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HISTORISCHE BEITRÄGE
ZUR
BEVÖLKERUNGSLEHRE
VON
Dr. JULIUS BELOCH,
PROFESSOR DER ALTEN GESCHICHTE AN DER UNIVERSITÄT ROM.
ERSTER THEIL.
DIE BEVÖLKERUNG DER GRIECHISCH-RÖMISCHEN WELT.
LEIPZIG,
VERLAG VON DUNCKER & HUMBLOT.
1886.
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DIE BEVÖLKERUNG
DER
VOX
Dr. JULIUS BELOCH,
PROFESSOR DER ALTEN GESCHICHTE AN DER UNIVERSITÄT ROM.
LEIPZIG,
VERLAG VON DUNCKER & HUMBLOT
1886.
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Das Recht der Uebersetznng bleibt Torbehalten.
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Vorwort.
Die Wirtschaftsgeschichte ist als Wissenschaft erst im
Entstehen. Ja ihr vielleicht wichtigster Zweig, die historische
Bevölkerungslehre, hat überhaupt bisher eine wissenschaftliche
Behandlung noch nicht gefunden. Wohl fehlt es nicht an Ein-
zelforschungen; aber noch niemals ist der Versuch gemacht
worden, die Bevölkerungsbewegung auf einem ausgedehnten
Gebiete und während eines längeren Zeitraumes auf Grund
systematischer Sammlung und kritischer Sichtung des gesamm-
ten vorhandenen Materials zur Darstellung zu bringen. Und
doch werden wir nur auf diesem Wege zu einem wirklichen
Verständniss der Geschichte und zur Aufstellung einer haltbaren
Bevölkerungstheorie gelangen können.
Der vorliegende Band unternimmt es, diese Aufgabe für
den Culturkreis der griechisch-römischen Welt, wenn nicht zu
lösen, so doch der Lösung näher zu führen. Die zeitlichen
Grenzen waren dabei durch die Natur des Quellenmaterials
bestimmt. Bis auf die Perserkriege ist unsere Kenntniss der
Geschichte so dürftig, dass es unmöglich ist, von den Bevöl-
kerungsverhältnissen mehr als eine ganz allgemeine Anschauung-
zu gewinnen. Und wieder in der Zeit des Niederganges der
antiken Cultur, seit der Mitte des I. Jahrhunderts unserer Zeit-
rechnung, fliessen die bevölkerungsstatistischen Angaben so spär-
lich, dass wenigstens für jetzt irgendwie gesicherte Resultate
nicht zu erreichen waren. Zwischen dem Census des Claudius
■ ■ >
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VI
Vorwort.
und dem Domesday - book Wilhelms des Eroberers liegt die
dunkele Zeit für die Bevölkerungsgeschichte Europas.
Dass eine Untersuchung dieser Art nur Annäherungswerthe
ergeben kann, bedarf keiner Bemerkung. Um das auch äusser-
lich hervortreten zu lassen, habe ich durchweg runde Zahlen
gesetzt, was hin und wieder zu kleinen Incongruenzen gefühlt
hat , die ich mit Absicht nicht beseitigt habe. Selbstver-
ständlich ist der Grad der Zuverlässigkeit der erreichten Re-
sultate ein sehr verschiedener. Am grössten ist derselbe, aus
leicht ersichtlichen Gründen, für die freie Bevölkerung der grie-
chischen Halbinsel und Italiens: hier dürfte die Fehlergrenze
nach oben oder nach unten 25 % kaum übersteigen. Viel
unsicherer sind die Schätzungen der Sklavenzahl, und der Be-
völkerung der übrigen Länder im Umkreis des Mittelmeeres; es
mögen dabei Fehler bis zu 50°/o, in einzelnen Fällen auch da-
rüber, begangen sein. Doch ist es wahrscheinlich, dass diese
Fehler nach dem „ Gesetz der grossen Zahl“ sich zum Theil
gegenseitig compensiren, sodass die Uebersichten auf S. 506
und 507 ein wenigstens in den Hauptzügen treues Bild der
Bevölkerungsverhältnisse der antiken Welt geben dürften.
Ohne Zweifel werden meine Resultate vielfachen Wider-
spruch finden: schlagen sie doch zum Theil alten und tief-
gewurzelten Anschauungen ins Gesicht. Auch ich habe lange
unter dem Banne dieser Vorurtheile gestanden, und mich erst
im Laufe der Arbeit, als das ganze Material gesichtet vor
mir lag, vollständig davon befreit. Vielleicht erzielt dieses
Material bei anderen die gleiche Wirkung. Wer es aber unter-
nimmt, mich zu widerlegen, wird seinen Angriff nicht auf ein-
zelne Punkte zu richten haben, sondern auf den ganzen Bau
meines Systems, dessen Steine gegenseitig sich stützen; es
wird darauf ankommen, dieses System durch ein anderes,
besseres zu ersetzen. Und da wohl nicht leicht jemand den
Vorwurf gegen mich erheben wird, dass ich die Volkszahl der .
antiken Welt, als ganzes genommen, wesentlich überschätzt
habe, so wird es die Aufgabe meiner eventuellen Gegner sein,
nachzuweisen, dass die Staaten des Alterthums eine beträcht-
lich höhere Bevölkerung gehabt haben, als von mir angenommen
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Vorwort.
vn
worden ist. Wir werden dann sehen, welches System mit den
Quellen, wie mit den allgemeinen Principien der Bevölkerungs-
lehre in besserem Einklang steht.
Freilich, auch wer meine Resultate im grossen und ganzen
annimmt, wird im einzelnen manches zu bessern und zu
ergänzen finden. Das bevölkerungsstatistische Material aus dem
Alterthum ist bisher niemals auch nur in annähernder Voll-
ständigkeit gesammelt worden ; und wenn ich selbst auch
Jahre lang meine Aufmerksamkeit auf diese Fragen gerichtet
habe — es wäre merkwürdig, wenn ich nichts übersehen hätte.
Vieles freilich, was mir weniger erheblich schien, habe ich mit
Absicht unterdrückt, um die Citatenmasse des Buches nicht
noeh mehr anschwellen zu lassen. Auch sonst bin ich bestrebt
gewesen, mich so kurz wie möglich zu fassen, und habe na-
mentlich bei den immer wiederkehrenden Berechnungen der
Gesammtbevölkerung aus der Bürgerzahl, oder der Zahl der
waffenfähigen Männer, in der Regel nur die Elemente der Rech-
nung und das Resultat gegeben. Auch habe ich auf Leser ge-
rechnet, die wenigstens mit den Grundbegriffen der politischen
Oekonomie und der Bevölkerungsstatistik vertraut sind. — Ganz
besonders wünschenswerth wäre es, wenn die Areal- und Orts-
statistik weiter gefördert würde; es ist aber wohl leider wenig
Hoffnung, dass viele unserer Philologen den Planimeter zur
Hand nehmen werden.
Es giebt nun allerdings auch Leute, die über jede bevöl-
kerungsstatistische Untersuchung aus dem Gebiete des Alter-
thums vornehm die Achseln zucken. Das ist freilich eine sehr
wohlfeile Weisheit. Gewiss ist unser Material dürftig im Ver-
gleich zu dem, was uns für unsere Zeit zu Gebote steht; aber
geben wir es denn etwa auf, die politische Geschichte Griechen-
lands und Roms zu erforschen, weil die Archive des Metroon
und des Capitols bis auf wenige Trümmer verloren sind, weil
die Alten das überhaupt kaum gekannt haben, was wir heute
unter Geschichtswissenschaft verstehen? Mögen wir uns übrigens
auch noch so ablehnend gegen die historische Bevölkerungs-
statistik verhalten, entbehren können wir sie dennoch nicht.
Es giebt kein grösseres Werk über alte Geschichte, das nicht
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VIII
Vorwort.
statistische Angaben in Menge enthielte, und wären es auch
nur Angaben über die Stärke der Heere; und Niemand wird
diese Zahlen aus der Geschichte verbannen wollen. Bei ihrer
Verwerthung aber herrscht noch immer der roheste Empiris-
mus, und grobe Irrthümer finden sich selbst in unseren besten
Arbeiten. Ist es da nicht wünschenswerth, dass das gesammte
überlieferte Zahlenmaterial einmal in kritischer Weise verar-
beitet wird?
Was Polybios vor zweitausend Jahren gegen Phylarchos ge-
schrieben hat, ist leider zum Theil auch heute noch zeitgemäss :
iv di Tovroig xig ovx. av f}ttv(xäaeie ttjv ä/ceigiav /.ai trp ayvoiav
rrjs -/.otvyjs iwoiag vneQ rrjg twv 'EkXtjvixiüv ^cgay/xdiiuv yoQtj-
yiag v.ai dvvdfisiog; i\v /udltara Sei naga t o7g 'iqzoQtoyQmfoig
inagyeiv. Freilich trifft der Vorwurf mehr unsere Wissenschaft
im ganzen als die Einzelnen. Möchten diese Studien dazu
beitragen, dass der Vorwurf seine Berechtigung verliert.
Frascati, im Juni 1886.
Julius Belocli.
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I n li a 1 1.
Erstes Capitel.
Quellen und Htilfsmlttel.
1 Seite
1. Die bey ölkerungsstatistischen Aufnahmen im Alter-
thnm 1
Geburtsregister 1 — Sterbelisten 2 — Bürgerverzeich-
nisse 2 — Militärkataloge 3 — Volkszählungen 4.
2. Die statistische Ueberlieferung 7
Textcorruptelen 7 — Glaubwürdigkeit unserer Quellen:
Thukydides, Xenophon, Herodot 7 — Ephoros, Timacos, Hiero-
nymos 9 — Poiybios 10 — griechische Schriftsteller der nack-
polybianischen Zeit 11 — römische Annalisten 12 — Historiker
der letzten Kaiserzeit 12.
8. Die militärische Dienstpflicht 13
Dauer der Wehrpflicht 13 — Verpflichtung zum Feld-
dienst 15 — Abstufung der Dienstpflicht nach dem Vermögen
16 — Verwendung der Leichtbewaffneten 17 — die Peltasten
17 — Bewaffnung der Truppen auf Staatskosten 18 — Be-
mannung der Flotten 20 — Dienstpflicht der Metoeken 20 —
Verwendung der Sklaven im Kriege 21 — Soll- und Effectiv-
stärke 21 — Loskauf 22 — Stärke der Aufgebote im Verhält-
niss zur Gesammtlievölkerung 23 — statistische Venvertliung
der Angaben über die Heeresstärke 24 — Verhältniss der Be-
sitzenden zu den Nichtbesitzenden 24.
4. Die Arealbestimmnngen 26
Wichtigkeit der Arealstatistik 26 — Hülfsmittel 27 — zu
erreichender Grad der Genauigkeit 28 -g- befolgte Methode 28.
5. Getreidep roduction und Consum 29
Getreide-Import und Export als Maassstal) für die Dichtig-
keit der Bevölkerung 29 — Getreide-Import- und Exportländer
im Alterthum 30 — Betrag der Production des Exports und
Imports 30 — Getreideverbrauch auf den Kopf der Bevölke-
rung 32.
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X
Inhalt.
Seite
84
6. Die neuere Forschung
Erste Versuche 34 — Hume 34 — Wallace, Sainte-Croix,
Böckh, Xiclmhrt Letronne. Wiülon 85 — Gibbon, Bunsen 36 —
v Clinton 37 -^Zumpt 37 — »Dureau de la Malle, Moreau de
. Jonnös 38 — Wietersheim 38 — Untersuchungen über die
zL römischen Censuszahlen 39 — Kastorchis 39.
Zweites Capitel.
Die Zusammensetzung der Bevölkerung nach Geschlecht
und Alter.
Numerische Gleichheit der Geschlechter 41 — Vertheilung
der Bevölkerung nach Altersklassen 42 — ITlpians Renten-
tafel 43 — die Hundertjährigen in der VIII. Region Italiens 45 —
Altersangaben der Grabinschriften 47 — danach construirte
Ueberlebenstafel 50 — Ergebnisse 51.
Drittes Capitel.
Attika.
1. Areal 54
2. Die überlieferten Bevölkerungszahlen 57
Volkszählung unter Demetrios von Phaleron 57 — Schät-
zungen aus dem V. Jahrhundert 59.
3. Die militärischen Leistungen 60
Aufgebote in den Perserkriegen 60 — Streitkräfte beim Aus-
bruch des peloponnesischen Krieges 60 — Verluste im pelopon-
nesisclien Kriege 66 — Aufgebote im IV. Jahrhundert 68 —
Ephebenkataloge 69 — Bewegung der wohlhabenden Klassen
vom V. bis II. Jahrhundert 71 — die Theten 72 — Gesammt-
bürgerzahl 74.
4. Die Getreidespende des Jahres 445/4 75
Die Zahl der Getreideempfänger bei Philochoros 75 —
Philochoros’ Quelle 77 — Ergebniss 79.
5. Die Kleruchen . . 81
Zwei Klassen von Kleruchien 81 — Zahl der Kleinchen
vor dem peloponnesischen Kriege 82 — Kleruchiengründungen
während des Krieges 83 — Kleruchien im IV. Jahrhundert 83.
6. Die Sklavenzahl 84
Die Angaben bei Athenaeos: Aegina und Korinth 84 —
Athen : Unhaltbarkeit der Auffassung Böckhs 87 — Entstehung
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Inhalt.
XI
»
Saite
des Fehlers bei Athenaeos 95 — Bestimmung der Sklavenzahl
7.
Attikas 96.
Die Bevölkerung und ihre Vertlieilung
99
Bewegung der Bevölkerung 99 — Volksdichtigkeit, Bevöl-
kening der Hauptstadt 100 — das Landgebiet 101 — Ver-
theilimg auf die einzelnen Demen 102.
Anhang: Zur Rede für Polystratos
107
1.
Viertes Capitel.
Der Peloponnes.
Arealbestimmung
109
Clinton 109 — Puillon-Boblavc und Moreau de Jonnes 110
2.
— Strelbitzky 111 — Areal der einzelnen Landschaften 111.
Argolis
116
. Bevölkerung in homerischer Zeit 116 — Argos 116 — Tiryns
und Mykene 118 — Phleius 118 — Sikvon 118 — Korinthos 119
— die Akte 121 — Aegina 122 — bürgerliche Gesanuntbevöl-
8.
kerung 123.
Arkadien
123
Gesammtbevölkenmg 123 — Tegea, Mantineia, Orchomenos
4
125 — Megalopolis 127 — übrige Städte 128.
A chaia
129
5
F. 1 e i a
130
0.
Lakonien und Messenien
131
Die lakedaemonische Heeresorganisation 131 — ouohn und
inouilovtg 136 — die militärischen Leistungen Spartas 138 —
Bürgerzahl 141 — die Perioeken 145 — die Heiloten 146 —
7.
Messenien 148.
Gesammtbevölkerung
149
Uebersicht 149 — militärische Leistungen 151 — Bevöl-
kerung im II. Jahrhundert 156 — Abnahme der Bevölkerung
&_
unter römischer Herrschaft 159.
Kreta
-159
Fünftes Capitel.
Mittel- und Xord - Griechenland.
1. Mittel - Griechenland LSI
Areal 161 — Boeotien: Gesammtbevölkenmg 162 — Pla-
taeae, Thespiae, Theben, Haliartos 165 — die boeotischen
Militärkataloge 167 — Megaris 172 — Sklavenzahl in Megaris
und Boeotien 174 — Phokis 174 — Lokris 175.
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XII
Inhalt.
S«it«
2.
Euboea und die Kykladen
176
Areal 176 — Euboea 179 — die nördlichen Sporaden 180
3,
— die Kykladen 181.
Die. westlichen Landschaften
182
Areal 182 — wirthscliaftliche Zustände 185 — Aetolien
186 — Akamanien 188 — Amphilochien 189 — Leukas,
Kephallenia, Zakynthos 190 — Korkvra 191 — Ambrakia 192
4.
— Epidamnos, Apollonia 194 — Epeiros 194.
Thessalien
197
Wirtlischaftliche Verhältnisse 197 — Areal 197 — Bevöl-
5.
kerung 199.
Makedonien
202
Areal 202 — die Chalkidike 203 — übrige griechische
Colonien 206 — die militärischen Leistungen Makedoniens 207
6.
— Gesammtbevölkerung 211.
Thrake
213
Areal 213 — Bevölkerung 214.
Anhang. Das Heer Alexanders
215
Sechstes Capitel.
Der hellenische Osten.
1. Kleinasien 223
Areal 223 — Vertheilung der Bevölkerung 225 — Rhodos
226 — Kos, Knidos, Halikamassos 227 — das innere Karien
227 — Miletos 228 — Iasos, Myus, Priene 229 — Ephesos 230
— die übrigen Städte des ionischen Festlandes 231 — Samos
232 — Chips 232 — Lesbos 234 — Kymc 235 — Pergamon 236
— die Troas 236 — Kyzikos 237 — Mvsien, Lydien 237 —
die kleinasiatische Südküste 238 — das innere Kleinasien 238
— Bithynien 240 — Paphlagonien, Pontos 241 — Gesammt-
bevölkerung 242.
2, Syrien 242
Areal 242 — Bevölkerung in vorpersischer Zeit 243 —
Bevölkerung in der Perser- und Selenkidenzeit 244 — Pa-
laestina 245 — Gesammtbevölkerung Syriens unter römischer
Herrschaft 248 — Kypros 249.
8. Das obere Asien 250
Babylonien und Susiana 250 — Mesopotamien, Armenien
251 — die Lander am Kankasos 251 — die iranische Hoch- j
ebene 252 — Indien 252 — China 253. j
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1
Inhalt.
XIII
4. Aegypten 254
Areal 254 — Bevölkerung 254 — Alexandreia 258 — die
Kyrenaika 259.
Siebentes Capitel.
Sicilien nnd Grossgriechenland.
1. Areal -* 2fil
Sicilien und die Nachbarinseln 261 — die einzelnen Stadt-
gebiete 262 — Grossgriechenland 263.
2. Wirtschaftliche Zustände 264
Blüthe der westgriechischen Colonien 264 — bisherige
Schätzungen der Bevölkerung 264 — Unhaltbarkeit dieser
Schatzungen 266 — Ackerbau und Viehzucht 267 — Wälder
268 — Vergleich mit den heutigen Znständen 269 — Getreide-
production Siciliens 270.
3. Die Bevölkerung Siciliens 275
Syrakus 275 — Akragas 281 — Selinus 285 — Himera
286 — Naxos, Katane, Leontinoi 288 — Messene 288 — Gela,
Kamarina 289 — Gesammtzahl der griechischen Bevölkerung
290 — die militärischen Leistungen der sicilischen Griechen 290
— die phoenikischen Städte 294 — die Elymer 295 — die
Sikaner und Sikeler 296 — Sklavenznhl in den griechischen
Städten 297 — statistische üebersicht 298 — ;Bevölkerungs-
geschichte vom IV. bis zum I. Jahrhundert 298 — Sklavenzahl
in römischer Zeit 299 — Bevölkerung unter Augustus 301.
4. Grossgriechenland 301
Syharis, Kroton 301 — Taras 302 — Rhegion 302 — Lo-
kroi 303 — Thurioi 304 — Gesanimtbevölkerung 304.
Achtes Capitel.
Per römische l'ensns.
1. Der Census 306
Die lustra 306 — Die Erhebungen beim Census 307 —
Bürgerliste in republikanischer Zeit 308 — Bürgerliste in der
Kaiserzeit 309 — Provinzialconsus 310.
2. Die Bedeutung der Censuszahlen 312
Civium capita 812 — Frauen und Kinder sind ausge-
schlossen 312 — die Censuszahlen umfassen sämmtliche er-
wachsene Männer 313 — entgegenstehende Hypothesen 314 —
avium capita sind nicht Idos die Bürger mit selbständigem
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XIV
Inhalt.
Saita
Vermögen 315 — ebensowenig die juniores 317 — sie schliessen
die capite censi und Freigelassenen ein 318 — 'ebenso die cives
sine suffragio 318.
3. Das römische Bürgergebiet
319
Das römische Gebiet in Italien 319 — Bürgergemeinden
ausserhalb Italiens bis auf Caesar 321 — das plinianische Ver-
zeichniss und seine Quelle 322 — Abfassungszeit dieser Quelle
328 — Bürgergemeinden in Sicilien 325 — in Sardinien 328 —
in Afrika 328 — in Spanien 329 — in Gallien 331 — in Bri-
tannien 332 — in den Donauländem 332 — auf der griechi-
schen Halbinsel 333 — in Asien 334 — üebersicht der Bürger-
gemeinden in den Provinzen 384 — Colonien des Claudius 335
— Colonien Augustus’ und Caesars 386 — die Municipien 338.
4. Die Ergebnisse des republikanischen Census .... 339
Die ältesten Censuszahlen 339 — die Onsuszahlen aus
dem IV. Jahrhundert 340 — die Zahlen bis auf den L puni-
schen Krieg 343 — die Zahlen bis zum Ende der Republik
346 — Werth der Liste 347 — Kritik der Ueberlieferung 349.
5. Die form ul a togatorum 353
Bestimmung der Truppencontingente im italischen Hunde
353 — Heeresmatrikel 354 — das Verzeichniss des Kabine 355
— Kritik der Zahlen 357 — Bedeutung der Liste 360 —
Militärorganisation des Bundes 365 — Gesammtzahl der waft'en-
fähigen Mannschaft 367 — die (jualification zum Reiterdienst
868 — Scldussergebniss 369.
6. Die Censuszahlen aus der ersten Kaiserzeit ■ . . ■ 32Q
Die überlieferten Zahlen 370 , — bedeutet civiuw capita
noch dasselbe wie früher? 372 — der Provinzialcensns 374 —
die Censuszahlen beziehen sieh jetzt auf die bürgerliche Ge-
sammtbevölkemng 375 — Motive der Aenderung 378.
7. Die militärischen Leistungen Italiens 378
Angaben aus älterer Zeit 378 — die Flotten im ersten
punischen Kriege 379 — Heeresstärke im gallischen und hanni-
• balischcn Kriege 380 — Aufgebote im II. Jahrhundert und
während der Bürgerkriege 384 — das Heer der Monarchie 387.
Neuntes Capitel.
Hallen
1- Der Flächeninhalt Italiens
388
Flächeninhalt des heutigen Königreichs 388 — Areal unter
Augustus 390 — die XI Regionen 391.
I
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Inhalt.
XV
Seite
2. Die Bevölkerung Roms 392
Die serviauische Stadt 392 — Wachsthum in republikani-
scher Zeit 392 — Entwickelung unter den Kaisern 393 —
Schätzungen der Bevölkerung 394 — ' die Zahl der Getreide-
empfanger 396 — die Congiarien 400 — die bürgerliche Be-
völkerung 401 — Peregrinen und Sklaven 403 — Gesammtbe-
völkcriuig 404 — Ausdehnung der Stadt 404 — die Häuser-
zahl 406 — Dichtigkeit der Bewohnung 408 — Vergleich mit
anderen Städten des Alterthums 410 — Der Getreideverbrauch
411 — Schlussergebniss 412.
3. Die Bevölkerung der italischen Halbinsel 413
Die freie Bevölkerung 413 — die Sklavenzahl 413 — Ge-
sammtbevölkerung 418 — Campanien 419 — Latium 422 —
Etrurien 423 die Landschaften des Apennin 424 — der •
Süden 425 — Uebersicht der Volksvertheilung 426.
4. Das diesseitige Gallien 427
Culturentwickelung 427 — Städtewesen 429 — Volksdich-
tigkeit 430 — Bevölkerung unter Angustus 433 — die Alpen-
völker 434.
5. Die Gesammtbevolkerung Italiens 435
Die Bevölkerung in der Zeit Hannibals 435 — im ersten
Jahrhundert der Kaiserzeit 436 — Vergleich mit der heutigen Be-
völkerung 437 — Bevölkerung einzelner Gemeinden 440 — An-
gaben der Alten über die Volksdiehtigkeit 442.
Zehntes Capitel.
Der lateinische Westen.
1. Sardinien und Gorsica 444
Areal Sardiniens 444 — Bevölkerung Sardiniens 444 —
Corsica 445 — Gesammtbevolkerung 445.
2. Spanien 446
Areal 440 — Bevölkerung des Nordwestens 446 — Ver-
theilung der Bevölkerung 447 — Gesammtbevolkerung 448.
3. Gallien 448
Flächeninhalt 448 — Bevölkerung der Narbonensis 449 —
Caesars Angaben 4ö0 — die Zahl der Helvetier 450 — das
Aufgebot von Bclgica 458 — ' Das gallische Gesammtaufgebot
vor Alesia 455 — Bevölkerung des Iveltenlandes und ihre Ver-
theiliuig 457 — Aquitanien 458 — die Bevölkerung der Pro-
vinzen nach Augustus’ Eintheilung 460.
4. Die Donauländer 4ßQ
Areal 460 — Dalmatien und Pannonien 462 — Moesien 464.
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XVI Inhalt.
Sait»
1.
Africa
Areal 465 — Volksdichtigkeit im karthagischen Gebiet 466
405
473
— die Stadt Karthago 466 — die karthagischen Heere 467 —
Bevölkerung 469 — Nümidien und Mauretanien 470.
Elftes Capitel.
Die städtische Bevölkerung.
Quellen und Hülfsmittel
Kein politischer Unterschied zwischen Stadt und Land 473
— Schätzung nach dem Umfang 473 — Ermittelung des Flächen-
raumes 474 — Schluss auf die Bevölkenmg 475 — Concentri-
rung der Bevölkenmg innerhalb der Mauern 476.
2.
Die Entwickelung des Städtewesens
477
Anfänge 477 — die Städte in der klassischen Zeit 477 —
Die Gressstädte der hellenistischen Periode 479 — die Städte
am westlichen Mittelmeer 480 — Entwickelung in der Kaiser-
zeit 481.
3.
Die überlieferten Umfangszahlen
481
Flächenrauin . . .
485
Griechische Städte 486 — italische Städte 487 — Belege
und Erläuterungen 487.
Zwölftes -Capitel.
Geschichte der Bevölkerung.
Dichte Bevölkerung in Griechenland seit der homerischen
Zeit 491 — Anwachsen der Bevölkerung bis zum peloponnesi-
sehen Kriege 492 — Eindringen der Sklaverei 493 — Volks-
zahl Griechenlands zu Ende des V. Jahrhunderts 494 — An-
wachsen der Bevölkenmg im IV. Jahrhundert 496 — Bevöl-
kerung in Alexanders Zeit 497 — das III. Jahrhundert 497 —
Ahnalime seit, dem II. Jahrhundert 498 — der Orient seit.
Alexander 499 — der Westen 500 — Volkszahl des Reiches
unter Augustus 502 — Gründe der Abnahme der Bevölkerung
im II. und T. Jahrhundert 502 — Tabellen zur Uebcrsieht 506.
,
Nachträge.
Die griechische Flotte bei Salamis
508
Herakleia Trachis
512
Register
513
Berichtigungen
520
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Erstes Capitel.
Quellen und Hülfsmittel.
1. Die bevölkernngsstatistischen Aufnahmen im Alterthum.
Das Bedürfnis der Verwaltung hat im Alterthum schon
früh zu den Anfängen einer officiellen Bevölkerungsstatistik ge-
führt. Bei den grossen Privilegien, die überall der Besitz des
Bürgerrechtes gewährte, musste sich zunächst die Nothwendigkeit
geltend machen, den Kreis der Berechtigten durch unzweifel-
hafte Urkunden festzustellen. Der Besitz des Bürgerrechtes
aber war an die bürgerliche Abkunft geknüpft; es musste also
dafür gesorgt werden, dass kein Streit darüber entstehen könne,
oh ein Kind von bürgerlichen Eltern geboren war. Das war
nur zu erreichen durch amtlich geführte Geburtsregister, die
wir demnach für alle grösseren griechischen und italischen
Staaten voraussetzen müssen, wenn auch Näheres über diese
Einrichtung nur von Athen und Rom überliefert ist. In Athen
waren es die Phratrien, die mit der Führung dieser Register
((fQctTEgr/.bv yQUf.ataielov) betraut waren; den versammelten
Mitgliedern der Phratrie stand auch die Controlle darüber zu,
ob das zur Eintragung in das Verzeichniss vorgeschlagene Kind
rechtmässiger bürgerlicher Abkunft sei, oder nicht. Ein be-
stimmter Tennin für die Eintragung war nicht vorgeschrieben ;
in der Regel geschah sie wohl möglichst bald nach der Geburt,
doch war eine spätere Eintragung nicht ausgeschlossen1). In
*) Näheres hei Gilbert, Staatsalterthümer 1 S. 134 f.
Beloch, Bevölkernngslelirp. I. 1
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2
Capitel I.
Rom soll bereits Servius Tullius verordnet haben, bei jeder
Geburt eine Gabe an den Tempel der Juno Lucina zu zählen 1).
Aus diesem Brauche entwickelten sich im Laufe der Zeit wirk-
liche Geburtsregister: so musste nach einer Verordnung des
Kaisers Marcus jede Geburt innerhalb 30 Tagen bei dem Prae-
fectus aerarii Saturni angemeldet werden, und analoge
Einrichtungen wurden in den Provinzen durchgeführt2).
Dagegen hat das Redürfiiiss nach amtlichen Sterhelisten
sich erst viel später geltend gemacht. In Athen wurden zur
Zeit des peloponnesischen Krieges die Todesfälle noch nicht ver-
zeichnet, wie daraus hervorgeht , dass Thukydides zwar im
Stande ist, die Zahl der an der Pest gestorbenen Hopliten und
Reiter genau anzugeben, dagegen die Zahl der Opfer aus den
übrigen Schichten der Bevölkerung als „nicht zu ermitteln“ lie-
zeichnet8). Und wir wissen nicht, ob Athen später zur Führung
von officiellen Sterberegistern vorgeschritten ist. In Rom soll
gleichfalls Servius Tullius bei jedem Todesfall eine Gabe an den
Tempel der Libitina vorgeschrieben haben *). Auch hieraus
haben sich später amtliche Listen entwickelt5).
Weiterhin war es erforderlich, die Zahl derer zu kennen,
die zur activen Ausübung des Bürgerrechtes qualificirt waren.
Zu diesem Zwecke bestand bei jeder der politischen Gemeinden
— Demen — , in die Attika durch Kleisthenes eingetheilt worden
war, eine Liste' {XrfeiaQxiv.bv ygctfiucaelov), worin jeder zu dem
Demos gehörige junge Athener etwa mit vollendetem 17. Jahre0)
’) Piso bei Dionys IV 15.
C?) Scriptores Historiae Augustae, Vita M. Antonini 9.
3) Thuk. III 87 : Ttrgaxoaiiov yi(Q öniirmv xai TtTQaxia/iittur ovx
iXiloaovs äniltavov (x rwr räl-etov xct'i rgiaxoa/tov Innitnv, r ov ö ’ äli.ov
o/lov äie((VQfTo; agiihiog. Vergl. Müller-Strübing, Aristophanes S. 642.
■*) Dionys a. a. 0.
Suet Nero 39: pestilentia unius autumni, qua triginta funerum miliu
in rationew Libitinae venerunt. Vergl. Hieronymus 01. 214, 1 (Eusebius II
S. 159 Schoene): lues ingens Konnte facta, ita ul per multos dies in e feine-
ndem X müia ferme mortiwum hominum referrentttr.
6) Da die Eintragung in die Geburtsregister der Pliratrien an kein be-
stimmtes Alter geknüpft war, so konnte das auch bei der Eintragung in
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Quellen und Hülfsmittel.
3
eingetragen wurde. Diese Einzeichnung begründete die poli-
;ischen Rechte und die civilrechtliche Mündigkeit; die Controlle
über die Qualification der Aufzunehinenden stand bei den ver-
sammelten Bürgern des Demos. • Auf Grand dieser Verzeichnisse
wurde dann die Liste der zur Theilnahme an der Volksver-
sammlung berechtigten Bürger ( niva £ buktjaiaauxös) zusam-
nengestellt *). Sie gewährte die Möglichkeit, einen ungefähren
Ueberblick über die Gesammtzabl aller attischen Bürger zu
gewinnen, wenn auch die so erhaltene Zahl von absoluter Ge-
nauigkeit weit entfernt sein musste. Denn einerseits fehlten
in der Liste alle diejenigen Bürger, die ihre politischen Rechte»
temporär oder dauernd verwirkt hatten (aitf-tot) ; andererseits
war es bei dem Mangel an amtlichen Sterberegistem unver-
meidlich, dass die Namen vieler bereits Verstorbenen in dem
rciva^ ixvtkyoiaoTixbg weitergeführt wurden. Aehnliche Listen
müssen für die übrigen griechischen Demokratien vorausgesetzt
werden; in oligarchischen Staaten war der mVa$ iy.xXrjaiaoTrxbg
natürlich auf die bevorrechtete Klasse beschränkt.
Verzeichnisse anderer Art waren für die Militärverwaltung
erforderlich. Jedes Jahr entwarf die oberste Militärbehörde —
in Athen die Strategen, in Boeotien die Polemarchen etc. —
eine Liste der in das kriegspflichtige Alter tretenden Jünglinge,
die durch ihr Vermögen dazu befähigt waren, dem Staat mit
schwerer Rüstung oder als Reiter zu dienen. Diese Listen bil-
deten die Grundlage für die Aushebung; bei ihrer Wichtigkeit
wurde es seit Ausgang des IV. Jahrhunderts üblich, sie in Stein
gehauen öffentlich auszustellen, und diesem Gebrauche ver-
danken wir es, dass eine grosse Anzahl derselben, namentlich
aus Athen und Boeotien. auf uns gelangt ist. Da nun der at-
tische Bürger durch 42 Jahre dienstpflichtig war, so eigab sich
die Gesammtwehrkraft des Staates, wenn man die Listen der
letzten 42 Jahre zusammenzählte. Dabei war es selbstverständ-
die Bürgerlisten der Deinen nicht der Fall sein; das Entscheidende war
vielmehr die physische Entwickelung (Arist. Wespen 578: nai'iimv rofrvr
doxifiatofjfvmv ctläoia nttgiart {Itna&at).
*) ü. g. Ijeochares (Demosth. 44) 35 S. 1091.
1*
» ✓
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4
Capitel I.
lieh erforderlich, dass alle Abgänge durch Todesfälle, Ausführung
in Kleruchien etc. genau vermerkt, und andererseits die Zugänge
durch Aufnahme wohlhabend gewordener Theten, Ertheilung
des Bürgerrechts oder der Isotelie an Fremde berücksichtigt,
wurden. Die so gebildete Musterrolle liiess der „Katalog“
schlechtweg (6 nazaloyog) ; ihm hat Thukydides seine Angaben
über die Wehrkraft Athens, wie über die Verluste durch die
Pest entnommen. Da ferner auch die vermögenderen Schutz-
verwandten zum Dienste als Hopliten verpflichtet waren, so
musste auch über sie ein analoges Verzeichniss geführt werden.
Dagegen hat Athen, wenigstens seit der perikleischen Zeit, mit
Ausnahme eines kleinen Corps Bogenschützen, regelmässige
leichte Truppen nicht unterhalten ; über die Bürger der Theten-
klasse also, die vom Dienst als Hopliten auf eigene Kosten
befreit waren, sind Listen zu militärischen Zwecken nur inso-
weit geführt worden, als sie von Staatswegen mit schwerer
Rüstung versehen waren.
Die besprochenen Verzeichnisse leisteten allen Erforder-
nissen der Verwaltung genüge und liessen ein Bedürfniss nach
periodischen Aufnahmen der Bevölkerung nicht aufkommen. So
ist die erste Volkszählung in Athen, von der wir Kenntniss
haben, erst unter der Verwaltung des Demetrios von Phaleron
(317 — 307) gehalten worden1). Sie umfasste alle Klassen der ’
Bevölkerung, Bürger, Metoeken und Sklaven, aber, wie die er-
haltenen Ergebnisse beweisen, nur die erwachsenen Männer,
während Weiber und Kinder ausgeschlossen blieben. Heber die
sonstigen Modalitäten der Zählung sind wir nicht unterrichtet ;
J) Athen. VI S. 272 B (= Müller, Fr. H. Gr. IV 875 Ktesikles fr. 1):
Kir]aixXfjq cf’ Iv rpi'r rj XQortxtür xm ihxdrii 7iobg raif ixaröv
(f rjOiv 'OivfinidiSi 'Ailrji T]<nv (Snaouöv yiv(od-tu vnb Aq/urjTQlov tov •f’aXr/-
q(ix>{ Ttöv xaToixovvrtov ir\r ’Attixtiv . . . xal evpe&rjvat ‘Ad-Tjvcti'ovi utv
äittft VQi'ov; nQOi Toiff %iMois, fttroixovs <!f [XVfffovs, o/xfuüv ifi [ivQfaäui
[Tfaaapäxovza]. Man hat 01. 115 (Schweighäuser), 116 (Casaubonus), 118
(Scaliger) emendirt. Warum nicht 01. 117? Wir kennen Ktesikles nur aus
Athenaeos ; das III. Buch der Xpovixa erzählte noch den Tod Eiunenes’ I.
von Pergamon 241 v. Chr., Ktesikles kann also frühestens gegen Ende des
III. Jahrhunderts geschrieben haben.
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Quellen und Hulfsmittel.
5
es wird aber aller Analogie nach anzunehmen sein, dass die
rechtlieh zugehörige, nicht die factiscli anwesende Bevölkerung
gezählt wurde. Ob später noch andere Volkszählungen in Athen
stattgefunden haben, wissen wir nicht ; ebensowenig ob das von
Denietrios gegebene Beispiel in anderen griechischen Republiken
Nachfolge gefunden hat. Dagegen dürfen wir mit Sicherheit
annehrnen, dass in den Grossstaaten der hellenistischen Zeit
Aufnahmen der Bevölkerung vorgenommen worden sind. Und
zwar hat hier der Begriff der Gesammtbevölkerung in die Sta-
tistik Eingang gefunden. Wenn Diodor unter Berufung auf
die officiellen Listen die freie Bevölkerung von Alexandreia zu
300000 angiebt1), so ist klar, dass hier die Frauen und Kinder
eingerechnet sein müssen. Ebenso wenn Plinius die plebs
urbana von Seleukeia am Tigris auf 600 000 beziffert 2). Dass
die aus Hekataeos von Abdera geflossene Nachricht, Aegypten
habe unter dem ersten Ptolemaeer 3 Millionen Einwohner gezählt,
ebenfalls von der Gesammtbevölkerung zu verstehen ist, sagt
Diodor selbst3). Es ist wahrscheinlich, dass sich hier die pto-
lemaeische Verwaltung an Einrichtungen aus der Pharaonenzeit
angelehnt hat.
In die hellenistische Zeit fällt auch die Ausbildung des
römischen Census. Allerdings stehen diese Erhebungen nicht
auf gleicher Linie mit der Volkszählung des Demetrios, denn
der Zweck des Census war nur die Feststellung der römischen
Bürgerzahl, während Fremde und Sklaven unberücksichtigt
blieben. Aber die periodische Wiederholung der Aufnahmen
in kurzen Zwischenräumen und durch vier Jahrhunderte, das
grosse und beständig wachsende Gebiet, auf das^sich dieselben
beziehen, endlich und vor allem der .Umstand, dass uns hier
allein auf dem Felde der antiken Bevölkerungsstatistik eine
verhältnissmässig reiche Ueberlieferüng zu Gebote steht, giebt
den römischen Censuszahlen eine Bedeutung, die kein anderes
Document dieser Art aus dem Alterthume erreicht. Sie werden
!) Diod. XVII 52.
*) Plin. H. N. VI 122.
3) Diod. I 31, vergl. unten Cap. VI 4.
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6
Capitel I.
weiter unten (Cap. VIII) eine ihrer Wichtigkeit entsprechende
ausführliche Behandlung finden.
Allerdings dürfen die Ergebnisse auch der sorgfältigsten
dieser Aufnahmen an Genauigkeit mit den Ergebnissen unserer
Volkszählungen bei weitem nicht auf eine Stufe gestellt werden.
Aber das vorhandene statistische Material hätte doch immer-
hin ausgereicht, um ein in der Hauptsache treues Bild der
Bevölkerungsverhältnisse der griechisch-römischen Welt zu
gewinnen. Auch war dasselbe keineswegs der öffentlichen Be-
nutzung entzogen. In den griechischen Demokratien, wo alles
auf dem Markt verhandelt wurde, konnten selbstverständlich
die Ergebnisse der officiellen Statistik nicht geheim ge-
halten werden, und auch Rom hat weder unter der Herrschaft
der Aristokratie, noch unter der Kaiserherrschaft Bedenken
getragen, die Resultate seines Census zu veröffentlichen. Aber
von einer wissenschaftlichen Verwerthung, ja auch nur von einer
Sammlung des statistischen Materials finden sich im Alterthum
kaum die rohesten Anfänge ; sowenig wie eine politische Oeko*
nomie haben die Griechen und Römer eine politische Arithmetik
besessen. Die praktische Wichtigkeit statistischer Kenntnisse für
den Staatsmann und den Historiker freilich haben sie nicht ver-
kannt. So stellt schon der Sokrates den xenophontischen Memoiren
an einen angehenden Volksredner die Forderung, ttl>er die mili-
tärischen Machtmittel des eigenen Staates wie der eventuellen
Gegner unterrichtet zu sein ') ; und Unwissenheit, in statistischen
Dingen ist einer der stärksten Vorwürfe, die Polybios gegen
Phylarchos schleudert2). Aber die Eifüllung dieser Anforde-
rungen war dem antiken Staatsmanne oder Forscher recht
schwer gemacht. Es mag sein, dass die politischen Schriften
der peripatetischen Schule statistische Angaben enthalten haben ;
in der Hauptsache aber blieb jeder, der sich für diese Dinge
*) Xen. Denkteürd. III 6, 9.
*) Polyb. II 62, 2: (v äl r ovtois ngtÜTov /jlv tCs ovx ccv dav/uatJiif
tfjV anugiuv xal irjv äyvoiav rijf xoirrj ; ivvolm vnlg Trjs rtSv 'Elkri-
nxtöv 7i gay n dioiv /ogrjyla; xal ihvauttog ; fjr fiilXimct <hi fragte -To/'f
larogioygatfois vmig/ur.
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Quellen und Ilülfsmittel.
7
interessirte, darauf angewiesen, das Material seihst zusammen-
zubringen, sei es durch persönliche Erkundigung, sei es durch
das Studium der Historiker. Es sind die Trümmer der histo-
rischen Literatur des Alterthums, denen auch wir in erster
Linie die Kenntniss der Populationsverhältnisse der antiken
Welt zu verdanken haben.
2. Die statistische Ueberlieferung.
Zahlen sind, wie bekannt, bei handschriftlicher Ueberliefe-
rung am meisten der Verderbniss ausgesetzt. Schon in unserem
Gedäcbtniss haften Zahlen viel weniger fest als Worte, und es
erfordert die schärfste Anspannung unserer Aufmerksamkeit,
eine längere Zahlenreihe fehlerlos abzuschreiben. Dabei sind
Verderbnisse, die sich einmal in der Zahlenüberlieferung ein-
geschlichen haben, in der Regel durch Conjectur nicht zu heilen,
da uns hier die Bestätigung ahgeht, die bei der Emendation ge-
wöhnlicher Textcorruptelen der Wortsinn gewährt. So bietet
nur die epigraphische Ueberlieferung ein absolut sicheres Fun-
dament für unsere Untersuchungen; aber leider ist die be-
völkerungsstatistische Ausbeute aus den Inschriften bis jetzt sehr
gering. Das Monumentum Ancyranum mit seinen Cen-
suszahlen, die griechischen Epheben- und Militärkataloge, einige
hie und da gelegentlich verstreute Angaben — das ist alles, was
uns die Inschriften an statistischen Daten geliefert haben. Im
wesentlichen bleiben wir doch auf die literarische Tradition
angewiesen.
Es sind übrigens nicht so sehr die Nachlässigkeit der Ab-
schreiber und die dadurch verursachten Corruptelen, die uns
die Verwerthung der überlieferten Zahlen erschweren. Viel
grössere i Schuld trifft die antiken Historiker selbst. Unsere
nächste Aufgabe muss es also sein, die Glaubwürdigkeit unserer
Quellen in statistischen Dingen zu untersuchen.
Der erste Platz in der uns erhaltenen Literatur gebührt
hier ohne Frage Thukydides. Mehr als eine Stelle seines
Werkes bezeugt es, wie strenge Kritik er an den Angaben
seiner Gewährsmänner übte, und wie er lieber eine Zahl unter-
8
Capitel I.
drückte als unzuverlässige Angaben aufzunehmen *)• Dass trotz-
dem auch bei ihm einige Zahlen sich finden, die nachweislich
unrichtig sind, liegt in der Natur der Sache; auch bleibt es
dabei meist zweifelhaft, ob nicht die Schuld statt den Verfasser,
die Verderbniss der Ueberlieferung trifft. Thukydides am näch-
sten steht Xenophon. An seiner Wahrheitsliebe kann kein
Zweifel sein, und wo es sich um Zahlen handelt, die er zu
kennen in der Lage war, werden sie als unbedingt zuverlässig
zu gelten haben. Sonst freilich hat Xenophon sein Material
keineswegs mit derselben Sorgfalt gesichtet, wie Thukydides.
Viel weniger günstig muss unser Urtheil über den „Vater der
Geschichte“, Herodot, lauten. Schon an und für sich erwecken
die vielen und detaillirten Zahlenangaben aus der Geschichte
der Perserkriege schwere Bedenken. Handelt es sich doch hier
um eine Zeit, die eine ganze Generation hinter dem Verfasser
zurücklag, und über die ihm eine zusammenhängende schrift-
liche Ueberlieferung nicht zu Gebote stand2). Ich sehe hier
ganz ab von den Angaben über Heer und Flotte des Xerxes,
denen die Uebertreibung deutlich an der Stirn geschrieben steht
und woran schon das Alterthum Kritik geübt hat. Aber auch
das Verzeichniss der griechischen Streitkräfte* bei Plataeae, das
so lange Zeit die hauptsächlichste Grundlage aller Unter-
suchungen über die griechische Bevölkerungsstatistik gebildet
bat, und den Beweis hat hergeben müssen für die behauptete
Abnahme der Volkszahl Griechenlands seit den Perserkriegen,
erweist sich bei näherer Prüfung als keineswegs zuverlässig.
Es ist längst erkannt worden, dass Sparta niemals 5000 Bürger-
hopliten ins Feld gestellt haben kann8); und auch die Zahlen
für einige der übrigen Contingente, wie die von Sikyon, Korinth,
') Thuk. III 118: xtu ÜQi&fiöv ovx eygaipa xojv uno'iavovTwv, «Stört
«tuotov rö nXij&og Ziytxai unoMo&ui, mg n gog xd /uiye9og x ijg rxoZtmg.
V 68: aQi&ftör di ygüxpni, fj xn9’ ixaoxovg ixux^Qtav rj l-vfiTxavxag, ovx
«v Idvvttfxriv äxQißmg' xd yng ^oxidai /uovimv niijSog «ft« xijg 710/.1-
xefag xd XQV7ITÖV rjyvotixo, xmv tf’ av did xd äv^gamtvov xofinmdeg tg
tu olxela nir\9r) fimaxtixo.
*) Vergl. Nitzscli, Rh. Mus. 27 (1872) S. 226 — 268.
3) Stein, Jahrbücher für Philologie 85 (1862) S. 853 — 864.
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Quellen und Hülfsmittel.
9
Megara und Plataeae erregen durch ihre Höhe die stärksten
Bedenken. Daneben allerdings finden sich Zahlen, die solchen
Zweifeln nicht unterliegen, ja die höchst wahrscheinlich exact
sind. Dieser verschiedene Werth erklärt sich sehr leicht aus
der Art, wie Herodot seine Liste zusammengestellt hat. Die
Grundlage bildete das plataeische Siegesdenkinal in Delphi, wie
sich aus der genauen Uehereinstimmimg in den Namen ergieht1).
Da nun das delphische Siegesdenkmal keine Angaben über die
Stärke der einzelnen Contingente enthält, so war Herodot ge-
zwungen, dieselben aus eigenen Mitteln hinzuzufügen. Nach
Verlauf eines halben Jahrhunderts aber konnten zuverlässige
Angaben dieser Art nur noch in Ausnahmefällen zu beschaffen
sein; in der Regel blieb Herodot auf Schätzungen angewiesen,
deren Grundlage offenbar die militärische Leistungsfähigkeit der
einzelnen Gemeinden in Herodots eigener Zeit bilden musste.
Auch so bleibt die Liste für unsere Zwecke sehr wichtig, wenn
sie auch einen absoluten Werth nicht mehr beanspruchen kann
und nur mit Vorsicht benutzt werden darf. Die gleiche Vor-
sicht wird natürlich auch den übrigen Zahlen bei Herodot gegen-
über geboten sein.
Bei dem Verlust der gesammten historischen Literatur des
Alterthums zwischen Xenophon und Polybios ist eine Beurthei-
lung des Werthes der in den Werken dieser Zeit enthaltenen
Zahlenangaben nur insoweit noch möglich, als es der Quellen-
forschung bisher gelungen ist, die Berichte Diodors, Plutarchs,
*) IGA. 70. — Dass unter den Fakttoi des Denkmals die Eieier zu
verstehen sind, hat Herodot nicht erkannt, vielmehr das Digamma als II
gelesen, und so die Paleer aus Kepliallenia in die Liste hereingebracht,
lieber andere ähnliche Versehen aus dem Alterthum (z. B. des Polemon),
s. Wilamowitz, Hom. Unters. S. 305. — Die Bürger von 6 Kykladen : Keos,
Melos, Tenos, Naxos, Kythnos, Siphnos, die auf dem Denkmal verzeichnet
sind, hat Herodot ausgelassen, weil sie nur bei Salamis, nicht auch bei
Plataeae gekämpft haben. Vergl. Herod. VIII 82: <fi« tovto to igyov
lv(yQtt<f T)Oar Ti'/Vioi (v f( töv rginoifn tv rotai tov ßoQßagor
xartlovoi. Wir haben hier zugleich ein directes Zeugniss dafür, dass
Herodot die Inschrift des delphischen Dreifusses für seine Geschichte be-
nutzt hat.
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10
Capitel I.
Poinpeius Trogus’ und Anderer mit Sicherheit auf ihre Vorlagen
ztirückzuführen. Soweit wir danach urtheilen können, ist es
mit Ephoros’ Zuverlässigkeit in statistischen Dingen sehr übel
bestellt In dem Strel>en nach Anschaulichkeit machte er sich
kein Gewissen daraus, wo ihm die Ueberlieferung keine Zahlen-
angaben an die Hand gab, dieselben aus eigenen Mitteln zu
ergänzen. So werden persische und karthagische Heere in der
Regel in Bausch und Bogen zu 300000 Mann angesetzt, Ver-
lustziffern nach reiner Willkür gegeben, und Aehnliches *). Schon
Timaeos hat es sich angelegen sein lassen, einige von Ephoros’
Uebertreibungen zu berichtigen3); aber von Thukydides’ Akribie
ist auch er sehr weit entfernt.
Ganz vorzüglich dagegen sind die Zahlenangaben in Diodors
Diadochengeschichte, die wohl unzweifelhaft, wenn auch vielleicht
nicht direct, aus Hieronymos geflossen sind. Und auch die unter
Hieronymos’ Namen überlieferten Verlustziffern aus Pyrrhos’
Krieg mit den Römern tragen durchaus das Gepräge der Zuver-
lässigkeit. Leider kommen alle diese Angaben für unsere Zwecke
nur wenig in Betracht, da sie sich auf eine Zeit beziehen, wo
die Kriege zum grossen Theil mit Söldnern geführt wurden.
Polybios hängt, wie in seiner ganzen Geschichtsauffassung,
so auch in seinen Zahlenangaben, in viel höherem Maasse von
seinen Quellen ab, als man von einem Historiker seines Ranges
erwrarten sollte. Das auffallendste Beispiel dafür bietet vielleicht
der Bericht über die Seeschlacht von Chios3), wo die Angaben
liiodischer Quellen über die ungeheuren Verluste Philipps kritik-
los nachgeschrieben werden, obgleich doch aus Polybios’ eigener
Erzählung klar genug hervorgeht, dass Philippos Sieger blieb,
wie denn auch seine Flotte so w'enig geschwächt war, dass sie
kurz darauf den Ithodiem bei Lade eine neue und entscheidende
Niederlage beibringen konnte. Die Angaben Fabius Pictors über
die ungeheuren maritimen Leistungen Roms im ersten punischen
Kriege werden ohne weiteres wiederholt und Polybios wagt
') Vergl. darüber Busolt, Sh. Mus. 38 (1883) S. 629.
2) S. unten Cap. VIII 5.
8) Polyb. XVI 7; vergl. Ihne, Rom. Gesell. III S. 10 A. 2.
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Quellen und Ilülfsmittel.
11
es kaum, beiläufig ein schüchternes Bedenken zu äussern1).
Von Hannibal berichtet er mit kaltem Blute, dass er auf dem
Zuge nach Italien 76000 Mann, aU seines Heeres, eingebüsst
habe, ohne sich daran zu stossen, dass von diesem Verluste
13000 Mann auf die Strecke von den Pyrenäen zum Rhodanos
entfallen sollten, auf der Hannibal weder irgend welche Terrain-
schwierigkeiten zu überwinden, noch grössere Kämpfe zu be-
stehen gehabt hat. Dass diese ganzen, scheinbar so ungeheueren
Verluste blos auf der gewaltigen Uebertreibung der Heeres-
stärke beruhen, die Hannibal beim Aufbruch von Neu-Karthago
unter seinen Befehlen gehabt hat, ist Polybios offenbar nicht in
den Sinn gekommen; freilich den modernen Bearbeitern dieses
Zeitraumes ebensowenig2). Dass ferner Polybios’ Servilität
gegen das Haus der Scipionen seine Berichte, und namentlich
seine Zahlenangaben überall da unbrauchbar macht, wo er
Thaten dieser Familie zu erzählen hat, ist längst allgemein
anerkannt. Wo dagegen Polybios als unmittelbare Quelle be-
richtet und zur Fälschung der Wahrheit keine Veranlassung
hat, werden seine Zahlen einen hohen Grad von Zuverlässigkeit
beanspruchen dürfen, und halten in der Regel jeder Kritik Stand.
Bei den griechischen Schriftstellern der nachpolybianischeu
Zeit, wie Diodor, Strabon, Plutarch, Appian, kann von einem
allgemeinen Uitheil über den Werth der vorkommenden
Zahlenangaben kaum mehr die Rede sein, da sie in diesem
Punkte durchaus von ihren Quellen abhängen. Mit ihrem eigenen
statistischen Verständniss ist es, entsprechend ihrem ganzen gei-
stigen Niveau, meist sehr traurig bestellt. So bemüht sich
Diodor, uns die Angaben über die ungeheueren Heere der
Samiramis als glaublich darzustellen, und führt zum Beweise
an, Dionys habe aus der einen Stadt Syrakus ein Heer von
132000 Mann zusammenzubringen vermocht8); seiner Vater-
') Polyb. I 38, 5: 'PiouaToi . . . ? yvtaaav (x iSqvu/iüv elxoat
xni Siaxoaui vavntiyeiafXai axtiift)' rovuuv <fi rfjv avvj(Xuctv tv rp iftijvm
XaßovTiov, ojriQ oität n im j Ca a i (S « <1 e o J\
*) Näheres unten Cap. X 5.
3) Diod. II 5.
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12
Capitel I.
Stadt Agyrion schreibt er um den Anfang des IV. Jahrhunderts
eine Bttrgerzahl von 20 000 zu 1), also nicht weniger als Akragas
oder Athen um dieselbe Zeit hatten.
Ueber die römischen Annalisten endlich brauche ich kaum
ein Wort zu verlieren. Der Sinn für historische Wahrheit lag
den Römern überhaupt fern, und wenn selbst die Feldherrn in
ihren officiellen Berichten sich vor offenbaren Lügen nicht
scheuten, was war dann von den Schriftstellern zu erwarten?
Systematischer ist niemals Geschichte gefälscht worden, und
gerade die Zahlenangaben boten dafür das ergiebigste Feld.
Erst mit der Verbreitung griechischer Bildung am Anfänge der
Kaiserzeit sind die Dinge etwas besser geworden. Livius macht
doch hin und wieder wenigstens einen Anfang zur Kritik, wenn
auch das Resultat meist sehr kläglich ausfällt ; und in der That
befand sich die Ueberlieferung der republikanischen Zeit in
einer so heillosen Verwirrung, dass bei dem damaligen Stand
der historischen Forschung an eine Auflösung dieses Chaos
nicht mehr zu denken war. Wären uns nicht glücklicher Weise
die Ergebnisse des römischen Census erhalten, so würden wir
überhaupt darauf verzichten müssen, zu einer Anschauung der
Bevölkerungsverhältnisse des alten Italien zu gelangen.
Bei den Schriftstellern der späteren Kaiserzeit endlich ver-
schwindet meist jedes statistische Verständniss. Die Zahlen
wachsen ins Maasslose. So schreibt Zonaras — oder vielmehr
seine Quelle — dem kappadokischen Kaisareia im IV. Jahr-
hundert eine Bevölkerung von 400000 Einwohnern zu2); Pro-
kopios lässt bei der Einnahme Mailands durch die Gothen und
Burgunder 300 000 Männer getödtet werden a) ; nach demselben
Prokopios wären in Africa unter Justinians Regierung 5 Millionen
Menschen zu Grunde gegangen, im ganzen römischen Reich
und den angrenzenden Barbarenländern eine Billion4). Die
*) Diod. XIV 95.
8) Zonar. XII 23, S. 141 Dindorf.
3) Prokop, Goth. Kr. II 21.
*) Prokop, Geh. Geschichte 18: u vgiäias /uvfuadtov ulo/u; if ijui
(Inoluikextrai.
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Quellen und Hlilfsmittel.
13
Erscheinung ist charakteristisch für den Verfall des geistigen
Lebens in dieser Zeit; und bekanntlich geben die mittelalter-
lichen Chroniken in diesem Punkte den Byzantinern nichts nach.
Wir sollten endlich aufhören, von solchen Zahlen Gebrauch zu
machen.
3. Die militärische Dienstpflicht.
Unsere Kenntniss von der Bevölkerung der Staaten des
Alterthums ruht, wie wir gesehen haben, zu einem sehr grossen
Theil auf den Angaben über die Truppenzahl, welche diese
Staaten, sei es überhaupt ins Feld stellen konnten, sei es bei
einer gegebenen Gelegenheit wirklich ins Feld gestellt haben.
Um aber diese Angaben statistisch verwerthen, ja auch nur um
die Richtigkeit unserer Ueberlieferung kritisch prüfen zu können,
ist es unumgänglich, uns zuvor von der Zusammensetzung der
Heere im Alterthum ein deutliches Bild zu machen.
Der Grundsatz, dass jeder Bürger zur Vertheidigung der
Heimath verpflichtet ist, gilt von den heroischen bis herab in
die römischen Zeiten. Aber die Ableistung dieser Pflicht wird
geregelt durch physische und rechtliche Bedingungen; im wesent-
lichen also durch Alter, Stand und Vermögen. Die physischen
Voraussetzungen für die Wehrpflicht werden im allgemeinen
zu allen Zeiten dieselben sein, solange die menschliche Natur
dieselbe bleibt ; das Gesetz hat hier nur einen verhältnissmässig
beschränkten Spielraum. Wie die Staaten des modernen Europa
den Jüngling mit dem vollendeten 20. Jahre zum Kriegsdienst
heranziehen, so war es, soweit wir sehen, in Griechenland. Von
dem 20. Jahre an wurde der junge Athener bei Feldzügen ausser
Landes verwendet; mit 20 Jahren begann in Boeotien die Militär-
pflicht und mit demselben Alter ging der spartiatische Jüngling
in die Klasse der Eirenen über und damit in das active Heer.
Voraus ging eine Zeit der militärischen Vorbereitung, wäh-
rend der die junge Mannschaft nur zum Dienst innerhalb der
Landesgrenzen verwendet wurde. So diente der junge Athener
nach seiner Mündigkeitserklärung zwei Jahre, in der make-
donischen Zeit ein Jahr als Peripolos, oder wie später die officielle
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14
Capitel I.
Bezeichnung lautete, als Epliebe; ebenso ging in Boeotien die
Ephebie dem Eintritt in das Heer voraus, und in Sparta, wo
eigentlich die ganze Erziehung nichts anderes war, als eine Vor-
bereitung auf den Kriegsdienst, waren doch die beiden letzten
Jahre vor dem Eintritt unter die Eirenen ganz besonders diesem
Zwecke gewidmet, wie schon der Name ueXletgeve g ausdrückt,
mit; dem die jungen Leute während dieser Zeit bezeichnet
wurden. Zahlreiche Ephebeninsehriften aus den verschiedensten
Theilen der griechischen Welt bezeugen, dass ähnliche Ein-
richtungen in allen, oder doch in sehr vielen Staaten be-
standen haben.
Unter das 20. Jahr ist in Griechenland für den activen
Kriegsdienst nur in Nothfällen herabgegangen worden. So sind
vor der Schlacht bei Tanagra ') und einmal im peloponnesischen
Kriege 2) die attischen Peripoloi in Megaris verwendet worden ;
so hat Philippos vor der Schlacht bei Kynoskephalae zur Er-
gänzung seines Heeres 16jährige Jünglinge zu den Waffen ge-
rufen8), und 210 haben die Akamanen bei einem Einfall der
Aetoler die ganze männliche Bevölkerung vom 15. bis zum 60.
Jahre aufgeboten4). Aber das sind eben Ausnahmefälle, die
nur die Regel bestätigen. — In Rom dagegen begann die Wehr-
pflicht regelmässig mit dem vollendeten 16. Jahre. Die Vor-
bereitungszeit wie in Griechenland fiel natürlich hier fort.
Als obere Grenze des kriegspflichtigen Alters galt in der
Regel das 60. Lebensjahr. So in Athen, dessen Musterrolle
der Hopliten (y-taakoyog) die 42 Jahrgänge vom 18. bis zum 60.
Jahre umfasste. In Sparta blieb der Bürger von seinem Eintritte
in das Heer durch 40 Jahre zu Feldzügen ausser Landes ver-
pflichtet (tuq'QoiQog) ; und da bis auf den Tag von Leuktra
ein feindlicher Angriff auf Sparta ausser dem Bereich der Mög-
lichkeit zu liegen schien, so war auch der Spartiate mit 60
Jahren thatsächlich vom Kriegsdienst befreit. Die Akarnanen
>) Thuk. I 105.
s) Thuk. IV 67.
3) Livius 33, 3 nach Polybios.
4) Livius 26, 25 ebenfalls nach Polybios.
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Quellen und Hülfsmittel.
.21
haben selbst in der Zeit der höchsten Bedrängniss nicht auf die
Mannschaften Uber 60 Jahre zurückgegriffen1). Ebenso war es
in Rom. Eine Ausnahme macht scheinbar Makedonien. In dem
Heere, das Alexander 334 nach Asien führte, soll unter den
Subalteraoffizieren keiner gewesen sein, der nicht über 60 Jahre
gezählt hätte2), und von den Argvraspiden sollen 316 die meisten
gegen 70, die jüngsten 60 Jahre gezählt haben3). Aber abge-
sehen von der Möglichkeit, dass diese Angaben übertrieben sind,
ist es sehr wahrscheinlich, dass diese Elitetruppe freiwillig über
die gesetzliche Zeit hinaus weitergedient hat. Denn bekanntlich
hat Alexander seine übrigen alten Soldaten theils schon während
seiner Feldzüge, theils nach der Rückkehr von Indien entlassen.
Indess lag es in der Natur der Sache, dass die gesammte
kriegstüchtige Mannschaft nur in Ausnahmefällen aufgeboten
w'urde. Das geschah z. B. in Sparta nach dem Schlage von
Leuktra. Für gewöhnlich musste schon das Bedürfniss, die
festen Plätze nicht ohne Besatzung zu lassen, dahin führen,
dass selbst bei Auszügen „mit ganzer Macht“ (navö^uei) ein
Theil der Wehrpflichtigen zu Hause blieb. In der Regel be-
stimmte man dazu natürlich die ältesten Jahrgänge. So war
das spartanische Heer bei Leuktra aus den Bürgern vom 20.
bis zum 55. Jahre gebildet4), und auch an der Schlacht bei
Mantineia 418 haben die ältesten Jahrgänge nicht Theil ge-
nommen5). Andere Staaten konnten begreiflicher Weise so
hohe Anforderungen nicht stellen. So war es in Athen bis auf
die makedonische Zeit Regel, die Bürger nur etwa bis zum
50. Jahre zu Feldzügen aufzubieten. Thukydides in seiner
Uebersicht der Machtmittel Athens am Anfang des ]>eloponne-
sischen Krieges führt die beiden Kategorien der Feldtruppen
und der Besatzungstruppen gesondert auf ; zu letzterer gehörten
unter anderen die Bürger aus den jüngsten (die nsginoloi)
und den ältesten Jahrgängen, d. h. offenbar die Bürger vom
>) Liv. 26, 25.
2) Justin. XI 6.
s) Diod. XIX 41.
«) Xen. Hell. VI 4. 17.
*) Thuk. V 75.
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Capitel I.
/
w'
/
50. bis zum 60. Lebensjahre *). Ebenso hat Dionysios zur Zeit, als
er noch Strateg der Republik Syrakus war (Frühjahr 405) für
einen Feldzug gegen die Karthager die Mannschaft bis zu 40
Jahren zu den Waffen gerufen2). Und auch in Rom war, wie
bekannt, das 46., oder höchstens das 50. Lebensjahr die obere
Grenze des felddienstpflichtigen Altere.
Nicht weniger wichtig sind die rechtlichen Verhältnisse,
von denen die Ableistung der Militärpflicht bedingt wird. Wie im
europäischen Mittelalter, so galt auch in den Staaten des Alter-
thums ursprünglich der Satz, dass der Mann für seine eigene
Ausrüstung zu sorgen hat. Daraus ergab sich die Noth Wendig-
keit, die Ableistung der Dienstpflicht nach dem Vermögen ab-
zustufen. Wer reich genug war, ein Pferd halten zu können,
diente im Kriege als Reiter ; wer sich eine Panoplie anzuschaffen
vermochte — und das war im Alterthum eine sehr kostspielige
Sache — , kämpfte als Hoplite ; alle übrigen dienten als Leicht-
bewaffnete oder auf der Flotte. Natürlich konnte man alles
das nicht der Willkür des Einzelnen überlassen; es musste
gesetzlich festgestellt werden, bis zu welchem Vermögen herab
der Dienst zu Pferde und der Dienst mit schwerer Rüstung
obligatorisch war. In Athen war diese Verpflichtung bekannt-
lich auf die drei oberen solonischen Klassen beschränkt, während
die vierte Klasse, die Theten, vom Hoplitendienst frei war.
Analoge Bestimmungen müssen in den übrigen griechischen
Staaten bestanden haben, wenn wir auch nicht näher darüber
unterrichtet sind; man denke an die ja offenbar nach griechi-
schen Vorbildern entworfene servianische Verfassung Roms. Da
jeder Staat das höchste Interesse daran hatte, soviele Hopliten
als möglich im Falle des Bedürfnisses aufstellen zu können, so
liegt es in der Natur der Sache, dass man überall bei Bestim-
mung des Hoplitencensus bis an die äusserete zulässige Grenze
hinunterging, sodass trotz aller Schwankungen im einzelnen
der zum Dienste in schwerer Rüstung berechtigende und ver-
pflichtende Vermögenssatz sich durch die ganze hellenische Welt
') S. unten S. 61 f.
2) Diod. XIII 95.
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N.
(Quellen und Hülfsmittel.
so ziemlich gleichbleiben musste. Im allgemeinen dürfen wiK
sagen, <lass die Grenze zwischen Hopliten und Leichtbewaff-
neten zusammenfällt mit der Grenze zwischen Mittelstand und
Proletariat, zwischen Wohlhabenden und Demos.
Uebrigens verlor die Verpflichtung der unteren Klassen
zum leichtbewaffneten Dienste im Laufe der Zeit immer mehr
ihren Inhalt. Im Perserkriege und noch in den Schlachten
des peloponnesischen Krieges hatte in der Regel neben den
Hopliten eine mindestens gleiche Zahl Leichtbewaffneter Ver-
wendung gefunden1). Man musste endlich zur Einsicht kom-
men, dass diese undisciplinirten und schlechtbewaffneten Haufen
im Kriege nur ein Hinderniss bildeten; und so verschwinden
denn seit dem Anfang der makedonischen Zeit die Leichtbe-
waffneten im früheren Sinne aus den Heeren. Man beschränkt
sich jetzt auf eine mässige Zahl Bogenschützen und Schleu-
dern'. So befanden sich in dem Heere, mit dem Alexander
3S4 nach Asien überging, neben 24 — 26 000 Schwerbewaffneten
nur 6 — 7000 Mann leichter Truppen2). Pyrrhos’ Heer zählte
bei seinem Uebergang nach Italien 280 neben 20000 Mann
schweren und halbschweren Fussvolks 2500 Mann Bogen-
schützen und Schleudern’8). Antigonos hatte bei Sellasia
unter 28000 Mann Fussvolk an leichten Tmppen nur 1000
Agrianer und 1600 Illyrier4). In ähnlicher Weise waren alle
Heere der makedonischen Zeit zusammengesetzt.
Das halbschwere Fussvolk, die Peltasten, oder wie sie in
Makedonien heissen, die Hypaspisten, die in den Kriegen dieser
Epoche eine so grosse Rolle spielen, steht keineswegs mit den
Leichtbewaffneten des V. Jahrhunderts auf einer Linie. Die
Hypaspisten gelten als Theil der Phalanx, sie sind eigentlich
nichts weiter als Hopliten, die durch Verminderung des Ge-
wichts der Schutzwaffen beweglicher gemacht sind , und darum
werden sie auch öfters geradezu als Hopliten bezeichnet. Das
0 Heroil. IX 29. Thuk. IV 93. 94, V 57.
3) Diod. XVII 17 und unten der Anhang zu Cap. V.
3) Plut Pyrrli. 15.
*) Polyb. II 65, 2-5.
Bel och, Nevöllterutigslekre. I. 2
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14
Cap. I.
Hohe Ansehen, das diese Truppe in Makedonien genoss —
bestand doch die Garde zu Fuss, das Agema, aus Hyp-
aspisten — ist Beweis genug, dass sie keineswegs aus den
untersten Schichten des Volkes sich recrutirte. Man denke
an die Stellung der Argyraspiden in Eumenes’ Heer. Die
Peltasten König Philipps V. erbieten sich einmal, eine Summe
von 20 Talenten zu bezahlen, für die ihr Führer Leontios
Bürgschaft geleistet1). Es waren also jedenfalls keine unbe-
mittelten Leute. — Da die Auslastung der Peltasten offenbar
weniger kostspielig war, als die der Ilopliten, so wäre es denk-
bar, dass diese Truppe, im eigentlichen Griechenland wenig-
stens, sich aus den Schichten der Bevölkerung recrutirt hätte,
die zwischen den Bürgern von Hoplitencensus und den Prole-
tariern in der Mitte standen, ähnlich wie in Rom die velites
aus den am wenigsten Bemittelten unter den „ansässigen Bür-
gern“ (assidui). Das mag namentlich für die vormakedonische
Zeit richtig sein , wo die Peltasten noch eine untergeordnete
Stellung im Heerwesen einnahmen. Soviel ist jedenfalls sicher,
dass die Peltasten gegenüber den Hopliten stets in der Minder-
zahl waren.
Der nichtbesitzende Theil der Bürgerschaft war demnach
seit dem IV. Jahrhundert thatsächlich vom Kriegsdienst zu
Lande frei, wie er denn auch vorher für die Entscheidung der
Schlachten kaum in Betracht gekommen war. Um diese ver-
lorene Kraft militärisch nutzbar zu machen, gab es nur ein
Mittel: die Ausrüstung der Soldaten auf Staatskosten; aber es
war ein Mittel, das einen sehr bedeutenden finanziellen Auf-
wand erforderte. Dennoch sind die ersten Schritte in dieser
Richtung schon von den Grossmächten des V. Jahrhunderts
gethan worden. Das Bedürfuiss, Hopliten für die Bemannung
der Flotte zu haben, ohne genöthigt zu sein, zu diesem Zwecke
beständig auf die in der Musterrolle verzeichneten Mann-
schaften (oi ex Y.azaXoyov) zurückzugreifen , führte Athen da-
hin, eine Anzahl Theten — es mögen etwa 2 — 3000 gewesen
sein — auf Staatskosten mit schwerer Rüstung zu versehen;
>) Polyb. V 27, 7.
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Quellen und 111'ilfsmittel.
21
im Laufe des peloponnesischen Krieges ist sogar der Plan am
getaucht, alle Theten zu Hopliten zu machen1), was freilich
nicht zur Ausführung gekommen ist. Einmal während des
Krieges liefert Athen auch 500 Mann argeiischer leichter Truppen
schwere Bewaffnung®). In Mytilene liess der lakedaemonische
Commandant Salaethos während der Belagerung durch die
Athener schwere Rüstungen aus den Arsenalen an das niedere
Volk vertheilen , was bekanntlich die nächste Ursache zur Ca-
pitulation der Stadt wurde8). Die freigelassenen Heiloten
(Neodamoden) , die Sparta in dieser Zeit in so grosser Zahl
zu seinen Kriegen verwandte, und zwar als Hopliten, müssen
ebenfalls von Staats wegen ihre Bewaffnung erhalten haben ; und
dasselbe war offenbar auch mit den armen Bürgern der Fall,
die im spartanischen Heere als Hopliten dienten. Der thessa-
lische Adel führte seine- Penesten sogar als Reiter ins Feld4).
Als Dionys; os von Syrakus die Bürger entwaffnet hatte, ülier-
naluu er damit zugleich die Verpflichtung, im Kriegsfälle selbst
für die Ausrüstung der Truppen Sorge zu tragen; es ist be-
kannt, mit welchem Eifer er vor der Kriegserklärung gegen
Karthago 398 die Fabrikation von Waffen betreiben liess. Es
ist das erste Beispiel der Equipirung eines ganzen Heeres auf
Staatskosten, das die Geschichte verzeichnet. Die makedoni-
schen Könige sind diesem Vorgänge gefolgt: zuerst, wie es
scheint, Philipp5) und Alexander6), später die Ptolemaeer T),
und endlich Perseus vor seinem letzten Kriege mit Rom8).
Rom selbst ist bekanntlich erst in Marius’ Zeit zu diesem
0 Antiphon g. Philinos fr. 61 Blass.
*) Thnk. Vm 25.
») Tliuk. III 27.
4) Dem. g. Aristokr. 199.
6) Diod. XVI 3: Toi'c ni'Cpßf rote noltutxoi; onXois dtorrais xo-
(TUlJfTHf.
•) Diod. XVII 95 = Curtius IX 21, 3; vgl. H. Droysen, Alexander
den Grossen Heeneesen 8. 41.
’) Polyb. V 64, 2.
8) Livius 42, 52: Arma eos ( Romanos ) habere ea, quae sibi quisque
pararerit pauper miles, Macedonas prompta ex regio apparatu.
2*
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System übergegangen. Und auch die griechischen Repu-
bliken, der achaeische Bund voran, haben, soviel wir sehen,
bis zuletzt an der Ausrüstung der einzelnen Wehrpflichtigen
auf eigene Kosten festgehalten, zum Theil vielleicht aus politi-
schen Gründen, hauptsächlich aber wohl aus Mangel an Geld-
mitteln. Wenigstens wissen wir, dass im achaeischen Bund die
Reiterei aus den reichsten Bürgern gebildet war1).
Eine Ausgleichung für die Befreiung der unteren Klassen
vom Landdienste lag in der Verpflichtung zum Seedienst.
Sogar in Athen war die Bemannung der Flotte, soweit sie
überhaupt aus Bürgern bestand, fast ausschliesslich aus Theten
zusammengesetzt ; die Bürger der drei höheren Klassen gaben
sich nur widerwillig selbst zum Dienst als Epibateu an Bord
der Schifte her2). In Lakedaemon waren es die I leiloten,
mit denen die Schiffe bemannt wurden 3) ; Iason von Pherae
wollte seine Penesten zum selben Zwecke verwenden4), und
auch die Matrosen und Ruderer der römischen Flotte waren
ausschliesslich Freigelassene und Proletarier.
Von den nicht-bürgerlichen Elementen des Staates waren
in Athen wenigstens die Metoeken ebenso wie die Bürger zum
Kriegsdienste verpflichtet, ja es sind mitunter selbst die vorüber-
gehend anwesenden Fremden aulgeboten worden. Die wohl-
habenden Metoeken dienten in Athen als Hopliten wie die
Büiger von entsprechendem Vermögen, und zw'ar bis zum pe-
loponnesischen Kriege in eigenen Abtheilungen, die ursprüng-
lich nur zum Besatzungsdienst bestimmt waren, später aber
immer häufiger im Felde verwandt wurden, bis schliesslich
die Metoeken in die taktischen Abtheilungen des Bürgerheeres
aufgenommen wurden und Seite an Seite mit den Bürgern
kämpften.
Aehnliehe Verhältnisse dürfen wir in den übrigen griechi-
schen Staaten voraussetzen. So nahmen an der Vertheidigung
>) Plut. Philop. 7; l’olyb. X 22, 6—9.
!) Thuk. VIII 25, vgl. III 16; Xen. Hell I 6, 24.
*) Xen. Hdl. VII 1, 2.
*) Xen. Hell VI 1, 11.
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Quellen und Hülfsmittel.
21
von Megalopolis gegen Polysperchon 318 neben den Bürgern
auch die Metoeken Theil '), und Inschriften der makedonischen
Zeit aus verschiedenen Theilen Griechenlands sprechen von
der Eitheilung des Bürgerrechts an Metoeken zur Belohnung
für geleisteten Kriegsdienst. Bei der Belagerung durch De-
metrios 305 stellten die Rhodier ihren Metoeken und den
vorübergehend anwesenden Fremden die Wahl, ob sie die
Stadt verlassen oder an der Verteidigung Theil nehmen
wollten; eine grosse Zahl wählte das letztere2).
Sklaven sind als Combattanten im offenen Felde seit den
Perserkriegen kaum mehr verwandt worden; wenn es doch
geschah, wie namentlich bei den spartanischen Heiloten, ging
in der Regel die Freilassung vorher oder wurde wenig-
stens in Aussicht gestellt. Dagegen bei Verteidigung be-
lagerter Städte haben in der Regel auch Sklaven mitgekämpft.
Sonst war ihre Verwendung im Landkriege auf den Train
beschränkt, der zum grössten Theile aus ihnen gebildet war;
für den Seekrieg wurden sie in ausgedehntem Maasse als Ru-
derer herangezogen. Immerhin war auch hier die Verwendung
der Sklaven nur ein Notbehelf, wie denn namentlich die
attische Flotte fast ausschliesslich mit Freien bemannt war
und diesem Umstande zum guten Theil ihre Tüchtigkeit ver-
dankte. Erst als gegen Ende des ]K'loponnesischen Krieges es
nötig wurde, zum Entsatz von Mytilene in aller Eile eine
grosse Flotte auszurüsten, musste man auch auf die Sklaven
zurückgreifen; es geschah unter dem Versprechen der Freiheit.
Im folgenden Jahrhundert ist man dann zu dem früheren
Grundsätze, nur Freie zu verwenden, zurückgekehrt.
Es war also nur ein verhältnissmässig kleiner Bruchteil
der Bevölkenmg, der für den Kriegsdienst zu Lande in Betracht
kam. Aber auch dieser konnte keineswegs vollständig unter
Waffen gebracht werden. Abgesehen von dauernder oder vorüber-
gehender körperlicher Untauglichkeit, die, wie es scheint, im
Altertum einen geringeren Procentsatz der Wehrpflichtigen ab-
*) Diod. XVIII 70.
s) Diod. XX 84.
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22
Cap. I.
sorbirte als in neuerer Zeit *) , kommen hier verschiedene
theils rechtliche, tlieils thatsächliche Befreiungen in Frage. So
waren in Athen die nicht-militärischen Magistrate vom Dienste
frei, besonders die Mitglieder des Raths der 500, beziehungs-
weise der 600; ausserdem die Zollpächter, Kauffahrer, Cho-
reuten 2) ; in Sparta die Väter von drei Söhnen3). Ebenso
konnten natürlich die Trierarchen und sonstigen Offiziere der
Flotte für den Landdienst nicht in Betracht kommen. Wer
längere Zeit im Auslande lebte, war gleichfalls in der Regel
nicht zum Dienste heranzuzieheu, weshalb denn auch in Sparta
zu Reisen in die Fremde eine besondere Erlaubniss erforder-
lich war. Namentlich das immer weiter um sich greifende
Söldnerwesen musste den griechischen Bürgerheeren viele
Kräfte entziehen, wenn auch die grosse Mehrzahl der Söldner
allerdings den Klassen der Bevölkerung angehörte, die über-
haupt vom Hoplitendienste befreit waren. Endlich veranlasst«
die Connivenz der Behörden viele unrechtmässige Befreiungen 4).
Bei den Bundesstaaten der makedonischen Zeit gesellte sich
der Mangel an straffer Centralisation hinzu, so dass es schliess-
lich in der Hand der Localbehörden lag, ob die aufgebotene
Mannschaft vollzählig erschien , oder nicht. Die Stärke eines
aetolischen oder achaeischen Aufgebots hing zum guten Theil
von der grösseren oder geringeren Popularität des Krieges ab,
um den es sich handelte.
Loskauf vom Kriegsdienst, wenigstens von Theilnahme
an Feldzügen ausser Landes, scheint zur Zeit des homerischen
Epos gestattet gewesen zu sein5), wenn auch wohl nur als Aus-
nahme. In historischer Zeit ist es etwas ganz gewöhnliches,
dass bei Bundeskriegen ganze Städte die Verpflichtung zur
Stellung eines Truppencontingents durch Geldzahlung ablösen.
*) Wenigstens sind die militärischen Leistungen Athens im pelopon-
nesischen, Roms im hannibalischen Kriege nur unter dieser Voraussetzung
zu erklären.
*) Gilbert, Staatsalterthümer I 803 Anm. 2.
8) Aristot Polit. II 9 S. 1270 b.
4) Aristoph. Ritter 1309 ff.
*) 11. H‘ 296.
>
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Quellen und Hülfsmittel.
23
Das stand z. B. den peloponnesisohen Bundesstädten Spartas
im IV. Jahrhundert für Feldzüge über See oder in entfernte
Gegenden frei; und der Tribut der athenischen Bündner war
ja auch nichts anderes als ein Aequivalent für die Stellung
von Schiffen. Loskauf des Einzelnen aber war z. B. in Athen
ganz unbekannt und ist auch sonst nur in Ausnahmefällen vor-
gekoinmen. So gab Agesilaos den reichen Bürgern der klein-
asiatischen Städte die Befreiung vom persönlichen Dienste
gegen Lieferung eines berittenen Stellvertreters1); und die-
selbe Einrichtung bestand im achaeischen Bunde bis auf die
militärischen Reformen Philopoemens 2).
Unter diesen Umständen erklärt sich die geringe Truppen-
zahl, die von den griechischen Staaten bei Landkriegen wirk-
lich ins Feld gestellt worden ist, trotz der verhältnissmässig so
hohen Anforderungen, welche die Militärverfassung an den ein-
zelnen Wehrpflichtigen stellte. Attika mit seinen 200000 Ein-
wohnern hat im IV. Jahrhundert nicht vermocht, mehr als etwa
6000 Mann aufzustellen, abgesehen natürlich von den Söld-
nern, also 3 °/o der Bevölkerung; Sparta mit seinen pelopon-
nesiscben Bundesgenossen im boeotischen Kriege nur 18 000
Mann8), obgleich der Peloponnes ohne Argos damals gegen
3 4 Million Einwohner zählte. Das sind also etw'a 2 l/a % der
Bevölkerung. Der achaeische Bund, in dessen Listen 30- bis
40 000 Waffenfähige verzeichnet standen4), vermochte mit aller
Anstrengung nicht über 15000 Mann zusammenzubringen5).
Aus dem Gesagten ergiebt sich, dass uns die Angaben
unserer Ueberlieferung über die Stärke des Bürgeraufgebots
eines hellenischen Staates allerdings ein ziemlich sicheres Mittel
an die Hand geben, die Zahl der Angehörigen der l»esitzenden
Klassen dieses Staates zu bestimmen, oder wenigstens das Mi-
nimum, unter das unsere Schätzung in keinem Falle herab-
>) Xen. Hell. III 4, 15.
*) Plut. Philopoem. 7.
s) Diod. XV 32.
*) Polyb. XXIX 9, 8.
*) Paus. VII 15, 7.
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24
Cap. I.
gehen darf; keineswegs aber gestattet eine solche Angabe ohne
weiteres einen Schluss auf die Zahl der gesammten bürger-
lichen oder freien Bevölkerung. Dazu ist es erforderlich, zu-
nächst das ungefähre Yerhältniss zu bestimmen, in dem die
Besitzenden zu den Nichtbesitzenden in Hellas gestanden haben.
Natürlich kann dieses Yerhältniss in den verschiedenen Zeiten
und in den verschiedenen Staaten keineswegs dasselbe gewesen
sein. Und es sind nicht immer die reichsten Landschaften,
welche die grösste Menge von wohlhabenden Bürgern aufweisen
müssen. Worauf es ankommt, ist weniger die absolute Höhe
des Wohlstandes, als seine Vertheilung unter möglichst weite
Kreise der Bevölkerung. Eine ackerbauende Landschaft, in
der Kleinbesitz bei freier Arbeit herrschte, mochte eine ver-
hältnissmässig viel grössere Zahl zum Hoplitendienst quali-
ficirter Mannschaft aufstellen können, als manche reiche In-
dustriestadt mit grosser Sklavenbevölkerung. Aber unsere
Quellen geben uns nur sehr selten über diese Dinge nu-
merische Angaben.
Wir müssen uns also darauf beschränken, mit Verzicht
auf Genauigkeit im einzelnen, ein allgemeines Bild der Ver-
theilung des Wohlstandes in Hellas zu gewinnen, und glück-
licherweist1 fehlt es in unserer Ueberlieferung ^ nicht an den
nöthigen Anhaltspunkten. Herodot erzählt, dass in dem helle-
nischen Heere bei Plataeae auf jeden Hopliten im Durchschnitt
ein Leichtbewaffneter gekommen wäre, abgesehen von dem
spartanischen Contingent, wo jeden Hopliten 7 Heiloten be-
gleitet hätten1). Numerische Angaben lagen allerdings Hero-
dot hier nicht vor, wie er denn die Zahl der leichten Truppen
nur in Bausch und Bogen berechnet; aber auch so ist die
Notiz keineswegs ohne Werth. Sie zeigt uns, dass Herodot
für die Zeit der Perserkriege — wir werden besser sagen : für
die eigene Zeit — die Zahl der Bürger von Hoplitencensus
und die der ärmeren Klassen der Bürgerschaft in den griechi-
schen Staaten etwa gleich setzte. Und dass er damit ungefähr
das Rechte getroffen hat, zeigen andere Angaben, die auf
') Herod. IX 29.
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Quellen und Ilülfsmittel.
25
wirklicher Zählung beruhen. So betrug das Gesammtaufgebot
des boeotischen Bundes 424 bei Delion 1000 Reiter, gegen
7000 Hopliten, 500 Peltasten und über 10000 Mann leichter
Truppen *), zusammen also 8000 Mann von Iloplitencensus,
10500 die diesen Census nicht erreichten, also je 43 und 57°, o
der bürgerlichen Bevölkerung. Ganz dasselbe Verhältnis fin-
den wir ein Jahrhundert später in Athen. Als Antipatros nach
dem lamischen Kriege das active Bürgerrecht auf die Athener
von über 2000 Drachmen Vermögen beschränkte, verloren 12000
Bürger ihre politischen Rechte, während 9000 im Vollbesitz
dieser Rechte verblieben. Es soll unten gezeigt werden, dass
die von Antipatros festgesetzte Grenze für das active Bürger-
recht ungefähr dem Iloplitencensus entsprach; auch in Athen
also bildeten die Wohlhabenden 43 °/o, die Annen 57 °/o der
bürgerlichen Gesammtbevölkerung. In Sparta gab es 371 unter
vielleicht 3000 Bürgern gegen 1500, die im Stande waren, die
Beiträge zu den Syssitien zu entrichten. Wir finden demnach
am Ende des V. und im IV. Jahrhundert in den hauptsäch-
lichsten Staaten von Hellas ein Verhältniss zwischen Besitzen-
den und Besitzlosen, das dem von Herodot angenommenen
Verhältniss sehr nahe kommt. Und dass die Nichtbesitzenden
in Griechenland jedenfalls einen sehr bedeutenden Bruchtheil
der Bevölkerung bildeten, ergiebt sich auch aus der Leichtig-
keit, mit der es die griechischen Staaten vermocht haben, die
Bemannung für ihre Flotten zusammenzubringen. Im Laufe
des III. und n. Jahrhunderts mag dann bei der stets wachsen-
den Ungleichheit des Besitzes das numerische Ueltergewicht der
Besitzlosen über die Besitzenden immer grösser geworden sein.
In Rom setzt Dionysios, von Servius Tullius’ Zeit redend,
die Bürger von weniger als 12 ’/s Minen (— 12500 Trientalass)
Vermögen 2) den Bürgern von höherem Vermögen an Zahl etwa
gleich a) ; offenbar ein Rückschluss aus den Zuständen des I. Jahr-
!) Thuk. IV 93.
*) Dionys. IV 17.
*) Dionys. VII 59: oi S' änoguraroi riüv noltTtHv ovx (idrioii
Tiijr dlXojv unttVTtov orrrt.
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26
Cap. I.
hundert« v. Chr. Ob wirklich, wie berichtet wird, dieser
Census von 12 500 Ass in älterer Zeit die untere Grenze der
Dienstpflicht bildete, mag dahingestellt bleiben; in Polybios’
Zeit wurden alle Bürger mit Uber 4 Minen (= 400 Denare
= 4000 Ass) Vermögen zum Landdienst herangezogen1). Er-
innern wir uns dabei, dass die römische Legion bei einer
Normalstärke von 4200 Mann zu Fuss 3000 Schwerbewaffnete
und 1200 Leichtbewaffnete ( velites ) zählte, und dass auch von
den Schwerbewaffneten nur die Bürger mit über 10000 Denare
(100 000 Ass) Vermögen Metallpanzer trugen*); die Rüstung
des weit überwiegenden Theils der römischen Legionen war
also viel weniger kostspielig als die der griechischen Hopliten,
wenigstens der älteren Zeit. So konnte man in Rom bei der
Aushebung des Linienfussvolks auf tiefere Vermögensklassen
zurückgreifen, als es in Griechenland möglich war.
4. Die Arealbestimmnngen.
Eine nothwendige Ergänzung unserer Untersuchungen bil-
det die Bestimmung des Flächenraumes der Staaten des Alter-
thums. Erhalten doch Bevölkerungsangaben erst dann ihren
vollen Werth, wenn die Ausdehnung des Gebietes bekannt ist,
worauf sie sich beziehen. Ferner geben uns die Arealbestim-
mungen ein Mittel an die Hand, die überlieferten Bevölkerungs-
zahlen zu controliren. Wenn wir z. B. die römischen Census-
zahlen aus der Zeit vor dem gallischen Brande verwerfen , so
liegt der entscheidende Grund dafür in der Unmöglichkeit,
einem keineswegs besonders fruchtbaren Gebiete von höchstens
1000 qkm eine Bevölkerung von 4 — 500000 Einwohnern zu-
zuschreiben. Vor allem aber gewähren uns die Arealbestim-
mungen die Möglichkeit, auch die Volkszahl solcher Gebiete
annähernd abzuschätzen, für die directe statistische Angaben
nicht vorliegen. Denn unter allen Factoren, von denen die
Höhe der Bevölkerung eines Landes bestimmt wird, steht die
>) Polyb. VI 19, 2.
s) Polyb. VI 23, 14.
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Quellen und Hüllsmittel.
27
räumliche Ausdehnung oben an ; Länder von annähernd gleichem
Klima, gleicher Bodenbeschaffenheit und gleicher Culturstufe
werden in der Regel auch annähernd gleiche Volksdichtigkeit
haben. So heute die fünf westeuropäischen Grossstaaten1).
Wenn also beispielsweise der Peloponnes im Jahre 400 gegen
8— ‘900000 Einwohner gezählt hat, so kann das ungefähr
ebenso grosse Sicilien in derselben Zeit keine wesentlich höhere
Bevölkerung gezählt haben. Es ist diese Methode, die Belnn
und Wagner mit so grossem Erfolge zur Bestimmung der Be-
völkerung derjenigen aussereuropäischen Gebiete verwendet
haben, für die Volkszählungen oder zuverlässige Schätzungen
der Volkszahl nicht vorliegen. Dass die Methode mit Vor-
sicht und unter steter Berücksichtigung der obwaltenden wirth-
schaftlichen Verhältnisse gehandhabt werden muss, bedarf keiner
Bemerkung.
Es ist sehr charakteristisch für den heutigen Stand der
wirthschaftsgeschichtliehen Forschung , dass wissenschaftlich
brauchbare Arealbestimmungen der Staaten des Alterthums —
und ich kann hinzusetzen auch des Mittelalters und der neue-
ren Zeit bis tief ins vorige Jahrhundert hinein — bis jetzt
fast vollständig fehlen. Es mag zur Entschuldigung dienen,
dass es bis vor ganz kurzer Zeit mit unserer Kenntniss des
Flächenraumes der Staaten unserer Zeit, mit sehr wenigen
Ausnahmen, kaum besser bestellt war. Die officiellen Areal-
angaben wichen, und weichen zum grossen Theil noch jetzt
sehr weit von der Wirklichkeit ab. Erst die Fortschritte der
Kartographie in den letzten Jahrzehnten und die Bestimmung
der Dimensionen des Erdsphäroides durch Bessel haben uns
für diese Untersuchungen eine sichere Grundlage gegeben,
während die Erfindung des Planimeters uns in den Stand ge-
setzt hat, Arealberechnungen sehr viel leichter und exacter
auszuftihren, als früher möglich war.
Nachdem zuerst Behm und Wagner in ihrer „Bevölkerung
*) Grossbritannien und Irland zählt 107, Italien 94, Deutschland 82,
Oesterreich diesseits der Leitha 72, Frankreich 70 Einwohner auf 1 qkni
(Block-Scheel, Statistik S. 228).
Digitized by Google
28
Cap. I.
der Erde“ das vorhandene Material an Arealangaben gesam-
melt, kritisch gesichtet und durch eigene planimetrische Be-
rechnungen ergänzt hatten1), wurde auf Anregung des inter-
nationalen statistischen Congresses durch den russischen Ge-
neral Strelbitzky der Flächeninhalt Europas planiinetrisch be-
stimmt2). Allerdings lassen die Resultate auch dieser Arbeit
an Exactheit manches zu wünschen übrig, da nicht immer das
beste kartographische Material verwendet wurde ; trotzdem al>er
bilden die Zahlen Strelbitzkys die Grundlage für jede Unter-
suchung auf arealstatistischem Gebiete.
Nun ist es freilich in vielen Fällen unmöglich, die Grenzen
der Staaten des Alterthums mit absoluter Genauigkeit zu be-
stimmen. Trotzdem verzichten wir nicht darauf, diese Grenzen
auf unseren historischen Karten einzutragen; und ebenso gut
können wir die so umschlossenen Flächen mit Hülfe des Plani-
meters ausmessen. Dass wir auf diese Weise nur Annäherungs-
werthe erhalten, ist richtig; alleres sindWerthe, die der Wahr-
heit wenigstens sehr nahe kommen und für unsere Zwecke
mehr als genügend sind.
Selbstverständlich konnte es nicht meine Aufgabe sein, die
Areale der antiken Staaten und ihrer administrativen Unter-
abtheilungen in derselben Weise planiinetrisch berechnen zu
wollen, wie es unter Strelbitzkys Leitung für das moderat'
Europa geschehen ist. Ein solches Unternehmen übersteigt bei
weitem die Kräfte des Einzelnen; auch fehlt uns noch immer
eine systematische Untersuchung über die Territorialverhält-
nisse der antiken Welt, die dafür die noth wendige Voraus-
setzung bildet. Ich habe solche Berechnungen daher nur in
einigen wenigen Fällen vorgenommen und mich im übrigen
begnügt, überall die besten bisher veröffentlichten Zahlen, in
der Regel also die Strelbitzkys. zu Grande zu legen. Für die
*) Zuerst in Behms Geographischem Jahrbuch Btl. I — III (1866 — 1870),
seitdem als Ergänzungshefte zu Petennanns Geographischen Mittheihmgev .
Bis jetzt erschienen Heft I — MI (1872 — 1882).
*) Superficie de VEurope, etablie par J. Strelbitzky. Ptiblicaiion du
comite central Russe de Statistique , St. Pdersbourg 1882.
Digitized by Googld
Quellen und Hülfsmittel.
29
Inseln und da, wo die antiken Grenzen mit den modernen an-
nähernd übereinstimmen, konnten diese Zahlen unmittelbar be-
nutzt werden. Die Übrigen festländischen Gebiete dagegen
mussten in die entsprechenden antiken Gebietstheile zerlegt
werden; darauf wurde mit dem Planimeter bestimmt, welchen
Theil des Ganzen jeder einzelne dieser Gebietstheile ausmacht,
und schliesslich aus dem bekannten Gesammtflächenraum der
Flächenraum der Theile berechnet. Wenn diese Methode
auch selbstverständlich keine ganz exäcten Resultate ergeben
kann, so beschränkt sie den möglichen Fehler doch auf sehr
enge Grenzen. Ueber die Einzelheiten des Verfahrens, die
benutzten Karten u. s. w. wird unten jedesmal am gehörigen
Orte das Notlüge bemerkt werden. Zu den Berechnungen be-
diente ich mich eines Amslerschen Polar -Planimeters der
polytechnischen Section ( Scuola degli Ingegneri ) der Univer-
sität Rom und, soweit es nöthig war, der Wagnerschen Zonen-
tabellen1).
5. Getreideproduction und Consum.
Ein nicht unwichtiges Hülfsmittel gewähren uns endlich
die Angaben über Getreideproduction , Getreideconsum und
Getreidehandel im Alterthum. Es wird stets das Zeichen
einer dichten Bevölkerung sein, wenn ein an und für sich
fruchtbares Land dauernd auf die Zufuhr fremden Getreides
angewiesen ist; wie andererseits ein Gebiet, das Getreide
regelmässig in grossen Quantitäten auszuführen vermag, meist
nur schwach bew'ohnt sein wird2). Ist die Höhe der Pro-
duction und der Einfuhr oder Ausfuhr bekannt, so wird es
!) Ich benutze die Gelegenheit, meinen Collegen Herren Professoren
J)alla Yedova , Favcro und Pitocchi meinen Dank auszusprechen für die
Bereitwilligkeit, mit der sie meine Arbeiten unterstützt haben.
2) Keine Regel ohne Ausnahme. So war Aegypten bei seiner ver-
schwenderischen Fruchtbarkeit im Alterthum wie heute im Stande, trotz
einer sehr dichten Bevölkerung beträchtliche Mengen Getreide zu ex-
portiren.
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30
Cap. I.
möglich sein, aus diesen Daten die Höhe der Bevölkerung an-
nähernd zu bestimmen.
Im Alterthum ist Griechenland schon früh, wenigstens seit
Anfang des V.1), wahrscheinlich schon seit Ausgang des VII.
Jahrhunderts2) genöthigt gewesen, einen Theil seines Getreide-
bedarfs vom Auslande einzuführen. Später, im III. Jahrhun-
dert, trat Karthago in die Reihe der Getreide importirenden
Staaten8), im II. Jahrhundert Rom, das von da an der Mittel-
punkt des Getreidehaudels wird. Unter den Getreide-Export-
Ländem nahmen im früheren Alterthum Aegypten, die Nord-
küste des Pontos, Sicilien und Sardinien die erste Stelle (“in;
dazu kommt in römischer Zeit, seit der Zerstörung Karthagos
und der Civilisinmg Numidiens, Nordafrika, das bald alle Con-
currenten überflügelt ; in Sicilien wird dagegen der Getreide-
bau immer mehr durch die Weidewirthschaft ersetzt , während
am Pontos die Cultur durch das Vordringen der Barbaren des
Innern zerstört wird. Nur der aegyptische Getreide-Export be-
hält durch alle Jahrhunderte seine alte Bedeutung.
So wichtig nun auch der Getreidehandel für die Welt-
wirthschaft des Alterthums gewesen ist, so gering sind nach
modernen Begriffen die Mengen, die dabei in Frage kommen.
Die vier Kornkammern der griechisch - phoenikischen Welt:
Aegypten, das bosporanische Reich, Sicilien, Sardinien hatten
zusammen einen Flächeninhalt von kaum mehr als 100000
qkm. Was die Production angeht, so ergab der Zehnte Si-
ciliens in der Zeit bald nach Sulla bei guter Ernte einen jähr-
lichen Ertrag von 600 000 Mediinnen Weizen, so dass in dem
dieser Steuer unterworfenen Theile der Insel — aU bis *k des
Ganzen — jährlich 6 Mill. Mediinnen geerntet wurden; mit
Hinzurechnung der steuerfreien Gebiete wird die Production
also auf gegen 8 Mill. Medimnen geschätzt werden können*).
') Herod. VII 147; Athenaeos VI S. 232 b.
*) Das gilt wenigstens von Attika: Plut. Sohn 22. 24.
*) Diod. XXI 16.
4 S. unten Cap. VII, 2.
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Quellen und Hüllsmittel.
31
Die Production des weit schlechter unbebauten und bevölkerten
Sardiniens wird kaum auf die Hälfte der sicilischen zu veran-
schlagen sein. Ptolemaeos Philadelphos zog aus Aegypten
jährlich IVb Mill. Artaben Weizen1), oder reichlich 1 Mill.
Medimnen; und 1 — 1 1 2 Mill. Medimnen betrug jährlich die
aegyptische Getreideausfuhr nach Rom in der ersten Kaiser-
zeit2). Die Production muss natürlich bei der dichten Bevöl-
kerung des Landes sehr viel grösser gewesen sein. Aus dein
bosporanischen Reiche wurden um die Mitte des IV. Jahrhun-
derts nach Athen jährlich 400000 Medimnen ausgeführt8);
und König Leukon hat dem athenischen Volke während seiner*
40jährigen Regierung 393 — 353 zusammen 2 100 000 Medimnen
zum Geschenke gemacht4). In die Speicher König Mithradates’
flössen aus dem bosporanischen Reiche jährlich 180000 Me-
dimnen Weizen5); wenn das der Ertrag eines Zehnten ge-
wesen ist, so hätte die Production fast 2 Mill. Medimnen be-
tragen. Nordafrika soll im I. Jahrhundert der Kaiserzeit 2 3
des Getreidebedarfes von Rom gedeckt haben8), d. h. etwa
3 Mill. Medimnen, was wahrscheinlich übertrieben ist. Jeden-
falls steuerte Numidien unter Caesar nicht mehr als 200000
Medimnen T).
Ueber die Getreideproduction von Attika und seinen Ivle-
ruchien in Alexanders Zeit giebt uns eine kürzlich in Eleusis
*) Hieronymus zu Daniel 11, 5 S. 1122.
a) Nach Josepos */s des Bedarfs der Stadt (Jtid. Kr. II 16, 4), der
damals 4 — 5 Mill. Medimnen betragen haben mag, s. unten Cap. IX, 2.
Wenn ein schlechter Schriftsteller des IV. Jahrh. (Aurel. Victor Epit. 1)
von 20 Mill. Modien redet, die Aegypten unter Augustus jährlich nach
Rom exportirt hätte, so verwechselt er offenbar den Gesammtbetrag der
überseeischen Einfuhr mit der von Aegypten.
а) Dem. g. Leptin. 32.
4) Strab. VII S. 311.
5) Strab. a. a. 0.
б) Josep. Jtid. Kr. II 16, 4.
1) Flut. Caes. 55.
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32
Cap. I.
gefundene Urkunde Aufschluss. Darnach wurden im Jahre
329 8 geerntet 1 ) in
Attika einschliesslich der Oropia
Areal m qkm
2553,5
Gerste
363 225
Weizen
41475
Salamis
93,5
24 525
—
Skyros
212,7
28 800
9 600
Lemnos
476,8
248475
56650
Imbros
254,8
26 000
44200.
Athen hatte um die Mitte des IV. Jahrhunderts von allen
griechischen Staaten die grösste Getreideeinfuhr: sie betrug
jährlich 800000 Medimnen2). Viel grösser war natürlich der
Bedarf Roms, der sich in der ersten Kaiserzeit auf etwya
4 — 5 Mill. Medimnen belief und so gut wie ganz durch über-
seeische Einfuhr gedeckt wurde.
Um diese und ähnliche Zahlen für die Bevölkerungs-
statistik verwerthen zu können , müssten wir wissen , wie viel
der Verbrauch von Getreide im Durchschnitt auf den Kopf der
Bevölkerung betragen hat. Hierfür eine allgemein gültige
Norm aufzustellen , ist unmöglich; der Betrag wird wechseln
je nach Rasse, Zusammensetzung der Bevölkerung, Klima,
Wohlstand, Lebensgewohnheiten. In Grossbritannien betrug inr
Durchschnitt der Jahre 1852 — 1881 die jährliche Getreide-
consumption pro Kopf 51/» Bushel = 1.9646 hl8). In Frank-
reich rechnete man4)
1847: 2,15 hl
1874: 2,60 hl •
1881 : 3,66 hl (?).
In Italien, wo Getreide noch heute das fast ausschliess-
liche Nahrungsmittel des grössten Theiles der Bevölkerung
bildet, betrug der mittlere Getreideconsum in den Jahren
1) Foucart, Bulletin de (Jorresp. Hell. VIII (1884) S. 211.
2) Demosth. g. Lept. 31.
*) Nach Neumann -Spallart, Uebersichten der Wetttcirthschaß 1881/2
S. 123.
4) Neumann-Spallart a. a. 0. S. 128.
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Quellen und Hülfsmittel.
33
1876 — 1881 2,557 metrische Centner im Durchschnitt auf den
Kopf, oder, auf Weizen reducirt, 3,4 hl = 6,47 attische Me-
dimnen1). Dabei ist der Bedarf für die Aussaat eingerechnet,
über den keine Angaben vorliegen. Abzüglich der Aussaat
werden wir den Bedarf zu etwa 3 hl. oder nahe an 6 attische
Medimnen annehmen dürfen.
Im alten Griechenland rechnete man auf den erwachsenen
Sklaven eine tägliche Ration von 1 Choenix Gerste2), also im
Jahr von 365] Tagen 7,6 Medimnen. Die Sklaven in Rom
erhielten monatlich je 4—5 Modien Weizen3), oder jährlich
8 — 10 Medimnen; die Legionssoldaten (Infanterie) ebenfalls
4 Modien monatlich4), d. h. 8 Medimnen im Jahr. Monatlich
5 Modien wurden bekanntlich auch bei den Frumentationen
vertheilt Wenn das der Bedarf eines erwachsenen Mannes war,
so müssen Frauen und Kinder natürlich weniger verbraucht
haben; weiterhin bildet bei den wohlhabenden' Klassen das
Getreide einen kleineren Theil der Gesammtnahrung als bei
den Armen und Sklaven. Andererseits wäre freilich der Ver-
brauch von Gerste als Viehfutter in Rechnung zu stellen.
Rechnen wir nun für den erwachsenen Mann einen jähr-
lichen Bedarf von 8 Medimnen, für Frauen und Kinder —
unter 17 Jahren — im Durchschnitt von 5, und nehmen die
erwachsenen Männer zu einem Drittel der Gesammtbevölkerung,
so ergiebt sich für je 3 Personen ein Verbrauch von 18 Me-
dimnen Weizen, oder durchschnittlich 6 auf den Kopf. Wo
Gerste das Hauptnahrungsmittel bildet, wird der Verbrauch
noch etwas höher, etwa zu 7 Medimnen anzusetzen sein5), da
sich das Gewicht beider Getreidearten wie 75:65 verhält6).
') Berechnet nach den Angaben des Annuario Statistico Italiano 1884,
S. 102 der Einleitung.
3) Böckh, Staatsh. I S. 128.
3) Dureau de La Malle 1 S. 274 f. und Böckh I S. 109.
«) Polyb. VI 39, 13.
5) Das ist annähernd das Resultat Böckhs, Staatsh. I S. 110, der für
die ganze Bevölkerung von Attika einen Durchschnittsverbrauch von 6,83
Medimnen rechnet, da er eigenthümlicherweise das griechische Gemeinjahr
Anm. 6 siehe S. 34.
Beloch , Bevnlkerungslehre. I. 8
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34
Capitei I.
6. Die neuere Forschung.
Die neuere Forschung hat sich bereits früh den Problemen
zugewandt, deren Behandlung den Gegenstand der folgenden
Untersuchungen bildet. F.s war die Zeit, wo man die Blüthe
eines Staates in eine möglichst grosse Bevölkerung setzte ; und
bei der unbegrenzten Bewunderung für das klassische Alter-
thum, die damals herrschte, war man natürlich geneigt, den
antiken Staaten eine Volkszahl zuzuschreiben, die weit über
die Bevölkerung des damaligen Europa hinausging. Fällige
missverstandene oder verdorbene Stellen der Alten gaben zu
diesen übertriebenen Schätzungen die Grundlage. So schlug
Justus Lipsius die Bevölkerung des kaiserlichen Rom auf
4 Millionen an1), Isaak Vossius gar auf 14 Millionen2), und
noch Riccioli hält eine Bevölkerung von 410 Millionen für das
Reich unter Augustus für wahrscheinlich s). Selbst ein Montes-
quieu liess sich zu der Behauptung verleiten, es gäbe zu seiner
Zeit auf der Erde nur noch den zehnten Theil der im Alter-
thum vorhandenen Menschenzahl4).
Diesen Uebertreibungen trat David Hume entgegen in
seinem berühmten „Versuch über die Volkszahl der Nationen
des Alterthums“ 5), der 1752 zum ersten Male gedruckt wurde.
Von der Aufstellung bestimmter Zahlen sieht Hume ab; er l*e-
statt des natürlichen Jahres zu Grande legt — als ob man in Griechenland
alle 854 Tage geerntet hätte. Auf natürliche Jahre reducirt ergehen sich
fast genau 7 Medimnen Gerste.
•) [zu s. 33] Annuariu Statistico Itdliano 1884, Einleit S. 102. Nach
deutschen Usancen wird 1 Hektoliter Weizen zu 76,5, 1 Hektoliter Gerste
zu 63 Kilogramm angenommen.
*) De magnitudine Rom. III 3.
s) Variamm observationum Uber (Lond. 1585) S. 32.
a) Ge^grapliiae refonnatae libri XII (Venetiis 1672) S. 678 (üb. XII
app. 1).
*) Lettres Personen 112.
s) Essay on the Populousness of Ancient Kations ( Essays moral ,
political and literary by David Hume. Edited, uith preUminary dieser-
tations and notes by T. H. Green and T. H. Gross, London 1875).
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Quellen und Hülfsmittel.
35
gnllgt sich, die Ursachen auseinanderzusetzen, die im Alter-
thume einer starken Volksvennehrung entgegenwirkten, und an
einer Reihe von Beispielen zu zeigen, dass die Staaten des
Alterthums selbst im Vergleich zu dein Europa des vorigen
Jahrhunderts eine nur mässige Bevölkerung hatten. Bemerkens-
werth ist namentlich der Nachweis, dass die liei Athenaeos
überlieferten Sklavenzahlen weit übertrieben sind. Seine Er-
gebnisse fasst Hurne selbst in folgenden Worten zusammen:
„Nehmen wir Dover oder Calais als Centrum, und beschreiben
darum einen Kreis von 200 englischen Meilen (320 km) Ra-
dius: er wird London, Paris, die (österreichischen) Niederlande,
die vereinigten Provinzen (Holland) und einige der bestbevöl-
kerten Theile von Frankreich und England einschliessen. Ich
denke, es mag mit Sicherheit behauptet werden, dass kein
Gebiet von gleicher Ausdehnung gefunden werden kann, das
im Alterthum auch nur annähernd so viele grosse Städte ent-
halten hätte und so reich und dicht bewohnt gewesen wäre.“
Hurne war kein Philologe von Fach und, obgleich er Geschichte
geschrieben hat, auch kein Historiker, und so waren manche
Missgriffe im einzelnen unvermeidlich, die überdies zum Theil
in dem damaligen Stande der Wissenschaft ihre Entschuldigung
finden. Aber mit dem Scharfblick des Genies hat er alle we-
sentlichen Punkte richtig erkannt, und sein Essay bildet noch
heute die Grundlage für jede Untersuchung auf dem Gebiete
der Bevölkerungsstatistik des Alterthums.
Zunächst allerdings predigte Hume zumeist tauben Ohren.
Die alten Vorurtheile waren nicht so leicht zu erschüttern.
Gleich im folgenden Jahre veröffentlichte Wallace eine Ent-
gegnung l), in der er für die grössere Bevölkerung der antiken
gegenüber der modernen Welt eintrat. Hume fand sich da-
durch nicht veranlasst, ausser in einigen Citaten, in den
späteren Auflagen seines Essay etwas zu ändern. Die bei
Athenaeos überlieferten Sklavenzahlen wurden von Sainte-
1) A Dissertation on the Numbers of Mankind in ancient and modern
times, icith an appendix containing observations on the samt subject, and
remarks on Mr. Htime’s Discourse on the Poptilessness of Ancient Kations.
3*
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36
Capitel I.
Croix1) und Böckh*) gegen Hume vertheidigt. Die grosse
Autorität Böckhs hat zur Folge gehabt, dass seine Resultate,
in Deutschland wenigstens, eine fast kanonische Geltung er-
langt haben und selbst besonnene Forscher sich nicht scheuen,
mit den 400000 Sklaven Athens zu Deinetrios’ von Phaleron
Zeit wie mit einer sicheren Thatsaehe zu operiren, ja sogar
die Sklavenzahlen für Aegina und Korinth in Schutz zu neh-
men, die Böekh selbst nicht zu vertheidigen gewagt hatte.
Für unsere ganze Auffassung der socialen und politischen Zu-
stände Griechenlands ist das verhängnisvoll geworden; der
Widerspruch Niebuhrs ist ungehört verhallt8). Dagegen haben
in Frankreich Letronne4) und Wallon5) mit richtigem Tacte
an den Ergebnissen Humes festgehalten und seine Ansicht
mit neuen Beweisen gestützt.
Inzwischen hatte Gibbon in seinem grossen Geschichts-
werke auch die Populationsverhältnisse berührt. Er nimmt
an, dass die antike Welt unter den Antoninen den Höhepunkt
ihrer Bevölkerung erreicht habe. Ausgehend von den Ergeb-
nissen des unter Claudius gehaltenen Census, die er auf die
erwachsenen Männer bezieht, gelangt er zu einer Zahl von
20 Millionen Köpfen für die römische Bürgerschaft, nimmt
die Latiner und Peregrinen auf das Doppelte an und setzt
schliesslich die Sklaven der gesainmten freien Bevölkerung
gleich, sodass im ganzen für das römische Reich 120 Millionen
herauskommen®). So roh diese Methode auch ist, soviel sich
gegen jeden einzelnen dieser Ansätze auch sagen lässt, es war
doch eine concrete Zahl gewonnen, die freilich noch immer
weit über die Wahrheit hinausging, aber wenigstens von den
maasslosen Uebertreibungen früherer Zeiten sich fern hielt.
Wenn aber Gibbon weiter die Bevölkerung der Stadt Rom,
’) Memoires de l’Academie des Inscriptions vol. 48.
2) Stfuitshaushaltunfi der Athener I S. 52 f.
") Rom. Gesch. II S. 80.
‘) Mimoires de V Institut, Acndemie des Inscr. et Beiles Ixttres VI
S. 165 ff.
s) Histoire de TKsclavage 1 2 S. 222 — 277.
6) Gibbon ch. 2 S. 59 (Leipzig 1829).
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Quellen und Hülfsmittel.
37
auf Grund der „Häuserzahl“, zu 1200000 berechnet, so wird
hier allerdings etwas Zahlenspielerei dabei sein: die Bevöl-
kerung der Hauptstadt steht zu der des Reiches wie 1 : 100.
Mit besserer Methode, von der Zahl der Getreideempfänger
ausgehend, hat dann Bimsen die Bevölkerung Roms zu be-
rechnen versucht1) und bald zahlreiche Nachfolger gefunden,
deren Leistungen unten gewürdigt werden sollen.
Areal und Bevölkerung des alten Griechenland in wissen-
schaftlicher Weise zu bestimmen, unternahm zuerst Clinton im
II. Bande seiner Fasli Hellenici2). Der Versuch bleibt ver-
dienstlich, so unvollkommen er ausgefallen ist. Es fehlte
Clinton an historischem Tacte ebensosehr wie an der nöthigen
Beherrschung des Materials. Soweit Attika in Betracht kommt,
steht er durchaus auf dem Standpunkte Böckhs; für den Pe-
loponnes bilden die Angaben Herodots über die griechischen
Streitkräfte bei Plataeae die Grundlage seiner Berechnung.
Für die Arealbestimmungen konnten die Karten der damaligen
Zeit nur eine sehr unsichere Grandlage abgeben. Ganz Griechen-
land südlich vom Olympos mit Einschluss Euboeas und der
ionischen Inseln, aber ohne Epeiros, hat nach Clinton auf
22231 engl. Q.-Meil. (= 57578 qkm) etwa 3x/a Mill. Einwoh-
ner gezählt, wovon 527 660 auf Attika, 135000 auf Boeotien,
1049570 auf den Peloponnes kommen. Für die übrigen Land-
schaften giebt Clinton keine detaillirte Berechnung.
Eine weitere Förderung erhielten diese Fragen durch
A. W. Zumpts Abhandlung „Ueber den Stand der Bevölkerung
und Volksvermehrung im Alterthum“3). Von der Aufstellung
concreter Zahlen sieht Zumpt ebenso ab wie einst Hume; er
beschränkt sich darauf, die allgemeinen Verhältnisse zu be-
leuchten, die für die Bewegung der Bevölkerung bestimmend
waren. Der Zweck der Schrift ist, gegen Gibbon zu beweisen,
dass die antike Welt nicht unter den Antoninen, sondern schon
im VI. Jahrhundert das Maximum ihrer Bevölkerung erreicht
*) Beschreibung Roms 1 S. 184.
*) Erste Auflage Oxford 1824.
3) Abhandl der Beil. Akad. 1840 S. 1—92.
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38
C'apitel I.
habe, und diese von da ab beständig gesunken sei. Zunipt
stützt sich dabei auf ein sehr unvollständiges und zum Theil
mit wenig Kritik behandeltes Material; aber auch wer den
Beweis seiner These für nicht erbracht hält, wird der Arbeit
reiche Anregung und Belehrung verdanken.
Dureau de La Malle in seiner gleichzeitig mit Zumpts
Abhandlung erschienenen Economic poliiique des Romains
(Paris 1840) berührt die Bevölkerungsverhältnisse nur bei-
läufig. Bemerkenswerth ist die von ihm in Anwendung ge-
brachte Methode zur Bestimmung der italischen Sklavenzahl
und der Widerspruch gegen die übertriebenen Schätzungen der
Bevölkerung Roms. Leider lassen seine Ausführungen im ein-
zelnen oft die nöthige Kritik vermissen. In noch viel höherem
Grade trifft dieser Vorwurf die Statistique des peuples de
l ’Antiquite von Moreau de Jonnös (Paris 1851). Der Verfasser
zeigt einen trefflichen statistischen Tact , aber daneben so
gänzlichen Mangel an historischer Kritik und so vollständige
Unwissenheit selbst in den Elementen der Alterthumskunde,
dass sein Buch so gut wie ganz werthlos ist.
Moreau de Jonnes gegenüber bezeichnet die Forschung
Wietersheims immerhin einen bedeutenden Fortschritt1). Aber
auch Wietersheim war ein philologischer Dilettant, dem die
nöthige Sachkenntniss , wie die Beherrschung des Materials
durchaus abging. Er operirt fast ausschliesslich mit rohen
Bestimmungen des Flächeninhalts und mit der jetzigen Bevöl-
kerung; je nachdem ein Land seit dem Alterthum in der Cul-
tur fortgeschritten oder zurückgegangen ist, wird die alte Be-
völkerung niedriger oder höher angesetzt als die heutige. Das
Ergebniss von 88 — 91 Millionen für die Gesammtbevölkerung
des römischen Reiches in der „Kaiserzeit“ kann demnach nur
eine sehr bedingte Geltung beanspruchen , wenn es auch der
Wahrheit näher kommt, als Gibbons 120 Millionen. Doch ent-
’) Ueber die Bevölkerung des römischen Reiches und der Stadt Rom.
In Oeschichte der Völkerwanderung I1 S. 169 — 268; auch als Separat-
abdruck. In der zweiten, von Dahn besorgten Auflage des Werkes ist
dieser Abschnitt nicht wiederholt.
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Quellen und Hülfsmittel.
39
hält die Untersuchung daneben manches Beachtenswerthe ; so
namentlich die Ausführungen über die Sklavenzahl und über
die Einwohnerzahl der Stadt Rom. Auch hat Wietersheim das
Verdienst, das fabisch-polybische Verzeichniss der italischen
Wehrfähigen zum ersten Male eingehend behandelt zu haben,
eine Untersuchung, die dann von Ihne1) und ausführlicher von
Mommsen2) wieder aufgenommen worden ist.
Eigentümlicher und bezeichnender Weise hat die wich-
tigste aus dem Alterthum erhaltene l>evölkerungsstatistische
Urkunde, die Reihe der römischen Censuszahlen , erst in der
letzten Zeit die gebührende Berücksichtigung gefunden. Nach-
dem Clinton die überlieferten Daten zusammengestellt8) und
Hildebrand über die Organisation der „amtlichen Bevölkerungs-
statistik im alten Rom“ *) gehandelt hatte, sind die Census-
zahlen gleichzeitig von Herzog5) und mir selbst6) kritisch be-
arbeitet worden. Die Resultate dieser Arbeiten werden weiter
unten näher besprochen werden.
Die Untersuchung über die Bevölkerungsverhältnisse des
alten Griechenland hat kürzlich ein griechischer Gelehrter,
Kastorchis, wieder aufgenommen1). Er steht im wesentlichen
auf dem Standpunkt Clintons, nur dass er die von Athenaeos
überlieferte Sklavenzahl auch für Korinth gelten lässt und für
Lakonien und Messenien neben den Heiloten noch 150 — 200000
Kaufsklaven ansetzt. So kommen für den Peloponnes 1720000,
für Mittel-Griechenland südlich der Thermopylen 1113 000 Ein-
wohner heraus; die Inseln, einschliesslich Kreta und Kypros,
werden ohne Einzelnachweise mit 2 Millionen, die Colonien
') Köm. Gesch. II S. 400—406.
ä) Hermes XI (1876) S. 49 — 60, wiederholt Köm. Forsch. I S. 882 — 406.
”) Fasti Hellenici III* 8. 471.
4) Jahrbücher für Natiotudökonomie und Statistik VI (1866) S. 81 — 96.
*) In den Commentationes Mommsenianae S. 124 — 142.
*) Ehein. Mus. 32 (1877) S. 227—48; Ital Bund S. 70—102.
’) ITeßi xov nlrjtfovg xtöv rrjg 'Axxtxrjg xaxolxtnv xcu xov xax' tvi-
avröv TiaQaytvofiivov Iv aürij tiooov xtöv <T(jt/rjrpt«X(ör xiiquiöv xd 7xd-
km xal rvv, Athjvaiov III S. 99 ff. ; /7fpl rot) Txkijhoig xtöv xijg aQ/a(ttg
'EllttiSog xaxotxmv ebenda IV 421 ff., V 111 ff.
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40
Capitel I.
ebenso mit 5 Millionen in Ansatz gebracht. Wissenschaftlichen
Werth hat die Arbeit nicht.
Neben diesen systematischen Untersuchungen finden sich
einzelne Bemerkungen über Fragen aus der Bevölkerungs-
statistik des Alterthums verstreut in fast allen historischen
oder antiquarischen Werken über diese Periode. Dass dabei
sehr viel Dilettantismus mit unterläuft, ist natürlich ; das wirk-
lich Werth volle davon wird unten berücksichtigt werden.
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Zweites Capitel.
Die Zusammensetzung der Bevölkerung nach
Geschlecht und Alter.
Es muss auf einem physiologischen Gesetze beruhen, dass
überall annähernd dieselbe Zahl Knaben wie Mädchen geboren
werden. Der geringe Ueberschuss der männlichen Geburten
wird durch die grössere Sterblichkeit der Knaben bald ausge-
glichen. Und da der Verlust durch Kriege ausschliesslich, der
durch Auswanderung vorzugsweise die Männer trifft, so finden
wir im heutigen Europa fast durchweg ein Ueberwiegen des
weiblichen Geschlechts über das männliche; doch hält sich der
Unterschied in verhältnissmässig sehr engen Grenzen.
Wir werden demnach berechtigt sein, auch für das Alter-
thum die beiden Geschlechter als numerisch annähernd gleich
anzusetzen. Allerdings wirkten die Ursachen, die heute eine
Verminderung der Zahl des männlichen Geschlechts gegenüber
dem weiblichen hervorbringen, im Alterthum zum Theil in ver-
stärktem Maasse. Vom Ende des V. bis zum Anfang des II. Jahr-
hunderts ist in Griechenland und Italien fast permanent Krieg
gefühlt worden; fast alle Staaten wurden von einer Reihe
blutiger Revolutionen erschüttert; der Solddienst führte die
kräftigsten Männer zu Zehntausenden in die Fremde, und von
den mythischen Zeiten bis in das Jahrhundert nach Alexander
hat sich ein breiter Strom der Auswanderung fast ununterbrochen
aus Hellas ergossen. Es ist auch gar nicht zu bezweifeln, dass
diese Ursachen zeitweilig und in einzelnen Gebieten einen starken
Ueberschuss des weiblichen Geschlechts hervorgebracht haben;
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42
Capitel II.
so namentlich in Athen nach dem peloponnesischen und in
Italien nach dem hannihalischen Kriege. Aber dem gegen-
über besass das Alterthum in der von Gesetz und Sitte ge-
statteten Kinderaussetzung einen Regulator der Bevölkerung,
auf den die moderne Civilisation unter dem Einfluss des Christen-
thums verzichtet hat ; und es liegt in der Natur der Sache, dass
das Loos, ausgesetzt zu werden, zumeist weibliche Kinder treffen
musste, dann namentlich, wenn sich ein Ueberwiegen der weib-
lichen Bevölkerung fühlbar machte. Auf diese Weise mochten
die Wirkungen der Kriege und der Auswranderang ungefähr com-
pensirt werden.
Die Alten selbst haben denn auch bereits die Beobachtung
gemacht, dass beide Geschlechter sich an Zahl annähernd gleich
stehen. So nennt Aristoteles die Weiber „die Hälfte des
Staates“ *). Und der im Alterthum gewöhnliche Ansatz der
waffenfähigen Männer zu * * der Gesammtbevölkerung beruht
doch offenbar darauf, dass die Männer den Weibern gleichge-
reehnet werden und von der männlichen Bevölkerung wieder
die Hälfte als waffenunfähig angenommen wird.
Viel verwickelter ist die Frage nach der Vertheilung der
Bevölkerung auf die einzelnen Altersklassen. Hier wralten be-
kanntlich zwischen den Staaten des modernen Europa sehr be-
deutende Verschiedenheiten ob. Von je 1000 Peisonen stehen
im Alter2)
in
Deutschland
Frankreich
England
Italien
Griechenland
von
1875
1872
1871
1871
1879
bis zu 15 Jahren:
348
271
361
323
392
15-20
»
95
84
96
93
99
20—40
n
293
299
295
306
301
40-50
n
103
125
101
112
100
50-60
V
84
104
73
84
55
Uber 60
n
76
115
74
82
53
') Allst. Polit. I S. 1260 b: nt pitv yhp yvraixee rjuiav fxfgot tiöv
fXev9(g(üi’. — Polit. II S. 1269 b: tiiarrtg yng otzlns Lifüo; ärr/p xnl y vrij,
ifijioi' ort xnl nöXtv fyyv s rov < ft/n tu dei vofti(ttv tf{ re xo
tiöv ni'dgäv TrliJOof xnl to tiöv yvvcux <öv, tbrtrt tv offene noltTd'ai;
Xios f/a to ni Qt Tit( yvvatxns, rö rjfiioi' i rje 7tolfto{ dti roitiCav a vopo-
.Ȋrijror. Vergl. Platon Gesetze VI S. 781 A. B.
s) Flir Deutschland, Frankreich, England nach Block-Scheel, Handbuch
Digitized by Googl
Die Zusammensetzung der Bevölkerung.
43
Als Mittel erhalten wir in den umstehend aufgeführten 4
grossen Culturstaaten :
0—15 Jahre
328
15-20 „
92
20- 40 „
298
40-50 „
111
50—60 „
83
über 60 „
87
Für das Alterthum fehlt jede directe Angabe über diese
Verhältnisse. Allerdings hat sieh, wie wir gesehen haben
(oben S. 1 f.), das Bedürfniss nach Verzeichnissen der Geburten
und Todesfälle schon früh fühlbar gemacht. Aber bis zum
Entwurf von Sterbetafeln ist unseres Wissens das Alterthum
niemals gelangt. Freilich musste sich bald die Beobachtung
aufdrängen, dass die noch zu erwartende wahrscheinliche Lebens-
dauer keineswegs im geraden Verhältniss mit der Zahl der
verlebten Jahre abnimmt, dass also z. B. ein vierzigjähriger
Mann mehr Aussicht hat, das sechzigste Jahr zu erreichen, als
ein zwanzigjähriger. Praktische Bedeutung hatte diese Be-
obachtung namentlich für die Berechnung des Capitalwerthes
lebenslänglicher Leibrenten. Ulpian giebt dafür die folgende
Tafel1):
im
Alter
von
Capitalwerth
bis
20 Jahre
das 30 fache des jährlichen Betrages
n
25
n
n
28
r>
n
n
77
r>
30
n
7)
25
n
17
7)
•7
n
35
»
17
22
n
»
77
ft
rt
40
n
r>
20
n
n
77
77
77
41
n
?»
19
»
n
77
77
«
42
n
n
18
n
»
77
17
77
43
n
»
17
n
n
77
77
77
44
n
n
16
»
n
77
77
S. 237, für Italien nach Annuario Statistico lUiliano 1881 S. 100, für
Griechenland nach Zr«r«rrtxij rijc 'EDnöot, lTfo)frvauös 1879, S. 28 f.
Letztere Angaben sind nach dem eigenen Eingeständnis des griechischen
statistischen Amtes sehr unzuverlässig.
’) Digg. 35, 2, 68 im Commentar zur IjCX Falcidia. Vergl. Hilde-
brand, Jahrbücher für Nationalökonomie VT (1866) S. 91.
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44
Capitel II.
im Alter von Capitalwerth
bis 45 Jahre das 15 fache des jährlichen Betrages
4(; 14
n n » n n
n 47 n * n
. 48 „ , 12 , ,
4Q 11
n n » n n n n
» ®0 » i> lü » j> n r
n 55 „ „9nn „ »
n ®Ü w b 1 » n n ti
über 60 „ „ 5 „ „
Da eine ewige Rente nach Ulpian mit dem dreissigfachen
Betrage capitalisirt wird, so beträgt der angenommene Zins-
fuss 31 3 °/o. Dass nun unsere Tabelle keineswegs mit Zu-
grundelegung einer wirklichen Sterbetafel nach den Grund-
sätzen der Rentenrechnung entworfen ist, bedarf kaum der
Bemerkung; wer das bestreitet, möge sich die Mühe nehmen,
nachzurechnen. Vielmehr sind Ulpians Zahlen offenbar auf
rein empirischem Wege gefunden, und zwar in recht roher
Weise. Die lebenslängliche Rente einer unterzwanzigjährigen
Person wird einfach einer ewigen Rente gleichgesetzt. Der
Werth einer an ältere Personen zu zahlenden Leibiente wird
gefunden, indem der Capitalwerth der ewigen Rente vermindert
wird um den jährlichen Rentenbetrag multiplizirt mit der Hälfte
der über 20 durchlebten Jahre, wobei der leichteren praktischen
Handhabung wegen die Sätze auf fünfjährige Altersstufen be-
rechnet und auf ganze Jahre abgerundet sind. Bei dieser Scala
würde der Capitalwerth der an einen Fünfzigjährigen zu zah-
lenden Leibrente auf das 15 fache des jährlichen Rentenbetrages
sich stellen, und der Werth der Leibrente an einen Sechzig-
jährigen auf das 10 fache. Unseren modernen Verhältnissen
würde dieses Resultat annähernd entsprechen; hat doch z. B.
in Belgien nach Quetelets Tafeln ein fünfzigjähriger Mann die
Wahrscheinlichkeit, noch 18 Jahre zu leben, ein sechzigjähriger
noch IIV2 Jahre. Ulpian aber hat diese Wertbe für zu gross
gehalten und ersetzt demgemäss vom 40. Jahre au die bisher
angenommene Scala durch eine andere, stärker degressive, wo-
nach sich als Capitalwerth der Leibrente für einen Fünfzig-
jährigen das 0 fache, für einen Sechzigjährigen das 5 fache des
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Die Zusammensetzung der Bevölkerung.
45
jährlichen Betrages ergiebt. Es scheint demnach im II. und III.
.Jahrhundert n. Chr. die Sterblichkeit in den höheren Altersklassen
grösser gewesen zu sein als gegenwärtig.
In geradem Gegensatz zu diesem Resultate stehen die An-
gaben über die Zahl der Hundertjährigen, die uns Plinius und
Phlegon für die VIII. Region Italiens aufbewahrt haben r). Dass
beide derselben Quelle gefolgt sind, wäre an und für sich höchst
wahrscheinlich und wird ausser allen Zweifel gestellt durch das
Vorkommen des 135jährigen L. Terentius M. f. aus Bononia
in beiden Verzeichnissen. Als diese Quelle bezeichnet Plinius
die Listen des von Vespasian und Titus im Jahre 72 gehaltenen
Census. Phlegon führt die einzelnen Hundertjährigen nament-
lich auf, mit genauer Angabe des Alters; Plinius thut es nur
für die höchsten Altersklassen und begnügt sich im übrigen
mit summarischer Aufführung. Dabei stimmen seine Einzel-
angaben mit den für die ganze Region gegebenen Summen nicht
überein ; es ist bei letzteren die Kategorie der Hundertzwanzig-
jährigen ganz ausgefallen und die Zahlen der Hundertfünfund-
zwanzigjährigen und Hundertdreissigjährigen sind vertauscht.
Verbessern wir diese Verderbnisse, so erhalten wir folgende
laste :
nach Plinius nach Phlegon
Altersjahre
Individuen
Altersjahre
Individuen
100
-54
100
45
110
14
101
6
120
8
102
8
125
4
103
1
130
2
105
5
185 u. 137
2
106
1
140
3
107
1
87
110
2
111
1
113
1
—
1
120
1
135
1
69
') Plin. N. H. V 162—164; Phlegon fr. 29 Müller, vergl. Mommsen,
Staatsrecht II' S. 342 A. 3.
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46
Capitel II.
Der Vergleich zwischen beiden Verzeichnissen zeigt zu-
nächst, dass Phlegons Liste am Ende, d. h. in den höchsten
Altersklassen, unvollständig ist. Ob unter den Hundertjährigen
bei Phlegon 9 Namen ausgefallen sind, oder ob Plinius die
Hundeitein- und Hundertzweijährigen unter den Hundertjährigen
mitrechnet, muss dahingestellt bleiben. Im ersteren Falle würde
die Zahl der Hundertzehnjährigen, genauer ausgedrückt der 100-
bis 110 jährigen, bei Plinius von XIHI auf XXIHI zu erhöhen
sein. Wie dem aber auch sein mag, jedenfalls müsste nach
diesen Angaben die VIH. Region Italiens im Jahre 72 n. Chr.
gegen 90 hundertjährige oder überhundertjährige Greise ge-
zählt haben.
In ganz Italien wurden am 31. December 1881 nur 380
Greise an hundert Jahren oder darüber gezählt, davon 133
Männer und 247 Frauen, unter einer Bevölkerung von gegen
28 1/g Mill. Einwohner, d. h. etwa 13 auf die Million. Aehnlich
sind die Ergebnisse in den übrigen europäischen Ländern. Nur
in Griechenland sollen nach der Zählung von 1879 unter einer
Bevölkerung von 1 650 000 : 252 in diesem Alter gestanden haben,
also 150 auf die Million. Es ist klar, dass hier sehr viele als
Hundertjährige aufgeführt sind, die in Wahrheit dieses Alter
noch nicht erreicht hatten. Dasselbe muss im römischen Census
der Fall gewesen sein, wie schon die ganz unverhältnissmässige
Zahl der Hundertjährigen gegenüber den’'!! und erteinj ührigen in
Phlegons Liste beweist. Aber wollte man auch alle Hundert-
jährigen ausschliessen, so blieben uns doch 33 Personen von
über 100 Jahren in der VHI. Region, soviel wie im heutigen
Italien auf 2 llt Millionen entfallen, während die freie Bevöl-
kerung der VHI. Region im Jahre 72 n. Chr. * 2 Million kaum
erreicht haben kann. Sehr auffällig bleibt auch die geringe
Zahl der Frauen, nur 18 unter 69 Namen bei Phlegon, während
heute das weibliche Geschlecht in den höchsten Altersklassen
bedeutend überwiegt. Was also aus den Zahlen bei Phlegon
und Plinius folgt, ist nicht so sehr die gegenüber der heutigen
höhere mittlere Lebensdauer der italischen Bevölkerung um den
Anfang unserer Zeitrechnung, als vielmehr die Unzuverlässigkeit
der Alterserhebungen im römischen Census. Bekanntlich ist das
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Die Zusammensetzung der Bevölkerung.
47
auch bei unseren modernen Volkszählungen der Punkt, der am
meisten zu wünschen übrig lässt.
Wenn uns demnach unsere literarische Ueberlieferung keine
zuverlässige Auskunft über diese Dinge zu bieten im Stande
ist, liegt es nahe, die Inschriften daraufhin zu befragen. Be-
sitzen wir doch viele Tausende römischer Grabschriften mit
genauer Altersangabe, theilweise bis auf Tag und Stunde herab.
Sollte es nicht möglich sein, aus diesem Material nähere Auf-
schlüsse zu gewinnen?
Ich habe zu diesem Zwecke die Altersangaben der im
Corpus lnscriptionum Laiinarum enthaltenen Grabschriften aus
der I., II. und X. Region Italiens zusammengestellt. Ausge-
schlossen blieben die christlichen Inschriften und die in und bei
Misenum gefundenen Grabsteine von Mannschaften der misenati-
schen Flotte ; ebenso die Nachträge. Das so erhaltene Material —
1831 Altersangaben — ist gross genug, um wenigstens die gröbsten
Störungen zu eliminiren. Ich bemerke noch ausdrücklich, dass
ich eine Garantie für absolute Vollständigkeit der Liste nicht
übernehme; es kann sehr wohl sein, dass ich eine Anzahl von
Altersangaben übersehen habe, doch wird das Resultat dadurch
kaum afficirt worden sein. Wir erhalten folgende Zahlen:
1. Nach fünfjährigen, beziehungsweise zehnjährigen
Altersgruppen:
Regio I
Regio II
Regio X i
zusammen
M.
W.
zus.
M.
W.
zus.
M.
W.
zus.
M.
\V.
zus.
0- 5
77
33
110
16
20
36
20
14
34
113
67
180
6-10
71
41
112
35
13
49
21
17
43
130
71
204
10—15
40
28
69
30
12
42
19
12
34
89
52
145
16-20
72
67
140
32
19
51
31
33
66
135
119
257
21-25
67
62
130
22
18
40
39
30
70
128
110
240
26-30
50
59
109
13
17
31
23
18
41
86
94
181
31-35
38
27
65
18
15
34
13
15
30
69
57
129
36-40
31
23
54
20
10
30
8
6
14
59
39
98
41-45
28
19
47
15
10
26
10
2
12
53
31
84
46—50
20
10
30
7
8
15
5
4
10
32
22
55
51-60
22
18
40
24
12
36
7
2
9
58
32
85
61-70
24
15
39
19
15
34
5
2
7
48
32
80
71-80
16
8
25
9
2
12
5
2
7
30
12
44
81-90
7
3
10
9
6
16
2
2
4
18
11
SO
91—100
6
1
8
2
2
5
2
1
3
10
4
16
über 100
1
—
1
1
2
—
—
—
2
1
3
, 570 414
989
272
180 459
213
160 384
j 1055
754 1831
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48
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Regio
I
Regio
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M.
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M.
W.
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M.
W.
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0-
-15 1
188
102
291
81
45
127
63
43
m
332
190
529
16-
-30
189
188
379
67
54
122
93
81
177
349
323
678
31-
-45
97
69
166
53
35
90
31
23
56
181
127
311
46-
-60
42
28
70
31
20
51
12
6
19 !
85
.54
140
über
60
54
27
83
40
26
69
14
7
21
108
60
173
1055 754 1831')
Von je 1000 Gestorbenen standen also im Alter von
M.
W.
zus.
0 — 15 Jahren
315
252
289
16-30
n
881
428
370
31—45
*
171
169
170
46-50
n
81
71
76
über 60
n
102
80
95
Zum Vergleiche mögen die entsprechenden Zahlen für
Prenssen im Jahre 1876 hier angeführt werden2):
0 — 15 Jahre : 540,4
16—80 „ : 66,8
31—60 „ : 185,4
über 60 „ : 198,5
unbekanntes Alter : 9,1
Unter der Hypothese — ohne Hypothesen geht es bei
Sterbetafeln nun einmal nicht ab, auch für unsere Zeit nicht — ,
dass alle auf den Grabsteinen verzeichneten Personen im selben
Jahre geboren wären, habe ich aus diesem Material weiter eine
Ueberlebenstafel entworfen. Die Trennung nach den einzelnen
Regionen schien hier nicht erforderlich; auch sind die Steine,
die das Geschlecht des Bestatteten nicht erkennen lassen, aus-
geschieden. Mit 0 ist die Zeit von der Geburt bis zum voll-
endeten ersten Lebensjahre bezeichnet, unter 99 sind auch die
wenigen Hundertjährigen einbegriffen.
') Die Differenz der Summen mit den Hinzelzahlen für beide Ge-
schlechter beruht darauf, dass bei einer kleinen Zahl von Grabschriften
das Geschlecht des Todten nicht zu erkennen war.
ä) Nach Block-Scheel a. a. 0. S. 265.
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Die Zusammensetzung der Bevölkerung.
49
Ueberlebenstafel für die Regionen I, II und X.
Männlich
Weiblich
Männlich
Weiblich
Ueberleb.
Gestorb.
Ueberleb.
Geetorb.
Ueberleb. Geetorb.
Ueberleb.
Geetorb.
0
1055
n
754
2
50
161
18
92
15
1
1044
28
752
13
51
143
1
77
—
2
1016
20
739
17
52
142
2
. 77
3
3
996
27
722
13
53
140
2
74
—
4
969
27
709
22
.54
138
2
74
1
5
942
30
677
11
.55
136
18
78
5
6
912
28
676
14
56
118
2
68
2
7
884
23
662
16
57
116
3
66
1
8
861
21
646
15
58
113
4
65
3
9
840
28
631
15
59
109
1
62
2
10
812
24
616
8
60
108
29
60
18
11
788
10
608
10
61
79
4
42
—
12
778
23
598
9
62
75
—
42
2
18
755
18
589
15
68
75
1
40
—
14
737
14
574
10
64
74
1
40
—
15
723
28
564
19
65
73
10
40
7
16
695
18
545
15
66
68
1
33
1
17
677
25
530
27
67
62
82
2
18
652
41
508
36
68
62
2
30
2
19
611
23
467
22
69
60
—
28
—
20
588
41
445
33
70
60
16
28
7
21
547
14
412
18
71
44
1
21
2
22
533
26
399
18
72
43
1
19
—
23
507
31
381
22
73
42
1
19
—
24
476
16
359
24
74
41
2
19
—
25
460
81
335
44
75
39
7
19
1
26
429
17
291
11
76
82
18
1
27
412
18
280
17
77
32
'
17
—
28
394
14
263
14
78
32
2
17
1
29
880
6
249
8
79
80
—
16
—
80
374
86
241
35
80
30
13
16
9
81
338
12
206
4
81
17
—
7
—
32
326
10
202
11
82
17
—
7
1
33
316
8
191
5
83
17
—
6
—
34
308
3
186
2
84
17
1
6
—
85
305
34
184
21
85
16
4
6
1
86
271
6
163
7
86
12
—
5
—
37
265
6
156
6
87
12
—
5
—
38
260
9
1,50
2
88
12
—
5
—
39
251
5
148
8
89
12
—
5
—
40
246
40
145
28
90
12
4
5
3
41
206
4
122
2
91
8
—
2
—
42
202
4
120
2
92
8
1
2
—
43
198
2
118
2
93
7
2
2
1
44
196
3
116
2
94
5
—
1
—
45
193
22
114
15
95
5
—
1
—
46
171
4
99
2
96
5
2
1
—
47
167
3
97
2
97
3
1
1
—
48
164
2
95
2
98
2
—
1
—
49
162
1
93
1
y9
2
2
1
1
Bel och, BevOlkeraugslebre. 1. 4
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50
Capitel II.
Was uns beim Anblick der umstehenden Talielle zunächst
in die Augen fällt, ist die unverhältnissmässige Anzahl der
Todesfälle in den durch zehn und fünf dividirbaren Jahren,
namentlich in den oberen Altersklassen. Die Altersangabeu auf
den Inschriften sind also zum grossen Theile nur annähernd
genau. Und zwar gilt das sogar von den Fällen, wo das Alter
bis auf Monate und Tage herab angegeben ist; diese Bestim-
mungen wurden offenbar nach dem letzten Geburtstage be-
rechnet und dann die ungefähre Zahl der Lebensjahre hinzu-
gesetzt. Uebrigens kehlt eine ganz analoge Erscheinung auch
bei unseren modernen Volkszählungen wieder, bei denen gleich-
falls «lie Altersstufen von 30, 40, 50 Jahren u. s. w. ganz
besonders stark besetzt erscheinen.
Ferner überrascht uns in obiger Tafel die geringe Zahl
der im ersten Lebensjahre Gestorbenen, während bekanntlich
im heutigen Europa zwischen 15 und 80 °/o aller Lebendge-
borenen iin ersten Jahre hinweggerafft werden. Die Ursache
wird darin zu suchen sein, dass Kindern so zarten Alters nur
in Ausnahmefällen Grabsteine gesetzt wurden. Weiterhin aber
würde sieh aus unserer Tabelle für das antike Italien eine ganz
ausserordentlich niedrige Lebensdauer eigeben *). Wie bekannt
findet man die wahrscheinliche Lebensdauer für ein bestimmtes
Alter, wenn man in einer Ueberlebenstafel die Zahl der Leben-
den dieser Klasse durch 2 dividirt und dann das der so ge-
fundenen Zahl entsprechende Alter in der Tafel aufsucht.
Beispielsweise beträgt in unserer Tafel die Zahl der zwanzig-
588
jährigen Männer 588 ; -q- — 294, die Zahl von 294 Ueber-
lebeuden fällt aber zwischen die Jahre 36 und 37, der zwanzig-
jährige Mann würde also die Wahrscheinlichkeit gehabt haben,
noch 16 bis 17 Jahre zu leben. Im Vergleich zu der wahr-
scheinlichen Lebensdauer, wie sie sich nach Quetelets Tafeln
für Belgien ergiebt, erhalten wir aus unserer Tabelle folgende
Ergebnisse :
0 Zu ähnlichen Resultaten ist Schiller auf Grund der Altersaugaben
zahlreicher afrikanischer Grabschriften gelangt (Geschichte Neros S. 502),
ohne aber den Grund der Erscheinung zu erkennen.
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Die Zusammensetzung der Bevölkerung 5{
1. Für das männliche Geschlecht:
Alter
Wahrscheinliche Lebensdauer
nach unserer Tafel
für Belgien nach Quetelet
10
27—28
57—58
20
36-37
59-60
30
45—46
62-63
40
55-56
65—66
50
60—61
68—69
60
70-71
71 -72
2. Für das weibliche
Geschlecht:
Wahrscheinliche Lebensdauer
nach unserer Tafel
für Belgien nach Quetelet
10
25-26
58-59
20
30-31
61—62
30
41-42
65 — 66
40
55-56
6S— 69
50
60-61
70—71
60
68
73-74
Wir müssen uns indess hüten, vorschnelle Schlüsse aus
diesen Zahlen zu ziehen. Bei weitem die meisten Grabschriften
sind gesetzt entweder von Eltern ihren Kindern, oder von
Kindern ihren Eltern, oder von dem überlebenden Ehegatten.
Im ersteren Falle wird gewöhnlich, oder doch sehr häufig, das
Alter des Gestorbenen vermerkt. Im zweiten Falle geschieht
das fast niemals; im dritten endlich ist das Gewöhnliche die
Angabe der Dauer der Ehe, der manchmal noch das Alter des
Gestorbenen hinzugefügt wird. Selten steht dieses allein, sehr
häufig fehlt jede Zahlenangabe. Die jüngeren Altersklassen
müssen also in unserer Tafel weit stärker vertreten sein, als
ihnen im Verhältniss zur Gesammtzahl der Todesfälle zukommen
würde. Das geht auch daraus hervor, dass die Divergenz
zwischen unserer Tafel und der Tafel Quetelets immer geringer
wird, in je höhere Altersstufen wir hinaufsteigen. Wir werden
also unsere Tafel eist für die Altersklassen etwa vom 41. Jahre
aufwärts verwenden dürfen. Hier ist es nun bemerkenswerth,
4*
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52
Capitel II.
dass die aus unserer Tafel sieh ergebende wahrscheinliche
Lebensdauer den Ansätzen Ulpians sehr nahe kommt. Wir
erhalten noch zu durchlebende Jahre:
Alter
nach Ulpian
1
nach
unserer Tafel
Männer
Weiber
41
18
19—20
18—19
45
14
15-16
15—16
50
9
11
11
55
7
10-11
10-11
60
5
10-11
8
wobei zu berücksichtigen ist, dass die Zahlen bei Ulpian mit
Absicht etwas niedriger gehalten sind, als die zu erwartende
Lebensdauer.
Es scheint demnach wirklich, dass die Wahrscheinlichkeit,
ein hohes Lebensalter zu erreichen, für die Bewohner Italiens
in der Kaiserzeit etwas geringer gewesen ist als gegenwärtig.
Die höheren Altersklassen wären also schwächer besetzt ge-
wesen als heute.
Indess kommen diese Altersklassen der Gesammtbevölkerung
gegenüber kaum in Betracht. Viel wichtiger wäre es zu wissen,
in welchem Verhältniss die unteren Altersklassen, also die
Kinder unter 15 — 18 Jahren, zu der Gesammtbevölkerung ge-
standen haben. Bekanntlich gilt hier der Satz, dass die unteren
Altersklassen um so stärker besetzt sind, je rascher eine Be-
völkerung an Zahl fortschreitet. So stehen in England 36, in
Deutschland fast 35 °/o der Bevölkerung im Alter von unter
15 Jahren; von der stationären Bevölkerung Frankreichs da-
gegen nur 27 °/o. Nun hat, soviel wir sehen, kein Land in
irgend einer Periode des Alterthums eine auch nur annähernd
so rapide Volksvermehrung aufzuweisen gehabt, wie wir sie,
mit alleiniger Ausnahme Frankreichs, in unserem Jahrhundert
in Europa und Amerika linden; ja im III. Jahrhundert ist die
Bevölkerung in Griechenland, im II. Jahrhundert auch in Italien
zum Stillstand gekommen, und seit der Mitte dieses Jahrhunderts
sehen wir überall ein, wenn auch nur massiges, Sinken der
Volkszahl, das erst in der Kaiserzeit wieder einer geringen
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I>ie Zusammensetzung der Bevölkerung.
53
Vermehrung Platz machte. Wir werden also mit voller Sicher-
heit behaupten dürfen, dass im alten Griechenland und Italien
die Kinder einen bedeutend geringeren Bruchtheil der freien
Gesammtbevölkerung gebildet haben, als in den meisten Ländern
des modernen Europa.
Die beste Analogie zu den Verhältnissen des Alterthums
bietet ohne Zweifel das heutige Frankreich, wo die Kinder unter
17 Jahren gegen 31 0 o der Gesammtbevölkerung ausmachen.
Doch dürfte dieser Procentsatz für die Zeit vom V. bis zum
III. Jahrhundert, als die Bevölkerung in Griechenland und Italien
noch im, wenn auch langsamen, Fortschreiteu war, etwas zu
erhöhen sein, umsomehr, wenn wirklich, wie sich uns oben
als wahrscheinlich ergeben hat , die mittlere Lebensdauer
im Alterthume etwas kürzer gewesen ist als gegenwärtig1).
Ln runden Verhältniss werden wir demnach die Kinder
unter 16 — 18 Jahren zu etwa ‘ a der Gesammtbevölkerung
ansetzen dürfen; sodass, beide Geschlechter als gleich ge-
rechnet, die erwachsenen Männer ebenfalls zu 1/a der Ge-
sammtbevölkerung angenommen werden können. Die über-
sechzigjährigeu mögen auf rund 7 0 o der Gesammtbevölkerung,
oder 10 °/o der erwachsenen Bevölkerung veranschlagt werden:
für die Männer im wehrfähigen Alter von 17 bis 60 Jahren
bleiben demnach gegen 30 0 o der Gesammtbevölkerung. Mit
diesem Resultat stimmt es annähernd überein, wenn Caesar die
waffenfähigen Männer bei den Helvetiern zu V* der Gesammt-
zahl annimmt 2), oder Dionysios die Censuszahlen aus dem An-
fänge der Republik mit 4 multiplicirt, um die Gesammtbe-
völkerung des römischen Gebietes zu finden8). So sehr diese
*) Was Zumpt in der oben S. 87 angeführten Abhandlung dagegen
ein wendet: dass so viele berühmte griechische Gelehrte und Schriftsteller
ein hohes Alter erreicht hätten, hat gar kein Gewicht, denn einmal ist das
überlieferte Material nicht der Art, um irgend welche allgemeine Schlüsse
darauf zu gründen, daun aber scheinen noch heute die sogen, geleluten
Stände eine besonders lange Lebensdauer zu haben.
*) Gail. Krieg I 29. Dass es sich hier um Berechnung, nicht um sta-
tistische Aufnahme handelt, wird unten gezeigt werden (Cap. X, 3).
•) Dionys IX 2*5.
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54
Capitel II.
Ansätze im proben gegriffen sind, so beweisen sie doch wenig-
stens so viel, dass die Vertheilunp der Bevölkeninp auf die
einzelnen Altersklassen im Alterthume keine wesentlich andere
gewesen ist als im modernen Europa.
Selbstverständlich bezieht sich alles bisher Gesagte nur auf
die freie Bevölkerung. Die Sklavenbevölkerung, die zum grössten
oder doch wenigstens zum sehr grossen Theile durch den Im-
port sich ergänzte, musste eine ganz andere Zusammensetzung
zeigen. Die arbeitsfähigen Männer, nach denen ja vor allem
Nachfrage war, mussten hier verhältnissmässig viel stärker ver-
treten sein, als die Frauen und Kinder1), ja vielleicht selbst
absolut an Zahl überwiegen.
Wir sehen, wie ungerechtfertigt es ist, für die Berechnung
der bürgerlichen Gesammtbevölkerung eines antiken Staates
aus seiner Bürgerzahl das Verhältniss von 1 : 4V* zu Grunde
zu legen, wie z. B. Böckh es gethan hat. Auch schon
ein ganz oberflächliches Nachdenken reicht aus, uns von der
völligen Unhaltbarkeit dieses Ansatzes zu überzeugen. Denn
da beide Geschlechter sich an Zahl ungefähr gleich stehen, so
bliebe für die männliche Bevölkerung das 2 V* fache der Bürger-
zahl; mit anderen Worten, die unerwachsenen Knaben wären
zahlreicher gewesen, als die erwachsenen Männer.
*) Das deutet auch Aristoteles an, wenn er die Weiber rjfurju ufnng
TtJv t Itv&iqtav nennt ( Polit . I S. 1260 b).
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Drittes Capitel.
Attika.
I. Areal.
Ueber das Areal von Attika finden sieh in Böckhs
„Staatshaushaltung“ drei verschiedene Angaben, ohne dass sich
der Verfasser für eine darunter entschiede. Nach der zu den
„Reisen des Anacharsis“ gehörigen Karte von Barbiö du Bo-
eage (Paris 1785) betrüge der Flächeninhalt der Landschaft
37 8 ;8 geogr. Quadratmeilen, wovon 36 17it2 auf das Festland,
1i3(4o auf Salamis, 5 ie atif Helena kommen. Nach der „neuen“,
ebenfalls zu den „Reisen des Anacharsis“ gehörigen Karte des-
selben Verfassers (Paris 1811) ergeben sieh für das Festland
39* i«, für Salamis ls/8, für Helena wie vorher 5/i«, zusammen
also 41 geogr. Quadratmeilen. Diese beiden Berechnungen sind
von Klöden gemacht. Nach dem Kiepertschen Blatt von Ar-
golis, Korinthia, Megaris und Attika beliefe sich das Areal von
Attika mit Oropia, Salamis und Helena auf „etwa 47 Quadrat-
meilen“ ; von wem die Berechnung ausgeführt ist, erfahren wir
nicht1). Das sind also, die geographische Quadratmeile zu
55,06 qkm gerechnet, beziehungsweise 2071,62; 2257,46;
2587,82 qkm für Festland und Inseln zusammen. Clinton ge-
langt auf Grund von Arrowsmiths Ouilines of Greece auf
1864,80 qkm für das Festland. 72,52 für Salamis, zusammen
also 1937,32 qkm2). Moreau de Jonnes nimmt sogar nur
*) Böekh, Staatsh. I3 S. 47.
s) Fasti Hellen ici II2 S. 385.
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56
Capitel 111.
1500 qkui an1). Bursian beruhigt sieh bei eiuem Flächenraum
von 40 Quadratmeilen ohne die Inseln2), also 2202,4 qkm.
Wallon bestimmt den Flächeninhalt von Attika einschliesslich
Salamis und Helena auf 2532 qkm , mit F.inrechnung von Oropos
auf 2601,11 qkm. An anderer Stelle setzt er dagegen das
Areal von Attika mit Salamis nur zu 2491,42 qkm au8).
Die höchste dieser Zahlen kommt der Wahrheit am nächsten.
Nach einer mit dem Amslerschen Polar-Planimeter und Be-
nutzung der Wagnerschen Zonentabelleu von mir auf Bl. V
von Kieperts Neuem Atlas von Hellas (Berlin 1879, Maass-
stab 1 : 500 000) ausgeführteu Berechnung hat das attische Fest-
land in der dort gegebenen Begrenzung, also einschliesslich
Oropos und Eleutherae, eine Ausdehnung von 2527 qkm.
Die Küsteninselu umfassen nach der planimetrischen Berech-
nung von
Strelbitzky4 )
Wisotzky *)
qkm
qkm
Salamis
.... 93,5
100
Patroklu Cliarax (Gaidoro). . . .
.... 4,3
5
Helena (Makronisi)
.... 22.2
18
Phaura ( Phlega )
. . . . —
3
120
126
Ftlr ganz Attika ergeben sich demnach 2647, beziehungs-
weise 2653 qkm. Selbstverständlich kann dieses Resultat
nur vorläufige Geltung beanspruchen. Eine definitive Bestim-
mung des Flächenraumes von Attika wird eist nach Vollendung
der Karte des deutschen Generalstabes möglich sein; und Nie-
mand wäre berufener, sie vorzunehmen , als die Herausgeber
selbst.
Auf die Oropia mögen von diesem Areal etwa 110 qkm
') Statistique des peuples de VAntiquiti I S. 171.
*) Geogr. v. Griech. I S. 251.
8) Histoire de l’Esclavage I S. 268. 274.
*) Superficie de VEwrope, etablie par J. Strelbitzky. Publicatüm du
Comite Central Busse de Statistique. St. Pe'tersbourg 1882.
r‘) Bei Belun und Wagner, Die Bevölk. der Erde VI S. 16.
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Attika.
57
eutfalleu, auf das Pediou vielleicht 400, auf das thriasische
Feld 140, die inarathonische Ebene 90, die Paralia 720, den
Parues und die waldigen, schwachbewohnten Gebirgsdistricte
von der megarischen Grenze bis Rhamnus 800, der Rest auf
Hymettos, Brilettos, Aegaleos. Natürlich sind alle diese Einzel-
zahlen ganz im groben gegriffen, schon darum, weil eine ge-
naue Grenzbestimmung der Natur der Sache nach unmöglich
ist. Auch hier wird erst die Vollendung der Generalstabskarte
ein sicheres Fundament schaffen.
2. Die überlieferten Bevölkerungszahlen.
Die Grundlage unserer Kenntniss der Bevölkeruugsverhält-
nisse von Attika bildet die unter der Verwaltung des Demetrius
von Phaleron, 317 — 307, gehaltene Volkszählung, die erste und
einzige, von der wir überhaupt Nachricht haben. Dieselbe soll
21000 Bürger, 10 000 Metoeken und 400000 Sklaven eigeben
haben1). Sehen wir von der letzteren Zahl ab, die ohne Zweifel
corrupt ist und unten ausführlich besprochen werden soll, so
tragen diese Angaben durchaus das Gepräge der Glaubwürdig-
keit. Auf etwa 20000 wird die Zahl der attischen Bürger
auch sonst in dieser Periode veranschlagt. Als Antipatros nach
dem lamischen Kriege 322 in Athen eine oligarchische Ver-
fassung einfülute und allen Bürgern von weniger als 2000
Drachmen Vermögen das Wahlrecht entzog, sollen 9000 Athe-
ner diesen Census erreicht haben, während 12000 von der
activen Theiluahme am Staatsleben ausgeschlossen wurden2).
Offenbar geht die erstere Zahl zurück auf das Verzeichniss
der stimmberechtigten Bürger {nitaS tx/.XrloiaoTiv.6g), das bei
dieser Gelegenheit neu entworfen werden musste; die ent-
rechteten Bürger zu zählen dagegen lag gar keine Veranlas-
sung vor, und ihre Zahl ist offenbar später durch Berechnung
gefunden, indem man jene 9000 von den 21 000 abzog, welche
') Ktesikles bei Athenaeos VI S. 272 B, s. oben S. 4.
*) Diod. XVIII 18; Pint. Phnk. 28. Es ist offenbar ein Schreibfehler,
wenn bei Diodor von 22000 armen Bürgern die Rede ist, die ihre Rechte
verloren hätten. Bei Plntarch steht die richtige Zahl.
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58
Capitel III.
die Zählung unter Demetrios ergeben hatte. Von 20 (XX) athe-
nischen Bürgern spricht auch die erste Rede gegen Aristogeiton '),
die zwar nicht von Demosthenes herrührt, aber doch an das
Ende des IV. oder den Anfang des III. Jahrhunderts gehören
muss, da sie bereits von Kallimachos in das Corpus der de-
mosthenischen Schriften aufgenonimen worden ist. Von dem
160 Talente betragenden Vermögen des Bergwerksbesitzers
Diphilos, das Lykurgos für den Staat einziehen und unter die
Bürger vertheilen Hess, soll jeder Athener 50 Drachmen er-
halten haben, was eine Zahl von 19200 Empfängern voraus-
setzt2). Audi die Annahme, Athen habe bereits unter Kekrops
20000 Bürger gezählt, ist doch offenbar ein Rückschluss aus
den Verhältnissen des IV. Jahrhunderts3).
Es kann demnach kein Zweifel sein, dass wirklich unter
Demetrios von Phaleron 21000 attische Bürger gezählt worden
sind. Selbstverständlich umfasst diese Zahl alle Athener, nicht
etwa blos die Bürger von über 1000 Drachmen Vermögen,
auf die nach der damals geltenden Verfassung die vollen poli-
tischen Rechte beschränkt waren. Denn Bürger in civilreeht-
lichem Sinne waren auch die ärmeren, wenn auch ihr actives
Bürgerrecht ruhte. Und da der Staat damals, abgesehen von
Salamis und etwa von Skyros, keine Klenichien mehr besass,
so müssen unsere Zahlen sich auf Attika allein beziehen, was
übrigens in dem uns vorliegenden Bericht über die Zählung
des Demetrios auch ausdrücklich angegeben wird4). Dasselbe
gilt dann natürlich ebenfalls von den auf Antipatros’ Verfassungs-
reform bezüglichen Bürgerzahlen, d. h. auch hier sind die
Kleruehen ausgeschlossen.
Was nun die Zahl der Metoeken angeht, so fehlt uns hier
*) [Demosth.] g. Aristog. I 50 S. 785.
*) Leben der zehn Redner S. 843 1). Nach anderer Angabe an derselben
Stelle hätte freilich jeder Bürger 1 Mine erhalten, was die statistische
Brauchbarkeit der Notiz stark beeinträchtigt.
*) Platon Kr Ui an 5 S. 112 I): ?<F»j x u l rort zrfpl <fvo /jeiXiara
cvrf( «iptndnf. Philochoros fr. 22 bei Schob Pind. OL IX 68.
4) Ktesikles a. a. 0.: Lj-etao/jor yerfaftai irrb AguriTofov toC */>n-
X r,Qiti>s t titV xnTotxoifTciv rfjr l4mxr\r.
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Attika.
59
allerdings die Möglichkeit einer directen Controle des über-
lieferten Resultats der Zählung des Demetrios, da wir nume-
rische Angaben über diesen Theil der attischen Bevölkerung
aus dem IV. Jahrhundert sonst nicht besitzen. Nur dass die
Metoeken in Athen sehr zahlreich gewesen sind, lehren uns
unsere literarischen Quellen und ganz besonders die Inschriften.
So stehen in Kumanudes’ Sammlung der attischen Grabschriften
neben 1327 Grabschriften von Bürgern 1126 von Metoeken
und Fremden verzeichnet. Beim Ausbruch des peloponnesischen
Krieges dienten 3000 Metoeken als Schwerbewaffnete1), was
eine Gesammtzahl von gegen 10000 erwachsenen Männern,
vielleicht auch darüber, voraussetzt. Und da Athen unter De-
metrios als Handels- und Fabrikstadt nicht weniger bedeutend
war als unter Perikies, so liegt kein Grund vor, zu bezweifeln,
dass auch am Ausgange des IV. Jahrhunderts noch, oder wieder,
an 10000 Metoeken vorhanden gewesen sind.
Aus der Zeit vor Demetrios dürfen wir, bei dem Mangel
jeder wirklichen Volkszählung, Angaben von gleicher Zuver-
lässigkeit über die Bevölkerung von Attika nicht zu finden er-
warten. Die Schätzungen der Bürgerzahl aus dieser Periode
gehen im besten Falle zurück auf das Verzeichniss der zur
Theilnahme an der Volksversammlung Berechtigten (nivajj «/-
^l^aiaaTixö c); wir haben oben (S. 3) gesehen, wie unsicher
diese Grundlage war. Die im V. Jahrhundert herrschende An-
nahme schrieb Athen eine Bürgerzahl von 30000 zu; so viele
rechnet Herodot für die Zeit der Perserkriege2), und noch
Aristophanes in den 392 aufgeführten Ekklesiazusen nimmt
dieselbe Zahl au8). Der Verfasser des Axiochos lässt sogar
30000 Bürger an der Volksversammlung Theil nehmen, die
*) Thuk. II 81, Näheres unten.
*) Herod. V 97; vgl. VIII 65 und Duncker, Sitrungsber. der Bert.
Akad. 1883 S. 938.
3) v. 1133: noXiriiv nXeiov fj t qio/xvq/wv. Wenn Aristophanes in
den Wespen (v. 709) von J vo ptvQindes rtöv tfrjuortxwv spricht, die in den
Bandesstädten versorgt werden sollen, so hat er nur die ärmeren Bürger,
den eigentlichen dfjiuo; im Auge, er muss also auch hier die Gesammt-
btirgerzahl beträchtlich höher veranschlagt haben.
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60 .
(Japitel III.
nach der Arginusenschlacht die siegreichen Feldherrn ver-
urteilte1); offenbar in der Voraussetzung, dass säinmtliche
Bürger l>ei dieser Gelegenheit ihr Stimmrecht ausübten.
3. Die militärischen Leistungen.
Viel werthvoller als diese vagen Schätzungen sind die An-
gaben über die militärischen Leistungen Athens aus derselben
Zeit. Bei Marathon sollen 9000 2), bei Plataeae 8000 a) attische
Hopliten gekämpft haben, Zahlen, die durchaus glaubwürdig
scheinen, da ein halbes Jahrhundert später, beim Ausbruch
des peloponnesischen Krieges, 14000 felddienstpflichtige Bürger-
hopliten und Reiter vorhanden waren. Dazu kommen weiter
die leichten Truppen, die llerodot für die Schlacht bei Plataeae
den Hopliten an Zahl gleich setzt; ausserdem war damals noch
eine beträchtliche Flotte in See. Bei Salamis hatten die Athe-
ner 180 Trieren4), und wenn die Scliiffe dieser Klasse damals
auch kleiner waren als später5), so wird die Bemannung doch
immerhin auf kaum unter 25 000 Kopfe anzuschlagen sein.
Ueber die am Anfang des peloponnesischen Krieges dem
Staate zur Verfügung stehenden Streitkräfte finden wir eine
detaillirte Uebersicht bei Thukydides. Er legt diese Angaben
dem Perikies in den Mund, und es kann in der That kaum
ein Zweifel sein, dass sie aus officieller Quelle geschöpft sind.
Darnach waren vorhanden 6) :
Hopliten für den Felddienst 18000
Hopliten für den Besatzungsdienst 16 000
Reiter und Hippotoxoten 1 200
Bogenschützen 1 600
>) S. 369 A.
*) Nepos Milt. 5 und Suidas 'irnilaq nach Ephoros. Paus. X 20, 2
hat „noch nicht 10000“, Justinus II 9: 10000; vgl. Duncker, Gesch. des
Alterth. VII5 S. 126 Anm.
s) Herod. IX 28.
4) Herod. VIII 44.
5) Thuk. I 14.
6) Thuk. II 13: XQiifiatn fiiv ovv ovrcuy Ghtyairtv avroüs' ötiXfr ar
de i (iia^iXfov; xai uipioe; ilrai arev riür fr roif UQOvgfois xni ToSr
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Attika.
61
Aus Thukydides sind diese Zahlen durch Ephoros’ Ver-
mittelung1) in Diodors Bibliothek übergegangen, nur dass hier
die Feldtruppen zu 12000, die Besatzungstruppen zu 17000
Mann angegeben werden2). Dass mindestens die erstere Zahl
unrichtig ist, zeigt ein Vergleich mit Thukydides’ Angabe über
das attische Aufgebot gegen Megara im Herbst 431 8); dagegen
muss unentschieden bleiben, ob bei der Zahl der Besatzungs-
truppen der Fehler auf Seite Diodors bezw. Ephoros’, oder
unserer Thukydides-Handschriften liegt. Jedenfalls aber giebt
Diodor den Beweis, dass bereits um die Mitte des IV. Jahr-
hunderts bei Thukydides im wesentlichen dasselbe gestanden
hat, was wir noch heute dort lesen.
Trotzdem ist es ganz unzweifelhaft, dass die Zahlen, so
wie sie überliefert sind, unmöglich richtig sein können. Die
Besatzungstruppen bestanden nach Thukydides’ eigener Angabe
aus den jüngsten und ältesten Jahrgängen der Bürgerhopliten
und den zum Hoplitendienst verpflichteten Schutzverwandten.
Nun währte die Dienstpflicht des athenischen Bürgern über-
haupt 42 Jahre, vom 18. bis 60. Lebensjahre4); wer das 60. Jahr
überschritten hatte, war vom Dienste befreit6). Es ist also
klar, dass die über sechzigjährigen Bürger unter den dem
71 uq' inaktiv UtaxiayiXitov x«l uiqIwv ' tooovtoi yap itfiXaanov to 71 qw-
TOV 077011 ol noXiulOl fOßttXoKV, ((71 ö Tt T(ÖV TlQtnßll ttl (i>V xol r <öv vtto-
rctjiov xal fierofxior Saoi onXiiai fjoav .... Inniag <t’ dnigiaivt 3ia-
xoalovg xal yiXfovg niv ln7TOTo(oTai(, i^axudtov; 31 xal yiXlovg roföraf,
xal TQiriQtis ras nX/of/io vs loiaxaafai. Varianten in den Handschriften
finden sich nicht, nur dass ein schlechter Codex 1200 ro&rai bietet
]) Diod. XII 41. Volquardsen, Untersuchungen über die Quellen dis
Diodor S. 52.
®) Diod. XII 40: OTportftiroc vntdtCxvvtv vndpytiv iij TtöXa yeoglg
Ovuuäyiov xai Ttiiv fv toi f (fQOVQloig ovrtor onX(ra{ /Ar /ivnlovg xal
3ioyiX(or f, rovg 3' fv roi( ifpovgfois ovrag xol rot'f /itioixovs inapyeir
nXtfovs t (üv /ivQttDV hnaxiaytXhav, rottjßf »£ 31 ras napovOag r Qiaxoatag.
*) Thuk. II 31.
4) Aristot bei Ilarpokr. : irrpartia tv rotg intovv/xoig.
5) Bei Polydeukes II 11 werden als synonym angeführt die Aus-
drücke: fx r rjg «71 oudyov rjXtxlag , ix Ttj; dnoXt/xov, ix rijs aOTparivrov,
imiQ tov xaiäXoyov, vntp rö i^xovTa yeyovmg ?tij.
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62
Capitel III.
Staate zu Gebote stehenden Streitkräften nicht mitgerechnet
sein können; wie denn in der That ein übersechzigjähriger
Mann in der Regel selbst zum Waehtdienst nicht mehr tauglich
sein wird. Es fragt sich nun, mit welchem Jahre die Ver-
pflichtung zum Felddienste aufhörte. Sokrates hat mit etwa
37 Jahren bei Potidaea, mit 45 Jahren bei Delion, mit 47 Jahren
bei Amphipolis gekämpft, aber an keinem der späteren Feld-
züge mehr Theil genommen1), so dass die Annahme gerecht-
fertigt sein wird, dass auch im V. Jahrhundert, ebenso wie zur
Zeit der Schlacht bei Chaeroneia 2) , das 50. Jahr die obere
Grenze der Verpflichtung zum Dienste im Felde gebildet hat
Und in der That war das schon eine sehr starke Anforderung
an die Bürgerschaft; nahmen doch sogar in Sparta die Bürger
über 55 Jahre in der Regel nicht mehr an Feldzügen Theil.
Wie die ältesten, waren auch die beiden jüngsten Jahr-
gänge des Hoplitenkataloges vom activen Felddienste befreit,
d. h. die Epheben (uepi-cokot) zwischen 18 und 20 Jahren3);
Ausnahmefälle natürlich abgerechnet. Für den Dienst im Felde
blieben also die Altersklassen vom 20. bis zum 50. Lebens-
jahre. Und zwar dienten die Zeugiten als Schwerbewaffnete,
die Hippeis und Pentakosiomedimnen theils als Schwerbewaffnete,
theils als Reiter. Die Theten waren ursprünglich vom Dienste
als Hopliten befreit und darum im Katalog nicht verzeichnet 4).
Im Laufe des V. Jahrhunderts ist eine Anzahl Bürger dieser
Klasse auf Staatskosten mit schwerer Rüstung versehen worden,
in erster Linie, um als Epibaten auf der Flotte zu dienen8),
wozu man die Hopliten aus dem Kataloge nur in Nothfälleu
’) Platon Symp. 219 E, Apot. 28 E, Charm. Auf., Ladies 181 A.
S. Zeller, Griech. Philos. II 1 3 S. 56 Anm., und über das Geburtsjahr
ebenda S. 43 Anni.
*) Lykurg <j. Leokr. 39 f.
*) Aeschin. v. d. Ges. 167. Daher rechnet Thukydides a. a. 0. neben
den nQtaßviaxoi auch die vtoixaroi zu den Besatzungstruppen.
*) Harpokr. itrjzti. Tkukyd. VI 43 stellt die öni-ixai ix xaraiöyov
zu den önkina &ijn; in Gegensatz. S. auch Thuk. VIII 97, Xen. Hell.
ü 3, 48.
») Thuk. VI 43.
Digitized b* Google
Attika.
63
heranzog1). Nach der sicilischen Niederlage ist sogar der Vor-
schlag gemacht worden, sämmtliche Theten mit schwerer Rüstung
zu versehen2), was aber, wie wir mit voller Sicherheit behaupten
können, nicht ausgefühlt worden ist. Jedenfalls kann bis zum
Jahre 412 die Zahl der schwerbewaffneten Theten nicht gross
gewesen sein, denn es wurde damals nothwendig, Hopliten aus
dem Kataloge als Epibaten auf der Flotte zu verwenden8).
Nach Sicilien können höchstens 1500 Hopliten aus der Theten-
klasse geschickt worden sein4); einige Hundert mochten auf
den im Jahre 413 und Anfang 412 in den griechischen Ge-
wässern in Dienst gestellten Trieren Verwendung gefunden
haben, so dass ihre Gesammtzahl kaum mehr als 2 — 3000 Mann
betragen hallen kann. Und in der That musste schon die
Kostspieligkeit der Beschaffung so vieler l’anoplien einer grossen
Vennehrung dieser Truppengattung eine Grenze setzen. Dass
nun die schwerbewaffneten Theten unter den felddienstpffichtigen
Hopliten einbegriffen sind, liegt in der Natur der Sache und
wird auch von Thukydides bezeugt5), während andererseits
unter den Besätzungstruppen sich gewiss keine Theten befan-
den, da man in Athen nicht so thöricht gewesen sein wird, die
im Staatsbesitz befindlichen Rüstungen an über fünfzigjährige
») Thuk. VIII 24, III 15; Xen. Hell I 6, 24.
*) Antiphon g. Philin. bei Ilarpokr. »rjrts.
8) Thuk. VIII 24.
*) Vgl. Thuk. VI 43.
8) Thuk. II 31 von dem attischen Gesammtaufgebot , das im Herbst
431 in Megaris einfiel: uvqIoiv ydg önlumv ovx lldaaov; yaar «iroi
'AUgraioi, yoi(i'ig <I’ aiiTois of Ir Tloridata TQinyJhoi i )oav. Wie ge-
wöhnlich bei Aufgeboten narjrifitl, hat offenbar auch hier Thukydides
keine numerische Angabe Vorgelegen ; er berechnet vielmehr die Stärke des
athenischen Heeres, indem er von der II 13 angegebenen Sollstärke die
3000 Mann abzieht, die vor Potidaea standen. Nun sind aber unter den
10 000 attischen Hopliten in Megaris auch die 1000 Epibaten (II 23) der
Flotte einbegriffen, die eben von ihrer Fahrt um den Peloponnes zurück-
gekehrt war (II 31, 1); und diese sind ohne Zweifel Theten gewesen, da
Hopliten aus dem Katalog nur in Nothfällen zum Seedienst herangezogen
wurden, was Thukydides immer sorgfältig angiebt. Folglich müssen die
onkirui fUjres unter den 13000 felddienstpflichtigen Hopliten Thuk. II 13
mitgerechnet sein.
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64
Capitel III.
Männer zu vertheilen , so lange junge Mannsehaft genug zur
Verfügung stand. Von den 1 3 000 felddienstpflichtigen Hopliten
hätten demnach etwa 10000 den drei oberen Vennögens-
klassen angehört, wozu dann noch die 1000 Reiter zu rechnen
wären1). Denn die Bogenschützen bestanden gleichfalls aus
Theten, soweit sie nicht zu dem aus skythischen Sklaven ge-
bildeten Polizeicorps gehörten. 11000 Mann aber zwischen
20 und 50 Jahren setzen eine Zahl von gegen 1000 Peripoloi
zwischen 18 und 20, und etwa 2000 Männern zwischen 50
und 60 Jahren voraus. Und was die zum Hoplitendienst ver-
pflichteten Metoeken angeht, so berechnet Thukydides ihre Zahl
bei dem ersten Einfall der Athener in Megaris im Herbst 431
auf 3000 ä). Da es sich hier um ein Gesammtaufgebot der
attischen Wehrkraft handelt, so sind die Metoeken offenbar mit
denselben Jahrgängen herangezogen worden, wie die Bürger
selbst, d. h. vom 20. bis 50. Jahre; indess ist es sehr unwahr-
scheinlich, dass Thukydides sich die Mühe gegeben hat, aus
der in den Listen verzeichneten Gesammtzahl die Metoeken im
Alter von 20 — 50 Jahren auszuscheiden. Hat er es wirklich
gethan, so hätte sich die Gesammtzahl aller Metoeken von
Hoplitencensus zwischen 18 und 60 Jahren auf 3800 belaufen,
und folglich die Gesammtzahl aller Besatzungstruppen auf gegen
7000; andernfalls kämen etwa 6000 heraus.
Wollten wir nun auch annehmen, um die bei Thukydides
überlieferte Zahl von 16000 Mann Besatzungstruppen zu retten,
es seien nicht blos die Bürger von 50—60 Jahren, sondern
alle Bürger über 50 Jahre hier eingerechnet, so würde die
Zahl der ngtaßviegoi ungefähr zu verdoppeln sein; aber auch
so ergeben sich im ganzen nicht über 8 — 9000 Hopliten fin-
den Besatzungsdienst, so dass immer noch eine Differenz von
6000 mit den Angaben bei Thukydides bleibt. Und wir dürfen
zur Ausfüllung dieses Minus nicht etwa die Zahl der schwer-
’) Aristoph. Bitter 225, l’hilochoros fr. 100. Unter den 1200 Reitern
ltei Thukydides sind die skythischen Ilippotoxoten eingerechnet
«) Thuk. II 31.
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Attika.
65
bewaffneten Schutzverwandten vergrössern 1 ). Denn bei Delion,
wo die gesammte Macht Athens, Bürger wie Metoeken, auf-
geboten war2), standen doch nur 7000 Hopliten in Linie8),
-d. h. noch nicht die Hälfte der Zahl, die Athen am Anfänge
des Krieges zu stellen vermocht hatte, wenn wir die schwer-
bewaffneten Metoeken mit 3000 Mann ansetzen. Eine noch
stärkere Abnahme bliebe ganz unerklärlich.
Es gäbe nur einen Weg, die überlieferten Zahlen bei
Thukydides zu vertheidigen , die Annahme nämlich, dass auch
die Kleruchen bei ihm eingerechnet sind4). Allerdings be-
dürfte es zu diesem Zwecke einer Emendation, wenn auch
einer verhältnissmässig leichten; wir hätten nämlich zu schrei-
ben : and ze twv nQeoßrzauDV xai twv veondciov, xai an o t -
xwv xai /.leroiy.wv oaoi onXitai rpav. Iudess hat diese An-
nahme doch wenig wahrscheinliches , denn Thukydides spricht
ausdrücklich nur von der Besatzung der Hauptstadt und der
festen Plätze in Attika6), und wir hören nicht, dass dazu je-
mals Kleruchen herangezogen worden sind. Es bleibt also
') Wie, nach Vorgang anderer, kürzlich J. H. Hansen gethan hat, der
11 900 schwerbewaffnete Metoeken herausrechnet (Ueber die Bevölkerungs-
dichtigkeit Attikas und ihre politische Bedeutung im Alterthiime, Hamburg
1885, S. 18). Diese Arbeit ist überhaupt, trotz ihres vielversprechenden
Titels, ganz werthlos.
а) Thuk. IV 90: 'A&r/vafovc rnivSgpef, «itobs xtii rov; gtroixors
xai Siviav oaot nccQrjaav.
8) Thuk. IV 93 f. Schenkl’s Behauptung, die Athener hätten bei
Delion 17 000 Hopliten gezählt (Wiener Stud. II 197), brauche ich doch
hoffentlich nicht erst zu widerlegen.
4) So Duncker, Gesell, d. Alteith. IX 409 A. Das obige war längst
geschrieben, als mir dieser Band wahrend der letzten Revision des Mauu-
scripts zuging.
б) Vgl. Classen zu unserer Stelle. Wenn Pflugk-Harttung ( Perikies
S. 69 A.) die Angabe auch von den Besatzungen in den Bundesstädten
verstehen will, so übersieht er, dass ggoogtov nichts anderes als „kleine
Grenzfestung, Fort“ bedeutet; hätte Thukydides ausdrücken wollen, was
Pflugk-Harttung ihn sagen lässt, so hätte er schreiben müssen: fr raii
ipgovQais oder fv rai( noXtoiv. Ausserdem würden in auswärtige Be-
satzungen nicht die ältesten oder jüngsten Leute geschickt worden sein.
Be loch, ßevSlkeningslebre. I. 5
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Capitel IIF.
66
kaum etwas übrig, als anzunehmen, dass die Zahlen bei Thu-
kydides bereits in sehr früher Zeit verschrieben worden sind,
mit anderen Worten, dass fxvqioiv bei der Angabe über die
Besatzungstruppen aus dem vorhergehenden irrthümlicher Weise
wiederholt worden ist, und die Zahl dieser Truppen also nicht
16000, sondern nur 6000 betragen hat, wodurch statistisch
Alles in Ordnung käme.
Entsprechend diesen Angaben beziffert Thukydides das
attische Heer, das im Herbst 431 in Megaris einfiel, auf
10000 Mann Bürgerhopliten , 1000 Reiter und 3000 schwer-
bewaffnete Metoeken; 3000 Bürgerhopliten standen ausserdem
vor Potidaea1). Es war der Höhepunkt, den die Wehrkraft
Athens jemals erreicht hat2). Von jetzt an beginnt eine rück-
läufige Bewegung, hervorgerufen durch den Krieg und ganz
besonders die Pest. Nach Thukydides erlagen der Krankheit
in den Jahren 430 — 426 4400 Hopliten „aus den taktischen
Verbänden“ und 300 Reiter8), d.h. 23 °/o, oder falls die Met-
oeken nicht eingerechnet sind, 28 °/o der zu Anfang des
Krieges vorhandenen Gesammtzahl. Die Zahl der felddienst-
tüchtigen Reiter und Hopliten hatte sich demnach im Jahre
426 auf etwa 12000 vermindert. Ja das Gesammtaufgebot der
attischen Wehrkraft bei Delion zwei Jahre später betrug nicht
mehr als 7000 Hopliten4) und 1000 Reiter5), Bürger und
Metoeken zusammen. Natürlich dürfen wir daraus nicht auf
eine Abnahme um weitere 4000 Mann während dieser beiden
■) Thuk. II 31 ; vgl. oben S. 63 Anm. 5.
2) Thuk. II 31 : OTQaTÖntiöv re fxfytatov <fi) rovro d9(>6ov stthjvatiur
(yh’tro, ftxfJu£ou<rrif ht rrjt nöXecas xal ovm u reioor/xetaf. Dass übri-
gens die Effectivstärke weit geringer sein musste, folgt aus dem oben S. 63
Anm. 5 bemerkten.
3) Thuk. III 87 : TiTQaxoa(t» v yd q bnXntiiv xal KTQaxiayiXlmv ovx
(Xäaaoi f dnOarov fx rwv rafetuv xal TQUtxooltov Innt ’aiv. Da Thukydi-
des den Ausdruck fx xttiaXöyov vermeidet, so sind offenbar die ausser-
halb des Kataloges stehenden Bürgerhopliten (die onXirai vielleicht
auch die schwerbewaffneten Metoeken hier mitgerechnet. Aus Thukydides
Diodor XII 58.
4) Thuk. IV 94.
*) Vgl. Aristoph. Ritter 225.
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Attika.
67
Jahre schliessen; wir müssen uns vielmehr erinnern, dass eine
beträchtliche Truppenzahl durch die Besatzungen in den festen
Plätzen des Reiches absorbirt, werden musste, dass die etwa
70—80 Trieren, die im Herbst 424 in See waren, 7—800
Hopliten erforderten, und vor allem, dass die Effectivstärke
eines militärischen Aufgebots immer beträchtlich hinter der
Sollstärke zurückbleibt.
Die Jahre 424 — 422 brachten die verlustvollsten Schlachten
des Krieges; bei Delion fielen 1000 *), bei Amphipolis 600
Athener2), zum grössten Theile Hopliten. Nach Sicilien gingen
415—413 im ganzen 2700 Hopliten aus dem Kataloge3), etwa
1500 schwerbewaffnete Theten4) und 250 Reiter5), von denen
die meisten dort umkamen6). Der natürliche Zuwachs der
Bürgerschaft in diesen Jahren konnte solchen Verlusten gegen-
über nur wenig in Betracht kommen. Athen dürfte also im
Jahre 412 schwerlich mehr als 8000 feldtüchtige Hopliten
und Reiter gezählt haben, wovon reichlich 6000 Bürger, und
zwar fast ausschliesslich aus dem Kataloge, da man jetzt dazu
schreiten musste, auch die Bürger dieser Klasse als Epibaten
auf der Flotte zu verwenden7).
Dass diese Berechnung, so sehr sie naturgemäss im groben
gegriffen ist, doch annähernd das richtige trifft, zeigen die
Ereignisse des Jahres 411. Es wurde damals in Folge der
oligarchischen Revolution festgesetzt, dass das active Bürger-
recht auf die 5000 wohlhabendsten Bürger beschränkt sein
solle6); das war aber keineswegs die Gesannntzahl aller Bür-
>) Thuk. IV 101.
*) Thuk. V 10.
3) Thuk. VI 43, VII 20.
*) Nach Thuk. VI 43 allein 700 für die 60 zum Kampf ausgerüsteten
Trieren des Nikias, woraus sich für alle 130 von 415 bis 413 nach Sicilien
geschickten athenischen Schlachtschiffe die obige Zahl von Epibaten ergiebt.
s) Thuk. VI 94.
«) Thuk. VII 85.
’) Thuk. VIII 24.
8) Thuk. VIII 65: oilze ftt&ex ztov tm> npayfuiTwv nXlloaiv ij iuvta-
xiayü.lotf, xal toviois o'i uv juaUrrra rot'c yp ijuamv rj joit nwiiucnv
tötffXeiv oio( tt cuotv.
5*
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68
Capitel III.
ger der drei oberen Vermögensklassen , denn es war eine Re-
form im demokratischen Sinne, als Theramenes später die Be-
rechtigung auf alle diejenigen ausdehnte, die im Stande wären,
auf eigene Kosten als Hopliten zu dienen1). Ihre Zahl betrug
nach einer in dieser Zeit gehaltenen Rede 9000 2), wovon
reichlich 6000 auf die Altersklassen vom 20. bis zum 50. Jahre
entfallen mochten.
Da grössere Landschlachten in den letzten Jahren des
Krieges nicht mehr geschlagen worden sind, und die Hopliten
aus dem Kataloge nur ausnahmsweise zur Bemannung der Flotte
herangezogen wurden, so kann ihre Zahl durch Verluste im
Kampfe bis 404 sich nicht wesentlich vermindert haben; wohl
aber mögen in Folge der lakedaemonischen Occupation von
Dekeleia manche Burger der drei oberen Klassen verarmt und
in die Thetenklasse herabgesunken sein. Immerhin bildeten
die 3000 Bürger, die unter der Herrschaft der Dreissig als
vollberechtigt anerkannt wurden, nur einen Theil, wahrschein-
lich selbst nur eine Minorität der Bürger mit Hopliten-
census3). So konnte Athen 10 Jahre später im korinthischen
Kriege 6000 Hopliten und 600 Reiter ins Feld stellen4), was
eine wohlhabende Bevölkerung von etwa 10000 erwachsenen
Männern voraussetzt; denn Theten konnten jetzt bei der zer-
rütteten Finanzlage als Schwerbewaffnete nicht mehr verwendet
werden. War das Verhältniss zwischen Bürgern und Metoeken
jetzt dasselbe wie vor dem peloponnesischen Kriege — und
es dürfte sich eher zu Ungunsten der Metoeken verschoben
haben — , so standen neben reichlich 8000 wohlhabenden Bür-
gern gegen 2000 Schutzverwandte. Auch in der Schlacht bei
Mantineia hat das attische Aufgebot 6000 Hopliten gezählt5).
l) Thuk. VIII 97.
s) R. f. Polystratos 13; s. unten den Anhang.
*) Xen. Hell. II 3, 41. 48. Dadurch erledigen sich die Ausführungen
Müller-Strübings. Vom Staat d. Athen. S. 62, der der Ansicht ist, es habe
im Jahre 403 überhaupt nur noch 6000 athenische Bürger gegeben.
«) Xen. Hell. IV 2, 17.
“) Diod. XV 84. Dass es sich hier nur um Hopliten handeln kann,
liegt in der Natur der Sache.
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Attika.
69
Dass im Jahre 322 9000 Bürger mit über 2000 Drachmen
Vermögen vorhanden waren, haben wir oben gesehen1). Ln
Jahre vorher soll das Aufgebot von 7 Phylen bis zur Alters-
klasse von 40 Jahren 5000 Mann zu Fuss und 500 Reiter er-
geben haben8), was auf eine Gesammtzahl von gegen 18000
wohlhabender Bürger und Metoeken führen würde ; doch dürfen
solche runde Angaben selbstredend nur mit Vorsicht benutzt
werden. Annähernd dieselbe Zahl scheint Athen noch 40 Jahre
später gegen die Gallier ins Feld gestellt zu haben3).
Weiteren Aufschluss geben die Epheben-Inschriften. Aller-
dings ist der Versuch verfehlt, aus diesen Urkunden direct die
bürgerliche Gesammtbevölkerung Athens ermitteln zu wollen4).
Denn wie in der klassischen Zeit nur die Söhne der Wohl-
habenden in dem Corps der ntqinoloi sich zum Hopliten-
dienst vorbereiteten, eben weil die Annen von diesem Dienste
gesetzlich befreit waren, so ist es später mit der Ephebie ge-
wesen, die sich aus der Institution der niquroloi im IV. Jahr-
hundert entwickelt hat. Wer für sein tägliches Brod mit der
Hand zu arbeiten hatte, der konnte natürlich nicht die Müsse
finden, ein ganzes Jahr in der Hauptstadt gymnastischen und
musischen Uebungen sich hinzugeben. Ueberhaupt zeigt alles,
dass das Corps der Epheben ein sehr aristokratisches gewesen
ist; oder sollten vornehme Römer und Prinzen asiatischer
Königshäuser wirklich mit den Söhnen der attischen Fischer
und Tagelöhner im selben Gliede gedient haben?
Die älteste, wenigstens theil weise erhaltene Liste aus dem
') S. 57.
*) Diod. XVIII 10.
a) Paus. X 20, |5 : ntvrttxöowi <11 ?s tö btntxor, . . . //Ito* <11
tiäaauvTo Iv toTs neCut f. Es ist klar, dass die Zahl der Tausender aus-
gefallen ist, denn ein Verhältniss der Reiter zu den Fusstnippen wie 1 : 2
ist kaum denkbar; es mag [aenaxia]/(lioi oder etwas ähnliches zu er-
gänzen sein.
*) Wie Dumont wollte {La population de i’Attique d’apres les in-
scriptions recemmmt decouvertes. Journal des Savants Dec. 1871), dem
übrigens das Verdienst bleibt, diese Inschriften zuerst für die Bevölkerungs-
statistik verwerthet zu haben.
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70
Capitel 111.
Jahre 305.4 enthält aus 2 Phylen mindestens 34 Namen, was
für alle 12 Phylen über 200 Epheben ergeben würde1). Die
Listen aus der Zeit zwischen der Befreiung Athens (287-6) und
dem chremonideischen Kriege (ca. 265) geben nur je einige
30 Namen2), während am Ende des II. Jahrhunderts wieder
100—140 Epheben aufgeführt werden3), ungerechnet der
Fremden.
Wir wissen nun freilich nicht, ob der Eintritt in das
Kphebencorps obligatorisch war, und welches Vermögen dazu
berechtigte oder verpflichtete; auch können die Bestimmungen
darüber im Laufe der Zeit sich geändert haben. Wenn ferner
unsere Eithebeninschriften aus dem III. Jahrhundert nur einige
dreissig Namen aufführen, so ist es höchst wahrscheinlich, dass
nur ein Theil der Epheben aufgezeichnet wurde, etwa diejeni-
gen, die sich besonders gut geführt hatten; denn hätte das
Institut wirklich nur so wenige Theilnehmer gezählt, so würde
es kaum im Stande gewesen sein, sich zu halten.
Nun entspricht eine Ephebenzahl von etwa 200, wie sie in
unserer Urkunde aus 305/4 verzeichnet stand, einer Zahl von
nahe an 7000 über-achtzelmjährigen Bürgern. 17 Jahre früher
hatte Athen 9000 Bürger mit über 2000 Drachmen Vermögen
gezählt; da auf unserer Liste mehr als 200 Namen gestanden
haben können, da ferner einzelne Befreiungen wegen körper-
licher Gebrechen und anderer Gründe nicht ausbleiben konnten,
so scheint damals der Eintritt in das Ephebencorps für die
Söhne aus Familien mit über 2000 Drachmen Vermögen obli-
gatorisch gewesen zu sein, und wir gewinnen so eine Bestäti-
gung für die auch aus andern Gründen wahrscheinliche An-
nahme, dass in dieser Zeit ein Vermögen von 2000 Drachmen
die untere Grenze für die Verpflichtung zum Hoplitendienste
gebildet hat. Wenn dieselben Bedingungen noch am Ende des
II. Jahrhunderts galten, und auch jetzt sämmtliche Epheben in
*) Köhler, Mittheil, des archäol. Inst. IV 324 fl'.
s) CIA. II 316. 324. 338.
3) CIA. II 465. 467. 469. 470.
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Attika.
71
<len uns erhaltenen Listen verzeichnet wurden, wofür die grosse
Zahl der Namen — im Mittel 120 — zu sprechen scheint, so
müsste sich in der Zwischenzeit die Zahl der wohlhabenden
Bürger Athens um 40 °/o, also auf 5400 vermindert haben, was
an und für sich ein sehr annehmbares Resultat wäre. Jeden-
falls ist 5000 ein Minimum, unter das herabzugehen unsere
Ephebenlisten uns. nicht gestatten. In Folge der Katastrophe
im mithradatischen Kriege hat ohne Zweifel nicht nur die
Bürgerzahl beträchtlich abgenommen, sondern sind auch sehr
viele Bürger verarmt, sodass es nicht überrascht, noch kurz
. vor der Schlacht bei Aktion nur etwa die halbe Ephebenzahl zu
finden, wie am Ende des II. Jahrhunderts, entsprechend einer
Zahl von gegen 2500 wohlhabenden Bürgern. Ein aus dieser Zeit
erhaltener Ephebenkatalog *) führt neben 52 Bürgern 67 Fremde
auf, woraus wir aber nicht schliessen dürfen, dass die Metoeken
damals zahlreicher gewesen wären als die Bürger, da viele
vornehme Jünglinge, die zu Studienzwecken in Athen ver-
weilten, sich in das Ephebencorps aufnehmen liessen. In der
Kaiserzeit finden wir wieder ein Steigen der Ephebenzahl ; eine
Liste aus dem Jahre 42 n. Chr. giebt 120 — 180, die Verzeich-
nisse aus der Zeit der Antonine im Mittel 90 Bürgerepheben 2).
Athen mag also in dieser Periode gegen 4000 wohlhabende
Bürger gezählt haben.
Wir sind demnach in den Stand gesetzt, von der Bewegung
der wohlhabenden Klassen der attischen Bevölkerung vom V.
vorchristlichen bis Izum II. nachchristlichen Jahrhundert ein
ziemlich befriedigendes Bild zu entwerfen. Zur Zeit der Perser-
kriege mochte Athen gegen 12 — 13000 Bürger von Hopliten-
eensus. zählen; die Metoeken fielen wohl noch kaum ins
Gewicht. Zu Anfang des peloponnesischen Krieges war diese
Zahl auf 15 — 16000 gestiegen8); daneben standen ungefähr
4000 Metoeken. Durch die Pest wurden diese Zahlen um etwa
») CIA. II 482. *
®) Dumont a. a. 0., s. die Inschriften im III. Bande des CIA.
*) Nämlich 14000 im Alter von 18—60 Jahren (oben S. 64), und
15 — 1600 liber-sechzigjährige (oben S. 53).
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72
Capitel III.
1U vermindert, also auf 11 — 12000 Bürger und 3000 Schutz-
verwandte. Nach der sicilischen Niederlage wurden noch 9000
wohlhabende Bürger gezählt, bei Beginn des korinthischen
Krieges noch etwa 8000, und 2000 Metoeken. Im Jahre 322
war die Zahl der Bürger von Hopliteneensus wieder auf 9000
gestiegen, um dann im Laufe der beiden nächsten Jahrhunderte
auf 5 — 6000, nach der sullanischen Eroberung auf 2500 zu
sinken. Unter den Antoninen hat dann Athen, wie wir gesehen
haben, wieder gegen 4000 wohlhabende Bürger gezählt.
Leider fehlen uns die Mittel, die Zahl des ärmeren Theiles der
Bürgerschaft, der Theten der solonischen Ordnung, in derselben
Weise zu bestimmen. Denn Athen besass schon zur Zeit des
peloponnesischen Krieges, ausser einem kleinen Corps Bogen-
schützen, keine regelmässig organisirten leichten Truppen *), und
die Flotte war zum grossen Theil mit Söldnern bemannt. Wenn
Herodot, wie schon bemerkt, die Zahl der Leichtbewaffneten
bei Tlataeae den Hopliten gleichsetzt, so könnte Athen, die Rich-
tigkeit dieser Schätzung vorausgesetzt, im Jahre 479 nicht unter
25000 Bürger gezählt haben. Weiter führen uns die Angaben
des Thukydides über die Stärke des attischen Heeres bei Delion.
Es erfolgte damals ein allgemeines Aufgebot aller Bürger und
Metoeken, ja selbst der vorübergehend in Athen sich aufhal-
tenden Fremden8), wie es scheint bis zum 50. Lebensjahre;
wenigstens war der 45 jährige Sokrates unter den kämpfenden.
Zahlen giebt Thukydides nicht; er sagt nur, die attischen Ho-
pliten seien den boeotischen an Zahl gleichgekommen, die atti-
schen Leichtbewaffneten aber viel zahlreicher gewesen als die
boeotischen s). Die Stärke des boeotischen Heeres aber habe sich
auf 1000 Reiter, 7000 Hopliten, 500 Peltasten und 10000 Mann
') Thuk. IV 94.
*) Thuk. IV 90: 6 <0 'Innoxgaftjt ttraoiyoag ’Afh\va(ovt nardt)/it(r
avTovg T( xai joitg fUjolxovg xnl £(vtov 0001 nttgrjoar.
*) Thuk. IV 94: xpiXol dk (x nagaoxtviji /*(* tanXiOfi^ vui ot'rt ro’rt
nttgfjanv, ovrt tyfvovro Trj ttoXh ' oXntg dl Si vtatßaXov, ovres n o XX«-
nXuaioi Ttöv ( vnvr ( dir , aonXnl re rroXXoi fuvt]XoXov&ri<rav, Sit nnv-
orgnTiäg £(va>v Ttüv mtgovrtxtv xnl cloitöv yivo^(vr\g.
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Attika,
73
leichter Truppen belaufen1). Danach müssen die athenischen
Leichtbewaffneten bedeutend mehr als 10000 Mann gezählt
haben, also mindestens 12000, wahrscheinlich gegen 15000
Mann ; das ganze Heer, einschliesslich der Hopliten und Reiter,
wäre also 20 — 23000 Mann stark gewesen. Das war, abgesehen
von den dienstuntauglichen oder gesetzlich vom Dienste be-
freiten, die gesammte freie männliche Bevölkerung zwischen
20 und 50 Jahren, die im Herbste 424 in Attika anwesend
war; die Gesammtzahl der freien Männer über 18 Jahre muss
demnach mindestens 30 — 35 000 betragen haben. Die in Athen
vorübergehend sich aufhaltenden Fremden wurden ohne Zweifel
reichlich compensirt durch die ausserhalb Attikas, sei es auf
der Flotte und in den Besatzungen, sei es in Privatgeschäften
abwesenden Metoeken und Bürger2), auch wenn wir die Kle-
ruchen ganz aus dem Spiele lassen. Nun sind in den Jahren
430—426 der Pest etwa ll* aller athenischen Hopliten und
Reiter erlegen, also der wohlhabendsten und kräftigsten Männer ;
und da Epidemien ihre Opfer immer vorzupweise in den un-
teren Schichten der Bevölkerung suchen, so werden wir uns
keiner Uebertreibung schuldig machen, wenn wir dieses Ver-
hältniss auf die Gesammtbevölkerung anwenden. Zählte also
Attika im Jahre 424 30 — 85 000 freie Männer, so muss es 431
40 — 47000 gezählt haben, entsprechend einer freien Bevölke-
rung von 120 — 140000 Seelen. Die Zahl der Bürger von
Hoplitencensus betrug damals, wie wir gesehen haben, 15000
bis 16000, die der Metoeken von entsprechendem Vermögen
4000 ; es bleiben also für die Theten und die ärmeren Metoeken
20—28000. Nehmen wir 24000 als Mittel, und auch hier
das Verhältniss der Bürger zu den Metoeken wie 4:1, so er-
halten wir 19 — 20000 Theten und eine Gesammtbürgerzahl
von 35000, neben 9000 Schutzverwandten. Wenn diese Zahlen
auch auf absolute Richtigkeit keinen Anspruch erheben können,
so werden sie der Wahrheit doch wenigstens nahe kommen.
>) Thuk. IV 93.
a) Thuk. VIII 72: xafroi ov nämort 'A9r)va(ovt Jia r«f OTQarf(«f
xal t rjv vntQÖpiov äo/oMav (t( ovdlv nQayijtn oirai iX9fiv ßovlti-
oonai, iv w ntVTaxiayiUov( (vvtXfteiv.
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74
Capitel 111.
In Folge der I’est sank die Büigerzahl auf etwa 26000.
die der Metoeken auf 7000. Die Jalire nach dem Nikiasfriedeu
brachten eine kleine Besserung '), die aber weitaus aufgewogen
wurde durch die Verluste des sioilischen und dekeleischeu
Krieges, und die Opfer der Revolution. Diese Einbusse
ziffernmässig zu bestimmen , fehlen uns die nöthigen An-
haltspunkte. Da indess Athen am Ende des IV. Jahrhunderts
nicht über 21 000 Bürger gezählt hat, und es nicht wahrschein-
lich ist, dass die Bürgerzahl sich im Laufe dieses Jahrhunderts
vermindert haben sollte, so werden wir für 403 nicht über
20000 Bürger annehmen dürfen. Andererseits aber können
wir auch nicht weit unter diese Zahl herabgehen: denn wie
wir gesehen haben, zählte Athen im Jahre 394 noch 8000 Bürger
von Hoplitencensus, was, dasselbe Verhältniss wie vor dem
Kriege angenommen, gegen 10000 Theten voraussetzen würde.
Auch hatte Attika selbst nach dem Ende des ]>eloponnesischen
Krieges von allen griechischen Staaten immer noch die höchste
Bürgerzahl2). Die Zald der Metoeken mag in dieser Zeit
gegen 5000 betragen haben.
Am Paule des IV. Jahrhunderts standen, wie wir gesehen
haben, 9000 Bürger mit einem Vermögen von über 2000 Drach-
men neben 12000, die diesen Census nicht erreichten, und
10000 Metoeken. Wenn dann im Laufe der beiden folgenden
Jahrhunderte die Zahl der Bürger von Hoplitencensus auf
etwa 5000 herabsinkt, so folgt daraus noch keineswegs, dass
sich die Gesammtzahl der Bürger im selben Verhältniss ver-
mindert habe, vielmehr liegt es in der Natur der Sache, dass
die Ungleichheit des Besitzes immer grösser werden, der Mittel-
stand immer mehr zusammenschmelzen musste. Standen also
in Alexanders Zeit die Besitzenden zu den Nicht -Besitzenden
wie 3 : 4, so mag das Verhältniss in der Gracchenzeit wie 3 : 5
oder 3:6 gewesen sein, also Athen 14—15000 Bürger gezählt
') Thuk. VI 12: x« i fitfirijofrt« /«ij i)uü? Sn rttaaii uno roaov
fi(yäXt]i xtti noltuov fipet/i ti XeXaxf yxetutr, diare xtci yor.uuai x«i aaJ-
finaiv Tji/j-rjodtu.
2) Xen. Hell. II 3, 24: iSiä re jö noXvtir&QunOTttTtir j tür 'HXXijr/itor
Tyr noXtr f?rai.
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Attika.
75
haben. Denn eine Abnahme der BUrgerzahl, namentlich während
des II. Jahrhunderts ist allerdings hier wie im übrigen Griechen-
land sehr wahrscheinlich.
4. Die Getreidespeiule des Jahres 445 4.
Es wird jetzt an der Zeit sein, eine Angabe zu besprechen,
die zu dem oben ül>er die Bevölkerung Athens im V. Jahr-
hundert gewonnenen Resultate in geradem Gegensatz zu stehen
scheint. I'hilochoros erzählte in seiner Atthis, dass unter dem
Archon Lysimachides, 445 4, eine aegyptische Getreidespende
unter die Bürgerschaft zur Vertheilung gekommen sei. Bei
dieser Gelegenheit sei eine Prüfung der Bürgerlisten vorge-
nommen worden, 4760 Athener seien ihres angemaassten Bürger-
rechts für verlustig erklärt, 14240 als echte Athener anerkannt
worden l). Böckh hat sich über die Differenz dieser Angabe mit
den Angaben des Thukydides mit grosser Leichtigkeit hinweg-
gesetzt: die Bevölkerung habe sich in der Zeit von 145 bis
431 etwas vermehrt 2). Dass eine solche Vermehrung stattge-
funden hat, soll nicht bestritten werden; sie kann aber im
besten Falle nur wenige Tausende betragen haben, denn Ein-
bürgerungen Fremder in grossem Maassstabe waren nach der
Reinigung der Bürgerschaft, die im Jahre 445 vorgenommen
war, selbstverständlich ausgeschlossen. Eine Vermehrung der
Bürgerschaft aber um das doppelte durch den blossen Ueber-
schuss der Geburten über die Todesfälle in 14 Jahren wird
Niemand behaupten wollen. ,
Die Angaben des Thukydides stehen also mit denen des
I’hilochoros in unlöslichem Widersprach; und der Zeitgenosse
Thukydides hat doch ohne Frage den grösseren Ansprach auf
') Philoch. fr. 90 aus Schol. Arist. Wespen 718, und ohne Angabe
der Quelle Piutarch Perikies 87, wo in Folge eines Schreibfehlers 14040
gelesen wird. — Ueber die Chronologie vergl. Wiedemann, Gesell. Aegypt.
von Psaimnetich I. bis Alexander S. 253; Gutschmid bei Sharpe, Gesch.
Aegypt. 1 113. 114; Duncker, Gesch. d. Alterth. IX 99 A.
*) Staat sh. I 51.
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76
Capitel III.
Glaub Würdigkeit, selbst wenn wir das Zeugniss des Philochoros
selbst hätten, und nicht eine Angabe aus zweiter oder dritter
Hand. Ganz abgesehen davon, dass schon eine ganz oberfläch-
liche Kenntniss der Geschichte des peloponnesischen Krieges
genügt, uni die Ueberzeugung zu gewinnen, dass Athen am
Anfang desselben mehr als 20000 Bürger gehabt haben muss.
Die einfachste Lösung der Schwierigkeit wäre natürlich
die Annahme einer Verderbniss der Zahlen bei Philochoros ; ist
doch nichts häufiger, als dass in unseren Handschriften vor
fivgtoi oder xt'/.tot die Zahl der Tausender oder Zehntausender
ausgefallen ist. Es könnte also an unserer Stelle statt 1 Myriade
und 4240 z. B. 3 Myriaden und 4240 gestanden haben. In-
dess gegenüber der doppelten Ueberliefening bei Plutarch und
den Aristopbanes - Scholien ist diese Annahme doch sehr be-
denklich. Noch weniger annehmbar freilich ist die Vermuthung
Wachsmuths, die Spende sei blos unter die städtische Bevölke-
rung vertheilt worden *) ; denn eine plebs urbana im römischen
Sinne hat es in Athen niemals gegeben, und eine solche Schei-
dung von Stadt und Land war auch bei der Kleinheit des
Gebietes ganz unthunlich.
Es bleibt also kaum etwas anderes übrig, als die Annahme,
dass unsere Getreidevertheilung auf die ärmeren Bürger be-
schränkt geblieben ist. Eine solche Bevorzugung der unbe-
mittelten Klassen ist auch sonst in dieser Zeit nachweisbar.
So enthält die einzige Urkunde, die uns über die Einzelheiten
einer Kleruchiengründung unterrichtet, die Bestimmung, dass
nur die Theten und Zeugiten zur Theilnahme an der Loosung
um die Ackerparzellen berechtigt sein sollten8). Die Möglich-
keit wird also zuzugeben sein, dass etwas ähnliches auch für
die Getreidespenden festgesetzt worden ist3). Und da die
Zeugiten der Hauptsache nach kleine Grundbesitzer waren, die
’) AVachsmuth, Stadt Athen I S. 565.
*) CIA. I 31 ; t; di [B]gtitv Ix 9träv xal ( tvyirtSv Ural toi{
«.To[t]*o; f.
*) Deshalb wird bei einer Getreidespende des Jahres 299<8 ausdrück-
lich bemerkt, dass sie „allen Athenern“ (nnaiv ’A&rjvalois) zu gute ge-
kommen sei (CIA. II 314). Es war also nicht immer der Fall.
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Attika.
77
ihren eigenen Bedarf an Getreide producirten, so lag es nahe,
die Vertheilung auf die Theten zu beschränken. Jedenfalls ist
die Zahl der Empfänger, die Philoehoros angiebt, viel zu klein
für Theten und Zeugiten zusammen; denn es liegt in der Natur
der Sache, dass die Zeugiten zahlreicher sein mussten, als die
Bürger der beiden ersten Vermögensklassen.
Doch betrachten wir uns jetzt die Zahlen bei Philoehoros
etwas näher. Die Addition der beiden Einzel posten 14 240 und
4760 ergiebt genau 19000. Anzunehmen, „dass die Summanden
absichtlich soweit modificirt seien, um ein rundes Resultat zu
ergeben“ *), scheint mir ein Widersinn. Denn erstens giebt
weder Plutarch, noch der Scholiast zu Aristophanes die Summe
von 19000, und es fehlt also jede Berechtigung zu der An-
nahme, dass sie bei Philoehoros gestanden habe ; zweitens aber,
welcher Grund ist denn denkbar, warum Philoehoros die runde
Summe hätte geben sollen, wenn ihm das Material zu Gebote
stand, eine ganz genaue Zahl zu erhalten. Wollte er über-
haupt mit runden Zahlen rechnen, so hätte er schon die Einzel-
posten abrunden müssen. Die runde Summe von 19000 führt
uns vielmehr auf eine ganz andere Folgerung; sie giebt uns,
wie ich glaube, den Beweis, dass nicht beide Zahlen — 14240
und 4760 — auf statistischer Erhebung beruhen, sondern nur
die eine von ihnen, während die andere durch Subtraction dieser
Zahl von 19000 gefunden ist.
Es fragt sich, welche; oder mit anderen Worten: über
welche der beiden Zahlen konnten Philoehoros statistische An-
gaben zu Gebote stehen? Die Antwort kann nicht zweifelhaft
sein. Die Zahl derer, die ihren Antheil an dem aegyptischen
Getreide in Empfang genommen hatten, musste in den Rech-
nungen verzeichnet stehen; und wenn nicht, liess sie sich aus
der Menge des überhaupt vertheilten Getreides, und dem An-
theil jedes einzelnen ohne Mühe berechnen2). Dagegen ist
') Kränkei, Geschworenengerichte S. 4.
*) In unserem Aristopkanes-Scliolion' ;sind die hierauf bezüglichen
Zahlen verderbt, wie schon der Scholiast selbst gesehen hat. Es sollen
30 000 Medimnen vertheilt worden sein, und jeder Bürger 5 Medimnen em-
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78
Capitel III.
kaum abzuselien, wie Philochoros eine Angabe über die Zahl
der TcctQtyyQucf oi hätte erhalten können. Erfolgte ihre Aus-
stossung durch dtmfiqqnotg, was freilich nicht wahrscheinlich
ist, so hätte Philochoros die h£iaQyr/.a ygaftfiartia aller 170
Deinen daraufhin durchstudiren müssen, was zu seiner Zeit
eine materielle Unmöglichkeit war: abgesehen von allem anderen,
weil diese Archive gar nicht mehr vollständig vorhanden waren.
Geschah dagegen die Ausstossung der unberechtigten Bürger
auf dem Wege der ygacprj | eviag '), so wurde über jeden Fall
vor Gericht einzeln verhandelt und Philochoros hätte im Be-
sitze sämmtlicher Akten sein müssen, um die Summe aus allen
diesen Fällen zu ziehen. Wir sehen, so einfach es für den
Historiker war, sich die genaue Zahl der Getreideempfänger im
Jahre 445 4 zu verschaffen, so schwierig, um nicht zu sagen
unmöglich musste es für ihn sein, auf directem Wege die Zahl
derer zu erfahren, die wegen mangelnder Berechtigung an der
Spende keinen Antheil erhielten. Es kann also gar kein Zweifel
sein, dass er diese Zahl durch Rechnung gefunden hat, und
dass die einzige auf statistischer Erhebung beruhende Angabe
die Zahl von 14240 Getreideempfängern ist.
Hier erhebt sich nun natürlich die Frage: was waren die
Grundlagen der Berechnung des Philochoros? Mit anderen
Worten: was bedeutet die Zahl 19000, von der er die andere,
14240, abzog, um die Zahl der naQtyygacpoi zu erhalten?
Oder wenigstens, was hat Philochoros sich dabei gedacht?
Offenbar doch die Summe aller derer, die vor der Xenelasie
als zum Empfang der Getreidespenden berechtigt gegolten hatten.
Da nun statt 19000 nur 14240 wirklich ihren Antheil erhielten,
so lag der Schluss sehr nahe, dass die übrigen 4760 eben in
Folge jener Maassregel ihrer Berechtigung verlustig gegangen.
ptangen haben. Wahrscheinlich stand bei Philochoros /o/rtanf r'fitdi/jvovs llr
vielleicht mit Abkürzung geschrieben, woraus dann durch Missverständnis^
jitrte uctUjurnvs geworden ist. Kin Antheil von je 2 Medimnen 5 Choenikes
ergiebt hei 14240 Empfängern 29963 V» Medimnen. Poch können die •>
Medimnen auch einfach aus Aristophanes eingesetzt sein ( Wespen 717).
') Philippi, Bürgerrecht S. 36 ff.; Duncker, SiUiuigsher. der Beil.
Mod. 1883 S. 935 -48.
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Attika.
79
mit anderen Worten, ihres Bürgerrechtes beraubt worden waren.
Dabei ist vorausgesetzt, dass alle Berechtigten sich auch wirk-
lich gemeldet haben: und in dieser Voraussetzung eben liegt
das bedenkliche des Schlusses, und überhaupt der ganzen Be-
rechnung, wie sie Plutarch und das Scholion zu Aristophanes
nach Philochoros bieten. Denn diese Berechnung kennt keine
dritte Kategorie neben den Getreideempfilngem (haflövreg) und
den JcaQtyyQatfoi. Und doch musste es eine beträchtliche
Menge von Bürgern gelten, die verhindert waren, sich zur
Empfangnahme ihres Antheils zu melden1), sei es wegen Ab-
wesenheit von Attika zu Handelszwecken oder auf der Kriegs-
flotte, sei es durch Krankheit oder auch aus Furcht vor den
Chicanen einer yQccrprj geviag, die Aristophanes uns so drastisch
geschildert hat 2). Diese alle aber mussten einen grossen, wahr-
scheinlich den weit überwiegenden Theil jener 4760 Männer
ausmachen, die Philochoros einfach in Bausch und Bogen als
naqiyyQtufoi auffasste. Wir sehen also, die Reinigung der
attischen Bürgerschaft im Jahre 445/4 hat sich in sehr viel
engeren Grenzen bewegt, als man bisher annahm; und die
schauderhafte Mär, dass damals ll* der bürgerlichen Bevölke-
rung Attikas entrechtet oder gar in die Sklaverei verkauft
worden sei, ist aus der griechischen Geschichte zu streichen.
Gegenüber dem so gewonnenen Resultat ist es sehr gleich-
gültig, ob Philochoros unter jenen 19000 die Summe aller
Bürger oder nur die Theten verstanden hat. Möglich, dass
ihm in der That eine Angabe über die Zahl der Theten um die
Mitte des V. Jahrhunderts Vorgelegen hat; möglich auch, dass
er einfach die Zahl der Bürger, wie sie zu seiner eigenen Zeit
war, auf die i>erikleische Zeit übertrug. Die Entscheidung wird
Abhängen von dem Grade des statistischen Verständnisses, das
wir Philochoros zuzuschreiben geneigt sind.
Ich muss schliesslich noch einen Einwand berücksichtigen,
der gegen die hier vertretene, statistisch einzig mögliche Auf-
fassung der Zahlen bei Philochoros geltend gemacht worden
*) Wilamowitz, Aus Kydathen S. 23 A. 42.
s) Wespen 718.
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80
Capitel III.
ist Herr Frankel behauptet nämlich *), „es könnte für einen
demokratischen Staat keine gehässigere Maassregel geben, als
eine umfassende Revision der Bürgerlisten auf die Aenneren
zu beschränken“. Dabei ist vorausgesetzt, dass die Revision
der Burgerlisten überhaupt eine gehässige Maassregel war. Das
war sie nun aber keineswegs : ganz im Gegentheil, sie war eine
sehr populäre Maassregel, wie man schon daraus sehen kann,
dass sie von dem Führer der radicalen Demokratie, von Perikies
ausging2). Ganz ebenso ist die Diapsephisis des Jahres 346 5
von der demosthenischen, d. h. ebenfalls der radicalen Partei
ausgegangen. Und das ist auch sehr begreiflich: je kleinei-
der Kreis der zum Empfang der Spenden aus öffentlichen
Mitteln berechtigten, desto grösser wird der Antheil jedes ein-
zelnen. So war ja auch in Rom der städtische Pöbel das
hauptsächlichste Hinderniss für die Ertheilung des römischen
Bürgerrechts an die italischen Bundesgenossen. Da nun die
oberen Klassen so wie so an der Vertheilung des Getreides
nicht participirten, so hatte die Menge auch gar kein Interesse an
einer Revision der Bürgerlisten dieser Klassen : ohnehin musste
aus naheliegenden Gründen die weit überwiegende Anzahl
der naqiyyqaffoi dem niederen Volke angehören. Endlich
aber, und das ist die Hauptsache, hat höchst wahrscheinlich
eine diaipr^taig überhaupt im Jahre 445/4 nicht stattgefunden,
sondern nur eine Untersuchung der Qualification bei denen,
die sich zum Empfang der Spende meldeten, ganz wie in dem
analogen Falle, auf den Aristophanes in den Wespen anspielt.
Das Ergebiiiss dieser Untersuchung ist also, dass im Jahre
445 4 14240 Bürger der Thetenklasse ihren Antheil an einer
Getreidespende in Empfang genommen haben8). Rechnen wir
diejenigen hinzu, die sich wegen des einen oder anderen
Grundes nicht meldeten, ferner den natürlichen Zuwachs wäh-
rend der 13 Jahre bis zum Ausbruch des peloponnesischen
Krieges, so gelangen wir auf etwa dieselbe Zahl von Theten
’) Geschworenengerichte S. 4.
s) Das war dieser damals, vor dem Ostrakismos des Thukydides.
*) So auch Duncker, Gesell, d. AHerth. IX 411 A. 2.
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Attika.
81
im Jahre 432/1, die sieh uns oben auf Grund der Angaben des
Thukydides ergeben hat. Also weit entfernt, durch die An-
gaben des Philochoros widerlegt zu werden, wird unser obiges
Ergebniss vielmehr dadurch in vollem Maasse bestätigt.
5. Die Klerncheii.
Um nun die Gesammtzahl der attischen Bürger zu er-
halten, müssten wir zu den in Attika selbst, sei es thatsächlich
wohnhaften, sei es rechtlich domicilirten Bürgern die Kleruehen
hinzurechnen. Allerdings nicht alle Kleruehen. Denn die atti-
schen Ivleruchien zerfallen in zwei Klassen, je nachdem sie in
Gebieten gegründet sind, deren alte Bewohner vertrieben waren,
oder die Ansiedler im Gebiete noch bestehender Staaten Grund-
besitz empfangen hatten. Zu der ersteren Kategorie gehören von
den 432/1 bestehenden Kleruchien Salamis, Lemnos, Imbros,
Skyros, Oreos, Brea; von denen späterer Zeit Aegina, Potidaea,
Melos, Samos; zu der zweiten Kategorie die Ansiedlungen im
übrigen Euboea, auf Andros, Naxos, Lesbos und dem Chersonnes.
Die Kleruchien der ersten Kategorie bilden eigene Gemeinden,
und ihre Truppen fechten im Kriege in eigenen Abtheilungen;
die Kleruehen der zweiten Kategorie behalten ihren legalen,
und grösstentheils wohl auch ihren factischen Wohnsitz in Athen,
und dienen im Kriegsfall in den alten Phylenverbänden *). Der
Zweck dieser letzteren Kleruchien war einfach ein socialpoliti-
scher : Versorgung der Annen; der Zweck der Kleraehien der
anderen Art ein socialpolitisch-militärischer. Jeder Vergleich
hinkt; aber es möge doch wenigstens auf die Analogie hinge-
wiesen werden, die zwischen diesen beiden Arten attischer
Kleruchien und der römischen Colonial- und Viritanassignation
besteht. Die Kleruehen der zweiten Kategorie sind oben in
der Bürgerzahl Athens natürlich eingerechnet, denn sie waren
einfach Athener, die ausserhalb Attikas Grundbesitz hatten,
nur dass dieser Grundbesitz nicht gekauft, sondern vom Staate
*) Es muss einem anderen Ort Vorbehalten bleiben, diese Auffassung
näher zu begründen.
Beloch, Btsvölkerungilehre. I. 6
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82
Capitel III.
geschenkt war. Dagegen sind die Bürger der Kleruchenge-
meinden ölten ausgeschlossen. Thukydides unterscheidet ihre
Contingente stets sorgfältig von den eigentlich attischen Trap-
pen *) ; auch in den officiellen Verlustlisten werden sie gesondert
aufgeführt2). Dass sie hei der Uebersicht, der Athen im Jahre
431 zu Gebote stehenden Streitkräfte nicht einbegriffen sind,
geht aus den Angaben des Thukydides über die Stärke des
attischen Heeres bei dem Einfall in Megaris im Herbste dieses
Jahres hervor; Thukydides lässt dabei die volle Stärke der
attischen Feldtrappen ausrücken, erwähnt aber eine Heran-
ziehung der Kleraehen mit 'keinem Worte, wie sie in der That
auch sehr überflüssig gewesen wäre.
Was nun die Zahl der Kleraehen angeht, so hören wir,
dass nach Brea 10008), nach Oreos gleichfalls 10004), oder
nach anderer, wie es scheint besserer Angabe die doppelte
Zahl5) Colonisten geführt worden sind. Dazu kommen weiter
Salamis, Skyros und namentlich Lemnos und Imbros, damals
die bedeutendsten aller Kleruchien, wie das starke Hervortreteu
ihrer Contingente beweist. Der Flächeninhalt dieser Inseln,
einschliesslich Halonnesos (Hagiosiraii) beträgt 1085 qkm,
also reichlich */# des Areals von Attika selbst; davon ent-
fallen 476,8 qkm auf Lemnos. Die Getreideproduction von
Lemnos betrag im Jahre 329/8 248475 Medimnen Gerste und
56 750 Medimnen Weizen, gegenüber einer Getreideproduktion
Attikas von etwa 400000 Medimnen8). Rechnen wir 3000
Bürger auf Lemnos7), je 1000 auf Imbros und Skyros, 500
’) Z. B. die Kleruchen von Lemnos und Imbros III 5, IV 28, V 8,
VII 57, die von Aegina VIII 69.
2) CIA. I 443. 444.
а) Pint Perikies 11: ft( QQiixtjv /Mo v( Jitankrait avroixfflovras,
eine Angabe, die doch wohl ohne Zweifel auf Brea zu beziehen ist.
4) Epboros bei Diod. XII 22.
*) Theopom]), bei Strabon S. 445.
б) Foucart, Bulletin de Corresp. HeU. VIII (1884) S. 211 und oben
8. 32. Dort ist durch ein Versehen die Weizenproduction um 100 Me-
dimnen zu niedrig angegeben.
7) Auch dass die Pest, ehe sie nach Athen kam, Lemnos verheerte
(Thnk. II 47), zeugt fiir verhältnissmiissig starke Bevölkerung der Insel.
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Attika.
83
auf Salamis, was gewiss nicht zu ltocli sein wird — 5 Bürger
auf 1 qkm gegen 18 in Attika — , so würden sämmtliche
zu Anfang 431 bestehenden Kleruehengeineinden 7500—8500
Bürger gezählt haben; wir werden der Wahrheit näher kommen,
wenn wir in runder Zahl 10000 annehmen1). Danach können
wir die Zahl aller attischen Bürger zu Anfang 431 auf etwa
45 000 veranschlagen.
Im Laufe des peloponnesischen Krieges sind Kleruchen-
geiueindeu in Aegina (431), I’otidaea (429) und Melos (416) be-
gründet worden. Wie viele Ansiedler nach Aegina gingen, wissen
wir nicht, es werden wenigstens 500, vielleicht 1000 gewesen
sein; nach I'otidaea gingen 1000 2), nach Melos 500 8). Dagegen
sind die 2700 attischen Bürger, die 427 auf Lesbos Grundbesitz
erhielten, ohne Zweifel zum grössten Theile in Athen geblieben
und haben dort ihren legalen Wohnsitz behalten. Das ergiebt
sich ebensowohl aus den Ereignissen des Jahres 412, wie daraus,
dass die Grundstücke auf Lesbos von den Kleruchen nicht
selbst bewirthschaftet wurden.
In Folge des Friedensschlusses von 404 wurden Lemnos,
Imbros und Skyros vom Staate getrennt, und aus Oreos, Aegina,
I’otidaea, Melos, wohl auch aus Brea die attischen Colonisten
vertrieben. Im IV. Jahrhundert sind nicht nur Lemnos, Im-
bros und Skyros zurückerworben, sondern auch neue Kleruchien
ausgeführt worden: 363 nach Potidaea, die freilich nur kurze
Zeit Bestand hatte, nach dem thrakischen Chersones, und
namentlich nach Samos, wohin 352/1 2000 attische Bürger,
später, wie es scheint, noch weitere Colonisten gesandt wurden4).
Es mögen also auch jetzt an 10000 athenische Bürger ausserhalb
Attikas angesiedelt gewesen sein, und die Gesammtbürgerzahl
des Staates mag an 30000 betragen haben.
Wie Thuk. II 54 sagt: (mvil/juxo di L4#>Jv«c ftiv ftitXioxit, fntixn di
xiu uov itXXtov xtootaiv xii 7xiXiav9Qaj7i6xttxn.
') Ebenso Duncker, (fesch, d. Atterth. IX 238.
*) Diod. XII 46.
a) Thuk. V 116.
4) Schäfer, Demosth. I2 S. 99 A. und unten Cap. VI 1.
6*
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84
Capitel III.
6. Die Sklavenzahl.
Ueber die Sklavenzahl Attikas haben wir aus dem Alter-
thuin nur eine einzige bestimmte Angabe, die schon erwähnte
Zählung unter Demetrios von Phaleron, die nach Athenaeos
400000 Sklaven ergeben haben soll. In einem Athem damit
erzählt unser Gewährsmann, dass Aegina „einst“ 470000, Ko-
rinth 460 000 Sklaven gehabt hätte *). Er beruft sich dafür auf
glänzende Autoritäten: für Aegina auf Aristoteles, für Korinth
auf Timaeos, für Athen auf einen gewissen Ktesikles, über den
sonst allerdings nichts bekannt ist, der aber offenbar aus offi-
ciellen Materialien geschöpft hat, wie seine Angaben über die Zahl
der Bürger und Metoeken beweisen, die durchaus das Gepräge der
Wahrheit tragen (s. oben S. 57). Aber nur der blinde Buch-
stabenglaube kann irgend einer Autorität zu Liebe, und sei es
der höchsten, Dinge annehraen, die der gesunden Vernunft
widersprechen. Die Insel Aegina hat kaum zwei geographische
Quadratmeilen Flächenraum ; zur Bebauung des felsigen Bodens
sind einige Tausend Arbeiter ausreichend *) ; mindestens 46 von
jenen 47 Myriaden Sklaven müssten also in der Hauptstadt con-
centrirt gewesen sein. Dann wäre Aegina die grösste hellenische
Stadt gewesen, dreimal so gross als das perikleische und demo-
sthenische Athen, und nicht kleiner als Alexandrien zu Caesars
Zeit. Es hilft auch sehr wenig, wenn wir etwa annehmen
wollten, ein Theil dieser Sklaven sei „auf den Schiffen und in
den auswärtigen Etablissements“ beschäftigt gewesen8); denn
wie bekannt, wurden die griechischen Handelsschiffe nicht durch
Ruder getrieben, sodass sie eine verhältnissmässig sehr geringe
Bemannung erforderten; und Ilandelsfactoreien, wie z. B. die-
*) Athenaeos VI S. 272 B. D, filr Aegina aueli Schot.' Pind. Olymp.
VIII 30.
2) Die Insel ist noch heute ziemlich gut angehaut (Bursian, Geographie
II 83), zählte aber mit Angistri (Kekryphaleia) 1879 nur 6646 Einwohner,
die noch dazu zum grossen Theil vom Handel leben.
3) Bursian, Geographie i>. Griech. II 79.
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Attika.
85
jenige, die Aegina in Naukratis unterhielt1), konnten ebenfalls
nur eine sehr massige Zahl von Sklaven beschäftigen. Colonien
aber hat Aegina überhaupt nicht gegründet. Die Bürgerzahl
der Insel im V. Jahrhundert kann 2000 nicht viel überschritten
haben2). Es wären also auf jeden Bürger im Durchschnitt
235 Sklaven gekommen, sechsmal so viel, als der Vater des
Demosthenes besessen hat, einer der reichsten Bürger und
grössten Industriellen Athens im IV. Jahrhundert. Dass Nikias
1000 Sklaven besass, galt als etwas ausserordentliches, und die
Zahl ist auch wahrscheinlich übertrieben; in Aegina hätte es
Dutzende von Bürgern geben müssen, die ebenso viele oder noch
mehr besassen. Und abgesehen von allem anderen, wo hätte
eine so grosse Sklavenzahl denn herkommen sollen ? Die Angabe
des Aristoteles kann sich doch nur auf die Zeit der höchsten
Blüthe Aeginas beziehen, zwischen den Perserkriegen und der
athenischen Eroberung; und es bedarf wohl kaum der Bemer-
kung, dass in so früher Zeit an eine solche Sklavenzahl nicht
zu denken ist. Traurig genug, dass Dinge, die schon so unzählige
Male gesagt worden sind, noch immer wiederholt werden müssen.
Nicht besser steht es mit der Angabe über die Sklaven-
zahl der Korinthier. Auch hier konnte bei der Kleinheit und
Unfruchtbarkeit des Gebietes für den Ackerbau nur ein ver-
schwindender Bruchtheil jener 460000 Sklaven3) verwendet
werden; alle übrigen mussten in der Stadt mit industriellen
Arbeiten beschäftigt sein. Da die Angabe Tiinaeos entnommen
sein soll, der keineswegs von der eigenen Zeit, sondern von
der Vergangenheit redet, so kann sie auf keine andere Periode
als die der Blüthezeit Korinths vor dem peloponnesischen Kriege
bezogen werden. Nun wissen wir, dass Athen damals die bei
weitem volkreichste griechische Stadt war; und in der That
betrag der Umfang des Asty wie des Peiraeeus je 60 Stadien,
•) Herod. II 178.
*) S. unten S. 122 f.
a) Als ob es mit der Angabe des Athenaeos noch nicht genug wäre,
giebt Bursian ( Geogr . v. Griech. II S. 13 A. 2) durch einen Druck- oder
Schreibfehler die Sklavenzahl von Korinth zu 640000 an.
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86
Capitel 111.
während Korinth nur 40, oder unter Einschluss der Akropolis
und ihrer Verbindungsmauem mit der Stadt 85 Stadien Um-
fang hatte. Athen aber kann, den Peiraeeus eingerechnet, zu
Perikies’ Zeit nicht inehr als 100 — 150000 Einwohner gezählt
haben, sodass sich für Korinth ein Maximum der Bevölkerung
von 80 — 100 000 Seelen ergiebt. Die freie Bevölkerung des
Staates mochte etwa 30—40000 Seelen betragen, wovon doch
mindestens die Hälfte auf die Hauptstadt kommen muss; das
ergiebt für diese höchstens CO — 80000 Sklaven, wozu dann
noch einige Tausend für das Landgebiet zu rechnen wären.
Hätte Korinth auch nur annähernd soviel Sklaven besessen,
wie Athenaeos angiebt, so musste es der Stadt ein leichtes sein,
die 90 Trieren, die sie 433 2 gegen Korkyra aufstellte, aus
eigenen Kräften zu bemannen, denn das Erfordemiss dafür be-
trug nicht mehr als 18000 Manu; statt dessen sah Korinth
sich genöthigt , Seeleute in grosser Zahl im Auslande anzu-
werben1). Auch 60000 Sklaven bilden noch immer eine ge-
waltige Ueberlegenheit gegenüber den Bürgern, und der Aus-
druck yoivi/.ouixQai , den das Orakel von den Korinthiem
braucht, als ob ihre Hauptbeschäftigung darin bestände, den
Sklaven ihre tägliche Ration zuzumessen, bleibt auch so noch
völlig gerechtfertigt. Kommen doch auf jeden korinthischen
Bürger von Hoplitenschatzung im Durchschnitt noch 15 Sklaven.
Es ist denn auch unter allen Urtheilsfähigen nur eine
Stimme über die absolute Unhaltbarkeit dieser von Athenaeos
überlieferten Sklavenzahlen. Hume findet sie „ganz absurd
und unmöglich“2); Niebuhr erklärt „die lächerlichen Zahlen
der Knechte zu Korinth und Aegina der Erwägung eines ernsten
Mannes unwürdig“ 3). Derselben Ansicht sind Clinton4), Wallon*)
und Andere. Sogar Böckh, so sehr er von seinem Standpunkte
aus Gnind gehabt hätte, diese Zahlen aufs äusserste zu ver-
*) Thuk. I 31. 35.
2) Essays I 427 A. 9 : entirely absurd and imiiossible.
3) R. Gesch. II 80.
*) Fasti HeUenici II* 423.
B) Histoire de V Esclavage I* 277 f.
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Attika.
87
theidigen, „will sie gern für übertrieben halten“ *), wenn er sie
auch andererseits nicht unbedingt verwerfen mag. Erst Böckhs
Nachfolger haben den Muth gefunden, das absurde als glaub-
lich darzustellen *), damit aber freilich nichts anderes bewiesen,
als ihre eigene Incompetenz in national ökonomischen Dingen.
Wir werden demnach allen Grund haben, auch der Angabe
über die Sklavenzahl Athens, die Athenaeos zugleich mit den
besprochenen Zahlen vorbringt, von vornherein ein starkes
Misstrauen entgegenzubringen. Freilich springt die Absurdität
liier weniger in die Augen; und so ist es, um Niebuhrs Worte
zu brauchen, „begreiflich, wie selbst geistreiche Männer, die
nur nicht gewohnt sind, sich philologische Ueberlieferung als
würklieh zu vergegenwärtigen, dadurch betrogen werden konnten“.
Bereits Hume hat die Unmöglichkeit der von Athenaeos
aus Ktesikles angeführten Sklavenzahl ausführlich zu erweisen
versucht. Er kommt zu dem Resultate, dass diese Zahl wenig-
stens um das Zehnfache übertrieben ist, und Athen höchstens
40000 erwachsene Sklaven männlichen Geschlechts, oder eine
Sklavenbevölkerung von 160000 gezählt haben könne8). Den
Ausführungen Humes haben sich Letronne4) und W'allon5) im
wesentlichen angeschlossen; ersterer gelangt auf 100 — 120000.
letzterer auf Grund einer sehr detaillirten Untersuchung auf
201 000 Sklaven jeden Geschlechts und Alters. Dagegen hat
Böckh an der Zahl des Athenaeos festhalten zu müssen geglaubt
und darin an Clinton und Moreau de Jonnös Nachfolger ge-
funden, ausserdem natürlich an allen denen, die sogar die für
Aegina und Korinth überlieferten Sklavenzahlen vertheidigen.
') Staat sh. I 57.
2) Bursian, Geographie II 13 und 79; Büchsenschütz, Besitz und Er-
werb S. 140 f.; Hermann - Stark, Privatalterthümer S. 5; Kastorchis,
raior V 125.
3) Hume, Essays I 419: But in tny opinion there is no point of
criticisme more certain, than that Athenäen» and Ctesicles, tehom he quotes,
are mistaken, and that the n umher of slaves is, at least, augmented by a
irliole cypher, and ought not to be regarded as more than 40000.
*) Mein, de VJnstitut, Acad. des Inscr. et helles Lettres VI 165 ff.
5) Histoire de VEsclarage Is S. 222 —277.
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88
Capitel III.
Allerdings muss Böckh dabei gleich von vornherein von
einer willkürlichen und schwer zu rechtfertigenden Voraus-
setzung ausgehen. Denn mag die Veranlassung für die Zählung
unter Demetrios von Phaleron, auf die sieh die Angaben des
Ktesikles beziehen, gewesen sein welche sie will: rein statisti-
sches Interesse, oder der Wunsch, die Stärke der Wehrkraft
Athens kennen zu lernen, so musste entweder die Gesammt-
bevülkerung, oder die erwachsene männliche Bevölkerung, aber
für alle Klassen der Bewohner des Landes ermittelt werden.
Nun bezieheu sich die Angaben des Ktesikles über die Zahl
der Bürger und Metoeken zweifellos nur auf die erwachsenen
Männer; die Angabe über die Sklavenzahl muss also in dem-
selben Sinne zu verstehen sein. Sonst läge in der ganzen
Zählung weder Sinn noch Verstand. Wenn Böckh sich dieser
Einsicht verschlossen hat, so liegt der Grund in der Unmög-
lichkeit, Attika eine Sklavenzahl von 1 Million und darüber
zuzuschreiben, wie sie herauskommen würde, wenn wir die
400000 Sklaven des Ktesikles als erwachsene Männer auffassen.
Die einzig logische Schlussfolgerung daraus wäre nun, dass,
diese Zahl verschrieben oder absichtlich übertrieben sein muss;
doch darüber später.
Für jetzt wollen wir Böckh seine Prämisse zugeben. Die
400000 Sklaven des Ktesikles sollen alle Sklaven jeden Altere
und Geschlechts umfassen. Der durchschnittliche Werth jedes
Sklaven soll nur zu einer Mine gerechnet werden, was für das
IV. Jahrhundert sehr wenig ist. Das ergiebt also für alle
400000 Sklaven einen Gesammtwerth von über 6600 Talenten.
Nun betrug aber der zum Zwecke der Steuererhebung abge-
schätzte Werth alles liegenden und beweglichen Eigenthums in
Attika im Jahre 378 7 nicht mehr als 5750 Talente; es ist
klar, dass der Werth der Sklaven allein nicht den dritten Theil
dieser Summe betragen haben kann. Folglich muss, wie schon
Hume gesehen hat, die Zahl der Sklaven beträchtlich kleiner
gewesen sein als 400000.
Böckh hat sich auch dieser Schlussfolgerung zu entziehen
gesucht durch seine bekannte Lehre, dass die attische Eisphora
eine Progressivsteuer, und das Timema seit Nausinikos nur ein
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Attika.
89
Bruchtheil des eingeschätzten Vermögens gewesen sei. Die
völlige Haltlosigkeit dieser Hypothese hoffe ich an anderer
Stelle erwiesen zu haben1). Ich will indess hier von dem dort
gewonnenen Resultat absehen und Böckh auch diese Voraus-
setzung zugeben. Wird seine Verteidigung der Sklavenzahl
bei Athenaeos dadurch haltbarer?
Attika hat nach Böckh in der zweiten Hälfte des IV. Jahr-
hunderts Va Million Einwohner gezählt. Der Bedarf dieser
Bevölkerung an Getreide betrug nach Böekhs eigenen An-
nahmen 3400000 Medimnen ohne die Aussaat. Nun belief
sich die Einfuhr aus dem Pontos, etwa die Hälfte der Gesammt-
einfuhr, um 355 auf jährlich 400000 Medimnen; die ganze
Einfuhr also auf 800000 Medimnen2). Böckh glaubt diese
Zahl auf 1 Million Medimnen erhöhen zu müssen; wir wollen
um 200000 Medimnen bei einer Rechnung mit so unsicheren
Factoren nicht streiten. Es bleiben also 2 400000 Medim-
nen als Production von Attika, ohne die Aussaat, die nach
Böckh das siebente Korn betragen haben soll. Das wären
weitere 400 000 Medimnen, zusammen also 2 800 000 Medimnen,
zu deren Erzeugung 1 066 667 Plethren erforderlich gewesen
sein sollen, nahezu die Hälfte des ganzen Areals von Attika,
das nach Böckh 2304000 Plethren beträgt3).
Machen wir uns die Consequenzen dieser Annahmen klar.
Boeotien hat ungefähr denselben Flächeninhalt wie Attika, ist
aber sehr viel fruchtbarer. Es wird also mindestens dieselbe
Menge Getreide producirt haben. Die Bevölkerung Boeotiens
kann im IV. Jahrhundert 150000 Seelen kaum überstiegen
haben4); wir wollen aber 200000 ansetzen. Nach dem von
Böckh für Attika angenommenen Verhältniss würde diese Be-
völkerung etwas weniger als 1 400 000 Medimnen verbraucht
haben; es wären also 1 Million Medimnen zur Ausfuhr ver-
blieben, das heisst, Athen hätte seinen ganzen Bedarf an frem-
>) Hermes 1885 S. 237—261.
8) Demosth. g. Lept. 32.
*) Staatshaush. I S. 108 — 115.
4) S. unten Cap. V, 1.
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90
Capitel III.
dem Getreide aus dem benachbarten Boeotien decken können,
statt darauf angewiesen zu sein, ihn aus fernen Löndem zu
befriedigen. Und nun bedenke man. was Thessalien, Elis,
Messenien producirt haben müssten. Griechenland wäre im
Stande gewesen, die hallte Welt mit Getreide zu versorgen,
statt dass es selbst der fremden Einfuhr benöthigt war.
Indess es fehlt uns keineswegs an Anhaltspunkten, um
auch auf directem Wege die Unhaltbarkeit der Böckhschen
Annahmen nachzuweisen. Attika war sprichwörtlich für seine
Unfruchtbarkeit. Weizen wurde sogut wie gar nicht gebaut;
Gerste erzeugte das Land wohl in trefflicher Qualität, aber in
durchaus ungenügender Menge. Bereits ein solonisches Ge-
setz verbot unbedingt die Ausfuhr des in Attika gebauten
Getreides1); die Production kann also schon am Anfang des
VI. Jahrhunderts selbst in guten Jahren nur höchstens für den
eigenen Bedarf hingereicht haben. Nun wird Niemand be-
haupten wollen, die bürgerliche Bevölkerung Attikas sei in
Solons Zeit grösser gewesen als in der Zeit des Demosthenes;
und eine irgendwie ins Gewicht fallende Zahl von Metoeken
und Sklaven kann damals noch nicht vorhanden gewesen sein.
Rechnen wir also die bürgerliche Bevölkerung jeden Alters und
Geschlechts zu 60 — 70000, die nichtbürgerliche auf die Hälfte
dieser Zahl, so werden wir die Bevölkerung Attikas ums Jahr
600 v. Chr. sicher nicht zu niedrig geschätzt haben.
Nehmen wir nun auf den Kopf einen jährlichen Dureh-
sehuittsverbrauch von 7 Medimnen Gerste an2), und weiterhin
das siebente Korn für die Aassaat, so ergiebt sich für das VI.
Jahrhundert ein Maximum der Getreideproduction von reichlich
800000 Medimnen. Es ist nicht wahrscheinlich, dass sich die
Production später erhöht hat, denn je leichter die überseeischen
Verbindungen wurden, desto weniger musste der attische Acker-
bau im Stande sein, die Concurrenz des pontischen und aegyp-
tischen Kornes auszuhalten8), namentlich da der Staat nicht
') Plut. Solon 24, vergl. ebenda 22.
*) S. oben S. 33.
*) Vergl. Xen. r. d. Kink. IV 6: x«i oruv ye nolis oftos xni oh o»
yfvtjrm , ovrtov uur xtconiür ülitJtrdti; itl ytiouyfiti yfyrovtai.
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Attika.
91
nur nicht das geringste zum Schutze des heimischen Getreide-
baues that, sondern im Gegentheil mit allen Mitteln auf mög-
lichst niedrige Kornpreise hinwirkte. Es musste in Attika im
V. und IY. Jahrhundert etwas ähnliches eintreten, wie im
heutigen England, und der Körnerbau immer mehr durch edlere
Culturen verdrängt werden. Wir haben jetzt dafür den ur-
kundlichen Beweis : laut einer eleusinischen Tempelrechnung vom
Jahre 329/8 betrug damals die Getreideproduction von Attika
einschliesslich Oropos etwa 360000 Medimnen Gerste und 40000
Medimnen Weizen1). An eine Missernte zu denken, liegt nicht
der geringste Grund vor; allerdings herrschte damals in Attika
Theuerung, aber in einem Lande, das in so hervorragender
Weise auf fremde Zufuhr angewiesen war, konnte der Ausfall
der eigenen Ernte nur einen sehr geringen Einfluss auf die
Kornpreise zu üben im Stande sein. So ist es keineswegs der
Ausfall der Ernte in England, wodurch die Preise des londoner
Marktes bestimmt werden. Theuerung konnte in Attika nur
entstehen, wenn die Zufuhr gehemmt war; und es ist denn
auch ausdrücklich bezeugt, dass die hohen Getreidepreise der
Jahre 330 bis 326 zum grossen Theile durch die Kornspecula-
tionen des Kleomenes von Naukratis veranlasst waren, den
Alexander an die Spitze der Finanzverwaltung Aegyptens ge-
stellt hatte2). Wir hören vielmehr, dass die attischen Grund-
besitzer von der Theuerung beträchtlichen Vortheil hatten8).
Sollte übrigens die Ernte des Jahres 329/8 wirklich nur die
Hälfte der normalen betragen haben, so hätten wir doch erst
V* — 1/a der Getreideproduction, die Böckh für Attika ansetzen
zu müssen glaubte. Die Möglichkeit, dass Attika l!a Million
Einwohner gezählt habe, wird damit unbedingt ausgeschlossen.
oiOTt noXXoi a<f i{uivot rov rtjf yijv IpyuCeoihti (n' (pnogfas xni
Xeia; xal roxi ouoiis Tglnovrat.
1) Foucart, Bulletin de Correspondance HeDenique VIII (1884) S. 194 ff.
S. oben S. 32.
2) R. g. Dionysod. 7 f. S. 1285; Schäfer Demosth. III 2, 271.
*) R. g. Phaenippos 20 f. S. 1045; vergl. Schäfer Demosth. III 2, 284 f.
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92
Capitel III.
Doch es fehlt auch nicht an anderen Beweisen für die
Unhaltbarkeit der Hypothese Böckhs über die Sklavenzahl
Attikas. Athen zählte am Ende des IV. Jahrhunderts 21000
Bürger, von denen 12000 unter 2000 Drachmen im Vermögen
hatten, also den eigentlichen Demos bildeten, der mit seiner
Hände Arbeit das tägliche Brod verdienen musste, soweit er
es nicht vorzog, sich aus öffentlichen Mitteln erhalten zu lassen.
Sklaven konnten also diese 12000, wenn überhaupt, nur in
sehr beschränkter Anzahl besitzen. Böckh meint nun aller-
dings, dass „auch der ärmere Bürger einen Sklaven zu halten
pflegte, zur Besorgung seines Hauswesens“ 1 ), und beruft sieb
zum Beweise auf den Anfang des aristophanischen Plutos.
Aber sollen wir denn annehmen , dass auch der Allanto-
polos der Ritter, der Blepyros der Ekklesiazusen sich ihren
Bedienten gehalten haben ? Armuth ist eben ein sehr
relativer Begriff ; und wenn der Chremylos des Plutos
auch kein reicher Mann ist, so ist er doch noch lange
kein Proletarier. Wem das Triobolon ein Gegenstand von
Wichtigkeit war, der hielt keinen Sklaven. Beruht ja doch der
Unterschied zwischen dem xaZog xayaiXog und dem ßavavoog
eben darauf, dass der letztere gezwungen war, für seinen täg-
lichen Unterhalt mit der Hand zu arbeiten, der erstere nicht2).
Die Sklaven befanden sich also, mit unwesentlichen Aus-
nahmen, im Besitz der 9000 wohlhabenden Bürger und der
reicheren Metoeken. Rechnen wir für die Metoeken dasselbe
Verhältuiss zwischen Besitzenden und Nicht - Besitzenden wie
für die Bürger, was offenbar zu hoch ist8), so erhalten wir
etwas über 4000 wohlhabende Metoeken. Mit Einschluss der
Waisen, Erbtöchter und Corporationen werden wir 15000
Herren annehmen dürfen, denen jene 400000 Sklaven gehört
*) Staatshaush. I 55.
*) Wenn es nöthig ist, für eine selbstverständliche Sache Zeugnisse
beizubringen, verweise ich auf Aristot. Polit. VII (VI) S. 1322 a.: roTs
yap anoQOii th'ityxr/ yorjafhtt xa i yiTittft xnl ncuolv tuantp äxoXov9ots
dia 7 1) v uäovXfar, und Aristoph. JiJcliles. 593 : juijcf’ «vifpKTrdrfcxf xov fiXv
XQrjolXiti 7ioXXo?s, töv ä’ ov t’ (IxoXoidül.
8) Bekanntlich durften Metoeken in Attika kein Grundeigenthiun er-
werben.
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Attika.
93
haben müssten. Das ersieht auf jeden im Durchschnitt 26—27
Sklaven. Nun hatte Demosthenes’ Vater, einer der grössten
Industriellen und reichsten Bürger Athens am Anfang des
IV. Jahrhunderts, nur einige dreissig Sklaven — denn die 20
Möbelarbeiter hatte er nur im Pfandbesitz. Es ist klar, dass
es nur verhältnissmässig wenige geben konnte, die so viele be-
sassen. Platon hält 50 Sklaven im Besitze eines einzigen Herren
für eine sehr beträchtliche Zahl 1). Wenn belichtet wird, dass
Nikias in den Bergwerken 1000 Sklaven gehallt habe, Hippo-
nikos 600, ein gewisser Philonides 300 2), so sind das Aus-
nahmen, die eben deswegen besondere hervorgehoben werden;
Nikias und Hipponikos waren die reichsten Männer des pe-
rikleisehen Athens. Auch steht keineswegs sicher, dass die
Zahlen nicht übertrieben sind, da sie einer Quelle entstammen,
die 60 Jahre jünger ist, als Nikias’ Tod, und der es darauf an-
kommt, recht hohe Zahlen zu geben.
Ferner berichtet Thukydides, dass von allen griechischen
Städten, Sparta allein ausgenommen, Chios die grösste Sklaven-
zahl besessen habe8); Chios also hatte mehr Sklaven als Athen.
Nehmen wir nun für Athen vor dem dekeleischen Kriege statt
der 400000 Sklaven des Athenaeos nur 300000 an, so müsste
Chios etwa 400000, Sparta vielleicht 500000 Sklaven gezählt
haben, denn die Unterschiede müssen fühlbar gewesen sein,
sonst hätte Thukydides keine Veranlassung gehabt, sie hervor-
zuheben. Nun ist Chios im V. Jahrhundert eine bedeutende
Stadt, keineswegs aber eine Grossstadt gewesen; und der
Flächeninhalt der Insel beträgt, einschliesslich der kleinen
Nachbarinseln, nicht über 957 qkm. Es ist also ganz undenk-
bar, dass die Bevölkerung gegen */a Million betragen haben
') Polit. IX S. 578 D. E: axönei <Je . . . ivot ixnarov tiLv fdicuuär,
oaut nlovoiot fv nöhair nrtfpdrrodtt nollct x(xit)tTcti ... eT Ti; d-tiür
avif(>n i'va, orm tonv «nfpn^oJ'n 7iivrt]xorra tj nXtlm, itoa; fx riji txo-
).foj; 9e(j) di f Qj)(t(av xi). Böckli, Staatsh. I 56 hat sich erlaubt, das
Zeugniss zu fälschen, indem er sagt: „dass bei einem freien Manne häufig
50 Sklaven waren, bei Reichen mehr, bemerkt Haton ausdrücklich“.
!) Xen. v. d. Pinkiinßen IV 14.
») Thuk. VIII 40.
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94
Capitel III.
könnte — über 500 auf dem qkm. Und was die spartanischen
Heiloten angeht, so werden wir unten sehen, dass ihre Zahl
für das V. Jahrhundert auf kaum 200000 veranschlagt werden
kann. Bei jeder anderen Annahme würden für Lakonien im
Verhältniss zum übrigen Peloponnes ganz abnorme Bevölkerungs-
verhältnisse sich ergeben.
Derselbe Thukydides erzählt uns, da wo er uns die ver-
derblichen Wirkungen der Besetzung von Dekeleia für Athen
schildert, dass in Folge derselben 20 000 Sklaven, zum grössten
Theile Fabrikarbeiter, zum Feinde übergelaufen seien1). Er
hält das offenbar für einen sehr bedeutenden Verlust; wenn
aber die Sklavenzahl Athens damals 400000, oder auch nur
300000 betrug, so wären jene 20000 Ausreisser kaum ins
Gewicht gefallen. Schon Huine hat auf diesen Punkt auf-
merksam gemacht.
Ebendahin führt es, was Xenophon, oder wer immer der
Verfasser der Schrift „von den Einkünften“ ist, von der Zahl
der in den laurischen Silbergruben beschäftigten Sklaven er-
zählt. Er macht den Vorschlag, der Staat solle 1000O Sklaven
kaufen und in die Bergwerke vermiethen; dabei sucht er dem
Einwand zu begegnen, dass die Bergwerke so viele Arbeiter
nicht beschäftigen könnten*). Um die Mitte des IV. Jahr-
hunderts können also kaum 5000 Sklaven in Laureion thätig
gewesen sein; wie denn 2 Jahrhunderte später nur etwa 1000
Sklaven hier beschäftigt waren3). Die Bergwerke bei Neu-
Karthago in Spanien beschäftigten nach Polybios 40000 Men-
schen und brachten dem Staate jährlich 1500 Talente ein4);
es ist klar, dass die Gruben von Laureion niemals auch nur
annähernd diese Zahl von Arbeitern erreicht haben können.
Es ist also sehr übertrieben, wenn Böckh dem Bergwerks-
distriet eine Bevölkerung von 60000 Einwohnern zuschreibt5);
l) Tliuk. VII 27.
*) Xen. v. d. Hink. IV 26.
3) Diod. 34, 2. 19; Oros. V 9.
4| Polyb. bei Strabon HI 147 f.
R) Staatxli. I 58.
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Attika.
95
vielmehr wird die Zahl der liier beschäftigten Sklaven selbst
im V. Jahrhundert 10000 kaum überstiegen haben.
Es bleibt noch die Frage, wie Athenaeos zu seinen Sklaven-
zahlen gekommen ist. Denn dass er bei Aristoteles, Timaeos
und Ktesikles, auf die er sich beruft, solche absurde Angaben
nicht gefunden haben kann, ist doch für die ersten beiden un-
zweifelhaft und für Ktesikles mindestens sehr wahrscheinlich.
Wenn nun Korinth 46, Aegina 47, Athen 40 Myriaden Sklaven
gezählt haben soll, so ist es die beständige Wiederkehr der
Zahl 40, was uns zunächst in die Augen fällt. Erinnern wir
uns jetzt, dass dasselbe Zeichen 31 den Werth von 40 und von
10000 (jivQiac) ausdrticken kann, und die Entstehung des
Fehlers wird sogleich deutlich: Athenaeos fand in seiner Vorlage
die Zahlen 31 'F und M Z, übersah die Punkte und las statt
60 000 und 70000: 46 und 47. Der Zusammenhang zeigte,
dass von Zehntausenden von Sklaven die Rede war; was war
natürlicher, als /ivgiadeg hinter die Zahlen zu schreiben? Bei
der aus Ktesikles geschöpften Angabe scheint Athenaeos nur das
Zeichen für 10000 (M) in seiner Vorlage gefunden zu haben,
während die Zahl der Myriaden verwischt war, sodass der Irr-
thum hier noch erklärlicher wird. Es bleibt natürlich auch
die Möglichkeit, dass Ktesikles von ztrQonuauiQioi öovloi ge-
sprochen hat, und Athenaeos daraus xmagä/.ona /ji giädec
gemacht hat1). In der That enthält die Zahl von 40000 er-
wachsenen männlichen Sklaven für die Zeit Demetrios’ von
Phaleron nichts unwahrscheinliches; Attika würde danach im
ganzen eine Sklavenbevölkerung von etwa 100000 gehabt
haben, da die erwachsenen Männer unter den Sklaven stärker
vorwiegen mussten als unter den Bürgern und Metoeken. —
Was Korinth angeht, so hat eine Sklavenzahl von 60000 zur
Zeit des peloponnesischen Krieges grosse innere Wahrschein-
lichkeit, wie oben (S. 86) gezeigt worden ist. Für Aegina
allerdings scheinen selbst 70000 Sklaven auffallend hoch, doch
wäre die Zahl mindestens nicht undenkbar. Die bedeutenden
Flotten, welche die Insel in der einten Hälfte des V. Jahr-
0 Das war Humes Ansicht.
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96
Capitel III.
hunderts zu bemannen im Stande war, setzen jedenfalls eine
starke Bevölkerung voraus, die zum überwiegenden Theile aus
Sklaven bestanden haben muss. War doch Aegina in dieser
Zeit vielleicht die erste Handelsstadt des ganzen europäischen
Griechenland.
Ist demnach auch eine sichere Bestimmung der Sklaven-
zahl Attikas mit unseren Mitteln nicht möglich, so werden sich
doch Annäherungswerthe aufstellen lassen, die es uns gestatten,
wenigstens ein allgemeines Bild von dem Verhältniss der freien
zu der unfreien Bevölkerung zu gewinnen. Im Auge zu be-
halten ist dabei stets, dass die allgemeinen Gesetze der Be-
völkerungslehre hier nur mit grossen Einschränkungen sich
anwenden lassen. Denn die Sklavenhevölkerung ergänzte sich
der Hauptsache nach durch Einfuhr aas den östlichen Barbaren-
ländern; Aufzucht im Hause war die Ausnahme, die Einfuhr
aber lieferte natürlich vorzugsweise männliche Sklaven in arbeits-
fähigem Alter, die also einen unverhältnissmässig grossen Bruch-
theil der Sklavenzahl bilden mussten. Daher musste der Bestand
der unfreien Bevölkerung je nach der wirthschaftlichen und
politischen Conjunctur den grössten Schwankungen ausgesetzt
sein. Das grössere oder geringere Bedürfniss der Industrie
nach Arbeitskräften war hier das bestimmende; jeder längere
Krieg, jede wirthschaftliche Krisis musste eine bedeutende Ver-
minderung der Sklavenzahl zur Folge haben, während anderer-
seits die Perioden wirthschaftlichen Aufschwunges eine unver-
hältnissmässig rasche Vermehrung mit sich bringen mussten.
Nun betrug, wie wir gesehen haben, die jährliche Getreide-
production Attikas in der zweiten Hälfte des IV. Jahrhunderts
gegen 400000 Medimnen, fast ausschliesslich Gerste. Rechnen
wir als Aussaat das siebente Korn1), und einen Durchschnitts-
verbrauch von 7 Medimnen auf den Kopf2), so genügte das
zur Ernährung von 40 — 45000 Menschen. Die Einfuhr betrug
nach Demosthenes um die Mitte des IV. Jahrhunderts etwa
800000 Medimnen, meist Weizen8); veranschlagen wir hier
') Böckh, Staatsh. I 118.
*) S. oben S. 38.
8) Demosth. g. Leptin. 32.
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Attika.
97
den Verbrauch auf den Kopf zu je 6 Medimnen, so war das
ausreichend für den Bedarf von 130000 Menschen. Einfuhr
und Production zusammen also hätten für 175 000 Menschen
hingereicht Da nun die freie Bevölkerung Attikas in dieser
Zeit ungefähr 100000 Seelen betragen hat, so ergäbe sich eine
Sklavenzahl von etwa 75000. Natürlich ist das nur eine un-
gefähre Schätzung; wir wissen weder, ob die Ernte des Jahres
329 8, auf deren Ertrag die obige Berechnung gegründet ist
eine Normalerate war, noch ob Demosthenes’ Angabe über den
Betrag der Getreideeinfuhr einen brauchbaren Durchschnitt
giebt1); sehr weit aber dürfte sich unsere Zahl kaum von der
Wahrheit entfernen.
Xenophon sagt uns, die Sklavensteuer habe vor dem deke-
leischen Kriege grössere Erträge gegeben, als um die Mitte des
IV. Jahrhunderts2); folglich muss die Sklavenzahl am Anfang des
peloponnesischen Krieges 75 000 beträchtlich überstiegen haben.
Sie mag also auf 1 00 000 oder etwas darüber anzusetzen sein ;
höher hinauf dürfen wir nicht gehen, da nach Thukydides Chios
in dieser Zeit mehr Sklaven hatte als Athen, und Chios schwer-
lich viel über 100000 Sklaven gezählt haben kann3). An der
Pest muss etwa V* der attischen Sklavenschaft zu Grande ge-
gangen sein (oben S. 73), docli mochten die Verluste zum grossen
Theile nach demXikiasfrieden ersetzt werden. Um so verderblicher
wirkte der dekeleische Krieg, nicht nur durch die massenhaften
Desertionen4) und die Freilassungen vor der Arginusenschlacht,
sondern noch mehr durch den allgemeinen wirthschaftlichen
Verfall, den er herbeiführte. Wenn noch unter dem Archon
Nausinikos, 378/7, das eingeschätzte Gesammtvermögen von
Attika nicht mehr als 5750 Talente betrag, so kann die Sklaven-
') Immerhin können wir sicher sein, dass Demosthenes die pontisclie
Einfuhr nicht zu niedrig veranschlagt hat, da es ihm darauf ankommt, die
Wichtigkeit der Handelsbeziehungen Athens zum kiminerischen Bosporos
nachzuweisen.
*) Xen. v. d. Eink. IV 25.
’) S. unten Cap. VI, I.
4) Thuk. VII 27: dvdQKnoäiav nteov fj dvo ftinidJef rji'TO/joXqxfOav
xa'l TOVTtOV TO 71 o). V [i£qOS /f IQOTfyvia.
Beloch, BevSlkerongslehr«. I. 7
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98
Capitel III.
zahl damals kaum über 60000 betragen haben1). Der ma-
terielle Aufschwung während der nächsten Jahre hat dann
ohne Zweifel eine beträchtliche Vennehrung gebracht, sodass
sich die Sklavenzahl, wie oben berechnet wurde, um die Mitte
des Jahrhunderts auf gegen 75000 belaufen haben mag. Auch
in den nächsten Jahrzehnten wird das Anwachsen der Sklaven-
bevölkerung fortgedauert, und Athen in Alexandere Zeit wahr-
scheinlich wieder an 100000 Sklaven gezählt haben.
Man hat auf Grund eines Fragmentes des Hypereides be-
hauptet, dass es im Jahre 338 in Attika 1 50 000 erwachsene
männliche Sklaven gegeben habe9). Das Fragment ist aus der
Rede gegen Aristogeiton, und bezieht sich also höchst wahr-
scheinlich auf das Massenaufgebot der Bevölkerung Attikas,
das Hypereides nach der Schlacht bei Chaeroneia beantragt hatte.
Aber bei der Art, wie uns die Stelle überliefert ist, wäre es
sehr unvorsichtig, sich auf die Correctheit der Zahl verlassen
zu wollen. Auch ist die Idee, 150000 Sklaven bewaffnen zu
wollen, gegenüber einer Bürgerschaft von 20000 erwachsenen
Männern, so ungeheuerlich, dass wir kaum glauben können,
Hypereides habe im Ernste so etwas beantragt. Ein Heer von
150000 Mann hat überhaupt niemals ein griechischer Staat
aufgestellt; schon darum wäre die Angabe — so wie sie über-
liefert ist — zu verwerfen. Nur eine Emeudation könnte helfen;
und wenn irgendwo, so ist es hier geboten, von dieser ultima
ratio Gebrauch zu machen. Schreiben wir statt des unattischen
fivQiäöas nkiov r] dexantvie mit leichter Aenderung iiiQtdöag
nXtov ö' 5) «' — das Zahlzeichen d' wird bekanntlich öfter mit
dr/M verwechselt — , also fivgiddag nXtov lendoo»' rj rrivie, so
käme alles in Ordnung; doch bin ich natürlich sehr weit ent-
fernt, Evidenz für diese Verbesserung in Anspruch zu nehmen.
>) Vgl. Hrnnes XX (1885) S. 242.
s) Ilypereides fr. 33 Blass (bei Suidas «nupriylauio): ono>; ttqiütov
fitv fj nndiiai TiXtov fj ifexantrre r oi{ (JoüJLov g roüg ) tx r iZv fftyotv rwv
ilnyiQfimv xai roi'g xarct rijv ttXXr/p yo>Qar, ent ira roi'g o<ft(Xorrag r
Jrjfioni m xai rovg änvfjry/iouiicvg xai rovg /utro/xoi g. Es ist rein will-
kürlich, mit Böekli die Sklaven in der Stadt hier auszuschliessen (Staatsh.
I 53 Anm. b); wie konnte Hypereides wissen, wie viele Sklaven gerade in
der Stadt Athen wohnten?
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Attika.
09
Kur dass die Stelle, so wie sie jetzt in unseren Ausgaben steht,
unmöglich richtig sein kann, scheint mir unzweifelhaft. Uebrigeus
konnte Hypereides selbst über die Zahl der waffenfähigen Sklaven
nur vage Schätzungen geben; seine Quelle konnte keine andere
st in, als der Ertrag der Sklavensteuer 1 ) , und diese wurde von
allen Sklaven ohne Rücksicht auf Geschlecht und Alter erhoben.
7. Die Bevölkerung und ihre Vertlieilung.
Wir werden jetzt im Stande sein, uns ein ungefähres Bild
zu machen von der Bevölkerungsbewegung Attikas im V. und
IV. Jahrhundert. Zur Zeit der Perserkriege betrug die Btirger-
zahl 25—30000, die bürgerliche Bevölkerung also 75 — 90000,
und da die Metoeken und Sklaven damals wohl noch kaum sehr
zahlreich sein konnten, wird die Gesammtbevölkerung der
Landschaft 150000 schwerlich überschritten haben. Eiu halbes
Jahrhundert später, am Anfang des peloponnesiselien Krieges,
war die Bürgerzahl auf 35 000, die Zahl der Metoeken auf gegen
10000 gestiegen, entsprechend einer freien Bevölkerung von
etwa 135 000, zu der noch ungefähr 100000 Sklaven hinzutraten.
Im ganzen also hat Attika damals gegen lU Million Einwohner
gezählt. Am Ende des Krieges war die Bürgerzahl auf 20000, die
Zahl der Metoeken auf vielleicht 5000 herabgegangen, sodass die
freie Bevölkerung etwa 75000 betragen mochte. Die Sklaven-
zahl hatte sich jedenfalls in noch stärkerem Maasse vermindert,
die Gesammtbevölkerung wird 130000 kaum erreicht haben.
Im Laufe des IV. Jahrhunderts ist dann die Bürgerzahl an-
nähernd stationär geblieben, die Zahl der Metoeken hat sich
etwa verdoppelt, die der Sklaven sich sehr beträchtlich ver-
mehrt. So zählte Attika in der Zeit nach Alexandere Tode
etwa 100000 Freie und die gleiche, oder eine etwas höhere
Sklavenbevölkerung. In den beiden folgenden Jahrhunderten
mag sich die Bevölkerung etwas vermindert haben, doch fehlt
jeder Anhalt zu einer numerischen Schätzung. Besonders al>er
') Vergl. Xenoph. r. d. Eink. IV 25.
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100
Capitel III.
musste die sullanische Eroberung im mithradatischen Kriege
einen bedeutenden Rückschlag bringen, von dem Athen sieb
nie wieder erholt hat.
Attika gehörte also im V. und IV. Jahrhundert zu den am
dichtesten bewohnten Ländern der eivilisirten Welt. Um 500
kommen etwa 60, im Jahre 431 über 90, um 300 gegen 80
Bewohner auf 1 qkm. Keine andere griechische Landschaft
von gleicher Ausdehnung hat diese Volksdichtigkeit erreicht,
ausserhalb Griechenlands nur Aegypten sie übertroffen. Aber
allerdings ist nicht zu vergessen, dass diese starke Bevölkerung
in erster Linie durch die Hauptstadt bedingt ist. Athen war
in der Zeit des peloponnesischen Krieges die grösste hellenische
Stadt1), und ist im IV. Jahrhundert an Volkszahl nur etwa
hinter Syrakus zurückgeblieben. Auch an Ausdehnung des
von den Mauern umschlossenen Raumes steht Athen mit dem
Peiraeeus nur hinter Syrakus und den Grossstädten der helle-
nistischen Zeit zurück. Ueber die Bevölkerung dürfen wir na-
türlich directe Angaben nicht zu finden erwarten 2). Wir hören
aber, dass noch in der perikleischen Zeit der bei weitem grösste
Theil der bürgerlichen Bevölkerung Attikas auf dem Lande
zerstreut lebte, und werden demnach die in der Hauptstadt
und dem Peiraeeus wohnenden Bürger jeden Alters und Ge-
schlechts für das Jahr 432 auf kaum über 30000 Köpfe ver-
anschlagen dürfen. Andererseits waren die Metoeken ohne
Zweifel zum überwiegenden Theile in der Stadt und ihren
Häfen zusammengedrängt, sodass wir für diesen Bestandtheil
der hauptstädtischen Bevölkerung etwa 20 — 25000 Köpfe an-
setzen können. Von der Sklavenbevölkerung Attikas mag dann
') Thuk. IV 95: 7i 6 i. tv Tipiüirjv (v Toi'i 'EkXrftiiv, I 80: iStjprurriu
oy 'tM Saog ovx (v ttXliii kvC yt yoinlm 'ElArjvixüi tanv. Xen. Hell. II 3, 24:
<f»n it io Troluar&QconoTtcTtiv riov 'EIXrivfdoiv r f/v nöltv tlvav.
a) Die Angabe Xenophons (Denktcürd. III 6, 14: i) /uiv nohq (x
Trieiovuir !j uupitor otxiwv awiartixev) ist keineswegs, wie man gemeint
hat, auf die Stadt Athen zu beziehen. Der Sinn ist vielmehr: „der attische
Staat enthält 10 000 Bürgerfamilien“ (W achsmuth, Stadt Athen I 564 A. 2).
Zehntausend Häuser hätten innerhalb der Mauern der Asty und des Pei-
raeeus gar keinen Platz gehabt (s. unten Cap. IX, 2), selbst wenn das ganze
Areal bebaut gewesen wäre, was bekanntlich keineswegs der Fall war.
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Attika.
101
die grössere Hälfte, gegen 60000, in der Hauptstadt gewohnt
haben. Demnach ergiebt sich für Athen und den Peiraeeus
im Jahre 432 eine Bevölkerung von 110 — 115000 Einwohnern,
was natürlich nur eine ganz ungefähre Schätzung ist, aber sich
doch kauin um mehr als etwa um 20—30000 Köpfe von der
Wahrheit entfernen wird '). Während des archidamischen und
namentlich während des dekeleischen Krieges ist dann fast die
gesainmte Bevölkerung Attikas in den Mauern der Hauptstadt
zusammengedrängt gewesen; und es liegt in der Natur der
Sache, dass viele von denen, die der Krieg in die Stadt ge-
trieben, auch nach wiederhergestelltem Frieden dort wohnen
blieben. So wird die Bevölkerung Athens durch den Krieg
nicht in demselben Verhältnisse abgenommen haben, wie die
der ganzen Landschaft, und die Verluste mussten hier rascher
ersetzt werden als dort. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Athen
in Alexanders Zeit die gleiche, oder sogar eine etwas höhere
Zahl von Einwohnern gehabt hat, als unter Perikies; nur
kam jetzt ein verhältnissmässig viel grösserer Theil der
städtischen Bevölkerung auf den Peiraeeus, während das Asty
mehr und mehr verödete2).
Für das attische Landgebiet bleibt also im Jahre 432 eine
Bevölkerung von gegen 120000 Seelen, oder 50 auf 1 qkm,
immer noch eine bedeutende Volksdichtigkeit. Aber die Be-
völkerung war keineswegs gleichmässig über das Gebiet ver-
theilt Werfen wir einen Blick auf eine Karte des alten Attika,
etwa auf Blatt V in Kieperts Neuem Atlns von Hellas, so finden
wir nördlich einer Linie von Eleusis nach Aphidna und Rhamnus
so gut wie gar keine Detuen. Dieses ganze Gebiet, von einer
Ausdehnung von etwa 800 qkm, also ein Drittel von Attika,
kann demnach nur sehr schwach bewohnt gewesen sein; es ist
ein rauhes Gebirgsland, das im Alterthum zum grossen Theile
mit Wald bestanden war. Für den südlichen Haupttheil von
') Wachsmuth, Stadt Athen I 566 rechnet 200000 als Minimum, aber
auf Grund ganz unhaltbarer Prämissen. Vgl. oben S. 76 Anm. 1.
s) Xen. v. d. Kinl\ II 6; vergl. Wachsmuth a. a. 0. S. 608. 648 f.
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102
Capitel III.
Attika ergiebt sich demnach eine Yolksdichtigkeit von 80 — 00
auf 1 qkm, ganz abgesehen von der Hauptstadt Und hier
hatte wieder das Pedion die dichteste Bevölkerung , wie die
Menge von Deinen beweist, die sich hier an einander drängen.
Besser unterrichtet sind wir über die Vertheilung der
bürgerlichen Bevölkerung nach der rechtlichen Zugehörigkeit.
Die kleisthenisehe Verfassung ist auf die Gleichheit der Phylen
lierechnet, und da die Phyleneintheilung eine durchaus künst-
liche war, so lässt sich mit höchster Wahrscheinlichkeit an-
nehmen, dass Kleisthenes gesucht haben wird’ jeder I’hyle, so-
weit es anging, die gleiche Zahl Bürger zuzutheilen *). Nun
bildeten die Phylen bekanntlich keine local geschlossenen
Districte, sondern es waren Deinen aus den verschiedensten
Landestheilen in derselben Phyle vereinigt, es herrschte ferner
die unbeschränkteste Freizügigkeit, woliei aber politisch jeder
Bürger dem Demos zugetheilt blieb, dem er einmal durch seine
Geburt angehörte. Die Ursachen, die eine Steigerung oder eine
Abnahme der bürgerlichen Bevölkerung zur Folge hatten,
mussten also im grossen und ganzen auf alle Phylen gleich-
mässig einwirken, und so das ursprüngliche Verhältniss im
allgemeinen erhalten bleiben. Den besten Beweis dafür giebt
die Thatsache, dass die kleisthenisehe Verfassung durch zwei
Jahrhunderte in Kraft geblieben ist, ehe es nöthig wurde, die
bestehende Phyleneintheilung zu modifieiren. Jede Phyle muss
demnach, von den Kleinchen abgesehen, in der perikleisehen
Zeit gegen 3500, in der demosthenisehen Zeit etwa 2000 Bürger
gezählt haben.
Ein Mittel, die Vertheilung der Bürgerschaft innerhalb der
Phylen auf die einzelnen Deinen zu bestimmen, bieten uns die
Prytanenkataloge. Soweit nämlich aus unserem, freilich noch
sehr lückenhaften Material ein Schluss gestattet ist, war die
Zahl der Rathsherren für jeden einzelnen Demos ein für alle Mal
festgestellt, sodass die Loosung nicht phylenweise, sondern
demenweise geschah, wodurch diese Operation sich natürlich
sehr vereinfachte.
') S. Müller-StrUbing, Arüftophantn S. 014.
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Attika.
103
So ergiebt sich
z. B. für die Buleuten de
r Aegeis folgende
Verkeilung ’) :
CIA. II 872
CIA. II 870
CIA. II 329
aus 341/0
aus der Mitte des
IV. Jahrhunderts
aus der Zeit der Antigonis
uni Demetrius, also zwi-
schen 306 und ca. 230
'Epxie's ....
6
—
10
’yikttlllC . . . .
5
O
fxrtnuig ....
&
—
—
/«pyijiTio« . . .
4
4
—
TflftQttiHOl . . .
4
—
4
KoiXvzets • • •
3
3
4
....
3
4
3
cttiÄft($at ....
3
3
3
llyxiXtj&n1 . . .
2
2
1
llQUiftjnoi . . .
2
2
2
Vwi’/iVcu ....
2
2
1
Kiöttrrlöni . .
2
1
1
ix KoXwcO . .
2
2
1 (2)
Barels
1
2
—
Aiofttuts . . .
1
—
—
’Egtxeiis ....
1
—
2
'Kariateis- • . .
1
—
1
ty JVllQllOlTT >j(
1
—
1
'Orgivtls. . . .
1
—
1
JfXioQets ....
1
—
2
Die kleinen Abweichungen zwischen der ersten und zweiten
Liste fallen kaum ins Gewicht und lassen sich sehr leicht durch
die Annahme erklären, dass aus einigen Deinen nicht die ge-
nügende Zahl qualificirter Bewerber sich meldete, und Bürger
anderer Deinen dafür eintreten mussten. Jedenfalls aber kann
die, mit Ausnahme von 3 Fällen, absolute Uebereinstimmung
der beiden Listen nicht dem Zufall des Looses zugeschrieben
werden. Die Abweichungen der dritten Liste dagegen sind
ganz in der Ordnung, da mit der Vermehrung der Rathsherrn-
stellen von 500 auf 600 im Jahre 307'6 auch eine neue Ver-
keilung auf die einzelnen Demen nothwendig werden musste.
’) Hauvette-Besnault, Bull, de Corresp. Hell. IV (1881) S. 367 ; Koehler,
Mittheil. 188.5 S. 106.
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104
Capitel III.
Gargettos war in die Antigonis versetzt, Ikaria, Bäte, Diouieia
werden entweder zur Antigonis oder zur Deinetrias gehört
haben. Wir sehen, dass namentlich die grösseren Deinen bei
der Vermehrung der Stellen bedacht worden sind.
Eine Bestätigung des so gewonnenen Resultats geben drei,
leider zum Theil sehr verstümmelte Listen der Pandionis aus
dem IV. Jahrhundert.
CIA. II 871 CIA. II 867 CIA. II 873
aus 348/7
Ilttiavieis x<t9ine(>!li .... 1 1
Haiavieis vnh’iQ&t — 11 10
Kov&vMdtxi — 1 1
’Sliuijt, 'Oattfv — 4 3
Wobei aber zu beachten ist, dass die dritte Liste in einer
ganz ungenügenden Abschrift vorliegt, und also Namen aus-
gelassen sein können, auch die Zahl der unlesbaren Zeilen
nicht angegeben ist.
Ausserdem besitzen wir vollständige Prytanenverzeichnisse
noch für die Leontis (CIA . II 864) *), die Oeneis (CIA. II 868)
und die Autiochis (CIA. II 869), sämmtlich aus dem vierten
Jahrhundert. Die Prytanenkataloge aus der Kaiserzeit dürfen
wir nicht heranziehen, mussten doch nach drei Jahrhunderten
voll politischer Umwälzungen die Bevölkerungsverhältnisse von
Attika sich völlig verändert haben.
Bei einer Bürgerzahl von 35000, wie sie vor Anfang des
peloponnesischen Krieges vorhanden war, kommen nun auf
jeden Buleuten im Durchschnitt 70 Bürger. Mit Zugrunde-
legung dieses Verhältnisses wird es möglich sein, die ungefähre
Bttrgerzahl jedes Demos zu ermitteln, für den die Zahl der
Rathsmitglieder iil>erliefert ist. Wir erhalten folgende Er-
gebnisse :
*) Eine zweite, leider stark verstümmelte l’rytanenliste der Leontis
ist kürzlich entdeckt worden. Sie stimmt in der Vertheilung der Buleuten
auf die einzelnen Deinen durchaus mit der früher bekannten Liste überein.
(Koehler, Mittheil. 1885 S. 106.)
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Attika.
105
Deinen
Buleuten
Bürgerzahl
Achamae (Oeneis) ....
. . 22
1540
Paeania (Pandionis) . . .
. . 12
840
Alopeke (Antiochis) . . .
. . 10
700
Anaphlystos (Antiochis) .
. . 10
700
I’hrearrhioi (Leontis) . .
. . 9
630
Thria (Oeneis)
. . 7
490
Pallene (Antiochis) . . .
. . 7
490
Aegilia (Antiochis) . . .
. . 6
420
Ercbia (Aegeis)
. . ß
420
Oe (Oeneis)
. . 6
420
Potamos (Leontis) ....
. . 6
420
Halae (Aegeis)
. . 5
350
Ikaria (Aegeis)
. . 5
350
Myrrhinus (Pandionis) . .
. . 5
350
Gargettos (Aegeis) ....
. . 4
280
Phegaea (Aegeis) ....
4(3)
280 (210)
Sunion (Leontis)
. . 4
280
Teithrasia (Aegeis) . . .
. . 4
280
Th trae (Antiochis) . . .
. . 4
280
Je drei Rathsmänner — also ca. 200 Bürger — halten
die Deinen Kollytos und Philaldae der Aegeis; Halünus, Kettos,
Leukonoe, I'aeonidae, Skamltonidae der Leontis; Angele und
Steiria der Pandionis; Perithoedae der Oeneis; Atene der An-
tiochis. Alle übrigen haben nur je 1 oder 2 Rathsmänner,
ihre Bürgerzahl kann also 100 kaum überstiegen haben. Doch
bezieht sich die obige Uebersicht nur auf die Hälfte von Attika;
für die fünf Phylen Erechtheis, Akamantis, Kekropis, Hippo-
thontis, Aeantis und einige Gemeinden der Pandionis, wie na-
mentlich Kydathenaeon fehlt es bis jetzt an sicheren Anhalts-
punkten zur Berechnung der Bürgerzahl der einzelnen Deinen.
Wie Achamae mit 1540 Bürgern an der Spitze unserer
Liste steht und alle übrigen Deinen weit hinter sich lässt, so
wird es auch bei Thukydides als die grösste der attischen
Landgemeinden bezeichnet1). Freilich ist die Angabe, der Ort
*) Thuk. II 19: %w()or [x(yi<nov rfj( sttTixrjs iiöv ärj/jaiv xalov-
p ( viur .
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106
Capitel III.
habe 3000 Hopliten gestellt1), offenbar übertrieben, mag nun
die Schuld Thukydides treffen oder seine Abschreiber. Denn
ganz Attika stellte im Jahre 431 nicht mehr als 16000 Bürger-
Hopliten, die I’hvle Oeneis also, zu der Achamae gehörte,
kann kaum mehr als 2000 gezählt haben. Aber aus dem Pry-
tanenkatalog geht doch unwiderleglich hervor, dass der Vor-
schlag Müller- Strübings *), bei Thukydides 300 statt 3000 zu
lesen, ganz unhaltbar ist. Das folgt auch, abgesehen von allein
anderen, schon daraus, dass 300 Hopliten keineswegs als „ein
grosser Theil“ der attischen Wehrkraft bezeichnet werden
können8).
Sonst haben wir eine bestimmte Angabe über die Bürger-
zahl nur noch von Halimus, und zwar aus der Mitte des IV.
Jahrhunderts. 1 lieser Demos muss damals etwa 80 - 90 Bürger
gezählt haben4). Da ganz Attika in dieser Zeit etwa 20000
Bürger hatte, so kam ein Rathsherr im Durchschnitt auf 40,
und Halimus hätte mit 2 Stimmen im Rathe vertreten sein
müssen. Statt dessen finden wir 3 Halimusier als Buleuten;
da aber selbstredend die Vertretung der Wähler in einer par-
lamentarischen Körperschaft nie ganz genau dem wirklichen
Zahlenverhältniss entsprechen kann, so ist auch diese Angabe,
weit entfernt unser obiges Resultat zu entkräften, vielmehr für
dasselbe eine neue Bestätigung.
') Thilk. II 20: oi Ayaiirgt u(yn ftfgof ovrfs r ijf nöXfto f roiayiXmi
jnp on Xitttt fytrovTO.
*) Aristophanes S. 639 — 659.
3) Gilbert, Beitrüge S. 110 A., unter Zustimmung von Volquardsen
in Bursians Jahresberielit 1879 III S. 53. Duncker, Gesell, d. AUerth. IX
S. 429 A. bezieht die 3000 Hopliten auf die ganze Phyle Oeneis. Ich habe
früher auch an diese Auskunft gedacht, glaube aber nicht, dass sie gegen-
über dem klaren Wortlaut des Thukydides haltbar ist. Ganz abgesehen
davon, dass auch die ganze Oeneis schwerlich 3000 Hopliten gestellt haben
kann, oder doch nur einschliesslich der Kleruchen.
0 Dem. g. Eubulides 9 S. 1301. 10 S. 1302, 15 S. 1303, 57 S. 1306.
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Anhang zu S. 68.
107
Anhang (zu S. 68).
In der Rede für Polystratos — ob sie von Lysias ist oder
nicht, ist hier für uns gleichgültig, jedenfalls ist sie eine wirklich
gehaltene Gerichtsrede — heisst es § 13: ni?jg d’ av yevoizo
dr;pozi*.i!rzeQog, ij baue ipiuv xfzrtfioapivtov 7C£vzay.iaytXUng
naQtiöoivai tu nqäypaza xazaXoyevg üv iwaAiayiXtovg xaif-
Xe^ev, i’va prjdeig aizijj diäzpoqog etij rcüv drjpoziuv. Polvstratos
war unter der Regierung der Vierhundert zum y.azaXoyevg er-
nannt worden. Aber die gewöhnliche Auffassung, wonach er
sein Bürgorverzeichniss noch unter den Vierhundert entworfen
haben soll, scheint mir nicht haltbar. Die 400 sind überhaupt
nicht dazu gekommen — mit Absicht nicht — den Katalog
der 5000 festzustellen (Thuk. VIII 92), und erst in der höchsten
Noth, nach dem Aufstande der Hopliten unter Aristokrates und
Theramenes versprechen sie zoig nevzavuayiXiovg anocpaiveiv,
unmittelbar darauf erfolgt die Schlacht bei Eretria und der Sturz
der Oligarchie, und zwar betrug den Zwischenraum zwischen
der Wahl der v.azaXoye'ig und der Abfahrt der Flotte nach
Eretria, wie wir aus unserer Rede ersehen, 8 Tage (§ 14).
Dass es in so kurzer Zeit materiell unmöglich ist, ein Ver-
zeichniss dieser Art zu Stande zu bringen, bedarf keines Be-
weises; schon unter normalen Verhältnissen, wie viel mehr
damals mitten in der Revolution und dem Kriege. Und ganz
ebenso undenkbar ist es, dass, solange die Oligarchie bestand,
die mit der Redaction der Bürgerliste betrauten Beamten die
Zahl von 5000 eigenmächtig um fast das Doppelte sollten über-
schritten haben. Das war erst möglich, als auf Theramenes'
Antrag der Beschluss gefasst wurde: zoig zzevza/uayXioig za
jTQuypaza nuQuöovvai' elvcu de aizwv bnoooi v.ai bjtXa naq-
iyovzai (Thuk. VIII 97). Dieser selbe Ausdruck: vpwv xprr
eptoapevtov jruzcr/.iayiXiotg n agadovvat za zrgaypaza findet
sich nun auch in unserer Rede (§ 13); offenbar also handelt
es sich hier um um denselben Vorgang, oder es liegt doch
wenigstens kein Grund vor zu bezweifeln, dass der nach dem
Sturz der 400 gefasste Volksbeschluss gemeint sein kann. Dann
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108
Capitel III.
wären die in den letzten Tagen der Oligarchie gewählten xa-
raA.oy«<g auch nach der Herstellung der Demokratie im Amte
geblieben, gerade so wie ja auch die Strategen, soweit sie nicht
besonders schwer bei der Oligarchie comproinittirt waren.
Der Sprecher der Rede stellt die Sache freilich so dar, als
ob Polvstratos auf eigene Initiative und auf eigene Verantwort-
lichkeit statt 5000 Bürger 9000 auf die Liste gesetzt hätte.
Aber dass hier im Interesse des Angeklagten die Thatsachen
gefärbt sind, geht schon daraus hervor, dass Polystratos ja
keineswegs allein die Liste entworfen hat, sondern, da er nur
von seiner eigenen Phyle gewählt war, mindestens noch 9 Col-
legen l>ei diesem Geschäfte hatte.
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Viertes Capitel.
Der Peloponnes.
1. Arealbestimmnng.
Das Areal des Peloponnes ist zuerst von Clinton bestimmt
worden '). Eine Berechnung auf Grund der Karte von Arrow-
smith ergab ihm folgende Zahlen8):
Engl. Q.-M.
qkm
Achaia
. . . . 651
1686,09
Elis und Triphylien . . .
... 930
2408,70
Arkadien
. . . 1701
4405,59
Korinthia
... 248
642,32
Argeia
... 524
1857,16
Kynnria
... 60
155,40
die argeiische Akte . . .
... 475
1230,25
Sikyon und Phleius . . .
... 132
341,88
Lakonien
. . . 1896
4910,64
Messenien
. . . . 1172
3009,58
7779 20 147,61
Welche Grenzen zwischen den einzelnen Landschaften an-
genommen sind , und auf welche Periode der griechischen Ge-
schichte sich diese Zahlen beziehen, erfahren wir nicht. Ueber-
haupt musste bei dem damaligen Zustande des kartographischen
') Fasti ffelknici II2 385, vgl. S. 421 Anm. t und S. 426 Anm. b.
s) Outline« of Greece and the adjacent countries. Maassstab und
•Jahreszahl giebt Clinton nicht an. Bei der Reduction auf qkm ist die
engl. Quadratmeile zu 2,59 qkm angenommen, statt des genauen Verhält-
nisses 1 : 2,58989454 (Belim und Wagner, Die Bevölkerung der Erde I 6).
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110
Capitel IV.
Materials das Resultat einer solchen Berechnung uothwendig
höchst unvollkommen ausfallen; wir werden unten sehen, dass
Clinton den Peloponnes um mehr als 1500 qkm zu klein an-
genommen hat.
Erst die topographischen Aufnahmen der Franzosen in den
Jahren 1829—1831 machten eine exactere Arealbestimmung
möglich. Auf Grund dieser Arbeiten veröffentlichte Puillon-
Boblaye 1836 eine neue Berechnung des Flächenraumes der Halb-
insel und ihrer einzelnen Landschaften1). Danach entfallen auf:
Geogr. Q.-M.
qkm
Arkadien . . .
.... 93,50
5148
Achaia
.... 37,75
2078
.... 46,00
2532
Messenien . . .
.... 48,50
2670
Lakonien . . .
.... 86,50
4762
Argolis ....
.... 61,25
3372
Phleiasia . . .
.... 2,50
137
Sikyonia ....
.... 4,25
234
Korinthia . . .
.... 12,00
660
892,25
21593
Nur der Vollständigkeit wegen mögen noch die Zahlen
Moreau de Jonnfes1 hier eine Stelle finden*). Er erhält für
qkm
Argolia 2000
Achaia und Koriuthia 4060
Elia 3000
Lakonien 4050
Messenien 3960
Arkadien 5000
22070
') Rechnches göographiqttes sur les ruines de Ja Moree S. 10. Ich
entnehme die Zahlen aus Curtius, Peloponnesos I 148, da mir das Werk
von Puillon-Boblaye hier nicht zugänglich ist. Dabei war ich gezwungen,
die geogr. Quadratmeilen wieder in qkm umzurechnen, was im einzelnen
kleine Ungenauigkeiten zur Folge gehabt haben wird. Auch fehlt leider
bei Curtius jede Angabe über die zu Grunde liegenden Landschaftsgrenzen,
je selbst darüber, ob die Küsteninseln eingerechnet sind oder nicht.
*) Statistique des peuples de V Aniiquiti (Paris 1851) I 171.
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Der Peloponnes.
111
Ueber die Herkunft dieser Zahlen hat der Verfasser es nicht
für nöthig gehalten, uns aufzuklären.
Eine neue und, soweit es das vorhandene Karteumaterial
gestattet, exacte Arealberechnung des Peloponnes verdanken
wir jetzt dem russischen General Strelbitzky *). Allerdings legt
Strelbitzky die moderne administrative Eintheilung zu Grunde;
indess die Grenze der heutigen Nomarchie Argolis und Kc-
rinthia gegen die Nomarchie Attika und Boeotien entspricht fast
genau der alten Grenze zwischen Korinth und Megara, wie sie
in Kieperts Atlas von Hellas verzeichnet ist; die geringe Dif-
ferenz kann um so eher vernachlässigt werden, als der genaue
Lauf der alteu Grenze der Natur der Sache nach hypothetisch
bleiben muss.
Der Flächeninhalt des Peloponnes beträgt danach 22201,1
qkm, wovon 21687 qkm auf das Festland, 514,1 qkm auf die
Küsteninseln entfallen. Rechnen wir die Inseln Aegina und
Kekryphaleia , die jetzt zur Nomarchie Attika gehören, mit
zusammen 99,1 qkm hinzu, so erhalten wir im ganzen für den
Peloponnes 22300,2 qkm, wovon 613,2 auf die Inseln kommen.
Wie aber vertheilt sich dieser Flächenraum auf die ein-
zelnen Landschaften? Zur Beantwortung dieser Frage habe
ich mit Zugrundelegung einerseits der Strelbitzkyschen Zahlen
für die einzelnen Nomarchien, andererseits der alten Land-
schaftsgrenzen, wie sie auf Bl. IV von Kieperts Neuem Atlas
von Hellas (Berlin 1879) verzeichnet sind, durch planimetrische
Messung bestimmt, in welcher Weise das festländische Gebiet
jeder einzelnen Nomarchie sich auf die entsprechenden antiken
Landschaften vertheilt. Das Ergebniss ist folgendes:
1. Nomarchie Argolis und Korinthia, 4792,9 qkm.
qkm
zu Argolis 3940
zu Acliaia 320
zu Arkadien -WO
4790
') Super feie de TEurope, etablie par J. Strelbitzky. Publication du
Comite Central Busse de Statistique, St. Petersbourg 1883. Die Berech-
nung ist ausgeführt auf Grund der Carte de la Crece, redigee et gravie au
depöt de la guerre, 1 : 200000, Paris 1853.
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112
Capitel IV.
2. Nomarchie Achaia und Elis, 5074,8 qkm.
qkm
zu Achaia 2015
zu Elia 2120
zu Arkadien 940
5075
8. Nomarchie Arkadien, 4301 qkm.
qkm
zu Arkadien 2920
zu Lakonien 1320
zu Messenien 60
4300
4. Nomarchie Lakonien, 4218,2 qkm.
qkm
zu Lakonien 4170
zu Messenien ') 50
4220
5. Nomarchie Messenien, 3300,1 qkm.
qkm
zu Messenien 2450
zu Elis (Triphylien) 540
zu Arkadien 310
3300
Es entfallen also auf
nach
nach
meiner Berechnung
Puillon-Boblaye
qkm
qkm
Argolis s)
3940
4403
Achaia
2335
2078
Elis
2660
2582
Arkadien
4700
5148
Lakonien (einschl. der Kynuria)8) . 5190
4762
Messenien
2860
2670
21685
21593
’) Die Grenze bei Gerenia angenommen. Setzen wir die Grenze bei
Thalamae an, so würde sich Messenien um 300 qkm vergrössem.
2) Die Differenz zwischen meinen Zahlen und denen Puillon-Boblayes
beruht offenbar hauptsächlich darauf, dass letzterer die Kynuria zu Argolis
rechnet. Argolis und Lakonien zusammen haben nach I’uillon-Boblaye
einen Flächenraum von 9165, nach meiner Berechnung von 9130 qkm.
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Der Peloponnes.
113
Da das alte Arkadien heute unter vier Nomarchien ver-
theilt ist, und demgemäss fast alle Fehler, die bei dieser Be-
rechnung etwa begangen sein können, das Resultat hier beein-
flussen, war es wünschens werth , zur Controle den Flächen-
raum Arkadiens noch auf einem anderen Wege zu bestimmen.
Das Gradtrapez zwischen 19u 30' — 20° 10' östlicher Länge
von Paris und 37° 20' — 38° nördlicher Breite schliesst das
alte Arkadien fast vollständig ein. Der Flächeninhalt dieses
Trapezes beträgt nach den Wagnerschen Zonentafeln 4351,2
qkm *). Messen wir nun auf Bl. IV von Kieperts Neuem Attas
von Hellas mit dem Planimeter die Ausdehnung der in das
Trapez einspringenden fremden Gebietstheile und andererseits
die ausserhalb des Trapezes gelegenen Stücke Arkadiens, so
bleibt für letztere ein Uebersehuss von 340 qkm ; das Gesammt-
areal von Arkadien betrüge demnach 4090 qkm, was mit un-
serer obigen Berechnung fast genau übereinstimmt. Das ist
jedenfalls ein Beweis dafür, dass diese Berechnung im allge-
meinen exact ist. Eine absolute Genauigkeit ist bei der Un-
sicherheit über den Lauf der alten Grenzen und dem jetzigen
Stand unserer kartographischen Kenntniss überhaupt nicht er-
reichbar.
Die Inseln an den Küsten des Peloponnes haben nach
Strelbitzky folgenden Flächenraum :
1. An der Küste von Argolis:
qkm
Plateia 2,3
Ephyra (?) (Hypsili) 3,4
Hydrea 55,8
Aperopia (Dolos) 12,5
Pityussa (Spetsa, Petra) 23,0
Kalaureia (Poros) 31,3
Aegina 85,4
Kekryphaleia (Angistri) 13,7
Andere kleinere Inseln 18,2
245,6
’) ln Uehms Geogr. Jahrbuch 111 S. XXXVIII, auf Minutendekaden
erweitert von Steinhäuser, Zeit sehr. f. tcissensch. Geogr. V S. 137.
Beloc b, BeTölkerungslehre. I. 8
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114
Capitel IV.
2. An der Küste von Lakonien:
qkm
Kythera 284,6
Ogylos (Cerigotto) 19,8
Onugnathos (Elaphonisi) 18,8
Btlopulo oder Kainieni 2,2
Kleiue Ktisteninseln 1,3
826.2
3. An der Küste von Messenien:
f ( Cabrera oder Schüa) . .
Oenussae { /0 . .
t (Saptenza)
Tlieganussa (Vevetikon)
Sphakteria ( Sphagia )
Prote ( Prodatwn )
Kleinere Inseln
qkm
15.9
11.9
1,7
4,6
5,9
1,5
41,5
Mit Einreclinung dieser Inseln ergiebt sich als Flächen-
inhalt von
qkm
Argolis 4185,6
Lakonien 5516,2
Messenien 2901,5
Es ist schliesslich von Wichtigkeit, bei den Landschaften,
die in der Blüthezeit Griechenlands keine politische Einheit
gebildet haben, die Yertheilung des Flächenraums auf die ein-
zelnen Stadtgebiete zu kennen. Der planiinetrischen Berech-
nung ist gleichfalls Blatt IV von Kieperts Atlas von Hellas zu
Grunde gelegt ; doch kann bei der Unsicherheit der Grenzlinien
und der Kleinheit der Gebiete, um die es sich handelt , hier
selbstverständlich nicht der gleiche Grad von Genauigkeit er-
reicht werden, wie bei der Arealbestinunung der ganzen Land-
schaften. Indess compensiren sich wenigstens die begangenen
Fehler unter einander.
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Der Peloponnes.
115
Wir beginnen auch hier mit Argolis. Es entfallen auf
die Gebiete von
Sikyon
Plileius
Korinth
Argos mit Kleonae . .
Epidauros
Troezen mit Kalaureia
Hermione mit Halieis .
Aegina
qkui
360
180
880
1405
545
340
375
100
4185
Die arkadischen Stadtgebiete
dehnung :
Megalopolis . . . .
Mantineia
Tegea
Orchomenos . . . .
Kapkyae
Stymphalos mit Alea
Pheneos
Kynaetha
Kleitor
Psophis
Tlielpusa
Heraea
Pliigaleia
haben etwa folgende Aus-
qkm
1520
275
370
190
135
295
325
125
545
270
810
250
90
4700
Von den 2660 qkm des Flächenraums von Eleia kommen auf
qkm
Koele Elis 1160
Akroreia 405
Pisatis 555
Triphylia 540
Die Strandlagunen bedecken davon 58,3 qkm (nach Strel-
bitzky), nämlich die von
qkm
Myrtuntion ( Kotiki ) 8,4
Letrinoi ( Muria ) 6)3
Agulonitza in Triphylia 32,8
die kleineren Lagunen 10,8
8*
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116
Capitel IV.
2. Argolis.
Die hervorragende Bedeutung, die Argolis in der ältesten
Periode der griechischen Geschichte gehabt hat, lässt darauf
schliessen, dass hier schon früh eine verbältnissmässig dichte
Bevölkerung sich ansammelte. Nach dem homerischen Schiffs-
katalog stellte diese Landschaft, allerdings einschliesslich von
Aegialos, dem späteren Achaia, gegen Troia 180 Schiffe, gegen-
über 240 aus allen übrigen Theilen des Peloponnes. Grössere
städtische Mittelpunkte haben sich hier früher entwickelt als
in irgend einer anderen griechischen Landschaft. Schon die
Sage feiert Argos, Tiryns, das „goldreiche Mykene“, Ephyre.
Und Argos, Korinth, Sikyon, Aegina haben bis in die römische
Zeit hinein zu den ansehnlichsten Städten des europäischen
Griechenland gehört; nirgends sonst drängten sich die Gross-
städte in dieser Weise.
Argos selbst gebührt hier der erste Platz. In älterer
Zeit unbestritten die Hauptstadt Griechenlands, hat es auch
im V. Jahrhundert vermocht, mit Sparta um die Hegemonie
der Halbinsel zu rivalisiren, eine Stellung, die jedenfalls auf
eine ansehnliche Bürgerzahl schliessen lässt. So rechnet Iso-
krates Argos neben Athen, Sparta, Theben zu den vier be-
deutendsten Städten Griechenlands1). Lysias setzt um das
Jahr 400 die Argeier den Athenern an Zahl ungefähr gleich*),
was für Argos etwa 20000 Bürger ergeben würde. Dem ent-
sprechend sollen nach Xenophon 394 in der Schlacht bei Ko-
rinth 7000 argeiisehe Hopliten gekämpft haben8), worunter
ohne Zweifel die Contingente der mit Argos eng verbundenen
Städte Kleonae und Orneae eingerechnet sind 4). Da nun Argos
in dieser Zeit noch keine Reiterei besass, so haben wir offen-
') Isokr. Punegyr. 64: tiüv ulf yttQ 'Elhr^vläuir nolfoiv /<up)f ijjf
’lAQyot; xni Brjßcu xni AnxtSnlynav xni töx ' (iu der Heroenzeit)
ijanv [iiyunat, xni yOv tu diaitXoCmv.
s) Lys. 34 (v. d. Verf.) 7 : oüiir tjuwr nltlovs-
») Xen. Hell IV 2, 17.
*) Vgl. Thuk. V 74.
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Der Peloponnes.
117
bar in diesen 7000 Mann die Gesammtbeit der zum Hopliten-
dienst qualificirten, im felddienstpflichtigen Alter, also zwischen
20 und 50 Jahren stehenden Bürger des Staates zu erkennen;
Argos musste demnach etwa 10000 wohlhabende Bürger ge-
zählt haben, so dass wir einschliesslich der ärmeren Klassen
auch hier auf eine Gesammtzahl von gegen 20000 gefühlt
werden. Und viel unter diese Zahl werden wir in keinem
Falle herabgehen dürfen1). Schon in dem Kriege gegen Kleo-
menes I. soll Argos 6000 Bürger verloren haben, trotzdem da-
mals Mykene und Tiryns noch unabhängig waren: ein Verlust,
der den Staat freilich an den Rand des Untergangs brachte2).
Nach Tanagra schickten die Argeier den Athenern 1000 Ho-
pliten zu Hülfe3), nach Sicilien 500*), nach Ionien 412 1000 Ho-
pliten und 500 Mann leichter Truppen6). Um dieselbe Zeit unter-
hielt der Staat ein Elitecorps von 1000 Hopliten6). Bei dem
furchtbaren Aufstande von 370, dem sogenannten Skytalismos,
sollen 1200 wohlhabende Bürger erschlagen worden sein7).
Den Arkadern sandte Argos 364 2000 Hopliten nach Olympia
zu Hülfe8); Artaxerxes auf seinem Zuge gegen Aegypten ein
Corps von 3000 Mann9). Noch unter den Gliedern des achaei-
schen Bundes war Argos neben Megalopolis der bedeutendste
Staat; beide stellten je 500 Mann zu Fuss und 50 Reiter zu
dem ausgewählten Corps von 3300 Mann, das im Jahre 217
auf Aratos’ Betrieb aufgestellt wurde 10) : also je Ve des ganzen
Bundesheeres. FJne Seemacht dagegen hat Argos niemals
besessen.
*) Vgl. Thuk. V 68 über die angebliche Stärke der Argeier in der
Schlacht bei Mantineia 418.
2) Herod. VII 148 f.; Plut. Moral S. 245 D— F giebt 7777 Erschlagene.
3) Thuk. I 107.
*) Thuk. VI 43.
») Thuk. VIII 25.
•) Thuk. V 67.
’) Diod. XV 58.
8) Xen. Hell. VII 4, 29.
*) Diod. XVI 44.
10) Polyb. V 91, 7; vgl. Polyb. XXX 15, 1: rö ßtlno; r rji \4oydoir
nöXfio! (bei Suidas u. ßuQO().
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118
Capitel IV.
Tiryns und Mykene, die Nachbarstädte von Argos,
haben nach Herodots Schätzung zur Schlacht hei Plataeae zu-
sammen 400 Hopliten gestellt1), sie können also nur unbedeu-
tend gewesen sein. Die Kleinheit von Mykene hebt auch
Thukydides hervor2). Wie bekannt, wurden beide Städte bald
nach den Perserkriegen von den Argeiern zerstört und ihre
Gebiete mit dem von Argos vereinigt.
Phi ei us wird um die Zeit des Antalkidasfriedens als
„Stadt von mehr als 5000 Bürgern“ bezeichnet8), eine Angabe,
die allerdings nicht auf Zählung, sondern nur auf ungefährer
Schätzung beruht und wohl etwas übertrieben sein wird. Nach
Herodot hätte die Stadt bei den Thermopylen 200, bei Plataeae
1000 Hopliten gestellt4); bei Brasidas' Heer 424 befanden sich
400 phleiasische Hopliten5). Im Jahre 369 unterhielt die Stadt
60 Reiter6). Mehr als 1000 phleiasische Verbannte zogen 380
mit Agesilaos gegen ihre Vaterstadt7). Wenige Jahre später,
nach der Schlacht bei Leuktra, sollen 300 Bürger in einem
Kampfe gegen die Verbannten gefallen sein, und darauf diese
letzteren in einem zweiten Gefechte 600 Mann verloren haben ;
die übrigen Verbannten — es müssen also im ganzen auch
jetzt gegen 1000 gewesen sein — flohen nach Argos8).
Bedeutender als Phleius war das benachbarte Sikyou.
Herodot veranschlagt das Contingent der Stadt bei Plataeae auf
3000 Hopliten, während bei Artemision 12, bei Salamis 15 si-
kyonische Trieren gekämpft hätten 9). Diese Angaben sind nun
allerdings zweifellos übertrieben. 25 Jahre nach Plataeae ver-
0 Herod. IX 28.
*) Thuk. I 10.
*) Xen. Hell. V 3, 16: ü; oilytov ivtxa avftpüjTTaiy 716X11 ttneyjhi-
votvro nXior ntviaxtayiXimv ärdpoiv xa) yap <f r) onw; 10C1' evdt] l.ov
etri, ol ‘PlHaotot iv T([i ifarfQt[i toi; t£a> HcxxXriatnCor.
*) Herod. VII 202, IX 28.
») Thuk. IV 70.
«) Xen. Hell. VII 2, 4.
’) Xen. HtU. V 3, 17.
8) Diod. XV 40, der diese Ereignisse irrthümlicher Weise schon vor
der Schlacht bei Leuktra erzählt. Vgl. auch Diod. XIV 91.
») Herod. IX 28, VIII 1. 43.
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Der Peloponnes.
119
mochte Perikies mit 1000 attischen Hopliten das ganze Auf-
gebot Sikyons vor den Thoren der Stadt in die Flucht zu trei-
ben1), und in der Schlacht am Nemeabach 394, die ebenfalls
in unmittelbarer Nähe der Stadt geschlagen wurde, fochten
nicht mehr als 1500 Hopliten ausSikyon2). Zu Brasidas’ Heer
stellte Sikyou im Jahre 424 600 Hopliten, neben 400 aus
Phleius und 2700 aus Korinth3); zehn Jahre später finden wir
ein Corps von 200 sikyonischen Hopliten in Sicilien *). In einer
Schlacht gegen Iphikrates im korinthischen Kriege sollen 500
Sikyonier gefallen sein3). Aratos führte 251 580 sikyonische
Verbannte in die Heimath zurück; bei dieser Gelegenheit wird
Sikyon als bedeutende Stadt bezeichnet, im Gegensatz zu den
Kleinstädten in Aehaia6). Nach alle dem werden wir die
Bttrgerzahl der Stadt ums Jahr 400 auf nicht unter 5 — 6000
veranschlagen dürfen.
Grösser war Korinth os, schon seit der Heroenzeit einer
der hervorragendsten Mittelpunkte des Handels und Gewerb-
fleisses in Griechenland. Das korinthische Contingent bei Pla-
taeae giebt Herodot, wahrscheinlich übertrieben (oben S. 8 f.), zu
5000 Hopliten an, bei Artemision und Salamis zu 40 Trieren ’) :
eine Leistung, die von keinem anderen Staate ausser Sparta
und Athen übertroffen oder erreicht wurde. Gegen Korkyra
435 stellte Korinth 3000 Hopliten auf, ausserdem 30 Trieren8).
Die korinthische Flotte galt damals neben der attischen und
korkyraeischen für die erste in Griechenland9); Korinth ver-
mochte es, allerdings nur mit grosser Anstrengung, 433 gegen
') Thuk. I 111; Diod. XI 88: fm{fi9brrwv <!' In' alibv r<Ji 2li-
xvioviiov TifO'dijiJfi, Jf fei ycrofitvr,;, b ITeoixXrji rixr/atis .... xarf-
xluaiv «vtovs tl( nohooxlav.
0 Xen. Hell IV 2, 16.
s) Thuk. IV 70.
«) Thuk. VII 19.
*) Diod. XIV 91.
®) Plut Aratos 9.
0 Herod. IX 28, VIII 1. 43.
*) Thuk. I 27.
®) Thuk. I 36.
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120
Capitel IV.
Korkyra 90 Trieren in See gehen zu lassen1). Nach Potidaea
sandte Korinth im folgenden Jahre 1600 Hopliten und 400
Mann Leichtbewaffnete, es waren aber zum grössten Theile
Söldner®). Bei der Landung des Nikias in» Herbst 425 kann
es die eine Hälfte des korinthischen Aufgebots mit dem athe-
nischen Heere von über 2000 Hopliten und 200 Reitern auf-
nehmen, und wird erst nach längerem Kampfe mit einem Ver-
lust von 212 Mann geworfen. Dabei standen 500 Mann ko-
rinthischer Besatzungstruppen in Leukas und Ainbrakia; die
Mannschaft aus den Districten jenseits des Isthmos war nicht
aufgeboten und die älteren Jahrgänge der Bürgerschaft waren
zum Schutze der Stadt zurückgeblieben8). Demnach würde
die junge Mannschaft der Korinthier in dieser Zeit auf etwa
3 — 4000 Hopliten zu veranschlagen sein; Reiter unterhielt
Korinth damals noch nicht4). Zu Brasidas’ Heere stellte Ko-
rinth im folgenden Jahre 2700 Hopliten5); da es sich um
einen Feldzug in nächster Nähe der Stadt handelte, so wird
Korinth wahrscheinlich die ganze Macht aufgeboten haben, die
nach Abzug der Besatzungen in Leukas und Ambrakia noch
verfügbar war. Bei dem peloponnesischen Aufgebot gegen
Argos 418 finden wir 2000 korinthische Schwerbewaffnete®),
wie es scheint ®/s der Gesammtstärke , da auch Boeotien ® 3
seiner Macht zu diesem Heere gestellt hat. Und mit 3000
Hopliten erscheinen die Korinthier auch 394 in der Schlacht
am Nemeabaeh 7), wo sie doch sicher alle verfügbaren Truppen
aufgeboten haben. Bei den Unruhen im folgenden Winter wurden
120 Bürger der lakonischen Partei erschlagen, 500 verbannt8).
Uebrigens ist klar, dass die Bürgerzahl Korinths die von
Argos bei weitem nicht erreichen konnte; wie hätte Argos
J) Thuk. I 46.
s) Thuk. I 60.
8) Thuk. IV 42—44.
*) Thuk. IV 44.
6) Thuk. IV 70.
«) Thuk. V 57.
1) Xen. Hell. IV 2, 17.
») Diod. XIV 86.
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Der Peloponnes.
121
sonst daran denken können, sich die Nachbarstadt einzuver-
leiben? So standen am Nemeabach neben 7000 argeiischen
nur 3000 korinthische Hopliten. Korinth mag also in der Zeit
des peloponnesischen Krieges nahe an 5000 Bürger von Hc-
plitencensus, und im ganzen 10000, höchstens 12000 Bürger
gezählt haben.
Die langwierige attische Blokade im peloponnesischen
Kriege, die den Seehandel der Stadt so gut wie ganz lahm
legte, und noch mehr die Verheerungen des sog. korinthischen
Krieges, während dessen die Koriuthia durch 8 Jahre den
Kriegsschauplatz bildete und die Stadt durch blutige Revolutions-
kämpfe erschüttert wurde, haben dem Wohlstand Korinths tiefe
Wunden geschlagen. Athen mit seinem mächtig aufblühenden
Emporium, später Rhodos und Alexandreia wurden immer un-
bequemere Concurrenten in Handel und Industrie. Aber trotz-
dem blieb Korinth bis zu seiner Zerstörung eine der grössten
und blühendsten Städte in Griechenland1). Die Wehrkraft
freilich gerieth seit dem Verlust der Selbständigkeit in tiefen
Verfall. Schon während der ersten Hälfte des IV. Jahrhun-
derts war die korinthische Seemacht bei weitem nicht mehr,
was sie im V. Jahrhundert gewesen war; seit Chaeroneia und
dem Verlust der Colonien im Westen ist überhaupt keine Rede
mehr von korinthischen Kriegsschiffen. Was die Landmacht
angeht, so waren um die Zeit der Schlacht bei Kynoskephalae
kaum 1000 Mann aus der Bürgerschaft für den Felddienst
verfügbar 2).
Die Städte der argoli sehen Akte: Epidauros, Troezeu,
Hermione, Halieis, Methana, Kalaureia, waren zum Theil keines-
wegs unbedeutend. Bei Plataeae sollen Epidauros 800, Troezen
') Strab. VIII S. 382 : ij uiv dij nolt; ij iiüv Koqivdttav fteyäitj 7 1
xal nlovola Jic't navröt ünijo^tv. X S. 486: rrjv piv ovv slijko v ird oft r
piro/xivtiv OL’Ttüi in päilov ijdJijOf xaiaoxat/Goa vno l'aiucti’iny K<-
ytvdos’ IxtTat tjoav o l furtoQoi. Cic. pro lege Manilia 5, 11:
Cbrinthum patres restri totius Graeciae lumen exstindum esse voluerunt.
*) Das ergiebt sich aus den Angaben bei Liv. 32, 14 (nach Polybios);
doch mögen politische Gründe Philipp abgehalten haben, der Stadt grössere
Anstrengungen zuzunmthen.
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122
Capitel IV.
1000, Hemiione 300 Hopliten gestellt haben; bei Salamis
kämpften 10 epidaurische , 5 troezenisehe , 3 hermionische
Trieren *). Bei der korinthischen Flotte gegen Korkyra finden
wir 435 5 Trieren aus Epidauros, 2 aus Troezen, 1 aus Her-
mione 2) ; zu der peloponnesischen Bundesflotte von 100 Trieren,
die 412 aufgestellt werden sollte, wurden diese Städte nebst
Megara mit 10 Trieren veranlagt3). In der Schlacht am
Nemeabach, 394, kämpften nicht weniger als 3000 Hopliten
aus den Städten der Akte4), dieselbe Zahl, die damals Korinth
stellte. Demnach wird ihre Bürgerzahl zusammen auf nicht
unter 10000 zu veranschlagen sein; wie sie denn auch die
Korinthia an Ausdehnung des Gebietes um etwa 400 qkm
übertreffen.
Historisch und geographisch einen Theil von Argolis bildet
die Insel Aegina. Es ist. bekannt, welch hohe Blüthe Aegina
am Anfang des V. Jahrhunderts erreicht hatte; wie es nament-
lich bis auf Themistokles die erste Seemacht des europäischen
Griechenland gewesen ist. Die 30 Trieren, mit denen die
Aegineten bei Salamis kämpften, bildeten nur einen Theil ihrer
Flotte4). In der grossen Seeschlacht des Jahres 458 nahmen
die Athener 70 Trieren der Aegineten und ihrer Bundes-
genossen; es lagen aber auch bei der Uebergabe der Stadt im
folgenden Jahre noch Trieren im Arsenal von Aegina, die da-
mals von den Athenern hinweggeführt wurden“). Bei Plataeae
soll Aegina 500 Hopliten gestellt haben7), gleichzeitig aller-
dings auch Schiffe zu der Flotte bei Mvkale. Immerhin sehen
wir, dass die Bürgerzahl entsprechend der Kleinheit der Insel
(mit Kekrypbaleia etwa 100 qkm) nicht bedeutend gewesen ist.
Im Sommer 431 wurde bekanntlich die alte Bevölkerung
von den Athenern aus Aegina vertrieben und durch eine attische
>) Herod. IX 28. VIII 43.
a) Thuk. I 27.
*) Thuk. VIII 3.
4) Xen. Hell IV 2, 16.
4) Herod. VIII 46.
«) Thuk. I 105. 108.
7) Herod. IX 28.
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Der Peloponnes.
123
Klemcbie ersetzt. Die Aegineten erhielten durch die Spartaner
die Stadt Thyrea in der Kynuria zum Wohnsitz angewiesen,
wo sie 424 von den Athenern angegriffen und theils nieder-
gemacht, theils gefangen fortgeführt und später hingerichtet
wurden1). Zahlen werden nicht angegeben, doch geht aus der
ganzen Erzählung hervor, dass es sich nur um verhältnissmässig
wenige Leute handeln konnte. Aegina mag im V. Jahr-
hundert etwa 2000 — 2500 Bürger gezählt haben. Ueber die
Stärke der attischen Klemchie und die Bevölkerungsverhält-
nisse nach der Rückkehr der alten Einwohner im Jahre 404
fehlt jede Angabe.
Eür ganz Argolis ergiebt sich demnach in der Zeit des
peloponnesischen und korinthischen Krieges folgende Bürgerzahl :
qkm
Bürger
Argos und Kleonae . . .
. . . . 1405
20000
Phieins
.... 180
5000
Sikyon
. . . . 360
6000
Korinth
.... 880
10000
die Akte
.... 1260
10000
Aegina
.... 100
2000
4185
53000
Das entspricht einer bürgerlichen Gesammtbevölkerung von
gegen 160 000, oder 38 auf den qkm. Da indess die obigen
Zahlen der Hauptsache nach auf Grund der militärischen Auf-
gebote berechnet sind, so werden sie nicht auf die bürgerliche
Bevölkerung allein, sondern auf die gesammte freie Bevölkerung
zu beziehen sein. Die Dichtigkeit der freien Bevölkerung ist
annähernd dieselbe wie in Attika während des IV. Jahrhunderts.
3. Arkadien.
A^xnöltfv fi ttlitls; fiiya ft' nhtig, oil toi rfwffß).
7io Hol iv 'AoxaiSiij ßalavrjtföyoi nväqtt (naiv
o'i a( yt xioXvaovaiV tydi 4/ rot oiln utyatqio.
So schon das delphische Orakel bei Herodot *). Um die Mitte des
IV. Jahrhunderts nennt Xenophon die Arkader den zahlreichsten
>) Thuk. IV 56. 57.
a) Herod. I 66.
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124
Capite] IV.
griechischen Stamm1); und noch Polybios erklärt Arkadien für die
neben Lakonien bevölkertste Landschaft des Peloponnes *). Dem-
gemäss wurde das arkadische Contingent bei der Reorgani-
sation des peloponnesischen Bundesheeres im Jahre 377 in 2
Armeeeorps formirt, während Achaia, Elis und Sparta selbst
nur je 1 Armeeeorps stellten8). Von den vier Heerhaufen,
mit denen Epameinondas im Winter 370 69 in Lakonien ein-
fiel: Boeoter, Arkader, Argeier, Eieier, war der der Arkader
der zahlreichste4). Für eine starke Volkszahl Arkadiens
sprechen auch die bedeutenden Söldnermassen , welche die
Landschaft namentlich im IV. Jahrhundert gestellt hat. So
bestand das 14000 Mann starke griechische Söldnerheer des
jüngeren Kyros zu mehr als der Hälfte aus Arkadern und
Aehaeern5). Arkadien muss also zu diesem Zuge allein gegen
4—5000 Mann gestellt haben; und gleichzeitig dienten arka-
dische Söldner noch in vielen andern Theilen der griechischen
Welt. Während der kurzen Periode der arkadischen Einheit
von 370 bis 364 war Arkadien ohne Frage die erste Macht im
Peloponnes. Das stehende Heer des Bundes, die „Epariten“,
zählte damals 5000 Mann®); die in Megalopolis zusammen-
tretende Bundesversammlung führte den Namen die „Zehn-
tausend“ (0< (JVQlOt).
Wenn aber Arkadien bei seiner bedeutenden Ausdehnung
(4700 qkm) auch eine verhältnissmässig starke absolute Be-
völkerung gehabt hat, so werden wir doch für ein waldreiches
’) Xen. Hell. VII 1, 23: nXtiarov <5i rmr 'EXXr/rixtäv tfCXor tö 'Aq-
xaitxov.
*) Polyb. IV 32, 3; II 38, 3.
s) Diod. XV 31.
4) Diod. XV 64.
8) Xen. Anab. VI 2, 10: xa) rtv <51 rfj üXrjS tfti vniQ r.fiiav toi oXov
OTQttTtv/jaTos ’A(jxti<5it xal 'A/a<of. Im Frühjahr 400 waren noch über
4000 arkadische und achaeische Hopliten übrig, neben 3000 Hopliten aus
andern griechischen Landschaften und 1000 Peltasten: Anab. VI 2, 16.
«) Diod. XV 62.
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Der Peloponnes.
125
Gebirgsland mit vorwiegender Viehzucht1) und bis auf die
Gründung von Megalopolis ohne grössere städtische Mittel-
punkte keine bedeutende relative Bevölkerung aunehmen
dürfen. Wenn im IV. Jahrhundert in Attika 80, in Boeotien
50 — 60 Einwohner auf den qkm entfallen, werden demnach
für Arkadien nicht über 30 — 40 zu rechnen sein. Das ergäbe
140 — 190000, als Mittel 165000 Einwohner, oder, da die
Sklavenzahl in dieser Zeit gewiss sehr gering gewesen ist, etwa
50 000 erwachsene Bürger. Tiefer herabgehen dürfen wir nicht,
da sonst die Arkader nicht mehr als der „zahlreichste griechische
Stamm“ bezeichnet werden könnten. Auch bei dieser Annahme
bleibt freilich die freie Bevölkerung von Arkadien hinter der
von Argolis noch etwas zurück ; aber die Bewohner von Argolis
sind niemals als ein einziger Stamm aufgefasst worden.
Was wir von der Bevölkerung einzelner arkadischer Stadt-
gebiete erfahren, steht mit diesem Ergebniss aufs beste im Ein-
klang. So schätzt Herodot die Contingente von Tegea und
Orchomenos bei Plataeae auf 1500, bezw. 600 Hopliten und
ebenso viel leichte Truppen2). Das Contingent von Mantineia
kam zu spät zur Schlacht; da indess bei den Thermopylen
Mantineer und Tegeaten die gleiche Truppenzahl gestellt hatten,
nämlich je 500 Hopliten 8), so wird auch die Bürgerzahl beider
Städte etwa die gleiche gewesen sein. Tegea, Mantineia und
Orchomenos hätten also nach Herodot für einen Feldzug ausser
Landes zusammen 3600 Hopliten aufbringen können, was eine
Bürgerzahl von über 10000, und eine bürgerliche Gesammt-
bevölkerung, wroftir wir in diesem Falle auch Gesammtbevöl-
kerung überhaupt sagen können, von gegen 35 000 voraussetzt.
') Schon Homer U 605: 'OQ%6{ttvov noXv/jrjXov. Hymn. 19, 30:
'AqxaStriv 7toXvn(^axa, /ojrlp« yrjXojx. Pind. Ol. VI 169: evfii)Xoio 'Ayxa-
ö(as- Simonid. 104: f-vurjÄov $vöti ticn Tfyfuv. Inscr. Gr. Ant. 95: (v
AQxadly TiolnfjaXo). Und noch Theokrit 22, 157: 'A^xadla t’ ttiyaXos.
I’hilostr. Leben des Apollonios von Tyana VIII 7 S. 161 Kayser: fort Jf
noXvXrjio; xal notoJtjt i\ 'Ayxctäla xal iXtidq; ov ia ytifiu^a yirov, «11«
xai nt Ix n oai ndvra.
a) Herod. IX 28.
») Herod. VII 202.
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126
Capitel IV.
Der Flächeninhalt dieser drei Stadtgebiete beträgt 835 qkm,
es kommen also etwa 40 Einwohner auf den qkm. Nun ist
die tegeatisch - mantineisehe Hochebene einer der am meisten
zum Ackerbau geeigneten Theile Arkadiens, und hier allein
fanden sich im V. Jahrhundert einigermaassen ansehnliche Städte.
Die Bevölkerung muss also hier offenbar stärker gewesen sein,
als in den engen Gebirgsthälem des arkadischen Nordens; die
\ olksdichtigkeit von ganz Arkadien könnte folglich 40 Einwohner
auf den qkm noch nicht erreicht haben.
Und es scheint nicht, dass Herodot die Bürgerzahl von
Tegea und Orchomenos unterschätzt hat. Mantineia war sicher
nicht kleiner als Tegea; und doch soll es nach Lvsias am
Ende des V. Jahrhunderts „noch nicht 3000 Bürger“ gezählt
haben1). Lvsias mag die Zahl absichtlich etwas verkleinert
haben, da das hier in seinem Interesse lag; aber soviel be-
weist sein Zeugniss doch jedenfalls, dass Mantineia nur eine
verhältnissmässig schwache Bürgerzahl hatte. Wenn Mantineia
im peloponnesischen Kriege eine bedeutende politische Rolle
gespielt hat, so hat es das nur vermocht, indem es die benach-
barten schwächeren Cantone seiner Herrschaft unterwarf. Noch
zwei Jahrhunderte später, in Kleomenes’ Zeit, scheint Manti-
neias Bevölkerung nicht viel über 10000 Einwohner betragen
zu haben. Denn als Antigonos im Jahre 222 die Stadt ein-
nahm und die Bewohner in die Sklaverei verkaufte, betrug der
ganze Erlös aus der Beute nicht mehr als 300 Talente 2). Bei
solchen Massenverkäufen wurden natürlich die Preise gedrückt;
aber wenn wir auch annehmen, dass Antigonos nur Via Minen
für den Kopf löste, was vielleicht Vs des damaligen Durch-
schnittspreises entspricht, und dass ai* jener 300 Talente aus
dem Erlöse für die Sklaven gewonnen waren, so betrüge die
Zahl der verkauften Gefangenen doch um- 9000. Mit Einrech-
nung der im Kampfe Gefallenen, der Verbannten oder zufällig
Abwesenden oder Begnadigten werden für Mantineia also kaum
mehr als 12000 Einwohner zu rechnen sein.
V Lysias 34 (r. d. Verf.\ 7 : otilf Toia^iUovs orra;.
*) Polyb. II 56, 6.
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Der Peloponnes.
127
Ueber Tegea hören wir um-, dass es zur Zeit des pelo-
pounesischen Krieges eine für Arkadien bedeutende Stadt war *)
und dass bei den Unruhen des Jahres 370 800 lakonisch ge-
sinnte Oligarchen von hier vertrieben wurden 2). Auch diese
Angaben stehen mit einer Bürgerzahl von 4 — 5000 sehr gut
im Einklang.
Alle diese alten städtischen Mittelpunkte Arkadiens wurden
verdunkelt durch die im Jahre 370 gegründete neue Bundes-
hauptstadt Megalopolis. Der Umfang der Mauern betrug 50
Stadien, was eine Ausdehnung des umschlossenen Raumes von
3 — 400 Hektaren voraussetzt. Das weit gedehnte Gebiet um-
fasste den grösstem Theil des fruchtbaren Süd-Arkadien. Die
Vertreter der Stadt hatten 10 Sitze im arkadischen Buudes-
rath, soviel wie Mantineia und Tegea zusammen"), was auf
eine Bürgerzahl von 10000 und darüber schliessen lässt. Dem
entsprechend giebt Diodor an, die Megalopoliten hätten bei der
Belagerung durch Polysperchon 318 eine Zählung aller waffen-
fähigen Einwohner der Stadt und des Gebietes vorgenommen:
Bürger, Metoeken und Sklaven, die 15000 Mann ergeben hätte4),
so dass die Megalopolitis damals gegen 60000 Einwohner ge-
zählt haben müsste; wir haben keinen Grund, an der Richtig-
keit der Angabe zu zweifeln. Allerdings, die Entwicklung der
Stadt Megalopolis hat den Erwartungen der Gründer nicht
entsprochen; der von den Mauern umschlossene Raum wmrde
nie auch nur zur Hälfte mit Häusern bebaut, und der Vers
jUtycDi) 'axiv ij Aliyiilrj 716h f
wurde bald sprichwörtlich. Am Ende des III. Jahrhunderts
kann Phylarchos Mantineia als die grösste Stadt Arkadiens be-
zeichnen, und auch der Megalopolite Polybios giebt zu, dass
*) Thuk. V 32 : Tty(av . . . o«»«m vns fxfya i/fooj ov.
s) Xen. Hell. VI 5, 10.
a) S. das arkadische Bundesdecret für den Athener Phylarchos hei
Le Bas, Pelop. Nr. 340 a = Dittenberger, Sylloge Nr. 167.
4) Diod. XVIII 70: (iprjxfiiaavro rn /uiv an 6 xijf /mqus xxxi i'ytiv t/ff
rijv nohv , rwv <fi noXiriäv xal (fyair xai äoüXuiv ägi9/uo v noirjad-
/Jtvoi [xvQtoi’t xal ntvx axiayxXlovt fuoov tovs ävvaftfvovt naafyto&at
r ii( noXtfuxät /Qxlat.
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128
Capitel IV.
Mantineia vor seiner Eroberung durch Antigonos Megalopolis
an Grösse nicht nachstand 1). Aber der Staat Megalopolis blieb
dank der Ausdehnung seines Gebietes für immer der erste Ar-
kadiens, und bis zum Beitritte Spartas neben Argos der eiste
des achaeischen Bundes. So wird von dem 217 aufgestellten
Bundesheere von 3300 Mann */s zu gleichen Theilen von Me-
galopolis und Argos gestellt2). — Das Gebiet von Megalopolis
umfasste zu der Zeit, wo die Stadt in den achaeischen Bund
eintrat, etwa 1500 qkm. Hatte dasselbe schon 318 den gleichen
Umfang, so würde sich bei einer Bevölkerung von 60000 eine
Volksdichtigkeit von 40 auf den qkm ergeben; doch Ist frag-
lich, ob Maenalien und Kynurien, die bei dem Synoekismos
von 370 selbständig geblieben waren8), bereits damals integri-
rende Theile des megalopolitischen Gebietes bildeten.
Für die übrigen arkadischen Städte fehlen directe Angaben
über die Bevölkerung. Wir hören nur, dass im Jahre 220
Kvnaetha 300 Verbannte hatte4). Da die in der Stadt zurück-
gebliebenen natürlich viel zahlreicher sein mussten, so kann
Kvnaetha in dieser Zeit kaum unter 1000 Bürger gezählt
haben, oder eine bürgerliche Bevölkerung von 3000, was für
eine Kleinstadt im Gebirge mit einem Gebiete von nur 125
qkm recht ansehnlich ist. Wenn wir die Sklaven auch nur zu
1000 rechnen, erhalten wir 34 Einwohner auf den qkm.
Das nördliche und nordwestliche Arkadien umfasst etwa
die Hälfte der ganzen Landschaft, oder gegen 2300 qkm. Da
diese Gebirgsdistricte jedenfalls schwächer bevölkert waren, als
die Ebenen im Osten und Süden, so wird hier für das Ende
des V. Jahrhunderts keine grössere Volksdichtigkeit als etwa
25 auf den qkm zu rechnen sein. Das ergäbe für diesen Theil
*) Phylarch. bei Polyb. II 56, 6: irjv «p^moTniijr xal peytorrjr
7iui.lV TIÜV XttTic ir\v l4(tx«<f(av. Polyb. II 62, 11: ovtftvög yä(j olrtg
SdttQui r<üf 'Aqxntitov Alnrurftg oüif xara rr/r dvvapiv ovTi xarä lrir
mgiovoiav.
*) Polyb. V 91, 7.
*) Le Bas, Pelop. Nr. 340 a = Dittenberger, Sylloge Nr. 167, eine In-
schrift, die in die ersten Zeiten des arkadischen Bundes, vor der Secession
von Mantineia, gehören muss.
*) Polyb. IV 17, 9.
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Der Peloponnes.
129
Arkadiens 60000 Einwohner, d. h. auf jede der 9 Städte
Heraea, Thelpusa, Psophis, Kleitor, Kynaetha, I'heneos, Ka-
phyae, Stymphalos, Alea im Durchschnitt etwa 2000 Bürger.
Auf ganz Arkadien würden demnach 155000, oder mit Ein-
rechnung von I'higaleia gegen 160000 Einwohner kommen, was
mit unseren obigen Ansätzen so nahe übereinstimmt , wie wir
bei der Lage der Sache nur irgend erwarten können.
4. Achaia.
Der Flächenraum von Achaia beträgt etwa die Hälfte des
Mächenraums von Arkadien. Demgemäss sagt uns Polybios,
dass letzteres auch eine viel stärkere Bevölkerung gezählt
hat1). Ganz Achaia zusammen hatte am Anfang des HI. Jahr-
hunderts kaum die Macht einer einzigen ansehnlichen Stadt,
wie Plutarch angiebt2). Das wird bestätigt durch die unbe-
deutende Rolle, die Achaia in der älteren griechischen Ge-
schichte gespielt hat. Immerhin bildet das Contingent von
Achaia vor der Schlacht bei Leuktra eines der 10 Armeecorps
des peloponnesischen Heeres; und der Bund konnte um 244,
als ausser Alt-Achaia nur Sikyon dazu gehörte, 10000 Mann
ins Feld stellen3). Auch war Achaia eins der hauptsächlichsten
griechischen Söldnerländer. Wir werden also hier etwa die-
selbe relative Bevölkerung annehmen dürfen, wie in dem be-
nachbarten Arkadien, und alle achaeischen Städte mögen um
400 v. Chr. zusammen 25000 Bürger, jede im Durchschnitt
2000, gezählt haben.
Polyb. II 38, 3: rö % e j'«p jcSv 'AQxatSwv Z&vos, ofioiot; ö'i xal
TO Ttüv Joinw, nZrjd-u fxiv avSgtüv xal ytüyas oväi n aga /uixqov
WltQZZtt.
*) Plut Arni. 9: ol rijs fth ntlXut, Ttüv 'ElXrjvtov üxftfjs oviZv, tü c
Zn of ilntlv, ftZttog oVTtg, tv tU r<ü tot« fnt’S tt£ioX6yov noXttos ovfinav-
Tff öftoC ävva^uv fiiix Z%ovt(s-
8) Plut Arat. 16.
Beloch, ßevölkerangslehre. I. 9
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130
Capitel IV.
5. Eleia.
Die Ebene von Elis gehört zu den fruchtbarsten und im
Alterthum am besten bevölkerten Theileu des Peloponnes1).
Als reich angebaut und dicht bewohnt schildert uns die Land-
schaft Xenophon am Anfang des IV. Jahrhunderts2), und das-
selbe Bild giebt zwei Jahrhunderte später Polybios8). Aber es
fehlte neben der Hauptstadt jeder städtische Mittelpunkt , und
selbst diese ist nie sehr bedeutend gewesen. Auch ist die Aus-
dehnung des „hohlen Elis“ eine ziemlich beschränkte, etwa
1160 qkm. Die Perioekenlandschaften Akroreia, Pisatis und
Triphylien dagegen sind theils rauhes Gebirgsland , theils
sumpfige Küstenebenen, im Alterthum stark bewaldet und reich
an Wild 4). Die zahlreichen Städte verdienten mehr Dörfer zu
heissen; selbst die bedeutendste, Lepreon, hat bei Plataeae
nach Herodots Schätzung nur 200 Hopliten gestellt8), und wird
demnach kaum viel über 1000 Bürger gezählt haben. Wenn
wir also auch für die Koele Elis eine verhältnissmässig
dichte Bevölkerung ansetzen müssen — etwa 50 auf 1 qkm,
wie in Boeotien, was für einen rein agricolen District sehr
hoch ist, namentlich nach antiken Verhältnissen — , so waren
dafür die 1500 qkm des Perioekenlandes um so dünner be-
völkert, und wird hier eine Volksdichtigkeit von kaum über
20 auf den qkm anzunehmen sein. Das ergäbe für die Eleia
zusammen gegen 90000 Einwohner oder 30000 erwachsene
Männer. Jedenfalls sind die militärischen Leistungen von Elis
1) Epboros bei Strab. VIII S. 856: tL'an x«i tinriiijijnat pjdUora
JIttVT mv.
*) Xen. Hell. III 2, 26: xcci vn((>no).).a filv *n jnj, vnfynoXXa S'
ur6(>u7ioSa rjKaxiro Ix rfjs ycutmc , . . xai lyhtxu itvttj r/ tnoartla tSrrnto
tnituxiau'ot r ij Uelortorrijaiji.
8) Polyb. IV 78, 6: avfjßatrti yito ri)r Tiür ‘IDtitur yutnav im-
(f tgov ituf otxtto&cu xal yt/jftr oaifiartov xal xaxadxf rrje naoa rrjv aXbjp
ITtlon6vrt\oor.
«) Xen. Anal. V 8, 8—11.
6) Herod. IX 28.
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Der Peloponnes.
131
sehr geringfügig gewesen. Gegen Sparta stellte die Landschaft
im Jahre 418 3000 Hopliten auf1), und annähernd ebenso
viele stellte Elis mit den damals davon unabhängigen alten
Perioekenlandsehaften Triphylien und Akroreia 394 in der
Schlacht am Nemeabach 2). Danach würden wir versucht sein,
der Landschaft eine Bürgerzahl von höchstens 15000 zu geben;
doch ist der unkriegerische Sinn der Bevölkerung in Rechnung
zu ziehen, und es mag in Elis ein starkes agricoles Proletariat
vorhanden gewesen sein.
6. Lakonien und Messenien.
Die Frage nach der Bürgerzahl Spartas ist aufs engste
verknüpft mit der Frage nach der Organisation des lakedae-
monischen Heeres, wie das bei einem solchen Militärstaat nicht
anders sein kann8). Bekanntlich zerfiel das gesammte Auf-
gebot von Lakonien in 6 grosse Abtheilungen — Moren — zu
je 2 Lochen zu 4 Pentekostyen zu 2 Enomotien. So nach der
Angabe Xenophons4), der hier gewiss ein klassischer Zeuge ist,
und dem, was die Moren betrifft, Aristoteles beistimmt 5). Da-
neben aber wird aus Aristoteles noch eine andere Eintheilung
angeführt, in 5 Lochen: 'Ediolog {silöiuhog) , Eivtg (Eivijs),
») Thuk. V 58. 75.
2) Xen. IM. IV 2, 16.
3) Die folgenden Ausführungen stehen im Gegensatz zu den Resultaten
der neuesten Behandlung dieses Gegenstandes in der Dissertation von
Stehfen: De Lacedaemoniorum (der Verf. schreibt Spaiianorum) re mili-
tari, Greifswald 1882. Die Arbeit zeugt von achtenswertken philologischen
Kenntnissen; leider ist dem Verf. darüber die lebendige Anschauung der
Dinge abhanden gekommen.
*) Xen. v. Staat d. Laked. 11, 4: ovtvi yt xaraaxeiiuati/xeros
/juQa( fiiv ditiltr l'S xai tnadaiv xal unXiuiiv ■ . . Ixtiotij dl rd »»> noUnxdir
loiirtov juopcüi' t/a noli/Aaqxov Ir«, Xo/ayoiis rlrr«p«f, 7Tf »r»)*o)ri]pa,-
öxzco, troifjoraoya; txxaldtxtt. Dass für lo^ayovs rlrr«p« c zu emendiren
ist Xo^ayous Sio (nach Hell. VII 4, 20 uhd VII 5, 10), ist jetzt wohl all-
gemein anerkannt.
R) Bei Ilarpokration udpwr.
9*
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132
Capitel IV.
Agluac, (^uQivaq) , TlXodg, Meooäi^g *) , die offenbar, ebenso
wie die 5 Ephoren, den 5 Komen entsprechen, in die Sparta
zerfiel.
Den anscheinenden Widerspruch zwischen diesen Angaben
schlichtet man gewöhnlich durch die Hypothese, es sei gegen
Ende des i»eloponnesiseheu Krieges eine Veränderung der tak-
tischen Gliederung des lakedaemonisehen Heeres vorgenommen
worden, bei der Spartiaten und Perioeken in dieselben Ab-
theilungen verschmolzen worden seien und die 6 Moren an
Stelle der 5 Lochen getreten wären4). Irgend welches directe
Zeugniss steht dieser Annahme nicht zur Seite; und wenn es
schon an sich bedenklich ist, aus reiner Willkür so weit-
gehende Schlüsse zu ziehen, so ist es doppelt gewagt gegen-
über der Verfassung Spartas , deren hervorstechendstes Merk-
mal ihr conservativer Charakter ist. Bezeichnet doch Xenophon
die Moren - Eintheilung geradezu als lykurgische Einrichtung,
was er unmöglich hätte thun können, wäre diese Eintheilung
erst zu seiner Zeit, ja gewisscrmaassen unter seinen Augen ge-
schaffen worden. Allerdings ist der Versuch missglückt, die
Moren schon bei Herodot nachzuweisen; aber die Führer der
Moren, die Polemarchen, erwähnt nicht nur Thukydides in der
Beschreibung der Schlacht bei Mantineia (418), sondern be-
reits Herodot8). Und zwar sind die Polemarchen bei Thuky-
dides keineswegs, wie man behauptet hat, blosse Adjutanten
des Königs, die nur dessen Befehle vermitteln, sondern sie
stehen selbst an der Spitze von Truppenkörpern, sind die Vor-
gesetzten der Lochagen in derselben Weise, wie diese die
Vorgesetzten der Pentekosteren und diese wieder der Enomo-
tarchen sind; hätte doch die Insubordination zweier Pole-
marchen beinahe den Verlust der Schlacht bei Mantineia her-
beigeführt4).
') Sckol. Arist. Lysistr. 454 und zu Tlmk. V 8.
ä) So z. B. Gilbert, Stmtsaüerth. I 74 f.
s) Herod. VU 173.
*) Vgl. Trieber, Forschungen zur spartanischen Verfassungsgeschichte
(Berlin 1871) S. 1.
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Der Peloponnes.
133
Wir müssen uns also nach einer anderen Erklärung dieses
angeblichen Widerspruchs umsehen, und sie liegt nahe genug.
Das lakedaemonische Heer war nämlich, wie bekannt, wenn
wir von den Heiloteu und Neodamoden absehen, aus zwei Be-
standtheilen zusammengesetzt, aus dem Aufgebote der spartia-
tischen Bürgerschaft und den Contingenten der Perioekenstädte.
Beide Theile bildeten besondere taktische Einheiten. So sind
in dem Feldzuge von 479 die spartiatischen Bürgertruppen zu-
erst ausgerückt, und die Perioeken erst später gefolgt '), und
auch sonst sind die Perioeken mitunter für sich allein zu mili-
tärischen Operationen verwendet worden. Ja noch mehr: auch
die Contingente jeder einzelnen Perioekengemeinde bildeten selb-
ständige Truppenkörper. Von den Skiriten ist das allbekannt;
es liegt aber überhaupt in der Natur der Sache. So hören
wir denn, dass bei der Unternehmung gegen Pylos zwar die
nächstgelegenen Perioekenstädte ihre Truppen sofort zu dem
Belagerungsheere stossen Hessen, die übrigen Gemeinden aber
mit ihrer Hülfe zögerten2).
Wenn nun die Skiriten, das einzige Perioekeneontingent,
über dessen Formation wir näher unterrichtet sind, einen eigenen
Lochos im lakedaemonischen Heere bildeten, so müssen wir an-
nehmen, dass die Perioeken überhaupt in eigenen Lochen ge-
dient haben. Und zwar standen diese perioekischen Lochen,
von den Skiriten abgesehen, ohne jeden Zweifel in dem Ver-
band der 6 Moren. Allerdings bezeichnet Xenophon diese Ab-
theilungen einmal als nohzi/.ai uogai 3); aber nicht im Gegen-
satz zu perioekischen Moren, von denen wir überhaupt nie
etwas hören, sondern zu den Divisionen («£(>»/) des pelopon-
nesischen Bundesheeres. Denn auch sonst werden bei Xenophon
Spartiaten und Perioeken zusammen als noXlrai den Bundes-
genossen (ovuuayoi) gegenübergestellt4). Und überhaupt ist
es ganz undenkbar, dass die spartiatische Bürgerschaft für sich
’) Herod. IX 10. 11.
*) Thuk. IV 8.
*) Oben S. 131 Anm. 4.
4) Trieber in Fhckeisens Jnhrb. 103 (1871) S. 445 ff.
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134
Capitel IV.
allein im Stande gewesen sein sollte, 6 Moren in der von
Xenophon beschriebenen Zusammensetzung auszufüllen. Wenn
wir die Enomotie, wie bei Leuktra, zu 36 Mann rechnen, so
zählte jeder Lochos, einschliesslich der Offiziere, 300, und alle
6 Moren zusammen 3600 Mann. Nun betrug aber das lakedaemo-
nische Gesammtaufgebot in der Schlacht bei Korinth (394) nicht
über 6000 Hopliten *), von denen also höchstens 2400 Perioeken
gewesen sein könnten, wobei von den Neodamoden ganz ab-
gesehen ist. Diese Zahl ist aber viel zu gering gegenüber dem,
was wir sonst von dem numerischen Verhältniss zwischen Spar-
tiaten und Perioeken in dem lakedaemonischen Heere erfahren.
Die Moren waren also aus spartiatischen und perioekischen
Lochen combinirt, und zwar aus je einem spartiatischen und
einem perioekischen Lochos, da jede Mora überhaupt nur 2
Loehen enthielt. Aristoteles zählt allerdings nur 5 spartiatisehe
Lochen namentlich auf; aber ausserdem bestand bekanntlich
in Sparta noch ein 6. Lochos ausgewählter Hopliten (Äoyadec),
die 300 sogenannten Ritter ( Innelg ), die in der Schlacht die
Leibgarde des Königs bildeten. Diese selbe Leibgarde bezeichnet
Xenophon einmal als „Agema der ersten Mora“ ®), womit denn
bewiesen ist, dass das Rittercorps innerhalb des Verbandes der
Moren gestanden hat. Ganz entsprechend berichtet auch Ari-
stoteles, dass die Moren sämmtliche Lakedaemonier umfasst
haben3); und Thukydides erwähnt zwar die Ritter ausdrücklich
bei der Beschreibung der Schlacht bei Mantineia4), übergeht
sie aber bei der Berechnung der lakedaemonischen Streitkräfte :
ein Zeichen, dass er sie schon unter den 7 grossen Heeres-
abtheilungen begriffen hatte, deren Stärke er angiebt. Und in
') Xen. Hell. IV 2, 16.
a) Staat d. Lak. 18, 6 : rjv dt non uüyrjv oTtorrai tenoihu, Xaßo'iv io
ayijfia riji 71QOIT1J g fionas ö ßaotXevt ayei axgtxpag trt'i ßoQV, tax' Sv y(~
vtjxat tv /utaqi ßvoTv fjoQttn1 xal ßvoiv noXtfjügyoiv. Man denke an die
Stellung des Agema im makedonischen Heere.
a) Bei Harpokr. fiügtav: xai ßi tjQqvxnt tlq rä; uoq ag jiaxtSaiuö wn»
narris-
«) Thuk. V 72.
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Der Peloponnes.
135
der That entspricht die Zahl der Ritter genau der Stärke der
übrigen Lochen des Heeres.
Nur ein Loehos stand ausserhalb der Morenverbände, das
Corps der Skiriten, wie es sich auch in der Bewaffnung von
den übrigen Hopliten unterschied. Auf dem Marsche bildeten
sie die Avantgarde, in der Schlacht den linken Flügel des
Heeres. Bei Mantineia waren sie durch das Corps der Neoda-
moden von den übrigen spartiatisch - perioekischen Lochen ge-
trennt, ein Beweis, dass sie taktisch in keiner Verbindung mit
ihnen gestanden haben. Und als sich nach Epameinondas’ Ein-
fall in Lakonien die Skiritis gegen ihre spartiatischen Herren
erhob, bleibt doch das Heer aus 12 Lochen zusammengesetzt;
die Skiriten also hatten einen 13. Loehos gebildet1).
Eine Bestätigung des gesagten bieten die Angaben des
Thukydides über die Besatzung von Sphakteria. Unter den
292 Gefangenen befanden sich nämlich 120 Spartiaten 2) ; da
nun die Verluste im Kampfe offenbar im Durchschnitt alle Ab-
theilungen gleichmässig getroffen hatten3), so müssen von den
420 Hopliten, die auf der Insel eingeschlossen worden waren,
gegen 170 Spartiaten gewesen sein. Das Besatzungscorps war
aus sämmtlichen Lochen combinirt worden4)’, und da man
dabei die kleinsten taktischen Verbände unmöglich zerreissen
konnte, so ist von jedem Loehos mindestens eine Enomotie
nach der Insel hinübergegangen. Aber auch nicht mehr; denn
die 420 Mann der Besatzung entsprechen genau 12 Enomotien
zu 35 Mann, wovon, nach dem Verhältniss der Gefangenen,
5 aus Spartiaten (175 Mann), 7 aus Perioeken (245 Mann)
bestanden haben müssen. Die Hippeis haben offenbar keine
Abtheilung für die Besatzung der Insel abgegeben, wohl aber
die Skiriten.
') Xen. Hell. VII 4, 20; 5, 10; allerdings ist die Zahl 12 an der
zweiten Stelle erst durch Emendation hergestellt.
*) Thuk. IV 38.
*) Vgl. den Ausspruch des gefangenen Spartiaten bei Thuk. IV 40:
TToilov av afitov thiu r ov ctTQaxTOv, ll Toi'S ayaflovs ihiyfyrtuoxf.
4) Thuk. IV 8: ärroxlriQninnrif( anö rrtirriov uöv loytov.
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136
C'apitel IV.
Nun zählte hei Leuktra, wie schon erwähnt, jede Enornotie
36 Mann1), jeder Lochos also 300, und alle 6 Lochen 1800
Mann. Dazu kommt weiter die Reiterei, die damals aus 600
Pferden bestand 3), und von der wir nicht Missen, wieweit sie
aus Spartiaten gebildet war. An der Schlacht nahmen 4 Moren8),
oder ala der gesummten Macht Spartas Theil, d. h. 1200 Bürger-
hopliten, und 200 Bürgerreiter, wenn wir annehmen, dass
auch die Reiterei zur Hälfte aus Spartiaten und zur an-
deren Hälfte aus Perioeken bestanden hat. Steht denn aber
dieses Ergebniss nicht in geradem Widerspruch mit der Angabe
Xenophons, wonach nur 700 Spartiaten an der Schlacht l>ei
Leuktra Theil genommen haben4)?
Wir müssen uns hier erinnern, dass die spartiatische Bürger-
schaft aus zMei Theilen bestand, den vollberechtigten Bürgern
(oftoioi) und den Bürgern niederen Rechts (vnofieioves). Zu
den Ilomoeen gehörte jeder, der im Stande war, seinen regel-
mässigen Beitrag zu den Syssitien zu leisten, d. h. der reich
genug war, ohne eigene Arbeit von dem Ertrage seines Grund-
besitzes zu leben. Wer diesen Beitrag nicht mehr zu leisten
vermochte, der hörte darum natürlich nicht auf, Spartiate zu
sein, so wenig Mie in irgend einer anderen griechischen Oli-
garchie die nicht zu der bevorrechteten Klasse gehörenden
das Bürgerrecht verloren haben. Die familienrechtliche Stellung
dieser Bürger in Geschlecht, Obe und Pbyle blieb vielmehr
davon ganz unberührt, und ebenso ihre privatrechtliche Stellung;
nur ihr volles actives Bürgen-echt ruhte, so lange als sie nicht
im Stande waren, den vom Gesetz vorgeschriebenen Census
nachzuweisen. Wozu auch die Bezeichnung o/xoioi, wenn jeder,
der nicht zu diesem Kreise gehörte, überhaupt nicht mehr als
Spartiate gegolten hätte?
Und auch die militärische Dienstpflicht war keinesMegs auf
die Ilomoeen beschränkt. Wie hätte der Staat auch auf die
>) Xen. HeU. VI 4, 12.
*) Xen. HeU. IV 2, 16; jede Reitemiora also zählte 100 Pferde.
*) Xen. Hell. VI I, 1; 4, 17.
*) Xen. HeU. VI 4, 15.
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Der Peloponnes.
137
Dienste eines Theiles seiner Bürger verzichten sollen, wenn er
hei seinen Aushebungen sogar auf die Heiloten zurückgriff?
Xenophon berichtet, der König habe drei Zeitgenossen aus der
Zahl der Homoeen ‘} ; es muss demnach auch Bürger im Heere
gegeben haben, die nicht zu den Homoeen gehörten. Ja selbst
Befehlshaberstellen, wenn auch untergeordnete, waren den vno-
fieloves zugänglich, wie das Beispiel des Verschwörers Kinadon
beweist -).
Da nun Sparta, von den Heiloten und etwa einigen Pe-
rioeken abgesehen, leichte Trappen in historischer Zeit nicht
gehabt hat, so müssen auch die Bürger niederen Rechts als
Hopliten gedient haben. Dass Kinadon Hoplit gewesen ist,
wird nach den Angaben Xenophons Niemand bezweifeln; und
dasselbe ergiebt sich aus Plutarch für die vnoueioveg im Heere
des Agis3). Zum Ueberfluss berichtet es Xenophon auch aus-
drücklich in einer Stelle der Kyropaedie 4), an der wie so oft
die Lakedaemonier unter der persischen Verkleidung hervor-
sehen. Und zwar erfahren wir daraus zugleich, was freilich
an und für sich klar ist, dass die Bürger niederen Rechts in
denselben taktischen Abtheilungeu dienten, wie die Homoeen.
Nur zum Rittercorps haben sie offenbar keinen Zutritt gehabt;
wie andererseits die Reiterei, soweit sie überhaupt aus spar-
tiatischen Bürgern bestand, nur aus den in o/deiovsg recrutirt
wurde 8).
Wenn nun aber auch die Bürger niederen Rechtes, ebenso
wie die Homoeen, vollen Anspruch darauf hatten, als Spartiaten
zu gelten, so kamen politisch doch fast ausschliesslich die Ho-
moeen in Betracht; und so ist es gekommen, dass schon die
Alten, wenn von Spartiaten die Rede ist, zunächst nur an die
') Staat (1. Laked. 18, 1.
s) Xen. Hell. 111 8, 5.
*) Affin 5. 14.
*) II 1, 18: ogält r a Ca Xu. 6 jfpi/fo»’ htufiarhio ti< vtct xrti
ärayoftif (a(hi> elg Trjr öfxoletv t«$iv T)[jTv.
8) Xen. Hell. VI 4, 11: hfitifov fiir yäy rov; Xnnovs o t ni-ovami-
rorot' f 7i(l Ji (fgovQct (ftti'&tltj, t6tc ijxev 6 awitiay/jivoi' Xttfiuiv J’ «r
Tor Xnnov xcti t« oni.it öjtoia So&eii) avrti) fx roO nitQitXQTjua avr-
eoTQarevfTo.
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138
Capitol IV.
Homoeen denken. Wenn Aristoteles sagt. Sparta sei durch
seinen Menschenmangel zu Grunde gegangen, da es nicht im
Stande gewesen sei, einen einzigen Schlag zu überstehen, denn
die Spartiaten seien „noch nicht 1000 an Zahl“ gewesen1), so
ist unzweifelhaft, dass er nur von den Homoeen reden will.
Und in demselben Sinne braucht Xenophon mehrfach den Aus-
druck Spartiaten. Es steht demnach nichts der Annahme ent-
gegen, (lass auch die Angabe, es hätten bei Leuktra 700 Spar-
tiaten gekämpft, so aufzufassen ist.
An dieser Schlacht waren 4 Moren betheiligt mit zusammen
700 Homoeen, es müssen also nach diesem Verhältniss alle
(> Moren 1050 Homoeen umfasst haben. Und zwar waren für
diesen Feldzug die 35 ersten Altersklassen der dienstpflichtigen
Mannschaft aufgeboten, also die Bürger vom 20.— 55. Jahre;
rechnen wir die Bürger über 55 Jahre hinzu, so erhalten wir
1300, oder mit Einschluss der dienstuntauglichen oder im
öffentlichen Dienste anderweitig verwendeten vielleicht 1500
Homoeen2). Annähernd ebenso zahlreich müssen die Bürger
niederen Rechts gewesen sein, da unter den Spartiaten bei
Leuktra (4 Lochen zu 8 Enomotien zu 36 Mann, dazu 200
Reiter) 700 Homoeen waren. Sparta zählte also im ganzen
im Jahre 371 gegen 3000 Bürger; das Verhältniss zwischen
Besitzenden und Nichtbesitzenden ist etwa dasselbe wie im
übrigen Griechenland.
Sehen wir jetzt, wieweit dieses Resultat im Einklänge steht
mit dem, was sonst über die militärischen Leistungen Spartas
im V. und IV. Jahrhundert überliefert ist. Bei Korinth 394
zählten die Lakedaemonier 6000 Hopliten und 600 Reiter3).
Offenbar war das ihre gesammte Kriegsmacht, alle 6 Moren,
und die Neodamoden, die nicht mit Agesilaos in Asien standen ;
denn die Mora, die wir später als Besatzung in Orchomenos
finden, ist doch wohl erst nach der Schlacht dahin abgegangen.
Die Stärke der Moren um diese Zeit betrug nach Xenophon
') Arist. Poh't. II 9 S. 1270 a.
2) So rechnet auch Gilbert, Stadtnah. I 40 A. 3.
*) Xen. ffrlt. IV 2, 16.
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Der Peloponnes.
139
600 Mann1); das ergiebt für 6 Moren zusammen 3600, ein-
schliesslich der 600 Skiriten 4200, sodass 1800 Mann für die
Neodamoden übrig bleiben.
An der Schlacht bei Mantineia 418 nahmen nach Thuky-
dides ausser den Skiriten 7 lakedaemonische Lochen Theil,
jeder zu 4 Pentekostyen zu 4 Enomotien; jede Enomotie im
Durchschnitt zu 32 Hopliten 2). Dass hier die Lochen mit den
Moren verwechselt sind, oder besser ausgedrückt, die Bezeich-
nung Moren mit Absicht vermieden ist, unterliegt keinem Zweifel.
Entspricht doch die Stärke des Lochos bei Thukydides genau
der Stärke der Mora bei Xenophon. Beide bestehen aus 16
Enomotien; und ohne Frage ist Xenophon gegenüber Thuky-
dides im Rechte, wenn er eine solche Abtheilung als Mora,
nicht als Lochos bezeichnet. Einmal deswegen, weil er durch
seine Stellung als lakedaeinonischer Offizier in diesen Dingen
ganz andere competent war als Thukydides, dann aber auch
aus Gründen, die in der Sache selbst liegen. Nach Thukydides
hätte jede Pentekostys 4 Enomotien umfasst, d. h. 128 Mann;
damit wird aber die Bezeichnung Pentekostys (Abtheilung von
50 Mann) zur Absurdität. Durch Emendation hier helfen zu
wollen, ist verkehrt, denn die ganze Berechnung der Stärke
des spartanischen Heeres bei Thukydides beruht auf diesem
Ansatz. Feiner ist evident — obgleich es bekanntlich geleugnet
worden ist — , dass auch die Perioeken an der Schlacht bei
Mantineia Theil genommen haben; waren doch sogar die ar-
kadischen Bundesgenossen zur Stelle, und selbst die Boeoter
und Korinthier sind aufgeboten worden, wenn sie auch ihre
Vereinigung mit den Lakedaemoniem nicht mehr rechtzeitig
bewirken konnten. Und überhaupt beweist, wie schon oben
hervorgehoben wurde, die Erwähnung der Polemarchen, dass
das lakedaemonische Heer bei Mantineia in der That in Moren
gegliedert war. Und zwar müssen alle 6 Moren bei der Schlacht
betheiligt gewesen sein, da die Lakedaemonier mit ihrem ganzen
Aufgebote ( navdr^tl ) ausgezogen waren8). Das sind 6 von
') Xen. HeU. IV 5, 12.
*) Thuk. V 68.
») Thuk. V 64.
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140
Capitel IV.
den 7 Lochen bei Thukydides; die 7. bilden die Heiloten des
Brasidas und die Neodainoden. Die Behauptung, jene 7 Lochen
umfassten nur die Truppen im Centrum der lakedaemonischen
Stellung, nicht aber der beiden Moren — Moren, nicht Lochen,
weil sie von Polemarchen befehligt wurden — auf dem äus-
sersten rechten Flügel, steht ganz in der Luft; Thukydides
will die Gesammtstärke des lakedaemonischen Heeres angeben,
nichts anderes.
Das lakedaemonische Heer bei Mantineia war demnach in
folgender Weise zusammengesetzt:
6 Moren zu 16 Enomotien zu 82 Mann, einschliesslich
27 Offizieren 8234 Mann
Skiriten 600 „
Reiter (Thuk. IV 55) 400 „
4234 Mann
Dazu noch die Neodainoden und die Besatzung des Lagers.
In Sparta war der 6. Theil der waffenfähigen Mannschaft zurück-
geblieben l). Die Zahl der waffenfähigen Spartiaten ergiebt sich
demnach in folgender Weise:
Hippeis 300 Mann
5 Lochen zu 256 Mann, einschliesslich der Offiziere . 1360 „
die Hälfte der Reiter 200 „
Reserve in Sparta 870 „
2220 Mann
Einschliesslich der Besatzung des Lagers, der Männer über 60
Jahre und der dienstuntauglichen mögen auch hier annähernd
3000 Spartiaten herauskommen, soviel als ein hallies Jahr-
hundert später vor der Schlacht bei Leuktra.
Ein halbes Jahrhundert früher, bei Plataeae, haben nach
Herodot 5000 spartiatische Hopliten gekämpft, während die
Gesammtzahl der Spartiaten , und zwar der Homoeen, 8000
betragen hätte 2). Demnach müsste sich die Bürgerzahl Spartas
>) Thuk. V 64.
*) Herod. IX 10. 28, VII 234.
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Der Peloponnes.
141
zwischen 479 und 418 um 5000 Köpfe, über 60 °i o vermindert
haben. Dass eine solche Abnahme ganz undenkbar ist, ist
längst hervorgehoben worden1). Indess wir haben bereits ge-
sehen, wie geringe Autorität Herodots Zahlenangaben l>ean-
spruchen können. Ist es doch sogar einem Thukydides unmöglich
gewesen, etwas zuverlässiges über die Stärke des spartanischen
Heeres zu exfahren2); wie hätte Herodot zu solchen Angaben
gelangen sollen? Offenbar liegt also bei ihm nur eine will-
kürliche Schätzung vor, bei der jede der 5 Lochen zu 1000
Mann angesetzt ist. Immerhin mögen wirklich gegen 5000
lakedaemonische Hopliteu bei Plataeae gekämpft haben, aber
Spartiaten und Perioeken zusammen. Wenn jede Mora mit
700 Mann ausrückte, so ergeben sich einschliesslich der 600
Skiriten 4800 Schwerbewaffnete, worunter reichlich 2000 spar-
tanische Bürger.
Die 4500 oder gar 9000 Spartiaten, die zur Zeit Lykurgs
vorhanden gewesen sein sollen3), dürfen wir hier auf sich be-
ruhen lassen; die Tradition darüber hat sich vielleicht erst im
III. Jahrhundeit gebildet4). Weit besser ist die Angabe des
Isokrates, wonach die Dorer bei ihrer Ansiedlung in Sparta
2000 Mann stark gewesen wären5); offenbar ist sie ein Rück-
schluss aus den Zuständen der eigenen Zeit, wie die ähnliche
Angabe über die 20000 Bürger Athens zur Zeit des Kekrops.
In Wirklichkeit kann die Zahl der waffenfähigen Spartiaten,
zur Zeit als die Heeresverfassung geschaffen wurde, kaum über
1000 betragen haben. Denn die Pentekostys muss doch, wie
der Name sagt, ursprünglich eine Abtheilung von 50 Mann
gewesen sein, der Lochos also 200 Mann, alle 5 Lochen 1000
gezählt haben. Das Rittercorps wird erst später errichtet sein.
') Stein, Jahrbücher für Philologie 85 (1862) S. 853 — 64.
*) Tliuk. V 68: tö ftlv Haxtifaifioriiov 7tXfj9oe < J«i rijt noXirtlct s rö
xqi’Mov rjyvoeito.
a) Plut. Lyk. 8.
4) Grote, Hist, of Greece (1869) II ch. VI S. 393 ff.; Oncken, Staats-
lehre des Aristot. I S. 226.
B) Panath. 255: bvrai ov nXetov s rörf <fi ayih'tar. Bekanntlich zwi-
schen 342 und 339 geschrieben.
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142
Capitel IV.
Ueber die Bürgerzahl Spartas im III. Jahrhundert haben
wir folgende Angaben. Als König Agis mit seinen socialen
Refonuprojeeten hervortrat, zwischen 244 und 240, befand sich
das Grundeigenthuw im Gebiete von Sparta zum grössten Theile
in den Händen von etwa 100 Besitze™, während im ganzen
nur noch 700 „Spartiaten“ vorhanden gewesen sein sollen1).
Es ist ohne weiteres klar, dass, wenn die Angabe überhaupt
irgend welchen Werth besitzt, hier unter Spartiaten nur die
vollberechtigten Bürger, die Homoeen, verstanden sein können.
Denn wollten wir annehmen — wie das in der Regel geschieht — ,
dass es damals überhaupt nur noch 700 Spartiaten gegeben
hätte, und die 100 Grossgrundbesitzer allein die vollberechtigte
Bürgerschaft gebildet hätten, so verwickeln wir uns in eine
Reihe von Absurditäten. Die lykurgische Verfassung ist bis
auf König Kleomenes in Kraft geblieben; bei nur 100 Voll-
bürgern aber wäre es unmöglich gewesen, auch nur für die
Gerusie eine hinreichende Zahl von qualificirten, d. h. über-
sechzigjährigen Candidaten zu finden. Die Zahl der Bürger
hätte kaum hingereicht, auch nur die wichtigsten obrigkeitlichen
Stellen zu besetzen; von einem Reitercorps hätte keine Rede
mehr sein können. Je mehr man sich die Consequenzen dieser
Annahme ausmalt, desto klarer überzeugt man sich von ihrer
vollständigen Unhaltbarkeit. Die Reformpläne des Agis und
Kleomenes werden ganz unverständlich. Wenn Agis die Zahl
der Bürger durch Aufnahme von Perioeken auf 4500 veraiehren
wollte 2), und Kleomenes diesen Plan wirklich ausführte, so wäre
das keine Verjüngung, sondern geradezu eine Vernichtung der
spartanischen Bürgerschaft gewesen ; die wenigen Altbürger
hätten sich unter der Masse der Neubürger völlig verlieren
müssen. War aber wirklich eine so radicale Maassregel be-
absichtigt, dann musste man den begonnenen Schritt auch
’) Plut. Agis 5: aneXtjg fitjanv ovv inraxoaitov ov nXilov; 2nag~
r inrcu, xnl toviiov tacu ; ixazov rjtjav ol ytjv xixzrjutvot xa't xXijgov 6 J '
liXXo; o/Xo( an opof xnl azi/uo ; tv zrj noXet nagixnxXgzo, zoi/t uir e^tuittv
noX(/Aovs agyiü; y.ai ctnQo&vuto; duiiöfilvo;, «{) rivct xcupör intt ij-
Q<öv ,t ittaßoXijs xa't ftfraoTnaeots ruir nagovian.
*) Plut. Agis 8.
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Der Peloponnes.
143
ganz thun und allen Perioeken das Bürgerrecht geben; die
hallte Maassregel hätte nur Spartiaten und Perioeken gleicli-
mässig der neuen Ordnung der Dinge zu Feinden gemacht.
Von solchen Bestrebungen waren Agis und Kleomenes weit
entfernt. Vielmehr war der hauptsächlichste Zweck ihrer Re-
form der, die Gütergleichheit, wie sie einst unter Lykurg ge-
herrscht haben sollte, unter der spartanischen Bürgerschaft
selbst wieder herzustellen ; die Aufnahme von Perioeken in das
Bürgerrecht war nur eine Maassregel von secundärer Bedeutung.
Es muss also die Mehrzahl, oder doch wenigstens annähernd
die Hälfte der 4500 Bürger, die Sparta unter Kleomenes zählte,
aus Altbürgern bestanden haben. Wir haben denn auch eine
Angabe, wonach Kleomenes beim Beginn seiner Reform 1500
Bürger vorgefunden hat1), eine Zahl, die an sich nicht unbe-
dingt zu verwerfen wäre; nur müsste sie besser bezeugt sein,
als dies der Fall ist.
Wir sehen, wie völlig verkehrt die landläufige Ansicht ist,
die Bürgerzahl Spartas habe sieh seit dem Anfang des V. Jahr-
hunderts beständig und in starkem Verhältniss vermindert. Viel-
mehr ist von den Perserkriegen bis auf die Reformen des
Kleomenes, d. h. während etwa eines Vierteljahrtausends, die
spartanische Bürgerschaft so ziemlich stationär geblieben und
hat zwischen 2- und 3000 Köpfen geschwankt. Wer erwägt,
dass die Aufnahme Fremder so gut wie unerhört war, und dass
an die Spartiaten militärische Anforderungen gestellt wurden,
wie sie nie wieder an ein anderes Volk gestellt worden sind,
wird nicht umhin können die Lebenskraft zu bewundern, mit
der Sparta alle Verluste im Kriege ersetzt hat. Wenn wir
freilich nur die vollberechtigtem Bürger, die Homoeen, in Be-
tracht ziehen, ergiebt sich ein ganz anderes Bild. Von 1500
im Jahre 371 sinkt ihre Zahl auf 700 in der Mitte des
HI. Jahrhunderts: von der Hälfte auf etwa das Viertel der
ganzen Bürgerschaft. Doch ist es in erster Linie der Verlust
Messeniens und des dort gelegenen Grundeigenthums, der diese
Abnahme verursacht hat.
') Macrob. Saturn. I 11, 34.
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1
144 Capitel IV.
Auch so bleibt es wahr, was Xenophon sagt, dass Sparta
zu den am schwächsten bevölkerten Staaten gehörte1); zählte
doch selbst ein Kleinstaat wie Phleius in der ersten Hälfte des
IV. Jahrhunderts mehr Bürger als die Hauptstadt von Hellas.
Aber wir müssen verstehen, um bewundern zu können; und
wenn Sparta in der That im Jahre 371 nicht 1500 Homoeen,
sondern 1500 Bürger überhaupt gezählt hätte, so bliebe die
politische Stellung, die Sparta während der vorhergehenden
2 Jahrhunderte eingenommen hat, ganz unbegreiflich. Auch
müsste man annehmen, dass sich die Bürgerzahl gerade zur
Zeit von Spartas höchster Macht (479—371) vermindert hätte,
während sie in derZeit des Verfalles (371 — 230) sich vermehrt
haben müsste, oder mindestens stationär geblieben wäre. End-
lich lässt sich unter dieser Voraussetzung eine irgendwie wahr-
scheinliche Erklärung der spartanischen Heeresorganisation nicht
aufstellen.
Die Reformen des Kleomenes machen Epoche auch in den
Bevölkerungsverhältnissen Spartas. Die Bürgerschaft wurde auf
4000 kriegstüchtige Ilopliten gebracht2), im ganzen also offen-
bar auf 4500 Köpfe, wie einst Agis beabsichtigt hatte. 6000
Heiloten wurde die Freiheit gegeben8). Einschliesslich etwa
6000 Söldnern und wenigen — kaum über 1000 — Bundes-
genossen hatte Kleomenes bei Sellasia 20000 Mann, also 13000
Combattanten aus Lakonien, von denen 4000 Spartiaten, der
Rest Perioeken und Neodamoden waren4). Dass sämmtliche
spartiatisehe Bürger bis auf 200 in der Schlacht gefallen wären,
wie Phylarchos angab, ist natürlich eine starke Uebertreibung.
Antigonos scheint den überlebenden Neubürgern das Bürger-
recht nicht entzogen zu haben. Gegen die Aetoler sollte Sparta
220 ein Contingent von 2500 Manu zu Fuss und 250 Reitern
ins Feld stellen, die Hälfte der Truppenzahl, die der ganze
') Vom Staat d. Lakedaem. 1 1 : ij Zniipr-g icü v ohyav&pamoTattov
n 6i f tov ovaa.
*) Plut Kleom. 11, vgl. Agis 8.
®) Plut Kleom. 23.
4) Polyb. II 65, 7 — 10; 69, 3; vgl. Droysen, Hellen. III2 2 S. 141 A.
6) Plut Kleom. 28.
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Der Peloponnes.
145
achaeische Bund aufbrachte, zu dem damals ausser Achaia
auch Argolis und Arkadien gehörten1). In der Schlacht bei
Mantineia (207) sollen über 4000 Lakedaemonier gefallen sein2).
Nabis batte beim Einfall der Römer und Achaeer (195), ausser
3000 Söldnern und 2000 Kretern, 10000 Mann lakonischer
Truppen, unter denen sich freilich viele freigelassene Heiloten8)
und Contingente der Ferioekengemeinden befanden4).
Was nun die nichtbttrgerlichen Elemente der Bevölkerung
Lakoniens angeht, so stellten die Perioeken, wie wir gesehen
haben, die reichliche Hälfte der spartanischen Hoplitenmacht
Schon daraus ergiebt sich, dass sie viel zahlreicher sein mussten,
als die Spartiaten selbst; denn während diese sämmtlich als
Hopliteu dienten, konnten in den Perioekenstädten nur die
wohlhabenden Bürger zu diesem Dienste herangezogen werden.
Und überhaupt war es aus politischen, ebenso wie aus mili-
tärischen Gründen geboten, die Perioeken nicht zu stark im
Heere überwiegen zu lassen5). Bestimmte Angaben über ihre
Zahl haben wir erst aus der Mitte des HI. Jahrhunderts. Da-
mals sollen 15000 Perioeken vorhanden gewesen sein6); und
dem entspricht es, dass sie 6 - 7000 Mann zur Schlacht bei
Sellasia gestellt haben7). Ihr Gebiet umfasste die grössere,
freilich auch unfruchtbarere Hälfte Lakoniens: die Küste des
argolischen Golfes von Prasiae südwärts und die beiden Halb-
inseln von Malea und Taenaron, mit 24 Städten, die in römi-
scher Zeit den Bund der Eleutherolakonen bildeten8); ferner
') l'olyb.- IV 15, 6.
s) Plut. Philop. 10.
s) Liv. 34, 27 nach Polybios.
■*) Liv. 34, 36: iuventutem praeterea civitatiwn earum ad supplementum
lange optimi generis militum habebat.
5) Man denke an die Zusammensetzung des römisch - italischen
Bundesheeres.
8) Plut Agis 8.
7) Polyb. II 65. 69 und Droysen, Heil. III a S. 141 A., der aber im
Irrthum ist, wenn er meint, die 6000 freigekauften Heiloten wären Perioeken
geworden. Natürlich wurden sie Neodamoden.
*) Paus. III 31, 7 ; Le Bas-Foucart, Expiication des inscr. H S. 110.
Belach, Bevöllcerungslehre. I. 10
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146
Capitel IV.
das Quellgebiet des Eurotas, oder die Skiritis und Tripolis;
die Insel Kythera1); endlich vor 369 auch eine Anzahl von
Städten in Messenien, wie Thuria 2), Asine3), Aulon4) und wohl
auch Methone, Kyparissiae und Pherae. Wohl mag Isokrates
Recht haben, wenn er angiebt, dass diese „Städte“ an Bedeu-
tung vielen der attischen Deinen nachstanden5). Aber die
Skiritis vermochte doch im V. Jahrhundert 600 Bewaffnete zu
stellen8) und muss demnach gegen 1000 Bürger gezählt haben;
und auf das 300 qkm grosse Kythera wird vielleicht die dop-
pelte Zahl zu rechnen sein. Wir werden also auch im V. und
IV. Jahrhundert gegen 15000 Perioeken annehmen müssen,
wobei die messenischen Städte eingerechnet sind, sodass sich
bis auf Agis' Zeiten noch immer eine, wenn auch unliedeutende
Vermehrung ergeben würde. Auf jede Perioekenstadt entfallen
demnach im Durchschnitt etwa 500 Bürger.
Es bleibt noch der ohne Frage zahlreichste Bestandtheil
der Bevölkerung des lakedaemonischen Gebietes, die Heiloten.
Aus Thukydides wissen wir. dass zur Zeit des peloponnesisehen
Krieges Chios von allen griechischen Staaten die grösste
Sklavenzahl hatte; Sparta allein ausgenommen7). Da nun
Sparta Sklaven im eigentlichen Sinne des Wortes in irgend
nennenswerther Anzahl damals noch nicht besessen hat, so
muss Thukydides hier an die Heiloten gedacht haben. Diese
waren also zahlreicher, als die Sklaven in Athen oder Korinth,
und müssen demnach über 100000 Köpfe stark gewesen sein.
Auf eine etw as geringere Zahl würden Ilerodots Angaben führen,
wonach in der Schlacht bei I’lataeae jeder Spartiate 7 Heiloten
bei sich gehabt haben soll8); da nun 5000 Spartiaten l>ei Pla-
>) Thuk. IV 53.
») Thuk. I 101.
*) Xen. IleU. VII I, 25; Paus. IV 34, 9.
*) Xen. HeU. III 3, 8.
B) Panath. 179: ovöfiaai uiv nQoaayuouo/jtrcn; o>{ nölei; olxoir-
T«f, rr/v di ifuvautr f/oyuts (XnTTO) T<ür ifrutov rüv nnn' <lutv.
6 ) Thuk. V 68.
7) Thuk. VIII 40: ot yäo olxtrai Tot( Xtotf rrollol orris xal ftiit
ye itöl-tt Ttltiv AaxiJaiu.or(oir n liiaroi ylrofitroi.
8) Ilerod. IX 28.
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Der Peloponnes.
147
taeae gekämpft hätten, so müssten 35 000 Heiloten damals auf-
geboten worden sein. Allerdings hat nun, wie wir oben ge-
sehen haben, Herodot die Zahl der Spartiaten weit überschätzt,
und demzufolge auch die danach berechnete Zahl der Heiloten;
aber das von ihm angenommene Verhältnis zwischen Spartiaten
und Heiloten wie 1 : 7 könnte trotzdem richtig sein. I)a nun
die spartiatische Bürgerschaft am Ende des V. Jahrhunderts
etwa 2500 erwachsene Männer gezählt hat, so erhielten wir
in runder Zahl 20000, oder einschliesslich der Weiber und
Kinder 60000 Heiloten. Indess haben wir nicht die geringste
Gewähr dafür, dass die Heiloten wirklich im selben Verhältnis
zum Kriegsdienst aufgeboten wurden, wie die Bürger; vielmehr
spricht alles gegen eine solche Annahme. Die Angabe Herodots
also giebt uns im besten Falle ein Minimum, unter das wir
bei Schätzung der Heilotenzahl nicht herabgehen dürfen.
Weiter kommen wir mit einer Notiz bei Polybios, wonach
die Lakonen und Arkader die beiden stärksten Völkerschaften
des Peloponnes und unter einander an Zahl etwa gleich waren *).
In der That ist auch der Flächeninhalt beider Landschaften
ungefähr derselbe, und es sind beide Gebirgsländer, mit ver-
hältnissmässig wenig zum Ackerbau geeignetem Boden. Da nun
Arkadien um 400 v. Chr. etwa 150000 Einwohner gezählt hat,
so wird dieselbe Zahl auch für Lakonien anzusetzen sein, was
27 Bewohner auf den qkm ergiebt. Messenien war allerdings
fiuchtbarer; dafür fehlten aber hier unter spartanischer Herr-
schaft Städte von irgend welcher Bedeutung, und namentlich
der Westen und Süden der Landschaft war sehr schlecht an-
gebaut2). Also wird für Messenien höchstens dieselbe Volks-
dichtigkeit anzunehmen sein wie für Lakonien. Das ergiebt
') Polyb. IV 32, 3; II 38, 8.
*) So war am Anfang des peloponnesischen Krieges Methone fast
unbewohnt (Tliuk. II 25), Pylos lag wüst: Igriftov avro u xal (ni nolv
rij t gwpaf (Thuk. IV 3); das gegenüberliegende Sphakteria war mit Wald
bedeckt und ohne Bewohner: elwdtjf re xnl nrgt/itj; n äaa in'
(Thuk. IV 8). Curtius, Pehp. II S. 127 nennt Messenien das unglücklichste,
vernachlässigt« te und menschenleerste Land auf der sonst so blühenden
Halbinsel.
10*
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148
Capital IV.
für diese Landschaft etwa 80 000 Einwohner. Da nun die freie
Bevölkerung des spartanischen Staates ums Jahr 400 etwa
18 000 erwachsene Männer, oder 55000 Köpfe gezählt hat, so
bleiben für die Heiloten gegen 175000, eine Zahl, die sich
durch den Verlust Messeniens auf 90 — 1 00 00O vermindern
musste.
Mit der Befreiung von der spartanischen Herrschaft durch
Epameinondas (869) beginnt für Messenien eine neue Blüthezeit.
Die Nachkommen der einst nach dem Fall von Ithome ver-
triebenen Messenier kehrten zurück, und mit ihnen kamen eine
Menge Kolonisten aus verschiedenen Theilen Griechenlands.
Die neu erbaute Hauptstadt trat mit einer Ausdehnung von
95 Hektaren in die Reihe der ersten Städte des Peloponnes;
an der Küste wurden Pylos und Korone gegründet. Sparta
allerdings ist Messene an Macht niemals gleichgekommen1).
Immerhin hören wir, dass bei der Aufstellung eines peloponne-
sischen Bundesheeres von 11000 Mann gegen die Aetoler im
Jahre 220 die Contingente von Sparta und Messene auf die
gleiche Stärke nonnirt wurden, d. h. auf je 2500 Mann zu Fuss
und 250 Reiter2). Bei dem Einfalle Philipps in Lakonien
stellen die Messenier ein Hülfscorps von 2000 Mann und 200
Reitern3). Eine Berechnung der Volkszahl ist freilich auf Grund
dieser Angaben nicht möglich.
Weiterhin besitzen wir aus Messenien einige Epheben-
inschriften. Die ältesten stammen aus Thuria; sie gehören
wahrscheinlich an das Ende des III., spätestens in das n. Jahr-
hundert. Die eine enthält 19 Namen vonEpheben; die andere,
unvollständige, ein Verzeichniss von TQiTtgeveg, nach Phylen
geordnet4). Aus der Daiphontis sind 7 Namen aufgeführt, aus
!) Vgl. z. B. Polyb. IV 32, 9. 10: elrj uiv ovv olox ei av/utf-Orai xijv
vOv imaQyovaav xaxäaxaaiv ITeXortorvrjaiotg . . . täv 3( nute xlvr\oiv xal
fiexclaxuotv aytj xavxa, ft(av uqoi Mtooijvfoig xal MeyaXonoXIxaig XXnlda
xoD J rj an!) ui vtfxeafXai ri/v aiiriör yoiQay inl nle(b) yjtorov, für ai'pj-
(fQOvqoavTeg xara rrjV 'Ena^ietvi"Vdov yvttifxr\v nuvxot xt <tnov xal TiQtiy-
fiaxo; eXtorxiu xoivioreiv «XXrjXoig ilXrj9xriüg.
a) Polyb. IV 15, 6.
») Polyb. V 20, 1.
*) Le Bas-Foucart 301. 302.
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Der Peloponnes.
149
der Aristomachis 5, doch können mehr dagestanden haben;
eine dritte Phyle ist wahrscheinlich weggebrochen. So kommen
wir also auch hier auf etwa 20 Namen. Unter r girigeveg sind
jedenfalls die Irenen des 3. Jahres zu verstehen, d. h. da die
Institutionen von Thuria offenbar den spartanischen nachgebildet
sind, die 22jährigen Jünglinge1). Das würde einer Zahl von
etwa 700 erwachsenen Bürgern entsprechen; da indess ohne
Zweifel auch hier nur die Wohlhabenderen an der Ephebie
Theil nehmen konnten, so muss sich die Bürgerzahl von Thuria
in dieser Zeit auf über 1000 belaufen haben. Eine Epheben-
inschrift von Korone aus dem Jahre 131 n. Chr.2) enthält
80 Namen, obgleich sie am Ende verstümmelt ist, was der
Ephebenzahl Athens in dieser Zeit nahe kommt. Korone müsste
demnach mindestens 5000 Bürger gezählt und zu den bedeutend-
sten Städten Griechenlands gehört haben, was schwer zu glauben
ist. Wahrscheinlich also ist die Inschrift, die keinen Stadtnamen
hat, aus dem nahen Messene hierher verschleppt worden8).
7. Gesammtbevölkerung.
Für den Ausgang des V. Jahrhunderts ergiebt sich nach
dem gesagten die folgende Uebersicht der Bevölkerungsver-
hältnisse der Halbinsel:
Bürgerzahl
freie Bevölkerung
Argot is
53000
160000
Arkadien
50000
150000
Achaia
25000
75 000
Eleia
30000
90000
Lakonien und Messenien .
18000
55000
176000
530000
*) Vgl. Foucart zu unserer Inschrift und Gilbert, Staatsalterth. I 68.
!) 'A&r\v«Tor IV (1875) S. 103. Der Anfang auch hei Le Bas -Fou-
cart 305.
s) Diese Annahme würde sich auch aus dem Grunde empfehlen, weil
unsere Inschrift nach der achaeischen Provinzialaera datirt ist, und der
darin genannte Gyinnasiarcli TrpoarnrTjc di« ßtov tov xoivoF rrnv 'A/anäv
heisst; während Korone in der ersten Kaiserzeit zu Sparta gehört hat
(CIG. 1243. 1255. 1258 und Foucart zu unserer Inschrift).
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150
Capitel IV.
Es mag sein, dass einige dieser Ansätze zu niedrig ge-
griffen sind und dass eine Volkszahl von 600000 der Wahrheit
näher kommen würde. Keinesfalls aber dürfen wir weit über
600000 hinaus, noch unter 500000 herabgehen. Auch Clinton,
der einzige, der bisher eine methodische Berechnung der Be-
völkerung des Peloponnes unternommen hat, ist, wenn auch
zum Theil auf anderem Wege, zu annähernd demselben Re-
sultate gelangt. Kr erhält folgende Zahlen1):
Bürgerzahl
freie Bevölkerung
Lakonien und Messenien .
24044
98985
Arkadien
26198
107856
Achaia
10004
41 186
Argolis
45343
186680
Eleia
22575
92937
128104
527644
Dazu kommt weiter die unfreie Bevölkerung, die indess, von
den Heiloteu Spartas abgesehen, für diese Periode noch nicht
sehr ins Gewicht fällt. Thukydides nennt den Peloponnes ein
Land freier Arbeit®), im Gegensatz zu dem sklavenhaltendeu
Athen. Grössere Sklavenmassen können demnach, mit Aus-
nahme der Handels- und Fabrikstädte in der Nähe des Isthmos,
im V. Jahrhundert auf der Halbinsel noch nicht vorhanden
gewesen sein. Denn die Heiloten sind keine Sklaven im eigent-
lichen Sinne des Wortes. Korinth, das von allen peloponnesi-
schen Staaten bei weitem die grösste Sklavenzahl hatte, zählte
doch, wie wir oben gesehen haben, im V. Jahrhundert kaum
über 60 000 a); für ganz Argolis werden demnach nicht mehr
als 100- bis höchstens 150000 zu rechnen sein. Die wenigen
Sklaven, die in den reichen Häusern von Arkadien, Elis, Achaia
zur persönlichen Bedienung schon in dieser Zeit gehalten werden
mochten, konnten numerisch kaum in Betracht kommen. Die
Zahl der lakedaemonischen Heiloten ist oben zu etwa 175000
>) Fasti Hellenici II a S. 431.
*) Thuk. I 141: aviovQyol it yitQ (tat /ftlonovrijotui.
®) Oben S. 85 f.
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Der Peloponnes.
151
berechnet worden, sodass sich für die unfreie Bevölkerung des
Peloponnes rund 300000 bis vielleicht 350000 Köpfe ergeben
würden. Die Gesammtbevölkerung der Halbinsel ums Jahr
400 hat also 8 — 900000 Seelen betragen. Das entspricht
einer relativen Bevölkerung von 36 — 40 auf 1 qkm.
Sehen Avir jetzt, wieweit die Angaben über die militärischen
Leistungen des Peloponnes mit diesem Resultate im Einklang
stehen. Dass Herodot die Gesammtstärke der peloponnesischen
Contingente in der Schlacht bei Plataeae auf 24300 Hopliten
und 54300 Leichtbewaffnete veranschlagt1), hat wenig zu be-
deuten, da einerseits Herodot, wie wir oben gesehen haben,
die Zahl der meisten Contingente stark überschätzt, andererseits
der grössere Tlieil der peloponnesischen Staaten bei Plataeae
gefehlt hat. Das peloponnesisehe Bundesheer, das Nikomedes
den Doriern zu Hülfe über den Isthinos führte, und das bei
Tanagra über die Athener gesiegt hat, zählte 1 1 500 Hopliten,
da\ron 1500 Lakedaemonier und 10000 Bundesgenossen2). Das
lakedaemonische Contingent hat hier offenbar aus 2 Moren be-
standen, also 1/ä der gesammten kriegstüchtigen Mannschaft;
dasselbe Verhältniss würde demnach auch für die Bundesge-
nossen anzunehmen sein. Etwas stärker war das Heer, mit
dem Agis 407 seinen Angriff gegen Athen unternahm ; er hatte
14000 Hopliten, ebensoviel leichte Truppen und 1200 Reiter8).
Dabei befand sich aber auch ein boeotisches Contingent, sodass
die peloponnesischen Truppen nur etwa dieselbe Stärke gehabt
haben werden, Avie bei Tanagra. In der Schlacht am Nemea-
baeh, 394, zählte das peloponnesisehe Heer ohne die arkadischen
und achaeischen Contingente 13500 Hopliten4); Korinth war
damals Sparta feindlich, dafür aber waren die Lakedaemonier
>) Herod. IX 28 f.
8) Thuk. I 107.
a) Diod. XIII 72.
«) Xen. HeU. IV 2, 16. Wenn Diod. XIV 83 die Stärke der Lake-
daemonier und ihrer Bundesgenossen auf 23000 Mann zu Kuss und 500
Reiter angiebt, so kann er, oder vielmehr seine Quelle, die bei Xenophon
fehlenden Contingente berücksichtigt haben; vielleicht sind einige Posten
in unserem Text der Hellenika ausgefallen'.
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152
Capitel IV.
selbst mit ganzer Macht zur Stelle. Agesilaos führte 378 gegen
Theben über 1 8 000 Mann, wobei 5 Moren Lakedaemonier gewesen
sein sollen *) ; indess ist es nach der Art, wie Diodor bei dieser
Gelegenheit von dem skiritischen Loehos spricht, wahrscheinlich,
dass die eine dieser angeblichen 5 Moren eben von den Skiriten
gebildet wurde, sodass also Sparta für diesen Feldzug nur 2/a
seiner Macht aufgeboten hätte. Auch bei Leuktra 371 standen
4 lakedaenionische Moren2); die Gesannntstärke des Heeres
wird zu 10000 Hopliten und 1000 Reitern angegeben8). Es
war also auch dieses ein Zweidrittelaufgebot; die geringe Zahl
der Bundesgenossen hier und schon 378 ist ein Symptom der
nahenden Auflösung der peloponnesischen Symmachie.
Nach dem gesagten werden wir ohne weiteres beurtheilen
können, was von der Angabe zu halten ist, Arehidamos habe
im Jahre 431 60000 Hopliten nach Attika geführt4). Thuky-
dides bezeugt uns, dass zu diesem Zuge 2 s der verfügbaren
Streitkräfte des Peloponnes aufgeboten wurden5); also z. B.
Sparta stellte von seinen 6 Moren 4: d. h. die gesammte, für
Feldzüge ausser Landes verfügbare Streitmacht der pelopon-
nesischen Symmachie und Boeotiens müsste 90000 Hopliten
betragen haben. Es bedarf keiner Bemerkung, dass eine solche
Annahme einfach absurd ist ®) ; niemals, weder vorher noch nach-
her, hat der Peloponnes mehr als etwa 30 000 Hopliten ins
Feld gestellt. Ich habe oben walirscheinlich gemacht, dass
10000 Hopliten etwa Vs der felddiensttauglichen Hopliten der
peloponnesischen Bundesgenossen Spartas bildeten; zu dem Heere
i) IMod. XV 32.
*) Xen. Hell. VI 4, 17.
’) Plut. Pelop. 20. Frontin. IV 2, 6 giebt 24000 Hopliten und 1000
Heiter, Polyaen II 3, 8 u. 12 sogar 40000 Manu: die Uebertreibung ist
handgreiflich.
*) Plut. Perikies 33.
B) Thuk. II 10: ree Jiio fifotj et n 6 noktuis lxetarq(.
6) Cobet hat das richtig erkannt (Mnetnos. »lor. ser. 1 139), nur ist
seine Emcndation l$axeo/ik(oi's für l£etxeO[ivQlovt bei Plutarch natürlich ganz
unhaltbar, wie Milller-Strübing, Thuk. Forsch. S. 249—54 ihm mit leichter
Mühe nachgewiesen hat. Vgl. jetzt auch Duncker, Gesch. cl. Alteiih. IX
S. 425.
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Der Peloponnes.
153
Archidamos’ müssten sie demnach 20000 Hopliten gestellt haben.
Dazu 4 lakedaemonische Moren mit zusammen, einschliesslich
der Skiriten, 3 — 4000 Mann, ferner 5000 boeotische Hopliten
und vielleicht 1000 Megarer, ergiebt zusammen ein Hopliten-
heer von gegen 30000 Mann. Dazu mochte Korinth 2000,
die argolische Akte ebensoviel, Megara, Sikyon, Phleius und
Pellene etwa je 1000, Elis 3000, Arkadien 10000, Boeotien
5000. Sparta 3—4000 stellen.
Die Heere dieser Zeit bestanden in der Regel zu ziemlich
gleichen Theilen aus Hopliten und Leichtbewaffneten; und das
des Archidamos wird keine Ausnahme gemacht haben. So
mochten denn in der That gegen 00000 Bewaffnete unter
seinem Befehle stehen, woraus dann Plutarch, der von den
Militärverhältnissen der perikleischen Zeit keinen klaren Begriff
mehr hatte, 60000 Hopliten gemacht hat. Wenn Androtion
das Heer des Archidamos auf 100000 Mann angiebt1), so sind
hier entweder die Nichtcombattanten eingerechnet, oder, was
wahrscheinlicher, es liegt nur eine vage Schätzung vor.
Die gesammte Wehrkraft des Peloponnes, ohne Argos und
Achaia, hat sich demnach im Jahre 431 auf 34—35 000 Hopliten
belaufen. Auf Argos und Achaia werden etwa je 6 — 7000 Hopliten
zu rechnen sein; im ganzen also für die Halbinsel 45—50000
Hopliten. Die leichten Truppen mochten den Hopliten an Zahl
mindestens gleich kommen; die zu Feldzügen ausser Landes
verfügbare Truppenmacht lvelief sich demnach auf etwa 100000
Mann. Da selbst Sparta bei solchen Feldzügen in der Regel
nicht auf die Mannschaften von über 55 Jahren zurückgriff, so
ist es nicht wahrscheinlich, dass die übrigen Staaten der Halb-
insel die Grenze von 50 Jahren für ein solches Aufgebot über-
schritten haben sollten. Nun bilden die Männer zwischen 20
und 50 Jahren im heutigen Europa etwa 40—41 % der ge-
summten männlichen Bevölkerung, also rund 2/b ; und folglich
1;j der Gesannntbevölkerung überhaupt. Die freie Bevölkerung
des Peloponnes am Ende des V. Jahrhunderts hat also auch
nach dieser Berechnung etwa */« Million Seelen betragen, und
’) Fr. 45 bei Scliol. Soph. Oed. Kol. 697.
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154
(Japitel IV.
wahrscheinlich noch etwas darüber, da offenbar viele Männer
von militärpflichtigem Alter wegen körperlicher Gebrechen oder
aus anderen Ursachen ihrer Dienstpflicht nicht genügen konnten.
Das Heer, mit dem Epameinondas im Winter 370/69 in
Lakonien einfiel, geben Diodor und I’lutarch übereinstimmend
auf 70000 Mann an, wahrscheinlich nach Ephoros1). Davon
wären 40000 Mann Hopliten gewesen2). Das waren die Auf-
gebote von Boeotien, Euboea, l’hokis, Lokris, Akarnanien, Malis,
Argos, Arkadien, Elis. Es ist wahrscheinlich, dass diese Staaten
bei Anspannung ihrer gesummten Wehrkraft im Stande waren,
eine solche Truppenzahl aufzubringen ; w omit natürlich noch nicht
gesagt ist, dass Epameinondas wirklich ein so grosses Heer unter
seinem Befehle hatte. Brauchbarer sind die Angaben Diodors
über die Stärke der kämpfenden Heere in der Schlacht bei
Mantineia, der grössten Schlacht, die bis dahin zwischen Griechen
geschlagen worden war8). Die Boeoter und ihre Bundesge-
nossen sollen danach über 30000 Mann und 3000 Reiter, ihre
Gegner über 20000 Mann und 2000 Reiter gezählt haben, zu-
sammen also hätten über 50000 Mann und 5000 Reiter ge-
kämpft4). Die Athener zählten 6000 Mann5); die Lakedaemonier
waren mit ihrer ganzen Macht zur Stelle, also — mit Rücksicht
auf die Verluste bei Leuktra — wohl mit nicht mehr als 5000
Mann : so dass die Eieier, Achaeer, Phleiasier, Mantineer und die
mit diesem verbündeten Arkader") zusammen etwa 11 000 Mann
gezählt haben müssen. Auf der andern Seite hatten die Boe-
oter ihre ganze Macht aufgeboten 7), also etwa 6000 Hopliten
und 1000 Reiter; die Contingente aus Euboea, Lokris und
Thessalien können höchstens dieselbe Stärke gehabt haben,
sodass für die peloj>onnesisehen Bundestruppen — Argeier, Süd-
») Diod. XV 62; Piut. Pelop. 24, Agesilaos 31.
s) Plut. Agesilaos 31.
a) Diod. XV 86: ovSinoTl yvQ'EXXgrm’ 7rpöf "EXX>]VttS nymri(oft(r(uv
ovti nlr/froi iil'dQtöv loooixo nttgirnlitro xrX.
*) Diod. XV 84.
Diod. a. a. 0.
«) CIA. 11 57 b.
’) Xen. Hell Vll 5, 4.
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Djr Peloponnes.
155
Arkader, Messenier, Sikyonier noch gegen 20000 Mann bleiben
würden, was nicht übertrieben scheint. Es hätten demnach
bei Mantineia etwa 36 000 Peloponnesier gekämpft, das Ge-
sammtaufgebot aller Staaten bis auf Korinth und die argolische
Akte. Diese Berechnung macht selbstverständlich nur auf
approximativen Werth Anspruch, kann sich aber, die Richtig-
keit der Angaben Diodors vorausgesetzt, nur um einige Tausende
von der Wahrheit entfernen. Rechnen wir Korinth und die
Akte hinzu, so erhalten wir reichlich 40000 Mann als Gesammt-
wehrkraft des Peloponnes um die Mitte des IV. Jahrhunderts.
Das ist annähernd dieselbe Zahl, die sich uns oben für die
Zeit des peloponnesischen Krieges ergeben hatte.
Im Jahre 331 betrug das Aufgebot der an dem Aufstande
gegen Antipatros theilnehmenden Staaten 20000 Mann und
2000 Pferde1); die 8 — 10000 Mann starken Söldner2) sind
hier nicht mitgerechnet. Das waren die Contingente von Sparta,
Elis, Achaia mit Ausnahme von Pellene, und Nord-Arkadien,
während Messene, Süd -Arkadien, Argos und Pellene an dem
makedonischen Bündniss festhielten; es war also nur etwa die
Hälfte des Peloponnes, die dieses Heer gestellt hatte. Hundert
Jahre später, in der Schlacht bei Pallantion 227, soll das Heer
des achaeisehen Bundes 20000 Mann zu Fuss und 1000 Reiter
gezählt haben 8) ; der Bund umfasste damals ausser Achaia selbst
ganz Argolis, und Arkadien bis auf Tegea, Mantineia, Orehomenos,
Psophis, Phigaleia, Alipheira : also ebenfalls etwa die Hälfte des
Peloponnes. Bei Sellasia allerdings fochten die Achaeer mit
nicht mehr als 4000 Mann zu Fuss und 300 Reitern4); der
Bund war aber damals durch den langen und unglücklichen
Krieg gegen Kleomenes aufs tiefste erschöpft, und Antigonos
') Diod. XVII 62: ThXonorvtjOitov J' ol nXtlovi xai jtiiv tiXltuv
itvif o vuif (toignun ti Ü7ii j'p«i/f«i'TO ngöi ihv n oXifior, xat xaiu dvrafJtv
t <ör noXauv xaitiyQayortii rtbf rfmv robs agiaioat xmlXiinv otqutim-
i n( 7i c(o bi [iiv oix IXüttovs rtüv liiOfiiQlior, Snntii i ft ntgt ihnyiXloti.
8) Diod. XVII 48; Deinarcli. g. Dem. 34.
3) Plut Kleom. 4, nach Phylarchos.
*) Polyb. II 65, 3: Ij/aitöv J ' ln iXlxtoii nt(vb( fjiv igia/ülovi,
Inntis di jgutxoalovs, xttl MiyaXonoXljti t ytXloti di tgv lUaxtäunxoV
rgönov xafrcun XtaulvoLi.
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156
Capitel IV.
hatte Grund, seine neuen Bundesgenossen zu schonen. Im fol-
genden Jahre, 220, wurde gegen die Aetoler ein Corps aus-
gewählter Bürgertruppen von 5000 Mann und 500 Pferden aul-
gestellt1). Gegen Nabis, 195, stellten die Achaeer 10000 Mann
und 1000 Reiter, wovon freilich ein Theil Söldner waren®);
Argos war damals vom Bunde abgefallen.
Die Stärke des Gesammtaufgebotes des aehaeischen Bundes
im Jahre 168, also zu einer Zeit, wo der Bund den ganzen
Peloponnes umfasste, belief sich nach Polybios auf 30 — 40000
Mann8): d. h. noch annähernd auf dieselbe Zahl, die der Pelo-
ponnes 2 Jahrhunderte früher, zur Zeit der Schlacht bei Manti-
neia, hatte ins Feld stellen können. Wir dürfen nicht vergessen,
dass die Dienstpflicht auch im aehaeischen Bunde nach dem
Vermögen geleistet wurde, und dass leichte Trappen in den
Kriegen dieser Zeit nur noch in sehr beschränkter Zahl zur
Verwendung kamen. Es waren also im wesentlichen nur die
wohlhabenden Klassen der Bevölkerung des Peloponnes, aus
denen die aehaeischen Bundesheere gebildet waren.
Natürlich ist der achaeische Bund sowenig wie irgend ein
anderer Staat des Alterthums oder der Neuzeit im Stande ge-
wesen, die ganze, in den Listen verzeichnete Heeresstärke
wirklich ins Feld zu stellen. In der Schlacht bei Leukopetra
gegen Mummius, 146, zählte das Bundesheer 600 Reiter und
14000 Mann zu Fuss, die mit aller Anstrengung unter Ein-
reihung freigelassener Sklaven zusammengebracht waren4).
Allerdings hatten die Achaeer bereits bei Skarpheia starke Ver-
luste erlitten, Elis und Messenien hatten ihre Contingente
zurückgehalten5), und Sparta war abgefallen, sodass das Auf-
gebot l>ei Leukopetra nur etwa von der Hälfte der peloponne-
sischen Gemeinden gestellt war. Der ganze Peloponnes würde
>) Polyb. IV 15, 3.
*) Liv. 34, 25 nach Polybios.
s) Polyb. XXIX 9, 8: xakiö; yaQ notoCvras avrovs xa'i tqcis ayftv
xal r(TTUQ(ts (iVQinSas nrägär uttyluotr.
*) Pausan. VII 15, 7.
®) Polyb. XL 3, 3: 'Illttot uir y«p xcu Mtaar^noi xuj« yojnnr
tufirav, ngootSoxonris tov « 770 roO arölov xlrüvvov.
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Der Peloponnes.
157
also gegen 30000 Mann haben aufstellen können, was, wie man
sieht, der von Polybios für das Jahr 168 angenommenen Heeres-
stürke ziemlich nahe kommt.
Die Zahl der wehrfähigen Mannschaft, die der Peloponnes
aufzustellen vermochte, ist demnach seit der Mitte des IV. Jahr-
hunderts etwas zurückgegangen, und dieses Deficit erscheint
noch grösser, wenn wir erwägen, dass in der Zwischenzeit die
lakedaemonischen Heiloten wenn nicht sämmtlich, so doch zum
weit überwiegenden Theile emancipirt worden sind. Ob aber
dieser Abnahme der wehrfähigen Mannschaft eine Abnahme der
freien Bevölkerung überhaupt entsprochen hat, muss dahinge-
stellt bleiben, da wir nicht wissen, an welche Voraussetzungen
die Wehrpflicht im achaeischen Bunde geknüpft war. Bei dem
Schwinden des militärischen Geistes in dieser Periode ist es
aber wahrscheinlich, dass der Staat jetzt geringere Anfof-
derungen an seine Bürger gestellt hat, als im V. und IV. Jahr-
hundert. Die freie Bevölkerung scheint also am Anfang des II.
Jahrhunderts noch annähernd ebenso zahlreich gewesen zu sein,
wie die freie und Heilotenbevölkening am Ende des V.; d. h.
sie mag sich auch jetzt auf gegen 700000 belaufen haben.
Dagegen hat sich die Sklavenbevölkerung in der Zwischen-
zeit ohne Zweifel bedeutend vermehrt. Im Laufe des IV. Jahr-
hunderts ist die Sklaverei auch in diejenigen Theile Griechen-
lands vorgedrungen, die bis dahin in der Hauptsache davon
frei geblieben waren. So waren die Sklaven in Megalopolis
bereits 318 so zahlreich, dass sie für die Verteidigung der
Stadt gegen Polysperchon wesentlich mit in Betracht kamen1).
Im Jahre 194 gab es im Gebiet des achaeischen Bundes, der
damals Sparta, Messenien und Elis noch nicht umfasste, nicht
weniger als 1200 italische Sklaven, die während des Kanni-
balischen Krieges dahin verkauft w orden w aren ä). Diaeos befahl
bei Ausbruch des Krieges gegen Rom die Freilassung der im
Lande geborenen Sklaven kriegstüchtigen Alters bis zu einer
*) Diod. XVIII 70. Vgl. Philoch. Leben d. Äpollonios VIU 7 S. 161,
Kayseriiber die Sklaven in Arkadien.
*) Polyb. bei Liv. 34, 50.
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158
Capitel IV.
Gesainmtzahl von 12000, welches Contingent auf die einzelnen
Bundesstaaten repartirt wurde. Wir hören, dass in einigen
Städten die Sklaven dieser Kategorie nicht ausreichten, die
geforderte Zahl voll zu machen *) ; Diaeos scheint demnach bei
der Bemessung des Contingents bis an die Grenze des mög-
lichen gegangen zu sein. Der Bund wird also in dieser Zeit
etwa 60000 im Lande geborene Sklaven jeden Alters und
Geschlechts gezählt haben2). Nun stehen in den von Wescher
und Foucart publicirten delphischen Freilassungsurkunden, die
dieser selben Zeit angehören, die im Hause geborenen Sklaven
(oixoyeveis) zu den Kaufsklaven wie 84:129 oder wie 2:3.
Nach diesem Verhältniss würde die gesammte Sklavenzahl des
Peloponnes um die Mitte des II. Jahrhunderts gegen 150000
Köpfe betragen haben; da indess die im Lande geborenen
grössere Chancen der Freilassung haben mussten, als die durch
Kauf erworbenen, so mag die Zahl immerhin auf 250000 an-
zusetzen sein. Höher hinaufgehen dürfen wir nicht; denn Si-
cilien, damals ohne Frage das an Sklaven reichste Land der
Welt, kann in dieser Zeit kaum über 400000 Sklaven gezählt
haben (s. unten Cap. VII).
Die Gesammtbevölkerung des Peloponnes hat sich demnach
ums Jahr 200 auf etwa 950000 Menschen belaufen, oder reich-
lich 42 auf 1 qkm. Wenn der epeiro tische Bund, der nie eine
hervorragende politische Rolle gespielt und kaum irgend eine
bedeutende Stadt besessen hat, im Jahre 170 auf etwa 8000
qkm eine Bevölkerung von gegen 300000 F.inwohnem zählte,
also nahe an 40 auf 1 qkm (s. unten Cap. V, 3), so wird die
hier ermittelte Volksdichtigkeit für den Peloponnes gewiss nicht
zu hoch scheinen.
*) Polyb. XL 2, 3; iy^atft raig jtoltai Titian; rtür olxoytvtüv xtri
7i aoaToötf tuv t ovg dxfjttgorrag rtti g jjltxftug tlg uvQioig xai äiaytUo vg
fltv&tgovv xai xaftonh'aa ring 71 tun ttv tlg KÖqiv&ov. fuintat di rmg
Tlöl.tat Tt)V lnißuXi]V Ttüv otufjattuv llxij xai dvlatog, xaHtiutQ xai nt Qi
ttüv aXXtov fnoaiTtv. oig d' dv flltfrrrj id r tüv napaiQOtftor nlij&og,
dvanXrjQOvv tdti tijv ixdaroig xafh;xovaav pjoTgav fx Ttüv aXltov olxtvür.
*) Bei dieser Kategorie wird es gestattet sein, die allgemeinen Ge-
setze der Bevölkerungsstatistik anzuwenden, was bei den Kaufsklaven un-
zulässig ist.
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Der Peloponnes.
159
Eine fühlbare Abnahme der Bevölkerung ist im Peloponnes
wie im übrigen Griechenland erst seit dem Anfang des II. Jahr-
hunderts eingetreten, trotz des tiefen Friedens, den die römische
Hegemonie gebracht hatte, und obgleich Griechenland in dieser
Zeit von Epidemien verschont blieb1). Diese Entvölkerung,
deren Ursachen an anderer Stelle zu erörtern sind, hat dann
in den folgenden Jahrhunderten ihren Fortgang genommen, und
wenn auch der Peloponnes in der Kaiserzeit keineswegs so
menschenleer gewesen ist, wie manche sich vorstellen z), so
kann doch kein Zweifel sein, dass die Bevölkerung in dieser
Zeit die frühere Höhe bei weitem nicht mehr erreicht hat3).
Aber es fehlen alle Daten zur numerischen Bestimmung dieser
Abnahme.
8. Kreta.
Es mögen hier die wenigen Notizen angefügt werden, die
wir über die Bevölkerung des alten Kreta besitzen. Der Flächen-
inhalt beträgt nach Strelbitzky :
qkm
Kreta 8591,3
Gaudos 29,7
Ophiussa (Gaudopulo) 4,3
Cbrysea ( Gaidaronisi ) 6,6
8631,9
Das ist mehr als das Areal von Lakonien und Messenien zu-
sammen.
Die grosse Bevölkerung hebt schon Homer hervor4):
Aoij’r/j ri{ yai' torf, plaqi M ofvom ttovto),
xalri xni tiIhqu, tuq(qovtos ' (v <t’ in ftgiiinoi
77o).).o(, aJTHQtaioi, xai /ynjxorra iTo/qff.
In der Ilias ist sogar von 100 kretischen Städten die Rede5).
>) Polyb. 37, 4.
*) Vgl. z. B. die oben S. 149 angeführte messenische Ephebeninschrift
aus 131 n. Clir.
s) Näheres unten Cap. XII.
*) Odyss. t 172.
5) Ilias 1i 649.
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160
Capitel IV.
Bei der politischen Zersplitterung der Insel in eine Menge
selbständiger Staaten, und dem geringen Antheil, den Kreta in
Folge dessen an den hellenischen Angelegenheiten genommen
hat, dürfen wir Angaben über die Bevölkerung in der klassi-
schen Zeit nicht zu finden erwarten. Doch ist kaum ein Zweifel,
dass die gebirgige und waldreiche, aber in ihren Thälern frucht-
bare Insel ') auch in dieser Zeit stark bevölkert gewesen ist.
Wenigstens finden wir kretische Söldner seit dem V. Jahrhundert
in beträchtlicher Zahl in fast allen griechischen Heeren 2). Eine
bedeutendere Stadt freilich fehlte; selbst Knosos, das in der
Odyssee als solche bezeichnet wird und auch später unter den
kretischen Städten den ersten Rang einnimmt, hatte nicht mehr
als 30 Stadien Umfang8). Gegen Metellus soll Kreta im Jahre
68 ein Heer von 24000 Mann aufgestellt haben4), was kaum
übertrieben scheint, da es die Kreter vermochten, in offener
Feldschlacht sich dem römischen Consul entgegenzustellen und
nach dem Verluste dieser Schlacht noch einen mehrjährigen
Widerstand zu leisten. Vor Ausbruch des Krieges hatten die
Römer die Stellung von 300 Geiseln und Zahlung von 4000
Talenten verlangt5). Kreta wird also kaum schwächer bevölkert
gewesen sein, als das stammverwandte Lakonien, dessen sociale
Einrichtungen den kretischen in so vieler Beziehung analog
waren. Das würde auf eine Bevölkerung von rund 200000
Einwohnern führen.
■) Strab. X S. 475: Ion J’ ogtivf/ *«) itaaeia ij vijaoq, ixei
vaq tvxdgnnvq.
2) Vgl. Strab. X S. 477 : m/vaC 0" ovroq (v airij tov ptfiftotfonixoi
xctl ntQtti itiirixov nXijdovq, iS ov xat t« XijOTijgtn nlr/QoCaUcu avvißiuvf.
s) Odyssee r 178: rij <?' äp' ivi Krioaiq, ueydlrj nöXiq. Strab. X
S. 476. Die nächstbedeutenden Städte waren Gortyn und Kydonia: Strab.' X
S. 476. 478.
4) Veil. II 34: quattuor et viginti milibus iuvenum coactis velocitate
pernicibus, armorum laborumque paratissimis.
8) Appian Sik. 6.
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Fünftes Capitel.
Mittel- und Nord-Griechenland.
1. Mittel-Griechenland.
Die Landschaften zwischen dem Isthmos und den Thermo-
pylen: Megaris, Attika, Boeotien, Phokis, Lokris, entsprechen
im grossen und ganzen den heutigen Nomarchien Attika und
Boeotien, und Fhthiotis und Phokis. Das festländische Areal
dieser beiden Nomarchien beträgt nach Strelbitzky 12 141,5 qkm.
Davon kommen auf Attika, wie wir oben gesehen haben,
2527 qkm; auf Süd-Thessalien entfallen 2630 (davon 200 auf
Dolopien), während etwa 545 zum alten Aetolien gehören. So
bleiben für die mittelgriechischen Landschaften 6439,5 qkm.
Dagegen gehört von der heutigen Nomarchie Aetolien und
Akamanien ein kleines Stück von ungefähr 80 qkm, die Um-
gegend von Naupaktos, zum alten Lokris; weitere 5,5 qkm
kommen für die kleinen, an der lokrischen Küste gelegenen
Inseln (Atalanta etc.) hinzu; im ganzen also ergiebt sich für
das Gebiet, das uns hier beschäftigt, ein Areal von 6525 qkm.
Dasselbe vertheilt sich in folgender Weise:
qkin
Megaris 470
Boeotien 2580
Phokis 1615
Doris 185
östliches Lokris 805
westliches Lokris 870
‘6525
B»T61kening«lehr«. I. 11
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162
Capitel V.
Alle diese Zahlen beruhen auf planimetrischer Messung,
ausgeführt mit Zugrundelegung der Strelbitzkyseheu Werthe
auf Bl. 25 a von Kieperts Neuem Handatlas und Bl. V seines
Neuen Atlas von Hellas. Sie beziehen sich sonach zunächst
auf das V. Jahrhundert. In den Jahren 411 bis ca. 386 und
366 — 338, als Oropos zu Boeotien gehörte, ist der Flächen-
inhalt dieser Landschaft um reichlich 100 qkm höher anzusetzen,
also auf 2700; am Ende des III. Jahrhunderts, nach Einverlei-
bung von Megara und Lamuna, und Wiedergewinn von Oro-
pos, hat der boeotische Bund sogar ca. 3300 qkm umfasst.
Davon kommen auf die Seen (nach Strelbitzky) :
qkm
Kopa'is ( Tripolirut ) 218,7
Hylike (Likeri) 12,9
Ti'cphia? [Paralivtui 9,1
23.5,7
Wie wir sehen, hat Boeotien im V. und IV. Jahrhundert
ungefähr denselben Flächenraum gehabt wie Attika. Dem ent-
sprechend schätzt Xenophon die bürgerliche, oder vielleicht
besser die freie Bevölkerung beider Länder annähernd gleich1).
Das würde für Boeotien eine Bürgerzahl von etwa 25 — 30000
ergeben. Eine Bestätigung findet dieser Ansatz in den An-
gaben des Thukydides über die Stärke des boeotischen Heeres
bei Delion 424, wo die gesammte Streitmacht aller Städte des
Bundes aufgeboten war*). Es kämpften in dieser Schlacht auf
boeotischer Seite8):
Hopliten gegen (utUtoja) 7 000
Leichtbewaffnete über 10000
Peltasten -500
Reiter 1000
zusammen 1*500
') Xen. Delikte. 111 5, 2: ovxoijr oiaOte, tqij, 5ti nlrjOtt /utv ovtfiv
ut(ov; tlalv 'ASr\v<tio t Hoiainov ; OiSn yaQ, Itftj. Die fingirte Zeit des
Gespräches ist vor der Wahl des jüngeren Perikies zum Strategen, also
vor 406.
*) Thuk. IV 91 : «tto naatuv roh- noUtor.
3) Thuk. IV 93.
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Mittel- und Nord-Griechenland.
163
Nun wissen wir aus den boeotischeu Inschriften des UL Jahr-
hunderts, dass die Verpflichtung zum activen Kriegsdienst in
Boeotien ebenso wie in Attika mit dem vollendeten 20. Jahre
begann; wir werden dasselbe auch für das V. Jahrhundert an-
nehmen dürfen. Ferner konnten bei einem allgemeinen Auf-
gebot die festen Plätze unmöglich ohne Besatzung gelassen
werden ; es liegt in der Natur der Sache, dass diese Besatzun-
gen aus den Epheben unter 20 Jahren und den ältesten Jahr-
gängen der übrigen waffenfähigen Bürger gebildet wurden.
Selbst in Sparta hat man bei Feldzügen nicht leicht auf die
Mannschaften von über 55 Jahren zurückgegriffen; in Athen ist,
soviel wir sehen, die Grenze von 50 Jahren nie überschritten
worden. Wir werden also berechtigt sein, in den 18500 Com-
battanten bei Delion die waffenfähige Mannschaft des Landes
von 20 — 50 Jahren zu erkennen. Dabei werden allerdings die
Metoeken einbegriffen sein; indess war deren Zahl in einem
vorwiegend ackerbautreibenden Lande wie Boeotien gewiss
nicht beträchtlich, und sie können um so mehr ausser Ansatz
bleiben, als ja auch ein Theil der bürgerlichen Bevölkerung,
sei es aus Untauglichkeit zum Militärdienst, sei es aus andern
Gründen, verhindert sein musste, beim Aufgebot zu erscheinen.
Rechnen wir die Männer von 20 — 50 Jahren zu 21 °/o der
Gesammtbevölkerung , oder zu 63 °/o der männlichen Bevölke-
rung über 18 Jahren, so ergäbe sich für Boeotien eine Bürger-
zahl von 29 000 und eine bürgerliche Gesammtbevölkerung von
88000, Zahlen, die nur unbedeutend von der Wahrheit ab-
weichen können. Mit Einrechnung der Metoeken weiden wir
sagen dürfen, dass Boeotien im Jahre 424 eine freie Bevölke-
rung von rund 100000 besessen hat. — Nach Ephoros sollen
die Boeoter keinem hellenischen Volke an Zahl nachgestanden
haben'), und Isokrates rechnet Theben, d. h. Boeotien, neben
Sparta, Athen , Argos unter die vier mächtigsten hellenischen
Staaten *).
J) Diod. XV 26: rö ynp ffrvog toDtu xu'i nlrjüti ruv uri(tcSr
firtSpttn xara noi-tfiov oüdtvöf rtü r Eilrjvixdi' idoxti Xe/rrtofhti.
aj Isokr. Paneij. 64.
11*
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164
Capitel V.
Was wir sonst über die militärischen Leistungen Boeotiens
im peloponnesischen Kriege und der nächstfolgenden Zeit hören,
stimmt aufs beste zu diesem Ergebnisse. In dem Sommer des-
selben Jahres, in dessen Herbst bei Delion gekämpft wurde,
wollten die Boeoter mit ganzer Macht Megara zu Hülfe ziehen ;
auf die Nachricht, dass Brasidas dort bereits angelangt sei,
kehrt der grössere Theil des Heeres zurück, und nur 2200
Hopliten und 600 Reiter setzen den Marsch auf Megara fort1).
Sechs Jahre später schicken die Boeoter 5000 Hopliten, 500
Reiter und 5500 Mann leichter Truppen in den Peloponnes;
es wird aber ausdrücklich bemerkt, dass es sich hier um kei-
nen Auszug mit ganzer Macht handelt2). In der Schlacht bei
Korinth, 394, kämpften 5000 boeotische Hopliten und 800
Reiter8); dabei fehlte das Contingent von Orchomenos, während
andererseits Oropos damals zum boeotischen Bunde gehörte.
An der Belagerung der Kadmeia im Winter 379/8 sollen sich
7000 boeotische Hopliten und 1500 Reiter betheiligt haben4).
Bei Leuktra 371 wird das boeotische Heer auf 6000 Mann an-
gegeben6); offenbar sind hier nur die Hopliten gerechnet. Bei
dem Einfalle des Epameinondas in Lakonien im Winter 370/69
belief sich sein Heer angeblich auf 70000 Mann, wovon „we-
niger als der 12. Theil“ Thebaeer, d. h. Boeoter waren6), also
5000 Mann. Auf einem zweiten Zuge in den Peloponnes
führte Epameinondas 7000 Mann zu Fuss und 600 Reiter7);
das zur Befreiung des Pelopidas 367 nach Thessalien gesandte
Heer betrug 8000 Mann und 600 Reiter8); in beiden Fällen
werden die Contingente von Phokis, Lokris und Euboea ein-
») Thuk. IV 72.
*) Thuk. V 57.
s) Xen. Hell IV 2, 17.
4) Nach Diod. XV 26 zählte das athenisch -boeotische Heer 12000
Mann zu Fuss und über 2000 Reiter, davon waren Athener 5000 Hopliten
und 500 Reiter.
6) Diod. XV 52.
8) Plut. Pelop. 24.
’) Diod. XV 68.
*) Diod. XV 71.
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Mittel- und Nord-Griechenland.
165
gerechnet sein. Wie viel Boeoter unter den 30000 Mann und
3000 Reitern gewesen sind, die Epameinondas bei Mantineia
befehligte1), wird nicht angegeben.
Sehr bedeutende Streitkräfte hat Boeotien im heiligen
Kriege aufgestellt. Gegen Philomelos kämpften die Boeoter
mit 13000 Mann2); darnach geht Pammenes mit 5000 Mann
nach Asien, ohne dass doch deswegen der Krieg mit geringerem
Nachdrucke weitergeführt wird8). Da die Boeoter keine Sold
ner hielten4) und ausser etwa den opuntischen Lokrem auch
keine Bundestruppen verwendet werden konnten, so sind diese
Streitkräfte in der Hauptsache aus Boeotien selbst ausgehoben
worden ; doch sind die Angaben statistisch wenig brauchbar, da
wir über die Zusammensetzung dieser Truppen nicht unter-
richtet sind. In dem Kriege gegen die Gallier, 280, soll
Boeotien, nach Pausanias, 500 Reiter und 10000 Hopliten ge-
stellt haben8). Bei Sellasia endlich betrug das boeotische
Contingent 2000 Mann zu Fuss und 200 Reiter, während der
ganze achaeische Bund nicht mehr als etwa 4000 Mann
stellte 6).
lieber die Bevölkerung einzelner boeotischer Städte ist
folgendes überliefert. In der Schlacht gegen Mardonios, 479,
sollen 600 plataeische Hopliten gekämpft haben7), was einer
Bürgerzahl von mindestens 1500 entsprechen würde, uud bei
der Kleinheit der Stadt8) und des Gebietes (85 qkm) etwas
übertrieben sein mag. Bei Beginn der Belagerung 429 wurde
die Stadt von 400 Plataeern und 80 Athenern vertheidigt; die
Weiber, Kinder, Greise und die zur Vertheidigung nicht erfor-
derliche Mannschaft hatte man vorher nach Athen geschafft9),
«) Diod. XV 84.
a) Diod. XVI 30.
*) Diod. XVI 34.
*) Isokr. Philipp. 55, vgl. Dem. v. d. Symm. 34.
®) Pausan. X 20, 3.
•) Polyb. II Ö5, 3.
’) Herod. IX 29.
») Thuk. II 77.
°) Thuk. II 78: ITlauuiis tk naitfa; /ulr xai yvvaixas xal toit
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166
Capitel V.
so dass ein Schluss auf die Höhe der Bürgerzahl hier nicht
möglich ist. Jedenfalls waren die 300 Thebaeer, die im Früh-
jahr 431 sich der Stadt durch Ueberfall bemächtigen wollten,
den Plataeem an Zahl keineswegs gewachsen1), obgleich ein
Theil der Bürger in dem Gebiete zerstreut war. Darnach kann
die Zahl der Plataeer kaum auf unter 1000 erwachsene Männer
geschätzt werden.
Von den Bürgern von Thespiae sollen zur Zeit der Schlacht
bei Plataeae noch gegen 1800 übrig gewesen sein2), nachdem
700 bei den Thermopylen gefallen waren8). Das ergäbe für
Thespiae vor den Perserkriogen eine Bürgerzahl von 2500, was
an sich keineswegs unwahrscheinlich ist, wenn es auch besser
bezeugt sein müsste, um für sicher gelten zu können.
Bei der Einnahme von Theben durch Alexander fielen
mehr als 6000 Bürger mit den Waffen in der Hand, während
die Zahl der Gefangenen jeden Alters, Geschlechtes und Stan-
des über 30000 betrug4). Der boeotische Bund war damals
in Folge der Schlacht bei Chaeroneia aufgelöst, und die Trup-
pen der boeotischen Landstädte, wie Thespiae, Orchomenos,
Plataeae, kämpften im Heere des Königs. Die Vertheidiger
Thebens also bestanden im wesentlichen aus den Bürgern der
Stadt selbst. Da nun der grösste Theil der Reiter und auch
sonst viele sich retteten, eine grosse Anzahl Einwohner in den
festen Plätzen des Gebietes zerstreut sein mussten, endlich die
ganz kleinen Kinder in der Zahl der Gefangenen offenbar nicht
mitbegriffen sind, so wird die damalige Bevölkerung des the-
baeischen Gebietes auf nicht unter 50000 veranschlagt werden
können.
Bei der Eroberung von Haliartos durch die Römer im
Jahre 171 wurden 2500 Gefangene gemacht, nachdem ein
7i nt aß vi f (io us xtä to TiXrjöos TtSv avSptuniav n Q&ttQov txxt-
xofuafitvoi jj oav ts rus AOyra g.
*) Thuk. II 3: xaTivojjaav ov noXlovs roi’S Olßn/oug Svras, xal
(vouioav (TttfXffUvoi pniTCeuf xnar tjitiv.
*) Herod. IX 30.
a) Herod. VII 202.
<) Diod. XVII 14.
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Mittel- und Nord-Griechenland.
16,7
grosser Theil der Einwohner schon während der Belagerung
und bei dem Sturme gefallen war1). Demnach mag Haliar-
tos am Anfang des II. Jahrhunderts 4 — 5000 Einwohner ge-
zählt haben.
Sichereren Aufschluss über die Bevölkerung boeotischer
Städte in dieser Zeit geben uns die sog. Militärkataloge. Wir
besitzen nämlich von einer Reihe boeotischer Bundesstädte
inschriftliche Verzeichnisse der in einem bestimmten Jahre
aus der Klasse der Epheben in den activen Kriegsdienst über-
getretenen jungen Leute. Soweit diese Verzeichnisse chrono-
logisch bestimmbar sind, gehören sie in die zweite Hälfte des
ni., oder an den Anfang des II. Jahrhunderts vor unserer Zeit-
rechnung. An der Spitze tragen unsere Listen den Namen des
Archon der betreffenden Gemeinde und der drei Polemarchen;
daneben erscheint öfters der Bundesarchon. Erhalten sind fol-
gende Verzeichnisse:
1. Chaeroneia.
[r ul i; iv tu rdyfiara'
M 2) 379 Name des Archon weggebrochen, 8 Namen, unvollständig.
2. Lebadeia.
fixunj-ixiet ÜTiiygciipavfro (txntyQttif/avTo)'
N amen
417 =
L 3) 67
Archon der Stadt Enetos
ca. 30
unvollständig.
418
68
Bundesarchon Charopinos
26
426
66a I. — —
10
Fragment
427
66a II. — -
7
»
3. Orchomenos.
t oil (riA) npuTor tatyntf trith] '
Bundesarchon
N amen
M 476
= L 13
Philokomos
. 75
483
21
Kteisias
. 17
unvollständig.
484
22
Protomachos
3
n
485
17
Onasimos
. 62
486
18
Damophilos
. 59
*) Liv. 42, 63 nach Polybios.
*) Meister, Die boeotischen Inschriften, in Cöllnitz’ Sammlung der
griechischen Dialektinschriflen, Heft Ul.
*) Larfeld, SyUoge inscriptionum Boeoticarum, Berlin 1883.
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168
Capitel V.
4. Hyettos.
tvI itntyQti tpav&o («TUygntJ/avTo) tu ntkToifÖQus'
Bundesarchon
Namen
M 528 —
L 155
Agatharchidas . . .
... 13
529
156
Apollodoros ....
... 10
530
167
Ariston
... 7
531
158
Eumaridas ....
... 14
582
159
Potidaichos ....
... 10
533
160
Kaphisias
... 18
534
161
Kaphisotimos . . .
... 7
535
162
Kteisias
... 9
536
163
Nikias
... 5
verstümmelt.
537
164
Thiotimos
... 16
538
165
Philoxenos ....
... 7
589
166
— ....
... 2
verstümmelt.
540
167
....
... 8
541
168
. . . .
... 11
542
144
Philon I
... 6
543
145
Ilipparchos . . . .
... 10
544
146
Philon II
... 9
545
147
Ar
... 9
546
148
Damatrios I. ...
... 6
Fragment.
547
149
Damatrios II. ...
... 5
548
150
Euklidas
... 9
549
151
Xenartiudas . . . .
... 18
550
152
Aristomachos . . .
... 20
551
153
Dioniusios
... 11
M 553 = L 169
5. Kopae.
T oi' üntypaiJ/M'TO tv onlttaf
Archon Namen
Melantichos 27
rot nniyf/üipavTo tfj rtiiroifogas'
Archon Namen
M 554 = L 170 Agatharchos 17
555 172 Kaphisodoros 10
556 173 Mnasikles 14
557 174 Kaphisias 10
558 175 Nikaristos 5 unvollständig.
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Mittel- und Nord-Griechenland.
169
6. A k r a e p h i a.
tu) «TityQaiuar'to tu; tif[etß]nrP fr [iSupJfOyöpftif '
Archon Namen
Mittheil. IX (1884) S. 10 Dorkylos 34
Tel it7i(yi)i'of/ttväo [/f f}if t[l\ßtur tu jiflrotpofitt; •
Archon Namen
M 574 = L 184, 6—11 Ptoion 2 verstümmelt.
7. Chorsiae.
oi'iSe footyQaif tv Ir TttkTOifÖQtt;'
M 735 = L 189 Archon Meliton 1 Name
736 190 Bundesarchon Sostrotos . . 2 Namen, verstümmelt.
8. Thespiae.
toii [t; vi]toTf(to>v fr Ttü; bnlfxa; [x^] fr toi; innor af
M 798 = L 237 Bundesarchon ikos . . tO Namen, verstümmelt.
r<7i4il[>jlo]y[$]orrff («nflijleSdrff) t; t[(Ü]v tifti\ß)m’ fr itxyfia •
Archon Namen
M 813 = L 251 Kallikratidas ca. 36
814 252 Timeas 29
9. Aegosthenae.
ToCtSl ft ftfujßmv.
Bundesarchon Namen
Le Bas 3 Kaphisias 11
6 1 los 5
8 Charilaos 8
9 Mnason 12
10 Aristokles 9
11 Theotimos 7
t£ fifirißcuv tu nflroifVQtt; ämyyttipamj
oder einfach fr rtth tu/cfta; Hn lypttißaV&o •
Bundesarchon Namen
4 Onasimos 1
5 Hippias 1
7 a Leonidas 1 verstümmelt.
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170
Capitel V.
10. Megara.
toiSe anrjiSov (£ iif ijßuv t/f u'c räyfini«'
Bandesarchon Namen
Le Bas 34 a Potidaichos 16
34 b Aristokles 25
fifijßoi ol'ife ivtxpdhiottV
34 c Gymnasiarch Herakleitos, 28 Namen.
34 e „ Matroxenos, 8 „ , unvollständig.
Von (Jen übrigen boeotischen Bundesstädten : Theben, An-
thedon, Haliartos, Koroneia, Larymna, Mykalessos, Onchestos,
Oropos, Pagae, Plataeae, Siphae, Tanagra, Thisbe sind bis
jetzt keine Militärkataloge zum Vorschein gekommen, wenigstens
keine deutlich als solche bezeichneten Urkunden, wenn es auch
wahrscheinlich ist, dass manches Bruchstück mit Namensver-
zeichnissen dieser Kategorie angehört.
Wie man sieht, zerfallen unsere Verzeichnisse in zwei
Klassen. Die einen führen alle Jünglinge ohne Unterschied
auf, die in das kriegspflichtige Alter getreten sind, was, wie
uns die Listen aus Lebadeia lehren, mit dem vollendeten
20. Jahre erfolgte. Die andere Klasse sondert die jungen Sol-
daten nach den Waffengattungen: auf der einen Seite die
Schwerbewaffneten (Hopliten, Thyreophoren) und Reiter, auf
der anderen die Peltophoren. Zu der ersten Klasse gehören
die Verzeichnisse von Chaeroneia, Lebadeia, Orchomenos, Me-
gara; zu der zweiten die von Hyettos, Kopae, Chorsiae,
Akraephia ; Thespiae und Aegosthenae haben Verzeichnisse aus
beiden Klassen. Eine dritte Klasse bilden die Ephebenver-
zeichnisse, die nur in Megara Vorkommen.
Was das Zahlenverhältniss der einzelnen Waffengattungen
zu einander angeht, so pflegten in den griechischen Heeren
dieser Zeit die Hopliten über die Peltasten bedeutend zu
überwiegen. Antigonos z. B. hatte bei Sellasia 10000 make-
donische Phalangiten neben 3000 Peltasten1). So ergeben un-
sere Inschriften für Kopae 27 Hopliten gegenüber im Durch-
>) Polyb. 11 65, 2.
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Mittel- und Nord-Oriechenland.
171
schnitt 13 Peltasten; in Aegosthenae, wo im Durchschnitt jedes
Jahr gegen 9 Jünglinge in das militärpflichtige Alter traten,
ward in den 2 Jahren, über die wir Nachricht- haben, nur je
einer unter die Peltasten eingeschrieben. Dagegen scheinen
einige Kleinstädte, wie Hyettos, nur Peltasten zu dem Bundes-
heere gestellt zu haben, da in 24 Militärkatalogen ausschliess-
lich Peltasten erwähnt werden. — Dass die Zahl der in das
kriegspflichtige Alter getretenen Jünglinge in den einzelnen
Jahren sehr starke Schwankungen aufweist, hat bei der Klein-
heit der Städte, um die es sich handelt, nichts auffälliges.
Wenn möglich, müssen wir aus einer grösseren Reihe von
Jahren die Mittelzahl nehmen.
Rechnen wir nun, wie im modernen Europa, die das
20. Jahr erreichenden Jünglinge zu 1,8 °/o der männlichen Be-
völkerung oder zu 3,6 % der männlichen Bevölkerung zwischen
20 und 60 Jahren, und betrachten wir das 60. Jahr in Boeotien
wie in Attika, Sparta und Rom als die äusserste Grenze der
militärischen Dienstpflicht, so erhalten wir folgende Zahlen für
die gesammte kriegspflichtige Mannschaft der oben aufgefühlten
10 Städte, für die uns Militärkataloge erhalten sind:
20jährige
20 — 60jährige
Chaeroneia (im ganzen) ....
.... über 8
über 220
Lebadeia (im ganzen)
.... ca. 80
830
Orchomenos (im ganzen) . . .
65
1800
Hyettos (Peltasten)
10,5
300
Kopae (Hopliten)
27
750
(Peltasten)
13
360
Chorsiae (Peltasten)
.... über 2
über 55
Akraephia (Hopliten)
34
945
Thespiae (im ganzen) ....
32,5
900
222
6160
Aegosthenae (im ganzen) . . .
9
250
Megara (im ganzen)
20,5
570
Da wir über die Stärke des Aufgebots von 12 boeotischen
Städten, darunter die Hauptstadt Theben, nicht unterrichtet
sind, auch von den oben aufgeführten Städten für Chaeroneia,
Akraephia und Chorsiae, vielleicht auch für Hyettos, unvoll-
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172
Capitel V.
ständige Angaben vorliegen, so können die obigen Zahlen
höchstens fl/* , vielleicht nur Vs des boeotischen Gesammt-
aufgebots umfassen. Dieses muss sich also auf wenigstens
15400, vielleicht 18500 Mann belaufen haben. Diese Zahlen
würden einer Gesaunntbevölkerung von 61 — 74000 entsprechen;
mit andern Worten: selbst wenn unsere Militärkataloge sämmt-
liehe ins 20. Jahr getretenen Bürger umfassen sollten, könnte
sich die bürgerliche Bevölkerung Boeotiens ohne Megaris am
Ende des III. Jahrhunderts auf nicht viel weniger belaufen
haben, als am Ende des V.
Indess ist diese Voraussetzung keineswegs wahrscheinlich.
Seitdem man irreguläre leichte Truppen militärisch nicht mehr
verwendete, waren die ganz armen Schichten der Bürgerschaft
in Griechenland wie in Italien in der Regel vom Kriegsdienst
befreit, und mussten es sein, wenn nicht der Staat die Kosten
der Ausrüstung übernehmen wollte. Dass es in Boeotien nicht
anders war, zeigt schon das Ueberwiegeu der Hopliten ül>er
die Peltasten in unseren Militärkatalogen, während die wold-
habenden Volksschichten, aus denen allein die Hopliten sich
recrutiren konnten, gewiss nur die Minderheit oder höchstens
die Hälfte der Gesammtzahl ausmachten. Im Jahre der Schlacht
bei Delion hatten die zum Dienst als Hopliten, Reiter oder
Peltasten qualificirteu Bürger 46 °'o der ganzen waffenfähigen
Mannschaft gebildet. Es ist wahrscheinlich, dass man im Laufe
des IV. und HI. Jahrhunderts mit den Ansprüchen an die
Vermögensqualification der Dienstpflichtigen etwas herunter-
gegangen ist; schon das Sinken des Geld werths musste von
selbst dazu führen. Immerhin aber werden wir annehmen
müssen, dass wenigstens V* der Bürger wegen Armuth vom
Dienste befreit war, was auf eine bürgerliche Bevölkerung von
80—100000 Bürgern führen würde, wozu dann, um die freie
Gesammtbevölkerung zu erhalten, weiterhin die Metoeken zu
rechnen wären.
Megaris hat, wenn wir Pagae ungefähr Aegosthenae
gleich rechnen, nach unseren Katalogen eine kriegspfliehtige
Mannschaft von gegen 1100 gezählt; die Gesammtbürgerzabl
am Ende des III. Jahrhunderts würde demnach auf rund 1500
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Mittel- und Nord-Griechenland.
173
zu veranschlagen sein. Gegen die Gallier 280 soll Megara ein
Contingent von 400 Mann gestellt halten1), was mit einer
Bürgerzahl von 1500 in gutem Einklang steht In älterer Zeit
hat Megara ohne Zweifel grössere Bedeutung gehabt. Man
denke an die Colonisationsthätigkeit der Stadt im VIII. und
VII. Jahrhundert, an die Kriege mit Athen wegen Salamis, an
die beträchtliche Marine, die Megara noch am Anfang des
peloponnesischen Krieges besass2). Herodot schätzt das me-
garische Contingent bei Plataeae auf 3000 Hopliten8), was
freilich stark übertrieben ist: konnte doch das viel mächtigere
Korinth nur etwa diese Zahl aufstellen4). Herodot selbst setzt
das Verhältniss des korinthischen zu dem megarischen Aufgebot
wie 5 : 3 und wird darin wohl Glauben verdienen; da nun
Korinth, wie wir gesehen haben, im V. Jahrhundert etwa
10000 Bürger gezählt hat, so eigeben sich für Megara 6000,
entsprechend einer bürgerlichen oder sagen wir lieber freien
Bevölkerung von gegen 20000, über 40 auf 1 qkm, wozu dann
weiter eine grosse Sklavenzahl kam8). Eine so dichte Bevöl-
kerung hätte das unfruchtbare Ländchen nicht ernähren kön-
nen ohne lebhaften Handel und bedeutende Industrie, die Me-
gara noch im IV. Jahrhundert zu einer der reichsten Städte in
Hellas machten “). Den ersten Stoss erhielt diese Bltithe durch
die Einnahme und Plünderung der Stadt durch die Truppen
des Demetrios Poliorketes 307, bei der sämmtliche Sklaven
verloren gingen7), womit die Grundlage der megarischen In-
dustrie zerstört wurde. Und Megara hat sich um so weniger
von diesem Schlage zu erholen vermocht, als im Laufe des
>) Paus. X 20, 4.
*) Thuk. I 27. 46, II 93.
a) Herod. IX 28.
«) S. oben S. 119 f.
*) Xen. Denkw. II 7, 6: Mryaqfior 3' ol nXltmoi an 6 ffwfii3onoi-
fa i 3iaTQfif ovrnt . . . oiiroi fifv yiig ruvov/itrui ßttQfhtQous Äv&Qtanov s
f/ovair.
e) Isokr. 1). Fr. 117: Mfyantts <11 uixQt'iv avroT( xal (fnvltov rtüv
ff anyijc vnapfitruor, xal yrjv fjiv ovx t/orr ff .... 7i fr ga{ 31 yeoig-
yovrrft, (teylatovs ofxov( roiv 'Eiitjvair xfxrijvrai.
7) Plut Demetr. 9.
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174
Capitel V.
III. Jahrhunderts überhaupt die Industrie des griechischen
Mutterlandes durch die Concurrenz Asiens und Aegyptens zu
Grunde gerichtet wurde. So sank die Stadt unaufhaltsam; in
Cieeros Zeit lag sie fast ebenso wüst, wie das von Muinmius
zerstörte Korinth, oder der von Sulla zerstörte Peiraeeus1).
Dass Megara in seiner Blüthezeit eine bedeutende Sklaven-
menge besessen hat, wurde schon erwähnt ; sie mag ebenso wie
in Athen der freien Bevölkerung an Zahl etwa gleich gekom-
men sein. In Boeotien dagegen scheint die Sklaverei in grös-
serem Maassstabe erst spät Eingang gefunden zu haben. Aller-
dings werden Sklaven in I’lataeae schon im Jahre 431 erwähnt,
al>er ihre Zahl war doch noch so gering, dass nicht einmal die
110 Weiber, die während der Belagerung zur Bereitung der
Speisen für die Besatzung zurückblieben, aus den Sklavinnen
genommen werden konnten2). Boeotien scheint demnach im
V. Jahrhundert, ebenso wie der Peloponnes und das benach-
barte Phokis und Lokris, im wesentlichen noch ein Land freier
Arbeit gewesen zu sein. Und wenn Alexander in Theben nur
30000 Gefangene gemacht hat, so kann noch 335 selbst in der
Hauptstadt Boeotiens die Zahl der Sklaven die der Freien
keineswegs erreicht haben; wir müssten denn die Bürgerzahl
Thebens in ganz unzulässiger Weise herabsetzen wollen. Für
die erste Hälfte des IV. Jahrhunderts möchte ich die Sklaven-
zahl in Boeotien auf höchstens die Hälfte der freien Bevölke-
rung veranschlagen, was eine Gesammtzahl von 150000 Ein-
wohnern oder 60 auf den qkm ergeben würde.
Boeotien gegenüber stand Phokis wie an Flächenraum,
’) Ser. Sulpicius bei Cic. epist. ad /'am. IV 5, 4 (von 45 v. Chr.): post
me erat Aegina, ante me Megara, dextra Piraeeus, sinistra Corinthus ; quae
oppida quodam tempore florentissima fuerunt, nunc prostrata et diruta ante
ocuJos iacent. Vgl. Wilamowitz, Homerische Untersuchungen S. 252.
*) Thuk. 111 68 in dem Bericht über das Schicksal Plataeaes nach
der Einnahme: yvraixat dl grdganöihactv. Wenn Müller-Strübing, Thuk.
Forsch. S. 188 ff. die Richtigkeit dieser Angabe bestreitet, so generalisirt
er in unzulässiger Weise attische Zustände und beweist eben dadurch,
dass ihm selbst die „lebendige Anschauung griechischer Verhältnisse fehlt“,
deren Mangel er seinen Gegnern vorwirft.
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Mittel- und Nord-Griechenland.
175
so auch an Bevölkerung bedeutend zurück. Der Bergstock des
Pamassos erfüllt einen grossen Theil des Gebietes; nur im
Norden im Kephisosthal und im Osten in der Einsenkung
zwischen Parnass und Helikon ist zum Feldbau geeigneter
Boden. Die 22 Städte des phokischen Bundes waren denn
auch durchaus unbedeutend, mit Ausnahme etwa von Elateia;
und selbst Delphi hatte nur einen Umfang von 16 Stadien1).
Bei den Thermopylen auf griechischer, und ein Jahr
darauf bei Plataeae auf persischer Seite sollen 1000 phokische
Hopliten gestanden haben2); es hielten aber keineswegs alle
phokischen Städte mit Mardonios. Seitdem hören wir für ein
Jahrhundert nichts mehr von der Stärke phokischer Aufgebote.
Verhältnissmässig sehr grosse Heere hat Phokis im heiligen
Kriege aufgestellt, bis 20000 Mann und darüber; indess be-
standen diese Truppen zum überwiegenden Theile aus Söld-
nern. Gegen die Gallier 280 brachte Phokis 3000 Mann zu
Fuss und 500 Reiter unter Waffen8), was bei der dringenden
Gefahr gewiss das Gesannntaufgebot des Landes gewesen ist
und auf eine Bürgerzahl von rund 10000 führen würde. Das
eigäbe eine freie Bevölkerung von etwas über 30000 oder
etwa 20 auf den qkm, während in Boeotien etwa 40 Freie
auf den gleichen Flächenraum kommen: ein Verhältniss, das
durchaus angemessen scheint. Sklaven in irgend bedeutender
Zahl hat es in Phokis bis auf den heiligen Krieg nicht ge-
geben. Philomelos’ Gattin soll die eiste gewesen sein, die
sich auf der Strasse von zwei Sklavinnen begleiten liess; und
als Mnason von Elateia, Aristoteles’ Freund, 1000 Sklaven
hielt, sprach sich die öffentliche Meinung mit Entschiedenheit
dagegen aus, dass er so viele Bürger um ihr Brot brächte4).
Phokis also war noch um die Mitte des IV. Jahrhunderts ein
Land freier Arbeit.
Lokris hat ungefähr denselben Flächeninhalt wie Phokis,
«) Strab. IX 8. 418.
a) Herod. VII 203, IX 17. 31.
») Paus. X 20, 3.
4) Timaeos fr. 67 bei Atbenaeos VI S. 264 C und 272.
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176
Capitel V.
der sich zu etwa gleichen Theilen auf die östlichen und west-
lichen Lokrer vertheilt. An Bevölkerung scheint es noch
hinter Phokis zurückgestanden zu haben. Bei den Thermo-
pylen 480 fochten die opuntischen Lokrer mit ihrer ganzen
Macht1); und Ephoros veranschlagt dieses Aufgebot auf 1000
Hopliten 2). Zwei Jahrhunderte später gegen die Gallier stellte
Opus sogar nur 700 Mann, Amphissa 400 8). Bedeutender
war wohl Naupaktos, namentlich zu der Zeit, wo die Athener
hier die aus der Heimath vertriebenen Messenier angesiedelt
hatten. Freilich war auch damals die Bürgerschaft der Stadt
nicht sehr zahlreich4); aber immerhin konnte Nikostratos
427 ein Corps von 500 messenischen Hopliten nach Korkyra
führen8), und Konon 410 eine Besatzung von 600 Messeniem
eben dorthin legen®). Als nach dem Ende des peloponnesi-
schen Krieges die Messenier aus Naupaktos vertrieben wurden,
sollen 600 nach Sicilien gegangen sein 7) , 3000 sich nach
Kyrene gewandt haben8). Doch ist mindestens letztere Zahl
ohne Zweifel stark übertrieben.
2. Euboea und die Kykladen.
Für die zum heutigen Königreich Griechenland gehörigen
Inseln des aegaeischen Meeres liegen uns zwei planimetrische
Berechnungen vor, denen gegenüber alle früheren Arealangaben
veraltet sind. Wir verdanken sie dem russischen General
Strelbitzky und I)r. E. Wisotzkv in Königsberg9). Beide Be-
') Herod. VH 203, ohne Zahlenangabe. Bei Artemision sollen 7
opuntische Fünfzigrudrer gekämpft haben: Herod. V1H 1.
*) Bei Diod. XI 4. Die Schätzung des lokrischen Aufgebots auf
6000 Mann bei Pausan. X 20, 2 ist rein aus der Luft gegriffen.
3) Paus. X 20, 2.
4) Thuk. III 102: dtivov yag ijv fii], /ueydlov bvtot toO te(/ovi,
öl Cytov öl TÖiv nuvvofifvtov, ovx arrfa/ioaiv.
») Thuk. III 75.'
«) Diod. XIII 48.
7) Diod. XIV 78.
8) Diod. XIV 34.
•) Bei Behm und Wagner, Die Bevölk. der Erde VI S. 16 f.
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Mittel- und Nord-Griechenland.
177
rechnungen zeigen im einzelnen nicht unbedeutende Abwei-
chungen, Uber die icli mir kein abschliessendes Urtheil erlauben
möchte; bei einigen der auffallendsten Differenzen, wo ich
habe nachprüfen können, hat sieh mir die grössere Zuverlässig-
keit, der Strelbitzkysehen Zahlen ergeben. Ich stelle also hier
die Ergebnisse Strelbitzkys und Wisotzkys netten einander, unter
Hinzufügung der klassischen Namen neben den modernen, wo
sich seit dem Alterthume der Name geändert hat.
nach nach
Strelbitzky Wisotzky
r. U 0 0 P a . qkm qkm
Eulmea 3575,2 3681
I’etalia 13.7 —
Aegileia {Sturn) 3.4 —
3592,8 3681
Nördliche S p o r a d e n :
Peparethos ( Skopelos ) 122,6 85
Ikos ( Chelidromia ) 81,6 72
(Sarakinon) 3,4
Skandile ( Skantiuro ) • . . 10,2 4
Pciistera (Xeronisi) 29,6 1 1
(Adelphi) 3,6 —
Polyaegos ( Pelagonisi , Pelerissa) . . . 25,0 24
(■yaros (Giura) 15,9 13
(. Pipen] ) 9,3 6
Skiathos 61,8 42
Skyros 208,1 204
( Skyropvlon ) 4,6 4
(Chamilodromi, Vnlaxa ) 4,7 3
Kleinere Inseln 26,4 —
606.8 468
Kykladen:
Andros 405,1 382
Tenos 201,1 204
Mykonos 89,7 86
Delos 5,1 3
Rheneia (Meyali Delos) 17,1 17
Syros 80,8 80
Latus 798,9 772
Bdloch. Bevölkerangttlehre. 1.
12
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178
Capitel V.
nach
nach
Strelbitzky
Wisotzky
qkm
qkm
Transport 798,9
772
Gyaros
22,8
17
Keos
173,4
103
Kythnos ( Thtrmia )
85,2
76
Seriphos
. . 77,8
66
(Striphopulon)
2,3
— ■
Siphnos
. —
74
Melos
147,7
162
(Antimilo«, Krimo Milo) . . .
8,5
11
Kimolos
42,1
42
Polyaegos ( Politios )
18,6
14
Pholegandros ( Polykandro «). . . .
35,8
32
Sikinos
48,9
42
(Kardiotissa)
2.4
—
Paros
209,3
165
Oliaros (Antiparos)
. 45,5
35
Prepesinthos (Episkopi) . . .
10,2
14
Strongylos
2,5
—
Naxos
. 448,8
423
Donussa (Denttsn, istenosa) . .
20,4
15
Keria (Karos)
20,5
16
(Antikaros)
. —
1,7
Scliinussa (Echinosa)
10,4
9
Herakleia
23,9
18
(Kuplionisi - Inseln)
14,3
10
Amorgos
134,5
127
(Amorgopulo, Nikuria) . . . .
3,1
4
los (Xios)
119,9
120
Thera
81,7
71
Theresia
.
7
Hiera (Neo Kaimeni )
. —
0,8
(Palaco Kaimeni)
—
0,4
Anaphc
46,9
36
Belbina (Hagios Georgios) . . . .
6,8
2
Kleinere Inseln
38,3
—
2701,4
2485,9
Siplinos fehlt bei Strelbitzky; setzen wir seinen Flächen-
raum mit Wisotzky zu 74 qkm an, so ergeben sich für die
Kykladen zusammen 2775,4 qkm.
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Mittel- und Nord-Griechenland.
179
Wenden wir uns jetzt zur Bevölkerung. Chalkis und
Eretria sind vom VIII. bis zum VI. Jahrhundert neben Korinth
die bedeutendsten Handelsstädte im europäischen Griechenland
gewesen ; ihre grossartige Colonisationsthätigkeit in dieser Zeit
spricht für eine verhältnissmässig bedeutende Volkszahl. Nach
einer alten Inschrift im Tempel des Artemis Amarynthia, von
der Strabou berichtet, soll Eretria im Stande gewesen sein,
3000 Hopliten, 600 Reiter, 60 Streitwagen aufzubieten '). Schon
um die Zeit der Perserkriege aber beginnt der Verfall. Chalkis
geräth in politische Abhängigkeit von Athen, das angeblich
4000 seiner Bürger als Kleruchen auf den Ländereien der ver-
triebenen Hippoboten hier ansiedelte*); Eretria hat sich von
den Folgen der j>ersischeu Eroberung nie mehr erholt. Immer-
hin blieben beide Städte, und namentlich Chalkis, bis zur Römer-
zeit bedeutende Handelsplätze. Wenn aber die Gegend am
Euripos, das fruchtbare lelantische Feld, eine dichte Bevölke-
rung hatte, so war dafür der gebirgige Rest der Insel um so
spärlicher bewohnt. Hier standen noch im IV. Jahrhundert8),
ja selbst in der Kaiserzeit ausgedehnte Waldungen4). An der
ganzen Ostküste findet sich im Alterthum, mit Ausnahme des
früh verschwundenen Kerinthos, keine einzige Stadt. Von den
Städten an der Nord- und Westküste waren, nach Ausweis der
attischen Tributlisten, Dion und Athenae Diades ganz unbe-
deutend; Styra ist im IV. Jahrhundert zum Demos von Eretria
geworden; nur Oreos und Karystos waren einigermaassen an-
sehnlich. Aber auch Chalkis und Eretria haben bei Plataeae nach
Herodot nur 1000 Hopliten gestellt, ersteres 400, letzteres mit
Styra 600 5). So konnte Perikies bei dem Aufstande von 446
die Insel mit 5000 Hopliten und 50 Schiffen in kurzer Zeit zum
Gehorsam zurückbringen8). Damals wurden die Bürger von
*) Strab. X S. 448.
*) Ilerod. V 77; Aclian, Venn. Gesell. VI 1 giebt 2000 an.
*) Theoplir. Pflanzengesch. V 2, 1.
4) S. die unten angeführte Schrift des Dion (’hrysostomos.
•) Herod. IX 28.
8) Plut. Perikies 23.
12*
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180
Capitel V.
Histiaea (Oreos) vertrieben und durch 10001), nach anderer
Angabe 2000 attische Kleinchen ersetzt2), die ihrerseits nach
der Capitulation von Athen 404 die Stadt räumen mussten. In
der Schlacht am Nemeabach 304 kämpften auf athenisch-boeo-
tischer Seite 3000 llopliten aus allen Städten der Insel8), offen-
bar das für Feldzüge ausser Landes zur Verfügung stehende
( lesammtaufgebot. Demnach müsste Euboea damals gegen 12000
Bürger gezählt haben, wovon etwa je 4000 auf Chalkis und
Eretria mit Styra, je 2000 auf Histiaea und Karystos entfallen
mochten. Die Zahl der Sklaven mag immerhin verhältniss-
mässig beträchtlich gewesen sein, mehr als die Zahl der bürger-
lichen Bewohner aber kann sie schwerlich betragen haben. Die
Bevölkerung der Insel darf also im V. und IV. Jahrhundert
im Maximum auf 70000, wahrscheinlicher auf nicht über 60000
Seelen veranschlagt werden, 17 — 20 auf 1 qkm. Erinnern
wir uns dabei, dass Euboea im Stande war. Nahrungsmittel
nach Athen auszuführen, was das viel fruchtbarere Boeotien
nicht vermochte4). — Eine lebhafte Schilderung des Zustandes
der Insel in der Kaiserzeit hat uns Dion Chrysostomos in seiner
bekannten „Dorfgeschichte“ hinterlassen5). Danach war die
Bevölkerung in furchtbarerWeise zusammengeschmolzen, 2 3 des
Bodens lag wüst, die Städte so verfallen, dass der grösste Theil
des Baumes innerhalb der Mauern zum Feldbau oder als Weide
benutzt wurde.
lieber die Bevölkerung der nördlichen Spora den,
Beparetbos, Skyros usw., fehlt jede Angabe. Nehmen wir dieselbe
>) Diod. XII 22.
2) Theopomp bei Strabon X S. 445.
3) Xen. Hell. IV 2, 17: (i Eißofnt ärrtiaqs.
4) Thuk. VII 28: rj rt Ttür (n nijtfeftuv nanaxoimiri Ix Tiji Eißolas,
ngörtgnr fx rov ’ilnoinov xnrn j'ijf äiä rfj; xtfXfXt'as ftäoaov oinn xrX.
Allst. TI7£3;>. 715 f.: 14XX' bnnrttv ftiv Jtiaota' avro(, rrjr Evßniae finfoamr
Yuiv xnt m'ror vff ini (triai xarä nevTijxnvra fjttßfu ro f ’C ITogiti r. Vgl.
Wiskemann, Die antike Landirirthschafl S. 13 (Leipzig 1859. Jablonows-
kisclie Gesellschaft).
s) I S. 233 Reiske: rit 77 ob mir nvXtir «ygia TtavrtXtös fart xrt)
a iaynit (Santo (r (grjafa ßaitcrärij, ov/ ft», noodartiov nnXtcif.
ja if yt frrbi Tt(/m ( anefgtuei ri< nXtiara xai xararffJtrai.
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Mittel- und Nord-Griechenland.
181
Dichtigkeit wie für Euboea, so erhalten wir 10—12000 Ein-
wohner. Die K y k 1 a d e n sind wahrscheinlich stärker bevölkert
gewesen. Allerdings ist es offenbare Uebertreibung , wenn
Herodot Naxos zur Zeit der Perserkriege eine Hoplitenzahl von
8000 zuschreibt1). 8000 Hopliten setzen gegen 20000 Bürger
voraus, eine Zahl, die nur von den bedeutendsten griechischen
Staaten, wie Athen oder Argos, erreicht worden ist, bei einer
gebirgigen Insel ohne eigentliche Gressstadt und von, ein-
schliesslich der kleineren Nachbarinseln, wenig über 500 qkm
Flächeuraum aber undenkbar wäre. Vielleicht indess bezieht
sich die Angabe auf die Kykladen überhaupt, die damals unter
naxiseher Hegemonie standen2); und in diesem Falle hätte sie
uichts unwahrscheinliches. Zur Flotte des Xerxes sollen die Inseln
17 Schiffe gestellt haben8), während gleichzeitig 7 Trieren und
7 Fünfzigruderer auf hellenischer Seite kämpften4). Auf Melos
siedelten die Athener 415 nach Vertreibung der altem Bevölke-
rung 500 Kleruchen an*); vorher musste die Bürgerzahl viel
grösser sein, wie die bedeutenden Anstrengungen zeigen, die
Athen zur Unterwerfung der Insel zu machen gezwungen war8).
Aber Melos war eine der bedeutendsten unter den Kykladen.
Bei der Tributschätzung von 425 4 war die Insel zu 15 Tal.
veranlagt worden, soviel wie Naxos oder Andros; nur Paros
zahlte in der Inselprovinz eine noch höhere Summe7). Diese
vier Inseln mögen damals im Durchschnitt je 3000 Bürger ge-
zählt haben; Tenos, Keos, Siplmos, die 9— 10 Talente zahlten,
vielleicht je 2000. Das ergäbe 18 000 Bürger auf 1815,6 qkm8).
Die übrigen Kykladen sind unbedeutend; sie haben zusammen
*) Herod. V 28: tovro uir y«Q 17 A'rifoc füiUuuoviij tiöv vritrmr
n . . . ; V 30: n w9ävofim ytto oxraxto/tKriv üanläa Ntt^loiatv
tivai *«! nkaitt unxoä noXXd.
*) Herod. V 31.
*) Herod. VII 95.
4) Herod. VIII 46. 48.
6) Thuk. V 116.
8) Thuk. III 91, V 84.
’) CIA. I 37.
8) Die im Alterthume politisch zu diesen Inseln gehörenden kleineren
Nachbarinseln sind hier eingerechnet.
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182
Capitel V.
einen Flächenraum von 959,8 qkin. Bei der Annahme einer
durchschnittlich gleichen Volksdichtigkeit würden also alle
Kykladen am Ende des- V. Jahrhunderts 27 — 28000 Bürger
gezählt haben, oder eine bürgerliche Bevölkerung von über
80000, d. h. 30, mit Einrechnung der Sklaven vielleicht 50
auf 1 qkm.
In der hellenistischen Periode hat sich dann Delos zur
Grossstadt entwickelt. Bei der Einnahme der Insel durch
Menophaues, den Feldherrn des Mitbradates, sollen hier 20000
Männer niedergemacht, die Weiber und Kinder in die Sklaverei
geschleppt worden sein1). Jedenfalls scheint für den seit der
Zerstörung von Korinth eisten Handelsplatz Griechenlands eine
Bevölkerung von 50 00O Einwohnern, wie sie sich demnach er-
geben würde, keineswegs übertrieben. Delos hat sich bekanntlich
von diesem Schlage nie mehr erholt. Auch die übrigen Kykladen
scheinen immer mehr gesunken zu sein. So konnte in der
ersten Kaiserzeit die Kopfsteuer der ganzen freien Bevölkerung
von Tenos aus den Zinsen eines Kapitals von 18500 Denaren
bestritten werden2). Betrug der Zinsfuss 8 % — und höher
kann er in dieser Zeit für sichere Anlagen kaum veranschlagt
werden — , so ergiebt sich ein Ertrag von 1480 Denaren. Setzen
wir nun die Kopfsteuer für den erwachsenen Mann auf 1 Denar,
für Weiber und Kinder auf die Hälfte, so würde Tenos in dieser
Zeit 740 Bürger, und eine bürgerliche Bevölkerung von 2220
Köpfen gezählt haben. Zu niedrig kann diese Berechnung
kaum sein, wohl aber möglicher Weise bedeutend zu hoch.
3. Die westlichen Landschaften.
Der Flächeninhalt der weiten Gebirgslandschaften westlich
vom Oeta imd Pindos kann nur approximativ bestimmt werden,
einmal weil unser Kartenmaterial hier noch schlechter ist, als
für das übrige Griechenland, dann und hauptsächlich wegen der
*) App. Mithr. 28; vgl. Strub. X S. 486, Paus. III 23, 3.
*) CIG. 2336: tlvad-h va .... rjj noXu ärjvuQia fjufiin oxinxia/lUtt
ntVTaxöaia, Xvtt Ix roß toxov nvTiüv vniQ nvÖQtüv xal yvvatxtüv xn\ 7iaC-
<5 (uv ihcufttgtov Tr/viuv xar ’ hof (hddjiui j 6 t rux(<( ctXor .
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Mittel- und Nord-Griechenland.
183
Unmöglichkeit, den Lauf der alten Grenzen anders als durch
willkürliche Hypothese festzustellen.
Die heutige Nomarchie Akamanien und Aetolien hat nach
Strelbitzky einen Flilchenraum von 7465,2 qkm. Davon ent-
fallen auf
Aetolien
Akamanien ....
Amphilochien . . .
Dolopien
Das westliche Lokris
qkm
4230
1585
470
1100
80
Die alten Grenzen von Aetolien sind dabei nach Bl. VH von
Kieperts Atlas von Hellas angesetzt, die heutige Grenze der
Nomarchie ist als identisch mit der Grenze von Amphilochien
gegen Epeiros angenommen. Da ferner von Aetolien 545 qkm
jetzt zur Nomarchie Phthiotis und Phokis gehören (s. oben
S. 161), so ergiebt sich für diese Landschaft' ein Flächenraum von
4775 qkm. Die Seen betragen nach Strelbitzky (a. a. 0. S. 204 f.)
in Aetolien:
Trichonis ( Agrinion , Vrichori)
Hyria ( Angelo-Kastron ) . . .
qkm
82,2
11,7
in Akamanien :
Limnaea ( Ambarakion ) 5,8
See von Metropolis (0 mos) 8,9
Myrtuntion ( Vullcharia ) 8,9
Die Ausdehnung des aetolischen Bundes bei Ausbruch des
achaeischen Bundesgenossenkrieges, 220 v. Chr., berechnet sich,
einschliesslich Kephallenia, auf 14000 qkm.
Epeiros, ausschliesslich Tymphaea, Parauaea und Atintanien,
hat nach meiner planimetrischen Berechnung auf Grund von
Kieperts Carte de TEpire et de la Thessalie (Berlin 1880,
1 : 500 000) und Bl. VII des Neuen Atlas von Hellas eine Aus-
dehnung von etwa 10500 qkm1).
*) Nach der planimetrischen Berechnung von Neumann-Partsch ( Geogr .
t’. Griechenland S. 187) auf Grund der österreichischen Generalstabskarte
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184
Capitel V.
Davon kommen auf
qkm
Molossis 3600
Thesprotia 2050
Chaonia 2400
zus. epeirotischer Bund: 7950
Athamanin 1950
Ambrakiotis 600
Waren fUr diese Gebiete nur approximative Schätzungen
möglich, so sind wir dafür über den Flächeninhalt der west-
griechischen Inseln um so besser unterrichtet. Wir besitzen
hier zwei planiinetrische Berechnungen, die eine ausgeführt
durch den General Strelbitzky *), die andere in der Perthesschen
Anstalt2). Die annähernde Uebereinstimmung
beider Resultate
bietet die beste Gewähr für
ihre Richtigkeit.
Es beträgt das
Areal von
Strelbitzky
Perthessclie
Anstalt
qkm
qkm
Korkvra
719.2
712
Othronus (Fatio) ....
•» 15,9
15
Erikusa ( Merlera ) ....
8,0
8
Malthake ( Salmastraki ) . .
.... 4,6
4
Paxos
19,5
19
Propaxos {Anti paxos) . .
3,4
3
770,6
761
Leukas
287,2
285
Taphos (Meganisi) . . .
.... 24,0
23
lvarnos ( Kalamos ) ....
.... 20,5
20
(Arkudi)
. . . . 4,6
4
(A’astus)
.... 8,4
8
(Atokos)
3.5
4
Latus 348,2
344
in 1:300000 hat Epeiros einen Flächenraum von 17595 qkm. Dabei
ist für die Grenzbestimmung Bl. VII von Kieperts Atlas von Hellas maass-
gebend gewesen; es si id also Tymphaea, Parauaea, Atintanien einge-
schlossen.
*) Super fiele de tEurope .3. 153 f., s. oben 8. 2H.
2) Behm und Wagner, Die Bevolk. der' Erde VI S. 17.
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Mittel- und Nord-Griechenland.
185
Strelbitzky
Perthessche
Anstalt
qkiu
qkm
Transport 348,2
344
(Petala)
6,6
7
1 Oxia )
M
5
( Vromoita)
i,i
1
( A fahrt)
1,4
1,7
(liioni)
2,3
—
(Dragontra-lmein) . . .
LI
7
Kleinere Inseln
10,9
—
383,0
365,7
lthaka ( Thiaki )
92,7
97
Kephallenia
688,8
664
Zakynthos
434,3
427
Strophades ( Strivoli ) . . .
»,5
3
westgriechische Inseln
zusammen: 2372,9')
2317,7
Es ergiebt sich demnach für die westgriechischen Land-
schaften folgende Uebersicht:
qkm
Aetolien . . .
Akarnanien
Amphilochien
Epeiros . .
die Inseln . .
4775
1585
470
10500
2872,9
19702,9
Mit Ausnahme der Inseln und der korinthischen Ansied-
lungen an der Küste sind diese Gebiete erst in hellenistischer
Zeit zu höherer Gesittung gelangt. Den Zeitgenossen des pe-
loponnesischen Krieges galt Aetolien noch als halbes Barbaren-
land, Epeiros als völlig barbarisch. Abgesehen von den beiden
korinthischen Kolonien Leukas und Ainbrakia gab es in diesem
ganzen Gebiete noch am Anfang des IV. Jahrhunderts keine
einzige einigermaassen bedeutende Mittelstadt; und selbst
2 Jahrhunderte später können nur etwa Stratos und Phoenike
*) Strelbitzky giebt als Summen für die Nomarchien Corfü, Cephalonia
und Zante 1120,5; 810,4; 437,9 qkm, zusammen also 2868,8 qkm: 4,1 qkm
weniger als die Addition seiner Einzelposten ergiebt. Wo der Fehler steckt,
vermag ich nicht zu ermitteln.
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186
Oapitel V.
auf diesen Namen Anspruch erheben. Die Masse der Be-
völkerung wohnte in kleinen befestigten Weilern zerstreut,
in Aetolien1) ebenso wie in Epeiros 2) ; und auch die „Städte“
Akamaniens sind kaum etwas anderes gewesen. Von Industrie
konnte kaum die Rede sein; Ackerbau und namentlich Vieh-
zucht bildeten die Hauptnahrungsquellen 3 ).
Dass unter diesen Umständen die Bevölkerung hier weni-
ger dicht sein musste, als in den höher cultivirten Theilen von
Griechenland, liegt in der Natur der Sache und wird auch für
Aetolien von Thuk vdides ausdrücklich hervorgehoben *). Aber
bei seiner beträchtlichen Ausdehnung und dem kriegerischen
Geiste seiner Bevölkerung hat Aetolien trotzdem es vermocht,
verhältnissmässig bedeutende Heere ins Feld zu stellen, schon
zu einer Zeit, als das Gebiet des aetolischen Bundes im we-
sentlichen noch auf die Landschaft gleichen Namens beschränkt
war. Im lamischen Kriege, 323, stellten die Aetoler zu
Leosthenes’ Heer 7000 Mann5); als im folgenden Jahre Anti-
patros und Krateros in Aetolien einfielen, soll die Zahl der
waffenfähigen Aetoler 10000 Mann betragen haben6), worunter
doch wohl die Bürger von 15 — 60 Jahren zu verstehen sein
werden 7). Natürlich kann es sich hier nur um eine rohe
Schätzung handeln, wie schon die runde Zahl zeigt; es kann
sein, dass sie bedeutend hinter der Wahrheit zurückbleibt
*) Thuk. III 94: oixoOv dl xard xtüpag dttiylorovg xal ravrag diä
noXlov. Vgl. Kuhn, Die Entstehung der Städte der Alten (Leipzig 1878)
S. 92 f.
3) Skylax 29: olxovot dl xa rd xwpug ot Xdovig. 31 GtartnotTai . . .
otxoCai dl xal ovrot xard xwpag. Ebenso § 32 von den Kassopiern, § 38
von den Molossern. Vgl. Kuhn a. a. O. S. 150 f.
а) Von Epeiros Find. Nem. IV 52: ßovßörai n owvi; l£o/ot und
noch Caesar Bürgerkr. III 47 : peeus vero, cuius rei summa erat ex Epiro
copia; auch Varro (de re rust. II praef. 7) spricht von pecuariae magnae
in Epiro. Ueber Akamanien und Aetolien Bursian, Geogr. v. Griech. I
S. 107 f. 126.
4) Thuk. III 94: rt» ydg eOrog p(ya plv tlvai räjv Aluolär xai
nd/ifiov, o/xoCv dl xard xoturtg drHytaroeg mi ravrag diä n oiioO.
') Diod. XVIII 9.
б) Diod. XVIII 24.
7) Vgl. Linus 26, 25 (nach Polybios).
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Mittel- und Nord-Griechenland.
187
Wenigstens wird das Heer, mit dem die Aetoler im Jahre
darauf in Thessalien einfallen, auf 12000 Mann zu Fuss und
400 Heiter angegeben 1 ). Auch das war ein Gesammtaufgebot;
aber für eine Expedition ausser Landes konnten wohl kaum
mehr als die Altersklassen vom 20. bis zum 50. Jahre aufge-
boten werden. Legen wir diese Angabe zu Grunde, so würde
sich die Bevölkerung Aetoliens in dieser Zeit auf etwa 60000
belaufen haben, da eine irgend nennenswerthe Zahl von Sklaven
noch nicht vorhanden sein konnte; das ergäbe eine Volks-
dichtigkeit von 12,6 auf den qkm, also eine sehr dünne Bevöl-
kerung. Die Zahl der erwachsenen Männer würde 20000 be-
tragen haben. Halten wir uns dagegen an die niedrigere An-
gabe, so kämen nur höchstens 35000 Einwohner, 7 auf den
qkm heraus.
Die Angaben aus späterer Zeit sind mit den bisher ange-
führten Zahlen nicht mehr direct vergleichbar, da der aetoliscbe
Bund sich seit dem Ende des IV. Jahrhunderts über die Nachbar-
gebiete auszudehnen beginnt Gegen die Gallier 280 stellten
die Aetoler ein grösseres Contingent als irgend ein anderer
griechischer Staat, wie sie denn auch zunächst bedroht waren.
Die Zahl ihrer Hopliten belief sich auf 7000; die der Reiter
und leichten Truppen wird nicht angegeben2), sie kann aber
bei der Vorliebe der Aetoler für den Dienst als Peltasten kaum
geringer gewesen sein, als die Zahl der Hopliten. Jedenfalls
müssen die Aetoler, da die Boeoter 10500 Mann stellten,
stärker gewesen sein8), und mögen also an 15000 Mann ge-
zählt haben. Der Bund umfasste damals ausser dem eigent-
lichen Aetolien das ozolische Lokris, Herakleia Trachinia und
damit wohl überhaupt das ganze Land am Oeta, vielleicht auch
schon das östliche Akaraanien. — Als Philipp 218 gegen
*) Diod. XVIII 38.
a) Pausan. X 20, 4: jHtoiIiüv <fi nltiartj K lytvtxo aiaam't xnl (g
näaav fitixvi Iffav, fiiv Vnnog ov Ityoiaiv onöarj, if/ilol tTi (revqxovtii
xal .... kmaxia/iXitov uyt&uov ijoav ol onXntvovTtg. Die Angaben des
Pausanias über die Stärke des griechischen Heeres an den Thermopylen
scheinen aus guter Quelle geflossen zu sein.
8) Vgl. Droysen, Hellen. II 2 S. 347.
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188
Capitel V.
Thermon zog, stellten sich ihm 3000 Aetoler entgegen ; elieusn
viele nebst 400 Reitern standen in Stratos1); ausserdem war
der Strateg Dorimachos mit der Hälfte des Bundesaufgebots
auf einem Zuge nach Thessalien8). Der Bund hat also auch iu
dieser Zeit über 12000 Mann aufzustellen vermocht. Bei der
Schwäche der Centralregierung ist es freilich den Aetoleru
niemals möglich gewesen, auch nur annähernd diese Zahl auf
einem Punkt zu versammeln. Auch musste das Sölduerwesen
dazu beitragen, die militärische Leistungsfähigkeit des Bundes
zu verringern; war doch Aetolieu im III. Jahrhundert einer
der hauptsächlichsten Werbeplätze. So warb Skopas im Jahre
200 für den aegyptischen Dienst iu Aetolieu (5000 Mann zu
Fuss und 500 Reiter; er würde die ganze Jugend des Landes
fortgeführt haben, wäre nicht der Strateg Damokritos einge-
schritten3). Drei Jahre später kämpfen die Aetoler bei Kyuos-
keplialae mit 6000 Manu und 400 Pferden4). Zur Unter-
stützung des Königs Antiochos sandten die Aetoler 191 3000
Manu und 200 Reiter nach Thessalien; im nächsten Jahre
4000 Mann nach den Tbermopylen; es wird aber ausdrücklich
hervorgehoben, dass dies nur ein kleiner Theil ihrer Macht
war5). Sonst haben wir aus dem Kriege der Aetoler gegen
Rom keine Zahlenangaben; einem consularischen Heere von
2 Legionen nebst den zugehörigen Bundesgenossen waren sie
freilich nicht gewachsen, wohl aber zeigt der Umstand, dass
die Römer solche Massen gegen Aetolieu iu Bewegung setzen
mussten und dennoch keineswegs schnelle Erfolge errangen,
wie bedeutend die Macht des Bundes gewesen ist.
Akarnanien stand wie an Ausdehnung so auch an mi-
litärischer Leistungsfähigkeit weit hinter Aetolieu zurück, so-
bald dieses erst zur Ausbildung einer festen Bundesverfassung
») Polyb. V 13, 3; 14, 1.
*) Polyb. V 5, 1.
’) Livius 31, 48 nach Polybios.
4) Plut. Titus 7; Liv. 83, 3, wo für sexcent i pedites 6000 zu lesen
ist ; vergl. Ihne, Röm. Gesch. III 42 Asm. gegen Nissen, Liv. Unters.
S. 141.
R) Liv. 36, 10; 36, 16 nach Polybios.
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Mittel- unil Nord-Griechenland.
189
gelangt war; mir durch fremde Hülfe hat es überhaupt seine
Selbständigkeit gegenüber dem mächtigen Nachbarn zu be-
haupten vermocht1). — Im peloponnesischen Kiiege stellten
die Akarnanen den Athenern 1000 Hopliten zur Verteidigung
von Naupaktos*); das Gesannntaufgebot Akamaniens war im
Stande, einem peloponnesisch-ambrakiotischen Heere von 4000
Hopliten die Spitze zu bieten und es zu schlagen und einzu-
schliessen8). — Bekanntlich wurde im Laufe des III. Jahr-
hunderts ein grosser Theil von Akarnanien, dabei die alte
Hauptstadt Stratos selbst, mit Aetolien vereinigt, wofür aller-
dings der Anschluss von Leukas Ersatz gab. Tn diesem Um-
fange hat der akarnanische Bund zur Schlacht bei Sellasia
1000 Mann zu Fuss und 50 Beiter gestellt , ebenso viel wie
Epeiros und etwa die Hälfte des boeotischen (Kontingentes *).
Bei Philipps erstem Einfall in Aetolien 219 folgten ihm 2000
Akarnanen zu Fuss und 200 zu Pferde s); bei Philipps zweitem
aetolischen Zuge im folgenden Jahre bot der Bund seine ganze
Macht auf, eine numerische Angabe liegt nicht vor.
Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Bevölkerung des zum
grossen Theil ebenen oder nur von Hügeln erfüllten Akarna-
nien dichter gewesen ist, als die des aetolischen Berglandes,
um so mehr, als es diesem auch in der Culturentwicklung
voraus war. Der Flächeninhalt beträgt 1585 qkm, wobei der
Acheloos als Grenze gegen Aetolien angenommen, Leukas da-
gegen nicht mitgerechnet ist. Veranschlagen wir die Volks-
dichtigkeit für das IV. Jahrhundert zu 20 auf 1 qkm, so er-
gäbe sich eine Bevölkerung von etwas über 30000, eine
Bürgerzahl von 10000, was mit den oben beigebrachten An-
gaben iilier die militärischen Leistungen Akamaniens gut über-
einstimmt. — Für das benachbarte Amphilochien dürfte
bei dem völligen Mangel jeder di ree teil Angabe etwa dieselbe
') Polyb. IV' 30. 2. 3. Schon 321 waren die Akarnanen den Aetolem
nicht gewachsen: Diod. XVIII 88; Liv. 26, 25.
s) Thnk. III 102.
3) Thuk. III 100. 105. 106; vgl. unten S. 193 f.
*) Polyb. II 65. 4.
Polyb. IV 63, 7.
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190
Capitel V.
Volksdichtigkeit zu rechnen sein, wie für Aetolien (12,6 auf
1 qkm), was eine Bevölkerung von etwa 6000 ergeben würde.
Was die Bevölkerung von Leukas angeht, in der Zeit,
wo die Insel noch nicht zum akamanischen Bunde gehörte, so
sollen 800 leukadische und anaktorische Hopliten bei Plataeae
gefochten haben, 8 leukadische Trieren bei Salamis ’). Zu der
korinthischen Flotte gegen Korkyra 435 und 433/2 stellte
Leukas je 10 Trieren2). Demnach mag Leukas im V. Jahr-
hundert gegen 3000 Bürger gezählt haben; das sehr gebirgige
Gebiet umfasst etwa 300 qkm.
Ueber die Bevölkerung von Kephallenia haben wir so
gut wie gar keine Angaben. Hero,dot berichtet, dass Pale zu
dem griechischen Heere bei Plataeae 200 Hopliten gestellt
habe8); indess ist oben gezeigt worden (S. 9 Anm.), dass die
I’aleer überhaupt bei Plataeae nicht gefochten haben und nur
durch ein Versehen Ilerodots in das Verzeichniss der griechi-
schen (Kontingente gekommen sind. Immerhin behält unsere
Angabe als Schätzung Ilerodots ihren Werth. Bei der korinthi-
schen Bundesflotte, die 435 nach Korkyra in See ging, befan-
den sich auch 4 Trieren von Pale4). Demnach wird Pale nicht
unter 1000 Bürger gezählt haben. Da ausserdem noch drei
andere Städte auf Kephallenia lagen: Kranioi, Same, Pronoi5),
so werden für die ganze Insel gegen 4000 Bürger anzunehmen
sein, entsprechend einer bürgerlichen Bevölkerung von 12000.
Das wären nur 17 — 18 auf 1 qkm; diese Schätzung möchte
also vielleicht hinter der Wahrheit Zurückbleiben.
Dichter bewohnt scheint Zakynthos gewesen zu sein,
das den Korkyraeern im Jahre 433/2 ein Corps von 1000 Ho-
pliten zu Hülfe schicken konnte0) und demnach mindestens
1500 Bürger von Hoplitencensus gezählt haben muss, was eine
') Herod. IX 28, VIII 45.
s) Thuk. I 27. 46.
“) Herod. IX 28.
0 Thuk. I 27.
5) Thuk. II 30.
o) Thuk. I 47.
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Mittel- und Nord-Griechenland.
191
Bürgerzahl von 3—4000, oder eine bürgerliche Gesammtbevöl-
kening von 10 — 12000 voraussetzt, auf einem Flächenraum
von 434 qkm. Bei der Fruchtbarkeit der Insel scheint diese
Zahl wenigstens keineswegs zu hoch1). Auch das heutige
Zante ist relativ bevölkerter als Cephalonia, wenn auch nicht
in demselben Verhältniss ; es ist aber sehr leicht möglich, dass
wir oben die Bevölkerung von Kephallenia unterschätzt haben.
Bei weitem die wichtigste unter den Inseln an der grie-
chischen Westküste war im Alterthum wie noch heute Korkyra.
Der fruchtbare Boden war aufs trefflichste angebaut2); die
glückliche Lage machte die Insel zum Brennpunkt des Handels
mit dem hellenischen Westen und den Küstenländern des
adriatischen Meeres; die Kriegsmarine war im V. und IV. Jahr-
hundert nach der von Athen die erste in Griechenland8).
Schon zur Zeit der Perserkriege soll Korkyra 60 Trieren haben
aufstellen können 4) ; kurz vor dem Anfang des peloponnesischen
Krieges bemannte die Insel Flotten von 110 und 120 Trieren5).
Korkyra zählte also damals mindestens 24000 zum Seedienst
taugliche Männer. Darunter bildeten allerdings die Sklaven
die Mehrzahl; denn unter den 1050 Gefangenen, die in der
Schlacht bei Sybota den Korinthiern in die Hände fielen, waren
nur 250 Freie, so dass nach diesem Verhältniss von jenen
24 000 Mann gegen 6000 Freie, über 18000 Sklaven gewesen
sein müssten. Stellen wir nun auch das Landheer in Rech-
nung8), berücksichtigen wir, dass die Stadt doch nicht ohne
jede Besatzung gelassen werden konnte, und rechnen die durch
Alter oder Krankheit kriegsuntüchtigen hinzu, so werden wir die
freie Bevölkerung der Insel auf nicht unter 10000 erwachsene
Männer veranschlagen dürfen, oder mit anderen Worten, die
Bürgerzahl Korkyras muss der seiner Mutterstadt Korinth un-
gefähr gleichgekommen sein. Die Sklavenbevölkerung muss
') Plin. H. N. IV 54: maijnifica et fertilitate praecipua Zaeynthun.
2) Xen. Hell. VI 2, 6.
a) Herod. VII 163; Tliuk. I 36; Xen. Hell. VI 2, 9.
4) Herod. a. a. O.
*) Thuk. I 29. 47.
°) Thuk. I 47.
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192
Capitel V.
nach dem obigen mindestens 20000 Männer in kräftigem Alter
umfasst haben; und wenn auch Weiber und Kinder hier einen
geringeren Bruehtlieil der Gesamratbevölkerung ausmachten als
unter den Freien, so werden wir doch die Sklavenzahl von
Korkyra zu wenigstens 40000 Köpfen veranschlagen dürfen.
Das ergäbe für die Insel zusammen 70000 Einwohner, oder
00 auf den qkm , etwa dieselbe Volksdichtigkeit wie in
Attika. Die Bevölkerung kann aber sehr wohl auch grösser
gewesen sein.
Was wir sonst über die Bevölkerung Korkyras erfahren,
steht mit dem bisher gewonnenen Resultate im besten Ein-
klang. Bei der Revolution des Jahres 427 flüchten 400 der
besiegten Oligarchen in das Heraeon, wo sie später nebst noch
vielen anderen Anhängern derselben Partei von den Demo-
kraten umgebracht wurden1); dennoch konnten noch 500 olig-
archisch Gesinnte auf das Festland sich retten2), die dann
nach zwei Jahren ebenfalls dem Demos in die Hände fielen,
womit die ganze oligarchische Partei auf der Insel vernichtet
war3). Die Gesammtzahl der während dieser Jahre getödteten
( Higarchen giebt Diodor auf 1 500 an 4), was mit den Einzelangaben
des Tlmkydides sehr mit übereinstimmt. Bei der Revolution
des Jahres 410 wurden noch einmal 1000 wohlhabende Bürger
verbannt8), die dann freilich bald wieder zurückberufen wurden.
Beide Revolutionen hatten die Freilassung einer grossen Zahl
Sklaven zur Folge8), so dass die freie Bevölkerung der Insel
trotz allen Blutvergiessens einen beträchtlichen Zuwachs er-
halten haben muss.
Die korinthisch-korkyraeischen Pflanzstädte auf dem Fest-
lande: Ambrakia, Apollonia und Epidamnos, waren gleichfalls
nicht unansehnlich. Namentlich Ambrakia war ohne Frage
die erste Stadt in Epeiros, wie sie denn Pyrrhos später zu
>) Thuk. III 75. 81.
2) Thnk. III 85.
8) Tlitik. IV 48.
*) Diod. XIII 48.
*) Diod. a. a. 0.
6) Thuk. 111 73; Diod. XIII 48.
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Mittel- und Nord-Griechenland.
193
seiner Hauptstadt gemacht hat. Bei Plataeae sollen 500 arn-
brakiotische Hopliten gekämpft haben1), während 7 Trieren
der Stadt an der Schlacht bei Salamis Theil nahmen2). An
der korinthischen Expedition gegen Korkyra 435 betheiligte
sich Ambrakia mit 8, an dem Seezuge von 433/2 mit 27
Trieren3), für deren Bemannung über 5000 Soldaten und
Matrosen erforderlich waren. 3000 Hopliten aus Ambrakia
kämpften nach Thukydides’ Angabe 426 bei Olpae gegen die
Akamanen4), was keineswegs die Gesammtmaeht der Stadt ge-
wesen sein kann, denn diese rückte erst nach der Niederlage
jenes Corps ins Feld5). Eine Zahlenangabe fehlt hier, wie
gewöhnlich, wejm bei Thukydides von Massenaufgeboten die
Rede ist. Wir hören nur, dass dieses Heer zum grössten
Theil vernichtet wurde6); die Zahl der Erschlagenen , die
Thukydides angegeben wurde, erschien ihm, im Verhältniss zu
der Grösse der Stadt, so unglaublich hoch, dass er es vor-
gezogen hat, sie zu unterdrücken , und sich auf die Angabe
beschränkt, es wären Waffen „von mehr als 1000 Mann“ er-
beutet worden7); der Feldherr Demosthenes erhielt daraus als
seinen Beuteantheil 300 Panoplien 8). Grote hat darnach den
Verlust der Ambrakioten auf 6000 Mann berechnet, was offen-
bar viel zu hoch ist*); aber rechnen wir auch die Gesammt-
stärke des zweiten Aufgebots nur zu 2000 Hopliten, so er-
hielten wir einschliesslich der 3000, die bei Olpae gekämpft
») Herod. IX 28.
2) Herod. VIII 45.
3) Thuk. 1 27. 46. Die Zahl von 27 Trieren erscheint auffallend hoch,
doch ist eine Corruptel ausgeschlossen.
*) Thuk. UI 105.
5) Thuk. m 110.
*) Thuk. 111 112: öKyoi. nnö nolXmv laiu&tjcrav TT)V tioXiv.
’) Thuk. III 113.
") Thuk. III 114. Es mag Vio aller in diesen Kämpfen von Ambra-
kioten und Peloponnesiem erbeuteten Rüstungen gewesen sein. Die Zahl
der Gefallenen war natürlich kleiner, da viele auf der Flucht ihre Waffen
wegwerfen mochten.
*) Hist, of Greece VI ch. 51 p. 89 (London 1870); vgl. Classen zu
Thuk. m 113.
Beloch, BevölkeruiiRslehre. I. 13
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194
Capitel V.
hatten, für Ambrakia 5000 Hopliten. Nun hat selbst die
Mutterstadt Korinth in dieser Zeit kaum über 3000 Hopliten
ins Feld zu stellen vermocht; es ist also im höchsten Grade
unwahrscheinlich, dass Ambrakia eine so viel grössere Bürger-
zahl besessen haben sollte. Denn Ambrakia war keineswegs
eine Grossstadt, der Mauerumfang betrug selbst nach Pyrrhos’
Zeit nur 25 Stadien1). Es wird also die Zahl von 3000 am-
brakiotischen Hopliten, die bei Olpae gekämpft haben sollen,
übertrieben sein. Diodor, der mittelbar von Thukydides ab-
hängt, giebt nur 1000 Hopliten2); es ist möglich, dass Thuky-
dides so geschrieben hat. Auch bei dieser Annahme müsste
das ambrakiotische Gesammtaufgebot 2500 — 3000 Hopliten ge-
zählt haben, was einer Bürgerzahl von etwa 7000 entsprechen
würde.
Epidamuos nennt Thukydides eine „grosse und volk-
reiche“ Stadt8). Kassandros nahm bei seinem Ueberfall im
Jahre 314 in dem Gebiete mehr als 2000 Menschen gefan-
gen4). In der römischen Zeit muss die Stadt als hauptsäch-
licher Uebergangspunkt von Griechenland nach Italien noch
gewachsen sein. Auch das benachbarte Apollonia wird von
Cicero als grosse und bedeutende Stadt bezeichnet5).
Ueber die Bevölkerung von Epeiros selbst haben wir
aus vorrömischer Zeit nur wenige vereinzelte Angaben. Die
Chaoner betheiligten sich im Jahre 429 mit 1000 Mann an
dem peloponnesischen Kriegszuge nach Akarnanien #). 15000
Molosser sollen um 385 in einer Schlacht gegen die Illyrier
gefallen sein, eine Angabe, die vermuthlich sehr übertrieben ist T).
Das Heer, das Pyrrhos im Frühjahr 280 nach Italien führte,
bestand aus 3000 Reitern, 20000 Mann Linienfussvolk (Pha-
*) S. unten Cap. XI und vgl. Thuk. III 113: ihon ümoxov ro nXrj-
flot teytrai Ütt olfa&cu tot 7tqos ro (*(yt&o s tijs rtöletos- Also
auch nach Thukydides war Ambrakia keine grosse Stadt.
*) Diod. Xll 60.
a) Thuk. I 24: yfycclri xttl noXviiv&Qiano;.
4) Polyaen. IV 11, 4.
s) Cic. Phil. XI 11, 26: AnoTloniam maqnnm urhem et qravem.
•) Thuk. II 80.
') Diod. XV 13.
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Mittel- und Nord-Griechenland.
195
langiten und Hypaspisten) und 2500 Mann Bogenschützen und
Schleuderern *) ; doch war dasselbe keineswegs ausschliesslich
aus Epeiroten zusammengesetzt, wenn diese auch die Haupt-
masse bildeten2). Es werden thessalische Reiter und makedo-
nische Hülfetruppen ausdrücklich erwähnt8), und Söldner kön-
nen so wenig wie in anderen griechischen Heeren dieser Zeit
gefehlt haben. Auch begriff Pyrrhos’ Reich ausser den ur-
sprünglich zu Epeiros gehörenden Provinzen noch Ambrakia,
Akarnanien, Amphilochien, und von Makedonien die Parauaea
und Tymphaea.
Jedenfalls hat der epeirotische Bund in der letzten Hälfte
des III. und der ersten des II. Jahrhunderts es nicht vermocht,
auch nur annähernd die gleiche Truppenzahl aufzustellen. Bei
Sellasia stellten die Epeiroten nur 1000 Mann und 50 Pferde4);
und in den römischen Kriegen haben sie nie ein irgend be-
deutendes Gewicht in die Wagschale gelegt. Immerhin haben
die Chaonen und Thesproter im perseischen Kriege den Le-
gaten Ap. Claudius mit 6000 Mann unterstützt 5) ; die Molosser
standen damals auf makedonischer Seite.
Aus derselben Zeit haben wir noch eine Angabe, die zu
dem werthvollsten gehört , was uns überhaupt aus der Bevöl-
kerungsstatistik des Alterthums überliefert ist. Polybios be-
richtet uns nämlich , dass die Römer nach der Besiegung des
Perseus, um Epeiros für seinen Abfall zu strafen und zugleich
das Heer für den Verlust der makedonischen Beute zu ent-
schädigen, 70 Städte des Landes der Plünderung Preis gaben
und ihre Einwohner, 150000 an Zahl, in die Sklaverei ver-
kauften6). So sehr auch unsere Phantasie sicli sträubt, einen
x) Plut. Pyrrh. 15.
3) Plut. Pyrrh. 10. 28. 30; Diod. XXII 10.
») Plut. Pyrrh. 17; Justin. XVII 2.
*) Polyb. II 65, 4.
V* 5) Liv. 43, 21, nach Madvigs evidenter Emendation des überlieferten
Amnenacaum. Athamanum, was Weissenborn in den Text gesetzt hat, ist
ganz"unpassend. Vgl. auch Liv. 43, 23.
*) Polybios bei Strab.VH S. 822: rüv 'Uneigmuav ißSoufixovra nolns
ZToXvßio; (f Tjrrtv ttvaTgtipai. ITaDlor /uuä rijr Maxtiöviov xnl JllgOims
13*
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196
Capitel V.
Akt so namenloser Barbarei und Perfidie für möglich zu hal-
ten — denn die Epeiroten hatten sich bereits seit einem Jahre
unterworfen und waren scheinbar zu Gnaden angenommen
worden — , so ist doch dem ausdrücklichen Zeugnisse des Po-
lybios gegenüber ein Zweifel nicht möglich. Polybios spricht
hier beinahe als Augenzeuge; er stand ausserdem dem Hause
des Paulus so nahe, dass er in der Lage war, die besten In-
formationen zu haben; seine bekannte Vorliebe für die Römer
giebt uns die Gewähr, dass er nicht die Geschichte in ten-
denziöser Weise gefälscht hat. Und da Strabon, Livius und
Plutarch, die alle unabhängig von einander aus Polybios ge-
schöpft haben, übereinstimmend dieselbe Zahl geben, ist auch
ein Fehler in unserer Ueberliefenuig hier von vornherein
ausgeschlossen. Es ist nun allerdings keineswegs das ganze
Epeiros, das von dieser Maassregel betroffen ward. Athama-
nien, Amphilochien, Ambrakia, Atintanien, Parauaea und
Tymphaea gehörten überhaupt in dieser Zeit nicht zum
epeirotisehen Bunde und hatten in dem Kriege mit Perseus
theils Rom die Treue bewahrt, theils waren sie als makedo-
nische Provinzen in den Frieden eiugeschlossen worden. Und
auch von den Gliedern des epeirotisehen Bundes hatten die
Chaonen und Thesproter wenigstens zum bei weitem grössten
Theil an der Freundschaft mit Rom festgehalten. So hat das
Strafgericht des Jahres 168 im wesentlichen nur die Molosser
betroffen, wie auch unsere Quellen ausdrücklich hervorheben,
so dass ein epeirotischer Bund um die Hauptstadt Phoenike
auch später noch fortbestanden hat. Das molossische Gebiet
aber umfasste etwa die Hälfte des ganzen epeirotisehen Bundes,
3500 von 7900 qkm. Es liegt nicht der geringste Grund vor,
dem chaonischen und thesprotischen Gebiete eine weniger
dichte Bevölkerung zuzuschreiben, als der Molossis; eher das
Gegentheil, da in Chaonien die grösste Stadt von Epeiros,
Phoenike, gelegen hat. Wenn die Molosser das Hauptvolk
xarnl vatv' Molo tj<öv <f V7inQicu Ta f nltimaf nivtt xai cT (xa fiv-
piöiSm üv9q<Inoiv artipanotUnaadai. Daraus Plut. Paulus 29; Liv. 45, 34;
App. III 9; vgl. Nissen, Quellen des Livius S. 308.
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Mittel- und Nord-Griechenland.
197
gewesen sind, so erklärt sieh das hinlänglich aus der grösseren
Ausdehnung ihres Landes. Auch müssen natürlich viele Mo-
losser der Gefangenschaft entgangen sein. Für den ganzen Bund
werden wir also im ersten Drittel des II. Jahrhunderts
eine Bevölkerung von ungefähr 300000 Seelen anzunehmen
haben, oder 38 auf den qkm, eine Volksdichtigkeit, die der
des heutigen Vilajets Janina (39 auf den qkm) etwa gleich
kommt. Wir sehen, wie falsch es ist, die Bevölkerung der
Bundesstaaten dieser Zeit einfach auf Grund der militärischen
Leistungen bestimmen zu wollen, in derselben Weise, wie das
für die Stadtrepublikeu des V. und IV. Jahrhunderts möglich
ist. Diese Methode wird hier stets zu niedrige Resultate er-
geben. — Dagegen wird das athamanisehe Borgland offenbar
relativ viel schwächer bevölkert gewesen sein, als das eigent-
liche Epeiros, und kaum mehr als 10 Einwohner auf den qkm,
im ganzen also etwa 20000 Einwohner, gezählt haben.
4. Thessalien.
Wenn wir den Pindos nach Osten hin überschreiten, ge-
langen wir in ein ganz anderes Wirthschaftsgebiet. Statt des
rauhen aetolisch-epeirotischeu Berglandes empfängt mis die
fruchtbare thessalische Ebene, ein Land uralter Cultur, wo
städtisches Leben sich schon in sehr frühen Zeiten entwickelt
hat. Allerdings war auch hier der Ackerbau entschieden vor-
herrschend; Thessalien ist die einzige Landschaft des euro-
päischen Griechenland , die Getreide in grösseren Mengen
auszuführen vermochte *) ; und die thessalische Pferdezucht war
berühmt. Auch Sklaven wurden aus Thessalien ausgeführt;
dagegen ist von einer thessalischen Industrie so gut wie gar
nicht die Rede. Thessalien scheint denn auch niemals eine
Grossstadt in griechischem Sinne — wie Theben oder Ar-
gos — besessen zu haben; dagegen finden wir mehrere an-
sehnliche Mittelstädte, wie Larisa, Pharsalos und namentlich
») Xen. Hell. VI 1, 11.
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198
Capitel V.
Pherae mit seinem Hafen Pagasae. in makedonischer Zeit De-
metrias.
Der Flächeninhalt Thessaliens und seiner Nebenländer bis
zu den Thermopylen ist von Clinton zu 5674 engl. Quadrat-
meilen = 14695,66 qkm berechnet worden1). Moreau de Jon-
n£s nimmt 12900 qkm an2); über die zu Grunde liegende
Begrenzung giebt er so wenig wie Clinton eine Andeutung.
Meine eigene planimetrische Berechnung, auf Grund von Kie-
perts Carte de l’Epire et de Ja Thessalie (Berlin 1880) im
Maassstab von 1 : 500000 und für die Landschaften am Oeta
und den Thermopylen von Bl. VH von Kieperts Neuem Atlas
von Hellas, das überhaupt für den Lauf der alten Grenzen
maassgebend war, ergiebt folgende Zahlen8):
qkm
die Tetrarchien 9790
Perrhaebia 1700
Magnesia 1550
Dolopia 1300
Aenianen, Oetaeer, Malier 1460
15800
Der See Boebeis ( Karla ) hat nach Strelbitzky 78,3, der
See Nestoris (Kara Tschair) 33,2 qkm*).
') Fasti Hell. II2 885.
2) Statistique I 171.
a) Neumann-Partsch, Phys. Geogr. v. Griech. S. 137, geben den Flächen-
inhalt Thessaliens nördlich der früheren Grenze des Königreichs Griechen-
land zu 12034 qkm an, auf Grund einer planimetrischen Berechnung nach
der österreichischen Generalstabskarte in 1 : 300 000 und Bl. VII von Kie-
perts Atlas von Hellas. Da von den obigen 15800 qkm 2630 zur No-
marchie Phthiotis und Phokis (oben S. 161), 1100 zur Nomarchie Akarna-
nien und Aetolien (oben S. 183) gehören, so bleiben für das übrige zum
Theil heute noch türkische, zum Theil durch den Berliner Vertrag an
Griechenland abgetretene Thessalien 12070 qkm, was also bis auf 36 qkm
(0,8%) mit dem Ergebnisse von Partsch übereinstimmt. Die Differenz ver-
schwindet vollständig, wenn wir berücksichtigen, dass ich oben absichtlich
die Zahlen abgerundet habe. Ich bemerke noch, dass ich meine Berech-
nung längst vorgenommen hatte, als das Buch von Neumann -Partsch
erschien.
4) Superficie de VEurope S. 205.
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Mittel- und Nord-Griechenland.
199
Ueber die Wehrkraft Thessaliens erfahren wir, dass das
Land zu Iasons Zeit 6000 Reiter und über 10000 Hopliten1),
mit den Nebenländern, zu denen damals auch Epeiros gehörte,
8000 Reiter und 20000 Hopliten aufstellen konnte*), ausser-
dem eine sehr grosse Zahl von Peltasten. Diese Angaben
mögen allerdings, wenigstens was die Reiter angeht, über-
trieben sein. Denn Isokrates schätzt kurze Zeit später die
thessalische Reiterei nur zu „über 3000 Pferden“ 8) ; Alexander
hat 1500 thessalische Reiter nach Asien geführt4), wozu später
ein Nachschub von weiteren 200 hinzutrat5); im hämischen
Kriege haben nicht mehr als 2000 thessalische Reiter auf
griechischer Seite gefochten6), obgleich die ganze Landschaft
mit Ausnahme zweier Städte von Makedonien abgefallen war. —
Allerdings müssten von den 50000 griechischen Httlfstmppen
der Perser, die nach Herodot bei Plataeae gekämpft haben
sollen 7), über die Hälfte Thessalien angehört haben ; aber diese
ganze Zahl ist ohne jeden Zweifel rein willkürlich. Der Tyrann
Alexandros, der ausser Pherae auch Magnesia und einen Theil
des phthiotischen Achaia beherrschte, stellte 363 gegen Pelo-
pidas mehr als 20000 Mann ins Feld8), die keineswegs alle,
vielleicht nicht einmal zur Hälfte, Söldner gewesen sein kön-
nen , während gleichzeitig bei Pelopidas’ Heer sich gegen
10000 Mann thessalischer Truppen befanden9). Bei dem 321
*) Xen. HeU. VI 1, 8: <5j ye ft^v, ui itv rayt vrfTtn BeriaXia, eli
e{axiaytX/o ff fiiv ot Innevovtes ylyvorrai , önXlrni <te nXelovs fj u i'oiot
xafHoxavxai.
*) Xeu. Hell. VI 1, 19: IneC ye /xt)V ( räyevae , difraUev Inmxöv re
oaov ixuaxrj noXi; <1 vrarfj rjv nttfj(yeiv xal cmXinxuv. xctl ly(vovro
aÜTip hiTieis fx'ev ovv roi'f avf/ftäyois nXetov( rj oxraxiaylXioi, önXhat
«f ’ (Xoyfo&rjOav otix IXtrrrovs dtvuiQfiüv, neXtnajixöv ye urjv Ixctvöv tiqo;
nnvTttc riv&QtuTTO vs ctVTiTuy&rjt’tti.
s) Isokr. f. Fr. 118.
*) Diod. XVU 17.
5) Arrian Anab. I 29, 4.
«) Diod. XVIII 15.
’) Herod. IX 32, der die Zahl aber mit grosser Reserve giebt.
») Diod. XV 80.
») Plut. Pelop. 32.
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200
Capitel V.
mit aetolLscher Hülfe unternommenen Aufstande stellte Thessa-
lien 13000 Mann zu Fuss und 1000, oder wohl richtiger 2000
Eeiter auf1). Angaben aus späterer Zeit fehlen.
Alle diese Zahlen indess können uns bei den eigentüm-
lichen socialen Zuständen Thessaliens kein ausreichendes Bild
der Bevölkerungsverhältnisse des Landes gewähren. Denn die
bei weitem zahlreichste Klasse der Einwohner, die Penesten
wurden für gewöhnlich ebenso wie die lakedaemonisehen Hei-
loten zum Kriegsdienste nicht herangezogen, wenn das auch in
Ausnahmsfällen hier wie in Sparta geschehen ist8). Iason
glaubte mit ihnen eine der athenischen an Zahl überlegene
Hotte bemannen zu können3), er scheint also die Zahl der
thessalischen Penesten höher veranschlagt zu haben, als die
Bevölkerung von Attika, also auf mehr als 200000. Eben
dahin führt eine Audeutung bei Thukydides, wonach die Pe-
nesten zahlreicher gewesen wären, als die Heiloteu in Lakonien
und Messenien, was bei der grösseren Ausdehnung und Frucht-
barkeit Thessaliens gegenüber dem spartanischen Gebiete auch
an sich hohe Wahrscheinlichkeit hat4). Auch damit kämen
wir also auf über 200000 Penesten, während die freie Bevöl-
kerung Thessaliens bei einer militärischen Leistungsfähigkeit
') Diod. XVIII 88. Die Zahl ergiebt sich daraus, dass das Gesammt-
aufgebot 25000 Mann und 1500 Reiter betrug, wovon die Aetoler 12 000
Mann und 400 Reiter stellen. 1100 Reiter sind für Thessalien so auf-
fallend wenig, dass die Annahme einer Corruption der Zahl fast unab-
weisbar wird.
2) So unterhielt Menon von Pharsalos ein Corps von 300 berittenen
Penesten: Dem. g. Aristohr. 199 und daraus wörtlich nt gl auvxäfrois 23,
nur dass dort <Siaxoa(ois S' Imttvoi steht.
s) Xen. Hell. VI 1, 11: tlräguv yt fit,v ravias nlggoCv nöxtgur
'A&gvaCovs y tjuüs tfxös fiäXXov iSvraoHai , xoaovxovs xu'i xoiovxovs t%ov-
xas ntvfaxas ;
*) Thuk. VIII 40: ol yttQ olxhcu xois X(oi; noXXoi övxts xa't /.i i <f
yt n o Xt i 7iXijV AaxtäaifxovU vv nXtiaxoi ytvö/jtvoi. Unnütze Worte
macht Thukydides nicht; das utet yt noXtt deutet also wohl darauf hin,
dass es Landschaften gegeben hat, die noch mehr Sklaven besassen; und
hier muss Thukydides der Natur der Sache nach zuerst Thessalien im
Sinne gehabt haben.
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Mittel- und Nord-Griechenland.
201
von 3 — 4000 Reitern, über 10000 Hopliten und einem ent-
sprechenden städtischen Proletariat auf nahe an 100000 Seelen
zu veranschlagen sein wird. Da das eigentliche Thessalien,
die Tetrarchien, gegen 10000 qkm Flächenraum hat, so er-
gäbe sich eine Yolksdichtigkeit von etwa 30 auf den qkm. Es
mag sein, dass das etwas zu niedrig ist und 400000 Ein-
wohner (40 auf 1 qkm) für das IV. Jahrhundert der Wahrheit
näher kommen; höher hinauf dürfen wir aber kaum gehen, da
Boeotien, das bei annähernd derselben Fruchtbarkeit nur eben
seinen eigenen Bedarf an Getreide zu produciren vermochte,
eine Volksdichtigkeit von höchstens 60 auf den qkm gehabt hat.
Die grösstentheils gebirgigen thessalischen Nebenländer
müssen natürlich eine weit geringere relative Bevölkerung ge-
habt haben. Für Dolopien wird höchstens dieselbe Volks-
dichtigkeit wie für Aetolien anzusetzen sein, also bei einer
Ausdehnung von 1300 qkm etwa 15000 Einwohner; für die
zum Theil städtereichen Landschaften am Oeta, Pelion und Olymp
etwas mehr, aber w’ohl kaum über 20 auf den ([km , wras auf
4700 qkm eine Bevölkerung von gegen 100000 ergiebt. Ganz
Thessalien mit den Nebenländern wird also im IV. Jahi hundert
400000 bis höchstens V« Million Einwohner gezählt haben.
Im III. Jahrhundert hat Thessalien das beständige Schlacht-
feld zwischen Aetolien und Makedonien gebildet. Die Bevöl-
kerung ging in Folge dieser unaufhörlichen Kriege bedeutend
zurück. Wir haben dafür ein officielles Zeugniss in zwei Re-
scripten König Philipps an die Gemeinde Larisa aus den Jahren
219 und 214, worin den Larisaeern empfohlen wird, die bei
ihnen wohnenden Metoeken hellenischer Abkunft zu Bürgern
zu machen, damit das in Folge der Kriege wüst liegende Ge-
biet besser bebaut würde1). Demgemäss verliehen die Lari-
saeer einer grossen Zahl Metoeken das Bürgenecht; der er-
') Cöllnitz, Griech. Dial.-Imchr. I 345: xat ij v(mt(q« noUs <ft«
tovs JToA^uo vs nffooätixai nXeövmv olxrjjmv . . . rovrov y«Q owreleod-iv-
rof ninuatxut xal... r t/v ytigav fiäilov xrl. . . . ori
y«Q nävrmv xällitnöv lariv ms nleCarmv fjtreyovrmv roö nolnecuarog
t r\v re rröhv layvtiv xal r/'/v ympav urj marreQ vvv ata/Qms yeootv-
eo.'tcu xrl.
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202
Capitel V.
haltene Theil der Urkunde führt auf: 1 Neubürger aus Samo-
thrake, 142 aus Krannon, 60 aus Gortyn; mitten in dem Ver-
zeichniss der Gortvnier bricht die Inschrift ab. Ein Schluss
auf die Gesammtzahl ist demnach nicht möglich, es können 500,
es können aber auch 1000 und darüber gewesen sein. — Ein
ähnliches Verzeichniss aus etwa derselben Zeit besitzen wir aus
Pharsalos; es scheint vollständig und führt 176 Namen auf1).
Auch wer Polybios und die daraus übersetzten Stücke des Livius
liest, wird den Eindruck gewinnen, dass Thessalien am Ende
des III. und Anfang des II. Jahrhunderts ein keineswegs dicht
bevölkertes Land war. Wie gross die Abnahme gewesen ist,
bleibt freilich mit unseren Mitteln unbestimmbar.
5. Makedonien.
Makedonien ist die ausgedehnteste aller griechischen Land-
schaften. Eine genaue Arealbestimmung ist bei unserer Un-
sicherheit über den Lauf der alten Grenzen unmöglich; meine
planimetrische Berechnung auf Grund von Bl. VII des Kiepert-
sehen Atlas von Hellas (1 : 1 000 000) ergiebt ungefähr 32 000 qkiu.
Dabei ist die Chalkidike, Tymphaea und Parauaea bis 18°
östl. Länge von Paris eingerechnet; die Nordgrenze gegen
Paeonien ist bei den Axiu Stenai angesetzt; dagegen sind das
bisaltische Gebiet rechts von Strymon und Amphipolis ausge-
schlossen. Von diesem Fläehenraum entfällt etwa die Hälfte
auf Ober -Makedonien , westlich einer Linie vom Gipfel des
Titaros über den Kamm des Pieros, des Bennios und der Bora,
also auf die Landschaften Lynkestis, Orestis, Eordaea, Eleimiotis,
Tymphaea, Parauaea. Auf die Chalkidike, südlich vom See
Bolbe und einer Linie von dessen Westende bis zum aeneischen
Vorgebirge kommen etwa 4000 qkm, davon auf den Rumpf 3000,
auf die drei Halbinseln:
qkm
Atlios 321,0
Sithonia 887,0
Pal lene 386,6
1094,6
r) Cöllnitz, Gr. Dial. Inschr. I 326.
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Mittel- und Nord-Griechenland.
203
Letztere Zahlen nach der planimetrischen Berechnung Strel-
bitzkys ( Superf eie de l’Europe S. 217). Die makedonischen
Seen haben, ebenfalls nach Strelbitzky, folgenden Flächen-
raum (a. a. 0. S. 205) :
qkm
Bolbe (Beschik-(rÖT) 91,3
Begorrites (Ostroro) 65,3
(Presba) 198,0
(Kastoria) 50,8
405,4
Wenden wir uns jetzt zu den Angaben über die Bevölkerung.
Am besten unterrichtet sind wir hier, wie begreiflich, über die
griechischen Pflanzstädte an der Küste. Der Mehrzahl nach
waren diese Städte ziemlich unbedeutend. Potidaea, vor dem
peloponnesischen Kriege w'ohl die erste darunter, hat nach
Herodots Schätzung bei Plataeae nicht mehr als 300 Hopliten
gestellt1); die attische Kleruchie, die 429 an die Stelle der
korinthischen Kolonie trat, zählte nicht über 1000 Bürger2).
Mende konnte 423 zur eigenen Vertheidigung nur 400 Hopliten
aufstellen, einschliesslich der peloponnesischen Besatzung, die
allerdings nur gering an Zahl war3). Skione sandte bei dieser Ge-
legenheit der Nachbarstadt 300 Hopliten zu Hülfe 4) ; und bei der
Wichtigkeit, welche die Vertheidigung Mendes auch für Skione
hatte1, können wir nicht zweifeln, dass die ganze überhaupt zum
Felddienst verwendbare Hoplitenzahl der Stadt aufgeboten wurde.
Bei der Einnahme von Torone durch Kleon im folgenden Jahre
betrug die Zahl der Gefangenen, Bürger und peloponnesische
Besatzungstruppen zusammen, aber ausschliesslich der Weiber
und Kinder, nicht mehr als 700 Mann5); mögen auch manche
entkommen sein, so kann die Stadt doch kaum viel über 1000
Bürger gezählt haben. Für Skione und Mende mögen etwa je
1500, für Potidaea 2 — 3000 Bürger anzusetzen sein. Das ent-
») Herod. IX 28.
*) Diod. Xn 46.
») Thuk. IV 129.
*) Thuk. IV 129. 130.
5) Thuk. V 3.
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204
Capitel V.
spricht etwa den Sätzen der attischen Tributlisten, da um die
Zeit des Ausbruchs des peloponnesischen Krieges Torone einen
regelmässigen Tribut von 6 Talenten, Mende von 8, Skione
von 9, Potidaea von 15 Talenten bezahlt zu haben scheinen.
Aphytis hat nur 3 Talente bezahlt und ist also ohne Zweifel
kleiner gewesen; Sane, Neapolis und Aegae waren ganz unbe-
deutend. Die Halbinsel Pallene muss also bei einem Flächen-
raum von 386,6 qkm um diese Zeit etwa 6—7000 Bürger
gezählt haben, entsprechend einer bürgerlichen Bevölkerung
von 47 — 57 auf 1 qkm, eine bedeutende Volksdichtigkeit, die bei
einem so fruchtbaren und städtereichen Gebiete nicht überrascht.
Sithonia hat dieselbe Ausdehnung wie Pallene (387 qkm),
ist aber gebirgiger : während der höchste Punkt von Pallene
nur 330 Meter über dem Meere liegt, erhebt sich Sithonia bis
auf 790 Meter1). Auch fehlt hier ein grösseres städtisches
Centrum, wie es Potidaea, und später Ivassandreia, für Pallene
bildete. Die grösste Stadt auf Sithonia, Torone. kann 422, wie
wir gesehen haben, kaum über 1000 Bürger gezählt haben.
Die übrigen Städte der Halbsinsel : Singos, Galepsos, Sermylia,
und die ganz unbedeutenden Sarte und Piloros, können nach
Ausweis unserer Tributlisten um den Ausbruch des pelopon-
nesischen Krieges zusammen nicht über 9 Talente regelmässige
Steuer an Athen gezahlt haben, also einundeinhalbmal soviel
wie Torone. Wir werden demnach für ganz Sithonia nicht
mehr als etwa 2500 — 3000 Bürger ansetzen dürfen. Koch
schwächer bevölkert musste die rauhe Athos - Halbinsel sein;
ihre 6 Städtchen zahlten den Athenern im ganzen nur gegen
4 Talente und werden schwerlich über 1000 Bürger gezählt
haben, auf einem Flächenraum von 321 qkm. Für die drei
Halbinseln zusammen ergiebt das etwa 10000 Bürger, auf nahe
an 1100 qkm.
Der an 3000 qkm grosse Rumpf der chalkidischen Halb-
insel hat nun ohne Zweifel eine relativ viel schwächere Be-
völkerung gehabt. Allerdings lag hier seit dem peloponnesischen
Kriege bis 347 die bedeutendste Stadt der Chalkidike nicht
fr Nach Bl. XV von Kieperts Neuem Atlas von Hellas (Berlin 1879).
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Mittel- und Nord-Griechenland.
205
nur, sondern überhaupt der ganzen makedonisch - thrakischen
Küste, Byzantion allein vielleicht ausgenommen: Olynthos*).
Ihre Bürgerzahl giebt Demosthenes für das Jahr 383 zu 5000 a),
für 347 zu 10000 an8), Zahlen, die durchaus das Gepräge
der Glaubwürdigkeit tragen, mag auch die letztere immerhin
nach oben abgerundet sein. — Die nächst Olynth bedeutendsten
Städte der Chalkidike waren Apollonia und Akanthos4). Um
383 vermochten sie an 400 Reiter aufzustellen5), d. h. etwa
soviel, wie Olynthos selbst. Später, unter Alexander, bildeten
die Reiter von Apollonia eine Ile der makedonischen Ritter-
schaft8), was einen Bestand von annähernd 200 Pferden vor-
aussetzt. Beide Städte zusammen können also kaum unter
5000 Bürger gezählt haben. — Die Städte der Krusis waren
mit Ausnahme von Aenea ganz unansehnlich. Mehr ins Ge-
wicht fallen die Bottiaeer, wie ihr starkes Hervortreten im
peloponnesischen Kriege beweist; ein Anhalt zur numerischen
Schätzung fehlt. — Alles in Allem genommen mag die chalki-
disehe Halbinsel zur Zeit des peloponnesischen Krieges gegen
25 000, in Philipps Zeit an 30 000 Bürger gezählt haben. Nicht
mit Unrecht also nennt Xenophon die Chalkidike „ein bei
seinem Kornreichthum stark bevölkertes Land“ 7). Bei dem
Zuge nach Lynkestis im Winter 423 auf 422 hatten Brasidas
und Perdikkas 3000 hellenische Hopliten 8), von denen min-
') Xen. Hell. V 2, 12: ort fiiv yng riöv in l öpoxijj fxeylarri nöXig
"OivvSos, o% edov niivreg iniarno9e. Der Ausdruck ric fn'i öp«x»jf schliesst
bekanntlich die hellespontischen Landschaften aus.
*) Dem. v. d. Ges. 263: ixefvoi yng1 fpeixa plv Tejgnxooloug Inning
IxixTrjvro fjövov xal avunnrreg ovdiv fjonv nXeloug n evrnxiayiXCutv tov
noift/jöv, ovnai XnXxtdicov nnvjcav flg iv OvvtpxiOfrivtav xrX.
*) Ebenda 266: ytXiovg utv Inning xexrrj/jivoi, nXeloig d' oyreg rj
uvgioi, nnvrug di to vg negiycdoorg eyovreg ovfifrnyovg. Dass sich die
Zahl 10000 auf Olynthos allein beziehen muss, ist klar; die Reiterzahl da-
gegen ist die des ganzen chalkidisehen Bundes, s. unten S. 206.
4) Xen. HeU. V 2, 11 : ntneg uiytatni rtüv negl OXvvllov nöXeatv.
*) Xen. Hell. V 2, 14 vgl. mit V 3, 1.
*) Arrian Anetb. I 12, 7. Ich halte es für unzweifelhaft, dass es
westlich des Strymon nur ein Apollonia in dieser Gegend gegeben hat.
7) Xen. Hell. V 2, 16: noXvnvügwntn ye frrjv dih rrjv noXvOirlnv
vnngyei.
*) Thuk. IV 124.
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206
Capitel V.
destens die Hälfte von den Colonien an der makedonischen
Küste gestellt sein musste, da die 1700 Schwerbewaffneten,
die Brasidas aus dem Peloponnes herangeführt hatte1), durch
Detachirungen zu Besatzungszwecken stark geschwächt waren.
Bei Amphipolis im folgenden Herbste hatte! Brasidas 2000 Ho-
pliten, 300 ehalkidische und am phipolitische Reiter und 1000
chalkidische Peltasten 2). Xenophon — allerdings in einer
Tendenzrede — erklärt die Macht der geeinten Chalkidike
für grösser als die von Boeotien8). Das Aufgebot an Reitern
habe 1000 Pferde betragen, eine Zahl, die auch Demosthenes
angiebt4) und die ohne Zweifel richtig ist. Als Akanthos,
Apollonia und die Städte auf Pallene noch nicht zum olynthi-
schen Bunde gehörten, habe dieser 800 Hopliten und „eine
viel grössere Zahl von Peltasten“ aufstellen können. Da diese
Zahlen angeführt werden, um einen möglichst hohen Begriff
von der Macht der Olynthier zu geben, so ist die Zahl 800
offenbar comuupirt; eine Kmendation wage ich nicht5). Jeden-
falls hat Olynthos es vermocht, einem pelopounesischen Heere
von 10000 Mann durch längere Zeit erfolgreichen Widerstand
zu leisten. Nach der Unterwerfung durch Sparta bildeten die
Contingente der chalkidisehen Städte das 10. Armeecorps des
pelopounesischen Bundesheeres ®).
Wenden wir uns jetzt zu den übrigen Colonien an dieser
Küste. Pydna war eine verhältnissmässig ansehnliche Stadt,
wie der lange Widerstand zeigt, den sie Archelaos von Make-
donien leistete7); später finden wir mehrere ihrer Bürger in
hohen Stellungen im Heere Alexanders. Kleiner war das be-
nachbarte Methone, das 3 Talente Tribut an Athen zahlte und
Nikias 423 120 Mann leichter Truppen gegen die Chalkidier
») Thuk. IV 78.
*) Thuk. V 6.
8) Xen. Hell. V 2, 16.
4) Xen. Hell. V 2, 14 und oben S. 205 Anm. 3.
') Xen. Hell. V 2, 14 ; vgl. Grote, Hist, of Greece IX 268 A. (London
1870) und die Herausgeber der Hellenika.
«) Diod. XV 31.
7) Diod. XIII 49.
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Mittel- und Nord-Griechenland.
207
als Hülfe stellte1). Ein Volksbeschluss aus dem Jahre 426 3)
ertheilt der Stadt das Privileg, jährlich eine gewisse Menge
Getreide aus Byzantion auszuführen; die Zahl ist leider ver-
stümmelt, es können 4000, und es können auch 8000 Medimnen
gewesen sein. Selbst letztere Zahl genügt bei einem jährlichen
Verbrauche von 5 Medimnen nur für 1800 Menschen; sollte
das Privileg für Methone irgend welchen Werth haben, so kann
die Stadt nur unbedeutend gewesen sein.
Ueber die Bevölkerung des inneren Makedonien sind wir
erst seit Philipps und Alexanders Zeit unterrichtet. Im Jahre
360 war König Perdikkas mit 4000 Makedonen in einer Schlacht
gegen die' Illyrier gefallen3). Dennoch konnte Philipp im fol-
genden Jahre 10000 Mann zu Fuss und 600 Reiter gegen sie
ins Feld führen*), offenbar die ganze Macht, die Makedonien
damals überhaupt aufstellen konnte. Gegen Onomarchos brachte
Philipp 352 20000 Mann zu Fuss und 3000 Reiter zusammen,
aber einschliesslich der thessalischen Contingente, die nament-
lich von der Reiterei den grössten Theil bildeten5). Perinthos
belagerte der König 340 mit 30000 Mann8), die freilich auch
nicht ausschliesslich Makedonen gewesen sein werden. Bei
Chaeroneia zählte Philipps Heer diesellte Stärke, 30000 Mann
zu Fuss und 2000 Reiter7). Ebensoviel, 30000 Mann und
3000 Reiter, soll Alexandros bei Theben gehabt haben8).
So charakteristisch diese Zahlen die Entwickelung der
makedonischen Militärmacht von 360 bis 335 veranschaulichen,
so wenig brauchbar sind sie zur Bestimmung der Bevölkerung
des Landes, da wir über die Zusammensetzung dieser Heere
!) Thuk. IV 129.
*) CIA. I 40.
3) Diod. XVI 2.
«) Diod. XVI 4.
s) Diod. XVI 35: roi di <l‘iX(nnoii /jitii tüv dtTTni-üv «VTi7tagaTa-
{etfih'ov toi s 4>toxcüoiv x«l Jiär BirraXiSv Inniiov uij nlr/Set xal
t«i i ccgiTttis diaiffgovrtav xxl.
«) Diod. XVI 74.
7) Diod. XVI 85 ; die Zahl der Reiter scheint nicht richtig überliefert,
s. Schaefer Demosth. II S. 530.
8) Diod. XVII 9.
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208
Capitel V.
nicht unterrichtet sind. Erst bei Gelegenheit von Alexanders
asiatischem Zuge finden wir darüber nähere Angaben. Alexander
ging über den Hellespont mit 12000 Mann makedonischer Fuss-
truppen (Phalangiten und Hypaspisten) und 1500 Hetaeren zu
Pferde ; eine gleiche Zahl wurde unter Antipatros zum Schutze
der Heimath zurückgelassen1). Die gesammte Wehrkraft Ma-
kedoniens betrug also um 334 : 27 000 Mann, hatte sich demnach
seit 25 Jahren etwa verdoppelt, theils in Folge der Einver-
leibung der Chalkidike, theils durch den wachsenden Wohlstand
des Landes.
Während der asiatischen Feldzüge hat das Heer sehr be-
deutende Nachschübe erhalten. Zu den 6 Taxen der schwer-
bewaffneten Phalanx, die am Granikos gefochten hatten, traten
allmählich weitere 4 Taxen hinzu2). Diesem Verhältniss ent-
spricht es, wenn unter den 10000 Veteranen, die nach dem
indischen Feldzuge zur Entlassung kamen, 6000 Mann von den
alten, mit Alexander nach Asien hinübergegangenen Truppen
und 4000 Mann von den später zum Heere gestossenen Ver-
stärkungen sich befanden3). Da auch die alten Taxen, und
besonders die Reiterei, während des Krieges Nachschübe er-
halten hatten, welche die Verluste mindestens ausglichen, so
mögen die 10 000 im Jahre 323 entlassenen Veteranen etwa
die Hälfte des damals in Asien vorhandenen Bestandes an
makedonischen Truppen ausgemacht haben.
Wir glauben es gern, dass Makedonien durch die unauf-
hörlichen Truppenentsendungen an waffenfähiger Mannschaft
erschöpft wurde 4). Trotzdem konnte Antipatros beim Ausbruch
des hellenischen Aufstandes 323 nach Zurücklassung einer ge-
nügenden Besatzung in Makedonien 13000 Mann zu Fuss und
600 Reiter nach Thessalien führen5), während Leonnatos im
>) S. den Excurs am Ende des Capitels.
2) S. unten den Excurs: das Heer Alexanders.
a) Diod. XVIII 16.
*) Diod. XVIII 12: Itmuvifc ynp ij Maxtäovia arparicoTuv noXixt-
xmv <fia xo izXijSos u5v antoxalfitvmv eit xrjv 'AaCav bil Jiarfo/q»' zrjf
(JTQitTtfa;.
») Diod. XVÜI 12.
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Mittel- und Nord-Griechenland. 209
folgenden Jahre mit 20000 Mann zu Fuss und 2500 Reitern
nachrttekt 1). Freilich wird ein beträchtlicher Theil dieser
Truppen aus Söldnern und illyrisch-thrakischen Hülfsvölkern
bestanden haben. Nach Ankunft der Veteranen des Krateros
beliefen sich die makedonischen Streitkräfte in Thessalien auf
40000 Hopliten und Hypaspisten, 3000 Mann leichter Truppen
und 5000 Reiter2). Nicht viel schwächer kann das Heer ge-
wesen sein, mit dem Antipatros und Krateros 321 nach Asien
übergingen; es wird ausdrücklich hervorgehoben, dass dasselbe
zum überwiegenden Theile aus Makedonen bestand3). Nach
der Besiegung des Perdikkas liess Antipatros unter Antigonos
8000 Makedonen in Asien zurück4); ausserdem standen dort
die 3000 Argyraspiden , die sich später Fumenes anschlossen,
und eine Anzahl kleinerer Corps, wie z. B. Arrhidaeos, der
Satrap am Hellespont, 1000 Mann makedonischer Truppen be-
sass8). Auch bei Ptolemaeos in Aegypten waren Makedonen
zurückgeblieben. Alle übrigen makedonischen Truppen führte
Antipatros wieder in die Heimath.
Polysperchon rückte 318 an der Spitze von 20000 Make-
donen zu Fuss, 4000 Bundesgenossen und einer entsprechenden
Zahl Reiter in Hellas ein *) ; Kassandros stellte 302 gegen De-
metiios sogar 29000 Mann zu Fuss und 2000 Reiter auf7),
während ein Corps unter Prepelaos — wie es scheint 6000
Mann zu Fuss und 1000 Reiter — nach Asien detachirt war8).
Doch sind hier wahrscheinlich die thessalischen Bundescontin-
gente einbegriffen.
Von jetzt an fehlen durch 80 Jahre Angaben über die
Stärke makedonischer Heere. Antigonos hatte 221 bei Sellasia
>) Diod. XVIII 14.
8j Diod. XVIII 16.
s) Diod. XVIII 29. 80. Der Heerestheil des Krateros allein zählte
20000 Mann zu Fuss: on< qaav ol nlelov j Mnxedovet, und 2000 Reiter.
«) Diod. XIX 29.
») Diod. XVIII 51.
*) Diod. XVIII 68. Die Zahl der Reiter ist corrumpirt.
0 Diod. XX 110.
®) Diod. XX 107.
B«loch, BeTfUeronesUhre. I. 14
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210
Capitol V.
28000 Mann und 1200 Pferde, darunter etwas über 13000
Makedonen1); doch lag kein Grund vor, die ganze Macht des
Landes aufzubieten. Bei Kynoskephalae 197 zählte das make-
donische Heer 25500 Mann, darunter 16000 Phalangiten, 2000
Hypaspisten, 2000 Reiter, zusammen also 20000 Makedonen,
der Rest Bundesgenossen und Söldner2). Dazu kamen aber
weiter sehr zahlreiche Besatzungen, so in Korinth allein 5300
Mann, wovon 1500 Makedonen3). Es hatte grosser Anstren-
gungen bedurft, diese Macht zusammenzubringen', Philippos
hatte bei der Recrutirung im Winter 198/7 auf die Alters-
klassen bis zu 16 Jahren herabgreifen und ausgediente Vete-
ranen einstellen müssen4).
Nach dem Friedensschluss war Philippos bemüht, seine
Makedonen zur Rinderzucht auzuhalten, um die Lücken aus-
zufüllen, welche die lange Kriegszeit in die waffenfähige Mann-
schaft des Landes gerissen hatte 5). Mehr als diese gesetzlichen
Maassregeln musste der sechsundzwanzigjährige Frieden be-
wirken, dessen Makedonien sich zum ersten Male seit andert-
halb Jahrhunderten, von der Schlacht bei Kynoskephalae bis
zum perseischen Kriege erfreute. Es wuchs eine zahlreiche
junge Mannschaft heran®), die es Perseus möglich machte, ein
grösseres Heer gegen Rom aufzustellen, als es sein Vater ver-
>) Polyb. II 65.
s) Liv. 33, 4 nach I’olybios.
3) Liv. 33, 14.
4) Liv. 33, 3: Philippus dikctum per omnia oppida regni habere
instituit in magno inopia iuniorum. absuinpserant enim per multas iam
aetates continua bella Macedonas .... ita et tirones ab s edecim annis
mildes scribebat et emeritis quidam stipendiis quibus modo quicquam re-
liqui roboris erat, ad siqna revocabantur. Polybios scheint hier etwas ge-
färbt zu haben.
*) Liv. 39, 24 nach Polybios: ut vero antiquam muttitudinem homi-
n um, qttae belli cladibus amissa erat, restäueret, non subolem tantum
stirjris parabat cogendis Omnibus procreare atque educare liberos etc.
8) Liv. 42, 11: florere praeterea iuventute, quam stirjiem longa pax
ediderit. 42, 52 : sextus et vicesimus annus agebatur, ex quo petente Phi-
lippo data pax erat: per id omne tempus quieta Macedonia et progeniem
ediderat, ctiius magna pars matura militiae esset etc.
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Mittel- und Nord-Griechenland.
211
mocht hatte. Bei Ausbruch des Krieges hatte er eine Feld-
armee von 43000 Mann, abgesehen von den Besatzungen, die
freilich jetzt bei dem Verluste der meisten auswärtigen Be-
sitzungen einen geringeren Bruchtheil der Gesammtmacht ab-
sorbireu mussten, als vor Kynoskephalae. Unter jenen 43 000
Mann befanden sich 26000 Makedonen zu Fuss und 3000 zu
Pferde, also reichlich soviel, wie Alexander bei seinem Ueber-
gang nach Asien zur Verfügung gestanden hatten1).
Die Wehrkraft Makedoniens ist also, wie wir sehen, von
der Einverleibung der Chalkidike durch Philipp bis zum Unter-
gang der Selbständigkeit, einzelner Rückschläge ungeachtet, im
allgemeinen etwa dieselbe geblieben. Es ist demnach wahr-
scheinlich, dass die freie Bevölkerung des Landes in dieser Zeit
etwa stationär geblieben ist, um so wahrscheinlicher, als das-
selbe auch im übrigen Griechenland während des III. Jahr-
hunderts der Fall war, und Makedonien, den gallischen Ein-
fall abgerechnet, von Philipp II. bis auf die Schlacht bei Pydna
nie von einem Feinde betreten worden ist; von Verheerungen
einzelner Grenzbezirke natürlich abgesehen. Leider sind wir
über die makedonische Conscriptionsordnung völlig im dunkeln ;
doch spricht die grosse Wahrscheinlichkeit dafür, dass auch
hier, wie im übrigen Hellas, die Dienstpflicht nach dem Ver-
mögen geordnet war. Jedenfalls ist nicht daran zu denken,
dass ein Land von der Ausdehnung Makedoniens je im Staude
gewesen sein sollte, seine gesammte wehrfähige Bevölkerung
für längere Zeit unter Waffen zu halten. Rom hat selbst in
der höchsten Bedrängniss des hannibalischen Krieges es nicht
vermocht, mehr als etwa die Hälfte seiner Bürgerschaft unter
die Fahnen zu rufen; und Makedonien hatte weder zu Alexan-
ders Zeit, noch vor der Schlacht bei Pydna Veranlassung, so
grosse Anstrengungen zu machen. Haben die gegen 30000 Mann,
die Makedonien 334 und 171 aufgestellt hat, etwa Vs seiner
Bürgerschaft gebildet, so müsste die bürgerliche Gesanunt-
') Livius 42,51 : satis constabat, secundum eum exercitum quem magms
Alexander in Asiam traiecit nunquam ullius Maccdonum regis copias
tantas fuisse.
14*
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212
Capitel V.
bevölkerung des Landes ungefähr 300000, die Gesammtbevöl-
kerung einschliesslich der Sklaven und angesiedelten Fremden
mindestens 400000, vielleicht */* Million betragen haben. Da-
bei ist nur das eigentliche Makedonien gerechnet, also mit
Ausschluss der unterworfenen illyrischen Grenzbezirke, von
Paeonien und der thrakischen Gebiete am Strymon. Bei einem
Flächenraum von 32 000 qkm würde dieses Gebiet also eine
Volksdichtigkeit von 12,5 — 15,6 Einwohnern auf 1 qkm gehabt
haben.
Das ist eine, auch nach antiken Verhältnissen, keineswegs
dichte Bevölkerung, die hinter der aller übrigen griechischen
Landschaften zurücksteht , Aetolien allein etwa ausgenommen.
Aber alle Nachrichten stimmen darin überein, dass Makedonien
in der That ein sehr schwach bevölkertes Land gewesen ist.
F.s war die waldreichste Landschaft in Griechenland; Nutzholz
bildete den hauptsächlichsten Ausfuhrartikel, und namentlich
die athenische Flotte ist hauptsächlich mit makedonischem
Holze gebaut worden. Wild gab es in Menge, die Viehzucht
wurde in grossem Maassstabe betrieben. Sehr charakteristisch
ist es auch, dass die makedonischen Könige schon seit Kassan-
dros sich veranlasst sahen, thrakische, gallische und illyrische
- Barbaren in grosser Zahl in Makedonien anzusiedeln, ein Ver-
fahren, das an die Maassregeln der römischen Kaiser in der
Verfallzeit des Reiches erinnert. Auch war die Bevölkerung
sehr ungleich vertheilt. Am besten bevölkert war die Chalki-
dike; sie mag bei der Eroberung durch Philipp auf 4000 qlan
an 100000 freie Einwohner gezählt haben, also 25 und ein-
schliesslich der Sklaven jedenfalls 30 — 40 auf 1 qkm. Die Zer-
störung Olyntks 347 musste allerdings einen schweren Rück-
schlag bringen, der aber 30 Jahre später durch die Gründung
von Kassandreia wieder ausgeglichen wurde. Ober-Makedonieu
dagegen war ein rauhes Gebirgsland, mit Ausnahme von Hera-
kleia Lynkestis ohne jede Ortschaft, die es verdiente, als Stadt
bezeichnet zu werden. Und Ober-Makedonien : die Landschaften
Lynkestis, Orestis, Eordaea, Eleimiotis, Tymphaea, umfasst
etwa die Hälfte des Flächenraums von ganz Makedonien. In
Alexanders Heer bildeten die Contigente von Ober-Makedonien
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Mittel- und Nord-Griechenland.
213
3 von den 12 Taxen der Phalanx, während die Reiterei fast
ausschliesslich von den nieder-makedonischen Städten gestellt
wurde. Bei der Theilung Makedoniens in 4 selbständige Re-
publiken nach der Schlacht bei Pydna bildete ganz Ober-Ma-
kedonien den einen dieser Staaten, während Nieder-Makedonien
westlich vom Strymon in zwei Staaten getheilt wurde1). Ober-
Makedonien wird demnach schwerlich mehr als den vierten
Theil der Gesammtbevülkerung Makedoniens gezählt haben,
d. h. in Alexanders Zeit etwa 100000 Einwohner, 6 auf 1 qkm,
während in Nieder-Makedonien etwa 20 auf denselben Fläeheu-
raum kommen.
6. Thrake,
Die Küsten von Thrakien und Skythien, vom Strymon bis
zum kimmerischen Bosporos, waren von einem dichten Kranz
griechischer Colonien eingefasst. Wie weit sich das Gebiet
dieser Städte nach Innen erstreckt hat, ist mit unsern Mitteln
festzustellen meist völlig unmöglich ; und damit schwindet auch
die Möglichkeit einer Arealberechnung der griechischen Staaten
in diesen Gegenden. Nur die der Küste vorgelagerten Inseln
und die ganz von griechischen Colonisten besiedelten Halb-
inseln bilden hier eine Ausnahme. Es ergeben sich dafür fol-
gende Zahlen:
nach
nach
Strelbitzky “)
Behm u. Wa:
qkm
qkm
Thasos
. 294,3
393
Samothrake
. 177,4
177,1
Imbros
. 254,7
255,5
Lernnos
. 476,7
4-54,2
Halonnesos (Hagiosirati)
. 50,1
42,3
Thrakischer Chersonnes
. 905,4
—
Halbinsel von Pantikapaeon ( Keiisch ) 3031,7
—
Halbinsel von I’hanagoria (Taman)
. 1720,7
—
*) Liv. 45, 29. 30.
a) Superficie de VEurope S. 155. 216 f.
8) Bevölkerung der Erde VI 22.
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214
Capitel V.
Wie mau sieht, stimmen beide planimetrischen Berech-
nungen für die thrakischen Inseln sehr gut überein ; nur bei
Thasos ergiebt sich eine bedeutende Differenz, die wohl auf
einem Versehen Strelbitzkys lieniht; wenigstens hat meine
Nachmessung auf Bl. VII von Kieperts Atlas von Hellas das
Resultat von Behm und Wagner annähernd bestätigt.
Angaben über die Bevölkerung fehlen so gut wie ganz. .
Wir wissen, dass einige von diesen Städten, wie Thasos. Ab-
dera '), Byzantion, Olbia*), zu den ansehnlichsten griechischen
Gemeinden gehörten. Aber zu einer numerischen Schätzung
mangelt jeder Anhalt.
Von den Thrakern selbst sagt Herodot, sie seien das zahl-
reichste aller Völker nach den Indern8). Freilich möchte es
Herodot schwer genug geworden sein, diese Behauptung zu
rechtfertigen; sagt er doch selbst, das Land jenseits des Istros
sei wüst und unfruchtbar4). Die Aegypter, Babylonier und die
Griechen selbst mussten offenbar viel zahlreicher sein, als die
Thraker, auch wenn wir die Bithyner in Kleinasien einrechnen.
Immerhin muss Thrakien im V. Jahrhundert eine verhältniss-
mässig nicht mißdeutende Bevölkerung gehabt haben. Das
Heer, mit dem Sitalkes 429 in Makedonien einfiel, soll nach
Thukydides 150000 Mann stark gewesen sein5). Die Zahl ist
zweifellos sehr übertrieben, aber es ist doch bemerkenswert!!,
dass ein so genauer Kenner thrakischer Verhältnisse und in
Zahlenangaben so vorsichtiger Schriftsteller wie Thukydides ein
solches Aufgebot wenigstens nicht für unmöglich gehalten hat.
Das Odrvsenreich begriff damals das ganze Gebiet von Abdera
bis zum Istros, also ein Areal von 100 — 130000 qkm. 150000
l) Diod. XIII 72: 7f oXiv tv icttf d waimnTtut ovaav tot* roh' fnl
Hnitxrj;. Vgl. die attischen Tributlisten.
*) Strab. VII S. 306.
s) Herod. V 3: finrjtxaiv di fSvos fifyurrov Ion uirn ye 'irdoig
TutVToiv tcvSnojnaiv.
*) V 9: «iln Tn rrfgnv rjdrj rov "/mnov tgfjuos /oioi) (fah'trm xul
anonof.
5) Thuk. II 98: «u ore to nnv JilrjSo; liytrat ovx flaaaov tktti-
yaldtxct mnindojv yeviaSai.
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e
Anhang. Das Heer Alexanders.
215
waffenfähige Männer würden eine Bevölkerung vou 600000
voraussetzen; das ergäbe eine Volksdichtigkeit von 5 — 6 auf
1 qkni, was nicht unangemessen scheint.
Anhang.
Das Heer Alexanders.
Ueber die Stärke des Heeres, mit dem Alexander nach
Asien überging1), fanden sich schon bei den Zeitgenossen ver-
schiedene Angaben. Sie betrag nach
zu Fuss Reiter
Ptolemaeos 30000 5000 (Plutarch v. Alex. Glück 1 8, 8. 327 X
Aristobulos 30000 4000 (Plut. a. a. O.),
Anaximenes 43 000 5500 (Plut. a. a. O.),
Kallisthenes 40000 4500 (Polyb. XII 19, 1).
Ptolemaeos folgt , ohne ihn an dieser Stelle zu nennen,
Arrian (I 11, 3): i&Xavvei iq’ "EXX^anovrov, . . . üyiov ne'Covg
liiv avv xpiXolg ts xai loSgöraig ov n oXXq nXtiovg cwv
TQiafivQUüv, \nniag ös vn bq xovg 7tevray.iaxiXiovg. Wie wir
sehen, hat Plutarch die Zahlen seiner Quelle abgerundet; ja
es scheint nach den Worten Arrians, dass Ptolemaeos ein de-
taillirtes Verzeichniss der Streitkräfte Alexanders gegeben hat,
wie das ja auch bei einem militärischen Schriftsteller eigentlich
selbstverständlich ist. Auf Aristobulos dagegen , wenn auch
nicht direct, gehen die Zahlen bei Diodor (XVII 17) und
Justin (XI 6, 2) zurück: beide geben 4500 Reiter, Diodor
30000, Justin genauer 32000 Mann zu Fuss. Dass Aristobulos
nach Plutarch nur 4000 Reiter angab, darf uns nicht irre
machen. Aristobulos stimmt in der Zahl der Fusstrappen mit
Ptolemaeos überein; es ist ganz undenkbar, dass er in der
*) Die neueste Behandlung des Gegenstandes durch Hans Droysen
Alexanders des Grossen Heencesen, Freiburg 1885, hat den Resultaten
J. ß. Droysens (Hermes XII S. 226 — 52) nichts wesentliches hinzugefugt.
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216
Capitel V.
Zahl der Reiter um mehr als ein volles Tausend, über 20,
bezw. 25 °/o der Gesammtstärke , von ihm abgewichen sein
sollte. Plutarch, oder, da er selbst das Werk des Aristobulos
schwerlich in der Hand gehabt hat, seine Vorlage, hat also
bei der Zahl der Reiter offenbar die Hundeiter unterdrückt,
ebenso wie die Zahl der Fusstruppen auf ganze Myriaden ab-
gerundet ist.
Die Abweichungen zwischen den numerischen Angaben
unserer verschiedenen Quellen erklären sich nun ohne Zweifel
daraus, dass die Gesammtzahl aus der Stärke der einzelnen
taktischen Verbände berechnet ist, und bald die Normal-, bald
die Effectivstärke zu Grunde gelegt wurde. Die Histoiiker
Kallistheues und Anaximenes haben offenbar das erstere ge-
than und dadurch höhere Zahlen erhalten. Mag dem indess
sein, wie ihm wolle, jedenfalls verdienen die unter sich uahe
übereinstimmenden Zahlen unserer militärischen Quellen Ptole-
maeos und Aristobulos den Vorzug, und es ist verkehrt, sie
mit den Zahlen des Kallisthenes und Anaximenes durch die
Annahme zu combiniren, es sei das nach Asien unter Panne-
nion vorausgeschickte Corps bei letzteren eingerechnet , bei
«■steren nicht.
Eine detaillirte Uebersieht über die Stärke der einzelnen
Abtheilungen des Heeres giebt uns nur Diodor (XVII 17).
J. G. Droysen (Hermes XII S. 226 — 52) hat diesem Verzeich-
nisse jeden Werth abgesprochen , aus Gründen, die ich als
durchschlagend keineswegs anerkennen kann. Denn wenn bei
Diodor unter dem Fussvolk Odrysen und Triballer aufge-
führt werden, bei Arrian einfach Thraker, so ist das in der
Sache dasselbe; dass die Illyrer, die jedenfalls wenig zahlreich
gewesen sind, bei Arrian fehlen, kann Zufall sein. Auch ist
nicht zu vergessen, dass wir das Verzeichniss erst aus dritter
Hand haben, so dass kleine Unrichtigkeiten im einzelnen nicht
der ursprünglichen Quelle zur Last zu legen sind. Dass aber
die Zahlen im allgemeinen correct sind, zeigt nicht nur die
Uebereinstimmung mit Aristobulos’ Gesammtsumme , sondern
ist auch, allerdings unfreiwillig, aber eben darum um so schla-
gender, von Droysen selbst bewiesen worden durch die Be-
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Anhang. Das Heer Alexanders.
217
rechnung, die er auf Grund der Angaben Annans vorgenoin-
men hat. Ich stelle Droysens Ergebnisse den Zahlen Diodors
gegenüber:
I. Fussvolk :
Diodor
Droysen s. 250.
Makedonen
... 12000 (18000)
12 000
Bundesgenossen
. . 7000
5 000
Söldner
, . . 7000 (5000)
7 000
Thraker (und Illyrer)
. . 5000
4000
Agrianer u. Bogenschützen . . .
. . 1000
2 000
30000 (1- 32000)
30 000
II. Reiterei :
Diodor
Droysen s. 240.
Makedonen
1800
Thessaler
1500 (1800)
1200
Hellenische Bundesgenossen . .
600
400
Thraker, Paeoner, Sarissoplioren (n uoäouuoi) 900
1800
4500
5000
Wie wir sehen, stimmen Droysens Zahlen mit denen Dio-
dors so nahe überein, wie den Umständen nach nur immer zu
erwarten ist. Wir werden also das ganze Verzeichniss unbe-
denklich auf Aristobulos zurückführen dürfen. Es ist auch gar
nicht abzusehen, wie Kleitarchos, der für ein Publicum schrieb,
das „den Militarismus gründlich satt hatte“, darauf gekommen
sein sollte, eine solche trockene Liste' zu erfinden, wenn er sie
nicht in seiner Quelle schon vorfaud. Wenn aber Droysen
weiter meint, das Verzeichuiss könne aus keiner militärischen
Quelle geflossen sein, da es nur die Zusammensetzung des
Heeres nach Nationalitäten, nicht nach Waffengattungen an-
giebt, so übersieht er, dass beides zusammenfällt. Die Make-
donen, Thessaler, die hellenischen Bundesgenossen und Söldner
bildeten das Linienfussvolk und die schwere Reiterei , die
übrigen Contingente die leichten Truppen zu Fuss und zu
Pferde. Zwischen Peltasten (Ilvpaspisten) und Hopliten war
in dieser Periode kein so grosser Unterschied mehr, beide zu-
sammen bildeten in der Schlachtordnung die Phalanx ; auch ist
es sehr wahrscheinlich, dass das Original unseres Verzeichnisses
ausführlicher war, als der bei Diodor erhaltene Auszug. — Die
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218
Capitel V.
Zahlen sind in unseren Diodorhandschriften bekanntlich stark
corrumpirt, so dass die Möglichkeit nicht ausgeschlossen ist,
dass in den Einzelposten Fehler steekeu, um so mehr, als die
Handschriften zum Theil unter einander abweichen. Nament-
lich ist es sehr unwahrscheinlich, dass die Gesammtzahl der
Fusstruppen wirklich gerade 30000 betragen hat; ich möchte
Justins Zahl von 32000 vorziehen und setze demgemäss die
Söldner zu 7000 Mann an, was ebenso gut, wo nicht besser
bezeugt ist, als die in unseren Ausgaben aufgenommene Zahl
von 5000. Dagegen lässt sich die überlieferte Summe der
Reiter, 4500, nicht ohne Gewaltsamkeit emendiren, um so we-
niger, als sie durch Justin gestützt wird; es ist also an der
Zahl von je 1500 für die makedonische und thessalisehe Ritter-
schaft festzuhalten.
Diodor giebt ferner an, dass 12000 Mann zu Fuss und
1500 Reiter unter Antipatros zum Schutze Makedoniens zurück-
blieben. Bundesgenossen können darunter nicht begriffen sein,
da in Europa kein Krieg war, zu dem sie hätten aufgeboten
werden können. Und ebenso wenig wahrscheinlich ist es, dass
Alexander für die blosse Eventualität eines Krieges in Make-
donien ein grosses Söldnercorps unterhalten hat; er konnte
sein Geld besser anwenden, und die Werbetrommel zu rühren
— man verzeihe den Anachronismus — blieb im Falle des
Bedürfnisses immer noch Zeit. Also diese 12000 Mann zu
Fuss und 1500 Reiter sind Makedonen gewesen1)- Natürlich
standen auch sie nicht, oder doch nur zum kleinsten Theil
unter Waffen; es sind die Mannschaften, die aufgeboten werden
konnten, sobald es nöthig war, ein Fall, der, wie bekannt, erst
4 Jahre nach Alexanders Uebergang nach Asien eintrat. Von
einer wirklichen Zählung kann also hier noch weniger die Rede
sein als bei der Operationsarmee. Wenn nun bei Diodor,
d. h. wie ich gezeigt zu haben glaube, bei Aristobulos, die
Zahl der zu Hause gelassenen Makedonen und der für den
!) Das ergiebt sich auch daraus, dass Antipatros 330 gegen Agis
40000 Mann zusammenbringen konnte (Diod. XVII 62), trotzdem er bereits
bedeutende Verstärkungen nach Asien gesandt hatte.
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Anhang. Das Heer Alexanders.
219
asiatischen Feldzug: aufgebotenen dieselbe ist, so heisst das offen-
bar nichts anderes, als dass Alexander von den taktischen Ver-
bänden — Taxen der Phalanx, Chiliarchien der Hypaspisten,
Ilen der Ritterschaft — , in die das makedonische Aufgebot
zerfiel, die Hälfte zum Schutze der Heimath zurtickgelassen hat.
Dass es sich wirklich so verhielt, lässt sich auch auf an-
derem Wege beweisen. Alexandros hatte nach Aman (I 14, 2)
am Gramkos ausser den Hypaspisten 6 Taxen schweren make-
donischen Fussvolks, die des Perdikkas, Koenos, Krateros,
Amyntas, Philippos, Meleagros. Dieselben Taxen, mit Aus-
nahme der des Philippos, kehren bei Issos wieder (Curtius III
9, 7.8; Aman II 8,3, wo die Taxis des Krateros nur durch
ein Versehen der Abschreiber nicht ausdrücklich erwähnt ist),
als 6. Taxis finden wir die des Ptolemaeos. F.benso bei Ar-
bela (Arrian III 11, 9. 10); nur dass die Taxis des bei Issos
gefallenen Ptolemaeos jetzt von Polysperchon befehligt wird
(Arrian II 12, 2) und statt Amyntas, der nach Makedonien
zur Aushebung von Verstärkungen geschickt war, sein Bruder
Simmias dessen Abtheilung führt. Es würde aber verfehlt
sein, wenn wir aus diesen Angaben den Schluss ziehen wollten,
dass die Taxis des Ptolemaeos und später des Polysperchon
dieselbe sei , die Philippos am Granikos geführt hatte ; denn
die Taxis des Philippos wird noch im indischen Feldzuge er-
wähnt (Aman IV 24, 10), und zwar neben der Polysperchons
(vgl. Arrian IV 22, 1; 25, 6; V 11, 8; VI 5, 5). Da nun an
eine Detaehirung dieser Taxis während der Schlachten von Issos
und Arbela in keiner Weise gedacht werden darf, so bleibt
nur die Annahme, dass sie bei Arrian, oder vielleicht schon in
der Arrian vorliegenden Quelle in den Berichten über diese
beiden Schlachten ausgefallen ist. Das wird bestätigt durch
Diodors und Curtius’ Beschreibung der Schlacht bei Ar-
bela. Die Ordnung der Taxen ist hier dieselbe wie bei Arrian,
folglich gehen alle diese Relationen in letzter Instanz auf die-
selbe Quelle zurück. Die Folge ist bei Diodor (XVII 57):
Koenos, Perdikkas, Meleagros, Polysperchon, Philippos, Krateros;
bei Curtius (IV 13, 28): Koenos, die Oresten und Lynkesten,
d. h. Perdikkas (vgl. Diod. a. a. 0.), Polysperchon, Amyntas,
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220
Capitel V.
Philippos, Krateros. Es ist also in unseren drei Berichten je
1 Taxis ausgefallen, und zwar jedesmal eine andere : bei Arrian
die des Philippos, bei Diodor die des Amyntas (Simmias), bei
Curtius die des Meleagros1). Die ursprQngliche Folge war
diese: Koivog nokeiuu/.Qct ivvg, IleQÖtxxag 'Oqqvvov, MektayQog
ISeoictokifJOv, llot.vaniQyiov — ififiiov, Ajiiviag (Sififita g) Avöqo-
jitvotg, Oikatitog Afivvto v, ÄQuiegog ‘Ake^ävÖQOv. Der Aas-
fall je 'einer Taxis bei Arrian und Diodor erklärt sich durch
das Nebeneinanderstehen der gleichen Namen: HokiantQyuiv
2 iiniiov , —luuiag Aidgoiitvoig o ‘Afivvtov adekcptg, Oikinnog
Autviov ; bei Curtius ist überhaupt die ganze Stelle corrupt.
Es bleibt nun allerdings die Möglichkeit, dass Alexanders
Heer bereits am Granikos 7 Taxen schweres makedonisches
Fussvolk gezählt hat, so dass Arrian die Taxis des Ptolemaeos
aufzuführen vergesen hätte. Und wirklich war dieser damals
beim Heere in Asien, aber als ainfiaioiftkag , nicht als Stra-
tege (Arrian I 24, 1): freilich ein Zeugniss von zweifelhaftem
Werth, da Arrian hier, wie es scheint, unseren Ptolemaeos mit
dem oojiiaioqtkag Ptolemaeos verwechselt, der soeben vor
Halikarnassos gefallen war (Arrian 1 22, 4). Im Winter 334 3
nach der Heimath beurlaubt, kehrte er im nächsten Frühjahre
mit Verstärkungen zum Heere zurück: es waren 3000 Make-
donen zu Fuss und 300 Reiter (Arrian I 29, 4). Diese grosse
Zahl macht es wahrscheinlich , dass es sich hier nicht blos um
Ersatz für die im Felde stehenden Abtheilungen handelte, son-
dern ein frisches Corps aus Makedonien herüberkam, eben die
Taxis, die Ptolemaeos bei Issos geführt hat.
Nach der Schlacht bei Arbela sind noch weitere Ver-
stärkungen zum Heere gestossen, so dass Alexander auf dem
indischen Feldzuge 10 makedonische Taxen unter sich hatte:
die des Gorgias, Kleitos, Meleagros (Arrian IV 22, 7), Attalos
(IV 24. 1 ; 25), Balakros, Philippos, Phiiotas (IV 24. 25), Koe-
nos (IV 24. 1 ; 25, 6 ; 26, 5), Polysperchon (IV 25, 6), Alketas
(IV 26, 1. 5). Von diesen Befehlshabern sind Attalos und
’) Das ist übrigens von den Herausgebern des Curtius längst gesehen
worden.
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Anhang. Das Heer Alexanders.
221
Alketas an die Stelle ihrer Brüder Amyntas und Perdikkas
getreten ; Balakros oder Kleitos muss den Befehl über Krateros’
Taxis übernommen haben, seit dieser zu einem höheren Com-
mando befördert war1). Es hat also neben den 6 Taxen, mit
denen Alexander im Jahre 334 nach Asien hinübergegangen
war, noch mindestens 4 weitere Taxen gegeben; und da Ma-
kedonien doch nicht ohne Besatzung bleiben konnte, so wird
es sehr wahrscheinlich , dass im ganzen 12 Taxen bestanden
haben.
Man hat bekanntlich die Frage aufgeworfen, ob alle diese
Taxen aus Makedonen gebildet waren. Für die Taxen des
Perdikkas, Koenos und Polysperchon beantwortet diese Frage
Diodor (XVII 57 = CurtiusIV 13, 26): sie bestanden aus den
Aufgeboten von Orestis und Lynkestis, Eleimiotis, Tymphaea.
Arrian bezeichnet ferner die Taxen des Krateros, Meleagros,
Perdikkas, Amyntas, Phiiotas, Koenos ausdrücklich als make-
donische (III 18); was für 7 Taxen gilt, wird auch für die
drei anderen (Philippos, Gorgias, Kleitos oder Balakros) zu
gelten haben (vgl. auch Arr. II 5, 6). Denn ein Rangunter-
schied zwischen den einzelnen Taxen tritt nirgends hervor.
Und dass keine Taxis ausschliesslich aus griechischen Bundes-
genossen gebildet war, ergiebt sich daraus, dass sie sämmt-
lieh bestehen blieben, auch nachdem die Bundesgenossen in
Ekbatana entlassen waren. Und was die Söldner angeht, so
bilden sie bei Arbela ein eigenes Corps (ol agxaiot xalor-
fievoi Stvoi) unter Kleandros (Arrian III 12, 2), und ebenso in
der Schlacht am Hydaspes (Arr. V 12, 1). Hätten ganze Taxen
aus Söldnern bestanden, so bliebe es unerklärlich, wie trotz
der vielen zurückgelassenen Besatzungen noch alle 6 ursprüng-
lichen Taxen im indischen Feldzuge erscheinen können. Ar-
rians Schlachtberichte müssten viel besser sein, als es der
*) Andere Taxen sind nicht nachznweisen ; denn Antigonos, dessen
Taxis Arrian VI 17, 3 erwähnt, war bekanntlich Führer der Hypaspisten
(Arrian V 16, 3), und Peithon (Arrian VI 6, 1) hat wahrscheinlich nach
Koenos’ Tode dessen Taxis geführt. — Dass makedonische Taxen in
Baktrien zurückgeblieben wären, ist sehr unwahrscheinlich, da Alexander
sonst niemals Makedonen zu Besatzungszwecken verwendet hat
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222
Capitel V. Anhang.
Fall ist, um uns das Recht zu geben, aus der seltenen Erwäh-
nung der Bundesgenossen und Söldner ein Argument gegen
die hier vertretene Auffassung zu entnehmen.
Dass die einzelnen taktischen Abtheilungen des makedo-
nischen Heeres je aus einem besonderen Bezirk recrutirt waren,
folgt schon daraus, dass, so viel wir wissen, alle griechischen
Heere nach diesem System gebildet waren. Auch nennt Arrian
die Ilen von Apollonia (I 12, 7), Anthemus (H 2, 3), Ober-
Makedonien, Bottiaea, Amphipolis (I 2, 5); Diodor (XVII 57)
die Taxen von Orestis und Lvnkestis, Eleimiotis, Tyinphaea.
Die im Herbst 331 in Susa eingetroffenen Ersatzmannschaften
vertheilt Alexander y.rna i'&vij unter die einzelnen Taxen
(Arr. III 16, 11). Da Orestis und Lvnkestis zusammen einen
Aushebungsbezirk bildeten, so können Eleimiotis und Tyinphaea
unmöglich mehr als je eine Taxis gestellt haben; ganz Ober-
Makedonien also, Eordaea vielleicht ausgeschlossen, hat nur V*
des gesammten schweren Fussvolks gestellt. Bei der Reiterei
musste das Missverhältniss noch grösser sein (vgl. Air. I 2, 5).
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Sechstes Capitel.
Der hellenische Osten.
]. Kleinasien.
Eine zuverlässige Arealbestimmung der kleinasiatischen
Halbinsel fehlt uns bisher. Auch die folgenden Zahlen er-
heben nur auf approximative Richtigkeit Anspruch; sie sind
gewonnen durch planiinetrische Messung auf der Kiepertsehen
Karte (Bl. IV des Atlas Antiquus) in 1 : 4000000, mit Zuhilfe-
nahme der Wagnerschen Zonentafeln. Die ganze Halbinsel
westlich des Euphrat hat demnach einen Flächenraum von
540000 qkm'; auf die einzelnen Landschaften entfallen:
qkm
Karien 19350
Lydien 24 250
Mysien 3t 100
Phrygien 46950
Kibyratis 6 400
Prov. Asien 128 050
Lykien 8250
Pisidien und Pamphylien 21 800
Kilikien 35 700
Kappadokien 85800
Pontos mit Kleinarmenien 131900
Galatien 40 000
Lykaonien 41 000
Bithynien 47 500
Ganz Kleinasien 540000
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224
Capitel VI.
Für die Inseln an der kleinasiatischen Westküste besitzen
wir eine planimetrische Berechnung von Strelbitzky '). Sie er-
gab folgende Resultate:
1. l’ropontis.
qkm
Prokonnesos ( Marmara ) 107,8
Ophiussa (Afsia) 15,9
Alone ( Pascha Liman ) 24,7
Besbikos ( KaloUmni ) 8,5
(Kutalt) 8,4
Demonnesoi (Primen- Inseln) 18,8
Kleinere Inseln 7,1
185,7
2. A e o 1 i s.
Tenedos 40,9
Kalydnae (Tauschan Adasi) 1,5
Lesbos 1749,7
Pordoselene (Muskonüsia) 88,7
(Pyrgonisi) 12,8
184$, 1
3. I o n i e n.
Cliios 826.7
Psyra 90,1
Kleinere Inseln bei Psyra 7,8
Oenussae (Spalmadores, Kajun Adasi) . 26,6
Hippoi ((ronf) 6,4
Chios und Nachbarinseln zusammen 957,1
Drymussa (Makronisi) 20,0
Samos 468,8
Korasiae (Furni, Themcno, Minas) . . 42,9
Ikaros 267,8
Trageae*) (Gaidaronisi) 14,9
Akrite (Arki) 9,9
Lat 1780,4
’) Superfxcie de l’Europe S. 155.
s) Vergl. Pflugk-Ilarttung, Perikies als Feldherr (Stuttgart 1884) S. 124 ff.
Bei Kiepert heisst die Insel Ilyettussa, mit beigesetztem Fragezeichen.
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Der hellenische Osten.
225
((km
Transport 1780,4
Lepsia ( Lipsos ) 15,0
Patmos 89,6
Leros 49,5
Lebintlios ( Levitha ) 14,9
1899,4
4. Doris.
Rhodos 1460,4
Karpathos 382,1
Kasos 49,4
Chalke (Charki) 19,7
Dimastos ( Limniona ) 7,5
Syme 68,9
Telos (Episkopi) 59,2
Nisyros 84,6
Istros? (Jab) 15,8
Kos 286,1
Hypereisma ( Kappnri ) 6,5
Kalymna 108,9
Astypalaea 98,7
Syrnae (Syritw) 7,4
2555,2
Das Gesamintareal aller dieser Inseln beträgt demnach 6483,4
qkm; dazu andere kleinere Inseln mit 350,4 qkm. Für ganz
Kleinasien, Festland und Inseln zusammen, ergeben sich also
nahe an 547000 qkm.
Die Bevölkerung der Halbinsel war sehr ungleich vertheilt.
Am dichtesten bewohnt war zu allen Zeiten die Westküste.
Hier lagen bis auf die spätere Kaiserzeit alle bedeutenderen
städtischen Centren : Sardes und Miletos, Rhodos, Halikamassos,
Ephesos, Smyrna, Pergamon, Kyzikos, Nikomedeia. Nach der
Steuerordnung des Dareios zahlten die Landschaften von Pam-
phylien bis zum Golf von Assos 900 Talente jährlichen Tribut,
Kilikien 500, der ganze Rest der Halbinsel nur 360 J). F.benso
bildete später die Provinz Asia für die römischen Finanzen die
ergiebigste Steuerquelle. Betrachten wir die Bevölkerungsver-
hältnisse im einzelnen.
•) Herod. III 90.
Bel och, Bevölkerungslelm*. I. 15
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226
Capitel VI.
Rhodos heisst schon bei Thukydides „eine Insel, mächtig
durch die Zahl ihrer Landtruppen und Seeleute“ ') ; und diese
Bevölkerung musste stark zunehmen, seit die 407 neu, ge-
gründete Hauptstadt eines der Centren des Weltverkehrs wurde.
Bereits im korinthischen Krieg tritt Rhodos bedeutend hervor *) ;
im Bundesgenossenkrieg stellte es zusammen mit Chios, Kos
und Byzantion eine Flotte von 100 Trieren8). 10 Schiffe
schickten die Rliodier 332 Alexander gegen Tyros zu Hülfe4),
und ebensoviele 20 Jahre später Antigonos zur Befreiung von
Griechenland *). Doch soll bei der Belagerung durch Demetrios
304 die Zahl der waffenfähigen Bürger nur 6000 betragen
haben, wozu 1000 Metoekeu als Freiwillige hinzutraten: die
übrigen Fremden wurden aus der Stadt gewiesen8). Das er-
gäbe eine Gesammtbürgerzabl von 8000, oder eine bürgerliche
Gesammtbevölkerung von 24000, und eine freie Bevölkerung
von etwa 30000, 20 auf 1 qkm, auffallend wenig für eine so
fruchtbare Insel mit einer bedeutenden Stadt. Doch mögen die
Besatzungen in Lindos, Ialysos, Kameiros und der Peraea nicht
mitgerechnet sein; ausserdem wird Rhodos eine sehr starke
Sklavenbevölkerung gehabt haben. Das folgende Jahrhundert
und der Anfang des H. ist die eigentliche Glanzzeit der Insel.
Rhodos zeigt eine sehr bedeutende maritime Leistungsfähigkeit.
So konnte es 190 gegen Antiochos 36 Schiffe aufstellen, und
nach der Vernichtung dieser Flotte durch Polyxenidas — nur
5 Schiffe entkamen — sogleich andere 20 Schiffe in See stechen
lassen, die bald wieder auf 36 vermehrt wurden7). Im letzten
') Thuk. VIII 44: vfjao; ovx äövvazos xa't vavßauüv 7zi.rj&ci. x«i
Zu dem sicilischen Zuge stellte Rhodos den Athenern 2 Fünfzigruderer
und 700 Schleuderer (Thuk. VI 43).
а) Xen. Hell. IV 8, 20: Inti <fi ijli&ov its AuxtSalfjova ol (xntit rw-
xöztf'Poßltav vno zov dtjjuov, l<f(<Saaxov tü; ovx «ftov ftij ntQuSiiv 'A&tj-
vnlovs'PöSov xazaazQtxßafzirovi xctl zoouvztjv <1 uv ct u ir avr9t/j(vov;.
s) Diod. XVI 21.
4) Arr. Anal). II 20, 2.
s) Diod. XIX 77.
б) Diod. XX 84.
7) Liv. (d. h. Polybios) 37, 9. 11. 12. 23.
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Der hellenische Osten.
227
mithradatischen Kriege stellte Rhodos zur Belagerung von
Herakleia 20 Schiffe *), und im Jahre 43 v. Chr. 33 Schiffe gegen
Cassius2). — Die Stadt Rhodos selbst bedeckte ein Areal von
200 Hektaren und mag also in ihrer besten Zeit gegen 100000
Einwohner gezählt haben.
Von den übrigen Inseln an der karischen Küste hatte nur
Kos grössere Bedeutung, namentlich seit dem Synoekismos von
366 5 8). Auf dem Festlande war im V. Jahrhundert nach dem
Zeugniss der attischen Tributlisten Knidos die bedeutendste
Stadt. Im folgenden Jahrhundert ist Knidos durch Halikarnassos
weit überflügelt worden, das unter Maussollos und seinen Nach-
folgern zur glänzendsten, und nach Sardes wohl auch grössten
Stadt Kleinasiens wurde4); die Befestigungslinie umschliesst
einen Raum von 350 ha. Aber die Blüthe der Stadt war von
kurzer Dauer. Die Belagerung und Erstürmung durch Alexander
334 und der gleichzeitige Sturz des karischen Fürstenhauses
waren Schläge, von denen sich Halikarnassos niemals vollständig
erholt hat5). Immerhin aber blieb die Stadt auch später sehr
ansehnlich. Ein Dekret aus dem III. Jahrhundert erwähnt die
Anwesenheit von 4000 Bürgern in der Volksversammlung *).
Wenn wir uns erinnern, dass selbst in Athen 5000 Bürger nur
selten auf der I’nyx zusammenkamen 7), so werden wir für Hali-
karnassos danach kaum unter 10000 Bürger annehmen dürfen,
was für Stadt und Gebiet eine Gesammtbevölkerung von gegen
50000 voraussetzen würde.
Alle dorischen Kolonien in Karien zusammen sollen nach
Herodot zur Flotte des Xerxes 30 Trieren gestellt haben8),
') Memnon c. SO.
*) Appian, Bürgerb-. IV 66. 71.
®) Diod. XV 76: Irt-fuXlos tyivtxo rai; TiQinniovaitts nöXeniv.
Strab. XV S. 701. Doch vergl. schon die attischen Tributlisten.
4) Vergl. Kallisthenes bei Strab. XIII S. 611, Plin. V 107 und Kuhn,
Entstehung der Städte der Alten S. 261 — 273.
B) Strab. XIV S. 656: Inxaiae di xni avxrfg xioXtt ß tq Xr)<p&c7aa vni
'AXftttVÖQO v.
«) Bull, de Corr. HeU. V S. 211.
') Thuk. Vm 72.
8) Herod. VII 93.
15*
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228
Capitel VI.
wovon 5 auf Halikarnassos und die damals davon abhängigen
Inseln Kos, Nisyros und Kalydna kamen1). Die übrigen 25
müssten also im wesentlichen von Rhodos und Knidos gestellt
sein, was offenbar viel zu hoch ist, wenigstens wenn wir mit
Herodot Trieren verstehen sollen. Die Karer selbst hätten
70 Schiffe gestellt2); und gewiss kann kein Zweifel sein, dass
das eigentliche Karien eine viel stärkere absolute Bevölkerung
gehabt hat, als die griechischen Küstenstädte. Auch Maussollos,
der allerdings neben Karien auch Lykien beherrschte, hat
Flotten von 100 Trieren aufzubringen vermocht8). Dicht be-
wohnt war namentlich das reiche Maeanderthal, wo bedeutende
Städte sich drängten : Magnesia, Tralles, Alabanda, Nvsa, Aphro-
disias, Laodikeia. Das südliche Karien dagegen ist ein hohes
und rauhes Gebirgsland, hauptsächlich zur Weidewirthschaft
geeignet und zum grossen Theile mit Wald bedeckt*). Erst die
Diadochenzeit hat hier in Stratonikeia ein grösseres städtisches
Centrum geschaffen.
Wenden wir uns jetzt nach Ionien. Die erste Stadt war
hier im VI. Jahrhundert Miletos8); schon die grosse Zahl
ihrer Kolonien e) giebt Zeugniss für die bedeutende Volksmenge.
Bei Lade sollen 80 milesische Trieren gekämpft haben7), eine
Angabe, die kaum übertrieben scheint; nur müssen wir nicht
vergessen, dass die Trieren in dieser Zeit viel kleiner waren,
als später. Die persische Eroberung brach die Blüthe der Stadt
für immer, wenn es auch keineswegs richtig ist, dass Miletos
damals zerstört wurde8). So war Miletos im Jahre 441 den
Samiem nicht gewachsen und gezwungen, die Hülfe Athens
») Herod. VII 99.
*) Herod. VII 93.
*) Xen. Ages. II 26.
4) Kiepert, Geographu S. 118.
®) Herod. V 28: r] AKlgro; avrg t t lowiijt fiältorct ifij tot« «*-
fitiactaa, xal äi] xttl r/jf 'itoVtag gv Tinoa/gutt.
«) Vergl. Strab. XIV S. 635.
’) Herod. VI 8.
8) Herod. VI 22: MlXgiog fiiv vvv Milgalatv gQguojxo. Aber schon
479 erwähnt Herodot ein milesisches Contingent im persischen Heere IX 99.
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Der hellenische Osten.
229
•aazurufen *). Vierzig Jahre später stellt Milet den Athenern
800 Hopliten entgegen2); da vor den Thoren der Stadt seihst
gekämpft wurde, sollte man annehmen, dass es die ganze ver-
fügbare Macht der Milesier war8). Im Jahre 405/4 erfolgte
in Milet eine oligarchisehe Erhebung, bei der angeblich 340
Demokraten getödtet, 1000 verbannt wurden4). Nach alledem
wird die Bürgerzahl in der Zeit des peloponnesischen Krieges
auf etwa 4000 anzusetzen sein, wie denn Milet an die Athener
den hohen Tribut von 10 Talenten bezahlt hat, mehr als irgend
eine andere Gemeinde Ioniens. Laut eines milesischen Volks-
beschlusses aus der Mitte des 11. Jahrhunderts war damals der
höchste Gerichtshof mit 600 Geschworenen besetzt, sodass Milet
mehrere Tausend Bürger gezählt haben muss3). Auffallend ist
die grosse Zahl Milesier, die unter den Metoeken in Athen Vor-
kommen6); vielleicht bezeichnet der Name, ähnlich wie früher
der Name Plataeer, nicht sowohl die Herkunft, als eine privi-
legirte Klasse von Schutzverwandten.
Das benachbarte Iasos war ganz unbedeutend; die Stadt
hatte 10 Stadien im Umfang7) und zählte im Jahre 405 nur
800 Bürger 8) ; der Tribut an Athen hat meist 1 Talent, zuletzt
3 Talente betragen. Nicht grösser waren Myus und Prieue;
ersteres ist später in Miletos aufgegangen9). Zur ionischen
>) Thuk. I 115.
2) Thuk. VIII 25.
8) Wenn Thuk. IV 54 von 2000 milesischen Hopliten spricht, die an
der attischen Expedition gegen Kythera Theil genommen hätten, so ist
längst anerkannt, dass die Zahl verschrieben sein muss; es wird 500 (Stahl,
Jahrb. f. Philologie 1870 S. 333) oder 200 (Classen zu unserer Stelle) zu
lesen sein.
*) Diod. XIII 104.
6) Dittenberger , Sylloge 240: xa't txb^goiSr] xginjgiov tx naviis
t uv <Ti )fjov To ftfyiaior tx twv röftatr, xgn cd tlaxöoioi.
8) So in Kumanudes, ‘Atnxfjs tncygatfcd tnixifißioi unter 1126 Grab-
schriften von Metoeken 237 von Milesiern. Vergl. auch die Epheben-
verzeiclmisse.
7) Polyb. XVI 12, 2.
8) Diod. XIII 104.
®) Strab. XIV S. 636: >j vBv Je' öiiya rjgtav Mtlr\a(oi; nvun cioitai tu.
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230
Capitel VI.
Bundesflotte hei Lade soll Priene 12, Myus 3 Schiffe gestellt
haben *).
Ephesos stand im V. Jahrhundert an Bedeutung Miletos
annähernd gleich2). Der Aufschwung zur Grossstadt begann
erst -seit dem Ende des peloponnesischen Krieges, nachdem
Lysandros das Hauptquartier der Flotte hierher verlegt hatte8).
Im Laufe des folgenden Jahrhunderts, und besonders seit der
Neugründung durch Lysimachos erhob sich Ephesos zur ersten
Stadt in Kleinasien. Bei der grossen Uebersehwemmung zu
Anfang des III. Jahrhunderts sollen 10000 Menschen den Tod
in den Wellen gefunden haben4). Einen allgemeinen Anhalts-
punkt für die Bestimmung der Bürgerschaft giebt uns die Ein-
theilung in Phylen und Chiliastyen. Von Alters her zerfiel die
Bürgerschaft von Ephesos in 5 Phylen5), die, wie es scheint,
durch den Synoekismos des Lysimachos nicht vermehrt worden
sind8). Dagegen sind wahrscheinlich die Unterabtheilungen der
Phylen, die Chiliastyen, damals vennehrt worden. So kommt
eine Chiliastys der Lebedier vor, und wir wissen, dass die
Bewohner von Lebedos durch Lysimachos nach Ephesos ver-
pflanzt worden sind 7). Bis jetzt sind 20 Chiliastyen epigraphisch
bezeugt8), und höchst wahrscheinlich ist die Zahl noch grösser
*) Herod. VI 8.
ä) Das zeigen unter anderem auch die Tributsätze, die für Ephesos
6 — Vis Tal., für Miletos 5—10 Tal. betragen.
3) Plut. Lys. 8: diart npiörov an' Ixtivov toO /qovov rijv noXiv tv
IXniäi toC neol avrtjv vvv oviog oyxov xaX uiyt&ovs dia AvaavÖQOv
ytvio9at.
4) Steph. v. Byz. unter "Eif iao(. — Duris von Elaea (bei Stephanos)
nennt Ephesos hei dieser Gelegenheit ri )v 'lää iov noXXov äoidotdxr\v.
s) Steph. v. Byz. u. Bfvra.
6) Die ZtßaaxT) und ’AdQiavlt, die in den von Wood entdeckten In-
schriften erwähnt werden, gehören natürlich in die Kaiserzeit, wenn auch
die Möglichkeit nicht ausgeschlossen ist, dass ältere Phylen 'umgenannt
worden sind.
7) Paus. I 9, 7; VII 3, 5.
9) S. die Inschriften bei Wood, Ephesos und die Zusammenstellungen
bei Menadier, Qua conditione Ephesii usi sint inde ab Asia in prov.
formam redacta (Dissert. Berlin 1880) und Röhl in Bursians Jahresbericht
1883 III 65.
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Der hellenische Osten.
231
gewesen. Da uns aus der Phyle der „Ephesier“ die Namen
von 5 Chiliastyen überliefert sind, und es sehr wahrscheinlich
ist, dass alle Phylen die gleiche Zahl von Chiliastyen gehabt
haben, so müssten im ganzen mindestens 25 Chiliastyen vor-
handen gewesen sein. Die Organisation war also auf 25000
Bürger berechnet. Bei dem beständigen Aufschwung , den
Ephesos bis in die Kaiserzeit hinein genommen hat1), spricht
die hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Chiliastyen bald
die ursprüngliche Normalzahl der Bürger überschritten haben.
Wenn Pergamon im II. Jahrhundert nach unserer Zeitrechnung
40000 Bürger gezählt hat, so werden für Ephesos, „die grösste
Handelsstadt in Asien diesseits des Tauros“, mindestens 50000
anzunehmen sein, entsprechend einer bürgerlichen Bevölkerung
von 150000, und, die Sklaven wie in Pergamon zu der Hälfte
der Freien angenommen, einer Gesammtbevölkerung von 225000
Einwohnern. Das Areal innerhalb der Stadtmauer beträgt 415 ha.
Alexandreia in Aegypten hatte bei einer Ausdehnung von 920 ha
im Jahre 60 v. Chr. etwa V* Million Einwohner, also 543 auf
1 ha. Setzen wir für Ephesos dieselbe Dichtigkeit der Bewoh-
nung voraus, so ergiebt sich uns gleichfalls eine Bevölkerung
von 225000 Einwohnern.
Kolophon soll in alter Zeit 1000 reiche Bürger gezählt
haben, wie der kolophonisehe Dichter Xenophanes singt2):
Ijeactv di nyogfjv TinvnXovpy^a (pagc' S-/ovTti
ov (Jtlovi toontp ythoi tti (nlnav.
Und zwar sollen nach Aristoteles die Wohlhabenden hier zahl-
reicher gewesen sein, als der Demos8). Jedenfalls hat Kolophon
in historischer Zeit keine besondere Bedeutung gehabt. Grösser
waren Teos und Erythrae, die nach dem Zeugniss der
attischen Tributlisten im V. Jahrhundert kaum hinter Ephesos
und Miletos zurückstanden, vor allem aber Smyrna seitseiner
') Strab. XIV S. 641 : ij nölti rij noug tk äM.tt tvxcupla ttov
jöntav ttvEertu xa9-' lxccatT)V rjutgav, tfinögiov oioa uiyimov tüv xarn
tt/v 'Aalav rijv (vto{ tov Taiipov. CIG. 2968. 2992: npwrt] xal ftiyi'orrj
urji Q07i ohi T rji ’Aaitti.
s) Fr. 8 Bergk, vergl. Strabon XIV S. 643.
s) Arist. Polit. VI (IV) 1290 b.
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232
Capitel VT.
Neugründung durch Antigonos und Lysiinachos, das bald zu
den ansehnlichsten Städten Asiens zählte und in der Kaiserzeit
selbst mit Ephesos rivalisirt hat.
Alle festländischen Gemeinden Ionieus wurden im V. und
mit Ausnahme von Ephesos noch im IV. Jahrhundert weit über-
troffen von den beiden Inseln Samos und Chios. Samos war
unter Polykrates’ Herrschaft die erste Seemacht im aegaeischen
Meer. Bei Lade sollen 60 samische Trieren gefochten haben1),
und im Kriege gegen Athen stellte Samos 70 Trieren aufä).
Damals wurde die Seemacht der Insel für immer zerstört;
bei den Arginusen kämpfen 10 samische Schiffe auf athenischer
Seite8), und seitdem ist überhaupt von einer samischen Flotte
kaum mehr die Rede.
Siebzig Trieren setzen eine Bemannung von 14000 Köpfen
voraus; so hoch mindestens musste sich also die waffenfähige
Mannschaft der Insel im Jahre 440 belaufen, Freie und Sklaven
zusammen. Das ergäbe eine Bevölkerung von etwa 60000,
oder 125 — 130 auf 1 qkm. Bei der demokratischen Erhellung
des Jahres 411 wurden 200 reiche Bürger getödtet, 400 ver-
bannt4), was aber keineswegs sämmtliche Angehörige der lie-
sitzenden Klasse gewesen sind. Die Bürgerschaft war in 3 Phvlen
zu 3 Chiliastyen getheilt, das ganze Schema also auf 9000 Bürger
berechnet5), eine Zahl, die natürlich nicht nothwendig voll zu
sein brauchte. Die Athener führten 352/1 eine Kleruchie von
2000 Ansiedlern nach der Insel, die sämmtlich Grundbesitz
erhielten; vielleicht war das aber blos die Verstärkung einer
schon bestehenden Kleruchie6).
Noch bedeutender als Samos war Chios. Zu der ionischen
Bundesflotte bei Lade soll es 100 Trieren gestellt haben, jede
mit 40 Hopliten an Bord7), was wohl sehr übertiielien ist. Im
0 Ilerod. VI 8.
2) Thuk. I 116.
») Xen. Hell, I 6, 25. 29.
‘) Thuk. VIII 21.
6) C. Curtius, Inschriften und ütudien zur Geschichte ton Samos
(Progr. Lübeck 1877) S. 25; vergl. Philippi, Bürgerrecht S. 11.
®) Ilerakl. Pont. X 7; Strab. XIV S. 638; Schaefer Dem. Ia S. 99. 474.
’) Herod. VI 8. 15.
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Der hellenische Osten.
233
flämischen Kriege stellten Chios und Lesbos zusammen erst 25,
dann noch 30 Trieren, insgesannnt also 551); annähernd die-
selbe Zahl — 50 Trieren — stellten beide Inseln im zweiten
Jahre des peloponnesischen Krieges2). Wie viele Schiffe Chios
mit Nikias nach Sicilien sandte, erfahren wir nicht, doch ist
wohl unzweifelhaft, dass zu den 34 bundesgenössischen Trieren
bei dieser Hotte Chios das grösste Contingent gestellt hatte,
wie denn Thukydides die Chier an erster Stelle nennt3). Bei
der Verstärkung, die mit Demosthenes 413 nach Syrakus ab-
ging, befanden sich 5 chiische Schiffe 4) , 7 Trieren stellte die
Insel im folgenden Jahre zu der attischen Flotte8). Obgleich
alle nach Sicilien geschickten Schiffe zu Grunde gingen, besass
Chios bei seinem Abfall zu den Lakedaemoniera 412 noch immer
eine Flotte von 60 Trieren6). Das Contingent von Chios bildete
von jetzt an einen Hauptbestandteil der peloponnesischen Bun-
desflotte. Im Bundesgenossenkriege rüstete Chios in Gemein-
schaft mit Rhodos, Kos und Byzantion 100 Trieren aus7). Die
Zahl der chiischen Hopliten freilich kann nicht beträchtlich ge-
wesen sein, da ein Corps von noch nicht 1000 attischen Schwer-
bewaffneten mit 30 Schiffen im Winter 412/11 genügte, die Stadt
zu Lande und zur See einzuschliessen und das gesannnte Auf-
gebot der Chier mit ihren peloponnesischen Bundesgenossen zu
besiegen 8). Doch war Chios damals durch innere Unruhen ge-
schwächt9). Bei der Rückführung der Verbannten durch den
lakedaemonischen Nauarcheu Kratesippides 408 7 sollen 600
Bürger der bisher herrschenden Partei getödtet worden sein 10)-
— Die Sklavenzahl der Insel war sehr beträchtlich. Chios war
i) Thuk. I 116. 117.
s) Thuk. II 56.
*) Thuk. VI 43.
*) Thuk. VII 20.
*) Thuk. VIII 9. 10.
«) Thuk. VIII 6.
■>) Diod. XVI 21.
8) Thuk. VIII 30. 55.
«) Thuk. VIII 33.
i°) Diod. XIII 65.
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234
Cbpitel VI.
der erste griechische Staat, der Sklaven in grösserer Zahl gehalten
hat1); und es gab nach Thukydides zur Zeit des peloponne-
sischen Krieges in Griechenland keine Gemeinde, ausser Sparta,
die mehr Sklaven besessen hätte, als Chios 2). Das ist aller-
dings wohl nur eine Schätzung nach dem Augenschein, da
numerische Angaben Thukydides kaum vorliegen konnten;
immerhin muss Chios wenigstens annähernd so viele Sklaven
gezählt haben, wie Athen, d. h. gegen 100000. Die freie Be-
völkerung werden wir kaum auf mehr als 30000 Köpfe zu
schätzen berechtigt sein. Es kommen also auch hier über 130
Bewohner auf 1 qkm. Für die fruchtbare, wohlangebaute Insel 3),
die reichste Stadt in Hellas4) scheint dieses Resultat nicht
unangemessen.
Lesbos stand an Macht nicht hinter Chios zurück. Bei
Lade sollen 70 lesbische Trieren gekämpft haben5), und der
Abfall der Insel im Jahre 428 war eine ernste Gefahr für den
Bestand des attischen Seebundes6). Eine athenische Flotte von
40 Trieren erwies sich als unzureichend ; erst als ein Hopliten-
corps von 1000 Mann nebst Bundescontingenten gelandet war,
gelang die Einschliessung von Mytilene7). Nach der Unter-
werfung wurden 1000 der schuldigsten Lesbier hingerichtet8),
viele verbannt9), das confiseirte Grundeigenthum der abge-
fallenen Städte an 2700 attische Kleruchen vertheilt ,0).
*) Theopomp. fr. 134.
s) Thuk. VIII 40: ol yag oix(rai r oig X/otg noilol örreg xal ui g
ye rtoin nXrji- Auxeäaipovltov nXeiorot ytvöfiivoi, xal atta Sut rö nlri&vg
/(O.in (Di foms (v raig dihxtaig xoXagdutrot.
3) Thuk. VIII 24: ytägav xultäg xaTKrxtuao(i(yr;v xal ana9i j ovaav
an 6 Tiäv Mrjfhxäiv.
4) Thuk. VIII 45: Tiloi atürnroi övreg tiöv 'Ellqratv.
s) Herod. VI 8.
®) Thuk. III 3: fi(ya ftlv Igyuv tjyoCvro tlvai Aioßov ngoanoXtuoi-
aaoHat, vavrucov tyoiaav xal Sirautv dxiguiov.
7) Thuk. UI 4. 5. 18.
8) Thuk. m 50, was Müller-Strübing, Tliuk. Forsch. S. 150—242 mit
unzureichenden Gründen bestreitet.
9) Thuk. IV 52. 75.
>°) Thuk. III 50.
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Der hellenische Osten.
235
Die Hauptstadt der Insel, Mytilene, war schon im V. Jahr-
hundert sehr volkreich1) und heisst in Alexanders Zeit eine
grosse Stadt2). Von der zweiten Stadt auf Lesbos, Methymna,
wissen wir nur, dass die Bürgerschaft in mehrere Chiliastyen
getheilt war, von denen drei in unseren Inschriften mit Namen
erwähnt werden8). Methymna muss also jedenfalls mehrere
Tausend Bürger gezählt haben. Die übrigen drei Städte:
Pyrrha, Antissa, Eresos — Arisbe ist früh untergegangen — ,
waren unbedeutend. In dem Prozesse gegen den Tyrannen
Agonippos von Eresos, der vorder als Gericht constituirten Volks-
versammlung geführt ward, wurden 883 Stimmen abgegeben4),
und bei der Wichtigkeit der Sache nahm gewiss fast die ganze
Bürgerschaft an der Verhandlung Theil. Andererseits ist es
möglich, ja wahrscheinlich, dass auch die Gesetze von Eresos
für die Ausübung gerichtlicher Functionen eine gewisse untere
Altersgrenze, etwa das 30. Jahr, festsetzten. Eresos hat also
in jedem Falle in Alexanders Zeit gegen 1000, es kann 1200
bis 1500 Bürger gezählt haben. Rechnen wir auch für Antissa
und Pyrrha je 1000 Bürger, für Methymna 2—3000, für Myti-
lene 6 — 7000, so ergeben sich für die ganze Insel 12000, oder
eine bürgerliche Gesammtbevölkerung von gegen 40000 Ein-
wohnern. Dieser Anschlag wird wahrscheinlich noch etwas zu
niedrig sein.
Das Festland vonAeolis enthielt in vormakedonischer
Zeit nur eine bedeutendere Stadt, Kyme6), das nach den atti-
schen Tributlisten im V. Jahrhundert Miletos und Ephesos kaum
') Xen. Hell. 16, 19: ol di ävxXQwnoi aoXXol Iv rjj nöXu fjanv, von
der Belagerung Mytilenes durch Kallikratidas 406. Vergl. das mytilenaeische
Volkslied bei Blut. Gastmal der VII Weisen 14 S. 157.
*) Diod. XVII 29: r fjv dl AfuTiDjl'ij*’ /jeydXrjv oiiottv xcü naga-
axeeals fttynXcug xal nXtjüii ttnv dfivvopXvair ävdgwv xeyogrjyrjulft]v.
8) Bull de Corresp. Hell. IV S. 434 ff., VII S. 37 f.
4) Cöllnitz, Gr. Dialekt- Inschr. I 281 A. 30.
5) Skymnos 239 f. : paXiara ä‘ edavdgoep(vr) xard rijv 'Aolav Klpi\
'an xhuIvt] jtöXis, wo Letronnes Umstellung hinter V. 251 und Müllers
Emendation filr A'üutj gleich willkürlich und unbegründet sind.
Allerdings folgt Skymnos hier der Autorität des Kymaeers Ephoros. Vergl.
Strabon XIII S. 622.
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236
C'apitel VL
nachgestanden haben kann, mochte es auch Mytilene oder Chios
bei weitem nicht gleichkommen. In hellenistischer Zeit hat
sich dann Pergamon zu der neben Ephesos ersten Stadt Klein-
asiens entwickelt. Noch bei Lysimachos’ Tode eine unbedeutende
Bergfestung ‘), ist die Stadt zugleich mit dem Reiche der Atta-
liden gewachsen, besonders seit dem Siege von Magnesia, nach-
dem Pergamon die politische Hauptstadt des ganzen westlichen
Kleinasien geworden war. In römischer Zeit hat das Wachs-
thum der Stadt fortgedauert, sodass sie unter den Antonineu
40000 Bürger zählte, wobei die Weiber sicher, die Kinder
wahrscheinlich nicht eingerechnet sind; die Sklaven betrugen
etwa die Hälfte der bürgerlichen Bevölkerung. Das eigiebt
für Stadt und Gebiet 120000, oder wahrscheinlicher 180000
Einwohner 2).
Auch die Troas erhielt erst durch Antigonos und Lysi-
machos in Alexandreia einen grösseren städtischen Mittelpunkt.
Das Gebiet umfasst beinahe die ganze Landschaft: Kolonae,
Larissa, Hamaxitos, Kebrene8). Gegen die Galater vermochte
die Stadt 216 ein Heer von 4000 Mann aufzustellen, was eine
Bürgerzahl von nicht unter 10 — 15000 voraussetzt4). Sie war
sehr ansehnlich noch in römischer Zeit 5), wo sie durch Caesar
eine Kolonie erhielt. — Das asiatische Ufer des Hellespontes
muss stark bewohnt gewesen sein, wie die zahlreichen Städte
beweisen, die hier in ununterbrochener Reihe sich folgen; die
bedeutendste war zu allen Zeiten Lampsakos 6). — An der Süd-
>) Strab. XIII S. 623.
*) Galen. V S. 49 Kulm : ttmg ovv f/ftiv ot noUrai ng'ot roi%-
ittgctxio/ui gtoug iiatv, c/joO lav ngoa'tijs aiiitäv tkj yuvaixa; xal roig
SovXoug, ei'Q))Oti{ aeavzöv tSioxaiiixa fjvgiadoiv avägioniux ovx ägroi-
(jtrov tlvcti tjXoi auöregor.
*) Strab. XIII S. 597. 604; vergl. Kuhn, Entstehung der Städte der
Alten S. 347.
4) Polyb. V 111, 4.
6) Strab. XIII S. 393: xal di] xat avvtultvt xal avfqoiv layt, rir
<fk xal ' täüfjdiiav änoixiar JXJtxiai. xal tan Ttüv IXXoytutuv nöXttoV.
•) Es zahlte an Athen einen Tribut von 12 Talenten. Noch Strabon
XIII S. 589: 7TcXt( tvXfuerui xal a$wXoyos av/jufrovaa xaXtüg.
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Der hellenische Osten.
237
küste der Propontis war K y z i k o s schon zur Zeit des pelopon-
nesischen Krieges ansehnlich, wenn auch damals noch hinter
Lampsakos zurllckstehend *) ; im Laufe des folgenden Jahr-
hunderts wuchs es zur Grossstadt empor2) und ist durch die
ganze hellenistische Zeit und bis in die Kaiserzeit hinein eine
der ersten Städte Asiens geblieben 8). Die Mauern umschlossen
eine Fläche von 160 ha, das Gebiet war verhältnissmässig sehr
ausgedehnt4). Wie bedeutend die Bürgerzahl war, zeigt der
erfolgreiche Widerstand gegen Mithradates bei der denkwürdigen
Belagerung des Jahres 74. Leider fehlen bestimmte Zahlen-
angaben ; wir hören nur, dass die Kyzikener in der Seeschlacht
bei Kalchedon 10 Schiffe und 3000 Mann verloren hatten8).
Eine kyzikenische Flotte von 20 Tetreren wird imter dem
Jahre 154 erwähnt0).
Das innere Mysien war ein waldiges Bergland, das die
Perser nie zu unterwarfen vermocht haben; städtisches Leben
hat sich hier erst spät und nur in unbedeutendem Maasse ent-
wickelt. Dagegen besitzt Lydien in dem weiten und frucht-
baren Hennosthale die grösste Alluvialebene der ganzen Halb-
insel. Hier liegt Sardes, zur Zeit der Mermnaden und der
Perserkriege bei weitem die erste Stadt Kleinasiens, und auch
später, obwohl von Ephesos und Pergamon überflügelt, noch
immer sehr ansehnlich 7). Es ist kaum ein Zweifel, dass dieses
alte Culturland die am dichtesten bevölkerte Landschaft Klein-
asiens gewesen ist, wie denn Lydien unter persischer Herrschaft
einen höheren Tribut bezahlt hat, als das ganze Innere imd
der Norden der Halbinsel8).
') Lampsakos zahlte an Athen 12 Tal., Kyzikos nur 9 Tal. Tribut
*) Diod. XVIII 51 (819 v. Chr.): ovotjt dl rijs Xv(ixt]vüv noXitu;
i/nxaiQOTttTrjt xnt / uyiOTrjt .
*) Strab. XII S. 575: fort d’ IrafuXXos rnis ngiorai; rtüv xara rijv
Aalttv 7i öXfiuv utyOtu Tf xal xaXXei.
4) Marquardt, Cyzicus und sein Gebiä.
5) Plut. LucuU. 9; vergl. App. Mithr. 78.
•) Polyb. 38, 11, 2.
7) Strab. XIII S. 625: ai dl Xagäets tt öXis lorl /jtydX ij.
®) Herod. III 90; vergl. Kiepert, AUe Geographie S. 111.
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238 (’apitel VI.
Audi die kleinasiatische Südküste mit ihren frucht-
baren Flussthälern und Küstenebenen war ein stark bevölkertes
Land. Kibyra vermochte im III. und II. Jahrhundert 30000
Mann zu Fuss und 2000 Reiter ins Feld zu stellen1). Aspen-
dos stellte Achaeos 218 ein Hülfscorps von 4000, Etenua von
8000 Hopliten2). Selge wird in Alexanders Zeit eine grosse
Stadt genannt3); 10000 ihrer Bürger sollen 218 in einer Schlacht
gegen Achaeos gefallen sein4), sodass die Angabe, dass Selge
20000 Bürger gezählt hat5), nicht unglaubwürdig scheint. Sa-
galessos wird im IV. wie im II. Jahrhundert als volkreiche
Stadt bezeichnet ®) ; auch Side, Perge, Termessos waren ansehn-
lich. Das benachbarte Lykien war ein sehr städtereiches Gebiet ;
der Bund zählte 23 Städte, von denen allerdings nur 6: Xan-
tlios, Patara, Pinara, Olympos, Myra, Tlos, grössere Bedeutung
gehabt haben7); immerhin muss das wenig über 8000 qkm
grosse Gebiet stark bevölkert gewesen sein. — Die reiche
kilikische Ebene 8) mit der Gressstadt Tarsoi B) und einer Reihe
anderer ansehnlichen Städte hat ohne Zweifel gleichfalls eine
dichte Bevölkerung gehabt. Dagegen war das rauhe Kilikien
grösstentheils mit Wald bedeckt', und hat in seinen inneren
Theilen städtische Ansiedlungen bis auf die Kaiserzeit nicht
besessen. Dasselbe gilt von den Landschaften am Ainanos.
Das innere Kleinasien ist von einer weiten Hoch-
ebene eingenommen, die bereits im Alterthum so gut wie
völlig waldlos war, zum grossen Theil eine wasserlose Einöde.
J) Strabon XIII S. 631.
8) Polyb. V 73, 3; über Aspenilos 8. auch Strab. XIV S. 667.
s) Arrian. Anab. I 28, 1.
*) Polyb. V 72—76.
5) Strab. XII S. 570.
®) Arrian. Anab. 1 28, 2; Polyb. bei Liv. 38, 15.
’) Strab. XIV S. 665 nach Artemidoros.
8) Xen. Anab. I 2, 22: ntSlov ptiya x«l xaXov ; I)iod. XIV 20: ni-
fi(ov t tüv xara TijV 'AoCav ovfievä; tü> xuV.fi hinauf vor.
®) Xen. Anab. I 2, 23: nöhv pfyaVjv xal evSa(fiora-, Diod. XIV 20:
/jey(arr)v uöv (v Kihxiu Ttöhmv, Curtius III 4, 14; Ammian. Marc. XIV
8, 3: Cilieiam rero Tarsus nobiKiat, urbs perspicabilis.
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I>cr hellenische Osten.
289
Die Cultur ist in dieses Gebiet erst spät vorgedrungen , von
Westen her langsam vorschreiteud. Städte gab es hier bis auf
die Römerzeit fast nur im Südwesten, da wo die Ebene sieh
gegen das Maeanderthal senkt, oder zu den Vorhöhen des
Tauros emporsteigt; sonst war die Bevölkerung in Dörfer zer-
streut, die Viehzucht die hauptsächlichste Nahrungsquelle. Ein
solches Gebiet kann nur verhältnissmftssig dünn bewohnt ge-
wesen sein. So hören wir, dass die galatischen Trokmer und
Tektosagen im Jahre 189 gegen den Consul Cn. Manlius
50000 Mann zu Fuss und 10000 Reiter ins Feld stellten1),
offenbar doch ihr gesainmtes Aufgebot, da es sich um die Ver-
teidigung der eigenen Heimath handelte. 60 000 Waffenfähige
würden eine Gesammtbevölkerung von 240000 Seelen voraus-
setzen. Der dritte Stamm, die Tobst obogi er, verlor bei der
Erstürmung seiner befestigten Stellungen am Olympos 40000
Gefangene, meistens Weiber vuid Kinder, nach der Angabe des
Polybios, der diesen Feldzug selbst mitgemacht hat: die Zahl
der Gefallenen konnte Polybios nicht in Erfahrung bringen,
nach Valerius Antias hätte sie 10000, nach Claudius Quadri-
garius gar 40000 betragen2). Und jedenfalls hatten sich viele
durch die Flucht gerettet, da ja der Stamm durch die Nieder-
lage keineswegs vernichtet wurde. Rechnen wir die drei
Stämme zu durchschnittlich gleicher Stärke, so eigäbe sich für
Galatieu eine Volkszahl von 360000, oder da die Bevölkerung
von Pessinus dabei nicht mitgerechnet ist, etwa von 400000.
Ueber */* Million werden wir, die Richtigkeit von Polvbios’
Angaben vorausgesetzt, schwerlich hinausgehen dürfen. Das
ergiebt bei einem Flächenraum von 40000 qkm eine Volks-
dichtigkeit von 10 bis 12,5 auf 1 qkm, also eine ziemlich
dünne Bevölkerung. Das eigentliche Phrygien wird dichter
bewohnt gewesen sein, Kappadokien dagegen kaum eine stär-
kere Bevölkerung gehabt haben als Galatien. Der Prätendent
Ariarathes brachte 323 gegen Perdikkas 30000 Mann zu Fuss
') Liv. 38, 26, nach Polybios.
2) Liv. 88, 23.
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240
Capitel VI.
und 15000 Reiter zusammen1); Ariarathes VII. stellte gegen
Mithradates im Jahre 100 ein „ungeheures Heer“ auf, das
aber den 90 000 Mann des pontischen Königs nicht gewachsen
war2). Im Laufe der Römerzeit mag die Bevölkerung des
Landes sich allerdings bedeutend vermehrt haben, wie denn
seit Augustus städtisches Leben hier Wurzel zu fassen begann.
Kaesareia (Mazaka) soll im II. Jahrhundert n. Chr. sogar
400000 Einwohner gezählt haben3), eine Angabe, die freilich
bei der trüben Quelle, aus der sie stammt, auf irgend welchen
Werth keinen Anspruch erheben kann.
Viel reicher von der Natur ausgestattet sind die Terrassen-
länder an der Südküste des Schwarzen Meeres: Bithynien,
I’aphlagonien, I’ontos. Aber auch diese Länder sind erst spät
der Cultur erschlossen worden. Am frühesten natürlich Bi-
thynien. Hier lagen schon seit dem VH. und VI. Jahrhun-
dert die hellenischen Colonien Kalchedon und Herakleia, die
bald zu bedeutender Blüthe gelangt sind. Kalchedon hat um
die Mitte des V. Jahrhunderts an Athen den hohen Tribut von
9 Talenten gezahlt. Noch mächtiger war Herakleia, haupt-
sächlich durch die starke Bevölkerung seines ausgedehnten
Landgebiets, die leibeigenen Mariandyner, die der Stadt die
Möglichkeit gab, eine bedeutende Flotte zu bemannen4). Den
Byzantiern konnte Herakleia gegen Antioehos II. 40 Trieren
zu Hülfe senden; im mithradatisehen Kriege stellte die Stadt
gegen Rom ein Contingent von 5 Trieren und rüstete während
der römischen Belagerung 30 Kriegsschiffe aus5). Die Er-
stürmung und Zerstörung durch Cato war ein Schlag, von
dem Herakleia sich nie wieder erholt hat; immerhin kamen,
») Diod. XVIII 16.
s) Justin 88, 1. 7 : ingentem exercitum.
*) Zonaras XII 23.
4) Arist. Pdlit. IV (VII) S. 1327b: nXq&ot( ä' i'/rop/otrof ntgtoixux
xa J üjv ztjv XMOttv yetüQyoiVTOJV, (xifSon'av «j ’nyxalav ilvai xai tav-
t iov * oqüuiv di xai tovto xai viv indg/ov t to(r, olov rij noXet rür
I/gtsxXeunüv ' noXXä; yäg fxnXggovUt. igujga; xixrrjuhoi r$ fttydXtt
noXiv irXguiv tfifieXtartfittv.
*) Memnon c. 23. 38. 50.
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Der hellenische Osten.
241
als Thrasymedes die Stadt wieder aufbaute, einschliesslich der
Sklaven 8000 Ansiedler zusammen1), was auf die frühere
Volkszahl einen Schluss gestattet.
Im eigentlichen Bithynien hat sich städtisches Leben erst
seit dem HI. Jahrhundert entwickelt mit der Gründung von
Xikaea durch Lysimachos, von Nikomedeia und Prusa durch
die einheimischen Könige; die Gründung der Städte im Innern
fällt sogar zum Theil erst in römische Zeit. Doch fand schon
Xenophon in Bithynien „viele und wohlbevölkerte Dörfer“ 3).
Die bithynischen Könige haben denn auch bedeutende Truppen-
massen ins Feld stellen können: Nikomedes z. B. gegen Mi-
thradates von Pontos 50000 Mann zu Fuss und 6000 Reiter8).
Paphlagonien soll am Anfang des IV. Jahrhunderts
120000 waffenfähige Männer gezählt haben4), was einer Be-
völkerung von mindestens */» Million Einwohner entsprechen
würde. Das Land umfasste damals das Gebiet vom Thermodon
bis zum Parthenios, also auch einen grossen Theil des späteren
Pontos. Die einzige bedeutendere Stadt war hier die grie-
chische Colonie Sinope8), blühend schon in der Zeit der Un-
abhängigkeit, besondere aber seit es die Residenz der ponti-
schen Könige geworden war. Bei der Erstürmung durch Lu-
cullus sollen 8000 Bürger umgekommen sein6).
Die Küste östlich von der Mündung des Thermodon war
in der Pereerzeit von barbarischen Stämmen bewohnt und
noch zu Strabons Zeit grösstentheils mit Wald bedeckt7); die
Bevölkerung kann hier nur eine wenig dichte gewesen sein.
Kleinarmenien im Innern theilt die Bodenbeschaffenheit Kappa-
dokiens; Städte hat es hier vor der Römerzeit nicht gegeben.
') Memnon c. 60.
*) Anab. VI 4, 6: r} <D niiij ;yo5p« — ausser dem waldigen Kftsten-
saum — xaXi) xnl noXXij xai xintt at (v avrij elat noXXal xal [tu] olxov-
fiertti.
3) App. Mithr. 17.
4) Xen. Anab. V 6, 9.
B) Strab. XII S. 545: ä(toXoya>Tniri tcüv lauTy nölttov.
«) Plut. LucuVuh 28.
7) Strab. XII S. 549: inf^xetrai y«Q ti9vs ra opf) fitjaXXtov tIjjptj
xnl Sgcftüv, ytUQyeiuu rf’ ov n oXXa.
Beloch, Bevölkerungslehre. I. 16
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242
Capitel VI.
Wollen wir nun den Versuch machen, die Bevölkerung
der Halbinsel in Zahlen auszudrücken , so wäre für die Hoch-
ebene des Innern westlich von Phrygien, nebst dem politischen
Gebiet etwa die Volksdichtigkeit von Galatien zu Grunde zu
legen, also für den Anfang des H. Jahrhunderts gegen 10 bis
12 V» auf 1 qkm. Das ergäbe für das ganze an 300000 qkm
grosse Gebiet 3 — 4 Millionen Einwohner. Bithynien und Phry-
gien mögen etwa die doppelte Volksdichtigkeit gehabt haben,
also auf 95 000 qkm gegen 2— 21/* Millionen. Für die Kiby-
ratis ergiebt sich nach Strabons Angaben eine relative Bevöl-
kerung von 30 auf 1 qkm; rechnen wir die gleiche Volks-
dichtigkeit für alle Landschaften südlich des Tauros, so erhalten
wir für diesen Theil der Halbinsel eine Bevölkerung von reich-
lich 2 Millionen. Der dicht bevölkerte Westen — Karten,
Lydien, Mysien — mag 50 — 60 Einwohner auf 1 qkui gezählt
haben, also im ganzen auf 75 000 qkm 4 — 4‘/a Millionen. Eine
weitere halbe Million wird auf die Inseln zu rechnen sein
(73 auf 1 qkm); das ergiebt zusammen llx/'s bis 131/b Mil-
lionen Einwohner. Bis auf Augustus’ Zeit mag die Bevölke-
rung, namentlich im Osten, noch etwas gewachsen sein und in
der ersten Kaiserzeit sich noch weiter vermehrt haben. Ueber-
haupt ist die Schätzung naturgemäss nur eine ganz ungefähre,
die sich vielleicht um Millionen von der Wahrheit entfernt.
Dass aller in den Jahren 65 — 61 v. Chr. , als Pompeius die
asiatischen Verhältnisse ordnete, die Bevölkerung, wenigstens
des Ostens der Halbinsel, nicht wesentlich höher gewesen sein
kann, als hier angenommen worden ist, soll unten gezeigt
werden.
2. Syrien.
Eine genaue Scheidung des Wüstengebietes von dem cultur-
fähigen Boden in Syrien ist uns für jetzt noch nicht möglich.
Ich nehme daher das obere Syrien mit Kommagene in der
Begrenzung wie auf Bl. IV von Kieperts Atlas Antiquus
(Ausg. von 1882), aber einschliesslich von Phoenike nördlich
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Der hellenische Osten.
243
des Eleutheros *) ; Palaestina in den auf Bl. III desselben Atlas
angegebenen Grenzen, also einschliesslich Batanaea und Aura-
nitis, aber ausschliesslich Idumaea; Koele-Svrien begrenze ich
im Norden durch den Eleutheros und den See des Orontes;
im Osten durch deii Meridian 34° 30' östl. Länge von Paris;
im Süden durch den 33. Breitengrad und die Nordgrenze von
Palaestina. Eine planimetrische Berechnung der so umschrie-
benen Gebiete auf den beiden angeführten Kiepertsehen Blät-
tern (Bl. III im Maassstabe von 1 : 1250000, Bl. IV von
1 : 4 000 000) ergab folgende Zahlen :
qkm
Ober-Syrien mit Kommagene 59500
Koele-Syrien mit Phoenike 20 100
Palaestina mit Batanaea 29600
109200
Auch bei dieser Begrenzung Syriens sind noch sehr be-
deutende Wüstenstrecken eingeschlossen, wobei allerdings zu
berücksichtigen ist, dass das Wüstengebiet im Alterthum we-
niger ausgedehnt war als heute.
Die einzelnen Landschaften von Palaestina haben an
Flächeninhalt :
qkm
Galilaea
3200
Samareia
1800
Judaea
9600
Peraea
15000
29600
wobei wieder die Grenzen auf Kieperts Karte zu Grunde ge-
legt sind. Nur ist Skythopolis zu Galilaea gezogen, während
unter Peraea das ganze Ost-Jordanland , also auch Batanaea,
Auranitis, Amnionitis usw. zu verstehen ist.
Dass ein von der Natur reich ausgestattetes altes Cultur-
land wie Syrien schon früh zu einer bedeutenden Volkszahl
gelangen musste, liegt in der Natur der Sache. Die angeb-
liche Volkszählung im jüdischen Reiche unter David, die
>) Strab. XVI S. 753.
16*
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244
(,'apitel VI.
1 300 000 waffenfähige Männer ergeben haben sollte, hat frei-
lich keine historische Gewähr; aber um so lauter spricht die
grossartige Colonisationsthätigkeit der Phoeniker. Salmanassar n.
erzählt in seinen Annalen, er habe 854 ein syrisches Coalitions-
heer geschlagen, bestehend aus 20000 Mann von Damaskos,
10000 von Hamath, 10000 von Israel und mehreren anderen
Contingenten 1). König Menachem von Israel hatte 728 an
Tiglath Pilesar II. 1000 Talente Silbers zu zahlen. Zu ihrer Bei-
treibung legte er jedem Heerpflichtigen, d. h. jedem Besitzen-
den, eine Steuer von 50 Schekel auf; es muss also 60000
solcher Männer in Israel gegeben haben2). Sargon führte 722
aus Samaria 27 280 Gefangene hinweg 3) ; Sanherib 703 aus
Aram 208000, 701 aus Juda 200150 Menschen4). Die Be-
völkerung Syriens wird demnach schon in dieser Zeit auf
mehrere Millionen Einwohner zu veranschlagen sein5).
Die assyrischen Eroberungskriege müssen jedenfalls einen
bedeutenden Rückschlag gebracht haben, und es ist nicht an-
zunehmen, dass die Bevölkerung unter dem Druck der persi-
schen Fremdherrschaft wesentlich gewachsen ist. Ein um so
grösserer Aufschwung erfolgte nach der griechischen Eroberung,
als Syrien durch Antigonos und Seleukos zum Mittelpunkt des
neuen asiatischen Reiches gemacht wurde und sich mit make-
donischen Colonien bedeckte. Zur Perserzeit W'aren in Syrien
ausser den phoenikischeu Küstenstädten Tyros, Sidon, Byblos,
Tripolis nur Damaskos und etwa Thapsakos6) von einiger Be-
deutung: und auch das waren keineswegs Gressstädte in un-
serem Siime, denn selbst Tyros7) und Sidon8), die ersten
darunter, haben um die Mitte des IV. Jahrhunderts nicht über
’) Duncker, Gesch. des Alterth. II6 244.
a) E. Meyer, Gesch. des Alterth. I 449.
*) Duncker II 8 323.
0 EL Meyer I 464. 467.
*) Das Urtheil über den Werth dieser Zahlen muss natürlich den
Assyriologen überlassen bleiben.
*) Xen. Anab. 14, 11: jtoXis /neyalrj xnl (vJcu'uatv.
T) Arrian Anab. II 24; Diod. XVII 46.
«) Diod. XVI 45.
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Der hellenische Osten.
245
40 000 Einwohner gezählt. Unter der Herrschaft der Seleukiden
dagegen erhielt Syrien in Antioeheia eine Weltstadt, die hinter
dem aegyptischen Alexandreia nicht weit zurückstand1) und
also um den Beginn unserer Zeitrechnung nahe an 300000
freie Einwohner gezählt haben muss. Apameia zählte 6/7
n. Chr. eine freie Bevölkerung von 117 000, die freilich zum
grossen Theil in ilem weiten und fruchtbaren Gebiete zerstreut
lebte2). Auch Laodikeia war eine sehr ansehnliche Stadt3).
Kleiner war Seleukeia in Pierien , das- 220 nicht über 6000
Bürger gezählt hat4). Sidon und Tvros haben sich bald von
den Schlägen durch Ochos und Alexander erholt, und in der
Diadoehenzeit ihren alten Rang wieder eingenommen5). Dazu
treten jetzt als neue Grossstädte in Phoenikien Ptolemais6), in
Judaea seit der Makkabaeerzeit Hierosolyma, seit Herodes
Kaesareia 7).
So hat Syrien während der ganzen hellenistischen Periode
die Länder des Westens mit Sklaven versorgt, in noch höherem
Maasse als Kleinasien. Man denke an den national-syrischen
Charakter des ersten sicilischen Sklavenkrieges. Daneben hat
namentlich aus Palaestina eine sehr starke freie Auswanderung
stattgefunden. Um den Beginn unserer Zeitrechnung waren
alle Nachbarländer, besonders Aegypten, Kyrene und Kypros
von Juden erfüllt8).
Ueber die Volkszahl des nördlichen und mittleren Syrien
fehlt jede Angabe. Um so besser unterrichtet sind wir an-
scheinend über die Bevölkeinng Palaestinas. Josepos berichtet
*) Strab. XVI S. 750: ov nolv tc lelnuai xal d vvuutt xal ufyOlu
JZtXtvxtfa; rrjf (nl tiü TtyQH xal 'Alt£avd(>e(a; rrji nn6( Alyvnrqi.
a) Ephemeris epigraphica IV S. 587 — 542; über das Gebiet Strabou
XVI S. 752 f.
s) S. den Art. Laodicea in Paulys Beal-Encydopacdie.
*) Polyl). V 61, 1. Unter den ti.ev&tQoi sind docli wohl nur die er-
wachsenen Männer zu verstehen, da sonst Seleukeia zur Kleinstadt würde.
*) Strab. XVI S. 756: äfiipoTtQat d‘ ovv fr cfofo» xal Xap7iQui xal
TTttlai xal vvv.
«) Strab. XVI S. 758: pcydlr, n6hS-
1) Josep. Jüd. Kr. III 9, 1: peytarrjv rijf 'fovdalas mUv.
8) Philon g. Flaccus 7, Gesandtschaft an Gaitis 31.
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246
Capitel VI.
uns nämlich, es seien unter Nero am Paschafeste in Jerusalem
256 500 Opferthiere dargebracht worden, nach einer Zählung,
welche die Priester auf Veranlassung des römischen Statthalters
Cestius vomahmen. Jedes Thier wurde von einer Gesellschaft
von 10 — 20 Köpfen geopfert — 10 war das Minimum — , so
dass, 15 als Mittel genommen, die Zahl der Opfernden sich
auf 3 847 500 belaufen müsste1). Kein Verständiger wird
glauben, dass bei den damaligen Verkehrsverhältnissen eine
solche Menschenzahl, oder um das Minimum zu nehmen, auch
nur 2 1 2 Millionen sich auf einem Punkt versammeln konnten:
/ 7
vielmehr ist die Angabe nur ein Beweis für die Grossmäulig-
keit des Josepos und den Mangel an Kritik derer, die ihm
nachgeschrieben halten. Im besten Falle hat er die ihm vor-
liegende Zahl der Opferthiere einfach mit 10 multiplicirt.
Auch dann kommt noch eine ganz ungeheure Zahl von Pilgern
zum Paschafeste heraus.
Nach dieser Probe werden wir auch die übrigen Zahlen
bei Josepos mit gerechtfertigtem Misstrauen betrachten. Das
Papier ist geduldig; und wo es sich um Judenverfolgungen
oder um Befriedigung der eigenen Eitelkeit handelt, haben
Juden immer den Mund vollgenommen. Trotzdem wollen wir,
in Ermangelung eines bessern, Josepos’ Angaben hier zu Grunde
legen. Josepos sagt, er habe in Galilaea bei dem Aufstande
gegen Nero 100 000 Mann ausgehoben. Von diesen aber habe
er nur die Hälfte bei den Fahnen behalten, die anderen in
ihre Heimath zurückgeschickt, zur Bestellung der Felder4).
Wenn das nöthig war, müssen überhaupt alle Waffenfähigen
ausgehoben wrorden sein. Galilaea also hätte 68 n. Chr. gegen
400000 Einwohner gezählt, 125 auf 1 qkm: das ist eine sehr
hohe Bevölkerung, die aber für ein fruchtbares Land wie Ga-
lilaea, den reichsten District in Palaestina, immerhin möglich
') Jüd. Kr. VI 9, 8. Josepos selbst rechnet 2700000 heraus. Sehr
richtig sagt Smith, Dictionary of the Bible I 1025: the assertions, that
3000000 leere codected at the Passover, that a million of people perished
in the siege, that 1 OO OOO escaped, etc. are so childish, that it is surprizing
that any one could ever hare rejteated them.
») Jüd. Kr. II 20, 6. 8.
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Der hellenische Osten.
247
ist. Auf jede der 204 Städte und Dörfer1) kämen dann im
Durchschnitt 2000 Einwohner. Von der Peraea sagt Josepos
ausdrücklich, dass sie, obwohl Galilaea an Grösse überlegen,
doch an Bevölkerung dahinter zurückstand2). Unter Peraea
versteht er das Ost-Jordanland südlich von Pella, also dem See
Genezaretb; indess haben Batanaea und Auranitis dieselbe,
oder noch ungünstigere Bodenbeschaffenheit, so dass ihre Volks-
dichtigkeit hinter der von Peraea im engeren Sinne noch zurück-
geblieben sein muss. Wir werden also für das Ost-Jordanland
höchstens eine Bevölkerung von Vs Million ansetzen dürfen,
Sollen doch die benachbarten Nabataeer im III. Jahrhundert
nur etwa 10000 erwachsene Männer gezählt haben8), was auf
eine noch viel dünnere Bevölkerung dieser Gegenden führen
würde. Samareia und Judaea allerdings waren stärker be-
völkert 4), stehen indess an Fruchtbarkeit hinter Galilaea zurück ;
wie denn das ganze Gebirgsland von Jericho bis Skythopolis
unbewohnt war5), und die Ufer des todten Meeres in Judaea
völlig wüst lagen. Bei dem grossen Aufstande gegen Nero und
Vespasian betrug das Aufgebot von Samareia nicht über 11600
Mann B) ; mag das auch nur der dritte Theil aller Waffenfähigen
gewesen sein, so erhielten wir eine Bevölkerung von 140 000
Einwohnern , oder annähernd 80 auf 1 qkm. Dieselbe Volks-
dichtigkeit auf Judaea angewandt, würde für dieses 768000
Bewohner ergeben. Allerdings sollen in Jerusalem zu Anfang
der Belagerung nach Tacitus 600 000 Menschen 7), nach Josepos
sogar fast die doppelte Zahl8) zusammengedrängt gewesen sein;
’) Josep. Autobiographie 45: du xxoOittl xa't t (ooagi; xaia rr]i' rnXi-
Xaiav itoi nöXns x«! xtöptu. Nach Jüd. Kr. III 8, 2 hätte die kleinste
xtifig in Galilaea über 15000 Einwohner gezählt.
*) Jüd. Kr. III 3, 3.
8) Diod. XIX 94: rbv itgdt/xov ovtt; ov 7toXv nXtfov { xüv u vgitav.
4) Josep. Jüd. Kr. III 3, 4: ptyioiov yi figv rfx/jrjQiov flgtrgs x«i
ei'ihjvittf TO nXrjfXveiv itvSgdji’ ixaidgav.
5) Josep. Jüd. Kr. IV 8, 2.
*) Josep. Jüd. Kr. III 7, 32. Vielleicht hat Josepos hier ausnahms-
weise einmal nicht gelogen.
7) Tacitus Hist. V 18; Oros. VII 9.
8) Jüd. Kr. VI 9, 3.
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248
Capitel VI.
aber einerseits sind diese Angaben ohne Zweifel sehr ül>er-
trieben, andererseits wissen wir, dass ein grosser Theil der
Landbevölkerung Judaeas und des übrigen Palaestina hinter
den Mauern der Hauptstadt Schutz suchte. Der Flächeninhalt
von Jerusalem innerhalb der herodisehen Mauer beträgt etwa
112 Hektar; die Bevölkerung kann also auch bei der dich-
testen Bebauung kaum über 100000 betragen haben. Nach
Hekataeos von Abdera soll die Stadt unter Ptolemaeos I. an-
geblich 120000 Einwohner gezählt haben1). Bei der Erobe-
rung durch Titus betrog nach Josepos die Zahl der Gefangenen
97 000 2), was glaubwürdig scheint. Wenn die Belagerung und
Erstürmung sehr zahlreiche Opfer gefordert hatten, so waren
dafür sehr zahlreiche Flüchtlinge von auswärts in Jerusalem
zusammengedrängt.
Die Bevölkerung von Palaestina unter Nero kann dem-
nach 2 Millionen kaum erreicht haben. Der Aufstand hat
natürlich eine beträchtliche Verminderung gebracht; doch liegt
es in der Natur der Sache, dass solche Verluste bald wieder
ausgeglichen werden. Bei dem Aufstaude unter Hadrian sollen
dann nochmals 580 000 Juden umgekommen sein ausser denen,
die Krankheiten und Hunger erlagen, so dass Judaea angeblich
fast ganz verödete8).
Wenn wir die so für Palaestina gefundene Volksdichtig-
keit von 67 auf 1 qkm auf ganz Syrien anwenden, so erhalten
wir für Neros Zeit eine Bevölkerung von 7 Millionen: ein Er-
gebnis, das mindestens nicht hinter der Wahrheit Zurück-
bleiben wird. Wir haben dafür auch ein officielles Zeugniss.
Auf seinem Weihgeschenk im Tempel der Minerva zu Rom
gab Pompeius an, er habe 12183000 Menschen in 1538 Städten
oder befestigten Plätzen getödtet, gefangen genommen oder
unterworfen, und zwar in Asien, Pontos, Armenien, Paphlago-
nien, Kappadokien, Kilikien, Syrien, Skythien, Judaea, Albanien,
*) Bei Josep. g. Apion I 22. Doch ist Josepos so durch und durch
verlogen, dass das Zeugniss des Hekataeos sehr wohl gefälscht sein kann.
!) Josep. Jüd. Kr. VI 9, 3.
s) Dio Cass. 69, 14.
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Der hellenische Osten.
249
Kreta und dem Gebiet der Bastarener 1). Dass es sieh hier um
die Gesammtbevölkerung der unterworfenen Landschaften han-
delt, ist evident®), und ebenso, dass Pompeius nicht sein Licht
unter den Scheffel gestellt und die Zahl der Unterworfenen zu
gering angegeben haben wird. Andererseits waren die errun-
genen Erfolge so gross, dass ein Grund zur Uebertreibung
kaum vorlag. Ausserdem war Pompeius, der Reorganisator
von Pontos, Kappadokien, Kilikien und Syrien, wenn irgend
Jemand, in der Lage, die Einwohnerzahlen dieser Länder zu
kennen. Für Armenien und die Kaukasosländer freilich war
er auf vage Schätzungen angewiesen, die er immerhin besser
zu machen im Stande war, als irgend ein anderer seiner Zeit-
genossen. Also das Gebiet von der aegyptischen Grenze zum
Pontos Euxeinos und Kaukasos und zwischen Halys und
Euphrat hat um 60 v. Chr. nicht über 12 Millionen Einwohner
gezählt. Auf die östlichen Landschaften Kleinasiens werden nach
dem oben gesagten kaum ül>er 4 Millionen zu rechnen sein;
nehmen wir weitere 2 — 3 Millionen für Armenien und die
Nachbarländer, so bleiben für Syrien 5 — 6 Millionen. Es ist
durchaus wahrscheinlich , dass die Bevölkerung dieses Landes
von 60 v. Chi-, bis 60 n. Chr. sich um 1 — 2 Millionen vermehrt
hat. Aber natürlich bleibt auch die Möglichkeit, dass die
obige Schätzung um einige Millionen zu hocli ist.
Kypros hat eineu Flächenraum von 9599,2 qkm8). Dass
die fruchtbare 4), alteultivirte Insel eine bedeutende Bevölkerung
gezählt hat, werden wir voraussetzen dürfen. Zu der Flotte
des Xerxes soll Kypros 150 Trieren gestellt haben5); Euagoras
von Salamis hatte 70 Trieren, und ohne die Bundesgenossen
>) Plin. N. H. VII 97 : Cn. Pompeius .... fusis, fugatis, occisis, in
deditionem accqitis hominum centiens riciens semel LXXXI1I oppidis
Castellis MDXXXVIII in fidetn receptis, terris a Maeoti ad Rubrum Mare
subactis, votum merito Minervas.
9) Mominsen. R. G. III8 S. 147.
*) Nach der planimetrisohen Berechnung von Strelbitzky a. a. 0. S. 155.
0 Vgl. Strab. XIV S. 684.
8) Herod. VII 90.
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250
Capitel VI.
und Soldtruppen ein Landheer von 6000 Mann; während des
Krieges gegen die Perser stellte er noch weitere 50 Trieren
auf1). Bei der Belagerung von Tyros wurde Alexander von
den kyprisehen Königen mit 120 Trieren unterstützt 2). Dem
Judenaufstand unter Traian 117 n. Chr., bei dem Salamis zer-
stört wurde, sollen 240000 Bewohner der Insel zum Opfer
gefallen sein8). Weniger als 50 Seelen auf 1 qkm werden
wir für die beste Zeit der Insel kaum rechnen dürfen, was
annähernd eine halbe Million Einwohner ergeben würde; viel-
leicht, ja wahrscheinlich, ist die Bevölkerung grösser gewesen.
3. Das obere Asien.
Ueber die Bevölkerung der oberen Satrapien des persischen
oder Seleukidenreiches, und später des Fartherreiches fehlt so
gut wie jede numerische Angabe. Dass diese Bevölkerung,
absolut genommen, ansehnlich sein musste, zeigen die grossen
Heeresmassen, die von den persischen und parthischen Königen
ins Feld gestellt worden sind; aber bei der gewaltigen Aus-
dehnung der Länder zwischen Euphrat und Indos verträgt sich
damit sehr wohl eine relativ gelinge Bevölkerung.
Am dichtesten bewohnt war ohne Zweifel die Tiefebene
am unteren Euphrat und Tigris. Die Ausdehnung
dieser Ebene muss zu mindestens 130000 qkm veranschlagt
werden4), d. h. viermal der Fläche des aegyptisehen Kilthaies.
I lass Babylonien an absoluter Bevölkerung Aegypten überlegen
war, ist schon hiernach sehr wahrscheinlich, mochte es auch
an Dichtigkeit der Bevölkerung dahinter zurückstehen. Baby-
lonien und Susiana zusammen haben unter Dareios etwa den
doppelten Tribut bezahlt wie Aegypten (1300 gegen 700 Ta-
lente) s) ; da nun Aegypten am Ende der Perserherrschaft etwa
3 Millionen Einwohner gezählt hat, so mögen für die Länder
J) Diod. XV 2. 3.
2) Arr. Anab. II 20, 3.
3) PioCass. 68, 32; vgl. Eus. Chron. II S. 164 Schoene; Oros. VII 12,8.
4) Kiepert, Alte Geographie S. 138 Anm. 3.
*) Herod. III 91. 92.
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Der hellenische Osten.
251
am unteren Euphrat und Tigris etwa 6 — 8 Millionen auzuneh-
men sein, d. h. 46 — 60 auf 1 qkm.
Um so dünner bewohnt war Mesopotamien. Sesshafte
Bevölkerung und städtisches Leben fand sich hier nur im
Norden, in Osroene und Mygdonien; alles übrige ist und war
Wüste, von arabischen Nomaden durchzogen. Dagegen das
Quellgebiet des Euphrat und Tigris und die Länder
am Südabhang des Kaukasos sind im ersten Jahrhundert
vor unserer Zeitrechnung zu einer verhältnissmässig zahlreichen
Bevölkerung gelangt. Mögen die Angaben über die Zahl der
von König Tigranes ins Feld gestellten Heere auch sehr über-
trieben sein1), so lässt doch die politische Stellung Armeniens
in dieser Zeit keinen Zweifel, dass das Land im Stande war,
bedeutende Truppenmassen zu liefern.
Die Albaner am Kaukasos sollen gegen Pompeius 60000
Mann zu Fuss und 12000 Reiter ins Feld gestellt haben2). Die
Angabe stammt von dem Augenzeugen Theophanes von Mvtilene,
dem Freund und Geschichtschreiber des Pompeius, und wird
also wohl Glauben verdienen; auch scheint eine Bevölkerung
von 300000 Einwohnern, oder wenn es hier wie in Iberien8)
neben den Kriegern noch eine Klasse von Leibeigenen ( ßaot •
h/.oi dovXoi) gegeben hat, vielleicht von V» Million, wie sie
sich danach für Albanien ergeben würde, keineswegs übertrieben.
Die westlich benachbarten Iberer waren nach Theophanes
weniger zahlreich als die Albaner4); immerhin stellten auch
*) Nach Plut. ImcuIL 26 : 225 000 Combattanten , 35000 Nichtcom-
battanten. Es war das Gesamm taufgebot von Armenien, Medien, Adiabene
nebst arabischen und kaukasischen Hülfsvölkem. Plutarchs Quelle waren
wahrscheinlich die Historien Sallusts (Peter, Quellen Plutarchs S. 106 f.).
Eutropius VI 9 giebt, ohne Zweifel nach Livius, das Heer zu 7500 Panzer-
reitem und 100 000 Bogenschützen und Schwerbewaffneten an.
*) Strab. XI S.502; Plut. Pomp. 35; vgl. Neumann, Strabons Landes-
kunde von Kaulcasien in Fleckeisens Jahrb. Supjd. XIII S. 346.
») Strab. XI S. 501.
*) Strab. XI 502 (von den Albanern): <rr(Xi.ovot <Ji rijf
ot quj tag. Bei Plut. Potnp. 34: tnl rov { IßrfQnc e, nX>}9ei fiiv orx
SitiTTora(, fiaxifituTfyot’S ßf tiüv ir^iov (14 Ißavtör) ovuti, ist ovx wohl
zu streichen.
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252
Capitel VI.
sie bedeutende Streitkräfte. In der Schlacht gegen Pompeius
sollen sie 9000 Todte und über 10000 Gefangene verloren
haben1). Einschliesslich Kolchis mag demnach für die Land-
schaften am Südabhange des Kaukasos im I. Jahrhundert eine
Bevölkerung von gegen 1 Million anzunehmen sein.
Von den Landschaften der iranischen Hochebene
war zu Alexanders Zeit Persis am besten bevölkert2). Doch
schätzt Xenophon die Zahl der Perser auf nicht mehr als
120000 erwachsene Männer3), was auf etwa Vs Million Ein-
wohner führen würde. Und als Alexander im Winter 381 auf
330 in Persis einfiel, betrug das persische Aufgebot nur 40 000
Mann zu Fuss und 700 Reiter4); allerdings waren die schweren
Verluste bei Issos und Arbela vorausgegangen. Das Areal be-
trägt etwa 140000 qkm, so dass nach Xenophon 3,6 Ein-
wohner auf 1 qkm entfallen wären. Selbst im heutigen Persien,
das so w eite Wüstenstrecken einschliesst, zählt man 5 Einwohner
auf 1 qkm. Xenophons Schätzung wird also immerhin etwas
hinter der Wahrheit Zurückbleiben, wenn auch schwerlich sehr
viel. Die meisten übrigen Theile der im ganzen etwa 3 Mil-
lionen qkm grossen iranischen Hochebene sind dagegen im
Alterthum ohne Zweifel nur spärlich bewohnt gewesen.
Die Inder erklärt Herodot für das zahlreichste aller
Völker der Erde5); wie denn auch heute Indien an Volkszahl
nur hinter China zurücksteht. Ebenso zeigen uns die Berichte
über den Zug Alexanders, dass das nordwestliche Indien ein
Land mit starker Bevölkerung gewesen ist. Allein im Lande
der Glauganiten zwischen Hydaspes und Akesines nahm Alexan-
der angeblich 37 Städte, von denen die kleinste 5000. viele
über 10000 Einwohner hatten, ausserdem viele volkreiche
Dörfer®); zwischen Hydaspes und Hypanis sollen 5000 Städte
*) Plut. Pomp. 34.
2) I)iod. XIX 21: nolvttv&Qomfx} rt nolii ötaififynv auußcttvti tjj>’
yuifiav tccvttjv Ttöf aXlwP auToantioh-,
8) Kyrop. 12, 15: Myovxai /uh' y«p ntyoiu tx/jif i rä( iSioßexa uu-
Qtäifa; tlvat.
4) Arr. Anal. III 18, 2.
B) Herod. V 3: Öpiji'xcur e&vo; utyiaiöv (an pfra ye 'IrAovt
nav-rtov avftodmttiv. Ebenso Ktesias am Anfang der Inäika.
B) Arr. Annh. V 20, 4.
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Der hellenische Osten.
253
„nicht kleiner als Kos“ gelegen haben. Poros konnte gegen
Alexandros 300 Streitwagen. 4000 Reiter, 50000 Mann zu Fuss
ins Feld führen1). Nach Plinius soll der König der Prasier
um Palibothra, des mächtigsten indischen Volkes, ein Heer von
600000 Mami zu Fuss und 30000 Reitern unterhalten haben;
andere indische Staaten hätten Heere von 50000, 60000,
100 000 Mann ä). Eine numerische Bestimmung der Bevölkerung
Indiens im Alterthum ist auf Grund solcher und ähnlicher, zum
Theil offenbar sehr übertriebener Angaben natürlich unmöglich ;
nur dass das Land nach antiken Begriffen sehr bevölkert war,
beweisen sie allerdings. Freilich wird aller Analogie nach die
Bevölkerung Indiens in dieser Zeit hinter der heutigen Bevöl-
kerung weit zurückgeblieben sein.
Dagegen besitzen wir über die Bevölkerungsverhältnisse
Chinas einheimische Angaben aus sehr alter Zeit, angeblich
zum Theil aus officiellen, zu Steuerzwecken gemachten Er-
hebungen. Danach hätte China
gezählt8) :
Familien
Seelen
2275 v. Chr
.
13 553 923
im XI. Jahrh
. —
13 704 923
685 v. Chr
.
11 941 923
2 n. Chr.
. 12 233 062
59 594978
57 „
. 4 27 9 634
21 007 820
75 „
. 5 860 173
34 125 021
88 „
. 7 456784
43 356 367
105 „
. 9 237112
53 256 229
125 „
. 9 647 838
48 690789
144 „
. 9 946 919
49 730550
145 „
. 9 937 680
49 524 183
146 „
. 9 348 227
47 566 772
157 „
. 10 677 960
56 486 856
220—242 „
. 1363000
7 682 881
280 „
. 2 459 804
16163 863
580 „
. 3 590 000
9 009 604
606 „
. 8 907 536
46 019 956
l) Diod. XVII 87; Aman Anal. V 15, 5.
*) Plin. H. N. VI 66—68.
*) Nach J. Sacharoff, Historische Uebersicht über die Bevölkerungs-
verhältnisse Chinas in den Arbeiten der kaiserl. russischen Gesandtschaft
zu Peking über China, II S. 127 — 195, Berlin 1858. ; ; ...... •'
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254
Capitel VI.
Der Rückgang der Bevölkerung im III. Jahrhundert er-
klärt sich zum Theil durch die Spaltung des Reiches in mehrere
selbständige Staaten. Das Urtheil über den Werth der Zahlen
seihst muss natürlich den Sinologen überlassen bleiben.
4» Aegypten.
Das Nilthal von Syene abwärts hat nach Schweinfurths
Berechnung einen Flächenraum von 31001 qkm; davon ent-
fallen auf
Ober- und Mittel-Aegypten mit dem Fayiun 12 959 qkm
das Delta 18942 qkm').
Eine officielle Angabe von 1873 giebt 29400 qkm8); eine an-
dere ebenfalls officielle Angabe von 1879 berechnet das nutz-
bare und vermessene Gebiet nur auf 24 1 97 qkm 3). Nach der
neuesten Angabe von Amici-Bey4) hat Aegypten ohne die
Wüste ein Areal von 33238,5 qkm, wovon aber 5551 qkm
auf die Seen und Strandlagunen entfallen. Es bleibt also ein
cultui fähiges Areal von 27687,5 qkm. Die Oasen der libyschen
Wüste haben nach Rohlfs nicht mehr als 103 qkm angebaute
Fläche r>). Der ganze Rest des Landes — über 500 000 qkm —
ist Wüste; und mag immerhin im Alterthum die Bewässerung
und damit die Cultur etwas weiter vorgedrungen sein als heute,
sehr bedeutend kann der Unterschied bei dem nahen Heran-
treten der Höhenzüge an den Nil nicht gewesen sein.
Dass ein altes Culturland von solcher Fruchtbarkeit eine
starke Bevölkerung haben musste , würden wir auch ohne
*) Belun und Wagner, Die Bevölkerung der Erde II S. 54.
2) Bei Behm und Wagner a. a. 0.
3) a. a. 0. VI S. 65, nach Amid, Essay de Statistique ginerale de
VEgypte, Kairo 1879.
4) VEgypte ancienne et moderne et son dernier recensement ( Alexan -
drie 1884) S. 51. Die Siulgrenzc ist hier bei Wadi-Halfa angenommen,
doch hat das Nilthal von dort bis Assuan nur einen sehr geringen Flächen-
raum.
, 6) Behm, und Wagner a. a. 0. IV S. 59.
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Der hellenische Osten.
255
Zeugnisse voraussetzen dürfen. Es ist denn auch nur eine
Stimme darüber im Alterthum1). Das Nilwasser sollte die
Eigenschaft besitzen, die Fruchtbarkeit der Frauen zu beför-
dern2). Schon Herodot weiss von 20000 Städten zu be-
richten, die Aegypten unter Amasis gezählt haben sollte8);
nach Theokrit hätte Ptolemaeos Philadelphos gar über 33333
Städte geherrscht *). Timon von Phleius, der Sillograph, spricht
um die Mitte desselben Jahrhunderts von dem „volkreichen
Aegyptos“ s). Als der jüngere Scipio unter Ptolemaeos Physkon
nach Aegypten kam, bewunderte er die Menge der Städte und
die „unzähligen Myriaden der Bewohner“ ®). Noch Prokop
sagt, Aegypten habe „von Alters her“ eine starke Bevölkerung;
olfenbar also hatte es dieselbe noch zu seiner Zeit7). Uebri-
gens gehört auch heute das Nilthal zu den am besten l>evöl-
kerten Gebieten der Erde.
Statistische Aufnahmen sind in Aegypten schon früh ver-
anstaltet worden. Verzeichnisse der Geburten und Todesfälle
wurden gehalten, und mindestens seit der Lagidenzeit die Be-
völkerung zum Zwecke der Steuererhebung censirt8). Ueber
die Zahl der Einwohner berichtet Diodor nach Hekataeos von
Abdera, Aegypten hal>e „vor Alters“ alle bekannten Länder
an Menge des Volks übertroffen und stehe auch jetzt darin
keinem andern Lande nach; in den alten Zeiten habe es nach
Angabe der heiligen Schriften über 18000 Städte und ansehn-
liche Dörfer gezählt, unter Ptolemaeos I. mehr als 30000; die
Einwohnerzahl habe vor Alters gegen 7 Millionen betragen
») S. Diod. I 80.
*) Aelian, Thierg. III 13; Pliu. VII 3, vgl. 1X84; Seneca, Nat.Quacst.
III 25; Stral). XV S. 695 und daselbst Aristoteles.
*) Ilerod. II 177; daraus I’lin. V 60.
*) Theokr. 17, 82—84.
®) Fr. 60 Wachsmuth bei Athen. I S. 22 d: JToklol piv ßooxoitai
(v Alyinrtg 7ioiv<fvlig Bißhuxo i yagaxirai.
6) Diod. 33, 28 a. 2, wohl nach Poseidonios.
7) Vatul. Krieg II 10: tnu tv Alyvnug nokuavSgtDnia fx nit-
Xaiov r\v-
*) Lumbroso, Economic politique de 7’ Egyptc S. 297.
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256
Capitel VI.
und belaufe sich jetzt auf nicht unter 3 Millionen. Wegen
dieser starken Bevölkerung hätten die alten Könige Aegyptens
so gewaltige Bauten ausführen können1).
Da Josepos, wie wir gleich sehen werden, die Einwohner-
zahl Aegyptens zu seiner Zeit auf 7ba Millionen angiebt, so
hat Dindorf in seiner grossen Ausgabe des Diodor die Zahl
3 Millionen als verdächtig eingeklammert, darauf Bekker sie
ganz aus dem Texte gestrichen, dem dann Dindorf in seiner
kleinen Ausgabe gefolgt ist. Der Sinn wird dadurch: auch zu
Diodors Zeit habe Aegypten 7 Millionen Einwohner gezählt
Es fehlt dieser sog. Emendation jede handschriftliche Gewähr;
denn dass ein nachlässig geschriebener Codex des XV. Jahr-
hunderts (M bei Dindorf) die Zahl auslässt, kann in keiner
Weise in Betracht kommen. Und ebensowenig ist sie sachlich
berechtigt. Es genügt, die Stelle Diodors durchzulesen, um auf
den eisten Blick einzusehen, dass darin der Verfall Aegyptens
seit den „alten Zeiten“, d. h. der Pharaonenzeit hervorgehoben
werden soll ; es soll erklärt werden, wie es den alten Pharaonen
möglich gewesen sei, so gewaltige Bauten zu errichten. Also
nicht die Zahl 3 000 000 war zu emendiren, wohl aber die ganz
sinnlose Angabe von den 30000 Städten, die unter Ptole-
maeos I. bestanden haben sollen. Bei einem Dichter wie
Theokrit lassen wir uns solche Dinge gefallen, nimmermehr
aber von einem verständigen Historiker, wie es doch Hekataeos
von Abdera gewesen ist. Da nun die meisten, und darunter
einige der besten Codices hier 3000 bieten, so werden wir
diese Lesart unbedenklich in den Text setzen dürfen.
Die Zahl von 7 Millionen für Aegypten vor der Perserzeit
giebt ausser Hekataeos auch Baton von Sinope, nur dass er,
oder vielmehr sein Ausschreiber Stephanos, die Angabe auf
Theben allein bezieht. Es scheint, dass Baton ganz Aegypten
als Landgebiet von Theben betrachtet hatte, wie er denn dieser
Stadt 33330 (lies 33333) Körnen zuschreibt, soviel wie nach
') Diod. I 31: roO <f( ovfxnavjog Xttov to uiv nalaidv <fa<n yfyo-
vfvai 7i (n\ rmaxuoltt; ^iiQiädas, x«l x«#’ yunf dl oix fXnirov; eircti
TQtnxaoCtov. Vergl. I 80.
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Der hellenische Osten.
257
Theokrit Aegypten Städte gezählt hat1). Statistischen Werth
können solche Zahlen selbstverständlich nicht beanspnichen.
Das gilt ebenso von den Angaben Herodots, wonach allein die
Kriegerkaste im V. Jahrhundert 410000 Männer gezählt hätte;
die Uebertreibung ist hier ganz handgreiflich2).
Wie verhält es sich nun aber mit den 3 Millionen Ein-
wohnern, die Aegypten nach Diodor „in unserer Zeit“ (xa#5
r,u&g) gezählt haben soll? Dass die Angabe über die Zahl der
Städte unter den Pharaonen und unter dem ersten Ptolemaeos
auf Hekataeos von Abdera zurückgeht, ist allgemein anerkannt3).
Dann muss aber auch die Zahl von 7 Millionen Einwohnern
für Aegypten zur Pharaonenzeit aus derselben Quelle entnom-
men sein, und damit auch die Zahl von 3 Millionen, die davon
nicht zu trennen ist. Also das r)iiag bezieht sich nicht
auf die Zeit Diodors, sondern des Hekataeos, d. h. Ptolemaeos’ I.,
unter dem dieser Aegypten besucht hat. Diodor hat die Zahl,
ebenso wie die der 3000 Städte und Körnen, einfach aus seiner
Quelle herübergenommen.
Eine andere Frage ist es natürlich, welchen statistischen
Werth die Angabe des Hekataeos beanspnichen darf. Die Zahl
ist zu nind, um völlig genau zu sein, auch steht sie zu der
Zahl der Städte und Körnen in einem verdächtigen geraden
Verhältniss. Andererseits empfiehlt sie sich durch ihre massige
Höhe, denn dass sie sich auf die Gesammtzahl der Einwohner,
oder doch mindestens der freien Einwohner bezieht, sagt Diodor
ausdrücklich 4). Auch steht nichts der Annahme entgegen, dass
sich Hekataeos von der griechischen Verwaltung des Landes
officielle Zahlen verschafft und diese nur abgerundet hat. Jeden
*) Bei Stepli. v. Byzanz JtöanoU; und Porphyrios zu Ilias I 383.
Damit erledigt sich die Variante 8000000, die einige schlechte Hand-
schriften Diodors bieten.
2) Herod. II 165 f . ; vergl. Meyer, Gesch. d. Aiterth. I 566 Anm.
3) Schneider, De Diodori fontibus (Berlin 1880) S. 26 ; Schwartz, Rh.
Mus. 1885 S. 224.
4) Diod. I 31: jov <51 vvfina vros Aicov tö /uiv nalcuov tfaai
yeyovh'iti ntnl inruxoalng u< ytu<5(tg, xttl xttft' T/fiüs <5i ovx iXtttrovs Grat.
TQiaxoatiüv . ’ ; ...... I*
Beloch, Betülkerungslelire. I. I7_. J*
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258
Capitel VI.
falls aber verdient auch die blosse Schätzung eines so genauen
Kenners von Aegypten volle Beachtung. Die Volksdichtigkeit
würde danach etwa 100 auf 1 qkm betragen haben. Kein anderes
Gebiet von gleicher Ausdehnung hat im Alterthum auch nur
annähernd diese Zahl eireicht; nur einige der griechischen Inseln
und in Italien die cainpaniscbe Ebene haben sie übertroffen.
Die Beseitigung der persischen Misswirtschaft brachte
Aegypten eine neue Bliithezcit. Die griechische, und später die
römische Verwaltung waren mit allen Mitteln bestrebt, das
materielle Wohl des Landes zu fördern: mit wie glänzendem
Erfolge, ist bekannt. Dass die Bevölkerung sich in dieser Zeit
heben musste, werden wir von vornherein anzunehmen geneigt
sein. Josepos berichtet denn auch, Aegypten halte beim Aus-
bruch des jüdischen Aufstandes unter Nero 7Vs Millionen Ein-
wohner gezählt, und zwar abgesehen von Alexandreia, „wie
man aus dem Ertrage der Kopfsteuer berechnen könne“ l). Es
ist also evident, dass Josepos in seiner Quelle nur diesen Er-
trag angegeben gefunden hat, und keineswegs eine directe
Angabe über die Zahl der Bevölkerung. Und bei der
notorischen Unzuverlässigkeit des Josepos in statistischen
Dingen muss es sehr zweifelhaft erscheinen, ob er die Berech-
nung der Volkszahl nach dem Steuerertrage nach richtiger
Methode ausgeführt hat. Diese Angabe ist also nur mit grosser
Vorsicht zu benutzen. Und ebenso unzuverlässig ist die An-
gabe des Juden Philon. es hätten unter Tiberius 1 Million
jüdische Einwohner in Aegypten gelebt2). Denn es kommt
Philon darauf an, die jüdische Kolonie als möglichst bedeutend
darzustellen. Immerhin mag Aegypten in dieser Zeit an 5 Mil-
lionen Einwohner gezählt haben, 180 auf 1 qkm.
Alexandreia galt in der hellenistischen Zeit als die
’) Josep. Jüd. Kr. II 16, 4: 7icirtjxovrtt xal inxttxoalat i/ovaa uv-
gu'idas dv^Qturrcar, d(/a rwr ‘AU£drä paar xaToixovrTiov, tb f HvlOTir ix rfjs
xaS Ixamrjv xetpalyv elaifopäs nxugpaafhxt.
*) Philon g. Flaceus 6 (II S. 523 Mang.): ort oix anoSiovai u vpi-
äiftov ixajbv ol tgv 'AXtidripaav xal zgr /wguv 'Toväaioi xaroixoCrree
cino tov TtQOS Aißiiijv xaiaßa9fioC pi/pt rdir bpltor Alyvnrov. VergL
&etpndtschaft sn Gams 18. 31 (II S. 563. 577 fl'.).
: :
• • • _ _ « •
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Der hellenische Osten.
259
grösste Stadt der civilisirten Welt ') und behauptete den zweiten
Rang auch in der ersten Kaiserzeit, nachdem es von Rom über-
flügelt worden war. Der von den Mauern umschlossene Raum
beträgt 920 ha, gegenüber 1230 ha des aurelianischen Rom.
Die Bevölkerung giebt Diodor etwa für das Jahr 60 v. Chr. auf
300000 freie Einwohner an, unter Berufung auf die officiellen
Bürgerverzeichnisse; einschliesslich der Sklaven mochte die
Stadt also gegen V* Million Einwohner zählen. Unter Augustus
und seinen nächsten Nachfolgern wird Alexandreia vielleicht
noch gewachsen sein.
Kyrenaika (Bnrlca) hat einen Flächenraum von 159000
qkm, einschliesslich der Wüste bis zum Oasenzug2); die Aus-
dehnung des culturfähigen Bodens wird 12 — 15000 qkm kaum
übersteigen8): das entspricht etwa der halben Grösse von Si-
cilien. Es ist ein sehr fruchtbares Land, reich an allen Natur-
producten der Mittelmeerländer; besonders wichtig war im
Alterthum, wie bekannt, das nur hier vorkommende Silphion. So
blühte die um 623 gegründete Colonie Kyrene mit ihren etwas
jüngeren Nachbarstädten Barka und Euesi>erides bald mächtig
empor. Schon 50 Jahre nach der Gründung vermochte Kyrene
einen Angriff des aegyptischen Königs Apries siegreich zurück-
zuweisen. Wenig später sollen 7000 kyrenaeische Hopliten in
einer Schlacht gegen die Bürger des benachbarten Barka ge-
1) Diod. XVII 52: to di xaroixoCr ni.ij&og imtQßäXkti rovg tv r«ij
alkatg noktaiv otxi'iTOQai. xa&‘ Sv ycig yuetg nitQißaXoutv /(tuvov ilg
jityvriTOv , eipaaav ol rag ävayQaxpäg lyovrtg uöv xotoixoiIvtiov firitt
rovg tv «vitj {hmQlßovjag l).iv!i(Qoig nltlovg räv TQutxovza u vQutitov.
I 50: (Satt nuQtt roig nXtlaxoi g n Qiortjv tj devr^Qttv uöv
xnra rtjv olxüvu(vTjV noktuir. Strab. XVII S. 798: ptiyiaiov (pinopeior
rijg olxov[t(vi\g.
2) Behin und Wagner, Berölk. der Erde II S. 54, nach einer plani-
metrischen Berechnung auf Grund der Karten von Kordwest- und Nordost-
Afrika in Stielers Hand-Atlas.
®) Nach Behm und Wagner a. a. 0. VI S. 59 beträgt die Ausdehnung
des culturfähigen Bandes in Tripolis, Fessan und Barka zusammen 33974
qkm, wovon der grösste Theil auf Barka kommen muss ; doch scheint die
Angabe stark zu überschätzen. Vergl. die Specialkarte von Afrika von H.
Habenicht, Bl. II, Gotha 1885.
17*
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260 Capitel VI.
fallen sein '). Im Jahre 322 brachten die Kyrenaeer gegen den
SöldnerfUhrer Thibron und die mit ihm verbündeten Städte
Barka und Euesperides angeblich ein Heer von 30000 Mann
zusammen, unter denen sich aber die Contingente der unter-
thänigen Libyer und karthagische Bundesgenossen befanden2).
Dreizehn Jahre später unternahm der Satrap von Kyrene,
Ophelias, seinen Zug gegen Karthago an der Spitze von 10000
Mann zu Fuss, 600 Reitern und 100 Streitwagen, ausser 10000
Mann irregulärer Truppen, allerdings zum grösseren Theile
Söldner und Colonisten aus dem eigentlichen Griechenland3).
Jedenfalls war Kyrene im V. und IV. Jahrhundert eine der
bedeutendsten griechischen Städte, was auch durch die weit-
gedehnten Ruinen bestätigt wird; mul noch Strahon nennt es
eine grosse Stadt4). Unter Traian sollen die hier zahlreich
angesiedelten Juden bei einem Aufstande 220000 griechische
und römische Einwohner getödtet haben5). Mag diese Angabe
auch sehr übertrieben sein, so hat doch die Kyrenaika ohne
Zweifel im Alterthum eine dichte Bevölkerung gehabt. Rechnen
wir auch nur 20 Bewohner auf den qkm eulturfähigen Landes,
so ergäbe sich eine Gesainmtbevölkerung von 240 — 300000;
es ist sehr wahrscheinlich, dass in der Blüthezeit der Land-
schaft unter der ptolemaeischen Herrschaft die Bevölkerung
grösser gewesen ist und die halbe Million erreicht, oder über-
stiegen hat.
’) Herod. IV 160 ; dass es gerade 7000 sind, macht die Angabe sehr
verdächtig.
*) Diod. XVIII 21.
*) Diod. XX 41.
*) Strab. XVII S. 837.
6) Dio Cassius 68, 32.
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Siebentes CapiteL
Sicilien und Grossgriechenland.
1. Areal.
Der Flächeninhalt Siciliens und seiner kleinen Nachbar-
inseln, soweit sie heute zum Königreich Italien gehören, wurde
bisher officiell auf 29241 qkm angegeben. Dass diese Zahl
viel zu hoch ist, war längst erkannt worden. Aber erst die
Vollendung der neuen Generalstabskarte in 1 : 50000 gab die
Möglichkeit, zu richtigeren Werthen zu gelangen. Auf Grund
dieser Karte sind in den letzten Jahren zwei planimetrische
Berechnungen des Areals der Insel vorgenommen worden, zu-
erst durch den rassischen General Strelbitzky *), und bald darauf
durch das italienische militärgeographische Institut2). Sie er-
gaben folgende Resultate:
n.ch Strelbiuky
qkm qkm
Sicilien 25537,1 25461,3
die aeoliscken Inseln 125,1 116,3
Ostreodes (Ustica) 8,3 8,7
die aegatischen Inseln 43,5 48,5
kleinere Inseln — 1,7
25714,0 25631,5
Wie man sieht, sind die Abweichungen zwischen beiden Be-
rechnungen nur unbedeutend; für uns müssen natürlich die
officiellen Zahlen des militärgeographischen Instituts maass-
gebend sein.
J) Superficie de V Europe S. 152 f. 134.
*) Superficie del Eeejno d’ Italia valutata nel 1884. Firenze 1885.
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262
Capitcl Yll.
Dazu kommen weiter die Inseln zwischen Sicilien und
Afrika :
nach Strelbitzky
qkm
Kossyra (Pantellaria) 84,1
Lampos (Lampedma) —
(Linosa) —
Melitc (Malta) und sein Archipel . . . 322,6
nach d. miiitär-
geogr. Institut
qkm
82,9
20,2
5,4
406,7 108,5
oder, wenn wir für Pantellaria, Lampedusa .und Linosa die
Zahlen des militärgeographischen Instituts, für Malta die Zahl
Strelbitzkys einsetzen, 432,3 bezw. 431,1 qkm. Im ganzen er-
geben sich also für Sicilien mit den Naehbarinseln 26146,3 be-
ziehungsweise 26 062,6 qkm. Davon entfallen, nach Strelbitzky,
11,3 qkm auf den See von Lentini.
Ueber die Begrenzung der einzelnen Stadtgebiete auf Si-
cilien in griechischer Zeit sind wir nur sehr unvollständig unter-
richtet. Da die Darstellung auf Bl. XI von Kieperts Neuem
Atlas von Hellas nur zum Theil dem heutigen Stand unserer
Kenntniss entspricht, lege ich hier für den Westen und Süden
der Insel die Uebersieht der Territorialverhältnisse der Insel
zu Gninde, wie ich sie auf dem Kärtchen zu geben versucht
habe, das meine Abhandlung über das Reich des Dionysios be-
gleitet1). Danach entfallen auf die Gebiete von
qkm
Syrakus mit Leontinoi 4 680
Kamarina 845
fiel« 1720
Akragas 4285
Selinus 1 140
Himera 1 185
Messene 770
Naxos und Katane 1060
Lipara 116
Griechische Städte 15 801
') L’Impero Siciliano di Dionisio in Atti della R. Accademia dt?
Lincei 1881. Wegen der Begründung s. S. 1 — 6 des Separatabdruckes
und Holm, Gesch. Sic. I S. 156 f.
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Sicilieu und Grossgriechenland.
26B
qkm
Freie Sikeler 5855
Freie Sikaner 1280
Elymer 1 830
Phoenikische Städte 810
Aegaten, Ostreodes 52
Melite 322
Kossyra usw 108
Barbarische Gebiete 10 257
Diese Zahlen, die natürlich nur auf ganz approximative
Genauigkeit Anspruch erheben, beziehen sich zunächst auf das
V. Jahrhundert, [speciell auf die Zeit der grossen athenischen
Expedition. Im IV. Jahrhundert hat sich dann die karthagische
Provinz bis zum Halykos (Plaümi) ausgedehnt,- ja sie umfasste
östlich dieses Flusses noch Herakleia Minoa. Der Flächenraum
beträgt, einschliesslich Melite, etwa 8800 qkm, also Vs des
Ganzen.
Viel grössere Schwierigkeiten bietet die Bestimmung des
Flächeninhalts von Grossgriechenland. Die brettische Halbinsel
südlich von 39° 50' Nordbreite umfasst nach der planimetn-
schen Berechnung des italienischen militärgeographischen Instituts
ein Areal von 13846,7 qkm. Dazu kommen dann weiter die
Gebiete der Städte am tarantinischen GolfeJ, und von Pyxus,
Eleia, Poseidonia, Neapolis, Kyme, deren Grenzen nach dem
Innern hin nicht einmal annähernd festzustellen sind. Jeden-
falls war die Ausdehnung dieser Gebiete bis zum Anfang des
IV. Jahrhunderts sehr ansehnlich, und es ist kein Zweifel, dass
die griechischen Besitzungen auf dem italischen Festlande im
V. Jahrhundert ein grösseres Areal umfasst haben als auf
Sicilien. Eine bestimmte Zahl zu geben wage ich nicht;
18— 20000 qkm dürfte der Wahrheit wenigstens nahe kommen.
Im VI. Jahrhundert, zur Zeit der Blüthe des sybaritischen
Reiches, mag die Ausdehnung der griechischen Herrschaft noch
grösser gewesen sein.
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264
Capitel VII.
2. Die wirthscliaftlichen Zustände.
Die Griechen der klassischen Zeit blickten voll Bewunde-
rung auf die staunenswerthe Entwickelung ihrer Pflanzstädte
in Italien und Sicilien. Man erzählte, dass Sybaris zur Zeit
seiner Blüthe 300000 Mann1), Kroton 100 — 120000 Mann2)
habe ins Feld stellen können; und Thukydides wird nicht
mtlde, die grosse Bevölkerung Siciliens zur Zeit des peloponne-
sischen Krieges hervorzuheben8). Von der Grösse von Syrakus,
Akragas, Taras geben die Reste ihrer Mauerringe noch heute
beredtes Zeugniss; keine Stadt des hellenischen Mutterlandes,
ausser Athen, kommt ihnen an Ausdehnung gleich, und auch
Athen nur dann, wenn wir das Asty und den Peiraeeus zu-
sammennehmen. An Flächenraum steht Sicilien dem Peloponnes
nicht nach und das Colonialgebiet in Italien übersteigt um ein
bedeutendes die Ausdehnung Mittelgriechenlands zwischen Isth-
mos und Thermopylen. An Fruchtbarkeit aber war kein Ver-
gleich zwischen dem felsigen Mutterland und den reichen sici-
lischen und italischen Fluren. Ging mau doch soweit, diese
letzteren geradezu als „ G rossgri echenland “ zu bezeichnen.
Wenn w'ir mit diesem Bilde die heutige Bedeutung Siciliens
und Calabriens vergleichen, so liegt der Schluss allerdings sehr
nahe, dass beide Länder seit dem Alterthume ökonomisch zu-
rückgegangen sind, und demgemäss ihre Bevölkerung, mindestens
während der Zeit höchster Blüthe, im V. Jahrhundert, grösser
*) Diod. XII 9; Strab. VI S. 262, beide aus Timaeos (s. Iiunrath,
Die Quellen des Sirabon im VI. Buch S. 26, Kassel 1879). Massiger ist
der sog. Skymnos, aber auch er giebt Sybaris 100000 Bürger (v. 840, aus
Ephoros?)
*) Diod. XII 9; Justin 20, 3.
s) Thuk. VI 1: dnttgoi ol nokko i tov ptyOovs rij; rtjoov, xal r <Sv
ivoixovvTtov tov Trlijfloi /ff xai 'Ekkijrmv xal ßagßdgary. VI 17: oykoi, f ydg
ivfifitxjoii nokvardgovair cd nokac. VI 20: nokkoi /ulv ydg inkiiai
tvitai xal roförai xal dxovuoral, nokkai Ji toctjou; xai byko; ö nkrj-
gcoocov ab rof. VII 57: Trpof di rovs inck&öt’Tai tovzovs ol Xcxtktiözai
«i’rol nkijUos nk(or xazd ndrza nagta/orzo, rrre ueydkag nokei; olxovrzeg.
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Sicilien und Grossgriechenland.
265
gewesen sein müsse als in unserer Zeit. In der That sind,
bewusst oder unbewusst, alle neueren Berechnungen über die
Bevölkerung des italienischen Südens im Alteithume von dieser
Voraussetzung ausgegangen. So haben neapolitanische Gelehrte
die Volkszahl des ehemaligen Königreichs Apulien (also Neapel
diesseits des Faro) in der Zeit vor der llömerherrschaft auf
12 — 18 Millionen, ja noch höher veranschlagt1). Rafinesque-
Sehmalz2) schätzte die Einwohnerzahl Siciliens in der griechi-
schen Zeit auf 4 Millionen; und auch der neueste Geschichts-
schreiber der Insel ist zu annähernd demselben Resultate gelangt.
Holm8) stellt folgende Zahlen auf, die sich auf die Zeit der
grossen athenischen Unternehmung gegen Syrakus (415 — 413)
beziehen :
Syrakus und Gebiet 800000
Akragas und Gebiet 800000
Hiniera, Selinus, Messene je 100000, zus 300000
Gela, Kamarina, Katane, Naxos im Durchschnitt je
80000, zus 320000
griechische Städte zus. 2220000
Phoeniker in I'anormos, Solus, Motye 300000
Elymer 100000
Sikeler und Sikaner 1000000
3620000
wovon etwa 10 °/o, also 360000, griechischer Herkunft.
Das Verdienst, hier jüngst neue Gesichtspunkte geltend
gemacht zu haben, gebührt Theobald Fischer4). Er liefert den
überzeugenden Nachweis, dass von einem Verfall der Insel
gegenüber dem Alterthum, von einer Erschöpfung des Bodens
*) Vergl. Cagnazzi, Saggio sulla popölazione del Regno di Buglia,
ne’ passati tempi e nel presente. Parte I. Napoli 1820.
*) Specchto delle Scienze, Palermo 1814. Mir nur bekannt aus einer
Anführung bei Pietro Castiglioni in der Einleitung zu dem Census des
Königreichs Sardinien vom 1. Jan. 7858 (Turin 1862).
*) Geschichte Siciliens II 8. 402 f. (Leipzig 1874). Vergl. meinen gleich-
zeitig erschienenen Aufsatz in der Rii-ista di Filologia classica II S. 545—62.
4) Beiträge zur physischen Geographie der Mitielmeerländer , besonders
Siciliens (Leipzig 1877) S. 154—162.
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266
Capitel VII.
keine Rede sein kann, dass vielmehr der Ertrag der Weizen-
felder wahrscheinlich nie höher war als jetzt, dass die Baum-
cultur nie zuvor, auch nicht entfernt, ihre jetzige Höhe erreicht
hat, dass man nie so kostbare Handelsgewächse wie jetzt baute.
Die Folgerungen, die sich daraus für die Bevölkerungsgeschichte
ergeben, hat Theobald Fischer nicht in vollem Maasse zu ziehen
gewagt; er begnügt sich zu sagen, dass die Bevölkerung Siciliens
in den besten Perioden überhaupt nicht, oder nur wenig höher
sein konnte als jetzt, zur Zeit des peloponnesischen Krieges
also höchstens 3 Millionen erreichte.
Indess es genügt, einen Blick über die Grenzen Siciliens
hinaus zu werfen, um sofort iune zu werden, dass auch diese
Schätzung noch bedeutend zu hoch ist. Attika, dessen Flächen-
raum etwa den zehnten Theil von Sicilien beträgt, hat in seiner
besten Zeit nicht über 250000 Einwohner gezählt, von denen
aller die Hälfte auf die Hauptstadt entfällt; sollen wir denn
annehmen, dass Sicilien dieselbe Volksdichtigkeit gehabt hat?
Denn wenn auch Syrakus nicht kleiner war als Athen, so fiel
seine Bevölkerung doch der ganzen Insel gegenüber weit weniger
ins Gewicht, als die Athens gegenüber der Bevölkerung von
Attika. Boeotien, das an Flächenraum Attika etwa gleichkommt,
und also ebenfalls ‘/io der Fläche Siciliens umfasst, hatte im
V., IV. und HI. Jahrhundert eine Bevölkerung von 100000 bis
höchstens 150000 Seelen. Die wirtschaftlichen Verhältnisse
waren hier denen in Sicilien ganz analog; auch Boeotien war
eine vorwiegend ackerbauende Landschaft mit fruchtbarem
Boden und enthielt in Theben einen ansehnlichen städtischen
Mittelpunkt, hatte aber dabei vor Sicilien den Vorzug einer
viel älteren Cultur ; es ist demnach sehr unwahrscheinlich, dass
Sicilien die doppelte Volksdichtigkeit besessen haben sollte. Der
Peloponnes, der nur um ein weniges kleiner ist als Sicilien
(22 000 gegen 26 000 qkm), hat im V. Jahrhundert etwa 800 000,
im IV. kaum über 1 Million Einwohner gezählt; und wenn Sicilien
auch im allgemeinen fruchtbarer ist, so war dafür der Pelo-
ponnes schon seit dem V. Jahrhundert auf die Einfuhr fremden
Getreides zur Ernährung seiner Bevölkerung angewiesen, während
Sicilien durch das ganze Alterthum hindurch Getreide in sehr
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Sicilien und Grossgriechenland.
267
beträchtlichen Mengen exportirt hat. So setzt Thukydides, wo
er von der attischen Unternehmung gegen Sicilien spricht, die
materiellen Hülfsquellen der Insel denen des Peloponnes an-
nähernd gleich; aber eben nur annähernd *) : es geht aus den
Worten des Historikers deutlich hervor, dass die Macht der I’elo-
ponnesier grösser war, als die der sicilischen Colonien. Hätte
Sicilien wirklich dreimal soviel Einwohner gezählt als der Pelo-
ponnes, so hätte Thukydides sich ganz anders ausdrilcken müssen.
In der That sind Ackerbau und Viehzucht durch das ganze
Alterthum hindurch die hauptsächlichsten Erwerbsquellen für
die Insel geblieben2). Wohl fehlte es daneben nicht an Ge-
werbsthätigkeit ; die einheimische Wolle wurde zu Geweben
verarbeitet8), die Töpferei lebhaft betrieben *), die syrakusischen
Erzarbeiten waren berühmt5), und überhaupt ist die Ent-
stehung von Gressstädten wie Syrakus imd Akragas ohne In-
dustrie nicht zu denken. Aber der Charakter der Insel als
vorwiegend ackerbauenden Landes, der schon in den Mythen
sich ausspricht, wurde dadurch nicht berührt. Der Getreide-
export nach Griechenland, vornehmlich nach Korinth6) und
Athen7), lässt schon seit dem V. Jahrhundert sich nachweisen 8).
') Thuk. VI 1 : aneigot ol nollol bvrtg Sn oi nolliii rm
vnodtlartgov nöleuov avrjgovvro ij rbv ngög TTtlonovvrjaloog.
s) Cic. Verr. III 5, II: in hac causa frumentaria cognoscenda haec
vobis proponite iudices, vos de rebus fortunisque Siculorum omnium
cognituros ; III 97, 226 : quid est enim Sicilia, si agri cultionem sustuleris ?
*) Cic. Verr. II 2, 5 ; 72, 176 ; Eubulos bei Athen. II S. 57 f. ; Phile-
mon bei Athen. XV S. 658 b; Plut. Akx. 32; S. Büchsenschütz , Die
Hauptstätten des Geicerbfleisses im klassischen Alterthum, Leipzig 1869,
Seite 74.
♦) Büchsenschütz a. a. 0. S. 23 ; Blümner, Die gewerbliche Thätigkeit
der Völker des klassischen Alterthums, Leipzig 1869, S. 125.
B) Blümner a. a. 0.
«) Athen. VI S. 232 b; Thuk. III 86.
7) Schrift r. Staat der Athener II 7 ; Dem. g. Zenothemis 4 S. 883,
g. Dionysod. IX S. 1285.
®) Diod. XI 72 (unter dem Jahre 463/2): tlgijvr\v ydg tyorrtg ol 2äxs-
iitbiru xal /tugav aya9riv vtfiöptvot, di« r 6 nlrj9o; uüv xagntüv rajrv
Talg ovolms nvIiQtyov- Vergl. Diod. XVI 83 von der Friedenszeit unter
Timoleon.
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268
Capitcl TO.
Akragas verdankte seinen Reiehthum der Ausfuhr von Wein
und Oel nach Karthago1). Das Aufblühen des Ackerbaues in
der langen Friedenszeit von 210 — 138 liess Sicilien die Folgen
der punisehen Kriege verwinden2). Cato nannte die Insel
die Kornkammer des römischen Volkes8). Die Getreidezehnten
bildeten die wichtigste Einnahmequelle der sicilischen Könige
bis auf Hieron II.4), daneben blühte die Viehzucht. Schon
Pindar preist das „heerdenreiche Sicilien“ 5) und nennt Syrakus
die Mutter kampfesfreudiger Rosse6). Dass es noch im dritten
Jahrhundert nicht anders war, zeigen die Idyllien Theokrits.
Bei Gelegenheit der Sklavenkriege an der Scheide des zweiten
und ersten Jahrhunderts wird ims das ungebundene Leben der
Hirten auf den einsamen Bergtriften mit lebhaften Farben ge-
schildert7). Sicilischer Käse8) und sicilischer Talg“) waren
schon im V. Jahrhundert in Athen berühmt. Schlachtvieh,
Häute und Wolle wurden in Augustus’ Zeit in grossen Mengen
nach Rom ausgeführt10).
Auch die Wälder müssen im Alterthum eine bedeutende
Ausdehnung gehabt halten. Das ergiebt sich schon daraus, dass
noch in arabischer Zeit die Flüsse der Insel viel wasserreicher
waren als heute11). Und auch an directen Zeugnissen aus
dem Alterthum ist kein Mangel. Aus dem Holze des Aetna
») Diod. XIII 81.
*) I)iod. XXXIV 2, 1. 26. 27.
®) Bei Cic. Veir. II 2, 5: ceUarn penariam reipublicae nostrae, «u-
i ricein plebis Bomanae.
4) Cic. Ferr. III 8, 20: scripta lex (Hieronica) üa diligenter est, i it
eum scripsisse appareat, gut alia vectigalia non haberet. Die ZvQaxoaitov
ätxnrti (Getreidezehnte) sprichwörtlich: Strab. VI S. 269.
®) Pind. Ol. I 12: Iv 7iolvpdX.ii> JZixtXia.
*) Pind. Pyth. I 1: ueyctXonoXif; tu 2vpdxovaai . . . «vdptüi’ &' SVr-
nmv tt aiSaQoxaqpäv daiuöviai TQoqttl.
7) Diod. XXXIV 2, 27 f.
8) Axist Wesp. 838; Antiphanes und Hermippos bei Athen. I 27 E
und F ; Philemon ebenda XIV 658 B.
») Plut Nik. 1.
>°) Strab. VI S. 273.
u) Th. Fischer, Beiträge 8. 165.
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Sicilien und Grossgriechenland.
269
konnte Dionysios grosse Flotten erbauen *), und die Heraeischen
Berge bei Caltagirone, die heute ganz kahl sind, waren von
dichtem Walde bedeckt1 2). Ueberhaupt scheint das ganze Ge-
biet vom Aetna bis zum Tyrrhenischen Meer, die Nebrodischen
Berge und die Nordküste zwischen Himera und Messene, oder
besser zwischen Kephaloedion und Mylae, also gerade der Theil
der Insel, der heute am stärksten bevölkert ist, bis ins V., ja
ins IV. Jahrhundert ein schwach bevölkertes Waldland gewesen
zu sein. Das zeigen die zahlreichen Colonien, die hier, und
nur hier auf Sicilien, in dieser Zeit gegründet wurden. Zuerst
um 450 Kalakte durch Duketios; d^inn um 400 Hadranon und
wenige Jahre später Tyndaris durch Dionysios ; endlich um die-
selbe Zeit Ilalaesa durch Archonides, den Tyrannen von Herbita3).
Ein Land aber, das Getreide in sehr grossem Maassstabe
exportirte, das eine bedeutende Viehzucht, und namentlich
Schafzucht trieb, und zwar durchaus mit Weidewirthsehaft, von
dessen Areal endlich ein grosser Theil mit Wald bedeckt war,
kann unmöglich eine sehr dichte Bevölkerung gezählt haben. Ein
Blick auf das heutige Sicilien wird das veranschaulichen. Auch
jetzt ist Sicilien ein ganz vorwiegend ackerbauendes Land, aber
es ist nicht mehr im Stande, Getreide in irgend nennenswerter
Menge für die Ausfuhr zu produciren, vielmehr reicht die Pro-
duction für den heimischen Bedarf nur eben aus. Die Vieh-
zucht hat nur noch eine ganz untergeordnete Bedeutung. Am
13. Februar 1881 wurden auf der Insel 125556 Rinder und
649 051 Schafe und Ziegen gezählt4), oder 53 beziehungsweise
222 auf je 1000 Einwohner, gegen 178 und 373 im Durch-
schnitt von ganz Italien, oder 384 bezw. 609 im Deutschen
Reiche®). Man sieht, Pindar würde die 7coXv/jaXog SixeMa,
Theokrit den Schauplatz seiner Hirtenlieder nicht wiedererkennen.
1) Diod. XIV 42: to xnrü rqy Ativrjv oqo;, yfitatv xax (xlivovc tovs
XQÖvovs noivrtXoCs lXäxr\t re xcd ntvxtjt. Vergl. Strab. VI S. 273.
*) Diod. IV 84.
3) Diod. XIV 16.
*) Annuario statt et ico Italiano 1884 S. 450. 451.
B) Am 10. Jan. 1873 (Block -Scheel, Handb. der Statistik, Leipzig
1879, S. 291).
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270
Capitel VII.
Die "Wälder sind heute so gut wie ganz von der Insel ver-
schwunden und nehmen nur noch 3Va °/o der Gesammtfläche
ein. Dagegen waren gerade diejenigen Productionen, auf denen
jetzt hauptsächlich der Reichthum der Insel beruht, im Alter-
thum theils ganz unbekannt, theils nur in geringem Grade
entwickelt. Die Cultur der Agrumen ist erst im Mittelalter
eingeführt worden und verdankt unserem Jahrhundert ihren
mächtigen Aufschwung. Für den Schwefel hatten die Alten
noch kaum eine Verwendung. Wein wurde natürlich gebaut,
aber hauptsächlich nur für den eigenen Bedarf; ja die massen-
haft auf Sieilien gefundenen Scherben rhodischer Amphoren
beweisen, dass im III. und II. Jahrhundert ein sehr bedeutender
Import griechischer Weine nach Sieilien stattfand. Es kann
also kein Zweifel sein, dass die Bevölkerung der Insel im Alter-
tliurn bei weitem nicht ihre jetzige Höhe erreicht hat.
Dasselbe ergiebt sich aus dem Betrage der Getreidepro-
duction des alten Sieilien. Wir haben darüber, wie bekannt,
eist aus dem letzten Jahrhundert der römischen Republik be-
stimmte Angaben. Unter Verres’ Verwaltung (73—71 v. Chr.)
betrug der Ertrag des Getreidezehnten jährlich nahe an 3 Mil-
lionen Modien oder 600000 Medimnen1). Da aber die Er-
hebung der Steuer verpachtet wurde, und die Pächter natürlich
bei dem Geschäfte gewinnen mussten, so musste die wirkliche
Belastung der Steuerpflichtigen beträchtlich höher sein, als der
Ertrag für das römische Aerarium. Indess war der Ertrag des
Zehnten, wie die Anklage gegen Verres selbst zugiebt, in diesen
Jahren ein ungewöhnlich hoher, sodass wir hier, wo es sich um
Durchsehnittswerthe handelt , die Erhebungskosten vernach-
lässigen und 600 000 Medimnen als den zehnten Theil der mitt-
leren Production ansehen können, umsomehr, als der Zehnte
etwas unter 3 Millionen Modien zurückblieb.
Um nun die Gesammtproduction der Insel zu erhalten,
*) Cic. Verr. 111 70, 16S. Es wird von den sicilisclien Städten gegen
Bezahlung ein zweiter Getreidezehnt eingefordert; flir den Modius werden
8 HS bezahlt, die ganze verwendete Summe beträgt fere ad nonagiens,
gegen 9 Millionen Sesterzen.
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Sicilien und Grossgriechenland.
271
müssen wir die Production der dem Zehnten nicht unterworfenen
Städte hinzurechnen. Das waren die 8 foederirten oder steuer-
freien Gemeinden Messene, Tauromenion, Neeton, Kentoripa,
Halaesa, Panonnos, Egesta, Halykiae, deren Gesammtareal sich
schwerlich auf mehr als 4000 qkm belaufen, also gegen V« der
ganzen Insel umfasst hat. Diese Städte wurden nur dann zu
Getreidelieferungen, und zwar gegen Bezahlung, herangezogen,
wenn der Zehnte für das Bedürfniss des römischen Staates nicht
ausreichte, und in den civitates decumanae ein zweiter Zehnt
ausgeschrieben wurde1). Die Menge des so zu liefernden Ge-
treides — frumentum imperatum — war für jede Stadt ein für
alle Mal festgesetzt : für Messene und Halaesa z. B. l>etrug sie
je 60 000 8), im ganzen für die Insel 800000 Modien8). Wenn
also hieraus auch ein directer Schluss auf die Grösse der Pro-
duction nicht möglich ist, so wird doch wohl die Annahme ge-
stattet sein, dass diese Leistung, die ja eben zum Ersatz des
Zehnten erhoben wurde, ungefähr Vio des Ertrages entsprochen
hat. Denn ungünstiger als die civitates decumanae wird man
die foederirten und steuerfreien Gemeinden doch nicht gestellt
haben; andererseits aber ist der Betrag des frumentum im-
peratum so bedeutend, dass es zu ganz unwahrscheinlichen Re-
sultaten führen würde, wollten wir annehmen, es wäre viel
weniger als ein Zehnt gefordert worden. Die Weizenpro-
duction dieser Städte hat also gegen 8 Millionen Modien, oder
l1 8 Millionen Medimnen betragen, oder sich zu der der civitates
decumanae wie 1 : 41/* verhalten : ein sehr annehmbares Ergeb-
niss, da die Gebiete im Verhältniss wie 1 : 5 stehen.
Ausserdem gab es in Sicilien noch „einige wenige Städte“,
deren Gebiet in den punischen Kriegen als römische Staats-
domäne eingezogen worden war. Näheies darüber erfahren
') Dass dieses frumentum imperatum nur von diesen Städten erhoben
wurde, ist allerdings nicht bezeugt, wird aber sehr wahrscheinlich dadurch,
dass solche Lieferungen nur von Messene Halaesa und Kentoripa erwähnt
werden, die foederirt oder steuerfrei waren. Vergl. Marquardt, Staatsver-
tcatiunQ II8 S. 189.
s) Cic. Verr. III 73, 170; IV 9, 20.
3) Cic. Verr. III 70, 163.
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272
Capitel VH.
wir nicht, doch können diese Städte kaum sehr ins Gewicht
gefallen sein1).
Die Weizenproduction Siciliens hat also unter Verres’
Verwaltung 7Vs Millionen Medimnen betragen; um nicht zu
wenig zu rechnen, und im Hinblick auf die römischen Staats-
domänen wollen wir im ganzen 8 Millionen Medimnen an-
nehmen. Der durchschnittliche Ertrag eines iugcrum im Gebiet
von Leontinoi, dem fruchtbarsten Theile Siciliens, war bei
1 Medimnos Aussaat in Jahren guter Ernte 8 bis höchstens
10 Medimnen2); für die ganze Insel wird also ein Durchschnitts-
ertrag von nicht über 6 Medimnen anzunehmen sein, was etwa
dem heutigen Verhältniss entsprechen würde. Das ergäbe eine
mit Weizen bestellte Fläche von lVs Millionen iugera , oder,
auf unser Maass umgerechnet, 336000 ha, mit einem Ertrage
von 4200000 hl. Die heutige Weizenproduction der Insel be-
trügt 6 609 755 hl, die auf 565955 Hektaren erzeugt werden*).
Der Ertrag pro ha betrug also im Alterthum 12,5 hl, gegen
11,68 hl in unserer Zeit.
Weizen ist heute die für Sicilien bei weitem wichtigste
Feldfrucht. Die Cultur aller übrigen Cerealien und Hülsen-
früchte zusammen nimmt nur 231546 ha4) ein, also nur etwa
*/s der mit Weizen bestellten Hache. Im Alterthume ist es
ähnlich gewesen. Schon die griechischen Dichter feiern Sicilien
als nvQO(poQog, und in den Verrinen Ciceros ist fast ausschliess-
’) Cic. Verr. III 6, 13: Rerpaucae Sidliae civitaUs sunt beJJo a ma-
ioribus nostris subactae: quarum ager quum esset publicus popidi Romani
I actus, tarnen Ulis est redditus: is ager a censoribus locari solet. Wie
Marquardt (I2 S. 245) dem gegenüber behaupten kann, es hätte 26 solche
cimtates censoriae (*k aller Städte der Insel !) gegeben, ist mir unverständlich.
Es ist eine ganz ungerechtfertigte Annahme, Cicero habe alle civitates
decumanae in seiner Rede aufführen müssen; er sprach natürlich nur von
denen, die Verres geschädigt hatte. Uebrigens ist die Liste der cintates
decumanae bei Marquardt unvollständig; es fehlen die Agrigentini und
Scherini.
2) Cic. Verr. III 47, 112.
s) Annuario statistico Italiano 1881 S. 236. 237. Die Zahlen sind
die Mittel aus dem fünfjährigen Zeitraum 1870 — 1874.
4) Ebenda S. 236. 237 und 244. 245.
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Sicilien und Grossgriechenland.
273
lieh von den Weizenzehnten die Rede, ein deutlicher Beweis,
dass die anderen Früchte gegenüber dem Weizen kaum in
Betracht kamen. Und da die Insel fast überall Weizenboden
hat, so ist auch gar nicht abzusehen, warum Gerste darauf
hätte gebaut werden sollen; denn von Fruchtfolge hatte das
Alterthum noch keinen Begriff. Wir wollen indess reichlich
rechnen und annehmen, dass der Ertrag an Gerste — andere
Getreidearten kommen nicht in Betracht — und Hülsenfrüchten
zusammen etwa die Hälfte des Weizenertrages betragen hat.
Das ergiebt eine Gesammtproduction von 12 Millionen Medimnen.
Davon musste die Aussaat etw'a den 6. Theil, also 16 2ia °/o
absorbiren. Wie hoch sich der Export belief, wissen wir nicht;
da indess Rom zeitweise einen doppelten Zehnten forderte und
doch offenbar auch ausserdem noch Getreide ausgeführt wurde,
werden wir das für den Export zur Verfügung stehende Quan-
tum auf nicht unter 30°/o der Production veranschlagen dürfen.
Für den inneren Consum bliebe demnach etwa die Hälfte des
überhaupt erzeugten Getreides.
Rechnen wir nun mit Böekh auf den Kopf der Bevölkerung
einen durchschnittlichen Consum von jährlich 6 Medimnen, so
würde Sicilien in Ciceros Zeit im Maximum 1 Million Bewohner
gezählt haben. Natürlich ist damit noch keineswegs gesagt,
dass dieses Maximum wirklich erreicht worden ist; es ist sogar
sehr wahrscheinlich, dass die Bevölkerung dahinter beträchtlich
zurückblieb.
Man hat nun behauptet, die Getreideproduction in vor-
römischer Zeit sei grösser gewesen. Für diese Annahme fehlt
nicht nur jeder Beweis, sondern sie ist auch an sich im höchsten
Grade imwahrscheinlich2). Die römische Herrschaft sicherte
Sicilien eine Periode des Friedens wie es nie zuvor im Laufe
seiner Geschichte genossen hatte. In Rom besass die Insel in
nächster Nähe einen zahlungsfähigen Markt für alle ihre Acker-
producte. Italisches Capital suchte mit Vorliebe in Sicilien
’) Staatsh. I 110 und oben S. 33.
2) Den Zustand Siciliens bei Beginn des ersten punischen Krieges
schildert Theokrit 16, 88 ff.
Belach, Bevölkerungslehre. I. 18
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274
Capitel VII.
Anlage. Endlich lieferte der Sklavenhandel aus dem Orient
billige Arbeitskräfte in beliebiger Menge. Gewiss war die
Fremdherrschaft drückend; aber die Römer schonten doch so
viel als möglich die alten Einrichtungen, behielten namentlich
das alte Steuersystem bei, und es ist nicht zu vergessen, dass ein
Drittel der Insel schon vor der römischen Eroberung ein Jahr-
hundert lang unter fremder Herrschaft gestanden hatte. Rein
ökonomisch betrachtet, hat Sicilien wahrscheinlich keine blühen-
dere Zeit gesehen, als die 70 Jahre zwischen dem hannibalischen
und dem ersten Sklavenkriege1). Und auch die Wunden, die
dieser Krieg geschlagen hatte, vernarbten schnell, wie am besten
daraus hervorgeht, dass kaum 80 Jahre später die Sklaven
wieder zahlreich genug waren, einen neuen Aufstand zu wagen.
Und wir dürfen nicht zweifeln, dass die Folgen auch dieses
Krieges rasch überwunden wurden2). Solange das Zehntsystem
bestand , hatte die römische Regierung das höchste Interesse
daran, den sicilischen Getreidebau nicht verfallen zu lassen.
Erst seit Caesar beginnt der wirthschaftliche Rückgang der
Insel. Wie das billige sieilische Korn einst den italischen Ge-
treidebau ruinirt hatte, war Sicilien selbst jetzt nicht mehr im
Stande, gegen die afrikanische Concunenzj anzukämpfen. War
Sicilien die Kornkammer der römischen Republik gewesen, so
wurde Afrika die Kornkammer des Kaiserreichs. Die Aufhebung
der Zehnte durch Caesar und ihre Ersetzung durch eine in
Geld fixirte Grundsteuer, das Stocken der Sklavenzufuhr seit
der Ausrottung der Seeräuber und Herstellung geordneter Zu-
stände im Orient, endlich die Bürgerkriege, von denen Sicilien
so schwer getroffen wurde, beschleunigten diese Entwickelung.
Es spielte sich jetzt in Sicilien derselbe Prozess ab, der sich ein
Jahrhundert früher in Italien abgespielt hatte, die Ersetzung
des nicht mehr rentirenden Getreidebaues durch die Vieh-
') Diod. XXXIV 4.
*) Cic. Verr. III 54, 125: quum bettis Karthaginiensibus Sicilia vexata
est, et post nostra patrumque memoria quum bis in ea provincia magna
fugitivorum copiae versatae sunt, tarnen aratorum interiUo facta nuda est .
Tum sementi prohibita aut messe amissa fructus annuus interibat: tarnen
incolumis numerus manebat dominorum atque aratorum.
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Sicilien und Grossgriechenland.
275
wirthschaft. Das Bild der Insel in dieser Periode hat uns
Strabon1) geschildert, wenn er auch wahrscheinlich, wie es zu
gehen pflegt, die Farben zu stark aufgetragen hat.
Wenn wir nun auch annehmen wollen, dass der wirth-
schaftliehe Rückgang der Insel unter Verres’ Verwaltung bereits
begonnen hatte, und dass der Getreideexport in der griechischen
Zeit weniger bedeutend war als unter römischer Herrschaft, so
kann Sicilien doch auch in der Zeit seiner Selbständigkeit kaum
im Stande gewesen sein, mehr als etwa IVa Millionen Einwohner
zu ernähren. Wir kommen also hier annähernd auf dasselbe
Ergebniss, das wir oben durch Vergleichung mit der Volks-
dichtigkeit der Landschaften des griechischen Mutterlandes er-
langt hatten. Jedenfalls aber bleibt die Möglichkeit völlig aus-
geschlossen, dass Sicilien in irgend einer Periode des Alter-
thurns 3 — 4 Millionen Einwmhner gezählt haben könnte. Sehen
wir jetzt, wie weit eine Specialuntersuchung diese Resultate
bestätigt.
3. Die Bevölkerung Sicilieus.
Von den 9, oder mit Einschluss von Lipara 10 griechischen
Stadtgemeinden, die im Jahre 415 auf Sicilien bestanden, war
seit Gelons Zeit2) Syrakus bei weitem die eiste. Schon
Pindar feiert unter Hieron die Grösse der Stadt8). Die 10000
Söldner, die Gelon hier angesiedelt hatte, bildeten nur den
kleineren Theil der Bürgerschaft, wie sie denn auch nach dem
Sturze der Deinomeniden trotz ihrer überlegenen militärischen
Tüchtigkeit von den Altbürgem vertrieben wurden4). ZurZeit
*) VI S. 272 f. : jj <f ’ aXlt) xnroixla xai 1 ijs fjeaoyata; noifjhiov t)
nXtCarr) ytyfft/Tai r r/v oiv (grffjtav xaTavor)OavTiS Piu/jaioi xara-
xrr]nafi(voi Tn n ofiij xnl tiö v niiS/atr tcc nlfitna innoifogßois xai ßov-
xoXois xai noifiiai Trag(dooav.
a) Herod. VII 156: at de (J^vptjxo uaacu) nagavTixa ivä r’ Idp afjov
xai avißXaOTOv.
*) Pindar 01. I 1: aeyaXonöUt: o! Zvgdxovoaj, ßadvrroltfjov t{-
/uevos "Agios .
4) Diod. XI 73: ot dl f (voi roi'f fj.lv nXij&eoiv (XetnovTo tcSv 2. vga-
xoaltov, Tals d’ IfjnugCais Tais xa Ta tov nohtfior nokv ngott/ov.
18*
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276
Capitel VII.
des peloponnesischen Krieges stand Syrakus an Grösse Athen
■ nicht nach1), und muss also gegen 20 — 25000 Bürger gezählt
haben. Was wir von den militärischen Leistungen des Staates
in dieser Periode wissen, steht damit im besten Einklang. In
der ersten Schlacht gegen die Athener kämpfen die Syrakusier
mit 1200 Reitern, wovon 200 von Selinus und Gela, 20 von
Kamarina gestellt waren; Syrakus selbst also muss 1000 Reiter
gehabt haben, dieselbe Zahl wie Athen2). Ueber die Zahl
der Hopliten hören wir nur, dass die Syrakusier mit ganzer
Macht (navdrtfiei) ausgerückt wären3). Es ist nun allerdings
sehr wahrscheinlich , dass die Syrakusier ihren Gegnern nume-
risch überlegen waren4), geradezu erdrückend aber kann diese
Ueberlegenheit nieht gewesen sein, da die Athener in der
Schlacht Sieger blieben. Das attische Heer zählte nun, ein-
schliesslich der Epibaten der Schiffe, etwa 5000 Hopliten, die
syrakusische Schlachtreihe kann demnach kaum über 7000 ge-
zählt haben, von denen ein Theil, allerdings wohl nur ein sehr
kleiner Theil, von Selinus gestellt war. Das ergäbe 7 — 8000
Mann von Hopliten- und Reitercensus ; unter der Annahme
also, dass die Bürger von über 50 und unter 20 Jahren zum
Schutze der Mauern zuriickblieben , hätte Syrakus in dieser
7 Zeit etwa 10 — 12000 wohlhabende Bürger gezählt. Thuky-
dides berichtet uns denn auch, dass Syrakus allein im attischen
Kriege mehr Trappen stellte, als alle seine Bundesgenossen
zusammen5); da nun die Bundescontingente auf etwa 5000
*) Thuk. VII 28: Ttcliv ovitiv thiaaio ndrijv ye xa9’ nvrr/y (d. h.
abgesehen von den beiderseitigen Bundesgenossen) rfji 'Ath\vat<ov.
s) Thuk. VI 67.
*) Thuk. VI 67: oi Ji ZvQtcxootoi (ia£tn> tov( fi'ev önkitttf (<fT
fxxatifl xtt, ovtb; Tittvtirj/jt't £vq<xxoö(ov( xnt ca nt (v/Jttayoi nagijOav.
4) Thuk. VI 37 sagt der syrakusische Volksredner von den Athenern :
ois y’ Iniaritfiai ov&' tjinovf äxoXov9qoot>Tai , .... oü&' 6jiX(t ng
ioon Xij&f Ts to's i)un(Qoti (nl veäv ye IX&ovrng. Das ist doch offenbar
ex eventu gesagt.
8) Thuk. VII 58: xal 7rpcif unavrug avfhg, <og ein eiv, roüg ciXX otg
Zvq vöatot Birot nXei'u inoQtoavto dt« /jTyiih'ig re ncXetog xat oti tv
fxeyTaity xtväivtp riOttv.
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Sicilien und Grossgriechenland.
277
Hopliten zu veranschlagen sind '), so ergeben sich auch hieraus
für Syrakus mindestens 6000 Schwerbewaffnete.
Wenige Jahre später, 408, schicken die Syrakusier 3000
Mann auserwählte Truppen, ohne jeden Zweifel Hopliten, den
Selinuntiem zu Hülfe, und dieses selbe Corps wirkt dann bei
der Vertheidigung von Himera mit*). Das war also nur ein
Theil der gesammten, für Feldzüge ausser Landes zur Ver-
fügung stehenden Truppenmacht. An dem Aufstande gegen
Dionysios 403, der von den Hopliten ausging, betheiligten sich
ausser den Reitern 7000 Mann8). Dionysios I. soll 10000
Bürger haben umbringen lassen4), eine Angabe, die allerdings
ohne Zweifel sehr ül>ertrieben ist.
Unter der Regierung der beiden Dionyse hat sich die
Bürgerzahl von Syrakus bedeutend vermehrt. Söldner und frei-
gelassene Sklaven erhielten in Masse das Bürgerrecht5), ganze
Bevölkerungen , wie die von Kaulonia8) , wurden hierhin ver-
pflanzt; die wenigen Verbannten, zuletzt gegen 1000 T), konnten
dagegen nicht in Betracht kommen. Selbst die Zeit der Re-
volution, die mit Dions Unternehmen begann, vermochte die
Folgen dieses Aufschwunges nicht zu zerstören. Unter Timo-
leon, der allerdings neue Colonisten aus dem Mutterlande und
dem übrigen Sicilien herbeirief, zählte Syrakus 50 — 60000
Bürger8), soviel wie nie zuvor eine andere griechische Stadt.
') Aus dem eigentlichen Griechenland kamen 2300 Schwerbewaffnete
(Thuk. VII 1. 19), die sicilischen Bundescontingente waren noch zahlreicher:
Thuk. VII 58: 7ip<f di tovs IntXOövTac tovtovs ol ZixtXiänai avroi
rrXrj9o; nXfov xarä rtärra naQtayovTO, an fityaXaq jiöXtts olxoOvnf
Xttl yag önXirai noXXot xai rrjti rat \'jin oi xat 6 aXXo( c/uiXoc ai/Aoroc
(iftXLfy ij.
*) Diod. XIII 59: tqio/Ii l*ot naoä ^vpaxoattor (nCXexxot.
*) Diod. XIV 9.
4) Plut. lieber Alexanders Glück oder Verdienst II 5 S. 338.
s) Diod. XIV 7, die sog. vionoXnai.
•) Diod. XIV 106.
7) Plut. Dion 22.
8) 50000 nach Diod. XVI 82 und Nepos Timol. 3, 60000 nach dem
Zeugniss des Zeitgenossen Athanis bei Plut. Timol. 23. Diese Zahl darf
natürlich nicht mit Diodor und Plutarch auf die von Timoleon neuberufeneu
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278
Capitel VII.
Freilich mit der Wehrkraft des Staates war es übel bestellt.
Die fünfzigjährige Tyrannenherrschaft mit ihrer systematischen
Entwöhnung der Bürger vom Waffendienst hatte den kriegeri-
schen Geist unter der Bevölkerung von Syrakus noch rascher
schwinden lassen, als das ohnehin in dem Griechenland dieser
Zeit überall der Fall war. Schon Dion hatte seine Erfolge
fast ausschliesslich seinen peloponnesischen Söldnern zu danken,
gehabt; und als Timoleon gegen die Karthager nach dem
Krimisos zog, sollen ihm nur 3000 syrakusische Bürger gefolgt
sein1). Allerdings ist hier zu Timoleons Ruhme die Wahrheit
gebeugt worden; nach anderen Angaben hat sein Heer
12000 Mann gezählt, unter denen 4000 Mann Söldner2), der
Rest also Syrakusier und Sikelioten aus anderen Städten. Auch
war zu dieser Zeit die Reorganisation des Staates noch keines-
wegs beendet. Immerhin hat auch Agathokles, zum Theil aller-
dings aus politischen Gründen, seine Kriege hauptsächlich mit
Söldnern geführt. Auf seiner afrikanischen Expedition z. B.
hatte er 3500 syrakusische Bürger gegenüber 6000 Mann grie-
chischer und baibarischer Miethstruppen 3). Und ähnlich ist es
auch in der Folge geblieben.
Wir sehen hier aufs neue, wie verkehrt es ist, aus der
Abnahme an militärischer Leistungsfäliigkeit in den hellenischen
Staaten dieser Epoche auf eine entsprechende oder überhaupt
auf eine Abnahme der bürgerlichen Bevölkerung schliessen zu
wollen. Es spricht vielmehr alles dafür, dass die Bevölkerung
von Syrakus in dem Jahrhundert von Timoleon bis auf die
römische Eroberung sich eher vermehrt als vermindert hat.
Als Agathokles 317 seinen Staatsstreich machte, sollen 4000
wohlhabende Bürger erschlagen, 6000 verbannt worden sein4).
Colonisten bezogen werden, diese betragen vielmehr einschliesslich der
syrakusischen Verbannten nicht über 10000 (Flut Timol. a. a. 0.; Nepos
Timöl. 3), sondern auf die Gcsammtbürgerzahl der Stadt. Dass nur die er-
wachsenen Männer gemeint sind, ist selbstverständlich, vgl. Plut. Timol. 25.
>) Plut. Timol. 25.
a) Diod. XVI 77; Plut. Timol 25.
3) Diod. XX 11.
4) Diod. XIX 8.
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Skilien und Grossgrieehenland.
279
Das Emigrantenheer, das 10 Jahre später unter Deinokrates’
Führung gegen den Tyrannen sieh sammelte, zählte zuletzt
über 25000 Mann zu Fuss und 3000 Reiter1); kein Zweifel,
dass ein sehr grosser Theil davon Syrakusier waren. Und da-
neben dienten syrakusisehe Verbannte im karthagischen Heere
— Agathokles nahm in Afrika eimnal 500 davon gefangen —
und andere waren über ganz Hellas zerstreut2). Mögen auch
diese Zahlen, um die Grausamkeit des Tyrannen ins rechte
Licht zu setzen, zum Theil absichtlich übertrieben sein, sie
mussten doch im Bereiche der Möglichkeit liegen, da sie auf
die Angaben von Zeitgenossen zurückgehen. Noch Timaeos
nennt Syrakus die grösste der griechischen Städte8) trotz
Alexandreia, und um dieselbe Zeit feiert Theokrit das
pfyu aOTv Tiaq' iöitai yi voipeXtltt; *)■
Der Verfall beginnt erst mit der römischen Eroberung; um
das Jahr 70 war die Bürgerzahl auf unter 10000 herabgesun-
ken5). Ein halbes Jahrhundert später musste Augustus der
Stadt durch eine Veteranen-Colonie aufhelfen6).
Neben der Bürgerschaft umfasste das syrakusisehe Gebiet,
in älterer Zeit wenigstens, eine sehr ansehnliche halbfreie Be-
völkerung, die sog. Kyllyrier oder Kallikyrier : ferner eine
Reihe von sikelischen Perioekenstädten , wie Heloros, Neeton,
Motyka, Morgantia ; endlich die Colonien Akrae und Kasmenae,
von welchen die letztere allerdings schon sehr früh zu Grunde
gegangen sein muss, da sie seit dem V. Jahrhundert nicht
mehr erwähnt wird. Die grosse Zahl der Kyllyrier ist sprüch-
wörtlich geworden7). Als Dionysios im Jahre 398 die ge- i
9 Diod. XX 89, vgl. XX 57.
*) Alexandros von Aetolien bei Athen. XV S. 699 B : Oi'f slya&oxXijos
IkOicu (fQtiff rjXaaav ?{ u> UaTQ(do{, ag/a(tov tjv orf’ ävfig ngoyoviov.
8) Cic. v. Staat III 31, 43: uris itta pracclara, quam ait Timaeus
Graecarum tnaxumam, omnium avtem esse pulcherrimam (=Verr. IV 52, 117).
*) Theokr. 16, 84.
5) Soviel zählte Kentoripa (Cic. Verr. II 68, 163), das Cicero (Verr. IV
23, 50) die bei weitem grösste Stadt Siciliens nennt.
«) Strab. VI S. 270.
7) Timaeos fr. 56 bei Suidas unter KaXXixbgioi : noXXol nvts to nXij-
&o . . 89 ev tov( v7te(>ßoXrj nolXovt KbXXixvq(ov{ (Xtyov.
»i .
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280
Capitel VII.
sannnte arbeitsfähige Bevölkerung des syrakusisehen Land-
gebiets für seinen Mauerbau auf bot, sollen 00000 Mann
zusamniengekomnien sein1), eine Angabe, die kaum über-
trieben scheint, wenn wir die Schnelligkeit erwägen, mit der
die Befestigung vollendet wurde. Aus Morgantia und der Um-
gegend konnte Agathokles vor seinem Staatsstreich 3000 Mann
ausheben2). Dass es ferner in Syrakus an Sklaven im eigent-
lichen Sinne des Wortes nicht fehlte, ist selbstverständlich,
wenn es auch bei den darauf bezüglichen Angaben aus älterer
Zeit zweifelhaft bleibt, ob nicht vielmehr von den Kyllyriern
die Rede ist. So bei der Erzählung von dem Sklavenaufstand
während der athenischen Belagerung, den Hermokrates nieder-
schlug8). Doch scheint es, dass Dionysios die Emancipation
der Kyllyrier durchgeführt hat*), da sie später nicht mehr er-
wähnt werden. In ähnlicher Weise haben um dieselbe Zeit
die thessalischen Tyrannen die Penesten zu l>efreien versucht,
und später Machanidas und Nabis die Heiloten in Lakonien.
Die Sklaven im engeren Sinne des Wortes konnten nicht sehr
zahlreich sein, so lange die Bestellung der Felder in den Hän-
den der Kyllyrier lag. Im karthagischen Kriege 396 bemannte
Dionysios 60 Trieren mit freigelassenen Sklaven8); Syrakus
hat also damals mindestens 12000 waffenfähige Sklaven ge-
zählt. Nach 90 Jahren, vor seiner afrikanischen Expedition,
wiederholte Agathokles dieselbe Maassregel ; er soll sänuntliche
Sklaven in kriegstüchtigem Alter in Freiheit gesetzt und zur
I) Diod. XIV 18: ßovkofjtvos <‘Vr raytiav rqr xamaxtvrjP uöv rti-
%tüv yh’ftJftcu, zov dnö irj{ yoipaf ujrXot- rjftpotrru', (( ov rovf ti&froi f
ctrtfpai [(Xii>&(pou(] (ntXf^a; tl( e£axiOfi vgfovs (niditiXt toutoic töv rtt-
X^ofiivnv rönov. Wie es scheint, geht die Angabe in letzter Instanz auf
den Zeitgenossen Fhilistos zurück.
») Diod. XIX 6.
*) Polyaen. I 48, 1.
l) Diod. XIV 7 : aiuruQtXaßtin rtß rdtr noXirtdr orouart to(i{
ijXtv&epta/udroi'S ßovlovs, OVS (xdl.it riOTtoXiTag.
5) Diod. XW 58: jIiovvmos d’ (v mit ZuQnxovoait rout JouXovf
(Xtv9tQmaat, (nXijQcoaiv (£ avjtar vaCt i£rixoyra.
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Sicilieu und Grossgriechenland.
281
Bemannung seiner Flotte verwendet haben1). Da diese Flotte
aus nicht mehr als 60 Schiffen bestand2), wäre die Zahl der
Sklaven in Syrakus auch in dieser Zeit auf nicht über 12000
erwachsene Männer zu veranschlagen; doch bleiben natürlich
alle diese Berechnungen sehr unsicher. Alles in allem genom-
men, mag Syrakus mit seinem Gebiete um den Ausgang des
V. Jahrhunderts 1U Million Einwohner gezählt haben ; ein Jahr-
hundert später vielleicht 100000 mehr. Das ergiebt 53, bezw.
75 auf 1 qkm. Syrakus selbst mag zur Zeit der athenischen
Belagerung eine Stadt von 100000, unter Timoleon und Aga-
thokles von 200 000 Einwohnern gewesen sein.
Nach Syrakus war A k r a g a s die bedeutendste griechische
Stadtgemeinde der Iusel. Ihr Gebiet kam im V. Jahrhundert
dem von Syrakus annähernd gleich ; der Umfang ihrer Mauern
liess, ausser Syrakus selbst, alle anderen sicilischen Städte
weit hinter sich. Akragas allein hat es gewagt, Syrakus die
Hegemonie der Insel streitig zu machen, zuerst in Hierons I.
Zeit, dann noch einmal unter Agathokles.
Ueber die Bevölkerung der Stadt haben wir eine Angabe
des Timaeos, wonach Akragas im Jahre 406, vor der karthagi-
schen Eroberung, über 20000 Bürger gezählt hätte, und mit
Einschluss der ansässigen Fremden und Sklaven im ganzen
200000 Einwohner8). Dass die Zahl der Bürger hier ungefähr
i) Justin 22, 4 : omnes deinde serws militans uetaiis libertute donatos
sacramento adegit , eosgue .... navibus impoxuit.
*) Diod. XX 5.
*) Diod. XIII 84: x«r’ txtirov ydg rov ygövov 'Axgayarrivot uiv
tjtruv nlttov; ro'rv duru vgfmv, avv dt rois xcctoixoCOi fA'otf ovx tldirovs
jöiv etxorn fiVQiäduv. Dass die Beschreibung von Akragas Diod. XIII
81 — 84 aus Timaeos entnommen ist, sagt Diodor selbst XIII 88, 2 und
wird durch die Uebereinstimmung von Tim. fr. 118 bei Aelian Verm.Gesch.
XII 29 mit Diod. XIII 82,7 bestätigt. Auch wird Timaeos in dem Stücke
noch zweimal citirt (c. 80, 5 und 82, 6). Das Citat aus Polykleitos oder
Polykritos (Müller, Scriptores rer. Alex. Magni S. 180) ist offenbar aus
Timaeos geflossen. Eine Verderbniss der Zahl ist ausgeschlossen, denn
Diodor nennt auch weiter unten (c. 90, 8) Akragas noicr olxovptvgv vno
ävdQÜiv iixom, pugiädcav. Dass nun Akragas nicht neben 20000 Bürgern
180000 Metoeken gezählt haben kann, ist ohne weiteres klar. Mindestens
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282
Capitel VIL
richtig angegeben ist, zeigt die Bedeutung der Stadt, die auf
Sicilieu nur Syrakus nachstand, allen anderen Gemeinden aber
überlegen war. Zwischen 10000 und 20000 Bürger muss
Akragas in jedem Falle gezählt haben, wenn auch immerhin
Tiraaeos in dem Bestreben, seinen Lesern einen recht hohen
Begriff von der Bedeutung der Stadt zu geben, die Zahl nach
oben abgerundet haben mag. Btirgerlisten wurden in Akragas
ohne Zweifel ebenso geführt, wie in Syrakus, Athen und
anderen griechischen Städten; es ist also sehr wohl möglich,
dass Timaeos hier aus authentischer Quelle geschöpft hat.
Etwas anders verhält es sich mit der Angabe über die Gesammt-
bevölkerung. Dass im V. Jahrhundert in irgend einem grie-
chischen Staat Volkszählungen zu statistischen Zwecken ge-
halten worden wären, wird niemand behaupten wollen. Es ist
nur eine Veranlassung denkbar, bei der eine solche Zählung
vorgenommen sein könnte, eben die Belagerung selbst. In der
That war es von der höchsten Wichtigkeit für die Leiter der
Vertheidigung , die Zahl derer genau zu kennen, für deren
Unterhalt sie zu sorgen hatten; nur so war es möglich, über
das zur V erpro viantirung der Stadt erforderliche Quantum an
Lebensmitteln einen Ueberblick zu bekommen. Auch im Mittel-
alter sind bei solchen Anlässen Volkszählungen vorgenommen
worden, die sonst, wie bekannt, jener Zeit ebenso fern lagen,
wie dem Zeitalter des peloponnesiseben Krieges. Und da wäh-
rend der Belagerung fast die ganze Bevölkerung des akragan-
tinischen Landgebietes in den Mauern der Hauptstadt concen-
die Sklaven müssen in der Summe begriffen sein. Aber auch dann ist es
undenkbar, dass Timaeos mit seinen 20 Myriaden nur die erwachsenen
Männer gemeint hat; wir kämen sonst für Akragas auf mehr als 600000
Einwohner. Diodor allerdings scheint die Stelle so aufgefasst zu haben
(s. die oben angeführte Stelle c. 90, 3), und ebenso die Quelle des Laertius
Diogenes VIII 68: ufyuv tfi rbv AxQnyarru liuüv IIoTnuIXla,
tml uvgiiidf; avtov xattpxovv öyJotjxovnt, wo die 800000 offenbar durch
Multiplication der von Timaeos gegebenen Zahl mit 4, dem im Alterthum
allgemein angenommenen Verhältniss der Waffenfähigen zur Gesammt-
bevölkerung, gewonnen ist. Vgl. Niebuhr, K. G. II S. 83 Anm. Vielmehr
muss die Angabe des Timaeos, wenn sie überhaupt einen Werth haben
soll, so verstanden werden, wie oben im Texte geschehen ist.’
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Sicilien und Grossgriechenland.
283
trirt sein musste ’), ähnlich wie in Athen während der sparta-
nischen Einfälle, so würde die Zahl bei Timaeos auf Stadt und
Gebiet zusammen zu beziehen sein; sie müsste ferner die Be-
satzungstruppen einschliessen , ja vielleicht selbst das sicilisehe
Entsatzheer von über 30000 Mann. Aber dass Timaeos wirk-
lich aus dieser Quelle geschöpft hat, folgt daraus natürlich
noch nicht. Vielmehr spricht manches dafür, dass wir es hier
nur mit einer subjectiven Schätzung zu thun haben: vor allem
das runde Verhältniss zwischen der Bürgerzahl und der Ge-
sammtbevölkerung (1:10), weiterhin, dass die Bürgerzahl von
Akragas nach Timaeos genau der Bürgerzahl von Athen gleich
ist, wie sie die Zählung unter Demetrios von Phaleron ergeben
hatte. Es sieht fast aus, als ob Timaeos die Bevölkerungs-
Verhältnisse des Athen seiner eigenen Zeit einfach auf Akragas
übertragen hätte.
Indess mag dem sein wie ihm will, jedenfalls muss Akragas
mit seinem Gebiete annähernd die Bewohnerzahl gehabt haben,
die Timaeos ihm zuschreibt. Die Akragantine hatte einen
Flächenraum von 4300 qkm ; und wenn auch die inneren
Theile nur spärlich bewohnt sein mochten, wie das fast gänz-
liche Fehlen aus dem Alterthum überlieferter Ortsnamen be-
weist, so waren doch die Striche an der Küste gut angebaut 2),
und Akragas selbst, das
/uiya aOJv nitgct f nv&ov Axgclyavros *),
gehörte zu den bedeutendsten griechischen Städten.
Die karthagische Eroberung, so tiefe Wunden sie auch
dem Wohlstände von Akragas schlug, kann doch eine nennens-
werthe Verminderung der Bürgerzahl nicht zur Folge gehabt
haben, da es gelang, die Räumung der Stadt in guter Ord-
nung zu bewirken und die Bevölkerung nach Leontinoi in
’) Diod. XIII 81: idogiv ovv aitoig r 6v r i aizov xal rovs diloig
xttgnoiif, in cf i litt xrtjoeis it7tdaas anö rrj( %i ugtt; xaiaxo/uiCfiv tvrdi
tu'i v iHxürv. Natürlich mussten die Personen vor allem in Sicherheit ge-
bracht werden.
2) Diod. XIII 81.
3) Empedokl. 397 Mullach.
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284
Capitel VII.
Sicherheit zu bringen, woher sie im folgenden Jahre der
Frieden in die Heimath zurückführte. Ebenso wenig hat ja
die persische Eroberung die Volkszahl Athens in fühlbarer
Weise zu vermindern vermocht. So heisst denn Akragas zu
Dions Zeit wieder eine „grosse Stadt“ und war im Stande,
die Unternehmung gegen Syrakus mit 200 Reitern zu unter-
stützen1). Ein halbes Jahrhundert später brachte der akra-
gantinische Stratege Xenodikos ein Bürgerheer von 10000
Mann zu Fuss und 1000 Reitern gegen Agathokles zusammen2),
doch befanden sich dabei Contingente von Enna, Herbessos,
Leontinoi, Kamarina und namentlich Gela8), so dass für die
Bevölkerung von Akragas aus der Angabe sich nicht viel er-
giebt. Doch war Akragas noch am Anfang des ersten punischen
Krieges die erste Stadt des karthagischen Sicilien*). Bei der
römischen Eroberung 262 wurde die „ganze Bevölkerung“, über
25000 Köpfe, in die Sklaverei geführt5); mögen auch viele
bei der Belagerung und der Erstürmung gefallen sein, andere
sich mit der karthagischen Besatzung durch die feindlichen
Linien durchgeschlagen haben, oder in den weiten Gebieten
verstreut geblieben sein: wir sehen, wie Akragas nur noch
der Schatten seiner einstigen Bedeutung war. Der Verlust
der Gebietstheile westlich des Halykos mit Herakleia Minoa,
etwa der Hälfte der gesammten Akragantine, nach der Schlacht
bei Kronion, mag den ersten Anstoss zum Verfalle gegeben
haben; noch verderblicher musste die Einführung des Oel- und
') riut. Dion 26.
*) Diod. XX 56. 62.
*) Diod. XX 31.
*) Polyb. I 17, 5: öpönrtf dt xnl Trjv 'Axgayarrlvtnr nolir .... ßa-
Qvxäjriv T<js aiiTtöi’ (ÄnpjfijdoWW) inuQ/lai.
s) Diod. XXIII 9 nach I’hilinos: Sovlovt Sk npmrtf änavtat rtltov
für Sio/uipitor xai Tierraxiayiliair. Polyb. I 19, 15: noliair ftkv out-
fittTtav (yh’ovro (yxQareis- Nach Polyb. I 18, 7 betrug das
Ir t jj 716 lei ooyxtxleifxfvm’ avSpoiv nicht weniger als 50000, worunter
offenbar nicht blos die erwachsenen Männer, sondern überhaupt alle Ein-
wohner zu verstehen sind, denn es ist von der Hungersnoth in der be-
lagerten Stadt die Rede. Die sehr zahlreiche karthagische Besatzung ist
hier natürlich eingerechnet.
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Sicilien und Grossgriechenland.
285
Weinbaues in Libyen wirken1), wodurch die hauptsächlichste
Erwerbsquelle der Stadt untergraben wurde. Uebrigens hat
Akragas auch nach der Katastrophe von 262 als selbständige
Gemeinde fortexistirt und im hannibalischen Kriege 210 noch
einmal das Schicksal gehabt , von den Römern erstürmt zu
werden und seine Bevölkerung in die Sklaverei verkauft zu
sehen2); und wenn die Stadt selbst diesen Schlag überdauert
hat, so war es doch jetzt mit ihrer Blüthe für immer vorbei.
Alle übrigen Gemeinden der Insel standen im V. und
IV. Jahrhundert Akragas an Bedeutung nach, und können also
die Zahl von 20000 Bürgern nicht erreicht haben. Das findet
in den erhaltenen Quellen seine volle Bestätigung. Am besten
unterrichtet sind wir in dieser Beziehung über Himera imd
Selinus in Folge ihrer Zerstörung durch die Karthager 408.
Bei der Erstürmung von Selinus sollen 16000 Einwohner
gefallen, 5000 gefangen worden sein, 2600 sich nach Akragas
gerettet haben8). Die auffallend geringe Zahl der Gefangenen
kann sich durch die barbarische Wildheit erklären, mit der die
Sieger in der eroberten Stadt hausten4), wenn auch die Mög-
lichkeit bleibt, dass in unserer Quelle ein Zehntausender aus-
gefallen ist. Jedenfalls aber dürfen wir die Zahlen Diodors
nicht einfach addiren, um die Gesammtbevölkerung der Stadt
zu erhalten. Unter den Gefangenen und Erschlagenen sind
zweifellos alle Bestandtheile der Bevölkerung einbegriffen; da-
gegen bei den 2600 Geflüchteten ebenso zweifellos die Sklaven,
Unterthanen und Fremden ausgeschlossen, ja aller Wahrschein-
') Das ist im Laufe des IV. Jahrhunderts geschehen: ij x«'ip« ij
ftlv tjv äfi7ttXo(fVTo ff, i) <J’ (Xaioifvpoi x«l ti»v r’t'XXca »• rüv xnpnifjuiv
J (väpaiv avttJtkto)!, heisst es Diod. XX 8 in der Beschreibung des afrika-
nischen Zuges des Agathokles. Vgl. dagegen Diod. XIII 81: oiimo yäp
xbt’ txtivovg Toi'f xpovoii (vor 406) Tr]s yUßvtit n"pvTtv(i(riis.
*) Liv. 26, 40.
’) Diod. XIII 57. 58 nach Timaeos.
4) Diod. XIII 57: TtJr <f’ {yxarttXti(fd(vitav atofutriuv « ftiv rais
olxlan oiyxarfxttov, riüv <T’ tU roff öJovf ßinCo^fvtuv ov (haxpivovif;
ovti tf vatv ovS-' TjXixlav, k XX' Lfiattas naidtt i vynlovt, yvviiixai, npiaßu-
ras (ifovtvov, ov<i(/j(ctr aifjnd&HttV Xa/xßti rovi((.
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286
Capitel VII.
lichkeit nach sind nur die erwachsenen Bürger männlichen Ge-
schlechts darunter zu verstehen. Da nun von den 21 OOO Ge-
fangenen und Erschlagenen mindestens Vs, also 7000, auf die
erwachsenen Männer entfällt, ausserdem 2 selinuntische Trieren
mit 400 Mann Besatzung in Asien standen *), so hat Selinus im
Jahre 408 eine Bevölkerung von 10000 Männern oder 30000
Einwohnern gezählt. Dabei ist die bürgerliche Bevölkerung des
ganzen Gebietes eingeschlossen, die nichtbürgerliche aber nicht
vollständig. Die Bürgerzahl von Selinus kann also 10000
nicht erreicht haben und mag etwa auf 7 — 8000 zu veran-
schlagen sein. Unter der Annahme, dass Bürger und Nicht-
bürger sich in gleichem Verhältniss bei der Katastrophe des
Jahres 408 gerettet haben, erhalten wir also eine Gesammt-
bevölkerung des Staates von 32 — 33 000 , oder bei einem
Flächenraum von 1140 qkm gegen 30 auf 1 qkm. Vielleicht
bleibt diese Zahl hinter der Wahrheit etwas zurück ; sehr gross
aber kann die Differenz nicht sein, vorausgesetzt dass die
Zahlen bei Diodor richtig sind. Allerdings erführen wir gern,
woher die Angabe über die Zahl der Erschlagenen geflossen ist.
Wenige Monate nach der Katastrophe besetzte Hermokrates
die Stätte der zerstörten Stadt, rief die geflüchteten Seli-
nuntier in die Heimath zurück und brachte bald ein Heer von
6000 Mann zusammen2). Doch haben sich keineswegs alle
diese Leute dauernd in Selinus angesiedelt. Karthago erkannte
im Frieden von 405 das Bestehen der neuen Ansiedlung an,
imd die wiedererstandene Stadt hat, freilich ohne die frühere
Bedeutung erreichen zu können, noch durch 150 Jahre fort-
existirt. Im ersten punischen Kriege wurden die Einwohner
durch die Karthager nach Lilybaeon verpflanzt, und seitdem
scheint Selinus aus der Reihe der selbständigen Gemeinden
verschwunden zu sein.
Etwa die gleiche Bevölkerung wie Selinus besass Hirne ra.
Die Stadt unterstützte Gylippos auf seinem Zuge nach Syrakus
mit 1000 Mann zu Fuss — Hopliten und Leichtbewaffneten —
>) Xen. Hell. I 2, 8.
*) Dioil. XIII 63.
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Sicilien und Grossgriechenland.
287
und 100 Reitern1); später scheint sie noch weitere Hülfstruppen
nach Syrakus gesandt zu haben. Während der karthagischen
Belagerung 408 unternahmen die Bürger mit 10000 Mann
einen Ausfall; unter diesen Truppen waren 4000 Bundes-
genossen, und folglich der Rest von 6000 Himeraeer. Dass
ausserdem eine Besatzung zum Schutze der Mauern Zurück-
bleiben musste, ist selbstverständlich und wird auch ausdrück-
lich hervorgehoben. Dieser Ausfall kostete einen Verlust von
3000 Mann, wovon nach dem Verhältnis der theilnehmenden
Truppen 1800 auf die Himeraeer selbst kommen mussten2).
In Folge dessen ward der Beschluss zur Räumung der Stadt
gefasst und zunächst die Hälfte der Bevölkerung eingeschifft,
während gleichzeitig die Bundesgenossen abzogen 8). Kurz
darauf nahmen die Karthager die Stadt mit Sturm, es erfolgt
zunächst wie in Selinus ein furchtbares Blutbad; von den Ge-
fangenen lässt Hannibal die Männer, angeblich 3000, den
Manen seines Grossvaters Hamilkar als Sühnopfer schlachten 4).
Sind diese Zahlen richtig, wird die Bürgerschaft von Himera
auf etwa 8 — 9000 erwachsene Männer zu veranschlagen sein 5).
Von den geflüchteten Himeraeera finden wir bald darauf
1000 im Heere des Hennokrates8). Später wurde der Rest
der Bürgerschaft in dem neu gegründeten7) Thermae angesie-
delt, das bald zu einer der bedeutendsten Mittelstädte Siciliens
emporblühte. Nähere Angaben über die Bevölkerung fehlen.
Von den übrigen griechischen Gemeinden Siciliens werden
1) Thuk. VII 1.
*) Diod. xm 60, vgl. c. 59.
s) Diod. XIII 61.
4) Diod. XIII 62: xara xgar o; ouv äi-ovatj; rfjg nolttnq Inl noi.Vov
Xqovov ol ßunßagui navxai ttpovtvov robg xctTcü.außaiouhovs otjvuna-
&(ä(. rov <f 'Avrlßa ^oygiiv nctoayyf(i.caio; 6 uh (pövoi thjUir. . . . riöv
’ alyuui. v,i an yvvaixüs rt xat naiäa; äiaäov; eli rb aifiarontSov
7TaQe<fvA.aTTC, t wv <f’ ctvßgiü v rov f älovr a; tt; rgtO/Movs • . . • navras
alxiottfievos xartocpafc.
5) Vergl. Holm, Gesch. Sic. II 428, der 8000 Bürger zwischen 16
und 60 Jahren rechnet.
*) Diod. XUI 68.
7) Diod. a. a. 0.
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288
Capitel VII.
Naxos und Katane zur Zeit des peloponnesischen Krieges
als unbedeutend bezeichnet1), womit alle übrigen Angaben
übereinstimmen. Naxos konnte den Athenern gegen Syrakus
kaum 50 Reiter zu Hülfe schicken2) und war im Jahre 425
nicht im Stande, sein Gebiet gegen die Messenier zu verthei-
digen3). Als Hieron I. die Bewohner Katanes vertrieb und
10000 neue Colonisten in die Stadt führte, musste er das Ge-
biet auf Kosten der umliegenden Gemeinden vergrössem *).
Bedeutender war die dritte ionische Stadt Siciliens, Leontinoi5),
aber sie hat bereits 423 ihre Selbständigkeit verloren, und ihr
Gebiet bildet seitdem einen Theil des Gebietes von Syrakus.
Später, um 396, führte Dionysios eine Militärcolonie von an-
geblich 10000 Söldnern hierher6).
Auch Messene war eine verhältnissmässig bedeutende
Stadt. Um 400 soll es im Stande gewesen sein, 400 Reiter,
4000 Mann zu Fuss und 30 Trieren aufzustellen, eine Angabe,
die freilich, wie unten gezeigt werden soll, starken kritischen
Bedenken unterliegt. Bei dem oben erwähnten Einfall in das
Gebiet von Naxos, wozu die Messenier mit ihrer ganzen Macht
ausgezogen waren, hatten sie einen Verlust von mehr als 1000
Mann; auf dem Rückzuge wurde der grössere Theil des noch
übrigen Heeres durch die Sikeler aufgerieben7). Als Dionysios
nach der Zerstörung durch die Karthager Messene aufs neue
gründete, soll er hier ausser 600 Messeniern aus dem Pelo-
ponnes, die bald weiter nach Tyndaris verpflanzt wurden, und
1000 Lokrern noch 4000 „Medinmaeer“ 8) angesiedelt haben,
unter welch letzteren wohl die Bürger von Medma in Italien
l) S. Nikias’ officiellen Bericht bei Thuk. VII 14.
*) Thuk. VI 98. Die Sikeler, Naxier „und einige andere“ stellen zu-
sammen gegen 100 Reiter.
>) Thuk. IV 25.
*) Diod. XI 49.
6) Thuk. IV 25.
•) Diod. XIV 78.
7) Thuk. IV 25.
8) Diod. XIV 78. Die Emendation Mtfifjuloug für Mtdi/tvaio vs ist
von Cluverius, Sic. Ant. lib. II S. 888. Vgl. Wesseling zu unserer Stelle,
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Sicilien und Grossgriechenland.
289
zu verstehen sind. Die Zahl müsste dann freilich verderbt
sein, da eine Kleinstadt wie Medina unmöglich so viele Colo-
nisten abgeben konnte. Uebrigens lehrt die Geschichte dieser
ganzen Zeit, dass Messene Rhegion ebenso wie Lokroi an
Macht nachstand. Erst seit der Besitznahme durch die Ma-
mertiner tritt Messene in die Reihe der ersten Städte der
Insel , unter denen es seitdem seinen Platz behauptet hat. In
der Schlacht am Longanos kämpften die Mamertiner gegen
Hieron mit 8000 Mann, die zum grössten Theil niedergemacht
wurden1), und das war keineswegs ihre gesammte Macht, da
die Stadt, allerdings mit karthagischer Hülfe, auch nach diesem
Schlage sich hielt.
Wichtiger als Messene war im V. und IV. Jahrhundert
Gela, obgleich es unter Gelon die Hälfte seiner Bevölkerung
an Syrakus hatte abgeben müssen. Die Stadt konnte 500
Reiter ins Feld stellen2), und Agathokles soll einmal 4000
ihrer wohlhabenden Bürger haben umbringen lassen3). Die
Quelle, der Plutarch im Dion folgt, nennt Gela ebenso wie
Akragas eine „grosse Stadt“4); und in der That stand es an
Mauerumfang wie an Ausdehnung des Gebietes in Sicilien nur
Syrakus und Akragas nach. Kleiner war Kamarina, das
lange zwischen Syrakus und Gela den Zankapfel bildete.
Nähere Angaben über die Bevölkerung fehlen; wir hören nur,
dass die Stadt im Jahre 413 den Syrakusiem 500 Hopliten,
300 Speerwerfer und 300 Bogenschützen zu Hülfe schickte6):
offenbar nur einen kleinen Theil ihrer Gesammtmacht.
Wir werden demnach für das Ende des V. Jahrhunderts
die Bürgerzahl von Gela etwa zu 10000, die von Kamarina
der gleichfalls an der Richtigkeit der Zahl zweifelt. Es läge nahe ,A (/i-
Kov f) für (riT(faxto/tXlov() zu verbessern. Uebrigens ist die Stelle auch
sonst verderbt: statt tu>v tx IUio7torrr)Ooi> Mtoarjvimv steht in der Hand-
schrift JVUXtjOfcov.
>) Diod. XXII 13.
0) Diod. XIII 83, vgl. Thuk. VI 67, VII 33.
») Diod. XIX 107.
*) PluL Dion 35.
») Thuk. VII 33.
Belocb, BerMlterurgilehre. I. 19
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290
Capitel VH.
und Messene vielleicht zu je 5000, die von Katane und Naxos
zu je 3000 veranschlagen dürfen, und uns damit jedenfalls
nicht weit von der Wahrheit entfernen. Lipara war ganz un-
bedeutend und mag mit etwa 1000 Bürgern angesetzt werden1).
Die Bürgerzahl von Syrakus, Akragas, Selinus und Hiinera ist
oben bestimmt worden. Danach ergiebt sich 80—90000 als
Gesanuntbürgerzahl aller griechischen Städte der Insel oder
eine bürgerliche Bevölkerung von gegen V* Million.
Im Laufe des IV. Jahrhunderts ist die Bürgerzahl von
Syrakus auf 60000 Bürger angewachsen. Akragas, Gela, Ka-
marina, Messene haben annähernd ihre alte Bevölkerung be-
halten. Selinus hat sich nie von der Zerstörung im Jahre 408
erholt, Thermae wird die Bürgerzahl von Himera schwerlich
erreicht haben. An Stelle von Naxos trat die Militärcolonie
Tauromenion, die in der Römerzeit als civitas focderata grosse
Bedeutung gewonnen hat. Von neuen Städten sind Hadranon
um 400, Tyndaris um 395 von Dionysios gegründet worden;
letzteres hat bald eine Bürgerzahl von 5000 erreicht2). Von
der Neugründung von Leontinoi durch Dionysios ist schon oben
gesprochen worden.
Die Gesammtbürgerzahl der griechischen Städte Siciliens
ist also im IV. Jahrhundert beträchtlich höher gewesen, als
vor dem peloponnesischen Kriege und wird kaum auf unter
120000 zu veranschlagen sein, was einer bürgerlichen Bevöl-
kerung jedes Geschlechts und Alters von 360000 entsprechen
würde. Freilich wurde dieser Zuwachs nicht so sehr der
natürlichen Vermehrung verdankt, als der Ertheilung des
Bürgerrechts an Fremde und Sklaven, der Einwanderung aus
dem Mutterlande und der Ansiedelung ausgedienter Mieths-
truppen. Nicht alle diese Elemente waren griechischen Ur-
sprungs, sie haben sich aber sämmtlich rasch hellenisirt.
Werfen wir jetzt einen Blick auf die militärischen Leistun-
gen der sicilischen Griechen. Gelon soll i. J. 480 bei Himera
50000 Mann zu Fuss und 5000 Reiter gehabt haben3), eine
«) Vgl. Diod. V 9.
*) Diod. XIV 78.
a) Diod. XI 21 nach Timaeos.
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Sicilien und Grossgriechenland.
291
Angabe, die sehr übertrieben ist, selbst wenn wir die Truppen
Therons hier einrechnen wollten. Namentlich eine Zahl von
5000 Reitern hat Sicilien nie aufzubringen vermocht. Nach-
dem man einmal die Stärke des karthagischen Heeres zu
300000 Mann angesetzt hatte, mussten Anstands halber die
Griechen dazu ins Verhältniss gesetzt werden. Es ist also hier
ähnlich gegangen wie mit der Schlacht bei Plataeae. Gegen
die Perser soll Gelon den verbündeten Hellenen 20000 Ho-
pliten, 2000 Reiter, 6000 Mann leichter Truppen, 200 Trieren
angeboten haben1), und das mochte in der That ungefähr die
Macht sein, die Gelons Reich aufzustellen im Stande war,
wenn auch schwerlich für einen Zug in so weite Ferne. Am
Ende des Jahrhunderts betrug das Aufgebot der Gemeinden
des östlichen Theiles der Insel, Syrakus, Messene, Gela, Ka-
marina etc., zum Entsatz von Akragas 30000 Mann zu Fuss
und 3000 Reiter ; dabei sind aber die Contingente der italischen
Griechen einbegriffen2). Etwa die gleiche Stärke zählte im
folgenden Jahre das Heer des Dionysios bei Gela, das aus den-
selben Contingenten bestand; doch enthielt es daneben eine
nicht unbedeutende Zahl von Miethstruppen8). Im ersten Feld-
zuge des Befreiungskrieges gegen Karthago soll Dionysios
ausser 200 Kriegsschiffen 80000 Mann zu Fuss und 3000
Reiter gehabt haben4). Nie, weder vorher, noch nachher, hat
das griechische Sicilien eine so grosse Truppenmasse zusammen-
gebracht; schon im Feldzuge des nächsten Jahres wird Diony-
sios’ Heer wieder wie gewöhnlich zu 30000 Mann zu Fuss
*) Herod. VII 158.
s) Diod. XIII 86 nach Timaeos.
a) Nach Timaeos bei Diodor XIII 109 : 30000 Mann zu Fuss, 1000
Reiter; nach „anderen“ (di piv nvti\ wahrscheinlich Ephoros, 50 000 Mann.
Es ist klar, dass die kleinere Zahl den Vorzug verdient. Dass die Zahl
der Reiter hier wie in der oben angeführten Stelle XIII 86 verderbt ist,
zeigt das Missverhältniss zu der Zahl der Fusstruppen und beider Angaben
unter einander. Es wird an der ersten Stelle für ,E (juvraxiaxiUovi)
, r (TQioxiMovi) zu lesen sein; an der zweiten Steüe entweder ,/t (4000)
für ,A (1000), oder wahrscheinlicher, es ist hier wie so oft bei Diodor vor
XiUovi die Zahl der Tausender ausgefallen.
4) Diod. XIV 47.
19*
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292
Capitel VII.
mit 3000 Reitern angegeben1). Und nennenswerthe Verluste
hatten die Sikelioten in der Zwischenzeit nicht erlitten; die
Belagerung von Motye kann höchstens ein paar tausend Mann
gekostet haben. Dazu kommt weiter das auffallende Missver-
hältnis (1 : 262;a) zwischen Reitern und Fusstruppen, während
sonst in den sicilischen Heeren dieser Zeit das Verhältnis wie
1 : 10 ist. Bei der elenden Zahlenüberlieferung in unseren
Handschriften Diodors wird also jene hohe Zahl nur auf einem
Textverderbnis beruhen. Die Italioten betheiligten sich, so
viel wir wissen, an diesem Kriege nicht; es sind also nur die
»Streitkräfte des griechischen Sicilien, und zwar aller Städte2),
neben den Soldtruppen des Tyrannen, die hier in Betracht
kommen. Zu den Feldzügen gegen die Italioten in den Jahren
389 und 388 bot Dionysios je 20000 Mann zu Fuss und 3000
Reiter auf3); es war eben hier nicht nöthig, die Kraft in dem-
selben Maasse anzustrengen, wie gegen die Karthager. In der
Schlacht bei Kronion um 378 sollen gegen diese 14000 Si-
kelioten gefallen sein4). Nichts desto weniger hat Dionysios
zehn Jahre später in seinem letzten Kriege gegen die Karthager
wieder seine alte Macht von 30000 Mann zu Fuss und 3000
Reitern ®).
Die stereotype Wiederkehr derselben Zahlen beweist uns,
dass hier keineswegs authentische Ueberlieferung vorliegt, son-
dern nur approximative Schätzung. So wenig wie Thukydides
die Stärke des peloponnesisehen Invasionsheeres oder der Com-
battanten bei Mantineia und vor Syrakus angegeben hat, so
wenig scheint das Philistos für die Kriege des Dionysios ge-
than zu haben, und Ephoros und Timaeos sahen sich so ge-
zwungen, das Fehlende durch eigene Conjectur zu ersetzen.
Dass beide dabei zu sehr verschiedenen Resultaten gelangen
>) Diod. XIV 58.
*) Diod. XIV 47.
a) Diod. XIV 100. 108. An ersterer Stelle ist fiir das überlieferte
irtmii di yü.lüvs offenbar TQin^ih'ov; oder allenfalls auch Sia/tUovs
zu emendiren; vergl. Anm. 3 auf der vorigen Seite.
9 Diod. XV 17.
') Diod. XV 73.
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Sicilien und Grossgriechenland.
293
mussten, ist natürlich; Ephoros verleugnet auch hier nicht
seine Vorliebe für hohe Zahlen1), während Timaeos sich als
besonnener Kritiker zeigt. Von den oben zusammengestellten
Zahlen wird die eine ausdrücklich als aus Timaeos stammend
bezeichnet; eine andere lässt sich mit unzweifelhafter Sicher-
heit auf ihn zurückführen: die Uebereinstimmung der übrigen
macht es höchst wahrscheinlich, dass sie alle auf ihn zurück-
gehen2). Wir werden diese Zahlen natürlich nur insoweit an-
nehmen, als sie innere Wahrscheinlichkeit haben. Da nun
Syrakus allein im Jahre 415 nach Thukydides’ Zeugnis« 1000
Reiter aufstellen konnte, so sind 3000 für die ganze Insel eine
ganz angemessene Annahme, die, wenn überhaupt , die Wahr-
heit nur unbedeutend übersteigen kann, um so mehr, als auch
Söldner unter diesen 3000 begriffen sind. Und ebenso wenig
kann die Zahl von 30000 Manu Fusstruppen, d. h. im wesent-
lichen Hopliten, begründete Bedenken erregen gegenüber einer
Bürgerzahl der hellenischen Städte der Insel von 80 — 120000,
besonders da auch hier eine bedeutende Zahl Söldner einge-
rechnet sind. Auch von dieser Seite also wird unser oben er-
langtes Ergebniss bestätigt.
Zu Agathokles’ Zeit soll das hellenische Sicilien sogar über
40 000 Mann, ausschliesslich an Bürgertnippen , aufzustellen
vermocht haben, nämlich das Heer von Akragas und der ihm
verbündeten Städte von 10000 Mann und 1000 Pferden8), das
Emigrantenheer des Deinokrates von 20000 Manu und 1500
Pferden, die in der Folge auf 25000 Mann mit 3000 Pferden
auwuchsen4), und die syrakusischen Bürgertruppen im Heere
des Agathokles, von denen allein 3500 den Tyrannen auf seinem
') S. oben S. 291 Anm. 8.
*) Wir haben hier einen weiteren Beweis dafür, dass die sicilischen
Stücke in Diodors XIII., XIV. und XV. Buch sämmtlich oder doch zum
grössten Theil auf Timaeos zurückgehen. Vergl. ausser Volquardsens
grundlegenden Untersuchungen Bachof, Jahrb. f. Phil. 1879 S. 161 mit
meinen Bemerkungen ebendas. S. 507. Vielleicht finde ich einmal Zeit,
ausführlich auf diese Frage zurückzukommen.
») Diod. XX 56.
♦) Diod. XX 57. 89.
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294
Capitel VII.
Zuge nach Afrika begleiteten *). Etwas später, auf seinem
brettischen Feldzuge, hatte Agathokles 30000 Mann zu Fuss
und 3000 Reiter2); doch hat ohne Zweifel ein sehr grosser
Theil dieser Truppen aus Söldnern bestanden. Und Söldner
waren auch die 4000 Mann und 500 Pferde, die Herakleidas,
der Tyrann von Leontinoi, und die 8000 Mann und 800 Pferde,
die Sosistratos in Akragas dem Pyrrhos übergaben8). Aus
Bürgern und Söldnern gemischt waren die 10000 Mann und
1500 Pferde, mit denen Hieron die Mamertiner am Longanos
schlug4), und die etwa 20000 Mann, mit denen Hieronvnios
215 den Krieg gegen Rom eröffnete *).
Was nun die nichtgriechischen Bewohner der Insel angeht,
so zählte Panormos, die grösste der phoenikischen Städte,
mit seinem nicht sehr ausgedehnten Gebiete zur Zeit des ersten
punischen Krieges etwa 30000 Einwohner 6) , und es ist sehr
unwahrscheinlich, dass die Bevölkerung der Stadt seit dem
V. Jahrhundert sich vermindert haben sollte. Wenigstens hat
Hennokrates 407 mit etwa 3000 Mann die gesammte panormi-
tische Bürgerschaft im offenen Felde geschlagen und mit
einem Verluste von 500 Mann hinter ihre Mauern zurück-
getrieben7). Auch die Motyener waren nicht im Stande ge-
wesen, ihr Gebiet gegen Hennokrates zu vertheidigen 8) ; und
in der That bietet die kleine Insel , worauf Motye lag , trotz
i) Diod. XX 11.
•) Diod. XXI 7.
») Diod. XXII 8. 10.
*) Diod. XXII 13; Polyb. I 9, 7.
6) Livius 24, 7 nach Polybios.
®) Diod. XXIII 18. Bei der römischen Eroberung 254 kamen 13000
Einwohner in Sklaverei, während 14000 den Bedingungen der Capitulation
gemäss mit je 2 Minen sich auslösten. Einige Tausende mochten während
der Belagerung und namentlich bei der Erstürmung der Neapolis (Polyb. I
38, 9) gefallen sein.
7) Diod. XIII 63: twv <fi Tluvogu it lüv Tiaväijud tz agar u{a[itvo>v
n gö i fji nuXtwg it; 7itvuxxoo(ovs uiv avitöv itvtTXt, rovg ’ aXXoig
oi vMtiatv Ivros twv th/wv. Da Hermokrates zu seiner letzten Unter-
nehmung gegen Syrakus, wo er alle Kräfte einsetzen musste, nur 3000
Mann anfbot (Diod. XIII 75), wird er bei Panormos nicht stärker ge-
wesen sein.
8) Diod. XIII 63.
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Sicilien und Grossgriechenland.
295
der nach phoenikischer Art hoch aufgethürmten Häuser für
eine grosse Bevölkerung keinen Raum. Jedenfalls war im
IH. Jahrhundert nach Akragas Panormos die wichtigste Stadt
der karthagischen Provinz auf Sicilien1). Lilybaeon also,
das im IV. Jahrhundert an die Stelle des zerstörten Motye ge-
treten ist, muss kleiner gewesen sein, als Panonnos, wie auch aus
den Berichten über die Belagerung der Stadt durch die Römer
hervorgeht, obgleich damals auch die Bevölkerung von Selinus
durch die Karthager nach Lilybaeon verpflanzt war *). Bei dem
grossen Ausfall gegen die römischen Werke zählten die Karthager
20 000 Mann, davon 10000 frisch aus Afrika angekommene Trup-
pen, während 10000 Söldner schon von früher her in der Stadt
lagen 3), so dass die Bürgerschaft nur eben zur Besetzung der
Mauern genügt haben kann. Da nun die dritte phoenikische
Stadt der Insel, Solunt, stets unbedeutend geblieben ist, so
wird die phoenikische Bevölkerung der Insel im III. Jahrhundert,
Freie und Sklaven zusammen, auf kaum mehr als 50000 Seelen
zu veranschlagen sein; im IV. und V. Jahrhundert wird sie diese
Zahl kaum erreicht haben4). — Ueber die Bevölkerung von
Melite usw. und Kossyra ist nichts überliefert.
Unter den einheimischen Völkern der Insel waren die
Ely mer das am wenigsten bedeutende. Die grösste von ihren
vier Städten, Segesta, soll zu Agathokles’ Zeit 10 (MIO Bürger
gezählt haben5), und es ist sehr wahrscheinlich, dass sie da-
mals bevölkerter war als ein Jahrhundert früher. Wenigstens
haben die Elymer den Athenern zur Belagerung von Syrakus
nur ein Hülfscorps von 300 Reitern gestellt6); und 410 ver-
’) Polyb. I 88, 7 : ßagiriiri] noics rrjf Kag^l^ovimv (nng^rla;.
Akragas, das I 5, 17 ebenso bezeichnet wird, war schon seit 8 Jahren in
der Gewalt der Römer.
*) Diod. XXIV 1.
») Polyb. I 42, 11; 44, 2; 45, 8 (nach Philinos).
*) Wenn Holm, Sic. II 408 die Bevölkerung der phoenikischen Städte
in Sicilien auf 800000 Seelen veranschlagt, so hat er sich offenbar nicht
klar gemacht, dass bei dieser Annahme auf jede der 3 Städte eine Durch-
schnittsbevölkerung von 100 000 Einwohnern kommt.
») Diod. XX 71.
#) Thuk. VI 98; Diod. XIII 7. Dass Eryx damals mit Segesta im
Bunde stand, zeigt Thuk. VI 46; vergl. die Münzen.
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296
Capitel VII.
mochten sie es nicht, den Selinuntiern zu widerstehen l). Wenn
auch daraus nicht gerade auf eine numerische Inferiorität der
Elymer gegenüber den 7 — 8000 Bürgern von Selinus geschlossen
werden darf, so kann doch mindestens die Bevölkerung des
elymischen Gebietes nicht beträchtlich grösser gewesen sein als
die des Gebietes von Selinus. Rechnen wir demnach fürEryx
und das unbedeutende Halykiae zusammen etwa die Hälfte der
Bürgerzahl von Segesta, so erhalten wir für das ganze Volk in
Agathokles’ Zeit eine Bürgerzahl von etwa 15 000. Für die
Zeit des peloponnesischen Krieges, obgleich damals Entella
noch den Elymem gehörte, wird wohl etwas weniger zu rechnen
sein. Die Sklaven konnten numerisch kaum ins Gewicht fallen.
Bei einer Ausdehnung von über 1800 qkm hat das elymische
Gebiet im V. und IV. Jahrhundert eine Volksdichtigkeit von
25 — 30 Einwohnern auf dem qkm gehabt.
Dass die Gebiete der Sikaner und Sikeler eine dich-
tere, oder auch nur eine ebenso dichte Bevölkerung gezählt
haben sollten, ist kaum anzuuehmen; haben wir doch oben ge-
sehen, wie spärlich noch am Ende des V. Jahrhunderts die
Nordküste der Insel bewohnt war. Die durch Duketios ge-
einigte sikelische Nation war der Macht von Syrakus und
Akragas nicht gewachsen. In dem karthagischen Heere vor
Himera 408 standen nach Timaeos 20000 Sikeler und Si-
kaner2); und bei dem Feldzuge von 396 sollen die sicilischen
Bundescontingente der Karthager sogar 30000 Mann betragen
haben8). In dieser letzteren Zahl sind aber offenbar auch die
Elymer und die Bürger der phoenikischen Städte auf Sicilien
einbegriffen. Es ist nun sehr unwahrscheinlich, dass die sicili-
schen Verbündeten der Karthager wirklich solche Massen ins
Feld gestellt haben sollten; vielmehr werden unsere Zahlen
nichts anderes sein, als eine Schätzung der sikanisch-sikelischen
Gesammtwehrkraft. Das würde auf eine Bevölkerung von
*) Diod. XII 82: ol rf' 'EytaraToi . . . xn&' tavtov( ovx orr ti ö(tö-
fiayoi\ XIII 44: ot <fi EtXivoumoi . . . xtanfnöro vv rtüv 'Eyioralaiv, . . .
7ioXv nQoXyovTtg rm'f 4 vvaufoi.
») Diod. XIII 59.
*) Diod. XIV 55.
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Sicilien und Grossgriechenland.
297
100—150000 Einwohnern führen, oder 14—21 auf 1 qkm, was
mit unseren bisherigen Ergebnissen sehr gut Ubereinstimmt.
Wenn Diodor die Bürgerzahl seiner Vaterstadt Agyrion um
400 auf 20000 angiebt1), so ist das nur ein Beweis für seinen
Loealpatriotismus ; es bedarf kaum der Bemerkung, dass Agyrion
nicht dieselbe Bürgerzahl gehabt haben kann, wie Akragas oder
Athen. Das benachbarte Kenturipae freilich hat in sullanischer
Zeit 10000 Bürger gezählt2); aber diese Blüthe war nur das
künstliche Erzeugniss der Privilegien, welche die Römer der
Stadt verliehen hatten. Galeria soll in Timoleons Zeit 1000
Hopliten haben ins Feld stellen können8). Aus dem Verkaufe
der Bewohner der sikanischen Stadt Hykkara lösten die Athe-
ner 415 120 Talente, was, 1 Mine für den Kopf gerechnet,
eine Bevölkerung von 7—8000 Seelen ergeben würde; doch
mag der Erlös aus der übrigen auf dieser Expedition gemachten
Beute hier eingerechnet sein*). Wie man sieht, ergiebt sich
aus diesen vereinzelten Notizen kein Anhalt zur Bestimmung
der Gesammtbevölkerung der sikelischen und sikanischen Städte.
Es bleiben noch die nicht-bürgerlichen Elemente der Be-
völkerung der hellenischen Gemeinden. Von Syrakus und
Akragas ist in dieser Beziehung bereits gehandelt worden. Die
übrigen Städte haben, soviel wir sehen, keine einheimischen
Unterthanen gehabt. Die Sklavenzahl kann im V. und IV.
Jahrhundert nicht sehr beträchtlich gewesen sein 6), kam sie doch
selbst in Athen zur Zeit von dessen höchster wirtschaftlicher
Blüthe nur etwa der Zahl freien Einwohner gleich. Es wird
i) Diod. XIV 95.
*) Cic. Verr. II 68, 163.
*) Diod. XVI 67.
4) Thuk. VI 62; vgl. Holm, Sic. H 411 , der einschliesslich der Ge-
flüchteten 9—10 000 Einwohner herausrechnet. Da Alexander aus der
Beute von Theben nur 440 Talente (Diod. XVII 14), Antigonos Doson aus
der von Mantineia nur 300 Talente gelöst hat (Polyb. H 56, 6), so erregt
die überlieferte Zahl starke Bedenken , um so mehr, als Thukydides Hyk-
kara ausdrücklich als n 6 X ta pj a Sixavixor bezeichnet. Sollte statt 120
Talente 20 Talente zu lesen sein?
») Es ist bemerkenswert, dass die sicilischen Kriegsschiffe zur Zeit
des peloponnesischen Krieges fast ausschliesslich mit freien Leuten be-
mannt waren. Thuk. VIII 84.
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298
Capitel VTL
also reichlich gerechnet sein, wenn wir neben einer bürger-
lichen Bevölkerung von 130000 die Sklaven in diesen Städten
zu etwa 70 000 ansetzen. Damit erhalten wir für das Jahr 415
folgendes Bild der Bevölkerung der Insel:
Areal in qkm
Bevölkerung
auf den qkm
Syrakus
.... 4680
250 000
53
Akragas
.... 4285
150 000
35
übrige Griechenstädte
.... 6835
200000
29
Sikeler und Sikaner .
. . . . 7135
120 000
17
Elymer
. . . . 1830
40 000
22
Phoeniker (ohne Melite
u. Kosb.) 865
40000
46
25630
800 000
31
Wir haben oben gesehen, wie sich die Bürgerzahl der
hellenischen Städte im Laufe des IV. Jahrhunderts etwa um
die Hälfte vermehrt hat. Eine Vermehrung der Sklavenzahl
wird durch die Analogie der übrigen Theile der hellenischen
Welt gleichfalls sehr wahrscheinlich, und auch in den barbari-
schen Theilen der Insel musste die fortschreitende Civilisirung
eine Zunahme der Bevölkerung herbeiführen. Der Rückschlag
in der Zeit der Anarchie nach dem Sturze des jüngeren Dio-
nysios, der in unseren Quellen, um Timoleons Verdienste ins
hellste Licht treten zu lassen, in sehr übertriebenem Maasse
betont wird, konnte so bedeutend nicht sein und musste sich
nach Herstellung geordneter Zustände bald ausgleichen *). Si-
cilien mag also unter Agathokles immerhin 1 Million Einwohner
oder darüber gezählt haben2). Erst mit dem Tode des Ty-
rannen beginnt der Verfall. Die Kriege, die von da an fast
ununterbrochen durch 80 Jahre die Insel verheerten, in denen
ihre hauptsächlichsten Städte, eine nach der andern, mit Sturm
genommen wurden, müssen einen sehr beträchtlichen Rückgang
der Bevölkerung zur Folge gehabt haben8). Allerdings brachte
») Diod. XVI 83.
2) Kurz nach Agathokles’ Tode wird Sicilien eine vrjaof ivdaiyuv
xa'i noXvovSpamot genannt: Plut. Pyrrh. 14.
3) Theokr. Hieron 82 ff. : nt yag Zev xvdiott . . . "Aorta rt ngortgoiot
nai.iv vaCoiro noXireu; Avoyfv(uiv ooa ytipes tXcoßyoarro xaraxpccf
'Aygoiis ä’ (pyafrivro rt9aXdrt{. Das Gedicht ist 263 geschrieben, also
im 2. Jahre des ersten punischen Krieges, s. Jcthrb. f. Phil. 1885 S. 366—68.
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Sicilien und Grossgriechenland. 299
die Herstellung des Friedens dureh die Römer seit 210 eine
neue Periode ökonomischen Aufschwungs, aber zugleich ein
immer weiteres Umsichgreifen der Sklavenwirthschaft J). Unter
diesen Umstünden musste die Abnahme der freien Bevölkerung
in Sicilien noch rascher erfolgen, als in Griechenland oder
Italien. So hören wir, dass die Bürgerzahl von Syrakus zu
Ciceros Zeit auf unter 10000 herabgesunken war; die Süd-
küste der Insel war wenige Jahre später fast gänzlich ver-
ödet2). Nur der Norden, und namentlich der Nordosten der
Insel nahm an dem Verfalle nicht Theil8); ja Kenturipae,
Halaesa, Messene, Tauromenion, Katane haben im II. und
zum Theil im I. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung gerade
ihre blühendste Zeit gehabt. Wie trefflich das Symaethosgebiet
angebaut war, zeigen Ciceros vermische Reden. Wir werden
demnach die freie Bevölkerung in diesem Theile Siciliens in der
ersten Hälfte des I. Jahrhunderts nicht geringer veranschlagen
dürfen, als ums Jahr 400: d. h. für das Gebiet nördlich einer
Linie von Lilybaeon bis Katane etwa auf 250000. Rechnen
wir weitere 100000 auf den verödeten Süden, so ergiebt sich
für ganz Sicilien eine freie Gesammtbevölkerung von etwa
350 000 ; auf jede der 68 Stadtgemeinden entfallen im Durch-
schnitt 5000 freie Einwolmer, oder 1700 erwachsene Bürger.
Hand in Hand mit dieser Verminderung der freien Bevöl-
kerung geht seit dem Ende des hannibalischen Krieges eine
sehr bedeutende Vennehrung der Sklavenzahl4). Wahrschein-
lich hat Sicilien unter allen Ländern am Mittelmeer im II. Jahr-
hundert vor unserer Zeitrechnung im Verhältniss zu seiner
Grösse und Gesammtbevölkenmg die meisten Sklaven besessen :
und hier ist denn auch zuerst ein grosser Sklavenaufstand zum
Ausbruch gelangt. Es würde nun allerdings verkehrt sein, aus
») Diod. XXXIV 2, 1.
3) Strab. VI 272: rtöv dl Xuimüv rrjt 2txiltus tiXivqmv rj ftiv and
toC IJa/ivov 7i(>bs vlii-vßctiov äirjxovaa (xXXXtmiat riXitaq.
a) Strab. VI 272: 17 di Xoittti xai utylrrxrj nXevQÜ (die Nordküste),
xuiirtQ ovd' avirj noXvuvQpumot oiaa, o/uuis ixartöf avvoutüxai.
4) Diod. XXXIV 2, 1. 27.
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300
Capitel VII.
den raschen Erfolgen dieser Empörung auf ein absolutes Ueber-
wiegen der unfreien Bevölkerung in Sicilien schliessen zu
wollen; diese Eifolge erklären sich vielmehr in erster Linie
aus dem Mangel an kriegerischem Geiste unter den Sikelioten
und daraus, dass auch das freie Proletariat mit den Sklaven
gemeinsame Sache machte. Die Zahl der Aufständischen im
ersten Sklavenkriege soll 200000 betragen haben1), und da
der Aufstand sich über die ganze Insel verbreitete, und auch
eine Reihe fester Städte, wie Henna, Tauromenion, Katane, den
Sklaven in die Hände fiel, so ist diese Angabe wahrscheinlich
kaum übertrieben. Der zweite Sklavenkrieg hielt sich in
kleineren Verhältnissen; immerhin sollen bei Skirthaea 40000
Sklaven gekämpft haben8), und es wird ausdrücklich hervor-
gehoben, dass die Führer nur die tüchtigsten Mannschaften in
das Heer einreihten8). Rechnen wir die Weiber und Kinder
auch nur zur Hälfte der waffenfähigen Männer, und weitere
100000 Sklaven in den Städten, die sich am Aufstande nicht
betheiligen konnten, so erhalten wir für das Jahr 140 v. Chr.
eine Sklavenbevölkerung von etwa 400000. Dieses Resultat
findet auch auf anderem Wege seine Bestätigung. Die Weizen-
production Siciliens ums Jahr 75 erforderte, einen Arbeiter auf
je 10 iugera gerechnet4), eine Arbeiterzahl von 130 — 140000.
Die übrigen landwirtschaftlichen Productionszweige : der An-
bau von Gerste und Hülsenfrüchten, von Wein und Oel, end-
lich die sehr ausgedehnte Viehzucht mochten zusammen reich-
lich dieselbe Arbeiterzahl beschäftigen, so dass wir im ganzen
auf etwa 300000 ländliche Arbeiter kommen. Ohne Zweifel
waren ein grosser Theil davon Freie, dafür aber sehr viele
Sklaven in der Industrie und mit häuslichen Diensten beschäf-
tigt. Auch hiernach also muss Sicilien , einschliesslich der
Weiber und Kinder, an 400000 Sklaven gezählt haben. Wir
sehen, die Verluste der Sklavenkriege sind bald ersetzt worden.
l) Diod. XXXIV 2, 18 ; vgl. Liv. Epit. 56.
*) Diod. XXXVI 8.
*) Diod. XXXVI 5.
4) Näheres darüber s. unten Cap. IX, 3.
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Sicilien und Grossgriechenland.
301
Ini runden Anschlag also werden wir sagen dürfen, dass Si-
cilien in den beiden letzten Jahrhunderten vor unserer Zeit-
rechnung etwa ebenso viele Sklaven wie freie Bewohner be-
sessen hat, so dass die Gesamintbevölkerung der Insel, wenn
auch gegen das IV. Jahrhundert etwas vermindert, doch noch
annähernd ebenso zahlreich war, wie zur Zeit des peloponne-
sischen Krieges.
Erst der Verfall des sicilischen Getreidebaus in Folge der
afrikanischen Concurrenz seit Caesars Zeit musste einen starken
Rückgang der Volkszahl hervorbringen, der allerdings zunächst
hauptsächlich die Sklavenbevölkerung traf, aber doch auch
nicht ohne Rückwirkung auf die freie Bevölkerung bleiben
konnte. Die Bürgerkriege nach Caesars Tode, von denen Si-
cilien so schwer gelitten hat, mussten diesen Rückgang be-
schleunigen. Unter Augustus werden wir demnach für die
Insel kaum mehr als 600000 Einw'ohner ansetzen dürfen.
Wie die Verhältnisse sich weiter gestaltet haben, wissen wir
nicht.
4. Grossgriechenland.
Wenden wir uns jetzt zu den Colonien auf dem italischen
Festland. Einst war Sybaris hier die bedeutendste Stadt ge-
wesen; nach dessen Zerstörung nahm Kr o ton den ersten
Platz ein. Noch zur Zeit von Dionysios’ italischen Feldzügen
war Kroton die bevölkertste Griechenstadt in Italien, wie es
auch in dem Bunde der Italioten die Hegemonie hatte l). Mit
der Schlacht am Helleporos und der Einnahme durch Diony-
sios wenige Jahre später beginnt der Verfall, bald beschleunigt
durch das Vordringen der Lukaner und später der Brettier;
zmr Zeit des hannibalischen Krieges zählte Kroton nicht mehr
als 2000 Bürger2).
0 Diod. XIV 10S: tiji ifi Kgoxtamarmv noXeiog /xiihaxa nollvoxlov-
ftfvrn zovTots irjp ryytfiovluv TOii tioMuoi nuQtdoaav.
s) Liv. 23, 30 : Crotonem, opulentam quondum armis virisque, tum iam
adeo multis magnisque cladibus adllictnin, ut omnis aetatis minus duo milia
civium mperessent.
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302
Capitel VII.
Dafür entwickelte sich im IV. Jahrhundert Taras zu
immer grösserer Macht Der Umfang der Mauern, der den
von Akragas noch um ein geringes übertrifft und keineswegs
durch fortificatorische Rücksichten bedingt ist, zeugt besser als
alles andere für die Bedeutung der Stadt, wenn auch ein
grosser Theil des städtischen Areals (570 ha) unbebaut war1).
Gegen Ende des IV. Jahrhunderts soll Tarent im Stande ge-
wesen sein, Heere von 20000 Mann zu Fuss und 2000 Reitern2),
ja von 30000 Mann zu Fuss und 4000 Reitern3) ins Feld zu
stellen, natürlich einschliesslich von Söldnern und Bundesgenossen.
Auch die tarantinische Flotte war ansehnlich; noch im haimi-
balischen Kriege vermochte es die Stadt, 20 Kriegsschiffe in See
stechen zu lassen4). Bei der Eroberung durch Fabius Maximus
209 wurden 30000 Einwohner in die Sklaverei geschleppt®);
sehr viele müssen in dem barbarischen Blutbade umgekommen
sein, das die Römer bei der Erstürmung unter der wehrlosen
Bevölkerung anrichteten8); viele andere werden sich gerettet
haben, oder als Römerfreunde verschont worden sein , wie denn
Tarent auch nach der Katastrophe als selbständige Gemeinde
fortbestanden hat, wenn es sich auch niemals von diesem Schlage
erholen konnte. Am Anfang des hannibalischeu Krieges muss
also Tarent eine Stadt von 50000, vielleicht 60000 Einwohnern
gewesen sein; in der Zeit seiner Unabhängigkeit vor dein
pyrrhischen Kriege ist es vielleicht noch grösser gewesen.
Alle übrigen italiotischen Städte standen gegen Taras be-
deutend zurück. Rhegion soll um das Jahr 400 ein Heer
von 6000 Mann und 600 Pferden, eine Flotte von 50 Trieren
') Polyb. VIII 30, 5—6.
*) Diod. XX 104; vgl. Lorenz, De Civitate veterum Tarent. S. 51.
а) Strab. VI S. 280.
*) Liv. 26, 39.
б) Liv. 27, 16: milia triyinta servilium capitum dicuntur capti. Plut.
Fab. 22: ot di ngadivra ly (vor jo tota/u vgtoi.
6) Liv. a. a. 0.: alii alios passim sine discrimine armatos inermes
caedunt. Plut. a. a. 0.: an (davor dt nolXol xa X jiiir Tagavrlv orv.
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Sicilien und Grossgriechenland.
803
haben aufetellen können *). Die Gesammtstärke der rheginischen
Flotte soll 80 Trieren betragen haben8); ja im ersten attischen
Kriege hätte Rhegion sogar 100 Trieren aufgestellt8). Dass
diese Angaben, soweit sie die Marine betreffen, sehr stark
übertrieben sind, ist leicht nachzuweisen. Nach Thukydides’
imbedingt zuverlässigem Zeugniss haben nur 10 rheginische
Trieren die Athener auf ihrem Zuge nach den liparischen In-
seln im Winter 427 auf 426 unterstützt*); in der Seeschlacht
im Faro 425 kämpften gar nur 8 rheginische Schiffe5). Damit
wird denn auch die obige Angabe über die Stärke der rhegi-
nischen Landmacht verdächtig. Als Dionysios die Stadt im
Jahre 387 nach elfmonatlicher Belagerung einnahm, soll die
Zahl der Gefangenen nicht mehr als 6000 betragen haben®).
Ohne Zweifel hatte die Belagerung viele Opfer gekostet, da
Rhegion sich erst ergab, als die Hungersnoth den höchsten
Grad erreicht hatte; aber mehr als etwa 10000 Einwohner
kann Rhegion bei Beginn des Krieges nach dieser Angabe
kaum gezählt haben. Das ergäbe eine Bürgerzahl von höchstens
3000, was freilich auffallend wenig ist im Verhältniss zu Messene,
dessen Bürgerzahl am Ende des IV. Jahrhunderts kaum auf/
unter 5000 angesetzt werden kann, und das nach allen An-
gaben an Macht Rhegion nachstand.
Lokroi scheint mächtiger gewesen zu sein als Rhegion;
wenigstens das Gebiet war sehr viel ausgedehnter, und auch
die Stadt Lokroi gehört zu den ansehnlichsten des hellenischen
Westens, so weit sie auch hinter Akragas und Taras zurüek-
blieb 7). Im peloponnesischen Kriege waren die Rheginer nicht
im Stande, ihr Gebiet gegen die Lokrer zu vertheidigen ; aber
allerdings war Rhegion damals durch innere Unruhen ge-
*) Diod. XIV 40, vgl. XIV 8.
s) Diod. XIV 103. 106.
s) Diod. XII 54.
*) Thuk. III 88, vgl. IR 86.
5) Thuk. IV 25.
•) Diod. XIV 111.
7) S. unten Cap. XI, 4.
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304
Capitel VII.
schwächt1). Eine lokrisehe Flotte von 10 Trieren operirte im
Jahre 425 gegen Messene2), 30 Jahre später siedelte Diony-
sios dort 1000 lokrisehe Colonisten an3). Die Angabe, dass
in der Schlacht am Sagras 15000 Lokrer gegen 120000 Kro-
toniaten gekämpft hätten4), kann natürlich historischen Werth
nicht beanspruchen.
Auch Thurioi war, wenigstens in den ersten Zeiten nach
seiner Gründung, eine bedeutende Stadt, die selbst mit Tarent
sich zu messen vermochte. Den Athenern sandte es 413 gegen
Syrakus 700 Hopliten und 300 Mann leichter Trappen zu
Hülfe6), später den Peloponnesiem gegen Athen 10 Trieren6).
Bei der Revolution, die hier nach der sicilischen Katastrophe
erfolgte, sollen 300 Bürger verbannt worden sein 7). Gegen die
Lukaner hat Thurioi im Jahre 390 angeblich 14000 Mann und
1000 Reiter aufgestellt, von denen mehr als 10000 Mann in
der Schlacht am Flusse Laos niedergemacht worden sein
sollen 8). Darunter waren auch Contingente der Nachbarstädte,
und offenbar sind die Zahlen überhaupt sehr übertrieben ; aber
dass es ein tödtlicher Schlag war, den die Stadt damals em-
pfing, ist unzweifelhaft, und sie hat sich nie mehr davon erholt.
Nur mit Mühe hat Thurioi seitdem seine Unabhängigkeit
gegenüber seinen lukanischen und brettischen Nachbarn be-
haupten können.
Trotz der bei Laos erlittenen Verluste waren die Streit-
kräfte der Italioten zahlreich genug, um zwei Jahre später
gegen Dionysios von Syrakus am Flusse Helleporos eine offene
Feldschlacht zu wagen. Das Heer des Tyrannen wird auf
20000 Mann zu Fuss und 3000 Reiter angegeben, was durch-
aus glaubwürdig scheint; wir haben also keinen Grund zu
1) Thak. IV 1.
2) Thuk. a. a. 0.
*) Diod. XIV 78.
4) Justin. XX 8.
8) Thuk. VII 33.
«) Thuk. VIU 35.
’) Dionys, v. Halik. Lysias 1 ; [Plutarch] Leben der sehn Redner S. 835.
8) Diod. XIV 101; vgl. Strahon VI S. 253.
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Sicilien und Grossgriechenland.
305
bezweifeln, dass die überlieferte Angabe von 25000 Mann zu
Fuss und 2000 Reitern1) für das italiotisehe Heer wenigstens
in der Hauptsache richtig ist. Lokroi war damals mit Diony-
sios verbündet, Rhegion durch die Truppen des Tyrannen von
den übrigen Städten abgeschnitten ; im ganzen also müssen die
Italioten im Stande gewesen sein, mehr als 30000 Mann
aufzustellen, d. h. so viel wie die Griechen Siciliens. Es wird
demnach auch die Bürgerzahl der italischen Griechenstädte im
V. und am Anfang des IV. Jahrhunderts annähernd dieselbe
gewesen sein, wie die der Griechenstädte auf Sicilien, also
etwa 80000. Im Laufe des IV. und III. Jahrhunderts sind
die meisten jener Städte den Lukanern und Brettiern in
die Hände gefallen, so dass zu Anfang des hannibalischen
Krieges nur noch Neapolis, Elea, Rhegion, Lokroi, Kaulonia,
Kroton, Thurioi, Herakleia, Metapont, Taras ihre hellenische
Nationalität bewahrten, und zwar meist als unbedeutende Klein-
städte. Es mag damals Italien, von den Sklaven abgesehen,
kaum mehr als 100000 griechische Einwohner gezählt haben,
eine Zahl, die sich in Folge des hannibalischen Krieges viel-
leicht auf die Hälfte vermindert hat. Seitdem war der Unter-
gang der griechischen Nationalität in Italien nur noch eine
Frage der Zeit.
») Diod. XIV 103.
Bel och, Beyolkemngslehre. I.
20
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Achtes Capitel.
Der römische Census.
1. Der Census.
Unsere bei weitem wichtigste Quelle für die Erkenntniss
der Bevölkerungsverhältnisse des alten Italien nicht nur, son-
dern überhaupt der Länder am westlichen Mittelmeer bilden
die Ergebnisse des römischen Census. Schon seit sehr früher
Zeit sind in Rom periodische Aufnahmen über die Zahl der
Bürger und ihr Vermögen gehalten worden. Die Tradition
knüpft die Anfänge dieser Institution an den Namen des Servius
Tullius; und jedenfalls wurde es bereits im Jahre 443 nöthig,
eine eigene Behörde, die Censoren, zur Vornahme dieser Er-
hebungen einzusetzen. Der Regel nach sollten die Aufnahmen
(lnstra) alle 4 Jahre (quinto quoque anno) stattfinden ; aber die
praktischen Schwierigkeiten, mit denen sie verknüpft waren,
haben zur Folge gehabt, dass der Census thatsächlich viel
seltener gehalten worden ist. Aus der Zeit vor Errichtung
der Censur, also vor 443 v. Chr., werden 10 Lustren erwähnt1),
mit deren Authenticität es freilich sehr problematisch bestellt
ist; von da bis 318 weitere 15, d. h. im Durchschnitt ein
Lustruin alle 8—9 Jahre. In den 233 Jahren von 318 bis 86
sind 41 Lustren gehalten worden, was durchschnittlich 5—6
Jahre auf ein Lustrum ergiebt. Seit der Verleihung des rö-
') Für die Zahl und Folge der Lustren verweise ich auf die bekannte
Dissertation von Boor, Fasti censorii, Berlin 1873.
Der römische Census.
307
mischen Bürgerrechts an die latinischen Colonien und italischen
Bundesgenossen in Folge des Socialkrieges wurde der Census
zu einer so complicirten Operation, dass erst nach 16 Jahren,
70/69, wieder ein Lustruin gehalten worden ist, das letzte
in republikanischer Zeit. Der Monarchie war es Vorbehalten,
nach zweiundvierzigjähriger Unterbrechung die Institution zu
erneuern. Aber ein Festhalten an den alten fünfjährigen Pe-
rioden war jetzt eine Unmöglichkeit. Augustus hat seine 3
Census mit zwanzigjährigen Intervallen vorgenommen (28 und
8 v. Chr., 14 n. Chi-.), und sein letzter Census verspätete sieh
um ein Jahr. Noch mehr war das der Fall mit dem Census
des Claudius, der erst 33 Jahre nach dem Jahr 14 gehalten
wurde (47 n. Chr.), und weitere 25 Jahre verflossen bis zu
dem Census Vespasians. Das ist der letzte Census, der über-
haupt gehalten worden ist. Seit Italien von directer Steuer
und von der Conscription befreit war, hatte diese Aufnahme
ihre praktische Bedeutung verloren; die in den Provinzen an-
sässigen Bürger waren ohnehin dem Provinzialcensus unter-
worfen. Für blosse statistische Zwecke aber der Bürgerschaft
die mit dem Census verbundenen Opfer an Zeit und Geld zu-
zumuthen, war auf die Dauer nicht durchführbar.
Der Census war gleichzeitig Volkszählung und Steuerein-
schätzung1). Demgemäss gelangte zur Aufzeichnung einerseits
Name und Alter jedes selbständigen, d. h. in eigner Gewalt
stehenden römischen Bürgers imd aller Glieder seiner Familie;
andererseits der Werth des Vermögens, mochte dieses nun aus
Grundbesitz oder aus beweglicher Habe bestehen. Bei letzterer
Kategorie wurden auch die Sklaven verzeichnet. Dagegen unter-
lagen in Rom oder auf römischem Gebiete ansässige Fremde
dem Census nur mit ihrer Habe, nicht mit ihrer Person.
Die Erhebung geschah auf Grund eidlicher Aussagen, die
jeder Pflichtige persönlich zu machen gehalten war, sei es vor
den Censoren in Rom selbst, sei es vor den Quinquennalen
der Colonien und Municipien, die dann die Listen ihrer Ge-
meinden nach Rom überbrachten. Witt wen und Waisen wurden
l) Für das Folgende vergl. Mommsen, Staatsrecht II® S. 347 ff.
20*
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308
Capitel VIII.
dabei durch ihren Vormund vertreten, Haussöhne durch ihren
Vater oder Grossvater. Es war ein Missbrauch, wenn ein nicht
eniancipirter Sohn sich gesondert von seinem Vater eintragen
liess. Abwesenheit im Staatdienste, namentlich auf Feldzügen,
bildete einen legitimen Entschuldigungsgrund für das Ausbleiben
beim Census; doch stand es den Censoren frei, einen solchen
Bürger commissarisch vernehmen zu lassen. Wie weit sonstige
Gründe für das Nicht -Erscheinen beim Census berücksichtigt
werden sollten, hing von dem freien Ermessen des Censors ab.
Wer ohne genügende Entschuldigung fehlte, hatte schwere
Strafe zu gewärtigen.
Auf Grund aller dieser Erhebungen stellten dann die Cen-
soren in Rom die Bürgerliste zusammen. Zunächst wurden
sämmtliche Vollbürger unter die einzelnen Tribus vertheilt, und
innerhalb jeder Tribus die Bürger unter 46 Jahren (iuniores)
von den Bürgern über 46 Jahre (seniores) geschieden; inner-
halb jeder Halbtribus wurden dann die Bürger nach den fünf
Vermögensklassen geordnet. Aus der ersten Klasse wurden
weiterhin die durch ihr Vermögen zum Reiterdienst qualificirten
Bürger ausgesondert; aus der letzten Klasse diejenigen, deren
Vermögen zu gering war, um zur Tributzahlung herangezogen
zu werden (capite censi) '). Eigene Verzeichnisse umfassten die
Wittwen und vaterlosen Waisen (orbi orbaeque, pupitti pupillae
et viduae) und die Bürger ohne Stimmrecht; letztere, die sog.
tabulae Caeritum , waren nach Verwaltungsbezirken (praefeeturae)
geordnet, wie das in der Natur der Sache liegt und in einem
Falle auch ausdrücklich bezeugt wird. In der Zeit von der
') Hauptstelle ist Cicero, v. d. Gesetzen III 8, 7 : censores populi
aevitates suboles familias pecuniasque censento (sollen die Declarationen
der Börger über Alter, Familienmitglieder, Dienerschaft, Vermögen in Em-
pfang nehmen) . . . poptdique partes in tribus distribunto (die Bürger unter
die einzelnen Tribus vertheilen), exin pecunias aevitates ordines partiunto
(sie nach dem Vermögen in die Steuerklassen, nach dem Alter in die Ka-
tegorien der iuniores und seniores, nach dem Stande in liberti, ptebs ingentut,
Ritter und Senatoren eintheilen), equitum peditumque prolem describunto
(bestimmen, wer zu Pferde, wer zu Fuss zu dienen hat). Vergl. die Be-
merkungen von Mommsen, Staatsrecht II3 S. 385 A. 8.
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Der römisehe Census.
309
Schliessung der Tribuszahl (241 v. Chr.) bis zum Socialkriege
muss die Censusliste demnach etwa folgende Gestalt gehabt
haben :
A. Tributes.
I. Tribun Palatina Iuniorum
Equitum capita tot
Pedüum capita tot
Specificirt nach Vermögensklassen, ingenui und liberti getrennt.
II. Tribun Palatina Seniorum
nach denselben Kategorien geordnet
W eiter die übrigen Halbtribus nach der officiellen Folge des ordo tribuum.
Zuletzt
LXX. Tribun Amiensin Seniorum.
B. Caerites.
Geordnet nach l’raefecturen, Vemiögensklassen und Alter.
C. Orbi orbaeque.
Summa equitum capita tot
Summa peditum capita Jot
Summa civium Romanorum praeter orbos orbanque capita tot.
Die so geordnete Liste leistete allen Erfordernissen der
Verwaltung Genüge. Als Wahlliste konnte sie ohne weiteres
verwendet werden. Für die Erhebung des Iributum reichte es
aus, die Proletarier ( capite censi) bei Seite zu lassen, und die
übrigen Bürger (assidui) jeden nach seiner Vermögensklasso zu
besteuern. Für die Aushebung bildeten die Verzeichnisse der
centuriae iuniorum die Stammrolle; je nach der Vermögens-
klasse bestimmte sich dann die Waffengattung, in der jeder
Einzelne zu dienen hatte.
So war es in republikanischer Zeit. Unter Augustus ist
dieses Verfahren in wesentlichen Punkten modifieirt worden.
Seit Italien steuerfrei geworden, die Aushebung auf die Pro-
vinzen beschränkt war und die Comitien ihre politische Be-
deutung verloren hatten, würde die Anordnung der Bürgerschaft
nach den Tribus die Uebersicht über die Resultate des Census
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310
Capitel VIII.
nur unnütz erschwert haben. Nicht darauf kam es mehr an,
ob ein Bürger zur Galeria oder etwa zur Tromentina gehörte,
sondern in welcher Gemeinde Italiens oder der Provinzen er
ansässig war. So wurden die Verwaltungsbezirke maassgebend
für die Anordnung der Bürger im augusteischen Census: in
Italien die Regionen, ausserhalb Italiens die Provinzen, und
innerhalb derselben die einzelnen Gemeindebezirke1); die zu
jeder Gemeinde gehörigen Bürger waren nach Ständen ge-
ordnet2). Die Erhebungen selbst umfassten dieselben Gegen-
stände wie in republikanischer Zeit, doch war jetzt nicht mehr
das praktische, sondern das theoretische, fast könnten wir sagen,
das wissenschaftliche Interesse das Maassgebende8). Die Re-
sultate wurden statistisch weiter verarbeitet : namentlich wissen
wir, dass die Bevölkerung regionenweise nach dem Alter klas-
sificirt wurde4).
Aus dem Census der Bürgerschaft hervorgegangen ist der
rrovinzialcensus. Die Anfänge dieser Einrichtung fallen wahr-
scheinlich schon in das III. Jahrhundert, als die ersten Pro-
vinzen, Sicilien, Sardinien, beide Spanien gebildet wurden.
') Huschke, Der Census und die Steu erverfassung der römischen
Kaiserzeit (Breslau 1847) S. 60 f.; Marquardt, Staatsvenealtung II2 S. 214 ff.
*) Strab. III S. 169: rjxovaa yovr Iv mit rtüv xa9’ q/jag ri/uqaetov
rriVTaxoaious tivtlgui Tip qttfrrai Imnxoit raSnavovt , otjoi; ovdirae
oiidl növ 'iTaUtoTtäv nhqv reu v Haraovirtov. V S. 213: Tlaxtioviov- . . -
r\ ye vttooj l Uyettu TipqaaaSai ntviaxoaiovs Itt7UXOvs avdgag.
*) Rede des Claudius über das tut honorum der gallischen Bürger
(bei Boissieu, Inscr. de Lyon S. 136 und Nipperdey im Anhang zu seiner
grossen Tacitusausgabe : ob census novo tune opere et inadsueto Galliis;
quod opus quam arduum sit nobis, nunc cumj Maxime , quamvis nihil ultra,
quam ut publice notae sint facultates nostrae, exquiratur , nimis magno
experimento cognosdmus.
*) Auszüge daraus bei Plin. VII 162, 4; Phlegon fr. 29 Müller, be-
treffend die VIII. Region Italiens. Sehr richtig bemerkt Hildebrand ( Jahr-
bücher für Nationalökonomie VI 1866 S. 90), dass „die Ermittelung dieser
Summen der höchsten Alterklassen für einen Privatmann unmöglich war“.
Nur hätte er nicht daraus schliessen sollen, dass eine solche Rubricirung
der Bevölkerung nach Alterklassen schon in republikanischer Zeit stattfand.
Ciceros Worte: censores . . . aevitates . . . partiunto gehen nur auf die Schei-
dung zwischen iuniores und seniores.
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Der römische Census.
311
Bestimmte Nachrichten darüber haben wir freilich erst aus viel
späterer Zeit. So wissen wir, dass Sicilien im I. Jahrhundert
v. Chr. alle vier Jahre censirt wurde *) ; jede der 68 Gemeinden
der Insel, mit Ausnahme der drei foederirten Städte Messana,
Tauromenion, Neeton, wählte zu diesem Zwecke zwei Censoren,
die Controle über die ganze Operation hatte ohne Zweifel der
Statthalter. Aus der ersten Kaiserzeit ist es bezeugt, dass
die Einrichtung jeder neuen Provinz mit der Vornahme eines
Census begann, der dann in bestimmten Perioden erneuert
wurde. Die Provinz wurde zu diesem Zwecke in Bezirke ge-
theilt, die eine grössere , oder mehrere kleinere Gemeinden
umfassten, in denen kaiserliche Beamte den Census entweder
selbst abhielten, oder den von den städtischen Behörden abge-
haltenen Census controlirten. Der Census der ganzen Provinz
wurde von einem Provinzialcensor geleitet, mitunter dem Statt-
halter der Provinz selbst, meist alter von einem besonderen
Beamten2). Die Aufnahmen betrafen, ebenso wie bei dem rö-
mischen Census, die Bevölkerung und das Vermögen, und er-
streckten sich ohne Unterschied auf römische Bürgergemeinden
wie auf Gemeinden latinischen und peregrinischen Rechts. Aber
im einzelnen herrschten für jede Provinz besondere Normen,
und es ist aus dem Provinzialceusus ein wirklicher Reichscensus,
wenigstens in der früheren Kaiser/ eit, nicht hervorgegangen3).
Die mit Rom im Bündniss stehenden souveränen Staaten und
die Colonien latinischen Rechts waren ursprünglich dem rö-
mischen Census nicht unterworfen, und hatten ihre eigenen Auf-
nahmen, die allerdings in der Hauptsache den römischen ent-
sprochen haben werden. Aber schon am Ende des hannibalischen
Krieges (204 v. Chr.) wurde in den 12 latinischen Colonien,
die wenige Jahre vorher ihre Contingente verweigert hatten,
der Census nach der Formel und unter der Controle der rö-
mischen Censoren eingeführt4). Es scheint, dass diese Maass-
>) Cic. Verr. II 55, 137; 56, 139.
2) Vergl. Mommsen, Staatsrecht II2 408 — 10; Marquardt, Staatsver-
waltung II2 214 ff.
3) Mommsen, Staatsrecht 11 2 412.
4) Livius 29, 37.
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312
Capitel VIII.
regel im Laufe des folgenden Jahrhunderts auch auf die übrigen
latiuischen Colonien, vielleicht auf alle italischen Bundesstädte
übertragen worden ist1). Jedenfalls haben die Latiner der
Kaiserzeit dem Provinzialcensus unterstanden, und dieser ist
sehr bald auch auf die foederirten Staaten in den Provinzen
ausgedehnt worden2).
2. Die Bedeutung der Censuszahlen. ,
Von keinem römischen Census sind uns die Resultate im
Detail überliefert. Nur einmal wird die Hauptsumme nach
Fussvolk und Reitern specificirt; ein anderes Mal erhalten wir
eine Angabe über die Bürgerzahl einer Praefectur; in allen
übrigen Fällen ist uns nichts als die Hauptsumme des Census
erhalten.
Die stehende Formel, mit der die Censuszahlen in unserer
Ueberlieferung angeführt werden, ist censa sunt avium capita
tot. Einmal, bei dem Census von 465 v. Chr., findet sich da-
bei der Zusatz praeter orbos orbasque 8); ein anderes Mal, bei
dem Census von 131/0, der Zusatz praeter pupillos pupillas et
viduas *). Es fragt sich nun, was haben wir unter civium capita
zu verstehen?
Dass zunächst unsere Censuszahlen, in republikanischer
Zeit wenigstens, die Frauen und Kinder ausschliessen, beweisen
die Zusätze praeter orbos orbasque, praeter pupillos pupillas et
viduas ; denn wenn die Wittwen und Waisen nicht inbegriffen
sind, so können es auch die verheiratheten Frauen und die in
väterlicher Gewalt stehenden Töchter und unerwachsenen Söhne
nicht sein. Der Grund, warum die Wittwen und Waisen aus-
drücklich aufgeführt werden, ist nur der, dass sie eine eigene
Kategorie in der Censusliste bildeten; es sollte jeder Zweifel
') Mommsen, Staatsrecht II a S. 851.
*) Vergl. z. B. den Wilm. 2246 d. c. erwähnten censor civitatis Re-
morum foederatae.
*) Liv. UI 3.
4) Liv. Epit. 39 und Mommsen, Staatsrecht II a S. 853 A. 1.
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Der römische Census.
313
beseitigt werden, ob die Hauptsumme auch diese Kategorie mit
umfasste. Uebrigens ergiebt sich schon aus der Kleinheit der
Censuszahlen, verglichen mit den militärischen Leistungen Roms,
dass die Frauen und Kinder ausgeschlossen sind. Die Census-
zahlen beziehen sich also nur auf die erwachsenen Männer ; und
da sie einfach auf civium capita lauten, ohne jede Beschränkung,
so scheint der Schluss unabweisbar, dass sie die erwachsenen
Bürger männlichen Geschlechts sämmtlich umfassen.
Unsere Ueberlieferung steht denn auch mit diesem Er-
gebniss in bestem Einklang. Fabius Pictor, der für seine
griechischen Leser die Bedeutung der Censuszahlen erklären
musste, bemerkt bei dem Bericht über den ersten Census aus-
drücklich, dass die angegebene Summe die waffenfähigen Bürger
(qui amia ferre possent , wie Livius übersetzt) umfasse1). Und
ebenso setzt er bei der Aufzählung der römischen Streitkräfte
im Jahre 225 die Zahl der waffenfähigen Bürger (dnäpevot
on'ka ßaaxaleiv) der Censuszahl gleich*). Die jüngeren An-
nalisten haben die Censussummen ebenso aufgefasst, wie aus
Dionysios von Halikarnassos hervorgeht, der civium capita mit
aQiitpog tojv tyonuv t r oiQaievoipov rjkty.iav ®) oder agt^pog
ziüv ev rißrj'Pwpaiwv*) wiedergiebt. Die Gesammtbevölkerung,
einschliesslich der Frauen, Kinder, Sklaven und ansässigen
Fremden sei viermal so gross gewesen8). Wehrpflichtig aber
war der römische Bürger bis zum 60. Jahre, wehrfähig in ge-
setzlichem Sinne auch später; und da die Büiger von über
60 Jahren jedenfalls in den centuriae seniorum verzeichnet
standen, so ist nicht abzuseheu, wie sie in den Censussummen
nicht einbegriffen sein sollten. Numerisch kommen sie ohne-
hin kaum in Betracht.
Auch statistisch ist diese Auffassung der Censuszahlen die
einzig haltbare. Im Jahre 339 wurden auf den etwa 6000 qkm,
welche das römische Gebiet damals umfasste, 165000 civium
') Fr. 10 Peter bei Liv. I 44.
*) Polyb. I 24, näheres unten.
*) Dionys. XI 63.
*) Dionys. V 20. 75, VI 63, IX 25.
B) Dionys. IX 25.
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314
Capitel VIII.
capita gezählt, entsprechend einer freien Gesammtbevölkerung von
1/a Million, oder einer Volksdichtigkeit von 80 auf 1 qkm, wobei
die Sklaven noch nicht einmal mitgerechnet sind. Das ist an-
nähernd dieselbe Dichtigkeit der Bevölkerung wie in Attika,
das damals von allen griechischen Landschaften die dichteste
Bevölkerung hatte. Doch es mag sein, dass das überlieferte
Ergebniss dieses Census gefälscht ist. Nehmen wir also die
zweifellos authentische Censuszahl für 234 3 : 270 713. Sind
darunter alle erwachsenen Bürger zu verstehen, so ergiebt sich
eine bürgerliche Bevölkerung von 800000, und einschliesslich
der Fremden und Sklaven eine Gesammtbevölkerung von kaum
unter einer Million, auf gegen 25 000 qkm, also dieselbe Volks-
dichtigkeit wie im Peloponnes oder in Sicilien, 40 auf 1 qkm.
Es wäre jedenfalls eine höchst unwahrscheinliche Annahme,
dass das damals noch halb barbarische Mittelitalien eine dichtere
Bevölkerung gehabt haben sollte, als diese alten Culturländer ;
und doch wäre das die nothwendige Consequenz jeder Annahme,
die in den civium capita unserer Ueberliefening nur einen
Theil der römischen Bürger sieht. Wir sehen, die civium capita
sind in der That das, wofür sie sich geben: die Summe aller
erwachsenen römischen Bürger männlichen Geschlechts.
Trotzdem hat die neuere Forschung bei diesem Ergebniss
sich nicht beruhigen wollen, und mit Hintansetzung der Ueber-
lieferung eine Reihe von Hypothesen aufgestellt, wonach unter
civium capita nur gewisse Kategorien der erwachsenen Bürger
männlichen Geschlechts zu verstehen wären. Der hauptsäch-
liche Grund dafür liegt olfenbar in den über die Höhe der Be-
völkerung des antiken Italien herrschenden Vorurtheilen. So hat
der Census von 70/69, als ganz Italien südlich des Padus das
römische Bürgerrecht hatte, 910000 civium capita ergeben; ist
es denn denkbar, dass die freie Bevölkerung der Halbinsel sich
damals auf wenig über 2x/s Millionen Seelen belaufen hat? Eine
Stütze fand diese Ansicht ausserdem in den Ergebnissen des
Census der Kaiserzeit. Unter Octavian sind im Jahre 28 v. Chr.
4 063 000 civium capita gezählt worden ; fassen wir dieselben als
erwachsene Bürger männlichen Geschlechts, so ist klar, dass
Italien im Jahre 70/69 eine bürgerliche Bevölkerung von weit
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Der römische Census.
315
über 21/* Millionen gehabt haben muss. Der Ausdruck civiutn
capita im republikanischen Census könnte sieh also nicht auf
die Gesammtheit aller erwachsenen Männer beziehen1).
Abgesehen von der Frage, ob die Censussummen auch die
Bürger ohne Stimmrecht umfassen, sind hier drei Annahmen
möglich, die sämmtlich ihre Vertreter gefunden haben. Ent-
weder hätten wir unter civium capita nur die in eigener Gewalt
stehenden Bürger zu verstehen, sodass die erwachsenen Haus-
söhne ausgeschlossen wären. Das war die Ansicht Hildebrands2),
Zumpts3), und früher auch Mommsens4). Oder der Ausdruck
civium capita bezieht sich nur auf die [zum activen Kriegsdienst
fähigen Bürger, die iuniores. Das ist Mommsens jetzige An-
sicht5). Oder endlich, civium capita begreift zwar die Bürger
aller Altersklassen, aber nur diejenigen, deren Stand und Ver-
mögen zum Dienst in den Legionen qualificirt, also ausschliess-
lich der Freigelassenen und Proletarier. Das list die Ansicht
Herzogs6). Es wird noth wendig sein, diese drei Hypothesen
auf ihre Berechtigung hin zu untersuchen.
Die erste Annahme geht von der Voraussetzung aus, dass
die Censusliste zuerst und hauptsächlich eine Steuerliste gewesen
ist. Sie stützt sich ferner auf die Thatsache, dass die Declara-
tionen vor dem Censor nur von den Familienhäuptem gemacht
wurden, während die Haussöhne, die ja kein selbständiges Ver-
mögen hatten, durch den Vater oder Grossvater vertreten wurden.
Die Censoren hätten in jeder Tribusliste den einzelnen Declara-
tionen eine Ordnungsziffer vorgesetzt, und aus diesen Tribus-
summen die Hauptsumme gezogen. Endlich erkläre sich nur
*) Diese Gründe haben auch mich früher zu der Ansicht bestimmt,
die seniores und die Proletarier wären in unseren Censuszahlen nicht ein-
begriffen. Die nachstehende Untersuchung hat mich selbst von der Un-
richtigkeit dieser, Annahme überzeugt und wird hoffentlich bei anderen
dieselbe Wirkung haben.
*) Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik VI (1866) S. 81 — 96.
s) Bevölkerung und Volksvermehrung im Alterthum, Ahh. der Berl.
Akademie 1840.
*) Staatsrecht II1 S. 371.
B) Staatsrecht II2 S 400 A. 2.
6) Commentationes in honorem Mommseni S. 124 — 142.
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Capitel VIII.
so der Zusatz praeter orbos orbasque\ denn der Gegensatz zu
den „Knaben und Frauen“, d. h. den das aes equestre zahlenden
Personen, seien die dem tributum unterworfenen Personen, nicht
die Wehrfähigen. — Bei dieser Auffassung der Censuszahlen
müssten wir annehmen, dass die Censoren neben der Steuer-
liste noch eine besondere Aushebungsliste entworfen hätten,
wofür jeder Anhalt in unserer Ueberlieferung fehlt; denn die
tabulae iuniorum. , die einmal bei Livius l) erwähnt werden, sind
nichts weiter als ein Theil der Hauptliste selbst, nämlich die
Bürgerverzeichnisse der Halbtribus der iuniores. Weiterhin
ist die Hauptsumme des Census zusammengesetzt aus den
Theilsummen nicht der 35 Tribus, sondern der 70 Halbtribus;
und es liegt in der Natur der Sache, dass die erwachsenen
Haussöhne der Mehrzahl nach zu den iuniores gehören mussten,
wie ihre Väter zu den seniores. Die Vertheilung der Bürger-
schaft unter die Halbtribus der iuniores und seniores hat also
zur Voraussetzung, dass die Haussöhne neben ihren Vätern
gesondert aufgeführt waren. Darauf führt auch der Name
duicensus, den die römische Amtssprache für einen Bürger an-
wandte, der mit seinem erwachsenen Sohne censirt wurde;
d. h. seine Declaration wurde bei der Zusammenstellung der
Bürgerliste doppelt gezählt *). Der Zusatz praeter orbos orbas-
que endlich findet seine Erklärung, mochte die Censusliste wie
immer angeordnet sein (s. oben S. 309. 312).
Also wenn auch gar nichts über die Bedeutung der Census-
zahlen überliefert wäre, so würden wir doch gezwungen sein,
die Annahme zu verwerfen, dass diese Zahlen sich nur auf die
Bürger mit selbständigem Vermögen beziehen. Nun haben wir
aber das ausdrückliche Zeugniss des Fabius und Dionysios,
wonach die Censuszahlen alle wehrfähigen Bürger umfassen,
also die erwachsenen Haussöhne einschliessen. Ja Dionysios,
von dem Census von 474 sprechend, sagt uns das letztere so-
») Liv. 24, 18.
®) Festus S. 66: duicensus dicebatur cum altero, id est cum filio,
census. Es ist klar, dass hier nur von erwachsenen Söhnen die Rede sein
kann, denn sonst wären die meisten römischen Bürger duicensi gewesen.
Der römische Census.
317
gar mit klaren Worten: «tat r/sav oi tip^adpevoi noXitai ayag
te aicovg x ai tu y^r^iata y.ai toig sv rjßij naldag oXiyip
nXeiovg tQia%iXiiov te xal dt/.u pvqiädtov (IX 36).
Die zweite der oben angeführten Annahmen, wonach die
Censussummen auf die iuniores zu beziehen wären, setzt sich
allerdings mit der Ueberlieferung nicht in so offenbaren Wider-
spruch. Da der active Kriegsdienst, in historischer Zeit
wenigstens, auf die Bürger unter 46 Jahren beschränkt war,
so wäre es immerhin denkbar, dass Fabius mit seinen „Wehr-
fähigen“ nur diese Klasse gemeint hätte. Dionysios freilich,
oder vielmehr der römische Annalist, dem er folgt, ist anderer
Ansicht gewesen, da er die Gesammtbevölkemng, einschliesslich
der Fremden und Sklaven, auf das Vierfache der civinm capita
anschlägt, während die iuniores nur etwa 1/s und zwar der
bürgerlichen Bevölkerung ausmachen würden. Und solange
überhaupt in Italien Krieg geführt wurde, hatte auch die Wehr-
pflicht der seniores praktische Wichtigkeit, wenn auch nur für
die Verteidigung fester Plätze. Die Censuszahlen aus der Zeit
von 247 — 131 aber bilden eine geschlossene Reihe, deren ein-
zelne Glieder so gut an einander passen, dass jede Möglichkeit
wegfällt, die Bedeutung von avium capita habe sich in dieser
Periode verändert. Wenn ferner beim Ausbruch des hanni-
balisehen Krieges mehr als 270000 iuniores vorhanden waren,
so ist die Schwierigkeit nicht zu begreifen, für die bei Cannae
vernichteten Truppen Ersatz zu schaffen. Denn die Verluste
der drei ersten Kriegsjahre werden mit 40000 Bürgern reich-
lich berechnet sein1); andere 25000 mochte der Abfall von
Capua kosten, sodass immer noch über 200000 iuniores zur
Verfügung gestanden hätten. Die Normalstärke der 18 Bürger-
legionen, die im Jahre 214 aufgestellt wurden, betrug etwa
80000 Mann, doch waren dieselben bei weitem nicht vollzählig;
trotzdem hören wir, dass damals sämmtliche überhaupt dienst-
fähige iuniores unter Waffen gerufen winden2). Es ist also
klar, dass die Zahl der am Anfang des Krieges vorhandenen
iuniores bei weitem nicht 270000 erreicht haben kann, mit
') Vergl. Appian Hannib. 25.
8) Liv. 24, 18. Vergl. Liv. 25, 5 von der Aushebung des Jahres 212.
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318
Capitel VIU.
anderen Worten, dass die Censuszahlen aus dieser Zeit auch
die seniores mituinfassen. Uebrigens wäre es auch ganz un-
verständlich, wie eine Zahl, die sich nur auf die iuniores be-
zieht, als civium capita bezeichnet werden könnte. Es müsste
dann iuniormi nutnerus oder ähnlich heissen.
Noch weniger zu verstehen wäre es, wie die Angabe: censa
sunt civium capita tot die capite censi ausschliessen könnte;
und die Freigelassenen waren bezüglich ihrer Dienstpflicht den
capite censi völlig gleichgestellt, mussten also in einer Liste
der dienstpflichtigen Bürger ganz ebenso wie diese behandelt
werden. Man hat dagegen geltend gemacht, dass die Census-
zahl von 130 bis 124 um 75000 Köpfe gestiegen sei, was nur
eine Folge des sempronischen Ackergesetzes sein könne1). Wäre
das richtig, dann könnten allerdings die Proletarier in den
Censussummen nicht einbegriffen sein; woher sonst der Zu-
wachs? Indess unsere Ueberlieferung begünstigt diese Auf-
fassung keineswegs. Wir hören vielmehr, dass die Agrarreform
bald nach dem Tode des Tiberius Gracchus ins Stocken kam,
sodass Gaius im Jahre 123 das Ackergesetz seines Bruders er-
neuern musste. Unter diesen Umständen ist es sehr unwahr-
scheinlich, dass die lex Sempronia wirklich einen so durch-
greifenden Erfolg gehabt haben sollte, wie die Schaffung von
75 000 neuen Bauernstellen 2). Die Erklärung dieses plötzlichen
Steigens wird also auf anderem Wege zu suchen sein8).
Es bleiben die sog. cives sine suffragio. Wer die Ceusus-
zahlen für 339 bis 275 für authentisch hält, wird ohne w eiteres
zugeben müssen, dass die Bürger ohne Stimmrecht hier ein-
geschlossen sind; die Höhe dieser Zahlen im Verhältniss zur
Ausdehnung des römischen Gebiets in dieser Zeit wäre sonst
ganz unerklärlich. Und für die Zeit des hanuibalischeu Krieges
sagt Fabius Pictor ausdrücklich, dass die Censuszahlen Römer
und Campaner umfassen4); es bedarf keiner Bemerkung, dass,
') Mommsen, R. G. II 5 S. 100; Herzog, Staatsverfassung I S. 459.
*) Ihne, Rinn. Gesell. V S. 55; Lange, R. Alterthümer IUS S. 27 f.
*) Näheres weiter unten.
*) Bei Polyb. II 24, 14: 'PotftaCtov xal Kafinavärv ij nkrjSvs ne-
{(Sv fiiv eis etxoai xal n(rte xaTtii/Orjaetv fivginiStts, titnCtov <f( Int
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Der römische Census.
319
wenn die bedeutendste Halbbürgergemeinde in der Censuszahl
eingeschlossen ist, auch die anderen Städte derselben Kategorie
es sein mussten. Auch sind die aus dieser Zeit überlieferten
Btlrgerzalilen gegenüber der Gesamintbevölkerung Italiens so
hoch, dass wir selbst ohne das Zeugniss des Fabius kaum um-
hin können würden, sie auf Voll- wie Halbbürger zusammen
zu beziehen. Und da die Passivbürger ebenso wie die Voll-
bürger tributmn gezahlt und in den Legionen gedient haben,
so ist auch gar nicht abzusehen, wie sie unter den avium capita
nicht begriffen sein sollten, mögen diese nun auf die steuer-
pflichtigen oder auf die wehrpflichtigen Bürger zu beziehen sein.
Die Detailuntersuchung hat uns also bestätigt, dass wir
unter civnrn capita wirklich die Gesammtheit aller erwachsenen
römischen Bürger männlichen Geschlechts zu verstehen haben,
ohne Unterschied des Standes oder Vermögens. Wenigstens in
republikanischer Zeit. Ob es sich in der Kaiserzeit ebenso ver-
halten hat, soll unten erwogen werden.
3. Das römische Bürgergebiet.
Ehe wir uns nun zur Betrachtung der überlieferten Census-
zahlen wenden, wird es nöthig sein, uns Rechenschaft zu geben
von der Ausdehnung des Gebietes, worauf sich diese Zahlen
beziehen. Nur so werden wir ein wirkliches Verständniss der-
selben gewinnen, und zugleich erhalten wir damit ein wichtiges
Hülfsmittel zur Kritik der Zahlen selbst. Die Unfruchtbarkeit
so mancher bisherigen Untersuchung über den römischen Census
ist zumeist darauf zurückzuführen, dass man es versäumt hat,
zuerst diese unentbehrliche Grundlage zu schaffen.
Wie bekannt, umfasste das unmittelbar römische Gebiet
bis auf den Socialkrieg nur einen verhältnissmässig kleinen
Theil Italiens. Den Flächeninhalt dieses Gebietes in den ver-
schiedenen Perioden der älteren römischen Geschichte habe
ich an anderer Stelle annähernd zu bestimmen versucht1).
Tttti (fi io /uvQidoiv tnfjaav in tqiis /iXiaiSe;. Zusammen also 278000.
Der Census von 234/3 hatte 270 718 civium capita ergeben. Näheres
unten § 4.
') Ital. Bund (Leipzig 1880) S. 69 — 74.
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320
Capitel VIII.
Es ergaben sich folgende Zahlen:
qkm
am Ende der Königsherrechaft 983
vor dem Latinerkrieg, 340 v. Chr. 3096
vor dem zweiten Samniterkrieg, 328 6039
vor der Schlacht bei Sentinum, 296 7688
nach der Einigung Italiens, 264 27000
nach dem kannibalischen Kriege, 200 37000
nach der Unterwerfung des diesseitigen Galliens bis zum
Socialkrieg 55000
nach dem Socialkrieg bis auf Caesar 160000
Dass diese Werthe auf absolute Richtigkeit keinen Anspruch
erheben können, liegt in der Natur der Sache. Einmal ist es
bei vielen italischen Städten zweifelhaft, ob sie schon vor der
lex lulia römisches Bürgerrecht besessen haben. Weiterhin
lässt sich die Begrenzung der einzelnen Stadtgebiete in der
Regel nur annähernd feststellen. Endlich war ich gezwungen,
meiner Berechnung die sehr ungenauen officiellen Angaben über
den Flächenraum der Bezirke und Gemeinden des Königreichs
zu Grunde zu legen, da eine zuverlässige Arealbestimmung für
Italien damals noch nicht vorhanden war. Inzwischen ist der
Flächeninhalt des Königreiches durch das italienische militär-
geographische Institut planimetrisch berechnet worden. Indess
wäre es verfrüht, daraufhin schon heute eine neue Arealbe-
stimmung des römischen Gebietes vornehmen zu wollen; die
Zeit dafür wird erst da sein, wenn einmal alle Italien betref-
fenden Bände des grossen Inschriftenwerkes vollendet vorliegen
werden. Für jetzt habe ich mich darauf beschränkt, zur Con-
trole der früher erhaltenen Zahlen eine ungefähre Schätzung
der Ausdehnung des römischen Gebietes bei Beginn des hanni-
balischen Krieges vorzunehmen, mit Zugrundelegung der Re-
sultate des militärgeographischen Institutes. Danach umfassen
qkm
das römische Gebiet in Latium und Süd-Etrurien .... 7800
das römische Gebiet in Campanien südlich von Tarracina . 3900
der Ager Sabinus mit Fulginia 5000
der Ager Praetuttianus 1000
der Ager Picenus 2400
der Ager Gallicus 2600
22700
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Der römische Census.
321
Das Minus von 4300 qkm gegenüber meiner früheren Berech-
nung erklärt sich zum Theil daraus, dass die officiellen Areal -
zahlen, worauf diese beruhte, bedeutend zu hoch sind; zum
Theil und hauptsächlich aus dem Umstande, dass einige Städte,
die ich früher ohne genügenden Grund dem römischen Gebiete
zugerechnet hatte, wie Tarquinii, Volci, Asisium, Hispellum,
die Insel Ischia, jetzt davon ausgeschlossen sind. Der Domänen-
besitz in Süditalien, wie der Ager Taurasinus in Samnium, der
Silawald in Brettien ist jetzt sowenig wie früher berücksichtigt,
da römische Bttrgergemeinden, soviel wir sehen, in dieser Zeit
dort noch nicht bestanden haben.
Seitdem Caesar den Transpadanera die Civität verliehen
hatte, reichte das römische Bürgergebiet bis an den Fuss der
Alpen. Die Alpenvölker selbst blieben noch unabhängig; nach
ihrer Unterwerfung durch Augustus haben sie latinisches Recht
erhalten und sind erst allmählich im Laufe der Kaiserzeit —
die Anauner im Gebiet von Tridentum z. B. durch Claudius
im Jahre 46 — zur Civität gelangt. Der Flächeninhalt dieser
Alpengebiete mag zu etwa 20—25000 qkm veranschlagt werden;
und da ganz Italien in den von Augustus festgestellten Grenzen
nach den neuesten planimetrischen Berechnungen 250000 qkm
umfasst, so wird die Ausdehnung des römischen Btirgergebietes
in Italien in der ersten Kaiserzeit zu etwa 225 — 230000 qkm
anzunehmen sein.
Ausserhalb Italiens gab es bis auf Caesar nur sehr wenige
Bürgergemeinden. In Spanien ist Tarraco von Cn. und P. Scipio
in den ersten Jahren des hannibalischen Krieges angelegt
worden1); Italica von P. Africanus 205 2), Metellinum höchst
wahrscheinlich von Q. Metellus Pius nach dem Siege über Ser-
torius8); auch Corduba, Valentia, Hasta, Salaria4), Palma,
') Plin. III 21: colonia Tarraco, Scipwnum opus, sicut Carthago
Poenorum. Dass Tarraco wahrscheinlich als conciliabuhim civium jRoma-
norum gegründet ist, nicht als Colonie, thut hier nichts zur Sache.
*) App. Hisp. 88; Mommsen, CIL. I 546.
*) Hübner, CIL. II S. 73; Berl. Monatsberichte 1861 S. 405.
4) Hübner, Hermes I S. 101 und im Corpus unter den einzelnen
Städten.
Bel och, Bevölkerongslehre. I. 21
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322
Capitel VIII.
Pollentia1) scheinen schon vor Caesar Bürgerrecht besessen zu
haben. In Gallien bestand seit 118 v. Chr. die Bürgercolonie
Narbo Martius2). Auf Corsica hat Marius die Colonie Mariana,
Sulla die Colonie Aleria gegründet8). In Illyrien finden wir
bereits vor Caesar die Bürgergemeinden Salonae4) und Narona5),
wozu während Caesars zehnjähriger Verwaltung der Provinz
(58— 49) Lissus6) gekommen ist. Im wesentlichen aber ist das
römische Bürgergebiet bis auf die Mitte des I. Jahrhunderts vor
unserer Zeitrechnung auf Italien beschränkt geblieben.
Erst Caesar und sein Erbe Octavian haben angefangen,
das römische Bürgerrecht systematisch über die Provinzen aus-
zubreiten, sei es durch Gründung von Colonien, sei es durch
Verleihung der Civität an ganze Gemeinden. Unter Tiberius
und Gaius ist diese Bewegung ins Stocken gerathen, um dann
von Claudius und später von Vespasian wieder aufgenommen
zu werden. Unsere bei weitem wichtigste Quelle zur Erkeunt-
niss dieser Entwickelung ist die Universal -Encyclopädie des
Plinius.
Plinius hat, wie bekannt, seine Angaben über die politischen
Verhältnisse des römischen Reiches einem Staatshandbuche ent-
nommen, das ohne Zweifel nach officiellen Materialien gearbeitet
war. Dieses Staatshandbuch — missbräuchlich „Statistik“ ge-
nannt — soll nun nach der gewöhnlichen Annahme unter
Augustus, und auf Veranlassung des Kaisers selbst zusammen-
gestellt sein, und demgemäss die Zustände der augusteischen Zeit
darstellen7). Und allerdings hat Plinius seiner Beschreibung
Italiens eine Schrift des Augustus zu Grunde gelegt8). Aber
') Hübner, CIL. II S. 494. 496; Kubitsclieck, De trib. Rom. orig. S. 186.
*) Vellerns I 15; Eutrop. IV 23; Cic. Brut. 43, 160.
*) Plin. HI 80; Sen. ad Heb. VII 9.
*) Caesar, Bürgerkr. HI 9; Hirtius, Alex. Kr. 43; Momrasen, CIL.
III S. 304.
8) Mommsen, CIL. IH S. 291.
*) Caesar, Bürgerkr. III 29.
b Zumpt, Comm. Epigr. I S. 197 ff.; Detlefsen, Comment. Momms.
S. 31 f.
8) Plin. IH 46: qua in re praefari necessarium est auctorem nos
Divum Augustum secuturos, discriptionemque ab eo factam Italiae totius
in regiones XI.
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Der römische Census.
323
eben der Umstand, dass Plinius es für nöthig hält, hier seine
Quelle ausdrücklich hervorzuheben, macht es sehr unwahrschein-
lich, dass die Provinzialbeschreibungen aus derselben Quelle
geflossen sind. Und es fehlt auch nicht an directen Beweisen.
So führte die discriptio Italiae des Augustus nur die Städte als
Colonien auf, die von dem Kaiser selbst, sei es als Triumvir,
sei es als Alleinherrscher begründet waren1); die Provinzial-
beschreibungen bei Plinius dagegen nennen sämmtliche Bürger-
colonien ohne Unterschied, mögen sie nun vor Augustus, von
Augustus selbst oder nach Augustus gegründet sein. Feiner,
und das ist der wichtigste Punkt, war die Begrenzung Italiens
nach der discriptio des Divus Augustus eine andere, als nach
der Provinzialbeschreibung. Plinius zählt nämlich in der X. Re-
gion Italiens eine Reihe von Gemeinden auf, die dann unter
niyricum noch einmal aufgeführt werden. Es sind die Ahitrenses
(= Alutae ), Flanonienses (= Flanates), Varvari (== Varvarint),
Asseriaies, Foretani (= Fertinates ?), Flanonienses Cttrici (— Our-
rictae)2). Nicht nur diese doppelte Aufzählung, sondern eben-
sosehr die verschiedenen Namensformen für dieselben Gemeinden
sind Beweis, dass Plinius an jeder dieser beiden Stellen ver-
schiedenen Quellen gefolgt ist. Mit anderen Worten, die di-
scriptio Italiae des Augustus war keineswegs ein Theil des
Staatshandbuches, dem Plinius die Beschreibung der Provinzen
entnommen hat.
Ueber die Abfassungszeit jener Schrift des Augustus über
Italien wissen wir nur soviel, dass sie nach dem aktischen
Kriege nicht nur, sondern auch nach dem Jahre 25 v. Chr.
fallen muss ; denn Augusta Praetoria Salassorum, das in diesem
Jahre gegründet ist, wird bereits darin aufgeführt 8). Das Staats-
handbuch dagegen, dem Plinius in der Beschreibung der Pro-
l) S. darüber meinen Ital. Bund S. 5.
*) Plin. HI 180. 139 f. ; Kubitscheck, De tribuum Rom. orig, et propag.
S. 81 ff.
*) Wenn Nissen, Ital Landeskunde I S. 81, mit Berufung auf Strab.
VII S. 814 die Regioneneintheilung Italiens im Jahre 18 oder 14 n. Chr.
erfolgen lässt, so legt er in diese Stelle einen Sinn, den sie keineswegs
mit Nothwendigkeit haben muss.
21*
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I
324 Capitel VIII.
vinzen gefolgt ist, muss später verfasst sein, denn jene Städte
am Golf von Quarnero, die Augustus zu Italien rechnete, werden
bei Ttoleinaeos ebenso unter Ulyricum aufgeführt, wie bei Plinius
in der Provinzialbeschreibung. Ferner kennt Plinius’ Quelle
bereits die beiden von Claudius eingerichteten Provinzen Maure-
tania Tingitana und Caesariensis und giebt genau deren Aus-
dehnung an1); endlich werden eine ganze Reihe claudischer
Colonien und Municipien aufgeführt, und zwar in den ver-
schiedensten Theilen des Reiches. Dass Plinius alle diese An-
gaben aus eigenen Mitteln hinzugefügt haben sollte, ist bei der
sonstigen Art seiner Quellenbenutzung sehr unwahrscheinlich.
Und noch weniger ist ein Grund dafür abzusehen, weshalb, er
nach einem veralteten Staatshandbuche gearbeitet haben sollte.
Hatte sich unter Augustus das Bedürfhiss nach einem solchen
Werke herausgestellt, so war es in der Folgezeit noch weniger
zu entbehren ; und sollte das Buch nicht jede praktische Brauch-
barkeit verlieren, so musste es die tief eingreifenden , seit
Augustus eingetretenen politisch-administrativen Veränderungen
berücksichtigen.
Wenn demnach das von Plinius benutzte Staatshandbuch
nicht vor dem Jahre 50 n. Chr. verfasst sein kann — denn
die in diesem Jahre gegründete Colonie Agrippinensis ist bereits
aufgeführt — , so fällt es andererseits aller Wahrscheinlichkeit
nach früher als Vespasian. Plinius nennt allerdings eine kleine
Zahl flavischer Colonien, aber in einer Weise, die deutlich zeigt,
dass er sie in seiner Quelle nicht erwähnt fand2). Ebenso
hinkt die Angabe, dass Vespasian ganz Spanien die Latinität
verliehen habe, erst am Ende der Beschreibung der Halb-
insel nach8), während vorher die spanischen Gemeinden nach
den vor Vespasian bestehenden Rechtskategorien aufgeführt
') Plin. V 2. 17. 19. 21.
*) IV 110: ubi nunc Flartibbrica colonia ; IV 45: Develcon cum stagno,
quod nunc Deultum rocattir veteranorum ; IV 47: colonia Flatwjmlis, ubi
< inten Caela oppidum vocabatur; V 69: Caesarea ... nunc colonia Prima
Flavia a Vespasiano imperatore dedueta. — Aventicum (cd. Flaria Heine-
tiorum ) fehlt.
*) III 30
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Der römische Census.
325
werden. Das Staatshandbuch muss demnach in den letzten
Jahren des Claudius oder unter Nero verfasst, oder doch damals,
wenn ein älteres Original zu Grunde liegt, wie wir heute sagen
würden, neu aufgelegt sein.
Man wende nicht ein, dass Plinius die Provinz Britannien
und die dort unter Claudius gegründete Colonie Camolodunum
ganz übergeht. Denn Plinius giebt überhaupt nur die geo-
graphische Beschreibung der Insel, berührt aber mit keinem
Worte die ethnographischen und politischen Verhältnisse. Aehn-
lich ist die administrative Eintheilung der asiatischen Provinzen
nur sehr flüchtig behandelt ; es wäre verkehrt, daraus Schlüsse
auf die Abfassungszeit von Plinius’ Quelle ziehen zu wollen.
Doch betrachten wir jetzt der Reihe nach die Angaben
des Plinius über die einzelnen Provinzen1).
1) Sicilien. Die Provinz enthielt 5 Colonien und 63
andere Gemeinden ( urbes ac dvitaies ) ®). Die 5 Colonien werden
denn auch richtig aufgeführt, es sind
Tauromenium (III 88)
Catina (III 89)
Syracusae (III 89)
Thermae (III 90)
Tyndaris (III 90).
Andere Colonien lassen sich in Sicilien während der ersten
Kaiserzeit nicht nachweisen. Lilybaeuin, das auf Inschriften des
III. Jahrhunderts Colonia Augusta genannt wird, war unter
Augustus Municipium 8) ; und auch Panormus heisst erst im
HI. Jahrhundert Colonie 4). Dass Strabon die Stadt als römische
*) Marquardt (Köm. Staatsvenealtung I) ist leider für diese Frage sehr
ungenügend. Ich hake mich bemüht, so kur/ wie möglich zu sein, und
nur das für meinen Zweck unumgänglich nothwendige beizubringen. Das
reiche Thema in dem hier gegebenen Rahmen zu erschöpfen, "ist selbstver-
ständlich unmöglich.
a) III 88.
*) CIL. X 7223; Mommsen ebenda S. 742.
4) Dass Panormus in der Inschrift CIL. X 7279, aus 223 n. Chr., Col.
Aug. heisst, beweist für die Deduction durch Augustus so wenig, wie für
Lilybaeum die Inschrift CIL. X 7222, welche der Col. Aug. Lilybitana
erwähnt.
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326
Capitel VIII.
Ansiedlung bezeichnet1), fällt gegenüber dem Schweigen des
Plinius2) nicht ins Gewicht; Augustus kann Veteranen hier an-
gesiedelt haben, ohne die Stadt zur Colonie zu erheben.
Von den übrigen 63 sicilischen Städten bezeichnet Plinius
zwei, Messana und Lipara, als Bürgergemeinden ( oppida avium
Romanorum )3) ; drei als latinischen Rechts ( Latinae condicionis ):
Centuripa, Neaetum, Segesta; 46 Städte des Inneren werden,
als steuerpflichtig in alphabetischer Ordnung aufgeführt, während
bei den Küstenstädten in der Regel die Bezeichnung der poli-
tischen Stellung fehlt. Und auch der Katalog der siipendiarii 4)
ist mit grosser Nachlässigkeit redigirt. So haben Naxos, Zankle
und auch wohl Selinus und Eryx in der Kaiserzeit administrative
Selbständigkeit nicht mehr besessen 5) ; die Geloer von Phintias*)
werden zweimal aufgeführt, das eine Mal als Gelani , das andere
Mal als Phintimses. Aber wegen dieser Versehen dem Ver-
zeichnisse bei Plinius jeden Werth abzusprechen, sind wir
durchaus nicht berechtigt. Mommsen allerdings hat, gestützt
auf eine Stelle Diodors7), die Behauptung aufgestellt, ganz
Sicilien habe seit Caesars Tod das Bürgerrecht gehabt8). Wie
bedenklich eine solche Annahme ist, liegt auf der Hand. Denn
es ist ausser allem Zweifel, dass Plinius sein Gemeindever-
zeichniss Siciliens demselben Staatshandbuch entnommen hat,
auf das auch die Beschreibungen der übrigen Provinzen zurück-
gehen ; und dieses Staatshandbuch gehört, wie wir oben gesehen
haben, in die elaudisehe Zeit. Ferner aber ist eine Verleihung
der Civität an Sicilien durch Augustus auch an sich schon sehr
unwahrscheinlich. Denn Caesar hatte bei Lebzeiten den Sike-
lioten nur die Latinität verliehen ; erst Antonius gewährte ihnen
') Strab. VI S. 272: Ihivogpog dl xal 'Poipttluv f/n xaroixtav.
s) III 90: oppida Panhonnum, Soluus.
») III 88. 93.
«) in 91.
*) Mommsen, CIL. X S. 713.
») Schubring, Rh. Mus. XXVUI S. 75 f.
7) Diod. XIII 35 von der Gesetzgebung des Diokles: itoliai yoiv
tüv xa tu rrjv vijoov tiÖIhdV yjnoutna Sm(i.taav roi'g tovtov vöuoig,
Uf/Ql Sxov 7TttV1(S ol £lXlitti>TUl rij( 'Ptopaiwv 7U>i.lTt(«S
s) CIL. X S. 713.
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Der römische Census.
327
das Bürgerrecht, angeblich auf Grund von Caesars Testament,
eine Verleihung, die aber durch den Senat für ungültig erklärt
wurde. Und Octavian hatte später doch gewiss keine Veran-
lassung, die Provinz, welche die hauptsächlichste Stütze für
Sextus Pompeius gewesen war, für ihre feindliche Haltung noch
besonders zu belohnen. Dass er die Zustände, wie sie durch
Caesar geordnet waren, wiederherstellte oder bestehen liess,
ist begreiflich ; dass er darüber hinaus Sicilien begünstigt haben
sollte, wäre ganz unverständlich.
Indess die Lösung der Schwierigkeit ist sehr einfach.
Niemand wird annehmen wollen, dass Caesar bei der Verlei-
hung der Latinität an Sicilien der Insel auch gleichzeitig Steuer-
freiheit gegeben hat; er hat sich vielmehr darauf beschränkt,
den bisherigen Bodenzehnten in eine feste Abgabe zu ver-
wandeln. Es liegt also gar kein Grund vor, den von Plinius
als stipendiarii aufgeführten Gemeinden das latinische Recht
abzuspreehen. Wir haben nur hinter den Worten intus Latinae
coiulicionis einzuschieben, oder stillschweigend zu verstehen
immunes : intus Latinae condicionis ( immunes ) Centuripini,
Netini, Segestani] stipendiarii (ebenfalls Latinae condicionis)
Assorini, Aetnenses , Agyrini etc. Wenn wir uns erinnern, dass
Neaeton bis auf Caesar foederirte Stadt, Kenturipae und Segesta
steuerfrei gewesen waren, so verstehen wir ohne weiteres,
warum diese Gemeinden bei der Verleihung der Latinität eine
privilegirte Stellung erhielten. Auch war Kenturipae im Kriege
gegen Sex. Pompeius auf Octavians Seite getreten und hatte
dafür, wie ausdrücklich berichtet wird, nach dem Siege die
verdiente Belohnung erhalten1); Segesta aber hatte wegen der
Stammverwandtschaft mit Rom und dem iulischen Hause An-
spruch auf besonders rücksichtsvolle Behandlung. Die Worte
Diodors aber, es seien „alle Sikelioten des römischen Bürger-
rechtes gewürdigt worden“, können sich sehr wohl auf die Ver-
leihung des ins Latii beziehen, das ja in dieser Zeit thatsächlich
nichts anderes war, als ein niederer Grad der Civität2).
J) Strab. VI 8. 272.
8) Vergl. Josepos g. Apion II 4, wo die Iberer als römische Bürger
bezeichnet werden, obgleich Spanien damals mit Ausnahme verhältniss-
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828
Capitel VIII.
Wie schon bemerkt, werden bei Plinius nur zwei Städte
der Provinz als municipia civium Bomanorutn aufgeführt : Mes-
sana und Lipara. Die Inschriften der ersten Kaiserzeit nennen
noch eine Reihe anderer Municipien: Lilybaeum, Aluntium,
Halaesa, Gaulos, Melite; Henna heisst auf seinen Münzen
Muuicipium. Und es ist allerdings sehr leicht möglich, dass
Plinius bei der Küstenbeschreibung versäumt hat, die eine oder
andere Stadt, Lilybaeum z. B., als oppidum civium Romanorum
zu bezeichnen. Indessen nothwendig ist diese Annahme keines-
wegs, da die oben angeführten Städte auch latinische Muni-
cipien gewesen sein können, was wenigstens für Halaesa und
Henna, die von Plinius in dem alphabetischen Verzeichniss der
stipendiarii des Binnenlandes aufgeführt werden, die höchste
Wahrscheinlichkeit hat.
2) Sardinien. Auf Sardinien gab es nach Plinius’ Zeug-
niss nur eine Colonie, ad Turrem Libisonis 1). Auf Corsica
führt er zwei Colonien auf, Mariana und Aleria; wie wir aus
Seneca wissen, gab es in Claudius’ Zeit nur diese beiden8).
Bürgermunicipien scheinen auf Corsica überhaupt nicht bestan-
den zu haben ; auf Sardinien erwähnt Plinius mit Bestimmtheit
nur ein einziges, Carales, es wäre indess möglich, dass auch die
unmittelbar vorher aufgeführten Sulcitani , Valentini, Neapolitani,
Vitenses und die auf die Caralitani folgenden Norenses als Bür-
gergemeinden bezeichnet werden sollen8). Dazu kommt dann
vielleicht noch Uselis4).
3) Africa, vom Flusse Ampsaga bis zu den Altären der
Philaenen, hat nach Plinius 516 Gemeinden, darunter 6 Colo-
mässig weniger Städte latinisches Recht hatte, und dazu Monunsen, 2f. G.
V S. 62 Anm.
') III 85: colonia autem una quae vocatur ad turrem Libisonis.
*) Plin. III 80; Seneca ad Heb. VII 9.
a) III 85 : Sulcitani, Valentini, Neapolitani, Vitenses, Caralitani civium
1{. et Norenses.
*) Mommsen, CIL. X S. 810. Die Stadt heisst im II. Jahrhundert
Col. Julia Augusta Uselis (CIL. X 7845X und wird also von Caesar oder
Augustus als Municipium constituirt sein; ob als latinisches oder Bürger-
municipium, muss ungewiss bleiben.
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Der römische Census.
329
nien und 15 oppida civium Romanorum , die sänuntlich mit
Namen aufgeführt werden. Es sind die Colonien:
Carthago (V 24) Sicca (V 22)
Maxula (V 24) Thuburbi (V 29)
Cirta Sittianorum (V 22) Uthina (V 29)
und die Municipien:
Urica (V 24)
Tabraca (V 22)
Municipium Absuritanum (V 29, so auch die folgenden)
Mun. Abutucense Mun. Thubumicense
„ Aboriense „ Tbinidnunense
„ Canopicum „ Tibigense
n Chiniavense „ Ucitanum maius
„ Simittuense „ Ucitanum minus
„ Thunusidense „ Vagense.
4) Mauretaniae. Die Gesammtzahl der Colonien und
Municipien in Mauretanien giebt Plinius nicht. Aufgeführt werden
11 Colonien des Augustus:
Iulia Constantia Zulil (V 2) Rusguniae (V 20)
Iulia Campestris Babba (V 5) Rusazus (V 20)
Banasa Valentia (V 5) Saldae (V 21)
Cartenna (V 20) Igilgili (V 21)
Gunugu (V 20) Succbabar (V 21)
Tubusuctu (V 21)
und 4 des Claudius:
Traducta Iulia Tingi (V 2) Caesarea (V 20)
Lixos (V 2) Oppidum Novum (V 20);
ferner 2 Bürgermunicipien :
Portus Magnus (V 29) und
Rusuccurium, civitate honoratum a Claudio (V 20).
5) Hispaniae. Die Zahl der Bürgergemeinden in den
hispanischen Provinzen war nach Plinius folgende1):
') Ul 7. 20; IV 117. Die Zahlen nach den besten Handschriften;
s. die Varianten bei Detlefsen.
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Capitel VIII.
Baetica . . . .
.... 9 Col.
10 Munic.
Lusitania . . .
.... 5 „
1 ,
Tarraconensis .
.... 12 B
13 „
zus. [26 Col. 24 Munic.]
Dazu kouimeu weiter die Balearen mit den zwei Bürgermuni-
cipien Palma und Pollentia *), wodurch die Zahl der römischen
Städte in Spanien auf 52 steigt. Aufgeführt werden in Baetica
8 Colonien:
Patricia Corduba (111 10) Augusta Gemella Tucci (III 12)
Hispal Romulensis (III 11) Virtus Iulia Iptuci (III 12)
Ilasta Regia (III 11) Claritas Iulia Ucubi (III 12)
Augusta Firma Astigitana (III 12) Genua Urbanorum Urso (m 12).
Die 9. ist nicht sicher nachzuweisen. Dagegen werden die
5 Colonien in Lusitanien sämmtlich aufgeführt (IV 117):
Col. Augusta Emerita Col. Pacensis
Col. Metellinensis Col. Norbensis Caesarina
Col. Praesidium Iulium Scallabis.
Ebenso wie es scheint die 12 Colonien der Tarraconensis :
Carthago Nova (III 19)
Ilici PH 19)
Valentin (RI 20)
Tarraco GH 21)
Faventia Barcino (III 22)
Caesaraugusta (III 24)
Bilbilis 0n 24)*)
Celsa (III 24)
Gemella Accitana an 25)
Ldbisosa Foroaugustana (DI 25)
Salariensis (III 25)
Flaviobrica GV 110).
Weniger gut unterrichtet sind wir über die Municipien.
Zwar Lusitanien enthielt nur eine Gemeinde dieser Kategorie,
Olisippo (IV 117); und auch von den 13 Municipien der Tarra-
eonensis nennt Plinius 1 1 :
Saguntuin (III 20) Iluro an 22)
Baetulo (III 22) Blandae (III 22)
') III 77. Dass die Inseln bei der Uebersicht über die Gemeinden
der Tarraconensis nicht mitgerechnet sind, sagt Plinius selbst HI 25; es
folgt auch daraus, dass die Tarraconensis nach III 20 nur ein oppidum
foederatum zählte, nämlich die Tarracenses im Convent von Caesaraugusta
(m 24), während auf den Pithyusen noch Ebusus foederirt war (UI 76).
*) Detlefsen, Philol. 32 S. 616.
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Der römische Census.
331
Emporiae (III 22) Calagurris (UI 24)
Dertosa (UI 23) Ilerda HU 24)
Bisgargis (IU 23) Osca (in 24)
Turriaso (UI 24).
wozu als 12. nach dem Zeugniss der Inschriften noch Clunia
kommt. Das 13. muss unbestimmt bleiben. Dagegen nennt
Plinius von den 10 Municipien in Baetica nur 2,
Regina (III 15) und
Iulia Gaditana Augustanorum (UI 119).
wozu dann Italica und wahrscheinlich Asido Caesarina hinzu-
zufUgen sind.
6) Narbonensis. Plinius führt folgende Bürgercolonien
auf:
Narbo Martius decumanorum (UI 32)
Pacensis Classica Forum Iuli octava-
norum (III 35)
Arelate sextanorum (iil 36)
Baeterrae septimanorum (III 86)
Arausio secundanorum (IU 86)
Valentia (UI 36)
Vienna (UI 36).
Dazu kommt nach dem Zeugniss ihrer zwischen 27 und 23 v. Chr.
geprägten Münzen die Colonie Rusc(ino) Leg. VI1), die wahr-
scheinlich nur durch ein Textverderbniss bei Plinius unter den
Colonien fehlt ; es wird statt Ruscino Latinorum (III 32) Rus-
cino sextanorum zu lesen sein. — Dagegen liegt nicht der
geringste Grund vor, die von Plinius als latinische Städte be-
zeichneten Carcaso und Aquae Sextiae 8) als augusteische Colonien
in Anspruch zu nehmen. Allerdings heissen sie auf späteren
Inschriften3) Col. Iulia Carcaso und Col. Iulia Aug. Aquis
Sextis, aber sie können diese Beinamen bei ihrer Constituirung,
beziehungsweise Reorganisation als latinische Gemeinden durch
Caesar oder Augustus empfangen haben. — Bürgermunicipien
hat es in der Narbonensis, soviel wir sehen, in dieser Zeit
überhaupt nicht gegeben.
') De la Saussaye, Numistnatique de la Gaule Narbonnaise S. 193
pl. 28.
’) III 36. Vergl. Mommsen, Rom. Gesch. V 79.
*) Herzog, Gallia Narbonensis Nr. 266 und 356.
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332 Capitel VIII.
7) Tres Galliae. Plinius führt 4 Colonieu auf:
Lugdunura (IV 107) Kaurica (IV 106)
Equestris (IV 106) Agrippinensis (TV 106).
Auch Augusta Treviroram muss in der Zeit zwischen Augustus’
Tode und 70 v. Chr. Colonie geworden sein, das Jahr ist nicht
zu bestimmen *). Doch haben Augusta Trevirorum und Claudia
Ara Agrippinensis vielleicht latinisches Recht gehabt2). —
Bürgenuunicipien hat es in den Tres Galliae zu der Zeit, die
uns hier interessirt, so wenig gegeben wie in der Narbonensis.
8) Britannia. Plinius giebt uns, wie schon bemerkt,
nur die geographische Beschreibung der Insel, ohne jede An-
deutung über die Organisation der Provinz. Aus Tacitus wissen
wir, dass Claudius im Jahre 50 die Veteranencolonie Camolo-
dunum hier anlegte8); bei Gelegenheit des Aufstandes von 68
wird das Munieipiuiu Verulamiuin erwähnt4).
9) Die Donau provinzen. Römische Bürgergemeinden
bestanden im I. Jahrhundert der Kaiserzeit fast nur an der
dalmatischen Küste. Plinius führt hier 4 Colonien auf:
Iader (III 140) Narona (III 142)
Salonae (III 141) Epidaurum (III 144);
ausserdem noch
Siculi in quem locum IHvus Claudius veteranos misit (III 141),
was demnach keine Colonie gewesen zu sein scheint. Inschrift-
lich ist die Colonia Claudia Aequum bezeugt5), als Colonie
auch von Ptolemaeos ®), natürlich noch kein voller Beweis, dass
die Stadt auch wirklich von Claudius als Bürgercolonie de-
ducirt ist.
') Mommsen, Mot i. Ancyr. 2. Aufl. S. 120; Tac. Hist. IV 62. 72.'
s) Mommsen, Hermes 19 (1884) S. 69 ff.; ebenda 16 S. 458 f.
s) Tac. Annal. XII 32.
«) Tac. Annal. XIV 33.
5) CIL. III 2026.
«) II 17, 11.
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Der römische Census.
333
Als Bürgermunicipien werden von Plinius erwähnt
Tragurium (III 141)
Risiniiun (III 144)
Acrusium (III 144)
Butua (III 144)
Olcinium (III 144)
Scodra (III 144)
Lisa all 144)
Issa (UI 152).
Das ius Italicum und also ohne allen Zweifel das Bürgerrecht,
hatten die (III 139)
Alutae Varvari
Flanates Fertinates
Lopsi Currictae
die ebenso wie die Asseriates immunes von Augustus der X.
Region Italiens zugetheilt gewesen waren (s. oben S. 323).
Scardona heisst später Municipium Flavium , und wird also
kaum vor Vespasian das Bürgerrecht erlangt haben1).
In Pannonia nennt Plinius die Colonien:
Sabaria (m 146)
Aemona (Iü 147)
Siscia UH 147).
Die oppida Claudia in Noricum (III 146): Virunum, Celeia.
Teumia, Aguntum, Iuvavum können latinisches Recht gehabt
haben2), ebenso wie Augusta Vindelicorum in Rhaetien. In
Moesien scheint es bis auf Vespasian überhaupt noch keine
römischen Gemeinden gegeben zu haben.
10) Die griechische Halbinsel. Plinius führt hier
14 Colonien auf, von denen eine, Actium (IV 5), nur aus Irr-
thum in die Liste gekommen ist, da eine Stadt Actium neben
Nikopolis niemals bestanden hat3); die übrigen sind:
Dyrrhachium UU 145)
Buthrotum (TV 4)
Corinthus (IV 11)
Patrae (TV 11)
Dyme (IV 18)
Pella (IV 34)
Develcon quod nunc DeuUum
Bullis (IV 35)
Dium (IV 35)
Cassandrea (IV 36)
Philipp! (IV 42)
Apri (IV 47)
Flaviopolis (IV 47)
vocatur reteranörum (IV 45).
') CIL. UI 2802.
a) Mominsen, Hermes 19 S. 69 f.
a) Mommsen, Rom. Gesch. V S. 271 A.
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334
Capitel VIII.
Municipien scheint es nur zwei gegeben zu haben, Denda (DI 145)
und Stobi (IV 34). — Die Angabe Strabons, dass Knossos auf
Kreta römische Colonie gewesen sei1), beruht doch wohl nur
auf einem Missverständniss ; wie bekannt, hatte die Colonie
Capua im Gebiete von Knossos bedeutenden Domänenbesitz.
11) Die asiatischen Provinzen. Plinius nennt hier
folgende Colonien:
Prima Flavia Caesarea (V 69)
Ptolemais (V 75)
Berytus (V 78)
Caesarea Antiochia (V 94)
Archelais
Dazu kommt weiter
Iulia Augusta Olbasa, als Colonie in einer Inschrift: des Jahres 42/3
bezeichnet (Ephem. Epigr. IV S. 33 Nr. 48),
vielleicht auch
Augusta Cremna, für dessen Deduction durch Caesar oder Augustus
nur das Zeugniss Strabons (XII S. 569) vorliegt, vergl. Le Bas-
Waddington, Aste Mineure Nr. 1200,
Iulia Augusta Pariais (nach den Münzauischriften),
Iulia Augusta Felix Heliopolitana (CIL. III 202).
Von Bürgermunicipien in Asien findet sich in dieser Zeit keine
Spur. Wohl nur aus Flüchtigkeit redet Plinius von einer Co-
lonie Caesars auf der Insel Pharos bei Alexandreia in Aegypten
(V 128).
Wir erhalten demnach folgende Uebersicht der Bürger-
gemeinden in den Provinzen, wobei die flavischen Colonien,
die Plinius doch nicht vollständig giebt und geben kann und
die zudem für unseren Zweck nicht in Betracht kommen, aus-
geschieden sind (es sind Flaviobrica, Siscia, Deultum, Flaviopolis,
Caesarea), und ebenso die zu Augustus’ Zeit der X. Region
Italiens zugerechneten illyrischen Gemeinden nicht berück-
sichtigt werden.
') x S. 477.
Alexandria Troas (V 124)
Parium (IV 48, V 141)
Apamea (V 149)
Sinope (VI 6)
(VI 8)
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Der römische Census. 335
Col. Munic.
Sicilien 5 2
Sardinien 3 1
Afrika 6 15
Mauretanien 15 2
Hispanien 25 26
Narbonensis 8
Tres Galliae 5(8?) —
Britannia 1 1
Illyricum mit den Donauprovinzen .... 6(8?) 8(10?)
Griechische Halbinsel 11 2
Asiatische Provinzen 12 —
97 57(59?)
Was die Colonien angeht, so wird dies Verzeichniss den
Bestand bei Claudius’ Tode annähernd vollständig wiedergeben.
Wir dürfen mit voller Sicherheit behaupten, dass es damals
nicht mehr als etwa 100 Bürgercolonien ausserhalb Italiens
gegeben hat. Nicht ganz so günstig steht es mit unserer Kennt-
niss der Municipien. Indess ist auch hier unsere Liste für die
Provinzen, in denen die meisten Municipien gelegen haben,
Afrika und Spanien, ganz, für Illyricum und wohl auch Maure-
tanien wenigstens annähernd vollständig. Da nim in Gallien
und Asien, so weit wir sehen, gar keine, in Griechenland nur
sehr wenige Municipien bestanden haben, so bleibt die Un-
sicherheit im wesentlichen auf Sicilien und Sardinien beschränkt.
Wir werden sagen dürfen, dass die Gesammtzahl der Btirger-
municipien in den Provinzen bis auf Vespasian zwischen 60 und
70 betragen hat.
Viel verwickelter ist die Frage nach der Zeit, zu der die
einzelnen Gemeinden gegründet, beziehungsweise in den römi-
schen Bürgerverband eingetreten sind. Was sich darüber bei
dem jetzigen Stand unserer Kenntniss mit Sicherheit oder Wahr-
scheinlichkeit sagen lässt, ist etwa folgendes:
Als Colonien des Claudius werden von Plinius bezeugt:
in Afrika: Tingi, Lixos, Caesarea, Oppidum Novum,
in Asien: Ptolemais und Archelais,
in Noricum: Sabaria,
in Illyricum : Siculi, wenn dies wirklich Colonie gewesen ist, s. oben S. 332.
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836
Capitel VIII.
Die Gründung von Colonia Claudia Ara Agrippinensis und Ca-
molodunum im Jahre 50 berichtet Tacitus (Annal. XII 27. 32).
Inschriftlich sind als claudische Colonien bezeugt Apri in Thra-
kien (CIL. III 386) und Aequuin in Illyricum (CIL. III 2026).
Ob Augusta Trevirorum von Claudius zur Colonie erhoben
worden ist (Zunipt, Commcnt. Epigr. I S. 385), muss dahin-
gestellt bleiben, jedenfalls fällt die Deduction nach Augustus’
Tod (Mommsen, Mon. Ancijr. S. 120).
Das wären zusammen 1 1 , oder , wenn wir Siculi und
Augusta Trevirorum einrechnen, 13 claudische Colonien. Dabei
ist aber zu berücksichtigen, dass keineswegs alle diese Grün-
dungen auch eine Erweiterung der Grenzen des römischen
Bürgergebietes zur Folge gehabt haben. So war Tingi bereits
seit 38 v. Chr. römisches Municipium *) ; und auch Aequum
scheint bereits vor Claudius Bürgerrecht gehabt zu haben2).
Auf Gaius und Tiberius lässt sich mit Sicherheit die Gründung
keiner einzigen Colonie in den Provinzen zurttckführen3); es
spricht also die grosse Wahrscheinlichkeit dafür, dass mit Aus-
nahme der oben aufgezählten claudischen Colonien alle oder doch
fast alle übrigen Colonien des plinianischen Verzeichnisses be-
reits bei Augustus’ Tode bestanden haben. Wie weit dieselben
von Augustus selbst, oder von Caesar oder endlich vor Caesar
gegründet sind, ist für unsere Zwecke gleichgültig; uns interessirt
hier allein die Frage, welche Colonien im Jahre 28 bei dem ersten
augusteischen Census bestanden, und welche in der Zwischenzeit
vom ersten bis zum zweiten Census des Augustus (28 — 8 v. Chr.)
gegründet sind. Diese Frage lässt sich allerdings nur sehr un-
genügend beantworten. Zwar giebt die Annahme des Augustus-
Titels durch Octavian im Jahre 27 v. Chr. uns einen allgemeinen
Anhaltspunkt, da in Folge dessen die nach diesem Jahre ge-
gründeten Colonien als coloniae Augustae bezeichnet werden.
Indess ist im Laufe der Zeit auch sehr vielen vor dem Jahre
') Dio Cass. XLVIII 45, 3.
*) Kubitscheck, He trib. Rom. S. 191.
") Zumpt, Comment. Epigr. I S. 381 ff. Nach Mommsen, Köm. Gesch.
V 79 wäre Vienna durch Gaius zur Bürgercolonie erhoben worden. Ich
suspendire mein Urtheil, bis der XI. Band des Corpus erschienen sein wird.
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Der römische Census.
337
27 gegründeten Colonien der Beiname Augusta verliehen
worden ; und andererseits ist bei weitem nicht von allen Colonien
der vollständige Name bekannt. Immerhin werden wir die nach
dem Jahre 28 v. Chr. von Augustus deducirten Colonien zu-
nächst unter den Coloniae Augustae zu suchen haben, während
andererseits die Gründung einer Colonie, die nur Julia, aber
nicht Augusta heisst, mit ziemlicher Sicherheit vor das Jahr 28
oder in dieses Jahr selbst gesetzt werden darf.
Direct bezeugt ist aus der Periode seit 28 v. Chr. die
Deduction folgender augusteischer Colonien in den Provinzen:
Im Jahre 21 v. Chr. Syracusae (Dio. Cass. 54, 7, vergl.
Strab. VI S. 270); da angegeben wird, dass gleichzeitig noch
andere Colonien nach Sicilien geführt wurden, so sind wahr-
scheinlich Augusta Tyndaris {CIL. X 7474 etc.) und Augusta
Himeraeorum Thermitanorum {CIL. 7345) zur selben Zeit de-
ducirt worden, vielleicht auch Catina (Strab. VI S. 268. 270);
dagegen ist Tauromenion wohl schon nach der Besiegung des
Sex. Pompeius gegründet1).
Im Jahre 16 v. Chr. Augusta Aroe Patrensis und Iulia
Augusta Felix Berytus (Euseb. 01. 191, 2), wohl auch Iulia
Augusta Felix Heliopolitana {CIL. III 202).
Im Jahre 15 v. Chr. und während der nächsten Jahre soll
Augustus bei seinem Aufenthalte in Gallien und Hispanien in
diesen Provinzen „zahlreiche Colonien“ gegründet haben (Dio
Cass. 54, 23). Namen werden nicht überliefert. Da indessen
von sämmtlichen bei Plinius aufgeführten Colonien der Nar-
bonensis nur Vienna und Valentia nicht auf Caesar zurück-
gehen, so wird es sehr wahrscheinlich, dass diese Städte eben
') Diod. XVI 7 : t) 6k noi.it . . . KnCaaQag n fanirjanvio; rovt Tciuqo-
fiffiras ix Ttjt natQidot, 'l’w/jal ’mv itnoixCnv i&iSaro. Diese Austreibung
der Tauromeniten kann nur zu dem oben bezeichneten Zeitpunkt erfolgt
sein (vergl. Dio Cass. 49, 12, 5; Appian, Bürgerkr. V 109); es ist doch
wahrscheinlich, dass sich die Deduction der Colonie gleich daran an-
geschlossen hat Jedenfalls haben wir kein Recht, die Abfassungszeit
des Werkes Diodors auf Grund unserer Stelle mit Mommsen (Jf. Forsch.
II 549 A.) unter das Jahr 21 herabzurücken.
ßeloch, Bevölkernngslehre. I. 22
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Capitel VIII.
3:58
jetzt von Augustus deducirt worden sind '). In Spanien mögen
Augusta Emerita, Caesaraugusta , Augusta Gemella Tucci,
Augnsta Finna Astigi, Faventia Iulia Augusta Barcino, Augusta
Bilbilis, vielleicht auch Libisosa Foroaugustana um dieselbe Zeit
begründet sein. Unbestimmt wann, jedenfalls nach der akti-
schen Schlacht, und höchst wahrscheinlich nach dem Jahre 28
sind deducirt: Alexandria Augusta Troas, Augusta Cremna,
Iulia Augusta Olbasa, Julia Augusta Pariais : und auch Cartenna
und Tupusuctu in Mauretanien werden in diese Zeit gehören.
Von Caesar, oder von Octavian während seiner ersten
Regierungszeit bis zur Annahme des Augustus-Titels, oder end-
lich vor Caesar, sind folgende Colonien gegründet, wie theils
aus directen Zeugnissen, theils aus den Beinamen hervorgeht:
in S i c i 1 i e n : wahrscheinlich Tauromenion, s. oben ;
in Sardinien: Aleria, Mariana, Turris Libisonis (vergl. Mommsen,
Mm. Ancyr. S. 120);
in Afrika: Iulia Veneria Carthago, Iulia Iuvenalis Cirta, Veneria Sicca,
Iulia Babba, Iulia Zulil;
in Spanien: Patricia Corduba, Hispal Romulensis, Hasta Regia, Virtus
Iulia Iptuci, Claritas Iulia Ucubi, Genua Urso, Metellinensis, Pax
Iulia, Norba Caesarina, Praesidium Iulium Scallabis, Victrix Iulia
Nova Carthago, Valentin, Iulia Tarraco, Iulia Victrix Celsa, Iulia
Gemella Acci, Salaria;
in Gallien: Narbo, Forum Iuli, Arelate, Baeterrae, Arausio, Ruscino,
Lugdunum, Equestris, Raurica;
in Il)lyricum: Iader, Salonae, Narona, Emona;
in Griechenland: I>yrrhachium, Buthrotum, Corinthus, Philippi;
in Asien: Sinope, Apamea, Caesarea Antiochia, Parium.
Die Gründungszeit der noch übrigen 16 Colonien unseres obigen
Verzeichnisses (Maxula, Thuburbi, Uthina, Banasa, Gunugu,
Rusguniae, Rusazus, Saldae, Igilgili, Succhabar, Epidaurum,
Dyme. Pella, Bullis, Dium, Cassandrea) muss unbestimmt bleiben.
Von den bis auf Vespasian bestehenden Bürgermunicipien
lassen sieh nur 3 auf Claudius zurückfuhren: Rusuccurium und
Portas Magnus in Mauretanien (Plin. V 19. 20), Verulamium
*) Doch vergl. wegen Vienna oben S. 386 A. 8.
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Der römische C’ensus.
339
in Britannien. Gaius und Tiberius scheinen das Munieipalreeht
überhaupt nicht verliehen zu haben; ebensowenig Augustus
während seiner Alleinherrschaft. Ist es doch bekannt, wie
sparsam er mit der Ertheilung der Civität umging *). Fast alle
in dem plinianischen Verzeichnisse aufgezählten Municipien
müssen demnach in der Zeit von Caesars Dictatur bis zur
Schlacht bei Aktion das Bürgenecht erhalten haben, wie das
für die beiden bedeutendsten unter ihnen, Gades2) und Utica8),
ausdrücklich bezeugt ist.
Es scheinen demnach bei Augustus’ erstem Census 28 v. Chr.
etwa 50 — GO Colonien und etwas über 60 Municipien in den
Provinzen bestanden zu haben; bei Augustus’ Tode 80 — 90
Colonien und über 60 Municipien.
4. Die Ergebnisse des republikanischen Censns.
Der erste Census soll, wie bekannt, unter Servius Tullius
gehalten sein. Er hat nach Fabius Pictor eine Hauptsumme
von 80000 waffenfähigen Bürgern ergeben4). Die späteren
Annalisten haben sich mit der runden Zahl nicht begnügt, und
wissen das ganz genaue Resultat anzugeben : nach Eutrop
83 000 5), nach Dionysios 84700 ®). Schon hieraus geht her-
vor, was auch sonst keines Beweises bedarf, dass es über diesen
Census eine directe Ueberlieferung überhaupt nicht gegeben
hat, und die Hauptsumme nur durch Rechnung gefunden ist
Wahrscheinlich hat Fabius die 80 Centurien der ersten Klasse
mit der Normalzahl von je 100 angesetzt, die ganze Klasse
also zu 8000 berechnet, und jeder der 4 folgenden Klassen
0 Suet. Aug. 40.
*) Pio Cass. 41, 24.
®) Dio Cass. 49, 16.
*) Bei Livius I 44.
8) Eutrop. I 7: sub eo (Seivio Tfdlio) Roma Omnibus in censum de-
latis halmit eapita LXXXIII nrilia civium Romanorum cum bis qui in
agris erant.
•) Dionys. IV 22 : iyfvtxo tll o ovuna; niv iifirjaaufvwr rov s ßlovt
‘Pcojuatcov iuu'Hibt, tot (v zois Ti/arjtixoii iftyercu yoauuaotr, tni [xvQtctatv
bxrtü nfvrt TQiaxuaimr ct7Toif{ovo«i.
22*
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340
Capitel VIII.
4000 Bürger mehr gegeben, als der vorhergehenden. Da es
sieh nur um eine ungefähre Schätzung handelte, konnten die
Centurien der Ritter, Werk- und Spielleute etc. ausser Rech-
nung bleiben. Die Späteren haben diesen Fehler verbessern
zu müssen geglaubt, und so sind die Zahlen bei Dionysios und
Eutropius entstanden.
Aus dem ersten halben Jahrhundert der Republik bis zur
Einsetzung einer eigenen Behörde für den Census sind die Re-
sultate von 7 Aufnahmen überliefert:
508 *) : 130000
503») : 120000
498») : 150700
493*) : 110000
474 6) : 103000
465«) : 104 714
459’) : 117 319
Hier bricht für uns die Liste ab; aus den IVa Jahr-
hunderten bis 294/3 sind nur die Resultate von zwei Census
erhalten :
3932 Lustrum XVII. Cem. L. Papirius Cursor
C. Iulius 152 573 8)
340/39 Lustruin XXIII. Cem. P. und L. Cornelius Seipio . . 165 000 e)
') Dionys. V 20.
2) Hieronymus Ol. 69, 1.
*) Dionys. V 75.'
*) Dionys. VI 96.
s) Dionys. IX 36 Kicssling. Früher wurde 130000 gelesen.
*) Liv. III 3 : censa civium capita C1III ACCXIIII dicuntur praeter
orbos orbasque, mit der gewöhnlichen Verwechslung von A für I). Die
Epitome hat census bis actus est. priore lustro censa sunt cicium capita
VIII milia DCCXI1II, wobei CI in U corrumpirt ist.
7) Liv. III 24: censa sunt civium capita CXVU CCCXVIIII. Eutrop
I 16 und seine griechische Metaphrase haben dieselbe Zahl. Die Epitome
hat CXVII milia CCXVIIII-, es ist ein C ausgefallen.
8) Plinius H. N. 33, 16.
*) Euseh. Armen. Ol. 110, 1; Hieronymus Ol. 110, 1 und Prosper
Aquitanus I 539 Rone, haben 160000; offenbar ist hier V am Ende aus-
gefallen.
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Der römische Census.
341
Livius, der aus dieser ganzen Periode Censuszahlen überhaupt
nicht anführt, bemerkt gelegentlich, in den Lustren zu Alexandere
des Grossen Zeit seien 250000 Bürger gezählt worden1). Dass
diese Zahl corrumpirt und ein C zu streichen ist, zeigt Orosius
an einer Stelle, die ohne jeden Zweifel aus Livius stammt: er
giebt dort den Verlust der Römer im Socialkriege und sul-
lanischen Bürgerkriege auf über 150000 Mann an, soviel, wie
die Censusaufnahmen in Alexanders Zeit ergeben hätten 2). Dass
der Fehler nicht etwa bei Orosius liegt, ergiebt sich aus Eutrop,
der ebenfalls aus Livius dieselbe Zahl bietet8). Eine weitere
Bestätigung giebt Plutarch. Wir lesen in seiner Schrift vom
Glücke der Römer, dass Rom bei Alexandere Tode 130000 Bürger
gezählt habe4); es bedarf nur einer ganz leichten Aenderung
(IE' für /r' /Livgiddes), um auch hier die Zahl des Orosius und
Eutrop herzustellen6). Also kein Zweifel, dass bei Livius ur-
sprünglich 150000 gestanden hat.
Gegen die Richtigkeit dieser letzteren Zahlen wird statistisch
kaum etwas einzuwenden sein. Das römische Gebiet umfasste
nach dem Latinerkriege etwa 6000 qkm6), und zwar den im
Alterthum am besten bevölkerten Theil Italiens, mit den beiden
bedeutendsten Städten der Halbinsel. 165000 Bürger ent-
sprechen einer bürgerlichen Gesammtbevölkerung von gegen
500000; die Zahl der Sklaven und Fremden kann in dieser
Zeit nur sehr unbedeutend gewesen sein. Eine Volksdichtigkeit
von etwa 90 Einwohnern auf den qkm aber hat ftlr Latium und
Campanien gar nichts auffallendes; lebten doch in der cain-
panischen Praefectur zu Hannibals Zeit weit über 100 Menschen
*) Liv. IX 19: censebcmtur eius aetate lustris ducena quinquagena
milia capitum.
*) Oros. V 22, 2 un($ Zangemeister zur Stelle.
*) Eutrop. V 9. .<
4) Plut. v. Glück d. Börner 13 S. 326.
6) Dass die Zahl bei Plutarch aus Livius entnommen ist, oder doch
derselben Quelle entstammt, wie die lirianische Zahl, ist auch Mommsens
Ansicht: Köm. Forsch. II 401, wenn er auch die Stelle des Orosius über-
sehen hat.
*) Mein Ital. Bund S. 71 und oben S. 320.
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342
Capitel VIII.
auf dem qkm ‘). Es ist höchst wahrscheinlich, dass der grosse
Krieg mit den Samniten eine, wenn auch nicht sehr bedeutende
Abnahme der Bürgerzahl zur Folge gehabt hat, weniger durch
die Verluste im Feld, als durch die massenhafte Deduction
latinischer Colonien. So erklärt es sich, dass Eusebios für
340 39 165000 Bürger angiebt, Livius für die Zeit* um 323
nur 150000. Aber diese Zahlen sind nur haltbar, wenn wir
annehmen, dass Voll- und Halbbürger, iuniores und senior es,
assidui und proleturii gleichmässig darin begriffen sind; bei
jeder anderen Auffassung werden sie statistisch unmöglich.
Wenn aber Rom zu einer Zeit, wo sein Gebiet über fast
ganz Latium, Süd -Etrurien und Campanien ausgedehnt war,
nicht mehr als 150—165000 Bürger gezählt hat, so folgt un-
widerleglich, dass im V. Jahrhundert, bei einer Ausdehnung
des römischen Gebietes von etwra 1000 qkm, nicht 100 — 150000
Bürger gezählt worden sein können. Ja auch nach der In-
corporining von Vei, als das römische Gebiet mehr als 2000 qkm
umfasste, bleibt eine Bürgerzahl von 152 000 ganz unbegreiflich.
Mit anderen Worten : die aus dem ersten Jahrhundert der Re-
publik überlieferten Bürgerzahlen sind statistisch unhaltbar, oder
doch haltbar nur unter zwei gleich unwahrscheinlichen Voraus-
setzungen. Wir müssen entweder annehmen, was Plinius ge-
glaubt zu haben scheint*), dass die Censussummen nicht die
Zahl der waffenfähigen Bürger ausdrücken, sondern die ge-
sammte bürgerliche Bevölkerung jeden Alters und Geschlechts;
oder, wie Niebuhr wollte8), dass sie nicht die Römer allein,
sondern auch die Bundesgenossen umfassen. Beides widerspricht
unserer Ueberlieferung gleich sehr, wie den Grundsätzen des re-
publikanischen Census in historischer Zeit. Und abgesehen
davon, ist es denn an sich wahrscheinlich, dass sich im halb-
barbarischen Rom statistische Angaben dieser Art aus einer
Zeit erhalten haben sollten, wo man in Griechenland an Auf-
zeichnung solcher Dinge noch gar nicht dachte? Das Urtheil
') Unten Cap. IX, 3.
») H. N. 33, 16.
’) Köm. Geseh. I S. 613.
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Der römische Census.
343
Mommsens, dass „die ganze bis auf die vier Lustren des Servius
Tullius hinaufgeführte, und mit reichlichen Zahlen ausgestattete
ältere Censusliste nichts ist, als eine jener scheinbar urkund-
lichen Traditionen, die eben in ganz detaillirten Zahlenangaben
sich gefallen , und sich verrathen“ '), wird denn auch heute
kaum noch von irgend einer Seite bestritten.
Doch kehren wir zurück zu unserer Ueberlieferung. Vom
Jahre 294 an fliessen unsere Quellen wieder reichlicher. Es
wurden gezählt:
Jahr Lustrum Censoren civium capita
294 3 XXX P. Cornelius Arvina
C. Marcius Rutilus 262 821 4)
290/89-288 7 XXXI Q. Fabius Gurgcs
Sp. Carvilius Maximus 272000*)
280/79 XXXII L. Cornelius Scipio
Cn. Domitius Calvinus 287 222 4)
276/5 XXXIII C. Fabricius Luscinus
Q. Aemilius Papus 271224')
265/4 XXXV Cn. Cornelius Blasio
C. Marcius Rutilus 292284*)
252/1 XXXVII M’ Valerius Maximus Messalla
P. Sempronius Sophus 297 797 T)
') Rom. Gesch. I® S. 428 A. Vergl. die erschöpfende Untersuchung
Schweglers, R. G. II S. 679 — 691. Auch ich habe Ital. Bund S. 89 f. diese
Zahlen keineswegs unbedingt vertheidigt, sondern nur zeigen wollen, dass,
wer die Censussummen der späteren Zeit auf die Vollbürgerschaft allein
bezieht, nothwendig auch die älteren Zahlen gelten lassen muss.
*) Liv. X 47 : censa sunt civium capita CCLXJI CCCXXI. So die
beste Handschrift Die Epitome hat (VLXXII et CCCXX. Eusebius
01. 121, 4 : 22 Myriaden, Hieronymus 01. 121, 3 und Prosper Aquitanus I 542
Rone. (VLXX, Synkellos S. 525, 5: 26 Myriaden. Natürlich muss die Zahl
bei Livius für uns maassgebend sein.
*) Liv. Epit. 11.
*) Liv. Epit. 13.
®) Liv. Epit. 14 nach Zangemeisters Collation des Nazarianus, bei
Herzog, Comment. Momms. S. 129. Bei Jahn steht CCLXXJ CCXXXU11.
«) Liv. Epit. 16: civium capita CCCLXXXII CCXXXI1I. Eutrop. II 18
hat CCXCII milia CCCXXX II II, sein griechischer Uebersetzer Paeanios
292234. S. unten S. 345.
’) Liv. Epit. 18: CCXCVJI DCCXCV1I.
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344
Capitel VIII.
Jahr Lustruin Censoren civium capita
247/6 XXXVIII A. Atilius Caiatinus
A. Manlius Torquatus 241 712 ')
241/0 XXXIX C. Aurelius Cotta
M. Fabius Buteo 260000*)
Durch den zweiten Samnitenkrieg hat Rom einen Gebietszu-
wachs von etwa 1600 qkm gewonnen®). Es ist aber höchst
unwahrscheinlich, um nicht zu sagen völlig unmöglich, dass
diese Eroberungen ein Steigen der Bürgerliste um 100000
Köpfe verursacht haben sollten, während die so ausgedehnten
Gebietserwerbungen der folgenden Jahre fast ohne jeden Ein-
fluss auf die Bürgerzahl geblieben wären. Die für das XXX.
Lustrum (des P. Cornelius Arvina und C. Marcius Rutilus)
überlieferte Bürgerzahl ist nur verständlich, wenn die Sabiner
darin einbegriffen sind. Die Unterwerfung der Sabiner ist
allerdings nach unserer TJeberlieferung erst 3 Jahre später er-
folgt, aber bei der chronologischen Unsicherheit dieser ganzen
Epoche hat das nicht viel auf sich. Der Umfang des Sabiner-
landes mit den angrenzenden Districteu von Umbrien (Spole-
tiuni, Fulginia) und dem Agtr Prartuttianus beträgt über
6000 qkm4), und kommt also dem ganzen bisher römischen
Gebiete (ca. 7600 qkm) beinahe gleich. Mochte die Volks-
dichtigkeit in diesen Bergdistricten auch schwächer sein, so
musste die Bürgerschaft doch in Folge dieser Annexionen einen
gewaltigen Zuwachs erhalten, was unsere Quellen auch aus-
drücklich hervorheben 8).
*) Liv. Epit. 19: CCXL1 ACCXII nach Zangemeisters Collation des
Nazarianus bei Herzog a. a. O. A steht für D, vergl. Mommsen, B. Forsch.
II S. 385 A.
*) Euseb. Armen. 01. 134, 3: 25 Myriaden. Hieronymus 01. 134, 1
hat 260000, was vorzuziehen ist, da leichter eine Stelle ausfällt, als zn-
gesetzt wird.
*) Mein Hol. Bund S. 71 f.
4) S. oben 8. 320.
B) Oros. III 22, II: Curius — cum in senatu magnitudinem adqui-
siti agri Sabini et mu/titudinem capti populi referre rettet, numerttm ex-
plicare non potuit. Sollte sich nicht hierauf die Angabe beziehen, die
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Der römische Census.
345
Wenn den späteren römischen Gebietserwerbungen bis zur
vollendeten Eroberung Italiens nur ein Zuwachs von etwa
30000 Bürgern entspricht, so ist zu erwägen, erstens, dass wir
nicht wissen, ob Atina und Venafrum nicht schon vor 293 römisch
geworden sind; ferner, dass der Ager Galliens jedenfalls bei
der Besitznahme eine ausserordentlich dünne Bevölkerung ge-
habt hat. Was Picenum angeht, so blieb ein Theil der Land-
schaft (Asculum) auch nach der Eroberung im Bundesverhält-
niss zu Rom; ein Theil des Restes wurde zur Gründung der
latinischen Colonie Firmum verwendet, und die unterworfenen
Picenter zum Theil nach der Küste des Golfs von Salerno ver-
pflanzt. Auch ist nicht zu vergessen, dass der Krieg gegen
Pyrrhos sehr starke Verluste brachte, die in der Verminderung
der Bürgerzahl zwischen 279 und 275 um 16000 Köpfe ihren
Ausdruck finden; zwischen 275 und 265 aber fällt die Deduction
der latinischen Colonien Paestum, Cosa, Ariminum, Beneventum,
die eine weitere Abnahme der Bürgerzahl bringen musste.
Dass am Anfang des ersten punischen Krieges nicht, wie
die livianische Epitome angiebt, 382000 Bürger gezählt worden
sein können, zeigt ein Blick auf die vorangehenden und fol-
genden Censussummen ; wir hätten weder für die plötzliche
Vermehrung, noch für die ebenso plötzliche Abnahme eine aus-
reichende Erklärung. Es ist also klar, dass eins der drei C
hier zu streichen ist; zweifelhaft bleibt nur, ob wir in der so
emendirten Zahl der Epitome 282 234, oder in der Zahl Eutrops
292334 die echte livianische Ueberlieferung, erkennen sollen.
Für unseren Zweck kommt freilich kaum etwas darauf an.
Grössere Schwierigkeiten bieten die Zahlen aus der Zeit
des ersten punischen Krieges. Zwar eine Verminderung der
Plinius bei der V. Region (Picenum) macht (III 110), es seien 360000
Menschen in die Gewalt des römischen Volkes gekommen? Ist doch ein
Theil der V. Region (Hatria und Umgegend) schon durch M’ Curius zu-
gleich mit dem Sabinerlande erobert worden (Florus I 10, mein Ital.
Bund S. 54). Eine Gesammtbevölkerung von 360000 würde, mit Zugrunde-
legung des Verhältnisses von 1 : 4 (oben S. 313 A. 4), einer Bürgerzahl von
90000 entsprechen.
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346
Capitel VIII.
Bürgerschaft um 20—30000 Köpfe zwischen 265 und 240
hätte nichts auffallendes in einem Kriege, der den Römern und
ihren Bundesgenossen 700 Kriegsschiffe und 100000 Mann ge-
kostet hat; hat doch der Krieg gegen Hannibal die Bürgerliste
um gegen 60000 Köpfe sinken machen. Aber wenn in der
Zeit der grössten Verluste, von 265 bis 251, die Bürgerschaft
sich um 5000, oder sogar 15000 Köpfe vermehrt haben soll,
um dann in den 5 Jahren von 251 bis 246 um 55000 zu
fallen und in den nächsten 5 Jahren wieder um 20000 Köpfe
zu steigen, so suchen wir vergeblich nach einer Erklärung dieser
Erscheinung, Hier bleibt keine andere Möglichkeit, als dass
die Censussumme für 252/1 verderbt ist. Auch an sich erregt
die Zahl Bedenken, da die Tausender einfach mit Vorgesetztem
D wiederholt werden: CCXCVII DCCXCV11. Oder vielmehr
umgekehrt : die Tausender sind verloren gegangen, und aus der
Zahl der Einer bis Hunderter ergänzt worden. Diese Zahl ist
also für uns ganz werthlos. Was nun die Censussumme für
247/6 angeht, so ist es sehr wahrscheinlich, dass hier die auf
Sicilien stehenden Trappen, soweit die Leute nicht mehr in
väterlicher Gewalt standen, nicht mitgezählt sind. Denn die
commissarische Vernehmung ausserhalb Italiens im Staatsdienst
abwesender Bürger beim Census scheint erst im hannibalischen
Kriege üblich geworden zu sein.
Aus der Zeit bis zum Ausgang der Republik haben wir
folgende Zahlen:
Jahr Lustrum Censoren civiutn capita
234'8 XL C. Atilius Baibus
A. Postumius Albinus 270 718 1 J
209/8 XLIII M. Cornelius Cethegus
P. Sempronius Tuditanus 237 108 2)
204/3 XLV M. Livius Salinator
C. Claudius Nero 214000*1
») Liv. EpÜ. 20: CCLXX ACCXIII-, s. Mommsen, R. Forsch. II S.398-
2) Liv. 27, 36: CXXXVII milia CVIII, minor aliquanto numerus
quam qui ante bellum fuerat. Die Epitome hat dieselbe Zahl, lieber die
Emendation s. unten.
*) Liv. 29, 87 : lustrum conditum serius , quia per provincias dimi-
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Der römische Census.
347
Jahr
Lustrum
Gen soren
civium capita
194/3
XL VII
Sex. Allius Paetus
C. Cornelius Gethegus
. . . 243 704 ’)
189/8
XLVI1I
T. Quinctius Flamininus
M. Claudius Marcellus
. . . 258318*)
179/8
L
M. Aemilius Lepidus
M. Fulvius Nobilior
. . . 258794*)
174/3
LI
Q. Fulvius Flaccus
A. Postumius Albinus
. . . 269015«)
169/8
LII
C. Claudius Pülcher
Ti. Sempronius Gracchus . . .
. . . 312805*)
164/3
LIII
L. Aemilius Paullus
Q. Marcius Philippus
. . . 387452«)
159/8
Lim
P. Cornelius Scipio Xasica
M. Popillius Laenas
. . . 328 3161)
1543
LV
M. Valerius Messalla
C. Cassius Longinus
serunt censores, tä cicium Romanorum in exercitibus, quantus ubique esset,
referretur numerus. censa cum iis (JCX1V milia hominum. Dieselbe
Zahl in der Epitome.
*) Liv. 35, 9: CXLIU milia DCCI1II. In der Epitome fehlt die
Zahl. Dass bei den Tausendem ein C ausgefallen ist, hat schon Pighius
gesehen.
*) Liv. 38, 36: CCLVIII milia CCCXV11I. Die Epitome lässt die
VI 11 am Ende aus, und giebt also CCLVIII CCCX. Vielleicht richtig.
*) Bei Livius ist der Bericht über das Lustram ausgefallen. Die Epi-
tonte 41 giebt CCLVIII DCCXCIIII, nach Zangemeisters Collation des Naza-
rianus bei Herzog a. a. 0.; die editio Roinana princeps hat CCLXI11 milia.
*) Liv. 42, 10: censa sunt civium Botnanorum capita CCLXV1I11
milia et XV, minor aliquanto numerus quia L. Postumius consul pro
contione edixerat, qui socium Latini nominis ex edicto C. Claudii consulis
redire in civitates suas debuissent, ne quis eorum Bomae, et omnes in suis
icvitatibus censerentur. Die Epitome hat CCLXV II CCXXXI-, die Varianten
schlechter Handschriften können nicht in Betracht kommen.
s) Bei Livius ist der Bericht Uber das Lustrum ausgefallen. Die
Epitome 45 giebt CCCXI1 DCCCV.
«) Liv. Epit. 46 : CCCXXXVII XXII. Plut. Paullus 38 : dmyqmpav-
ro . . . . uiqtddei dvHqtanwv TqiitxovTu rijtis, irt f' imtts.ioyiXioi ut pn-
xöaioi Ti t vt qxovra 3vo (—CCCXXXVII CCCCLI1). Die Differenz mit der
Epitome ist, wie man sieht, sehr unbedeutend; ich ziehe die grössere
Zahl vor.
’) Liv. Epit. 47: CCXXVIII CCCXV1.
*) Liv. Epit. 48: CCCXXIlli.
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348
Capitel VIII.
Jahr
Lustrum
Censoren
civium capita
147/6
LVI
L. Cornelius Lentulus Lupus
L. Marcius Censorinus
. . 322000»)
1421
LVII
P. Cornelius Scipio Africanus
L. Mummius
. . 327442*)
136/5
LVIII
Ap. Claudius Pülcher
Q. Fulvius Nobilior
. . 317933*)
131/0
LIX
Q. Caecilius Metellus
Q. Pompeius
. . 318823*)
125 4
LX
Cn. Servilius Caepio
L. Cassius Longinus
. . 394736*)
115'4
LXII
L. Caecilius Metellus
Cn. Domitius Ahenobarbus
. . 394336®)
865
LXVI
L. Marcius Philippus
M. Perpema
. . 463 000 7)
70/69
LXVTI
Cn. Cornelius Lentulus Clodianus
L. Gellius Poplicola'
. . 910 000 8)
Seit dem Ende des ersten punischen Krieges kann an der
Echtheit der überlieferten Censussunmien kein Zweifel mehr
sein. Unsere Kenntniss der römischen Geschichte geht von
jetzt an zurück auf gleichzeitige Ueberlieferung ; und da Fabius
Pictor selbst die Censuszahl des Servius Tullius angegeben hat,
so muss er auch die Ergebnisse der Zählungen seiner eigenen
Zeit in sein Werk aufgenommen haben. In der That ist uns
das Resultat des Census von 230/29 oder 225/4 aus Fabius
Pictor erhalten9). Auch bilden die Censuszahlen von 234/3 bis
70/69 eine in sich wohlgeschlossene Reihe, deren einzelne Glieder
») Euseb. Armen. 01. 158, 3: myriades XXX11 et milia II. Ebenso
Hieronymus 01. 158, 2 und Prosper Aquit I 546 Rone.
*) Liv. Epit. 54: CCCXXVU CCCCXLII.
*) Liv. Epit. 56: CCCXVU DCCCCXXXI11.
*) Liv. Epit. 59: CCCXV1II DCCCXX1II.
*) Liv. Epit. 60: CCCXCIII1 DCCXXXVI. So nach Zangemeisters
Collation des Nazarianus bei Herzog a. a. 0.
®) Liv. Epit. 63: CCCXCHII CCCXXXVI.
’) Hieronymus 01. 173, 4: CCCCLXIII milia.
8) Phlegon 01. 177, 3 (= 70/60) bei Photios Bibi. cod. 97: pv piddeg
tvrivrixavTtt xal pfu. Liv. Epit. 98: DCCCC, s. Mommsen zu Borghesi,
Oeuvres IV S. 9 Anm. 1.
9) S. unten S. 353 ff.
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Der römische Census.
349
gegenseitig sich stützen; es ist undenkbar, dass eine solche
Urkunde eine Fälschung sein sollte.
Aber allerdings steht von vornherein zu erwarten, dass es
bei der handschriftlichen Ueberlieferung so vieler Zahlen im
einzelnen nicht ohne Verderbnisse abgegangen ist, um so mehr
als uns für die Kenntniss der Censusliste durchweg nur
Quellen zweiter oder dritter Hand zu Gebote stehen. Soweit
es sich dabei um wenige Hunderte oder Tausende von Köpfen
handelt, sind diese Fehler für uns in der Regel nicht mehr
erkennbar; es kommt auch weiter nicht so viel darauf an.
Wir können hier nichts thun, als der Lesart der besten Hand-
schriften folgen. Sowie der Fehler aber grösser wird und in
die Zehntausende oder gar Hunderttausende steigt, sind wir
meist auch im Stande, ihn nachzuweisen, mag auch nicht immer
eine evidente Emendation möglich sein.
So beträgt die überlieferte Hauptsumme des Census von
209/8 CXXX VII CV11I. Der letzte Census vor dem Kriege,
dessen Ergebniss wir kennen, hatte 270713 ergeben; der
Census von 204 3 ergab wieder 214000 Köpfe. Es ist ebenso
undenkbar, dass sich die Bürgerschaft durch die Verluste der
Jahre 218—210 um die Hälfte ihres Bestandes vermindert,
wie dass sie in den fünf Kriegsjahren von 208 bis 204 um 77 000
Köpfe sich vermehrt haben sollte. Man pflegt zur Erklärung
darauf hinzuweisen, dass, wie Livius angiebt, die Censoren
von 204/3 in die Provinzen geschickt hätten, um die dort bei
den Heeren stehenden römischen Bürger commissarisch ver-
nehmen zu lassen1). Aber daraus folgt doch noch nicht, dass
die Censoren des vorhergehenden Lustrum nicht dasselbe ge-
than haben2). Wollen wir aber selbst dieses argumentum ex
silentio gelten lassen, so standen doch im Jahre 209 in de
Provinzen nicht mehr als 8 keineswegs vollzählige Legionen,
so dass das Effectiv der römischen Bürgertruppen dort, selbst
einschliesslich der Flotten, kaum mehr als 40000 Mann be-
tragen haben kann. Und davon mussten sehr viele noch
*) Liv. 29, 37 ; s. oben S. 846 Anm. 8.
*) Das macht mit Recht geltend Herzog, Comment. Momms. S. 138.
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850
Capitel VIII.
in väterlicher Gewalt stehen und hatten also persönlich gar
keine Declarationen zu machen. Wir sehen, dieser Grund
reicht bei weitem nicht aus zur Erklärung der für 209/8 über-
lieferten Censuszahl. Und wenn Livius dazu bemerkt: minor
aliquanto numerus quam qui ante bellum fuerat, so wäre diese
Bemerkung doch sehr eigentümlich , im Falle die Verminde-
rung wirklich die volle Hälfte betragen hätte. Der Verfasser
der Epitome hat das auch sehr wohl gefühlt und deshalb aus
eigenen Mitteln hinzugefügt : ex quo mmero apparuit , quantum
hominum tot proeliorum adversa fortuna populo Romano abs-
tulisset. Es wird also kaum etwas anderes übrig bleiben, als
die Annahme, dass auch hier, wie noch manchmal sonst in un-
serer Liste, am Anfang ein C ausgefallen ist, und gelesen
werden muss: CCXXXVI1 milia. Die Conuptel ist freilich
sehr alt, da bereits der Verfasser der Epitome sie in seinem
Exemplar gefunden hat; mag sie nun auf einen Schreibfehler
Livius’ selbst zurückgehen, oder Correctur eines Lesers sein,
dem die Abnahme von 33 000 Köpfen zwischen 234 3 und 209/8
mit den Verlusten des hannibalisehen Krieges ausser Verhält-
niss zu stehen schien. Und allerdings erscheint diese Abnahme
auf den ersten Blick zu niedrig gegenüber einer Verminderung
um 23000 zwischen 208 und 203. Indess ist nicht zu ver-
gessen, dass die 15 Jahre von 233 — 218 eine Vermehrung um
10 — 20000 Köpfe gebracht haben können und werden, und
dass den Verlusten im Kriege gegen Hannibal sehr zahlreiche
Freilassungen gegenüberstehen.
In ganz derselben Weise ist auch die Censuszahl für 194/3
durch Auslassung eines C am Anfang verderbt worden. Der
Census von 204/3 hat 214000, der von 189/8 258318 Bürger
ergeben, und seitdem hat sich die Censuszahl beständig auf
über 250000 gehalten. Es ist evident, dass der Census von
194/3 nicht, wie überliefert wird, 143 704 exgeben haben kann.
Schon Pighius hat denn auch die Corruptel verbessert.
Aus anderen Gründen verdächtig ist die Zahl für 179/8:
258 794; sie ist nämlich in den Tausenden die einfache Wieder-
holung der voihergehenden Censuszahl 258318. Der Verdacht
wird bestätigt durch den Bericht des Livius über das folgende
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Der römische Censiis.
351
Lustrum 1 74/3. Dieser Census ergab 269015 Bürger, eine
kleine Verminderung der Zahl (minor aliquant o numerus), wie
Livius hinzusetzt , weil die Censoren alle Latiner ausschlossen,
die sich während der letzten Jahre unrechtmässiger Weise in
das Bürgerrecht eingedrftngt hatten. Der Census von 179/8
muss also mehr als 269 000, etwa 280 — 290 000 Köpfe ergeben
haben. Dies würde, im Verhältniss zu dem Ergebniss von
1 89/8, der durchschnittlichen jährlichen Vennehrung der Bürger-
schaft in diesem Zeiträume (etwa 3000 Köpfe) entsprechen.
Wenn in den 5 Jahren von 174/3 bis 169/8 die Bürgerliste
eine Steigerung um 43 790 Köpfe aufweist, so wird der Grund
hauptsächlich darin zu suchen sein, dass die Censoren dieses
Lustrums — der eine war der Vater der Gracchen , der andere
der Oheim von Ti. Gracchus’ Schwiegervater und Gesinnungs-
genossen Ap. Claudius Pülcher — den Latinern gegenüber ein
Auge zudrückten.
Von jetzt an bietet die überlieferte Liste bis zum Census
von 125/4 keinen Anlass mehr zu Verdacht. Um so mehr ist
das der Fall mit dem Ergebnisse dieses und des zweitfolgen-
den Lustrums, 115/4. Die beiden Zahlen stimmen nämlich
genau mit einander überein, nur dass in der zweiten statt
eines D ein C gelesen wird ( CCCXCIllI DCCXXXV1 und
CCCXC11I1 CCCXXXVI). Es ist also zweifellos die eine aus
der anderen einfach wiederholt. Aber es ist sehr leicht mög-
lich, dass beide verderbt sind. Die Bürgerzahl war seit dem
Jahre 163 stationär geblieben oder zeigte eher eine Tendenz
zur Abnahme. Es ist also klar, dass sie in den 6 Jahren von
130 bis 124, oder auch in den 16 Jahren von 130 bis 114,
durch natürlichen Zuwachs nicht um 76000 Köpfe sich ver-
mehrt haben kann. Und es ist sehr unwahrscheinlich, dass in
dieser Zeit eine Aufnahme von Bundesgemeinden in den römi-
schen Bürgerverband in grösserem Maassstabe erfolgt sein
sollte1). Unsere Ueberlieferung schweigt vollständig darüber,
und es würde sehr schwer halten, die Städte namhaft ’zu
machen, auf die eine solche Maassregel sich erstreckt haben
») Wie Lange will, R. Altertli. III S. 27 f.
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352
Capitel VIII.
könnte. Denn gerade die latinischen Colonien, die den meisten
Anspruch «auf die Ertheilung der Civitilt hatten, sind, so \iel
wir sehen, bis auf den Socialkrieg in ihrer Stellung geblieben 1).
Es bleibt also nur die gleichfalls sehr missliche Annahme, dass
man in dieser Zeit die untere Altersgrenze für die in die
Hauptsumme aufzunehmenden Bürger herabgesetzt habe. Sonst
müssen die Zahlen verderbt sein. Die Aufnahmen seit 168
hatten ohne Ausnahme über 300000 Köpfe ergeben; betrug
nun das Resultat des Census von 125/4 oder 115 4 nur
294 736, also gegenüber dem Census von 13130 eine Ab-
nahme von 24 000, so lag gerade hier die Gefahr einer falschen
Correctur durch Hinzufügen eines C am Anfang besonders nahe.
Es wäre «also sehr unvorsichtig, diese Censusz«ahlen irgendwie
historisch verwerthen zu wollen.
Nach der entgegengesetzten Seite hin, aber aus ähnlichem
Grunde, ist die Censuszahl für 70/69 und wahrscheinlich auch
die für 86 5 corrumpirt worden. In Folge der Ertheilung der
Civität an die italischen Bundesgenossen hatte sich die römische
Bürgerzahl mehr als verdoppelt, und dem entsprechend stiegen
die Censuszahlen. Die meisten Abschreiber und die eisten
Herausgeber der livianischen Epitome aber vermochten sich
dieses plötzliche Steigen nicht zu erklären, und haben so das
Ergebniss des Census_von 70/69: DCCCC (so der Nazarianus)
mit Auslassung des D am Anfang in CCCCL corrumpirt. In
ähnlicher Weise wird bei der Zahl des Hieronymus (hier un-
serer einzigen Quelle) für das Ergebniss des Census von 86/5
CCCCLX11I müia ein Z) ausgefallen sein. Was nun den Cen-
sus von 70/69 angeht, so ist klar, dass er nicht gerade 900000
Köpfe ergeben habeu wird; offenbar sind die niederen Stellen
der Zahl im Nazarianus ausgefallen, wie denn Phlegon 91 My-
riaden als Resultat giebt. Die Abmahme um 53000 seit 85
wäre die Folge des Sullanischen Bürgerkrieges.
') Venusia hat sich bekanntlich am Aufstand betheiligt, Spoletium
war latinische Colonie zur Zeit von Marius’ kimbrischem Siege (Cic. f. Com.
Baibus 21, 48).
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Der römische Census.
353
ä. Die formula togatorum.
Die römischen Censuszahlen umfassen, wie bekannt, erst
seit dem Socialkrieg die bürgerliche Bevölkerung der ganzen
italischen Halbinsel. Bis dahin hatten die Bundesstaaten und
latinisehen Colonien ihren eigenen, vom römischen unabhängigen
Census. Aber die Verpflichtung der Latiner und Bundesgenossen,
im Kriegsfall zu den römischen Heeren ihre Truppencontingente
zu stellen , brachte es mit sich , dass der führende Staat in
irgend einer Weise über die militärische Leistungsfähigkeit
auch der nichtrömischen Gemeinden Italiens unterrichtet sein
musste. Nach der jetzt herrschenden Ansicht wäre das Maxi-
mum der von jedem Staate zu fordernden Truppenzahl ein für
allemal in den Bundesverträgen fixirt gewesen1). Indess die
Ueberlieferung bestätigt diese Annahme keineswegs. Nicht nur
in dem Texte des rassischen foedus, der, wennschon vielleicht
nicht authentisch, so doch jedenfalls nach dem Muster wirklich
geschlossener foedera entworfen ist, sondern auch in dem un-
zweifelhaft echten Bundesvertrage mit Aetolien fehlt jede Be-
stimmung über die Höhe des zu leistenden Contingents. Der
cassische Vertrag, ein foedus aequum, setzt fest, dass beide
Theile einander im Kriegsfall „mit ganzer Macht“ zu Hülfe
kommen sollen2); der Vertrag mit Aetolien, ein ungleiches
Bündniss, bestimmt, dass Aetolien gegen alle Feinde Roms
Krieg führen soll8). Nur wenn es sich um Leistungen zur See
handelt, enthielten die Bundesverträge speciellere Bestimmun-
gen. So setzt der im Jahre 211 abgeschlossene erste Vertrag
mit Aetolien fest, dass die Römer gehalten sein sollten, die
Aetoler während des Krieges gegen Philippos mit 25 Penteren
zu unterstützen4); und in ähnlicher Weise verpflichtete das 264
abgeschlossene foedus mit Messana diese Stadt, den Römern
zu jedem Kriege eine Bireme zu stellen5). Der Grund dafür
’) Mommsen, R. F. II S. 398; mein Ital. Bund S. 202 f.
*) Dionysios VI 95.
*) Polyb. 22, 13 und daraus Liv. 38, 11.
*) Liv. 26, 24.
») Cic. Verr. V 19, 50 f.
Beloeb, Bevolkernngjlehro. I. 23
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354
Capitel VIII.
liest auf der Hand. Die Leistungsfähigkeit eines Staates zu
Lande hängt in letzter Linie von seiner Bevölkerung ah und
wird sich mit dem Wachsen oder Abnehmen der Bürgerzahl
vergrössern oder vermindern; die Leistungsfähigkeit zur See
aber ist zunächst bedingt von dem finanziellen Aufwande, den
ein Staat für seine Flotte zu machen gewillt ist. Hätten die
foedera keine Bestimmungen über die Höhe der Flottencontin-
gente enthalten, so würden die Bundesstaaten einfach ihre Ma-
rine haben verfallen lassen, da sie ja in ihren Handelsinteressen
durch die römische Flotte geschützt waren.
Indess je weiter die römische Herrschaft sich ausdehnte,
desto unabweisbarer musste die Nothwendigkeit sich geltend
machen, auch die Verpflichtung der Bundesgenossen zum Land-
dienst in vertragsmässiger Weise zu regeln. Ein gleichzeitiges
Aufgebot der gesammten waffenfähigen Mannschaft in allen
Bundesstaaten war seit der Einigung Italiens nahezu eine Un-
möglichkeit; Rom forderte für gewöhnlich nur einen Bruch-
theil der Contingente, die es nach den Verträgen zu for-
dern berechtigt war. Es lag im Interesse des führenden
Staates ebenso sehr wie der Bundesgenossen, die Last mög-
lichst gleichmässig zu vertheilen. Den einzigen gerechten
Maassstab dafür bildete die Zahl der zum Heerdienst taug-
lichen Mannschaften, der iuniores\ und es ist ausdrücklich be-
zeugt, dass die Aushebung der Bundescontingente im Jahre
193 wirklich nach diesem Maassstabe vorgenommen worden
ist1). Ebenso erliess die römische Regierung beim Ausbruch
des gallischen Krieges 225 an alle Bundesstaaten den Befehl,
die Verzeichnisse ihrer wehrfähigen Mannschaft einzusenden2),
was nur dann einen Zweck hatte, wenn man die Einforderung
der Contingente danach bemessen wollte.
Es ist also in Rom eine Liste geführt worden, auf der
sämmtliche Bundesstaaten mit der Zahl ihrer waffenfähigen
Mannschaft verzeichnet standen: die formula togaiorum , wie
») Liv. 34, 56.
!) Polyb. II 23, 9 (aus Fabius): xu&6).ov <f< tois vnoTtTayufrots
ivaiffijav tn(Ta{av unoyntufctg t<üv tv reut i)hx(cug, anovääZovrts tl-
litvai tö ovunttY 7i krj&os Trjt vTiaoyovo^g aVToig Ji/iciufoig.
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Der römische Census.
355
sie amtlich bezeichnet wird. Die Feststellung dieser Heeres-
matrikel musste natürlich eine Operation sehr complicirter
Katar sein. Sie basirte allerdings auf den Ergebnissen der
Censusaufnahmen in den Einzelstaaten; da aber der Census in
allen Bundesgemeinden und latinischen Colonien wenigstens bis
auf die Zeit des hannibalischen Krieges in völlig autonomer
Weise und ohne jede Controle römischerseits gehalten wurde1),
so Hessen sich diese Ergebnisse keineswegs ohne weiteres zur
Matrikel zusammenstellen. Auch wissen wir nicht, wie weit
dabei neben der Volkszahl noch andere Momente in Betracht
kamen, z. B. das mehr oder weniger günstige foedus: und es
kann sehr wohl sein, dass die latinischen Colonien verhältnissmässig
stärker herangezogen wurden als die Bundesstaaten. Pis müssen
lange Verhandlungen und mannigfache Compromisse erforder-
lich gewesen sein. Und nicht minder schwer musste es sein,
die einmal aufgestellte Heeresmatrikel zu ändern, da jede Ent-
lastung des einen Staates eine Mehrbelastung aller anderen
mit sich brachte. Man hat sich denn auch nur sehr ungern
zu Aenderungen in dieser Beziehung entschlossen. So führen
im Jahre 177 die Samniten und Paeligner in Itom Beschwerde,
es seien 4000 ihrer Bürger nach Fregellae ausgewandert, ohne
dass deswegen ihre Contingente vermindert oder das fregella-
nische Contingent erhöht worden wäre. Und es scheint nicht,
dass der Senat eine andere Abhülfe wusste, als die Auswan-
derer zur Rückkehr in die Heimath zu nöthigen2).
Vielleicht die erste Feststellung, oder wenn nicht, jeden-
falls eine neue Regulirung der Heeresmatrikel ist im gallischen
Kriege 225 erfolgt. Das Ergebniss derselben, zugleich mit An-
gaben über die römische Bürgerzahl und die gegen die Gallier
aufgestellten activen Streitkräfte hat uns Polybios aufbewahrt8),
der hier, wie wir gleich sehen werden, aus Fabius Pictor ge-
schöpft hat. Das polybianisehe Verzeichniss wird dadurch zu
l) Vgl. Livius 29, 87.
!) Liv. 41,8.
») Polyb. II 24.
28*
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356
Capitel VIII.
einer unserer werthvollsten Quellen für die Bevölkerungs-
statistik des alten Italien1).
Die römische Feldarmee war in folgender Weise zusammen-
gesetzt :
Fu>wvolk
Reiterei
zusammen
Zwei consularische Heere, 4 Legionen zu 5200
Mann und 300 Pferden
20 800
1200
22000
Bundesgenössische Contingeute dazu . . .
30000
2000
32000
Mobilisirtes Aufgebot der Etrusker und Sa-
biner über
50000
4000
54000
Aufgebot der Umbrer und SarBinaten . . .
20 000
—
20000
Aufgebot der Veneter und Cenomanen. . .
20 000
—
20000
Zwei Legionen in Tarent und Sicilien . . .
8400
400
8800
149 200
7600
156800
Die zum Schutze der Hauptstadt aufgestellte
Reserve
betrug :
Fassvolk
Reiterei
zusammen
Vier Bürgerlegionen
20000
1500
21500
Bundescontingente dazu
30000
2000
32000
50000
3500
53500
In den Listen standen verzeichnet:
Fassvolk
Reiterei
zusammen
Latiner
80000
5000
85000
Samniten
70000
7000
77000
Japyger und Messapier
50 000
16000
66000
Lueaner
30000
3000
33000
Marser, Marruciner, Frentaner, Vestiner . .
20000
4000
24000
Römer und Campaner gegen
250000
23000
273000
500000
58000
558000
Die Gesammtsuuune der einzelnen Posten ergiebt 699200
Mann zu Fuss, 69100 Reiter, im ganzen 768300 Mann. Po-
lybios giebt statt dessen „über 700000 Mann zu Fuss und
gegen 70000 Reiter“. Und zwar hat er diese Summe bereits
in seiner Quelle vorgefunden. Denn bei Diodoros, der in der
*) Ich folge in der Anordnung des Verzeichnisses im wesentlichen
Mommsen, Ii. F. II S. 386 f.
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Der römische Census.
357
Beschreibung des keltischen Krieges von Polybios unabhängig
ist, finden sich dieselben Zahlen1). Plinius, der aus Valerius
Antias geschöpft zu haben scheint, hat 700000 Mann zu Fuss
und 80000 Reiter2). Die Epitome des Livius, ebenso wie
Eutrop und Orosius, die gleichfalls aus Livius schöpfen, geben
800000 Mann8), von denen nach Orosius 348200 Mann zu
Fuss und 26600 Reiter von den Römern und Campanem ge-
stellt wurden. Wie Eutrop und Orosius ausdrücklich hervor-
lieben, berief sich Livius für diese Zahlen auf Fabius Pictor;
es kann also kein Zweifel sein, dass auch die Angaben bei
Polybios, Diodor und Plinius, direct oder indirect, auf dieselbe
Quelle zurückgehen 4).
Die annähernde Uebereinstimmung der überlieferten Ge-
sammtzahl mit der Summe der einzelnen Posten des polybia-
nischen Verzeichnisses beweist einerseits, dass uns dieses Ver-
zeichniss in der Hauptsache noch so vorliegt, wie es Fabius
gegeben hat. Andererseits aber zeigt ein Blick auf die Liste,
dass im einzelnen manche Corruptelen sich eingeschlichen
haben, was ja bei einer so grossen Menge von Zahlen nicht
anders zu erwarten ist. Es fällt zunächst auf, dass zu den
beiden Legionen in Tarent und Sicilien keine Bundescontin-
gente gehört haben sollen. Doch ist es möglich, dass man
damals in Friedenszeiten nur römische Bürgertruppen zu Be-
satzungszwecken verwendete. Wichtiger ist das Fehlen der
Brettier und der italischen Griechenstädte. Man hat allerdings
*) I>iod. XXV' 13. Man braucht nur dieses Capitel durchzulesen, um
sich von der Richtigkeit des gesagten zu überzeugen. Diodor giebt die
Stärke der Kelten zu 200000 Mann an, Polybios (II 23, 4) zu 70000;
Diodor weiss von 3 Schlachten, Polybios nur von 2; bei Diodor fällt der
Consul C. Atilius in der zweiten, für die Römer imglücklichen Schlacht,
bei Polybios in der letzten, wo die Gallier geschlagen werden. Liegt nun
der Erzählung bei Polybios, wie wohl unzweifelhaft, Fabius zu Gmnde, so
muss Diodore Quelle jünger sein; ihr Verfasser hat aber offenbar Fabius
vor Augen gehabt, und ihm die Angabe über die römischen Streitkräfte
entnommen.
*) Plin. H. N. UI 138; vgl. Mommsen, B. F. II S. 383.
*) Liv. Epit. 20; Eutrop. III 5; Orosius IV 13.
*) Mommsen, E. F. II S. 383 f.
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358
Capitel VIII.
gemeint, die Brettier seien unter den Lucanern einbegriffen
und die italischen Griechen überhaupt vom Landdienste frei
gewesen1). Indess fehlt nicht nur für letztere Annahme jeder
Anhalt — war doch das foeclus von Taras z. B. besonders un-
günstig — , sondern sie wird auch durch directe Zeugnisse
widerlegt2). Und was die Brettier angeht, so ist ihre Ein-
rechnung bei den Lucanern aus statistischen Gründen sehr un-
wahrscheinlich3). Brettien hat, den Parallelkreis von 39“ 50'
als Nordgrenze angenommen, einen Flächenraum von 13846,7
qkm4); Lucanien wird ungefähr dieselbe Ausdehnung haben.
Eine Zahl von 33000 in der formula togatorum verzeichneten
Waffenfähigen entspricht, wie unten gezeigt werden wird, einer
freien Gesammtbevölkerung von etwa 150000; das ergäbe,
wenn wir die Zahl auf Lucanien und Brettien zusammen
beziehen, 5,5 auf 1 qkm. Rechnen wir auch einige Tausend
qkm für die Gebiete der griechischen Städte ab, so wird das
Verhältniss kein wesentlich anderes. Wir haben Mühe, eine
so geringe Volkszahl für glaublich zu halten in einem alten
Culturiand, das zwischen dem dicht bevölkerten Sicilien und
dem dicht bevölkerten Campanien und Samnium in der Mitte
liegt. In dem benachbarten Japygien kommen nach unserer
Liste etwa 14 freie Einwohner auf 1 qkm; in dem römischen
Gebiete etwa 35. Selbst wenn wir die Zahl von 33 000 Waffen-
fähigen auf Lucanien allein beziehen, ergiebt sich eine Dichtig-
keit von nur 12 — 13 auf 1 qkm, also noch immer eine sehr
dünne Bevölkerung.
Es kann sein, dass die Brettier und italischen Griechen
nur durch Schuld der Abschreiber oder vielleicht des Polybios
ausgefallen sind; die Hauptsumme ist so rund, dass für einige
Tausend Reiter und einige Myriaden Fussvolk mehr bei den
Einzelposten Spielraum bleibt. Noch wahrscheinlicher ist es
aber, dass die Bürger der Griechenstädte und die halb helleni-
*) Mommsen, R. F. II 894 f.
ä) Liv. 24, 13.
8) Vgl. Wietersheim, Völkerwanderung I1 S. 197.
4) Nach der planimetrischen Berechnung des italienischen militär-
geographischen Instituts.
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Der römische Census.
359
sirten Brettier überhaupt nicht als zu den Togainännem ge-
hörig betrachtet wurden, sowenig wie die Unterthanen in Si-
cilien, die ja bei Fabius ebenfalls fehlen. Erinneni wir uns,
dass Tarent mit Brettien noch lange Zeit nach dem hannibali-
schen Kriege einen eigenen Verwaltungsbezirk gebildet hat und
dass in der Zeit, auf die sich unser Verzeichniss bezieht, hier
allein in Italien eine römische Legion als Besatzung lag.
Dagegen beruht es offenbar auf einem einfachen Versehen,
wenn unsere Liste, die sonst immer Reiterei und Fussvolk
sorgfältig auseinander hält, die Contingente der Umbrer und
Trauspadaner durch je eine einzige Zahl ausdrückt. Die An-
nahme wird kaum zu umgehen sein, dass die Angaben über
die Stärke der Reiterei hier ausgefallen sind1). Die Umbrer
und Sarsinaten mögen nach dem Verhältniss bei den übrigen
italischen Contingenten gegen 2000 Reiter gezählt haben; die
Veneter und Cenomanen wahrscheinlich beträchtlich mehr.
Denn ihre Nachbarn, die Boier und Insubrcr, hatten bei ihrem
Marsch auf Rom 225 neben 50000 Mann zu Fuss 20000
Reiter2). Nach diesem Verhältniss würden für die Veneter
und Cenomanen etwa 8000 Reiter anzunehmen sein; unter
4 — 5000 werden wir kaum herabgehen dürfen3).
Wir erhalten damit eine Reiterzahl, die ln jedem Falle
über die „gegen 70 000“ der polybianischen Summe weit hinaus-
geht und 80000 Mann nahe gekommen sein mag. Nun steht
es durch das übereinstimmende Zeugniss des Polybios und
Diodor ausser Zweifel, dass Fabius nur von 70000 Reitern
gesprochen hat. Es muss demnach irgendwo in den Einzel-
angaben unserer Liste ein Fehler stecken. Und wir brauchen
nicht lange zu suchen. Dass Apulien neben 50000 Mann zu
Fuss 16000 Reiter gestellt haben soll, also ein Viertel seines
Contingentes, ist schwer zu glauben. Das Contingent von Arpi
in der Schlacht bei Ausculum wird auf 4000 Mann zu Fuss
und 400 Reiter angegeben4); Campanien, wo die Verhältnisse
') Mommsen, II. F. II S. 388.
*) Polyb. II 23, 4 (nach Fabius).
*) Mommsen a. a. 0.
4) Dionys. XX 3.
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360
Capitel VIII.
sehr ähnlich lagen, stellte neben 30000 Mann zu Fuss nur
4000 Reiter1). Ich halte es demnach für unzweifelhaft, dass
Apulien nicht 16000, sondern nur 6000 Reiter gestellt hat;
das Verhältniss der Reiterei zum Fussvolk bleibt auch dann
noch ein höheres, als in irgend einer andern italischen Land-
schaft.
So -erklärt sich auch die Zahl von 80000 Reitern, die
Fliuius bietet. Sein Gewährsmann hat offenbar sich die Mühe
genommen, Fabius durch eine Addition der Einzelposteu zu
controliren ; und da er in seinem Exemplar, ebenso wie Poly-
bios, die Reiterei Apuliens um 10000 Mann zu hoch ver-
zeichnet fand, so ergab sich ihm natürlich eine um ebensoviel
höhere Gesam mtsumme.
Fast noch unglaublicher, als die Angabe über die Reiter-
zahl Apuliens, scheint es, dass die Bergvölker der Abruzzen,
die Marser, Vestiner, Marruciner, Frentaner, [Paeligner,] neben
20000 Mann Fussvolk 4000 Reiter gestellt haben sollen, also
Vs ihrer Gesammtzahl. Doch liegt der Fehler hier vielleicht
in der Zahl der Fusstruppen ; denn für ein so grosses (ca. 7000
qkm) und im Alterthum dicht bewohntes Gebiet2) wären etwa
20000 Waffenfähige oder gegen 100000 freie Einwohner auf-
fallend wenig. Denn von einer nennenswerthen Sklaven-
zahl kann hier in Hannibals Zeit doch wohl kaum die Rede
sein. Und dass jedenfalls irgendwo in unserer Liste die Zahl
der Fusstruppen zu niedrig angegeben ist, zeigt die Gesammt-
summe von „über 700000“, während die Summe der Einzel-
posten nur 699200 beträgt.
Und jetzt zur Bedeutung der Liste. Wir haben gesehen,
dass Fabius seine Gesammtsumme durch Addition der einzelnen
Posten gewonnen hat. Demnach müsste er die in den Listen ver-
zeichneten Mannschaften als den Rest angesehen haben, der nach
*) Liv. 23, 5.
a) Caesar Bürgerkr. I 15 : Doinüius per se cirdter XX cohortes Alba,
ex Mar sin et Paelignis, finitimis regionibus coegerat. Also 10000 Mann.
Dazu kämen dann weiter die Contingente der Vestiner, Marruciner, Fren-
taner. Und es handelte sich dabei keineswegs um eine Massenanshebung.
Man denke auch an die Leistungen der Marser im Socialkriege.
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Der römische Census.
361
der Mobilisiruug der im Felde stehenden Legionen noch für
spätere Aushebungen verfügbar blieb. Nun ist es im höchsten
Grade unwahrscheinlich, dass die von den Bundesgenossen im
Jahre 225 nach Rom eingesandten Verzeichnisse der wehrfähi-
gen Mannschaft die mobilisirten Truppen ausgeschlossen haben,
schon darum, weil nach Vollendung der Aushebung für die
Vornahme eines neuen Census kaum Zeit bleiben konnte. Was
Mommsen hier einwendet *), die ex formula zu stellenden Mann-
schaften seien bereits sämmtlich unter Waffen gewesen, und
der römische Senat habe an jede Bundesgemeiude die Frage
gerichtet, wie viele Waffenfähige sie noch über ihr Contingent
hinaus aufzubringen in der Lage sei, erledigt sich durch das
ol>en über die formula togatorum bemerkte. Und auch abgesehen
davon wäre es sehr sonderbar, wenn die vertragsmässige
Truppenleistung der Bundesstaaten nur eben ausgereicht hätte,
das regelmässige Contingent zu 8 oder 10 Legionen zu stellen;
wir begreifen dann nicht, wie es im hannibalischen Kriege
möglich gewesen ist, die Bundescontingente für mehr als die
doppelte Zahl von Legionen unter Waffen zu rufen und zwar
ex formula 3).
Wir müssten also annehmen,' dass Fabius genaue Kennt-
niss gehabt hat, wie viele Cohorten jedes einzelnen Bundes-
staates mobilisirt waren und in welcher Stärke; und dass er
sich die Mühe gegeben hat, diese Zahlen jedesmal von den in
der Liste verzeichneten Bundescontingenten abzuziehen. Nie-
mand wird behaupten wollen, dass Fabius in dieser Weise
verfahren ist. Ein Blick auf unser Verzeichniss genügt viel-
mehr, um zu erkennen, dass ihm nur die Zahl der aufgestellten
Legionen bekannt war; daraus erst berechnet er die Stärke
der mobilisirten Bundestruppen, indem er für jede Legion 7500
Mann zu Fuss und 500 Reiter ansetzt.
Doch nehmen wir für einen Augenblick an, Fabius sei
wirklich so verfahren, wie Mommsen behauptet, und machen
') B. Forsch. II S. 393.
>) Liv. 27, 9.
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362
Capitel VIII.
uns die Consequenzen der Sache klar. An römischen Bürgern
standen nach unserem Verzeichniss:
unter Waffen 49200 Mann zu Fuss, 3100 Reiter
in den Listen gegen 250 (XX) „ „ ? 23000 „
zusammen 299200 „ „ 26100 „
Die Bürgerzahl hätte sich also im ganzen auf 325300 waffen-
fällige Männer belaufen. Wenn diese Zahlen nicht völlig aus
der Luft gegriffen sind, so muss Fabius sie dem Resultate eines
Census entnommen haben, und zwar wahrscheinlich des Census
von 230 29, des letzten, der vor dem gallischen Kriege ge-
halten worden ist1). Nun hat der Census von 234'3 270 713
Köpfe ergeben ; ist es dann denkbar, dass sich die Bürgerschaft
innerhalb 4 Jahren um 55000 vermehrt hat? Man könnte
sagen, dass die Zahlen des Fabius die Passivbürger ein-
seliliessen, die Censussummen aber nicht. Indess wären 53 000
Köpfe für die Bevölkerung der im Jahre 225 bestehenden
Passivbürgergemeinden bei weitem zu wenig; zählte doch die
campanische Praefectur allein um diese Zeit 34 000 Bürger. Es
bleibt also nichts als der Ausweg, anzunehmen, dass die
Censussummen zwar die übrigen Halbbürgergemeinden ein-
schliessen, Capua aber, oder vielmehr die campanische Prae-
fectur nicht berücksichtigen -). Eine solche Annahme aber
wäre die reine Willkür und durch nichts zu begründen. Denn
die Hervorhebung der Campaner neben den Römern bei Fa-
bius beweist für eine Sonderstellung Capuas nichts ; Capua war
eben die hervorragendste der Halbbürgergemeinden und ver-
tritt als solche die ganze Kategorie. Und dass es zu Hanni-
bals Zeit noch eigene campanische Legionen gegeben hätte, ist
sehr unwahrscheinlich a).
Hier soll nun Orosius aushelfen, der, wie schon angeführt,
die Zahl der Römer und Campaner auf 348 200 Mann zu Fuss
und 26600 Reiter angiebt. Allerdings stimmt keine dieser
Zahlen mit den aus der Addition der Einzelposten bei Poly-
*) Niebuhr, R. G. II S. 81 : Herzog, Coinment. Momma. S. 135.
*) Mammaen, R- F. II S. 400 f.
s) Mein Rai. Bund S. 128 f.
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Der römische Census.
363
bios sich ergebenden Oesammtsuminen, wir müssten also erst
emendiren. Nichts ist einfacher: wir ersetzen ein C durch
ein L , fügen eine Einheit hinzu (CCLXXXXVIIIICC statt
CCCXXXXVIIICC), und die gewünschte Zahl von 299 200 Mann
zu Fuss ist fertig1). Bei den Reitern geht die Sache noch
leichter: wir streichen einfach ein D weg.
Nun ist es zwar ganz gleichgültig, wie Orosius, d. h. Livius
oder vielmehr dessen Quelle die fabischen Zahlen aufgefasst
hat, da wir ja die Liste selbst noch besitzen und im Stande
sind oder doch sein sollten, uns ein eigenes Urtheil zu bilden.
Indess wenn einmal bei Orosius emendirt werden soll, so lassen
sich aus seinen Zahlen ganz andere Schlussfolgerungen ableiten.
Es ist eine der gewöhnlichsten Corruptelen in unserer Ueber-
lieferung, dass am Anfang einer Zahl ein C ausgelassen oder
hinzugefügt wird. Die natürlichste Emendation der orosischen
Zahl CCCXXXXVIIICC ist also CCXXXXVIIICC, wie schon
Niebuhr gesehen hat 2). Die abgerundete polybianische Angabe :
fiiv eig eimooi /.ui nivxe z aiei.t%thjOav [ivgiddeg wird
dadurch in erwünschtester Weise präcisirt. Ebenso kann die
Zahl der Reiter bei Orosius XXUIDC durch leichte Aendermig
in XXUIDC verwandelt werden, was der Angabe l>ei Polybios
entspricht, der nur die Hunderter weggelassen hat.
Ueberhaupt aber führt die nahe Uebereinstimmung der
Censuszahl für 234 3: 270 713, mit der fabischen Zahl der
Römer und Cainpaner: 273000, oder wenn wir die Zahlen des
Orosius einsetzen, 271 800, fast mit Nothwendigkeit darauf, in
dieser letzteren Zahl die Gesammtsumme aller römischen Bür-
ger zu sehen, keineswegs blos den nach Abzug der mobili-
sirten Truppen bleibenden Rest Das ist denn auch bereits von
Niebuhr erkannt worden8).
Indess die Zahlen für die Römer und Campaner einer-
seits, die Bundeseontingente andererseits sind keineswegs
gleichartig. Rom konnte die eigenen Bürger nach freiem Er-
') Mommsen, R. F. II S. 389.
2) R G. II S. 81.
*) A. a. 0.
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364
Capitel VIII.
messen zum Kriegsdienst heranziehen, und wenn die Männer
über 46 Jahre auch für die Verwendung im Felde nicht in
Betracht kamen, so versahen sie dafür den Besatzungsdienst
in den römischen Festungen; es ist also nur in der Ordnung,
dass auch sie in der Zahl der römischen Waffenfähigen einge-
schlossen sind1). Ueber die Kriegsmacht der Bundesstaaten
aber konnte Rom nur verfügen nach Maassgabe der in der
formula togatorum verzeichneten Contingente ; und da es sich
hier um den Dienst ausser Landes handelt, d. h. ausserhalb
der Grenzen der einzelnen Bundesstaaten, so konnten diese
Contingente selbstverständlich die seniores nicht mitumfassen 2).
Fabius bezeichnet denn auch seine Liste der Bundestruppen —
und nur dieser — als beruhend auf den avayqaqxxl tüv ev
talg rjlc/.icug3), d. h. den tabulae iimionm (s. oben S. 354).
Aufgeführt werden folgende Contingente:
zu Fass
Latiner 80 000
Samniten 70000
Japyger und Messapier . 50000
Lucaner 80 000
Marser, Marruciner, Vestiner, Frentaner 20000 (?)
Etrusker und Sabiner 50000
Umbrer und Sarsinaten 20000
Veneter und Cenomanen ...... 20000
340000
Reiter
5000
7000
16000 (1. 6000)
3000
4000
4000
[2000]
[6—8000]
37-39000
Fabius beruft sich allerdings nur bei den Latinern, Sam-
niten, Japygera, Lucanern, Marsem, Marrucinem u. s. w. aus-
drücklich auf die Stammlisten, während er die Contingente der
Etrusker, Umbrer, Veneter und Cenomanen unter den mobili-
sirten Mannschaften aufführt. Indess gehen ohne Zweifel auch
diese Angaben auf die formula togatorum zurück. Wenigstens
») S. oben S. 317.
2) Mommsen, R. F. II S. 403, der nur den Unterschied zwischen rö-
mischen Bürgern und Bundesgenossen in dieser Hinsicht übersieht.
3) Polyb. II 23, 9. Es ist bemerkenswerth, wie Fabius die Angabe über
die Zahl der Römer und Campaner (‘ Pa>fja(cov di xal Kaunarä>v i) rrirjOue)
auch änsserlich zu den Angaben über die Zahl der Bundesgenossen in
Gegensatz stellt; sie folgt erst als Zusatz am Ende der ganzen Liste.
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I
Der römische Ccnsus.
365
die 54000 Etrusker und Sabiner sind keineswegs vollständig
mobilisirt worden, wie aufs klarste aus der Beschreibung des
gallischen Einfalls hervorgeht, die Polybios uns aus Fabius er-
halten hat. Das etruskisch - satanische Aufgebot wurde dem
Befehl eines Praetors unterstellt1); sollen wir denn annehmen,
dieser Praetor, dessen Namen Polybios gar nicht einmal anzu-
geben für nöthig findet, habe ein grösseres Heer geführt als
beide Consuln zusammen? Die Gallier schlagen denn auch
den Praetor ohne Anstrengung ; 6000 Mann fallen, die übrigen
werden vom Feinde eingeschlossen; ohne den Entsatz des
Consuls L. Aemilius wären sie verloren gewesen2). Es ist
klar, dass das Heer des Praetors bei weitem nicht 50 000 Mann
gezählt haben kann. Vielmehr hat Fabius in seiner Quelle
offenbar nur die Notiz gefunden, dass die Contiugente aus
Etrurien, Umbrien und dem Pothal mobilisirt worden seien;
die Zahlen selbst hat er aus der formula iogatorum eingesetzt.
In der That stimmen sie aufs beste zu den übrigen Theilen
der Liste.
Unser Verzeichniss gewährt uns so einen Blick in die
militärische Organisation des italischen Bundes. Wir sehen,
dass die einzelnen Bundesstaaten nach der ethnographischen
und geographischen Zusammengehörigkeit in 7 grosse Aus-
hebungsbezirke eingetheilt waren. Der erste umfasst die lati-
nischen Colonien, der zweite Samnium und ohne Zweifel auch
das Hirpinerland und die Bundesstädte in dem oskischen Cam-
panien ; die grosse Truppenzahl, die dieser Bezirk stellte, bliebe
sonst unerklärlich. Der dritte Bezirk umfasst die messapischen
Landschaften. Den vierten Bezirk bildet Lucanien. Der fünfte
umfasst die kleinen Völkerschaften des Hochapennin, die
Marser, Vestiner, Marruciner, Frentaner, Paeligner, welch
letztere durch ein Versehen bei Polybios oder schon bei Fabius
ausgefallen sind. Auch die drei damals noch foederirten Her-
nikerstädte Aletrium, Verulae, Ferentinum mögen zu diesem
Bezirke gehört haben, wenn sie nicht vielmehr dem folgenden
') Polyb. II 24, 6.
*) Polyb. II 25. 26.
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366
Capitel VIII.
zuzurechnen sind. Den sechsten Bezirk bilden die Etrusker
und „Sabiner“. Unter diesen letzteren sind natürlich nicht die
Bewohner der Praefeeturen von Reate und Nursia zu ver-
stehen, die bereits seit 290 die Civität hatten und also in den
römischen Legionen dienten, sondern wahrscheinlich die Ti-
burtiner und Praenestiner , weiterhin die Aequiculer von Cli-
temia und Nersa, wenn diese nicht vielmehr schon römische
Bürger waren, endlich vielleicht die Städte des mittleren Tiber-
thaies, wie Ocriculum, Ameria, Interamna, Tüder. Wir dürfen
nicht vergessen, dass die Grenzen zwischen den einzelnen ita-
lischen Landschaften in Wirklichkeit bei weitem nicht so be-
stimmt gewesen sind, als sie auf unseren Karten zur Darstel-
lung kommen. Der siebente Bezirk umfasst Umbrien und wohl
auch das picenische Asculum. Dazu kommt dann vielleicht als
achter Bezirk noch Brettien mit den italischen Griechenstädten.
Die Veneter und Cenomanen endlich standen in dieser Zeit
noch in keiner staatsrechtlichen Verbindung mit der italischen
Eidgenossenschaft.
Dass eine solche Einteilung der italischen Bundesgenossen
bestanden hat, würden wir auch ohne ausdrückliches Zeugniss
voraussetzen müssen1). Nur in dieser Weise war es möglich,
das jedesmal ausgeschriebene Truppencontingent auf die ein-
zelnen Bundesstaaten gerecht zu vertheilen. Zur Erleichterung
dieser Repartirung war die von jedem Bezirke zu stellende
Zahl der Fusstruppen in vollen Zehntausenden, die der Reiter
in vollen Tausenden angesetzt. Die Gesammtsumme betrug im
Jahre 225 320000 Mann zu Fuss und 31 000 Reiter2). Handelte
es sich nun z. B. um eine Ausheilung von 30000 Mann zu
Fuss und 2000 Reitern, wie das in diesem selben Jahre der
Fall war, so wurde von jedem Bezirk Vio der in den Listen
verzeichneten Fusstruppen, Vis der Reiter gefordert; der luca-
') Dass die latinischen Coionien zusammen einen Aushebungsbezirk
bildeten, zeigt ihr gemeinsames Handeln bei der Festsetzung der Contin-
gente für 209 (Liv. 27, 9 f.).
*) Diese Zahlen würden etwas zu erhöhen sein, im Falle auch die
Brettier in der formula togatorum verzeichnet waren, und das Contingent
der Marser u. s. w. bei Polybios zu klein angegeben ist.
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Der römische Census.
367
nische Bezirk hätte also beispielsweise 3000 Mann zu Fuss und
200 Reiter zu stellen gehabt. Die kleine Differenz, die bei
diesem Vertheilungsmodus gegenüber der Sollstärke bleil>en
würde, liess sich durch Abrundung der einzelnen Contingents-
ziffem leicht ausgleichen.
Uebrigens liegt es in der Natur der Sache, dass die in
unserer Liste angegebene Gesammtsumme der waffenfähigen
Mannschaft etwas hinter der Wahrheit zurückbleibt. Denn kein
Staat konnte in der formuln togatorum mit einem höheren
Contingente angesetzt werden, als er im Nothfalle wirklich
aufzustellen im Stande war; die Abrundungen auf Tausende
und Zehntausende sind also nach unten hin vorgenommen
worden. Dass noch andere Ursachen eine Verminderung der
Contingentsziffer herbeiführen konnten, ist schon oben bemerkt
worden. Die Gesamintzahl aller felddiensttüchtigen italischen
Bundesgenossen im Jahre 225, die Brettier und Griechen ein-
gerechnet, wird also die Zahl von 400000 überstiegen haben,
wenn auch schwerlich um sehr viel. Setzen wir nun die Män-
ner von über 46 Jahren, die setiiores, in rundem Verhältniss
auf die Hälfte der itmiores an, was sich in keinem Falle sehr
weit von der Wahrheit entfernt, so erhalten wir im ganzen
etwas über 600 000 erwachsene Männer, oder einschliesslich der
273000 römischen Bürger für ganz Italien eine erwachsene
männliche Bevölkerung von gegen 900 000 *), eine freie Gesammt-
bevölkerung von 2700000. Die italische Halbinsel südlich vom
44. Breitengrade, bis wohin damals ungefähr die römische Herr-
schaft sich erstreckte, hat einen Flächenraum von 129266 qkm
(s. unten Cap. IX, 1), wrovon etwa 22700 auf das römische
Gebiet, und folglich 106500 auf die bundesgenössischen Ge-
biete entfallen (s. oben S. 320). Im ersteren kommen also 12,
in letzteren nur 6 erwachsene Männer auf 1 qkm. In der
That führt uns auch sonst alles darauf hin, dass im Alterthum
l) Die Ausscheidung der körperlich zum Militärdienst untauglichen,
oder sonst aus irgend welchen Gründen davon befreiten Personen lag nicht
den Censoren, sondern den die Aushebung leitenden Beamten oh; unsere
Liste muss also alle überhaupt in dienstpflichtigem Alter stehenden Bürger
umfassen. Vergl. Mommsen, R. F. II 408 f.
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368
Capitel V11L
die Mitte der Haihinsel die dichteste Bevölkerung hatte. Eine
weitere Bestätigung der ungefähren Richtigkeit der obigeu
Zahlen giebt das Resultat des nach der Ertheilung der Civität
an die italischen Bundesgenossen gehaltenen Census von 70 69.
Es wurden damals 910000 ctvium capita gezählt. Der letzte
Census vor dem Socialkriege, dessen Resultat kritisch sicher
überliefert ist, der von 131 30, hatte 318823 Bürger ergeben,
also eine Vermehrung seit 229 von etwa 45000, oder um
14°/o; hätten sich die Bundesgenossen im selben Verhältniss
vermehrt, so würde ihre Zahl im Jahre 130 gegen 700000
betragen haben. Indess ist es aus vielen Gründen wahrschein-
lich, dass die Vennehrung bei der Bürgerschaft stärker gewesen
ist als bei den Bundesgenossen. In der Zeit seit dem hanni-
balischen Kriege hatte sich der Umfang des römischen Gebietes
in Italien beinahe verdoppelt, sehr viel Latiner und Bundes-
genossen hatten, rechtmässig oder unrechtmässig, die Civität
erworben, und der Zuwachs durch Manumissionen war ohne
Zweifel hier grösser als bei den Bundesgenossen. Die Zahl
der Bundesgenossen kann also im Jahre 130 700000 bei wei-
tem nicht erreicht haben. Andererseits ist es wahrscheinlich,
dass die freie Bevölkerung Italiens in der Zeit von 130 bis 70
in Folge des Socialkrieges und des Bürgerkrieges sich etwas
vermindert hat; zeigen doch schon die Friedensjahre vor der
Gracchenzeit eine kleine Abnahme der römischen Bürgerzahl.
Unsere Zahlen haben also eine hohe innere Wahrscheinlichkeit ;
ja selbst wenn die fabische Liste nicht erhalten wäre, würden
wir gezwungen sein, die Zahl der italischen Bundesgenossen zu
Hannibals Zeit etwa ebenso hoch anzusetzen.
Und jetzt noch ein Wort über die Reiter unseres Ver-
zeichnisses. Sie bilden bei der römischen Bürgerschaft an-
nähernd 90io, bei den Bundesgenossen — abgesehen von den
Cenomanen und Venetern — etwas über 8°/o der Gesammt-
zahl. Schon diese bedeutende Zahl ist Beweis dafür, dass wir
unter Reitern hier keineswegs Ritter ( equites ) im späteren
Sinne des Wortes zu verstehen haben, also Bürger mit über
400000 Sesterzen Vermögen. Es hätte sonst in dem Italien
dieser Zeit eine ganz abnorme Vertheilung des Wohlstandes
Di .i
Der römische (Jensus.
369
herrschen müssen. Vielmehr ist es klar, (hiss zur Zeit Hanni-
bals schon ein viel geringeres Vermögen zum Dienst zu Herde
berechtigte oder verpflichtete. Den ausdrücklichen Beweis dafür
geben die Berichte über die unmittelbar nach dem Kriege er-
folgten Coloniegrilnduugen. Es erhielten iugera in
die pedites
Copia (193 gegründet) 20
Vibo Valentin (192) 15
Bononia (189) 50
Aquileia (181) 50
die equites
40 (Liv. 35, 9)
30 adv. 35, 40)
70 (Liv. 87, 57)
140 (Liv. 40, 34).
Bei Coloniegründungen pflegen die Landloose reichlich Ite-
messen zu werden; sie mussten es hier um so mehr, als der
römische Bürger, der an einer latinischen Colonie Theil nahm,
damit sein Bürgerrecht aufgab und durch materielle Vortheile
dafür zu entschädigen war. Bei den in derselben Periode
begründeten Bürgercolonien schwanken die Landloose der
pedites zwischen 5 und 10 iugera1). Wenn demnach in Vibo
der Reitercensus 30 iugera betrug, so wird er im römischen
Gebiete selbst noch beträchtlich niedriger gewesen sein. —
Fabius hat also, wie wir gesehen haben, sein Verzeichniss
aus drei verschiedenen Quellen zusammengetragen: die Stärke
der mobilisirten Truppen ist aus der Zahl der aufgestellteu
Legionen berechnet; die Angabe über die Zahl der römischen
Bürger stammt aus der Censusliste; die Angaben über die
Zahl der waffenfähigen Bundesgenossen sind der formula toga-
torum entnommen. Um nun die Gesammtzahl der italischen
Wehrfähigen zu erhalten, hat Fabius diese drei ungleichartigen
Zahlenreihen einfach addirt. Das ist freilich ein sehr rohes
Verfahren; aber dürfen wir denn an Fabius Anforderungen
stellen wie an einen modernen Statistiker2)? Fabius musste
wissen, dass die in der formula togatorum verzeichneten Con-
tingente der Bundesstaaten nur die Zahl der iuniores ( oi iv
täte rjXixiatg) ausdrückten. Um auch die Zahl der seniores
1) S. die Uebersiclit Ital. Bund S. 117.
2) Mommsen, R. F. II S. 391 f. hätte nicht Polybios für das Ver-
zeichniss verantwortlich machen sollen. Polybios konnte nichts anderes
thun, als die Zahlen wiedergeben, wie er sie bei Fabius fand ; jedenfalls
hat er nichts anderes gethan, wie Mommsen selbst nachweist.
Beloch, Bsvölkerungslehre. I. 24
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370
Capitel VIII.
zu ermitteln, fehlte ihm jeder Anhalt: er half sieh, so gut er
konnte, indem er zur Ausgleichung dieses Deficits die Zahl der
mobilisirten Truppen zweimal in Ansatz brachte. In der That
stimmt die so erhaltene Summe, die Fabius selbst nur als
eine ganz approximative gegeben hat, annähernd mit der wirk-
lichen Gesammtzahl aller italischen W ehrfähigen überein. Nun
hätte Fabius sich allerdings darauf beschränken können, nur
die Zahl der zum Felddienst tauglichen Mannschaften, der
iuniores anzugeben, wofür die nöthigen Materialien ihm Vor-
lagen. Die Gesammtsumme würde sich dann auf etwa 500000
Mann zu Fuss und 50000 Reiter belaufen haben. Lidess, es
war Fabius darum zu thun, dem hellenischen Publicum, an das
er sich wendete, eine möglichst hohe Vorstellung von der Wehr-
kraft Italiens zu geben ; und übergrosse Gewissenhaftigkeit war
ja überhaupt nicht der Fehler der römischen Annalisten. So
hat Fabius in der Beschreibung des eisten punischen Krieges
die römischen Kriegsschiffe sänimtlich in I’enteren verwandelt
(s. unten S. 379 f.), und berechnet dann auf dieser Grundlage die
Zahl der Combattanten in der Schlacht bei Eknomos1). Auch
hier nicht, ohne den Leser auf die gewaltige Macht Roms aus-
drücklich hinzuweisen.
6. Die Censuszahleu aus der ersten Kaiserzeit.
Der Census von 70 69 ist der letzte, der in republikanischer
Zeit gehalten worden ist. Seitdem hat noch fünf Mal ein all-
gemeiner Census der Bürgerschaft stattgefunden : drei Mal unter
Augustus, ein Mal unter Claudius, ein Mal unter Vespasian.
Das Ergebniss dieses letzten, im Jahre 72 veranstalteten Census
ist uns nicht überliefert; wohl aber besitzen wir die Haupt-
summen der vier übrigen Census der Kaiserzeit.
Es wurden gezählt:
Jahr Lustrum Censoren civium capita
28 v. Chr. LXVI1I Imp. Caesar Octavianus
M. Vipsanius Agrippa 4 068 000 *)
') Polyb. I 26, 7. 8, der hier ohne jeden Zweifel Fabius vor sich
gehabt hat
*) Mon. Ancyr. II 2: civium Romanorum censa sunt capita quadra-
giens centum millia et sexagf i]nta tria millia. Der griechische Text giebt
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Der römische Census.
371
Jahr Lustrum Censoren civium capita
8 v. Chr. LXIX Imp. Caesar Augustus 4 283 000 *)
14 n. Chr. LXX Imp. Caesar Augustus
Ti. Caesar 4 937 000“)
47 n. Chr. LXXI Ti. Claudius Caesar Augustus
L. Vitellius 5 984 072 a)
Die Ergebnisse der Aufnahmen von 28 und 8 v. Chr. und
14 n. Chr. sind uns in einem officiellen Doeument auf epi-
graphisehem Wege erhalten. Die Zahlen stehen folglich absolut
sicher. In der Angabe über den Census des Claudius dagegen
differiren Tacitus und Eusebius um 1 Million. Bei der nach-
lässigen Ueberlieferung der Zahlen bei den Chronographen wird
die Angabe des Tacitus den Vorzug verdienen. Aber auch
noch aus einem anderen Grunde. Zwischen 8 v. Chr. und
14 n. Chr. hat sich die römische Bürgerliste um 704000 Köpfe
durch ein Versehen ffijxorra statt Fl tnaidiU;. Eusebius Armen. Ol.
188, 3 hat myriades CCCC et sexdecim et MM MM (4 164 000). Ebenso
Synkellos 593, 5 ( uvpteidet i<;' xai ,<I) und Hieronymus Ol. 188, 1 (XL!
centena et LXII11 tnilia). Prosper Aquitanus I 554 Rone, giebt noch
eine X mehr: X1A centena et Septuaginta quattuor tnilia. Der Grand
des Irrthums bei Eusebius liegt darin, dass er die quadragiens centum
milia des Augustus aufgefasst hat, als ob dastände quadragiens et centum
millia.
*) Mon. Ancyr. II 5: civium Bomanorufm capita] quadragiens
centum millia et ducenta triginta tria m[illia]. Der griechische Text ist
verstümmelt: (v [j] dn[or npt]att httuqaavro 'Pn>pa(\tov ret [gaxooiat efxoai
TQti( fjtvQiääts xnl r]Qi[a]/(hot.
*) Mon. Ancyr. II 8: [civium Rojmanorum capitum quadragiens
centum mill[ia et nongenta trjiginta et septem mittia. Der griechische
Text giebt die Zahl vollständig: (v f, dnoTfi/utjaet txttpqaavTo Pmualmv
xexQuxoottu (vevrjxovxa rptlf u vpiadeg xct't inraxio/Utoi. Dieselbe Zahl
scheint Eusebius Öl. 198, 2 gegeben zu haben, s. Mommsen, lies gestae
D. Aug. S. 39 f.
*) Tacit. Ann. XI 25: cettsa sunt civium LVI1II LXXXJIII LXXI1.
Eusebius gab 1 Million mehr: in der armenischen Uebersetzung Ol. 206, 2
und bei Synkellos S. 629, 1 : 694 Myriaden und 1000 , bei Hieronymus
Ol. 206, 4 LXVI1II centena et XLIIII milia, bei Prosper Aquit. I
S. 562 Rone. LXVIII centena et XLTV tnilia. Bei Cassiodor zum Jahr 46
ist die Zahl der Hunderttausende ausgefallen: inrenta sunt civium Boma-
norutn centena milia et XLIIII.
24*
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372
Capitel VIII.
vennehrt, also jährlich im Durchschnitt um 33500; zwischen
14 und 47 n. Chr., wenn wir die Zahl des Taeitus annehmen,
jährlich um 31700, wenn die Zahl des Eusebios, um 62000.
Wir sehen, die erstere Annahme hat viel grössere innere Wahr-
scheinlichkeit. Denn eine Ertheilung des römischen Bürger-
rechts an latinische oder peregrinische Gemeinden hat in diesem
Zeiträume, wenn überhaupt, nur in sehr beschränktem Maasse
stattgefunden.
Der letzte republikanische Census im Jahre 70/69 hatte
910000 civium capita ergeben; der erste Census der Kaiser-
zeit im Jahre 28, wie wir oben gesehen haben, 4063000. Beide
Zahlen sind kritisch nicht anfechtbar. Die Vermehrung der
Bürgerschaft hätte also in diesen 42 Jahren nicht weniger als
3153000 Köpfe betragen, d. h. die bürgerliche Bevölkerung
müsste sich in dieser Zeit mehr als vervierfacht haben. Liegt
ein solcher Zuwachs im Bereiche der Möglichkeit?
Zur Beantwortung dieser Frage werden wir uns zuerst klar
zu machen haben, an welche Gebiete in den Jahren von 69
bis 28 v. Chr. die römische Civität verliehen worden ist. Im
Jahre 69 war das römische Bürgergebiet im wesentlichen be-
schränkt auf Italien diesseits des Po; jenseits dieses Flusses
und in den Provinzen bestanden nur ganz vereinzelte Büxger-
gemeinden, im ganzen vielleicht etwa 201). Ja selbst auf dem
rechten To-Ufer hatten die Bergvölker des ligurischen Apennin
und einige andere Gemeinden, wie Ravenna, noch latinisches
Recht.
Dagegen finden wir im Jahre 28 v. Chr. das römische
Bürgergebiet bis zum Fuss der Alpen ausgedehnt, und es bestand
eine sehr ansehnliche Reihe von Bürgercolonien und Municipien
(etwa je 60) namentlich in den westlichen Provinzen des Reiches.
Der Gebietszuwachs in Italien allein wird auf etwa 70000 qkm
angeschlagen werden können3); der Zuwachs in den Provinzen
wird ohne Zweifel noch grösser gewesen sein, doch ist hier
mit unseren Mitteln eine numerische Schätzung nicht möglich.
>) S. oben S. 321.
2) S. oben S. 321 f.
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Der römische Census.
873
Jedenfalls hat sich die Ausdehnung des römischen Bürgergebietes
in der Zeit von 69 bis 28 v. Chr. mehr als verdoppelt.
An Dichtigkeit der Bevölkerung aber standen die meisten
dieser neu erworbenen Gebiete ohne Frage hinter der italischen
Halbinsel weit zurück. Und eine Vermehrung der bürgerlichen
Bevölkerung in Italien seihst hat in dem Zeitraum von 69 bis
28 sicher nicht stattgefunden. Bereits vor der Revolution, seit
der Mitte des II. Jahrhunderts, beginnt das Sinken der römi-
schen Bürgerzahl ') : sollen wir annehmen, dass sie sich während
der blutigen Bürgerkriege vermehrt hat? Der marsische Krieg
und der sich daran schliessende sullanische Bürgerkrieg soll
100 — 150000 römische Bürger hinweggerafft haben2); nach
denr Kriege zwischen Caesar und Pompeius herrschte in Italien
eine „schreckliche Entvölkerung“ 3). Augustus’ Maassregeln zur
Hebung der Volkszahl sind nur verständlich, wenn die Bürger-
schaft in den letzten Jahrzehnten sich relativ vermindert hatte,
oder doch stationär geblieben war. Die Trarrspadana kann, selbst
wenn die Volksdichtigkeit hier dieselbe war wie im übrigen
Italien (Rom selbst ausgeschlossen), um die Mitte des I. Jahr-
hunderts v. Chr. nicht mehr als etwa 300000 Bürger gezählt
haben4); das ergiebt mit den 910000 Bürgern, die der Census
von 69 ergeben hatte, zusammen 1 200 000. Mögen wir uns
nun die Bürgerrechtsverleihungen ausserhalb Italiens irr der
Zeit der Bürgerkriege noch so ansehnlich vorstellen: dass
2850000 Nicht-Italiker mit der Civität beschenkt worden wären,
wird Niemand behaupten wollen. Dem gegenüber auf die Manu-
nrissionen oder auf die angeblich grössere Genauigkeit der Auf-
nahmen unter Augustus hinzuweisen 5), heisst die Schwierigkeit
verschleiern, statt sie zu lösen. Haben doch die Manurnissionen
das Sinken der Bürgerzahl selbst in der Friedenszeit von 163
bis 130 nicht aufhalten können. Auch fallen einige 100000
') Liv. JEpit. 59, vergl. Gellius I 6; Plut Ti. Gracchus 8, und oben
die Censuszahlen.
*) Diod. 37, 29; Liv. bei Eutrop. V 9 und Oros. V 22.
*) Dio Cass. 43, 25: iSttrij öiiytivdgcunta.
4) 8. unten Cap. IX, 4.
“) Wie Zumpt, TI eher den Stand der Bei-öR-erunq im Altei'thum S. 31.
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374
Capitel VIII.
Köpfe mehr oder weniger kaum ins Gewicht. Es bleibt nur
ein Ausweg: civium capita muss im kaiserlichen Census eine
andere Bedeutung haben als in republikanischer Zeit.
Werfen wir hier, ehe wir weiter gehen, zunächst einen
Blick auf das Verfahren beim Provinzialcensus. Hatte der
Census der römischen Bürgerschaft in der älteren Zeit der
Republik politischen, militärischen und finanziellen Zwecken
gleiehmässig gedient, und war seit der Schlacht bei Pvdna der
finanzielle Zweck praktisch in Wegfall gekommen, so war da-
gegen für den Provinzialcensus von vornherein das finanzielle
Interesse das maassgebende. Demzufolge musste das Verfahren
bei dem Provinzialcensus in erster Linie durch die Steuerver-
fassung der I*rovinz bestimmt sein. Wo neben einer, sei es
in natura , sei es in Geld zu entrichtenden Grundsteuer directe
Abgaben an den römischen Staat nicht bestanden, wie in Si-
cilien und Asien — wenigstens in der republikanischen und
früheren Kaiserzeit — , konnte das Verfahren dem bei dem
römischen Census selbst üblichen nachgebildet werden. In
diesen Provinzen also bezeichnet die Hauptsumme des Census
die Zahl der erwachsenen Bürger männlichen Geschlechts. So
nennt Cicero Kentoripa die bedeutendste Gemeinde Siciliens
und giebt ihre Bttrgerzahl auf 10000 an1): es ist klar, dass
hier Weiber und Kinder nicht mitgerechnet sind. Dasselbe
sagt ausdrücklich Galenos, wo er die Bürgerzahl seiner Vater-
stadt Pergamon auf 40000 beziffert3). Anders lag die Sache
in den Provinzen, die neben der Grundsteuer noch eine Steuer
vom beweglichen Vermögen und eine Kopfsteuer entrichteten,
wie Syrien, Afrika, Britannien, Aegypten. Denn die Kopf-
steuer ((f OQog int nov aiopäriov, inixecpähov, tributum capitis )
wurde von der ganzen freien Bevölkerung ohne Unterschied
des Geschlechts entrichtet8), und in Folge dessen wurden hier
alle kopfsteuerpflichtigen (libera capita ) in der Hauptsumme
des Census zusammengefasst. Das ist in Aegypten schon in
') Cic. g. Ferr. II 68, 168; vergl. IV 28, 50.
*) Galen, vol. V p. 49 Kühn. Wenigstens was das weibliche Ge-
schlecht angeht. Von den Kindern spricht Galen überhaupt nicht.
*) App. Lib. 135; Ulpian Digg. 50, 15 § 8.
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Der römische Census.
375
der ptolemaeischen Zeit geschehen; nur so ist es verständlich,
wie Diodor die Bevölkerung des Landes auf 3 000 000 angeben
kann1). So hat in der Statistik des Reiches ein Begriff Auf-
nahme gefunden, der dem modernen Begriff der Gesammtbe-
völkerung wenigstens nahe kommt. Das erste Beispiel für uns
ist der Census der Helvetier, den Caesar nacli seinem Siege bei
Bibracte vornehmen liess. Das Resultat, 110 000 Köpfe (Hel-
vetiorum capita), begriff nach Caesars eigener ausdrücklicher
Angabe die Gesammtbevölkerung: Männer, Weiber und Kinder2).
In derselben Weise ist es ohne Zweifel zu verstehen, wenn
Plinius die Bevölkerung der drei nordwestlichen Convente
Spaniens zu 691 000 capita libera angiebt, oder wenn im Jahre
6, 7 n. Chr. im syrischen Apameia CXVI1 milia hominum civimn
gezählt wurden8). Denn anderenfalls erhielte man für das
augusteische Spanien eine Bevölkerung, die der heutigen Be-
völkerung der Halbinsel nicht viel nachstehen würde; und die
Bürgerzahl Apameias w ürde grösser sein als die von Antiocheia
oder von Alexandreia. Höchstens können wir zweifeln, ob die
Kinder hier eingerechnet sind. In Syrien z. B. waren im
III. Jahrhundert n. Chr. die Knaben unter 14 und die Mädchen
unter 12 Jahren von der Kopfsteuer frei4). In jeder Provinz
galten dafür besondere Bestimmungen, deren Ausgleichung erst
in der späteren Kaiserzeit eingetreten ist.
Augustus hat nun offenbar bei dem Census der Bürger-
schaft die Hauptsumme in derselben Weise gezogen, wie das
bei dem Census in den kaiserlichen Provinzen üblich war. Mit
anderen Wollen: unter civium capita des kaiserlichen Census
sind die Frauen und Kinder einbegriffen. Dass civium capita
diese Bedeutung haben kann, dafür geben die überlieferten
Censuszahlen aus republikanischer Zeit den besten Beweis, wenn
sie als civimn capita praeter orbos orbasque bezeichnet werden.
Der Zusatz wäre sinnlos, wenn civium capita nur die erwach-
senen Männer bedeuten könnte.
k) S. oben S. 257.
*) Caes. Gail. Krieg I 29.
*) Mommsen, Ephemeri s epigr. IV S. 537 — 42, R. (r. V 464.
4) Ulpian a. a. 0.
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376
Capitel VIII.
Ein directes Zeugniss für diese Annahme dürfen wir freilich
in unserer trümmerhaften Ueberlieferung nicht zu finden er-
warten. Schweigt diese ja auch über Augustus’ übrige Re-
formen im Census: die Ersetzung der fünfjährigen Zählungs-
perioden durch zwanzigjährige, die Anordnung nach Gemeinden,
Regionen, Conventen, Provinzen, statt der alten Anordnung nach
den Tribus. Aber wenn Augustus in dem Rechenschaftsbericht
über seine Verwaltung die Hauptsummen der drei von ihm
gehaltenen Census einfach als civium capita tot aufführt, ohne
jede Erwähnung der orbi orbaeque , so kann diese Auslassung
in einem officiellen Document nicht zufällig sein, und der Schluss
ist kaum abzuweisen, dass die Censuszahlen die Wittwen und
Waisen einschliessen. Ist das aber der Fall, dann müssen über-
haupt die Frauen und Kinder einbegriffen sein, sonst würden
die Zahlen ganz werthlos. So hält es denn auch Livius für
nöthig, da wo er den Census des Servius Tullius erzählt, aus-
drücklich hinzuzufügen, dass nach Fabius nur die waffenfähigen
Bürger in der Hauptsumme begriffen waren '). Bei Fabius er-
klärt sich diese Angabe aus der Rücksicht auf seine griechischen
Leser; bei Livius aber nur dann, wenn zu seiner Zeit ein
anderes Verfahren beim Census üblich war. Und Plinius giebt
das civium capita der Annalen sogar durch capita libera wieder,
ein Ausdnick, der in dem Provinzialcensus seiner Zeit üblich
war und die freie Gesanuntbevölkemng bezeichnet8). Wenn
er aber die älteren Censuszahlen so auffasste, so kann der
Grand nur in dem zu seiner Zeit üblichen Verfahren gesucht
werden.
Sehen wir, welche statistischen Consequenzen sich aus dem
gesagten ergeben. Unter einer Bevölkerung von 4 063 000 Seelen
befinden sich, das Verhältniss von 100 : 35 wie im heutigen
Frankreich mit seiner stationären Bevölkerung zu Grunde ge-
legt, 1420000 über 16 Jahre alte Männer. Bei der in dem
») Liv. I 44.
*) Plin. 33, 16. Vergl. Clason, Köm. Gesch. I S. 54, der nur nicht
mit dieser Auffassung des Plinius die Echtheit der für den Census von 392
überlieferten Bürgerzahl hätte vertheidigen sollen.
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Der römische Census.
377
Italien der damaligen Zeit herrschenden Ehe- und Kinder-
losigkeit wird aber dieses Verhältniss vielleicht noch zu niedrig
sein, und wir werden etwa IV2 Millionen erwachsene Männer
ansetzen dürfen. Das ist gegenüber dem Ergebnisse des Cen-
sus von 70 69 ein Zuwachs von 600000 Bürgern. Da, wie
wir gesehen haben, von einer natürlichen Vermehrung der
Bürgerschaft in diesem Zeiträume nicht die Rede sein kann,
so umfasst diese Zahl im wesentlichen die Bevölkerung der
zwischen 69 und 28 in den Bürgerverband aufgenommenen Ge-
biete. Von jenen 600000 Neubürgern mögen auf die Trans-
padana etwa 200 — 250000, auf die Provinzen 350 — 400 000
entfallen. Die Volksdichtigkeit der Transpadana würde bei
dieser Annahme um etwas, aber keineswegs sehr bedeutend,
hinter der des eigentlichen Italien Zurückbleiben, wie das ja
auch an und für sich sehr wahrscheinlich ist (s. unten Cap. IX, 4) ;
auf jede Bürgergemeinde in den Provinzen würden durchschnitt-
lich gegen 3000 Bürger entfallen. Die in den Provinzen ein-
zeln mit dem Bürgerrecht beschenkten konnten in dieser Zeit
numerisch noch kaum sehr in Betracht kommen; bei einer
Untersuchung, die nur mit grossen approximativen Werthen zu
rechnen hat, können sie ganz aus dem Spiele bleiben, um so
mehr, als ja bereits von den 70 69 gezählten Bürgern ein grosser
Theil in den Provinzen zerstreut lebte. Auch ist nicht zu ver-
gessen, dass Caesar und Octavian Zehntausende von Italikern
als Colonisten in die Provinzen gefühlt hatten1).
Man wird nicht in Abrede stellen, dass in dieser Weise
das Problem der Censuszahlen der Kaiserzeit seine einfache und
natürliche Lösung findet. So erklären sich auch die Schwierig-
keiten, mit denen Augustus bei der Aushebung seiner Heere
zu kämpfen hatte. Die 25 Legionen, die der Kaiser bei seinem
Tode hinterliess, bildeten mit den Praetorianern und Stadtsoldaten
ein Effectiv von kaum 150000 Mann, und doch war es nöthig,
selbst für den regelmässigen Ersatz in der Hauptsache auf
Latiner und Peregrinen zurückzugreifen2). Wie es bei ausser-
') Sueton. Caes. 42: octoginta antem cirium milibus in transmarinas
colonias distributis.
*) Mommsen, Hermes 19 (1S84) S. 1 ff.
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378
Capitel VH!.
gewöhnlichen Anforderungen bestellt war, zeigen die Vorkomm-
nisse im pannonischen Aufstand und nach der varianischen Nieder-
lage1). Das ist verständlich, wenn das Reich eine bürgerliche
Bevölkerung von 4—5 Millionen Einwohnern zählte; ganz un-
verständlich aber, wenn diese Bevölkerung 12—15 Millionen
betrug.
Fragen wir jetzt nach den Motiven, die Augustus veran-
lassten, die Hauptsumme seines Census in anderer Weise zu
bestimmen als es unter der Republik üblich gewesen war, so
liegt die Antwort nahe genug. Es ist das vollkommnere sta-
tistische Verfahren, das über das unvollkommene den Sieg
davonträgt Maassgebend war ausserdem der Wunsch, mit den
Ergebnissen des Census der kaiserlichen Provinzen vergleich-
bare Zahlen zu erhalten ; endlich war es so möglich, den Erfolg
der Maassregeln zur Hebung der bürgerlichen Bevölkerung des
Reiches sogleich zu erkennen, während derselbe bei dem alten
System erst nach 17 Jahren in den Censuszahlen zum Aus-
druck gekommen wäre.
7. Die militärischen Leistungen Italiens.
Die Angaben über die Stärke der Heere und Flotten, die
für Griechenland unser hauptsächlichstes Hüllsmittel zur Be-
stimmung seiner Bevölkerung im Alterthum bilden, haben für
Italien neben den Censuszahlen nur secundäre Bedeutung. Es
liegt also keine Veranlassung vor, an dieser Stelle erschöpfend
darüber zu handeln. Immerhin aber wird es zweckmässig sein,
die militärischen Leistungen Roms in einigen der wichtigsten
Kriegen kurz zu besprechen, um auch von dieser Seite her den
Beweis für die Richtigkeit, oder doch wenigstens für die Zu-
lässigkeit der oben entwickelten Auffassung der überlieferten
Censuszahlen zu geben.
Die 40 000 Mann, die an der Allia gekämpft haben sollen 2),
und die 10 Legionen, die angeblich bei dem Einfall der Gallier
1 ) Plin. H. N. VII 149 nennt servitiorum delcctus, iuventutis penuria
unter (len Calamitäten der Regierung Augusts.
*) Plut. Catn. 18, vergl. Diod. XIV 114.
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Der römische Census.
379
349 aufgeboten worden sind1), mögen auf sich beruhen. Die
Nachricht, dass Rom zur Zeit der Schlacht bei Sentinum 296
9 Legionen ins Feld gestellt hat 2), wäre an sich keineswegs un-
glaublich, nur ist es sehr zweifelhaft, ob die Annalen bereits
in dieser Zeit Angaben der Art enthalten haben. Bei Ausculum
gegen Pyrrhos sollen 4 Legionen gekämpft haben, und zwar
ausschliesslich der Contingente der Halfcbürger : mit diesen und
den Bundesgenossen habe das römische Heer 78 000 Mann ge-
zählt3). Vier Legionen mit den dazu gehörigen Bundestruppen,
also in runder Zahl 40000, wurden nach Fabius4) im Jahre
263 nach Sicilien geschickt, und von vorübergehenden Redue-
tionen abgesehen scheint diese Macht bis zum Ende des Krieges
auf der Insel geblieben zu sein. Philinos allerdings spricht
von 100000 Mann, mit denen die Römer Akragas und Lily-
baeon belagert hätten5), aber er sieht die Dinge von kartha-
gischer Seite, und es ist für den Besiegten immer ein Trost
gewesen, die Stärke des siegreichen Feindes zu überschätzen.
Sehr schwere Bedenken erregen auch die Angaben des
Polybios über die Stärke der römischen Flotten in diesem
Kriege. Sagt uns doch Polybios selbst, dass Rom zu seiner
Zeit, trotz seiner so bedeutend gestiegenen Macht, nicht mehr
im Stande war, solche Flotten zu bemannen*). Man hat be-
rechnet, dass der Tonnengehalt der 680 Fünfruderer, die auf
römischer und karthagischer Seite bei Eknomos gekämpft haben
sollen, dem Tonnengehalt aller heute in sämmtlichen Flotten
') Liv. vn 25.
ä) Liv. X 26.
3) Dionys. XX 1.
4) Bei Polybios I 16, 2.
6) Bei Diodor. XXIII 7; XXIV 1, 1.
6) Polyb. I 64, I: xal tl dijtiou /ml tu alttov, änootjOai tig av, ön
xtxgairjxoTts rüv oXiuv xctl TtoXlanlaalav t/ovtcg vhiqox’iv vvv q
Ttgöa&tv ovr' av nXrjgdjaat toaavrat vaO( out' avanXevaai TtjXucovToii
OToXoig dvvr]9iitv ; ou utjv äXXa nt gl /xev TavTijt rrjg uuogtas (Utytüt
/Simm rag alt Ca; xaravoiiv, ott /jzl ttjv i( ijyrjoiv auttüv rrjf noltttlag
iWinu (v. Leider steht nichts darüber in den erhaltenen Theilen des
VI. Buches.
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380
Capitel VIII.
der Welt vorhandenen Panzerschiffe gleich kommen würde ; die
Besatzung Übertritte an Zahl die Mannschaften aller heutigen
Kriegsflotten zusammengenommen1). Verdächtig ist auch der
Umstand, dass Polybios in der Regel so spricht, als ob die
Flotten, die im ersten punischen Kriege gekämpft haben, aus-
schliesslich aus Penteren bestanden hätten. Denn alle Flotten
des III. und II. Jahrhunderts, von deren Zusammensetzung wir
nähere Kenntniss haben, enthalten zum sehr grossen Theile
Schiffe niederer Ordnungen ; und Polybios selbst sagt uns, dass
die römischen Bundesgenossen am Anfang des Krieges nur
Trieren, Dreissigruderer und andere kleinere Schiffe gestellt
hätten2). Bei dem grossen Flottenbau des Jahres 261 wurden
neben 100 Penteren noch 20 Trieren erbaut3), und aus der
Inschrift der columna rostrata wissen wir, dass auch die kar-
thagische Flotte bei Mylae zum Theil aus Trieren bestanden
hat4). Offenbar enthielten die Quellen, die Fabius Pietor Vor-
lagen, meist nur die Gesammtzahl der aufgestellten Kriegs-
schiffe, ohne Angabe, wieviele davon Penteren, Dreissigruderer
usw. gewesen sind, oder wieviele Rom selbst, und wieviele den
Bundesgenossen gehörten ; Fabius hat dann kurzweg alle Schiffe
zu Penteren, und zwar zu römischen Penteren gemacht.
Sicher verbürgte Angaben über die Stärke eines römischen
Heeres erhalten wir zuerst bei Gelegenheit des gallischen Ein-
falls 225. Nach Fabius6) wurden 10 Legionen aufgestellt:
4 im Felde, 4 als Reserve in Rom, 2 in Tarent imd Sicilien;
im ganzen 52300 Mann Bürgertruppen mit 64000 Mann Bun-
desgenossen , ungerechnet den etruskischen und umbrischeu
Landsturm. Es scheint, dass Rom niemals vorher so bedeutende
Massen ins Feld gestellt hatte.
Der hannibalisehe Krieg erforderte die Anspannung der
gesammten Militärkraft Roms und seiner Bundesgenossen. Im
Jahre 218 wurden 6 Legionen aufgestellt, je 2 für Gallien,
*) Nissen, Ital. Landeskunde I S. 127.
*) Polyb. I 20. 14.
*) Polyb. II 20, 9.
*) CIL. I 195.
R) Bei Polyb. II 24.
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Der römische Census.
381
Spanien und Afrika, welche letzteren später ebenfalls in Gallien
verwendet wurden, in der Gesammtstärke von angeblich 25 800
Bürgern und 44 000 Bundesgenossen1). Eine weitere Legion
stand wahrscheinlich auf Sicilien2); die Flotte soll 220 Pen-
teren (?) gezählt haben. Bis zum Frühjahr 216 wurden die
Legionen auf 17 vennehrt, trotz der Verluste an der Trebia
und am Trasimenus, nämlich 8 gegen Hannibal8), 1 auf Sar-
dinien4), je 2 in Spanien, Gallien5), Sicilien8) und als Reserve
in Rom T).
Die Verluste des Jahres 216 bei Cannae — 6 Legionen8) —
und in Gallien — 1 oder 2 Legionen — wurden durch neue
Aushebungen im Laufe der nächsten Jahre mehr als ersetzt.
Nach den Annalen hat das römische Heer von 215 bis zum
Ende des Krieges folgende Stärke gehabt:
215 : 12 Legionen (Liv. 24, 11).
214 : 18
213 : [20]
212 : 23
211 : 23
210 : 21
209 : [21]
208 : 21
207 : 23
206 : [20]
(Liv. 24, 11).
(vergl. Liv. 24, 44).
(Liv. 25, 3).
(Liv. 26, 1).
(Liv. 26, 28).
(vergl. Liv. 27, 7).
(Liv. 27, 22).
(Liv. 27, 36).
(vergl. Liv. 28, 10).
>) Liv. 21, 17. 26. Polyb. UI 40, 14; 41, 2; 56, 5. 6. Zahlen aber
die Stärke der Legionen scheint Fabius noch nicht gegeben zu haben, da
Polybios die beiden consularischen Heere an der Trebia einfach mit ihrer
Normalstärke von 40 000 Mann in Ansatz bringt (III 72, 11. 12).
*) Vergl. Liv. 21, 49.
>) Polyb. HI 107, 9; 113, 5. Liv. 22, 26.
*) Polyb. III 75, 4. Liv. 23, 34.
s) Liv. 23, 24. Nach Polyb. III 106, 5 scheint nur 1 Legion in
Gallien gestanden zu haben.
«) Polyb. III 75, 4. Liv. 28, 31. 32 u. s. w.
7) Liv. 23, 14, 2. Von jetzt an bis zum Ende des Krieges ist be-
ständig eine Reserve von 2 Legionen in Rom versammelt gewesen, die
sog. legiones urbitnae.
s) Aus den Trümmern der 8 cannensischen Legionen werden nach
der Schlacht 2 Legionen gebildet: Liv. 26, 28 und öfter.
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882
Capitel VIII.
205 : [20] Legionen (vergl. Liv. 28, 45).
204 : [20]
203 : 20
202
201
200
16
14
6
(vergl. Liv. 29, 13).
(Liv. 30, 2).
(Liv. 30, 27).
(Liv. 30, 41).
(Liv. 31, 8).
Die Zahlen für 213, 209, 206—204 sind nicht direct überliefert,
lassen sich aber nach den Angaben über die Aushebungen, die
vernichteten oder aufgelösten Legionen und die Vertheilung
der Heere auf den Kriegsschauplätzen mit Sicherheit ergänzen.
Für die Jahre 215 und 210—200 stimmt die Summe der Einzel-
posten mit der überlieferten Gesammtzahl der Legionen; da-
gegen übersteigt sie dieselbe in den 4 Jahren von 214 bis 211
um je 2 Legionen. Diese constante Differenz verbietet uns,
an einen Additionsfehler oder an eine Corruption der Zahlen
zu denken. Es müssen also während dieser Jahre je 2 Legionen
mit Unrecht aufgeführt sein, und der Fehler lässt sich denn auch
mit ziemlicher Sicherheit nachweisen. Es ist absolut unerfind-
lich, warum Rom in den Jahren 214 und 213 ein Heer in
Picenum unterhalten haben sollte, während Ariminum mit 2
Legionen besetzt war, und das zu einer Zeit, wo man an Mann-
schaft den grössten Mangel hatte. Indess es ist bekannt, wie
die Römer im IH. Jahrhundert das Gebiet zwischen Ancona
und Rimini bald als einen Theil von Picenum ansahen, bald
als ager Gdllicus dem ager Picenus gegenüberstelleu. Offen-
bar ist hieraus der Irrthum der Annalisten entstanden: von
den einen wurde das zum Schutze Italiens vor den Galliern
bestimmte Heer als in Picenum aufgestellt bezeichnet, von den
anderen als im ager Galliens ; und so sind denn aus dem einen
allmählich zwei Heere geworden. Die 2 Legionen in „Gallien“,
die 214 — 211 aufgeführt werden, und von deren Thätigkeit
wir nicht das geringste hören, sind demnach als Duplicat der
picentischen Legionen des Varro zu beseitigen. Als dieses Heer
dann 212 nach Campanien gezogen wurde, werden 2 neue Le-
gionen nach Etrurien geschickt, deren hauptsächlichste Aufgabe
doch eben die Deckung der Nordgrenze Italiens gegen die Gallier
sein musste.
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Der römische Census.
383
Dass diese Angaben über die Stärke und Verkeilung der
Heere in der Hauptsache auf die officielle Stadtchronik zurück-
gehen, darf nicht bezweifelt werden, denn sie stehen bei Livius
stets in unmittelbarer Verbindung mit der Magistratsliste und
anderen Angaben, die sicher aus den Annales maximi geflossen
sind1). Und je näher wir die Liste prüfen, desto mehr be-
stätigt sich uns ihre Echtheit. Es liegt in der Natur der Sache,
dass ein Krieg, der auf so vielen und zum Theil weit entlegenen
Kriegsschauplätzen gefühlt wurde, die Entfaltung sehr bedeu-
tender militärischer Mittel erforderte ; und die Besiegung Hanni-
bals ist nur erklärlich, wenn Rom über eine grosse numerische
Uebermacht verfügen konnte. Mag unsere Liste in einigen
Punkten interpolirt sein: dass zwischen 214 und 203 gegen
20 römische Legionen in Waffen gestanden haben, ist eine
Thatsache, die sich in keiner Weise bestreiten lässt.
Aber allerdings waren diese Legionen keineswegs vollzählig.
Wenn die 117 Cohorten des Pompeius bei Pharsalos statt gegen
60000 nur 45000, die 82 Cohorten Caesars gar statt über
40 000 nur 22000 Mann zählten2), wie müssen die Heere in
dem so laugen und verlustvollen Kriege gegen Hannibal zu-
sammengeschmolzen sein! Die 4 Legionen in Spanien hatten
bei der Eroberung von Neu-Karthago 209 einen Effectivbestand
von 27500 Mann8), offenbar einschliesslich der spanischen Ilülfs-
truppen, sodass Scipio bald nachher genöthigt war, die Flotten-
mannschaften in sein Laudheer einzureihen. Etwas besser lagen
die Verhältnisse wohl in Italien; aber das Effectiv der römischen
Heere (abgesehen von den Bundesgenossen) wird im hannibali-
schen Kriege kaum jemals 60—80 000 Mann überstiegen haben.
Ueber die Stärke der römischen Flotte sind wir weniger
gut unterrichtet, da unsere Quellen auch hier gewöhnlich unter-
lassen, die Schiffe nach dem Range zu speeificiren. Das spa-
nische Geschwader zählte 217: 35 Schiffe4) einschliesslich eines
') Nissen, Unters, über die Quellen des Idvius S. 86 ft.
*) Caesar, Büryerkr. III 88. 89.
*) Polyb. X 9, 6.
4) Polyb. III 95, 5.
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384
Capitel VIII.
massaliotischen Contingents; und ebensoviele hatte Scipio 209
bei dem Angriff auf Neu - Karthago *). In dem Vertrage mit
Aetolien 211 hatten sich die Römer zur Stellung einer Hülfs-
flotte von 25 l’enteren verpflichtet *), und dieselbe Zahl Anden
wir im Jahre 208 in den griechischen Gewässern3). Sicilieu
wird am Anfänge des Krieges von 50 *), später von 100 Schiffen
vertheidigt5). Dazu kommen noch Geschwader in Sardinien und
Ostia, sodass die ganze römische Flotte während des grösseren
Theiles des Krieges an 200 Schiffe gezählt haben muss, zu
deren Bemannung etwa 40—50000 Soldaten und Ruderer er-
forderlich sein mochten, die aber zum grössten Theile aus
Bundesgenossen und Sklaven bestanden.
Im Laufe des II. Jahrhunderts ist Rom niemals gezwungen
gewesen, auch nur annähernd solche Anstrengungen zu machen,
wie während des Krieges gegen Hannibal. Gegen Antiochos
wurden im Jahre 100 14 Legionen6) und etwa 100 Deckschiffe 7)
aufgestellt; ausserdem haben nur noch während des letzten
Krieges mit Karthago und während des kimbrischen Einfalls
solche Streitkräfte unter Waffen gestanden.
Erst der Bundesgenossenkrieg nöthigte Rom von neuem
zum Aufgebot seiner gesammten Wehrkraft. Die Stärke des
römischen Heeres im Jahre 90 wird auf 100000 Mann ange-
geben, aber einschliesslich der Contingente der treugebliebenen
Bundesgenossen ; ebenso hoch belief sich die Stärke des Heeres
der aufständischen Italiker8), Zahlen, die keineswegs übertrieben
scheinen. Im Winter 90/89 war Rom bereits genöthigt, zur
Aushebung von Freigelassenen seine Zuflucht zu nehmen 9), was
>) Polyb. X 17, 13.
!) Liv. 26, 24.
») Liv. 28, 5.
4) Liv. 21, 52.
5) Liv. 26, 2; 27, 22 und öfter.
*) Liv. 37, 2; vergl. 37, 50.
') Liv. 36, 2. 42.
8) App. Bürgcrkr. I 39.
9) App. Bürgerkr. I 49: <Si' äntke v9fguv, rörf timZtov tg argarntr
<f*’ la toq(«v nvifQtov XCCTltXeyfyTlOV.
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Der römische Census.
385
seit dem hannibalischen Kriege nicht mehr vorgekommen war.
Gegen Sulla sollen Cinna und Carbo nach der massigsten An-
gabe 100000 Mann gerüstet haben1); wie Sulla selbst in seinen
Memoiren angab, 450 Coborten oder über 200 000 Mann a). Dem
gegenüber hatte Sulla bei seiner Landung in Italien nur 5 Le-
gionen, oder einschliesslich seiner griechischen Hülfstruppen
30— 40000 Mann3), die allmählich im Laufe des Krieges auf
23 oder gar 47 Legionen 4) vermehrt wurden, im Bestände von
120000 Mann8). Der Gesammtverlust Italiens im Bundes-
genossen- und ersten Bürgerkriege wird auf 100 000 8), 150 000 7)
oder selbst 300 000 8) Mann angegeben, welch letztere Zahl aller-
dings ohne Zweifel sehr übertrieben ist-
Der Bürgerkrieg zwischen Caesar und Pompeius ist mit
viel geringeren Streitkräften ausgekämpft worden. Anfang 49
standen 22 Legionen unter Waffen: davon hatte Caesar 9 in
Gallien9), Pompeius 2 in Italien 10), 6 in Spanien11); 2 standen
in Syrien, 2 in Kilikien12), 1 in Afrika18). Das gäbe eine Soll-
stärke von über 100000 Mann, hinter der die Effectivstärke
freilich beträchtlich zurückblieb. So mussten die beiden Le-
gionen in Kilikien zu einer einzigen schwachen Legion ver-
einigt werden u), und auch Caesars Legionen waren bei weitem
nicht vollzählig 18). Das römische Heer wird also zu Anfang 49
nicht über 60 — 70000 Mann gezählt haben. Und diese Macht
]) Appian, Bürgerkr. I 82.
*) Bei Plut. Sulla 27, vergl. Yell. I 84.
*) Yell. I 34; App. Bürgerkr. I 79.
*) App. Bürgerkr. I 100; Liv. Epit. 89.
5) App. Bürgerkr. I 104.
«) Di od. 37, 29.
*) Liv. bei Eutrop. V 9 und Oros. V 22.
") Veil. I 15.
») Caes. Gail. Kr. VIII 54.
,0) Caesar a. a. 0.
") Caes. Bürgerkr. I 85.
,ä) Caes. Bürgerkr. III 4.
’*) Caes. Bürgerkr. II 28.
14) Caes. Bürgerkr. III 4.
' ,6) Caes. Bürgerkr. III 2.
Bel och, Bevölkerung*! ehre. I. 25
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386
Capitel VIII.
war zum grossen Theile aus der Transpadana conseribirt, die
das römische Bürgerrecht noch nicht hatte.
Bei Ausbruch des Bürgerkrieges befahl der Senat im eigent-
lichen Italien eine Aushebung von 130000 Mann1), die indess
in Folge von Caesars Einfall nur zum kleineren Theile zur
Ausführung kam. Pompeius conscribirte ferner aus den römi-
schen Bürgern in Spanien eine2), in Asien 2, in Makedonien
1 Legion3). Ebenso veranstaltete Caesar Aushebungen in seiner
Provinz, dem diesseitigen Gallien und im eigentlichen Italien,
woraus einschliesslich der pompejanischen Gefangenen 15 neue
Legionen formirt wurden4).
Bei seinem Tode hinterliess Caesar über 40 Legionen.
Nach der Schlacht bei Mutina hatte Octavian 17, Antonius 16,
Lepidus 10, Brutus und Cassius 19 Legionen, 4 standen in
Afrika, was zusammen 66 Legionen ergiebt5). Bei Philippoi
standen 19 Legionen des Brutus und Cassius (80000 Mann)®)
gegen ebenfalls 19 Legionen (etwa 100000 Mann)7) der Trium-
virn. Nach dem Siege waren 29 Legionen, über 170000 Mann,
zu versorgen8). Im Jahre 36, nach Besiegung des Sextus
Pompeius, hatte Octavian 44 — 45 Legionen, Antonius gegen 30.
Nach der Schlacht bei Aktion scheint Octavian gegen 50 Le-
gionen gehabt zu haben9). Seinen eigenen Angaben zufolge
hat er während seiner ganzen Laufbahn zusammen gegen 500000
römische Bürger in seinen Heeren gehabt, von denen etwas
mehr als 300 000 nach Ablauf ihrer Dienstzeit entlassen worden
sind. Bereits im Jahre 29 v. Chr. waren 120000 Veteranen
Octavians in den Militärcolonien angesiedelt10), viele müssen in
*) App. Bürgerkr. II 34.
*) Caes. Bürger kr. II 18. 20.
*) Caes. Bürgerkr. III 4.
4) Grotefend, Zeitschr. f. AHerthumsw. 1840 S. 643.
*) Grotefend a. a. 0. S. 649.
°) App. Bürgerkr. IV 88.
’) App. Bürgerkr. IV 108.
8) App. V 5.
9) Mommsen, Mo». Ancyr. S. 74 f. (2. Aufl.)
,0) Man. Ancyr. III 19.
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Der römische Census.
887
den Jahren 42 — 30 gestorben sein, immerhin aber ist der
bei weitem grössere Theil der übrigen 180000 in den 42 Jahren
von 29 v. Chr. bis 14 n. Chr. zur Entlassung gekommen1), wie
das auch bei einem Heerbcstande von 150000 Manu und
zwanzigjähriger Dienstzeit nicht anders sein kann.
Die Monarchie brachte eine beträchtliche Reduction des
Heeres. Augustus hinterliess bei seinem Tode 25 Legionen,
dazu die cohortes praetoriae und 4 cohortes urbanae, zusammen
kaum über 150000 Mann. Dabei waren die Legionen zum
grossen Theile aus Latinern und Peregrinen conscribirt 8). Die
Truppenzahl ist dann im Laufe der Kaiserzeit allmählich ver-
mehrt worden, sodass Vespasian bei seinem Regierungsantritte
30 Legionen vorfand8). Das stehende Heer hat sich demnach
zu dieser Zeit, einschliesslich der Besatzung Roms und der
Auxilia auf über 300 ()00 Mann belaufen, eine für antike Ver-
hältnisse ganz ungeheure Zahl, die kein anderer Staat des Alter-
thums in Friedenszeiten je auch nur annähernd erreicht hat. —
Die Entwickelung des römischen Heerwesens in späterer Zeit
zu verfolgen, liegt ausserhalb der uns hier gesteckten Aufgabe.
l) Mommsen, Mon. Ancyr. 8. 7.
*) Mommsen, Hermes 19 (1884) S. 1 ff.
8) Für die Belege verweise ich auf Marquard, Staatsverwaltung 11*
S. 445 - 452.
25*
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Neuntes Capitel.
Italien.
1. Der Flächeninhalt Italiens.
Das Königreich Italien hatte nach den bisherigen officiellen
Annahmen einen Flächenraum von 296 323 qkm. Davon fallen
auf Sicilien mit den kleinen Nachbarinseln 29241, auf Sar-
dinien und die zugehörigen Inseln 24 342, so dass für das Fest-
land mit den Küsteninseln 242 740 qkm übrig bleiben. Diese
Zahlen beruhten auf den Arealangaben für die Einzelstaaten,
aus deren Vereinigung das Königreich gebildet worden ist, An-
gaben, die zum Theil jeder wissenschaftlichen Grundlage ent-
behrten, und namentlich für die südlichen Provinzen nichts
anderes waren als rohe Schätzungen1). Die Unbrauchbarkeit
dieser Zahlen war denn auch längst allgemein anerkannt, aber
erst die neue kartographische Aufnahme des Königreichs ge-
währte die Möglichkeit, zu exacteren Werthen zu gelangen. Der
russische General Strelbitzky hat das Verdienst, der erste ge-
wesen zu sein, der es unternommen hat, den Flächeninhalt
Italiens in systematischer Weite durch eine planimetrische Be-
rechnung zu bestimmen. Das Resultat war ein überraschendes :
es ergab sich für das Königreich ein Areal von nur 288540 qkm,
also ein Minus von 7783 qkm gegenüber den officiellen An-
gaben. Leider hat es Strelbitzky versäumt, für seine Arbeit das
') Näheres bei Marinelli , La superficie del Regno d’Italia, Venezia
1883 ( Estratlo del Vol. 1 Ser. VI degli atti del R. htituto Veneto).
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Italien.
389
beste vorhandene kartographische Material heranzuziehen, und so
können auch seine Zahlen keine absolute Geltung beanspruchen.
Aber das Aufsehen, das Strelbitzkys Resultate hervorriefen, gab
dem italienischen militärgeographischen Institute Veranlassung,
nunmehr auch seinerseits eine planimetrische Arealbestimmung
des Königreichs vorzunehmen1). Die Berechnung wurde aus-
geführt auf den Originalaufuahmen der neuen Karte von Italieu
im Maassstab von 1 : 50000 und 1 : 25000, soweit diese bisher
vorliegen; für die übrigen Theile des Königreichs sind die
Karte des festländischen Theils des Königreichs Sardinien in
1 : 50000, die österreichische Karte von Lombardo-Venetien und
Mittelitalien in 1 : 86 400 und Lamannoras Karte der Insel
Sardinien in 1 : 50 000 zu Grunde gelegt. Die bei der Berech-
nung befolgte Methode entspricht den strengsten Anforderungen
der Wissenschaft.
Danach beträgt der Flächeninhalt des Königreichs 286 588,3
qkm , mit einem wahrscheinlichen Fehler von +1,2 qkm; also
noch gegen 2000 qkm weniger, als Strelbitzky gefunden hatte.
Dieses Areal vertheilt sich in folgender Weise:
qkm
Festland 236 402,2
KUsteninseln 368,86
Sicilien 25 461,3
Nachbarinseln 278,8
Sardinien 23 799,6
Nachbarinseln 277,6
Auf den continentalen Rumpf Italiens nördlich vom 44. Breiten-
grad (einschliesslich der südlich dieses Breitengrades gelegenen
Theile der Provinzen Genua und Porto Maurizio), entsprechend
etwa der alten Gallia cisalpina, entfallen 107195,1 qkm, auf
die Halbinsel südlich des 44. Grades also 129 207,1 und ein-
schliesslich der 59,4 qkm der Republik S. Marino 129 266,5 qkm,
oder mit den Küsteninseln 129 635,4 qkm. — Leider hat man
’) Istituto Geografico Militare, Superficie del Regno (Tltalia valutata
nel 7884. Firenze 1885.
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390
Capitel IX.
für jetzt von einer Bestimmung des Areals der Provinzen, Cir-
condarien und Gemeinden noch abgesehen.
Indess wie bekannt fällt die Grenze des antiken Italien
keineswegs mit der des heutigen Königreiches zusammen. Im
Westen gehörte ein grosser Theil des heutigen Piemont, bis in
die Nähe von Turin, zu den Alpes Marittimae und Cottiae :
die Ausdehnung dieses Gebietes mag zu etwa 6000 qkm ver-
anschlagt werden. Andererseits bildeten der heutige Canton
Tessin, Südtirol bis Meran und zur Brixener Klause, das öster-
reichische Küstenland in Augustus’ Zeit Theile Italiens. Der
Flächeninhalt dieser Gebiete beträgt (nach Strelbitzky) :
qkm
Canton Tessin 2 833,7
Süd-Tirol’) 10 877
Küstenland (ohne die Inseln) .... 7 055,1
20 765,8
Von kleineren Grenzbezirken, wie der Küstengegend zwi-
schen Var und Roja, den südlich der Alpen gelegenen Theilen
der Cantone Wallis und Graubündten dürfen wir hier absehen ;
ebenso von den Anschwemmungen der Flüsse, durch die sich
die Halbinsel seit dem Alterthum etwas vergrössert hat
Für ganz Italien ergiebt sich demnach unter Augustus ein
Areal von rund 250 000 qkm ; der Fehler nach unten oder oben
wird 1000 qkm kaum übersteigen.
Um die Vertheilung dieses Areals auf die 11 augusteischen
Regionen in exacter Weise zu bestimmen, würde eine plani-
metrische Berechnung erforderlich sein, zu deren Vornahme
wir erst die Vollendung des Corpus lnscriptionum Latinarum
abwarten müssen. Inzwischen müssen wir uns damit begnügen,
den Flächeninhalt der einzelnen Regionen auf Grund der offi-
ciellen Arealangaben für die entsprechenden heutigen administra-
tiven Abtheilungen annähenid abzusehätzen. Wir erhalten
folgendes Ergebniss:
’) Bezirke Ampezzo, Borgo, Bozen, Cavalese, Cles, Meran, Primiero,
Riva, Roveredo, Tione, Trient.
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Italien.
391
Regionen
qkm
Gemeinden
aui jeue uemeinae
im Durchschnitt
qkm
I
16 000
81
197
11
29 800
72
414
III
30 000
32
938
IV
18 000
43
419
V
4 500
23
196
VI
10300
48
215
VII
31000
50
620
VIII
22100
25
884
IX
14 600
17
859
X
49 000
28
1750
XI
30 700
12
2 558
256 000
431
597
Wie schon bemerkt sind diese officiellen Zahlen etwas zu
gross , im ganzen um etwa 6000 qkm. Doch betrifft der Fehler
hauptsächlich den Süden der Halbinsel. So würde nach Strel-
bitzkys Berechnung die zweite Region um etwa 2000, die dritte
um 2800 qkm kleiner sein, als hier angenommen ist. Für die
übrigen Regionen reducirt sich demnach der Fehler auf eine
verhältnissmässig unbedeutende Grösse, die für unseren Zweck
kaum ins Gewicht fällt.
Die Zahl der Gemeinden ist nach Plinius’ Städtekatalog
angesetzt x). Rom selbst ist natürlich bei Seite gelassen ; ebenso
in der ersten Region Auximum, Cingulum, Forentum, die wohl
nur durch ein Versehen in die plinianische Liste gekommen
sind, ebenso die Inselgemeinden Capreae, Pandataria, Pontiae,
deren Areal zusammen nur 29 qkm beträgt. In der neunten
Region sind Nikaea und der Portus Herculis Monoeci, die zum
Gebiete von Massalia gehörten2), nicht berücksichtigt, in der
zehnten die illyrischen Gemeinden der Alutrenses, Asseriates,
Flanonienses Vanienses, Flanonienses Curici, Varvari, die dieser
Region nur vorübergehend unter August us angehört haben.
') Vergl. meinen ltal. Bund Cap. I.
2) CIL. V S. 916.
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392
Capitel IX.
2. Die Bevölkerung Rems x).
Rom muss bereits in der letzten Königszeit, wenn wir von
den griechischen Colonien absehen, bei weitem die grösste
Stadt der Halbinsel gewesen sein. Die servianische Mauer um-
schloss einen Flächenraum von 426 ha, eine Ausdehnung, wie
sie von keiner zweiten italischen Stadt auch nur annähernd
erreicht wurde. Capua, das Rom am nächsten stand, umfasste
etwa 180 ha, hatte also noch nicht die halbe Grösse des ser-
vianischen Rom; Caere hatte 117 ha, Ardea, die nach Rom
grösste Stadt in Latium, 85 ha, Praeneste nur 32 ha Flächen-
raum2). Diese bedeutende Ausdehnung des königlichen Rom
ist um so bemerkenswerther, als sie keineswegs durch fortifica-
torische Rücksichten bedingt war. Vielmehr entbehrte bekannt-
lich die ganze Ostfront der Stadt des natürlichen Schutzes,
und war nur durch künstliche Befestigungen, den servianischen
Agger, vertheidigt. Es lag also kein Grund vor, diesen Agger
so weit hinauszuschieben, wenn nicht wirklich ein Bedürfniss
nach Raum vorhanden war. Allerdings ist nicht zu vergessen,
dass die Stadt bestimmt war, in Kriegszeiten der gesammten
Bevölkerung des ausgedehnten Landgebietes mit ihren Heerden
Schutz zu gewähren8). Immerhin beweist die Eintheilung der
Bürgerschaft in 4 städtische neben 17 Landtribus, dass bereits
am Anfang der Republik etwa V* aller Bürger in der Haupt-
stadt ihren regelmässigen Wohnsitz hatten; vielleicht sogar
waren die Stadttribus schon damals stärker als die ländlichen,
und jedenfalls lebten in Rom zahlreiche Fremde aus den an-
deren Latinerstädten.
Das Anwachsen der Stadt während der nächsten Jahr-
hunderte ist im einzelnen nicht zu verfolgen, da der von den
Mauern umschlossene Raum bis auf Sulla für die Bevölkerung
l) In italienischer Uebersetzung veröffentlicht: Bulletin de T Institut
international de Statistique, Heft 1, Rom 1886.
s) Alle diese Zahlen nach meinen planimetrischen Messungen auf
den besten vorhandenen Plänen. Nähere Nachweise unten Cap. XI.
*) Der Vergleichbarkeit der oben gegebenen Zahlen thut das keinen
Eintrag, da in den übrigen italischen Städten derselben Periode analoge
Verhältnisse geherrscht haben.
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Italien.
393
genügt hat. Doch ist es bemerkenswerth, dass schon zur Zeit
Hannibals dreistöckige Häuser, allerdings in der lebhaftesten
Stadtgegend, am Forum Boarium, erwähnt werden *). Rom hat
also ohne Zweifel schon damals eine ansehnliche Bevölkerung
gehabt, die sieh in den folgenden Jahrzehnten durch zahlreiche
Einwanderung aus den verbündeten Gemeinden bedeutend ver-
mehrt hat2). Indess das rapide Steigen der Volkszahl fällt
erst in das Jahrhundert zwischen den Gracchen und Caesar,
befördert vor allem durch die Getreidespenden, die recht dazu
angelegt waren, das gesammte Proletariat Italiens nach der
Hauptstadt zusammenzuziehen8). So sah sich schon Sulla ge-
nöthigt, das Pomerium für die Bebauung freizugeben*); als
Augustus seine Regioneneintheilung durchführte, war ein Kranz
von Vorstädten um die servianische Mauer erwachsen, der die
Altstadt an Ausdehnung übertraf.
Die Beschränkung der Zahl der Getreideempfänger durch
Caesar und Augustus setzte nicht nur dem bisherigen Wachsen
der Bevölkerung ein Ziel, sondern musste sogar einen Rück-
schlag zur Folge haben, da die von den Spenden ausgeschlossenen
Annen aus Mangel an Subsistenzmitteln sich gezwungen sahen,
entweder in ihre Municipien zurückzugehen, oder in die Pro-
vinzen auszuwandern. Eine Handels- und Industriestadt ersten
Ranges ist Rom in der Kaiserzeit so wenig gewesen wie heute ;
dazu war die Lage zu ungünstig, das Leben zu theuer, das
Klima zu ungesund. Wenn auch selbstverständlich in einer
so grossen Stadt eine lebhafte Gewerbthätigkeit herrschte, so
überwog doch die Consumtion durchaus über die Production,
’) Liv. 21, 62 : foro boario bovem in tertiam contignationem sua sponte
tscendisse.
*) Liv. 39, 3; 41, 8.
*) Sali. Cat. 37: praeterea iuventus, quae in agris manuum mercede
inopiam toleraverat, privatis atque publieis largitionibus excita urbnnum
otium ingrato labori praetxderat. App. Bürgerkr. II 120: vö tc airgg^aiov
tois ntvrioi /onriyo vutvov fr povt) Ptour) xov apyöv xal m tuytvovT n xol
rayvfQyov rijf ’ IiaXta ; Xeiüv If riji IHv/ugv tndyuai. Vergl. Varro v. d.
Landwirthsch. II praef. 3.
4) Jordan, Topogr. IIS. 322 f.
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394
Capitel IX.
die Einfuhr über die Ausfuhr1). Nur künstliche Ursachen
haben Rom zur Grossstadt emporgehoben. Darum ist die Be-
völkerung, nachdem diese Ursachen ihre Wirkung gethan hatten,
von Augustus bis Diocletian im wesentlichen stationär geblieben.
Wohl haben sich die Vorstädte nach Augustus noch weiter
ausgedehnt: während unter Vespasian 265 vici gezählt
wurden , scheint es unter Constantin 324 gegeben zu haben 2),
aber diese Vergrösserung der Vorstädte musste mindestens
theilweise compensirt werden durch das Niederreissen von
Häusern in der Altstadt, um Raum für die Prachtbauten der
Kaiser zu schaffen. — Als dann Rom in der diocletianisch-
constantinischen Zeit aufhörte, die Hauptstadt des Reiches zu
sein, beginnt der Verfall, den bald die Stürme der Völker-
wanderung vollenden sollten.
Die numerische Bestimmung der Bevölkerung des kaiser-
lichen Rom ist wie bekannt vielfach versucht worden. Auch
hier gingen die Schätzungen zuerst ins maasslose: Lipsius nahm
4 Millionen8), Isaac Vossius sogar 14 Millionen*) Einwohner
an. Gibbon erkannte' die völlige Unhaltbarkeit dieser Zahlen ;
aber wenn er selbst nach der Häuserzahl , d. h. der Zahl der
domus und instilae, die Bevölkerung Roms in der constantiui-
schen Zeit auf 1 200 000 veranschlagte 5), so entbehrt auch dieses
Resultat durchaus der wissenschaftlichen Begründung, und nur
sein feiner historischer Tact Hess Gibbon annähernd das rich-
tige treffen. Mit besserer Methode nahm Bunsen die Zahl der
Getreideempfänger zum Ausgangspunkt, verdarb daun aber
alles wieder durch einen ganz willkürlichen Ansatz der Sklaven-
zahl, ohne sich zu fragen, ob denn die Stadt bei ihrem Umfang
auch im Stande war, die 1300 000 — 2 000 000 Einwohner zu
’) Blümner, Die gewerbliche Thiitigkdt der Völker des AUerth.
(Leipzig 1869) S. 110 ff.; Friedländer, Sittengeschichte In S. 566; Pöhlmann,
Utbervölkerung S. 29.
*) S. Jordan, Topograph. IIS. 315 f.
3) De magnit. Rom. III 3
*) Variarum observationuni Uber, London 1585, S. 32 f.
B) Decline and fall of the Roman Empire ch. 31.
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Italien.
395
beherbergen, die er herausrechnet *). Die neueren deutschen
Bearbeiter der Frage: Zumpt 2) , Marquardt3), Wietersheim4),
Friedländer5), sind Bunsen gefolgt; die Ergebnisse schwanken
zwischen U/s und 2 Millionen, je nachdem die Sklavenbevöl-
kerung der freien Bevölkerung gleich gerechnet oder auf das
anderthalbfache oder doppelte dieser veranschlagt wird. Die
einzigen, die sich die Unmöglichkeit klar gemacht haben, eine
solche Bevölkerung innerhalb der aurelianischen Mauer zu-
sammenzudrängen, sind Dureau de la Malle und der italienische
Statistiker Pietro Castiglioni ; freilich fallen sie in das entgegen-
gesetzte Extrem, wenn sie nach der Analogie moderner Städte
die Bevölkerung der 14 Regionen zu 562 000 6), beziehungs-
weise 574 — 595 000 veranschlagen. Dureau de la Malle1)
macht nicht einmal den Versuch , sein Resultat mit den
überlieferten Zahlen der Getreideempfänger in Einklang zu
bringen; Castiglioni sieht sich gezwungen, annähernd dieselbe
Zahl, wie für die Stadt der 14 Regionen, für die angeblichen
Vorstädte ausserhalb der Regionen und die Campagna in Rech-
nung zu stellen, ohne doch im Stande zu sein, diesen Ansatz
irgendwie zu begründen oder auch nur wahrscheinlich zu
machen.
Es ist diesen widersprechenden Annahmen gegenüber be-
greiflich, wie der neueste Forscher auf diesem Gebiet, Pöhl-
mann, es überhaupt ablehnt, eine ziffermässige Bestimmung
der Bevölkerung Roms zu geben 8). Indess so verzweifelt, wie es
auf den ersten Blick den Anschein hat, liegt die Sache denn
doch nicht. Es ist ja ohne weiteres klar, dass wir niemals im
’) Beschr. Borns I S. 184.
*) Abh. d. Bert. Äkad. 1840 S. 59 ff.
8) Staatsvene. II 1 S. 120.
*) Völkern. I* S. 242—268.
6) Sittengesch. I6 S. 58.
6) Economie politique des Romains I S. 403.
7) Monografia dclla CittU di Roma , herausgegeben von dem ital.
statistischen Amte ( Direzione generale di Statistica), Roma 1881, II S. 283.
s) Die TJebervotkerung der antiken Grossstädte, Leipzig 1884, S. 22 f.
Freilich hindert ihn das nicht, auf S. 25 doch von der „Millionenstadt
Rom“ zu sprechen.
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396
Capitel IX.
Stande sein werden, die Bevölkerung des alten Rom mit der-
selben Genauigkeit zu bestimmen, wie die Bevölkerung einer
modernen Grossstadt. Aber es wird immerhin möglich sein,
zu Annäherungswerthen zu gelangen, die sich nicht allzu weit
von der Wahrheit entfernen, und für unsere Zwecke mehr als
genügend sind. Denn einerseits geben uns die überlieferten
Zahlen der Getreideempfänger, und die daraus zu berech-
nende Gesammtzahl der bürgerlichen Bevölkerung ein Mini-
mum, das jedenfalls beträchtlich hinter der Gesammtbevöl-
kerung zurüekbleibt; andererseits gewährt die Kenntniss des
von der Stadt eingenommenen Flächenraums die Möglichkeit,
ein Maximum festzustellen, das die Bevölkerung in keinem
Falle überschritten haben kann. Zur Controle dienen die An-
gaben über den Getreidebedarf der Stadt. Wenn trotzdem die
bisherigen Versuche, die Bevölkerung zu bestimmen, zu keinem
gesicherten Resultat geführt haben, so liegt der Grund offenbar
in den Mängeln der angewandten Methoden. Statt aus den
bekannten Daten das unbekannte zu bestimmen, hat man es vor-
gezogen, auf vorgefasste Meinungen hin subjective Schätzungen
vorzunehmen. Da ist es denn freilich kein Wunder, dass
die Ergebnisse so kläglich ausgefallen sind.
Beginnen wir mit der Bestimmung der bürgerlichen Be-
völkerung. Wir haben für diese, wie schon bemerkt, eine sichere
Grundlage in den Angaben über die Zahl der Empfänger der
Getreidespenden und Congiarien aus der Zeit vom Ausgang
der Republik bis an den Anfang des III. Jahrhunderts der
Kaiserherrschaft , Angaben, die unter sich aufs beste über-
einstimmen , und zum Theil auf den officiellen Rechen-
schaftsbericht des Kaisers Augustus über seine Regierung
zmückgehen. Die älteste darunter ist aus dem Jahre 70 v. Chr.
Cicero bezeichnet damals ein Quantum von 33 000 Medimnen oder
198 000 Modien Weizen als „beinahe hinreichend für den
monatlichen Verbrauch des römischen Volkes“ *). Gewiss hat
') Cic. Verr. III 20, 72: plebis Romanae prope menstrua cibaria.
Vergl. Kulin, Zeitschr. f. Älterthum sic. 1845 Sp. 1003; Momrasen, R. G. III5
S. 24 Anm.
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Italien.
397
Cicero hier der rhetorischen Wirkung zu Liebe den Verbrauch
unterschätzt; aber mögen auch 300 000, ja 400 000 Modien
monatlich zur Vertheilung gelangt sein, so betrug die Zahl der
Empfänger bei 5 Modien auf den Kopf doch nur 60 — 80 000.
Das änderte sich, als der Senat auf Catos Antrag im. Jahre 62
die bisher geltenden Beschränkungen der Getreidespenden auf-
hob und allen Bürgern ohne Unterschied ihren Antheil gewährte.
»Die Ausgabe für das Getreidewesen steigerte sich dadurch auf
30 Millionen Sesterzen1). Da in Sicilien der Modius Weizen
selbst in guten Jahren mit 3—4 Sesterzen bezahlt wurde2), so
kann derselbe einschliesslich des Transports der Staatskasse
kaum auf unter 4 Sesterzen zu stehen gekommen sein8). Den
empfangsberechtigten Bürgern wurde der Modius aber zu 6J/a As
abgegeben, so dass die Staatskasse an jedem Modius etwa
21/2 Sesterzen verlor, was auf gegen 200 000 Empfänger führt.
Vier Jahre später brachte Clodius ein Gesetz zur Annahme,
wonach das Getreide jedem Bürger unentgeltlich geliefert wurde ;
und nun stieg die Zahl der Empfänger binnen 12 Jahren auf
320 000 4). Caesar versuchte im Jahre 46 eine Reform, wahr-
scheinlich in der Weise, dass nur die seit längerer Zeit in Rom
ansässigen Bürger zum Empfange berechtigt blieben5), die in
den letzten Jahren zugewanderten oder aus Speculation auf die
Getreidespenden freigelassenen aber in ihre Municipien zurück-
geschickt, beziehungsweise — es sollen 80 000 gewesen sein —
in überseeische Colonien geführt wurden ®). So wurde die Zahl
der Getreideempfänger auf 150 000 reducirt, und diese Zahl
ein für alle Mal als Normalzahl fixirt, die nie überschritten
>) Plut. Cato d. Jüngere 26.
*) Cic. Verr. III 70, 163; vergl. 75, 174; 85, 196.
*) 4 HS rechnet Mommsen, II- G. I5 851 A. als hauptstädtischen
Mittelpreis für diese Zeit.
*) Suet. Caes. 41; Plut Caes. 55.
5) Wir hören, dass die Listen von den Hauswirthen (domini insularum )
zusammengestellt wurden, Suet a. a. 0.
®) Suet Caes. 42: octoginta autem civium milibus in transmarinas
cdonias distrtbutis, ut exhaustae quoque urbis frequentia swppeterett
sanxit etc.
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398
Capitel IX.
werden sollte l). Diese Maassregeln haben denn auch den Erfolg
gehabt, das hauptstädtische Proletariat beträchtlich zu verringern.
Augustus giebt an, dass die in den Jahren 44, 29, 24, 23 und
12 v. Chr. von ihm an die römische Plebs vertheilten Con-
giarien „niemals weniger als 250 000 Menschen“ zu gute ge-
kommen seien2), obgleich wenigstens bei der Spende von 29 3 ),
wahrscheinlich auch später die Knaben unter 10 Jahren berück-
sichtigt wurden, die bis dahin ausgeschlossen waren4). Dagegen
wurde die Spende des Jahres 5 v. Chr. wieder an 320 000
Empfänger vertheilt5): wir sehen, wie das italische Proletariat
von neuem nach der Hauptstadt zusanunenströmte. Dem
gegenüber sah sich Augustus im Jahre 2 v. Chr. genöthigt,
wieder eine Beschränkung der Getreidevertheilungen eintreten
zu lassen. Er ging dabei schonender vor als einst Caesar;
die Zahl der Empfänger wurde zunächst auf etwras über 200000
festgesetzt6), um dann später allmählich auf die von Caesar be-
stimmte Normalzahl von 150 000 herabgebracht zu werden.
Bei Augustus’ Tode war das ganz oder annähernd erreicht.
Von den 40 Millionen Sesterzen, die Augustus dem „Volke“,
d. h. den Getreideempfängern , vennacht hatte 7) , erhielt jeder
') Suet. Caes. 41 ; Liv. Epit. 115; Plut. Caes. 55, vergl. Dio Cass. 43, 23.
а) Mm. Ancyr. c. XV : quae mea cmgiaria pervenerunt ad hominum
miUia nun quam minus quinquaginta et ducenta.
s) Dio Cass. 51, 21, 3: ug t 1 drjpqt x «•'/’ txuröv dga/pelg, ngui igmg
piv t off (g ueJnit; Tilovotr, in Hirt di xai roif natai <f id r 6r Mdnxti hur
töv äddqid ovr diivtipf.
*) Suet. Aug. 41: ac ne minores qutdem pueros p raeteriit, quamvis
non nisi ab undecimo aetaiis anno accipere cmsuessent. Hier nur an
Waisenknaben zu denken, verbietet der Ausdruck pueros, nicht pupillos,
und die angeführte Stelle des Dion.
б) A. a. 0.: trecentis et viginti millibus piebis ttrbanae sexagenos
denarios viritim dedi.
®) ilfo». Aticyr. c. XV: Consul tertium decimum sexagenos denarios
plebei, quae tum frumentum publicum accipiebat, dedi; ea miUia hominum
paullo plura quam ducenta fitere. Bemerkenswerth ist der Ausdruck:
quae turn frumentum publicum accipiebat ; zur Zeit als Augustus schrieb,
war also die Zahl eine andere.
T) Die Zahl geben Sueton. Aug. 101 und Tacit. Am«. I 8 überein-
stimmend, nur dass Tacitus die beiden Legate: 40 Mil!, den Cetreide-
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Italien.
399
Bürger 65 Denare1), was eine Zahl von wenig über 150 000
ergiebt Später ist die Zahl wieder etwas erhöht worden; sie
hat unter Septimius Severus 160 000, vielleicht 180 000 Köpfe
betragen a).
Seit der Schliessung der Zahl der Getreideempfänger durch
Augustus im Jahr 2 v. Chr. hat diese Zahl für die Bevölkerungs-
statistik nur noch insofern Bedeutung, als sie uns das Minimum
giebt, unter das wir nicht herabgehen dürfen, das aber mög-
licherweise bedeutend — wenn auch kaum sehr bedeutend —
hinter der Wahrheit zurückbleibt. Vor diesem Jahre begreift
die Zahl der Getreideempfänger offenbar die Gesammtheit der
in oder bei Rom domicilirten Bürger, soweit sie durch ihr Alter
zum Empfange berechtigt waren und nicht zum Senatoren-
oder Ritterstand gehörten. Allerdings konnte der Umstand,
dass ein Bürger in der Hauptstadt seinen Wohnsitz hatte, un-
möglich ein rechtliches Privileg gegenüber den anderen Bürgern
begründen ; da aber die Getreidevertheilungen nur in Rom statt-
fanden, so waren damit thatsächlich alle in den entfernteren
Municipien wohnenden Bürger ausgeschlossen. Wollten sie ihr
Recht dennoch ausüben, so gab es für sie kein anderes Mittel
als die Uebersiedlung nach Rom, und wir haben gesehen, in
welchem Maassstab die italische Bevölkerung von diesem Mittel
Gebrauch gemacht hat. Aber diese thatsächliche Beschränkung
bestand nicht, oder sie bestand doch nur in geringerem Maasse
für die Bürger, die in unmittelbarer Nähe von Rom wohnten.
Von Ostia oder Praeneste lohnte es sich schon, einmal im
empfängern, 31/* Mill. den 35 Tribus (jeder 100 000 HS) in eine Zahl
zusammenfasst.
>) Dio Cass. 57, 14.
s) Dio Cass. 76, 1. 8evems vertheilte bei seinem zehnjährigen Regie-
rungsjubiläum an die Praetorianer — d. h. doch offenbar an alle in und
bei Rom stehenden Truppen — und den Getreidepöbel 1000 HS pro
Mann; der Gesammtaufwand betrug 200 Millionen, die Empfänger waren
also 200 000. Die Zahl der Praetorianer giebt Herodian auf 40 000 an
(III 13, 4) was wohl übertrieben ist, auch wenn wir die Zahl von der
ganzen Garnison der Hauptstadt verstehen. Doch ist die Berechnung Dions
sehr im groben gegriffen.
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400
Capitel IX.
Monat den Weg nach der Hauptstadt zu machen, um die 5
Modien in Empfang zu nehmen; wer das Getreide nicht mit "
nach Hause schleppen wollte, konnte es ja sogleich wieder ver-
kaufen. Und es ist nicht abzusehen, aus welchem Grunde man
den Bürgern aus der Umgebung Roms die Theilnahme an den
Spenden hätte verweigern können ; man konnte das ebensowenig,
wie sie von der Theilnahme an den Comitien ausschliessen. Die
Zahl der Getreideempfänger in Caesars Zeit umfasst also nicht
blos die Bürger der Hauptstadt, sondern auch der Campagna
bis zu einem Radius von vielleicht 20 — 30 Miglien. Als untere
Altersgrenze scheint damals das 11. Jahr gegolten zu haben;
Frauen waren durchaus ausgeschlossen.
Die Congiarien sind seit 2 v. Chr. nur an die Getreide-
empfänger gezahlt worden. Dass dies auch früher der Fall war,
liegt in der Natur der Sache; denn um 60 oder gar 100 Denare
in Empfang zu nehmen, hätte sich auch eine Reise aus weiter
Entfernung gelohnt, und die Ausgabe würde ins maasslose ge-
wachsen, vor allem aber in ihrem Betrage vorher gar nicht zu
übersehen gewesen sein. Verzeichnisse der Getreideempfänger
muss es natürlich auch vor der Schliessung ihrer Zahl durch
Augustus gegeben haben *) ; der Unterschied war nur der, dass
vorher jeder berechtigt war sich eintragen zu lassen, nachher
nur die vacanten Stellen vergeben wurden. — Die Sorge für
die Hebung der Bevölkerung Italiens hat dann Augustus seit
dem Jahr 29 dazu geführt, nicht nur die Getreideempfänger
allein, sondern auch deren Kinder männlichen Geschlechts bei
den Congiarien zu berücksichtigen; die Zahlen der Empfänger
der Geldspenden von 29—5 v. Chr. drücken also die männliche
Bürgerbevölkerung von Stadt und Umgebung aus, mit Ausnahme
der Senatoren und Ritter, die aber numerisch gegenüber den
Hunderttausenden der Plebs kaum in Betracht kommen. Dass
ferner die männliche Bevölkerung weit über die weibliche über-
’) Dio Cass. 39, 24: xa\ ö nofinrjto; io/t /j'iv (v rjj rov airov JiaJdtm
rotßijv rivn, noXXcöv y«p zrpöf r«f #V «t’rijs (Xrtläaf (XcvfXtQtod-Xvtuv,
dnoyga^riv OtpatV, 07110 ; Xv re xoa/jio xal tv rafet tivi aiToäorri9iöatv,
tl&XXtjOt noiyoa(t9-cu. ov fji/V aXXä tovto /ulv .... 6ä6v 7ta>{ d'tiuxtjUf.
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Italien.
401
wogen haben muss, ergiebt sieh schon daraus, dass die letztere
von den Getreidevertheilungen ausgeschlossen war, und also
hier der Grund wegfiel, der das männliche Proletariat von ganz
Italien nach der Hauptstadt zog. Infolge dessen musste denn auch
die Zahl der Kinder hier eine verhältnissmässig geringere sein,
als sie es schon ohnedies in der Regel in Grossstädten ist.
Noch im modernen Rom kommen auf 1000 männliche nur 796
weibliche Personen, und 137 Knaben unter 10 Jahren1). Wen-
den wir diese Zahlen auf die bürgerliche Bevölkerung des an-
tiken Rom an, so erhalten wir folgendes Ergebniss:
v. Chr.
Männer über
10 Jahre
Knaben unter
10 Jahren
weil)].
Personen
zusammen
62
200 000
31 800
184400
416 200
46
320 000
50 900
295 200
666 100
44
250 000
39 750
230 800
520550
5
320 000
254 700
574700
Es ist indess wohl unzweifelhaft , dass im antiken Rom,
wenigstens solange das Getreide an alle Bürger ohne Be-
schränkung vertheilt wurde2), die erwachsenen Männer einen
bei weitem grösseren Bruehtheil der Bevölkerung gebildet haben,
als heute. Das gilt ganz besonders für das Jahr 46 v. Chr.;
denn da der Zuwachs seit 62 so gut wie ausschliesslich durch
die Einwanderung zum Zweck des Empfanges der Getreide-
spenden veranlasst ist, an diesen aber nur die Bürger männlichen
Geschlechts über 10 Jahre Antheil erhielten, so ist es klar,
dass eine Einwanderung von Frauen und Kindern auch nicht
entfernt in derselben Proportion stattgefunden haben kann.
Rom wird also damals schwerlich auch nur 600 000 bürgerliche
F.inwohner gezählt haben, selbst wenn wir die Senatoren und
1) Censimetüo della popolazione del Begno d’Italia al 31. Die. 1882.
Yoi. m.
3) Ich setze als bekannt voraus, dass auch die Freigelassenen an den
Getreidespenden Antheil erhielten. Es folgt, von allem anderen abgesehen,
schon aus der eben angeführten Stelle des Dion (89, 24).
Belocl), Hevöltterongsleliro, I. 26
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402
Capitel IX.
Ritter mit ihren Familien einrechnen, die ohnehin numerisch
nicht sehr ins Gewicht fallen. Für das Jahr 5 v. Chr. möchte
ich 550000 als Maximum annehmen, wozu noch die etwa
20000 Mann starke Garnison hinzutritt. Wer der Ansicht ist,
dass Augustus bei seinen Congiarien in dieser Zeit die Knaben
von unter 1 1 Jahren nicht als Regel, sondern nur in Ausnahme-
fiUlcn berücksichtigte, wird diese Zahl um vielleicht 50 000 Köpfe
erhöhen müssen: ein Unterschied, der gegenüber der sonstigen
Unsicherheit der Factoren unserer Rechnung kaum ins Gewicht
fällt. Wenn daun im Jahr 2 v. Chr. etwa 120000 Bürger
ihi es Antheils an den Getreidespenden beraubt wurden, so muss
das ebenso wie die gleiche Maassregel 44 Jahre früher eine
starke Verminderung der Bevölkerung zur Folge gehabt haben,
und es ist sehr fraglich, ob dieser Verlust je ersetzt worden
ist. Wurde doch die Zahl der Getreideempfänger in den nächsten
16 Jahren noch um weitere 50000 reducirt.
In dieser Zahl sind aber, wie oben bemerkt, auch die in
der Umgebung Roms wohnenden Bürger einbegriffen. Wir
werden annehmen dürfen, dass das Proletariat bis auf eine
Entfernung von etwa 40 km regelmässig zu den Getreidever-
theilungen nach der Hauptstadt strömte, und demgemäss in
den Listen der Empfangsberechtigten verzeichnet stand. Ein
um Rom beschriebener Kreis von 40 km Radius reicht bis
Caere, Ostia, Ardea, Velitrae, Praeneste, Tibur, Cures, dem
Soracte und dem Lacus Sabatinus. Der Flächenraum eines
solchen Kreises beträgt 5025,5 qkm, von denen aber in unserem
Falle einige hundert qkm vom Meere bedeckt sind. Nun hat
ganz Italien von den Alpen bis zur sicilischen Meerenge um
den Beginn unserer Zeitrechnung eine bürgerliche Bevölkerung
von etwa 3 V* Millionen Einwohnern gehabt (s. unten S. 436),
auf etwa 250000 qkm, also 13 auf 1 qkm. Die Umgebung
Roms gehörte aber damals wie noch heute zu den menschen-
leersten Theilen der Halbinsel (unten S. 422), sodass die Dich-
tigkeit der bürgerlichen Bevölkerung hier die Zahl von 13
auf 1 qkm schwerlich erreicht haben kann. Rechnen wir, von
Ostia abgesehen, 10 bürgerliche Einwohner auf 1 qkm, so er-
giebt sich für unseren Kreis eine bürgerliche Bevölkerung von
Digitizcd by C.oogB
Italien.
403
50000; für Rom und Ostia bleiben also V* Million bürgerlicher
Einwohner, ohne die Garnison.
Während wir so über die Höhe der bürgerlichen Bevöl-
kerung Roms im letzten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung
verhältnissmässig befriedigend unterrichtet sind, fehlt uns da-
gegen über die Zahl der niehtbtirgerliehcn Einwohner jede direct«
Angabe. Zwar die Peregrinen können nicht sehr ins Gewicht
gefallen sein; hatte doch ganz Italien seit Sulla und Caesar
das römische Bürgerrecht, das sich auch in den Provinzen immer
mehr ausbreitete. Die grosse Mehrzahl der in Rom wohnhaften
Peregrinen stammte aus dem fernen hellenischen Osten; und
es ist charakteristisch, dass neben den vielen Tausenden von
lateinischen Grabschriften in Rom nur wenige hundert griechi-
sche Grabschriften gefunden sind1). Wenn die Sammlung der
stadtrömischen Inschriften vollständig vorliegen wird, wird es
möglich sein, das numerische Verhältniss der Peregrinen zu
den Bürgern genauer zu bestimmen; inzwischen glaube ich, dass
die Zahl der Peregrinen zu Augustus’ Zeit mit 100000 weit
überschätzt ist, wenn auch andererseits Dureau de la Malles
nach der Analogie von Paris berechneter Ansatz von 30000 be-
trächtlich hinter der Wahrheit Zurückbleiben mag. Es werden
also etwa 60 — 70000 Peregrinen anzunehmen sein.
Viel grösser war ohne Zweifel die Sklavenzahl, doch müssen
wir uns auch hier vor übertriebenen Annahmen hüten. Rom
war keine Fabrik- und Handelsstadt; und wenn auch manche
der grossen Familien Hunderte von Luxussklaven hielten, so war
doch die Zahl dieser Familien sehr beschränkt2). Die grosse
Masse der freien Bevölkerung, der ,, Getreidepöbel“, hielt keine
Sklaven. Die einzige Grossstadt der Kaiserzeit, über deren
Sklavenzahl im Verhältniss zur freien Bevölkerung wir unter-
richtet sind, ist Pergamon; dort kam im II. Jahrhundert auf
') Im Corpus Inscriptionum Graecarum stehen 539 aus Latium,
Etrurien und Umbrien, wovon die grosse Mehrzahl nach ltorn gehört; in-
zwischen mögen noch einige Hundert hinzugekommen sein.
2) Vergl. den Ausspruch des L. Philippus (Tribun 104 v. Chr.) bei
Cic. v. d. Pflichten II 21, 79: non esse in civitate duo milia hominum qui
retn haberent.
26*
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404
Capitel IX.
je zwei Freie ein Sklave 1). Wenn in Rom mehr Luxussklaven
gehalten wurden, so war Pergamon dafür eine verhältnissmässig
weit bedeutendere Industriestadt. Solange wir also keine bessere
Grundlage für die Bestimmung der Sklavenzahl in Rom haben,
werden wir die Verhältnisse von Pergamon auch hier zu Grande
legen müssen. Wir erhalten demnach für das Jahr 5 v. Chr.
neben einer bürgerlichen Civilbevölkerang von 500000 und
einer Peregrinenzahl von 60 — 70000 eine Sklavenbevölkerang
von etwa 280000, was eine Gesammtbevölkerang von 850000,
oder einschliesslich der Garnison 870000 ergiebt. Wie viele
davon auf Ostia kommen, wird sich annähernd abschätzen lassen,
wenn einst ein zuverlässiger Plan dieser Stadt vorliegen und
die Sammlung der ostiensischen Inschriften publicirt sein wird;
inzwischen werden wir die Bevölkerung von Rom ohne Ostia
in runder Zahl zu 800000 Einwohner veranschlagen dürfen.
Dass dieses Ergebniss sich weder nach oben, noch nach unten
weit von der Wahrheit entfernen kann, wird die folgende Unter-
suchung hoffentlich darthun.
Der von der aurelianischen Mauer umschlossene Raum be-
trägt auf dem linken Tiberufer, einschliesslich der Tiberinsel,
1131,6 ha2), auf dem rechten Ufer etwa 98 ha3), zusammen
also 1230 ha4), ungerechnet den Fluss. Der so umgrenzte
Raum deckt sich allerdings nicht mit den 14 Regionen des
Augustus, kommt diesen aber an Umfang sehr nahe. Bereits
1) Galen (V S. 49 Kühn) giebt die Bevölkerung seiner Vaterstadt
Pergamon auf 40 000 Bürger (Männer) an, einschliesslich der Frauen und
Sklaven auf 120 000 Einwohner: er hat also ohne Zweifel beide Geschlechter
an Zahl gleichgesetzt und die Sklaven auf die Hälfte der Freien veranschlagt.
Dass hier nur eine ungefähre Schätzung vorliegt, ist klar; aber auch als
solche bleibt die Angabe sehr beachtenswertli.
*) Monografia della Citth di Homo. II S. 876 f.
*) Nach meiner planimetrischen Messung auf Bl. IX von Kieperts
Atlas Antiquus.
4) Wenn Dureau de la Malle den Flächeninhalt der aurelianischen
Stadt auf 1396,46 ha angiebt ( Econ . polit. I S. 347), so verwechselt er
die aurelianische mit der heutigen, auf dem rechten Flussufer weiter vor-
geschobenen Mauer, die nach officieller Angabe eine Fläche von 1411,3 ha
einschliesst ( Monografia di Roma a. a. 0.).
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Italien.
405
Dureau de la Malle1) hat nachgewiesen, dass Rom ausserhalb
der aurelianischen Mauer ausgedehnte Vorstädte niemals be-
sessen hat; und wenn die zusammenhängenden Häuserreihen
im Süden längs der Via Appia, Ardeatina und Ostiensis sich
eine Strecke weit jenseits der aurelianischen Thore ausgedehnt
haben, so war dafür bei Augustus’ Tode der Pincio und die
Niederung von Piazza di Spagna nach Porta del Popolo und
der Ripetta hin noch unbebaut2). Auch sonst umschloss die
aurelianische Mauer weite Gartencomplexe. Nun hat die neuere
topographische Forschung nachgewiesen, dass die servianische
Mauer den festen Grundriss für die augusteische Regionsein-
theilung abgab, sodass 8 Regionen (EL ELI. IV. VI. VIII. X.
XI. XIII) innerhalb, 6 (I. V. VII. IX. XII. XIV) ausserhalb
derselben lagen*). Der Flächenraum der von der servianischen
Mauer umschlossenen Altstadt beträgt nach meiner planimetrischen
Messung auf Kieperts Plan 426 ha4), sodass 804 ha für die
6 vorstädtischen Regionen übrig bleiben. Es ergiebt sich daraus,
was freilich von vornherein vorauszusetzen war5), dass die Alt-
stadt viel dichter bewohnt war, als die Vorstädte: denn es lag •
in der Natur der Sache, die einzelnen Polizeibezirke so abzu-
grenzen, dass sie annähernd die gleiche Bevölkerung, oder
doch wenigstens die gleiche Häuserzahl enthielten. Das wird be-
stätigt durch die statistischen Angaben aus der Zeit Constantins,
>) Economie polüique I 370 — 387. Ebenso Jordan, Topogr. I I, 336,
der im 2. Theile nähere Nachweise zu geben verspricht.
s) Beweis das hier stehende Grabmal des Kaisers.
’) Jordan, Topogr. I 1, 317, der noch die XII. Region zur Altstadt
hinzurechnen will, was ich für unzulässig halte.
*) Dureau de la Malle ( Econ . polit. I 347) berechnet die Ausdehnung
der servianischen Stadt nach dem Plan in Nardinis Roma Antica vol. I
{herausgegeben von Nibby, Roma 1818), auf 638,72 ha. Dort ist aber nicht
nur ein Stück von Trastevere in die servianische Stadt hineingezogen, sondern
diese auch nach 0. hin bis in die Nähe des Laterans ausgedehnt, sodass
der Umfang bedeutend zu gross wird.
B) Bei dem Fehlen aller internen Communicationsmittel musste der
Drang der Bevölkerung nach dem Centrum im alten Rom noch unvergleich-
lich stärker sein, als in den Grossstädten unserer Zeit. Vergl. Pöhlmann
a. a. 0. S. 81.
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406
Capitel IX,
in der die Vorstädte noch weiter ausgedehnt waren, als unter
Augustus. Es entfielen damals auf die1)
Reg.
Insulae
Domus
Ft«
II
3 600
127
7
m
[2 757]
160
12
IV
[2757]
88
8
VI
3 403
146
17
VIII
3 480
130
34
X
2 742
[89]
20
XI
2500
[89]
21
XIII
[2 487]
130
18
Altstadt
23 726
959
137
Reg.
Insulae
Domus
Fici
I
3 250
120
10
V
3 850
180
15
VII
3 805
120
15
IX
2777
140
35
XII
[2487]
113
17
XIV
4 405
150
78
Vorstädte
20574
823
170
zusammen
44 290
1782
307
überlieferte Summe®)
46 602
1797
324
An kleineren Textverderbnissen ist natürlich in unseren
Handschriften kein Mangel, doch wird das Resultat nur unbe-
deutend dadurch afficirt. Um so mehr fällt ins Gewicht, dass
bei zwei Regionen die Zahl der insulae, bei einer die Zahl der
domus schon in der Vorlage aller unserer Handschriften aus-
gefallen und durch Wiederholung der nächst vorhergehenden
*) Nach der Zusammenstellung bei Jordan, Topogr. IIS. 314, wo
man die Varianten nachsehen möge. Ich habe überall die Zahl gesetzt,
die mir aus inneren und äusseren Gründen die meiste Gewähr zu haben
schien. Für ein näheres Eingehen auf diese textkritischen Fragen ist
hier nicht der Ort.
*) Der von Ignazio Guidi im Bull, della Comm. Arch. Rom. Serie II
anno 12 (1884) S. 218 herausgegebene syrische Text der Beschreibung
Roms in der Geschichte des sog. Zacharias Rector giebt 324 vici, 46603
insulae („ habitationes domo nein“) und 1797 domus.
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Italien.
407
oder nächst folgenden Zahl ersetzt ist. Bei den domus aller-
dings ist der Schaden nicht gross, denn die überlieferte Ge-
sammtsumme stimmt fast genau mit der Summe der überlieferten
Einzelzahlen; bei den instdae aber ist jene Summe um 2312
grösser als diese. Es müssen demnach 2 der 4 Kegionen III.
IV. XII. XIII mehr insulae gezählt haben, als unser obiges Ver-
zeichniss angiebt. Drei von diesen Regionen gehören zur Alt-
stadt, sodass die Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dieser jene
2312 insulae zuzurechnen, wodurch die Gesammtzahl auf 26 038
insulae steigen würde; wie dem aber auch sei, es kommt für
uns hier nicht so sehr darauf an. In jedem Falle hat die gute
Hälfte der domus wie der insulae noch in der constantinischen
Zeit in der Altstadt gelegen.
Dass nun unter insulae im Sinne unseres Regionenver-
zeichnisses keineswegs ganze Häuser zu verstehen sind, ist
längst von Dureau de la Malle1) und Wietersheim2), und
neuerdings gegen Jordan noch einmal von Richter erwiesen
worden8). Freilich auch Richters Erklärung: insulae seien
Theile von Häusern, die verschiedenen Eigentümern gehört
hätten, ist unhaltbar. Auf den 221383 qm, die bis 1872 in
Pompei aufgedeckt waren, stehen 258 Häuser, also je 1 auf
858 qm, oder 11,0 auf 1 Hektar4). In Rom sind die Häuser
ohne Zweifel im Durchschnitt grösser gewesen, wie auch die
öffentlichen Gebäude gewiss einen verhältnissmässig grösseren
Fläehenraum einnahmen5); legen wir gleichwohl hier diese
Zahlen für Rom zu Grunde, so hätte die Altstadt innerhall)
der serviauischen Mauer 4941 Häuser gezählt. Davon waren
959 domus ; auf die übrigen, gegen 4000, kämen also im
Durchschnitt 6 oder ü1 2 insulae. Niemand wird eine so grosse
Zersplitterung des städtischen Grundbesitzes annehmen wollen,
wie sie sich danach bei Richters Hypothese ergiebt. Vielmehr
’) Economie politique I S. 388 ff.
a) Geschichte der Völkerwanderung 1 1 S. 253 ff.
a) Hermes XX (1885) S. 91-100.
4) Fiorelli, Scan di Fonipei 1861 — 72 S. 43.
5) Richter a. a. 0. S. 94.
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408
Capitel IX.
ist klar, was Wietersheim und Pietro Castiglioni *) gesehen
haben, dass die insulae nichts anderes sein können, als ge-
trennte Familienwohnungen, entsprechend etwa dem, was die
mittelalterliche Statistik Italiens als „Feuerstellen“ ( fuochi ) be-
zeichnet2). Dasselbe, nur eleganter und geräumiger, waren
die domusa), sodass die Summe beider (48 399) uns die Ge-
sammtzahl der in dem constantinischen Rom vorhandenen
Wohnungen angiebt. Ob die Tabernen mit angeschlossenen
Wohnräumen dabei eingerechnet sind, oder nicht, muss dahin-
gestellt bleiben.
Allerdings dürfen diese Zahlen nicht ohne weiteres auf das
augusteische Rom übertragen werden. Ohne Zweifel war da-
mals die Zahl der Wohnungen in der Altstadt grösser, da
Hunderte von Privathäusern den Prachtbauten der Kaiserzeit
weichen mussten ; dafür waren aber die Vorstädte weniger aus-
gedehnt4). Wenn wir aber selbst annehmen wollten, dass die
Altstadt unter Augustus die doppelte, die Vorstädte dieselbe
Zahl Wohnungen gezählt haben, wie unter Constantin, was
offenbar viel zu hoch ist, so kämen für das augusteische Rom
doch nicht mehr als 75000 Wohnungen heraus. Dieses Er-
gebniss ist jedenfalls geeignet, uns vor übertriebenen Schätzungen
der Bevölkerung zu warnen, so wenig es auch ausreicht, um
selbst eine annähernde Berechnung darauf zu gründen.
Der am dichtesten bewohnte Theil des alten Rom war nach
allen Nachrichten die Niederung, die sich vom Forum Boarium
an der Tiber zwischen Capitol und Palatin hindurch an den
Fuss des Esquilin, Viminal und Quirinal hinzieht, ausserdem
der Palatin selbst, also die IV., VIEL, X. und XI. augusteische
') Monografie! di Roma II S. 280.
2) Ich wiederhole, dass ich nur von insulae im Sinne unseres Ver-
zeichnisses spreche. Was man in anderen Zeiten unter insula verstanden
hat, geht uns hier nichts an.
3) Das schliesst natürlich nicht aus, dass einzelne Theile vieler domus,
namentlich in den oberen Stockwerken, separat vermiethet wurden; das
waren dann aber 'insulae, die in der Gesammtzahl der insulae begriffen
sein mussten.
*) Vergl. Jordan, Topographie IIS. 315 ff.
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Italien.
409
Region. Das findet in unseren Regionsverzeiehnissen seine volle
Bestätigung. Der Flächeninhalt dieser 4 Regionen beläuft sich
auf etwa 140 ha, sodass 286 ha für die übrigen 4 Regionen der
Altstadt (II. III. VI. XIII) übrig bleiben. Die Zahl der domus
und insülae aber beträgt :
domus insular
in Reg. IV. VIII. X. XI 876 11 479
in Reg. II. III. VI. XIII 583 12 247
Das heisst, die Niederung mit dem Palatin war annähernd
doppelt so dicht bevölkert wie die Hügel im Süden und Osten.
Nun zählten die drei am dichtesten bevölkerten Stadtbezirke
des modernen Rom: Ponte, S. Angelo und Parione 1881: 969,
871, 813 Einwohner auf 1 ha1). Ohne Zweifel ist die Bevöl-
kerung in den am stärksten bewohnten Quartieren zu Augustus’
Zeit dichter gewesen. Aber wir werden kaum annehmen dürfen,
dass sie dichter war als heute in den Quartieren am Hafen von
Neapel: Porto, Pendino und Mereato, wo 1881 1470 Menschen
auf 1 ha lebten2); um so weniger, als ein sehr grosser Theil
des Areals der augusteischen Regionen IV. VHI. X. XI von öffent-
lichen Gebäuden eingenommen war: den Fora, dem Capitol,
dem Circus Maximus, den Kaiserpalästen. Rechnen wir nichts-
destoweniger für diesen Theil der Stadt in runder Zahl 1500
Einwohner auf 1 ha, so ergeben sich 210000 Seelen. Für die
übrigen 4 Regionen innerhalb der servianisehen Mauer (II. III.
VI. XIH) würden dann, nach dem oben gesagten, etwa 800 Ein-
wohner auf 1 ha anzunehmen sein, oder eine Gesammtbevöl-
kerung von 230000, sodass alle 8 Regionen der Altstadt
zusammen 440000 Einwohner gezählt haben würden. Da nun
die 6 vorstädtischen Regionen, wie wir oben gesehen haben,
selbst in der constantinischen Zeit die Bevölkerung der Altstadt
') Der Flächeninhalt dieser drei Bezirke ( Rioni ) beträgt, ausschliess-
lich den Fluss, 26,5; 11,0; 18,7 ha ( Monografta dt Roma II S. 376); die
Bevölkerung belief sich 1881 auf 25 677; 9490; 15194 Einwohner.
*) Der Flächenraum dieser drei Bezirke beträgt zusammen 88,5 ha
(Censimento degli antichi Stadi Sardi 1 0 gennaio 1858 vol. 1, Relasiotie
generale, Torino 1862, S. 123); die Bevölkerung belief sich am 31. Dec. 1881
auf 130113 Einwohner.
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410
Capitel IX.
nicht völlig erreicht haben, und dieses Missverhältniss in der
augusteischen Zeit noch grösser gewesen ist, so könnten damals
alle 14 Regionen zusammen kaum über 800000 Einwohner ge-
zählt haben ; das wären, den Flächeninhalt der 14 augusteischen
Regionen dem der aurelianischen Stadt gleichgesetzt, 650 auf
1 ha. Das ist eine Dichtigkeit der Bewohnung, die von keiner
modernen Grossstadt auch nur annähernd erreicht wird, Neapel
allein etwa ausgenommen.
Doch ziehen wir jetzt Analogien aus dem Alterthum heran.
Die griechischen Städte aus der Zeit vor Alexander haben eine
verhältnissmässig sehr wenig dichte Bevölkerung gehabt, wie
das auch bei dem Fehlen des Hochbaues nicht anders sein
konnte '). Das perikleische Athen, einschliesslich des Peiraeeus,
zählte auf einem Raum von 585 ha eine Bevölkerung von wenig
über 100000 (oben S. 101), also höchstens 200 auf 1 ha. Theben
hatte 43 Stadien, oder etwa 7 Kilometer im Umfang, was auf
einen Flächenraum von gegen 200 ha schliessen lässt; die Be-
völkerung betrug bei der Zerstörung durch Alexander 40000
bis höchstens 50 000 (oben S. 1 66), oder auf dem ha 200 — 250.
Dichter bewohnt waren die phoenikischen Städte, wo der Hoch-
bau schon seit alter Zeit geübt wurde. So hat Tyros im Jahre
332 auf 75 ha etwa 40000 Einwohner gezählt (oben S. 244),
oder 533 auf 1 ha; die Altstadt von Panormos 254 auf 47 ha
27 000 Einwohner 8) (oben S. 294), oder auf 1 ha 574. Etwa
dieselbe Dichtigkeit der Bewohnung finden wir in dem grössten
städtischen Centrum der hellenistischen Zeit, Alexandreia. Ums
Jahr 60 v. Chr. wohnten hier auf 920 ha etwa */* Million
Menschen (oben S. 259 ) 3) , also auf 1 ha 533. Wollten wir
für Rom dieselbe Dichtigkeit der Bewohnung annehmen, so er-
hielten wir für die 1230 ha, die von der aurelianischen Mauer
*) Die Belege für das folgende s. in Cap. XI.
!) Doch ist nicht zu vergessen, dass unter dieser Zahl die geflüchteten
Bewohner der Neustadt und des Landgebietes einbegriffen sind, die Be-
völkerung also in normalen Zeiten hier viel weniger dicht sein musste.
Dasselbe gilt bis zu einem gewissen Grade von Tyros und auch von Theben.
8) Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass wir über die Zahl der
Sklavenbevölkerung Alexandreias keine directen Angaben haben.
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Italien.
411
umschlossen werden, etwa 650000 Einwohner. Da indess die
Altstadt Roms bis auf den neronischen Brand ohne Zweifel viel
enger gebaut war, als Alexandreia, so wird diese Zahl unter
der Wahrheit bleiben. Rechnen wir für die 8 Regionen inner-
halb der servianisehen Mauer die doppelte Dichtigkeit der Be-
wohnung wie für Alexandreia, so ergäben sich für diesen Theil
von Rom 454 000 Einwohner, was mit unseren obigen Annahmen
fast genau übereinstimmt; auch hiernach würde die Gesammt-
bevölkerung des augusteischen Rom sich auf etwa 800000 be-
laufen haben.
Es giebt noch einen dritten Weg, die Bevölkerung des
kaiserlichen Rom zu bestimmen : die Angaben über den Getreide-
verbrauch der Stadt. Man hat auf das Zeugniss eines ganz
unzuverlässigen Schriftstellers später Zeit hin *) und Contamination
desselben mit einer anderen, drei Jahrhunderte älteren An-
gabe8) den jährlichen Getreideconsum des augusteischen Rom
auf 60 Millionen Modien bestimmt, was für eine Bevölkerung
von etwa 2 Millionen ausgereicht haben würde. Ein so un-
methodisches Verfahren bedarf keiner Widerlegung. Dagegen
besitzen wir eine, wie es scheint authentische Angabe, wonach
unter Septimius Severus der canon frumentarius populi Romani
oder urbis Romae täglich 75000 Modien betragen hätte8),
jährlich also 27375000 Modien. Die Zahl der Getreide-
empfänger betrug damals einschliesslich der rraetorianer
200000, deren jährlicher Bedarf 12 Millionen Modien er-
forderte, da monatlich 5 Modien auf den Kopf gegeben wur-
den. Mit dem canon frumentarius kann also keineswegs blos
.') Aurel. Victor epit. 1, der die aegyptische Getreideeinfuhr nach Rom
unter Augustus auf 20 Millionen Modien angiebt Offenbar hat er dieselbe
mit der gesammten Getreideeinfuhr verwechselt und die Zahl abgerundet
!) Josep. Jüd. Krieg II 16, 4, der angiebt, dass der Bedarf Roms zu
>/» durch aegyptisches, zu */» durch libysches Getreide gedeckt wurde.
8) Spartian. Severus 23: moriens septem annorum canonem, ita ut
cottidiana Septuaginta quinque millia medium expendi possent, reliquit;
olei vero tantum, ut per quinquennium non solum urbis usibus, sed et totms
Italiae, qua oleo eget, sufficeret.
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412
Capitel IX.
das Erforderniss für die öffentlichen Getreidevertheilungen ge-
meint sein ; selbst dann nicht, wenn wir den Bedarf der Beamten,
servi publici etc. hinzurechnen, wir müssten denn annehmen
wollen, dass es in Rom 255000 solcher Beamten gegeben habe.
Ist das aber nicht der Fall, dann kann nur der Gesammt-
bedarf der Stadt unter dem canon frumentarius verstanden
werden, jenes Minimum, das vorhanden sein musste, sollte
nicht Hungersnoth ausbrechen. So geben auch die Scholien zu
Lucanus an, dass Rom jeden Tag 80000 Modien (also jährlich
29200000 Modien) Getreide verbraucht habe1). Bei einem
jährlichen Durchschnittsverbrauch von 86 Modien auf den
Kopf2) berechnet sich nach diesen Angaben eine Bevölkerung
von 760 — 810000 Einwohnern.
So hat sich uns denn von drei Seiten her übereinstim-
mend dasselbe Resultat ergeben, dass Rom in den drei ersten
Jahrhunderten der Kaiserzeit etwa 800000 Einwohner gezählt
hat, und zwar kann die Bevölkerung während dieser Zeit nur
wenig geschwankt haben. Für die frühere Zeit sind nur un-
gefähre Schätzungen möglich. Da Rom noch unter Sulla im
wesentlichen auf den Raum innerhalb des servianischen Mauer-
rings beschränkt war, so wird die Zahl der Bewohner damals
400000 nicht überschritten haben, womit es übereinstimmt,
dass noch einige Jahre später nicht mehr als 60—80000 Ge-
treideempfänger vorhanden waren; denn die Getreideempfänger
müssen schon damals, wenn auch noch nicht die Gesainmtheit,
so doch die überwiegende Majorität der in der Stadt domici-
lirten Bürger gebildet haben. Dass die Bevölkerung zu Hanni-
bals Zeit sehr viel niedriger war, unterliegt keinem Zweifel;
eine bestimmte Zahl auszusprechen wage ich nicht3).
») I 819 vol. m S. 53 Weber.
3) Das macht auf das Jahr 8, 149 hl oder 286 Kilo. Die monatliche
Quote von 5 Modien (jährlich 894 Kilo), die den Getreideempfängem ge-
geben wurde, war mit Absicht sehr reichlich bemessen. Yergl. oben S. 32 f.
8) Ihne, Rom. Gesch. I S. 465 rechnet für die Zeit vor Anfang des
ersten punischen Krieges 200 000, offenbar bedeutend zu hoch.
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Italien.
413
3. Die Bevölkerung der italischen Halbinsel.
Die Resultate des römischen Census geben uns den Be-
weis, dass die freie Bevölkerung der italischen Halbinsel wäh-
rend der drei letzten Jahrhunderte vor unserer Zeitrechnung
im grossen und ganzen stationär geblieben ist. Im Jahre 293
wurden 262321 Bürger gezählt, 131/30 bei wesentlich erwei-
terten Grenzen des römischen Gebiets 318823. Aus demVer- j
zeichniss der italischen Wehrfähigen des Fabius Pictor vom
Jahre 225 ergiebt sich eine Bürgerzahl von etwa 900 000 ; die-
selbe Zahl ergab der Census von 70/69. Und dass im letzten
halben Jahrhundert der Republik die freie Bevölkerung Ita-
liens sich wenigstens nicht vermehrt hat , dafür sind die
Maassregeln des Augustus zur Hebung der Bürgerzahl volles
Zeugniss.
Da zur Zeit Hannibals nicht-italische Peregrinen in Italien
noch kaum ansässig waren, können wir die freie Gesammt-
bevölkerung der Halbinsel im Jahre 225 auf 2 700000 Köpfe
veranschlagen, oder bei einem Flächenraum von etwa 130000
qkm zu 21 auf 1 qkm. Im Jahre 69 hatten allerdings
zahlreiche Ausländer in Italien ihren Wohnsitz; wenigstens
ebenso zahlreich aber waren die römischen Bürger in den
Provinzen, und ausserdem hatte die Ebene zwischen Apennin
und Po das römische Bürgerrecht. Die eigentliche Halbinsel
diesseits des Apennin kann demnach in dieser Zeit die Zahl
von 900000 erwachsenen Freien männlichen Geschlechts kaum
erreicht haben. Ausserdem wird bei der immer mehr über-
hand nehmenden Ehelosigkeit und der Beschränkung der Kinder- \
zahl das Verhältniss der erwachsenen Männer zu der Gesammt-
bevölkerung wie 1 : 3 wahrscheinlich zu hoch sein; die Halb-
insei kann also damals kaum mehr als 2 V« Millionen freie -
Einwohner gezählt haben.
Indess diese geringe Abnahme wurde weit mehr als aus-
geglichen durch die rapide Vermehrung der unfreien Bevölke-
rung. Allerdings hat die Sklaverei von je her in Italien be-
standen. Schon die licinischen Gesetze sollen eine Bestimmung
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414
Capitel IX.
zur Beschränkung der Sklavenarbeit enthalten haben *) ; wenige
Jahre später (357 v. Chr.) wurde eine Steuer auf die Frei-
lassungen gelegt 2). Der Ertrag wurde — wahrscheinlich nicht
sogleich, aber doch bereits in früher Zeit — als Reservefonds
für unvorhergesehene Ausgaben in Gold auf dem Capitol de-
ponirt ; als er im hannibalischen Kriege 209 angegriffen wurde,
soll er 4000 Pfund8) betragen haben, oder das Goldpfund
zu 4000 Sesterzen gerechnet4), 10 Millionen Sesterzen. Selbst
wenn wir den mittleren Werth eines Sklaven zu 2000 Sesterzen
annehmen, was für das Rom dieser Zeit ziemlich hoch ist, er-
gäbe das 1 60 000 Manumissionen im Laufe von höchstens einem
und einem halben Jahrhundert 6) — eine Zahl , die wir Mühe
haben, als richtig anzuerkennen. Der Reservefonds wird noch
aus anderen Quellen gefüllt worden sein. Doch ist es be-
merkenswerth , dass auch König Philipp in einem 214 an die
Stadt Larisa gelichteten Erlass eine der hauptsächlichsten Ur-
sachen des Aufschwunges der römischen Macht in der Libera-
lität findet, mit der die Römer den Freigelassenen Antheil am
Bürgerrecht gaben8). Eben dahin führen die Kämpfe um das
Stimmrecht der Freigelassenen in Ap. Claudius’ Zeit7). Wie
zahlreich die Sklaven am Ende des III. Jahrhunderts in Rom
waren, zeigt ihre ausgedehnte Verwendung zu militärischen
Zwecken im hannibalischen Kriege 8). Immerhin war die Halb-
insel damals noch weit überwiegend ein Land der freien Arbeit.
') Appian, Bürgerhr. I 8.
») Liv. 7, 16; 27, 10.
s) Liv. a. a. 0.
*) Hultsch, Metrologie S. 301.
8) Vergl. Dureau de la Malle, Econ. politique I 290, der 200000
Freigelassene herausrechnet, von denen 50000 noch zur Zeit Iiannibals
gelebt hätten.
8) Cöllnitz, Dialekt-Inschriften I 345 (= Mittheil. VII 61, Hermes XVII
467): wv xai 'PmpaioC etoiv , ot xa i Toiig oixOag orav iXtv&tQ(üoa>atv
iiQoafifxöptvoi. iti To noltxevfta xal tüv ng/tfoir fit\radi]d6vTi; . . . .
oi fiörov Tt\v ISlav nargtSa hi r)v£ijxa(nv , «11« xal «7roix/a[cj o/tdör
[f/f Ißjäofirixovia rönovi Ixntnöfiqaaiv.
7) Diod. XX 36; Liv. 9, 46.
8) Bücher, Die Aufstände der unfreien Arbeiter (Frankfurt 1874) S. 26.
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Italien.
415
Der Krieg brachte durch die massenhaften Gefangenen eine
starke Vermehrung der Sklavenzahl. Es ist bezeichnend, dass
in den nächsten Jahren eine Reihe von Sklavenaufständen aus-
brachen. Zuerst 198 in Latium, dann zwei Jahre später in
Etrurien, endlich 185 in Apulien; jedesmal musste zur Unter-
drückung der Empörung eine bedeutende Militärmacht auf-
geboten werden, und Tausende der Schuldigen wurden hin-
gerichtet1). Dass während des II. Jahrhunderts die Sklaven-
zahl Italiens sich in sehr starkem Maasse vermehrt hat, ist un-
zweifelhaft; es war die unausbleibliche Folge der immer weiter
sich ausdehnenden Latifundien.
Doch ergriff diese wirtschaftliche Bewegung nicht alle
Theile der Halbinsel in gleicher Weise. Es ist kein Zufall,
dass nur Etrurien, Latium, Campanien, Lucanien, Apulien die
Herde von Sklavenaufständen geworden sind. Hier vor allem
hatte die Latifundienwirthschaft ihren Sitz2), während in den
Landschaften des Apennin wie der Kleinbesitz so auch die
freie Arbeit sich bis in die Kaiserzeit hinein erhalten hat. Wir
müssen uns aber auch in betreff des Südens und Westens der
Halbinsel vor übertriebenen Annahmen hüten. Spartakos war
mehrere Jahre hindurch Herr der an Sklaven reichsten Distrikte
Italiens, und doch hat sein Heer auch nach den höchsten An-
gaben nie mehr als 120000 Mann gezählt8). Vor der Schlacht
bei Philippoi legten die Triumvirn auf jeden Sklaven in Italien
eine Steuer von 1 00 Sesterzen ; das ergäbe schon bei 2 Millio-
nen Sklaven einen Ertrag von 200 Millionen Sesterzen: soviel
als die gesammten Staatseinnahmen von Pompeius’ asiatischen
Eroberungen betragen hatten4), und mehr als die Einkünfte
>) Liv. 32, 26; 33, 36 ; 39, 29. 41; Zonar. IX 16.
*) Ueber die Sklavenmassen in Etrurien Plut Ti. Gracchus 8;
Martial IX 22,4: El souet mnumera competle Tuscus ager. Für Süditalien
genügt es, an den Aufstand der Spartakos zu erinnern.
s) Appian, Bürgerkr. I 117. Nach Liv. Epit. 96. 97 wären in den
drei Hauptschlachten 115000 Sklaven gefallen. Vergl. die Ausführungen
bei Wietersheim, Völkerwanderung I1 S. 186 f.
4) Plut Pomp. 45.
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416
Capitel IX.
des Königs von Aegypten am Ende der Ptoleinaeerherrschaft >).
Wer einen Begriff hat von den Summen, mit denen in der
Finanzgeschichte des Alterthums zu rechnen ist, wird schon
hiernach Bedenken tragen, die Sklavenzahl Italiens in den
letzten Jahren der Republik auf 2 Millionen zu veranschlagen,
und jedenfalls über diese Zahl nicht hinausgehen wollen.
Um nun wenigstens ein ungefähres Bild von der Zahl der
italischen Sklavenbevölkerung zu gewinnen, bleibt uns nur der
Weg, den bereits, allerdings in wenig kritischer Weise, Bureau
de la Malle2) und Walion8) eingeschlagen haben, nämlich aus-
zugehen von der Bodenproduction. Italien war im Alterthum
wie noch heute ein vorwiegend Ackerbau treibendes Land, und
es ist keine Frage, dass die grosse Mehrzahl der Sklaven in
den landwirtschaftlichen Betrieben beschäftigt gewesen ist.
Wir haben nun freilich über die Höhe der Bodenproduction
der Halbinsel im Alterthum keine directen Angaben, aber wir
wissen doch soviel, dass Italien seit dem Ende dös n. Jahr-
hunderts vor unserer Zeitrechnung nicht mehr im Stande war,
seinen eigenen Bedarf an Getreide hervorzubringen, und dass
namentlich die Bevölkerung der Hauptstadt und ihrer Umgebung,
seit Caesar rund 1 Million Menschen, auf die Einfuhr fremden
Getreides angewiesen w*ar. Die freie Bevölkerung der italischen
Halbinsel, abgesehen von dem diesseitigen Gallien, betrug nun,
wie wir gesehen haben, im I. Jahrhundert vor unserer Zeitrech-
nung etwa 2 V a Millionen. Die Sklavenzahl kennen wir nicht ;
sie mag vorläufig, um die Berechnung nicht unnöthig zu compli-
ciren, auf 2 Millionen angesetzt werden. Das giebt zusammen
4’/2 Millionen Einwohner, wovon mindestens 1 Million von
überseeischem Korn ernährt wurde. Die Production würde
also höchstens den Bedarf von 31/« Millionen gedeckt haben.
Dieser Bedarf wird im Durchschnitt, einschliesslich der Aus-
saat, zu etwa 40 Modien pro Jahr und Kopf zu veranschlagen
sein; das ergäbe eine Gesammtproduction von 140 Millionen
*) Nach Diod. XVII 52 : mehr als 6000 Talente = etwa 150 Mill. HS.
a) Econ. poUtique I 281 f.
3) Histoire de l’Esclavage II 71 ff.
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Italien.
417
Modien. Bei einem Durchschnittsertrage von 30 Modien auf
dem iugerum1) ergiebt sich daraus eine mit Getreide bebaute
Fläche von etwas unter 5 Millionen iugera. Rechnen wir nun
1 Arbeiter auf je 8 iugera 2), was offenbar sehr hoch ist , na-
mentlich bei der extensiven Cultur, die in Italien zu Anfang
der Kaiserzeit vorherrschte, so würde die Production jener
140 Millionen Modien gegen 600000 Feldarbeiter erfordert
haben. Dazu kommen dann weiter die in der Wein- und Oel-
cultur und in der Viehzucht beschäftigten Arbeiter. Letztere
allerdings erforderte nur wenige Arbeitskräfte; gerade darin
lag ja ihre grosse Rentabilität. Aehnlich war es mit den Oel-
pflanzungen ; Cato rechnet auf 240 iugera Oelwald nur 13 Ar-
beiter, den vilicus und die vilica eingeschlossen8). Dagegen
waren zur Bestellung von 100 iugera Weinland nach Cato
16 Arbeiter erforderlich, den vilicus und die vilica auch dies-
mal eingeschlossen*). Wenn nun zu der Bestimmung der Aus-
dehnung der ülivenwälder und Weinberge im alten Italien
auch jeder Anhalt fehlt, so wird doch Niemand, der überhaupt
sich mit diesen Dingen beschäftigt hat, im Zweifel sein, dass
diese Culturen im Alterthum sehr viel weniger ausgedehnt
waren als heute. Das ergiebt sich schon aus der so viel dün-
neren Bevölkerung. Heute nun hat der peninsulare Theil
Italiens südlich des Apennin 920000 ha Weiuland und
646000 ha Oelpflanzungen ®), zu deren Bestellung, wenn wir
die Zahlen Catos zu Grunde legen und die vilica jedesmal ab-
rechnen, 552000 bezw. 129000 Arbeiter erforderlich gewesen
wären. Es wird demnach sehr reichlich gerechnet sein, wenn
*) Cicero ( Verr . III 47, 112) rechnet im fruchtbarsten Theil Siciliens
auf das iugerum 6 Modien Aussaat und bei guter Ernte einen Ertrag von
48, bei ausgezeichneter von 60 Modien. Varro nimmt als Durchschnitt auf das
iugerum an eine Aussaat von 5 Modien Weizen, 6 Modien Gerste, 12 Modien
Spelt, als Ertrag das zehnfache ( Ees rust. I 44). Columella dagegen sagt
(III 3): nam frumenta maiore quidem parte Italiae quarulo cum quarto
responderint, vix meminisse possumus.
J) Sasema bei Varro, Ees Rust. I 18.
s) De Be Rust. 10.
*) Cato, De Re Rust. 11.
s) Annuario Statistico Italiano 1881 S. 252.
Re loch, Bevölfcerangslebre. I. 27
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418
Capitel IX.
wir die in den anderen landwirtschaftlichen Betrieben be-
schäftigten Arbeiter den bei der Getreideproduction beschäftigten
gleichsetzen 1).
Die so sich ergebenden 1200000 ländlichen Arbeiter waren
aber keineswegs ausschliesslich Sklaven, sondern haben zum
grossen Theil aus freien Leuten bestanden. Wovon hätte denn
die grosse Mehrzahl der freien italischen Bevölkerung sonst
leben sollen? Diese in der Landwirtschaft beschäftigten Freien
mochten sich etwa compensireu mit den Sklaven, die in den
Städten; sei es in der Industrie, sei es mit persönlichen
Diensten beschäftigt waren. Dass nun unter den Sklaven die
erwachsenen Männer die Frauen und Kinder an Zahl über-
wogen, wird für das I. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung,
so lange die Zufuhr aus dem Osten und den nördlichen Bar-
barenländem noch reichlich floss, kaum Jemand bestreiten.
Selbst bei der Annahme von 1 200000 erwachsenen männlichen
Sklaven im Jahre 28 v. Chr. würde die gesammte Sklaven-
bevölkerung kaum auf mehr als 2 Millionen zu veranschlagen
sein. Dabei ist aber zu erwägen, dass bei dieser ganzen Be-
rechnung überall mit Absicht sehr reichliche Ansätze zu Grunde
gelegt sind, so dass das Ergebniss aller Wahrscheinlichkeit
nach beträchtlich über die Wahrheit hinausgeht. Die italische
Halbinsel dürfte also im I. Jahrhundert v. Chr. kaum über
Vis Millionen Sklaven gezählt haben. Auch das ist eine für antike
Verhältnisse ungeheure Zahl, die wahrscheinlich von keinem
zweiten Lande im Umkreise des Mittelmeeres erreicht wurde,
Kleinasien höchstens ausgenommen. So konnte Plinius mit
Recht den grossen Reichthum Italiens an Sklaven hervor-
heben 2).
Die Gesammtbevölkerung des peninsularen Theiles von
Italien wird also im I. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung
auf etwa 4 Millionen , im III. Jahrhundert auf höchstens 3 lls
■) Auf dieselbe Zahl ländlicher Arbeiter kommt Wallon, Histoire de
VEsdavage II 99.
*) Plin. 87, 201 : ergo in toto orbe .... principattim naturae optinet
Malta .... tim feminis, dueibus militibus, serritiis, artium praestantia etc.
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Italien.
419
Millionen zu veranschlagen sein. Wie vertheilte sich nun diese
Bevölkerung auf die einzelnen Landschaften?
Die bevölkertste Landschaft der Halbinsel — von der
Hauptstadt und ihrer nächsten Umgebung abgesehen — war
im Alterthum wie noch heute Campanien. Nach einer An-
gabe, die höchst wahrscheinlich auf eine Censusliste zurück-
geht , zählte die campanische Praefectur zu Anfang des hanni-
balischen Krieges 34000 erwachsene Bürger, worunter 4000
durch ihr Vermögen zum Reiterdienst qualifieirt waren1). Der
Flächenraum der Praefectur beträgt etwa 1000 qkm2), es ent-
fallen also hier auf den qkm 34 Bürger, gegen 12 im ganzen
römischen Gebiet. Wenn wir die Fruchtbarkeit und die alte
Cultur Campaniens erwägen , ferner dass es in Capua die
nächst Rom bedeutendste Stadt Italiens in sich schloss, wird
uns dieses Ergebniss nicht überraschen. Auch dass das Ver-
hältniss der Reiter zu den Fusstruppen hier ein höheres ist
als im Durchschnitt des ganzen römischen Gebiets (1 : 7,5 gegen
1:12), ist bei dem Reichthum und der berühmten Pferdezucht
Campaniens nur in der Ordnung. Bei weitem der grösste
Theil dieser 34000 Bürger entfiel natürlich auf Capua und
sein ausgedehntes Gebiet. Was wir von den militärischen
Leistungen Capuas in dieser Zeit hören, steht mit unseren
Zahlen in gutem Einklang. So zog ein capuanisches Heer von
angeblich 14000 Mann im Jahre 215 gegen Cumae3), wenig
später kämpften die Campaner vor den Thoren ihrer Stadt mit 6000
Mann gegen den Consul Q. Fabius4). Es ist nicht zu vergessen,
l) Liv. 23, 5 unter dem Jahr 216 in einer Rede: triginta milia pedi-
tum, quattuor equitum ex Campania scribi posse, mit etwas rhetorischer
Uebertreibung ; denn wenn die Zahlen auf einem römischen Census beruhen,
müssen sie sich auf die Gesammtheit der erwachsenen Bürger beziehen.
Ueber die Glaubwürdigkeit der Angabe vergl. Mommscn, Rom. Forsch. II
S. 400.
*) Ungefähre Schätzung auf Grund der neuen planimetrischen Be-
rechnung des Flächeninhalts des Königreiches durch das ital. militär-
geographische Institut. Campanien S. 18 hatte ich 17,30 geogr. Quadrat-Meilen
ss 952 qkm angenommen, nach einer Berechnung auf Bl. I meines Atlas.
8) Liv. 23, 85.
4) Liv. 23, 46.
27*
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420
Capitel IX.
dass ein Theil der campanischen Praefeetur, die Städte Cumae,
Acerrae, Suessula, den Römern treu geblieben war. Die obige
Angabe über die Bürgerzahl der Praefeetur erscheint also in
jeder Hinsicht glaubwürdig.
Die freie Bevölkerung der campanischen Praefeetur hat sich
demnach ums Jahr 220 auf etwa 100000 Seelen belaufen. Es
ist wahrscheinlich, dass die Sklavenbevölkerung hier verhältniss-
mässig höher gewesen ist als in den meisten übrigen Theilen
Italiens1). Schätzen wir sie auf Vs bis V a der freien Bevöl-
kerung, so ergiebt sich eine Gesammtbevölkerung von etw'a
140000*), oder 140 auf 1 qkm. Campanien gehörte also in
dieser Zeit zu den am dichtesten bewohnten Ländern im Um-
kreise des Mittelmeers.
So ist es auch später geblieben. Capua freilich hat durch
den hannibalischen Krieg schwer gelitten; aber seit der Colo-
uisation durch Caesar war es wieder, was es im HI. Jahrhun-
dert gewesen ist, die grösste Stadt Italiens nächst Rom8), und
erst durch den Aufschwung Mailands ist es in der späteren
Kaiserzeit überflügelt worden*). Daneben entwickelte sich
Puteoli im H. Jahrhundert zu dem ersten Emporium der Halb-
insel8); im I. Jahrhundert vor und nach unserer Zeitrechnung
stand es an Bedeutung nicht weit hinter Capua zurück6). Wenn
*) Servitia werden neben der Plebs in Capua (Liv. 26, 4) und Casilinum
(Liv. 24, 19) ausdrücklich erwähnt.
a) Wenn ich Campanien S. 19 und 311 eine höhere Bevölkerung be-
rechnet habe, so beruht das auf einer unrichtigen Auflassung der römischen
Censuszahlen.
а) Vergl. Statius, Süv. 111 5, 76: magnae tractus imitantia Romae
Quae Capys advectis implevü moenia l'eucris.
*) Ausonius giebt in seinem Gedicht de nobilibus urbibus Capua den
dritten Hang unter den Städten Italiens: vorher stehen Rom und Mailand.
б) Lucilius, fr. 111 11 Müller: Dicarchitum populos Ddumque minorem.
Näheres in meinem Campanien S. 114 ff.
6) Tacit. Hist. III 57 spricht von der municipalis aemulatio zwischen
beiden Städten. Im X. Bande der CIL. stehen 781 Inschriften aus Capua,
1790 aus Puteoli, doch gehören von letzteren sehr viele, vielleicht die
Mehrzahl, nach Neapolis, Cumae und anderen Orten.
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Italien.
421
Cumae verfiel, so nahm dafür das Modebad Baiae einen glän-
zenden Aufschwung; die Villenstadt, die sich hier gebildet
hatte, war nach Strabons Ausdruck nicht kleiner als Puteoli1).
Die starke Bevölkerung der Gegend um Atina, Venafrum,
Allifae hebt Cicero hervor8). Fregellae war bis zu der Kata-
strophe des Jahres 125 eine der ersten Städte Italiens8).
Aquinum wird von Strabon als „grosse Stadt“ bezeichnet4),
doch stand es hinter Teanum zurück, das alle Städte an der
Via Latina an Grösse übertraf5). Auch Casinum und Cales
waren ansehnlich6). Von der Bedeutung Pompeis zeugen die
Ueberreste; es gab nicht viele Städte in Italien, die einen
grösseren Flächenraum bedeckt haben, wenn wir von den ver-
fallenen Städten Etruriens und Grossgriechenlands absehen7).
Neapolis war im IV. und III. Jahrhundert die erste Handels-
stadt in Campanien; und wenn es auch später von Puteoli
überflügelt worden ist, so ist es doch immer eine bevölkerte
Stadt geblieben8). Von den etwa 46 italischen Colonien der
Triumvim und des Augustus lagen nicht weniger als 9 in
Campanien, nämlich ausser den schon angeführten Capua, Pu-
teoli, Aquinum, Teanum noch Nola, Venafrum, Suessa, Min-
turnae, Sora 9). In keiner anderen Landschaft Italiens drängten
sich die bedeutenden Städte in dieser Weise.
*) Strab. V S. 246: fxet ynp oiiij nöU; ytybqrai, ovvqtxoJoftrifitvttv
ßaailt/on' aXktov b r ovx ihxrrmv rrj( Aixaiagydnt.
!) Cic. f. Plancus 8, 21 f. : huius praefectura (Atina) plena rirorum
foiiisstmorum , ut nulla tota Italia frequentior dici possit .... tractus
Ule celeberrimus Venafranus , Allifanus.
*) Schon 209 fährt der fregellanische Abgeordnete in Kom für alle
latinischen Colonien das Wort (Liv. 27, 10). Im Jahre 177 klagen die
Samniten und Paeligner, dass 4000 Familien aus ihren Gebieten nach
Fregellae ausgewandert seien (Liv. 41, 8). Vergl. Mommsen, R. G. II*
S. 104.
«) Strab. V S. 287.
5) Strab. a. a, O. : pey/mq ovaa twv M rj Aarlvy.
6) Strab. a. a. 0.
7) S. unten Cap. XI.
8) Cic. f. Rabirius Post. 10, 26.
s) Ich muss auch nach den Angriffen Mommsens, dessen Heftigkeit
in der Polemik jedenfalls auf die Stärke seiner Gründe kein günstiges Licht
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422
Capitel IX.
Latium steht an Fruchtbarkeit weit hinter Campanien
zurück, auch hat es ausser Rom Selbst mit seinem Hafen Ostia
keine Grossstadt besessen, ja kaum eine einigermaassen an-
sehnliche Mittelstadt. Immerhin muss in älterer Zeit eine
ziemlich dichte Bevölkerung hier gewohnt haben; hat es doch
Latium vermocht, ganz Italien sich zu unterwerfen und ihm
den Stempel seiner Nationalität aufzudrücken. Dafür spricht
auch die grosse Zahl von Städten, die einst hier sich erhoben,
und die, wenn auch meist sehr herabgebommen , zum Tbeil
noch in der Kaiserzeit bestanden haben. Aber bereits im
letzten Jahrhundert der Republik war Latium, was es, freilich
in höherem Grade noch heute ist, eine menschenleere Einöde.
Gabii, Labicum, Bovillae waren beinahe verlassen1), Fidenae
ein unbedeutendes Dorf2), Tusculum eine Kleinstadt8), von
Ardea blieb kaum mehr als der Name4). Strabon wird nicht
müde, den Verfall Latiums hervorzuheben; die meisten der
alten Städte waren spurlos verschwunden 5), das Volskerland
fast nur noch von Sklaven bewohnt6). Nur die Villen der
römischen Grossen in der nächsten Umgebung der Hauptstadt,
auf den Albanerbergen , bei Tibur und am Meeresstrand
brachten Leben in die verödete Landschaft.
wirft, an der Ital. Bund S. 5 ff. vertretenen Auffassung des plinianischen
Colonienverzeichnisses festhalten; vielleicht finde ich einmal Zeit und Ge-
legenheit, auf die interessante Frage zurtickzukommen.
') Cic. f. Plancus 9, 23: nisi forte te Labicana aut Gabina aut
BovMana eidnitas adiuvabit : quibus e municipiis vix iam qui carnem
Latin in petant inveniuntur. Vergl. Dionys. TV 53; Propert V 1, 34.
*) Horat. Epist. 1 11, 7 : Sets Lebedus quid sit: Gabiis desertior atque
Fidenis vicus.
$) Cic. /'. Plancus 9, 21 : deinde tui munidpes (die Tusculaner) sunt
Mi quidetn spltndidissitni homtnes, sed tarnen paud, st quidem cum Atina-
tibus conferuntur.
4) Vergl. Aen. VII 410: locus Ardea quondam Dictus avis, et nunc
magnum mattet Ardea ttomett, Sed fortuna fuit.
B) Plin. III 70: ita ex antiquo Latio LIII populi interiere sine vesti-
giis. Vergl. Lucan. VII 391.
*) Liv. VI 12: innumerabilem multitudinem liberorum capitata in eis
locis fttisse, quae nunc vix seminarto exiguo miiitum relicto serdtia
Romatut ab solitudine vindicant.
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Italien.
423
Ein ähnliches Bild bot Etrurien. Auch hier muss einst,
wie die weitgedehnten Ruinen alter Grossstädte beweisen, eine
zahlreiche Bevölkerung gewohnt haben. Aber selbst in der
Bltlthezeit der etruskischen Macht war diese Bevölkerung sehr
ungleich vertheilt. Am dichtesten bewohnt war der Süden,
von der Tibermündung bis zum volsinischen See und dem un-
teren Umbrothal, ein Gebiet von etwa 9000 qkm. Hier lag
mehr als die Hälfte der etruskischen Bundesstädte, nebst einer
sehr beträchtlichen Anzahl kleinerer Ortschaften; hier finden
sich auch bei weitem die meisten Ueberreste etruskischer
Cultur. Gut bewohnt war auch das obere Arnus- uud das
Clanisthal, wo Faesulae, Arretium, Cortona, Clusium lagen und
die verschollene Stadt, an deren Stelle das heutige Orvieto
getreten ist; ferner das mittlere Tiberthal um Perusia. An
der Küste im NW. erhoben sich Populonia, Volaterrae und
Pisae. Aber in dem gebirgigen Innern Etruriens, dem weiten
Gebiete zwischen dem See von Bolsena und dem mittleren
Arno fehlen antike Ortsnamen wie Culturreste aus dem Alter-
thum so gut wie ganz; in dem menschenleeren Lande scheint
im IV. Jahrhundert eine senonische Horde sich angesiedelt
zu haben, der Siena seinen Ursprung verdankt. Das Arno-
thal zwischen Florenz und Pisa war zu Hannibals Zeit ein
weites Sumpfgebiet; der Durchzug des karthagischen Heeres
soll vier Tage und drei Nächte erfordert haben. Der Apennin
endlich war von der Küste bei Spezia bis zum Casentino ober-
halb Arezzo im Besitz ligurischer Stämme, die erst im n. Jahr-
hundert von den Römern bezwungen worden sind. So mochten
von den etwa 30 000 qkm Etruriens im III. Jahrhundert kaum
17000 wirkliches Culturgebiet sein.
Dabei hat die Sklavenwirthschaft sehr früh in Etrurien
Eingang gefunden. Bereits im Jahre 169 wird von einem
Sklavenaufstand berichtet1); als Tiberius Gracchus im Jahre
137 durch die heutigen Maremmen nach Numantia reiste, sah
1 ) Der angebliche Aufstand der freigelassenen Sklaven in Volsinii 265
wird vielmehr als Empörung der Plebs gegen den Adel zu fassen sein;
vergl. Ihne, Rom. Getch. I 407.
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424
Capitel IX.
er das Land von freien Bewohnern entblösst und die Felder
von Sklaven bestellt1). So hat es nichts auffallendes, wenn
die etruskischen Bundesstädte zur Zeit Hannibals zusammen
nur etwa 40 — 50000 Waffenfähige zählten8), ihre freie Be-
völkerung also rund 200000 Köpfe betrug. Da etwa 4000 qkm
etruskischen Gebietes im unmittelbar römischen Besitz waren, so
bleiben etwa 13000 für die etruskischen Bundesstaaten, ab-
gesehen von den menschenleeren Gebieten des Innern; das er-
giebt eine Dichtigkeit der freien Bevölkerung von 15 auf
1 qkm, wozu dann weiter die Sklaven zu rechnen wären.
In der Folgezeit ist der Verfall immer weiter fortgeschritten,
beschleunigt durch die Verheerungen des sullanischen Bürger-
krieges, von dem Etrurien in ganz besonderem Maasse zu leiden
hatte. So nennt Strabon Populonia und Caere verlassen8), und
was Rutilius im IV. Jahrhundert singt (I 285):
Cemimus antiquas nuüo custode ruinas,
Et desolatae moenia foeda Cosae
lässt sich schon am Anfang der Kaiserzeit auf einen grossen
Theil Etruriens anwenden.
Besser lagen die Verhältnisse in den Landschaften
des Apennin, von Umbrien bis Samnium. Die Einverlei-
bung des Ager Sabinus ist die hauptsächlichste Ursache des
plötzlichen Steigens der römischen Bürgerzahl von etwa 150000
auf 262000 am Anfang des III. Jahrhunderts4). Picenum
nennt Plinius zur Zeit der Besitznahme durch die Römer ein
sehr bevölkertes Land; die Zahl von 360000 Einwohnern, die
er angiebt, ist freilich ohne Zweifel sehr übertrieben5). Wäre
sie richtig, so würden hier etwa 80 Menschen auf 1 qkm ge-
wohnt haben, was freilich noch immer hinter der heutigen
') Gaius Gracchus bei Plut. Ti. Gracchus 8: xal rijv tnrjut’av rij*
XÜQ(t( öqtävra xal roiif yttoQyovvras fj vtftovrac oixitag (Tietaäxrovg
xal ßuQßdnovc.
*) 54000 Mann mit den „Sabinern“. S. oben S. 864 ff.
a) Strabon V S. 120. 224.
4) Oben S. 344.
s) Plin. H. N. III 110: quinta Regio Piceni est, quondam uberrimae
muüitudmis. CCCLX Picentini in fidem p. R. venere. Doch vergl. oben
S. 845 Anm.
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Italien.
425
Bevölkerung der Marken (95 — 97 auf 1 qkin) Zurückbleiben
würde; jedenfalls ist zu Plinius’ Zeit die Bevölkerung der
V. Kegion sehr viel geringer gewesen1). Um so dünner
musste bis auf die Lex Flaminia die Bevölkerung in dem
alten Senonenlande sein, dem sog. Ager Galliens in Piceno,
den wir uns gewöhnt haben, als einen Theil Umbriens anzu-
sehen. Das eigentliche Umbrien zählte in Hannibals Zeit über
20000 waffenfähige Männer im Alter von 16 — 46 Jahren, also
eine freie Bevölkerung von gegen 100000, was für das etwa
6000 qkm grosse Gebiet keine unbedeutende Zahl ist (16 — 17
auf 1 qkm). Die Marser, Paeligner, Vestiner, Marraciner,
Frentaner, Samniten, Hirpiner sind es, die im Socialkriege die
grosse Masse des Insurgentenheeres gestellt haben, was auf
eine ansehnliche Bevölkerung schliessen lässt. Allerdings war
städtisches Leben in allen diesen Gebirgslandschaften wenig
entwickelt. Noch unter Augustus gab es hier keine einzige
grössere Stadt, und das hat Strabon verleitet, von einem Verfall
dieser Gegenden zu sprechen8), was neuere Historiker nicht
hätten nachschreiben sollen.
Der Süden Italiens muss in der Blüthezeit der gross-
griechischen Colonien, vom VII. bis zum V. Jahrhundert, eine
verhältnissmässig dichte Bevölkerung gezählt haben (oben
S. 301 ff.). Mit dem siegreichen Vordringen der Lucaner seit
dem Anfang des IV. Jahrhunderts beginnt der Verfall, den der
kannibalische Krieg vollendet, dessen Schauplatz diese Gebiete
durch 13 Jahre bildeten. Die Angabe, dass zu Pyrrhos’ Zeit
die Tarantiner, Messapier, Lucaner, Brettier, Samniten 350000
Mann zu Fuss und 20000 Reiter hätten ins Feld stellen kön-
nen8), ist jedenfalls stark übertrieben, selbst wenn es wahr
wäre, dass Pyrrhos’ Heer bei Ausculum 70000 Mann zu Fuss
und 8000 Reiter gezählt hätte, worunter 54000 Mann zu Fuss
und gegen 5000 Reiter italische Bundesgenossen4) : Zahlen, an
■) Plin. a. a. 0.: quonda m uberrimae mtdtitudinis.
») Strab. V S. 249-50.
») Plut Pyrrhos 13.
4) Dionys. 20, 1; vergl. Plut Pyrrh, 15.
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426
C'apitel IX.
denen ebenfalls starke Zweifel gestattet sind. Zu Anfang des
hannibalischen Krieges zählten die iapygisch-inessapischen Völker
56000 Waffenfähige, oder eine freie Bevölkerung von V* Million
auf 19 — 20000 qkm (18 auf 1 qkm), Lucanien konnte 33000
Waffenfähige aufstellen, entsprechend einer Gesammtzahl von
160000 Freien; das ergiebt bei einem Flächenraum von viel-
leicht 12000 qkm annähernd dieselbe Volksdichtigkeit wie in
Iapygien. Die Brettier sollen gegen Kroton 215 ein Heer von
15000 Mann aufgestellt haben1); für ein Land von etwa
14 000 qkm Flächenraum eine keineswegs sehr bedeutende Zahl.
In den letzten Jahrhunderten vor unserer Zeitrechnung
machte die Verödung des italischen Südens immer weitere
Fortschritte. Der Ackerbau wurde durch die Weidewirthschaft
verdrängt, die durch Sklaven betrieben wurde. Cicero nennt
Apulien den menschenleersten Theil Italiens2). Kur Brandi-
sium und Venusia behaupteten sich in der Kaiserzeit als an-
sehnliche Städte, während die alten Städte Grossgriechenlands
zu Schatten ihrer einstigen Bedeutung herabsanken, oder auch
gänzlich verlassen wurden, wie Metapontion 8). Arpi und Ca-
nusium, einst zu den ersten Städten Italiens gehörig, zeigten
in Augustus’ Zeit nur noch durch den Umfang ihrer Mauern
die einstige Grösse4).
So war wenigstens seit dem III., wahrscheinlich schon
seit dem IV. Jahrhundert Mittelitalien der bei weitem am
dichtesten bewohnte Theil der Halbinsel. Latium, Campanieu
und die Landschaften des Apennin von Ariminum bis Venusia
zählten zur Zeit Hannibals auf etwa 60000 qkm eine freie
Bevölkerung von \ Millionen, oder 29 auf 1 qkm; Etrurien
auf 13000 qkm etwa 200000 freie Einwohner, oder 15 auf
1 qkm; der italische Süden (Apulien, Lucanien, Brettien) auf
45000 qkm 5—600000, 11 — 13 auf 1 qkm. Selbstverständ-
lich sind das nur Annäherungswerthe. Auch mochte das De-
9 Liv. 24, 2. Vergl. oben S. 358.
*) Cic. an Atlicus VIII 3, 4: inanissima pars Italiae.
») Pausan. VI 19, 11.
4) Strab. VI S. 283: ftiytarai rmv 'iTakioirCötav yiyovvtut nportpov,
tag Ix twv TTtnißolaiv iHjkov, «JUn vvv (karraiv (atlv.
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Italien.
427
ficit der freien Bevölkerung im Nordwesten und Süden bis zu
einem gewissen Grade durch die hier zahlreichere Sklaven-
bevölkerung ausgeglichen werden. Aber jedenfalls bleibt
Mittelitalien ein bedeutendes Uebergewicht der Bevölkerung,
und dieses Missverhältniss ist bis in die Kaiserzeit hinein immer
stärker geworden.
4. Das diesseitige Gallien.
Das diesseitige Gallien steht an Flächenraum dem pen-
insularen Theile Italiens nicht weit nach und übertriflt den-
selben heute, wie schon im Mittelalter, an Bevölkerung. Im
früheren Alterthum ist das Verhältniss ein ganz anderes ge-
wesen. Die italische Halbinsel ist ein Land alter Cultur, wo
städtisches Leben schon in sehr früher Zeit sich entwickelt hat.
Im Pothal dagegen hat der gallische Einfall die Keime höherer
Civilisation geknickt und die Culturentwicklung um Jahrhun-
derte zurückgeworfen. Die Berichte aus der Zeit Hannibals
schildern das Land zwischen Alpen und Apennin als erfüllt
von Wäldern und Sümpfen, mit spärlichen, weitverstreuten
städtischen Ansiedelungen. Man möchte sich in das Germanien
des Tacitus versetzt glauben. Erst durch die römische Erobe-
rung ward das Land der Cultur wiedergewonnen. Begreif-
licher Weise vollzog dieser Prozess sich sehr langsam. Die
Sümpfe bei Parma sind eist im Jahre 109 durch Scaurus aus-
getrocknet worden1); aber noch 60 Jahre später erstreckten
sich die Sümpfe bis in die unmittelbare Nähe von Mutina und
Bononia, so dass die Via Aemilia zwischen beiden Städten auf
einem Damm geführt werden musste*). Die ganze Niederung
an den Po-Mündungen zwischen Altinum und Ravenna, und
den Fluss hinauf bis Hostilia war ein weites Sumpfgebiet, in
dem Adria die einzige Ansiedlung von einiger Bedeutung bil-
dete. Die staunenswerthe Wohlfeilheit aller Lebensbedürfnisse,
») Strab. V S. 217.
*) Cic. ad fam. X80; Front. Strateg. II 5, 39; Appian, Bürgerkr. III
66. Vergi. Frizzi, Memorie per Ja Storia di Ferrara I S. 10 f-
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428
Capitel IX.
von der Polybios zu berichten weiss, die ausgedehnte Schweine-
mast in den Eichenwäldern1) sind Beweis genug, dass um die
Mitte des II. Jahrhunderts die Po-Ebene noch verhältnissmässig
spärlich bewohnt war, mochte auch bei der grossen Ausdeh-
nung des Landes die absolute Bevölkerung immerhin nach an-
tiken Begriffen beträchtlich sein *). Eine numerische Schätzung
ist allerdings für diese Periode kaum ausführbar. Die Angaben
der römischen Annalisten über die Stärke gallischer Heere
oder die Zahl der erschlagenen oder gefallenen Feinde sind
absolut werthlos. Selbst Fabius darf in diesem Punkte nur
mit grosser Vorsicht benutzt werden, wenn auch anerkannt
werden muss, dass er weniger arg gelogen hat als seine Nach-
folger. So giebt Fabius das gallische Heer beim Einfall in
Italien 228 auf 70000 Mann an8), spätere Annalisten auf
200 000 4). Uebrigens befanden sich unter diesen 70000 eine
bedeutende Menge transalpinischer Söldner, sog. Gaesaten, und
ausserdem mag auch diese Zahl übertrieben sein. Dasselbe
gilt von der Angabe, die Insubrer hätten 223 gegen C. Flami-
nius mit 50000 Mann gekämpft5). Glaubwürdiger ist die An-
gabe, dass die Veneter und Cenomanen im Jahre 225 ein Heer
von 20000 Mann zu Fuss und vielleicht 6000 Reitern aufzu-
stellen vermochten 6). Da es sich hier um Bundesgenossen
handelt, so musste die römische Regierung allerdings in der
Lage sein, zu wissen, auf ein wie starkes Hülfscontingent sie
eventuell zu rechnen hätte. Auch empfiehlt sich die Zahl
durch ihre Kleinheit und weil sie in der Uebersicht der Streit-
kräfte Italiens steht, die sonst aus den besten Quellen geflossen
ist. — Dass die Angabe Strabons, Patavium habe „einstmals“
120000 Mann ins Feld zu stellen vermocht7), nicht den ge-
ringsten Werth hat, bedarf doch wohl keiner Bemerkung.
') Polyb. II 15.
*) Polyb. II 15, 7 : tö yt fiijv nlijito; Tu~v rcnlptör xtX.
а) Polyb. II 23, 4.
*) Diod. XXV 13.
б) Polyb. II 32, 6.
«) S. oben S. 353-376.
0 Strab. V S. 213.
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Italien.'
429
In noeh stärkeren Ausdrücken als Polybios sprechen die
Schriftsteller der caesarisch-augusteischen Zeit von der Blilthe
des Po-Landes. Cicero nennt es die „Blüthe Italiens, die Stütze
des römischen Reiches“ 1). Nach Strabon steht das diesseitige
Gallien an Volksmenge, an Grösse der Städte und Reichthum
dem ganzen übrigen Italien voran2). Indess wäre es voreilig,
aus solchen Aeusserungen sogleich auf eine grössere Volks-
dichtigkeit in der Po-Ebene gegenüber der italischen Halbinsel
zu schliessen. Strabons Ausdrücke liessen sich heute Wort für
Wort auf Nordamerika an wenden; und doch, wie dünn sind
die Vereinigten Staaten im Verhältniss zu Europa bevölkert.
Sollen wir denn annehmen, dass Caesars Statthalterschaft im
Jahre 49 eine grössere, oder auch nur die gleiche Zahl römi-
scher Bürger umschlossen hat wie das eigentliche Italien? Nie-
mand, der die Geschichte des zweiten Bürgerkrieges erwägt,
wird das behaupten wollen.
So steht Ober-Italien an Zahl der Städte hinter der Halb-
insel bedeutend zurück. Die Regionen I — VH enthielten nach
dem augusteischen Kataloge etwa 350 Gemeinden, die Regio-
nen VIH — XI, wenn wir von den Städten latinischen oder
peregrinischen Rechts absehen, nur 82. Darunter befinden sich
allerdings verhältnissmässig viele ansehnliche Mittelstädte. Aber
eine Grossstadt fehlte noch zu Augustus’ Zeit. Verona, das
Strabon und Marti al als solche bezeichnen8), bedeckte einen
Flächenraum von nicht mehr als 45,6 ha, oder nur einen
kleinen Theil der heutigen Stadt. Etwa dieselbe Grösse hatten
die beiden Colonieu Augusta Taurinorum und Augusta Prae-
toria Salassorum. Ariininum umfasste sogar nur 35 ha. Grösser
war Bononia, das 83 ha bedeckte; immer noch eine sehr mas-
sige Ausdehnung, und kaum der vierte Theil des Flächenraums
*) (Jic. Phil. III 5, 13 : provincia Gallia . . . Floss Italiae, firmamentum
imperii populi Romani, omamentum dignitatis.
*) Strub. V S. 218: rijf J’ irptrijf uav lönuv itxpriQiov rj r’ evavdpta
xai to piy(\h] itiv noltuiv x«l ö nlovi of, ols nctOtv vntgß(ßi.JtVTta Tt/V
äXirjV 'ixaXlav ot ravrtj 'i^utpaioi.
s) Strab. V S. 213. Martial XIV 194: Tantum magna suo gaudet
Verona Catullo, Quantum parva suo Mantua Vergilio.
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430
Capitel IX.
des modernen Bologna. Mediolanum allerdings gilt im IV. Jahr-
hundert als die zweite Stadt Italiens1); aber sein Aufschwung
fällt erst in die Kaiserzeit. Noch Strabon nennt Patavium
die bedeutendste Stadt der Po-Ebene*) und bebt Mediolanum
in keiner Weise vor seinen Nachbarstädten hervor; ebenso
nennt Tacitus die Stadt auf gleicher Linie mit Novaria, Eporedia
und Vercellae8). In ähnlicher Weise hat Aquileia erst seit der
Unterwerfung der Donauländer grössere Bedeutung gewonnen 4).
Eine Bestätigung des bisher entwickelten giebt die auguste-
ische Regionseintheilung. Es liegt in der Natur der Sache,
dass die Verwaltungsbezirke um so kleiner ausfallen müssen,
je dichter die Bevölkerung ist. So zerfällt Sicilien heute in 7,
Sardinien bei annähernd derselben Grösse in 2 Provinzen; die
erstere Insel hat 3 Millionen, die letztere nur 700000 Ein-
wohner. Oder, um ein Beispiel aus dem Alterthum selbst zu
nehmen: Baetica war die kleinste und zugleich die relativ be-
völkertste Provinz in Spanien. Wenn nun die 4 mittelitalischen
Regionen (I. IV. V. VI) nach Augustus’ Eintheilung zusammen
etwas weniger als 50000, die II., HI. und VII. Region etwa
je 30000, die 4 Regionen in Ober-Italien zusammen 116000
qkm umfassen, so wird der Schluss nicht abzuweisen sein, dass
zu der Zeit, wo diese Eintheilung geschaffen wurde, Ober-Italien
dünner bevölkert war als die Halbinsel und auf dieser wieder
Campanien und die Landschaften im Apennin die relativ stärkste
Bevölkerung hatten.
Dasselbe ergiebt sich aus den epigraphischen Funden. Es
genügt, das Corpus zu durchblättem , um sich zu überzeugen,
dass eine Gressstadt mehr Inschriften hinterlässt als eine Klein-
stadt, und folglich eine dicht bevölkerte Gegend mehr als eine
dünn bevölkerte. Es wird also auch umgekehrt aus der Zahl
*) Auson. 19 (de url.) 35 ff. : Et MedMani mira omnia, copia rentm,
Innumerae cultaeque domus, . . . tum duplice muro Amplificata loci species etc.
*) Strab. V S. 213: n aomv ä(t(air] iiiv ravx/j nöXtarv .... itjloi di
Kai xd nkrtüo( xiji ntcuTOuCrrft xaxaoxiurjg it; xqv'Petfujv n )v tvardniuv
t?( n6hai(.
*) TacituB Hist. I 70.
*) Auson. de urb. 6; Herodian VIII 2.
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*
Italien.
431
•der gefundenen Inschriften auf die Dichtigkeit der Bevölkerung
im Alterthum ein Schluss gestattet sein, sofern wir nur die zu
vergleichenden Gebiete hinreichend gross nehmen, um zufällige
Störungen zu eliminiren, und nur Gegenden mit ähnlichem
Culturzustande — und zwar im Alterthum wie heute — zum
Vergleich heranziehen. Beiden Anforderungen dürften die au-
gusteischen Regionen Italiens entsprechen. Wir erhalten fol-
gendes Ergebniss:
Reg.
qkm
Inschriften ')
1 Insehr. auf
qkm
I
16 000
6 302
2,5
II
29 800
2193
13,5
III
30 000
507
60,0
IV
18 000
2 819
6,4
V
4 500
923
5,0
VI
10 300
2180
4,6
vu
31000
2 535
13,4
139 600
17 559
7,1
VIII
22100
1314
17
IX
14 000
608
24
X
49 000
5 091
9,6
XI
30 700
2117
13,7
116 400
9 1:30
12,7
Rom
—
ca. 32000
—
Selbstverständlich muss diese Tabelle mit Vorsicht benutzt
werden. Namentlich müssen wir uns hüten, die Inschriftenzahl
*) Berücksichtigt sind nur die im CIL. unter den einzelnen Städten
aufgeführten Inschriften-Nummern. Das „ Imtrumentum domesticum“ , die
Meilensteine, die pompeianischen Wandinschriften und ähnliches ist
ausgeschlossen, ebenso die Addenda, deren Berücksichtigung nur zu Will-
kür lichkeiten geführt haben würde. Die Zahlen für die Reg. VI. VII. VIII
verdanke ich der Freundlichkeit Bormanns; dieselben beruhen für die VI.
und VII. Region auf approximativer Schätzung. Die Zahl der stadtrömischen
Inschriften gebe ich nach einer Mittheilung Hülsens; die beiden bisher er-
schienenen Theile von Band VI des Corpus enthalten 15126 Nummern.
Dazu kommen dann weiter die suburbicarischen und altchristlichen In-
schriften, die hier nicht mitgerechnet sind. Doch ist zu beachten, dass ein
nicht imbedeutender Theil der städtischen Inschriften von auswärts ver-
schleppt ist
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432
Capitel IX.,
zu der absoluten Bevölkerung in directe Beziehung zu bringen.
Die Inschriftenzahl bildet vielmehr einen Gradmesser nur für
die Intensität der Cultur. So hat Rom mit seiner nächsten
Umgebung in der ersten Kaiserzeit etwa */« bis Vt der Ge-
sammtbevölkerung Italiens umfasst; die hier gefundenen In-
schriften aber tibertreffen an Zahl die im ganzen übrigen Ita-
lien. Aber dass Rom die bei weitem grösste Stadt Italiens
gewesen ist, könnten wir allerdings, wenn wir es sonst nicht
wüssten , schon aus unserer Tabelle ableiten. Ebenso werden
wir behaupten dürfen, dass die Bevölkerung — und zwar die
bürgerliche Bevölkerung, denn die Sklaven kommen in unserem
epigraphischen Material nur in untergeordneterWeise zur Gel-
tung — in den mittelitalischen Regionen I. TV. V. VI dichter
gewesen ist, als in den übrigen Theilen der Halbinsel, wenn
auch der Unterschied in der Volksdichtigkeit nicht so bedeu-
tend gewesen sein mag, als es nach unserer Tabelle auf den
ersten Blick scheinen könnte. Wir gewinnen damit eine Be-
stätigung der oben auf anderem Wege erhaltenen Ergebnisse.
Von viel geringerem Werthe für die Bevölkerungsstatistik
ist die Sammlung der Denksteine der aus Italien stammenden
Praetorianer, Stadt- und Legionssoldaten, die kürzlich Mommsen
gegeben hat1). Denn es handelt sich hier meist um Freiwil-
lige; die Zahlen geben also einen Gradmesser nicht so sehr
für die absolute Bevölkerung der einzelnen Regionen, als für
den in ihnen herrschenden militärischen Geist. So erklärt es
sich, dass die Hauptstadt keineswegs im Verhältniss zu ihrer
grossen Bevölkerung vertreten ist Dennoch mögen die Zahlen
der Vollständigkeit wegen hier ihre Stelle finden:
Roma 51
Ostia 28
79
Reg. I Latium 28
Campania 68
96
') Ephem. Epigr. V (1884) S. 251.
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Italien.
433
40
9
33
34
71
132
Halbinsel 494
117
33
117
65
Gallia cisalpina 332
Wir werden jetzt in der Lage sein, uns von der Bevölke*
rung der Transpadana unter Augustus eine annähernd richtige
Vorstellung zu bilden. Der Bevölkerung der Halbinsel kam
sie an Dichtigkeit jedenfalls nicht gleich, imd zwar nicht nur
an Volksdichtigkeit überhaupt, sondern auch an Dichtigkeit
der bürgerlichen Bevölkerung. Nun zählte Italien, so weit es
vor Caesar die Civität hatte, im Jahre 70/69 etwa 900000 er-
wachsene Bürger, entsprechend einer bürgerlichen Gesammt-
bevölkerang von 2 Vs Millionen (s. oben S. 413). In den 42
Jahren von da bis auf Octavians ersten Census wird sich diese
Zahl jedenfalls nicht erhöht, wahrscheinlich sogar etwas ver-
mindert haben (s. oben S. 373). Davon kommt aber gegen
V» Million auf Rom und seine nächste Umgebung (oben S. 402),
so dass für den Rest der Halbinsel bis zum Padus — die li-
gurischen Bergdistricte ausgeschlossen — 2 Millionen übrig
bleiben, auf ungefähr 160000 qkm1), oder 12,5 auf 1 qkm.
Dieselbe Volksdichtigkeit für die etwa 70000 qkm des Bürger-
gebietes in der Transpadana vorausgesetzt, würde eine Bevöl-
Reg. VHI
■ IX
Reg. II
n HI
» IV
. V
* VI
. VII
l) Diese Zahl beruht auf den früheren officiellen Angaben (vergl. oben
S. 320 u. 388), und ist also um einige Tausend qkm zu hoch. Da indess
auch jenseits des Flusses Eporedia, Cremona und Aquileia bereits von
Caesar Bürgerrecht hatten, und überhaupt die Grenzen des römischen Ge-
bietes im diesseitigen Gallien in dieser Zeit sehr unsicher sind, so habe ,
ich von einer Rectification der Zahl abgesehen.
Bei och, Bevjlkerungslehre. I. 28
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434
Capitel IX.
kerung von 875 000 ergeben. Das ist ein Maximum, über das
wir nicht hinausgehen dürfen, das aber wahrscheinlich keines-
wegs erreicht worden ist. Gehen wir statt dessen von der
Regionseintheilung aus, so entfällt auf die Regionen I — VIII,
die bereits seit der lex Iulia das Bürgerrecht hatten, im
Durchschnitt eine bürgerliche Gesammtbevölkerung von 1li Mil-
lion. Nach diesem Verhältniss würden die 3 Regionen der
Transpadana (IX. X. XI) aU Millionen bürgerlicher Einwohner
gezählt hal)en; doch ist zu berücksichtigen, dass ausgedehnte
Theile dieser Regionen bereits seit der lex Iulia das Bürger-
recht hatten, also bereits im Census von 70/69 mitgezählt sind.
Da es sich aber hier nur um runde, approximative Werthe
handelt, so werden wir die Zahl von aU Millionen für diese
3 Regionen festhalten können,' und einschliesslich der VIII. Re-
gion für das diesseitige Gallien eine bürgerliche Gesammtlte-
völkerung von 1 Million erhalten. Das ergiebt bei einem
Flächenraum von rund 100000 qkm1) eine Dichtigkeit von
10 auf 1 qkm, gegen 13,5 auf der Halbinsel ausschliesslich der
Hauptstadt.
In noch höherem Maasse muss die unfreie Bevölkerung
des Po -Landes hinter derjenigen der Halbinsel zurückgestan-
den haben. Wurden doch im n. Jahrhundert der Kaiserzeit
die Felder um Comiun durch freie Arbeiter bestellt2); und die
Blüthe des diesseitigen Gallien beruhte zum guten Theil
darauf, dass die Latifundienwirthsebaft hierher nicht vor-
gedrungen war. Wenn also auf der italischen Halbinsel um
die Mitte des I. Jahrhunderts v. Chr. die Sklavenbevölkemng
auf s/6 der freien Bevölkerung veranschlagt werden kann, so
kann sie im diesseitigen Gallien höchstens auf die Hälfte von
dieser angesetzt werden, und wird wahrscheinlich noch dahinter
zurückgeblieben sein
Von den Bergvölkern am Südalthang der Alpen, die
übrigens zur Zeit von Augustus' erstem Census meist noch nicht
1) Die Alpengebiete, die unter Augustus das Bürgerrecht noch nicht
hatten, sind hier ausgeschlossen. Vergl. oben S. 389 und 321.
2) Plin. Epist. III 19, 7 : nam nec ipse unquam vinctos habeo , tue
ibi quisquam.
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Italien.
435
unterworfen waren, und später, soweit sie nicht ganz ver-
nichtet wurden, latinisches Recht erhalten haben, besitzen wir
nur über ein einziges statistische Angaben. Bei der Besiegung
der Salasser im Val d’Aosta im Jahre 25 v. Chr. soll Varro
44000 Gefangene gemacht haben, darunter 8000 waffenfähige
Männer1). 36000 Weiber, Kinder und Greise setzen aber,
nach dem bekannten Verhältniss von 3 : 1 eine Zahl von
12 000 Waffenfähigen voraus, sodass 4000 Männer im Kampfe
gefallen sein müssten, und die Gesammtzahl der Salasser, die
etwa geflüchteten ungerechnet, gegen 50000 betragen hätte.
Der heutige Bezirk Aosta, der etwa dem alten Salassergebiete
entspricht, hat 3439 qkm Flächenraum, sodass sich eine relative
Bevölkerung von 14 auf 1 qkm ergeben würde, was für ein
solch rauhes, von einem halbwilden Volk bewohntes Bergland
offenbar eine ganz unmögliche Annahme wäre. Zählt doch das
Val d’Aosta selbst heute nicht mehr als 82000 Einwohner. Also
beruhen entweder die obigen Zahlen auf einem übertreibenden
Triumphalberichte, oder Varros Feldzug muss auch noch gegen
andere Alpenvölker gerichtet gewesen sein. Für unsere Zwecke
also ist die Angabe unbrauchbar®), und wir müssen darauf
verzichten, die Bewohner des italienischen Abhangs der Alpen
numerisch zu bestimmen. Wir werden aber nicht irren mit
der Annahme, dass dieses ganze Gebiet zu Augustus’ Zeit eine
ausserordentlich dünne Bevölkerung gehabt hat.
5. Die Gesaimutbevölkerung Italiens.
Die italienische Halbinsel kann in Hannibals Zeit, wie
wir gesehen haben, kaum über 3V8 Millionen Einwohner ge-
zählt haben, sodass einschliesslich des damals noch sehr dünn
bevölkerten diesseitigen Gallien für Italien 4 —A'ia Millionen
]) Strab. IV S. 205 f. : rtüv fj'tv ovv aiiiov noiuditai’ jqiii [hqiuiSk
(ir]Taa9rjanv Inl rot; e^axia/iXioi;, tüv Jf iiayiu oj y ixijp iSv öxTaxia/ü.100
*) Ich wörde über diesen Punkt weniger ausführlich gewesen sein, wenn
nicht Mommsen im letzten Bande seiner Geschichte die Zahlen Strabons —
übrigens mit einem kleinen Versehen — wiederholt und Wietersheim sogar
eine Berechnung der Bevölkerung der Alpenländer darauf gegründet hätte
(Völkerwanderung PS. 203).
28*
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486
Capitel IX.
Einwohner anzunehmen sein werden, eine Schätzung, die sich
weder nach oben noch nach unten weit von der Wahrheit ent-
fernen wird. Für das Jahr 28 v. Chr., als Augustus seinen
ersten Census hielt, haben sich uns folgende Zahlen ergeben:
bürgerliche Be-
völkerung
Hauptstadt 500 0001
übrige Halbinsel (Reg. I — VH) . . 1750 000 j
Gallia eisalpina (Reg. VIII— XI) . . 1 000 000
Sklaven
1500000
500000
3250000 2 000000
Zusammen also 51/* Millionen, und wenn wir die hier nicht ein-
gerechneten Peregrinen zu V* Million ansetzen (vgl. oben S. 403),
5Vs Millionen Einwohner. Es bedarf keiner Bemerkung, dass
diese Zahl nur auf approximativen Werth Anspruch macht.
Für die bürgerliche Bevölkerung allerdings hält sich der mög-
liche Fehler in engen Grenzen; es kann sein, dass die Zahl
um etwas zu erhöhen ist, im Falle wir nämlich annehmen,
dass bei dem Census ein Theil der Bevölkerung sich der Auf-
nahme entzog. Doch kann das dadurch herbeigeführte Minus
kaum sehr wesentlich ins Gewicht fallen. Dagegen beruht der
Ansatz der Sklavenzahl ganz auf Schätzung; es ist also sehr
wohl möglich, dass diese Schätzung um Vs Million zu hoch,
oder um eine, ja selbst zwei Millionen zu niedrig ist. Indess
werden die obigen Zahlen auch hier als wahrscheinliche Mittel-
werthe angesehen werden dürfen ; und es kommt auch für unsere
Zwecke nicht so viel darauf an, ob Italien zu Anfang von
Augustus’ Alleinherrschaft eine Bevölkerung von 5, 6 oder
7 Millionen gezählt hat.
Im Laufe des ersten Jahrhunderts der Kaiserzeit hat sich
die Zahl der römischen Bürger bedeutend vermehrt ; und wenn-
gleich der grösste Theil dieses Zuwachses auf die Provinzen
entfällt, so wird doch auch Italien daran seinen Antheil
gehabt haben. Allerdings der zweite Census des Augustus im
Jahre 8 v. Chr. ergab eine bürgerliche Bevölkerung von 4233000,
nur 170000 mehr als 20 Jahre vorher gezählt worden waren,
ein Resultat, das zum Theil in den Nachwehen der Btirger-
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Italien.
437
kriege seine Erklärung findet, zum Theil in der Pest, die
Italien in den Jahren 13 und 12 v. Chr. heimsuchte1). Von
jetzt an aber zeigt sich als Erfolg der wiederhergestellten
ruhigen Zustände eine aufsteigende Bewegung: der letzte Census
des Augustus, 14 v. Chr., ergab 4937 000, der Census des
Claudius, 47 v. Chr., 5984072 bürgerliche Bewohner des Rei-
ches. Wir müssen uns dabei erinnern, dass das Bürgerrecht
in dieser Periode an Peregrinen sehr sparsam ertheilt worden
ist2), fast nur an zum Legionsdienste ausgehobene Soldaten,
oder an ausgediente Auxiliartruppen , und dass die Zahl der
Freilassungen gesetzlich beschränkt war. Es liegt also hier zum
grossen Theil natürlicher Zuwachs vor, der freilich in den
Colonien und Municipien der Provinzen stärker sein mochte
als in Italien; auch hat ohne Zweifel jetzt wie früher eine
starke Auswanderung aus Italien sich in die Provinzen er-
gossen. Immerhin aber werden wir annehmen dürfen, dass die
Hälfte der 2 Millionen, um welche die Bürgerzahl sich seit
28 v. Chr. vermehrt hatte, auf Italien selbst gekommen ist;
das ergiebt für dieses einen Zuwachs von 30, für die Bürger-
districte in den Provinzen von 125 %. Italien muss also um
die Mitte des I. Jahrhunderts nach unserer Zeitrechnung
eine freie Bevölkerung von 4Ve Millionen gezählt haben; und
da doch wohl auzunehmen ist, dass bei dem allgemeinen wirth-
schaftlichcn Aufschwung auch die unfreie Bevölkerung sich
etwas vennehrt haben wird, darf die Gesammtbevölkerung
für diese Zeit auf etwa 7 Millionen veranschlagt werden. —
Wie sich die Verhältnisse weiter entwickelt haben, wissen wir
nicht, da das Ergebniss von Vespasians Census nicht überliefert,
und später überhaupt kein Census mehr gehalten worden ist.
Die Resultate der obigen Untersuchung stehen nun aller-
*) Dio Cass. 53, 33 ; 54, 1: noravpivoi oiir vnö re rijt röoov xai
toC Ai/uoD, Ir T t yaQ irj ’lxaUtf nday 6 Xoiuös tytvtxo xai xijv yiiioar
ovdtlg i/pydaaxo, doxiö <J‘ Sri xai tv roT{ ?{ft> /cup/oif r 6 avxö xoixo
ovrrjvtx&r).
®) Suet Aug. 40: (Augustus) et civitatem parcissime dedit, et manu -
mittendi modum terminavit. Neue Municipien sind seit der Schlacht bei
Aktion sogut wie gar nicht errichtet worden, s. oben S. 839.
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438
Capitel IX.
dings in schroffem Gegensatz zu weitverbreiteten Vorstellungen.
Ist doch noch ganz kürzlich die Behauptung aufgestellt worden x),
Italien habe im ersten Jahrhundert der Kaiserzeit eine bürger-
liche Bevölkerung von 14—17 Millionen Seelen gezählt, und
eine Gesammtbevölkerung , die nicht sehr beträchtlich hinter
der heutigen Bevölkerungsziffer (ohne die Inseln 1881 : 24 849 725)
zurückblieb. Wie völlig unhaltbar diese Ansicht ist, sollte
freilich auf den ersten Blick klar sein. Italien umfasste unter
Augustus etwa 434 Bürgergemeinden, die annähernd ebensovielen
Städten oder Städtchen entsprachen ; und die Zahl der grösseren
vici ohne administrative Selbständigkeit war keineswegs sehr
bedeutend. Heute (1874) zählt der festländische Theil des
Königreichs 1488 Ortschaften (centri) mit über 2000 Einwoh-
nern, wovon 541 über 4000 Einwohner haben®); dazu wären
dann noch die Städte in Istrien, Südtirol und Tessin zu fügen.
Allerdings besitzt das moderne Italien keine Weltstadt wie das
kaiserliche Rom ; dafür aber eine viel höhere Zahl von Städten
zweiten und dritten Ranges. Es bedarf nur einer ganz ober-
flächlichen Kenntniss der historischen Topographie, um zu er-
kennen, dass mit Ausnahme der nächsten Umgebung von Rom
alle italischen Landschaften im Alterthum viel schwächer be-
völkert waren als gegenwärtig. So bestehen in Ober-Italien
alle Städte noch heute, die zur Römerzeit von irgend welcher
Bedeutung gewesen sind, mit Ausnahme von Altinum, an dessen
Stelle Venedig getreten ist; und zwar sind diese Städte fast
ausnahmslos jetzt viel grösser als unter römischer Herrschaft
Kur Aquileia ist zum unbedeutenden Flecken herabgesunken;
1) Schiller, Kaisergeschichte I S. 427, Geschichte unter Nero S. 500;
Jung, Wiener Studien 1 S. 229 ff. Vorsichtiger drückt Mommsen sich aus
( R . G. II5 403): „Es wird demnach kaum möglich sein, die freie Be-
völkerung der Halbinsel höher als auf 6—7 Mill. Köpfe anzusetzen. Wenn
die damalige Gesammtbevölkerung derselben der gegenwärtigen gleichkam,
so hätte man danach eine Sklavenmasse von 13—14 Mill. Köpfen anzu-
nehmen. Es bedarf indessen solcher trügerischen Berechnungen nicht“ etc.
Wietersheim ( Völkerwanderung I1 S. 204) rechnet „mindestens“ (so!)
11 Millionen.
2) Annuario Statistico Italiano 1881 S. 88 f.
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Italien.
489
aber dafür sind Ferrara und Alessandria seit dem Alterthum
neu entstanden. In dem peninsularen Theile Italiens ist Cam-
panien südlich vom Voltumo jetzt wie einst die bevölkertste
Landschaft. Unter Augustus gab es hier ausser mehreren
grösseren vici 17 Städte, von denen zwei, Liternum und Vol-
turniun, ganz unbedeutend gewesen sind; die übrigen be-
stehen mit Ausnahme von Cumae und Misenum noch heute,
wenn auch zum Theil mit einer kleinen Verschiebung der
Lage, und unter anderem Namen. Allerdings sind Capua
(S. Maria di Capua) und Puteoli mit Baiae sehr gesunken,
aber das Deficit wird reichlich gedeckt durch den Aufschwung,
den Neapel genommen hat Herculaneum, Pompei, Nueeria,
Abella, Acerrae, Capreae sind schwerlich grösser gewesen, als
ihre modernen Nachfolger Resina, Torre dell’Annunziata, Nocera,
Avella, Acerra, Capri. Surrentum kann an Bedeutung dem
modernen Sorrento mit den Ortschaften des Piano (Meta, Ca-
rotto, S. Agnello) keineswegs gleichgekommen sein. Atella,
Suessula, Calatia, Casilinum, Stabiae stehen weit hinter Aversa,
Maddaloni, Caserta, Capua, Castellamare zurück, die an ihre
Stelle getreten sind. Nola mag vielleicht etwas gesunken sein.
Dafür aber sind 8 Ortschaften mit über 10000 Einwohnern
neu entstanden: Afragola, Angri, Caivano, Frattamaggiore,
Giugliano, Pagani, Sarno, Torre del Greco. Die Zahl der Orte
von über 2000 Einwohner beträgt jetzt gegen 100 *); es ist
sehr fraglich, ob im Alterthum auch nur 25 vorhanden ge-
wesen sind. Eine Betrachtung der übrigen italischen Land-
schaften würde zu analogen Ergebnissen führen.
Man erwäge weiter, dass ein sehr viel grösserer Theil
des alten Italien von Wald bedeckt war als heute2), und dass
die Viehzucht, und namentlich die Weidewirthschaft, eine viel
weitere Ausdehnung hatte. „Gegenwärtig schätzt man das un-
productive Gebiet des Königreichs Italien auf ä/i6, die Weiden
auf V«, die Wälder auf 1le des gesammten Areals. Für das
*) Censimento della popoloeione del Regno d’Jtaha dl 31. Die. 1881.
Vol. I parte 1. Roma 1881.
*) Nissen, Itaj. Landesl-unde I S. 481 ff.
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440
Capitel IX.
Alterthum wird man von solchen Schätzungen absehen müssen.
Nur soviel steht fest, dass die Wald- und Weidezone an Aus-
dehnung die Culturzone übertraf1).“ Und wenn im alten Italien
der Wolf häufig, der Bär noch keineswegs ausgerottet war,
„wilde Ziegen“ , d. h. Steinböcke oder Gemsen nicht nur im
Hochapennin, sondern sogar auf dem Soracte zu finden
waren2), so kann die Bevölkerung unmöglich auch nur an-
nähernd die heutige Dichtigkeit gehabt haben.
Dasselbe lässt sich auch auf anderem Wege erweisen.
Hätte Italien unter Augustus eine bürgerliche Bevölkerung, ich
sage nicht von 14 — 17, sondern nur von 10 Millionen gezählt,
so kämen auf jede der 434 Gemeinden im Durchschnitt nahe au
22000 Einwohner, oder über 7000 erwachsene Bürger, wobei
600000 bürgerliche Einwohner für Rom abgerechnet sind.
Eine Bürgerzahl von 7000 aber haben nur die bedeutenderen
italischen Gemeinden erreicht. So sind die latinischen Colonieu
in der Regel mit 3 — 4000 Colonisten deducirt worden3), die
Bürgercolonien des II. Jahrhunderts mit 2— 3000 4). Die ein-
zige augusteische Colonie, über deren Stärke wir unterrichtet
sind, Augusta Praetoria, zählte 3000 Colonisten6), und dass
auch die übrigen nicht viel stärker gewesen sind, ergiebt sich
daraus, dass nach Augustus’ eigenem Zeugniss in seinen sämmt-
lichen bis zum Jahre 29 v. Chr. gegründeten Militärcolonien
nicht mehr als 120000 Veteranen angesiedelt waren6). Mögen
nun die Colonisten auch nur den dritten, ja den vierten Theil
’) Nissen a. a. 0. S. 227.
*) Nissen a. a. 0.
*) S. die Zusammenstellung in meinem Ital. Bund S. 149 f.
*) ltal. Bund S. 117.
B) Strab. IV S. 206.
®) Mon. Ancyr. c. 15: »« colonis militum meorum consul quintvm
ex manibiis viritim millia nummum singula dedi; acceperunt id triumphale
ccmgiamm in colonis homtnum circiter centum et viginti millia. Augustus
hat im ganzen 28 Colonien in Italien deducirt (Mon. Ancyr. c. 28), von
denen wohl nur eine, Augusta Praetoria, nach dem Jahr 29 gegründet ist
Das ergiebt für jede Colonie im Durchschnitt 4400 Colonisten. Doch wissen
wir nicht, wieweit auch die in den Colonien der Triumvirn angesiedelten
Veteranen an dem Geschenk Antheil erhielten.
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Italien.
441
aller in den Colonien wohnenden Bürger gebildet haben, so
ergiebt sieh für diese Städte, die grössten in Italien, doch nur
eine Bürgerzahl von durchschnittlich etwa 12000. — Unter
den Munieipien war eines der ansehnlichsten Spoletiuin. Im
II. Jahrhundert wurde dieser Stadt von einem patriotischen
Bürger eine Schenkung von 250000 Sesterzen gemacht, aus
deren Zinsen jedem Bürger jährlich 2 Sesterzen gezahlt und
ausserdem die Kosten eines Banketts für die Decurionen be-
stritten werden sollten *). Der Zinsfuss für solche Stiftungsgelder
war in dieser Zeit in der Regel 5%, der Ertrag des Capitals
also 12500 Sesterzen. Nun mag der Stifter allerdings
darauf gerechnet haben, dass nicht alle munidpes zum Em-
pfang der Spende sich melden würden; andererseits aber war
das Bankett für die Decurionen gewiss sehr kostspielig. Mehr
als 6 — 7000 Bürger kann Spoletium also in dieser Zeit schwer-
lich gezählt haben. — Die Stadt Rudiae in Calabrien empfing
unter Hadrian ein Capital von 80000 Sesterzen, von dessen
Zinsen jährlich den Decurionen je 20, den Augustalen je 12,
den Mercurialen je 10, den übrigen munidpes je 8 Sesterzen
gezahlt werden sollten2). Die Zinsen, zu 5 % gerechnet,
würden ausgereicht haben 500 Bürgern je 8 Sesterzen zu
zahlen. — Ferentinum in Latium erhielt im II. oder HI. Jahr-
hundert eine Schenkung von 70000 Sesterzen; die Zinsen wer-
den zu 4200 Sesterzen (6°/o) angegeben. Daraus soll jähr-
lich vertheilt werden : an alle Bürger (munidpes) und sonstigen
Einwohner (incolae), und zwar nicht blos an die erwachsenen
Männer, sondern auch an die verheirathetcn Frauen, je 1 Pfund
(827 g) Backwerk (crustuhm), 1 hemina (0,274 1) Wein (mulsum)
und je 1 Sesterz; an die Decurionen je 10 Sesterzen, an die
Söhne der Decurionen und an die Augustalen je 8 Sesterzen.
Zur Instandhaltung der Statue des Stifters werden jährlich
30 Sesterzen bestimmt, und es wird erwartet, dass nach alle-
dem noch ein Ueberschuss bleibt, der den Kindern der Plebs
zu gute kommen soll8). Nach diesen Angaben kann die Zahl
») Wilm. 2099 = Henzen 7115.
*) CIL. IX 28 = Wilm. 1828.
*) CIL. X 5853 — Wilm. 1786.
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442
Capitel IX.
der municipes und incolae von Ferentinum schwerlich auch nur
2000 erwachsene Männer betragen haben; wahrscheinlich viel
weniger.
Wir sehen, die Zahl von 7000 Bürgern ist als Durchschnitt
für die italischen Gemeinden in Augustus’ Zeit viel zu hoch.
Nach unseren obigen Ansätzen der Bevölkerung Italiens ergiebt
sich für das Jahr 28 v. Chr. als durchschnittliche Bürgerzahl
jeder Gemeinde auf der Halbinsel (Rom ausgeschlossen) etwa
1700, im Po-Lande 4500; für das Jahr 47 n. Chr. im Durchschnitt
von ganz Italien ausser Rom gegen 3000. Es dürfte kaum
etwas begründetes gegen diese Zahlen einzuwenden sein.
Wer aber nach dem allen noch Bedenken trägt, dem Italien
des I. Jahrhunderts der Kaiserzeit eine Bevölkerung von nur
5Vs — 7 Millionen, oder 22 — 28 auf 1 qkm zuzuschreiben, der
möge erwägen, dass noch vor kaum 400 Jahren Italien wirklich
eine nicht wesentlich höhere Bevölkerung hatte, als sie hier
für Claudius’ Zeit berechnet worden ist. Ums Jahr 1500 dürfte
Italien — von den Inseln abgesehen — schwerlich viel über
9 Millionen Einwohner gezählt haben, wovon etwa 4 Millionen
auf den peninsularen Theil südlich des Apennins entfallen1).
Und liegt denn ein Grund vor, das Italien der Kaiserzeit für
bevölkerter zu halten, als das Italien der Renaissance?
Ja noch mehr; es giebt eine grosse Region innerhalb der
Grenzen des Königreichs, die selbst heute noch keine stärkere
Volksdichtigkeit besitzt. Ich meine die Insel Sardinien, die ja
in so vielen Beziehungen sich alterthümliche Zustände bewahrt
hat. Hier lebten im Jahre 1871 : 26, im Jahre 1881 : 28 Be-
wohner auf 1 qkm.
Und auch die Alten selbst haben Italien keineswegs für
ein stark bevölkertes Land angesehen 2). Die römischen Schrift-
steller sind voll von Klagen über die Abnahme der freien Be-
völkerung; und noch lauter sprechen die gesetzlichen Maass-
0 Ich werde im II. Theil dieser Studien ausführlich auf diese Frage
zurückkommen.
a) Nur Aelian Verm. Gesch. IX 16 macht eine Ausnahme, aber er
spricht von dem Italien vergangener Zeiten: xal Sn nöltit yxijoav rr/v
Iralluv Tiahii knjn xrtl fvcvijxovra xa\ txnrov n QÖ; rait /»Zfetf.
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Italien.
443
regeln, zu denen Augustus und seine Nachfolger sich genöthigt
sahen, um die Volksvennehrung zu befördern. Die an 800000
Mann, die Italien nach Fabius vor Beginn des hannibalischen
Krieges ins Feld stellen konnte, erschienen den Zeitgenossen
des Vespasian als eine fast unglaubliche Zahl1); heute würde
sie einem italienischen Staatsmann kaum besonders irn-
poniren2). „Einst“, so berichtet Plinius, habe Picenum (die
V. Region des Augustus) eine ausserordentlich dichte Bevöl-
kerung gehabt, nämlich 860 000 8), oder 80 auf 1 qkm, zu
seinerzeit also offenbar viel weniger; jetzt (1881) zählt Italien
99 Einwohner auf dem gleichen Flächenraum. Was ist die
Bevölkerung von ganz Italien gegenüber einem einzigen Volke
von Asien, ruft Diodor aus *). Cicero spricht von der solitudo
ltaliae 8). Also auch von dieser Seite wird unser oben ge-
wonnenes Ergebniss bestätigt.
*) Man beachte die Art, wie Plinius diese Zahl am Ende seiner Be-
schreibung Italiens anführt (III 188): haec est Italia diis sacra, hae gentes
eins, haec oppida popidorum. super haec Italia quae L. Aemilio Paulo,
C. Attilio Begulo cos. nuniiato Galileo tumultu sola sine externis ullis
auxiliis atque etiam tune sine Transpailanis equitum LXXX, peditum
DCC armavit.
*) Die Kriegsstarke des italienischen Heeres betrug am 80. Sept 1883 :
2119250 Mann, davon unter Waffen 183279, Reserve 567 486, Ersatztruppen
(milizia mobile) 341 250, Landwehr ( milizia territoriale ) 1 021 954, Reserve-
offiziere 5281. (Annuario Statistico ltaliano i 1884 S. 69.) Dabei macht
der Staat heute an die militärische Leistungsfähigkeit seiner Bürger viel
geringere Ansprüche als im Alterthum.
*) Plin. III 110: quinta regio Piceni est, quondam uberrimae malti-
tudinis. LXX'LX Picentium in (dem p. 11. venere.
*) Diod. II 5 : xalroi y Uvexa TtXqSove <ty&ga/7tiu v rijv 'Itctlhtv oitjv
ovx itv r«f ovyxqlveif ttqoc i'v f&vo; tiüv *«t« jqv 'Aolav.
5) Cic. Attic. I 19, 4: Ego aufm populo . . . satis faciebam emp-
tione, qua constituta et sentinam urbis exhauriri , et ltaliae solitudinem
frequentari posse arbitrabar. Vergl. die bekannten Verse Lucan. Phars. I
24 ff. und Verg. Georg. I 507.
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Zehntes Capitel.
Der lateinische Westen.
1. Sardinien und Corsica.
Der Flächeninhalt Sardiniens und seiner kleinen Nachbar-
inseln wurde bisher officiell zu 24342 qkm angegeben. Nach
der planimetrischen Berechnung Strelbitzkys beträgt derselbe
23842 qkm, wovon 23554,6 auf die Hauptinsel kommen. Die
neueste planimetrische Berechnung des italienischen militär-
geographischen Instituts ergab für Sardinien selbst 23 799,6, für
die kleinen Nachbarinseln 277,6 qkm, im ganzen 24077,2 qkm.
Sardinien kommt also an Grösse Sicilien annähernd gleich,
stand aber an Bevölkerung ohne Zweifel im Alterthum wie
heute weit hinter der Schwesterinsel zurück. Dafür spricht
ebensosehr die so viel schwächere Entwickelung des Städte-
wesens auf Sardinien, das nie eine Grossstadt und nur sehr
wenige Mittelstädte besessen hat, wie die Leichtigkeit, mit der
es den Römern gelang, den Besitz der Insel zu erringen und
zu behaupten. Während des hannibalischen Krieges hat eine
Besatzung von 2 Legionen für Sardinien genügt, während auf
Sicilien durch lange Jahre die doppelte Truppenmacht verwendet
werden musste.
Es bedarf demnach keiner Bemerkung, dass die Zahl von
3 Millionen Einwohnern, die italienische Forscher für Sardinien
zur Römerzeit herausgerechnet haben *), rein in der Luft steht.
*) Vergl. Castiglioni, Centimento degli antichi Statt Sardi 1. genn.
1858, Popolaeione I S. 259.
i
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Der lateinische Westen.
445.
Da Sicilien vielmehr, wie wir oben gesehen haben, unter
Augustus kaum mehr als 600000 Einwohner gezählt hat, so
werden wir Sardinien höchstens zu der Hälfte dieser Volkszahl
veranschlagen können. Ti. Gracchus, der im Jahre 177 v. Ghr.
einen grossen Aufstand hier niederschlug, rühmte sich auf seinem
Siegesdenkmal, über 80000 Feinde erschlagen oder gefangen
zu haben1). Da hier natürlich die Gefangenen jeden Alters
und Geschlechts einbegriffen sind, so würde sich diese Angabe
recht gut mit einer Gesammtbevölkening der Insel von 300 000
Seelen vertragen, auch angenommen, dass Gracchus nicht nach
der gewöhnlichen Sitte römischer Triumphatoren übertrieben
hat. Wenn Polybios von der starken Bevölkerung Sardiniens
spricht2), so folgt daraus noch nichts für ‘eine hohe relative
Bevölkerung; denn auch eine Volkszahl von 300000 war nach
griechischen Begriffen für eine Insel schon sehr bedeutend.
Die Bevölkerung von Corsica giebt Diodor zu über 30000
an, wobei offenbar nur die erwachsenen Männer gemeint sind.
Wie es scheint, stammt die Notiz aus Timaeos8), und bezieht
sich demnach auf den Anfang des III. Jahrhunderts vor unserer
Zeitrechnung. Dass diese Schätzung eine sehr unsichere sein
muss, liegt in der Natur der Sache; immer aber ist sie besser
als gar keine. Auch hat die Zahl an sich gar nichts unwahr-
scheinliches. Corsica hat einen Flächeninhalt von 8862,3, oder
mit den kleinen Nachbarinseln 8866,5 qkin4), es würden also
etwa 11 Einwohner auf den qkm entfallen. Die gleiche Volks-
dichtigkeit für Sardinien vorausgesetzt, würde 265000 Ein-
wohner ergeben , also ungefähr entsprechend unseren obigen
Annahmen. Es ist nun allerdings wahrscheinlich, dass Sardinien,
wie besser angebaut, so auch dichter bevölkert war, sodass wir
hiernach etwa 400000 bis Va Million für die Insel annehmen
müssten. Indess ist es sehr wohl möglich, dass Sardinien in
karthagischer Zeit stärker bewohnt war, als in den beiden ersten
>) Liv. 41, 28.
2) Polyb. I 79, 6: vfjao g xal Ttp tytfha, xal rj nohaväQtonla xal
Toi{ ytwr\f*a0i Siaifiqovaa.
s) Diod. V 14. vergl. Müllenhoff, Deutsche AUerthumskunde I S. 453.
4) Nach Strelbitzky. Die officielle Angabe ist 8747,1 qkm.
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446
Capitel X.
Jahrhunderten der römischen Herrschaft. Und jedenfalls ist
die Differenz der auf beiden Wegen erlangten Zahlen viel zu
gering, um wesentlich ins Gewicht zu fallen. Es mag also die
Bevölkerung Sardiniens und Corsicas zusammen für Augustus’
Zeit mit rund V» Million angesetzt werden1).
2. Spanien.
Die iberische Halbinsel nebst den Balearen (Spanien, Por-
tugal, Andorra, Gibraltar) hat nach Strelbitzky einen Flächen-
raum von 590211,8 qkm, womit die officiellen Angaben fast
genau übereinstimmen. Davon entfallen ungefähr auf8)
qkm
Baetica 80000
Lusitania 130 000
Tarraconensis 880000
Directe Angaben über die Bevölkerung besitzen wir nur
für die drei nordwestlichen Bezirke der Tarraconensis. Nach
Plinius zählte8)
der Convent von Asturica 240000 libera capita
der Convent von Lueus Augusti 166000 „ „
der Convent von Braeara 285 000 4) „ „
[691000} „
Ohne Zweifel gehen diese Angaben auf einen Provinzialcensus
zurück. Und da solche Bevölkerungszahlen in der NaturaJts
Historia sich nur hier finden, Plinius aber, wie bekannt, in
einer der kaiserlichen Provinzen Spaniens Procurator gewesen
ist, so hat er dieselben höchst wahrscheinlich während seiner
Verwaltung selbst in Erfahrung gebracht. Sie beziehen sich
*) Zu demselben Resultat gelangt auch Wietersheim, Völkmcanderung
PS. 207, doch ohne seine Schätzung irgendwie zu begründen.
!) Berechnet nach dem Flächenraum der heutigen Provinzen, die
diesen römischen Provinzen entsprechen.
*) Plin. H. N. III 28.
*) Die bei Detlef'sen mit C bezeichnete jüngere Handschriftengruppe
hat 275000.
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Der lateinische Westen.
447
also auf die Mitte des I. Jahrhunderts nach Christus. Dass
ferner unter libera capita die freie Gesammtbevölkerung zu
verstehen ist, zeigt, abgesehen von dem Ausdruck selbst (nu-
merus omnis multitudinis liberorum capitvm), der nur diese
Deutung zulässt, auch die Grösse der Zahlen. Der Flächen-
inhalt jener drei Bezirke beträgt zusammen etwa 85000 qkm,
was eine freie Bevölkerung von gegen 8 auf den qkm ergeben
würde. Setzen wir die gleiche Volksdichtigkeit für die ganze
Halbinsel voraus, so erhielten wir eine Bevölkerung von nahe
an 5, oder einschliesslich der Sklaven wohl von etwas über
5 Millionen. Wollten wir dagegen unter „ libera capita “ nur
die erwachsenen Männer verstehen, so kämen wir auf eine freie
Gesammtbevölkerung von 15 Millionen, d. h. annähernd gleich
der heutigen Bevölkerung der Halbinsel. Eine solche Annahme
richtet sich selbst; hat doch Spanien noch unter Philipp II.
nicht über 7 — 8 Millionen Einwohner gezählt.
Der bei weitem am besten bewohnte Theil der Halbinsel
war in der ersten Kaiserzeit Baetica. Nach Strabon soll die
Provinz 200 Städte gezählt haben, und auch der Katalog bei
Plinius zählt hier 175 Gemeinden auf1). Die Volksdichtigkeit
wird also hier annähernd dieselbe gewesen sein, wie in Italien.
Nehmen wir 20 Einwohner auf 1 qkm an, so ergiebt sich eine
Bevölkerung von über lVa Million. Dagegen waren die weiten,
unfruchtbaren Hochebenen der inneren Tarraconensis nur spärlich
bevölkert2), und auch Lusitanien kann zu Polybios’ Zeit nur eine
sehr geringe Bevölkerung gezählt haben, wie die staunenswerthe
Wohlfeilheit und der grosse Wildreichthum beweist8). Dasselbe
zeigen die Berichte über den Krieg mit Viriathus. Der römi-
') Plin. H. N. III 7 : cunctas provinciarum din'ti culiu et quodam
fertili et pecuh'ari nitore praecedit. Strab. III S. 137. 141 f.
*) Strab. III S. 136 f.: toi'tij t (Iberiens) 3t] r 6 plv nUov otxeixai
(favloii' opij y«Q xai dgv/uovi ntdia Xe7rrt)V f)rovxa yijr ovde ravrrjv
öualtöt et vipov otxoCoi rrji rroXXijv Sj re TTQoaßoQQoq ißv/Qil x( lart relCiuc
ttqos trj Tpa/vrrjTi xai naQtoxearing, npoaeii-tjifvia rö upuixrov xüieitl-
nXevxov xot; aXXoi(, ärjfr' vnegßäXXeiv xij uo/&qp/if xij: otxqaemi.
Vergl. Poseidon. l>ei Strai). III S. 162.
*) Polyb. 34, 8.
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448
Capitel X.
sehen Civilisation ist Lusitanien erst seit dem sertorianischea
Kriege, vollständig erst durch Caesar und Augustus erschlossen
worden. Rechnen wir in Ermangelung eines besseren Anhalt»
für die Tarraconensis und Lusitanien dieselbe Volksdichtigkeit,
wie sie aus Plinius’ Angaben für das nordwestliche Spanien sich
ergiebt, also 8, oder einschliesslich der Sklaven1) vielleicht 9
auf 1 qkm, so erhalten wir für die 500000 qkm dieser Pro-
vinzen 41/» Millionen Einwohner, also mit Baetica für ganz
Spanien 6 Millionen. Diese Zahl gilt natürlich nur für die
augusteische Zeit; im Laufe der Kaiserzeit mag die Bevölkerung
sich erhöht haben, und zwar in Tarraconensis und Lusitanien
in stärkerem Maasse als in Baetica, welch letzteres aber ohne
Zweifel immer der am dichtesten bevölkerte Theil Spaniens
geblieben ist
Eine Bestätigung findet dieses Resultat durch die Inschriften-
funde. Es stehen im II. Band des Corpus Inscriptionum Lati-
narum verzeichnet2) Inschriften aus
im ganzen auf je 1000 qkm
Baetica 1419 17, ”7
Lusitania 950 7,8
Tarraconensis 2259 5,9
4628 7,8~
3. Gallien.
Gallien, d. h. das Land zwischen Pyrenaeen, Alpen, Rhein,
und Ocean hat eine Ausdehnung von 635—640000 qkm. Es
beträgt nämlich nach Strelbitzky der Flächeninhalt von
>) Dass die Zahl der eigentlichen Sklaven in dieser Zeit, abgesehen
etwa von Baetica, nicht gross gewesen sein kann, ergiebt sich ans dem
ganzen wirtschaftlichen Zustand des Landes. Ob Leibeigenschaftsver-
hältnisse bestanden haben, wissen wir nicht Doch zeigt die Höhe der
Zahlen bei Plinius, dass diese Leibeigenen, wenn es überhaupt deren
gab, entweder unter den capita libera einbegriffen sind, oder wenig zahl-
reich waren.
!) Ausschliesslich der Addenda, der Viae publicae, des Imtrumentum
domesticum etc. Vergl. die Bemerkungen oben S. 481 Anm.
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Der lateinische Westen.
449
qkm
Frankreich (abzüglich Corsica) 524612,5
Normannische Inseln 219,0
Monaco 21,6
Belgien 29460,8
Luxemburg 2588,0
Nord-Brabant, Limburg, Seeland 9125,5
Schweiz (abzüglich Graubündten, Tessin, Schaffhausen, Thur-
gau, St Gallen, Glarus, Appenzell) 26975,9
das linksrheinische Deutschland ca.1) 42600
685598,3
Nach den officiellen Angaben umfasst Frankreich ohne
Corsica nur 519824,89 qkm. Für die übrigen Gebiete weichen
die officiellen Zahlen nur unbedeutend von den Zahlen Strel-
bitzkys ab.
Von diesem Flächenraum entfallen auf die Narbonensis
etwas über 100000 qkm, auf Aquitanien im ethnographischen
Sinne, also das Land südlich der Garonne und westlich der
Provinz, etwa 40 000 2), sodass für das bis auf Caesar freie
Keltenland und die germanischen Districte links des Rheins
gegen 495000 qkm übrig bleiben. Die nTres Galliae “ (Aqui-
tania, Lugdunensis, Belgica) zusammen haben demnach ein
Areal von etwa 585000 qkm.
Was nun die Bevölkerung angeht, so fehlt darüber für die
Narbonensis aus dem Alterthum jede Angabe. Da indess diese
Provinz schon in der ersten Kaiserzeit zu den nach Italien am
meisten civilisirten Gebieten im Westen des Reiches gehörte8),
so kann die Volksdichtigkeit nicht viel hinter der des benach-
barten Ober-Italien zurückgestanden haben, was für Augustus’
Zeit auf eine Bevölkerung von ll/s Millionen Einwohnern führen
würde.
•) Strelbitzky giebt nur den Flächeninhalt der Regierungsbezirke. Die
Ausdehnung der linksrheinischen Theile der Regierungsbezirke Düsseldorf,
Köln und Koblenz ist von mir annähernd planimetrisch bestimmt worden.
*) Berechnet nach dem Flächenraum der entsprechenden heutigen
Departements.
s) Plin. H. N. III 81 : amplitudme opum prorinciarum nulU post -
ferenda, breviterque Italia potius quam provincia.
Belach, BevSlkerangslehre. I. 29
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450
Capitel X.
Ueber die Bevölkerung des übrigen Gallien, der sogen.
Tres Qalliae, haben wir einige Nachrichten in Caesars Com-
mentarien. Wir werden diesen Angaben freilich nicht das un-
bedingte Vertrauen entgegenbringen dürfen, das ihnen in der
Regel geschenkt wird1). Der „gallische Krieg“ ist eben eine
Tendenzschrift, verfasst nicht um die historische Wahrheit zu
geben, sondern um Caesars Thaten in das günstigste Licht zu
stellen. Caesar färbt sonst die Thatsachen in seinem Interesse;
wie hätte er den Zahlen gegenüber enthaltsamer sein sollen?
Viel Feind, viel Ehr, war ja von jeher der Wahlspruch römi-
scher Feldherren gewesen, mochten auch die Feinde zum gröss-
ten Theil nur auf dem Papier stehen. Und Caesar ist der
Sitte gefolgt; wusste er doch, dass die Leser schon von selbst
die nöthigen Abstriche vornehmen würden.
Um die Sache an einem recht schlagenden Beispiele zu
zeigen, erinnere ich an den Bericht über den Feldzug in Wallis
im Winter 57/6. Danach soll die von Galba geführte Legion
von 30000 Mann Sedunem und Veragrem angegriffen worden
sein, von denen nicht weniger als 10000 erschlagen wurden®).
Danach müsste Wallis damals mindestens 120000 Einwohner
gezählt haben, reichlich soviel, als der Canton heute zählt.
Die Uebertreibung ist hier besonders handgreiflich, weil es sich
um Beschönigung einer Niederlage handelt. Ich werde daher
im folgenden davon absehen, das ganze von Caesar überlieferte
Zahlenmaterial zu besprechen, und mich auf einige der wich-
tigsten Angaben beschränken.
Nach der Schlacht bei Bibracte sollen sich in dem Lager
der Helvetier Tafeln gefunden haben mit genauer Angabe über
die Kopfzahl der ausgezogenen Stämme, specificirt nach waffen-
fähigen Männern, Kindern, Greisen und Weibern. Und zwar
habe betragen die Zahl der
’) Wie z. B. von Wietersheim, Völkern- . I S. 207 — 213, der der
Meinung ist, das auf Grund von Caesars Angaben für die Bevölkerung
Galliens erlangte Ergebniss habe grössere Sicherheit als die Schätzungen
für andere Theile des Reiches. Und selbst Mommsen, Rom. Gesch. III5
S. 216 verwerthet diese Zahlen ohne jedes Bedenken.
») Gail. Kr. III 6.
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Der lateinische Westen.
451
268000
36000
14000
23000
32000
zusammen 368 000,
wovon 92000 waffenfähige Männer1).
Es ist nun gewiss im höchsten Grade überraschend, hei
den barbarischen Helvetiern eine officielle Statistik zu finden,
wie wir sie in solcher Vollkommenheit in dem Rom dieser Zeit
vergeblich suchen, und sonst nur im griechischen Orient an-
treffen. Die Verwunderung schwindet, wenn wir die von Caesar
angegebene Zahl der Waffenfähigen mit der Gesammtzahl ver-
gleichen. Jene beträgt nämlich genau V* von dieser; und es
bedarf keiner Bemerkung, dass ein so rundes Verhältniss sich un-
möglich ergeben konnte, wenn beide Zahlen auf wirklicher Zählung
beruhten. Die eine Zahl ist also durch Berechnung aus der
anderen gefunden ; und zwar ist die Zahl der Gesammtbevölke-
rung die primäre, da hier die Einzelposten aufgeführt werden,
und diese zum grossen Theile in den Tausenden nicht durch
4 theilhar sind. Also ist Caesars Angabe über die im helve-
tischen Lager Vorgefundenen statistischen Tabellen mindestens
in einem wesentlichen Punkte gefälscht. Dürfen wir dem
gegenüber den anderen Theil dieser Angaben als authentisch
betrachten?
Caesar selbst giebt uns das Mittel an die Hand, die Frage
zu entscheiden. Er sagt uns nämlich, dass er nach Unter-
werfung der Helvetier einen Census des Volkes vornehmen
liess, der 110000 Köpfe ergeben habe2). Danach wären also
’) Caes. Gail. Kr. I 29: In eastris Hehetiorum tabulae repertae
sunt litteris Graecis coufectae et ad Caesarem relatae, quibus in tabulis
nominatim ratio confecta erat, qui numerus domo exisset eorum, qui arma
ferre possent, et item separatem pueri, senei i mulieresque. Quorum omnium
rerum summa erat capitum Hehetiorum (die Zahlen 8. oben), ex
his qui arma ferre possent ad milia nonaginta duo. Summa omnium
fuerunt ad milia CCCLXVIII.
*) Caes. Gail. Kr. I 29: Eorum qui domum redierunt, censu habito,
ut Caesar imperaverat, repertus est numerus C et X.
29*
Helvetier
Tulinger
Latoviker
Rauraker
Boier . .
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452 Capitel X.
über 250000 Menschen auf dem Zuge zu Grande gegangen.
Die grosse Unwahrseheinlichkeit, um nicht zu sagen Unmöglich-
keit eines solchen Verlustes liegt auf der Hand. Denn die
Schlacht bei Bibracte war keineswegs eine Vemichtungsschlacht ;
Caesar sagt kein Wort davon, dass er eine irgend bedeutende
Zahl von Gefangenen gemacht hätte, und es gelang den Hel-
vetiern, sich in guter Ordnung und un verfolgt vom Feinde
zurückzuziehen. Entweder also sind weniger als 368000 Hel-
vetier ausgezogen, oder es sind mehr als 110000 zurückgekehrt.
Da nun diese letztere Zahl auf einen von Caesar gehaltenen
Census zurückgeht, da sie als die kleinere Zahl schon an und
für sich grössere Wahrscheinlichkeit hat, da endlich, wie wir
gesehen haben, die Erzählung von den im Lager der Helvetier
Vorgefundenen statistischen Tafeln mindestens zum grossen
Theile unwahr ist : so bleibt nicht der geringste Zweifel, welche
Angabe den Vorzug verdient. Caesar hat offenbar von der
wirklichen Höhe des Verlustes der Helvetier keine Kenntniss
gehabt, oder wenn er sie hatte, es für seine Zwrecke nicht
passend gefunden, sie zu verwerthen. Er veranschlagt aber
diesen Verlust zu */s der ursprünglichen Stärke; und da gegen
110000 heimkehrten, so mussten etwa 330000 ausgezogen sein.
Dieselbe Zahl — 336 000 — ergiebt eine Addition der Einzel-
posten bei Caesar, wenn wir die Boier ausschliessen, die in
Gallien zurückblieben, und also unter der Zahl der Heimkehren-
den nicht einbegriffen sind. Verlustschätzungen ähnlicher Art fin-
den sich auch sonst mehrfach in Caesars Commentarien ; so sollen
die Bergvölker des heutigen Wallis im Kampfe gegen Galba
den dritten Theil ihrer Stärke verloren haben *) ; die Aquitaner
gegen P. Crassus gar aU ihrer Gesammtzahl 2). Die Angaben
Caesars über die Stärke der Helvetier und ihrer Bundesgenossen
beim Auszug sind also in der Weise gefunden, dass die Ergeb-
nisse des nach der Schlacht bei Bibracte gehaltenen Census mit
3 multiplicirt wurden. Dieser Census muss demnach etwa
folgende Resultate ergeben haben:
*) Caes. Gull. Kr. III 6: ex hominum müibus amplius XXX ....
plus tertia parte interfecta.
ä) Ebenda III 26 : ex müium L nwnero .... vix quarta parte relicta.
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Der lateinische Westen.
453
Helvetier 87 700
Tulinger 12000
Latoviker 4 700
Rauraker 7700
112100
Rechnen wir nun die Verluste während der kurzen Wan-
derung selbst zu lU der ursprünglichen Gesammtzahl, so hätten
diese Völkerschaften vor dem Auszuge etwa 150000 Köpfe
gezählt. Man wird zugeben, dass dieses Ergebniss auch an und
für sich grössere innere Wahrscheinlichkeit hat, als die An-
nahme, es sei eine Masse von nahe an 400000 Menschen aus
Helvetien ausgezogen. Unter der Voraussetzung, dass auch die
Tulinger und Latoviker links des Rheines gewohnt haben, er-
giebt sich für die Gebiete aller dieser Stämme zusammen eine
Ausdehnung von 18600 qkm, nämlich die heutige Schweiz,
abzüglich der Cantone Genf, Wallis, Tessin, Graubündten,
Glarus, St. Gallen, Appenzell, Thurgau, Schaffhausen. Das er-
gäbe eine Volksdichtigkeit von 8 auf den qkm.
Wir werden demgemäss auch an die Angaben Caesars
über das Aufgebot von Belgica mit grossem Misstrauen heran-
treten. Zu den Bundesheeren der belgischen Stämme sollen im
Jahre 57 gestellt haben1) die
Bellovaker 60000
Suessionen 50 000
Nervier 50000
Atrebaten 15000
Ambiancr 10 000
Moriner 25000
Menapier 7 000
Caleter 10000
Veliocasser 10000
Aduatuker 19000
Viromanduer 10000
Condruser, Eburonen, Caeroeser, Pae-
maner 40000
806000
») Caes. Gail. Kr. II 4.
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454
Capitel X.
Dieselbe Zahl — 300000 — giebt nach Caesar auch Strabon1).
Das waren aber nur die Contingente zum Bundesheere. Die
Zahl der waffenfähigen Mannschaft war höher; bei den Bello-
vakem z. B. 100 000 2), bei den Nerviern 60000 Mann3).
Danach müsste Belgica, ohne die Remer, etwa 400 —450000
Mann haben ins Feld stellen können, was einer Gesammtbe-
völkerung von 1600000—1800000 entsprechen würde. Der
Flächeninhalt beträgt nach Wietersheim 1718 geogr. Q.-M.,
oder 94000 qkm, womit meine eigene Berechnung annähernd
übereinstimmt. Mommsens Schätzung auf 2000 — 2200 Q.-M.
= 110 — 120000 qkm ist bedeutend zu hoch. Das ergäbe eine
Volksdichtigkeit von 17 — 19 auf den qkm, also annähernd so
viel, wie in Italien. Ja einzelne Theile von Belgica müssten
eine noch viel dichtere Bevölkerung gehabt haben. Das Gebiet
der Bellovaker entspricht annähernd dem heutigen Departement
der Oise, das auf 5827 qkm (nach Strelbitzky, die offieielle
Zahl ist 5855 qkm) 1876: 401 618 Einwohner gezählt hat, oder
69 auf 1 qkm. Wenn nun die Bellovaker 100000 Mann ins
Feld stellen konnten, so muss ihre Kopfzahl insgesammt an
400000 betragen haben, mit anderen Worten, das Departement
der Oise wäre zu Caesars Zeit ebenso bevölkert gewesen, wie
heute, und hätte zu den am dichtesteü bewohnten Gebieten
der ganzen Erde gehört! Nun war aber Belgica der am
meisten in der Cultur zurückgebliebene Theil Galliens, wir
müssten also für das ganze Land im Durchschnitt dieselbe
Volksdichtigkeit annehmen: d. h. die Tr es Galliae hätten zu
Caesars Zeit über 10 Millionen Einwohner gezählt.
Dass diese Zahlen völlig unhaltbar sind, sollte auf den
ersten Blick klar sein. Spanien hatte zu Augustus’ Zeit, wie
wir gesehen haben, eine Bevölkerung von etwa 6 Millionen,
bei einem Flächenraum, der den der Tres Galliae noch
um 55000 qkm übersteigt; Spanien hatte vor diesem einen
Vorsprung in der Cultur von mindestens einem Jahrhundert,
>) Strab. IV S. 196.
s) Caesar, Gail. Kr. II 4.
») Ebenda II 28.
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Der lateinische Westen.
455
und Gallien sollte fast die doppelte Bevölkerung gezählt haben?
Ein Land, bedeckt mit endlosen Wäldern und Sümpfen, wo
der Ackerbau verachtet war und die Viehzucht durchaus über-
wog; ein Land, dessen Städte kaum etwas anderes waren als
befestigte Dörfer1)? Die gallische Nation stand keiner zweiten
nach an kriegerischem Geiste und militärischer Tüchtigkeit;
und doch hat zu ihrer Unterwerfung ein Heer ausgereicht,
dessen Effectivbestaud 60000 Mann nie überschritten hat. Ist
das denkbar, wenn Gallien 10 Millionen Einwohner, also 2 1ia
Millionen streitbarer Männer zählte?
Eine bessere Grundlage für unsere Untersuchung geben
die Angaben Caesars über das im Jahre 52 zum Entsatz von
Alesia aufgebotene gallische Bundesheer. Mit Ausnahme der
Aquitaner, der germanischen Grenzvölker und einiger wenigen
Keltengaue , wie der Remer, Suessionen und Lingoner, sollen
alle gallischen Stämme dazu ihre Contingente gestellt haben.
Vereingetorix hatte ein Massenaufgebot aller Waffenfähigen an-
geordnet; wegen der Schwierigkeiten der Verpflegung sah man
davon ab, und rief nur einen Theil der kriegstüchtigen Mann-
schaft unter die Waffen. Es stellten die
Aeduer nebst Schutzverwandten .
Arvemer nebst Schutzverwandten
Sequaner
Senonen
Biturigen
Santenen
Rutener
Carnuten
Bellovaker
Pictonen
Turonen
Parisier
Helvetier
Ambianer
Mediomatriker
Petrocorier
Nervier
35 000 Mann
35000
n
12000
n
12000
rt
12000
n
12000
n
12000
rt
12000
»
10000
8000
n
8000
n
8000
71
8000
rt
5000
n
5000
n
5000
n
5000
n
*) Vergl. die Schilderung bei Mommsen, Ji. G. III* S. 216 f.
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456
Capitel X.
Moriner
. . . 5000
Mann
Xitobrigen
. . . 5000
n
Aulerci Cenomani
. . 5000
V
Atrebaten
. . . 4000
n
Veliocasser
. . . 4000
n
Lemoviker
. . . 3000
n
Aulerci Eburovices. . . . .
. . . 3000
Ti
Rauraker
. . . 2000
n
Boier
. ... 2000
n
Völker von Armorika. . . .
. . . 30000
n
Die Gesammtsumme der einzelnen Posten beträgt 267 000,
oder, da die Bellovaker statt 10000 Manu nur 2000 stellten.
259000 Mann. Caesar giebt 8000 Reiter und etwa 250000
Mann zu Fuss1).
Es ist nun allerdings sehr unwahrscheinlich, dass ein Heer
von dieser Stärke, wie es die Welt seit dem Untergange des
Perserreiches nicht mehr gesehen hatte, zum Entsatz von Alesia
wirklich zusammengekommen ist. Aber auch so behalten die
Zahlen ihren Werth als eine Schätzung der relativen militäri-
schen Leistungsfähigkeit der keltischen Gaue, gegeben von dem
Mann, der unter allen Zeitgenossen am besten dazu befähigt
war, und der in diesem Punkte kein Interesse hatte, die Wahr-
heit zu beugen. Es handelt sich also nur dämm, das Ver-
hältniss der von Caesar verzeichneten Contingente zur Gesammt-
bevölkerung festzustellen. Einen Anhaltspunkt dazu giebt uns
Caesar selbst. Nach dem von Caesar nach der Schlacht bei
Bibraete gehaltenen Census muss die Zahl der Helvetier, die
in ihre Heimath zurückkehrten, gegen 88000 Köpfe jeden Ge-
schlechts und Alters betragen haben; ihr Contingent zu dem
Entsatzheere wird zu 8000 Mann angegeben, also auf 1ln der
Gesammtzahl. Die Zahl der Boier schätzt Caesar bei dem Aus-
zuge im Jahre 58 auf 30000; nach der Schlacht bei Bibraete
auf etwa 14 000 z); ihr Contingent von 2000 Mann hätte also
') GaU. Kr. VII 75. 76.
*) Nach der Schlacht waren noch ca. 130000 Helvetier und Ver-
bündete übrig (GaU. Kr. I 26) ; 6000 Menschen des pagus Verbigenus ent-
wichen vor der Capitulation (I 27); 110000 kehren nach der Capitulation
nach Hause zurück (1 29); die Boier, die in Gallien blieben, müssen also
14000 Mann stark gewesen sein.
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Der lateinische Westen.
457
dem 7. Theile ihrer Volkszahl entsprochen. Doch sind diese
Schätzungen unsicher, da die Boier bei jenem Census der Hel-
vetier und ihrer Bundesgenossen nicht berücksichtigt worden
sind. Die Zahl der Rauraker betrug nach demselben Census
etwa 8000, so dass sie den vierten Theil ihrer Bevölkerung
oder alle waffenfähigen Männer zu dem Entsatzheer gestellt
haben müssten; indess wissen wir nicht, ob das ganze Volk
an der Auswanderung des Jahres 58 Theil genommen hat.
Die von Caesar verzeichneten Contingente mögen also
etwa der Truppenzahl entsprochen haben, die jeder einzelne
gallische Staat zu Unternehmungen nach aussen verfügbar
hatte. Jedenfalls kann diese Zahl nicht erheblich grösser ge-
wesen sein; denn Vercingetorix hielt es für möglich, das Ge-
sammtaufgebot ganz Galliens auf einen Punkt zu con-
centriren1). Um aber nicht zu wenig zu rechnen und ein
rundes Verhältnäss zu bekommen, wollen wir diese Contingente
zu etwa Vio der Gesammtbevölkemng annehmen. Wir erhalten
demnach für alle im Jahre 52 gegen Rom in Waffen stehenden
Völkerschaften eine Kopfzahl von 2670000, oder mit Einrech-
nung der wenigen Stämme, die an dem Aufstande nicht Theil
nahmen, gegen 3 000 000 für das Gebiet zwischen Garonne und
Rhein. Bei einem Flächenraum von 495000 qkm ergiebt das
eine Bevölkerung von durchschnittlich 6 auf den qkm. Die
Helvetier hatten im Jahre 58 v. Chi’, ihr Land bei einer
Volksdichtigkeit von 8 auf 1 qkm für übervölkert gehalten2);
es erscheint also durchaus angemessen für Gallien als ganzes
eine etwas geringere Volksdichtigkeit anzunehmen, auch wenn
wir erwägen, dass die Schweiz viel weniger fruchtbar ist, als
die meisten übrigen Theile des Keltenlandes.
Im einzelnen war natürlich die Bevölkerung sehr un-
«) Caes. Gail. Kr. VII 75: Galli . . . non omnes eos, qui arma ferre
possent, ut censuit Vercingetorix, convocandos statuunt, sed certum numerum
cttüfue ex civitate tmperandum.
•) Caes. Gail Kr. I 2 : pro muUitudine autem hominum et pro gloria
belli atque fortitudinis angustos xe finis habere arbitrabantur.
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458
Capitel X.
gleich vertheilt1). Im Gau der Aeduer wohnten auf etwa
29000 qkm 350000 Menschen, oder 12 auf den qkm. Im
Lande der Arverner und Rutener auf 88000 qkm 470 000 Ein-
wohner, was etwa dieselbe Volksdichtigkeit ergiebt. Das Land
der Sequaner, die heutige Franche-Comtö, hatte auf 16 000 qkm
120000 Einwohner oder 7,5 auf den qkm. In Mittel-Gallien,
dem Lande der Biturigen, Camuten, Senonen, Parisier, Turonen,
Boier, kamen auf 66 000 qkm 540 000, oder 8 auf den qkm. Dün-
ner war die Bevölkerung im Westen und Norden. Das Gebiet
zwischen der unteren Loire und Garonne, die Gaue der Picto-
nen, Santonen, Lemoviker, Petrocorier und Nitobrigen, zählte
auf etwa 60000 qkm 330000 Einwohner oder auf dem qkm
5,5 ; Armorica und der Gau der Aulerker auf 83 000 qkm 380 000
Einwohner, hatte also eine Volksdichtigkeit von nur 4*/s. Für
Belgica im weiteren Sinne, bis zum Obenhein und der Grenze
der Sequaner und Helvetier, bleiben etwa 180000 qkm und
700000 Einwohner oder 3,9 auf den qkm. Doch mag essein,
dass die Bevölkerung dieses Theiles von Gallien damit etwas
unterschätzt ist und die Annahme von 8 — 900000 Einwohnern
der Wahrheit näher kommt, was eine Volksdichtigkeit von
4,5 — 5 auf den qkm2), wie in Annorica, ergeben würde. Man
sieht, diese Veitheilung der Bevölkerung stimmt aufs beste zu
allem, was wir über die wirtschaftlichen Verhältnisse Galliens
zur Zeit der römischen Eroberung wissen. Caesars Schätzung
der relativen Bevölkerung der einzelnen Gaue erhält also die
vollkommenste Bestätigung.
Für Aquitanien, das Land zwischen Garonne und Pyre-
naeen, hat uns Caesar keine directe Angabe über die Bevölke-
rung hinterlassen. Wir hören nur, dass Aquitanien nach Aus-
*) Der Flächenraum der einzelnen Gebiete ist nach dem Areal der
entsprechenden heutigen Departements berechnet, mit Zugrundelegung der
Strelbitzkyschen Zahlen.
2) In der Angabe Frontins ( Straf eg . IV 8, 14): eo hello quod Julius
Civilis in Gallia moverat IAngonum oputeniissima civitas ... ad obsequium
redueta Septuaginta tnilia armatorum tradidit mihi muss ein Fehler stecken,
sei es dass die Zahl, sei es dass armatorum verschrieben ist Ich denke,
das letztere; es ist von Rüstungen die Rede, nicht von Bewaffneten.
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i
Der lateinische Westen.
459
dehnuiig und Menschenmenge als der dritte Theil Galliens zu
betrachten sei1). Diese Angabe ist in ihrem ersten Theile
falsch : denn Aquitanien hat einen Flächenraum von kaum mehr
als 40000 qkm. Was die Bevölkerung augeht, so genügte
trotz des kriegerischen Geistes des Volkes2) und der Heran-
ziehung ean tabrischer Hülfstruppen eine Macht von 12 Cohor-
ten8) zur Unterwerfung des Landes. Das gesammte cantabrisch-
aquitanische Aufgebot soll 50000 Mann betragen haben4),
woraus sieh eine Bevölkerung von höchstens 200000 ergeben
würde. Das wird ungefähr richtig sein ; denn die benachbarten
gallischen Districte hatten, wie wir gesehen haben, eine Volks-
diehtigkeit von 5,5. Rechnen wir dieselbe Volksdichtigkeit für
Aquitanien, so erhielten wir eine Bevölkerung von 220000.
Um eine eigene Provinz zu bilden, war ein solches Gebiet viel
zu unbedeutend , und Augustus sah sich genöthigt, seiner Pro-
vinz Aquitanien einen sehr bedeutenden Theil des Keltenlandes
hinzuzufügen.
Bestimmen wir schliesslich noch die Bevölkerung der drei
Provinzen, in die Caesars Eroberungen von Augustus getheilt
wurden. Zu Aquitanien geschlagen wurden die Bezirke der
Arvemer
» . . . * mit
Einwohner
350000
Rutener
»
120000
Biturigen
»
120000
Lemoviker
n
30000
Pictonen
..... „
80000
Santonen
..... n
120000
Petrocorier
n
50000
Xitrobrigen
..... v
50000
Zusammen 920 000 Einwohner auf etwa 120000 qkm. Dazu
«las eigentliche Aquitanien mit 40000 qkm und gegen 220000
*) Gail. Kr. III 20: quae, ut ante dictum est, et regionum latitudinc
et multüudine hominum tertia pars GaUtae est existimanda. Caesar scheint
hier Crassus zu Gefallen gefärbt zu haben.
*) GaU. Kr. III 24: propter veterem belli gloriam.
*) GaU. Kr. III 11.
0 GaU. Kr. III 26.
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460 Capitel X.
Einwohnern, im ganzen also 160000 qkm und 1140000 Ein-
wohner, 7,1 auf den qkm.
Lugdunensis umfasste die
Aeduer mit 350000 Köpfen
Boier 20000 „
Senonen 120000 „
Camuter „ 120000 „
Parisier „ 80000 „
Yeliocasser „ 40000 „
Aulerker „ 80000 „
Turonen „ 80000 „
Annorica „ 300 000 „
1190000
Dazu kommen weiter die Lingonen, Vadicasser und Trieasser,
über deren Volkszahl nichts überliefert ist; mit Einschluss der-
selben mag die Lugdunensis etwa lVi Million Einwohner ge-
zählt haben auf 170000 qkm, also auch hier annähernd die-
selbe Volksdichtigkeit (7,35) wie in Aquitanien. Für Belgica
erhalten wir demnach etwa 205000 qkm und 1 Million Ein-
wohner, 4,5 auf den qkm. Oder zur Tabelle zusammen-
gestellt:
qkm Einwohner auf den qkm
Aquitanien 160000 1140000 7,1
Lugdunensis 170000 1 250000 7,35
Belgica 205000 1 000000 4,5
Tres Galliae .... . 535000 3 390000
Narbonensis 100000 1 500000 15,0
Gallien 635 000 4 890000 7,6~
4. Die Donauländer.
Die Gebiete am rechten Ufer der Donau, von der Quelle
des Stroms bis zu seiner Mündung, und südlich bis zu den
Alpen, dem adriatischen Meer und dein Haemos, die zum
grössten Theil erst durch Augustus dem Reiche erworben
worden sind, stehen an Ausdehnung nicht weit hinter Gallien
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Der lateinische Westen.
461
oder Spanien zurück. Die entsprechenden heutigen Gebiets-
theile haben folgenden Flächeninhalt (nach Strelbitzky) :
qkm
Graubündten, Glarus, St Gallen, Appenzell, Thurgau 11 279,1
Liechtenstein 159,0
Nieder- Baiern, Ober-Baiem, Schwaben 37311,0
Tirol und Vorarlberg, ausschliesslich des Trentino 18497,9
Salzburg 7164,8
Ober-Oesterreich südlich der Donau 11447,1
Nieder-Oesterreich südlich der Donau 8497,2
Steiermark 22470,6
Kärothen 10316,0
Krain 9953,1
Ungarn rechts der Donau 44631,7
Kroatien und Slawonien 42441,1
Dalmatien 13017,8
Bosnien und Herzegowina 58833,2
Montenegro 9 400,3
Serbien 48589,4
Bulgarien 62886,3
Dobrudscha 15813,0
432708,6
Natürlich stimmen, wie ein Blick auf die Karte zeigt, die
alten und neuen Grenzen keineswegs genau überein. Im all-
gemeinen aber werden diese Abweichungen sich gegenseitig
compensiren, und jedenfalls kommt es bei so grossen Zahlen
auf einige tausend qkm mehr oder weniger kaum an. Für
unsere Zwecke genügt es zu wissen , dass die römischen
Donauländer bis auf die Eroberung Daciens unter Traian
einen Flächenraum von rund 430000 qkm gehabt haben. Da-
von kommen annähernd auf
qkm
Rhaetien und Noricum 125000
Pannonien 100000
Dalmatien 80 000
Moesien 125 000
430000
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462
Capitel X.
Die Cultur hat sich in diesen Ländern erst in Folge der
römischen Herrschaft entwickelt und damit ist ausgesprochen,
dass die Bevölkerung zu Augustus’ Zeit nur verhältnissmässig
gering gewesen sein kann. Bestimmte Angaben darüber be-
sitzen wir nur für Dalmatien und Pannonien. Velleius be-
richtet uns, dass bei dem grossen Aufstande der Jahre 6 — 8
n Chr. die gesammte Volkszahl der empörten Stämme sich
auf über 800000 belaufen hätte, wovon mehr als 200000
waffenfähige Männer1). Ganz offenbar stammt diese Angabe
aus den Listen des Provinzialcensus. Da die Einrichtung jeder
Provinz mit einem solchen Census begann, so muss in Dal-
matien im Jahre 34 und in Pannonien im Jahre 9 v. Chr. ein
Census gehalten worden sein, und wahrscheinlich sind die Auf-
nahmen in der Zwischenzeit bis zum Aufstande wiederholt
worden. Velleius aber, der während des Aufstandes ein hohes
Commando bekleidete, muss von den Ergebnissen des Census
Kenntniss gehabt haben. Dass aber die von Velleius angege-
bene Zahl wirklich aus dieser Quelle stammt, geht auch daraus
hervor, dass die Angabe über die Gesammtbevölkerung die
primäre ist und erst danach, mit Zugrundelegung des auch
von Caesar angenommenen Verhältnisses von 4:1, die Zahl
der waffenfähigen Männer berechnet wird. Auch hat die An-
gabe des Velleius, so aufgefasst, die höchste innere Wahr-
scheinlichkeit. Der Aufstand ergriff ganz Pannonien und Dal-
matien mit Ausnahme der römischen Städte an der Küste und
der Militärposten im Innern2). Dagegen hat sich die Bewe-
gung auf Moesien nicht ausgedehnt, wie nicht nur aus dem
Schweigen des Velleius hervorgeht, sondern noch mehr daraus,
dass die in Moesien als Besatzung stehenden Legionen nach
Pannonien geführt werden konnten. Nun beträgt der Flächen-
') Yell. II 116: gentium nationumque , qune rebellaverunt, omni s
numerus amplius odingentis millibus explebat ; ducenta fere peditwn codi-
gebantur (wurden geschätzt, nicht etwa wurden versammelt) armis habilin,
equitum novem. Letzteres sind die Leute von Ritterschatzung, die der
Census ergeben hatte.
*) Veil. II 110: universa Pannonia et adulta viribus Dehnatia, Omni-
bus tradus eius gentibus in socidatem addudis consili, amia corripuit.
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Der lateinische Westen.
463
inhalt von Dalmatien und Pannonien zusammen etwa 180000,
oder, wenn Pannonien sich damals nur bis an die Drau er-
streckte1), 140000 qkm; auf den qkm kommen also 4,4 bezw.
5,7 Einwohner, etwas weniger als in den Tres Galliae. Legen
wir die Volksdichtigkeit von 5 auf 1 qkm für alle Donauländer
zu Grunde, so erhalten wir eine Gesammtbevölkerung von
2150000, was eher über als unter der Wahrheit bleiben wird.
Denn Moesien und Rhaetien hatten ohne Zweifel eine dünnere
Bevölkerung als Dalmatien.
Ueber die Zusammensetzung der Bevölkerung Dalmatiens
haben wir einige Angaben bei Plinius2). Danach gehörten
zum Convent von Salonae folgende Völker:
Delmatae mit 342 Decurien
Peuri „ 25 „
Ditiones „ 239 „
Maczaei „ 269 „
Sardeates „ 52 „
zusammen 927 Decurien
Zum Convent von Narona gehörten die
Cerauni . . .
Daursi . . .
Desitiates . .
Docleates . .
Deretini . . .
Deraemesti .
Dindari . . .
Glinditiones .
Melcumani .
Naresi . . .
Scirtari . . .
Siculotae . .
Vardaei . . .
mit 24
. 17
* 103
» 33
. 14
„ 30
„ 33
. 44
. 24
„ 102
. 72
» 24
Decurien
n
n
n
r>
d
n
n
n
n
n
»
zusammen 540 Decurien
*) Mommsen, R. G. V S. 20. 187.
*) H. N. III 142 f.
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464
Capitel X.
Für den dritten Conventus der Provinz fehlen die ent-
sprechenden Angaben. Wenn wir auch über die Stärke der
Decurie nicht unterrichtet sind, so lernen wir doch wenigstens
die relative Stärke der einzelnen Völkerschaften kennen. Nach
dem Namen zu urtheilen, muss die Decurie eine Abtheilung
von 10 Geschlechtern sein, von denen sieh freilich jedes wieder
in mehrere Familien theilen konnte; auch brauchte die Nor-
malzahl nicht imbedingt festgehalten zu werden. Wie es
scheint, wurde die entsprechende illyrische Bezeichnung mit-
unter auch durch centuria wiedergegeben *) ; jede Decurie
würde demnach im Durchschnitt 100 erwachsene Männer oder
doch nahe an 100 erwachsene Männer gezählt haben. Das er-
gäbe für die beiden Convente eine Einwohnerzahl von etwa
400000, ungerechnet die römischen Colonien und Municipien
an der Küste, was ungefähr mit den Angaben des Velleius
übereinstimmen würde. Selbstverständlich bin ich weit ent-
fernt, irgend welchen besonderen Werth auf diese Berechnung
zu legen; sie zeigt aber immerhin, dass, wenn wir nicht eine
ganz unwahrscheinliche Kopfzahl auf die Decurie rechnen
wollen, wir die Volkszahl Ulyriens am Anfang der Kaiserzeit
nicht viel höher veranschlagen können, als oben nach Velleius
geschehen ist.
Pannonien jenseits der Drau muss in der ersten Kaiserzeit
so gut wie unbewohnt gewesen sein2). Moesien war damals
so menschenleer, dass Aelius Catus unter Augustus 50 000
Geten von jenseits der Donau hierhin verpflanzen8) und unter
Nero der Propraetor Ti. Plautius Silvanus Aelianus mehr als
100000 „Transdanuvianer“ hier ansiedeln konnte4). Dem-
') CIL. III 3224 aus Bassania: . . . cemaes Liccavfi] f. Amantinus
ho[bjse[s] annorum dec[e]m, gente Undius, centuria secunda. Vergl.
Zippel, Illyrien S. 199. Wahrscheinlich gehört die Inschrift in das
I. Jahrhundert.
*) Mommsen, R. G. V S. 488.
3) Strab. VII 303: Irr yd g t<p Tjftiöi' Alhos Karos fitrigxioev ix rijs
ntgalas roii largo v n(vrt pvgtdäas arnftaxtov nagd xtöv re xtöv.
*) Willm. 1145 (= Orelli 750): in qua jtlura quam centum mül. ex
numero Transdanuvianor. ad praestanda tributa cum coniugib. ac liberis
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Der lateinische Westen.
465
nach wird die Bevölkerung der Donauländer unter Augustus
2 Millionen noch kauin erreicht haben; im Laufe der nächsten
Jahrhunderte mag sie allerdings bedeutend gestiegen sein.
5. Afrika.
Der Flächeninhalt des nordwestlichen Afrika beträgt, ab-
gesehen von dem Wüstengebiet *):
Teil
qkm
Steppe
qkm
zusammen
qkm
Tunis
28 082
39 645
67 727
Algerien
106 822
152 524
259 346
Marokko
197 125 |
67 727
264 852
382 029
259 896
581925
Das culturfähige Land an der tripolitanischen Küste kommt
kaum in Betracht. Das heutige Tunesien entspricht etwa der
Africa proconsularis im engeren Sinne, also Zeugitana und
Byzacium; Algerien entspricht Numidien und Mauretania Cae-
sariensis; Marokko Mauretania Tingitana. Doch ist zu er-
wägen, dass letztere Provinz höchstens 1/a des culturfähigen
Landes im heutigen Marokko umfasst hat. Mag also immerhin
das römische Gebiet in Numidien und Caesariensis sich bis
zum Saume der Wüste erstreckt haben, so ergiebt sich für die
römischen Provinzen von Nordwest-Afrika ein Areal von nicht
über 400000 qkm.
et principtb. aut regibus suis transduxit. Dass die Zahlenangabe von
der Kopfzahl überhaupt, einschliesslich der Weiber und Kinder, zu ver-
stehen ist, zeigt die oben angeführte Stelle Strabons und ist auch ohne
das evident
*) Nach Behm und Wagner, BevöVc. der Erde VI S. 59 (berechnet
auf Grund von Bergbaus’ Chart of the World, 1879). Doch sind diese
Angaben mit grosser Reserve aulzunehmen ; ich gebe sie nur, weil bessere
Zahlen zur Zeit nicht vorliegen.
Beloch, BsvöUrerungslehre. I. 30
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466
Capitel X.
Der Kern dieser Besitzungen, das ehemals karthagische
Gebiet, gehört zu den ältesten Culturländern am westlichen
Mittelmeer und hat schon früh eine dichte Bevölkerung er-
langt1). Die Alten rühmen einstimmig den gartenähnlichen
Anbau namentlich der Zeugitana2); allerdings wurde daneben
auch Viehzucht hier im grossen Maassstabe betrieben8). Aga-
thokles soll 200 Städte im karthagischen Gebiete erobert
haben4), und noch zur Zeit des letzten Krieges mit Rom hat
dasselbe trotz bedeutender Abtretungen an Massinissa 300
Städte gezählt6). In der ersten Kaiserzeit bestanden in der
Provinz Afrika — also einschliesslich Numidien — 516 Ge-
meinden, freilich mit Einrechnung der Nomadenstämme an der
Südgrenze8). Das ist eine Zahl von Städten, wie sie sich auf
so kleinem Raume nur in den bestbevölkerten Theilen der
alten Welt, in Kleinasien, Griechenland, Italien, Baetica
wiederfindet.
Karthago selbst gehörte bis zu seiner Zerstörung im Jahre
146 zu den grössten Städten der Erde. Der Umfang wird auf
23 Milien angegeben ,), was wohl etwas übertrieben ist; er
wird 18 Milien kaum überstiegen haben8), und der bei weitem
grösste Theil des von den Mauern umschlossenen Raumes fällt
auf die Vorstadt Megalia, die hauptsächlich von Gärten einge-
nommen war*). Karthago soll im Stande gewesen sein, im
Jahre 310 gegen Agathokles aus seinen Bürgern allein ein
Heer von über 40000 Mann auizustellen 10) ; beim Beginn der
römischen Belagerung 149 wird die Bevölkerung auf 700000
>) Mommsen, H. G. V S. 651.
*) Diod. XX 8 für Agathokles’ Zeit, Polyb. 1 29, 7 für die Zeit des
ersten punischen Krieges.
a) Diod. und Polyb. a. a. 0., Polyb. XII 3, 3.
«) Diod. XX 17.
8) Strab. XVII S. 833.
«) Plin. V 29.
7) Liv. Epü. 51.
*) Nach Kieperts Plan auf Bl. X des Atlas Antiquus.
®) Appian, Lib. 117.
10) Diod. XX 10.
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Der lateinische Westen.
467
Einwohner angegeben1). Beide Angaben mögen übertrieben
sein. Sicher scheint nur, dass bei der Capitulation der Byrsa
den Römern 50000 Gefangene in die Hände fielen, Männer
und Weiber zusammen2); mögen wir die Opfer der Belagerung
noch so hoch ansetzen, es ist schwer glaublich, dass die Stadt
vorher mehr als 2 — 300000 Einwohner gezählt haben kann.
Nach seiner Wiederherstellung durch Caesar ist dann Karthago
aufs neue zu einer der ersten Städte des Reichs empor-
gewachsen. Um die Mitte des III. Jahrhunderts stand
es nur Rom selbst an Grösse nach und wetteiferte mit
Alexandreia8).
Aus seinem libyschen Laudgebiet hat Karthago den grössten
Theil seiner Heere ausgehoben; die allerdings in bedeutender
Zahl verwendeten Söldner traten nur als Ergänzung dazu4).
Selbst das Heer, mit dem Hannibal in Italien einfiel, bestand
zu 60°/o aus Libyern5), obgleich damals Spanien bereits den
Karthagern gehörte. Aber allerdings dürfen die numerischen
Angaben über die Stärke karthagischer Heere nur mit Vor-
sicht benutzt werden. Es ist bemerkenswerth, wie die Zahlen
immer kleiner werden, je mehr wir uns den punischen Kriegen
nähern, gerade im umgekehrten Verhältniss zu der steigenden
Macht des Staates. So sollen die Karthager 480 bei Himera
mit 300000 Mann gekämpft haben6); und auf 2 — 300000
beziffert Ephoros die karthagischen Heere noch in den Kriegen
gegen Dionysios7). Schon Timaeos hat an diesen Angaben
0 Strab. XVII S. 833.
a) Appian Lib. 130: xcd /(//eaar et VT ixet ftvQitititg 77 (VH ävÖQoiv nua
x«) ywcuxun’, ohne Zweifel nach Polybios.
s) Herodian VII 6, 1: 1} yitq noXig (xe(vt) xai äuvdfxet yt>T]fi<xuuv xtt'i
tiüv xaroixovvTtov xal fjovt]; 'Ptofit]! KTToXe/nnai qtXo-
vtixoüaa 7tq6; tyr tr AlyLnup ’Alt^uvSQov nöhv n iqi iSivttgdwr. Vergl.
Auson. ordo urbium nobilium 2, 3.
4) Polyb. I 67, 7 von dem Heere, das im ersten punischen Kriege auf
Sicilien gefochten hatte.
*) Hannibals officielle Angabe bei Polyb. III 56, 4.
8) Herod. VH 165; Diod. XI 1. 20.
7) Bei Diod. XIH 54. 80, XIV 54.
30*
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468
Capitel X.
Kritik geübt und sie auf 100000 ermässigt1), was freilich ohne
Zweifel auch noch übertrieben ist. Das Heer, das Magon 392
nach Sicilien führt, wird nur noch zu 80 000 Mann angegeben 2) ;
gegen Timoleon am Krimisos sollen 70 000 3), gegen Agathokles
am Himera 45000 Mann gefochten haben4). Xanthippos hatte
gegen Regulus 256 gar nur 16000 Mann5); Hannibal bei seinem
Einfall in Italien nach eigener Angabe 26 000 6). Freilich soll
Hannibal bei seinem Ausmarsch aus Neukarthago 102000 Mann
unter seinen Befehlen gehabt haben 7). Davon seien beim
Uebergang über die Pyrenaeen nach Zurücklassung von 22000
Mann in Spanien noch 59000 Mann8), beim Uebergang über
den Rhodanos noch 46000 Mann übrig gewesen”). Aber die
Unhaltbarkeit dieser Zahlen sollte auf den ersten Blick klar
sein. Es ist absolut unerfindlich, wie die kurzen und sieg-
reichen Kämpfe gegen die Völker zwischen Ebro und Pyre-
naeen 21 000 Mann gekostet haben können , mehr als doppelt
so viel als die Schlachten am Trasimen und bei Cannae zu-
sammen; und noch viel unerklärlicher wäre der Verlust von
13000 Mann auf der Strecke von den Pyrenaeen zum Rho-
danos, auf der weder Terrainschwierigkeiten zu -überwinden,
noch nennenswerthe Kämpfe zu bestehen waren. Das mahnt
uns zur Vorsicht auch in Betreff des angeblichen Verlustes
beim Uebergang über die Alpen. Gewiss war der Verlust be-
trächtlich 10), aber sicher nicht annähernd so hoch wie Polybios
>) Bei Diod. a. a. 0.
*) Diod. XIV 95.
3) Plut. Timol 25.
4) Diod. XIX 106.
*) Polyb. I 32, 9.
6) Bei Polyb. III 56, 4.
’) Polyb. III 35, 1.
*) Polyb. III 35, 7.
9) Polyb. III 60, 5.
10) Der römische Annalist Cincius Alimentus, der selbst in Hannibals
Gefangenschaft gefallen war, berichtet, er habe aus dessen eigenem Munde
gehört, dass der Verlust vom Uebergang über die Rhone bis zur Ankunft
in Italien 36000 Mann betragen habe (bei Liv. XXI 38). Es ist an sich
kauin wahrscheinlich, dass Hannibal einem gefangenen Feinde solche eon-
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Der lateinische Westen.
469
angiebt. Vielmehr beruhen die Verlustangaben bei Polybios
offenbar nur auf der Contaminirung zweier verschiedener Be-
richte: die Stärke der karthagischen Armee bei der Ankunft
in Italien giebt er nach Hannibals eigener und ohne Zweifel
zuverlässiger Angabe; die beim Ausmarsch aus Neukarthago
nach der sehr übertriebenen Angabe eines der Geschichtschreiber
des Krieges; der Vergleich beider Zahlen ergab natürlich eine
ungeheure Einbusse.
Ausserdem liess Hannibal zur Besetzung Spaniens 14 400
Mann libyscher und numidischer Truppen zurück , während
4000 Mann aus den phoenikischen Bundesstädten der Karthager
in Libyen nach der Hauptstadt selbst gezogen wurden1). Das
gesammte Aufgebot der Karthager an afrikanischen Truppen
im Jahre 218 hat also 40000 Mann nicht überstiegen, selbst
wenn wir annehmen, was offenbar viel zu hoch ist, dass Hau-
nibal 10000 Libyer auf seinem Zuge nach Italien verloren hat.
Das gleichzeitige römisch-italische Aufgebot betrug wenigstens
6000O, vielleicht 80000 Manu.
An dem Aufstande gegen Karthago nach der Niederlage
vor Syrakus 896 sollen sich 200 000 Libyer betheiligt haben 2).
Glaubwürdiger scheint die Nachricht, dass sich nach Beendi-
gung des ersten punischen Krieges 70000 libysche Unterthanen
Karthagos den meuternden Trappen anschlossen, von denen
übrigens ebenfalls der grössere Theil, mehr als 10000 Mann,
aus Libyern bestand8).
So wenig diese Angaben ausreichen zu einer einigennaassen
befriedigenden Bestimmung der Bevölkerung des karthagischen
Gebiets in Afrika, so werden wir doch so viel behaupten
dürfen, dass diese Bevölkerung zur Zeit des punischen Krieges
weder sehr viel hinter der damaligen Bevölkerung Italiens
fidentielle Mittheilungen gemacht hat Den Werth seiner Zahlen cbarak-
terisirt es, dass er die Zahl der Truppen Hannibals bei dessen Ankunft
in Italien auf 80000 Mann zu Fuss und 10000 Reiter angiebt, allerdings
einschliesslich der gallischen Bundesgenossen.
l) Eigene Angabe Hannibals bei Polyb. III 83, 15.
s) Diod. XIV 77.
3) Polyb. I 73, 3; vergl. I 67, 7. 13.
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470
Capitel X.
zurückgeblieben sein, noch sie sehr beträchtlich überschritten
haben kann. An Flächenraum wie an Zahl der Städte steht
das karthagische Gebiet hinter dem damaligen Gebiete Roms
und seiner italischen Bundesgenossen etwas zurück, war aber
dafür als Sitz älterer Cultur dichter bevölkert. So mag das
karthagische Afrika ums Jahr 200 3 — 4 Millionen Menschen
gezählt haben, 30 — 40 auf den qkm, etwa so viel wie Sicilien
oder der Peloponnes. Der dritte punische Krieg brachte na-
mentlich durch die Zerstörung Karthagos einen Rückschlag,
der sich wohl erst in der Kaiserzeit ausgeglichen hat.
Numidien und Mauretanien hatten offenbar bis auf den
Anfang unserer Zeitrechnung eine sehr dünne Bevölkerung.
Zwar hatte sich schon Massinissa bemüht, seine nomadischen
Unterthanen zu sesshaftem Leben zu bringen1), aber erst den
Römern ist die Civilisirung des Landes gelungen. Mauretanien
war noch unter Augustus voll von Wäldern und reich an wil-
den Thieren aller Art2). Gleichwohl mag die absolute Bevöl-
kerung bei der weiten Ausdehnung dieser Gebiete nicht unbe-
trächtlich gewesen sein, namentlich in dem von der Natur inehr
begünstigten Westnumidien , der späteren Mauretania Caesa-
riensis 8). Im Laufe der Kaiserzeit sind auch hier eine grosse
Zahl blühender Städte entstanden, wenn auch die Bevölkerung
nie so dicht gewesen ist wie im proconsularischen Afrika. Die
Concilsakten führen in Africa proconsularis (Zeugitana) 54
Bischofssitze auf, in Byzacium 116, in Tripolitania 5, in Nu-
midien 125, in Mauretania Caesariensis 126, in Mauretania
Sitifensis 44 4). Da übrigens Afrika durch die ganze Kaiser-
zeit hindurch die hauptsäclhichste Kornkammer Roms ge-
blieben ist, so wird die Annahme einer übermässig hohen
Bevölkerung von vornherein ausgeschlossen. — Nach Prokop
soll durch den Vandalenkrieg, den maurischen Aufstand und
1) Polyb. 37, 8. 7-8; Appian. Lib. 106; Strab. XVII S. 833.
2) Strab. XVIII S. 826 f.
*) Liv. 24, 48 von Syphax’ Reich: multitudine homimm retjnum
abundare. Sallust. Jug. Kr. 16: quae pars Numidiae Maurttaniam attingü,
agro virisque opulentior.
*) Kubn, Verf. des Rom. Reiches II S. 436.
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I
Der lateinische Westen.
471
die schlechte Verwaltung Justinians die Bevölkerung Libyens
sich tun 5 Millionen vermindert haben, so dass das früher
stark bewohnte Land ganz menschenleer geworden sei *). Die
Schätzung ist selbstverständlich in dieser Form werthlos. Aber
die Annahme einer Gesammtbevölkenmg von 5 Millionen für
Afrika zur Vandalenzeit hätte an sich nichts unglaubliches.
*) Prokop. Geh. Gesch. 18.
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Elftes Capitel.
Die städtische Bevölkerung.
1. Quellen uud Hfilfsmittel.
Der politische Unterschied von Stadt und Land ist dem
Alterthuni unbekannt. Innerhall) der Mauern war die eigent-
liche Heimath eines jeden Bewohners des gesamniten Stadt-
gebiets ; hier suchte er in Kriegszeiten Schutz, hier übte er sein
Recht als Staatsbürger. Eine Scheidung der Einwohnerschaft,
je nachdem sie ihr Domicil innerhalb oder ausserhalb des
Mauerringes hatte, war praktisch ganz unausführbar, und ist
niemals versucht worden.
Allerdings war es namentlich in den grösseren Staaten
unumgänglich , für die Zwecke der localen Verwaltung das
Gebiet in eine Anzahl Bezirke — wie wir sagen würden, Ge-
meinden — zu theilen; und die Bezirke, in denen die Haupt-
stadt oder andere bedeutende Orte gelegen waren, mussten
nothwendig den übrigen Bezirken gegenüber den Charakter von
Stadtgemeinden annehmen. So war es bekanntlich in Attika.
Aber selbst wenn wir über die Bevölkerung aller städtischen
Denien und des Demos Peiraeeus unterrichtet wären, würden
wir noch weit davon entfernt sein, auch nur von der bürger-
lichen Bevölkerung der Stadt Athen einen Begriff zu haben,
es sei denn, wir hätten solche Zahlen für die Zeit unmittelbar
nach der Reform des Kleisthenes. Denn da in Attika in civil-
rechtlicher Beziehung die vollste Freizügigkeit herrschte, die
Gemeindeangehörigkeit aber an die Person gebunden war, so
musste das Zuströmen der Landbevölkerung nach der Stadt
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Die städtische Bevölkerung.
473
noth wendig zur Folge haben, dass die Bewohner Athens, soweit
sie überhaupt Bürger waren, seit dem V. Jahrhundert zum
grossen, wahrscheinlich zum weit überwiegenden Theil aus
Angehörigen der ländlichen Demen bestanden. In noch viel
höherem Grade musste das natürlich im Peiraeeus der Fall
sein, der zu Kleisthenes’ Zeit nur ein unbedeutendes Dorf ge-
bildet hatte, und erst im folgenden Jahrhundert zur Grossstadt
herangewachsen ist.
Die Griechen haben denn auch, in älterer Zeit wenigstens,
nie daran gedacht, die Grösse einer Stadt, wie wir das heute
thun, nach der Einwohnerzahl abzuschätzen. Das maassgebende
für sie war die räumliche Ausdehnung, und zwar der Umfang
des Mauerringes; sie sprechen von Städten von 50, 100, 200
Stadien Umfang, wie wir von Städten von 50 oder 100000
Einwohnern. Die Mängel dieses Verfahrens liegen auf der
Hand. Von allem übrigen abgesehen, sind Umfang und Flächen-
raum eben nicht proportional; eine Stadt von 100 ha ist doppelt
so gross als eine andere von 50 ha; aber eine Stadt von 100
Stadien Umfang wird in der Regel weit mehr als den doppelten
Flächenraum einer anderen enthalten, die nur 50 Stadien im
Umfang hat. Haben doch auch Städte von demselben Umfang
keineswegs nothwendig dieselbe Ausdehnung. Die Griechen
selbst haben das natürlich sehr wohl erkannt, und Polybios
setzt die Sache in einem eigenen Excurs auseinander1); aber
trotzdem findet sich weder bei ihm, noch meines Wissens
irgendwo sonst2) in der erhaltenen Literatur des Alterthums
ein Versuch die Grösse einer Stadt nach dem von ihr einge-
nommenen Flächenraum zu bestimmen. Höchstens wird hin
und wieder die Länge und Breite in Stadien angegeben, be-
sonders da , wo eine regelmässige Strassendisposition die
Messung erleichterte. Der Grund liegt offenbar in der Schwierig-
keit die Ausdehnung bebauter Flächen zu bestimmen; es hätte
dazu genauer Stadtpläne bedurft, und zu der Aufnahme von
•) Polyb. IX 21.
a) Vielleicht mit einer einzigen Ausnahme; s. unten S. 485 f. über den
Flächenraum des aegyptischen Theben.
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474
Capitcl XI.
solchen ist erst das spätere Alterthum gelangt. Dagegen war
es sehr leicht den Mauerunifang einer Stadt zu ermitteln, und
eine solche Messung schon aus militärischen Rücksichten un-
bedingt erforderlich. So ist man denn nothgedrungen auch für
statistische Zwecke bei dieser Zahl stehen geblieben.
Für uns haben die zahlreichen aus dem Alterthume über-
lieferten Angaben über den Umfang griechischer Städte auch
dämm einen sehr bedingten Werth, weil wir fast niemals sicher
sind, nach welchem Stadienmaass in jedem einzelnen Falle
gemessen ist, ganz abgesehen von der Ungewissheit, ob die
kleinen Aussprünge der Mauer mitgerechnet sind, oder nicht.
Da es aber für eine Anzahl grade der bedeutendsten Städte
Griechenlands nicht mehr, oder noch nicht möglich ist, den
Lauf der Befestigungen selbst annähernd zu bestimmen, so
dürfen diese Angaben über den Umfang doch nicht vernach-
lässigt werden.
Weit brauchbarere Resultate giebt die Ermittelung des
Flächenraums, der durch planimetrische Messung auf den besten
vorhandenen Flänen für eine ansehnliche Reihe der bedeutendsten
Städte des Alterthums leicht zu bewerkstelligen ist. Freilich
gewinnen wir auch auf diesem Wege nur einen dürftigen Ersatz
für die Ergebnisse unserer heutigen Volkszählungen. Schon
von vornherein ist es keineswegs die Zahl der Bevölkerung
allein, die den Umfang des Mauerringes bestimmt, sondern
ebenso entscheidend sind fortificatorische Rücksichten. Und
einmal erbaut, wird die Befestigungslinie mindestens für lange
Zeit ungeändert bleiben, mag nun die Bevölkerung zu- oder
abnehmen. Allerdings giebt es hier eine Grenze. Mehr als
eine gewisse Volkszahl vermag ein gegebener Raum nicht zu
fassen; ist diese Zahl überschritten, so werden sich um die
Mauern Vorstädte ansetzen, und es wird schliesslich unum-
gänglich sein, wenigstens einen Theil dieser Vorstädte in die
Befestigungslinie hineinzuziehen. Man denke an das allmähliche
Anwachsen von Syrakus, Athen, Antioeheia, Rom. Wo dagegen
die Bevölkerung abnimmt, ist eine Nöthigung zur Verengerung
des Mauerringes nicht vorhanden, solange nur die zur Verfügung
stehende Mannschaft noch annähernd zur Vertheidigung ge-
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Die städtische Bevölkerung.
475 •
niigt. So hat Rom während des ganzen Mittelalters den aure-
lianischen Mauerring als Vertheidigungslinie behalten, mochte
auch die Bevölkerung zeitweise auf einen kleinen Bruchtheil
der alten Bewohnerzahl zusammengeschmolzen sein.
Wir müssen also, ehe wir von der Ausdehnung einer
antiken Stadt auf die Bevölkerung einen Schluss machen,
jedesmal erst die obwaltenden besonderen Verhältnisse in Er-
wägung ziehen. Auch bedarf es keiner Bemerkung, dass eine
kleine Stadt einen verhältnissmässig viel grösseren Flächen-
raum einnehmen wird, als eine Grossstadt ; denn je werthvoller
der Boden, desto enger wird sich die Bevölkerung zusammen-
drängen, und desto mehr wird man darauf bedacht sein, durch
Aufsetzen von Stockwerken den Raum nach Möglichkeit aus-
zunutzen. So hatten die Häuser in Pompei durchweg nur
ein oberes Stockwerk, während sie in der Hauptstadt bis zu
60 Fuss und darüber sich erhoben. Endlich dürfen nur Städte
derselben Periode und desselben Culturkreises unmittelbar mit
einander verglichen werden. Unter Berücksichtigung aller
dieser Verhältnisse aber wird allerdings ein Schluss von der
Ausdehnung einer Stadt auf ihre Bevölkerung gestattet sein.
Eine Stadt von 100 ha musste mehr Einwohner zählen als
eine andere von nur 20 ha. Athen und Syrakus, bis auf
Alexander die volkreichsten hellenischen Städte, waren auch
die grössten an Flächenraum. Jedenfalls aber bleibt die Be-
stimmung des Flächenraumes in den meisten Fällen der einzige
Weg, um uns von der relativen Bedeutung antiker Städte ein
objectiv sicheres Bild zu geben; und dieses Mittel ist trotz
alledem sehr viel vollkommener, als die Mittel, die den Alten
selbst dafür zu Gebote standen.
Freilich, zum Vergleich mit den Städten unserer Zeit reicht
bei der Verschiedenheit der Lebensgewohnheiten und der Bau-
art die blosse Kenntniss der Ausdehnung nicht aus. Wir
müssen versuchen, das im Alterthum übliche Maass auf das
uns geläufige — die Einwohnerzahl — zu reduciren. Und es
fehlt denn auch nicht an Anhaltspunkten, die uns gestatten,
wenigstens einen allgemeinen Begriff von den Grössenverhält-
nissen der Städte des Alterthums zu gewinnen.
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• 47t>
Capitel XI.
Die Griechen waren ein Stadtvolk. Es wird als etwas
ganz besonderes hervorgehoben, dass in einigen Gegenden, wie
in Attika oder Elis, die Bevölkerung zum grossen Theil auf
dem Lande zerstreut lebte *). In der Regel war die Bewohner-
schaft in den befestigten Städten und Flecken concentrirt, ein
Zustand ähnlich dem, der noch heute in Sicilien vorherrscht2).
Als Mantineia im Jahre 385 durch die Spartaner in die
5 Körnen aufgelöst wurde, aus denen die Stadt ein Jahrhundert
früher zusammengesiedelt worden war, söhnten die Grundbesitzer
sich mit der Maassregel aus in Folge des Vortheils, jetzt ihren
Besitzungen näher zu sein8); bisher hatten sie also ihre Güter
von der Stadt aus bewirthschaftet. Der Widerstand, den der
Synoekismos von Megalopolis bei einem Theil der zur Bildung
der neuen Stadt bestimmten Gemeinden fand, entsprang haupt-
sächlich der Schwierigkeit, von dem neuen Mittelpunkte aus
die Acker des ausgedehnten Gebietes zu bewirthschaften 4) ;
auch hat man davon absehen müssen, die ganze Bevölkerung
der südarkadischen Ortschaften nach Megalopolis überzusiedeln.
Im allgemeinen also muss die städtische Bevölkemng in
Hellas einen viel grösseren Procentsatz der Gesammtbevöl-
kerung gebildet haben, als das in den meisten Ländern heute
der Fall ist. Bei kleineren Gebieten, wie Sikyon, Phleius,
Tegea, Mantineia, den Städten in Boeotien und Phokis werden
wir die Bevölkerung der Hauptstadt der des ganzen Staates
annähernd gleich setzen dürfen. Wir können das wenigstens
mit demselben Recht, wie die moderne Ortsstatistik die Be-
völkerung der Städte durch die des gesammten Gemeinde-
*) Thuk. II 16; Polyb. IV 73, 6-7.
8) Nach der Zählung von 1871 betrug die zerstreut lebende Bevöl-
kerung ( popolazione sparsa) 176004, die in den Ortschaften ( centri ) mit
unter 2000 Einwohnern 270843, während 2137252 in den Ortschaften mit
über 2000 Einwohnern lebten, und von diesen 759433 in den Städten von
2 — 8000 Einwohnern, sodass mehr als die Hälfte der Gesammtbevölkerung,
1378819, auf die Städte mit 8000 und mehr Einwohner entfällt
3) Xen. Hell. V 2, 7: *«i io nQiörov tj/Sovro .... (ml <St o/
l/ovres rag ovalag (yyvrtQOV ptv tjjxovv riüv /a iqüov ovruiv avroig ttiqI
ras xw, uas .... rjdorro r oi's TTtrpayfitvotg.
*) Kuhn, lieber die Entstehung der Städte der Alten S. 239 f.
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Die städtische Bevölkerung.
477
bezirks ausdrückt. Noch mehr gilt das natürlich dann, wenn
es sich um Grossstädte mit sehr beschränktem Gebiet handelt,
wie z. B. Alexandreia in Aegypten. Aber auch bei Gebieten
von grosser Ausdehnung, wie der Argeia, der Megalopolitis,
der Korinthia, muss wenigstens der bei weitem überwiegende
Theil der Bevölkerung seinen Wohnsitz in der Hauptstadt ge-
habt haben. Aehnlich lagen die Verhältnisse in dem grösseren
Theile Italiens.
2. Die Entwickelung des Städtewesens.
Das hellenische Städtewesen hat sich aus bescheidenen
Anfängen entwickelt. Schon Thukydides ist die Kleinheit von
Mykenae und anderer berühmter Städte der Heroenzeit aufge-
fallen *); Knosos, das Homer eine „grosse Stadt“ nennt2), hat
nur 30 Stadien im Umfang gehabt8). Aristoteles sieht den
hauptsächlichsten Grund für das Entstehen der Tyrannenherr-
schaften im VIII., VII. und VI. Jahrhundert in der geringen
Bevölkerung der griechischen Städte zu dieser Zeit4). Es ist
bekannt, dass Athen ursprünglich auf die spätere Akropolis,
Theben auf die Kadmeia, Syrakus auf die Nasos beschränkt
war. Aber auch in der sogenannten klassischen Periode, von
den Perserkriegen bis auf Alexander haben die Culturländer
am Mittelmeer, von dem aegyptischen Memphis vielleicht ab-
gesehen, keine Grossstadt im modernen Sinne besessen. Athen,
im V. Jahrhundert die erste Stadt Griechenlands®), kann ein-
*) Thuk. I 10: xn) on /uir Mvxijvai fuxgt.v ijv, fj tl 1 1 roiv rore
n oha pi u viv fir\ rfoxti li^idygnov fh'tu XI l.
*) Odyss. r 178 : rijm iT tri Avianos, /ucyilXrj noXts-
3 ) Strab. X S. 476.'
0 Polit. VIII (V) S. 1305 a: ln <17 <f«< ro uij /atyciXv; elvnt roif
rag nöXns ÖXX' (nl rtöv oygiöv olxtir töv iSrjuov xrX. Vergl. VI (IV)
S. 1297 b: rjOtiv rff xal al ög/uiai nohiticu tvXoyias ’Xiyagyixai xaX
ßnniXixa't. <h’ oXiyav'lgionlav yitg ovx tl/ov noXii ro /xlaov.
6) Thuk. IV 95: (noXiv) ngmrrjv Iv tois "EXlrjaiv ; I 80: l^rigivvnu
oyXia (Alhjvaioi), oaog ovx Iv ttXXig ivl ye yiagltg 'EXXrjvixtö lariv. Xen.
Hell. II 3, 24: ihn re rö TioXi'nvfXgtonoTttrrjV riov 'Elhjvldtov rrjv
noXiv tlvai.
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478
Capitel XI.
schliesslich des Peiraeeus kaum über 120000 Einwohner ge-
zählt haben, da ganz Attika damals höchstens 1I* Million Ein-
wohner hatte, und der grösste Theil wenigstens der bürger-
lichen Bevölkerung im Landgebiete zerstreut lebte1). Eine
Stadt von 1000Ö Bürgern (noXig /jvQiavÖQog ) galt bis zu
Alexanders Zeit in Griechenland für bedeutend, und es gab
nur wenige Gemeinden, die diese Zahl erreicht oder über-
schritten haben. Es sind im eigentlichen Griechenland ausser
Athen noch Theben, Korinth, Aigos, Elis, Korkyra und im
IV. Jahrhundert Megalopolis, Messene, Olynthos; im asiatischen
Griechenland im V. Jahrhundert wahrscheinlich keine einzige,
im IV. Halikamassos , und wie es scheint Ephesos, während
Rhodos die Zahl von 10000 Bürgern, wenn nicht ganz, so
doch annähernd erreicht haben muss; im Westen Syrakus,
Akragas, Gela, Kroton, Taras; ausserdem Kyrene in Libyen.
Selbst Städte von 5000 Bürgern waren keineswegs häufig; wie
denn z. B. im Peloponnes ausser den genannten nur Sikyon
und Phleius diese Zahl erreicht oder überschritten haben,
während Tegea, Mantineia, Epidauros ihr wenigstens nahe ge-
kommen sind. Freilich giebt die Bürgerzahl, wie schon bervor-
gehoben, keinen absoluten Maassstab für die Grösse der Städte,
da einerseits ein grosser Theil der Bürger in den zugehörigen
Landgebieten seinen Wohnsitz hatte, andererseits eine starke
nichtbürgerliche Bevölkerung hinzuzurechnen ist. Immerhin
wird ausser Athen und Syrakus im V. und IV. Jahrhundert
keine hellenische Stadt die Zahl von 100000 Einwohnern über-
schritten oder auch nur erreicht haben. Korinth mag, bei
einer Bevölkerung des ganzen Staates von etwa 90000, inner-
halb seiner Mauern 70 000 Menschen beherbergt haben ; Sparta.
Argos, Megalopolis, Akragas, Taras werden auf etwa 40 — 50000
Einwohner zu veranschlagen sein; Theben zählte bei seiner
Eroberung durch Alexander etwa dieselbe Bevölkerung 2).
Selinus galt mit 20—25000 Einwohnern am Ende des V. Jahr-
1) Tkuk. II 16, vergl. oben S. 100.
2) Die Belege s. oben Cap. IV — VII.
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Die städtische Bevölkerung.
479
hiuiderts für eine bedeutende Stadt 1). Auch die phoenikischen
Städte Sidon und Tyros haben uni die Mitte des IV. Jahr-
hunderts nicht mehr als je 40000 Einwohner gezählt2). Diese
Zahlen werden genügen, uns wenigstens ein allgemeines Bild
von der städtischen Bevölkerung Griechenlands in der klassischen
Zeit zu geben.
Wahrhaft grossstädtisches Leben hat sich erst in der helle-
nistischen Periode entwickelt. Es ist in der Zeit nach Alexander
eine ähnliche Entwickelung eingetreten wie seit dem Ausgang
des vorigen Jahrhunderts in der modernen Welt. Noch 1760
hat London, damals wie heute die grösste Stadt in Europa,
nicht über 670000 Einwohner gezählt, und selbst ein Mann
wie Hume zweifelte allen Ernstes daran, ob es überhaupt mög-
lich sei, dass eine Stadt über diese Zahl hinaus sich vergrössem
könne. So hält Aristoteles eine Stadtgemeinde von 100000
Bürgern für ebenso undenkbar wie eine Gemeinde von 10 Bür-
gern8). Die Diadochenzeit hat das unmöglich geglaubte ver-
wirklicht. Alexandreia in Aegypten hat nach officiellen Angaben
ums Jahr 60 v. Chr. 300000 freie Einwohner gezählt4) und
muss also, einschliesslich der Sklaven, die halbe Million we-
nigstens annähernd erreicht haben; unter Augustus wird die
Bevölkerung noch grösser gewesen sein. Seleukeia an Tigris
wird um den Anfang unserer Zeitrechnung Alexandreia etwa
gleich gesetzt, sodass es nicht unglaublich scheint, wenn die
Bevölkerung der Stadt im I. Jahrhundert auf 600 000 5), im
II. auf 400000 Einwohner4) angegeben wird. Nicht ganz,
aber doch annähernd so gross war Antiocheia am Orontes.
*) Diod. XIII 44: ol Si SeXivowrtioi xar ixetvovt tobt XQÖiovt
iväcuuo voOvtet, *«1 rrjf nöketat aiitoif nokvavÖQOvaijt. Nach Timaeos.
Vergl. oben S. 285.
а) Die Belege s. oben S. 244.
*) Arist. Kikom. Ethik IX S. 1170b: obre yit p ix §(xa avit^iüniar
yiroit' ay noku, ovx ix äixa ftvQiädotv ln nol.it intlr.
4) Diod. XVII 52, s. oben S. 258 f. Vergl. Diod. I 50.
б) Plin. H. N. VI 122: ferunt ei plebis urbanae DC esse.
*) Rufus Breviar. 21 ; Oros. VII 15; Eutrop. VIII 10, an welch letzterer
Stelle die richtige Zahl jetzt durch Droysen hergestellt ist.
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480
Capitel XI.
Ephesos kann unter Augustus nicht unter 200 000 Ein-
wohner gezählt haben1); Pergamon hatte im D. Jahrhundert
120000, vielleicht 180000 Einwohner2). Städte von 100000
Einwohnern muss es im' griechischen Orient um den Beginn
unserer Zeitrechnung eine ganze Reihe gegeben haben.
In den Ländern am westlichen Mittelmeere ist eine ana-
loge Entwickelung zunächst durch die römische Eroberung ge-
hemmt worden. Syrakus , das unter Hieron an 200 000 Ein-
wohner gezählt haben mag3), hat die Folgen der Katastrophe
des Jahres 213 nie überwunden, und ist seitdem beständig
gesunken, bis es in Augustus’ Zeit fast entvölkert war. Ebenso
ist die Blüthe von Akragas und Taras durch den hannibalischen
Krieg für immer geknickt worden. Karthago, die kommerzielle
Metropole des Westens, wurde im Jahre 146 aus der Reihe
der bestehenden Städte ausgetilgt. In dem nicht-griechischen
Italien sind die etruskischen Städte seit dem IV. Jahrhundert
im unaufhaltsamen Verfall. Capua, im III. Jahrhundert nach
Rom und Tarent die grösste Stadt Italiens, hat sich erst
seit der Colonisation durch Caesar von den Schlägen des
hannibalischen Krieges erholt. Verhältnissmässig volkreich
waren seit dem II. Jahrhundert die Hafenstädte Ostia und
Puteoli; aber I’uteoli heisst bei Lucilius doch nur „Klein-
Delos“ *). Alle übrigen Städte der Halbinsel , mit Ausnahme
der Hauptstadt, waren noch in der ersten Kaiserzeit ziemlich
unbedeutend. Eine der ansehnlichsten darunter war Pompei,
wie die Ausdehnung des mit Häusern bedeckten Flächenraumes
zeigt; und Pompei hat nach dem Urtheile der besten Kenner
zur Zeit seiner Zerstörung kaum über 20000 Einwohner ge-
zählt6). Eine wirkliche Grossstadt war in dem Italien dieser
Zeit nur Rom , das unter Caesar eine Volkszahl von annähernd
1 Million erreichte, und somit alle Städte am Mittelmeer hinter
sich liess.
i) S. oben S. 231.
*) S. oben S. 236.
») Oben S. 279. 281.
4) Lucil. 111 fr. 11 Müller: Dicarchitum popuhs Delumque minorem.
*) Cissen, Pompe ianische Studien S. 379. Von den Vorstädten, deren
Ausdehnung sich unserer Kenntnis» entzieht, ist hier abgesehen.
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Die städtische Bevölkerung.
481
In Ober -Italien und in den westlichen Provinzen haben
Grossstädte sich erst seit Anfang der Kaiserzeit zu bilden be-
gonnen. Das Resultat dieser Entwickelung schildert uns um
400 der Dichter Ausonius ')• Danach folgten damals auf Rom
an Grösse zunächst Constantinopolis und Karthago , darauf
Antiocheia und Alexandreia, weiter Trier, Mailand, Capua,
Aquileia, A*relate. Darauf Hispalis, die grösste Stadt Spaniens,
neben der Corduba, Tarraco, Bracara hervorgehoben werden,
dann Athen, Catina und Syrakus, Tolosa, Narbo und endlich
die Heimath des Dichters, Burdigala. Wie man sieht, ist die
Auswahl sehr willkürlich. Namentlich der Orient ist viel zu
wenig berücksichtigt, während Gallien mehr als billig hervor-
tritt; auch war nicht die Grösse allein für die Aufnahme in
das Verzeichniss und die Reihenfolge der Städte maassgebend.
Immerhin aber bleibt das Gedicht des Ausonius charakteristisch
für die Zustände des IV. Jahrhunderts; wir sehen, welchen
Aufschwung das Städtewesen in Ober- Italien, Gallien und
Spanien während der Kaiserzeit genommen hat.
3. Die überlieferten Umfangszahlen.
Ich lasse jetzt die überlieferten Umfangszahlen einer An-
zahl von Städten des Alterthums folgen. Auf Vollständigkeit
macht das Verzeichniss keinen Anspruch, ich habe sie auch bei
der verhältnissmässig untergeordneten Wichtigkeit dieser An-
gaben nicht erstrebt.
Babylon bildete nach Herodot ein Quadrat von 120 Sta-
dien Seite, also 480 Stadien Umfang2). Ktesias gab den Um-
fang nur auf 360 Stadien an ; Kleitarchos auf 365, entsprechend
den Tagen im Jahr8). Strabon giebt 385 Stadien, was Letronne,
und ach seinem Vorgang Groskurd und Meineke, in 365
Stadien emendirt haben4). Plinius hat 60 Milien, offenbar eine
Umrechnung der Zahl Herodots6).
') Auson. 18 ordo urbium nobilium.
*) Herod. 1 178.
s) Bei Diod. II 7.
4) Strab. XYI S. 738.
5) Plin. Y1 121, danach Solin. 56, 1.
Belach, Bevöllernngulebre. I. 31
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482
Capitel XI.
Die Burg von Ekbatana hatte nach Herodot etwa den
Umfang Athens, also etwas über 40 Stadien '), die ganze Stadt
nach Diodor 250 Stadien8) Umfang.
Der Umfang von Memphis betrug nach Diodor 150 8),
der von Theben 140 Stadien4).
Die griechischen Städte der klassischen Zeit stehen da-
gegen, mit Ausnahme von Syrakus und Athen, bedeutend zurück.
Der Umfang von Syrakus wird nach der Vollendung der Be-
festigungen des Dionysios auf 180 Stadien angegeben5). Nach
der Messung der erhaltenen Reste durch Cavallari beträgt die
Mauerlänge 27320 m, was genau 180 Schritt-Stadien (zu 157 m)
entspricht; dabei ist eine etwa 1 kin lange Strecke westlich
vom Amphitheater, auf der keine Mauerreste gefunden sind,
nicht eingerechnet6). Denselben Umfang etwa (175 Stadien)
hatte der Befestigungscomplex Athens zur Zeit des pelo-
ponnesischen Krieges, abgesehen von der Küstenstrecke von
Peiraeeus bis Phaleron: nämlich der Peiraeeus 60 Stadien, die
peiraeische Mauer 40, Athen selbst, ohne das zwischen den
langen Mauern gelegene Mauerstück 43, die phalerische Mauer
85 Stadien 7). Der Gesammtumfang des Asty allein hätte
nach den Thukydides-Scholien 60 Stadien betragen8); dieselbe
Zahl giebt auch Aristodemos 9).
Kroton soll 12 römische Milien oder rund 100 Stadien
im Umfang gehabt haben10).
Korinth hatte mit Einschluss von Akrokorinth 85 Stadien
im Umfang; die eigentliche Stadtmauer war nur 40 Stadien
lang n). Chalkis soll nach der Stadterweiterung unter Alexander
>) Herod. I 98.
“) Diod. XVII 110.
3) Diod. I 56.
4) Diod. I 45.
R) Strab. VI S. 270.
6) Cavallari, Topografia di Siracusa S. 66—68.
7) Thuk. II 18. Dion Chrysostomos giebt in runder Zahl 200 Stadien.
*) Schol. Thuk. n 13.
*) Aristod. V 3.
10) Liv. 24, 3.
”) Strab. Vm S. 379.
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Die städtische Bevölkerung.
483
einen Umfang von 70 Stadien gehabt halten1), Megalopolis
hatte 50 Stadien2), Sparta 48 Stadien Umfang8); auf 50
Stadien wird auch der Umfang von Sybaris vor seiner Zer-
störung angegeben4). Für Theben haben wir zwei wider-
sprechende Angaben; nach dem sog. Dikaearehos hätte der
Umfang 70 Stadien6), nach iDionysios 43 Stadien6) betragen;
letztere Zahl verdient wohl den Vorzug, da sie durch das
Metrum gestützt wird. Beide Zahlen beziehen sich auf die
hellenistische Zeit; da indess bei dem Wiederaufbau der Stadt
durch Kassandros der alte Mauerring wieder hergestellt wurde 7),
so haben sie auch für die ältere Zeit Geltung. Sonst haben
wir noch Umfangsangaben für
Byzantion 8)
Knosos9) . .
Ambrakia10)
Pantikapaeon u)
Delphoi18)
Iasos in Karien18)
Arados in Phoenike14)
40 Stadien
30 „
25 „
20
16
10
7
W
n
»
n
Alexandreia in Aegypten steht an Umfang allen übrigen
griechischen Städten mit Ausnahme von Syrakus und Athen
voran; aber die Ausdehnung des Mauerringes war hier nicht
durch militärische Rücksichten bedingt. Der Umfang betrug
') Sog. Dikaearehos, Beschr. Griechenlands I 26; vergl. Strabon X
S. 447.
3) Polyb. IX 2.
8) Polyb. IX 2.
4) Strab. VI S. 263 (nach Timaeos).
6) Beschr. Griech. I 12.
6) Dionys. Beschr. Griech. 94 f.
■ ’) Paus. IX 7, 4.
8) Dionys. Byz. fr. 7.
9) 8trab. X S. 476.
10) Liv. 38, 4, der etwas über 3 römische Milien angiebt.
“) Strab. VII S. 309.
12) Strab. IX S. 418.
’3) Polyb. XVI 12.
,4) Strab. XVI S. 757.
31’
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484
Capitel XI.
nach Curtius 801), nach Stephanos von Byzanz 110 Stadien2),
nach Plinius 15 Milien oder 120 Stadien8), nach einer Angabe
aus der späteren Kaiserzeit 16360 Schritt (= 24188 in)4).
Die Längenausdehnung der Stadt giebt Strabon auf 30*),
Stephanos auf 34"), Diodor auf 40 Stadien an7); die Breite
Strabon auf 7 — 85), Stephanos auf 8 Stadien8). Der wahre
Umfang betrag nach Mahmud-Bey 15800 m, die Länge 5090,
die Breite 1150 — 2250, meist 1700 m#).
Anti och eia am Orontes hatte eine Länge von 36 Sta-
dien10), oder 4 römischen Meilen11), etwa so viel wie Alexan-
dreia. Der Umfang wird auf 8000 (18000?) Schritt ange-
geben 12).
Den Umfang des servianischen Rom schätzt Dionysios dem
von Athen gleich 1S), also auf 50 — 60 Stadien oder 7 römische
Milien. Nibby14) berechnet diesen Umfang auf 7845 Schritt,
Jordan 15) auf 53/4 Milien. Bei der Vermessung unter Vespasian
') Curtius IV 8, 2.
2) Steph. Byz. unter ’AXiiardgda.
») Plin. V 62.
■*) Nach dem Laus Älexandriae bei Riese, Geograplii Latini minores
8. 140, wenn die Stadien als römische Milien verstanden werden. Vergl.
Mommsen, Abh. d. h sdchs. Gesellschaft III 273.
») Strab. XVII 793.
“) Steph. Byz. a. a. 0.
0 Diod. XVII 52.
®) Steph. a. a. 0.
9) Mahmud Bey, Mimoire sur l’antigue Alexandrie S. 15.
,0) Dion Chrysost. 47.
n) Malalas S. 232 der Bonner Ausgabe.
’2) Itinerar. Alexandri I 26 ; vergl. Ilug, Antiochien und der Aufstand
des Jahres 387 S. 6.
w) Dionys. IV 13.
u) Nibby, Mura S. 99.
,B) Topographie I 245. Nicht 54/b Milien, wie Jordan die von ihm
gefundene Länge von 28 700 römischen Fuss reducirt. Ausserdem ist ihm
das Missgeschick passirt, die 43 Stadien bei Thukydides für den Gesammt-
umfang Athens zu nehmen, während sie ausdrücklich als toO relxovs ro
gvXaaaöpevov bezeichnet werden, also das Stück zwischen der phalerischen
und der westlichen peiraeischen Mauer ausgeschlossen ist.
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Die städtische Bevölkerung.
485
ergab sich der Umfang der „ moenia “ zu 18,2 Milien1), eine
Zahl, die sich natürlich nicht auf die servianische Mauer be-
ziehen kann, sondern nur auf die bewohnte Stadt überhaupt 8) ;
wenn sie nicht, wie Nibby annahm8), verderbt ist. Den Umfang
der aurelianisehen Mauer giebt Vopiscus4) auf beinahe 50 Mi-
lien, Olympiodoros6) auf 21 Milien, die älteste Redaction der
Mirabilia auf 22 Milien an, abgesehen von den Befestigungen
auf dem rechten Flussufer. Der wirkliche Umfang beträgt
nach Bernardini 10,58, nach Nolli 11,13 Milien, oder wenn
man die Vorsprünge der Thürme einrechnet, 11,87 bezw. 12,42
Milien6). Das wären also gegen 100 Stadien.
Karthago hatte vor seiner Zerstörung nach Livius7)
23 Milien = 184 Stadien Umfang; nach Strabon8) beträgt
der Umfang der ganzen Halbinsel, worauf die Stadt sich erhob,
360 Stadien. Der Umfang des römischen Karthago wird auf
101/* Milien angegeben9).
Constantinopolis hatte nach Laonikos Chalkondylas 10)
111 Stadien, nach Phrantzes11) 18 Milien im Umfang; nach der
anonymen Regionsbeschreibung12) beträgt die Länge der Stadt
14075 Fuss, die Breite 6150 Fuss.
4. Flächenraum.
Wir besitzen meines Wissens aus dem Alterthum nur eine
einzige Angabe über die Flächenausdehnung einer Stadt. Baton
von Sinope, ein Schriftsteller etwa aus dem Anfang des n. Jahr-
J
*) Plin. DI 66.
a) Jordan, Topogr. II 87.
*) Nibby a. a. O.
4) Vopisc. Aurel. 39.
B) Bei Photios 63, 23.
®) Jordan, Topogr. I 344 A. 9.
1) Liv. Epit. 51.
») Strab. XVII S. 832.
9) Laus Älexandriae bei Riese a. a. 0.; s- vorige S. Anm. 4.
i°) Ed. Bonn. S. 388.
”) in 3 S. 238 Bonn
'*) Riese, Geogr. Lat. min. S 139, und in Seecks Ausgabe der Notitia
dignitatum.
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486
Capitel XI.
hunderts, berichtet, dass das aegvptische Theben 3700 Aruren
bedeckt habe1). Je nachdem wir die grosse oder die kleine
aegyptische Elle als maassgebend für die Arura betrachten,
und diese also auf 2756 oder auf 2025 qm ansetzen8), ergiebt
sich demnach für Theben ein Flächenraum von 1019,72 oder
749,25 ha. Indess lässt sich bei dem Zustande, in dem das
Fragment Batons uns überliefert ist, nicht mit Sicherheit be-
haupten, dass Baton wirklich von der Stadt Theben hat reden
wollen, und nicht vielmehr von ihrem Gebiete; in letzterem
Falle muss er natürlich viel grössere Zahlen gegeben haben,
als jetzt bei Stephanos zu lesen sind.
Ein um so reicheres Material bieten uns die erhaltenen
Ruinen. Leider liegen zuverlässige Messungen des von antiken
Städten bedeckten Flächenraumes bisher nur in sehr beschränkter
Anzahl vor, und ich war in der Hauptsache auf eigene plani-
metrische Berechnung angewiesen. Dass die folgenden Tabellen
unter diesen Umständen auch von annähernder Vollständigkeit
weit entfernt sind, bedarf keiner Bemerkung. Theils besitzen
wir überhaupt brauchbare Pläne nur von verhältnissmässig
wenigen Städten, theils reichen die Kräfte des Einzelnen für
eine solche Aufgabe bei weitem nicht aus. Möchten Andere
auf der hier gegebenen Grundlage einer Ortsstatistik des Alter-
thums weiter bauen.
A. Griechische und orientalische Städte.
ha
ha
Syrakus
. . 1814 I Akragas
. . . 517
Alexandreia
. . 920 Sparta
... 450
Athen und Peiraeeus . .
. . 585 Ephesos
... 415
Taras
. . 570 1 Halikamassos . . . .
. . . . 350
') Bei Steph. Byz. JiöanoXis und Porphyrion zu Ilias IX 383, an
welchen Stellen Ebert, I>iss. Sic. S. 94 statt des überlieferten Ktlrwv das
richtige hergestellt hat Die Zeit Batons ergiebt sich daraus, dass er unter
anderem ein Buch über den syrakusischen König Hieronymo6 geschrieben
hat; schon am Ende des II. Jahrhunderts würde eine solche Arbeit kaum
mehr ein Publicum gefunden haben.
a) Hultsch, Metrologie S. 356.
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Die städtische Bevölkerung.
487
ha
Lokroi Epizephyrioi .... 245
Gela 200
Rhodos 200
Kyzikos 160
Mytilene 155
Poseidonia 126
Hierosolyma 112
Messene im Peloponnes ... 95
Neapolis in Campanien ... 76
ha
Massalia 75
Tyros 75
Philippoi 67
Thasos 52
Panormos in Sieilien .... 47
Megara in Griechenland ... 40
Selinus 29
Motye 25
B. Italische Städte.
ha
Rom, aurelianische Stadt . 1230
Rom, servianische Stadt . . 426
Capua 181
Mediolanum 133
Caere 117
Neapolis * . . . 106
Ardea 85
Bononia 83
Pompei 64,7
Aqnileia 64
Angusta Taurinomm ... 47
Verona 45,6
ha
Augusta Praetoria Salassorum 41,4
Norba 34,5
Ariminum 34
Alba Fucentia 33,5
Praeneste 32
Falerii 29
Florentia 22
Surrentum 22
Pola 16,5
Signia 16
Tusculum 14
Cosa 13,5
Belege und Erläuterungen.
(Wo nicht das Gegentheil ausdrücklich bemerkt ist, beruhen die Zahlen
auf meiner eigenen Messung mit dem Amslerschen Polar-Planimeter.)
Akragas, nach dem Plan 1:15 000 bei Schubring, Abragas. Der Lauf der alten
Mauer steht nach W. hin nicht ganz sicher, sodass die Zahl nur
annähernd richtig ist.
Alba Fucentia berechnet nach Promis, Alba tav. 2 in 1 : 5000.
Alexandreia berechnet nach Kieperts Plan, auf Bl. III des Atlas Antiquus
in 1 : 100000.
Ardea , nach dem Plan des ital. Generalstabs in 1:10000, Monumevti
dell’ Instituto vol. XII tav. II (1884).
Ar On («um, nach dem Plan in Baedekers Mittel- Italien in 1:15500, wo
der Lauf der alten Mauer nach Tonini, Rimini eingetragen ist
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488
Capitel XI.
Aquileia. Nach der Bereclmung von Kandier, Archeografo Triestino n. *.
I S. 119 ff. 288500 römische Q.-Schritt =■ 62 ha; nach dem Plan bei
Maionica, Aquileia zur Römerzeit (Progr. Görz 1881) etwa 64 ha. Doch
lässt sich der Umfang der alten Stadt noch keineswegs sicher be-
stimmen.
Athen. Nach Bl. Ia der Karten von Attika von Curtius und Kaupert in
1 : 12500 hat das Asty einen Flächenraum von 229 ha, der Peiraeetis
nach Bl. II a desselben Atlas 356 ha.
Augusta Prattoria Salassorum bildet nach Promis, Aosta tav. 3 ein Rechteck
von 724 m Länge und 572 m Breite, sodass der Flächenraum 41,4 ha
beträgt.
Augusta Taurinorum bildet nach Promis, Torino ein Rechteck von 720 n>
Länge und 660 m Breite, was einen Flächenraum von 47,52 ha er-
giebt. Doch ist diese Zahl etwas zu gross, da die eine Ecke des
Rechtecks abgestumpft ist.
Bononia, nach dem Plan bei Gozzadini, Studi archeologico-topografici sulla
cittii di Bologna (Bologna 1868).
Caere, nach dem Plan in Canina, Cere antica (1 : 10000).
Capua , s. mein Campanien S. 345 und den dort gegebenen Plan in
1:25000. Der Umfang ist nur mit annähernder Genauigkeit zu
bestimmen. '
Cosa, nach Canina, Etruria marittima tav. 113 in 1 : 10000.
Ephesos bedeckte nach Wood, Ephesus S. 7 eine Fläche von 1027 acres
=- 415 ha.
Falerii (S. Maria di Fallen), nach Canina, Etruria marittima tav. 5.
Florentia, nach dem vergleichenden Plan bei Hartwig, Quellen und
Forschungen zur ältesten Geschichte der Stadt Florenz II. Theil
(Halle 1880).
Gela, nach dem auf Schubrings Untersuchungen beruhenden Plan bei Holm,
Sicilien II pl. 11 in 1 : 100000.
Halikarnassos, nach dem Plan auf Bl. VIII von Kieperts Neuem Atlas
von Hellas in 1 : 100000. Die Zahl bezieht sich auf den ganzen, von
der äusseren Befestigungslinie umschlossenen Raum.
Hierosolyma, herodische Stadt nach Kieperts Plan in 1 : 40000 auf Bl. UI
des Atlas Antiquus. Nach Besant und Palmer, The city of Herod and
Saladin S. 23 hätte der Flächenraum zur Zeit der Belagerung durch
Titus 8Vs Mill. Q.-Yards = 292,6 ha betragen, was sehr übertrieben
ist Smith, Dictionary of the Bible I 1025 rechnet 120 — 130, höchstens
180 acres = 48,6 — 72,9 ha,
Kyzikos, nach dem Plan bei Perrot, Expedition de Galatie tab. III, in
1 : 10000.
Lokroi, nach dem Plan von Dubucq in den Monumenti deTl’ Institute I
tav. 15 in 1 : 12 500.
Massalia, nach dem Plan bei Desjardins, Geographie de la Gaule II pl. 3,
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Die städtische Bevölkerung.
489
Mediolanum. Maassgebend war der Plan in Angelo Fumagalli, Vicende di
Milano duranta la guerra con Federigo I Imperadore, Milano 1778,
wonach der Lauf der Mauer auf den Plan in Baedekers Ober-Italien
(10. Aufl., 1 : 17500) eingetragen, und auf diesem die Berechnung
ausgeführt wurde. Die Zahl bezieht sich auf die durch Maximianus
Herculius erweiterte und neu ummauerte Stadt
Megara, ohne Nisaea und den Raum zwischen den langen Mauern, nach
dem Plan in 1 : 50000 auf Bl. VI von Kieperts Atlas von Hellas.
Der Umfang kann nur annährend bestimmt werden.
Messene, nach dem Plan bei Curtius, Pelopotmesos II Taf. b in 1 : 15000.
Motye , nach Coglitore, Archivio storico Siciliano nuova Serie VIII S. 825.
Sfytilene, nach dem Plan auf Bl. IX von Kieperts Atlas von Hellas, in
1 : 60000. Der Lauf der Mauer nach der Landseite hin ist unsicher.
Neapolis, nach pl. II in meinem Companien. Die kleinere Zahl bezieht
sich auf die griechische Altstadt, die grössere auf die später erweiterte
Stadt.
Novba, nach Canina, Edifizi di Roma antica VI tav. 102 in 1 : 5000.
Panormos, die Altstadt (Palaeopolis) nach Schubrings Plan (Der historischen
Topographie von Panormos I. Theil, Programm Lübeck 1870). Zur
Bestimmung der Ausdehnung der Neapolis fehlt jeder Anhaltspunkt
Philippoi, nach dem Plan bei Ileuzey, Mission en Macedoine, in 1 : 13400.
Pola, nach Kandier in Notizie di Pola, edite per cura del Municipio
Parenzo 1876, 75000 römische Q.-Schritt = 16,5 ha.
Pompei, nach Fiorclli, Relazione sugli Scavi di Pompei del 1861 — 1872
S. 10 App.
Poseidonia, nach dem Plan von Delgardette, Les Raines di Paestum pl. 1
in 1 : 18000.
Praeneste, nach Canina, Edifizi di Roma antica VI tav. 111 in 1 : 5000.
Einschliesslich der Arx (Castel S. Pietro).
Rhodos, nach dem Plan auf Bl. VIII in Kieperts Neuem Atlas von Hellas
in 1 : 15000. Die Ausdehnung der alten Stadt ist nur annähernd zu
bestimmen.
Rom. Die aurelianische Mauer umschliesst auf dem linken Ufer einen
Flächenraum von 1181,59 ha, wobei die Tiberinsel eingerechnet ist
( Motiografia dehn citta di Roma, herausgegeben vom ital. Ackerbau-
und Handelsministerium, Rom 1881, II S. 876 f.). Der Stadttheil auf
dem rechten Tiberufer (Reg. XIV) umfasst nach meiner planimetrischen
Berechnung auf Kieperts Plan (Atlas Antiguas Bl. IX) ca. 98 ha.
Also Gesammtflächenraum innerhalb der aurelianischen Mauer gegen
1280 ha, ungerechnet den Fluss. Die heutige Mauer umschliesst, den
Fluss eingerechnet, 1411,315 ha ( Monografia di Roma a. a. O.). Die
Ausdehnung der servianischen Stadt ist ebenfalls auf Kieperts Plane
berechnet. Jordan nimmt 900 ha für die 14 Regionen zur Zeit Con-
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490 Capitel XI.
stantins an ( Topogr . I S. 543); wie die Zahl gewonnen ist, erfahren
wir nicht.
Selinus, nach Cavallari, Bull. della Commissione archeologica Sicüiana
n. V (1872) 8. 8, womit meine planimetrische Berechnung auf dem
dort lteigegebenen Plane ftbereinstimmt. Auf die sog. Akropolis kommen
nach Cavallari 8,8 ha, auf die eigentliche Stadt 20 ha. Die östliche
Tempelterrasse ist dabei nicht berücksichtigt.
Signia, nach Canina, Edifizi di Borna antica VI tav. 103 in 1 : 5000.
Sparta, nach dem Plan auf Bl. VI von Kieperts Atlas von Hellas in
1 : 50000.
Surrentunt, nach Plan IX in meinem Companien, in 1 : 12500. (Die Com-
panien S. 262 gegebene Zahl von 29 ha ist zu hoch.)
Syrakus. Nach Cavallari, Topografia di Siracusa S. 19 beträgt die Aus-
dehnung von Ortygia 26,8 ha. Achradina umfasste nach meiner plani-
metrischen Messung auf dem dort beigegebenen Plan in 1 : 50000
652,5 ha, der ganze von den Befestigungen des Dionysios umschlossene
Raum, ungerechnet die Insel, 1787,5 ha. Mit dieser also 1814 ha.
Taros, berechnet von Tasconi auf seinem Plan in Fiorelli, Notizie degli
Scavi 1881 tav. 6 in 1 : 24000.
Thasos, nach dem Plan bei Conze, Base auf den Inseln des Thrakischen
Meeres Taf. II in 1 : 10000.
Tusculum, nach Canina, Tuscolo tav. 6 in 1 : 2000.
Tyros, die Insel, aber ohne die „Insel des Melikertes“, nach dem Plan
auf Bl. III von Kieperts Atlas Antiguus (Berlin 1882) in 1 : 50000.
Verona, nach dem Plan in Baedekers Ober-Italien (10. Aufl.) in 1 : 19000.
Für die Bestimmung des Mauerlaufes war der Plan bei Maffei, Verona
lllustrata, maassgebend.
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Zwölftes Capitel.
Geschichte der Bevölkerung.
Griechenland hat schon früh eine verhältnissinässig dichte
Bevölkerung erreicht. Das zeigt vor allem die grossartige
Colonisationsthätigkeit , die imunterbrochen seit den ersten
historischen Zeiten bis ins VI. Jahrhundert hinein fortdauert
und die Küsten des aegaeischen und schwarzen Meeres, Siciliens
und Unter-Italiens, von Kvpros und Kyrene mit einem Kranze
hellenischer Städte umsäumt hat. Aber auch sonst fehlt es
nicht an Beweisen. So sehen schon die Kyprien die letzte Ur-
sache des troianischen Krieges in der damals herrschenden
Uebervölkerung :
ijr or« fivgta tfüln xnrtt xiiava 7iXct(o/j(v' «[rcfpwv
(X7iiiyl<i>s IßaQUVf] ßn9vax(QVOv aXiixo; alt]!.
Ziv ( cfi tiStav IXfyae xal tv nvxivnls nganlSiaat
avvfhxo xovifiaaai [/Saptof] naftßcöxopa yaiav
gintaacti noXtuov (iiyäXr\v fpiv 'fXtaxoto,
0(f pn xtvtäautv &av(txq> ßäp of ol <f* M Tpolr/
rjgatts xxtlvovxo, Aiot cf’ hiXttexo ßovXij1).
Der homerische Katalog zählt 1186 Schiffe auf, die Aga-
memnon nach Troia geführt habe, mit einer Besatzung von je
50 oder 120 Mann; und es ist charakteristisch, dass Thuky-
dides ein Heer von etwa 100000 Mann, wie es sich danach
ergeben würde, als Aufgebot von ganz Hellas für keineswegs
bedeutend findet und der Ansicht ist, es sei nicht Menschen-
*) fr. 1 bei Schol. A. Was A 5. 6.
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492
Capitel XII.
iuangel gewesen, sondern Mangel an Geldmitteln, der das Auf-
stellen eines grösseren Heeres verhindert halte1). Bereits He-
siod 2) empfiehlt Beschränkung der Kinderzahl :
fiovvoytvrji nai( olxov n htqiocov itij
tffnßfutv ' ttif yt'cQ triofroj äf(fjat tv /jeyitgonnr,
und in Kreta ging man so weit, die I’aederastie gesetzlich zu
begünstigen, um eine zu rasche Vermehrung der Bevölkerung
zu verhindern3). Aber weder diese Bestrebungen, noch auch
die Colonisation haben vermocht, dem Anwachsen der Bevöl-
kerung Einhalt zu thun. Miletos, Chalkis, Korinthos, Megara,
welche die meisten Colonien gegründet haben, sind im VI. Jahr-
hundert grösser und blühender als jemals zuvor. Griechenland
gelangt in dieser Zeit auf den Punkt, der regelmässigen Zu-
fuhr fremden Getreides zu bedürfen (oben S. 30).
Mit dem Ende des VI. Jahrhunderts kommt die Coloni-
sationsthätigkeit vorläufig zum Abschluss. Aber nichts könnte
verkehrter sein, als daraus auf einen Stillstand der Volksver-
mehrung schliessen zu wollen. Der Grund ist vielmehr einfach
der, dass fast alle zu Colonialgründungen geeigneten Gebiete
bereits mit griechischen Colonien besetzt waren. Es sind
wahrlich nicht die Ansiedler gewesen, an denen es damals ge-
fehlt hat. Wo immer im Bereiche der griechischen Welt zur
Erwerbung eigenen Grundbesitzes Gelegenheit war, strömten
sie zu Tausenden herbei; man denke an Hierons neu gegrün-
dete Stadt Aetna, an Thurioi, Amphipolis, Herakleia in Italien,
Epidamnos, Herakleia Trachinia. Ueberhaupt musste der fünfzig-
jährige Frieden, dessen Griechenland mit wenigen Unter-
brechungen seit dem Ende der Perserkriege genoss, und der
wirtschaftliche Aufschwung, den er im Gefolge hatte4), dem
Anwachsen der Bevölkerung sehr förderlich sein; wie denn
>) Thuk. I 10. 11.
*) Ergo, 376 f.
s) Aristot. Polit. II 1272a: rtQo; tijv ihyoair(ar mg wipfXiptor
77 oXXa 7TKfUoa6(ft]X(V <5 vouo!HiTji xa\ nQog rijr Jtd£e v£iv Ttöv yvvaixtür,
tva fj.r) 7t oXvtixvo'hh, rijv 7T Qog rovg ctQptra; 7t oiijdaq LuiXlar.
*) Vergl. z. B. Diod. XI 72.
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Geschichte der Bevölkerung.
493
Thukydides ausdrücklich hervorhebt, welch zahlreiche junge
Mannschaft in Attika und im Peloponnes ums Jahr 431 vor-
handen war1).
Noch auf andere Weise hat in dieser Zeit die Bevölke-
rung Griechenlands einen ansehnlichen Zuwachs erhalten. Auf
der Stufe wirtschaftlicher Entwicklung, die in den homerischen
Gedichten geschildert wird, war Hellas im wesentlichen ein
Land freier Arbeit, die Sklaverei noch von sehr untergeord-
neter Bedeutung im Leben der Nation. Wir finden wohl ein-
zelne Sklaven und namentlich Sklavinnen in den Häusern der
Reichen, aber noch keinen eigentlichen Sklavenstand; es sind
freie Arbeiter, von denen die Felder bestellt oder die Hand-
werke ausgeübt werden. Die Erinnerung an diese Zustände
ist auch in der sonstigen Ueberlieferung lebendig geblieben;
Herodot und Timaeos sprechen von einer Zeit, wo die Hellenen
noch keine Sklaven besassen2).
Es sind die Colonien in Asien, die ja überhaupt in der
wirtschaftlichen Entwicklung dem Mutterlande vorausgeeilt
sind, die zuerst begonnen haben, unfreie Arbeiter in grösserem
Maassstabe zu verwenden. Begünstigt wurden sie dabei durch
die reichliche Sklavenzufuhr aus den nahen Barbarenländern.
Namentlich Chios hat den traurigen Ruhm, damit den Anfang
gemacht zu haben8); und noch zur Zeit des peloponnesischen
Krieges stand diese Insel unter den griechischen Sklavenstaaten
obenan. Von hier aus hat die Sklaverei sich dann seit dem
Vn. Jahrhundert in das europäische Griechenland ausgebreitet :
zuerst natürlich nach den grossen Handels- und Industrie-
städten am saronischen Golfe. Bereits Periandros (um 600 v. Chr.)
soll ein Verbot gegen das Halten von Sklaven erlassen
haben 4), das begreiflicher Weise ohne dauernde Wirkung blieb ;
') Thuk. II 8: TOTf Ji xal viöttjt noXXtj fth ovoa (v rij IJeXo-
7iovvqOui, noXXr) (f tv rn/'f siih]V(U<;.
*) Herod. VI 187; Timaeos fr. 67.
s) Theopomp. fr. 134 ; Poseidon, fr. 89 = Nikolaos von Damaskos fr. 79.
*) Aristoteles und Ephoros bei Herakleides Pontikos Poiü. 5 und
Nikolaos von Damaskos fr. 59; vergl. Busolt, Lakedaemonier I S. 205 f.
A. 161.
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494
Capitel XII.
bald wurde Korinth sprichwörtlich durch die Menge seiner
Sklaven, und die Nachbarstädte Aegina, Megara, Athen, die
Colonie Korkyra sind ihm gefolgt. Aber in dem grösseren
Theile des europäischen Hellas hat die Sklaverei sich im
V. Jahrhundert, abgesehen natürlich von den Leibeigenschafts-
verhältnissen in Sparta, Kreta, Thessalien, die mit der Skla-
verei im eigentlichen Sinne des Wortes nicht auf eine Linie
zu stellen sind, noch nicht ausgebreitet. Thukydides nennt
den Peloponnes im Gegensatz zu dem sklavenhaltenden Athen
ein Land freier Arbeit1). In Boeotien gab es noch zur Zeit
Alexanders nur wenige Sklaven (oben S. 174), und in Phokis
und Lokris ist die Sklaverei erst um diese Zeit eingedrungen 2).
Die Gesammtbevölkerung der griechischen Halbinsel ein-
schliesslich Makedoniens und der umliegenden Inseln zu Anfang
des peloponnesischen Krieges wird mit ziemlicher Sicherheit
auf rund 3 Millionen veranschlagt werden können, wovon etwa
1!e Million auf die Leibeigenen in Lakonien, Thessalien, Kreta
und etwa ebenso viel auf die Sklaven im eigentlichen Sinne
des Wortes entfallen mag. Das ergiebt bei einem Flächen-
raum von etwa 115000 qkm eine Volksdichtigkeit von 26 auf
1 qkm. Aber diese Bevölkerung war sehr ungleich vertheilt.
Die stärkste Volksdichtigkeit fand sich an den Ufern des sa-
ronischen Golfes, wo ja auch die grössten Städte Griechen-
lands, Athen und Korinth, sich erhoben. In Attika kommen
gegen 90, in Argolis gegen 70 Einwohner auf 1 qkm. Auch
Boeotien mag gegen 60 Bewohner auf 1 qkm gezählt haben.
Sonst hatten auf dem griechischen Festlande in dieser Zeit nur
etwa die eleiische Tiefebene und das Eurotasthal eine ähnliche
Volksdichtigkeit aufzuweisen. Im Peloponnes mit Ausschluss
von Argolis werden etwa 30 Menschen auf dem qkm gewohnt
haben, in der thessalisehen Ebene reichlich ebenso viel. Da-
gegen hatten die Gebirgslandschaften westlich von Boeotien
und Thessalien nur eine sehr dünne Bevölkerung, und dasselbe
*) Tliuk. I 141 : auTouQyot rt j'«p itai nO-onorrrjaiot. Es ist cha-
rakteristisch, dass diese Stelle bisher sogut wie unbeachtet geblieben ist.
*) Timaeos fr. 67, oben S. 175.
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Geschichte der Bevölkerung.
495
gilt von Euboea mit Ausnahme der nächsten Umgebung von
Chalkis und Eretria. Die Volksdichtigkeit in diesen Gebieten
mag im Mittel 15 — 20 auf I qkm betragen haben, und ist in
Aetolien noch hinter dieser Zahl zurückgeblieben. Noch viel
schwächer bewohnt war Ober-Makedonien, wo nicht mehr als
6 Einwohner auf den qkm entfielen, während Nieder-Makedo-
nien und die Chalkidike verhältnissmässig recht gut bevölkert
waren (17 bezw. 32 auf 1 qkm), und die fruchtbare Halbinsel
Pallene mit über 60 Einwohnern auf 1 qkm sogar zu den best-
bevölkerten Gebieten in Hellas gehörte. Auch die Kykladen
und die jetzt sogenannten ionischen Inseln scheinen eine starke
Bevölkerung gehabt zu haben; namentlich Korkyra hat mit
etwa 90 Einwohnern auf dem qkm alle festländischen Land-
schaften ausser Attika an Volksdichtigkeit übertroffen.
Für die Colonien fehlen uns die nöthigen Grundlagen zu
einer ähnlichen Berechnung. Da indess allein die sicilisch-
italischen Griechenstädte eine Bevölkerung von 1 Million oder
darüber gezählt haben, so wird die Gesamnttbevölkerung aller
Colonien am Ende des V. Jahrhunderts kaum viel geringer,
andererseits aber auch nicht wesentlich höher gewesen sein als
die Bevölkerung des Mutterlandes. Nur bildeten in den Colo-
nien die Sklaven und Leibeigenen einen viel grösseren Bruch-
theil der Bevölkerung als im eigentlichen Griechenland.
Man hat nun behauptet, dass der peloponnesische Krieg
einen Rückgang der Volkszahl zur Folge gehabt habe. Und
wenigstens für Attika ist das unzweifelhaft: die Bürgerzahl
Athens hat nie wieder die Höhe erreicht wie vor der Pest der
Jahre 430—427, und auch die im Jahre 432 vorhandene
Sklavenzahl ist erst in der demosthenischen Zeit wieder er-
reicht worden. Aber dieser Rückschlag war in weit höherem
Maasse eine Folge der Pest als des Krieges; und die Pest blieb
im europäischen Griechenland im wesentlichen auf Attika be-
schränkt1). Auch hat keine zweite griechische Landschaft
auch nur annähernd so viel vom Kriege gelitten wie Attika.
Ja der bei weitem grösste Theil Griechenlands ist von den
>) Thuk. II 47. 37.
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496
Capitel XII.
Verheerungen des Krieges direct so gut wie gar nicht berührt
worden. Und überhaupt ist es eine bekannte Erfahrung, dass
selbst viel blutigere Kriege, als der peloponnesische gewesen
ist, in Zeiten steigender Volkswirthschaft nicht im Stande sind,
die Vermehrung der Bevölkerung in fühlbarem Maasse auf-
zuhalten.
Wir haben denn auch Beweise genug dafür, dass die Be-
völkerung Griechenlands bis auf Alexander im beständigen
Wachsen geblieben ist. Demosthenes spricht es als eine ganz
unbezweifelte Thatsache aus, dass Griechenland zu seiner Zeit
unvergleichlich stärker bevölkert sei, als zur Zeit der Perser-
kriege1). Eben dahin führt die Leichtigkeit, mit der seit
dem Beginn des IV. Jahrhunderts grosse Söldnermassen in
Hellas zusammengebracht werden. Platon und Aristoteles be-
schäftigen sich lebhaft mit der Gefahr einer Uebervölkerung
und bringen sehr radicale Maassregeln zu ihrer Abwendung in
Vorschlag®). Isokrates weist um die Mitte dieses Jahrhunderts
(346) Philippos auf die Nothwendigkeit hin, dem Unterschüsse
der griechischen Bevölkerung ein Ventil zu öffnen durch die
Eroberung und Colonisirung von Asien8). Zwölf Jahre später
wurde dieser Wunsch durch Alexandros verwirklicht. Die
grossartige Colonisationsthätigkeit der nächsten 50 Jahre zeigt
uns, welch gewaltige Masse überschüssiger Volkskraft Griechen-
land noch ums Jahr 300 zu Gebote stand. Sie giebt den Be-
weis, dass es keineswegs ein Stillstand in der Volksvermehrung
gewesen ist, der die Expansion der griechischen Rasse in der
Zeit von den Perserkriegen bis auf Alexander gehemmt hat,
sondern die Ungunst der politischen Verhältnisse. Nur ein
Volk, dessen Zahl in rascher Zunahme begriffen ist, kann
leisten, was Griechenland in dem halben Jahrhundert nach
Alexander geleistet hat.
*) Demosth. Phil. III 40: Intl rpt yt xal aatpanav nXij9o(, xal
/Qtjfjnjuv xal rijt llXltji 7i a(>uoxtvi)c aif>9ov(a xal rälXa, oi ; av ne
laxvtiv to f noltti xp/vot, vvv anaot xal Tiltlbi xal pf((<o An! näv
TOT« 7toXXt{/.
*) Vergl. Malthus, Principle of pojnilation book I ch. 13.
a) Isokr. Philippos 120 f.
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Geschichte der Bevölkerung.
497
Auch die Sklaverei hat in Griechenland während des
IV. Jahrhunderts an Boden gewonnen. Von den Grossstädten
am saronischen Golfe verbreitet sie sich in diesem Zeiträume
über die ganze Halbinsel; der Unterschied zwischen Staaten
mit freier Arbeit und Sklavenarbeit verschwindet1). Die Folge
dieser Bewegung musste selbstverständlich eine bedeutende
Vermehrung der Sklavenzahl im europäischen Griechenland sein.
Wenn also die griechische Halbinsel im Jahre 432 etwa
3 Millionen Einwohner gezählt hat, so ist diese Zahl in
Alexanders Zeit weit überschritten worden. Die ziffer-
mässige Bestimmung dieser Vermehrung ist allerdings kaum
möglich, schon deswegen, weil wir Uber die Bevölkerungszahl
Griechenlands im V. Jahrhundert nur ganz ungefähr unter-
richtet sind. Das Gesammtaufgebot der hellenischen Bundes-
staaten Philipps, d. h. Griechenlands südlich vom Olympos,
mit Ausnahme Spartas und wohl auch von Epeiros, soll im
Jahre 337 200000 Mann zu Fuss und 15000 Reiter betragen
haben3). Dass der korinthische Bund ebenso wie der thessa-
lische 8) seine Heeresmatrikel gehabt hat, ist unzweifelhaft ; um
so mehr, ob unsere Angabe auf dieser Matrikel beruht.
Allerdings muss die Zahl der Reiter, die Griechenland in dieser
Zeit aufstellen konnte, 15000 wenigstens nahe gekommen sein;
dass aber die Hoplitenzahl der griechischen Staaten 200000
bei weitem nicht erreicht hat, können wir mit voller Sicherheit
aussprechen. Bei der trüben Quelle, der wir die Angabe ver-
danken, ist es unmöglich, irgend welche statistische Folgerungen
daraus zu ziehen. Immerhin werden wir die Gesammtbevölke-
rung der Halbinsel zur Zeit der Schlacht bei Chaeroneia auf
etwa 4 Millionen Einwohner veranschlagen können, wovon
2Va Millionen Freie und 1 V* Millionen Sklaven und Leib-
eigene.
Seit Alexanders Eroberungen ergiesst ein starker Strom
l) Vergl. die delphischen Freilassungsurkunden für die Staaten des
westlichen Mittelgriechenland; für den Peloponnes s. oben S. 157.
s) Justin. IX 5, 6.
8) Xen. Hell VI 1, 8; 2, 19: s. oben S. 199.
Belocb, Bevöfterangslehre. I. 32
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498
Capitel XII.
hellenischer Auswanderung sich über den Orient. Und bald
verdrängt der Aufschwung der neuen Colonialländer im Osten
das griechische Mutterland aus seiner bisherigen Stellung als
industrielles und commercielles Centrum der civilisirten Welt:
der Glanz von Athen und Korinth verblasst vor dem Glanz
•
von Alexandrien und Antiochien. Die griechische Halbinsel
hatte schon längst eine grössere Bevölkerung, als sie aus
eigenen Mitteln zu ernähren vermochte; es ist begreiflich,
dass die Volksvermehrung jetzt zum Stocken kommt, mit Aus-
nahme etwa der Landschaften im NW., Aetolien und Epeiros,
die erst seit Alexander der Cultur erschlossen wurden. Aber
es scheint nicht, dass die Bevölkerung des eigentlichen
Griechenland bis auf die ersten römischen Zeiten sich wesent-
lich vermindert hätte. Der epeirotische Bund zählte im Jahre
168 auf etwa 8000 qkm eine Bevölkerung von 300000 Ein-
wohnern oder 38 auf 1 qkm1). Es ist nicht wahrscheinlich,
dass das epeirotische Bergland, ein Gebiet ohne Handel und
Industrie und ohne jeden grösseren städtischen Mittelpunkt,
dichter oder auch nur ebenso dicht bewohnt gewesen sei, wie
der Peloponnes oder Mittelgriechenland: während andererseits
allerdings Makedonien eine dünnere Bevölkerung gehabt haben
wird, als Epeiros. Rechnen wir demnach die Dichtigkeit von
38 Einwohnern auf 1 qkm als Durchschnitt für die ganze
griechische Halbinsel und die umliegenden Inseln, so ergiebt
sich auf 115000 qkm eine Bevölkerung von 4370000. Lassen
wir Makedonien unberücksichtigt, so ergiebt sich für den Rest
des europäischen Griechenland immer noch eine Bevölkerung
von über 3 Millionen, gegenüber etwa 2 V« Millionen im V. Jahr-
hundert. Es bedarf keiner Bemerkung, auf wie unsicherer
Basis diese Berechnung ruht, aber sie wird durch die Ergeb-
nisse der Einzelforschung bestätigt.
Erst im U. Jahrhundert beginnt eine fühlbare Abnahme
der Bevölkerung, und zwar, wie Polybios ausdrücklich hervor-
hebt, trotz des herrschenden Friedens, und obgleich Griechen-
land in dieser Zeit von ansteckenden Krankheiten verschont
>) Oben S. 195 f.
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Geschichte der Bevölkerung.
499
blieb1). Und diese Volksabnahme hat fortgedauert bis in die
Kaiserzeit, befördert durch die Kriege, deren Schauplatz Griechen-
land im letzten Jahrhundert der Republik bildete2). Freilich
sind die Klagen über den Verfall mitunter sehr übertrieben;
die Inschriften zeigen vielmehr, dass noch im I. mid II. Jahr-
hundert nach unserer Zeitrechnung ein kräftiges Municipalleben
in vielen Theilen Griechenlands heirschte. Athen hat unter
den Antoniuen dieselbe, ja eine höhere Ephebenzahl als vor
der Katastrophe des mithradatischen Krieges; Messene muss
nach einer Ephebeninschrift aus 131 n. Chr. gegen 5000 Bür-
ger gezählt haben. Abfer dass die Bevölkerung Griechenlands
in dieser Zeit in der That sehr gesunken war, ist allerdings
unbestreitbar.
Während so die Volksvermehrung seit Alexander im eigent-
lichen Hellas zum Stillstand kam, beginnt für den neu erschlos-
senen Orient eine Periode des glänzendsten Aufschwungs.
Kleinasien und Syrien füllen sich mit hellenischen Städten.
Die Bevölkerung von Aegypten hat sich zwischen 300 v. Chr.
und 70 n. Chr., wenn unsere Angaben richtig sind, von 3 Mil-
lionen auf etwa 8 Millionen vermehrt. Wie stark die Bevöl-
kerung in Syrien an wuchs, zeigt die Ausbreitung der Juden
*) Polyb. 37, 4, 4: Intayhv iv xoig xu&' tjuclg xtapoig T i)V 'EXXüäu
nüauv unaidiu xal ovXXrjßdriv uXiyurfhjamla, dt ijv ui xt noXtig ffijpij-
fxutO-nauv xal utf oylav tlvai ovrfßuxvt , xalnlq ovxe noitfAwv avyrmr
(ayrixoitüv tjuiig avxt l.otuixon1 7t f-ninj unfair . Ueber die Entvölkerung
Thessaliens am Ende des III. Jahrhunderts s. Philipps Brief an die
Larisaeer (Cöllnitz, Dial.-Imchr. I 345, oben S. 201); in Makedonien selbst
musste Philipp nach Kynoskephalae die Kinderzacht durch gesetzliche
Maassregeln befördern (Liv. 39, 24).
®) Plut. über den Verfall der Orakel S. 414a: r ijg xotvrjg ohyardytu {,
fjv ul txqÜx(qui axuoug xul ot nöXeuoi 7x(qI xtüauv üfioO re xr/v olxov-
fxi vxjv änttoyttoavxo, nXiiaxov utoog rj 'EXXug jjtx(rsyx\xt ' xal uohg uv
vOv oXx) naQaoyoi rgiayiXlovg onXtxu g, Saovg ij Mtyagitov uta noXig
iterxifiipcv ils IlXaxatfag. Dion Chrysost. II S. 11: oiy 6 Hrjvtibg dt
Iqx\uov (lei BixxaXiug , ovy 6 AüSmv Siü tx,g IdQxaälug uvaoxaxov
yevo/xtvrjs; Ueber Euboea ebenda I S. 233. Strabon ist voll von ähnlichen
Klagen: VII 325, VIII 388 von Aetolien und Akamanien, VII 322, IX
429 von Epeiros, VIII 362 von Lakonien, VIII 388 von Arkadien, VIII 403
von Boeotien. Vergl. Clinton, Faxti Hell. II 2 S. 432 f.
32*
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500
Capitol XII.
auf alle Nachbarländer, die in dieser Periode erfolgte. Klein-
asien und Syrien haben in dieser Zeit die ganze Welt mit
Sklaven versorgt. Wohl mögen die Krisen der mithradatischen
Kriege einen Stillstand oder auch Rückgang gebracht haben;
aber in der Kaiserzeit finden wir die Bevölkerung dieser Ge-
biete wieder im Fortschritt, namentlich im inneren und nörd-
lichen Kleinasien, das bisher wenig Antheil an der Culturent-
wicklung genommen hatte.
Wenden wir uns jetzt nach dem Westen. Die Bevölkerungs-
verhältnisse Siciliens haben sich im allgemeinen parallel mit
denen des Mutterlandes entwickelt, nur dass der Verfall hier,
in Folge der punischen Kriege, schon etwas früher begonnen
hat, dann aber im II. Jahrhundert eine Periode der Nachblüthe
folgt, in der das Deficit der freien Bevölkerung durch eine
grossartige Sklaveneinfuhr ausgefüllt wird. Unter-Italien muss
im V. Jahrhundert ziemlich bevölkert gewesen sein, wenn auch
kaum so stark wie Sicilien. Die Fortschritte der Brettier im
IV. Jahrhundert, später der hannibalische Krieg haben diese
Blüthe geknickt. Die griechischen Städte sanken unaufhaltsam ;
seitdem ist Grossgriechenland eine der menschenleersten Land-
schaften in Italien.
Die ganze italische Halbinsel südlich des Apennin hat bis
zum Ausbruch des haimibalischen Krieges eine freie Bevölke-
rung von etwa 2 1la Millionen gezählt ; einschliesslich der Skla-
ven werden etwas über 3 Millionen anzunehmen sein, oder
22 — 24 auf 1 qkm. Und es scheint nach den Ergebnissen des
römischen Census, dass diese Bevölkerung im IV. Jahrhundert
nicht schwächer, vielleicht sogar noch etwas stärker gewesen
ist, wie wir es bei den unaufhörlichen blutigen Kriegen, welche
die römische Hegemonie begründet haben, auch kaum anders
erwarten dürfen. Der hannibalische Krieg hat einen weiteren
Rückschlag gebracht. Die römische Bürgerliste sank von
273000 im Jahre 229 auf 214000 im Jahre 203; und da die
Bundesgenossen durch den Krieg noch schwerer gelitten hatten,
als die Römer selbst, wird ihre Zahl mindestens in glei-
chem Verhältniss abgenommen haben. Allerdings traf der Ver-
lust die waffenfähigen Männer in viel stärkerem Maasse als
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Geschichte der Bevölkerung.
501
die Gesanuntbevölkerung , so dass der hannibalische Krieg die
Volkszahl Italiens doch nur um wenige hunderttausend Köpfe
vermindert haben kann. Und jedenfalls ist das Deficit sehr bald
ausgeglichen worden. Schon im Jahre 178 ist die vor dem
Kriege vorhandene Bürgerzahl wieder erreicht. Die nächsten
Aufnahmen weisen eine weitere Steigerung auf, bis zu der
von 164 3, die 337000 Bürger ergeben hat, entsprechend
einer bürgerlichen Bevölkerung von reichlich einer Million, aller-
dings bei gegen 229 bedeutend erweiterten Grenzen. Es ist nicht
wahrscheinlich, dass die Latiner und Bundesgenossen, deren
Gebiet durch den hannibalischen Krieg eine bedeutende Schmä-
lerung erlitten hatte, die durch die Gründung der latinischen
Colonien im diesseitigen Gallien keineswegs ausgeglichen war,
sieh im selben Verhältniss vermehrt haben sollten; sie mögen
etwa den Bevölkerungsstand vor dem hannibalischen Kriege
wieder erreicht haben.
Damit ist für jetzt der Höhepunkt der freien Bevölkerang
erreicht, und es beginnt eine, wenn auch zunächst noch sehr
unbedeutende Abnahme. Die Zählungen von 135 und 130 er-
gaben nur 318000 römische Bürger, ein Resultat, das die
Staatsmänner der Zeit ernstlich beunruhigte und zum Theil
die gracchischen Reformen veranlasst hat. Die Bürgerkriege
haben eine weitere Verminderung gebracht: im Jahre 69, als
ganz Italien diesseits des Padus das römische Bürgerrecht er-
halten hatte, wurden 910000 Bürger gezählt, oder eine bürger-
liche Bevölkerung von 2 Vs bis 2aU Millionen Einwohnern. Und
diese Verminderung hat bis auf den Anfang von Augustus’ Re-
gierung fortgedauert, wie die Gesetze beweisen, die Augustus
zur Hebung der Bürgerzahl erlassen hat. Aber das Deficit
wurde reichlich ersetzt durch die beständig wachsende Sklaven-
zahl. So mag Italien einschliesslich der Transpadana am An-
fang von Augustus' Alleinherrschaft etwa 5 Vs Millionen Ein-
wohner gezählt haben, gegenüber vielleicht 4 Millionen in
Hannibals Zeit. Die Friedensperiode der ersten Kaiserzeit hat
dann wieder eine Vermehrung auch der freien Bevölkerung
gebracht, so dass Italien unter Claudius wohl an 7 Millionen
Einwohner gezählt hat.
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502
Capitel XII.
Noch grösser muss der Zuwachs der Bevölkerung während
der Kaiserzeit in den westlichen und nördlichen Barbarenlän-
dern gewesen sein, denen erst die römische Eroberung eine
höhere Gesittung gebracht hat. Wie in Asien nach Alexander,
so wachsen jetzt hier überall Städte aus dem Boden, die zum
Theil in kurzer Zeit zu bedeutender Blüthe gelangt sind. Aber
es fehlen uns die Mittel, um die Höhe dieser Vermehrung
in Zahlen auszudrücken.
Dafür ist es jetzt möglich , wenigstens zu einer annähern-
den Schätzung der Volkszahl der civilisirten Welt, oder doch
der Länder am Mittelmeer zu gelangen. Die Gesammtbevöl-
kerung des römischen Reichs bei Augustus’ Tode wird auf
50—60 Millionen Einwohner zu veranschlagen sein, wovon
etwa 2/s auf die europäischen Provinzen entfallen. Die
Gebiete jenseits des Rhein und der Donau können un-
möglich eine bedeutende Bevölkerung gehabt haben, so dass
ganz Europa um den Anfang unserer Zeitrechnung die Zahl
von 30 Millionen Einwohnern schwerlich erreicht hat. —
Soweit der Thatbestand. Eine eingehende Erörterung der
Ursachen, von denen die Bevölkerungsbewegung während des
Alterthums bestimmt worden ist, muss ich mir an dieser Stelle
versagen. Diese Frage muss von einem höheren Standpunkte
aus behandelt werden; ihre Lösung wird erst dann versucht
werden können, wenn die Bevölkerungsgeschichte der letzten
5 bis 6 Jahrhunderte näher erforscht sein wird1). Für jetzt
nur einige allgemeine Bemerkungen, mehr uin die Probleme
zu bezeichnen, als sie zu lösen.
Allen organischen Wesen wohnt der Trieb inne, ihre Art
zu vermehren, soweit es die gegebenen Existenzbedingungen
gestatten. Unter günstigen Verhältnissen also wird jede Be-
völkerung an Zahl fortschreiten. Es bedarf demnach keiner
weiteren Erklärung, wenn die Bevölkerung Griechenlands bis
zum Ende des IV. Jahrhunderts in beständigem Wachsen ge-
blieben ist. Wenn aber diese Vennehrung im III. Jahrhundert
zum Stillstand kommt, um im II. Jahrhundert einer Vermin-
*) Das wird die Aufgabe des II. Theils dieser Studien sein.
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Geschichte der Bevölkerung. 503
(lerung Platz zu machen, wenn dieselbe Erscheinung sich auch
in Italien zeigt und durch das ganze I. Jahrhundert hindurch
andauert, so haben wir hier ein Problem, das die Aufmerksam-
keit des Historikers in hohem Grade verdient, und das denn
auch bereits bei den Zeitgenossen volle Beachtung gefunden
hat. Da die Erscheinung eine allgemeine ist, müssen ihr auch
Ursachen von allgemeiner Wirkung zu Grunde liegen. Wir
dürfen also nicht die römische Herrschaft mit ihrem politischen
und wirthschaftlichen Drucke zur Erklärung heranziehen, ganz
abgesehen davon , dass die Abnahme der Bevölkerung in
Griechenland schon in einer Zeit beginnt, wo die ganze Halb-
insel noch von der Fremdherrschaft frei war. Ebenso wenig
können Kriege die Ursache sein, denn die alte Welt hat nie
zuvor eine ruhigere Zeit gehabt als die Periode von den Siegen
der Römer über Antiochos und Aetolien bis zum marsischen
und ndthradatisehen Kriege. Auch von verheerenden Krank-
heiten sind die Mittelmeerländer in dieser Zeit frei gewesen 1).
Dem Verfall der Sitten, über den in alter und neuer Zeit so
viel declamirt worden ist2), werden wir gleichfalls die Schuld
nicht zuschieben dürfen, denn es ist doch sehr fraglich, ob die
griechische Gesellschaft im II. Jahrhundert corrumpirter ge-
wesen ist als im IV., und was Italien angeht, so hat sich die
römische Bürgerzahl im I. Jahrhundert der Kaiserzeit beträcht-
lich vermehrt, obgleich die Moralität damals gewiss nicht höher
stand als im letzten Jahrhundert der Republik. Auch bleiben
die Folgen der Corruption im wesentlichen auf die oberen
Klassen beschränkt und lassen die breiten Schichten der Be-
völkerung unberührt. Dieses Anwachsen der Bevölkerung in
der ersten Kaiserzeit zeigt auch, dass die Verminderung in den
letzten beiden Jahrhunderten vor unserer Zeitrechnung keines-
wegs von abnehmender Vitalität herrührt — Völker bleiben
überhaupt ewig jung , nur menschliche Einrichtungen altern.
Die Alten selbst wollten das Schwinden der Bevölkerung von
der überhandnehmenden Ehelosigkeit und Beschränkung der
>) Polyb. 87, 4, 4.
2) Zuletzt in widerlicher Breite von Zumpt in der mehrfach citirten
Abhandlung.
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504
Capitel XII.
Kinderzahl herleiten1); es bedarf keiner Bemerkung, dass sie
das Symptom mit der Ursache verwechselt haben.
Die wahren Gründe müssen tiefer gesucht werden. In
erster Linie darunter steht offenbar das beständige Ueberhand-
nehmen der Sklaven wirthsrhaft. Als Mnason von Elateia 1000
Sklaven nach Phokis einführte, das bis dahin ein Land freier
Arbeit gewesen war, da warfen ihm seine Mitbürger vor, dass
er 1000 freie Leute um ihr tägliches Brot gebracht habe2).
Die öffentliche Meinung war im Rechte. Jeder Sklave, der
nach Griechenland, nach Sicilien, nach Italien eingeführt w urde,
musste den Nahrungsspielraum der freien Bevölkerung ein-
engen. Und eine Concurrenz mit der billigen Sklavenarbeit
wrar für den freien Arbeiter unmöglich. Er mochte froh sein,
wenn es ihm gelang, sein eigenes Leben zu fristen ; wie hätte
er daran denken können, eine Familie zu begründen und
Kinder aufzuziehen? Und die beständig zunehmende Concen-
trirung des Besitzes in wenigen Händen sorgte dafür, dass
immer mehr Bürger zu Proletariern herabsanken.
Wir sehen denn auch, dass, so wie ein antiker Staat zur
Sklavenwirthschaft übergeht, die Vermehrung der freien Be-
völkerung zum Stillstand kommt. Das älteste Beispiel dafür
bietet Attika. In der Zeit zwischen den Perserkriegen und dem
peloponnesischen Kriege hat sich den Bürgerzahl Athens in
starkem Maasse vermehrt, imgeachtet der verlustvollen Kämpfe,
die der Staat in dieser Periode fast ununterbrochen zu bestehen
hatte. In derselben Zeit hat Athen angefangen, Sklaven in
grosser Zahl in Ackerbau und Industrie zu verwenden, und
jetzt vermag es die freie Bevölkerung nicht mehr, die Verluste
durch die Pest und den peloponnesischen Krieg auszugleichen;
die Bürgerzahl bleibt vielmehr durch das ganze IV. Jahrhundert
*) Polyb. 37, 4, 6: to'iv yctn ärOQiöniüV tig aX'a(ovetav xai </ 1X0-
/orjfjoavrTjv , (Ti <Jt $if9vfx(itv txTiTQauutrwr , xal ßot’Xo/ufyoiv urjxc
yajxtiv ut]t\ fäv yäfitoai, ra yiyvd/jera x(xvn To(t(ttv , uXXtt fjöh; h •
Ttöv nXtlaicov rj <fvo, %cIqiv roß nXovatovg tovtov; xajaXimiv, xai
anaicüiüvTttq &Qei[/tu, ra/t tu; HXct&e j 6 xctxov au^&iv xtX. Dieser Glaube
hat die Ehegesetzgebung des Augustus veranlasst, die übrigens in den
Maassnahmen Philipps nach der Schlacht bei Kynoskephalae ein Vorbild
gehabt hat (Liv. 39, 24, oben S. 210).
2) Oben S. 175.
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i
Geschichte der Bevölkerung.
505
annähernd stationär. Im IV. Jahrhundert begann die Sklaven-
wirthschaft sich über den Peloponnes und das westliche
Mittelgriechenland auszubreiten, und nun ist es auch hier mit
der Volksvermehrung vorbei. In Italien fällt der Uebergang
von der freien Arbeit zur Sklavenarbeit in die Zeit gleich
nach dem hannibalischen Kriege. Auch hier ist die Folge
dieselbe: die Censuszahlen , die bis zum Jahre 164/3 in be-
ständigem Steigen geblieben waren, fangen zu sinken an,
und da die Censuszahlen nur die Männer von über 16—17
Jahren umfassen, so müssen bereits 16—17 Jahre vor 1643,
also um 180, unter der freien Bevölkerung Italiens die Sterbe-
falle die Geburten überwogen haben.
Dass also ein Zusammenhang besteht zwischen der Ver-
mehrung der Sklavenzahl und der Verminderung der freien
Bevölkerung, wird nicht in Abrede zu stellen sein. Natürlich
behaupte ich nicht, dass keine anderen Ursachen dabei mit-
gewirkt haben; ist doch die Bewegung der Bevölkerung das
Resultat aller Factoren, die im wirtschaftlichen Leben eines
Volkes wirksam sind. Aber gegenüber dem Vordringen der
Sklavenwirthschaft hat alles andere nur secundäre Bedeutung.
Wenn dann in der ersten Kaiserzeit wieder eine Vermehrung
der freien Bevölkerung erfolgt ist, so ist das allerdings zum
Theil eine Folge der Wiederkehr ruhiger Zustände und der
Eröffnung so weiter Colonisationsgebiete in Westen und Norden;
nicht zu vergessen ist aber auch, dass die Masseneinfuhr von
Sklaven aus dem Osten, wie sie in der letzten republikanischen
Zeit stattgefunden hatte, jetzt aufhört, und also die Sklaverei,
wenn sie auch zunächst ihr altes Terrain noch behauptete, doch
wenigstens keinen neuen Boden gewann.
Zum Schluss möge es mir im Interesse der leichteren
Orientirung gestattet sein, die hauptsächlichsten Resultate der
vorstehenden Untersuchungen in der Form zweier Tabellen
zusammenzustellen. Ein solcher Versuch hat freilich sein miss-
liches, da er die Nüthigung mit sich bringt, überall wohl oder
übel eine bestimmte Zahl auszusprechen. Der Leser möge sich
erinnern, dass alle hier aufgestellten Zahlen nur Annäherungs-
werthe ausdrücken, und dass keineswegs alle diese Zahlen unter
einander gleichwerthig sind.
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506 Capitel XII.
I. Griechenland um 432 v. Chr.
Nachweis
auf Seite
Areal in
qkm
Be-
völkerung
davon
Sklaven od.
Leibeigene
Bewohner
auf
1 qkm
Peloponnes . . .
| •
22300
890 000
350 000
39
Argolis1)
Arkadien
114.123. 150.
4 185
335 000
175 000
78
112. 129.
4 700
160 000
—
34
Achaia
112. 129.
2 335
75 000
—
32
Eleia
Lakonien und
112. 130.
2 660
90 000
—
34
Messenien . . .
Mittel - Griechen-
1 114. 148.
8 418
230 000
175 000
27
land
9172
485 000
170 IRK)
53
Attika
56. 99.
2 647
235 000
100000
89
Megan s
161. 173. 174.
470
40 000
20000
85
Boeotien
161. 174.
2 580
150 000
50 000
58
Phokis, Doris, I.okris
161. 175.
8 475
60000
—
17
Inseln im Osten .
15532,4
400000
170 IXM>
26
Euboea
177. 180.
3592,3
60 000
20000
17
nördliche Sporaden
177. 180.
606,8
10 000
—
17
Kykladen
177. 181.
2 701,4
130 000
50000
48
Kreta *)
West - Griechen-
159. 160.
8 631,9
200 000
100 000
23
land
19 702,9
416 000
40 000
16
Aetolien
185. 187.
4 775
60 000
—
13
Akarnanien ....
185. 189.
1585
80000
—
19
Amphilochien . . .
185. 190.
470
6 000
—
13
Epeiros*)
185. 197.
10 500
200 000
—
19
Korkyra
184. 192.
770,6
70 000
40000
91
die übrigen Inseln .
185. 190.
1 602,3
50 000
—
30
Thessalien ....
15800
460 000
250 000
29
Tetrarchien ....
Magnesia, Perrhaebia,
Malis etc
198. 201.
9 790
350 000
250000
36
198. 201.
4 710
95 000
—
20
Dolopia
198. 201.
1300
15000
—
12
Makedonien4). . .
32000
400 000
25000
12,5
Chalkidikc ....
202. 205.
4 000
100 000
25 000
25
Nieder- Makedonien
202. 213.
12000
200 000
—
17
Ober - Makedonien
202. 213.
16 000
100 000
—
6
Griechenland zusammen
114 500
3 051 000
1005000«)
26,6
*) Die Sklaven von Aegina, die oben 3. 150 nicht eingerechnet sind, sind hier mit
50000 in Ansatz gebracht (vergl. S. 05 f.), was wahrscheinlich noch xu hoch ist, da die
Insel bereits im Verfall war.
*) Kreta hatte bekanntlich eine sehr beträchtliche Zahl von Leibeigenen. Der An*
tatz auf die Hälfte der Gesammtbevölkerung ist nur Hypothese.
8) Epeiros muss im V. Jahrhundert eine bedeutend geringere Bevölkerung gehabt
haben als im Anfang des II. In Ermangelung bestimmter Angaben ist die Volksdichtig-
keit des benachbarten Akarnanien zu Grunde gelegt worden. Vielleicht ist die so er-
haltene Zahl noch etwas zu hoch.
4) Auch die Einwohnerzahl Makedoniens mag im V. Jahrhundert etwas niedriger
gewesen sein als hier angenommen.
5) Da es auch in den Staaten mit vorwiegend freier Arbeit an Sklaven nicht
gänzlich fehlte, so ist diese Zahl etwas zu niedrig.
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.
Geschichte der Bevölkerung.
507
II. Das römische Reich bei Augustus’ Tode.
| Nachweis
auf Seite
Areal in
qkm
Bevölkerung
Bewohner
anf
1 qkm
1. in Europa
2231000
23 000 000
10
Italien1)
390. 436.
250 000
6 000 000
24
Sicilien
262. 301.
26 000
600 000
23
Sardinien und Corsiea . .
445. 446.
33 000
500000
15
Spanien
Narbonensis
446. 448.
590 000
6 000 000
10
449.
100 000
1500 000
15
tres Galliae
449. 460.
535 000
3 400 000
6,3
Donauländer
461. 465.
430000
2000 000
4,7
griechische Halbinsel*) . .
—
267 000
3000 000
11
2. inAsien
665 500
19 500 000
30
Provinz Asien
225. 242.
135 000
6 000 000
44
übriges Kleinasien ....
225. 242.
412 000
7 000 000
17
Syrien
243. 249.
109 000
6 000 000
55
Kypros . . .
249. 250.
9 500
500000
52
3. in Afrika
443 000
11500000
26
Aegvpten
254. 258.
28 000
5 000 000
179
Kyrenaika
Africa5)
259. 260.
15 000
500 000
33
465. 470.
400000
6 000 000
15
römisches Reich zusammen4)
davon lateinischer Occident (einschl.
3 339 500
54000000
16
der Donauländer) ....
2 364 000
26 000000
11
griechischer Orient ....
975 500
28 000 000
28
J) Da die bürgerliche Bevölkerung des Reiche« sich während Augustus' Alleinherr-
schaft um 874 000 Köpfe vermehrt hat (oben S. 371 f.), so wird die Annahme gerecht-
fertigt sein, dass die Gesammtbevülkernng Italiens in dieser Zeit von 5*/j auf 6 Millionen
gewachsen ist. Ja ich würde geneigt sein, eine noch stärkere Vermehrung anznnehmen,
wenn ich nicht oben die Sklavenzahl für d. J. 28 v. Chr. sehr reichlich veranschlagt hätte.
2) Der Flächeninhalt der europäischen Türkei, ohne Bosnien (mit Herzegowina) und
Bulgarien, aber einschliesslich Ost-Rumeliens, betrag tnach Strelbitzky 215 330 qkm, der des
Königreichs Griechenland 51 319,3 qkm, zusammen also 266 649,3 qkm. Der Bestimmung
der Bevölkerung liegt die Annahme zu Grunde, dass das Deficit gegenüber der Volkszahl
Griechenlands am Ende des V. Jahrhunderts durch Thrakien und Südillyrien etwa compensirt
werden mochte.
3) Die Schätzung der Bevölkerung beruht auf der Annahme, dass die alte Provinz
etwa 3 000 000 Einwohner, Numidien und Mauretanien zusammen die gleiche Volkszahl ge-
habt haben.
4) Die Vasallenstaaten innerhalb der Rhein-, Donau- und Euphrat-Grenze und in
Afrika sind hier, wie man sieht, eingerechnet. Dagegen wurden die Wüstengebiete in
Syrien und Afrika bei der Bestimmung des Flächenraumes ausgeschlossen. Was die Be-
völkerung angeht, so beruhen die Zahlen für die europäischen Provinzen auf viel sichereren
Daten als die Zahlen für die Provinzen in Afrika und Asien.
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Nachträge.
Die griechische Flotte bei Salamis.
(Zu Capitel III — Y.)
Die Angaben Herodots über die Stärke der gegen Xerxes
aufgestellten hellenischen Bundesflotte und ihre Zusammen-
setzung nach einzelnen Contingenten sind, soviel ich sehe, von
allen unseren Geschichtsschreibern als baare Münze genommen
worden, ähnlich wie die Angaben über die Stärke des griechi-
schen Heeres bei Plataeae. Es wird der Mühe werth sein, zu
untersuchen, wie weit dieses Vertrauen gerechtfertigt ist.
Herodot giebt folgende Zahlen.
Flotte beim Artemision (VIII 1 — 2)
Trier«n
Athener 127
Korinthier 40
Megarer 20
Chalkidier 20
Aegineten 18
Sikyonier 12
Lakedaemonier 10
Epidaurier 8
Eretrier 7
Troezenier 5
Styrer ' 2
Keier 2
Ueberlieferte Summe 271
Verstärkung aus Athen (VIII 14) 53
Uebergegangene lemnische Triere (VHI 11) 1
[325]
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Die griechische Flotte bei Salamis. 509
Flotte bei Salamis (VIII 43—48)
Trieren
Aus dem Peloponnes:
Lakedaemonier 16
Korinthier . 40
Sikyonier 15
Epidaurier 10
Troezenier 5
Hermioner 3
Aus dem übrigen Festland:
Athener 180
Megarer 20
Ambrakioten 7
Leukadier 3
Von den Inseln:
Aegineten 30
Chalkidier 20
Eretrier 7
Keier 2
Naxier 4
Styrer 2
Kythnier 1
Krotoniaten 1
Summe der Einzelposten 366
Ueberlieferte Summe . . 378
Ueberlänfer aus Lemnos und Tenos (VIII 82) 2
Ueberlieferte Gesammtsumme 880
Dazu kommen dann beim Artemision 9, bei Salamis 7 Ftlnfzig-
ruderer, die hier ausser Betracht bleiben können.
Wie man sieht, stimmt die überlieferte Summe der Trieren
beim Artemision mit der Summe der Einzelposten; bei Salamis
dagegen ist die Summe der Einzelposten um 12 Trieren kleiner
als die von Herodot angegebene Gesammtsumme. Dass nun
diese letztere richtig überliefert ist, zeigt Herodot VHI 82,
wonach die Gesammtzahl der griechischen Trieren, einschliess-
lich der beiden aus der persischen Flotte übergegangenen Schiffe,
380 betragen hat. Es müssen also in den Einzelposten Fehler
stecken. Nun sagt Herodot von den Korinthiern, Megarern,
Chalkidiem, Eretriern, Styrem, Keiem, sie hätten bei Salamis
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510
Nachtrag zu Capitel III— V.
dieselbe Zahl von Schiffen gestellt, wie beim Artemision; eine
Textcorruptel ist also hier ausgeschlossen. Dasselbe zeigt für
die athenischen Trieren ein Vergleich mit Herod. VHI 1 und
VÜI 14. Der Fehler muss also hei den übrigen Contingeuten
gesucht werden. Hier ist zu erwägen, dass Herodot durchweg
runde Zahlen giebt: 1—5, 7, 8, 10, 12, 15, 16, 18 und von
20 ab nur Vielfache von 10. Auch die Möglichkeit, dass ein
Contingent ausgefallen ist, bleibt ausgeschlossen, da alle auf
dem plataeischen Siegesdenkmal verzeichneten griechischen See-
staaten auch bei Herodot Vorkommen. Auch dürfen wir nicht
zu viele Textverderbnisse annehmen; es sind wahrscheinlich
bei einem Contingente 10, bei einem anderen 2 Trieren aus-
gefallen. Offenbai* hat Herodot, wie bereits Duncker richtig
gesehen hat ( Gesch . d. Alterth. VII 8 270 Amn.), den Aegi-
neten 40, nicht 30 Trieren zugetheilt, d. h. die eine Hälfte des
ursprünglichen M ist in unseren Handschriften verwischt worden,
sodass A übrig blieb; die beiden übrigen Trieren werden am
wahrscheinlichsten dem Contingent von Leukas zu geben sein,
wo mit leichter Aenderung E aus r hergestellt werden kann.
Doch kommt auf diesen Punkt kaum etwas an.
Dass nun diese Angaben Herodots mit Vorsicht zu be-
nutzen sind, bedarf nach dem oben (S. 8 f.) gesagten keiner
Bemerkung. Es ergiebt sich aber auch ganz unabhängig davon
aus einer Betrachtung unserer Liste selbst. Wenn wir nämlich
von Herodots Gesammtzahl 380 die 180 attischen Trieren ab-
ziehen, so bleiben für alle übrigen griechischen Staaten zusammen
200 Trieren; es ist klar, dass der Bestand der Bundesflotte
nicht genau diese runde Zahl betragen haben kann. Mit an-
deren Wollen: die Summe ist das primäre, und erst danach
sind die Einzelposten angesetzt. Daher die runden Zahlen der
Contingente. Es haben also Herodot über die Zusammensetzung
der griechischen Flotte bei Salamis so wenig authentische An-
gaben Vorgelegen, wie über die Zusammensetzung des griechi-
schen Heeres bei Plataeae; auch diese Zahlen haben demnach
nur den Werth subjectiver Schätzungen.
Allerdings mit einer Ausnahme. Wenn Herodot die attische
Flotte beim Artemision auf 127 Trieren angiebt, so zeigt diese
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I
Die griechische Flotte bei Salamis.
511
genaue Zahl, die einzige unter lauter runden Zahlen, dass ihm
hier eine wirklich authentische Angabe Vorgelegen hat. Dagegen
die 53 Trieren, die im Laufe der Schlacht aus Athen als Ver-
stärkung ankommen, sind nur ein Lückenbüsser, um die 180
Trieren vollzumachen, aus denen nach Herodot die attische
Flotte bestanden haben sollte. Nun liegt es in der Natur der
Sache, und Herodot sagt es auch ausdrücklich, dass alle über-
haupt verfügbaren attischen Schiffe beim Artemision gekämpft
haben; und da die Hellenen in diesem Kampfe sehr starke
Verluste erlitten (Herod. VIII 16. 18), so ist es klar, dass die
Athener bei Salamis weniger als 127 Trieren gehabt haben
müssen. Die Angabe des Ktesias, wonach 110 attische Schiffe
bei Salamis gekämpft hätten, hat also eine hohe innere Wahr-
scheinlichkeit. Dabei ist es ganz besondere bemerkenswert!),
dass der Zeitgenosse Aeschylos, der ohne allen Zweifel selbst
bei Salamis mitgefochten hat, die Zahl der griechischen Schiffe
auf 310 angiebt ( Perser 339 f.). Wenn davon, wie Ktesias
sagt, 110 athenische waren, so bleiben 200 für die übrigen
griechischen Contingeute in genauer Uebereinstimmung mit
Herodot1). Es wird dadurch sehr wahrscheinlich, dass, wie
die 380 Trieren bei Herodot sich aus 180 attischen Trieren und
200 Trieren aus dem übrigen Griechenland zusammensetzen,
so die 310 Trieren bei Aeschylos die Summe aus 110 Trieren
von Athen und 200 aus dem übrigen Griechenland sind. Diese
letztere Zahl, die natürlich nur auf einer ganz ungefähren
Schätzung beruht, wäre demnach durch ein zeitgenössisches
Zeugniss gestützt. Auch an und für sieh hat sie durchaus
nichts unwahrscheinliches; nur werden wir darunter Kriegs-
schiffe überhaupt, nicht, wie Herodot will, blos Trieren zu
verstehen haben.
Athen hat also bei Salamis ein reichliches Drittel der hel-
lenischen Buntlesflotte gestellt: eine sehr ansehnliche Leistung,
namentlich wenn wir bedenken, wie jung die attische Marine
damals noch war. Den Zeitgenossen des samischen und archi-
*) Ich entnehme diese Bemerkung der noch ungedruckten Dissertation
von Giuseppe Perozzi, La Battaglia di Salamina.
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512
Nachtrag zu S. 201.
damischen Krieges freilich, die unter dem Eindruck der atheni-
schen Seeherrschaft standen, konnte diese Leistung nicht be-
sonders imponiren. Und je impopulärer Athen in Griechenland
wurde, desto grösseres Interesse hatte man dort daran, seine
Verdienste um Hellas während der Perserkriege ins hellste
Licht zu setzen. Athen sollte die Hälfte der ganzen griechi-
schen Flotte gestellt haben (Herod. VIII 44), und so wurde
die Zahl seiner Schiffe auf 180 erhöht. Dem Redner bei
Thuk. I 74 genügt auch das nicht mehr; er lässt Athen 2ia
der gesummten Schifiszahl aufbringen. So ist in maiorem
Atheniemium gloriam die Geschichte gefälscht worden.
Hera klein Trachis.
(Zu S. 201.)
Herakleia Trachis ist bekanntlich im Jahre 426 von den
Lakedaemoniem gegründet worden (Thuk. HI 92). Die Zahl
der Colonisten hätte nach Diodor (XII 59) 10000 betragen,
4000 aus dem Peloponnes, 6000 aus dem übrigen Griechen-
land. Dass diese Angabe absurd ist, bedarf keiner weiteren
Bemerkung, denn ganz Malis hat einen Flächenraum von nicht
mehr als etwa 300 qkm, und das Gebiet von Herakleia hat
keineswegs die ganze Landschaft umfasst. Immerhin war die
Stadt, wenn auch keine n ohg gvQiavÖQoe, wie Diodor sagt, so
doch keineswegs unbedeutend. Schon im Herbst des Gründungs-
jahres konnte Herakleia 500 Hopliten zu dem peloponnesischen
Corps von 3000 Schwerliewaffneten stellen, das den Aetolem
gegen Naupaktos zu Hülfe zog. Nach dem Ende des pelopon-
nesischen Krieges, um 399, liess der lakedaeinonische Hannost
Herippidas bei einem Aufstande angeblich 500 Bürger nieder-
machen (Diodor XIV 38). Die Stadt scheint also immerhin
in dieser Zeit einige 1000 Bürger gezählt zu haben.
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Register
A.= Areal, B.= Bevölkerung, Bz. = Bürgerzahl, FL = Flächenraum,
G. *= Gebiet, Sz. = Sklavenzahl.
Die kleineren Inseln, über deren Bevölkerung im Alterthum nichts bekannt
ist, sind nicht berücksichtigt. Ebensowenig die einzelnen Völkerschaften
in Gallien, Illyrien etc., die attischen Demen, und die Städte, die nur als
römische Colonien oder Municipien erwähnt sind, olme dass wir über die
Bevölkerung Nachricht hätten.
Achaeischer Bund waffenfähige
Mannschaft 155 f., Sz. 153 f.
Achaia A. 112, B. 129.
Aegosthenae Bz. 159. 12L
A eg i n a A. 113. 115, B. 122, Sz. 84.95,
attische Kleruchie 83,
Aegypten A. 254, B. 254 ff., Ge-
treideproduction 3L
Aeolis A. der Inseln 224, B. 234 ff.
Aetolien A. 183, B. 183 ff., wirth-
schaftliche Zustände 185 f.
Africa A. 465, B. 470, Volksdich-
tigkeit 466, Getreideproduction 31,
römische Colonien u. Municipien 329.
Agyrion B. 297.
Akanthos Bz. 205.
Akarnanien A. 183, B. 188 f.
Akraephia Bz. 169. 1IL
Akragas G. 262, B. 281 ff., Fl. der
Stadt 486, B. der Stadt 478.
Akroreia A. 115, B. 130.
Alba Fucentia Fl. 487.
Alea G. 115, B. 129,
Alexanders Heer 215 ff.
Bel och, BevÖIkeningslohre. L
Alexandreia in Aegypten Umfang
483 f., Fl. 486, B. 258 f. 479.
Alexandreia Troas B. 236.
Altersklassen, Vertheilung der
Bevölkerung nach — 42.
Ambrakia G. 184, B. 192 ff., Um-
fang der Stadt 483.
Amphilochien A. 163, B. 189 f.
Amphissa B. 176.
Andros A. 177, Bz. 181.
Annalisten (römische) 12.
Antiocheia am Orontes Umfang
484, B. 245.
Apameia in Syrien 245.
Apollonia in d. Chalkidike Bz. 205.
Apollonia in Illyrien B. 194.
Apulien waffenfähige Mannschaft
364, Reiterzahl 359 f., B. 426.
Aquileia Fl. 487, B. 431.
Aquitanien A. 449, B. 458 f., Pro-
vinz Aquitanien A. u. B. 459 f.
Arados Umfang 483.
Archidamos’ Heer 152 f.
Ardea Fl. 487, Verfall 422.
Arealbestimmungen 26 ff.
33
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514
Register.
Ariininum 11. 487.
Arkadien A. 112 f. 115, B. 123 ff.,
Sz. 152,
Argolis A. 112 ff, B. 116 ff, Sz. 150.
Argos G. 116, B. 116 f., B. der Stadt
478.
Arpi waffenfähige Mannschaft 359,
Grösse der Stadt 426.
Asien, römische Colonien 334, Pro-
vinz A. 223, B. 242. 502,
Aspendos B. 238.
Athamanien A. 184, B. 197.
Athen (Stadt und Peiraeeus) Umfang
482. FL 48£L 488, B. 100 f.; s. At- ,
tika.
Athos- Halbinsel A. 202, B. 204,
Attika A. 54. 8. Bürgerlisten 1 ff,
Militärkataloge 3 f., Epliebenkata-
loge 69 ff, Volkszählung 57, Bz.
57. 59. 73, Metockeu 58, 68, Sz.
84 ff., Gesammt-B. 99, Volksdich- 1
tigkeit 100. Vertheilung der Be- [
völkerung 101 f., Bz. der einzelnen
Demen 103 f., Theten 12. 80, Kle-
ruchen 81 ff-, militärische Aufge-
bote 60 ff., Getreideproduction 3L
89, Getreideimport 89; vgl. Athen.
Augusta Praetoria Salasso-
rum Fl. 487, Bz. 440.
Augustus’ discriptio Italiae
323 f., Colonien 336 ff, Municipien
339, Censusrefonn 325 ff
Babylon Umfang 481.
Babylonien A. u. B. 250 f.
Baetica A. 446, B. 447.
Baton von Sinope, Lebenszeit 482
Anm.
Belgien A. 454. 400, B. 453 f. 460.
Bevölkerungsabnahme in den
Iwiden letzten Jahrhunderten vor
unserer Zeitrechnung 502 ff.
Bewaffnung der Heere auf Staats-
kosten 18 ff.
Bithynien A. 223, B. 240 ff.
B ö c k h 36. 82 ff.
Boeotien A. 161, freie B. 162 ff.,
Sz. 124.
Bononia Fl. 487.
Bosporanisches Reich Getreide-
production 3L
Bottiaeer in der Chalkidike 205.
Brettien A. 858, B. 358, 426: die
Brettier standen nicht in der for-
mula loffatorum 359.
Britannien römische Städte 332.
Bürgerverzeichnisse 2 ff.
Bunsen 32. 394.
Byzantinische Geschichtschreiber,
Werth ihrer Zahlenangaben 12,
Byzantion Umfang 483.
Caere Fl. 487, Verfall 424.
Caesar, Werth seiner Zahlenangaben
450 ff., Colonien 336 ff, Municipien
339, Reform d. Getreidespenden 397.
Campanien B. 419 ff.
Canusium Grösse 426.
Capua Fl. 487, B. 430.
Cenomanen waffenfähige Mann-
schaft 364.
C e n s u s (römischer) 306 ff., Reform
durch Augustus 325 f., Ergebnisse
339 ff. 370 ff., Prnvinzialcensns 310 ff.
324 f.
Chaeroneia Bz. 167. 171.
Chalkidike A. 202, B. 203 ff.
Chalkis Umfang 482 f., B. 120 f.
C h a o n e r 195 f.
China B. 253 f.
Chios A- 224, B. 232 f., Sz. 93, 233 f.
Chorsiae Bz. 169. 171.
Claudius’ Census 371, Colonien 335 f.,
Municipien 338.
Clinton 32,
Constantinopolis Umfang 485,
B. 48L
Digiti-od by Cioo ,;k
Register.
515
Corsica A. n. B. 445, römische
Colonien 322. 328.
Cosa Fl. 487, Verfall 424.
Dalmatien A. 461, B. 462 ff., rö-
mische Biirgergemeinden 332 f.
Dio d or, Werth seiner Zahlenangaben
11, Abfassungszeit seines Werkes
337 Anm.
Delos A. 177, B. 182.
Delphoi Umfang 483.
Demetrios von Phaleroji , seine
Volkszählung 4. 52,
Dolopien A. 16L 183. 198. B. 2QL
Donauländer A. 46D f., B. 462 ff.,
römische Bürgergemeinden 332.
Doris in Kleinasien A. der Inseln
225. B. 226 ff.
Doris in Griechenland A. 161.
Dureau de la Malle 38.
Ekbatana Umfang 482.
Eleia A. 112. 115. B. 130 f.
Elymer G. 263, B. 225 f.
Ep eiros A. 183 f., B. 194 ff., wirth-
schaftliche Zustände 185 f.
Epidamnos B. 194.
Epidauros G. 115, B. 121 f.
Ephesos Fl. 486, B. 230 f.
Ephoros, Werth seiner Zahlcnan-
gaben 10.
Eresos Bz. 235.
Eretria B. 112 f.
Erytbrae B. 23L
Eryx B. 225.
Etenna B. 2:18.
Etrurien A. u. B. 423 £, waffen-
fähige Mannschaft 364 f., Sklaven-
wirtlischaft 423 f.
Euboea A. 177. B. 122 f.
Europa B. zu Augustus’ Zeit 502.
Fabius Pictor, sein Verzeichniss
der italischen Wehrfähigen 355 ff.
Falerii Fl. 487.
Ferentinum in Latium Bz. 441 f.
Florentia Fl. 487.
Formula togatorum 353 ff.
Fregellae B. 431.
Frentaner waffenfähige Mannschaft
360. 364.
Galati en A. 223, B. 239.
Galilaea A. 243. B. 246.
Gallia cisalpina A. 389, B. 422 ff.,
Sz. 434,
Gallia Narbonensis A. u. B. 449,
römische Colonien 331.
Galliae (tres) A. 448 f., B. 455 f.
Gallicus Ager (in Picenum) A. 320,
B. 425.
Geburtsregister L
Gela G. 262, B.289, Fl.d. Stadt 487.
Geschlechter, numerisches Ver-
hältnis 41, in ltom 401, in Italien
zu Augustus’ Zeit 413, unter der
Sklavenbevölkerung 54,
Getreideimport nach Griechen-
land, Karthago, Rom 32, nach
Athen 82,
Getreideproduction 22 ff, in
Italien 416 f-, in Sicilien 270 f., in
Thessalien 197.
Getreideverbrauch pro Kopf 32»
Gibbon 36. 394.
Griechenland Bevölkerungsgesch.
421 ff, römische Colonien und Mu-
nicipien 333 f.
Gross'griechenland A. 263, wirt-
schaftliche Zustände 264, B. 304 ff,
Verfall 425 f.
Haliartos B. 166 f.
Halieis A. 115, B. 122.
Halikarnassos Fl. 486, B. 227.
Hannibals Heer 468 f.
Heiloten 146 f.
Heraea A. 115, B. 129.
33*
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516
Register.
H e r o d o t , Werth seiner Zahlen 8, 510.
Helvetier G. 453, Volkszahl 45Q ff
Herakleia am Pontos 240.
Ilerakleia Trachis 512.
Hieronymos von Kardia, Werth
seiner Zahlen HL
Hierosolyma FL 487. B. 247 f.
Himera G. 262, B. 286 f.
Hispania s. Spanien.
Ilume 34, 86,
Hyettos Bz. 168, 171.
Hykkara B. 267.
las os Umfang 229. 463, Bz. 229.
Imbros A. 213, Bz. 82, Getreidepro-
duction 32,
Indien B. 252 f.
lonien A. der Inseln 224 f.. B. 228 ff.
Iosepos, Unzuverlässigkeit seiner
Zahlenangaben 246 f.
Iranische Hochebene A. u. B.
252.
Italien A. 388 ff., Bz. 367, Heeres-
aufgebote 318 ff. , Sz. 413 ff. , B.
413 ff. 435 ff., Bevölkerungsge-
schichte 5QQ f.
Italischer Bund Heeresmatrikel
353 ff., Heeresorganisation 36-5.
Iudaea A. 243, B. 247.
Katane G. 262, B. 288. 290.
Kaukasosländer B. 251 f.
Kenturipae Bz. 297.
Keos A. 178, Bz. 18L
Kepliallenia A. 185, B. 190.
Kibyratis A. 223, B. 238.
Kilikien A. 223. B. 238. 242.
Kleinasien A. 223 ff., B. 225 ff 249.
Kleitor A. 115, B. 129.
Kleonae s. Argos.
Knidos B. 227.
Knosos Umfang 483, B. 477.
Kolophon B. 231 f.
Kopais-See A. 162.
Kopae Bz. 168. 171.
Korinth G. 115. Bz. US ff , Sz. 85 f.
95, Umfang der Stadt 482, B. der
Stadt 478.
Kos A. 224, B. 227.
Kreta A. u. B. 153 f.
Kroton B. 264. 301. Umfang der
Stadt 482,
Ivtesikles’ Lebenszeit 4 Anm.
Kykladen A. 177 f., B. 181 f.
Kyme in Aeolis B. 235.
Kynaetha A. 115, B. 128 f.
Kypros A. u. B. 249 f.
Kyrenaika A. u. B. 259 f.
Kythera A. 114.
Kyzikos Fl. 487, B. 237.
K aesareia in Judaea B. 245.
Kaesareia in Kappadokien s. Ma-
zaka.
Kala ur eia A. 113.
Kalchedon B. 240.
Kamarina G. 262, B. 289 f.
Kaphyae G. 115, B. 129,
Kappadokien A. 223, B. 239 f.
Karien A. 223, B. 228. 242.
Karthago Umfang 485. B. 446 f. 481,
karthagische Heere 467 f.
Karystos B. 179 f.
Kastorchis 39,
Irakonien A. 112, U4, B. 131 ff;
vgl. Sparta.
Lampsakos B. 236.
Laodikeia in Syrien B. 245.
Larisa Metoeken 2Ü1 f.
Latiner waffenfähige Mannschaft 364,
Latium B. 422.
Lebadeia Bz. 167. HL
Lebensdauer (mittlere) im Alter-
thum 52,
Leichtbewaffnete Trappen UL
Lenin os A. 213, Bz. 82, Getreide-
production 32,
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I
Register.
Leoqtinoi B. 288.
Lepreon B. 130.
Letronne 36.
Lesbos A. 224, B. 234 f., attische
Kleruchie 83.
Leukas A. 184, B. ISO.
Lilybaeon B. 295.
Lipara A. 262, Bz. 290.
Lipsius 34. 394.
Lokris (in Griechenland) A. 161,
B. 126,
Lokroi (in Italien) B. 303 f., Fl. der
Stadt 487, Lokrer in Messene 288.
Lucanien A. 358, B. 358, waffen-
fähige Mannschaft 364.
Lugdunensis A. u. B. 460.
Lusitanien A. 446, B. 441 f.
Lydien A. 223, B. 232. 242,
Lykaonien A. 223.
Lykien A. 223, B. 238.
Makedonien A. 202, B. 203 ff.,
Wehrkraft 202 ff., Alexanders Heer
215 ff., Ober-Makedonien 213 f.
Mantineia G. 115, B. 125 ff.
Marruciner waffenfähige Mann-
schaft 360. 364.
M a r s e r waffenfähige Mannschaft 360.
364.
Massalia Fl. 487.
Mauretanien B. 470, römische Co-
lonien und Municipien 329.
Mazaka B. 240.
Mediolanum Fl. 487, B. 431.
Megalopolis G. U5, B. 122 f., Sz.
157, Umfang der Stadt 483, B. der
Stadt 478.
Megara FL 487, Bz. 170.
Megaris A. IM, B. 123 f., Sz. 123,
Melos A. 178, B. 181, attische Kle-
ruchie 83, 181.
Memphis Umfang 482.
Mende Bz. 203.
Messene im Peloponnes Fl. 487.
517
Messene in Sicilien G. 262, B. 288 ff.
Messenien A. 112. 114, B. 147 f.
Mesopot'amien B. 251.
Methone B. 206 f.
Methymna B. 235.
Miletos B. 228 f.
Militärdienst 13 ff.
Militärkataloge 3. 69 f. 148 f.
162 f.
Moesien A. 461, B. 464.
Molosser 125 f.
Montesquieu 34.
Moreau de Jonnfes 38,
Morgantia B. 280.
Motye Fl. 487, B. 294 f.
M y k e n e Grösse der Stadt 477, B. 118.
Mysien A. 223, B. 232. 242.
Mytilene Bz. 235. Fl. der Stadt 487.
Mvus B. 222 f.
Ä'abataeer Volkszahl 247.
Narbonensis A. u. B. ;449, römi-
sche Colonien 331.
Naupaktos B. 176.
Naxos (Insel) A. 178, B. 181.
Naxos in Sicilien G. 262, B. 288. 290.
Neapolis in Campanien Fl. 487.
Niebuhr 36, 86.
Norba Fl. 482,
Noricum A. 461, B. 463.
Xuniidien B. 270.
Olbia B. 214,
Olynthos Bz. 205.
Opus B. 176.
Orchomenos (in Arkadien) G. 115,
B. 125 ff.
Orchomenos (in Boeotien) Bz. 167.
12L
Oreos Bz. 129 f., attische Kleruchie
82. 180,
Oropia A. 56.
P a e 1 i g n e r waffenfähige Mannschaft
360. 364,
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518
Register.
Pagae Bz. 17 2.
Palaestina A. 245, B. 243 ff.
Pale B. 9. 190,
Pallene A. 202, B. 204,
Pannonien A. 461, B. 462 ff.
Panormos B. 294, Fl. der Stadt 487.
Pantikapaeon Umfang 483,
Paphlagonien B. 241.
Paros A. 178, Bz. 181.
Patavium B. 428, 430,
Peloponnes A. 109, B. 149 ff.,
Heeresanfgebote 151 ff., Sz. 150. 132,
Peltasten LL
Penesten in Thessalien 200 f,
Peraea (in Palaestina) A. 243, B. 242,
Pergamon B. 236.
Persis A. u. B. 252.
Pheneos G. 115, B. 129,
Phigaleia A. 115, B. 129.
Philippoi Fl. 482,
Phleius A. 115, B. 118,
Plioenikisches Gebiet auf Sicilien
A. 263, B. 294 f.
Pliokis A. 161, B. 123,
Phrygien A. 223, B. 239. 242.
Picenum A, 320, B. 424 f.
Pisatis A. 115, B. 120,
Pisidien A. 223, B. 238,
Plataeae G. u. B. 163 f-, Sz. 174,
Schlacht bei Plataeae 8,
Plinius, Quelle seiner Provinzialbe»
Schreibung 322 ff.
Pola Fl. 487.
Poly bios, Werth seiner Zahlen 10 f.
Polystratos, Zeit der Rede für —
107.
P o m p e i Fl. 487, B. 431. 480.
Pontos A. 223, B. 241 f.
Poseidonia Fl. 487.
PotidaeaB. 203, attische Kleruchie
83. 203, ' '
Praeneste Fl. 487.
Praetuttianus Ager A. 320, B.
344.
Priene B. 229 f.
Psophis G. 115, B. 129.
Ptolemais in Phoenike B. 245.
Puteoli B. 430.
Pydna B. 206,
Rhaetien A. 461, B. 465.
Ithegion B. 302 f.
Rhodos A. 225, B. 226, Fl. der Stadt
487, B. der Stadt 222,
Riccioli 34
Rom (Staat) G. 319 ff, Colonien und
Municipien 333 ff, Census SOS ff,
Bz. 339 ff 320 ff, B. des Reiches
507 ; (Stadt) Umfang 484 f., Fl. 487.
B. 392 ff.; vgl. Italien.
Rudiae Bz. 441.
Sabinus Ager A. 320, B. 344.
Salamis A. 56, Bz. 82 f., Getreide-
production 32, Schlacht 508.
Salasser Volkszahl 435.
Samaria A. 243, B. 247.
Samniten waffenfähige Mannschaft
364
Samos A. 224, B. 232.
Sardinien A.u.B.444ff., Getreide-
production 31, römische Colonien
und Municipien 328.
Segesta B. 295.
Seleukeia in Pierien B. 245.
Seleukeia am Tigris B. 479.
Selge B. 238.
Selinus G. 262, B. 285 f., Fl. der
Stadt 487, B. der Stadt 428 f.
Servius Tullius, sein Census 369 f.,
Geblüts- und Sterbelisten 2,
Sicilien A. 261 ff, B. 225 ff, frü-
here Schätzungen der Bevölkerung
265 f., militärische Leistungen 290 ff-,
Sz. 280 f. 292 f. 299 f., wirtschaft-
liche Zustande 264 ff, Getreidepro-
duction 220 ff., römische Colonien
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Register.
519
325 f., Bürgermunicipien 328, Lati-
nität 826 ft'.
S i d o n B. 244 f-
Signia Fl. 487.
Sikaner G. 263, B. 223 f.
Sikeler G. 263. B. 226 f.
Sikyon G. 115, B. 11s.
Sinope B. 241.
Siplinos A. 178, Bz. 181.
Sithonia (Halbinsel) A. 202, B. 204.
Skione Bz. 203.
S k 1 a v e n L ackaeischen Bunde 157 f.,
in Aegina 84, 95. Argolis 150, Athen
84 ft"., Boeotien 174, Chios 233 f-,
Euboea 180, Italien 413 ff., Korinth
85 f. 95, Korkyra 121 f., Megara 173,
im Peloponnes 150. 157, in Per-
gamon 236, Phokis 175, im Po-Land
434, in Rhodos 226, Rom 403 f-,
Sicilien 28Q f. 221 ff-, Verhältniss
der Geschlechter und Altersklassen
54, Verhältniss der im Mause ge-
borenen zu den Kaufsklaven 158,
Anwachsen der Sz. in Griechen-
land 423 f. 497, in Italien 413 ff.,
in Sicilien 299, Einfluss auf die
Bewegung der freien Bevölkerung
304 ff, Dienstpflicht 2L
Sk y ros A. 177, B. 82, Getreidepro-
duction 32,
Smyrna B. 231 f.
Solus B. 293.
S p a n i e n A. 446, B. 446 ff, römische
Bürgergemeinden 329 ff
Sparta Bz. 138 ff., Perioeken 145 f.,
Heiloten 146 ff, Heerwesen 131 ff,
Umfang der Stadt 488, Fl. der Stadt
486, B. der Stadt 478; s. Lakonien.
Spoletium Bz. 441.
Sporaden (nördliche) A. 177, B.
180 f.
Staatshandbuch des römischen
Reiches 322 ff.
Städte im Alterthum 472 ff.
St. Croix 36.
Sterbelisten 2,
Sterblichkeit im Alterthum 43 ff
Stympkalos G. 115, B. 122,
Surre nt um FL 487.
Sybaris Umfang 483, B. 264.
Syrakus G. 262, B. 275 ff, Kyllyrier
279, Umfang der Stadt 482, Fl. 486,
B. der Stadt 279. 281.
Syrien A. 242, B. 243 f.
T a ra s Fl. der Stadt 486, B. 302. 478.
Tarraconensis A. 446, B. 446 ff.
Tarsoi B. 238.
T e g e a G. 115, B. 125 ff.
Tenos A. 178, Bz. 181 f.
Teos B. 231.
Thasos A. 213, B. 214.
Theben in Aegypten Umfang 482,
Fl. 48fL
Theben in Boeotien B. 166, Sz. 174,
Umfang der Stadt 483.
Thelpusa G. 115, B. 129.
Thermae B. 287 f.
Thespiae Bz. 169. 171, B. 166.
Thesproter 125 f.
Thessalien A. 198. B. 122 ff.,
wirtkschaftlicke Zustände 197.
Thrake A. 213, B. 214 f.
Thukydides 2,
Thuria in Messenien Bz. 148 f.
Thurioi B. 304.
Timaeos 10,
Tiryns B. 118.
Torone Bz. 203.
Triphylien A. 115, B. 130.
Troezen G. 115, B. 121 f.
Tusculum Fl. 1 SL
Tyndaris Bz. 290.
Tyr os Fl. 487, B. 244 f.
Ueberlebenstafel 42.
Umbrien A. u. B. 425, waffenfähige
Mannschaft 359. 364.
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520
Register.
Veneter waffenfähige Mannschaft W a 1 1 a c e 85.
364. Wa 1 1 o n 36.
Verona Fl. 487, ü. 429. Wietersheim 38.
Vertheilung des Besitzes 24 ff.
Vestiner waffenfähige Mannschaft Xenophon 8.
360. 364.
Volkszählungen 4 ff. Zakynthos A. 185, B. 191 f.
V o s s i u s 4. I Z u m p t 87.
Berichtigungen.
S. 6 Textzeile 10 von unten 1. „der“ statt „den“.
„ 10 Anm. 2 1. „Cap. X,“ statt „Cap. VIII“.
„ 11 Textzeile 3 von unten 1. „Semiramis“ statt „Samiramis“.
„12 „ 7 „ „1- „Kaesareia“ statt „Kaisareia“.
„ 32 in der Tabelle vorletzte Zeile 1. „476,7“ und „56750“ statt „476,8“
und „56650“.
in der Tabelle letzte Zeile 1. „254,7“ statt „254,8“.
„ 46 Zeile 14 von oben 1. „von“ statt „an“.
„ 82 Textzeile 5 von unten 1. „476,7 “ statt „476,8“.
„ 83 Zeile 9 von oben 1. „415“ statt „416“.
„ 142 Textzeile 12 von unten 1. „Ritterco'rps“ statt „Reitercorps“.
„149 „ 5 „ „ 1. „160 000“ statt „150000“.
„ 1 „ „ 1. „540 000“ statt „530000“.
„ 150 „ 5 „ „am Ende des Satzes hinzuzufügen „wobei
von Aegina abgesehen ist“.
„ 221 Anm. I Zeile 1 von oben 1. „Antigenes“ statt „Antigonos“.
„ 238 Textzeile 3 von unten 1. „ Kratesippidas“ statt „Kratesippides“.
„ 262
11
oben
(gleich unter der Tabelle) „Pantellaria'
streichen.
„ 265 Textzeile 4
von
unten 1. „zuerst“ statt jüngst“.
„ 324 „
9
n
n
1. „Colonia“ statt „Colonie“.
„ 329 „
4
n
1. „1 9“ statt „29“.
„ 338 „
2
n
»
1. „2“ statt „3“, „und“ zu stfeichen.
a
1
n
n
„Portus Magnus“ zu streichen.
„ 362 Zeile 12 von oben 1. „denn“ statt „dann“.
„ 480 Anm. 5, Zeile 1 1. -„Nissen“ statt „Cissen“.
Pierer’sehe Hofbuehdruekerei. Stephan Oeibel & Co. in Altenburg.
\
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