)  Caesar  Bürgerkr.  I 15 : Doinüius  per  se  cirdter  XX  cohortes  Alba, 
ex  Mar  sin  et  Paelignis,  finitimis  regionibus  coegerat.  Also  10000  Mann. 
Dazu  kämen  dann  weiter  die  Contingente  der  Vestiner,  Marruciner,  Fren- 
taner. Und  es  handelte  sich  dabei  keineswegs  um  eine  Massenanshebung. 
Man  denke  auch  an  die  Leistungen  der  Marser  im  Socialkriege. 


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Der  römische  Census. 


361 


der  Mobilisiruug  der  im  Felde  stehenden  Legionen  noch  für 
spätere  Aushebungen  verfügbar  blieb.  Nun  ist  es  im  höchsten 
Grade  unwahrscheinlich,  dass  die  von  den  Bundesgenossen  im 
Jahre  225  nach  Rom  eingesandten  Verzeichnisse  der  wehrfähi- 
gen Mannschaft  die  mobilisirten  Truppen  ausgeschlossen  haben, 
schon  darum,  weil  nach  Vollendung  der  Aushebung  für  die 
Vornahme  eines  neuen  Census  kaum  Zeit  bleiben  konnte.  Was 
Mommsen  hier  einwendet  *),  die  ex  formula  zu  stellenden  Mann- 
schaften seien  bereits  sämmtlich  unter  Waffen  gewesen,  und 
der  römische  Senat  habe  an  jede  Bundesgemeiude  die  Frage 
gerichtet,  wie  viele  Waffenfähige  sie  noch  über  ihr  Contingent 
hinaus  aufzubringen  in  der  Lage  sei,  erledigt  sich  durch  das 
ol>en  über  die  formula  togatorum  bemerkte.  Und  auch  abgesehen 
davon  wäre  es  sehr  sonderbar,  wenn  die  vertragsmässige 
Truppenleistung  der  Bundesstaaten  nur  eben  ausgereicht  hätte, 
das  regelmässige  Contingent  zu  8 oder  10  Legionen  zu  stellen; 
wir  begreifen  dann  nicht,  wie  es  im  hannibalischen  Kriege 
möglich  gewesen  ist,  die  Bundescontingente  für  mehr  als  die 
doppelte  Zahl  von  Legionen  unter  Waffen  zu  rufen  und  zwar 
ex  formula  3). 

Wir  müssten  also  annehmen,'  dass  Fabius  genaue  Kennt- 
niss  gehabt  hat,  wie  viele  Cohorten  jedes  einzelnen  Bundes- 
staates mobilisirt  waren  und  in  welcher  Stärke;  und  dass  er 
sich  die  Mühe  gegeben  hat,  diese  Zahlen  jedesmal  von  den  in 
der  Liste  verzeichneten  Bundescontingenten  abzuziehen.  Nie- 
mand wird  behaupten  wollen,  dass  Fabius  in  dieser  Weise 
verfahren  ist.  Ein  Blick  auf  unser  Verzeichniss  genügt  viel- 
mehr, um  zu  erkennen,  dass  ihm  nur  die  Zahl  der  aufgestellten 
Legionen  bekannt  war;  daraus  erst  berechnet  er  die  Stärke 
der  mobilisirten  Bundestruppen,  indem  er  für  jede  Legion  7500 
Mann  zu  Fuss  und  500  Reiter  ansetzt. 

Doch  nehmen  wir  für  einen  Augenblick  an,  Fabius  sei 
wirklich  so  verfahren,  wie  Mommsen  behauptet,  und  machen 


')  B.  Forsch.  II  S.  393. 
>)  Liv.  27,  9. 


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362 


Capitel  VIII. 


uns  die  Consequenzen  der  Sache  klar.  An  römischen  Bürgern 
standen  nach  unserem  Verzeichniss: 

unter  Waffen 49200  Mann  zu  Fuss,  3100  Reiter 

in  den  Listen gegen  250 (XX)  „ „ ? 23000  „ 

zusammen  299200  „ „ 26100  „ 


Die  Bürgerzahl  hätte  sich  also  im  ganzen  auf  325300  waffen- 
fällige Männer  belaufen.  Wenn  diese  Zahlen  nicht  völlig  aus 
der  Luft  gegriffen  sind,  so  muss  Fabius  sie  dem  Resultate  eines 
Census  entnommen  haben,  und  zwar  wahrscheinlich  des  Census 
von  230  29,  des  letzten,  der  vor  dem  gallischen  Kriege  ge- 
halten worden  ist1).  Nun  hat  der  Census  von  234'3  270  713 
Köpfe  ergeben ; ist  es  dann  denkbar,  dass  sich  die  Bürgerschaft 
innerhalb  4 Jahren  um  55000  vermehrt  hat?  Man  könnte 
sagen,  dass  die  Zahlen  des  Fabius  die  Passivbürger  ein- 
seliliessen,  die  Censussummen  aber  nicht.  Indess  wären  53  000 
Köpfe  für  die  Bevölkerung  der  im  Jahre  225  bestehenden 
Passivbürgergemeinden  bei  weitem  zu  wenig;  zählte  doch  die 
campanische  Praefectur  allein  um  diese  Zeit  34  000  Bürger.  Es 
bleibt  also  nichts  als  der  Ausweg,  anzunehmen,  dass  die 
Censussummen  zwar  die  übrigen  Halbbürgergemeinden  ein- 
schliessen,  Capua  aber,  oder  vielmehr  die  campanische  Prae- 
fectur nicht  berücksichtigen  -).  Eine  solche  Annahme  aber 
wäre  die  reine  Willkür  und  durch  nichts  zu  begründen.  Denn 
die  Hervorhebung  der  Campaner  neben  den  Römern  bei  Fa- 
bius beweist  für  eine  Sonderstellung  Capuas  nichts ; Capua  war 
eben  die  hervorragendste  der  Halbbürgergemeinden  und  ver- 
tritt als  solche  die  ganze  Kategorie.  Und  dass  es  zu  Hanni- 
bals  Zeit  noch  eigene  campanische  Legionen  gegeben  hätte,  ist 
sehr  unwahrscheinlich  a). 

Hier  soll  nun  Orosius  aushelfen,  der,  wie  schon  angeführt, 
die  Zahl  der  Römer  und  Campaner  auf  348  200  Mann  zu  Fuss 
und  26600  Reiter  angiebt.  Allerdings  stimmt  keine  dieser 
Zahlen  mit  den  aus  der  Addition  der  Einzelposten  bei  Poly- 


*)  Niebuhr,  R.  G.  II  S.  81 : Herzog,  Coinment.  Momma.  S.  135. 
*)  Mammaen,  R-  F.  II  S.  400  f. 
s)  Mein  Rai.  Bund  S.  128  f. 


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Der  römische  Census. 


363 


bios  sich  ergebenden  Oesammtsuminen,  wir  müssten  also  erst 
emendiren.  Nichts  ist  einfacher:  wir  ersetzen  ein  C durch 
ein  L , fügen  eine  Einheit  hinzu  (CCLXXXXVIIIICC  statt 
CCCXXXXVIIICC),  und  die  gewünschte  Zahl  von  299  200  Mann 
zu  Fuss  ist  fertig1).  Bei  den  Reitern  geht  die  Sache  noch 
leichter:  wir  streichen  einfach  ein  D weg. 

Nun  ist  es  zwar  ganz  gleichgültig,  wie  Orosius,  d.  h.  Livius 
oder  vielmehr  dessen  Quelle  die  fabischen  Zahlen  aufgefasst 
hat,  da  wir  ja  die  Liste  selbst  noch  besitzen  und  im  Stande 
sind  oder  doch  sein  sollten,  uns  ein  eigenes  Urtheil  zu  bilden. 
Indess  wenn  einmal  bei  Orosius  emendirt  werden  soll,  so  lassen 
sich  aus  seinen  Zahlen  ganz  andere  Schlussfolgerungen  ableiten. 
Es  ist  eine  der  gewöhnlichsten  Corruptelen  in  unserer  Ueber- 
lieferung,  dass  am  Anfang  einer  Zahl  ein  C ausgelassen  oder 
hinzugefügt  wird.  Die  natürlichste  Emendation  der  orosischen 
Zahl  CCCXXXXVIIICC  ist  also  CCXXXXVIIICC,  wie  schon 
Niebuhr  gesehen  hat 2).  Die  abgerundete  polybianische  Angabe : 
fiiv  eig  eimooi  /.ui  nivxe  z aiei.t%thjOav  [ivgiddeg  wird 
dadurch  in  erwünschtester  Weise  präcisirt.  Ebenso  kann  die 
Zahl  der  Reiter  bei  Orosius  XXUIDC  durch  leichte  Aendermig 
in  XXUIDC  verwandelt  werden,  was  der  Angabe  l>ei  Polybios 
entspricht,  der  nur  die  Hunderter  weggelassen  hat. 

Ueberhaupt  aber  führt  die  nahe  Uebereinstimmung  der 
Censuszahl  für  234  3:  270  713,  mit  der  fabischen  Zahl  der 
Römer  und  Cainpaner:  273000,  oder  wenn  wir  die  Zahlen  des 
Orosius  einsetzen,  271  800,  fast  mit  Nothwendigkeit  darauf,  in 
dieser  letzteren  Zahl  die  Gesammtsumme  aller  römischen  Bür- 
ger zu  sehen,  keineswegs  blos  den  nach  Abzug  der  mobili- 
sirten  Truppen  bleibenden  Rest  Das  ist  denn  auch  bereits  von 
Niebuhr  erkannt  worden8). 

Indess  die  Zahlen  für  die  Römer  und  Campaner  einer- 
seits, die  Bundeseontingente  andererseits  sind  keineswegs 
gleichartig.  Rom  konnte  die  eigenen  Bürger  nach  freiem  Er- 


')  Mommsen,  R.  F.  II  S.  389. 
2)  R G.  II  S.  81. 

*)  A.  a.  0. 


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364 


Capitel  VIII. 


messen  zum  Kriegsdienst  heranziehen,  und  wenn  die  Männer 
über  46  Jahre  auch  für  die  Verwendung  im  Felde  nicht  in 
Betracht  kamen,  so  versahen  sie  dafür  den  Besatzungsdienst 
in  den  römischen  Festungen;  es  ist  also  nur  in  der  Ordnung, 
dass  auch  sie  in  der  Zahl  der  römischen  Waffenfähigen  einge- 
schlossen sind1).  Ueber  die  Kriegsmacht  der  Bundesstaaten 
aber  konnte  Rom  nur  verfügen  nach  Maassgabe  der  in  der 
formula  togatorum  verzeichneten  Contingente ; und  da  es  sich 
hier  um  den  Dienst  ausser  Landes  handelt,  d.  h.  ausserhalb 
der  Grenzen  der  einzelnen  Bundesstaaten,  so  konnten  diese 
Contingente  selbstverständlich  die  seniores  nicht  mitumfassen 2). 
Fabius  bezeichnet  denn  auch  seine  Liste  der  Bundestruppen — 
und  nur  dieser  — als  beruhend  auf  den  avayqaqxxl  tüv  ev 
talg  rjlc/.icug3),  d.  h.  den  tabulae  iimionm  (s.  oben  S.  354). 
Aufgeführt  werden  folgende  Contingente: 


zu  Fass 

Latiner 80  000 

Samniten 70000 

Japyger  und  Messapier . 50000 

Lucaner 80  000 

Marser,  Marruciner,  Vestiner,  Frentaner  20000  (?) 

Etrusker  und  Sabiner 50000 

Umbrer  und  Sarsinaten 20000 

Veneter  und  Cenomanen  ......  20000 


340000 


Reiter 

5000 

7000 

16000  (1.  6000) 
3000 
4000 
4000 
[2000] 

[6—8000] 

37-39000 


Fabius  beruft  sich  allerdings  nur  bei  den  Latinern,  Sam- 
niten, Japygera,  Lucanern,  Marsem,  Marrucinem  u.  s.  w.  aus- 
drücklich auf  die  Stammlisten,  während  er  die  Contingente  der 
Etrusker,  Umbrer,  Veneter  und  Cenomanen  unter  den  mobili- 
sirten  Mannschaften  aufführt.  Indess  gehen  ohne  Zweifel  auch 
diese  Angaben  auf  die  formula  togatorum  zurück.  Wenigstens 


»)  S.  oben  S.  317. 

2)  Mommsen,  R.  F.  II  S.  403,  der  nur  den  Unterschied  zwischen  rö- 
mischen Bürgern  und  Bundesgenossen  in  dieser  Hinsicht  übersieht. 

3)  Polyb.  II 23, 9.  Es  ist  bemerkenswerth,  wie  Fabius  die  Angabe  über 
die  Zahl  der  Römer  und  Campaner  (‘ Pa>fja(cov  di  xal  Kaunarä>v  i)  rrirjOue) 
auch  änsserlich  zu  den  Angaben  über  die  Zahl  der  Bundesgenossen  in 
Gegensatz  stellt;  sie  folgt  erst  als  Zusatz  am  Ende  der  ganzen  Liste. 


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I 


Der  römische  Ccnsus. 


365 


die  54000  Etrusker  und  Sabiner  sind  keineswegs  vollständig 
mobilisirt  worden,  wie  aufs  klarste  aus  der  Beschreibung  des 
gallischen  Einfalls  hervorgeht,  die  Polybios  uns  aus  Fabius  er- 
halten hat.  Das  etruskisch  - satanische  Aufgebot  wurde  dem 
Befehl  eines  Praetors  unterstellt1);  sollen  wir  denn  annehmen, 
dieser  Praetor,  dessen  Namen  Polybios  gar  nicht  einmal  anzu- 
geben für  nöthig  findet,  habe  ein  grösseres  Heer  geführt  als 
beide  Consuln  zusammen?  Die  Gallier  schlagen  denn  auch 
den  Praetor  ohne  Anstrengung ; 6000  Mann  fallen,  die  übrigen 
werden  vom  Feinde  eingeschlossen;  ohne  den  Entsatz  des 
Consuls  L.  Aemilius  wären  sie  verloren  gewesen2).  Es  ist 
klar,  dass  das  Heer  des  Praetors  bei  weitem  nicht  50  000  Mann 
gezählt  haben  kann.  Vielmehr  hat  Fabius  in  seiner  Quelle 
offenbar  nur  die  Notiz  gefunden,  dass  die  Contiugente  aus 
Etrurien,  Umbrien  und  dem  Pothal  mobilisirt  worden  seien; 
die  Zahlen  selbst  hat  er  aus  der  formula  iogatorum  eingesetzt. 
In  der  That  stimmen  sie  aufs  beste  zu  den  übrigen  Theilen 
der  Liste. 

Unser  Verzeichniss  gewährt  uns  so  einen  Blick  in  die 
militärische  Organisation  des  italischen  Bundes.  Wir  sehen, 
dass  die  einzelnen  Bundesstaaten  nach  der  ethnographischen 
und  geographischen  Zusammengehörigkeit  in  7 grosse  Aus- 
hebungsbezirke eingetheilt  waren.  Der  erste  umfasst  die  lati- 
nischen  Colonien,  der  zweite  Samnium  und  ohne  Zweifel  auch 
das  Hirpinerland  und  die  Bundesstädte  in  dem  oskischen  Cam- 
panien ; die  grosse  Truppenzahl,  die  dieser  Bezirk  stellte,  bliebe 
sonst  unerklärlich.  Der  dritte  Bezirk  umfasst  die  messapischen 
Landschaften.  Den  vierten  Bezirk  bildet  Lucanien.  Der  fünfte 
umfasst  die  kleinen  Völkerschaften  des  Hochapennin,  die 
Marser,  Vestiner,  Marruciner,  Frentaner,  Paeligner,  welch 
letztere  durch  ein  Versehen  bei  Polybios  oder  schon  bei  Fabius 
ausgefallen  sind.  Auch  die  drei  damals  noch  foederirten  Her- 
nikerstädte  Aletrium,  Verulae,  Ferentinum  mögen  zu  diesem 
Bezirke  gehört  haben,  wenn  sie  nicht  vielmehr  dem  folgenden 

')  Polyb.  II  24,  6. 

*)  Polyb.  II  25.  26. 


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366 


Capitel  VIII. 


zuzurechnen  sind.  Den  sechsten  Bezirk  bilden  die  Etrusker 
und  „Sabiner“.  Unter  diesen  letzteren  sind  natürlich  nicht  die 
Bewohner  der  Praefeeturen  von  Reate  und  Nursia  zu  ver- 
stehen, die  bereits  seit  290  die  Civität  hatten  und  also  in  den 
römischen  Legionen  dienten,  sondern  wahrscheinlich  die  Ti- 
burtiner  und  Praenestiner , weiterhin  die  Aequiculer  von  Cli- 
temia  und  Nersa,  wenn  diese  nicht  vielmehr  schon  römische 
Bürger  waren,  endlich  vielleicht  die  Städte  des  mittleren  Tiber- 
thaies, wie  Ocriculum,  Ameria,  Interamna,  Tüder.  Wir  dürfen 
nicht  vergessen,  dass  die  Grenzen  zwischen  den  einzelnen  ita- 
lischen Landschaften  in  Wirklichkeit  bei  weitem  nicht  so  be- 
stimmt gewesen  sind,  als  sie  auf  unseren  Karten  zur  Darstel- 
lung kommen.  Der  siebente  Bezirk  umfasst  Umbrien  und  wohl 
auch  das  picenische  Asculum.  Dazu  kommt  dann  vielleicht  als 
achter  Bezirk  noch  Brettien  mit  den  italischen  Griechenstädten. 
Die  Veneter  und  Cenomanen  endlich  standen  in  dieser  Zeit 


noch  in  keiner  staatsrechtlichen  Verbindung  mit  der  italischen 
Eidgenossenschaft. 

Dass  eine  solche  Einteilung  der  italischen  Bundesgenossen 
bestanden  hat,  würden  wir  auch  ohne  ausdrückliches  Zeugniss 
voraussetzen  müssen1).  Nur  in  dieser  Weise  war  es  möglich, 
das  jedesmal  ausgeschriebene  Truppencontingent  auf  die  ein- 
zelnen Bundesstaaten  gerecht  zu  vertheilen.  Zur  Erleichterung 
dieser  Repartirung  war  die  von  jedem  Bezirke  zu  stellende 
Zahl  der  Fusstruppen  in  vollen  Zehntausenden,  die  der  Reiter 
in  vollen  Tausenden  angesetzt.  Die  Gesammtsumme  betrug  im 
Jahre  225  320000  Mann  zu  Fuss  und  31 000  Reiter2).  Handelte 
es  sich  nun  z.  B.  um  eine  Ausheilung  von  30000  Mann  zu 
Fuss  und  2000  Reitern,  wie  das  in  diesem  selben  Jahre  der 


Fall  war,  so  wurde  von  jedem  Bezirk  Vio  der  in  den  Listen 
verzeichneten  Fusstruppen,  Vis  der  Reiter  gefordert;  der  luca- 

')  Dass  die  latinischen  Coionien  zusammen  einen  Aushebungsbezirk 
bildeten,  zeigt  ihr  gemeinsames  Handeln  bei  der  Festsetzung  der  Contin- 
gente  für  209  (Liv.  27,  9 f.). 

*)  Diese  Zahlen  würden  etwas  zu  erhöhen  sein,  im  Falle  auch  die 
Brettier  in  der  formula  togatorum  verzeichnet  waren,  und  das  Contingent 
der  Marser  u.  s.  w.  bei  Polybios  zu  klein  angegeben  ist. 


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Der  römische  Census. 


367 


nische  Bezirk  hätte  also  beispielsweise  3000  Mann  zu  Fuss  und 
200  Reiter  zu  stellen  gehabt.  Die  kleine  Differenz,  die  bei 
diesem  Vertheilungsmodus  gegenüber  der  Sollstärke  bleil>en 
würde,  liess  sich  durch  Abrundung  der  einzelnen  Contingents- 
ziffem  leicht  ausgleichen. 

Uebrigens  liegt  es  in  der  Natur  der  Sache,  dass  die  in 
unserer  Liste  angegebene  Gesammtsumme  der  waffenfähigen 
Mannschaft  etwas  hinter  der  Wahrheit  zurückbleibt.  Denn  kein 
Staat  konnte  in  der  formuln  togatorum  mit  einem  höheren 
Contingente  angesetzt  werden,  als  er  im  Nothfalle  wirklich 
aufzustellen  im  Stande  war;  die  Abrundungen  auf  Tausende 
und  Zehntausende  sind  also  nach  unten  hin  vorgenommen 
worden.  Dass  noch  andere  Ursachen  eine  Verminderung  der 
Contingentsziffer  herbeiführen  konnten,  ist  schon  oben  bemerkt 
worden.  Die  Gesamintzahl  aller  felddiensttüchtigen  italischen 
Bundesgenossen  im  Jahre  225,  die  Brettier  und  Griechen  ein- 
gerechnet, wird  also  die  Zahl  von  400000  überstiegen  haben, 
wenn  auch  schwerlich  um  sehr  viel.  Setzen  wir  nun  die  Män- 
ner von  über  46  Jahren,  die  setiiores,  in  rundem  Verhältniss 
auf  die  Hälfte  der  itmiores  an,  was  sich  in  keinem  Falle  sehr 
weit  von  der  Wahrheit  entfernt,  so  erhalten  wir  im  ganzen 
etwas  über  600  000  erwachsene  Männer,  oder  einschliesslich  der 
273000  römischen  Bürger  für  ganz  Italien  eine  erwachsene 
männliche  Bevölkerung  von  gegen  900  000  *),  eine  freie  Gesammt- 
bevölkerung  von  2700000.  Die  italische  Halbinsel  südlich  vom 
44.  Breitengrade,  bis  wohin  damals  ungefähr  die  römische  Herr- 
schaft sich  erstreckte,  hat  einen  Flächenraum  von  129266  qkm 
(s.  unten  Cap.  IX,  1),  wrovon  etwa  22700  auf  das  römische 
Gebiet,  und  folglich  106500  auf  die  bundesgenössischen  Ge- 
biete entfallen  (s.  oben  S.  320).  Im  ersteren  kommen  also  12, 
in  letzteren  nur  6 erwachsene  Männer  auf  1 qkm.  In  der 
That  führt  uns  auch  sonst  alles  darauf  hin,  dass  im  Alterthum 

l)  Die  Ausscheidung  der  körperlich  zum  Militärdienst  untauglichen, 
oder  sonst  aus  irgend  welchen  Gründen  davon  befreiten  Personen  lag  nicht 
den  Censoren,  sondern  den  die  Aushebung  leitenden  Beamten  oh;  unsere 
Liste  muss  also  alle  überhaupt  in  dienstpflichtigem  Alter  stehenden  Bürger 
umfassen.  Vergl.  Mommsen,  R.  F.  II  408  f. 


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368 


Capitel  V11L 


die  Mitte  der  Haihinsel  die  dichteste  Bevölkerung  hatte.  Eine 
weitere  Bestätigung  der  ungefähren  Richtigkeit  der  obigeu 
Zahlen  giebt  das  Resultat  des  nach  der  Ertheilung  der  Civität 
an  die  italischen  Bundesgenossen  gehaltenen  Census  von  70  69. 
Es  wurden  damals  910000  ctvium  capita  gezählt.  Der  letzte 
Census  vor  dem  Socialkriege,  dessen  Resultat  kritisch  sicher 
überliefert  ist,  der  von  131  30,  hatte  318823  Bürger  ergeben, 
also  eine  Vermehrung  seit  229  von  etwa  45000,  oder  um 
14°/o;  hätten  sich  die  Bundesgenossen  im  selben  Verhältniss 
vermehrt,  so  würde  ihre  Zahl  im  Jahre  130  gegen  700000 
betragen  haben.  Indess  ist  es  aus  vielen  Gründen  wahrschein- 
lich, dass  die  Vennehrung  bei  der  Bürgerschaft  stärker  gewesen 
ist  als  bei  den  Bundesgenossen.  In  der  Zeit  seit  dem  hanni- 
balischen  Kriege  hatte  sich  der  Umfang  des  römischen  Gebietes 
in  Italien  beinahe  verdoppelt,  sehr  viel  Latiner  und  Bundes- 
genossen hatten,  rechtmässig  oder  unrechtmässig,  die  Civität 
erworben,  und  der  Zuwachs  durch  Manumissionen  war  ohne 
Zweifel  hier  grösser  als  bei  den  Bundesgenossen.  Die  Zahl 
der  Bundesgenossen  kann  also  im  Jahre  130  700000  bei  wei- 
tem nicht  erreicht  haben.  Andererseits  ist  es  wahrscheinlich, 
dass  die  freie  Bevölkerung  Italiens  in  der  Zeit  von  130  bis  70 
in  Folge  des  Socialkrieges  und  des  Bürgerkrieges  sich  etwas 
vermindert  hat;  zeigen  doch  schon  die  Friedensjahre  vor  der 
Gracchenzeit  eine  kleine  Abnahme  der  römischen  Bürgerzahl. 
Unsere  Zahlen  haben  also  eine  hohe  innere  Wahrscheinlichkeit ; 
ja  selbst  wenn  die  fabische  Liste  nicht  erhalten  wäre,  würden 
wir  gezwungen  sein,  die  Zahl  der  italischen  Bundesgenossen  zu 
Hannibals  Zeit  etwa  ebenso  hoch  anzusetzen. 

Und  jetzt  noch  ein  Wort  über  die  Reiter  unseres  Ver- 
zeichnisses. Sie  bilden  bei  der  römischen  Bürgerschaft  an- 
nähernd 90io,  bei  den  Bundesgenossen  — abgesehen  von  den 
Cenomanen  und  Venetern  — etwas  über  8°/o  der  Gesammt- 
zahl.  Schon  diese  bedeutende  Zahl  ist  Beweis  dafür,  dass  wir 
unter  Reitern  hier  keineswegs  Ritter  ( equites ) im  späteren 
Sinne  des  Wortes  zu  verstehen  haben,  also  Bürger  mit  über 
400000  Sesterzen  Vermögen.  Es  hätte  sonst  in  dem  Italien 
dieser  Zeit  eine  ganz  abnorme  Vertheilung  des  Wohlstandes 


Di  .i 


Der  römische  (Jensus. 


369 


herrschen  müssen.  Vielmehr  ist  es  klar,  (hiss  zur  Zeit  Hanni- 
bals  schon  ein  viel  geringeres  Vermögen  zum  Dienst  zu  Herde 
berechtigte  oder  verpflichtete.  Den  ausdrücklichen  Beweis  dafür 
geben  die  Berichte  über  die  unmittelbar  nach  dem  Kriege  er- 
folgten Coloniegrilnduugen.  Es  erhielten  iugera  in 


die  pedites 


Copia  (193  gegründet) 20 

Vibo  Valentin  (192) 15 

Bononia  (189) 50 

Aquileia  (181) 50 


die  equites 

40  (Liv.  35,  9) 
30  adv.  35,  40) 
70  (Liv.  87,  57) 
140  (Liv.  40,  34). 


Bei  Coloniegründungen  pflegen  die  Landloose  reichlich  Ite- 
messen zu  werden;  sie  mussten  es  hier  um  so  mehr,  als  der 
römische  Bürger,  der  an  einer  latinischen  Colonie  Theil  nahm, 
damit  sein  Bürgerrecht  aufgab  und  durch  materielle  Vortheile 
dafür  zu  entschädigen  war.  Bei  den  in  derselben  Periode 
begründeten  Bürgercolonien  schwanken  die  Landloose  der 
pedites  zwischen  5 und  10  iugera1).  Wenn  demnach  in  Vibo 
der  Reitercensus  30  iugera  betrug,  so  wird  er  im  römischen 
Gebiete  selbst  noch  beträchtlich  niedriger  gewesen  sein.  — 

Fabius  hat  also,  wie  wir  gesehen  haben,  sein  Verzeichniss 
aus  drei  verschiedenen  Quellen  zusammengetragen:  die  Stärke 
der  mobilisirten  Truppen  ist  aus  der  Zahl  der  aufgestellteu 
Legionen  berechnet;  die  Angabe  über  die  Zahl  der  römischen 
Bürger  stammt  aus  der  Censusliste;  die  Angaben  über  die 
Zahl  der  waffenfähigen  Bundesgenossen  sind  der  formula  toga- 
torum  entnommen.  Um  nun  die  Gesammtzahl  der  italischen 
Wehrfähigen  zu  erhalten,  hat  Fabius  diese  drei  ungleichartigen 
Zahlenreihen  einfach  addirt.  Das  ist  freilich  ein  sehr  rohes 
Verfahren;  aber  dürfen  wir  denn  an  Fabius  Anforderungen 
stellen  wie  an  einen  modernen  Statistiker2)?  Fabius  musste 
wissen,  dass  die  in  der  formula  togatorum  verzeichneten  Con- 
tingente  der  Bundesstaaten  nur  die  Zahl  der  iuniores  ( oi  iv 
täte  rjXixiatg)  ausdrückten.  Um  auch  die  Zahl  der  seniores 

1)  S.  die  Uebersiclit  Ital.  Bund  S.  117. 

2)  Mommsen,  R.  F.  II  S.  391  f.  hätte  nicht  Polybios  für  das  Ver- 
zeichniss verantwortlich  machen  sollen.  Polybios  konnte  nichts  anderes 
thun,  als  die  Zahlen  wiedergeben,  wie  er  sie  bei  Fabius  fand ; jedenfalls 
hat  er  nichts  anderes  gethan,  wie  Mommsen  selbst  nachweist. 

Beloch,  Bsvölkerungslehre.  I.  24 


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370 


Capitel  VIII. 


zu  ermitteln,  fehlte  ihm  jeder  Anhalt:  er  half  sieh,  so  gut  er 
konnte,  indem  er  zur  Ausgleichung  dieses  Deficits  die  Zahl  der 
mobilisirten  Truppen  zweimal  in  Ansatz  brachte.  In  der  That 
stimmt  die  so  erhaltene  Summe,  die  Fabius  selbst  nur  als 
eine  ganz  approximative  gegeben  hat,  annähernd  mit  der  wirk- 
lichen Gesammtzahl  aller  italischen  W ehrfähigen  überein.  Nun 
hätte  Fabius  sich  allerdings  darauf  beschränken  können,  nur 
die  Zahl  der  zum  Felddienst  tauglichen  Mannschaften,  der 
iuniores  anzugeben,  wofür  die  nöthigen  Materialien  ihm  Vor- 
lagen. Die  Gesammtsumme  würde  sich  dann  auf  etwa  500000 
Mann  zu  Fuss  und  50000  Reiter  belaufen  haben.  Lidess,  es 
war  Fabius  darum  zu  thun,  dem  hellenischen  Publicum,  an  das 
er  sich  wendete,  eine  möglichst  hohe  Vorstellung  von  der  Wehr- 
kraft Italiens  zu  geben ; und  übergrosse  Gewissenhaftigkeit  war 
ja  überhaupt  nicht  der  Fehler  der  römischen  Annalisten.  So 
hat  Fabius  in  der  Beschreibung  des  eisten  punischen  Krieges 
die  römischen  Kriegsschiffe  sänimtlich  in  I’enteren  verwandelt 
(s.  unten  S.  379  f.),  und  berechnet  dann  auf  dieser  Grundlage  die 
Zahl  der  Combattanten  in  der  Schlacht  bei  Eknomos1).  Auch 
hier  nicht,  ohne  den  Leser  auf  die  gewaltige  Macht  Roms  aus- 
drücklich hinzuweisen. 

6.  Die  Censuszahleu  aus  der  ersten  Kaiserzeit. 

Der  Census  von  70  69  ist  der  letzte,  der  in  republikanischer 
Zeit  gehalten  worden  ist.  Seitdem  hat  noch  fünf  Mal  ein  all- 
gemeiner Census  der  Bürgerschaft  stattgefunden : drei  Mal  unter 
Augustus,  ein  Mal  unter  Claudius,  ein  Mal  unter  Vespasian. 
Das  Ergebniss  dieses  letzten,  im  Jahre  72  veranstalteten  Census 
ist  uns  nicht  überliefert;  wohl  aber  besitzen  wir  die  Haupt- 
summen der  vier  übrigen  Census  der  Kaiserzeit. 

Es  wurden  gezählt: 


Jahr  Lustrum  Censoren  civium  capita 

28  v.  Chr.  LXVI1I  Imp.  Caesar  Octavianus 

M.  Vipsanius  Agrippa 4 068  000  *) 


')  Polyb.  I 26,  7.  8,  der  hier  ohne  jeden  Zweifel  Fabius  vor  sich 
gehabt  hat 

*)  Mon.  Ancyr.  II  2:  civium  Romanorum  censa  sunt  capita  quadra- 
giens  centum  millia  et  sexagf i]nta  tria  millia.  Der  griechische  Text  giebt 


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Der  römische  Census. 


371 


Jahr  Lustrum  Censoren  civium  capita 

8 v.  Chr.  LXIX  Imp.  Caesar  Augustus 4 283  000  *) 

14  n.  Chr.  LXX  Imp.  Caesar  Augustus 

Ti.  Caesar 4 937  000“) 

47  n.  Chr.  LXXI  Ti.  Claudius  Caesar  Augustus 

L.  Vitellius 5 984  072 a) 


Die  Ergebnisse  der  Aufnahmen  von  28  und  8 v.  Chr.  und 
14  n.  Chr.  sind  uns  in  einem  officiellen  Doeument  auf  epi- 
graphisehem  Wege  erhalten.  Die  Zahlen  stehen  folglich  absolut 
sicher.  In  der  Angabe  über  den  Census  des  Claudius  dagegen 
differiren  Tacitus  und  Eusebius  um  1 Million.  Bei  der  nach- 
lässigen Ueberlieferung  der  Zahlen  bei  den  Chronographen  wird 
die  Angabe  des  Tacitus  den  Vorzug  verdienen.  Aber  auch 
noch  aus  einem  anderen  Grunde.  Zwischen  8 v.  Chr.  und 
14  n.  Chr.  hat  sich  die  römische  Bürgerliste  um  704000  Köpfe 


durch  ein  Versehen  ffijxorra  statt  Fl  tnaidiU;.  Eusebius  Armen.  Ol. 
188,  3 hat  myriades  CCCC  et  sexdecim  et  MM  MM  (4  164  000).  Ebenso 
Synkellos  593,  5 ( uvpteidet  i<;'  xai  ,<I)  und  Hieronymus  Ol.  188,  1 (XL! 
centena  et  LXII11  tnilia).  Prosper  Aquitanus  I 554  Rone,  giebt  noch 
eine  X mehr:  X1A  centena  et  Septuaginta  quattuor  tnilia.  Der  Grand 
des  Irrthums  bei  Eusebius  liegt  darin,  dass  er  die  quadragiens  centum 
milia  des  Augustus  aufgefasst  hat,  als  ob  dastände  quadragiens  et  centum 
millia. 

*)  Mon.  Ancyr.  II  5:  civium  Bomanorufm  capita]  quadragiens 
centum  millia  et  ducenta  triginta  tria  m[illia].  Der  griechische  Text  ist 
verstümmelt:  (v  [j]  dn[or npt]att  httuqaavro  'Pn>pa(\tov  ret [gaxooiat  efxoai 
TQti(  fjtvQiääts  xnl  r]Qi[a]/(hot. 

*)  Mon.  Ancyr.  II  8:  [civium  Rojmanorum  capitum  quadragiens 
centum  mill[ia  et  nongenta  trjiginta  et  septem  mittia.  Der  griechische 
Text  giebt  die  Zahl  vollständig:  (v  f,  dnoTfi/utjaet  txttpqaavTo  Pmualmv 
xexQuxoottu  (vevrjxovxa  rptlf  u vpiadeg  xct't  inraxio/Utoi.  Dieselbe  Zahl 
scheint  Eusebius  Öl.  198,  2 gegeben  zu  haben,  s.  Mommsen,  lies  gestae 
D.  Aug.  S.  39  f.  

*)  Tacit.  Ann.  XI 25:  cettsa  sunt  civium  LVI1II LXXXJIII LXXI1. 
Eusebius  gab  1 Million  mehr:  in  der  armenischen  Uebersetzung  Ol.  206,  2 
und  bei  Synkellos  S.  629,  1 : 694  Myriaden  und  1000 , bei  Hieronymus 
Ol.  206,  4 LXVI1II  centena  et  XLIIII  milia,  bei  Prosper  Aquit.  I 
S.  562  Rone.  LXVIII  centena  et  XLTV  tnilia.  Bei  Cassiodor  zum  Jahr  46 
ist  die  Zahl  der  Hunderttausende  ausgefallen:  inrenta  sunt  civium  Boma- 
norutn  centena  milia  et  XLIIII. 

24* 


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372 


Capitel  VIII. 


vennehrt,  also  jährlich  im  Durchschnitt  um  33500;  zwischen 
14  und  47  n.  Chr.,  wenn  wir  die  Zahl  des  Taeitus  annehmen, 
jährlich  um  31700,  wenn  die  Zahl  des  Eusebios,  um  62000. 
Wir  sehen,  die  erstere  Annahme  hat  viel  grössere  innere  Wahr- 
scheinlichkeit. Denn  eine  Ertheilung  des  römischen  Bürger- 
rechts an  latinische  oder  peregrinische  Gemeinden  hat  in  diesem 
Zeiträume,  wenn  überhaupt,  nur  in  sehr  beschränktem  Maasse 
stattgefunden. 

Der  letzte  republikanische  Census  im  Jahre  70/69  hatte 
910000  civium  capita  ergeben;  der  erste  Census  der  Kaiser- 
zeit im  Jahre  28,  wie  wir  oben  gesehen  haben,  4063000.  Beide 
Zahlen  sind  kritisch  nicht  anfechtbar.  Die  Vermehrung  der 
Bürgerschaft  hätte  also  in  diesen  42  Jahren  nicht  weniger  als 
3153000  Köpfe  betragen,  d.  h.  die  bürgerliche  Bevölkerung 
müsste  sich  in  dieser  Zeit  mehr  als  vervierfacht  haben.  Liegt 
ein  solcher  Zuwachs  im  Bereiche  der  Möglichkeit? 

Zur  Beantwortung  dieser  Frage  werden  wir  uns  zuerst  klar 
zu  machen  haben,  an  welche  Gebiete  in  den  Jahren  von  69 
bis  28  v.  Chr.  die  römische  Civität  verliehen  worden  ist.  Im 
Jahre  69  war  das  römische  Bürgergebiet  im  wesentlichen  be- 
schränkt auf  Italien  diesseits  des  Po;  jenseits  dieses  Flusses 
und  in  den  Provinzen  bestanden  nur  ganz  vereinzelte  Büxger- 
gemeinden,  im  ganzen  vielleicht  etwa  201).  Ja  selbst  auf  dem 
rechten  To-Ufer  hatten  die  Bergvölker  des  ligurischen  Apennin 
und  einige  andere  Gemeinden,  wie  Ravenna,  noch  latinisches 
Recht. 

Dagegen  finden  wir  im  Jahre  28  v.  Chr.  das  römische 
Bürgergebiet  bis  zum  Fuss  der  Alpen  ausgedehnt,  und  es  bestand 
eine  sehr  ansehnliche  Reihe  von  Bürgercolonien  und  Municipien 
(etwa  je  60)  namentlich  in  den  westlichen  Provinzen  des  Reiches. 
Der  Gebietszuwachs  in  Italien  allein  wird  auf  etwa  70000  qkm 
angeschlagen  werden  können3);  der  Zuwachs  in  den  Provinzen 
wird  ohne  Zweifel  noch  grösser  gewesen  sein,  doch  ist  hier 
mit  unseren  Mitteln  eine  numerische  Schätzung  nicht  möglich. 


>)  S.  oben  S.  321. 

2)  S.  oben  S.  321  f. 


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Der  römische  Census. 


873 


Jedenfalls  hat  sich  die  Ausdehnung  des  römischen  Bürgergebietes 
in  der  Zeit  von  69  bis  28  v.  Chr.  mehr  als  verdoppelt. 

An  Dichtigkeit  der  Bevölkerung  aber  standen  die  meisten 
dieser  neu  erworbenen  Gebiete  ohne  Frage  hinter  der  italischen 
Halbinsel  weit  zurück.  Und  eine  Vermehrung  der  bürgerlichen 
Bevölkerung  in  Italien  seihst  hat  in  dem  Zeitraum  von  69  bis 
28  sicher  nicht  stattgefunden.  Bereits  vor  der  Revolution,  seit 
der  Mitte  des  II.  Jahrhunderts,  beginnt  das  Sinken  der  römi- 
schen Bürgerzahl ') : sollen  wir  annehmen,  dass  sie  sich  während 
der  blutigen  Bürgerkriege  vermehrt  hat?  Der  marsische  Krieg 
und  der  sich  daran  schliessende  sullanische  Bürgerkrieg  soll 
100 — 150000  römische  Bürger  hinweggerafft  haben2);  nach 
denr  Kriege  zwischen  Caesar  und  Pompeius  herrschte  in  Italien 
eine  „schreckliche  Entvölkerung“ 3).  Augustus’  Maassregeln  zur 
Hebung  der  Volkszahl  sind  nur  verständlich,  wenn  die  Bürger- 
schaft in  den  letzten  Jahrzehnten  sich  relativ  vermindert  hatte, 
oder  doch  stationär  geblieben  war.  Die  Trarrspadana  kann,  selbst 
wenn  die  Volksdichtigkeit  hier  dieselbe  war  wie  im  übrigen 
Italien  (Rom  selbst  ausgeschlossen),  um  die  Mitte  des  I.  Jahr- 
hunderts v.  Chr.  nicht  mehr  als  etwa  300000  Bürger  gezählt 
haben4);  das  ergiebt  mit  den  910000  Bürgern,  die  der  Census 
von  69  ergeben  hatte,  zusammen  1 200  000.  Mögen  wir  uns 
nun  die  Bürgerrechtsverleihungen  ausserhalb  Italiens  irr  der 
Zeit  der  Bürgerkriege  noch  so  ansehnlich  vorstellen:  dass 
2850000  Nicht-Italiker  mit  der  Civität  beschenkt  worden  wären, 
wird  Niemand  behaupten  wollen.  Dem  gegenüber  auf  die  Manu- 
nrissionen  oder  auf  die  angeblich  grössere  Genauigkeit  der  Auf- 
nahmen unter  Augustus  hinzuweisen 5),  heisst  die  Schwierigkeit 
verschleiern,  statt  sie  zu  lösen.  Haben  doch  die  Manurnissionen 
das  Sinken  der  Bürgerzahl  selbst  in  der  Friedenszeit  von  163 
bis  130  nicht  aufhalten  können.  Auch  fallen  einige  100000 


')  Liv.  JEpit.  59,  vergl.  Gellius  I 6;  Plut  Ti.  Gracchus  8,  und  oben 
die  Censuszahlen. 

*)  Diod.  37,  29;  Liv.  bei  Eutrop.  V 9 und  Oros.  V 22. 

*)  Dio  Cass.  43,  25:  iSttrij  öiiytivdgcunta. 

4)  8.  unten  Cap.  IX,  4. 

“)  Wie  Zumpt,  TI  eher  den  Stand  der  Bei-öR-erunq  im  Altei'thum  S.  31. 


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374 


Capitel  VIII. 


Köpfe  mehr  oder  weniger  kaum  ins  Gewicht.  Es  bleibt  nur 
ein  Ausweg:  civium  capita  muss  im  kaiserlichen  Census  eine 
andere  Bedeutung  haben  als  in  republikanischer  Zeit. 

Werfen  wir  hier,  ehe  wir  weiter  gehen,  zunächst  einen 
Blick  auf  das  Verfahren  beim  Provinzialcensus.  Hatte  der 
Census  der  römischen  Bürgerschaft  in  der  älteren  Zeit  der 
Republik  politischen,  militärischen  und  finanziellen  Zwecken 
gleiehmässig  gedient,  und  war  seit  der  Schlacht  bei  Pvdna  der 
finanzielle  Zweck  praktisch  in  Wegfall  gekommen,  so  war  da- 
gegen für  den  Provinzialcensus  von  vornherein  das  finanzielle 
Interesse  das  maassgebende.  Demzufolge  musste  das  Verfahren 
bei  dem  Provinzialcensus  in  erster  Linie  durch  die  Steuerver- 
fassung der  I*rovinz  bestimmt  sein.  Wo  neben  einer,  sei  es 
in  natura , sei  es  in  Geld  zu  entrichtenden  Grundsteuer  directe 
Abgaben  an  den  römischen  Staat  nicht  bestanden,  wie  in  Si- 
cilien  und  Asien  — wenigstens  in  der  republikanischen  und 
früheren  Kaiserzeit  — , konnte  das  Verfahren  dem  bei  dem 
römischen  Census  selbst  üblichen  nachgebildet  werden.  In 
diesen  Provinzen  also  bezeichnet  die  Hauptsumme  des  Census 
die  Zahl  der  erwachsenen  Bürger  männlichen  Geschlechts.  So 
nennt  Cicero  Kentoripa  die  bedeutendste  Gemeinde  Siciliens 
und  giebt  ihre  Bttrgerzahl  auf  10000  an1):  es  ist  klar,  dass 
hier  Weiber  und  Kinder  nicht  mitgerechnet  sind.  Dasselbe 
sagt  ausdrücklich  Galenos,  wo  er  die  Bürgerzahl  seiner  Vater- 
stadt Pergamon  auf  40000  beziffert3).  Anders  lag  die  Sache 
in  den  Provinzen,  die  neben  der  Grundsteuer  noch  eine  Steuer 
vom  beweglichen  Vermögen  und  eine  Kopfsteuer  entrichteten, 
wie  Syrien,  Afrika,  Britannien,  Aegypten.  Denn  die  Kopf- 
steuer ((f  OQog  int  nov  aiopäriov,  inixecpähov,  tributum  capitis ) 
wurde  von  der  ganzen  freien  Bevölkerung  ohne  Unterschied 
des  Geschlechts  entrichtet8),  und  in  Folge  dessen  wurden  hier 
alle  kopfsteuerpflichtigen  (libera  capita ) in  der  Hauptsumme 
des  Census  zusammengefasst.  Das  ist  in  Aegypten  schon  in 

')  Cic.  g.  Ferr.  II  68,  168;  vergl.  IV  28,  50. 

*)  Galen,  vol.  V p.  49  Kühn.  Wenigstens  was  das  weibliche  Ge- 
schlecht angeht.  Von  den  Kindern  spricht  Galen  überhaupt  nicht. 

*)  App.  Lib.  135;  Ulpian  Digg.  50,  15  § 8. 


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Der  römische  Census. 


375 


der  ptolemaeischen  Zeit  geschehen;  nur  so  ist  es  verständlich, 
wie  Diodor  die  Bevölkerung  des  Landes  auf  3 000  000  angeben 
kann1).  So  hat  in  der  Statistik  des  Reiches  ein  Begriff  Auf- 
nahme gefunden,  der  dem  modernen  Begriff  der  Gesammtbe- 
völkerung  wenigstens  nahe  kommt.  Das  erste  Beispiel  für  uns 
ist  der  Census  der  Helvetier,  den  Caesar  nacli  seinem  Siege  bei 
Bibracte  vornehmen  liess.  Das  Resultat,  110  000  Köpfe  (Hel- 
vetiorum  capita),  begriff  nach  Caesars  eigener  ausdrücklicher 
Angabe  die Gesammtbevölkerung:  Männer,  Weiber  und  Kinder2). 
In  derselben  Weise  ist  es  ohne  Zweifel  zu  verstehen,  wenn 
Plinius  die  Bevölkerung  der  drei  nordwestlichen  Convente 
Spaniens  zu  691  000  capita  libera  angiebt,  oder  wenn  im  Jahre 
6,  7 n.  Chr.  im  syrischen  Apameia  CXVI1  milia  hominum  civimn 
gezählt  wurden8).  Denn  anderenfalls  erhielte  man  für  das 
augusteische  Spanien  eine  Bevölkerung,  die  der  heutigen  Be- 
völkerung der  Halbinsel  nicht  viel  nachstehen  würde;  und  die 
Bürgerzahl  Apameias  w ürde  grösser  sein  als  die  von  Antiocheia 
oder  von  Alexandreia.  Höchstens  können  wir  zweifeln,  ob  die 
Kinder  hier  eingerechnet  sind.  In  Syrien  z.  B.  waren  im 
III.  Jahrhundert  n.  Chr.  die  Knaben  unter  14  und  die  Mädchen 
unter  12  Jahren  von  der  Kopfsteuer  frei4).  In  jeder  Provinz 
galten  dafür  besondere  Bestimmungen,  deren  Ausgleichung  erst 
in  der  späteren  Kaiserzeit  eingetreten  ist. 

Augustus  hat  nun  offenbar  bei  dem  Census  der  Bürger- 
schaft die  Hauptsumme  in  derselben  Weise  gezogen,  wie  das 
bei  dem  Census  in  den  kaiserlichen  Provinzen  üblich  war.  Mit 
anderen  Wollen:  unter  civium  capita  des  kaiserlichen  Census 
sind  die  Frauen  und  Kinder  einbegriffen.  Dass  civium  capita 
diese  Bedeutung  haben  kann,  dafür  geben  die  überlieferten 
Censuszahlen  aus  republikanischer  Zeit  den  besten  Beweis,  wenn 
sie  als  civimn  capita  praeter  orbos  orbasque  bezeichnet  werden. 
Der  Zusatz  wäre  sinnlos,  wenn  civium  capita  nur  die  erwach- 
senen Männer  bedeuten  könnte. 

k)  S.  oben  S.  257. 

*)  Caes.  Gail.  Krieg  I 29. 

*)  Mommsen,  Ephemeri s epigr.  IV  S.  537 — 42,  R.  (r.  V 464. 

4)  Ulpian  a.  a.  0. 


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376 


Capitel  VIII. 


Ein  directes  Zeugniss  für  diese  Annahme  dürfen  wir  freilich 
in  unserer  trümmerhaften  Ueberlieferung  nicht  zu  finden  er- 
warten. Schweigt  diese  ja  auch  über  Augustus’  übrige  Re- 
formen im  Census:  die  Ersetzung  der  fünfjährigen  Zählungs- 
perioden durch  zwanzigjährige,  die  Anordnung  nach  Gemeinden, 
Regionen,  Conventen,  Provinzen,  statt  der  alten  Anordnung  nach 
den  Tribus.  Aber  wenn  Augustus  in  dem  Rechenschaftsbericht 
über  seine  Verwaltung  die  Hauptsummen  der  drei  von  ihm 
gehaltenen  Census  einfach  als  civium  capita  tot  aufführt,  ohne 
jede  Erwähnung  der  orbi  orbaeque , so  kann  diese  Auslassung 
in  einem  officiellen  Document  nicht  zufällig  sein,  und  der  Schluss 
ist  kaum  abzuweisen,  dass  die  Censuszahlen  die  Wittwen  und 
Waisen  einschliessen.  Ist  das  aber  der  Fall,  dann  müssen  über- 
haupt die  Frauen  und  Kinder  einbegriffen  sein,  sonst  würden 
die  Zahlen  ganz  werthlos.  So  hält  es  denn  auch  Livius  für 
nöthig,  da  wo  er  den  Census  des  Servius  Tullius  erzählt,  aus- 
drücklich hinzuzufügen,  dass  nach  Fabius  nur  die  waffenfähigen 
Bürger  in  der  Hauptsumme  begriffen  waren ').  Bei  Fabius  er- 
klärt sich  diese  Angabe  aus  der  Rücksicht  auf  seine  griechischen 
Leser;  bei  Livius  aber  nur  dann,  wenn  zu  seiner  Zeit  ein 
anderes  Verfahren  beim  Census  üblich  war.  Und  Plinius  giebt 
das  civium  capita  der  Annalen  sogar  durch  capita  libera  wieder, 
ein  Ausdnick,  der  in  dem  Provinzialcensus  seiner  Zeit  üblich 
war  und  die  freie  Gesanuntbevölkemng  bezeichnet8).  Wenn 
er  aber  die  älteren  Censuszahlen  so  auffasste,  so  kann  der 
Grand  nur  in  dem  zu  seiner  Zeit  üblichen  Verfahren  gesucht 
werden. 

Sehen  wir,  welche  statistischen  Consequenzen  sich  aus  dem 
gesagten  ergeben.  Unter  einer  Bevölkerung  von  4 063  000  Seelen 
befinden  sich,  das  Verhältniss  von  100 : 35  wie  im  heutigen 
Frankreich  mit  seiner  stationären  Bevölkerung  zu  Grunde  ge- 
legt, 1420000  über  16  Jahre  alte  Männer.  Bei  der  in  dem 


»)  Liv.  I 44. 

*)  Plin.  33,  16.  Vergl.  Clason,  Köm.  Gesch.  I S.  54,  der  nur  nicht 
mit  dieser  Auffassung  des  Plinius  die  Echtheit  der  für  den  Census  von  392 
überlieferten  Bürgerzahl  hätte  vertheidigen  sollen. 


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Der  römische  Census. 


377 


Italien  der  damaligen  Zeit  herrschenden  Ehe-  und  Kinder- 
losigkeit wird  aber  dieses  Verhältniss  vielleicht  noch  zu  niedrig 
sein,  und  wir  werden  etwa  IV2  Millionen  erwachsene  Männer 
ansetzen  dürfen.  Das  ist  gegenüber  dem  Ergebnisse  des  Cen- 
sus von  70  69  ein  Zuwachs  von  600000  Bürgern.  Da,  wie 
wir  gesehen  haben,  von  einer  natürlichen  Vermehrung  der 
Bürgerschaft  in  diesem  Zeiträume  nicht  die  Rede  sein  kann, 
so  umfasst  diese  Zahl  im  wesentlichen  die  Bevölkerung  der 
zwischen  69  und  28  in  den  Bürgerverband  aufgenommenen  Ge- 
biete. Von  jenen  600000  Neubürgern  mögen  auf  die  Trans- 
padana  etwa  200 — 250000,  auf  die  Provinzen  350 — 400  000 
entfallen.  Die  Volksdichtigkeit  der  Transpadana  würde  bei 
dieser  Annahme  um  etwas,  aber  keineswegs  sehr  bedeutend, 
hinter  der  des  eigentlichen  Italien  Zurückbleiben,  wie  das  ja 
auch  an  und  für  sich  sehr  wahrscheinlich  ist  (s.  unten  Cap.  IX,  4) ; 
auf  jede  Bürgergemeinde  in  den  Provinzen  würden  durchschnitt- 
lich gegen  3000  Bürger  entfallen.  Die  in  den  Provinzen  ein- 
zeln mit  dem  Bürgerrecht  beschenkten  konnten  in  dieser  Zeit 
numerisch  noch  kaum  sehr  in  Betracht  kommen;  bei  einer 
Untersuchung,  die  nur  mit  grossen  approximativen  Werthen  zu 
rechnen  hat,  können  sie  ganz  aus  dem  Spiele  bleiben,  um  so 
mehr,  als  ja  bereits  von  den  70  69  gezählten  Bürgern  ein  grosser 
Theil  in  den  Provinzen  zerstreut  lebte.  Auch  ist  nicht  zu  ver- 
gessen, dass  Caesar  und  Octavian  Zehntausende  von  Italikern 
als  Colonisten  in  die  Provinzen  gefühlt  hatten1). 

Man  wird  nicht  in  Abrede  stellen,  dass  in  dieser  Weise 
das  Problem  der  Censuszahlen  der  Kaiserzeit  seine  einfache  und 
natürliche  Lösung  findet.  So  erklären  sich  auch  die  Schwierig- 
keiten, mit  denen  Augustus  bei  der  Aushebung  seiner  Heere 
zu  kämpfen  hatte.  Die  25  Legionen,  die  der  Kaiser  bei  seinem 
Tode  hinterliess,  bildeten  mit  den  Praetorianern  und  Stadtsoldaten 
ein  Effectiv  von  kaum  150000  Mann,  und  doch  war  es  nöthig, 
selbst  für  den  regelmässigen  Ersatz  in  der  Hauptsache  auf 
Latiner  und  Peregrinen  zurückzugreifen2).  Wie  es  bei  ausser- 

')  Sueton.  Caes.  42:  octoginta  antem  cirium  milibus  in  transmarinas 
colonias  distributis. 

*)  Mommsen,  Hermes  19  (1S84)  S.  1 ff. 


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378 


Capitel  VH!. 


gewöhnlichen  Anforderungen  bestellt  war,  zeigen  die  Vorkomm- 
nisse im  pannonischen  Aufstand  und  nach  der  varianischen  Nieder- 
lage1). Das  ist  verständlich,  wenn  das  Reich  eine  bürgerliche 
Bevölkerung  von  4—5  Millionen  Einwohnern  zählte;  ganz  un- 
verständlich aber,  wenn  diese  Bevölkerung  12—15  Millionen 
betrug. 

Fragen  wir  jetzt  nach  den  Motiven,  die  Augustus  veran- 
lassten,  die  Hauptsumme  seines  Census  in  anderer  Weise  zu 
bestimmen  als  es  unter  der  Republik  üblich  gewesen  war,  so 
liegt  die  Antwort  nahe  genug.  Es  ist  das  vollkommnere  sta- 
tistische Verfahren,  das  über  das  unvollkommene  den  Sieg 
davonträgt  Maassgebend  war  ausserdem  der  Wunsch,  mit  den 
Ergebnissen  des  Census  der  kaiserlichen  Provinzen  vergleich- 
bare Zahlen  zu  erhalten ; endlich  war  es  so  möglich,  den  Erfolg 
der  Maassregeln  zur  Hebung  der  bürgerlichen  Bevölkerung  des 
Reiches  sogleich  zu  erkennen,  während  derselbe  bei  dem  alten 
System  erst  nach  17  Jahren  in  den  Censuszahlen  zum  Aus- 
druck gekommen  wäre. 

7.  Die  militärischen  Leistungen  Italiens. 

Die  Angaben  über  die  Stärke  der  Heere  und  Flotten,  die 
für  Griechenland  unser  hauptsächlichstes  Hüllsmittel  zur  Be- 
stimmung seiner  Bevölkerung  im  Alterthum  bilden,  haben  für 
Italien  neben  den  Censuszahlen  nur  secundäre  Bedeutung.  Es 
liegt  also  keine  Veranlassung  vor,  an  dieser  Stelle  erschöpfend 
darüber  zu  handeln.  Immerhin  aber  wird  es  zweckmässig  sein, 
die  militärischen  Leistungen  Roms  in  einigen  der  wichtigsten 
Kriegen  kurz  zu  besprechen,  um  auch  von  dieser  Seite  her  den 
Beweis  für  die  Richtigkeit,  oder  doch  wenigstens  für  die  Zu- 
lässigkeit der  oben  entwickelten  Auffassung  der  überlieferten 
Censuszahlen  zu  geben. 

Die  40  000  Mann,  die  an  der  Allia  gekämpft  haben  sollen 2), 
und  die  10  Legionen,  die  angeblich  bei  dem  Einfall  der  Gallier 

1 ) Plin.  H.  N.  VII  149  nennt  servitiorum  delcctus,  iuventutis  penuria 
unter  (len  Calamitäten  der  Regierung  Augusts. 

*)  Plut.  Catn.  18,  vergl.  Diod.  XIV  114. 


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Der  römische  Census. 


379 


349  aufgeboten  worden  sind1),  mögen  auf  sich  beruhen.  Die 
Nachricht,  dass  Rom  zur  Zeit  der  Schlacht  bei  Sentinum  296 
9 Legionen  ins  Feld  gestellt  hat 2),  wäre  an  sich  keineswegs  un- 
glaublich, nur  ist  es  sehr  zweifelhaft,  ob  die  Annalen  bereits 
in  dieser  Zeit  Angaben  der  Art  enthalten  haben.  Bei  Ausculum 
gegen  Pyrrhos  sollen  4 Legionen  gekämpft  haben,  und  zwar 
ausschliesslich  der  Contingente  der  Halfcbürger : mit  diesen  und 
den  Bundesgenossen  habe  das  römische  Heer  78  000  Mann  ge- 
zählt3). Vier  Legionen  mit  den  dazu  gehörigen  Bundestruppen, 
also  in  runder  Zahl  40000,  wurden  nach  Fabius4)  im  Jahre 
263  nach  Sicilien  geschickt,  und  von  vorübergehenden  Redue- 
tionen  abgesehen  scheint  diese  Macht  bis  zum  Ende  des  Krieges 
auf  der  Insel  geblieben  zu  sein.  Philinos  allerdings  spricht 
von  100000  Mann,  mit  denen  die  Römer  Akragas  und  Lily- 
baeon  belagert  hätten5),  aber  er  sieht  die  Dinge  von  kartha- 
gischer Seite,  und  es  ist  für  den  Besiegten  immer  ein  Trost 
gewesen,  die  Stärke  des  siegreichen  Feindes  zu  überschätzen. 

Sehr  schwere  Bedenken  erregen  auch  die  Angaben  des 
Polybios  über  die  Stärke  der  römischen  Flotten  in  diesem 
Kriege.  Sagt  uns  doch  Polybios  selbst,  dass  Rom  zu  seiner 
Zeit,  trotz  seiner  so  bedeutend  gestiegenen  Macht,  nicht  mehr 
im  Stande  war,  solche  Flotten  zu  bemannen*).  Man  hat  be- 
rechnet, dass  der  Tonnengehalt  der  680  Fünfruderer,  die  auf 
römischer  und  karthagischer  Seite  bei  Eknomos  gekämpft  haben 
sollen,  dem  Tonnengehalt  aller  heute  in  sämmtlichen  Flotten 


')  Liv.  vn  25. 

ä)  Liv.  X 26. 

3)  Dionys.  XX  1. 

4)  Bei  Polybios  I 16,  2. 

6)  Bei  Diodor.  XXIII  7;  XXIV  1,  1. 

6)  Polyb.  I 64,  I:  xal  tl  dijtiou  /ml  tu  alttov,  änootjOai  tig  av,  ön 
xtxgairjxoTts  rüv  oXiuv  xctl  TtoXlanlaalav  t/ovtcg  vhiqox’iv  vvv  q 
Ttgöa&tv  ovr'  av  nXrjgdjaat  toaavrat  vaO(  out'  avanXevaai  TtjXucovToii 
OToXoig  dvvr]9iitv ; ou  utjv  äXXa  nt  gl  /xev  TavTijt  rrjg  uuogtas  (Utytüt 
/Simm  rag  alt  Ca;  xaravoiiv,  ott  /jzl  ttjv  i( ijyrjoiv  auttüv  rrjf  noltttlag 
iWinu (v.  Leider  steht  nichts  darüber  in  den  erhaltenen  Theilen  des 
VI.  Buches. 


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380 


Capitel  VIII. 


der  Welt  vorhandenen  Panzerschiffe  gleich  kommen  würde ; die 
Besatzung  Übertritte  an  Zahl  die  Mannschaften  aller  heutigen 
Kriegsflotten  zusammengenommen1).  Verdächtig  ist  auch  der 
Umstand,  dass  Polybios  in  der  Regel  so  spricht,  als  ob  die 
Flotten,  die  im  ersten  punischen  Kriege  gekämpft  haben,  aus- 
schliesslich aus  Penteren  bestanden  hätten.  Denn  alle  Flotten 
des  III.  und  II.  Jahrhunderts,  von  deren  Zusammensetzung  wir 
nähere  Kenntniss  haben,  enthalten  zum  sehr  grossen  Theile 
Schiffe  niederer  Ordnungen ; und  Polybios  selbst  sagt  uns,  dass 
die  römischen  Bundesgenossen  am  Anfang  des  Krieges  nur 
Trieren,  Dreissigruderer  und  andere  kleinere  Schiffe  gestellt 
hätten2).  Bei  dem  grossen  Flottenbau  des  Jahres  261  wurden 
neben  100  Penteren  noch  20  Trieren  erbaut3),  und  aus  der 
Inschrift  der  columna  rostrata  wissen  wir,  dass  auch  die  kar- 
thagische Flotte  bei  Mylae  zum  Theil  aus  Trieren  bestanden 
hat4).  Offenbar  enthielten  die  Quellen,  die  Fabius  Pietor  Vor- 
lagen, meist  nur  die  Gesammtzahl  der  aufgestellten  Kriegs- 
schiffe, ohne  Angabe,  wieviele  davon  Penteren,  Dreissigruderer 
usw.  gewesen  sind,  oder  wieviele  Rom  selbst,  und  wieviele  den 
Bundesgenossen  gehörten ; Fabius  hat  dann  kurzweg  alle  Schiffe 
zu  Penteren,  und  zwar  zu  römischen  Penteren  gemacht. 

Sicher  verbürgte  Angaben  über  die  Stärke  eines  römischen 
Heeres  erhalten  wir  zuerst  bei  Gelegenheit  des  gallischen  Ein- 
falls 225.  Nach  Fabius6)  wurden  10  Legionen  aufgestellt: 
4 im  Felde,  4 als  Reserve  in  Rom,  2 in  Tarent  imd  Sicilien; 
im  ganzen  52300  Mann  Bürgertruppen  mit  64000  Mann  Bun- 
desgenossen , ungerechnet  den  etruskischen  und  umbrischeu 
Landsturm.  Es  scheint,  dass  Rom  niemals  vorher  so  bedeutende 
Massen  ins  Feld  gestellt  hatte. 

Der  hannibalisehe  Krieg  erforderte  die  Anspannung  der 
gesammten  Militärkraft  Roms  und  seiner  Bundesgenossen.  Im 
Jahre  218  wurden  6 Legionen  aufgestellt,  je  2 für  Gallien, 

*)  Nissen,  Ital.  Landeskunde  I S.  127. 

*)  Polyb.  I 20.  14. 

*)  Polyb.  II  20,  9. 

*)  CIL.  I 195. 

R)  Bei  Polyb.  II  24. 


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Der  römische  Census. 


381 


Spanien  und  Afrika,  welche  letzteren  später  ebenfalls  in  Gallien 
verwendet  wurden,  in  der  Gesammtstärke  von  angeblich  25  800 
Bürgern  und  44  000  Bundesgenossen1).  Eine  weitere  Legion 
stand  wahrscheinlich  auf  Sicilien2);  die  Flotte  soll  220  Pen- 
teren  (?)  gezählt  haben.  Bis  zum  Frühjahr  216  wurden  die 
Legionen  auf  17  vennehrt,  trotz  der  Verluste  an  der  Trebia 
und  am  Trasimenus,  nämlich  8 gegen  Hannibal8),  1 auf  Sar- 
dinien4), je  2 in  Spanien,  Gallien5),  Sicilien8)  und  als  Reserve 
in  Rom T). 

Die  Verluste  des  Jahres  216  bei  Cannae  — 6 Legionen8)  — 
und  in  Gallien  — 1 oder  2 Legionen  — wurden  durch  neue 
Aushebungen  im  Laufe  der  nächsten  Jahre  mehr  als  ersetzt. 
Nach  den  Annalen  hat  das  römische  Heer  von  215  bis  zum 
Ende  des  Krieges  folgende  Stärke  gehabt: 


215  : 12  Legionen  (Liv.  24,  11). 


214  : 18 
213  : [20] 
212  : 23 
211  : 23 
210  : 21 
209  : [21] 
208  : 21 
207  : 23 
206  : [20] 


(Liv.  24,  11). 

(vergl.  Liv.  24,  44). 
(Liv.  25,  3). 

(Liv.  26,  1). 

(Liv.  26,  28). 

(vergl.  Liv.  27,  7). 
(Liv.  27,  22). 

(Liv.  27,  36). 

(vergl.  Liv.  28,  10). 


>)  Liv.  21,  17.  26.  Polyb.  UI  40,  14;  41,  2;  56,  5.  6.  Zahlen  aber 
die  Stärke  der  Legionen  scheint  Fabius  noch  nicht  gegeben  zu  haben,  da 
Polybios  die  beiden  consularischen  Heere  an  der  Trebia  einfach  mit  ihrer 
Normalstärke  von  40  000  Mann  in  Ansatz  bringt  (III  72,  11.  12). 

*)  Vergl.  Liv.  21,  49. 

>)  Polyb.  HI  107,  9;  113,  5.  Liv.  22,  26. 

*)  Polyb.  III  75,  4.  Liv.  23,  34. 

s)  Liv.  23,  24.  Nach  Polyb.  III  106,  5 scheint  nur  1 Legion  in 
Gallien  gestanden  zu  haben. 

«)  Polyb.  III  75,  4.  Liv.  28,  31.  32  u.  s.  w. 

7)  Liv.  23,  14,  2.  Von  jetzt  an  bis  zum  Ende  des  Krieges  ist  be- 
ständig eine  Reserve  von  2 Legionen  in  Rom  versammelt  gewesen,  die 
sog.  legiones  urbitnae. 

s)  Aus  den  Trümmern  der  8 cannensischen  Legionen  werden  nach 
der  Schlacht  2 Legionen  gebildet:  Liv.  26,  28  und  öfter. 


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882 


Capitel  VIII. 


205  : [20]  Legionen  (vergl.  Liv.  28,  45). 


204  : [20] 
203  : 20 


202 

201 

200 


16 

14 

6 


(vergl.  Liv.  29,  13). 
(Liv.  30,  2). 

(Liv.  30,  27). 

(Liv.  30,  41). 

(Liv.  31,  8). 


Die  Zahlen  für  213,  209,  206—204  sind  nicht  direct  überliefert, 
lassen  sich  aber  nach  den  Angaben  über  die  Aushebungen,  die 
vernichteten  oder  aufgelösten  Legionen  und  die  Vertheilung 
der  Heere  auf  den  Kriegsschauplätzen  mit  Sicherheit  ergänzen. 
Für  die  Jahre  215  und  210—200  stimmt  die  Summe  der  Einzel- 
posten mit  der  überlieferten  Gesammtzahl  der  Legionen;  da- 
gegen übersteigt  sie  dieselbe  in  den  4 Jahren  von  214  bis  211 
um  je  2 Legionen.  Diese  constante  Differenz  verbietet  uns, 
an  einen  Additionsfehler  oder  an  eine  Corruption  der  Zahlen 
zu  denken.  Es  müssen  also  während  dieser  Jahre  je  2 Legionen 
mit  Unrecht  aufgeführt  sein,  und  der  Fehler  lässt  sich  denn  auch 
mit  ziemlicher  Sicherheit  nachweisen.  Es  ist  absolut  unerfind- 
lich, warum  Rom  in  den  Jahren  214  und  213  ein  Heer  in 
Picenum  unterhalten  haben  sollte,  während  Ariminum  mit  2 
Legionen  besetzt  war,  und  das  zu  einer  Zeit,  wo  man  an  Mann- 
schaft den  grössten  Mangel  hatte.  Indess  es  ist  bekannt,  wie 
die  Römer  im  IH.  Jahrhundert  das  Gebiet  zwischen  Ancona 
und  Rimini  bald  als  einen  Theil  von  Picenum  ansahen,  bald 
als  ager  Gdllicus  dem  ager  Picenus  gegenüberstelleu.  Offen- 
bar ist  hieraus  der  Irrthum  der  Annalisten  entstanden:  von 
den  einen  wurde  das  zum  Schutze  Italiens  vor  den  Galliern 
bestimmte  Heer  als  in  Picenum  aufgestellt  bezeichnet,  von  den 
anderen  als  im  ager  Galliens ; und  so  sind  denn  aus  dem  einen 
allmählich  zwei  Heere  geworden.  Die  2 Legionen  in  „Gallien“, 
die  214 — 211  aufgeführt  werden,  und  von  deren  Thätigkeit 
wir  nicht  das  geringste  hören,  sind  demnach  als  Duplicat  der 
picentischen  Legionen  des  Varro  zu  beseitigen.  Als  dieses  Heer 
dann  212  nach  Campanien  gezogen  wurde,  werden  2 neue  Le- 
gionen nach  Etrurien  geschickt,  deren  hauptsächlichste  Aufgabe 
doch  eben  die  Deckung  der  Nordgrenze  Italiens  gegen  die  Gallier 
sein  musste. 


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Der  römische  Census. 


383 


Dass  diese  Angaben  über  die  Stärke  und  Verkeilung  der 
Heere  in  der  Hauptsache  auf  die  officielle  Stadtchronik  zurück- 
gehen, darf  nicht  bezweifelt  werden,  denn  sie  stehen  bei  Livius 
stets  in  unmittelbarer  Verbindung  mit  der  Magistratsliste  und 
anderen  Angaben,  die  sicher  aus  den  Annales  maximi  geflossen 
sind1).  Und  je  näher  wir  die  Liste  prüfen,  desto  mehr  be- 
stätigt sich  uns  ihre  Echtheit.  Es  liegt  in  der  Natur  der  Sache, 
dass  ein  Krieg,  der  auf  so  vielen  und  zum  Theil  weit  entlegenen 
Kriegsschauplätzen  gefühlt  wurde,  die  Entfaltung  sehr  bedeu- 
tender militärischer  Mittel  erforderte ; und  die  Besiegung  Hanni- 
bals  ist  nur  erklärlich,  wenn  Rom  über  eine  grosse  numerische 
Uebermacht  verfügen  konnte.  Mag  unsere  Liste  in  einigen 
Punkten  interpolirt  sein:  dass  zwischen  214  und  203  gegen 
20  römische  Legionen  in  Waffen  gestanden  haben,  ist  eine 
Thatsache,  die  sich  in  keiner  Weise  bestreiten  lässt. 

Aber  allerdings  waren  diese  Legionen  keineswegs  vollzählig. 
Wenn  die  117  Cohorten  des  Pompeius  bei  Pharsalos  statt  gegen 
60000  nur  45000,  die  82  Cohorten  Caesars  gar  statt  über 
40  000  nur  22000  Mann  zählten2),  wie  müssen  die  Heere  in 
dem  so  laugen  und  verlustvollen  Kriege  gegen  Hannibal  zu- 
sammengeschmolzen sein!  Die  4 Legionen  in  Spanien  hatten 
bei  der  Eroberung  von  Neu-Karthago  209  einen  Effectivbestand 
von  27500  Mann8),  offenbar  einschliesslich  der  spanischen  Ilülfs- 
truppen,  sodass  Scipio  bald  nachher  genöthigt  war,  die  Flotten- 
mannschaften in  sein  Laudheer  einzureihen.  Etwas  besser  lagen 
die  Verhältnisse  wohl  in  Italien;  aber  das  Effectiv  der  römischen 
Heere  (abgesehen  von  den  Bundesgenossen)  wird  im  hannibali- 
schen  Kriege  kaum  jemals  60—80  000  Mann  überstiegen  haben. 

Ueber  die  Stärke  der  römischen  Flotte  sind  wir  weniger 
gut  unterrichtet,  da  unsere  Quellen  auch  hier  gewöhnlich  unter- 
lassen, die  Schiffe  nach  dem  Range  zu  speeificiren.  Das  spa- 
nische Geschwader  zählte  217:  35  Schiffe4)  einschliesslich  eines 


')  Nissen,  Unters,  über  die  Quellen  des  Idvius  S.  86  ft. 
*)  Caesar,  Büryerkr.  III  88.  89. 

*)  Polyb.  X 9,  6. 

4)  Polyb.  III  95,  5. 


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384 


Capitel  VIII. 


massaliotischen  Contingents;  und  ebensoviele  hatte  Scipio  209 
bei  dem  Angriff  auf  Neu  - Karthago  *).  In  dem  Vertrage  mit 
Aetolien  211  hatten  sich  die  Römer  zur  Stellung  einer  Hülfs- 
flotte  von  25  l’enteren  verpflichtet  *),  und  dieselbe  Zahl  Anden 
wir  im  Jahre  208  in  den  griechischen  Gewässern3).  Sicilieu 
wird  am  Anfänge  des  Krieges  von  50  *),  später  von  100  Schiffen 
vertheidigt5).  Dazu  kommen  noch  Geschwader  in  Sardinien  und 
Ostia,  sodass  die  ganze  römische  Flotte  während  des  grösseren 
Theiles  des  Krieges  an  200  Schiffe  gezählt  haben  muss,  zu 
deren  Bemannung  etwa  40—50000  Soldaten  und  Ruderer  er- 
forderlich sein  mochten,  die  aber  zum  grössten  Theile  aus 
Bundesgenossen  und  Sklaven  bestanden. 

Im  Laufe  des  II.  Jahrhunderts  ist  Rom  niemals  gezwungen 
gewesen,  auch  nur  annähernd  solche  Anstrengungen  zu  machen, 
wie  während  des  Krieges  gegen  Hannibal.  Gegen  Antiochos 
wurden  im  Jahre  100  14  Legionen6)  und  etwa  100  Deckschiffe 7) 
aufgestellt;  ausserdem  haben  nur  noch  während  des  letzten 
Krieges  mit  Karthago  und  während  des  kimbrischen  Einfalls 
solche  Streitkräfte  unter  Waffen  gestanden. 

Erst  der  Bundesgenossenkrieg  nöthigte  Rom  von  neuem 
zum  Aufgebot  seiner  gesammten  Wehrkraft.  Die  Stärke  des 
römischen  Heeres  im  Jahre  90  wird  auf  100000  Mann  ange- 
geben, aber  einschliesslich  der  Contingente  der  treugebliebenen 
Bundesgenossen ; ebenso  hoch  belief  sich  die  Stärke  des  Heeres 
der  aufständischen  Italiker8),  Zahlen,  die  keineswegs  übertrieben 
scheinen.  Im  Winter  90/89  war  Rom  bereits  genöthigt,  zur 
Aushebung  von  Freigelassenen  seine  Zuflucht  zu  nehmen 9),  was 


>)  Polyb.  X 17,  13. 

!)  Liv.  26,  24. 

»)  Liv.  28,  5. 

4)  Liv.  21,  52. 

5)  Liv.  26,  2;  27,  22  und  öfter. 

*)  Liv.  37,  2;  vergl.  37,  50. 

')  Liv.  36,  2.  42. 

8)  App.  Bürgcrkr.  I 39. 

9)  App.  Bürgerkr.  I 49:  <Si'  äntke v9fguv,  rörf  timZtov  tg  argarntr 

<f*’  la toq(«v  nvifQtov  XCCTltXeyfyTlOV. 


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Der  römische  Census. 


385 


seit  dem  hannibalischen  Kriege  nicht  mehr  vorgekommen  war. 
Gegen  Sulla  sollen  Cinna  und  Carbo  nach  der  massigsten  An- 
gabe 100000  Mann  gerüstet  haben1);  wie  Sulla  selbst  in  seinen 
Memoiren  angab,  450  Coborten  oder  über  200  000  Mann a).  Dem 
gegenüber  hatte  Sulla  bei  seiner  Landung  in  Italien  nur  5 Le- 
gionen, oder  einschliesslich  seiner  griechischen  Hülfstruppen 
30—  40000  Mann3),  die  allmählich  im  Laufe  des  Krieges  auf 
23  oder  gar  47  Legionen 4)  vermehrt  wurden,  im  Bestände  von 
120000  Mann8).  Der  Gesammtverlust  Italiens  im  Bundes- 
genossen- und  ersten  Bürgerkriege  wird  auf  100  000 8),  150  000 7) 
oder  selbst  300  000 8)  Mann  angegeben,  welch  letztere  Zahl  aller- 
dings ohne  Zweifel  sehr  übertrieben  ist- 

Der  Bürgerkrieg  zwischen  Caesar  und  Pompeius  ist  mit 
viel  geringeren  Streitkräften  ausgekämpft  worden.  Anfang  49 
standen  22  Legionen  unter  Waffen:  davon  hatte  Caesar  9 in 
Gallien9),  Pompeius  2 in  Italien 10),  6 in  Spanien11);  2 standen 
in  Syrien,  2 in  Kilikien12),  1 in  Afrika18).  Das  gäbe  eine  Soll- 
stärke von  über  100000  Mann,  hinter  der  die  Effectivstärke 
freilich  beträchtlich  zurückblieb.  So  mussten  die  beiden  Le- 
gionen in  Kilikien  zu  einer  einzigen  schwachen  Legion  ver- 
einigt werden  u),  und  auch  Caesars  Legionen  waren  bei  weitem 
nicht  vollzählig 18).  Das  römische  Heer  wird  also  zu  Anfang  49 
nicht  über  60 — 70000  Mann  gezählt  haben.  Und  diese  Macht 


])  Appian,  Bürgerkr.  I 82. 

*)  Bei  Plut.  Sulla  27,  vergl.  Yell.  I 84. 

*)  Yell.  I 34;  App.  Bürgerkr.  I 79. 

*)  App.  Bürgerkr.  I 100;  Liv.  Epit.  89. 

5)  App.  Bürgerkr.  I 104. 

«)  Di od.  37,  29. 

*)  Liv.  bei  Eutrop.  V 9 und  Oros.  V 22. 

")  Veil.  I 15. 

»)  Caes.  Gail.  Kr.  VIII  54. 

,0)  Caesar  a.  a.  0. 

")  Caes.  Bürgerkr.  I 85. 

,ä)  Caes.  Bürgerkr.  III  4. 

’*)  Caes.  Bürgerkr.  II  28. 

14)  Caes.  Bürgerkr.  III  4. 

' ,6)  Caes.  Bürgerkr.  III  2. 

Bel  och,  Bevölkerung*!  ehre.  I.  25 


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386 


Capitel  VIII. 


war  zum  grossen  Theile  aus  der  Transpadana  conseribirt,  die 
das  römische  Bürgerrecht  noch  nicht  hatte. 

Bei  Ausbruch  des  Bürgerkrieges  befahl  der  Senat  im  eigent- 
lichen Italien  eine  Aushebung  von  130000  Mann1),  die  indess 
in  Folge  von  Caesars  Einfall  nur  zum  kleineren  Theile  zur 
Ausführung  kam.  Pompeius  conscribirte  ferner  aus  den  römi- 
schen Bürgern  in  Spanien  eine2),  in  Asien  2,  in  Makedonien 
1 Legion3).  Ebenso  veranstaltete  Caesar  Aushebungen  in  seiner 
Provinz,  dem  diesseitigen  Gallien  und  im  eigentlichen  Italien, 
woraus  einschliesslich  der  pompejanischen  Gefangenen  15  neue 
Legionen  formirt  wurden4). 

Bei  seinem  Tode  hinterliess  Caesar  über  40  Legionen. 
Nach  der  Schlacht  bei  Mutina  hatte  Octavian  17,  Antonius  16, 
Lepidus  10,  Brutus  und  Cassius  19  Legionen,  4 standen  in 
Afrika,  was  zusammen  66  Legionen  ergiebt5).  Bei  Philippoi 
standen  19  Legionen  des  Brutus  und  Cassius  (80000  Mann)®) 
gegen  ebenfalls  19  Legionen  (etwa  100000  Mann)7)  der  Trium- 
virn.  Nach  dem  Siege  waren  29  Legionen,  über  170000  Mann, 
zu  versorgen8).  Im  Jahre  36,  nach  Besiegung  des  Sextus 
Pompeius,  hatte  Octavian  44 — 45  Legionen,  Antonius  gegen  30. 
Nach  der  Schlacht  bei  Aktion  scheint  Octavian  gegen  50  Le- 
gionen gehabt  zu  haben9).  Seinen  eigenen  Angaben  zufolge 
hat  er  während  seiner  ganzen  Laufbahn  zusammen  gegen  500000 
römische  Bürger  in  seinen  Heeren  gehabt,  von  denen  etwas 
mehr  als  300  000  nach  Ablauf  ihrer  Dienstzeit  entlassen  worden 
sind.  Bereits  im  Jahre  29  v.  Chr.  waren  120000  Veteranen 
Octavians  in  den  Militärcolonien  angesiedelt10),  viele  müssen  in 


*)  App.  Bürgerkr.  II  34. 

*)  Caes.  Bürger  kr.  II  18.  20. 

*)  Caes.  Bürgerkr.  III  4. 

4)  Grotefend,  Zeitschr.  f.  AHerthumsw.  1840  S.  643. 
*)  Grotefend  a.  a.  0.  S.  649. 

°)  App.  Bürgerkr.  IV  88. 

’)  App.  Bürgerkr.  IV  108. 

8)  App.  V 5. 

9)  Mommsen,  Mo».  Ancyr.  S.  74  f.  (2.  Aufl.) 

,0)  Man.  Ancyr.  III  19. 


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Der  römische  Census. 


887 

den  Jahren  42 — 30  gestorben  sein,  immerhin  aber  ist  der 
bei  weitem  grössere  Theil  der  übrigen  180000  in  den  42  Jahren 
von  29  v.  Chr.  bis  14  n.  Chr.  zur  Entlassung  gekommen1),  wie 
das  auch  bei  einem  Heerbcstande  von  150000  Manu  und 
zwanzigjähriger  Dienstzeit  nicht  anders  sein  kann. 

Die  Monarchie  brachte  eine  beträchtliche  Reduction  des 
Heeres.  Augustus  hinterliess  bei  seinem  Tode  25  Legionen, 
dazu  die  cohortes  praetoriae  und  4 cohortes  urbanae,  zusammen 
kaum  über  150000  Mann.  Dabei  waren  die  Legionen  zum 
grossen  Theile  aus  Latinern  und  Peregrinen  conscribirt 8).  Die 
Truppenzahl  ist  dann  im  Laufe  der  Kaiserzeit  allmählich  ver- 
mehrt worden,  sodass  Vespasian  bei  seinem  Regierungsantritte 
30  Legionen  vorfand8).  Das  stehende  Heer  hat  sich  demnach 
zu  dieser  Zeit,  einschliesslich  der  Besatzung  Roms  und  der 
Auxilia  auf  über  300  ()00  Mann  belaufen,  eine  für  antike  Ver- 
hältnisse ganz  ungeheure  Zahl,  die  kein  anderer  Staat  des  Alter- 
thums in  Friedenszeiten  je  auch  nur  annähernd  erreicht  hat.  — 
Die  Entwickelung  des  römischen  Heerwesens  in  späterer  Zeit 
zu  verfolgen,  liegt  ausserhalb  der  uns  hier  gesteckten  Aufgabe. 

l)  Mommsen,  Mon.  Ancyr.  8.  7. 

*)  Mommsen,  Hermes  19  (1884)  S.  1 ff. 

8)  Für  die  Belege  verweise  ich  auf  Marquard,  Staatsverwaltung  11* 
S.  445  - 452. 


25* 


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Neuntes  Capitel. 

Italien. 


1.  Der  Flächeninhalt  Italiens. 

Das  Königreich  Italien  hatte  nach  den  bisherigen  officiellen 
Annahmen  einen  Flächenraum  von  296  323  qkm.  Davon  fallen 
auf  Sicilien  mit  den  kleinen  Nachbarinseln  29241,  auf  Sar- 
dinien und  die  zugehörigen  Inseln  24  342,  so  dass  für  das  Fest- 
land mit  den  Küsteninseln  242  740  qkm  übrig  bleiben.  Diese 
Zahlen  beruhten  auf  den  Arealangaben  für  die  Einzelstaaten, 
aus  deren  Vereinigung  das  Königreich  gebildet  worden  ist,  An- 
gaben, die  zum  Theil  jeder  wissenschaftlichen  Grundlage  ent- 
behrten,  und  namentlich  für  die  südlichen  Provinzen  nichts 
anderes  waren  als  rohe  Schätzungen1).  Die  Unbrauchbarkeit 
dieser  Zahlen  war  denn  auch  längst  allgemein  anerkannt,  aber 
erst  die  neue  kartographische  Aufnahme  des  Königreichs  ge- 
währte die  Möglichkeit,  zu  exacteren  Werthen  zu  gelangen.  Der 
russische  General  Strelbitzky  hat  das  Verdienst,  der  erste  ge- 
wesen zu  sein,  der  es  unternommen  hat,  den  Flächeninhalt 
Italiens  in  systematischer  Weite  durch  eine  planimetrische  Be- 
rechnung zu  bestimmen.  Das  Resultat  war  ein  überraschendes : 
es  ergab  sich  für  das  Königreich  ein  Areal  von  nur  288540  qkm, 
also  ein  Minus  von  7783  qkm  gegenüber  den  officiellen  An- 
gaben. Leider  hat  es  Strelbitzky  versäumt,  für  seine  Arbeit  das 


')  Näheres  bei  Marinelli , La  superficie  del  Regno  d’Italia,  Venezia 
1883  ( Estratlo  del  Vol.  1 Ser.  VI  degli  atti  del  R.  htituto  Veneto). 


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Italien. 


389 


beste  vorhandene  kartographische  Material  heranzuziehen,  und  so 
können  auch  seine  Zahlen  keine  absolute  Geltung  beanspruchen. 
Aber  das  Aufsehen,  das  Strelbitzkys  Resultate  hervorriefen,  gab 
dem  italienischen  militärgeographischen  Institute  Veranlassung, 
nunmehr  auch  seinerseits  eine  planimetrische  Arealbestimmung 
des  Königreichs  vorzunehmen1).  Die  Berechnung  wurde  aus- 
geführt auf  den  Originalaufuahmen  der  neuen  Karte  von  Italieu 
im  Maassstab  von  1 : 50000  und  1 : 25000,  soweit  diese  bisher 
vorliegen;  für  die  übrigen  Theile  des  Königreichs  sind  die 
Karte  des  festländischen  Theils  des  Königreichs  Sardinien  in 
1 : 50000,  die  österreichische  Karte  von  Lombardo-Venetien  und 
Mittelitalien  in  1 : 86  400  und  Lamannoras  Karte  der  Insel 
Sardinien  in  1 : 50  000  zu  Grunde  gelegt.  Die  bei  der  Berech- 
nung befolgte  Methode  entspricht  den  strengsten  Anforderungen 
der  Wissenschaft. 

Danach  beträgt  der  Flächeninhalt  des  Königreichs  286  588,3 
qkm , mit  einem  wahrscheinlichen  Fehler  von  +1,2  qkm;  also 
noch  gegen  2000  qkm  weniger,  als  Strelbitzky  gefunden  hatte. 
Dieses  Areal  vertheilt  sich  in  folgender  Weise: 

qkm 

Festland 236  402,2 

KUsteninseln 368,86 

Sicilien 25  461,3 

Nachbarinseln 278,8 

Sardinien 23  799,6 

Nachbarinseln 277,6 

Auf  den  continentalen  Rumpf  Italiens  nördlich  vom  44.  Breiten- 
grad (einschliesslich  der  südlich  dieses  Breitengrades  gelegenen 
Theile  der  Provinzen  Genua  und  Porto  Maurizio),  entsprechend 
etwa  der  alten  Gallia  cisalpina,  entfallen  107195,1  qkm,  auf 
die  Halbinsel  südlich  des  44.  Grades  also  129  207,1  und  ein- 
schliesslich der  59,4  qkm  der  Republik  S.  Marino  129  266,5  qkm, 
oder  mit  den  Küsteninseln  129  635,4  qkm.  — Leider  hat  man 

’)  Istituto  Geografico  Militare,  Superficie  del  Regno  (Tltalia  valutata 
nel  7884.  Firenze  1885. 


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390 


Capitel  IX. 


für  jetzt  von  einer  Bestimmung  des  Areals  der  Provinzen,  Cir- 
condarien  und  Gemeinden  noch  abgesehen. 

Indess  wie  bekannt  fällt  die  Grenze  des  antiken  Italien 
keineswegs  mit  der  des  heutigen  Königreiches  zusammen.  Im 
Westen  gehörte  ein  grosser  Theil  des  heutigen  Piemont,  bis  in 
die  Nähe  von  Turin,  zu  den  Alpes  Marittimae  und  Cottiae : 
die  Ausdehnung  dieses  Gebietes  mag  zu  etwa  6000  qkm  ver- 
anschlagt werden.  Andererseits  bildeten  der  heutige  Canton 
Tessin,  Südtirol  bis  Meran  und  zur  Brixener  Klause,  das  öster- 
reichische Küstenland  in  Augustus’  Zeit  Theile  Italiens.  Der 
Flächeninhalt  dieser  Gebiete  beträgt  (nach  Strelbitzky) : 


qkm 

Canton  Tessin 2 833,7 

Süd-Tirol’) 10  877 


Küstenland  (ohne  die  Inseln)  ....  7 055,1 

20  765,8 

Von  kleineren  Grenzbezirken,  wie  der  Küstengegend  zwi- 
schen Var  und  Roja,  den  südlich  der  Alpen  gelegenen  Theilen 
der  Cantone  Wallis  und  Graubündten  dürfen  wir  hier  absehen ; 
ebenso  von  den  Anschwemmungen  der  Flüsse,  durch  die  sich 
die  Halbinsel  seit  dem  Alterthum  etwas  vergrössert  hat 

Für  ganz  Italien  ergiebt  sich  demnach  unter  Augustus  ein 
Areal  von  rund  250  000  qkm ; der  Fehler  nach  unten  oder  oben 
wird  1000  qkm  kaum  übersteigen. 

Um  die  Vertheilung  dieses  Areals  auf  die  11  augusteischen 
Regionen  in  exacter  Weise  zu  bestimmen,  würde  eine  plani- 
metrische  Berechnung  erforderlich  sein,  zu  deren  Vornahme 
wir  erst  die  Vollendung  des  Corpus  lnscriptionum  Latinarum 
abwarten  müssen.  Inzwischen  müssen  wir  uns  damit  begnügen, 
den  Flächeninhalt  der  einzelnen  Regionen  auf  Grund  der  offi- 
ciellen  Arealangaben  für  die  entsprechenden  heutigen  administra- 
tiven Abtheilungen  annähenid  abzusehätzen.  Wir  erhalten 
folgendes  Ergebniss: 


’)  Bezirke  Ampezzo,  Borgo,  Bozen,  Cavalese,  Cles,  Meran,  Primiero, 
Riva,  Roveredo,  Tione,  Trient. 


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Italien. 


391 


Regionen 

qkm 

Gemeinden 

aui  jeue  uemeinae 
im  Durchschnitt 
qkm 

I 

16  000 

81 

197 

11 

29  800 

72 

414 

III 

30  000 

32 

938 

IV 

18  000 

43 

419 

V 

4 500 

23 

196 

VI 

10300 

48 

215 

VII 

31000 

50 

620 

VIII 

22100 

25 

884 

IX 

14  600 

17 

859 

X 

49  000 

28 

1750 

XI 

30  700 

12 

2 558 

256  000 

431 

597 

Wie  schon  bemerkt  sind  diese  officiellen  Zahlen  etwas  zu 
gross , im  ganzen  um  etwa  6000  qkm.  Doch  betrifft  der  Fehler 
hauptsächlich  den  Süden  der  Halbinsel.  So  würde  nach  Strel- 
bitzkys  Berechnung  die  zweite  Region  um  etwa  2000,  die  dritte 
um  2800  qkm  kleiner  sein,  als  hier  angenommen  ist.  Für  die 
übrigen  Regionen  reducirt  sich  demnach  der  Fehler  auf  eine 
verhältnissmässig  unbedeutende  Grösse,  die  für  unseren  Zweck 
kaum  ins  Gewicht  fällt. 

Die  Zahl  der  Gemeinden  ist  nach  Plinius’  Städtekatalog 
angesetzt x).  Rom  selbst  ist  natürlich  bei  Seite  gelassen ; ebenso 
in  der  ersten  Region  Auximum,  Cingulum,  Forentum,  die  wohl 
nur  durch  ein  Versehen  in  die  plinianische  Liste  gekommen 
sind,  ebenso  die  Inselgemeinden  Capreae,  Pandataria,  Pontiae, 
deren  Areal  zusammen  nur  29  qkm  beträgt.  In  der  neunten 
Region  sind  Nikaea  und  der  Portus  Herculis  Monoeci,  die  zum 
Gebiete  von  Massalia  gehörten2),  nicht  berücksichtigt,  in  der 
zehnten  die  illyrischen  Gemeinden  der  Alutrenses,  Asseriates, 
Flanonienses  Vanienses,  Flanonienses  Curici,  Varvari,  die  dieser 
Region  nur  vorübergehend  unter  August us  angehört  haben. 


')  Vergl.  meinen  ltal.  Bund  Cap.  I. 
2)  CIL.  V S.  916. 


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392 


Capitel  IX. 


2.  Die  Bevölkerung  Rems x). 

Rom  muss  bereits  in  der  letzten  Königszeit,  wenn  wir  von 
den  griechischen  Colonien  absehen,  bei  weitem  die  grösste 
Stadt  der  Halbinsel  gewesen  sein.  Die  servianische  Mauer  um- 
schloss einen  Flächenraum  von  426  ha,  eine  Ausdehnung,  wie 
sie  von  keiner  zweiten  italischen  Stadt  auch  nur  annähernd 
erreicht  wurde.  Capua,  das  Rom  am  nächsten  stand,  umfasste 
etwa  180  ha,  hatte  also  noch  nicht  die  halbe  Grösse  des  ser- 
vianischen  Rom;  Caere  hatte  117  ha,  Ardea,  die  nach  Rom 
grösste  Stadt  in  Latium,  85  ha,  Praeneste  nur  32  ha  Flächen- 
raum2). Diese  bedeutende  Ausdehnung  des  königlichen  Rom 
ist  um  so  bemerkenswerther,  als  sie  keineswegs  durch  fortifica- 
torische  Rücksichten  bedingt  war.  Vielmehr  entbehrte  bekannt- 
lich die  ganze  Ostfront  der  Stadt  des  natürlichen  Schutzes, 
und  war  nur  durch  künstliche  Befestigungen,  den  servianischen 
Agger,  vertheidigt.  Es  lag  also  kein  Grund  vor,  diesen  Agger 
so  weit  hinauszuschieben,  wenn  nicht  wirklich  ein  Bedürfniss 
nach  Raum  vorhanden  war.  Allerdings  ist  nicht  zu  vergessen, 
dass  die  Stadt  bestimmt  war,  in  Kriegszeiten  der  gesammten 
Bevölkerung  des  ausgedehnten  Landgebietes  mit  ihren  Heerden 
Schutz  zu  gewähren8).  Immerhin  beweist  die  Eintheilung  der 
Bürgerschaft  in  4 städtische  neben  17  Landtribus,  dass  bereits 
am  Anfang  der  Republik  etwa  V*  aller  Bürger  in  der  Haupt- 
stadt ihren  regelmässigen  Wohnsitz  hatten;  vielleicht  sogar 
waren  die  Stadttribus  schon  damals  stärker  als  die  ländlichen, 
und  jedenfalls  lebten  in  Rom  zahlreiche  Fremde  aus  den  an- 
deren Latinerstädten. 

Das  Anwachsen  der  Stadt  während  der  nächsten  Jahr- 
hunderte ist  im  einzelnen  nicht  zu  verfolgen,  da  der  von  den 
Mauern  umschlossene  Raum  bis  auf  Sulla  für  die  Bevölkerung 

l)  In  italienischer  Uebersetzung  veröffentlicht:  Bulletin  de  T Institut 
international  de  Statistique,  Heft  1,  Rom  1886. 

s)  Alle  diese  Zahlen  nach  meinen  planimetrischen  Messungen  auf 
den  besten  vorhandenen  Plänen.  Nähere  Nachweise  unten  Cap.  XI. 

*)  Der  Vergleichbarkeit  der  oben  gegebenen  Zahlen  thut  das  keinen 
Eintrag,  da  in  den  übrigen  italischen  Städten  derselben  Periode  analoge 
Verhältnisse  geherrscht  haben. 


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Italien. 


393 


genügt  hat.  Doch  ist  es  bemerkenswerth,  dass  schon  zur  Zeit 
Hannibals  dreistöckige  Häuser,  allerdings  in  der  lebhaftesten 
Stadtgegend,  am  Forum  Boarium,  erwähnt  werden  *).  Rom  hat 
also  ohne  Zweifel  schon  damals  eine  ansehnliche  Bevölkerung 
gehabt,  die  sieh  in  den  folgenden  Jahrzehnten  durch  zahlreiche 
Einwanderung  aus  den  verbündeten  Gemeinden  bedeutend  ver- 
mehrt hat2).  Indess  das  rapide  Steigen  der  Volkszahl  fällt 
erst  in  das  Jahrhundert  zwischen  den  Gracchen  und  Caesar, 
befördert  vor  allem  durch  die  Getreidespenden,  die  recht  dazu 
angelegt  waren,  das  gesammte  Proletariat  Italiens  nach  der 
Hauptstadt  zusammenzuziehen8).  So  sah  sich  schon  Sulla  ge- 
nöthigt,  das  Pomerium  für  die  Bebauung  freizugeben*);  als 
Augustus  seine  Regioneneintheilung  durchführte,  war  ein  Kranz 
von  Vorstädten  um  die  servianische  Mauer  erwachsen,  der  die 
Altstadt  an  Ausdehnung  übertraf. 

Die  Beschränkung  der  Zahl  der  Getreideempfänger  durch 
Caesar  und  Augustus  setzte  nicht  nur  dem  bisherigen  Wachsen 
der  Bevölkerung  ein  Ziel,  sondern  musste  sogar  einen  Rück- 
schlag zur  Folge  haben,  da  die  von  den  Spenden  ausgeschlossenen 
Annen  aus  Mangel  an  Subsistenzmitteln  sich  gezwungen  sahen, 
entweder  in  ihre  Municipien  zurückzugehen,  oder  in  die  Pro- 
vinzen auszuwandern.  Eine  Handels-  und  Industriestadt  ersten 
Ranges  ist  Rom  in  der  Kaiserzeit  so  wenig  gewesen  wie  heute ; 
dazu  war  die  Lage  zu  ungünstig,  das  Leben  zu  theuer,  das 
Klima  zu  ungesund.  Wenn  auch  selbstverständlich  in  einer 
so  grossen  Stadt  eine  lebhafte  Gewerbthätigkeit  herrschte,  so 
überwog  doch  die  Consumtion  durchaus  über  die  Production, 


’)  Liv.  21,  62 : foro  boario  bovem  in  tertiam  contignationem  sua  sponte 
tscendisse. 

*)  Liv.  39,  3;  41,  8. 

*)  Sali.  Cat.  37:  praeterea  iuventus,  quae  in  agris  manuum  mercede 
inopiam  toleraverat,  privatis  atque  publieis  largitionibus  excita  urbnnum 
otium  ingrato  labori  praetxderat.  App.  Bürgerkr.  II  120:  vö  tc  airgg^aiov 
tois  ntvrioi  /onriyo vutvov  fr  povt)  Ptour)  xov  apyöv  xal  m tuytvovT n xol 
rayvfQyov  rijf  ’ IiaXta ; Xeiüv  If  riji  IHv/ugv  tndyuai.  Vergl.  Varro  v.  d. 
Landwirthsch.  II  praef.  3. 

4)  Jordan,  Topogr.  IIS.  322  f. 


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394 


Capitel  IX. 


die  Einfuhr  über  die  Ausfuhr1).  Nur  künstliche  Ursachen 
haben  Rom  zur  Grossstadt  emporgehoben.  Darum  ist  die  Be- 
völkerung, nachdem  diese  Ursachen  ihre  Wirkung  gethan  hatten, 
von  Augustus  bis  Diocletian  im  wesentlichen  stationär  geblieben. 
Wohl  haben  sich  die  Vorstädte  nach  Augustus  noch  weiter 
ausgedehnt:  während  unter  Vespasian  265  vici  gezählt 

wurden , scheint  es  unter  Constantin  324  gegeben  zu  haben 2), 
aber  diese  Vergrösserung  der  Vorstädte  musste  mindestens 
theilweise  compensirt  werden  durch  das  Niederreissen  von 
Häusern  in  der  Altstadt,  um  Raum  für  die  Prachtbauten  der 
Kaiser  zu  schaffen.  — Als  dann  Rom  in  der  diocletianisch- 
constantinischen  Zeit  aufhörte,  die  Hauptstadt  des  Reiches  zu 
sein,  beginnt  der  Verfall,  den  bald  die  Stürme  der  Völker- 
wanderung vollenden  sollten. 

Die  numerische  Bestimmung  der  Bevölkerung  des  kaiser- 
lichen Rom  ist  wie  bekannt  vielfach  versucht  worden.  Auch 
hier  gingen  die  Schätzungen  zuerst  ins  maasslose:  Lipsius  nahm 
4 Millionen8),  Isaac  Vossius  sogar  14  Millionen*)  Einwohner 
an.  Gibbon  erkannte'  die  völlige  Unhaltbarkeit  dieser  Zahlen ; 
aber  wenn  er  selbst  nach  der  Häuserzahl , d.  h.  der  Zahl  der 
domus  und  instilae,  die  Bevölkerung  Roms  in  der  constantiui- 
schen  Zeit  auf  1 200  000  veranschlagte 5),  so  entbehrt  auch  dieses 
Resultat  durchaus  der  wissenschaftlichen  Begründung,  und  nur 
sein  feiner  historischer  Tact  Hess  Gibbon  annähernd  das  rich- 
tige treffen.  Mit  besserer  Methode  nahm  Bunsen  die  Zahl  der 
Getreideempfänger  zum  Ausgangspunkt,  verdarb  daun  aber 
alles  wieder  durch  einen  ganz  willkürlichen  Ansatz  der  Sklaven- 
zahl, ohne  sich  zu  fragen,  ob  denn  die  Stadt  bei  ihrem  Umfang 
auch  im  Stande  war,  die  1300  000  — 2 000  000  Einwohner  zu 


’)  Blümner,  Die  gewerbliche  Thiitigkdt  der  Völker  des  AUerth. 
(Leipzig  1869)  S.  110  ff.;  Friedländer,  Sittengeschichte  In  S.  566;  Pöhlmann, 
Utbervölkerung  S.  29. 

*)  S.  Jordan,  Topograph.  IIS.  315  f. 

3)  De  magnit.  Rom.  III  3 

*)  Variarum  observationuni  Uber,  London  1585,  S.  32  f. 

B)  Decline  and  fall  of  the  Roman  Empire  ch.  31. 


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Italien. 


395 


beherbergen,  die  er  herausrechnet *).  Die  neueren  deutschen 
Bearbeiter  der  Frage:  Zumpt 2) , Marquardt3),  Wietersheim4), 
Friedländer5),  sind  Bunsen  gefolgt;  die  Ergebnisse  schwanken 
zwischen  U/s  und  2 Millionen,  je  nachdem  die  Sklavenbevöl- 
kerung der  freien  Bevölkerung  gleich  gerechnet  oder  auf  das 
anderthalbfache  oder  doppelte  dieser  veranschlagt  wird.  Die 
einzigen,  die  sich  die  Unmöglichkeit  klar  gemacht  haben,  eine 
solche  Bevölkerung  innerhalb  der  aurelianischen  Mauer  zu- 
sammenzudrängen, sind  Dureau  de  la  Malle  und  der  italienische 
Statistiker  Pietro  Castiglioni ; freilich  fallen  sie  in  das  entgegen- 
gesetzte Extrem,  wenn  sie  nach  der  Analogie  moderner  Städte 
die  Bevölkerung  der  14  Regionen  zu  562  000 6),  beziehungs- 
weise 574  — 595  000  veranschlagen.  Dureau  de  la  Malle1) 
macht  nicht  einmal  den  Versuch , sein  Resultat  mit  den 
überlieferten  Zahlen  der  Getreideempfänger  in  Einklang  zu 
bringen;  Castiglioni  sieht  sich  gezwungen,  annähernd  dieselbe 
Zahl,  wie  für  die  Stadt  der  14  Regionen,  für  die  angeblichen 
Vorstädte  ausserhalb  der  Regionen  und  die  Campagna  in  Rech- 
nung zu  stellen,  ohne  doch  im  Stande  zu  sein,  diesen  Ansatz 
irgendwie  zu  begründen  oder  auch  nur  wahrscheinlich  zu 
machen. 

Es  ist  diesen  widersprechenden  Annahmen  gegenüber  be- 
greiflich, wie  der  neueste  Forscher  auf  diesem  Gebiet,  Pöhl- 
mann,  es  überhaupt  ablehnt,  eine  ziffermässige  Bestimmung 
der  Bevölkerung  Roms  zu  geben 8).  Indess  so  verzweifelt,  wie  es 
auf  den  ersten  Blick  den  Anschein  hat,  liegt  die  Sache  denn 
doch  nicht.  Es  ist  ja  ohne  weiteres  klar,  dass  wir  niemals  im 

’)  Beschr.  Borns  I S.  184. 

*)  Abh.  d.  Bert.  Äkad.  1840  S.  59  ff. 

8)  Staatsvene.  II 1 S.  120. 

*)  Völkern.  I*  S.  242—268. 

6)  Sittengesch.  I6  S.  58. 

6)  Economie  politique  des  Romains  I S.  403. 

7)  Monografia  dclla  CittU  di  Roma , herausgegeben  von  dem  ital. 
statistischen  Amte  ( Direzione  generale  di  Statistica),  Roma  1881,  II  S.  283. 

s)  Die  TJebervotkerung  der  antiken  Grossstädte,  Leipzig  1884,  S.  22  f. 
Freilich  hindert  ihn  das  nicht,  auf  S.  25  doch  von  der  „Millionenstadt 
Rom“  zu  sprechen. 


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396 


Capitel  IX. 


Stande  sein  werden,  die  Bevölkerung  des  alten  Rom  mit  der- 
selben Genauigkeit  zu  bestimmen,  wie  die  Bevölkerung  einer 
modernen  Grossstadt.  Aber  es  wird  immerhin  möglich  sein, 
zu  Annäherungswerthen  zu  gelangen,  die  sich  nicht  allzu  weit 
von  der  Wahrheit  entfernen,  und  für  unsere  Zwecke  mehr  als 
genügend  sind.  Denn  einerseits  geben  uns  die  überlieferten 
Zahlen  der  Getreideempfänger,  und  die  daraus  zu  berech- 
nende Gesammtzahl  der  bürgerlichen  Bevölkerung  ein  Mini- 
mum, das  jedenfalls  beträchtlich  hinter  der  Gesammtbevöl- 
kerung  zurüekbleibt;  andererseits  gewährt  die  Kenntniss  des 
von  der  Stadt  eingenommenen  Flächenraums  die  Möglichkeit, 
ein  Maximum  festzustellen,  das  die  Bevölkerung  in  keinem 
Falle  überschritten  haben  kann.  Zur  Controle  dienen  die  An- 
gaben über  den  Getreidebedarf  der  Stadt.  Wenn  trotzdem  die 
bisherigen  Versuche,  die  Bevölkerung  zu  bestimmen,  zu  keinem 
gesicherten  Resultat  geführt  haben,  so  liegt  der  Grund  offenbar 
in  den  Mängeln  der  angewandten  Methoden.  Statt  aus  den 
bekannten  Daten  das  unbekannte  zu  bestimmen,  hat  man  es  vor- 
gezogen, auf  vorgefasste  Meinungen  hin  subjective  Schätzungen 
vorzunehmen.  Da  ist  es  denn  freilich  kein  Wunder,  dass 
die  Ergebnisse  so  kläglich  ausgefallen  sind. 

Beginnen  wir  mit  der  Bestimmung  der  bürgerlichen  Be- 
völkerung. Wir  haben  für  diese,  wie  schon  bemerkt,  eine  sichere 
Grundlage  in  den  Angaben  über  die  Zahl  der  Empfänger  der 
Getreidespenden  und  Congiarien  aus  der  Zeit  vom  Ausgang 
der  Republik  bis  an  den  Anfang  des  III.  Jahrhunderts  der 
Kaiserherrschaft , Angaben,  die  unter  sich  aufs  beste  über- 
einstimmen , und  zum  Theil  auf  den  officiellen  Rechen- 
schaftsbericht des  Kaisers  Augustus  über  seine  Regierung 
zmückgehen.  Die  älteste  darunter  ist  aus  dem  Jahre  70  v.  Chr. 
Cicero  bezeichnet  damals  ein  Quantum  von  33  000  Medimnen  oder 
198  000  Modien  Weizen  als  „beinahe  hinreichend  für  den 
monatlichen  Verbrauch  des  römischen  Volkes“  *).  Gewiss  hat 


')  Cic.  Verr.  III  20,  72:  plebis  Romanae  prope  menstrua  cibaria. 
Vergl.  Kulin,  Zeitschr.  f.  Älterthum  sic.  1845  Sp.  1003;  Momrasen,  R.  G.  III5 
S.  24  Anm. 


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Italien. 


397 


Cicero  hier  der  rhetorischen  Wirkung  zu  Liebe  den  Verbrauch 
unterschätzt;  aber  mögen  auch  300  000,  ja  400  000  Modien 
monatlich  zur  Vertheilung  gelangt  sein,  so  betrug  die  Zahl  der 
Empfänger  bei  5 Modien  auf  den  Kopf  doch  nur  60  — 80  000. 
Das  änderte  sich,  als  der  Senat  auf  Catos  Antrag  im. Jahre  62 
die  bisher  geltenden  Beschränkungen  der  Getreidespenden  auf- 
hob und  allen  Bürgern  ohne  Unterschied  ihren  Antheil  gewährte. 

»Die  Ausgabe  für  das  Getreidewesen  steigerte  sich  dadurch  auf 
30  Millionen  Sesterzen1).  Da  in  Sicilien  der  Modius  Weizen 
selbst  in  guten  Jahren  mit  3—4  Sesterzen  bezahlt  wurde2),  so 
kann  derselbe  einschliesslich  des  Transports  der  Staatskasse 
kaum  auf  unter  4 Sesterzen  zu  stehen  gekommen  sein8).  Den 
empfangsberechtigten  Bürgern  wurde  der  Modius  aber  zu  6J/a  As 
abgegeben,  so  dass  die  Staatskasse  an  jedem  Modius  etwa 
21/2  Sesterzen  verlor,  was  auf  gegen  200  000  Empfänger  führt. 
Vier  Jahre  später  brachte  Clodius  ein  Gesetz  zur  Annahme, 
wonach  das  Getreide  jedem  Bürger  unentgeltlich  geliefert  wurde ; 
und  nun  stieg  die  Zahl  der  Empfänger  binnen  12  Jahren  auf 
320  000 4).  Caesar  versuchte  im  Jahre  46  eine  Reform,  wahr- 
scheinlich in  der  Weise,  dass  nur  die  seit  längerer  Zeit  in  Rom 
ansässigen  Bürger  zum  Empfange  berechtigt  blieben5),  die  in 
den  letzten  Jahren  zugewanderten  oder  aus  Speculation  auf  die 
Getreidespenden  freigelassenen  aber  in  ihre  Municipien  zurück- 
geschickt, beziehungsweise  — es  sollen  80  000  gewesen  sein  — 
in  überseeische  Colonien  geführt  wurden  ®).  So  wurde  die  Zahl 
der  Getreideempfänger  auf  150  000  reducirt,  und  diese  Zahl 
ein  für  alle  Mal  als  Normalzahl  fixirt,  die  nie  überschritten 


>)  Plut.  Cato  d.  Jüngere  26. 

*)  Cic.  Verr.  III  70,  163;  vergl.  75,  174;  85,  196. 

*)  4 HS  rechnet  Mommsen,  II-  G.  I5  851  A.  als  hauptstädtischen 
Mittelpreis  für  diese  Zeit. 

*)  Suet.  Caes.  41;  Plut  Caes.  55. 

5)  Wir  hören,  dass  die  Listen  von  den  Hauswirthen  (domini  insularum ) 
zusammengestellt  wurden,  Suet  a.  a.  0. 

®)  Suet  Caes.  42:  octoginta  autem  civium  milibus  in  transmarinas 
cdonias  distrtbutis,  ut  exhaustae  quoque  urbis  frequentia  swppeterett 
sanxit  etc. 


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398 


Capitel  IX. 


werden  sollte l).  Diese  Maassregeln  haben  denn  auch  den  Erfolg 
gehabt,  das  hauptstädtische  Proletariat  beträchtlich  zu  verringern. 
Augustus  giebt  an,  dass  die  in  den  Jahren  44,  29,  24,  23  und 
12  v.  Chr.  von  ihm  an  die  römische  Plebs  vertheilten  Con- 
giarien  „niemals  weniger  als  250  000  Menschen“  zu  gute  ge- 
kommen seien2),  obgleich  wenigstens  bei  der  Spende  von  29 3 ), 
wahrscheinlich  auch  später  die  Knaben  unter  10  Jahren  berück- 
sichtigt wurden,  die  bis  dahin  ausgeschlossen  waren4).  Dagegen 
wurde  die  Spende  des  Jahres  5 v.  Chr.  wieder  an  320  000 
Empfänger  vertheilt5):  wir  sehen,  wie  das  italische  Proletariat 
von  neuem  nach  der  Hauptstadt  zusanunenströmte.  Dem 
gegenüber  sah  sich  Augustus  im  Jahre  2 v.  Chr.  genöthigt, 
wieder  eine  Beschränkung  der  Getreidevertheilungen  eintreten 
zu  lassen.  Er  ging  dabei  schonender  vor  als  einst  Caesar; 
die  Zahl  der  Empfänger  wurde  zunächst  auf  etwras  über  200000 
festgesetzt6),  um  dann  später  allmählich  auf  die  von  Caesar  be- 
stimmte Normalzahl  von  150  000  herabgebracht  zu  werden. 
Bei  Augustus’  Tode  war  das  ganz  oder  annähernd  erreicht. 
Von  den  40  Millionen  Sesterzen,  die  Augustus  dem  „Volke“, 
d.  h.  den  Getreideempfängern , vennacht  hatte 7) , erhielt  jeder 


')  Suet.  Caes.  41 ; Liv.  Epit.  115;  Plut.  Caes.  55,  vergl.  Dio  Cass.  43,  23. 

а)  Mm.  Ancyr.  c.  XV : quae  mea  cmgiaria  pervenerunt  ad  hominum 
miUia  nun  quam  minus  quinquaginta  et  ducenta. 

s)  Dio  Cass.  51,  21,  3:  ug  t 1 drjpqt  x «•'/’  txuröv  dga/pelg,  ngui  igmg 
piv  t off  (g  ueJnit;  Tilovotr,  in  Hirt  di  xai  roif  natai  <f  id  r 6r  Mdnxti  hur 
töv  äddqid ovr  diivtipf. 

*)  Suet.  Aug.  41:  ac  ne  minores  qutdem  pueros  p raeteriit,  quamvis 
non  nisi  ab  undecimo  aetaiis  anno  accipere  cmsuessent.  Hier  nur  an 
Waisenknaben  zu  denken,  verbietet  der  Ausdruck  pueros,  nicht  pupillos, 
und  die  angeführte  Stelle  des  Dion. 

б)  A.  a.  0.:  trecentis  et  viginti  millibus  piebis  ttrbanae  sexagenos 
denarios  viritim  dedi. 

®)  ilfo».  Aticyr.  c.  XV:  Consul  tertium  decimum  sexagenos  denarios 
plebei,  quae  tum  frumentum  publicum  accipiebat,  dedi;  ea  miUia  hominum 
paullo  plura  quam  ducenta  fitere.  Bemerkenswerth  ist  der  Ausdruck: 
quae  turn  frumentum  publicum  accipiebat ; zur  Zeit  als  Augustus  schrieb, 
war  also  die  Zahl  eine  andere. 

T)  Die  Zahl  geben  Sueton.  Aug.  101  und  Tacit.  Am«.  I 8 überein- 
stimmend, nur  dass  Tacitus  die  beiden  Legate:  40  Mil!,  den  Cetreide- 


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Italien. 


399 


Bürger  65  Denare1),  was  eine  Zahl  von  wenig  über  150  000 
ergiebt  Später  ist  die  Zahl  wieder  etwas  erhöht  worden;  sie 
hat  unter  Septimius  Severus  160  000,  vielleicht  180  000  Köpfe 
betragen a). 

Seit  der  Schliessung  der  Zahl  der  Getreideempfänger  durch 
Augustus  im  Jahr  2 v.  Chr.  hat  diese  Zahl  für  die  Bevölkerungs- 
statistik nur  noch  insofern  Bedeutung,  als  sie  uns  das  Minimum 
giebt,  unter  das  wir  nicht  herabgehen  dürfen,  das  aber  mög- 
licherweise bedeutend  — wenn  auch  kaum  sehr  bedeutend  — 
hinter  der  Wahrheit  zurückbleibt.  Vor  diesem  Jahre  begreift 
die  Zahl  der  Getreideempfänger  offenbar  die  Gesammtheit  der 
in  oder  bei  Rom  domicilirten  Bürger,  soweit  sie  durch  ihr  Alter 
zum  Empfange  berechtigt  waren  und  nicht  zum  Senatoren- 
oder Ritterstand  gehörten.  Allerdings  konnte  der  Umstand, 
dass  ein  Bürger  in  der  Hauptstadt  seinen  Wohnsitz  hatte,  un- 
möglich ein  rechtliches  Privileg  gegenüber  den  anderen  Bürgern 
begründen ; da  aber  die  Getreidevertheilungen  nur  in  Rom  statt- 
fanden, so  waren  damit  thatsächlich  alle  in  den  entfernteren 
Municipien  wohnenden  Bürger  ausgeschlossen.  Wollten  sie  ihr 
Recht  dennoch  ausüben,  so  gab  es  für  sie  kein  anderes  Mittel 
als  die  Uebersiedlung  nach  Rom,  und  wir  haben  gesehen,  in 
welchem  Maassstab  die  italische  Bevölkerung  von  diesem  Mittel 
Gebrauch  gemacht  hat.  Aber  diese  thatsächliche  Beschränkung 
bestand  nicht,  oder  sie  bestand  doch  nur  in  geringerem  Maasse 
für  die  Bürger,  die  in  unmittelbarer  Nähe  von  Rom  wohnten. 
Von  Ostia  oder  Praeneste  lohnte  es  sich  schon,  einmal  im 


empfängern,  31/*  Mill.  den  35  Tribus  (jeder  100  000  HS)  in  eine  Zahl 
zusammenfasst. 

>)  Dio  Cass.  57,  14. 

s)  Dio  Cass.  76,  1.  8evems  vertheilte  bei  seinem  zehnjährigen  Regie- 
rungsjubiläum  an  die  Praetorianer  — d.  h.  doch  offenbar  an  alle  in  und 
bei  Rom  stehenden  Truppen  — und  den  Getreidepöbel  1000  HS  pro 
Mann;  der  Gesammtaufwand  betrug  200  Millionen,  die  Empfänger  waren 
also  200  000.  Die  Zahl  der  Praetorianer  giebt  Herodian  auf  40  000  an 
(III  13,  4)  was  wohl  übertrieben  ist,  auch  wenn  wir  die  Zahl  von  der 
ganzen  Garnison  der  Hauptstadt  verstehen.  Doch  ist  die  Berechnung  Dions 
sehr  im  groben  gegriffen. 


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400 


Capitel  IX. 


Monat  den  Weg  nach  der  Hauptstadt  zu  machen,  um  die  5 
Modien  in  Empfang  zu  nehmen;  wer  das  Getreide  nicht  mit  " 
nach  Hause  schleppen  wollte,  konnte  es  ja  sogleich  wieder  ver- 
kaufen. Und  es  ist  nicht  abzusehen,  aus  welchem  Grunde  man 
den  Bürgern  aus  der  Umgebung  Roms  die  Theilnahme  an  den 
Spenden  hätte  verweigern  können ; man  konnte  das  ebensowenig, 
wie  sie  von  der  Theilnahme  an  den  Comitien  ausschliessen.  Die 
Zahl  der  Getreideempfänger  in  Caesars  Zeit  umfasst  also  nicht 
blos  die  Bürger  der  Hauptstadt,  sondern  auch  der  Campagna 
bis  zu  einem  Radius  von  vielleicht  20 — 30  Miglien.  Als  untere 
Altersgrenze  scheint  damals  das  11.  Jahr  gegolten  zu  haben; 
Frauen  waren  durchaus  ausgeschlossen. 

Die  Congiarien  sind  seit  2 v.  Chr.  nur  an  die  Getreide- 
empfänger gezahlt  worden.  Dass  dies  auch  früher  der  Fall  war, 
liegt  in  der  Natur  der  Sache;  denn  um  60  oder  gar  100  Denare 
in  Empfang  zu  nehmen,  hätte  sich  auch  eine  Reise  aus  weiter 
Entfernung  gelohnt,  und  die  Ausgabe  würde  ins  maasslose  ge- 
wachsen, vor  allem  aber  in  ihrem  Betrage  vorher  gar  nicht  zu 
übersehen  gewesen  sein.  Verzeichnisse  der  Getreideempfänger 
muss  es  natürlich  auch  vor  der  Schliessung  ihrer  Zahl  durch 
Augustus  gegeben  haben  *) ; der  Unterschied  war  nur  der,  dass 
vorher  jeder  berechtigt  war  sich  eintragen  zu  lassen,  nachher 
nur  die  vacanten  Stellen  vergeben  wurden.  — Die  Sorge  für 
die  Hebung  der  Bevölkerung  Italiens  hat  dann  Augustus  seit 
dem  Jahr  29  dazu  geführt,  nicht  nur  die  Getreideempfänger 
allein,  sondern  auch  deren  Kinder  männlichen  Geschlechts  bei 
den  Congiarien  zu  berücksichtigen;  die  Zahlen  der  Empfänger 
der  Geldspenden  von  29—5  v.  Chr.  drücken  also  die  männliche 
Bürgerbevölkerung  von  Stadt  und  Umgebung  aus,  mit  Ausnahme 
der  Senatoren  und  Ritter,  die  aber  numerisch  gegenüber  den 
Hunderttausenden  der  Plebs  kaum  in  Betracht  kommen.  Dass 
ferner  die  männliche  Bevölkerung  weit  über  die  weibliche  über- 


’)  Dio  Cass.  39,  24:  xa\  ö nofinrjto;  io/t  /j'iv  (v  rjj  rov  airov  JiaJdtm 
rotßijv  rivn,  noXXcöv  y«p  zrpöf  r«f  #V  «t’rijs  (Xrtläaf  (XcvfXtQtod-Xvtuv, 
dnoyga^riv  OtpatV,  07110 ; Xv  re  xoa/jio  xal  tv  rafet  tivi  aiToäorri9iöatv, 
tl&XXtjOt  noiyoa(t9-cu.  ov  fji/V  aXXä  tovto  /ulv  ....  6ä6v  7ta>{  d'tiuxtjUf. 


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Italien. 


401 


wogen  haben  muss,  ergiebt  sieh  schon  daraus,  dass  die  letztere 
von  den  Getreidevertheilungen  ausgeschlossen  war,  und  also 
hier  der  Grund  wegfiel,  der  das  männliche  Proletariat  von  ganz 
Italien  nach  der  Hauptstadt  zog.  Infolge  dessen  musste  denn  auch 
die  Zahl  der  Kinder  hier  eine  verhältnissmässig  geringere  sein, 
als  sie  es  schon  ohnedies  in  der  Regel  in  Grossstädten  ist. 
Noch  im  modernen  Rom  kommen  auf  1000  männliche  nur  796 
weibliche  Personen,  und  137  Knaben  unter  10  Jahren1).  Wen- 
den wir  diese  Zahlen  auf  die  bürgerliche  Bevölkerung  des  an- 
tiken Rom  an,  so  erhalten  wir  folgendes  Ergebniss: 


v.  Chr. 

Männer  über 
10  Jahre 

Knaben  unter 
10  Jahren 

weil)]. 

Personen 

zusammen 

62 

200  000 

31  800 

184400 

416  200 

46 

320  000 

50  900 

295  200 

666  100 

44 

250  000 

39  750 

230  800 

520550 

5 

320  000 

254  700 

574700 

Es  ist  indess  wohl  unzweifelhaft  , dass  im  antiken  Rom, 
wenigstens  solange  das  Getreide  an  alle  Bürger  ohne  Be- 
schränkung vertheilt  wurde2),  die  erwachsenen  Männer  einen 
bei  weitem  grösseren  Bruehtheil  der  Bevölkerung  gebildet  haben, 
als  heute.  Das  gilt  ganz  besonders  für  das  Jahr  46  v.  Chr.; 
denn  da  der  Zuwachs  seit  62  so  gut  wie  ausschliesslich  durch 
die  Einwanderung  zum  Zweck  des  Empfanges  der  Getreide- 
spenden veranlasst  ist,  an  diesen  aber  nur  die  Bürger  männlichen 
Geschlechts  über  10  Jahre  Antheil  erhielten,  so  ist  es  klar, 
dass  eine  Einwanderung  von  Frauen  und  Kindern  auch  nicht 
entfernt  in  derselben  Proportion  stattgefunden  haben  kann. 
Rom  wird  also  damals  schwerlich  auch  nur  600  000  bürgerliche 
F.inwohner  gezählt  haben,  selbst  wenn  wir  die  Senatoren  und 


1)  Censimetüo  della  popolazione  del  Begno  d’Italia  al  31.  Die.  1882. 
Yoi.  m. 

3)  Ich  setze  als  bekannt  voraus,  dass  auch  die  Freigelassenen  an  den 
Getreidespenden  Antheil  erhielten.  Es  folgt,  von  allem  anderen  abgesehen, 
schon  aus  der  eben  angeführten  Stelle  des  Dion  (89,  24). 

Belocl),  Hevöltterongsleliro,  I.  26 


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402 


Capitel  IX. 


Ritter  mit  ihren  Familien  einrechnen,  die  ohnehin  numerisch 
nicht  sehr  ins  Gewicht  fallen.  Für  das  Jahr  5 v.  Chr.  möchte 
ich  550000  als  Maximum  annehmen,  wozu  noch  die  etwa 
20000  Mann  starke  Garnison  hinzutritt.  Wer  der  Ansicht  ist, 
dass  Augustus  bei  seinen  Congiarien  in  dieser  Zeit  die  Knaben 
von  unter  1 1 Jahren  nicht  als  Regel,  sondern  nur  in  Ausnahme- 
fiUlcn  berücksichtigte,  wird  diese  Zahl  um  vielleicht  50  000  Köpfe 
erhöhen  müssen:  ein  Unterschied,  der  gegenüber  der  sonstigen 
Unsicherheit  der  Factoren  unserer  Rechnung  kaum  ins  Gewicht 
fällt.  Wenn  daun  im  Jahr  2 v.  Chr.  etwa  120000  Bürger 
ihi  es  Antheils  an  den  Getreidespenden  beraubt  wurden,  so  muss 
das  ebenso  wie  die  gleiche  Maassregel  44  Jahre  früher  eine 
starke  Verminderung  der  Bevölkerung  zur  Folge  gehabt  haben, 
und  es  ist  sehr  fraglich,  ob  dieser  Verlust  je  ersetzt  worden 
ist.  Wurde  doch  die  Zahl  der  Getreideempfänger  in  den  nächsten 
16  Jahren  noch  um  weitere  50000  reducirt. 

In  dieser  Zahl  sind  aber,  wie  oben  bemerkt,  auch  die  in 
der  Umgebung  Roms  wohnenden  Bürger  einbegriffen.  Wir 
werden  annehmen  dürfen,  dass  das  Proletariat  bis  auf  eine 
Entfernung  von  etwa  40  km  regelmässig  zu  den  Getreidever- 
theilungen nach  der  Hauptstadt  strömte,  und  demgemäss  in 
den  Listen  der  Empfangsberechtigten  verzeichnet  stand.  Ein 
um  Rom  beschriebener  Kreis  von  40  km  Radius  reicht  bis 
Caere,  Ostia,  Ardea,  Velitrae,  Praeneste,  Tibur,  Cures,  dem 
Soracte  und  dem  Lacus  Sabatinus.  Der  Flächenraum  eines 
solchen  Kreises  beträgt  5025,5  qkm,  von  denen  aber  in  unserem 
Falle  einige  hundert  qkm  vom  Meere  bedeckt  sind.  Nun  hat 
ganz  Italien  von  den  Alpen  bis  zur  sicilischen  Meerenge  um 
den  Beginn  unserer  Zeitrechnung  eine  bürgerliche  Bevölkerung 
von  etwa  3 V*  Millionen  Einwohnern  gehabt  (s.  unten  S.  436), 
auf  etwa  250000  qkm,  also  13  auf  1 qkm.  Die  Umgebung 
Roms  gehörte  aber  damals  wie  noch  heute  zu  den  menschen- 
leersten Theilen  der  Halbinsel  (unten  S.  422),  sodass  die  Dich- 
tigkeit der  bürgerlichen  Bevölkerung  hier  die  Zahl  von  13 
auf  1 qkm  schwerlich  erreicht  haben  kann.  Rechnen  wir,  von 
Ostia  abgesehen,  10  bürgerliche  Einwohner  auf  1 qkm,  so  er- 
giebt  sich  für  unseren  Kreis  eine  bürgerliche  Bevölkerung  von 


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Italien. 


403 


50000;  für  Rom  und  Ostia  bleiben  also  V*  Million  bürgerlicher 
Einwohner,  ohne  die  Garnison. 

Während  wir  so  über  die  Höhe  der  bürgerlichen  Bevöl- 
kerung Roms  im  letzten  Jahrhundert  vor  unserer  Zeitrechnung 
verhältnissmässig  befriedigend  unterrichtet  sind,  fehlt  uns  da- 
gegen über  die  Zahl  der  niehtbtirgerliehcn  Einwohner  jede  direct« 
Angabe.  Zwar  die  Peregrinen  können  nicht  sehr  ins  Gewicht 
gefallen  sein;  hatte  doch  ganz  Italien  seit  Sulla  und  Caesar 
das  römische  Bürgerrecht,  das  sich  auch  in  den  Provinzen  immer 
mehr  ausbreitete.  Die  grosse  Mehrzahl  der  in  Rom  wohnhaften 
Peregrinen  stammte  aus  dem  fernen  hellenischen  Osten;  und 
es  ist  charakteristisch,  dass  neben  den  vielen  Tausenden  von 
lateinischen  Grabschriften  in  Rom  nur  wenige  hundert  griechi- 
sche Grabschriften  gefunden  sind1).  Wenn  die  Sammlung  der 
stadtrömischen  Inschriften  vollständig  vorliegen  wird,  wird  es 
möglich  sein,  das  numerische  Verhältniss  der  Peregrinen  zu 
den  Bürgern  genauer  zu  bestimmen;  inzwischen  glaube  ich,  dass 
die  Zahl  der  Peregrinen  zu  Augustus’  Zeit  mit  100000  weit 
überschätzt  ist,  wenn  auch  andererseits  Dureau  de  la  Malles 
nach  der  Analogie  von  Paris  berechneter  Ansatz  von  30000  be- 
trächtlich hinter  der  Wahrheit  Zurückbleiben  mag.  Es  werden 
also  etwa  60 — 70000  Peregrinen  anzunehmen  sein. 

Viel  grösser  war  ohne  Zweifel  die  Sklavenzahl,  doch  müssen 
wir  uns  auch  hier  vor  übertriebenen  Annahmen  hüten.  Rom 
war  keine  Fabrik-  und  Handelsstadt;  und  wenn  auch  manche 
der  grossen  Familien  Hunderte  von  Luxussklaven  hielten,  so  war 
doch  die  Zahl  dieser  Familien  sehr  beschränkt2).  Die  grosse 
Masse  der  freien  Bevölkerung,  der  ,, Getreidepöbel“,  hielt  keine 
Sklaven.  Die  einzige  Grossstadt  der  Kaiserzeit,  über  deren 
Sklavenzahl  im  Verhältniss  zur  freien  Bevölkerung  wir  unter- 
richtet sind,  ist  Pergamon;  dort  kam  im  II.  Jahrhundert  auf 


')  Im  Corpus  Inscriptionum  Graecarum  stehen  539  aus  Latium, 
Etrurien  und  Umbrien,  wovon  die  grosse  Mehrzahl  nach  ltorn  gehört;  in- 
zwischen mögen  noch  einige  Hundert  hinzugekommen  sein. 

2)  Vergl.  den  Ausspruch  des  L.  Philippus  (Tribun  104  v.  Chr.)  bei 
Cic.  v.  d.  Pflichten  II  21,  79:  non  esse  in  civitate  duo  milia  hominum  qui 
retn  haberent. 

26* 


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404 


Capitel  IX. 


je  zwei  Freie  ein  Sklave 1).  Wenn  in  Rom  mehr  Luxussklaven 
gehalten  wurden,  so  war  Pergamon  dafür  eine  verhältnissmässig 
weit  bedeutendere  Industriestadt.  Solange  wir  also  keine  bessere 
Grundlage  für  die  Bestimmung  der  Sklavenzahl  in  Rom  haben, 
werden  wir  die  Verhältnisse  von  Pergamon  auch  hier  zu  Grande 
legen  müssen.  Wir  erhalten  demnach  für  das  Jahr  5 v.  Chr. 
neben  einer  bürgerlichen  Civilbevölkerang  von  500000  und 
einer  Peregrinenzahl  von  60 — 70000  eine  Sklavenbevölkerang 
von  etwa  280000,  was  eine  Gesammtbevölkerang  von  850000, 
oder  einschliesslich  der  Garnison  870000  ergiebt.  Wie  viele 
davon  auf  Ostia  kommen,  wird  sich  annähernd  abschätzen  lassen, 
wenn  einst  ein  zuverlässiger  Plan  dieser  Stadt  vorliegen  und 
die  Sammlung  der  ostiensischen  Inschriften  publicirt  sein  wird; 
inzwischen  werden  wir  die  Bevölkerung  von  Rom  ohne  Ostia 
in  runder  Zahl  zu  800000  Einwohner  veranschlagen  dürfen. 
Dass  dieses  Ergebniss  sich  weder  nach  oben,  noch  nach  unten 
weit  von  der  Wahrheit  entfernen  kann,  wird  die  folgende  Unter- 
suchung hoffentlich  darthun. 

Der  von  der  aurelianischen  Mauer  umschlossene  Raum  be- 
trägt auf  dem  linken  Tiberufer,  einschliesslich  der  Tiberinsel, 
1131,6  ha2),  auf  dem  rechten  Ufer  etwa  98  ha3),  zusammen 
also  1230  ha4),  ungerechnet  den  Fluss.  Der  so  umgrenzte 
Raum  deckt  sich  allerdings  nicht  mit  den  14  Regionen  des 
Augustus,  kommt  diesen  aber  an  Umfang  sehr  nahe.  Bereits 

1)  Galen  (V  S.  49  Kühn)  giebt  die  Bevölkerung  seiner  Vaterstadt 
Pergamon  auf  40  000  Bürger  (Männer)  an,  einschliesslich  der  Frauen  und 
Sklaven  auf  120  000  Einwohner:  er  hat  also  ohne  Zweifel  beide  Geschlechter 
an  Zahl  gleichgesetzt  und  die  Sklaven  auf  die  Hälfte  der  Freien  veranschlagt. 
Dass  hier  nur  eine  ungefähre  Schätzung  vorliegt,  ist  klar;  aber  auch  als 
solche  bleibt  die  Angabe  sehr  beachtenswertli. 

*)  Monografia  della  Citth  di  Homo.  II  S.  876  f. 

*)  Nach  meiner  planimetrischen  Messung  auf  Bl.  IX  von  Kieperts 
Atlas  Antiquus. 

4)  Wenn  Dureau  de  la  Malle  den  Flächeninhalt  der  aurelianischen 
Stadt  auf  1396,46  ha  angiebt  ( Econ . polit.  I S.  347),  so  verwechselt  er 
die  aurelianische  mit  der  heutigen,  auf  dem  rechten  Flussufer  weiter  vor- 
geschobenen Mauer,  die  nach  officieller  Angabe  eine  Fläche  von  1411,3  ha 
einschliesst  ( Monografia  di  Roma  a.  a.  0.). 


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Italien. 


405 


Dureau  de  la  Malle1)  hat  nachgewiesen,  dass  Rom  ausserhalb 
der  aurelianischen  Mauer  ausgedehnte  Vorstädte  niemals  be- 
sessen hat;  und  wenn  die  zusammenhängenden  Häuserreihen 
im  Süden  längs  der  Via  Appia,  Ardeatina  und  Ostiensis  sich 
eine  Strecke  weit  jenseits  der  aurelianischen  Thore  ausgedehnt 
haben,  so  war  dafür  bei  Augustus’  Tode  der  Pincio  und  die 
Niederung  von  Piazza  di  Spagna  nach  Porta  del  Popolo  und 
der  Ripetta  hin  noch  unbebaut2).  Auch  sonst  umschloss  die 
aurelianische  Mauer  weite  Gartencomplexe.  Nun  hat  die  neuere 
topographische  Forschung  nachgewiesen,  dass  die  servianische 
Mauer  den  festen  Grundriss  für  die  augusteische  Regionsein- 
theilung  abgab,  sodass  8 Regionen  (EL  ELI.  IV.  VI.  VIII.  X. 

XI.  XIII)  innerhalb,  6 (I.  V.  VII.  IX.  XII.  XIV)  ausserhalb 
derselben  lagen*).  Der  Flächenraum  der  von  der  servianischen 
Mauer  umschlossenen  Altstadt  beträgt  nach  meiner  planimetrischen 
Messung  auf  Kieperts  Plan  426  ha4),  sodass  804  ha  für  die 
6 vorstädtischen  Regionen  übrig  bleiben.  Es  ergiebt  sich  daraus, 
was  freilich  von  vornherein  vorauszusetzen  war5),  dass  die  Alt- 
stadt viel  dichter  bewohnt  war,  als  die  Vorstädte:  denn  es  lag  • 
in  der  Natur  der  Sache,  die  einzelnen  Polizeibezirke  so  abzu- 
grenzen, dass  sie  annähernd  die  gleiche  Bevölkerung,  oder 
doch  wenigstens  die  gleiche  Häuserzahl  enthielten.  Das  wird  be- 
stätigt durch  die  statistischen  Angaben  aus  der  Zeit  Constantins, 


>)  Economie  polüique  I 370 — 387.  Ebenso  Jordan,  Topogr.  I I,  336, 
der  im  2.  Theile  nähere  Nachweise  zu  geben  verspricht. 
s)  Beweis  das  hier  stehende  Grabmal  des  Kaisers. 

’)  Jordan,  Topogr.  I 1,  317,  der  noch  die  XII.  Region  zur  Altstadt 
hinzurechnen  will,  was  ich  für  unzulässig  halte. 

*)  Dureau  de  la  Malle  ( Econ . polit.  I 347)  berechnet  die  Ausdehnung 
der  servianischen  Stadt  nach  dem  Plan  in  Nardinis  Roma  Antica  vol.  I 
{herausgegeben  von  Nibby,  Roma  1818),  auf  638,72  ha.  Dort  ist  aber  nicht 
nur  ein  Stück  von  Trastevere  in  die  servianische  Stadt  hineingezogen,  sondern 
diese  auch  nach  0.  hin  bis  in  die  Nähe  des  Laterans  ausgedehnt,  sodass 
der  Umfang  bedeutend  zu  gross  wird. 

B)  Bei  dem  Fehlen  aller  internen  Communicationsmittel  musste  der 
Drang  der  Bevölkerung  nach  dem  Centrum  im  alten  Rom  noch  unvergleich- 
lich stärker  sein,  als  in  den  Grossstädten  unserer  Zeit.  Vergl.  Pöhlmann 
a.  a.  0.  S.  81. 


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406 


Capitel  IX, 


in  der  die  Vorstädte  noch  weiter  ausgedehnt  waren,  als  unter 
Augustus.  Es  entfielen  damals  auf  die1) 


Reg. 

Insulae 

Domus 

Ft« 

II 

3 600 

127 

7 

m 

[2  757] 

160 

12 

IV 

[2757] 

88 

8 

VI 

3 403 

146 

17 

VIII 

3 480 

130 

34 

X 

2 742 

[89] 

20 

XI 

2500 

[89] 

21 

XIII 

[2  487] 

130 

18 

Altstadt 

23  726 

959 

137 

Reg. 

Insulae 

Domus 

Fici 

I 

3 250 

120 

10 

V 

3 850 

180 

15 

VII 

3 805 

120 

15 

IX 

2777 

140 

35 

XII 

[2487] 

113 

17 

XIV 

4 405 

150 

78 

Vorstädte 

20574 

823 

170 

zusammen 

44  290 

1782 

307 

überlieferte  Summe®) 

46  602 

1797 

324 

An  kleineren  Textverderbnissen  ist  natürlich  in  unseren 
Handschriften  kein  Mangel,  doch  wird  das  Resultat  nur  unbe- 
deutend dadurch  afficirt.  Um  so  mehr  fällt  ins  Gewicht,  dass 
bei  zwei  Regionen  die  Zahl  der  insulae,  bei  einer  die  Zahl  der 
domus  schon  in  der  Vorlage  aller  unserer  Handschriften  aus- 
gefallen und  durch  Wiederholung  der  nächst  vorhergehenden 


*)  Nach  der  Zusammenstellung  bei  Jordan,  Topogr.  IIS.  314,  wo 
man  die  Varianten  nachsehen  möge.  Ich  habe  überall  die  Zahl  gesetzt, 
die  mir  aus  inneren  und  äusseren  Gründen  die  meiste  Gewähr  zu  haben 
schien.  Für  ein  näheres  Eingehen  auf  diese  textkritischen  Fragen  ist 
hier  nicht  der  Ort. 

*)  Der  von  Ignazio  Guidi  im  Bull,  della  Comm.  Arch.  Rom.  Serie  II 
anno  12  (1884)  S.  218  herausgegebene  syrische  Text  der  Beschreibung 
Roms  in  der  Geschichte  des  sog.  Zacharias  Rector  giebt  324  vici,  46603 
insulae  („ habitationes  domo  nein“)  und  1797  domus. 


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Italien. 


407 


oder  nächst  folgenden  Zahl  ersetzt  ist.  Bei  den  domus  aller- 
dings ist  der  Schaden  nicht  gross,  denn  die  überlieferte  Ge- 
sammtsumme  stimmt  fast  genau  mit  der  Summe  der  überlieferten 
Einzelzahlen;  bei  den  instdae  aber  ist  jene  Summe  um  2312 
grösser  als  diese.  Es  müssen  demnach  2 der  4 Kegionen  III. 
IV.  XII.  XIII  mehr  insulae  gezählt  haben,  als  unser  obiges  Ver- 
zeichniss angiebt.  Drei  von  diesen  Regionen  gehören  zur  Alt- 
stadt, sodass  die  Wahrscheinlichkeit  dafür  spricht,  dieser  jene 
2312  insulae  zuzurechnen,  wodurch  die  Gesammtzahl  auf  26  038 
insulae  steigen  würde;  wie  dem  aber  auch  sei,  es  kommt  für 
uns  hier  nicht  so  sehr  darauf  an.  In  jedem  Falle  hat  die  gute 
Hälfte  der  domus  wie  der  insulae  noch  in  der  constantinischen 
Zeit  in  der  Altstadt  gelegen. 

Dass  nun  unter  insulae  im  Sinne  unseres  Regionenver- 
zeichnisses keineswegs  ganze  Häuser  zu  verstehen  sind,  ist 
längst  von  Dureau  de  la  Malle1)  und  Wietersheim2),  und 
neuerdings  gegen  Jordan  noch  einmal  von  Richter  erwiesen 
worden8).  Freilich  auch  Richters  Erklärung:  insulae  seien 
Theile  von  Häusern,  die  verschiedenen  Eigentümern  gehört 
hätten,  ist  unhaltbar.  Auf  den  221383  qm,  die  bis  1872  in 
Pompei  aufgedeckt  waren,  stehen  258  Häuser,  also  je  1 auf 
858  qm,  oder  11,0  auf  1 Hektar4).  In  Rom  sind  die  Häuser 
ohne  Zweifel  im  Durchschnitt  grösser  gewesen,  wie  auch  die 
öffentlichen  Gebäude  gewiss  einen  verhältnissmässig  grösseren 
Fläehenraum  einnahmen5);  legen  wir  gleichwohl  hier  diese 
Zahlen  für  Rom  zu  Grunde,  so  hätte  die  Altstadt  innerhall) 
der  serviauischen  Mauer  4941  Häuser  gezählt.  Davon  waren 
959  domus ; auf  die  übrigen,  gegen  4000,  kämen  also  im 
Durchschnitt  6 oder  ü1  2 insulae.  Niemand  wird  eine  so  grosse 
Zersplitterung  des  städtischen  Grundbesitzes  annehmen  wollen, 
wie  sie  sich  danach  bei  Richters  Hypothese  ergiebt.  Vielmehr 


’)  Economie  politique  I S.  388  ff. 
a)  Geschichte  der  Völkerwanderung  1 1 S.  253  ff. 
a)  Hermes  XX  (1885)  S.  91-100. 

4)  Fiorelli,  Scan  di  Fonipei  1861 — 72  S.  43. 

5)  Richter  a.  a.  0.  S.  94. 


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408 


Capitel  IX. 


ist  klar,  was  Wietersheim  und  Pietro  Castiglioni  *)  gesehen 
haben,  dass  die  insulae  nichts  anderes  sein  können,  als  ge- 
trennte Familienwohnungen,  entsprechend  etwa  dem,  was  die 
mittelalterliche  Statistik  Italiens  als  „Feuerstellen“  ( fuochi ) be- 
zeichnet2). Dasselbe,  nur  eleganter  und  geräumiger,  waren 
die  domusa),  sodass  die  Summe  beider  (48  399)  uns  die  Ge- 
sammtzahl  der  in  dem  constantinischen  Rom  vorhandenen 
Wohnungen  angiebt.  Ob  die  Tabernen  mit  angeschlossenen 
Wohnräumen  dabei  eingerechnet  sind,  oder  nicht,  muss  dahin- 
gestellt bleiben. 

Allerdings  dürfen  diese  Zahlen  nicht  ohne  weiteres  auf  das 
augusteische  Rom  übertragen  werden.  Ohne  Zweifel  war  da- 
mals die  Zahl  der  Wohnungen  in  der  Altstadt  grösser,  da 
Hunderte  von  Privathäusern  den  Prachtbauten  der  Kaiserzeit 
weichen  mussten ; dafür  waren  aber  die  Vorstädte  weniger  aus- 
gedehnt4). Wenn  wir  aber  selbst  annehmen  wollten,  dass  die 
Altstadt  unter  Augustus  die  doppelte,  die  Vorstädte  dieselbe 
Zahl  Wohnungen  gezählt  haben,  wie  unter  Constantin,  was 
offenbar  viel  zu  hoch  ist,  so  kämen  für  das  augusteische  Rom 
doch  nicht  mehr  als  75000  Wohnungen  heraus.  Dieses  Er- 
gebniss  ist  jedenfalls  geeignet,  uns  vor  übertriebenen  Schätzungen 
der  Bevölkerung  zu  warnen,  so  wenig  es  auch  ausreicht,  um 
selbst  eine  annähernde  Berechnung  darauf  zu  gründen. 

Der  am  dichtesten  bewohnte  Theil  des  alten  Rom  war  nach 
allen  Nachrichten  die  Niederung,  die  sich  vom  Forum  Boarium 
an  der  Tiber  zwischen  Capitol  und  Palatin  hindurch  an  den 
Fuss  des  Esquilin,  Viminal  und  Quirinal  hinzieht,  ausserdem 
der  Palatin  selbst,  also  die  IV.,  VIEL,  X.  und  XI.  augusteische 


')  Monografie!  di  Roma  II  S.  280. 

2)  Ich  wiederhole,  dass  ich  nur  von  insulae  im  Sinne  unseres  Ver- 
zeichnisses spreche.  Was  man  in  anderen  Zeiten  unter  insula  verstanden 
hat,  geht  uns  hier  nichts  an. 

3)  Das  schliesst  natürlich  nicht  aus,  dass  einzelne  Theile  vieler  domus, 
namentlich  in  den  oberen  Stockwerken,  separat  vermiethet  wurden;  das 
waren  dann  aber  'insulae,  die  in  der  Gesammtzahl  der  insulae  begriffen 
sein  mussten. 

*)  Vergl.  Jordan,  Topographie  IIS.  315  ff. 


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Italien. 


409 


Region.  Das  findet  in  unseren  Regionsverzeiehnissen  seine  volle 
Bestätigung.  Der  Flächeninhalt  dieser  4 Regionen  beläuft  sich 
auf  etwa  140  ha,  sodass  286  ha  für  die  übrigen  4 Regionen  der 
Altstadt  (II.  III.  VI.  XIII)  übrig  bleiben.  Die  Zahl  der  domus 
und  insülae  aber  beträgt  : 

domus  insular 

in  Reg.  IV.  VIII.  X.  XI 876  11  479 

in  Reg.  II.  III.  VI.  XIII 583  12  247 

Das  heisst,  die  Niederung  mit  dem  Palatin  war  annähernd 
doppelt  so  dicht  bevölkert  wie  die  Hügel  im  Süden  und  Osten. 
Nun  zählten  die  drei  am  dichtesten  bevölkerten  Stadtbezirke 
des  modernen  Rom:  Ponte,  S.  Angelo  und  Parione  1881:  969, 
871,  813  Einwohner  auf  1 ha1).  Ohne  Zweifel  ist  die  Bevöl- 
kerung in  den  am  stärksten  bewohnten  Quartieren  zu  Augustus’ 
Zeit  dichter  gewesen.  Aber  wir  werden  kaum  annehmen  dürfen, 
dass  sie  dichter  war  als  heute  in  den  Quartieren  am  Hafen  von 
Neapel:  Porto,  Pendino  und  Mereato,  wo  1881  1470  Menschen 
auf  1 ha  lebten2);  um  so  weniger,  als  ein  sehr  grosser  Theil 
des  Areals  der  augusteischen  Regionen  IV.  VHI.  X.  XI  von  öffent- 
lichen Gebäuden  eingenommen  war:  den  Fora,  dem  Capitol, 
dem  Circus  Maximus,  den  Kaiserpalästen.  Rechnen  wir  nichts- 
destoweniger für  diesen  Theil  der  Stadt  in  runder  Zahl  1500 
Einwohner  auf  1 ha,  so  ergeben  sich  210000  Seelen.  Für  die 
übrigen  4 Regionen  innerhalb  der  servianisehen  Mauer  (II.  III. 
VI.  XIH)  würden  dann,  nach  dem  oben  gesagten,  etwa  800  Ein- 
wohner auf  1 ha  anzunehmen  sein,  oder  eine  Gesammtbevöl- 
kerung  von  230000,  sodass  alle  8 Regionen  der  Altstadt 
zusammen  440000  Einwohner  gezählt  haben  würden.  Da  nun 
die  6 vorstädtischen  Regionen,  wie  wir  oben  gesehen  haben, 
selbst  in  der  constantinischen  Zeit  die  Bevölkerung  der  Altstadt 


')  Der  Flächeninhalt  dieser  drei  Bezirke  ( Rioni ) beträgt,  ausschliess- 
lich den  Fluss,  26,5;  11,0;  18,7  ha  ( Monografta  dt  Roma  II  S.  376);  die 
Bevölkerung  belief  sich  1881  auf  25  677;  9490;  15194  Einwohner. 

*)  Der  Flächenraum  dieser  drei  Bezirke  beträgt  zusammen  88,5  ha 
(Censimento  degli  antichi  Stadi  Sardi  1 0 gennaio  1858  vol.  1,  Relasiotie 
generale,  Torino  1862,  S.  123);  die  Bevölkerung  belief  sich  am  31.  Dec.  1881 
auf  130113  Einwohner. 


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410 


Capitel  IX. 


nicht  völlig  erreicht  haben,  und  dieses  Missverhältniss  in  der 
augusteischen  Zeit  noch  grösser  gewesen  ist,  so  könnten  damals 
alle  14  Regionen  zusammen  kaum  über  800000  Einwohner  ge- 
zählt haben ; das  wären,  den  Flächeninhalt  der  14  augusteischen 
Regionen  dem  der  aurelianischen  Stadt  gleichgesetzt,  650  auf 
1 ha.  Das  ist  eine  Dichtigkeit  der  Bewohnung,  die  von  keiner 
modernen  Grossstadt  auch  nur  annähernd  erreicht  wird,  Neapel 
allein  etwa  ausgenommen. 

Doch  ziehen  wir  jetzt  Analogien  aus  dem  Alterthum  heran. 
Die  griechischen  Städte  aus  der  Zeit  vor  Alexander  haben  eine 
verhältnissmässig  sehr  wenig  dichte  Bevölkerung  gehabt,  wie 
das  auch  bei  dem  Fehlen  des  Hochbaues  nicht  anders  sein 
konnte ').  Das  perikleische  Athen,  einschliesslich  des  Peiraeeus, 
zählte  auf  einem  Raum  von  585  ha  eine  Bevölkerung  von  wenig 
über  100000  (oben  S.  101),  also  höchstens  200  auf  1 ha.  Theben 
hatte  43  Stadien,  oder  etwa  7 Kilometer  im  Umfang,  was  auf 
einen  Flächenraum  von  gegen  200  ha  schliessen  lässt;  die  Be- 
völkerung betrug  bei  der  Zerstörung  durch  Alexander  40000 
bis  höchstens  50  000  (oben  S.  1 66),  oder  auf  dem  ha  200 — 250. 
Dichter  bewohnt  waren  die  phoenikischen  Städte,  wo  der  Hoch- 
bau schon  seit  alter  Zeit  geübt  wurde.  So  hat  Tyros  im  Jahre 
332  auf  75  ha  etwa  40000  Einwohner  gezählt  (oben  S.  244), 
oder  533  auf  1 ha;  die  Altstadt  von  Panormos  254  auf  47  ha 
27  000  Einwohner 8)  (oben  S.  294),  oder  auf  1 ha  574.  Etwa 
dieselbe  Dichtigkeit  der  Bewohnung  finden  wir  in  dem  grössten 
städtischen  Centrum  der  hellenistischen  Zeit,  Alexandreia.  Ums 
Jahr  60  v.  Chr.  wohnten  hier  auf  920  ha  etwa  */*  Million 
Menschen  (oben  S.  259 ) 3) , also  auf  1 ha  533.  Wollten  wir 
für  Rom  dieselbe  Dichtigkeit  der  Bewohnung  annehmen,  so  er- 
hielten wir  für  die  1230  ha,  die  von  der  aurelianischen  Mauer 


*)  Die  Belege  für  das  folgende  s.  in  Cap.  XI. 

!)  Doch  ist  nicht  zu  vergessen,  dass  unter  dieser  Zahl  die  geflüchteten 
Bewohner  der  Neustadt  und  des  Landgebietes  einbegriffen  sind,  die  Be- 
völkerung also  in  normalen  Zeiten  hier  viel  weniger  dicht  sein  musste. 
Dasselbe  gilt  bis  zu  einem  gewissen  Grade  von  Tyros  und  auch  von  Theben. 

8)  Dabei  ist  allerdings  zu  berücksichtigen,  dass  wir  über  die  Zahl  der 
Sklavenbevölkerung  Alexandreias  keine  directen  Angaben  haben. 


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Italien. 


411 


umschlossen  werden,  etwa  650000  Einwohner.  Da  indess  die 
Altstadt  Roms  bis  auf  den  neronischen  Brand  ohne  Zweifel  viel 
enger  gebaut  war,  als  Alexandreia,  so  wird  diese  Zahl  unter 
der  Wahrheit  bleiben.  Rechnen  wir  für  die  8 Regionen  inner- 
halb der  servianisehen  Mauer  die  doppelte  Dichtigkeit  der  Be- 
wohnung wie  für  Alexandreia,  so  ergäben  sich  für  diesen  Theil 
von  Rom  454  000  Einwohner,  was  mit  unseren  obigen  Annahmen 
fast  genau  übereinstimmt;  auch  hiernach  würde  die  Gesammt- 
bevölkerung  des  augusteischen  Rom  sich  auf  etwa  800000  be- 
laufen haben. 

Es  giebt  noch  einen  dritten  Weg,  die  Bevölkerung  des 
kaiserlichen  Rom  zu  bestimmen : die  Angaben  über  den  Getreide- 
verbrauch der  Stadt.  Man  hat  auf  das  Zeugniss  eines  ganz 
unzuverlässigen  Schriftstellers  später  Zeit  hin *)  und  Contamination 
desselben  mit  einer  anderen,  drei  Jahrhunderte  älteren  An- 
gabe8) den  jährlichen  Getreideconsum  des  augusteischen  Rom 
auf  60  Millionen  Modien  bestimmt,  was  für  eine  Bevölkerung 
von  etwa  2 Millionen  ausgereicht  haben  würde.  Ein  so  un- 
methodisches Verfahren  bedarf  keiner  Widerlegung.  Dagegen 
besitzen  wir  eine,  wie  es  scheint  authentische  Angabe,  wonach 
unter  Septimius  Severus  der  canon  frumentarius  populi  Romani 
oder  urbis  Romae  täglich  75000  Modien  betragen  hätte8), 
jährlich  also  27375000  Modien.  Die  Zahl  der  Getreide- 
empfänger betrug  damals  einschliesslich  der  rraetorianer 
200000,  deren  jährlicher  Bedarf  12  Millionen  Modien  er- 
forderte, da  monatlich  5 Modien  auf  den  Kopf  gegeben  wur- 
den. Mit  dem  canon  frumentarius  kann  also  keineswegs  blos 


.')  Aurel.  Victor  epit.  1,  der  die  aegyptische  Getreideeinfuhr  nach  Rom 
unter  Augustus  auf  20  Millionen  Modien  angiebt  Offenbar  hat  er  dieselbe 
mit  der  gesammten  Getreideeinfuhr  verwechselt  und  die  Zahl  abgerundet 
!)  Josep.  Jüd.  Krieg  II  16,  4,  der  angiebt,  dass  der  Bedarf  Roms  zu 
>/»  durch  aegyptisches,  zu  */»  durch  libysches  Getreide  gedeckt  wurde. 

8)  Spartian.  Severus  23:  moriens  septem  annorum  canonem,  ita  ut 
cottidiana  Septuaginta  quinque  millia  medium  expendi  possent,  reliquit; 
olei  vero  tantum,  ut  per  quinquennium  non  solum  urbis  usibus,  sed  et  totms 
Italiae,  qua  oleo  eget,  sufficeret. 


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412 


Capitel  IX. 


das  Erforderniss  für  die  öffentlichen  Getreidevertheilungen  ge- 
meint sein ; selbst  dann  nicht,  wenn  wir  den  Bedarf  der  Beamten, 
servi  publici  etc.  hinzurechnen,  wir  müssten  denn  annehmen 
wollen,  dass  es  in  Rom  255000  solcher  Beamten  gegeben  habe. 
Ist  das  aber  nicht  der  Fall,  dann  kann  nur  der  Gesammt- 
bedarf  der  Stadt  unter  dem  canon  frumentarius  verstanden 
werden,  jenes  Minimum,  das  vorhanden  sein  musste,  sollte 
nicht  Hungersnoth  ausbrechen.  So  geben  auch  die  Scholien  zu 
Lucanus  an,  dass  Rom  jeden  Tag  80000  Modien  (also  jährlich 
29200000  Modien)  Getreide  verbraucht  habe1).  Bei  einem 
jährlichen  Durchschnittsverbrauch  von  86  Modien  auf  den 
Kopf2)  berechnet  sich  nach  diesen  Angaben  eine  Bevölkerung 
von  760 — 810000  Einwohnern. 

So  hat  sich  uns  denn  von  drei  Seiten  her  übereinstim- 
mend dasselbe  Resultat  ergeben,  dass  Rom  in  den  drei  ersten 
Jahrhunderten  der  Kaiserzeit  etwa  800000  Einwohner  gezählt 
hat,  und  zwar  kann  die  Bevölkerung  während  dieser  Zeit  nur 
wenig  geschwankt  haben.  Für  die  frühere  Zeit  sind  nur  un- 
gefähre Schätzungen  möglich.  Da  Rom  noch  unter  Sulla  im 
wesentlichen  auf  den  Raum  innerhalb  des  servianischen  Mauer- 
rings beschränkt  war,  so  wird  die  Zahl  der  Bewohner  damals 
400000  nicht  überschritten  haben,  womit  es  übereinstimmt, 
dass  noch  einige  Jahre  später  nicht  mehr  als  60—80000  Ge- 
treideempfänger vorhanden  waren;  denn  die  Getreideempfänger 
müssen  schon  damals,  wenn  auch  noch  nicht  die  Gesainmtheit, 
so  doch  die  überwiegende  Majorität  der  in  der  Stadt  domici- 
lirten  Bürger  gebildet  haben.  Dass  die  Bevölkerung  zu  Hanni- 
bals  Zeit  sehr  viel  niedriger  war,  unterliegt  keinem  Zweifel; 
eine  bestimmte  Zahl  auszusprechen  wage  ich  nicht3). 


»)  I 819  vol.  m S.  53  Weber. 

3)  Das  macht  auf  das  Jahr  8, 149  hl  oder  286  Kilo.  Die  monatliche 
Quote  von  5 Modien  (jährlich  894  Kilo),  die  den  Getreideempfängem  ge- 
geben wurde,  war  mit  Absicht  sehr  reichlich  bemessen.  Yergl.  oben  S.  32  f. 

8)  Ihne,  Rom.  Gesch.  I S.  465  rechnet  für  die  Zeit  vor  Anfang  des 
ersten  punischen  Krieges  200  000,  offenbar  bedeutend  zu  hoch. 


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Italien. 


413 


3.  Die  Bevölkerung  der  italischen  Halbinsel. 

Die  Resultate  des  römischen  Census  geben  uns  den  Be- 
weis, dass  die  freie  Bevölkerung  der  italischen  Halbinsel  wäh- 
rend der  drei  letzten  Jahrhunderte  vor  unserer  Zeitrechnung 
im  grossen  und  ganzen  stationär  geblieben  ist.  Im  Jahre  293 
wurden  262321  Bürger  gezählt,  131/30  bei  wesentlich  erwei- 
terten Grenzen  des  römischen  Gebiets  318823.  Aus  demVer-  j 
zeichniss  der  italischen  Wehrfähigen  des  Fabius  Pictor  vom 
Jahre  225  ergiebt  sich  eine  Bürgerzahl  von  etwa  900  000 ; die- 
selbe Zahl  ergab  der  Census  von  70/69.  Und  dass  im  letzten 
halben  Jahrhundert  der  Republik  die  freie  Bevölkerung  Ita- 
liens sich  wenigstens  nicht  vermehrt  hat , dafür  sind  die 
Maassregeln  des  Augustus  zur  Hebung  der  Bürgerzahl  volles 
Zeugniss. 

Da  zur  Zeit  Hannibals  nicht-italische  Peregrinen  in  Italien 
noch  kaum  ansässig  waren,  können  wir  die  freie  Gesammt- 
bevölkerung  der  Halbinsel  im  Jahre  225  auf  2 700000  Köpfe 
veranschlagen,  oder  bei  einem  Flächenraum  von  etwa  130000 
qkm  zu  21  auf  1 qkm.  Im  Jahre  69  hatten  allerdings 
zahlreiche  Ausländer  in  Italien  ihren  Wohnsitz;  wenigstens 
ebenso  zahlreich  aber  waren  die  römischen  Bürger  in  den 
Provinzen,  und  ausserdem  hatte  die  Ebene  zwischen  Apennin 
und  Po  das  römische  Bürgerrecht.  Die  eigentliche  Halbinsel 
diesseits  des  Apennin  kann  demnach  in  dieser  Zeit  die  Zahl 
von  900000  erwachsenen  Freien  männlichen  Geschlechts  kaum 
erreicht  haben.  Ausserdem  wird  bei  der  immer  mehr  über- 
hand nehmenden  Ehelosigkeit  und  der  Beschränkung  der  Kinder-  \ 
zahl  das  Verhältniss  der  erwachsenen  Männer  zu  der  Gesammt- 
bevölkerung  wie  1 : 3 wahrscheinlich  zu  hoch  sein;  die  Halb- 
insei  kann  also  damals  kaum  mehr  als  2 V«  Millionen  freie  - 
Einwohner  gezählt  haben. 

Indess  diese  geringe  Abnahme  wurde  weit  mehr  als  aus- 
geglichen durch  die  rapide  Vermehrung  der  unfreien  Bevölke- 
rung. Allerdings  hat  die  Sklaverei  von  je  her  in  Italien  be- 
standen. Schon  die  licinischen  Gesetze  sollen  eine  Bestimmung 


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414 


Capitel  IX. 


zur  Beschränkung  der  Sklavenarbeit  enthalten  haben  *) ; wenige 
Jahre  später  (357  v.  Chr.)  wurde  eine  Steuer  auf  die  Frei- 
lassungen gelegt 2).  Der  Ertrag  wurde  — wahrscheinlich  nicht 
sogleich,  aber  doch  bereits  in  früher  Zeit  — als  Reservefonds 
für  unvorhergesehene  Ausgaben  in  Gold  auf  dem  Capitol  de- 
ponirt ; als  er  im  hannibalischen  Kriege  209  angegriffen  wurde, 
soll  er  4000  Pfund8)  betragen  haben,  oder  das  Goldpfund 
zu  4000  Sesterzen  gerechnet4),  10  Millionen  Sesterzen.  Selbst 
wenn  wir  den  mittleren  Werth  eines  Sklaven  zu  2000  Sesterzen 
annehmen,  was  für  das  Rom  dieser  Zeit  ziemlich  hoch  ist,  er- 
gäbe das  1 60  000  Manumissionen  im  Laufe  von  höchstens  einem 
und  einem  halben  Jahrhundert 6)  — eine  Zahl , die  wir  Mühe 
haben,  als  richtig  anzuerkennen.  Der  Reservefonds  wird  noch 
aus  anderen  Quellen  gefüllt  worden  sein.  Doch  ist  es  be- 
merkenswerth , dass  auch  König  Philipp  in  einem  214  an  die 
Stadt  Larisa  gelichteten  Erlass  eine  der  hauptsächlichsten  Ur- 
sachen des  Aufschwunges  der  römischen  Macht  in  der  Libera- 
lität findet,  mit  der  die  Römer  den  Freigelassenen  Antheil  am 
Bürgerrecht  gaben8).  Eben  dahin  führen  die  Kämpfe  um  das 
Stimmrecht  der  Freigelassenen  in  Ap.  Claudius’  Zeit7).  Wie 
zahlreich  die  Sklaven  am  Ende  des  III.  Jahrhunderts  in  Rom 
waren,  zeigt  ihre  ausgedehnte  Verwendung  zu  militärischen 
Zwecken  im  hannibalischen  Kriege 8).  Immerhin  war  die  Halb- 
insel damals  noch  weit  überwiegend  ein  Land  der  freien  Arbeit. 


')  Appian,  Bürgerhr.  I 8. 

»)  Liv.  7,  16;  27,  10. 

s)  Liv.  a.  a.  0. 

*)  Hultsch,  Metrologie  S.  301. 

8)  Vergl.  Dureau  de  la  Malle,  Econ.  politique  I 290,  der  200000 
Freigelassene  herausrechnet,  von  denen  50000  noch  zur  Zeit  Iiannibals 
gelebt  hätten. 

8)  Cöllnitz,  Dialekt-Inschriften  I 345  (=  Mittheil.  VII  61,  Hermes  XVII 
467):  wv  xai  'PmpaioC  etoiv , ot  xa i Toiig  oixOag  orav  iXtv&tQ(üoa>atv 
iiQoafifxöptvoi.  iti  To  noltxevfta  xal  tüv  ng/tfoir  fit\radi]d6vTi;  . . . . 
oi  fiörov  Tt\v  ISlav  nargtSa  hi r)v£ijxa(nv , «11«  xal  «7roix/a[cj  o/tdör 
[f/f  Ißjäofirixovia  rönovi  Ixntnöfiqaaiv. 

7)  Diod.  XX  36;  Liv.  9,  46. 

8)  Bücher,  Die  Aufstände  der  unfreien  Arbeiter  (Frankfurt  1874)  S.  26. 


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Italien. 


415 


Der  Krieg  brachte  durch  die  massenhaften  Gefangenen  eine 
starke  Vermehrung  der  Sklavenzahl.  Es  ist  bezeichnend,  dass 
in  den  nächsten  Jahren  eine  Reihe  von  Sklavenaufständen  aus- 
brachen.  Zuerst  198  in  Latium,  dann  zwei  Jahre  später  in 
Etrurien,  endlich  185  in  Apulien;  jedesmal  musste  zur  Unter- 
drückung der  Empörung  eine  bedeutende  Militärmacht  auf- 
geboten  werden,  und  Tausende  der  Schuldigen  wurden  hin- 
gerichtet1). Dass  während  des  II.  Jahrhunderts  die  Sklaven- 
zahl Italiens  sich  in  sehr  starkem  Maasse  vermehrt  hat,  ist  un- 
zweifelhaft; es  war  die  unausbleibliche  Folge  der  immer  weiter 
sich  ausdehnenden  Latifundien. 

Doch  ergriff  diese  wirtschaftliche  Bewegung  nicht  alle 
Theile  der  Halbinsel  in  gleicher  Weise.  Es  ist  kein  Zufall, 
dass  nur  Etrurien,  Latium,  Campanien,  Lucanien,  Apulien  die 
Herde  von  Sklavenaufständen  geworden  sind.  Hier  vor  allem 
hatte  die  Latifundienwirthschaft  ihren  Sitz2),  während  in  den 
Landschaften  des  Apennin  wie  der  Kleinbesitz  so  auch  die 
freie  Arbeit  sich  bis  in  die  Kaiserzeit  hinein  erhalten  hat.  Wir 
müssen  uns  aber  auch  in  betreff  des  Südens  und  Westens  der 
Halbinsel  vor  übertriebenen  Annahmen  hüten.  Spartakos  war 
mehrere  Jahre  hindurch  Herr  der  an  Sklaven  reichsten  Distrikte 
Italiens,  und  doch  hat  sein  Heer  auch  nach  den  höchsten  An- 
gaben nie  mehr  als  120000  Mann  gezählt8).  Vor  der  Schlacht 
bei  Philippoi  legten  die  Triumvirn  auf  jeden  Sklaven  in  Italien 
eine  Steuer  von  1 00  Sesterzen ; das  ergäbe  schon  bei  2 Millio- 
nen Sklaven  einen  Ertrag  von  200  Millionen  Sesterzen:  soviel 
als  die  gesammten  Staatseinnahmen  von  Pompeius’  asiatischen 
Eroberungen  betragen  hatten4),  und  mehr  als  die  Einkünfte 


>)  Liv.  32,  26;  33,  36  ; 39,  29.  41;  Zonar.  IX  16. 

*)  Ueber  die  Sklavenmassen  in  Etrurien  Plut  Ti.  Gracchus  8; 
Martial  IX  22,4:  El  souet  mnumera  competle  Tuscus  ager.  Für  Süditalien 
genügt  es,  an  den  Aufstand  der  Spartakos  zu  erinnern. 

s)  Appian,  Bürgerkr.  I 117.  Nach  Liv.  Epit.  96.  97  wären  in  den 
drei  Hauptschlachten  115000  Sklaven  gefallen.  Vergl.  die  Ausführungen 
bei  Wietersheim,  Völkerwanderung  I1  S.  186  f. 

4)  Plut  Pomp.  45. 


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416 


Capitel  IX. 


des  Königs  von  Aegypten  am  Ende  der  Ptoleinaeerherrschaft  >). 
Wer  einen  Begriff  hat  von  den  Summen,  mit  denen  in  der 
Finanzgeschichte  des  Alterthums  zu  rechnen  ist,  wird  schon 
hiernach  Bedenken  tragen,  die  Sklavenzahl  Italiens  in  den 
letzten  Jahren  der  Republik  auf  2 Millionen  zu  veranschlagen, 
und  jedenfalls  über  diese  Zahl  nicht  hinausgehen  wollen. 

Um  nun  wenigstens  ein  ungefähres  Bild  von  der  Zahl  der 
italischen  Sklavenbevölkerung  zu  gewinnen,  bleibt  uns  nur  der 
Weg,  den  bereits,  allerdings  in  wenig  kritischer  Weise,  Bureau 
de  la  Malle2)  und  Walion8)  eingeschlagen  haben,  nämlich  aus- 
zugehen von  der  Bodenproduction.  Italien  war  im  Alterthum 
wie  noch  heute  ein  vorwiegend  Ackerbau  treibendes  Land,  und 
es  ist  keine  Frage,  dass  die  grosse  Mehrzahl  der  Sklaven  in 
den  landwirtschaftlichen  Betrieben  beschäftigt  gewesen  ist. 
Wir  haben  nun  freilich  über  die  Höhe  der  Bodenproduction 
der  Halbinsel  im  Alterthum  keine  directen  Angaben,  aber  wir 
wissen  doch  soviel,  dass  Italien  seit  dem  Ende  dös  n.  Jahr- 
hunderts vor  unserer  Zeitrechnung  nicht  mehr  im  Stande  war, 
seinen  eigenen  Bedarf  an  Getreide  hervorzubringen,  und  dass 
namentlich  die  Bevölkerung  der  Hauptstadt  und  ihrer  Umgebung, 
seit  Caesar  rund  1 Million  Menschen,  auf  die  Einfuhr  fremden 
Getreides  angewiesen  w*ar.  Die  freie  Bevölkerung  der  italischen 
Halbinsel,  abgesehen  von  dem  diesseitigen  Gallien,  betrug  nun, 
wie  wir  gesehen  haben,  im  I.  Jahrhundert  vor  unserer  Zeitrech- 
nung etwa  2 V a Millionen.  Die  Sklavenzahl  kennen  wir  nicht ; 
sie  mag  vorläufig,  um  die  Berechnung  nicht  unnöthig  zu  compli- 
ciren,  auf  2 Millionen  angesetzt  werden.  Das  giebt  zusammen 
4’/2  Millionen  Einwohner,  wovon  mindestens  1 Million  von 
überseeischem  Korn  ernährt  wurde.  Die  Production  würde 
also  höchstens  den  Bedarf  von  31/«  Millionen  gedeckt  haben. 
Dieser  Bedarf  wird  im  Durchschnitt,  einschliesslich  der  Aus- 
saat, zu  etwa  40  Modien  pro  Jahr  und  Kopf  zu  veranschlagen 
sein;  das  ergäbe  eine  Gesammtproduction  von  140  Millionen 


*)  Nach  Diod.  XVII  52 : mehr  als  6000  Talente  = etwa  150  Mill.  HS. 
a)  Econ.  poUtique  I 281  f. 

3)  Histoire  de  l’Esclavage  II  71  ff. 


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Italien. 


417 


Modien.  Bei  einem  Durchschnittsertrage  von  30  Modien  auf 
dem  iugerum1)  ergiebt  sich  daraus  eine  mit  Getreide  bebaute 
Fläche  von  etwas  unter  5 Millionen  iugera.  Rechnen  wir  nun 
1 Arbeiter  auf  je  8 iugera 2),  was  offenbar  sehr  hoch  ist , na- 
mentlich bei  der  extensiven  Cultur,  die  in  Italien  zu  Anfang 
der  Kaiserzeit  vorherrschte,  so  würde  die  Production  jener 
140  Millionen  Modien  gegen  600000  Feldarbeiter  erfordert 
haben.  Dazu  kommen  dann  weiter  die  in  der  Wein-  und  Oel- 
cultur  und  in  der  Viehzucht  beschäftigten  Arbeiter.  Letztere 
allerdings  erforderte  nur  wenige  Arbeitskräfte;  gerade  darin 
lag  ja  ihre  grosse  Rentabilität.  Aehnlich  war  es  mit  den  Oel- 
pflanzungen ; Cato  rechnet  auf  240  iugera  Oelwald  nur  13  Ar- 
beiter, den  vilicus  und  die  vilica  eingeschlossen8).  Dagegen 
waren  zur  Bestellung  von  100  iugera  Weinland  nach  Cato 
16  Arbeiter  erforderlich,  den  vilicus  und  die  vilica  auch  dies- 
mal eingeschlossen*).  Wenn  nun  zu  der  Bestimmung  der  Aus- 
dehnung der  ülivenwälder  und  Weinberge  im  alten  Italien 
auch  jeder  Anhalt  fehlt,  so  wird  doch  Niemand,  der  überhaupt 
sich  mit  diesen  Dingen  beschäftigt  hat,  im  Zweifel  sein,  dass 
diese  Culturen  im  Alterthum  sehr  viel  weniger  ausgedehnt 
waren  als  heute.  Das  ergiebt  sich  schon  aus  der  so  viel  dün- 
neren Bevölkerung.  Heute  nun  hat  der  peninsulare  Theil 
Italiens  südlich  des  Apennin  920000  ha  Weiuland  und 
646000  ha  Oelpflanzungen ®),  zu  deren  Bestellung,  wenn  wir 
die  Zahlen  Catos  zu  Grunde  legen  und  die  vilica  jedesmal  ab- 
rechnen, 552000  bezw.  129000  Arbeiter  erforderlich  gewesen 
wären.  Es  wird  demnach  sehr  reichlich  gerechnet  sein,  wenn 

*)  Cicero  ( Verr . III  47,  112)  rechnet  im  fruchtbarsten  Theil  Siciliens 
auf  das  iugerum  6 Modien  Aussaat  und  bei  guter  Ernte  einen  Ertrag  von 
48,  bei  ausgezeichneter  von  60  Modien.  Varro  nimmt  als  Durchschnitt  auf  das 
iugerum  an  eine  Aussaat  von  5 Modien  Weizen,  6 Modien  Gerste,  12  Modien 
Spelt,  als  Ertrag  das  zehnfache  ( Ees  rust.  I 44).  Columella  dagegen  sagt 
(III  3):  nam  frumenta  maiore  quidem  parte  Italiae  quarulo  cum  quarto 
responderint,  vix  meminisse  possumus. 

J)  Sasema  bei  Varro,  Ees  Rust.  I 18. 
s)  De  Be  Rust.  10. 

*)  Cato,  De  Re  Rust.  11. 

s)  Annuario  Statistico  Italiano  1881  S.  252. 

Re  loch,  Bevölfcerangslebre.  I.  27 


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418 


Capitel  IX. 


wir  die  in  den  anderen  landwirtschaftlichen  Betrieben  be- 
schäftigten Arbeiter  den  bei  der  Getreideproduction  beschäftigten 
gleichsetzen 1). 

Die  so  sich  ergebenden  1200000  ländlichen  Arbeiter  waren 
aber  keineswegs  ausschliesslich  Sklaven,  sondern  haben  zum 
grossen  Theil  aus  freien  Leuten  bestanden.  Wovon  hätte  denn 
die  grosse  Mehrzahl  der  freien  italischen  Bevölkerung  sonst 
leben  sollen?  Diese  in  der  Landwirtschaft  beschäftigten  Freien 
mochten  sich  etwa  compensireu  mit  den  Sklaven,  die  in  den 
Städten;  sei  es  in  der  Industrie,  sei  es  mit  persönlichen 
Diensten  beschäftigt  waren.  Dass  nun  unter  den  Sklaven  die 
erwachsenen  Männer  die  Frauen  und  Kinder  an  Zahl  über- 
wogen, wird  für  das  I.  Jahrhundert  vor  unserer  Zeitrechnung, 
so  lange  die  Zufuhr  aus  dem  Osten  und  den  nördlichen  Bar- 
barenländem  noch  reichlich  floss,  kaum  Jemand  bestreiten. 
Selbst  bei  der  Annahme  von  1 200000  erwachsenen  männlichen 
Sklaven  im  Jahre  28  v.  Chr.  würde  die  gesammte  Sklaven- 
bevölkerung kaum  auf  mehr  als  2 Millionen  zu  veranschlagen 
sein.  Dabei  ist  aber  zu  erwägen,  dass  bei  dieser  ganzen  Be- 
rechnung überall  mit  Absicht  sehr  reichliche  Ansätze  zu  Grunde 
gelegt  sind,  so  dass  das  Ergebniss  aller  Wahrscheinlichkeit 
nach  beträchtlich  über  die  Wahrheit  hinausgeht.  Die  italische 
Halbinsel  dürfte  also  im  I.  Jahrhundert  v.  Chr.  kaum  über 
Vis  Millionen  Sklaven  gezählt  haben.  Auch  das  ist  eine  für  antike 
Verhältnisse  ungeheure  Zahl,  die  wahrscheinlich  von  keinem 
zweiten  Lande  im  Umkreise  des  Mittelmeeres  erreicht  wurde, 
Kleinasien  höchstens  ausgenommen.  So  konnte  Plinius  mit 
Recht  den  grossen  Reichthum  Italiens  an  Sklaven  hervor- 
heben 2). 

Die  Gesammtbevölkerung  des  peninsularen  Theiles  von 
Italien  wird  also  im  I.  Jahrhundert  vor  unserer  Zeitrechnung 
auf  etwa  4 Millionen , im  III.  Jahrhundert  auf  höchstens  3 lls 


■)  Auf  dieselbe  Zahl  ländlicher  Arbeiter  kommt  Wallon,  Histoire  de 
VEsdavage  II  99. 

*)  Plin.  87,  201 : ergo  in  toto  orbe  ....  principattim  naturae  optinet 
Malta  ....  tim  feminis,  dueibus  militibus,  serritiis,  artium  praestantia  etc. 


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Italien. 


419 


Millionen  zu  veranschlagen  sein.  Wie  vertheilte  sich  nun  diese 
Bevölkerung  auf  die  einzelnen  Landschaften? 

Die  bevölkertste  Landschaft  der  Halbinsel  — von  der 
Hauptstadt  und  ihrer  nächsten  Umgebung  abgesehen  — war 
im  Alterthum  wie  noch  heute  Campanien.  Nach  einer  An- 
gabe, die  höchst  wahrscheinlich  auf  eine  Censusliste  zurück- 
geht , zählte  die  campanische  Praefectur  zu  Anfang  des  hanni- 
balischen  Krieges  34000  erwachsene  Bürger,  worunter  4000 
durch  ihr  Vermögen  zum  Reiterdienst  qualifieirt  waren1).  Der 
Flächenraum  der  Praefectur  beträgt  etwa  1000  qkm2),  es  ent- 
fallen also  hier  auf  den  qkm  34  Bürger,  gegen  12  im  ganzen 
römischen  Gebiet.  Wenn  wir  die  Fruchtbarkeit  und  die  alte 
Cultur  Campaniens  erwägen , ferner  dass  es  in  Capua  die 
nächst  Rom  bedeutendste  Stadt  Italiens  in  sich  schloss,  wird 
uns  dieses  Ergebniss  nicht  überraschen.  Auch  dass  das  Ver- 
hältniss  der  Reiter  zu  den  Fusstruppen  hier  ein  höheres  ist 
als  im  Durchschnitt  des  ganzen  römischen  Gebiets  (1 : 7,5  gegen 
1:12),  ist  bei  dem  Reichthum  und  der  berühmten  Pferdezucht 
Campaniens  nur  in  der  Ordnung.  Bei  weitem  der  grösste 
Theil  dieser  34000  Bürger  entfiel  natürlich  auf  Capua  und 
sein  ausgedehntes  Gebiet.  Was  wir  von  den  militärischen 
Leistungen  Capuas  in  dieser  Zeit  hören,  steht  mit  unseren 
Zahlen  in  gutem  Einklang.  So  zog  ein  capuanisches  Heer  von 
angeblich  14000  Mann  im  Jahre  215  gegen  Cumae3),  wenig 
später  kämpften  die  Campaner  vor  den  Thoren  ihrer  Stadt  mit  6000 
Mann  gegen  den  Consul  Q.  Fabius4).  Es  ist  nicht  zu  vergessen, 


l)  Liv.  23,  5 unter  dem  Jahr  216  in  einer  Rede:  triginta  milia  pedi- 
tum,  quattuor  equitum  ex  Campania  scribi  posse,  mit  etwas  rhetorischer 
Uebertreibung ; denn  wenn  die  Zahlen  auf  einem  römischen  Census  beruhen, 
müssen  sie  sich  auf  die  Gesammtheit  der  erwachsenen  Bürger  beziehen. 
Ueber  die  Glaubwürdigkeit  der  Angabe  vergl.  Mommscn,  Rom.  Forsch.  II 
S.  400. 

*)  Ungefähre  Schätzung  auf  Grund  der  neuen  planimetrischen  Be- 
rechnung des  Flächeninhalts  des  Königreiches  durch  das  ital.  militär- 
geographische  Institut.  Campanien  S.  18  hatte  ich  17,30  geogr.  Quadrat-Meilen 
ss  952  qkm  angenommen,  nach  einer  Berechnung  auf  Bl.  I meines  Atlas. 

8)  Liv.  23,  85. 

4)  Liv.  23,  46. 

27* 


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420 


Capitel  IX. 


dass  ein  Theil  der  campanischen  Praefeetur,  die  Städte  Cumae, 
Acerrae,  Suessula,  den  Römern  treu  geblieben  war.  Die  obige 
Angabe  über  die  Bürgerzahl  der  Praefeetur  erscheint  also  in 
jeder  Hinsicht  glaubwürdig. 

Die  freie  Bevölkerung  der  campanischen  Praefeetur  hat  sich 
demnach  ums  Jahr  220  auf  etwa  100000  Seelen  belaufen.  Es 
ist  wahrscheinlich,  dass  die  Sklavenbevölkerung  hier  verhältniss- 
mässig  höher  gewesen  ist  als  in  den  meisten  übrigen  Theilen 
Italiens1).  Schätzen  wir  sie  auf  Vs  bis  V a der  freien  Bevöl- 
kerung, so  ergiebt  sich  eine  Gesammtbevölkerung  von  etw'a 
140000*),  oder  140  auf  1 qkm.  Campanien  gehörte  also  in 
dieser  Zeit  zu  den  am  dichtesten  bewohnten  Ländern  im  Um- 
kreise des  Mittelmeers. 

So  ist  es  auch  später  geblieben.  Capua  freilich  hat  durch 
den  hannibalischen  Krieg  schwer  gelitten;  aber  seit  der  Colo- 
uisation  durch  Caesar  war  es  wieder,  was  es  im  HI.  Jahrhun- 
dert gewesen  ist,  die  grösste  Stadt  Italiens  nächst  Rom8),  und 
erst  durch  den  Aufschwung  Mailands  ist  es  in  der  späteren 
Kaiserzeit  überflügelt  worden*).  Daneben  entwickelte  sich 
Puteoli  im  H.  Jahrhundert  zu  dem  ersten  Emporium  der  Halb- 
insel8); im  I.  Jahrhundert  vor  und  nach  unserer  Zeitrechnung 
stand  es  an  Bedeutung  nicht  weit  hinter  Capua  zurück6).  Wenn 


*)  Servitia  werden  neben  der  Plebs  in  Capua  (Liv.  26,  4)  und  Casilinum 
(Liv.  24,  19)  ausdrücklich  erwähnt. 

a)  Wenn  ich  Campanien  S.  19  und  311  eine  höhere  Bevölkerung  be- 
rechnet habe,  so  beruht  das  auf  einer  unrichtigen  Auflassung  der  römischen 
Censuszahlen. 

а)  Vergl.  Statius,  Süv.  111  5,  76:  magnae  tractus  imitantia  Romae 
Quae  Capys  advectis  implevü  moenia  l'eucris. 

*)  Ausonius  giebt  in  seinem  Gedicht  de  nobilibus  urbibus  Capua  den 
dritten  Hang  unter  den  Städten  Italiens:  vorher  stehen  Rom  und  Mailand. 

б)  Lucilius,  fr.  111  11  Müller:  Dicarchitum  populos  Ddumque  minorem. 
Näheres  in  meinem  Campanien  S.  114  ff. 

6)  Tacit.  Hist.  III  57  spricht  von  der  municipalis  aemulatio  zwischen 
beiden  Städten.  Im  X.  Bande  der  CIL.  stehen  781  Inschriften  aus  Capua, 
1790  aus  Puteoli,  doch  gehören  von  letzteren  sehr  viele,  vielleicht  die 
Mehrzahl,  nach  Neapolis,  Cumae  und  anderen  Orten. 


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Italien. 


421 


Cumae  verfiel,  so  nahm  dafür  das  Modebad  Baiae  einen  glän- 
zenden Aufschwung;  die  Villenstadt,  die  sich  hier  gebildet 
hatte,  war  nach  Strabons  Ausdruck  nicht  kleiner  als  Puteoli1). 

Die  starke  Bevölkerung  der  Gegend  um  Atina,  Venafrum, 
Allifae  hebt  Cicero  hervor8).  Fregellae  war  bis  zu  der  Kata- 
strophe des  Jahres  125  eine  der  ersten  Städte  Italiens8). 
Aquinum  wird  von  Strabon  als  „grosse  Stadt“  bezeichnet4), 
doch  stand  es  hinter  Teanum  zurück,  das  alle  Städte  an  der 
Via  Latina  an  Grösse  übertraf5).  Auch  Casinum  und  Cales 
waren  ansehnlich6).  Von  der  Bedeutung  Pompeis  zeugen  die 
Ueberreste;  es  gab  nicht  viele  Städte  in  Italien,  die  einen 
grösseren  Flächenraum  bedeckt  haben,  wenn  wir  von  den  ver- 
fallenen Städten  Etruriens  und  Grossgriechenlands  absehen7). 
Neapolis  war  im  IV.  und  III.  Jahrhundert  die  erste  Handels- 
stadt in  Campanien;  und  wenn  es  auch  später  von  Puteoli 
überflügelt  worden  ist,  so  ist  es  doch  immer  eine  bevölkerte 
Stadt  geblieben8).  Von  den  etwa  46  italischen  Colonien  der 
Triumvim  und  des  Augustus  lagen  nicht  weniger  als  9 in 
Campanien,  nämlich  ausser  den  schon  angeführten  Capua,  Pu- 
teoli, Aquinum,  Teanum  noch  Nola,  Venafrum,  Suessa,  Min- 
turnae,  Sora 9).  In  keiner  anderen  Landschaft  Italiens  drängten 
sich  die  bedeutenden  Städte  in  dieser  Weise. 


*)  Strab.  V S.  246:  fxet  ynp  oiiij  nöU;  ytybqrai,  ovvqtxoJoftrifitvttv 
ßaailt/on'  aXktov  b r ovx  ihxrrmv  rrj(  Aixaiagydnt. 

!)  Cic.  f.  Plancus  8,  21  f. : huius  praefectura  (Atina)  plena  rirorum 
foiiisstmorum , ut  nulla  tota  Italia  frequentior  dici  possit  ....  tractus 
Ule  celeberrimus  Venafranus , Allifanus. 

*)  Schon  209  fährt  der  fregellanische  Abgeordnete  in  Kom  für  alle 
latinischen  Colonien  das  Wort  (Liv.  27,  10).  Im  Jahre  177  klagen  die 
Samniten  und  Paeligner,  dass  4000  Familien  aus  ihren  Gebieten  nach 
Fregellae  ausgewandert  seien  (Liv.  41,  8).  Vergl.  Mommsen,  R.  G.  II* 
S.  104. 

«)  Strab.  V S.  287. 

5)  Strab.  a.  a,  O. : pey/mq  ovaa  twv  M rj  Aarlvy. 

6)  Strab.  a.  a.  0. 

7)  S.  unten  Cap.  XI. 

8)  Cic.  f.  Rabirius  Post.  10,  26. 

s)  Ich  muss  auch  nach  den  Angriffen  Mommsens,  dessen  Heftigkeit 
in  der  Polemik  jedenfalls  auf  die  Stärke  seiner  Gründe  kein  günstiges  Licht 


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422 


Capitel  IX. 


Latium  steht  an  Fruchtbarkeit  weit  hinter  Campanien 
zurück,  auch  hat  es  ausser  Rom  Selbst  mit  seinem  Hafen  Ostia 
keine  Grossstadt  besessen,  ja  kaum  eine  einigermaassen  an- 
sehnliche Mittelstadt.  Immerhin  muss  in  älterer  Zeit  eine 
ziemlich  dichte  Bevölkerung  hier  gewohnt  haben;  hat  es  doch 
Latium  vermocht,  ganz  Italien  sich  zu  unterwerfen  und  ihm 
den  Stempel  seiner  Nationalität  aufzudrücken.  Dafür  spricht 
auch  die  grosse  Zahl  von  Städten,  die  einst  hier  sich  erhoben, 
und  die,  wenn  auch  meist  sehr  herabgebommen , zum  Tbeil 
noch  in  der  Kaiserzeit  bestanden  haben.  Aber  bereits  im 
letzten  Jahrhundert  der  Republik  war  Latium,  was  es,  freilich 
in  höherem  Grade  noch  heute  ist,  eine  menschenleere  Einöde. 
Gabii,  Labicum,  Bovillae  waren  beinahe  verlassen1),  Fidenae 
ein  unbedeutendes  Dorf2),  Tusculum  eine  Kleinstadt8),  von 
Ardea  blieb  kaum  mehr  als  der  Name4).  Strabon  wird  nicht 
müde,  den  Verfall  Latiums  hervorzuheben;  die  meisten  der 
alten  Städte  waren  spurlos  verschwunden 5),  das  Volskerland 
fast  nur  noch  von  Sklaven  bewohnt6).  Nur  die  Villen  der 
römischen  Grossen  in  der  nächsten  Umgebung  der  Hauptstadt, 
auf  den  Albanerbergen , bei  Tibur  und  am  Meeresstrand 
brachten  Leben  in  die  verödete  Landschaft. 


wirft,  an  der  Ital.  Bund  S.  5 ff.  vertretenen  Auffassung  des  plinianischen 
Colonienverzeichnisses  festhalten;  vielleicht  finde  ich  einmal  Zeit  und  Ge- 
legenheit, auf  die  interessante  Frage  zurtickzukommen. 

')  Cic.  f.  Plancus  9,  23:  nisi  forte  te  Labicana  aut  Gabina  aut 
BovMana  eidnitas  adiuvabit : quibus  e municipiis  vix  iam  qui  carnem 
Latin  in  petant  inveniuntur.  Vergl.  Dionys.  TV  53;  Propert  V 1,  34. 

*)  Horat.  Epist.  1 11,  7 : Sets  Lebedus  quid  sit:  Gabiis  desertior  atque 
Fidenis  vicus. 

$)  Cic.  /'.  Plancus  9,  21 : deinde  tui  munidpes  (die  Tusculaner)  sunt 
Mi  quidetn  spltndidissitni  homtnes,  sed  tarnen  paud,  st  quidem  cum  Atina- 
tibus  conferuntur. 

4)  Vergl.  Aen.  VII  410:  locus  Ardea  quondam  Dictus  avis,  et  nunc 
magnum  mattet  Ardea  ttomett,  Sed  fortuna  fuit. 

B)  Plin.  III  70:  ita  ex  antiquo  Latio  LIII  populi  interiere  sine  vesti- 
giis.  Vergl.  Lucan.  VII  391. 

*)  Liv.  VI  12:  innumerabilem  multitudinem  liberorum  capitata  in  eis 
locis  fttisse,  quae  nunc  vix  seminarto  exiguo  miiitum  relicto  serdtia 
Romatut  ab  solitudine  vindicant. 


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Italien. 


423 


Ein  ähnliches  Bild  bot  Etrurien.  Auch  hier  muss  einst, 
wie  die  weitgedehnten  Ruinen  alter  Grossstädte  beweisen,  eine 
zahlreiche  Bevölkerung  gewohnt  haben.  Aber  selbst  in  der 
Bltlthezeit  der  etruskischen  Macht  war  diese  Bevölkerung  sehr 
ungleich  vertheilt.  Am  dichtesten  bewohnt  war  der  Süden, 
von  der  Tibermündung  bis  zum  volsinischen  See  und  dem  un- 
teren Umbrothal,  ein  Gebiet  von  etwa  9000  qkm.  Hier  lag 
mehr  als  die  Hälfte  der  etruskischen  Bundesstädte,  nebst  einer 
sehr  beträchtlichen  Anzahl  kleinerer  Ortschaften;  hier  finden 
sich  auch  bei  weitem  die  meisten  Ueberreste  etruskischer 
Cultur.  Gut  bewohnt  war  auch  das  obere  Arnus-  uud  das 
Clanisthal,  wo  Faesulae,  Arretium,  Cortona,  Clusium  lagen  und 
die  verschollene  Stadt,  an  deren  Stelle  das  heutige  Orvieto 
getreten  ist;  ferner  das  mittlere  Tiberthal  um  Perusia.  An 
der  Küste  im  NW.  erhoben  sich  Populonia,  Volaterrae  und 
Pisae.  Aber  in  dem  gebirgigen  Innern  Etruriens,  dem  weiten 
Gebiete  zwischen  dem  See  von  Bolsena  und  dem  mittleren 
Arno  fehlen  antike  Ortsnamen  wie  Culturreste  aus  dem  Alter- 
thum so  gut  wie  ganz;  in  dem  menschenleeren  Lande  scheint 
im  IV.  Jahrhundert  eine  senonische  Horde  sich  angesiedelt 
zu  haben,  der  Siena  seinen  Ursprung  verdankt.  Das  Arno- 
thal zwischen  Florenz  und  Pisa  war  zu  Hannibals  Zeit  ein 
weites  Sumpfgebiet;  der  Durchzug  des  karthagischen  Heeres 
soll  vier  Tage  und  drei  Nächte  erfordert  haben.  Der  Apennin 
endlich  war  von  der  Küste  bei  Spezia  bis  zum  Casentino  ober- 
halb Arezzo  im  Besitz  ligurischer  Stämme,  die  erst  im  n.  Jahr- 
hundert von  den  Römern  bezwungen  worden  sind.  So  mochten 
von  den  etwa  30  000  qkm  Etruriens  im  III.  Jahrhundert  kaum 
17000  wirkliches  Culturgebiet  sein. 

Dabei  hat  die  Sklavenwirthschaft  sehr  früh  in  Etrurien 
Eingang  gefunden.  Bereits  im  Jahre  169  wird  von  einem 
Sklavenaufstand  berichtet1);  als  Tiberius  Gracchus  im  Jahre 
137  durch  die  heutigen  Maremmen  nach  Numantia  reiste,  sah 


1 ) Der  angebliche  Aufstand  der  freigelassenen  Sklaven  in  Volsinii  265 
wird  vielmehr  als  Empörung  der  Plebs  gegen  den  Adel  zu  fassen  sein; 
vergl.  Ihne,  Rom.  Getch.  I 407. 


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424 


Capitel  IX. 


er  das  Land  von  freien  Bewohnern  entblösst  und  die  Felder 
von  Sklaven  bestellt1).  So  hat  es  nichts  auffallendes,  wenn 
die  etruskischen  Bundesstädte  zur  Zeit  Hannibals  zusammen 
nur  etwa  40 — 50000  Waffenfähige  zählten8),  ihre  freie  Be- 
völkerung also  rund  200000  Köpfe  betrug.  Da  etwa  4000  qkm 
etruskischen  Gebietes  im  unmittelbar  römischen  Besitz  waren,  so 
bleiben  etwa  13000  für  die  etruskischen  Bundesstaaten,  ab- 
gesehen von  den  menschenleeren  Gebieten  des  Innern;  das  er- 
giebt  eine  Dichtigkeit  der  freien  Bevölkerung  von  15  auf 
1 qkm,  wozu  dann  weiter  die  Sklaven  zu  rechnen  wären. 

In  der  Folgezeit  ist  der  Verfall  immer  weiter  fortgeschritten, 
beschleunigt  durch  die  Verheerungen  des  sullanischen  Bürger- 
krieges, von  dem  Etrurien  in  ganz  besonderem  Maasse  zu  leiden 
hatte.  So  nennt  Strabon  Populonia  und  Caere  verlassen8),  und 
was  Rutilius  im  IV.  Jahrhundert  singt  (I  285): 

Cemimus  antiquas  nuüo  custode  ruinas, 

Et  desolatae  moenia  foeda  Cosae 

lässt  sich  schon  am  Anfang  der  Kaiserzeit  auf  einen  grossen 
Theil  Etruriens  anwenden. 

Besser  lagen  die  Verhältnisse  in  den  Landschaften 
des  Apennin,  von  Umbrien  bis  Samnium.  Die  Einverlei- 
bung des  Ager  Sabinus  ist  die  hauptsächlichste  Ursache  des 
plötzlichen  Steigens  der  römischen  Bürgerzahl  von  etwa  150000 
auf  262000  am  Anfang  des  III.  Jahrhunderts4).  Picenum 
nennt  Plinius  zur  Zeit  der  Besitznahme  durch  die  Römer  ein 
sehr  bevölkertes  Land;  die  Zahl  von  360000  Einwohnern,  die 
er  angiebt,  ist  freilich  ohne  Zweifel  sehr  übertrieben5).  Wäre 
sie  richtig,  so  würden  hier  etwa  80  Menschen  auf  1 qkm  ge- 
wohnt haben,  was  freilich  noch  immer  hinter  der  heutigen 

')  Gaius  Gracchus  bei  Plut.  Ti.  Gracchus  8:  xal  rijv  tnrjut’av  rij* 
XÜQ(t(  öqtävra  xal  roiif  yttoQyovvras  fj  vtftovrac  oixitag  (Tietaäxrovg 
xal  ßuQßdnovc. 

*)  54000  Mann  mit  den  „Sabinern“.  S.  oben  S.  864  ff. 

a)  Strabon  V S.  120.  224. 

4)  Oben  S.  344. 

s)  Plin.  H.  N.  III  110:  quinta  Regio  Piceni  est,  quondam  uberrimae 
muüitudmis.  CCCLX  Picentini  in  fidem  p.  R.  venere.  Doch  vergl.  oben 
S.  845  Anm. 


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Italien. 


425 


Bevölkerung  der  Marken  (95 — 97  auf  1 qkin)  Zurückbleiben 
würde;  jedenfalls  ist  zu  Plinius’  Zeit  die  Bevölkerung  der 
V.  Kegion  sehr  viel  geringer  gewesen1).  Um  so  dünner 
musste  bis  auf  die  Lex  Flaminia  die  Bevölkerung  in  dem 
alten  Senonenlande  sein,  dem  sog.  Ager  Galliens  in  Piceno, 
den  wir  uns  gewöhnt  haben,  als  einen  Theil  Umbriens  anzu- 
sehen. Das  eigentliche  Umbrien  zählte  in  Hannibals  Zeit  über 
20000  waffenfähige  Männer  im  Alter  von  16 — 46  Jahren,  also 
eine  freie  Bevölkerung  von  gegen  100000,  was  für  das  etwa 
6000  qkm  grosse  Gebiet  keine  unbedeutende  Zahl  ist  (16 — 17 
auf  1 qkm).  Die  Marser,  Paeligner,  Vestiner,  Marraciner, 
Frentaner,  Samniten,  Hirpiner  sind  es,  die  im  Socialkriege  die 
grosse  Masse  des  Insurgentenheeres  gestellt  haben,  was  auf 
eine  ansehnliche  Bevölkerung  schliessen  lässt.  Allerdings  war 
städtisches  Leben  in  allen  diesen  Gebirgslandschaften  wenig 
entwickelt.  Noch  unter  Augustus  gab  es  hier  keine  einzige 
grössere  Stadt,  und  das  hat  Strabon  verleitet,  von  einem  Verfall 
dieser  Gegenden  zu  sprechen8),  was  neuere  Historiker  nicht 
hätten  nachschreiben  sollen. 

Der  Süden  Italiens  muss  in  der  Blüthezeit  der  gross- 
griechischen Colonien,  vom  VII.  bis  zum  V.  Jahrhundert,  eine 
verhältnissmässig  dichte  Bevölkerung  gezählt  haben  (oben 
S.  301  ff.).  Mit  dem  siegreichen  Vordringen  der  Lucaner  seit 
dem  Anfang  des  IV.  Jahrhunderts  beginnt  der  Verfall,  den  der 
kannibalische  Krieg  vollendet,  dessen  Schauplatz  diese  Gebiete 
durch  13  Jahre  bildeten.  Die  Angabe,  dass  zu  Pyrrhos’  Zeit 
die  Tarantiner,  Messapier,  Lucaner,  Brettier,  Samniten  350000 
Mann  zu  Fuss  und  20000  Reiter  hätten  ins  Feld  stellen  kön- 
nen8), ist  jedenfalls  stark  übertrieben,  selbst  wenn  es  wahr 
wäre,  dass  Pyrrhos’  Heer  bei  Ausculum  70000  Mann  zu  Fuss 
und  8000  Reiter  gezählt  hätte,  worunter  54000  Mann  zu  Fuss 
und  gegen  5000  Reiter  italische  Bundesgenossen4) : Zahlen,  an 


■)  Plin.  a.  a.  0.:  quonda m uberrimae  mtdtitudinis. 
»)  Strab.  V S.  249-50. 

»)  Plut  Pyrrhos  13. 

4)  Dionys.  20,  1;  vergl.  Plut  Pyrrh,  15. 


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426 


C'apitel  IX. 


denen  ebenfalls  starke  Zweifel  gestattet  sind.  Zu  Anfang  des 
hannibalischen  Krieges  zählten  die  iapygisch-inessapischen  Völker 
56000  Waffenfähige,  oder  eine  freie  Bevölkerung  von  V*  Million 
auf  19 — 20000  qkm  (18  auf  1 qkm),  Lucanien  konnte  33000 
Waffenfähige  aufstellen,  entsprechend  einer  Gesammtzahl  von 
160000  Freien;  das  ergiebt  bei  einem  Flächenraum  von  viel- 
leicht 12000  qkm  annähernd  dieselbe  Volksdichtigkeit  wie  in 
Iapygien.  Die  Brettier  sollen  gegen  Kroton  215  ein  Heer  von 
15000  Mann  aufgestellt  haben1);  für  ein  Land  von  etwa 
14  000  qkm  Flächenraum  eine  keineswegs  sehr  bedeutende  Zahl. 

In  den  letzten  Jahrhunderten  vor  unserer  Zeitrechnung 
machte  die  Verödung  des  italischen  Südens  immer  weitere 
Fortschritte.  Der  Ackerbau  wurde  durch  die  Weidewirthschaft 
verdrängt,  die  durch  Sklaven  betrieben  wurde.  Cicero  nennt 
Apulien  den  menschenleersten  Theil  Italiens2).  Kur  Brandi- 
sium  und  Venusia  behaupteten  sich  in  der  Kaiserzeit  als  an- 
sehnliche Städte,  während  die  alten  Städte  Grossgriechenlands 
zu  Schatten  ihrer  einstigen  Bedeutung  herabsanken,  oder  auch 
gänzlich  verlassen  wurden,  wie  Metapontion 8).  Arpi  und  Ca- 
nusium,  einst  zu  den  ersten  Städten  Italiens  gehörig,  zeigten 
in  Augustus’  Zeit  nur  noch  durch  den  Umfang  ihrer  Mauern 
die  einstige  Grösse4). 

So  war  wenigstens  seit  dem  III.,  wahrscheinlich  schon 
seit  dem  IV.  Jahrhundert  Mittelitalien  der  bei  weitem  am 
dichtesten  bewohnte  Theil  der  Halbinsel.  Latium,  Campanieu 
und  die  Landschaften  des  Apennin  von  Ariminum  bis  Venusia 
zählten  zur  Zeit  Hannibals  auf  etwa  60000  qkm  eine  freie 
Bevölkerung  von  \ Millionen,  oder  29  auf  1 qkm;  Etrurien 
auf  13000  qkm  etwa  200000  freie  Einwohner,  oder  15  auf 
1 qkm;  der  italische  Süden  (Apulien,  Lucanien,  Brettien)  auf 
45000  qkm  5—600000,  11 — 13  auf  1 qkm.  Selbstverständ- 
lich sind  das  nur  Annäherungswerthe.  Auch  mochte  das  De- 


9 Liv.  24,  2.  Vergl.  oben  S.  358. 

*)  Cic.  an  Atlicus  VIII  3,  4:  inanissima  pars  Italiae. 

»)  Pausan.  VI  19,  11. 

4)  Strab.  VI  S.  283:  ftiytarai  rmv  'iTakioirCötav  yiyovvtut  nportpov, 
tag  Ix  twv  TTtnißolaiv  iHjkov,  «JUn  vvv  (karraiv  (atlv. 


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Italien. 


427 


ficit  der  freien  Bevölkerung  im  Nordwesten  und  Süden  bis  zu 
einem  gewissen  Grade  durch  die  hier  zahlreichere  Sklaven- 
bevölkerung  ausgeglichen  werden.  Aber  jedenfalls  bleibt 
Mittelitalien  ein  bedeutendes  Uebergewicht  der  Bevölkerung, 
und  dieses  Missverhältniss  ist  bis  in  die  Kaiserzeit  hinein  immer 
stärker  geworden. 


4.  Das  diesseitige  Gallien. 

Das  diesseitige  Gallien  steht  an  Flächenraum  dem  pen- 
insularen  Theile  Italiens  nicht  weit  nach  und  übertriflt  den- 
selben heute,  wie  schon  im  Mittelalter,  an  Bevölkerung.  Im 
früheren  Alterthum  ist  das  Verhältniss  ein  ganz  anderes  ge- 
wesen. Die  italische  Halbinsel  ist  ein  Land  alter  Cultur,  wo 
städtisches  Leben  schon  in  sehr  früher  Zeit  sich  entwickelt  hat. 
Im  Pothal  dagegen  hat  der  gallische  Einfall  die  Keime  höherer 
Civilisation  geknickt  und  die  Culturentwicklung  um  Jahrhun- 
derte zurückgeworfen.  Die  Berichte  aus  der  Zeit  Hannibals 
schildern  das  Land  zwischen  Alpen  und  Apennin  als  erfüllt 
von  Wäldern  und  Sümpfen,  mit  spärlichen,  weitverstreuten 
städtischen  Ansiedelungen.  Man  möchte  sich  in  das  Germanien 
des  Tacitus  versetzt  glauben.  Erst  durch  die  römische  Erobe- 
rung ward  das  Land  der  Cultur  wiedergewonnen.  Begreif- 
licher Weise  vollzog  dieser  Prozess  sich  sehr  langsam.  Die 
Sümpfe  bei  Parma  sind  eist  im  Jahre  109  durch  Scaurus  aus- 
getrocknet worden1);  aber  noch  60  Jahre  später  erstreckten 
sich  die  Sümpfe  bis  in  die  unmittelbare  Nähe  von  Mutina  und 
Bononia,  so  dass  die  Via  Aemilia  zwischen  beiden  Städten  auf 
einem  Damm  geführt  werden  musste*).  Die  ganze  Niederung 
an  den  Po-Mündungen  zwischen  Altinum  und  Ravenna,  und 
den  Fluss  hinauf  bis  Hostilia  war  ein  weites  Sumpfgebiet,  in 
dem  Adria  die  einzige  Ansiedlung  von  einiger  Bedeutung  bil- 
dete. Die  staunenswerthe  Wohlfeilheit  aller  Lebensbedürfnisse, 


»)  Strab.  V S.  217. 

*)  Cic.  ad  fam.  X80;  Front.  Strateg.  II  5,  39;  Appian,  Bürgerkr.  III 
66.  Vergi.  Frizzi,  Memorie  per  Ja  Storia  di  Ferrara  I S.  10  f- 


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428 


Capitel  IX. 


von  der  Polybios  zu  berichten  weiss,  die  ausgedehnte  Schweine- 
mast in  den  Eichenwäldern1)  sind  Beweis  genug,  dass  um  die 
Mitte  des  II.  Jahrhunderts  die  Po-Ebene  noch  verhältnissmässig 
spärlich  bewohnt  war,  mochte  auch  bei  der  grossen  Ausdeh- 
nung des  Landes  die  absolute  Bevölkerung  immerhin  nach  an- 
tiken Begriffen  beträchtlich  sein *).  Eine  numerische  Schätzung 
ist  allerdings  für  diese  Periode  kaum  ausführbar.  Die  Angaben 
der  römischen  Annalisten  über  die  Stärke  gallischer  Heere 
oder  die  Zahl  der  erschlagenen  oder  gefallenen  Feinde  sind 
absolut  werthlos.  Selbst  Fabius  darf  in  diesem  Punkte  nur 
mit  grosser  Vorsicht  benutzt  werden,  wenn  auch  anerkannt 
werden  muss,  dass  er  weniger  arg  gelogen  hat  als  seine  Nach- 
folger. So  giebt  Fabius  das  gallische  Heer  beim  Einfall  in 
Italien  228  auf  70000  Mann  an8),  spätere  Annalisten  auf 
200  000 4).  Uebrigens  befanden  sich  unter  diesen  70000  eine 
bedeutende  Menge  transalpinischer  Söldner,  sog.  Gaesaten,  und 
ausserdem  mag  auch  diese  Zahl  übertrieben  sein.  Dasselbe 
gilt  von  der  Angabe,  die  Insubrer  hätten  223  gegen  C.  Flami- 
nius  mit  50000  Mann  gekämpft5).  Glaubwürdiger  ist  die  An- 
gabe, dass  die  Veneter  und  Cenomanen  im  Jahre  225  ein  Heer 
von  20000  Mann  zu  Fuss  und  vielleicht  6000  Reitern  aufzu- 
stellen vermochten 6).  Da  es  sich  hier  um  Bundesgenossen 
handelt,  so  musste  die  römische  Regierung  allerdings  in  der 
Lage  sein,  zu  wissen,  auf  ein  wie  starkes  Hülfscontingent  sie 
eventuell  zu  rechnen  hätte.  Auch  empfiehlt  sich  die  Zahl 
durch  ihre  Kleinheit  und  weil  sie  in  der  Uebersicht  der  Streit- 
kräfte Italiens  steht,  die  sonst  aus  den  besten  Quellen  geflossen 
ist.  — Dass  die  Angabe  Strabons,  Patavium  habe  „einstmals“ 
120000  Mann  ins  Feld  zu  stellen  vermocht7),  nicht  den  ge- 
ringsten Werth  hat,  bedarf  doch  wohl  keiner  Bemerkung. 


')  Polyb.  II  15. 

*)  Polyb.  II  15,  7 : tö  yt  fiijv  nlijito;  Tu~v  rcnlptör  xtX. 

а)  Polyb.  II  23,  4. 

*)  Diod.  XXV  13. 

б)  Polyb.  II  32,  6. 

«)  S.  oben  S.  353-376. 

0 Strab.  V S.  213. 


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Italien.' 


429 


In  noeh  stärkeren  Ausdrücken  als  Polybios  sprechen  die 
Schriftsteller  der  caesarisch-augusteischen  Zeit  von  der  Blilthe 
des  Po-Landes.  Cicero  nennt  es  die  „Blüthe  Italiens,  die  Stütze 
des  römischen  Reiches“ 1).  Nach  Strabon  steht  das  diesseitige 
Gallien  an  Volksmenge,  an  Grösse  der  Städte  und  Reichthum 
dem  ganzen  übrigen  Italien  voran2).  Indess  wäre  es  voreilig, 
aus  solchen  Aeusserungen  sogleich  auf  eine  grössere  Volks- 
dichtigkeit  in  der  Po-Ebene  gegenüber  der  italischen  Halbinsel 
zu  schliessen.  Strabons  Ausdrücke  liessen  sich  heute  Wort  für 
Wort  auf  Nordamerika  an  wenden;  und  doch,  wie  dünn  sind 
die  Vereinigten  Staaten  im  Verhältniss  zu  Europa  bevölkert. 
Sollen  wir  denn  annehmen,  dass  Caesars  Statthalterschaft  im 
Jahre  49  eine  grössere,  oder  auch  nur  die  gleiche  Zahl  römi- 
scher Bürger  umschlossen  hat  wie  das  eigentliche  Italien?  Nie- 
mand, der  die  Geschichte  des  zweiten  Bürgerkrieges  erwägt, 
wird  das  behaupten  wollen. 

So  steht  Ober-Italien  an  Zahl  der  Städte  hinter  der  Halb- 
insel bedeutend  zurück.  Die  Regionen  I — VH  enthielten  nach 
dem  augusteischen  Kataloge  etwa  350  Gemeinden,  die  Regio- 
nen VIH — XI,  wenn  wir  von  den  Städten  latinischen  oder 
peregrinischen  Rechts  absehen,  nur  82.  Darunter  befinden  sich 
allerdings  verhältnissmässig  viele  ansehnliche  Mittelstädte.  Aber 
eine  Grossstadt  fehlte  noch  zu  Augustus’  Zeit.  Verona,  das 
Strabon  und  Marti al  als  solche  bezeichnen8),  bedeckte  einen 
Flächenraum  von  nicht  mehr  als  45,6  ha,  oder  nur  einen 
kleinen  Theil  der  heutigen  Stadt.  Etwa  dieselbe  Grösse  hatten 
die  beiden  Colonieu  Augusta  Taurinorum  und  Augusta  Prae- 
toria  Salassorum.  Ariininum  umfasste  sogar  nur  35  ha.  Grösser 
war  Bononia,  das  83  ha  bedeckte;  immer  noch  eine  sehr  mas- 
sige Ausdehnung,  und  kaum  der  vierte  Theil  des  Flächenraums 

*)  (Jic.  Phil.  III  5,  13 : provincia  Gallia  . . . Floss  Italiae,  firmamentum 
imperii  populi  Romani,  omamentum  dignitatis. 

*)  Strub.  V S.  218:  rijf  J’  irptrijf  uav  lönuv  itxpriQiov  rj  r’  evavdpta 
xai  to  piy(\h]  itiv  noltuiv  x«l  ö nlovi of,  ols  nctOtv  vntgß(ßi.JtVTta  Tt/V 
äXirjV  'ixaXlav  ot  ravrtj  'i^utpaioi. 

s)  Strab.  V S.  213.  Martial  XIV  194:  Tantum  magna  suo  gaudet 
Verona  Catullo,  Quantum  parva  suo  Mantua  Vergilio. 


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430 


Capitel  IX. 


des  modernen  Bologna.  Mediolanum  allerdings  gilt  im  IV.  Jahr- 
hundert als  die  zweite  Stadt  Italiens1);  aber  sein  Aufschwung 
fällt  erst  in  die  Kaiserzeit.  Noch  Strabon  nennt  Patavium 
die  bedeutendste  Stadt  der  Po-Ebene*)  und  bebt  Mediolanum 
in  keiner  Weise  vor  seinen  Nachbarstädten  hervor;  ebenso 
nennt  Tacitus  die  Stadt  auf  gleicher  Linie  mit  Novaria,  Eporedia 
und  Vercellae8).  In  ähnlicher  Weise  hat  Aquileia  erst  seit  der 
Unterwerfung  der  Donauländer  grössere  Bedeutung  gewonnen 4). 

Eine  Bestätigung  des  bisher  entwickelten  giebt  die  auguste- 
ische Regionseintheilung.  Es  liegt  in  der  Natur  der  Sache, 
dass  die  Verwaltungsbezirke  um  so  kleiner  ausfallen  müssen, 
je  dichter  die  Bevölkerung  ist.  So  zerfällt  Sicilien  heute  in  7, 
Sardinien  bei  annähernd  derselben  Grösse  in  2 Provinzen;  die 
erstere  Insel  hat  3 Millionen,  die  letztere  nur  700000  Ein- 
wohner. Oder,  um  ein  Beispiel  aus  dem  Alterthum  selbst  zu 
nehmen:  Baetica  war  die  kleinste  und  zugleich  die  relativ  be- 
völkertste Provinz  in  Spanien.  Wenn  nun  die  4 mittelitalischen 
Regionen  (I.  IV.  V.  VI)  nach  Augustus’  Eintheilung  zusammen 
etwas  weniger  als  50000,  die  II.,  HI.  und  VII.  Region  etwa 
je  30000,  die  4 Regionen  in  Ober-Italien  zusammen  116000 
qkm  umfassen,  so  wird  der  Schluss  nicht  abzuweisen  sein,  dass 
zu  der  Zeit,  wo  diese  Eintheilung  geschaffen  wurde,  Ober-Italien 
dünner  bevölkert  war  als  die  Halbinsel  und  auf  dieser  wieder 
Campanien  und  die  Landschaften  im  Apennin  die  relativ  stärkste 
Bevölkerung  hatten. 

Dasselbe  ergiebt  sich  aus  den  epigraphischen  Funden.  Es 
genügt,  das  Corpus  zu  durchblättem , um  sich  zu  überzeugen, 
dass  eine  Gressstadt  mehr  Inschriften  hinterlässt  als  eine  Klein- 
stadt, und  folglich  eine  dicht  bevölkerte  Gegend  mehr  als  eine 
dünn  bevölkerte.  Es  wird  also  auch  umgekehrt  aus  der  Zahl 


*)  Auson.  19  (de  url.)  35  ff. : Et  MedMani  mira  omnia,  copia  rentm, 
Innumerae  cultaeque  domus, . . . tum  duplice  muro  Amplificata  loci  species  etc. 

*)  Strab.  V S.  213:  n aomv  ä(t(air]  iiiv  ravx/j  nöXtarv  ....  itjloi  di 
Kai  xd  nkrtüo(  xiji  ntcuTOuCrrft  xaxaoxiurjg  it;  xqv'Petfujv  n )v  tvardniuv 
t?(  n6hai(. 

*)  TacituB  Hist.  I 70. 

*)  Auson.  de  urb.  6;  Herodian  VIII  2. 


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* 


Italien. 


431 


•der  gefundenen  Inschriften  auf  die  Dichtigkeit  der  Bevölkerung 
im  Alterthum  ein  Schluss  gestattet  sein,  sofern  wir  nur  die  zu 
vergleichenden  Gebiete  hinreichend  gross  nehmen,  um  zufällige 
Störungen  zu  eliminiren,  und  nur  Gegenden  mit  ähnlichem 
Culturzustande  — und  zwar  im  Alterthum  wie  heute  — zum 
Vergleich  heranziehen.  Beiden  Anforderungen  dürften  die  au- 
gusteischen Regionen  Italiens  entsprechen.  Wir  erhalten  fol- 
gendes Ergebniss: 


Reg. 

qkm 

Inschriften ') 

1 Insehr.  auf 
qkm 

I 

16  000 

6 302 

2,5 

II 

29  800 

2193 

13,5 

III 

30  000 

507 

60,0 

IV 

18  000 

2 819 

6,4 

V 

4 500 

923 

5,0 

VI 

10  300 

2180 

4,6 

vu 

31000 

2 535 

13,4 

139  600 

17  559 

7,1 

VIII 

22100 

1314 

17 

IX 

14  000 

608 

24 

X 

49  000 

5 091 

9,6 

XI 

30  700 

2117 

13,7 

116  400 

9 1:30 

12,7 

Rom 

— 

ca.  32000 

— 

Selbstverständlich  muss  diese  Tabelle  mit  Vorsicht  benutzt 
werden.  Namentlich  müssen  wir  uns  hüten,  die  Inschriftenzahl 

*)  Berücksichtigt  sind  nur  die  im  CIL.  unter  den  einzelnen  Städten 
aufgeführten  Inschriften-Nummern.  Das  „ Imtrumentum  domesticum“ , die 
Meilensteine,  die  pompeianischen  Wandinschriften  und  ähnliches  ist 
ausgeschlossen,  ebenso  die  Addenda,  deren  Berücksichtigung  nur  zu  Will- 
kür lichkeiten  geführt  haben  würde.  Die  Zahlen  für  die  Reg.  VI.  VII.  VIII 
verdanke  ich  der  Freundlichkeit  Bormanns;  dieselben  beruhen  für  die  VI. 
und  VII.  Region  auf  approximativer  Schätzung.  Die  Zahl  der  stadtrömischen 
Inschriften  gebe  ich  nach  einer  Mittheilung  Hülsens;  die  beiden  bisher  er- 
schienenen Theile  von  Band  VI  des  Corpus  enthalten  15126  Nummern. 
Dazu  kommen  dann  weiter  die  suburbicarischen  und  altchristlichen  In- 
schriften, die  hier  nicht  mitgerechnet  sind.  Doch  ist  zu  beachten,  dass  ein 
nicht  imbedeutender  Theil  der  städtischen  Inschriften  von  auswärts  ver- 
schleppt ist 


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432 


Capitel  IX., 


zu  der  absoluten  Bevölkerung  in  directe  Beziehung  zu  bringen. 
Die  Inschriftenzahl  bildet  vielmehr  einen  Gradmesser  nur  für 
die  Intensität  der  Cultur.  So  hat  Rom  mit  seiner  nächsten 
Umgebung  in  der  ersten  Kaiserzeit  etwa  */«  bis  Vt  der  Ge- 
sammtbevölkerung  Italiens  umfasst;  die  hier  gefundenen  In- 
schriften aber  tibertreffen  an  Zahl  die  im  ganzen  übrigen  Ita- 
lien. Aber  dass  Rom  die  bei  weitem  grösste  Stadt  Italiens 
gewesen  ist,  könnten  wir  allerdings,  wenn  wir  es  sonst  nicht 
wüssten , schon  aus  unserer  Tabelle  ableiten.  Ebenso  werden 
wir  behaupten  dürfen,  dass  die  Bevölkerung  — und  zwar  die 
bürgerliche  Bevölkerung,  denn  die  Sklaven  kommen  in  unserem 
epigraphischen  Material  nur  in  untergeordneterWeise  zur  Gel- 
tung — in  den  mittelitalischen  Regionen  I.  TV.  V.  VI  dichter 
gewesen  ist,  als  in  den  übrigen  Theilen  der  Halbinsel,  wenn 
auch  der  Unterschied  in  der  Volksdichtigkeit  nicht  so  bedeu- 
tend gewesen  sein  mag,  als  es  nach  unserer  Tabelle  auf  den 
ersten  Blick  scheinen  könnte.  Wir  gewinnen  damit  eine  Be- 
stätigung der  oben  auf  anderem  Wege  erhaltenen  Ergebnisse. 

Von  viel  geringerem  Werthe  für  die  Bevölkerungsstatistik 
ist  die  Sammlung  der  Denksteine  der  aus  Italien  stammenden 
Praetorianer,  Stadt-  und  Legionssoldaten,  die  kürzlich  Mommsen 
gegeben  hat1).  Denn  es  handelt  sich  hier  meist  um  Freiwil- 
lige; die  Zahlen  geben  also  einen  Gradmesser  nicht  so  sehr 
für  die  absolute  Bevölkerung  der  einzelnen  Regionen,  als  für 
den  in  ihnen  herrschenden  militärischen  Geist.  So  erklärt  es 
sich,  dass  die  Hauptstadt  keineswegs  im  Verhältniss  zu  ihrer 
grossen  Bevölkerung  vertreten  ist  Dennoch  mögen  die  Zahlen 
der  Vollständigkeit  wegen  hier  ihre  Stelle  finden: 


Roma 51 

Ostia 28 

79 

Reg.  I Latium 28 

Campania 68 


96 


')  Ephem.  Epigr.  V (1884)  S.  251. 


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Italien. 


433 


40 

9 

33 

34 
71 

132 


Halbinsel  494 

117 

33 

117 

65 

Gallia  cisalpina  332 

Wir  werden  jetzt  in  der  Lage  sein,  uns  von  der  Bevölke* 
rung  der  Transpadana  unter  Augustus  eine  annähernd  richtige 
Vorstellung  zu  bilden.  Der  Bevölkerung  der  Halbinsel  kam 
sie  an  Dichtigkeit  jedenfalls  nicht  gleich,  imd  zwar  nicht  nur 
an  Volksdichtigkeit  überhaupt,  sondern  auch  an  Dichtigkeit 
der  bürgerlichen  Bevölkerung.  Nun  zählte  Italien,  so  weit  es 
vor  Caesar  die  Civität  hatte,  im  Jahre  70/69  etwa  900000  er- 
wachsene Bürger,  entsprechend  einer  bürgerlichen  Gesammt- 
bevölkerang  von  2 Vs  Millionen  (s.  oben  S.  413).  In  den  42 
Jahren  von  da  bis  auf  Octavians  ersten  Census  wird  sich  diese 
Zahl  jedenfalls  nicht  erhöht,  wahrscheinlich  sogar  etwas  ver- 
mindert haben  (s.  oben  S.  373).  Davon  kommt  aber  gegen 
V»  Million  auf  Rom  und  seine  nächste  Umgebung  (oben  S.  402), 
so  dass  für  den  Rest  der  Halbinsel  bis  zum  Padus  — die  li- 
gurischen  Bergdistricte  ausgeschlossen  — 2 Millionen  übrig 
bleiben,  auf  ungefähr  160000  qkm1),  oder  12,5  auf  1 qkm. 
Dieselbe  Volksdichtigkeit  für  die  etwa  70000  qkm  des  Bürger- 
gebietes  in  der  Transpadana  vorausgesetzt,  würde  eine  Bevöl- 


Reg.  VHI 
■ IX 


Reg.  II 

n HI 

» IV 
. V 
* VI 
. VII 


l)  Diese  Zahl  beruht  auf  den  früheren  officiellen  Angaben  (vergl.  oben 
S.  320  u.  388),  und  ist  also  um  einige  Tausend  qkm  zu  hoch.  Da  indess 
auch  jenseits  des  Flusses  Eporedia,  Cremona  und  Aquileia  bereits  von 
Caesar  Bürgerrecht  hatten,  und  überhaupt  die  Grenzen  des  römischen  Ge- 
bietes im  diesseitigen  Gallien  in  dieser  Zeit  sehr  unsicher  sind,  so  habe  , 
ich  von  einer  Rectification  der  Zahl  abgesehen. 

Bei  och,  Bevjlkerungslehre.  I.  28 


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434 


Capitel  IX. 


kerung  von  875  000  ergeben.  Das  ist  ein  Maximum,  über  das 
wir  nicht  hinausgehen  dürfen,  das  aber  wahrscheinlich  keines- 
wegs erreicht  worden  ist.  Gehen  wir  statt  dessen  von  der 
Regionseintheilung  aus,  so  entfällt  auf  die  Regionen  I — VIII, 
die  bereits  seit  der  lex  Iulia  das  Bürgerrecht  hatten,  im 
Durchschnitt  eine  bürgerliche  Gesammtbevölkerung  von  1li  Mil- 
lion. Nach  diesem  Verhältniss  würden  die  3 Regionen  der 
Transpadana  (IX.  X.  XI)  aU  Millionen  bürgerlicher  Einwohner 
gezählt  hal)en;  doch  ist  zu  berücksichtigen,  dass  ausgedehnte 
Theile  dieser  Regionen  bereits  seit  der  lex  Iulia  das  Bürger- 
recht hatten,  also  bereits  im  Census  von  70/69  mitgezählt  sind. 
Da  es  sich  aber  hier  nur  um  runde,  approximative  Werthe 
handelt,  so  werden  wir  die  Zahl  von  aU  Millionen  für  diese 
3 Regionen  festhalten  können,'  und  einschliesslich  der  VIII.  Re- 
gion für  das  diesseitige  Gallien  eine  bürgerliche  Gesammtlte- 
völkerung  von  1 Million  erhalten.  Das  ergiebt  bei  einem 
Flächenraum  von  rund  100000  qkm1)  eine  Dichtigkeit  von 
10  auf  1 qkm,  gegen  13,5  auf  der  Halbinsel  ausschliesslich  der 
Hauptstadt. 

In  noch  höherem  Maasse  muss  die  unfreie  Bevölkerung 
des  Po -Landes  hinter  derjenigen  der  Halbinsel  zurückgestan- 
den haben.  Wurden  doch  im  n.  Jahrhundert  der  Kaiserzeit 
die  Felder  um  Comiun  durch  freie  Arbeiter  bestellt2);  und  die 
Blüthe  des  diesseitigen  Gallien  beruhte  zum  guten  Theil 
darauf,  dass  die  Latifundienwirthsebaft  hierher  nicht  vor- 
gedrungen war.  Wenn  also  auf  der  italischen  Halbinsel  um 
die  Mitte  des  I.  Jahrhunderts  v.  Chr.  die  Sklavenbevölkemng 
auf  s/6  der  freien  Bevölkerung  veranschlagt  werden  kann,  so 
kann  sie  im  diesseitigen  Gallien  höchstens  auf  die  Hälfte  von 
dieser  angesetzt  werden,  und  wird  wahrscheinlich  noch  dahinter 
zurückgeblieben  sein 

Von  den  Bergvölkern  am  Südalthang  der  Alpen,  die 
übrigens  zur  Zeit  von  Augustus'  erstem  Census  meist  noch  nicht 

1)  Die  Alpengebiete,  die  unter  Augustus  das  Bürgerrecht  noch  nicht 
hatten,  sind  hier  ausgeschlossen.  Vergl.  oben  S.  389  und  321. 

2)  Plin.  Epist.  III  19,  7 : nam  nec  ipse  unquam  vinctos  habeo , tue 
ibi  quisquam. 


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Italien. 


435 


unterworfen  waren,  und  später,  soweit  sie  nicht  ganz  ver- 
nichtet wurden,  latinisches  Recht  erhalten  haben,  besitzen  wir 
nur  über  ein  einziges  statistische  Angaben.  Bei  der  Besiegung 
der  Salasser  im  Val  d’Aosta  im  Jahre  25  v.  Chr.  soll  Varro 
44000  Gefangene  gemacht  haben,  darunter  8000  waffenfähige 
Männer1).  36000  Weiber,  Kinder  und  Greise  setzen  aber, 
nach  dem  bekannten  Verhältniss  von  3 : 1 eine  Zahl  von 
12  000  Waffenfähigen  voraus,  sodass  4000  Männer  im  Kampfe 
gefallen  sein  müssten,  und  die  Gesammtzahl  der  Salasser,  die 
etwa  geflüchteten  ungerechnet,  gegen  50000  betragen  hätte. 
Der  heutige  Bezirk  Aosta,  der  etwa  dem  alten  Salassergebiete 
entspricht,  hat  3439  qkm  Flächenraum,  sodass  sich  eine  relative 
Bevölkerung  von  14  auf  1 qkm  ergeben  würde,  was  für  ein 
solch  rauhes,  von  einem  halbwilden  Volk  bewohntes  Bergland 
offenbar  eine  ganz  unmögliche  Annahme  wäre.  Zählt  doch  das 
Val  d’Aosta  selbst  heute  nicht  mehr  als  82000  Einwohner.  Also 
beruhen  entweder  die  obigen  Zahlen  auf  einem  übertreibenden 
Triumphalberichte,  oder  Varros  Feldzug  muss  auch  noch  gegen 
andere  Alpenvölker  gerichtet  gewesen  sein.  Für  unsere  Zwecke 
also  ist  die  Angabe  unbrauchbar®),  und  wir  müssen  darauf 
verzichten,  die  Bewohner  des  italienischen  Abhangs  der  Alpen 
numerisch  zu  bestimmen.  Wir  werden  aber  nicht  irren  mit 
der  Annahme,  dass  dieses  ganze  Gebiet  zu  Augustus’  Zeit  eine 
ausserordentlich  dünne  Bevölkerung  gehabt  hat. 

5.  Die  Gesaimutbevölkerung  Italiens. 

Die  italienische  Halbinsel  kann  in  Hannibals  Zeit,  wie 
wir  gesehen  haben,  kaum  über  3V8  Millionen  Einwohner  ge- 
zählt haben,  sodass  einschliesslich  des  damals  noch  sehr  dünn 
bevölkerten  diesseitigen  Gallien  für  Italien  4 —A'ia  Millionen 

])  Strab.  IV  S.  205  f. : rtüv  fj'tv  ovv  aiiiov  noiuditai’  jqiii  [hqiuiSk 
(ir]Taa9rjanv  Inl  rot;  e^axia/iXioi;,  tüv  Jf  iiayiu oj y ixijp iSv  öxTaxia/ü.100 

*)  Ich  wörde  über  diesen  Punkt  weniger  ausführlich  gewesen  sein,  wenn 
nicht  Mommsen  im  letzten  Bande  seiner  Geschichte  die  Zahlen  Strabons  — 
übrigens  mit  einem  kleinen  Versehen  — wiederholt  und  Wietersheim  sogar 
eine  Berechnung  der  Bevölkerung  der  Alpenländer  darauf  gegründet  hätte 
(Völkerwanderung  PS.  203). 

28* 


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486 


Capitel  IX. 


Einwohner  anzunehmen  sein  werden,  eine  Schätzung,  die  sich 
weder  nach  oben  noch  nach  unten  weit  von  der  Wahrheit  ent- 
fernen wird.  Für  das  Jahr  28  v.  Chr.,  als  Augustus  seinen 
ersten  Census  hielt,  haben  sich  uns  folgende  Zahlen  ergeben: 


bürgerliche  Be- 
völkerung 

Hauptstadt 500  0001 

übrige  Halbinsel  (Reg.  I — VH)  . . 1750  000 j 

Gallia  eisalpina  (Reg.  VIII— XI) . . 1 000  000 


Sklaven 

1500000 

500000 


3250000  2 000000 


Zusammen  also  51/*  Millionen,  und  wenn  wir  die  hier  nicht  ein- 
gerechneten Peregrinen  zu  V*  Million  ansetzen  (vgl.  oben  S.  403), 
5Vs  Millionen  Einwohner.  Es  bedarf  keiner  Bemerkung,  dass 
diese  Zahl  nur  auf  approximativen  Werth  Anspruch  macht. 
Für  die  bürgerliche  Bevölkerung  allerdings  hält  sich  der  mög- 
liche Fehler  in  engen  Grenzen;  es  kann  sein,  dass  die  Zahl 
um  etwas  zu  erhöhen  ist,  im  Falle  wir  nämlich  annehmen, 
dass  bei  dem  Census  ein  Theil  der  Bevölkerung  sich  der  Auf- 
nahme entzog.  Doch  kann  das  dadurch  herbeigeführte  Minus 
kaum  sehr  wesentlich  ins  Gewicht  fallen.  Dagegen  beruht  der 
Ansatz  der  Sklavenzahl  ganz  auf  Schätzung;  es  ist  also  sehr 
wohl  möglich,  dass  diese  Schätzung  um  Vs  Million  zu  hoch, 
oder  um  eine,  ja  selbst  zwei  Millionen  zu  niedrig  ist.  Indess 
werden  die  obigen  Zahlen  auch  hier  als  wahrscheinliche  Mittel- 
werthe  angesehen  werden  dürfen ; und  es  kommt  auch  für  unsere 
Zwecke  nicht  so  viel  darauf  an,  ob  Italien  zu  Anfang  von 
Augustus’  Alleinherrschaft  eine  Bevölkerung  von  5,  6 oder 
7 Millionen  gezählt  hat. 

Im  Laufe  des  ersten  Jahrhunderts  der  Kaiserzeit  hat  sich 
die  Zahl  der  römischen  Bürger  bedeutend  vermehrt ; und  wenn- 
gleich der  grösste  Theil  dieses  Zuwachses  auf  die  Provinzen 
entfällt,  so  wird  doch  auch  Italien  daran  seinen  Antheil 
gehabt  haben.  Allerdings  der  zweite  Census  des  Augustus  im 
Jahre  8 v.  Chr.  ergab  eine  bürgerliche  Bevölkerung  von  4233000, 
nur  170000  mehr  als  20  Jahre  vorher  gezählt  worden  waren, 
ein  Resultat,  das  zum  Theil  in  den  Nachwehen  der  Btirger- 


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Italien. 


437 


kriege  seine  Erklärung  findet,  zum  Theil  in  der  Pest,  die 
Italien  in  den  Jahren  13  und  12  v.  Chr.  heimsuchte1).  Von 
jetzt  an  aber  zeigt  sich  als  Erfolg  der  wiederhergestellten 
ruhigen  Zustände  eine  aufsteigende  Bewegung:  der  letzte  Census 
des  Augustus,  14  v.  Chr.,  ergab  4937  000,  der  Census  des 
Claudius,  47  v.  Chr.,  5984072  bürgerliche  Bewohner  des  Rei- 
ches. Wir  müssen  uns  dabei  erinnern,  dass  das  Bürgerrecht 
in  dieser  Periode  an  Peregrinen  sehr  sparsam  ertheilt  worden 
ist2),  fast  nur  an  zum  Legionsdienste  ausgehobene  Soldaten, 
oder  an  ausgediente  Auxiliartruppen , und  dass  die  Zahl  der 
Freilassungen  gesetzlich  beschränkt  war.  Es  liegt  also  hier  zum 
grossen  Theil  natürlicher  Zuwachs  vor,  der  freilich  in  den 
Colonien  und  Municipien  der  Provinzen  stärker  sein  mochte 
als  in  Italien;  auch  hat  ohne  Zweifel  jetzt  wie  früher  eine 
starke  Auswanderung  aus  Italien  sich  in  die  Provinzen  er- 
gossen. Immerhin  aber  werden  wir  annehmen  dürfen,  dass  die 
Hälfte  der  2 Millionen,  um  welche  die  Bürgerzahl  sich  seit 
28  v.  Chr.  vermehrt  hatte,  auf  Italien  selbst  gekommen  ist; 
das  ergiebt  für  dieses  einen  Zuwachs  von  30,  für  die  Bürger- 
districte  in  den  Provinzen  von  125  %.  Italien  muss  also  um 
die  Mitte  des  I.  Jahrhunderts  nach  unserer  Zeitrechnung 
eine  freie  Bevölkerung  von  4Ve  Millionen  gezählt  haben;  und 
da  doch  wohl  auzunehmen  ist,  dass  bei  dem  allgemeinen  wirth- 
schaftlichcn  Aufschwung  auch  die  unfreie  Bevölkerung  sich 
etwas  vennehrt  haben  wird,  darf  die  Gesammtbevölkerung 
für  diese  Zeit  auf  etwa  7 Millionen  veranschlagt  werden.  — 
Wie  sich  die  Verhältnisse  weiter  entwickelt  haben,  wissen  wir 
nicht,  da  das  Ergebniss  von  Vespasians  Census  nicht  überliefert, 
und  später  überhaupt  kein  Census  mehr  gehalten  worden  ist. 

Die  Resultate  der  obigen  Untersuchung  stehen  nun  aller- 


*)  Dio  Cass.  53,  33  ; 54,  1:  noravpivoi  oiir  vnö  re  rijt  röoov  xai 
toC  Ai/uoD,  Ir  T t yaQ  irj  ’lxaUtf  nday  6 Xoiuös  tytvtxo  xai  xijv  yiiioar 
ovdtlg  i/pydaaxo,  doxiö  <J‘  Sri  xai  tv  roT{  ?{ft>  /cup/oif  r 6 avxö  xoixo 
ovrrjvtx&r). 

®)  Suet  Aug.  40:  (Augustus)  et  civitatem  parcissime  dedit,  et  manu - 
mittendi  modum  terminavit.  Neue  Municipien  sind  seit  der  Schlacht  bei 
Aktion  sogut  wie  gar  nicht  errichtet  worden,  s.  oben  S.  839. 


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438 


Capitel  IX. 


dings  in  schroffem  Gegensatz  zu  weitverbreiteten  Vorstellungen. 
Ist  doch  noch  ganz  kürzlich  die  Behauptung  aufgestellt  worden x), 
Italien  habe  im  ersten  Jahrhundert  der  Kaiserzeit  eine  bürger- 
liche Bevölkerung  von  14—17  Millionen  Seelen  gezählt,  und 
eine  Gesammtbevölkerung , die  nicht  sehr  beträchtlich  hinter 
der  heutigen  Bevölkerungsziffer  (ohne  die  Inseln  1881 : 24  849  725) 
zurückblieb.  Wie  völlig  unhaltbar  diese  Ansicht  ist,  sollte 
freilich  auf  den  ersten  Blick  klar  sein.  Italien  umfasste  unter 
Augustus  etwa  434  Bürgergemeinden,  die  annähernd  ebensovielen 
Städten  oder  Städtchen  entsprachen ; und  die  Zahl  der  grösseren 
vici  ohne  administrative  Selbständigkeit  war  keineswegs  sehr 
bedeutend.  Heute  (1874)  zählt  der  festländische  Theil  des 
Königreichs  1488  Ortschaften  (centri)  mit  über  2000  Einwoh- 
nern, wovon  541  über  4000  Einwohner  haben®);  dazu  wären 
dann  noch  die  Städte  in  Istrien,  Südtirol  und  Tessin  zu  fügen. 
Allerdings  besitzt  das  moderne  Italien  keine  Weltstadt  wie  das 
kaiserliche  Rom ; dafür  aber  eine  viel  höhere  Zahl  von  Städten 
zweiten  und  dritten  Ranges.  Es  bedarf  nur  einer  ganz  ober- 
flächlichen Kenntniss  der  historischen  Topographie,  um  zu  er- 
kennen, dass  mit  Ausnahme  der  nächsten  Umgebung  von  Rom 
alle  italischen  Landschaften  im  Alterthum  viel  schwächer  be- 
völkert waren  als  gegenwärtig.  So  bestehen  in  Ober-Italien 
alle  Städte  noch  heute,  die  zur  Römerzeit  von  irgend  welcher 
Bedeutung  gewesen  sind,  mit  Ausnahme  von  Altinum,  an  dessen 
Stelle  Venedig  getreten  ist;  und  zwar  sind  diese  Städte  fast 
ausnahmslos  jetzt  viel  grösser  als  unter  römischer  Herrschaft 
Kur  Aquileia  ist  zum  unbedeutenden  Flecken  herabgesunken; 


1)  Schiller,  Kaisergeschichte  I S.  427,  Geschichte  unter  Nero  S.  500; 
Jung,  Wiener  Studien  1 S.  229  ff.  Vorsichtiger  drückt  Mommsen  sich  aus 
( R . G.  II5  403):  „Es  wird  demnach  kaum  möglich  sein,  die  freie  Be- 
völkerung der  Halbinsel  höher  als  auf  6—7  Mill.  Köpfe  anzusetzen.  Wenn 
die  damalige  Gesammtbevölkerung  derselben  der  gegenwärtigen  gleichkam, 
so  hätte  man  danach  eine  Sklavenmasse  von  13—14  Mill.  Köpfen  anzu- 
nehmen. Es  bedarf  indessen  solcher  trügerischen  Berechnungen  nicht“  etc. 
Wietersheim  ( Völkerwanderung  I1  S.  204)  rechnet  „mindestens“  (so!) 
11  Millionen. 

2)  Annuario  Statistico  Italiano  1881  S.  88  f. 


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Italien. 


489 


aber  dafür  sind  Ferrara  und  Alessandria  seit  dem  Alterthum 
neu  entstanden.  In  dem  peninsularen  Theile  Italiens  ist  Cam- 
panien  südlich  vom  Voltumo  jetzt  wie  einst  die  bevölkertste 
Landschaft.  Unter  Augustus  gab  es  hier  ausser  mehreren 
grösseren  vici  17  Städte,  von  denen  zwei,  Liternum  und  Vol- 
turniun,  ganz  unbedeutend  gewesen  sind;  die  übrigen  be- 
stehen mit  Ausnahme  von  Cumae  und  Misenum  noch  heute, 
wenn  auch  zum  Theil  mit  einer  kleinen  Verschiebung  der 
Lage,  und  unter  anderem  Namen.  Allerdings  sind  Capua 
(S.  Maria  di  Capua)  und  Puteoli  mit  Baiae  sehr  gesunken, 
aber  das  Deficit  wird  reichlich  gedeckt  durch  den  Aufschwung, 
den  Neapel  genommen  hat  Herculaneum,  Pompei,  Nueeria, 
Abella,  Acerrae,  Capreae  sind  schwerlich  grösser  gewesen,  als 
ihre  modernen  Nachfolger  Resina,  Torre  dell’Annunziata,  Nocera, 
Avella,  Acerra,  Capri.  Surrentum  kann  an  Bedeutung  dem 
modernen  Sorrento  mit  den  Ortschaften  des  Piano  (Meta,  Ca- 
rotto,  S.  Agnello)  keineswegs  gleichgekommen  sein.  Atella, 
Suessula,  Calatia,  Casilinum,  Stabiae  stehen  weit  hinter  Aversa, 
Maddaloni,  Caserta,  Capua,  Castellamare  zurück,  die  an  ihre 
Stelle  getreten  sind.  Nola  mag  vielleicht  etwas  gesunken  sein. 
Dafür  aber  sind  8 Ortschaften  mit  über  10000  Einwohnern 
neu  entstanden:  Afragola,  Angri,  Caivano,  Frattamaggiore, 
Giugliano,  Pagani,  Sarno,  Torre  del  Greco.  Die  Zahl  der  Orte 
von  über  2000  Einwohner  beträgt  jetzt  gegen  100  *);  es  ist 
sehr  fraglich,  ob  im  Alterthum  auch  nur  25  vorhanden  ge- 
wesen sind.  Eine  Betrachtung  der  übrigen  italischen  Land- 
schaften würde  zu  analogen  Ergebnissen  führen. 

Man  erwäge  weiter,  dass  ein  sehr  viel  grösserer  Theil 
des  alten  Italien  von  Wald  bedeckt  war  als  heute2),  und  dass 
die  Viehzucht,  und  namentlich  die  Weidewirthschaft,  eine  viel 
weitere  Ausdehnung  hatte.  „Gegenwärtig  schätzt  man  das  un- 
productive Gebiet  des  Königreichs  Italien  auf  ä/i6,  die  Weiden 
auf  V«,  die  Wälder  auf  1le  des  gesammten  Areals.  Für  das 


*)  Censimento  della  popoloeione  del  Regno  d’Jtaha  dl  31.  Die.  1881. 
Vol.  I parte  1.  Roma  1881. 

*)  Nissen,  Itaj.  Landesl-unde  I S.  481  ff. 


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Capitel  IX. 


Alterthum  wird  man  von  solchen  Schätzungen  absehen  müssen. 
Nur  soviel  steht  fest,  dass  die  Wald-  und  Weidezone  an  Aus- 
dehnung die  Culturzone  übertraf1).“  Und  wenn  im  alten  Italien 
der  Wolf  häufig,  der  Bär  noch  keineswegs  ausgerottet  war, 
„wilde  Ziegen“ , d.  h.  Steinböcke  oder  Gemsen  nicht  nur  im 
Hochapennin,  sondern  sogar  auf  dem  Soracte  zu  finden 
waren2),  so  kann  die  Bevölkerung  unmöglich  auch  nur  an- 
nähernd die  heutige  Dichtigkeit  gehabt  haben. 

Dasselbe  lässt  sich  auch  auf  anderem  Wege  erweisen. 
Hätte  Italien  unter  Augustus  eine  bürgerliche  Bevölkerung,  ich 
sage  nicht  von  14 — 17,  sondern  nur  von  10  Millionen  gezählt, 
so  kämen  auf  jede  der  434  Gemeinden  im  Durchschnitt  nahe  au 
22000  Einwohner,  oder  über  7000  erwachsene  Bürger,  wobei 
600000  bürgerliche  Einwohner  für  Rom  abgerechnet  sind. 
Eine  Bürgerzahl  von  7000  aber  haben  nur  die  bedeutenderen 
italischen  Gemeinden  erreicht.  So  sind  die  latinischen  Colonieu 
in  der  Regel  mit  3 — 4000  Colonisten  deducirt  worden3),  die 
Bürgercolonien  des  II.  Jahrhunderts  mit  2— 3000 4).  Die  ein- 
zige augusteische  Colonie,  über  deren  Stärke  wir  unterrichtet 
sind,  Augusta  Praetoria,  zählte  3000  Colonisten6),  und  dass 
auch  die  übrigen  nicht  viel  stärker  gewesen  sind,  ergiebt  sich 
daraus,  dass  nach  Augustus’  eigenem  Zeugniss  in  seinen  sämmt- 
lichen  bis  zum  Jahre  29  v.  Chr.  gegründeten  Militärcolonien 
nicht  mehr  als  120000  Veteranen  angesiedelt  waren6).  Mögen 
nun  die  Colonisten  auch  nur  den  dritten,  ja  den  vierten  Theil 


’)  Nissen  a.  a.  0.  S.  227. 

*)  Nissen  a.  a.  0. 

*)  S.  die  Zusammenstellung  in  meinem  Ital.  Bund  S.  149  f. 

*)  ltal.  Bund  S.  117. 

B)  Strab.  IV  S.  206. 

®)  Mon.  Ancyr.  c.  15:  »«  colonis  militum  meorum  consul  quintvm 
ex  manibiis  viritim  millia  nummum  singula  dedi;  acceperunt  id  triumphale 
ccmgiamm  in  colonis  homtnum  circiter  centum  et  viginti  millia.  Augustus 
hat  im  ganzen  28  Colonien  in  Italien  deducirt  (Mon.  Ancyr.  c.  28),  von 
denen  wohl  nur  eine,  Augusta  Praetoria,  nach  dem  Jahr  29  gegründet  ist 
Das  ergiebt  für  jede  Colonie  im  Durchschnitt  4400  Colonisten.  Doch  wissen 
wir  nicht,  wieweit  auch  die  in  den  Colonien  der  Triumvirn  angesiedelten 
Veteranen  an  dem  Geschenk  Antheil  erhielten. 


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Italien. 


441 


aller  in  den  Colonien  wohnenden  Bürger  gebildet  haben,  so 
ergiebt  sieh  für  diese  Städte,  die  grössten  in  Italien,  doch  nur 
eine  Bürgerzahl  von  durchschnittlich  etwa  12000.  — Unter 
den  Munieipien  war  eines  der  ansehnlichsten  Spoletiuin.  Im 
II.  Jahrhundert  wurde  dieser  Stadt  von  einem  patriotischen 
Bürger  eine  Schenkung  von  250000  Sesterzen  gemacht,  aus 
deren  Zinsen  jedem  Bürger  jährlich  2 Sesterzen  gezahlt  und 
ausserdem  die  Kosten  eines  Banketts  für  die  Decurionen  be- 
stritten werden  sollten  *).  Der  Zinsfuss  für  solche  Stiftungsgelder 
war  in  dieser  Zeit  in  der  Regel  5%,  der  Ertrag  des  Capitals 
also  12500  Sesterzen.  Nun  mag  der  Stifter  allerdings 
darauf  gerechnet  haben,  dass  nicht  alle  munidpes  zum  Em- 
pfang der  Spende  sich  melden  würden;  andererseits  aber  war 
das  Bankett  für  die  Decurionen  gewiss  sehr  kostspielig.  Mehr 
als  6 — 7000  Bürger  kann  Spoletium  also  in  dieser  Zeit  schwer- 
lich gezählt  haben.  — Die  Stadt  Rudiae  in  Calabrien  empfing 
unter  Hadrian  ein  Capital  von  80000  Sesterzen,  von  dessen 
Zinsen  jährlich  den  Decurionen  je  20,  den  Augustalen  je  12, 
den  Mercurialen  je  10,  den  übrigen  munidpes  je  8 Sesterzen 
gezahlt  werden  sollten2).  Die  Zinsen,  zu  5 % gerechnet, 
würden  ausgereicht  haben  500  Bürgern  je  8 Sesterzen  zu 
zahlen.  — Ferentinum  in  Latium  erhielt  im  II.  oder  HI.  Jahr- 
hundert eine  Schenkung  von  70000  Sesterzen;  die  Zinsen  wer- 
den zu  4200  Sesterzen  (6°/o)  angegeben.  Daraus  soll  jähr- 
lich vertheilt  werden : an  alle  Bürger  (munidpes)  und  sonstigen 
Einwohner  (incolae),  und  zwar  nicht  blos  an  die  erwachsenen 
Männer,  sondern  auch  an  die  verheirathetcn  Frauen,  je  1 Pfund 
(827  g)  Backwerk  (crustuhm),  1 hemina  (0,274  1)  Wein  (mulsum) 
und  je  1 Sesterz;  an  die  Decurionen  je  10  Sesterzen,  an  die 
Söhne  der  Decurionen  und  an  die  Augustalen  je  8 Sesterzen. 
Zur  Instandhaltung  der  Statue  des  Stifters  werden  jährlich 
30  Sesterzen  bestimmt,  und  es  wird  erwartet,  dass  nach  alle- 
dem noch  ein  Ueberschuss  bleibt,  der  den  Kindern  der  Plebs 
zu  gute  kommen  soll8).  Nach  diesen  Angaben  kann  die  Zahl 

»)  Wilm.  2099  = Henzen  7115. 

*)  CIL.  IX  28  = Wilm.  1828. 

*)  CIL.  X 5853  — Wilm.  1786. 


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442 


Capitel  IX. 


der  municipes  und  incolae  von  Ferentinum  schwerlich  auch  nur 
2000  erwachsene  Männer  betragen  haben;  wahrscheinlich  viel 
weniger. 

Wir  sehen,  die  Zahl  von  7000  Bürgern  ist  als  Durchschnitt 
für  die  italischen  Gemeinden  in  Augustus’  Zeit  viel  zu  hoch. 
Nach  unseren  obigen  Ansätzen  der  Bevölkerung  Italiens  ergiebt 
sich  für  das  Jahr  28  v.  Chr.  als  durchschnittliche  Bürgerzahl 
jeder  Gemeinde  auf  der  Halbinsel  (Rom  ausgeschlossen)  etwa 
1700,  im  Po-Lande  4500;  für  das  Jahr  47  n.  Chr.  im  Durchschnitt 
von  ganz  Italien  ausser  Rom  gegen  3000.  Es  dürfte  kaum 
etwas  begründetes  gegen  diese  Zahlen  einzuwenden  sein. 

Wer  aber  nach  dem  allen  noch  Bedenken  trägt,  dem  Italien 
des  I.  Jahrhunderts  der  Kaiserzeit  eine  Bevölkerung  von  nur 
5Vs — 7 Millionen,  oder  22 — 28  auf  1 qkm  zuzuschreiben,  der 
möge  erwägen,  dass  noch  vor  kaum  400  Jahren  Italien  wirklich 
eine  nicht  wesentlich  höhere  Bevölkerung  hatte,  als  sie  hier 
für  Claudius’  Zeit  berechnet  worden  ist.  Ums  Jahr  1500  dürfte 
Italien  — von  den  Inseln  abgesehen  — schwerlich  viel  über 
9 Millionen  Einwohner  gezählt  haben,  wovon  etwa  4 Millionen 
auf  den  peninsularen  Theil  südlich  des  Apennins  entfallen1). 
Und  liegt  denn  ein  Grund  vor,  das  Italien  der  Kaiserzeit  für 
bevölkerter  zu  halten,  als  das  Italien  der  Renaissance? 

Ja  noch  mehr;  es  giebt  eine  grosse  Region  innerhalb  der 
Grenzen  des  Königreichs,  die  selbst  heute  noch  keine  stärkere 
Volksdichtigkeit  besitzt.  Ich  meine  die  Insel  Sardinien,  die  ja 
in  so  vielen  Beziehungen  sich  alterthümliche  Zustände  bewahrt 
hat.  Hier  lebten  im  Jahre  1871 : 26,  im  Jahre  1881 : 28  Be- 
wohner auf  1 qkm. 

Und  auch  die  Alten  selbst  haben  Italien  keineswegs  für 
ein  stark  bevölkertes  Land  angesehen 2).  Die  römischen  Schrift- 
steller sind  voll  von  Klagen  über  die  Abnahme  der  freien  Be- 
völkerung; und  noch  lauter  sprechen  die  gesetzlichen  Maass- 

0 Ich  werde  im  II.  Theil  dieser  Studien  ausführlich  auf  diese  Frage 
zurückkommen. 

a)  Nur  Aelian  Verm.  Gesch.  IX  16  macht  eine  Ausnahme,  aber  er 
spricht  von  dem  Italien  vergangener  Zeiten:  xal  Sn  nöltit  yxijoav  rr/v 
Iralluv  Tiahii  knjn  xrtl  fvcvijxovra  xa\  txnrov  n QÖ;  rait  /»Zfetf. 


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Italien. 


443 


regeln,  zu  denen  Augustus  und  seine  Nachfolger  sich  genöthigt 
sahen,  um  die  Volksvennehrung  zu  befördern.  Die  an  800000 
Mann,  die  Italien  nach  Fabius  vor  Beginn  des  hannibalischen 
Krieges  ins  Feld  stellen  konnte,  erschienen  den  Zeitgenossen 
des  Vespasian  als  eine  fast  unglaubliche  Zahl1);  heute  würde 
sie  einem  italienischen  Staatsmann  kaum  besonders  irn- 
poniren2).  „Einst“,  so  berichtet  Plinius,  habe  Picenum  (die 
V.  Region  des  Augustus)  eine  ausserordentlich  dichte  Bevöl- 
kerung gehabt,  nämlich  860 000 8),  oder  80  auf  1 qkm,  zu 
seinerzeit  also  offenbar  viel  weniger;  jetzt  (1881)  zählt  Italien 
99  Einwohner  auf  dem  gleichen  Flächenraum.  Was  ist  die 
Bevölkerung  von  ganz  Italien  gegenüber  einem  einzigen  Volke 
von  Asien,  ruft  Diodor  aus  *).  Cicero  spricht  von  der  solitudo 
ltaliae 8).  Also  auch  von  dieser  Seite  wird  unser  oben  ge- 
wonnenes Ergebniss  bestätigt. 


*)  Man  beachte  die  Art,  wie  Plinius  diese  Zahl  am  Ende  seiner  Be- 
schreibung Italiens  anführt  (III  188):  haec  est  Italia  diis  sacra,  hae  gentes 
eins,  haec  oppida  popidorum.  super  haec  Italia  quae  L.  Aemilio  Paulo, 
C.  Attilio  Begulo  cos.  nuniiato  Galileo  tumultu  sola  sine  externis  ullis 
auxiliis  atque  etiam  tune  sine  Transpailanis  equitum  LXXX,  peditum 
DCC  armavit. 

*)  Die  Kriegsstarke  des  italienischen  Heeres  betrug  am  80.  Sept  1883 : 
2119250  Mann,  davon  unter  Waffen  183279,  Reserve  567  486,  Ersatztruppen 
(milizia  mobile)  341 250,  Landwehr  ( milizia  territoriale ) 1 021 954,  Reserve- 
offiziere 5281.  (Annuario  Statistico  ltaliano  i 1884  S.  69.)  Dabei  macht 
der  Staat  heute  an  die  militärische  Leistungsfähigkeit  seiner  Bürger  viel 
geringere  Ansprüche  als  im  Alterthum. 

*)  Plin.  III  110:  quinta  regio  Piceni  est,  quondam  uberrimae  malti- 
tudinis.  LXX'LX  Picentium  in  (dem  p.  11.  venere. 

*)  Diod.  II  5 : xalroi  y Uvexa  TtXqSove  <ty&ga/7tiu v rijv  'Itctlhtv  oitjv 
ovx  itv  r«f  ovyxqlveif  ttqoc  i'v  f&vo;  tiüv  *«t«  jqv  'Aolav. 

5)  Cic.  Attic.  I 19,  4:  Ego  aufm populo . . . satis  faciebam  emp- 

tione,  qua  constituta  et  sentinam  urbis  exhauriri , et  ltaliae  solitudinem 
frequentari  posse  arbitrabar.  Vergl.  die  bekannten  Verse  Lucan.  Phars.  I 
24  ff.  und  Verg.  Georg.  I 507. 


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Zehntes  Capitel. 

Der  lateinische  Westen. 


1.  Sardinien  und  Corsica. 

Der  Flächeninhalt  Sardiniens  und  seiner  kleinen  Nachbar- 
inseln wurde  bisher  officiell  zu  24342  qkm  angegeben.  Nach 
der  planimetrischen  Berechnung  Strelbitzkys  beträgt  derselbe 
23842  qkm,  wovon  23554,6  auf  die  Hauptinsel  kommen.  Die 
neueste  planimetrische  Berechnung  des  italienischen  militär- 
geographischen Instituts  ergab  für  Sardinien  selbst  23  799,6,  für 
die  kleinen  Nachbarinseln  277,6  qkm,  im  ganzen  24077,2  qkm. 
Sardinien  kommt  also  an  Grösse  Sicilien  annähernd  gleich, 
stand  aber  an  Bevölkerung  ohne  Zweifel  im  Alterthum  wie 
heute  weit  hinter  der  Schwesterinsel  zurück.  Dafür  spricht 
ebensosehr  die  so  viel  schwächere  Entwickelung  des  Städte- 
wesens auf  Sardinien,  das  nie  eine  Grossstadt  und  nur  sehr 
wenige  Mittelstädte  besessen  hat,  wie  die  Leichtigkeit,  mit  der 
es  den  Römern  gelang,  den  Besitz  der  Insel  zu  erringen  und 
zu  behaupten.  Während  des  hannibalischen  Krieges  hat  eine 
Besatzung  von  2 Legionen  für  Sardinien  genügt,  während  auf 
Sicilien  durch  lange  Jahre  die  doppelte  Truppenmacht  verwendet 
werden  musste. 

Es  bedarf  demnach  keiner  Bemerkung,  dass  die  Zahl  von 
3 Millionen  Einwohnern,  die  italienische  Forscher  für  Sardinien 
zur  Römerzeit  herausgerechnet  haben  *),  rein  in  der  Luft  steht. 

*)  Vergl.  Castiglioni,  Centimento  degli  antichi  Statt  Sardi  1.  genn. 
1858,  Popolaeione  I S.  259. 


i 


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Der  lateinische  Westen. 


445. 


Da  Sicilien  vielmehr,  wie  wir  oben  gesehen  haben,  unter 
Augustus  kaum  mehr  als  600000  Einwohner  gezählt  hat,  so 
werden  wir  Sardinien  höchstens  zu  der  Hälfte  dieser  Volkszahl 
veranschlagen  können.  Ti.  Gracchus,  der  im  Jahre  177  v.  Ghr. 
einen  grossen  Aufstand  hier  niederschlug,  rühmte  sich  auf  seinem 
Siegesdenkmal,  über  80000  Feinde  erschlagen  oder  gefangen 
zu  haben1).  Da  hier  natürlich  die  Gefangenen  jeden  Alters 
und  Geschlechts  einbegriffen  sind,  so  würde  sich  diese  Angabe 
recht  gut  mit  einer  Gesammtbevölkening  der  Insel  von  300  000 
Seelen  vertragen,  auch  angenommen,  dass  Gracchus  nicht  nach 
der  gewöhnlichen  Sitte  römischer  Triumphatoren  übertrieben 
hat.  Wenn  Polybios  von  der  starken  Bevölkerung  Sardiniens 
spricht2),  so  folgt  daraus  noch  nichts  für  ‘eine  hohe  relative 
Bevölkerung;  denn  auch  eine  Volkszahl  von  300000  war  nach 
griechischen  Begriffen  für  eine  Insel  schon  sehr  bedeutend. 

Die  Bevölkerung  von  Corsica  giebt  Diodor  zu  über  30000 
an,  wobei  offenbar  nur  die  erwachsenen  Männer  gemeint  sind. 
Wie  es  scheint,  stammt  die  Notiz  aus  Timaeos8),  und  bezieht 
sich  demnach  auf  den  Anfang  des  III.  Jahrhunderts  vor  unserer 
Zeitrechnung.  Dass  diese  Schätzung  eine  sehr  unsichere  sein 
muss,  liegt  in  der  Natur  der  Sache;  immer  aber  ist  sie  besser 
als  gar  keine.  Auch  hat  die  Zahl  an  sich  gar  nichts  unwahr- 
scheinliches. Corsica  hat  einen  Flächeninhalt  von  8862,3,  oder 
mit  den  kleinen  Nachbarinseln  8866,5  qkin4),  es  würden  also 
etwa  11  Einwohner  auf  den  qkm  entfallen.  Die  gleiche  Volks- 
dichtigkeit für  Sardinien  vorausgesetzt,  würde  265000  Ein- 
wohner ergeben , also  ungefähr  entsprechend  unseren  obigen 
Annahmen.  Es  ist  nun  allerdings  wahrscheinlich,  dass  Sardinien, 
wie  besser  angebaut,  so  auch  dichter  bevölkert  war,  sodass  wir 
hiernach  etwa  400000  bis  Va  Million  für  die  Insel  annehmen 
müssten.  Indess  ist  es  sehr  wohl  möglich,  dass  Sardinien  in 
karthagischer  Zeit  stärker  bewohnt  war,  als  in  den  beiden  ersten 

>)  Liv.  41,  28. 

2)  Polyb.  I 79,  6:  vfjao g xal  Ttp  tytfha,  xal  rj  nohaväQtonla  xal 
Toi{  ytwr\f*a0i  Siaifiqovaa. 

s)  Diod.  V 14.  vergl.  Müllenhoff,  Deutsche  AUerthumskunde  I S.  453. 

4)  Nach  Strelbitzky.  Die  officielle  Angabe  ist  8747,1  qkm. 


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446 


Capitel  X. 


Jahrhunderten  der  römischen  Herrschaft.  Und  jedenfalls  ist 
die  Differenz  der  auf  beiden  Wegen  erlangten  Zahlen  viel  zu 
gering,  um  wesentlich  ins  Gewicht  zu  fallen.  Es  mag  also  die 
Bevölkerung  Sardiniens  und  Corsicas  zusammen  für  Augustus’ 
Zeit  mit  rund  V»  Million  angesetzt  werden1). 

2.  Spanien. 

Die  iberische  Halbinsel  nebst  den  Balearen  (Spanien,  Por- 
tugal, Andorra,  Gibraltar)  hat  nach  Strelbitzky  einen  Flächen- 
raum von  590211,8  qkm,  womit  die  officiellen  Angaben  fast 
genau  übereinstimmen.  Davon  entfallen  ungefähr  auf8) 


qkm 

Baetica 80000 

Lusitania 130  000 

Tarraconensis 880000 


Directe  Angaben  über  die  Bevölkerung  besitzen  wir  nur 
für  die  drei  nordwestlichen  Bezirke  der  Tarraconensis.  Nach 
Plinius  zählte8) 

der  Convent  von  Asturica 240000  libera  capita 

der  Convent  von  Lueus  Augusti 166000  „ „ 

der  Convent  von  Braeara 285  000 4)  „ „ 

[691000}  „ 

Ohne  Zweifel  gehen  diese  Angaben  auf  einen  Provinzialcensus 
zurück.  Und  da  solche  Bevölkerungszahlen  in  der  NaturaJts 
Historia  sich  nur  hier  finden,  Plinius  aber,  wie  bekannt,  in 
einer  der  kaiserlichen  Provinzen  Spaniens  Procurator  gewesen 
ist,  so  hat  er  dieselben  höchst  wahrscheinlich  während  seiner 
Verwaltung  selbst  in  Erfahrung  gebracht.  Sie  beziehen  sich 


*)  Zu  demselben  Resultat  gelangt  auch  Wietersheim,  Völkmcanderung 
PS.  207,  doch  ohne  seine  Schätzung  irgendwie  zu  begründen. 

!)  Berechnet  nach  dem  Flächenraum  der  heutigen  Provinzen,  die 
diesen  römischen  Provinzen  entsprechen. 

*)  Plin.  H.  N.  III  28. 

*)  Die  bei  Detlef'sen  mit  C bezeichnete  jüngere  Handschriftengruppe 
hat  275000. 


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Der  lateinische  Westen. 


447 


also  auf  die  Mitte  des  I.  Jahrhunderts  nach  Christus.  Dass 
ferner  unter  libera  capita  die  freie  Gesammtbevölkerung  zu 
verstehen  ist,  zeigt,  abgesehen  von  dem  Ausdruck  selbst  (nu- 
merus  omnis  multitudinis  liberorum  capitvm),  der  nur  diese 
Deutung  zulässt,  auch  die  Grösse  der  Zahlen.  Der  Flächen- 
inhalt jener  drei  Bezirke  beträgt  zusammen  etwa  85000  qkm, 
was  eine  freie  Bevölkerung  von  gegen  8 auf  den  qkm  ergeben 
würde.  Setzen  wir  die  gleiche  Volksdichtigkeit  für  die  ganze 
Halbinsel  voraus,  so  erhielten  wir  eine  Bevölkerung  von  nahe 
an  5,  oder  einschliesslich  der  Sklaven  wohl  von  etwas  über 
5 Millionen.  Wollten  wir  dagegen  unter  „ libera  capita “ nur 
die  erwachsenen  Männer  verstehen,  so  kämen  wir  auf  eine  freie 
Gesammtbevölkerung  von  15  Millionen,  d.  h.  annähernd  gleich 
der  heutigen  Bevölkerung  der  Halbinsel.  Eine  solche  Annahme 
richtet  sich  selbst;  hat  doch  Spanien  noch  unter  Philipp  II. 
nicht  über  7 — 8 Millionen  Einwohner  gezählt. 

Der  bei  weitem  am  besten  bewohnte  Theil  der  Halbinsel 
war  in  der  ersten  Kaiserzeit  Baetica.  Nach  Strabon  soll  die 
Provinz  200  Städte  gezählt  haben,  und  auch  der  Katalog  bei 
Plinius  zählt  hier  175  Gemeinden  auf1).  Die  Volksdichtigkeit 
wird  also  hier  annähernd  dieselbe  gewesen  sein,  wie  in  Italien. 
Nehmen  wir  20  Einwohner  auf  1 qkm  an,  so  ergiebt  sich  eine 
Bevölkerung  von  über  lVa  Million.  Dagegen  waren  die  weiten, 
unfruchtbaren  Hochebenen  der  inneren  Tarraconensis  nur  spärlich 
bevölkert2),  und  auch  Lusitanien  kann  zu  Polybios’  Zeit  nur  eine 
sehr  geringe  Bevölkerung  gezählt  haben,  wie  die  staunenswerthe 
Wohlfeilheit  und  der  grosse  Wildreichthum  beweist8).  Dasselbe 
zeigen  die  Berichte  über  den  Krieg  mit  Viriathus.  Der  römi- 


')  Plin.  H.  N.  III  7 : cunctas  provinciarum  din'ti  culiu  et  quodam 
fertili  et  pecuh'ari  nitore  praecedit.  Strab.  III  S.  137.  141  f. 

*)  Strab.  III  S.  136  f.:  toi'tij t (Iberiens)  3t]  r 6 plv  nUov  otxeixai 

(favloii'  opij  y«Q  xai  dgv/uovi  ntdia  Xe7rrt)V  f)rovxa  yijr  ovde  ravrrjv 
öualtöt  et  vipov  otxoCoi  rrji  rroXXijv  Sj  re  TTQoaßoQQoq  ißv/Qil  x(  lart  relCiuc 
ttqos  trj  Tpa/vrrjTi  xai  naQtoxearing,  npoaeii-tjifvia  rö  upuixrov  xüieitl- 
nXevxov  xot;  aXXoi(,  ärjfr'  vnegßäXXeiv  xij  uo/&qp/if  xij:  otxqaemi. 
Vergl.  Poseidon.  l>ei  Strai).  III  S.  162. 

*)  Polyb.  34,  8. 


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448 


Capitel  X. 


sehen  Civilisation  ist  Lusitanien  erst  seit  dem  sertorianischea 
Kriege,  vollständig  erst  durch  Caesar  und  Augustus  erschlossen 
worden.  Rechnen  wir  in  Ermangelung  eines  besseren  Anhalt» 
für  die  Tarraconensis  und  Lusitanien  dieselbe  Volksdichtigkeit, 
wie  sie  aus  Plinius’  Angaben  für  das  nordwestliche  Spanien  sich 
ergiebt,  also  8,  oder  einschliesslich  der  Sklaven1)  vielleicht  9 
auf  1 qkm,  so  erhalten  wir  für  die  500000  qkm  dieser  Pro- 
vinzen 41/»  Millionen  Einwohner,  also  mit  Baetica  für  ganz 
Spanien  6 Millionen.  Diese  Zahl  gilt  natürlich  nur  für  die 
augusteische  Zeit;  im  Laufe  der  Kaiserzeit  mag  die  Bevölkerung 
sich  erhöht  haben,  und  zwar  in  Tarraconensis  und  Lusitanien 
in  stärkerem  Maasse  als  in  Baetica,  welch  letzteres  aber  ohne 
Zweifel  immer  der  am  dichtesten  bevölkerte  Theil  Spaniens 
geblieben  ist 

Eine  Bestätigung  findet  dieses  Resultat  durch  die  Inschriften- 
funde. Es  stehen  im  II.  Band  des  Corpus  Inscriptionum  Lati- 
narum  verzeichnet2)  Inschriften  aus 

im  ganzen  auf  je  1000  qkm 

Baetica 1419  17, ”7 

Lusitania 950  7,8 

Tarraconensis 2259  5,9 

4628  7,8~ 


3.  Gallien. 

Gallien,  d.  h.  das  Land  zwischen  Pyrenaeen,  Alpen,  Rhein, 
und  Ocean  hat  eine  Ausdehnung  von  635—640000  qkm.  Es 
beträgt  nämlich  nach  Strelbitzky  der  Flächeninhalt  von 


>)  Dass  die  Zahl  der  eigentlichen  Sklaven  in  dieser  Zeit,  abgesehen 
etwa  von  Baetica,  nicht  gross  gewesen  sein  kann,  ergiebt  sich  ans  dem 
ganzen  wirtschaftlichen  Zustand  des  Landes.  Ob  Leibeigenschaftsver- 
hältnisse bestanden  haben,  wissen  wir  nicht  Doch  zeigt  die  Höhe  der 
Zahlen  bei  Plinius,  dass  diese  Leibeigenen,  wenn  es  überhaupt  deren 
gab,  entweder  unter  den  capita  libera  einbegriffen  sind,  oder  wenig  zahl- 
reich waren. 

!)  Ausschliesslich  der  Addenda,  der  Viae  publicae,  des  Imtrumentum 
domesticum  etc.  Vergl.  die  Bemerkungen  oben  S.  481  Anm. 


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Der  lateinische  Westen. 


449 


qkm 

Frankreich  (abzüglich  Corsica) 524612,5 

Normannische  Inseln 219,0 

Monaco 21,6 

Belgien 29460,8 

Luxemburg 2588,0 

Nord-Brabant,  Limburg,  Seeland 9125,5 

Schweiz  (abzüglich  Graubündten,  Tessin,  Schaffhausen,  Thur- 
gau, St  Gallen,  Glarus,  Appenzell) 26975,9 

das  linksrheinische  Deutschland  ca.1) 42600 


685598,3 

Nach  den  officiellen  Angaben  umfasst  Frankreich  ohne 
Corsica  nur  519824,89  qkm.  Für  die  übrigen  Gebiete  weichen 
die  officiellen  Zahlen  nur  unbedeutend  von  den  Zahlen  Strel- 
bitzkys  ab. 

Von  diesem  Flächenraum  entfallen  auf  die  Narbonensis 
etwas  über  100000  qkm,  auf  Aquitanien  im  ethnographischen 
Sinne,  also  das  Land  südlich  der  Garonne  und  westlich  der 
Provinz,  etwa  40  000 2),  sodass  für  das  bis  auf  Caesar  freie 
Keltenland  und  die  germanischen  Districte  links  des  Rheins 
gegen  495000  qkm  übrig  bleiben.  Die  nTres  Galliae “ (Aqui- 
tania,  Lugdunensis,  Belgica)  zusammen  haben  demnach  ein 
Areal  von  etwa  585000  qkm. 

Was  nun  die  Bevölkerung  angeht,  so  fehlt  darüber  für  die 
Narbonensis  aus  dem  Alterthum  jede  Angabe.  Da  indess  diese 
Provinz  schon  in  der  ersten  Kaiserzeit  zu  den  nach  Italien  am 
meisten  civilisirten  Gebieten  im  Westen  des  Reiches  gehörte8), 
so  kann  die  Volksdichtigkeit  nicht  viel  hinter  der  des  benach- 
barten Ober-Italien  zurückgestanden  haben,  was  für  Augustus’ 
Zeit  auf  eine  Bevölkerung  von  ll/s  Millionen  Einwohnern  führen 
würde. 


•)  Strelbitzky  giebt  nur  den  Flächeninhalt  der  Regierungsbezirke.  Die 
Ausdehnung  der  linksrheinischen  Theile  der  Regierungsbezirke  Düsseldorf, 
Köln  und  Koblenz  ist  von  mir  annähernd  planimetrisch  bestimmt  worden. 

*)  Berechnet  nach  dem  Flächenraum  der  entsprechenden  heutigen 
Departements. 

s)  Plin.  H.  N.  III  81 : amplitudme  opum  prorinciarum  nulU  post - 
ferenda,  breviterque  Italia  potius  quam  provincia. 

Belach,  BevSlkerangslehre.  I.  29 


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450 


Capitel  X. 


Ueber  die  Bevölkerung  des  übrigen  Gallien,  der  sogen. 
Tres  Qalliae,  haben  wir  einige  Nachrichten  in  Caesars  Com- 
mentarien.  Wir  werden  diesen  Angaben  freilich  nicht  das  un- 
bedingte Vertrauen  entgegenbringen  dürfen,  das  ihnen  in  der 
Regel  geschenkt  wird1).  Der  „gallische  Krieg“  ist  eben  eine 
Tendenzschrift,  verfasst  nicht  um  die  historische  Wahrheit  zu 
geben,  sondern  um  Caesars  Thaten  in  das  günstigste  Licht  zu 
stellen.  Caesar  färbt  sonst  die  Thatsachen  in  seinem  Interesse; 
wie  hätte  er  den  Zahlen  gegenüber  enthaltsamer  sein  sollen? 
Viel  Feind,  viel  Ehr,  war  ja  von  jeher  der  Wahlspruch  römi- 
scher Feldherren  gewesen,  mochten  auch  die  Feinde  zum  gröss- 
ten Theil  nur  auf  dem  Papier  stehen.  Und  Caesar  ist  der 
Sitte  gefolgt;  wusste  er  doch,  dass  die  Leser  schon  von  selbst 
die  nöthigen  Abstriche  vornehmen  würden. 

Um  die  Sache  an  einem  recht  schlagenden  Beispiele  zu 
zeigen,  erinnere  ich  an  den  Bericht  über  den  Feldzug  in  Wallis 
im  Winter  57/6.  Danach  soll  die  von  Galba  geführte  Legion 
von  30000  Mann  Sedunem  und  Veragrem  angegriffen  worden 
sein,  von  denen  nicht  weniger  als  10000  erschlagen  wurden®). 
Danach  müsste  Wallis  damals  mindestens  120000  Einwohner 
gezählt  haben,  reichlich  soviel,  als  der  Canton  heute  zählt. 
Die  Uebertreibung  ist  hier  besonders  handgreiflich,  weil  es  sich 
um  Beschönigung  einer  Niederlage  handelt.  Ich  werde  daher 
im  folgenden  davon  absehen,  das  ganze  von  Caesar  überlieferte 
Zahlenmaterial  zu  besprechen,  und  mich  auf  einige  der  wich- 
tigsten Angaben  beschränken. 

Nach  der  Schlacht  bei  Bibracte  sollen  sich  in  dem  Lager 
der  Helvetier  Tafeln  gefunden  haben  mit  genauer  Angabe  über 
die  Kopfzahl  der  ausgezogenen  Stämme,  specificirt  nach  waffen- 
fähigen Männern,  Kindern,  Greisen  und  Weibern.  Und  zwar 
habe  betragen  die  Zahl  der 


’)  Wie  z.  B.  von  Wietersheim,  Völkern- . I S.  207 — 213,  der  der 
Meinung  ist,  das  auf  Grund  von  Caesars  Angaben  für  die  Bevölkerung 
Galliens  erlangte  Ergebniss  habe  grössere  Sicherheit  als  die  Schätzungen 
für  andere  Theile  des  Reiches.  Und  selbst  Mommsen,  Rom.  Gesch.  III5 
S.  216  verwerthet  diese  Zahlen  ohne  jedes  Bedenken. 

»)  Gail.  Kr.  III  6. 


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Der  lateinische  Westen. 


451 


268000 
36000 
14000 
23000 
32000 

zusammen  368  000, 

wovon  92000  waffenfähige  Männer1). 

Es  ist  nun  gewiss  im  höchsten  Grade  überraschend,  hei 
den  barbarischen  Helvetiern  eine  officielle  Statistik  zu  finden, 
wie  wir  sie  in  solcher  Vollkommenheit  in  dem  Rom  dieser  Zeit 
vergeblich  suchen,  und  sonst  nur  im  griechischen  Orient  an- 
treffen. Die  Verwunderung  schwindet,  wenn  wir  die  von  Caesar 
angegebene  Zahl  der  Waffenfähigen  mit  der  Gesammtzahl  ver- 
gleichen. Jene  beträgt  nämlich  genau  V*  von  dieser;  und  es 
bedarf  keiner  Bemerkung,  dass  ein  so  rundes  Verhältniss  sich  un- 
möglich ergeben  konnte,  wenn  beide  Zahlen  auf  wirklicher  Zählung 
beruhten.  Die  eine  Zahl  ist  also  durch  Berechnung  aus  der 
anderen  gefunden ; und  zwar  ist  die  Zahl  der  Gesammtbevölke- 
rung  die  primäre,  da  hier  die  Einzelposten  aufgeführt  werden, 
und  diese  zum  grossen  Theile  in  den  Tausenden  nicht  durch 
4 theilhar  sind.  Also  ist  Caesars  Angabe  über  die  im  helve- 
tischen Lager  Vorgefundenen  statistischen  Tabellen  mindestens 
in  einem  wesentlichen  Punkte  gefälscht.  Dürfen  wir  dem 
gegenüber  den  anderen  Theil  dieser  Angaben  als  authentisch 
betrachten? 

Caesar  selbst  giebt  uns  das  Mittel  an  die  Hand,  die  Frage 
zu  entscheiden.  Er  sagt  uns  nämlich,  dass  er  nach  Unter- 
werfung der  Helvetier  einen  Census  des  Volkes  vornehmen 
liess,  der  110000  Köpfe  ergeben  habe2).  Danach  wären  also 

’)  Caes.  Gail.  Kr.  I 29:  In  eastris  Hehetiorum  tabulae  repertae 
sunt  litteris  Graecis  coufectae  et  ad  Caesarem  relatae,  quibus  in  tabulis 
nominatim  ratio  confecta  erat,  qui  numerus  domo  exisset  eorum,  qui  arma 
ferre  possent,  et  item  separatem  pueri,  senei i mulieresque.  Quorum  omnium 

rerum  summa  erat  capitum  Hehetiorum (die  Zahlen  8.  oben),  ex 

his  qui  arma  ferre  possent  ad  milia  nonaginta  duo.  Summa  omnium 
fuerunt  ad  milia  CCCLXVIII. 

*)  Caes.  Gail.  Kr.  I 29:  Eorum  qui  domum  redierunt,  censu  habito, 
ut  Caesar  imperaverat,  repertus  est  numerus  C et  X. 

29* 


Helvetier 
Tulinger 
Latoviker 
Rauraker 
Boier  . . 


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452  Capitel  X. 

über  250000  Menschen  auf  dem  Zuge  zu  Grande  gegangen. 
Die  grosse  Unwahrseheinlichkeit,  um  nicht  zu  sagen  Unmöglich- 
keit eines  solchen  Verlustes  liegt  auf  der  Hand.  Denn  die 
Schlacht  bei  Bibracte  war  keineswegs  eine  Vemichtungsschlacht ; 
Caesar  sagt  kein  Wort  davon,  dass  er  eine  irgend  bedeutende 
Zahl  von  Gefangenen  gemacht  hätte,  und  es  gelang  den  Hel- 
vetiern, sich  in  guter  Ordnung  und  un verfolgt  vom  Feinde 
zurückzuziehen.  Entweder  also  sind  weniger  als  368000  Hel- 
vetier ausgezogen,  oder  es  sind  mehr  als  110000  zurückgekehrt. 
Da  nun  diese  letztere  Zahl  auf  einen  von  Caesar  gehaltenen 
Census  zurückgeht,  da  sie  als  die  kleinere  Zahl  schon  an  und 
für  sich  grössere  Wahrscheinlichkeit  hat,  da  endlich,  wie  wir 
gesehen  haben,  die  Erzählung  von  den  im  Lager  der  Helvetier 
Vorgefundenen  statistischen  Tafeln  mindestens  zum  grossen 
Theile  unwahr  ist : so  bleibt  nicht  der  geringste  Zweifel,  welche 
Angabe  den  Vorzug  verdient.  Caesar  hat  offenbar  von  der 
wirklichen  Höhe  des  Verlustes  der  Helvetier  keine  Kenntniss 
gehabt,  oder  wenn  er  sie  hatte,  es  für  seine  Zwrecke  nicht 
passend  gefunden,  sie  zu  verwerthen.  Er  veranschlagt  aber 
diesen  Verlust  zu  */s  der  ursprünglichen  Stärke;  und  da  gegen 
110000  heimkehrten,  so  mussten  etwa  330000  ausgezogen  sein. 
Dieselbe  Zahl  — 336  000  — ergiebt  eine  Addition  der  Einzel- 
posten bei  Caesar,  wenn  wir  die  Boier  ausschliessen,  die  in 
Gallien  zurückblieben,  und  also  unter  der  Zahl  der  Heimkehren- 
den nicht  einbegriffen  sind.  Verlustschätzungen  ähnlicher  Art  fin- 
den sich  auch  sonst  mehrfach  in  Caesars  Commentarien ; so  sollen 
die  Bergvölker  des  heutigen  Wallis  im  Kampfe  gegen  Galba 
den  dritten  Theil  ihrer  Stärke  verloren  haben  *) ; die  Aquitaner 
gegen  P.  Crassus  gar  aU  ihrer  Gesammtzahl 2).  Die  Angaben 
Caesars  über  die  Stärke  der  Helvetier  und  ihrer  Bundesgenossen 
beim  Auszug  sind  also  in  der  Weise  gefunden,  dass  die  Ergeb- 
nisse des  nach  der  Schlacht  bei  Bibracte  gehaltenen  Census  mit 
3 multiplicirt  wurden.  Dieser  Census  muss  demnach  etwa 
folgende  Resultate  ergeben  haben: 

*)  Caes.  Gull.  Kr.  III  6:  ex  hominum  müibus  amplius  XXX  .... 
plus  tertia  parte  interfecta. 

ä)  Ebenda  III  26 : ex  müium  L nwnero  ....  vix  quarta  parte  relicta. 


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Der  lateinische  Westen. 


453 


Helvetier 87  700 

Tulinger 12000 

Latoviker 4 700 

Rauraker 7700 


112100 

Rechnen  wir  nun  die  Verluste  während  der  kurzen  Wan- 
derung selbst  zu  lU  der  ursprünglichen  Gesammtzahl,  so  hätten 
diese  Völkerschaften  vor  dem  Auszuge  etwa  150000  Köpfe 
gezählt.  Man  wird  zugeben,  dass  dieses  Ergebniss  auch  an  und 
für  sich  grössere  innere  Wahrscheinlichkeit  hat,  als  die  An- 
nahme, es  sei  eine  Masse  von  nahe  an  400000  Menschen  aus 
Helvetien  ausgezogen.  Unter  der  Voraussetzung,  dass  auch  die 
Tulinger  und  Latoviker  links  des  Rheines  gewohnt  haben,  er- 
giebt  sich  für  die  Gebiete  aller  dieser  Stämme  zusammen  eine 
Ausdehnung  von  18600  qkm,  nämlich  die  heutige  Schweiz, 
abzüglich  der  Cantone  Genf,  Wallis,  Tessin,  Graubündten, 
Glarus,  St.  Gallen,  Appenzell,  Thurgau,  Schaffhausen.  Das  er- 
gäbe eine  Volksdichtigkeit  von  8 auf  den  qkm. 

Wir  werden  demgemäss  auch  an  die  Angaben  Caesars 
über  das  Aufgebot  von  Belgica  mit  grossem  Misstrauen  heran- 
treten. Zu  den  Bundesheeren  der  belgischen  Stämme  sollen  im 
Jahre  57  gestellt  haben1)  die 


Bellovaker 60000 

Suessionen 50  000 

Nervier 50000 

Atrebaten 15000 

Ambiancr 10  000 

Moriner 25000 

Menapier 7 000 

Caleter 10000 

Veliocasser 10000 

Aduatuker 19000 

Viromanduer 10000 

Condruser,  Eburonen,  Caeroeser,  Pae- 

maner 40000 


806000 


»)  Caes.  Gail.  Kr.  II  4. 


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454 


Capitel  X. 


Dieselbe  Zahl  — 300000  — giebt  nach  Caesar  auch  Strabon1). 
Das  waren  aber  nur  die  Contingente  zum  Bundesheere.  Die 
Zahl  der  waffenfähigen  Mannschaft  war  höher;  bei  den  Bello- 
vakem  z.  B.  100 000 2),  bei  den  Nerviern  60000  Mann3). 
Danach  müsste  Belgica,  ohne  die  Remer,  etwa  400  —450000 
Mann  haben  ins  Feld  stellen  können,  was  einer  Gesammtbe- 
völkerung  von  1600000—1800000  entsprechen  würde.  Der 
Flächeninhalt  beträgt  nach  Wietersheim  1718  geogr.  Q.-M., 
oder  94000  qkm,  womit  meine  eigene  Berechnung  annähernd 
übereinstimmt.  Mommsens  Schätzung  auf  2000 — 2200  Q.-M. 
= 110 — 120000  qkm  ist  bedeutend  zu  hoch.  Das  ergäbe  eine 
Volksdichtigkeit  von  17  — 19  auf  den  qkm,  also  annähernd  so 
viel,  wie  in  Italien.  Ja  einzelne  Theile  von  Belgica  müssten 
eine  noch  viel  dichtere  Bevölkerung  gehabt  haben.  Das  Gebiet 
der  Bellovaker  entspricht  annähernd  dem  heutigen  Departement 
der  Oise,  das  auf  5827  qkm  (nach  Strelbitzky,  die  offieielle 
Zahl  ist  5855  qkm)  1876:  401 618  Einwohner  gezählt  hat,  oder 
69  auf  1 qkm.  Wenn  nun  die  Bellovaker  100000  Mann  ins 
Feld  stellen  konnten,  so  muss  ihre  Kopfzahl  insgesammt  an 
400000  betragen  haben,  mit  anderen  Worten,  das  Departement 
der  Oise  wäre  zu  Caesars  Zeit  ebenso  bevölkert  gewesen,  wie 
heute,  und  hätte  zu  den  am  dichtesteü  bewohnten  Gebieten 
der  ganzen  Erde  gehört!  Nun  war  aber  Belgica  der  am 
meisten  in  der  Cultur  zurückgebliebene  Theil  Galliens,  wir 
müssten  also  für  das  ganze  Land  im  Durchschnitt  dieselbe 
Volksdichtigkeit  annehmen:  d.  h.  die  Tr  es  Galliae  hätten  zu 
Caesars  Zeit  über  10  Millionen  Einwohner  gezählt. 

Dass  diese  Zahlen  völlig  unhaltbar  sind,  sollte  auf  den 
ersten  Blick  klar  sein.  Spanien  hatte  zu  Augustus’  Zeit,  wie 
wir  gesehen  haben,  eine  Bevölkerung  von  etwa  6 Millionen, 
bei  einem  Flächenraum,  der  den  der  Tres  Galliae  noch 
um  55000  qkm  übersteigt;  Spanien  hatte  vor  diesem  einen 
Vorsprung  in  der  Cultur  von  mindestens  einem  Jahrhundert, 


>)  Strab.  IV  S.  196. 
s)  Caesar,  Gail.  Kr.  II  4. 
»)  Ebenda  II  28. 


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Der  lateinische  Westen. 


455 


und  Gallien  sollte  fast  die  doppelte  Bevölkerung  gezählt  haben? 
Ein  Land,  bedeckt  mit  endlosen  Wäldern  und  Sümpfen,  wo 
der  Ackerbau  verachtet  war  und  die  Viehzucht  durchaus  über- 
wog; ein  Land,  dessen  Städte  kaum  etwas  anderes  waren  als 
befestigte  Dörfer1)?  Die  gallische  Nation  stand  keiner  zweiten 
nach  an  kriegerischem  Geiste  und  militärischer  Tüchtigkeit; 
und  doch  hat  zu  ihrer  Unterwerfung  ein  Heer  ausgereicht, 
dessen  Effectivbestaud  60000  Mann  nie  überschritten  hat.  Ist 
das  denkbar,  wenn  Gallien  10  Millionen  Einwohner,  also  2 1ia 
Millionen  streitbarer  Männer  zählte? 

Eine  bessere  Grundlage  für  unsere  Untersuchung  geben 
die  Angaben  Caesars  über  das  im  Jahre  52  zum  Entsatz  von 
Alesia  aufgebotene  gallische  Bundesheer.  Mit  Ausnahme  der 
Aquitaner,  der  germanischen  Grenzvölker  und  einiger  wenigen 
Keltengaue , wie  der  Remer,  Suessionen  und  Lingoner,  sollen 
alle  gallischen  Stämme  dazu  ihre  Contingente  gestellt  haben. 
Vereingetorix  hatte  ein  Massenaufgebot  aller  Waffenfähigen  an- 
geordnet; wegen  der  Schwierigkeiten  der  Verpflegung  sah  man 
davon  ab,  und  rief  nur  einen  Theil  der  kriegstüchtigen  Mann- 
schaft unter  die  Waffen.  Es  stellten  die 


Aeduer  nebst  Schutzverwandten  . 
Arvemer  nebst  Schutzverwandten 

Sequaner  

Senonen 

Biturigen 

Santenen 

Rutener 

Carnuten 

Bellovaker 

Pictonen 

Turonen 

Parisier 

Helvetier 

Ambianer 

Mediomatriker 

Petrocorier 

Nervier 


35  000  Mann 

35000 

n 

12000 

n 

12000 

rt 

12000 

n 

12000 

n 

12000 

rt 

12000 

» 

10000 

8000 

n 

8000 

n 

8000 

71 

8000 

rt 

5000 

n 

5000 

n 

5000 

n 

5000 

n 

*)  Vergl.  die  Schilderung  bei  Mommsen,  Ji.  G.  III*  S.  216  f. 


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456 


Capitel  X. 


Moriner 

. . . 5000 

Mann 

Xitobrigen 

. . . 5000 

n 

Aulerci  Cenomani 

. . 5000 

V 

Atrebaten 

. . . 4000 

n 

Veliocasser 

. . . 4000 

n 

Lemoviker 

. . . 3000 

n 

Aulerci  Eburovices.  . . . . 

. . . 3000 

Ti 

Rauraker 

. . . 2000 

n 

Boier 

. ...  2000 

n 

Völker  von  Armorika.  . . . 

. . . 30000 

n 

Die  Gesammtsumme  der  einzelnen  Posten  beträgt  267  000, 
oder,  da  die  Bellovaker  statt  10000  Manu  nur  2000  stellten. 
259000  Mann.  Caesar  giebt  8000  Reiter  und  etwa  250000 
Mann  zu  Fuss1). 

Es  ist  nun  allerdings  sehr  unwahrscheinlich,  dass  ein  Heer 
von  dieser  Stärke,  wie  es  die  Welt  seit  dem  Untergange  des 
Perserreiches  nicht  mehr  gesehen  hatte,  zum  Entsatz  von  Alesia 
wirklich  zusammengekommen  ist.  Aber  auch  so  behalten  die 
Zahlen  ihren  Werth  als  eine  Schätzung  der  relativen  militäri- 
schen Leistungsfähigkeit  der  keltischen  Gaue,  gegeben  von  dem 
Mann,  der  unter  allen  Zeitgenossen  am  besten  dazu  befähigt 
war,  und  der  in  diesem  Punkte  kein  Interesse  hatte,  die  Wahr- 
heit zu  beugen.  Es  handelt  sich  also  nur  dämm,  das  Ver- 
hältniss  der  von  Caesar  verzeichneten  Contingente  zur  Gesammt- 
bevölkerung  festzustellen.  Einen  Anhaltspunkt  dazu  giebt  uns 
Caesar  selbst.  Nach  dem  von  Caesar  nach  der  Schlacht  bei 
Bibraete  gehaltenen  Census  muss  die  Zahl  der  Helvetier,  die 
in  ihre  Heimath  zurückkehrten,  gegen  88000  Köpfe  jeden  Ge- 
schlechts und  Alters  betragen  haben;  ihr  Contingent  zu  dem 
Entsatzheere  wird  zu  8000  Mann  angegeben,  also  auf  1ln  der 
Gesammtzahl.  Die  Zahl  der  Boier  schätzt  Caesar  bei  dem  Aus- 
zuge im  Jahre  58  auf  30000;  nach  der  Schlacht  bei  Bibraete 
auf  etwa  14  000 z);  ihr  Contingent  von  2000  Mann  hätte  also 

')  GaU.  Kr.  VII  75.  76. 

*)  Nach  der  Schlacht  waren  noch  ca.  130000  Helvetier  und  Ver- 
bündete übrig  (GaU.  Kr.  I 26) ; 6000  Menschen  des  pagus  Verbigenus  ent- 
wichen vor  der  Capitulation  (I  27);  110000  kehren  nach  der  Capitulation 
nach  Hause  zurück  (1  29);  die  Boier,  die  in  Gallien  blieben,  müssen  also 
14000  Mann  stark  gewesen  sein. 


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Der  lateinische  Westen. 


457 


dem  7.  Theile  ihrer  Volkszahl  entsprochen.  Doch  sind  diese 
Schätzungen  unsicher,  da  die  Boier  bei  jenem  Census  der  Hel- 
vetier und  ihrer  Bundesgenossen  nicht  berücksichtigt  worden 
sind.  Die  Zahl  der  Rauraker  betrug  nach  demselben  Census 
etwa  8000,  so  dass  sie  den  vierten  Theil  ihrer  Bevölkerung 
oder  alle  waffenfähigen  Männer  zu  dem  Entsatzheer  gestellt 
haben  müssten;  indess  wissen  wir  nicht,  ob  das  ganze  Volk 
an  der  Auswanderung  des  Jahres  58  Theil  genommen  hat. 

Die  von  Caesar  verzeichneten  Contingente  mögen  also 
etwa  der  Truppenzahl  entsprochen  haben,  die  jeder  einzelne 
gallische  Staat  zu  Unternehmungen  nach  aussen  verfügbar 
hatte.  Jedenfalls  kann  diese  Zahl  nicht  erheblich  grösser  ge- 
wesen sein;  denn  Vercingetorix  hielt  es  für  möglich,  das  Ge- 
sammtaufgebot  ganz  Galliens  auf  einen  Punkt  zu  con- 
centriren1).  Um  aber  nicht  zu  wenig  zu  rechnen  und  ein 
rundes  Verhältnäss  zu  bekommen,  wollen  wir  diese  Contingente 
zu  etwa  Vio  der  Gesammtbevölkemng  annehmen.  Wir  erhalten 
demnach  für  alle  im  Jahre  52  gegen  Rom  in  Waffen  stehenden 
Völkerschaften  eine  Kopfzahl  von  2670000,  oder  mit  Einrech- 
nung der  wenigen  Stämme,  die  an  dem  Aufstande  nicht  Theil 
nahmen,  gegen  3 000  000  für  das  Gebiet  zwischen  Garonne  und 
Rhein.  Bei  einem  Flächenraum  von  495000  qkm  ergiebt  das 
eine  Bevölkerung  von  durchschnittlich  6 auf  den  qkm.  Die 
Helvetier  hatten  im  Jahre  58  v.  Chi’,  ihr  Land  bei  einer 
Volksdichtigkeit  von  8 auf  1 qkm  für  übervölkert  gehalten2); 
es  erscheint  also  durchaus  angemessen  für  Gallien  als  ganzes 
eine  etwas  geringere  Volksdichtigkeit  anzunehmen,  auch  wenn 
wir  erwägen,  dass  die  Schweiz  viel  weniger  fruchtbar  ist,  als 
die  meisten  übrigen  Theile  des  Keltenlandes. 

Im  einzelnen  war  natürlich  die  Bevölkerung  sehr  un- 


«)  Caes.  Gail.  Kr.  VII  75:  Galli . . . non  omnes  eos,  qui  arma  ferre 
possent,  ut  censuit  Vercingetorix,  convocandos  statuunt,  sed  certum  numerum 
cttüfue  ex  civitate  tmperandum. 

•)  Caes.  Gail  Kr.  I 2 : pro  muUitudine  autem  hominum  et  pro  gloria 
belli  atque  fortitudinis  angustos  xe  finis  habere  arbitrabantur. 


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458 


Capitel  X. 


gleich  vertheilt1).  Im  Gau  der  Aeduer  wohnten  auf  etwa 
29000  qkm  350000  Menschen,  oder  12  auf  den  qkm.  Im 
Lande  der  Arverner  und  Rutener  auf  88000  qkm  470  000  Ein- 
wohner, was  etwa  dieselbe  Volksdichtigkeit  ergiebt.  Das  Land 
der  Sequaner,  die  heutige  Franche-Comtö,  hatte  auf  16  000  qkm 
120000  Einwohner  oder  7,5  auf  den  qkm.  In  Mittel-Gallien, 
dem  Lande  der  Biturigen,  Camuten,  Senonen,  Parisier,  Turonen, 
Boier,  kamen  auf  66  000  qkm  540  000,  oder  8 auf  den  qkm.  Dün- 
ner war  die  Bevölkerung  im  Westen  und  Norden.  Das  Gebiet 
zwischen  der  unteren  Loire  und  Garonne,  die  Gaue  der  Picto- 
nen,  Santonen,  Lemoviker,  Petrocorier  und  Nitobrigen,  zählte 
auf  etwa  60000  qkm  330000  Einwohner  oder  auf  dem  qkm 
5,5 ; Armorica  und  der  Gau  der  Aulerker  auf  83  000  qkm  380  000 
Einwohner,  hatte  also  eine  Volksdichtigkeit  von  nur  4*/s.  Für 
Belgica  im  weiteren  Sinne,  bis  zum  Obenhein  und  der  Grenze 
der  Sequaner  und  Helvetier,  bleiben  etwa  180000  qkm  und 
700000  Einwohner  oder  3,9  auf  den  qkm.  Doch  mag  essein, 
dass  die  Bevölkerung  dieses  Theiles  von  Gallien  damit  etwas 
unterschätzt  ist  und  die  Annahme  von  8 — 900000  Einwohnern 
der  Wahrheit  näher  kommt,  was  eine  Volksdichtigkeit  von 
4,5 — 5 auf  den  qkm2),  wie  in  Annorica,  ergeben  würde.  Man 
sieht,  diese  Veitheilung  der  Bevölkerung  stimmt  aufs  beste  zu 
allem,  was  wir  über  die  wirtschaftlichen  Verhältnisse  Galliens 
zur  Zeit  der  römischen  Eroberung  wissen.  Caesars  Schätzung 
der  relativen  Bevölkerung  der  einzelnen  Gaue  erhält  also  die 
vollkommenste  Bestätigung. 

Für  Aquitanien,  das  Land  zwischen  Garonne  und  Pyre- 
naeen,  hat  uns  Caesar  keine  directe  Angabe  über  die  Bevölke- 
rung hinterlassen.  Wir  hören  nur,  dass  Aquitanien  nach  Aus- 


*)  Der  Flächenraum  der  einzelnen  Gebiete  ist  nach  dem  Areal  der 
entsprechenden  heutigen  Departements  berechnet,  mit  Zugrundelegung  der 
Strelbitzkyschen  Zahlen. 

2)  In  der  Angabe  Frontins  ( Straf  eg . IV  8,  14):  eo  hello  quod  Julius 
Civilis  in  Gallia  moverat  IAngonum  oputeniissima  civitas  ...  ad  obsequium 
redueta  Septuaginta  tnilia  armatorum  tradidit  mihi  muss  ein  Fehler  stecken, 
sei  es  dass  die  Zahl,  sei  es  dass  armatorum  verschrieben  ist  Ich  denke, 
das  letztere;  es  ist  von  Rüstungen  die  Rede,  nicht  von  Bewaffneten. 


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i 


Der  lateinische  Westen. 


459 


dehnuiig  und  Menschenmenge  als  der  dritte  Theil  Galliens  zu 
betrachten  sei1).  Diese  Angabe  ist  in  ihrem  ersten  Theile 
falsch : denn  Aquitanien  hat  einen  Flächenraum  von  kaum  mehr 
als  40000  qkm.  Was  die  Bevölkerung  augeht,  so  genügte 
trotz  des  kriegerischen  Geistes  des  Volkes2)  und  der  Heran- 
ziehung ean  tabrischer  Hülfstruppen  eine  Macht  von  12  Cohor- 
ten8)  zur  Unterwerfung  des  Landes.  Das  gesammte  cantabrisch- 
aquitanische  Aufgebot  soll  50000  Mann  betragen  haben4), 
woraus  sieh  eine  Bevölkerung  von  höchstens  200000  ergeben 
würde.  Das  wird  ungefähr  richtig  sein ; denn  die  benachbarten 
gallischen  Districte  hatten,  wie  wir  gesehen  haben,  eine  Volks- 
diehtigkeit  von  5,5.  Rechnen  wir  dieselbe  Volksdichtigkeit  für 
Aquitanien,  so  erhielten  wir  eine  Bevölkerung  von  220000. 
Um  eine  eigene  Provinz  zu  bilden,  war  ein  solches  Gebiet  viel 
zu  unbedeutend , und  Augustus  sah  sich  genöthigt,  seiner  Pro- 
vinz Aquitanien  einen  sehr  bedeutenden  Theil  des  Keltenlandes 
hinzuzufügen. 

Bestimmen  wir  schliesslich  noch  die  Bevölkerung  der  drei 
Provinzen,  in  die  Caesars  Eroberungen  von  Augustus  getheilt 
wurden.  Zu  Aquitanien  geschlagen  wurden  die  Bezirke  der 


Arvemer 

» . . . * mit 

Einwohner 

350000 

Rutener 

» 

120000 

Biturigen 

» 

120000 

Lemoviker 

n 

30000 

Pictonen 

.....  „ 

80000 

Santonen 

.....  n 

120000 

Petrocorier 

n 

50000 

Xitrobrigen 

.....  v 

50000 

Zusammen  920  000  Einwohner  auf  etwa  120000  qkm.  Dazu 
«las  eigentliche  Aquitanien  mit  40000  qkm  und  gegen  220000 


*)  Gail.  Kr.  III  20:  quae,  ut  ante  dictum  est,  et  regionum  latitudinc 
et  multüudine  hominum  tertia  pars  GaUtae  est  existimanda.  Caesar  scheint 
hier  Crassus  zu  Gefallen  gefärbt  zu  haben. 

*)  GaU.  Kr.  III  24:  propter  veterem  belli  gloriam. 

*)  GaU.  Kr.  III  11. 

0 GaU.  Kr.  III  26. 


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460  Capitel  X. 

Einwohnern,  im  ganzen  also  160000  qkm  und  1140000  Ein- 
wohner, 7,1  auf  den  qkm. 

Lugdunensis  umfasste  die 


Aeduer mit  350000  Köpfen 

Boier 20000  „ 

Senonen 120000  „ 

Camuter „ 120000  „ 

Parisier „ 80000  „ 

Yeliocasser „ 40000  „ 

Aulerker „ 80000  „ 

Turonen „ 80000  „ 

Annorica „ 300  000  „ 


1190000 


Dazu  kommen  weiter  die  Lingonen,  Vadicasser  und  Trieasser, 
über  deren  Volkszahl  nichts  überliefert  ist;  mit  Einschluss  der- 
selben mag  die  Lugdunensis  etwa  lVi  Million  Einwohner  ge- 
zählt haben  auf  170000  qkm,  also  auch  hier  annähernd  die- 
selbe Volksdichtigkeit  (7,35)  wie  in  Aquitanien.  Für  Belgica 
erhalten  wir  demnach  etwa  205000  qkm  und  1 Million  Ein- 
wohner, 4,5  auf  den  qkm.  Oder  zur  Tabelle  zusammen- 


gestellt: 

qkm  Einwohner  auf  den  qkm 

Aquitanien 160000  1140000  7,1 

Lugdunensis 170000  1 250000  7,35 

Belgica 205000  1 000000  4,5 

Tres  Galliae  ....  . 535000  3 390000 

Narbonensis 100000  1 500000  15,0 

Gallien 635  000  4 890000  7,6~ 


4.  Die  Donauländer. 

Die  Gebiete  am  rechten  Ufer  der  Donau,  von  der  Quelle 
des  Stroms  bis  zu  seiner  Mündung,  und  südlich  bis  zu  den 
Alpen,  dem  adriatischen  Meer  und  dein  Haemos,  die  zum 
grössten  Theil  erst  durch  Augustus  dem  Reiche  erworben 
worden  sind,  stehen  an  Ausdehnung  nicht  weit  hinter  Gallien 


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Der  lateinische  Westen. 


461 


oder  Spanien  zurück.  Die  entsprechenden  heutigen  Gebiets- 
theile  haben  folgenden  Flächeninhalt  (nach  Strelbitzky) : 


qkm 

Graubündten,  Glarus,  St  Gallen,  Appenzell,  Thurgau  11 279,1 

Liechtenstein 159,0 

Nieder- Baiern,  Ober-Baiem,  Schwaben 37311,0 

Tirol  und  Vorarlberg,  ausschliesslich  des  Trentino  18497,9 

Salzburg 7164,8 

Ober-Oesterreich  südlich  der  Donau 11447,1 

Nieder-Oesterreich  südlich  der  Donau 8497,2 

Steiermark 22470,6 

Kärothen 10316,0 

Krain 9953,1 

Ungarn  rechts  der  Donau 44631,7 

Kroatien  und  Slawonien 42441,1 

Dalmatien 13017,8 

Bosnien  und  Herzegowina 58833,2 

Montenegro 9 400,3 

Serbien 48589,4 

Bulgarien 62886,3 

Dobrudscha 15813,0 


432708,6 

Natürlich  stimmen,  wie  ein  Blick  auf  die  Karte  zeigt,  die 
alten  und  neuen  Grenzen  keineswegs  genau  überein.  Im  all- 
gemeinen aber  werden  diese  Abweichungen  sich  gegenseitig 
compensiren,  und  jedenfalls  kommt  es  bei  so  grossen  Zahlen 
auf  einige  tausend  qkm  mehr  oder  weniger  kaum  an.  Für 
unsere  Zwecke  genügt  es  zu  wissen , dass  die  römischen 
Donauländer  bis  auf  die  Eroberung  Daciens  unter  Traian 
einen  Flächenraum  von  rund  430000  qkm  gehabt  haben.  Da- 
von kommen  annähernd  auf 


qkm 

Rhaetien  und  Noricum 125000 

Pannonien 100000 

Dalmatien 80  000 

Moesien 125  000 


430000 


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462 


Capitel  X. 


Die  Cultur  hat  sich  in  diesen  Ländern  erst  in  Folge  der 
römischen  Herrschaft  entwickelt  und  damit  ist  ausgesprochen, 
dass  die  Bevölkerung  zu  Augustus’  Zeit  nur  verhältnissmässig 
gering  gewesen  sein  kann.  Bestimmte  Angaben  darüber  be- 
sitzen wir  nur  für  Dalmatien  und  Pannonien.  Velleius  be- 
richtet uns,  dass  bei  dem  grossen  Aufstande  der  Jahre  6 — 8 
n Chr.  die  gesammte  Volkszahl  der  empörten  Stämme  sich 
auf  über  800000  belaufen  hätte,  wovon  mehr  als  200000 
waffenfähige  Männer1).  Ganz  offenbar  stammt  diese  Angabe 
aus  den  Listen  des  Provinzialcensus.  Da  die  Einrichtung  jeder 
Provinz  mit  einem  solchen  Census  begann,  so  muss  in  Dal- 
matien im  Jahre  34  und  in  Pannonien  im  Jahre  9 v.  Chr.  ein 
Census  gehalten  worden  sein,  und  wahrscheinlich  sind  die  Auf- 
nahmen in  der  Zwischenzeit  bis  zum  Aufstande  wiederholt 
worden.  Velleius  aber,  der  während  des  Aufstandes  ein  hohes 
Commando  bekleidete,  muss  von  den  Ergebnissen  des  Census 
Kenntniss  gehabt  haben.  Dass  aber  die  von  Velleius  angege- 
bene Zahl  wirklich  aus  dieser  Quelle  stammt,  geht  auch  daraus 
hervor,  dass  die  Angabe  über  die  Gesammtbevölkerung  die 
primäre  ist  und  erst  danach,  mit  Zugrundelegung  des  auch 
von  Caesar  angenommenen  Verhältnisses  von  4:1,  die  Zahl 
der  waffenfähigen  Männer  berechnet  wird.  Auch  hat  die  An- 
gabe des  Velleius,  so  aufgefasst,  die  höchste  innere  Wahr- 
scheinlichkeit. Der  Aufstand  ergriff  ganz  Pannonien  und  Dal- 
matien mit  Ausnahme  der  römischen  Städte  an  der  Küste  und 
der  Militärposten  im  Innern2).  Dagegen  hat  sich  die  Bewe- 
gung auf  Moesien  nicht  ausgedehnt,  wie  nicht  nur  aus  dem 
Schweigen  des  Velleius  hervorgeht,  sondern  noch  mehr  daraus, 
dass  die  in  Moesien  als  Besatzung  stehenden  Legionen  nach 
Pannonien  geführt  werden  konnten.  Nun  beträgt  der  Flächen- 


')  Yell.  II  116:  gentium  nationumque , qune  rebellaverunt,  omni s 
numerus  amplius  odingentis  millibus  explebat ; ducenta  fere  peditwn  codi- 
gebantur  (wurden  geschätzt,  nicht  etwa  wurden  versammelt)  armis  habilin, 
equitum  novem.  Letzteres  sind  die  Leute  von  Ritterschatzung,  die  der 
Census  ergeben  hatte. 

*)  Veil.  II  110:  universa  Pannonia  et  adulta  viribus  Dehnatia,  Omni- 
bus tradus  eius  gentibus  in  socidatem  addudis  consili,  amia  corripuit. 


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Der  lateinische  Westen. 


463 


inhalt  von  Dalmatien  und  Pannonien  zusammen  etwa  180000, 
oder,  wenn  Pannonien  sich  damals  nur  bis  an  die  Drau  er- 
streckte1), 140000  qkm;  auf  den  qkm  kommen  also  4,4  bezw. 
5,7  Einwohner,  etwas  weniger  als  in  den  Tres  Galliae.  Legen 
wir  die  Volksdichtigkeit  von  5 auf  1 qkm  für  alle  Donauländer 
zu  Grunde,  so  erhalten  wir  eine  Gesammtbevölkerung  von 
2150000,  was  eher  über  als  unter  der  Wahrheit  bleiben  wird. 
Denn  Moesien  und  Rhaetien  hatten  ohne  Zweifel  eine  dünnere 
Bevölkerung  als  Dalmatien. 

Ueber  die  Zusammensetzung  der  Bevölkerung  Dalmatiens 
haben  wir  einige  Angaben  bei  Plinius2).  Danach  gehörten 
zum  Convent  von  Salonae  folgende  Völker: 


Delmatae mit  342  Decurien 

Peuri „ 25  „ 

Ditiones „ 239  „ 

Maczaei „ 269  „ 

Sardeates „ 52  „ 


zusammen  927  Decurien 
Zum  Convent  von  Narona  gehörten  die 


Cerauni . . . 
Daursi  . . . 
Desitiates  . . 
Docleates  . . 
Deretini . . . 
Deraemesti  . 
Dindari  . . . 
Glinditiones  . 
Melcumani  . 
Naresi  . . . 
Scirtari  . . . 
Siculotae  . . 
Vardaei . . . 


mit  24 
. 17 

* 103 
» 33 

. 14 

„ 30 

„ 33 

. 44 

. 24 

„ 102 

. 72 

» 24 


Decurien 


n 

n 

n 

r> 

d 

n 

n 

n 

n 

n 

» 


zusammen  540  Decurien 


*)  Mommsen,  R.  G.  V S.  20.  187. 
*)  H.  N.  III  142  f. 


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464 


Capitel  X. 


Für  den  dritten  Conventus  der  Provinz  fehlen  die  ent- 
sprechenden Angaben.  Wenn  wir  auch  über  die  Stärke  der 
Decurie  nicht  unterrichtet  sind,  so  lernen  wir  doch  wenigstens 
die  relative  Stärke  der  einzelnen  Völkerschaften  kennen.  Nach 
dem  Namen  zu  urtheilen,  muss  die  Decurie  eine  Abtheilung 
von  10  Geschlechtern  sein,  von  denen  sieh  freilich  jedes  wieder 
in  mehrere  Familien  theilen  konnte;  auch  brauchte  die  Nor- 
malzahl nicht  imbedingt  festgehalten  zu  werden.  Wie  es 
scheint,  wurde  die  entsprechende  illyrische  Bezeichnung  mit- 
unter auch  durch  centuria  wiedergegeben  *) ; jede  Decurie 
würde  demnach  im  Durchschnitt  100  erwachsene  Männer  oder 
doch  nahe  an  100  erwachsene  Männer  gezählt  haben.  Das  er- 
gäbe für  die  beiden  Convente  eine  Einwohnerzahl  von  etwa 
400000,  ungerechnet  die  römischen  Colonien  und  Municipien 
an  der  Küste,  was  ungefähr  mit  den  Angaben  des  Velleius 
übereinstimmen  würde.  Selbstverständlich  bin  ich  weit  ent- 
fernt, irgend  welchen  besonderen  Werth  auf  diese  Berechnung 
zu  legen;  sie  zeigt  aber  immerhin,  dass,  wenn  wir  nicht  eine 
ganz  unwahrscheinliche  Kopfzahl  auf  die  Decurie  rechnen 
wollen,  wir  die  Volkszahl  Ulyriens  am  Anfang  der  Kaiserzeit 
nicht  viel  höher  veranschlagen  können,  als  oben  nach  Velleius 
geschehen  ist. 

Pannonien  jenseits  der  Drau  muss  in  der  ersten  Kaiserzeit 
so  gut  wie  unbewohnt  gewesen  sein2).  Moesien  war  damals 
so  menschenleer,  dass  Aelius  Catus  unter  Augustus  50  000 
Geten  von  jenseits  der  Donau  hierhin  verpflanzen8)  und  unter 
Nero  der  Propraetor  Ti.  Plautius  Silvanus  Aelianus  mehr  als 
100000  „Transdanuvianer“  hier  ansiedeln  konnte4).  Dem- 


')  CIL.  III  3224  aus  Bassania:  . . . cemaes  Liccavfi]  f.  Amantinus 
ho[bjse[s]  annorum  dec[e]m,  gente  Undius,  centuria  secunda.  Vergl. 
Zippel,  Illyrien  S.  199.  Wahrscheinlich  gehört  die  Inschrift  in  das 
I.  Jahrhundert. 

*)  Mommsen,  R.  G.  V S.  488. 

3)  Strab.  VII  303:  Irr  yd g t<p  Tjftiöi'  Alhos  Karos  fitrigxioev  ix  rijs 
ntgalas  roii  largo v n(vrt  pvgtdäas  arnftaxtov  nagd  xtöv  re xtöv. 

*)  Willm.  1145  (=  Orelli  750):  in  qua  jtlura  quam  centum  mül.  ex 
numero  Transdanuvianor.  ad  praestanda  tributa  cum  coniugib.  ac  liberis 


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Der  lateinische  Westen. 


465 


nach  wird  die  Bevölkerung  der  Donauländer  unter  Augustus 
2 Millionen  noch  kauin  erreicht  haben;  im  Laufe  der  nächsten 
Jahrhunderte  mag  sie  allerdings  bedeutend  gestiegen  sein. 

5.  Afrika. 

Der  Flächeninhalt  des  nordwestlichen  Afrika  beträgt,  ab- 
gesehen von  dem  Wüstengebiet  *): 


Teil 

qkm 

Steppe 

qkm 

zusammen 

qkm 

Tunis 

28  082 

39  645 

67  727 

Algerien 

106  822 

152  524 

259  346 

Marokko 

197  125  | 

67  727 

264  852 

382  029 

259  896 

581925 

Das  culturfähige  Land  an  der  tripolitanischen  Küste  kommt 
kaum  in  Betracht.  Das  heutige  Tunesien  entspricht  etwa  der 
Africa  proconsularis  im  engeren  Sinne,  also  Zeugitana  und 
Byzacium;  Algerien  entspricht  Numidien  und  Mauretania  Cae- 
sariensis;  Marokko  Mauretania  Tingitana.  Doch  ist  zu  er- 
wägen, dass  letztere  Provinz  höchstens  1/a  des  culturfähigen 
Landes  im  heutigen  Marokko  umfasst  hat.  Mag  also  immerhin 
das  römische  Gebiet  in  Numidien  und  Caesariensis  sich  bis 
zum  Saume  der  Wüste  erstreckt  haben,  so  ergiebt  sich  für  die 
römischen  Provinzen  von  Nordwest-Afrika  ein  Areal  von  nicht 
über  400000  qkm. 


et  principtb.  aut  regibus  suis  transduxit.  Dass  die  Zahlenangabe  von 
der  Kopfzahl  überhaupt,  einschliesslich  der  Weiber  und  Kinder,  zu  ver- 
stehen ist,  zeigt  die  oben  angeführte  Stelle  Strabons  und  ist  auch  ohne 
das  evident 

*)  Nach  Behm  und  Wagner,  BevöVc.  der  Erde  VI  S.  59  (berechnet 
auf  Grund  von  Bergbaus’  Chart  of  the  World,  1879).  Doch  sind  diese 
Angaben  mit  grosser  Reserve  aulzunehmen ; ich  gebe  sie  nur,  weil  bessere 
Zahlen  zur  Zeit  nicht  vorliegen. 

Beloch,  BsvöUrerungslehre.  I.  30 


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466 


Capitel  X. 


Der  Kern  dieser  Besitzungen,  das  ehemals  karthagische 
Gebiet,  gehört  zu  den  ältesten  Culturländern  am  westlichen 
Mittelmeer  und  hat  schon  früh  eine  dichte  Bevölkerung  er- 
langt1). Die  Alten  rühmen  einstimmig  den  gartenähnlichen 
Anbau  namentlich  der  Zeugitana2);  allerdings  wurde  daneben 
auch  Viehzucht  hier  im  grossen  Maassstabe  betrieben8).  Aga- 
thokles  soll  200  Städte  im  karthagischen  Gebiete  erobert 
haben4),  und  noch  zur  Zeit  des  letzten  Krieges  mit  Rom  hat 
dasselbe  trotz  bedeutender  Abtretungen  an  Massinissa  300 
Städte  gezählt6).  In  der  ersten  Kaiserzeit  bestanden  in  der 
Provinz  Afrika  — also  einschliesslich  Numidien  — 516  Ge- 
meinden, freilich  mit  Einrechnung  der  Nomadenstämme  an  der 
Südgrenze8).  Das  ist  eine  Zahl  von  Städten,  wie  sie  sich  auf 
so  kleinem  Raume  nur  in  den  bestbevölkerten  Theilen  der 
alten  Welt,  in  Kleinasien,  Griechenland,  Italien,  Baetica 
wiederfindet. 

Karthago  selbst  gehörte  bis  zu  seiner  Zerstörung  im  Jahre 
146  zu  den  grössten  Städten  der  Erde.  Der  Umfang  wird  auf 
23  Milien  angegeben ,),  was  wohl  etwas  übertrieben  ist;  er 
wird  18  Milien  kaum  überstiegen  haben8),  und  der  bei  weitem 
grösste  Theil  des  von  den  Mauern  umschlossenen  Raumes  fällt 
auf  die  Vorstadt  Megalia,  die  hauptsächlich  von  Gärten  einge- 
nommen war*).  Karthago  soll  im  Stande  gewesen  sein,  im 
Jahre  310  gegen  Agathokles  aus  seinen  Bürgern  allein  ein 
Heer  von  über  40000  Mann  auizustellen 10) ; beim  Beginn  der 
römischen  Belagerung  149  wird  die  Bevölkerung  auf  700000 


>)  Mommsen,  H.  G.  V S.  651. 

*)  Diod.  XX  8 für  Agathokles’  Zeit,  Polyb.  1 29,  7 für  die  Zeit  des 
ersten  punischen  Krieges. 

a)  Diod.  und  Polyb.  a.  a.  0.,  Polyb.  XII  3,  3. 

«)  Diod.  XX  17. 

8)  Strab.  XVII  S.  833. 

«)  Plin.  V 29. 

7)  Liv.  Epü.  51. 

*)  Nach  Kieperts  Plan  auf  Bl.  X des  Atlas  Antiquus. 

®)  Appian,  Lib.  117. 

10)  Diod.  XX  10. 


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Der  lateinische  Westen. 


467 


Einwohner  angegeben1).  Beide  Angaben  mögen  übertrieben 
sein.  Sicher  scheint  nur,  dass  bei  der  Capitulation  der  Byrsa 
den  Römern  50000  Gefangene  in  die  Hände  fielen,  Männer 
und  Weiber  zusammen2);  mögen  wir  die  Opfer  der  Belagerung 
noch  so  hoch  ansetzen,  es  ist  schwer  glaublich,  dass  die  Stadt 
vorher  mehr  als  2 — 300000  Einwohner  gezählt  haben  kann. 
Nach  seiner  Wiederherstellung  durch  Caesar  ist  dann  Karthago 
aufs  neue  zu  einer  der  ersten  Städte  des  Reichs  empor- 
gewachsen. Um  die  Mitte  des  III.  Jahrhunderts  stand 
es  nur  Rom  selbst  an  Grösse  nach  und  wetteiferte  mit 
Alexandreia8). 

Aus  seinem  libyschen  Laudgebiet  hat  Karthago  den  grössten 
Theil  seiner  Heere  ausgehoben;  die  allerdings  in  bedeutender 
Zahl  verwendeten  Söldner  traten  nur  als  Ergänzung  dazu4). 
Selbst  das  Heer,  mit  dem  Hannibal  in  Italien  einfiel,  bestand 
zu  60°/o  aus  Libyern5),  obgleich  damals  Spanien  bereits  den 
Karthagern  gehörte.  Aber  allerdings  dürfen  die  numerischen 
Angaben  über  die  Stärke  karthagischer  Heere  nur  mit  Vor- 
sicht benutzt  werden.  Es  ist  bemerkenswerth,  wie  die  Zahlen 
immer  kleiner  werden,  je  mehr  wir  uns  den  punischen  Kriegen 
nähern,  gerade  im  umgekehrten  Verhältniss  zu  der  steigenden 
Macht  des  Staates.  So  sollen  die  Karthager  480  bei  Himera 
mit  300000  Mann  gekämpft  haben6);  und  auf  2 — 300000 
beziffert  Ephoros  die  karthagischen  Heere  noch  in  den  Kriegen 
gegen  Dionysios7).  Schon  Timaeos  hat  an  diesen  Angaben 


0 Strab.  XVII  S.  833. 

a)  Appian  Lib.  130:  xcd  /(//eaar  et  VT  ixet  ftvQitititg  77 (VH  ävÖQoiv  nua 
x«)  ywcuxun’,  ohne  Zweifel  nach  Polybios. 

s)  Herodian  VII  6,  1:  1}  yitq  noXig  (xe(vt)  xai  äuvdfxet  yt>T]fi<xuuv  xtt'i 
tiüv  xaroixovvTtov  xal  fjovt];  'Ptofit]!  KTToXe/nnai  qtXo- 

vtixoüaa  7tq6;  tyr  tr  AlyLnup  ’Alt^uvSQov  nöhv  n iqi  iSivttgdwr.  Vergl. 
Auson.  ordo  urbium  nobilium  2,  3. 

4)  Polyb.  I 67,  7 von  dem  Heere,  das  im  ersten  punischen  Kriege  auf 
Sicilien  gefochten  hatte. 

*)  Hannibals  officielle  Angabe  bei  Polyb.  III  56,  4. 

8)  Herod.  VH  165;  Diod.  XI  1.  20. 

7)  Bei  Diod.  XIH  54.  80,  XIV  54. 

30* 


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468 


Capitel  X. 


Kritik  geübt  und  sie  auf  100000  ermässigt1),  was  freilich  ohne 
Zweifel  auch  noch  übertrieben  ist.  Das  Heer,  das  Magon  392 
nach  Sicilien  führt,  wird  nur  noch  zu  80  000  Mann  angegeben 2) ; 
gegen  Timoleon  am  Krimisos  sollen  70  000 3),  gegen  Agathokles 
am  Himera  45000  Mann  gefochten  haben4).  Xanthippos  hatte 
gegen  Regulus  256  gar  nur  16000  Mann5);  Hannibal  bei  seinem 
Einfall  in  Italien  nach  eigener  Angabe  26  000 6).  Freilich  soll 
Hannibal  bei  seinem  Ausmarsch  aus  Neukarthago  102000  Mann 
unter  seinen  Befehlen  gehabt  haben 7).  Davon  seien  beim 
Uebergang  über  die  Pyrenaeen  nach  Zurücklassung  von  22000 
Mann  in  Spanien  noch  59000  Mann8),  beim  Uebergang  über 
den  Rhodanos  noch  46000  Mann  übrig  gewesen”).  Aber  die 
Unhaltbarkeit  dieser  Zahlen  sollte  auf  den  ersten  Blick  klar 
sein.  Es  ist  absolut  unerfindlich,  wie  die  kurzen  und  sieg- 
reichen Kämpfe  gegen  die  Völker  zwischen  Ebro  und  Pyre- 
naeen 21 000  Mann  gekostet  haben  können , mehr  als  doppelt 
so  viel  als  die  Schlachten  am  Trasimen  und  bei  Cannae  zu- 
sammen; und  noch  viel  unerklärlicher  wäre  der  Verlust  von 
13000  Mann  auf  der  Strecke  von  den  Pyrenaeen  zum  Rho- 
danos, auf  der  weder  Terrainschwierigkeiten  zu  -überwinden, 
noch  nennenswerthe  Kämpfe  zu  bestehen  waren.  Das  mahnt 
uns  zur  Vorsicht  auch  in  Betreff  des  angeblichen  Verlustes 
beim  Uebergang  über  die  Alpen.  Gewiss  war  der  Verlust  be- 
trächtlich 10),  aber  sicher  nicht  annähernd  so  hoch  wie  Polybios 


>)  Bei  Diod.  a.  a.  0. 

*)  Diod.  XIV  95. 

3)  Plut.  Timol  25. 

4)  Diod.  XIX  106. 

*)  Polyb.  I 32,  9. 

6)  Bei  Polyb.  III  56,  4. 

’)  Polyb.  III  35,  1. 

*)  Polyb.  III  35,  7. 

9)  Polyb.  III  60,  5. 

10)  Der  römische  Annalist  Cincius  Alimentus,  der  selbst  in  Hannibals 
Gefangenschaft  gefallen  war,  berichtet,  er  habe  aus  dessen  eigenem  Munde 
gehört,  dass  der  Verlust  vom  Uebergang  über  die  Rhone  bis  zur  Ankunft 
in  Italien  36000  Mann  betragen  habe  (bei  Liv.  XXI  38).  Es  ist  an  sich 
kauin  wahrscheinlich,  dass  Hannibal  einem  gefangenen  Feinde  solche  eon- 


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Der  lateinische  Westen. 


469 


angiebt.  Vielmehr  beruhen  die  Verlustangaben  bei  Polybios 
offenbar  nur  auf  der  Contaminirung  zweier  verschiedener  Be- 
richte: die  Stärke  der  karthagischen  Armee  bei  der  Ankunft 
in  Italien  giebt  er  nach  Hannibals  eigener  und  ohne  Zweifel 
zuverlässiger  Angabe;  die  beim  Ausmarsch  aus  Neukarthago 
nach  der  sehr  übertriebenen  Angabe  eines  der  Geschichtschreiber 
des  Krieges;  der  Vergleich  beider  Zahlen  ergab  natürlich  eine 
ungeheure  Einbusse. 

Ausserdem  liess  Hannibal  zur  Besetzung  Spaniens  14  400 
Mann  libyscher  und  numidischer  Truppen  zurück , während 
4000  Mann  aus  den  phoenikischen  Bundesstädten  der  Karthager 
in  Libyen  nach  der  Hauptstadt  selbst  gezogen  wurden1).  Das 
gesammte  Aufgebot  der  Karthager  an  afrikanischen  Truppen 
im  Jahre  218  hat  also  40000  Mann  nicht  überstiegen,  selbst 
wenn  wir  annehmen,  was  offenbar  viel  zu  hoch  ist,  dass  Hau- 
nibal  10000  Libyer  auf  seinem  Zuge  nach  Italien  verloren  hat. 
Das  gleichzeitige  römisch-italische  Aufgebot  betrug  wenigstens 
6000O,  vielleicht  80000  Manu. 

An  dem  Aufstande  gegen  Karthago  nach  der  Niederlage 
vor  Syrakus  896  sollen  sich  200  000  Libyer  betheiligt  haben 2). 
Glaubwürdiger  scheint  die  Nachricht,  dass  sich  nach  Beendi- 
gung des  ersten  punischen  Krieges  70000  libysche  Unterthanen 
Karthagos  den  meuternden  Trappen  anschlossen,  von  denen 
übrigens  ebenfalls  der  grössere  Theil,  mehr  als  10000  Mann, 
aus  Libyern  bestand8). 

So  wenig  diese  Angaben  ausreichen  zu  einer  einigennaassen 
befriedigenden  Bestimmung  der  Bevölkerung  des  karthagischen 
Gebiets  in  Afrika,  so  werden  wir  doch  so  viel  behaupten 
dürfen,  dass  diese  Bevölkerung  zur  Zeit  des  punischen  Krieges 
weder  sehr  viel  hinter  der  damaligen  Bevölkerung  Italiens 


fidentielle  Mittheilungen  gemacht  hat  Den  Werth  seiner  Zahlen  cbarak- 
terisirt  es,  dass  er  die  Zahl  der  Truppen  Hannibals  bei  dessen  Ankunft 
in  Italien  auf  80000  Mann  zu  Fuss  und  10000  Reiter  angiebt,  allerdings 
einschliesslich  der  gallischen  Bundesgenossen. 

l)  Eigene  Angabe  Hannibals  bei  Polyb.  III  83,  15. 
s)  Diod.  XIV  77. 

3)  Polyb.  I 73,  3;  vergl.  I 67,  7.  13. 


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470 


Capitel  X. 


zurückgeblieben  sein,  noch  sie  sehr  beträchtlich  überschritten 
haben  kann.  An  Flächenraum  wie  an  Zahl  der  Städte  steht 
das  karthagische  Gebiet  hinter  dem  damaligen  Gebiete  Roms 
und  seiner  italischen  Bundesgenossen  etwas  zurück,  war  aber 
dafür  als  Sitz  älterer  Cultur  dichter  bevölkert.  So  mag  das 
karthagische  Afrika  ums  Jahr  200  3 — 4 Millionen  Menschen 
gezählt  haben,  30 — 40  auf  den  qkm,  etwa  so  viel  wie  Sicilien 
oder  der  Peloponnes.  Der  dritte  punische  Krieg  brachte  na- 
mentlich durch  die  Zerstörung  Karthagos  einen  Rückschlag, 
der  sich  wohl  erst  in  der  Kaiserzeit  ausgeglichen  hat. 

Numidien  und  Mauretanien  hatten  offenbar  bis  auf  den 
Anfang  unserer  Zeitrechnung  eine  sehr  dünne  Bevölkerung. 
Zwar  hatte  sich  schon  Massinissa  bemüht,  seine  nomadischen 
Unterthanen  zu  sesshaftem  Leben  zu  bringen1),  aber  erst  den 
Römern  ist  die  Civilisirung  des  Landes  gelungen.  Mauretanien 
war  noch  unter  Augustus  voll  von  Wäldern  und  reich  an  wil- 
den Thieren  aller  Art2).  Gleichwohl  mag  die  absolute  Bevöl- 
kerung bei  der  weiten  Ausdehnung  dieser  Gebiete  nicht  unbe- 
trächtlich gewesen  sein,  namentlich  in  dem  von  der  Natur  inehr 
begünstigten  Westnumidien , der  späteren  Mauretania  Caesa- 
riensis 8).  Im  Laufe  der  Kaiserzeit  sind  auch  hier  eine  grosse 
Zahl  blühender  Städte  entstanden,  wenn  auch  die  Bevölkerung 
nie  so  dicht  gewesen  ist  wie  im  proconsularischen  Afrika.  Die 
Concilsakten  führen  in  Africa  proconsularis  (Zeugitana)  54 
Bischofssitze  auf,  in  Byzacium  116,  in  Tripolitania  5,  in  Nu- 
midien 125,  in  Mauretania  Caesariensis  126,  in  Mauretania 
Sitifensis  44 4).  Da  übrigens  Afrika  durch  die  ganze  Kaiser- 
zeit hindurch  die  hauptsäclhichste  Kornkammer  Roms  ge- 
blieben ist,  so  wird  die  Annahme  einer  übermässig  hohen 
Bevölkerung  von  vornherein  ausgeschlossen.  — Nach  Prokop 
soll  durch  den  Vandalenkrieg,  den  maurischen  Aufstand  und 


1)  Polyb.  37,  8.  7-8;  Appian.  Lib.  106;  Strab.  XVII  S.  833. 

2)  Strab.  XVIII  S.  826  f. 

*)  Liv.  24,  48  von  Syphax’  Reich:  multitudine  homimm  retjnum 
abundare.  Sallust.  Jug.  Kr.  16:  quae  pars  Numidiae  Maurttaniam  attingü, 
agro  virisque  opulentior. 

*)  Kubn,  Verf.  des  Rom.  Reiches  II  S.  436. 


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I 


Der  lateinische  Westen. 


471 


die  schlechte  Verwaltung  Justinians  die  Bevölkerung  Libyens 
sich  tun  5 Millionen  vermindert  haben,  so  dass  das  früher 
stark  bewohnte  Land  ganz  menschenleer  geworden  sei  *).  Die 
Schätzung  ist  selbstverständlich  in  dieser  Form  werthlos.  Aber 
die  Annahme  einer  Gesammtbevölkenmg  von  5 Millionen  für 
Afrika  zur  Vandalenzeit  hätte  an  sich  nichts  unglaubliches. 


*)  Prokop.  Geh.  Gesch.  18. 


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Elftes  Capitel. 

Die  städtische  Bevölkerung. 


1.  Quellen  uud  Hfilfsmittel. 

Der  politische  Unterschied  von  Stadt  und  Land  ist  dem 
Alterthuni  unbekannt.  Innerhall)  der  Mauern  war  die  eigent- 
liche Heimath  eines  jeden  Bewohners  des  gesamniten  Stadt- 
gebiets ; hier  suchte  er  in  Kriegszeiten  Schutz,  hier  übte  er  sein 
Recht  als  Staatsbürger.  Eine  Scheidung  der  Einwohnerschaft, 
je  nachdem  sie  ihr  Domicil  innerhalb  oder  ausserhalb  des 
Mauerringes  hatte,  war  praktisch  ganz  unausführbar,  und  ist 
niemals  versucht  worden. 

Allerdings  war  es  namentlich  in  den  grösseren  Staaten 
unumgänglich , für  die  Zwecke  der  localen  Verwaltung  das 
Gebiet  in  eine  Anzahl  Bezirke  — wie  wir  sagen  würden,  Ge- 
meinden — zu  theilen;  und  die  Bezirke,  in  denen  die  Haupt- 
stadt oder  andere  bedeutende  Orte  gelegen  waren,  mussten 
nothwendig  den  übrigen  Bezirken  gegenüber  den  Charakter  von 
Stadtgemeinden  annehmen.  So  war  es  bekanntlich  in  Attika. 
Aber  selbst  wenn  wir  über  die  Bevölkerung  aller  städtischen 
Denien  und  des  Demos  Peiraeeus  unterrichtet  wären,  würden 
wir  noch  weit  davon  entfernt  sein,  auch  nur  von  der  bürger- 
lichen Bevölkerung  der  Stadt  Athen  einen  Begriff  zu  haben, 
es  sei  denn,  wir  hätten  solche  Zahlen  für  die  Zeit  unmittelbar 
nach  der  Reform  des  Kleisthenes.  Denn  da  in  Attika  in  civil- 
rechtlicher  Beziehung  die  vollste  Freizügigkeit  herrschte,  die 
Gemeindeangehörigkeit  aber  an  die  Person  gebunden  war,  so 
musste  das  Zuströmen  der  Landbevölkerung  nach  der  Stadt 


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Die  städtische  Bevölkerung. 


473 


noth wendig  zur  Folge  haben,  dass  die  Bewohner  Athens,  soweit 
sie  überhaupt  Bürger  waren,  seit  dem  V.  Jahrhundert  zum 
grossen,  wahrscheinlich  zum  weit  überwiegenden  Theil  aus 
Angehörigen  der  ländlichen  Demen  bestanden.  In  noch  viel 
höherem  Grade  musste  das  natürlich  im  Peiraeeus  der  Fall 
sein,  der  zu  Kleisthenes’  Zeit  nur  ein  unbedeutendes  Dorf  ge- 
bildet hatte,  und  erst  im  folgenden  Jahrhundert  zur  Grossstadt 
herangewachsen  ist. 

Die  Griechen  haben  denn  auch,  in  älterer  Zeit  wenigstens, 
nie  daran  gedacht,  die  Grösse  einer  Stadt,  wie  wir  das  heute 
thun,  nach  der  Einwohnerzahl  abzuschätzen.  Das  maassgebende 
für  sie  war  die  räumliche  Ausdehnung,  und  zwar  der  Umfang 
des  Mauerringes;  sie  sprechen  von  Städten  von  50,  100,  200 
Stadien  Umfang,  wie  wir  von  Städten  von  50  oder  100000 
Einwohnern.  Die  Mängel  dieses  Verfahrens  liegen  auf  der 
Hand.  Von  allem  übrigen  abgesehen,  sind  Umfang  und  Flächen- 
raum eben  nicht  proportional;  eine  Stadt  von  100  ha  ist  doppelt 
so  gross  als  eine  andere  von  50  ha;  aber  eine  Stadt  von  100 
Stadien  Umfang  wird  in  der  Regel  weit  mehr  als  den  doppelten 
Flächenraum  einer  anderen  enthalten,  die  nur  50  Stadien  im 
Umfang  hat.  Haben  doch  auch  Städte  von  demselben  Umfang 
keineswegs  nothwendig  dieselbe  Ausdehnung.  Die  Griechen 
selbst  haben  das  natürlich  sehr  wohl  erkannt,  und  Polybios 
setzt  die  Sache  in  einem  eigenen  Excurs  auseinander1);  aber 
trotzdem  findet  sich  weder  bei  ihm,  noch  meines  Wissens 
irgendwo  sonst2)  in  der  erhaltenen  Literatur  des  Alterthums 
ein  Versuch  die  Grösse  einer  Stadt  nach  dem  von  ihr  einge- 
nommenen Flächenraum  zu  bestimmen.  Höchstens  wird  hin 
und  wieder  die  Länge  und  Breite  in  Stadien  angegeben,  be- 
sonders da , wo  eine  regelmässige  Strassendisposition  die 
Messung  erleichterte.  Der  Grund  liegt  offenbar  in  der  Schwierig- 
keit die  Ausdehnung  bebauter  Flächen  zu  bestimmen;  es  hätte 
dazu  genauer  Stadtpläne  bedurft,  und  zu  der  Aufnahme  von 


•)  Polyb.  IX  21. 

a)  Vielleicht  mit  einer  einzigen  Ausnahme;  s.  unten  S.  485 f.  über  den 
Flächenraum  des  aegyptischen  Theben. 


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474 


Capitcl  XI. 


solchen  ist  erst  das  spätere  Alterthum  gelangt.  Dagegen  war 
es  sehr  leicht  den  Mauerunifang  einer  Stadt  zu  ermitteln,  und 
eine  solche  Messung  schon  aus  militärischen  Rücksichten  un- 
bedingt erforderlich.  So  ist  man  denn  nothgedrungen  auch  für 
statistische  Zwecke  bei  dieser  Zahl  stehen  geblieben. 

Für  uns  haben  die  zahlreichen  aus  dem  Alterthume  über- 
lieferten Angaben  über  den  Umfang  griechischer  Städte  auch 
dämm  einen  sehr  bedingten  Werth,  weil  wir  fast  niemals  sicher 
sind,  nach  welchem  Stadienmaass  in  jedem  einzelnen  Falle 
gemessen  ist,  ganz  abgesehen  von  der  Ungewissheit,  ob  die 
kleinen  Aussprünge  der  Mauer  mitgerechnet  sind,  oder  nicht. 
Da  es  aber  für  eine  Anzahl  grade  der  bedeutendsten  Städte 
Griechenlands  nicht  mehr,  oder  noch  nicht  möglich  ist,  den 
Lauf  der  Befestigungen  selbst  annähernd  zu  bestimmen,  so 
dürfen  diese  Angaben  über  den  Umfang  doch  nicht  vernach- 
lässigt werden. 

Weit  brauchbarere  Resultate  giebt  die  Ermittelung  des 
Flächenraums,  der  durch  planimetrische  Messung  auf  den  besten 
vorhandenen  Flänen  für  eine  ansehnliche  Reihe  der  bedeutendsten 
Städte  des  Alterthums  leicht  zu  bewerkstelligen  ist.  Freilich 
gewinnen  wir  auch  auf  diesem  Wege  nur  einen  dürftigen  Ersatz 
für  die  Ergebnisse  unserer  heutigen  Volkszählungen.  Schon 
von  vornherein  ist  es  keineswegs  die  Zahl  der  Bevölkerung 
allein,  die  den  Umfang  des  Mauerringes  bestimmt,  sondern 
ebenso  entscheidend  sind  fortificatorische  Rücksichten.  Und 
einmal  erbaut,  wird  die  Befestigungslinie  mindestens  für  lange 
Zeit  ungeändert  bleiben,  mag  nun  die  Bevölkerung  zu-  oder 
abnehmen.  Allerdings  giebt  es  hier  eine  Grenze.  Mehr  als 
eine  gewisse  Volkszahl  vermag  ein  gegebener  Raum  nicht  zu 
fassen;  ist  diese  Zahl  überschritten,  so  werden  sich  um  die 
Mauern  Vorstädte  ansetzen,  und  es  wird  schliesslich  unum- 
gänglich sein,  wenigstens  einen  Theil  dieser  Vorstädte  in  die 
Befestigungslinie  hineinzuziehen.  Man  denke  an  das  allmähliche 
Anwachsen  von  Syrakus,  Athen,  Antioeheia,  Rom.  Wo  dagegen 
die  Bevölkerung  abnimmt,  ist  eine  Nöthigung  zur  Verengerung 
des  Mauerringes  nicht  vorhanden,  solange  nur  die  zur  Verfügung 
stehende  Mannschaft  noch  annähernd  zur  Vertheidigung  ge- 


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Die  städtische  Bevölkerung. 


475  • 


niigt.  So  hat  Rom  während  des  ganzen  Mittelalters  den  aure- 
lianischen  Mauerring  als  Vertheidigungslinie  behalten,  mochte 
auch  die  Bevölkerung  zeitweise  auf  einen  kleinen  Bruchtheil 
der  alten  Bewohnerzahl  zusammengeschmolzen  sein. 

Wir  müssen  also,  ehe  wir  von  der  Ausdehnung  einer 
antiken  Stadt  auf  die  Bevölkerung  einen  Schluss  machen, 
jedesmal  erst  die  obwaltenden  besonderen  Verhältnisse  in  Er- 
wägung ziehen.  Auch  bedarf  es  keiner  Bemerkung,  dass  eine 
kleine  Stadt  einen  verhältnissmässig  viel  grösseren  Flächen- 
raum einnehmen  wird,  als  eine  Grossstadt ; denn  je  werthvoller 
der  Boden,  desto  enger  wird  sich  die  Bevölkerung  zusammen- 
drängen, und  desto  mehr  wird  man  darauf  bedacht  sein,  durch 
Aufsetzen  von  Stockwerken  den  Raum  nach  Möglichkeit  aus- 
zunutzen. So  hatten  die  Häuser  in  Pompei  durchweg  nur 
ein  oberes  Stockwerk,  während  sie  in  der  Hauptstadt  bis  zu 
60  Fuss  und  darüber  sich  erhoben.  Endlich  dürfen  nur  Städte 
derselben  Periode  und  desselben  Culturkreises  unmittelbar  mit 
einander  verglichen  werden.  Unter  Berücksichtigung  aller 
dieser  Verhältnisse  aber  wird  allerdings  ein  Schluss  von  der 
Ausdehnung  einer  Stadt  auf  ihre  Bevölkerung  gestattet  sein. 
Eine  Stadt  von  100  ha  musste  mehr  Einwohner  zählen  als 
eine  andere  von  nur  20  ha.  Athen  und  Syrakus,  bis  auf 
Alexander  die  volkreichsten  hellenischen  Städte,  waren  auch 
die  grössten  an  Flächenraum.  Jedenfalls  aber  bleibt  die  Be- 
stimmung des  Flächenraumes  in  den  meisten  Fällen  der  einzige 
Weg,  um  uns  von  der  relativen  Bedeutung  antiker  Städte  ein 
objectiv  sicheres  Bild  zu  geben;  und  dieses  Mittel  ist  trotz 
alledem  sehr  viel  vollkommener,  als  die  Mittel,  die  den  Alten 
selbst  dafür  zu  Gebote  standen. 

Freilich,  zum  Vergleich  mit  den  Städten  unserer  Zeit  reicht 
bei  der  Verschiedenheit  der  Lebensgewohnheiten  und  der  Bau- 
art die  blosse  Kenntniss  der  Ausdehnung  nicht  aus.  Wir 
müssen  versuchen,  das  im  Alterthum  übliche  Maass  auf  das 
uns  geläufige  — die  Einwohnerzahl  — zu  reduciren.  Und  es 
fehlt  denn  auch  nicht  an  Anhaltspunkten,  die  uns  gestatten, 
wenigstens  einen  allgemeinen  Begriff  von  den  Grössenverhält- 
nissen der  Städte  des  Alterthums  zu  gewinnen. 


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• 47t> 


Capitel  XI. 


Die  Griechen  waren  ein  Stadtvolk.  Es  wird  als  etwas 
ganz  besonderes  hervorgehoben,  dass  in  einigen  Gegenden,  wie 
in  Attika  oder  Elis,  die  Bevölkerung  zum  grossen  Theil  auf 
dem  Lande  zerstreut  lebte  *).  In  der  Regel  war  die  Bewohner- 
schaft in  den  befestigten  Städten  und  Flecken  concentrirt,  ein 
Zustand  ähnlich  dem,  der  noch  heute  in  Sicilien  vorherrscht2). 

Als  Mantineia  im  Jahre  385  durch  die  Spartaner  in  die 
5 Körnen  aufgelöst  wurde,  aus  denen  die  Stadt  ein  Jahrhundert 
früher  zusammengesiedelt  worden  war,  söhnten  die  Grundbesitzer 
sich  mit  der  Maassregel  aus  in  Folge  des  Vortheils,  jetzt  ihren 
Besitzungen  näher  zu  sein8);  bisher  hatten  sie  also  ihre  Güter 
von  der  Stadt  aus  bewirthschaftet.  Der  Widerstand,  den  der 
Synoekismos  von  Megalopolis  bei  einem  Theil  der  zur  Bildung 
der  neuen  Stadt  bestimmten  Gemeinden  fand,  entsprang  haupt- 
sächlich der  Schwierigkeit,  von  dem  neuen  Mittelpunkte  aus 
die  Acker  des  ausgedehnten  Gebietes  zu  bewirthschaften 4) ; 
auch  hat  man  davon  absehen  müssen,  die  ganze  Bevölkerung 
der  südarkadischen  Ortschaften  nach  Megalopolis  überzusiedeln. 

Im  allgemeinen  also  muss  die  städtische  Bevölkemng  in 
Hellas  einen  viel  grösseren  Procentsatz  der  Gesammtbevöl- 
kerung  gebildet  haben,  als  das  in  den  meisten  Ländern  heute 
der  Fall  ist.  Bei  kleineren  Gebieten,  wie  Sikyon,  Phleius, 
Tegea,  Mantineia,  den  Städten  in  Boeotien  und  Phokis  werden 
wir  die  Bevölkerung  der  Hauptstadt  der  des  ganzen  Staates 
annähernd  gleich  setzen  dürfen.  Wir  können  das  wenigstens 
mit  demselben  Recht,  wie  die  moderne  Ortsstatistik  die  Be- 
völkerung der  Städte  durch  die  des  gesammten  Gemeinde- 

*)  Thuk.  II  16;  Polyb.  IV  73,  6-7. 

8)  Nach  der  Zählung  von  1871  betrug  die  zerstreut  lebende  Bevöl- 
kerung ( popolazione  sparsa)  176004,  die  in  den  Ortschaften  ( centri ) mit 
unter  2000  Einwohnern  270843,  während  2137252  in  den  Ortschaften  mit 
über  2000  Einwohnern  lebten,  und  von  diesen  759433  in  den  Städten  von 
2 — 8000  Einwohnern,  sodass  mehr  als  die  Hälfte  der  Gesammtbevölkerung, 
1378819,  auf  die  Städte  mit  8000  und  mehr  Einwohner  entfällt 

3)  Xen.  Hell.  V 2,  7:  *«i  io  nQiörov  tj/Sovro  ....  (ml  <St  o/ 
l/ovres  rag  ovalag  (yyvrtQOV  ptv  tjjxovv  riüv  /a iqüov  ovruiv  avroig  ttiqI 
ras  xw, uas  ....  rjdorro  r oi's  TTtrpayfitvotg. 

*)  Kuhn,  lieber  die  Entstehung  der  Städte  der  Alten  S.  239  f. 


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Die  städtische  Bevölkerung. 


477 


bezirks  ausdrückt.  Noch  mehr  gilt  das  natürlich  dann,  wenn 
es  sich  um  Grossstädte  mit  sehr  beschränktem  Gebiet  handelt, 
wie  z.  B.  Alexandreia  in  Aegypten.  Aber  auch  bei  Gebieten 
von  grosser  Ausdehnung,  wie  der  Argeia,  der  Megalopolitis, 
der  Korinthia,  muss  wenigstens  der  bei  weitem  überwiegende 
Theil  der  Bevölkerung  seinen  Wohnsitz  in  der  Hauptstadt  ge- 
habt haben.  Aehnlich  lagen  die  Verhältnisse  in  dem  grösseren 
Theile  Italiens. 


2.  Die  Entwickelung  des  Städtewesens. 

Das  hellenische  Städtewesen  hat  sich  aus  bescheidenen 
Anfängen  entwickelt.  Schon  Thukydides  ist  die  Kleinheit  von 
Mykenae  und  anderer  berühmter  Städte  der  Heroenzeit  aufge- 
fallen *);  Knosos,  das  Homer  eine  „grosse  Stadt“  nennt2),  hat 
nur  30  Stadien  im  Umfang  gehabt8).  Aristoteles  sieht  den 
hauptsächlichsten  Grund  für  das  Entstehen  der  Tyrannenherr- 
schaften im  VIII.,  VII.  und  VI.  Jahrhundert  in  der  geringen 
Bevölkerung  der  griechischen  Städte  zu  dieser  Zeit4).  Es  ist 
bekannt,  dass  Athen  ursprünglich  auf  die  spätere  Akropolis, 
Theben  auf  die  Kadmeia,  Syrakus  auf  die  Nasos  beschränkt 
war.  Aber  auch  in  der  sogenannten  klassischen  Periode,  von 
den  Perserkriegen  bis  auf  Alexander  haben  die  Culturländer 
am  Mittelmeer,  von  dem  aegyptischen  Memphis  vielleicht  ab- 
gesehen, keine  Grossstadt  im  modernen  Sinne  besessen.  Athen, 
im  V.  Jahrhundert  die  erste  Stadt  Griechenlands®),  kann  ein- 


*)  Thuk.  I 10:  xn)  on  /uir  Mvxijvai  fuxgt.v  ijv,  fj  tl  1 1 roiv  rore 
n oha pi u viv  fir\  rfoxti  li^idygnov  fh'tu  XI l. 

*)  Odyss.  r 178 : rijm  iT  tri  Avianos,  /ucyilXrj  noXts- 

3 ) Strab.  X S.  476.' 

0 Polit.  VIII  (V)  S.  1305  a:  ln  <17  <f«<  ro  uij  /atyciXv;  elvnt  roif 
rag  nöXns  ÖXX'  (nl  rtöv  oygiöv  olxtir  töv  iSrjuov  xrX.  Vergl.  VI  (IV) 
S.  1297  b:  rjOtiv  rff  xal  al  ög/uiai  nohiticu  tvXoyias  ’Xiyagyixai  xaX 
ßnniXixa't.  <h’  oXiyav'lgionlav  yitg  ovx  tl/ov  noXii  ro  /xlaov. 

6)  Thuk.  IV  95:  (noXiv)  ngmrrjv  Iv  tois  "EXlrjaiv ; I 80:  l^rigivvnu 
oyXia  (Alhjvaioi),  oaog  ovx  Iv  ttXXig  ivl  ye  yiagltg  'EXXrjvixtö  lariv.  Xen. 
Hell.  II  3,  24:  ihn  re  rö  TioXi'nvfXgtonoTttrrjV  riov  'Elhjvldtov  rrjv 

noXiv  tlvai. 


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478 


Capitel  XI. 


schliesslich  des  Peiraeeus  kaum  über  120000  Einwohner  ge- 
zählt haben,  da  ganz  Attika  damals  höchstens  1I*  Million  Ein- 
wohner hatte,  und  der  grösste  Theil  wenigstens  der  bürger- 
lichen Bevölkerung  im  Landgebiete  zerstreut  lebte1).  Eine 
Stadt  von  1000Ö  Bürgern  (noXig  /jvQiavÖQog ) galt  bis  zu 
Alexanders  Zeit  in  Griechenland  für  bedeutend,  und  es  gab 
nur  wenige  Gemeinden,  die  diese  Zahl  erreicht  oder  über- 
schritten haben.  Es  sind  im  eigentlichen  Griechenland  ausser 
Athen  noch  Theben,  Korinth,  Aigos,  Elis,  Korkyra  und  im 
IV.  Jahrhundert  Megalopolis,  Messene,  Olynthos;  im  asiatischen 
Griechenland  im  V.  Jahrhundert  wahrscheinlich  keine  einzige, 
im  IV.  Halikamassos , und  wie  es  scheint  Ephesos,  während 
Rhodos  die  Zahl  von  10000  Bürgern,  wenn  nicht  ganz,  so 
doch  annähernd  erreicht  haben  muss;  im  Westen  Syrakus, 
Akragas,  Gela,  Kroton,  Taras;  ausserdem  Kyrene  in  Libyen. 
Selbst  Städte  von  5000  Bürgern  waren  keineswegs  häufig;  wie 
denn  z.  B.  im  Peloponnes  ausser  den  genannten  nur  Sikyon 
und  Phleius  diese  Zahl  erreicht  oder  überschritten  haben, 
während  Tegea,  Mantineia,  Epidauros  ihr  wenigstens  nahe  ge- 
kommen sind.  Freilich  giebt  die  Bürgerzahl,  wie  schon  bervor- 
gehoben,  keinen  absoluten  Maassstab  für  die  Grösse  der  Städte, 
da  einerseits  ein  grosser  Theil  der  Bürger  in  den  zugehörigen 
Landgebieten  seinen  Wohnsitz  hatte,  andererseits  eine  starke 
nichtbürgerliche  Bevölkerung  hinzuzurechnen  ist.  Immerhin 
wird  ausser  Athen  und  Syrakus  im  V.  und  IV.  Jahrhundert 
keine  hellenische  Stadt  die  Zahl  von  100000  Einwohnern  über- 
schritten oder  auch  nur  erreicht  haben.  Korinth  mag,  bei 
einer  Bevölkerung  des  ganzen  Staates  von  etwa  90000,  inner- 
halb seiner  Mauern  70  000  Menschen  beherbergt  haben ; Sparta. 
Argos,  Megalopolis,  Akragas,  Taras  werden  auf  etwa  40 — 50000 
Einwohner  zu  veranschlagen  sein;  Theben  zählte  bei  seiner 
Eroberung  durch  Alexander  etwa  dieselbe  Bevölkerung 2). 
Selinus  galt  mit  20—25000  Einwohnern  am  Ende  des  V.  Jahr- 

1)  Tkuk.  II  16,  vergl.  oben  S.  100. 

2)  Die  Belege  s.  oben  Cap.  IV — VII. 


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Die  städtische  Bevölkerung. 


479 


hiuiderts  für  eine  bedeutende  Stadt 1).  Auch  die  phoenikischen 
Städte  Sidon  und  Tyros  haben  uni  die  Mitte  des  IV.  Jahr- 
hunderts nicht  mehr  als  je  40000  Einwohner  gezählt2).  Diese 
Zahlen  werden  genügen,  uns  wenigstens  ein  allgemeines  Bild 
von  der  städtischen  Bevölkerung  Griechenlands  in  der  klassischen 
Zeit  zu  geben. 

Wahrhaft  grossstädtisches  Leben  hat  sich  erst  in  der  helle- 
nistischen Periode  entwickelt.  Es  ist  in  der  Zeit  nach  Alexander 
eine  ähnliche  Entwickelung  eingetreten  wie  seit  dem  Ausgang 
des  vorigen  Jahrhunderts  in  der  modernen  Welt.  Noch  1760 
hat  London,  damals  wie  heute  die  grösste  Stadt  in  Europa, 
nicht  über  670000  Einwohner  gezählt,  und  selbst  ein  Mann 
wie  Hume  zweifelte  allen  Ernstes  daran,  ob  es  überhaupt  mög- 
lich sei,  dass  eine  Stadt  über  diese  Zahl  hinaus  sich  vergrössem 
könne.  So  hält  Aristoteles  eine  Stadtgemeinde  von  100000 
Bürgern  für  ebenso  undenkbar  wie  eine  Gemeinde  von  10  Bür- 
gern8). Die  Diadochenzeit  hat  das  unmöglich  geglaubte  ver- 
wirklicht. Alexandreia  in  Aegypten  hat  nach  officiellen  Angaben 
ums  Jahr  60  v.  Chr.  300000  freie  Einwohner  gezählt4)  und 
muss  also,  einschliesslich  der  Sklaven,  die  halbe  Million  we- 
nigstens annähernd  erreicht  haben;  unter  Augustus  wird  die 
Bevölkerung  noch  grösser  gewesen  sein.  Seleukeia  an  Tigris 
wird  um  den  Anfang  unserer  Zeitrechnung  Alexandreia  etwa 
gleich  gesetzt,  sodass  es  nicht  unglaublich  scheint,  wenn  die 
Bevölkerung  der  Stadt  im  I.  Jahrhundert  auf  600  000 5),  im 
II.  auf  400000  Einwohner4)  angegeben  wird.  Nicht  ganz, 
aber  doch  annähernd  so  gross  war  Antiocheia  am  Orontes. 


*)  Diod.  XIII  44:  ol  Si  SeXivowrtioi  xar  ixetvovt  tobt  XQÖiovt 
iväcuuo voOvtet,  *«1  rrjf  nöketat  aiitoif  nokvavÖQOvaijt.  Nach  Timaeos. 
Vergl.  oben  S.  285. 

а)  Die  Belege  s.  oben  S.  244. 

*)  Arist.  Kikom.  Ethik  IX  S.  1170b:  obre  yit p ix  §(xa  avit^iüniar 
yiroit'  ay  noku,  ovx  ix  äixa  ftvQiädotv  ln  nol.it  intlr. 

4)  Diod.  XVII  52,  s.  oben  S.  258  f.  Vergl.  Diod.  I 50. 

б)  Plin.  H.  N.  VI  122:  ferunt  ei  plebis  urbanae  DC  esse. 

*)  Rufus  Breviar.  21 ; Oros.  VII  15;  Eutrop.  VIII  10,  an  welch  letzterer 
Stelle  die  richtige  Zahl  jetzt  durch  Droysen  hergestellt  ist. 


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480 


Capitel  XI. 


Ephesos  kann  unter  Augustus  nicht  unter  200  000  Ein- 
wohner gezählt  haben1);  Pergamon  hatte  im  D.  Jahrhundert 
120000,  vielleicht  180000  Einwohner2).  Städte  von  100000 
Einwohnern  muss  es  im'  griechischen  Orient  um  den  Beginn 
unserer  Zeitrechnung  eine  ganze  Reihe  gegeben  haben. 

In  den  Ländern  am  westlichen  Mittelmeere  ist  eine  ana- 
loge Entwickelung  zunächst  durch  die  römische  Eroberung  ge- 
hemmt worden.  Syrakus , das  unter  Hieron  an  200  000  Ein- 
wohner gezählt  haben  mag3),  hat  die  Folgen  der  Katastrophe 
des  Jahres  213  nie  überwunden,  und  ist  seitdem  beständig 
gesunken,  bis  es  in  Augustus’  Zeit  fast  entvölkert  war.  Ebenso 
ist  die  Blüthe  von  Akragas  und  Taras  durch  den  hannibalischen 
Krieg  für  immer  geknickt  worden.  Karthago,  die  kommerzielle 
Metropole  des  Westens,  wurde  im  Jahre  146  aus  der  Reihe 
der  bestehenden  Städte  ausgetilgt.  In  dem  nicht-griechischen 
Italien  sind  die  etruskischen  Städte  seit  dem  IV.  Jahrhundert 
im  unaufhaltsamen  Verfall.  Capua,  im  III.  Jahrhundert  nach 
Rom  und  Tarent  die  grösste  Stadt  Italiens,  hat  sich  erst 
seit  der  Colonisation  durch  Caesar  von  den  Schlägen  des 
hannibalischen  Krieges  erholt.  Verhältnissmässig  volkreich 
waren  seit  dem  II.  Jahrhundert  die  Hafenstädte  Ostia  und 
Puteoli;  aber  I’uteoli  heisst  bei  Lucilius  doch  nur  „Klein- 
Delos“  *).  Alle  übrigen  Städte  der  Halbinsel , mit  Ausnahme 
der  Hauptstadt,  waren  noch  in  der  ersten  Kaiserzeit  ziemlich 
unbedeutend.  Eine  der  ansehnlichsten  darunter  war  Pompei, 
wie  die  Ausdehnung  des  mit  Häusern  bedeckten  Flächenraumes 
zeigt;  und  Pompei  hat  nach  dem  Urtheile  der  besten  Kenner 
zur  Zeit  seiner  Zerstörung  kaum  über  20000  Einwohner  ge- 
zählt6). Eine  wirkliche  Grossstadt  war  in  dem  Italien  dieser 
Zeit  nur  Rom , das  unter  Caesar  eine  Volkszahl  von  annähernd 
1 Million  erreichte,  und  somit  alle  Städte  am  Mittelmeer  hinter 
sich  liess. 


i)  S.  oben  S.  231. 

*)  S.  oben  S.  236. 

»)  Oben  S.  279.  281. 

4)  Lucil.  111  fr.  11  Müller:  Dicarchitum  popuhs  Delumque  minorem. 
*)  Cissen,  Pompe ianische  Studien  S.  379.  Von  den  Vorstädten,  deren 
Ausdehnung  sich  unserer  Kenntnis»  entzieht,  ist  hier  abgesehen. 


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Die  städtische  Bevölkerung. 


481 


In  Ober -Italien  und  in  den  westlichen  Provinzen  haben 
Grossstädte  sich  erst  seit  Anfang  der  Kaiserzeit  zu  bilden  be- 
gonnen. Das  Resultat  dieser  Entwickelung  schildert  uns  um 
400  der  Dichter  Ausonius  ')•  Danach  folgten  damals  auf  Rom 
an  Grösse  zunächst  Constantinopolis  und  Karthago , darauf 
Antiocheia  und  Alexandreia,  weiter  Trier,  Mailand,  Capua, 
Aquileia,  A*relate.  Darauf  Hispalis,  die  grösste  Stadt  Spaniens, 
neben  der  Corduba,  Tarraco,  Bracara  hervorgehoben  werden, 
dann  Athen,  Catina  und  Syrakus,  Tolosa,  Narbo  und  endlich 
die  Heimath  des  Dichters,  Burdigala.  Wie  man  sieht,  ist  die 
Auswahl  sehr  willkürlich.  Namentlich  der  Orient  ist  viel  zu 
wenig  berücksichtigt,  während  Gallien  mehr  als  billig  hervor- 
tritt; auch  war  nicht  die  Grösse  allein  für  die  Aufnahme  in 
das  Verzeichniss  und  die  Reihenfolge  der  Städte  maassgebend. 
Immerhin  aber  bleibt  das  Gedicht  des  Ausonius  charakteristisch 
für  die  Zustände  des  IV.  Jahrhunderts;  wir  sehen,  welchen 
Aufschwung  das  Städtewesen  in  Ober- Italien,  Gallien  und 
Spanien  während  der  Kaiserzeit  genommen  hat. 

3.  Die  überlieferten  Umfangszahlen. 

Ich  lasse  jetzt  die  überlieferten  Umfangszahlen  einer  An- 
zahl von  Städten  des  Alterthums  folgen.  Auf  Vollständigkeit 
macht  das  Verzeichniss  keinen  Anspruch,  ich  habe  sie  auch  bei 
der  verhältnissmässig  untergeordneten  Wichtigkeit  dieser  An- 
gaben nicht  erstrebt. 

Babylon  bildete  nach  Herodot  ein  Quadrat  von  120  Sta- 
dien Seite,  also  480  Stadien  Umfang2).  Ktesias  gab  den  Um- 
fang nur  auf  360  Stadien  an ; Kleitarchos  auf  365,  entsprechend 
den  Tagen  im  Jahr8).  Strabon  giebt  385  Stadien,  was  Letronne, 
und  ach  seinem  Vorgang  Groskurd  und  Meineke,  in  365 
Stadien  emendirt  haben4).  Plinius  hat  60  Milien,  offenbar  eine 
Umrechnung  der  Zahl  Herodots6). 

')  Auson.  18  ordo  urbium  nobilium. 

*)  Herod.  1 178. 

s)  Bei  Diod.  II  7. 

4)  Strab.  XYI  S.  738. 

5)  Plin.  Y1  121,  danach  Solin.  56,  1. 

Belach,  Bevöllernngulebre.  I.  31 


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482 


Capitel  XI. 


Die  Burg  von  Ekbatana  hatte  nach  Herodot  etwa  den 
Umfang  Athens,  also  etwas  über  40  Stadien  '),  die  ganze  Stadt 
nach  Diodor  250  Stadien8)  Umfang. 

Der  Umfang  von  Memphis  betrug  nach  Diodor  150 8), 
der  von  Theben  140  Stadien4). 

Die  griechischen  Städte  der  klassischen  Zeit  stehen  da- 
gegen, mit  Ausnahme  von  Syrakus  und  Athen,  bedeutend  zurück. 
Der  Umfang  von  Syrakus  wird  nach  der  Vollendung  der  Be- 
festigungen des  Dionysios  auf  180  Stadien  angegeben5).  Nach 
der  Messung  der  erhaltenen  Reste  durch  Cavallari  beträgt  die 
Mauerlänge  27320  m,  was  genau  180  Schritt-Stadien  (zu  157  m) 
entspricht;  dabei  ist  eine  etwa  1 kin  lange  Strecke  westlich 
vom  Amphitheater,  auf  der  keine  Mauerreste  gefunden  sind, 
nicht  eingerechnet6).  Denselben  Umfang  etwa  (175  Stadien) 
hatte  der  Befestigungscomplex  Athens  zur  Zeit  des  pelo- 
ponnesischen  Krieges,  abgesehen  von  der  Küstenstrecke  von 
Peiraeeus  bis  Phaleron:  nämlich  der  Peiraeeus  60  Stadien,  die 
peiraeische  Mauer  40,  Athen  selbst,  ohne  das  zwischen  den 
langen  Mauern  gelegene  Mauerstück  43,  die  phalerische  Mauer 
85  Stadien 7).  Der  Gesammtumfang  des  Asty  allein  hätte 
nach  den  Thukydides-Scholien  60  Stadien  betragen8);  dieselbe 
Zahl  giebt  auch  Aristodemos 9). 

Kroton  soll  12  römische  Milien  oder  rund  100  Stadien 
im  Umfang  gehabt  haben10). 

Korinth  hatte  mit  Einschluss  von  Akrokorinth  85  Stadien 
im  Umfang;  die  eigentliche  Stadtmauer  war  nur  40  Stadien 
lang  n).  Chalkis  soll  nach  der  Stadterweiterung  unter  Alexander 

>)  Herod.  I 98. 

“)  Diod.  XVII  110. 

3)  Diod.  I 56. 

4)  Diod.  I 45. 

R)  Strab.  VI  S.  270. 

6)  Cavallari,  Topografia  di  Siracusa  S.  66—68. 

7)  Thuk.  II  18.  Dion  Chrysostomos  giebt  in  runder  Zahl  200  Stadien. 

*)  Schol.  Thuk.  n 13. 

*)  Aristod.  V 3. 

10)  Liv.  24,  3. 

”)  Strab.  Vm  S.  379. 


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Die  städtische  Bevölkerung. 


483 


einen  Umfang  von  70  Stadien  gehabt  halten1),  Megalopolis 
hatte  50  Stadien2),  Sparta  48  Stadien  Umfang8);  auf  50 
Stadien  wird  auch  der  Umfang  von  Sybaris  vor  seiner  Zer- 
störung angegeben4).  Für  Theben  haben  wir  zwei  wider- 
sprechende Angaben;  nach  dem  sog.  Dikaearehos  hätte  der 
Umfang  70  Stadien6),  nach  iDionysios  43  Stadien6)  betragen; 
letztere  Zahl  verdient  wohl  den  Vorzug,  da  sie  durch  das 
Metrum  gestützt  wird.  Beide  Zahlen  beziehen  sich  auf  die 
hellenistische  Zeit;  da  indess  bei  dem  Wiederaufbau  der  Stadt 
durch  Kassandros  der  alte  Mauerring  wieder  hergestellt  wurde 7), 
so  haben  sie  auch  für  die  ältere  Zeit  Geltung.  Sonst  haben 
wir  noch  Umfangsangaben  für 


Byzantion 8) 

Knosos9) . . 

Ambrakia10) 

Pantikapaeon u) 

Delphoi18) 

Iasos  in  Karien18) 

Arados  in  Phoenike14) 


40  Stadien 
30  „ 

25  „ 


20 

16 

10 

7 


W 

n 

» 

n 


Alexandreia  in  Aegypten  steht  an  Umfang  allen  übrigen 
griechischen  Städten  mit  Ausnahme  von  Syrakus  und  Athen 
voran;  aber  die  Ausdehnung  des  Mauerringes  war  hier  nicht 
durch  militärische  Rücksichten  bedingt.  Der  Umfang  betrug 


')  Sog.  Dikaearehos,  Beschr.  Griechenlands  I 26;  vergl.  Strabon  X 
S.  447. 

3)  Polyb.  IX  2. 

8)  Polyb.  IX  2. 

4)  Strab.  VI  S.  263  (nach  Timaeos). 

6)  Beschr.  Griech.  I 12. 

6)  Dionys.  Beschr.  Griech.  94  f. 

■ ’)  Paus.  IX  7,  4. 

8)  Dionys.  Byz.  fr.  7. 

9)  8trab.  X S.  476. 

10)  Liv.  38,  4,  der  etwas  über  3 römische  Milien  angiebt. 

“)  Strab.  VII  S.  309. 

12)  Strab.  IX  S.  418. 

’3)  Polyb.  XVI  12. 

,4)  Strab.  XVI  S.  757. 

31’ 


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484 


Capitel  XI. 


nach  Curtius  801),  nach  Stephanos  von  Byzanz  110  Stadien2), 
nach  Plinius  15  Milien  oder  120  Stadien8),  nach  einer  Angabe 
aus  der  späteren  Kaiserzeit  16360  Schritt  (=  24188  in)4). 
Die  Längenausdehnung  der  Stadt  giebt  Strabon  auf  30*), 
Stephanos  auf  34"),  Diodor  auf  40  Stadien  an7);  die  Breite 
Strabon  auf  7 — 85),  Stephanos  auf  8 Stadien8).  Der  wahre 
Umfang  betrag  nach  Mahmud-Bey  15800  m,  die  Länge  5090, 
die  Breite  1150 — 2250,  meist  1700  m#). 

Anti  och  eia  am  Orontes  hatte  eine  Länge  von  36  Sta- 
dien10), oder  4 römischen  Meilen11),  etwa  so  viel  wie  Alexan- 
dreia.  Der  Umfang  wird  auf  8000  (18000?)  Schritt  ange- 
geben 12). 

Den  Umfang  des  servianischen  Rom  schätzt  Dionysios  dem 
von  Athen  gleich 1S),  also  auf  50 — 60  Stadien  oder  7 römische 
Milien.  Nibby14)  berechnet  diesen  Umfang  auf  7845  Schritt, 
Jordan 15)  auf  53/4  Milien.  Bei  der  Vermessung  unter  Vespasian 


')  Curtius  IV  8,  2. 

2)  Steph.  Byz.  unter  ’AXiiardgda. 

»)  Plin.  V 62. 

■*)  Nach  dem  Laus  Älexandriae  bei  Riese,  Geograplii  Latini  minores 
8.  140,  wenn  die  Stadien  als  römische  Milien  verstanden  werden.  Vergl. 
Mommsen,  Abh.  d.  h sdchs.  Gesellschaft  III  273. 

»)  Strab.  XVII  793. 

“)  Steph.  Byz.  a.  a.  0. 

0 Diod.  XVII  52. 

®)  Steph.  a.  a.  0. 

9)  Mahmud  Bey,  Mimoire  sur  l’antigue  Alexandrie  S.  15. 

,0)  Dion  Chrysost.  47. 

n)  Malalas  S.  232  der  Bonner  Ausgabe. 

’2)  Itinerar.  Alexandri  I 26 ; vergl.  Ilug,  Antiochien  und  der  Aufstand 
des  Jahres  387  S.  6. 
w)  Dionys.  IV  13. 
u)  Nibby,  Mura  S.  99. 

,B)  Topographie  I 245.  Nicht  54/b  Milien,  wie  Jordan  die  von  ihm 
gefundene  Länge  von  28  700  römischen  Fuss  reducirt.  Ausserdem  ist  ihm 
das  Missgeschick  passirt,  die  43  Stadien  bei  Thukydides  für  den  Gesammt- 
umfang  Athens  zu  nehmen,  während  sie  ausdrücklich  als  toO  relxovs  ro 
gvXaaaöpevov  bezeichnet  werden,  also  das  Stück  zwischen  der  phalerischen 
und  der  westlichen  peiraeischen  Mauer  ausgeschlossen  ist. 


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Die  städtische  Bevölkerung. 


485 


ergab  sich  der  Umfang  der  „ moenia “ zu  18,2  Milien1),  eine 
Zahl,  die  sich  natürlich  nicht  auf  die  servianische  Mauer  be- 
ziehen kann,  sondern  nur  auf  die  bewohnte  Stadt  überhaupt 8) ; 
wenn  sie  nicht,  wie  Nibby  annahm8),  verderbt  ist.  Den  Umfang 
der  aurelianisehen  Mauer  giebt  Vopiscus4)  auf  beinahe  50  Mi- 
lien, Olympiodoros6)  auf  21  Milien,  die  älteste  Redaction  der 
Mirabilia  auf  22  Milien  an,  abgesehen  von  den  Befestigungen 
auf  dem  rechten  Flussufer.  Der  wirkliche  Umfang  beträgt 
nach  Bernardini  10,58,  nach  Nolli  11,13  Milien,  oder  wenn 
man  die  Vorsprünge  der  Thürme  einrechnet,  11,87  bezw.  12,42 
Milien6).  Das  wären  also  gegen  100  Stadien. 

Karthago  hatte  vor  seiner  Zerstörung  nach  Livius7) 
23  Milien  = 184  Stadien  Umfang;  nach  Strabon8)  beträgt 
der  Umfang  der  ganzen  Halbinsel,  worauf  die  Stadt  sich  erhob, 
360  Stadien.  Der  Umfang  des  römischen  Karthago  wird  auf 
101/*  Milien  angegeben9). 

Constantinopolis  hatte  nach  Laonikos  Chalkondylas 10) 
111  Stadien,  nach  Phrantzes11)  18  Milien  im  Umfang;  nach  der 
anonymen  Regionsbeschreibung12)  beträgt  die  Länge  der  Stadt 
14075  Fuss,  die  Breite  6150  Fuss. 

4.  Flächenraum. 

Wir  besitzen  meines  Wissens  aus  dem  Alterthum  nur  eine 
einzige  Angabe  über  die  Flächenausdehnung  einer  Stadt.  Baton 
von  Sinope,  ein  Schriftsteller  etwa  aus  dem  Anfang  des  n.  Jahr- 

J 

*)  Plin.  DI  66. 

a)  Jordan,  Topogr.  II  87. 

*)  Nibby  a.  a.  O. 

4)  Vopisc.  Aurel.  39. 

B)  Bei  Photios  63,  23. 

®)  Jordan,  Topogr.  I 344  A.  9. 

1)  Liv.  Epit.  51. 

»)  Strab.  XVII  S.  832. 

9)  Laus  Älexandriae  bei  Riese  a.  a.  0.;  s-  vorige  S.  Anm.  4. 

i°)  Ed.  Bonn.  S.  388. 

”)  in  3 S.  238  Bonn 

'*)  Riese,  Geogr.  Lat.  min.  S 139,  und  in  Seecks  Ausgabe  der  Notitia 
dignitatum. 


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486 


Capitel  XI. 


hunderts,  berichtet,  dass  das  aegvptische  Theben  3700  Aruren 
bedeckt  habe1).  Je  nachdem  wir  die  grosse  oder  die  kleine 
aegyptische  Elle  als  maassgebend  für  die  Arura  betrachten, 
und  diese  also  auf  2756  oder  auf  2025  qm  ansetzen8),  ergiebt 
sich  demnach  für  Theben  ein  Flächenraum  von  1019,72  oder 
749,25  ha.  Indess  lässt  sich  bei  dem  Zustande,  in  dem  das 
Fragment  Batons  uns  überliefert  ist,  nicht  mit  Sicherheit  be- 
haupten, dass  Baton  wirklich  von  der  Stadt  Theben  hat  reden 
wollen,  und  nicht  vielmehr  von  ihrem  Gebiete;  in  letzterem 
Falle  muss  er  natürlich  viel  grössere  Zahlen  gegeben  haben, 
als  jetzt  bei  Stephanos  zu  lesen  sind. 

Ein  um  so  reicheres  Material  bieten  uns  die  erhaltenen 
Ruinen.  Leider  liegen  zuverlässige  Messungen  des  von  antiken 
Städten  bedeckten  Flächenraumes  bisher  nur  in  sehr  beschränkter 
Anzahl  vor,  und  ich  war  in  der  Hauptsache  auf  eigene  plani- 
metrische  Berechnung  angewiesen.  Dass  die  folgenden  Tabellen 
unter  diesen  Umständen  auch  von  annähernder  Vollständigkeit 
weit  entfernt  sind,  bedarf  keiner  Bemerkung.  Theils  besitzen 
wir  überhaupt  brauchbare  Pläne  nur  von  verhältnissmässig 
wenigen  Städten,  theils  reichen  die  Kräfte  des  Einzelnen  für 
eine  solche  Aufgabe  bei  weitem  nicht  aus.  Möchten  Andere 
auf  der  hier  gegebenen  Grundlage  einer  Ortsstatistik  des  Alter- 
thums weiter  bauen. 


A.  Griechische  und  orientalische  Städte. 


ha 

ha 

Syrakus 

. . 1814  I Akragas 

. . . 517 

Alexandreia 

. . 920  Sparta  

...  450 

Athen  und  Peiraeeus  . . 

. . 585  Ephesos 

...  415 

Taras 

. . 570  1 Halikamassos  . . . . 

. . . . 350 

')  Bei  Steph.  Byz.  JiöanoXis  und  Porphyrion  zu  Ilias  IX  383,  an 
welchen  Stellen  Ebert,  I>iss.  Sic.  S.  94  statt  des  überlieferten  Ktlrwv  das 
richtige  hergestellt  hat  Die  Zeit  Batons  ergiebt  sich  daraus,  dass  er  unter 
anderem  ein  Buch  über  den  syrakusischen  König  Hieronymo6  geschrieben 
hat;  schon  am  Ende  des  II.  Jahrhunderts  würde  eine  solche  Arbeit  kaum 
mehr  ein  Publicum  gefunden  haben. 
a)  Hultsch,  Metrologie  S.  356. 


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Die  städtische  Bevölkerung. 


487 


ha 

Lokroi  Epizephyrioi  ....  245 


Gela 200 

Rhodos 200 

Kyzikos 160 

Mytilene 155 

Poseidonia 126 

Hierosolyma 112 


Messene  im  Peloponnes  ...  95 

Neapolis  in  Campanien  ...  76 


ha 

Massalia 75 

Tyros 75 

Philippoi 67 

Thasos 52 

Panormos  in  Sieilien  ....  47 

Megara  in  Griechenland  ...  40 

Selinus 29 

Motye 25 


B.  Italische  Städte. 


ha 

Rom,  aurelianische  Stadt  . 1230 


Rom,  servianische  Stadt  . . 426 

Capua 181 

Mediolanum 133 

Caere 117 

Neapolis * . . . 106 

Ardea 85 

Bononia 83 

Pompei 64,7 

Aqnileia 64 

Angusta  Taurinomm  ...  47 

Verona 45,6 


ha 

Augusta  Praetoria  Salassorum  41,4 


Norba 34,5 

Ariminum 34 

Alba  Fucentia 33,5 

Praeneste 32 

Falerii 29 

Florentia 22 

Surrentum 22 

Pola 16,5 

Signia 16 

Tusculum 14 

Cosa 13,5 


Belege  und  Erläuterungen. 

(Wo  nicht  das  Gegentheil  ausdrücklich  bemerkt  ist,  beruhen  die  Zahlen 
auf  meiner  eigenen  Messung  mit  dem  Amslerschen  Polar-Planimeter.) 

Akragas,  nach  dem  Plan  1:15  000  bei  Schubring,  Abragas.  Der  Lauf  der  alten 
Mauer  steht  nach  W.  hin  nicht  ganz  sicher,  sodass  die  Zahl  nur 
annähernd  richtig  ist. 

Alba  Fucentia  berechnet  nach  Promis,  Alba  tav.  2 in  1 : 5000. 

Alexandreia  berechnet  nach  Kieperts  Plan,  auf  Bl.  III  des  Atlas  Antiquus 
in  1 : 100000. 

Ardea , nach  dem  Plan  des  ital.  Generalstabs  in  1:10000,  Monumevti 
dell’  Instituto  vol.  XII  tav.  II  (1884). 

Ar On («um,  nach  dem  Plan  in  Baedekers  Mittel- Italien  in  1:15500,  wo 
der  Lauf  der  alten  Mauer  nach  Tonini,  Rimini  eingetragen  ist 


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488 


Capitel  XI. 


Aquileia.  Nach  der  Bereclmung  von  Kandier,  Archeografo  Triestino  n.  *. 

I S.  119  ff.  288500  römische  Q.-Schritt  =■  62  ha;  nach  dem  Plan  bei 
Maionica,  Aquileia  zur  Römerzeit  (Progr.  Görz  1881)  etwa  64  ha.  Doch 
lässt  sich  der  Umfang  der  alten  Stadt  noch  keineswegs  sicher  be- 
stimmen. 

Athen.  Nach  Bl.  Ia  der  Karten  von  Attika  von  Curtius  und  Kaupert  in 
1 : 12500  hat  das  Asty  einen  Flächenraum  von  229  ha,  der  Peiraeetis 
nach  Bl.  II  a desselben  Atlas  356  ha. 

Augusta  Prattoria  Salassorum  bildet  nach  Promis,  Aosta  tav.  3 ein  Rechteck 
von  724  m Länge  und  572  m Breite,  sodass  der  Flächenraum  41,4  ha 
beträgt. 

Augusta  Taurinorum  bildet  nach  Promis,  Torino  ein  Rechteck  von  720  n> 
Länge  und  660  m Breite,  was  einen  Flächenraum  von  47,52  ha  er- 
giebt.  Doch  ist  diese  Zahl  etwas  zu  gross,  da  die  eine  Ecke  des 
Rechtecks  abgestumpft  ist. 

Bononia,  nach  dem  Plan  bei  Gozzadini,  Studi  archeologico-topografici  sulla 
cittii  di  Bologna  (Bologna  1868). 

Caere,  nach  dem  Plan  in  Canina,  Cere  antica  (1 : 10000). 

Capua , s.  mein  Campanien  S.  345  und  den  dort  gegebenen  Plan  in 
1:25000.  Der  Umfang  ist  nur  mit  annähernder  Genauigkeit  zu 
bestimmen.  ' 

Cosa,  nach  Canina,  Etruria  marittima  tav.  113  in  1 : 10000. 

Ephesos  bedeckte  nach  Wood,  Ephesus  S.  7 eine  Fläche  von  1027  acres 
=-  415  ha. 

Falerii  (S.  Maria  di  Fallen),  nach  Canina,  Etruria  marittima  tav.  5. 

Florentia,  nach  dem  vergleichenden  Plan  bei  Hartwig,  Quellen  und 
Forschungen  zur  ältesten  Geschichte  der  Stadt  Florenz  II.  Theil 
(Halle  1880). 

Gela,  nach  dem  auf  Schubrings  Untersuchungen  beruhenden  Plan  bei  Holm, 
Sicilien  II  pl.  11  in  1 : 100000. 

Halikarnassos,  nach  dem  Plan  auf  Bl.  VIII  von  Kieperts  Neuem  Atlas 
von  Hellas  in  1 : 100000.  Die  Zahl  bezieht  sich  auf  den  ganzen,  von 
der  äusseren  Befestigungslinie  umschlossenen  Raum. 

Hierosolyma,  herodische  Stadt  nach  Kieperts  Plan  in  1 : 40000  auf  Bl.  UI 
des  Atlas  Antiquus.  Nach  Besant  und  Palmer,  The  city  of  Herod  and 
Saladin  S.  23  hätte  der  Flächenraum  zur  Zeit  der  Belagerung  durch 
Titus  8Vs  Mill.  Q.-Yards  = 292,6  ha  betragen,  was  sehr  übertrieben 
ist  Smith,  Dictionary  of  the  Bible  I 1025  rechnet  120 — 130,  höchstens 
180  acres  = 48,6 — 72,9  ha, 

Kyzikos,  nach  dem  Plan  bei  Perrot,  Expedition  de  Galatie  tab.  III,  in 

1 : 10000. 

Lokroi,  nach  dem  Plan  von  Dubucq  in  den  Monumenti  deTl’  Institute  I 
tav.  15  in  1 : 12  500. 

Massalia,  nach  dem  Plan  bei  Desjardins,  Geographie  de  la  Gaule  II  pl.  3, 


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Die  städtische  Bevölkerung. 


489 


Mediolanum.  Maassgebend  war  der  Plan  in  Angelo  Fumagalli,  Vicende  di 
Milano  duranta  la  guerra  con  Federigo  I Imperadore,  Milano  1778, 
wonach  der  Lauf  der  Mauer  auf  den  Plan  in  Baedekers  Ober-Italien 
(10.  Aufl.,  1 : 17500)  eingetragen,  und  auf  diesem  die  Berechnung 
ausgeführt  wurde.  Die  Zahl  bezieht  sich  auf  die  durch  Maximianus 
Herculius  erweiterte  und  neu  ummauerte  Stadt 

Megara,  ohne  Nisaea  und  den  Raum  zwischen  den  langen  Mauern,  nach 
dem  Plan  in  1 : 50000  auf  Bl.  VI  von  Kieperts  Atlas  von  Hellas. 
Der  Umfang  kann  nur  annährend  bestimmt  werden. 

Messene,  nach  dem  Plan  bei  Curtius,  Pelopotmesos  II  Taf.  b in  1 : 15000. 

Motye , nach  Coglitore,  Archivio  storico  Siciliano  nuova  Serie  VIII  S.  825. 

Sfytilene,  nach  dem  Plan  auf  Bl.  IX  von  Kieperts  Atlas  von  Hellas,  in 
1 : 60000.  Der  Lauf  der  Mauer  nach  der  Landseite  hin  ist  unsicher. 

Neapolis,  nach  pl.  II  in  meinem  Companien.  Die  kleinere  Zahl  bezieht 
sich  auf  die  griechische  Altstadt,  die  grössere  auf  die  später  erweiterte 
Stadt. 

Novba,  nach  Canina,  Edifizi  di  Roma  antica  VI  tav.  102  in  1 : 5000. 

Panormos,  die  Altstadt  (Palaeopolis)  nach  Schubrings  Plan  (Der  historischen 
Topographie  von  Panormos  I.  Theil,  Programm  Lübeck  1870).  Zur 
Bestimmung  der  Ausdehnung  der  Neapolis  fehlt  jeder  Anhaltspunkt 

Philippoi,  nach  dem  Plan  bei  Ileuzey,  Mission  en  Macedoine,  in  1 : 13400. 

Pola,  nach  Kandier  in  Notizie  di  Pola,  edite  per  cura  del  Municipio 
Parenzo  1876,  75000  römische  Q.-Schritt  = 16,5  ha. 

Pompei,  nach  Fiorclli,  Relazione  sugli  Scavi  di  Pompei  del  1861 — 1872 
S.  10  App. 

Poseidonia,  nach  dem  Plan  von  Delgardette,  Les  Raines  di  Paestum  pl.  1 
in  1 : 18000. 

Praeneste,  nach  Canina,  Edifizi  di  Roma  antica  VI  tav.  111  in  1 : 5000. 
Einschliesslich  der  Arx  (Castel  S.  Pietro). 

Rhodos,  nach  dem  Plan  auf  Bl.  VIII  in  Kieperts  Neuem  Atlas  von  Hellas 
in  1 : 15000.  Die  Ausdehnung  der  alten  Stadt  ist  nur  annähernd  zu 
bestimmen. 

Rom.  Die  aurelianische  Mauer  umschliesst  auf  dem  linken  Ufer  einen 
Flächenraum  von  1181,59  ha,  wobei  die  Tiberinsel  eingerechnet  ist 
( Motiografia  dehn  citta  di  Roma,  herausgegeben  vom  ital.  Ackerbau- 
und  Handelsministerium,  Rom  1881,  II  S.  876  f.).  Der  Stadttheil  auf 
dem  rechten  Tiberufer  (Reg.  XIV)  umfasst  nach  meiner  planimetrischen 
Berechnung  auf  Kieperts  Plan  (Atlas  Antiguas  Bl.  IX)  ca.  98  ha. 
Also  Gesammtflächenraum  innerhalb  der  aurelianischen  Mauer  gegen 
1280  ha,  ungerechnet  den  Fluss.  Die  heutige  Mauer  umschliesst,  den 
Fluss  eingerechnet,  1411,315  ha  ( Monografia  di  Roma  a.  a.  O.).  Die 
Ausdehnung  der  servianischen  Stadt  ist  ebenfalls  auf  Kieperts  Plane 
berechnet.  Jordan  nimmt  900  ha  für  die  14  Regionen  zur  Zeit  Con- 


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490  Capitel  XI. 

stantins  an  ( Topogr . I S.  543);  wie  die  Zahl  gewonnen  ist,  erfahren 
wir  nicht. 

Selinus,  nach  Cavallari,  Bull.  della  Commissione  archeologica  Sicüiana 
n.  V (1872)  8.  8,  womit  meine  planimetrische  Berechnung  auf  dem 
dort  lteigegebenen  Plane  ftbereinstimmt.  Auf  die  sog.  Akropolis  kommen 
nach  Cavallari  8,8  ha,  auf  die  eigentliche  Stadt  20  ha.  Die  östliche 
Tempelterrasse  ist  dabei  nicht  berücksichtigt. 

Signia,  nach  Canina,  Edifizi  di  Borna  antica  VI  tav.  103  in  1 : 5000. 

Sparta,  nach  dem  Plan  auf  Bl.  VI  von  Kieperts  Atlas  von  Hellas  in 
1 : 50000. 

Surrentunt,  nach  Plan  IX  in  meinem  Companien,  in  1 : 12500.  (Die  Com- 
panien S.  262  gegebene  Zahl  von  29  ha  ist  zu  hoch.) 

Syrakus.  Nach  Cavallari,  Topografia  di  Siracusa  S.  19  beträgt  die  Aus- 
dehnung von  Ortygia  26,8  ha.  Achradina  umfasste  nach  meiner  plani- 
metrischen  Messung  auf  dem  dort  beigegebenen  Plan  in  1 : 50000 
652,5  ha,  der  ganze  von  den  Befestigungen  des  Dionysios  umschlossene 
Raum,  ungerechnet  die  Insel,  1787,5  ha.  Mit  dieser  also  1814  ha. 

Taros,  berechnet  von  Tasconi  auf  seinem  Plan  in  Fiorelli,  Notizie  degli 
Scavi  1881  tav.  6 in  1 : 24000. 

Thasos,  nach  dem  Plan  bei  Conze,  Base  auf  den  Inseln  des  Thrakischen 
Meeres  Taf.  II  in  1 : 10000. 

Tusculum,  nach  Canina,  Tuscolo  tav.  6 in  1 : 2000. 

Tyros,  die  Insel,  aber  ohne  die  „Insel  des  Melikertes“,  nach  dem  Plan 
auf  Bl.  III  von  Kieperts  Atlas  Antiguus  (Berlin  1882)  in  1 : 50000. 

Verona,  nach  dem  Plan  in  Baedekers  Ober-Italien  (10.  Aufl.)  in  1 : 19000. 
Für  die  Bestimmung  des  Mauerlaufes  war  der  Plan  bei  Maffei,  Verona 
lllustrata,  maassgebend. 


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Zwölftes  Capitel. 

Geschichte  der  Bevölkerung. 


Griechenland  hat  schon  früh  eine  verhältnissinässig  dichte 
Bevölkerung  erreicht.  Das  zeigt  vor  allem  die  grossartige 
Colonisationsthätigkeit , die  imunterbrochen  seit  den  ersten 
historischen  Zeiten  bis  ins  VI.  Jahrhundert  hinein  fortdauert 
und  die  Küsten  des  aegaeischen  und  schwarzen  Meeres,  Siciliens 
und  Unter-Italiens,  von  Kvpros  und  Kyrene  mit  einem  Kranze 
hellenischer  Städte  umsäumt  hat.  Aber  auch  sonst  fehlt  es 
nicht  an  Beweisen.  So  sehen  schon  die  Kyprien  die  letzte  Ur- 
sache des  troianischen  Krieges  in  der  damals  herrschenden 
Uebervölkerung : 

ijr  or«  fivgta  tfüln  xnrtt  xiiava  7iXct(o/j(v'  «[rcfpwv 
(X7iiiyl<i>s  IßaQUVf]  ßn9vax(QVOv  aXiixo;  alt]!. 

Ziv ( cfi  tiStav  IXfyae  xal  tv  nvxivnls  nganlSiaat 
avvfhxo  xovifiaaai  [/Saptof]  naftßcöxopa  yaiav 
gintaacti  noXtuov  (iiyäXr\v  fpiv  'fXtaxoto, 

0(f  pn  xtvtäautv  &av(txq>  ßäp of  ol  <f*  M Tpolr/ 
rjgatts  xxtlvovxo,  Aiot  cf’  hiXttexo  ßovXij1). 

Der  homerische  Katalog  zählt  1186  Schiffe  auf,  die  Aga- 
memnon nach  Troia  geführt  habe,  mit  einer  Besatzung  von  je 
50  oder  120  Mann;  und  es  ist  charakteristisch,  dass  Thuky- 
dides  ein  Heer  von  etwa  100000  Mann,  wie  es  sich  danach 
ergeben  würde,  als  Aufgebot  von  ganz  Hellas  für  keineswegs 
bedeutend  findet  und  der  Ansicht  ist,  es  sei  nicht  Menschen- 


*)  fr.  1 bei  Schol.  A.  Was  A 5.  6. 


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492 


Capitel  XII. 


iuangel  gewesen,  sondern  Mangel  an  Geldmitteln,  der  das  Auf- 
stellen eines  grösseren  Heeres  verhindert  halte1).  Bereits  He- 
siod 2)  empfiehlt  Beschränkung  der  Kinderzahl : 

fiovvoytvrji  nai(  olxov  n htqiocov  itij 

tffnßfutv ' ttif  yt'cQ  triofroj  äf(fjat  tv  /jeyitgonnr, 

und  in  Kreta  ging  man  so  weit,  die  I’aederastie  gesetzlich  zu 
begünstigen,  um  eine  zu  rasche  Vermehrung  der  Bevölkerung 
zu  verhindern3).  Aber  weder  diese  Bestrebungen,  noch  auch 
die  Colonisation  haben  vermocht,  dem  Anwachsen  der  Bevöl- 
kerung Einhalt  zu  thun.  Miletos,  Chalkis,  Korinthos,  Megara, 
welche  die  meisten  Colonien  gegründet  haben,  sind  im  VI.  Jahr- 
hundert grösser  und  blühender  als  jemals  zuvor.  Griechenland 
gelangt  in  dieser  Zeit  auf  den  Punkt,  der  regelmässigen  Zu- 
fuhr fremden  Getreides  zu  bedürfen  (oben  S.  30). 

Mit  dem  Ende  des  VI.  Jahrhunderts  kommt  die  Coloni- 
sationsthätigkeit  vorläufig  zum  Abschluss.  Aber  nichts  könnte 
verkehrter  sein,  als  daraus  auf  einen  Stillstand  der  Volksver- 
mehrung schliessen  zu  wollen.  Der  Grund  ist  vielmehr  einfach 
der,  dass  fast  alle  zu  Colonialgründungen  geeigneten  Gebiete 
bereits  mit  griechischen  Colonien  besetzt  waren.  Es  sind 
wahrlich  nicht  die  Ansiedler  gewesen,  an  denen  es  damals  ge- 
fehlt hat.  Wo  immer  im  Bereiche  der  griechischen  Welt  zur 
Erwerbung  eigenen  Grundbesitzes  Gelegenheit  war,  strömten 
sie  zu  Tausenden  herbei;  man  denke  an  Hierons  neu  gegrün- 
dete Stadt  Aetna,  an  Thurioi,  Amphipolis,  Herakleia  in  Italien, 
Epidamnos,  Herakleia  Trachinia.  Ueberhaupt  musste  der  fünfzig- 
jährige Frieden,  dessen  Griechenland  mit  wenigen  Unter- 
brechungen seit  dem  Ende  der  Perserkriege  genoss,  und  der 
wirtschaftliche  Aufschwung,  den  er  im  Gefolge  hatte4),  dem 
Anwachsen  der  Bevölkerung  sehr  förderlich  sein;  wie  denn 


>)  Thuk.  I 10.  11. 

*)  Ergo,  376  f. 

s)  Aristot.  Polit.  II  1272a:  rtQo;  tijv  ihyoair(ar  mg  wipfXiptor 
77  oXXa  7TKfUoa6(ft]X(V  <5  vouo!HiTji  xa\  nQog  rijr  Jtd£e v£iv  Ttöv  yvvaixtür, 
tva  fj.r)  7t  oXvtixvo'hh,  rijv  7T Qog  rovg  ctQptra;  7t oiijdaq  LuiXlar. 

*)  Vergl.  z.  B.  Diod.  XI  72. 


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Geschichte  der  Bevölkerung. 


493 


Thukydides  ausdrücklich  hervorhebt,  welch  zahlreiche  junge 
Mannschaft  in  Attika  und  im  Peloponnes  ums  Jahr  431  vor- 
handen war1). 

Noch  auf  andere  Weise  hat  in  dieser  Zeit  die  Bevölke- 
rung Griechenlands  einen  ansehnlichen  Zuwachs  erhalten.  Auf 
der  Stufe  wirtschaftlicher  Entwicklung,  die  in  den  homerischen 
Gedichten  geschildert  wird,  war  Hellas  im  wesentlichen  ein 
Land  freier  Arbeit,  die  Sklaverei  noch  von  sehr  untergeord- 
neter Bedeutung  im  Leben  der  Nation.  Wir  finden  wohl  ein- 
zelne Sklaven  und  namentlich  Sklavinnen  in  den  Häusern  der 
Reichen,  aber  noch  keinen  eigentlichen  Sklavenstand;  es  sind 
freie  Arbeiter,  von  denen  die  Felder  bestellt  oder  die  Hand- 
werke ausgeübt  werden.  Die  Erinnerung  an  diese  Zustände 
ist  auch  in  der  sonstigen  Ueberlieferung  lebendig  geblieben; 
Herodot  und  Timaeos  sprechen  von  einer  Zeit,  wo  die  Hellenen 
noch  keine  Sklaven  besassen2). 

Es  sind  die  Colonien  in  Asien,  die  ja  überhaupt  in  der 
wirtschaftlichen  Entwicklung  dem  Mutterlande  vorausgeeilt 
sind,  die  zuerst  begonnen  haben,  unfreie  Arbeiter  in  grösserem 
Maassstabe  zu  verwenden.  Begünstigt  wurden  sie  dabei  durch 
die  reichliche  Sklavenzufuhr  aus  den  nahen  Barbarenländern. 
Namentlich  Chios  hat  den  traurigen  Ruhm,  damit  den  Anfang 
gemacht  zu  haben8);  und  noch  zur  Zeit  des  peloponnesischen 
Krieges  stand  diese  Insel  unter  den  griechischen  Sklavenstaaten 
obenan.  Von  hier  aus  hat  die  Sklaverei  sich  dann  seit  dem 
Vn.  Jahrhundert  in  das  europäische  Griechenland  ausgebreitet : 
zuerst  natürlich  nach  den  grossen  Handels-  und  Industrie- 
städten am  saronischen  Golfe.  Bereits  Periandros  (um  600  v.  Chr.) 
soll  ein  Verbot  gegen  das  Halten  von  Sklaven  erlassen 
haben 4),  das  begreiflicher  Weise  ohne  dauernde  Wirkung  blieb ; 

')  Thuk.  II  8:  TOTf  Ji  xal  viöttjt  noXXtj  fth  ovoa  (v  rij  IJeXo- 
7iovvqOui,  noXXr)  (f  tv  rn/'f  siih]V(U<;. 

*)  Herod.  VI  187;  Timaeos  fr.  67. 

s)  Theopomp.  fr.  134 ; Poseidon,  fr.  89  = Nikolaos  von  Damaskos  fr.  79. 

*)  Aristoteles  und  Ephoros  bei  Herakleides  Pontikos  Poiü.  5 und 
Nikolaos  von  Damaskos  fr.  59;  vergl.  Busolt,  Lakedaemonier  I S.  205  f. 
A.  161. 


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494 


Capitel  XII. 


bald  wurde  Korinth  sprichwörtlich  durch  die  Menge  seiner 
Sklaven,  und  die  Nachbarstädte  Aegina,  Megara,  Athen,  die 
Colonie  Korkyra  sind  ihm  gefolgt.  Aber  in  dem  grösseren 
Theile  des  europäischen  Hellas  hat  die  Sklaverei  sich  im 
V.  Jahrhundert,  abgesehen  natürlich  von  den  Leibeigenschafts- 
verhältnissen in  Sparta,  Kreta,  Thessalien,  die  mit  der  Skla- 
verei im  eigentlichen  Sinne  des  Wortes  nicht  auf  eine  Linie 
zu  stellen  sind,  noch  nicht  ausgebreitet.  Thukydides  nennt 
den  Peloponnes  im  Gegensatz  zu  dem  sklavenhaltenden  Athen 
ein  Land  freier  Arbeit1).  In  Boeotien  gab  es  noch  zur  Zeit 
Alexanders  nur  wenige  Sklaven  (oben  S.  174),  und  in  Phokis 
und  Lokris  ist  die  Sklaverei  erst  um  diese  Zeit  eingedrungen 2). 

Die  Gesammtbevölkerung  der  griechischen  Halbinsel  ein- 
schliesslich Makedoniens  und  der  umliegenden  Inseln  zu  Anfang 
des  peloponnesischen  Krieges  wird  mit  ziemlicher  Sicherheit 
auf  rund  3 Millionen  veranschlagt  werden  können,  wovon  etwa 
1!e  Million  auf  die  Leibeigenen  in  Lakonien,  Thessalien,  Kreta 
und  etwa  ebenso  viel  auf  die  Sklaven  im  eigentlichen  Sinne 
des  Wortes  entfallen  mag.  Das  ergiebt  bei  einem  Flächen- 
raum von  etwa  115000  qkm  eine  Volksdichtigkeit  von  26  auf 
1 qkm.  Aber  diese  Bevölkerung  war  sehr  ungleich  vertheilt. 
Die  stärkste  Volksdichtigkeit  fand  sich  an  den  Ufern  des  sa- 
ronischen  Golfes,  wo  ja  auch  die  grössten  Städte  Griechen- 
lands, Athen  und  Korinth,  sich  erhoben.  In  Attika  kommen 
gegen  90,  in  Argolis  gegen  70  Einwohner  auf  1 qkm.  Auch 
Boeotien  mag  gegen  60  Bewohner  auf  1 qkm  gezählt  haben. 
Sonst  hatten  auf  dem  griechischen  Festlande  in  dieser  Zeit  nur 
etwa  die  eleiische  Tiefebene  und  das  Eurotasthal  eine  ähnliche 
Volksdichtigkeit  aufzuweisen.  Im  Peloponnes  mit  Ausschluss 
von  Argolis  werden  etwa  30  Menschen  auf  dem  qkm  gewohnt 
haben,  in  der  thessalisehen  Ebene  reichlich  ebenso  viel.  Da- 
gegen hatten  die  Gebirgslandschaften  westlich  von  Boeotien 
und  Thessalien  nur  eine  sehr  dünne  Bevölkerung,  und  dasselbe 

*)  Tliuk.  I 141 : auTouQyot  rt  j'«p  itai  nO-onorrrjaiot.  Es  ist  cha- 
rakteristisch, dass  diese  Stelle  bisher  sogut  wie  unbeachtet  geblieben  ist. 

*)  Timaeos  fr.  67,  oben  S.  175. 


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Geschichte  der  Bevölkerung. 


495 


gilt  von  Euboea  mit  Ausnahme  der  nächsten  Umgebung  von 
Chalkis  und  Eretria.  Die  Volksdichtigkeit  in  diesen  Gebieten 
mag  im  Mittel  15 — 20  auf  I qkm  betragen  haben,  und  ist  in 
Aetolien  noch  hinter  dieser  Zahl  zurückgeblieben.  Noch  viel 
schwächer  bewohnt  war  Ober-Makedonien,  wo  nicht  mehr  als 
6 Einwohner  auf  den  qkm  entfielen,  während  Nieder-Makedo- 
nien  und  die  Chalkidike  verhältnissmässig  recht  gut  bevölkert 
waren  (17  bezw.  32  auf  1 qkm),  und  die  fruchtbare  Halbinsel 
Pallene  mit  über  60  Einwohnern  auf  1 qkm  sogar  zu  den  best- 
bevölkerten Gebieten  in  Hellas  gehörte.  Auch  die  Kykladen 
und  die  jetzt  sogenannten  ionischen  Inseln  scheinen  eine  starke 
Bevölkerung  gehabt  zu  haben;  namentlich  Korkyra  hat  mit 
etwa  90  Einwohnern  auf  dem  qkm  alle  festländischen  Land- 
schaften ausser  Attika  an  Volksdichtigkeit  übertroffen. 

Für  die  Colonien  fehlen  uns  die  nöthigen  Grundlagen  zu 
einer  ähnlichen  Berechnung.  Da  indess  allein  die  sicilisch- 
italischen  Griechenstädte  eine  Bevölkerung  von  1 Million  oder 
darüber  gezählt  haben,  so  wird  die  Gesamnttbevölkerung  aller 
Colonien  am  Ende  des  V.  Jahrhunderts  kaum  viel  geringer, 
andererseits  aber  auch  nicht  wesentlich  höher  gewesen  sein  als 
die  Bevölkerung  des  Mutterlandes.  Nur  bildeten  in  den  Colo- 
nien  die  Sklaven  und  Leibeigenen  einen  viel  grösseren  Bruch- 
theil  der  Bevölkerung  als  im  eigentlichen  Griechenland. 

Man  hat  nun  behauptet,  dass  der  peloponnesische  Krieg 
einen  Rückgang  der  Volkszahl  zur  Folge  gehabt  habe.  Und 
wenigstens  für  Attika  ist  das  unzweifelhaft:  die  Bürgerzahl 
Athens  hat  nie  wieder  die  Höhe  erreicht  wie  vor  der  Pest  der 
Jahre  430—427,  und  auch  die  im  Jahre  432  vorhandene 
Sklavenzahl  ist  erst  in  der  demosthenischen  Zeit  wieder  er- 
reicht worden.  Aber  dieser  Rückschlag  war  in  weit  höherem 
Maasse  eine  Folge  der  Pest  als  des  Krieges;  und  die  Pest  blieb 
im  europäischen  Griechenland  im  wesentlichen  auf  Attika  be- 
schränkt1). Auch  hat  keine  zweite  griechische  Landschaft 
auch  nur  annähernd  so  viel  vom  Kriege  gelitten  wie  Attika. 
Ja  der  bei  weitem  grösste  Theil  Griechenlands  ist  von  den 


>)  Thuk.  II  47.  37. 


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496 


Capitel  XII. 


Verheerungen  des  Krieges  direct  so  gut  wie  gar  nicht  berührt 
worden.  Und  überhaupt  ist  es  eine  bekannte  Erfahrung,  dass 
selbst  viel  blutigere  Kriege,  als  der  peloponnesische  gewesen 
ist,  in  Zeiten  steigender  Volkswirthschaft  nicht  im  Stande  sind, 
die  Vermehrung  der  Bevölkerung  in  fühlbarem  Maasse  auf- 
zuhalten. 

Wir  haben  denn  auch  Beweise  genug  dafür,  dass  die  Be- 
völkerung Griechenlands  bis  auf  Alexander  im  beständigen 
Wachsen  geblieben  ist.  Demosthenes  spricht  es  als  eine  ganz 
unbezweifelte  Thatsache  aus,  dass  Griechenland  zu  seiner  Zeit 
unvergleichlich  stärker  bevölkert  sei,  als  zur  Zeit  der  Perser- 
kriege1). Eben  dahin  führt  die  Leichtigkeit,  mit  der  seit 
dem  Beginn  des  IV.  Jahrhunderts  grosse  Söldnermassen  in 
Hellas  zusammengebracht  werden.  Platon  und  Aristoteles  be- 
schäftigen sich  lebhaft  mit  der  Gefahr  einer  Uebervölkerung 
und  bringen  sehr  radicale  Maassregeln  zu  ihrer  Abwendung  in 
Vorschlag®).  Isokrates  weist  um  die  Mitte  dieses  Jahrhunderts 
(346)  Philippos  auf  die  Nothwendigkeit  hin,  dem  Unterschüsse 
der  griechischen  Bevölkerung  ein  Ventil  zu  öffnen  durch  die 
Eroberung  und  Colonisirung  von  Asien8).  Zwölf  Jahre  später 
wurde  dieser  Wunsch  durch  Alexandros  verwirklicht.  Die 
grossartige  Colonisationsthätigkeit  der  nächsten  50  Jahre  zeigt 
uns,  welch  gewaltige  Masse  überschüssiger  Volkskraft  Griechen- 
land noch  ums  Jahr  300  zu  Gebote  stand.  Sie  giebt  den  Be- 
weis, dass  es  keineswegs  ein  Stillstand  in  der  Volksvermehrung 
gewesen  ist,  der  die  Expansion  der  griechischen  Rasse  in  der 
Zeit  von  den  Perserkriegen  bis  auf  Alexander  gehemmt  hat, 
sondern  die  Ungunst  der  politischen  Verhältnisse.  Nur  ein 
Volk,  dessen  Zahl  in  rascher  Zunahme  begriffen  ist,  kann 
leisten,  was  Griechenland  in  dem  halben  Jahrhundert  nach 
Alexander  geleistet  hat. 


*)  Demosth.  Phil.  III  40:  Intl  rpt yt  xal  aatpanav  nXij9o(,  xal 
/Qtjfjnjuv  xal  rijt  llXltji  7i a(>uoxtvi)c  aif>9ov(a  xal  rälXa,  oi ; av  ne 
laxvtiv  to f noltti  xp/vot,  vvv  anaot  xal  Tiltlbi  xal  pf((<o  An!  näv 
TOT«  7toXXt{/. 

*)  Vergl.  Malthus,  Principle  of  pojnilation  book  I ch.  13. 
a)  Isokr.  Philippos  120  f. 


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Geschichte  der  Bevölkerung. 


497 


Auch  die  Sklaverei  hat  in  Griechenland  während  des 
IV.  Jahrhunderts  an  Boden  gewonnen.  Von  den  Grossstädten 
am  saronischen  Golfe  verbreitet  sie  sich  in  diesem  Zeiträume 
über  die  ganze  Halbinsel;  der  Unterschied  zwischen  Staaten 
mit  freier  Arbeit  und  Sklavenarbeit  verschwindet1).  Die  Folge 
dieser  Bewegung  musste  selbstverständlich  eine  bedeutende 
Vermehrung  der  Sklavenzahl  im  europäischen  Griechenland  sein. 

Wenn  also  die  griechische  Halbinsel  im  Jahre  432  etwa 
3 Millionen  Einwohner  gezählt  hat,  so  ist  diese  Zahl  in 
Alexanders  Zeit  weit  überschritten  worden.  Die  ziffer- 
mässige  Bestimmung  dieser  Vermehrung  ist  allerdings  kaum 
möglich,  schon  deswegen,  weil  wir  Uber  die  Bevölkerungszahl 
Griechenlands  im  V.  Jahrhundert  nur  ganz  ungefähr  unter- 
richtet sind.  Das  Gesammtaufgebot  der  hellenischen  Bundes- 
staaten Philipps,  d.  h.  Griechenlands  südlich  vom  Olympos, 
mit  Ausnahme  Spartas  und  wohl  auch  von  Epeiros,  soll  im 
Jahre  337  200000  Mann  zu  Fuss  und  15000  Reiter  betragen 
haben3).  Dass  der  korinthische  Bund  ebenso  wie  der  thessa- 
lische 8)  seine  Heeresmatrikel  gehabt  hat,  ist  unzweifelhaft ; um 
so  mehr,  ob  unsere  Angabe  auf  dieser  Matrikel  beruht. 
Allerdings  muss  die  Zahl  der  Reiter,  die  Griechenland  in  dieser 
Zeit  aufstellen  konnte,  15000  wenigstens  nahe  gekommen  sein; 
dass  aber  die  Hoplitenzahl  der  griechischen  Staaten  200000 
bei  weitem  nicht  erreicht  hat,  können  wir  mit  voller  Sicherheit 
aussprechen.  Bei  der  trüben  Quelle,  der  wir  die  Angabe  ver- 
danken, ist  es  unmöglich,  irgend  welche  statistische  Folgerungen 
daraus  zu  ziehen.  Immerhin  werden  wir  die  Gesammtbevölke- 
rung  der  Halbinsel  zur  Zeit  der  Schlacht  bei  Chaeroneia  auf 
etwa  4 Millionen  Einwohner  veranschlagen  können,  wovon 
2Va  Millionen  Freie  und  1 V*  Millionen  Sklaven  und  Leib- 
eigene. 

Seit  Alexanders  Eroberungen  ergiesst  ein  starker  Strom 


l)  Vergl.  die  delphischen  Freilassungsurkunden  für  die  Staaten  des 
westlichen  Mittelgriechenland;  für  den  Peloponnes  s.  oben  S.  157. 
s)  Justin.  IX  5,  6. 

8)  Xen.  Hell  VI  1,  8;  2,  19:  s.  oben  S.  199. 

Belocb,  Bevöfterangslehre.  I.  32 


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498 


Capitel  XII. 


hellenischer  Auswanderung  sich  über  den  Orient.  Und  bald 
verdrängt  der  Aufschwung  der  neuen  Colonialländer  im  Osten 
das  griechische  Mutterland  aus  seiner  bisherigen  Stellung  als 
industrielles  und  commercielles  Centrum  der  civilisirten  Welt: 
der  Glanz  von  Athen  und  Korinth  verblasst  vor  dem  Glanz 

• 

von  Alexandrien  und  Antiochien.  Die  griechische  Halbinsel 
hatte  schon  längst  eine  grössere  Bevölkerung,  als  sie  aus 
eigenen  Mitteln  zu  ernähren  vermochte;  es  ist  begreiflich, 
dass  die  Volksvermehrung  jetzt  zum  Stocken  kommt,  mit  Aus- 
nahme etwa  der  Landschaften  im  NW.,  Aetolien  und  Epeiros, 
die  erst  seit  Alexander  der  Cultur  erschlossen  wurden.  Aber 
es  scheint  nicht,  dass  die  Bevölkerung  des  eigentlichen 
Griechenland  bis  auf  die  ersten  römischen  Zeiten  sich  wesent- 
lich vermindert  hätte.  Der  epeirotische  Bund  zählte  im  Jahre 
168  auf  etwa  8000  qkm  eine  Bevölkerung  von  300000  Ein- 
wohnern oder  38  auf  1 qkm1).  Es  ist  nicht  wahrscheinlich, 
dass  das  epeirotische  Bergland,  ein  Gebiet  ohne  Handel  und 
Industrie  und  ohne  jeden  grösseren  städtischen  Mittelpunkt, 
dichter  oder  auch  nur  ebenso  dicht  bewohnt  gewesen  sei,  wie 
der  Peloponnes  oder  Mittelgriechenland:  während  andererseits 
allerdings  Makedonien  eine  dünnere  Bevölkerung  gehabt  haben 
wird,  als  Epeiros.  Rechnen  wir  demnach  die  Dichtigkeit  von 
38  Einwohnern  auf  1 qkm  als  Durchschnitt  für  die  ganze 
griechische  Halbinsel  und  die  umliegenden  Inseln,  so  ergiebt 
sich  auf  115000  qkm  eine  Bevölkerung  von  4370000.  Lassen 
wir  Makedonien  unberücksichtigt,  so  ergiebt  sich  für  den  Rest 
des  europäischen  Griechenland  immer  noch  eine  Bevölkerung 
von  über  3 Millionen,  gegenüber  etwa  2 V«  Millionen  im  V.  Jahr- 
hundert. Es  bedarf  keiner  Bemerkung,  auf  wie  unsicherer 
Basis  diese  Berechnung  ruht,  aber  sie  wird  durch  die  Ergeb- 
nisse der  Einzelforschung  bestätigt. 

Erst  im  U.  Jahrhundert  beginnt  eine  fühlbare  Abnahme 
der  Bevölkerung,  und  zwar,  wie  Polybios  ausdrücklich  hervor- 
hebt, trotz  des  herrschenden  Friedens,  und  obgleich  Griechen- 
land in  dieser  Zeit  von  ansteckenden  Krankheiten  verschont 


>)  Oben  S.  195  f. 


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Geschichte  der  Bevölkerung. 


499 


blieb1).  Und  diese  Volksabnahme  hat  fortgedauert  bis  in  die 
Kaiserzeit,  befördert  durch  die  Kriege,  deren  Schauplatz  Griechen- 
land im  letzten  Jahrhundert  der  Republik  bildete2).  Freilich 
sind  die  Klagen  über  den  Verfall  mitunter  sehr  übertrieben; 
die  Inschriften  zeigen  vielmehr,  dass  noch  im  I.  mid  II.  Jahr- 
hundert nach  unserer  Zeitrechnung  ein  kräftiges  Municipalleben 
in  vielen  Theilen  Griechenlands  heirschte.  Athen  hat  unter 
den  Antoniuen  dieselbe,  ja  eine  höhere  Ephebenzahl  als  vor 
der  Katastrophe  des  mithradatischen  Krieges;  Messene  muss 
nach  einer  Ephebeninschrift  aus  131  n.  Chr.  gegen  5000  Bür- 
ger gezählt  haben.  Abfer  dass  die  Bevölkerung  Griechenlands 
in  dieser  Zeit  in  der  That  sehr  gesunken  war,  ist  allerdings 
unbestreitbar. 

Während  so  die  Volksvermehrung  seit  Alexander  im  eigent- 
lichen Hellas  zum  Stillstand  kam,  beginnt  für  den  neu  erschlos- 
senen Orient  eine  Periode  des  glänzendsten  Aufschwungs. 
Kleinasien  und  Syrien  füllen  sich  mit  hellenischen  Städten. 
Die  Bevölkerung  von  Aegypten  hat  sich  zwischen  300  v.  Chr. 
und  70  n.  Chr.,  wenn  unsere  Angaben  richtig  sind,  von  3 Mil- 
lionen auf  etwa  8 Millionen  vermehrt.  Wie  stark  die  Bevöl- 
kerung in  Syrien  an  wuchs,  zeigt  die  Ausbreitung  der  Juden 


*)  Polyb.  37,  4,  4:  Intayhv  iv  xoig  xu&'  tjuclg  xtapoig  T i)V  'EXXüäu 
nüauv  unaidiu  xal  ovXXrjßdriv  uXiyurfhjamla,  dt  ijv  ui  xt  noXtig  ffijpij- 
fxutO-nauv  xal  utf  oylav  tlvai  ovrfßuxvt , xalnlq  ovxe  noitfAwv  avyrmr 
(ayrixoitüv  tjuiig  avxt  l.otuixon1  7t f-ninj unfair . Ueber  die  Entvölkerung 
Thessaliens  am  Ende  des  III.  Jahrhunderts  s.  Philipps  Brief  an  die 
Larisaeer  (Cöllnitz,  Dial.-Imchr.  I 345,  oben  S.  201);  in  Makedonien  selbst 
musste  Philipp  nach  Kynoskephalae  die  Kinderzacht  durch  gesetzliche 
Maassregeln  befördern  (Liv.  39,  24). 

®)  Plut.  über  den  Verfall  der  Orakel  S.  414a:  r ijg  xotvrjg  ohyardytu {, 
fjv  ul  txqÜx(qui  axuoug  xul  ot  nöXeuoi  7x(qI  xtüauv  üfioO  re  xr/v  olxov- 
fxi vxjv  änttoyttoavxo,  nXiiaxov  utoog  rj  'EXXug  jjtx(rsyx\xt  ' xal  uohg  uv 
vOv  oXx)  naQaoyoi  rgiayiXlovg  onXtxu g,  Saovg  ij  Mtyagitov  uta  noXig 
iterxifiipcv  ils  IlXaxatfag.  Dion  Chrysost.  II  S.  11:  oiy  6 Hrjvtibg  dt 
Iqx\uov  (lei  BixxaXiug , ovy  6 AüSmv  Siü  tx,g  IdQxaälug  uvaoxaxov 
yevo/xtvrjs;  Ueber  Euboea  ebenda  I S.  233.  Strabon  ist  voll  von  ähnlichen 
Klagen:  VII  325,  VIII  388  von  Aetolien  und  Akamanien,  VII  322,  IX 
429  von  Epeiros,  VIII  362  von  Lakonien,  VIII  388  von  Arkadien,  VIII  403 
von  Boeotien.  Vergl.  Clinton,  Faxti  Hell.  II 2 S.  432  f. 

32* 


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500 


Capitol  XII. 


auf  alle  Nachbarländer,  die  in  dieser  Periode  erfolgte.  Klein- 
asien und  Syrien  haben  in  dieser  Zeit  die  ganze  Welt  mit 
Sklaven  versorgt.  Wohl  mögen  die  Krisen  der  mithradatischen 
Kriege  einen  Stillstand  oder  auch  Rückgang  gebracht  haben; 
aber  in  der  Kaiserzeit  finden  wir  die  Bevölkerung  dieser  Ge- 
biete wieder  im  Fortschritt,  namentlich  im  inneren  und  nörd- 
lichen Kleinasien,  das  bisher  wenig  Antheil  an  der  Culturent- 
wicklung  genommen  hatte. 

Wenden  wir  uns  jetzt  nach  dem  Westen.  Die  Bevölkerungs- 
verhältnisse Siciliens  haben  sich  im  allgemeinen  parallel  mit 
denen  des  Mutterlandes  entwickelt,  nur  dass  der  Verfall  hier, 
in  Folge  der  punischen  Kriege,  schon  etwas  früher  begonnen 
hat,  dann  aber  im  II.  Jahrhundert  eine  Periode  der  Nachblüthe 
folgt,  in  der  das  Deficit  der  freien  Bevölkerung  durch  eine 
grossartige  Sklaveneinfuhr  ausgefüllt  wird.  Unter-Italien  muss 
im  V.  Jahrhundert  ziemlich  bevölkert  gewesen  sein,  wenn  auch 
kaum  so  stark  wie  Sicilien.  Die  Fortschritte  der  Brettier  im 
IV.  Jahrhundert,  später  der  hannibalische  Krieg  haben  diese 
Blüthe  geknickt.  Die  griechischen  Städte  sanken  unaufhaltsam ; 
seitdem  ist  Grossgriechenland  eine  der  menschenleersten  Land- 
schaften in  Italien. 

Die  ganze  italische  Halbinsel  südlich  des  Apennin  hat  bis 
zum  Ausbruch  des  haimibalischen  Krieges  eine  freie  Bevölke- 
rung von  etwa  2 1la  Millionen  gezählt ; einschliesslich  der  Skla- 
ven werden  etwas  über  3 Millionen  anzunehmen  sein,  oder 
22 — 24  auf  1 qkm.  Und  es  scheint  nach  den  Ergebnissen  des 
römischen  Census,  dass  diese  Bevölkerung  im  IV.  Jahrhundert 
nicht  schwächer,  vielleicht  sogar  noch  etwas  stärker  gewesen 
ist,  wie  wir  es  bei  den  unaufhörlichen  blutigen  Kriegen,  welche 
die  römische  Hegemonie  begründet  haben,  auch  kaum  anders 
erwarten  dürfen.  Der  hannibalische  Krieg  hat  einen  weiteren 
Rückschlag  gebracht.  Die  römische  Bürgerliste  sank  von 
273000  im  Jahre  229  auf  214000  im  Jahre  203;  und  da  die 
Bundesgenossen  durch  den  Krieg  noch  schwerer  gelitten  hatten, 
als  die  Römer  selbst,  wird  ihre  Zahl  mindestens  in  glei- 
chem Verhältniss  abgenommen  haben.  Allerdings  traf  der  Ver- 
lust die  waffenfähigen  Männer  in  viel  stärkerem  Maasse  als 


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Geschichte  der  Bevölkerung. 


501 


die  Gesanuntbevölkerung , so  dass  der  hannibalische  Krieg  die 
Volkszahl  Italiens  doch  nur  um  wenige  hunderttausend  Köpfe 
vermindert  haben  kann.  Und  jedenfalls  ist  das  Deficit  sehr  bald 
ausgeglichen  worden.  Schon  im  Jahre  178  ist  die  vor  dem 
Kriege  vorhandene  Bürgerzahl  wieder  erreicht.  Die  nächsten 
Aufnahmen  weisen  eine  weitere  Steigerung  auf,  bis  zu  der 
von  164  3,  die  337000  Bürger  ergeben  hat,  entsprechend 
einer  bürgerlichen  Bevölkerung  von  reichlich  einer  Million,  aller- 
dings bei  gegen  229  bedeutend  erweiterten  Grenzen.  Es  ist  nicht 
wahrscheinlich,  dass  die  Latiner  und  Bundesgenossen,  deren 
Gebiet  durch  den  hannibalischen  Krieg  eine  bedeutende  Schmä- 
lerung erlitten  hatte,  die  durch  die  Gründung  der  latinischen 
Colonien  im  diesseitigen  Gallien  keineswegs  ausgeglichen  war, 
sieh  im  selben  Verhältniss  vermehrt  haben  sollten;  sie  mögen 
etwa  den  Bevölkerungsstand  vor  dem  hannibalischen  Kriege 
wieder  erreicht  haben. 

Damit  ist  für  jetzt  der  Höhepunkt  der  freien  Bevölkerang 
erreicht,  und  es  beginnt  eine,  wenn  auch  zunächst  noch  sehr 
unbedeutende  Abnahme.  Die  Zählungen  von  135  und  130  er- 
gaben nur  318000  römische  Bürger,  ein  Resultat,  das  die 
Staatsmänner  der  Zeit  ernstlich  beunruhigte  und  zum  Theil 
die  gracchischen  Reformen  veranlasst  hat.  Die  Bürgerkriege 
haben  eine  weitere  Verminderung  gebracht:  im  Jahre  69,  als 
ganz  Italien  diesseits  des  Padus  das  römische  Bürgerrecht  er- 
halten hatte,  wurden  910000  Bürger  gezählt,  oder  eine  bürger- 
liche Bevölkerung  von  2 Vs  bis  2aU  Millionen  Einwohnern.  Und 
diese  Verminderung  hat  bis  auf  den  Anfang  von  Augustus’  Re- 
gierung fortgedauert,  wie  die  Gesetze  beweisen,  die  Augustus 
zur  Hebung  der  Bürgerzahl  erlassen  hat.  Aber  das  Deficit 
wurde  reichlich  ersetzt  durch  die  beständig  wachsende  Sklaven- 
zahl. So  mag  Italien  einschliesslich  der  Transpadana  am  An- 
fang von  Augustus'  Alleinherrschaft  etwa  5 Vs  Millionen  Ein- 
wohner gezählt  haben,  gegenüber  vielleicht  4 Millionen  in 
Hannibals  Zeit.  Die  Friedensperiode  der  ersten  Kaiserzeit  hat 
dann  wieder  eine  Vermehrung  auch  der  freien  Bevölkerung 
gebracht,  so  dass  Italien  unter  Claudius  wohl  an  7 Millionen 
Einwohner  gezählt  hat. 


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502 


Capitel  XII. 


Noch  grösser  muss  der  Zuwachs  der  Bevölkerung  während 
der  Kaiserzeit  in  den  westlichen  und  nördlichen  Barbarenlän- 
dern gewesen  sein,  denen  erst  die  römische  Eroberung  eine 
höhere  Gesittung  gebracht  hat.  Wie  in  Asien  nach  Alexander, 
so  wachsen  jetzt  hier  überall  Städte  aus  dem  Boden,  die  zum 
Theil  in  kurzer  Zeit  zu  bedeutender  Blüthe  gelangt  sind.  Aber 
es  fehlen  uns  die  Mittel,  um  die  Höhe  dieser  Vermehrung 
in  Zahlen  auszudrücken. 

Dafür  ist  es  jetzt  möglich , wenigstens  zu  einer  annähern- 
den Schätzung  der  Volkszahl  der  civilisirten  Welt,  oder  doch 
der  Länder  am  Mittelmeer  zu  gelangen.  Die  Gesammtbevöl- 
kerung  des  römischen  Reichs  bei  Augustus’  Tode  wird  auf 
50—60  Millionen  Einwohner  zu  veranschlagen  sein,  wovon 
etwa  2/s  auf  die  europäischen  Provinzen  entfallen.  Die 
Gebiete  jenseits  des  Rhein  und  der  Donau  können  un- 
möglich eine  bedeutende  Bevölkerung  gehabt  haben,  so  dass 
ganz  Europa  um  den  Anfang  unserer  Zeitrechnung  die  Zahl 
von  30  Millionen  Einwohnern  schwerlich  erreicht  hat.  — 

Soweit  der  Thatbestand.  Eine  eingehende  Erörterung  der 
Ursachen,  von  denen  die  Bevölkerungsbewegung  während  des 
Alterthums  bestimmt  worden  ist,  muss  ich  mir  an  dieser  Stelle 
versagen.  Diese  Frage  muss  von  einem  höheren  Standpunkte 
aus  behandelt  werden;  ihre  Lösung  wird  erst  dann  versucht 
werden  können,  wenn  die  Bevölkerungsgeschichte  der  letzten 
5 bis  6 Jahrhunderte  näher  erforscht  sein  wird1).  Für  jetzt 
nur  einige  allgemeine  Bemerkungen,  mehr  uin  die  Probleme 
zu  bezeichnen,  als  sie  zu  lösen. 

Allen  organischen  Wesen  wohnt  der  Trieb  inne,  ihre  Art 
zu  vermehren,  soweit  es  die  gegebenen  Existenzbedingungen 
gestatten.  Unter  günstigen  Verhältnissen  also  wird  jede  Be- 
völkerung an  Zahl  fortschreiten.  Es  bedarf  demnach  keiner 
weiteren  Erklärung,  wenn  die  Bevölkerung  Griechenlands  bis 
zum  Ende  des  IV.  Jahrhunderts  in  beständigem  Wachsen  ge- 
blieben ist.  Wenn  aber  diese  Vennehrung  im  III.  Jahrhundert 
zum  Stillstand  kommt,  um  im  II.  Jahrhundert  einer  Vermin- 


*)  Das  wird  die  Aufgabe  des  II.  Theils  dieser  Studien  sein. 


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Geschichte  der  Bevölkerung.  503 

(lerung  Platz  zu  machen,  wenn  dieselbe  Erscheinung  sich  auch 
in  Italien  zeigt  und  durch  das  ganze  I.  Jahrhundert  hindurch 
andauert,  so  haben  wir  hier  ein  Problem,  das  die  Aufmerksam- 
keit des  Historikers  in  hohem  Grade  verdient,  und  das  denn 
auch  bereits  bei  den  Zeitgenossen  volle  Beachtung  gefunden 
hat.  Da  die  Erscheinung  eine  allgemeine  ist,  müssen  ihr  auch 
Ursachen  von  allgemeiner  Wirkung  zu  Grunde  liegen.  Wir 
dürfen  also  nicht  die  römische  Herrschaft  mit  ihrem  politischen 
und  wirthschaftlichen  Drucke  zur  Erklärung  heranziehen,  ganz 
abgesehen  davon , dass  die  Abnahme  der  Bevölkerung  in 
Griechenland  schon  in  einer  Zeit  beginnt,  wo  die  ganze  Halb- 
insel noch  von  der  Fremdherrschaft  frei  war.  Ebenso  wenig 
können  Kriege  die  Ursache  sein,  denn  die  alte  Welt  hat  nie 
zuvor  eine  ruhigere  Zeit  gehabt  als  die  Periode  von  den  Siegen 
der  Römer  über  Antiochos  und  Aetolien  bis  zum  marsischen 
und  ndthradatisehen  Kriege.  Auch  von  verheerenden  Krank- 
heiten sind  die  Mittelmeerländer  in  dieser  Zeit  frei  gewesen 1). 
Dem  Verfall  der  Sitten,  über  den  in  alter  und  neuer  Zeit  so 
viel  declamirt  worden  ist2),  werden  wir  gleichfalls  die  Schuld 
nicht  zuschieben  dürfen,  denn  es  ist  doch  sehr  fraglich,  ob  die 
griechische  Gesellschaft  im  II.  Jahrhundert  corrumpirter  ge- 
wesen ist  als  im  IV.,  und  was  Italien  angeht,  so  hat  sich  die 
römische  Bürgerzahl  im  I.  Jahrhundert  der  Kaiserzeit  beträcht- 
lich vermehrt,  obgleich  die  Moralität  damals  gewiss  nicht  höher 
stand  als  im  letzten  Jahrhundert  der  Republik.  Auch  bleiben 
die  Folgen  der  Corruption  im  wesentlichen  auf  die  oberen 
Klassen  beschränkt  und  lassen  die  breiten  Schichten  der  Be- 
völkerung unberührt.  Dieses  Anwachsen  der  Bevölkerung  in 
der  ersten  Kaiserzeit  zeigt  auch,  dass  die  Verminderung  in  den 
letzten  beiden  Jahrhunderten  vor  unserer  Zeitrechnung  keines- 
wegs von  abnehmender  Vitalität  herrührt  — Völker  bleiben 
überhaupt  ewig  jung , nur  menschliche  Einrichtungen  altern. 
Die  Alten  selbst  wollten  das  Schwinden  der  Bevölkerung  von 
der  überhandnehmenden  Ehelosigkeit  und  Beschränkung  der 


>)  Polyb.  87,  4,  4. 

2)  Zuletzt  in  widerlicher  Breite  von  Zumpt  in  der  mehrfach  citirten 
Abhandlung. 


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504 


Capitel  XII. 


Kinderzahl  herleiten1);  es  bedarf  keiner  Bemerkung,  dass  sie 
das  Symptom  mit  der  Ursache  verwechselt  haben. 

Die  wahren  Gründe  müssen  tiefer  gesucht  werden.  In 
erster  Linie  darunter  steht  offenbar  das  beständige  Ueberhand- 
nehmen  der  Sklaven wirthsrhaft.  Als  Mnason  von  Elateia  1000 
Sklaven  nach  Phokis  einführte,  das  bis  dahin  ein  Land  freier 
Arbeit  gewesen  war,  da  warfen  ihm  seine  Mitbürger  vor,  dass 
er  1000  freie  Leute  um  ihr  tägliches  Brot  gebracht  habe2). 
Die  öffentliche  Meinung  war  im  Rechte.  Jeder  Sklave,  der 
nach  Griechenland,  nach  Sicilien,  nach  Italien  eingeführt  w urde, 
musste  den  Nahrungsspielraum  der  freien  Bevölkerung  ein- 
engen. Und  eine  Concurrenz  mit  der  billigen  Sklavenarbeit 
wrar  für  den  freien  Arbeiter  unmöglich.  Er  mochte  froh  sein, 
wenn  es  ihm  gelang,  sein  eigenes  Leben  zu  fristen ; wie  hätte 
er  daran  denken  können,  eine  Familie  zu  begründen  und 
Kinder  aufzuziehen?  Und  die  beständig  zunehmende  Concen- 
trirung  des  Besitzes  in  wenigen  Händen  sorgte  dafür,  dass 
immer  mehr  Bürger  zu  Proletariern  herabsanken. 

Wir  sehen  denn  auch,  dass,  so  wie  ein  antiker  Staat  zur 
Sklavenwirthschaft  übergeht,  die  Vermehrung  der  freien  Be- 
völkerung zum  Stillstand  kommt.  Das  älteste  Beispiel  dafür 
bietet  Attika.  In  der  Zeit  zwischen  den  Perserkriegen  und  dem 
peloponnesischen  Kriege  hat  sich  den  Bürgerzahl  Athens  in 
starkem  Maasse  vermehrt,  imgeachtet  der  verlustvollen  Kämpfe, 
die  der  Staat  in  dieser  Periode  fast  ununterbrochen  zu  bestehen 
hatte.  In  derselben  Zeit  hat  Athen  angefangen,  Sklaven  in 
grosser  Zahl  in  Ackerbau  und  Industrie  zu  verwenden,  und 
jetzt  vermag  es  die  freie  Bevölkerung  nicht  mehr,  die  Verluste 
durch  die  Pest  und  den  peloponnesischen  Krieg  auszugleichen; 
die  Bürgerzahl  bleibt  vielmehr  durch  das  ganze  IV.  Jahrhundert 

*)  Polyb.  37,  4,  6:  to'iv  yctn  ärOQiöniüV  tig  aX'a(ovetav  xai  </ 1X0- 
/orjfjoavrTjv , (Ti  <Jt  $if9vfx(itv  txTiTQauutrwr , xal  ßot’Xo/ufyoiv  urjxc 
yajxtiv  ut]t\  fäv  yäfitoai,  ra  yiyvd/jera  x(xvn  To(t(ttv , uXXtt  fjöh;  h • 
Ttöv  nXtlaicov  rj  <fvo,  %cIqiv  roß  nXovatovg  tovtov;  xajaXimiv,  xai 
anaicüiüvTttq  &Qei[/tu,  ra/t tu;  HXct&e  j 6 xctxov  au^&iv  xtX.  Dieser  Glaube 
hat  die  Ehegesetzgebung  des  Augustus  veranlasst,  die  übrigens  in  den 
Maassnahmen  Philipps  nach  der  Schlacht  bei  Kynoskephalae  ein  Vorbild 
gehabt  hat  (Liv.  39,  24,  oben  S.  210). 

2)  Oben  S.  175. 


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i 


Geschichte  der  Bevölkerung. 


505 


annähernd  stationär.  Im  IV.  Jahrhundert  begann  die  Sklaven- 
wirthschaft  sich  über  den  Peloponnes  und  das  westliche 
Mittelgriechenland  auszubreiten,  und  nun  ist  es  auch  hier  mit 
der  Volksvermehrung  vorbei.  In  Italien  fällt  der  Uebergang 
von  der  freien  Arbeit  zur  Sklavenarbeit  in  die  Zeit  gleich 
nach  dem  hannibalischen  Kriege.  Auch  hier  ist  die  Folge 
dieselbe:  die  Censuszahlen , die  bis  zum  Jahre  164/3  in  be- 
ständigem Steigen  geblieben  waren,  fangen  zu  sinken  an, 
und  da  die  Censuszahlen  nur  die  Männer  von  über  16—17 
Jahren  umfassen,  so  müssen  bereits  16—17  Jahre  vor  1643, 
also  um  180,  unter  der  freien  Bevölkerung  Italiens  die  Sterbe- 
falle die  Geburten  überwogen  haben. 

Dass  also  ein  Zusammenhang  besteht  zwischen  der  Ver- 
mehrung der  Sklavenzahl  und  der  Verminderung  der  freien 
Bevölkerung,  wird  nicht  in  Abrede  zu  stellen  sein.  Natürlich 
behaupte  ich  nicht,  dass  keine  anderen  Ursachen  dabei  mit- 
gewirkt haben;  ist  doch  die  Bewegung  der  Bevölkerung  das 
Resultat  aller  Factoren,  die  im  wirtschaftlichen  Leben  eines 
Volkes  wirksam  sind.  Aber  gegenüber  dem  Vordringen  der 
Sklavenwirthschaft  hat  alles  andere  nur  secundäre  Bedeutung. 
Wenn  dann  in  der  ersten  Kaiserzeit  wieder  eine  Vermehrung 
der  freien  Bevölkerung  erfolgt  ist,  so  ist  das  allerdings  zum 
Theil  eine  Folge  der  Wiederkehr  ruhiger  Zustände  und  der 
Eröffnung  so  weiter  Colonisationsgebiete  in  Westen  und  Norden; 
nicht  zu  vergessen  ist  aber  auch,  dass  die  Masseneinfuhr  von 
Sklaven  aus  dem  Osten,  wie  sie  in  der  letzten  republikanischen 
Zeit  stattgefunden  hatte,  jetzt  aufhört,  und  also  die  Sklaverei, 
wenn  sie  auch  zunächst  ihr  altes  Terrain  noch  behauptete,  doch 
wenigstens  keinen  neuen  Boden  gewann. 


Zum  Schluss  möge  es  mir  im  Interesse  der  leichteren 
Orientirung  gestattet  sein,  die  hauptsächlichsten  Resultate  der 
vorstehenden  Untersuchungen  in  der  Form  zweier  Tabellen 
zusammenzustellen.  Ein  solcher  Versuch  hat  freilich  sein  miss- 
liches, da  er  die  Nüthigung  mit  sich  bringt,  überall  wohl  oder 
übel  eine  bestimmte  Zahl  auszusprechen.  Der  Leser  möge  sich 
erinnern,  dass  alle  hier  aufgestellten  Zahlen  nur  Annäherungs- 
werthe  ausdrücken,  und  dass  keineswegs  alle  diese  Zahlen  unter 
einander  gleichwerthig  sind. 


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506  Capitel  XII. 


I.  Griechenland  um  432  v.  Chr. 


Nachweis 
auf  Seite 

Areal  in 
qkm 

Be- 

völkerung 

davon 
Sklaven  od. 
Leibeigene 

Bewohner 
auf 
1 qkm 

Peloponnes  . . . 

| • 

22300 

890  000 

350  000 

39 

Argolis1) 

Arkadien 

114.123. 150. 

4 185 

335  000 

175  000 

78 

112.  129. 

4 700 

160  000 

— 

34 

Achaia 

112.  129. 

2 335 

75  000 

— 

32 

Eleia 

Lakonien  und 

112.  130. 

2 660 

90  000 

— 

34 

Messenien  . . . 
Mittel  - Griechen- 

1 114.  148. 

8 418 

230  000 

175  000 

27 

land 

9172 

485  000 

170  IRK) 

53 

Attika 

56.  99. 

2 647 

235  000 

100000 

89 

Megan  s 

161. 173. 174. 

470 

40  000 

20000 

85 

Boeotien 

161.  174. 

2 580 

150  000 

50  000 

58 

Phokis,  Doris,  I.okris 

161.  175. 

8 475 

60000 

— 

17 

Inseln  im  Osten  . 

15532,4 

400000 

170  IXM> 

26 

Euboea 

177.  180. 

3592,3 

60  000 

20000 

17 

nördliche  Sporaden 

177.  180. 

606,8 

10  000 

— 

17 

Kykladen 

177.  181. 

2 701,4 

130  000 

50000 

48 

Kreta  *) 

West  - Griechen- 

159.  160. 

8 631,9 

200  000 

100  000 

23 

land 

19  702,9 

416  000 

40  000 

16 

Aetolien 

185.  187. 

4 775 

60  000 

— 

13 

Akarnanien  .... 

185.  189. 

1585 

80000 

— 

19 

Amphilochien  . . . 

185.  190. 

470 

6 000 

— 

13 

Epeiros*) 

185.  197. 

10  500 

200  000 

— 

19 

Korkyra 

184.  192. 

770,6 

70  000 

40000 

91 

die  übrigen  Inseln  . 

185.  190. 

1 602,3 

50  000 

— 

30 

Thessalien  .... 

15800 

460  000 

250  000 

29 

Tetrarchien  .... 
Magnesia,  Perrhaebia, 
Malis  etc 

198.  201. 

9 790 

350  000 

250000 

36 

198.  201. 

4 710 

95  000 

— 

20 

Dolopia 

198.  201. 

1300 

15000 

— 

12 

Makedonien4).  . . 

32000 

400  000 

25000 

12,5 

Chalkidikc  .... 

202.  205. 

4 000 

100  000 

25  000 

25 

Nieder- Makedonien 

202.  213. 

12000 

200  000 

— 

17 

Ober  - Makedonien 

202.  213. 

16  000 

100  000 

— 

6 

Griechenland  zusammen 

114  500 

3 051  000 

1005000«) 

26,6 

*)  Die  Sklaven  von  Aegina,  die  oben  3.  150  nicht  eingerechnet  sind,  sind  hier  mit 
50000  in  Ansatz  gebracht  (vergl.  S.  05  f.),  was  wahrscheinlich  noch  xu  hoch  ist,  da  die 
Insel  bereits  im  Verfall  war. 

*)  Kreta  hatte  bekanntlich  eine  sehr  beträchtliche  Zahl  von  Leibeigenen.  Der  An* 
tatz  auf  die  Hälfte  der  Gesammtbevölkerung  ist  nur  Hypothese. 

8)  Epeiros  muss  im  V.  Jahrhundert  eine  bedeutend  geringere  Bevölkerung  gehabt 
haben  als  im  Anfang  des  II.  In  Ermangelung  bestimmter  Angaben  ist  die  Volksdichtig- 
keit des  benachbarten  Akarnanien  zu  Grunde  gelegt  worden.  Vielleicht  ist  die  so  er- 
haltene Zahl  noch  etwas  zu  hoch. 

4)  Auch  die  Einwohnerzahl  Makedoniens  mag  im  V.  Jahrhundert  etwas  niedriger 
gewesen  sein  als  hier  angenommen. 

5)  Da  es  auch  in  den  Staaten  mit  vorwiegend  freier  Arbeit  an  Sklaven  nicht 
gänzlich  fehlte,  so  ist  diese  Zahl  etwas  zu  niedrig. 


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. 


Geschichte  der  Bevölkerung. 


507 


II.  Das  römische  Reich  bei  Augustus’  Tode. 


| Nachweis 
auf  Seite 

Areal  in 
qkm 

Bevölkerung 

Bewohner 
anf 
1 qkm 

1.  in  Europa 

2231000 

23  000  000 

10 

Italien1) 

390.  436. 

250  000 

6 000  000 

24 

Sicilien 

262.  301. 

26  000 

600  000 

23 

Sardinien  und  Corsiea  . . 

445.  446. 

33  000 

500000 

15 

Spanien 

Narbonensis 

446.  448. 

590  000 

6 000  000 

10 

449. 

100  000 

1500  000 

15 

tres  Galliae 

449.  460. 

535  000 

3 400  000 

6,3 

Donauländer 

461.  465. 

430000 

2000  000 

4,7 

griechische  Halbinsel*)  . . 

— 

267  000 

3000  000 

11 

2.  inAsien 

665  500 

19  500  000 

30 

Provinz  Asien 

225.  242. 

135  000 

6 000  000 

44 

übriges  Kleinasien  .... 

225.  242. 

412  000 

7 000  000 

17 

Syrien 

243.  249. 

109  000 

6 000  000 

55 

Kypros  . . . 

249.  250. 

9 500 

500000 

52 

3.  in  Afrika 

443  000 

11500000 

26 

Aegvpten 

254.  258. 

28  000 

5 000  000 

179 

Kyrenaika 

Africa5) 

259.  260. 

15  000 

500  000 

33 

465.  470. 

400000 

6 000  000 

15 

römisches  Reich  zusammen4) 
davon  lateinischer  Occident  (einschl. 

3 339  500 

54000000 

16 

der  Donauländer) .... 

2 364  000 

26  000000 

11 

griechischer  Orient  .... 

975  500 

28  000  000 

28 

J)  Da  die  bürgerliche  Bevölkerung  des  Reiche«  sich  während  Augustus'  Alleinherr- 
schaft um  874  000  Köpfe  vermehrt  hat  (oben  S.  371  f.),  so  wird  die  Annahme  gerecht- 
fertigt sein,  dass  die  Gesammtbevülkernng  Italiens  in  dieser  Zeit  von  5*/j  auf  6 Millionen 
gewachsen  ist.  Ja  ich  würde  geneigt  sein,  eine  noch  stärkere  Vermehrung  anznnehmen, 
wenn  ich  nicht  oben  die  Sklavenzahl  für  d.  J.  28  v.  Chr.  sehr  reichlich  veranschlagt  hätte. 

2)  Der  Flächeninhalt  der  europäischen  Türkei,  ohne  Bosnien  (mit  Herzegowina)  und 
Bulgarien,  aber  einschliesslich  Ost-Rumeliens,  betrag  tnach  Strelbitzky  215  330  qkm,  der  des 
Königreichs  Griechenland  51  319,3  qkm,  zusammen  also  266  649,3  qkm.  Der  Bestimmung 
der  Bevölkerung  liegt  die  Annahme  zu  Grunde,  dass  das  Deficit  gegenüber  der  Volkszahl 
Griechenlands  am  Ende  des  V.  Jahrhunderts  durch  Thrakien  und  Südillyrien  etwa  compensirt 
werden  mochte. 

3)  Die  Schätzung  der  Bevölkerung  beruht  auf  der  Annahme,  dass  die  alte  Provinz 
etwa  3 000  000  Einwohner,  Numidien  und  Mauretanien  zusammen  die  gleiche  Volkszahl  ge- 
habt haben. 

4)  Die  Vasallenstaaten  innerhalb  der  Rhein-,  Donau-  und  Euphrat-Grenze  und  in 
Afrika  sind  hier,  wie  man  sieht,  eingerechnet.  Dagegen  wurden  die  Wüstengebiete  in 
Syrien  und  Afrika  bei  der  Bestimmung  des  Flächenraumes  ausgeschlossen.  Was  die  Be- 
völkerung angeht,  so  beruhen  die  Zahlen  für  die  europäischen  Provinzen  auf  viel  sichereren 
Daten  als  die  Zahlen  für  die  Provinzen  in  Afrika  und  Asien. 


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Nachträge. 


Die  griechische  Flotte  bei  Salamis. 

(Zu  Capitel  III — Y.) 

Die  Angaben  Herodots  über  die  Stärke  der  gegen  Xerxes 
aufgestellten  hellenischen  Bundesflotte  und  ihre  Zusammen- 
setzung nach  einzelnen  Contingenten  sind,  soviel  ich  sehe,  von 
allen  unseren  Geschichtsschreibern  als  baare  Münze  genommen 
worden,  ähnlich  wie  die  Angaben  über  die  Stärke  des  griechi- 
schen Heeres  bei  Plataeae.  Es  wird  der  Mühe  werth  sein,  zu 
untersuchen,  wie  weit  dieses  Vertrauen  gerechtfertigt  ist. 

Herodot  giebt  folgende  Zahlen. 

Flotte  beim  Artemision  (VIII  1 — 2) 

Trier«n 


Athener 127 

Korinthier 40 

Megarer 20 

Chalkidier 20 

Aegineten 18 

Sikyonier 12 

Lakedaemonier 10 

Epidaurier 8 

Eretrier 7 

Troezenier 5 

Styrer ' 2 

Keier 2 


Ueberlieferte  Summe  271 

Verstärkung  aus  Athen  (VIII  14) 53 

Uebergegangene  lemnische  Triere  (VHI  11)  1 


[325] 


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Die  griechische  Flotte  bei  Salamis.  509 

Flotte  bei  Salamis  (VIII  43—48) 


Trieren 

Aus  dem  Peloponnes: 

Lakedaemonier 16 

Korinthier  . 40 

Sikyonier 15 

Epidaurier 10 

Troezenier 5 

Hermioner 3 

Aus  dem  übrigen  Festland: 

Athener 180 

Megarer 20 

Ambrakioten 7 

Leukadier 3 

Von  den  Inseln: 

Aegineten 30 

Chalkidier 20 

Eretrier 7 

Keier 2 

Naxier 4 

Styrer 2 

Kythnier 1 

Krotoniaten 1 


Summe  der  Einzelposten  366 
Ueberlieferte  Summe  . . 378 
Ueberlänfer  aus  Lemnos  und  Tenos  (VIII  82)  2 


Ueberlieferte  Gesammtsumme  880 

Dazu  kommen  dann  beim  Artemision  9,  bei  Salamis  7 Ftlnfzig- 
ruderer,  die  hier  ausser  Betracht  bleiben  können. 

Wie  man  sieht,  stimmt  die  überlieferte  Summe  der  Trieren 
beim  Artemision  mit  der  Summe  der  Einzelposten;  bei  Salamis 
dagegen  ist  die  Summe  der  Einzelposten  um  12  Trieren  kleiner 
als  die  von  Herodot  angegebene  Gesammtsumme.  Dass  nun 
diese  letztere  richtig  überliefert  ist,  zeigt  Herodot  VHI  82, 
wonach  die  Gesammtzahl  der  griechischen  Trieren,  einschliess- 
lich der  beiden  aus  der  persischen  Flotte  übergegangenen  Schiffe, 
380  betragen  hat.  Es  müssen  also  in  den  Einzelposten  Fehler 
stecken.  Nun  sagt  Herodot  von  den  Korinthiern,  Megarern, 
Chalkidiem,  Eretriern,  Styrem,  Keiem,  sie  hätten  bei  Salamis 


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510 


Nachtrag  zu  Capitel  III— V. 


dieselbe  Zahl  von  Schiffen  gestellt,  wie  beim  Artemision;  eine 
Textcorruptel  ist  also  hier  ausgeschlossen.  Dasselbe  zeigt  für 
die  athenischen  Trieren  ein  Vergleich  mit  Herod.  VHI  1 und 
VÜI  14.  Der  Fehler  muss  also  hei  den  übrigen  Contingeuten 
gesucht  werden.  Hier  ist  zu  erwägen,  dass  Herodot  durchweg 
runde  Zahlen  giebt:  1—5,  7,  8,  10,  12,  15,  16,  18  und  von 
20  ab  nur  Vielfache  von  10.  Auch  die  Möglichkeit,  dass  ein 
Contingent  ausgefallen  ist,  bleibt  ausgeschlossen,  da  alle  auf 
dem  plataeischen  Siegesdenkmal  verzeichneten  griechischen  See- 
staaten auch  bei  Herodot  Vorkommen.  Auch  dürfen  wir  nicht 
zu  viele  Textverderbnisse  annehmen;  es  sind  wahrscheinlich 
bei  einem  Contingente  10,  bei  einem  anderen  2 Trieren  aus- 
gefallen. Offenbai*  hat  Herodot,  wie  bereits  Duncker  richtig 
gesehen  hat  ( Gesch . d.  Alterth.  VII 8 270  Amn.),  den  Aegi- 
neten  40,  nicht  30  Trieren  zugetheilt,  d.  h.  die  eine  Hälfte  des 
ursprünglichen  M ist  in  unseren  Handschriften  verwischt  worden, 
sodass  A übrig  blieb;  die  beiden  übrigen  Trieren  werden  am 
wahrscheinlichsten  dem  Contingent  von  Leukas  zu  geben  sein, 
wo  mit  leichter  Aenderung  E aus  r hergestellt  werden  kann. 
Doch  kommt  auf  diesen  Punkt  kaum  etwas  an. 

Dass  nun  diese  Angaben  Herodots  mit  Vorsicht  zu  be- 
nutzen sind,  bedarf  nach  dem  oben  (S.  8 f.)  gesagten  keiner 
Bemerkung.  Es  ergiebt  sich  aber  auch  ganz  unabhängig  davon 
aus  einer  Betrachtung  unserer  Liste  selbst.  Wenn  wir  nämlich 
von  Herodots  Gesammtzahl  380  die  180  attischen  Trieren  ab- 
ziehen,  so  bleiben  für  alle  übrigen  griechischen  Staaten  zusammen 
200  Trieren;  es  ist  klar,  dass  der  Bestand  der  Bundesflotte 
nicht  genau  diese  runde  Zahl  betragen  haben  kann.  Mit  an- 
deren Wollen:  die  Summe  ist  das  primäre,  und  erst  danach 
sind  die  Einzelposten  angesetzt.  Daher  die  runden  Zahlen  der 
Contingente.  Es  haben  also  Herodot  über  die  Zusammensetzung 
der  griechischen  Flotte  bei  Salamis  so  wenig  authentische  An- 
gaben Vorgelegen,  wie  über  die  Zusammensetzung  des  griechi- 
schen Heeres  bei  Plataeae;  auch  diese  Zahlen  haben  demnach 
nur  den  Werth  subjectiver  Schätzungen. 

Allerdings  mit  einer  Ausnahme.  Wenn  Herodot  die  attische 
Flotte  beim  Artemision  auf  127  Trieren  angiebt,  so  zeigt  diese 


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I 


Die  griechische  Flotte  bei  Salamis. 


511 


genaue  Zahl,  die  einzige  unter  lauter  runden  Zahlen,  dass  ihm 
hier  eine  wirklich  authentische  Angabe  Vorgelegen  hat.  Dagegen 
die  53  Trieren,  die  im  Laufe  der  Schlacht  aus  Athen  als  Ver- 
stärkung ankommen,  sind  nur  ein  Lückenbüsser,  um  die  180 
Trieren  vollzumachen,  aus  denen  nach  Herodot  die  attische 
Flotte  bestanden  haben  sollte.  Nun  liegt  es  in  der  Natur  der 
Sache,  und  Herodot  sagt  es  auch  ausdrücklich,  dass  alle  über- 
haupt verfügbaren  attischen  Schiffe  beim  Artemision  gekämpft 
haben;  und  da  die  Hellenen  in  diesem  Kampfe  sehr  starke 
Verluste  erlitten  (Herod.  VIII  16.  18),  so  ist  es  klar,  dass  die 
Athener  bei  Salamis  weniger  als  127  Trieren  gehabt  haben 
müssen.  Die  Angabe  des  Ktesias,  wonach  110  attische  Schiffe 
bei  Salamis  gekämpft  hätten,  hat  also  eine  hohe  innere  Wahr- 
scheinlichkeit. Dabei  ist  es  ganz  besondere  bemerkenswert!), 
dass  der  Zeitgenosse  Aeschylos,  der  ohne  allen  Zweifel  selbst 
bei  Salamis  mitgefochten  hat,  die  Zahl  der  griechischen  Schiffe 
auf  310  angiebt  ( Perser  339  f.).  Wenn  davon,  wie  Ktesias 
sagt,  110  athenische  waren,  so  bleiben  200  für  die  übrigen 
griechischen  Contingeute  in  genauer  Uebereinstimmung  mit 
Herodot1).  Es  wird  dadurch  sehr  wahrscheinlich,  dass,  wie 
die  380  Trieren  bei  Herodot  sich  aus  180  attischen  Trieren  und 
200  Trieren  aus  dem  übrigen  Griechenland  zusammensetzen, 
so  die  310  Trieren  bei  Aeschylos  die  Summe  aus  110  Trieren 
von  Athen  und  200  aus  dem  übrigen  Griechenland  sind.  Diese 
letztere  Zahl,  die  natürlich  nur  auf  einer  ganz  ungefähren 
Schätzung  beruht,  wäre  demnach  durch  ein  zeitgenössisches 
Zeugniss  gestützt.  Auch  an  und  für  sieh  hat  sie  durchaus 
nichts  unwahrscheinliches;  nur  werden  wir  darunter  Kriegs- 
schiffe überhaupt,  nicht,  wie  Herodot  will,  blos  Trieren  zu 
verstehen  haben. 

Athen  hat  also  bei  Salamis  ein  reichliches  Drittel  der  hel- 
lenischen Buntlesflotte  gestellt:  eine  sehr  ansehnliche  Leistung, 
namentlich  wenn  wir  bedenken,  wie  jung  die  attische  Marine 
damals  noch  war.  Den  Zeitgenossen  des  samischen  und  archi- 


*)  Ich  entnehme  diese  Bemerkung  der  noch  ungedruckten  Dissertation 
von  Giuseppe  Perozzi,  La  Battaglia  di  Salamina. 


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512 


Nachtrag  zu  S.  201. 


damischen  Krieges  freilich,  die  unter  dem  Eindruck  der  atheni- 
schen Seeherrschaft  standen,  konnte  diese  Leistung  nicht  be- 
sonders imponiren.  Und  je  impopulärer  Athen  in  Griechenland 
wurde,  desto  grösseres  Interesse  hatte  man  dort  daran,  seine 
Verdienste  um  Hellas  während  der  Perserkriege  ins  hellste 
Licht  zu  setzen.  Athen  sollte  die  Hälfte  der  ganzen  griechi- 
schen Flotte  gestellt  haben  (Herod.  VIII  44),  und  so  wurde 
die  Zahl  seiner  Schiffe  auf  180  erhöht.  Dem  Redner  bei 
Thuk.  I 74  genügt  auch  das  nicht  mehr;  er  lässt  Athen  2ia 
der  gesummten  Schifiszahl  aufbringen.  So  ist  in  maiorem 
Atheniemium  gloriam  die  Geschichte  gefälscht  worden. 


Hera  klein  Trachis. 

(Zu  S.  201.) 

Herakleia  Trachis  ist  bekanntlich  im  Jahre  426  von  den 
Lakedaemoniem  gegründet  worden  (Thuk.  HI  92).  Die  Zahl 
der  Colonisten  hätte  nach  Diodor  (XII  59)  10000  betragen, 
4000  aus  dem  Peloponnes,  6000  aus  dem  übrigen  Griechen- 
land. Dass  diese  Angabe  absurd  ist,  bedarf  keiner  weiteren 
Bemerkung,  denn  ganz  Malis  hat  einen  Flächenraum  von  nicht 
mehr  als  etwa  300  qkm,  und  das  Gebiet  von  Herakleia  hat 
keineswegs  die  ganze  Landschaft  umfasst.  Immerhin  war  die 
Stadt,  wenn  auch  keine  n ohg  gvQiavÖQoe,  wie  Diodor  sagt,  so 
doch  keineswegs  unbedeutend.  Schon  im  Herbst  des  Gründungs- 
jahres konnte  Herakleia  500  Hopliten  zu  dem  peloponnesischen 
Corps  von  3000  Schwerliewaffneten  stellen,  das  den  Aetolem 
gegen  Naupaktos  zu  Hülfe  zog.  Nach  dem  Ende  des  pelopon- 
nesischen Krieges,  um  399,  liess  der  lakedaeinonische  Hannost 
Herippidas  bei  einem  Aufstande  angeblich  500  Bürger  nieder- 
machen (Diodor  XIV  38).  Die  Stadt  scheint  also  immerhin 
in  dieser  Zeit  einige  1000  Bürger  gezählt  zu  haben. 


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Register 


A.= Areal,  B.=  Bevölkerung,  Bz. = Bürgerzahl,  FL  = Flächenraum, 

G.  *=  Gebiet,  Sz.  = Sklavenzahl. 

Die  kleineren  Inseln,  über  deren  Bevölkerung  im  Alterthum  nichts  bekannt 
ist,  sind  nicht  berücksichtigt.  Ebensowenig  die  einzelnen  Völkerschaften 
in  Gallien,  Illyrien  etc.,  die  attischen  Demen,  und  die  Städte,  die  nur  als 
römische  Colonien  oder  Municipien  erwähnt  sind,  olme  dass  wir  über  die 
Bevölkerung  Nachricht  hätten. 


Achaeischer  Bund  waffenfähige 
Mannschaft  155  f.,  Sz.  153  f. 
Achaia  A.  112,  B.  129. 
Aegosthenae  Bz.  159.  12L 
A eg i n a A.  113. 115,  B.  122,  Sz.  84.95, 
attische  Kleruchie  83, 

Aegypten  A.  254,  B.  254  ff.,  Ge- 
treideproduction  3L 
Aeolis  A.  der  Inseln  224,  B.  234 ff. 
Aetolien  A.  183,  B.  183  ff.,  wirth- 
schaftliche  Zustände  185  f. 
Africa  A.  465,  B.  470,  Volksdich- 
tigkeit 466,  Getreideproduction  31, 
römische  Colonien  u.  Municipien  329. 
Agyrion  B.  297. 

Akanthos  Bz.  205. 

Akarnanien  A.  183,  B.  188  f. 
Akraephia  Bz.  169.  1IL 
Akragas  G.  262,  B.  281  ff.,  Fl.  der 
Stadt  486,  B.  der  Stadt  478. 
Akroreia  A.  115,  B.  130. 

Alba  Fucentia  Fl.  487. 

Alea  G.  115,  B.  129, 

Alexanders  Heer  215  ff. 

Bel  och,  BevÖIkeningslohre.  L 


Alexandreia  in  Aegypten  Umfang 
483  f.,  Fl.  486,  B.  258  f.  479. 

Alexandreia  Troas  B.  236. 

Altersklassen,  Vertheilung  der 
Bevölkerung  nach  — 42. 

Ambrakia  G.  184,  B.  192  ff.,  Um- 
fang der  Stadt  483. 

Amphilochien  A.  163,  B.  189  f. 

Amphissa  B.  176. 

Andros  A.  177,  Bz.  181. 

Annalisten  (römische)  12. 

Antiocheia  am  Orontes  Umfang 
484,  B.  245. 

Apameia  in  Syrien  245. 

Apollonia  in  d.  Chalkidike  Bz.  205. 

Apollonia  in  Illyrien  B.  194. 

Apulien  waffenfähige  Mannschaft 
364,  Reiterzahl  359  f.,  B.  426. 

Aquileia  Fl.  487,  B.  431. 

Aquitanien  A.  449,  B.  458  f.,  Pro- 
vinz Aquitanien  A.  u.  B.  459  f. 

Arados  Umfang  483. 

Archidamos’  Heer  152  f. 

Ardea  Fl.  487,  Verfall  422. 

Arealbestimmungen  26  ff. 

33 


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514 


Register. 


Ariininum  11.  487. 

Arkadien  A.  112  f.  115,  B.  123  ff., 
Sz.  152, 

Argolis  A.  112  ff,  B.  116 ff,  Sz.  150. 

Argos  G.  116,  B.  116  f.,  B.  der  Stadt 
478. 

Arpi  waffenfähige  Mannschaft  359, 
Grösse  der  Stadt  426. 

Asien,  römische  Colonien  334,  Pro- 
vinz A.  223,  B.  242.  502, 

Aspendos  B.  238. 

Athamanien  A.  184,  B.  197. 

Athen  (Stadt  und  Peiraeeus)  Umfang 
482.  FL  48£L  488,  B.  100  f.;  s.  At- , 
tika. 

Athos- Halbinsel  A.  202,  B.  204, 

Attika  A.  54.  8.  Bürgerlisten  1 ff, 
Militärkataloge  3 f.,  Epliebenkata- 
loge  69  ff,  Volkszählung  57,  Bz. 
57.  59.  73,  Metockeu  58,  68,  Sz. 
84  ff.,  Gesammt-B.  99,  Volksdich- 1 
tigkeit  100.  Vertheilung  der  Be-  [ 
völkerung  101  f.,  Bz.  der  einzelnen 
Demen  103  f.,  Theten  12.  80,  Kle- 
ruchen  81  ff-,  militärische  Aufge- 
bote 60  ff.,  Getreideproduction  3L 
89,  Getreideimport  89;  vgl.  Athen. 

Augusta  Praetoria  Salasso- 
rum  Fl.  487,  Bz.  440. 

Augustus’  discriptio  Italiae 
323  f.,  Colonien  336  ff,  Municipien 
339,  Censusrefonn  325  ff 

Babylon  Umfang  481. 

Babylonien  A.  u.  B.  250  f. 

Baetica  A.  446,  B.  447. 

Baton  von  Sinope,  Lebenszeit  482 
Anm. 

Belgien  A.  454.  400,  B.  453  f.  460. 

Bevölkerungsabnahme  in  den 
Iwiden  letzten  Jahrhunderten  vor 
unserer  Zeitrechnung  502  ff. 

Bewaffnung  der  Heere  auf  Staats- 
kosten 18  ff. 


Bithynien  A.  223,  B.  240  ff. 

B ö c k h 36.  82  ff. 

Boeotien  A.  161,  freie  B.  162  ff., 
Sz.  124. 

Bononia  Fl.  487. 

Bosporanisches  Reich  Getreide- 
production 3L 

Bottiaeer  in  der  Chalkidike  205. 

Brettien  A.  858,  B.  358,  426:  die 
Brettier  standen  nicht  in  der  for- 
mula  loffatorum  359. 

Britannien  römische  Städte  332. 

Bürgerverzeichnisse  2 ff. 

Bunsen  32.  394. 

Byzantinische  Geschichtschreiber, 
Werth  ihrer  Zahlenangaben  12, 

Byzantion  Umfang  483. 


Caere  Fl.  487,  Verfall  424. 

Caesar,  Werth  seiner  Zahlenangaben 
450  ff.,  Colonien  336  ff,  Municipien 
339,  Reform  d.  Getreidespenden  397. 

Campanien  B.  419  ff. 

Canusium  Grösse  426. 

Capua  Fl.  487,  B.  430. 

Cenomanen  waffenfähige  Mann- 
schaft 364. 

C e n s u s (römischer)  306  ff.,  Reform 
durch  Augustus  325  f.,  Ergebnisse 
339  ff.  370  ff.,  Prnvinzialcensns  310  ff. 
324  f. 

Chaeroneia  Bz.  167.  171. 

Chalkidike  A.  202,  B.  203  ff. 

Chalkis  Umfang  482  f.,  B.  120  f. 

C h a o n e r 195  f. 

China  B.  253  f. 

Chios  A-  224,  B.  232  f.,  Sz.  93, 233 f. 

Chorsiae  Bz.  169.  171. 

Claudius’  Census  371,  Colonien 335 f., 
Municipien  338. 

Clinton  32, 

Constantinopolis  Umfang  485, 
B.  48L 


Digiti-od  by  Cioo  ,;k 


Register. 


515 


Corsica  A.  n.  B.  445,  römische 
Colonien  322.  328. 

Cosa  Fl.  487,  Verfall  424. 

Dalmatien  A.  461,  B.  462  ff.,  rö- 
mische Biirgergemeinden  332  f. 

Dio  d or,  Werth  seiner  Zahlenangaben 
11,  Abfassungszeit  seines  Werkes 
337  Anm. 

Delos  A.  177,  B.  182. 

Delphoi  Umfang  483. 

Demetrios  von  Phaleroji , seine 
Volkszählung  4.  52, 

Dolopien  A.  16L  183.  198.  B.  2QL 

Donauländer  A.  46D  f.,  B.  462  ff., 
römische  Bürgergemeinden  332. 

Doris  in  Kleinasien  A.  der  Inseln 
225.  B.  226  ff. 

Doris  in  Griechenland  A.  161. 

Dureau  de  la  Malle  38. 

Ekbatana  Umfang  482. 

Eleia  A.  112.  115.  B.  130  f. 

Elymer  G.  263,  B.  225  f. 

Ep  eiros  A.  183  f.,  B.  194  ff.,  wirth- 
schaftliche  Zustände  185  f. 

Epidamnos  B.  194. 

Epidauros  G.  115,  B.  121  f. 

Ephesos  Fl.  486,  B.  230  f. 

Ephoros,  Werth  seiner  Zahlcnan- 
gaben  10. 

Eresos  Bz.  235. 

Eretria  B.  112  f. 

Erytbrae  B.  23L 

Eryx  B.  225. 

Etenna  B.  2:18. 

Etrurien  A.  u.  B.  423  £,  waffen- 
fähige Mannschaft  364  f.,  Sklaven- 
wirtlischaft  423  f. 

Euboea  A.  177.  B.  122  f. 

Europa  B.  zu  Augustus’  Zeit  502. 

Fabius  Pictor,  sein  Verzeichniss 
der  italischen  Wehrfähigen  355  ff. 


Falerii  Fl.  487. 

Ferentinum  in  Latium  Bz.  441  f. 

Florentia  Fl.  487. 

Formula  togatorum  353  ff. 

Fregellae  B.  431. 

Frentaner  waffenfähige  Mannschaft 
360.  364. 

Galati en  A.  223,  B.  239. 

Galilaea  A.  243.  B.  246. 

Gallia  cisalpina  A.  389,  B.  422  ff., 
Sz.  434, 

Gallia  Narbonensis  A.  u.  B.  449, 
römische  Colonien  331. 

Galliae  (tres)  A.  448 f.,  B.  455 f. 

Gallicus  Ager  (in Picenum)  A.  320, 
B.  425. 

Geburtsregister  L 

Gela  G. 262,  B.289,  Fl.d.  Stadt 487. 

Geschlechter,  numerisches  Ver- 
hältnis 41,  in  ltom  401,  in  Italien 
zu  Augustus’  Zeit  413,  unter  der 
Sklavenbevölkerung  54, 

Getreideimport  nach  Griechen- 
land, Karthago,  Rom  32,  nach 
Athen  82, 

Getreideproduction  22  ff,  in 
Italien  416  f-,  in  Sicilien  270  f.,  in 
Thessalien  197. 

Getreideverbrauch  pro  Kopf  32» 

Gibbon  36.  394. 

Griechenland  Bevölkerungsgesch. 
421  ff,  römische  Colonien  und  Mu- 
nicipien  333  f. 

Gross'griechenland  A.  263,  wirt- 
schaftliche Zustände  264,  B.  304  ff, 
Verfall  425  f. 

Haliartos  B.  166  f. 

Halieis  A.  115,  B.  122. 

Halikarnassos  Fl.  486,  B.  227. 

Hannibals  Heer  468  f. 

Heiloten  146  f. 

Heraea  A.  115,  B.  129. 

33* 


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516 


Register. 


H e r o d o t , Werth  seiner  Zahlen  8,  510. 

Helvetier  G.  453,  Volkszahl  45Q  ff 

Herakleia  am  Pontos  240. 

Ilerakleia  Trachis  512. 

Hieronymos  von  Kardia,  Werth 
seiner  Zahlen  HL 

Hierosolyma  FL  487.  B.  247  f. 

Himera  G.  262,  B.  286  f. 

Hispania  s.  Spanien. 

Ilume  34,  86, 

Hyettos  Bz.  168,  171. 

Hykkara  B.  267. 

las os  Umfang  229.  463,  Bz.  229. 

Imbros  A.  213,  Bz.  82,  Getreidepro- 
duction  32, 

Indien  B.  252  f. 

lonien  A.  der  Inseln  224  f..  B.  228  ff. 

Iosepos,  Unzuverlässigkeit  seiner 
Zahlenangaben  246  f. 

Iranische  Hochebene  A.  u.  B. 
252. 

Italien  A.  388  ff.,  Bz.  367,  Heeres- 
aufgebote 318  ff. , Sz.  413  ff. , B. 
413  ff.  435  ff.,  Bevölkerungsge- 
schichte 5QQ  f. 

Italischer  Bund  Heeresmatrikel 
353  ff.,  Heeresorganisation  36-5. 

Iudaea  A.  243,  B.  247. 


Katane  G.  262,  B.  288.  290. 
Kaukasosländer  B.  251  f. 
Kenturipae  Bz.  297. 

Keos  A.  178,  Bz.  18L 
Kepliallenia  A.  185,  B.  190. 
Kibyratis  A.  223,  B.  238. 
Kilikien  A.  223.  B.  238.  242. 
Kleinasien  A.  223 ff.,  B.  225  ff  249. 
Kleitor  A.  115,  B.  129. 

Kleonae  s.  Argos. 

Knidos  B.  227. 

Knosos  Umfang  483,  B.  477. 
Kolophon  B.  231  f. 

Kopais-See  A.  162. 

Kopae  Bz.  168.  171. 

Korinth  G.  115.  Bz.  US  ff  , Sz.  85  f. 
95,  Umfang  der  Stadt  482,  B.  der 
Stadt  478. 

Kos  A.  224,  B.  227. 

Kreta  A.  u.  B.  153  f. 

Kroton  B.  264.  301.  Umfang  der 
Stadt  482, 

Ivtesikles’  Lebenszeit  4 Anm. 
Kykladen  A.  177  f.,  B.  181  f. 
Kyme  in  Aeolis  B.  235. 

Kynaetha  A.  115,  B.  128 f. 
Kypros  A.  u.  B.  249  f. 
Kyrenaika  A.  u.  B.  259  f. 
Kythera  A.  114. 

Kyzikos  Fl.  487,  B.  237. 


K aesareia  in  Judaea  B.  245. 
Kaesareia  in  Kappadokien  s.  Ma- 
zaka. 

Kala ur eia  A.  113. 

Kalchedon  B.  240. 

Kamarina  G.  262,  B.  289  f. 
Kaphyae  G.  115,  B.  129, 
Kappadokien  A.  223,  B.  239  f. 
Karien  A.  223,  B.  228.  242. 
Karthago  Umfang 485.  B.  446 f.  481, 
karthagische  Heere  467  f. 
Karystos  B.  179  f. 

Kastorchis  39, 


Irakonien  A.  112,  U4,  B.  131  ff; 

vgl.  Sparta. 

Lampsakos  B.  236. 

Laodikeia  in  Syrien  B.  245. 
Larisa  Metoeken  2Ü1  f. 

Latiner  waffenfähige  Mannschaft 364, 
Latium  B.  422. 

Lebadeia  Bz.  167.  HL 
Lebensdauer  (mittlere)  im  Alter- 
thum 52, 

Leichtbewaffnete  Trappen  UL 
Lenin  os  A.  213,  Bz.  82,  Getreide- 
production  32, 


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I 


Register. 


Leoqtinoi  B.  288. 

Lepreon  B.  130. 

Letronne  36. 

Lesbos  A.  224,  B.  234 f.,  attische 
Kleruchie  83. 

Leukas  A.  184,  B.  ISO. 

Lilybaeon  B.  295. 

Lipara  A.  262,  Bz.  290. 

Lipsius  34.  394. 

Lokris  (in  Griechenland)  A.  161, 
B.  126, 

Lokroi  (in  Italien)  B.  303  f.,  Fl.  der 
Stadt  487,  Lokrer  in  Messene  288. 

Lucanien  A.  358,  B.  358,  waffen- 
fähige Mannschaft  364. 

Lugdunensis  A.  u.  B.  460. 

Lusitanien  A.  446,  B.  441  f. 

Lydien  A.  223,  B.  232.  242, 

Lykaonien  A.  223. 

Lykien  A.  223,  B.  238. 

Makedonien  A.  202,  B.  203  ff., 
Wehrkraft  202  ff.,  Alexanders  Heer 
215  ff.,  Ober-Makedonien  213  f. 

Mantineia  G.  115,  B.  125  ff. 

Marruciner  waffenfähige  Mann- 
schaft 360.  364. 

M a r s e r waffenfähige  Mannschaft  360. 
364. 

Massalia  Fl.  487. 

Mauretanien  B.  470,  römische  Co- 
lonien  und  Municipien  329. 

Mazaka  B.  240. 

Mediolanum  Fl.  487,  B.  431. 

Megalopolis  G.  U5,  B.  122  f.,  Sz. 
157,  Umfang  der  Stadt  483,  B.  der 
Stadt  478. 

Megara  FL  487,  Bz.  170. 

Megaris  A.  IM,  B.  123 f.,  Sz.  123, 

Melos  A.  178,  B.  181,  attische  Kle- 
ruchie 83,  181. 

Memphis  Umfang  482. 

Mende  Bz.  203. 

Messene  im  Peloponnes  Fl.  487. 


517 

Messene  in  Sicilien  G.  262,  B.  288  ff. 
Messenien  A.  112.  114,  B.  147  f. 
Mesopot'amien  B.  251. 

Methone  B.  206 f. 

Methymna  B.  235. 

Miletos  B.  228  f. 

Militärdienst  13  ff. 
Militärkataloge  3.  69  f.  148  f. 
162  f. 

Moesien  A.  461,  B.  464. 
Molosser  125  f. 

Montesquieu  34. 

Moreau  de  Jonnfes  38, 
Morgantia  B.  280. 

Motye  Fl.  487,  B.  294  f. 

M y k e n e Grösse  der  Stadt  477,  B.  118. 
Mysien  A.  223,  B.  232.  242. 
Mytilene  Bz.  235.  Fl.  der  Stadt  487. 
Mvus  B.  222  f. 

Ä'abataeer  Volkszahl  247. 
Narbonensis  A.  u.  B.  ;449,  römi- 
sche Colonien  331. 

Naupaktos  B.  176. 

Naxos  (Insel)  A.  178,  B.  181. 
Naxos  in  Sicilien  G.  262,  B.  288. 290. 
Neapolis  in  Campanien  Fl.  487. 
Niebuhr  36,  86. 

Norba  Fl.  482, 

Noricum  A.  461,  B.  463. 
Xuniidien  B.  270. 

Olbia  B.  214, 

Olynthos  Bz.  205. 

Opus  B.  176. 

Orchomenos  (in  Arkadien)  G.  115, 
B.  125  ff. 

Orchomenos  (in  Boeotien)  Bz.  167. 
12L 

Oreos  Bz.  129  f.,  attische  Kleruchie 
82.  180, 

Oropia  A.  56. 

P a e 1 i g n e r waffenfähige  Mannschaft 

360.  364, 


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518 


Register. 


Pagae  Bz.  17 2. 

Palaestina  A.  245,  B.  243  ff. 
Pale  B.  9.  190, 

Pallene  A.  202,  B.  204, 
Pannonien  A.  461,  B.  462  ff. 
Panormos  B.  294,  Fl.  der  Stadt 487. 
Pantikapaeon  Umfang  483, 
Paphlagonien  B.  241. 

Paros  A.  178,  Bz.  181. 

Patavium  B.  428,  430, 
Peloponnes  A.  109,  B.  149  ff., 
Heeresanfgebote  151  ff.,  Sz.  150. 132, 
Peltasten  LL 

Penesten  in  Thessalien  200  f, 
Peraea  (in  Palaestina)  A.  243,  B.  242, 
Pergamon  B.  236. 

Persis  A.  u.  B.  252. 

Pheneos  G.  115,  B.  129, 
Phigaleia  A.  115,  B.  129. 
Philippoi  Fl.  482, 

Phleius  A.  115,  B.  118, 
Plioenikisches  Gebiet  auf  Sicilien 
A.  263,  B.  294  f. 

Pliokis  A.  161,  B.  123, 

Phrygien  A.  223,  B.  239.  242. 
Picenum  A,  320,  B.  424  f. 

Pisatis  A.  115,  B.  120, 

Pisidien  A.  223,  B.  238, 
Plataeae  G.  u.  B.  163 f-,  Sz.  174, 
Schlacht  bei  Plataeae  8, 

Plinius,  Quelle  seiner  Provinzialbe» 
Schreibung  322  ff. 

Pola  Fl.  487. 

Poly  bios,  Werth  seiner  Zahlen  10 f. 
Polystratos,  Zeit  der  Rede  für  — 
107. 

P o m p e i Fl.  487,  B.  431.  480. 
Pontos  A.  223,  B.  241  f. 
Poseidonia  Fl.  487. 

PotidaeaB.  203,  attische  Kleruchie 
83.  203,  ' ' 

Praeneste  Fl.  487. 
Praetuttianus  Ager  A.  320,  B. 
344. 


Priene  B.  229  f. 

Psophis  G.  115,  B.  129. 

Ptolemais  in  Phoenike  B.  245. 

Puteoli  B.  430. 

Pydna  B.  206, 

Rhaetien  A.  461,  B.  465. 

Ithegion  B.  302  f. 

Rhodos  A.  225,  B.  226,  Fl.  der  Stadt 
487,  B.  der  Stadt  222, 

Riccioli  34 

Rom  (Staat)  G.  319  ff,  Colonien  und 
Municipien  333  ff,  Census  SOS  ff, 
Bz.  339  ff  320  ff,  B.  des  Reiches 
507 ; (Stadt)  Umfang  484  f.,  Fl.  487. 
B.  392  ff.;  vgl.  Italien. 

Rudiae  Bz.  441. 

Sabinus  Ager  A.  320,  B.  344. 

Salamis  A.  56,  Bz.  82  f.,  Getreide- 
production  32,  Schlacht  508. 

Salasser  Volkszahl  435. 

Samaria  A.  243,  B.  247. 

Samniten  waffenfähige  Mannschaft 
364 

Samos  A.  224,  B.  232. 

Sardinien  A.u.B.444ff.,  Getreide- 
production  31,  römische  Colonien 
und  Municipien  328. 

Segesta  B.  295. 

Seleukeia  in  Pierien  B.  245. 

Seleukeia  am  Tigris  B.  479. 

Selge  B.  238. 

Selinus  G.  262,  B.  285 f.,  Fl.  der 
Stadt  487,  B.  der  Stadt  428  f. 

Servius  Tullius,  sein  Census  369  f., 
Geblüts-  und  Sterbelisten  2, 

Sicilien  A.  261  ff,  B.  225  ff,  frü- 
here Schätzungen  der  Bevölkerung 
265  f.,  militärische  Leistungen  290  ff-, 
Sz.  280  f.  292  f.  299  f.,  wirtschaft- 
liche Zustande  264  ff,  Getreidepro- 
duction  220  ff.,  römische  Colonien 


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Register. 


519 


325  f.,  Bürgermunicipien  328,  Lati- 
nität  826  ft'. 

S i d o n B.  244  f- 

Signia  Fl.  487. 

Sikaner  G.  263,  B.  223  f. 

Sikeler  G.  263.  B.  226  f. 

Sikyon  G.  115,  B.  11s. 

Sinope  B.  241. 

Siplinos  A.  178,  Bz.  181. 

Sithonia  (Halbinsel)  A.  202,  B.  204. 

Skione  Bz.  203. 

S k 1 a v e n L ackaeischen  Bunde  157  f., 
in  Aegina  84, 95.  Argolis  150,  Athen 

84  ft".,  Boeotien  174,  Chios  233  f-, 
Euboea  180,  Italien  413  ff.,  Korinth 

85  f.  95,  Korkyra  121  f.,  Megara  173, 
im  Peloponnes  150.  157,  in  Per- 
gamon 236,  Phokis  175,  im  Po-Land 
434,  in  Rhodos  226,  Rom  403  f-, 
Sicilien  28Q  f.  221  ff-,  Verhältniss 
der  Geschlechter  und  Altersklassen 
54,  Verhältniss  der  im  Mause  ge- 
borenen zu  den  Kaufsklaven  158, 
Anwachsen  der  Sz.  in  Griechen- 
land 423  f.  497,  in  Italien  413  ff., 
in  Sicilien  299,  Einfluss  auf  die 
Bewegung  der  freien  Bevölkerung 
304  ff,  Dienstpflicht  2L 

Sk y ros  A.  177,  B.  82,  Getreidepro- 
duction  32, 

Smyrna  B.  231  f. 

Solus  B.  293. 

S p a n i e n A.  446,  B.  446  ff,  römische 
Bürgergemeinden  329  ff 

Sparta  Bz.  138  ff.,  Perioeken  145  f., 
Heiloten  146  ff,  Heerwesen  131  ff, 
Umfang  der  Stadt  488,  Fl.  der  Stadt 
486,  B.  der  Stadt  478;  s.  Lakonien. 

Spoletium  Bz.  441. 

Sporaden  (nördliche)  A.  177,  B. 
180  f. 

Staatshandbuch  des  römischen 
Reiches  322  ff. 

Städte  im  Alterthum  472  ff. 


St.  Croix  36. 

Sterbelisten  2, 

Sterblichkeit  im  Alterthum  43  ff 
Stympkalos  G.  115,  B.  122, 
Surre  nt  um  FL  487. 

Sybaris  Umfang  483,  B.  264. 
Syrakus  G.  262,  B.  275 ff,  Kyllyrier 
279,  Umfang  der  Stadt  482,  Fl.  486, 
B.  der  Stadt  279.  281. 

Syrien  A.  242,  B.  243  f. 

T a ra s Fl.  der  Stadt  486,  B.  302. 478. 
Tarraconensis  A.  446,  B.  446  ff. 
Tarsoi  B.  238. 

T e g e a G.  115,  B.  125  ff. 

Tenos  A.  178,  Bz.  181  f. 

Teos  B.  231. 

Thasos  A.  213,  B.  214. 

Theben  in  Aegypten  Umfang  482, 
Fl.  48fL 

Theben  in  Boeotien  B.  166,  Sz.  174, 
Umfang  der  Stadt  483. 

Thelpusa  G.  115,  B.  129. 
Thermae  B.  287  f. 

Thespiae  Bz.  169.  171,  B.  166. 
Thesproter  125  f. 

Thessalien  A.  198.  B.  122  ff., 
wirtkschaftlicke  Zustände  197. 
Thrake  A.  213,  B.  214 f. 
Thukydides  2, 

Thuria  in  Messenien  Bz.  148  f. 
Thurioi  B.  304. 

Timaeos  10, 

Tiryns  B.  118. 

Torone  Bz.  203. 

Triphylien  A.  115,  B.  130. 
Troezen  G.  115,  B.  121  f. 
Tusculum  Fl.  1 SL 
Tyndaris  Bz.  290. 

Tyr os  Fl.  487,  B.  244  f. 

Ueberlebenstafel  42. 

Umbrien  A.  u.  B.  425,  waffenfähige 
Mannschaft  359.  364. 


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520 


Register. 


Veneter  waffenfähige  Mannschaft  W a 1 1 a c e 85. 

364.  Wa  1 1 o n 36. 

Verona  Fl.  487,  ü.  429.  Wietersheim  38. 

Vertheilung  des  Besitzes  24  ff. 

Vestiner  waffenfähige  Mannschaft  Xenophon  8. 

360.  364. 

Volkszählungen  4 ff.  Zakynthos  A.  185,  B.  191  f. 

V o s s i u s 4.  I Z u m p t 87. 


Berichtigungen. 

S.  6 Textzeile  10  von  unten  1.  „der“  statt  „den“. 

„ 10  Anm.  2 1.  „Cap.  X,“  statt  „Cap.  VIII“. 

„ 11  Textzeile  3 von  unten  1.  „Semiramis“  statt  „Samiramis“. 

„12  „ 7 „ „1-  „Kaesareia“  statt  „Kaisareia“. 

„ 32  in  der  Tabelle  vorletzte  Zeile  1.  „476,7“  und  „56750“  statt  „476,8“ 
und  „56650“. 

in  der  Tabelle  letzte  Zeile  1.  „254,7“  statt  „254,8“. 

„ 46  Zeile  14  von  oben  1.  „von“  statt  „an“. 

„ 82  Textzeile  5 von  unten  1.  „476,7  “ statt  „476,8“. 

„ 83  Zeile  9 von  oben  1.  „415“  statt  „416“. 

„ 142  Textzeile  12  von  unten  1.  „Ritterco'rps“  statt  „Reitercorps“. 
„149  „ 5 „ „ 1.  „160  000“  statt  „150000“. 

„ 1 „ „ 1.  „540  000“  statt  „530000“. 

„ 150  „ 5 „ „am  Ende  des  Satzes  hinzuzufügen  „wobei 

von  Aegina  abgesehen  ist“. 

„ 221  Anm.  I Zeile  1 von  oben  1.  „Antigenes“  statt  „Antigonos“. 

„ 238  Textzeile  3 von  unten  1.  „ Kratesippidas“  statt  „Kratesippides“. 


„ 262 

11 

oben 

(gleich  unter  der  Tabelle)  „Pantellaria' 

streichen. 

„ 265  Textzeile  4 

von 

unten  1.  „zuerst“  statt  jüngst“. 

„ 324  „ 

9 

n 

n 

1.  „Colonia“  statt  „Colonie“. 

„ 329  „ 

4 

n 

1.  „1 9“  statt  „29“. 

„ 338  „ 

2 

n 

» 

1.  „2“  statt  „3“,  „und“  zu  stfeichen. 

a 

1 

n 

n 

„Portus  Magnus“  zu  streichen. 

„ 362  Zeile  12  von  oben  1.  „denn“  statt  „dann“. 

„ 480  Anm.  5,  Zeile  1 1. -„Nissen“  statt  „Cissen“. 


Pierer’sehe  Hofbuehdruekerei.  Stephan  Oeibel  & Co.  in  Altenburg. 


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