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Full text of "Zeitschrift für wissenschaftliche Geographie"

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ZEITSCHIUFT 



FÜR 



WISSENSCIIAFTMCIIE GEOGRAPHIE 



uutev Mitberflckj-ichtigun}» tlcs 

HÖHEREN GEOGRAPHISCHEN UNTEkRTCHTS. 



lu Vfvbinünn^; mit 

TH. FKSIIIKH, A. KIllCIHIOFF, 

0. KRÜMMEL, J. REIN*, S. RHiE. TH. «CHHN'KE, F. MTESEII, 



4ieraus^r»>gebt*n von 

J. I. K EITLER 

t’.V » l n-. a r>. 

BAND VII, HEFT 1. 



INHALT; 



A. 1*. l*. LANC;r.nAAI>: Zur IV.i^e rtcr liu>rjlpn Xivcanvrr;iHilcrunsou i*6j 

(tL*3II‘l{ErllT: iM'r mittlon* l»wii«n urul m-io VcrhiiltiiiM> r.uiit Nudaon^. C!n DoitrA? zur LUiun^ der iiirli 

<linn .Al«er iIm 

MIIfÜRH: bmG .Vi>>>rc«rrr>cliifliun-zeti *>St; 

3(ETIH>I>IIv i’NO ISreKKinil ÜEU OKtKaiAPUlR. Levln: Kia eu^lLche« Urteil lH>rr gee^rAph ViMorrlchl . JOD 

MCIIIU. Vor»u.-l» «tM*s «ur Uentuuii: von pertgr«pbl!»chen NiUi]«». Völker- nnd rertunciinaineti 31S 

Li. >atlt'MANN: CrnnDetriiioiic :<tu>lien im An><.hluiS no ili« UiitcrMichuiig rK*« Kai«i'r*iublg«blr)r«a TiU 

KAKTLX: 

Tafi*l C. ficoIrttriKLeK Profil durch Seeland. Karte nnd PmeU der ln>el Toloii. Von A. P. L. r. LangcraaiU 
Tafel “■ Kartcnrküuvii zum AufaKtz über <len minieren l•>lll^o. Von O. Uuuiprcchl. 

T.nfei a. Prvül xom Aaf«atz 8br>r den mUilpnui I»onzo. Von O. <t um pre« h 1. 1 



(NÜ. Die beigenfgti-n Kartenskizzen zom Aufsatz IiI/h den mittlaren l<(uiuu »iiid irriiimlieh aU Tafel 0 
bezeU'lioct wonleu; «]ieM.-ilien lillden TaM *.} 



Preis des Baudes von 6 Heften 6 Mark. 



WKIM.^R. 

IJ K 0 0 R r 11 1 S € H K S 1 N S TI T U T. 

IsSS. 



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Beiträge iür diese Zeitschrift 

^jnd in der Form von Aufsätzen, von TcUrzeren Mitteilungen und Notizen, wie auch von 
Karten über jpgliches Thema auf dein Gesamtgebiete der wissenschaftlichen Geographie 
(Methodik der geograplu Forschung und des geograph. Unterrichts; inathemat. Geographie; 
physische (»eogi-.; Völkerkunde, Kultur- und llandelsgeogr.; (ieschicUte der Erdkunde und 
der Kartogr. ; antike und niittelulterl. Topographie) erwünscht. 

Honorar für Original-tSeitrüge GU ^I., für Ilesprechungen und Notizen BO M. pro Druck 
bogen; für Karten nach Cebereinkommen. 

Wir liefern von grösseren Abhandlungen fünfzehn, von sonstigen Artikeln fünf Exem- 
])lare den hetr. Herren Autoren gratis; etwa mehr gewünschte Exemplare werden zum 
Kostenpreise berechnet. 

Wir bitten, alle Deitriigc BeHprcchungsexeinplore und Taiischzoitschriften, sowie alle 
für die ßedaktioii bestimmten Korrespondenzen zu adressieren: „An die EeJaktion der Zeitschr. 
/'. wiee. Geographie, m Heimar“; dagegen alle auf Abonnements, Inserate oder Beilagen 
bezüglichen Korrespondenzen „An das Geographische Institut in Weimar** zu richten. 



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ZEITSCHRIFT 

V • ' 

FÜR 

WISSENSCHAmiCHE GEOGRAPHIE 



unter MitberQcksichtigung des 

HÖHEREN GEOGRAPHISCHEN UNTERRICHTS. 

In Verbindung mit 



TH. FISCHER, A. KIRCHHOFF, 

0. KRÜMMEL, J. REIN, S. RÜGE, TH. SCHÜNKE, F. v. WIESER 



heransgegeben von 



J. I. KETTLER 

(V/ e i m a r). 



VII. 



WEIMAK. 

GEOGRAPHISCHES INSTITOT. 
1890. 






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^ j • 3 V Cy-^ I V ^ 1 1 S-*. a 3 



Inhalts-Verzeichnis des VII. Jahrgangs. 






AUFSÄTZE : 

Aoitfl 

A. P. L. V. LANGERAAD: Zur Frage der litoralen NivoauverÄndorungen 265 

O. GUMPRECHT: Der mittlere Isonzo und sein Verhältniss zum Natisone. Ein Beitrag 

zur Lösung der Frage noch dem Alter dca Uonzosystema 275, S56 

V. HILBER: Erosionsbasis und Meeresverschiobungen 286 

LEVIN: Ein englisches Urteil Qber geographischen Unterricht 300 

NOHK: Versuch eines Beitrags zur Deutung von geographischen Namen, Völker- und 

Personennamen S13 

L. NEUMANN: Oromotrische Studien im Ansclüuss an die Untersuchung des Kaiscr- 

stuhlgebirgea 320, 361 

CHR. SäNDLFjR: Die homJlnnischen Erben , 333, 418 

A. nEYER: Drei Mercator»Karton in der Breslauer Stadtbibliothek . . . 379, 474, 507 

Y. GOEHLKRT: Die Bevölkcrungsverhältnisse des Russischen Reiches im Jahre 1885 . 390 
O. FEISTMANTEL: Die verschiedenen Namon indischer Ungulaton, sowie jener in den 

unmittelbar angrenzenden Ländern 393 

K. GKLCICII: Die LUngenbestimmung aus MondeshObon und Mondcskulminationon 409, 464 

Doutacher Geographentag in Berlin 413 

H. HRL^NNHOFER: Pontischc Völkemamen 415 

A. SCnCCKi Die Anforderungen an einen sogenannten Trockenkompass 449 

H. BECKER: Eine geologische Karte von Europa 488 



E. NAUMANN: Ueber den Einfluss grosser Erdspalten aut die Bewegungen des ter- 
restrischen Magnetismus, nebst Vorschlägen zn einer magnetischen Aufnahme des 



Erdballs 



493 



W. KREBS; Trigonometrischer Beweis dafür, dass die Linien des Gradnetzes eines 



Globus einander unter rechten Winkeln schneiden 



529 



LITTERATUUBLATT : 

A. V. Schweiger-Lerchonfeld: Das Mittelmeor (bespr. v. Th. Fischer.) 39 

G. Marinelli: Slavi, Tedeschi, Italiani nel costi dello Litorale Austriaco (bespr. t. 

J7t. Fischer.) 40 

Jahrbuch des Siebenbürgischen Karpaton-Yereins, 1881—1889 (bespr, v. Th. Fischer) . 41 

X. Geietbeck: Leitfaden der mathematischen und physikalischen Geographie für 

Mittelschulen und Lehrerbildungsanstalten (bespr. v. S. Günther.) 41 

G. Noä: Les formes du terrain (bespr. von V. Ililbcr.) 42 

A. Flückiger: La Mortola, der Garten des Herrn Thomas Hanbury (bespr. v. 

X7u Fischer.) 43 



75G022 



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IV 



InhaltB'UeberHicht des IV. Jahrelanges. 



Seite 



K. Dove: Das Klima des anssertropischen Südafrika mit Berücksichtigung der geo> 
graphischen und wirtschaftlichen Besiehungen nach klimatischen Provinzen dar* 



gestellt (bespr. v. H. Reittr) 43 

H. Hartl: Materialien zur Geschichte^ der astronomisch-trigouometriBchen Vermessung 

der österreichisch-ungarischen Monarchie (bospr. v. E. Gdckh) 45 

Das Russische Reich in Europa (bospr. v. K. 40 

Tikhomirow: La Hussie politlque ct sociale (bespr. v. K. Waicker) 49 

E. V. Hesse-Wartogg; Kanada und Ncu-Fundland (bespr. v. A. Kirehhoff) .... 49 
L. Hugues: Guida per rinsegnamento della geograha nello scuole prim, e sec., Pte. 1. 

(bespr. V. Th. Fkcher) 50 



KARTEN: 

Tafel 6. Geologisches Profil durch Seeland. Karte und Profil der Insel Tolen. Von 
A. P. L. V. Langeraad. 

Tafel 7. Kartenskizzen zum Aufsatz Ober den mittleren Isonzo. Von 0. Oumprecht 
NR. Diese Kartenskizzen zum Aufsatz Über den mittleren Isonzo sind irrtümlich 
als Tafel 5 bezeichnet worden; dieselben bilden Tafol 7.) 

Tafel 8. Geologisches Profil zum Aufsatz Über den mittleren Isonzo. Von 0. Gump recht. 
Tafel 9: Zeichnungen zu L. Nenmunns ,Orometrisch. Studien, im Anschluss au die Unter- 
suchung des Kaisorstuhlgebirges*. 




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Zur Frage der literalen Niveauveränderungen. 

Von Abr. P. L. v. Langoraad. 

(Hierau Tafel d.) 

Beim A nlan" der cliristlicheii Aera wurde die Stelle der heutigen nieder- 
ländischen Provinz Seeland von einer ausgedehnten aber seichten Bai, die hei 
Pliuius den Namen Helium führt, eingenommen. Im nördlichen Teile jener 
Bai mündeten zwei Anne des Rhenus und der Fluss Mosa, während die Scaldis 
ihre Wasser dem südlichen Teile zuführte. Bei Ebbe kam fast die giinze Bai 
bloss und zeigten sich zahlreiche Sand- und Kloibänko , welche letztere reich- 
lich mit SoepHanzen bewachsen waren, gleichwie die höheren Schlaramlande, 
in Seeland „Schorren“ genannt, die nur raelu- von Springfluten überschwemmt 
wurden. Das üppige See- oder Haargras, Glyceria maritima, soll schon früh 
die Bewohner des östlichen und südlichen Festlands angelockt haben , sich 
auf jene amphibischen Gründe zu begeben , um da ihr V'ieh , meistens aus 
Schafen bestehend, weiden zu la.ssen. Und einmal herubergekommem , sollen 
sie sich (biuernd niedergelassen haben auf den fruchtbaren Anschwemmungen, 
die Zusehens an Grösse wuchsen. Bei hohen Fluten, die zur Zeit der Syzygien 
und mit W.- und NW.-Winden oft das Leben der Hirten und ihrer Hecrden 
drohten, flüchteten sie sich mit Habe und Gut auf künstliche Hügel, „Terpen“ 
oder „Wierden“ genannt, die von Dünger, Seepllanzen, Sand und Klei auf- 
gebaut waren *). So wurden die verschiedenen uubedeichten Inselchen der 
Hcliumbai vom Stamme der Marsasii oder Marezaten, d. b, am Meere Gescsseno, 
allmählioli bevölkert. Welch ein ärmliches Dasein die Marsasii in ihrer „in- 
stabilis terra, ncc navigabilis aqua“ fristeten, geht klar hervor aus den 
Schilderungen des Pliuius, der sie eine „misera gens“ nennt, wahrend Virgil 
der seeländischen Bevölkerung als „extremi hominum“ Erwähnung thut! 

Zu den am frühesten bewohnten Inseln gehört Walcheren, das schon im 
Jahre 100 n. Ohr. die blühende Stadt Alt-Domburg besass, die seitdem vom 
Meere verschlungen und durch den jetzigen Badeort Neu-Domburg rcmplaciort 
worden ist. Eine andere gleichfalls sehr früh bewohnte Insel lag nördlich von 
Walcheren. und machte das Gentium der römischen Herrschaft über das Land 
der Marsasii aus. Die befestigte Hauptstadt Romanus portus, welcher Name 
noch fortlebt in dem der heutigen Schcldcmüuduiig Roompot, war eine wichtige 
Fähre nach Britannien, und gleichwie das ebenfalls verstärkte Romauum vallum 
(das spätere Romerswaal aul der Insel SUd-Bevclaud) ein Stapelplatz für die 
römischen Kaufleute ’). Beide Städte sind längst durch das Meer zeretört 
worden. 

Einen ausgezeichneten Schutz gegen die Wut der Fluten , denen die 
übrigen Inseln fast gänzlich zum Spielball dienten, gewährten die Dunen, welche 
die westliche Inselkette umkränzen. Es ist also ganz natürlich , dass hier 

q Starings Behauptung, dass nur die Insel Walcheren Terpen besessen haben solle 
(siehe sein Bodem van Nederland. I. T. 18.56. p. .'15*2). beruht auf Unkenntnis der Thatsachen. 
Auch der daraus von ihm gefolgerte Schluss Qbor die späte Besiedelung der seeländischen 
Inseln ist also fatsch. 

’) Wir müssen annehmen, dass Itoinanum vallum auf einer Torp gegründet worden ist. 
denn sonst wäre rlie frühe Ksistenz des Ortes geradezu rätselhaft. Komauus portus dagegen 
lag wahrscheinlich, gleich wie Alt-Bomburg, am Fuss der Dünen. 

22 



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26ß 



Zar Frage der Utoralcn Niveauverilndprungen. 



schon grossere Ortschaften blühten ^ als anderwärts die Bevölkerung noch eine 
mehr nomadische war. Die immer drohende Gefahr der uugezähmteu Wasser 
begann aber alsliald die Vernunft der Menschen zu schärfen und sie nacli ge- 
eigneteren Verteidiguugsinittehi sich umsehen zu lassen. Die Terpen befriedigten 
doch nicht länger das Bedürfnis, denn oft geschah es, dass sie dem Andrang 
des Wassers nachgaben und mit den auf ihnen befindlichen Menschen und 
Tieren eine Beute des unersättlichen Flutenriesen wurden. Aber noch öfter 
kam cs vor, dass die Hirtenhuuilien mit iluen Herden ertranken, bevor sic 
eine Terp hatten erreichen können. Die Not forderte also dringend Vorsehung 
in diesem unhaltbaren Zustande ! Und wirkheh triumphierte der Mensch im 
Ringkiunpf mit den wütenden Klcmenten, als am Ende des achten oder heim 
Anfang des neunten «lahrhunderts, d. h. noch während des fränkischen Zeit- 
alters *), die ersten Schorren mit Deichen umringt wurden. Die ältesten Deiche, 
natürlich von mangelhafter Konstruktion und nicht höher als 2 oder m, 
haben wahrscheinlich Tolen und Süd-Beveland aufzuweisen. Allmählich wurden 
nun zahlreiche grössere und kleinere Anschwemmungen bedeicht und später 
meistens aneinander verbunden. Daher kommt es, dass Seeland aus nicht 
weniger als ca. 450 besonderen Bedcidiungen , die man Polder *) nennt, 
zusammengesetzt ist. Die Insel Tolen allein zählt 57 solche Polder, wovon 
der grösste 1635 ha und der kleinste 2'/, ha misst. Wie man sieht, war die 
Schöpfung der Provinz ein ungeheures -Flickwerk ! 

Fast alle Polder bestehen aus den fruchtbarsten Kleiarten. Nur da und 
dort wird der flache Klei von einem mehr w'ogonden Sandboden unterbrochen. 
Alluvialsand kommt in der Mitte der Insel Schouwen-Duiveland und im west- 
lichen Teile Süd-Bevelands an der Oberfläche vor, und ist auch das Material, 
aus dem die Dünen aufgebaut worden sind. An den südlichen Grenzen von 
Seeländisch-Flandern trifft man mitten in den kultivierten Feldern auf grosse 
Bänke von diluvialem Sand, während im südöstlichen Teile jener Landschaft 
ausserdem sporadisch plioeäne Gesteine (der Crag von Antwerpen) zu Tage 
treten. Docli ist nur ein relativ kleiner Teil (nicht voll 7%) des Bodens der 
Provinz sandig und steril : fast ausschliesslich besteht Seeland aus äusserst 
funditbaren Marschen. 

Wo wir soeben von flachem Klei sprachen, bezog sich dies nur auf 
die Konfiguration der verschiedenen Polder im hesondem, nicht auf die Höhen- 
lage des Bodens im allgeintineu, denn in der Timt ist ein sehr bedeutender 
Niveauunterschied zwischen den Poldern untereinander zu bemerken. Zwar 
liegen sie fast alle unter normaler Kluthöhe ®), aber während der eine Polder 
bei Ueberströraung nur einige Centimeter vom Wasser bedeckt werden würde, 
stände es über einem anderii, der gerade daneben liegt, vielleicht 2 oder 3 in 
Loch ! Betrachten w'ir diese Differenz zusammen mit dem Alter der rc- 
spektiven Bedeichungen , so bemerken wir die Wahrheit des Gesetzes : dass 
ein Polder desto niedriger liegt, je früher er hcdcicht 
worden ist, so dass die ältesten Pol (1er den tiefsten Stand 



*) Das fränkische Zeitalter währte von 400 bis OÜO. (Vergl. .1. H. v. DaU*. Tijdtafel 
van dt* geschiedenis der provinrio Zeeland. 18öti. p. 7.) 

*) Im aUgemoinen bezi'ichnet man in Holland mit dom Namen l'oldcr ,ein Stflek 
Land, dos zur Abwehr des ÄusscDwuwters und zur AbHchüessung des lÜnnenwossers von 
Dämmen oder Deichen umringt ist.” (Vergl. A. A. Beeknmn, N<*dorland als Polderlund. 
18ö4. p. 89.) 

Die nonnale Hut erreicht in Seeland folgende Höhen — alle bezogen auf Amster- 
damer Pegel (A. P.), welcher seit 1879 auch der Nullpunkt für die prcussischen Nivellement« 
ist — : Wielingen 1,73 m. tVcstkappele 1,63 m, Vlissingen 1,74 m, Ternemum 1,94 m, Hans- 
weert 2,08 ni, Hath 2,36 m, Veere 1,47 m, Zierikaeo 1,34 m, Wemeldinge 1,63 m, Tolen 
1,82 m. Gorishoek 1,63 m, Hrouwersbaven 1,23 m, Hruinisse 1..36 m. Sint-Annuland 1,42 ni. 
Die Nonnalebbe sinkt res|)ektiv bis zu 1,81, 1,61, 1,88, 1,99. 2,04, 2.03, 1,41, 1,31, 1,59, 
1,66, 1,55, 1,17, 1,53 und 1,45 m. — A. P. (GrösstenteiU nach Beckman, 1. c. ]>p. 60 — 61 
und 293.) 



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Zur Frage der litoralon NivcauvoHindcrungen. 



2ß7 



einuehmen. Abweicliuugen von diesem Gesetze werden nur beobaclitct bei 
Poldern, die unter verschiedenen Umständen bedeicht wurden. Wird z. li. 
eine reife Anschwemmung (d. h. eine solche, die nur mehr von den höchsten 
Fluten überströmt wird) bedeicht, und einige Jahrzehnte später eine unreife, 
so wird die erstere ziemlich viel höher liegen als die letztere , denn während 
die reife Anschwemmung über normaler Fluthöhe lag, wurde die unreife noch 
regelmässig zweimal in den 24 Stunden vom Seewasser überdeckt und mit 
neuen Schlammschichtcn erhöht. In dergleichen Fällen , die übrigens sehr 
selten sind, nehmen die ältesten Polder natürlich den höclisten SUuul ein. 
Der grösste Niveauunterschied besteht selbstverständlich zwischen zwei neben- 
einander liegenden Poldern , wovon der eine vor etlichen .lahrliuiidertcn , der 
andere vor wenigen Jahren bedeicht wurde. So liegt: 

der Johanna-Mariapolder (I8ß0) 0,80 ä 1,50 m -f~ A. P. 
der südlich damn grenzende St-Annahindpolder (1475) durchschnitt- 
lich 1 m -f A. P. 

der noch südlicher liegende Pluimpotpolder (1550) 1,40 ra -j- A. P. 
der hierauf nach S. folgende Poortvlietpolder (um 950) dagegen 
1,11 m — A. P. und 

der an diesen sich anschliessende Scherpenissepolder (um 850) in der 
Mitte 1,22 Hl — A. P. *) 

Die Höhcndillerenz erreicht also hier in den üussersten Fällen einen Wert 
von 2,72 m I Und Differenzen von einem solchen Wert sind gar lucht selten. 

Viel ist schon über die Ursache dieser merkwürdigen Erscheinung ge- 
schrieben worden. Die bedeutendsten holländischen Geologen der Neuzeit, 
wie Staring, Westerhoff, Acker Stratingh , Venema u. a. haben mehr oder 
weniger glücklich versucht, in ausftUirlichcn Darstellungen eine Erklärung 
zu geben. Staring schreibt die Höhendifferenz der verschiedenen Polder der 
Zusammenpressung (holläiid. iukliiiking) der lockeren Klei-, Sand- und Torf- 
schicliten zu ; Westerhotf und Acker Stratingh geben unbedingt das Steigen 
des Meeresspiegels als Ursache an, während Veneum dieselbe in einer be- 
ständigen Senkung des Landes sucht 

In Betrt‘ff Starings Lösung der Frage kimucn wir kurz sein. Die 
Wahrscheinlichkeit einer Zusaramenpressung der lockeren alluvialen Erd- 
schichten im Laufe der Zeit darf nicht geleugnet werden. Diese Zusammen- 
Pressung kann aber keinen bedeutenden Wert erreicht haben, sonst müss- 
ten die ältesten Polder bestehen aus einer Klciart, spezifisch 
schwerer als die der jüngeren Bedeichungen. Und gerade das 
Gegenteil ist oft der Fall , denn es ist das spezifische Gewicht von Klei aus 
4 dm Tiefe : 



*) Die auKDorordontlicb hohe Lage dieMCfi doch ziemlich alten Polder» i»t mu* schein- 
bar eine Anomalie. Je gröKKOr die Diderenz zwiarhen Kbhe und Flut , desto dicker und 
hoher wird natürlich die AnHchwemmung. Der Pluimpotpolder nun war früher eine ilusserst 
Hchmale WasBerriune {wie z. Ü. gegenwärtig die Ecudnichl), w'orin die Flut von N. und 
S. ungemein hoch auf laufen konnte! 

*) Wenn nicht ausdrücklich anders gesagt, liegen alle von uns genannten oder noch 
zu nennenden Polder auf der Insel Tolen, sodass sie auf d<‘r beigegebenen Karte zu linden 
sind. Die eingeklainmerteu i^ahlen bezeichnen stet.« d;is Jahr der Bedeichung. 

•) Staring, 1. c. pp. 282— 28ü. — Westerhoff u. Acker Stratingh, Natuurlijko Historie 
van Groningen. I. T. 1889. p. SO. — Venema, Over het dalen van de noordelijke kuststreken 
van Nederland. 18o4. 

Wie inan siebt, hal>en die zulctztgcnannten Autoren nur das IMiünoinen in FnesKand 
und GrOningen speziell behandelt. Die seeluiidischen Verliültnisse sind aber den daselWt 
herrschenden so analog, doas vielfach Westerhotf-Stratinghs oder Yenemas Argumentierung 
fast wörtlich auf Seeland angewandt w'ird. Dic's geschah u. a. von G. A. v. Ge^tenbeek in 
seiner Inauguraldissortution: Proeve eener geologische vcrhamloling over de provinoic 
Zeeland gedurende het hedendaagsche tijdvak, 1875, wie auch von A. Beekman in seinem 
Aufsatz: De zeekleilandeu van Nedcrland (Tiidschrift v. h. Ned. Aardr. Gen. 2e Serie, 
II T. 1885.) 

22 * 



M. 






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2G8 



Zur Frage der litoralen Niveauverllnderungen. 



im Sclierpenisäepolder (um 850) 1,74; 
im Oudclandpolder von St.-Maarteiisdijk (um 1050) 1,80; 
im Middellandpoldcr (um 1300) 1,87; 
im Slabbecoornepolder (1494) 1,87 ; 
im Stavenissopoldcr (1594) 1,80; 
im Houworpolder (1812) 1,83 '). 

Aus diesen Ziffern gebt deutlich hervmr, wie sehr Staring den Einfluss der 
Zusammeupressung überschätzt bat. 

Auch die von I)r. Seelbeim ausges])rocbene Behauptung, dass ein Nacb- 
sinken infolge seitlicher Verschiebung, welche durch die fortdauernde Abnagung 
und Unterminierung der Flussufer veranlasst werden sollte, eine beständige 
und allgemeine Senkung des seoliindischcn Bodens verursachen wurde •), kommt 
uns wenig wahrscheinlich vor, weil solche Verschiebungen doch nur seltene und 
lokale Phänomene sind. 

Nachdem wir so gesehen haben, dass weder eine Zusammenpressuiig 
der oberen lockeren Erdschichten, noch ein Naehsiuken infolge seitlicher Ver- 
schiebung derselben, die Höhendifferenz der verschiedenen Polder zu erklären 
im Stande sind, stehen wir also vor der Frage, oh wir uns entweder der 
Westerhoff-Stratinghschen oder der Venemaschen Hypothese anschliessen wollen, 
zu welcher letzteren auch v. (jleijtenbeek*) und Beekmau *) sich bekannt haben. 

Vor 13 Jahren konnte v. Geijtenbeek, Venema citierend, noch etwa das 
F'olgende schreiben: 

„Die Theorien Westerhoffs und Stratinghs sind von zu geringem Wert, 
um denselben die richtige Lösung der schwierigen Frage zuzuerkenueu. Das 
Steigen des Meeresspiegels muss ja auch eine Ursache h.aben, die man ent- 
weder in einer fortwährenden Vermehrung des Wassers oder in einer Erhebung 
des Seebodens suchen musste. Das erstere ist zu ungereimt, um länger dabei 
zu verweilen. Das letztere, obgleich sicher wohl einigermassen statthabend, 
ist doch zu unbedeutend , um das Meeresniveau merkbar steigen zu lassen, 
und dadurch die Höhendifferenz der verschiedenen Polder zu erklären *).“ 

Aber seit v. G. dies schrieb, haben die Zeiten sich geändert, und damit 
auch die Ansichten. Die Untersuchungen von Zöppritz, Suess, Penck u. a. 
haben gelehrt, dass Leopold von Buch irrte , als er Celsius' und Linnes Be- 
hauptung, dass das Meer sich von den baltischen Küsten zurückziehe, 
für eine Absurdität erklärte : die von den grossen schwedischen Physikern ge- 
hegte Ansicht einer veränderlichen Meeresoberfläche ist jetzt eine allgemein herr- 
schende. Und damit ist auch das von Horm v. Geijtenbeek über die Westerhoff- 
Stratinghsche Hypothese gelallte Urteil mindestens sehr fraglich geworden. 
.Ja, vielleicht werden wir sehen, dass auch in Seeland die alte Anschauung 
von einem veränderlichen Meeresniveau ihre fröhliche Wiedergeburt feiert. 
Bevor wir uns aber der Entscheidung dieser Frage zuwenden , mag einiges 
über den geologischen Bau und die Entstehungsweise des sceländischcn Bodens 
in Erinnerung gebracht werden. 

Wie wir schon früher erörtert haben, besteht derselbe an der Oberfläche 
vorwiegend aus Klei , und zwar Seeklei. Zur Verständigung unserer Ter- 
minologie sei hier bemerkt, dass wir eine Bodenart als Klei bezeichnen, wenn 
dieselbe wenigstens für 10% aus kieselsaurem Thouerdebydrat — APO*; 
2 Si O*; 2 H* O ■ — besteht. Ein reiner (Quarz-) Sandboden muss mindestens 
einen Gehalt von 75 ° „ an Kieselerde — Si O* — besitzen. Der seeländischo 
Klei hat einen Gehalt von kieselsaurem Thonerdchydrat, der zwischen 10 und 
40 % variiert, im Mittel aber ungefähr 20 % beträgt. Dazu gesellen sich in 



') V. Geijtenbeek, 1, c. p. 60. 

*) Dr. F. Seelboüa, Do gronüboringen in Zeoland. 1879. pp. 25—26. 
^ 1. c. p. 63. 

*} 'riJÜHchrift V. h. Neü. Aordr. Gen. 2e Serie, II. T. 1885. p. 175. 

*) 1. c. pp. 54 — 55. 



Zur Frage der litoralen Nivoauvcrfindorungen. 



269 



der Hegel 5 ä 20 (im Mittel 10*/o) Calciumcarbonat — Ca CO* — und 
2,5 il 5 % Ferrihydroxyd — Fe^ (OH)j — . Fast alles Ucbrige ist feiner 
Ouarasand. Der tertiäre Klei oder Kiipellebm, den man bei einer Bolu-ung 
zu Goes in 93,16 ra Tiefe erreicht bat (siebe das beigegebene geologische 
Profil) , besteht aber meistens für 50 ä 90 % aus kieselsaurem Tbonerde- 
bydrat *) ! 

Oewöhnlich ruht der Klei auf einer reinen Sandscbicht. Zuweilen aber, 
nameiitlicb bei nicht allzu mächtigen Anschwemmungen, besteht kein kennt- 
licher Unterschied zwischen den beiden Alluvionen, sodass man ein Gemisch 
von Klei und Sand (d. h. wenigstens 5 “/o kieselsaurcs Thonerdeliydrat nebst 
75 ä 85 % Kieselerde) an der Obertläche findet. Endlich kommt es auch 
wohl vor, dass ein solches Gemisch auf einer reinen Sandscbicht ruht. Die 
Erklärung dieser verschiedenen Vorkommnisse ist nicht schwierig. AVenn das 
Seewiisser bei Flut seinen höchsten Stand erreicht hat, tritt cs in Stau 
(bollünd. kentering), d. b. es steht einige Minuten ganz oder nahezu still, be- 
vor es wiederum zu fallen anfiingt. AVäbrend dieses Stillstandes nun sinken 
die im AVasser schwebenden Sand- und Kleiteilchen nach unten, bis sic 
schliesslich auf den Boden kommen und sich da festsetzen. Aber die gröberen 
Sandteilcben schweben natürlich tiefer als die feineren und als die Klei- 
tcilcben, so dass die ersteren sich eher festsetzen als die letzteren. An einer 
etwas tiefen Stelle wird sich nun beim Stau eine äusserst dünne Schiebt von 
gröberem Sand niederlasseu, ohne mehr, da für die feineren Sand- und Klei- 
teilcben keine Zeit ist, um ruhig zum Boden zu sinken. Die Schicht wird 
aber fortwährend dicker, so dass endlich ein Zeitpunkt kommen muss, wo die 
gröberen Sandkörnchen nicht mehr über der Banke schweben können : dann 
beginnen der Klei und feiner Sand sich festzusetzen. Nie aber wird dieser 
Zeitpunkt anbiechen für Stellen , wo eine starke Strömung geht , wie in den 
Seegatten und Fahrstrassen, weshalb da nur (in der Kegel wandernde) Bänke 
von grobem Sand gebildet werden. An seichten Stellen, wo das Wasser stets 
in wühlender Bewegung ist. wird beim Stau ein Gemisch von wenig Klei- und 
viel Sandteilcben sich niederlassen. Tiefe Stellen aber werden dann zunächst 
von einer reinen Sandscbicht und später von einem Gemisch von Sand und Klei 
bedeckt werden. 

In normalen Fällen geht also eine Sandstclle allmählich in eine Klcibank 
Uber. Die Marsch erhebt sich nun immer höher und höher, und bald ist die 
Zeit gekommen, dass Pflanzen sich auf der fettigen Anschwemmung entwickeln 
können. Ist sie bis zu halber Fluthöbe angewachsen, so zeigt sich im Früh- 
jahr eine Vertreterin der Kryptogamen, nämlich eine Art der so merkwürdigen 
Konferveu. Bei 0,2 m unter Flut beginnen sich Salicornia herbacea und Sali- 
comia procumbens zu entwickeln und rapide fortzuwuebern. Nur wenig später 
erscheint Statice elongata, oft begleitet von der mit schönen violetten oder 
gelben Blümchen blühenden Aster tripolium. Die Marsch befindet sich nun 
in einem schon weit vorgeschrittenen Entwicklungsstadium, bis sie endlich zur 
Reife gelangt , wenn das See - oder Haargras , Glyceria maritima , üppig auf 
derselben zu wachsen beginnt *), 

Die Mächtigkeit der Kleidecke ist in den verschiedenen Poldern sehr 
different. Dieselbe lässt sich aber , wie v. Goijtenbeek richtig hervorbebt *), 
selbst mit der grüsstmöglichen Anstrengung nicht präcis bestimmen , da der 
Uebergang von Klei in Sand nie scharf bezeichnet ist, sondern stets unnierk- 
lich stattündet, und überdies an vielen Stellen zwischen dem Klei dünne 
Schichten von Muschelkalk Vorkommen. In folgender Angabe findet man 

*) Diese Ziffern «iml von un.>f mit grosser Genauigkeit aus den 46 Tabellen des 
SeelheimsL-hen AVerkes berochnet worden. 

*) V. Geijtenbcok, 1. c. pp. 41—46. 

•) 1. c. p. 57. 



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270 



Zur Frage <lor litoralon Niveauveröndeningen. 



denn auch die mittlere Dicke der Kleiscliiclit inclusive dem darunter und da- 
zwischen lagernden Sand und Muschelkalk : 

Oudelandpolder von St.-Maarteusdijk (um 1050) 1,75 m. 

Middellandsp. (um 1300) 2,59 m. 

Noordp. (1339) 2,79 m. 

Uiterstnieuwlaiulp. (1443) 3,30 m. 

St.-Annalandp. (1475) 3,12 m. 

Poortvlictp. (um 950) 0,85 m. 

Scherpenissep. (um 850) 0,74 m *). 

Wie man sieht, gilt als Regel, dass die Kleischicht in den ältesten 
Poldern am dünnsten, in den jüngeren am dicksten ist, was 
sich freilich nach dem Gesagten über die verschiedene Höhenlage der Polder 
im voraus erwarten liess. 

Fast überall in Seeland ruhen die oberen Klei- und Sandschichten auf 
Derrie , mit welchem Lokalnamen man unter der Oberfläche liegendes Torf- 
moor bezeichnet. Nur da. wo früher eine mehr oder minder starke Strömung 
im AVasser wai' und die Derricschicht also weggescheuert wurde, fohlt sie 
jetzt. Dies ist der Fall in vielen neueren Bedeichungen’). Die Ober- 
fläche der Derrieschicht liegt durch die ganze Provinz 
nahezu in einer Horizontalebene, und immer unter Ebbe*), 
bis auf einer Tiefe von 5 bis 6 m unter normaler Fluthöhe. AVo die Dcrrie- 
sebicht eine stärker accidentierte Oberfläche zeigt, was namentlich auf der 
1 nsel Schouwen - Duiveland , aber auch auf Tolen und Süd - Beveland oft der 
Fall ist , können wir mit Sicherheit schUessen , dass sie hier früher von 
Menschenhänden abgegraben worden ist *). Man unterscheidet in Seeland drei 
Arten von Derrie : schwarze , braune und gelbe. Die erstere ist vorwiegend 
von Phragmites communis, Populus alba, Salix caprea, Salix alba und Ainus 
glutinosa gebildet worden ; die zweite von Cariceen , S. caprea und S. alba ; 
die letztere von Sphagnum-Arten. 

Unter der Derrie findet sich meistens eine graue Kleiart, welche analog 
dem Klei an der Oberfläche wiederum auf Seesand gelagert ist uud den 
Lokalnaraen Spier fithrt. Die Mächtigkeit dieser älteren Marschenbildung 
variiert zwischen 1 und 15,5 m (dieser AV'ert wurde nur au einer einzigen 
Stelle gefunden und gehört daher zu den grossen Abnormitäten, wie sie alle 
Strata der Erdrinde aufzuweisen haben!), übersteigt aber im Mittel wahr- 
scbeinlich nicht 2 ui. Der Gehalt des Spier au kieselsaurem Thonerdehydrat 
ist ziemlich gering, nämlich durchschnittlich nur b",),, und höchstens 15%. 
Dazu gesellen sich dann noch in der Regel 5 Calciumcarbonat und 80 i\ 
90 % Sand. v. Geytenboek erklärt den Spier identisch mit dem Klei der 
Trockenlegungen (droogmakerijen) von Nord- und Süd-Holland und Utrecht*). 
Die Definition, welche Staring vom Spier giebt'), ist also für Seeland nicht 
gültig. Mit dem ihm zugehörigen Seesaude ruht der Spier auf Formationen 
der Diluvialzeit. Gleich wie die Derrie wurde derselbe aber an vielen Stellen 
vou der Strömung weggescheuert, wo dann die jüngsten Alluvionen unmittelbar 
in Diluvialbildungcn übergehen. 

Die Entstehungsgcscliichte des seeländischcn Alluviums zerfällt also 
naturgcnülss in drei Perioden ’) ; 



’) v. Geijtenbeek, 1. c. p. 07. 

*) Verpl. A. HnllestGlle, Goschied-en waierativatkundige bcachrijviug van de water- 
schuppen of poldertt van bet eiland Tolen. 187U. p. 870. 

*) V. Geijtenbeek, 1. e. p. 2ß. 

‘) Ibid. 1. c. pp. 27 — ibt, und A. Geluk, Beschrijving der stad Reinicrswuid. 1877. pp. 
18-1'J. 

*) 1. c. p. 20. 

“) 1. e. p. 02. 

A'ergL hierzu Staring, 1. c. pp. 342 — 355. 



Diriili, 







Zur Frogo der litonUen Niveauvemnderungen. 



271 



iu der ersten Periode wurden die Marschen gebildet , deren 
Kleischicht wir unterm Namen Spier kennen gelernt haben , und 
worauf 

in der zweiten Periode ein reichlicher Pflanzcnwuchs sich ent- 
wickelte, der zu einer ausgedehnten Torfformation Veranlassung gab, 
welche aber 

in der dritten, bis auf heute fortdauernden Periode von einer neuer- 
lichen Marschenbildung überlagert wurde. 

Es regt sich jetzt die Frage nach den Ursachen, welche die Abwechs- 
lung dieser Perioden herbeirdhrten. Es leuchtet ein, dass jene Frage für das 
von uns behandelt werdende Thema von höchstem Interesse ist. 

Am Ende der Diluvialzeit bedeckte das Meer hier einen ziemlich un- 
ebenen Sandboden, der an manchen Stellen von tiefen Rinnen durchfurcht war, 
autlerwiirts aber sich mehr oder weniger hoch überm Wasser erhob. Das 
letztere war namentlich der Fall nach W., wo sich auf ausgedehnten Banken 
allmälJich eine Dünenreihe bildete, was endlich die Entstehung eines grössten- 
teils abgeschlossenen Binnenmeeres zur Folge hatte. Das von Rhein , Maas 
und Schelde herangeführte Flusswasser süsste dieses Binnenmeer nach und 
nach iius, so dass Mollusken wie Trigonella plana und Cardium edule, welche 
noch heute die seeländischcn Ströme bewohnen, darin leben konnten. Von 
den allerdings schwachen Tiden beeinflusst, und der jetzigen Bildungsweise 
gänzlich analog wm den nun eine Sand - und nachher eine Kleischicht dem 
diluvialen Boden aufgelagert. Die Aussüssung des Haffs aber schritt immer 
weiter vor, indem sich die Oefl'nungen zwischen den Dünen noch verengten, 
wodurch zugleich die Tiden fast unmerklich wurden ‘). So wurde die Ent- 
wicklung einer üppigen Brackwasserflora, namentlich aus Cyperaccen, Grami- 
neen, Pappeln. Weiden und Erlen bestehend ermöglicht. Torfbildung in ex- 
cessivem Grade war die weitere Konsequenz davon. 

Durch welche Ereignisse fand mm aber diese zweite Periode aus der 
Entstehungsgeschichte des secländischen Alluviums ihren Abschluss , also 
wodurch wurde die erneute, bis in die Gegenwart fortdauernde Marschenbildung 
eingeleitct!' Staring, der grosse Altmeister unserer Landeskunde, hat 
hierauf keine Antwort gegeben, ja! seltsamerweise hat er sich sogar niemals 
jene wichtige B'rage vorgelegt. Aber Sterne zweiter Grösse , wie Beekman, 
V. Gcijtenbeek u. a. bähen nicht gezögert, sich der Thatsaohe, dass die Derrie 
von mächtigen recenten Sand- und Klcischichtcn bedeckt worden ist, für ihre 
Theorie einer säkularen Senkung zu bemächtigen. Und in der That, beim 
ersten Anblick scheint das Argument schlagend zu sein. Samt der oben 
näher besprochenen Höhendift'erenz der verschiedenen Polder ist es denn auch 
eine Hauptstütze für die Seukungshypothese. Uns aber sagt diese Hypothese 
nicht zu. 

Pesehel , die Lehre von der Einheit der Schüpfungsmittclpunkto behan- 
delnd, äussert sich über die pluralistische Theorie wie folgt : 

„Vor allen Dingen hemmt sic den frischen Trieb zur Forschung, 
indem sie sich gleichgültig verhält gegenüber den verborgenen Pfaden, 
auf denen sich das Tierlehcn einst verbreitet hat. Bevor man zu einer 
so bequemen Hypothese greift, sollte m.an erst mit allen Mitteln cs 
versuchen, wie dies die Anhänger der Einheit der Schöpfungscentren 
thun, jene Rätsel durch gründliche Studien über die Wanderungen 
der Tiere zu lösen. In dem obigen Sinne ist die Annahme mehrerer 
Schöpfungsherde eine schädlich wirkende Hypothese“ “). 

') 1)068 die Dünenroihe nich gänzlich geschlossen hohen sollte, wie Staring so gerne 
annehiiien intlchh* ( 3 . sein Notuurkunde en VolksvUjt van Nederland. 1870, p. 138), wird 
von Seolhoini (1. c. pp. 33—24) hestritten. 

*) Feschcl-Leipoldt, l’hys. Krdk. II. Bd. j^I88.t. p, 707. 




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272 



Zur Fiujfe rtor litoralon Nivcauvorälndorungen. 



Es dünkt uns, das dieses (,'itat fast wörtlich auf die Senkungshypothese 
(wenigstens für Seeland) anwendbar ist. Versuchen wir danun, etwas Besseres 
an ihre Stelle zu setzen! 

Es kann jetzt als feststehend betrachtet werden, dass noch in vergleichs- 
weise junger 5Ceit, als schon Europa mit Jlenschen bevölkert war, die Nord- 
see, durch einen schmalen Isthmus zwischen Dover und Calais geschlossen, 
einen verhältnismässig ruhigen Meerhusen bildete, in den die ozeanische Flut 
nur von N. her dm-ch das breite Thor zwischen Schottland und Norwegen 
einzudringen vermochte *). Die Tiden müssen damals ziemlich unbedeutend 
gewesen sein, wälirend die vorherrschenden Winde das atlantische Wasser noch 
nicht wie jetzt der Nordsee zustauen konnten. Nehmen wir nun an, 
dass der aus leicht angreifbarem Kreidegestein bestehende 
Isthmus zwischen England und Frankreich erst am Ende 
der zweiten Periode dem Andrang der Wogen unterlag, so 
folgt daraus — im Gegensatz zu Starings Behauptung*) — der durch- 
aus gerechtfertigte Schluss, dass das mittlere Niveau der 
Nordsee während der Bildung des Alluviums gestiegen sei, 
denn nur der Wegfall jenes Querdamms ermöglichte die 
Entwicklung der jetzigen hohen Tiden und die Hereinlen- 
kung eines Zweiges der Bennel-Strömung*). Gesteht man dies 
zu, so haftet dem Umstande, dass die Derrio in Seeland von mächtigen recenten 
Klei- und Sandschichten überlagert ist, nichts Rätselhaftes mehr an. Die 
Reihenfolge der Vorgänge liegt nun klar vor uns: 

Der SIceresspiegel eidiebt sieh. Allgewaltig dringen die hohen Flutwellen 
durch die schmalen Oeffnungen zwischen den Dünen, erweitern dieselben und 
spülen und scheuem die wenig oder gar nicht widerstandsfähige Denneschicht 
nach und nach bis zum Ebbestaud ab. Die gegenwärtige Obeitläche der 
Derrie repräsentiert also gewissermassen eine Abra.sionsfläche. Diese Auf- 
fassung widerspricht durchaus nicht der oben von uns aufgestcllten Behauptung, 
dass da, wo früher eine mehr oder minder starke Strömung im Wasser war, 
die Derrie jetzt fehlt. Sind doch auch die Massivs, wie das niederrheinische, 
das centralfranzösische, das südafrikanische und das brasilianische, durch die 
hinaufrückendo Brandungswelle abradiert, aber erst nachher von den strö- 
menden Wässeni in Tafeln und Gebirgsrücken zerlegt worden. 

Auf der abradierten Derriefläche wurde nun unter örtlich günstigen Be- 
dingungen die Marschenbildung wiederum eingeleitet. Da schuf also das Meer, 
nachdem cs zuvor ausgedehnte Strecken Landes vernichtet hatte , über dem 
Grabe desselben Neugebilde , welche an Grösse dem untergegangenen Terri- 
torium nur wenig naclistandcn , an Fruchtbarkeit und Bewolmbarkeit dagegen 
dasselbe weit übertrafen. 

Schon einmal haben wir das Steigen des Meeresspiegels in der Ge- 
schichte des aeeländischen Alluviums eine überaus wichtige Rolle spielen sehen: 
jetzt, nun wir uns dem vielbesprochenen Niveauunterschied der ungleiclmltrigeu 
Polder zuwenden, begegnen wir derscllwn Erscheinung zum andernmal. Wir sind 
nämlich der Ansicht, dass jener Unterschied durch eine Erhebung des Meeres- 
spiegels erklärt werden muss. Denn es ist unzweifelhaft, dass seit 
zwei -Jahrtausenden die mittlere Fluthühe in Seeland be- 
deutend gestiegen ist! Wie könnte es auch anders sein ? Indem zahllose 
reife Anschw(>mmungen gebildet und später bedeicht wurden, änderte sich mit 
der Zeit die alte Heliumhai in ein Netz von Meeresarmon um. Zugleich aber 



’) Vergl. Wallacp. Die gcogmphiRche Verbreitung der Tiere. Autoriflierte deutsche 
Aueg. V, A. B. Meyer. 1. Md. 187«. pp. »5— ‘236. 

*) Modem van Nederbind. t. T. p. 278. 

*) S. Näheres über diesen Zweig der Mennelströinung bei Staring, Natuurkunde en 
Volksvlijt van Nederiaud. 1870. p. 72. 



• . <r 



Djai: - - 




Zur Frage dor litonilcn Nivoauvcriindcrungcn. 



273 



ti*r' 



erweiterten sich die Oeffnungen zwischen den Dünen beständig'). Also ge- 
sellte sich zu einer fortwährenden Verbreiterung der aus 
dor Nordsee hereintretendon Flutwelle eine stetige Ab- 
nahme der Kapazität des alten Meerbusens, was notwendig 
ein ununterbrochenes Steigen der Fluthöhe zur Folge haben 
musste. Diese Tlmtsache ist unwiderleglich! Auch verhält Staring sich 
derselben gegenüber gar nicht abhold ; doch will er sie nicht als einzige oder 
als Hanptursache für die. niedrige Lage älterer Polder gelten lassen *). 

Noch ein dritter Umstand mu.ss aber zu einer ununterbrochenen Steige- 
rung der Fhithöhe mitgewirkt haben. Wie Köppritz gezeigt hat, verrückt 
einerseits das von den Flüssen aus dem Innern des Landes in die See trans- 
portierte Material den Schwerpunkt gegen die Küste hin, während es ander- 
seits den Sockel des Festlandes vergrossert, und dadurch dessen Anziehungs- 
kraft verstärkt. Die intensive Neuland bildung hat daher un- 
zweifelhaft sowohl die Fluthöh 0 wie den Ebbestand allmählich 
gesteigert. Eine solche Steigerung des Ebbestandes während der gegen- 
wärtigen Periode geht am deutlichsten hervor aus der schon oben angeführten 
Thatsache, dass die Oberfläche der Derricschicht jetzt überall 
unter Ebbe liegt, während dieselbe einst doch natürlich nur bis zum da- 
maligen Ebbestand abradiert wurde. Es liegt in der Mitte der Insel Tolen 
die Oberfläche der Derrie durchschnittlich 0,50 m unter Normalebbe (bei 
Gorishoek), um welchen Betrag also der Ebhestjind während der gegcnw'ärtigen 
Periode daselbst gestiegen sein mag. 

Um das Steigen der Fluthöhe seit einem .lahrtausend ziffernmässig vor- 
zuführen , haben wir uns nur zu erinnern , dass z. B. der um das Jahr 850 
bedeichte Scherpenissepolder 1,22 m — A. P. liegt, und dass die mittlere 
Fluthöhe bei Gorishoek 1,63 m A. P. erreicht: es resultiert dann daraus, 
dass die Fluthühe daselbst in einem Jahrtausend um nahezu 2,85 m gestiegen 
sein muss. Eine solche Steigerung erklärt auch die von den Anhängern der 
Scnkungshjpothese vielfach für ihre Theorie verwertete Frciiuenz von ver- 
hängnisvollen Ueberstrümungen ganz gut. Die alten seeländischen Chroniken 
wimmeln von dergleichen Katastrophen. So sind aus dem 11. .I.ahrhundert 3 
(1003. 1014. 1100), aus dem 12. ebenfalls 3 (1170, 1178, 1181), aus dem 13. 
2 (1277, 1288). aus dem 14. und 15. je 6 (1334, 1356, 1367, 1374, 1375, 
1377, 1404, 1421, 14.37, 1464, 1468, 1477), aus dem 16. 9 (1509, 1511, 
1530, 1532, 15.39, 1557, 1570, 1574, 1583), aus dem 17. wiederum 6 (1601. 
1612, 1621, 1622, 1653. 1682), und aus dem 18. und 19. je 2 (1715, 1717, 
1808, 1825) Ueberflutungen verzeichnet worden, die giosse Teile der Provinz 
verwüsteten und Tausende von Menschen und Tieren töteten •)! Man sieht, wie 
sehr Wassersnot früher ein chronisches Uebel dieser Gegenden war. .letzt hört 
man nicht mehr davon. Wold kommt cs noch dann und wann vor, dass ein 
Deich plötzlich einstürzt, so dass der Polder ganz o<ler doch grösstenteils über- 
strörat wird *) , aber dies sind nur lokale Phänomene, welche durch die forU 
dauernde Abnagung und Unterminierung der Flussufer veranlasst werden. 
Dürfen wir nun aus dem Umstande, dass die Gegenwart von den alten fiirclitcr- 
lichen Ueberströmungen verschont bleibt ‘), den Schluss ziehen, dass die Steige- 
rung des Meeresspiegels nicht mehr bis auf heute fortdauert? Wir glauben, 
diese Frage bejahen zu müssen ! Neubildung von Schwemmland 8ndet in See- 
land nur äusserst wenig mehr statt: Bedeichungen gehören also gegenwärtig 



') Seolheim. 1. c. p. 25. 

•) S. Bodtm van Nederlanü. I. T. pp. 279 —280. 

•) S. .1. H. V. Dale, T(jütafel van üe gosdiiedeni« der provincie Zeeland. 1866. 

*) In den letzten .lahren gescliali dies namentlich aut der Insel Nord-Beveland (Vliete- 
und Thorenpolder). 

Zum Teil wird natürlich auch die bessere Konstruktion der Deiche die ür- 
soche sein! 



L . 



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274 



Zur Frago der litoralen Niveauverrmderungen. 



zu (len Seltenheiten, während dieselben früher sozusagen an der Tagesordnung 
waren *). In Einklang damit muss jetzt der Meeresspiegel 
auf einer nahezu konstanten Hohe verharren. 

Wir sind imstande, noch eine andere Thatsachc herbeiführen zu können, 
welche diesen Schluss vollkommen rechtfertigt. Wie wir oben gesehen haben, 
muss während der gegenwärtigen Periode auch eine Steigerung des Ebbestandes 
stattgefunden haben. Eine solche Steigerung wird aber jetzt nicht mehr be- 
obachtet, wie aus dem Folgenden hervorgeht : 

In den Jahren 1881, 1882 und 1883 wurden die Entwässorungswerke der 
Poldergenossenschaft (holländ. waterschap) Sint- Maartensdijk gründlich aus- 
gebcssert, indem mau die Wassergänge verbreiterte und vertiefte, Schleusen 
und Siele omeuortc und verlegte, u. s. w. Bei dieser Gelegenheit konnte man 
den Boden der grossen Entwasseningsschlousc von genannter Poldergenosscn- 
schaft um 0,3 m erniedrigen*). Es leuchtet ein, dass man diese 
Massregel nicht hätte nehmen können, wenn von einer fort- 
währenden Steigerung des Ebbestandes noch die Rede wäre*)! 

Wir kommen zum Schlüsse. Es lässt sich nun das Resultat unserer Be- 
trachtungen im folgenden Satz resümieren: während der Alluvialzeit 
hat Seeland eine bedeutende positive Niveauveränderung 
erlitten, die sich jedoch nicht in einer säkularen Senkung 
des Landes, sondern in einem allmählichen Steigen des 
Meeresspiegels manifestierte, und gegenwärtig kaum noch 
fortdauert*). 

*) Die Innel Tolon wurde durch Bedeichungen im 10. Jahrhundert mit 1635, im U. 
mit 1545, im 13. mit 655, im 14. mit 915. ini 15. mit 2565, im 16. mit 1200, im 17. mit 
146, im 18. mit 175 und im 19. mit 513 II. A. venprOMeri. ((rrönrtimteilx nach A. Holle- 
«teile, 1. c. pp. 363—365.) Vom 10. bi« zum 14. Julirhundert «md diese Zirtem aber nur 
approximativ. Auch wnirden dio verloren gegangimcn (Iründo nicht berfickrtichtigt. 

*) Im Jahre 1886 konnte man den Moaen der Rntwft««crung«Hchl(nu(o de« Slabbecoomc- 
polderH um 0.20 m tiefer leget»! — Noch mehrere derartige Bespiele w5rcn hier zu ver- 
zeichnen. Wir glauben aber, fOglich dar.iuf verzichten zu kbnnen. 

*) Wie die moixten «celilndiHchen Polder künnen auch diejenigen der St.-Miiartens' 
dijkV'lion GcnosMenxchaft nur bei Kbbe ihr UberflOsHige« WaHxer auf natürlichem Wege 
abgeben. (S. Näheres hierüber bei A. A. Beekman, Nederl^d als Polderland, 1x84. pp. 98—99 
und 289—308.) 

*) Drei von den Anhängorn der Scnkungshjpotlieso gern benutzten Argumente konnten 
bisher nicht besprochen wertlen. Keines derselben ist aber von hohem Wert, und teils sind 
sie aus der von uns angenommenen Erhebung des Mtieress]>iegel8 ungezwungen zu erklüren. 
Diese Arg\imente sind folgende: 

a) Man hat Ueberreste von Baumstummen gefunden, deren Wurzeln noch bofostigt 
waren im Scesand, worauf dor Spier gelagert ist; 

b) viele Terpen ruhen nicht auf dom Kloi, sondern in der Regel auf dem darunter 
liegenden Scesand ; 

c) der Strand am Fuss der Dünenreihe hat sich im Laufe d«>r Zeiten verschmälert, 
aodass die Dunen durch d(is Meer abgi-s])üU worden sind. Wie Seelheim richtig bemerkt 
(1. c. p. 24), ist aber sowolü dos Yorrücketi der Bnindungswello wie die Abspülung der 
Dünen nicht nach Meilen, sondern vielmehr nach Metern zu beziHem! 






Der mittlere l8on20 und sein Verhältnis zum Natisone. 

Ein Beitrag zor Lösung der Frage nach dem Alter des Isonzosystems. 



(Hinnsu Tafel S.) 



Von Otto Guiuprccht. 



Kinloituiitf. 

Historische Entwickolunfr des Ge<lankons von einem Zusammenhänge des lsonr.0 und des 
Natisone im oberen Gebiete. 

Die Nachrichten aus dem AJtcrtume und dem beginnenden Mittelalter 
über die Hydrographie und Topograpliie des heutigen isonzogebietes finden 
sich zusammengestellt bei Cliivirr, Ilalia antiqua (1624), lib. I, S. 183 — 185, 
S. 187 — 189, S. 203 — 204, und bei Matmert, (iitoqrapliir. der Griechen und 
Hörner (1823), 111, S. 718 und IX, S. 78 — 79. Nur eine einzige der hydro- 
graphischen Angaben bezieht sich auf den oberen Teil des Gebietes ; es ist 
eine Stelle aus Jomandc.i , De rebun Golhieis (um 550) , wo vom Natiso , dem 
Fluss von Aquileja, gesagt wird „fluens a monte Picis“ (Cluvier 1, S. 183 
und S. 204). Auf Cluvier und Männert greift auch Desjardins zurück im 
Texte zu seiner Ausgabe der Tafel von Peutinger ; die Peutingersche Tafel 
selbst giebt nur den Frigidus — die jetzige Wippach, einen linken Nebenfluss 
des Isonzo in seinem Unterlaufe — , den sie in einen bei Aquileja gelegenen 
See treten lässt 

Auch die Abwägungen FiUasi's, in dem 2. Bande seiner Memoric storiclw 
ihi Vendi primi e sceondi, betreffs der Ursachen, die den Fluss von Aquileja, 
die kleine Natissa, im Altertum bis zu jener Stadt schiffbar gemacht hätten, 
lühren ihn nicht weiter, als zu der Annahme, dass die Wasserbaukunst der Römer 
eine Verbindung der Aussa (lat. Alsa) mit den über Aquileja fliessenden 
Natiso und Torrc (lat. Turris) bewerkstelligt habe, so dass die Zuwendung 
der beiden letztgenannten Flüsse zu dem Isonzo erst später eingetreten sein 
würde — also auch nur zu der Voraussetzung einer Veränderung in dem 
Unterlaufe ; Isonzowasser m.acht er nicht verantwortlich , insbesondere eine 
Verbindung des oberen Isonzo mit dem Natisone wird von ilim nicht herboi- 
gezogen. 

Der erste Geognost, der dem Isonzo und seinen Anschwemmungen seine 
Aufmerksamkeit zuwandte, scheint Ilaequrt gewesen zu sein (Orydoijraphia 
oamiciica, 1778 — 89, I, S. 10 — 12 und III. S. 47 — 49); doch ist er nicht an 
die kritische Stelle bei Karfrcit gekommen. Baue (Aperpt nur la eonsHtution 
(ji'ologiquc des prmdnces illyriennes, § 1, enthalten in Jlemoires de la soc. geol. 
de France 1835) hat bei dem Bestreben, die geologische Zu.sammensetzung des 
Gebirges aufzuklären , ein offenes Auge auch für die Flussterrassen und ihre 
Verteilung ; er neigt mehr dazu, ihr Material Tür fluviatilen, als für lacustrinen 
Ursprungs zu halten. Das Längsthal von Staroselo, von Karfreit am Isonzo 
nach Westen ziehend, „qui debouchc dans ceUo du Tagliamento, et qui pout 
bien avoir 6te le canal d’i'conlement d’un grand amas d’eau“ (S. 45) entgeht 
ihm nicht. Aus den Jahren 1857 uud 1858 liegen geologische Arbeiten Uber 



276 



Der mittlere leonzo und sein Verhältnis zum Nalisonc. 



(las Gebiet vor von Franz t». Hauer {Ein geologischer Durchschnitt der AI/kh 
mn Duisau bis Duino. Sitz -ßer. der kais. Ak. der AViss. 1857) und von Stur 
(Das Isonzothal ron Flitsch nhumis bis Göre, .Tahrb. d. k. k. Reo). Heiclisaiist. 
IX, 1858). Sie weichen unter Anderm in der Auffassung der Schotter nach 
dem Alter melirfacb von einander ab ; Stur verweist einige Vorkommnisse 
derselben in das Tertiär zurück, teils wegen der Führung sogenannter hohler 
Geschiebe (nur im obersten Gebiete), teils „weil sie nicht in der Form von 
Terrassen, sondern als Hügelland aufzutreten itfiegen“ (S. 356). Hie geologische 
SiKeiatkarte trägt der Anschauung von Stur Rechnung. Derselbe gedenkt auch 
ausfiihrUcher des Tlials von Staroselo (S. 328 — 2i(). Es schien ihm unmöglich 
zu bestimmen , in welcher Richtung das Thal sich neige. „Die eigentliche 
Wasserscheide“, führt er fort, „bildet ein kaum einige Quadratklaftcr deckender 
Haufe von Felsblöckcn, die vom M. Mutejor herabgestürzt sind, der das Wasser 
des Gebietes von Staroselo dem Isonzo zuzuflicssen zwingt, und e.s ist nicht 
zu zweifeln , dass es Zeiten gab , wo der obere Natisone in den Isonzo eiii- 
mündete und umgekehrt, wo das Wasser des Gebietes von Staroselo in den 
Natisone floss.“ Stur nimmt ferner (S. 356—57) in den Engen des Flusses, 
in der Flitseber Klause zwischen dem Becken von Preth und demjenigen von 
Fhtsch , bei Ternowo-Magost zwischen dem Becken von Zaga und demjenigen 
von Karfreit-Tolmein, in den Engen von llodrea (bei Santa Lucia), ebenso in 
der Schlucht der Tominska zwischen Oaderg und Tohnein, hypothetisch damm- 
artige Aufschüttungen, „Verstopfungen infolge von Einstüraungen“ , an, deren 
„plötzlicher Durchbruch“ ihm vor allem geeignet erscheint, die regellosen 
Schutt- und Geröllanhiiufungen, die sich im unteren Teile dos Flitscher Kessels 
längs des Isonzo vorfindeu, zu erklären; bei Zaga-Serpenica deutet er aus- 
drücklich einen zeitweiligen See an ; eine Gliederung des Beckens Karfreit- 
Tolmein durch die vorgeschobene Höhe von Sau Lorenzo findet sich nicht 
angeführt. AVas der Geologe in vorsichtigster Form als Möglichkeit erörterte, 
nahm ein Archäolog in Triest, v. Kandier (Disenrso sulla Giulia e, sulle slrmte 
nnticlw che la attraoersano , Triest 1867.) als Thatsacho und verband es mit 
historischen Betrachtungen zu folgender Theorie. Die Strasse A(iuileja-Lauriacum 
ist über Cividale , Robic, Karfreit und den Predil gegangen ; da ein AA'^ecbsel 
des von ihr benutzten Flussthals durch keine Nachricht überliefert und der 
mons Pix, von dem der Natisone kommen soll, aus etymologischen Gründen 
mit dem Gebirge bei Flitsch zu identifizieren ist. so ist der Natiso der Alten 
vom Predil über Karfreit und Robic nach Cividale geflossen. Die Gegend 
von Karfreit abwärts, ira jetzigen Isonzothal, war ein See, dessen Abfluss eben 
auch im Norden erfolgte. Die Idria und ihre Nebenflüsse bildeten allein den 
Oberlauf des Sontius, welcher übrigens, von Plinius unter den in das adriatisebe 
Meer mündenden Flüssen nicht erwähnt, .auch seinerseits durch eine Barre, 
bei dem jetzigen Gradisca, zu einem See aufgestaut war, der durch Spalten 
des westlichen Karstes einen unterirdischen Abfluss fand , wie auch ein von 
dem Frigidus -AVippach gespeister Sec sein AVasser in unterirdischen Kanälen 
zunächst dem See v. Doberdö übergab und weiterhin dem Timavus zukonimen 
liess. Das .Tahr 586 oder 587, aus welchem grössere Ueberschweminungen in 
Friaul berichtet werden , würde es auch gewesen sein , welches den Felssturz 
zwischen Robic und Staroselo g((.schehen liess und dadurch die Gewässer der 
Strecke Predil-Karfreit-Tolmein zum Durchbrechen der .\bsperrung oberhalb 
Santa Lucia befähigte, welches ebenso die westliche Barre des Frigidus-Sees 
und endlich auch diejenige des Sontius-Secs in der Gegend von Gradisca hin- 
wegfegte und so den heutigen Isonzo schuf, dessen Verlauf weiter unterhalb 
noch mehrfach wechselte. So v. Kandier. Qirl v. Ceörnig hat dieser Hypo- 
these das Gewicht seines Namens verliehen , indem er sie in sein AV'crk „Das 
Uind Göre und Gratlisca“ (1873) aufnahm. Sie erfuhr beiläufigen AViderspnich 
durch eine Notiz in dem Aufsatze Taramrlli's: Sagll mitichi ghiaedaj Mia 
Drava, dclla Suva e dell’ Istmeu. (Atti della soc. it. di sc. nat. 1870), S. 237, 



I 

> 



D: 





Der mittlere leonzo und sein VerMltnü) zum NatUone. 



277 



der fiir unser Vorhaben, auch ohne diese Beziehung, eine selbstiindige Bedeu- 
tung beaiisiirucht, wie auch die Monographie Bei ferreni tiu/rcnici cd /üliivionali 
J(i Fi-iidi, die er in den AnnaU scientifici del K. Istituto tecnico di Udine 
VIII. im Jahre 1875 verö6entlichte ; die Auflassung des Felssturzes von 
Staroselo als einer Bndmoräne hat er indessen später ganz fallen lassen. 
V. Czömig brachte inzwischen die Kandlerscbe Ansicht durch deren Vertre- 
tung vor dem Geographischen Kongress zu Paris (vgl. Mitt. d. k. k. Geogr. 
Ges. z. Wien 1876; l'cbcr die in der Grafschaft Görn seit liömcrreitcn vorge- 
kommeiwn VeründcrmujcH der Flussläufe. Der Isomo ids der jüngste Fluss von 
Fiiropa; mit Karten) und demjenigen zu Venedig (vgl. Atti della soc. geogr. 
it. Vol. II. 1884: I. imilanictiti det sistema /htoüde avvimidi nella emitca di 
Ourizia del tempo dei llommii in i>oi. L'Isonzv H fiimic piii rcccnte tF Europa ; 
mit Karten) zu solchem Ansehen , dass sie auch in Supan’s Grundzüge der 
jihgsikalischcn Erdkunde (1884) S. 370 mit den in verkleinertem Massstabe bei- 
gegebenen Karten Aufnahme fand. Das Gebiet unserer Flüsse erfuhr erneute 
Berücksichtigung nach der rein geologischen Seite durch Tarametli in seiner 
(Icologia delle l’Toviyicie Yeneie (Atü della R. Acc. dei Lincei. Serie III. Ol. 
di Sc. Fisiche ecc. Vol. XIII. 1881—2) und durch Diener in einem Beitrag 
zur Geologie des Ceidralstocks der jtdischen Alpen (Jahrb. d. k. k. geol. Reichs- 
anstalt 1884, S. 661). 

Nach alledem musste es wünschenswert erscheinen, die Frage nach einem 
cliemahgcn Zusammenhänge des Isonzo und des Natisone in ihrem Oberlaufe 
noch eingehender, als dies bisher geschehen, zu prüfen. Wir wurden, indem 
wir dies von der geologischen Seite her Vornahmen, in Perioden geführt, die 
vor dem römischen Altertum weit zurückliegen. 



Das Fclsgerüst. 

Wesentlich für die Entscheidung der uns vorliegenden Frage ist die Ver- 
teilung und Zusammensetzung der neueren geologischen Dcckgebilde. Diese 
wiederum sind Kinder des FelsgerUstes. Auch die Thalrichtung ist von dem 
Bau desselben bceiiillusst 

Der Isonzo oder die Soöa (lat. Sontius) hat seine Hauptquelle in etwa 
900 m Meeresbühe am Südablmnge der Wand, welche sich vom .Talouc 
(2655 m), dem dritthöchsten Punkte der Julischen Alpen, nach der Moistroka 
(2367 m) nordöstlich Iiiuüberstreckt, Die Quellbäche, welche er von der süd- 
lichen Verlängerung des .lalouc und vom Triglau (2864 m) bezieht, entspringen 
noch höher, ebenso die Korituica mit dem Prcdilbache, die ihm bei Flitsch 
eine ebenbürtige W'asserroenge zuführt. Auf einem Wege von 17 Meilen, 
reich an entschiedenen Wendungen (Zaga, Santa Lucia, Plava, Solcano und 
wenig oberhalb der Torre-Mundung), gewinnt er den Golf von Triest etwas jen- 
scit des Sihlrandes der Bucht von Monfalconc. Das Knie bei J!aga liegt 
nicht weit abwärts von der Vercinigungsstelle seiner Quellwässer, bei Solcano 
tritt er aus dem Gebirge: somit werden wir die Strecke Zaga -Solcano (331 
bis 68 m) als seinen Mittellauf bezeichnen dürfen. Innerhalb derselben schliesst 
sich bei Karfreit nach Westen das Thal von Staroselo an, diis jenseit Robic 
den Natisone erreicht, der, am Montemaggioro (1617 m) in zwei (iuellbächen 
entsprungen und bislang östlich gerichtet, nunmehr scharf nach Süden um- 
biegt , um bald die Ebene zu betreten und , bei etwa 49 m Meereshöhe dem 
Torre sich beigesellend, mit diesem dem Isonzo zuzuHiessen. 

Der Ober- und der Mittellauf des Isonzo sind, auch wo das Thal Wei- 
tungen hat, tief eingesenkt zwischen steile Abhänge. Von den höchsten Zinnen 
der Julischeu Alpen bis Karfreit *) sind diese fast ausschliesslich aus dem 
Hauptdolomit und dem Daehsteinkalk gebildet, weisseu, hier meist wohlge- 



Geol. Spez.-K. Sektion Fütach. 



27B 



Der mittlere li^onzo und sein Verhältnis zum Natisonc. 



schichteten Gesteinen. Ist auch hier und da die Jurabedeckung derselben 
noch vorhanden , so weicht doch der Charakter *) des Gesteins der letzteren 
wenig von dem der erstgenannten Formation ab; eino Ausnahme machen nur 
rote Klippeukalkc des oberen Jura, welche auf der Höhe des Kammes vom 
Stol nach dem Starski Vrh in einem schmalen Baude erhalten sindt dann — 
aufwiirtsgehend — wieder im Uieca-Thal auftreten, in einem kleinen Beste 
oberhalb Flitsch vom Isonzo geschnitten werden , südlich vom Orte So^a an- 
stcheii und endlich sich, nach Taramelli und nach Diener, auch oben am 
Mangart zeigen, der die Koritnica sjHiist. Es treten aber auf diesem Ab- 
schnitte — vou den Quellen bis Karfreit — aucli gelegentlich schon Kreide- 
schichten an den Fluss heran. Im Kessel von Flitsch sind die obersten der- 
selben, die sog. Scaglia (Scaglia rossa *) der Italiener), nicht unbeträchtlich 
entwickelt ; sie bestehen in einem dünnschichtigen Wechsel von sandigen und 
thonigen Kalkhänken, von denen die ersteren dunkel (dunkelrot oder dunkel- 
grün) gefiirbt zu sein pflegen, und gehen an diesem Fundorte nach oben mehr 
und mehr in reinen Sandstein *) über. Diese obersten Kreideschichten fand 
Taramelli mit den älteren auch im Quellgcbiet der Uceca; sie verhüllen ebenso 
den AVestfuss des Krn, wenn sich auch dem Flusse naher der unmittelbar 
darunter liegende Caprotinenkalk hervordrängt und schliesslich selbst das tiefste 
Kreideglied dieser Gegend, der Woltschachcr Kalk, an die Oberfläche tritt, 
der letztere auch auf dem Gegenufer. Dieser Woltschachcr Kalk ist im all- 
gemeinen ein dünnschichtiger grauer Kalkstein , enthält aber auch ganz grobe 
Konglomerate von pflastersteingrossen, stumpfkantigen, grauen Kalkstücken, die 
durch roten oder seltener schwarzen Hornstein verkittet sind ; der Caprotincu- 
kalk zeigt häufig Mergelschiefer in seinem Verbände und weiter nach oben 
Konglomeratbänke, welche aus lückenlos verbundenen, erst bei der Verwitte- 
mng deutlicher hervortretenden Kalktrümmern und einem gleichartigen Binde- 
mittel bestehen. Von Karfreit abwärts *) gewinnt die Kreide die Alleinherr- 
schaft über die Abhänge des Thals. Nur die Idria mit der Baca greift zurück 
in ältere Formationen, ebenso eine wenig der Fluss von Toliuein. Solcano be- 
zeichnet den Beginn von alttertiiircn Gesteinen , bezeichnet aber zugleich das 
Ende des in Gebirge eingeschlossenen Thalabschnitles. 

Lässt die im ganzen gut ausgeprägte Reihenfolge von den älteren zu den 
jüngeren Gebirgsgliedern in der Richtung unserer Flüsse, insbesondere der des 
Isonzo, im allgemeinen ein Einfällen der Schichten nach Süden oder Südwesten 
erwarten , so trifft dies doch namentlich in dem oberen Teile des Gebietes 
nicht durchgängig zu. Auf der südlichen Abdachung der julischen Alpen 
herrscht vielmehr über weite Bergflächen hin eine Neigung der Schichten nach 
Nordost *). Gehören diese daun ausschliesslich dem Dachstciukalk und Resten 
der gleichförmig aufgelagerten Juradecke an, so befinden sich die letzteren in 
den verschiedensten Höhenlagen : es ist ein Gebiet zahlreicher Brüclic mit 
vertikaler Verscliiebung *). Einem solchen Bruche, der grossen Störungslinie 
Barcis • Gemona - Caporetto ’) , gehört auch die Thalweitung des Natisonc von 
Sedlo bis Robic. sowie die unmittelbare Fortsetzung derselben, das Thal von 
Staroselo an. Hier fallen der Monte Mia und der Matajur am Beginne des 
Natisone-Durchbruchs mit ihren Dachstoinkalken zuletzt steil nach Norden ein 



TaramoUi: Geol. delle prov. ven. S. 416. — Diener: Beitrag z. Oeol. d. C.*St. der 
Jul. Alp. S. m ff. 

■) Taramelli: (»eol. dolle prov. ven. S. 431 ff. 

’) Stur: Das Isonzothal u. s. w. S. 344. 

*) Geol. Spey..-K. Sektion Tolmein. 

‘‘) Stur: Das Isonzothal u. s. w. S. 332 ff., 366. — Taramelli: Geol. dcllo prov. ven. 
Kap. XIX. 

•) Taramelli: Geol. dolle prov. ven. Tafel II. — Diener; Beitr. Geol. d. C.-St. der 
Jul. Alp. S. 703 ff. 

') Stur: Da» Isonzotlial u. a. w. S. 332 ff. — Taramelli; GeoL delle prov. ven. S. 339. — 
Vgl. auch SQsb: Das Antlitz der Krdu 1, 344. 



Der mittlere Iflonzo und sein Verhältnis zum Natisonc. 



279 



unter vielgefaltcte Schichten des Kieidcgcbirges ; erst gegen den Kamm des 
Stol hin treten die Dachsteinkalke wieder auf, aber mit sanfter Senkung nach 
Xorclost und mit dem oben bozeichncten Bande roten Klippenkalkes auf dem 
Kücken , während die oberen Teile des Monte Mia und des MaU<jur , unter 
l.'eberepringung der jurassischen Reihe, Kreidesohicliten und selbst alttertiäre 
Gesteine tragen , die dann nach Süden weithin an der Oberfläche vorwalten, 
ln gleicher Weise ist nach Stur d.as Daclisteingebirge südlich von der Baca- 
Linie (Baca-Thal und dessen östliche Verlängerung) abgesunken. Die Ver- 
werfung, die beide Brüche verbindet, verläuft aber ausserhalb des Isonzothals, 
östlich davon ; das Isonzotluil von Karfreit und Ladra abwärts bis Solcano 
ist vielmehr ausnahmslos, auch wo der Fluss sich neuerdings in den festen 
Fels noch weiter eingosägt hat, aus Kreideschichten gebildet. Erscheinen sie 
zunächst noch mehrfach auf- und abgebogen, so nehmen sie unterhalb Santa 
Lucia mehr und mehr eine ausgesprochene Südwestneigung mit beiderseits 
korrespondierenden Lagen an, wovon man sich an zahlreichen Stellen der un- 
mittelbaren Flusseinfassung leicht überzeugt ; das Thal trägt also hier einen 
rein erosiven Chariikter. Auf Erosion zurückzuführen ist auch das Querthal 
des Natisone, das hei Robic mit rechtwinkliger Ablenkung des Flusses ein- 
setzt. Bis zur italienischen Grenze (oberhalb Stupizza) steigen die beiderseits 
gleichartigen Schichten ein wenig au und liegen beim Uebertritt nach Italien 
ganz horizontal, um dann, sauft nach Süd-SUdost naigend, ein flaches Gewölbe 
zu bilden. 



PuMtcucäiie liildnngen *). 

Da das Natisone - Thal in seinem oberen Teile — Quellen bis Robic — 
zwar im ganzen dieselbe geologische Zusammensetzung zeigt, wie das des 
Isonzo (bis Karfreit), aber die roten Klippenkalke, vom Kamme Stol -Starski 
Vrh nach Nordosten fallend, den Natisonc-Zufliissen unmöglich anders als nur 
ganz gelegentlich Trümmer zusenden können und dabei an anderen Punkten 
des Natisone -Gebietes überhaupt gar nicht auftreten, so schien es eine Zeit 
lang, als könnte der Mangel, beziehentlich das Vorhandensein zahlreicher roter 
Gorölle in den neueren N.atisone - Schottern bei Robic und weiter hinab ein 
Zeugnis gegen oder für die behauptete Stromrichtung Karfreit-Robic, wenigstens 
in einer der Gegenwart naheliegenden Periode, abgeben. Es stellte sich je- 
doch bei Durchmusterung des auBgedchuten Gerüllfeldes bei Creda oberhalb 
des Natisone-Diirchbruchs Robic- Pulfero alsbald heraus, dass schon hier die 
Schotter nicht nur sehr zahlreiche Trümmer der scaglia rossa enthalten , die 
nicht immer bequem von den Geröllen des roten Klippenkalkes unterschieden 
werden können, sondern auch nicht wenige unzweifelhafte Stücke des letzteren 
selbst (sie stammen allerdings nicht von den Höhen des Stol; es sind wieder- 
freigewordene Geschiebe aus einer der Glacialzeit zuzuweisenden Bildung *), 
die von Breginj bis I’otocki den oberen Natisone begleitet). Dafür zeigten 
sich an eben jener Stelle des Natisone - Ufers häutig schön abgerollte Stücke 
eines Konglomerates, dessen Bestandteile von Hirsekorukleinheit bis zu Bohnen- 
kerngröase wechselten und verschieden gefärbten Quarz und Kalk durstellten, 
den erstercu vorwiegend. Es sind auch dies befreite Einschlüsse jener oben 
erwähnten Bildung; von Haus aus gehören sie einem Horizonte des Eoeän an 
(Taraiuclh, Geologie von Venezien, S. 461 — anstehen sah ich dieses Gestein 
wenig ausserhalb unseres Gebietes östlich vom Austritt des Torre aus dem 
Gebirge). Leider fanden sich später solche auch in den neueren Isouzo- 
Schottern vor und unterlnJb der Ußeca-Mündung, also schon beim ersten Knie 
des Isonzo, so dass der Gedanke, aus der Verteilung dieser Geröllo einen Zu- 

*) Dilzu No. 1. 2. :i. und 4. der Karteu'TafuL 

*) Vgl. S. 281 Z. 30 u. 31. Vormutungawewü auch bei TaramolU: SugU antichi gbiac- 
ciaj u. 8. w. S. 237. 



280 



Der mittlere Isonzo und ecin Verhältnis rum Nntisouc. 



sammeuliang der beiden Flüsse unter Benutzung des Thaies Karfreit-Robiü, 
aber in entgegengesetzter Richtung, etwa ableiten zu wollen, aulgegeben werden 
musste. 

Unter solchen Umständen wurde cs notwendig, die gesamten Gebilde, 
welche seit der letzten bedeutenden und allgemeinen Störung des Alpengebicts, 
seit der Zeit des Eoeäu, im Bereiche der beiden Thiiler zur Ablagerung ge- 
kommen sein könnten , in ihrem Altersvcrhältnis und in ihrer Verteilung zur 
Ausführung unseres Vorwurfs heranzuziehen, insbesondere soweit solche längs 
der Isonzostrecke Zaga - Santa Lucia und in dem alpinen Teile des Natisone- 
thales sich finden. In Bezug auf diese beiden Oertlichkeiten folge ich wesent- 
lich den Beobachtungen, die ich selbst mit dem Streben nach Vollständigkeit 
daselbst augestellt habe ; doch sind mir auch der Kessel von Flitsch und die 
Gegend bis Görz und Sagrado abwärts nach jenen Beziehungen nicht fremd. 

Ueberall findet sich der Isonzo, von Flitsch bis Görz, nicht blo.ss von 
einem Inundationsrande begleitet, der von 4 bis 2 m Höhe (über dem .Tuliniveau 
des Flusses) sich sanft zum Wasserspiegel hinabsenkt, sondern auch von steil 
abfallenden höheren Terrassen, an den engsten Stellen von einer einzigen, die 
dann zu unterst in der Regel felsig ist (Sela-Santa Lucia; unmittelbar ober- 
halb Karfreit; unterhalb Ternowo), sonst von mehreren übereinander, in der 
Regel von 3 (bei Ladra die 1. = 4 m, die 2. = 1. 9 m, die 3. = 1. -1- 

2. -j- 18 m; Kamno gegenüber die 1. = 4 m , die 2. = 1. -j- 2 m, die 

3. = 1. 2. -)- 15 m), von denen die beiden unteren manchmal ineinander 

verlliessen. An den Mündungen der Seitenthäler bemerkt man noch Terrassen 
in beträchtlich höherer Lage: die Schuttmassen, auf denen fioncina steht, be- 
decken die überiläche einer Terrasse, die gegen den Fluss bei 50 bis 60 in 
relativer Höhe entblö.sst ist und auch hinter dem Orte durch den Buch, welcher 
den Hügel von Ronöina von den Kalkschichten der Wallfahrtshühe von St. 
Paul trennt, augcschuitten wird. Die Strasse benutzt, wo sie sich im Thale 
hält , in der Regel die zweite Terrasse ; selten sinkt sie auf die erste herab. 
Mit Ausnahme der untersten, welche von recenten Anschwemmungen mindestens 
überkleidet ist, bestehen diese Terrassen aus alten, nicht ganz lückenlos ver- 
bundenen Schottern, deren Festigkeit selbst die Folgen der Unterwaschung 
lange Zeit aufzuhalten vermag und sie überall zum Häuserbau bestimmt hat ; 
durch ihre unvollkommene Parallelstruktur mit im ganzen horizontaler Schichten- 
lage, sowie durch Führung von roten Gerüllen, auch wo der darüberstehende 
Abhang weder Klippenkalk, noch Scaglia zeigt, erweisen sie sich als Fluss- 
schotter. Namentlich auf der Strecke Karfreit-Tolmein-Woltschach werden sie 
fast überall von der Geolugischeii Karte vernachlässigt, sind wenigstens nicht 
durch die für das Diluvium gewählte Farbe gekennzeichnet, sondern farblos 
gelassen, gelegentlich auch (z. B. unterhalb Idersko) zu Gunsten des Kreide- 
kalkes uusgesclüeden — Hauer (Ein geol. Durchschnitt u. s. w.) gab sie auf 
dem rechten Ufer allerdings an — ■, während überall da, wo Diluvium aufge- 
führt ist, es sich mit diesem alten Flussschotter deckt (bloss bei Serpenica 
nicht). Er hat sich ausnahmslos anstehend gefunden, wo die topographische 
Karte eine Terrassenkante abseits vom Ufer verzeichnet. Dass dieses Kon- 
glomerat nicht der gegenwärtigen Periode , der Periode der postglacialcu 
Erosion *) (in den inneralpinen Gebieten) , angehört , versteht sich von selbst ; 
wie schon das Zeugnis seiner festen Verkittung für ein gewisses Alter spricht, 
so weist es (in den inneralpinen Gebieten) seine mehrfiiche Terrassierung, vor 
deren Eintritt es eben schon vorhanden sein musste, hinter jene Periode 
zurück. Thatsachen , welche die Annahme verschiedener Perioden für die 
Ablagerung des Materials dieser Konglomeratterrasscn nötig machten, sind 
mir nicht entgegengetreten. Das isolierte Vorkommnis von Svina könnte bei 
seiner Höhenlage (100 m über dem Isonzospiegel bei Karfreit) älter sein, als 



’) Epoca dti terruzzi (Stoppuni: Uono di GeoL II, cap. XXX). 



Digitizer 



/ Co< 



Der mitlloro LtOQKO und nein Verhältnis zum Natisone. 



281 



die übrigen, ist aber aueh seinerseits horizontal gescbichtet. Lässt sich das 
relative Alter dieses konglomerierten Flussschotters nicht näher bestimmen? 
Versteinerungen darin zu suchen, würde müssig sein. Aber er tritt mehrfach 
in Berührung mit Glacialgebilden, und diese liegen ihm dann auf oder an ') ; 
niemals ist er seinerseits an dieselben angesetzt. 

Seit der Xachweisung sehr urotanglicher Moränen nicht nur in Piemont 
und in der Lombardei , sondern auch in V^enezien (Etachgletscher , Piave- 
gletschcr, Tagliameutogletscher) durfte man auch für dos Thal des Isonzo eine 
frühere Vergletscherung vermuten ; reicht es doch hinauf his an die Abhänge 
des Triglau, der noch jetzt, nach dem Urata-Thal, einen Gletscher entseudet. 
Die Frage war nur die, ob noch Spuren dieser Vergletscherung aufzufinden 
seien, und wie weit nach ihnen miiidesteu.s die Vergletscherung thalabwärts 
vorgeschritten gewesen sei. Taramelli hat auf solche aufmerksam gemacht, 
zuerst in einem Aufsatze der Atti della societä italiana di scienze naturali 
vom Januar 1871 ; insbesondere wird von ihm bei Lubinj eine wohlerhaltene 
Moräne (morena conservatissima S. 227) erwähnt, und in seiner Geologie von 
Venezien (S. 524) giebt er von derselben ausdrücklich an , dass sie ihm ge- 
kritzto G<‘schicbe dargeboten habe. Gekritzte Geschiebe fand ich nicht nur 
da , sondern sowohl weiter tlialauf -, als thalabwärts am Isonzo , auch am 
Xatisone und in dem Verbindungsthal. Im engem Isonzogobiet ist die erste 
Kuppe über dem Dorfe Sela an der Usnik - Mündung von einem Moränenrest 
bedeckt , der ungemein reich an solchen ist und , teilweise abgograbeu , eine 
wohlgcrundctc FelsflUche hervortreten lässt, trotzdem dass die Schichten hier 
ziemlich vertikal stehen. Es finden sich ferner gekritzte Geschiebe in den 
Schutthügeln, die von dem Knie des Oamenca -Thals westlich an Woltschach 
vorüber zum Nordende des Hachen Kessels von Ciginj führen und von dem 
Camenca-Bach selbst noch geschnitten werden ; es lassen sich solche aiitreffen 
bei Vrsno, in den westlichen Nischen <les Hügels von Libusinj, bei Drezenca, 
zwischen den ZuHüssen iles Sjak oberhalb Svina, in einem kleinen Äloränen- 
rest am Abhänge zwischen Staroselo und Creda, iu den grossen SchutthUgeln 
des Natisonc-Thalcs bei Sedlo, St. Helena und südöstlich davon an dem stei- 
leren Gegenufer. Die umfänglicheren Vorkommnisse dieser ungeschichteten 
Schuttmassen , die Geschiebe bis zu 1 cbm IJurchraesscr in einem mehligen, 
weisslich - gelben Zwischcnmittel aufwehson und heim Zurücktreten desselben 
nicht seilen verbacken .sind — eine Erscheinung, die wenigstens im südlichen 
Moränengebiet, z. B. bei Desenzano und Lonato in den Endmoränen des Etsch- 
gletschers, nichts Ungewöhnliches ist — , werden von der Geologischen Karte 
nicht übersehen, sind aber auf Grund ihrer Höhenlage und ihrer klcinhUgeligen 
OberHäche als Neogen*) eingetragen, seltener, .als neueren Ursprungs ver- 
dächtig, farblos gelassen. Auch das angebliche Neogen von Zaga hat durch- 
aus Moränencharakter, soweit nicht die davon bedeckten Flussschotter mit iu 
dasselbe einbezogen sind ; ebenso das Gebiet der mittleren Uceca und die 
Massen, welche dem runden Felsen (540 m) zwischen Serpenica und Ternowo 
westlich und östlich anliegen ; desgleichen die Hügel bei Zabice unweit Tol- 
meiu und die unmittelbare Umgebung der Tominska-MUndung — wiewohl an 
diesen Lokalitäten gekritzte Gcschieho bislang noch nicht gefunden wurden. 
Taramelli nimmt auch die ganze, vom Isonzo seihst ilurchschnittene Ablage- 
rung zwischen Scr]>enica und Ternowo für ein Glacialgebilde : in der That ist 

>) Vgl. S. 282 nnten. 

•) Dio gloichartiffen V'orkommnisse im oborun I)rau*Thjüo sind von Taramelli, die* 
j»*nigcn im oberen Save*B«vJrk nicht mir von ihm, Hondera vorhtir von v. Morlot luid nach- 
her von Diener olx Moränen gedeutet, bezw. nach>;owie8en worden. 

In der goolojfixchon UeborsichUiknrto zu Taramelli’s Geologie von Yonezien nind von 
dem angeblichen Noogen gerade dio JStnsekon CAuu’nca«Thul-Sola und Santa Lucia'Sela als 
Bolchod boibehiilten. Im Texte wenlcn sie nicht crwäluit. 

Neuerding» hat Stäche auch im KcascI von Flitsch früher für neo^n gehaltene 
Massen ak glacial erkannt (Verh. der k. k. Geol. Huichsannitalt 1S88, 2. Heft). 

23 



282 



Der mittlere Isouzo und .-«ein VcrhältniH zum Natii^one. 



CS ein schichtungsloscs Gemenge von ubgerundeteu Trümmeru verschiedenster 
GrösKo und auch dem Material nach keineswegs bloss dem Gesteine des östlich 
anstehenden Steilhanges des Pirhov Vrh (Dachsteiukalk) verwandt; auch die 
klcinhügelige Oberfläche fehlt nicht. Der Punkt (361 m) ist Fels und hat 
diese Jlasscn vor der seitlichen Erosion des Flusses einigermassen geschützt; 
oberhalb bis Zaga befindet sich der Thalgrund nur wenig über dem Niveau 
des Isonzo. ^A-Uch die zum Teil verbackenen Gebirgstrümmer oberhalb der 
Engen von Karfreit galten sdion Taramelli für Hinterlassenschaften der Glaciah 
zeit. Eine Flussbildung sind sie nicht, und die Felsterrasse zwischen Magost 
und dem Isonzo, der sie teilweise aiifgelagert sind, steht mit dem höheren 
Abhange zu fern vom Fluss erst in Verbindung, als dass sie blosses Sturz- 
material darstelleu könnten ; wir befinden uns vielmehr vor dem Kessel von 
Drezenca, in dessen oberen Schuttmasseu ich eben gekritzte Geschiebe vorfand. 
Die Gegenseite hat hier mehrere Terrassen abgestumpfter Blöcke, die bereits 
Boue auffielen, und die mau unter den auseinandergesetzten Umständen als 
ein ausgL'laugtes Glacialgebilde ansprechen darf (in die Karte von mir nicht 
aufgenommen). Andere, zweifellose Ablagerungen aus dieser Periode stellen 
der Gcschiebelolim zwischen Kozarsile und Usnik im Kessel von Ciginj (bei 
AV oltschach) und bei Eatomin oborlialb Tolmeiu dar, die beide dnreh Ziegeleien 
gut aufgeschlossen sind; kleinere Vorkommnisse dieser Art finden sich hei 
SanUi Lucia und hinter Idersko — eine besondere Fruchtbarkeit zeichnet sie 
alle aus. Nach alledem noch auf sekundäre Merkmale einer früheren Ver- 
gletscherung hinzuweisen , erscheint fast überfiüssig ; doch drängen sie sich 
geradezu auf und sind auch zum Teil schon von Taramelli bezeichnet worden. 
Die Abrundung der Felsen bei Ternowo, über den Eugen von Karfreit (Sant 
Antonio und gegenüber), bei Suzid und Robiö, auf der Linie Vrsno-Seli^ce 
(hier nicht ohne gelegentliche Lehm- und Geschiebedeckung), zwischen 
Tolmein und Zatomin fällt bei der sonstigen Steilheit der Gehänge doppelt 
auf; von der Kuppe über Sela war schon die Rede, und Abschleifungen mit 
gleichmiissiger Durchschneidung aller zusammensetzendeu Gesteinsbrocken be- 
gegnen auch an dem dichten Konglomerate des Caprotinenkalkes, das am Süd- 
abhange des Kirchberges von Santa Lucia unter dem Lehm mehrfach entblösst 
ist , und ebenso wieder , wo dasselbe an der Felsecke vor Avöe , gegenüber 
Roncina, zu Tage tritt. Die Vergletscherung hat also, wie es schon die 
Moräne über Sela beweist, über Tolmein-Luhinj, wo sie Taramelli endigen lässt, 
himiusgercicht. Die gleiche geographische Breite mit dem Ende des Taglia- 
mento - Gletschers geht dadurch zwar verloren; aber warum sollen in einem 
enggeschlossenen Thale, bei relativer Nähe der Gletscherwurzeln nicht andere 
Verhältnisse Platz greifen, als wo ein aus weiter zurückliegenden Teilen der 
Alpen entsprungener Gletscher die Ebene betritt und dort sich ausbreitet? 

Die Thatsache dieser ehemaligen Vergletscherung ist für unsern Zweck 
an sich von Wichtigkeit. Einige Hinterlassenschaften dieser Zeit können aber 
auch der Altersbestimmung jenes fiuviatilen Konglomerates, dessen Verbreitung 
oben geschildert wurde , dienstbar gemacht werden. Der Blocklehm hinter 
Idersko *) ruht noch zum Teil auf einer Schotterterrasse, die au ilirem vorderen 
Ende steil zum Dorfe abfällt; die Moräne bei Woltschach *) ebenso noch teil- 
weise auf der breiten Fache, die nicht bloss in dem Absturz hei der Kirche 
Sauet Daniel, sondern auch in allen Anschnitten der Bäche sich jüs aus kon- 
glonierierten Flussschotter bestehend erweist; in gleiche Beziehung tritt der 
Gcschiebelclmi von TTsiiik zu den alten, verfestigten Schotterterrassen, die den 
gleichnamigen Bach in seinem Unterlaufe begleiten, um dann mit den Isonzo- 
terrassen zu verfiiessen. Nicht anders ist es an der Tomiuska - Mündung, bei 

*) Dcilfiutig erwähnt, finden »ich hier aach Krdpyramidon, die, vor der Felsternwue 
stehend, nich noch malerischer daretellen, als jene bei Ho 2 en oder diejenigen bei Schlot» 1’irol. 

•) Vgl. Nr. S der Knrtentafel. 

*) Vgl. da« Profil am SchlusH de* 






Der mittlere Isonzo und aein Vcrhftltni« zum Natisone. 283 

Zatomin unweit Tolmcin und bei Zaga. Jenes fiuviatile Konglomerat ist also 
nicht nur präglacial , sondern auch bereits vor der Heimsuchung des Thals 
durch einen Gletscher, der bei Sela unterhalb Santa Lucia noch in 200 m 
Höhe über dem gegenwärtigen Flussniveau eine Moräne hinterliess, soweit ver- 
festigt gewesen, dass cs bei aller Enge des TliaJes immerhin reichlich erlialten 
blieb (und ohne die Erosion der Flüsse noch reichlicher erhalten sein würde). 
Es ist die sogenannte diluviale NagelHuh ; dieselbe diluviale Nagelfluh, die alle 
besser untersuchten Thäler der Ostalpen mehr oder weniger uuskleidet, die 
auch den bayrischen Voralpcn nicht fehlt. Es ist derselbe ceppo (horizontaler 
Lage) *). der in allen Thälern Veneziens und dann wieder Piemonts reichlich 
erhalten ist, der auch in einem breiten Saume der vorliegenden Ebene vm Tage 
ansteht ®). 

In ihrem Alter unbestimmt und vielleicht mit Recht dem Ncogen zuge- 
wiesen, bleibt die Breccie südlich vom Fels (540 m) über Ternowo; sie ist 
durchaus lokaler Natur und sicher präglacial. Von gleich hohem Alter können 
auch die ungemein festen Breccien am linken Abliange des Camenca - Thaies, 
über Dolje und bei Caderg an der oberen Tominska sein. 

Postglacialc Gebilde tinden sich in ziemlicher Mannigfaltigkeit ; Gehänge- 
sebutt in grosser Ausdehnung und Mächtigkeit, vermöge der Höhe und Steil- 
heit der Thalwändc (mehr oder weniger kantige Kalkprisraen bis zur Grösse 
von 1 ebdm — im Gebiet der oberen Kreideschichton ein lehmig - mergeliges 
Rnd})rodukt von hellbrauner Farbe ergebend) ; neuere Schotter den Fluss ent- 
lang; feinere Flusssande, wo die Gewässer bei den Ueberschwemmungen sich 
aiisbreiten können und d;is Gefälle stark verzögert ist (oberhalb Serpenica, 
zwischen Ladra und San Lorenzo, von Selisce bis Dolje); ein Felssturz öst- 
lich von Robic. 



Karfreit- Santa Lada. 

Welche Ansicht über den früheren Lauf der Flüsse schliesst die Ver- 
teilung der besprochenen Ablagerungen aus? Auf welche führt sie hin? 

Für die Strecke Karfreit-Santa Lucia des Isonzo ergiebt sich aus dem 
Bisherigen zunächst, dass sie sicli durch eine deutliche Erhaltung von Resten 

’) ln <Üeser Boziohung haben sich die Ansichte« Taraim'Ui« denen der österreichischen, 
schweizer und deutschen Geologen mehr und mehr genähert. Kennt er in den frQheron 
Schriften gar keine alluvione präglaciale, die nicht pHoeän wäre, ganz wie sein Altmeister 
Stoppani, so ist dieselbo in seiner Geologie von Vtmesien vorwiegend als altquartär hinge- 
stellt. Kr hat in der venezianischen Ebene geneigte Schotter von sonst gleicher BeschafTon- 
heit unter den horizontal gelagerten angetrotißn, von denen nunmehr allein die ersteren ihm 
als plioeän gelten. 

Auch Fnvnz v. Hauer giebt von den jüngeren Tertiärschichten Veneziens an, dass sic 
geneigt seien (Ein geol. Durchschnitt d. A. S. ii4H). 

*) Ueber die Lobewelt der Zeit, in die seine IJildung fallt, kann man sich nach Knti- 
Die^'cr folgende Meinung bilden. In seiner Arbeit über ,,Pliocen und Kisperiode auf beiden 
Seiten der Alpen* entwickelt er zunächst, nachdem er schon aus der Stratigraphie dos Val 
Gandino in Verbindung mit dem alten Verschlüsse desselben gegen das \'al Seriana eine 
Erschütterung der Ansicht hcrgeleitet hat, als ob die Scbieferkohlo und die Seekreide von 
Leü'e intorglocial seien, den spättertiären Charakter der Fauna dieses Beckens. In den 
oberen Horizonten werden sodann bereits Anklänge an die typische Fauna des Val di Chiana 
in Toskana uufgewieson, die ihrerseits allerdings noch einen entschiedeneren ^Vechsel der 
Lebewelt erkennen lässt und selbst die ältesten menschlichen Schädel Italiens geliefert hat. 
Sic darf bereits als quartär angeMiirocbcn werden ; ihre Ablagerung tällt mit der .\blenkung 
des Amo noch Norden und Wewlen zusammen. Auf den obengenannten geneigten Schichten 
von Leffe liegt aber noch ein Konglomerat in horizontaler Schichtung, der crespuno. den 
wir demnach mit unserem ceppo gleichzeitig zu setzen halH?n. Die Bildung beider fällt in 
eine Zeit, wo also die Gewässer Toskanas erst im Begritf waron, ihren heutigen Verlauf 
anzunehmeu, und wo im ligurischen Appennin der Höhlenbär und die Höhlenhyäne eine ge- 
wöhnliche Krsefaeiming waren; in eine Zeit, noch welcher noch der afrikanischo Elefant und 
ein Gepard bis in die römischen Niederungen vordnuigeii und die afrikmiischcn Hyänen die 
Füanxenfresscr Siziliens beängstigten — also in eine Zeit, die, mit dem römischen Altertum 
verglichen, in unangebbarer Forno zurückliogt, 

23 • 




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284 



I)or mitüero laoiizo und sein Verhältnis zum Natisono. 



altquartärer Schotter, die sich unschwer in zusammenhängende Terrassen ver- 
binden lassen, als ein natürliches Bindeglied zwischen den oberen Lauf, mit 
im allgemeinen geringerer Entwickelung dieser Terrassen und den Abschnitt 
Santa Imcia - Ronüina-Solcano mit selir guter Ausprägung derselben eiureiht ; 
insbesondere setzen jene Schotter in den Engen von Santa Lucia nicht aus, 
sind im Gegenteil infolge der jetzigen Einzwängung des Flusses in ein Fels- 
bett der ITnterwaschung weniger ausgesetzt gewesen und deshalb ziemlich zu- 
sammenhängend erhalten. Es hat also hier mindestens gleich nach Absclduss 
der Tertiärzeit ein Fluss denselben Weg genommen , den der Isonzo jetzt 
nimmt, nur in etwas höherer Lage. Auch das BaCa-That hat jene alten, ver- 
festigten Flussschotter, und das felsige Ufer der unteren Idria trägt sie 
wiederum auf seinem Bücken : dieses ganze System von Flüssen ist dem Ge- 
samtverlaufe nach mindestens altquartär (wahrscheinlich aber weit älter). 

In der Glacialzeit ') stellte ferner ein in seinen Spuren bis über Sela 
hinab verfolgbarer Gletscher den Zusammenhang der oberen Strecken mit der 
Strecke von Santa Lucia und der Idria- Mündung abwärts dar. Erst nach 
einem Zurückweichen desselben bis über den Eingang in das Thal von Staro- 
selo hinauf (bei Karfreit) könnte an ein Aufgeben der Engen von Santa Lucia 
durch seine Schiuelzwässer gedacht werden, und eine Endmoräne in dieser 
Gegend würde unter allen Umständen der einreissenden Thätigkeit der Idria 
noch ausgesetzt gewesen sein. Tbatsächlich ist das, was an der Mündung de.s 
Baches von Lubinj in den Isonzo (oberhalb der Engen von Santa Lucia) an 
glacialcm Materiale liegt, nicht bloss eingeschnitten vom Isonzo, sondern auch 
noch von Flusssaud in der Mächtigkeit von 2 m überdeckt (darüber noch 2 m 
Gehängesebutt) ; der Fluss läuft jetzt bereits 12 m unter dem Bande dieser 
gesamten Terrasse. 

Welche Kräfte sollen aber in einer späteren Periode ein solches Hindernis 
neu geschallen haben, das in der Römerzeit nur der Idria in die Engen ein- 
zutreten gestattet hätte und zugleich gering genug gewesen wäre, um, wie 
Kandier will, in einer plötzlichen Kata.strophe durch die Isonzo -Wässer liin- 
weggestossen zu werden? Einen Felssturz in dieser weniger hohen und weniger 
steilen Region (wo nur der unter der Nagelfluh gelegene Teil des Bettes selbst 
vermöge seiner Einnagung in den Fels jäh abstürzt) dafür verantwortlich zu 
machen, wäre bei dem Mangel aber Andeutungen eines solchen eitel Ver- 
mutung. Und dass der Fluss selbst sich hier durch seine Sedimente ein 
Hindernis geschaffen habe, ist, unmittelbar nach Durebschreitung einer Thal- 
öffnung mit träger Strömung und beim Uebergang zu einem lebhafteren Gefälle, 
vollends gar nicht annehmbar und würde auch unter anderen Verhältnissen 
nur in Erwägung gezogen werden können, wenn die Niveauverhältnisse eine 
Ablenkung des Flusses von dieser Gegend sehr leicht bewerkstelligen liessen. 

Aber auch dies trifft nicht zu. Diese würden vielmehr einen See ver- 
langen, der zu einer ganz beträchtlichen Hübe angespannt gewesen sein müsste, 
sollte er seinen AusHuss durch das Thal von Staroselo genommen haben. 
Schon Karfreit, etwa 3.5 m über dem dortigen Isonzo-Spiegel, hat eine Meeres- 
höhe von 235 m , und der niedrigste Punkt der W assersebeide gegen den 
Natisouo, bei Robic, liegt bei 250 m. Das macht einen Wasserstand nötig. 



b Küie näliere Untersuchung der losen Duss-Scholier, die unterhalh Santa Lucia in 
grösserer Mitrhtigkoit anziitnrlfen sind (vgl. die Ucberdeckung der diluvialen Nagelfluh in 
dein ProHl Nr. 4 der Kartentafel), würde vielleicht auch ein Aequivalent der .unteren 
fllacialschotter* dos Innthales auftinden lassen. Innerhalb des in dieser Arbeit vorzugsweise 
besprochenen Thatabschuittes scheinen sie, durch die Erosion des vorrUckenden Gletschern, 
beseitigt zu sein. 

Die lUluviale Nagelfluh ihrerseite wird von Penefc als der Glacialschotter einer noch 
früheren Vergletscherung angesprochen. Für den Tagliaiuento und für den Isonzo deuten nach 
TarameUt (Dei terreni moreuici S. 7. Geologie von Venezieu ,S. 509. 524) einige Blöcke von 
Kelsitpoqdiyr auf den Hügeln von BiiUrio und an dem Karst von Monftilcone auf eine frühere 
Vergletscherung hin, die mit weit grösserer Intensität, als die .späbire aufgetreten sein würde. 



Der mittlere Isonzo und sein VerhJlltnis zum Natisono. 



285 



wie ilin in der Gegend von Tolmein und Santa Lucia der Isonzo seit der 
grossen Vergletscherung nicht wieder gehabt hat. Da hätte auch noch der 
Weg Woltschach-Sela einer besonderen Verlegung bedurft, und die Gewässer 
der Idria hätten gar keine Möglichkeit gehabt, sich einem solchen See zu ent- 
ziehen. Auf die Periode des römischen Altertums aber angewandt , bedeutet 
jener Wasserstand eine Ueberflutung des Gräberfeldes auf dem linken Ufer 
der Idria bei Santa Lucia, das nach Marchesetti in der Zeit zwischen dem 6. 
und 3. Jahrhundert vor Ohristi Geburt, nach den bereits in grosser Zahl aus- 
gegrabenen Gerätschaften und Schmucksachen ') zu schliessen, in Gebrauch ge- 
wesen ist, und zwar eine Ueberflutung desselben um mehr als 50 ni ; die 
Isonzo -Brücke bei Santa Lucia hat 161 m Meereshöhe nach Semrad (das 
Mittelwasser des Isonzo selbst 128 m nach denselben), die obere Kirche 
206 m, das Gräberfeld liegt niedriger als diese. 

Mit diesen Bedenklichkeiten stimmt zusammen der Mangel an lacustren 
Ablagerungen in dem winkelreichen Kessel von Tolmein. Dieser könnte es 
vielleicht auch gewesen sein, der v. Czörnig dahin beeinflusst hat, die To- 
niinska schon mit zu seinem ursi^rünglichen Gebiet des Isonzo zu ziehen und 
eine „Barre“ bei San Lorenzo und Knmno anzunehraen, die nur einen Sec 
von da bis hinauf nach Karfreit zur Folge gehabt hätte. Diese Form nimmt 
die von ihm vertretene Theorie sicher auf den Karten an , welche er den 
kürzeren Auseinandersetzungen in Paris und Venedig beigegeben hat ; der 
Text des ausführlicheren M'erkes („Das Land Gürz und Gradisca“ 1873) 
schwankt in dieser Beziehung (vgl. S. 112 mit S. 119). Eine da .aufgeschUttete 
Barre von der bezeichneten Höhe würde bei dem grösseren Querschnitt des 
Thaies ungleich bedeutendere Massen erfordert haben, als bei den Engen von 
Santa Lucia ; um so auffälliger müsste die spurlose Beseitigung derselben in 
der Kürze von anderthalb Jahrtausend, wie auch der Mangel von Seesedimenteu 
oberhalb derselben erscheinen. Aber es tinden sich eben keine Spuren einer 
solchen ; selbst San Lorenzo steht auf festem Fels, der bereits in präglacialor 
Zeit angeschnitten wurde. Es lässt sich also für die ganze Strecke Karfrcit- 
Santa Lucia die Annahme eines Sees in den geologisch verfolgharcn Zeiträumen 
der Thalbildung aus den vorliegenden Befunden heraus nicht rechtfertigen ; 
gänzlich auszuschlicssen ist dieselbe für die Periode des Altertums, insbesondere 
wenn man eine Ausdehnung desselben bis Santa Lucia ohne einen Ausfluss da- 
selbst im Auge hat. (Schluss folgt.) 

*) Vgl. auch Marchesetti, ha Nccropoli di S. Lucia (Estralto dal ttollcttino 
della Soc. adriat. di «c. nat. in Tricste, Vol. IX, No. 2, 18H6). 






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Erosionsbasis und Meeresverschiebungen. 

VOD 

Dr. Vinceoz Ililber, Privablozent iß Graz. 

(Schluss.) 

Nach die.sen Bemerkungen über die Kontincntalwelle gelangen wir zur 
Gliederung der Attraktionserscheinungen. 

1. Niveauändorungen des Festen. Alle vier unter a) angeführten Arten 
von Niveauiinderuiigen müssen, wie bekannt, ausser ihrer unmittelbar gegebenen 
Wirkung noch eine zweite, nämlich die ürtlichc Aenderung in der Riclitung 
und Stärke der Gravitation haben. Dabei sind zwei Umstände zu beachten, 
erstens die Gravitationsünderung durch blosse Niveauänderung der festen 
Massen, zweitens etwaig damit verbundener Massenzuwachs oder Massenverlust. 
In den meisten Schriften, welche sich mit dem Gegenstände befassen, wird die 
stillschweigende den Antoron selbstverständlich scheinende Voraussetzung ge- 
macht, dass kontinentale Hebungen und Gebirgsbildung mit demjenigen Zu- 
wachs an Masse verbunden seien, welcher der sichtbaren Volumsvermehrung 
der über das Meeresniveau aufragenden Erdrindenteile entspricht. Es hat sich 
indes in dem Abschnitt „die Kontincntalwelle“ bei Besprechung der Kompen- 
sationstheorie gezeigt, dass diese Voraussetzung nicht für jeden einzelnen Fall 
als sicher begründet gelten darf, indem diejenigen Fälle, in welchen das Lot 
vom Gebirge abgclcnkt wird *), gegen dieselbe sprechen. Bei den sich an 
diese Thatsachc knüpfenden Folgerungen ist der Einfluss der gesteigerten 
Denudation , welcher in höheres Niveau gelangende Massen ausgesetzt sind, 
nicht au.sser Acht zu lassen. Bei Hebungen und Senkungen des Festen muss 
eine gleichsinnige Mitbowegung des Meeresspiegels erfolgen und zwar bei ent- 
sprechender quantitativer Massenänderung in stirkerem Grade, als ohne eine 
solche. 

Hebungen und Senkungen des Meeresgrundes, namentlich sofern sie mit 
wirklichen Masscuändeningcu im (Juerschnitt verbunden sind , haben dieselben 
Wirkungen, wie sie im Nachfolgenden unter 4. angegeben werden sollen. 

2. Eisanhäufung und -entfernung. Penck •) sieht durch kritische Ver- 
knüpfung der Ausführungen von Adhemar, Groll und Wallace die Ursache der 
quartiren Mceresspiegclschwankungcn in der durch Eisanhäufung bewirkten 
Anziehung des Meerwassers. Da sonderbarer Weise in den meisten Beferaten 
der betreffenden Arbeit selbst die Umrisse der Penckschen Anschauungen 
ungenügend oder unrichtig wiedergegeben sind, dürfte hier eine Angabe der- 
selben am Platze sein : 

Die diluviale Eisanhäufung hatte eine doppelte Wirkung : erstens die 
Hebung des Jleeresspicgels durch die Attraktion des Eises , zweitens die 
Senkung des Meeresspiegels infolge der Wassorentziehung durch Eisbildung. 



*) Eine wichtige Ergänzung dieser, sowie aller totablenkungsmessungen wären an 
denselben Stellen vorgenommene Messungen der Schwere-Intensität. 

’) IVnck. Schwjmknngen des Meeresspiegels, .labrbnch der Geographischen Gesell- 
EchaÜ zu München, VII. 1882. 



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EroHion^basi« und Mcero8Vßr»chiobungon. 



287 



War die nördliche Halbkugel allein verglotscliort, so überwog erstere Wirkung. 
War aber die südliche Halbkugel gleichzeitig vergletschert, so war die Er- 
niedrigung des llecresspiegels durch Wasserverlust grösser, als dessen Steigen 
durch die Attraktion des Eises. Das Meer musste sinken. Die Zeit der 
grössten Vergletscherung des Nordens weist den niedrigsten Stand des Meeres 
auf. Daraus folgt, dass damals beide Polo vereist waren. Erst der letzte 
Rückgang der nordischen Vereisung entspricht dem höchsten Meeresstande. 
Dies rührt von dem Freiwerden der um den Südpol gebundenen Wassermenge 
im Verein mit der dadurch bedingten Nordwärtsverschiobung des Erdsehwor- 
punktes her. Grolls wechselnde Vergletscherungen der nördlichen und der 
südlichen Halbkugel werden mit der Ergänzung Wallaces zugelassen, welcher 
zeigt, dass die luterglacialzeiton nicht zur Beseitigung der während der 
Qlacialzeiten geschehenen Eisanhäufung ansreichten. Ungleiche Höhen gleich- 
zeitiger Strandlinien erklären sich durch verschieden starke Eisanhäufung. 
(So wird die höhere Lago der obersten Strandmarken im südlichen Skandi- 
navien gegenüber dem nördlichen durch die der Eisanhäufung günstigere Land- 
konfiguration erklärt.) 

3. Vulkanische Bildungen. Trotzdem ihr Material im allgemeinen als 
aus dem Gebiete des nämlichen Erdradius stammend angenommen werden 
muss, ist ihnen doch wegen der Hinaufrückung in höheres Niveau eine Hebung 
des angrenzenden Meeresspiegels zuzuschreihen, aber keineswegs in dem Masse, 
als es bei wirklichem Massenzuwachs der Fall sein müsste. 

4. Sedimentierung und Erosion auf der Küste. Die Aufschüttungen im 
Unterlauf der Flüsse haben eine Vermehrung der Küstenmasse, folglich auch 
der Massenanziehung und eine Hebung des Meeresspiegels zur Folge, Erosion das 
Gegenteil, beide unter der Voraussetzung, d.ass das Material aus grösserer 
Entfernung stamme, beziehungsweise in eine solche geführt werde. 

5. Sedimentierung und Erosion auf dem Meeresgründe. Anhäufung von 
Sedimenten auf dem Meeresgründe hebt den Meeresspiegel, so dass derselbe in 
der Mitte der Anhäufung am meisten gehoben wird, Erosion drückt ihn hinab. 
(Hierbei ist die Wirkung der abgesetzten Stoße vor, der entfernten nach ihrer 
Umlagerung ausser Acht gelassen, beziehungsweise die gleiche Voraussetzung 
gemacht, wie in 4.) Die Beachtung der Gravitationswirkung des Meeresbodens 
führte Dahlander ') auf den Gedanken , dass die Unebenheiten des Grundes 
sich in verringertem Masse auf der Oberfläche des Meeres „abspiegelten“ oder, 
richtiger gesagt, nachzeichneten. 

Zöppritz ’) hat die Wirkung der Sedimentierung auf das Meeresniveau 
nicht nur der Art, sondern auch dom Grade nach untersucht. Die für unsere 
Fragen wichtigsten Ergebnisse seiner Untersuchungen sind in folgenden Sätzen 
enthalten. 

„Niederschläge fester Schichten . . . bewirken auch abgesehen von der 
rein geometrischen Verdrängung gleicher Wasservolumina, dass der Seespiegel 
sich hebt und die Gestadeländer des Beckens allmählich überflutet.“ Die 
flachen Meere an den Nordküsten von Asia-Europa werden durch die einmün- 
denden Ströme ausgefüllt. Eine Ausfüllung in der Breite von 5 Graden und 
der Dicke von 260 m hat eine Spiegelcrhöhung um 29,4 m zur Folge. 
„ Ein den ganzen Boden des Polarbeckens bedeckendes Sediment von nur lim 
Dicke bewirkt ein Steigen der See um 1 m. Die Annahme einer Ablagerung 
von 550 m Dicke , die an sich nichts Unwahrscheinliches hat , würde eine 
Spiegelschwankung um 50 m hervorbringen , wodurch beträchtliche Strecken 
der flachen Küstenländer unter Wasser gesetzt würden.“ „Allgemein lässt 



') Dahlander, üeber den Kinfluas, den die Unebenheiten der Erdoherttache und des 
Meeresbodens auf die Veründenmg des Niveaus des Meeres nusüben. .Annalen der Uhjsik 
und Chemie brsg. v. I'oggendortf. C^VII. Leipzig 18(32. S. 148—161. 

•) Zöppritz. Uebor Schwiuikungeu des Meeresspiegels infolge von geologischen A^or- 
rindeningen. Annalen der Physik und Chemie. Neue Folge. XI. 1880. 8. 1016 -1086. 



288 



Krosionflbaeiß und Mecresvorschiobungen. 



sich das Resultat aussprechen, dass durch Versetzung Ton Massen aus dem 
Innern der Kontinente nach den Rändern das Potential an diesen wachst, 
also der Meeresspiegel steigt, und zwar um so bedeutender, je weiter im In- 
nern der Ursprung der Sedimente liegt.“ ,.Verschiedene Kontinentalküsten 
verhalten sich bezüglich der Sedimentablagerung längs dem Strande ausser- 
ordentlich verschieden . . . Demnach werden auch verschiedene Küstenstrecken 
in verschiedenem Grade von den besprochenen Spiegelsclnvankungen betrofi'en.“ 
Zöppritz kommt mit Rücksicht auf die gefundenen Zahlen zu dem Ergebnis, 
diiss die Ursachen der grossen Arealveränderungen zwischen Meer und Fest- 
land anderswo zu suchen seien *). 



II. Wi^sermengc. 

1. Eindringen des Wassers ins Erdinnere und Austritt aus demselben. 
Hier ist der alten Lehre zu gedenken, dass das irdische Wasser sowohl durch 
chemische Bindung , als auch durch Tieferrücken der Geoisothermen infolge 
der Erkaltung des Planeten immer mehr ins Erdfeste vordringt. Wenn auch 
geltend gemacht wurde, dass nach den geologischen Erfahrungen die Abnahme 
des obcAUchlichen Wassers nur einen geringen Betrag gehabt haben könne, 
was mir jedoch nicht erweisbar scheint, ist doch dieser Vorgang wegen des Vor- 
handenseins der Ursachen als thatsächlich anzunebmen und auch von vorne 
herein im Hinblick auf die Mondoherflächc wahrscheinlich. Ihm steht eine 
Gegenwirkung gegenüber in den Wassermassen , welche aus den Produkten 
der Vulcane frei werden. 

2. Aenderung der auf dem Festlande und in der Luft kreisenden Wasser- 
menge. Eine gewisse Wassermeuge ist stets durch den Kreislauf gebunden. 
Soviel Wasserteile in das Meer zurückkehren, so viele rücken heim Gleich- 
bleiben der Faktoren des Prozesses in den Anfang der Bewegung wieder ein. 
Die Faktoren, welche die Menge des im Kreislauf befindlichen Wassers beein- 
flussen , sind die ja auch der Aenderung fähige Luftmeuge und die Luft- 
temperatur, welche die Menge des aufnehmharen Wasserdunstes l>estimmen, 
der Flächenraum des Festlandes, mit dessen Wachsen das mögliche Maximum 
der Kreislaufmenge sUügt, der Grad der Entwässerung des Festlandes, von 
welchem das Vorliandensein stehender Wässer abhäiigt, die vertikale Gliede- 
rung des Festlandes, welche sich selbst widersprechende Einflüsse besitzt, 
ferner die Durchlässigkeit des Bodens, deren höhere Grade grössere Wasser- 
mengen zurückhalten, die Vegetation und das tierische Leben, welche, nament- 
lich erstcre, ein beträchtliches Wasserquantum fesseln, endlich Eisanhäufungen, 
die zwar lokal durch Anhäufung den Meeresspiegel heben , aber auf die Ge- 
samtfläche der Occane durch Wasscrciitziehung eine hinabdrückende Wirkung 
ausüben. 



*) Die hier gegchcnpn Ausfilhrungcn würden die bc«to KrklÜrung für solche Schaukel- 
bowcpingen bieten, wie «ie für Skandinavien angenommen wurden. Davon abgenehen, ob 
dic^e in neuester Zeit f>czwcifuiU> Bewegung vor sich gegangen ist, soll an dieeem Beispielo 
gexcigt werden, daß« dio Tendenz zu einer solchen bestehen mnss. Skandinavien« llaupt- 
wa(wer«cheide liegt nahe an dessen atlantischer Küsb'. Diese Küste tragt alle Merkmale 
der Zerstrnrnng, des Landvcrlustes an «ich (luselreihen, Fjorde). Nach der entgegen- 
gesetzten Seite, nach der Ostsee und dem Imttnischen Bus(?n schleppen die Flüsse Material 
von der Wasserschoide weg, wodurch ebenfalls ein StoflVorlußt für die atlantische Seite der 
Halbinsel entsteht. Die Folge ist eine Verminderung der Attraktion, ein Sinken des Meeres 
auf dieser Seite. Anders vorbült sich die baltische Küste Skandinaviens. Auch werden die 
in die Ostsee eingoschweminten Sinkstoffe nicht durch Brandung und Küstenströmungen 
entfern^ vennchren also dio Attraktion, crzeug«m ein Steigen des Meeres. 

Ein ähnlicher (legensatz zwisclnm zerstüekelter und voller Küste hcrracht in Pata- 
gonien, für welches ebenfalls eine Schaukelbewegung (mit Hebung der erodierten Seite) be- 
hauptet wurde. Ja jpinz Südamerika i«t durch die Lf^e der Wasserscheide un der pasifi- 
seben Seite einer Verschiebung der Anziehungsvcrhültniesc aufgesetzt. 







Eroaiomba^iit und Meoresvorschiebun^cn. 



289 



3. Wasserzufulir und -Verdunstung. Dadurch, das.s in teilweise abge- 
schlossenen Meoresbecken die Wassermenge der cinmündenden Ströme den 
Verlust durch Verdunstung erheblich übersteigt oder bei weitem nicht zu 
decken vermag, entstehen bekanntlich merkliche Niveauunterschiede zwischen 
diesen Becken und den freien Meeren. Dieselben werden allerdings wesent- 
lich mitbedingt durch die in gleichem Sinne auf das Niveau wirkende Aende- 
ruug des Salzgehaltes. 

III. Wasserdichte. 

Durch Aenderung der Temperatur oder der chemischen Beschaffenheit des 
Wassers (namentlich des Salzgehaltes), entstehen zwar merkliche, aber stets 
gering bleibende lokale Verschiebungen des Meeresniveaus. ■, 

IV. lAißdruck. 

An den Stellen hohen Luftdruckes wird das Meeresuiveau himibgedriickt, 
dagegen durch den schräg auf die Fläche wirkenden Druck der bewegten Luft 
geholmn. 

V, Bauminltalt der Mccreshccken. 

1. Flächeniinderung. 

2. Tiefenänderung. 

Sowohl die Vergrösserung der horizontalen, als auch jene der vertikalen 
Dimensionen der Mcere.sriinme hat ein Abwürtsrücken der Straji^linie zur 
Folge, da die gleichen Wassermassen in ein grösseres Gefäss gebracht werden. 
Die Verkleinerung des Gefüsses hat die entgegengesetzte Folge. Solche 
Aenderungen der Beckenräume können zu stände kommen durch die Kon- 
traktion der Erde , wobei die Kontraktion des gesamten Erdballs wegen des 
Kleinerwerdens der Kugel die Meeresbasis verkleinert und dadurch ein Steigen 
des Meeres erzeugt'), während die voreilenden Senkungen der Meeresgründe 
die Tiefendimensionen der Meeresbecken steigern und dadurch ein Sinken des 
Meeres heevorbringen. 

Um die Wirkung der Volumsverminderung des Erdballs auf das Steigen 
des Meeres zu beurteilen, habe ich unter Zugrundelegung der von Heim *) und 
Krümmel ’) gemachten Angaben eine Berechnung der bezüglichen Beträge an- 
gestellt. Heim nimmt an, dass sich durch jene Kontraktion, welche die Alpen 
erzeugte, der Erdumfang, gemessen im Meridian der Centralalpen, um höchstens 
120 Kilometer verkleinert habe. Das ergiebt unter Anwendung der Krümmel- 
schen Daten über die räumlichen Verhältnisse des Weltmeeres (mittlere Tiefe 
3320 m, Areal 368 Millionen qkm, Volumen 1220 Millionen chkm) ein 
Steigen des Meeres um 21 m. Das ist allerdings nur der der Alpenbildung 
allein entsprechende Betrag. AVenu gleichzeitig zu den Aliien parallele Runzeln 
der ErdoberÜäche entstanden sind, erhöht sich derselbe. Aber auch der im 
Gefolge der Heimseben Voraussetzungen auffindbare Grenzwert ist nicht hoch. 
Die gesamte übrige Faltenhildung im Meridian der Alpen seit den ältesten 
Zeiten der Erde schätzt Heim als höchstens gleichwertig mit zwei Alpen- 
systenien (was indes wegen der fast durchgängigen Faltung der archäischen 
Gesteine viel zu wenig sein dürfte). Die gesamte Faltung nach Heim mit 
drei Alpensystemen angenommen ergiebt ein Steigen des Meeres um 58 ra. 
Man sieht aus diesen Daten, dass der erwähnte Faktor, obwohl er nicht gänz- 
lich ausser Acht gelassen werden darf, nicht geeignet wäre, die grossen Gebiets- 
veränderungen des Meeres zu erklären. ^ 

*) Pfiiff. Grundriss der Geologie. Leipzig 1876. S. 148. 

•) Heäu- Mechanismus der Gebirgshildung II. Basel 1878. S. 218 — 214. 

•) Krünnncl. Bor Ozean. Leipzig, Trag 1886. S. 73. 



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Eroflionsbasis und Meeresverschiobungen. 



Das Sinken des Meeresspiegels durch die Senkung des Grundes« ist bei 
gleichmässiger Senkung des ganzen Grundes dem Betrage dieser letzteren gleich. 

Die Sedimentanhiiufung auf dem Meeresgründe hat, abgesehen von ihrer 
bereits besprochenen Attraktionswirkung, gleich etwaigen Hebungen des Meeres- 
grundes ein Steigen des Spiegels zur Folge. 

b) Kosmische Ursachen. 

1. Aenderung der Erdaxenlage. Man hat bekanntlich eine solche aus 
den fossilen Pflanzen des hohen Nordens zu erschliessen versucht. Die Astro- 
nomen sprechen sich jedoch gegen eine irgendwie erhebliche Ablenkung der 
Erdaxe aus '). Ihr Einfluss würde in durch die Abänderung der Pollage be- 
dingter Umsetzung der polaren Eisanhäufung und deren Gravitationswirkung, 
ferner in der Umsetzung dos äquatorialen AVasserwulstes und der polaren 
Wasserdepression (welche ein Gegengewicht gegen die Aufstauung durch Eis- 
attraktion bildet), bestehen. 

2. Aenderung der Dauer der Erdrotation. Suess hat als mögliche Er- 
klärung der von ihm erkannten Korrespondenz entgegengesetzter Strandlinien- 
verschiebungen im äquatorialen und polaren Teil der Erde auf eine etwaige 
Aenderung in der Tageslänge und der dadurch bedingten Aenderung der Flieh- 
kraft hingewiesen ; Penck hat dagegen geltend gemacht , dass , wie Herbert 
Spencer 1849 gezeigt habe, die feste Erde sich der veränderten Kotatious- 
geschwindigkeit anpassen müsse. 

3. Die Flutbewegung. Sie ist hier nur insofern von Belang, als durch 
sie, wie es z. B. auf beiden Seiten der Landenge von Suez der Fall ist •), bei 
gleichem Normalniveau zweier Meere oder Meeresstrecken je nach der Flut- 
stärke die obersten Strandmarken in verschiedener Höhe hegen können. 

Die anderen kosmischen Ursachen, welche Einfluss auf die Strandlinien- 
verschiebung besitzen könnten , brauchen in dieser Aufzählung nicht genannt 
zu werden, weil sie teils (Aenderung in der Exzentrizität der Erdbahn, in der 
Schiefe der Ekliptik , in der Länge des Periheliuras) nur indirekt durch die 
bereits besprochene Eisanhäufung wirken, teils (Sclimicks Hypothese) allge- 
mein als unannehmbar gelten. 

B. Horizontale Verschiebungen. 

Sofern dieselben nicht schon durch die ausgeführten vertikalen Verschie- 
bungen, als deren Folge sie in den meisten Fällen erscheinen, bedingt sind, 
kommen hier folgende Erscheinungen in Betracht. Sie sind , allerdings wohl 
nur in Verbindung mit vertikalen Verschiebungen und durch sie bedingt, das, 
was .als Transgressionen und Regressionen bezeichnet wird. 

1. Hebungen und Senkungen des Uferstriches über und unter das 
Mecresniveau. 

2. Verlandung und Erosion des Ufers. 

Beide Gruppen sind in ihrer Wirkung insofern verschieden, als bei 
erstcrer an dem betroffenen Uforstriche selbst auch die Merkmale einer verti- 
kalen Verschiebung der Strandlinie auftreten. 

Man könnte auch diese horizontalen Verschiehungen in positive, land- 
wärts gerichtete, und negative, meerwärts gerichtete, gliedern ’). 

9 Günther. Geophysik I. S. 213. 

*) Das Kote Meer steht bei Suez zur Flutzeit um 0,8 lu hoher, ule das mittelländische 
(Boguslawski, Kandb. d. Ozeanographie). 

“) Von mehreren Seiten (Günther, Dochen, Laaaulx) ist die Hezeichnung positive und 
negative Verschiebung für vertikale .Schwankungen im entgegengesetzten Sinne, wie von 
Sueaa gebraucht worden, was aus folgenden Gründen unzweckmässig erscheint: l. wird da- 
durch der von dem Urheber des Terminus damit verbundene Sinn ohne zwingenden Grund 
geändert i 2. führt der verschiedene Sinn, den verschiedene Autoren mit dem gleichen Aus- 



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KrosionftbosU und Mecresverschiobangeo. 



291 



Der UebersichÜicbkcit wegen möge hier eine Zusammenstellung der be- 
sprochenen Faktoren der Strandlinicnvcrschiebungen folgen. 



A. Vertikale Verschiebungen. 

a) Terrestrische rrsachen. 
a) Niveauänderung des Erd- 
fest eu. 

1. Säkulare Hebungen und Senkungen. 

2. Gebirgsbildung. 

3. Verwerfungen. 

4. Zusammensitzen und Abrutschen. 
pl) Ni veauände rung des Meeres. 

I. Attraklion. 

1. NiveauUnderung des Festen. 

2. Eisanhäufung und -entfernung. 

3. Vulkanische Bildungen. 

4. Sedimentierung und Erosion auf der 
Küste. 

5. Sedimentierung und Erosion auf dem 
Meeresgründe. 

II. WfixsiTtimu/e. 

1. Eindringen des Wassers ins Erd- 
innere. 



2. Aenderung der auf dem Festlande 
und in der Luft kreisenden Wasser- 
menge. 

3. Wasscrzufulir und -Verdunstung. 

III. Wasserdichh;. 

IV. Lufldntck. 

V. Bminiinhcdi der Meercubixkcn. 

1. Flächenänderung. 

2. Tiefenänderung. 

b) Kosmische Vrseclien. 

1. Aenderung der Erdoxcnlage. 

2. Aenderung der Dauer der Erd- 
rotation. 

3. Flutbewcgung. 

B. Horizontale Verschiebungen. 

1. Hebung und Senkung des Ufer- 
striches über und unter das Meeres- 
niveau. 

2. Verlandung und Erosion des Ufers. 



Erklärungsmoglichkeiten für in horizontaler und vertikaler Erstreckung 
geringwertige Strandlinienvorschiebungen bieten sich in grosser Anzahl dar 
und es ist Sache der Untersuchung jedes einzelnen Falles die Ursache der 
Verschiebung zu finden. Viel beschränkter ist die Auswahl zur Erklärung 
der ausgedehnten Verschiebungen der Mecresgrenzen , welche als Transgres- 
sioneii und Regressionen bezeichnet wurden. 



III. TranNgrew<ioiieii und Regressionen. 

Elin Ueberblick der aufgezeicbneten Faktoren lehrt, dass für diese grossen 
Verschiebungen überhaupt nur Hebungen und Senkungen dos Erdfesteii, At- 
traktionswirkungen. Wasserbindung, kosmische Ursachen in Betracht kommen 
können. 

Eine Herrschaft der letzteren ist durch keinerlei Belege wahrscheinlich 
gemacht worden. Ja in der Dauer und in der Wiederholung der Transgros- 
siouen spiegelt sich, soviel ich zu erkennen vermag, nicht jene Regelmässig- 
keit, welche den kosmischen Ersebeimingen eigen ist ; und auch in der Ver- 
breitung und Verteilung der von den Transgressionen ergriffenen Festlands- 
flächen ist nicht jene gesetzmässigo Anordnung ausgodrückt , welche jede 



druck verliinden, zu Störungen; S. ist damit die neutrale BezeichnungHweise, um dorentwillen 
der Ausdruck eingefUhrt wurde, zu Gunsten der allerdings nur mitlaufenden Vorstellung 
oder besser der Symlmlisierung einer Hebung des Landes schon verlassen. Es dürfte dem- 
nach nicht von Bewegung der Strandlinie, sondern höchstens von positiven und negativen 
Schwankungen des Festlandes (und da wäre Hebung und Senkung einfacher) gesprochen 
werden, wenn die Bezeichnung Sinn haben sollte (Bezeichnung der Ordinaten in der Mathe- 
matik, an welche bei Anwendung einer dieser Wissenschaft entlehnten Bezeichnung gedacht 
werden muss). Die von mir ini folgenden angewandten Ausdrücke Steigen und Sinken der 
Strandlinie erlauben wohl kein Missverständnis. 



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292 



Erosionsbaairi unJ Mi;ercsver«chielmnffen. 



unmittelbare kosmische Einwirkung nach sich ziehen müsste. Mehr Einfluss 
scheint die Bindung von Wasser durch Eisbildung und durch Eindringen in 
das Erdinnere zu besitzen, wenigstens als Hülfsfaktor des Eückschreitens der 
Meere. Auch die übrigens stets mehr oder weniger lokale Aenderung des 
Gravitalionshotrages muss einen gewissen Ausschlag für eine Veränderung des 
Meeresniveaus ergeben. Die gewaltigen Eisanhäufungen, welche in der Diluvial- 
zeit die um die Pole liegenden Flächen bedeckten , müssen die angenommene 
Wirkung auf das Niveau der Meere, ein Ansteigen desselben um die Pole, 
ein Sinken um den Aeqnator, gehabt haben. So erklären sich auch am 
besten die in die Quartiirzeit fallenden jüngsten grösseren Verschiebungen der 
Strandlinie, welche Suess in überzeugender Weise als ein Sinken rings um die 
Pole, ein Steigen um den Acquator darstellt, als die notwendige Folge des 
Rückganges der Vereisung. Denn sowohl das durch Schmelzen des Eises frei 
werdende, als das von dem Zuge der Attraktion entfesselte Wasser musste 
den Meeresstand in den Aequatorialgegenden erhöhen, während er sich in den 
polaren Gegenden erniedrigte. 

Hiermit erscheint eine Eigentümlichkeit der qnartären Strandlinienbewe- 
gung berührt, welche als eine Ausnahme in der Reihe der Transgressionen 
betrachtet werden muss, nämlich das wechselseitige Entsprechen gleichzeitiger 
Transgression und Regression an verschiedenen Punkten. Die Geschichte der 
Transgressionen , so sehr dunkel und unvollkommen sie auch noch ist , lässt 
doch bereits erkennen, dass die grossen Transgressionen wirkliche und beträcht- 
liche Erweiterungen der vom Meere beherrschten Flächen gewesen sind und 
dass das Meer nicht, was es an dieser Stelle gewonnen, an jener verloren hat. 
Die Transgressionen wurden nicht durch Regressionen an anderen Stellen kom- 
pensiert oder gar verursacht. Fis geht dies aus dem von Suess selbst mit so 
vielem Nachdrucke betonten Umstande hervor, dass im allgemeinen die Meeres- 
formationon auf den heutigen Festländern, unter ihnen die Absätze der Trans- 
gressionen, sowie die Lücken zwischen diesen Formationen, das sind die Merk- 
zeichen der Regressionen , auf der ganzen Erde die gleichen sind. Lokale 
Ausfüllungen einzelner dieser Lücken fehlen allerdings nicht ; ihre Seltenheit 
bedingt das grosse Aufsehen , das jedesmal der Fund einer Fauna erregte, 
welche die Tierwelt zweier übereinander folgender, aber durch eine bis dahin 
stets erkennbare Bildungslücke getrennter Formationen verbindet. Wären dio 
Transgressionen und Regressionen Korrespondenzerscheinungen, so würden die 
Formationslucken, so oft sie vorhanden wären und wohl auch in annähernd 
gleichem räumlichen Ausmasse durch transgredierende Sedimente an anderen 
Stellen ausgefüllt werden ; und diese letzteren Ablagerungen würden die Lücken 
dort haben , wo anderwärts Meeresbildungen vorhanden sind. Sowie die 
durch den Mortd erzeugte Flut an anderen Stellen Ebbe hervorbringt, so 
müasten gleichzeitige der Ebbe entsprechende Regressionen wahrnehmbar sein, 
wenn Attraktionswirkungen , ja wohl auch , wenn überhaupt Bewegung dos 
F’lüssigcn die Ursache der grossen Meereswanderungen wäre. Statt dessen 
sehen wir in Uebereinstimmung mit den verbreiteten Anschauungen allge- 
meine Meeresperioden mit allgemeinen Fcstlandspcrioden abwechsehi. Unter 
den anderen Verhältnissen würde man auch gar nicht dazu gelangt sein, 
unsere Formationsreihe in fernen Gegenden in dem Masse wiederzufinden, dass 
die im westlichen und mittleren Europa cingeführten F'ormationsbezeichnungeii 
sich das WeltbUrgerrecht erwerben konnten. 

Die Theorie von der selbständigen Bewegung des Meeres liesse sich nur 
vereinigen mit der Annahme der Beständigkeit der grossen Meeresbecken und 
der Kontinente als wenn auch zeitweilig wasserbedeckter Erhabenheiten; denn 
die Bewegung des I'lüssigon kann nur zu Entblössungon und Ueberflutungen 
der am höchsten liegenden dem Wasser noch zugänglichen Teile führen, die tiefen 
Ozeangründe hingegen können diesem Wechsel auf diesem Wege nicht unter- 
worfen sein. Allerdings wird diese Beständigkeit von ausgezeichneten Ver- 




wrv' 



Grosionshasis und MeeresverschiebunKon. 293 

tretern der Wissenschaft verfochten. Neumayr ') (obgleich sich der Lehre 
von den Schwankungen des Flüssigen zuneigend) hat indes ausgcführt , dass 
die Gruppierung von Land und Meer, wenn auch nicht oft wiederholten Aende- 
ningcn unterworfen , doch auch nicht jene vielfach behauptete Beständigkeit 
besessen habe. 

Auch noch andere Thatsachen sprechen gegen eine ausschhossliche Be- 
wegung des Flüssigen bei Entstehung der Transgressionen, so die ausser- 
ordentliche Mächtigkeit mancher transgredierendor Sedimente, weil sie das 
Minimalmass der entstandenen Niveaudilferenz dai-stollt, so die bedeutende 
Höhenlage eines Teiles der italienischen Pliocänschichten, endlich der ITmstand, 
dass die aufeinanderfolgenden Transgressionen nicht selten ganz verschiedene 
Gebiete umfassen ; die oligoeäne Transgression licss ausgedehnte Landstriche 
unberührt, welche von der mioeänen Mecreserweitcrung ergriffen wurden und 
wieder schont die letztere grosse Gebiete, welche vom oligoeänen Meere besetzt 
gewesen waren. 

Es bleibt noch zu fragen , ob gegen die Annahme von Hebungen und 
Senkungen des Festen , welche uns als einzige Erklärungsmöghehkeiten der 
Transgressionen übrig sind , unanfechtbare Einwendungen vorgebracht werdeu 
können. E. Suess hat in der That gewichtige Gründe ausgesprochen, welche 
gegen die Annahme einer Bewegung des Festen bei Entstehung der Trans- 
gressionen sprechen und wenn ich nach einer anderen Erklärung der unbe- 
streitbaren Thatsachen suche, welche jenen Gründen des Meisters zur Unter- 
lage dienen, so geschieht dies nicht, weil ich ihre Bedeutung gering schätze, 
sondern weil mich meine Studien auf einen andern Standpunkt geführt liaben. 

Die Gründe, welche Suess gegen die Bewegung des Festen und für die 
Bewegung des Flüssigen anfülirt *), sind folgende : 

1. Die Erfahrungen über die Summe der letzten Veränderungen der 
Strandlinie (Sinken derselben um die Pole, Steigen um den Aequator) würden 
bei Erklärung durch Bewegung des Festen zur Annahme einer Formverände- 
rung der ganzen Erde führen. 

2. Die Formationen und die Lücken zwischen ihnen zeigen auf der ganzen 
Erde eine merkwürdige Uebereinstimmung ’). Das weist auf eine gemeinsame 
Ursache und nicht auf lokale Bodenbewegungen hin, deren Gleichzeitigkeit 
und Gleichsinnigkeit in ihrer Verteilung über die ganze Erde hin schwer er- 
klärheb wäre. 

3. „Die Art und Weise, in welcher sich die Kontraktion der Erde an 
der Oberfläche des Planeten äussert, die Bildung von Falten und Einbrüchen, 
steht nicht im Einklänge mit der Voraussetzung von langsam, auf weite Strecken 
hin , gleichförmig , zu wiederholten Malen auf - und wieder absteigenden kon- 
tinent^en Tafeln.“ 

4. Die alten StrandUnien sind von der Beschartenheit der Gebirge gänz- 
ücb unabhängig; so gleichmässige Hebungen und Senkungen eines so viel- 
gestaltigen und in so viele Fragmente zerbrochenen Festlandes (wie das als 



*) Nouinayr. Die geographiselio Verbreitung der .luraformation. Denkschriften d. k. 
Akad. <i. Wiss. in Wien. 50. Bd. 1885. 

•) Suess. ücber die ventielnthchen säkularen Schwankungen einzelner Teile der Erd- 
oberfllM:he, Verhantll. d. k. k. geol. Keiehsau-stalt. Wien 1870, S. 171—180. Smiss. Das 
AntliU der Erde. I. Prag. Leipzig 1H8J1, S. 14 — 19. 

’) Diese l’cbereinatitnniung kann auch als einer der (Irönde für die Beständigkeit der 
Meercsr^pic angethhrt werdeu. Es ist nämlich klar, dass die Lückenhaftigkeit der For- 
mationsrew nicht für die gesamte Entrinde, sondern nur für die uns zugänglichen TcUc 
besteht. Mm müsste denn annehmon, dass die Meere zeitweilig ganz verschwunden wären 
oder dass die Ablagerung ausgesetzt hätte. Thut man dies nicht, so bleibt nur die An- 
nahme, dass das Meer sich in den llegressiouszeiten steten den gieichon Becken, nämlich 
in den beständigen Meeresräumen befunden und daselbst Ähiagerungen gebildet habe. 
Cebrigens ist die Frage nach der BesBlndigkeit der Meeresmume noch niclit spruchreif und 
Neumayr hat, wie üben erwähnt, sehr heaelitenswerte (Iründe dagegen gefunden. 



Dir: ' cJ !iy Gl« 





294 ErosionBbiisis und Meeresvorschiebungen. 

Beispiel erwähnte Italien) ohne jode gegenseitige Verschiebung der Teile sind 
nicht ansunehmen. 

Der erste der angeführten Gründe ist zwingend '). Mit der Annahme 
einer Bewegung des Meeres in der Quartiirzeit bleibt aber die Möglichkeit 
offen, dass andere Schwankungen der Strandlinie eine andere Ursache haben. 
Auch hat die quartäre Bewegung der Strandlinie die für die Bewegung des 
Flüssigen geforderte Besonderheit des gleichzeitigen Auftretens von Traus- 
gression und Regression an verschiedenen Punkten. 

Die als zweite angeführte Thatsachc soll in den nachfolgenden Aus- 
einandersetzungen ausführheh gewürdigt werden. 

Was den dritten und den vierten Punkt betrifft, so ist ein Ausweg da- 
durch gegeben, dass das Sinken der Strandlinie selbst bei Annahme der Be- 
wegung des Festen nicht notwendig das Aufsteigen des Festen bedingt, son- 
dern dass, wie schon erwähnt, die Vertiefung der Meeresgründe durch Senkung 
ein ZurUckweichen des Meeres, folglich eine scheinbare Hebung des Festen, 
erzeugen muss. 

Nach dem gegenwärtigen Staude unserer Kenntnisse scheint die Lehre 
von der Bewegung des Festen geringeren Schwierigkeiten bei Erklärung der 
Transgressionen zu begegnen, als die von der Bewegung des Flüssigen. 

Die Kontraktion der Erde durch Abkühlung, welche aus unbestreitbaren 
Gründen allgemein angenommen wird, hat sich auf der Erdobertläche in ver- 
schiedener Weise geäussert. Einzelne Teile (die Meeresboden) sanken stärker 
ein, als andere (die Kontinente). Mit diesem Voransinken der Meeresgründe 
musste aber eine Regression verbunden gewesen sein (und, falls nunmehr vom 
Meere besetzte Teile früher über das Meeresniveau geragt hätten, auch eine 
Transgression). Werden also die Meeresräume als Erzeugnisse der Kontraktion 
gedacht, so kann das Schwanken der Meere durch Bewegung des Festen nicht 
ausgeschlossen werden. Sind aber die Depressionen Folgen der Kontraktion, 
BO müssen sie entstanden sein, so lange die Kontraktion .auf die feste Ober- 
fläche gewirkt hat, also seit der Bildung der Erdrinde bis auf die Gegenwart. 
Es ist hierbei zu bemerken, dass, wie früher erwähnt, das Sinken der Meeres- 
böden ein allgemeines Sinken des AVasserspiegels zur Folge hat *) und dass 
somit die Trockenlegung überfluteter Landstriche trotz der Bewegung des 
Festen ohne Hebung zu stände kommen kann. Die von Suess in ihrer .all- 
gemeinen Anwendung mit Recht bekämpfte Elevationstheorie bietet somit nicht 
die einzige Möglichkeit, nach welcher durch Bewegung des Festen Regressions- 
erscheinungen zu stunde kommen können. Freilich bewegt sich nicht das ganze 
von der Regression erreichte Gebiet selbst. 

Die Transgressionen entstehen nach der hier zu vertretenden Ansicht, 
wie kaum mehr bemerkt zu werden braucht, durch vorauseilende Annäherung 
der betroffenen Teile an den Erdmittelpunkt. Dass der Kontraktionsvorgang 
vollkommen genügt, um die vertikale Ausdehnung der Transgressionen zu er- 
klären , geht aus der Berechnung Heims henor , dass die Kontraktion eine 
Radiusverkürzung von 50000 m zu stände gebracht habe. „Während der 
Zeit, da der Erdradius sich um 50 000 m verkleinerte , hat der durchschiiitt- 

’) Sofern nämlich die onlerjjolpgt^n Thatwiuhen nicht amlero Deutungen erlauben. 
Su^an führt sogar ThaUachen an, welche gegen ein YorhorrschentleH Steigen dor Strand- 
linien in der Troponzone sprechen. (Supan, PbyHische Erdkunde. Leipzig 18S4, S. 198.) 

*) Die« irt wohl auch eine naheliegende rhklürung für da« von Stiesa so anBchaiilich 
beschriebono Zusaminenfalleii dor Einbrüche und der Erniedrigung dea Moertwatandoa nach 
dor Zeit der dritten Meditorraustufe im Mittelmoergehiete (Antlitz, !, 417), und für die KuL 
fltohung der Woltinooro nimmt Suos« Mclbat den gleichen Vorgang an: „Die Einbrüche sind 
08 . welche die Wässer in tiefen Weltmeeren gesammelt haben". (Ebenda 778.) Es i«t nach 
dioKOn und anderen Aussprüchen sicher, dass Suegs mit der Bestreitung vertikaler Bewegungen 
des Kesten (ausserhalb der Faltung) bloss die vortikulen Äufwärtsbewegungen gemeint hat. 
was, wenn auch eine vertikale Linie nach zwei entgegengesetzten Richtungen läutl, «ich 
doch sprachlich vollkommen rechtfertigen lässt (vertikal = Scheitel wäits). 







Erosionsbasis und Mcoroavcrschiobungen. 295 

liehe Niveauunterschied von Meeresgrund und Festland in dieser Zahl mehr 
als 10 Mal in jo wieder ganz anderer Gruppierung Raum genug gefunden“ *). 

Selbst wirkliche Aufwärtsbewegungen , wenn auch räumlich beschränkt, 
können nach den bislicrigen Erfahrungen nicht gänzlich ausgeschlossen werden ; 
sie sind mechanisch als Folgen der Kontraktion erklärbar und bilden an- 
scheinend die einzige Möghehkeit, die ausserordentliche Höhenlage der italie- 
nischen Pliocänschichten zu erklären. 

Eine der bedeutendsten und am schwierigsten zu umgehenden Einwen- 
dungen, welche Suess gegen die Bewegung des Festen als Faktor der Trans- 
gressionen aufgestellt hat, ist der Hinweis auf die Wiederkehr der gleichen 
Furmationslücken in entfernten Gegenden *). Allerdings spricht dieser Um- 
stand, wenn ich nicht irre, auch und vielleicht in noch höherem Grade gegen 
die ausschliesslichen Bewegungen des Meeres, da, wie erwähnt, das Meer an 
einer Stelle um so viel steigen müsste, als es an einer anderen sänke, wodurch 
an Stelle einer stetigen mittleren Lückenhaftigkeit eine im ganzen sich er- 
gebende Vollständigkeit der Formationsreihe treten müsste. Trotzdem muss 
geprüft werden , ob sich die erwähnten Thatsachen mit der Annahme von 
Schwankungen des Erdfesten vereinigen lassen. 

Es kann hier zunächst die Frage aufgeworfen werden , ob denn Beginn 
und Ende der Meerestransgressionen, sofern deren Ablagerungen die gleichen 
Organismen überliefern, absolut gleichzeitig gewesen sind und ob sich also die 
durch die Lücken verratenen Kegressionsperioden zeitlich decken. Denn es 
muss hervorgehoben werden, dass die geologische Gleichzeitigkeit nicht absolute 
Gleichzeitigkeit bedeutet, sondern dass dieselbe einen so weiten Spielraum ge- 
währt, als die Fauna oder Flora, welche in zwei verglichenen Schichten oder 
Schichtenreihen vorkommt, gelebt hat. Da nun die mensclüiche Ueberlieferung 
schon das Andauern der gleichen Bewohnerschaft eines grossen Erdraumes 
seit Jahrtausenden sicher stellt, so dürfen wir nicht ohne w’eiteres physikalische 
Vorgänge, bei welchen cs sich um die Frage, ob sic absolut gleichzeitig sind, 
handelt, als solche bezeichnen deshalb, weil sie als geologisch gleichzeitig er- 
kannt w'erdcu können. 

Für einen Teil der Meeresausbreitungen lässt sich allerdings die absolute 
(Gleichzeitigkeit nachweisen. Die ins Innere der Kontinente vorgeschobenen 
Meeresbilduiigen können nicht ohne andauernde Verbindung mit dem Meere 
entstanden sein und es muss somit zur Zeit des weitesten Vorgreifens des 
Meeres die ganze jetzt durch Sedimente bezeichnete Bucht gleichzeitig über- 
flutet gewesen sein. Dieser Anhaltspunkt fehlt aber für die Beurteilung der 
Gleichzeitigkeit verschiedener nicht unmittelbar zusammenhängender Ausbrei- 
tungen des Meeres. 

Es giebt vielleicht einen Weg, auch die Frage nach der Gleichzeitigkeit 
dieser letzteren zu beantworten. Ausgezeichnete Forscher sind zu der üeber- 
zeugung gelangt, dass die zeitweise Umprägung der Landbew'ohnerschaft die 
Folge der zeitweisen Erweiterungen und Rückzüge des Meeres sei. Das kann 
aber nur der Fall sein , wenn diese letzteren gleichzeitig grosse Räume um- 
fassen und die Wahrscheinlichkeit dieses letzteren Satzes hängt somit von dem 
Grade der Zuverlässigkeit jener Anschauung ab. Die Entscheidung könnte 
durch ein zweckbewusstes Studium der Landfauna und -tlora transgredierender 
Sedimente herbeigeführt werden. Ausserdem bleibt, wie überhaupt die Trans- 



*) Heim. MechaniKiuus otc. 246. 

•) Es wäre allonlinK« wüauehonswert , diefio Lücken in einer eigenen üutorsuchung 
auf ihn^n Wert und ihre Ursachen au prüfen. E« wünle sich vielleicht zeigen, dass ein 
Teil derselben auf unseror ungenüg<'nden Kenntnis der Erdoberfläche, ein anderer bloss aut 
der UnterbftThung der örtlichen Kontinuität «1er Lebeweaen durch Einwanderung und 
Verdrängung beruht. Das von Suess erkannte Gesamtbild würde aber, wie ein Uoberblick 
über die Beobachtungen in d«m verschiedenen Enltoilen lehrt, kaum wesentlich gestört 
werden. 



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296 



Erosioni^ba^iiä und MeeresverecluGbungen. 



gressioncn noch viel zu wenig studiert sind, die Möglichkeit zu bedenken, dass 
das Vorsehreiteu der Meere und die Aeuderung der Organismen, falls sich 
das öftere Zusammenfällen beider V orgiinge herausstellte , eine gemeinsame 
Ursache haben, ein Gedanke, den auch Suess gewiss nicht ausgeschlossen 
wissen wollte, als er auf die Möglichkeit der Einwirkung einer allgemeinen 
Klimaiinderung auf die Greuzenveräuderungen der Meere hinwies '). 

Nach dieser Einschaltung ist in Anknüpfung an das frühere zu erwögen, 
ob sieb der Wechsel von allgemeinen Transgressions- und Regressions-Perioden 
mit der Annahme einer Bewegung des Festen in Einklang bringen lässt. 

Es ist in dieser Arbeit bereits die Kontraktion der Erde als Haupt- 
ursache der grossen Transgressionen betrachtet worden, es hat sich gezeigt, 
dass der aus der Gebirgsbilduug berechnete Betrag der Kontraktion zur Er- 
klärung des Grades der vertikalen Schwankungen der Strandlinie genügt. Wir 
stehen nun vor der Schwierigkeit, diejenige allgemeine relative Senkung der 
über den Meeresspiegel hervorragenden Teile zu erklären, als welche, »nr nach 
der angenommenen Meinung den nächsten Anlass der Transgressionen aufzu- 
faaseu haben. Denn es ist leicht einzusehen, dass eine allseitig gleichmässige 
Kontraktion nur zu demjenigen Uebergreifen der Meere fuhren könnte, welches, 
wie oben gezeigt, ans der Verkleüierung der Erdoberfläche liervorgehen müsste. 
Eine solche gleichmäs.sige Kontraktion ist nun allerdings sowohl wegen der 
verschiedenen Beschaffenheit der äusseren Teile des Planeten, als auch wegen 
der in verschiedenen Erdräumen ungleichen kosmischen Einflüsse nicht anzu- 
nchinen. Es müssen sich demnach .scheinbare Regellosigkeiten in den Vor- 
ragungen und Vertiefungen herausstellen , wie auf der Oberfläche des ver- 
trocknenden Apfels. Wir suchen aber eine im ganzen erkennbare Gesetz- 
mässigkeit zu erklären. 

Ausserdem muss gefragt werden, ob die Gleichzeitigkeit der gleicluirtigen 
Veränderungen des Meeresspiegels und diejenige der zwischenliegenden Rulie- 
perioden erklärbar sind, wenn auch diese Gleichzeitigkeiten nur als sehr wahr- 
scheinlich bezeichnet werden dürfen. , 

Was den letzteren Punkt betrifft, so darf man sich, auf Erfahrungen 
über gleichartige , wenn auch grössenverschiedenc Bewegungen gestützt , vor- 
stellen, dass die aus der Abkühlung der Erde hervorgohenden Spannungen 
erst nach einer länger dauernden Summierung, vielleicht zuweilen infolge eines 
Anstosscs von aussen zur Auslösung gelangt sind , wodurch Kontraktir)iis- 
vorgänge mit Huheperioden wechseln würden. D:is früher angeführte Streben 
nach Verringerung des Niveauunterschiedes des Festen, als welches die Trans- 
gressionstendenzen bei Erklärung durch Bewegung des Festen bezeichnet werden 
können, lässt die Erklärung zu, dass bei denjenigen Gleichgewichtsstörungen 
in der Erdrinde, welche Transgressionen erzeugten, die Kontinente stärker nacb- 
sanken, als die Meeresgründe, sei es infolge der von einigen angenommenen 
Massendefekte unter ihnen, sei es infolge eines stärkeren Druckes, welche 
etwa ihre grössere Masse auf das Erdinnere ausUbte. 

Im Anschluss möchte ich noch eines Umstandes gedenken , welcher die 
Anschauung begünstigt, dass der Eintritt der Transgre.ssionen den Zeiten der 
Kontraktion des Erdballes entspricht. 

Die Kettengebirge werden als diejenigen Teile der Erdrinde betraebtet. 
an welchen die hei der Kontraktion erfolgende Verminderung der Erdober- 
Häehe durch Zusammenschub der am wenigsten widerstehenden Rindenteile er- 
möglicht wird. Es ist nun auffallend, dass ein bedeutender Teil der Auftür- 
. mimg der grössten Kettengebirge der alten Welt zeitlich in den Anfang der 
ausgedehnten mioeänen Mecrcstransgression fällt. Dieses Zusammentreffen er- 
hellt, wie bekannt, daraus, dass noch die eoeänen Schichten an den gewaltigen 
Störungen und beträchtlichen Erhebungen teilnchmen , und dass ferner noch 

') Suess. Die Entstellung der Alpen. Wien 1H75. S. 119. 







Erofiionsbasis und Mcereaverechiebungen. 297 

ein Teil der Absätze jener Transgressionszeit und zwar in viel geringerem 
Grade, als die eoeänen Schichten, als Gebirge geformt erscheinen. Diese An- 
teilnahme der Meditorranschichten steht im Einklänge mit der allgemeinen 
Vergrösserung dieser Transgression. Für ältere Transgressionen fehlt es für 
solche Beziehungen noch an Studien. Auch diesen Gesichtspunkt würde eine 
nähere Beschäftigung mit den Transgressionen wahrzunehraen haben. 

Es giebt wichtige begünstigende Faktoren der Transgressionen, welche 
hier nur mehr in ihrer Rolle als Hilfsfaktoren bezeichnet zu werden brauchen. 
Die Denudation des Festlandes bereitet, wie eingangs ausgeführt, während 
der Kontiueutalperiode eines Landstriches dessen Versenkung unter das Meer 
vor, indem sie seine Obeifhiche erniedrigt, wodurch schon bei geringem Steigen 
der Strandlinie eine Ueberschweinmung des Festlandes ermöglicht wird. Der 
Denudationsprozess hat aber noch eine andere AVirkung. Die abgetragenen 
Stoflfe werden von den Flüssen in das Meer geschafft und in der Nähe der 
Küsten abgelagert. Auch das begünstigt die Transgressionen und zwar tlurch 
zwei Umstände. Erstens erzeugt nach den Ausrührungen von Zöppritz die 
Sedimentierung auf dem Meeresboden ein Steigen des Meeresniveaus infolge 
der von den eingeschweminten Massen ausgehenden Anziehung (welche wegen 
der grösseren Nähe der Massen eine stärkere Wirkung ausübt, als diejenige 
der gleichen Massen war, da sie noch Festlandsteile vorstcllten), und zweitens 
wird der Spiegel des Meeres durch die ja nicht bloss an einer Stelle statt- 
findende Erhöhung des Meeresgrundes und die dadurch bedingte Verdrängung 
des Wassers gehoben. 

Diese begünstigenden Faktoren der Transgressionen arbeiten während 
der Festlandsperiode einer Gegend auf die möglichste AimUheruiig der Meeres- 
und der Festiandsoberflächen hin , so dass dann ein geringes Mass des als 
Hauptfaktor betrachteten Vorganges zur Herbeiführung iler Tiansgrcssiouen 
genügt. Aus diesem Wirken der Hilfsfaktoren gelit hervor, dass nach langen 
Festlaiidsperioden die ausgedelintesten Transgressionen zu erwarten sind und 
umgekehrt, dass aus ausgedehnten Transgressionen auf vorhergehende lange 
FcstlanUsperioden zu schliesscii ist. Ganz iu demselben Sinne wirkt übrigens 
der Hauptfaktor, die Kontraktion. (Zu prüfen, ob die geforderte Beziehung 
der Koutineutalperioden zur Grösse der Transgressionen wirklich besteht, wäre 
ebenfalls Aufgabe der hier bereits mehrfach als wüuschcnswert bezeichneten 
Untersuchung.) 

Ein weiterer Hilfsfaktor tritt mit der Kontraktion selbst in Thatigkeit. 
Es ist das Steigen der Meere durch die Verkleinerung jedes zwischen den 
gleichen Radien eingeschlossenen Kreisbogens der Kugelobertiache *). 

Die grossen Regressionen des Meeres, welche Kontinent^Uperiodeu er- 
zeugen, sind durch ein Ueberwiogen der Senkung der Meeresboden erklärbar. 
Dass die Meeresböden Senkungsgebicte sind, ist eine allgemeine und wohl be- 
gründete Annahme. Die Unsicherheit beginnt erst bei der Erörterung der 
Art und Ursache des Vorganges. Es ist nicht zu verkennen, dass die Hypo- 
these, welche oben für die Entstehung der Transgressionen angeführt wurde, 
durch den Vorgang, welcher hier und zwar aus besseren Gründen für die Ent- 
stehung der Regressionen angenommen werden muss, insofern erschüttert wird, 
als hier dem Kontraktionsvorgang, welclier in letzter Linie ebenfalls Ursache 
dieser Senkungen sein muss, die entgegengesetzte Wirkung auf die Erdober- 
fläche zugesclirieben wird. Beide Wirkungen schliessen sich allerdings nicht aus, 
es vermindert die eine bloss dadurch die Wahrscheinlichkeit der anderen, dass 

* \ 

*) Anhangsweise mn-g hier bemerkt werden, dass aus dem gleichen Grunde mit der 
durch (lie Kontraktion erfolgonden Verkleinerung der Erdoberfläche bei Glcichbleiben der 
Luflmeuge der Luftozean sich vertieft haben, der LufUlruck also go«tiogen sein muss. 
Daraus würde weiters bei Gleichheit der übrigen Faktoren eine grössere Verdunstung in den 
früheren Zeiten der Erdentwickelung zu folgern sein. 

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298 



EroeionsbaaU und MeeresverscUicbunRen. 



jede von ihnen als zu Zeiten beträchtlich überwiegend gelten muss, um den 
Thatsachen gerecht zu werden '). 

Für die llegressionen könnte man noch, wie es namentlich Trautschold 
thiit, die Dessikation , die Abnahme des auf der Erdoberfläche vorhandenen 
Wassers verantwortlich machen. Da jedoch die Regressionen ebensowenig, 
wie die Transgressiouen stetige Vorgänge gewesen sind, die Bindung des Wassers 
im Innern aber als ein solcher bezeichnet werden müsste, so kann man wohl 
das veranlassende Moment nicht in der letzteren finden. Wohl aber muss sio 
als Hilfsfaktor der Regressionen betrachtet werden. Eine weitere und zwar 
sehr wesentliche Unterstützung finden die Regressionen in der Verlandung der 
während der Transgressiouszeit überfluteten Meeresstreckeu infolge der Sedi- 
mentierung. 

Den hier als Hilfsfaktoren bezeichneten Vorgängen dürfte ein nicht ge- 
ringer Anteil an der in der Erdscliichte hervortretenden Neigung zum Wechsel 
zwischen Transgressionen und Regre.ssionen der Meere zuzuschreiben sein, 
allerdings nur in dem Sinne, dass sie den notwendigen Betrag des ausser ihnen 
stehenden Hauptfaktors beträchtlich berabmindern. 



IT. Abflns.slo8e Seen und unterirdische llühlnngen als Erosionsbasen. 

Wir haben bisher das Meeresniveau als Erosionsbasis letzter Ordnung 
kennen gelernt. Das ist es jedoch nur für die allerdings weitaus überwiegenden 
Festlandsmassen, welche durch das meerwärts rinnende Wasser in unmittel- 
barer Verbindung mit ihm stehen. Unabhängig vom Meeresniveau wirken in 
räumlich sehr beschränktem Alassc zwei andere Arten von Erosionsbasen, die 
Seen der rings umwallten kontinentalen Flussgebiete und ein Theil der unter- 
irdischen Hohlräume. Jede können wir in zwei Theile zerlegen, je nachdem 
sie unter dem Meeresspiegel liegt oder nicht. 

Die abflusslosen über dem Jleeresspiegel liegenden Gebiete können durch 
Anzapfung von aussen in den allgemeinen Kreislauf eiubezogcn werden ; als 
Beispiel dienen die chinesischen Lössgebiete. Ebenso leicht verständlich ist, 
dass hoch liegende unterirdische Höhlungen in die allgemeine Entwässerung 
des Landes eintreten können. 

Wesentlich anders muss die Wciterentwickelung der eigentlichen Depres- 
sionen verlaufen. Der 394 m unter dem Mittelmeer liegende Spiegel des 
Toten Meeres und die vom .Tordan, dem Tiberius- und dem Hulch-See einge- 
nommene Senke ist die Erosionsba.sis für das westlich und östlich , zum Teil 
weit ausserhalb der Senke liegende Gebiet, welches ihm den Wassertribut 
zollt. Das Ziel der jetzt in diesem Landstrich thütigen Erosion ist die Er- 
weiterung der Senke zu einer nach beiden Seiten dermassen sanft ansteigenden 
Fläche, dass die Erosion zur Ruhe komme. Eine Gegenwirkung liegt in der 
Füllung der Depression durch die von den Flüssen eingeführten Sinkstoffe. 
Deshsilb ist es nicht vorauszusehen, ob, abgesehen von etwaigen störenden Er- 
eignissen, die Wirkung, welche bei der beträchtlichen Tiefenlage des Gebietes 
eintreten müsste : die Beseitigung des Laudwallos zwischen ihm und dem 
Mittelländischen Meere und das Hereintreten des letzteren in die erweiterte 
Senke zu stiinde kommen wird. Die Erosionsbasis des Mittelmecrcs selbst 
unterstützt die Herbeiführung dieses Zustandes durch die von ihm aus gegen 
die westjordanischen Plateauländer hin eingeleitete Denudation. Die vielleicht 
noch durch stärkeren Regenfall begünstigte Konkurrenz dieser (im V'erhältnis 



’) Hier müge. noch besonders anji'ornerkt werden, dass in den hier entwickelten An* 
scbaminf^n in Uebereinstlmmung mit den überzeogenden AusfUhruDgen von Sucas die 
Bedeutung der Elevationsihcorie fttr die Erklärnng der allgomeinen Regressionen ^ bo* 
seitigt betrachtet wurde. 




KroBioneliaBia und Meeresverachiebungen. 



299 



zu dem ostjordanischen Gebiet tiefen) benachbarten Erosionsbasis um die 
Wasserscheide dürfte auch der Grund sein, dass die westlichen Zuflüsse der 
Jordansenke so erheblich kürzer sind , als die östlichen , da die Höhenunter- 
schiede und die dadurch bedingten Gefallsverhältnisse der zu beiden Seiten des 
Jordan gelegenen Plateaus diesen Umstand nicht zu erklären vermögen. 

Als Erosionsbasen können ferner unterirdische Höhlungen dienen und 
zwar für die Dauer des Zustandes in letzter Ordnung, wenn sie abflusslos sind. 
Die Entstehungsarten dieser Höhlungen sind für ihre hier zu besprechende 
Bedeutung nicht von unmittelbarem Belange. Ebensowenig soll die chemische 
und mechanische, unterirdische Erosion näher zergliedert werden , wenn auch 
die mechanische Wirkung des unterirdischen Cirkulationswassers noch bei weitem 
nicht hinreichend beachtet wird. 

Denken wir uns an der Basis einer klüftigen Gesteinsmasso ein ausge- 
dehntes unterirdisches Wasserbecken , welches das zugeführte Wasser durch 
Verdunstung abgiebt. Die einmUndenden WasserzUge entfalten eine erodie- 
rende Thätigkeit, sie schaffen unterirdische Thalsysteme, welche durch Ein- 
stürze in offene verwandelt werden können. Das unterirdische Sammelbecken 
ist die Erosionsbasis für sein Wasserbereich und würde sein Spiegel unter 
dem des Meeres liegen, könnte sogar auf diesem AVege eine echte Depression 
entstehen. 

Ein Teil des in die Tiefe dringenden Wassers gelangt aufsteigend wieder 
an die Oberfläche. Es ist nachgewiesen , dass das in die Erde eindringende 
Wasser weit unter das Meeresniveau gelangt. Das Wasser muss nicht nur 
auf dem Wege seines Eindringens, sondern auch auf dem seines Austretens 
erodieren. Wenn wir die Wirkung dieses Vorganges weit über das Mass 
unserer Erfahrungen hinaus übertreiben, indem wir die Mitwirkung sehr grosser 
Zeiträume in Anspruch nehmen, so muss wohl auch hier der Eintritt merk- 
licher Wirkungen angenommen worden, welche denjenigen der unterirdischen 
Erosion im allgemeinen gleichartig sind. 

Die Depressionen werden gewöhnlich in ihrer ganzen Ausdehnung als 
Senkungsgebiete betrachtet. Es besteht aber nach dem Gesagten die Möglich- 
keit, dass eine räumlich sehr beschränkte Depression, ja bloss eine raechani.sch 
oder chemisch gebildete tiefliegende Höhlung sich durch den Erosionsprozess 
erweitere und zwar um so mehr, je tiefer der Ausgangspunkt des Vorganges 
liegt; dieser muss der tiefste Punkt des Depressionsgebietos bleiben. Es ist 
auch nicht ausgeschlossen, dass bei einer derartigen nach aussen schreitenden 
Bildung oder Vergrösserung einer Depression der Spiegel eines benachbarten 
Meeres erreicht werde, wodurch ein Einbruch des Meeres, eine lokale Trans- 
gression, erfolgen muss. 

Graz, Juli 18H7. 



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Methodik und Unterricht der Geographie. 



Ein englisches Erteil Uber geographischen Unterricht. 

(SchluBS.) 

Kapitel Vm und IX. 

Physikalische Geographie des Schnlorts. 

Lange Zeit, bevor ein Schüler Interesse und Verständnis zeigt für poli- 
tische Grenzen und Einteilungen, kann man seine volle Aufmerksamkeit ge- 
winnen für die Veränderungen am Himmel, das Brausen des Windes, den 
Fall des Regens, die Beschaffenheit von Schnee und Eis, für Flüsse, Seen und 
Gletscher, für die Wogen des Wassers im Sturm, für den Erdboden mit 
seinen Pflanzen, Insekten, Vögeln und Vierfüssern, kurz für die Aussenwelt, 
welche er täglich vor Augen hat. Dieselben Erscheinungen des alltäglichen 
Lebens, welche in den ersten Kinderjahren die Neugier des jugendlichen 
Geistes erwecken, wollen wir iin ersten Unterricht benutzen, überall auf der 
breiten Basis der persönlichen Erfahrung und der eigenen Beobachtung be- 
ginnend. 

1. Formen der Erdoberfläche. Bodenarten und Gesteine. 

Zunächst beachten wir, welche Stellen des Erdbodens in unserer Um- 
gebung am höchsten, welche am tiefsten liegen, wo der Boden steil abfällt 
und wo er eben ist, wo er sich zum Sattel erhebt oder zur Mulde vertieft 
und wo er das Wasser nach verschiedenen Richtungen zu Thal fliessen lässt. 
Bergrücken, Abhänge, Thäler, Schluchten, Ebenen, Felsklippen und alle andern 
auffallenden Bodenformen der Gegend werden in Augenschein genommen und 
nachher von den Schülern auf Grund ihrer eigenen Beobachtungen genau be- 
schrieben. Auf den späteren Ausflügen vergleichen wir Berg mit Berg und 
Thal mit Thal und erheben uns auf inductivem Wege zu einem klaren Ver- 
ständnis der verschiedenen Bodenformen. 

Sobald durch die ersten Ausflüge eine vorläufige Kenntnis des Gebietes 
und der Entfernungen der wichtigsten Punkte erlangt ist, führen wir die 
Schüler auf einen besonders hochgelegenen Ort, von dem aus die ganze Gegend 
übersehen werden kann. AV'eiin eine günstig gelegene Bergspitze fehlt, be- 
gnügen wir uns mit einem Kirchturm. Wir machen zunächst die Erfahrung, 
dass es den Schülern schwer fällt, von der erhöhten Stellung aus die Grösse 
und die Entfernungen selbst der bekannteren Punkte der Umgebung richtig 
abzusehützen. Jeder hält zunächst alle Gegenstände für kleiner als sie in 
Wirklichkeit sind ; die ganze Gegend erscheint in einem verkleinerten Mass- 
stabe, gerade deshalb wird das Verständnis von der relativen Grösse der 
Dinge durcli den Ausblick von dem erhöhten Standpunkte wesentlich gefördert. 
Eine gute Darstellung der Gegend „aus der Vogelperspektive’' ist aus dem- 
selben Grunde ein nicht zu verachtendes Unterrichtsmittel. 

So früh wie möglich haben wir die Schüler darin zu unterweisen, sich 
ein Modell von der Gegend des Schulorts zunächst aus feuchtem Sande oder 
Thon herzustelleu. Es ist üblich, dass man bei der Anfertigung topographischer 







Kethodik und Unterricht der Goograpbie. 301 

Modelle die Höben Terbältnismässig grösser darstcllt als die horizontalen Aus- 
dehnungen. Man kann dieses nicht tadeln, denn die Höhe eines kleinen Berges 
würde zu wenig hervortreten, wenn man sie im Modell ganz ohne üebertreibung 
zur Darstellung bringen wollte. Nur wollen wir uns der sehr naheliegenden 
Gefahr bewusst sein, diuss man in dieser üebertreibung zu weit geht, dass 
dadurch unnatürliche Verhältnisse dargestellt und irrtümliche Auffaisungen 
erweckt werden. 

Zur Herstellung eines Modells aus Thon zeichnet man zunächst eine 
Karte der betreflfenden Gegend auf ein Brett, wtdehes dem Modell zur Unter- 
lage dienen soll. In diese Zeichnung setzt man an jedem wichtigen Punkte 
eine Stecknadel ein, deren Länge genau der geographischen Höhe des Punktes 
entsprechen muss. Darauf belegt man das Brett mit feuchtem Thon, so dass 
die Thonmasse genau bis zur Spitze der einzelnen Stecknadeln binaufreieht. 

Auf den Schulausflügen haben wir nacheinander alle diejenigen Punkte 
der Gegend aufzusuchen, an welchen Schichten der Erdkruste deutlich zu Tage 
treten (Steinbrüche, Wegeinschnitte, Wasserrisse u. s. w.). 

Es ist keineswegs erforderlich, dass bei der Besprechung der Erdschichten 
wissenschaftliche geologische Erörterungen gegeben werden , aber ein Stück 
Granit muss der Schüler von einem Stück Kalkstein unterscheiden können, 
wenn beide Gesteine in der Nähe des Schulorts Vorkommen. Nehmen wir an, 
dass in der Gegend nur ein einziges Gestein vorkommt, etwa der Kies (in 
einem grossen Teil der norddeutschen Tiefebene ist das thatsächlich der Fall); 
die Schüler der Oberstufe lassen wir darauf achten, dass die im Kies vor- 
kommenden Kiesel von der Grösse eines Kopfes hinabgehen können bis zur 
Grösse des Sandkorns, dass wir Feuerstein, Quarz, Schiefer, Granit und andere 
harte Gesteine im Kies finden, dass diese in einem Falle regelmässig geformt 
sind wie eine Kugel, im andern Falle wie eckige und unregelmässige Bruch- 
stücke. Auf der Unterstufe dagegen würden diese Einzelnheiten vollkommen 
überflüssig sein; cs genügt für den jüngeren Schüler, wenn er an mehreren 
Punkten der Gegend sich davon überzeugt, dass unter der Ackerkrume, in 
welcher die Pflanzen wachsen, Kies liegt und dass dieser Kies nicht überall 
dieselbe Beschaffeniieit zeigt. 

Auf der Unterstufe werden wir es in der Regel vermeiden, uns über die 
Entstehung von Gesteinen oder über die Veränderungen, welche djis Land in 
früheren Zeiten erfahren hat, zu äussern. Nur wenn einzelne Erscheinungen 
eine Erklärung geradezu herausfordem, mögen wir dieselbe geben. Sehen wir 
z. B. , dass ein Streifen von Flussgerollen sich hoch über der jetzigen Thal- 
sohle zu beiden Seiten eines Flussthales entlang zieht, so ist es uns sehr nahe 
gelegt, zu erwähnen, dass das Bett des Flusses in früherer Zeit viel höher lag 
als heute , dass manche Flüsse im Laufe der Jahrtausende ihr Bett immer 
tiefer in das Gestein hineinarbeiten , dass eine Reihe der schönsten Gebirgs- 
thäler ihre Entstehung der lange andauernden Arbeit eines Flusses verdanken. 

Alle wichtigen Gesteinsarten, welche in der Gegend Vorkommen, müssen 
in der ünterriclitssammlung vertreten sein. Vor jedem Ausfluge zeigen wir 
den Schülern Proben von den Gesteinen , welche sie nachher in der freien 
Natur sehen werden. Findet dann ein Schüler draussen ein besseres Hand- 
stück, als es die Sammlung vou dem betreffenden Gesteine aufzuweisen hat, 
so wird er mit Freuden bereit sein, seinen Fund der Schule zu überweisen 
und dadurch zur Erweiterung und Verbesserung der Schulsammlung bei- 
zutragen. 

2. Veränderungen in der Atmosphäre. 

Jedem Kinde ist der Temperaturunterschied bemerkbar zwischen dem 
heissen Mittage und der kühlen Nacht, zwischen Sommer und Winter, zwischen 
Sonnenschein und bewölktem Himmel. In der Regel zeigt uns unser Gefühl 
die Unterschiede mit ausreichender Genauigkeit; es kommt nun darauf an zu 



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302 



Methodik und Unterricht der Geo^ai>hie. 



zeigen, dass es docli aucli Fälle giebt, in denen unser Gefühl allein nicht 
genügt, so dass wir uns nach einem andern Mass der Temperatur Umsehen 
müssen. Dazu der Versuch: wir halten eine Hand in kaltes, die andere in 
warmes Wasser, nachher halten wir beide Hände in ein Becken mit lau- 
warmem Wasser und überzeugen uns, dass wir in den beiden Händen keines- 
wegs die gleiche WUrraoemi)lindung haben, dass also unser Gefühl kein un- 
bedingt zuverlässiger llafsstab für die AViinue ist. Gehen wir demnach zum 
Gebrauch des Thermometers Uber. Auf eine theoretische Erörterung lassen 
wir uns auf der Unterstufe natürlich nicht ein; jeder Schüler sieht, dass das 
Quecksilber oder der gefärbte Alkohol iin Thermometer steigt, sobald wir das 
Instrument durch die Hand oder durch das Sonnenlicht erwärmen , dass die 
Flüssigkeiten fallen, sobald das Thermometer sich wieder abkühlt. Ein Thermo- 
meter mit grosser weithin erkennbarer Skala sollte eigentlich in jedem Scbul- 
zimmer vorhaudeu sein. Wir üben das Ablesen und zugleich das Abschätzen 
der Temperatur, wir ermitteln die Wärme verschiedener Stellen des Schul- 
gebäudes und des Schulhofes, stellen Vergleiche an zwischen Sonnenschein und 
Schatten, zwischen Morgen, Mittag und Abend , zwischen heute und morgen, 
zwischen dieser und der nächsten Woche u. s. w. .Jeden Tag zu einer be- 
stimmten Stunde wird von nun an das Tliermometer abgelesen, wir beauftragen 
damit denjenigen Schüler, welcher sich bei den Naturbeobachtungen am meisten 
ausgezeichnet hat ; die.ser rechnet cs sich zur Ehre an , dass er damit betraut 
wird die Beobachtung täglich zu wiederholen, die Zahl der Grade in einem 
Notizbuch zu vermerken und der Klasse dadurch den Stoff zu lehrreichen 
Betrachtungen zu liefern. 

Wenn später auf einer höheren Unterrichtstufe der Lehrer von wichtigen 
Fragen der physikalischen Erdkunde spricht, bei denen der Einfluss der Tempe- 
ratur eine hervorragende Rolle spielt, dann wird er den wohlthätigen Einfluss der 
von seinen Schülern geübten selbständigen Temperaturbeobachtungen wahr- 
nchmen. Die Schüler haben sich daran gewöhnt, die eigenen sinnlichen Wahr- 
nehmungen als eine (Quelle des Wissens zu betrachten , sie gewinnen dadurch 
ein gesteigertes Interesse und ein tieferes Verständnis für die Lehren vom 
Klima und dem Wetter, welche einzig und allein durch zuverlässige Tempe- 
raturbeobaebtungen begründet werden können. 

Der Zusammenhang zwischen Atmosphärendruck und Wetterveränderung 
ist für den Schüler der Elcmentarstufo zu schwer verständlich , die Erklärung 
muss jedenfalls der höheren Stufe Vorbehalten beiben. Immerhin aber ist es zweck- 
mässig iin Schulgebäude ein Quecksilberbarometer aufzuhängen, dessen Stand 
von den Schülern ohne Schwierigkeit abgolcscn werden kann. Tritt gelegent- 
lich ein besonders rasches Fallen des Barometerstandes ein , so machen wir 
auch die Schüler der Elemontarstufe auf diese Erscheinung und auf den nach- 
folgenden Wetterumschlag aufmerksam. Derjenige Schüler, welcher mit der 
regelmässigen Therraometerablesung beauftragt ist, wird gern die Verpflichtung 
übernehmen auch das Barometer täglich zu einer bestimmten Stunde zu be- 
obachten. 

Die beiden Erscheinungen der Verdunstung des Wassers und der Ver- 
dichtung des Dampfes zu Wasser spielen eine wichtige Holle bei deu Ver- 
änderungen in der Atmosphäre; ebenso stellen sie der Beobachtungsgabe 
unserer Schüler manche lehrreiche Aufgabe. Dem Schüler ist es bekannt, dass 
zuweilen nach einem heftigen Regenschauer der Erdboden schnell wieder 
trocken wird, dass sein vom Regen durchnässter Rock die Feuchtigkeit in 
der Nähe des warmen Ofens bald wieder verliert. Das Wasser verdunstet 
also , es wird von der Luft aufgenommon. Schnell trocknet das Strassen- 
pflaster nach dem Regen nur an einem sonnigen Tage bei bewegter Luft, 
langsam dagegen bei bedecktem Himmel und kühler ruhiger Luft. Die Ver- 
dunstung ist also abhängig von der Wärme und der Bewegung der Luft. 
Steigern wir die Wärme mehr und mehr, so beginnt das Wasser zu sieden. 




'm*’ 



Methodik und üntenicht der Goographio. 303 

und es gelingt uns den ganzen Inhalt eines Kessels in Dampf zu verwandeln. 
Es ist uns bekannt, dass im Winter die Fenster beschlagen, daraus erkennen 
wir, dass der Wasserdampf sich wieder in Wasser verwandeln kann. Im 
kalten Zimmer sehen wir unsem Atem ; ein Glas mit kaltem Wasser beschlägt, 
sobald es in das wanne Zimmer gebracht wird. In der freien Natur schlägt 
sich der Wasserdampf als Tau nieder, es bilden sich die Wolke und der 
Regen. So gelangen wir allmählich zu einer Vorstellung von dem beständigen 
Kreisläufe, welcher das Wasser abwechselnd der Erde und der Luft zuführt. 

Auch die Wolken können uns manches erzählen von dem, was hoch über 
uns in der Luft vorgelit. Die feinen faserigen Cirri in den buchsten Schichten 
der Luft wechseln langsam ihre Gestalt, zuweilen sehen wir sie zu langen 
schnurgeraden Streifen angeordnetj daun zeigen sie uns an, dass wir demnächst 
einen heftigen Sturm von der Richtung dieser Streifen zu erwarten haben. 
Die Haufeuwolke fesselt unsere Aufmerksamkeit durch ihre grossartigen Formen, 
das Gewitter sehen wir heraufziehen , den Regen in schrägen Streifen herab- 
fallen, nachher zerteilt sich die dichte Wolkenschicht, und das Sonnenlicht 
dringt wieder durch bis zu uns. 

3. Regen, Flüsse, Meer. 

Vom Regen ergiebt sich leicht der Uebergang zu den Gräben und 
Bächen, welche das Hegenwasser den Flüssen zuführen. 

Wenn ein grosser Fluss in der Umgebung des Schulorts vorhanden ist, 
haben wir uns sorgfältig zu überlegen, welche von den besonderen Eigentümlich- 
keiteu des Flusslaufs beim Unterricht berücksichtigt werden können. Die 
Unterscheidung von rechtem und linkem Ufer und die Notwendigkeit einer 
solchen Unterscheidung sind bald erörtert. Fliesst der Strom langsam durchs 
Land mit geringem Gefälle, so zeigt er grosse Schlangenwindungen, und sein 
Boden ist bedeckt mit Schlamm ; Üiesst er schnell , so erkennen wir die ero- 
dierende Thiitigkeit des Wassers und möglicherweise bemerken wir über dem 
jetzigen Ufer Terrassen, welche andeuten, wie hoch das Niveau des Flusses 
in früheren Zeiten war. Die kleinen Zuflüsse zeigen uns hin und wieder das 
Abbild eines Wasserfalls, einer Stromschnelle und eines Sees und erleichtern 
es dem Schüler sich diese Dinge im grossen vorzustellen. 

Der Teil vom Regeuwasser, welcher in den Boden biuabsiukt, zeigt sich 
uns wieder in den Quellen. Wir versäumen nicht einige Quellen einmal zur 
Zeit der Dürre, ein anderes Mal nach einem heftigen Regen in Augenschein 
zu nehmen. 

Wenn die Schule sich in der Nähe der Küste befindet, beobachten wir 
vor allen Dingen den Wechsel von Ebbe und Flut. Gelegentlich erwähnen 
wir, welches Erstaunen der erste Anblick der Gezeiten bei den römischen 
Soldaten hervorrief, als sie von den ruhigen Ufern des Mittelmeeres an den 
Kanal kamen ; sie glaubten ihre Schiffe auf dem Strande sicher geborgen zu 
haben, als plötzlich die Flut hereinbrach und alles in lieillose Verwirrung 
versetzte. Dass die Phasen des Mondes auf die Flut einen Einfluss ausüben, 
wird erwähnt, aber erst auf der Oberstule erklärt. 

Wenn der Strand in historischer Zeit wesentliche Veränderungen erlitten 
hat, sei cs durch Verlust oder durch Anschwemmung von Sand, dann werden 
wir den Schauplatz dieser Veränderungen aufsuchen und die Spuren derselben 
in Augenschein nehmen. 

4. Die Pflanzen und Tiere der Schulumgebung. 

Die Pflanzen- und Tierwelt trägt soviel dazu bei, die Erde fir uns be- 
wohnbar und angenehm zu machen , dass wir diese beiden Gebiete nie ver- 
nachlässigen dürfen, so lange es unsere Absicht ist, die Thätigkeit und die 
Neigungen des Menschen verstehen zu lernen. Zunächst haben wir dafür zu 



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304 



Methodik und Unterricht der Geographie. 



sorgen, dass unsere Schüler die allerwichtigsten Pflanzen und die Tiere der 
Heimat kennen lernen. Durchaus verfehlt würde es sein, wenn wir nur eine 
Aufzählung der im Gebiete vorkommenden Naturgegeustände geben wollten, 
ohne unseren Schülern von jedem einzelnen der erwähnten Tiere und Pflanzen 
eine ganz klare Anschauung zu verschaffen. 

Wir beginnen mit der Besprechung einer möglichst häufig vorkommenden 
grossbluinigen Pflanze, von der wir jedem Schüler ein Exemplar in die Hand 
geben. Wir lassen die Wurzel genau beschreiben , darauf den Stengel , das 
Blatt und die Blüte ; zugleich lassen wir die einzelnen Teile und auch die 
ganze Pflanze an der Wandtafel zeichnen. In der nächsten Stunde wird die 
Beschreibung dieser Pflanze wiederholt; darauf gehen wir zu neuen über. Die 
Mannigfaltigkeit in den Formen der Blätter, Blüten und Früchte bietet uns 
vorzüglichen Stoff zu Beschreibungen und Vergleichen. Wir machen uns 
keineswegs abhängig von einem bestimmten System, sondern wir besprechen 
am liebsten diejenigen Pflanzen , welche uns die nächste Umgebung in guten 
Exemplaren bietet. Es werden auf diese Weise nach und nach die aller- 
wichtigsten Gruppen der Blutenpflanzen zur Besprechung gelangen , von den 
blütenlosen Pflanzen verdienen Erwähnung : Pilz , Schimmelpilz , Lebermoos, 
Laubmoos und Farrnkraut. Auf bobinische Einzelnheiten hat sich der Lehrer 
durchaus nicht einzulassen , überhaupt ist es keineswegs erforderlich, dass der 
Lehrer der Erdkunde Botaniker oder Zoologe ist. Er muss in der Botanik 
und in der Zoologie zunächst nur diejenigen Kenntnisse besitzen, welche man 
überhaupt bei jedem Gebildeten voraussetzt. Ausserdem muss er ein lebhaftes 
Interesse für die Beobachtung der Natur besitzen, und er darf die Mühe nicht 
scheuen, sich namentlich in den ersten Jahren seiner Thätigkeit mit jedem 
einzelnen Gegenstände, welcher im geographischen Anschauungsunterricht vor- 
kommt, genau zu beschäftigen. 

Von den Tieren wählen wir in erster Linie diejenigen zur Besprechung 
aus, welche im Naturalienkabinet vertreten sind ; in anderen Fällen behelfen 
wir uns mit guten Abbildungeu. Einige Skelette sind sehr erwünscht , etwa 
vom Schellfisch, der Gans, der Katze und dem Hund. Oft finden die Schüler 
Zähne und Knochen vom Schaf, Pferd, Ochsen oder von anderen Tieren, wir 
vergleichen diese Knochen mit den entsprechenden bei den vorhandenen Skeletten; 
in der Regel gelingt es auf diese Weise leicht festzustellen, welchen Knochen 
man vor sich hat, überdies treten dabei die charakteristischen Unterschiede 
am deutlichsten hervor. 

Wir besprechen einige der gemeinsten Insekten ; Stubenfliege, Heuschrecke, 
Libelle, Maikäfer und Kohlweissliug geben uns Gelegenheit, die Aehnlichkeiten 
und die Unterschiede, welche in der grossen Klasse der Insekten hervortreten, 
zu besprechen. Die wichtigsten Teile des Insoktenkörpers werden genannt, 
beschrieben und an der Wandtafel gezeichnet. Natürlich gebrauchen wir 
dabei die volkstümlichen Bezeichnungen, wir sprechen von FUblcrn und nicht 
von „Antennen“, von Gliedern oder Ringen und nicht von „Segmenten“, von 
Flügeldecken und nicht von „Elytreu“. Wir vergleichen dann den Körper 
des Insekts mit einem auf den ersten Anblick davon weit verschiedenen, mit 
dem des Hummers oder des Krebses. Lupe und Mikroskop leisten bei der 
Besprechung der Insekten vorzügliche Dienste. Das Auge der Fliege gewährt 
unter dem Mikroskop ein wunderbares Bild , welches dem Kinde eine hohe 
Ehrfurcht vor der Schönheit und der ausserordentlichen Genauigkeit der Natur 
einflösst. Dasselbe Tier, welches ihm früher kaum der Beachtung wert war, 
erscheint dem Kinde jetzt in einem ganz anderen Lichte und spornt es an zu 
neuem Eifer für die Beobachtung der Natur. 

V*on den Tieren, welche unserer täglichen Beobachtung zugänglich sind, 
gehen wir über zu denjenigen, welche zwar im Inlande leben, welche wir aber 
nur selten zu Gesicht bekommen ; darauf besprechen wir die Tiere der fremden 
Länder. Bison und Büffel werden wir nicht erwähnen, ohne dieselben mit 








Mothodik und Unterricht der Geographie. 



305 



unserer einheimischen Rindviehart zu vergleichen, den Schakal und den Wolf 
stellen wir zusammen mit unserem Hunde ; unsere Katze belehrt uns über die 
wichtigsten Eigenschaften des Löwen, des Tigers und des Leoparden. Be- 
sonders für die Besprechung der ausländischen Tiere ist eine Reihe guter 
Abbildungen notwendig. Wenn ein zoologischer Garten oder ein Museum im 
Ort vorhanden ist, werden wir nicht unterlassen dort Belehrung für unsere 
Schüler zu suchen. In kleinen Städten und auf dem Lande , wo wir die 
wissenschaftlichen Sammlungen entbehren, werden wir für diesen Mangel 
doppelt entschädigt durch die leicht ausführbaren Schulausflüge in die freie 
Natur. 

Bei der Beschreibung der Pflanzen und Tiere dürfen wir uns nicht be- 
gnügen mit der Betrachtung der B'orm , sondern das eigentliche „Leben“ der 
Pflanze und des Tieres mit seinem Werden und Vergehen hat ebenfalls An- 
spruch auf Berücksichtigung. Wenn der Frühling ins Land kommt, lehren 
wir unsere Schüler darauf zu achten, wie sich Blatt und Knospe allmählich 
entfalten, wie die Blüte sich öffnet, wie der Fruchtknoten nach und nach an 
Grösse zunimmt , bis in einer späteren Jahreszeit die Samen in ihm horan- 
reifen. Unsere Schüler sammeln einige Raupen und füttern dieselben mit 
frischen Blättern. Wir beobachten dann, wie nach einiger Zeit die Raupen 
sich verpuppen und wie später aus der Puppe der Schmetterling hervorgeht. 
Wir werfen die Frage auf, welche Einrichtungen die Pflanze besitzt, um sich 
auf derjenigen Stelle zu halten, welche ihr von der Natur angewiesen ist. Wir 
sehen, dass der Baum mit einem grossen Netzwerk von Wurzolfasem sich fest 
im Boden verankert, dass das Epheu sich mit Hülfe weniger Klammerwurzeln 
hoch über den Erdboden zu erheben vermag, dass die Winde mit ihrem 
schwachen Stengel die dichteste Hecke durchdringt, dass die Erbse mit ihren 
Wickelranken an jedem Stamme und jedem Zweige die nötigen Stützpunkte 
findet. Ein anderes Mal beachten wir, auf wie mannigfache Weise der Same 
von den verschiedenen Mutterpflanzen ausgestreut wird, geeignete Beispiele sind: 
Apfelbaum, Kirschbaum, Ahorn, Distel, Löwenzahn und Weide. 

Einer der Gründe, weshalb eine eingehende Beobachtung der Natur für 
das geographische Wissen eine grosse Bedeutung besitzt, ist folgender: der 
Schüler lernt einzuteilen, zu klassifizieren. Ein Knabe, welcher sich eine Stein- 
sammlung anlegt, überzeugt sich sehr leicht, dass er die Erze in eine, die 
Spate in die zweite und die Kiesel in eine dritte Schieblade zu legen hat. 
Die eigene Erfahrung belehrt ihn, dass man die grosse Zahl der Naturkörper 
nur dann zu übersehen vermag, wenn man sie sondert nach Groppen und 
Ordnungen. 



Kapitel X. 

Politische Geographie der Schnlnmgebang. 

Die Thatsachen der politischen Geographie liegen dem Kinde nicht so 
nahe wie die Beobachtung seiner natürlichen Umgebung; wir haben dieselben 
daher im Unterricht erst zu berücksichtigen , nachdem die Anfangsschwierig- 
keiten in der Naturbeobachtung bereits überwunden sind. 

Wenn der Name des Schulorts leicht erklärt werden kann, wie das z. B. bei 
vielen deutschen Ortsnamen auf -heim, -hausen, -Stadt und -dorf der Fall ist, kann 
die Namenerklärung eine passende Einleitung zu einer genauen Beschreibung 
des Ortes bilden. Die Strassen, Plätze und bemerkenswerten Gebäude des Ortes 
sind zu schildern, die Grenze der Feldmark und diejenige des Kirchspiels sind 
anzugeben, letztere ist in der grossen Stadt zuweilen nicht ganz leicht zu erkennen, 
kann aber gerade dort die Veranlassung zu einigen lehrreichen geschichtlichen 
Bemerkungen bieten. Die Zahl der Einwohner wird verglichen mit der der 




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Methodik und [Unterricht der Geogi-aphie. 




Schüler unserer Anstalt. Wenn sich die Bevölkerung des Ortes aus einem 
besonderen Grunde in kurzer Zeit sUirk vermehrt hat, kann dieser Grund be- 
sprochen werden. Das Zusammenwohnen vieler Menschen veranlasst dieselhon 
zur Teilung der Arbeit. Wir lassen angeben, durch wessen Arbeit die Be- 
völkerung mit Nahrungsmitteln versorgt wird: Landwirt, Müller, Bäcker, 
Fleischer, Materialwarenhändler ; wem die Herstellung der Bckleidungsgegen- 
stände obliegt: Tuchmacher, Schneider, Lohgerber, Schuhmacher, Hutmacher 
u. 8. w. ; wer für den Verkehr und die Beschaffung der Verkehrsmittel zu 
sorgen hat: Briefträger, Postillon, Kutscher, Eisenbahnschaffner, Seemaun, 
Stellmacher, Wagenbauer, Schiffsbauer u. s- w. Natürlich sind hier unzählige 
Variationen möglich. Wir gehen einen Schritt weiter , indem wir an einem 
Beispiele zeigen, wie die Arbeit des einen Menschen sich an die des anderen 
reiht, wie die Thätigkeit des einen von der des auderen abhängig ist. Ein 
Buch wird geschrieben vom Schriftsteller, seine Schrift kommt zum Buch- 
drucker, dieser erhält die Lettern aus <ler Schriftgiesserei, das Papier aus der 
einen, die Druckerschwärze aus der andern Fabrik. Die geschriebenen Worte 
werden mit Lettern gesetzt, dann wird gedruckt und das bedruckte Papier 
wird zum Buchbinder gesandt, welcher die Bogen zusammenheftet und ein 
Bucli daraus macht Das Buch wird zum Lagerhause des Verlegers gebracht, 
von dort wird es zum Buchhändler gesandt, von letzterem erst erhält es der- 
jenige, welcher es benutzen will. Ein schätzenswertes Hülfsraittel bei der 
Besprechung dieses Beispiels ist eine Reihe von Lettern, welche leicht zu- 
sammengesetzt und zur Herstellung eines einfachen Abzuges benutzt werden 
können. 

In der Dorfschule wird natürlich die Thätigkeit des Landwirts eingehend 
besprochen ; wird in der Nähe viel Bergbau betrieben, so darf der Bergmann 
dem Schüler nicht fremd sein, in einem Ceutrum der Wollindustrie darf man 
nicht unterlassen eine Abbildung des Webstulils und Proben von roher und 
bearbeiteter AVolle auf dieser Stufe des Unterrichts zu l>enutzen. 

Die Teilung der Arbeit hat zur Folge, dass ein mannigfacher Austausch 
der Erzeugnisse der Arbeit stattfindet. Der Ijandwirt gewinnt die Nahrungs- 
mittel nicht allein für sich selbst, soudorn auch für seine Mitmenschen, letztere 
haben ihn dafür zu versorgen mit dem. was das Handwerk hervorbringt. Der 
Knabe, welcher eine Briefmarkensammlung besitzt, versteht das leiclit, denn 
er bemüht sich, einen Vorrat von Doul)letten zusammenzuhringen in der Absicht, 
diese im Austausch zu verweudeu zur Erwerbung derjenigen Arten , welche 
ihm noch fehlen. Der Tausclihandel allein genügt indessen nicht, um die 
Ware den richtigen Weg zu dem, der ihrer bedarf, finden zu lassen. Der 
Milchmann, welcher einen neuen Kock oder einen Hut erwerben will und dabei 
nichts zum Tausch zu bieten vermag als seine Milch, kann sich darauf gefasst 
machen, dass ihm die Milch sauer und wertlos wird, bevor er jemand gefunden 
hat, der Milch zu kaufen sucht und gleichzeitig Rocke oder Hüte ahzugeben 
hat. Um solche Ünzuträglichkeiteu zu vermeiden, bedarf die iMenschheit eines 
allgemein als gültig anerkannten Tauschmittels, dieses ist das Geld. 

Das Geld in seinen mannigfachen Formen vom einfachen Muschelgelde 
der Neger bis zu unseren Silber* und Goldmünzen, die Wege, die Landstrasseii, 
das Postimt, die Postverbindungen, die Schicksale eines Briefes auf seinem 
Wege vom Absender zum Empfänger, die Briefmarken, die Telegraphenleitungen 
liefern uns reichen Stoff zu Gesprächen mit unseren Schülern. Gerade diese 
Gespräche führen die Jugend zum Verständnis der Gegenw.art, und zugleich 
bieten sie Gelegenheit zu manchem lelirreichen Rückblick in die Vergangenheit. 

Die Ruinen einer alten Ritterburg, jedes Schlachtfeld und jedes Geburts- 
haus eines berühmten Mannes erzählen uns von vergangenen Zeiten, sie sprechen 
zu uns mit den Stimmen unserer Väter und ermahnen die Jugend die Vorzeit 
in Ehren zu halten. Der Trieb zur Zerstörung, welcher den Knaben ver- 
leitet seinen Namen in die alte vom Wurm zerfressene Holzarbeit einzuschneiden 



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Dicjiliinxi l 



Methodik und rnterricht der Geographie. 



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und ehrwürdige Mauerreste zu zerbröckeln, wird unterdrückt, wenn wir die 
Jugend darüber bclobrcu, dass in den nun verfallenen Gebäuden einst Menschen 
wohnten, welche ebenso dachten und fühlten wie wir, obgleich sie unter ganz 
anderen äusseren Verhältnissen lebten und vieles entbehren mussten , was wir 
jetzt für unbedingt notwendig halten. An der Kirche bemerken wir vielleicht 
mehrere verschiedene Bauarten , woraus wir scbliessen müssen , dass an dem 
Gotteshauso zu ganz verschiedenen Zeiten nach ebensovieleii verschiedenen Plänen 
gearbeitet wurde. Die Grabsteine auf dem Kirchhofe verweisen uns sowohl 
durch die in ihren Inschriften angegebenen Jahreszahlen als auch durch die 
Verschiedenheiten ihres Baustils auf ganz bestimmte Abschnitte der Vorzeit. 

Der Zufall fügt es wohl, dass einer unserer Schüler eine Steinwaffe aus 
alter Zeit iindet ; wir benutzen die Gelegenheit , einiges von der Steinzeit zu 
erzählen, in der unsere V'orfahren sich gegen die Bären, das Rhinozeros, den 
Elefanten und viele andere Tiere zu verteidigen hatten, welche nun längst in 
unseren Gegenden ausgestorben sind. Eine Sammlung von Waffen aus allen 
Zeiten , wie man sie heute in den Museen vieler Städte findet , gieht uiiscrn 
Schülern ein lehrreiches Bild von den verschiedenen Stufen, welehe die Mensch- 
heit bis zu ihrer heutigen Kultur zu ersteigen hatte. Der Panzer aus der 
Ritterzeit erinnert uns an die glänzenden Turniere, zugleich auch daran, dass 
damals das Verhältnis des Bauern zum adeligen Gutsherrn ein ganz anderes 
war als heute. 



Kapitel XI. 

Verhältnis des Kchulorhs zum Lande nnd des Landes zur ganzen Erde. 

Das Kirchspiel ist in der Regel ein gut umgrenztes Gebiet, welches genau 
beschrieben werden muss mit seinen Bergen und Thälern, mit den Wasser- 
läufen, der Bevölkerung, den Pflanzen, Tieren und Bodenarten, den Verkehrs- 
mitteln und den allerwichtigsten Einrichtungen in Beziehung auf Schule, 
Kirche, Armenpflege u. s. w. In welcher Reihenfolge man hierbei verfährt, 
ist an sich gleichgültig, man ist dabei abhängig von den besonderen Ver- 
hältnissen des Ortes und des Landes. Unter allen Umständen aber muss 
nach einem bestimmten vorher klar durchdachten Plane verfahren werden, 
und stets muss die Ueberschrift für das Kapitel, von welchem gerade die Rede 
ist, an der Wandtafel verzeichnet werden, damit die Schüler sehen, wie sie 
vom einen Kapitel zum andern fortschreiten, und wie jeder Gruppe von That- 
sachen bei der Beschreibung des Kirchspiels eine bestimmte Stolle gebührt. 
Eine Wandkarte vom Kirchspiel wird der Besprechung zu Grunde gelegt. 

Schon während der Zeit, in welcher im Unterricht vom Kirchspiel die 
Rede ist, hört der Schüler gelegentlich das eine oder andere über die Gegen- 
den , welche jenseits der Grenzen seiner engsten Heimat liegen. Er gelangt 
von selbst dazu, sein Interesse auch den mehr entfernt liegenden Dingen zu- 
zuwenden, wir folgen seiner natürlichen Neigung, indem wir von der Be- 
schreibung des Kirchspiels zu derjenigen des Regierungsbezirkes und der 
Provinz übergehen. Die Methode ändern wir nicht. Bevor der Schüler eine 
Beschreibung des Landes im Lehrbuche zu sehen bekommt, muss ihm durch 
die Worte des Lehrers schon eine ganze Summe wichtiger Thatsachen bekannt 
geworden sein. Am liebsten würden wir die Schulausfiüge bis auf grosse 
Entfernungen vom Schulorte ausdehnon. Da sich indessen der wirklichen Aus- 
führung dieser weiten Schulausflüge grosse Schwierigkeiten entgegen stellen, 
begnügen wir uns damit, im Geiste ein grösseres Gebiet zu durchwandern. 
Wir verfolgen auf unserer geistigen Wanderung eine auf der Wandkarte er- 
kennbare Landstrasse und lassen durch die Schüler aus der Karte heraus- 
lesen , welche Städte und Dörfer wir durchwandern, welche Berge , Burgen, 
Flüsse und Seen zim rechten und welche zur linken Seite unseres Weges 



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Methodik und rnterricht der Geographie, 



liegen, welche Landstrassen und Eisenbahnen unser Weg kreuzt u. s. w. Wir 
finden die Gründe dafür, dass die Zahl der Städte und Dörfer in einigen 
Teilen des Gebietes eine besonders grosse ist , in einem Falle in der Frucht- 
barkeit des Bodens, in einem andern im Vorkommen nutzbringender Mineralien 
oder in der günstigen Verkchrslage nahe der Furt eines Stromes , der Ein- 
mündung eines Nebenflusses oder der Kreuzung wichtiger Strassen. Die phleg- 
matische Ruhe und geringe Grösse der Städte in einer nur auf Land- 
wirtscliaft angewiesenen Gegend zeigt sich uns im schroffen Gegensatz zu der 
hastigen Unruhe der schnell emporgekommenen Industriestadt Beim Beginne 
unserer gedachten Reise versäumen wir nicht die Richtung der Himmels- 
gegenden genau anzugeben, später wiederholen wür dieses an mehreren Punkten 
der Reise. Durch eine Messung auf der Karte müssen wir jederzeit im Stande 
sein die Zahl der im Geiste zurückgelegten Meilen genau anzugeben. 

Drei Vorzüge dieser Bchandlungsweise des Stoffes sind nicht hinweg- 
zuleugnen. Zunächst ist der Unterricht viel lebendiger als bei der einfachen 
Erzählung ; es bietet sich immer aufs neue Gelegenheit durch interessante 
Einzelnheiten die Aufmerksamkeit des Schülers zu fesseln. Sodann ist der 
Schüler fortwährend selbst in Tbätigkeit, denn er muss alles , was die Karte 
erkennen lässt, selbst hcrausfinden; dadurch bekommt d:\s Ganze eine gewisse 
Aehnlicbkeit mit eigener Beobachtung und selbständig ausgefuhrter Ent- 
deckung. Der dritte Vorzug der Methode besteht darin, dass sie zur Sicher- 
heit im Kartenlesen führt. 

Unsere Wandkarte muss natürlicli in so grossem Mafastabe ausgeführt 
sein, dass wir Wald, Ackerland und Morast deutlich voneinander unterscheiden 
können. Das Gebiet des Kirchspiels muss auf dieser grösseren Karte mit 
einer deutlich hervortretenden Farbe belegt sein, da es uns bei allen Ver- 
gleichen bezüglich des Flächeninhalts als Einheit zu dienen hat. Ebenso 
muss die Grenze des Kreises mit voller Deutlichkeit in Farbe auf der Karte 
verzeichnet sein; es hängt von der Lage des Ortes ab, ob auch die Grenzen 
des Fürstentums, des Regierungsbezirks oder der Provinz auf dieser Karte 
der weiteren Umgebung des Schulortes zur Anschauung gebracht werden können. 

Wir gehen dann zur Benutzung der Karte des ganzen Landes über; 
wir sehen, dass viele von den Einzelnheiten, welche auf der bislang benutzten 
Karte der weiteren Umgebung des Schulortes mit voller Deutliclikeit liervor- 
traten, .auf der Karte des ganzen Landes fehlen ; dass manche Städte, Dörfer 
und kleinere Flüsse unserer engeren Heimat dort keinen Platz gefunden haben, 
dass der Kreis und das Fürstentum , welchen wir angeboren , nur einen ge- 
ringen Raum einnehmen im Verliältnis zu dem ganzen zur Darstellung ge- 
brachten Gebiete. Die grosse Wandkarte des Kirchspiels, welche wir zuerst 
benutzten , umfasst vielleicht kaum eine Quadratmeilo , auf der Karte der 
weiteren Umgebung des Schulortes nimmt eine Quadratnieile immerhin einen 
ansehnlichen Raum ein , auf der Karte des ganzen Landes dagegen ist die 
Quadratmeile ein ganz kleines Viereck; wir veranschaulichen diese Ver- 
schiedenheit am einfachsten, indem wir die Quadratmeile in den verschiedenen 
Mafsstäben an der Wandtafel zeichnen lassen. 

Wir verfolgen nun auf der Kurte des ganzen Landes den weiteren Ver- 
lauf derjenigen Flüsse, welche schon früher bei der Besprechung der Umgebung 
des Schulortes erwähnt wurden ; wir suchen Quelle , Mündung , Nebenflüsse, 
Wasserfälle u. s. w. auf. Ebenso werden die Eisenbahnen und Heerstrassen, 
welche unser Heimatsgebiet berühren, verfolgt bis zu den Grenzen des Landes. 
Wir suchen Vergleiche auf zwischen der physikalischen Beschaffenheit unseres 
Heimatsgebietes und derjenigen der benachbarten und auch der entfernt liegen- 
den Gegenden des Landes. Die Grundbegriffe: Kap, Meerbusen, Landenge, 
Halbinsel, Wasserfall u. s. w. sind schon früher in der Heimatskunde erklärt; 
wir suchen nun auf der Karte des Landes nach passenden Beispielen, welche 
sich zu einer weiteren Erläuterung dieser Begriffe eignen. 




Methodik und Unterricht der Geographie. 



309 



Der Schüler ist nun genügend vorbereitet, um verstehen zu können, dass 
tmser Land einen Teil bildet von der Oberfläche einer Kugel. Die einfaclistcn 
Beweise für die Kugelgestalt der Erde werden durebgenommen ; dabei wird 
zum ersten Male der Globus benutzt, der von nun an für lange Zeit in keiner 
Stunde fehlen darf. 

In unserem Bestreben, vom Nächstliegenden ausgehend Schritt für Schritt 
zur Besprechung des Weitentfernten zu gelangen, können wir noch einen 
Schritt weiter gehen, indem wir auch die Kugelgestalt der Sonne und des 
Mondes in die Betrachtung hincinziehen und unsere Schüler dazu anhalten, 
die wichtigsten unter den scheinbaren Bewegungen dieser Himmelskörper selbst 
zu beobachten. Auch die auffallendsten Sterne und Sternbilder, namentlich 
den Polarstern und den grossen Bären zeigen wir unseren Schülern au einem 
klaren Abend, oder, wenn das nicht angeht, leiten wir sie im Unterricht mit 
Hülfe von Zeichnungen an der Wandtafel dazu an, die allerwichtigsteu Stern- 
bilder und die scheinbare Bewegung derselben selbst am Sternenhimmel auf- 
hndeu und beobachten zu können. 

(Kapitel XIU— XVI. Obere Stufe des geographischen Unterrichts.) 

Kapitel Xm. 

Mathematische Geographie. 

Es ist nicht statthaft, den Unterricht in der mathematischen Geographie 
einer einzigen Klasse zu überweisen , sondern der Stoff wird auf eine Iteihe 
von Klassen gleichmässig verteilt. Der Schüler soll lernen, einfache Messungen 
selbst auszuführeu und Kartenskizzen zu entwerfen. Wir bedürfen eines 
Taschen-Kompasses zur Eeststellung der Himmelsrichtungen , ferner hat sich 
jeder Schüler mit einem Transporteur aus Karteiipapier zu versehen. Nach 
einigen Vorübungen in der kartographischen Darstellung einer Landstrasse, 
eines Dorfes, Baches, einer Eisenbahn u. s. w. gehen wir dazu über, die 
Kartenskizze eines kleinen Gebietes aus der Umgebung des Schulortes auf 
Grund eigener Beobachtungen und Messungen zu entwerfen. Zunächst haben 
wir eine geeignete Basis auszuwählen ; am liebsten nehmen wir eine gerade 
Landstrasse, welche zwei weithin sichtbare Punkte der Gegend miteinander 
verbindet Den einen dieser beiden Punkte nehmen wir zunächst zu unserem 
Standort. Es hat dann jeder Schüler sein zur Aufnahme des Entwurfs be- 
stimmtes Kartenblatt auf einer passenden festen Unterlage, etwa einer niedrigen 
Mauer, einem Brückengeländer oder dergl. unterzubringen, da wir nicht für 
jeden einen hölzernen Dreifuss zur Stelle haben können. Das Kartenblatt 
wird so gelegt, dass der obere Rand nach Norden gewendet ist. Die Richtung 
der Meridianlinie wird mit dem Taschen-Kompass oder durch Beobachtung 
der Stellung der Sonne festgelegt. Wir nehmen nun auf dem Kartenblatte 
einen festen Ausgangspunkt und haben von diesem aus durch einen Blcistift- 
strich die Basis einzuzeichuen. Dieses geschieht, indem wir unser Auge in 
die Höhe des Kartcnblattes bringen und an der Oberfläche desselben entlang 
zum andern Endpunkte der Basis hinübervisieren. Die Länge der Basis finden 
wir durch Abschreiten; auf unserm Transporteur haben wir einen Mafsstab, 
der uns angiebt, wieviel Ceutimeter in unserer Karte der gefundenen Schritt- 
zahl entsprechen. Wir sind demnach im stände, auch den zweiten Endpunkt 
der Basis in der Karte angeben zu können. Dann tragen wir auf dem einen, 
später auch auf dem zweiten Endpmikte der Basis in die Zeichnung je einen 
Stern von feinen Bleistiftstrichen ein , von denen jeder die Richtung nach 
einem bemerkenswerten Gegenstände, den wir in der Karte verzeichnen wollen, 
angiebt. Jeden dieser Striche finden wir, indem wir wieder unser Auge in 
die Höhe des Kartenblattes bringen und nach dem betreffenden Gegenstände 



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Methodik und ünterricht der Geographie. 



bin visieren. Wird dieses mit einiger Sorgfalt ausgefuhrt^ so giebt uns der 
Schnittpunkt von je zwei einander entsprechenden Strichen die Lage eines 
der darzustellenden Gegenstände in der Karte an. Sobald wir auf diese 
Weise eine Reilie von festen Punkten gewonnen haben, ist es leicht, das 
Uebrige nach dem Augenmass in den Kartenentwurf einzufügen. Auf der 
obersten Unterrichtsstufe dürfte es sich empfehlen , eine genaue Messung der 
einzelnen Dreieckswinkel ausführen zu lassen. Die im Freien angefertigte 
Bleistiftskizze wird zu Haus vervollständigt, die üblichen Zeichen werden mit 
Dinte, vielleicht auch mit farbigen Kreidestiften eingetragen. 

Wenn nach einigen Lehrstunden die Schüler eingearbeitet sind, kann 
man ein Gebiet zur Vermessung in Sektionen einteilen und je 2 Schülern die 
Bearbeitung einer Sektion übertragen. Nachher werden die einzelnen Blätter 
zusammengestellt zu einer Karte des ganzen Gebietes. 

Die Erläuterungen und Hebungen in Beziehung auf geographische Länge 
und Breite sind zunächst immer am Globus auszuführen , später erst ist die 
Karte mit Erfolg zu verwenden. 

Die Darstellung eines ganz kleinen Teiles der Erdoberfläche iu Form 
einer Karte bietet keine grossen Schwierigkeiten. Sobald wir aber ein grosses 
Gebiet darzustellen haben, bemerken wir, dass es unmöglich ist, ein Stück 
einer Kugeloberfiüche mit voller Genauigkeit auf der ebenen Fläche des 
Papiers zu zeichnen. Dieses führt uns zur Erläuterung der üblichen Methoden 
der Kartenprojektion mit Hülfe von Zeichnungen und Modellen. Wir ver- 
gleichen die Darstellung eines Läuderumrisses etwa in Mercators Projektion 
mit dem allein richtigen Bilde des Landes auf dem Globus und gewöhnen 
dadurch das Auge daran, die niemals ganz zu vermeideude Verzerrung der 
Uinrisslinien auf den Karten zu berücksichtigen. 



Kapitel XIV, 

PhynikaliHche Geographie eines Oebielcs. 

Das Lehrbuch soll dasjenige enthalten, was die Karte nicht sagen kann ; 
es soll die aui der Karte angegebenen Einzelnhoiten ergänzen, aber nicht 
wiederholen. 

Die allgemeine Form und Lage eines Landes sind zunächst am Globus 
und dann an der Karte zu erörtern. Da wir den Flächeninhalt des Landes 
zu vielen Vergleichen heranzuziehen haben, prägen wir die Zahl der Quadrat- 
kilometer dem Gedächtnis ein. Auf dem Rande der einzelnen Karten sollte 
die Grösse des betreffenden liandcs sowohl iu Quadratkilometern als auch in 
der in dem Lande üblichen Masseinheit verzeichnet sein. Man versäume nicht, 
die relative Dichtigkeit der Bevölkerung berechnen zu lassen durch Division 
der Einwohnerzahl durch die Zahl der Quadratkilometer. 

Sehr zu empfehlen ist jedem Lehrer das Studium der geologischen Karte 
des Landes, über welches er unterrichten will. Er braucht sich keineswegs 
mit subtilen Fragen aufzuhalten , z. B. ob ein einzelner Zug der Alpen aus 
Granit oder Gneiss, aus Glimmerschiefer oder Diorit besteht, aber das muss 
er aus der geologischen Karte herauslesen, dass sich ein zusammenhängender Zug 
von festestem Urgestein durch das ganze Gebiet der Alpen verfolgen lässt, 
der sich hoch über das zur Seite gedrängte Kalkgebirge erhebt und mit seinen 
unverwüstlichen Gipfeln allen Unbilden von Frost und Sturm zu trotzen ver- 
mag. Ueberhaupt ist es nicht die Aufgabe des Lehrers , dem Schüler geo- 
logische Einzelkenntnisse zu übermitteln , er braucht sein geologisches Wissen 
nicht in den Vordergrund treten zu lassen, trotzdem hilft es ihm ganz wesent- 
lich bei der Erklärung der topographischen Formen, bei den Fragen z. B., 
warum das eine Land reich, das andere arm an Seen ist, w’cshalb die Berge 




Methodik und Unterricht der Geographie. 



311 



hier schroff abfallen und von Schlucliton durchsetzt sind , wahrend sio dort 
sich ganz allmälilich zu bedeutender Höhe erlieben. 

Es ist üblich, bei der Besprechung der physikalischen Verhältuisse eines 
Landes zuerst die Gebirge ins Auge zu fassen. Wenn ein Land keine Gebirge 
aufzuweisen hat, suchen wir zunächst die wichtigste Wasserscheide auf. Wir 
treten dem weitverbreiteten Irrtum entgegen, dass die Wasserscheide immer 
die höchste Stelle des Landes sein müsse. Auf der Karte von Europa z. B. 
können die Schüler eine grosso Wasserscheide über den ganzen Kontinent ver- 
folgen ; der bei weitem geringere Teil dieser Linie entfällt auf Gebirgszüge. 

AVii' stellen Vergleiche an bezüglich der Zahl, der Wassermeugo und 
der Länge der Flüsse, welche von den beiden Seiten der Wasserscheide hinab- 
fliessen. Einige Hohenangaben auf der Karte ermöglichen uns auch den Fall 
eines Flusses mit annähernder Genauigkeit zu ermitteln. Nehmen wir z. B. 
an, dass ein Fluss in einer Höhe von 1000 m entspringt und dass die Länge 
seines Laufes in unserer Karte zu 100 km angegeben sei, so berechnen wir, 
dass der Fluss im Durchschnitt für jedes Kilometer seines Laufes 10 m Fall 
hat; wir folgern aus diesem starken Gefiille, dass er für die Schiffahrt nicht 
verwendbar sein kann. 

Wir haben zu beachten, dass Quellen oft die Veranlassung zur Gründung 
menschlicher Niederlassungen wurden, und dass die Flussthäler die natürlichen 
Heerstrassen bildeten , auf welchen die erste Bevölkerung ins Land einzog. 
An den grösseren Flüssen finden wir die ältesten Ansiedelungen , namentlich 
da, wo eine Furt die Möglichkeit des Ueberganges von einem Ufer zum andern 
darbot. Die Stelle, wo ein grösserer Nebenfluss in einen Strom einmündet, 
mnsste in der alten Zeit, als der Verkehr weit mehr als heute auf die Wasser- 
strassen angewiesen war, als besonders günstig für die Anlage einer Stadt 
erscheinen. Koblenz bietet dafür nicht allem durch seine L,age, sondern zu- 
gleich durch seinen Namen einen passenden Beleg. 

Auch die Ebenen verdienen eine sorgfiütige Betrachtung; einige waren 
noch vor verhältnismässig kurzer Zeit vom Meere bedeckt, der Meeressand 
lagerte sich gleichmässig ab über grossen Flächen des Meeresbodens und stieg 
dann infolge säkularer Hebung allmählich bis über den Wasserspiegel empor. 
Andere Ebenen verdanken ihre Entstehung der Thätigkeit der Bäche und 
Flüsse, welche durch ihre Sinkstoffe den Raum zwischen mehreren benach- 
barten Gebirgen gleichmässig überlagerten. Als Beispiele mögen die nord- 
deutsche und die lombardische Tiefebene dienen. Erstere w.ar in jüngster Zeit 
noch Meeresboden, das beweisen die in iliren Sanden und Thonen gefundenen 
rezenten Arten von Meeresmuscheln. Die lombardische Ebene dagegen ist auf 
drei Seiten umgeben von hohen Gebirgen, welche Jahrtausende hindurch grosse 
Massen von Gerollen und Schlamm mittels unzähliger Wasserläufe hiuabgesandt 
haben. Der Boden der Lombardei musste auf diese Weise gehoben und ge- 
ebnet und die Küste des adriatischen Jleercs zurückgeschoben werden. So 
ist es erklärlich, dass der römische Kriegshafen Ravenna jetzt 7 km land- 
einwärts liegt, und dass die alte Hafenstadt Adria, welche dem adri,atischen 
Meere den Namen gegeben hat, jetzt 22 km von der Küste entfernt liegt. Im 
kleinen können wir diese Art der Entstehung von Ebenen in jeder gebirgigen 
Gegend bef>bachton, denn in der Regel bildet sich da, wo sich die Wasser- 
läufe von mehreren hohen Bergen treffen, eine kleine Alluvialebone. 

Die zur Beurteilung des Klimas eines Landes in Beti-acht kommenden 
Thatsachen sind erst seit verhältnismässig wenigen .lahren genau beobachtet 
und zusammcngestellt. Für die Zwecke des Unterrichts sind von Interesse: 
der mittlere Atmosphärendruck im .lanuar und im Juli, die mittlere Sommer- 
nnd Wintertemperatur, die mittlere jährliche Regenmenge und ihre Verteilnng 
auf die einzelnen Jahreszeiten, die vorherrschenden Winde und ihre Beziehung 
zum Regenfall, der allgemeine Charakter des Wetters und die Richtung und 
Eigentümlichkeiten der Stürme. Die Wetterkarten, welche neuerdings von 



. ik. 



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I 



312 Uethodik luid Unterricht der Geographie. 

den meteorologischen Instituten mehrerer Staaten und auch von grösseren 
Zeitungen täglich herausgegeben werden, sind in den Tagen vor und nach 
einem grösseren Sturme besonders lehrreich. Sie zeigen den beherrschenden 
Einfluss des Luftdrucks auf alle Bewegungen in der Atmosphäre, sie lassen 
die Bahn des Sturmes erkennen und die Bedingungen der Temperatur und 
Feuchtigkeit, welche einer heftigen Bewegung voraufgehen, welche sie begleiten 
und welche aus ihr hervorgehen. 

Die in einem Lande vorkommenden Tiere und Pflanzen sind in erster 
Linie nach ihrer Zugehörigkeit zu den grossen Gebieten oder Provinzen , in 
welche die gesamte Fauna und Flora der Erde eingeteilt werden, ins Auge 
zu fassen. Sodann aber sind sie — ebenso wie die Mineralien — nach ihrer 
Bedeutung für diu Ernähruug und Bekleidung des Menschen und namentlich 
für den Handel zu beurteilen. Dabei worden dem Lehrer die in einem der 
voraufgehenden Abschnitte erwähnten gedruckten Länderuinrisse gute Dienste 
leisten, er kann z. B. durch das Einzeichnen weniger Linien die Verbreitung 
des Weinstocks oder der Baumwolle oder des Kamels oder der Steinkohle zur 
Anschauung bringen. 

Die charakteristischen Merkmale der Menschenrassen sind dem Schüler 
leicht verständlich. Die Verteilung der verschiedenen Rassen Uber den Erdball 
und die Verbreitung der wichtigsten Sprachen und Religionen veranschaulicht 
man durch besondere Karten, welche jetzt wohl überall käuflich sein dürften. 

» * 

* 

Das Kapitel XV enthält viele Erklärungen von geographischen Namen, 
welche hauptsächlich für den englischen Leser von Interesse sind. Im übrigen 
bietet dieses Kapitel bezüglich der politischen und historischen Seite des 
geographischen Unterrichts eine Reihe von Gedanken und Ratschlägen, welche 
sich kaum in einem kurzen Auszuge zusammeiifissen lassen, welche überdies 
dem deutschen Leser nicht neu sein dürften. 

Kapitel XVI handelt von der obersten Stufe des geographischen 
Unterrichts, namentlich vom Lesen geographischer Werke. 

W. Levin. 





Profil 'ttBga d6i BAsfiea von Woltsofasoht fortgowtit Ms sum Cameni 







Versuch eines Beitrags zur Deutung von geographischen Namen, 
Vöiker- und Personennamen. 

Von Amtariohter Nobr in Cliemmtz. 



Das Wort nor (mit langem o, daher niir, noor) stammt aus Asien, lautete 
im älteren Ostmougolischen oder eigentlichen Mongolischen nagor und bedeu- 
tete , wie heute noch im Ostmongolischen , sowie im Westmongolischen oder 
Kalmückischen, „See“ d. h. Landsee. (Vergl. Dr. Ungewitters Erdbeschrei- 
bung, herausgeg. von Dr. Hopf, Dresden 1872, Bd. II, S. 451.) 

Es haben einen mit nor oder noor zu.sammengesetzten Namen folgende 
centralasiatiscbe, zwischen dem 32. und 49. Grade uördl. Br. gelegene Land- 
seen : Ubsanor und Kirgisnoor am Kirgisischen Ural, Lobnor und Kulün-Noor 
in China, Dalai-Nor in der Mandschurei, Chalunnoor, Buirnoor und Gasch- 
noor in Ost - Turkestan , Alaknoor, Oroknoor, Sogoiior, Sobonoor, Saisannor 
und Kukunor in der Mongolei, Oringnor, Dscharingnor, Bakanoor, Bukanoor, 
Chuituunor und Tengri-Nor in Tibet. 

Auch in Europa, wohin es durch die aus dem westlichen Teile von Asien 
ausgewanderten Volker gelangt sein mag, kommt das anschemend auch dem 
indogermanischen Spraclistamme ■) angehürige AVort nor, noor vor. Es ist 
zwar weder in den keltischen Sprachen , soweit sie der .letztweit bekannt ge- 
worden, noch in den uns bekannten germanischen Sprachen in der Bedeutung 
von „Beo“ •) vorhanden , gleichwohl hat cs sich aber in seereichen Ländern, 
welche von eingewanderten keltischen oder germanischen Völkern, bezw. deren 
Abkömmlingen bewohnt oder bewohnt gewesen und nicht frühzeitig von slavi- 
schen Völkern dauernd in Besitz genommen worden sind, in geographischen 
Namen, V'ölker- und Personennamen erlialten. Es wurden mit diesem Worte 
Izandseen (auch ganz kleine und jetzt ganz oder teilweise versumpfte, oder als 
Teiche geltende), sowie see- oder teichartige Ausbuchtungen in Flüssen (Bächen) 
bezeichnet (vergl. betreffs Schwedens: Anteckningar om Westmanlands Härader 
af 0. R. Bellander, Köping 1869, S. 401 — 405), und hat man daher unter 
noraha, nora *) den schmalen Ein- und Ausfluss eines Landsees, einen schmalen 
Fluss oder Bach mit see- oder teichartiger Ausbuchtung zu verstehen. Zu 
den in Europa heute noch mit nur, noor, noor benannten Landseen zählen 
auch einige, welche durch ein schmales Wasser (Tief) mit dem Meere in Ver- 
bindung stehen, sogenannte Strandscen *). 

*) Die JUtesten Hirten-, Krieger- und Fischcr-VBlker luvtten wohl in ilipen, 

bezw. verwandten Sprachen infolge gegenseitiger Kntlehnung noch manche« Wort ^ivfein, 
wogegen in dienen Sprachen später, und zwar schon beim Heginn des Ackerbaus, dieselben 
begritfe verschiedenen Ausdruck fanden. 

•) Nur in der altnord. Spnvcbe hat «ich das Wort nör in einer von ,Sce‘ hersulei- 
tenden Bedeutung erhalten , indem in dieser Sprache der länglichrunde, einen See in 
kleinster Form bildende KOhltrog des Schmieds, gleichwie im Latein, lacus, «nör* hie««. 
(Vergl. J. Grimms deutsche Grammatik d. u. 1840, Btl. I, S. 463 in Verb. m. S. 465.) 

•) Da« indogenuun. aha ,Waiaer*, in den german. Sprachen in drei Fonucu: aha, ap 
und ava zerspalten, lautete aus auf aha, ah, ach, aa, a und bedeutete, wie noch heute im 
Schwedischen a, «schmaler Fluss, Bach*. 

*) Nicht mit nör (See) zu verwechseln in geograpbisclien Namen, Völker- und Per- 
sonennamen ist nur mit kurzem o, welches Nord (Norg), Nort, North, Norr (Nol), Nörre, 

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314 Versuch eines Beitrags zur Deutung von geograph. Namen, Vnlkcr- n. Personennamen. 



Ueber den Weg, den bei Einwanderung asiatischer Völker in Europa 
die nach den (iriechen und Römern daseihst zuerst aufgetretenen Kelten von 
der Ostgrenze Europas aus eingeschlagen, und in welchen Ländern ausser in 
Bühmon im Erzherzogth. Oesterreich , in den Herzogthümern Steiermark und 
Kärnthen, in Bayern, in der Schweiz, in Italien, Frankreich, Spanien, Eng- 
land, Schottland und Irland sie sich niedergelassen haben, will ich mich nicht 
weiter verbreiten und betrefls der (iermanen, von denen ein Volk sich zunächst 
auf der Halbinsel Krim ’) festsetzte und nach seiner Verdrängung durch die 
Scythen bis herauf au die Weichsel dort mit anderen stammverwandten asiati- 
schen Einwanderern sich vereinigte , sich aber auch wieder in verschiedene 
Stämme spaltete, nur bemerken, dass sie nach Angabe bewährter Geschichts- 
forscher von dem oberen Laufe der Weichsel teils nordwärts und sodann der 
Ostsee- und Kordseeküste entlang his nach den Kiedcrlanden , oder seitwärts 
von der Nordseeküste nach Thüringen und Westfalen, bezw, an der Ostsee- 
küste aufwärts nach der kimbrischen Halbinsel, Dänemark, Schweden und 
Norwegen, teils von der Weichsel aus südwestwärts und sodann westwärts 
nach den Oesterreich. Landen , Bayern , Hessen und den Rheinländern weiter 
gewandert sind *). 

Bei Angabe der Gegenden, in welchen die Kelten oder die Germanen, 
oder beide Völkerschaften zugleich in Europa mit dem Worte nör, gleichwie 
mit einem Marksteine, Kunde von ihrer Anwesenheit hinterlassen haben, folge 
ich lediglich den beiden Wegen der Germanen, und mag dieser Angabe noch 
vorausgeschickt werden, dass Länder, deren Name das Wort nör enthält, 
ausnahmslos reich an Landseen sind, sowie, dass Orte, deren Name 
„nor“ oder „nora“ lautet oder mit nör, uora zusammengesetzt ist, nur an 
Land - und Straudseen, oder in deren Nähe, bezw. an Landsee-Ein- und 
Ausflüssen , oder in deren Nähe zu finden sind , dass hierbei auch die z. Z. 
versumpften Seen, sowie die jetzt als Teiche geltenden Seen in Betracht kommen, 
dass zu erwähnten Orten auch einige zu rechnen sein dürften, deren Name im 
Laufe der Zeit aus Missverstand verdorben ist und dass meine Angaben über 
Ortslage , soweit ich die Quelle nicht angegeben , auf zuverlässigen Spezial- 
karten und , soweit Si)czialkarten nicht ausreichten, auf den Angaben der be- 
treffenden Ortsverwaltungsbehürden , bezw. auf eigenem Augenschein beruhen. 

Fasst man nun zunächst die von den von der Weichsel aus nördlich 
gewanderten germanischen Völkern berührten Länder ins Auge, so trifft man 
auf das AVort nör in dem Namen ; 

1. de.s ostpreussischen Ortes Nordenburg im Kreise Königsberg, einer 
in seereicher Gegend am Flusse Aschwäu (frülier Swena, Schweine), 
dem Ausflusse des nahen Aschwänsees (Nordenburger Sees), gelegenen 
alten Stadt, wobei zu bemerken, dass der Name dieser Stadt zugleich 
im Hinbhck auf das Nichtvorhandensein eines gegensätzhehen Sonder- 
burg, Suderburg, Süderburg u. s. w. in dortiger Gegend offenbar 
durch missverständliche Einschiebung eines d aus Norenhurg (= Sce- 
hurg) verdorben ist; 

Norder bedeutet und im Gegensätze von Ost, Oster, Oeater, West, Wester, Söd, Südor, Sud. 
.Snder, Snnd, Sünder, .Sond, Sonder, Sonders, SOr steht, wie z, il. in „Norburg“ auf <ior Insel 
Alsen, welches trotz der nahebei gelegenen landseen als Nordburg zu deuten ist, und zwar 
wegen des gegensätzlichen Sonderburg; ferner ist damit nicht zu verwechseln das nsthn. 
nör, obentaJls mit kui-zem o, welches .jung, neu' bedeutet, wie z. B. in Nor-Kagkak 
Neustadt. (Vergl, A. F. Pott, .Die Personennamen u. s, w. unter Berücksichtigung der Orts- 
namen, S. 522 u. 524 ilg.) 

') Kin Best von Gernuineu soll sich auf der Halbinsel Krim (vergl. Br. Otto Bohaghel, 
.Die deutsche Sprache“, Leipzig 1886, S. 10) bis in neuere Zeit erhalten haben. 

•) Teile der zn den Germanen gehörigen Angelsachsen bevölkerten Britannien. Teile 
der Nonnannen und Jüten Irhind, andere Germanenstämme Norditalien und einen Teil von 
Frankreich. Mit den Kelten sind nach Ansicht .1. Grimms (vergl. dessen .Gesch. der deut- 
schen Sprache*, Bd. II, S. 72.8) im Osten Europas zuerst die german. Gothen, insonderhoit 
die Gotliinen zusnmmengetrotfen. 



Digitizee L, C.o, 




Versuch eines Beitrags zur Deutung von geograph. Namen, Völker- u. Peraonetmainen. 315 



2. der ebenfalls im Kreise Königsberg südlich von Wehlau und südwest- 
lich von Insterburg zu beiden Seiten eines kleinen , mit Ein - und 
Ausfluss versehenen Sees gelegenen Dörfer Gross -Nuhr und Klein- 
Kubr mit Fabrikanlage Schün-Nulir (Nuhr für Kor. Koor durch Ab- 
wandelung des 0 in u mit Dehnungszeichen h) = Grofssee, Kleinsce, 
Schünsee ; 

3. dos im ostpreuss. Kreise Gumbinnen an der polnischen Grenze in der 
Kühe des grossen Wysztyten-Sees und eines kleinen Landsees gelegenen 
Dorfes Norwieden, von nor und wiedo oder witu, daher = Seeweiden, 
Scehof, See-Kolonie, oder Seewald ; 

4. der in der preuss. Provinz Pommern im Regierungsbezirk Stettin am 
Enzigsee gelegenen und von einer Anzahl noch anderer, kleinerer 
Seen umgebenen Stadt Körenberg (Korenberg) = Seeberg ; 

5. des im Grossherzogtume Sachsen -Weimar bei der Stadt Weimar an 
dem Klüasclien „Gramme“, und dos in der preuss. Provinz Sachsen 
unweit der Stadt Kordhausen an dem Flüsschen „Wipper“ gelegenen 
Dorfes Nohra (Nora mit dem DohnuiigszeicUen h) = Soebach, wobei 
zu bemerken, dass sowohl die Gramme, als auch die Wipper ein See- 
bach (nora, uoralia), im obgedaebten Sinne ist, da die im Dorfe Nohra 
bei Weimar entspringende Gramme in der Mitte dieses Dorfes eine 
see- oder teichartige Ausbuchtung hat, d. h. dort einen kleinen, jetzt 
ausgemauerten Teich durchströmt, bezw. weil die im Weichbilde der 
Stadt Worbis entspringende Wipper bei dem zwischen Worbis und 
Nohra unweit Kordhausen gelegenen Dorfe Wülfhngerode ebenfalls 
eine see- oder teichartige Ausbuchtung hat, indem sie dort einen lang- 
gestreckten Teich durchströmt; 

6. des in der preuss. Provinz Hannover bei Göttingen an der Leine ge- 
legenen Marktfleckens Nöi-ten (Northen, Norzun, von Northuna, Nor- 
tuna ’) = Seeburg mit der an drei Seen (Teichen) gelegenen Ruine 
des Bcrgschlosses Hardenberg, des ehemaligen Sitzes des Gerichts 
über Nörten , woraus erhellt , dass man unter dem ahd. tun , thun, 
thum eine befestigte, burgartige Gerichtsstelle zu verstehen hat ; 

7. des Dorfes Norbye (By diiu. Dorf) = Seedorf in der preuss. Provinz 
Schleswig-Holstein und zwar am Heide-Teiche in der Nähe dos kleinen 
Owschlagsees westlich vom Wittensee; 

8. des „Windebyer Noor“ (Noer) genannten grossen Landsces bei Eckern- 
ibrde in derselben Provinz, welcher See als Strandsee zu gelten haben 
dürfte ; 

9. des in derselben Provinz gelogenen Landsecs Kübel -Noor = Nübel- 
see, welcher durch ein schmales Wasser, an welchem der Ort Al- 
noor = Alsee (vielleicht früher Eleunor, Elensee) liegt, mit der 
Flensburger Föbrdc zusammenhängt ; 

10. des in derselben Provinz und zwar in der Nähe des Bergdörfer Sees 
gelegenen Dorfes Nortorf = Seedorf; 

11. des im nördlichen Teile der Insel Alson gelegenen Landsees Olde- 
Noor = Altsce ; 

12. des Norwegen genannten seereichen Teils von Skandinavien (schwod. 
Norrige, dän. Norge) aus nör, See, und dem altnord. egr, vegr, 
Land, = Seeland *) ; 



^ Ueber tün, thon, zim, Tiaun, kalt, «tun, lat. dunum, Hügel, Einfriedigung, Zaun, 
ummauert. Ort, Koste, Hurg vergl. Dr. J. J. Egli , Nomina geograph.“ b. v. Thun, 
J. (irimm, ,Ge«cb. d. deutsch. Sprache“, Bd„ I, S. 395, dessen .»Deutsche Flochtsaltertümer“, 
S. 534, sowie BcUandor loc. cit, nach welchem letzteren auch in Schweden mit tuna die 
Gcricbtflstelle im Gerichtsbezirke bezeiclmet worden ist. 

*) Es künnto zweifelhaft sein, ob nicht die übliche Deutung von Norwegen mit «Nord* 
land* die richtige sei, wenn man bedenkt, dass dieses Land io Europa dusjenige ist, w'elchos 




31Ö Vürsucb cxüOM Beitrags zur Deutung von geognipl». Nutnou, Völker* u. i'ersonennamen. 



13. des in Norwegen heimisch gewesenen germanischen Volks der Nor- 
mannen (von nor, See, und man, Mann) =■ Seemänner •) ; 

14. der schwedischen Landseeu Nor im Bezirke Kamniis und Wellnor im 
Bezirke Knutby ; 

15. des in Schw'eden und zwar in der Mitte zwischen dem Vik und einem 
kleinen See gelegenen Dorfes Nor; 

16. des ebenfalls in Scliweden (Wermland) au einem in den Wenersoc 
mündenden Flusse gelegenen Ortes Nor; 

17. des in demselben Laude (Kirchspiel Mora) am Siljansce gelegenen 
Ortes Ostnor; 

18. des in demselben Lande (Dalame) zwischen den Landseeu Varpen 
und Runn gelegenen Schlosses Noor und des Ortes Norsluud (= See- 
wald) ; 

19. der schwedischen Orte Norberg = Seeberg sUdlicli von dem unter 
Nr. 14 erwähnten See „Nor**, und Norskirche an einem in den Weiier- 
see mündenden Flusse ; 

20. des schwedischen, von einem Seebache (nora) gespeisten Norasö (= See- 
bachsee) und der nördlich davon gelegenen Stadt Nora = Scebach 
(Westnianland) ; und 

21. mehrerer schwedischer, au Ein- und bezw. Ausflüssen von Landseen, 
also an Seebächeu gelegener und danach benannter Orte und Ge- 
werbsanlagen, als: Norakirche bei Fjerdshundra, des Eisenhüttenwerks 
AN'ellüora au einem, den unter Nr. 14 erwähnten Wellnor und einen 
anderen See verbindenden Flüsschen, der Mülilcnanlage Skällnora an 
dem Flusse, welcher vom Norrvik nach einem kleinen See Hicsst, des 
Norahofs in Dauderyd (üpland) an einem Flusse, w’clcher in die Eds- 
bucht mündet, des Ortes Fjcllnora in Fundsbo (üpland) nicht weit 
von einem in den Ramsö (Ramsee) fallenden Flüsschen , und des 
Ortes Upnora im Bez. Gelinge (Hailand) au einem Flusse, welcher in 
ziemlicher Entfernung von diesem Orte aus einem kleinen See ab- 
fliosst, daher immerhin noch als nora, Scebach, zu gelten hat *). 

Fasst man weiter die von dem von der Weichsel aus zuerst südwestlich, 
dann westwärts vordriugenden Teile der germanischen Völker berührten Länder 
ins Auge, so triß't man auf das Wort nör 



am woiteäton zuiub Norden hinaufreicht. Auch J. Grimm, , Geschichte der deutsch. Sprache*, 
lid. II, S. 749 u. 729 deutet Norwegen, altn. Norvegr, Noregr. als .Nordland*, wogegen 
Dr. J. J. Kgii .Nomina geograpb.* k. v. Norwegen der Meinung ist, Norwegen, eigentUch 
Norrwogen sei Norrveg (Nordweg) genannt von den Normannen, um damit den nach Norden 
filhrcmhm Seeweg im (regeusatzo zu Vesturveg (Westweg durch die Nordsee) und Austurveg; 
(Oslweg durch die Ostsee) zu bezeichnen. In Erwägung aber, dass nach Bellander loc. cit. 
auch iii schwedischen geographischen Namen nor selten und nur im Gegensätze zu sör 
(Süd) für uorr. nol = Nord steht, und d;tös von dem im 3, Jahrhtmdert n. Chr. lebenden 
berühmten keltischen Barden Ossian Norwegen mit .Lochlin* (von loch .See* und linn 
• Land*) = Seeland bezeichnet worden ist (vergl. J. Grimm. .Gosch, d. d. Spnu;bG*, Bd. 11, 
S. 752), so glaube ich der Deutung von Norwegen mit , Seeland* den Vorzug geben zu 
mÜRsen. 

*) Die Normannen, auch Waräger g«mannt, welche bei ihrer Einwanderung in Nor- 
wegen die dortigen Urbewohner, Finnen und Lappen, nach Norden zurilckdrängten , bevöl- 
kerten mehr die südlicher gelegenen Teile, insbesondere die Westküste. Sie waren nicht 
zur Sesshaftigkeit geneigt, sondern meist in ihren Kuhnen auf den Landseen, Fjorden und 
den Skärongewässem zu Hause, so dass .SeekOnig* von ihnen nur derjenige zu werden Aus- 
sicht hatte, welcher sich rühmen durfte, nie unter den berussh^n Balken einer Hütte ge- 
schlafen zu haben. Bekanntlich schweiflen sie auf ihren Fahrzeugen auch übers Meer aus, 
machten Eroberungen und wurden gefürchtete Seeräuber. Es liegt meines Erachtens kein 
zwingender Grund vor, die bisher übliche Deutung des Volksnamens •Normannen* mit 
.Nortlniänuer*. zumal diese Norwogtrr nicht einmal den nördlichsten Teil von Norwegen be* 
wohnten, der Deutung von ,Seemänner*, d. h. Seeanwohner, Seebewohner, vorzuziehen. 

*) Zu Nr. 14—21 vergl. Bellandcr loc. cit, welcher noch weitere Belege für die von 
mir angegi'bone Deutung von nör und nora aus Schweden beibringt, desgCD Ausführungen 
ich jedoch uicht allenthalben bei/usiimmen vennag. 



Digilized by|Grv'^ 



Versuch cinos Beitrags r-ur Dnutruig von geograiih. Namen, Vdlker- u. rersonennamen. 317 



1. in Oesterreich: 

a) in der Benennung eines Keltenvolkes (Taurisker y) mit „Noriker“ 
(lat. Norici ') , adjektivisch von nör (See) die Norischen , d. h. die 
Seeanwohner, die Seebewohner (Pfahlbauern*), gleichwie von Ge- 
birge die „Gebirgischen, die Gebirgsbewoliner“ ; 

b) in dem latinisierten Namen der ehemaligen, Teile des dermaligon 
Erzlicrzogtums Oesterreich und der Herzogtümer Steiermark, 
Kärnten und Krain umfassenden römischen Provinz Noricum, 
d. h. das Norische, das Seeland *) ; 

c) in dem ebenfalls latinisierten Namen des in Steiermark in der Nähe 
mehrerer kleinen, jetzt z. T. als Teiche geltenden Seen *) gelegenen, 
zur Zeit Neumarkt (von nör, neu) genannten, als Residenz keltischer 
Könige und durch den dort im .Jahre 113 v. Chr. von den ger- 
manischen , aus der kimbrischen Halbinsel wiederausgewanderten 
Kimbern über die Römer erfochtenen Sieg berühmten Ortes Noreja 
(Norcia) = Seeheim*); 

d) in dem Namen der aus Tirol durch Salzburg nach Steiermark sich 
hinziehenden „Norischen Alpen“ = Seealpon, nicht zu verwechseln 
mit den östlich von Neumarkt aufragenden Seethaler Alpen ; 

e) in dem Namen der von J. E. Ritter Koch-Sternfeld, „Topograph. 
Matrikel in der Abhandl. der histor. Kbrsse der K. Bayer. Akadem. 
der Wissensch.“ s. v. Noritale und von Dr. E. Förstemann loc. cit. 
erwähnten hi.storischen Grafschaft Noritale, Norital, Noritbal 
(= Seethal) in Tirol *) ; 



*) Vcrjfl. Dr. K. FörBlt^inann, ,Altdout«clie» Namenbuch“, Bd. tl, e. v. Nor. 

*) Nach einer Mitteilung der UniverHituts-Hibliothok »Verwaltung zu Wieu wnd in 
nachgenannten, im Gebiete der ehemaligen röra, Provinz Norifuni gelegenen Seen Pfahl* 
liaure^te, welche von Kelten herrühren, gefunden worden ; im Attersee, Traunsee und Mond» 
80 C im Krzherzugtumo Oecitcrrcich^ und im Koutschacher See in Kärnten. (Vergl. auch die 
,Mittoil. der anthropol. GeselUch.“ in Wien und das »Archiv filr Karnlhen*.) 

•) Noregr vmter Nr. P2 und Noricum, Normannen unter Nr. Pt und Noriker sind daher 
fast gleichbedeutend. (Vergl. dagegen .1. Grimm, ,Ge«ch. der douUehen Spruche“, Bd. II, 
S. 720.) 

*) K« liegen w^tlich und bezw. östlich von Nenniarkt: der Furter Teich, die Teiche 
bei Vokenberg und Groslupp, der Podolor Teich, der Holzerteich, der Auerlingsee, der 
Lavantsee, der Wildsee, der Winterleitsee und der Frauenlaken. (Vergl. »Der klimatische 
Kurort Neumarkt in Steiermark“ v. Ant. Schwetter, Wien 1886.) 

*) Die laiein. Kndung eia, oja, im Plor. eji, drückt l>ei röm. Länder» und Ortünainnn 
ein reichliches Vorhandensein, ein Zuhausesein in einem Lande, an einem Orte aus. Sie 
wird durch das Wort, welchem sie angehungt ist, näher bestimmt und entimrichi dem neu» 
hochdeutsch, ei. heim, hontt, ingen, wie z. B, in Mongolei, Ihicharei. Pohickei, Weudei. 
Böheim fBojerbeim), Waldbeim, Amhein», Adlerhorst, Böckingt'n (Bnchinheira, Buehbeim), 
dalior; Noreia *=» Seeland, Seeheim, Aquileja — • Amheim, Adlerhorst, Celleja ■« Zellingen 
(Speicherei, d. h. Ort, wo Getreidespeicher vorhanden), Matcreja, die Materei, Matrei *■ 
Mäherei, M&hringen, d. fa. Ort, wo cs viel (Wiesen) zu mähen giebt. 

•) üeber Lage und l’mfang des betrefls rie.s Namen« bisher unerheIH gebliebenen 
»Norital“ ist IL Auskunft der Universität« »Bibliothek 'Verwaltung zu Innsbruck zu vergl. 
II. Kink, »Akadem. Vorlesungen über die Geschichte Tirol.*«“, Innsbruck 1H50, S. 158; Jos. 
Freih. v. Ilormayr sämtliche Werke, Stuttgart 1820, Hd. I, S. 77; Hormayr, .Beiträge zur 
(beschichte Tirol» im Mittelalter“, Wien IHOH, Bd. 1. S. 125, und Kgger, »Geschichte Tirol»* 
1872—1880*, Bd. 1, S. 170, Es lautet in letzter«!r die betr. Stelle: »Da« Noritbal (Oritel?), 
welches von SchOnberg od<*r von d«*n Höhen de» Brenner« hi« Nölten, vielleicht bis an den 
Aschlerbach reichte, lÜHst Frhr. v. Hormayr in «einer AbharnUung über die Gaue und Gau» 
grafen Tirols in drei fJrafschafton geteilt «ein: in die welfi«ebe Grafsch. Bozen, in den 
norischen Komitat der Andeebser und in die Grafschaft Marcit. Die letztere hat wenigston« 
in dicMer Periode nicht existiert, die (rrafschuft Bozen kaum vor Ende des 10. Jahrhundert«; 
in der ersten Zeit bildete* wohl da» ganze Noritbal nur eine Grafschaft. Später wunlon zu 
dieser Grafschaft auch ein T<nl «les Innthals, vielleicht ganz Oberinntlial und ein Teil von 
Unterinnthal (bis zmn MelachV) geschlagen, dagegen kaut, wa« südlich vom Brei- und Tinne» 
hach gelegen, ziur Grafsch. Bozen, welche im Süden Über Bozen iünau.», im Wasten bis an 
den Gargazonerbach reichten Ortechaflen: Taiiranc, Torlian (Torlan), Meltina (Mölten), 
Suczano, Sutfana (Süfian), Filaaders, Purpian, KoU« (Völs), Segis (Seis?), Tieres (l’iers), 






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318 Versuch eines Beitrags zur Deutung von gcograph. Nainen, Volker- u. Personennamen. 



2. in Bayern : 

a) in der urkundlichen Bezeichnung des südlichen, sooreichon Teils 
von Bayern als Noreia, die Norci = Seeland*); 

b) in dem Namen der Stadt Nürnberg (Nurinberg, Nnrinberc, Nuorin- 
berg, Nuorinbere, Nuorenberc, Nurenberc, Nuronberg, Nourenberc) = 
Norcuberg, Seeberg mit Schloss auf einem nahebei gelegenen Hügel 
(Castrum Norembero), ofl'cnbar so genannt wegen einer Anzahl 
südöstlich davon gelegener, bezw. früher dort befindlich gewesener 
Seen (Toicbe), von denen auch der dortige Ort „Dutzendteich“ 
seinen Namen haben mag; 

3. in Hessen-Nassau : 

in dem Inhalte einer Schenkungsurkunde der Abtei Fulda vom 13. No- 
vember 774 (vergl. Dr. E. Förstemann 1. cit. und E. F. J. Dronke 
„Cod. diplomat. fuldens.“ Nr. 48) , worin der in den Main mündende 
Ooiisbach, welcher an dem Orte Finthen und dem früher zum Wormscr- 
Gane (pagum Wormacense) gehörig gewesenen Dorfe Gonsenheim 
(Guntzinheim) bei Mainz vorübertiiesst und jetzt sein Wasser teils aus 
dem Grosaenborn , teils aus dem Künigsborn und aus zwei anderen 
Quellen bei Finthen erhält, „Noraha“ (Seebach) genannt ist und zwar, 
wie der Befund ausweist, offenbar deshalb, weil er damals der Aus- 
fluss eines im Finthener Walde gelegenen, jetzt versumpften Sees 
war, welcher z. E, Seepfuhl genannt wird, wogegen das Wasser des 
Königsborns zur Hömerzeit mittels einer dazu erbauten Leitung nach 
Mainz lief. 

Die genaue Prüfung der Lage mancher anderen Orte ira Deutschen 
Reiche und in sonstigen, von Kelten oder Germanen oder von mit ihnen 
stamm- bezw. sprachverwandten Völkern bewolmten, bezw. bewohnt gewesenen 
Ländern Europas (z. B. in Dänemark mit .Jütland , England , Irland , der 
Schweiz) auf das Vorhandensein von See (nör) oder Seebach (noraha, nora) 
würde wold dazu beitragen, dass deren überhaupt noch nicht, oder trotz 
Mangels eines gegensätzlichen Süd, Sud, SUder, Suder, Sund, Sonder, Söder 
missverständlich nach der Himmelsgegend „Norden“, oder nach nör, neu, ge- 
deuteter Name (z. Norwich, Noorwood bei Windsor und Gobnor in England, 
sowie Ventnor auf der Insel AVight, und Neuenburg oder Neucbätel in der 
Schweiz) aufgeklärt bezw. richtiger, als bisher, gedeutet werden würde. Es 
ist die Prüfung der Ortslage auf See, Seebach auch brauchbar und rätlich bei 
Deutung von alten geographischen, mit See (althochd. sco) zusammengesetzten 
Namen , deren Bedeutung infolge dialektischer Verdunkelung zweifelhaft ge- 
worden ist, so dass z. B. der von Dr. E. Förstemann im „Altd. Namenbuch“ 
Bd. II, S. 1255 — 56 aufgefübrte geograph. Name Sezpah, Siezpach (Bez. des 
Landgerichts Moosburg in Bayern) nicht als Siessbach, SUssbacb, sondern un- 
zweifelhaft als „Seebach“ zu deuten ist, und zwar deshalb, weil der dabei in 
Frage kommende Fluss, die Amper, als Ausfluss des Ammersces ein Seebach 
im obgedachten Sinne ist. 

Schliesslich mag noch bemerkt werden, dass aus dem Worte nör zu 
deuten ist: der im mittleren und nördlichen Deutschland vorkommendo Fa- 
milienname Nohr, Nuhr (Nör mit eingeschobenem Dehnungszeichen h bezw. 



Castelnit, Groüine, Grodina (üröden), Legian (Layen), .Sutsis, Tanarci» (Tanura), Tsevis 
(Tschöfca), Alpiunea (Albiuns), Gubidunes (Gubdami), Sabioua, Sabionna urb» (Soben), Pieres 
(Vierach), Veltunies (Velthuros), Prichsna, Prearwaa (Brizen), Varua (Vabrn), Elvea, MuUaun 
(Mnhiau), Clerant, Dueina (Lüsen), Meroiis (Jlerausen), Tullia (Tila), Males (Maule), Riet (Ober- 
ried), Wipitina (Sterziog), Telvos. Teiues ('Phuins), Zedea (Taebbfes), Torrentes (Tren^, 
Stavanes (Staflaeb?), Valonea, Avaiunes (Plana), Tulvarea (Tulfers), Matereja (Matrei).* Ks 
dürfte mm in Hinblick auf die im Gebiete der Grafacbaft Noritbal zablreich vorhandenen 
kleinen Seen die Deutung von .Seethal" unzweifelhaft, die einzig richrige sein. 

') Vergl. Dr. E. Fürstemann loc. cit 



- - - _ - UbwJ I 




Versuch eüies Beitrags zur Deutung von geograph. Namen, Völker- u- Personennamen. 319 



Abwandelung des o in u), bei welchem man die Wahl hat, ihn als Ortsnamen 
von nOr = See oder von dem oben (Anmerk. 2) erwähnten altnordischen nor, 
Kühltrog des Schmieds als Emblem des Schmiedehandwerks (wie Hammer, 
Feile, Zange u. s. w.) abzuleiten; ferner: der in der preuss. Provinz Sachsen 
vorkommende Familienname Norhund (Norhundt, eigentlich Norhunt, Nor- 
bunte = Seehunt, Seehunte; von Hunte, einem den Dümmersee in der 
Provinz Hannover durchströmenden , im Grossherzogtum Oldenburg in die 
Weser fallenden Flusse, also einem Seeflusse im obgedachten Sinne); die 
Familiennamen Norweg und Normann; der Name des aus der preuss. Provinz 
Pommern stammenden, in Würtemberg in den Grafenstand erhobenen Adels- 
geschlechts von Normann mit dem Beinamen Ehrenfcls ; der Titel des ver- 
storbenen, nach dem Gute Noer an der Bucht von Eckemförde in Schleswig- 
Holstein „Fürst von Noor“ (nicht Noer) titulierten Prinzen Emil, des vormaligen 
Statthalters der Herzogtümer Schleswig-Holstein ; und der mindestens noch im 
vorigen Jahrhundert in Thüringen heimische Familienname Noricus. (Vergl. 
Olcarii „Herum Thuringicarum syntagma“ s. v. Nordhausen.) 

Es dürften endlich auch aus nur (See) zu deuten sein die alten, mit nur 
zusammengesetzten Personennamen Noring, Nuoring (= Nor jun.), Norling 
(Seeling), Norbold (Seeheld), Norbert (der Seeberühmte), Nortrut (der See- 
vertraute), Norigand (Seefahrer), Norlindis (Seelinde), sowie die in Schenkungs- 
urkunden der Abtei Fulda aus den Jahren 803 bis 914 vorkommeuden Namen 
Nordolt (von Noroald), Norold (Seewald), Nordalah (Seethalbach) , Nortinunt 
(Normunt, Seewart), Nordperaht (Norbert, der Seeberühmte), und Nurdger 
(vou Norger, Seespeer). Vergl. Dronkc, „Cod. dipl. fuld. d. Nr. 178, 291, 
419, 420 und 567.) 




Orometrische Studien im Anschluss an die Untersuchung 
des Kaiserstuhlgebirges. 

Von Dr. Ludwig Neu mann, 

Professor am GyniiiMiuin und Donot der Krdkuiido an der Universität Pnibnrc L B. 



I. Torbemerknnsen. 

In meiner Orometrio des Schwarzwaldes*) wurden neben der thatsäch- 
lichen Ermittelung zahlenniässiger Ausdrücke für die Reliefverhältnisse des 
Gebirges die oromctrischen Operationen selbst zum Gegenstände der Unter- 
suchung gemacht, und es ist im Verlaufe jener Untersuchungen mehrfach zu 
Abweichungen von dem Sonklarschen Programme der oromctrischen Methode 
gekommen. Das kann nicht hindern, Sonklars Werk*) für alle Zeit das Ver- 
dienst zuzuerkennen, dass cs die erste Grundlage zur systematischen Aus- 
wertung der RauinverhUltnisse der Gebirge geschaffen uud damit diese selbst 
erst wirklich vergleichbar gemacht hat. — Fast gleichzeitig mit der genannten 
Arbeit und nach ihr ersetüenen einige andere Abhandlungen orometrischen 
Inhaltes, auf die im folgenden zurückzukommen sein wird. Dieses gesteigerte 
Interesse hat mir nun den Gedanken nahe gelegt, die hauptsächlichsten der 
bisher bekannt gewordenen orometrischen Methoden kritisch zu vergleichen, 
ihnen neue hinzuzufügen und den Wert aller an einem nicht zu umfangreichen 
Gebirgsindividuum zu prüfen. Als solches habe ich den Kaiserstuhl im 
Grossherzogtum Baden gewählt, der durch seine scharf gegebene Umgrenzung 
sich durchaus klar als Einzclgebirge aus der Umgebung abhebt und in seinem 
einfachen Aufbau die bestimmenden orometrischen Elemente völlig unzweideutig 
•ableiteu lässt. Neben diesem ersten Gesichtspunkt war mir allerdings bei der 
Wahl des Vergleichsobjektes auch der Gedanke massgebend, dass die An- 
lehnung an ein mir genau bekanntes Gebirge der Be.sprechung eines ferner 
liegenden , an sich vielleicht interessanteren , aber nicht durch Autopsie 
erforschten Gebietes aus naheliegenden Gründen vorzuziehen sei. Dass endlich 
auch der Heimatkunde, deren Pflege nie hoch genug angeschlagen werden 
kann, nebenbei ein kleiner Vorteil erwachsen könne, hat mich in meiuera Ent- 
schlüsse noch wesentlich bestärkt. 

Hier möge zunächst zur Vereinfachung der Zitate ein alphabetisches 
Verzeichnis der benutzten oder doch zu erwähnenden Arbeiten Platz finden. 

1. Böhm — Böhm, Dr. A., Einteilung der Ostalpen. Geogr. Abhandlungen, 

herausgegeben von Prof. Dr. Penck. I. Bd., 3. Heft Wien 1886. 

2. Brückner — Brückner, Dr. E., Die Hohen Taueni uud ihre Eisbedeckung. 

Zeitschrift des D. Ö. A. V. Band XVII, .lahrgang 1886, S. 163—187. 

3. Commenda — Commenda Hanns, Materialien zur Orographie und Geognosie 

des Mülflviertels. Linz 1884. 



*) Geographisclie Abhandlungen, herauegegeben von Prof. Dr. A. Penck. Band 1, 
Ueft 2, Wien 1888. 

“) AUgemeino Orographie, Wien 1873. 



Digitizedj). 



Orometrischo Studion üu An^chluü» an die ünU’r^uchunf; das Kaisorstuhlgolärgetf. 321 



4. Eifert — Eifert, Dr. P. , Volumctrisclio Bereclinunf; von Gebirgen 

mittelst des Prismatoida. Peterm. Mittlgn. Bd. 33, S. 245 £f. Gotha 
1887. 

5. FUhrnkranz — Führnkranz, J., Orometric der Trentagruppe. Bericht 

über das 13. Vereinsjahr des Vereins der Geographen an der Uni- 
versität Wien. Wien 1887. 

6. Gsaller I — Gsaller, C., Studien aus der Stubaier Gebirgsgmppe. Zeit- 

schrift des D. Ö. A. V. Band XVII, Jahrgang 1886, S. 127—162. 

7. Gsaller II — Gsaller, C. , Der ..mittlere Neigungswinkel der Stubaier- 

kämrae. Mittheilungen des D. O. A. V., neue Folge, Band III, Jahr- 
gang 1887, 8. 116. 

8. Gsaller III — Gsaller , C. , Die Kalkkögel bei Innsbruck. Zeitschrift 

des D. ü. A. V. Band XV, Jahrgang 1884, S. 145 ff. 

9. Heideriehl — Heiderich, Frz., Mittlere Höhe der Pamirgebiete. Bericht 

über das 13. Vereinsjahr des Vereins der Geographen an der Uni- 
versität Wien. Wien 1887. 

10. Heiderich II — Heiderich, Frz., Die mittlere Höhe Afrikas. Peterm. 

Mittlgn. Bd. 34, S. 209 ff. Gotha 1888. 

11. Hon seil — Honscll, Max., Der natürliche Strombau des Oberrhoins. 

Verhandlungen dos VII. Deutschen Geographentags zu Karlsruhe. 
Berlin 1887. 

12. Kofistka I — Kofistka, Prof. Dr. K., Studien über die Methoden und 

die Benutzung hypsometrischer Arbeiten, nachgewiesen an den Niveau- 
verhältnissen der Umgebungen von Prag. Gotha 18.58. 

13. Kofistka II — Kofistka, Prof. Dr. K., Die Arbeiten der topographischen 

Ahteilung der Landesdurchforschuug von Böhmen in den Jahren 1867 
his 1871. Prag 1877. 

14. Le ich er — Leicher, C. , Orometrie des Harzgebirges. Inaug. -Diss. 

Halle a. S. 1886. 

15. Lei pol dt — Lcipoldt, Dr. G., Die mittlere Höhe Europas. Plauen 1874. 

16. Lopsius — Lepsius, Prof. Dr. R. , Die oberrheinische Tiefebene und 

ihre Raudgebirge. Forschungen zur Deutschen Landes- und Volks- 
kunde. Bd. I, Heft 2. Stuttgart 1885. 

17. Neumann I — Neumunn, Dr. L., Orometrie des Schwarzwaldcs. Geogr. 

Abhandlungen, herausgegeben von Prof. Dr. Penck. Band I, Heft 2. 
AVien 1886. 

18. Neumann II — Neumann, Dr. L., die mittlere Kummhöhe der Berner 

Alpen. Berichte der Naturforschenden Gesellscliaft zu Freiburg i. B. 
Band IV, Heft 1. Freiburg 1888. 

19. Penck — Penck, Prof. Dr. A. , Einteilung und mittlere Kammhühe 

der Pyrenäen. Jahresbericht der Geogr. Gesellschaft in München für 
1885, S. 58—70. München 1885. 

20. P e u k c r — Peuker, Karl, Orometrische Studien im Riesongehirge. S.-A. 

aus dem „AVandrer iin Rie.sengebirge“, Hirschberg 1888. 

21. Philippson I — Philippson, Dr. A. , Studien über AVasserscheiden. 

Leipzig 1886. 

22. Philippson II — Philippson, Dr. A., Ein Beitrag zur Erosionstheorie. 

Peterm. Mittlgn. Bd. 32, S. 67-79. Gotha 1886. 

23. Platz 1 — Platz, Prof. Dr, Ph., Die Hornisgrinde. Eine topographisch- 

geologische Studie. Verhandlungen der Bad. geogr. Ges. zu Karlsruhe 
1883—84. Karlsruhe 1885. 

24. Platz II — Platz, Prof. Dr. Ph., Der Schwarzwald. I. Orographisch- 

geologische Uebersicht. Deutsche geogr. Blätter. Band X, Heft 3, 
S. 182 ff. Bremen 1887. 

25. Schell — Schell, Prof. Dr. AV., Theorie der Bewegung und der Kräfte. 

Bd. I, 2. Aufl. Leipzig 1879, 



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322 Ororoctrisciie Stu<Ucn im Aiuclilusii an die Untersuchung dcK Kaiserätuhlgebirges. 

26. S 0 n k I a r — Sonklar, C. v., Allgemeine Orographie. Wien 1873. 

27. Stein mann — Stcinmanu, Prof. Dr. G., Zur Entstehung des Scliwarz- 

waldes. Berichte der Naturf. Ges. zu Freiburg i. B. Band III, Heft 1. 
Freihurg 1887. 

27. AV' a 1 1 e n h e r g e r — Waltenbcrger, A., Orographie des AV ettcrsteingebirges 
und der Mieminger Kette. Augsburg 1882. 

II. Orographische Ucbersiclit des Kalserstnhlgebirges. 

Uius Kaiserstuhlgebirge liegt im südlichen Teile der oberrheinischen Tief- 
ebene auf der rechten Stromseite dort, wo die Freiburger Tieflandbueht weit 
nach Osten in den Schwarzwald eindringt, diesem niiher als dem AVasgenwalde, 
zwischen 48" 02' und 48" 09' nördlicher Breite, 7" 3.5' und 7" 45' östlicher 
Länge von Greenwich'). Die grösste Ausdehnung in südnördlicher Richtung 
misst etwa 12,2 km, diejenige in ostwestlicher Richtung 12,5 km, die grösste 
Längencrstreckuug überhaupt, von Südwest nach Nordost gemessen 15,5 km, 
der L'mfang annähernd 43 km. A’'on allen Seiten erhebt sich das Gebirge in 
klarer Grenzlinie aus der Rheinebene, welche in jener Gegend sich so unver- 
merkt von Süd nach Nord senkt, dass der SUdrand aufs genaueste mit der 
200 rn Isohj-pse, der Nordrand mit der 190 m Isohypse zusammenfällt. Im Osten 
und AA'esten hat die Gebirgsbasis ein kaum merkliches Gefälle von 200 anf 
190 m herab. Das Gebirge bedeckt eine Fläche von 92.51 qkm. Seinem 
Ostrand nahe fliesst die aus dem Hüllenthale des Schwarzwaldes und von 
Freiburg herkommende Dreisam, welche sich bei Riegel unmittelbar am Ge- 
hirgsfuss mit der grösseren Elz verbindet. Die vereinigten Gewässer beider 
Flüsse erreichen von hier ab teilweise im alten Bett der Elz, teilweise in dem 
geradlinig nach Nordwesten gerichteten Lcopoldskanal den Rhein. Dieser 
selbst fliesst in nördlicher Richtung 3‘/s bis 4 km vom westlichen Gebirgsfuss 
entfernt und bespült denselben nur auf ganz kurze Strecken , nämlich von 
Burkheim bis Sponeck und bei Sasbach. 

Die Rheinebene mit ihren über 100 m tiefen Gerollen •) ist in ihrem 
südlichen Teile der Hauptsache nach das Produkt der anschwemmenden 
Thätigkeit des Stromes selbst. Aus diesen Geschiebomassen erhebt sich nun 
unser Gebirge im Todtenkopf bis zu einer Maximalhühe von 558,7 m. Es 
besitzt einen einzigen Kamm, der im Fohreubühl bei Ihringen seinen Anfang 
nimmt , von da im allgemeinen nordöstlich streicht , um zwischen Schelingen 
und Baldingen allmählich nach Nord, Nordwest, AA'cst und Südwest umzubiegen, 
so dass er am Scheibenbuck bei Oberrothweil sein Ende erreicht und liiernacb 
in der Horizontalprojektion die Gestalt eines nach Südwesten geöffneten Huf- 
eisens besitzt. Zwischen den Armen dieses gekrümmten Kammes öffnet sich 
das einzige Thal des Gebirges, dasjenige des Krottenbachs, nach Südwesten 
bezw. AVesten. Der Bach entspringt unterhalb A^ogtsburg, berührt Oborbergen 
und Oberrothweil und mündet unterhalb Niedcrrothweil in den Krebsbach, 
der dem Rhein parallel genau am AVestfuss des Gebirges entlang fliessend 
unweit Burkheim sich in den Strom ergiesst. Der genannte Kamm hat 
(cf. S. .326) eine Länge von 18,92 km ; hieraus und aus dem oben angegebenen 
Gebirgsareal folgt seine mittlere Breite zu 4,89 km, bezw. diejenige der beiden 
Kammabdachungen zu 2,45 km. Diese letztere Zahl zeigt aufs deutlichste, 
dass von Seitenthälern nicht gesprochen werden kann. Die 15 bis 20 mit dem 
Namen Thal auf der Karte vcrzeichneten und nur zum Teil von kleinen 
AA’asserläufen durchflossenen Gebirgseinschnitte sind nichts weiter als unwesent- 
liche Rinnen im Kammgehänge. 

Das Kammprofil verläuft durchaus in gerundeten Linien , die Gehänge 

*) g.'»" 15' und 25“ '25' ö. b. von Ferro, wie aus den in Gradtrapeze eingeteilten bad. 
topogr. Karten zu ersehen ist 

•) Lepsius S. 89. 




Orometrische Studien im AnHehluss an difi l’nlemuchunK de« KniHerstuldgebirges. 323 



sind nirgends steil oder scliroff; das (iebirgo gewälirt in seinen sanften Formen 
sowohl von etwas ferneren Standpunkten aus, z. B. von den Vorhiilien des 
Schwarzwaldes oder dos Wasgcnwaldes, wie in seinem Innern überall den 
Anblick eines lieblichen Landscbaftsbildes , der noch wesentlich erhöht wird 
durch die reiche Kultur der Bodenfliiehe. Ueberaus reizvoll sind die Fcm- 
sichten von den höheren Gipfeln aus, z. B. vom Neunlinden - oder Katharina- 
berg. Ausser dem Kaiserstuhl selbst überblickt das Auge die gesegnete 
Ebene von Basel bis Strassburg und die sie einfassenden Gebirge mit ihren 
stolzen Kuppen und tiefeinschneidenden Thälern. Stundenweit auf- und abwärts 
bildet der silberstrahlende, mächtige Kheinstrom die glänzende Mittellinie des 
Bildes. Das milde Klima der Rheinebene , in allen Bcziebungen das bevor- 
zugteste von ganz Deutschland , zeigt sich im Kaiserstuhl ganz besonders 
günstig. So sind seine Abhänge dicht bevölkert , und bis zu ansehnlicher 
Höhe bilden sie rings herum einen völlig zu.sammenhängenden Rebgartcn ; um 
die grossen , mehrfach stadtuhnlichen Dörfer breiten sich gesegnete Gelände 
mit Getreide, Obst und Handelsgewächsen, und verhältnismässig nur wenig Gnmd 
bleibt für Wiese-, Weideland und Laubwald. Gegenüber der nicht gerade reichen 
Flora des benachbarten Gneisgehietes im Schwarzwald und der fast einförmigen 
Pflanzenwelt in der Hheinebene ist der Kaiserstuhl eine dem Botaniker be- 
kannte Fundstelle mancher seltenen Pflanze, wie er auch dem Mineralogen 
und Geologen als eines der interessantesten Studienobjekte in Sudwestdeutsch- 
land gilt. 

Inmitten der Spalte des in dem alten Scbwarzwald-Vogesenmassive zur 
Tertiärzeit einsinkenden nachmaligen Rheintbales hat sich der vulkanische 
Kaiserstuhl gerade an der Stelle erhoben, wo die absinkende Scholle ihre 
grösste Breite besass, gegenüber der Freiburger Tieflaudbucht und dem weiten 
Becken des untern Dreisamthaies. Der jetzige Kaiserstuhlkamm ist der Rand 
des alten Kraters, der durch mechanische Kräfte im Westen durchbrochen 
wurde und so dem einzigen Thal des Gebirges zum Dasein verhalf. Die 
Höhenschichtenkarte zeigt am Ausseurande wenige und unbedeutende Er- 
hebungen, cs sind kleine Nebenkrater, und .als ebensolche sind die 3 bezw. 
0,75 km vom Gebirgsfuss entfcnit liegenden, isohert aus der Ebene aufragendeu 
Hügel von Altbreisach (Münsterberg 227,2 m, Eckardsberg 220 m) und Lim- 
burg (Limberg 272.9 m, Litzelberg 233,1 m) aufzufasscu, deren Zusammen- 
hang mit dem Hauptvulkan nur durch die Rheingerölle verdeckt ist. Diese 
Nebenhöheii wie das Hauptgebirge bauen sich zum grössten Teile aus Dolerit 
auf, vereinzelt zeigen sich auch Basalt, Phonolith, Trach)-t und vulkanische 
Tuffe; der Michaelsherg bei Riegel besteht analog den niederen HöhenzUgen 
des Tuuibergs und der March in der Rlieinebeno aus braunem .Iura; wir 
haben hier letzte Reste der Trias- und Juraderke vor uns, die einst 
den ganzen Schwarzwald und Wiisgcnwald 1200 bis 1500 hoch bedeckte, 
aber der Denudation verfiel '). Den Gebirgsfuss des Kaiserstuhls umhüllen 
fast ringsherum von 6 bis Uber 30 m mächtige Lössmassen , das fruchtbare 
Erdreich für die weinspendende Rebe. Mitten im Gebirge liegt in dem Dreieck 
zwischen Vogtsburg, Oberbergen und Schelingen die kahle und durch ihre 
einförmige Gestalt auffallende Höhe des aus kalkiger Gesteinsmasse aufgebautou 
Badberges (437,2 m), und am Wege vom Vogelsaug zum Neunliudenberg tritt 
auf der Kammhöhe aucli ein bundsandsteiniihnliches Gestein zu Tage; es 
bleibt für diese interessanten Erscheinungen wohl nur die eine Erklärung zu- 
lässig, dass die gewaltige Vulkaneruption Teile der alten Sedimentdeckc 
mit in die Höhe gerissen und durch Einwirkung hoher Hitzgradc metamori)hi- 
siert habe. 

Diese mit Absicht so kurz als möglich zusammen gedrängten Bemerkungen 



’) Uebor einen in 1020 ni Hfthe auf dem Suhwarzwold ncuerdingi^ aufgefundenon Rest 
dieser ehemaligen Sedimente vergl. Steinmann S. 50 ff. 




324 Orometrischä Studien im Autschluiss an die Untersuchung des Kaisorstuhlgebirges. 



allgemeiner Art Uber die Natur des Kaiserstuhls mögen fUr die hier gestellte 
Aufgabe genügen ; soll doch nicht eine Geologie , Orographie oder Topo- 
graphie des Gebirges, sondern die Orometrie derselben gegeben werden. 



111. Kaninihöhe und Verwandtes. 

Die HöhcnverhUltnisse eines jeden Gebirgskamraes charakterisiert Sonklar 
zum Teile nach Humboldts Vorgang, zum Teil neu durch die Begriffe: Mittlere 
Gipfelhöhe , Sattelhöhe , Scliartung , Kammhöhe. Sind g, ■ g« die absoluten 
Höhen von n gemessenen Gipfeln eines Kammes, so ist die mittlere 

Gipfelhöhe g — ^ g^\ dem entsprechend findet man auch die m i 1 1 - 

^ /i = i 

Icre Pass- oder Sattelhöhe als arithmetisches Mittel aus den absoluten 

j a“» 

Höhen aller gemessenen Pässe oder Sättel ■ p = — 2 /V- Hie Differenz aus 

der mittleren Gipfel- und Sattclhöhe nennt Sonklar die mittlere Schar- 
tung: s — g — p. Das aritlimetische Mittel aus der mittleren Gipfel - und 
Passhöhe ergiebt die mittlere K a m m h ö h e , d. h. die Höhenlage des 
durch Erniedrigung aller Gipfel und Ausfüllung aller Pässe ausgeobnet ge- 
dachten Kammes : k = i(g-{- p). (1) 

Für die Kammhöhe wird sich aber nach vorstehender Methode nur dann 
ein zuverlässiger Wert ergeben, wenn die in der Formel für k stillschweigend 
enthaltene Voraussetzung erfiUlt ist, wonach zwischen je zwei Gipfeln ein Sattel 
in Kcchnung gezogen und das Produkt der Kammläiigc mit der mittleren 
Kammhöbe dem Areale des in der Natur vorhandenen Kammprofilcs gleich 
sein muss. 

Lägen alle Sättel und Gipfel gleich weit voneinander entfernt , und ver- 
liefe die Kammprotillinie stets von Sattel zu Gipfel geradlinig , so wäre hier- 
nach gegen obige Foimel nichts einzuwenden. Da aber diese Bedingungen 
in der Natur niemals erfüllt sind, so kann dieselbe nur als eine Annäherung 
gelten, die stets zu grosse Werte ergeben wird, wenn die Berge des Kammes 
im allgemeinen in konkaven Linien ansteigeu, d. h. wenn das Gefiille nach 
oben zunimmt, während sie andererseits auf zu kleine Werte führen muss, wenn 
die ProfilUnie der Berge des Kammes konvex ist bezw. nach unten ihr Gefälle 
steigert. 

Die mittlere Kammhühc wird hiernach nur ausnahmsweise genau in der 
Mitte zwischen der mittleren Gipfel- und der mittleren Passhöhe liegen, sie 
wird vielmehr bald näher an die erstere, bald näher an die letztere rücken, 
jo nachdem die Berge zugespitzt oder kuppenlörmig sind. 

Der leitende Gedanke bei der Bestimmung der Kammhöhe muss daher 
stets darauf gerichtet sein , so genau als möglich das Areal des wirkhehen 
Kammprofils vom Meeresniveau an gerechnet zu bestimmen. Der Quotient aus 
diesem Areal und der Karamlänge ergiebt dann die Kammhöho. Bei der 
Bestimmung der in der Horizontalprojektion zu messenden Kammlänge dürfen 
nur diejenigen Biegungen der Kammlinie berücksichtigt werden, welchen auch 
der Fuss des Kammes folgt. Die Abmessung längs aller Krümmungen und 
Knickungen würde zu einer viel zu langen Kammlinic fübren. — Penck') hat 
für die Pyrenäen das in Frage stehende Profilarcal als Summe von Tr.apezcn 
berechnet , deren parallele Seiten zwei aufeinander folgende Höhenhnien dos 
Profiles sind, während der senkrechte Abstand dieser beiden Höhenpunkte, auf 
der Basis des Kammprofiles gemessen, nach der Karte bekannt ist. Wenn Brückner*) 

') Penck S. 61 ff. 

*) Brückner S. 166. 



Orometriscbo Stadien im xVnscbluss an die Untersuchung des Kaiscrstuhlgcbirges. 325 



für die Hohen Tauern durch Multiplikation der Mittelhöhe zwischen 
einem Sattelpunkt und dem benachbarten Gipfelpunkt mit der Länge des 
betreffenden Kammstiiekes die Fläche des zu diesem Kammstück gehörigen 
Kammprofiles und durch Addition aller so gefundenen Produkte das Areal 
des ganzen Kammprofiles erhält, so ist das genau das von Penck angegebene 
Verfahren. Auch J. Führnkranz hat in seiner Orometrie der Trentagruppe ') 
die Kammhöhen in derselben Weise bestimmt. 

Bezeichnen wir die Höhenpunkte mit h, die Abstände je zweier benach- 
barten Höhen mit d, die Kammlänge mit l, so ist hiernach die Kammhöhe 

A = + (2) 

In etwas anderer Weise suchen Platz*) und Peuker*) die mittlere Kammliöhe 
des Hornisgrindenhauptkammes im nördlichen Schwarzwald und diejenige des 
Riesen gebirges abzuleiten. Sie entwerfen ein Profit des zu untersuchenden Kammes 
und bestimmen auf diesem die Höhen möglichst nahe bei einander gelegener äqui- 
distanter Punkte. Das arithmetische Mittel derselben ergiebt einen Wert für die 
mittlere Kammhöhe, der nun sogar vollständig von den Gipfel- und Passhühen un- 

abhängig ist. Diese Methode lässt sich in die Formel fassen h — — ^ A... (.3) 

fl = \ 

Die beiden vorstclicnden Methoden können in sehr einfacher und zweck- 
dienlicher Weise kombiniert werden, indem man die Areale der durch Uquidistante 
Hüheulinien begrenzten, also gleichbrciten Trapeze berechnet, addiert und die 
erlialtene Summe durch die gesamte KaiumlUnge dividiert. Es ist also 

h = y |d . . , . wobei r den Inhalt 



eines letzten Trapezes für den Fall bezeichnet, dass d in l nicht ohne Rest 
enthalten ist. Kürzer kann man schreiben 

;Ksn — 1 






sich 



diese Formel 



.... (4) 

wesentlich einfacher als 



In der Anwendung gestaltet 
die Pcnckschc. 

Wenn nun auch diese drei neuen, von Penck, Platz beziehungsweise Peuker 
und mir vorgeschlagencn Wege zur Bestimmung der mittleren Kammliöhe vor iler 
ursprünglichen Souklarschen Methode sicherlich den grossen Vorzug haben, dass 
sie dem wirklichen Kammprofil Rechnung tragen, also zu viel zuverlässigeren 
Resultaten führen, was besonders von den Formeln (2) und (4) gilt, so ist doch 
bisher überall noch die Profillinie von einem Gipfel zum benachbarten Pass, bezw. 
von einem der ärpiidistanten Höhonpunkte zum nächsten als gerade angenommen, 
und es gilt daher , auch diese Fehlerquelle zu eliminieren. Hierzu gieht es 
nur ein einziges Mittel, auf das ich früher *) bereits hingewieson habe, nämlich 
jenes der mechanischen Qu-idratur mittelst des Planimeters. M.an erhält hier- 

fc . (6), wobei « das mit dem Planimeter ermittelte Areal 



nach 



des Profils zwischen der Anfangs- und der Endordinatc, zwischen dem Mccres- 
niveau und der Profillinie ist. 

Die fünf eben entwickelten Methoden habe ich nun am Kaiserstuhl ge- 
prüft. Die unentbehrliche Voraussetzung dieser Prüfung war ein genaues 
Profil des zu untersuchenden Kammes, über dessen Herstellung und Zuver- 
lässigkeit ich zunächst Rechenschaft zu geben habe. 



•) Fahrakranz. S. 19— 2.S. 
•) Platz I. 8. 19. 

•) Peuker S. 1». 

*) Neuiuann I. 8. 210. 




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326 Orometriscbe Studien im Anschluss an die Untersuohunf^ des Kaiserstuhlgebirges. 



Nach der topographischen Karte '), welche beim Mafsstah 1 : 25000 die 
Hölienkurvcn von 10 zu 10 m und überdies zahlreiche Höhenkoten enthalt, 
liess sich auf Millimeterpapier leicht ein Proül des Kaiserstuhlkammes zeichnen, 
für dessen Länge ich den Mafsstiib der Karte beibehielt, während ich der 
Deutlichkeit h^ber die Höhen um das Zweiundeinhalbfache zu gross, d. b. 
im Mafsstah 1 ; 10000 zeichnete. Figur 1 ist eine auf die halben Dimensio- 
nen reduzierte Wiedergabe dieses Profils. 

Die Gesamtlänge des Kammes von der 200 m Isohypse bei Ihringen 
bis zur 230 m Isohypse bei Oberrothweil beträgt 18920 m. Für diese Länge 
standen nun zur V'erfügung 23 Gipfelhöhen nebst 11 Passhöhen, deren Koten 
der Karte zu entnehmen waren, ferner 4 zu interpolierende Gipfel- nebst 15 
zu interpolierende Sattelhöhen, bei denen nach der Distanz der Höhenkurven 
die mittleren Fehler rund 5 m betragen und sich in den Resultaten kompen- 
sieren, da sie die gleiche Wahtscheinlichkeit haben , positiv oder negativ zu 
sein. Da der Kaiserstuhlkamm von 200 m bis auf 558,7 m ansteigt, so sind 
ausserdem noch die Schnittpunkte mit 35 Isohypsen zur Verfügung, so dass 
das nach all diesen BestimmungsstUcken entworfene Profil einen hohen Grad 
von Genauigkeit beanspruchen darf. 

Die folgende Tabelle enthält sämtliche auf der Karte verzeichneten 
Gipfel und Sättel. Die interpolierten Hölienzahlen sind durch das Zeichen * 
hervorgehoben. 



Tabelle I; Gipfel- und Pa.sshühen. 



I. Gipfel 


11. Pilflse 


1. 


Littensbülil . . 304,8 


m 


1.» 


275 


m 


2. 




ni 


2 


274,4 


in 


3. 


332,0 


m 


3.» 


329 


ra 


4. 


Hochbuck . . 377,9 


ni 


4.* 


338 


m 


5. 


349.2 


m 


5.» Wilde Steige 


325 


m 


6. 


Gute Eck . . 366,8 


m 


6,* 


345 


m 


7. 


377,0 


m 


7.* 


368 


m 


8. 


Himmelberg . 479,0 


in 


8 


432,0 


ni 


9. 


Todtenkopf . . 558,7 


m 


9.* 


548 


m 


10. 


Neunlindenberg 556,8 


m 


10 


454,8 


m 


11. 


Herrenthalhuck 461,0 


m 


11. Vogelsang . 


396,9 


m 


12. 


Eichelspitze . . 522,3 


m 


12 


438,3 


m 


13. 


470,7 


ni 


13.* Hütte . . . 


448 


m 


14. 


Haard . , . 461,9 


in 


14 


449,9 


m 


15. 


Schönebene , . 460,8 


m 


15. Ennweg . . 


430,6 


m 


16. 




m 


16.* 


445 


m 


17.* 


472 


m 


17.» 


465 


m 


18. 


Kathariuaberg . 494.4 


m 


18 


443,8 


m 


19. 


Biesenberg . . 470,9 


m 


19.* 


450 


in 


20. 




m 


20 




m 


21. 


444,0 


m 


21.* 


435 


m 


22. 


Staffelberg . . 447,8 


m 


22 


396,6 


m 


23.* 


405 


m 


23.* 


395 


m 


24.* 




m 


24 


400,2 


in 


25.* 


Auf Eck . . 427 


in 


25.* 


402 


m 


26. 


Mondhalde . . 443,9 


m 


26.* 


405 


m 


27. 


Scheibenbuck . 411.3 


in 









*) Neue tojiographiache Karte ües Grossherzogiums Boden. 170 Blatt in 1 : 25000. 
Blatt Nr. 9ü Sotiboeh, 07 Eudingen, 105 Breisach, 100 Kichstetton. 



OromotTische Studien im .^nä^luee an die Untersuchung des Kaisei'stuhtgebirgee. 327 



Auf eine Wiedergabe des Verzeichnisses der 77 im Abstand von je 
250 m aus der Karte bezw. dem Profil abgeleseuen äquidistanten Hölienpunkte, 
welche für die dritte und vierte Art der Kammhöhenbereebnung nötig waren, 
habe ich aus lliicksicbt auf den zur Verfügung stehenden Raum verzichtet. 
Uic Summe dieser Höhen, die im einzelnen mit kleinen positiven oder negativen 
Fehlern behaftet sind, kann von der Summe der wahren Werte dieser Ordi- 
naten nur um eine verschwindende Grösse abweichen. 

Hiernach können nun die oromctrischeu Werte des Kaiserstuhlkammes 
nach den fünf dargelegten Methoden abgeleitet werden : 

die mittlere Gipfelhöhe 3=11 712 : 27 = 433,8 m 

„ mittlere Passhöhe p = 10510 ; 26 = 404,2 m 

„ mittlere Schartuug s = 3 — p — 29,6 ra 

„ mittlere Kammhöhe i =i( 3 -j-p) = 419,0 m (Sonklar). 

Nach Penck (2) erhalten wir 4 = 7 8(X)716 : 18 920 = 412,3 m. 

Die Platzsche Methode (3) ergiebt, wenn wir den letzten Hühenpunkt 
(230 m, bei Oberrothweil), der von dem vorletzten nur um 170 m entfernt, 
also nicht äquidistant liegt , ausser acht lassen , /; = 31 224 : 76 = 410,8 m, 
wenn wir hier einrechnen, i = 31 454 : 77 = 408,6 m. 

Die aus (2) und (3) kombinierte Methode (4) ergiebt k = l 789 803 : 
18 920 = 411,7. 

Mittels des Planimeters endlich ermittelte ich durch Auswertung der 
Profilfläche über der Niveaulinie von 200 m 



* = 200 + 



1625,4 . 2474,2 
18920 



* = 412,6 m. 



Bezüglich der letzten Methode habe ich zu erwähnen, dass zur Be- 
stimmung der Planimctereinheit auf dem Millimeterpapier des Kammprofilos 
und im Mafsstab desselben ein Rechteck von 3 km Länge und 4t)0 m Höhe 
mit einem von Sickler in Karlsruhe bezogenen Amslerscben Polarplanimeter 
(Nr. 9652) mehrmals umfahren wurde und im Mittel 485 Planimetercinheiten ergab. 

Hieraus berechnete sich eine Einheit zu 1 200 OtX) : 485 = 2474,2 qm, 
während die auf dem Instrumente angebrachte Skala bei dem betrefl'enden 
Teilstrich 2500 qm angiebt. Die kleine Differenz von fast genau 1% erklärt 
sich wohl durch die nicht absolut genaue Teilung des Millimeterpapiers. — 

Von dem Mittelwert 412,2 m der gut übereinstimmenden Resultate 2,4 
und 5 weichen diese der Reihe nach nur um +0,1, — 0,5, +0,4 m d. h. 
im Maximum um 0,12 ab. AVir ersehen hieraus jedenfalls, dass, sobald 
die mittlere Kainmhöho aus dem Areal des Kammprofiles abgeleitet wrird, 
der nicht geradlinige Verlauf der Profillinie von einem Höhenpunkte bis zum 
nächsten nur wenig in die Wagschale fällt, und dass jede der drei hierher 
gehörigen Methoden im grossen und ganzen in gleichem Grade vertrauen- 
erweckend ist. Das Sonklarsche Verfahren dagegen ergiebt im vorliegenden 
Falle ein um 6,8 ra oder 1,65 */o zu grosses Resultat. Diese Abweichung ist 
wesentbch grösser als diejenige des Platzschen Wertes, welcher ebenfalls als 
brauchbare Annäherung gelten kann. Da alle diese Verfahren auf die Kamm- 
länge Rücksicht nelunon, so ist die Fehlerquelle Sonklars darin zu suchen, 
d.ass er die Kammlänge nicht in Betracht zieht. Wie die einfache Anschauung 
lehrt, müsste man nach Sonklar zum selben AV'erte für die Kammhöhe kommen, 
welches auch die Reihenfolge der Gipfel und Pässe, welches auch ihr jeweiliger 
Abstand wäre. Und doch sind diese zwei Eigenschaften für das Areal des 
Kammprofiles von einschneidender Wichtigkeit. Dazu kommt aber noch em 
Weiteres. Sonklar lässt den Anfang und das Ende des Kammes vollständig 
ausser acht. Sein Wert für die Kanimhöhe ändert sich nicht, wenn der An- 
stieg zum ersten Gipfel steil und schroff ist oder wenn er sich sanft und all- 
mählich vielleicht über mehrere Kilometer ausdehnt. Dasselbe gilt vom 



14 . 



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328 OrometriBche Studien im .\nschlu8B an die UnterBuchung des Kaiserstuhigebirges. 



Kämmende. Dass aber diese Anfangs- und Endglieder des Kammprofiles auf 
dessen Areal und damit auf seine Mittelhöbc einen ausschlaggebenden Einfiuss 
üben, ist von vornherein einleuchtend. 

Um diesen Einfluss auch zahlenmiissig festznstellen , habe ich in einer 
zweiten Berechnung diese Anfangs- und Endglieder weggelassen und die 
Kammhiihe nach allen 5 Methoden neu berechnet für die Entfernung vom 
ersten bis zum letzten Gipfel. Die Kammlänge zwischen diesen zwei Punkten 
beträgt nur noch 16625 m, und es ergiebt sich nach Formel 

(1) (Sonklar) 4 = 419,0 m, wie zuvor. 

(2) (Peuck) 4 = 1J|'^=428,3 m 

(3) (Platz) k — — - = 425,5 m 

OO 

/WT T\ I ^ ^25 „ 

(4) (Neomann I) .... 4 = = 426,8 m 

(5) (Neumaun II, Planimeter) 4 = 200 -|- ^•^29,3 .247 4,2 _ ni. 

lu OaÖ 

Das Mittel der Werte 2, 4, 5 beträgt hier 427,6 m, die Abweichungen 
sind der Reihe nach -f- 0,7, — 0,8, -I- 0,0 m, ihr Maximum beträgt — 0,19 %. 
Es zeigt sich hier wieder die grosse Uebereinstimraung der mittels des Profil- 
areals bestimmten Kammhöhenwerte , von denen aber das nach Sonklar er- 
lialtene Resultat um — 8,6 m = — 2 “/(, abweicht. 

Die vorige Fehlerquelle, nämlich die Nichtberücksichtigung des Kamm- 
anfanges und Kammendes , welche die Sonklarsche Kammhöhe wesentlich zu 
hoch erscheinen liess, ist liier vollständig beseitigt worden. Daraus, dass nun- 
mehr der Fehler sein Vorzeichen gewechselt hat, müssen wir jetzt auf eine 
andere Ursache desselben schliessen, und da die Ueberoinstimmung der Re- 
sultate 2 und 4 mit dum Resultat 5 es unmöglich macht, dieselbe in der bei 
2 und 4 vorhandenen Nichtberücksiclitigung der Krümmung der Profilliuie 
von einem einzelnen Höhenpunkt zum nächsten zu suchen, so kann sie, ab- 
gesehen von der ungleichen Entfernung der Gipfel- und Sattelpunkte von- 
einander, nur darin gefunden werden, dass zwei durchaus verschieden be- 
schafl'one Kammstrecken in ein Ganzes zusanimengefasst .sind, nämlich der 
erste 5 km lange Teil, der beträchtlich unter 400 m Höhe liegt, und der zweite 
mit dom Himmelberg beginnende und bis zur Mondhalde über 400 m liegende 
Kammteil. Auf die Unzulässigkeit der Vereinigung derartig verschieden hoher 
Strecken eines Gebirgszuges zu einem Kamme mit einer einzigen Zahl für die 
mittlere Kammhöhe hat Sonklar bei der Ableitung seiner Methode selbst *) 
schon andeutungsweise hingewiesen. Jedoch ohne durch einen Rechnungsnach- 
weis seine Angabe zu unterstützen. 

Im folgenden kann auch diese Fehlerquelle mühelos dadurch beseitigt 
werden, dass die Verhältnisse des Kaiserstuhlkammes für die über 400 m 
liegende Strecke desselben nochmals untersucht werden. Die Länge dieser 
Strecke beträgt 12 800 m, und es ergiebt sich 

(1) (Sonklar) : Mittlere Gipfelhöhe (/ = 9 318,5 : 20 = 465,9 m 

Mittlere Sattelhöhe p — ü 255,8 ; 19 = 434,5 m 

Mittlere Schartung s = <; — p = 31,4 m 

Mittlere Kammhöhe 4 = j (i; | - p) -= 450,2 ni 



(2) (Penck) 



5 804 800 
12800 



= 4.53,5 m 



(3) (Platz) 



4 = 23125 ; 51 =453,4 m 



■) Sonklar S. 177. 





Oroinclriscbe Studien im AiiHchluas an die UnterHUchung des Kalserütublgebirges. 329 



/.V ,XT lA 7 5800975 

(4) (Neumaim I) /.•= j^hoO — 

(5) (Neuiimnn II. Planimeter) k = 2fX) 4- 800^^ ” ~ 4.53,3 m 

Die Uebereiiistimmung der Ilesiilt.'ite 2. 3, 4 und 5 ist hier sozus,agen 
zur Identität geworden ; das Suukhirsclic Resultat aber ist nur noch um 0,68 “/o 
zu klein, währeud seine bisherige Abweiebuug -j- 1,6.5 bezw. — 2“'„ betragen 
hatte, also 2,5 bis 3 mal so gross gewesen war. Nachdem nun aber zwei 
Hauptfehlerquellcn , nämlich die Zusammenfassung verschieden beschaffener 
Kammteile zu einem üauzen und die Nichtberücksichtigung des Kammaufaiiges 
und Kämmendes eliminiert sind, kann die noch übrige Abweichung des Sonklar- 
sclien Wertes ihren Grund nur- noch in iler NichtborUcksichtigung der ungleichen 
Abstände der in die Kechnnng einbezogenen Höbenpunkte, sowie darin haben, 
dass die Verbindungslinien dieser Höbenpunkte in der Natur keine Gei’adeu sind. 

Berechnen wir, um diese zwei letzten Fehleniuellen gegeneinander ab- 
wägen zu können, das Areal des Kammproiiles Uber 400 m unter <ler Voraus- 
setzung gleicher -Abstände der einzelnen Giidel- und Sattelpunkte (Methode 4), 
so erhalten wir hieraus die Kammhühe 450,8 in , welche Zahl von der nach 
Methode 2 bis 5 ermittelten fast genau um ebensoviel abweicht wie die Son- 
kharsclic (450,2 m). Wir ersehen hieraus , dass der noch vorhandene Fehler 
zum grössern Teil dadurch bedingt ist , dass bei Sonklar den wirklichen Ab- 
ständen der Hühenpunktc keine Rechnung getragen ist, während, sobald einmal 
zur Kammböhenbestimmung diese Abstände bezw. das Areal des Protiles dio 
Hau])tgruudlage bilden, die Abweichungen der einzelnen Profilstrecken von 
der Geraden nur sehr geringen Eintluss ausüben. Dies konnte übrigens schon 
von vorn herein deshalb erwartet werden , weil sich dieser Eintluss von einer 
Stelle zur benachbarten in seinem Vorzeichen ändert. — 

Diejenige Methode der Kammhöhenbestimmung , welche allen Fehler- 
quellen gleichmässig ausweicht und somit den weitestgehenden Anforderungen 
an dio Genauigkeit des Resultates genügt, welche daneben aber auch den 
A'orzug besitzt, dass sie ebensogut bei Kämmen mit deutlicher Schartung wie 
bei solchen ohne klar ausgesprochene Gipfel und Sättel ') angewendet werden 
kann, ist unzweifelhaft die fünfte in der oben eingchalteuen Reihenfolge, welche 
sich des Planimeters bedient. Auch wenn für das zu untersuchende Gebirge 
keine so vorzüglichen Karten vorliegen , wie sie mir für den Kaiserstuhl zur 
Verfügung standen, lässt sich doch immer ein Profil von solcher Genauigkeit 
entwerfen , dass es der Rechnung zu Grunde gelegt werden kann. Daneben 
aber erfüllt dieses graplüsche Hülfsmittel auch noch den Zweck, die An- 
schauung von dem 4'erlaufe des Kammes in viel höherem Grade zu fördern, 
als dies durch diu Tabelle der aus der Karte eutnommeueu Hidienzahlen 
möglich ist. Die .Mühe des Zeichnens endlich ist mit ZuhUlfciiahme von 
Millimeterpapicr eine ganz unbedeutende, die mechanische Quadratur selbst 
gestaltet sich jedenfalls müheloser als die Berechnung nach Penck. Die 
Platzsche und die aus ihr von mir abgeleitete vierte Methode endlich erfordert 
die Ermittelung äquidistanter Hühenpunkte, die bei Benützung des Planimeters 
überflüssig wird ■). — 

Neben der mittleren Kammhühe ist zur Charakterisierung des Kammes 
die Schartung das wichtigste Element, und zwar weniger die mittlere und 
die tiefste Schartung, als die mittlere tiefste Schartung. Die 
mittlere Schartung, wie sie oben abgeleitet worden, giebt eine gute Anschauung 
von der Natur des Kammprofiles, ob dasselbe im allgemeinen mauerartig oder 
stark ausgezackt verläuft. Docli genügt hierzu die Kenntnis der mittleren 



*) Neumaim l. S. 214—215. 

1) Dieeo Aurifilliruugea ümlen sich kurz angedeutet in Neumann II. S. 49, 

2 « 



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330 Orometrische Studien im Anschluss an die üntersuchung des Kaiserstuhlgebirges. 



Schaltung allein noch nicht. Denn zwei gleichlange Kiimmo können genau 
dieselbe Uifl'erenz zwischen mittlerer üipfel- und Sattelhöhe haben , obschou 
diese Di6fercnz das eine Mal aus einer grossen, das andere Mal aus einer 
kleinen Anzahl von Höhenpunkten resultiert; ob aber ein Kamm bei derselben 
Länge zahlreiche Gipfel und Sättel, oder nur wenige bat, ist ein fundamentaler 
Unterschied. Ich möchte daher durch den neu einzufiihrenden Begriff des 
mittleren Sc hartungs winkeis diese Lücke ausfUllen und mit diesem 
Namen denjenigen Winkel bezeichnen, unter welchem im Mittel die Profillinie 
von einem Sattel zum benachbarten Gipfel austeigt. Er ist bestimmt durch 

die Gleichung cotg <f = , wobei d den mittleren Horizontalabstand von 

Gipfel und Sattel, s die mittlere Schartung bedeutet. 

Für die Strecke des Kaiserstuhlkammes vom ersten zum letzten Gipfel 
ist d = 16 625 : 52 = 319,7 m , s = 29,6 m , daher y = 5“ 16'. Für die 
Strecke über 400 m ergiebt sich analog d — 326,3 m, s = 31,4, = ö® 29'. 

Das Gefalle der Protillinie von einem Gipfel zum benachbarten Sattel, das 
man im Gegensatz zu dem später zu besprechenden Kammgefällc etwa 
Profil- oder Schartuiigsgefälle nennen könnte, lässt sich statt durch 
den eben abgeleiteten Winkel in bekannter Weise auch durch das Verhältnis 
des Höhenunterschieds zur Horizontaldistanz ausdrücken. Man hat dann im 
ersten Falle 1 : 10,8 oder 92 im zweiten Falle 1 : 10,4 oder 96 '/jj. In 
derselben Absicht, die zur Einführung des Begriffes des mittleren Schartuugs- 
wuikels oder Schartungsgelalles Veranlassung gab, hat schon Waltenberger ‘) 
seinen Seburtungskoeffizienten aufgestellt, der die Zahl der Scharten 
oder Sättel auf einer Kammstrecke von 1 km angiebt. Gsaller ’) ersetzt 
diesen Schartungskoeffizienten durch die mittlere Schartendistanz, welche 
mittels Division der Kammlänge durch die Anzahl der Sättel erhalten wird. 

Mir will es scheinen, als ob der Schartungswinkel besser als diese von 
Waltenberger und Gsaller eingeführten, in den seither erschienenen orometri- 
schen Arbeiten nirgends berücksichtigten Grössen dazu geeignet sei, zur 
Charakterisierung des Kammprofiles beizutragen *). 

Bietet in Verbindung mit dem Schartungswinkel die mittlere Schartung 
ein nicht zu entbelirendcs Bestimmungsstück des Kammbaues, so kommt der- 
selben doch sicherlich die ihr von Sonklar beigclegte verkehrsgeographischc 
Bedeutung nicht zu. Denn für die Verkebrsverhältnisse zeigen sich nur die 
am tiefsten einschneidenden Pässe wirksam, an Stelle der Mittelhöhe aller 
Pässe muss also zur zahlenmässigen Veranschaulichung der Ueberschrcitbarkeit 
eines Gebirgskammes das Mittel der tiefsten Pässe treten. Setzt man diesen 
das Mittel der zwischen ihnen gelegenen höchsten Gipfel gegenüber, so besitzt 
die so erhaltene mittlere tiefste Schartung hohe Bedeutung in Rücksicht auf 
verkehrsgeographische Fragen, und in dieser Hinsicht hat sie sich z. B. für 
die Vergleichung der Alpen und Pyrenäen sehr fruchtbar erwiesen*), während 
die absolute tiefste Schartung, d. h. die Differenz des höchsten Gipfels und 
des niedersten Passes, besonders wenn diese zwei Punkte weit auseinander und 
durch Zwischenhöhen getrennt liegen, weniger wichtig ist. 

Da die beiderseitigen Anstiege und die niederen Teile eines Kammes in 
keiner Weise verkehrshindernd wirken, so kommt in dieser Beziehung für den 
Kaiserstuhl nur der über 400 m hoch gelegene Kammteil in Betracht, und da 

*) Waltenberger S. 4Ö. 

*) Gsaller lU. S. 149—150. 

*) Die mir erst nach Abschluss des Manuskripts zu vorliegender Arbeit zugekommene 
Abhandlung von Peukor führt ü. 12 ebenfalls einen mittleren Schartungswinkel ein; 
es ist dies bei Peuker der Winkel Gipfel-Pass-Qipfol , nach der von mir oben angegebenen 
Bezeichniuig o’ , = ISO* — 2 e;. 

') Penck S. 08—70. Der Begriff der mittleren tiefsten Schartung ist hier von Penck 
eingeiührt worden. 



OrometriBchR Stadien im Aniscbluas an die Untersuchung dea Kaiaerstuhlgebirges. 331 



ausser dem zwischen den höchsten Gipfeln gelegenen Passeinschnitte des Vogel- 
sangs nur zwei Sättel nahe am Nordwestrande des Kammes (die Pässe Nr. 22 
und 23 des Verzeichnisses auf S. 236) wenige Meter unter die benachbarten 
Höhen und kaum merklich unter 400 m herabragen , ist hier die mittlere 
tiefste Schartung aus folgenden Punkten zu bestimmen : 



Todtenkopf . . 558,7 m 

Neunlindenberg 556,8 m 
Eichclspitze . . 522,3 m 
Mittel . . , 1637.8 : 3 = 545,9 m 

Vogelsang 396,9 m 

Mittlere tiefste Schartung . 149,0 m. 

Dagegen findet sich aus den Punkten 

Todtenkopf ,558,7 m 

Vogclsang 396,9 in 



die absolute tiefste Schartung 161,8 lu 

Für den Kaiserstuhl erhellt die Bedeutung des einzigen zentralgelegenen 
tiefen Sattels am Vogelsang klar aus obigen Zahlen, und der Umstand, dass 
über ihn die einzige fahrbare Strasse vom südöstlichen Gebirgsfuss nach 
Westen führt, während alle anderen Hauptverbindungswege des dicht bevölker- 
ten Gebirges um dessen Abhänge herumziehen, kennzeichnet besser als weitere 
Ausführungen die Wichtigkeit der mittleren tiefsten Seliartung ‘)- 

Einen lehrreichen Einblick in den Aufbau eines Gebirgskarames gewährt 
die Zusammenstellung der bestimmenden Hölieu desselben, wie sie hier für 
den Kaiscrstuhlkamm gegeben ist, soweit er über 400 m liegt. 



Tabelle II. 





Höhe Ober 
dem Meer 

, ra 


Höhe Aber 
der Basis 

m 


Steigungs- 

Verhältnis 


Kammbasis *) . . 


195 








Tiefster Sattel . . 


396,9 


201,9 


100 


Mittlere Sattelhöhe. 


434,5 


239,5 


119 


Mittlere Kammhöhe 


453,3 


258,2 


128 


Mittlere Gipfelhöhe 


465,9 


270.9 


134 


Höchster Gipfel. . 


558,7 


363,7 


180 



Statt diese Verhällniszalilen vom Meeresniveau ab zu rechnen, habe ich 
dieselben , und das wird sich für alle nicht direkt vom Meer aufsteigenden 
Gebirge empfehlen, vom Fusse des Kammes bezw*. Gebirges ab bestimmt, und 
die dritte Kolumne der vorstehenden Tabelle sagt hiernach aus , dass , wenn 
das Höhenintervall von der Kammbasis bis zum tiefsten Sattel = 100 Höhen- 
einheiten gesetzt wird, man von hier bis zur mittleren Sattelhöhe um 19, danu 
bis zur mittleren Kammhöhe um 9 , bis zur mittleren Gipfelhöhe um 6 und 
bis zum höchsten Gipfel um 46 Einlieiten weiter zu steigen hat. — Ent- 
sprechende , leicht herzustellende Tabellen für andere Gebirgskämme ergeben 
ein lehrreiches Vergleiclismaterial. 



*) Vergl, hierzu auch da« Aber die östlichen und westlichen Berner Alpen Gesagte 
bei Neumann II S. 50. 

*) Da die Kammbasis im Norden nur 10 m tiefer liegt, als im Süden, so habe ich aus 
beiden Höhenlagen das Mittel eingestellt Bei der Kleinheit der Ditferenz giebt die Be- 
trachtung von N. und S. aus keinen wesentlichen Unterschied. 

26* 






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832 Oromotrischc Studien im Anfichlus» an die Untersuchung des Kaiserstubigebirges. 






Seit Sonklar haben es wohl fast alle orometriscben Arl>eiten uuter- 
Dommon , auch die nnttlere Kaminhöhc ganzer Uebirgsgruppcn und Gebirge 
zu bestimmen. Dass hierbei nicht einfach das arithmetische Mittel aller be- 
rechneten Kammhohcu gezogen werden darf, dass vielmehr jeder Einzelkamm 
nach seiner Länge zu berücksichtigen ist, versteht sich von selbst. 

Es werden somit nach bekannter Methode die Produkte der Kamnihöhen 
mit ihren bezüglichen Kammlängeu gebildet, und die Division der Summe all 
dieser Produkte durch die Summe aller Kammlüngen ergiebt die gewünschte 
mittlere Kammliöbe einer Gebirgsgruppe oder eines Gebirges. Docli will jnir 
der Begriff einer mittleren Kammliöiic für ein grosses, aus sehr verschieden 
hohen Klimmen bestehendes Gebirge allzu allgemein gefasst erscheinen, als 
(lass er einen richtigen Vergleichsinafsstab mit anderen ebenso untersuchten 
Gebirgen ge!)en könnte. Es ist oben gezeigt wmden , dass schon die Mittel- 
höhe ein- nnd desselben Kammes eine Grösse von zweifelhaftem Werte wird, 
sobald sie Kammstrecken von wesentlich verscliiedeneii Höhen umfasst. Mau 
wird also mittlere Kammhöhen nur für möglichst gleichartige Gruppen der 
Gebirge ermitteln dürfen, und nicht etwa den Kämmen niederer Vorberge die 
Thalhölien innerer, hochgelegener Thäler entgegcnstellen , resp. die.se beiden 
Extreme zur Ziehung von Mittelwerten benützen dürfen, die dann als gesamte 
mittlere Tlialliöhe und gesamte mittlere Kammhöhe mit einander verglichen 
werden. 

lu dieser Richtung hat, wie mir dünkt, Brückner *) durchaus das Richtige 
getroflen, indem er für die hohen Tauern jeweils nur die Mittelwerte aus den 
Kammhöhen aller Hauptkämmc , sodann jene der zusammengehörigen nörd- 
lichon nnd ebenso der zusummeiigi’hüngen südliciien Kohenkämme, nicht aber 
diejenigen aller Kämme bestimmt. Ich halte die.ses Verfahren für richtiger als 
das wie in allen frülicren orometrischen AiReiteii, so auch von mir heim Schwarz- 
wald eingeschlagene, wo es zur (jesamtcharakteristik des Gebirges in holnnn 
Grade dienlich gewesen wäre, aus den neun Hauptgrupj)en die Vorhergszonen 
auszuscheiden und die so erhalteucm zahlreicheren . aber kleineren und darum 
klarer hervortretenden Einzelgruppen getrennt nebeneinander zu untersuchen. 
Die orometrischen Werte dos inneren Gchirgskernes wären dann weit mehr 
in ihrer wahren Bedeutung hervurgetreten , olme dass dadurch das Hauj)t- 
resultat jener Untersuchung , die Volumberechnung und die Ermittelung der 
Höhe des ausgeebnet gedachten Plateaus irgend welche Aenderung erlitten hätte. 

Da ira Kaiserstuhlgebirge nach früheren Ausführungen nur von einem 
einzigen Kamme gesprochen werden kann, so haben die vorstehenden all- 
gemeinen Erwägungen für ihn seihst keine i)raktisclm Bedeutung. 



') Brückner S. 1Ö7— 168. 



(Schluss folgt) 



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ZEITSCHRIFT 



FÜR' 

WISSENSCHAFTLICHE GEOGRAPHIE 

unter Mitberticksichtifrunp 

HÖHEREN GEOGRAPHISCHEN UNTERRICHTS. ' 

♦ 

ln Verbindung mit ^ 

TM. yiSCJIER, A. KIRCHHOFF, . 

0. KRÜMilEL, J. REIN. S. Rl tiE. TH. SCUUNKK, F. WIESER . 

heraus^egeben von 

J. I. KETTLER 

I . C.v . i n*. i I*». ^ *' ► 

f 

BAND VII, HEFT 2 und 3. 



INHALT: 



«*IIR SANI'lXIl; IKf! hoH.iinnk«*JKn Erben .... 

*V|. OrMf'KEI’HT: Di-r tnltikTt I*oiuo onil «eiH Ver* 
hmtnl« xuin Naiiftxne. Ein Ileitn 4 r zur l.ü*un(; 
Uer Krntre lurh <l»m Alter ilci l^gueozytU-m« 

(Jfchlu^t * 

I*. NEUMANX; Orom«ri»eb<! ättnlU-n tai Aii#<;hla«s. 

' An «lie UuUraui'hnn^ ilc« Kitbwmuhliifblrgei 

(ficMu»»; ... . . 

A. IIK^’KRr l>rei yertuKn-KAiteD ln «Irr llrc«lnufr 

iSuzUtblblioKielc , 

V, r;OKnt.EKT: l>le M«'riilk«run>ii*«'erhiiUnl#»^ Oe* 
Kelrhe* itn Jahre . . 

O- ’VEIKT.MAXTIU. : Die venchieOcnm Namen lo- 
« lAlwIier rniruUien, •«wie jener ln Jon unmiitol* 

Sitr unirrrnwsileii l..iiiiJern 

fiKI.C'ltJi’ L>ie bwikTi'nlirailmmunC .tut MunOrt- 

hiit\en unil 

LKnit«t’li«r CfKCrapbetiU^* in iUTlIn 

I.lTTF.ltATl'KtILATI. Nr 1— A: 

V. Hc h weiKer*i.erchen_fcl<l; l>a> MiUttmecr 
(be»pr. 'T. Th. /WArr » . ‘ 

G. \fnrlnt-in: Slavi, TeJeMhi, ItnllnQl iwl '..«i Jello 
T.Uoraie Ao«ri»Mi (fteajr. v. Tk. fivhtr) , . , 



Jahrbneh Oe» 8k&en(>Urpitchcn KaAi.aim^Vcfvin») 
lh(il_Iit>Ut (Nejipr. r, Th. Fttfhtr) 

M. Oeitebeok: Loitiktlon der nuiUn^ftitU^clien und 
IthNKtk.UU'-bvn fiogfrrafhle fTir MU<f>«Aiulen un<! . 
lychrerMIdon^euiBUlten (bc«pr. v. .'S. Or.irfArr.) . 

G. Je I« NuA‘; Le* furinet d>l lerraln <bc«|.r. von 
E. Hiihtr^ 

F. A. FUlcfciirxf: L» MortoU, der Garten ileallerni 
Tht.Diaa lianhor}' (be«pr. ▼. Th. /l.ii*S<r> .... 

K. I>nve: iMa KltiA.i iloa 4ti>t>ertru|il«rh<'n i^tbUfrilta ' 
mit Hrrii.-kaürhMttuai; der ?e«]fniphla.hen mul 
wirttrhAftlicben Hoaiebunu'tti iMch klimnii*clu;D 
rroTliiarn iUr«e*tPiit (beBpr. v. //. . . 

11. Hartl: MatoriAUen mr (•eaehiebte der utron»> 
mi«oU>ir.,;«n«>UH'triaeheft VemK-itaiinr der «ater- 
reKlM>«h*un|fariacheo Motiarchle (iMMprochea v«o 
E. (iV/c«'*l 



KARTEN: 

Tafrl 9; »ii-hn:in(Ten zu L Neuinanni ^Orrmeirltib. 
tifu-iint, im Aii*chlD«( an die Cntersu«.hun]r <1e« 
Kaiseratuhli.'ehiritei.''. 



Preis des Bandes von 6 Heften 6 Mark, 



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Beiträge für diese Zeitschrift 

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f. triss. GeogrniiUic, in Weimar“-, dagegen alle auf Abonnements, Inserate oder Beilagen 
bezüglichen Korrespondenzen „An dae Geographische Institut in Weimar“ zu richten. 



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Die homännischen Erben. 

Im ÄnscUuss an „Johann Baptista Homann" dargelegt 
von Dr. phil. Christian Sandler, 



Biographisches. 

Die homiinnische Offizin zu Nürnberg ging ira Jahre 1730 an Johann 
Georg Ehcrsperger und .Tohann Michael Franz Uber, welche dieselben als 
„homiinnische Erben“ weiterführten. 

Johann Georg Ebersperger 

war geboren am 16. .luni 1695 zu Lichtenau *). Von seinem, Vater, Balthasar 
Ebersperger, wissen wir, dass er bis 1728 Militärgeistlicher in Nürnbei'g war, 
in welchem Jahre er — aus unbekannten Gründen — seines Amtes entsetzt 
und zu lebenslänglicher Turmstrafe verurteilt wurde *). 

Der junge Ebersperger brachte seine Lehrjahre als Kupferstecher bei 
Herrn Delsenbach zu und ging sodann auf Keisen. Nach Nürnberg zurück- 
gekehrt, war er beim Kupferstecher Weisshof, dem Schwiegersohn J. B, 
Homanns, thätig und heiratete ini .Jahre 1719 dessen Witwe Ursula Barbara 
geb. Schwerdfeger. Durch V'erfügung seines Schwagers Christoph H. wurde 
er 1724 Leiter der homännischen Offizin, 1730 homännischer Miterhe. In 
technischer Beziehung war er ohne Zweifel die Seele des Geschäftes ; dass er 
ein geschickter Kupferstecher war, das beweist allein der vorzüglich gearbeitete 
Reichsadler, welchen er zum Titelblatt des homännischen „Atlas Germaniae 
specialis“ gestochen hat. Neben dieser Kunst gab er sich auch mit der Ver- 
fertigung mechanischer Arbeiten ah ; auch Baumeister wird er genannt ’). 
Dagegen ist uns nicht bekannt, dass er auf dem Felde der Kartographie 
selbständig etwas geleistet hätte. Diejenigen Karten , welche unter seiner 
alleinigen Leitung der homännischen Offizin (1724 — 27) veröffentlicht wurden, 
sind ganz untergeordneter Bedeutung; der Mehrzahl nach sind sie Kopien von 
Städteplänen ‘). 

Eberspergers Leben floss, abgesehen vom Unglück seines Vaters, ruhig 
dahin. Seit 1719 Nürnberger Schutzverwandter ‘) , erhielt er im Jahre 1730 
auf Nacbsuchen das Bürgerrecht*). Im nächsten .Jahre, 1731, machte er als 
guter Sohn das Unglück oder den Fehler, unter welchem sein Vater zu leiden 
hatte , nach Kräften wieder gut ; er erbat sich nämlich vom Rate die Er- 
laubnis, seinen Vater aus dem Turm in sein Haus nehmen zu dürfen. Der 
Rat gewährte ihm diese Bitte sofort und stellte nur die Bedingung, dass die 
Üeberführung und der Aufentb.alt des alten Militärgeistlichen geheim gehalten 



*) Hager, J. G., Geographischer Büchersaal I, Chemnitz 1766, p. 399. 

•) Nflnibergor KatsvorHh.ee (R. V.) 1728 Nr. IS, Fol. 11 (20. MRrz 1728) und 1731 
Nr. 12, Fol. 105 (12. Marz 17.31). 

•) Hager 1, c. p. 400. 

*) cf. Sandler, J. B. Homann, Berlin 1886, p. 55. (Zeitschrift der Gesellsch, für Erdkunde 
KU Berlin 1886, Heft 4, 5.) 

“) K. V. 1719 Nr. 3, Fol. 93. (20. Juni 1719.) 

•) R. V. 1730 Nr. 4, Fol. 28. (12. Juli 1730.) 

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33i 



Die homännüchen Krben. 



worde '), — Unter seinen Mitbürgern erfreute Ebcrsperger sich einer ge- 
aclitcten Stellung; das Prädikat „erbar und wolfUrnehm“ war ihm verstattet*) 
und in der JBUrgerwclir bekleidete er den Kang eines Kapitäns *). Die Wirren, 
welche in den fünfziger .1 abren die Kranz’scbe Hälfte der bomännischen Offizin 
betrafen, bessen seinen Anteil fast unberührt (v. u.). 

Nach langjähriger Ehe verlor er seine Frau durch den Tod im Jahre 
1756; er selbst starb, überlebt von drei Töchtern, am 11. August 1760*). 

ln vielen Beziidiungen ein Widerspiel zu Ebersperger ist sein Miterbe 
Johann Michael Franz. 

Er war geboren am 14. September 1700 zu Oehringen >) als Sohn des 
Hutmachers Georg Heinrich Franz (1674 — 1725) und der Anna Catharina 
gcb. üettinger. Jobaiin Heinrich Franz, gest. 1766 als Buchhalter der ho- 
männischeu Offizin, und .Tacob Heinrich Franz, geh. 1714, seit 1759 Mit- 
besitzer der Offizin, waren jüngere Brüder von ihm “). 

.Tohann Michael Franz hatte anfangs ein Handwerk erlernen sollen ; man 
kam jedoch davon ab und liess ihn studieren. Im .Jahre 1721 bezog er (zu 
Fuss!) die Universität Halle. Hier fand er Aufnahme im Waisenhaus; da er 
aber die Wölfischen Kollegien besuchte (mit Ohr. Homann, welchem er damals 
befreundet wurde), verlor er diese Vergünstigung. Nachdem er 1 Vj Jahr für 
sich gelebt hatte, liess ihn der stud. jur. Calisius von Calisch, ein Württem- 
berger, an seiner W'ohnung teilnehmeu. Franz benützte dessen Bücher und 
hörte Tbomasius, Gundling, Schlitte, Fleischer, Böhmer und besonders Ludwig. 
Diese Studien wurden aber dadurch gestört, da.ss ein gewisser Herr von Blache 
Calisius zur Alchymisterci verführte. Franz schloss sich daher wieder mehr 
an Homann au. Als sodann Calisius und Franz ihre juristischen Studien be- 
endet zu haben glaubten, kehrten sie nach Stuttgart zurück. Hier entschloss 
sich Calisius plötzlich zum Studium der Medizin und nahm Franz auf 2 Jahre 
wieder mit nach Halle — zur Fortsetzung der alchymistiscben Experimente. 
Die beiden hatten damals Umgang mit Leuten, „die die allerdunkelsteu 
Meinungen hatten, darunter auch einige sich für Kosenkreuzer ausgaben.“ Im 
Jahre 1729 führte Franz den Calisius, welcher krank (melancholisch) geworden 
war, nach Stuttgart zurück, sodann, nach einem Aufenthalt zur Kur in der 
Schweiz, nach Dinkelsbühl zu einem dem Calisius verwandten Hofrat Vischer. 
Hier mag Franz die Einladung Chr. Hnmanns, er möge die Führung seiner 
Korrespondenz übernehmen, erhalten haben. Er nahm dieselbe an , zunächst 
nur bis auf weiteres , weil er sich Hoffnung auf eine Stelle als Auditeur in 
einem Kaiserlichen Regiment oder auch als Sekretär beim Grafen von Gräve- 
nitz in Stuttgart machte. Homann aber hielt ihn durch liist bei sich zurück 
(er soll an Franz eingelaufene Briefe unterschlagen haben) und setzte ihn 
neben Ebersperger in sein Testament als „bomännischen Erben“ mit ein ’). 

Dieses Testament vom .Jahre 1730 ist samt den zugehörigen Akten be- 
reits im .Jahre 1742 nicht mehr aufzufinden gewesen. Im Dezember dieses Jahres 
berichtete das Nürnberger Stadtgericht an den Kat; „dass die betr. Acta bey 
Herrn Cons. Peyern befindlich seyn sollen“, und der Kat befahl demnach, 
man solle „deren schleunige Expedition, mit nächster Gelegenheit, bei dem- 
selben urgiren“ •). Da aber Konsulent Peyer schon seit 1741 von Nürnberg 
abwesend war*), und die bomännischen Akten in der nächstfolgenden Zeit 



’) H. V. 17.11 Nr. 12. Fol. 105. (12. Märr. 1731.) 
•) K. V. 1744 Nr. 6, Fol. 13. (25. Aug. 1744.) 

■) Ibiger, 1. c. p. 401. 

*) Eli^or, 1. c. p. 374, 370. 

*) Will. Nürubergisches Gel.-Dex. 1750, 1. p. 467. 
•) Hager, 1. c. p. 402 f. 

*) Will, Nürnberg. Gel.-Lex. 1750, I. p. 467. 

») !i. V. 1742 Nr. 9, Fol. 82. (3. Dezbr. 1742.) 

•) R. V. 1741 Nr. 13, Fol. 10. (28. März 1741.) 



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Die homänninchen Erben. 



335 



nicht mehr verlangt wurden , wurde der Ratsbefehl als nicht dringend nicht 
befolgt. Ebenso ging cs im Jahre 1743 '), und das Testament blieb ver- 
schwunden. 

Auch die Recherche nach den hoinännisehen Akten und Testament, 
welche auf Veranlassung des Neuburger Advokaten Schell das K. General- 
Kommissariat des Pegnitz - Kreises im Jahre 1808 durch das Nürnberger 
Kirchen- und Vormundamt vornehmen Hess *), blieb erfolglos 

Das Fehlen dieses Dokumentes lässt eine unangenehme Lücke in der 
Geschichte der hoinännisehen Offizin. Denn da andere Angaben über seine 
Bestimmungen selten und spärlich sind, ist uns der Einblick in die Umstände 
nnd Bedingungen , unter welchen Franz seine Erbschaft antrat , fast gänzlich 
versagt geblieben. Wir kiinnen daher auch nicht genau feststelleii , ob Franz 
selbst alle Schuld daran beizumessen ist, dass ihm das grossmUlige Geschenk 
seines Freundes Homann nicht zum Heile ausgcschlagcn ist, oder ob nicht in 
schwierigen Testamentsbedingungen eine Ursache dazu gegeben war. 

CliristO])h Homanns einziger überlebender Bruder Gottfried Friedrich, 
kurpnUzischer Oberförster zu AVeichering bei Neuburg a. I). , hat gegen das 
erwähnte Testament einen Prozess angestrengt. Der Advokat Schell behauptet 
in seiner Eingabe vom .Jahre 1808, Gottfried Fr. Homann habe bereits das 
Testament seines V aters anstreiten wollen , sei aber von Christoph Homann 
zur Unterlassung des Rechtsstreites durch das mündliche und schriftliche Ver- 
sprechen bewogen worden, dass er, Gottfried, einst sein einziger Erbe sein 
solle. Trotzdem sei dem Gottfried Homann ira Testament von 17.30 nur ein 
Ijegat von 6 Dukaten vermacht gewesen — „ohngeachtet der vorliegend schrift- 
lichen Versicherung der dermaligen Vermögens Besitzer.“ 

Es ist uns nicht möglich, hierüber Klarheit zu bringen. Indessen scheint 
ein rechtsgiltiges Versprechen von seiten dir. Homanns nicht geleistet worden 
zu sein, denn die kurpfälzisch-neiiburgischo Regierung, welche die Sache ihres 
Oberförsters während dessen Lebzeiten mit Energie vertrat, würde nicht ver- 
säumt haben, ein solches Versprechen bei dem Nürnberger Kat, resp. dem 
Nürnberger Stadtgericht, nachdrücklich hervorzuheben. In den Katsvcrlässen 
aber wird ein Versprechen überhaupt nicht erwähnt. 

Sicher wissen wir von dem erwähnten Testament nur, dass schon einen 
Monat nach Christoph Homanns Tod, nämlich im Dezember 1730 von der 
Neuburgischen Regierung ein Iiitercessionsschreihen für Gottfried Fr. Homann 
an den Rat Nürnbergs einlief, enthaltend die Bitte um Mitteilung des dir. 
Homänniseben Testaments. Dieser Bitte wurde durch Uebersendung einer 
Abschrift entsprochen. Später, im Februar 1731, wurden der Neuburgischen 
Regierung auf Verlangen auch die im Testament erwähnten Zettel abschrift- 
lich nachgeschickt. Sodann wurde der Prozess G. F. Homanns gegen die 
Homänniseben Erben beim Nürnberger Stadtgericht anhängig und endete 
nach vielfachen Schreibereien zwischen der Neuburger Regierung nnd dem 
Nürnberger Rat Ende 1738 oder anfangs 1739 zum Nachteile des Oberförsters. 
Auch seine Bitte, gegen dieses Urteil die Berufung einlegen zu dürfen, wurde 
als unerheblich abgeschlagen *). 

Einige .Jahre später liefen noch zwei Schreiben für die Erbansprüche 
G. F. Homanns in Nüniberg ein, das eine von einem Freiherrn von Hartmann 
an den Kirchenplleger gerichtet im Jahre 1742 *), das andere von der Neu- 
burger Regierung an den Rat im .Jahre 1743*). Der Oberförster Homann 



■) K. V. 1743 Nr. », Fol. 1.3. (2. Dezlir. 1743). 

•) Für M. A. Appl, Hütersfrau zu Pettmäs und Enkelin de« Oberförsters Homann. 

*) Kreisarchiv Nürnberg: .Acta des k. b. Vormund - Amt« . das .lohann Baptist 
Homännische Testament betr.*, Beilage 9 und 10. 

*) K. V. 1730 Nr. 9 u. 11, 1731 Nr. 11, 1732 Nr. 11 u. 1739 Nr. 1. 

“) R. V. 1742 Nr. 9, Fol. 56. (23. Novbr. 1742.) 

■) R. V. 1743 Nr. 8, Fol. 42. (18. Novbr. 1743.) 




27 * 



336 



Die homäimUchen Erben. 



scheint zu jener Zeit gestorben zu sein, seinen Nachkommen aber fehlten die 
Mittel zur Fortsetzung, resp. zur Wiederaufnahme des Prozesses '). 

An die Ueberuahme der homÜDuischen Offizin knüpfte sich also für die 
Erben alsbald 'ein' langwieriger Prozess. Aus dem Verlaufe desselben ist bcr- 
vorzubeben, dass der Oberförster Homann dem Kat Nürnbergs im Jahre 1734 
die Bitte vorlegte, man möge durch das Stadtgericht die Veräusseruug der 
homSunischcn Vcrlassoiischaft inhibieren *). Der Prozess dürfte also die freie 
Verfügung Uber den ererbten Besitz einigermassen eingeschränkt haben. Für 
Ebersperger, der schon seit .Jahren in gesichelten Lebensumstanden sich be- 
fand, hatte das nichts auf sich, wohl aber für Franz. Er war ja von Haus 
aus mittellos, und Christolib Homann scheint ihm auch keine Baarmittel hinter- 
lassen zu haben, wenigstens deutet darauf der Umstand hin, dass Franz im 
Jahre 1732, als er das Bürgerrecht erbat und erhielt, zugleich um einen 
erheblichen Nachlass der Erbschaftssteuer nacbsuchte ’). Ausserordentliche 
GcldbedUrfnisse, wie sie der Betrieb der Offizin oder der Erbschafts - Prozess 
mit sich bringen konnten, oder wie sie vielleicht nur die Anschaffung einer 
häuslichen Einrichtung erforderte, mussten demnach von Anfang an Franz 
zum ächuldenmacheu nötigen. 

So hat er denn bereits im .Jahre 1731 zweimal 500 II. Schulden auf- 
genommen *). 

Es müsste bei geordneter Geschäftsführung ein Leichtes gewesen sein, 
diese im Verhältnis zu f’ranzeus Erbanteil geringfügige Summe nacli und nach 
abzutragen. Aber Franz war nichts weniger als ein Geschäftsmann. Er trug 
sich gern mit grossen , über das Erreichbare hinausgehenden Entwürfen und 
war über Gebühr freigebig ®). So geriet er nach und nach immer mehr in 
Schulden. Im .Jahre 17415 betrug die Summe derselben mindestens (5700 fl., 
welche, wie sich aus der unten folgenden Administrationsakte ergiebt, im .Jahre 
1756 noch nicht abgetragen waren. Ob Franz zu jener Zeit (1746) nicht 
noch mehr Schulden hatte, die er vor 1756 wieder bezahlt hat, ist unbekannt. 
Wozu Franz all dies Geld und sein Einkommen aus der homäunischen Offizin 
verwendet hat, darüber wird uns ebenfalls nichts berichtet. Doch darf die That- 
sache nicht unerwähnt bleiben , dass die Aufnahme einiger grösserer Summen 
durch Franz, so von 10(X) 11. im Jahre 1736, 5(X) und 600 fl. im Jahre 1742, 
l(XK) fl. im Jahre 1746 mit der Veröffentlichung besserer Karten und Atlanten 
(der schlesischen Spezialkartcn , des Doppelmayerschen Himmelsatlas, des 
homänuisch-hasischen Gesellschaltsatlas) nahe ziisammcurällt. 

Vom .Jahre 1747 ab suchte Franz durch einige wissenschaftliche Unter- 
nehmungen sich aus seiner Geldnot zu befreien. Das „Lnwitzsche Kugel- 
werk“ und die „Kosmographische Gesellschaft“ sind die bedeutendsten derselben; 
wir werden bei der Würdigung der wissenschaftlichen Verdienste Franzens 
näher darauf eingehen. F'ür das Globuswerk nun liefen etwa 2000 Thaler 
Präiiumerationsgelder ein , eine Summe , welche , so lange die Globeu nicht 
geliefert wurden, nichts als eine neue Schuld , den Pränumeranten gegenüber, 
war. Die kosmographische Gesellschaft brachte 200 Dukaten ein , die aller- 
dings nur für kosmographische Zwecke zu verwenden gewesen wären. Zudem 
scheiterten diese und die kleineren Unternehmungen fast gänzlich, und sie sind 
wohl mit Hauptursache gewesen, dass l''ranz immer tiefer in Schulden versank. 
Nach und nach erschöpfte sich sein ICredit, und er scheint (Ende 1754) in 
ernste Not geraten zu sein. Hat er doch sogar zwei goldene Ketten, Medaillen 

*) Acta lies k. b. Vormundamts, das Job. liapt. Homann-Testament betr. Beilage 2. 
(Kreiearchiv Nürnberg.) 

•i K. V. 1<:I4 Nr. 4 , Fol. 13. (24. .luli 1734.) 

•) K. V. 1732 Nr. 11, Fol. 12. (4. Januar 1732.) 

*) V. u. Ädniinistrutionsukte. 

^) BUäcbing, Nacbricliten von dem Fofessor Lowitz u. von der kosmogmphlsclien Ge- 
sellschaft, in seinen ,Nuchricbtcn von neuen Landkarten“, 3. Jubrg. 1775, p. dO. 



Die homänni^chen Krbon, 



337 



und dazu geliörige silberne Kapseln, die wahrsclicinlicli vom alten Homann 
herrührten und die nicht einmal ihm allein gehörten, in Langenzenn (bei Fürth) 
versetzt! Der Nürnberger Rat bat ilin tlenn auch auf Bitten Eberspergers 
angchalten. dieselben wieder herbeizuscliaffen •). 

Um den uner<|uickliehen und uidialtbaren Nürnberger Verhältnissen zu 
entgehen, hatte Franz im Jahre 1754 der königlichen und kurfürstlichen Re- 
gierung zu Hannover einen Plan vorgelegt, gemäss welchem die kosmogra- 
pbisebe Gesellschaft, die Lowitzsche Weltkugel-Fabrik, seine (verschuldete!) 
Hälfte der homännischeu Offizin, sowie verschiedene Künstler, welche sich 
durch Anfertigung vorzüglicher physikalischer Apparate auszeiciinetcn , nach 
Göttingen versetzt werden könnten. Dieser V’orschlag wurde angenommen, 
und infolgedessen Franz und sein Schwager, der Mathematikprofessor Lowitz, 
(letzterer ohne durch Franz von den voraufgegangenen Abmachungen in Kennt- 
nis gesetzt zu sein) als Professoren der Geographie , resp. der praktischen 
Matliematik, mit 60i0 resp. 4(X) Thalcrn Gehalt nach Göttingen berufen •). 

Lowitz, der übrigens mit diesen Anordnungen durchaus nicht zufrieden 
war und später äusserte, sein Schwager Franz habe ihn verkauft, siedelte mit 
Anfang 1755 nach Göttingen über*). Franz konnte ihm erst später folgen. 
Der Nürnberger Rat scheint durch Ebersperger von Franzens Vorhaben Kennt- 
nis erhalten zu haben*), und verbot Franz (März 17.55), vor Heilegung der 
geschäftlichen Differenzen , die sich zwischen ihm und Ebersperger entwickelt 
batten , Nürnberg zu verlassen oder etwa,s von seinen Sachen wegzuschicken. 
„Und, dass dieses von ihrne auch nicht so leicht bewerckstelliget werden könnte, 
soll von L. Zoll- und Waag- item dem L. Kriegs Amt darauff invigiliret 
werden“ *). 

Es war dem Rat bei dieser Verfügung gewiss nicht um die Erhaltung 
der kosmogra|>hischon Gesellschaft oder des Lowitzschen Weltkugelwerkcs in 
Nürnberg zu thun, sondern nur darum, dass Franz „seine Affairen in das 
Reine bringe“. Dieser aber liess sich nicht halten und verliess ohne Vor- 
wissen des Rates und mit Hinterlassung seines Mobiliars Ende Mai 1755 
die Stadt *). 

Von Göttingen aus vorgbeh er sich sodann mit seinen Gläubigern durch 
Annahme der Administrationsakte, welche auf mehreren üläubigcrzusammen- 
künften schon im .Jahre 1755 besprochen und endgiltig am 21. April 1756 
Uber Franzens Vermögen und Geschäftsanteil aufgcstellt wurde. In dieser 
Akte ist folgende nach Franzens eigener Angabe aufgestellte Liste der Schulden 



(Summe 16 125 fl.) enthalten ; 

„Ao. 1731. 1. Aug. Herrn Michael Tuchers Wittib .... fl. 500 
1731. S. T. Herr Marktvorstehcr Lothes . . . „ 500 

1742. 2. Febr. „ „ „ „ „ . . . „ 500 

Eben dieser wiederum 600 

1745. 10. Sept. S. T. Frau Dr. Adelburnerin in Altdorf . „ 2100 
17-16. 1. .Juni. Herr Yclin, Handelsmann in Sindringen . „ KXX) 

1746. 2. Nov. Frau Glaserin zu Weickersheira . . . . „ 500 

1749. 11. Nov. S. T. Frau Hauptinann Schreiberin . . . „ 2(XX) 

1750. S. T. Frau Losungerin von Ebner . . . „ 400 

1751. 10. Juli. Herr Johann Wilhelm ßachmaun, Handels- 

mann „ 1000 



welchen auch für ein vom Herrn Prof. 



*) R. V. 1755 Nr. 13, Fol. IS (25. März 1755), 1755 Nr. 2, Fol. 2 und 25 (2. u. 
12. Mai 1755). 

•) BSsching, 1. c. p. S2 f. 

') lliideni p. S3. 

‘) K. V. 1755 Nr. 11, Fol. 79b. (18. Febr. 1755.) 

') R. V. 1755 Nr. 13, Fol. 16. (25. MSrr. 1755.) 

•) R. V. 1755 Nr. 3, Fol. 22. (4. Juni 1755.) 



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338 



Die bomünniBchän Krben. 



Lowitz aufKenommcnes anderes Kapital 
it 500 fl. Bürgschaft geleistet worden. 

Ao. 1753. 10. Sept. S. T. Herr Dr. Georg Conrad Schüler . fl. 600 

1753. 2. Nov, S. T. Fräulein von Thomasius . „ 1600 

1754. 28. Jan. S. T. Herr Marktvorst. Lothes . ... „ 500 

17.54. Aug. Herr Taffinger und Beer 800 

1754. Nov. Herr Büheim und Grundier 150 

1754. Nov. S. T. Herr Hauptmann von Haller . . „ 300 

1754. 8. T. Frau Hauptmann Pipgrasin . . . „ 2(X) 

1764. Jungfer Zwanzigerin 100 

1736. S. Herr Cammer;- Rath Schiller zu 

Oehringen 1000 

1753. .lud Heidenheimer in Bayersdorf, laut Oblig. „ 875 

Herr Scherzier, Handelsmann, so einen 
.ludenwechsel an sich gelöset . . . . „ 500 

Jud Israel Lovi 200 

Jud Bamberger und Cllmann 2lXl“ 

Die übrigen Hauptpunkte der Akte sind folgende : 



1. Die Hälfte der boiuannischen Handlung bleibt den Gläubigern Franzens 
so lange überlassen, bis sie aus dem Gewinn und den eingehenden Aktiven 
vollständig befriedigt sind , und zwar ist der halbe Gewinn , sowie die ein- 
laufendcn ausstehenden Gelder zu den vierteljährig zu zahlenden Zinsen zu 
verwenden, der Uebersehuss zur Abtilgung der Kajiitalien. 

2. Franz verpflichtet sich , nichts aus der Handlung zu nehmen , noch 
ausstehende Gelder eigenmächtig einzuziehen, „auch nichts unter dem Nahmen 
der Cosmographischen Gesellschaft, oder einen andern Titel zu verlegen , son- 
dern wie ehehin im Nahmen Horaännischer Erben zum Verlag zu bringen, 
keinen einseitigen Accord ohne Mitwisson und Bewilligung der Herren Inter- 
essenten zu treffen . . 

3. Das „Freyenfelsische Neue Commissions-Karten- Werk“ soll der Ho- 
männischen Offizin verbleiben. 

4. P'ranz verspricht, hinnen zwei Jahren eine Summe von 2 — .3000 Thalern 
von Göttingen aus zur Beschleunigung seiner Schuldenabzahlung einzusenden. 

5. Franzens Bruder, .Jacob Heinrich Franz, der bisher als Buchhalter 
der homännischen Offizin wöchentlich 4 fl. verdient, und dessen Frau, die fifr 
ihre Jllurainationsarbeit 3 11. wöchentlich erhalten, bleiben unter den alten 
Verhältnissen iin Geschäft. 

6. Um die Besorgung der geographischen Korrespondenz soll der Stsdt- 
gerichts-Aktuarius Gnopf ‘) ersucht werden. 

7. Die Gläubiger haben „zu mehrerer Versicherung“ auch auf das An- 
spruch, was Franz in Zukunft erwerben sollte ; Franzens Gattin, Juliana Sophia 
Maria geh. Yelin, ist für Franz mit haftbar. 

Demgemäss war es Franz unmöglich, die Hälfte der homännischen Offizin 
nach Göttingen zu versetzen. Um aber den der Regierung vorgelegte» Plan 
wenigstens einigermassen ins Werk zu setzen, begründete er seinen sogenannten 
„kleinen Verlag“, in welchem er ein paar Schulatlanton kleineren Formats 
heraiisgab. Ausserdem glückte es weder mit der wirklichen Aufrichtung der 
kosmographischen Gesellschaft, noch mit der Anfertigung der Lowitzschon 
Globen, und Franz durfte froh sein, dass die Kommission, welche zur Unter- 
suchung der Sachlage eingesetzt wurde, entschied : Franz solle an Lowitz die 
pränumerierten 2tXK) 3’haler zahlen und sei dann von aller Verantwortung an 
dem Globusunternohracii frei, solle aber von Lowitz ein paar Globen erhalten ’). 

*) BüBching nennt (in seinen „Wöchentt Nachrichten von neuen handcharten* II. 
1774, p. 100) Cnopf einen Mann, ,der sich mehr geographiBChe Kenntnis zuschrieb, als er 
wirklich hatte.' 

•) BQsching, 1. c. 1775, p. 66. 




Die homüimischen Krbcn. 



339 



Woher Franz sich diese Summe verschaffte, ersehen wir aus folgendem 
Kaufvertrag, welcher nicht nur die Beurteilung des pekuniären Wertes der 
Franzschen Handlungshiilfte ermöglicht, sondern auch einen Einhlick in die 
inneren geschäftlichen Verhältnisse der Offizin und die Art und Weise der 
wissenschaftlichen Direktion derselben durch Franz bietet. 

Die J. M. Frauzsche Cossionsurkunde'). 

„Kund und zu wissen seye hiemit, denen es zu wissen nöthig: 

Demnach ich Johann Michael Franz , köuigl. Grossbr. und Hochfstl. 
Nassau Oranischer Rath, auch Geographie Professor zu Göttingen, Mit Erbe 
der Homännischou Geographischen Handlung in Nürnberg, und ich Juliana 
Sophia Maria Franzin seine Ehefrau aus beträchtlichen Ursachen, wohl be- 
dächtlich entschlossen sind, unsern’ lieben Bruder und resp. Herrn Schwager 
Jacob Heinrich Franz und seine Ehefrau Anna Felicitas Franzin und ihren 
Erben unsere Hom. Handlungs Antheil und Hauss von dato der Zeit dieser 
Unterschrift ganz und mit völligen Eigenthum darzu gehörigen Rechten und 
Befugnissen Kraft dieser Cessions-Acte zu überlassen ; Als haben wir uns mit 
einander in Brüderlicher und schwägerlicher Treue und Aufrichtigkeit, wie und 
weichergestalt diese Ueberlassung auf einen rechtskräftigen Fuss geschehen 
solle, auf folgende Bedingnüsse verstanden : 

1. AVir beyde Johann Michael Franz und Juliana Sophia Maria Franzische 
Eheleute, besonders ich die Franzische Ehcconsortin mit hernach bemeltem 
rechtlichen Beystand cediren an Herrn Jacob Heinrich Franz und dessen Ehe- 
liebste Frau Anna Felicitas Franzin und ihren Erben alles Eigeuthums Recht, 
so wir an der Helfte der hom. Handlung und Hauss, worunter wir zugleich 
alles, was an beweglich und unbeweglichen Gütern , Effecten, Kupfer Platten, 
Land Garten, Niederlagen, Activ Schulden, Baaren Oassa Geldern, dahin dann 
auch forderist alle Correspondenz und Handelsbücher gehören, alles ileninach, 
so nur immer zur Handlung gehörig angesehen und bedrachtet werden kann, 
und mit meinem Consort Herrn Johann Georg Ebersberger gemeinschaftlich 
seithero possediret worden, dieses alles transferiren wir Denenselben auf iezo 
und immerdar, solches statt unserer für sich zu uuzen, zu gebrauchen, und auf 
ihre Familie und Kinder zu vererben, ohne einige Restriction und Vorbehalt 
eines Wiederkaufs oder sonst dergleichen, wie es Nahmen haben mag, wobey 
wir allen diesen unsern habenden Rechten förmlich und wohlbedächtlich ent- 
sagen. 

2. Haben ich Johann Michael Franz und ich Juliana Sophia Maria Franzin 
mit meinem Herrn Beystand, Unsern Bruder und resp. Herrn Schwager seiner 
Eheliebstin und ihren Erben zugesaget, versprechen auch hiemit redlichst und 
ehrlichst, dass all mein Johann Michael Franz Göttingischer Verlag, Jugend 
Atlas, Reichs Atlas mit ihren Platten und Exemj>larien und alles, was ich noch 
ferner biss an mein Ende des Lebens hier in Göttingen auf meine Kosten 
verlege, (: wobey meine Participation an der grossen Welt Kugel Fabric aus- 
genommem bleibet,:) seinem von mir überlas.senen Hom. Antheil incorporiret, 
und so fort ohne Anstand nach meinem Tod von meiner Frau darzu ausge- 
liefert werden solle. 

3. Ueberlassen wir ferner an unsern Herrn Bruder und Schwager die 
Commiss Sache der Freyenfelsischen Dioeces Mappirung, und allen Nuzen und 
Profit, den er daraus ziehen kau ausgenommen die Zeiebnungskosten , so zu- 
sammen für die 4. bereits gelieferte particulier Zeichnungen, und für die künf- 
tige General Carte, auch Register Blätter, so ich noch zu liefern habe auf einen 
ehrlichen Accord des aus der gemeinschaftlichem Hom. Cassa zu praestiren 
ist, für künftig ausgesezt bleiben. 



*) Stadtgorichts-Akt Wolf Lovi ca J. H. Franz 1765, Beilage Lit. K. (Kroisarchiv 
Nürnberg.) 



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340 



Die bomännischen Erben. 



4. Versprechen wir unsers Herren Bruders und Schwagers Söhnen, als 
unsern liehen Vettern mit Rath und That beyzuspringen , damit sie in das 
innere AVesen der geographischen Wissenschaften eingeleitet und besonders 
unterrichtet werden, folglich in Stand kommen, die Suchen, die in folgendem 
Artickel gedacht werden, wohl anwenden zu können, alles aus brüderlicher 
Liebe und sonderbahrer Affection gegen die Hom. Officin. 

5. Da ich Johann Michael Franz 15. bis 16. Folianten nebst ver- 
schiedenen Kotiz-BUchern im Manuscript liegen habe , und noch immer damit 
fortfahrc, dahinein alles merkwürdige, was in den ganzen Umfang der mathe- 
matischen und historischen Geographie sowohl durch meine gelehrte Corre- 
spondenz seit Ao. 1730 biss hieher und biss an das Ende meines Lebens als 
auch in allen neu edirten Voyages passiret, einzeichne, also und dergestalt, 
dass ein Besitzer daraus mathematisch und historisch klug werden, und iedes- 
mahl wissen kan, was das Beste ist, so er zu seinem Verlangen neues entre- 
preniren will, auch nebst deme eine gute Sammlung verschiedener Zeichnungen 
besize, die theils zum Stich gleich vorgenommen, theils durch eine geschickte 
Zusammenfügung dieser Subsidien ein guter Riss verfertiget werden kan, so 
soll meine Frau, auf den Fall sie mich überlebet, solches alles, laut dieser 
Liste, die in der Beylage Lit. A. ') enthalten, an meinen Bruder, Frauen 
Schwägerin und ihren Erben auszuliefern obligirt seyn, wie denn ieh Juliana 
Sophia Maria Franzin solches Ihnen liiemit treulich und an Eydesstatt angelobe. 

6. Da auch ich Johann Michael Franz bey Herrn Bechmann , Handels- 
mann in Nürnberg um fl. 500 für Herrn Prof. Lowiz in Güttingen Bürgschaft 
geleistet, welche dieser zu Erkauf der ehemaligen Prof. Doppelraayer. Biblio- 
thee verwandt hat; Als erklären wir Johann Michael Franz'schen Ehe Con- 
sorten, mit Beystand, wie oft erwebnt, dass da wir wider Verbofien bey nicht 
erfolgender Bezahlg des Debitoris Herrn Prof. Lowiz, darum in Anspruch ge- 
nommen werden, wir solche Schuldden, Herrn Bechmann, samt Interessen, aus 
unsern Mitteln bezahlen, und zu allen Zeiten unsern Bruder, Frau Schwägerin 
und deren Erben desfalls schadlos halten wollen. AVie wir nicht weniger auch 
uns obligiren, der Frau Lieut. Höflichin Forderg der fl. 75. auf uns zu be- 
halten und selbst abzuführen. 

7. Dagegen und auf der andern Seiten ich Jacob Heinrich Franz, und ich 
Anna Felicitas Franzin seine Eheliebste, ebenfalls mit hernach gesezten meinem 
Herrn Beystand, als EigenthUmer der Hom. Handlg und Hauss für uns und 
unsern Erben geloben und versprechen, dass wir alle nachbenannte Passiv 
Schulden unsers Bruders und Schwagers Hn Rath und Prof. .Johann Michael 
FVauz die auf der Handlg in Nürnberg stehen, getreulich auf uns nehmen, dafür 
stehen, und, nach laut der Obligationen, Zinss u. Capitalien abführen werden. 

Als : 

An Ha Conrad Lothes Seel. AA’ittib in Nbg ... fl. 1600. 

„ Frau Glaserin seel. Erben in AVeickersheim . „ 350. 

„ „ Dr. und Prof. Adelbulnerin in Altdorf . „ 2100. 

„ Hn Actuar Cnopf, olim Velin in Sindlingen . „ 500. 

„ Frauen von Ebner, AVittib „ 400. 

„ Hn Hauptmann von Haller „ 300. 

„ Hn Bechmann 1000. 

„ Hn Dr. Schüler 600. 

„ Hn Tafinger und Beer 809. 

„ die Hn Behaim, Grundier und Bauer . . . „ .3000. 

„ .Jungfer Zwanzigerin 100. 

„ Hn Schäzler „ 500. 

alle in Nürnberg 

„ Hn Cammer RaOi Schiller in Oehringen . . . „ 1000. 



*) Diese Lit. A. fehlt leider. 



1 . 



Die homännischen Eiben. 



341 



welclie zusammen Gulden Zwölf Tausend Zwey Hundert Fünfzig Neun, 
Rheinische Münz Währung, ieden Gulden zu 15. Bazen oder 60 Kreuzer ge- 
rechnet betragen. 

Wir erklären uns hiemit ferner für uns und unsere Erben, dass wir nicht 
nur diejenige erstgedachte Schulden, die im Administrations-Contract stehen, 
sondern auch die nachherig angegebene, als : 

Hn Stadt Voigt Yelinischo netto 11. IKOO. 

die Hauptmann Am Endische, deren Aufkündigg aber, 
vermög dieser Cessions Acte bey uns Uchoniohmern 
stehet, deren Verzinnsg von dem Tag der Unterschrift 
an gerechnet, dis.seits praestirct werden soll . . . . „ 2800. 

Hn Stadt Pfan-er Yehlin in Wintershausen „ 350. 

Hn Hof Rath Dr. Treu in Nbg ,, 150. 

Welche zusammen die Summa von Gulden Fünf Tausend Einhundert Rheini- 
sche MUnz-Währg betragen , auf uns nehmen , solche allesamt vertreten , ver- 
zinsen und abführen wollen. 

Endlich und zum Lezten versprechen wir den Rest der Wittwe Lebrochtin 
in Wöhrd, den sie auf Zwei oder Drei Hundert Gulden praetendiret , abzu- 
machen, auch auf den Fall, wenn die Stadt Pf. Yelinischc Schuld, laut Johann 
Michael Franzenscher Praetension mit 200 ti, saldiret werden sollte, den Ueber- 
rest der 50 fl. an Hn Kaufmann Cramraer in Nürnberg zu entrichten. 

8. Wir die Jacob Heinrich Franzscho Eheleute mit unserm respective Herrn 
Beystand geloben und versprechen hiemit ferner für uns und unsere Erben, die 
von unserm Hn Bruder und resp. Schwager uns vorgeschriebene und ausbe- 
dungene fl. 400. schreibe Vier Hundert Gulden Rheinisch in Münz, Wittums 
Geld, dafernc Gott über ihn zuerst gebieten sollte , an seine Frau Liebste 
.Tuliana Sophia Maria Franzin, so lange sie lehet, iährlich in gangbarer Münze, 
oder auch iedes halbes Jahr mit fl. 200. hingegen, wenn sie in zweyter Ehe 
leben sollte iährlich mit 300 fl., schreihe Drey Hundert, oder alle halbe .lahr 
fl. 150 getreulich, und allemahl ohne allen Anstand, Abzug, ohne Reservation 
und E.\ception, sie haben Nahmen, wie sie wollen, abzufUhren, solches versprechen 
wir bey unsem Ehren, Treu und Glauben, bey unserm Gewissen und an 
Eydesstatt. 

9. Versprechen wir wohlgedachter unserer liebwerthen Frauen Schwägerin 
gleich nach der R.atification dieser Cessions Acte zu einen Angedenken von 
uns ein silberne.s Service im Werth von fl. 200 einzuhändigen. 

10. Da wir beyde Brüder und Schwägerinen endlich mit einander 
uns ferner verstanden , dass noch über die obig übernommene Specificirte 
Schulden auch an haaren Gelde die Summe von 11. 3000 in sächsischer 
Währung, so er Hn Rath und Prof. .Tohann Michael Franz an die 
üöttingische Weltkugel Oassa oder vielmehr an die hohe Praenumeranten 
schuldig ist, ictzo gleich Baar entrichtet und hergeschossen werden sollen, 
welche Summe er auch, nebst obigen Geldern, auf die Hom. Ofticin verwendet 
zu seyn, angiebt. Solchemnach geloben und versprechen wir Jacob Heinrich 
Franzsche Eheleute mit unserm resp. Herrn Beystand, Kraft obiger Eigen- 
thums Ueberlassung in diesem Document, diese Schuld als unsere eigene an- 
zusehen und zu übernehmen, auch solche 3000 fl. so gleich nach gethaner 
Unterschrift dieses Instruments nach sächs. Wührg Baar an die Hochlöhlich 
Königliche Grossbritannische Herren Commissarien, Nahmcutlich Herrn Pro- 
fessor Hollmanns Hoch Edelgebohren und Herrn Professor Dr. Biischings Hoch 
EhrwUrden in Göttingen gegen ihre Quittungen und Hn Prof. Lobiz particulier 
liosssprechg der Hom. Ofticin zu überschicken, oder per Wechsel zu über- 
machen. Dabey wir uns alles Rechts und Praetension an die Güttingische 
Kugelwerck Sache begeben , einfolgUch davon das Utile sowohl als das One- 
rosiun von der Hom. Off. weg und auf die Person unsers H Bruders und 
resp. Schwagers und seiner Erben verschaffet bleibet. 




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342 



Die hom&nnisohen Erben. 



11. Gegen Ucbernehmg aller die Praestationen , und damit Herr Jacob 
Heinrich Franz, dessen Elieliebste und ihre Erben eines ewig ruhigen Possess 
gesichert und verwahret bleihen , versprechen wir Johann Michael Franzsche 
Eheleute mit resp. unsern Hn Beystand wegen des auf sie transferirten Dominii 
unsers hom. Antheils an Handlg und Hauss und alles Eingangs benannten 
darzngcbürigen , alle gebührende Eviction zu praestiren , alle Gefährde und 
Haft bey einer neuen Schuld, die nicht in obigen angegeben, in meinen Leben 
anf mich Johann Michael Franz, solche von Göttingen aus von meinem Ver- 
dienst zu bezahlen, oder daferno ich nicht mehr lebe, auf mich Juliana Sophia 
Maria Franzin zu nehmen, solchergestalt, dass der Gegentheil das Recht haben 
soll, im Pall (:wie doch nie geschehen wird und kan,:) eine neue Schuld sich 
veroffenbahrete , an dom Deputat der Wittums Gelder sich zu pfänden, so 
lange biss solche Schuld durch mich , oder , nach meinem Tod , durch meine 
Frau abgerichtet seyn wird. Alles dieses versprechen wir beyde Eheleute aufs 
redlichste und ehrlichste und an Eides statt. 

Wie übrigens Wir die Johann Michael Franzsche Ehe Consorteu mit 
Boystand wie mehr gedacht, alles unsere an der Hora, geogr. Handlg und 
Hauss gehabtes Eigenthum-Recht und Gerechtigkeit, Forderg und Ansprüche 
und was uns etwa dieser halben zugekommen, an oft ersagt unsern H» Bruder, 
Frau Schwägern und ihren Erben allerdings und gä,nzlich nochmals hiemit 
cediren und überlassen, deshalbon auch uns aller gehabten Ansprüche und 
Forderungen, wie nicht weniger aller gegen die Cession uns etwa competirende 
Ausflüchte und Einwendungen, als der Üebereilung, Vervortheilung, nicht also 
geschehener Abrede, unterbliebener Erfüllung der Zusage, oder wie die sonsten 
Nahmen haben, oder noch mögen erdacht werden, uns ausdrücklich begeben; 
So haben in Gegentheil auch wir die Jacob Heinrich Franzsche Eheleute mit 
resp. unsern Herrn Beystand gleichermassen nns aller, wider unsere Zusage 
mit Rechten etwan zukommende Ansflüchten und Einwendungen, als der nicht 
genügsamen Einsicht, Vervortheilung, Furcht, Hinterlist, Beredung, oder wie 
sie sonsten benennet werden, besonders aller Weiblichen Freyheiten und Rechts 
Wohlthaten uns zum kräftigsten begeben und solchen entsagen wollen. Alles 
Ehrbar, getreulich und ohne Gefährde. 

Zu Urkund dessen allen und mehrerer Bekräftigg ist dieses gedoppelt von 
beyder Brüder ieder seiner eigenen Handschrift gleichlautend verfertigte Cessions 
und Vergleichs Instrument von Uns Selbsten und unsern resp. Herren Bey- 
ständen eigenhändig unterschrieben, besiegelt, auch iedem Theil die gegenseitige 
Handschrift zugestellct worden. So geschehen in Göttingen den 14. May 1759. 

(L. S.) Johann Michael Franz 

R. u. Prof. p. 0 . 

(L. S.) Juliana Sophia Maria Pranzin gebohreno Velin 
(L. S.) Matthäus Ferdinand Cnopf, 

Actuarius des Löbl. Stadt- u. Ehe Gerichts in 
Nürnberg , als von S. T. Frau Räthin Franzin 
requirirter Beystand u. Zeuge von dem was in 
hoc Albo pacisciret worden ist. 

Gesiegelt in Nürnberg, den 15. Octobr. Ao. 1759. 

(L. S.) Jacob Heinrich Franz 

(L. S.) Anna Felicitas Franzin 

(L. S.) Leonhard Scholz, 

Burger u. Handelsmann in Nüniberg , als 
Beystand u. Zeuge, der Frauen Anna Felicitas 
Franzin.“ 

„Abschrift beglaubigt durch Matth. Ferd. Cnopf, Gerichts Actuar, 6./2.Mart. 1764.“ 



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Die bomäxiniBchen Erben. 



343 



P 



Zwei Jahre nach diesem Verkaufe, welcher durch Liquidationsedikt und 
-bescheid vom Oktober und Dezember 1759 rechtsgiltig geworden war, starb 
Franz, im September 1761, in Oöttingen ’). Man sollte denken, sein Tod und 
der Abschluss dos Kaufvertrages hiitte allen Verhandlungen über seine Geld- 
geschäfte ein Ende bereitet. Nichtsdestoweniger kam noch ein Fall zur Sprache, 
den wir, weil er Franzens Nachlässigkeit in Geldangelegenheiten am besten 
illusti'iert , mit hierher setzen müssen. Es ist dies der Wolf Lovische 
Prozess*). 

Unter den Akten findet sich zunächst die Kopie eines „Extractus Pro- 
tocolli Conferentiae. Actum Nürnberg in dem Hohmännischen Handlungshaus 
IM. Dez. 1755.“ Dieser Auszug führt nur die in der Administrations-Akte 
angegebenen Judenschulden (875, 500, 200 und 200 fl.) an mit der Be- 
merkung: „Jud Wolf Levi, welcher aber seine Forderung biss diese Stunde 
nicht angegeben. NB. liat seiner eigenen Sago nach nichts zu fordern.“ 

Dieser Wolf Levi war domprobst-bambergischer Schutzjudo zu Fürth; 
während des Krieges unternahm er Lieferungen für die Armee. 

In seinem Schreiben, d. d. Fürth, 21. September 1758, bat er „vermüg 
gepflogener Abrede“ Franz um Mitteilung der bei der letzten Gläubiger- 
zusammenkuuft gefassten Beschlüsse. 

Aus Nürnberg, 27. September 1758, ist sodann ein Schuldschein über 
1600 fl. datiert, welche Wolf Levi dem Professor Franz in einzelnen Posten 
vorgestreckt habe. Diese 1600 fl. wurden am gleichen Tage zu Nürnberg mit 
30 Nachlass bezahlt ; die Quittung enthält den Zusatz ; „und quittire wohl- 
bemeldtcm Hn Professor p Saldo aller Rechnungen, wie die nur immer Namen 
haben oder erdacht werden mögen, biss auf heutige Tage. Zu dem Ende sind 
auch alle in Händen gehabte Wechselbriefe d. H. H. Böheim und Grundier 
zugleich von mir extradirct worden.“ 

Schon die erwähnte Schuldverschreibung über 1600 fl. bedeutet einen 
Verstoss gegen die Administrations - Akte. Denn entweder hatte Franz in 
letzterer seinen Gläubigern nicht alle Schulden angegeben, die auf seinem 
Vermögen lasteten , oder er hat (nach 1756) vertragswidrige Schulden kon- 
trahiert (denn es ist nicht anzunehmen, dass Franz mit Vorwisson und Er- 
laubnis seiner Gläubiger Schulden machen durfte, welche mit 30°/o Nachlass 
abgezahlt wurden). Noch mehr Widersprüche in diesem unlauteren Handel 
aber ergeben sich durch folgende Schuldverschreibung : 

„Nachdemo ich Endtsbenannter an H. Wolf Levi, Schuz .luden in Fürth 
„die Summa von fl. 1556 schuldig geblieben , dafür wir miteinander überein- 
„gekommen, dass solches Geld Postenwoiss, und wie cs meine gegenwärtige 
„Convenienz des kleinen Verlags in Göttingen an Händen giebet, von mir ab- 
,. getragen werden soll ; also wird von mir fcstegesetzet, bey meinen Ehren Treu 
„und Glauben versprochen und zugesaget, dass ich dieses Quantum hundert 
,.oder womöglich zweihundert Gulden weiss, das ist, in einzeln Posten ent- 
„weder baar oder durch richtige Anweisung bei Herrn Lichtenstegor nach und 
„nach bezahlen, und somit jährlich fortfahren wolle, biss die ganze Summa 
„abgetlian seyn wird. Dass jedoch während dessen kein Interesse lauffen, 
„sondern dafür am Ende eine willkUhrll. Discretion erstattet werden soll. 
„Gleichwie aber unter uns verstanden, dass diese Pöstl. Entrichtung eher nicht 
„alss nach Verfluss eines .lalircs von dato gerechnet und angefangen werden 
„soll, Also verspreche, wo ich mich in Stand gesetzet sehe, dass ich auf ein- 
„mahl das ganze Capital zu tilgen bemühet seyn werde. Und damit H. Cre- 
„ditor inzwischen dessen allen gesichert seye, so verpfände ich hiermit mein 
„Nürnberger Vermögen, so viel lüezu vonnüthen, also und dergestalt, dass wann 



*) Hager, Geograph. Bnchersaal I, p. 875. 

•) Stadtgerichte-AIit Wolf Len contra J. H. Franz 1765. 



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344 



Die bom&nnüchen ErbexL 



„ich durch obigen Verlag nicht bezahlt habe, er allezeit auf hiesige Niirn- 
„berger Handlung seinen gewissen Eecurs in behöriger Subordination nehmen 
„soll und dürffe. Alles getreulich. Nürnberg, d. 24. Shr 1758. 

Johann Michael Franz, 

R. u. P. P. in Gott. 
Horaännischer Miterbe. 

„pro Copia: Cnopf.“ 

Es muss zunächst bemerkt werden, dass niemand an der Echtheit dieses 
Scheines gezweifelt hat. 

Geht nun aus der Quittung vom 27. September 1758 deutlich hervor, 
dass AVolf Levi an Franz keine Ansprüche mehr erhebt, so ersehen wir aus 
diesem nur 4 AVochen später ausgestellten Schuldschein nicht minder deutlich, 
dass Franz dem AVolf Levi 1556 fl. „schuldig gehlieben“. 

In der Cessionsakte nun sind diese 1556 tl. unter den Schulden nicht 
mit angegeben, und trotzdem behauptet Franz (im Punkt 11 der Cessionsakte), 
es werde uud könne nie geschehen, dass sich ausser den angegebenen eine 
weitere Schuld offenbare. 

Dies geschah aber doch, denn im .Jahre 1763 stellte AVolf Levi Klage 
gegen J. H. Franz auf Zahlung der 1556 fl. Er wies nach, dass ihm wegen 
seines Aufenthaltes bei der Armee das Liquidationsedikt vom Jahre 1759 
unbekannt geblieben war, und das Stadtgericht urteilte demnach (April 1765) : 
AVenn AVolf Levi schwöre, dass er dem Rath Franz wirklich 1556 fl. vor- 
geliehen und vom Li<iuidationsedikt von 1759 zu rechter Zeit nichts gewusst 
habe, so sei Jacob Heinrich Franz (resp. Frau Professor Franz) zu Zahlung 
von Schuld und Kosten gehalten. 

J. H. Franz legte gegen dieses Urteil Appellation ein, Dezember 1765'), 
dieselbe wurde aber im September 1766 compensatis expensis abgeschlagen •), 
und so gewann denn AVolf Ijevi den Prozess. AVie und ob sich .1. H. Franz 
an dem der Frau Rätin ausgesetzten .Tahrgeld von 400 fl. schadlos gehalten 
hat, wird nicht berichtet. 

Aus alledem erkennen wir J. M. Franz als einen Mann, der vom Antritt 
seines Erbanteils an über seine Verhältnisse viel Geld, sei es für wissenschaft- 
liche, sei es für private Zwecke, brauchte, sich dadurch in Verlegenheiten 
stürzte und dann in Zeiten der Not von einer bedauernswerten Charakter- 
schwäche war. Im Einklänge damit steht das, was uns Büsching über Franz 
erzählt, ja er hat ihn eher geschont als verleumdet. AVir haben daher hier 
und in folgendem Büschings Nachrichten als vollkommen glaubwürdig ver- 
wendet. 



Franzens A'orschläge und Projekte. 

Die Erforschung Sibiriens und die Feststellung der Umrisse NO.-Asicn.s 
und NAV. -Amerikas unter der Leitung Berings, die AA'iederaufnahmc der 
NAV.-Fabrten durch Middleton , die Gradmessungsexpeditionen der Franzosen, 
der Aufenthalt La Cailles am Kap, sodann eine Reihe von grundlegenden 
Forschungsrcsultaten auf dem Gebiete der Naturwissenschaften charakterisieren 
den Zeitraum , welchem die ersten „homännischen Erben“ angehören : wenig 
grosse Entdeckungen, dagegen, unter Frankreichs A^orantritt, bedeutende Fort- 
schritte der mathematischen und physikalischen Geographie. 

Vor allem haben die Erdbogenmessungen das allgemeine und wissen- 
schaftliche Interesse gefesselt. Andere geodätische Arbeiten wurden unmittel- 
bar durch sie veranlasst oder gefordert ; auch hier steht Frankreich mit seiner 



■) R. V. 1765 Nr. 9, p. 95. (12. Dozbr. 1765.) 

•) R. V. 1786 Nr. 7, p. 26 f. (25. Septbr. 1766.) 



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Die homänniBclien Erben. 



345 



Triangulation durch Cassini de Thury obenan , in zweiter Linie folgen die 
Arbeiten des schwedischen Mossungskontors und der geographischen Abteilung 
der Petersburger Akademie der Wissenschaften. 

ln engstem Zusammenhang damit steht in diesen Ländern ein Aufschwung 
der Kartographie, welcher durch den 1. russischen Atlas (1745), durch die 
Generalkarte von Schweden (1749), hauptsächlich aber durch den Beginn der 
Cassinischen Epoche in Frankreich und durch die Werke verschiedener fran- 
zösischer Kartographen, unter welchen D’AnvUle der bedeutendste ist, be- 
zeichnet wird. 

In Deutschland waren die allgemeinen kartographischen Zustände die- 
selben geblieben, wie zu J. B. Homanns Zeiten. Vorurteile oder Mangel an 
Verständnis bei den Staatslenkern , Mangel an Geld bei den Privaten, dazu 
politische Zerfahrculieit und innere Kriege, sind auch in diesem Zeitraum 
schuld , dass die grossen geodätischen Arbeiten der Franzosen in unserem 
Vaterlando keine Nachahmung fanden. 

Wenn demnach die homännischcii Erben in Deutschland für kartographische 
Unternehmungen im allgemeinen noch denselben Boden vorfanden, wie J. B. 
Homann bei Gründung der Offizin, so kann dagegen nicht genug hervorgehoben 
werden, dass dieser Boden schon eine gründliche Bearbeitung erfahren hatte: 
es galt nicht mehr, die ausländische Konkurrenz vom deutschen Markt zu ver- 
drängen ') , sondern der Ruhm der homännischen Offizin stand bei Publikum 
und Gelehrten unerschütterlich fest, ja sie wurde bald eine Art von Autorität 
durch drei Momente, welche die zweite Periode der homännischen Offizin vor- 
teilhaft von der ersten unterscheiden : 

1. eine Anzahl vorzüglicher Gelehrter wurde zu ständigen karto- 
graphischen Mitarbeitern gewonnen ; 2. die Mängel der Geo- und 

Kartographie wurden unter Kritik der eigenen Karten öffentlich dargelegt; 
3. ßesserungsvorschläge und Versuche wurden gemacht und sogar das Keichs- 
oberhaupt dafür interessiert. 

Das Verdienst, diese Vorzüge für die homännischc Offizin gewonnen zu 
haben, gebührt vor allem Johann Michael Franz. — Die Titel der von ihm 
geschriebenen Werke sind folgende: 

1. „Kurtzo Nachricht von dem Homännischen Grossen Landkartenatlas“, 
Nürnberg 1741. 

2. jjHomännischer Bericht von Verfertigung grosser Weltkugeln“, Nürn- 
berg 1746. (Auch französ.) 

3. „Homännische Vorschläge von den nöthigon Verbesserungen der Wclt- 
beschreibungswissen.schaft und einer disfals bey der Homännischen Handlung 
zu errichtenden neuen Acailemie.“ Nürnberg 1747. 

4. „Description complete ou second avertissement sur les grands Globes 
terrestres et celcstes . . . par G. M. Lowiz.“ Au bureau geogr. de Ho- 
maim 1749. 

5. „Bericht von den Mondskugeln, w'elche bei der kosmographischen 
Gesellschaft zu Nürnberg aus neuen Beobachtungen verfertigt werden durch 
T. Mayer.“ Humännischo Offizin 1750. 

0. „Vorschläge, wie die Erdbeschreibung in Absicht Deutschlands zu 
verbessern sey“ und einige kleinere Abhandlungen (die Vorrede etc.), enthalten 
in den „kosmographischen Nachrichten und Sammlungen auf das Jahr 1748. 



*) V. llauber, E. D., „Gedanken u. ToracUlkge, wie die Historie der Geographie , wie 
auch die von ihm \'orgeschlagene geogr. Societät zu Stande gebracht w’erden möchte.* 
Wolfenbüttel 1730. Hier heisst es pag. 112: «Die mehrste (von den holIämUscben Land- 
Chartcn'Muchorn) haben mir sedbsten mit vieler Beschwerung versichert, dass, da sic obe- 
mal» alle Jahre etliche hundert und tausend Land-Cbarien Uber Hamburg, Leipzig, Frank- 
furt u. anderer Orten in Tcutachland spedirt haben, nunmehr seitdem die Homännische 
Land-Charten aufgekommen, des Jahres kaum sehen oder zwantzig verlangt werden.* 



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346 



Die homänniechen Krben. 



Zum Waclistlmme der Weltheschreibunj?9wissensclmft von den Mitgliedern der 
kosmographischen Gesellschaft zusammcngetrageii." Wien und Nürnberg 1750. 

7. „Gedanken von einem Reiseatlas,“ bei Gelegenheit der Abreise Hru. 
Prof. Tobias Mayer aus Nürnberg nach Göttingen. 1751. 

8. „Die Nothwendigkeit eines zu errichtenden Lehrbegriffes der mathe- 
matischen Geographie bey der kosmographischen Gesellschaft;“ bey Gelegen- 
heit der Antrittsrede des Herrn Prof. Lowitz zur mathematischeu Professur 
in Nürnberg, 1751. 

9. „Kurze Nachricht von dem neuesten Homännischen Atlas von Deutsch- 
land“, sammt Verzeichniss der Eeichsstände. Nürnberg 1753. (Im „Atlas 
Germaniae specialis“, Officin. Homann. 1753.) 

10. ..Der deutsche Staatsgeographus . . . vorgeschlagen von den diri- 
girenden Mitgliedern der kosmographischen Gesellschaft.“ Wien 1753. 

lla. „Die kosmographische Lotterie . . . Auf Gutbefinden der kosmo- 
giaphischen Gesellschaft in Vorschlag gebracht von derselben dirigirenden 
Mitgliedern in Nürnberg.“ 1753. 

llb. „Kecension der homännischen Geographischen Werke, und was 
dieserwegen zwischen den Homännischen Erben und der kosmographischen 
Gesellschaft zum Besten der Grundanlage einer Akademie verabredet worden, 
verfertigt von einem kosmographischen Mitglied.“ 

12. „Abriss des Reichsatlas“, zum Gebrauche der götting. geographischen 
V'orlesungen eingerichtet. Leipzig 1758. 

13. „Abhandlung von den Grenzen der bekannten und unbekannten Welt 
alter und neuer Zeit“, Nürnberg, bey G. P. Monath, 1762. 

14. „Abbildung des Erdbodens in 20 Landchärtlein“ („Jugendatlas“) 
nebst Abhandlung, 1764, Nürnberg. Homännische Erben. 

Bei der Mehrzahl dieser Werke ist Franz weder auf dem Titelblatt, 
noch im Text als Verfasser genannt. Wir schreiben ihm dieselben zu nach 
dem Vorgänge Wills (Nürnbergisches Gel.-Lex. 1756, I. p. 467) und Hägers 
(Geograph. Bücheraaal 1766, I. p. 393 ff.) und folgen dann im übrigen der 
Annahme, dass bei ihrer sachlichen und stilistischen Aehulichkeit die sämmt- 
lichen geschäftlichen Publicationen der homännischen Offizin von Franz ge- 
schrieben sind. 

Wenn w’ir von den Ankündigungen der Globen und den drei letzten 
Werken absehen, so geht der Inhalt sämtlicher Franzscheu Abhandlungen dar- 
auf hinaus, die Mängel der geographischen Zustände in Deutschland aufzu- 
deckeu und Vorschläge zu ihrer Beseitigung zu machen unter dem steten, oft 
wie ein Vorbehalt klingenden Hinweis darauf, dass sich zur Leitung dieser 
Reformen am besten die homännische Offizin eignen würde, was sich ja aus 
den Franzschen Vermögensverhältnissen sehr leicht erklärt. 

Franz war nicht der erste, welcher mii geographischen Reformvorschlägen 
hervortrat. Er selbst führt im Anhang zu den „Homännischen Vorschlägen“ 
(1747 p. 70 f.) M. Roberts V'orredo zu Sansons „Introduction ä la Geographie“, 
sowie d’Anvilles Schriften an, in welchen ähnliche Erörterungen verkommen. 
In Deutschland ist ihm Hauber in seinem „Discours von dem gegenwärtigen 
Zustand der Geographie, besonders in Deutschland“ (Ulm 1727) auch mit 
V erbesserungsvorschlägen fast unmittelbar vorangegangeu, wobei er freilich dem 
politisch- oder historisch-geographischen Moment gemäss den damaligen An- 
sichten das Hauptgewicht beilegt. Auch Franz hat sich dieser Ansichten noch 
nicht ganz entledigt; in Bezug auf rücksichtslose Kritik und positive weit- 
schauende Vorschläge übertrifft er dagegen seine Vorgänger bei weitem. 

Seine Kritik der Karten und Zustände lässt sich in wenige Sätze zu- 
sammenfassen : 1. Von allen existierenden Karten können als gut gemessen 
und richtig gezeichnet angenommen werden mm die Cassinische Karte von 
Frankreich und etwa noch , die durch Missionäre aufgenommenc Karte von 
China, der neue Atlas von Russland, die schwedischen Karten des Stockholmi- 





Die bomännischen Erben. 



347 



sehen Messungs-Kontors, das kleine Kärtchen des Herrn von Maupertuis von 
Tori»ea bis über den Pohu kreis und einige ungarische Spezialkartiii Mico- 
vinis *). — 2. In Bezug auf kritische Weltbeschreibung sind die Ansichten de 
risle’s, Hase’a, vor allem aber d’Anville's massgebend*). — 3. Da die vor- 
handenen Quellen unzulänglich sind und gute Keise- oder Landbeschreibungen 
fehlen, so sind selbst die Hase’scben Karten (z. B. Ungarn, Kleinasien) voller 
Fehler; ohne Messungen sind richtige Karten unmögheb *). — 4. Nur die 
grossen Observatorien Europas sind mit ihren Längen- und Breitenbestimmungen 
zuverlässig ♦). 

Wenn man es mit den Karten, welche neben der Cassini’schcn angeführt 
sind, nicht zu genau nimmt, so wird man noch heutzutage wenig gegen diese 
Sätze einzuwenden haben; es war also auch richtig, wenn Franz behauptete, 
„dass man (in der deutschen Kartographie) ganz von fomen anfangen müsse‘^ *). 

Dies war aber so lange unthuulich, als nicht ganz andere Verhältnisse 
geschafFen waren. Franz musste sich daher begnügen, die Mittel und Wege 
klarzulegen, auf welchen man vorläufig wenigstens eine teilweise Reform unserer 
Kartographie en*eichen konnte, und zur Schafifung günstigerer Verhältnisse 
Fürsten und Publikum durch seine Vorschläge anzuregen. 

Nachdem Franz in der „Kurtzen Nachricht 1741“ erwähnt, die homäuni- 
schen Erben hätten den Vorsatz, nichts zu veröffentlichen, „es seye denn 
Gewissheit in der Sache“ *), und hätten das Bestreben, die Generalkarten aus 
möglichst vielen Spezialkarten zu verbessern*) , führt er diese Sätze in den 
„Homäunischen Vorschlägen“ 1747 näher aus und tritt mit seinen ferneren, 
in den späteren Werken noch erweiterten Plänen hervor. Landkarten, 
heisst cs im § 1 dieser Vorschläge, müssen nach astronomischen Bestimmungen, 
historischen Nachrichten und den Regeln der „Projectiv - Wissenschaft“ ge- 
zeichnet werden. Die beste Projektionsart sei Hase’s ,, stereographische Hori- 
zontal- Projection“ (§ 4). Zur richtigen Aufnahme von Specialkarten (durch 
Messung) seien tüchtige h'aclileute und gute Instrumente erforderlich (§§ 10, 11). 

Franz bleibt mcht bei dem stehen , was der „Erdmesskunst“ und der 
..Mappirungskunst“ not tluit. Der Erdmesskunst entspricht laut seinem § 22 
die „Erdbeschreibungskunst“, und beide zusammen bilden die „Weltbo- 
schreibungswissenschaft“. Diese, die kritische Weltbeschreibung, sei 
„in die Gestalt eines zusamincuhUngenden Lehrbegriffs“ zu bringen. ,,Dic 
Erdbeschreibung ist nichts anders als die Abschilderung eines Orts und Lands, 
wie sie sich in Absicht der Erdtläche und des Bürgerlichen Zustands der 
Menschen verhalten.“ Ort-, Land- und Reisebeschreibungen seien ihre Quellen, 
denen aber seit Strabo die urkundliche Glaubwürdigkeit fehle. Die Erd- 
beschreibungskuDst ist ,.eine Wissenschaft, die Ort- und Landbeschreibungen 
deutlich, ordentlich und vollständig zu verfertigen“; sie, wie die Wcltbe- 
schreibungswissenschaft überhaupt, komme am ersten dem zu, der stets mit 
wissenschaftlicher Mappierung sich beschäftige •). 

Es sei also am besten , die homännische Handlung zu erweitern , denn 
allein könne sie die geographischen Reformen nicht unternehmen, da man dazu 
„Leute, Geld und Patronen“ brauche *). Franz’ erster Vorschlag geht dahin, 
die homännische Handlung zu einem allgemeinen Messungs-Kontor 
in Deutschland, in so ferne es Länder-Messungen betrifft, zu privilegieren, nach 



*) Hom. V^orsdilÄgo 1747, § 16. 

*) Ibidem §§ 7, 18. 

•) Kosmogr. Nachr. u. Sammlungen auf d. J. 1748. p. 848 ff. 
*) Hom. Vorschläge 1747, § 5. 

Ibidem § 17. 

■) Kurtze Nachr. 1741, p. 6. 

^ Ibidem p. 8 f. 

•) Hom. Vorschläge 1747, §§ 18—23 u. §§ 26-28. 

») Ibidem § 38. 



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348 



Die homünnischen Erben. 



dem Muster des von Karl XI. gegründeten Stockholmlscben Messungs-Kontors, 
dessen Aufgaben seien : Aufsiclit über die Arbeiten der Landmesser in den 
Provinzen, Aufscblusserteiinng in Justiz- und Oekonomieangelegenbeiten an 
die Regierung, Mappierung des Landes und der Provinzen und Herausgabe 
der Karten. Anscbliessend daran bespricht Franz in Kürze den Nutzen eines 
„Staats - Weltbescbreibers“ in gewöhnlichen und in Kriegszeiten (zu 
juristischen Entsclieidungen, Strassenbauten, Grenzregulierungen etc.), den er 
im „deutschen Staatsgeographen“ (1753) weiter ausfUbrt, empfiehlt sodann, 
periodisch ein Verzeichnis aller für die Weltbeschreibungs-Wissenschaft wich- 
tigen Begebenheiten zu veröflFentlichen, und rät endlich, da er an staatliche 
Hülfe wohl selbst nicht glaubte, zur Beseitigung der erwähnten Mängel eine 
Gesellschaft zu gründen. Dieselbe solle 3 Klassen enthalten ; Aufgaben 
der 1. Klasse seien: 1. Errichtung eines Lehrgebäudes der Projektivwissen- 
schaft, 2. Anwendung derselben auf die Astronomie, 3. astronomische Be- 
obachtungen zu Ortsbestimmungen, 4. Anfertigung von Himmelsgloben, Stern- 
karten und geographischen Instrumenten, 5. Observationen der Neigung und 
Abweichung der Magnetnadel. — Aufgaben der 2. Klasse : 1. Landvermessung, 
2. Angabe der Grundlagen für die Erdbeschreibungskunst, 3. Lieferung neuer 
Land- und Ortsbeschreibungen, 4. Anfertigung von Landkarten, 5. Registrie- 
rung bürgerlicher und natürlicher Veränderungen, 6. Registrierung und Be- 
sprechung gcographisch-litterarischer Erscheinungen, 7. Sammlung geographi- 
scher Werke, 8. Besseruiigsvorschlägc , 9. Errichtung eines Lehrgebäudes der 
Weltbeschreibung, 10. Auskunftserteilung an Reisende. — Der 3. Klasse sollten 
die korrespondierenden Mitglieder angehören, welche mit Namensunterschrift 
versehene Mitteilungen aus ihren Spezialfächern oder aus ihren Erfahrungen 
einsenden sollten , insofern sic in Zusammenhang mit der Weltbeschreibung 
gebracht werden könnten. 

Sitz der Gesellschaft solle die homännische Handlung sein, ohne deren 
Genehmigung nichts solle veröflentlicht werden dürfen , und der Name , den 
die unter des Kaisers und der Fürsten Schutz zu stellende Anstalt dann 
tragen solle, sei „deutsche Akademie der Weltbeschreibungs- 
wissenschaft“'). 

Mit dieser Akademie, welche Franz später gleich der zu gründenden 
Gesellschaft eine „kosmograpbische“ nannte, sollte dann nach seinen Vor- 
schlägen vom Jahre 1753* *) eine „beständige Pflanzschule deutscher 
Ingenieurs“ verbunden werden, sowie eine mechanische Werkstätte zur 
Fertigung astronomischer und anderer Instrumente , unter Lowitz’ Direktion. 
Zur Anlegung einer Fachbibliothek , einer Landkartensammlung und eines 
Naturalienkabinets auf allgemeine Kosten (da man den kosmographischen 
Mitgliedern zu ihrer Mühe nicht auch noch die Unkosten zumuten könne), 
hatte F ranz schon im Jahre 1750 aufgefordert *). 

Es ist staunenswert, mit welcher Sicherheit Franz, dem freilich als aus- 
übenden Kartographen die Mängel seiner Wissenschaft tagtäglich auflällen 
mussten, die Ziele trifft, welchen die Geographie in den folgenden Dezennien 
von selbst zustrebte. Wie vieles liegt nicht in seinen Vorsclilägen , was uns 
erst die neuere und die neueste Zeit, wenn auch in anderer als der von Franz 
erwarteten Form gebracht hat! Indessen, mit seinen Ideen seinen Zeit- 
genossen und Landsleuten weit vorauseilend, vermochte er es leider nicht, sie 
zu Timten anzufeuern. 

Inwiefern er aber selbst versuchte, seine Worte zur That zu machen, 
das zeigen uns seine Projekte, 



*) Hom. Vorschläge 1747, §§ 89—45. 
*> Kosniograpb. Lotterie, p. VII ff. 

*) Kobci. Nachr., Vorrede. 



Die homänniscben Erben. 



349 



Laut Angabe auf einigen Karten und einem Titelblatt hat Franz in den 
Jahren 1739 und 1745 eine Anzahl historischer Karton von Hase, nämlich 
den späteren 5. und 6. Teil des „Atlas historicus“, auf eigene Kosten hcraus- 
gegeben. Ob nicht auch andere, unter der Firma „homännische Erben‘* er- 
schienene Kartenwerke auf Franzens alleiniges Risiko hergestellt worden, ist 
zweifelhaft; auf das zeitliche Zusammenfällen der Veröffentlichung einiger neuer 
Atlanten mit dem plötzlichen Anwachsen der Franz’schen Schuldenlast haben 
wir bereits hingewiesen. Von den folgenden Spekulationen nun kann man, obgleich 
auch sie nominell von den „homännischen Erben“ oder der „homännischen Offi- 
zin“ ausgingen, mit Sicherheit annehmen, dass sie von Franz ganz auf eigene 
Faust unternommen wurden, denn Ebersperger wurde nicht einmal in den 
schwierigsten Zeiten mit genannt, auch nicht hcrangezogeu , als es galt, die 
erwachsenen pekuniären Verpflichtungen zu bereinigen. 

Die erste der Spekulationen ist das Lowitz’sche Kugeluntor- 
neb m en. 

Georg Moritz Lowitz, geboren 1722 zu Fürth, ermordet 1774 von 
Rebellen an der Ilowla (Russland) '), wurde im Jahre 1746 von Franz, dessen 
einzige Schw'ester er im gleichen Jahre heiratete *), für die homännische Offizin 
gewonnen. Da er ein geschickter Mechaniker und Mathematiker war, lag es 
nahe, ihm die Anfertigung von Erd- und Himmelsgloben zu überti-agen. 

Von den Nürnberger Globen jener Zeit sind die von J. G. Puichner im 
Jahre 1728 nach Doppelmayor gefertigten erwähnenswert*). Sie sind im 
Durchmesser nur etwa 1 Fuss gross, entsprechen übrigens dem damaligen 
Stand der Wissenscliaft. Die Lowitz’schen Globen sollten laut ihrer ersten 
Ankündigung (15. Juli 1746), in welcher Lowitz nicht genannt wird, 3 Fuss 
im Durchmesser besitzen, sollten besser sein als die Coronellischen und sollten 
statt (w’ie diese) 500 Thaler nur 250 — 300 Thaler kosten, vorausgesetzt, dass 
sich mindestens 100 Abnehmer finden würden ; beigefügt war der Nachricht 
die Angabe, die bomäniüschcn Erben hätten bereits vor 15 .Tahrcn dem Witten- 
berger Professor Hase, dessen vier Weltteilkarten nun fertig geworden seien, 
den gleichen Auftrag gegeben ^). — Das Einfachste wäre nun gewesen, Hase's 
Weltteilkarten, aus welchen Lowitz als erste der wenigen von ihm für die 
homännische Offizin gelieferten Karten eine Weltkarte („Planiglobium^^, 1746) 
gezeichnet hat,^hne weiteres für die Globen zu benützen, so wie es im J^hrc 
1759 von seiten des J. Ph. Audreae geschehen ist*). Lowitz aber strebte 
nach dem möglichst Vollkommenen : „er warf bessere Dinge wreg , als ein 
anderer ausgefertigt hatte. So fing er freilich immer wieder von vorn an und 
wenn Hindernisse, üeberdruss und dergl. dazukaincu, so war umsonst gethan, 
was manclien verewigt hätte“ *). Er brachte also nichts fertig. Franz , der 
durch dieses Unternehmen „zu den Kosten der kosmographischen Gesellschaft, 
wie auch zur Tilgung der Schulden der homännischen Offizin Geld zu be- 



*) Büsebing, Nachrichten von neuen Landkarten, 1775. p. 57, 112. 

^ Rüge, aus der Sturm- und Drangperiodo der Geographie. (Zcitechrifl für wisjjon- 
fichaflliche Geographie, V. Jahrg., p. H5Ö.) 

*) Ihr Titel lautet: GlobuH terre«tris , in quo locorum insigniorum tritus terraeque 
faciea socundum praecipuae celcberrimorum nostri aovi Astronomorum et Geographicorum 
ohservatione« opera Jon. Gabr. Doppelmaynri . . . exhibentur, concinnatus a Job. Georg. 
Huxchner», Chalcogr. Norib. 1728. 

BQsching, 1. c. p. 58. 

*) Der Titel dieser ca. 3 Fuss im Durchmesser haltenden Globen ist: ,Hic marino- 
terrettris Globus dirigente pariter ac proenranto Johanne Philippo Andreae, Conimerciorum 
Commissario Pnncipis Serenissimi Brandenburgico-Onoldini , nec non Matheseos Cultore, 

juxta Venerandi Viri Johannis Matthiae Hasü principia de novo accuratissime de- 

signatus. muULs in locis emendutus, et propria manu dcscriptus est a Johanne Oeorgio 
Kambsio, Architocto. Schwabach ad Norimbergani. 1759.“ 

*} Hofrath Kästners Berichtigungen zu Lowizens Leben (Dcutschus Museum 1777, I. 
p. 2d0). 

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350 



Die homänniiicben Erben. 



kommen“ hoffte ') , suchte zunächst durch seine „homännischen Vorechläge“ 
(1747) das Interesse für die Geographie im Allgemeinen zu heben und dabei 
filr das „Kugehintcmehmen“ im besonderen zu wirken, indem er {§ 49) neben 
einer zu gründenden Kosmographischen Zeitschrift und Gesellschaft als Haupt- 
mittel zur Verbesserung der Weltbeschreibung ganz unvermittelt die Verfer- 
tigung grosser Weltkugeln nennt, unter Hinweis auf den „Kugelbericht“ vom 
15. Juli 1746. — Sodann erfolgte im Jahre 1749 die zweite Ankündigung 
der Globen : sie w ürden von Lowitz , Mitglied der kosmographischen Gesell- 
schaft , gezeichnet werden , das Paar 500 fl. kosten , und es sollten darauf 
36 Dukaten Vorschuss gegeben, die übrigen 84 Dukaten aber bei der Lieferung 
der Globen nachgezahlt werden. In der That wurde auf 25 Paar Globen 
vorausbezahlt ; cs liefen etwa 2000 Thaler ein. Davon gab Franz kleine 
Beträge zu Materialien und Lohn für die Arbeiter an Lowitz , welcher die 
bestellten Globen um 3 —4000 Thaler hcrstellen zu können glaubte, so dass 
4333 7j Thaler Gewinn übrig geblieben wären. „Es kam aber nichts zu 

Stande, und das vorausbezahlte Geld ging fort, ohne zu seinem Endzweck 
angewandt zu sein“ *). Als die Subskribenten ungeduldig wurden , erschien 
im Jahre 1753 zur Berichtigung eine dritte Nachricht über die Globen mit 
der Versicherung, dass dieselben die kosmographische Gesellschaft statt 500 fl. 
600 fl. kosten würden; es wurden auch Weltkugeln von 1 Fuss und solche 
von 5 Zoll im Durchmesser angekündigt. Nur die letzteren hat Lowitz vollendet 
Und zwar hat er sie schon im Jahre 1745 gezeichnet, den Himmelsglobus nach 
Flamsteed *). Zur Anfertigung der grösseren scheinen die von Franz gegebenen 
Beträge nicht ausgereicht zu haben. 

Nach der üebersiedelung nach Göttingen streckte die hannoveranische 
Regierung Lowitz 2000 Thaler zur Ausfühning der Globen zinsfrei vor, und 
Lowitz hat denn auch einen Teil der Segmente nach d'Anville’s Karten her- 
gestellt Zur vollständigen Austührung aber erklärte er noch der an Franz 
im Jahre 1749 als Vorausbezahlung eingelaufenen 2000 Thaler zu bedürfen; 
er erhielt dieselben auch (1759). Doch auch sie genügten nicht — uud die 
Globen sind nie fertig geworden. Die hannoveranische Regierung wusste sich 
ihren Vorschuss zurück zu verschaffen, die Pränumeranten aber sind um ihr 
Geld gekommen. 

Die zweite Hauptspekulation war 

die kosmographische Gesellschaft. 

Die ersten Vorschläge, welche in Deutschland zur Gründung einer geo- 
graphischen Gesellschaft gemacht worden sind (von Tenzel 1693 und von 
Hauber 1727), haben wir bereits in „J. B. Homann“ p. 14 erwähnt Haupt- 
zweck dieser Gesellschaft sollte nach Hauber’s „Gedanken und Vorschlägen, 
wie die Historie der Geographie, wie auch die von ihm vorgeschlagene geo- 
graphische Societät zu Stande gebracht werden möchte“ (Wolfenbüttel 1730), 
die Verbesserung der (poUtischen) Geograplüe von Deutschland, der Reiebs- 
geographie, sein, und zwar meint Hauber, p. 125, „dass es eben nicht nöthig 
seyn würde , sich zu gewissen einem oder dem andern etwa beschwerlichen 
Gesetzen einer eigentlich also genannten Societät, sondern nur zu einer ordent- 
lichen Correspondenz zu verbinden und dadurch einander zu communiciren, 
was von dem einen oder dem anderen zu der Verbesserung der Geographie 
von Teutschland und deren in Schriffteu und Land-Charten noch befindlichen 
Fehlern angemeicket worden“. Auf Seite 129 meldet er sodann : „Es haben 
sich auch bereits zu einer solchen Gesellschaft einige gute Freunde zusammen- 
gethan; mid wo noch andere von auswärtigen dazu zu treten belieben wollen, 
so erbiethe ich mich die Briefe und eiuseudende Nachrichten in so lange anzu- 



’) Hflsching, l. c. p. 58. 

•) Ibidem p. 59. 

■) V. .kosmogr. Lotterie* 1753 (resp. „Itecension der homänniechen geogr. Werke*) p. 43. 



Die honiäiinischon Erben. 



351 



nehmen und zu beantworten , auch bestens zu besorgen , dass solche zu der 
vorhabenden Absicht genutzet werden mögen, bis bey verhoffenden Zutritt 
mehrerer Mitglieder sich solche eine zu Führung der Correspondenz tüchtigere, 
und etwa in einer ansehnlichen Stadt >) wohnende Person wählen können ; von 
welcher die Nachrichten in Ordnung gebracht, und etwa Stückweise von einem 
halben oder ganzen Jahre zu dem anderen, als ein freywilligcr Beytrag zu der 
Reichs-Geographie und darmit verbundenen Historie und Jure publico ediret 
werden mögen.“ 

Ergebnisse der Thätigkeit dieser ersten deutschen geographischen Gesell- 
schaft sind nicht bekannt gewordcm, sie wird wohl kaum über die ersten 
Vorschläge hitiausgekommen sein. — Wenn man von den Verdiensten, die 
gewöhnlich der „kosmographischen Gesellschaft“ zugeschrieben werden , die- 
jenigen abzieht , welche der homänniseben Oftizin allein gebühren , so kann 
man — abgesehen von T. Mayer’s Abhandlungen — von dieser zweiten geo- 
graphischen Gesellschaft fast dasselbe sagen. 

Wir haben nur zwei Quellen, aus denen wir Nachrichten über die kosmo- 
graphische Gesellschaft schöpfen können. Die eine sind Btisching’s „Nachrichten 
von dem Professor Lowitz und von der kosmographischen Gesellschaft“ (1775)*). 
Die andere Quelle sind Franzens Schriften. In diesen, und zwar in seinen 
„Homänniseben Vorschlägen“ (1747) §§ 30 ff. findet sich zunächst der aus- 
führliche oben (p. 43) (largelegte Plan zur Gründung der Gesellschaft; im 
letzten, 53. Paragraphen derselben Schrift aber si)richt Franz von dieser 
Gesellschaft als einer bereits existierenden, indem er von einer anzufertigenden 
Karte von Deutschland erzählt: ..der Herr Professor Haase seel. arbeitete 
40 Jahr daran, und nach seinem Tod hat die Gesellschaft dieses Bemühen 
bis jetzo fortgesetzet.“ Sodann unterschreibt er am Schlüsse dieser Para- 
graphen seine Vorschläge : „Homannische Erben und übrige Mitglieder der 
Gesellschaft. Nahmer.s derselben: .lohann Michael Frantz..., Homännische 
Handlung, November 1747“. In der That bilden die „Vorschläge“ die Vor- 
rede zum Homannisch-Hasischeu Gesellschaftsatlas (1747); 
dessen Inhaltsangabe ja auch dem § 1 der „Vorschläge“ vorgedruckt ist. Er 
enthält Karten aus den Jahren 1737—1747 von Hase, Lowitz, Tob. Majer, 
Bochmc (nach Hase), Harenberg und .1. Jl. Franz: es ist fast die ganze 
später sogenannte kosmographische Gesellschaft, welche wir hier vor uns haben. 
— Professor Rüge führt in seiner Abhandlung : „Aus der Sturm- und Drang- 
periode der Geographie“ *) ausser den genannten noch Drümel , .1. H. Franz 
und Büsching an. Ersteren erklärt er seihst ftir bedeutungslos. Jacob Heinrich 
Franz, der später Miteigentümer der homänniseben Oftizin, war bis 1755 nichts 
als einfacher Buchhalter und ist zum kosmographischen Titel wahrscheinlich 
erst nach 1755 gekommen. Was es aber um jene Zeit mit der kosmo- 
graphischen Gesellschaft, und was cs mit Büsching fiir eine ßowandnis hatte, 
werden wir unten sehen. 

Erst vom .labre 1748 an werden auf den homänniseben Karten und 
Publikationen die Autoren des homännisch-hasischen Gesellschaftsatlas regel- 
mässig Mitglieder der kosmographischen Gesellschaft (zu Nürn- 
berg) genannt, demnach wäre dieses Jahr als offizielles Gründungsjahr zu 
bezeichnen. 

Nun schreibt Franz im Jahre 1753 *) : „Das Wesen der kosmogr,aphischen 
Gesellschaft war schon viele Jahre vorher, als obige Schrift („Hom. Vor- 



*) Haabcr hat Vorliegendes zu Stadthagen ini damaligen Herzogtum Braunschweig 
geschrieben. 

•) BOschings .Nachrichten von neuen Landcharten“, .1. Jahrgang. 1775, p. 57 tf. 

*) Zoitschrift für wissenschaftl. Geographie, 5. Jahrg. p. 240 ff. u. p. 355 ff. HozQg- 
lich der Lebeuslhufe der kosniogr. Mitglieder verweise ich auf diese Schrift. 

“) Recension der hom. Werke p. XXXVII. 

28 * 



Iw... 



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Die homännischen Erben, 



schlüge“ 1747) erschienen ist, unter uns eingerichtet, aber ira Verborgenen 
gehalten.“ Ein Grund zu dieser Geheimhaltung ist uns nicht erfindlich ; 
indessen sind wir über das Verhältnis der kosmographischen Mitglieder zur 
homännischen Offizin vor 1747 resp. 1748 unterrichtet und zwar durch Franz 
selbst. Er meldet uns nämlich im Jahre 1750’), Hase behaupte unter 
den kosmographischen Mitgliedern den ersten und ältesten Rang; sodann im 
Jahre 1747 *): Professor Hase „ti'at mit uns in ein zum besten dieser (Weltbe- 
schreibung.s-)\Vissenschaft entworfenes Bnndniss“ ; endlich erfahren wir 1750*), 
dass Hase, und nach ihm Tob. Majer, die Einrichtung und Mappierung der 
homänni.schen Karten besorgt habe. Während der Zeit, die zwischen Hase’s 
Tod und T. Majer's Eintritt in die homännische Offizin verfloss, hat Aug. 
Gottl. Boehme für die Offizin den Lasischen Nachlass verarbeitet. Lowitz 
endlich stand wie Majer im Dienste der Offizin. Von Harenberg's Stellung wissen 
wir nichts Näheres. Wir dürften aber der Walirheit sehr nabe kommen, wenn 
wir das geheimgebaltene Wesen der kosmographischen Gesellschaft vor 1748 
dahin definieren: die kosmographischen Mitglieder vor 1748 
waren bezahlte, zum Teil ständige Vertrags massige Mitar- 
beiter der homännischen Offizin, und zwar fast ausschliesslich für 
rein kartographische Zwecke. 

Es wird uns nicht gemeldet, dass nach 1748 diese persönlichen und 
geschäftlichen Verhältnisse eine Aenderung erfahren hätten. AVohl aber ist, 
abgesehen von ihrem öffentlichen Auftreten, das Wesen der kosmographischen 
Gesellschaft insofern ein anderes geworden , als neben den kartographischen 
Arbeiten auch allgemein geographische, resp. weltbeschreibende Arbeiten gelie- 
fert w urden. Das Ergebnis dieser zweiten Periode der Gesellschaft sind neben 
einer Anzahl Landkarten die „kosmographischen Nachrichten und Sammlungen 
auf das Jahr 1748“, herausgegeben 1750. 

Dieses Buch ist aufzufasseu als der 1. Band einer von den kosmo- 
graphischen Mitgliedern oder vielmehr von der homännischen Offizin heraus- 
gegebenen Zeitschrift, welche ihr einmaliges Erscheinen leider nicht überlebt 
hat. Ihrem Titel begegnen wir bereits in § 48 der „Vorschläge“ unter der 
Form: „Homännische Nachrichten und Sammlungen von der verbesserten 
Weltbeschreibung“ oder „Ejjhemerides et Memoires cosmographiques“. Laut 
Vorrede .sollte jeder Band zwei Abschnitte („Nachrichten und Sammlungen“) 
enthalten; der erste Abschnitt sollte Nachrichten bringen „über alles, was 
täglich für die AV’eltbeschreibungswissenschaft geschieht“, und zwar sollte er 
zuerst die homännischen Publikationen, sodann die übrigen besjircchen. Im 
zweiten Abschnitte sollten die kosmographischen Schriften der Mitglieder der 
Gesellschaft gesammelt werden. 

Die kosmographischen Nachrichten auf das Jahr 1748 entsprechen diesem 
Plane nicht ganz genau, da wegen Mangel an Platz (s. Vorrede) die nicht 
homännischen Publikationen nicht berücksichtigt werden konnten. Es sind 
also diese kosmographischen eigentlich nur „homännische“ Nachrichten, aber 
sie sind anderer Art als die in dem älteren Schriftchen gleichen Titels (1747). 
Waren diese eine mehr geschäftsmässige Aufzählung und Empfehlung aller 
homännischen Karten, so eriimern jene durch ihre Nachrichten von verschie- 
denen Landkarten viel mehr an die „Sciagraphien“, welche früher einigen 
basischen Karten (in lateinischer Sprache) teils zur Erklärung, teils zur Be- 
gründung beigegeben wurden. Auch finden sich darin einige Versuche 
der L:indes- oder vielmehr Ortsbeschreibung, welche, wie zu erwarten, das 
politische und historische Moment in den Vordergrund stellen, während Be- 



q Koem. Nachr. u. Sammlungen auf das Jahr 1743, p. 324. 
*) Hom. Vorschläge 1747, g ,ä. 

•) Kosm. Nachr. u. Sammlungen, p. 100. 



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Die hom&muschon Krbcn. 



353 



merkuDgen über die Bodenkonliguration ebenso allgemeiner Natur als selten 
darin sind. 

AVeit bedeutender als die „kosmographiseben Nachrichten“ sind die 
„Sammlungen“; sie bestehen aus 8 Abhandlungen, darunter 5 nicht karto- 
graphischen Inhalts von Tob. Mayer (1. Beschreibung eines neuen Mikrometers, 
2. astronomische Beobachtung der grossen Sonnenfinsteniiss 17-48 zu Nürnberg 
in dem homännischen Haus angestellt, 3. Beobachtung einiger Zusammenkünfte 
des Mondes mit Fixsternen 1747 und 48, 4. Abhandlung über die Umwälzung 
des Mondes um seine Äxc etc., 5. Beweis, dass der Mond keinen Uuftkreis 
habe). A’on den übrigen dreien sind uns .1. M. Franzens „A^orschläge , wie 
die Erdbeschreibung in Absicht Deutschlands zu verbessern“ als Fortsetzung 
zu seinen „Vorschlägen“ (1747) bereits bekannt, die andeni beiden sind .1. C. 
Harenberg’s „Beweisgründe über die Lagen und Ortsbestimmungen seiner Land- 
karte vom heiligen Lande, hgg. 1750“, und J. M. Hase's „Anmerkungen Uber 
seine Landkarten von den grossen AVeltreichcn“. Letztere sind eine aus dem 
Lateinischen übersetzte „Sciagraphie“ ; auch Harenberg’s ,, Beweisgründe“ ge- 
hören in diese Kategorie, sind aber viel breiter ausgeführt und haben vielleicht 
dem A'^organge von d’Anville's „Analyse geographique de l’Italie“ (1744) ihr 
Entstehen zu verdanken. 

Es ist kein Zweifel, dass die Abhandlungen Tob. Mayor’s, der auch den 
Druck der ,,kosmographischen Nachrichten und Sammlungen“ besorgt hat 
(v. Vorrede), den Hauptwort des AVerkes ausraachen. Sehen wir von ihnen 
ab , so bleibt in den „Nachrichten und Sammlungen“ sehr wenig übrig , was 
die homännische Offizin nicht nach ihren früheren Oeschäftsgebräuchen als 
Sciagraphia, tab. synoptica, Nachrichten und dergleichen auf eigene Faust 
hätte veröffentlichen können. Und daher ist denn auch, als Tob. Mayer 
im .Jahre 1751 aus der homännischen Offizin schied, die „kosmographische 
Gesellschaft“ in ihre rein kartographische Sphäre von vor 1748 zurück- 
gefallen. 

Franz hatte seine geographischen Reformvorschläge und den Plan zur 
Gründung einer Akademie im Jahre 1749 in AVien dem Kaiser Franz I. vor- 
getragen ; letzterem wurden auch die ..kosmographischen Nachrichten und 
Sammlungen“ gewidmet, er schenkte daher „zu Bestreitung der Akademio- 
privilegien“ 200 Dukaten '). Damit war nun freilich wenig oder nichts gethan 
— cs ist auch nicht bekannt geworden, wozu diese Summe verwendet worden 
ist — , und nachdem man dann ein paar Jahre von der kosmographischen 
Gesellschaft wenig Neues gehört hatte , trat B'ranz zur Zeit seiner höchsten 
Geldnot wieder an die Oeffentlichkeit 1. mit dem deutschen ,.Slaat8gcographus“, 
AVien 1753, in welchem Franz den Nutzen staatlicher Geographen nachweist 
und Lowitz ein Vermessungsverfahren angiebt, und 2. mit zwei Spekulationen, 
welche Geld für die kosmographische Gesellschaft einbringen sollten. Die erste 
war eine „kosmographische Lotterie“, 1753, durch welche von der 
kosmographischen Gesellschaft die Mittel zur Gründung der kosmographischen 
Akademie aufgebracht werden sollten. Die Gewinnste, hoffte Franz, wurden 
meist dem guten Zweck gewidmet werden , ja er hielt es für nicht unwahr- 
scheinlich, dass 2000 Personen je 200 (Julden dem allgemeinen Besten 
aufopfem würden*). Allein das kaiserUche Reichshofrats -Kollegium wollte 
das Privilegium mit 600 fl. bezahlt haben , und es ward nichts aus der 
Lotterie *). 

Bescheidener war der zweite Anschlag. Behufs „Grundanlage einer Aka- 
demie“ nämlich wollten die homännischen Erben der kosmographischen Gesell- 



q KoBmogr. Lotterie 1753, p. XIV. 
■) Ibidem p. III. 

*) Büechiag, I. c. p. 62. 



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354 



Die homRlmiscbcii Erbon. 



Schaft fiir Vorschleiss ihrer sämtlichen Werke (Preis 210 fl.) 
ausserpewülinlich hohe Provision gewähren, aber nur für mindestens 200 Käufer 
und unter der Bedingung, dass das kosrangraphische Direktorium in Nürnberg 
bleibe’). Noch hescheidcner war (ehenfalls 1753) der Auscldag, mit dem 
Dcutschluudsatlas als „lusinuatious- Mittel“ bei allen deutschen Fürsten uud 
Ständen herumzureisen , die kosroographischen Projekte mit der Bitte um 
Unterstützung derselben mündlich vorzutrageu •) — und dabei 750 Subskri- 
benten auf den Atla.s zu gewinnen ’). 

Es glückte gar nichts, und bald darauf wurden Franz durch eine Be- 
rufung nach Göttingen und die gerichtliche Ordnung seiner Vermögensver- 
hältnisse weitere solche Versuche empart. 

Ueber die kosmographische Gesellschaft in Göttingen citieren wir am besten 
BUsching’s eigene Worte *). Nachdem er erzählt , dass die Hannovcranische 
Hegierung „zur wirklichen An- und Einrichtung der kosmographischen Gesell- 
schaft“ 10(W Thaler geschenkt hatte , welche Rat Franz erhoben und „zu 
allerlei Notdurft“ verwandt habe, fährt er fort: „Die königliche Regierung 
ward ungnädig, dass die kosmographische Gesellschaft sich nicht tbätig be- 
zeigte . . . Franz nennete sich, Mayer, Lowitz und mich, die dirigirenden 5Iit- 
glieder der kosmograpliischen Gesellschaft, cs war aber keine Gesellschaft vor- 
handen , und also auch nichts zu dirigiron , ja unter uns selbst war keine 
Verbindung zum cosmographischen Zweck. Endlich versammleten wir uns 
einmal bei Franz, und verabredeten, dass wir Beyträge zur Cosmographic 
herausgeben weiten ; Mayer und Lowitz weiten das mathematische, Franz und 
ich das geographische besorgen. Franz übereilte sich, und liess aus dem auf- 
genommenen Protocoll, zu Leipzig bei Breitkopf eine Nachricht von diesem 
Vorhaben auf 4 Quäirtbogen drucken, ohne uns übrigen eher etwas davon zu 
sagen, als bis die Schrift abgedruckt war. Sie war nicht nach unserem Sinn 
gerathen, er musste die ganze Auflage unterdrücken, uud die cosmographische 
Gesellschaft ist ein Unding, ich weiss nicht, ob ich sagen soll, geworden, oder 
gebheben.“ 

In Güttingen also war die kosmographische Gesellschaft trotz Unter- 
stützung durch die Regierung und trotz kräftiger Reklame, die um jene Zeit 
von Paris aus für sie gemacht wurde ‘), nicht einmal zu einer Schein- 
existenz kräftig genug, uud sie wäre dies auch in Nürnberg nicht 
gewesen , wenn nicht die homännische Offizin die Mittel dazu bestritten und 
den Namen der Gesellschaft auf verschiedenen Publikationen genannt hätte 
(noch im .Jahre 1776!)*). Wenn ein Rückschluss von den Göttingischen Vor- 
gängen auf die Nürnbergischen erlaubt ist, so hat eben Franz hier seine 
wissenschaftlichen Mitarbeiter „kosmographische Mitglieder“ genannt — und 
der Name „kosmographische Gesellschaft“ ist daun nichts gewusen als ein 
Reklametitel für die homännische Offizin ; die „kosmographischen Nachrichten 
und äammlungen auf das .lahr 1748“ aber waren ein Versuch , die wirkliche 
Existenz der kosmographischen Gesellschaft uachzuweiseu , und die ganze 
Gründung batte den Zweck , auf allgemeine Kosten eine Erweiterung der 
homännischen Offizin zu einer unter Franzens Direktion zu stellenden kaiser- 
lichen Akademie herbeizuführen. — 

So sind denn Franzens Vorschläge, insofern sie Uber die Leistungsfähig- 
keit der eigenen Offizin hinausgingen , unfruchtbar geblieben ; das Kugelwerk 



') Reconsion der hom. geo^. Werke p. XXI f. 
’) Vorbericht zum Deutscblandsatlaa. 175S. 

*) Büsching, 1. c. p. 62. 

‘) Ibideu) p. 63 f. 

*) V. Rüge, 1. c. p. 360. 

*) Auf BÖbme*8 aScaztdivavia". 





Die homännischcii Erben. 



355 



ist gescheitert ; die kosmographische Gesellschaft bestand nur in der Zusammen- 
fassung mehrerer besserer bomännischor Publikationen unter einem neuen Schlag- 
wort. Gleichwohl haben diese Untersuchungen, ursprünglich vielversprechend, 
die Aufmerksamkeit der weitesten und besten Kreise auf Franz gerichtet und 
haben ihm die Titel Kat und Geograph des fränkischen Kreises , Rat 
und Geograph des Prinzen von Oranien , k. Grossbritanischer Kat und 
Professor der Geographie ') , eingetragen , dies freilich zu einer Zeit , als 
alle diese Spekulationen noch stolz emporragteu von dem soliden Unterbau 
der homUnnischen Offizin. Dass dieser aber sich zu einer beträchtlichen 
Höhe entwickelte, darin liegen die eigentlichen und thatsächlicben Verdienste 
Franzens. 



*) Hager, geogr. Bücheraaal I. p. 375. 




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Der mittlere Isonzo und sein Verhältnis zum Natisone. 

Ein Beitrag znr Lösung der Frage nach dem Alter des Isonzosystems. 

(Vorgl. Tafel 7 u. 8 im vor. Heft.) 

Von Otto Gumprecht. 

(ScIiIusb). 

Das Thal von Staroselo*). 

Dies ist das Thal, durch welches nach der Kandler’schen Hypothese im 
Altertum der obere Isonzo (unter dem Namen des Natisone) nach Robiö 
herUbergeflossen ist , um sich mit dem Mittel- und Unterlauf des heutigen 
Natisone zu verbinden. Es ist das Thal, von welchem Stur bemerkt hatte, 
dass man unsicher sei, in welcher Richtung man abwärts schreite. Er hatte 
die Strasse im Sinne, die an das nördliche Gehänge sich anschmiegt und in 
ilirem häutigen Auf- und Niederschwanken allerdings die 21 m, um die nach 
dem neueren Nivelloracnt Staroselo (256 m) sich höher stellt als Karfreit 
(235 m), nicht leicht zum Bewusstsein kommen lässt. Dazu tritt, dass die 
Einsenkung des Thals zwischen Höhenzilgo von 1000 m relativer Erhebung 
und mehr (nördlich Starski vrh 1138 m, südlich Matajur 1643 m) den Blick 
verführt, die Uneheuheiten und den allgemeinen Anstieg der Thalsohlc zu 
unterschätzen ; die Einwohner von Robic erhalten von Ende November bis 
Mitte Februar tbatsächlich keinen direkten Sonnenstrahl : so sehr steht ihre 
Niederlassung im Schatten des Matajur. Aber der Idria-Bach musste das 
Gefälle von Westen nach 0.stcn verraten und hat es auch an Kandier schon 
verraten; nur dass dieser das Wasser, welches sich in manchen Jahren zur 
Zeit der grössten Niederschläge zwischen Suzid und Staroselo anzusammeln 
pflegte, als in das Thal aufwärts getretenes Isonzo -Wjtsser erklärt, welches 
durch den Felssturz von Rohii allein gehindert werde, zum Natisone hinüber- 
zufliessen. Er ist irrig berichtet, oder wenn er selbst sah, so hat er gerade 
den Teil des Idria-Laufes, wo dieser Bach aus jenem Thal endgiltig hcraus- 
tritt, nicht gewürdigt und nicht gesehen. Der Idria-Bach, der in einem ge- 
schlängelten Unterlauf den Isonzo gegenüber der Rccica-Mündung bei 196 m 
(mittleren Isouzostandes) erreicht, befindet sich westlich der Terrassen von 
Karfreit, die sich um den Felsen 245 m scharen, auf einem von Norden nach 
Süden gerichteten und durch Regulierung au der Wende des vorigen Jahr- 
zehntes mehr gestreckten als verlegten Abschnitt in einer durchschnittlichen 
Meereshöhe von 230 m und verbindet dieses Ende seines Oberlaufes durch 
einen dreifachen Wasserfall von zusammen 9 m Höhe bei den Mühlen von 
Karfreit am oberen Ende einer engen und 350 m langen Schlucht, die er 
zwischen dem Felsen 250 m und der südlichen Bergwand ausgenagt hat, mit 
jener untersten Strecke, die ihn bis zur Mündung führt; auch weiter hinauf 
bis in das Qucllgebiet bei Staroselo ist dieser Bach in lebhaftem Flicssen 
bcgrifi’en. Was veranlasste nun die noch in den letzten Jahrzehnten häufige 
Ausbreitung des Wassers bei Su2id? Der Isonzo ist selbst in den grössten 

*) Dazu No. 5., 6. und 7. der Kartentafel. 




Der mittlere leonzo und ecin Verhältnie zum Natieone. 



357 



üeberschwemmungen dieses Jahrhunderts (1818 und 1844) in den Engen ober- 
halb Karfreit immer noch unter der dortigen Brücke , die 15 m tiefer hegt 
als der Markt , dnrchgeflossen und hat auch damals die Terrasse II. , auf 
welcher die alte Strasse nach Idersko angelegt war, nicht betreten; ebenso 
breitet er sich bei Idersko in den Üeberschwemmungen nur über den flachsten 
üfersaum aus und tritt nicht in die Maisfelder, die bei diesem Orte etwa */, 
des Zwischenraumes bis zum Isonzo besetzt haben. Die Strasse bleibt also 
überall von den Isonzo-Fluten verschont ; nur oberhalb der Brücke , wo sie 
ihren tiefsten Punkt innerhalb der Engen erreicht, hat sie einige Male unter 
Wasser gestanden. Um so mehr sind vor dem Isonzo sicher die höheren 
Terrassen und die Ortschaften Idersko, Mliusko und Karfreit, die alle unter 
Wasser stehen müssten, wenn die Üeberschwemmungen des Hauptflusses bis 
in die Gegend von Suzid hinauf stauend wirken sollten. Diese Bedenken gelten 
auch bis zur Römerzeit rückwärts. Denn in den Feldern des .lancz Manfrede 
stiess man vor etwa 5 Jahren an zwei Stellen, die mir auf den Terrassen III. 
und IV. vor Karfreit näher bezeichnet worden sind (vgl. No. 5. der Karten- 
tafel), auf Graburnen mit Bronzegeschmeide ; das einzige noch im Besitze des 
Grundeigentümers befindliche Stück war eine Fibel, die Marchesetti, in dessen 
Hände sie inzwischen übergegangen ist, mir als römisch bezeichnet’). Taramelli 
(Sugli antichi ghiacciaj u. s. w. S. 237) deutete die Ursache der Wasser- 
ansammlungen im Thale von Staroselo richtig an , wenn er „den schwierigen 
Ausfluss des Idria-Baches“ als solchen bezeichnet. Doch ist es nicht ein 
dauerndes, sondern ein periodisch durch die Hochwasser selbst bereitetes 
Hindernis gewesen, welches die sumpfige Grasfläche zwischen Suzid und Staro- 
selo in vielen Jahren zu einem See umschuf. Aus den Bergen hinter Svina 
kommt ein Wildbach, der Sjak, herunter, dessen Bette ira Hochsommer fast 
trocken liegt, der aber in der winterlichen Regenzeit bei seinem starken Ge- 
fälle aus den Moränenresten seines Oberlaufes leichtes und auch gröberes 
Material bis zu seiner Mündung in den Idria-Bach vorwälzend, die Gewässer 
der kleinen Idria eine Zeit lang aufzustanen im stände war, bis nach seiner 
allmählich eintretenden Beruhigung die erodierende Thütigkeit des Abflusses 
wieder die Oberhand bekam ; die an dieser Stelle aufgeworfenen Hügel haben 
eine Höhe von 4 m über dem Thalboden , das ansteigende Wasser erreichte 
von deg Strasse nur die tiefste Stelle *). Zwischen Staroselo und Robiö be- 
gegnet dann ein pyramidaler Haufen gröberer und gröbster GebirgstrUmmer 
(bis zu Zimmergrösse), der mit breiter Basis ziemlich lioch hinauf an der dort 
lotrechten Nordwand des Matajur sich anheftet und bei seiner ausschliesslichen 
Zusammensetzung aus dem Gestein des darüberstehenden Abhangs (Dachstein- 
kalk) und bei der allgemeinen Scharfkantigkeit seiner Blöcke als Felssturz zu 
gelten hat und eines der jüngsten Gebilde des Thaies darstellt. Die Wasser- 
scheide gegen den Natisone liegt dem letzteren sehr nahe, verläuft aber ziem- 
lich unregelmässig. Der Bergsturz gehört der Wasserscheide nicht an, sondern 
hat eine Rinne teilweise, aber nicht bis zur Unkenntlichkeit, zugoworfen, die 
zwischen dem Fuss des Matajur und einem flachen Hügel sich hinzog; über 
den letzteren führt die Strasse nach Robic, so dass sie die entferntesten 
Trümmer der Sturzhalde noch nördlich von sich lässt. Die Strasse von Robiö 



') Andere Funde . teilwoifle von vielleicht höherem Alter , eind bei der Idria- 
Regulierung genmeht worden: 1 Kupferhammer (vom Kupferschmied zu Karfreit z. T. 
verarbeitet), 1 Wage (? — nach Angaben der Gemeindebehörde), mehr odon weniger be- 
hauene halbverkohlte Balken (die Stücke, die ich aus den Seiten doa Bacheinschnittos 
herauBgezogen habe, schienen ohne Beziehung zu einander). 

*) Die Traversen, die man in den letzten Jahren durch das Bett des Sjak gelegt hat, 
werden ihn in Zukunft nötigen, seine Schuttmassen stufenweise abzuaetzen, ehe er den Thal- 
grund betritt. Seinen geschwollenen Wassern ist als Weg eine Brücke über dio Idria an- 
gowiosen worden, so dass er erst nach einem Umwege, dom nördlichen Berghango näher, 
meaee Flüsschen erreicht. 



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868 



Der mittlere Isonzo und sein Verhältnis sum Natisone. 



nach Cividalo geht zwischen der Matajur-Wand und dem Felsen Der hindurch 
nach dem Natisone hinüber und steigt hinter Robi6 noch an; von diesem 
Walle gelangt man mit ziemlichem Fall hinab an das Natisone Ufer, durch 
sumpfige Wiesen, deren Wasser zu dem letzteren Flusse abläuft. Demgemäss 
hat die Wasserscheide den Verlauf, der ihr in No. 7 der Kartentafel zu- 
gewiesen ist. Das Gasthaus von Robic, das östlichste Gebäude des Ortes, 
liegt an dem tiefsten Punkte der Wasserscheide, und ich setze es nach wieder- 
holter eingehender Betrachtung des Terrains zwischen Staroselo , Robic und 
Creda etwa 6 m niedriger als Staroselo ; das letztere hat nach dem der neuen 
österreichischen Generalstabskarte zu Gnmde liegenden Nivellement eine Meeres- 
höhe von 256 m, Creda 259 m. Hat Robiö die Höhenlage von 250 m, dann 
kann der Natisone-Spiegel am Felsen Der nicht mehr als 248 m haben (Bau- 
bella mass 776 Wiener Fuss = 245 m — vergl, v. Czörnig, Görz u. Gradisca 
S. 111 Anm.). Das Thal von Staroselo hat also, wenn man den Felssturz 
ganz ausser Acht lässt, eine entschiedene Neigung nach Osten, 20 m auf 5 km 
(von Robifi bis zur Idria-Brücke zwischen Svina und Karfreit, noch oberhalb 
der Mühlenfälle der Idria). Allerdings wird sie bedeutend übertroffen von 
dem Gefälle des Natisone-Thals zwischen St. Helena und RobiS, das sich etwa 
auf das Doppelte beläuft, beträgt aber selbst noch beinahe das Doppelte von 
dem Falle des Isonzo-Spiegels zwischen Punkt 198 m unterhalb Karfreit und 
Punkt 190 m unterhalb San Lorenzo. 

Sie genügt , um die Frage nach einem früheren Zusammenhänge des 
Isonzo mit dem Natisone so zu fassen : Ist der Natisone im Thale von Staro- 
selo dem Isonzo zugellossen und, wenn dies der Fall gewesen, warum thut er 
cs nicht mehr? In diesem Jahrhundert ist es nur bei den grössten Hoch- 
wassern (z. B. im Jahre 1844) geschehen, dass Natisone -Wasser um den 
Felsen Der nördlich herum, die Strasse überschreitend, bis in die Nähe des 
Felssturzes kam, um dort allmählich zu versickern. 

Was die neueste geologische Periode anlangt, so können ausser den 
jüngsten Ablagerungen des Thaies gewisse historische Funde durch ihre Lago 
Aufklärung geben. So ist in unmittelbarer Nähe des Gasthauses von Robiö, 
dessen Lage gerade an der niedrigsten Stelle der Wasserscheide schon Er- 
wähnung fand, bei der Fundamentierung der Gartenmauer in m Tiefe unter 
der gegenwärtigen Oberfläche ein cementiertes Doppelpflaster aus regelmässigen 
Steinen von der Grösse je 1 Quadratdecimeters angetroffen worden. Es wird 
mir von Professor Rutar in Spalato als ein römisches bezeichnet ; römische 
Münzen, ebenfalls in der Nähe des Gasthauses in gleicher Tiefe gesammelt, 
habe ich selbst gesehen : mehrere Bronzemünzen von der Grösse unserer Mark- 
stücke, aber noch einmal so stark, mit dem Zeichen SC auf der einen Seite, 
und eine Silbermünze mit der Umschrift Vespasian und seinem wohlausgeprägten 
Kopfe, am Rande zerschlissen, etwas kleiner als unsere Fünfzigpfenniger. Es 
ergiebt sich hier.aus zweierlei : 1. der Zuwachs von '/, m Boden seit der 
Römerzeit und 2. die Unmöglichkeit, dass ein Fluss seinen regebnässigen Weg 
in jener Zeit gerade hier genommen habe. 

Wie steht cs mit der geologischen Zusammensetzung der Oberfläche im 
Thalgrunde? Von dem Felsstürze und den Kennzeichen seiner Jugend war 
schon die Rede. Auf der ebenen Grasfläche zwischen Staroselo und Suzid 
lagert unter einer humosen Scliicht (0,25 m bei Punkt I. ; 0,.80 m bei Punkt II. 
auf No. 6. der Kartentafel) ein blauer Thon von grösster Zähigkeit, an P. I. 
bei 2,80 m Tiefe noch nicht durchsunken, an P. II, bis 1,80 m hinabgehend 
(hier bei 2,50 m fester Fels, darüber ungerollter Schutt). Ein Hufeisen bei 
0,55 m — klein und breit, wie sie auch in der Nähe von Karfreit bei der 
Idria-Regulierung gefunden wurden, und dadurch den Anwohnern sehr auf- 
fäUig — zeigt au, dass die Zusammeuschwemmung thoniger Bestandteile bis 
in die nächste geologische Gegenwart sich fortgesetzt hat. Gut verkohlte 
Holzreste, höchstens von Annstärke, deren Rindenschicht sich mit dem ein- 




Der mittlore Isotuo und iein Verhältnis zum Natisone. 



359 



hüllenden Ton leicht abhob , füllten , insbesondere bei P. I. , die Zone von 
1 — 2 m so reichlich an, dass sie an Masse den Thon fast übertrafen, und 
weisen in Verbindung mit der Mächtigkeit der Thone auf eine bedeutende, 
leider nicht näher bestimmbare , Ablagerungsdauer derselben hin ; dagegen 
schliessen sie die Deutung der Masse als Teil einer ürundmoräne aus. Es 
sind dies Sedimente des Stausees ; derselbe muss auch in der Vergangenheit 
eine häufige, wenn nicht regelmässige Erscheinung gewesen sein. Eine alleinige 
Benutzung dieses Weges durch den Natisone, die überdies unter allen Um- 
ständen einen höhern Stand des Natisone-Spiegels oder eine höhere Lage des 
Natisone-Bettes voraussetzt, würde entweder die Schaffung einer Barriere 
vollständig verhindert _ oder behufs der Abdämmung eine kräftigere Schutt- 
anhäufung durch den Sjak erfordert haben und statt eines reinen Thones wäre 
eine mit gröberen Geröllen durchsetzte Ablagerung bei dem gegebenen Gefälle 
und dem Qeröllreichtum des oberen Natisone-Thales unvermeidlich gewesen ; 
dagegen liesse sich, für eine Zeit vor der Existenz des Felssturzes bei Robic 
und vor derjenigen der römischen Niederlassung daselbst, die Möglichkeit einer 
mehr oder weniger regelmässigen Mitbenutzung des Thaies, neben der Haupt- 
strecke Robic-Stupizza , durch übertretendes Natisone-Wasscr nicht gänzlich 
in Abrede stellen. 

Noch fehlt uns die Aufklärung über das Material der flachen Hügel 
zwischen Staroselo und Robic (bis zu 10 m relativer Höhe über Robic an- 
steigend), die von Süden her von dem Felssturz teilweise überdeckt worden 
sind und die im übrigen dem Anbau von Getreide dienen. Bestehen sie etwa 
aus Natisone-Schottern, durch die sich der Fluss den Seitenweg nach Karfreit 
noch mehr erschwert hätte, als es vordem der Fall war? Nein. Sie zeigen 
an der Oberfläche einen braunen Lehm, reich an Geschieben, und dieser Lehm 
liess sich bei Schürfungen in der Nähe ihrer westlichen Abdachung funkte 
III. , V. VI.) bis zu n m unter ihren Rand hinab verfolgen ; bei P. III. 
nahmen die Geschiebe bis zu Centnerschwere zu. An den Punkten III. und 
VI. war der Lehm zuletzt mit feinstem Sande innig gemengt ; darunter stiess 
man bei Punkt III. auf den alten conglomerierten Flussschotter. Derselbe 
steht auch in dürftigen Resten hinter den westlichen Häusern von Robiö, an 
den Felsen Der gelehnt, an. Der P. IV., eine versuchsweise angelegte und 
wieder ausgefüllte Lehmgrube, hatte, nach den Mitteilungen der Besitzer, nur 
weissen Kalkschutt von dem steilen Matajur-Abhange ergeben. Bei der nach- 
gewiesenen früheren Vergletscherung des Thaies spreche ich jenen Geschiebe- 
lehm als einen Moränenrest an. War es doch bei P. VII. , wo ich gekritzte 
Geschiebe fand, und begegneten mir auf dem Felsen Der, der bloss aus Dachstein- 
kalk besteht, unter anderen auch grössere oberkretaceische Geschiebe. Ein 
grösserer Moränenrest (darunter gekritzte Geschiebe) lag oberhalb Svina. Ver- 
einzelte Geschiebe, eirund , von Haudgrösso , kretaceisch , trifft man auch am 
Nordabhange über Karfreit und Staroselo an, neben dem vorherrschenden 
eckigen Gehängeschutt, und sind die vom Südabhange auffällig abgesetzten Hügel 
bei Suzid zwar kein Gletscherschutt, sondern fester Kalk mit geringfügiger Ver- 
witterungskruste und dürftiger Berasung, so sind sie doch durch ihre Rundung 
Mitzeugen der V'ergletscherung ‘) des Thaies ; dasselbe gilt von dem kleinen 
Felsen, hinter welchem der aufgegebene Ziegelofen gegenüber Staroselo liegt. 



*) Das Vorschreiten des Gletschers erfolgte vom Isonzo her. Die Kämme im Quell- 
gebiet des Natisone sind nicht hoch genug, um selbst Gletscher gezeitigt zu haben, und 
dass vom Monte Kanin die Glet.scherniassen über das Thal der L'ceca und die Kette dos 
Stol hinweg in das Gebiet des Natisone gereicht hätüm, dafür müssten erst Thateachen bei- 
gebracht werden. Dagegen fand sich der Isonzo-Gletachor nach üeberschroitung der Hohe 
von Sant Antonio gleichzeitig vor da» nach rechte ziehende Thal von Staroselo und das 
halblinks gewendete von Karfreit-Tolmein gestellt und konnte leicht eine Teilung bewerk- 
stelligen. Uei der postgtaeialeu Erosion wurde der Gletecberschutt des oberon Natisone- 
Thales durch den Felsriegcl vom Monte Mia nach der Gegend von I'otocki hinüber, den 
der Natisone in der Schlucht Coritto (« Trog) durchbrochen hat , in boträchtlichor Moese 




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860 



Der mittlere Isoozo und eoin Vcrfaältziia zum Natisone. 



Es hat in der ganzen postglacialen Zeit das Thal dem Natisone nicht 
zu regelmässiger Verfügung gestanden. 

So klein die Reste diluvialer Nagelfluh hei Rohic sind, so kombinieren 
sie sich doch mit jenem grösseren neben der Kirche von Svina festgestellten 
Vorkommnis , das wegen der schönen Ahrollung seiner Fragmente durchaus 
nicht als Werk eines Wildbaches, eines Vorläufers des Sjak, erscheinen kann, 
sondern nur als die Schöpfung eines Flusses, der auf einem längerem Wege 
sich mit der Abschleifung von Gerollen befassen konnte. Danach muss das 
Thal von Staroselo in präglacialer Zeit in der That ein Weg für den Natisone 
gewesen sein. Vielleicht sogar lange Zeit der einzige Weg; nur hat die 
Erosiou den Einschnitt Pulfero-Stupizza-Robiö ganz sicher auch bereits in 
einer präglacialen Zeit bis an den Nordabhang des Matajur und des Monte 
Mia fertiggestellt, da die diluviale Nagelfluh (horizontaler ceppo) des unteren 
Natisone bis über Pulfero, bis Loog, heraufreicht, wo seitlich nur mehr AVild- 
bäche dem Hauptflusso zukoramen. 



Schln.SK. 

Die Reihenfolge der hydrographischen Veränderungen im Gebiet des 
mittleren Isonzo und des oberen Natisone würde sich nach unseren Aus- 
führungen folgendermassen stellen : 

1. Der Natisone benutzt das Thal von Staroselo, um dem Isonzo zu- 
zufliessen — nach Abschluss der Tertiärzeit. 

2. Das Rückwärtsgreifen des Flusses von Pulfero-Stupizza-Cividale lenkt 
den Natisone, mindestens zum Teil, nach Süden ab — während der prä- 
glacialen Periode. 

3. Der Isonzo-Gletscher erfüllt das Isonzo-Thal bis Sela und weiter 
hinab und sendet einen Arm durch das Thal von Staroselo und das obere 
Natisone-Thal bis Sedlo und Logje. Die Gletscherwasser fliessen durch das 
Isonzo-Thal und durch den Einsclmitt Robic-Stupizza ab, vielleicht auch noch 
durch die Predol-Schlucht — in der Glacial-Periode. 

4. Der Natisone bevorzugt den Weg nach Stupizza. Es bildet sich im 
Thal von Staroselo der Idria-Bach als ein besonderer Nebenfluss des Isonzo, 
häuflg zu einem See aufgestaut durch den Schutt des Sjak. Ein Felssturz er- 
höht die Abgüederung dieser Thalstrccke — in postglacialer Zeit. 

Im späteren Altertum bestand schon das gegenwärtige Verhältnis. 



fost^chalteo. Bei der H(Sbonlage der Hofite ist der Gedanke Taramellis nicht abeuweisen, 
dsMi die Schmelzw&Bser nicht nur über Kobie-Stupizza ihren Ausweg fanden, sondorn auch 
durch die PredobSchlucht. Gegenwärtig ist dicaelbo nur mit kantigen Trümmern der eigenen 
Steilwände erfüllt. 







Orometrische Studien im Anschiuss an die Untersuchung 
des Kaiserstuhigebirges. 

Von Dr. Ludwig Neu ni ans, 

ProfsMor am Gfmoaslam and Dosent der Erdkando an der UnivertlUit Fr«ibur)( L B. 



(Schluss.) 

IV. Thalhöhe und Verwandtes. 

Zur orometriachcn Charaktorisierung der Thäler ist vor allen Dingen die 
Bestimmung des Thalanfanges und Thalendes nötig. Ich habe mich an andrer 
Stelle *) über diesen Punkt soweit ausgesprochen , dass die Sache hier nur 
kurz behandelt zu werden braucht, und das um so eher, als prinzipielle Gegen- 
sätze in den neuem orometrischen Arbeiten *) nicht hervorgetreten sind. Der 
Thalanfang liegt dort , wo das Thalhintergehänge sich mit den Seiten- 
gehängen verschneidet, welcher Punkt meist leicht auch daran erkannt werden 
kann, dass in ihm der Thalbach aus radial zusammenströmenden Wasseradern 
seinen Anfang nimmt bei merklich schwächerem Gefälle , als es oberhalb zu 
beobachten ist. Nach diesen Merkmalen lassen gute Höhenschichtenkarten 
den Thalanfang stets sehr deutlich erkennen, und folgen sich die Hohen- 
scbichten wie bei der badischen topographischen Karte von 10 zu 10 m, so 
ist er sozusagen mit absoluter Sicherheit fcstzustcllen, oft sogar besser als mit 
dem Aneroid an Ort und Stelle. Den Thalanfang auf dem wasserscheidenden 
Kamm anzunehmen, wie das Sonklar in einigen älteren Arbeiten vorgeschlagen 
hat, ist im allgemeinen jedenfalls unrichtig, und der Autor dieser Anschauung 
hat dieselbe später selbst aufgegeben. Nur im Falle der Thalwasserschciden ’) 
wird man den Thalanfang bis zur Höhe des wasserscheidenden Flachrückens 
znrückverlegen dürfen. 

Als Thalende muss, wenn ein Seitenthal in ein schmales Hanpt- 
thal ausmündet, die Vcreinigungsstelle der betreffenden Gewässer gelten. 
Oeffnet sich aber ein Thal in ein breites Hauptthal oder in eine Ebene, 
so ist das Thalende der Punkt, bei welchem die Verbindungsgerade der End- 
punkte beider Seitengehänge den Thalbach schneidet. Hiernach bestimmt sich 
auch die Thallänge, die in der Horizontalprojektion längs des Wasser- 
laufes zu messen ist, wobei aber nur diejenigen Krümmungen berücksichtigt 
werden dürfen, welche die das Thal begleitende Kämme mitmachen. 

Das schon genannte einzige Thal des Kaiscrstuhls, dasjenige des Krotten- 
bachs, nimmt seinen Anfang genau bei der 320 m Isohyphe unterhalb Vogts- 
burg. Als Thaleude habe ich der Einfachheit halber die Mündung des Krotten- 
bachs in den Krebsbach gewählt, die bei 188 m Höhe etwa 0,1 km jenseits 
der unser Gebirge begrenzenden 190 m Isohyphe liegt. Doch macht die 
Höhendifferenz nur 2 m aus, sic ist also unwesentlich. 

Zur Bestimmung der mittleren Thalhöhe, d. h. derjenigen Höbe, welche 
das ThalprofU bei horizontaler oberer Begrenzung und Beibehaltung seines 



9 Neumann, L 8. 21. 

•) Vergl. s. B. GsaUer, I. S. 129-131. 

*) Ueber diese siehe u. a. Fhilippson, L 8. 80 ff. 



L . 



I 



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362 Oromotrische Studien im Anschlusa an die Untersuchung des Kaisersiublgehirges. 



Areals erhält, entwarf ich mit Zugrundelegung der Höhenkurven von 190 bis 
320 m, d. b. mit 14 Fixpunkten auf Millimeterpapier ein Profil im Liingen- 
mafsstab der Karte (1 : 25000) und im Höhcnmafsstab 1 ; 10000. Fig 2 
giebt eine verkleinerte Wiedergabe dieses Profils. Die Thallänge beträgt 
6150 m. 

Dass die mittlere Tbalböhe nicht einfach das arithmetische Mittel aus 
den Höhen des Thalanfanges nnd Tlialendes ist, liegt bei der Möglichkeit der 
allerverschiedensten Gefalle zwischen diesen zwei Festpunkten klar zu Tage. 
Sonklar bestimmt sie daher als Mittel aus möglichst glcichmässig ver- 
teilten Höhenpunkten. Als solche wählte ich die Schnittpunkte der Profil- 
linie mit den Isohyphen, liess aber im Interesse gleichmässiger Abstände einige 
Punkte aus; es ergab sich als Mittel der Höheupunkte 188 , 200 , 210 , 220, 
230, 240 , 250 , 270 , 290 , 320 m, der Wert 241,8 m, welche Zahl aber zu 
gross ist, weil trotz der Auslassungen die höher gelegenen Isohyphenpunkte 
etwas näher bei einander liegen als die tiefgelegenen. 

Ich bestimmte darum die Höhen von 25 äquidistanten Punkten, im je- 
weiligen Abstand von 0,250 km. Aus ilinen ergab sich die mittlere Thalhöhe 
zu 6235 : 26 — 239,8 m. Auch diese Zahl ei-scbeint noch etwas zu hoch, 
weil der letzte Punkt (320 m) vom vorletzten nur um 0,175 km abstebt. 
Wird dieser Punkt ausser acht gelassen, so folgt 5915 : 25 = 236,6 m, welche 
Zahl nunmehr zu klein ist, da bei ihrer Bestimmung der höchste, allerdings 
sehr kleine Teil des Profils vernachlässigt wurde. 

Zu einem wirklich zuverlässigen Wert für die mittlere Thalhöhe kann 
wie bei der Kammhöhe nur das Profilareal führen. Nach der oben ent- 
wickelten zweiten Methode der Karamhöhenbestimmung ergab sich aus den 
durch die Höbencoten bestimmten 14 Trapezen 1 463 750 : 6150 = 238,0 m, 
und nach der vierten Methode aus den durch die 25 äquidistanten Punkte 
und den Thalanfang gegebenen 25 Trapezen 1 463 700 : 6150 -- 238,0 m, also 
genau derselbe Wert, nebenbei ein Beweis für die Kichtigkeit der Bestimmung 
der äquidistanten Höhenpunkte aus dem gezeichneten Profil. 

findlich benützte ich in ähnlicher Weise wie bei der Ermittelung der 
Kammhöhe das Planimeter und fand 591,2 Einheiten, woraus sich die mittlere 
591.2 . 24 74,2 ,,,, , 

Thalhoho zu STah ~ 237,8 m ergab. 

OlOU 

Die grössere Uebercinstimmung dieser drei letzten Resultate gegenüber 
denjenigen bei der Kammhöbenbestimmung erklärt sieb aus dem Verlaufe der 
Protilbnie von einem Hölienpunkt bis zum nächsten , welcher ohne nennens- 
werten Fehler als geradlinig angesehen werden darf. Es wird also, wenn das 
Thalprofil einmal gezeichnet ist, das Planimeterverfuhren am mühelosesten zu 
sicherem Ziele führen. 

Hier ist cs am Platz, in Kürze einer Untersuchung zu gedenken, auf die 
mich vor etwa zwei Jaliren die Lektüre eines Aufsatzes von Dr. A. Philipp- 
son : „Ein Beitrag zur Erosionstheorie“ *) gefülirt hat. Durch Philippson 
wurde ich nämlich darauf aufmerksam gemacht, dass nach Dünkelberg*) der 
Schweizer Ingenieur Oppikofer „aus dem Längenprofil des Rheinstroms an 
der St. Galler Grenze bis zum Bodensee das Walten eines ganz bestimmten 
und klaren Naturgesetzes dahin uachzuweisen sucht, dass dieses Längenprofil 
in seiner Hauptform in einer Cykloidc verlaufe. Die interessanteste und 
wichtigste Eigenschaft der Cykloide und der Grund , warum die geschiebe- 
führenden , siel) selbst ihre Sohle bildenden Flüsse dieselbe einzulialten be- 
strebt seieu, sei jedoch die, dass auf oder in derselben ein Körper in der 
kürzesten Zeit von einem höheren zu einem niedrigeren 

*) PhiüpMon, II. 8. 67—79. bes. S. 72. 

*) Ddnkeibcrg, die KuUurtccbnik in ihrer sTStematischen Anwendung aufVomrlberg. 
Bonn 1S7S. 8. 64. 



Orometrüche Studien im Anschluss an die Cntcrsuchung des Eaiserstublgebirges. 363 



und entfernteren Punkte herablaufo, weshalb sie auch Brachistochrone 
oder Linie der kürzesten Kallzeit genannt werde.“ 

JJnn war ich zwar selbstverständlich mit Philippson ‘) und mit allen, 
die sich mit der Frage nach der Erosionsterminante beschäftigt haben , von 
vornherein der Ansicht, dass zur mathematischen Bestimmung derselben „die 
zwei Haupthedingungen fehlen : erstens die genaue Feststellung des Verhält- 
nisses von Wassermasse und Wa.sserkraft und des Verhältnisses der Wasser- 
kraft zu einer gewissen mittleren Widerstandsfähigkeit der Gesteine ; zweitens 
genaue Messungen der Wassermasse in Einzelfällen.“ Geleitet von der Er- 
kenntnis, dass ein von der yucllo bis zur Mündung an Wassermasse zunehmender 
Fluss bestrebt ist, sein Gefalle in eine Kurve zu bringen, welche sich von 
oben nach unten stets verflacht, konnte ich cs mir trotzdem nicht versagen 
zu untersuchen, inwieweit die Profile grosserer und kleinerer Wasserlüufe in 
den Alpen, in der Schweizer Hochebene, im Schwarzwalde und in der Rhein- 
ebene sich der Cykloide anschmiegen. Ungefähr 20(1 Flussprofilc wurden 
nach den topographischen Karten konstruiert und dazu jeweils diejenige 
Cykloide berechnet, welche in der Erosionsbasis, also bei der Mündungsstelle 
des Flusses in einen See oder in einen wesentlich grösseren Wasserlauf, ihren 
tiefsten Punkt und in diesem eine horizontale Tangente besitzt, während sie 
ausserdem durch den oberen Anfang des betreö'enden Thaies bezw. der be- 
treffemlen orographisch einheitlich gebauten Thalstrecke gelegt ward. 

Die Resultate dieser etwas langwierigen Rechnungen habe ich in einem 
vor der badischen geographischen Gesellschaft zu Karlsruhe im Februar 18H7 
gehaltenen Vortrage bekannt gegeben aber nicht weiterhin publiziert, da sie 
zu keinen sichern Schlüssen gefülirt haben, also wesentlich negativ ausgefallen 
sind. Allerdings liessen sich in Beziehung auf die Cykloide als hypothetisch 
angenommene Erosionsterminante die Längs- und Querthäler in geologisch 
jungen Faltengebirgen , die Thälcr in Horsten , auf ungestörten oder wenig 
geneigten Schichtflächen und auf Alluvionen in gewisse, deutlich gesonderte 
Typen abteilen. Im Gegensatz zu unfertigen Tliälcru, in denen der rück- 
schreitenden Erosion noch gewaltige Arbeit harrt, fand ich sehr viele Wasser- 
läufe, deren Profil von demjenigen der oben definierten Cykloide wenig oder 
gar nicht abweicht. Besonders gilt dies bei Flüssen, die auf ihren eigenen 
Geschieben gebettet sind. So liess sich z. B. die Rheincykloide vom Boden- 
see mit minimalen Abweichungen bis Thusis verfolgen, ebenso wieder von 
der Aaremündung bis Basel, auch die Lorze, Reuss, Suhr u. a. m. entsprachen 
sehr gut. 

Für den hier zu behandelnden Gegenstand ist von den vorstehenden 
Andeutungen nur das eine wesentlich , dass , wenn ein Thalprofil nahe mit 
einer mathematischen Kurve übereinstimmt, die mittlere Thalhölie durch ein- 
fache Integration ermittelt werden kann. 

Ist p der Radius des die Cykloide erzeugenden Kreises, so wird die 
Gleichung der Kurve, bezogen auf die durch die Erosionsbasis gelegte Hori- 
zontale als Abscissen- und die im gleichen Punkt errichtete Senkrechte als 



Ordinatenaxe, j/ = .^ •), wobei s die Länge des Kurvenstückes vom Koordi- 
8(1 

natenanfang bis zu einem beliebigen Kurvenpunkte (x, y) bedeutet. Wird nun 
s als Funktion von x und y entw'ickelt, so kann man alle Glieder höherer 
Ordnung deshalb vernachlässigen , weil beim Flussprofil die Ordinaten gegen- 
über den Abscissen sehr klein sind , und man darf daher ohne wesentlichen 

Fehler setzen y — Bezeichnen wir die Koordinaten des Thalanfanges mit 

l und h (Thallängc und Höhe des Thalanfanges über dem Thalende), so ist 



*) Philippeon, U. a. a. 0. S. 78. 

•) Vergl. hierüber z. B. Schell, S. 403, 



1 






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364 Orometmche Studien ün Anschluss an die Untersuchung des Kaiserstohlgebirges. 



l* h 

auch h = TT—, woraus folgt y = . x* ; unsere Cykloide ist also tou einer 

o ^ t * 

Kurve 2. Ordnung, und zwar von einer Parabel nicht nennenswert verschieden, 
die DifTerenzen der Ordinatcn machen sich bloss in den Decimalen geltend. 
Bezeichnen wir weiter das Areal des Thalprofiles über der durch die Erosions- 
basis gelegten Horizontalen mit F, die Meereshöhe der letzteren mit A, und 
die absolute mittlere Thalhöhe mit so ist nun 

A„, = Ao + ^ = /*o + a; = Ao -f- -j- . .yir' (Za: = Ao -f y A. 



Man findet also die mittlere Thalhöhe, indem man zur Höhe des Thalendcs 
den dritten Teil des Thalgefiilles addiert. 



Für unser einziges Kaiserstuhlthal crgiebt sich so 



188 -f 



320 — 188 
3 



232 m, d. h. eine Abweichung von — ß m, während die Sonklarsche Methode 
eine solche von -J- 4 m ergeben hatte. Bei Dutzenden der untersuchten Thäler 
aus den oben genannten (lebieten stieg die Abweichung , sei es positiv oder 
negativ, nicht über 2 oder 3 m. Ist daher bei einem AVasserlauf durch 
Zeichnung seines Profils festgestellt, dass er sein Gefälle von der Quelle bezw. 
vom Thalanfang bis zum Thalende in der Hauptsache stets vermindert, und 
handelt es sich nur um einigermassen augenäherte Bestimmung der mittleren 
Thalhöhc, so mag das angegebene V’erlähren eingeschlagen werden. 

Es wäre dringend zu wünschen, wie dies auch auf dem siebenten deut- 
schen Geographentag in Karlsruhe von Honscll ') ausgesprochen wurde , dass 
die Geophysiker sich mehr mit hydrologischen Problemen befassten ; ein Ding 
absoluter Unmöglichkeit ist es doch am Ende nicht für alle Zeiten, wenigstens 
in bestimmten Einzelfällen den aualytischen Ausdruck für die Gleichgewichts- 
figur einer Flusssohle abzuleiten. 

Aus der mittleren Thalhöhe der Einzclthäler eines Gebirges leitet 
Sonklar •) in seiner allgemeinen Urographie ebenso wie in den vorangegangenen 
orometrischen Monographien“) die mittlere Sockelhöhe (oder Thal- 
höhe) einer Gebirgsgruppe bezw. eines Gebirges genau in derselben Weise 
ab, wie die mittlere Kammhöhe des Gebirgsganzen aus derjenigen seiner Teile 
berechnet worden ist. (cf. oben S. 332.) 

Die Differenz zwischen der mittleren (absoluten) Kammhohe und Sockel- 
höhe eines Gebirges nennt Sonklar die mittlere relative Kammhöhe 
desselben. Hiernach zerfällt nun das ganze Gebirge in zwei wesentlich ver- 
schiedene Teile. Der erste ist der Gebirgssockel, nämlich derjenige 
prismatische Körper, der unten vom Meeresniveau und oben von einer dazu 
in der mittleren Sockclhühe parallel gelegten Ebene begrenzt ist und das 
ganze Gebirgsareal zur Grundfläche hat. Der zweite Teil besteht aus den 
Gebirgskämmen, welche die Idealgestalt liegender dreiseitiger Prismen 
besitzen; ihre Länge ist gleich der Gesamtlänge aller Kämme, ihre Höhe 
gleich der mittleren relativen Kaminhöhe, und ihr Neigungswinkel gegen die 
Horizontalebene ist erst noch zu bestimmen (siehe den folgenden Abschnitt). 

Nach den hier zusammengestellten Daten berechnet Sonklar in leicht 
übersehbarer Weise das V'olum des Gebirges. Nun scheinen mir aber sowolü 
die mittlere Sockelhöhe als ganz besonders der prismatische Gebirgssockel 
Sonklars Grössen von höchst problematischem Werte zu sein, wcslnalb auch 



*) Honecll, S. 52. 

•) Sonklar, 8. 187 ff. 

■) Sonklar, 8. 176 Anm. — ... Es ist bei Günther in seiner Bosproebung meiner 
Schwarzwald-Orometrie (Nuturw. Rundschau vom 18. Jan. 1887. Nr. 1 u. 2, S. 5.) ein kleines 
Versehen unterlaufen, wenn er mir die NeuoiufÜhning der Sockelkühe zuschreiht. Diese ist 
bei Sonklar (1. c. S. 187) aufs unzweideutigste vorhanden. 




Orometrischc Studien im Anschlust' an die ITntersucbung des Eaiserstuiilgebirgea. 365 

die Volumetrie der Gebirge durchaus auf andere Grundlagen aufgebaut werden 
muss, ganz abgesehen von dem ebenfalls sehr unsicheren mittleren Neigungs- 
winkel der Kammgehänge. 

Zunächst lässt sich alles, was Seite 332 über die mittlere Kammhöhe 
eines Gebirges entwickelt wurde, ebenso über die mittlere Sockel-(Thal-)Höhe 
desselben aussprechen. Dieselbe hat nur wirkliche Bedeutung für kleinere, 
in allen Teilen gleichartig gebaute Gebirgsgruppen , nicht aber fiir solche 
Komplexe, welche sich aus relativ hohen und niederen Teilen zusammeusotzen. 
Ist es doch sicherlich gegen jede naturgemässe Vorstellung, zur Fixierung der 
Sockelliühc Thäler zu benutzen, welche im Mittel hoher liegen als die Kämme 
einer anderen Gruppe desselben Gebirges, die zur Ableitung der Kammhöhe des 
Ganzen verwendet worden sind. Diese TJeberlegung führt uns darauf, dass 
das Berechnen von orometrischon Mittolwcrteu fiir ganze Gebirge und grössere 
Teile derselben seine Grenzen hat, Es ist viel richtiger, die Einzelindividueu 
in grösserer Anzahl bestehen zu lassen und für sie getrennt die orometrischon 
Charakteristika zu geben, als Mittelwerte auszurechnen, für welche die greif- 
bare Vorstellung notwendigerweise verloren gehen muss. 

Aber nicht nur die 8ockelhöhe, auch der oben gegebene Begriff des 
prismatischen Gebirgssockcls ist falsch. Die Höhenkurven eines jeden Gebirges, 
auch wenn es teilweise Plateancharakter haben sollte, umschliessen nach oben 
zu immer kleinere Areale. Die obere Grundfläche des Souklar’schen Sockels 
ist daher in allen Fällen kleiner als die untere , der Körper kann also nicht 
mehr prismatisch genannt und unmöglich als Prisma volumetrisch berechnet 
werden. Dazu kommt noch weiter der Umstand, dass die untere Grundfläche 
des Gebirges im allgemeinen nicht im Meeresniveau liegt. Sehen wir dieses 
Verhältnis am Kaiserstulil etwas genauer an. Derselbe ragt, wie schon er- 
wähnt, über der rund 200 m hoch gelegenen Ebene des Rheinthaies auf. 
Die Geröllmassen desselben haben eine nicht genau bekannte Mächtigkeit, 
unter denselben liegen all die zwischen Schwarzwald und Wasgau vielleicht 
1200 bis 1500 m tief abgesunkenen Sedimente, und dann erst stÖsst mau auf 
das Grundgestein, das heute die Oberfläche der höchsten Gipfel der genannten 
Gebirge bildet. Aus dieser und noch wesentlich bedeutenderer Tiefe hat sich 
einst der Vulkan erhoben, dessen kleinsten, obersten Teil wir im Kaiserstuhl 
vor uns sehen. Für diesen sichtbaren Teil aber ist die Höhe des weit ent- 
fernten Meeresniveaus durchaus gleichgiltig; auch bezüglich der Lotablenkungen, 
die für die genaue Ortsbestimmung und die neueren Methoden der Festsetzung 
der Erdgcstalt so w’icbtig gewordeu sind , kommt nicht das Gebirge in seiner 
gedachten Fortsetzung bis zum Meeresspiegel , sondern nur in der Erhebung 
über seine Umgebung zur Geltung *). 

Als Gruudfläclic des Gebirges haben wir also diejenige Flüche zu bo- 
trachten und oiometrisch in Rechnung zu ziehen , längs welcher dasselbe sich 
von seiner Umgebung abhebt, und diese Fläche ist in der Natur wohl niemals 
eine Niveaufläche , häutig wird sic sogar sehr unregelmässig gekrümmt sein. 
Hierauf hat Brückner*) in höchst verdienstlicher Weise aufmerksam gemacht. 
Er sagt a. a. 0. „Den Gebirgssockel der hohen Tauern begrenzen wir (nach 
oben) durch eine ideale Fläche, welche entsteht, wenn man einen Strahl, ihn 
immer senkrecht zur wcstöstlicben Haiiptricbtung des Gebirges haltend , über 
die Sohle der begrenzenden Längsthäler als Leitlinien gleiten lässt .... Diese 
Fläche ist des nicht gleichmässigen Gefälles der beiden Längsthäler wiegen 
keine Ebene , sondern eine krumme Fläche , die östlich der Linie Zell am 
See-Lienz sich ziemlich gleiclimässig nach Osten senkt, nach Westen jedoch 
im Süden rascher ansteigt als im Norden.“ Aehnliclies Hesse sich auch für 
den Schwiu’zwald und jedes andere Gebirge ausfiihren. Der Gebirgsteil 

*) Diese Bemerkung findet sich ausgesprochen bei Platz, II. ä. 187. 

*) Brückner, S. 171. 

29 



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366 Orometriscbe Studioa im AnüchluHa im dio Unterauchimg döa Kaisoratoblgobirges. 



unterhalb der so definierten Grundfläche, den man also, wenn der Begriff 
nicht ganz fallen soll, immerhin Sockel neunen mag, ist bezüglich seiner Tiefe 
völlig unbekannt, er entzieht sich also auch unserer Berechnung. 

Der Kaiserstuhl hebt sich , wie wir oben sahen , im Süden längs der 
200m-Kurve, im Norden längs der 190 m-Kurve über die Rheinebene empor, 
man wird bei seiner Kleinheit als obere Grenzfläche des Sockels diejenige 
Ebene betrachten können, welche sich in der Süd-Nordrichtung der Rhein- 
ebene von 200 m auf 190 m senkt, oder auch, was hei den geringen Höhen- 
schwankungen dieser Basis zulässig erscheint und die Rechnmig bedeutend 
vereinfacht, die von der 190 m-Isohypse umschlossene Ebene. Wie unterhalb 
dieser Ebene das vulkanische Kaiserstuhlgestein sich gegen die Geröllmassen 
des Rheintbales und die abgesunkeneu Sedimente des alten Schwarzwald- 
Wiisgaumassives abgrenzt, das zu ermitteln steht ausserhalb der Aufgaben 
der Orometrie. 

Wir lassen hiernach denjenigen Volumteil des Gebirges, welcher unter- 
halb der genannten Grenzebene liegt , ausser Betracht ; somit hat auch an 
StcUe der Sonklai-schen relativen Kammhöhe ein neuer Begriff zu treten, 
nämlich die Ueborhöhung Uber der Gebirgsbasis. Wenn Brückner 
a. a. O. angiebt, die Ueborhöhung der Venedigergruppe über Vorder-Krimml 
betrage 2233 ni, jene über Toblach nur 1948 m , so ist das gewiss viel an- 
schaulicher, als wenn man eine mittlere relative Kammhöhe angiebt, die weder 
für den Nord- noch für den Südabhang den thatsächlichen Verhältnissen ent- 
spricht. A. Böhm ') benutzt die „Ueberhöhung“ über der Gebirgsbasis in 
trefflicher Weise zur Charakterisierung der einzelnen Gruppen der Ostalpen. 
— Für einzelne Kämme grösserer Gebirge oder grösserer Gebirgsgruppen 
wird sich zweckmässig auch die Ueberhöhung über den die Kämme einfassen- 
den Thäleru angeben lassen, wodurch die relative Erhebung einzelner Kämme 
deutlich ans Licht tritt. — Die S. 331 mitgetcilte Tabelle ist den hier ge- 
gebenen Ausführungen entsprechend zusammengestellt. 

Für die Beschaffenheit des Thalprofils ist das Gefälle desselben vom 
Anfang bis zum Ende, oder zwischen einzelnen wichtigen Thalpunkten von 
grösster Wichtigkeit und muss datier stets ausgewertet werden. Am besten 
werden als solche Zwischenpunktc die ächnitt|)unkte mit den Höhenkurven 
oder die Endpunkte gleichlaugor Abstände gewählt. Mit Zuhilfenahme der 
schon ermittelten äquidistanten Punkto wählte ich für das Krottenbachthal des 
Kaiserstuhls das letztere Verfahren und erhielt vom Thalanfang nach unten 
gerechnet : 

Tabelle III. 



für den 1. Kilometer 44 


m = 44 - 1 


; 22.8 = 2" 31' 


Gefälle 


M 


n n 


29 


„ =29 „ = 1 


34, .0 = 1» 40 




» 


n « 


14 


„ = 14 „ =1 


71,4 = 0" 48' 




n 


« 4. 


13 


„ = 13 „ =1 


78,9 = 0» 45' 


n 




n « 


12 


„ = 12 „ =1 


83.3 = 0» 41' 


n 


»1 


« 6. 


17 


„ =17 „ =1 


52,9 = 0" 58' 




fiir (len Uent bis 6,175 „ 


3 


„ =17 „ =1 


52,9 = 0» 58' 


ri 


Im Ganzen für 6,175 km 


132' 


m=2i,3%„=l 


■ 46,8 = 1" 14' 


GefäUe. 



\'om Thalanfang an vermindert sich also das Thalgefälle 5 km weit 
fortwährend, erfährt aber zum Schluss wieder eine kleine Steigerung, die 
dadurch ihre Erklärung findet, d.ass der Thalbach am Ende seines mittleren 
Laufes Wasser zu technischen Zwecken abgieht und wegen der so abnehmenden 
Wassermasse sein Gefälle verstärkt. Aus demselben Grunde musste auch die 
durch Integration gewonnene Mittelhöhe des Thaies zu gering ausfallen. Will 



BObm, S. Abachoiitt 339^472. 



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Orometrifiche Studien im Anschluss an die Untersuchung des Eaiserstuhlgebirges. 367 

man das mittlere Gefalle mehrerer Tlmler einer Gebirgsgruppe angeben, — 
weiter zu verallgemeinern ist auch hier nach früheren Ausführungen unzulässig 
— so kann das nach der Seite 332 besprochenen Methode wieder nur unter 
Berücksichtigung der einzelnen Thallängcn geschehen. 



V. Neigtinggwinkel des Kamiiigehänges nnd Volum des Gebirges. 

Sonklar hat, wie bereits erwähnt, die Volumberechnung der Gebirge 
wesentlich auf die Kenntnis des mittleren Neigungswinkels der Kammgehänge 
gestutzt, während ich in der Orometrie des Schwarzwaldes den umgekehrten 
Weg eingeschlagcn, nämlich aus dem Volum den Neigungswinkel berechnet habe. 
Jedenfalls stehen die beiden hier in Betracht kommenden Grössen in inniger 
Abhängigkeit von einander, weshalb sie auch gemeinschaftlich besprochen werden 
sollen. Als wichtigste Voraussetzung für ilire Ermittelung werden die Flächen- 
inhalte der Höhenschichten des Gebirges benutzt werden. Für die Grundfläche 
des Kaiserstuhls in den oben bestimmten Grenzen habe ich mittels des Plani- 
meters, dessen Einheit zu 62-17 qm festgestellt wurde, während das Instrument 
an dem betreffenden Teilstrich für den Kartenmafsstab 6250 qm angiebt, 92,51 qkm 
gefunden. Alle Höhenschichten von 10 zu 10 m zu planimetrieren, schien für 
die Zwecke der vorliegenden Arbeit einerseits zu mühsam und zeitraubend, 
andererseits aber auch nicht notwendig; somit beschränkte ich mich auf Aus- 
wertung der Inhalte aller Stufen von 50 zu 50 m. Beim Mafsstab 1 : 25 000 
würde eine solche Höhenschichte im Belief 2 mm hoch gemacht werden müssen, 
während der Radius der in einen Kreis verwandelten Grundfläche 218 mm betrüge. 

Hiernach ist ersichtlich, dass die Höhenintervalle nicht zu gross gewählt 
sind. Die Ergebnisse der Berechnungen sind in den folgenden Tabellen zu- 
sammengestellt. 



Tabelle IV: Areal der Höhenschichten in Quadratkilometer. 



I. Ueber 550 m : 1. Todtenkopf 

2. Neuuliudenberg . . . . 



0,01-10 

0,0058 



} 0,0198 



II. Heber 500 m ; 1. Todtenkopf 
2. Eichelspitze 



0,2016 

0,0335 



} 0,2350 



III. Ueber 450 m; 1. Himmelherg 0,1169 

2. Todtenkopf 0,7223 

3. Eichelspitze 0,3174 

4. Zwischen Punkt 3 und 5 0,0670 

5. Haard 0,0136 1 4786 

6. Schönebeno 0,0961 ’ 

7. Zwischen Punkt 6 und 8 0,0062 

8. Katbarinaberg .... 0,0782 

9. Binsenberg 0,0570 

10. SW. vom Punkt 9 . . 0,0149 



IV. Ueber 400 m : 1. S. vom Todtenkopf . . 

2. Strümpfelkopf .... 

3. 0. vom Strümpfelkopf . 

4. W. vom Scheibenbuck 

5. Todtenkopf 

6. SO. von Herrenthalbuck . 

7. W. von der Eichelspitze 

8 . Eichelspitze 

9. W. vom Staffelberg . . 

10. Mondbalde 



0,0056 

0,0298 

0,0007 

0,0124 

2,8300 

0,0011 

0,1780 

3,6600 

0,0022 

0,2871 



7,0069 



29 * 



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368 Oronietrische Stadien im AusclUu«» an die Untcraucbung de« Kaiseratuhlgebirgoe. 



V. Ueber 350 m : 1. 


Haupterhebung .... 


16,7900 


2. 


Hochbuck 


0.0403 


3. 


Gute Eck 


0,0471 


4, 


Bitzcnberg 


0,0087 


VI. Ueber ,300 m : 1. 


Haupterliebung .... 


30,7500 


2. 


Littensbuhl 


0,0180 


3. 


Hülmiugen 


0,0794 


4. 


Zwischen Punkt 5 und 6 


0,0055 


5. 


Steingrubenberg . . . 


0,0174 


6. 


Schneckenberg . . . . 


0,1575 


7. 


SO. vom Vogelsaugpass . 


0,0952 


8. 


Hagroth 


0,0670 


VII. Ueber 250 m : 1. 


Haupterhebung .... 


52,2700 


2. 


Böhmischberg .... 


0,0414 


3. 


Eichberg 


0,1413 


4. 


Käselberg 


0,0483 


5. 


Haberberg 


0,8203 


6. 


Butzeiberg 


0,0291 


7. 


Hohberg 


0,1711 


8. 


Eichert 


0,0476 


Vin. Ueber 200 m : 1. 


Haupterhebung .... 


86,5900 


2. 


llichelberg bei Riegel . 


0,2800 


IX. Ueber 190 m : 


Gesamtgebiet . . . . 




Tabelle V: Zusammenstellung der Ar 


ealgrö 



16,8861 



31,1900 



53,6691 



Ueber 190 m liegen gj = 92,5100 qkm oder lOO“/,, der Gesamtoberfliiche 



tf 


200 fy 


= 86,8700 „ 


ff 


93,91 


ft 


tf 


tt 


250 „ „ 


= 53.5691 „ 


ft 


57,91 


ff 


ft 


)f 


300 yj ,1 


=31,1900 „ 


tf 


33,72 


ff 


ft 


1) 


350 yy yy 


= 16,8861 „ 


tf 


18,26 


ft 


ft 


ft 


400 yy yy 


g,= 7,0069 „ 




7.58 


tf 


ft 


ff 


450 „ „ 


9,= 1,4786 „ 


ft 


1.50 


ft 


ff 


ff 


500 „ „ 


= 0.2350 „ 


yy 


0,26 


ft 


ff 


ft 


550 „ ,, 


ff, = 0,0198 „ 


tf 


0,02 


ft 


ff 


Zwischen 190 u. 200 m 


Höhe liegen 5,6400 (ikm oder 6,10°/„ der Gesamtoberfläche 


ft 


200 „ 250 „ 


„ „ 33,3009 


ff 


„ 36,02 


ff 


ff 


ft 


250 „ 300 „ 


„ „ 22,3791 


tf 


„ 24.20 


tf 


ff 


ff 


300 „ 350 „ 


„ „ 14.3039 


ft 


„ 15,45 


ff 


ff 


ft 


350 „ 400 „ 


„ „ 9,8792 


ff 


„ 10,68 


ft 


ff 


ff 


400 „ 450 „ 


„ „ 5,5283 


ff 


„ 5,96 


ff 


ff 


tf 


450 „ 500 „ 


„ „ 1,2436 


tf 


1.34 


ft 


ff 


ft 


500 „ 550 „ 


„ „ 0,2152 


ff 


„ 0,24 


V 


ff 




Ueber 550 „ 


„ „ 0,0198 


ff 


„ 0,02 


ft 


ff 






92,5100 




100,01 







Da in der Natur die Bestimmung jedes einzelnen Gefiillswinkels des 
Kammgebänges mit grossen, häutig unüberwindlichen Schwierigkeiten verknüpft 

ist, berechnet ihn Bonklar aus der Karte nach der Formel cotgy = -^, worin 

(f den gesuchten Winkel, d den Höhenunterschied eines Kamm- und dos 
nächsten Thalpunktes , a aber den Horizontalabstand des letzteren von dem 
Fusspunkte des erstcren bedeutet. Um sich von den Undulationen des Kamm- 
profils zu befreien, wird d nicht auf einzelne Gipfel- oder Sattelpunkte, sondern 



Orometriacho Studien im Anachluaa an die L'nteraucliung des Kaiserstuhigobirges. 369 



auf die mittlere Kammliohe bezogen. Das Mittel der so gewonnenen Einzel- 
winkel giebt den mittleren Neigungswinkel des Gtehiinges, das Mittel aus den 
beiderseitigen KammgelÜllswinkoln denjenigen des als gleicbschenkebges Dreieck 
gedachten Kammquerscbuittcs. Um endlich den mittleren Neigungswinkel der 
Kammgehänge für ein ganzes Gebirge zu finden, werden wie bei Kamm- und 
Thalhöhe die für die Einzelkämme ermittelten Winkel mit der Kammlänge 
multipliziert, und die Summe dieser Produkte wird durch diejenige aller 
Kammlängen diridiert. 

'Während Sonklar für die Octzthaler Alpen auf 427 km Kammlänge 76 
Einzelwinkel, also auf je 5,6 km Kammlänge nur einen einzigen Winkel be- 
stimmt und so für das gefundene Mittel sicherlich keine genügende Genauig- 
keit ansprechen darf, habe ich für den Kaiserstuhlkamm auf der äusseren 
Seite 20, auf der inuern 12 Winkel gemessen , so dass auf je 0,950 bezw. 
1,570 km ein gemessener Winkel kommt. Wurden dieselben auf wirkliche 
Kammpunkte bezogen, was meines Erachtens zu viel richtigeren, jedenfalls 
aber zu anschaulicheren Hesultaten führen muss, da jeder Einzelwinke! reale 
Existenz besitzt, so ergab sich im Mittel für den äusseren Abfall qi, =5“ 11', 
für den inneren q, = 6° 15', für den symmetrisch gedachten Kamm ip = 5° 43'. 
Wurden sie aber nach Sonklar auf die mittlere Kammhöhe bezogen, so ergaben 
sich in gleicher Heihenfolge q, = 4’ 10', = 6® 02', y = 6® 06'. 

Für das Volum des Kammes ergiebt sich die Formel F = l.d*cotg <p, 
wobei l die Karamlänge, d die relative Kammhöhe (bezw. die Ueber- 
höhung des Kammes über der Kamrabasis) und (f den mittleren Neigungs- 
winkel bezeichnet. Nach den früheren Ausführungen Uber Sockclhöhe und 
Sockelvolum ist die Grösse d nicht ganz einwurfsfrei, und da auch der Winkel <p 
nach der ganzen Art seiner Ableitung als unsicher zu bezeichnen ist, kann 
die Sonklarsche Volumberechnung nicht befriedigen. Dazu kommt noch, dass 
die Bestimmung von ip aus <jp, und einen wirklichen Rechenfehler, den 
Sonklar übersehen hat, in sich schliesst. 

Wird nämlich zum Zweck der Volumberechnung das Dreieck A des 
Kammquerschnittes in ein inhaltsgleiches gleichscheukeliges verwandelt, so ist, 
wenn a, und o, die Projektionen der Thalgehänge auf die Horizontale be- 
deuten, 

A = d (-‘^ 1 4 - 5'-') = d . ( 4- _ ^ 1 . cotgy, + co tgy, ^ 

V22' '2 2/ 2 

während Sonklar setzt A = rf* . cotg r/i = rf* . cotg — *). 

In unserem Falle ist der wahre Wert für (p niclit wie oben 5^ 43' bezw. 
5® 06', sondern 5® 40' bezw. 4® 56' ; je grösser die Difi'erenz zwischen <p^ und 
y,, desto erheblicher wird auch der von Sonklar begangene Fehler bei Be* 
Stimmung des mittleren Neigungswinkels und bei der Volumberecbnung. 

Eine Kontrolle der bisherigen Winkelbestimmungen lässt sich finden aus 
dem rechtwinkeligen Dreieck ABI) der Figur 3, dessen Katheten AB und 
A D die halbe mittlere Kammbreite und die relative Kammhöhe sind. Be- 
trachten wir der Einfachlieit halber, und es soll das vorläufig bei allen folgen- 
den AV'inkeln und Volumberechnungen geschehen, für den Kaiserstuhl die 
Isoliypsenrtäche von 2CX) m als Basis, so ist die halbe Kammbreite gleich dem 
halben Areal dieser Fläche dividiert durch die Kammlänge , und die relative 
Kamrahöhe gleich der absoluten Kammböhe minus 200 m. Es wird hiernach 

öotg y = ^ = 1^11 = 10,8, daher qi = 5« 17'. 



’) Gealler, II. S. 116 weist auf diesen Fehler hio, ohne ihn mathematisch zu be- 
gründen. Die übrigen Ausführungen des zitierten Aufsatzes scheinen noch etwas der Klärung 
zu bedürfen. Gsaller selbst bezeichnet sie als vorläutige Mitteilung, weshalb ich nicht weiter 
auf sic eingehen will. 



Diriiüzed I G( ’jjj le 



370 Orometrüche Studien im Anächluss an die Untersuchung des Kaiserstuhlgebirgee. 



Gsaller, der diese Bestimmungswciso vorscUiigt '), betont, der nach seiner 
Methode abgeleitete mittlere Neigungswinkel habe vor dem von Sonklar be- 
rechneten den Vorzug, „dass er sich, wie man mathematisch sagen kann, auf 
unendlich viele Einzelermittelungen und nicht nur auf eine beschränkte Zahl 
derselben stützt“, welche je nach ihrer willkürlichen Lage und Anzahl zu 
verschiedenen Mittelwerten führen müssen. Der so ermittelte Winkel ist ein 
Minimum, weil die Kathete A Ji nie grösser als die halbe Kammbreite sein 
kann. Für den Kaiserstuhlkamm ergiebt sich hiernach, dass der unter Zu- 
grundelegung der mittleren Kamrohöhe erhaltene verbesserte Winkelwert von 
4* 56' nicht zulässig ist , da derselbe bei gleichbleibender Höhe A D eine 
grössere Kammbreite voraussetzt, als .sie in Wirklichkeit vorhanden ist. 

Wird der Winkel 9p = 5“ 17' zur Volumberechnung verwendet, so führt 
er zu einem Maximalwerte ; 

K=f.d>.cotgy = 18,92.0,2126».cotg5'> 17' = 9,247 cbkm (1) 
während sich nach dem modifizierten Souklar’schen Winkel ergiebt 

V= 18,92 . 0,2126* . cotg 5» 40' = 8,819 cbkm. (2) 

Zum ersten Resultat wäre man natürlich auch gelangt durch Multipli- 
kation der Grundfläche mit der halben relativen Kammhöhe. 

Ermittelt man aus der Tabelle V für jede Höhenstufc die ihr ent- 
sprechende halbe Kammbreite, indem man das betreffende Areal durch die 
doppelte Kammlunge dividiert, und trügt sic auf der betreffenden Höhenstufe 
(Figur 3) ab, so ergiebt sich als schematisches (halbes) Kammquerprofil die 
Figur AB ERC. Ün B E H grösser ist &h H C T). so bestätigt diese Be- 
trachtungsweise die obige Ausführung, wonach das Volum, welches mittels des 
Querschnittes ABT) ermittelt wird , zu gross sein muss. Das Planimeter 
ergab den Flächeninhalt der Figur AB ERC zu 212 797,5 qm ; daher ist 
das Gehirgsvolum 

V = 2 . 0,2127975 . 18,92 = 8,055 cbkm. (3) 

Nach der Sonklar'schen Gleichung V=ld' cotg q> ergieht sich hieraus 
V 

cotg <p = ^ oder qj = 6“ 04'. Konstruiert man zu der Figur ABE H C 

(Fig. 3) das flächengleiche Dreieck AIR, so ist der eben erhaltene Winkel 
von 6“ 04' = Af. I, Die Betrachtung der Figur lelirt, dass er grösser ist als 
der gewünschte mittlere Neigungswinkel. 

Denkt man sich weiter die Areale der einzelnen Höhenstufen, wie sic in 
Tabelle V zusammengestellt sind , in Kreisflächen verwandelt , deren Mittel- 
punkte senkrecht über einander liegen , so lässt sich das Gehirgsvolum als 
Summe der in Fig. 4 veranschaulichten Kegelstumpfe auffassen. A EG C giebt 
einen Axonschnitt durch dieselben. Die mittleren Neigungswinkel der einzelnen 
Höhenstufen sind nun in ähnlicher AVeise, wie oben bei Gsaller nach der 
Formel cotg a = (r, — r,) ; h zu ermitteln , wobei r, und r, zwei von unten 
nach oben aufeinander folgende Radien von Kegelstumpfflächen sind , und h 
die gewählte Höhenstufe von 50 m bezeichnet. 

Es ergiebt sich für die Stufe von 



200 his 250 


m 


= 2» 33' 


250 „ 


300 


ff ft 


= 2“ 39' 


300 „ 


350 


ff ff 


= 3” 26' 


350 „ 


400 


ff ff 


= 3» 28' 


400 „ 


450 


ff ff 


= 3« 30' 


450 „ 


500 


ff ff 


= 7» 06' 


500 „ 


550 


ft ft 


= 14» 19 


550 m 




ff 


= 6« W. 



') GsaUer, II. S. 149, 152 ff. 



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Orometrische Studien im Anachluas an die Untersuchung des Kaiseretuhtgebirges. 371 



Aus dem Dreieck A FC folgt ein, wie die Figur zeigt, zu kleiner Wert 
für den mittleren Neigungswinkel nach der tileichung cotg a — AF : A C, 
0 = 3“ 54', während das arithmetische Mittel der Winkel für die einzelnen 
Hiihenstufen 5“ 24' ergioht, d. h. fast genau denselben Winkel, der oben nach 
Gsaller als Minimalwert berechnet worden ist. 

Mit Zugrundelegung des prismatischen Körpers A B E H C (Fig, 3) würde 
man für die einzelnen Hühenstufeu wie für das ganze Gebirge falsche, und 
zwar viel zu grosse KammgefiUlswinkel erhalten, da mit der mittleren halben 
Karambreite die wirklichen Höhen aller einzelnen Stufen zusamraengestellt 
sind, die nicht der ganzen Kamralänge, sondern immer nur einzelnen Teilen 
derselben zukommen. 

Wie ein zuverlässiger Wert für die mittlere Kamm- und Thalhöhe nur 
durch die Areale der entsprechenden Längenprofile zu ermitteln ist, so kann 
auch das Gebugsvolum stets nur mit Zuhilfenahme der Flächeninhalte der 
einzelnen Höhenstufen befriedigend berechnet werden , und zwar ist diese 
Methode anwendbar, welches auch immer die Gestalt des Gebirges sein mag, 
während die oben dargelegto Sonklar’sche Methode nur bei Kettengebirgen 
als Näherungsverfahren gelten k.ann , bei Massengebirgen und Plateaus aber 
durchaus unanwendbar ist Durch die IsohypsenHächen zerfällt das Gebirge 
in einzelne Schichtkörper von bekannter Höhe, welche zwischen zwei parallelen 
Ebenen liegen und in einzelne unten eben begrenzte Kuppen oder Spitzen. 
Die Voluraberechuung hängt zusammen mit der Beantwortung zweier prin- 
zipiellen Fragen : 

1. Müssen die durch die Einzelerhebungen dos Gebirges bedingten Kuppen 
und Schichten auch einzeln berechnet werden , oder ist es zulässig , alle Ge- 
birgeteile zwischen denselben Grenzflächen zu einem Ganzen zusammenzufassen? 

2. Als was für ein geometrischer Körper ist jede Höhenstufe zu be- 
trachten und volumetrisch zu berechnen? 

Zur Beantwortung der ersten Frage hot sich mir als bequemstes Ver- 
gleichsmaterial Leichers Orometrie des Harzgebirges ‘), namentlich die umfang- 
reiche Tabelle zur volumetrischen Berechnung der einzelnen Höhenstufen im 
Anhänge. Leicher zerlegt den Gebirgskörper durch die Isohypsenflächen von 
100 zu 100 Fuss in so viele einzelne Kuppen und Schichten, als sie auf der 
Höhenschichtenkarte überhaujjt verzeichnet sind und berechnet alle einzeln als 
Kegel bezw. Kegelstumpfe. Die Addition aller Eiuzelvolumiua zwischen zwei 
Schicbtflächen ergab das Volum der ganzen Höhenstnfe, die Addition aller 
Höhenstufen dasjenige des Gebirges. Ich habe nun für vier beliebig heraus- 
gegriffone Stufen durch Vereinigung der Areale aller oberen und aller unteren 
'Teilgrenzflächen die zwischen denselben liegenden Gebirgsteile zu Je einem 
einzigen Kegelstumpf zusammengefasst und diesen als Ganzes berechnet. Mein 
Volum wurde hierdurch um rund ’/i grösser als dasjenige bei Leicher. 
Ein zu grosser Wert musste selbstverständlich herauskommen, da meine Auf- 
fassung alle Kuppen, welche zwischen zwei Grenzflächen von Höhenschichten 
liegen, bis zur oberen Grenzfläche erhöht denkt. Nachdem ich mich von der 
Kleinheit des begangenen Fehlers im allgemeinen überzeugt hatte, suchte ich 
seinen Betrag speziell für den Kaiserstuhl zu hestimmen. Zu diesem Zwecke 
berechnete ich die Volumina aller 37 aus dem Hauptkörper des Gebirges 
herausragenden Kuppen, die sich um weniger als 50 m über der unteren 
Grenzebene erheben. 

Die Summe ihrer Grundflächen beträgt 3,0243 <|km oder 3,27 % der 
Gesamtgmndtiäche des Gebirges. Ihrer rundlichen Form entsprechend be- 
trachtete ich dieselben nicht als Kegel, sondern als Kugelhauben und ermittelte 

nach der Formel V = -J- ^ k*, worin g die Grundfläche und h die Höhe 



*) Leicher, 8. 28—52. 



i 



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372 Orometrische Studion ini AnBchluBs &n die Untersuchung de« Kniserstuhtgebirge«. 



bezeichnet, die einzelnen Volnmina. Ihre Summe ergab 0,036 ebkm. Da 
zuvor das Gesamtvolum des Gebirges über der 200 m-Fläcbe annähernd zu 
8 ebkm gefunden worden ist, so machen diese Kuppen nur einen verschwin- 
denden Bruchteil des Ganzen aus. Dadurch, dass beim Kaiserstuhl , wie ich 
das im folgenden durchführe, auf das Leicher’sche Verfahren verzichtet wird, 
wodurch also alle Kuppen bis zur nächst oberen Grenzfläche erhöht gedacht 



werden, ergiebt sich als ihr Volum, dasselbe als Kegel gedacht. 



3,0243 . 0,05 
3 



= 0,050 ebkm, d. h, um 0,014 ebkm mehr als zuvor. Dieser Betrag ist aber so 
unbedeutend, dass er füglich unberücksichtigt bleiben kann, ohne den Genauig- 
keitsgrad der Volumbewegung irgendwie zu vermindern. Analoge Betrachtungen 
lassen sich allgemein anstellcn. Die aufgeworfene Frage ist demnach dahin zu 
beantworten, dass cs bei der Volumberechnung von Gebirgen durchaus zulässig 
ist, allez wischendonselben Grenzflächen liege ndenGebirgs- 
teile als eine einzige Höhenstufe aufzufassen. Hierdurch wird 
die Rechnung wesentlich vereinfacht ; sie führt zu einer Grösse , welche als 
obere Grenze für den Wert des Gebirgsvolums betrachtet werden darf, den 
wahren Wert aber um sehr wenig überschreitet. 

Nebenbei ist hier eine nicht unwichtige Bemerkung cinzuschalten : 

Gebirgsvolumina bis auf Kubikmeter oder gar Bruchteile von solchen 
angeben zu wollen, ist bei den zaldroichen Fehlerquellen, denen man sich aus- 
gesetzt sieht, nichts als eine Selbsttäuschung Uber den erreichbaren Genauig- 
keitsgrad. Ich werde mich daher überall auf 3 Dezimalen eines Kubikkilo- 
meters beschränken. 

Die Volumberechnung der Gebirge ist nach dem Vorstehenden zurück- 
gefuhrt auf die Bestimmung des Kürperinhaltcs von Jl.assen , die zwischen 
zwei parallelen Grenzebenen liegen , wobei stets die obere ein kleineres Areal 
besitzt als die untere. Hiervon ist auch die von Leipoldt ') und von mir in 
der Schwarzwaldorometrie befolgte Methode, die Höhen.stufen stets vom Meeres- 
spiegel ab zu rechnen, nicht prinzipiell verschieden. Folgen die Höhenkurven 
nahe genug auf einander, so ist füglich von der Krümmung der Seitenflächen, 
die sich der strengen Berechnung entzieht und im Gesamtresultat, da eie bald 
konkav, bald konvex ist, keinen wesentlichen Einfluss übt, abzuselicn. 

Das in Frage kommende Volum kann nun aufgefasst werden als P r i s m a *), 
dessen Grundfläche gleich dem arithmetischen Mittel der beiden parallelen 
Grenzflächen ist, als Kegelstumpf’) oder als Pri s ma t oi d *). 

Bezeichnet man die Flächeninhalte der Schichtflächen von 200 bis 550 m 
entsprechend der Tabelle V. (S. 368) mit ij,, ■ Ot ”“'1 Höhenabstand 
von 50 m mit h, so ergiebt sich nach der P r i s m e n m e t h o d e 



V = . ,, + . A + . . . . a = a pt 3, -f- = 

= Ap-5-^ + 2’s.«l (1) 

flTst 

Für jede beliebige Anzahl von Schichten lässt sich eine entsprechende 
Formel geben; ebenso lässt auch die folgende, nach der Kegelstumpf- 
methode abgeleitete Formel eine Verallgemeinerung .auf n Schichten zu: 

y(?i +9» + (», +9t + V9i9t^ = 

h r I 

“ I ~ + 2 ^ g,i -gfi + x I- (2) 

^ •- /4ca'i «SSI J 



Leipoldt, an ycrBchiedcncn Orten des Werke«. 

*) Korifttka, 1. c. — Commonda, 1. c. 

•) Leicher, 1. c. — Fiihrnkranz, 1. c. — Heiderich, L c. 
*) Eifert, 1. c. 



Orotoetrische Studien im AnaclilueB an die üntemucliung des KaiHeratuhlgebirgee, 373 



Betrachtet man endlich die Schichtstufen alsPrismatoide, so hat 

' ^ ^ + 2 > worin G und g die 



man auszugehen von der Formel V - 



untere und obere Grundfläche, D den Mittelschnitt und JI die Höhe des 
Körpers bezeichnet. 

Für den vorliegenden Zweck sind stete 2 Höhenschichten zusammen- 
zunehmen, deren Grenzfläche als Mittelschnitt zu betrachten ist, und man 
erhält unter Beibehaltung der alten Bezeichnungen (H = 2 h) : 






lli+Jl + 2 ,,)- 






Da aber unser Gebirgskörper nicht bis zur Grenzfläche g, reicht, sondern 
oben mit Og abschliesst, so ist von vorstehendem Abdruck der über ps liegende 

Teil, der als Pyiamide aufgefasst werden kann abznzieben und 3g=0 

zu setzen. Man erhält dann 



^ fffi f 2 (Pj -f Pj 4 (p, + g^ -j-p») + 3p,^ ')■ (3) 



Für eine geradzahlige Anzahl von Schichten würde sich diese Formel 
wenig modifizieren ; selbstverständlich ist auch sie der Ausdehnung auf beliebig 
viele Prismatoide fiihig. 

Die Einsetzung der Werthe aus der Tabelle V ergab als Kaiserstuhl- 
volura zwischen 200 und .b.oO m Höhe 

1. (Prisma) 7,689 ebkm 

2. (Kegelstumpf) 7,571 ebkm 

3. (Prismatoid) 7,526 ebkm. 

Die Differenzen sind nicht als grosse zu betrachten ; auf das Ergebnis 
nach der zweiten Methode bezogen , betragen sie für das Prisma -|- 1,55 %, 
für das Prismatoid — 0,61 %. Trotzdem ist es von Wichtigkeit zu wissen, 
welcher Wert als der zuverlässigste anzusehen sei. 

Figur 5 sei ein Teil des Gebirges zwischen zwei aufeinanderfolgenden 
Isohypsonflächon , die im allgemeinen einander nicht ähnheh sein werden. 
Errichtet man im Innern des Körpers eine Senkrechte Ss und legt durch sie 



Genau zum gleichen Resultate, wie es Eifert mit Zugrundelegung des Prismatoi* 
des erreicht, gelangt man auch auf einem (anscheinend) anderen Wege, der mir während 
des sehr verzögerten Druckes dieses Aufsatzes bekannt wurde. Nachdem nämlich mein Manu- 
skript schon am 6. April 1888 von Freiburg nach Weimar abgegangen war, erschien im Juli- 
hefte 1888 der Pctcrmann'schen Mitteilungen S. 209 ein Aufsatz von F. Ileiderich: 
,Dio mittlere Höhe Afrikas', in welchem die Volumetrie der Gebirge bezw. Festländer einer 
wertvollen kritischen Besprechung unterzogen wird. Nach Ileiderich hat schon 1858 C. 
Koriatka in der Abbandlung: «Studien über die Methoden und die Benutzung 
hjpaometriacber Arbeiten, nachgewioaen an den Nieveauverhältniaaen der 
Umgebungen von Prag* (Gotha, J. Porthoa) den KegoUtumpf eeinen Berechnungen zu 
Gnmde gelegt, gleichzeitig aber seine Bedenken gegen diese Methode geäusaert und eine 
verbewerte Formel dadur^ abgeleitet, das.s er das Areal einer beliebigen Höhenschichte 
zunäch-«t rein willkürlich al« Funktion der Höhe betrachtete: g(x) ^ A ~h B x-^ Cx*, worin 
A, B, C noch zu beatimmendo Konstante sind, während x die Höhe der Schicht ^(t) über 
dem Ausgangspunkt der Messung bedeutet. Indem nun für x der Reihe nach die Werte 
0, h, 2h eingesetzt worden, was gleichbedeutend ist mit der Forderung, dass die Gleichung 
fllr^(x) in 3 aufeinander folgenden Isobypaenflächen erfüllt sein muss, werden die Konstanten 

SA 

leicht bestimmt, und die Integration Vszfg^x) .dx fuhrt schliesslich genau zur Eifert' sehen 

« 

Formel, wie von vorn herein erwartet werden musste, da Kofistka's Gleichung für g(x) mit 
der zugehörigen Konstantenboatimmung geometrisch interpretiert nicht« anderes ausdiiickt, 
als dass in einem jeden Yortikalschnilt 3 aufeinander folgende I«ohii'p8on])uukte auf einer 
Geraden liegen, d. h. dass der betred'ondo Körper ein Prismatoid ist. 






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374 Orometrische Stndieo im Anschluss an dio UnU^reachunf; dea Kaünrstahlf^bir^m. 



zwei Ebenen S Aas und 8 Bis, welche einen beliebig kleinen Winkel mit 
einander bilden, so kann man die ganze Gebirgsschichte aus beliebig vielen 
Körpern von der Form SsAaBb bestehend annebmen. Schon oben ist die 
Voraussetzung gemacht worden, dass bei nicht zu grossem Ss = h die Seiten- 
linien Aa, Bb als Gerade gelten dürfen. Für einen derart beschaffenen 
Körper kann, wie die Stereometrie lehrt, die Prismenformcl nur zu einer 
Annäherung an den Wert des Volums fuhren; aber auch die Auffassung 
desselben als Pyramidenstumpf begegnet der Schwierigkeit, dass die Grund- 
flächen G, und G, nicht ähnlich, die Linien A B und a b also nicht pai'allel 
und die Punkte A, B, a, b nicht in einer Ebene gelegen sind. Es bleibt 
also nur die Berechnungsmethode mittels des Prismatoids übrig. Durch 
Summation all der schmalen Teilkörperchen erhält man das Volum der ganzen 
Schicht. 

Wollte man aber dem Prismatoid dieselbe Höhe geben, wie dem Pyra- 
miden-, bezw. Kcgelstumpf, so müsste noch das Areal des Mittelschnittes (m) 
gegeben sein. Mau bedürfte also doppelt sovieler Isohypsenflächen als zuvor. 
Dem lässt sich dadurch begegnen, dass man dem Prismatoid die doppelte 
Höhe giebt, wie das oben bereits geschehen ist. Hierdurch erhebt sich aller- 
dings die Schwierigkeit, dass die Seitenlinie des Körpers, bezw. der Abfall des 
Gebirges für die doppelte Höhe als geradlinig angenommen werden muss, und 
ausserdem ist die Volum-Formel des Prismatoides nur dann anwendbar, wenn 
der Mittelschnitt grösser ist als dio halbe untere (grössere) Grundfläche, wie 
die Betrachtung des Körpers ohne weiteres darthut. Erfüllt das Areal des 
Mittelschnittes diese Bedingung nicht, dann führt die Prismatoid- Formel not- 
wendig auf ein falsches Resultat. Auf diese Boschi-änkung hat Eifert a. a. O. 
nicht hingewiesen, sein Vorschlag kann also nicht allgemein befolgt werden. 
Da nun aber überall in den unteren Teilen der Gebirge jede folgende Schicht- 
fläche grösser ist als die halbe vorhergehende, und da erst in den oberen 
Teilen , wo nur noch einzelne Gipfel aus der Hauptmasse herausragen , dies 
nicht mehr der Pall ist, während gleichzeitig ihre Umrisse stets ähnlicher 
werden, so empfiehlt es sich, von unten her so weit als möglich nach der 
Prismatoid-Formel und erst von dort ab, wo dies nicht mehr zulässig ist, 
nach der Kegelstumpf-Formel zu rechnen. Für den Kaiserstuhl ergiebt sich 
nach Tabelle V 



y= ¥ L(- t“ + 2p.) -f 2p.)] +--^ [(p. +p. + j/p, . p.) -f 

+ (?6 + Sb + 1 -ft) 4- (i/7 + i/l + k i/7 • i/s)] 

= "g- f Pi 4“ i/s 4" 2 (pj -F Ps -f p« 4'i/7) 4 ^ (i/j + 9i) 4- /p6 -i/4 4-kp6'P7-4 

+ • P,] = 7,539 ebkm. (4) 



Aus der leicht zu beweisenden Ungleichung 
* • + A ■ ^ > "^(i/i 1 - 9i 4 - V 9i • 9i )4''3“(i/f 4-?» 4“ k i/i • ?j) 



Y(?i4-2p,-f Ps)> -|-(p. 4-2p, -f p, /p. .p, 4-F'p,.pa) 

folgt, dass von den erhaltenen Volumwerten fl), (2) und (3) jeder folgende 
notwendig kleiner sein muss als der vorangehende: Wird derselbe Gebirgs- 



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Orometriache Studien in» Anschlusa au die Unterauchung dee Kaiaerstuhlgebirgea. 375 



körper nach einander als Prisma, Kegelstumpf und Prismatoid berechnet, so 
ist stets der folgende Wert kleiner als der vorhergehende. Da nun bei Be- 
stimmung von (4' die Methoden (2) und (3) vereinigt zur Anwendung kamen, 
so musste sich selbstverständlich ein mittlerer Wert ergehen, und die so er- 
haltenen 7,539 cbkm haben wir als die walire Grösse des Kaiserstuhlvolums 
zwischen 200 und 650 m Höhe, bezw. als diejenige Grösse zu betrachten, die 
dem wahren Wert näher kommt als jede durch ein anderes Rechnungsverfahren 
bestimmbare. 

Um das gesamte Gebirgsvolum zu erhalten, ist noch der Inhalt der zwei 
Kuppen (Todtenkopf und Neunlindenberg) Uber 550 m und derjenige der 
Schicht zwischen 200 m und dem tiefsten Punkt der Gebirgsbasis, also 190 m, 
zum zuletzt gefundenen Werte zu addieren. Der erstere Posten macht sich 
erst in der 6. Dezimale geltend, liegt also weit jenseits der zulässigen Ge- 
nanigkeitsgrenze, so dass er vernachlässigt werden kann. Der zweite aber ist 
nach der bei der geringen Höhe von 10 m zu brauchbarem Resultate führenden 
Kegclstumpfmethode 

= 5^(92,51 +86,87+ /92, . 51 . 86,87) = 0,897 cbkm. 

Das V'olum des Kaiserstuhlgebirges über dem tiefsten Punkte seiner 
Basis ist also 7,539 4' 0,897 = 8,436 cbkm. Wird dieses Volum durch die 
Grundfläche dividiert, und der (Juotient zu 190 m addiert, so folgt als H ö h e 
des ausgeebnet gedachten Plateaus 281,2 m. 

Neben diesen drei oder vier rechnenden Methoden lässt sich nun aber 
für die Voiumbestimmung von Gebirgen und Festlandmassen, und ebenso auch 
für diejenige von Seebecken und Meeresrüumen in ganz ähnlicher Weise wie 
bei der Ermittelung der Kamm- nnd Thalhöhe ein graphisches Ver- 
fahren einschlagen, das mühelos zum Ziele führt und von all den theoreti- 
schen Bedenken, die vorstehend zur Sprache kommen mussten , sich frei hält. 

Figur 6 zeigt auf der Abscissenaxe — Isohypse von 190 m — in be- 
liebigem Mafsstabe die aus dem zweiten Teile der Tabelle V entnommenen 
Prozentanteile der Höhenschichtenareale von 190 bis 200, 200 bis 250, . . . 
500 bis 550 m. Der Einfachheit halber ist jedes Prozent einem Millimeter 
gleich gesetzt. 

In den Grenzpunkten der Abschnitte sind im Mafsstah 1 ; 5000 die 
Höhen 200, 250 . . . 550 m als Ordinaten errichtet, und die Endpunkte dieser 
Ordinaten sind durch eine kontinuierliche Kurve verbunden. Das viermalige 
Umfahren der so erhaltenen Figur mit dem Polarplauimeter ergab im Mittel 
180,2 Einheiten , und da bei natürlicher Grösse jeder Einheit 10 qmm ent- 
sprechen , so misst die Fläche der dem V olum des Gebirges proportionalen 
B’igur 1802 qmm. Durch Division mit der GruniUinie = 100 mm ergiebt 
sich als Mittelhöhe derselben 18,02 mm , und da bei dem gewählten Hühen- 
mafsstabe von 1 : 5000 jedem Millimeter 5 m entsprechen, ist die Mittelhöhe 
des Kaiserstuhls über dem tiefsten Punkt seiner Basis 18,02 . 5 = 90,1 m und 
über dem Meere 280,1 m, während zuvor 281,2 m ermittelt worden sind. 

Hieraus ergiebt sich endheh das gesuchte Volum = 92,51 . 0,0901 = 
8,335 cbkm statt der oben gefundenen 8,436 cbkm. Die Abweichung beträgt 
nur das Resultat und die zu ihm führende graphische Methode kann 

demnach als sehr brauchbar empfohlen werden. Gegenüber all den voraus- 
setzungsreichen, mühsamen und zum Teil nicht wenig zeitraubenden Rechnungs- 
methoden ist daher dieses graphische Verfahren durchaus zu bevorzugen. Es 
hat nur die Auswertung der Höhenschichtenarealo zur Voraussetzung und 
ergiebt gleichzeitig die Höhe des ausgeebnet gedachten Plateaus und das 
Volum des Gebirges '). 

5 F. Heidoricb wendet in eoinem oben erw&bnten Aufeatze .Die mittlere Höbe Afrikas' 
(Pet Mitt. IbSÖ, S. 20Ü ff.) auf Professor Penck's Vorschlag die oben entwickelte graphische 



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376 Orometrische Studien im Anfichlu^s an die Unferguchung deg KaiserRtubIgebirget. 



Hiernach kann nochmals kurz zur Besprechung des mittleren Neigungs- 
winkels zurückgekehrt werden. Denken wir uns das erhaltene Volum als 
liegendes dreiseitiges Prisma über der Basis von 200 m , so folgt nach der 
Sonklar’schen Formel (s. oben S. 370) cotgip =V:(l. h'), wol die Kammlünge 
und h die mittlere Kammhöhe über 200 m bedeutet. 

Für V = 7,539 ebkm folgt y = 6“ 28', für V = 7,438 ebkm (= 8,335 
— 0,897) ergiebt sich 33'. 

Nach dieser Methode habe ich bereits in meiner „Ororaetrie des Schwarz- 
waldes“ die mittleren Neigungswinkel der Kammgehiinge ermittelt. Fasst man 

andererseits das Gebirgsvolum als Kegel auf, so ist F = woraus folgt 



n = ys V:nh und cotg if — Q -.h. Hierin bezeichnet h die Höhe des höchsten 
Gipfels über 200 m. Für V = 7,539 ebkm folgt y = 4° 35', für V = 7,438 ebkm 
wird y = 4“ 40'. 

Im ganzen haben wir daher für den mittleren Neigungswinkel des Kaiser- 
stuhlgebirges folgende Werte erhalten: 



1 

o.-z. 


O 

-3 


i 

M 0 t,h 0 d 0 


“'S 


1. 


N. 


Gebirge als Kegel über 200 m hoher Basis gedacht; 
Grundfläche r'iz = 86,87 qkm, Höhe h = dem Ab- 
stand des höchsten Gipfels von der Grundfläche, 
cotg ifi = r :h 


3« 54' 


2. 


N. 


Volum F über 200 m (7,539 cbkm)]= ; p = 
l/SVinh, h dasselbe wie bei Nr. 1, cotgy = p:/i 


4» 35' 


3. 


N. 


Ganz wie Nr. 2, aber F = 7,438 ebkm 

Einzelwinkel cos = o» : <i„ , </> = (i’ 9 „) ; w , worin 
die Höhendifferenz der mittleren Kammhöbe und der 
Kammbasis, a„ den Horizontalabstand, n die Anzahl 
der gemessenen Winkel bedentet 


4« 40' 


4. 


S. 


4« 56' 


5. 


Gs. 


d wie in Nr. 4, ö = halbe mittlere Kammbreite, cotg if 
~b-.d 


5» 17' 


6. 


N. 


Arithmetisches Mittel der Neigungswinkel aller Höhen- 
stufeu, diese als Kegelstumpfe gedacht 


5“ 24' 


7. 


N. 


Aehnlich wie Nr. 4, aber die Messungen stets auf wirk- 
liche Kammpunkte bezogen , nicht auf die mittlere 
Kammhöhe 


5“ 40' 


8. 


N. 


V = Id’ cotg f ; cotg <p= V:{1 d’), l Kammlaiige, d wie 
in Nr. 4, F — 8,055 ebkm (s. S. 370) 


6» 04' 


9. 


N. 


Wie Nr. 8, aber F — 7,539 ebkm 


6» 28' 


10. 


N. 


Ebenso, aber F — 7,438 ebkm 


6* 33' 



Nach früheren Ausführungen ist der Wert Nr. 5 (b® 17') ein Minimum, 
der Wert Nr. 8 (6° 04') ein Maximum. Zwischen diesen Grenzen liegt also 
der wahre Wert des mittleren Neigungswinkels, so dass Nr. 1 — 4, 9 und 10 
nicht weiter diskutiert zu werden brauchen. Jedenfalls zeigt obige Zusammen- 



Methode ebenfalls an. Ich verweise deshalb auf die Zeitangaben S. S73, Anmerkung. Da 
Heiderichs Arbeit am Schlüsse die Angabe ,Wien, im Krühhnge 1888* trägt, wird man für 
die von ihm bezw. von Prof. Penck und von mir jeweils solbstilndig gegebene graphische 
Volumbereebnung annähernde Gleichzoitigkeit annehmen dürfen. 

*) S. ’ Sonklar, Gs. = Gsaller, N. *= Neumann. 



Digilirod by 









Orometrischo Stadien im Anschluea an die Untersuchung des Kaiserstuhlgebirgos. 377 

stellang, dass der mittlere Neigungswinkel schon eines einzigen Kammes, ge- 
schweige denn eines ganzen Gebirges die unsicherste Grosse der Orometrie 
ist. Will man sich trotzdem auf eine Bestimmung derselben eiulassen, so 
scheint es am zweckraässigston, für jeden zu untersuchenden Kamm nach der 
einfachen Gsaller’schen Methode das Minimum , und statt nach der eigene 
HUlfsmittel erforderlichen Methode 8 nach Nr. 9 das Maximum ahzuleiten. 
Das Mittel dieser äussersten Werte (5° 52') mag dann als der gesuchte Mittel- 
wert angesehen werden. Zum mindesten dient er als wichtige Kontrolle für 
die Methode 7 (ö® 40'), welche darum von ganz besonderem Wert ist, weil sie 
als die einzige wirklich vorkommende Einzelwinkel ableitct, die gewiss in vielen 
Fällen von Interesse sind. Nr. 7 erfordert aber zum Zwecke der Mittelziehung 
sicherlich eine grosse Anzahl Einzelmessungen ; die Mittel selbst sind aber 
nur für einzelne Kumme oder kleinere Gruppen abzuleiten ; ändert ja doch 
ein und derselbe Kamm seine Gefällsverhältnisse oft schon auf sehr kurze 
Strecken ganz bedeutend. Am Kaiserstuhl schwanken die 32 gemessenen 
Winkel von 3® 35' bis 9® 30'. 



Wir sind am Schlüsse unserer Ausführungen angelangt, indem alle wich- 
tigeren orometrischen Methoden auf ihren AVert und ihren Genauigkeitsgrad 
geprüft worden sind , wobei es auch möglich geworden ist , drei derselben, 
nämlich die Bestimmung der mittleren Kammhöhe, der mittleren Thalhöhe 
und der Höhe des ausgeebnet gedachten Plateaus bezw. des Gebirgsvolums 
durch ein leichtes graphisches Verfahren zu vereinfachen. Es empfiehlt sich 
wohl, das Programm einer orometrischen Untersuchung, wie es sich durch vor- 
stehende Entwickelungen ergeben hat, übersichtlich zusammenzustellen, wobei 
nicht unerwähnt bleiben darf, dass je nach dem Bau des Gebirges ein oder 
der andere der folgenden Punkto ausfallen wird : 

1. Genaue Umgrenzung des Gebirges und seiner Einzelgruppen. 

2. Bestimmung der Höhenlage aller Grenzlinien in wichtigen Einzel- 
punkten und im ganzen. 

Festsetzung der Gruppen- bezw. Gebirgsbasis. 

3. Ermittelung des Flächeninhaltes der Gebirgsbasis und der einzelnen 
Höhenschichten. 

4. Bestimmung der Höhe des ausgeebnet gedachten Plateaus und damit 
des Volums für das Gebirge und seine Eiuzelgruppen über der je- 
weiligen Basis (auf graphischem Wege). 

5. Festsetzung der Haupt- und Nebenkämme jeder Gruppe. 



6. 


V 


„ Kammlängen und der mittleren Kamm- 
höhen (auf graphischem Wege) 




7. 


it 


„ Höhe des jeweiligen höchsten Gipfels 


für jeden 


8. 


ft 


„ Mittelhöhe der höchsten Gipfel 


Einzel- 


9. 


fi 


„ mittleren Gipfelhöhe 


kamm wie 


10. 


ft 


„ mittleren Passhöhe 


für die 


11. 


ft 


„ Mittelhöhe der tiefsten Pässe 


einzelnen 


12. 


ft 


„ Höhe des tiefsten Passes 


Gebirgs- 


13. 


ft 


„ mittleren Schartung und des mittleren 
Schartungswinkels 


gruppen. 


14. 


ff 


„ mittleren tiefsten Schartung , 




15. 


ft 


extremer Werte des Neigungswinkels der Kammgehänge, 
sowie der Grenzen für den mittleren Neigungswinkel (und 
des mittleren Neigungswinkels selbst?) — nur für einzelne 
Kämme oder kleinere, gleichartig gebaute Gebirgsgruppen. 


16. 


ft 


des Anfanges, Endes, der Länge und Mittelhöhe jedes 
Thaies (letztere auf graphischem Wege). 


17. 


ff 


des mittleren Thalgefullcs der Thäler, eventuell des Ge- 
fälles einzelner Thalstrecken. 



i 



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378 Orometrüche Studien im Anschluss an die Untenuchung des Kaiserstuhlgebirges. 



18. Festsetzung der Ueberhöhung des höchsten Gipfels, der mittleren 
Kammhöhe und dos ausgeebnet gedachten Plateaus über der jeweiligen 
Kamm- bezw. Gebirgsbasis. 

Für den Kaiserstuhl, der allen vorstehenden Entwickelungen als Grund- 
lage gedient hat, haben die genannten Grössen folgende Werte : 

Höhe der Gebirgsbasis 190 — 200 m. 

Areal der Gebirgsgrundfläche 92,51 qkm. (Die Flächen der Höhenstufen 
cf. TabeUe IV und V.) 

Höhe des ausgeebneten Plateaus 280,1 m. (Graph. Meth.) 

Volum des Gebirges Uber dem tiefsten Punkte der Basis 8,335 ebkm. 
(Graph. Meth.) 

Kammlänge 18,92 km, mittlere Kammhöhe 412,6 m. (Graph. Meth.) 

Höchster Gipfel 558,7 m. 

Mittelhöhe der höchsten Gipfel 545,9 m. 

Mittlere Gipfelhöhe 433,8 m. 

„ Passhöhe 404,2 m. 

Mittelhöhe der tiefsten Pässe (tiefster Pass) 396,9 m. 

Mittlere Schartung 29,6 m, mittlerer Schartungswinkel 5* 16'. 

„ tiefste Schartung 149,0 m. 

Extreme Werte des KammgeCalles 3“ 35' bis 9® 30'; Grenzwerte für den 
mittleren Neigungswinkel 5" 17' und 6” 28'; (mittlerer Neigungswinkel 
5« 40' bis 5» 52'?). 

Höhe des Thalanfanges 320 m, des Thalendes 188 m; Thallänge 6,15 km. 
mittlere Thalhöho 237,8 m (graphische Methode). 

Mittleres Thalgefalle l* 14', Extreme des Thalgefalles 2“ 31' bis 0*41'. 

Ueberhöhung des höchsten Gipfels Uber dem tiefsten Punkte der Kamm- 
basis 368,7 m. 

Ueberhöhung der mittleren Kammhöhe Uber dem tiefsten Punkte der 
Kammbasis 222,6 m. 

Ueberhöhung des ausgeebnet gedachten Plateaus über dem tiefsten Punkte 
der Kammbasis 90,1 m. 

Freibarg i. B., Ende Mllre 1888. 



Verbesserungen von Druokfehlern: 

S. 825 Z. 10 von oben ist zn lesen: 

k — rt i ^ 4,1 (Ä,i -f A,, -f. i) statt t = ^ 2 dft {hft ft 1). 

S. 331 Z. 3 von oben ist zu lesen: 826 statt 236. 

S. 361 Z. 4 und Z. 7 von unten ist zu lesen: Isohypse statt Isobyphe; ebenso S. 362 
Z. 11 und Z. 14 von oben. 



Drei Mercator- Karten in der Breslauer Stadt - Bibliothek. 

Von Alfonn Hcyer (Breslau). 



V'orwort. 

Im Laufe des vorigen Jahres übernahm ich zum Zwecke eigener Studien 
die Katalogisierung einer noch ungeordneten , ansehnlichen Sammlung älterer 
geographischer Kurten, welche sich im Besitz der Breslauer Stadt-Bibliothek 
befinden. Die Erlaubnis hierzu wurde mir seitens des städtischen Bilbliothekars 
Herrn Professor Dr. Markgraf in bereitwilligster Weise erteilt. Die erwähnte 
Sammlung, welche durchweg aus einzelnen Karten des verschiedensten Formats 
besteht, war bisher nach einzelnen Ländern in einige 40 Fascikel verteilt. 
Nur das erste unter diesen bildete davon insofern eine Ausnahme, als in ihm 
alle jene Blätter vereinigt waren , welche aus italienischen Kartenoffizinen des 
16. Jahrhunderts, zumeist venetianischen, hervorgegangen waren. Sonst stammen 
die Karten in der überwiegenden Mehrzahl aus dem 17. und 18. Jahrhundert ; 
ihre Darstellungen umfassen alle möglichen Gebiete der Erde. Wie bei der 
Mehrzahl der Blätter die in der rechten unteren Ecke angebrachten, durch- 
gängig gleichartigen und von einer Hand herrührenden , aus einer Anzahl 
von Buchstaben zusammengesetzten Signaturen beweisen , muss die Sammlung 
ehemals, bevor sic noch in den Besitz der Stadt-Bibliothek kam, nach einem 
gewissen System geordnet gewesen sein. Da die neue systematische Aufnahme 
und Zusammenstellung der, wie schon gesagt, ziemlich umfangreichen Samm- 
lung zur Zeit noch nicht zu Ende geehrt ist, so behalte ich mir eine ein- 
gehende Besprechung für künftig vor. Sie verdient eine solche sowohl wegen 
manches in ihr befindlichen interessanten einzelnen Stückes, als auch wegen 
des reichen und nicht zu unterschätzenden Stoffes, den sie im ganzen betrachtet 
für die geschichtliche Seite der kartographischen Disziplin darbietet. 

W’ährend ich mit der betreffenden Sammlung beschäftigt war, machte 
mir Herr Prof. Markgraf die gütige Mitteilung, dass auch ausserhalb dieser 
Fascikel noch eine weitere Anzahl älterer Karten in Rollen auf den Boden- 
räumen der Bibliothek verwahrt würden ; und dass sich unter diesen auch 
eine Weltkarte von Gerhard Mercator befände, welche nach 
seiner Vermutung ein zweites Exemplar der bisher als Uni- 
kum angeführten grossen Mercatorschen Weltkarte in der 
Pariser National-Bibliothek sei. 

Diese teils in Rollen, teils in zylindrischen Futteralen von starker Mappe 
aufbewahrten Karten waren , wie mir weiter mitgeteilt wurde , schon früher 
zusammen mit einer Kollektion von historischen Karten, Scblachtplänen, Grund- 
rissen, Prospekten etc. von einem Privatliebhaber inventarisiert worden. Ein 
Nachschlagen in diesem inventarischen Verzeichnisse ergab in der That unter 
der Signatur Bs. R. 26 (Bildersammlung Bolle 26) den Eintrag : Weltkarte 
von Gerhard Mercator. Duisburg. 1569. Zu meinem nicht geringen 
Erstaunen fand ich aber gleich in den drei nächsten Nommem 27 — 29 noch 



i 



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380 



Drei Mercator* Karton in der Breslauer Stadt* Bibliothek. 



drei weitere Karten von Mercator angezeigt : 27. Europa von Gerh. 
Mercator. Duisburg 1554. 28. Angliao, Scotiae et Giberniae 
nova descriptio. Gerh. Mercator. Duisburg. 1564. 29. Karte 
von Flandern von Gerb. Mercator. Duisburg. Die den Xuramern 
26 — 28 zugefügten Jahresangaben , welche genau mit den wirklichen Publi- 
kationsjahren der betreffenden Karten Ubercinstimmten , erweckten io mir die 
freudige Hofl'nung, dass ich hier einen kostbaren und allen Verehrern Mercators 
sicherlich hoch willkommenen Fund gethaii batte. 

Die Einsicht in die zur Stelle geschafften Exemplare bestätigte denn auch 
diese Hoffnung für die Nummern 26 — 28 vollauf ‘). Es hatten sich in der 
Tbat von den in grossem Mafsstabe ausgefiihrtcn kartographischen Arbeiten, 
welche Mercators Namen tragen und mit nur zwei Ausnahmen bisher für ver- 
loren galten , zwei zu gleicher Zeit und an gleichem Orte wiedergefunden, 
nämlich die Karte von Europa vom .fahre 1554 und die der Britannischen 
Inseln von 1564. In Bezug auf die dritte Karte konnte ich die Vermutung 
des Herrn Prof. Markgraf als vollkommen zutreffend bestätigen. Die No. 26 
enthielt wirklich ein Exemplar, und zwar ein vortrefflich erhaltenes, der grossen, 
in seiner Projektion entworfenen Weltkarte Mercators von 1569, von der 
bisher nur das einzige Exemphir im Besitz der Pariser National -Bibliothek 
bekannt war. Auch dieses ist, wie bekannt, früher in deutschen Händen ge- 
wesen und erst aus dem Nachlasse Klaproths für die Pariser Bibliothek 
angekaufl worden. Dass sich nunmehr auch eine deutsche Bibliothek 
rühmen kann ein Exemplar dieses gepriesenen Monumentes der Kartographie 
zu besitzen , wird gewiss jeden deutschen Fachgenossen Mercators mit hoher 
Freude erfüllen. 

Dass diese kostbaren Blätter schon vor Jahren durch des obenerwähnten 
Liebhabers Hände gehen konnten, ohne dass derselbe ihren Wert erkannte, ist, 
wenn auch wegen der Verspätung der Entdeckung zu bedauern, doch sehr 
verzeihlich; denn für ihn hatte, wie es scheint, jene Kollektion nur vom 
ikonographischen Gesichtspunkte aus Interesse. Geographische Fachkenntnisse 
fehlten ihm augenscheinlich und so inventarisierte er denn jene Karten nur, 
weil sie sich zufällig unter jene Blätter verirrt hatten , denen er seine Auf- 
merksamkeit hauptsächlich zuzuwenden gedachte. In der That gehören auch 
die Nummern 26 — 29, wie die Art der in der rechten unteren Ecke befind- 
lichen Signatur beweist, ebenfalls zu der Sammlung, deren Ordnung ich in 
Händen habe (s. ob). 

Ich kann nicht umhin an dieser Stelle Herrn Prof. Markgraf für 
sein überaus liebenswürdiges Entgegenkommen meinen Dank auszusprechen ; 
denn erst seine gütige, die Mercatursche Weltkarte betreffende Mitteilung 
machte mich auf jenes inventarische Verzeichnis aufmerksam und ermöglichte 
so auch den Fund der Nummern 27 und 28. Ferner darf ich zu erwähnen 
nicht unterlassen, dass sich auch bei No. 28 jenes Inventars bereits ein Blei- 
stiflvermerk von Prof. Markgrafs Hand vorfand; „Nach Peschei, S. 122 noch 
n i e anfgefunden". 



*) Die unter No. 20 verzeichnete Karte von Flandern Mercators erwies sich als iden- 
tisch mit dem Blatt „Flaodria“ in dem Theatrum orbis terrarum des Abrah. Ortelius. Ant- 
werpen. 20. V. 1570 (edilio ptinceps) No. 17. Dasselbe ist eine Reduktion der Mercatorschen 
Karte von Flandern und tragt demsufolge auch links unten die Bemerkung: Oeranlus 
Mercator | Rupelmundanus | Describebat | . 

Uobrigens ist das Einzelblatt der Breslauer Stadt-Bibliothek Btr die Bibliographie des 
Ortoliusschen Theatrum insofern von Interesse, als es den Beweis liefert, dass einzelne der 
im Tbeatrum befindlichen Karten schon vor 1570 als fliegende Blatter im Buchhandel ver- 
trieben wurden. Auf unserm Kzemplar fehlt nämlich noch die Bemerkung: Cum Privilegio, 
welche sonst alle Karten im Theatrum tragen. Das Privilegium aber, welches sich Ortelius 
Ihr sein Vntemehmen verschafft batte, ist datiert; Brüssel, 2:t. X. 1569. Aehnliche Blätter, 
die sonst mit Karten des Theatrum identisch, aber ohne Privileg sind, finden sich in der 
Breslauer Stadt-Bibliothek noch mehrere. 






Drei Mercator« Karten in der Breslauer Stadt ‘Bibliothek. 381 



I. Gerhard Mercators Europa. Duieburg 1554. 

Da die AVeltkarto schon durch die Faksimileausgabo in Jomards Monu- 
ments der allgemeinen Kenntnis zugänglich gemacht worden ist, von der Karte 
der Britannischen Inseln aber aus der Biographie Mercators bekannt sein 
dürfte, dass dieses Blatt nicht zu seinen Originalarbeiten gehört, sondern auf 
den speziellen Wunsch eines englischen Freundes nur von ihm gestochen wurde, 
so wird sich naturgemäss das Hauptinteresse auf die Karte von Europa kon- 
zentrieren. Bekanntlich rührt von dem Zeitpunkt ihres Ersclieineus der Kuf 
Mercators als des grössten darstellenden Geographen seiner Zeit her. Allo 
Zeitgenossen sind ihres Lobes voll; quod opus, sagt von ihr der Freund 
und Biograph Mercators, Walter Ghjmmius, tantis laudibus itdoctissi- 
mis quibusque viris passim effertur, ut vix simile in Geo- 
graph ia in lucem unquam prodiisse vidcatur, und er traf 
damit den Xagel auf den Kopf: in der That, die darstellende Kunst 
der Erdbeschreibung batte bis zum Erscheinen von Merca- 
tors Europa nichts auch nur annähernd dieser Darstollnng 
Gleich endes unter ihren Schöpfungen aufz uw eisen. Wie man 
seine Weltkarte ein cpochcraaclieiides Ereignis für die EntwickoUmg der mathe- 
matischen Seite der Kartographie nennen kann^ so könnte man das Gleiche in 
bezug auf ihre kritische Seite von der Karte von Europa sagen. In ihr hat 
Mercator ein geradezu klassisches d^Iuster für die kritische Bearbeitung des 
für kartographische Darstellungen vorhandenen Materials seiner Zeit aufge- 
stellt. Er hat als Ei'satz für die positiven Grundlagen, wie sie unseren Karto- 
graphen in 80 reichem Masse zur Verfügung gestellt werden , aus der sorg- 
fältigsten kritischen Vergleichung und Sichtung seiner Quellen allerdings nur 
hypothetische gewinnen können; aber was ein Genie selbst auf einer so lücken- 
haften und hypotlietischen Basis aufzuführen vermag, hat Mercator unseren 
staunenden und bewundernden Blicken in seiner Karte von Europa gezeigt. 
Schon diese Leistung eriiebt ihn zu der Stellung des grössten und epoche- 
machenden Kartographen seiner Zeit , welche ihm Ijishcr aus mangelnder 
Kenntnis dieses Meisterwerks die Geschichte der Wissenschaft nur auf Grund 
seiner 15 Jahre jüngeren Weltkarte zuerteilen konnte. Bedauerlicherweise 
scheint aber seinen Zeitgenossen auch für den eigentlichen Wert dieses karto- 
graphischen Monumeutalwerks das richtige Verständni.s gefehlt zu haben, wie 
sic es für die plmnomenaleu Verdienste der späteren Weltkarte um die mathe- 
matischen Grundlagen der Kunst nicht haben linden kimnen. Denn so klar 
und deutlich sich auch Mercator in seiner Legende: Beneuolo lectori (s. unt. 
Leg. I) über die Metliode seines Verfahrens ausgesprochen liat, so beweisen 
doch die abermaligen Uückschritte, welche wir bei grösseren kartographischen 
Publikationen der nächsten Jahrzehnte wahrnehmen, dass seine Worte spurlos 
verhallt waren. 

Mercator legte, wie zu seiimra Verdienste nicht oft genug betont werden 
kann , für seine Person den Hauptwort eigener wie fremder kartographischer 
Arbeiten stets nur auf die inneren Vorzüge derselben. Gleichwohl wusste 
auch er, der ja immer alle Faktoren in Betracht zog, heziiglicli der äusseren 
Ausstattung seiner Karte mit dem Geschmack der Zeit uml des kuutlustigen 
Publikums zu rechnen. Der ügurenreiche Kähmen der ganzen Karte, wie der 
einzelnen Legenden kann in dieser Beziehung selbst unbescheidenen Ansprüchen 
Genüge thun. Stich und Druck waren, wie immer bei Mercator, tadellos. 

Dass bei allen diesen Vorzügen der Absatz ein grosser war, lässt sich 
w’olil denken. Es muss daher geradezu wunderbar ei*scheinen , dass von der 
grossen Auflage sich bisher nur dieses eine Exemplar hat finden lassen. Ver- 
breitung fand die Karte wegen des Gegenstandes ihrer Dai*stellung unzweifel- 
haft allenthalben, wo nur irgend Kunst und Wissenschaft gepflegt wurden. 
Vielleicht ist ihr aber gerade ihre vorteilhafte äussere Erscheinung zum Ver- 

30 



l 



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382 



Drei Mercator-Karten in der Breslauer Stadt -Bibliothek. 



hängnis geworden. Wie der Präsident des (xeheimen Rats Viglius a Zuichcm 
sie in seiner Bibliothek am Kamin hängen hatte •), so wird sie auch von 
andern ihres schmucken Aussehens halber als Waiidverzierung benutzt worden 
sein. Auf fliese Weise mag denn allerdings so manches Exemplar, nachdem 
es durch Staub, Feuchtigkeit etc. unansehnlich geworden war, in die Rumpel- 
kammer gewandert und dort schliesslich ganz zu Grunde gegangen sein. — 

Die Seltenheit und Kostbarkeit der Karte, sowie ihre ungemeine Wich- 
tigkeit nicht nur für die Entwickelung der kartographischen Bedeutung Mer- 
cators , sondern für die Geschichte der kartographischen Disziplin überhaupt, 
muss ganz selbstverständlich den Wunsch erregen, sie in w’ürdiger Weise 
der allgemeinen Kenntnis zugänglich zu machen. Die vorzügliche Wiedergabe 
der von Dr. Oscar Brenner 1886 in München aufgefuudenen grossen Karte 
des Olaus Magnus durch die Bruckmannsche Verlagsanstalt für Kunst und 
Wissenschaft in München lässt wohl das von ihr angewandte Lichtdruckver- 
fahren als das für solche Publikationen geeignetste erscheinen. 

Vor der Hand muss sich der Leser dieser Zeilen wohl oder übel mit der 
Uebersicht begnügen, welche ich in der linearen Verkleinerung von 1 : 4 hier bei- 
folgen lasse. Es war nicht die Mühseligkeit der Arbeit, die mich veranlasste von 
einer vollständigen Reduktion abzusehen. Es standen mir vielmehr die sinn- 
verwirrenden und augeublendenden Reduktionen , wie sie Joachim Lelewcl in 
seinem Atlas zur Geographie du moyeu-äge giebt, als abschreckende Beispiele 
zu lebhaft vor den Augeu , als tlass ich gewagt hätte das ganze kolossale 
topographische Detail der Originalkarte auf so kleinem Raume wiederzugeben. 
Ich habe mich daher auf die Konturen des Erdteils und auf die orographischen 
und hydrographischen Verhältnisse beschränkt Die Komenklatur der letzteren 
habe ich nur im östlichen Teile der Karte beigefügt, weil in diesen Gegenden 
der Mangel sicherer Angaben Mercator zu einzelnen Irrtümern namentlich in 
der Bezeichnung der Wasserläufe verleitet hat. 

Im übrigen habe ich mir die möglichste Treue und Genauigkeit bei allen 
Eintragungen zur PHicht gemacht Distanzen , Breiten und Längen wurden 
zumeist durch oftmalige Messungen mit dem Millimetermass, selten nach Augen- 
mass festgestellt. Letzterem liess ich nur bei Einzeichnuug unbedeutender 
Wasseradern freieren Spielraum. Die Ungewohntheit der Arbeit und die nur 
von dem Kenner richtig zu schätzende Schwierigkeit einer Reduktion über- 
haupt mögen die unzweifelhaft trotz aller Sorgfalt noch vorgefallenen ünge- 
nauigkeiten entschuldigen. 

Ich gehe nunmehr zur Besprechung der Karte selbst über. 

Das Aoussere der Karte. 

Mehr als durch ihr fast 333 jähriges Alter hat die Karte in ihrer äusseren 
Erscheinung durch die unpraktische und nachlässige Behandlung gelitten, 
welcher sie im Imufe der .Jahre — von wem, ist ja für die Sache selbst 
gleichgültig — ausgesetzt gewesen ist. Sie wurde, wie es den Anschein hat, 
schon früh auf Leinwand gezogen ; doch muss dieses Geschäft recht unge- 
schickten Händen anvertraut worden sein. Die Sektionen sind zwar leidlich 
aneinander gepasst (freilich so, dass eine Zusammenffdtung nachher nicht mehr 
möglich w ar) ; dagegen haben sich , vielleicht durch das Zusammenrollen der 
Karte , noch ehe sie ganz getrocknet war , besonders in der linken , oberen 
Ecke , zahlreiche Falten und Schrumpfungen gebildet. Nach dem Aufziehen 
wurde sodann die ganze Textseite mit einer glänzenden, firnisartigen Flüssig- 
keit überstrichen. Der, welcher diese konservatorische Massregel anorducte, 
hatte sicherlich dabei nur die lobenswerte Absicht, die Karte durch diesen 
Ueberzug vor Feuchtigkeit oder Insektenfrass zu schützen ; und in der That 
sind Beschädigungen dieser Art sehr wenig bemerkbar. Dass sein Verfallen 



*) Archivea dea arta, aciencea et lettxea, par AI. Pinchart, 1 edric, tome II p. 310— U12. 



Drei Mercator* Karten in der Breslauer Stadt -Bibliothek. 



B8S 



in einer anderen Beziehung für den Gegenstand seiner Sorgfalt zum Nachteil 
ausschlagen würde, konnte er nicht voraussehen. Die bestrichene Seite der 
Karte nahm nämlich im Laufe der Zeit und unzweifelhaft nur infolge des 
Firnisüberzuges eine bräunliche Färbung an, welche das Lesen nicht unbeträcht- 
lich erschwert. Es ist die.s namentlich der Fall an Stellen, wo sich das Detail 
sehr drängt, und an den Uferlinien, wo ohnehin Wasser und Land nicht durch 
den Stich von einander unterschieden sind. 

Der beim Aufziehen verwendete Klebstoff und der Firnis haben ferner 
im Verein die Leinwand und das Papier so hart, unfügsam und spröde gemacht, 
dass die Karte stets in die gerollte Lage, in welcher sie seit jenen Manipulationen 
aufbewahrt wurde, zurückzukehren strebt und nur unter Anwendung von Zwangs- 
mitteln in einer zur Benutzung geeigneten Lage erhalten werden kann. 

Einem späteren Besitzer muss die Höbe der Rolle bei der Aufbewahrung 
Unbequemliclikeiten verursacht haben; um diesen auf die einfachste Weise ab- 
zuhelfen, hat er, kurz entschlossen, die ganze Karte in der Richtung Ost-West 
mitten durchgcschnitton, obendrein mit einer stumpfen Schere, welche zu beiden 
Seiten des Schnitts Fasern der Leinwand und mit diesen natürlich auch Teile 
des Kartenpapieres herausgerissen hat. Dieses barbarische Verfahren erweckt 
um so grösseres Bedauern , als der dadurch verursachte Schaden gerade das 
Gebiet Mitteleuropas und speziell Deutschlands trifft, dessen Text und Detail 
in der Nähe der betreffenden Stollen fast ganz unkenntlich geworden sind. 
Zu dieser Schädigung gröblichster Art treten dann noch einige von Tinte oder 
sonst einer ätzenden dunklen Flüssigkeit herrüljrende dunkelviolette Flecke, 
von nicht bedeutendem Umfange und meist an nicht gerade wesentlichen Stellen, 
ferner einige durch Reibung verursachte hellere Flecke , wo der Text etwas 
verwischt und beschabt erscheint , und hier und da kleine Lücken im Papier, 
aus welchem infolge der Sprödigkeit kleine Stückchen ausgesprungeu sind. 
Da die zuletzt genannten Mängel keinen Teil der Karte völlig unbrauchbar 
machen, so kann man sie in anbctracht der Seltenlieit und Kostbarkeit der 
Karte immerhin ohne grosses Murren in den Kauf nehmen. In der rechten 
unteren Ecke befindet sich die Signatur Kep ; nach derselben hat sie also ehe- 
mals zu der Sammlung gehört, von welcher ich eben gesprochen habe. 

Gegenwärtig dient zum Schutze unseres Kleinods ein aus starker, steifer 
Mappe gefertigter, zylindrischer Behälter, in welchen die beiden Hälften, über- 
einander gerollt, geschoben werden. Diese konservierende Massregel w'ar übrigens 
schon lange, ehe der grosse Wert der Karte erkannt w'urdc, bei Gelegenheit 
der oben erwähnten Inventarisierung getroffen worden. Aber auch beim Ge- 
brauch der Karte wird stets grosse Vorsicht unzuempfehlen sein, damit nicht 
beim Herausnehmen und Entrollen, sow'ie bei den umgekehrten Manipulationen, 
an den schon beschädigten Stellen, namentlich den beiden Schnittlinien, neue 
Stückchen infolge zu starken Aufstossens abblättern und verloren gehen. 

Eine Remedur der geschilderten, durch die frühere schlechte Behandlung 
verschuldeten Mängel erscheint als ausgeschlossen; man würde möglicherweise 
sogar den Bestand und die Brauchbarkeit der Kurte ganz aufs Spiel setzen. — 

Die Dimensionen unseres Excmplares in seinem dermaligen Zustande 
sind folgende: Breite an der nördlichen Seite gemessen: 158,3 cm; an der 
südlichen 159 cm. Höhe an der westlichen Seite 65,8 66,1 = 131,9 cm; 

an der östlichen 66,4 -f- 66 = 132,4 cm. (Die Differenzen von 7, resp. 5 mm 
sind auf die ungleichmässige Schrumpfung nach dem Aufkleben , namentlich 
aber auf die in der linken oberen Ecke entstandenen Falten zurückzuführen. 
Wegen des Zusammeufahrens des Papiei-s beim Trocknen dürften überhaupt 
die angeführten Masse um eine Kleinigkeit zu erhöhen sein.) Die ganze 
Kartenfiäche liat demnach einen Inhalt von rund 2,1 Dm. Bringt man den 
Rahmen, der in einer Breite von 6 cm rings um die ganze Karte läuft, in 
Abrechnung, so bleibt für den zur eigentlichen kartogra])hischen Darstellung 
verwendeten Raum eine Fläche von rund 1,8 Dm übrig. 



so 




384 



Drei Morcator* * Karten in der Breslauer Stadt* Bibliothek. 



Die Karte besteht im ganzen aus 15 Sektionen, welche sich auf 3 Lagen 
zu jo 5 verteilen. Racmdouck (wenn schon er mit seiner Angabe [1,27 X 1,50 m] 
die Dimensionen des Blattes annähernd richtig geraten hat), täuschte sich 
also in der Annahme, dass der Stich in 6 Sektionen ausgefiihrt wurde. Ich 
führe diesen Biographen Mercators hier nur deshalb an, weil er auf diese seine 
ganz unbegründete Voraussetzung die weitere Hypoütese stützt und in seiner 
dreisten und sicheren Weise vortrugt, dass die Karte zum grössten Teile schon 
in Löwen fertig gestellt wurde ’). Die thatsächliche Zaiil von 15 Sektionen 
und die Angabe des zeitgenössischen Biographen Mercators, Walter G-hymmius, 
tabulasque tres vel ([uatuor ibidem (in Löwen) perfecerat, 
ca^teras (allatis sec um a?neis tabulas cum hic habitatum 
veniret [nach Duisburg]) bienuii spatio . . . absolvit, beweisen viel- 
mehr, dass Mercator den Stich io Löwen eben erst begonnen hatte, und den 
bei weitem grösseren Teil (mindestens 11 Sektionen) in Duisburg ausführte. 
Woher übrigens Breusing ’) die Nachricht nahm, dass die Karte aus 8 Blättern 
bestand , vermag ich nicht zu ermitteln ; die Blundevüleschen Exercises , aus 
denen er seinen zutreiTeudeu, wenn auch nur negativen Schluss betrefl'end die 
Projektion unserer Karte zog und die ihm vielleicht auch für jene Nachricht 
als (juello dienten, standen mir zur Durchsicht nicht zu Gebote. 

Die Ausführung des Stiches ist, w*ie es in Mercators sorgfältiger und 
gründlicher Art lag, von einer bis ins kleinste Detail gebenden Akkuratesse ; 
die Linienführung ist scharf und kräftig, ohne dabei eine gewisse Eleganz ver- 
missen zu lassen. Letztere kommt namentlich zur Geltung in dem Kartentext, 
für welchen Mercator die itaUenische Kursivschrift verwendete, deren Einführung 
in die kartographische Technik bekanntlich ebenfalls sein Verdienst ist*). Wie 
ich schon oben vorübergehend erwiiimte, sind die Wasserflächen von den Land- 
flächen durch den Stich nicht besonders unterschieden ; cs hatte dies w'ohl 
darin seinen Grund, dass bei so grossen und zumeist an der Wand zu be- 
festigenden Karten, wie die von Europa, von vornherein auf eine vollständige 
Illuminierung gerechnet wurde, welche dann allerdings die Mühseligkeit der 
Schraffierung der grossen Wassertiiiehen völlig überflüssig machte. Unser 
Exemplar ist nicht vollständig illuminiert; namentlich sind die Wasserflächen 
von jeder Farbe frei gehlieben, und cs treten infolgedessen die Umrisse der 
Landtiächen etwas weuigm* scliarf liervor, als es für die Uebersichtlichkeit 
wünschenswert erscheint. Die Ausmalung beschränkte sich auf eine leichte 
Färbung der politischen Grenzen, der Gebirgszüge und Wälder und der topo- 
graphischen Signaturen; nur für den Anstrich der Ornamente der Legenden- 
Kahmcn musste der Farbenkasten etwa.s stärker herhalten. 

Zu den Ansprüchen, welche der damalige Zeitgeschmack und wohl nicht 
nur der dos grösseren und ungelehrten Publikums an ein grosses Karten- 
blutt stellte , gehörte auch ein gewisses ornamentales und ügurales Beiwerk ^). 
Mercator verstand auch in dieser Hinsicht die Käufer seiner Karte zu- 
frieden zu stellen. Eh führte rings um die ganze Fläche einen 6 cm breiten, 
mit Darstellungen aus dem Fauneulehen geschmückten Streifen und umschloss 



*) J. v»u Racmdonck: G^rard Mercator. St. Nicolas. 1869. S. 79. 

*) A. Breusing: Leitf. durch d. Wiegenalter der Karlographie. Frankf. a. M. 1883. S. 20. 

*) Breufiing: Gerhard Kremer gen. Mercator. Duisburg. 1869. S. 8. 

*) Wir finden dasselbe auch noch auf hp&tcron Blattern, bistiof in das 18. Jahrhundert 
hinein. Ko hatte sich nur mit der Zeit auf die nächste l'ingobung des Titels konzentriert 
Die Ofßzinen dos 17. und 18. .Tahrhiindcrtg venvandten auf diese ^Parerga*, wie der tech* 
nischn Ausdruck lautete, eine ungemeine Sorgfalt; und wir begegnen in ihnen oftmals 
gradüzu kün>-tlcrischen LoiHtungeo des Kupferstichs. Zum Gegenstand eines .Parergona*^ 
wurde in der Regel ein Stillleben aus Landesprodukton, ein I^andschaftsbild, eine Trachten* 
gruppe oder Aehnliches gewählt, mit heziehuiigsreichen Annpielungoo auf das von der Karte 
uargestellte Land. Diese künstlerische Seite der älteren kartographischen Produkte verdient 
wohl auch von der speziellen Kunsthistorie höhere Beachtung, als sie bisher meines Wissens 
gefunden hat 









Drei Mercator- Karlen in der Breslauer Stadt -Bibliothek. 



385 



auch die grösseren Legenden mit reich ornamentierten Rahmen. Doch hielt 
er von der Darstellung selbst alles Bilderwerk sorgBUtig fern. Nur auf dem 
offenen Meere sind einige Schiffe und aus den Fluten tauchende Seetiere zu 
gewahren. Er hielt eben auch hierin den reinwissenschaftlichen Standpunkt, 
auf welchen er sich in seinen kartographisclien Arbeiten ausschliesslich stellte, 
durchaus fest. 

Mit dieser äusseren Ausstattung trat denn, wie die Legende VII mit- 
teilt, im Oktober des Jahres 1554 die Karte Europas vor die Oeffentlichkeit. 
Um sich die Früchte seines mehrjährigen Fleisses zu sichern, hatte sich 
Mercator für seine Karte, um sie vor Nachstich zu schützen, zwei Privilegien 
verschafft, ein kaiserliches auf 10 .Jahre und eines vom Senat von Venedig 
auf ebensolange (siche Legende VIII) ; namentlich das letztere erschien der 
unglaublichen Gewissenlosigkeit der damaligen, mit ihren Fabrikaten den Markt 
beherrschenden, venetianischen Kartenoffizinen gegenüber höchst angebracht. 
Es scheint seinen Zweck übrigens erfüllt zu haben, da ein Nachstich niemals, 
80 viel mir bekannt ist, publiziert wurde. 

Gewidmet hat er sein stolzes Werk mit schlichten Worten (s. Legende IV) 
dem Bischof von Arras, Anton Perrenot*), Herrn von Granvella, 
mit welchem er schon seit der Ijöwener Zeit in wissenschaftlicher Korre- 
spondenz stand, als einem hervorragenden Mäceu aller Wissensclmften und 
Studien. 



Die Projektion der Karte. 

So lange man die Karte nicht aus eigener Anschauung kannte, mussten 
natürlich alle Angaben über die Projektion, welche Mercator für ihren Ent- 
wurf zu Grunde legte, den Charakter blosser Vermutungen tragen. Allge- 
meine Annahme hatte bis vor etwa zwei Jahrzehnten die Ansicht d’Avezac’s 
gefunden , dass Mercator die von ihm erfundene Projektion des schneidenden 
Kegels schon auf seiner Karte von Europa 1554 angewendet habe. Er konnte 
freilich seine Vermutung nur auf einen Rückschluss von dem kleinen Blatte 
„Europa“ des späteren Atlas stützen, welches in dieser Projektion gezeichnet ist. 
Im Jahre 1860 hat aber B reusing in seinem schon mehrfach erwähnten 
Vortrage dargethan, dass die von d’Avezac der Karte supponierte Projektions- 
art nicht aufrechterhalten werden könne. Er hatte nämlich in den Exercises 
von Thomas Blundeville, einer pädagogischen Schrift aus dem Ende 
des 16. Jahrhunderts, eine Beschreibung der Karte Mercators von Europa 
aufgefunden, welche die Meridiane des Gradnetzes als krumm- 
linig bezeichnet. Krummlinige Meridiane sind aber für die 
Projektion des schneidenden Kegels eine Unmöglichkeit. 
Da durchaus kein Grund vorliegt an der Angabe des Blundeville zu zweifeln, 
80 war dadurch (fAvezacs Hypothese allerdings endgiltig widerlegt •). 

In der That hat die Projektion unsrer Karte, wie der Augonscliein 
lehrt, mit der des schneidenden Kegels nichts zu thuu. Es crgiebt sicli sogar 
mit aller Wahrscheinlichkeit daraus, dass die letztere damals überhaupt von 
Mercator noch gar nicht erfanden worden war; er hätte sie im andern Falle 
als die unzweifelhaft geeignetere sicherlich zur Anwendung gebraclit. Wenn 



D An ihn richtete Mercator auf) I^wen schon am 28. II. da» hochinteressante 

Schreiben Aber das Problem der Misaweiaunj? der Magnetnadel (aufgefandon in der Göttinger 
Bibliothek und in deutscher Uobersotzung verötTcntUcht von Brcusiitg in: Gerhard Kremer 
gen. Mercator. Duisburg. 1869. S. 13). 

*) Ich filhre den Titel des Blundevilleschen Werkchens, den Breusing nicht gennuor 
anmebt, ira folgenden ausnihiiich an. wie ich ihn nach langtun Suchen in Graease's Tresor 
«runden habe: Thomas Blundeville, Exercises coni. 8 Treatises, nccesaary io all young 
Gentleman desirous to have a knowlcdge in Co>^mogmphio, Astronomie and Geographie, as 
also Navigation (7. Auflage 1636). BreusLog kannte die Auflage von 1594. 



386 



Drei Morcator* Karten in der Breslauer Stadt* Bibliothek. 



der Titel des Uebersichtsblattes Europa im späteren Atlas *) dasselbe gleich- 
wohl als eine Reduktion nach der grossen Karte bezeichnet, so kann 
mit der letzteren nur die zweite Auflage vom Jahre 1572 gemeint sein ; 
dies maehen auch ausser der veränderten Projektion die weiteren Zusätze und 
Verschiedenheiten ziemlich wabrscheinlicb. Seiner löblichen und nachahmens- 
werten Gewohnheit gemäss spricht sich Mercator in der Nachricht an den 
Leser (siehe Legende I : Beneuolo lectori.) in kurzen , aber erschöpfenden 
Worten über die Konstruktion der mathematischen Grundlagen seiner Karte 
aus. Er sagt daselbst ; Europam descripturi primum curavimus 
nt spacia meridianis parallelisijue intercepta quam mini- 
mum a rectangulari specic, quam intcrrcstri spherababent, 
distraherentur.quopartesilliusexterioresminimumquoque 
a sua figura diducerentur, id non me Höre via con sequi p o - 
tuimus, quam parallclis ex polo circumductis, medio tabu- 
lae meridiano rcliquos hiuc inde iuxta debitam distantiam 
subjungend 0 . Seine erste Sorge liess er sein, dass die von Meridianen 
und Parallelen eingeschlossencn Flächen , welche auf der Kugeloberfläche als 
sphärische Rechtecke erscheinen, auf dem Kartenblatt, also in der Ebene, 
sich möglichst wenig von dieser ihnen eigentlich zukommenden Ge- 
stalt entfernten. Auf diese Weise sollten die Verzerrungen in der Gestalt 
der Länder an den äusseren Teilen (den Rändern) der Darstellung auf ein 
möglichst geringes Mass beschränkt werden. Die beste Methode, 
dies zu erreichen , glaubte er nun darin gefunden zu haben , wenn er die 
Parallele als (gleich abständige) konzentrische Kreise vom Pol aus als Mittel- 
punkt zog und alsdann zu beiden Seiten des (als gradlinig angenommenen) 
mittleren Meridians die übrigen „gemäss der gebührenden Entfer- 
nung“ d. h. nach dem richtigen Verhältnis des betreffenden 
Parallele zum grössten Kreise der Kugel, auf den einzelnen 
Parallelen abtrug. 

Diese Darstellung der Projektion stimmt, wie wir sehen, Zug für Zug 
mit der sogenannten herzförmigen Projektion überein , welche 
Johannes Stabius bereits am Anfänge des 16. Jahrhunderts an der 
Wiener Hochschule lehrte. Breusing scheint der Annahme zuzuneigen , dass 
Mercator diese Entwerfungsart als von Stabius herrührend gekannt und sie 
nur in die Praxis eingeführt hat. Doch ist in anbetracht der geringen Ver- 
breitung der Lehren des Stabius (wir kennen auch für die herzförmige Pro- 
jektion seine Autorschaft nur aus Berichten seines Schülers Johannes Werner 
in Nürnberg) immerhin die Annahme zulässig, dass Mercator die von ihm 
gewählte Projektion selbständigerfundenoder, richtiger gesagt, 
noch einmal erfunden hat. Dafür sprechen namentlich seine Gründ- 
lichkeit und die Selbständigkeit seiner Erwägungen in allen Fragen gerade 
dieser Art, sowie seine eigenen Worte in der Legende, aus denen man doch 
wohl herauslescn muss, dass er nach mannigfachen Versuchen und 
Ueberlegungen diese Methode endlich als die geeignetste ermittelt hat 
Gegen den Verdacht, sich durch absichtliches Verschweigen fremdes Verdienst 
aneignen zu wollen , schützen aber Mercator die anerkannte Lauterkeit seines 
Charakters und die oft bewiesene Neidlosigkeit und Bereitwilligkeit, mit der 
er jedes fremde Verdienst, so unbedeutend es oft auch schien, anzuerkennen 
pflegte. 

Dass diese herzförmige Projektion sich in besonders hervorragender Weise 
zur Darstellung grosser, Uber viele Längengrade sich erstreckender Flächen 
eigne, wird niemand, der nur einmal ein auf diese Projektion entworfenes 



(Rochtfl unten) EVROPA, | ad magnm Rnropa; Ge* I rardi Mercatorii P. imitati- | 
onem, Rumoldi Mercatoris F. { eure edita, feruato tarnen | initio longitudinia ex ratio* 1 ne 
roagnetis, quod Pater | in magna fua vniver- { fali pofuit. 



Drei Mercator- Karten in der Breslauer Stadt* Bibliothek. 



387 



Bild z. B. Europas vor Augen gehabt hat, beliaupten. Die Parallele krümmen 
sich nach den Rändern zu allzustark nach oben und beeinträchtigen durch 
diese Eigenschaft , welche die Orientierung erschwert , die üebersichtlichkeit 
der Karte. Sicherlich erkannte auch Mercator die Unzulänglichkeit der von 
ihm gewühlten Projektion ; und eben diese Erkenntnis hat ihn wolil zu aller- 
nächst veranlasst, seinen Scharfsinn von nun an auf das Studium und die ein- 
gehendste Erforschung der für kartographische Arbeiten geeignetsten mathe- 
matischen Grundlagen zu richten. Vor 155*1 hatte Mercator noch keine der- 
artige direkte Veranlassung gehabt; von den beiden Karten, die vor seinem 
Europa erschienen , hatte Palästina (Löwen 1537 , Mercators Erstlingswerk) 
wahrscheinlich, die Karte von Flandern (Löwen 1540) sicher gar keine Pro- 
jektion. Erst mit dem Wachsen seiner Pläne, mit dom Vertiefen seiner 
Ideen, mit dem Umfassen der Erde in immer weiterem Umfange drang 
sich ihm die unabweisbare Notwendigkeit besserer, zweck- 
mässigerer, den wirklichen, auf der Kugeloberfläche be- 
stehenden Verhältnissen, in genauerer Weise Rechnung 
tragender Projektionen auf. 

Wie ich schon oben andeutete, hat Mercator für seine zweite Auflage 
Europas vom .Tahre 1572 wahrscheinlich eine verbesserte Projektion gewählt 
und , vorausgesetzt , dass dies der Fall war, unzweifelhaft die Projektion mit 
dem schneidenden Kegel , wie sic sich auch auf dem von Rumold Mercator 
entworfenen Uebersichtsblatto des Erdteils im Atlas vorfmdet. Wenn übrigens 
dieses in Wirklichkeit eine genaue Reduktion der Karte von 1572 sein sollte, 
so ist die Bezeichnung der letzteren als einer zweiten Auflage der von 1554 
nicht ganz zutreffend. Die Unterschiede wären alsdann so bedeutend, dass 
Mercator sichcrlicb die Zeichnung und den Stich von Anfang bis zu Ende neu 
hätte ausführen müssen. Hoffentlich bringt ein glücklicher Zufall auch diese 
neue Bearbeitung von 1572 recht bald ans Licht; sie würde ein hochinter- 
essantes Pendant zu der von 1554 darbieten. 

Ich lasse nun die Projektionselemente der Karte folgen, für die ich aber 
die Masse der Originalkarte, nicht die der Reduktion gebe. 

Mercator nahm für den 360. Teil des grössten Kreises, also für 1“ eine 
Grösse von 26 mm an ; er entwarf also seine Karte, um den modernen Aus- 
druck zu gebrauchen, im Mafsstab von 1:4281023, oder rund 1:4280000. 
Dieser Mafsstab entspricht ungefähr dem unsrer Wandkarten von Europa. 
Der Radius für den Parallel der geographischen Breite (p betrug demgemäss 
r = (90 — ip).26 mm. Er führte aber das Gradnetz nicht bis zum Nordpole 
aus, sondern schloss es mit der Tangente zum 75*’ n. Br. Der Pol resp. der 
Mittelpunkt für die konzentrischen Parallele kommt also auf die Verlängerung 
des mittleren Meridians noch 390 mm über den Berührungspunkt des 75. Pa- 
rallels und der Tangente zu liegen. Im Süden begrenzt den Kartenraum die 
Tangente zum Parallel 28* 20' n. Br. Im Stich hat Mercator die Parallele 
nur von 5 zu 5° ausgezogen; der Abstand derselben von einander beträgt 
also 5 X 26 = 130 mm. 

Als mittleren Meridian wählte er den von 37“ 30' ö. L. (v. Ferro), zog 
diesen aber auf dem Stich nicht aus. Zu beiden Seiten desselben trug er 
dann auf den einzelnen Parallelen die Meridianschnittpunkte „iuxta debitam 
distantiam“ ab (für die zunächst rechts und links von 37“ 30' liegenden Meri- 
diane 36“ und 38“ natürlich nur in der halben Entfernung). Diese „debita 
distantia“ betrug bei dem gewählten Mafsstab auf dem Parallel <p für einen 
Längengrad d = 26 . Cos. </>, also für 5 Längengrade (denn auch die Meridiane 
sind auf dem Stich nur von 5 zu 5“ ausgezogen) tl = 130 . Cos. ip. Da der 
Cos. 60“ = ist, so war auf dem Parallel 60“ ein Längengrad halb so gross 

als am Aequator oder als 1“ des grössten Kreises, nämlich = 13 mm, 5 Längen- 
grade =65 mm. 



388 



Drei Mercator- Kartell in der Breslauer Stadl-Biblioüiek. 



Bei Zugrundelcgunp! der Bcssclsclien Dimensionen für das Erdsphäroid 
(Mercator setzte natürlich noch die vollkommene Kugelgestalt voraus) würden 
sich für je 5 Längengrade für die einzelnen Parallele folgende Werte in Milli- 
metern ergeben : 

30« = 112,7 45« = 92 60« = 65,3 

35« = 106,6 50« = 83,7 65« = 54,9 

40« = 99,7 55« = 74,8 70« = 44,6 

Der Ausgangspunkt der Längen Zahlung, 

Mercator beginnt auf seiner Karte von Europa, wie man aus dieser 
selbst scbliesscn kann , die Zählung der Längengrade von einer der Inseln 
des atlantischen Meeres. Es ist aber nicht zu ersehen, von welcher derselben, 
da sich die Darstellung im südlichsten Teile nur bis zum 5« ö. L. erstreckt. 
Auch keine der Legenden giebt über diesen Punkt irgend welchen Aufschluss. 
Da aber für eine richtige Beurteilung der Karte von Europa die Kenntnis des 
0 Meridianes, von dem ihre Längen gezählt werden, von wesentlicher Bedeu- 
tung ist, so müssen wir versuchen uns auf indirektem Wege darüber Klarheit 
zu verschaffen. 

Bekanntlich ging unser Kartograph auch in dieser wichtigen Frage später 
nach reiflicher Ueberlegung seinen eigenen Weg. Auf der 15 Jahre späteren 
Weltkarte spricht er sich über die Wahl des 0 Meridians für dieselbe in 
der Legende : De longitudinum geographicarum initio et polo 
m a g n e t i s folgcndermasseu aus : Testatur Franciscus Diepanus 
peritissimus nauarchus volubiles libellas magnetis virtute 
infectas recta mundi polum respicere in insulis C. Viridis, 
Salis, Bonauista, et Maio, cui proximü astipulantur, qui in 
Tercera ant S. Maria (insulae sunt inter Ä(ores) id fieri 
dieuut, pauci in earundem occidcntalissimaCorui nomine 
id contingere opinantur. Quia vero locorum longitudines a 
communi magnetis & mnndi meridiano iustis de causis ini- 
tium s u m e r e 0 p 0 r t e t , p 1 u r i u m t e s t i m o n i u m s e qu u t u s p r i mu m 
meridianum i>er dictas C. Viridis insulas protraxi, . . . Er 
begann also die Längenzählung auf der Weltkarte mit demjenigen Me- 
ridian, auf welchem nach dem Zeugnisse bewährter See- 
fahrer die Magnetnadel reine Nordweisung zeigte. Der 360. 
oder 0 Meridian streicht demnach durch die Inseln Y. de Mayo, Bonauista 
und Y. de Sal (zwischen 15« und 17“ n. Br.) und durchschneidet die Gruppe 
der A?ores insulae in der Weise , dass S. Michaelis und S. Maria östlich, 
Tercera (an dessen Ostspitze er dicht vorüberzieht). Pico, Faial, S. Georgio, 
Gratiosa westlich von ihm zu liegen kommen. 

Nun liegen C. Finisterrae und C. Vincenz auf der Weltkarte 12« 25' 
resp. 13« 12', dagegen auf der Karte von Europa 10« 25' resp. 11« 12*. 
Der Unterschied betrügt also genau 2«. Genau ebensoviel betrüg aber der 
Längenabstand der Ostspitze von Ferro von dem 0 Meridian auf der Welt- 
karte. Es ergieht sich also auf diesem indirekten Wege, dass Mercator 
auf seiner Karte von Europa von 1554 nach dem Vorgänge 
von Ptolemaeus den 0 Meridian noch durch die Gruppe der 
Kanarischen Inseln (der ins. fortunatae des Alexandri- 
ners) und zwar durch die östliche Spitze der I. Ferro ge- 
legt hat. 

Wie übrigens die obigen Angaben für die beiden westlichen Vorgebirge 
Europas zeigen, haben die Längen unsrer Karte, noch ehe sie die europäischen 
Uferlinien erreichen, ein ganz heträclitliches Plus erreicht; dasselbe beträgt für 
C. Vincenz -f- 2« 30', für C. Finisterrae -1- 2« 6'. 



Drei MercÄlor- Karten in der Breslauer Stadt- BiblioÜiek. 



389 



Die eigentümlichen und im nächsten Abschnitt näher zu erörternden 
Verhältnisse, mit denen Mercator bei seinen auf indirektem Wege angestellten 
Längenermittelungen zu rechnen hatte, lassen es wünschenswert erscheinen, 
alle noch anzuführende Längenangaben auf einen durch irgend einen Funkt 
des Kontinents gehenden Meridian zu beziehen. Da nun von dem Meridian 
von C. Finisterrae an das Plus der Längen, je weiter dieselben nach Osten 
fortschreiten, konsequent an Höhe zunimmt, so habe ich hierfür den Meridian 
von C. Finisterrae angenommen und demgemäss für alle Längen der Merca- 
torschen Karte 10“ 25' in Abzug gebracht; die heutigen 6rw. , wenn sie 
westlich sind, mussten dementsprechend von 9“ 18' subtrahiert, wenn öst- 
lich, zu 9“ 18' addiert werden. (Fortaetzung folgt.) 




. Digitijed by Googk 



Die Bevölkerungsverhältnisee des russischen Reiches im Jahre 1885. 

Von Dr. Vinc. Goohlert. 



Nacli dem unlängst eracliieneneii statistischen Jahrbuche von Russland ‘) 
umfasste das russische Reich im Jahre 1885 auf 19 008901 Quadratwerst 
108 787 235 Einwohner, wovon entfallen 

auf das europäische Russland 4 241042 Q.-Werst mit 81725185 Einwohnern 

„ Polen 111554 „ „ 7 9603Ü4 „ 

„ Finland 286042 „ „ 2176421 

„ Kaukasien 406 983 „ « 7 284 547 „ 

„ Sibirien 10945 993 „ „ 4 313680 

„ Russisch-Centralasien . . 3017 287 „ „ 5322098 „ 

Am dichtesten ist Polen (nach der offiziellen Bezeichnung: die Gouverne- 
ments der Weichsel) bevölkert (mit 71,4 Einwohnern auf den Q.-Werst), dann 
nahezu um den vierten Teil geringer das europäische Russland (mit 19,3) und 
Kaukasien (mit 17,9) ; auf Finland entfallen nur noch 7,6 und am dünnsten 
verstreut findet eich die Bevölkerung in Russisch-Centralasien mit 1,8 und in 
Sibirien mit nur 0,4 Einwohnern auf den Quadratwerst. Nach dem Quadrat- 
kilometer berechnet stellen sich die angegebenen Zahlen etwas niedriger. 

Auch das Geschlechtsverhältnis der Einwohner unterliegt in den einzelnen 
Gebieten manchen Schwankungen ; während in Polen und Finland das woib- 
Uche Gesclüecht überwiegt (auf je 100 Männer 104,1 und 103,8 Frauen), 
besteht im europäischen Russland nahezu Geschlechtsgleichheit (101,2), ein 
Ueberwiegen der Männer über die Frauen zeigt sich jedoch in Sibirien (93,2), 
Russisch-Centralasien (90,2) und in Kaukasien (87,9). 

Unter den im russischen Reiche vorkommenden 1310 Städten finden sich 
nur 36 mit mehr als 50000 Einwohnern, und zwar vier Städte mit mehr als 
200 OtX) Einwohnern (St. Petersburg mit 861303, Moskau mit 753 469, 
Warschau mit 454 298 und Odes.sa mit 240000 Einw.), 9 Städte mit 100000 
bis 200000 Einwohnern (Riga mit 176 332, Charkow mit 171426, Kiew mit 
165561, Kasan mit 139 015, Saratow mit 122 829, Taschkent mit 121410, 
Kischenew mit 120074, Lodz mit 113 413 und Wilna mit 102 845 Einw.) 
und 23 Städte mit 50 000 bis 100 000 Einwohnern (Tiflis mit 89 551, Orel mit 
87 091, Berditschew mit 77 223, Samara mit 75428, Astrachan mit 70 554. 
Dünaburg mit 69033, Cherson mit 67 349. Nikolajew mit 67 249, N. Nowgorod 
mit 66 585, Tula mit 63 928, Rostow am Don mit 612.56, Elisabetgrad mit 
58 496, Minsk mit 58 399 , Bobruisk mit 57 344 , Orenburg mit 56 371 . Wo- 
ronesch mit 56177, Taganrog mit 56047, Shitomir mit 55 875, Witebsk mit 
54 676, Kokand mit 54 043, Reval mit 51 277, Bialostok mit 50 726 und Kowno 
mit 50493 Einw.). 

Von dsr nachgewiesenen Bevölkerung wurden am Schlüsse des Jahres 
1885 90815 Personen in Arresten, Arbeits- und Korrektions- Häusern ge- 
fangen gehalten; die Zahl der zu schwerer Zwangsarbeit Verurteilten betrug 
6328 (1205 in den Gouvernements Orenburg und Charkow und 5123 [Ver- 
bannte männlichen Geschlechts mit 990 Familienmitgliedern] in den sibirischen 



9 HerauBgegeben vom btatiBtiseben Centralcomite. St. PeterBburg 1888. 



Die BevülkeruDgeverh&Uaiase des KuBBÜchen Reiches im Jahre 1885. 



391 



Gouvernements Transbaikalien , Irkutsk und Tobolsk) ; ausserdem befanden 
sich noch 3 769 zur Deportation Verurteilte auf der Insel Sachalin. 

Was die sogenannte Bewegung der Bevölkerung betrifft, so wurden im 
Jahre 1885 im russischen Reiche 4597 441 Kinder geboren, wovon jedoch 
nahezu der vierte Teil derselben (23,6 %) im ersten Lebensjahre wieder ge- 
storben ist. Die Zahl der unehelichen Kinder beträgt im allgemeinen 2,8 °/g 
der Geborenen und steigt in Sibirien bis auf 4,8 ”/„, fällt jedoch in Kaukasien 
bis auf ein Prozent. Unter je lOCK) Geborenen befanden sich 24 Zwillinge 
und 3 Drillinge. Die Zahl der Gestorbenen erreichte in diesem .lahre 
3 291 824, wovon mehr als die Hälfte (54,3 ’/„) auf Kinder unter fünf Jahren 
entfällt. Das Maximum der Sterbefalle fällt im Gegensätze zu den Beobachtungen 
in Westeuropa auf die Monate Juli und August und das Minimum derselben 
auf die darauffolgenden Monate September und Oktober. Von der Zahl der 
Gestorbenen standen nur 1,3 im Alter von mehr als 80 Jahren , was mit 
der oft behaupteten Langlebigkeit der Menschen in Russland im Wider- 
spruche steht. 

Wird das Verhältnis der jährlich Geborenen und Gestorbenen zur Be- 
völkerung bestimmt, so ergeben sich auf je 1000 Einwohner im europäischen 
Russland 48.4 Geburten und ,36,1 Sterbefällc, in Polen jedoch nur 38,5 Ge- 
burten und 25,9 Sterbefälle. Die jährliche Zunahme der Bevölkerung erreicht 
sonach etwas mehr als ein Prozent. 

Die Angaben der Todesursachen beziehen sich nur auf das europäische 
Russland mit Polen und umfassen bloss die Sterbefiille infolge epidemischer 
Krankheiten, die gewaltsamen Todesfälle und die Verunglückungen. An 
epidemischen Krankheiten (insbesondere Typhus, Variolen und Diphtheritis) 
sind von 644 274 Erkrankten 77 488 (12 %) gestorben. Gewaltsame Todes- 
fälle werden im ganzen 6371 verzeichnet und erreichen 14 “/g aller Sterbefälle; 
von denselben entfallen 58,2 % auf Mord und Totschlag (darunter 15,7 •/„ 
auf Kindesmord , welcher besonders im europäischen Russland verbreitet ist) 
und 41,8 “/o auf Selbstmord. Ausserdem sind 16 732 plötzliche Todesfälle an- 
gegeben, darunter 4 865 infolge Alkohol-Vergiftung (Delirium tr.), welche 
zumeist im europäischen Russland vorkommt. 

Im .lahro 1885 haben 21 028 Todesfälle durch Verunglückungen statt- 
gefunden; 824 Personen (4%) wurden vom Blitz erschlagen, 1129 Personen 
(5 %) sind bei Feuersbrünsten umgekommen , 1230 Personen (6 °'g) erfroren, 
8313 Personen (39°g) ertrunken ‘), 911 Personen (4,3%) erstickt, 76 Personen 
wurden von wilden Tieren getütet und 45 Personen sind an der Lyssa (Huuds- 
wut) zu Grunde gegangen ; von 5 940 Unglücksfällen werden die Ursachen 
nicht angegeben. Ueberdies wurden im europäischen Russland mit Polen 
2133 und in Sibirien über 200 Leichen aufgefundeii, deren Todesursache sich 
nicht konstatieren liess. 

Im Zusammenhänge mit den Bevülkcrungsvorhältnissen stehen die Er- 
gebnisse der jährlichen Rekrutenstellungen, welche in dem genannten .lahr- 
buche ausführlich nachgewiesen werden. Das jährliche Rekruten-Kontingent 
beträgt 230000 Mann’), wovon das europäische Russland mit Polen 220 750 
Manu und das asiatische Russland 9250 Mann beizutragen hat. Von den im 
.lahre 1885 zur Losung berufenen jungen Männern (853 087) sind 227 906’) 
in das aktive Heer und 562970 in die Reichswehr (üpoltschenje) eingereiht 
worden. Nach den Ergebnissen der körperlichen Untersuchung der Stellungs- 
pflichtigen wurden 62 680 Mann (7,3 “ g) wegen Untermass und körperlicher 
Gebrechen vom Militärdienste enthoben, 72021 Mann zurückgestellt, darunter 



M In dem sibirischen Gouvernement Tobobk sind 143 Personen ertrunken. 

•) Vom Jahre an ‘iSO 000 Mann. 

*) Hiervon waren 307« verheiratet, welche Zahl bei den kaukasischen Rekruten auf 

587» steigt 




392 



Die BeTMkenmf^sTerh&Iinisse des Russischen Reiches im Jahre 1885. 



67156 Mann (7,8 '/o) wegen Körperschwiiche , und 14093 Mann (1,6 "/o) un- 
tauglich zu jedem Dienste erklärt. 

Die zum aktiven Heere eingereihten Rekruten werden ferner nach der 
Nationalität, nach dem Religionsbekenntnisse, Bildungsgrade und nach der 
Körperlänge unterschieden. 

Die Unterscheidung nach der Nationalität gestattet einen Einblick in 
die Zusammensetzung des russischen Heeres nach den verschiedenen Volks- 
stämmen. Die Hauptmasse der russischen Armee bilden die Klein- und Weiss- 
russen mit 74,6 °/o, dann kommen die Polen mit 7,6%, die .luden mit 4,4%, 
die Littauer mit 2,6 % (in den Gouvernements Wilna, Kowno und Suwalki), 
die Tartaren mit 2% (in den Gouv. Kasan, Samara, Ufa, AViatka, Simbirsk 
und Taurien), die Deutschen mit 1,6% (in den Gouv. Samara, Saratow, 
Taurien, Cherson, Pietrokow und Wolhynien), die Letten mit 1,5% (in den 
Gouv. Kurland, Lifland und Witebsk), die Baschkiren mit 1,3% (in den 
Gouv. Ufa, Orenburg und Perm), die Ehsten mit 1,1 % (in Ehst- und Lifland), 
die Moldauer mit 1,0 7o (in den Gouv. Bessarabien und Cherson), die Mord- 
winen mit 0,7 % (in den Gouv. Pensa , Samara , Saratow , Simbirsk und 
Tambow) , die Tschuwaschen mit 0,7 % (in den Gouv. Kasan , Samara und 
Simbirsk), die Wotiakeu mit 0,3 % (in dem Gouv. Wiatka), die Tscheremissen 
mit 0,3% (in den Gouv. Wiatka, Kas,an und Ufa), die Bulgaren mit 0,2°/, 
(in Bessarabien), die Karelier mit 0,1 °/, (in den Gouv. Olonez und Twer) 
und die Zyrianen mit 0,1 °/, (im Gouv. Wologda). In geringerer Anzahl sind 
vertreten: Tschechen, Griechen (im Gouv. Jekatorinoslaw), Georgier, Tscher- 
kessen, Tschuden (im Gouv. Olonez), Permier, Zigeuner, Metscheriaken (im 
Gouv. Pensa), Teptiaren (im Gouv. Orenburg), Bessermier (im Gouv. Wiatka), 
Wogulen (im Gouv. Perm), Osseten und Lappen. 

Nach dem Religionsbekenntnisse befanden sich unter den Rekruten 75,8°/, 
Rechtgläubige (Orthodoxe), 11,9°/, Katholiken, 4,4 °/„ Israeliten, 3,5°/, Pro- 
testanten, 3,2 °/, Mohammedaner, 1,0 °/, Dissidenten (Sektirer), 0,06 °/, grego- 
rianische Armenier und 0,16 °/, Götzendiener (Schamanen). 

Der Bildungsgrad der russischen Soldaten, insoweit derselbe in der Kenntnis 
des Lesens und Schreibens zum Ausdrucke gelangt, steht auf einer niedrigen 
Stufe; nahezu drei Vierteile der Rekruten (73,4°/,) können weder lesen noch 
schreiben. Von den Rekruten des europäischen Russlands waren 73,1 °/, und 
von jenen des asiatischen Russlands 82,2 °/, (in Sibirien sogar 84,1 °/,) An- 
alphabeten. 

Der russische Soldat ist im allgemeinen etwas kleiner als der deutsche 
und österreichische Soldat. Das Minimalmass für die Körperlänge beträgt in 
Russland 2 Arschinen 2,5 Werschok (1,54 m) und die mittlere Körperlänge 
der eingestellten Rekruten 2 Arschinen 4,5 Werschok (1,62 m). Die Be- 
rechnung nach den vorgenommenen Messungen der Körperlänge ergiebt im 
allgemeinen , dass in Kaukasien und Sibirien ein grösserer Menschenschlag 
vorkommt als im übrigen Russland. Unter den verschiedenen Völkerschaften 
des russischen Reiches zeichnen sich die Moldauer, Ehsten imd Letten durch 
eine besondere Grösse aus , während die Körpergrüsso der Tartaren , Polen 
und Basclddren am niedrigsten erscheint, insoweit nämlich die angegebenen 
Zahlen die nötigen Anhaltspunkte zu einer solchen Berechnung liefern. 

Das erwähnte Jahrbuch enthält ferner genaue Angaben über den Per- 
sonenverkehr an den Reichsgrenzen (zu Land und zu Wasser), welcher infolge 
der strengen Passvorschrifteu einer besonderen Kontrolle unterliegt. Im Jahre 
1885 haben 724 878 russische Unterthanen die Grenzen überschritten, darunter 
sind 349167 angekoramen und 375 711 ahgegangen. 

Unter den 668377 in Russland angekommenen Fremden befanden sich 
405 342 deutsche , 190 543 österreichisch-ungarische , 27 156 persische , 14 274 
türkische und 13445 rumänische Unterthanen. 






Die verschiedenen Namen indischer Unguiaten, 
sowie jener in den unmitteibar angrenzenden Ländern. 

Mitgeteilt von Dr. Ottokar Feiatmantel, Prag. 



1. Rhinocerotidae 

1. Rhinoceros indicus. Cuvier. (Blyth.) 

Syn. ; Rhinoceros unicornis Linn. — Rh. asiaticus Blumenbach. — Rh. 
inermis Lesson. 

Bei den Bngländem : The Great Indian Rhinoceros. (Das grosse indische 
Rhinoceros.) 

Eingeborne Namen: Genda, Gonda, Ganda, Genra = Hindi; 
Gor = bei den Assamesen. 

(Hab.: Das Himalaja - Tarai von Central-Nepäl, bis zum äussersten 
Ende des Assamthaies.) 

2. Rhinoceros (Ceratorhinus) lasiotia Gray. 

Syn. : ? Rhinoceros Crossi Gray. 

Bei den Engländern : The earfringed Rhinoceros. (Das ohrbefranste 
Rhinoceros.) 

(Hab. : Arrakan, Tenasserim.) 

3. Rhinoceros sondaious Sol.; (Müller; Blyth.) 

Syn. : Rhinoceros jaranicus F. Cuvier. 

Bei den Engländern: The lesser Indian Rhinoceros. (Das kleinere in- 
dische Rhinoceros.) 

Eingeborne Namen : Gonda, Gonda, Ganda, Genra = Hindi 
(wie beim vorigen). — Khyen-hsen = burmesisch ; W a r a k == javanisch ; 
B a d a k = malayisch. 

(Hab. : Sundcrbans , Tipperah , Garo-Khasi und Näga Berge ; Barma, 
Malay-Halbinsel ; Sumatra, Java, Borneo.) 

4. Rhinoceros (Ceratorhinus) sumatrensis Cuv. 

Syn. : Rhinoceros sumatranus Rafi'les. 

Bei den Engländern : The Sumatran Rhinoceros. (Das sumatranische 
Rhinoceros.) 

Eingeborne Namen : Kyen-schau = barmesisch ; B o d o k == malayisch. 

(Hab. : Tenasserim ; Barma bis Siam, Malay. Halbinsel etc.) 

II. Tapiridae. 

5. Tapirus malayanus Raffles. 

Syn. : Tapirus indicus F. Cuvier. 

Bei den Engländern : The Malay Tapir. (Malayischer Tapir.) 



Die Gruppen folgen in zoologisch-systematischer Ordnung; die Gattungen und Arten 
darin sind alphabetisch geordnet 



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394 



Die verachiedenen Namen indiacher Ungulaten, eie. 



Eingeborne Namen: Babialu = in Benkoolen (Sumatra); Tennu = 
malayiach auf Malakka ; Kuda-ayer = malayisch, allgemein ; S a 1 a d a n g 
= bei den Limunen auf Sumatra ; G i n d o 1 = bei den Mannas auf Sumatra ; 
Ta-ra-achu = barmesiseb. 

(Hab. : Teua-sserim ; Nieder-Siam, Sumatra, Borneo.)] 

III. Eqnidae. 

6. Equus hemionus. Pallas. 

Bei den Engländern: The Kiang or wild Ass of Tibet. (Der Kiang 
oder wilde Esel von Tibet.) 

Eingeborne Namen: Kiang, Dzightai oder Dizightai = Tibet 
und angrenzende Teile. 

(Hab. : Ladakb ; Tibet ; C.-Äsien.) 

7. Equus onager Pallas. (Blyth.) 

Syn. : Equus hemionus versch. Aut. Indiens. Asinus indicus Sclater. 

Bei den Engländern : The wild Ass of Cutch. (Der wilde Esel von Katsch.) 

Eingeborne Namen: Gorkhur = Hindi; Ghour und Kherdecht 
= persisch; Koulan = bei den Kirghisen. 

(Hab. : Sind ; Balutschisti'in ; Persien.) 

IV. Suidae. 

8. Porcula salvania Hodgson. 

Bei den Engländern : The pigmy hog of the Sal forests. (Das Zwerg- 
schwein der Sal-*) Wälder.) 

Eingeborne Namen; Sano-banel = nepalesisch; tschota süar = 
Hindi (aligmein). 

(Hab. : Die Sal-Wälder des Sikkim und Nepal Tarai.) 

9. Sns andamanensis Gray. 

Bei den Engländern : The Andaman Island pig. (Das Wildschwein der 
Andaman-Inseln.) 

(Hab.: Andaman Inseln; Nikobaren?). 

10. Sus indicus Sebinz. 

Syn.: Sus cristatus Wagner; Sus scropba Linn. ; Sus vittatus Schlegel. 

Bei den Engländern: Indian Wild Boar oder hog. (Indisches Wild- 
schwein.) 

Eingeborne Namen: Siir oder Süar — Hindi; Dschangli sür, 
Bara dach anwar oder Bad dschanwar = Hindi ; D ü k a r = mahrat- 
tisch; Haudi, Mikka, Dschewadi = kanarisch; Paddi = bei den 
Gonds; Kis = Bergbewohner von Bhüglpur (Bengalen) ; Koka, Koku und 
Pandi = Telugu; B a ra h a = Bengali ; G ri sc h vi und V a ra h a = San- 
skrit ; W a l u r a = singhalesisch ; T a n w e t = barmesiseb ; Babi-utan = 
malayisch ; K h a n z i r = persisch. 

(Hab. : India, Ceylon, Barma.) 

11. Sus scrofa Linn. 

Bei den Engländern : The European Wild Boar. (Europäisches AVild- 
schwein.) 

Eingehome Namen : G u r a z und K u k = persisch. 

(Hab. : Persien, und Thian-Shaii bei Kashgai.) 



*) Shorea robusta. 




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Die vorschieUenen Kamen indischer Ungulaten, etc. 



395 



V. Tragulidae. 

12. Meminna indica Gray. 

Moschus meminna Erxleben. Moschiola mimenoides Hodgson. 

Bei den Engländern: The Mouse deer. (Das Maus-Reh.) 

Eingebome Namen: Pisuri, Pisora, Pisai == Hindi und mah- 
rattisch ; M u g i = in Central - Indien ; Dscbitri Ha ran = Bengali ; 
Gandwa = bei den Drias in Orissa; Kuru-pandi = Telngu; Turi- 
m a 0 0 = Gondi ; Y a r = bei den Kols ; W a 1 - m o o h a = singhalesisch. 

(Hab. : Ganz Indien, in grossen Wäldern ; Ceylon.) 

13. Tragnlus Kancbil Gray. 

Syn. : Moschus palandok Marsden ; Moschus Kanchil Raffles ; Moschus 
fulviventer Gray. 

Bei den Engländern : The Javan Musk. (Das javanische Moschustier.) 

Eingebome Namen : Kantscbil = malayisch ; Palandok^ ebenso ; 
Y' u n g = barmesisch. 

(Hab. : Malay-Halbinsel ; Penang ; Tenasserim ? ; Sumatra etc.) 

14. Tragnlus napu F. Cuvier sp. 

Syn. : Moschus napu F. Cuv. ; Tragulus javanicus Pallas. 

Bei den Engländern : The Javan deerlet. (Javanisches Rehböckchen.) , 

Eingebome Namen: Napu, oschek-napu = malayisch. 

(Hab. : Tenasserim und Malay-Länder.) 

VI. Cervidae. 

15. Axis maculatus Gray. (Blytb.) 

Syn. : Cervus axis Erxleben ; C. nudipalpebra Ogilby ; Axis major und 
A. medius Hodgson; C. pseudaxis Gervois; Axis pliuius Erxleben. 

Bei den Engländern : The Spotted deer. (Das gefleckte Reh.) 

Eingebome Namen : T s c h i t a 1 = Hindi (allgemein) ; T s c h i t r a (itänn- 
clien), Tschi tri (Weibchen) = Hindi in einzelnen Gegenden ; ausserdem noch 
Dschhänk (das Männchen) = Hindi; Tschatidah = in Bhäglpnr (Ben- 
galen); Boro Khotiyä = Bengali in Rangpur (Bengalen); Buriyü = in 
Gomckpur (Bengalen) ; Thou-langna = im Tarai; Saraga, Sarga und 
D s c h a t i == kanarisch ; D u p i = Telugu ; L u p i = Gondi ; Tic m o o h a 
= singhalesisch ; Rusa Bunga = Malay-Halbinsel. 

(Hab. : Indien [mit Ausnahme des Pcndschäb] ; Ceylon, etc.) 

16. Axis porcinus Jerdon. (Blyth.) 

Syn. : Cervus porcinus Zimmer ; Cervus oryzeus Kelaart ; C. Dodur 
Royle ; C. niger Buchauan Hamilton (dunkle Abart) ; Hyclaphus porcinus Sundev. 

Bei den Engländern : The Hogdeer. (Der Schweinshirsch.) 

Eingebome Namen: Pürä = Hindi (im allgemeinen); Sugoria - 
Hindi, in manchen Gegenden; Khar-laguiia = im Nepal Tarai; Nuthu- 
rini-haran = in einzelnen Gegenden Bengalens ; Weel-mooha = singha- 
Icsisch ; Day-yay-tschay = barmesisch. 

(Hab. : India, Assam, Ceylon, Barma.) 

17. Cervnlus aureus Jerd. oder C. muntjac Elliot. 

Syn. : Cervulus vaginalis Boddaert ; C. ratwa Hodgson ; C. styloceros 
Styloceros mnntjac H. Smith ; Ogilby ; C. albiceps Wagler ; C. moschatus Blain- 
villc ; Muntjacus vaginalis Gray. 

Bei den Engländern : Ribfaced deer ; Barking deer (in Bengal) ; Muntjak ; 
Red hogdeer (Ceylon) ; Jungle sheep in the Madras Presidency. (Gesicht- 
gestreiftes Reh ; Bellendes Reh [Bengalen] ; rothos Schweinsreh [Ceylon] ; 
Dschangelschaf, in der Madras-Provinz.) 



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396 



Die Tenchiedenen Namen indiecher Ungolaten, etc. 



Eingcbornc Namen: Kakur = Hindi in ganz N.-Indien; Maja = 
Bengalen; Ratw& = in Nepkl; Karsiar = in Bhutan (Bhutia); Sikkü 
oder S ü k d = bei den Leptsohäs ; ü u t r a (Männchen), G u t r i (W eibchen) = 
bei den Gonds in Ü.-Indien ; B e k r a oder B e k u r = mahrattisch ; K ä n - 
kuri — kanarisch; Kükä-gori = Telugu; Dschangli-bakra = bei 
den Musulmanen in 8.-Indien ; W e 1 1 y oder Hoola-mooha = singhalesisch ; 
Ghee = barmesisch; Kidang = javanisch und malayisch; Muntjac = 
sundanesisch ; K i j a n g = malayisch auf Sumatra. 

(Hab.; Indien; Barma; Ceylon; Malay-Halbinsel ; Sumatra etc.) 

18. Cervus affinis Hodgson oder C. Wallichi Cuvier. 

Bei den Engländern: The Sikkim stag oder Tibetan stag. (Der Sikkim 
oder Tibet-Hirsch.) 

Eingeborne Namen ; Schon tibetanisch. 

(Hab. : Oestliches Himälaya, besonders das Tschumbi-Thal im westlichen 
Bhutan, südlich vom Tschumalari.) 

19. Cervus Cashmiriensis. Falconer. 

Syn.: C. Wallichi Cuvier; C. pygargus Hardwicke; C. caspianus Falconer; 
C. elaphus of Asia, Pallas; C. nareyanus Hodgson. 

Bei den Engländern : Kaschmir Stag. (Der Kaschmir-Hirsch.) 

Eingeborne Namen: Hangul oder Honglu = in Kaschmir; Bara- 
B i n g h a und Dschezrail = Hindi ; G i a n a = in Tibet. 

(Hab. : Kaschmir und die oberen Zuflüsse des Sind- [Indus] Flusses resp. 
westl. Tibet.) 

20. Moschus mosebiferus Linn. 

Syn.: Moschus saturatus Hodgson; M. chrysogaster und M. lencogaster 
Hodgs. 

Bei den Engländern : The Musk-deer. (Der Moschushirsch.) 

'Eingeborne Namen : Kastürä = Hindi; Roos, Rous und KasturS 
= in Kaschmir ; Rib-dscho = in Ladakh ; L ä und L ä w a = in Tibet ; 
Benä = in Kunawar (nordw. Himälaja); Mussuck-naba’ = bei den 
Pabäris (nordw. Himalaja) ; X e und Tsche-hiang=: bei den Chinesen ; 
Kudari = bei den Kalmuken; 8 a i g a = am Baikal-See ; Gifar-toorgo 
= bei den Tartaren. 

(Hab.; im ganzen Himälaja über 8000 Fuss, auch Central- und Nord- Asien.) 

21. Panblia Eldi Guthrie. 

Syn. ; Cervus frontalis Mc’Clelland ; C. dimorpha Hodgson ; Panolia acuti* 
cornis Gray. 

Bei den Engländern ; The Brow-antlered deer ; Eld’s deer ; Burmese deer. 
(Der Hirsch mit grossen Stirnenden; Eld's-Hirsch ; Barmesischer Hirsch.) 

Eingeborne Namen; Sangnai und S an grai = Hindi; Thamin und 
T h e m i n = barmesisch ; Sungrai, Sungnaie und Singnai = in Mani- 
pur, üstl. Himälaya, Tärai, Burmah, Siam und Malay-Halbinsel. 

22. Rucervus Duraucelli Cuvier. 

Syn.; Cervus Duvaucelli Cuvier; C. elaphoides und C. bahraiya Hodgson; 
C. euryceros Knowsley. 

Bei den Engländern: The Swamp deer. (Das Sumpfreh.) 

Eingeborne Namen; Barasingha = Hindi, allgemein; Barayaund 
Mahä = im NepAl Tärai; Dschinkar=im Kyarda Doon (nordw. Himä- 
laja) ; P o t i y a h a r a n = in Bengalen im Monghyr - Distrikt ; G o e n und 
Goen-dschak (das Männchen) und Gaoni (dos Weibchen) = in Central-Indien. 

(Hab. : Am Fusse des Himälaja , vom Kyarda Doon bis nach Bhutän ; 
Assam; C.-Provinzen und W. -Bengalen.) 



Die verschiedeoen Namen indischer Ungulaten, etc. 



397 



23. Eusa Aristotelis. .Terdoii. 

Syn. ; Cerviis hippelaphus, C. equinus, C. Lcsclienaulti Cuvicr ; C. niger 
BlaiiiTiUe ; C. jarai uud C. heterocere.us Hodgson ; C. sauiuur Ogilby. 

Bei den Kiigländern : The Sainbar Stag. (Der Sambar-Hirach.) 

Eingeborne Namen : S ä m b a r = Hindi, allgemein; Dscharai, Dsche- 
rai und Dsc b er ao = im Himalaja; M a b 4 = teilweise im Taräi ; Ma-oo 
= bei den Gond’s; Merii = inabrattisch in den Ghäts; Kadavi oder 
K a d a b a = kanarisch ; K a n n a d i — Telugu ; G b o u s oder Gaodscb = 
im östlichen Bengalen ; das Weibchen : B h o 1 o n g i = dortselbst ; S t s c b a [> 
= barmesisch; Gona-rusa — singhalesisch. 

(Hab.; Ganz Indien vom Himalaja bis Kap Komorin; Ceylon; Barma; 
Malayisebe Halbinsel.) 



YIl. Antilopidae. 

Diese sind schon in einem früheren Hefte dieser Zeitschrift (ßd. VI. 
Heft 5. 6.) abgebandelt worden. 

VIII. Oridae (Schafe und Ziegen). 

24. Ovis B 1 a n f 0 r d i Hume. 

Bei den Engländern : Blanford's Wild sheep. (Blauford’s wildes Schaf.) 

(Hab. ; Gebirge bei Khelat, Balütscliistun.) 

2.5. Ovis Brookei E. Ward. 

Bei den Engländern ; Brooke’s Wild sheep. (Brooke’s wildes Schaf.) 

(Hab. ; Ladakh, oder das Kuen-LUu-Gebirge, nördlich von Ladakh.) 

26. Ovis cycloceros Hutton. (Sclater, Blyth.) 

Syn.: Ovis Vignei in parte, Blyth. 

Bei den Engländern: The Urial oder Panjäb Wild sheep. (Der Drial 
oder Pandschäb’s wildes Schaf.) 

Eingeborne Namen; Uriä und Uriäl = im Pandschäb; Kot sch und 
K ü t s c h — im SulajniAn-Gebirge. 

(Hab.; Salzkettc im Pandschäb; Gebirge im Hazaralande und bei Peschaur; 
das Sulajmän-Gebirgo.) 

27. Ovis Hodgson i. Blyth. 

Syn. : Ovis Ammon Linne exparte ; Ovis Argali ex parte ; Ovis ammo- 
noides Hodgson. 

Bei den Engländern : Hodgson's Wild sheep. (Hodgson’s wildes Schaf.) 

Eingeborne Namen; Hy an, Niar, Nuan, Nyan und Ny and, auch 
G n 0 u = in Tibet. 

(Hab. : Tibetanischer Himalaja, bei 15 OOO Fuss und höher.) 

28. Ovis Karelini Brooke. 

Bei den Engländern ; Karelin’s Wild sheep. (Karelin's wildes Schaf) 

Eingeborne Namen : A r und G h u 1 d s c h a r (das Männchen), und A r k a 
(das Weibchen) bei den Kirgisen; Kuldscha = Turki in Kaschgar. 

(Hab.; Berge NW. von Kaschgar und vou da nördlich über die Thian- 
Schan-Berge.) 

29. Ovis nahura Hodgson (Blyth). 

Syn. ; Ovis nahoor Hodgson ; Ovis Burhel Blyth. 

Bei den Engländern ; The Burhcl , oder The blue wild sheep. (Burhol 
oder das blaue Wildschaf) 

Eingeborne Namen ; Bur hei, Bharal, Buroot und Bharur = im 

.ai 




Die:'.:; cd by Coogle 



398 



Die verschiedenen Namen indischer l'ngulaten, etc. 



HiiDiUftja; Men da (das Männchen) = ebendort ; Napu, Nä und Snä = in 
Ladakh und Tibet; N er v a ti = in Nepal ; Wi oder Wir = am Setledsch- 
Flusse. 

(Hab. : Im Himalaja von Sikkim (oder vielleicht auch Bhutan) bis Ladakh 
und nördlich nach Tibet.) 

.30. Ovis Poli Blyth. 

Bei den Engländern : Marco Polo’s sheep. (Marco Polo's Schaf.) 

Eingehorno Namen: Bass und Koosch = .am Pamir; Kutsch -kar 
(das Männchen) und Mesch (das Weibchen) = in Wäkhan (am Hindukuach). 

(Hab. : In Höhen über 9000 Kuss am Pamir, im Thian Schan etc.) 

31. Ovis Vignoi Blyth. 

Syn. : Ovis montana, Cuningham. 

Bei den Engländern: Vignes Wild sheep; Indian Wild sheep. (Vignes 
wildes Schaf; Indisches Wildschaf.) 

Eingeborne Namen: Sc ha und Schapft = in Ladakh und Tibet. 

(Hab.: in Ladakh und Klein-Tibet in Höhen von 12000—14000 Fuss.) 

32. Capra aegagrus Gmelin (Blyth, Hutton). 

Syn. : Antilope Gazolla Gmelin ; Acgoceros aegagrus Pallas (Wagner) ; 
Capra caucasica Gr;ty ; C hircua Gray ; Hircua gazella Gray ; C. Blythi Hume. 

Bei den Engländern: Persian Wild goat, oder The Wild goat of Asia 
Minor. (Persische wilde Ziege oder wilde Ziege von Klein-Asien.) 

Eingeborne Namen: Pasang (Männchen) und Boz (Weibchen) = in 
Persien; Boz-Pasang = in Persien, im allgemeinen; Kajeek =■ Klein- 
Asien; Borz = Paschtu (Afghänistän) ; Ter (Männchen) und Sora (Weib- 
chen) = in Sind; Phase hin = in Balütschistän. 

(Hab. : Klein-Asien, Persien, Sind, Balütschistun, Afghänistän.) 

33. Capra aegagrus var. b. Buch. 

Syn. : Capra lanigera Desmarest ; Capra hircus, var., Desmarest. 

Bei den Engländern : Shawl goat ; Pashmina goat. (Die ShawlwoUziege ; 
Paschmina-Ziege.) 

Eingeborne Namen: T s c h an g r a = Hindustani ; Tsc hol a j = Nep.äl ; 
Kamdschoo = Tibet. 

(Hab.: Tibet; als Haustier gezogen, der Wolle wegen.) 

34. Capra megaceros Hutton. (Blytlu) 

Syn. : C. Falconeri Hügel (Wagner) ; Aegoceros Falconeri Hügel QVag- 
ner, Schreiber); Hircus Falconeri Gray; Hircus aegagrus var. Gray; Hircus 
megaceros Adams; Capra caucasica .lerdon; C. Blythi und C. .Terdoni Hume. 

Bei den Engländern : The Markhor oder Sind Wild goat. (Der Markhor, 
oder Wilde Ziege von Sind.) 

Eingeborne Namen; Markhor (Schlangenesser) -- in Afghänistän und 
Kaschmir ; Rä-tschä und Ra-pho-sche = Ladakh. 

^ab. : Gebirge Afghanistans und Kaschmirs ; Ladakh ; Sulajmuu-Gebirge ; 
Tibet-Himalaja.) 

35. C ap ra si birica Meyer. (Blyth.) 

Syn. : Capra sakeen Blyth ; C. Pallasi Schinz ; C. hiraalayana Blytli. 

Bei den Engländern : The Himälayan Ibex. (Der Himälaja-Steinbock.) 

Eingeborne Namen: Sk in, Skyin, Sakin und Iskiu = im Hima- 
laja allgemein und in Tibet; Skin (Männchen) und L ’ d m au (Weibchen) = 
in Ladakh, der letztere Name auch in Tibet; Buz = im oberen Setledsch- 
Thale ; K a 1 e und K y 1 = in Kaschmir ; T a n g r o 1 = in Kulu. 

(Hab. : Himalaja von Kaschmir bis Ncpäl.) 



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Die verschiedenen Namen indischer Unguiaten, etc. 






36. Hemitragus hylocrius Jerdon. 

Syn. : Komas bylocrius Ogilby ; Capra warryato Gray. 

Bei den Engländern : Tbe Sladras Ibex oder Nilgiri Wild goat. (Der 
Madras-Steinbock oder Die Wildziego der Nllgiri’s.) 

Eingeborne Namen: Warrädü oder Warri-ätü = Q’amil (in Süd- 
Indien.) 

(Hab.: Westliche Ghäts, bis sUdlicb zum Kap Komorin.) 

37. Hemitragus jemlaious Jerdon. 

Syn. ; Capra jabral Hodgson ; Hemitragus quadrimanus Hodgsou ; Capra 
jemlaicus H. Smith. 

Boi den Engländern : The Tehr or Himilay.an Wild goat. (Tebr oder 
Wilde Ziege des Himalaja.) 

Eingeborne Namen: Tfbr, Tar und Tabir= Hindi (allgemein); 
Dschhula (Männchen), Thar und Tharni (Weibchen) = in Kun.äwiVr 
(NW. Hiroälaya); Kräs und Dschaglä= in Kaschmir; Dschhäral = 
in Nepal; Dschfihr = in der Simla-Gegend ; Kart = in Kulu; Esbii 
(das Männchen) und Es bl (das Weibchen) = im Setledsch-Thale, oberhalb 
Tschini (östlich von Simla). 

(Hab. : Im Himalaja in hohen Lagen zwischen Wald- uud Schneegrenze). 

IX. Bovidae. 

38. Bubalus arni Jerdon. 

Syn. : Bos Buffelus, Blyth : Bos Bub:dus , Anderson (und andere) ; Bos 
Arni, Kerr, Shaw. 

Bei den Engländern : The wild Buffalo. (Der wilde Büffel.) 

Eingeborne Namen : Arna (Männchen) und Arni (Weibchen) = Hindi; 
Dschangli bhainsa (Männchen) , D s c h a n g 1 i m h a i n s (W eibchen) = 
Hindi, allgemein; Arna-bhaiusa = Hindi, mancherorts; Müng = in 
Bbäglpur , Bengalen ; G e r a - 6 r u m i = bei den Gonds ; K y w a i = bar- 
mesisch; Karbo und Karbou = nialayisch; moonding= sundanesisch. 

(Hab. : Tarai von Oude bis Bhutan ; Bengalebenen westlich bis Tirhoot ; 
C.-Provinzen bis zum Godävary ; Assam ; Burma ; Ceylon.) 

39. Gavaeus frontalis Jerdon. 

Syn. : Bos frontalis, Lambert ; Bos gayeus, Colohrookc. 

Bei den Engländern : Mithun oder Gayal (einheimische Namen). 

Eingelmme Namen : 6 o b ay - g o r u = Bengali ; Gavai-gayal, Gavi, 
Gabi = Hindi, allgemein; Gabi-bitschal (Mäimchcn) und Gabi-gai 
(Weibchen) = Hindi ; Methan, Mithan und Schial = bei dom Kotsoh’h- 
Stamme im nördlichen Bengalen (am Fiisse des Himälaja); Bunera-goru 
= Tschittagong und Assam; Gau- dschangli = persisch; Nunec = 
barmesisch; Dschong nua = Arrakan. 

(Hab. : Berggegenden östlich vom Brahnfaputra, in den Mischmi-Bergen, 
in Tipperah, Tschittagong und Barnia.) 

40. Gavaeus Gaiirus Jerdon. 

Syn. : Bibos cavifrons, Hodgson ; Bos Gaur, Traill ; Bos asseel Horsfield ; 
Bos acnleatus, Cuvier; B. Gaurus H. Smith. 

' Bei den Engländeni : The Gaur oder The Bison bei den Jladras Sports- 
leuten ; auch Junglo Buffalo. (Der Bison der Sportsleute der Jladras-Provinz). 

Eingeborne Namen: Vanago und B an gan = Bengali ; As'l gajal 
gaor, gaori-gai, d sc h a n gl i - k h ü 1 g i'i = Hindi, ebenso = B u n b o d a ; 
Banparra = Oentr.al-Provinzen, Gegend von M.andla; B o d = Gegend von 
Seoni in den C.-Provinzen ; Kar-kona = kanarisch ; PerÄ-mnoo = sUd- 

81 * 




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400 



Die verschiedenen Namen indischer Ungulaten, etc. 



liehe Gonda ; 6 a o i y a = mahrattiach ; Katu-yoni = Tamil ; S e 1 o i = 
bei den Kuki’s ; P ’ h a n d s c h = bei den .Magh’s und Barmesen ; P y u n g = 
barmesisch. 

(Hab. : Hobe Wälder von Kap Komorin bis zum Fusse des Himälaja.) 

41. Gavaeus sondaicua .Terdon. 

Syn. : Boa batang, Eäfties; Bos sondaicua Müller. 

Bei den Engländern : Burmese Wild o.\. (Der wilde Ochs Barma’s.) 

Eiiigeborue Namen ; T s 0 i n g = barmesisch ; Ban-teng = malayiseb. 

(Hab. : Pegu, Tenasserim, Malayische Halbinsel, Sumatra etc. — Gezähmt 
auf der Insel Bali.) 

^ 42. Poephagusgrunniens Linn. 

Bei den Engländern : The Yak or grunting ox. (Yak oder der Grunzochse.) 

Eingebomc Namen : Yak, Buhul, Soora-goy und D on g = in Tibet; 
B r o n g - d 0 n g (Männchen) und D o n d - d i (Weibchen) = tibetanisch, im west- 
lichen Himalaja; Buntschour = Hindustani ; Tschaori-gao = Hindi, 
für das gezähmte Tier. 

Hab. ; Hohe Lagen in Tibet und Ladakh, Abhänge des Karakorum etc. 

Zur weiteren Uebersicht folgt noch das alphabetische Verzeichnis der 
verschiedenen Namen. Die Synonyme sind vorn nachzusehen. 



Namen 


Vorkommon und Gebrauchs- 
weise der Namen 


Art 


Andaman Island pig. . 


bei den Engländern. 


Sus andamanensis , Gray. 


Ar (Männchen) . . .1 

Arka (Weibchen). . .f 


bei den Kliirgisen. 


Ovis Karelini, Brocke. 


Arna (Männchen) . . . 


Hindi. Indien. 


Bubalus Arni, Jerdon. 


Arna-hhainsa .... 


dto. 


dto. 


Arni (Weibchen) . . . 


dto. 


dto. 


A’sl gajal 


dto. 


Gavaeus gaurus, Jerdon. 


Ass. wild of Cutch . . 


bei den Engländern. 


Equus Onager, Pallas. 


Babi-alu 


Benkukn auf Sumatra. 


Tapirus nialayanus Raffles. 


Babi-uUlu 


Malakka. 


Sus itidicus Schinz. 


Badak 


Malayisch (auf der Ma- 


Kbinoceros sundaicus Sol. 




layischen Halbinsel.) 




Bangan 


Bengali. 


Gavaeus gaurus Jerdon. 


Banp.irra 


Centrale Provinzen , Ge- 


dto. 




gend von Mandla. 




Ban-tcng 


Malayisch. 


Gavaeus soudaicus Jerdon. 


Bära-dschanwar . . . 


Hindi. Indien. 


Sus indicus Sebinz. 


Bad-dschanwar .... 


dto. 


dto. 


Baraha 


Bengali. 


dto. 


Barkiug deer .... 


bei den Engländern in 


(JervuluB aurcusJerdoD od. 




Bengalen. 


Cervulus muntjac. Elliot. 


Barasingha 


Hindi, im Norden Indiens. 


CervusCaschmiriensis Fal- 






coner. 


Barasingha 


Hindi, allgemein. 


RucervusDuvaucelUCuvier. 


Baraya 


Napäl Taräi. 


dto. 


Bekra und 1 

Bekur ( 


mabrattisch ; Indien. 


Cervulus aureus Jerdon. 


Benä 


Kumiwiir,Himälaja(XW.). 


Moschus nioschiferus Linn. 


Bbaral und ( 

Bbarur j 


Himölaja. 


Ovis nuhura Hodgson. 


Bliolongi (Weibchen) 


Bengali. 


Rusa Aristotelis Jerdon. 








Die verKchie<leiien Nainen indischer ün(fulaien,“elc. 



401 



Namen 



Bißou 

Bjos 

Blue Wild Slieep . . , 
Blanford's Wild Sheep . 
Boar, tlie Indian AVild . 
Bod 

Bodok 

Boro-Kotiyä 

Borz 

Boz (Weibchen) . . . 

Boz-pasaug 

Brong-dong (Miinnclien) . 

Brooke’s Wild sheep. . 
Brow-antlered deer . . 

Bnbul 

Bunboda 

Bunera goru .... 

Buntschour 

Buriyd 

Burmese deer .... 
Burmese Wild ox. . . 



Burhel und ( 

Buroot ( 

Büz 



Day-gay-tschai .... 
Dizightai oder Dzightai 
Dond-di (AVeibchen) . . 

Dong 

Dschagld 

Dschangli bakra . . . 

Oschangl Buffalo . . . 

Dschangli-Kliülgä . . . 
Dschangli bhainsa(Hänn-l 

eben I 

Dschangli mliains (AVeib- ( 

eben j 

Dschangl-shccp .... 

Dschangli siir .... 

Dscharai 

Dschati 

Dsch^r 

Dscherai und Dscherao . 
Dschewadi 



Vorkommon und Gebrauclis- 
weiflo der Namen. 



Bei d.Madras-Sportsleuten 
Ostjakisch. 

Englisch. 

Bei den Engländern. 
Englisch, in Indien. 
Gegend von Seoni , Cen- 
tral-Proviuzen. 
Malayisch. 

Bengalen, Gegend v. Bang- 
pur. 

Paschtu, Afghiinistän. 
Persien. 

Persien, allgemein. 
Tibetanisch, im westlichen 
Himalaja. 

Englisch, in Indien, 
dto. 

Tibet. 

Hindi. 

Tschittagong u. Assam. 
Hindi. 

Hindi , bei Goruckpur, 
Indien. 

Englisch. 

dto. 

Himalaja. 

Ira oberen Setledschthale. 
Barmesisch. 

Tibetanisch. 

Tibetanisch, westl. Himiil. 
Tibet. 

Kaschmir. 

Allgemein, bei den Musul- 
manen S.-Indiens. 

Bei den Sportsleuten in 
Indien, 

Hindi, allgemein. 

Hindi, allgemein. 

Bei den Sportsleuten in 
der Madras-Provinz. 
Hindi. Indien. 

Im Himalaja. 

Kanarisch. Süd-Indien. 
Simla-Gegend. 

Im Himälnja. 

Kanarisch. Süd-Indien. 



Art 



Gavaeus gaurus .Icrdoii. 
Moschus mosohiforus Linn. 
Ovis nahura Hodgson. 
Ovis Blanfordi Huine. 
Sus indicus Schinz. 
Gavaeus gaurus Jerdon. 

Bhinoceros sumatrensis 
Cuvier. 

Axis maculatus Gray. 

Capra aegagrus Gmclin. 
dto. 
dto. 

Poephagus grunniensLinn. 

Ovis Brookei E. AVard. 
Panolia Eldi Guthrie. 
Poephagus grunniens Linn. 
Gavaeus gaurus Jerdon. 
Gavaeus froutalis Jerdon. 
Poephagus grunniensLinn. 
Axis maculatus Gray. 

Panolia Eldi Guthrie. 
Gaovaeus sondaicusJerdon. 

Ovis nahura Hodgson. 

Capra Sibirien Meyer. 
Axis porcinus Jerdon. 
Equus hemionus Pallas. 
Poephagus grunniens Linn. 
dto. 

Hemitragus jemlaicus Jer- 
don. 

I Cenulus aureus Jerdon 
1 od. C. muntjac. Elliot. 
Gavaeus gaurus Jerdon. 

dto. 

Bubalus arni .Jerdon. 

I Cervulus aureus Jerdon 
1 od. C. muntjac. Elliot. 
Sus indicus Schinz. 

Kusa Aristotelis .lordon. 
Axis maculatus Gray. 
Hemitragus jeinlaicusjcrd. 
Kusa Aristotelis .Jerdon. 
Sus indicus Schinz. 



I 

II ' 



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402 



I)i<? verschiedenen Namen indischer Unpulaten, etc. 



Namen 


Vorkommen und Gebrauchs- 
weise der Namen 


Art 


Dscliezniil 


Hindi. Nord-Indien. 


C. Casbmiriensis Falconer. 


Dschhiink (Männcheu) . 


Hindi. 


A.xis mneulatus Gray. 


Dschbural 


Nepal. 


Hcraitragusjamlaicu^erd. 


Dschhinkar 


KvardaDoon, nordw. H im- 


Bucenus Duvaucelli Cuv. 




lilaja. 




Dsebhong nua .... 


Arrakan. 


Gavaeus frontalis Jerdoii. 


Dsclihula (MUnnclieti) 


Kunawar.nordw. Himalaja. 


UcmitragusJemlaicusJ erd. 


Dschitri baran .... 


Bengali. 


Meminna indica Gray. 


Diikar 


Malirattisch. 


Sus indicus Schinz. 


Dupi 


Toliigu. S.-Iudien. 


Axis maculatus Grav. 


Earfringcd Rbionocoros . 
Eld’s deer 


Bei den Engländern. 


Khinoceros lasiotis Gray. 


dto. 


Panolia Eldi Guthrie. 


Esbü (Männclien) . . \ 


Im Setledsch-Tliab*, ober- 


HemitragusjemlaicusJerd. 


Esbi (Woibchen) . . I 


halb Tacbini, östl. v.Simla. 




European Wild Boar 


Englisch. 


Su9 scrofa Linne. 


Gabi 


Hindi, allgemein. Indien. 


Gavaeus frontalis Jerdon. 


Gabi-bitschal (Männchen) 


Hindi. Indien. 


dto. . 


Gabi-gai (Weibchen) . . 


dto. 


dto. 


Ganda 


dto. 


Rhinoceros indicus Ouv. 


Ganda 


Hindi. 


Rbinoceros sondaicus Sol. 


Gandwa 


Bei den Uria’s. Orissa. 


Meminna indica Gray. 




.südw. Bengalen. 


Qaodsch 


Uestl. Bengalen. 


Rusa Aristotelis .Terdon. 


Gaoiya 


Mahrattiseb. 


Gavaeus gaurus Jerdon. 


Gaoni (AVeibeben). . . 


Hindi. C.-Indien. 


Rucervus Duvaucelli Cuv. 


Gaor (Miiünchen) und \ ! 
Gaori-gai (Weibchen) / 


Hindi, allgemein. Indien. 


Gavaeus gaurus Jerdon. 


Gau-dschangli .... 


Persisch. 


Gav.aeus frontalis Jerdon. 


Gaur 


Hindi, allgemein, Indien. 


Gavaeus gaurus Jordon. 




Auch allgemein bei den 
Sportsleuteu. 




Gavai-gayal und . . \ 

Gavi I 


Hindi. Indien. 


Gavaeus frontalis Jerdon. 


Gayal 


Bei den Engländern. 


dto. 


Genda 


dto. 


Rhinoceros indicus Jord. 


Genra 


dto. 


dto. 


Genra 


Hindi, 


Rhinoceros sondaicus Sol. 


Gera-erumi 


Gondi. 


Biibalus arni «Terdon. 


Gheo 


Barmesiseb. 


Cervulus aureus Jerdon od. 






C. muntjac. Elliot. 


Ghour 


Persisch. 


Equus onager Pallas. 


Ghous 


Oestl. Bengalen. 


Rusa Aristotelis Jerdon. 


Gliuldschar (Müimcben) . 


Kirgisisch. 


Uvis Karelini Brooke, 


Giana 


Tibetanisch. 


Cervus Cashmirieusis Fal- 






coner. 


Gifar-toorgo 


Tartarisch. 


Alosebus moscliiferus L. 


Gindol 


Bei den Mannäs auf Sn- 


Tapirus malayanus Raftles. 




raatra. 




Gnow (Gnou) .... 


Tibet. 


Ovis Hodgsoui Blyth. 


Gobay-goru 


Bengali. 


Gavaeus frontalis Jerdon. 


Goen und .... 1 

Goendschak (Männchen) 1 


Hindi. C. -Indien. 


Rucervus Duvaucelli Cuv. 



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Die verschieilenen Namen indischer Ungulaten, etn. 



403 



Namen 



Vorkommen und Gobmiichs- 
weise der Namen 



Art 



6ona rusa 

Gonda 

Gonda 

Gor 

Gorkhur 

Great Indian Hhinoceroa 

Grisclivi 

Grünling ox 

Guraz 

GutrÄ (Männchen) . 1 

Gutri (Weibchen) , . I 

Handi 

Uangal 

Himalayan Wild goat 
Hodgson’s Wild Sheep . 
Hog, thc Indian Wild . 
Hog, the pigmy of thc 
Sal foresta .... 

Hogdeer 

Honde 

Honglu 

Hoola-mooha .... 

Hyan 

Ibcx, hinuilayan . . . 
Ibox, Madras .... 

Indian Great Rhinoceros 
Indian Lesser Rhinoceros 
Indian Wild Boar . . 

Iskin 

Javan Deerlet .... 

Javan Musk 

Kadaba und . . . l 

Kadavi I 

Kajeek 

Kakur 

Kaie 

Kamdschoo 

Kankuri 

Kaunadi 

Kantschil 

Karbo und .... 1 

Karbou I 

Karelin’s Wild Sheep . 

Kar-kona 

Kart 

Karsiar 



Singhalesisch. Ceylon. 
Hindi. Indien, 
dto. 

Assamisch. 

Hindi. Indien. 

Bei den Engländern. 
Sanskrit. 

Englisch. 

Persisch. 

Gondi, C.-Indien. 

Kanarisch. S. -Indien. 
Kasclimir. 

Englisch. 

dto. 

dto. 

dto. 

dto. 

Baiknl-Tungusisch. 

Kaschmir. 

Singhalesisch. Ceylon. 

Tibet. 

Englisch. 

Bei den Sportsleutou in 
der Madras-Provinz. 
Englisch, 
dto. 
dto. 

Himiilaja, Tibet, 

Englisch. 

dto. 

Kanarisch. 

Klein-Asien. 

Hindi. Nord-Indien. 

Kaschmir. 

Tibetanisch. 

Kanarisch. 

Tclugu. 

iklalayisch. 

dto. 

Englisch. 

Kanarisch. 

Kulu (nordw. Himalaja). 
Bhutia (Bhutan). 



Rusa Aristotelis Jerdon. 
Rhinoceros indicus Cuvier. 
Rhinoceros sondaicus Sol. 
Rhinoceros indicus Cuvier. 
Equus ouager Pallas. 
Rhinoceros indicus Cuvier. 
Sus indicus Schinz. 
Poephagus grunniens L. 
Sus scrofa Linnc. 
Cervulus aureus .lerdon 
od. C. muntjac. Elliot. 
Sus indicus Schinz. 
CervusCashmiriensis Falc. 
HemitragusjemlaicusJerd. 
Ovis Hodgsoni Blyth. 

Sus indicus Schinz. 

Porcula salvania Hodgson. 
Axis porcinus Jerdon. 
Moschus moschiferus L. 
Cervus CashmiriensisFalc. 
Cervulus aureus Jerdon 
od. C. muntjac. Elliot 
Ovis Hodgsoni Blyth. 
Capra sibirica Meyer. 
Hemitragus hylocrius Jer- 
don. 

Rhinoceros indicus Cuv. 
Rhinoceros sondaicus Sol. 
Sus indicus Schinz. 

Capra sibirica Meyer. 
Tragulus napuF.Cuviersp. 
Tragulus Kancbil Gray. 

Rusa Aristotelis Jerdon. 

Capra aegagrus Gmelin. 
Cervulus aureus Jerdon 
od. C. muntjac. Elliot. 
Capra sibirica Meyer. 
Capra aegagrus var. b. 
Buch. 

Cervulus aureus Jerdon 
od. C. muntjac. Elliot. 
Rusa Aristotelis Jerdon. 
Tragulus Kanchil Gray. 

Bubalus ami Jerdon. 

Ovis Karelini Brooke. 
Gavaeus gaurus Jerdon, 
Hemitragus jemlaicus.Tord. 
Cervulus aureus Jerdon 
od. C. muntjac. Elliot, 



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404 



Die verschiedenen Namen indischer Cngulateii, ctc. 



Namen 


Vorkommen und Oßbrauchs* 
weise der Kamen 


Art 


Kashmir stag .... 


Englisch. 


Cervus Cashmiriensis Falc, 


K.'istura 


Hindi. Indien. 


Moschus moschii'erus L. 


Kasturfi 


Kaschmir. 


dto. 


Katu-yeni 


Tamil. 


Gavaeus gaurus Jerdon. 


Klianzir 


Persisch. 


Sus iudicus Schinz. 


Khar-laguna .... 


Nepal. TarAi. 


Axis porcinus Jerdon. 


Kberdecht 


Persisch. 


Equus Onager Pallas. 


Khyen-)isen 


Barmcsisch (Barma). 


Rhinoceros sondaicus Sol. 


Kidang 


Javanisch. Malayisch. 


Cervulus aureus Jerdon 






od. C. muntjac. Elliot. 


Kiang 


Tibetanisch. 


Equus hemionus Pall. 


Kijang 


Malaviscli, auf Sumatra. 


Cervulus aureus .lerdon 




od. C. muntjac. Elliot. 


Kiä 


Bergbewohner imDistnktc 


Sus indicus Schinz. 




Bli/iglpury Bengalen. 




Kotsch 


Im Sulajmän Gebirge. 


Ovis cycloceros Hutton. 


Koka mul ( 

Koku / 


Telugii. 


Sus indicus Schinz. 


Koulau 


Kirgisisch. 


Equus onager Pallas. 


Kräs 


Kaschmir. 


HemitragusjemlaicusJerd. 


Kuda-ayer 


Malayisch, allgemein. 


Tapirus malayanusRaÜics. 


Kudari 


Kalnmkisch. 


Moschus moschiferus L. 


Kuk 


Persisch. 


Sus scrofa LinnC*. 


Kukä gori ..... 


Telugu. 


Cervulus aureus Jerdon 






od. C. muntjac. Elliot. 


K.uldscba 


Kaschgari. 


Ovis karelini Brooke. 


Kuru-pandi 


Telugu. 


Meminna indica Gray. 


Kutsch 

Kutscb-kar (Männchen). 


Im Sulajman Gebirge. 

In Wäkhan , am Hindu- 


Ovis cycloceros Hutton. 
Ovis Poli Blyth. 


Kuseb. 


Kyen-schau 


Burmesisch- Barma. 


Rbinocer. sumatrensis Cuv. 


Kyl 


Kaschmir. 


Capra sibirica Meyer. 


Kvwai 


Barraesisch. 


Bubalus arni -Jerdon. 


La und 1 


Tibetanisch. 


Moschus moschiferus L. 


LMamuo (L'dmau) 


Ladakh und Tibet. 


Capra sibirica Meyer. 


(Weibchen) .... 




Lesser Indian Rhinoceros 


Englisch. 


Rhinoceros sondaicus Sol. 


Lupi 


Gondi. 


Axis maculatus Gray. 


Ma*ao 


dto. 


Rusa Aristotelis Jerdon. 


Madras Ibex .... 


Bei den Sportsleuten in 


Hemitragus hylocriusJcrd. 




der Madras-Provinz. 


Maha 


Viele Gegenden am Fussc 


Rucen'us Duvaucelli Cuv. 




des Himalaja. 




Mahä 


Teilweise im Tarai. 


Kusa Aristotelis Jerdon. 


Maja 


Rangpur-Distrikt, Beuga- 


Cervulus aureus Jerdon 




len. 


od. C. muntjac. Elliot. 


Malay Tapir .... 


Englisch. 


Tapirus malayanus Raffles. 


Marco Polo’s sheep . . 


Englisch. 


Ovis Poli Blyth. 


Marklior 


Afghänistän. Kaschmir. 


Capra megaceros Hutton. 


Menda (31äuuchcu) . . 


Himalaja. 


Ovis uahura Hodgson. 


Merü 


Malirattiscb. 


Rusa Aristotelis .Jerdon. 



Die verschiedenen Namen indiicher Ungulaten, etc. 



405 






Namen 


Vorkommen und Gobraucha- 
weiflC der Naraon 


Art 


Mesch (Weibchen) . . 


In Wäkhan, am Hindu- 


Ovis Poli Blyth. 


Kusch. 




Mikka 


Kanarisch. 


Sus indicus Schinz. 


lUithan (Methan) . . . 


Bei den Kotsch’hs, Himä- 


Gavacus frontalis Jerdon. 


laja (N. Bengalen). 




Mithun 


Bei den Sportsleuten, all- 


dto. 


Moonding 


Sandanesisch. 


Bubalus arni Jerdon. 


Mouse-deer 


Englisch. 


Meraiiina indica Gray. 


Mugi 


Hindi. C.-Indien. 


dto. 


Müng 


Bhftglpur Distrikt. Bengal. 


Bubalus ami Jerdon. 


Muntjac 


Sundanesiscli. 


Cervulus aureus .Icrdon 




od. C. muntjac. Elliot. 


Musk deer 


Englisch. 


Moschus moschifenis L. 


Mussuck-naha .... 


Bei den Pahäris, NW.Him. 


dto. 


Nä und 1 

Napu ( 


Tibet und Ladakh. 


Ovis nahura Hodgson. 


Napö 


Malayisch. 


Tragolus napuP.Cuvicr sp. 


Nervati 


Kepäl. 


Ovis nahura Hodgson. 


Niar 


Tibet. 


Ovis Hodgsoni Blytb. 


Nilgiri AVild goat . . 


Bei den Sportsleuten der 


Hemitragus bylocrius Jerd. 




Madras-Provinz. 




Nuan 


Tibet. 


Ovis Hodgsoni Blyth. 


Nunec 


Barmcsisch. 


üavaeus frontalis Jerdon. 


Nuthrini-haran .... 


Einzelne Gegenden in Ben- 


Axis porcinus Jerdon. 


Nyan und 1 

Nyand 1 


galen. 




Tibet. 


Ovis Hodgsoni Blyth. 


Oschek-napu .... 


Malayisch. 


Tragulus napuF.Cuvier sp. 


Paddi 


Gondi. 


Sus indicus Schinz. 


Palandok 


Mala^'bcli. 


Tragulus Kanchil Gray. 


Pandi 


Telugu. 


Sus indicus Schinz. 


Pandscbfib Wild sheep . 


Englisch. 


Ovis cycloccros Hutton. 


PArä 


Hindi, allgemein. 


Axis porcinus Jerdon. 


Pasang (Männchen) . . 


Persien. 


Capra aegagrus Gmelin. 


Paschmina goat . . . 


Englisch. 


Capra aegagrus var. b. 




Buch. 


Perü-maoo 


Südliche Gond's. 


Gavaeus Gaurus Jerdon. 


Persian AVild goat . . 


Englisch. 


Capra aegagrus Gmeliu. 


P’handsch 


Magh’s und Barme.sen. 


Gavaeus Gaurus Jerdon. 


Phashin 


BalutvSchistan. 


Capra aegagrus Gmelin. 


Pig, the Ändaman Islands 
Pigmy hog of the Sal 


Englisch. 


Sus andamaneusis Gray. 


forest 


Englisch. 


Porcula salvania Hodgson. 


Pisai 1 

Pisora j 

Pisuri J 


Hindi und mahrattisch, 1 
Indien. I 


Aleminna indica Gray. 


Potiya-haran .... 


Im Mongbyr - Distrikt, 


Itucervus Duvaucelli Cuv. 


Bengalen. 




PyuDg 


Barmcsisch. 


Gavaeus gaurus Jerdon. 


Ka-pho-tsche .... 


Ladakh. 


Capra megaceros Hutton. 


Kass 


Pamir. 


Ovis Poli Blyth. 



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m 



Die vernchiedenen Namen indischer Un^ulaten, et«. 



Namen 


Vorkommen und Gebrauchs- 
weise der Namen 


Art 


Ra-tsche 


Ladakh. 


Capra inegaoeros Hutton. 


Ratwä 


NepA). 


Cervuius aureaus Jerdon 
od. C. rauntjac, Elliot. 


Red Hogdeer .... 


Englisch, in Ceylon. 


dto. 


Rliinoceros, e.arfringcd . 


Englisch, in Indien. 


Rhinoceros lasiotis Gray. 


Rhinocoros. Great Indian 


dto. 


Rhinoc. indicus Cuvier. 


Rhinoccros. Leaser Indian 


dto. 


Rliinoc. sondaioiis Sol. 


Rhinoceros, thc Sumatran 


Englisch. 


Rhinoceros sumatrensis 
Cuvier. 


Rib-dsclio 


Ladakhi. 


Moschus moschiferus L. 


Ribfaced deer .... 


Engliscli. 


Cervulus aureus Jerdon 
od. C. rauntjac, Elliot. 


Roosdi 


Pamir. 


Ovis Poll Blyth. 


Rnos und ^ 

Hous / 

Rusa Bunga - . . . . 


Kaschmir. 


Moschus moschiferus L. 


Malayisch. 


Axis maculatus Gray. 


Saiga 


Ara Raikal-See. 


Moschus moschiferus L. 


Sakin 


Himalaja ; Tibet. 


Capra sibirica Meyer. 


Suladang 


Bei den Limuneii auf 
Sumatra. 


Tapirus malayanus Raffles. 


Salandang 


Malayländer. 


Gavacus gaurus Jerdon. 


Sarabar 


Hindi und mahrattisch. 


Rusa Aristotelis Jerdon. 


Sambar stag .... 


Bei den Sportsleuten. 


dto. 


Sangnai und Sangrai 


Hindi. 


Paiiolia Eldi Guthrie. 


Sano-banel 


Nepal. 


Porcula salvania Hodgson. 


Saraga und \ 

Sarga / 


Kanarisch. 


Axis maculatus Gray. 


Scha 


Ladakli und Tibet. 


Ovis Vignei Blyth. 


Scliap 


Barmesisch. 


Rusa Aristotelis Jerdon. 


ächapu 


Ijadakli und Tibet. 


Ovis Vignei Blyth. 


Schiiil 


Bei den Kotsch’h’s. 


Gavacus frontalis Jerdon. 


Schon 


Tibetanisch. 


Cervus affinis Hodgson od. 
C. Wallichi Cuvier. 


Seloi 


Kuki (östl. Assamthal.) 


Gavacus gaurus Jerdon. 


Sera 


In Sind. 


Capra aegagrus Gmeliu. 


Shawl goat 


Englisch. 


C. aegagr. var. b. Buch. 


Sikkim stag 


Englisch. 


Cervus affinis Hodgson od. 
C. Wallichi Cuvier. 


Sikkü 


Bei d. Leptschäs (Sikkim). 


Cervulus aureus Jerdon 
od. C. niuntjac. Elliot. 


Sind Wild goat . . . 


Engliscli. 


Capra megaceros Hutton. 


Skin (Männchen) . . . 


Ladakh. 


Capra sibirica Meyer. 


Skin und { 

Skyin i 


Himalaja, Tibet. 


dto. 


Sdu 


Ladakh. Tibet. 


Ovis nahnra Hodgson. 


Soora-goy 


Tibet. 


Poephagus grunniens L. 


Spotted deer, The . . 
Stag, The Kashmir . . 


Englisch. 


Axis maculatus Gray. 


dto. 


Cervus Cashmirieusis Fal- 
coner. 


Stag, The Sikkim . . 


dto. 


Cervus affinis Hodgson od. 
C. Wallichi Cuvier. 


Stag, The Tibetan . . 


dto. 


dto. 





Di« vei-schiedonen Namen indischer Ungulaten, ete. 



407 



Namen 


Vorkommen und Gobrauch»* 
weide der Namen 


Art 


Sugoria 


Hindi, in manchen Ge- 
genden. 


Axis porcinu» Jerdon. 


Süku 


Bei d. Leptschäs (Sikkim). 


Cervulus aureus Jerdon 
od. C. muntjac. Elliot. 


Suniatnin Rhiiioccros . 


Englisch. 


Khinoceros sumatrensis 
Cuvior. 


Suugnaie (auch Singiiai) 


Manipur, Oestl. Himalaja. 


Panolia Eldi Guthrie. 


Sungrai 


Manipur, Oestl. Himälaja. 


Panolia Eldi Guthrie. 


Sur und ) 

Suwar (Siiar) . . . ,J 
Swamp (leer .... 


Hindi. Indien. 


Sus indicus Schinz. 


Bei den Sportsleutcn. 
Kulu, NW. Himalaja. 


Riicervus Duvaucelli Cuv. 


Tangrol 


Capra sihirica Meyer. 


Tanwet 


Barmesisch. 


Sus indicus Scliinz. 


Tapir, the Mulavau . . 


Englisch. 


Tapirus malayauus Raffles. 


Tar (auch Tahir) . . . 


Hindi. Indien. 


HeuütragusjemlaicusJerd. 


Ta-ra-scliu 


Barmesisch (Barma). 


Tapirus malayanusRaffles. 


Tehr 


Hindi. Indien. 


HemitragusjemlaicusJerd. 


Tenim 


Malayisch, in Malacca. 


Tapirus malayanusRaffles. 


Ter (Männchen) . . . 


In Sind. 


Capra acgagnis Gnielin. 


Thamin 


Barmesisch. 


Panolia Eldi Guthrie. 


Thar 


Kumtwär, NW. Himälaja. 
dto. 


HemitragusjemlaicusJerd. 


Tharni (Weibchen) . . 


dto. 


Thou-langna .... 


Taräi. 


Axis maculatus Gray. 


Tibetan stag .... 


Englisch. 


Cemis affinis Hodgson od. 
0. Wallichi Cuvicr. 


Tic mooha 


Singhalesisch, Ceylon. 


Axis maculatus Gray. 


Tschangra 


Hindi. 


Capra aegagrus var. 1>. 
Buch. 


Tschaori-gao .... 


Hindi. 


Poephagus grunniens L. 
(gezähmt). 


Tschatidah 


Bhäglpur-Distrikt. Bengal. 


Axis maculatus Gray. 


Tsche-tschiang .... 


Chinesisch. 


Moschus moschiferus L. 


Tscliital 


Hindi, allgemein in Indien. 


Axis maculatus Gray. 


Tschitra (Männclien) . 


Hindi , in einzelnen Ge- 


dto. 


Tschitri (Weibchen) . .1 


geuden, Indien. 


Tscholai 


Nepal. 


Capra aegagrus var. h. 
Buch. 


Tschota suar .... 


Hindi. Indien. 


Porcula salvania Hodgson. 


Tsoing 


Bunncsisch. 


Gavaeus sondaicus Jerdon. 


Turi maoo 


Gondi. 


Merainna indica Gray. 


üriil und i 

Urial / 


Pandschäb. 


Ovis cyclooeros Hutton. 


Vanago 


Bengalen. 


Gavaeus gaurus Jerdon. 


Varaha 


Sanskrit. 


Sus indicus Schinz. 


Vigne’s AV'ild sheep . . 


Englisch. 


Ovis Vignei Blyth. 


Wä 


Am Setledsch. 


Ovis nahura Hodg. 


Wal-mooha 


Singhalesisch, Ceylon. 


Merainna indica Gray. 


Walura 


dto. 


Sus indicus Schinz. 


War 


Am Setledsch. 


Ovis uahura Hodgson. 


War.ak 


Javanisch, auf Java ctc. 


Rhinoccros sondaicus Sol. 


Warrädii 


Tamil, S.-Indien. 


Hemitragus hylocrius Jerd. 


Warri-iUli 


dto. 


dto. 



lil - 



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Die vorflohiedenon Namen indischer Ungulaten, etc. 






Namen 



Weel-moolia. . . . 
Welly 

Wild Ass of Cutch . 
Wild Ass of Tibet . 
Wild Boftr, European 
Wild Boar, Indian . 
Wild Buffalo . . . 
Wild Goat of Asia llinoi 
Wild Goat, Himalayau 
Wild Ox, Burmese . 

Xe 

Yak 

Yak 

Yar 

Yung 



Vorkommen und GebrauebH- 
woiae der Namen. 



Singhalesisch, Ceylon, 
dto. 

Englisch. 

dto. 

dto. 

dto. 

dto. 

dto. 

dto. 

dto. 

Chinesisch. 

Tibet. 

Allgemein bei den Eng- 
ländern. 

Bei dem Kolstamrae. 

Barmesisch. Barma. 



Art 



Axis porcinus Jerdon. 
Cervulus aureus Jerdon 
od. C. muntjac. Elliot. 
Equus Onager Pallas. 
Equus hemionus Pallas. 
Sus scrofa Linne. 

Sus indicus Schinz. 
Bubalus ami Jerdon, 
Cajira aegagrus Gmelin. 
Hemitragusjemlaicus.Jord. 
Gavaeus sondaicus Jerdon. 
Moschus moschiferus L. 
Poephagus grunniens L. 
dto. 

Memiiina indica Gray. 
Tragulus Kanchil Gray. 



Die Längenbestimmung aus Mondeshöhen und Mondeskulminationen. 

Von E. Gelcich. 

üeber die erste Anregung und über die ersten Versuche den Mond für 
die geograpliische Längeiibestiramung zu benutzen, enthalten alle Werke über 
die Geschichte der Erdkunde oder der Schiffahrt hinreicliende Winke. In 
kurzem gesagt, hat schon Hipparch den Grundstein zu diesen Methoden 
gelegt. Ruy Faleiro soll die Steuerleute des Magellans belehrt liaben, wie 
sie die Länge aus Deklinationen des Mondes, aus Höliendifferenzen des Mondes 
und des Jupiters, endlich aus Oppositionen des Mondes und der Venus be- 
stimmen sollten. Columbus, Rigafetta und Andrea de S. Martiuo 
haben auch ähnliche Beobachtungen ausgeführt. Der Glaube Amerigo 
Vespucci habe zum ersten Mal Monddistanzen gemessen, wurde, wie wir 
früher sahen, durch Varnhagen zerstört. Gewöhnlich pflegt man zu sagen, 
dass sich Finaus, Frisius, Apian und Werner die Ehre streitig 
machen, die Methode der Monddistanzen erdacht zu haben , was unserer An- 
sicht nach nicht ganz richtig ist. Es wird einmal notwendig sein, auch diese 
Frage näher zu prüfen , was wir indessen bei dieser Gelegenheit nocli nicht 
thuu können. Nur ganz ini Vorübergehen erinuern wir daran, dass Kästner 
die Ehre der Priorität dem deutschen Apian zuschreibt. Eine vorläufig 
nur oberflächliche Erwägung dieser Angelegenheit führt uns aber auf folgende 
Betrachtungen. Werner hat sich mit dem Längonbestimmungsproblem im 
Jahre 1514 beschäftigt, bei der Gelegenheit, als er die Geographie des Ptole- 
mäus neu hcrausgab. Gemma Frisius bat sein Werk „De principiis astro- 
Domiae et cosraographiae“ (Antwerpen) im Jahre 1530 veröffentlicht. Das 
Astronomicum Cuesarcum von Apian ist 1540 erschienen und die uns vor- 
liegende Abhandlung des Finaus trägt die Jahreszahl 1544 *). Nach diesen 
Jahreszahlen wäre also Werner der ei*ste, Frisius der zweite, Apian der dritte, 
Finäus der vierte. Uns liegt aber leider nicht das Original des Frisius aus 
dem Jahre 1530 vor, sondern eine Auflage aus dem Jahre 1584 betitelt: 
„Cosmographia, siue Descriptio uniuersi orhis, Petri Apiani & Gemniae Frisij, 
Mathcmaticorum insignium, ium demum inlegritate Suae restituta. Aiuio 1584“. 

Darin ist das Kapitel „De longitudine regionum invenienda“ nicht das 
XVII., wie wir sonst citiert sehen, sondern das XVIII. Die erste Stelle in 
dieser Sammlung nimmt die Kosmographie des Petrus Apianus ein, deren 
einzelne Kapitel von Frisius kommentiert, ergänzt und erläutert sind. So z. B. 
ist auf Seite 29 die Beschreibung des Baculura gegeben und dann folgt das 
Kapitel des Apianus „Quemadmodum nunc ipsius Baculi Astronomici fabricam 
non in convenieuter praediximus, similitor & cius usum omnino ncccssarium 
typo, quam distincto, ac declaratione manifesta consequenter describimus“. In 
diesem Kapitel ist haarklein beschrieben, wie man die Beobachtung einer 
Monddistanz ausfUliren soll, wobei sogar erwähnt wird, dass mau das eine Auge 



*) Wir sehen oft eine Druckschrift dos Küiäus „de invenienda Longitudine* citiert. 
Das Torliegendo Exemplar der Königl. MQnchoner Hof- und Staatsbibliothek umfasst mehrere 
Abhandlungen. Der vollständige Titel ist: Orontii Knaci delphinutis regii maihematicanim 
lutetiae professoris. Quadrutura circuli ... De circuli mensura ... De luuUangularuiu 
Omnium ... De inuenienda longitudinis locorum diüerentia, alitor quam per lunaros eclipse«, 
etiam dato quouis tein]H}re, Liber admodum singuluris. Planisphaerium geograheum etc. . . . 
Lutetiae pansiorum apud Simonorn Colinacum 1544. 



I 



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I 



410 Längenbcätimmnnf^ aiis Moudeshbhen und Mondeskidminalionen. 

geschlossen zu halten hat. Diesem Ka))itcl folgt ein Appendix Gemmae Frisij, 
welcher jedoch ebenso gut hiitte aushleiben können, da darin nichts W ichtiges 
gesagt wird. Kapitel XVII aus „De usu globi astronomici“ erklärt, wie man 
den ürt des Mondes oder irgend eines Sternes bestimmen kann und Kap. XV’III 
handelt von der Liingenbestimmung aus dem beobachteten Mondort und aus 
den den Tafeln entnommenen Koordinaten dieses Gestirnes. 

In demselben Werke ist die Abhandlung des Frisius „de Radio Astro- 
nomico“ (S. 286 bis .854) enthalten , und Kap. XXII derselben ist wieder 
dem Ijängenbestimmuugsproblem gewidmet. Am Schlüsse dieses Kapitels ge- 
schieht kurze Enviilmung von den Vorschlägen des Finäus und des Werner. 
Warum kommentiert nun Werner Apian und wie ist diese Auflage vom Jahre 
1584 entstanden? Vielleicht wurde sie mit Renützung eines Exemplars des 
Apian verfasst, welches sich im Besitze des Frisius befand und durch letzteren 
glossiert wurde. Oder ist die Auflage eigens von Frisius Ihr den Druck vor- 
bereitet worden ? Hat die Auflage vom .Tahre 1530 wirklich das Kapitel über 
Längenbestimmung enthalten, oder ist dieses Kapitel später hinzugefügt worden? 
Wer der glückliche Besitzer der Originalausgabe vom .lalme 1530 ist, der 
wird diese Fragen mit einem Schlage beantworten, uns ist es aber nicht ge- 
lungen, dieselbe zu Gesicht zu bekommen. Vielleicht sind diese Zweifel ganz 
ungerechtfertigt, aber da wir die Erfahrung gemacht haben, dass nicht selten 
eine Xachricht aus zweiter Hand geschöpft wird und diiss sie dann unver- 
ändert durch .lahrhunderte sozusagen von einem Werk ins andere übergeht, 
so verlassen wir uns nicht g.inz auf das, was wir nicht aus eigener Anschauung 
kennen. Es wäre ganz gut möglich, dass man den Anteil des Frisius an den 
Monddistanzen aus derselben Quelle geschöpft habe, die uns vorlag, dass man 
aus geschichtlichen Werken die Ueberzeugung gewonnen habe, die Kosmo- 
graphie sei 1530 erschienen und dass auf diese Weise Frisius einen Platz in 
der einschlägigen Geschichte erhalten habe. 

Ausserdem bemerken wir, dass, wo von Monddistanzen die Rede ist, 
häufig Kap. XVII ans „Do usu globi“ citiert wird, während von den Mond- 
distanzen erst Kap. XXII aus „De Radio astronomico“ handelt. 

Ausser diesen ersten Erfindern sind noch zu nennen als solche, welche 
die Methode kannten ; Nonius, Santbeck (De observ. phaenomenorum 
1561), Longomontanns (Astron. Dan. 1640), Keppler u. a. Longo- 
montanus berührte den Gegenstand nur ganz oberflächlich, Keppler ebenso, 
nur schlug letzterer vor, den Ort des Mondes im Xonagesimus zu benützen, 
um den Einfluss der Parall.axe zu vermeiden. Hallej- klopfte auch sehr 
auf die Benützung des Mondes für Längenbestimmungen , er beschränkte sich 
jedoch auf die Beobachtung von Sterubcdeckungen und zwar wegen des 
Mangels geeigneter Winkelmessinstrumente. 

Näher können wir uns für dieses Mal mit den allgemeinen Methoden, 
welche sich auf Mondbeobachtungeu gründen, nicht beschäftigen, wir haben 
das dazugehörige Quelleninaterial für dieses Mal nicht geprüft und beschränken 
uns daher auf die blosse Besprechung der Längenbestimmung aus Mondeshöhen 
und Mondeskulminationcn. 

Wie also früher gesagt wurde, h.andelte von der Liingenbestimmung durch 
Beobachtung des Mondortes Gemma Frisius, angeblich im .lahre 1530. That- 
sächlich sehen wir diese Jlethode in einer Auflage aus dem .fahre 1584 be- 
handelt. Am Schlüsse des XXII. Kapitels aus „de Radio astronomico“ 
sagt er einige Worte über Finäus und über Werner. Da es ungemein schwor 
ist, sich diesbezügliche Original werke zu verschaffen, so geben wir eine Ab- 
schrift der Capitel aus Apian und Frisius diesem Elaborate als Anhang bei, 
und es wird dann von der geehrten Redaktion dieses Blattes abhängen, ob sie 
Aufnahme finden sollen oder nicht. W'ir denken aber, d.ass dieser Vorgang 
allen jenen Lesern, die sich überbau))! um die Geschichte der wissenschaft- 
lichen Geographie, der Schiffahrt u. dgl. interessieren, nur angenehm sein 



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Die LilngeDbeätimmung aus Moudeshühen und Mondeskulmirationen. 



411 



kann, wie wir unsererseits sehr wünschen würden , dass die W erke der alten 
Litteratur, die noch Interesse bieten, gesammelt in einer Neuauflage erscheinen, 
um das Studium der Quellen zu erleichtern. Die kleine Druckschrift des 
Finäus , „De invenienda lougitudinis locorum differentia“ , konnten wir nicht 
aufnehmen, da sie für eine Zeitschrift doch zu umfangreich ausgefallen wäre. 

Finäus ist also der erste, der vorgeschlagen hat, die Länge durch Be- 
obachtung der Kulmination des Mondes zu bestimmen, wozu er sich einer 
guten Uhr und eines Höheninstrumentes bedienen wollte, um sowohl die Zeit 
der Kulmination als die Höhe zu eruieren. Aus einer Ephemeride wird 
die Zeit der Kulmination und die Ijage des Mondes für einen .anderen 
Meridian bekannt und aus diesen Elementen ist es leicht, die eigene Länge 
zu ermitteln. 

Finäus erklüide durch eine Figur, wie man die Aufgabe auf einer künst- 
lichen Hiramelskugcl lösen könnte. Da aber zu seinen Zeiten weder von 
Uhren noch von guten Höheniustrumenten die Rede sein konute“ so unterhlieh 
die fernere Anwendung der Methode. 

Rothmann, der Astronom Wilhelm IV*., scheint entweder diese 
Methode oder die andere aus Mondeshühen gekannt zu haben. In einem seiner 
Briefe an Tycho (1580) beschwert er sich darüber, dass ihm die vereitelte 
Beobachtung einer Mondesfinsternis ausser Stand setzte, den Längenunterschied 
zwischen Uranienburg und Cassfd zu bestimmen, bittet aber den Tycho fleissig 
den Mond zu beobachten, mit dem Zusatz, den wir folgen lassen : ’) 

„Quod cnmmode per lunam fieri posse puto, si eam una et eadem die, 
aut etiam diebus non multum a se distantibus , uterque simul observaverinius. 
Ita enim separata Parallaxi per motuin ex observationibus incertum facilc 
quaesitum patebit.“ Aus dieser Stelle geht allerdings eine nähere Bekannt- 
schaft mit den vorerwähnten Methoden hervor, nur hat leider Rothmann kein 
weiteres Wort der Erklärung oder Erläuterung dazugesetzt. 

Slorin und Vanlaugren (oder Langrenus) sind die Fachmänner 
aus dem siebzehnten Jahrhundert, die sich abermals damit beschäftigten. 
Johann Baptist Morin, Professor der Mathematik beim College de France und 
nebstbei gesagt ein eifriger V^erfechtcr der Unbeweglichkeit der Erde, ist eine 
in der Geschichte der Wissenschaften sehr bekannte und mitunter ganz ver- 
schieden beurteilte Persönlichkeit. Wir wollen nicht untersuchen, wer eigent- 
lich ira Recht sei, ob seiue Anhänger oder seine Gegner, nur soviel wollen 
wir konstatieren, dass er eigentlich viel Unglück gehabt hat. Uns interessiert 
nur das von ihm im Jahre 1840 vollständig gewordene, aber in Bruchstücken 
schon früher, und zwar in den .Jahren 1634, 1636, 1638 und 1639 veröffent- 
Uchte Werk mit dem Titel ; 

Astronomia iam ä fundamentis integre et exacte restituta, complecteus 
novem partes hactenus, ojitatae scientiae longitudinam coelestium nec non 
terrestrium, qua cuiusvis astri visi et cujusvis Terrae loci in quo sit statio, 
longitudo et latitudo accuratissimo detegi queat ; cuncta que astronomiae vera 
principia pridem ignota traduntur. Authore .loanne Baptiste Älorino. Pari- 
siis 1640. 

Schon im .lahre 1632 ersuchte Morin den Kardinal Richelieu eine 
Kommission zu ernennen, welcher er über neue Jlethoden der Läugenbestimmung 
Bericht erstatten wollte. Nacli zweijährigem Drängen entschloss sich Richelieu 
die Kommission wie folgt zusanimenzustellen : De La p orte. Grossmeister 
der Artillerie, Präses; Mitglieder: Chambon, Pascal (der V^ater), My- 
dorge, Bo u langer und Herigon. Später kam noch der Mathematiker 
Beaugrand hinzu und De Laporte ergänzte die Kommission durch einige 
höhere Seeoffiziere. Die erste Methode, welche Moriu auftischte, war nichts 
anderes als eine Xeuauflagc der Monddistanzen. Er trug der Commission vor, 

■) Zach, llonaU. Con-. Ud, XVI, S, 2W, 



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412 



Die Längenbestiiumunp aus MondeshOUen «ud Mondeskulmmaiionen. 



wie man aus der sclioinbaren Distanz und ans den beobachteten Höhen die 
Deklination und die gerade Aufsteigung des Mondes berechnen könnte. Der 
Vergleich mit den Tafeln von Keppler hätte die Zeit ergeben, wenn der Mond 
am ersten Meridian die berechnete Lage einnahm , und die Differenz dieser 
und der Ortszeit war natürlich der Langenunterschied beider Orte. Morin 
erklärte, dass er nur für die Güte der Methode einsteht, dass dieselbe gute 
Tafeln und genaue Instrumente voraussetzt, dass jedoch die Kommission sich 
mit dieser letzteren Angelegenheit nicht zu beschäftigen hat. Die Kommissions- 
mitglieder waren leider anderer Ansicht, indem sie sich äusserten, dass Methoden 
der liängenbestimmung schon durch andere vorgeschlagen wurden, dass cs 
sich nicht mehr um deren Erfindung handeln kann, dass theoretische Faseleien 
keinen Nutzen bringen, dass die mathematische Berechnungsweise und deren 
Vereinfachung keine. Schwierigkeiten bieten wird, wenn einmal Instnunente 
und Tafeln vorhanden sein werden. Darüber entspannen sich langwierige 
Controversen, in denen Jlorin einmal nachweisen wollte, dass die vorhandenen 
Tafeln schlics.slich doch gut genug sind, während er später, in die Enge ge- 
trieben, viel darüber schrieb , wie man eben durch seine Methode die Tafeln 
verbessern könnte. Der Quadrant, den er mit Nonius und Fernrohr versah, 
schien ihm auch nicht so schlecht zu sein und um die Beobachtungen genauer 
auszuführen , wollte er denselben durch ein Lot vertikal halten lassen. Ein- 
mal sollen die Kommissäre nahe daran gewesen sein, dem unglücklichen Morin 
ein günstiges Certifikat auszufolgen , allein sie überlegten sich es besser in 
der Zwischenzeit zweier Sitzungen und erklärten schliesslich, Morin habe nichts 
Neues erfunden oder erdacht, seine Methoden seien schon früher bekannt ge- 
wesen und was ihre praktische Anwendbarkeit anbelangt, so stelle sich der- 
selben der Mangel geeigneter Instrumente und Tafeln entgegen. Darüber 
grosse Entrüstung von Seite Morins, Schmähschriften und Polemik, bis ihm 
schliesslich doch eine Pension angewiesen wurde. 

Im dritten Teile seines Werkes über die Längenbestimmung hat Morin 
über folgende Methoden gehandelt. 

Mau beobachtet den Mond und ein bekanntes Gestirn im Meridian , es 
ist daraus der Ort des Mondes zu bestimmen. 

Man beobachtet dieselben zwei Gestirne im selben Vertikal; es soll 
daraus die geographische Länge ermittelt werden. 

Im Augenblick der Mondeskulmination wird die Höhe eines Sternes be- 
obachtet. Es ist die Länge zu bestimmen. 

Ein Gestirn befindet sich im Meridian , der Mond hat einen beliebigen 
von 0° verschiedenen Stundenwinkel. Aus der Distanz dieser Gestirne und 
aus den scheinbaren Höhen die Länge zu bestimmen. 

Schliesslich kommt noch eine Methode der Längenbestimmung aus der 
Beobachtung des Mundes und zweier Gestirne vor. 

Aus dieser Zusammenstellung ersieht man , dass die Beobachtung der 
beiden Gestirne im selben Vertikal oder im selben Meridian , eigentlich auf 
Monddistanzen zurUckzuführen ist, während die Bestimmung der liänge aus 
Moudeskulminationen durch Beobachtung der Höhe eines ausser dem Meridian 
befindlichen Gestirnes immerhin als eine neue Idee Morins gelten kann. FiuUus 
hatte sich auf die Beobachtung des Mondes beschränkt, Morin nimmt dafür 
auch eine Gestirnshöhe, welche ihn zu einer besseren Kenntnis der Ortszeit 
fuhren kann. Da aber Finäus ausdrücklich erklärt hat, mau bedürfe zu dieser 
Methode einer guten Dhr , was wir in dem Sinne auffasseu , dass der Stand 
dieser Uhr gegen Ortszeit bekannt sein müsste, so bietet eigentlich die Variante 
Morins eher eine Aufklärung zur Methode des Fiiiäus als anderes. 

Die Methode , durch Beobachtung eines Gestirnes im Nomigesimus und 
die andere durch Benutzung von zwei anderen Sternen ausser dem Monde 
erfordert auch Distanzmessungen und gehört daher nicht in das Gebiet jenes 
Kapitels, welches wir uns zu besprechen voruahmen. (Schloss folgt) 




I 

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ZEITSCHRIFT 

rüR 

WISSENSCHAFTLICHE GEOGRAPHIE 

unter MitberOck^icbtigung des 

HÖHEREN GEOGRAPHISCHEN UNTERRICHTS. 

In Verbindung mit 

^ TH. FISCHEK, A. KlRCUnOFF, 

0, KRÜMMEL, J. REIN, S. RÜGE, TH. SCHüNKE, F. NYlESER 

herausgeguben von 

J. I. KETTLER 

(W 5 i m a r>. 



BAND VII, HEFT 4 und 8 . 



INHALT: 

i»ita 

II. HRCNNHOFF.R, P«oti*cli« VälkcrruimfH 

CH. tH« hnrnKnslMhcn Erlxa (»chliiis) 418 

A- 8CllP(-K; I>1« Aaforderun‘,;«u an einen «o)?cQjianlon Tra^kMiknmi'M« 449 

K, QEJ/*1CII : LknKfnbestiinmuupcn «b» Mon<lM)i&hm u»! HandMkiGminnÜAnen (SchluM) - . . 4C4 ^ 

llEYTß; Drei Mercator>KArt«D in Her Dre«iAuer SiMUbiblinthek (Foriwtsung) ..... 4'4 
II. BEC'KEH: Eine gcolo^ecli« Karte von Eornpe ISS 



Preis des Bandes von 6 Heften 6 Mark. 



Difjiü/ >',J by C^ooglt 



WEIIIAK. 

GEOGRAPHISCIIKS INSTITUT. 
1890. 



Beiträge für diese Zeitschrift 

sind in der Form von Aufsät/en, von kürzeren Mitteilungen und Notizen, wie aueb von 
Karton Über jegliches Thema auf dem Oesamtgebiete der wisscnschafUicben Geographie 
(Methodik der geograph. Forschung und des geograph. Unterrichts; tnathemat Geographie; 
phjsischo Geogr.; Völkerkunde, Kultur- und HandeUgeogr.; Geschichte der Erdkunde und 
der Kartogr.; antike \md mittelalterl. Topographie) erwünscht. 

Honorar ftlr Original-Beiträge 60 M., für Bc*spreclmngen und Notizen 30 M. pro Druck- 
bogen; für Kartcu nach Ueberoinkommen. 

Wir liefern von grösseren Abhandlungen fünfzehn, von sonsUgCD Artikeln fünf Exem- 
plare den betr. Herren Autoren gratis; etwa mehr gewünschte Exemplare werden zum 
Kostenpreise berechnet. 

Wir bitten, alle Beiträge. Bespn>chungsexcmplare und Tausebzeitschriften, sowie alle 
für die Redaktion, ebenso alle auf Abonnements, Inserate oder BeiUigen bezüglichen Korre- 
spoudonzfii „An dos Geoffraphische Institut in Weimar** zu richten. 

Kodaktioii und Verlag 

der 

..Zeitschrift f. wiss. Geographie.“ 



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Pontische Völkernatnen. 

Von Hormann Brunnhofer. 



r.- • 



Trotz den eindringenden Untersuchungen Jlüllenhoffs und Cunos über 
die pontischen Skythen, die im grossen und ganzen den indogermanischen, 
speziell den iranischen Rassencharakter der meisten Pontusvölker der Alten 
dargethan haben, giebt es noch eine Fülle pontischer Eigonnamen, die bisher 
der etymologischen Analyse getrotzt haben. Unter diesen mögen sich die nach- 
folgenden zum erstenmal in den Zusammenhang mit dem etymologisch bereits 
durchschauten Namensmaterial einreihen. 

Herodot unterscheidet IV, 17. 18. 20 dreierlei Skythen : Axt'tfai 
SxvOai ytm^yoi und ßaaikctoi (die auch ßaaif.ixoi, ßaaMäai heissen). 

Die letztereu, die königlichen Skythen, in einheimischer Sprache Skoloter 
genannt, sind (s. Cuno, Die Skythen, pag. 324) unzweifelhafte Indogerinanen, 
die es zu monarcliischer Organisation gebracht hatten. 

Die ^xiitai dpoi(;()4s' und die ^xv!}ai yf(o(f/oi verdanken ihre Namen 
einem Missverstündnisse der Griechen, die, nicht unähnheh den älteren Ety- 
mologen der neueren Zeit, in den Fremd numen aller Völker das Griechische, 
sich reflektieren sahen. Bezüghch der AxütAai yew^yol bin ich halbwegs 
der Ansicht Neumanns, der (s. Steins Anm. zu Herodot IV, 18, 4) die 
yeiüQyoi als die von Strabo auch OvQyoi genannten i'xiltfa« ßaai?.eioi auf- 
fasst (oi ßaaiXiiot Xtyö/iemt xal Oigym). Der wahre Name dieser Skythen 
sei Ov^yot, von mongolisch urga „Lagerplatz und Aufenthaltsort des Khans“, 
den Herodot in den Namen yeinQyoi liellenisiert habe. Dass der Name yeiofyol 
nur Missverständnis und Hellenisierungsprodukt Herodots sei , ist nun freilich 
durchaus unwahrscheinlich ; Herodot wird den hellenisierton Namen bereits 
vorgefunden haben. Derselbe geht aber nicht direkt auf Oiyyiii, sondern auf 
die mit demselben wahrscheinlich identischen oder doch naraensverwandten ’JvQxat 
zurück (Herodot IV, 22), deren Anfangs-y sich für das griechische Ohr leicht 
als y präsentieren mochte. Die ^xiitai ytw^yoi-, als turkotatarische Skythen, 
mochten dann im hellenischen Sinne als missverstandene Ackerbauer 
leicht auch mit Skythenstämmen rein indogermanischer Kasse verwechselt und 
verschmolzen worden sein. 

Die ^xvOai dpoT7)(ifs' als spezifische „Pflüger“ haben neben den ^xv9ai 
yeiDfyoi als „Ackerbauern“ gar keinen Sinn, da es keinen Ackerbau ohne, 
wenn auch noch so primitive, Pfliigung giebt. Dio dpoi(^pfS scheinen mir 
aber auf einen ganz anderen Zusammenhang hiuzudeuten. Die Axitto« ßaai- 
>.(iot als monarchische Skythen verlangen als Gegensatz republika- 
nische Skythen und dieses sind die dgoiij^s’, in welchen ich iranische 
*arätra, skt. aräshtra oder Aräshtrya vermuthe. Noch der Periplus 
baris Erythraei kennt in Gedrosien V/jarrpiot. Diese *arätra, d. h. die 
„Königslosen“, kommen als 'Aö^imai bei Arrian unter den indischen 
Völkern diesseits des Ganges vor und das Mahäbhärata giebt uns im Kama- 
parvan, Qloka 2055 — 2057 den Schlüssel zu diesem Namen; 
CatadrufcaVipä?ä ca tritiyair Avati tathä, 
Candrabhägä Vitastä ca Sind hu shashthä habirgiroh, 
AräUä nfima te degä nashtadharmä na tän vrajot. 

„Die (Flüsse) ^’atadru, Vipä(ä, Avati, Candrabhfigti , Vitastä und als 
sechster der Indus jenseits des Gebirgs, diese Gegenden heissen Aratta, 

83 




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416 



PontiBcho Völkornamen. 



„diö Gesetzloslcbenden“, die soll man moiden.“ Die nordwestlichen Inder des 
Pandschab, die sich, im Gegensatz zu ihren unter brahmanischem Joche 
seufzenden Stammesbrüdern im Osten und im Dekban verhiiltuismässig Ton 
priesterlicher Bevormundung frei erhalten hatten und z. T. , wie noch in der 
Neuzeit die Sikhs, halb republikanisch lebten, erschienen den in der brah- 
mauisch geordneten Monarchie der Gangesländer lebenden Indern als Äb- 
trünnlingo von Priestergesetz und Konigsberrscliaft (räshtra) und erhielten 
davon den Namen Aräsbtra, prakritisiert Arätta. 

Zu diesen Arätta stimmen nun vorzüglich die iranischen SaQaTioQai 
Strabos. Der Geograph erwähnt dieselben im XI. Buche, als Thracier(!), 
die hinter Armenien bei den Guranieni und Medern wohnen, Gebirgsbewohner, 
wilde, unbändige Menschen, Schädelschinder und Kopfabschneider, „denn das 
bedeutet Saraparai“ «Vttpiiiois' xal dneii^tlg, ÜQtnms, nfpioxe- 

iUords' re xal dnoxeya/iffitis" 1'ovtii yöp oi 2ia^anaQai) 

Zu diesen wilden „Kopfahsehneidem“ Mediens bemerkte schon Lagarde, Bei- 
träge zur baktrisehen Lexikographie (1868), pag. 68 : „möglich, dass die neben 
den Amazonen genannten iVtpandpa/ (Ablih. 281 , 3) nicht xfipalurufioi, son- 
dern Republikaner waren.“ Denn, fügen wir hinzu, auch die Turkmenen Central- 
asiens , vielleicht die Vorfahren jener strabonischen .iapa.Tdpai in Medien, 
nennen sich heule noch „kopflos“ im Sinne von „königslos“. ,.Der Turkmene 
selbst pflegt von sich zu sagen: Bis bibasch chalk bolamis (d. h. wir 
sind ein Volk ohne Kopf), wir wollen auch keinen haben, wir sind alle gleich, 
bei uns ist jeder ein König“ (Vhambery , Reisen in Mittelasien , pag. 249). 
Uebereinstimmend berichtet Reclus, Nouvelle Geographie Univers. , T. IX, 
pag. 62: „Meine commandä par emir, khau ou djirga, l'Afghau aimo ä so 
croire libre. „Nous soranies tous egaux!“ dit uue parole qu’on repäte souvent 
aux Voyageurs anglais, et quand ceux-ci leur vantent la puissance monarchique : 
„Nous preferons nos discordes , disont-ils , nous preferons nos alarmes ; quo 
notre sang coule, s'il le faut, mais nous ne voulons pas de maitre.“ 

Die ’xfrapiöt des Ptoleinaeus III, 8, 5, die an der obern Theiss im 
Nordwesten Daciens wohnten, wo sie schon Caesar, Do hello Gallico VI, 25 
(Hercynia silva,. . . pertiuet ad fiues Dacorum et Anartium) 
kennt, sind als Daker (Stephanus Byz. ed. Meinecke, pag. 216 : ol .Jdxoi ot'<; 
xaüoC/iex Jdoi^s) etymologisch durchsichtig im Sinne iranischer anarta (im 
Sanskrit anrita), die im Nordiranischen, in der Sprache des Avesta, 
alias ha heissen würden, es sind die bösen, unreinen, unheiligen. „Wie 
aber, fragt Grimm, Gesell, d. dtsch. Spr., Bd. I, pag. 199 , wie aber die von 
Ptolemacus III, 5, 20 an den AVeichsolquellen aufgeführten 'Aiat>TOif(tdxioi zu 
deuten? ist q’pdxr»!; das altsächsische bräht, ahd. präht, allatus?“ Grimm, 
der, soweit es nur immer reichen mochte, in allen Völkern des europäischen 
Ostens am liebsten Germanen erkannte, hätte, selbst letztere Etj'mologie zu- 
gegeben, den Namen der Anartophrakten doch nicht zu deuten vermocht, da 
ihm nun einmal die Einsicht in das Etymon von anarta verschlossen blieb. 
Der Name ist jedoch , vom iranischen Boden aus , vollkommen durchsichtig. 
Die Iz/vopToq'pdxroi sind nämlich nichts anderes als sanskritische *anrita- 
vrikta, iranisch “anartavarekta, d. h. Missethäter, Bösewichtcr, Leute 
„die Unheiliges, Böses verüben.“ Also ganz entsprechend dem Namen der 
Quaden, in deren Namen Grimm „die Bösen“ (vgl. engl, bad) erkannte. 
Die Quaden waren aber die unmittelbaren nordwestlichen Nachbarn der daki- 
schen An arten. Die Anarten Daciens als „unheilige Bösewichter“ haben 
übrigens ihre Nameusverwandten in Guzerate gehabt, wo sie nach Wilson 
(Vishnu-pnräna-Uebcrsetzung cd. Hall, T. II, pag. 171 — 172, Fussnoto 4) dag 
Mabäbhürata hinversetzt als Anarta. 

Nach Herodot I\^, 5, 1 war der ei-ste Mensch, der nach der Tradition 
der pontischen Skythen ins Land gekommen war, Tafiyhaos gewesen, der selbst 
ein Sohn des Zeus und der Tochter des Stromes ßorysthenes gewesen sei. 



. V .1): 






Politische Vfllkernamen. 



417 



Von dessen drei Sühnen Lipoxai's, Arpoxai's und Kolaxa'is sollen sämtliche 
Skythenstämme herkommen. Die Namen der Söhne sind unzweifelhaft iranisch, 
also wird es auch der des Vaters sein. Darf man au zeudisch daregha, 
skt. dirgha, denken, wiewohl die Tcuuis sonst nicht auf ein Wort mit an- 
lautender Media schliessen Hesse? Oder darf man vielleicht doch an georgisch 
targi, das Schiff, denken? V'ergl. Klaproth, Asia polyglotta, pag. 119. 
Das Tcios des zweiten Teiles des Namens bleibt allerdings auch dann noch 
in Dunkelheit gehüllt. Oder ist cs aus skt. t a v a s , Kraft , Stärke , zend 
tavan, stark, vermögend, zu deuten? 

Nicht iranischer Easse war nach Herodot das Volk der iIi£/dyx?-a<rot 
(IV, 20) , das er speziell als nicht-skythisch (oil ^xvDixuv) bezeichnet. Im 
Norden ihres Wohnsitzes waren Seen und menschenleere Wüste Jyif^.ayxi.ah'(itx 
di TO xariVrep^Ae liinat xai fQi^/wg iartx dvttpel.awe). Nach Cuno (Die Skythen 
pag. 82) „kann man die Seen, deren Herodot im Norden des Gebietes der 
Melanchlänen gedenkt, kaum anderswo suchen als in der Seonzoue im Norden 
des Wolchonskiwaldes und in Finland.“ Waren die Melanchlänen aber 
Nachbarn der Finnen, so konnten sie leicht einen finnischen Namen tragen, 
wenn sie nicht vielleicht selber Finnen waren. Dann aber ward man den 
Namen der jl/fldyxlaoo; nicht ferner mit „Schwarzröcke“ übersetzen, sondern 
im zweiten Teile desselben das finnische lainen (vergl. den Namen der 
Finnen: S u o m al a i n c n) „Volk“ suchen. Ist die Namensform vielleicht 
hybrid, sodass man im ersten Teil, in dem //flayx etwa ein dom altnordischen 
m y r k „schwarz“ (vergl. homerisches » ixid,' d/io/.yi/') entsprechendes Wort 
vermuten darf? 

Wiederum nicht iranischer, auch nicht indogermanischer Basse war das 
sUdpontische Volk der ida-xfipf,;, die auch ‘/fo.Tfpfrai (Xenophons Anab. VII, 8) 
hicssen und deren Landschaft den Namen 'Ya.'tiffän^ und Äa.i/ßii/g führte. 
Es sind die Sapard, Qpard der persischen Keilinschriften, die Sper der 
Altarmenier, noch jetzt im Namen dos Thalgaues Ispir erhalten. Welches 
ist nun die älteste Naraensform ! Die mit oder die mit 2v oder die mit 
'y anlautende Form? Die des Xenophon auf 'F.ii scheint mir hellenisiort, 
daneben aber 2da^aQfg und 2itmfiQfg gleichberechtigte Varianten. Das Ety- 
mon liefert uns diesmal das Georgische , denn Klaproth , Asia polyglotta, 
pag. 112 verzeichnet in der Bedeutung „blau“ georgisch zis-'peri, d. i. 
himmelshell. Nun giebt es aber im Georgischen nehen Zis, Himmel, auch 
noch eine Form Za, Himmel (s. Klaproth, Asia polygl. , pag. 115), aus 
welcher sich nicht allein die 2diinQoi , 2djiiQm, ^ditnftijfg als „blaue“, sondern 
nunmehr auch das sehr wichtige Wort ad^iirniiDg, der Saphir, als der ,, himmel- 
blaue“ erklärt. An der Wölbung der Halle, in welcher der pei-sische Gross- 
könig zu Throne sass , stellte der oberste Teil der Wölbung in Form eines 
Schildes das Himmelsgewölbe dar, dessen Farbe eingelassene Saphire wider- 
spiegelten, denn, sagt Philostratus , der uns im Leben des Apollonius von 
Tyana, Uh. 1, diese, hier nicht weiter zu verfolgende Schilderung giebt, dieser 
Stein vermag uns mit seiner blauen Farbe am besten an den Himmel zn er- 
innern {<faai de xai a’idptÖK tiTiiyffr, ou rör dpf«/o> f’g aVij/flaj axijfia, 

ovqayiji uri fixaofiiyov , aanijttithrj de ai'im xai>;^if!tai lith’i. KvaiandT?] 
di ij I/VtOj,’, xai ocpan'a idfh). Offenbar deshalb war der Stein dem Kronos 
geweiht; oi jitynoi ÄpÖK,) dvixfivm, wie Johannes der Lydier in seinem 
Traktat über die Monate III, 26 berichtet, nach Lagarde, Ges. Abhh., pag. 72, 
Nr. 182. Vergl. auch dessen Armenische Studien, pag. 117, No. 1690. 
Ueher das Volk der io,*(poi , die noch in der Völkerwanderung unter den 
Hunnen erscheinen, s. Zeuss, „Die Deutschen und ihre Naebbarstämme,“ 
pag. 711 — 713. Der griechische und die semitischen Namen des Saphirs sind 
demnach so gut wie der armenische und der sanskritische Name (anipriya 
„dem Planeten Saturn lieb“ altes Lebngut aus dem Georgischen! Aber in 
welcher Reihenfolge ging die Entlehnung von Volk zu Volk vor sich? 

33 * 



Digillzeci uy Goo ’Ie 



Oie homännischen Erben. 

Im Änscliluss an „Johann Baptista Homann“ dargelegt 

von Dr. phil. Christian Sandler. 

(Schluss.) 

Der homünnische Verlag um 1760. 

Die zahlreichen Karten , welche die homännischen Erben dem karto- 
graphischen Nachlasse F. Chr. Hoinanns hinzufUgten, wurden mit diesem, dem 
Bedürfnisse entsprechend, zu verschiedenen Atlanten vereinigt. Während die 
Himmelskarten von jeher eine besondere Abteilung bildeten, wurden die Land- 
karten erst im Jahre 1740 *) in nichtdeutsche und deutsche (Atlas geogr. 
Major, Tom. I, mit 105 Blättern, Tom. II, mit 86 Blättern) zusammengefasst ; 
die Stadtpläne (46 Blatter, darunter mehrere Karten von Kriegsschauplätzen) 
bildeten den Anhang zu diesem älteren „Deutschlands Atlas“ ; die neu er- 
scheinenden Blätter wurden ungebunden in einen sog. „Supplement -Band^^ 
gelegt; ein solcher sollte immer in 12 -~15 Jahren, in welcher Frist etwa 100 
neue Karten erscheinen sollten, schlussreif sein *). 

Bei gewissenhafter Einhaltung dieser Abteilungen wären die homännischen 
Erben dem von J. B. Homann überkommenen Geschäftspriuzipe , möglichst 
vollständige Atlanten zu liefern, untreu geworden. Die Karten des 
Supplementbandes wurden daher zu verschiedenen Zeiten zur Vervollständigung 
der Hauptbände verwendet, und diese dann von neuem abgeschlossen. In der 
Zwischenzeit aber wurden nicht selten neue Karten den Hauptbänden ohne 
weiteres eingefiigt, so dass die Uebereinstimmung zwischen Titelblatt, Register- 
blatt und Inhalt der Atlanten unter den homännischen Erben nicht viel 
grösser ist, als unter J. B. Homann. Auf längere Zeit abgeschlossen wurden 
der 1. Band des „grossen Atlas'^ im Jahre 1763, der „Dcutschlandsatlas“ im 
Jahre 1753*). Der Verlag der homännischen Erben stellt sich also gegen 
Ende der Franz-Eberspergerischen Periode folgendermasseu dar: 

1. Atlas coelcstis, studio et labore Job. Gabrielis Doppclmajeri, 
Mattli. P. P., Nürnberg 1742. 

Entliült 30 Blätter, von denen 21 vor 1724*), die übrigen 9 nach 1735 
herausgegeben wurden. Die Titel der letzteren sind; 

1. Pbaenomena circa quantitatem dicrum artificialium et Solarium. 

2. Theoria Lunae. (Nach Newton, Tycho und Horrock). 

3. Theoria Eclipsium. 



*) Vielleicht schon im Jahre 1737, da der im Landkarten-Verzeichnis des Jahres 1741 
erw&hnte »äupplomontenband* die seit 1737 erschieDonon Bliltter der hom. Erben entbält. 

,KuHze Nachricht von dem hom. Grossen Landkartonatlas , nebst Verzeichnis dor 
hom. Landkarten*, Nürnberg, H. E. 1741, p. 46. 

■) Catalogus Mappivrum astr. et geogr. ex quibus Atlantes varü generis fonnantur 
publice ezhibilarum studio et impeusis Homannionim heroduru 178.3. 

*) Vorgl. dieselben in meinem „J. B. Homann“, Berlin 1886, p. .57. Der dort mit auf* 
gezählte „Sphacrarum artificialium typua“ ist später im Natur* und Kunst-Atlas eingoreibt. 
Ob „Pbaenomena in plunetia primariis“ und „rlanisphaerium coeleste“ identisch sind, ist 
mir nicht gelungen, sicher zu stellen. 



Digiti, ' ' 





Die homännischen Erben. 



419 



4. Theoria Satellitum Jovis et Saturni. 

5. Theoria Cometarum. (Nach Newton und Whiston.) 

6. Motus Cometarum in Hemisphaerio boreal. ab anno 1530 usque ad 

a. 1740. 

7. Motus Cometarum in Hemisph. austr. 1530 — 1740. 

8. Astrouomia comparativa, in qua phaenomena ex obseiwationibus de- 
ducta € Sole, Mercurio, Venere et Luna exliibentur. 

9. Astronomia comparativa, in qua primaiia Planctarum phaenomena ad 
rnotuni ajmetantia e Plauetis superioribus, Marte. .Tove et Satumo sistuntur. 

Franz bemerkt in seiner ,,Recension der liomünnischcn Werke“ zu diesem 
Himmelsatlas ; wenn auch die Flamsteed'schcn Sternkarten richtiger , die 
des D. ßevia und Bradley noch richtiger als die Dop])elmayerischen seien, so 
genügten die letzteren doch zur „Erlernung der Sterne“ ; die „Theoria Eclip- 
sium“ enthalte Projectionsfehler ; M. Basilius Chr. B. Wiedeburgs „Ein- 
leitung zur Astrognosio“, Jena 1745, sei zu den homünnischeu Karten ge- 
schrieben. 

Lowitz’ „Verfinsterte Erdkugel 1748“, hgg. 1747, und Tob. Mayers 
„Mondsfinsterniss 1748“ sind dem Himmelsatlas gewöhnlich beigofiigt. 

II. Atlas Geographicus Major, Tomus I. (quatuor mundi 
partes exclusa Germania). Hat im Jahre 1763 folgenden Inhalt; 

A. Foha praeeuntia. 

a. Titulus figuratus ; Globus und allegor. Figuren darstellend. („J. Just, 
Freister del. 1762, Andr. Hoffor sculps.“). 

b. Titulus sculptus. 

c. Index. 

d. Introductio Geographica. (Den 1. Teil derselben bilden Maupertuis’ 
,, Anfangsgründe der Geographie“, der 2. und 3. Teil sind eine geringe Ver- 
besserung der entsprechenden Teile der alten Doppelmaycrschen Einleitung. 

e. Tabula descriptiva orbis. (Geographische Universaltabello von Job. 
Gottfr. Gross, Professor zu Erlangen, zum Teil aus den baseschen Landkarten 
gezogen, ca. 1739). 

B. Mappae *). 

1. Planiglobium, 1746, von Lowitz nach Hases 4 Generalkarten. 

2. Planiglobium (Lowitz 1746) secundum religiones, s. a. (zwischen 1753 
und 1759) nach den Angaben des Superintendenten Dr. Haubor "). 

3. Europa, 1743, von Hase. 

4. Europa (Hase 1743) secundum relig., s. a. (vor 1754) nach Haubers 
Angaben *). 

*5. Portugallia; verbessert 1736. 

*6. Hispania (Delisliana). 

7. Hispania Bencdictina, 1750, von Rupert Carl, Mon. Bened. Weichen- 
stepban. 

*8. Cataloniae Principatus. 

*9. Fretum Gaditanum. 

10. Majorca, Minorca etc., 1756, nach Belhn. 

11. Insula Minorca, 1757, nach Chevalier de Bcaurain. 

12. Galha, 1741, nach de ITsle, eingerichtet auf Schatz’ „Anfangsgründe 
der Geographie, herausgegeben von den Homännischen Erben, 1741.“ 



*) Die Kartentitci sind zumeist den Katalogen und Registern entnommen; die dem 
Knrteiititel beigesetzte .Tahreszabl bedeutet das auf der Karte genannte Jahr ihrer Heraus- 
galie; ist auf der Karte dasselbe nicht angegeben, so ist in Klammem die Jahreszahl bei- 
gefügt, welche sich aus den Katalogen ete. als wahrscheinliches Publikationsjahr ergab. — 
Die mit ♦ bozoichneten Karten stammen von J. D. oder Cbr. Homann. 

•) Vergl. Reeension der hom. Werke 1753, p. 30. 



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420 



Die homännischcn Erben. 



13. Gallia Bencdictina, 1738, von Rupert Carl. 

14. Gallia Postamm, 1745, nach Jaillot. 

*15. Ager Parisiensis. 

16. Normanuia, s. a. (1742) '), nach de l’Isle. 

17. Piccardia, 1746, nach de ITsle. 

*18. Ducatus Britanniae. 

19. General. Aurelian., 1762, nach Rizzi-Zannoni. 

♦20. Aquitauia. 

21. Languedocia, 1742, nach Nolin. 

22. Provincia, s. a. (zwischen 1741 und 59), nach de l'Islc. 

*23. Delphinatus. 

24. General. Lugdunens., 1762. 

*25. Burgundiae comitatus. 

*26. Campania. 

*27. Lotharingiae Ducatus. 

28. M.agna Britannia, 1749, von Toh. Mayer. 

*29. AngUa. 

30. Ager Londinensis, 1741, nach Th. Bewies. 

*31. Scotia. 

*32. Hihernia. 

33. Belgium generale (.,B. universale“, auch „XVII provinciae“), 1747, 
auch 1748, von Tobias Mayer. 

34. Belgium Austriac. („B. catliolicum“, auch „X provinciae“) , 1747, 
von Tob. Mayer. 

*35. Brabantiae Ducatus. 

*36. Flandriae Comit. 

*37. Luxenburgi Ducatus. 

38. Comitat. Namur., 1746, nach Friexe. 

*39. Hannoniae Comitatus. 

40. Artesiae Comitat., s. a. (zwischen 1735 und 42), nach de ITsle. 

41. Belgium foederatum („Vll provinciae“), 1748, von Tob. Mayer. 

42. Comitat. Hollandiac, 1733. 

43. Italia, 1742, nach de ITsle, eingerichtet auf Schatz’ „Anfangsgründe 
der Geographie.“ 

44. Italia Bencdictina, s. a. (zwischen 1735 und 42), von Rupert Carl. 
*45. Italia cursoria. 

46. 47. Historia belli 1746 in Italia (oder „Kriegsoperationen am Taro“), 
1754, von einem kais. Militärbaumeister. 

48. Sabaudia s. Lombardiae tal. I, 1749, von Tob. Mayer. 

*49. Ducatus Sabaudiae. 

*50. Status Mediolaiicnsis. 

51. Ducatus Parmensis, 1731. 

52. Ducatus Mantuanus, 1735. 

53. Ducatus Mutinensis, s. .a. (1746). 

54. 55. Fluvius Padus, 1735, nach Augustin Cerruti. 

*56. Dominium V’enetum. 

57. Status Eccles. et Toscana, 1748, von Tob. Mayer. 

58. Patrimonium Petri, 1745, nach Rossi. 

59. Latium, 1745, nacli Rossi. 

60. Status Genuensis, 1749, von Tob. Mayer nach du Chafrion. 

*61. Neapoüs Regnura. 

62. Sicilia, Sardinia, Corsica ot Malta, 1762, nach Rizzi-Zannoni. 

63. Sicilia, 1747, nach v. Schmettau's Originalkarte verkleinert. 

64. Sardinia, 1734, nach Corouelli. 

9 Vergl. Catalogiifi mappamm llom, Ilered. 1783. 



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Die hotnäimi»cbon Erben. 



421 



65. Corsica, 1735, von Hauptmann J. Vogt. 

*66. Malta et Gozzo. 

67. Helvetia, 1751, von Tob. Mayer. 

68. Territorium Scaphus., 1753, anfgenommen von Kapitän Pejer ; mapp. 
von Tob. Mayer. 

69. Tcrrit. Lucem., 1763, von Gabriel Walser, Pastor zu Bemeck. 

*70. Banubii, Graeciae et Arcbipelagi tabula. 

*71. Banubii Fluvii pars superior. 

*72. Banubii Fluvii pars media. 

*73. Banubii Fluvii pars infima. 

74. Hungaria universa, 1744, von Hase. 

*75. Hungaria Postarum (Hungariae Regnum). 

76. 77. Comitat. Posoniensis, 1757, nach Micovini, mit einigen Ver- 
besserungen. 

78. Sclavoniae Regnum, 1745, verkleinert nach Joseph Gades’ Originalkarte. 
*79. Principatus Transylvaniae. 

80. 81. Serviae et Bosniae Regna, s. a. (1738), von Lieut. Oettinger, 
eingerichtet von Hase. 

82. Graecia antiqua, 1741, von J. Chr. Harenberg. 

*83. Acbaja vetus et nova. 

*84. Moreae. Regnum. 

*85. Candia cum vicinis Arcbipelagi insulis. 

*86. Scandinavia. 

*87. Sueciae Regnum. 

*88. Scania. 

*89. Provincia Babus. 

90. 91. Sinus Finnicus, 1751, von Tob. Mayor. 

*92. Insulae ITplandicae. 

*93. Baniae Regnum. 

*94. Jutia. 

*95. Slesvicenais Ducatus. 

*96. Insulae Bauicae. 

*97. Nonvegiae Regnum. 

*98. Provincia Aggerhus. 

99. Islandia, 1759, Verkleinerung der Graf Ranzau’schen Karte. 

*100. Borussiae Regnum. 

101. 102. Lithuania Boruss., 1735; von J. F. Betgen gezeichnet 1733. 

103. Poloniac Regnum, 1750, auch 1757, von Tob. Mayer. 

104. Litliuaniae Ducatus, 1749, von Tob. Mayor. 

105. 106. Curlandia et SemigaUia, 1747, nach Hauptmann Barnikels 
Original. 

107. Russiae Imperium, 1739, auch s. a. (1752), von Hase. 

*108. Ukrania. 

*109. Livoniae et Curlandiae Bucatus. 

110. Ingria, 1734, nach Rostoweew. 

*111. Tataria minor (Pars Russiae Magnae). 

112. Asia, 1744, von Böhme aus Hase’s Nachlass. 

113. Asia (Böhme-Hase 1744) sec. relig., nach Haubers Angaben. 

*114. Imperium Turcicum, verbessert 1737. 

115. Asia minor s. Natolia, 1743, von Hase. 

*116. Terra sancta (cum itin. Israelitanim). 

117. Palaestina cum accessionibus Bavidis et Salomonis, 1744, von 
Harenberg. 

118. Palaestina, 1750, von Harenberg. 

*119. Imperium Persicum. 

*120. Kilianae Provincia. 



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