Sammlung
gemeinverständlicher ...
Franz von Holtzendorff, Rudolf
Ludwig Karl Virchow
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Kjcccrf
EX LIBR1S
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Sammlung
aemeinDtrffänjUidier roiMMtf
©orträgc
bcgninbel Don
$ife. JJir^oro unb fr. i. fjelijrBlirf,
tjerauagegeben Don
$Ub. ^trdjow unb ^ifß. ^attenßa^.
ISfue 3fofge. V. £nrie.
$eft 97—120.
rC y^
^Vv oy TnR
fUHWS-P-SITlf;'-
Hamburg.
$*erlag«>anftalt unb GDrudcrei Kctien»® efellf d>aft
joormal« 3. &. Siebter).
1891.
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Ws
ilrud bet SJerlogianflolt unb SDnicferei 'achen-öeicflfdjoft
(BormaW 3. J. Stifter) in jpambunj.
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3utyttlt8-0er}eid)ml!
$eft «ritt
97.
Wiebemann, ©., lieber Die Baturnufieuichaften bei ben
Brabern
1 —32
98.
Jfefter, Dr. (Hicharb, eine oergcffene ©efcbicht8pf)ilojopbie
Bur @efcf)ichte be« jungen Deutfchlanb«
83—70
99.
ftolfter, W. 4E>- , Bleranber bcr ©ro§e
71 — 110
100.
(faro, l>r., Beroegutig$= unb Sinne« • BorfleUungen be«
9Kcnid)en in ihren (Beziehungen zu feiner ©rofjhtrn-
Oberfläche, ffliit 6 Bbbilbungen auf 2 lafeln
111—134
101.
Bmmon, Otto, Bnthropologijche Unteriuchungen ber Sehr'
pflichtigen in Baben
135—170
102.
Benber .ßebtoig, ©iorbono 'Bruno. Sin Btärtprer ber
©eifteefreibeit
171— 208 -t
103.
Weher, Dr. Chr., Bbel unb fHitteridjaft im beutfchen
Wittelalter
209-24«
104.
Weniger, t'ubroig, Srlebniffe eine« griechiichcn Brzte« ....
247—278
105.
Clfchnncpfp, Dr. W. B., Sntbedung be« Sauerftoff«. . . >
279—826
106
WaderneU, © » Da« beutjche BolMlieb Sin Bortrag.
gehalten im Deutfchen Sprachverein zu ^nn«brucf am
7. Januar 1890
327-372 —
107.
(Neinharbt Dr. 3rr., Die englijche Smin.SntfaB'Sipebition.
ffllit einer Äarte
373-418
108.
&aef, D., Buftu« oan ben Bonbel. Stn Beitrag zur
©efchichte be« nieberlanbifcheit Schrtfttpum« ...
419-462'
109.
ÄI*b«, Dr. 3- $•> Die Oftfee uno bie 3njel Bornholm
©eologijche unb fulturhiftorifche Bilber. Bortrag, gehalten
•
im ©uftao-Bbolf-Berein zu Braunichmeig
463—496
110.
WfiKer, ®. 9i., Die eleftrijchen Wafchinen unter Berud-
ftcbtrgung ihrer aejchichtlichen Sntroidelung. Biit 12 ?lb*
hilbuitgen
497—536
111
iHinn, Dr. Heinrich, Schleiermacher unb feine romantiichen
ftreunbe
537 — 56«
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4>fft
11213. Gran*, Dr. (fori, ©emcintterftänblidjeS über bie foaenannte
Seite
oierte Dimenfion. SSortrag, gegolten bei bem ©tiftungS*
fefte be§ matbem.maturm. ®erein$ ber tedm. öodjfdiute
in Stuttgart am 8. $cflember 1 888, mit Srroeiterungen
-ni4.
unb Kitaten. Sftit 10 Slbbilbuitgen
©diuttbeift, 3116., Pietro 2lrctino at$ ©tammoater bcS
567—636
mobernen SitteratentbumS. ®iitc Sbarafterftubie au8 ber
itatieniicben SRenaifiancc
637-684
115.
116.
Spetter, lieber bie 9ltbmuttg3organe ber Tb»*« SWit
3 9lbbilbungen
9(t*berg, Dr. ®1. , Die SHafienmifdjunfl im ^ubentbum.
685-710
SWit 3 9lbbi(bunqen ttf.f
711-750
117.
•öauff, (6., ©bafefpeare'$ £>amlct
751-804
118.
'Ceterfen, Dr. 3obanneö, 3)er Ruitanb im Srbinnern...
805-849
119.
fNSfdi, Jaeitu#
850-888
120.
■Kooer, Dr. 3-, Srnft SDlorifc 9lrnbt
889- 916
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lieber bie
ftaturroin'enfdjaften
bei beit Arabern.
33 on
^rofeflfor g. ^iebemamt
in ttilangfn.
Hamburg.
5PerIagöanftaIt unb ®rurferei 31* (tiormalS 3. 5- SRidjter).
1890.
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J)q8 ÜRcdjt ber Utberitjjung in frcmbc ©praßen wirb ootbe^alten.
irutf ber Berlagbanftalt unb Itudtrti SktifnQtticUidjaft
(bormalS 3. g. Siebtet) in Hamburg,
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9?a<h ben ^errfd^enben Stnfdjauungen waren cS bie SBölfer
b e3 ftaffifdjen 2lltertljum$, fowie bie Söffer Gruropa3 uom Grnbe
be3 5DZittela[ter3 an, bie bei ber ©ntwitfelung ber SKaturwiffen«
fdjafteit unb ber ÜDZatfjematif befonbcrS tfjcitig gewesen fiub.
S)ie .ßeit etwa ätuifdjen bem britten unb bem breijeljnten 3a^r*
fjunbert nadj GbriftuS betrachtet man a!3 eine @podje be3 ©tiü>
ftanbeS ober giebt höchftenS ju, bafj bie Slraber bie ©rgebitiffe
griedjifdjer gorfchung aufgenommen, bewahrt unb bann bem
Slbenblanbe überliefert fabelt. 2>iefe Slnfc^auuitgen finb aber
bei einem eingefjenberen ©tubium unb guriiefgehen auf bie
CueUen nicht faltbar. 3'» folgenben foH üerfudjt werben, einen
furzen Ueberblicf über bie £f)ätigfeit arabifdjer ©elefjrten in
biefer ^jinficht ju geben, gunt richtigen SBerftänbnifj berfelben
müffen wir aber erft einen ©lid auf bie oorljergefienben ©nt-
wicfelunggftnfcn biefer ©ebiete meufdjlidjer Strbeit werfen.
3n ©riedjenfanb unb feinen Kolonien Ratten bie ißljilofoptien
bie ©runbgebatifen für bie SBeitcrentwidelung ber SBiffenfchaften
gegeben, ©ie tjatten oerfudjt, entweber uon beit ^Beobachtungen
auffteigenb, einen ©inblitf in ba§ SBcfett ber ®iitge ju erlangen,
ober non üorgcfafjteu Meinungen auSgeljenb, bie Sftatur unferem
Renten unterjuorbnen. äRatfjematif unb SRaturwiffenfdjaften
füllten aber ihre erfte Stütze uor allem auf ägtjptifdfem ©oben
fiuben. SBoht waren e§ bie ©riedjen, bie fper forfdjten unb
Sammltmj). 9i. R V. 97.
(*l
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4
badften, aber angeregt burdj bie manuigfadjen Erfahrungen ber
alten Serooßiter jenes SanbeS. 9?ocß ift aus ben oorliegenben
©cfjriften — finb bod) ber Slatur ber ©adße nad) aus bem
alten Slegppten meift religiöfe, auf b aS Seben im SenfeitS be-
jüglidje j£ejte uns iibertommen — , nocß ift nicht fcftgefteüt,
»nie »nett bie alten ©emoßner bcS 9?ifthaIeS fhftematifche gor*
fcßungeit auSgefüßrt Ratten, aber footel fönnen mir au$ ben uu$
überlieferten ÜKonumenten, au$ ben genauen Sanboermeffungen
erfennen, baß ihre praftifcßen ftenntniffe groß mären. $>aß
ihnen bie ©igenfcßaften beS |>ebel3, erbi^ter SBafferbäntpfe, bie
fpäter jnr Srricßtung oon £ampfmafd)inen führten, nicht fremb
mären, lehren un8 Ucberliefcrungcn über bie ÜJfittel, rneldje bie
^ßriefter anmanbten, um bie ftaunenbe SDienge baS fftaßeit beS
©otteS aßnen ju laffen. Unter römifcßer fperrjdjaft finben mir
im allgemeinen rnoßl eine juneßmenbe Sammlung oon einzelnen
©eobiidjtungen, ein fompilatorifcheS 3ufan,mei1fl1ffen ber älteren
Unterfliegungen, aber leinen mefentlidjen gortfdjritt. 3n Üllejaubrta,
mo ein ißtolemciuS fein SBeltfpftem erfaun, fönnen mir noch am
längften ©puren einer $ßätigfeit auf unferem ©ebiete oerfolgen,
aber and) h‘er fonnten bie iRaturmiffenfcßaften nur auf furje
3eit ihr Sehen friften. Erft trat ihnen ber 9?euplatoni8mu8
entgegen, ber mit feiner $ämonenleßre jeber naturmiffenfdjaftlidjen,
auf bie ©rünbe ber fJfaturerfcßeiuungcn juriidgeßenben gorfdjung
feinblich war, unb bann litten fie unter ben Kämpfen, bie fid)
an baS Auftreten be§ EhriftcnthumS anfcßloffen. ®ie neue Seßre
mußte baS Sntcreffe aller ihrer SBefentier im ooöftcn Umfange
in Slitfprucß neßmen, galt c£ bod) bie emige ©eligfeit im ©egenfaß
ju irbijeßem SBoßl ju erlangen. SCie öeßanblung ber gragen,
roelcße fieß an bie cßriftlidje Seßre anfnüpfteu, bie fßolemif
forooßl gegen bie Slnfcßaitungcn bc§ abfterbenben |>eibcntßum£,
mie biejenige ber einzelnen Sfiidjtungen innerhalb beS Eßrifteit*
tßumS felbft, abforbirtett alle Strafte.
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SBenn bie öiefc^ic^te auch bte §aub(ungSWeife einzelner
Heloten unb ganatifer, burdj tuefc^e bie (Scheine beS SKterthumS
»ernidjtet, heroorragenbc ©eiehrte uid)t nur in ihrer Jfjätigfeit
oerhinbert, foitbern fogar baljiu gemorbet würben, nerurtfyeilen
muß, jo ift bocf) bie gau^e Sewegung au fid) boßfommen oer-
flänblic^. SlfleS, was ^eibttifd) war ober aud) nur mit bem
^eibenthum jufammenju^ängen fd)ien, mugte oernidjtet werben,
©oldjem cfflufiöett Verhalten begegnen wir in ber ©utwicfelung
beS SlNenfchengefchlechtS faft fietd, wenn baSfelbe uon neuen
Sbeen bewegt wirb, eS geigt fid) gerabe ebenfo in ber @nt-
widelungSgefd)ichte einer jeben 2öiffenfd)aft. 3e weniger bie
©treitpunfte burd) bie Scobad)tung fontroßirbar fiub, je mehr
bie 9Jieitiungen oon fubjeftioen SluSleguttgen abfjängen, je mehr
unfere etljifchen Sluffaffuitgeit mit in gragc fommen, um fo er-
bitterter werben bie Äcintpfe. *£er 9tatur fte^eu wir weit
gleichgültiger gegenüber. Sntfpredjenb ber eben gefd)ilberten
Stiftung finbeti wir in ber djriftfidjeu 2Beft nad) bem britteu
3ahrhunbert fein Sutereffc für uaturwiffenfchaftlidje gragett.
3n tedjnifcfjer .fj>infid)t aber gingen bie ©rfinbungen eines .'pero,
eines $lrd)imebeS nidjt »erloren; jwangen hoch bie grofjeit Sauten
ber ^anptftabt am SoSporuS ju einer eingehenben 93efd)äftigung
mit ber ^Bewegung großer ÜDiaffen, mußten bod) bie Spjantiner,
nm beit attbrängenbeu Serfern unter beu ©affauiben 311 wiber-
ftefjen, auf möglicfjfte Serooflfommnung ifjrer StriegSmafchinen
(innen. 3» biefer $eit roirb wohl baS gried)ifd)e geuer, eine
Sirt ^uloec erfunbett worben fein.
Snbeffen ift uufer Söiffen über bie tedjnifchcu Seftrebungen
biefer $eit unb barüber, was aus früheren ©podjeit an Stennt*
niffen erhalten blieb, noch recht gering. Sieles biirfte wohl au«
arabifchett Gueßeit $u ergritnben fein.
23od) foßte, waS in Spja^ oon Wiffenfdjaftlidjer gorfd)ung
geblieben war, nur inbireft für bie SSeiterentwidelung oon
6
©cbeutung werben. S$ war bic unterbrüdte unb anägewanberte
@elte ber Sieftoriaiter, bie bajit beftimmt war, bie neue Anregung
bent jefet auf bent (Scpatiplap erfcpeineitbett ©olfe ber Slraber 51t
geben. 2113 bie 9?a<fjfofger beä fDiupammeb beit SSlam mit
bent Schwert über bie ©renjen iprer ^eimatp weiteruerbreiteten,
waren irrten wiffettfdjaftlidje Sntereffeit fremb. Spr eitriges
3iel war, bie Cepre „(53 giebt nur einen ©ott unb SDiupamttieb
ift fein ©roppet" in bie weiteften gerne« 31t tragen, getrieben
jug(eid) uott ber arabifdjen fiuft au ©eutejügen unb Krieg«*
getümmet, wie fie un« fd)oit bie ölten Sieber fcpilberit. Sine
iprer erfteit Sroberuttgen war biejenige 2legppten8, bei ber fie
iit popent ©rabe burd) einpeiniifcpe Stiften, bie dopten, bie
non bem aitberSgläubigen ©p5ana fcpwer bebriidt würben, Unter*
ftüpung fanben. ÜDiatt fiat befatmtlid) ben Arabern beti ©ormurf
gemacht, fie pätteit bie Söibliot^ef in 3l(ejattbria t> erbraunt, unb
jwar ipr gelbperr 2(mr auf ©efepl be8 Kalifen ©mar. ‘Diefe
©epauptung wirb burep bie Ipatfacpe Wibertegt, baji bic
©ibliotpef fdjon »iel früher unb jWar in ben Kämpfen Safar« unb
in ben inneren ßwiftigfeiten ber Gpriften jit ©runbe gegangen war.
3Jiit ben größeren Verpältuiffen und) ber Sroberung oon
3tegppteu, Sprien, Siorbafrifa unb Verfielt Wucpfen auep bie
Sebiirfniffe ber (Sieger. £>ie großen fiänberftriepe »erlangten
eine georbnete Verwaltung, bie Srpebuitg ber «Steuern mit
folcpeit Gingen oertraute ÜDMitner, unb pier^u waren bie
arabifdjen Krieger niept oorgefcpult, auep patten fie junäepft opne
ßerfplitternitg ber UJiacfjt gar niept baju »erwenbet werben
fönneit, man fiebelte fie in befoitberen SKilitarlagern an, wie in
goftat, au« bem fiep ba« mobertte Kairo peraulentwidelt pat,
in ©a«ra, bem jepigeti ©afforap, »011 bem in „laitfenb unb eine
Siacpt" fo Diel bie Siebe ift. ®ie Verwaltung«ftellen würben
baper Spriften unb Silben übertragen, biefelben würben al8
Slerjte an ben $of be3 ÄTalifeit berufen, unb jwar befonberö
(«j
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7
alss biefer oon 2>anta3fu3, roo bie erflen bcr £3mmajaben ihre
Siefibenj Ratten, nacf) Vagbab gefommen war, mo fid^ mit bem
großen SujuS aucf) mehr Äranfljeiten einfteßten. Viele bet bort
rooljnenben SReftorianer bedielten ihre d)riftlid)e iRetigion bei.
T)eitn gegen bie Sefenner einer ber geoffenbarteu ^Religionen,
bie 3uben mtb Stiften, mar ber itoran äußerft bulbfam, er
geftattete benfelben gegen bie Vejahluitg einer JÜopffteuer freie
Ausübung ihrer ^Religion. Srft oiel fpäter griff eine größere
3ntoleran$ um fiel). infolge ber näheren Veriihrung mit ben
Strohern, namentlich auch megen ber baniit oerbunbenen pefu»
niären Vorteile, traten oiele ^um 3$Iam über, fo oiete, baß
jeitmeife ber Uebertritt oon feiten ber muhammebanifdjen 5Re*
gterung erßhmert mürbe, um ber ©taatSfaffe nicht gu große
Summen ju entheben. 2Rit bem Uebertritt nahmen bie Äon*
oertiten natürlich bie ©prache ber Vefenner beS Storan an, mie
bieS oon allen Vefehrten gefchehen mußte: barf ber ftoran
nicht überfefct, fonbern muß itt ber Sprache, in ber er geoffenbart
ift, gelefen merben." Slrabifd) rufen auch *>‘e HRuejjin oon ben
SRinaretS jum ©ebete. 9lod) jeßt bringt baS Slrabifdje burch
bie Verbreitung beS 3$lam burch 3)erroif<horben unb noch
meßr burch bie Äaufleute in bas innere oon Slfrifa oor.
2)ie ©rlaubttiß 3Ruhammeb3 oiec grauen Ju nehmen, be*
förberte ebenfalls ba$ Umfichgreifen beS Slrabifchett. 3)ie jahl*
reiche SRadjfommenJchaft fprad) bie ©pradje ihrer Väter unb
betrachtete fid) als echte Slrabcr, ba bie Vermanbtfd)aft mit ber
äRutter allmählich für bie äußere Stellung oon untergeorbncter
Vebeutung mürbe; benn anfangs h*efc nur ber ©otjn einer
freien ein Sbelmanu. ©o mürbe fchr balb baS Slrabifdje bie
überall herrfdjenbe ©prache. ffienit mir baher oon ben miffen»
fchaftlichen Seiftungen ber Slraber fprechen, fo ift eS nirfjt baS
ethnographifch mit biefem SRanten bejeichnete, in Arabien an*
fäffige Voll, oon bem mir reben. @3 ftnb nicht biefe allein,
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8
ja nicht einmal übermiegenb, betten mir bie Strbeiten nerbanfen,
fottbern ©prer, ißerfer, 3nber, dopten, ©panier. Kber ade
fc^rieben in ber ©pracfje ülftuhammebS, b. f). arabifd). 2öir
begegnen ^ier einer ähnlichen ©rfdheinung mie im SOliitelalter
im Occibent, roo in aden fiänbern^bie ©pracf)e ber ©eiehrten
baS fiateittijcfje mar. ©itt Unterfc^ieb ift inbeS oorhattben,
nämlich ber, ba§ in ben mu^ammebanijcfjen fiänbern^bie arabifd)
©predjenben aud) einem arabifdjen ©taate angehörten. maren
aber nicht nur praftifc^e Keimtniffe, mie SJiebijin, SuriSpruben^
unb IBermaltungSlehre, bie ben Arabern burcf) bie dleftorianer
5ugefüf)rt mürben, fottbern aud) ppilofophifche; „beim," jagt
einer ihrer bebeutenbjten ©djriftfteder, 3bn ß'^albun, „als ihre
^errfdjaft jid) ebenfo mie ihr jReid) befeftigt Ijatte, als bie
Sttnnahme beS fefjhaften fiebcnS jie au einer tton feinem früheren
SBolf erreichten Kultur geführt, als jie begonnen hatten bie
SEBiffenfdjaften itt aden ihren Zweigen ju pflegen, ba fam ihnen
auch ber 2Bunfd), bie philofophifcfjen SBiffeitjchaften ju ftubiren,
ba fie burch bie ißriefter unb Sifd)öfe ber untermorfenett SBölfer
tton ihnen hatteu fpredhett hören, unb rneil ferner ber mettfdh*
liehe ©eift Bon Statur aus nach ©rfenntnifj biefer ®inge ftrebt,
bat)er bat ber arabifche Kalif 2lbu SDjafer ©Imattcjur ben König
ber ©riechen ihm ittS Ülrabifcfje überfefcte SEBerfe $u fenben."
®er ®efchichtfd;reiber ber arabifchett Sterbe 3bn ?lbi Ofaibia
y berichtet unS ähnliches: „$arun al jRafchib hübe aus Stntmorium,
Mttagra unb anberen ©täbten KleinafiettS eine grofee SDiaffe
griechifchev Südjer als Kriegsbeute mitgebracht. Später ließ
jföamuti Biele Sucher in Konfiatitinopel faufen, moju er nur
mit ÜJiiihe oom Kaifer bie ©rlaubttijj erhielt." 3bn Khalbuti
hat mopl 2lbu 2)jafer ei Üftangur mit 211 SJlamun oermechfelt,
®l 9Jian?ur hotte ju oiele^attberc Aufgaben ju löfen, um an
griechifche SBiffenfchaften ju benfen, uttb mar auch 3U (jeijig,
um bafür ©elb auSjugeben.
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9
Sei allen biefen ©elegenljeiten famen philofopf)ifd)e, mebi*
jinifche, naturmiffenfdjaftlidje SSerfe nach ©agbab, nnb jnmr in
großer Sülle, wie wir aus arabifd)en ©iidjcroerjeichniffen erfeljen
fönnen. ®ie @d)öpfungeit ber ©riechen, ober, wie fie bic ?lraber
nannten, ber fHömer, würben bann itiS Slrabifdje übertragen.
3u beachten ift, baß non ®id)terwerfen fo gut wie gar nidfts
überfejjt würbe. @3 lag eben bie gan^c 9lrt beS ©mpfinbenS ber
©rieten unb 3nbogermancn berjenigen ber Slraber uitenblid) fern.
3n ber 3)id)tfun|'t fjabeu fie baljer ihren ßljaraher twUfommen
national bewahrt, umgefeljrt aber haben fie fpäter manche Sonnen
unb ©ebanfett non Spanien aus an baS Slbettblanb abgegeben.
Slnbere finb fpäter uachgeahmt worben. $nS ©afel, eine Sornt
beS arabifdjen SiebeSgebid)teS, hQt fogar feinen Flamen bei*
bemalten.
S)ic philofophifdjc ©ilbuttg beS arabifchen ©eifteS att ber
|>anb grie«i)ifcf)er ffierfe würbe für bie SBeitcrentwicfelung beS
SSlant, ganj abgefeßen ooit bem ©influß auf baS übrige Heben,
non weittragenber ©ebeutung. TaS religiöfe ©pftem war oon
ÜDluhammeb nicht in gefdjloffener S°rm ^interlaffen worben, er
beßanbelte lange nidjt alle auftretenben Sra3en/ unb wenn man
auef) noch bie fpäter gefammelten SluSfprüche beS fßropßeten unb
feiner erften iRachfolger bagunaljm, fo blieben bod) uod) »tele
Süden auSjufüöen, unb baju beburfte eS oor allein einer griinb*
litten logifdjen Schulung; biefe fonnte an ber §anb ber gried)ifd)en
fßßilof opben, oor allem au ber beS 9lriftoteIeS erworben werben. 2Bir
müffen eS als ein großes ©liid betrachten, baß nicht etwa bie
platonifcße ober ißt SluSläufer, bie neuplatonifchc 2tnfd)nuung
ben arabifchen ©eiehrten als ?luSgangSpunft bei iljren ©eftre»
bungett biente. $enn wie ber fßlatoniSmuS in ber 3e>i ber
©riechen mit feinen hohe« Sbealett, aber feiner bie Siatur bis flu
einem gewiffen ©rabe oerachtenben Äuffaffung bie ©ntwidelung
ber ejeaften SBiffenfchaften in ^ofjent ©rabe hinberte, als er
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10
\
über bie ariftotelifdje natur»üiffenfc^afttid)e Slnfdjauuitg mef)r unb
mehr fiegte, fo märe eS aucf) im Orient gefdjefjen. ©in Seifpiel
Ijieifür merbeit mir fpäter feinten lernen, mentt mir bie SSerbienftc
ber Slraber um bie Cptif befpredjen.
Tie it’euntnifj ber gried)ijd)en unb lateinifdjen Slutoren fam
anfangs nidjt bircft burdj Ueberfefjuitgeu auS ber Urfpradje
in bie ber 9Wuljammebaner. Tie Uebertragung gefc^af) nteift
burdj bie ftjrifchen 9feftorianer, beiten meber baS ©riedjifche,
nodj baS Slrabifdje SDhitterfprache mar. Slufjerbem mar bie
Sprache ber Slraber für miffenfdjaftlidje .grnecfe nodj $u menig
auSgebilbet. @S fantt uns baljer nidjt überrafdjett, menn man
in ben erftett $eiten baSfelbe SBkrf nidjt einmal, fonberit Diele
9)?alc überfefjte unb Diele ber Ueberfefjungeit mieber neu bearbeitete.
Später als bie Slraber meljr unb meljr mit ben ©rieten
unb ihrer ©pradje befamtt mürben, trat ju biefer mittelbaren
Uebertragung audj eine birefte, roie fomohl auS ben ^eugniffen
beS oben citirten 3bu Slbi Dfaibia, als auch auS einer bireften
SJcrgleidjung ber alten Ucberfe(jungen mit ben $anbfdjriften
erhellt, ©in grofjer Tljeil ber fpäteren Slrbeit beftefjt in einem
©rläutern, einem Srmeitern beS gegebenen Originals. Tiefe
SDletljobe fnüpft an bie 93efjanblung ber urfpriinglidjften arabifchen
SBiffenfdjaft, ber Äorancrflärung, fomie an bie ber alten Tidjter an.
3n ben nrabifc^eu Schulen, ben ÜJtcbrefcfjS, fafj ber Scfjrer
umgeben Don feinen ©djülern; meift lafeit fie ihm unb nidjt er
ihnen Dor, unb er crflärte baS SSorgelefene. ©eine SluSeittanber-
fefeungen fchriebeit bie ©filier bann nieber unb Derbreiteteit fie
meit über baS Sanb. gmar effiftirten noch nidjt bie mobernett
Transportmittel, aber bie Semeglidjfeit beS SnbiDibuumS mar
bamals größer als mau gemöljnlid) annimmt. Tic Äommuni»
fation mar burdj bie jährlich auS aßen Tfjeilen ber muhamme-
bauifdjen Söelt nad) ÜDfeffa ftrömenben ©läubigen fe^r erleichtert.
Tie Pilgerfahrt mar ja für jeben ©laubigen eine religiöfe Pflicht.
(10)
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ler Spanier, ober, wie er bamalS hieß, ber Slttbalufier gog mit
feilten SanbeSgenoffett nad) SRelfa uitb fcßloß ficf) bort etwa
einer nacß Schott gehenbett ©djar att. ©o fann eS uns bcnn
and) nicßt tonnberit, baß weit »oneinattber getrennte ©cleßrte
ficß i»iffen}d)aftlid)e ©d)reiben fcßicfteu.
(£3 ift nicßt unintereffant gu fehen, wie burcß bie äußeren
jBerßältniffe bie 3trt ber Söeröffentlicßung bebingt ift. Sitte große
ängaßl ber erhaltenen ©cßrifteit fittb aus bett eben erörterten
©rüttben Kommentare gn einem bereits befteljcnben SEBerf. 33er
len biefeS wirb angeführt mit beit SBorten „Sr fagt", bent
bann bie Srfläruttg folgt, „i cß fage". 93ielfad) »ermitteln, wie
ermähnt, ©etibfdjreiben beS einen etwa in fßerfien lebenbett @e«
lehrten att eilten in ©paniett bie g°rfcßuiig. 33er Srftc fteÜt
bem 3weiten eine Aufgabe, bie bann tiefer löft. Sber nucß gu>
famntenfaffenbe DarfteHungeit mangeln int ^Irabifc^en nicßt.
@roße 2eßr* unb §anbbiid)er, bie oft, oßnc ißre OueHett gu
nennen, ihren ©toff fßftematifcß erörtern, uttb gerabe berartige
Schriften waren eS, bie guerft ins 2ateinifd)e iiberfeßt würben,
häufig hat man baßer ißre Autoren in neuerer $eit beS 3)ieb»
ftaßlS an ihren SBorgängertt begidjtet. SKeift aber fällt biefer
Sotnntrf in nichts gufommen; wenn toir bie oott eben beufelben
belehrten »erfaßten ©cßriften, in benett ißre eigenen Unter*
mdtuttgen niebergelegt finb, ftubiren, bort erlernten fie »oU*
fommen bte SBerbiettfte ißrer Vorgänger an. ©efprädje fittbcu
fteß im Slrabifcßen wenig als 9lrt ber Sbarftetlung. Dies ift
ber 3cit ber fRenaiffance »orbeßalten, wo g. 93. ©alilei einen
großen 2heil feiner Unterfuchungen in biefer gorm barlegte,
toäfirettb fpäter wieber SBriefe unb bei uns bie 5°wi beS 93or*
tragS als ÜRittel ber 3)arfteflung angewenbet werben.
3nt 9trabifcßen wären ttod) bie fießrgebießte gu erwähnen.
Deren gab eS über alle gweige ber SBiffetifcßaft. 3ßr fpaupt*
jwed war außer Zweifel baS üluSwenbiglertten ber ^auptfaeßen
an
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ju erleichtern, bie bann oont Sehrer fomntentirt mürben. ©eljr
vielfach haben fidf 8l(d)emiften berfelben bebient. ©eftattete ei
bod) bie poetifche Jornt noch beffer als bie ^ßrofa, unllare unb
mhftifdje ©ebaufeit oerfdjfeiert mieberjugebeu.
3it bem ©orhergehenbcn habe ich ncrfudjt in furjen ßügen
eine Sieifje bcr ©erbiiltniffe ju fdtjilbern, bie bei ber ©ntmidelung
ber SEBiffenfchaften bei ben Arabern in $rage fommen. 3d) toenbe
mich nun Su ber Sefprechuttg ber SE^ätigfeit jenesS ©offeS auf
naturmiffenfdjaftlidjcm ©ebiete.
S33ir beginnen mit ben Söiffenfchafteu, in benen bie[$lraber
(baS ©orjiiglichfte geleiftet haben, unb in benen fie weit über ihre
fithrmeifter hinausgegangen fiitb, nämlidj mit ber Slftronomie
unb ber äRathematif.
Ser faft ftetS ffare Fimmel muhte oon früh ihre Stuf*
merffamfeit auf baS ©tubiuin ber ©eftirne leufen. SBie bem
©Ziffer bie ©terne bie SBegmeifer auf bem Djean mären, fo
roaren fie eS bem ©ebuinen in ber SEßüfte. Satin famen bie
Araber nad) ben ©egettben URefopotamienS unb SleghptettS, oon
benen baS crftere bie ättefte SGBiege unferer äöiffenfd)aft ift;
©oitnett* unb ©ternbiertft mar bie ^Religion ber alten ©abplonier :
ber ©ott üJielfart burchmanbert als ©ounengott bie jmölf
Reichen beS 2h*erfre'ie^ fie nacheinauber im Saufe beS SoljreS
überminbcnb, — eine §luffnffung, bie lebhaft an bie Shnten
beS $erlu(e3 erinnert. Sn ber Slftronomie haben bie Slraber
bie ©ahnen ber ©ontie, beS SRottbeS unb ber einzelnen fßlaneten
genauer feftgeftellt unb baburd) ber fpätcren fjorfchung ben
SSeg geebnet. SDie ooit ihnen entmorfenen Safeln, bie für jebeit
Sag bie Stellung oon ©onne unb SRonb beftimmten, liegen
mit größter ©enauigfeit ©onneu» unb 2Ronbfinfterniffe üorauS»
fagen. Sie SRamen oieler in ber Slftronomie üorfommenber
Singe rühren Oon ihnen hcr- ^er ßenith h£ifji ©amt, bie
^Richtung; oon bemfelben SSort ftammt aud) Sljimut; ber bem
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Samt gerate gegenüber liegenbe ißunft bieji 9labir. SKfjibabe,
Xfjeobolit^ finb gleicbfatlg arabifeben Uripruugg. Sbettfo bie
Steruennanien Sllgol, 9iigel, ©etelgeuje, Sllbebaran. SBefentlidj
förberten bie giirften biefe Stubien. Sternmarten ftanben fo*
wobt int fernften 0ften, in Socfjara, wie im fernfteit SBeften,
in Spanien. gn unseren ültufeen fönnen mir noch öiele aftra*
nomiidje Suftrumente aug biefer Slftrolabien, mie fie bie
Slraber nach bett ©riechen nannten, jum 5be*f *n gtofjer Soll*
fommenbeit, febett.
«ueb aftropbbfifalifcbe fragen haben bie Slraber be*
febäftigt. $af3 tag Siebt beg iDionbeg non bev Sonne entlehnt
fei, mar ihnen befannt. @ine befonbere Slbbanblung 3bn
al fpaitbamg, beg jmeiten ißtolemäug, mie ibn ein anberer
©etebrter nennt, oerfolgt bag Problem big in feine Sinjelbeiten.
55erfelbe ©efebrte fuefjt nacbüuroeifen, bafj bie ißlanctcn unb
giffterue Selbftleucbter feien. Grr ftüfet ficb barauf, baff fie
feine ißbafeu, mie ber fPtonb jeigett. [5)ie ißbafen ber SBenug
unb beg SKerfur batten mit ben bamaligen §ülfgmitteln noch
nicht fonftatirt merben fönnen.] 55a er aber fühlt, baff feine
Semeife für bie giffterne unb oberen platteten nicht binbenb finb,
fo fcbliefjt er mit ben SBorten : „Sinb aber 33enug unb SDierfur
bei ihrer Stäbe ju betu 9Jtonb unb ber SBelt beg Seittg unb ber
33erberbnifi , Selbftteucbter , fo ift bieg erft recht bei ben gif*
fternen unb ben oberen fßlaiteten ber gatt, bie fo meit oon
biefer SBelt beg Seing unb ber Skrberbnijj abfteben."
5>ie grage nach ber Umbrebung ber @rbe um ihre Slfe
haben bie Slraber oentilirt. fR^afeö bat ein SBerf oerfaffi
„lieber bag Untergeben ber Sonne unb ber Sterne unb Stad)*
meig, bah bie Urfacbe biefer Srfcbeiuung nidjt bie Sercegung
ber @rbe, fonbern beg ^immefggemölbeg ift." 5)ie Slraber finb
alfo ju einem unrichtigen fRefultat gelangt.
Slber nicht nur in ber SBeiterfiibrung ber mirflicben
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aftronomifcf;en SBiffenfcpaft erruiefeit fic^ bie Slraber als
würbige Sftadjfolger ber alten Sewoptier ÜJlefopotamienS,
fonbern ebenjo wie biefe pflegten fie bie 3lftrologie unb fudjten
auS ber Stellung ber ©eftirne bie Scpidfale ber ÜJlenfcpen gu
enträtseln, ©ange Serge oon SBerfen finb unS erhalten, bie
biefer ©eiftcSoerirrung fpftematifd) fic^ roibmen. ©erabe wie
bei uns waren es nielfad) giirften, bie aus bett Sternen
ipr Scpidfal erfaßen wollten nnb baju ber SSBiffenfcpaft ein
31fit boten.
SBie gegen bie Slcpemie, fo paben fid) auep gegen bie
3lftrologie ^erüorragcnbe arabifdpe ©eleprten gewenbet, unter
anberen Äoicenna , ber in einer Scprift „Söiberlegung ber
?lftrologie" geigt, bafj fie fiep auf aprioriftifepe $ppotpefen, bie
nnerwiefen unb unerweisbar finb, ftiipe. 3)?it SRecpt maept aber
®e @oeje barauf anfmerffam, baf? wenn inan einmal biefe
tfjtjpotpefen gugiebt, bann bie Slftrologie Wirflicp eine Sßiffenfcpaft
ift, ba fie oon ipnen aus mittelft uuwiberleglicper Seobacpiuitgen
unb genauer SRecpnungen fortfepreitet. Sine 91acprcd)nung oon
Tabellen beS 311 Äinbi über bie Sionjunltionen beftätigt bie
ooit biefem gefunbenen 3a^en,Ber^e/ Me aber natürlid) nichts
mit bem Sdjidfal ber SUienfc^en git tpun paben.
3n ber SRatpematif finb bie Serbienfte ber Slraber auS=
nepnienb groß. Son ipnen paben wir nnfere $aplgeicpen
erhalten. 3n ber arabifepen SBelt waren gwei
nebeneiuanber üblich, baS orientalif<pe, ooit ben ftalifen nuS
3nbieit eingefiiprte, unb baS occibeutalifcpe, bie ®pobär=Sd)rift,
aus weldjer unfere giffern ftammen. ®ie leptere Schrift haben
üiefleicpt fc^oit bie SReupptpagoreer gelaunt, bie fie aber auep
aus 3nbien empfangen paben fönnen. ®ie 3itber faitnten übrigens
fepon bie Serwetibung ber SteQuitg einer 3apl gur Scgeicpnung
ipreS SBertpeS. ®ie Araber paben baS Serbienft, bie beffere
äRetpobe eingefiiprt gu paben. ®er ^auptwertp beS SpftemS
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liegt barin, bafj bie 9iuH mit einem befonbereu geidjeit oerfelien
wirb, beffen arabifdjer 9Jame „Ziffer" je^t für alle unfere
jeidEjen angeroanbt wirb, ©in ßeidjen für bie 9iutl Ratten fetjon
bie Sllejranbriner, wanbten eS aber nur äujjerft feiten an. 9lur
burd) bie prinzipielle ©infüfjrung berfelben ift eS aber möglich,
mit je^n gcid&en fianJe ftüße ^cr 3°^en bü umfajfen unb
juglcid) burdj bie Stellung ben SBertlj einer 3af)l Su bezeichnen, fo
bafc bie 1 fowoljl 10 als 100 u. f. w. bebeuten fann. SBäfjrenb man
bei ben lateinifdjen 3*ffern erf* lange Steifen oon Operationen
$ur SBeftimmung beS SESert^eS einer $af)l machen ntufj, fo über-,
fieljt man ifjn in bem arabifdjen Spftem mit einem 93(icf.
Sind) bie abgefürjte Sejeidptung ber äßultiplilatiDn, ber
®ioifion, wenn aud) in etwas anberer Sßeife als wir fie an*
wenben, entftanb bei ben Arabern. Siefe I^eile ber Süiat^ematif
tragen nod) je$t einen arabifdien 9lamen, Sllgebra. 9iic^t weniger
als in ber Algebra fjaben bie Araber in ber ©eometric geformt
unb oor allem geometrifdje SÖietfjoben jur Söfung algebraifdjer
Probleme, fo ^ur Söfuitg oon @lcicf)ungen höfjeren ©rabeS,
öerwenbet. $urd) bie gäfpgfeit geomctrifdje Äonftrultionen jur
©rgeugung non ©ebilben, bie felbft äujjerft uerwicfelt waren,
burdföufüljren, burd) biefe matfjematifdjen, fid) befonberS auf bie
©eometrie erftretfenben Arbeiten würbe bem arabifefjen ftünftler bie
SKöglidjIeit gegeben, in ber SSeife, wie er eS getf)an, $ecfen unb
SBänbe mit einem geometrifdfeu £iniengewebe zu überziehen. 3n
ftets neuen formen werben Linien unb ^war nteift gcrabe, inein-
anber gewoben, um bie gläd)e Zu füllen. $ieS gefd)ieljt in ganz
anberer SBeife als im perfifefjen Stil, wo eS Slumen unb ge-
wunbene fiinien fittb, welche bie beforatiocu ©lemente liefern.
3n ^öcfjfter SSoQenbung finb biefe £inienbe!orationen in ber
SUfjambra, ber rotten, öerwenbet; aber aud) auf oieleu Sdjalen,
Türfüllungen treten fie uns entgegen. 2Jiit SBonne folgt baS
äuge ben rfjptljmifd) fid) wieber^olenbeit ©eftaltungen bcS halb
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frei fdjaffenben, t)db geometrifcJ) benfenben ÄünftlergeifteS, unb
freut fid), wenn e» metjr unb meßr erfennt, wie biefe reigtoCe
geidjnung burd) bie aQereinfarfjften Mittel erreicht wirb. Tie
©rmübung burd) bie unabläffige SBieberholung beleihen äWotiteS
Wirb bnburd) gliidlich beseitigt, baß, fei eä in ba« Sinien*
Ornament Ijtneinfomponirt, fei e§, baß in bie Süden ober um
bie SRänbcr beäfelben Snfcßriften eingefügt fiitb, Soranfprüche,
Tidjterterfe, ober ber SBatjIfprud) ber ©rbaucr, in ber Sllßambra:
giebt feinen ©ieger außer ©ott".
3m Slnfd)luß an bie SBerwenbung ber Sinie ju rßptßmifcßen
SBieberßolungeu im Ornament wäre auch nod) ber erfolgreichen
wiffenfdjaftlicheu SBeßaitblung ber ÜJfuftf bnrd) bie Slraber @r*
wät)uung ju tßun.
Tie ©efejje ber SDiechanif ber feftett unb ber flüffigett Körper
ßaben bie Slraber mannigfach beßanbelt unb angemanbt. Sßon
ben einfachen üftafd)inen war e3 befonberä ber $ebel, mit bem
fie fid) eingel)enb befdjäftigten unb beffen ©igenfdjaft fie bei ber
ftonftruftion ihrer äußerft empfinblichen SBagen oerwanbten.
©beitfo eiugehenb erörterten fie bie Sehre oom ©dfwerpunft,
fowie biejenige oom Schwimmen, (entere natürlich atifnüpfenb
au baS ihnen wohlbefannte ardjimebifdje ^Srinjip. ©o gelang
e3 ihnen, eine Steiße oou SDtethoben gur SBeftimmung bet
fpecififcfjen ©ewießte ju erfinnen, refp. bie alten ju »erbeffern.
©ie gogeit babei nicht nur fefte Körper in ben Sereicß ißrer
Unterfucßungen, fonbern auch fjlüffigfciten , fonftatirten ba3
Seidjterwerben ber lederen mit erhöhter Temperatur u. f. f.
Ta8 fpecififd)e ©ewießt ber feftett Körper biente ihnen ferner
jur ©rfennung ber ©cßtßeit ton eblen ÜftetaHen unb ©belfteinen.
©owoßl bei biefen wiffenfcßaftlicßen gorfdjungett all auch bei
bereu praftifeßer Slnwenbung jur Äonftruftion ton SDtafcßinen
gingen bie Slraber ton ben Äenntniffen unb ©rfaßrungen ber
©rieeßen au3, bei leiteten befonberä ton benen beä §ero, beffen ßaupt*
ae>
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fäd)tich)’te ntedjanifche Schrift un« überhaupt nur noch in orabifcfjer
©pradje erhalten ift. darauf fiel) ftüfjenb, haben bann bie
Araber mannigfache Sewegung«« unb Ärieg«mafd)inen fonftruirt.
Sie haben SBafferleitungen in ber oorjügtichften ?Irt angelegt;
babei fchafften fie nicht wie bie Nömer burch Slquäbufte unb
©nfchnitte bie Sdjwierigfeiten fort, fonbern fchmiegten fich burch
ftnnreidje Siöhrenleitungen beu @igent^ümlicf)feiten be« Serrain«
an. Sn ben SBafferfiinften haben fie faft unübertreffliche« geteiftet.
$>ie ©rjählungen in „Jaufenb unb eine Nad)t" geben un« einen
©egriff baoon. ®enn wa« h>er ber Nomanerjähler feinen 3““
hörern in Äairo, wo jum $hert biefe ©efchidjten fpielen, fd)ilbert,
wirb burch bie ©rjahlung ernfter Neifenber oofifommen beftätigt.
$a«felbe lehren un« befonbere Schriften über biefeit ©egenftanb.
SBir brauchen ferner nur barau $u benfen, bafj unter ben
ftalifen au« bem Stamme §lbberraf)man« unb ihrer Nachfolger
Spanien burch bie oorjüglidjften Sewäffernngctanlngen etn
©arten war, unb bafj, wa« jefct nod) oon Sßafferanlageu fegen«
fpettbenb ba« Sanb burchsieht, auf arabifefjen Urfprung juriief«
geht. @rft nach ber ©roberung Spanien« burdj bie (S^riften,
welche bamal« an SBilbitng hinter beit Arabern weit jurüefftanben,
würbe Spanien ju bem, was e« je^t ift. ®enn nicht« ift falfdfer
al« bie ?(nfchauung, bafj bie Sarazenen, bie ftarl SJiarteH
jurücffchlug, etwa wilbe Barbaren, oergleichbar ben Hunnen,
gewefen feien. ©« war ein hoch cioilifirte« Söolf, beffeu ftultur*
oerhältniffe in oieler |)inficht an bie unferigett erinnern.
2öir wenben un« je^t ju ben optifchen ©rjdjeinungen.
2>ie fieljre oon ben ©efe^ett ber Neflefion au ebenen flächen
hatten bie ©riechen fchott fehr weit geförbert, für biejenige
an gefrümmten bie ©runbtagen gelegt, wenn c« and) nach
neueren Unterfudjungeit fcheitten mödjte, al« ob fie hierbei etwa«
weiter fortgcfdjritten waren, al« man gewöhnlich annimmt. Sn
einheitlicher ©arfteßung finbeit wir bie ©hcor*e &cr sJieflejiou
Sammlung. 91. 0. V. 97. 2 C17>
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an ^oljlfpiegetn jucrft bei gbn al §aitham, bem Slft)ase« be«
SRittelalter«, entruitfelt. @r weifj, bafj nicht alle ©tragen, bie
parallel auf einen §oljlfpiegel fallen, in einem unb bemfelben
fünfte, bem ©rennpunfte, oereint werben, fall« ber |whlfpiegel
au« einer ftugeloberfläd)e gebilbet ift, aber er jeigt, bafj bie«
gefdjieljt, fobalb bie fpiegelnbe Oberfläche einem Umbrehung«*
©araboloib entfpridjt. Tiefe Rejultate leitete er mathematifd)
ab unb jeigte ferner, wie man ©renufpiegel ju fonftruiren bat,
beren Srennpunft »or ober hinter ber fpiegelnbeit glache ge=
legen ift.
Tiefe Qrrgebniffe arabifd^er gorfchung, bie freilich nreift in
noch nicht publicirten ^anbfehriften »erborgen finb, fittb un« jum
®heil iw Slbeitblanbe au« ben Schriften Roger ©aco« befannt
geworben, ber fid) eng an bie arabifchen Arbeiten anfdjliefjt, unb
bem man gewöhnlich biefe ©ntbeefungen jufchreibt.
©benfo wie für bie Theorie ber ^o^Ifpiegel bie 5£^ätigfeit
ber Slraber einen gortfdhritt be^eic^net , fo ift e« auch für bie
ber fiinfen, ber ©renngläfer. ©ei biefen fommt bie ©rechung
be« £id)te« in grage; auch hier haben bie Araber bie baju nötigen
©eobachtungen ber ©riechen erweitert unb »erbeffert.
©renngläfer, b. h- fugetförmige ©tücfe ©lafe«, bie bie
©igenjdjaft befifcen, barauffaüenbe ©onnenftrahlen in einem
©unft ju »ereinen unb baburdj Ejofje Temperaturen ju erjeugen,
waren fdjon ben Sllten befannt. ©or ba« 91uge gehalten, bienen
fie al« ©ergröfjerung«glä}er. Tie richtige ©rfenntuifj ber SBirffam-
feit unb bamit bie ÜJlöglichfeit eine« gortfehritte« in ber ©e>
nujjung bcrfelbett war ben Arabern »orbehalten. 3bn al Jpaitham
fchilbert un« gan$ genau ben ©trahlengaug bttreh eine mit
Söaffer gefüllte ftugel. Sßir nennen fie ©djufterfugeln, fie bienen
ben ©chufimadjern bap, um £id)t »ou ihrer Siampe auf eine
©teile ihrer Slrbeit ju fonjentriren. Slnfdjliefjenb baran entwicfeln
Äamäl eb Tin unb Slbii al Tanä eine Theorie be« Regenbogen«,
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bei ber er ber einmaligen, zweimaligen ic. fReflejioit im Innern
ber Söafjertropfen fHedptung trägt, nnb feine SRefuItate burd)
Skrfudje begrünbet. Sin neuer SSeweiS bafür, baf? bie Araber
wirflid) ejperimentirt fjabeu.
iöalptbredjenb waren bie Äraber in ber Sntwicfelung ber
ße^re twm ©ef)en. ÄriftoteleS Ijatte bie ganz richtige Än«
fc|auung aufgeftedt, nacf) ber baS Sidjt in ©tragen befiele,
bie, uon bcm leudjtenben ßörper auSgeljcnb, uitfer Äuge treffen
unb un$ baburd) ben ©egenftanb fidjtbar machen. 3n ganz
äljnlicfyer SBeife erflart er baS ©id)tbarwerben oon fiörpern,
bie baS Sidjt nur juriidwerfen, aber nicfjt felbft leudjten.
Unter bem Sinflup ber plaionifdjen Schule entftanb bann aber
bie Änfid)t, bafj oon ben Äugen aus giifjlfäben auSftraljlten,
roeldjc bie einzelnen ©egenftänbe betaftetcn unb uns baburd)
Äunbe oon ifjnen bringen. #um Unglüd für bie Sntwidelung
ber Dptif befielt bie zweite Änfidjt bie Oberljanb. SDiait ftüfcte
fid) barauf, bafj baS Äuge gewölbt fei unb ba^er weniger zum
Äuftieljmen als zum ÄuSfenben geeignet, ferner auf ben ©lauben,
bafj gewiffe Xl)iere unb einzelne SRenfdjen, wie ber ftaifev
2)omitianuS, im ®unfeln fe^en fönnten nnb auf anbere äljnlidje
Sdjeingriinbe mel)r. ©elbft bie gröfjten, mit bcm £id)t fid)
bejd)äftigenben ©elefjrten ©riedjenlanbS, beS gräcifirten ÄegpptenS,
wie ber um bie SDiatfjematif ljod)Oerbiente Suflib, ber ein neues
SSeltfpftem grünbenbe ißtolemäuS würben burdj bie fjjeffel ber
ja[jcf)en Änfdjauung an einer freieren Sntwidelung gefjinbert.
Srft bie Äraber, bie an ÄriftoteleS anfniipften, fanben baS
}Rid)tige. SS finb Äerzte wie SRljazeS, bie, auf ber einen ©eite
mit bem anatomifdjen ®au beS ÄitgeS oertraut — Äugenleiben
finb ja im Orient nur zu Ijäufig — , anbererfeits aber mat^e*
matijd) unb pl)ilofopf)ifd) gefdjult, ben wafjreit ©adjoerljalt
erfannten. ©ie fanben ben ©ijj ber SBaljrne^mung auf ber
fRüdwanb beS ÄugnpfelS, auf ber Sie^aut. 5)iefe ift ja aud)
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f)ofj( gegen baS Ijereiitfallenbe 2id)t. ©ie gerlegten anatomifd)
baS ütuge unb lehrten bie ©rünbe femien, warum mir, trofebem
mir gwei klugen §aben, bereu jebeä ein Vilb ber umgebenben
SBelt aufnimmt, jebeS Objeft bocfj nur einmal fefjen.
Von ben ©ebieten beS Magnetismus wufjte man im
Orient nur wenig, bie ©igenfdjaft gemiffer ©teine, baS ©ifen
attgugieljen, famtte man. Viele gabeln, wie bie twm Magnet*
berg, fnüpfeit ficf) baran. Man oerglicf) bie in bie gerne
mirfenbe Straft ber Magneten, bei ber bocfj ber wirfenbe Körper
an ©ewidjt nidjt abnatjm, wie beit Arabern bcfonbere Meffttngen
geigten, mit ber SluSjenbung beS Mofd)uSgcrucf)eS, ber and), of)ne
baß ber buftenbc Körper merflid} leidster wirb, ein ganges
ßimrner erfüllt.
SBeiter fam man in ber ©rflärung uicf)t. ©tetS mar ferner
arabifc^en $id|tern bie 3ßed)felroirfung gwifdjen Magnet unb
(Sifen ein beliebtes Söilb für bie 3unei9ung groeier fitebenben;
wie ber Magnet baS ©ifen angiefjt, fo, fingen fie, giet)t audj
ber fiiebenbe bie ©eliebte an.
5)aS Slbenblanb oerbanft ber Vermittlung ber Araber ben
Kontpafj. 9iad) ®ogp fannten bie Slraber ben Kompaß fdjon
im gafjre 854 unter bem Stamen Oaramit, öott bem fidj bie
ttocf) jefet in gtalieit gebrändjlidje Vegeicfinung ßalamita ablcitet.
@itt gemiffer Vailat aus KiSgaf berietet unS: „Von ben
©eeleuten, bie baS inbifdje Meer befahren, ergäljlt man, baff
fie fidj eines fleinen Ijoljlen gifdjeS aus ©ifen bcbienett, ben fie
fo Ijcrguftetlen miffen, bafj er, meint man it)tt auf eine ©cfjale
mit SBaffer legt, oben fdjroimmt unb mit feinem Kopfe unb
©djroang itad) beiben ©eiten, und) Diorb unb ©üb, geigt." ®er
©ifenfijd) wirb öorf)er magnetifirt. 2)iefer magnctifdje gifd)
finbet fidj ttodj jefct in einem befannten Kinberfpielgeug. ©S
finb aber nidjt bie Slraber, fonberu bie ©fjinefen bie ©rfinber beS
KompaffcS geroefcn, uott benett er gu beit arabifdjen ©djiffern
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fam, bie »oit ißerfien auSfaßrenb nad) ©eßlon, zu beit ©unba»
infcfn, ja bis ©ßina fclbft oorbrangen, um oon bort ©eibe unb
aitbere SBaren jurucfjubringeii. 3nbem bie Araber ben ©ee»
fahrern Italiens bie Kemttniß beS KompaffeS übermittelten,
haben fie bie äRöglicßfeit ju ben großen ©eereifcn »om Anfang
beS fünfzehnten SahrßmtbertS an gegeben. ®enn bi« babin
mußte bie ©cßiffaßrt mehr ober weniger eine Küftenfaßrt bleiben,
wenn auch ber im ©üben Diel weniger bewölfte .jjjimmet bem
©djiffer eS wefentlicß leichter machte, feinen Sauf nach &eit
©ternen jtt regeln.
2Bir wifjen, wie beinahe Kolumbus’ ©utbecfungSfaßrt baran
fcheiterte, baß bei feinem 33orfcßreiten nach SBeften ber Kompaß
mehr uttb mehr auS ber SRicßtung nach Siorben abwicß, unb
bie SRannjcßaft fürchtete, auf bem Djean beit einzigen fieberen
SBegweifer ju Derliereit.
©<ßon bie ©riechen wußten, baß ein geriebenes ©tiiefeßen
iBernftein leicßte Körper onzießt, biefe Slnjiehung nennen wir
jegt nach ^em griec^ifcßen Sftatneit beS SernfteinS „©leftron"
eine eleftrifcße. 2)ie Araber fanben biefe ©igenfeßaft auch
anberett §arjen wieber, ein folcßeS trägt im ^erfifeßen ben
fjübfcßen tarnen KaßarbA, ober ber ©troßanzießer.
Sn ber ©rflärung ber großartigen eleftrifcßeu atmofphärifeßen
©rfcßeinuitgen haben bie Slraber nießt oiet neues 311 bem oon ben
©riechen ©rerbten ßinzugetßan.
©preeßen wir oon ben SBiffenfcßaften beS Orients, fo benfen
wir befonberS an bie eine, welcße feßon einen arabifeßen 9fameu
trägt. 3<ß meine bie ^Icßemie ober beffer gejagt, bie Sßentie,
was ja baS SBort Jllcßemie bebeutet, benn $11 ift ber Slrtifel
unb bebeutet ber, bie, baS. Älcßemie ßat für unS eine bejonbere
iRebenbebeutung, mir benfen babei ftetS an baS ©eftrebeit ber
SRenfcßeti unebfe SöietaHe in eble ju oerwanbeln, oor allem
©olb fünftlicß ßerzufteHen. SDie ßßemie bagegen fott bie Um*
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fe&tttigen ber einzelnen ©ubftanjen miteinanber , i|re fRein*
barfteHung, bie ©rünbe für bie habet auftretenben ißro$effe
eittwideln. 2>ie ©runbanfdjauungen ber arabifefjett ©Ifemifer
waren nun gar nid|t fo irrationeü wie matt nteift glaubt, ©ie
meinten, alle in ber SRatur Dorfommenbett ©toffe festen fic^ au«
jtoei Körpern jitfammen, bie fie ber ©infad)fjeit wegen mit bett
tarnen ©djwefel uttb Guedfilber bejeic^neten. 2iefe fonnten
ntefjr ober weniger rein fein uttb unter oerfc^iebenen äußeren
©ebingungen jufammentreten, bann bilbeteit fieß bie oerfcßieben=
artigften ©ubftansen. Qm Schwefel felbft fittb, an ariftotelifdje
Slnfdjauungen anfnüpfenb, erbige, wäfferige unb luftige Seftanb*
tßeile enthalten. 2en ©ilbungSprojefj erflärtett bie Qdfwatt
©ffafa, bie lauteren ©rüber, in folgenber 28eife. 2ie »er«
fdjiebenen glüffigfeiten im Qitnerit ber @rbe löfett fid) unter bem
©inffufj ber §i^e auf, fie »erflüdjtigen fieß , fteigen empor bi«
junt oberen 9iaum ber |>öl)leit uttb SHiifte uttb Derweilen bort
eine $eit. SBirb im ©ommer ba« Qnnere ber ©rbe falt, in«
bent nadj arabifeßer Slnfdjauung bie J^i^e nad) oben gezogen
wirb, fo nerbicfjten fie fieß unb träufeln auf beit ©oben ber
|>öf)len fjerab. SDabei mifdjen fie fieß mit beit bort befinblidjen
©taubtfjeilcfjen. ®ie ©rubenljifce Wirft auf fie ein unb fodjt
fie jufammen. 2urd) if)r lange« @tef)enbleibeit werben fie
geläutert, fie werben fcfjwerer unb bidflüffiger, ein 2ljeil ber*
felbett wirb jitternbe« Cuedfilber, ein anberer bagegett ©djwefel.
2a« ©olb bilbet fid), wenn Cuedfilber unb ©djwefel itt ßöcßfter
3leinf)eit fid) mit eittanber uermifdjen uttb gleidjjeitig eine fjofje
lemperatur einwirft. Qft bie §i^e aber eine geringere, fo bilbet
fid) ©ilber, fittb relatio juniel erbige ©eftanbtßeile twrljanbeit,
fo erhalten wir Tupfer. Sbenfo wirb bie ©ilbung ber attbereu
SWitteralien erflärt. ®ie f5arbe ber einzelnen Äörper fofl, unb
l)ier fpiclctt aftrologifcfje Slnfdfaiiuitgen Ijitiein, nott ber garbe
ber Sterne ßerriißreu, bie fie toäfprenb ißrer ©ilbung beftraljlen.
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©o ruft bie Sonne bie gelbe garbe &eS ©olbeS, beS gelben
|>hacintheS, beS &rofuS fjeroor, baS bleiche £id)t beS üJionbeS
bie toeifce garbe beS Silbers, beS SalgeS, ber Saunnoolle, baS
Sdpoarg gehört bem Saturn, baS SRotl) bem SÖfarS, baS Slau
ber SBenuS, baS ©rün bem Jupiter, baS ^Buntfarbige aber bem /
löferfur gu.
fflar aber biefe Slnfidjt ber Araber richtig, baff bie oer«
fc^iebenen Subftangen nicht ber St r t nach oerfdjieben finb, foitbern
biefelben Elemente nur in Oerfdfiebener äöeife gemifdp enthalten,
fo lag fein ©runb oor, toarum bie SDietaHoertoanblung nidjt
möglich fein foQte, unb barüber entfpann fic^ ber Streit gtoifdjen
35enen, bie meinten, man fönne SDfetalle ineinanber oenoanbeln,
unO Sollen, bie biefer Slnfidjt mit aller ©nergie entgegentraten.
3)er fieberen gab es fef)r oiele, fo oor allen ben berühmten
Slrjt unb *!ßf|ilofopl)en Sloicenna. @S ift alfo nidjt richtig, alle
Araber als Stlc^emiften gu begegnen. Segen fid) bie mobernen
©eleljrten bie $rage oon ber SOfetallüermanblung oor, fo gefd)iet)t
eS in gang älpilidjer SBeife, toie eS bie Vlraber tbaten, nur finb
bie tljatfächlichen Senntniffe fortgefchritten unb gtoar nicht gum
toenigften auf ben uttS oon ihnen überlieferten ©runblagen.
S5ie pofitioen oon ben Arabern errungenen Sfenntniffe in ber
©^emie finb um fo höher gu fdjäfcen, als oicleS, toaS uns itt
biefen (Gebieten oon ben ©riedjeu überliefert ift, in äujjerft un*
flaren mpftifdjen Spefulationen befielt, bie feiber aud) für eine
SHichtung ber arabifdjen Sitteratur oerberblicf» mürben. ®ie
ftreng lüiffenfchaftlicb forft^enben arabifdjen ©hemifer höben
unferen Scf)afc an fiinftlidj barftellbaren Subftangen in hohem
9JJafje bereichert, unb, toaSin bem 3ugenbftubium einer Sßiffenfchaft
nicht hoch genug gu fc^ä^ert ift, fie hoben bie ihnen ooit ben
©riechen mitgetljeilten XlrbeitSmettjoben oerooKfontmnet unb er>
toeitert. So ftrebten fie befonberS bie SJietljobcn beS ®eftiflireitS,
giltrirenS, SublimirenS, JtalcinirenS ic. unb ihre Slntoenbbarfeit
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auf bie uerfd)iebenartigftcn Stoffe genauer fenneu ju lernen.
®arauS erflart fidj auch bie für uns bcfremblic^e Slitorbnung
»ieler i^rer SBerfe. SBä^renb wir fucceffioe bie uerfdjiebenfieit
Äörper unb ifjr Verhalten gegenüber ben einzelnen Sgentien unb
bei »erfdjiebener Se^anblung betreiben, tfjeilten bie Araber ihre
28erle nadf ben ÜDietljoben ein unb befpradjen nadjeinanber, wie
fidj bei bcrfelben öebanblungSweife bie »erfdjiebenften Äörper
»erhielten. @S jeigt fid) bieS bei einer Unterfudjung f owotjl
ber wenigen gebruften Ueberfe^ungeit, als and) bei beseitigen
ber .Jpanbfdjriften.
Stuf bie ©ntroidelung ber d)emifc^en 3nbuftrie unb bawit
ber (^emifc^en Senntniffe überhaupt fiub audj bie gefteigerten
Stnfpriic^e an ben $lrjneifd)afc unb an bie 2Boljlgerüd)e »on
©inftufj gewefen. $ur ©erfteßung berfelben beburfte man immer
neuer IKpparatformen. ©attje Snbuftrien, djemifdje gabtifen
entftanben in ©^ujiftan unb an ber perfifdjen &üfte bis ©tjraf
unb fDiolran, wo bie ßurferraffinerie juerft erfunben .unb aus«
geübt würbe.
3n Sßarfiftän, in Serien, an ben Rängen beS Sibanoit unb
in Dielen aitberen ©egenbett würben woblriedjeuben ^flanjen
il)re ®üfte burd) 3)eftiHationen abgewonnen, unb wenn aud)
Ijier fd)on ältere Snbuftrien fidj »orfanbeit, fo Ijaben bodj bie
gefteigerten Sebürfniffe eines &aIifenf)ofeS biefelben ungemein
geförbert. 9lodj jefet blü^t in jenen ©egenben bie ^erfteüung
beS SRofenwafferS. 35afj bie Slraber fo febt Diel SSoblgerüdje
»erbrausten, liegt t^eilS woljl in ber 9?atur ber Nation be«
grünbet, würbe bann aber burd) bie Vorliebe beS Sßropbeten
für biefelben geförbert, inbent babitrd) baS ©alben unb $ar*
fiimireit ju einer Strt »on religiöfer sJ5flid)t würbe.
£ie (^emifc^e Stljätigfeit ber Araber bot in Dielen SRamen
ihre ©pur binterlaffen. ©o ift unfer SEBort Sllfo^ol ein arabtfdjeS.
®odj bejeidjuet ber Araber mit Stobol — al ift ber Slrtifel —
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etwas gang auberes als »Dir; cS ift gait$ fein jerriebencr fdjwarjer
Bleiglanj, mit bem bie Araberinnen ifjre Augenbrauen unb Dor
allem bie unterhalb ber Augen gelegenen Steile fdjwarg färbten,
um fo bem Auge einen fjöfieren ©tanj ju uerleihen. 2)a biefer
Stoff als ein äußerft feines fßuloer angewanbt mürbe, fo übertrug
man ben tarnen auf äße fepr feinen flüchtigen Körper, ju beuen
ber Alfopol, ber Spiritus, im ©egenfafc jum Söaffer, gehört.
Sin anbereS auch bei uns noch öerbreiteteS Schminfmittel Der»
banft ebenfalls feinen tarnen ben Arabern, Alßennah, bie Al-
fannamurjel, beren Sjtraft einen prächtigen rothcn Stoff liefert.
2J?it ihm bemalten unb bemalen fid? noch je^t bie arabifdjen
tarnen bie Fingernägel, unb wie bei uns ftrenge SWoraliften
gegen Schönheitspfläfterchen geeifert haben, fo thaten eS bie beS
3)lorgenlanbeS gegen baS ^»ennafärben. Oer bei ber Oeftillation
benn^te Alembif ift ein in arabifche Farn» umgegoffeneS griechifdjeS
SBort, äfiß v§.
9Jüit arabifchen tarnen bejeicpnen wir auch manche
fchmecfenben Oinge, fo ben Sprup, ben Sorbet, bie beibe uon
bemfelben SBort fchareb, baS trinfen bebentet, fid) ableiten.
OaSfelbe SBort fiubet fid) wieber in ber Be^eidjtiung äJ?afd)rebijeh;
fo heißen im Orient bie wunberooll burdjbrochenett $oI$läben,
mit benen bie Fenfter beS £>aufeS nach ber Straße ju abge»
fcploffen ftnb. OieS finb bie Orte, wo man bie aus poröfem
Jpon pergefteHten Orinfgefäße aufftellt, ber Dorbeiftreichenbe
SBinb bringt baS SBaffer jur Berbunftung unb füplt baSfelbe
ab. Oie FM^en felbft hieben bamalS unb heißen noch je§t
AlfarajgaS unb jwar nicpt nur in arabifd) fprechenben ©ebieten,
fonbern auch in Spanien, in beffen Sprache fefjr öiele SBorte
an bie Araber erinnern. Aud) unfer SBort Karaffe ift ara-
bifchen UrfprungS unb heißt ©harrafeh, bas Schöpfrab.
Anfchließenb an bie Betrachtungen über bie Chemie fei
noch baS Beben eines ber £>auptoertreter berfelbet», ber fiep
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gleichzeitig grofje SSerbienfte um bie SDiebijin erworben hat,
gefchilbert.
2lbit ©efr Uftuhammeb ©en .ßafarija er 5Ra^i (fRhfläeg) toar auS
9taj, einer ©tobt ghorafang, gebürtig unb bofelbft erzogen,
gr zeigte öoit Sugenb auf eine grofje SReigung fiir bie SBiffen*
fdfaft unb erwarb [ich gute p^itofop^ifc^e unb p^ilologifcfje
Stenntniffe. Slm meinen fprach iljn aber äRufif an; big in feilt
breijjigfteg Safjr war er nur alg guter ©änger unb 3itf)er»
fpieler befannt. daneben fotl er auch 2öechfelgef<häfte betrieben
haben. 9Rit fortfehreitenben fahren erfdjien ihm biefe Sebeng»
weife nicht mehr alg ehrenooU unb er wanbte fich mit allem gifer
bem ©tubium ber SDlebizin unb ^ß^tlofop^ie zu- ®<JZU begab
er fich u<*<h bem bamaligen £>auptbrennpunft geiftigen Sebeng,
nach Sagbab. 9tachbem er fich bort «orjügliche Stenntniffe er»
worben, lehrte er nach SRaj juriief unb würbe ®ireftor beg
bortigen ftranfeuhaufeg. ©pater übernahm er eine analoge
Stellung in ©agbab.
@r»9iazi würbe ber @alen feiner geit genannt, ©ei beit
tRegierenben feiner Sage ftanb er in hohem Slnfehen.
©o glänzenbe grfolge er mit feiner mebijinifchen Sljätig*
feit erzielte, fo wenig glücflich war er in ber Sugnufcuitg feiner
chemifchen Semttniffe. ®afj er hier wirtlich Süchtigcg geleiftet
hat unb einen flareit ©lief bejafj, erfehen wir aug feinen ung
hanbfchriftlich erhaltenen ©chriftcn.
gine biefer Schriften, „bie ©eftätigung ber fiunft ber
ghemie", überreichte er einem dürften el SKancjur, zu bem
er oon ©agbab ^inreifte. Siefer war hoch erfreut unb gab
ihm 1000 ®inare, um bie angegebenen ©erfudje anzuftellen,
unb bewilligte in bem SBunfche, bie betriebenen gntbecfungeit
Zu fehen, eine grojfe ©umme zur Slnfchaffung ber nötigen
Apparate. Sllg aber bie ©erfuche nicht glüefen wollten, fagte
ber bariiber erzürnte et 3Rangur: „Sch hätte nicht geglaubt, baff
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ftn ©eifertet baran ©efallen fänbe, bie Sügen nod) burd) Siicber
ju befräftigen, bcnen er einen pf)i(ofopf)if<f)en Slnftrid^ giebt,
anb an benen fid) bann bie ÜJienfdjeit ohne 9?ufcen abmu^en.
pr beine Semitbungen habe id) bicb mit 1000 Dinaren reich-
lich belohnt, jejjt mujj id) bicb für beine fiügen beftrafen." üJiit
biejen SBorten erhob el 9)ian$ur feine ißeitfdje, jcblug Sr-SRaji
über ben Kopf, liefe if)n aufpacfett unb fcfjicfte ihn nach Sagbab
jurücf.
®er Schlag batte (Sr-iRaiiS eines Sluge fo ferner »erlebt,
ba§ er nach unb nach erblinbete; anfangs wollte er fid) operiren
laffen, bod) frag er juerft ben Operateur, waS ganj cborafte-
riftifcfe ift, ltacfe bem anatomifcfjen Sau beS $lugeS. 2US biefer
i|m bie page nicfet beanttoorten fonnte, fagte er: „2Ber baS
nidjt weif), foü auch fein Snftrument an mein Singe bringen",
unb als man ibm oorftellte, bie Operation fonnte bod) gelingen,
antwortete er: „Sch habe fooiel oon ber SSelt gefefjeit, bafj ich
i^rer überbrüffig bin."
(Sr>9taji mar fo freigebig, bafj er arme ifranfe nicht nur
unentgeltlidj beljanbelte, fonbern ihnen oft nod) (Selb baju gab
unb felbft in ber 2)ürftigfeit lebte. (Sr ftarb im Sabre 320,
ber gludjt SDiubammebS, alfo etwa 932 nad) (SbriftuS, in
bobem Sllter. 5)ie @eifteSrid)tung beS SDfanneS unb gemiffe
änfcbauungen feiner $eit cfearafterifiren folgenbe SluSfprüdje:
SBenu (Solen, ber berühmte griecfeifcfee Strgt, unb SlriftoteleS
oon einer ^Meinung finb, fo ift bieS juoerläfftg mabr. ©inb
l'ie aber öerfdjiebener Slnfidjt, fo ift bem (Selefjrtert fcbmer,
bas 9licfetige auSfiubig ju machen. (SS erinnert bieS an bie
oiel fpätere Äeufjerung eines 3efuiten, ber, als ihm ißater
Steiner melbete, er feabc auf ber Sonne bunfle glecfen gefeben,
antwortete: „9Jiein ©obtt, ich b<*&e roeber in ber ®ibel noch im
äriftoteleS etwas oon foldjen pecfett flefefeit, fie werben baljer
wohl in beinern Äuge fich befunben haben."
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Grin anberer SluSfpruch Don NageS ift : „S)ie SSa^r^eit in
bcr SNebijin ift ein 3icl, baS nicht erreicht wirb, unb bie in
ben Sücf)ern befchriebene Heilart fteht weit unter ber praftifchen
Erfahrung eines gefehlten, benfettben ?lrgteS." Sßeiter jagte er:
„Serftef)t ber Slrjt feine Sache unb ift ber Äraufe folgjam, fo
jiefit fic^ nicht leid)t eine Sranftjeit itt bie Sänge." ferner:
„2öo bu burd) Nahrungsmittel, b. h- ®iät, Reifen fannft, ba
Derorbne feine Heilmittel, unb tuo einfache SDfittel fyinmfyn,
ba nimm feine jufammengefefcten."
2) te Serbienfte ber Araber um bie befcfjreibenben Natur-
wiffeitfdjaften, Niineralogie, fflotanif unb Zoologie ju fdjilbern,
mürbe *u weit führen. 2)ie 3al)l ber befannten formen mürbe
wefentlid) burch fie bereichert, bie Nfineralien behanbeltett fie
einmal nach >hrem SBertf) als Sbelfteine, unb bann in ihren
Sßirfungeu als Sn festerer Hinfid)t wucherte ein
fiirchterlid)er Slberglaube. Slud) ben ^Sflanjen tuurbe oielfach
auS pharmafologijchem Sntercffe Slufmerffamfeit gefd>enft. 3nbeS
bei ihnen fomohl als auch bei ben SE^iereit juchten bie arabifdjcn
gorfdjer auch &er Söfung Hh9fi°Io0if<^er Srageit näher ju
fonimen. Siel 91ntl)eil an ber Erweiterung ber Äenntniffe hatte
bie Errichtung Don ©ärten, in benen feltene ^flanjen gezogen
unb bie burch Sogelljäufer belebt nmrbeit. 3?ie greube ait bem
Sebenben flingt in unjähfigen üWärdjen burd).
3) ie Stege, auf benen bie arabifche SBiffenfchaft in baS
Sfbenblanb fam, waren äufeerft mannigfach- Ob herbei beti
Sreujjiigen an fich ein grofjcS Serbienft jujufchreiben ift, wage
ich nicht ju entfcheiben. ®ie Sßiffenfdjaften brangen über bie
italienifchen Seeftäbte, Sicilieit unb Spanien nach Statten unb
ber ijkoüence. fann uns baher auch nicht überrafdjen, bafj
bort juerft ein reges ©eifteSleben, ein eblereS SDafein nach allen
Nichtungen erblühte. Sor aQem war £olebo eine ißflanjftätte
arabifchcr SBiffenfdjaft für ganj Europa. Sou bort ftammen
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eine grojje Stnjafjl ber nod) erhaltenen Ueberfehungen in«
Sateintfc^e. Slber nicht allein bie in ba« Sateinifdje über-
tragenen Söerfe bürfen mir tjerbeijiefjen , wenn e« ficf> barnm
fjanbett, nachjuweifen, wie Diel ba« Slbenblanb ben Arabern Der-
banft. ®ie nad) Solebo fommenben ©eiehrten lernten bort
Diele anbere SBerfe fennen unb gaben Don bereit Inhalt nach
ber 9tüdfehr in bie fjeimatf) ihren Sianb«leuten Nachricht. ©in
Stubium ber ©efchichte ber fonfreten $enntniffe be« abenb-
iänbifcfjeit fDlittelalter« in ben 9?aturroiffenfc^aften lägt am
beutlichften ben großen öinflufj ber Araber erfennen.
3übifcf)e Slergte au« ben nach ©paniett unb Portugal
au«getuanberteit Stämmen Dermittelten oft ben Uebergattg.
3hnm mar bie 2anbc«fprnche befannt unb jugleidj war ihre
Sprache bem Strabifchcn nahe oertüanbt. ®a« Slrabifche jeigt
un« noch bie Dolleren gormeti, wenn aud) bie ©prachbenfntäler
be« ^ebräifchen roeiter hinaufreidjen. 2)er jiibifche ober arabifche
Slrjt, ber jugleid) Slftrolog ift, tritt un« in Dem fieben Dieler
fwhenftaufenfaifer entgegen, beren größter gürft , griebricfj II.,
manche feiner Slnfchauuttgen arabifdjen @infliiffen, bie in Sicilien
auf ihn wirften, oerbanlt.
$iefe Serjte tuaren an ben Schulen ju ©ranaba, Seoißa,
in beit wegen ihrer ©lauben«ftrenge berühmten norbafrifanifdjen
Schulen unb Äranfenhäufem gebilbet. Sei ihren ©anberungen
nach bem korben brachten fie bie arabifchen ©erfe mit. ®afe
3uben unb nicht etwa Sateiner ober ©riechen bie Ueberfejjungen
beforgten, erfennen mir au« ber gönn Dieler ©igenttamen. $5ie
Subett nerwanbelten ba« b be« ©orte« 3bn (Sohn) in ein v.
$aher fagen wir Sloicenna, Sloerroe«. £ie SDfänner he*6en
3bn Sina, 3bn fßofchb. Sehr Diele Schriften be« 2lltertt)um«
finb fo bent Occibent juerft burdj Ueberfejjuitgen au« bem 2lra-
bifchen befannt geworben, crft fpäter legte man bie erhaltenen
griechifchen .panbfchriften bem Stubium ju ©runbe.
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(Sin anberer 3Beg, auf bem später aul bem Orient Kennt»
niffe ju uni gelangten, geht über Venebig. 3)ie ©eletjrten bei
9lbenblanbe! bürften j. SB. burdj Vermittlung ber Kaufleute
ber fiagunenftabt bie ftenntniß ber Veftimmung bei fpecififdjen
©emichte! erhalten fabelt. $al fpecififdje @emid)t ermöglicht
el befanntlicfi bie oerfdjiebenartigften Körper, felbft wenn fie gan$
gleich aulfehen, ooneinanber ju unterfcßeiben.
©o geftattete eine Veftimmung belfelben bem Slrc^imebel,
bem König |>iero mitjutheilen, baß feine Krone nicht au! reinem
©olb fei, mie ber ©olbfcßmibt behauptete, fonbern au! einer
SDiifdjung mit ©über, unb er fonnte auch ben ©cfjalt an ©itber
angeben, unb jmar alle! biel ohne bie Krone ju jerftören.
®ie Veftimmung bei fpecififchen ©emichte! mürbe für |>anbel!>
§mecfe oon höchfter Vebeutung: el biente jur Unterfcheibung
ed)ter unb unechter ©belfteine. Verriebene 2Jiet hoben mürben
erfonnen. ©o befonberl eine oon 911 Virüni, einem ber fcharf»
finnigften arabifcheit ©eiehrten, meldjcr in 3nbien lauge $eit
am |>of ber ©ajnemiben lebte, jener dürften, bie in höchfter
Solerang Vertreter aller ©laubenl» unb 2Reinunglri<htungen
an ihren £>of beriefen, um biefe fennen ju lernen. Jjjjier oer»
faßte 911 Virüni ein SGÖerf über Snbien; in ihm befpricßt et bie
©rfennung ber ©belfteine, giebt feine SKethobe an, bie fpecififchen
©emichte ju ermitteln, unb erhielt SBerthe, bie fid) burch große
©enauigfeit auljeicßnen. 9111 Konftantinopel unb ber Orient
in bie $änbe ber dürfen fam, hoben fie fich fcßon arabifcße
Kultur angeeignet, mie bie Dielen Ueberfejjungen arabifcher
SSorte in ihre ©pradje jeigeit. 3n tiirfifcfjer ©pracße ift nnl
nun ein fiehrbuch ber Sbelfteinfunbe erhalten, bal gerabe bie
fpecififcßen ©emichte betont. $ie Venetianer haben oon biefem
mie el fcheint allgemein üblichen Verfahren Kenntniß erhalten,
©alilei, ber oft in Sßabua, in ber 9tahe Venebigl roeilte, mit
beffen oornehmen Familien ißn audj mannigfache Vejiehungen
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»erbanben, ljat bort wohl ftdjer twn ben arabifdjett fDfetf)oben
Üenntnijj erhalten, bie wir bann in feinen Serien wieberfinbett.
bleibt nur nod) übrig, mit wenigen Sorten bie ©rünbe
für ben SerfaU ber arabtfe^en Siffenfdjaft ju erörtern. Sät)>
renb in beit erften 3a^r^unberten beö 3«Iam ein relatio fetjr
toleranter ©eift bie ÜJlad)thaber leitete, uerfchwanb biefer all-
mählich mehr unb mehr. 3m 3slant felbft Ratten bie mannig-
fachen theÜS orthobojren, theilö rationaliftifdjeu Hnfichten
itebeneinanber beftanben, aber fpäter gewannen bie ftrengften
Sichtungen bie Oberfjanb unb hinbertett jebe freiere g^fthung.
2 5aju lamen twr allem aud) bie politifchen Serhältniffe. $)aS
Seid) jerfiet in etnjelne Staaten. SlnfangS beftanb jwifdjen
ben einzelnen $öfen ein Settftreit, ber bie Siffcnfdjaft beför*
berte. Sie jur 3«t ber SRenaiffance bie gu dürften aufge*
ftiegenen Sonbottieri, wie ju unferer 3^*1 in ©cutfdjlanb bie
einjelnen Unioerfitäten fiefj gegenfeitig an Xüdbtigfeit ber einzelnen
Sebrer ju übertreffen ftreben, fo war e$ auch im Grient. ®ie
3erftüdelung beS Seidje3 erleichterte eS aber aud) ben 2Ron«
golen, baöfelbe im Often über ben Raufen ju werfen, wie fie
ei im Seften ben Gfjriften in Spanien ermöglichte, eines ber
bortigen Meinen Kalifate nad) bem anberen gu öernid)ten.
Unb was ift fehl »on jenen Siffenfchaftcn noch geblieben?
3m Slnfeljen bcS Orients fteht noch h°d) Unioerfität ber
8I-Äjhar in $airo, ju bereit Setjrftü^len alljährlich Saufenbe
oon Schülern ftrömen. Slber fortgcfdjritten finb bie Orientalen
nicht; es finb bie alten Serie, bie ftetS oott neuem wieber
besprochen werben. Sille Serfuche ber einjelnen fthebioe, ettro-
päifche Silbung in Slegppten einjuführen, finb im wefentlicheti
gefcheitert, nicht an ber mangelnben Begabung beS Zolles, benn
ei ift in feltcner Seife gewedt, fonbern baratt, baff man um
»ermittelt bie 2J?etfjobe beS OccibentS einfüljren wollte. Sürbe
man au bie alte, noch im Solle unb in ben ©eiehrten leben-
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bige Irobition anfniipfeit, fo wären bie fRefultate wohl beffere.
fjier unb ba ^ebeit ficb fcßon einzelne ©djeifö ijcroor, bie an*
fangen moberner ju arbeiten. 93cm 3a br ju 3abr mebren
ficb infolge birefter 93erfebr§mittel bie 93erbinbung3glieber
jwifcben Orient unb Oceibent. $ürfifd)e öeamte fenben ihre
©öbtie jum ©tubium an europäifdje SRittel» uitb jgwdjfcbulen,
bie ^Regierung felbft ihre Offiziere in beutfdje ^Regimenter. ®a»
burcb werben fie mehr unb mehr mit bem ©eifte unb nicht nur
mit ber äußeren gorm be$ SlbenblanbeS öertraut; auf ber anberen
©eite laffen ficb bctb9*bilbete 9lbenbtänber an ben Ufern be3
93oSporu8 unb be8 SRileS bauernb nieber unb bringen fo tiefer
in morgenlänbifdje^ SBefen ein, al£ früher, wo fie nur furge
3eit in jenen ©egenbeti weiften.
3n ganj öefonberS b0b*m ©rctbe bürftc ©eutfcßlanb be»
rufen fein, eine Vermittlerrolle gu übernehmen, feit e§ in ® erlin
ein orientalifcbeS ©eminar gegriinbet bnt, an bem neben Suro*
päern auch Orientalen lehren unb baburdj ficb in bie Slnfchou*
ungen, wie fie in bem beutfcfjcn Unterricht ficb Qeftcnb machen,
einleben müffen. $ie3 ift ihnen um fo eher möglich, als in
richtiger ©rfenntuiß ber Verljältniffe bem ©eminar eine wefent-
ließ ben praftifeßen ©ebürfniffen entfprechenbe (Einrichtung ge>
geben ift.
(82)
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(Eine xiErjifDßnc
Jut «Efdiidite Bfs junpii gcutfdjlanDs.
SSon
Dr. phil. ^UcQarb Hefter
in Karlönihf.
$ambnrg.
SSerlogSanftatt unb ®rucferei 21.«©. (BormafS 5- 5Kic^ter).
1890.
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Da$ 9ied)t ber Ueberfe^unq in frembf 6prad)en rcirb oorbeljaiien.
2rnd bet SSfrlagSanftatt unf truifftri
(normal* 3- 3- W'<btfri in Hamburg.
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^(ufmerffame üefer oon 3ntmermann3 „fDtündjbaufen"
werben fidj wohl ber föftlic^en Stelle erinnern, wo fidj ber
Sudjbinber gegen ben Vorwurf beS Herausgebers »erwart,
baß er otjue 3nterpunftion auf ein 33ucb ben ©olbtitel „gur
^l3l)ilofopf)ie ber ©efcbidjte oon Äarl ©ubfow" gefegt habe. $er
an feiner (Stjre angegriffene DJtcifter erflärt cS ba für eine llu*
möglic^fcit, auf 305 Seiten ©ott itnb bie fReoolutionen, ben
Xeufcl uub feine ©rofjmutter ab jufjanbeln. „Sßenu aber," fo läfjt
er fid) oerttcbmen, „©u^fow baS 33ud), was er uermutfjlid) aud)
nur fdjrieb, um ficb bie Saugeweile ju ncrtreibcu, bettnod)
Verausgab, fo tonnte baS nur in ber einzigen ?lbfid)t gefaben,
fDtemoireu über feine fdjlcdjten uub mangelfjaftigen Stubien ju
liefern." $er Xitct fei alfo ridjtig.1
?lujjer biefer einen Stelle öerrnag ich nidjts beijttbringen
übet bie Slufna^me, weldje baS 23ucb beS rafcp betannt geworbenen
jungen SdjriftftellerS bei feinem ©rfdjeiitcn gefunbeu bat. $iir
bie golgejeit bat baSfelbe, obwohl es ber Serfaffer unter bem
2itel ,,^ßb*tafopbie ber $bat unb beS ©reigniffcS" iit feine
gefammelteu SBerfe aufnapni,2 fo gut wie nicht ejriftirt. sJDtan
follte nun beitfen, eine ©ejd)id)tSpbilofopbie ttoti bent geiftigeu
Haupte beS „jungen SCeutfcfjlanb" oerbienc, fic fei fo unfpfte*
matijcb wie fie wolle, oode S3ead)tung. So febr jwcir ©upfow
Samtnlunfl. ». 3. V. 98. 1* f.Ji)
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4
felbft bagegeit ju proteftiren pflegte, mettn man in ber
jungbeutfeßen ©djufe mehr fcßeit moüte als bie in einigen
jungen Söpfen gleichmäßig jum SlnSbrud gelangte Jenfceng be£
gäßrenbett gfitotorS, fo hot .boeß^aueß er gngegeben, baß bie
juugbeutfdje Sriti! Bor ©riinbung ber „^aflifdjeu Saßrbiidjcr"
eine 9Jiacßt mar im geiftigeit fieben ber Station, S'ennod) fließt
man in beit größeren ©efeßießten ber Sß'iofopßie, wie in ben
einfeßlägigen ©pejialmerfett Bott glint unb SRodjoö BergebenS
beit kanten ©ußfom. SBir finb nun ollerbingS entfejjlicß afa«
bemifdj gemorbeit, unb ber gelehrte .gunftütoang, ben bie feit
beit breißiger 3aßren ßereinbrcdjenbe feuilletoniftifcße ©iinbfliitß
mit ßeraufbefdjmoren ßot, föitnte eS moßl erflären, marum man
bem Bieruitbjraanjigjährigett ©cfdjidjtSpßilofopßen bie 93ead)tuitg
Bcrfagte, rnelcße boeß bie ©cßrift bcS breißigjäßrigen Berber,
„Siudj eine ^S^irofop^ic ber ©efd)id)te", nodj immer gefunben
hat. §erberS Scrfudjeit folgten fpäter freilich reifere grud)t
bie „3beeit jur $bilofopßie ber ©efeßießte", aber aud) ©ußfom
hat fein ganzes geben lang mit ben ißrobfcinen gerungen, loetdje
feilte 3ugeitb bejchäftigten. finge aber auch ber pofitine ©eminn,
ben mir bem Stieße entnehmen fönnen, nießt auf pßilofopßifdjem
©ebiete, fo bliebe noeß immer bie grage offen, ob baöfelbe für
beit SiitmidefungSgatig beS ®id)ter3 fo ganj bebeutungSloS
gemefen ift. Slber and) bariiber gleiten felbft bem Serfaffer
foiift moßfgefinnte fiitterarßiftorifer entmeber mie ©ottfdjafl5
mit einigen nidjtSfagenbett SScnbuttgen ßinmeg, ober fie ßüflen
fieß, mie ,£>einricß finrj, in tiefe« ©djmeigen. Sffienn id) nun
ben pßilofopßifdjeu SBertß beS SudjeS außerorbciitlid) gering,
feilten Sßertß als geugniß Don ©Ußf0nig ©ntmidelung feßr ßoeß
attfdjlage, fo mirb einer Mnalpfe beöfelben eine Darlegung feiner
©litftcbuugSbebingungen oorauSgeßeit ntiiffen.
3it bent IiebenSmürbigeit ffludje, „SluS ber finabenjeit"4
ßat uns ber fo oft rnegcit feiner UnlicbenSmürbigfcit Berfcßrieene
(86)
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Sichtet tiefe Sinblide in bie ftinberfeele tl)un taffen. SBir ferne«
ba bie eigentümliche Umgebung feitnen, in welcher ber lebhafte
Äuabe (jeranroucffS. Serlin, wo ec 1811 geboren würbe, mar ba=
malg noch uidjt bie raufcheube Vleltftabt oou heute, bie e« bem iliube
faum mehr erlaubt, jung ju fein uub fic^ bie ju feinem geiftigeu
©ebeiljeu notfjioenbige Meine SBett jit erbauen. Uub befdjränlt genug
mar feine SBelt. 2Bie er ung feine ©Itern fcfjilbert, fjat fict) biegmal
gegen bie Siegel bie Siuft jum gabuliren oon bem mit feinem .fperrn
in beit langen flrieggjeiten oiet herumgefotnmenen Vater, einem Ve<
reifer beg ißrinjen Heinrich, auf beit Soffn oererbt, ooit ber fDiutter
aber, einer einfacfjett grau, bie jtuar lefen, aber nid^t fd)reiben
tonnte, bie nüchterne, oerftänbige Sluffaffung ber Singe.5 38ir
»erben baher, wenn wir ©ujtfowg ©ntwicfelungggang oerfteheu
wollen, nidjt iiberfetjen bürfen, oon welcher Söefc^affen^eit ber
Stoff war, in beffeit Verarbeitung fid) jene Sljcira[tereigeufd)afteu
Zuerft betätigen füllten. Vei einem Vetter oon mütterlicher Seite,
einem ÜJtuffelinroeber, macht bag Rinb frühzeitig Vefanntfchaft
mit bem SBefen eineg eigenartigen fpietigmug.® ®ber auch in
bem Vater erwachen burdj 2Maud)olie genährte religiöfe Ve*
bürfniffe, beren Vefriebigung er, natürlich in ^Begleitung feiueg
Sohneg, in ftonoentifeln fud^t ober gar in Slubndjtgübuugen,
welche ein oerfommener Stubent auf feinem ßimnter oeranftaltet.
Allein fdjoit übt ber Äuabe in feiner 'Beifc SUitif. lieber Vibcl
unb ©cfangbudj, feine erftc geiftige Slahrung, tjinauö hat feine
Vhontafie bie erfte Anregung burdj ein ©rbauunggbud) aug ber
Schule Slaoaterg erhalten, unb bie braftifdje Sßolemil bcgfclbcit
gegen ben Siationaligmug legt eg ihm nahe, audj aubere Stuf*
faffungen ber |>eilglehre prüfenbcu Vlideg ju betradjten. $ier
liegen bie SBurjeln beg ©vunbthentag, bas wir fclbft in beu
flüchtigfteu Srjeugniffeu feiner geber geftreift fiubcit, ber grage
nach bem Verljältuiffe oon ©ott unb Vielt. §ier aber hat er
jid) auch att icne Vetradjtunggweife gewöhnt, welche alle Singe
8
Don jtoei Seiten liefet unb „bie üftetifcfecn auS bem ©efefe iferer
eigenen ©ntmicfelung ju miirbigett" befirebt tft.7 3n ber ©tief*
fuft jener Konuentifel feat er tiefere ©liefe in baS Seelenleben
beS ffeinen SDfattneS getfean, als eS ifetn ©iele jugeftefeen moflen,
unb fo fef)r ifem baS Seftcnmefen jurotber fein mochte, in ber
unleugbaren ^njieljungSfraft, welche berartige ©ereinigungeit
auf ben Ungebilbeten attSübett, fafe er fpäter einen ©emeiS für
bie 3u,furift ber fre’en ©etneinben unb beS $eutfd)fatfeoliji8ntu8.
Soldjen Naturen wirb eS au Kämpfen jroifdfeen Kopf uitb
fjjerj nidjt fehlen. 3)enn „eS giebt jmei Sßelteit, bie beS fjerjenS
unb bie beS ©eifteS. ®ie ©flid)ten uitb fRcdjte beiber gleichen
fid) feietticben niefet aus."8 SllS ergöfelicfeeS ©eifpiel ber friifj an
ifen feerantreteuben Kämpfe erjäfelt er felbft in ben SebettSbilbern,
mie ber non btirfcfecnfcfeaftlidjcn Sbealcn erfüllte ©rimaner in
bem »erfaßten SDcmagogcttBerfolger ÜRinifter Bon Kampfe feinen
SBofeltfeäter uitb Bätcrlicfeett greunb Bcreferett mußte.9 3tt ber
geiftigen Sltmofpfenre ber ©erlitier UniBcrfität, bie er 1829 jttm
Stubium ber Sfeeologie bejog, mürbe juuädfeft nur bie bia*
leftifdje ßitcfetuiig feines ©eifteS einfeitig entmidclt. 3)er pfjilo*
fopfeifefeen SDietfeobc §egelS unb ScfeleierntadjerS entnahm ber
junge Stubent gleid) fo oiefett feiner SllterSgenoffeu itt erfter
üitiie trofe aßeS Spottes über bie 3ongleurfünfte ber ©feilofopfeen
bod) nur baS Btrtuofe Spielen mit ©egriffen. „®aS abftrafte
gormelbenfen" 10 miberftanb ifem, Slber bie feinem ©enfen notfe*
meitbige fonfretc Unterlage fanb er junäcfjft itod) itt feinen
afabemifefeen Stubiett. Sei ber ?lrbeit att feiner pfeilologifdfeen
©reiSfcferift über bie ScfeidfatSgottfeeiten ber Sllten (1880) fdjtoebte
ifem ber in biefer Raffung au Scfecflittg erintternbe ©ebanfe Bor,
baß ber $n>ed alles SebettS unb aller ©efd)id)te bie ©arfteßung
unb £>eroorbringung ©otteS fei.11 Slber je mefer feine tfeeo*
logifcfecn Stubien itt ben £>intergrunb traten, befto mefer mattbte
er feine Ülrt, bie ®inge jü fefeett, auf baS geiftige ficbett ber $eit att.
(3S)
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3mei ©djriftftefler, SBolfgang Sftengel unb bcffen späterer
?lntagonift Vorne, mürben jefct feine Seitfterne. Vei beibeit
fanb er „bie ^Beibehaltung be3jenigen oom Älten, ma3 ihm
mo<hat, bei ÜRengel bie romantifdje @d)ule, bei Vorne 3ean
Vattl, unb bod) bei öeiben bie ooHc 3ntf)at oom EJteuen".1*
sJ?id)t al3 firitifer, fonberit al3 ^tntifritifer unb Vcrtheibiger
'DfengelS oerbiente er fid) itod) al3 ©tubent in bem „gorum ber
3ournallitteratur" feine litternrifcfjen ©poren unb betrat bamit
bie jountaliftifdje Saufbnljn, in ber er fich nur ein 3ahrgefjnt
fang gerjplittern unb mit ber an feinem Seben$feim nagenben
Verbitterung erfüllen füllte. 53 f)at etma3 IRüfjrenbeS, rnenn
ber $reiunbfed)gigjährige in feinen „jftücfblicfen" , (©. 113) bie
mit bem ^Srofafu(tu3 be§ oieffchreibenben Mutigen ®eutfchlanb3
notbmenbig oerfniipfte Unreife fd)ilbert, menit er ben ©o^it ber
bicf)tenbett 2)iufe gfücflich preift, „ber mit ben erften ftunbgebungeit
feiner geber I)au3 gu halten oerftel)t", aber noch gfüdlicher
jenen, „ber fofort in eine Sahn geräth, bie jebe Unreife ber
5rfahrutig, jebe 3ugenblid)feit be3 @efchmatf3 unb be3 Urtheil3
fo lange oerbirgt, bi3 bie 3«hre bem ©eifte bie größere SReife
gegeben habe»"- 3hm, beffen gange fünftige Syifteng auf ben
Srtoerb feiner geber geftellt toar, füllte e3 nicht fü gut tuerben.
Verrätf) fdjon bie SEBahl feiner Seitfterne bie Unreife feine3
@eifte3 unb bie „gugenblidjfeit feine« ©efdjmades", fo mar
meber bie 3«tt noch fein ®eruf bagu angethan, ihn oott 3lbmegen
fernguhalten. 2)ie gährenbe $eit, überreidj an Stnregungen toie fie
mar, gu begreifen, ober roie man bamal« fagte, bialeftifch g«
überminben, erforberte mehr al3 bie flüchtig bei -§egel auf*
gelefene SBei3heit be3 ©tubenten. ©ein „^anbmerf“ aber lieh
ihm beim beften SEBiöen nidht 3«t, bie Sinbrücfe oielfeitiger aber
haftiger Seftüre fomie eine3 unfteten 3BaiiberIeben3 grünblich gu
oerarbeiten. SEBemt er einmal gefagt hat, bah walle3 höhere,
geiftige, innerlichfte SEBachfen be3 ÜDienfchett halbe Stranffjeit" fei,18
(S9)
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8
jo giebt et nur in abftrnfter gorm wieber, was er an fid) felbft
erfahren hatte. 3DieS geigt fid) oor allem in ber ©eftalt, welche
feine SieblingSibeen bamalS anna^mett. Senn jo jef)r ber
Sournalift bie Slnregungen jiir jeine ©d)riftftellerei aus ben
©reigniffen beS SageS, ja auS feinen perfönlid)en ©rlebniffcn
fdjöpfte, baS ©runbthenta bleibt both immer bie ©rforfdjung
beS gufammenhattgeS oon ©ott unb Sßelt. „©erfolgt oon einer
oft quälenben Unruhe, fid} in ©ott unb göttliche Singe gu uer-
jenfen, oft beglüdt oon einem milbeit |jaud}e ber ©laubigfeit,
oiel öfter aber noch gerriffen oon Zweifeln unb ergrimmt über
bie irbifdjen ©ntfteDungen beS ©wigen, erjagte er mit Siebe ben
©ebanfen, in profaner SBeife bie gnfarnation ©otteS in einem
SDtenfchen gu fdjilbern." 14 ©r tf)at bieS in feinem erften SRomane
„9Raha ©uru", beffen Senbettgett jebodj gu oerwitfelter fRatur
waren, als baff bie Meinung beS Sichters oöHig erjagt werben
lonnte. Stein fKuberer als er felbft war bann jener in gweifel
öerftridte ©abbucäer oon Slmfterbant , ber barüber bie ©raut
oerliert. $luS bem ehemaligen ©tubenten ber 5S^eotogie würbe
ein gefdjworener geinb alles fßfaffenthumS, als er gu bemerfen
glaubte, baff bie Orthobojie ihr jpaupt wiebet hoch erhebe, unb
bie eben bamals in Seutfdjtanb ©ingang fittbenben Sehren eines
©t. ©imon unb SamennaiS fielen baher bei ihm auf fruchtbaren
©oben. Söeitn ©t. ©imon in ©efämpfung beS ©afceS: „SReiu
fReidj ift nicht oon biefer SBelt" bie fogiale SReform als bie bis
auf feine $eit oerfannte ober abfichtlid) oerhüHte Senbeug beS
©hriftenthumS ginftedte , Jo fühlte fich ©ufcfow gu biefer Sehre
anfangs um fo mehr hingegogen, als er gu finben glaubte, bajj
SamennaiS oon gang anberen fonfeffionelleu ©orauSfejjungen aus
fc^liegltch gu einem ähnlichen fRefultate gefommeu fei.
Sa ftarb fein ehemaliger Sehrer ©chleiermacher (gebruar
1834), unb ©ufcfowS ftets gu Stampf unb äSiberfpruch bereiter ©eift
erfd)raf bei bem ©ebanfen, baff bie Orthobojie ben SRann, ber
(40)
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9
SReligion unb SSiffenfcbaft auf bem neutralen öoben beS ©e<
mütbeS gu »erfö^nen gewußt tjatte , als einen ber 3^rigen tu
Slnfprud) nehmen fönne. $af} aud) biefer jeine romantifdje
$j$eriobe burdjgemadjt hatte, glaubte er bafjer fd)on beSwegen in
Erinnerung bringen gu miiffen, weil „baS ©erücht fagte, bie
Söerlinifcben .ßionSwächter uab iene üo^alität, welche jo lange
an ©djleiermadjer gegupft bat, bis er gu il)r l)erunterfiel unb
gang gewöhnlich unb offigiell wie fie würbe, hätten £uft, feine
Söriefe über bie Sncinbe mit ©tillfdjweigen gu übergeben".15
2)aS ©erficht war oößig unbegrünbet. S)enn bie 1835 beginnenbe
Ausgabe non ©cbleiermacberS Sßerfen b<*t, aßerbingS fe^r Diel
fpäter, in ber britten ©erie bie Söriefe gebracht, welche felbft-
oerftänblid) in ber erften ber Rheologie gewibmeten Abteilung
nicht erfc^einen fonnten. 2Benn alfo ©ußfow fpäter behauptet
bat, er habe feine 9?euauSgabe berfelbcn oeranftaltet, weil bie
X^eotogcn fie t>on ber SlnSgabe ber SScrfe auSgefcbloffen hätten,
fo ift bieS nicht richtig. ÜBaS er bamit begwecfte, fagt er Doll*
fommeit ungweibeutig in ber im Satiuar 1835 in granffurt
niebergefdiriebenen Süorrebe. „ÜDiit bem bebaglichften ©efüble" —
beifit eS ba (©. XII) — „werf idj biefe fRafete in bie erfticfenbe
£uft ber proteftantifcben Xfjeologie unb ißrüberie, unb weibe
mich an ber SBerlcgenbeit, wenn in baS moralifcbe ©efäufel
gewanbt unterbrütfter fieibenfchaften unb bie loyale ^olitur
gefeüfcbaftlicber 93equem(id)feit unb ©elbftgenugbabenS plößlid)
eine recht berbe, natürliche unb wißige ßweibeutigfeit fährt."
Er wifl ben Pfaffen geigen, baß „nicht aßeS 3:^eoIogie fei, was
in ber Söelt ift". 'Aber er wifl noch mehr. 8Benn griebrich
Schlegel in feiner £ucinbe bie „Religion" ber fronen freien
©innlichfeit prebigt, fo üerfjinbert ihn nad) ©ußfow nur bie
lebiglich auf ben Zünftler, nicht auf bie übrige banaufifcße
SRenfchheit begogene romantifche ®oftrin, feine leitenben ©ebanfen
gum SluSgangSpunft einer „fogialen 'Jieoolution" gn madjen.
Ml»
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10
Sie Anfäfce bnju fänbeit fid) aber gerabe bei ©d)leiermad)er,
ltnb bieg fei bag mefentlidje Vcrbienft feiner „oertrautcu Briefe".15
Aug beiben fdjöpft nun ©it{)fom feinen ©tauben „an bie fRcform
ber Siebe wie an jebe fojiale grage unferg gahrhunbertg". (XVII.)
©leidjroohl lägt er ung, fo „beutlid)" er and) gumeilen metben
mag, über bag SSefen biefer fogialeu 9tebolution gang unb gar
im itnflaren. @r öermirft groar bie firdjlic^e Stauung, öermirft
er aber barunt auch bie Snftitution ber ©ge? ÜJian mirb bieg
bod) nicht offne roeitereg behaupten biirfen. SBeitn igm aber bie
grauen feiner $eit nur ba gu fein fd)ieiten, „um burd) ängfttic^e
SRücffidjten ben glug unfereg SBefeng nieberguhalten" (XX), fo
erfennt ber mit ©ugfomg Sebeitggang Vertraute in biefer t>on
grengenlofer Ucbcrgebung geugenben Verallgemeinerung bie Ver-
bitterung mieber, meldje über feine erfte infolge feineg Vernfg*
medjfelg guriiefgegangene Verlobung im ©emuthe beg jungen
äJIanneg haften geblieben mar. Unb auch angeficfjtg feiner
übrigen Vehauptuugen fötinen mir ben grauen jener Sage nur
©lücf bagti mitnfehen, „bag fie hinter ben SDZönnern fo unenblidj
meit guriicfgeblieben" roaren.
2Sie aber foücn mir eg mit allem Angeführten nereinigen,
meint ber ^erauggeber feine Vorrebe fcheinbar gufamtnenhangglog
mit bent Sage fcgliegt: „§ätte bie SBelt nie oott ©ott gemugt,
fie mürbe gliidlidjer fein!" (XXXVIII.) Atlerbingg mürben mir,
menn ©ugfom nach biefer Vorrebc nidjtg mehr getrieben hatte,
ben 3ufammen^an9 öergeblich auffuchen. Sag bie Siebe erft
burd) bie binbenbe £janb bee 5^riefterö eine fittlic^e merbe, bag
bie ©h« flar nach fatgolifcher Auffaffuttg ein ©aframent fei,
glaubt er unbebingt oerneinen gu nuiffen.16 SSSie nun, menn eg
fein ©hriftenthum gäbe? Sieg führt auf bie grage, mie fid>
mohl bag Scbett ber 9J?enfd)beit ohne bie ^iftorifcfje ©rfcheiitung
beg ©hriftenthumg, ja otjne ein ©ottegbemugtfein überhaupt
geftalten mürbe. Sie grage mar nicht neu. Auch nach bem
(42)
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Solfenbüttler gragmentiften fiatte SBilhelm üon .jpumbolbt 1792
in ben „3been 31t einem SBerfud), bie ©reifen ber SBirffamfeit
be$ Staate^ 3U beftimmen", mit hribnifdjer Unbefangenheit er*
örtert, bajj ein ibcnle« menfehenwürbige« Streben, baff ein Sehen
t>on unautaftbarfter fittlic^ev Sauterfeit auch otjne ben ©tauben
an ©ott uttb Unfterbfichfeit möglich fei ” $umbotbt8 erft 1851
per ö fr ent f i d; t en „gbeen" fonnten natürlich ©ufjfow nicht befannt
'ein, aber ba§ befonnenc, fühle SRaifonnement beä tiefen JenferS
hätte ber breiften jugreifenbett Sri be$ jungen ©chriftfteHerS
idiwerlich 3ugejagt. Ja war fReimaruS mit feiner fcharfen,
feden Snangelienfritif ein gan3 anberer SRann, unb burch einen
teitgemäjjen Su^ug au$ ber „Sdjuhfchrift für bie »emiinftigen
Verehrer ©otteS" bachte ©ufcfow eine jroeite wirffamere 9Iafetc
in ba» Säger ber Orihobojrie 31t fdfjteubern, welche eben bamal&
bnreh ba§ „Sehen gefu" öott Strauß in bie ^eftigfte Aufregung
perfekt tuar. Sßein alfyu genau fcheint er e§ auch mit biefer
Arbeit nidjt genommen 31t hoben, weil er fonft nicht fefjon
barnals ben Sr3t SReimaruS als SSerfaffer ber „gragmente"
bejeicfjnet hätte. Slbcr öofftnanu unb Campe, bie boih nicht
aü;u ängftlidjen Verleger .1peineS unb ®örne8, 3eigten bieSmal
feine fiuft 31W Sunahnte be§ ihnen angebotenen 33iichlein8.18 Suf
Veröffentlichung feiner 3been modjte ©u^fow nic^t Deichten.
Ging e£ alfo nicht in ber gorm ber theologifchen <Streitfc£jrift,
io burfte er uieDcicfjt hoffen, mit einem jRomaue auf weniger
Vebenfcit 3U ftofjen. 3a er gewann bamit bie wißfommene
Gelegenheit, bie§ in ber SSorrebe 31t ben Sucinbebriefeit behattbclte
Ihcnta noch einmal in anberer gorm in ein helleres Sicht 3U
iejjen. |>atte er bodj fchon bort (XXXVII) bem SRotnane
empfohlen, feine „©runbfä&e 3ur Snfchauung 3U bringen", ba
tu ihm ber „boftrineße Jon eine <Sntmriljung fei, währenb auch
bie ^oefie energifcher 3um $er3eit fpreche uitb nicht 31t nennen
brauche, wo e§ genüge, nur 31t seigen". 2Sa3 öcrfchlug e8 ba/
12
baff er befcfyloffen halle,19 nur itodj für Sföänner ju fdjreiben.
URit ber fdjwierigften aller gragen trat cr l10t 5orum be«
bamal« wie heute bunt gemifcfjten belletriftifchen ißublifum«. So
entftanb (/3Baüt; bie ßweiflerin".
2>aß eilt SBeib jum SKittelpunft be« 9tomane« gemalt
würbe, ^atte abermal« feinen ©ruttb in einem perfönlid)en ©r-
lebnifj. gn einer ©efeUfdjaft in granffurt a. hatte ©ufcfow
ein junge« Üftäbchen fennen gelernt, bie ihm anfangs nur wie eine
Äofette gewöhnlichen Sdjlage« erfcf)ien, weshalb e« i^n hoppelt
überrafcfjcn mußte, al« biejclbe ein oon ihm angeregte« ©efpräch
über religiöfc 5)inge mit bem uerjweiflungauollen Ausrufe
unterbrach, h*erü&et nadjjubenfen fei ihr unmöglich.*0 ©« fiel
ihm nicht fdjrner, bei einem grühling«aufenthalte in SRannheim
einen Unioerfität«freunb fiöwenthol, bem er jene ©pifobe er-
jagte, jum Sßerlage eine« fRomane« $u beftimmen, welcher bie
Seelenfämpfe eine« nur fdjeinbar oberflächlichen Üöeibc« fchilbern
füllte, ba« au« SRangel an 2Biberftanb«fraft burch bie Ser*
jweiflung an ber (Sattheit fchliefjlich ju ©runbc gehe. Vluf ba«
SRotio bc« Selbftmorbe«, aber auch lebiglid) barauf, ^atte ihn
ber bamal« allgemeine« Sluffe^en erregenbe freiwillige £ob ber
überfpannten ©harlotte ®tieglih (®ejember 1834) geführt.91
fiöwenthal foUte ben 9ioman erft nach ißollenbung be« £rutfe«
ju fehen befommen, unb in bem ©lauben, bie«mal „etwa«
.Jpübfdje«" 99 ju liefern, benufcte ber dichter bie Sommermonate
be« gahre« 1835 in granffurt unb 2Sie«baben jur Vluöarbeitung
feine« £enben$romane«, burch ben er „bem ©hriftenthum im
neunzehnten gahrhunbert eine neue Söegbereitung in ben ©e*
müthern ju geben, e« mit ben Stimmungen unb Öebürfniffen
biefer ,$eit in ©inflang ju bringen unb jur Vlngel einer neuen
Bewegung ju machen* hoffte.23
VI ber felbft ein Jenbenjroinan Ija: anbere ©efe^e al« eine
Vlbhanblitug, unb bie ©ntwitfelung ber ©harafterc wirb aud)
C«)
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bie jjorm ber lenbeng immer infoweit bebingen, baß fie al£
Ausfluß einer t>om ®icßter gefeßaffenen ^ßerfönfießfeit erfeßeint.
£aß er auf biefent Sßege gu einer lebcnStmllen $icßtung gelangen
fonnte, bat ©ufcfow oft beroiefen, niemals beffer als in feinem
„Sabbugäer". SDaß er jeboeß in ber SBallß auf ßalbem SSege
fteßen geblieben ift, ßat es woßl ßauptfäcßlicß öerfcßulbet, baß
ber Vornan, gwifeßen ®icßtung unb ©treitfeßrift feßroanfenb, gitr
Jrafce geworben ift. Senn man follte glauben, baS ©ange
fei eine 'ßarobie im «Stile ber SDtautßncrfcßen Sflacßaßmungen
„betößmter SDiufter". ©ine Heine fßrobe möge genügen. Ülls
männliches ©egenbilb wirb SBaßß ber falte ©goift Gäfar gegen»
übergefteßt, ber UrtßpuS jener „gerriffenen" ©ßaraftere, welcße feit-
bem twn ©uftao ffreßtagS „©rafen SEBalbemar'' unb ©pielßagenS
.^roblematifcßeit Staturen" bis ßerab gu ben „breiten Bcttelfuppen"
moberner ®urcßfcßnittromane bie fiammSgcbitlb beS beutfeßen
2efepublifumS erroiefen ßaben. 3)iefer Gäfar nun „ftanb im
zweiten drittel ber groangiger 3aßre. Um 9?afe unb SJtunb
fcßlängelten gureßen, in toelcße bie friiße ©aat ber ©rfenntniß
gefallen mar, jene Sinien, bie fieß »on bem licblicßften ©inbruef
bis gu bämoniftßer Unßeimlicßfeit fteigern fönnen. GäfarS
©ifbuttg mar fertig. 2öaS er noeß in fieß aufnaßm, fonnte
nur bogu bienen, baS feßon Borßanbene gu befeftigen, nießt gu
ueränbent. Gäfar ßatte bie erfte ©tufenleiter ibealifeßer ©cßroär*
merei, melcße unfere geit auf junge ©emiitßer erbringen läßt,
erftiegen. ©r ßatte einen, gangen gricbßof tobter ©ebanfen,
herrlicher Qbeen, an bie er einft glaubte, ßinter fieß; er fiel
nießt meßr oor fieß felbft nieber unb ließ feine Bergangenßeit
bie finiee feiner gufunft umfcßlingeti unb jene gu biefer beten:
heilige gufunft, glüßenber SJlolod), mann ßör’ icß auf, mieß
mir felbft gu opfern? Gäfar begrub feine lobten meßr: bie
füllen Sbeen lagen fo weit »01t ißm,. baß feine Bewegungen
ftt nicht meßr erbrüden fonnten. ©r mar reif, nur itocß formell,.
nur nodj ©feptifer; er regnete mit GegriffSfdjatten, mit ge*
mefenem (SnthufiaSmuS. ®r mar burd) bie ©djule ^inburd)
unb hätte nur noch f) au bellt fötttten; bemt IU03U if)tt feine
tobten Sbcen mad)tcn, er mar ein ftarfcr ßl)arafter. Unglücf*
liehe gugenb! 2)aS gelb Dcr X^ätigfcit ift bir uerfdjloffen, im
Strome ber Gegebenheiten tarnt beine roiffenSmatte Seele nicht
mieber neu geboren mcrben; bu fannft nur lädjcln, feuf^en,
fpotten, unb bie grauen, menn bu liebft, unglücflid) machen." *4
Söir fügen jur Gerwotlftänbigung biefer Sharafterfchitberung
hiitju, bafj l£äfar „jebe «Situation fatal mar, in ber er fict>
fclbft nid)t h°tte beobad)ten fönnett,"*5 glauben aber, bafj
öuhfom benfelbett Sffeft erreicht hätte, menn er fdjledjtmcg
fagte: ßäfar mar ba$, maS mau auf beutfdjen ^»odjfdjuleu
einen Sdjauerbotf 31t nennen pflegt.
3>ie gabel beS SRomaneS, menn mir 001t einer folcheu
rebeit bürfeu, ift in ßiirje folgenbc: 2Ballt), bie uieluttiroorbcne,
heirathet einen ungeliebten ÜRanit. Slber im ©eiftc gehört fie
ISäfar, bein fie fich jum Spnibol ihrer geiftigen Vermahlung
an ihrem ^>od)jeit8tage uacft jeigt, }o mie eS nach SBolframS
Xiturel ©igune bem für fie in beit Jtampf jiehenbett Sdjionatu*
lanber gethait hotte. @ie folgt barauf ihrem ©attcn nad)
ißariS, aber als fid) biefer als ein e^rlofcr Sdjitrfe entpuppt,
trägt fie fein Gebeuten mehr, ihn 31t oerlaffeu unb (iäfars
SebeuSgefährtiit 31t merbett. Iber ein (Sgoift mie (Säfar meifj
biefeu Sdjritt nid)t nad) feinem wollen 2Bertf)c 311 fd)ä|)en unb
menbet feine Neigung balb ber „wou Siebe fdjmellcuben rcid)eu“
Siibiu Slbolpljine 311, bie mir uns allerbiugS beftridcnb 311
beuten hoben, rneil „baS Segel ihres .fpei^enS niemals fd)laff,
fonberu immer aufgebläht, ruub unb toll" ift.20 3n bie Seelen*
ftimmung, in melche SSallp baburd) geräth, lägt uns ihr Jage*
budj ©inblirfe thnu. 2lud) bie Religion gemährt iljr, bereu
©lanbeu burd) ßäfarS „©eftänbniffe über ^Religion unb ©hviften*
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tljum" oollenb« crfc^iittcrt ift, feinen £alt ntcf|r unb im frei-
willigen $obe fnc^t fie ©rlöfung oon ihren Gualen.
5)ie „©eftänbniffe", auf welche cS beni 5)idjter ursprünglich
i>och am meifter, anfam, finb eine« Gäfars üoßfommen roürbig.
8üe« läuft borauf btnau«, baß f)iftorifd)e Religionen, alfo aud)
ba« ßfiriftent^um, bei fteigenber Slufflärung eine Unmöglichfeit
feien. SIber gottlos möchte er ein geitalter nicht nennen, bem
ein ©t. ©imon unb ein fiamennai« angefjört haben. „3Bir
werben feinen neuen Fimmel unb feine neue Srbe habeu; aber
bie Skiicfe jioifdjen beiben, fdfeint eS, mufj oon neuem gebaut
werben." 27 .gum ©cfjluffe ergreift ber ^Dichter in einem „Sßaljr-
beit unb SBirflidjfeit" überfdjtiebenen ©piloge felbft ba« SBort,
unb nimmt fid) in ^inblicf auf ba« eben ffijgirte iß^antafie»
gemäße ber über ber gemeinen SBirflicfjfeit ftefjenben höheren
poetifchen Söahrljeit au. £enn ,,nod) immer ging ba« ©enie
feinem Qa^r^unberte oorau«". Ramentlid) in ber franjöfifdfen
fiitteratur baut fich aber „eine 2Saf)rheit ber 2)idjtung auf, ber
in ben un« umgebcubeu 3nftitutiouen uid)t« entspricht, eine
ibeefle CppofUiou, ein bichterifdjeS ©egeutfjeil unfercr gfit, ba§
einen grocifadjen Mampf wirb gu befielen haben, einmal einen
gegen bie SSirflidjfeit felbft al« fonftitnirte Ü)iacf)t mit pljtjfifdjer
Stutorität, fobamt einen gegen bie ißoefie ber 2Birflid)feit, luelrfjc
fo oiel dichter unb fo öiel Mritifer für fid) hat."*8 Än ber
phhftf<hen ?lmorität aber ift ©ujjfoto bamal« gefdjeitert, unb
nur feiner Slusföhnung mit ber rcd)t oerftanbenen ißoefie ber
SBirflic^feit hflt er e« gu banfen, wenn fein Raine heute in ber
fihteraturgefdjidfte, nicht nur in ber Mrauft)eit«gefdjidjte bc«
beutfehen ©eifte« genannt toirb.
9Bir mürben und bei bem fläglidjeu Riadpoerfe nid)t fo
lange aufgeljultcn fabelt, wenn e« fid) nicht nm bie folgen-
Schwere Sugcitbfünbe eine« bebeutenbeu ÜJianne« hanbelte.
©ufcfoiu aber hat aud) fpäter ben Roman für poetifcf) nidjt
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ganj mißlungen gehalten 49 mit berfetben unbegreiflichen ©elbft-
täufeßung, mit melcßer er unter anberem für 'pauI Impfe«
„Nooellenfcßaß" al« befte feiner NooeKen bie Iäppifcßen „Shtr«-
tauben" au«gemäßlt ßflt. Sn allen anbereu fünften trifft feine
©elbftfritif beu Naget auf beit Stopf. Sn ber ©efeßießte ber
beutfcßeit fiitteratur feeren faft regelmäßig bie Sucinbeperioben
mieber, meldje nicht immer fo gefunbe fruchte mie ©oetlje« römifeße
©legien gejeitigt ßaben. 2)amal« mar nun mieber einmal Sßiebcr*
einfeßung be« Natürlichen in feine Necßte ober, mie bie ©cgner
mit gcßäffiger ©etouttng be« |>einefcßen SBorte« fagten, ©rnanji-
pation be« ffleifcße« bie Sofung, unb |>eine, bie unter bem
Namen be« jungen 3)eutjcßlanb millfürlicß jufammengefaßten
©cßriftfteller, fomie Nidjarb Sßagner in feiner jmeiten Oper
,,ba« £iebe«oerbot" 30 oerfiinbeten bie alte, neue Sehre, beren
Duelle bod) nicht bei allen bloße ffrioolität mar. Slm menigften
bei ©ußfom, ber ganj im ©egenfaß ju eine« Soltaire friooter
©rajie nirgenb« ben plumpen ®eutfdjen oerleugnet unb mit eeßt
beutfd)er ^?ebanterie ber Siebe eine beffere „SNetßobif" miinjeßt.31
$)ie „©eftänbniffe" enblid) erfeßeinen ben gereiften Ueberjeu«
gungen be« SNaune« at« „reine 23on Duijoterie". Söolltc bie
Sritif oon bem Nomane überhaupt Noti$ nehmen, fo hätte fic
benfelben „ßöcßften« im SBotlgefüßl ihrer fälteren SSernunft au«*
(adjen foflen", etma in ber Sßeife Snrnicrmann«, ber in feinem
„SNündjßaufen" aueß ber „alten Sßafltj, ber natürlichen $o<ßter
oon Sucinbe ©cßlcgel, Söcßin eine« fränfifeßen fßrälaten a. ®."
gebeult.3* Slber e« fam anber«.
®er ©ßnagogenflucß, rcelcßen ber $icßter über feinen Uriei
Slcofta au«rufen läßt, foQte aueß ißn treffen. SBoIfgang Nlcn^el,
ber aKjeit fampffertige Folterer, mit bem fieß ©ußfom au«
geringfügigem, menn feßon fclbftoerfdjulbetem Slnlaß bereit« oor
jmei Snßren iibermorfen ßatte, erßob in jmei Nummern feine«
Sitteraturblatte« feine ©timme gegen bie „marf* unb maben*
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lofen 3ünglinge", melden nid;t einmil ber ocrführerifche 9ieij
fine# Ton 3uan $ur ©ntfchulbignng biene, in ber 9lbficht, „ben
JRiopf ber ©erlange ju vertreten, bie fitf) im 2Kifte ber SBofluft
wärme". @r fcf)Iog feine Ausfälle, roeld)e an urroüchfiger
©robfjeit ben religiösen ©treitfehriften bc« fechiehnten 3a^r=
bunbert# nid)t« nadjgaben, mit bem niefjt ganj unberechtigten
Hu#rufe : „3unge« Teutfchlanb! meber jung noch beutfeh, ©reife«-
falte im öerbrannten §irn, franjöfifche« ©ift in ben ?lbern!
Tich Sollten mir nnerfennen al« bie 3ugenb unfere« großen
fd)önen Rolfe«? Tid)?!"’3
©r erreichte, toie e« ju gefcheheti pflegt, mit feiner ftritif
nur ba« ©egentheil »oit bem, roa« er be^medt ^atte. Ter
iRoman, beffen ©rfcfieinen »oahrfcheinlich ohne biefelbe fpurlo«
oorübergegangen toäre, mürbe mit einem ©<f)lage populär.
®u$fom unb feine greunbe blieben bie SKntroort nicht fchufbig,
unb ol« bie ©erichte Schließlich Seranlaffung nahmen, gegen
ben 93erfaffer ber „SöaHp" einjufchreiten, ba erhob fiel) ein
roüfter ©lanbal, ber in utiferer nn fchntu^igen £mtibeln fo
überreichen Sitteraturgefchichte obenan fteht. $luf ben Tenun-
üanten SOlenjel miefett nun 3lHe mit bem ginger h’n/ b<e ^fr
tabelfrohe 9Jlann in feiner langen Slritiferlaufbahn befeibigt
batte. 3« erfter Sinie Sßrofeffor Sßaulu« in ^eibelberg, ber
„alte Rationalift", melcher jmar bie Tenbenj be« Romane«
nöflig mißbilligte, aber bie greiffeit ber 9J{einung«äufjerung
in religiösen gingen für ernftlich gefährbet ^ielt.34 .ßeiite fjnt
Sogar einer ©chmähfdjrift gegen SUlenjel ben Titel: „Ter
Tenunjiant" gegeben, unb ©u^fora felbft hat bi« ju feinem
lobe leine Gelegenheit nerfäutnt, feinen ©egiter mit biefem
Sortourfe 311 belaften. ©0 ift e« gelommen, bah mir bi« auf
ben heutigen Tag überall lefen fönnen, Rfenjel habe bie ©erichte
unb fogar bie Regierungen aufgeforbert, gegen ©ufcfom ein^u-
Schreiten, ma« fid) nur babnrd; erflärt, baff fein einziger Üitterar-
commlang. 9J. 0. V. 9S. 2 (49)
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Ijiftorifer bie ÜReitjelfdje Äritif felbft jur §anb genommen l)at.
Da ift eg roafirlid} f)ol)e geit, bajj bag fttitbenfen eineg jtvar
befdjrcinften, ober bod) djarafteroollen üRanneS enblid) oon um
»erbienter ©djmadj gereinigt roerbe.
9iid)t an bie ©eridjte, fonbern an bie gcmje Nation fyatte
fid) 3JienjeI gemanbt mit ber ?lufforberung, bie lenbenjen beg
jungen Deutfdjlanb alg unbeutfd) ju oerbammen. Da er jebod)
bem Romane llnfittlidjfeit, oerquidt mit ©otteetäfterung, jum
33ormurfe madjte, jo mar eg aüerbingg natürlid), bajj aud) bie
©eridjte auf benfelben aufnierffant mürben, ©ooiel id) fef)e,
mürbe bie Schrift juerft im baperifdjen Obermainfreife 9Ritte
Cftober mit ©cfdjlag belegt. 3n Sarlgrulje erfuhr mau erft
burd) eine 9iot4 beg gronffurter Souritalg ooit ber Äonfig*
jirung eineg in SDÜanitfjeint erfdjienenen 93ud)eg, unb am
20. Cftober mürbe bie ^Regierung beg Uuterrljeinfreifeg auf
biefen Umftanb burdj ein miuifterietleg jReffript aufmerffam
gemacht unb if)r übertaffen, „^inficfjtlic^ ber ©djrift nad) ben
befteljenben gefefclidjen $Borfd)riften 31t oer fahren''. 35 Die golge
mar bie Slonfigjirung am 14. SRooember36 unb jmei Dage fpäter
bie SSorlabung beg tßerfafferg oor bag babifcf)c |>ofgerid)t bee
Unterrfyeinfreifeg auf ben 1 . Dejember „unter ?lubrof)uug beg im
babifdjen ’prefjgefetye (§ 71 sub 1) beftimmten jRed)tgnad)tl)eilg,
monad) berfelbe, roenn er in ber ®orunterfud)ung unb ber in ber
golge anjuberaumcnben ©eridjtgfifcuug nic^t erfdjeint, ber ange=
fdjulbigten unb nidjt miberlegten Dljatfadje, alg geftänbig 3U
betradjteu fei".
©ujjfom, meldjer bamalg in Uraitffurt motjnte, 3Ögerte
anfangg, ber ißorlabnug gotge 311 leiften, unb beoollmäd)tigte
einen -IRaunfyeimer Slnmalt, bie 3nfompeteii3 ber babifdjett
©ericfjte 311 erfläreit.37 Da er fid) jebod) and) in jßrcufjeu
nidjt fidjer füllte, 001t ber freien ©tabt jjranffurt bie $tug>
lieferung an öaben 311 gemärtigen Ijatte,38 bag bcntfdjc 33unbeg=
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gebiet aber wegen feiner Braut in granlfnrt nicht oerlaffeit
mochte, fo jog er eS fdjließtid) uor, fid) freiwillig ju »teilen,
nadjbem er juoor in ftarlärulje in einer ?lubieitg bei bem
SRiuifter „Bater SBinter" — beffen $enfmal jejjt beit an ber
babifdjen Refibenj ooriiberreifenben grentben wie ein ©hntbol
ber guten alten $eit unfreunblid) ben Rüden gufefjrt — aus
unbeftimmten Sleufjerungen beleihen bie triigerifdje Hoffnung
gefdjöpft f»atte, non ber ünterfuchungSljofl uerfcfjont ju bleiben.39
28ie bie babifdje Regierung über ben gall badjte, läßt
fid» leiber nicht meßr feftfteüen, fdjwerlid) feßr öerfdjieben ooit
ber atlerbingS nur nach ben Gitaten ber ©ntfcheibungggrünbe
gebilbeten Slnfidjt be$ SJlinifterä dou Reigenftein, bem ber
Roman eine für ben BilbungSgrab oon „Sabenbienern unb
Hammermcibchen" berechnete Seftiire ju fein fc^ien.10 SMIbefanut
ift nun, bafj ber Bunbeätag in jenen lagen fid) bie Rolle be3
Sittenrichters aninafjte unb ben beutfdjen Regierungen eine Der*
fdjcirfte 2luffid)t auf bie Schriften beS jungen 35eutfd)Ianb aus
4?er$ legte, baß ber öfterreidjifdje BuubeSpriifibialgefanbte ©raf
9ftünd) gerabe ©ujjfowS „SBallp" als ein djarafteriftifdjes
ifSrobuft ber neuen bie Stüfcen ber ©efeflfcfjaft imtergrabeuben
Richtung anfü^rte.4* SBenn nun aber ofjue jebe 5Rüdfid)t auf
bie geitfolge ber (Sreigtiiffe ber ^rogeß gegen ©uhfoiu immer
loieber mit ber Reaftion in ßufammenfyang gebraut unb gleidjfant
ber ganje 2Retternid)fd)e Apparat beStuegeu in Bewegung gefegt
wirb, fo liegt baritt eine burd) nichts gerechtfertigte Betleumbung
beS babifdjen RichterftanbeS, welche ebenfo unoerautiuortlid) ift,
wie bie gegen SOiengel erhobene Slufdjulbigung. dagegen fönnen
wir ©ufcfowS Bertfjeibigung oon bemBorwurfe fophiftifdjer fünfte
nicht freifprecfjett.42 Cbwoht er in feinen Antworten auf RlengelS
ftritif bnS ©egentljeil fcßon ha^ »mb ha^ jugeftanben hotte,
wollte er je&t feinen Roman lebiglid) nach äfttjetifchen ©efidjts*
punften beurtheilt wiffett, unb glaubte, jebe Xenbeng in ?lbrebe
*2* (51)
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[teilen ju bixrfen. 3mmet^in tjatte [eine Verttjeibigung ben
©rfolg, baß ber ®ericht«f)of ant 12. Sanuar 1836 »on ben
bttrd) ben @taat«anwa(t au[ge[tetlten brei Slnflagepunftett bie
Slnflage wegen ,,©otte«tä[terung" unb wegen „2>arftetlung utt*
flüchtiger ©egenftänbe" »erwarf, ißn bagegen „ber burd) bie ^re[[e
begangenen »eräcf)ttichen $)arftettung be« ©tauben« ber djrift*
Iidjen 9WigtonSge[eH[d)aften" für [djulbig ertlärte unb flu »ier
2Bod)en ©efängniß unb 31t einem ^Drittel ber ißrofleßfoften »er*
urtfjeitte. 43 $a« Urzeit betonte at[o bie Unmöglichfeit [traf*
rcdjtfidjen ©infeßreiten« gegen gcrabe ba«jenige, wa« fDlenflet an
ber neuen SRidftung [ür franjöfifche« ©i[t, ber 83nnbe«tag [iir
[taat«gefährlich erftärt hatte.
Vom 30. SJloöember 1835 bi« jum 10 gebruar 1836 44 ein*
[d)lief3lidj ber llnterfud)ung«haft mailte nun ber £eget[d)üter, wie er
nicht unwijjig bemerft, »on bem „Stuffichbeflogenfein" be« Vegriffe«
bie praftifdfe 9?u^ant»enbung. 3n ber eittjamen, nur burd) bie ein*
tägige SD?itgefangen[d)aft be« ©djaufpieter« Itjeobor 35öritig4J »or*
iibergetienb mit grote«fen SBifbcrn erfüllten 3eKe be« ehemaligen
SJiannheinter Äaufhaufe« ber mit [einen ©ebattfen feef in« litt*
getneffene fdjweifenbe [onberbare Schwärmer — wahrlich eine
[ett[ame SQuftration ju ber mephiftophetifdjen ©entenj:
®uo bem $alaft in« enge &au$,
So bumm tauft eö am Snbe boef) tjinaiib.
|)ier ttun mochten alte afabemifdhe ©rintterungen in ©ujjfom
auffteigeit, h*fr »wehte er baran bettfen, wie $egel ein[i bei
©clegenheit be« Slbteftiren« 3U bem angehenben ©chriftfteüer
gejagt fjatte, „wie famt man [ich nur an bte[en SBolfgang
sJJlciifleI att[d)ließen!''46 Slucf) ÜÄettflel« itritif hatte nun gegen
ben einft »ott ihr gefeierten Verfaffer »on „SJlaha ©uru"47 ihre
attbere, befanntlidj etwa« rauhe ©eite her»u«gefehrt. Unb wie
ihm [o [eine eigene Vergangenheit gteichfant hM^rifd) werben
mußte, [o Wählt er fid) jept ben bialeftifchen ißrofleß be« hiftorifdjeit
(5J)
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SebettS jum ©egenftanbe feines SRadjbenfenS, mtb eS entfielt —
eine ©efäugnifjarbeit48 im ftrengftcn SSortfinne — bie Sdjrift
„3ur ^^ilofop^ie ber ®efd)id)te".
3u bem ©orworte bejeidjnet ber Söerfaffer als feine einzigen
CueHett bie SSanbinfdjriften unb geufterfrißeleien feines ?luf«
entbaltorteS.49 Später aber l)at er jugeftanben, baß er gegen
Gnbe feiner $aft nom ?lntiquar eine ©iidjerfifte erhielt, bereu
3nf)alt jebodj größtentbcilS ju anberen litterarifc^en 3rce£fen
oerroenbbar gewefen fei. 3Bir fönneu bem fiefer beit 9?ad>roeiS
nid)t erfparen, baß biefe ©ebauptuug wie fo manche anbere ber
„fRürfblide" eine ungenaue i|t.i0 Gin ©ud;, Kants „Gwiger
griebe", lag ihm jebenfallS uor; benn er gicbt nidjt nur auf
3. 223 — 33 eine genaue Slnalpfe beSfelben, foitbern bringt and)
jwei ftiliftijdj nur wenig oeräuberte wörtliche Gitate. 51 Gine
fpätere Ginfd)iebung beS Kapitels „Krieg uitb griebeit" ift aber
faunt juläffig, weil bie ©orrebe fdjon aus bem 2Rär$ 1836
batirt. §(ud) fRouffeauS 9luSjug aus bem ewigen griebenS-
traftat St. ©ierreS {djeint er bireft benufet $u fjaben, jebocfj
in einer ber bei SRouffeauS fiebjeiteu berau^gffommeneit 9luS-
gaben ber 2Berfe, ba er fRouffeauS Kritif nidjt fennt unb
infolgebeffen bie Meinungen beS ©euferS unb beS Slbb»'- uer>
roecbfelt.:'ä SSeitere birefte CueHen finb nicht nachjuweifen.
Xer Slutor fniipft, wie fd^on erwähnt würbe, an frühere ©ebanfen«
reifen an, wie benn gleich ber Anfang über bie SdjicffalSibce
ber ?Uten an bie ©reiSfdjrift »oit 1830 erinnert. $aß .fpegel
babei eine große fRofle fpielt, fcßeint felbfttierftänblid), obwohl
©ußfow bie ©orlefungett über ©bilofopbie ber ©efdjidjte oer«
muthlich gar nicht gehört bat, ba er int SBinter 1830/31 faft
fein Kolleg mehr befuchte. 2lber eine fritifcße SluSeinanberfefcuitg
mit bem $egelf<hen Spfteme barf mau bie Schrift nidjt nennen.
Xiefe war in ihrer Slrt fchoit feßr t>iel früher erfolgt.
Schon als Stubent fatn ©ußfow bei fpegel „nid)t über
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bie eine Wippe pinweg, baß baS ©enfeu gleid) jein füllte bent
realen ©ein" ! 9Jfit bem jpäteren fionuerttten Soel 3acobt) unb
einigen anbereit ppilofoppifcpett greunbeit patte er bamal^ bie
Gncpflopäbie |>egefö ißaragrapp für ißaragrapp bunpgenommen,
um fid) itacp Saeobp« SluSbrucf ju überzeugen, „was baran
©inu ober Utifinn fei".53 SSenit er aber aud) auf ba« ©pftem
als foldjeS nie gefdjworeu patte, fo fanu er boep beit Hegelianer
in ber golge uid)t oerleugtten uub ift auep feinerfeit« nidjt ganz
frei non jenem oon ipm felbft gejepilberten S3raminenftolz, mit
welcpem ber berliner ©tnbent oon 1830, tocitn er in ber
Slotlegienmappe unter feinem §(rmc ba« bei Hegel naepgefepriebene
Heft füplte, auf bie armen J)enfparia3 peruuterfap. ©o oiel
alfo aud) in ber ©ejcpidjtSppilofoppie balb für, balb gegen Hegel
fritifirt wirb, ba§ Sfteue beS IBudjes muffen toir bod) auf
anberem ©ebiete fucpeit. G« beftept zunäepft bariit, baß wir
gleicpfam einen ißrofafommentar zu ©ußfowS älteftcr Jragöbie,
bcin Sefcbrama „9fcro" (1835) empfangen.
Söir ntüffen un« bas uäpereGingcpen auf biefe intereffante burdj
Jietf beeinflußte Sugenbfcpöpfung bcs J>id)terS oerfagcit, in wclcper
wie in feinem anbereit feiner SBerfe bie ftarfen unb bie fdjwacpen
Seiten feiner Begabung nnoermittelt nebeneinanber zu Jage treten,
©teilen ooH ©oetpefepen JieffinnS, in beit bureß ben „gauft"
populär geworbenen Hans ©adjSfcpen ituitteloerfen, weepfetn ab mit
ben paarfträubenbften ©efdjmadlofigfeiteu; bas ©anze aber ift iibcr=
Zogen mit einem biepten 9?eß politifeper unb litterarifdjer 5lnfpielun>
gen, weldjc bie ©ieptung fcpou bem Sefer oon 1835 ungenießbar
tuaepen mußten.54 H*er nun fiiprt ©upfow bie alte unb bie neue geit
ein in ben©eftalteu beS jungen mit fidj felbft uneinigen Julius Sßinbey
uub beS refiguirten Ginfiebler«, ber fid) am ©djluffe beS ©efprätpe«
als GorneliuS Jacitu« zu erfennen giebt. 3?er Giufieblcr ift längft
bei bem ©lauben angelangt, baß oor ©ott alle ©ejdjicpte nur wie
ein Jag fei. ©eine SiebenSweiSpeit faßt er zufanunen in bie Sporte:
(M)
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$11 fjdft beut Sieben immer redjt gelohnt,
3Benn bu bem SRedjte folgft, bne in bir rooljnt.
Slber ber 3üngting ftudjt biefem ©tauben, er fiubet, baß
bie SSelt ber £et)re beS Sitten noch immer baS tlmgcfetjrte
entgegengeftctlt ^abc, bie 3u^UTlft Wf# er fid) »ich* rauben, beim
'Jiidjt bac Vtltc roirb mieber jung;
$a* 3ungt laufe ^um erftenmal fid) se*flcn-
SltS er fiel) aber auf eine nähere @d)itberuug ber 3ied)te
her 3ugenb einläfjt, ba entgegnet itjm emft ber (Sitifiebler:
3^r Ijafet bie Jtjrannei! bodi iljre Srioolität,
$ie ift'e, bie eud) p Sinne ftclit.
$ie SluSfiihrung ber in $ürge roiebergegebeneit ©ebanfeit
(eibet mic ber gange „9tero" an Unftarfjeiten. £aS aber mirb
jebem Sefer fofort ftar, baft gmei ©eeten in beS Xicfjterd ©ruft
wotjneit, baß er bie einem SacituS in beit äJiuitb gelegten @in>
würfe fid) felbft madjt. @r füf)(t baS ^Mfdje unb Sdjiefe in ber
gangen 5Rid)tung beS jungen ©eutfchlanb unb fann fid) um beS
non if)r angeftrebten ©Uten mitten hoch nic^t non itjr IoS-
matten. 3n ber „sptjitofoptjie ber ©efd)id)te" ift jebod) bie
ßntfdjeibung gu ©nnften einer männlichen 'Oiefigitation au$ge=
fallen. „Seben" — fo Reifet eS je$t (©. 143) — „ift fein ©enufj.
Sieben ift eine Slnfgabe." 3)ie ©eurttjeitung ber ©efdjichte,
beren eingiger ,$med eben Sieben ift, fjtrt atfo non biefem
safte auSgugel)eu. $aS SRättjfet ber ©efd)id)te mirb au jebem
läge gelöft, „an jebem Ütage ift baS @ube ber Söett". ÜJJit
biefer inbtoibuotiftifchen Slnfid)t ber ©efdjidjte hängt bann and)
gufammen eine mefentlid)e Stenberung feines Urtfjcilä über bie
Steftimmung beS SBeibeS. $enn fo menig bis bahin baS 3Bcib
als fotdjeS in ber @efd)id)te als bem Jummclplaj) ber fieiben«
jdjoftcn auftreten foitnte, „meit eS feinen Snftinft ber ÜJiaffe
bat unb feine ©pmpathien nur bem (Eingeliten gelten", fo mirb
155)
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24
bod) ber SluSgang ber ©efäidfte bie töeruffigung bcr £eiben«
haften uitb „ber Sieg beS weiblichen ^ßrinzipeS" fein. 9?id)tS
aber entfernt unS tueiter oon biefent $iele als bie fogeitannte
Smanjipation ber grauen, „bie atbernfte 3bee, welche unfer
Zeitalter auSgehedt hat". (S. 148 — 50.)
Wicht minber iiberrafchenb wirft baS ©eftänbnijf beS Skr*
faffevS, baff er beu 333eg, ber zum giele führen füllte, mit bem
giele fclbft uerwechfelt fjat. £ettit er abftrabirt bod) wieter
nur uon feiner perjönlichften (Erfahrung, wenn er fagt (164 — 65):
„Xie griihreife beS SclbftbemufjtfeinS ift baS moberne Unglücf ;
beim ber günglittg ahnt nicht, baff feiner jc^igen 3beenftaffel
nod) ^öftere folgen werben, bafj in einem Safjre alle feine 93e*
griffe eine anbere SSenbung genommen fjabeit, er wartet bie
geit nicht ab, fonbern beginnt fogfeich, feine erfte it)m flar
geworbene 3bee auf bie pofitioen Skrhältitiffe überzutragen . . .
SJtan nehme nur in Teutfdjlanb, wie lange währt eS, ehe man
bie Senbenjen eines Ülrabt unb Sahn, bann biefenigett eine«
©örreS, Sied unb Slrnim, barauf bie eines Steffens, enblid)
bie •'pegelS ober SchellingS überfianbcit unb julefjt fich felbft
gefunben hat! ®ei biefeit oier SWetamorphofen hat ntan auf
jeber fchon hun&wt Jhorh£'ten begangen unb fann fidj unb
feine gamilie an beu fRaitb beS SlbgrunbS gebracht hab£n-:,:’
hiermit ift ber wahre geinb ber mobernen ©efellfdjaft gezeichnet,
unb ich forbere alle Staatsmänner auf, biefe merfwiirbige (Er*
feheinung mit philofophifchem Wadjbenfen ins Sluge $u faffen."
Sie »erblüffenbe Sicherheit, mit ber h'er ©ufcforo als
einziges fRettungSmittel „gegen bie ©ährungSprozcffe ber3ugenb"
eine llmgeftaltung uitferer Schulen unb Unioerfitäten bezeichnet/’8
ift unS babei hoch ein erfreulicher beweis bajiir, bah feine
(EmpfinbungS* unb Senfweife hinter b£u vergitterten geuftern
ooit ihrer Sugenbfrifche nichts eiugebiijjt hot- Sluch bie guoer*
fid)tlid)feit feiner ftritif erinnert au feine oierunbzwaitzig Sahte-
156)
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25
Xa erfahren wir ju unferent grftaunen (39), baff in beit
jpanben §erber£, be$ SantgegnerS, be$ oon bem ÜJforalpolitifer
Schleifer Unoerftanbeneit, aus ber ©hilofavh'r ber gefdjidjte
fine Äritif berfelben geworben fei, bafc ^erber „jene moralifch
politifchen ß^rien oeranlajjt fjut, reelle ein eigentümliches!
Stabium ber beutfd)en Schulbilbung bezeichnen", unb man ift
unter foldjen Umftänben nur zu fel)r geneigt, unbere, HerberS
Eigenart treffenb wiebergebenbe Stellen 57 lebiglid) für ßnfaüS«
treffet be£ geiftreidjen Sournaliften zu hflften.
gin weiteres gingehen auf ben 3nhalt ber Schrift oer-
lohnt nicht ber SDliihe. ginfall reiht fief) an ginfall, feie feuifle-
toniftifche ©ointe jdjeint häufig Selbftzwecf, unb ba$ zufummen*
faffenbe ©anb einer einheitlichen SBeltanfchauung fehlt burchauS.
®u$foro felbft bebauert, baß er nicht wie SWonteSquieu burd)
X'üragrapheneintheilung feinem '-Buche einen ^tnfdjein ooit XiS-
pojition geben bürfe, ber es anbererfeitS bod) um fo mehr
bebürfe, als ber Hauptfehler feiner Schreibart ihre Unruhe fei.
(Sine burchgehenbe Xenbenz unb in biefer Sefchränfung and)
eine StuSeinanberfehung mit .'pegel liegt allein barin, bafj er fid)
toie fein 3uliu$ SBinbej bie ßufunft nidjt rauben lägt. (50. 236.)
Seine Shmpatbien weilen bafjer troj} aller fritifdjen ©ebenfen
bei bem genfer ^ß^ilofop^cn, unb wir bürfett jagen, baß bie
$eit baran nichts geänbert hat. Slod) zwei 3ahrJehnte fpäter
hat er eS eben jo tief wie fcf)ön au$gefprod)en, bah bie oon
diouffeau aufgebaute neue Siklt bei aller Unmöglichfeit bod)
noch jefct baS abftrafte Qbeal ber Xenferbruft geblieben ift!
„Sehre man oon ber 9lothwenbigfeit bei ©eftehenben was man
toiH, StlantiSinfeln ber Xinge, wie fie fein füllten, jehwimmen
hoch immer in unferer Mhnung!"68
Such bie politifche Seite feiner 3ufunft$träume hQt unS
nicht weiter zu befdjäftigen. Seine Stimme oerhallt in bem
mächtigen gfjoruS ber $eit. ^Sichtiger ift unS ein fleiner, uu-
(57)
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2G
fdjeinbarcr Saß, in bem fic§ ber 93erfaffer ber „Witter Dom
©eifte" anfiinbigt. 35ie Jßatfadje, baß bie 3bee be$ römifdfen
3mperium8 bie gan^e mittelalterliche SBelt bewegt fjat, füfjrt
i()it auf ben ©ebanfeit (53), „baß bie gorm ber ©efdjicßte nid)t
9luf» unb Slbfteigen, nid)t ber fonjentrifdje Kreis ober bie Spirale
ift, fonbertt ber cpifdjc fßaralleliSmuS, halb fongruirenb, balb
biuergirenb". ©8 oerfcßlägt nid)t3, baß ©ußfow im ©runbe
bamit abfolut uidjtS fReucS fagt; beim baS £>ereiitragen einer
übenuunbenen, ber ©ergangenßcit augeböreuben f^eriobe in
fpätcrc ßiftorifdie ©ntwicflungSreißcn fdjließt aud) baS £)cgelfd)c
Stjftem nid)t an«. ?lbcr wass ©ußfow l)ier nur als ein ©eweiS
gegen bie ©eroaltfamfeit |>egclfd)er Slonftrnftioncn bienen füll,
Derbicßtct fid) oieraefju 3af)re fpnter ju ber uielbefprodfeucn
Üßeorie beS „fRebeueinauber" .
3n ben „fRitterit Dom ©eifte" unb nod) burdjgebilbeter
im „gauberer t>on fRont" wirb ber cpifdje fßarnllelismuS nidjt
mehr bie gorm ber ©efd)id)te, fonberit bie gorm beS fRomanS.
T’ajwifeben liegen bie faft anSfcßließlid) bramatifcfjen Arbeiten
gewibmctcu Dierjigcr 3aßre, in weldjen ber $icf)ter feine STljcorie
junäd)ft auf baS ®rama auwenbct, befanntlid) jum größten
Sd)aben für boSfelbe. ©rfdjcinen bod) Diele feiner 5)rameu
als Derfcßlte Gjrperimentc lebiglid) burdj baS gefjlcn ber „ab<
folutcn Kontinuität in ben gaften einer ©rjäßlung", gegen
weldje fid) fein fritifd)e8 ©ewiffen uou jeßer gcfträubt hatte,
wo fein fünftlcrifd)e8 ©ewiffen bod) Dollfommen fjätte beruhigt
fein biirfen. ©r felbft erjäfjlt in ben „fRiicfblicfen" (280), baß
eine Aufführung feiner „beiben SluStoauberer" (1843), ber er
beiwohnte, in ifjm einen Umfdjwung bewirft ^abe. Silber wenn
er aud) jcjjt jugefteßen muß, baß „baS $rama bie feltenen
gälle eines braftifcßen SRacßeinanber aufgreift" — eine ©infidjt,
welcher ber $id)ler bie bleibenbc ©iißuenfäfjigfeit Don „gopf
unb Schwert" mtb „Uriel Sifofta" uicßt atn wenigften Derbauft
ibV.
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27
— fo foll bagegen ber neue fHomatt bc$ „fftebeneinanber" feilten
äbfdpiitt be§ Sefaenö, fotibcrn beit gangen runben, t»o[Icii Kreis
jur Tarfteflung bringen. Gr bcriitffidjtigt nid)t allein „bie
älienft^en, bie gtt ber ergäben ©efcfjidjte gehören", er fiifjrt
nn$ aud) aDc bie uor, „bie ifjr nur eine niibcrftrafjlte ®eleudj*
tung geben". 59 ©ein SSefeu ift „bie formelle unb ibeeüe Se>
güglidjfeit ober Korrelation", tuottad) „ein SDfeufdj luiffeutlid}
ober imroiffentlid) ben anbertt tuid)tig, tuertfjooll unb notfjmeiibig
eridjeint". 60 Xa$ toafjre 9febeiteiitanber unferer SBeltbegietyungen
fennt Gott allein, aber ber £idjter fann cd netten.61
SU» bie Angriffe auf bie neue Theorie uidjt auöbliebeit,
äußerte ©ufjfon) fein ©ebaitertt bariibcr, bafj er baS ©efjeimnifi
ferner Kunftform gleid) gtt Slnfattg offen au3gcfprocf)cn tjabc.
Teint „bie gorm K> if>nt ettuaö unb luefenllid) fei
itjm nur ber ©ebanfe". Stber Joritt unb ©ebanfe gefjen t)ier
bodi gang ineinanber auf, mtb eS uerbient bemerft gtt toerbcn,
ba§ fogar ber eigentümliche, ftjntbofifdie ©ebanfe eiltet ©e-
fjcimbunbeö ber „Witter oom ©eifte" in jener Sugeubfdjrift
ebenfalls fdjon angebcutet toirb, tuemt ©tt^foto fagt (3.240),
baß „in aflett UcbergangSgeiten gunädjft bie 2Untojpf)äre, in
melier bie 3nbiüibuett Ijöfjerer ©egabuitg fid) ttodj gu atfjmen
getrauen, oon ber 2Birf!id)feit abtoeidjen tucrbe". SJiögeit baljer
Stnbere unterfudjcn, ob er mit ber SBefjauptung redjt fjat, baff
ti iljm mit ber fßoefie gefje toie fieffing mit ber 3Saf)rf)eit, fie
bleibe ifjm ctuig bie ferne ©eliebtc, uns fam e£ f)ier nur barauf
an, in jenem oergeffenen öudje bie Süerbiubungögtiebcr gtuifdjeit
GuffomS Sfttfängett unb feinen fpätereit ©djöpfungcn großen
Stile« nadjginoeifcn.
(50)
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Stnmerfuugen.
Seinem (ünftigen Siographcn l;at Wufcfow fclbft ein reiches bio>
graphifdjcS Staterial Ijinterlafien. frür unferen 3™e(* fnmen in Setradjt:
2lu$ ber Unaben.^cit. ffranffurt a. 3)2. Witter. Slnfialt. 1852. — Tie
fdjöneren Stunben. JHücfblicfe non ft. ®. Stuttgart 1869. Bebensbilber.
'JJooeUen unb Stilen oon ft. &. Stuttgart 1870 Sb. 2. — iHüdblidc
auf mein Heben. Berlin 1875. — Tie für GlöbrfeS ©runbrijj »erfaßte
autobiographiiehe Sfijje in ber ©egenmart IG (1879) 3. 394 ff. — Tie
Sorrebcu ju ber erften 'Ausgabe ber „Otefammelten 3Berfe" (citirt SJcrfej
Sranffurt a. 5D2. 1845 ff. in 13 Säubcn. — Aufjerbem glaube itij burefj
biefe Stubie zu bemeifen, mit reich feine Schriften an Setbftbefenntniffeu
finb. 3ur meine oon ber bisherigen oöüig abroeichenbe Tarfteflung bes
©atlpprozeffeS l)obe ich bie Unterfud)ung$aften (citirt U. •21.) gegen OJubfoiu
unb Höwenthal iftarlSruhe WenerallanbcSarchit). Slannheim 3543) jum
erftenmate benufct, welchen auch bie int Anhänge mitgetheilten Schreiben
entnommen finb.
1 SKündjhaufen. Originalausgabe, Tüffelborf 1838. I. S. 85 ff.
* SBrrfe 4. Sanb, 1—153. llnfere Gitate nach brr erften Ausgabe.
Hamburg 1836.
s Tie beutfehe Aatioualtittcratur in ber erften .frälfte beS neunzehnten
^ahrhuubcrtS 2 A Sb. 2, 85.
4 Son biefem Hobe mochte ich nur ungefähr bie erften 4 Sogen aus-
nehmen, auf welchen &. in unerträglicher SEBeife über feine fyamilie wißclt.
Gr h<»t r«ch foft immer in feinen Gkgcnftaub erft f)inetnfcf>reibcn müffen.
6 ft naben jeit 72.
8 Gbenba 62 ff.
I Bcbensbitbcr 2, 62.
* Stnabcnzeit 49.
* Bcbcnsbilber 2, 45 -126: „TaS ftaftanicnwätbdien in Serlin",
bei. S. 62.
*• SJüdblicfe 26.
u Bebeusbilber 2, 100 ff.
'* Gbenba 108.
II finabenjeit 136.
14 Sorrebe jn „EOiaha Wuru", Skrfe 5. Seite 6.
16 SdjleiermadjerS Sertraute Sriefe über bie flucinbe. S2it einer
Sorrebe oon fi. &. Hamburg bei .fjoffmann unb Gampe. 1835. 3. XI.
tt»)
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29
“ „Ter einzige Briefter, bcr bif Jöerpn traue, fei ein entpdenber
Sugenblid, nicht bic ftirdje mit ihrer Geremonie unb ihren gefchciteltcn
Itenern!"
17 3n bem ftapitel über Religion ©. 71 ber fMusgabe Don Gnuer =
Serie VII Dgl. SR. iiatjnt. 28. b. $mmbolbt. Berlin. 1856. ©. 60
” 3« ber „Sallt)", Serie 13. 116 (t*gl. SRüdblide 141 ) r „©ie wollen
bae Bncf) nicht heeausgeben. ©ie fürchten, bat? au* bem Dergilbtcn Bapier
jener Äritif Motten fliegen, bie baS Ghriftenthum felbft anfreffen "
19 SRüdblide 20.
” 11. ‘8. f. 19. auSfagen beS BcrlegerS Söroenthal. Mannheim.
1835 9?oo, 17., bamit libereinftimmenb SRüdblide Hl. Die betreffenbe
ecene in ber Söalltj, 28erle 13, 23; nach ber im 91od. 1831 getriebenen
^otTebe p berielben (13, XVI) hätte ber BuSruf gelautet: „28ie läfjt fich
begreifen. was mir glauben fallen ! “ Dgl auch 8nm. 42
*' Serie 13, XVI.
11 Beilage SRr 1.
,s Serie 13, 181 in ber „appcßation an ben gefunben Menfdjen-
rerftanb. Siebte« Sort in einer litterar. ©treitfrage. tfrranlfurt 1835."
u Serie 13. 4. Seiber tonnte ich bie Mannheimer Originalausgabe
ber Saßt) nicht auftreiben, borf) ift bcr Slbbrud in ben Serien nach ©S
8erfid)erung (13. XXVH) nur in unmefcnflichen Dingen geänbert.
,J 13. 138.
* 13, 110. 9Iuf biefe ffigur fpielt Söroenthal an, wenn er 11. 81.
f. 29 fagt, baß „im 3. Buche bie Gharatteriftit eine* Ijtcfigen (b. h- Mann-
beimer) SrauengimmcrS Dorlomme, ein llmftanb, ber ihn ebenfofehr, als
bie Angriffe auf bie SReligion in Unannehmlichteiten Dermidelc".
13, 132 unb 151-53.
*• 13, 159 unb 162.
” 13, XXI unb „©egenroart" 16, 395.
*’ 0ef. ©chriftcn unb Dichtungen 1. A. 1, 37 ff. 2. A. 1, 20 ff.
Jl Borrebe p ben Sucinbebriefen XXXV : „©chämt euch ber Scibcnfchnft
aictt unb nehmt baS ©ittliche nicht wie eine 3nftitution bes ©taateSi Stör
allen Dingen aber benft über bie Metbobif ber Siebe nach unb heiligt
euern Sißen baburch, bafi ihr ihn freimacht pr freien Sahli" Dgl bamit
feine Selbftfritif 13, XXVI: „Diefe abälarbpljantafie hat etwa* fomtjch
SlateinifehrS unb fcheint gerabep aus bem 5tl öfter p fommen!“
u Münchhaufen 1, 222 b. Originalausgabe.
” Sitteraturblatt auf baS 3ah* 1835 .©. 369—76 Dom 11. unb 14.
September. ©u^IoniS Sntmort d. d. ffrantfurt. 13. ©eptember. Beilage
b. tÄOgem. 3e*t- (1835 ©eptember 19.) ©. 1498. „3mcitc unb brittc
Abfertigung“ MengelS, Sitteraturblatt. September 28. unb Cttober 19.
(61)
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30
®. 3% unb 426. ®cmeinjcf)aftlidjc Grflärung ©upforod unb ©Jienbargd
in Sachen ber „Scutfcpen 9ievue". ©eil. ber Aflg. Beit. Cftobec 23.
Untere Gitate aud Siitteraturbl. S. 371, 374, 428. Aufjerbem erfebienen
nod) üon ©uptem „©ertbeibigung gegen ©tcnjel unb ©ericbtignng einiger
Urttjeilc im ©ublifunt. ©tannheim bei Sörocntija!. 1835." (mir leiber
niept jugänglid)) unb bic in Aumertung 23 citirte „Appellation".
34 Senbfdjrciben an St. &. ©ou einem alten ©ationaliften. ©tannheim.
1836. Aufgenommen in bie ©Berte 13, 181* ff. unb in „SDed Glro&beraogt.
©ab. igofgeridjtd ju ©tannheim oollftänbig motioirted Urtbeil über bic in
bem 9t oman SB. b. B- angeliagten ©rejjoergeben nebft jroei reebtfertigenben
©eilagen unb bem Gpilog bed .yieraudgeberd. Aftenftüde unb Semerfungeit
beraudgegebeu oon Dr. £>. ©. &. ©aulud", £>cibelberg 1836; entbält unter
anberm eine „9iecbtdvertbeibigungdrebe, roelcbe oor bem AppeHationdgericbt
hätte gebalten werben tonnen", in welcher ©aulud S. 84 GJ. fagen läßt,
Siemanb, ber bie $eit fenne, werbe fagen, baß er biefen Gäfar erfunben
habe, vielmehr trage bie .'pegelfcbe ©bilojopbic bie ©erantwortung.
M U. -A. $ad 9teftript ^anbelt in ber jpauptjacbe von Söwrntljal,
welcher in ©tannheim eine ©ucbbn«bluiig errichtet tyabe , obwohl ibm fein
©eiuep am 11. Auguft abieblägig beicbiebeit worben fei. 3m Jranffurter
3ournal vom 18. Dftober 3ir. 288 ftebt nur bie Aotij, baft eine ©efantit-
maebung im Butelligcitjblatt bed batjerifebeu Cberniaintreifed bie ©efcplag-
nähme ber ©Ballt) oerorbne.
36 U. 'A. 27. 3»folgc ber SJtenselfcöeii SKe^enfiott war bie gattje Auf-
lage oon 700 Gjemplaren trop bed ©reifet von 3 fl. in turpem vergriffen ;
bei Böwentpal tauben fiep nur jwei Gjemplarc. $ic erften ©erfeubungeu
erfolgten am 14. Auguft, nach ©abeu oerfanble bie Truderei Sauerlänber
in 3r“nffurt im ganzen 34 Gjemplare, 13 nach ©tannpeim, 9 nach Sarld-
rupe, 9 nad) fteibelbcrg, 2 nach Breiburg, 1 und) Slonfiattj. ©Jegen ber
Jtonfidfation ihrer Gjemplare erhoben jwei 3nboberinnen oon Ueibbibliotbefen
in ©tannheim oergeblid) Anfprüche auf Scpabenerfap. $cr firiminalfenat
bed Jtönigl. öericbtdbojd für beu Stedarfreid unterbriidte unb verbot erft
am 17. Bebruar 1836 ben ©oman, worauf bad Stuttgarter firiminalgericht
am 8. ©tärj bem ©tannbeimer Stabtamt 1 Gjentplar (sic) iiberfanbte.
37 3ür Cbergcridjtdanwalt .£>ofratl) öerbel in ©tannheim d. d.
Branffurt. ©oveinbcr 27. Sgl. jum Solgenbcn äiüdblidc 150.
38 11. -A. 3)ad ©olijeiamt b. f. Stabt ftranffurt au Stabtamt
©tannheim ©ooember 23, habe ©. mitgetbeilt, bajj er auf weiteres An-
juepen bed Stabtamtd audgeliefert werbe.
” Uebendbilber 2, 139 „aud Gmpfangdjimmern". ©Benn aber ©. aud)
©Binter oon ©ten^eld „Aufforberung an bie 9tegicrungen" reben lä&t, fo
ift biefe G)ebäcf)tnijjfcbmäebe faum mehr ju entfchulbigen.
(62)
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31
40 91n ©auluS, Äarlsruhe 4. ^uli 1830, in SKeidjlin ©telbeggs „©aulus
unb ffine 3eit". Stuttgart (1853) 2, 171.
41 bcr Sipung Pom 10. Tejcmber 1835. Sgl. Start ftifcher, bie
Station unb ber ©unbedtag. Seipjig. 1880. ©. 423 ff.
45 U.«9l. 41 ff. ©eint crften ©erhör am 30. 'Jiooember oermieS 6).
auf bie „21ppelIation", welche er täglicf) aus JJranffurt erwarte. „3dj fue^tc
bort noch einmal, bie ganze Sadje unter ben rein litterarifdjen @efid)t3punft
,ju fteDen, unb eine Auslegung ber infriminirteit ©unfte ber in ber Unter«
iudiuitg gegebenen Schriften aus! ihrem 3ufommenbang mit ben übrigen
Tfjeilen bes al$ norübergctienbe Srfcfjeinung in ber litterarifdjen ©Jett fiel)
barftelleitben fRomanS ju geben, moburd) icf) ^offc, bie Erhebung förmlicher
Snflage $u befeitigen.“ Sr befemte fid) als Serfaffer aller infriminirteit
«teilen, befemte bamit jebod) feitteSmegö, baff bie hierin zur Sprache
gebrachten 3been unb 2lnfid)ten feine eigenen b. tj- biejenigen feien,
moburd) feine lieber jeugung gebilbet werbe, unb beren Serbreitung if)m
angelegen gewefen märe. „©ielmehr — fährt 65. fort — finb eS Sleufjerungen,
welche einer ober ber anbereit ftigur lebiglich für bie bialeftifd)e Sntmide«
lung ber ganzen 3bee in ben ffllunb gelegt finb. Tie ©runbibee bcS
iHontanS SBallt) ift in folgenbcm enthalten: 3<h wollte ein pjbdjologifdjeS
©hänomen ichilbern, roeldjeS baSfelbe 9iccf)t auf poetifdje Tarftellung hot,
wie bie ©ferfudjt, bie Siebe ober irgenb eine anbere Seibenicfjaft bes
menichlichen perjenS. 3<h wählte ju biefem ^roeefe ben 3roeifel, nicht um
meine Sefer baju jn oeranlafjcn, fonbern um bie Serirrungen jit fdjilberu,
auf welche man ftöfjt, wenn man ben rcligiöfen paltpunft feines Sehend
oerliert. ©iit biefer rein poetifdjeit Slbficpt oerbanb id) eine zweite, nämlich
einen fiontraft im menfchlichen (ilcmütl)e }u fehilbern; id) wählte eine 9ie>
oräfentantin meiner 3bec, wo'bci] ich mit oon bem ©egenfape, bafj fie ju«
näd)ft nur eine unbefangene fofette, burch bie Ülefellfrfjaft raujehenbe Sr«
icheinung bennod) ein (ilemüthsleben iu iich hotte, was Slientanb, bcr fie
betrachtete unb jclbft ber falte Sgoift Eäfar nicht bemerfte. eine poetijcfje
©Sirfung oeripradj." grage: TaS Stapitel über bie Religion im britten
Suche beginne mit bem ©ape ,,3d) will über ben ©lanben fpreepen.'’ picr
rebe alio ber ©utor felbft. ©upfoiu: pier pabc er nur, um bie Stataftrophe
oorjubereiten, alle 21 n ficht eit Säfars jufatnmengefa&t. Tiefer bleibe „in
ihnen berjelbe falte Jlnatont, ber in allen höheren Tingen immer nur auf
ben zufälligen llriprung berfclbcn jurürfgeljt, unb nicht im flanbc ift, fid)
auf bie pölje bcS Shriftcnthums als einer welthiftorifchen Srfdjeiitutig ju
ühwingen, fonbern überall ganz in ber SBcije ber alten maleria(iftifd)cu
jranzöfijchen ©hMofoPhte bas 3ufätlige unb Slnefbotenartigc am Shriftenthum
beroorhebt. Sr jelbft höbe in anbereu Schriften jolcpe ©nfichten über 2ic«
ligion unb Ghr'ftcnthum niebergelegt, bap ipm um fo weniger bie hier
(63)
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oorfommenben 9leußerungen perfönlidj imputirt roerbcn fönnten." Cr giebt
jebocß au. baft überall baS fßublifum ber Stnficßt fei, „baß in bern fRontan
im allgemeinen ein frioofer £on ßerrfcße," erflärt bieS aber „burcß baS
©fiäjenßafte unb gragmentariidje ber $arfteflung" unb burcß ben ftontraft
in SBalltjS Gßarafter. 9luf bie grage, roarum er in feiner ©ertßcibigung
gegen Wenjel ©. 35 ben 3roecf ber fdjroffen 3lrt feiner $arftellung nießt
anjugeben roage, antwortet ©.: „3cß ßabe bie Sertßeibigung gefdjriebcn
in einem Slugenblicfe, roo tcß mir bie Wögliißfeit, für bie Grfinbung meinet
fh'omanes felbft üerantroortlicß ju fein, gar nießt oorftetlen lonnte, unb roo
icf» bei ber aufgeregten Weütung beS ©ublifumS nit^t mußte, roie id) mir
bei einer feßeinbar eingetretenen ©erroirrung aller litterarifdjen ©egriffe
ßelfen füllte. uaßm in meiner ©ertßetbigung nießt bie Meinungen,
fonbern nur bie Stimmung ber Gßarafterc in ©eßuß. fagte jogar, baß icß
felbft ©erroanbtfeßaft mit Gäfar ßiitte, aber nur, um bie Wöglidjfcit eines
GßarafterS, uicfjt um bie Ginfeitigfeit einer Meinung ju reeßtfertigen.“
©oetßc fei ja aueß fein ©ietift, obrooßl er im Weifier bie ©efenntuiffe ein-
feßalte. ©Jie fönne fein Sueß £>erabroürbigung ber fHeligion bejroecfen, ba
„fein ©til unb feine 2arftellung mir für Gingerocißte unb ©ebilbete bc-
reeßnet fei, unb er, um fein 3'd ju erreießen, bireft ein ©ließ l)ätte feßreiben
müffen, mo er fieß als fRebner auf irgenb eine ©üßne gebaeßt ßätte." $as
junge ®euticßlanb aber fei nur „ein $>irugefpiuft unb löfe fieß in einzelne
Pfänner auf, roeleße utiabßängij ooitcinanber $ur Gßre ber Siation ißr
Sehen ber Grforfeßung ber SBaßrßcit gemibmet ßaben." iTOeß giebt er ju.
baß bie 2BaQi) fiiß oont äftßctifeßen Startbpunfte aus angreifen laffe „roeil
man niemals einen Stoman ftßreiben füll, in mclcßem bie Wotioe oon
größerem Snterefje finb als bie ftabcl felbft," unb noeß baju „einen
ipepellen ©eigefeßtnaef ßaben."
SBeun ein ©erfafjer ßaftbar fei für Sleußeruugen feiner ©ßantaiie
gebilbe, fo biirfe 3‘tntpa nießt aufgefüßrt roerben, roeil ein ©öferoießt bartn
auSrufe: eS giebt feinen ©ott; bann roar aueß ©eßiller roegen feines
fHüuberö Woor ftrafbar. „3)ie Jtunft fennt nur Gjtreme, fie barf nießts
halb feßilbern, fonbern fie muß mit ben ftärfften färben auftragen." —
fvortjeßiiug beö ©erßörö am 3. Xcjcmbcr. ftragc 29: „Sonnen Sie mit ben
Gegriffen oon Woral ücrcinigen, baß ein perßeiratßeteS Srauenjimmer fieß
einem fremben Wanne naeft präfentirt, unb ift es 3ßr Grnft, roenn ©ie
behaupten, biefe Scene roerbe oor ber Woral geroeißt burtß bie Silie, bie
oor bem grauen, ymntcr fteßt?" ©ußforo: „GS ift ein großer Unterfeßieb
ppifcßeit bent, roaS man tßun füll, unb bem, roaS man feßreiben barf.
3ene ©eene reeßtfertigt fieß aus bem 3ufammenßange unb ift oon mir mit
belifatcr, jarter unb poetifeßer fHücfficßt bcßanbclt roorben. 3)aju fömntt
baß icß bie ganje Scene im fPuft einer 3Ulegorie gclaffen ßabe, baß ief>
(Mi
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33
i&r ein befannteS altbcutjeßeS ©ebießt a($ ©ewanb ließ, uub baß oon
meinem fünftlerifcßen ©tanbpunfte au$, jene Silic allcrbingS eine finnige
nnb tiefe ©cbeutung ßat." ©gt. bantit ©erfe 13, XIX ba$ ©eftänbniß, baß
iftnt bie polemifeße Xenbenj gegen bie Slnfprüdie be« Xßeotogen unb Äireßen-
tbnms bie ftauptfaeße war“ (SUflcfbtiefc, 148), womit aueß üöweutßalS WuS-
lagen übereinftimmen.
‘3 ©ebrurft in ben „Annalen ber ©roßßerjoglicß babifdjen ©erießte
1836 31r. 16 oom 16. 9lpril unb mit falfcßem Saturn in ber 9lnntcrfung
34 eitirten Seßrift oon ©autuä. $er bem Urtßeil ju ©runb liegenbe § 21
be4 babiießen fßreßgefeßeS tautet: „©er eine im ©roßßerjogtßum auerfaunte
SieügionSgefeQfcßaft in tj>rudjcßriftcu ober ©ilbwerfen bureß ÄuSbrüde ber
Beraißtung ober oerädjtlicßc fDarfteflungeu augreift, ober ber ©eraeßtung
prei^ugebeu iud)t, berfättt in eine ©etbftrafc »on 5—100 fl., ober in eine
öetängnißftrafe bi« ju 3 attonaten." ßöwentßat würbe freigeiproeßen.
$er Staatsanwalt ßattc beantragt für ©ußforo 1 3aßr 3uct>lÖauö unb
100 il ©etbftrafe eoent. ©efängniß oon 3 ®lonaten, für Söwentßal 3 fDZonate
3ußtßauS, ©elbftrafe oon 20 Üßtr. eoent. 3 fflJonaten ©efängniß.
“ «tfo nießt 12 ©oeßen, wie @. fpäter behauptet ßat.
45 „3wei ©efangehc" in beit „feßöncren Stunben" @. 291 ff.
44 SebenSbilber 2, 110. SRiiefbliefc 10 unb bie in Stnmerfung 33
cirirte ©rflärung in ber 9lflgcm. 3^*1- wo ber Safe jeboeß in gcßäffiger
Seift jußffpi&t ift.
,T Sitteraturblatt 1834 Februar 24. ©. 77. $ic Vignette geigt
©ufjforoS Flamen in einem Sorbecrfrang, loctdje SluSgeitßnung übrigen» auef)
Spinbier jn tßeil würbe. 3)ie ebenfalls ßäufig wicberfeßreitbc Vignette
ber Sotlnfritif ift eine blißfeßleubcrnbc ©cftalt.
44 6r ooüenbcte außerbem ben SHoman ©erapßine unb begann bie
Seßrift „©oetßc im ©enbepunft gweicr ^oßfßunberte", bereu ©orrebe
fdion aus bem 2lpril batirt ift.
49 SRüdblicfe 155; naeß ©erfe 13, XIX in ber fünften biSfeeßftcn ©otßc.
M 3utian ©djmibt ßat in ©b. 37 ber preußifeßen ^oßebücßer (1876)
eine Keine ©lütßeitlcfe angeftellt, fdjien aber nad) ber 2lrt unb ©eife, in
ber er e$ tßat, feines SHontancS „©tßwabcnfpiegcl" uneingebenf, oergeffeu
ja ßaben, baß ber im ©laSßaufe Sißenbe nießt mit ©teilten um fid) werfen
foH Slber aueß an erßeiternben 3rrtßümcrn feßtt eS ben ©üdblicfen nießt.
£o j. ©. läßt ©. ©. 39 bei bcin ©artburgfeft 1817 baS erft 1820 er<
feßienene fiiubnerfcße *3Jianujfript aus ©übbcutfeßlanb auf ben ©eßeiterßnufeu
raanbern, fo ßätt er ®. 55, obwoßt er in ffrnnffurt faft jo gu £>auic war
»ie in feiner ©eburtäftabt, bie „ffulber", weteße ißre ©oeßenböife auf bent
fogenannten „Xallee" ©de ber 3e'0 uub ber griebbergetftraße abgnßalten
oflegtcn, für ©ingepfarrtc ber ©tabt aus ben umtiegenben Dörfern, ßat
Sammlung. 9t. g. V. 98. 3 (65;
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34
tbenba ba$ fcltene Vergnügen. im Iheater ben „politijchen ginngiejjer"
(sic) gu fctjcn. unb in bev batjerifcheit gad)enau baS noch »iel feltnere
Vergnügen, ®. 97, bic girnen bet Itjroler Älpen unb bie „ßi^aden" ber
Venebiftcnmanb anjuftaunen.
51 ®. 225 = Want, Serie (Säubert — fHofenfranj) 7, 1, 243 unb bie
fölajime S. 232 = 7, 1, 291.
M Vgl Oeuvres ecl. Müsset- Patliay 22, 420 ff. bas Verzeichnis ber
ocrfd)iebcnen Ausgaben.
“ ÜebeuSbilbcr 2, 112 unb 117.
M ©richienen 1835 bei ©otta (= Serie 1.). 25er brittc Sophift
forrifirt — wie @. jelbft bemerft hat — bic VortragSroeife .jpegels, ber
oierte Soptjift ift Sdjfeicrmadjer, ber fedjfte Want-gid)te mit ihrer rigorofen
Verwerfung ber 'Jlothlüge. gn ben ©hören ber Satprn, 91t)mphen unb
91ajaben ahmt 6). nicht ohne g. Vifdjer antiflipirenbe ißerfiflage bie ©eifter«
d)öre beS ©oethefdjen gauft nach- 25er ©hur ber dichter oerfpottet bie
fchroäbtfche 55ictiterfd)ulc, S. 167, bie WommanboS in ber Schlacht oerfpotten
©tabbeS „Siapoleon" u. f. m.
“ 25er befümmerten 9lnöerroanbten gebenft er auch in bem mert-
roürbigen Schreiben, baS er am 15. ganuar an ®tinifter Sinter richtete,
als er Sieberaufnahmc bes Verfahrens befürchtete. 2>er ben U.-9t. jetjt
beigcheftclc Vricf lourbe burch g- 0. Seecfj 1878 in ber ©egenmart 14,
420 beröffentlidjt. Vgl. auch Beilage 4.
88 S. 167. „Senn OTethobe, UntcrrichtSftofi unb bie Schule in allen
ihren feigen oeränbert unb auch im Organismus beS Staates eine neue
Stellung betämen, maljrlich baS moberne geh mürbe fid) mit meit meitiger
'Jiachtheil fomohl für bie öffentliche Sicherheit, mie für bie fHulje ber gamilien
probujiren unb entpuppen, graget euch felbft, iljr jungen Scanner au£
biefer gcü. wie t>icl Jperjen ihr oerrounbet habt, ehe ihr jo meit gefommett
roarct, euch “iS ein haltbares ©lieb in ber ©cifterfettc beS gahrhunbertS
ju fühlen I“
11 S. 33. „$a blifcte baS ©euie eines tjperber auf, ein Phänomen,
beffen eleltriicher Stoff für Xeutfdjlanb oerloren fdieint unb nichts Slehn-
lichcS mieber heroorbringen mirb".
68 gn ber ©rjählung „gean gacques" (1854) ©cf. Serfe 2 A. gena
1. Serie 4, 129.
** Vormort zur 1. Wufl. ber „IKittcr Dom ©eiftc". Scipjig 1850.
8U Vormort zur 3. Slufl.
81 „gean gacqucS" a. a. C. 118.
(M)
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35
^Beilagen.
1. ©ußfow an Söwentfjal.
g-ranffurt. ben 5. 0«”* 1836.
Sieber Söwcnthal . . . Seine Stagen beantworte icf) folqcnbcrmaßen :
Griten«, ber Hlmanath bringe alle«. wa« bie Autoren geben wollen. 3n>eitrn«,
Mitarbeiter feien . Saube, ©üdler, id), Sewalb, SBienbarg, Schlefier, 3nliu«
Mojen, Soui« 2 aj, £>eine; 'Jiamen genug ! Sie Sdfwaben laß mir weg ! SRiicfert
ober forbre auf. Srirten«, fwnorar für bie SDtitarbieiterj beftimmt fid) nad)
bem Autor. ; .. ©ierten«, Saube foU mäßig fein, unb bebenfeit, baff Gorreft.
«. für ibn gaitj wegfäüt, unb fid} für feinen 'Jiamen mit lü Sriebr. be<
gniigen: für bie ©eßträge foH er mit 27« Sr üuf rieben feßtt, er, ber bie
6t)re bat unb für bie 3“Innft benfen muß, unb mit bem ©udjtjänblcr
öanb in §anb geht. Sünfteu« ba« jufnge] $eutfd)lanb fe^teppt au«
®i>]n[barg]« Wich nach unb ift unnüf). Sechften«, moberne Schilberfungen]
ift iebr triöial. Sa« SBort inobern füllte ganj fehlen: warum uitfjt
Sbaraftcriftifen jur ©efd)id)te unb Sittcratur? Sdjattcnriffe,
Umriffe, ber leßte ift ber befte. Siebenten«, für ©edjftein (Unterweg«)
(Äuf ber 9i e i f e) , Gin SRoman be« Sage« (au« meinem Sebcit) ober bie
Apriltagc. Slu« meinem Seben. . . .
Saft tjätt id) oergeffen, baß idj täglich an ber SBallp arbeite. Sie
ift auf 5 Srucfbogcn roenigften« gebichen, in 14 Sagen bin ich mit bem
Stuße fertig, ba« 15 Sogen ftarf wirb. 3$ arbeite con amore, unb weiß,
bog ich etwa« ßübidje« liefere. Senn Su fie burchau« haben willft, fo
»eranl affe], baß fie hier unter meiner ftuffießt gebrueft wirb. Sa« Rapier
nimm oon 3ffinftf> unb ben Srucf bejorgt ©aßrljoffer (Soucrl'änbcrj ift über-
füllt). 3cf> möchte gern, baß Su nicht eine 3c*lf bau bem JHoman fäljeft,
ehe er nicht im Srucf fertig ift unb fid) Sir fauber ju Süßen legte ! Sic höchfte
gleganj ift erforberlich- Siefe erreichft Su hoch nicht in Mannheim. Sriff
olfo bie nöthigen Anftalten! Sauerl[änber] ift geneigt, für Sranlf^urt.,
Seine Äommifftonen ju übernehmen. 3<b fcfjo aber mit Scßrcdeu, baß Su
bieDeicht all Seine Sachen auf ba« 30 fl. ©apier brnefft, ba« wäre fürchterlich.
Sauerlänbelr brueft alle« ber Art auf ba« föftlichftc ©apicr, wo er 50 fl.
für ben SaUen gaßU. ©erfieß. hierin um @otte«wideu nicht«
Sein ©itfjfow.
II. Söioenthal an GJußfow in Stuttgart, ©aftßau« gunt SSalbhoru.1
[1835. Gnbe iluguft.]
Sieber öufcfom. Sein ©rief hat mich ju jcßmerglicf) berührt, al« baß
1 Ser Brief ©uptoro«, auf roelcfien fibroentljat in tiefem fiir bie Bejlepungen beiber
ffllnnet fo (Sarolteriftiicben Schreiben antwortet, lan nietet bei ben Bitten . Sab Saturn
«Siebt futj aui ben U.-a.
3* (67)
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36
id) burd) eine Grflärung Darüber nicht gleich meinem Jperjen SJuft machen
feilte. 3dj feite bie ©adje Har: Xu benfft mir eine innerliche ©cring-
fdjäpung, eine nur burd) ©pcfulatiou gebotene ®cref|ruug Xeincb Xalenteb.
Xeincr SHidjtung an ; meine burd) nüchterne Ältflugljeit uub alltägliche
3BeiSI)eit in Slnfprud) genommene SBewintberung SHenaelb hälft Xu für ben
©runbtppub meiner ©eele. Xein SKißoerftänbnifi thut mir toeh; beim Xu
foUteft mich foweit fennen, bafi Siiebe, Eingebung, ©erounberung bei mir
einb linb babfelbe ift. Unb ift ei nicht graufnm bon Xir, bafi Xu meine
üiebe mit einer Sleußerung über Söallt), bie biel mehr beut Stopfe alb bem
§erjen angehörte (unb mic barf bab ben Xichtcr fränfen?) nach ©inem
Söiafiftabc miffeft? 3<ß fage Xir nicht mehr, wab id) für Xid) innerlich
füljle, bafi mir Xeine jyreunbfdjaft. Xein ©oblipollen unentbehrlich geworben
ift, bafi Xu allein feit jmei fahren ber unmillführliche fienfer unb Leiter
aller meiner ©ebaufen, meiner ©efiihle, meiner ©ittjd)lüffc, meiner Sjanb-
lungen roarft. Unb Xu fprichft bon ©ebrauchen, obe^gar oon $Rifi<
brauchen! SBettn id), flcinlidjer ®erl)ältniffe loegen, bie mich umgeben,
manchmal, meifi ©ott! mit toiberftrebenbem tperjen fleinlich l)nnbeln mufi,
glaubft Xu mich aller Sonfcqnenjen fähig, bie nur ein llnfunbigcr aub
foldjen ©chritten jiehen lönnte! (Id) achte SRenjel; Xich liebe ich; unb
ich wollte lieber mit Xir irren, alb mit '.Dfcitjel flug unb weife fein. Stimm
biefc ©rflärnng alb bie aufrichtigfte, bie id) je inadjte; unb fic ift um fo
aufrichtiger, ba gcrabe jept, wo fid) SJtißoerftänbniffe jwifdjeu unb au
brangen fuchen, mein tief fl eb .yicra in i'iebc ju Xir auffprubelt, unb id) mit
boller ©eele bab ©liicf Xciner Jreuubfdjaft fühle. (Ich weiß, bafi ich jept
fchmärmc; Xu wirft auch lochen barüber, aber menigftenb ift meine
©chwärmerei. feine 3llufion, unb meine Sfiebe ju Xir eine tiefe ©ahrpeit!"
[fjragt an, wie er fid) gegen SB e cf) ft e i n berhaltcn folle, beffen
„fRcijctagc; aub meinem Sehen"1 au fd)lcd)t feien, alb bafi er
fie berlegeii möchte, unb fährt bann fort:] „Sllfo bib tDiontag fepeii
wir uub wieber? Somme aber gewiß! ©egen ber 3c>tfd)rift thu noch
feinen entfchiebeucn Schritt ; wenn Xu mit Gotto abfchliefieft, wirft Xu
mich hoffentlich nicht übergehen. Unb SWenjel? — qu’est ce que m’im-
porte? — 3<h hoöe an Siüdert in ©rlangcn unb Jammer in SBicn ge-
fchricbcii unb fie um Stfcrlngbartifcl gebeten. 3^ mache bie 8iunbc bei
allen großen ©c(el)rten Xcutfdjlaiibb, wenn fie mir auch nidjtb geben, fo
lernen fie mid) bod) fennen.
Saube läßt Xich grüßen. 3n feinem SBucfje hält er fid) fehr fein unb
höflid) mit ben ®crliiiern, ja, er mad)t ihnen fogar bie Sour.1 Sein ®ucf)
ift übrigen» nett uub wirb gewiß gut gehen. ®on Xciner SBalli) finb Iper
auch fchon 8 G^cinplarc abgcgangen, fogar in beiben langiamen 8eif)bibliotl)cfen.
1 lif „Stfilftaflc" cr|d)iriirn 181(1.
* tJcsiftjt fcdi iuul)l aui &ic „9ici|<uot>clIrn , 3 8dnt>e 1831-37.
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itlbicu, mein lieber f. f. öftr- .ftoffanjleibireftorialratb 1 gef) glaube,
fie juchen 2>ich beSbalb ju gewinnen, weil fie , nach deiner ©orrcbe über
Sucüibe, in Tir einen jweiten griebricb Spiegel termutben. Uebrigens ift
bie ©efchidjte eine wütbenbe ©cleibigung für Uid) , bie ©tut forbert.
Somm halb $u deinem Söwentbal. ©riiße Sewalb uub er foH bodb halb
©tanuifript ienben! — 9lud) erinnere ibn an baS [abgeriffeti].
III. ©ufcfoto au ben JHebafteur ber Wllgent. Leitung1
Dr. $olb in 9tugSburg.
©fein Sieber' ©eforgen Sie gütigft ben 9lbbrutf biefer Srtlärung
unb laffen Sie ben ©etrag berfclbcn auf mein bei ber (Jottaifdfen .jSanblung
laujeitbeS ßonto {eben!
geh febreibe gbnen biefe ge*1*1' aus bem f^ieflflcn Stabtgefängniffe I
lieber ©erunbottc erwart" icf) non £>. ton ßotta Antwort I
3br ® « t) I o w.
lieber einen ©crliner Sorrcjpoubeutcn.
Seit einiger geit enthält bie granffurter 0. ©. 91. geitung2
91rtifel, welche au« ber geber beS ehemaligen ipalleiifer Äorrefponbenten
ber ftdgemeinen Leitung, beS iperrn goel gaeobt),1 beeriibren unb außer
meiner ©erfon and) alles, was an ©üchern uub ©tenfeben mit mir jufammen-
bängt, in ein gefährliches Sicht $u ftellen iuctjeit ©iefe werben fich über
bie jüugft angeregten Streitfragen ein eignes Urtbeil gebilbet hoben, aber
jeber billigbenfeitbe wirb über ben ©ebraud) erfebreefeu, welcher feit einigen
©tonaten non ber Schrift in 3>cutfd)lanb gemacht worben ift. Sticht nur,
baß bie itriiil ftatt an 9(riftoteleS unb Seffing au ben Staat appellirte,
fonbern auch litterarifche SBinbbeutel,4 (wofür man iperrn gaeobt) feit
©rfinbung beS ©erüchtS tont VI u feilt halte ber .yerjogin ©errt) in grauffurt
unb feit ben ©rfolgcn ber großen mpfteriöfen SHcifc , bie er auf {Rechnung
eines großen Staates im 9lufaug biefes galjreo au machen torgab, halten
muß), nehmen eine offizielle ©taste tor unb affectiren eine ©iuweibung
unb Äutorifation , rneldje ibncir warlich fein Staat geben wirb. tperr
gaeobt) bot in einer merfwürbigeit SlßoprojeÜic5 feit einigen gabren halb
auf ben Sätteln ©örneS uub ipeineS, halb auf benen ipegefS unb Scos
1 lic folgtnbeci Schreiben tarnen »u ben U S.. weit bent UnlfTfurtiunaSflefannentn
bce Slbjenbung Derartiger ieine reridnlicben 8erl)ällnijfc betreffenbrn öffentlichen i« ictcb
gehungert mebt geftattet itmcbe.
1 Sie Rrantnirter Cberpoftamtteitung.
s Ueber (Jacobb »9! oben S. 2» unb PebenDbiiber 2. 117—19.
* Da« (Singetlammerte ift »on Subton) bitrdigeflrichen ; bie „mnfleriöie Steife" Wirb
auch in ben gebenSbilbent a. a. C. ermähnt.
* San dXXortpöoaMog, niettettoenbifci).
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geritten unb iooict Werfehr mit beu oon iljm oerboteucn Xenbenjen gehabt,
baß er, um etwas lohalcb ju fagen, nur immer baS ©egentljeil oon bem
flu behaupten braucht, was er felbft trüber geglaubt bat. Schon feit länger
alb einem 5S°br£ berteßert $err $acobt) unbefangene unb gefeßlidje We-
fttebungen, inbem er nidjtb tljut, als feinen eigenen alten SRoct umteßren,
roie ein oon brüben gefangener Solbat, ber in umgetoaitbter TOontur in bie
biebfeitige Wrm^e gefteeft roirb. .{rerr 3oes&ü f)at lolent, aber ju wenig
©harafter, um einjufeben, meid» ltiebrigen ©ebraud) er oon bem erften
macht, ©b würbe ißm weit meßr ©hre bringen, irgenb ein wißenfeßaft'
lidjcs ©erf bem Urtbeilc beb i|Sublifum§ oorjulcgen, alb halb in bieier, bal!'
in jener ÜDfnbfe an oerftedten Dertem aufjutauchett unb burd) einen orafel
haften Xon bürgerliche ©jeiftenjen maultourfnrtig ju untcrmül)len.
Mannheim, b'en] 4 Stcjember 1835.
©ußfow.
IV. 0iißfom an © ©agner, SHebaftcur ber Xibabfalia
in Sfranffurt a. föt.
Mannheim, beu 11. Xejember 1835.
Sieber ©agner! 3<h höre, baß Xu meinen Wernabotte aub ber
Mg. Leitung abbrudft. Xßu wir bie ©efäUigfeit, unb feße meinen Ooll-
ftänbigen 9tameu barunter, nicht beb fßubltcumb ober meinetwegen, fonbern
aub Slntljeil für meine armen Srranffurter Werbinbungen für meine Wraitt
unb ©d)Wicgereltern, welche ich burd) mein Sdjicfint jo namenlos betrübe!
Xu wirft wißen, baß ich in £>aft bin.
©inft wirb mir bie Suft ber Freiheit toieber juftrömen, unb toie
banfbar werb’ ich fet)n gegen He, bie mich in meiner iRotf) nicht oer laßen
haben! Stimm Xicf) meines ütufeb an unb fdiüfce mich oor ben ©fein,
welche tobten Söwen gerne ihren ffjußtritt geben! Söwenl 9iod) immer
ftot^ ! Xu wirft lächeln, guter ©agner!
Wenußc bieb alb Stotij: arbeite an einem fpecufatioen
©erle über bie Wh>l°i°bh*c ber ©efdjicßte unb werbe mich »on ber Xageb-
literatur in gufunft gänzlich jurüdjiehen. fOteine jerftreuten fritifeßen
Arbeiten erfdjeinen, burdjgeglättct unb gefeilt, unb burd) ein ©emälbc ber
jeßigen Siteratur eingelcitet ju Oftern in 2 Wänben.
Weßalte lieb
Steinen ©ußfow.
Werföhnc patter: ich weint eb nicht bös’ mit ihm.
C70)
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Perlagsonflalt unb Sruibrrri JL»®. (uormals ). J. Pidjtrr) in gambnrg.
getvadjtu ttßcn
über
Karl (EhtlgltuUis jüit^jlc Cljaf.
»Olt
^rei$ TO. 1.20.
Der Kuf?m im Sterben.
Sin Scitrcig jitr Segenbe beS XobcS.
»on
3-eobor SSeßf.
8°. ©egaut geheftet 5 TO., fein gebunben 6.50 TO.
tie btnlfdie Ciiteratur icirb bierburd) uni ein gaui eigentbümlidje» iüerf berddiert.
Xalftibe idnlbert bie If tjten Jlugenblide unb Sorte berühmter Brrfonen au* aHrn Stänben
nnb »rrb giebt eine gebrangte Biographie brrtrlbrit Siele BUber mad)en rinen oft
ergreifeitben, oft erbebenbeit (Jinbrud unb birlrn brm Orbitbrtru eine ernfte unb
»eiljePoUe mit bodfintereffante Settüte. Xa» f<hBn au«geftattete ®ud) rottb in
gebührten «reifen gotoig gutr Stufnabme unb ouif) o[4 iBefd)ent6ud) gute Bertoenbung fiuben.
ÖUS junge Dcuifdjlunb. eilt fleiucr »eitrng jitr Süteraturgefdjicbte
unterer Seit oon 3feobor 5$eßf. TOt einem Slnfjatige Jeitber nod) uuocr-
öffentlicbier iBricfe uon 2b- SKunbt, £>. Sattbc unb &. ©ußforo. S“,
elegant geheftet TO. 3.—.
Xcr pielerfa^rene Äntoi giebt in biefem Serie reidieä ©alerial unb eine BafiJ tut
Beurteilung benenigen Xiditer unb ilfre« litterarifdien SBirlcn«, rucldje mau gemeinbin
unter bem ®cfonttnamen „XaS junge X eutidiiaiib" bejeidinet. SJiit faft allen biefett
öieiftebberoen eng beftennbet gemefen, ift j$. SB e b I Bot allen Stuberen »u einer foldicn Xar-
Heilung berufen, unb bat er t* aud) oerftanben, bie Sdiilberung brr Berfonen, Seitumftänbe
nnb bei gefriudiUidieu «Momente in ein lebenbootle* unb bBdift intere ffante* Stilb
jufommenjufaffen. Xaä fdjOn aubgeftattete Bud) tuirb allen Sitteraturfreunben b o d) ■
toillfontmen fein.
iüufjelju Jaljrc Stuttgarter ^oflljcofer-fcttung. ©n «b-
febnitt au$ meinem Sebcn. »on Jfeobor jJSeljr. TOt bent Porträt beä
»erfafferS unb einer Stbbilbung be$ Stuttgarter ipoftbeatcrS. ©r. 8°.
©egattt geheftet TO. 6.—, gebunben TO. 8. — .
Xer Btrfaffer, loetdieT 16 Jahre lang baö Stuttgarter #Dftf)tater diirrft a!8 artiftififirr
Beirath unb Xirettor, bann alst Jntenbant gelritet, bietrt biet eine auoführlidte Xatflefluug
btt Borgänge bort roahrenb feiner langen Xienfljeit — uidit feinbfelig unb »erbittert,
ionbtrn frei, offen nnb unparteilich nadi jeber (Richtung Xabei giebt et intereffantc ttin.
bilde in bie geiftige fRenfamteit nuferer jüngeren Xramatifcr. in baO Singen unb Kämpfen
nads einem beutfdjen vfationalthrater. ©nt Selbe ber belanntcftcn unb bcrübmteften
Xbeatcrgr&Bfn be* Schauiptele unb ber Cper paffirrn Sepue, unb mifdit ber Brrfaffrr
mancherlei föfitidie Bnefboten über Eefctere ein.
fünfjig 3al)rc etitcs Deutfdfcit ^tjeater-Birektors. ©rinne.
rangen, Stilen unb »iograpb'e» nu$ ber ©efdjicbte be« Hamburger
ibolia.Sbeaterä oon Stcinßofb tbrlmaitti. ©legnnt geheftet TO. 3.—,
elegant gebunben TO. 4.50.
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grrlapanflalt nni Prudtfrti J.‘G. (»ormals }. #. fUdjtrr) in fjanbnrg
JnttgBtt unti ^apn.
Beus 01>ebttfjfc uon HU’evt IWuEfcr.
8#, 280 ©eiten eieg. geh 9Wf. 3 — , cleg. geb. mit ©olbfdjuitt 9Rf. 4. — .
(ÖteMdjte tt ott Ulbert
örftc Sammlung. QC Sritte, fcfjr oermcbrtc nnb ucrbejfcrte Auflage.
©reis eieg. geh- SKf. 3, cleg. geb. mit ©olbfdjnitt ©ff. 4.
©on ber ©ebeutung Ulbert ffltoefcrS als Stjrifer ift erft jüngft bei
©efprecbung ber bierten Sammlung feiner Sichtungen, bie er „Schauen nnb
Schaffen“ betitelte, bie Siebe gemefen. ©4 ift feine gragc, ©toefer bot ficb in
feinen jpätern Sichtungen noch mehr auSgereift unb bot ber 2t)rif fo ju fagen
ganj neue ©ebiete mit ©rfolg erobert. 92icf)tSbeftomeniger haben aber auch
feine trüberen, feine erften ©ebidjte, bie bicr nun fdjon in britter. man
bemerfe wol)l in „britter" 91nftage »orliegen, ihre eigenen grojjen ©brjüge,
ihre btragerainnenbe, man fanu oft fagen bcrjbejaubcrube griffe, bie auf
ihnen roie Sljau auf ©iefenblumcnfcldjen liegt. ©or allem ift aber audj
©loejer ein ©teifter ber tabcllofeti gormooHenbuug. 3 5aS befunbet febon baS
beit erften Sbcit ber oorlicgeuben Sammlung bilbenbe ©ud) „Sonette". ©ei
aller gormoofleubung ift bas aber burdjauS fein IcereS SBortgcftingel. auch
feine fühle ©eiftreidjclei. ©ein, auch burtb ihre unb Btrfdjlingungen
pulfirt warmes *t>er^blut, unb 3nnigfeit ber Gmpfinbung belebt fdjöne ^ütle
ber ©ebanfen. 3n ben barauf folgenben Oben, jum Jbeil in antifer gorm,
joroie noch weiter folgenben Sonetten unb Dbeit offenbart fid) baS übrigens
nicht minber ausgeprägt, gn ben „ücrmifchten ©ebiebten" oerflärt ©Joefer
eigentlich alles, maS er berührt, mit bem golbenen Schimmer ber ©oefie.
2öelch eine prächtige, tounberOoUe, mirflich tief }u fterjen gebenbe Sichtung
ift nicfjt baS ©ebicht „Än meinen entflohenen unb luiebcrgefcbrtcn 3cifig"-
Soch auch „Sie 3bea(e", „Sofung", „©tufen ber Schöpfung" finb Offenbarungen
eines echten Sid)tergcnicS. Sic ©ebiebtgruppe „©cfchichte unb Sage“ jeigt,
maS ©toejer im ballabenartigeu ©ilbc ju leifteu oermag. MeS prächtig
abgcfchloffen oor baS Üluge tretenbe malerifche ©eftaltungen. ®anj ?lebnlicbeS
gilt oou ber lebten Slbtbeiluug, „biftoriidje Sanbfchaften" betitelt. „9luf ber
SlfropoliS", „Sanoffa“, „Ser Sburm oott fftfturn“, „Sic ©chtoebenbriicfe"
finb ©chöpfungen, wie beren bie bcutfdjc Sichtung nicht eben oicle gezeitigt
bat. ©men ©aub folchet finrif, loie bie ÜÜJoeferfchc ift, fann man roobl als
©efchenf toibmen, ohne in ben ©erbadjt ju fommen, bicS bcS ©olbidmitteS
wegen gctljan ju haben.
^tboff ttSeisRe im iripjifltr üageßfaft oont 19. Secember 1889.
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Alcrnnbct bet ©tobe.
3$on
3?rof. 'SS. <&. ^offlter
in Chitin.
|mmburg.
SScrlagoaiiftaft uttb ®rucfevei ?(.*©. (oormalö 5- Stifter).
1890.
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SHedjt ber Ueberfe|suitcj in frembe Seradjeii n»irb oprbebotten.
trutf ber SJrrlaRJaiiftalt unb Sruiftfi Itcticn ffldrflidmft
(«orraatf ft. iMubtft) tn tiamburq.
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^ln großer ©tänner 2f)ateu baS |>erj ju erlaben unb
bewunberttb aufjufdjauen ju bem, tuad menfcf)tid)e Begabung,
menfd)tidK ©trebfamfeit, StuSbauer unb ©itergie im ftanbe
gcwefeit ift, ju twflbringen, gehört fo redjt ju bett ^odjgenüffeu
unfereS ^er^ettS: baruni ift eS aucf> boppelt fdjmerjlid) ju jetjcn, wie
ein {jodjfjerjigeS, gewaltiges Sirfeit oerfannt unb um bcr ©tängel
unb ©iafel willen, bie ilpn wie allem 3rbifcf)en anfleben, in ten
©taub gezogen wirb; benti ad), es ift nur allju waf)r, waS ©djiller
jagt: eS liebt bie Seit baS ©trafylenbe ju fdjwärjen unb baS
©rtjabene in bett ©taub ju jie^ett. ©S genügt ben Stauten
^llefattberö ju nennen, um eine Snife non untnürbigen ©ebanfeu
beraufjubefdjwören, alst hätte bie Seit nur ein Sluge für feine
Mängel. Uttb bod), meid) ein SKantt war baS ! ©in ©tarnt,
ber mit geringftett ©tittein eine Seltmoitardjic uieberwarf unb
meint aud) nid)t ein irbifdjeS Seltreid) gegriinbet — beim bas
verfiel, als ber £ob if)ttt bie Stugen fdjlojj — , aber im ganzen
Crieut, nom ©oSporuS bis jum SnbuS eine neue ©ilbung ins
Seben gerufen, eine ©erbinbung beS Orientalifcfjeu unb Ccciben-
talifdjen neemittelt fjat, jette ©erbinbung ber ©eifter, welche
brei 3abrl)unberte fpäter für baS ficf) entfaltenbe Gf)riftentf)um
bie unerläjjlidje ©orauSfebung war, eine ©Übung, bie mef)r als
Sammlung. 8t. g- V. 9'J. 1* (78)
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4
ein palbeg Suprtaufenb bie SBelt be^errfcfjt pat, welche ung fdjoit
als ftinber in ber mittelbar aug ihr ftammenben S3lütpeHjeit
ber römifepen Sitteratur in ipre Sepre nimmt. Unb mettn beim
nur gelten fofl, mag in ben Söereicp ber Sinne unb beg 3rbifdjen
faßt, jo ftefjen mir jroar nicf>t »or ber Schöpfung eineg 2Selt-
reit^eS, aber oor SReicpcn, bie lebensfähig unb golben tuareu
gegen ben Segpotigmug, ber big bopin bort geperrfept. ©g ift,
»oie gejagt, Sllejanber ber ©roße, ben i<p meinen Sefern peut
einmal oorfiipren möchte, ein 3Äamt, ber nur ju fepr oon un*
gerechten, ja albernen Urteilen begeifert mirb unb bod), näper
betrachtet, ju ben ebeljten unb glänjenbften ©eftalten gehört,
roelcpe bag Slltertpum aufjumeifeu pat. ©ine bejjere ©inficht
oerbanfen mir Schlofjer, 9iicbnpr unb oornemlicp tropfen, aber
unfere |>anbbücher jeheinen jich berjelbeit altem Schletxbrian
gemäß 3U öerfcpließen. Sag SBorurtpeil ift eben eine 2Racpt
unb eine große.
SBefennen mir aber hier gleich um ©iitgaitge: eg ift ihm,
bem nach @hre unb SRupm ©ei$enben, ein parteg Sog gefaflen;
mie jdjneibig berührt eg ung, wenn mir ipit ooß Srang bie
SBelt mit fangegroürbigett Spaten erfüßen ben Kcpifleg an
feinem ©rabe felig preifen pören, baß ipm bag ©efepief einen
fpomer jum ^erolb feiner Spaten gegeben pabe, unb baneben
benfen, baß feine ber Schriften, meldje bie .ßeitgenoffen feinen
Spaten mibmeten, auf bie SRacpmelt gefommen ift mtb ung nur
ein fd)macper Slbglang aug menigeit abgeleiteten Oueflen geblieben,
ein Silb, oerfümmert, oerjerrt unb entfteßt mie menige, faum
ein 3Bort über bag, mag er gehofft, gefiiplt, gemoßt.
Sllejanber mar ber einzige Sopn, menn and) niept ber
einzige Sproß aug ber @pe Honig 'ißpilippg oon SJlafebonieit
mit ber iflprifcpeu ißrinjeffin Clpmpiag. Sie SÖlafebonier mareit
ber nörblicpfte ber ©rictfjenftämme unb' bemopnten bie Später
beg |>aIiafmon, Sljiug unb Strpmon. Surcp bag Opmpug«
(74)
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gebirge Bon ihren {üblichen StammeSbriibern gefd)iebcu, hatten
fie jaljrhunbertelang in ber $eit beS ^öc^fteit AuffchmungeS
griechifdjeu SebenS uub griec^ifrfjer Äunft feinen 2f)e'l genommen
an ihrem geiftigen Streben unb ihrer politifc^en ©ntmidelung,
hatten ben Verbinbungen unb ben Jeften, an bie fid) biefelbett
fniipfteit, fern geftanben. 3n bent fchredlid)en Sturm ber Sßerfer
fonnte ©riechenlanb fie nicht fd)iißen, unb bie fjotgc mar, baß
bie ißerfer im Schote SDiafebonienS ihr Hauptquartier nahmen.
$aburcf) mürbe bie Scbeibung immer größer unb baS Volt galt
in ©riechcnlanbs ©lanjperiobe ben ©riechen ald ganje ober
halbe Sarbaren. Vielleicht ocrgleidjt man baS Verf)ältniß uid)t
gan$ unpaffenb ben beutfchen unb ffanbinaBifdjen Stämmen.
©runboerfd)ieben ooit ben ©riedjen finb fie nicht. Hier in
Vierien ift bie Heiroatf) ber SDiufen, h'er bie ©egenb, mo
CrpfjeuS fang, hier ber Sdjauplaß eines nicht geringen $he’feä
ber VacdjuSmt)the, auch rühmte fid) bie ftönigSfamilie griechifcher
Aßncn unb bemühte fid) roieberholt, fidh ber griechischen Vilbung
§u nähern, ja fie an ihrem Xheil ju pflegen; fie jog ©uripibcS
borthin, ber bort mef)r als eine feiner Jragöbien fchrieb, jog
Agatljon heran unb hätte bein SofrateS fich geöffnet, menn er
fie nidjt »erfchmäht hätte. 3h*e Sprache hatte ©igentljümlicheS,
ftanb aber, fo fcheint eS, bem ©ried)ifd)cn boch nur als Xialeft
gegenüber, aber im Sterne ihm nicht fern. Vlieb auch baS Volf,
^urnal bie Veroohner ber oberen gebirgigen glußtfjäler, griechischem
Sehen unb gried)ifd)er Arnnutl) fern, jum 2heü unter
v5ürftengefd)lcchtern, bie fid) aber bem mafebonifdjen Äönigthum
unterorbneten, fo haben mir bod) nicht ju jmeifeln, baß auch
für fie baS 2Behen beS griechischen ©eiftes nicht roirb umfonft
geroefen fein, menn fie auch Borläufig bet ber rauhen unb berben
SBeife ber Väter blieben unb thrafifche Hänbel f)öher h>elten
alS bie Verhältniffe griechischer Staaten. Aber mächtig hatte
fieß fd)on oor Alejaitber bie Ausgleichung angebahnt, itibem
6
Philipp, ber einige 3a^re in Sfjeben als ©eifei feftgcfjalieit
war, bic Gelegenheit benufct hotte , bie gried)ifd)e Silbung
grünblich fcnneit ju lernen. So hätte er feinem 9teid)e ein
Rührer ju berfelbett werben mögen, wenn er, ber Stönig, ben
SBeruf in fid) gefüllt hätte, ber geiftige ^Reformator feineg SanbeS
jn rcerben. 216er bie Staatshänbel sogen ihn mehr an, er
gebaute nicht fomof)! als ©lieb fid) in bic gried)ifd)en Organismen
ein ju fügen, als oiclmefjr fid) als föerrfcher über fie ju fteHen. ©r
organifirte fein SRilitär auf gried)ifdjem fyuße, fudfte burd) eine
fReif)c gliidlidjer Unternehmungen unb 2Serbinbungeit ben ©intvitt
in ben ©unb beS fiiblidfcn ©riecf)enlanbS unb baburdj eine
güfjrerfteHung für baS gefamte SSolf ber ©riechen ju getoinnen.
beiläufig bemühte er fid) auch griechifdjeS Sehen unb griechifdje
SBiffenfd)aft unb Shinft feinem Sanbc sujuwenben unb an feinen
|>of ju oerpflanjen. Slber öor allen Gingen fcfcte er ben
gried)ifd)en Stampf in georbneten ©liebem an bie Stelle beS
2Raffengefed)teS ber 3Rafcbonier, bilbete fo bie ntafebonifdje
$halQ,,f bcr gried)ifd)cn nach, behielt aber für fie bie fehlere
mafebonifche Sariffe bei, wie fie ber bortige berbfnodjige
£anstned)t nod) führen fonnte, unb gab fo berfelbcn eine
Ueberlegcnheit über ihr aRufter, wie oiel mehr über bie um>
wofjnenben Barbaren. Slber nachbem er ben ©intritt in ben
Slmphiftponcrtbunb erlangt, begriff er bie 9tothwenbig!eit, burd)
eine nationalgried)ifd)e Unternehmung bie lefcte ©djranfe hinweg*
juräumen, er wählte einen fRadjefrieg gegen baS perfifdjc SReid),
um bie Striege unb ©iferfüchteleieu ber Griechen su beteiligen
unb burdi gemeinfame Siege an ihrer Spifce eilt neues Saab
SWifchen fid) unb ihnen su fnüpfeit. SRad)bem er ben SBiberftanb
feiner griechifcheit ©egner, Üljcben unb Slthen, bei ©häronea
niebergeworfen, ließ er fiel) su Äorinth sum öunbesfelbherrn
wählen unb rüftete fofort sunt Kriege; hatte hoch einft Slthen
in gleicher SSeife fid) emporgefchwungen. gü* ©riechenlanb war
7ß)
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7
folrf) ein Kampf gegen Werften eine Sßohltbat erfter ©röfje.
Seit einem 3ahrhunbert ftrefate ba«jelbe burd) ©elb bie geinb«
fünften ber ©riechen p nähren unb ben inneren .paber ju
erhalten, itibem e« ben einen Stamm gegen ben anberen p
bereit nnb ©riecheulanb« Alraft burd) griec^ifct>e SEßaffen ju
brechen judjte.
®er ©ebanfe mar glütflid); inbe« bie angegriffene orienta«
ltfd)e ®3elt f)<ü auch ein 9ied)t, p forbern, baß man ben Alrieg
unter ihrem ©eficht«punft betrachte; aber bie oberfläd)lid)fte
Äenntnifj ber perfifdjcn ©efdjidjte genügt, um uns ju belehren,
baß bie perfifdjen Könige fid) ju itjrern perrfcherbcruf ooHfommen
unfähig jeigten. 35enn ma« enthüllt fid) und hier? Ülufftänbe
oon ißölferf chaften, SbfaH non Stabten, Sluflehttung einzelner
Tpnaften bi« p ber eine« föniglicfjen ^riujen hinauf, mechfeln
unabläffig mit fßalaftintriguen, ben entfehlichfteu ©raufamfeiten
unb Slutthaten aller Slrt. ®« genügt, bie ©efd)id)te be« ®atame«
im 'Jiepo« ju lefeit, um ben bobenlojeu Äbgrunb p erfeunen,
ber ficf) hier unter ben güfjen einer foldjen perrfd)aft öffnet,
©eben mir aber non biefer äußeren @efd)id)te über auf bie innere,
fo finben mir 3ertre,ung einjelnen Völferfchafteit unter bie
hochntüthige, bedpotifcf)e Söillfür perfifdjer ©roßen, baneben nur
prunfenbe Verfdjroettbung, ileppigfeit unb Sdjlentnterei. Die
äRänner, beiten bie Seitung unb Orbnung ber einjelnen ißroöinjen
übertragen "mar, hatten entroeber al« geborene Werfer für ba«
innere üeben ber Golfer fein Verftänbnijj unb bradjten ihren
©ebanfen unb Sntereffen, felbft beit heiligften, ini beften pralle
nur ©leidjgültigfeit, oft genug nur Verfettmutg, Veradjtuug unb
Ufißhanblung entgegen, ober erroecften al« oott ben ffretttben
erhobene ©ünftlinge nur .'paß, Verachtung unb äöibermillen, fo
baß bie Vefeitigung folcher perrjchcr nur al« ein Freiheit«-
morgen fonnte begrübt roerbett. v2lud) unter be«potifd)er perr*
jdjaft, unter Sultan«launen etttmidelt ficf) bi«meilen eine ölüttje
177)
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8
Dort Sßiffenfdjaft unb föunft, aber unter ben Werfern ift feine
9tebe non einer £itteratur, einer ^ßocfie, einer öliitije ber bilbettben
ftunft, eS muffte benn etrua bie Ütrdjiteftur fein; aber felbft mag
ihre $anb an ben SBänbctt non 'ißerfepolig gefchaffeu, f>at mehr
ein antiquariftfjeg, alg ein fünftlerifdjcg 3ntereffe.
©egen biefe§ 9$olf alfo moHte Iß^ilipp einen SBergeltunggfrieg
beginnen, um bie üor 150 Sauren ton ihnen eingeäfdjertcn
Sempel ©riecffenlaubg gu rächen. @g mar insofern ein mutt)’
miüigeg SBadjrufeit ber milbeften Seibenfdjaften, unb milb mürbe
fiel) unter ^Sfjifipp^ Leitung ber Strieg geftaltet haben — geigt uns
hoch ber ©ranb ton *ßerfepoli§, mogu felbft ein groffer, ber
©raufamfeit unb allen Untaten abgeneigter Stönig fid) gebrängt
falj, meil man fid) einmal auf eine fdjiefe Sbeite gefteflt ^atte.
ißergeltunggfrieg ift ein entfestiget Strieg, ber neben ben £eibcn,
bie ber Strieg mit Stotfymenbigfeit itt feinem ©efolge ^at, tuet)
tt)un unb frättfen min unb fein bann
( £g mar ^^itipp nicht befcfjieben, augjuführen, tun» er
geplant unb torbereitet hatte: am S3orabertb beS StampfeS, als
er bereite feinen gelbfjerrtt ^armenio nad) Slfien torauSgefanbt
hatte, traf itjn ber Diörberbolch, ber eine ffSritatfränfung an
ihm rädjeit roollte, unb legte bie HluSführung in beS ©ohne«
$anb, frönte beffen Haupt mit untermclflidjem £orbeer.
©ohtt Stönig ^ß^ilippg unb ber sClpmpiaS, erblicfte ?Uej:anber
353 tor Sl)r. ©. baS £icf)t ber SBelt unb ermeefte fd)ou in
früher Sugcnb glättgenbe Hoffnungen, an Stürper unb ©eift auf
baS l)errlid)ftc auSgeftattet. ©rojj, fräftig, ftraf)lenb in fugenb*
lieber ©djönfjeit unb griffe, goger ?lller 'Singen auf fid) unb über-
ragte bie ÄlterSgenoffen burd) bie gäfjigfeit gu aufjerorbeutlidjen
eingelnen £eiftungen fo fehr — trefflicher Sdjttellläufer, 9tinger,
3teiter, ©chmimmer — , baff ihn (Sitter für ben Strang gu Olpmpia
berufen erachtete, anbererfeitS mar er ton einer 9tad)l)altigfeit ber
.(traft unb ÄuSbauer, baff er uns fpäter im Striege überall an ber
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9
©pifcc feiner |>bpafpiften crfc^cint, wo eS galt, pfeifen über gelfen
$u erflimmen, Jag unb SNadjt ausjubauern iit SBiitbe unb
Strapazen. ®amt fetjen wir ibn wicber an ber ©pifce feiner
Düeiter jur ©cf)[ad)t fliegen; er fennt feine (Srmübung, feine
^inberniffe, burd) glübenbeu ©onnenbranb, burdj utiwegfame
©dpteentaffen, »orwärtS eifenb, wo alles nieberfinft unb liegen
bleibt, uuerfdjopflid) an Straft, uitbejwinglicb an Üttutl), Men
ein leudjtenbeS öeifpiel, aller feiner ©enoffen ^erjcn empor-
baltenb unb wie in ficfjerem 91rme über alle ©djwierigfciten
binwegtrageitb. ®enn felfenfeft wie fein 2eib, war aud) fein
©eift in ben größten ©djwierigfeiten unoer^agt, fein ©rmüben
unb ©rmatten fennenb, nie um MSfunftSmittel »erlegen, burd)
fvrcunblic^feit unb £>erablaffung alles an ficß feffelnb, fdjweigenb
burdj fein SSertranen unb fein 93eifpiel jebe 9ter»e in bein ©eifte
feiner Umgebung ftäf)fenb, fröf)lid) im ©enießen, auSbauernb
bis jum füeußerften im ©ntbeßren, alles an fid) feffelnb, £>ocb
unb fiebrig, Sorne^m unb ©eriitg, föniglid) in allem feinen
Ifpnt, freunblid), freigebig, fromm. SS finb biefe $üge nidp
gering aujufcblagen ; eS ift ein d)arafteriftifd)er 3UÜ für
9üejanberS föriegfiibrung , baß uubebiugte Serrainlpnbcruiffe
nidjt für itjn ejiftireit, fein gfafi ju breit, fein ©ebirge fo [teil,
fo unzugänglich, baS er nicßt ju iiberfdjreiten wüßte, unb
er überläßt baS nicht etwa feinen gelbßerren ober Äriegern,
fein Seifpiel ift eS, baS jebe 9ier»e fpannt. ®arunt cntpfinbet
er eS auch als eine fdjwere fftieberlage, a(S cS ifjm mißlingt,
in ©ebrofien bie ©ubfiftenjmittel für fein .jjjeer ßerbeijufcßaffen.
3mmer ift er an ber ©pi£e ber ©einen: er fennt nicfjt weidjlidje
sJtaft. Unb frifd) wie fein ftörper, ift fein ©eift; nad) ricfigen
leiblichen fänftrengungcn bat er immer ©pannfraft, neue ,*pülfS-
mittel ju erfinticn, alle feine Unternehmungen folgen ©cßlag auf
®d)lag, unb ber ©ebanfe ift nidjt fo halb gefaßt, fo feßen wir
ilpt |>anb an bie SluSfübrung legen: wirb ibm ein fßlait burcfp
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freist, io ift ber nädjfte fdjon entmorfen. Hub in bie Snabeit-
jeit ge^en bie $üge biefcr SRührigfeit be^ ©eifteS jurücf. fjreubig
l)atte er in fid) aufgenommen, maS bie ©Übung feiner 3m
bot, fein Monier ruhte unter feinem Äopffiffen, unb bie fpäteren
Sänger toaren ihm mehr a(S eine StuSfüflung müßiger Stunbcn;
bie bilbenbe ttunft fanb bei ihm freubige Sfnerfennmtg, Sdjäßuug
unb görberuttg. Sein ©ater hatte ju feiner 9luSbiIbung ben
au^gejeicftnetften ber ©fjilofophen feiner 3eü, ^eIt ÄriftotefeS,
bernngejogen, ber burcf) bie ©eburt ber niafebonifc^en ©egcnb
angehörte, unb ber Jüngling oerfdjlang bie Selfre beS großen
©ianncS mit einem Geifer, baß er ü)m fpätcr ben ©orrourf machte,
burd) ©eröffentlidjung bie üe^re, bie er ifjm oom 3Kunbe ab-
getaufdjt, unter baS ©olf ju bringen unb gemein ju madjen.
21uf biefen Unterricht ha&clt wir jebeitfaUs juriicfjuführen,
mctin mir fpäter SUejanber in feinen Kriegen als Süieifter ber
Ü)ied)aitif, b. h- ber angcmanbten ©iathematif, oor uns finbcn.
3BaS jene 3t’it üi bicfer ©ejietjung feiftete, jeigen uns bie ©e-
tagerungen oou £>alifarnaß, 2pruS unb ©aja, geigt uns bie
jüngere Schute ber itriegSmechanif, bie im Demetrius ^Solior*
feteS fulminirt, unb ber Job entriß Sltejrauber großartigen
©tönen, ooit benen bie 2)uril)fted)ung beS SfthmuS oon ftorinth bis
auf unfere 3e*r ein 2xaunt geblieben ift. S(ud) tjü’lt ber Äöuig
feft an feiner Siebe 3 um Setjrer unb förberte bcffen ©eftrcbungen,
mie er fonnte.
Siber ber Üieufd) f)nt nicht allein einen ©eift, fonbern auch
ein ©emiith- Schon ermähnte id) oben SUejanberS #od)herjig-
feit, /peiterfeit, fyreigebigfeit, greunblichfeit, mit ber er fein £>cer
au [ich feffette, fo baß feiner feiner gelbljerren au d) nur ent-
fernt barin mit ihm metteifern fonnte, feine ©roßmuth unb
©erfühnfichfeit. Unb bamit oerbanb er eine Stufmerffamfeit
unb Zartheit, bie ihm felbft bie $ergen feiner ©egner gemaun,
fo baß SifpgambiS, bie SDiutter beS Marius, bei feinem üobe
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au«rief, nun feien fie flum groeitenmal gefallen, nod) einmal
entthront; wer ihnen nun ein ^weiter Sllejanber luerben würbe.
— 216er tiefer läßt un« ber Umftanb bliefen, baff Älejanber
einen wahren greuub ^abe gewinnen unb bi« an beffen Sebcn«»
enbe feftfjalten fönnen, beim bein greunbe fahlen wir burd) ba«,
wa« wir finb, greunbfehaft fann nur auf gegenfeitiger Sichtung
berufen, ©ie grünbet auf niefjt« 3rbifcf)e«; Siebe famt erweeft
werben burd) ©djönheit, Änmutf), 2Bi$, burd) mannigfache ge»
feüige ober perfönlidje oergängliche 3Jorjiige unb ©iiter, beim
fie berührt fid) mit ber ©innlichfeit; wo greunbfd)aft ift, ba
ift 2öertf)fc^ä^uttg ; ben SBertfj be« Slnberen aber mifjt ber ÜRenfch
nach bent eigenen SBertlj: wir fdjäfcen am Slnbereit, wa« wir
an un« felber am ^öc^ften fc^ä^en, ober am i)öd)ften fc^ä^en
würben, wenn wir e« befäjjen. f5reun^>fc^aft will nicht« oott
bem greuube, fie will bem greunbe etwa« fein, fie freut fiel)
ju (elften unb $u opfern. Unb wie Sllejanber über ffreunb unb
greunbfefjaft bad)te, ba« hat er in einem bebeutenben ÜHiomente
flar au«gefprod)en. rw 2lit feine« §epfjäftion ©eite trat er ju
ber gefangenen ÜJhttter unb ©attiu be« £ariu« ein. (Singebcnf
ber ©raufamfeit, mit ber bie Werfer in folchen Jällen meiften«
oerfuhren, bemiithigte fid) bie (Srftere, warf fid) für fid) unb
SSeib unb Äinb ihre« Sohne« bem Sieger ju frühen; aber fie
nahm für benfelbett ben größeren, ftattlidjeren |>ephäftion.
SU« fie bann über ben Srrthum belehrt loarb, ba jammerte fie
laut auf, nun fei fie ganj oerloreit. ©ie, eine« Äönig« SDhttter,
im ©eifte oielleidjt fefjon Stfjne einer Steihe »on Königen, batte
oor einem Untertanen, einem Ätiecfjte, gefuiet, oon ihm er-
barmen erfleht, wem lonnte fie nadj biefer ©tunbe itod) mit
föniglichem ©clbftgefühl entgegentreten? Unb Sllejanber ? —
Sllejanber, ooll Sßerftänbnifj für ihr ©efiihl, ergriff fie bei ber
f)anb unb fpradj : „@ei ruhig, ÜJfutter, ba« ift aud) Sllejanber.
(Sr ift mein jweite« 3d), ift Jffönig, wie id), er herrfdjt in
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meinem §erjcn. Unb als jmeiter SHejranber ift §ep^ä|tion
burd)S Sieben gegangen. Kein SDftfjöerftänbuifj bat if)r Sßer*
bältnijj getrübt, nie Ijat er baS ©eine gefurfjt. Sie onberen
mafebonifcben ©rofjen mürben irre an bem König, als er über
Sßerfer perfifcb ^errfd)eit mollte, ^ep^äftion blieb ihm treu, bie
Slnberen fugten Saaten, ©bie, fRcidjtbümer, ©eniiffe für fid),
§epf)äftion blieb an feiner ©eite, baS Stlejanber nergötternbe
heer empörte fid) gegen iljn, als er perfifcbc ÜÄannfd)aft ju
KriegSebren Ijebcn mollte, Sllejcanbcr ftüfcte fid) auf hcpbäftion.
SaS er bem greuube burd) 9tatl), Sroft, Unterhaltung gemefen
ift, fönnen mir nur ju erratfien fud)en; als aber bie Kraitfbeit
$epbäftion non feiner ©eite nahm, ba marb für Stlejanber
ber Söedjer beS ©cbnterj\eS ooD, unb er fixeste feinem ©efübl
burd) ein Seid)enbegängnifj genug ju tbun, fo glän^enb, bafj mir
oerftummen müffen oor ber grage, welche ^ö^cre ©bren für
beS StönigS eigenes öegräbnife noch übrig blieben. Ser fo ben
greunb bod) ju halten meifj, ber ift beS ^reunbeS mertb; roelcb’
ein ©cbob aber ber greunb ift, baS mirb feines anberen Siippe
auSfprecben.
Sie gern miiftte ntau SläbereS über StlejanberS Söerbältniß
ju ben perlen ber Sichtung, Siffenfcbaft unb Kunft, mit benen
ibm ©riedjenlanb entgegentrat; aber mir haben feine ©efcbid)te
SllejanberS, fonbern nur SlnSjtüge aus einer foldjett; »iel fagt
uns feine Siebe ju SlriftoteleS, ber ihn jum Urgrunb ber
Siffenfcbaft bingefiibrt batte, üief auch, bafj er nur oon einem
SlpctleS gemalt, nur oon SpfippuS in ©rj gegoffen fein mollte,
unb bie SDlilbe, mit ber er einmal über baS anbere baS auf*
fäffige Silben als baS ©aatfelb unb bie ©tammabne alles
©roßen unb herrlichen bebanbelte, ^eigt, mie fyod) ihm bie
ibealen ©ütcr beS SebcnS über ber realen Seit ftanben. ©r
repräfentirt baS beffere Jbeit beiber ©Item, bleibt beS SBaterS
üßöflerei unb Srunffud)t ebenfo fern, als bem leibenfcbaftlidjen
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£>aß unb ber ©rauiamfeit ber SDiutter. ftöitiglid) war feine
Haltung ebenfo wie Seiber, er wußte aud) bei Safel ju «prüfen-
tiren unb biircß ißrc greuben ben mafebonifdjett Slbel an fid)
ju feffeln: ißm felber war cS wefetttlid) um bie gefellige Unter-
haltung ju tßun. 30t ber äRutter hing er mit großer Siebe unb
war entfdjloffen, ißr £o$ ju tßeilen, als Philipp fie üerfticß,
um fid) mit einer fdjönett SRafebonierin ju oermäßlen. Unb
hoch hatte er fdjon unter be$ Vaters Mugeit bei Gßäronea
feine Sporen oerbient unb wußte, baß er, ber SWutter folgenb,
3ieicß unb fRußm in bie Scßanje fdjlage, aber er jwcifelte
feinen Slugeitblicf; ba traf ffißitipp ber ÜRörberbold) unb fteHte
2Rafebonien oor bie grage, wer ißm auf bem $hroue folgen
fotle. £aß ber erft wenige SRonate alte Soßu ber Cleopatra,
SßüippS jweiter ©entaßlin, beit Stürmen ber 3e«t nid)t ge-
wacßfen fei, lag am Sage, bennod) ftrebte im erften fttugcnblicf
bie gaatilie für ißn, ja e$ ftrecfte nod) ein jweiteS dürften-
gefcßled)t, bie Sßnfeftier, bie £>anb nach ber Jiroue au$; aber
bie Vernünftigen erfanntett fdjneü, baß allein bei bem älteften
Soßn, bem achtjehnjährigen Sllejauber, fRettung fei, unb eilten,
ißn auf ben j£ßron feiner Väter ju fefcen.
2>amit fcßließt SllejanberS gugettb unb beginnt bie $eit
feines felbftänbigen $anbelitS 336 — 323. Sie fdjeibet fid) in
brei feßr üerfcßiebene 3eiträume. 3ucrft f«h$ Saßre frifdjen,
freubigen VorwärtSftrebenS oon 336 — 331. @3 folgen ben-
felbeu brei Saßre ber Cppofition be$ mafcbonifcßen ülbelS,
330 — 328, unabläffiger, paffioer SBiberftanb im gortgange ber
Eroberung, oerbunbeit mit ben fRabelfticßen beS SarfasmuS
unb ^poßneS, bie Sllejanber baS Sebcit oerfeibcten unb burd)
fortwährenbe fReijungen ißn empfänglid) macßten für bie Um-
nebelung feines Sinnes burd) Söein, bann enblicß, nad) ftlitnS’
©rmorbung, eine geit beS oerjweifelten VorwärtSbrättgeuS,
baS über neuen Jßaten ben Vorwurf beS ©eroiffenS ju oer-
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fleffen fudjte, uttb als fie ooriiber toar, bie leibcr nur ju früh
unterbrochene» Sdjritte jum äufbou eines neuen SieidjeS.
2öie fdjnell ficf) auch SWafebonien für Stlejanber entfchieb,
ioie fd)netl er nucf) oou bem £>ofe feines iügrifchcn Ohe*m®
herbeieilte, bennod) faub er bie ©erhäftniffe fDiafebottienS un*
geheuer oeränbert. Kaum iwar bie SRadjricht oon bem £obe
ißh'Kppä/ ber alles mit eiferner §anb niebergehalteu hatte,
erfd)oHen, als bie $inge in ©riechenlanb uttb Iheffalien einen
oölligen Umf^wung nahmen. SC^effalien fagte fich fofort oon
bem mafebonifchen ©ünbniß loS, 30g feine fRitterfdjaft jurücf
unb befeßte bie ©äffe, toeldje nach ÜRafebonien führten. 3n
©riechenlanb erfchien £emoftheneS auf ber fRebnerbühne oon
Althen, jubette über bie tieugeroonnene Freiheit, fdjalt JUefanbcr
einen Knaben unb £ropf, unb Theben ergriff fofort bie 2Baffen
gegen bie mafebonifd)e Sefaßung auf feiner ©urg unb be-
brängte fie aufs heftigfte. Slber baS toar cS nicht allein, auch
oon onberer Seite erhoben fich Seinbe: im Siorben oon ü)Za»
febonien ergriffen bie SribaHer bie SBaffen unb behüten ihre
©erbinbungen bis au bie ©onau aus, unb bie Sftl^rier erhoben
fich Segen ben Üfachbarftamm, fliegen oon ihren ©ebirgen herab
in ber Hoffnung, ihm ©ren.^prooinjen §u entreißen.
So oiefen geittbeit gegenüber fchicn ÜRafebonien 9tadj*
giebigfeit geboten 31t fein unb oor allem ber ©erfud) gemacht
werben 3U niiiffen, fid) mit beit »ergebenen ÜRädjten auf einem
neuen guß 31t arrangiren, ben Krieg gegen ©erfien, ju bem
©h'tipp atlerbingS bereits ein tpeer über ben .fpellcSpont gefchidt
hatte, aufjugeben. ©a3U riet^en SMejanber auch manche feiner
fRatfjgeber. SfnberS badjte ber König, füiafebonien mußte
entioeber emporfteigen jur fiihreuben ÜRadjt in ©riechenlanb,
ober herab 31t ben alten ©erhältniffen. @S mußte ©riechen-
tanbs Angelegenheiten in bie £>anb nehmen, ben Krieg beginnen,
in toelchcm bereits eines SfofrateS Patriotismus ©riechenlanbS
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peil erfanut hatte, bad SÄtttel, cd 311 einer gemeiufc^aftlic^en
Jftion 311 beftimmen, ben fletnf icfjeii geinbfcfjaften unb 3ntrigucn
icr einjcluen Staaten ein @nbc 31t machen; ober ed mußte fich
roieber auf fid) felber ^uriicfjie^cn, auf feinen alten Jammer:
Die Auflehnungen ber {(einen Spnaftieti gegen ben ftönig, bie
inneren 3lt,*f**9^ejt:en 'n ber föniglicßen Familie, geittbfdjafteu
mit ©riecßenlanb, ^e^beit mit Kolonien an ber ©renje. Sa
. nur für einen Alejanber feine SSatji. Ser itrieg toar ja
eigentlich ©riedjcnlanbd Sache, für bie ©riedjen wollte ihn
SJJafebonien führen, mar ed bod) fein mahred .giel, fßerficnd
Sinfluß auf ißre SSerljältniffe bauernb 3U brechen, ben argen
Stifter enblofer groiftigfeiten, bad perfifdjc ©elb ju befeitigen.
Ja lag ber knoten, bie fRad)e für einftmald ^erftörte Sempel
toar nur 9?ame unb freilich gefährlicher |>ebel. Aber oon
iolchem ©elbe lebten Diele Sdjmarofccr; ed galt, bie ©riechen
an ihrem mähren Sntereffe feftjuhaltcn. Sad fonnte nur ber
König felber unb an ber Spifcc eined .jpecred. So mar beim
Slejanber fofort 3um guge nach ©riedjenlanb entfcßloffen.
Sr 30g fein §eer sufamnten unb erfdjien an ber Siib-
grenze feined 9Jeiched am Eingang bed Sempethaled. |>ier
aber fanb er bie Sheffalier gelagert unb 3toar in fo feften
Stellungen, baß fie ohne ungeheure SJienfdjenDerluftc aud bcm
felben nicht mären 3U oerbrängett gemefen, foldjen aber gcbacßte
er feine treuen 3Rafebonier nicht aud3ufejjeu. So 30g er beim
ohne Äampf oon ber G5rcnje gurücf, bie Sheffalier triumphirtcn.
Sber bad mar fein Söe^agen, fottbern nur eilte (Entfaltung
feine# reichen ©eifted, ber im llnmegfanten SBege 31t finbett
mußte, unb feine phhfifdje unb moralifdtc Straft Dcrmodue
burchjuführen, road Attberen unmöglich fd)icn. Sr fdjlug ben
öcg nach bem unteren ifkneud ein, ging über bcufelbcn unb
fanb fith baburd) 3roifd)en bern finden, fcßmalen Saum ber
Sieeredfüfte uttb bem Offagebirge eiugcflemmt, bad bort Sßcf*
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falieit ttad) Often abgrenjt. lieber basfelbe führte feine $eer*
ftrafee, nur SBege gangbar für 3*cSen un^ oHenfafl3 bereit
Wirten, bie ihren 2; gieren nad)juflettern Derflaitbett. ®on biefer
©eite war für bie I^effalier fein Slugriff ju erwarten, fjier
ftattb beäholb feine tljeffalifche 4?ecre3abtfjeifung. Sllejattber
aber getraute ficfj, and) über folcfje §ejett treppen feinem Heere
einen SGÖeg ju finben, unb wo ber Zottig mit feiner Slafticität
unb ©ewanbtheit öoranfd)ritt, hotte ber ©olbat fid) gefd)ämt
jurücfjubleibett, fein öeifpiel fpornte bie fDiafebonier ju Sltt*
ftrengungett, bie fie ohne ba3 für uumöglid) gehalten Ratten.
Sltt ber ©pi^e feiner teilten Gruppen erflomm ber Mönig bie
Jelfen, tiefe, wo eS nötljig war, ©tufeu in biefelbett einhauen
unb ben ©chwerbewaffneten Söege bauten, ©o ermöglichte er
feiner fßf)atanj ba3 ©rfteigen, erreichte ftimmenb, mahnenb, ar»
beitenb, Don Meinem aufgefjatteu, ben Maitint be3 ©ebirgeS unb
war, wo ihn Meiner mehr aufhalten fonttte, mit feinem $eere
itt Jheffatien. 5Damit war bie Hauptarbeit gethan, beim au
ber inneren ©eite bacht fid) baS ©ebirge getinbe ab, unb er
ftieg ohne ©d)Wierigfeit ^erab. ©o ftanb er im fRüden jener
uttüberwinbüchen SBoHwerfe beS S$etteussthale8. Söer bcfdfjreibt
bett ©chred ber X^effalier, als fie fahett, bafe ber f5c*n55 mitten
im Sattbe ftehe, bafe ihre ©täbte mit SBeib unb Minb ihm
preisgegeben feien? — @3 war alles oertorcu; man ntufete
^rieben fudjett; aber welche Sebingungeit würbe nun ber fieg«
reid)c geinb twrfdjreibeit ?
Bageitb traten bie ©efanbten oor baS SIttgefid)t beS jungen
MöitigS, beffett ^ottt fie IjerauSgeforbert hotten. Unb Sltejattber?
Sllejanbcr erinnerte ^unächft, bafe Söiafeboniett unb Sheffalien
ja 93rubertmlfer feien, gemacht fi<h 31t förbertt, itidjt ju be*
fämpfett, erinnerte, bafe bie ntafebonifche uttb tl)effalifd)e jReiterei
wieberholt ©eite au ©eite geftritten unb in Sapfcrfeit mitein»
anber gewetteifert höbe, bafe fie feinen Skter 311111 SJunbeSfelb*
1*6)
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Öerrn gewählt uitb ihm |>eere#folge jugefagt hätten, ltnb forbcrte
jie nun auf, it)m ju haften, tun# fie jenem oerfprodjen. 53 or-
tbeile für ficfi über ba# ^tnaud, ma# barnal# jugefagt fei, forberte
er nidjt. — Cb bie Sheffalier einjdjlugcit auf folche 93ebin*
guugen? £a# bebarf feine# SBorte#: ber Triebe mar gefdjloffen,
jo wie bie 33orfd)läge gemacht luaren. $)ie ttjeffalifchen Witter
ftrömten ju ben mafebonijd)en Jahnen, »ob bie £iebeu#roitrbig*
feit be# jungen Möitig# uoflenbete, wa# fein öbeliimth begrünbet.
äber auch 5llefanbcr erntete fofort bie Jrud)t beffen, roa# er
gejäet. 9iun ftanben ihm bie ^^emtop^fen offen. @r eilte, fie
ju befejjen. 533er hätte ihn jeßt fchou bort erwartet? unb ba#
mit ganzer SJZacht? SBodjcn», ja monatelang mußte ihn ja
Zhefjalien oufhalten. 51ber er mar ba, unb mit fliegenbeit
Jahnen eilten 53ölfer, bie fßhofeo)^ bie mafcbonijch gefilmten,
Dfueu einft Mönig in ihrem ßwift mit Delphi jutn
Siege oerholfen hotte, ju feinem |>eere. ©o maren bie $he=
bauer bie nächfteu, aber erjchrecft, burch be# ©egner# ©chneflig*
feit gelähmt, baten fie bentiithig um Jrieben, uub Ülthcn blieb
nichts übrig, al# ba# ©leidje ju thun.
?llefanber forberte auch nid)t# al# Sejdiiduug be# in
Soriitth abjuhaltenben 33uube#tage#, um ihm bie feinem 53ater
jugejagte S3unbe#felbherrnfd)aft ju beftätigeit. 511# fie ba# ju>
gejagt, ba ftrömte e# oou allen ©eiten fjerbei, unter gleicher
iöebiugung beit Jriebeit jit erlaufen, nur Safebämon [jtelt fidj
jem. 5lber feit ÜDieffeite mieber aufgeridjtet mar, bnrfte er ba#
al# eine gefallene ©röße betrachten, bie genug in ihrem Sintern
ju fämpfeit höbe; SUejranber mar itid)t gefonnen, mit Mampfen
in üafonien# t^elfeitbefileeu eine foftbare $eit ?u ücrt^itn. Xic
übrigen Staaten erfchiencn iii#gcfamt. unb cinftimmig roarb
Slejranber bie Jührung gegen bie Werfer oerlieheu. Uub c#
ctjchieneti nirfjt atleiii $eputirte; non allen ©eiten ftrömte e#
herbei wie $u einem 53olf#feft, unb 5Ule maren bejaubcrt uon
Sammlung. 91. 3. V. 99. 2 ts>)
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ber Siebeitgwürbigfeit beg ftönigg uitb bem ©erftänbnife, bag
er jeber ßeiftung entgegenbracfete, unb ber SBeife, wie er auf
bie ©ebanfen unb Intentionen jebeg ©ittjelnen einjugcfeen
wufete.
ÜKan ftaunte, wie er ganj ©rieche fei in feiner Silbung,
alg ob er im ©cfeofee ber üJiufenftabt aufgemadjfen wäre. ®r
fnüpfte ©erbinbungen nacfe allen Seiten an, unb alg ficf) ©iner,
ein fßfeilofopfe, S)iogeneg oon Sinope, bodj oon ifem fern l)ielt,
ein eigentümlicher SJfenfcfe, ber bem ©ittenoerberben ber 3eit
ju fteuem fud)te, inbem er ©eradftung beg ©innengenuifeg
leferte, liefe Sllejanber ficf) gern erjagen oon bem feltenen &auj,
ber jeglidfeg ©efeagen beg ßebeng oon fid) weife, unb bem im
$afeu ber Stabt eine 'ioitne jur Sßofeimng genüge. 3a, ba er
uid)t ju ifem fommeu wollte, liefe ficfe SUejanber nicfet oerbriefeen,
ben Söeltoeräcfeter aufjufucfeeit, unb fcfenell lernte er ben SRann
achten, für ben bie ÜÄeifteit nur Spott featten, füfelte ficfe aitge*
fprodjett oon bem ©cfelagenben feiner Slntworten unb ber Sin«
nigfeit feiner ©ebanfen. So unterhielt er ficf) länger mit ifem
unb fcfelofe bag ©efpräcfe mit ber grage, ob er ifem eine ©unft
erjeigen fömie. ®iogeneg’ Antwort warb wofei oon manchem
Höfling belächelt, Slleyanber aber fpracfe: ©Senn id) nicfjt
Sllejranber wäre, würbe icfe ein 5>iogeneg feilt.
So war beim Sllejaitberg Aufgabe in ©riecfeeitlaub gelöft
unb er eilte feeim, feilt Sanb aud) gegen bie Singriffe oon 9torben
ju fcfeü|en. 2öir laffen aber biefe fiämpfe, fo fcfewierig fie
waren, unberührt, unb ftreifen feilt über bie nochmalige ©r*
feebung ber antimafebonifdjen ißartei, bie Ifeebeng $erftörung
im ©efolge featte, beim Sllejanber liefe niefet mit ficf) fpielett,
aber bie §ärte, bie er bort üben mufetc, trug für bie golge
allen fpäter gefangenen Sfeebancrn bie milbefte ©efeaitbluttg ein,
uitb eg genügte ifern an bem einen ©eifpiel feiner Strenge: er
errnieg fiel) beit Sltfeettertt gnäbig, alg fie ficf) beugten.
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3dj übergehe, mie 2IIeyanber über beit |>e[leSpont ging,
nod) einmal an 2ld)iüS ©rabe fdjroämten, mie perfifd)er
$od)muth am ©rauifuS bie lefcte (Seance bcS Siegel ner*
id)mähte, bie Ufer beS ^ruffesi burd) bie gried)ijd)e Infanterie
in ifjreni ®ieitfte üertljeibigen $u raffen, unb fo nad) mutigem,
aber frudjtlofem Stampfe nur bie krümmer beS pecreS auf bie
|>od)ebene mm Stleiuafieit rettete. üllcjranber lief? fie gieljeit,
iljn rief jefct eine ^ötjere Aufgabe, er hatte bcr gried)ifd)en Stte=
öölferung längs ber Stufte AtfeinafienS greiheit nnb Orbnung
im gnnern ^ugefidjert. 80 rüdte er ab nad) ©üben auf ©arbeS
unb bann lueiter auf SpfjefuS, banad) bie Stiifte beS 2lrd)ipelagus
entlang, fdjoit burd) bie 9?äf)e, in melier er ©riechenlanb
gegenüber meilte, jeben ©ebanfen an eine Auflehnung ber
©riedjen gegen ihn befeitigeub. 2$on Sßiberftanb feiteitS ber
Werfer mar nicht bie fHebe, ©tobt, $urg, ©dja&fammer mm
©arbeS marb ausgeliefert. @r ernannte ihnen uatiirlidj einen
Statthalter aus bem Streife bcr ©einen. Süann orbitete er bie
lüerhältniffe ber gried)ifd)cn ©täbte im gnitern au ber griedji-
fdjen Stüfte, meld)e bie fßerfer burd) einfeitige SBegiiuftigung
ber Ariftofratie beljerrfdjt fjatten, bie »ont Üiolfc grimmig ge-
hofft mürbe. 2lber bie ©ilbuttg, auf bie fid) urfprünglid) jene
Cligarchie geftiifct hatte, mar längft ©emeiugut gemorben.
Alejanber berief bie 3)emofratie jur £)errfd)aft, gab ihr Sßer-
faffung unb ©efe^e unb mehrte 3IuSfd)reituugen ber 9tad)e.
®S marett £anbSleute unb als foldje behanbelte er fie. $urd)
glänjenbe gefte bei beit Dtationaltcmpeln muffte er bem neu
ermachfenbeu 2$olfSlebeit einen inneren §alt ju geben. Aber
bei Milet fd)mt nahte ihm eine neue ©cfaf)r: eS erfd)ien eine
perfifd)e gtotte mm 400 ©egelu unter phönijifdjcn gührern.
Mit Mühe fidjerte ihm bie feiitige ben tafelt, fat) fid) aber
mit ihm bafelbft eingcfdjloffeit. And) bie ©tabt machte neue
Änftalten jur ©egenmehr, freilid) erft als bie ißorftabt bereits
•_>* (bu
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in ÄlefattberS |»inbe flcratljeit luar. üllefattber mieS bcn ©c»
baufeit eines SSiberftanbcS jnr ©ee mit ungleichen Kräften ent»
fdjloffen »ott fid) tutb lüfte feine flotte auf, fieberte beit fmfen
bureß ©efefcittig nnb öefeftigung ber »orliegenben Sitfcltt, mehrte
bie feinblichen Schiffe burcf) Sorgfältige Söefehung ber SanbungS»
plciße uiib $lbfchitcibttitg beS JrinfmafferS ab utib bernunte
bann bie ©tabt mit folchetn 9?nchbrucf, baß fie fid) im Äuge»
ficht bev mächtigen feinblichen flotte ergeben mußte. Tann
entioicfeltc er gegen baS »oit bei» perfifdjeit ©ölbnerfübrer
'JDtemnon befejjte ^palifaritaß bie ganje 9)?ad)t feiner SSelagerungS»
funft burd) eine fReißc neu erfunbener SDiafcßinen. ©emiß fam
bie 3unetflunfl ber griechifcheu Sfeuölfcrung Älejanber f)*er feßr
ju ftatten , ber als Söcfreier crfdficit uiib beit grieeßifeßen
©täbten greißeit uub ©clbftäitbigfeit gab. Änd) bett Kariern
im Sintern beS SanbcS gegenüber blieb er biefem SJJrinjip treu ,
berief ben lebten ©prößling beS alten ^errfchergcfchlechteS,
eine Süirftin Äba, jur .fperrfdjaft, fti'i^te unb fchirmte baS alte
©efe$ uub tperfommen, uub eS mag ttnS eine ffliirgfcßaft für
bie Klarheit feines SBlicfcS feilt, baß toir erft itacß feinem in*
bifcfjeit $ttge »on Äuflehmwg gegen bie »on ißm eingefe^teit
^errfeßer hörnt, toenn auch ntattdje einzelne Kunbe uns bureß
bie $eit ,,,aH entzogen feilt. Sn bem nun Fjereiubrecfjenbeii
SBinter gönnte er feinem §cere 9tuße unb Söinterguartiere,
nicht fid) unb feiner Umgebung, er burd)jog, ftetS an ber
SDfeeresfüfte fid) ßaltenb, bie Sanbfdjaften Spcieit unb ’ißanipßi)»
licn, mit einer ber griccf)ifd^cit naßc venoaubten Kultur unb
manchen bem gried)ifd)eit .fwttbel geöffneten ©eeftäbten, »on
feiner ©rtnübung, feinem bahnfofeii Söcge gefdjredt, bis ißm
bie fdjroffen 5c^fuppeit beS JattritS ben Sßfab uerfperrten.
sDiit bem grüßling oereinigte ber König fein fReiterge*
fdjmaber toieber mit feinem £eerc uub jog nun auf bie £md)-
ebene »on Sßßrpgicit ju einem bcn ®ried)cn entfernt »erioanbteu
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SSoIfe, bei beni bic hieratifd)en Sntereffeu über bie politischen —
wir fittb feljr mangelhaft barüber unterrichtet — ftarf fdjeinen
bie Cberljanb gehabt ju hoben. SUejanber lüfte bort ben gor»
bifchen Knoten, empfing bie Unterwerfung ber oerfdjiebenen
Sanbeötßeife niib eilte bann, burd) bie filififcheu pfiffe wieber
jutu üllittelmeer herobjufteigen, wo er einen .feauptfampf mit
ben tperfent »orausfah. $azu erfdjieu bieStnal ber s4$erferfötiig
felbft mit einem §cer, baS bem gried)ifd)eu um mehr als bas
Vierfache überlegen war. ÜJJit biefem h°tte er int Sladffelbe
jenfeitS beS CntauuSgebirgeS feine Slufftedung genommen, ent<
fchloffett, bort §Ue£auberS Eingriff zu erwarten. Tent aber fiel
es nic^t ein, aus biofeer Kampfbegier fid) auf baS ungünftige
lerrain ju begeben, baS SReer, feine fefte 6tüpe ju oerlaffen,
er wanbte fid) und) Silben ju ben fogcuanuteu Pylae Svriae
gegen ißhöt'ijifit zu. ®oS nahm Karins für gurd)t, führte
fein £eer über ben ÜlmanuS unb lagerte ficfe in SUejanbers
SRiicfen. $er wollte feinen Slugen faum glauben, baß bie Werfer
ihren 53ortfeeil fo aus ben Rauben gäben, um ben Kampf auf
einem Serrain nnjunehmeu, ber für ben ©egtter wie anSgefudjt
war. J)ie $olge ift befaunt; wer unternähme, bie Schritte
eines ,'peermeiftcrS wie 9llei;anber ja fdjilberu. 3>urd) einen
Sieg auf ber Jlaitfe im SRiiden gefafjt, muhte SDariuS eilen,
mit großem Sikrluft an Ülfcnfdjenleben Sehen unb Freiheit ju
wahren: baS Säger mit feines ©egtterS ©emahlin, SJiutter unb
Stinb fiel in 911e;ranberS .fennbe. Kein 2Bort über ben ©bei-
muth unb bie Zartheit, bic er babei bewies, baS ift ju befaunt;
aber feöcfeft iutereffaut ift SllejanberS weiteres Verfahren gegen
bie '‘ßhönijier, in bereit Sattb er nun ciitrüdte. .fiier fanb er
nid)ts weniger als griedtifdje Shmpathien oor fid): fie hotten
ftets ^erfiettS flotte jum größten unb befteit $he*ie gcbilbet, bei
9lrtemifiunt, Salamis, am (Surpmebon unb in unzähligen Heineren
Kämpfen waren fie bie ©efdjlageneti gewefcn, il)r .ftaitbel nach
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bern ÜBefteit mar faft ganj gelößmt unb in bie Jjpänbe ber
©riecßett übergegangen. SBelcße Stellung, mußte man fragen,
mürbe ?tfejonber ju ißneu einneßnten? ®ie ?Introort lautet
hoppelt: meint fic roollten, bie eine« Sefrcier«, menn fie uießt
mollten, eine« Sieger«, ©efneeßtet maren fie, mie äße anberen
Sötfer be« pcrfifcßcit jRcidje«, Religion, Serfaffung, ©efeß,
Sitte, fomeit nießt bie Seeuerßältniffe ißnen einen Sdjuß ge»
mäßrten, unter bie $üße getreten. 2>a« aße« naßnt Äleyanber
unter feine Cbßut, begehrte für fid), ma« be« heieße« mar, be»
rief bie Sprößlingc ber ebelften ©cfcßlecßter jur Sertualtung
unb ©eßiituitg bc« Solf«tßüinIid)en, fo in Siboit uitb anberen
Stabten, bie au« bem Siege bei 3ffu« fid) eine fießre ju jießett
mußten, unb oon ißrem liebertritt erntete Sllefattber fofort bie
f^rueßt, bie Kontingente, bie fic jur gfdte ßatten fteßen ntiiffen,
mcldie beit gaitjen Sommer über im ägäifcßeu SWeere untßätig
gelegen ßatten, Dom £>ofe uid)t unterftußt unb .ooit jebent ge»
magten Unterueßmen jurütfgcßalteti bureß bie gurd)t oor ben
•Sntrigueit perfifeßer ©roßen; jeßt «erließen fie biefelbe, fteflten
fid) Sllefanber jur $i«pofitioit, ber fid) nun roieber eine flotte
bilbeit foiiute unb bie Seetüdjtigfeü ber griecßifdjeit Stabte,
•pirnal itt Kleinafiett, treffließ ju beiüißen mußte. Slber ein
anberer $ßcil ber fßßönijier, jumal Jßrtt«, oerblcnbetc fieß
aud) jeßt notß bariiber, baß ber be« perfifeßen ffteieße«
nur eine 3?rage ber 3e‘4 fei, unb brängte jo Sllefattbcr, feine
gan^e $iid)tigleit al« Ingenieur gegen fie 311 eittmidelit unb,
menn aud) in riefigein, fiebeitmoiiatlid)cm fRingett gegen alle«,
ma« Seefuttbc, lapferfeit unb sulcßt Serjroeiflung gegen ißn
aufbieten fonnte, in bie Scßranfett ju treten unb atteß bett
Kampf mit ben Elementen nießt ju feßeuen. £ßru« oerfd)manb
für beit §lugenblid 001t ber t£rbc, unb Sllefanbcr geigte feinen
©egttevn, baß er, mo e« fein ntüffe, and) euergifcß ju (trafen
oerfteße. 3cß fcßeitfc e« mir, Jfßiten 0011 ben Kämpfen mit
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ben ©prern unb Suben ju jagen, müfcte e« mir jcpenfen, and)
wenn wir griinbficper baoon unterrichtet mären. Sch eite ju
bcn Sfegpptem, jenem Söffe, ba« burcp bie Grigenthümficpffit
feiner Sifbung, bie au« ben Irüntmern auch »och ja un« rebet
unb nicht minber berebt $u feiner ÜJfitmelt gefprocpen pat.
Jpier fah er ficf) mit offenen Sfrmen oon einem Söffe aufge«
nommeit, mefd)e§, mie fern e« auch in ©itte unb £eben«ge«
rooh«heit ben ©riedjeit ftanb, in feinem $afj gegen alle«, ma«
perfifch h «eff, unb in feiner Sbolatrie in ben ©riechen bie
©feicpgefinnten achtete. 9tie hatten bie Serfer e« oerftehen ge«
lernt, aber ben ©riechen ftanb e« in märdjenhaftcr ©reifee gegen«
über, hier hatte ißptpagora« feine ©tubien gemacht, pier hatte
fcerobot gereift unb ©rfunbigungen eiuge^ogen, Ejier hatte aud)
Sfato einer uralten 2Bei«peit unb SBeftfunbe gegenübergcftanben.
©eiberfeitige« Sertraueti erleichterte bie Serftänbigung, unb
Sllejanber nahte ihnen mit ebenfo offenem 0pr al« energifcfjcr
Spatfraft. ©efcpiipt ju fein in ihren ©ottc«bienften, mar ben
Slegpptern alle«, roeftfiche |>errfcpaft begehrten fie nidjt, unb
Sflejanber fd^eute fich nicht, fich belehren *u faffen, mo ein ©fato
gelernt hatte. Die £>errjcpaft gab ihm Slegppten ohne SBiber«
jprucp ^in, unb ^fejanber eilte, eine Jperrfd)crtpat $u oollbringen.
$u Dpnt« hatte er bera |>anbel berjeit ein Sluge nu«geftod)en,
er eilte, ihm in SUejanbria ein anbere« einjufe^en, ben ftreit«
baren Staufmann hatte er befämpfen müffen, bem frieblicpen
ließ er mit greuben feinen ©cpu§ angebeihett. Sn bem $Jit
erfcpfofj er eine fßul«aber bc« |janbef« bi« tief in Slfrifa hinein,
am 9lil eröffnete er bem gried)ijcpen Staufmann einen mitlfom«
menen 4>anbcl«pfa$, bort in Sffejanbria fcfjuf er Demjenigen,
ber au« fernen Sanbcit in Sprit« ben ÜRittelpunft be« Serfepr«
gejuept patte, mie bem ^ppöni^ier, ber niept ©ut unb geben für
ein frembe« Soff einfepen, fonbern ben SBeltberfcpr an feinem
Speile förbeni mottte, ein miOfommetie« 8lfpl, unb in ber
24
inneren Kommunalfreiheit, welche er feiner neuen ©tabt ge-
währte, fcfjcnfte er bem £>anbel bie freie ^Bewegung, beren er gu
feinem ©cbeifjen beburfte. SIber inbem er fo bem bürgerlichen
Sebeit einen ©djag guwanbte, empfing er auch h'fr wefentlidje$ :
äghptifche s^riefter, barait fann fein 3n)e’tet fein, öffneten
2Uej:anber bie Singen über ba3, wa£ er ben Orientalen fei, fo
lange er in feiner heiter freunbfdjaftfidjen SSeife mit ben ©einen
uerfefjrte, ein gliicflic^er SRäuberhauptmann, ein gewaltiger £>au-
begen, ber tuie bie 2Binb3braut über bie gelber bahinfege.
Uöolle er beneit ihren König nehmen, fo miiffe er fich al§ König
auf ihren 3H)ron fegen, ©ent SRorgenlänber ift fein König
ein SEBefen au3 einer anbereit 28elt, umgeben oon fabelhafter
ißradjt unb ©lang, baä, bem Srbifchen entrüeft, auf ben Knien
oerehrt, ein irbifcher ©ott, nad) entgegengefegten ©eiten ©egen
unb SJerberben fpenbet. (Sr fönne nicht als ibealer König über
ber Srbe flehen, er fei ben SDiorgenlänbem fchulbig, ba$ fRegi-
ment in ihrem ©inne gu führen, wenn er König fein wolle
über ben Orient. — 3Ber ber SRann war, ber bas guerft bem
SUejanber auSfprach mtb waS biefer erwiberte: man fragt uer-
gebend; ber Oberpriefter ber Cafe ©iwah fprach baS legte ent-
fdjeibenbe SBort unb Sllejattber ging auf ben ©ebanfen ein.
Sr meinte fich auf fßetfeuS unb .'perafleS, feine Slfptherren, be-
rufen gu fönnen, bamit eröffnete er aber für fidj brei Sabre
bitteren fieibenS, in baS ihn bie Cppofition feiner mafebonifchen
greunbe ftiirgte. ©ie oerfchmähten baS neue ^wfceremoniell,
unb wie weit bie @d)ärfe ihrer SBorte ging, geigt mtS am
©chluffe biefer 3eit bie ©pradje, bie KlituS gegen ihn führte.
3uuächft traten ®ie, weldfe ihm bie Iiebften waren, feine
tägliche Umgebung, gegen ihn auf, itiemanb fdjärfer als ij?ar*
ntenioS, ©ohne ^ßh^ota8 nnb fRifanor: für ben König möge es
©ewinn fein, als ©ohit beS Slmun gu gelten, für bie ÜRafc-
bouier fei eS 2$erluft. Unb fie hatten fRedjt, bie SBafiö ber
(M)
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mofebonifdfen ÄönigSgewalt war bamit in grage flffteüt; wer
^atte gegen einen ©ottfönig beim nod) ein fRedjt? e3 [tieften
eben jwei unoerfol)nlid)e ©ebaufenweltcn aufeinauber.
So begann benn in 3llejanberS 'Jiäfte ein paffiuer SBiber-
ftaitb fid) geltenb machen, eine Unbotmäftigfeit, bie an bem
|jerfömmlidjen feft^ieft, unb ein Jtantpf, mit 2Sift unb ©ar>
faSmuS geführt, ben wir feiber genotfjigt finb nietjr ju erratften,
weit un$ über 3lle;rnnber feine ©efdjidjte, fonbern nur eine notft-
bürftige ©fi^e, jumeift über baS, was ins 31uge fällt, twrliegt;
aber wir fefjeit, was öorgegangen ift, wenn brei gaftre fpäter
SßfjilotaS, ber ©erfcftwörung gegen SlleyauberS ^ebett angeflagt,
nadjbem er wenigftenS burd) fein ©cftweigett ofjne gragc beit
König in bie Ijodjfte ©efaftr geftiirjt Ijatte, behauptet, bafe feit*
bem Sttejanber wegen biefer Steuftcrungen gegen iftn grimmigen
Jpaft im ^erjeit trüge, unb wenn ftlituS, feiner Slrnnte ©ruber,
brei ©ierteljaljre fpäter ben §ofjn gegen ben König auf bie
f)öd)fte ©pifte treibt, fteigt man nur auf Dielen ©tufen unb
burd) manche ©orfomntniffe ju folcfter ©djärfe ber ©egenfäfce
empor.
gür bett Slugenblicf gewann Üllejanber bie 3legftpter nicftt
allein burd) beit ©djuft, ben er iftren Tempeln angebeiften lieft,
fonbern opferte felbft bem 3lpiS, oerfterrlidjte feine unb aitbere
gefte burd) griedftfdje ?tuffüf)rungen, grünbete in Älejaubria
neben griedjifcfien Tempeln and) einen ber 3fiS. £aS Kom>
manbo ber juriicfbleibenbcn Gruppen blieb natiirlid) in ben
Rauben oon SERafeboniern, bie ©erwaltung organifirte er unter
ägpptifcften ©roften unb fudjte überall bem ägpptifdjen ©olfS=
leben, fo frembartig eS iftnt erfdjciuen mocftte, in jeber 2öcife
SKedjnung ju tragen unb orbnete möglicftft alle ©erftältniffe.
3)ann nafjm er ba$ blutige Söerf beS Krieges wieber auf. ©o
naftm er oon bem §alfe ber Slegftptcr ein god), baS fdjwer
auf iftnetx gelüftet ftatte, ebenfo wie er es früher in Karieit unb
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Vponiflien getpan, ftelltc bic innere Verwaltung unter bie Cbput
eiupeimifdjcr ©rojjen, bic ©pracpe, ©efep unb Sitte fannten,
ftrecfte feine fcpirmenbe §anb über ben geiftigen ©diaß be«
Volte«, SRetigion, (Sitte, fiitteratur, Siutft. SDtocpteu ipm bie
ägpptifdjen ©öttergeftatten wie bie ppiinpüfcpen g'fdfflötter
wutiberbare großen biinfeit, er achtete in ipnen ba«, wa« bem
Volte peilig war. fiambpfe« patte ben Slpi« getöbtet, Sleyanber
feierte ipm gefte; bic patten bei iprem unftnnlicpen
©otte«bienft überall bie gbole ücrfolgt, bie ©riecpen pulbigten
felbft bcr Sbofatrie , unb Stleyanber beeilte fiep anjubeuten,
baß ipm , wenn and) unter attbercr gorm , ba« $eiligtpum
feiner Untertpanen peilig fei. ffteben ber Religion fcpirmte er
Sitte unb 9tecpt, gewäprte Stommunalfreipeit, ben Unterworfenen
3utritt ju Slemtern, wenn aucp bie ftaatlicpe fütacpt, wie ber
Atrieg«bienft, in ben §änben ber ÜKafebonicr blieb. £)aß bem*
näcpft ber Stampf wieber aufgenotnnten werben muffte, oerftcpt
fiep: e« ftanb ja bcr perrfepenbe ©tamm ber Sßcrfer in feinen
peiwifcpeit ©ißen noep ganj unaugefoepten ba. ©r mußte auf*
gepiept werben, wie fcpwer bcr Stampf aucp werben moepte;
fd)uf ba« grofje Vlacpfclb SUeyanber ungepeure £>inbeiniffe, fo
leiftete eine folcpe fReiße »on ©iegen ipm burd) ba« Vertrauen
unb bie Eingebung feine« §ecre« oud) ungemeinen Vorfepub.
Stber wir taffen feinen weiteren 3ug jng innere ülfien, feinen
©ieg bei Ütrbeta im Vtacpfelbe, wo er nid)t mepr bie Statur
be« Voben« fonnte für fiep ftreiten taffen, wo er fefbft gegen
bie $um erftenmat im fßerferpeere oerwanbten ffilepßanten ben
©ieg gewann, unb wetiben un« ju ber Stellung, bie er naep
bem ©iege bem perrfepenben Volte gegenüber einjunepnien be«
ftiffen war. ©« waren nid)t neue ©ebanfen, er btieb bei bem
©ruitbfaß, bajj ber SRcgent bem Volte eine tiieptige Slbmini*
ftration feputbig fei, eine Verwaltung, bie feine ©praepe rebe,
fein Stecpt unb feine Verpättniffe tenne, feine Slnfcßauungen
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uiib Sitten tßeile: fo hatte er fie big baßiu in bie £>änbe bcr
Sanbegfinber gefegt, feinen 2Rafeboniern nur bie bewaffnete
9Rad;t unb jene Cberaufficßt oorbeßnlteu, welche bcm fierrfcßer
ben notßwenbigften (Siufluß ficßert. (ftwag anberg warb bag
ßier, wo jene Sanbegfinber eben diejenigen waren, bie big bnßin
twrjuggweife gegen bie ÜRafebouier in ben SBaffen gcftanben
hatten, wo bie ©teilen boppelt einträglich, boppeft einflußreich
waren. £>ier hatte fie ber mafebonifche Slbcl oor$uggweife nur
ju gern alg feine burcß ©cßweiß unb lülut oerbiente 53eutc be-
trachtet unb oerging in ülerger unb (Siferfucßt, wenn er fah,
baß Slejanber nun bie perfifcßen ©roßen, bie fich unterwarfen,
als feine ©roßen attfaf), fie mit ©tattßalterfcßaften betraute,
an bie ijkrfoit beg itönigg ßeranjog, in fRaitg unb (Sßrcn fie
ÜRofeboniern gleichfteüte. der Slönig befeßte SBabploit unb
umgab fich bort, ber Sitte beg Sanbeg ^ulbigenb, mit einem
glänjenben .jpofe, fchuf baju eine SRenge neuer SBcbienungen,
befeitigte bie Grinfachßcit, in welcher er big boßin mit ben
©einigen oerfeßrt ^atte. dag hatte feine bebenflicße ©eite.
üRodjten ißm fo auch gewaltige 8d)äße in Söabplon in bie
Jpänbe gefallen fein, modjte feine Jreigebigfeit in oerfdjwen-
berifchem 9Raße ben SBünfdjen ber SRafebonier entgegenfommen:
cs mehrte fich >n beg ftöttigg SRäße bag SRnrreu unb bie Un*
jufriebenßeit, unb je größer bie Eingebung war, mit welcher
ber gemeine ©olbat feinen ftetg fiegreießen gclbßerru oergötterte,
befto finfterer warb bie SDiiene ber Offiziere, bie fieß um bie
rechte grueßt ißrer SRüßen betrogen glaubten. l£g war in
mancher föejießung günftig, baß bie ^erßältniffe feine lange
«Ruße geftatteten: dariug ßatte fidj mit bett immerhin noeß
anfeßnlicßen drümmern feineg £eereg auf bie perfifeße .jjiocßcbeue
naeß Sfbataita gerettet, für ^llejanber immer noeß eine äBetter-
wolfe, unb ber fteile Abfall ber ©ebirge, bte ©cßwicrigfeit ber
pfiffe maeßten ißn unb bag Snnere beg 'ißerferlanbeg faft miau*
28
greifbar. SUejanber aber luicberljolte, rnas er am Anfang feiner
SHegierung in X^effalien geübt, überftieg auf ungangbar ge-
glaubten ©egen ben §lbl)attg be$ (SebirgeS, erhielt, inbetn er
»on SDiü^eu unb Vefdjmcrben ftetö ben Söwettant^etl für fid)
nahm, ben SDiutb unb bie ©pannfraft feiner ftrieger unb ftanb
oor s^erfepoli^, of)ne baß eS Semanb geahnt hätte. SDie ®e-
ftürjung »on SBefafcung, »on öeamten läßt fid) nid)t fd)ilbem,
nid)t bie öröße ber ©d)ä£e, tiidjt bie ©idjtigfcit ber Rapiere,
bie hier in StlejanbcrS £>änbe fielen, aber eS ereilte if)n ^ier
bie $olge bcS ^Jrinjip^, baS er »on Anfang an auf feine
Jahnen gefdjrieben ^atte : fRadje ju nehmen für bie »on ben
Werfern jerftörten Icmpcl ©ried)enlanbs. $unbertmal t) rtten
foldje ©orte parabireit müffen, tuo eS galt, bie Xruppen ju
Äampf unb Slnftrengung aujufeuern, jefct erhob fid) inmitten
ber überangeftrengten, erfjipteu itrieger ber ©d)rei, Vergeltung
ju üben. '.fkttifte unb fKegierungSgebäube in ÜJfenge tuaren
hier in bie §änbe ber Sieger gefallen, beim Jempel fanmen
bie ^ßecfer bei iljrer uufinttlichen ©otte3»eref)ruug nid)t, unb
Sllefanber mußte ba$ ©ort maßr niadjen, weil er e§ gefprocfjen,
es marb ein Ifjcil ber VllIäfte bcu flammen geopfert, ©ir
finb über ben Hergang nid)t uäf)er unterrichtet, bod) bie ©ad)e
ift nidjt abjumeifen. (£$ erbebt fid) felbft bie bi« babiit nie
gehörte Vefdjulbiguug, ber Jtöuig fei nicht nüchtern gctoefen,
als er ben Vefehl crtheilt. ?lber Slrriait fagt nichts ba»on,
n>ol)l aber fpridjt er »on einem Slbrathen VünncnioS, e$ feien
ja je|)t beS Atüuig» ^inläfte, maS auf eine Veratljung hin3u’
roeifen fdjeint. $er Jtünig gab bem ©d)reien ber Ütfcuge nad),
toeil ihm fein ©ort »erpfänbet fdjieit, bem gefbherrit bcbiinftc
mit ben Umftätiben bie Sache »eränbert. §lber märe and) bie
Vefdjulbiguug mabr, fo märe cS nicht baS erfte 9Jfal, baß
baueruber Slerger unb lleberauftrengitug ber £ruufe»heit bc«
©cg gebahnt Ijfltten.
(9S)
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2Bir fielen an einem fünfte, ber »nie irgenb einer auf.
forbert, jur Sonjeftuv ju greifen, bettu ba« muß man, cfye man
einem fMejanber Unfinnige« aufbürbet, aber unfinnig ift e«
bod), ba« prächtige £>au«, in bent mau wofjnen fönnte unb
füllte, fid) über bem ftopfe anjujünben. Da« ©feicbe gilt oon
bem ®ericf)t«<, non bem Serfammlungögebäube: aber eS giebt
bod) ein ©ebeiube, ba« ber ©ine (ißarntenio) für einen ©djaß
halten tann, ber 9lnbere wegwifdjen möd)te, ba« ift ba« 9lrd)iu,
weldje« bie Unter Ijanblungen mit ber grembe birgt, bie ©dfreibeit
be« ißelopiba«, Spfanber, tlflibiabe«, DljemiftofleS: ba« waren
gäben, an benen maud) griecfjifdjer Serrätlfcr fdjwirrte, unb
bie 2J2and)em in ber £>eimatlj, ber fjodfmütljig einfjerftoljirte,
ba« »lut in bie SBangen treiben unb beit füiutib oerbittben
fonnten. 2öic wenn SUejanber gefproefjeu ^ättc: gort mit biefen
papieren, unter meiner |>errfd)aft fürchte ein geber bie golgeit
oon bem, wa« er gegen fie gefreoelt; wa« er uor il)r getljan,
bariiber rnfjc 92ad)t unb Schweigen! — Seweifen läßt fid)
ba« nid)t, aber unter biefer SorauSfefcuttg bod) 9llej;anber3
Iljat begreifen.
2Bir müffen e« un« oerfagen, uieiter einjuge^cn auf bie
riefigeu Änftrengungen, bie Sllejrauber fpäter machte, bie ©no
pörung ju unterbriiefen, bie fid) barnad) gegen Darin« erfjob,
al« eine mit feinem 2Wangel an ©nergic unjufriebene Partei
mit Seffu« an ber ©pißc ifjn ber ^Regierung $u entfetten
trachtete unb ifjm fctyliefjlid) beu Dob gab, auf fein ocrgeblidje«
Semiiljen, iljnen burd) bie SBiiftc ju folgen, ©old) ein Serfud)
muffte uicbergcfd)lagen werben, fd)oit weil er gur gortfeßuug
be« Stampfe« gegen bie fDtafcbonier erhoben war. ©orläufig
aber jeigte fid) bie 92atur ber SBiifte al« ein att biefer ©teile
nid)t ju überfteigeube« Sollwert, c« muffte oon einer anberen
©eite angegriffen werben, ©o jog bettit $lle;ronber au ber
inneren ©eite be« fHanbgebirge«, bie öftlid)en ©alrapieu in
(9'))
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'.jjflicfjt ucfjmetib, fiibiucirt« nad) £>erat, jum erftenmale mit
orieutalifdjer SBortbrüdjigfeit uttb Unjuöerläffigfeit ringenb, be>
müht, ben SStufftaub besS 23effu3, ber fidj mm ÄrtajerjeS nannte
uitb in üöaftrieit feinen ©ife behauptete, nicberjuidjlageu; ba
brängte fidj ifjm ber ©inblicf in bie inneren ©(haben auf, tueldje
ficf) itt ber 9täf)e feiner ißerfon gcbilbet hatten. (53 bilbetc fich
im (befolge be3 Königs eine SBerfdjtvörung gegen ba3 Seben
besfelbeu, au3 toeldjen ©riinbeit unmittelbar liegt nicht uor, ba
ber £>auptuerfchiüörer fid) felbft crmorbete; aber be3
'4$armenio ©oljn, ein £>aupt beS unjufriebenen 31bel3, perfönlich
bent Könige nahe ftefeenb, ^üg baburd), baß er eS gefliffentlid)
unterliefe, bent Könige ooit ber ifem brohenben ©efafjr äJlittheilung
ju machen, ben '-üerbadjt auf fid), ber iöerfdjmörung anjuge«
hören. <£r fudjte, als ber König if)u uor ba« ©erid)t be3 oer»
fammelten feeres (teilte, bie ©cfeulb auf ben König ju fdjieben,
ber ifen feit ber illerfagung ber göttlidjeu (51)veu mit bitterem
$afe »erfolgte, uttb betonte, bafe er als 3$erfd)iuörer nicht ge»
nannt fei. $ic Änjeige h°öe er unterlaffen, meil er nicht an
bie ©adje geglaubt, foubern fleinlidje '^rioatfeiubfchaften für
ben ©ruub gehalten. Slber ba3 §eer hielt feft au bem Jaftum,
bafe er burd) fein ©djmeigen ben König in gröfete lobeSgefaljr
geftürjt l)abt*r uerurtheilte ifen unb begrub ifen unter feinen
Sausen.
Sllcfauber liefe bann aud) ben üBater 'ißarmenio tobten, ber
burd) einen stueibeutigeu Srief, in bem er uoit gamilietiplänen
fprad), uerbächtigt toar, in beffeit ^pänbett er in (Sfbataua feine
Sdjäfce uttb ben ©cfelüffel für ben §einttoeg feine3 Jpeere3 ge»
taffen hatte unb beffeu $orn er nad) .£>inrid)tuug beS ©ofeneS
SU fürdften hatte.
©in biiftereS Sid)t fid;erlid; läfet bie ©ad)e auf bie inneren
$erf)ältniffe uon 2)iafebonieit fallen, grell bis s“ni (Sutfefeen:
^llejanber foll s» milber Sef)onblung best galtcS geneigt ge»
(100)
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rocfeii feilt, aber |>ephäftion, HoinoS uttb ßrateruS sprachen tu
bem eitleren ÜriegSratfje für Äufbecfuttg beS ©cfjabenS. Jie
Uitterfucbnngeit bliebett babei uidjt fielen; attberc tnafeboitijdje
Gfcofse, bie einer geinbfdjaft gegen Sllejattber oerbädjtig waren,
mürben jur Verantwortung gezogen, bod) hören wir nidjt uott
attberweitigen Vluturtheilen. öl nabte ber SBittter 829 — 828
mit feinen 3urüftungen für ben Uebergang über baS fchttecbe-
becfte ißaropamifnSgebirge. $er ftöttig bejeidjiiete ibtt burd)
eine eminent politifcbe 2hat- folgte bem |>eere bereits eine
aufjerorbentlidje ÜJienge oott Snoaliben, zunt $heil Verftüm»
melten, bie matt aus bem Snnern SlfiettS nidjt nach Tarife
fenben fonnte: wie füllte er fidj betrn berfelben eutlebigen? —
3um Shell oielleic^t mit Veziehung auf bie nun beoorftefjenben
änftrengnngen uttb Strapazen fdjieb er fie aus nttb Bereinigte
fie ju einer feften Slnfiebelung oon ©riechen im fßerferlaube,
er grüubete bie erfte griedjifdj-perftjdje Äolonie, baS je^ige
£erat, Alexandria Arionmi, gab i^r uöütg griedjifdje Stabte-
oerfaffung uttb ©tabtredjt, fteUtc fie als (Scfpfeilev griedjifcber
Sprache unb griechischen iiebens im fernen Cften hin- tfraueu
mußten fich natürlich bie Jlttgefiebelten in ber sJläf)e fudjett,
ifjre Stinber foHteit eben Vermittler jwifchen ben beibett 2lu»
fchauungen werben. 35aS war eine ©enteilte ohne orientalifdjeit
Despotismus, oon Seuten mit griedjifchent greiheitSfiun, ager
buch gewohnt an mititärifche 3ucht nnb Orbnuttg. Uttb eS
blieb nicht bei biefer einen: wenige ajloitate fpäter grünbete
Älejanber eine zweite itt Vaftrien, wie eS audj ÄUjroS getljait, am
oberen 3afarteS, Alexandria eschata, bas heutige Äobfdjetib au
bett ©retten beS Reiches, bann zahlreiche anbere mehr. Sie waren
einerfeitS gelungen, auf bie mau fich (tüfteit fonnte, attbererjeitS
Stübpunfte eines auSgebehnten|)anbclS, burd) Straßen »crbunbett.
Süir halten unS nicht auf bei bett ©chmierigfeiten, weldje
bie Ueberfteigung beS f)inbufhn, bann ber Uebergang beS CfuS
(101)
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bereiteten, nad) welcher ©effuS gefangen genommen mar, Der»
ratfjen oon beit Seinen, tuie er oerratfjen Ijatte. ©$ folgten
Stümpfe mit ben bie ©ren^e bebvängenben ©ftjtfjen nnb mit
ben ©etooljnern ber |>od)tanbe im Ofteit, betten Cfus unb
Stayarte« entfpriugeit, metdje ben felfigett ©oben, ben fie be-
wohnten, mit äufjerfter Japfcrfeit 31t oertljeibigeu bemüht toaren
unb Ütlejanber 311m Stnftrcngen alter feiner Spannfraft nötf)ig‘
ten, tun f)ier ttidjt einen Jeittb im fRiicfen 31t taffen. 3ur
©cfjauptung biefer roeit auägebefjnten liaiibftrccfcn fafj fid)
Jlleiattber genötigt, aitd) bie tjeimifdie 3Bet)rfraft tfera^njietjen
unb itt gorm oon attadjirten Gorp3 feinem £teere 3tt3ugefeflcn,
um ttad) atteu Seiten gront 31t machen unb jebett SBiberftanb
cnergiftf) 3U bredjett. 2)ie 9iotf)toenbigfeit, fid) 31t biefem ©elfuf
mit einer tReifie perfifdjer nnb baftrifdjer dürften in SSejiefjung
311 fefeen unb ber £»off)aftung beö ©effuS feine nid)t mittber
glcin3enbe entgegen3ufefecn, fie babttrd) an fid) 31t fnupfen: fo
brättgte alte« 31t neuen 2Rafjnaljmen; Ütlejanber legte ben
Sdjmttd ber perfifdjett Gültige au, ocrtaufcfjte ba£ ntafebottif^e
ST'iabent mit ber nufftetjenben mebifdjeu liara unb fing, freilid)
3um t)üd)ften Sterger feiner 3tltma!ebonier, an bei ben ^eften
ftrenger auf bem $ofceremottiell, ber 7TQoqxvytjaiq, 31t hefteten,
©r t)atte babei inbeffen in feinem ©efotge fetbft jtuei Parteien
fid) gegenüber, fotdje, bie bett SBütifdjeu be$ SlönigS entgegen-
tarnen unb tuie beraufdjt oon ben ©rfotgen bie eigene ©egen-
toart faunt begriffen unb, mie beim ber gried)ifd)e Sinn gar
nid)t gteid)güttig ift gegen ©tattj unb ©runf, 3toifd)cn beg
JU'nigS 3l*9eit nnb betten be3 ©iontjfuS unb fteraffe# fd)meid)el-
bafte ißaratleten 3ogen, umgaben bod) ben Siöttig niefjt btof»
itrieg^männer, fottbertt aud) ein ©efolge oon Äünftlern, S'id)-
tern, 9tf)etoren, s#t)ifofop[)cn. Sfpten ftanb freitief» eine fd)roffe
©eguerfdjaft gegenüber, bie attfjer fid) mar über biefett Stbfatl
oon oätertid)er Sitte unb mit oerlefeenber |>crbigfeit bie Sdjmei*
ao2)
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33
tf»eleien ber Slnbereit rügten. Unter biefer Partei trat als
SSortfnfjrer befonber« StaHiftratu«, ein SReffe be« Slriftotcle«,
beroor, ber al« ©efc^ic£>tfc^reiber fid) bem |>eere üllejanber«
angefdjfoffeu ^atte, ein 2J?ann non Ijofjer .©ilbung, aber »oll
©elbftiiberbebung, üon hcrbfm SBe^en unb in troßiger grei>
mütf)igfeit fid) gefaHenb. Sr bitte ^^i(otaS nabe geftanben
unb einftmal« bemfelben auf bie Sleufjerung, ein ftönig«mörber
werbe nirgenb« einen 3uftll£f)t3ort finben, geantwortet, ?ltheu
werbe einen fotdjen nicht »erjagen, ba e« fortwäbrenb ben
|>armobio« unb Slriftogeiton feiere unb für bie »erjagten §era*
ttiben bie SBaffen ergriffen b«be. Dian fiebt, wooon bie Herren
rebeten, unb mancher Sirieg«ntann fchlofj fich an ihn an. gär
fie war bie« neue ©orgefjen be« ?l(ejanber ein ©tad)el, ber fie
bi« auf« ©tut traf, ©on biefem ©egenfaß ging ber unheil*
ootle gufammenftojj be« ftönig« mit Stlitu« au«, bei bem man
nur jweifefbaft fein fann, wa« babei größer war, ob ba« Um
gtücf, ober ba« Unrecht. S« war nach Wrrian um bie 3e»t
ber $iont)fien, olfo im ©Sinter 328, an beren Statt aber
Stlejanber ein $eft ber $io«!ureit feierte. Sin ©d)mau« ber
©enerale unb be« |»ofe« fd)lofe bie Jeier, bei welkem ©chmeichter
Ihorfjeit rebeten unb fich parallelen erlaubten jwifchen
Älepanber unb ben (gefeierten, bie au« irbifchen ju göttlichen
©erhSltniffen unb Shren aufgeftiegen , au« Stßnbaru«föhnen
$>io«furen, ©öhne be« hödjften £)immel«gotte« geworben feien,
man mödjte glauben, e« Jjabc fich um ein ©ebidjt $u ber geier
gehanbelt. ®a« ©efpräcf) jog auch ben ^erafle« heraH unb
verbreitete fid) über ben 9leib ber Dienfchen, ber ben ©terb*
liehen in ben Söeg trete, baff ihnen oon ihrer Diitwelt bie
gebührenben Shren nicht ju theil toürben. Unter ben ©äften
war aud) Jülitu« geloben, ber ©ruber »on Sllejanber« Smnte.
Sr bitte, fagt Slrrian, mit beffen ©Sorten wir ben unglüdlichen
©orfafl wiebergeben wollen, längft merfen laffen, wie ärgerlich
SammCtuig S. 3- V. 09. 3 (103)
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34
iljtn Slleyanber« Hinneigung gu ber Söarbarenfitte fei, nidjt
ntinber al« bie Sieben ber Schmeichler; ba aber, felber oom
©eine aufgeregt, tffat er ©iitfprudj gegen foldjc Herabfeßung
ber ©ott^eit. $)ie, meldje fo bie Sfjateit ber alten Heroei1
heruntermachten, fagte er, ergeigten bent Stleyanbcr einen fdjlec^ten
$)ienft, beim Slleyanbcr« Sljotcn feien gar nidjt fo groß unb
lounberbar, wie jene fic priefen: er hotte fie ja nid)t allein
getljan, ein gut Xfjcil fei ber SJiafebonicr' ©erf. $5iefe Siebe,
fagt 9lrrtatt, fränfte beit Slleyaitber, unb idj lobe fie and) nidjt,
feßt er hmgu, fonbcrn in fo einem Sieben beim Söedjer folltc
man fcßmcigen oon fidj felber unb nidjt eben fo arg fidj oer
gefjen mie bie Schmeichler. 911« aber ©inige, fährt er fort, über
«ßfjitipps Spaten, nur um 9lleyanber etroa« 9lugeneljme« gu
fagen, ohne alle« Siedjt behaupteten, baß oon ihm nicht« ©roße«
unb ®cmnnbern«mertlje« ooübracfjt fei, ba fdjrie ftlitu«, be«
«Philipp« ^haten feien bie oiel größeren, riß 91leyanber« 3:h0tcn
herunter unb erging fidj in feiner Xrunfenfjcit in mandjerlei
gingen fonft unb hielt befouber« 91leyaitber oor, baß er burdj
ihn errettet fei, al« am ©ranifu« ba« Sicitergcfecht mit ben
^Serfern im ©ange mar, unb inbent er ihm herou«forbernb bie
Siebte entgegenftreite, rief er, biefe Hanb hot in bem 9lugcm
blief bidj, 9tleyanber, gerettet. Sänger ertrug Sllcyanber bie
Xrunfenheit unb Herau«forberuug be« Slitu« nicht, fonbern
fprang ooll $orn auf, toarb aber oon ber ©cfeHfcfjaft gurücf-
gehalten; $litu« aber ließ nidjt nach mit Höhnen, Hleyanber
rief nadj ber ©acfjc. 911« aber Siietnaub auf ihn hörte, üagte
er, e« ergehe ihm nicht beffer al« bem ®ariu§, ba er oon
Scffu« unb feinen ©efelleit gefangen genommen unb fortgefcßleppt
mürbe unb nidjt« meiter al« ein bloßer $tönig«name mar. $a
mären bie ©enoffen nidjt mehr im ftanbe gemefen ihn gu holten,
fonbern er märe aufgesprungen, hotte einem ber ©arbiften bie
Sauge meggeriffen unb bamit nadj Silitu« geftoßeit unb ihn ge-
(104)
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3r>
tobtet. Sfnbere fagen, eg fei eine ißartifane gemefen, ebenfalls
oon einem ber 3Bäd)ter. SIriftobul aber, fährt er fort, fagt
nid)t, rooooit bag 3edjen attggegangen fei, fdjulb aber fei
Slitug allein gemefen, ber fei, alg Stlejanber mütf)enb warb
mib gegen ihn aufgefprnngen fei, um itjn umjubringen, non
ißtofemäog, beg Sagog ©ohn, bcnt öeibgarbiften, jur J[)ür
hinaug unb über 3J?auer unb ©raben ber 93urg, mo er ge*
tnefen, fortgebradft, märe aber nid)t bageblieben, fonbern umge*
fef)rt, mieber eittgebruitgen bet ?(Iefanber, ber uad) ftlitug rief,
hätte fid) nor ihn hittgepf(an$t unb gerufen: ba bin id), Stlitug,
?flejanbcr. Ja märe er oott ber ißartifanc getroffen unb hätte
feinen Job gefunbett.
3d) aber, fährt Slrrian fort, table ben Stfitug fyöfyid)
wegen feiner 3ubr*n9ftd)feit gegen ben Äönig, um Slteyanber
aber tfjut mir biefeg llngfitd leib, baff er fid) in bicfem ?lugen*
blid alg non jmei Hebeln übermäftigt jeigte, bereit feinem ein oer*
uiinftiger SDfenfd) erliegen muff, bem 3ont unb ber Jrunfenfjeit.
SBegen beffen aber, mag nun folgte, tob id) Sllejanber: baff er
jofort erfannte, mie @tttfej}lid)eg er getljan habe, unb Sinige, bie
Slejanberg Sehen unb Jfjaten flefdjrieben hoben, fagen, er höbe
bie fßartifane gegen bie Sßanb geftemmt unb fich htneinftürjen
rooHen, meil er mit @fjren nicht leben forme, nad)bem er im
9iaufd)e ben 5rcunb getöbtet. Jie meiften aber Jerer, bie
baoon gefchrieben, fagen bag nic^t, fonbern baff er fortgegangen
fei unb fid) jammeritb auf fein Säger gemorfen höbe, ben
fiteitog ntfenb unb beffen ©cfjmefter fianife, beg Jropibeg
lochter, metch einen Sfmmenfohu er ihr, nadibetn er herattge»
roachfen, gezahlt habe, ihr, bie ihre Üinber für ihn hätte in ben
lob gehen fef)en unb ber er nun auch ben Söruber erfd)fagett
habe, fo hätte er nicht aufgehört, fid) feiner grcunbe 9Jiörber
ju fchelten unb ohne ©peife unb Jranf brei Jage fang gelegen
unb feine pflege an feinen Seib fommett faffeit.
3* ciost
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3(3
©ewiß i)'t Stlejanber fein fdjwerere« Unglücf begegnet, unb
fo groß feine Scßulb mar, e« überwog boc^ ba« Ungliicf. ©«
ift ber SSenbepunft in feinem Sebeu, beffeti ®uft unb fjreubig-
feit bahiu ift. SBoht überzeugen ihn bie greunbe, baß er fidj
unb fein £eben bem £>cere fdfulbe, ba« nur er au« biefem
fernen Offen burch taufenb geinbe in bie |>eimatb führen fönne.
@r unternimmt, um feine Sdjrctfen«tf)at ju nergeffen, einen
$ug nach Snbien, ber nur nicht ganz ein Sflbetiteurerzug ift,
beim inbifche Jpülfstruppen mären bem ©effu« guge^ogeit, unb
mit Jpülfe foldjer fonnte ein ©hrgeijiger ade« urnftür^en, wa«
Sllejanber h'cr im Offen geftiftet, aber mir erfemten in ber
©raufamfeit, mit ber er hier »erfährt, ben alten Sllejanber
faum mieber. greilid) ei wollte unb mußte fchrecfeit. $)ann,
nachbem er hier 21/* Saljre (327, 26 unb 25) ben Srieg ge-
führt hat, erhebt er fich zu zwei ©roßthaten, er läßt burd) eine
glotte ben perfifdjeit ©ufen burchfehiffen, für jene geit eine
@ntbe<fung«fahrt erfter ©röße, er felber aber, nachbem er ben
größeren $f)eil ber £>eere auf befonnten SBegen ^cimgefanbt,
fucßt eine ©erbinbung zu Canbe burd) ©ebrofien, ihn leitet bie
Ueberzeugung, baß eine fluge unb encrgifche ©enupung ber
§ülf«mittel eines jeben Sanbe« bie Xitrdjroanberung beäfelbeit
ermögliche, aber zu feinem tiefen Schmerze fieht er fich in biefem
©tauben getäufdjt unb ben größten Jheil feiner ©egleitung
biefer Xäufdjung zum Opfer faden, ©r felbft rettet fich mit
bem »ierten $he'l ber ©einigen nad) ©armanieti, Serman.
Schmer tritt h*er feine Slufgabe au ihn heran, ©iele,
beuen er fein ©ertrauen gefchenft, bie er z» Satrapen gern ad) t
unb mit michtigeti Slemteni belehnt hatte, haben fich be« in fie
gefegten ©ertrauen« uiimürbig gezeigt, bie ihnen oerlieheut
Sftadjt zur Unterbrücfung ber ißrooinzeu mißbraucht, bie fönig-
liehen Schäle oerfd)leubert: er hat zu ftrafen unb er ftraft ernft
unb nad)brüdlid) unb zeigt, baß er fich mohl bewußt fei, baß
OO«)
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37
er feinen Untertanen ®erecf)tigfeit unb Stu|} ft^wlbc. So
fefjrt im Söeften feinet 5Reic£)ed Orbnung unb ©cfeßmäßigfeit
3urücf unb bie $otgefteflten fügten, baß eine ftarfe .'paub über
ifjnen fei.
3?ann ftrcitet er ju einem großartigen 91 ft ber SBerftmet*
3ung ber Sßötfer. fRot ftefjen ficf) SRafebouier unb ißerfer
fc^roff gegenüber, gefcfjiebeit bunt) ^Religion unb Sitte. Sefct
nermätßte er fit mit einet Sottet be§ SariuS unb jugteid)
eine fReifje feiner t)öcf)ften getbtjerren mit perfifdjen fjürftinnen
unb feiert mit innert nnb nie! niebriger ftefjenben Alriegerit einen
^otäfit^tag, burt foldje SBermäfjlung ©cgenfäße aufgufjebeu,
beren '.Regelung fit ber ©efeßgebung ent^iefjt, er tuieberfjoft im
großen perföntid) unb mit ben dürften be$ £eere$, ma$ er im
fteineit in ben Kolonien begann, bann fud)t er fein £>cer in
feiner gegenwärtigen Sßerfaffung, bie auf törieg beretnet mar,
aufjulöfen, entläßt bie 9tu3gebienten reit beftenft nad) ^jaufe.
93i§ batjin Ratten bie ißerfer in feinem fReite ber firiegSefjren
entbehrt, aber längft fjatte 9l(efanber bie perfifte Sugcub im
grietiftfn Sßaffenbienfte üben taffen, jeßt gebatte er fie in
^Regimenter nnb SorpS ju organifireit unb in aftioeit Sienft
treten 311 taffen, aber bie Säte ftieß auf bie [eibcnftaftlitfte
Oppofition feiner SRafebonier, bie aflc angenbtidfite tSutlaffung
forberten. Ser Stönig aber gab nitt nad), foubern griff mit
ebenfo nie! Energie als SiebenSWürbigfeit burd), erftütterte
burd) fein 2Bort bie ©etnütßer, mäf)renb er bie gorberung ge,
währte. So beugten fie fit feinem SBifleit unb nur bie ißete*
raneit mürben enttaffen, bie neuen ett perfiften CSorpa geigten
fofort ifjre Süttigfeit.
9(ber ma$ foßen mir fagen non ben ^Reformen im Sintern,
bie er in einem Sctljre in bie .fjjanb nafjnt. begonnen maren
fte ja freilief) längft burt bie midjtigfte 001t aßen, bie 9lnfegung
jener tRei^e non ßolonicit, bie er überall gegriinbet fjatte nnb
(107,
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33
fortfuhr ju grünben, burd) weldje er griec^ifc^eö Sölut burch bie
Slbern feines neuen Staates ftrömett liefe unb welche bie knoten*
punfte eines SBerfefjrS gwifchen ÜRorgenlanb unb Abettblanb
tmtrbcn, wie man ihn bis baffen gar nid)t gefannt ^atte, waren
bod) betn Abenblaitb AleyanberS 3“9e e'ne grofee CntbecfungS*
faljrt, unb biefer Sierfefer blieb ber SBelt als fdjliefelicfjer ©eminn
unb gab ber neuen 3eU ifer ©epräge. $on nicht geringerer
iöebeutung mar für baS perfifdjc fReid) bie Sefeitigung ber
SRaturalleiftungen für ^of unb Statthalter, benen er bafür
reidje ©efjalte anwieS, woburch er bie Seranlaffung ju taufenb
©ebrücfungen für bie Untertanen, taufenb Ausbreitungen ber
^Beamten, weldje mehr ober weniger auf bie SRegierungSgewaft
jurüdfallen ntufetcn, befeitigte.
iRiefige Summen ^atte er in ben Sdjafcfantmern ber ißerfer
oorgefunben : fie gemährten ihm baS 2Rittel theilS ju ber glän*
jenbften greigebigfeit, theilS ju grofeartigen Unternehmuugeit
aller Art, {ebenfalls gab er einen grofeen Ztyit bem SSerfe^r
juriicf unb förberte baburch |>anbel unb ©emerbe, fomie ben
Söerfefjr in grofeartiger SEÖeife, ber ihm fefjr am ^perjen lag.
2öie wollte ich fertig werben, alle bie Umgeftaltungen ju
fd)ilbern, bie baS fRiefenreidj burch ihn erfuhr. Sie 3Renge feiner
Jätolonien, man ääfjlte ihrer über fiebjig, erhob baS ©riedfefehe
§ur SBeltfprache, unb er forgtc für ihre bauembe Serbinbung
unb Serfehr, benn fein thätiger ©eift fannte nicht fRuhe noch
fRaft unb fein träges ©etutfeleben. Aber auch ©riechenlanbS
2$erf)ältniffe riefen fein thätigeS ©ingreifen; aud) hier fucffee er
Ausgleichung ber ©cgenfäfee, SBerföhrtung ber Parteien in ben
Sleinftaaten, unb er mufete fie fucfeen, benn bie SBcrbannungen
hatten oielfad) bie mafebonifchc Partei getroffen; jefet förberte
er öon ben ©riechen zweierlei, Ancrfennung feiner fönigtidj
perfifchen ©hren unb 3uriicfrufung ber SBerbannten, aber baS Iefetere
namentlich liefe bie einzelnen Staaten auf Juden in milbein Scfemerj
f I OS)
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39
$ocß für alle biefe Umgeftaltungen im Snitertt, beiten fidj
nocß eilt neuer Strieg beigefeflen foüte, um fein lteugebilbeteS
£eer gu prüfen, tua^rfcfjeinlicfj eine (SiitbcdungSfaßrt gttr Um=
fegelting non Arabien, gu einer Seeöerbinbuttg ber Supßrat-
münbung mit bem rotßen SÖJeer uub 9(egt)pten, luar betn Könige
non ber ißorfcßuttg nur ein 3aßr gemäßrt, cS mar ißm nicßt
befcßiebett, lueber baS Säcfjeltt feines ftittbeS, ttod) bie glütflidje
fiöfung einer ber oben angebeuteten 2Raßregelit gu feßen, n>ot)f
aber boten ißm biefe fDfonate ben $eld) beS bitterften SdjmergeS
am Seicßenbette feinet treuen $epßäftion. 2BaS ßalf ißm baS
föniglidje £eid)cnbegättgttiß, mit bem er ben ©ettoffen feiner
Siinberfpicle eßrte, er gab ißn bamit bem Sebeit nicßt guriicf.
fRur neue EXßätigfeit fonnte ißn über baS Seib ber Stuitbc
ßittroegßeben, aber es mar ißm eine nocß fcßmerere befcßieben, als
an feinem Sterbebette feine gelbßcrrett fragten, men er berufe,
fein SEBerf fortgufeßcn unb gu Sttbe gu führen. Söofjl mar
feine Slntmort föniglid), aber mer ermißt bett Sdjmerg ber
Seele, bie, maS fie im Sebcit nie geroefen mar, int EXobe ratß<
loS, auf folcße grage mit einer SWgemeinßeit, „ber SBürbigfte",
ootn Sieben fcfjeibett tu ufjte. Hub battebeit ber ölid auf feine
Reformen, alle angefangen, feine gu Hube geführt, mußten fie
nid)t mie ©efpettficr fein Sterbelager umfteßen. @r füllte bi
Spannfraft, bett gorbifeßen itnoteu gu löfett; baß fein gmeiter
bagu im ftanbe fei, geigte baS ©rabgeläute eines faft fiinfgig«
jäßrigen Krieges, baS gar nicßt oerftummen wollte. Unb bie
SRacßmelt? SüBiirbe fie geredet gegen ißn fein? mürbe fie ein
£>erg für ißtt ßaben? Saffcn Sic unS nur meufeßtid) für ißn
füßlen unb bem ©rabe eines Sllejranbcr ben SRoSntaringmcig
nicßt »erfagett.
(10UJ
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Irmepttgü- unb SinnrsoatftrUungfn
brr lUrnfiiirn
in tyrrn Jciidjungrii ;n frinrr Mbirnolifrflaiijr.
SBoit
Dr. garo,
»rafiiiditm flrjt in $ai(n.
Hamburg.
Sierlagäanftalt unb $ruc!erei Sl.=®. (uormafl 3. 5. SRidjter).
1890.
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Tai :Hed)t Der Ueberjeflmtg in frembe Sprayen roirb oorbetyalten.
Irud st r BetlniiSfliifialt uitb t rudern mctitiKÖffröidjaft
(normal« 3. J. SiidHrr) in Hamburg.
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3u feinen ©renjen beä SRaturerfennenS faßt SuboiS’iHep*
ntoub : SBäre unfer ©eljiru fo groß, baff mir felbft ofjne optifdje
^pülfgmittcl bie ©ewegungen feiner ffeinften Sljcilchen mäfjrenb
feiner Sfjätigfeit beobachten fönnten, niemals würben wir
barauä einen erfläreuben ßufammenhang fiitbeu fönneit ^wifdjeit
biefer ©emegung materieller Sheildjen unb bem ©emufjtfein.
So ungefähr lauten feine SSorte. Selbft bie elementarfte
©mpfinbung (äfft fief) nicht au$ ber ©ewegung materieller
fXheifchen erfläreit, unb e3 l)ilft nichts ju fagen, bie ©mpfinbnng
fei eine ©igeitfdjaft ber Materie, Samit ift nidjts erflärt. Sie
Grfenntniß ber ©ewegnngen tnad)t nur fomplijirte fragen 3lt
elementaren, unb hier bleiben wir fteljen. — Sie grage mid)
ber ©rflärung ber Gmpfinbuug ift eine foldje. ?lber ba3 üer*
wicfelte Spiel nuferer ©ef)irntf)ätig!eit möglidjft jergliebern,
©mpfinbung unb ©orftedung nad) ihrer ?(rt fonbern, — bie
©ntftefjungäftcitten ber einzelnen ©mpfinbungen unb ©orftellungen
im ©efjiru fudjen, — oerftehen, wie fie fid) in ihrem Sßirfen
uutereinanber jit fomplijirtereu Elften oereiueu — ba3 fönneu
wir anftreben. Ser ©rfofg hot bie ©credjtigung erwiefen. Saß
bie hier gewonnene ©rfenntniß oou ber fülebijin auSging, ift
felbftoerftänblid). Sa ba3 Sjperiment be$ ÜJfeu}d)eit am ©ehiru
Seinesgleichen nicht möglid) ift, muß man fid) auf baS @jperi>
ment oerlaffeu, welches bie Statur in ©eftalt ber Hranffjeit am
Sammlung. 3J. ft. V. >00. 1* (U3J
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4
SÖtenfdjen oft macht. (Daher ift eS ber Srjt, welcher in biefer
^Beziehung ^Beobachtungen fammelt. (Er fieht, welche Störungen
bei beftimmten SlranfheitSherben int ©e^irn auftreten, bie nadj>
träglidje ©eftion belehrt ihn genau, an melier ©teile beS @e*
IjirnS ber Sranfljeitsherb gefeffen. (Durch ga^Ireic^e (Erfahrungen
lernt er bann, welche ©teQen beS ©cfjirnS biefen, welche jenen
StuSfaH ber gmtftioncn bcwirfett. Slber inbem bie 9fatur für
uns baS (Experiment übernimmt, lägt fie uns noch öiele ©chwie*
rigfeitcn. Sßiele ÄranfheitS^erbe wirten nicht blofj funttionS«
toernichtcnb auf biejenige ©ehirnftede, in ber fte ihren @i|
haben, fie wirfett auch burch (Drucf weit in btc gerne, unb ein
fritiffofer SBeurtljeiler würbe manche Störungen auf ben Ausfall
einer ©ehimftelle fchieben, ju ber fie nicht gehören. (Derartige
fernwirfenbe f>erbe miiffen oorfichtig beurtheilt ober »ou ber
Serwertljung oft auSgejdjIoffen werben. (Es ftefien fich auch
üiele ©chwicrigteiten für bie (Erfenutnifj ber SBebeutung einzelner
©ehirutheile ein, eS genügt, Iper barauf gingcroiefeit ju haben,
©ie werben aus bem ©efagten entnehmen, baff bie ©runblage
für bie £otalifation im ©ehirn in ttnfcrcm mobcrnen ©inne
erftenS eine ftreng anatomifdje ift, zweitens, bah bie oorliegettben
anatomifchen ^Beobachtungen nicht fritifloS üerwerthet werben.
SBeibe Momente unterfdjeiben fie oon ber ©aüfcheit ©chäbel*
lehre, ber man oon oornherein auch beShalb ben SBorwurf
ber £ädjcrlichfeit nicht erfpnren fann, weil fie ganz fomplijirte
(Dinge, wie Sorn/ ^afcgier ic. lofalifirt. — $u ben SDhatfadjen
ber 9?atur fommen noch ©Eperimeute oon SDtenfchenhanb, an
(Klieren angefteflt, oon gritfd), £)i(sig, ältunf :c. SBeitn auch
burch ©olfc ein gewiffer SBiberfprucf) in ber experimentellen
ißhbfi°l°9'e/ ich meine burch (Xh'eroerfudje, Ijeroorgerufen worben
ift, fo ift bod),. was baS 2Jtcnfchengehirn anbetrifft, bie £ehrc
oott ber fiofalifation oon beftimmten ©efjirncrfcheinungen als
etwas einfach Unzweifelhaftes allgemein anerfannt. 3d) will
(114)
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mid) junächft ^ter nicht weiter auf eine ©rörterung ber Sofali«
fation oon Sranf^eiten im ©ehirn gegenüber ber ßofalifatton
oon gunftionen einlaffen, fonbem jiir ©rflärung einiger ©runb*
begriffe übergehn. Ter Bergleich uttfereS SReroenfpftemS mit
einem Telegraphen ift eigentlich fein Bergteich mehr, benn bie
Bezeichnung becft fidh mit bem bezcidjneten ©egenftanb oöflig.
spalten Sie flar auSeinanber einerfeitS: SRadjridjte« entfenbenbe
unb empfangenbe Stationen, unb anbrerfeitS: SeitungSbräljte.
Tem entfprechenb giebt eS wefentlich im ©ehirn zweierlei:
©rftenS fogenannte ©angliengeßen, fugelige ©ebilbe mit gort«
fäpen. TaS finb bie Stationen. 3n ihnen werben bie ©in«
brücfe, welche wir oon außen befommett, beponirt. Sie hoben
in 3hrem Sopfe hoch betriebene Borfteßungeti, 5. B. bie oon
ber ©eftalt eines ThalerS. Tiefe Borfteflung ift in eine fotcfje
©anglienjeße ^ineinteiegrap^irt worben unb ruht ba, bis fie
wieber jum ©rflingen gebracht wirb. ©in anbcrer Tf)eil ber
©anglienzeßeu braucht bloß erregt ju werben, unb er entfenbet
baS Signal $u irgenb einer Bewegung. Zweitens fommeu in
Betracht: bie SRerben, burch welche biefe ©anglieujeßen unter«
einanber unb mit aßen Thcilen beS ÄürperS oerbunben finb,
baS finb bie 2eitungSbräl)te, baS finb gäben. Sie wiffen nichts
oon ben Tepefdjeit, welche fie tragen, fie hören nicht, fühlen
nicht tc. ©S fühlt nur bie ©attglienzeße ben SReiz, ben ber
SRerb leitet. — Tie ©anglienzeflett fehen grau aus, fie finb
ju mehr ober weniger großen ©ruppen oereint, unb biefe
©ruppen bilben im ©ejjirn bie graue Subftanj. Tie Heroen
im ©ehirn fehen weifj aus, unb ihre Summe bilbet bemnach
bie Weiße Subftanj. Ülufjerbem giebt eS im ©ehirn noch eine
Subftanj, welche bie eigentlich nerböfen ©lemente (worunter
man alfo ©anglienzcflen unb SRcroenfafern berftefjt) oerfittet,
eS ift bie fogenannte SReuroglia. — Tie Cberflädfe beS ©ef)irnS
befteht wefentlich auS ©auglienzeßen, fie ift bemnach grau unb
6
matt nennt fie bie §irnrinbe. Otti Ämtern beS ©etjiritS ftnbcrt
fid) aber gerftreut noefj mefjr ober meniger große ©ruppett oon
©attgliettieflett. ®ie auf ©eljirnfdjnitten im Snnern mefentlid)
fjeroortretenbe meiße ©ubftau3, bie SReroenfafern, nennt man
bie SJJarfmaffe. ®ie ^irnrinbe, unb jmar bie @roßf)irnrinbe
(ficf)e gigur II)/ reprfifentirt mit ißrer ©attglienmaffe beit ©iß ber
Sßorfteünngen, ifjre ?lrbeitSleiftuug ift bemitad) bie pfpcfpfd)
ßödjfte. $ie SSJinbungen finb ein Sunftgriff ber 9iatur, um
innerhalb eines, burdj bie ©djcibelfapfel gegebenen IRaunieS
eine möglidjft große fpirttoberflcidje entftefjen ju taffen. Ur>
fpriiuglidj ift bie gKidje glatt, bie (Sutmidelung fdjafft bic
SBinbuttgen. ©ie feßeit jugteid), baß ber ©rab beS 33orftel*
luugSreidjtfjumS «ou ber ©röße ber ©roßßirnoberflädje, loaS
fief; itidjt mit Sfopfgröße ober .^irngemidjt bedt, abhängig ift.
©amit ßabeit ©ic eine elementare Ueberfidjt über bie Serßält-
niffe. Sd) möchte aber jeßt, um 51t einer eiugeßettben ©cßil>
berung itberjugeßen, beit SBeg eiufdjtagen, bei meinem ©ie
meßr ben pfpdjologifdjen 2Berbcpro3eß auf materieller ©runb>
läge, als bie fertigen Jfjatfadjen erfahren. ®er 3Beg ju
niederer (Srfenntniß fiifjrt bnrd) bie Södjer beS ©rijcibelS. — ?Ule
uttfere 93orftclIuugeu finb ertuorbene, nufer inneres Sieben matt«
bert burd) biefe Oeffiiuitgett beS ©djcibelS in uttS ßittein. S33ir
lernen bic 2>ingc oon fo oiel ©eiten feinten, als mir ©iitneS>
organe ßaben, ober oielmeßr bie 25iuge finb für uns baS, maS
mir oon ißnett feßett, ßürett, rieeßen, fdjmecfen, taften. 2Bir
feinten bemitadj eigentlich nur nufere Sßorftellungen oon ber
3Llett. 3)ie ©intteSorgaue empfangen, je uad) ihrer fpecifiidjeu
Einrichtung, bett erften Einbrucf. 35ie jpecififdje empfängliche
9?atur ber ©inneSorgane ift aber nicht gonj ejaft anfjufaffen,
oielniefjr antmortet bie fJfeßßaut mit einer Sidjtcrfdjeiuuug, nicht
bloß auf Sidjtrei3, foitbcru audj auf 35rurf, eleftrifdje Siebung ic.
35a mir ßier oerfdjiebeuc Urfadjen ein unb biefelbc SBirfuitg
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heroorbrittgen feljen, fo ift ber Sernei« gegeben, bafj bie SRatur
unserer SBorfteHungen ebenfatl« fiel) mit ber äöirflichfeit ber Singe
nicht ju becfen brauet. SBir fönnen eben nur jagen, unfere (Srnpfin*
bungen unb SSorfteHungen finb (Sinmirfungen ber Slufjenbinge auf
un«, bie Singe fönnen ebenfo fein, mie mir fie empfiuben unb
nn« oorftetlen, miiffen e« aber nidjt. 3d) möchte ^ier noch
eine anbere grage ftären. Sie gunftion ber SRe^aut mirb ge*
möfinlicf» nic^t rein genug aufgefafjt. ©ie empfängt einfach Sicht-
einbrücfe, ber £id)tintenfität unb £id}tgualität (garbe). (Sin
Silb, melche« ba« Sluge betrachtet, nimmt fie auf. SDiit ber
Stuffaffung ber ©teile im ÜRaum, roeldje biefe« Silb einnimmt,
hat bie ÜRehhawt nicht« jit thun. @« ift baher eine müßige grage
ergrünben ju moHen, me«ljalb ein Silb, obmohl e« in ber 9fe£>
haut fich in umgefehrter ©efialt fpiegelt, bennoch al« grabe*
ftehenb empfunben mirb. giir bie Sluffaffung ber Stellung, bie
ein Söilb im IRaume einnimmt, ift bie Sage feineg ©piegelbilbe«
in ber SRehhnut gleichgültig, ba ein ganj anberer ©inn, ber
Saftfinn nämlich, bie jRaumfteflung beftimmt. 3d) faffe biefen
©inn roeiter unb Derftehe barunter nicht nur bie gähigfeit,
melche man gemeinhin unter Saften öerfteßt. ©ie benfen babei
geroöhnlich an bie gähigfeit ber §aut, namentlich ber fwnbe
unb giifje, bei gejchloffenen Slugen an einem ©egenftnnbe
Unebenheiten, überhaupt feine ©eftaltung h^011^ i» finben.
3um Saftfinn gehört aber nicht bloß ber Srucffinn, ber Sem*
peraturfinn ic. , fonbern auch ba« fogenannte äRuSfelgefüljl.
©djliefjen ©ie bie Singen unb machen ©ie irgenb melche Seme*
gung 3hrer ©liebmajjen felbft, ober laffen ©ie fich biefelben
Bon einem Slnbcren machen, ©ie rnerben immer miffen, in
meldjer gegenfeitigeit Sage fich bie betreffenben ©lieber befinben;
noch mehr, ©ie fühlen ben ©rab ber ÜRu«felanfpaunung, ben
©ie für biefe ober jene Semeguttg brauchen ober gebraucht
haben. Sin ben ©elenfenben unb ben ÜRu$feIn fifeeit Saftorgane,
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8
biefe erhalten in ^orm ton ffteijen Kunbe batwn unb trogen
fie auf ben SReroen fjinauf in« ©ebirtt, wo fie empfunben
werben. — ©ie werben jefct wiffen, wo« Sageöorftellung eine«
©liebe« ift, ©ie wiffen au cf), wa« 3Ru«fefgefü^I ift. 3efct wirb
e« nucf) oerftänblich, wie wir ju BaunworfteHungeu gelangen.
Ein Kinb ftefft j. 8. einen Baß am Boben in einer beftimmten
Entfernung liegen. Um ben Baß ju feben, muh e« t>erfcf)iebene
Äugenmn«feln bewegen, ©ie haben wohl fcf)on bei Änbereti
bemerft, bah man, f obalb man etwa« Siafjeliegenbe« fief)t, bie
Äugenacbfen in eine mehr fonoergirenbe ßticfjtung fteflt, af« wenn
man etwa« entfernter Siegenbe« fiyirt. 3)en ©rab ber hierbei
ftattfinbenben 3Xu«felfpannung merft ft<h ba« Slinb aßmäblicb,
ohne bah aßerbtttg« ba« ©efühf ganj oofl in« Bewuhtjein ein«
tritt. SBenn ba« S'inb fich nun ben Baß h°H/ f° lernt e« burd)
Äbmeffung mittelft Schritte bie Entfernung fennen. 5Durdj
taufenb Erfahrungen lernt e« bie Begehungen jtoifcben ber
Äugenmu«felfpannuug uub ber Entfernung. S)aju fommt noch
ba« 2Rn«ftlgefübl »on ben ißupiflar* unb Shtfenaccommobation«*
mu«!eln. 3nt wefentfichen finb e« aber bie oorhin betonten
9Ru«feln, beren ©pannung«gefübl un« non ber Entfernung ber
Körper Kenntitifj giebt. SBenn wir einen Körper betrachten,
fein ebene« Bilb, fo ift biefe« förperlidje ©eben boch eigentlich
nur babirrch möglich, bah wie ba« ©efiihl höben, bah t>erfd)iebene
fünfte biefe« Körper« oerfchieben weit oon unferen Äugen ent*
fernt finb. 5>a« 9Ru«felgefübl ift benntach bie Urfache unfere«
förpertichen ©eben« ober anber« au«gebrücft: SBir höben bc«*
halb swei Äugen, bamit wir erfteit« Entfernungen abfchähett,
jweiteu«, bamit wir förperliche Eilige oerftehen, furj, bamit mit
räumlich fe^eit fömten. — ©ie höben, wenn ©ie bie Ärten
unferer Empfinbungen überfchauen, §wei Kategorien berfelben
bemerft. 2)ie einen geben itn« Äuffd)tuh über bie Borgänge
ber Äuhenwelt mittelft Äuge, Ohr, SRafe, 3unfie, Jaftorgane
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ber Oberfläche, bie anberen geben un$ ftemttniß oon manchen
ßuftänben in un« felbft, mittelft ber in ben SDiuSfeln unb an
ben ©elenfettben befinblichen Jaftneroen. $>urd) biefe erhalten
mir SagetwrfteKungen ber einzelnen ©lieber. — ©ei einer ©e*
roegung nimmt ein ©lieb eine SDfenge Sagen ^intereinauber ein ;
jur ©orfteHung ber ©eroegung eine« ©liebe« gehört bemnach
bie Summe ber ©orfteKungen öon ben einzelnen Sagen. Heber*
legt man fich aber, baß man mit £>ülfe bc« SRuSfelgefühl« nicht
blo§ unterrichtet roirb, wie ftarf bie in grage fomntenben 2Jfu«<
fein im einzelnen ffraüe gefpannt werben, j. ©. bei einer beftimmten
©dpreibbewegung, fonbern and) welche 3Jtu«feln gefpannt werben,
überlegt man ferner, baß gu ben eingelnen KRuSfeln beftimmte
SReroenfafern, beftimmte SeitungSbräßte ben ©efeßl be« ©efjirttö
tragen, fo wirb man bie ©ewegung&oorfteHung auch folgeitber-
maßen befiniren fönnen: ©ie befteljt barin, baß man weih,
welche SReruenfafem bei einer beftimmten ©ewegung in leitenbe
Jhätigfeit geraden unb wie ftarf bie auf ihnen fortgeleitete @r«
reguug ift. @o gefaßt fteßen bie ©ewegung«üorfteHungen nicht
auf fo hohfr Sch^eHe Sewußtfein«, baß fie uns beutlich
flar werben. Xem KRuSfelgefühl nad) finb un« Sage unb ©e»
wegung§»orfteHungen oiel flarer. 3d) hQ&e aber ®rörterung
biefer ©orfteKungen oom ©tanbpunfte ber in Sctracht fontmenben
SRernen au« fpäter gu erfehenben ©rünben oorgenommcn. 2)a<
mit haben wir ba« große ©ebiet ber ©orftetlungen in gwei
Xfyeile gefchieben, in ©ewegung€OorfteHungen unb in ©inne«*
oorfteHungeu. 3cß will hier eine etwa« materielle ©runblage
geben. Sille untere ©orfteKungen finb in ber Cpirnrinbe hier
niebergelegt (gigur I), hier fönneu ©ie burd) einen fReig erwedt
werben, fo baß ißre ©ilber uor un« fteßen. — 2)ie ©orfteKungen
ber ©ewegungeit finb im oorberen ^h^/ bie ber Sinne im
hinteren $heüe ber |>irnrinbe beponirt. 3ch beginne bie nähere
Slu«einanberfehuttg bei ben Semeguug«öorfteHungen. Unfere
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erften ©eioegungen finb imbeiuufet, finb refleltortifd). @in
äußerer s3ieij toirb 311m fReflejcentrum getragen unb §ier in einen
©eioegiing3rei3 umgefeßt. 3)ie Umfe^ungSftationen befinben fidj
in ber fogenannten ^pirnfdjentelbaube, im gefcbroeiften Sern unb
Sinfenfern (fie^e gigur II.) Mmäblid) bilben fid) bann SieitungS*
ftrange au§, meiere non biefen ebenbejeic^neten Crten ben ©eriebt
über bie ©orgänge ber Bewegung ju ben ©orfteßung§regionen,
jn ber £>irnrinbe tragen. 60 bilben fid) bie ©ewegungSoor«
fteflungen. ©obalb bied gegeben ift, ift bie Bewegung eine
roiüüirlidje geworben. Sie gefdjie^t alfo bewußt, ift einem
beftimmten 3wede angepaßt unb ber lebenbige llrfpruttg biefer
9lrt üoit Bewegungen ift in ben innert entfpredbenbeu |)irtirinbe»
Partien 31t f uebett. ©obalb eine foldje fRinbenftefle jerftört ift,
ift bie jugebörige Bewegung unmöglich, baS betreffeitbe ©lieb
ift gelähmt. (Siebe gigur I) $nß e§ ftdi bei biefen Säb»
mungen um Störungen ber ©ißenSfpbäre bembelt, ift ja barauS
erficßtlicb, baß bie ^Reflexbewegungen ober äRitbewegungen ber
gelähmten ©lieber erhalten finb. 91ur bie bireft roißfürliche
©eioegung ber betreffenbett ©artie ift geftört. ©ehr intereffant
finb bie ©erfuebe oon gritfd) unb £>ißig. Sie fanben, baß bei
fReijung Heiner Ibe'fe ber ©orber^i rnrinbe bei 2b’erfn öewe*
gütigen ju ftanbe fommeu, weldje beit ßl)arafter einer für
einen beftimmten $wed beabfidjtigten ©eroegung tragen.
©011 bem gaferoerlauf ber Sleroeit, welche oon biefen
fRinbenpartien ausgebett, machen ©ie fid) am beften burdj fol«
getibe Zeichnung eine ©orfteüung : (Jig. VI.)
91ußerbalb unb 311111 Sheil nad) innerhalb ber ©chäbeltapfel
oerlaufen bie SReroenfafern 31t ©ruppeit georbnet, unabhängig
oon ber gunftiou, 3. ©. bie ©ruppe @. ©cfidjtäiieroen, ft.
fteblfopfneroen, 3- 3ungenneroen. 91un ift 311t 9luSfprad)e,
3. ©. beä ©ucbftabeii 2 nötbig ctioa eine gafer oon ©., eine
ober 3ioei oon ft., eine oon Q. Xicfc gafcrit, loelche für bie
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beftimmte, gwedmäjjige ©eweguitg in gmiftion treten, fpalten
ftcfj »ou it>rem ©ünbel ob, treffen gufammen unb laufen in
biefer Sombinatiou eine ©tretfe weit bi« gu beteiligen $irn-
rinbenftelle, roeld)c ba$ ßcntrum ber betreffenben, gtuccfntä^igen,
willfürlichen ©cwegung ift. ©ine ßerftörung biefer ©teile wirb
alfo eine Sähmung ber Sternen in einer gWecfmäfjigen Siontbi-
notion ^crbeifiifjren; infofern, als non biefen ßentren bemnach
bie nad) ber Stiftung ber Qualität unb Quantität bewufeten
©cwegitngen auSgehen, fiitb wir berechtigt, fie bie ©orfteÜungS-
centreu ber ©eweguitg gu nennen, im ©egenfah gu bett 9ief(ej>
centren. — inwieweit bei ben gerftöruitgen biefer ©ebiete
ber ^irnrinbe ©törungen ber Sageoorftelluugeit ic. ftattfinben,
famt noch nicht gefagt werben, ba bie bisherigen bieSbegüglidjen
^Beobachtungen gu ungenau fiitb. ©eben wir bagegen etwas
nach rücfwärts non biefen ©teilen gu ben fogenannten ©dieitel-
läppten (gigur I.), fo machen eS manche ©eobachtnngcu wahr-
fcfjeitilich, bah I)ifr, um fnrg gu feigen, bie jenforifdje Stegion
für §aut unb SDiuSfeln liegt, ich nieine für Saftfinn, Sageuor-
ftelluugen K. Sir fiitb ja überhaupt hier fdfott in ber ©iuneS'
fphärc, hier für bas! Slugc, hier für baö Chr ($ig. 1.)
3df fann baS Kapitel oon ben ©cwegungSoorftellungen
nicht »erlaffen, ohne ein ©pegialgebict nach biefer Richtung h'n
berüdffichtigtigt gu haben, bie ©pradje. Sie oft fdjwebt Sfjnen
ein Sott auf ber gungc u,,b ©ie fonnten cS nidjt über bie
Sippen bringen. *I)ic ©orftellung ber ©pradfbewegung war
3hnett entfallen, ©ie werben fid) fdfou benfett fönnen, baf?
bie ©orftelluitgen ber ©prachbewegungen ba liegen, wo ungefähr
bie ©orftefluitgen für bie gwecfmäfjige ©ewegittig für gnitge
unb SDtnnb liegen. §ier in ber britten ©tirnwinbung (Orig- 1)
finb bie ©eroegungSöorfteßungen ber ©pradje beponirt. ©ei
ihrer ©erlejjung fann ber ÜJtenfch wol)l bie 3uuge au fid), bie
Sippen an fid; ic. bewegen, aber fprcdjen fann er nicht. 2>ie
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©ruppirung ber gur ÄuSfpracße eine« 933orte«, einer ©ilbe in
Sßätigleit tretenben Reröen ift oerloren. ®a« SBort fdjwebt
wie gefaßt auf ber $unge, b'e ÄuSfprache aber ift unmöglich-
Sntereffant ift, baß, wäljrenb fonft bie ©ehirnrinbe bie gunftion
nur ber entgegengefeßteu Äörperhälfte übernimmt, atfo bei einer
gerftörung ber (infeit @ehimoberfläcf)e eine fiäljmung be« Ärme«
rechts eintritt mtb umgefehrt, intereffant ift, foge id), baß bie
©pra<hbewegung«oorfteHungen nur linf« liegen; mefleid^t weil
bie gur linfen ©ehirnhälfte gehörenbe rechte ftörperljälfte mehr
geübt ift unb baßer ba« linfe ©e^irn auf einer fiöfferen ©tufe
ber ÄuSbilbung fteljt. Sei linfä^iinbigen SRenfcßen ergeben
übrigen« bei berartigen ©pracßftörungen bie ©eftioneu, baß bie
Äranf^eit«^erbe an ber rechten entfprechenben ©cljirnfteße liegen,
©ie ^ben einen Unterfchieb tennen gelernt gwifcßen ber witt*
fürlicßen, einem beftimmten, bewußten .ßwecfe bienenben Be»
wegung unb ber unmiHfürlichen ober Reflexbewegung. 3)ie
Zentren ber ©roßhirnrinbe finb aber auch im ftanbe, auf bie
Reflexbewegungen Ejemmenb einguwirfen. ©« ift biefe Sigen«
fcßaft feßr intereffant, wenn man bcbenft, baß bie höheren, fee«
lifcßen ©igenfdjaften auch »ur auf einer Hemmung unwißfür»
licßer Regungen beruhen, wie Beherrfdjung ber oerfcßiebenen
Iriebe, .gurücfbrängung be« bei einem Sebewefen fcßon gu einer
Reflexhanblung geworbenen ®goi«mu«. SBir feßen h^r in ber
jpemmung ber Reflexbewegungen am einfacßften auftretenb eine
©igenfcßaft ber ©roßhirnrinbe, bie ihre Bebeutung al« oor*
neßmfte« Organ in un« in ba« rechte Sicht fteßt. ©ine Reflex«
hanblung mag oft richtig fein, ficßer aber ift fie oft falfcß.
SBenn ©ie bei ftarfem SBinbe unb ©taub uuwiflfürlicß bie
Äugen fließen, }o hat ba« ja feine Berechtigung. Äber e« ift
falfcfj, wenn man bie Äugen fcfßießt, fobalb gemanb benfelben in
guter Äbficßt, g. 93. um einen grenibförper gu entfernen, bie
$anb nähert. 35er gehler befteht bariit, baß bie Reflex«
<122)
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banblung ju allgemein ift, fie lümmert fiel) nicht um beit
fpejiellen gafl. 3dj erinnere fyier an Eper« oor nidjt langer
^eit in ber Naturforfcheroerfammlung gehaltenen ©ortrag über
allgemeine ®enffehler.
©otllommen richtig begrünbet lann uitfere ©ewegung nur
bann fein, wenn fie aus einem Ueberlegungöprogeß hetborgegangen
ift, ber bie fjanblung genau nnd) bem oorliegenbeit, fpejießen
gatte einric^tet. Sie fehen, e« muß eine jroedmäßige ©ewegung
au« ben SRegionen ber ©orfteflungen ihren 3mpul« erhalten.
3e jahlreicher biefe gefammelten ©orfteflungen finb, um fo
richtiger wirb bie |janblung au«faflen. 3)ie ©runblage ber
inteflelhieflen ©eroottlommnung wäre bemnacf) bie Erfahrung,
gär bie Sjaltheit unb ©räjifion ber au«geführten ©ewegung
aber offenbar ber $aftapparat nöthig, alfo auch SDZuSfel*
gefühl ic. 25ie« erhellt baran«, baß in gällen, in beneit bie
fenfiblen £eüung«bahnen erfranft finb, in benen alfo leine Nach-
richt oon ber Stellung, SÄrt ber Bewegung ic. hinauf in bie
|>irarinbe lommt, bah in folchen gällen bie ^Bewegungen unter«
georbnete, grobe finb.
Statt wie früher mit abgemeffener ©ewegung ju gehen,
ftampft ber Nüdenmartfchwinbfücfitige auf bem ©oben. 3<h
will übrigen« bei biefer Gelegenheit bie ©ebeutung be«
Nüdenwirbellanal« mit Nüdcnmarl erllären. 2)iefe« leitet
einerfeit« bie ©efeßle ber Eroßhirnriitbe h*nunter ju ben ein-
jelnen Äörperregionen, 511 benen burch Seitenöffnungen be«
fRüdenmarttanal« Neroenftränge gehen. Slnbererfeit« gießen ben
umgelehrten 9Beg nach oben anbere Neroenbaßiten, welche bie
ftattgehabten Erregungen jur ^irnrinbe tragen. $ie große
Oeffnung am ©oben be« Schöbet« bietet bem Niidenmarl Ein-
gang bejiehung«meife 3lit«gang.
3ch fagte bereit« am Slitfang be« ©ortrag«, baß bie Stellen
bet ifjirnrinbe, ju welchen ba« SRüdenmart bie Empfinbungen
(123)
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14
trägt, ober üidmefjr, in welchen auf bie ©enadjrichtigung t>on
feiten be3 fRücfenmarfS bie bjtreffenbeit (Jmpfiitbungen ju ftattbe
fomnien, mahrfdjeinlid) hinter ben ©emegunggcentrcit liegen, ich
meine bie ©d)eitelminbnngen (gig. I.) $a§ toürbe, bei ihrer
für bie roillfürliche, ejrafte ©emeguitg erforberlichett SJJitmirfung
auch gauj flug oon ber 9?atur eingerichtet fein.
Oebenfallä betreten toir hier juerft fenforifdjen ©oben uttb
bamit baä ©ercid) ber ©orftetlungen xazltoy^v, be£ ©efidjtS
unb beS ©ehör3 — be3 Oiunbamentg allerhöchfter pftjchifrfjer
*üf)ätigfeit.
4pier bie SRinbenpartien ber |>intcrhauptlappen (Jig. I.)
finb als Gentralorgaite be$ ©eljeng ju betrachten. SRathbem
bie iHehhaut für bett Sichtreij empfänglich, moljlgemerft nicht
einpfinbenb, ein ©ilb aufgenommen, mirb ber SHeij auf ben
©ahnen ber ©chneroeit fortgeleitet unb tu bie @anglien3elle
ber §interhauptrinbe eingebrüdt. ,$ier toirb ber ©etj erft in
bemühte ©mpfinbungen umgefefjt uttb hier bleiben bie Silber
liegen unb bilben ba$ 3>epot unfcrer burd) ben ©efid)t3finn
ermorbeuen ©orfteDungen. £a§ ©erhalten ber beibeit hinter*
hauptlappen ober oielmehr ihrer 9iinbe ju bett beibeit Sftefchäuten
ift aber bei un8 ein eigentümliches. ©teilen ©ie fich bie
beiben i)?e^^äute ber .'pinterbauptrinbe gegenitberltegenb t>or,
bann betrachten ©ie (fielje gigur 111) 3. ©. bie rechte 9ie&*
haut. Ohre nach redjtS gelegene §älfte entfenbet ©ehneroen*
faferit, b. h- 2eitungSbrähte 311t rechten gegenüberliegenbeit
Hälfte ber entfpredjenbcit rechten §interhauptriube. Ohre innere
.'pälfte entfenbet gafertt 3ur inneren $älfte ber linfen ^inter--
hauptrinbe. ?lnalog mad)t cS bie linfe Dlefcfjaut. ©0 ift bie
©ehftörung erflärlid), meldje burd} eine einfeitige ^erftörung
ber .'pinterbauptrinbe oeranlafjt mirb. ßerftörung ber rechten
.^interhauptrinbe mirb eine ©liubljeit ber äußeren , 'pälfte ber
rechten 9?ehhaut unb ber inneren .tpälfte ber littfeit sJIehhaut 3ur
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gofge fjaben, loä^re itb bie beibett übrigen .'pafften ber Seßtjäute
fetjen. Xie umgefehrte Seffftöruitg finbet fic^ natiirlid) bei 3er’
ftörung ber linfen §interhaiiptriube. ©he id; meitergetje,
möchte idf au beit Unterfc^ieb jmifcheit ißerceptiou unb Slpper-
ception erinnern. ©$ ift ltnä fdjon öfter üorgefommeit, baß
nur irgenbroo, bei einem 33efudje 3. 33. geroiffe Xiuge gefehlt
^aben müffett, 3. 33. bie $rarbe ber Xifcßbecfe, auf bie mir bud)
unfere ,£>anbfchuhe gelegt, ober bie Xapete, wenn mir aud) nur
einen flüchtigen 3i(icf inS ßimmer gettjau; fiicßtftrahlen ooit
biefen Xiitgeu finb offenbar in nnfere Slugett gefallen unb hoch, al$
mir fort maren, fiattcit mir feine Sthnung uoit bem 3tu*fehen
biefer Xinge. Xa$ roirb fet)r oieten, mefleidjt fdjon allen oon
uuS fo ergangen fein, namentlich meint unfere ©ebaitfen ooit
einer mistigen Sache in Slnfpruch genommen maren. 3n biefem
JaUe mar bie SSahrnehmung eben eine äußerliche, eine per*
ceptioe. Xie Schleufen, bie 311 beit bem Söahrgenommenen
entfpretheuben Sorftetlungen führen, maren nicht geöffnet. Unfer
©et)irn ift ein ÜJtedjaniSmuS, ber 311 einer $eit nur nach
einer Sichtung thätig fein fann. Xretcit 3$orfteüungen einer
Sichtung ununterbrochen in Xfjötigfeit, fo treten bie SSorftef*
lungeu anberer Sichtungen ebenfo ununterbrochen außer Junf»
tiott. Xa3 fcßeinbar gleichseitige Jnnftioniren jmeier uerjdjie*
bener SorfteQungen ift nur ein fchnefleS Sadjeinanber. llr*
fprünglich finb unfere SBahrnehtnungen al$ perceptioe 31t bcnfeit,
ba anfangs nod) feine 33orfteflungen in unS cjiftiren, bie erregt
roerben fönnten. Xnrch roieberljolte ißerccption mirb bie ©m=
pnnbung beS ©efefjenen eine flarere. 233ie 35?ad)$ unter ber
forntenben £>aitb immer meicher mirb, immer meßr bie feinften
Sinbrücfe miebergiebt, fo mirb auch bie ®anglien$eÜe beu oiclcn
aiibräitgenbeu ©inbrüefen gegenüber immer gefdimeibiger, bi3 fie
ba$ ©ilb, baä bem Seije entfpricht, in notier Klarheit mieber-
giebt, unb fo ooflenbet bleibt e3 in ber ©anglienjeEe liegen.
16
Kefimen wir nun etroal mafir, unb ift unfer Sorfteßunglleben
niefit anbermeitig in Änfprudfi genommen, fo gerätfi bie Sor-
fteüuitg bei mafirgenommenen ©egeitftanbel, menn fie fcfion
beponirt ift, ober oertoanbte Sorftellungen ober Sfieiloorftet*
lungen in uni, au! benen mir bie betreffenbe ju erjeugenbe
Sorftetlung jufammenfefien fönnen, in ©rregung. ®iefer Vor-
gang fieijjt bie Slppcrception, bie ©rfenntntfj, fcfiöncr gejagt
Sßiebererfenntnijj. ©ie fefien auefi baraul, bafj man SDinge, oon
benen man bie entfprecfieube ober oermanbte SorfteHung nocfi
niefit in ficfi beponirt fiat, niefit all ©anje! erfennen !ann,
baf? man fie er ft fenneit lernt. ßum finiten 2JfaIe im Saufe
nuferer Setraefitungen fann icfi jagen, ber Soben ber ©rfenntnijj
ift bie ©rfafirung.
• Kacfi bem ©efagten merbeit ©ie mir oon felfift bie grage
beantroorten fönnen: 2Bal mirb gefefiefien, menn burefi einen
Sraitffieitlfierb bie ©epotl oon Silbern oerniefitet, bie ©teilen
ber einfadfien SSafirnefimung, ber Sßerception, aber unoerfefirt
finb. SDfatt mirb oon bem ju ©efienben mofil eilten ©inbruef
erfialten, aber bal, mal friifier oon biefetti ober einem äfinlicfien
Silbe niebergelegt mar, ift fort. 2Bir erfennen bal ©efefiene
niefit mefir, bie Slpperception fefilt. ©olcfie .guftänbe ftrtfi mit
bem Kamen ©eelenblinbfieit be^eiefinet morben. Patienten mit
berartigett ©rfranfungen maefien oon oorgelegtcn ©egenftänben
einen ganj falfcfien ©ebrauefi unb benennen fie auefi falfefi. ©inen
©efilüffel nennen fie eine gebet unb mollen bamit fefireiben.
Uebrigenl ift bie ©eelenblinbfieit oon Ktunf experimentell an
Sfiiercn erzeugt morben, oon ifim ftammt auefi bie Sejeicfinung
©eelenblinbfieit.
Me! bal, mal itfi oon ©eficfitlmafintefimuugen unb ©efiefitl*
oorfteüungen jagte, gilt oon ben ©efiörmafirnefimungen unb
Sorftellungen. ©benfogut mic ein Silb fatm mau fiefi
ben ftlaitg eine! SBortel oorfteÜen, icfi meine rein, nur all
(126)
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17
SHang, ol)ite an beti ^Begriff beö SöorteS 3U benfeit. (Sbeitfo
fantt man fid) eine SDiclobie einfad; «orfteüen, id) erinnere an
bas 0?otenlefen. 3>ie SBorftcDungen beä (M)ör3 nennt man
Ailangbilber. Jie Älangbilber ber SBorte rufjen hier in ber
erflen Schläfenwinbung (fiefje gigur 1). §ier werben bie
Schatleinbrütfe, nad)bem fic in (Sntpfitibung umgefefct ro erben
fiitb, bewahrt. JaS Jcpot ber illattgbilber liegt, wie baS ber
SprachbewegungSbitber nur in ber tinfen $ehiritf)älfte. ®et
3erftörungen biefer Stelle prt ber Sranfe wol)l, er percipirt,
aber ade«, wa§ er l)ört, flingt ihm fo unbefannt wie SBorte
einer fremben Sprache; er merft auf, wenn man 31t if)m fpridjt,
aber er folgt feinem Sluftrage, ober tf)nt etwas gati3 aubereS,
als man itjm geheimen l)at. JieS ift ber 3uttanb her foge»
nannten SBorttaubljeit.
23ie Sie fid) (eicht benfen föitnen, ftcljen biefe (Zentren ber
Älangbilber in bireften SSejiehungen 3ur Sprache, ihrer tjnt«
wtdelung uitb SluSübmtg. Sie finb ber Söont, aus bent ber
■jRebner fd)öpft, ^ier rufjt ber langfam gefammelte Sprachfdjaf),
aus ihm mufj ber iüienfc^ bie gerabe 31t gebraitd)enbcn SBorte
fjeroorfjoten, beim er will fie ja fpredjcnb nac^aljmen. Jod)
beoor er fprid)t muß er wiffen, wie fie fliitgen, ob iljr ftlang
bem gleicht, ben er er3eugeu will. Sie feljen bie beibeit üEBin-
bungen, bereu Summe ber Si& beS iiufeereti SpradiorganS ift,
eng benachbart bei einanber, in ber Jhat bilben fie entwideluitgS<
gefd)td)tlid) eine einzige SBinbuug, bie erfte Urwinbung. Shee
gunftion ift ber Spradjbegriff beS SBorteS, b. h- feine Sprach»
bewegungSoorftellung unb feine ftlaugbilboorfteUung. Jie !öer»
biubung, bie llffociatioti ber Sprad)bewegungS» unb Mlangbilb»
oorftellungen, übernimmt bie fogenannte gnfel. Sine irgeubwie
eingehenbe Jarftcllung beS SpradporgaugeS fann id) liier nidtf
geben, nur baS (Slemeutarfte fei gefagt. Sei B (gig. IV.) ber
au^ubriideitbe SBegriff, ber übrigens auatomifd) nicht einheitlich
Sammlung. S. g. V. 100. 2 (12?j
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18
lofaftfirt ift, feien Bew bie (Zentren ber ©ewegungSoorfteüungen
unb Kl bie Sentreu ber ÄlangbilboorfteUungen, bann wirb beim
wittfürlicben, fpracblicbcn SluSbriiden eines ©egriffeS non B aurf)
nad) Bew telegrapbhrt, oon Bew aber fdjnetl nach Kl fjin unb
jurüdtelegrapbirt, ehe baS SBort auSgefprocben wirb. Ter
Tepefdjenwecbfel jwifcben Bew unb Kl pat ben 3,DCC^ ^er
Crientirung, ob bie bon B aus jur Tljätigfeit befohlene ©e-
wegungSoorftetlung audj wirflid) ber ©citennung B's b. b-
feinem Stlangbilbe entfpricfjt. ©pracbftörungen werben bemnad)
entfteben, wenn ber Girfel B — Bew — Kl — B in irgenb einem
©unfte unterbrochen ift, natürlicf) auch bann, wenn ber SRerüen-
fompley, welcher bie SewegungSbefeble oon Bew weiter ju beu
SIRuSfeln trägt, an einer ©teile jerftört ift. StuS ber 91atur
ber ©pracbftörungen wirb man bann fpejieH auf ben ©i£ ber
©rfranfung fdjliefjen föiuten. Stuf bie feineren ©pracfjöorgäitge,
fowie auf biejenigen beS SefenS unb ©djreibenS gebe id) pier
nicht ein. Tie Sitteratur ber ©pradjentwidelung ift eine ^odjft
intercffante. Sogar ©eigerS ©eift gerietb im Sladjbenfett über
baS ©roblent ber ©pradjentwidelung ins ©cbwanfen. 3«
feinen ©petulationen über bie girage, ©ewufjtfein ober
bie ©pradje baS primäre fei, fam er gu bem ©cbluffe, jebeS
oon ©eiben müffe oor bem anbern gewefcn fein, ©ie geftatteu
mir, hier meinen eigenen ©tanbpunft gu erf lären :
TaS ©emufitfein üeroollfommnet fidb in gleichem ©cpritt
mit ber ©erootlfommnung ber ©pracbe, uitb bie ©pracpe wirft
ebenfo gur Sntwidelung beS ©ewujitfeinS, wie baS ©ewufetfein
gur ©ntwideluug ber ©pracbe. TaS alte ungelöfte Problem,
ob ©pradje ober ©ewufitfein baS ©rimäre fei, ift eben unlös-
bar, ba nichts oon beiben baS ©rfte ift, fonbern beibe fich
gleichzeitig entwideln. 3cb gebe batjer folgenbe Tarfteünng ber
inbioibuelleu ©pradjentftebung. Tie ©ewegungSoorgänge, bie
bei ben guerft tjeroorgebraebten, nicht fprad)Iicbcn Sauten ftatt«
(128)
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finben, gefangen aßmäf)lid) iit3 ©ewufttfein, ober »iefme^r e3
bilbet ficf) ba£ ©ewufjtfein biefer ©orgänge au3. So fomnteit
junädjft ©ewegung$*»orfteUungen fiir nicfjt fpradßidjc Saute ju
ftanbe, jo bafj erft jeßt nnflfürli<f)c Sautbcwegung überhaupt
möglich ift. 3>ie ^eranbilbung be$ 93eiou§tfeinö madjt eS für
6)ef)öreinbrücfe wie menjd)fi4e fpracfjlic^e Saute empfänglich,
unb ©efjoröorfteüungcn fommen 311 ftanbe. $a$ Sliitb fudjt
nun jeine wißfürlic^e, aber nod) nicf)t fpradjlidje Sautbilbuug
bafjiit ju mobifijiren, baß bie einzelnen jelbft Ijeröorgebradjten
Saute ben gehörten Sauten ät)n(id) werben. 3U glei<f)er 3eit
gelangen bie babei ftattfinbenben ©ewegungäoorgänge in« ©e*
wufjtjein. 2)ie üöüige 9?ad)al)mung gelingt aßmä^Iid), unb bie
betreffenbe ©ewegungsoorfteflung prägt fidj, ba fie beibehalten
wirb, bem ©ebädjtnijj ein. (Sbenjo aber, wie in ber (Sntwicfe-
fung bie Sprache non bem ©ewufjtfein fid) uidjt trennen lägt
jo jinb aud) wä^renb ber fjödjjten pjpd)ijc^en Seiftungen beS
jd)on entwicfeften SJienjchen ©pradje unb ©egriff eng oerfnüpft.
£enfen Sie an fofgcnbeS ©d)ema (ftefje Jtg. V.) unb Sie werben
ben 3ufainmen^au9 0011 Spröde unb ©egriffen oerfteljen.
34 ^atte gejagt, bafj bie oerjchiebenen ©orftellungcn be$
©efichts, be3 ©ef)ör<3 tc. an oerjchiebenen Stellen best ÖJegirnö
niebergefegt jinb. Sie jinb untereinanber burdj Seitungäbrähte
oerbunbeit unb jugleid) mit ben Sentren ber Sprache, jo bag
oon jeber ©orfteUung aus eilt ©efeljf jur ©pradje geljen
famt. $iefe ©erf)ältnifje werben burd) jolgenbe 3e>4llun8
illujtrirt. (#ig. V.)
£er ©pradjbegriff beä SBortess (©eweguugS’Stlaugbilboor*
ftellung) ijt gier einljeitlid) bargeftellt unb ftegt bem Sad)begriff,
ober ©egenftanbäbegriff gegenüber, ber auä ber Summe ber
©orftelluugeu jiijammengejeßt ijt, bie wir oon bem ©egenftanbe
haben.
S'er Sprac^begriff be$ ©Jortes ift aber ttocg uidjt im ftanbe,
2* (129)
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20
bag fpontane ©predjen j» ermöglichen , er ermöglicht bloß ben
rein äufjerfichen ©pradpmrgattg, alfo ba§ finntofe fflacßfpredjeH.
@o ift ci falfch, bie erfte Urminbung als ©pradjorgan im
weiteren ©innc aufjufaffen ©3 giebt im ©cßirn feine ber=
artige Unabßängigfeit ber Organe, mie am übrigen itörper, and)
(per finb fie nicht unabhängig öoneinanber, nur unabhängiger,
a(§ im ©cßirn); bie fübbängigfeit ber einzelnen (Jheile uonein-
anber ift im ©ebirn meit größer, ba fie nicht bloß burch beit
ßufammenßang ber Ernährung bebingt wirb, ©o aud) in
unferem 5°^- Unfer geroöhn(icße8 fpontaneS Sprechen uitb
(Benennen ift a(fo burcbanS nicht burdj bie Sntaftßeit ber erften
Urtuinbung gorautirt. Qi gehört Daju bie (Berfttüpfung biefer
©ehirnpartic mit jenen ©eßirntheifen, in meldten bie ben (Begriff
fonftituirenben (Borfteflungen beponirt finb. (Die 3nhl biefer
(Borfteßmtgen fann für manchen (Begriff eine ziemlich große fein.
(Die ©umme berfelben, rocldjc je einen begriff jufammenfefcen,
fteßt, roa§ ich befonberS betonen miß, in gegenfeitigen Abhängig*
feitSDerßältniffen jum ©praeßbegriff beS 28orte§. ©3 ift Don
Söcrnicfe nur bie ?(bßängigfcit ber ©pradje uom ©egenftanbS*
begriff herDorgeßobeit, bie Slbßängigfeit ber ©egcuftanbSbegriffe,
ber 3nteßigenj Don ben ©pradjbegriffeit ber SBorte, b. ß. Don
ber ©pradje, fogar beftritten morben. SBeSßatb fueßt man,
namentlid) in ber SEBiffenfcßaft, tuo eö auf eine Abgrenzung ber
(Begriffe bcfonberS anfommt, aber aueß im gemößnlicßcn Sehen
uad) einem SBorte, itad) einer (Bezeichnung für aßel ba§, u>a$
man al3 gefolgerten ©egenftanbSbegriff auffaffen miß? Qi hat
bie« feinen natürlichen ©runb barin, baß man bie (Dienge Don
(Borfteßuugeu, me(d)e man Don einem ©egeuftanbe befontmt,
Zitmr uutcreinanber uerfiuipft, baß mau aber, ba ein Jßeil biefer
(Borfteßuugen aueß ju anberen (Begriffen geßöit, affo mit beren
übrigen (Borftcßungeit ebenfaßs! uerfiuipft ift, ba£ (Bebiirfniß
hat, eine fefte Stüße, einen feften (BereinigungSpunft für biejenigen
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21
BorfteHungen ju Ijaben, welche je einen Begriff bilbeu. ©iefer
fe[te Stüfipunft beS Begriffes eines ©egenftanbeS ift baS SBort.
@S ift gewiffermaßeu ber fRafymen ober ber Stitt, ber bie (ofe
ju einem Begriff bereinigten BorfteHungen jufammenf)nlt. $aS,
maS id) im Schema (gig. IV.) mit 15 bejeidjnete, fei bie Bilb-
borfteHung eines ©egenftanbeS. Bon il)r aus fömten, iuie noit
jeber anberen jum Begriff gehörigen Borftcllung, olle anberen
BorfteHungen, meldje bett Begriff fonftituiren, ßeroorgerufen
werben.
@S ift iiberfliiffig unb gezwungen, ein BegriffSrentrum im
Sinne eines beftimmten DrtcS anjunefimcn, in bem alle @igen>
fdjafteu eines ©egenftanbeS bereinigt noef) einmal aufgefpeidjert
finb. 21 He BorfteHungen, welche einen Begriff jnfamntenfe^en,
finb an berfdjiebenen Stellen ber ©roßljirnrinbe beponirt unb
miteinanber oerfnüpft. 3ebe berfelben fann bie anberen unb
3ugleid) bie Spracfjc innerbiren. Sämtliche, einen Begriff
fonftituirenbe BorfteHungen ftrömeu alfo im 2Bort jufantmen
unb ifjr lofer ßufammenliang finbet erft in iljnt eine wirflid)
fefte Bereinigung.
SSenn mir mit Sactjbegriffen operireit, meint mir beuten,
fo ift baS nid)t bloß ein Spiel ber bie einjelnen ©egenftänbe
bilbenben BorfteHungen, fonbern jugleic^ ein SJiitflingen ber
Spradfbegriffe ber Söorte, ein inneres Sprechen. SSir merben
halb feffeu, baß eine ©rreguttg . ber Spradjbegriffe fid) nidjt
immer burd) mirtlicßeS Spredjen 311 bofumentiren braud)t.
UebrigenS fpredjen aud) manche ÜRenfdjen, tuenn fie fid) etwas
emft überlegen. So feiten mir Sad)begriff unb Sprad)bcgriff
beS SBorteS im gegenfeitigen Gsinfluß, in Qntetligenj unb Sprad)e
eng berfnüpft. $er Spradjbegriff ift ber Geutralpunft l)öd)fter
pfpd)ifd)er Xfjätigfeit. 3n ber 2lnlefjnung an if)n gefd)iel)t aud)
bie Gntmirfelung ber Borgänge beS SdjreibenS unb SefeitS, er
»ermittelt ben gufammenljang biefer Jtjätigfeiten mit ben Sadp
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begriffen. (So wirb bie Sprache jum ecfjten bifferentiabbiag*
noftifdjen SDierfmal beäs bcnfenbeit SRenfdjen bem Sfjiere gegen»
über unb erhält aud) oon unferem Stanbpunfte eine ©ebeutung
jugemiefen, mie fie if)r »on Spradjforfdjern fdjon längft üinbijirt
worben ift.
2(u3 bem ©efogten mirb aucfi erflärtidj, baf? wenn
5. ö. bie ©efid)t$Dorftetlungen jerftört finb, eine geroiffe Spradj»
ftörung entfielen mufj. Soll ein feelenblinber SRenfd) einen
©egenftanb allein nadj bem Slnfdjauen benennen, fo märe ilfm
bas unmöglich, ba ber ©ilbrei$ feine ©ilbüorftellung erregt.
$er Üieij fann alfo in bie ©ilbcentreu nic^t hinein, alfo aud*
nicf)t meitcr jur Snneroation beS SpradjbegriffeS fdjreiten. ®r*
öffnet man bem fRei^ aber einen anberen Singang, läßt man
ben ©egenftaitb betaften, fo mirb er gleicf) benannt, öorauSge*
fejjt, baß bie Saftüorftellungcn unb ifjre £eitung£bal)nen unoer*
fetjrt finb.
So tiaben Sie ein ©ilb Dom Spiel unferer ©orftellungen
untereinanber. So oerfdpeben aber bie ©orfteQungSfombinationen,
fo oerfdjiebenartig djarafterifirt and) bie einjelnen ©orftellungen
finb, ade ftefjen unter einem beftimmten geitlidjen ©ejefc. Steine
©orfteüuug entftefjt momentan, jebe entfielt burd) ein hinein*
anberfügen ober 9?ad)einanberfügen ifjrer elementaren 2t)eile.
$al)er bebarf jebe ©orfteDung einer gemiffen geit, bis fie fertig
ift: ?lud) baS guftanbefommen bcS StlangbilbeS ift fein
momentaner ©organg, fonbern feine Jbeile merben nacfjeiuanber,
menn aud) in fdpicücr Speisenfolge, IjcrDorgerufen. Schließlich
biirfeti mir, abfolut genommen, nid)t einmal eine @efid)t§oor*
ftellung in allen iljrcn feilen gleichzeitig entfteljenb anneljmen. @8
unterjdjeiben ficS biefe bei ben ©orfteHungSarten ebenfo, mie bie
entfpredjenben aBahrnchmuttgcn felbft nur relatio in ber ®auer
iSreö äuftanbefommeuS. Steine Don beibeu entfielt in allen
ihren ^heilen gleichzeitig. ®ie gemöfjnlid) oerbreitete Slnfidjt,
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23
welche baS Sehen im ©egenfafc jum §ören als einen momentanen
Borgang auffafjt unb beSljalb oon einem iRebeneinnnber in bcr
SBirfung ber für unfer Singe gefdjaffenen Sunfttoerte im ©egen*
fa$ $u bem ÜRadjeinanber in ber SBirfung fl. ®. oon $on-
ftücfen fpridjt, beruht auf ber relativen, nicht abfolut eingcrich-
teten StuffaffungS* unb ®enfweife bes SRenfcfjen. SRiemalS »er*
mag unfer ©ehirn jtoei 3)inge, mögen fie nod) fo elementarer
gorm fein, abfolut gleichzeitig aufjuf affen, ein getutffeS fRad)-
einanber bleibt immer beftefjen, cS giebt nur Barietätcn bcr
Scfjnelligfeit, biejeS 'Jtacheinanber unb biefe ScfjnclIigfeitSbiffercHzen
bilben einen toefentlichen Unterschieb gmifdien ben einzelnen
SinueStoahrnchmungen, refp. ihren entfprcchenben SBorfteHungen.
Unfer $>enfen, gemöhnt, in uns felbft ben ÜRafjftab für
alles ju fuchen, hat b*e fchneUfte bcr SinneSroahruehmungen,
baS Sehen, jur HReffung aller SinneStoahrnehmungcn betiuht,
unb bamit aitdj ben fd)itellftcn SinneSoorgang, baS Sehen,
gemeffen. $a eS alfo in unS feinen fdjnelleren Borgang als
bas (Srbfitfen eines ©egenftanbeS fanb, hielt eS biefen Vor-
gang für momentan, ohne zu bebenfen, baff bcr ÜRafjftab felbft
ein Borgang fein fomtte, mefcher, toie es eS eine mehr objeftioe
Betrachtung auch toirflid) zeigte, auch nur nadjeinanbcr, nid)t
momentan zu ftanbe fommt.
3dj ha&c <Ufo gejeigt , toie uitfere animalen gunf-
tionen, Bemegung unb ©mpfinbung, im BorftellungSleben gipfeln.
3<fj habe erft bie BemegitngS« unb bann bie SinueSoorftellungeu
ihrer Bebeutung unb Sofalifation nach erörtert unb bann
in ber Sprache ein Bilb ooit ihrem gegenseitigen SBirfeit unter-
einanber ju geben oerfud)t. ®aS ift bie ©ruttblage ber mobernen
ißfpchologie unb roirb fpäter bie ©runblagc ju einer tuirflid)
elementaren Sluffaffung ber fßfpchiatrie merbctt. 5Der Sprad)-
foifcfjung reicht unfere 3)iSciplin bie £>anb. Unb menn ein auf- ■
merffamer Beobachter in bcr Seeleublinbheit, in SBortoertucd)fc=
(133)
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24
lungcn 2c. guftiinbe fiefjt, bie ben Saieit als gciftigc ©rfranfungen
imponiren fönneit, bie bitrd; genaue .ßerglieberung fid) aber al&
^perberfranfuitgen entpuppen unb otjne Störungen ber Senf«
tfjcitigfeit oerlaufen, fo toirb aucf) bitrd) bie fdjarfe SegreujungS-
fäfjigfeit beffeit, was geiftig gefunb unb roaä geiftig franf ift,
unfere ®i$cipliit ein unentbehrliches Imlfsmittcl ber SuriSprubeng.
Sntereffant ift ba$ Sneinanbergreifen ber oerfc^iebenen
©eifteSgebiete, wenn man bebenft, wie and) felbft jebe J^eil-
funftioit beS ©eljirnS auf bie anbereu J^eitfunftionen angeroiejen
ift, mie tro{5 ber fiofalifation bie einzelnen fjunftionen im 3u»
fammenfjang mit beit anbereit mirfen. 3» weiterem Sinne gilt
hast für afte, rcirflid) nnatomifd) unb pijtjfiologifd) im geroiffen
Sinne gefonberten Crgane beS SDlenfdjett ! 9?ur in Serbinbung
mit bem Uebrigen reiften fie baS ihnen Spejififche unb iljr 93er-
ftänbnifj ift nur möglich oom Stanbpunfte allgemeiner ffletradjtung.
(134)
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Gehirn n berfliiche .
II risse Substanz
Hirnrinde
Ins el
rivww .<>
Hirnrinde
Hirnrinde
II risse Substanz
Bah neu der Gesichts ne
der Giiedbewrij
Buhnen der Getuhlsnerven
Fi cj. II.
tlo rin zon tuls chnitl
durch die
Gross fiirnhälfte
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erven
linke Hinterhauptsrinde rechte Hin t e rhu u p ts rin d c
S e h // <’ r vrn ve rlti n /'.
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Tastrarst.
Fiy.VI.
Ge liifiiTie/ve nveilnu
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Antliroplogifdir llntrrfn^ungrn
ber
ttJfljrjifltdjtiflcn in Itokn.
s-ßoit
<&tto dmrnon
in ÄaiUrutje nöabcn.'.
Hamburg.
Serlagöanitalt urtb ®rucfcrei (oormatö 3. g. 9tid)ter).
1890.
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®o i SHed)( ber Ucbfrfefcung in frembe Spradjen wirb oorbe^allen.
trutf brr SttlagSanfialt imb Srudfrn *1 f titn 'CSirfrllfcftaf t
iBormoIS 3. J. SB(djter) in $>amburg.
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I.
'©eit Anfang 1886 ift in Sahen eine wiffeufd)aftlid)e
Unterfliegung im ©ange, welche twn ben g-adpnännern mit
großer Sfefriebigung aufgenommen unb ingbefoubere oon ©et).
Statt) 3)r. ißirdjom in mehreren Slnfpradjen auf ben Safjreg-
Derfammluugcn ber $>eutfd)en ©efctlfd)aft für 2lntt)ropologie
in Stettin, Stürnberg, Stoun unb Söien alg wiinfd)engmertt)eg
3iet für alle Staaten bezeichnet warben ift. 3>ie Unterfudjungeu
werben übrigeng itidjt burd) ben Staat auggefüf)rt, foitbern
burd) ben &ar[gruf)er Stttertfjumgüerein mit Unterftüftung beg
ÜJiinifteriumg beg itultug unb Unterridjtg, ber Xeutfdjen ®e=
feflfdjaft für Slntpropologie unb beg Staturwiffeufdfaftl. Sßereing
$tarlgruf)e. @g mürbe ju biefem gwede eine befonbere Unter
tommiffion unter bem Storfifc beg ©eneratarjteg 35r. non öed
ernannt. fKitgtieber waren ©eneratar^t a. 35. 3>r. ^poffmanu,
Cberftabgarjt 3)r. ©ernet, Stabtarjt SDr. SBilfer, Ingenieur
a. 35. Otto Stmmott, meid)’ teuerer zugleid) bag Schriftführer-
amt übernahm. ®ie ÄDmmiffion befd)to&, antt)ropologtfd)e
Srtjebungen fai ber SWafterung ber Söefjrpflidjtigen burd) bie
fDtitglieber 3)r. SBilfer unb Stminon Dornetjmen $u taffen, wozu
ber Storfifjenbe bie ©enetpnigung beg ©rofff)- ÜJtinifteriumg beg
Snnern unb beg fgl. preufj. förieggmiuifteriumg erwirfte. 35ie
Arbeiten begannen bei ber SOtufterung 1886 unb Ratten er-
freulichen Fortgang. 3m Saufe beg 3ot)re^ 1887 fd)ien jebod)
Sammlung. “S. 3. V. 101. 1* (137)
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eine &rifi« $u brohen, ba ©eneralarjt dr. uon 93ed in ben
SRuheftanb trat unb nadj greiburg iiberfiebelte, uttb and) Cber*
ftabSar^t dr. ©ernet au« ber Äommiffion au«fdjieb. die&rifi«
nmrbe glüdlich befcfjtüoren; ©encralarjt a. d. dr. |>offmann
übernahm ben Siorfifc unb ber 9Imt«nad)folger be« |>errn
t). Sied, ©eneralarjt dr. ©ilert, trat in bie Äommiffion ein.
3m 3afjr 1888 mürbe ©eneralarjt dr. o. Sied mit feiner
3uftimmung »ieber in bie ftommiffion unb jroar al« au«*
»artige« 2Kitglieb fooptirt, unb in gleicher öigenfd)aft fam
fßrof. dr. 2Bieber«heim in ^reiburg nen ^inju.
die Strbeit fetbft ift inbe« feinen Stugcnblicf unterbrodjen
gemefen. 3n ben Sauren 1887 unb 1888 »urbeit bie @r=
Hebungen bei ber fDiufterung je 4—5 SSodjen lang burdj bie
beibeit oben genannten üJfitglieber oorgenommen, im Safjre 1889
burdj Slmmon allein, Sion ben 52 2lmt«bejirfen Saben« finb
bi« jefct 30 mit ruub 13 500 SDiattn aufgenommen, barunter
6 oom 3af)r 1889, für »eiche bie ©tatiftif noch nidjt ganj
Dollenbet ift. den folgenben fDiitt^eilungen liegen fomit 24 Slmt«=
bejirfe mit etwa 1 1 500 ÜJfann ju ©runbe. Sion ber fDiannfdjaft«»
jaljl finb be^uf« gefouberter Siehanblung abju^iehen bie 3§raeliten,
ferner alle diejenigen, welche in noch uidjt aufgenommenen Sie*
Juden geboren finb, benn e« »erftebt fiefj, bajj nicht ber jufäflige
©efteHung«ort, fonbern ber ©eburt«ort für bie ©tatiftif mag*
gebenb ift. Slach biefer notfjtoenbigen SSerminberuitg bleiben
für bie 24 Slmt«bejirfe 9773 ÜDiann übrig, tnoöon 4710 SJiamt
bem jiingften Sa^rgang (20. 2eben«jafjr), 2986 ben 3,irüd*
gefteHten L (21. £eben«jahr) unb 2077 ben 3urütfgeftellten II.
(22. £eben«jabr) angeboren.
Unter ben 3urüdgeftellten fehlen bie für tauglich unb bie
für bauernb untauglich ©rflärten, toe«toegen biefe beiben 3ahre^‘
flaffet; nicht al« proportionale Siertretuug ber ganzen Sicoölferung
aitgefehen »erben fönnen. diefe (Sigenfchaft befifct hingegen
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o
ber jimgfte Jahrgang. 3» bemfelben fehlen nur diejenigen,
welche fid) in anberen 3)iufterung«be3irfen fteHen unb bie Sin*
jährig -greiwißigen; bieSrfteren werben burcf) Uebertragung jum
dheil ljereingebracf)t unb bic fieberen finb auf bent Satibc nidjt
oott erheblicher 3flhf- 28o man barauf au«geht, bie Srgebniffe
ber Slufnahmeu ju oeraßgemeinern, barf ftet« nur ber jüugfte,
annähernb ooßftänbige Jahrgang ju ©ruitbe getegt werben,
die 3uriicfgefteflten finb nur au«hülf«weife ju betrügen, föniten
jebod) h'eriu fehr ertminfcfjte dienfte leiften. Sie finb 3. 8.
in ber ©rößenftatiftif üon ber jungen ÜHauufd^aft oerfchieben,
ebenfo ift bie Skrtljeilung ber hfßen unb bunfeln Pigmente
etwas! abweichenb; bie 2lbftufuitg ber Äopfinbice« ift jebod)
jo nahe iibereinjtimmenb bei allen brei Jahrgängen, baß man hier
unbebenflief) bie 3of)fen juntmiren fault, um mit größeren Mengen
ju arbeiten, bejw. eittgehenber fpecialifireit ju fönucn. die«
erflart fid) aüc« jehr einfach: bie ©röße ber 'ßflidjtigen fpielt
bei ber 8lu«wa(jl ber Siefruten eine |>auptroße, ba« '.pigment
nur infofern, al« bie heßfarbigen Ceute laugfamer wadjfen, al«
bic bunfeln; aber nie hat matt batwn gehört, baß bie 9lu«*
bebungsbeljörbe fidj barnaef) gerichtet hätte, ob ein Sttaun
bolichocephal ober brad)t)cephal ift. Srft beim Sinriicfen ber
Siefruten fantt e« oorfontmen, baß ber Äammerunteroffijier
fich herüber ©ebanfen mad)t, wenn ber Siormalhelm nicht
auf ben Stopfen feft fißeu will, obwohl bod) bie Umfang«*
Stummer ftimmt.
die Srgebniffe ber aitthropologifchen Statiftif laffett fich
am beften eimheilen in jwei Stlaffen, je nadjbcm fie aßgemein
(in aßen ©ejirfen) auftretenbe Srfdjeinungen ober lofale 93er*
jdjiebenheiten ber Söejirfe bejeugen. ÜJtadjen wir mit ben
erfteren beu Slnfang.
$11« eine überrafchenbe dfjatfache, bie fid) in ben brei
iöerid)t«jahren 1886 — 1888 in aßen 2tmt«bejirfen mit jwei
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unbebcitteitben 3luguaßmen wieberßolte, ift bie SBernteßrung bcr
großen fieute unb bie SBerminberung bcr Ueinen gegenüber bcm
25jäßrigen Xurcßfcßnitt non 1840 — 1864 ju bejeicßnen. 9?ur
im ©ejirf Stodacß ftimmen bie jeßigen imb bie früheren ßaßlen
überein, unb bie öejirfe Staufen unb SBeinßeint Jjabett fowoßl
weniger fileine,1 alg aucß weniger ©roße, fomit meßr Mittlere.
3it ben 23ejirfen ®oitauefcßingen, 3>urlacß, Sngen, Sulingen,
fiarlgruße, fießl, ftonftanj, fiörracß (fianb), ÜHannßeim (fianb),
SWeßfird), Sädingen, Scßöitau, Scßwefcingen, Söolfacß bleibt
bie SBerminberung ber kleinen unter 10%, beggleicßen bie
SBermcßruitg ber ©roßen unter 9,5%. hingegen überfteigen
bie 3af)fen in SBrucßfal, ^eibelberg, fiörracß (Stabt), Söiannßeim
(Stabt), StRün^eim, ^ßfutlenborf, Scßopfßeim, Ueberlingen biefen
^Betrag unb erreichen bag 2J?a|imum in SBieglocß mit 23,2%
weniger fileinen (eg waren 1888: 15,9%, 1840—1864:
39,1% fifeine) unb 15,5% meßr ©roßen (1888: 31,1,%,
1840—1864: 15,6% ©roße). ?lug ©eobacßtunggfeßlern unb
3ufäßigfeiten, welchen bie in ßtebe fteßenbe Arbeit natürlich
aucß auggefefct ift, läßt ficß biefe immer nur nacß einer Seite
eingetretene SBerfcßiebung uicßt erffären. ÜJtan muß alg Xßat-
facße ßinneßmen, baß wir jeßt weniger Heine unb meßr große
SBeßrpflicßtige ßaben, alg in früherer 3e*t- ®er ©cßluß, baß
bie SKaffe größer geworben fei, wäre jebod) ein $rugfd)luß.
SBewiefen ift nur, baß bie fieute im 20. fiebengjaßre bureß*
fdjnittlicß größer finb, wag aucß fo oiel ßeißen lann, alg baß
fie rafeßer waeßfen, ficß rafeßer entwideln; unb bieg würbe ficß
ßinwieberum aug ber oiel befferen Srnäßrung uitb fiörperpflege
erflären. Unfer fianbbolf cutwidelt fieß ja überßaupt oiel
langfamer, alg man gewößnlicß annimmt, unb in jebem SBejirf
finbet man fieute, bei benen im 20. 3aßre bie Pubertät noeß
nidjt, unb jicmlicß oiele, bei benen fie noeß nießt lange ein*
getreten ift, wäßrenb in ben Stäbten bag 14.— 16. 3aßr ßierfitr
(UO)
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bie Siegel bilbet. Sludj biefer Unterfdjieb famt toieber nur itt
bern abtoeichenben $$erhältnifs be$ &räfteoerbrauch$ ^um Kräfte*
erfa§ — Slrbeit uitb Nahrung — feine Urfadje haben. 3$on
beit im SBadjätfjuin ner^ögerten Seuten mufj e$ früher oiel mehr
gegeben haben als je^t, b a S bemeifen bie Tabellen, fonft nichts.
£ajj bie au ög e mach feit eit ÜKättner je^t eine ^ö^ere Statur
erreichen, märe aber erft noch ju unterfucfjen. Sch glaube nicht,
bas bieä ber Jafl ift, meil eS bent fo energifch heroortretenben
©efe&e ber ftrengen Vererbung ber ©felettgröfje roiberfprechett
mürbe. Sluch habe icf) einige ber fnabenhaftcn Subiuibuen oon
1886 bis je^t befonberS beobachtet unb gefunben, baf$ fie fich
halb nachher entmicfelteit unb jetjt ihre oorauSgeeilten Äanierabeit
an ©röfje unb ©tärle eingeholt haben.
(Sine jroeite merfmürbige Jljatfache ift bie eigentümliche
©eftalt ber ©röfjenfuroe, roelche nicht ein Sliojtmum in ber
SJlitte, fonbern ein oberes unb ein unteres äRafimunt mit einer
jwifdjenliegenben (Sinfattlung befi^t. Sluch Iper hterrfcljt faft in
allen öejirfen oößige Uebereinftimmung, nur liegen bie beibeit
'Ufajima nicht immer an ber gleichen ©teile. Jfjeilt man j. ö.
bie 166 Üftanti bes jüngsten SahrgaugeS im SlmtSbejirfe Ueber«
fingen in ©röfjeninteroalle oott 3 ju 3 cm, fo finb bie Sßrojeute,
roelche in jebeS Snteroall oott 1,84 m abroärts fommen: 0,6,
2,4, 4,2, 10,9, 21,1, 12,7, 21,1, 11,4,6,6, 5,4, 2,4, 0,6, 0,6;
unter 1,45 in roar 97iemanb mehr. (SS ift biefeS, roie oor>
greifenb bemerft roerbett foll, ein Sejirf oott oormiegenb
alamanuifchem ©epräge. 2)aS obere ÜKajimum liegt jroifdjen
I, 69 unb 1,72 cm, baS untere jmifchen 1,63 unb 1,66 cm,
roähreub in bem Sateroall 1,66 — 1,69 cm toetiiger Ceute
roaren. 3” bem Sejirf Söolfach, mo ber Meine ©chmarjtoälber>
tppuS oorroiegt, finb bei 186 2J{attit bie etttfprechenben ißrojente
oon 1,84 m abroärtS: 0,0, 0,5, 3,2, 2,7, 12,9, 19,3, 17,2,
II, 3, 14,5, 5,4, 4,8, 1,6, 0,0, 3,2, 1,1, 0,5, 0,5, 0,5, oor-
(Hl)
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läufige? Gttbe bei 1,30 m, bann nodj ein $werg öon ,n-
3)a? obere SRajimunt liegt b)ier bei 1,66 — 1,69 m, ba? untere
bei 1,57 — 1,60 m. 2>iefe fonfequent wieberfeßrenbe ©rfdjeinung
lägt fid) nid)t mit ben UnuoQfommenheiten ber Uuterfud)ung
abfertigen. 9Ran muß mit ber Ilfatfadje rechnen, baß fid) bei
unferen aSSegrpflicgtigen jwei ©rößentppen au?prägeit.s @? ift
mögt feine leere ißljnntafie, wenn mir ba? obere fDfafimuin
auf bie germanifd)en ©iuwanberer, ba? untere auf bie roma*
nifirte oorgermanifdje Qküölferuug besiegen, in weldjer, wie wir
fpäter fegen werben, ein runbföpfige? unb fdjwarjljaarige?
©lement ben 9lu?gaug?punft gebilbet gaben muß. 2)enn feine
©igenfdjaft ber ©ermannt ift ficger er befannt, al? igve Körper»
große gegenüber ben [Römern. ©in djarafteriftifdieS ßeugniß
giebt 3uliu? ©äfar im ©allifcfien Krieg II 30, wo er oon ben
bie [Römer oerlad)enben Slbuatufern fagt: „SBir fommcn ifjnen
wegen unferer Kleinheit ücrädjtlid) oor." SBenn geilte,
1500 — 1600 3afjre nad) ber ©inwanberung ber Hlamannen in
ba? jefjige [Baben uod) feine oöllige SBerfdimeljung berfelbeu
mit ber jweifeflo? öorfjanbettcn, igren antgropologifcgen ©influß
auf Sdjritt unb Jritt beweijenben oorgermanifcßen ©eoölferung
ftattgefunben gat, fonbern bie große unb bie fleine Statur nod)
immer burd)fd)lagen, fo ift bie? einer ber fdpoerwiegenbften
®eweife für bie Konftanj ber Vererbung ber Körpergröße.
2)ie obige SBemerfung, beffere ©rnä^rung fönne ba? 2öacf)3tf)um
befcfjleunigen , aber niegt woßl eine größere [Raffe ßeroor»
bringen, wirb nad) oorftegenber ißrobe niegt ungerechtfertigt
erfd)einen.
II.
$!urd) bie SReffung ber Köpfe unferer SBegrpflicgtigen
würbe ein beittlicgeS Silb gewonnen, unb jwar jum crftenmale
auf hinlänglich breiter ©runblage, wie bie Kopfinbice? ber
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gegenwärtigen Teutfdien im Sübweften unfereS ißaterlanbeS be-
gaffen finb.3 $ei beit großen twrbanbenen fahlen bilben bie
auf jebeu einjetnen 3nbej entfallenben ^rojente eine oollfomnien
ftetige Stitroe. Tpier foflen nur bie fßrojentjablen ber üou 5 ju
5 anfteigenben Snbejflaffett angegeben werben. 3ugleidj füge
id) bie 3af)ien für 675 altgermanifcf)e ÜReibengräbcrtöpfe an,
welche id) babureb gewonnen fyabe, bafj icb bie oon Stollmanit
gegebenen Scfjäbel = SnbiceS itad) ®roca um je 2 Sinbeiten
erhöhte :
Jüngfttr
Hilf 3 3<il)r8
etfraian.
(tnbfr
'Ofntnmma
3afirgang
jiifamrnni
SlfiSfnatdbfr
4711) Wann.
K773 Wann.
67Jt «Soff,
ij— 69,9
.§t)perbolid)oceppat
0,U4 %
0,03 ®/o
1,90°/«
70-74,9
Solicfjoceptjat
0,90 %>
0,80 %
21,30%
75-79,9
SReiocepfjal
14,90®/»
15,10°/®
45,00%
80—84,9
33rad)nccppal
61,70®/®
61,80»/»
21,40%
»5-89,9
£t)pecbrad)t)ccpfial
28,50 °/o
28,90 »/«
8.10 %
9<J — 94 9
llltrabradjpceptjat
3,70 7»
3,60 ®/»
1 ,20 %
95—101
S{tccmbcncPiKepl)at
0,30 7®
0,30 7®
—
iUan
erfennt auf baS
flarfte,
baß in llebereinftimmung
mit bem
früher ©efagteit
bie StopfinbiceS ber
3 3abr9önge
ber ©emufterteu ganj ober bis auf wenige $ebntel ffirosent
emanber gleid) finb, baß aber jwifeben ben je^igen ltub beit
altgermanifdiett Stopfen eine bebeutenbe Stluft beftebt. $ie
jeeigen stopfe geben oon Sitbej' 68 bis 101, ber Sdjwerpunft
fällt in bie filaffe ber 93rarf;Qcep^aIeu (51,3%) uitb ber |>öbe*
pmitt auf 3nbej 83 (11,7%). ®ei ben ©ermatten gingen bie
Rupfe oou Silben 66 bis 98, bie meiften Stopfe fielen in bie
Riafje ber ÜDiefocepbalctt (45,9%), ber fjäufigfte Snbef war
77 110,6%). 37er Unterfd)ieb jwifcbeit fonft uitb jeßt wirb
noch größer, wenn man bie Srocafdje tRegel nicht gelten läßt,
fonbem ben Stopfinbej weniger oon bem 8cbäbelinbey ab«
roeicben läßt, worüber ein allgemein auerlaitnteS Verfahren
nitbt beftebt.
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©3ol)er bicfe ©eränberung ber Sopfform? 3^er erfte ©e*
banfe ift mofjl ber, bah bie fjö^cre Kultur btefelbe bemirft Ijabe.
©eriitffidjtigen mir aber bie Sfouftaitj ber Vererbung, bereu
D?ad)t wir bei ber ftörpcrgröße fenneit gelernt tjaben, fo ge*
langen tuir ju bem Schluffe, bah and) f)ier nur 9laffenraifcf)uu8
bie Urfadje fein fann. $>iefe Änfidjt tuirb beftärft, rcenit mir
feljen, bah bie Sang* uub SRunbföpfe in bestimmten geographifdjen
©ejirfen iljre ÄuSftrahlungSmittelpunfte befifcen. £>iertmn
Später.
©oit großem SEBerth märe eS, and) bie Cfjr* 3djeitelf)ü^e
ber Älöpfe meffen ju fönnen, mag leiber in ber furj be*
meffenen 3c>t nicht tfjunlic^ mar. SDfatt barf bei ber ©e*
urtljeilung ber babifc^cn SDhifterungSerljebungen nie uergeffeit,
bafj babei atleS ungemein rafch oor ficf) geljeu muh- OberfteS
®ebot ift: feine ©erjögerung beS militärischen ©efdjäfte« ju
öerurfachen. SBeun in 3—4 Stunben etma 200 SJfann ge*
muftert roerben, fo ift leicht au^urtchnen, bah im 2)urd)fd)nitt
faum 1 SJiinute auf ben 9D?amt fommt. ©eim jüngften Jahr-
gang, mo über bie nieiften Beute eine enbgültige @ntfd)eibung
nicht gegeben mirb, ift bie $'urchfd)nitr«jeit nod) erheblich fiirjer.
Sänge uub ©reite beS SlopfeS laffen ftd), nadjbem biefer fo gut
als möglich horizontal geftellt ift, mittelft eines eigen« fort*
ftruirten hölzernen ßraniometerS4 in jmei ©riffen abnehmen,
mährcnb bie ©eftimmung ber Chr-8d)eitelhöhe mit bem
©irchomfdjen ftranionieter gefchehctt mühte unb jebenfaflS etma«
mehr 3e*f erforbern mürbe.
©Ja« bie Äugen*, §aar- unb Hautfarbe ber öemufterten
betrifft, fo hat Sich folgenbeS ergeben: ©ou ben 4710 ÜJiann
beS jüngften Jahrganges ha( en blaue ®ugen 39,1%, graue
ober grünliche („gemifdjtc") Äugen 38,7%, braune Äugen
22,2%. ©ei ben 3»rüdgefteflteu I. uub II. ift baS ©erljältnih
nahe hiermit übereinftimmenb. ©ei ben ©irdjomfdjeu Schul*
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erhebungeit waren bie entfpred)enben 3a^en 32,82, 30,52,
36,28%. Sine birefte SBergleichuitg beiber ffleobadjtungSreiben
ift nid)t 3u(äffig, ba bie Schulerhebungen ganz Saben umfaffen,
bie 9)tufterungSerhcbungen nur etwa bie Hälfte ber AmtSbezirfe
nach ber 2Saf)l beS 3ufaß8. CSrft wenn auch biefe Arbeit
oollenbet fein wirb, laffen fid) auSben Abweisungen ©c^tiiffe jie^eit.
@3 ift titbeffen ju^ngebeit, baß bei ben SftufterungS-
erßebungen Diele Augen als „gemifdjt" rnbrijirt würben, weld)e
ber Sprachgebrauch als „braun" bejeidptet hüben würbe, ßum
Serftfinbniß fei barauf ßingewiefen; baß baS braune Pigment
in ber 3riS felbft, baS blaue (welches eigentlich and) braun ift,)
jeboch burS bie Interferenz ber yid)tftraf)len blau erfdjeiitt)
in ber 3fßfS‘St hinter ber 3riS fi^t, unb baß bie Anorbuung
beS Pigmentes eine rabiale ift. ®laue, graue, grüne unb
braune Augen bilben feine fd)arf getrennten ©ruppen, fonbern
ber Uebergang üoHjieljt fid) ganz aßmählid), unb jwar in ber
3Beife, baß baS braune ißigment ootn ißiipiUarrattb, baS blaue
Dom Siliarranb auSftrahlt. 3n bent blauen Auge zeigt fief)
manchmal ein grauer ober hellgelber 9iing um bie ißupiöe, ber
einzelne ßaeftn in bie blaue ijarbc ^ineinfeuben fann, ohne ben
©efamteinbruef „blau" z» beeinträchtigen. SReidjen bie grauen
ober gelblichen 3atffn fteruförmig bis z,un Siliarranb, fo baß
nur blaue Seftorcit bajroifchen übrig bleiben, fo erfd)eiut baS
ganje Auge als „grau". 2>aS nächfte Stabium ift ber Ueber-
gang beS tßnpillatfterne# Don ber hellgelben zur bunfelgelben
ober braunen garbe; bann entfteht burd) baS 3ufammeuwirfett
ber bräunlichen SRabien mit ben blauen Seftoren ber Iota!-
einbruef Don „grün", Sdjreitet bie iBermehrung beS bunfeln
ißigmenteS ber 3riS weiter fort, fo erfdjeiiten felbft in näd)fter
9?ähe bie ^toifc^cn ben braunen 3ac*en ^upißarfterueS be-
pnbliSen Seftoren nidjt mehr blau, fonbern grün. 3u9le'^)
werben biefe grünen Seftoren immer Heiner unb ihre Spifce
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bleibt jiemlid) entfernt dou bem ©upiUarranb. Solche SÜugett
werben Dom ©prad)gebraud) als „braun" bejeidjnet ttnb würben
and) non 2>r. Sßilftr in bie „braune" SRubrif gefegt, wäbrenb
id) in biefe SÜubrif nur bie febr feiten üorfommenben rein ^ell*
braunen ober bunfelbrauuen Stugen bradjte, welche bei genauer
Seobadjtung feine grünen ©eftoreit metjr erfcnnen ließen.
ÜJiit foldjen SJifferenjen wirb jebe berartige Arbeit behaftet fein,
an welker mehrere ©eobadjter witwirfen, ba ©ebfcfjärfe unb
Jarbenfinn ber ©injelnen nid)t gleid) finb. ©ine objeftioe 2lb*
tbeilung ber SCugen ift auS bem ©runbe äußerft fcßwierig, weil
bie ?lrt, wie bie SßupiQarftrablen uttb bie (ftliarfeftoren an*
georbnet finb (Diele unb formale ober wenige unb breite) eine
äufjerft mannigfaltige ift; beinahe jebeS Sluge ift wiebcr anberS
unb mau müßte faft fo Diele SHubrifett anlcgen, als man
iicute t)at.
©effer ift bie Slbttjeilung ber Haarfarben gelungen, inbent
eine Worntalbaarprobe als ©rcnjfarbe ber beiben |>aupt»
gruppen „blonb" unb „braun" aufgeftellt würbe. 3Me Sin»
wenbung in ber ißrajiS bat fid) bewährt, obwohl audj ^ier
Diele ftörenbe ©inflüffe fid) geltcnb madjen. ®ie Haare er*
fdjeineit burd) Jett gläitjenb unb bunfler, bureb Xrocfenßeit
matt unb geller als fie finb; meift finbeit fid) an beit ©d)läfeu
größere ober Heinere ©ejirfe fjeller als bie übrigen. $)ie ©or*
auSfebung, baß bie Dorfontmenben Haarfarben eine fortlaufenbe
©fala Dom belüften ©lonb bis jum bunfelfteit Schwär^ bilben,
trifft nicht ju. ©erabe au ber ©rettje Don ©lonb unb ©raun
finbet eine jienilid) breite feitlicße Stbweidjung ftatt, inbem bie
Jarbe bei im allgemeinen gleicher ©tärfe ber ©igmentirung
mehr in baS 9tött)licbe ober mehr in baS Slfdjfarbene fcblagen
fanu, wobei wieber ganj admäßtieße Slbftufungen ftattfinben.
©on Heüüblonb ju Scbwarj giebt eS unenblicb Diele UebergangS-
reiben, bereu iiußerfte Umfaffungen bezeichnet finb bureb:
(146)
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orangeblonb, rotfjblonb, rotf), braunrot!), rotfjbraun einerfeite
unb afcfjbloitb, graubraun, buttfelgraubraun, braunfd)mar$,
anberfeit». 9iur in ben (Jnbpunften: weifjblonb unb fo^I«
fdjroarä treffen alle öaljnen toieber jufammen. ffiie man fiel)t,
finben in biefem Spftem ancf) bie rotten $aare i^re gefeß-
mäßige Einfügung, wäljrenb fie fonft ganj getrennt bnpiftelfen
feinen.5
SBlonb mären beim jüngfteit galjrgang 52,4%, braun
42,3%, jcfjwarj (eiitfdjl. brauwfcfjwarj) 5,8%, rotf) 1,4%.
Sei ben ßnriicfgeftellten finb 2 — 3% roettiger Sölonbe unb mefjr
Xunfle. $ie 3a^en ber 6djulerl)ebungen finb: 58,02, 38,76,
2,57, 0,27%. öei ber S3ergleid)ung lann menigften« fo oiel
fonftatirt roerben, baß bie gafjlenreilien ber befannten Tfjatfadje
bes 9lad)bunfeln« ber |>aare mit bem fortfdjreitenben Filter
nic^t wiberfpredjen.
Seljr fd)mierig ift es, für bie Hautfarbe eine allgemeine
Sejeidjmmg geben, jdjou be«megen, weil fie uidjt am ganjen
Körper gleich ift unb bann, weil äußere Umftänbe, wie bic
Temperatur be« 3*mmer3, bie $e£ligfcit beäfefbcn, mefjr ober
weniger langet §eritmftef)en ber entfleibeten 2eute ba« §lit«fel)en
beeinfluffen. T)a ift natürlich ber fubjeftioen 8d)äßung ein
große« gelb eingeräumt. 18 on bem jüngfteit Safjrgang finb
als) wei§ (einfdjl. gelblidjweijj) bejeicf)net 79,9%, al« braun
20,1%; bei ben 8d)ulerl)ebuugen waren bie 3°^en 86,98%
unb 12,64%.
6« finb nun bie wichtigen grageit 31t beantworten: Sßeldje
ffie^felbejie^ungen hefteten jmifdjen ©riiße, Kopfinbej, Slugen-,
§aar> unb Hautfarbe? Sinb bie ©ro&eti immer ober bod)
oorwiegenb bolidjoib, bie Kleinen runbföpfig? Vertreten bie
©rofjett ben blonbett $t)pu«, bie Kleinen ben brünetten?
Sud) hierüber geben bie ÜJOtfterungSerfjebungen bereitwillig
Sufidjlnfj.
(147;
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14
III.
3mifd)en ber ©röße bcr £eute mib ißrer ©djäbelform,
a(fo jtuifcfjcn jwei ©feletteigenfdjaften, beftetjt eine beftimmtc
SBedjfelbeäießung ; eine anbere 93?ed)jelbejief)ung befielt $wifdjen
beit ißigmentfarben oott Singe, §aar unb frnut unter fiel).
3mifcf)cit jenen ©feletteigenfdjaften eitterfeitS unb biefen Pigment*
färben anberfeits befielt aber eine Söecfjfelbe^iefjung nießt.
foft fogleid) nadigewiefen werben.
3m oorigen Slbfdpiitt würbe mitgetßeilt, wie oiel ißrojent
non beit Stopfen in jebe Snbcjflaffe fallen. Unterfudjt tnan
nun weiter, wie »ielc l'eute in jeber 3nbejflaffe groß, mittel
unb flcin (immer im ©inne oon 3. jRanfe) finb, fo ergeben
fief) nadjfteljenbe SReifjen:
1 ii finb fflrofcc:
SRittlrre :
Steint:
bei bcu Tolidioccptjalcit :
40,0 7»
42,5 ’/o
17,5 7«
„ „ 9Jtefocept)<ilen:
26,7 •/»
50,1 7«»
23,2 7o
„ „ ^3rac^l?ccp^aten :
•24,9 7o
48,0 7o
27,1 7«
„ „ .ptu>erbrad)t)ceoI)a(cn :
19.2 7«
49,6 7»
31,27»
„ „ lUtrabracffpccp^atcn:
16.6 •/«
44,3 7«
39,1 7»
©ei beit mittleren Stopfffaffen finb bie mittelgroßen Seute
am ftärfften oertreten (48 — 50,1 %); bei ben ®olid)ocepf)alen
finb 40,0% ©roße unb nur 17,5% Stleine, wogegen bei ben
Ultrabradjtjcepljafen baa ©crfjälttiiß faft genau umgefefjrt ift.
©oit bett $>olicf)ocepf)alen ju beit Ultrabradjpcepfjaleit nehmen
bie ©roßen ftetig ab, bie kleinen ftetig ju. @3 ift jwar nid)t
fo, baß alle Sangföpfigen groß, ade 9iunbföpfigett flein finb,
aber unter ben erfteren befinbett fid) 23,4 % meßr ©roße al§
unter ben letzteren unb unter biefen 21,6% mefjr kleine als
unter jenen.
©orlciufig nnentfdjiebcn bleibt bie gra9G bie ©er«
binbung oon ©röße unb fiongföpfigfeit bei unferer heutigen
(148)
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15
SBeoölferung ein ©rbftücf oon bcn alten ©ermatten ift, ober ob
ein allgemeines SBacf)öt^nmlgefe§ bicfe 2Bed)jelmirfung bebingt.
$ie festere ?lnttahnte mürbe feljr einfad) erflären, roie bic ©er»
maneit langfüpfig gemorben fiitb. 2)ian fann fid) root)l oor»
[teilen, bajj ein friegerijd)e3 unb recfenfjafteS bolf burd) natiir»
Itcfje nnb [efuelle gudjtmahl einen fjofjen 2Bud)ö ermirbt, nid)t
aber, melden iöorttjeil in bem Santpfe umä 2>afein bie lange,
fd)male g°rm ÄopfcS gewähren möd)te. Sßürbcu fid)
©röjjc unb Sangföpfigfeit gegenfeitig anatomijd) bebingen, fo
mären bie ©ermanen einfad) beömegeit bolidjocephal, meil fie
grofj finb. £abci ift jebod) nid)t ju iiberfef)en, baß Slfien unb
^olpnefien bölfer oon fleiner Statur unb ^eroorrageuber Saug*
föpfigfeit aufmeifeit, eine 2:^atfad)e, welche ber Sinnahme eines
jo(d)en ©efe^eS miberfprid)t.
©ine nahe berroanbtfdjaft beftefjt anbevfeitö jmifd)eu beu
gleichartigen Slugeit*, §aar» unb Hautfarben. @o finb 3. ®.
Hont) braun: fcfiwarj:
3m aQgenteinen : 52,4 % 42,3% 5,8%
93ei bcn ^Blauäugigen : 80,1% 18,6% 1,3%
„ „ Sraunäugigrn : 22,5 % 69,2 % 8,3 %
JSeiBljäutig finb im allgemeinen 79,9%, braunhäutig
20,1%, bei ben blauäugigen aber 90,0 unb 10,0%, bei beit
braunäugigen 65,3% nnb 34,7%.
bei ben blonbfjaarigen finb meißhäutig 89,5 %, braun*
Ijäntig 10,5 %, bei ben braunhaarigen 70,1 % unb 29,9 %,
bei beit ®d)war3hanrigeu 53,4 % unb 46,6 %.
$ie rotheu §aare fommcit mit jeber Slugettfaibe, jebod)
nur mit weißer Hautfarbe oerbunben oor. üfteift jeichtteu fid)
bie 9iotf)haar*Seu burd) M)r twifec Haut unö jahheiche Som»
meriprofien aus.
Halten mir unö iunädjft au bie HanPtfrtr^,etl : blaue, ge»
mifchte unb braune Slugen, bloube, braune, fchmar^e Hüare/
(140)
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IG
weiße unb braune §aut, fo laffen fid) barauä 3x3x2= 18
Kombinationen (Kategorien) bilben. Sei beit ©djuterf)cbungen
fjat man bie fettencr tiorfommeuben Kategorien weggetaffett unb
fid) mit 11 berfelben begnügt, itt welche bie Schüler einju-
reißen waren. 2Sir ßabcn bei uitferen SDiufteruugSarbeiten alle
18 Kategorien beibeßalten, aber ben 11 ber ©d)ufcrt)eubngeit
bie bort angewanbten Hummern betaffen (um Serwecßfelungen
ju oermeiben), unb bie neu ^injugefommeneit mit a unb b
gefennjeidjitet. 2)ttrd) Trennung ber Kategorien itt „©roße",
„SKitttere" unb „Kleine" ergiebt fid) fotgenbe! ©cßetna:
8 c i <6 c ii .
ttugen.
M at e g ori( .
$aarc.
jpaut.
(Uroftdt
$ro,itnt ber
®liltltren :
«leinen
1
blau
blonb
roeiß
29,8
27,4
30,0
la
„
rr
braun
2,0
2,1
2,0
2
n
braun
roeiß
4,3
6.3
5,4
3
er
rr
braun
1,8
1.6
1,3
3a
fcfjroarj
mein
0,5
0.2
0,6
3li
rr
rr
braun
0,2
0,2
0.1
4
gemiiefjt
blonb
roeiß
12,8
14.1
15,2
4a
„
rr
braun
2,2
2,9
2,1
5
n
braun
roeiß
14,5
12,7
13.2
6
«
braun
3.9
5,0
5.2
6a
„
j^iuars
roeiß
1,9
2,5
2,0
7
M
„
braun
1,3
1,3
1,5
8
braun
blonb
roeiß
3,3
5,1
3.0
8a
ff
•*
braun
0,9
0,7
0,1
9
„
braun
roeiß
11.2
9,2
8.4
10
rr
braun
5,5
6,0
5,6
10a
„
idjiuor^
roeiß
1.1
0,6
0.7
11
„
braun
09
0,9
1,5
Ütbgefetjen oott Keinen, burd) ßufälligfeiten bebingten
©cßwattfungen geigt bie fabelte, baß bie 18 Kategorien über
©roße, 9JJitttere unb Kleine gleichmäßig oertßeilt finb. 35a§fetbe
ift ber $aQ/ roenn matt bie Stugen* unb Haarfarben einzeln
betrachtet, ©o betragen bie blauen Stugen bei ben ©roßen
(150)
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17
39,7 %, Mittlern 38,2 %>, kleinen 40,2 %>, bie braunen
Äugen: 23,4 %>, 22,9 °/o, 20,1 %. Slonbe fjaare ßatten
bei ben ©roßen 51,7 %, Mittleren 52,1 °/0, ft (einen 53,6 %;
braune .paare 37,9 %, 37,1 %, 34,9 °/o. .frier ift ein deines
Ueberwiegen ber gellen garben bei ben Siebten, ber bunfelit
bei ben ©roßen gu bewerten, alfo ba$ ©egentßeil non bem,
wa£ matt woßl erwarten fonnte. $ieS rüßrt aber nur üon
bem fcßon berührten Umftanbe ßer, baß bie ßeflpigmentirten
Seute ßäußg langsamer wacßfen al$ bie buttfeln. Sei ben
Surücfgefteüten I. unb II. finb bie 3a^Ien ^er blauen Äugen:
39,2 %, 36,2 %>, 36,4 % unb 37,3 %, 37,1 %, 36,8 %,
bie ber blonben fraare 51,9 %>, 50,2 %, 49,7 % unb 49,9 %,
50,6 %, 51,6 %, wo alfo ber Unterzieh fcßon beinahe aus»
geglichen ift. Silben bie 3wmcf9efteßteTl aucß feine »olle
SaßreSfcßicßt ber Seoölferuitg, fo fönnett fie bocß bei ber
Trennung in 3 ©rößenftufen mit Kuweit ßerangegogett
werben.
®aS SRicßtoorßanbenfein einer SBecßfelbegießung gwifcßen
©röße unb ißigmentirung läßt ficß im gufanuncnßalt mit ben
früßer bewiefenen 2ßatfacßen leicßt oerfteßen uttb toibcrfpricßt
feineSwegs ber Ännaßme, baß unfere ßeutige Seüölferung im
wefentlicßen aus gwei frauptbeftanbtßeilen, einem großen, boli»
cßocepßalen, ßeüen unb einem deinen, ruttbföpfigen, bunfeln
ßeroorgegattgen ift. ®er Saß beweift nun: 1. baß bie ©röße
unb bie ßefle garbe ber germattifcßett unb fonftigen arifcßett
Sölfer nicßt ber näm ließen Urfacße, fonbertt oerfeßiebenen
Urfacßen ißre ©ntfteßung oerbanfen unb 2. baß ©röße unb
^igmentirung fuß getrennt »ererben. 2>a$ Seßtere ift aueß
wieber ganj natiirtieß. Sei einer Sermifcßuttg gweier SRaffen
fann uttmöglicß ein Ißeil alle feine SRaffencßaraftere unter
oottftänbiger Äußerfraftfeßuttg ber Sßaraftere beS anberen
XßeilS auf bie SRacßfommen oererben. Sielmeßr miiffen bie
Samnilnita W. R. V. 101. ü (IM)
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18
fRaffencßaraMere iit ben fRacßfommen burcßeinanber gemilcht
erflehten unb jroar fo, baß einerfeitS ©röße unb Kopfform
(©fefetteigenfcßaften), anbererfeits Singen*, Haar* unb Hautfarbe
eine geroiffe 33erroanbtfcßaft ju einatiber beibeßalten, bie crfte
unb bie jroeite ©ruppe jcbocf) gang roiHMirlicß miteinanber
Berbunbeit roerben. 33eifpielStoeife roerben aus ber 3$ermifcßuug
Bon ©ermanen mit einer Meinen, runbföpfigen, brünetten fRafje
in ber erften ©eneration folgeube Hauptoarianten ju erroarten
fein: groß unb brünett, Mein unb bfonb, feltener mittelgroß
unb hellbraun ober bunfelblonb. daneben fönnen aber noch
in abfteigenber .fjäufigfeit oorfommen: große blonbe fRunbföpfe;
Meine brünette Saitgföpfe, blauäugige mit bunfelm unb bunfel*
äugige mit gellem $aar u. f. w. u. f. ro. $uS ben großen
SSrünetten unb Meinen 33lonben folgen in ber jroeiten ©eneration
mieber große 33lottbe unb Meine 33rünette, rooßer fieß bie ßäufig
oorfommenbe SSaßnteßmung erffärt, baß Kinber auf ben
2ßpuS ber ©roßeitern „juriicffcßlagen". ÜJJit jeber ©eneration
roerben aber bie reinen Jpoen ber beiben urfprünglicßen SRaffcn
feltener, bie SPiifcßtßpeu jeber möglichen Kombination ßäufiger,
bis ju folcßer SJetaiflirung, baß j. 33. blonbeS ^auptßaar mit
feßroarjen Slugbrauen ober ßeHbloitbc Slugbrauen mit feßroarjen
3öimpern fombinirt beobachtet roerben. 9ladj einer Berßältniß-
mäßig Meinen Slnjaßl oon ©enerationen, roelcßc jebenfaHS feit
©inroanberuitg ber ©ermanen in 3>eutfcßlanb feßon Iängft
überfeßritten ift, muffen bie ßeHett unb bunfeln fßigmente über
alle ©rößenftufen gleichmäßig oertßeilt fein, roie eS tßatfäcßlicß
gefunben roirb. Slber feßr lange roirb eS bauern, roenn eS je
baßin fommt, bis aueß alle Kopfformen mit allen ©rößenftufen
unb alle Slugenfarben mit allen Haar» unb Hautfarben in
gleiten Sfntßeilen Berbunben fein roerben. ©elbft bann roirb
unter ben an $aßl juneßmeuben Kombinationen immer roieber
aueß biejenige ber beiben Urtppen oorfommen; bereu fßrojent*
f1S2>
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19
antfjeil wirb nur immer Meiner, aber niemals werben bie „Sfiüd*
idjläge" gang auSbleiben, niemals wirb eine „SDiifchraffe" ent*
fielen.
Sei biefem Sßunfte unfercr Setradjtung angelangt, fragen
mir unmiHfürlidj : wie Diele Don ber Sircfjowfc^eu Kategorie 1
(blau, blonb, weife) finb benn zugleich grofe uitb bolidjo*
ober mefocepljal? Um für biefett, burefe fünf ©igenfehaften
ebarafterifirten DppuS nicht eine mehr ober weniger anfechtbare
etbnographifdje Bezeichnung anwenben $u ntüffen, nenne ich
benfelben DppuS A. 3it Setracfet fommen hierbei 4665 SDiann
ftatt 4710, weil bei 45 SDiann aus Serfefeen bie Hautfarbe
nicht angegeben würbe. Son biefen finb Äategorie 1 : 1338
SDiann = 28,7 °/o. ©rofe unb bolichoib finb 208 SDiann,
bieroon Kategorie 1: 61 SDiann = 30,0%. Diefe 61 SDiann
fteUen beit DppuS A nor.
Suf ben erften Süd erfcheint bie 3“hi 81 fehr M«n, aber
man braucht nur bie Sßrojentjahlen ju beachten, um fid} zu
überzeugen, bafe biefe in ftrenger ©efefemäfeigfeit ben bereits
itachgewiefenen 2Bed)felbeziehungen entfprechen. Der Unterfcfeicb
obiger 28,7 % unb 30,0 % überfcfercitet fchwcrüch bie ©rettge
ber SeobachtungSfehler, unb man barf annehmen, bafe unter
ben grofeen Dolicfeoiben faum mehr Seute zur Kategorie 1 ge*
hören, als unter ber SDiannfdjaft im allgemeinen, waS wieber
baS SRichttorbanbenfein einer S53cchfelbegie^ung jwifcfjen ©felett*
mtb Sßigmenteigenfchaften barthut.
Den ©egenfafe ju DppuS A bitben biejenigett £eute,
roelcfee flein, runbföpfig (oon 3itbe£ 85 aufwärts), braunäugig,
braun* ober fehwarzhaarig unb buufelfeäutig finb. SJlennen wir
biefe DppuS B, fo hoben wir folgenbe 3flhlen : Son ben 4665
Kann finb Kategorie 10 unb 11: 316 SDiann = 6,8 %.
Stein unb runbföpfig finb 493 SDiann, baoon Kategorie 10
unb 11 : 30 SDiann — 6,1 %. $luch hicr fallen bie ®rojent*
2* OB*)
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20
gahleu annähernb gleidj aug unb eg ergeben fidj bie nämlichen
Folgerungen loie bei Xppug A.
©o Mein übrigeng bie 3a^en ®on $9pug A unb Sppug B
erfdjeineit — oon ber ©efamtgahl nur 1,3 unb 0,6 %> — ,
fo ergeben fie bod) giemlid) erheblidje Volfgmengen, wenn man
fragt, wie oiele fieute oon $t)pug A unb Jppug B befinDen
fid) unter ben 1 600 000 öetuofjnera Vabeng? Vorauggefefct,
baß man obige ©rgebniffe einer 3ahregfd)id)t auf ade übrigen
3af)reg|'d)id)teu unb aucf) auf bag meiblidje ©efdjlecht, unb oon
ber §älfte beg ©roShergogtfjumg auf bag ©ange augbe^nen
barf, mürben fich 20 900 SDZenfdjen oom Jppug A unb 10 300
oom Stppug B berechnen laffen, für bag männlidje @efd)lcd)t
aflein ungefähr bie Hälfte Ijieroon.
3n ber 3ufammenfefcung beg Sppug B tritt uns eine
auffadenbe ©rfcheinung entgegen, nämlid) ber ftarfe tlntheil
fd)W arger |>aare. Von ben 30 SDZann beg Jppug B finb
nic^t weniger alg 13 SDiann fd)wargbaarig unb nur 17 braun-
haarig. Um biefeg Verhältnis gu würbigen, rnuS man fid)
erinnern, ba§ im adgemeiiteu bie fdjwarjeu gu ben braunen
paaren wie 274 SDfann gu 1025 3)lann, atfo wie 1 : 7 flehen.
©d)on wenn bag 3ufawmentreffcn mit buufler Slugeit* unb
Hautfarbe oerlangt wirb, änbert fid) bag Verhältnis, tnbem
fid) Kategorie 11 gu Kategorie 10, atfo fchwargeg .fjaar gu
braunem wie 50 3Kann gu 266 SDZann ober wie 1 : 5,3 Der*
hält. Veim ©rforbernifc oder mehr genannten 5 ©igenfd)aften
ift aber bag Verhältnis 13 : 17 ober 1 : 1,3. ©odte fid)
hierin nidjt ber urfprünglidje £t)pug B alg ein fdjwargljaariger
rfjarafterifiren woden? SDag fd)Warge .fpaar würbe bann alg
ber 'Äugganggpunft, bag braune fdjon alg ein 2ftifd)probuft
angufehen fein.
(IM
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21
IV.
©eben wir nunmehr »on ben allgemeinen ©rgebuiffen ber
9JhifterungS*2lufnahmen gu ben lofalen über, fo fönnen wir
hierbei fc^oit bie bieSjährigen (Erhebungen im ©egirfS’Äommanbo
SföoSbad) (gwifdjen 9?edar uitb baljerifc^er ©reit je) mit*
benu^en. $5ennod) biirfen wir nicht erwarten, fc^ott jefct eine
Ueberfidjt bcS gangen ©rofjhergogtf)umS 5U erhalten, &a faum
mehr als bie §älfte beS ©ebieteS bearbeitet ift. Slber anber*
feitä* barf man baS Grreidjte auch nicht uitterfchäfcen, benn bie
Statiftif würbe Schritt für Schritt mit ben (Erhebungen fort*
geführt unb ihre (Ergebniffc finb bereits als enbgültig gu be-
trachten. (Einftweilen würben bie SlmtSbegirfe, in einigen gäöen
aud) bie 21mtSgcrichtSbegirfe, gu ©ruttbc gelegt; fpäter biirfte
eS nöthig fein, eine gweite Statifti! nad) natürlichen CrtS*
gruppen aufgufteHen, welche baS bisher ©efunbene aber nur
betätigen unb fchärfer hcrü°rtreteu laffen wirb. $ur ^er*
anfchaulichung höbe id) oerfdjiebene fDIethoben ber (Uarftetlung
gewählt, theilS harten ©abenS in ftärferen unb fchwädjeren
garbentöneit gum StuSbrud uon ©rogentgahlen, tEjeilS Äuroen,
welche burd) ihre Soorbiuaten bie Slbljängigfeit gweier ©röfjen
ooneinanber erfennen laffen.
©ine Surchiprecfjung ber eingelnen ©egirfe würbe hier 5U
weit führen; cS füllen oielmehr auch &ei beit (Ergebitiffen lofaler
ober richtiger geographifdjer SNntur blojj bie §auptpuufte her*
oorgehoben werben.
$ie grüne $arte6 oon ©aben geigt burdpoeg mehr „©rofje",
als ber 25jährige 35urchfd)nitt oon 1840—64, eine ©rfdjeinung,
welche fchon in 21bfchnitt I. gewiirbigt würbe. 211S geograpljifche
2ßittelpunfte mit befonbers oielett grofjcn Seuten (21 bis 36,7 %)
treten heroor: bie ©obenfeegegenb, befonberS baS ?lmt lieber*
lingett, in gweiter fReilje ißfuHenborf, SJfefjfird), (Engen, Sonftang,
(155)
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iebodj nicf)t ©totfad), welches weniger ©roße ^at; — bie fog.
Saar, Slmt Sonauefd)ingen; — ba£ ÜUtarfgräflerlanb, befonberS
baS Slmt ÜJiüfltjeim, fobann Sörrad) uttb ©djopfheim; — baS
„§anauer fianb", Slmt ftel)! in ber SRfjeinebene; — in ber
^Sfalj bic Slemter 9JiannI)eim unb SöieSlod), weniger S8einf)eim
unb ^eibelberg; — baS fräntifdfe „©aulatib", unb ber Sauber*
grunb, befonberS 2lbd3f)eim, 2Bert[)eim, STauberbifcfjofö^eim .
Sie rotfje ftarte jcigt weniger „ft leine" auf als ber obige
Surdjfdjnitt. Sen Süfrttelpunft ber ftleinen mit 39,4 ißro$ent
hübet ber SmtSbejirf Söotfad) im ©djwarjwalb. Sann fommen
©tocfa<$, ©ätfingen (|>o&enwalb), ©djönau (©djwarjwafb),
|)arbtgegenb bei ftarl$ruf)e, 2Beinf)eim, Gberbad) am Retfar.
3n ber biolett angemalten ftarte ber Solidjoiben (Sitbej
unter 80) finb bie SWittelpunfte nacf) bem früher ©efagten im
Ginflang mit benjenigen ber ©roßen, beim ©röße unb Solidjo-
cepljalie finb fo^ufagen wa^loerwanbt. 3d) neune ftonftanj
mit 21,3 %, Sörracf) mit 21,4 %, oon meieren bie ißrojent*
jaulen ber Ratffbarbejirfe ftufenmeife abfallen. 23?anntjeim,
SBeinfjeim unb SöieSlod) (©falj), Suchen mit Söaflburn im
fjintern Cbenwalb.
Stuf einer weiteren grau abgeftuften ftarte finb bie Ruttb*
föpfe bargeftedt oon Snbej 85 aufwärts. GS wunbert uns
nidjt, ben ©djwarawalb, bas Gentrum ber ftleinen, zugleich als
heroorragcnbften SluSftraf)lungSpunft ber §pperbrad)pcepf}aleu
Wieberjufinben, übcrrafdjt finb wir aber burcf) bie auSncfjmenb
ftarte ©etonung biefeS SDterfmalS unb burd) ben ftreng gefe$*
mäßigen, ftufenweifen Slbfatl nad) bem ©obenfee t)in. GS
Ratten Runbföpfe in ber geograpf)iftf)eu Reihenfolge:
SBoIfadi
64,3%
©tocfa$
32,5%
Srtberg (.wirb 1890 aufgenommen)
©tebfirdj
32,7%
SJitlingen (beigl.)
Ißfuflenborf
25,47»
$onaue[d)ingen
58,9%
Ueberlingcn
25,97»
Sngen
44,47»
ftoitftaiij
23,37»
(IM)
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23
Sott beit übrigen I^eifeu bes ©djuiarjumlbe« finb bis
jeßt nur bie ÄmtSbejirfe ©äcfingen mit 61,9 %> unb ©djönau
mit SBiefentfjat mit 51,5 % aufgenommen; ber 91ad)barbeiirf
©djopf^eim, bie $eimatb §ebel«, f)at nur 39,0 %, Sörrad)
nur 28,8 %. — 3m ganjen unteren Sanbestheil bis gur
heffifcf)en unb batjerifchen ©renje erfjebt fid^ bie 3af)l ber £)pper»
brachpcephalen nirgenb« über 36,4 °/o.
S)ie blaue Sarte beS „btonben $t)puS" (BirchoiuS State»
gorie 1) ift, toie fdjott früher bemerft, einigen Unfic^erljeiten in»
folge fubjeftioer Grinflüffe bei ben Beobachtern untertoorfeti.
^eroorrageitbe ©eutren finb ber $aubergrunb, Äbel^^cim,
§eibelberg, $)urla<h; — bie Saar, baS SRarfgräflerlanb unb
bie Sobenfeegegenb; — merftoürbigerioeife auch ber ©cfjroarj»
roalbbe^irf SBoIfacf) (31,7 %), jebod) nicht ber oom gleichen
^Beobachter aufgenommene Sejir! ©chönau (14,1 %).
®et braun bargefteöte „brünette Üppu«" (Kategorie
10 unb 11) beioegt [ich stoifchen 2 uttb 15 ^Srojent, ift aber
infolge ber ©<h»ierigfeiten bei ber fRubri^irung ber bunfeln
$ugenfarben (oergl. 21bfd)nitt II.) fo »oenig charafteriftifch oertheilt,
baß nichts 9IähereS angegeben toerben faitn.
3n bie beibeit lefctgenannten Starten hQ&e ich auch bie
Stjpen A unb B eingetragen, aber luegeit ihrer geringen 3Qh*
nicht in ^Jrojent, fonbern für jeben äJtann ein Ouabrätchen bei
feinem ©eburtSort. ®ie Seute beS $t)puS A: blau, blonb,
toeifj, grofj unb bolichoib finb bttreh rneifie Ouabrätchen, bie
30 2J2ann beS 2hpuS B burch fcf)toar$e Ouabrätchen bargefteHt,
unb jtoar ft'ategorie 10 (braunes .§aar) unb Stategorie 11
(fchmar^eS §aar) ettoaS unterfchieben. $>a ift nun bie Ser«
theilung (toeil ber ftetS ber ©chäfcuug loeit überlegene SJlafjftab
eine SRofle fpielt) fefjou oiel charatteriftifcher.
$>ie Seute oom STppuS A fifcen oereinjelt an ber Zauber,
bem 9?ecfar unb im Obenroalb, bitter im Saulanb OäbelSheim),
(157)
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24
nodj bicfiter a» ber Sergftrafje oon SBeinfjeim über |>eibetberg,
Srudjfat, Surlad) nad) ©ttlingen, mit Sergroeigung in bie
Seitentäler, tereingelt an ber Stfjeinftrafje unb im «fjanauer
itanb, in ber ÜRarfgraffc^aft, in ber Saar* unb Sobenfeegegenb.
Sie festen gang in ben Sd)K>argroaIbbegirfen SBoIfad) (trofc ber
31,7 % oon Kategorie 1) unb Schönau.
®ie !£t)pen B oertfjeilen fid) tjaupfädjlidj auf ben Segirf
SBotfad) unb bie 9tacf)barbegirfe, foroie auf bie Älb* begietjungS*
weife ^arbtgemeinben bei $arl$ruf)e, bie offenbar Si{je einer
nid)t gcrmaitifdjen Seoöfferung finb.
ÄlT baS ©efagte täfjt fid) unter ben ®efid)t$punft bringen:
üie getmanifdjen SKerfmafe ber babifd)en Seöölferung finben
fid) oorgugSweife in ber 9tf)eiitebene unb groar befonberS ftarf
an ber f)effifd)en ©renge (fränfifdjeä ©ebiet) unb in ber Sör*
radjer ©egenb, ber alten SDfarfgraffdjaft, f obamt auf ber $od)*
ebene ber Saar unb in ber Sobenfeegegeitb (atamannifd)e£
©ebiet}.
3)ie frembartigen (Steinerne tjaben if)ren fjauptfädjfidjcn
SOfittetpunft im Sd)Wargwatb unb einen fefunbäreu in ben
Älbgemeinben fiiblid) oon ÄartSrutje.
28er eine SDiuftcrung in ben fo grunboerfdjiebenen Sftadjbat*
begirfen Sörracf) ober ®d)opff)eim unb ®d)önau mitmad)t, ber
wirb niemals bie Setjauptung oertreten mögen, bafj biefe gegen*
fäßtidien Silbungen burd) äußere SWebien bewirft fein fönnten.
§ier bie tjoljen, weiten ©eftatteu mit fetten Äugen, Seute,
beiten oft nur eine Scfjattirung beS §aarc$ ober ein fütitlimeter
am Äopfmajj gu reinen gerntanifd)en Jppen fctjlt — bort Meine
braune Surfdje mit buitflem Äuge unb |>aar, unb wie bie
äufjere @rfd)cinung, fo and) Slid unb Senelfmen gang anberS,
baf) man fid) gu bem ©tauben oerfud)t füfjlt, in ein frembeS
Sanb oerfefct gu fein. Sftur SRaffenmifdjung fann t)ier eine
auSreidjenbe (Srftärung geben. 2Bir muffen annef)nten, bafj bie
(15S)
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25
©ermatten (Xt)pu3 A) bei i^vec ©inwanberung eilte »orhanbene
Seoölferung antrafen, bie feine reine fRaffe, fonbern au§ »er*
fchiebenen ©lementen gemixt gcwefen jein wirb, in welcher
jeboch ber $ppu3 B einen Ijerßorragenben $lntf)eil hatte. 3)iefe
Seoölferung jog fich »ott ben fruchtbaren lief- unb Hochebenen
junäcfjft in bie Schwarawalbthaler juriicf, in welche bie ©er*
manen fpäter nachbrängteu. 9foch heute, nach jahrhunberte*
langer Sermifchung, »ererbt biefe Settölferung bie SRerfmale
beS j£t)pu3 B teils »ereinigt, tfjeilS getrennt auf bie heutigen
SJlachfommen.
©3 ift faum glaublich, aber benttodj wahr, baß bie ©renje
ber alamannifchen unb ber jchwar^wälber Scuölferung fich int
SBiefenthal noch jefet faft gatij fcharf angcben lägt. 25ie Stabt
3eß, geographifch <$um Scjirf Schönau gehörig, aber nahe ber
©rettje, gehört anthropologifch noch gan$ ju Sdjopfheim, bie
Heute ftnb »onoicgenD heßpigmentirt (14 »ott 19), groß, unter
19 SÜianit 3 üföefocephale. SBanbert man talaufwärts nach
■ä^enbach, fo finbct man bort noch große Heute, aber feine
SJiefocepbalen mehr, unb bie bunfeln Pigmente überwiegen (15
oon 26). 3m nächften $orf, ÜRambad), fielen bie heßen ju
ben bunfeln Pigmenten toie 9 : 13, bie ©roßen »erftwinben
jaft ganj, ju ben 6 Hhperbrachpcephalett gefeßeti fich 2 ©jtrem*
brachpcephale. Somit finb toir hier fcgon ganj im ©ebiet beS
jchwarjwälber JppuS, »ie er im Söe^irf Sd)önau mit 2lu3*
nähme weniger, »on St. Slafiett beeinflußter Orte »orherrjcht.
3)ie ©renje »on SUamannen unb Schwarjwälbern liegt jwifchen
3eß unb Sliambach, alfo etwa bei Slfoenbach. Sei biefem Orte
beginnt and) ber eigentümliche fchwarjwälber HauSttjpuS.
©ine ungemein djarafteriftijche Slntwort erhält man auf
bie grage nach ben abfoluten ÜRaßeit ber Hopfe im unteren
unb obern SBiefentfjal; woher fommt ber bolid)oibe 3ubef bort,
ber hPPerbrachpcephale hier? $ie Hänge ber itöpfe bewegt fich
(159)
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in beibett Söejirfett bei ber größeren £älfte jroifdjeu 18 unb
19 cm, bie Streite bei jroei drittel jroifdjen 15 unb 16 cm. S)ic
Stejirfe imterfdjeibeu ficfj nun burcf) bie fßrojentjatiten ber Stopfe,
roetcfje über ober unter biefen mittleren SRaum falten.
SJcinge
19,0 cm u. bariifcer
Sidrradi:
•29,5%
3d)önai[
15,27«
H
unter 18 cm
13,7%
29,07»
töreite
16 cm u. boriiber
19,1%
22,6%
unter 15 cm
21,5%
15,37»
$ie Stopfe finb atfo in ©djönau nid)t nur fürjer, foitbern
aud) breiter; mir fjaben unoertennbar jtoei ganj entgegengejeöte
formen oor uns*.
3m ÄmtSbejirf Sßotfad) ift ber Xt)pu8 B befonbers ftar!
in ber ©emeinbe Oberrootfad) oertreten, roeldje eine ©tunbe
oberhalb SBotfad) in bem nadj fRippolbäau unb StniebiS hinauf*
jiefjenben ©eitentfjat ber Sinnig gelegen ift. trifft fid), baff
biefe ©emeinbe aud; im 25 jährigen $urd)fd)nitt am meiften
kleine (60,2%) unb 3Jtinbermä§ige (32,4%) befifct. ©d)on bei
ber SJiufterung fetbft mar biefe ©emeinbe burd) itjre oielen
tleinen, braunen Seute aufgefaßett unb bie ©tatiftif f)at ben
Sinbrucf jafjtenmäßig beftätigt. 33on ben 30 3)?attn be§ Jppuä
B (jüngfter 3a^rgang) faßen 9 auf ben Sejirf SBotfad); itt
aßen 3 3at)rgcingen jufammen fjattc ber Sejirf 14, mooon
3 in ber ©emeinbe Cberroolfacf). ©ef)r jatjlreid) oertreten finb
natürlich fjier aud) bie oerroanbtett $t)pen, brünett mit grünen
Slugen, meiner §aut ober btonb mit bunfeln Stugen tc.; runb<
töpfig finb faft % unb ffeiit me!)r at$ Vs.
©iS oor furjem mürbe überhaupt beftritten, baß Der
©djroaräioatb oor ber ©rüttbung feiner großen Stlöfter beroof)nt
geroefen fei; erft burd) biefe fei bie ©efiebetung im 10. — 13. Saljr*
fjunbert oeranlafjt roorben, bi3 baf)itt fei ber ©dpoarjroatb eine
menfdfenleere SBJilbnifj geroefen. 9)fan fennt aßerbingS an«
(160)
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3efjntprojc|fen genau bie Vorgänge bei ber Sefiebelung einiger
2f)äler bes SlmteS SReuftabt, aber babei ift ju bemerfen, bafj
IReuftabt antfjropologifdj iticf|t jum ©cf)mar3malb, fonbern 311
ber alamannifdjen |>od)ebene gehört. $ie Unbewobntfyeit bess
©djroarjiüalbe« ift a priori unwaf)rfd)einlid), benn wie füllte
ber SRenftf) nicf)t bttrd) ein fo wilbreidjeS unb fdjußgewälfrenbe«
©ebiet angejogen worben fein? ®ie Stingroätle oon 3artcn
(Tarodunmu) unb ©regenbad) betoeifett bie Hnwefenßeit einer
»orgefdjicf)tlid)ett ©eoölferung, unb mau müßte annelfmen, baß
biefelbe burdj bie Körner unb bejw. Alamannen oöllig aus!=
gerottet worben fei. tiefes ift aber faum benfbar, weil bie
3?ütner nur in wenige Steile beS ©djwarjwatbeS gelangten unb
bie ©erntanen erft fefjr fpät benfetben in ©efiß nahmen; beibe
©ölfer Ratten nießt ben ©ebrauef), Unterworfene mit SSeibern
unb Äinbern 31t tobten, fonbern fie pflegten biefe als ©flauen
ober porige fortejriftiren 311 laffen.
$>a3 ©Zweigen ber Urfunbett über eine üorgertnanifdje
©eoölferung auf bem ©cf)war3walbe fann nod) nid)t bie Un*
bewoljntljeii beweifen. @3 ift möglid), baß Urfunben oerloreu
gegangen fxttb, mögtidj, b af} bie fraglidje ©eoölferung ein Säger-
leben ofpte fefte 2Sof)nftße führte, möglid) and), bafj man ifjrer
nidjt ermahnte, weil matt il)r feine Siechte 3uerfannte; für Un-
freie f)atte man im Slltertfjunx unb im frühen SDiittelalter wenig
Slufmerffamfeit. ßfjrift ßat bie 2lnfid)t geäufjert, baß biefe
f leinen fdjeuen Seute, welche in $öf)letx unb Älüften wohnten
unb beim Slnblicf eines ©ermatten in il)r ©erfteef flogen, in
ben ©agen gemeint ftxxb oon ben ©ergmännleitt, bie fid) itn*
fid)tbar machen fonnten.
Sn neuerer 3eit ift über aud) oon ©pradjforfdjern unb
^iftorifern, wie ©utf, ©aumanix,7 21. ©djulte8 ber fJtadpoeis
geführt worben, baff im $in3igtf)al fRefte einer rotnanifirtett
oorgermantfdjen ©eoölferung tiocf) in gefcfpdjtlidfer 3cit Dors
neu
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28
fjanbett ruareit. darauf beuten fdfon bieöenteinbenamen SBelfchen*
botlenbad) (neben $eutfcf)enbolIenbach) unb 28elfd)enfteinach
(neben 3)eutfd)cnfteinad)), fcimtlid) jum SImt SEBolfad) gefjörenb,
barauf beuten CrtSnanten romanifd)en UrfprungS toie ßlettner
(crepniger), ©urtnaie (cortina), fßfauS (fossa), IXUerS ober
SDiuUerS (niouliere) u. f. to. 3tt einer ©renjbefchreibung ber
ü)?arfgenoffenfc^aft ©ttenfjeim fjcißt bic ©ren^ftrede gegen
SBelfdjenfteinach: ad commarchium Alamannorum, woraus
herüorgel)t, baß bie fenfeitigen Söewohuer noch im jefynten 3afjr*
bunbert nicht als SUamannen angefehen mürben, ©inen großen
Shfil feiner ^Beweisführung jieht ©chutte aus ben SDiönc^öliften
bet SHöfter ©engenbad), ©ttenheim unb ©futtern, in melden
eine größere Stn^a^I altromanifcher ißerfonenuamen öorfommen, 9
mähreitb Älöfter in rein beutfc^en ©egenbeit nur bcutfdje tarnen,
oermifdjt mit einigen biblifdjen unb ^»eiligeitnamen aufmeifen.
„2Bie im SKpengebiet ber romanifdje ©tamrn fidt) — gleid^fam
eine Snfel bilbenb — awifdjen ben germanifdjen ©roberertt er«
hielt, fo batten audj in ber Ortenau fidj fofdje 3nfeln, freilich
Diel Keinem llmfangö, erhalten Sßir bürfen in ben ro*
manifdjen Xbälcrn (beS ©chwarjwatbeS) nicht 9ieftc unb ©puren
aus ber h°f>en Slütfjejeit römifcber Kultur fiteren; bie ro*
manifebeu §lnfiebler brachten fdjtoerlicfj Diel mehr in bie ©ebirgS*
tßäter mit, als baS nadte Seben .... SSaren bie romanifeben
©pradjinfelit auch ftein, fo miiffen fie bodj immerhin fo um*
fangreich gemefen fein, baß fie ihre ©igenart unb ©pradje
jwifchen ben $eutfd)en mehrere 3ahrf)unberte behaupten fonnten-
2)er itt ber Urfunbe uon 92G befte^enbe ©egenfaß muß fidj
aber bafb barauf »erwifcht haben, beim bie Urfunben beS 13.
unb 14. Sahrhunberts fennen nur mehr rein beutfdje 93er*
hättuiffe." 3)ieS bie Schlußfolgerung Don ©djutte.
2Benn ©djulte oor ber SJeraflgemeinerung biefer ©rgebniffe
roarnt, fo meint er bamit jebenfaUS nur bie beweis» unb fritiflofe
(162)
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29
SBerattgemeinerung. ©el)ett ruir aber aus unferen SDiufterungS'
ergebniffen, bafj bie oon bcn ^iftorifern als romanifcb nad)*
gemiefenen Crte SBelfcbenftcinacb unb Söelfcbenbottenbacb eine
Seöölferung mit befimberen förperlirfjen SDierfmalen befifcen,
unb treffen mir Seute mit beitfefbcn förperlidjeit SRerlmalen in
Qbermolfacb unb anberen ©emeinbeit beS 3lmteS SCöoIfacf) an,
fo fönnen mir mit Sicherheit fchliefjen, bajj auef) biefe Seule
Dorgermanifcf)eu UrfprungS finb. SBenn A = B, B = C ift,
fo mufj A = C fein; id) müßte nießt, maS ftrenger miffen-
fdjaftlicb fein füllte, als biefer (Scßfuß.
©ie oorübergebenbe fRomatiifirung ber fraglichen SBe-
üölferung feßeint mir inbcS oon nebenfäcßlicßer öebeutung ju
fein. SBir finben bie nämlichen fleinen, ruubföpfigcn fieute im
Slmt ©chönau unb bem oberen Stßeile beS 2tmteS ©ädiitgen
(f>o|}enroalb), mobin fießer niemals ein SRömer ben gujj gefegt
bat. SS ßanbelt ßcß augenfcßeinlicß um eine febr alte Se>
oölfentng, melcbe in ben offenen ©bälern »on ben SRömern
untermorfen mürbe, in ben entlegeneren ©cbmarjmalb-
gegenben aber nicht, fonberit erft febr fpät burd) bie
©eutfehen.
@S märe ein unnüfeeS ©efcßäft, ^mifeßen ben gefeßriebenen
Urfunbeit unb ben ontbropologifcßen Siebungen einen fiinftlicßen
3miefpalt auftbun ju motten, ©ejd)id}te unb Slntbropologie
mäffen nothmenbig ju übereinftimmenben Srgebttiffen führen
unb fie fönnen fieß, mie mir aus ber oerbienftooßen Darlegung
©djutteS feben, in ber gorfdjung gegeufeitig unterftüfcen. ©aS
©djmeigen ober gänjlidje gebleit oon fcßriftlicßen Quellen barf
aber nod) nicht ju negatioen ©djlüffen führen, menn bie antbro*
pologifchen Sefunbe eme fo beutlicße ©prachc reben. ©enn
auch bie SDterfntale, bie ber SRenfd) fvaft ber Vererbung an
feinem Körper trägt, finb Urfunben, unb jmar oon ben atter-
juoerläffigften.
(1«3>
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30
V.
Sie bisher bargeftclltcn antßropologifchen SBcricfjiebenheiten
bcr einzelnen Stmtsbejirfe raffen fid) geniigenb erHären, wenn
man bie heutige SBeoötferung aI8 ein 9Jiifd)probuft ber urfpriing*
ließen Sppeit A (blau, blonb, weiß, groß, bolidjoib) unb B
(braun, braun ober fchwarj, braun, Hein, runbföpfig) anfteht.
Stile bie mannigfaltigen Kombinationen oon Singen-, fmar- unb
£mutfarbe, ©röße unb Äopfinbcj, welche bei unferen 9J?ufterung8-
Pflichtigen angetroffen werben, fittb unter 93eriicffid)tigung be8
©aßeS, baß biefe ©igenf^afteu bei einer SRaffenmifdptng fowof)!
oereinigt, al£ einzeln oererbt werben fönnen, auf jene beiben
Urtypen jurüdjuführen. SBenn c§ aber aud) genügt, biefe
beiben Stjpcn oorauSjufeßen, fo ift bamit noch fein SBeweiS
geliefert, baß wirflidj nur biefe au bcr 3ufammenfeßung ber
heutigen SBeoötferung beseitigt finb. @8 fönnte g. SB. eine
blonbe, Heine unb runbföpfige ober eine brünette, große unb
lartgföpfige Urraffe mitgewirft haben, unb biefer Sinftuß würbe
in unferer ©tatiftif nicht hertmrtreten. ipier muß bie ©tyno-
togie oermittelnb eintreten, um uns ju fagen, baß Urraffen oon
iolcßer SBefchaffenheit in ©uropa nicht befamtt finb. 2Sir
fennen nur brei fmuptraffen, bie Slrier, jiemlich rein aus 2typu8
A befteßenb, unb eine oorarifche SBeoölferung, welche wahrfcßeintid)
jur $eit per germanifchen SBanberungen nicfjt mehr unoermifd}t
war, fonbern fdjon oiet arifd)e8 SBtut in fiep aufgenommen
hatte, aber bodj im wefentlicfjen bem 3typu3 B entfprach-
Sr. Sßeej hflt in feinen Stuffäßen „©uropa au8 ber SBogelfcßau"
bie leßtcre SRaffe nad) bem SSorgange §ölbcr8 „Suraniet" ge-
nannt, eine SBejeidjnuitg, beren SBerecßtigung oon anberer ©eite
beftritten wirb. Ser 9?amc thut aber gar nid)ts jur ©aeße,
im wefenttichen erfcheiitt bie Stnficßt oon Sr. Sßeej al8 richtig.
Daß ber Sßpu8 A berjenige ber eigentlichen eingeborenen Sftorb-
europäer, ber SppuS B berjenige eines afiatifchen ©teppenoolfeS
(164 1
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31
ift. 3t(f britte fRaffc fommen bie Semiten in ©etrad)t, welche
in ben fDtittetmeertänbern eine bebeutenbe SRolte fpieten unb
g. ©. auf ber iberif^en ^atbinfel in brei ginroattberungen gu
mjrfjiebeuen feiten aufgetreten fittb : atf fßfjöniflier, Slraber unb
3uben, wetd) teßtere gur 3e*t ber 3nquifition maffenfiaft baf
ß^riftent^um annaf)men unb in ber ©enötferung aufgingen.
3n SDeutfdjtaub, wo bie 3fraetiten getrennt fortleben, finb fie
bei ben äRufterungSerffebungcn gmar gemeffen, ltadjtjer aber auf
ben fiiften aufgefcfjiebett morbeit gurn .gmecfe befonberer ftatiftifcber
©et)anb(ung am Sdftuffe ber Arbeit. 3^re .ßaßl beträgt bif
je§t 200 unb wirb auf etwa 400 anfteigeit, wetdje einen wertt)»
noüen ©eitrag gur änttiropotogie ber 3uben in 25eutfcfjtanb liefern
werben, gf erhellt aber auf bem ©efagten, baß ber femitifd)e
Stamm für bie 3ufammenfe(jung uttferer ©enötferung fo gut wie
gar nicht in ©etradE)t fomnit unb baß mir ef in ber 2f)at nur
mit gm ei Urbe[tanbtt)eiten: Xppttf A unb £ppuf B gu tt)un haben.
SEBie bie eingelnen mitteteuropäifchen Nationen nur burd)
bie abmeicbenbeit ©rogentfätje ber beiben 2JZifd)ungfbeftanbtljei(e
fidj unterfcheiben, fo aud) im eingelnen mieber bie Sanbeftfjeile
uttb Segtrfe. 33?an fönnte nun auf ben ©ebanfen fommen,
roenn bief richtig fei, fo müffe fidj, tro| bef gehtenf einer
unmittelbaren ©egietjung gmifcßen Körpergröße, Kopfform unb
©igmentirung bei ben eingelnen Qnbioibuen, bod) eine mittel»
bare ©egiebung baritt offenbaren, baß in ben ©egirfen mit
nieten großen Seuten auch niete Cangföpfe unb niete ©tan»
äugige, ©Ionbe unb SBeißhäutige norfommen, unb umgefebrt.
£enn, menn auch, mie nacbgeroiefen, biefe gigenfrfjaften ge»
trennt auf bie ßfachfommen nererbt werben, fo muß fidj ein
urfprüngticb größerer Slntßeil bef £hpuf A bod) ebenfomoßt
bei ber ©röße, atf bei ber Kopfform unb bei ben ©igment«
färben fühlbar matten. $ie ©robe hierauf ift am über*
fid)tti(bften burd) eine grap^ifdje ®arftettung anguftetlen, inbem
(165)
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32
man für jeben ©ejirf bie oerfdjiebenen ißrojentjahlen al«
Orbinaten aufträgt, bie fjomologett ©nbpunfte oerbiubet unb
jufieht, ob bie Sluröen ber ©roßen, ^olidjoiben, ©lauäugigen,
©lonben unb ©irchowfcßen SDjpen einen geroiffen fßaralleli«mu«
im ©teigen uitb fallen befißen. @« h°t fuß herau«ge|tellt, baß
bie« in einigen ©egcnbcn in ftreug regelmäßiger SBeife ber fjall
ift, baß in anberen jebocß Abweichungen einzelner iburoen oor-
fontmeu, in wieber anberen ein regellofe« SJurcheinanber l)errf djt.
©in treffenbe« ©eifpiel ber erfteren Art bietet ba« fog.
atamannifcße ÜRarfgräflerlaitb mit ben beiben benachbarten
©chwarjwalbbejirfen. SDie ^aßlen ftnb bie folgenbeu:
fflroftf.
?oli(t)oitir.
® laue Äugen.
Slonbe .{«aare.
»ateg. 1
9RülIt)eim
26,3%
10,6%
38,0%
45,2%
29,9%
Siörrad)
24,2 %
21,4%
36,3%
40,9%
21,4%
Sdjopffjcim
24,0%
9,7%
40.9%
57,2%
29,9 %
Sdjönau
18,5%
6,1%
27,3 %
30,3%
14,1%
Sädingen
21,8%
7,2%
30,4%
43,5%
23,2%
®a« gleichmäßige ©teigen unb fallen ift in ber Xbat
merfwiirbig, nur hat Sörracß etwa« mehr SJolidjoibe als ihm
jufärne; e« ift fcßon früher al« Au«ftraf)lnng§punft ber Sang»
föpfigfeit genannt worben. 2Der an SDiüüheim grenjenbe ©ejirf
©taufen jeigt folgenbe gaßlen:
Staufen 17,0% 5,1% 33,1% 53,3% 27,1%
$ier fallen alle 3ahlen gegenüber 9J2iillhcim ab, nur bie blonben
$aare fteigen.
©inen jiemlid) guten fßarallcltömu« bieten bie Sejirfe uom
©obeufee bi« ®onauefdjingen, jebodh fteigen bei le|terem ©ejirf
mit ben ©roßen ic. jwar bie blonben §aare, aber bie blauen
Augen fallen.
3m ÜHittellanb jeigen bie ©ejirfe ©ttlingen, ftarlöruhe
unb $urladj gleichmäßige« ©erhalten aller Äuroeit; im ©ejirf
©rucßfal fteigt aber bie ©röße, wäßrenb blaue Augen unb
blonbe §aare fallen.
066}
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33
5» ber ©egenb wo» ÜNonnljeim unb $eibelberg läßt fid)
eine ©efeßmäßigfeit itirfjt erfeitnen.
@3 ift nun bie grage, b*e öorfommenben SluSnahmeu
bie Siegel: SBo Biele ©roße, ba finb aud) Biele yaitgfopfc unb
jpellpigmcntirte, umftürjen fönneit. 3<h glaube nein. Srftlid)
mödjte id) auf bie ©eobadjtuug«fef)ler ^inroeifen, bie befottberS
bei ber ^igmentirung bem fubjeftinen ©rmeffen gu nie!
Spielraum loffen. ©obaiut ift begeidptenb, baß in beu
rein länblidfen Begirfen mit einfachen Berhältniffen ber
Saß fid) jeßr fcßarf auSfpricht, wogegen bie Stöße großer
Stabte aus begreiflichen llrfac^en einen oerwirreitben@influß auSübt.
©tiblid) aber muß barauf tjingemiefen tuerben, baß alle
unfere Betrachtungen, uon ben Unterftellungen auSgeben, baß bie
BererbungSfraft bei beiben ©efchledjteru bie nämliche fei unb baß
bie urfpriinglidjen $t)pen A unb B fid) au§ beiben ®cfchled)tern
gleichmäßig gemifcßt hätten. $)a3 Seßtere trifft aber nicht ju
unb -baS ©rftere ift noch lange nicht genügeitb unterfudjt. Bei
einem mit Kriegsmacht einriidenben (Eroberer wirb bie männliche
Benölferung überwiegcn, bei bem Unterworfenen, beffen Krieger
im Kampfe geblieben finb, bie weiblicbe. 333ir müßten alfo bei
bem XppuS A einen Ueberfchuß oon SHännerit, bei bem 2t)pu$
B einen Ueberfchuß oon grauen annehmen unb wir wiffen nicht,
welche golgerttngen fid) hieraus für bie ÜJterfmalc ber Stach1
lommen ergeben föittien. Unbenfbar wäre es ja nicht, baß baS
eine ©efd)led)t mehr bie Körpergeftalt, baS anbere mehr baS
Pigment Bererbt. Sind) bie Borgänge bei bem allmählichen
ginbringen ber ©ermatten in bie ©cßmargmalbthäler unb ber
Slntßeil beiber ©efcßledjter an biefer Kolonifation hat manches
Unflare. SBir biirfett beSwegen recht befriebigt fein, baß troß
allebem an einigen ©teilen baS obige ©efeß fo beutlid) unb
fonfequent ßeroortritt, unb müffeu bie ©rfläritng ber S(b>
weicßungen fpäteren Unterfuchungen überlaffen.
Sammlung. 91. -J. V. 101. 3 (167)
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guijt Schluffe fei tiod) eine« gait^ eigenthümlidjen Skfuitbe«
in ben größeren Stäbteu gebaut. äBir hoben bic Stabte
fUlatinheint, £>eibelbcrg, ftarlsruhe uitb £örrad) getrennt ooit
ihren fianbbejirfen bemäntelt, uttb wo bisher bicfe Söe^irfe an-
geführt würben, waren bie gatjlen ftets mit 9luSfd)luf) ber Stabt
311 üerftefjcn. 5» ber Statiftif ber Stabte felbft hoben wir
aber nur biejeitigeit ^Pflichtigen aufgeführt, welche in ber betr.
Stabt felbft geboren finb; bie auswärts geborenen, welche fid)
bloß in ber Stabt aufhielten unb *ur SRufterung ftellten,
machten eine feßr groffe $ahl aus, mufften aber uothwenbig
wegbleiben. Saburd) ift nun bie ü)löglid)feit gewährt, bie Stäbte
mit ihren Sanbbejirfen *u ucrglcichen. 2)aS ffirgebniß in betreff
ber Singen ift, baß in ben Stabten halb bie blauen, halb bic
braunen Singen etwa« ftärfer uertreten finb, als in beit 9fadjbar*
börfern. hingegen waren bie blonbcn £aare in allen Stabten
ein wenig ^al)lrcid)er als auf bent Sattbe, was fd)Werlich Semano
erwartet hoben wirb.
Sille Stäbte hotten mehr ÖJrojje als baS Saiib, nur bei
^Mannheim waren bie ßohlen gleidj, unb ohne SluSnahnte hotten
bie Stäbte bebeutenb weniger ft leine, hierin äußert fid) ber
(Einfluß ber beffereu Skrbicitft* unb ßrnährungSeerhältniffe ber
Stabt|ugenb. SBie fd)ott früher bemerft, ift bie (Sntwicfelung
ber üanbjugenb eine oiel Iangfamere. Obige« (frgcbnifj beweift
beSwcgeu nicht, baff bie aitSgewachfcne Sanbbeoölferung Heiner
ift, als bie ausgcwachfeiie Stabtbeoölferung, fonbern nur, baß
im 20. £ebensjaf)r mehr ausgewachfeuc üeute in ber Stabt
oort)aitbeu finb, als auf bem £anbc. Schon bei ben 3uriicf«
gefteUten finb bic Unterfchiebe geringer, pm Sljeil fogar bie
ßanbleutc größer. — ®ic allermerfruürbigfte Srfdjeitiuiig aber,
bie bis jeßt feber nusrcidjeitben ©rflärung gefpottet hot, ift bie
oorwiegenbe Öangföpfigfeit ber Stäbter gegenüber ben benachbarten
Canbbewohnern. .'pier bic 3ah^f,I:
(165)
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Xoli(t)titc
ViipabraduiiiiitaU'.
Statt
t'aiiO
Statt
Itant:
43.4%
34,8%
10,4%
14.57 .
JÖfibelbcrfl
37,57»
17,3%
4 .67»
•25,4"/..
ÄartSrubc
33.0%
13,0%
IG, 5 7»
32,9%
Siörrad)
‘25,8%
21,4%
•25,8%
28.8 %
©teilt man wiebcrbie abfoluteu Kopf>2äitgcit mit» Breiten ju«
fammen (ruobei Karlsruhe wegen Seitu^unß eines älteren ÜJtejj*
inftmmenteS uid)t birelt uergleidjsfäbig ift) jo ergiebt fidj :
eänflf 19 cm
u. barubrr
Vdiiflr unter
1$ cm
Statt
£anb:
Stobt
Üant
i)iaiiiil)cirn
30,7 7 j
27,1 %
12,17»
17,27»
.peibelberg
38,27»
2G.8%
14,li%
15,97 •
H'örrarfi
33.3 " o
29,57»
4,8%
13,77»
ttrritr lt; cm
u. tarfibrr:
Breite unter 15 cm
3Haittil)cim
3,2%
4,9%
4G,1 %
35,77»
peibelberg
5,5%
11,47 »
36,1 7»
19.4 7»
Sörrad)
14,5%
19,1 7»
12.97»
21,5%
2(l)o: Sn ben Stäbtcn, uerglidjeit mit ben umgebenbeit
Üanbgemeiitbeii, in e t) r lange Köpfe öon 19 ein an aufwärts nnb
weniger furje Köpfe unter 18 ein; beSglcidjeu weniger
breite Köpfe non 16 cm aufwärts, in ÜJlaiiitljeim nnb .'peibelberg
and) mefjr fdjmale Köpfe unter 15 cm, in fiörrad), ©tabt,
oor^errfdjeiib Köpfe oon mittlerer iöreite; fummarijd) ausgebriieft:
lange fdjntale Köpfe in ber ©tabt, furje, breite auf bem 2anb.
£abei ift j*u beriicffid)tigen, bafj bie Zöglinge Oberer
i'ebranftalten, überhaupt alle ©ebilbeteren, wcldje bie öerecb«
tigung jum IDienft als Sitijäbrigfreiwillige hefigen, in ber ©tatiftif
feilen; um bie fiiicfe auSpfüHeit, wirb eS nötfjig fein, an einigen
ögmnafien nnb iKealfdntleit bie Köpfe ber 3üglii»ge j)u meffen.
SSaS will aber ber merfwiirbige Sefunb beigen? Ü)lad)t
bas ftäbtifd)e 2eben bie Köpfe laug nnb fdptial? über üben
bie belferen Schulen biefeu (Siuflufj? Sollte bie bisher geleng«
nete iBejiebuitg bcs Kopfinbej; jur ©ciftestbätiglcit bod) be-
heben? ©inb bie ftrebfamern SBolfSelementc, weldje nad) ben
3* fl «>:»;
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Stabten ftrömeu, lattgföpfig, bie au bev Schotte ftebenben runb«
föpfig? (Srfliirt ficf> bie feit ber Urzeit cingetretcite aflgemeitte
Sßcrminbernug bev Sangfüpfc uiedeidjt gum J^eil babured, baß
biefc non beit Stabten angegogen nttb aflmät)ticfj bort aufgeric*
ben tuerbeit, fo baß bie Stnenernng ber ©enofferung mef)r unb
ntetjr ben ’lanblicden SHunbföpfen anffeimfädt? Ober fpridjt fid)
in ber Sangföpfigfeit ber Stiibtcr eine fdaedwirfung auS ber
^cit ber Stäbtegriinbnitgcn burcf) ^atrigier gernianifd)er Slbfunft
aus? Stuf ade biefe fragen fönute einftroeifen nur mit 5ßer>
mutdungen geantwortet werben. 3dj begnüge ntief) bamit, bie*
fei ben fdjon in ber grageftedung angebeutet gu ^aben, ofpte
mied für eine berfelben gu entfefjeiben. Slber gewiß ift bie
3) olirfjocepbatic ber Stabtbewodtier eine ber merfwürbigften $dflt*
fachen, meldjc ben ?fntdropotogen nod) mandjeä gu benfen geben wirb.
ftnntcrfititgcit.
1 ®ro§e (nad) Monte) »on 1,70 in aujioärt*, Steine unter
1,62 m. a(fo cinjdjlieiilid) 1,615 in.
I Da? itämlidje Grgebnif; faub Sertilton fiir einige Departement?
ftranfreid)?. Sgl. Da la methode statistique dans l’anthropologie in ben
Annnles de demographie internationale 1882.
•' Stau »erftetjt unter Sopfiubcjr bie für ben Mafiend)arofter mistige
SrOjeuWerpältniBjatil ber gröftten Breite bei Sopfe? jur tjori^ontaten Sänge,
leptorc = 100 geietjt. 9tad) ben ftnbicc? non 5 ju 5 Ginfjeiten anfteigenb,
tpcilt mau bie Sopfe in Staffen cm, welche in ber labclle 6. 9 erfidjtlidf
gemalt finb. Die brei Staffen mit meniger al? ftubcj 80 toerben in ber
©Cjeidjnung „Dolicfjoibe" jufammengefabt, bie brei Staffen bon ftnbej: 85
aufwärts in ber Sejeidpiung „Munbföpfe."
4 Diefe? Sraitiomctcr in ber ungefähren Olcftatt be? Sirdtoroidfen
wirb non 9t. ftteftler in Sapr mit bödjfter üfenauigfeit tjergcfteüt.
•• Sei ber oerfcfjicbeneu Stiidping ber röüjtidieu unb bräunlichen
.'pnariefiattirungen fann bao Sortianbenfcin zweier Pigmente, eine« flüffigen
unb eine? feiten, eine Motte fpictcn. Sgt. ©atbeper, 2tttas ber menfcfi-
ticken unb thierifdjeu £iaare, Satjr 1884 ©. 18 ff.
II .pierbei benutzte id> bie gteidicn ftarbeu wie fßrofeffor Dr. ftot).
Manfe in feinen Seiträgcu ,wr 9lntf)ropo(ogie ber Supern, Stiindjcu 1888.
7 Sdtrifteu be? Ser. f. ßcfcfi n. Staturg. D Saar (1885), V, 135.
s 3eüfd)rift f. ßcfcf). b. CberrtjeittS, 9t. ft. IV 3.
’■ Sefonbcr? diaraf tertftifdi fttorrntiuS, GtectuS, Cuinti. Subicinu?.
McmebinS, StniotuS. Sorannu? n. p 9t. nt.
(170
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(JMurftaito brutto.
(Ein Ittärtijm iirr (BeiftesTrfiljcit
©in
Sebent uub (£t)arafterbi(b aus bent 16. 3al)rl)imbert.
2$on
4
Äebtotfl ^enber
in Sifenad)
Hamburg.
SerlagSanftalt uitb 3)rucferei 21.=©. (oormatö 3- 5- 9ttcf)ter).
1890.
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Jio« SRedjt bfr Ueberfefcunß in frembe Sprachen roirb oorbebolten.
Inid bft SSrrlagbanftatt unb Ttudfrci 9(ctifn>C'cMl?(6aft
(normal« 3. 3- HiAttt) in Hamburg.
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17. gebruor 1600 fanb auf bcm ßampo bei giori
in Nom eine jener grauenooßen geierlidifeiten ftatt, bie in ben
Jagen fanatifefjen ©laubettghaffeg nichtg Slußergeiuö^nlic^eö
waren — • eine ooit jenen Äeßeroerbrennungen , bereit bie ewige
Stabt jo oiele gefehen. Jag 3af)r 1000 war ein päpftlid)eg
3ubeljaf)r unb Nom war aug biejem Slnlajj oott Slnbädßigen
überfüllt; aug aßen J^eifen ber abenblänbifdjett Gfjriftenljeit
jtrömten jie unabläffig gu Jaufenben unb Slbertaujenben herbei.
So war auch bie $af)l ber Neugierigen, bie bem grauenooßen
Sreignijjj auf bem (Sampo bei gi^i beiwohnten, aßer SBahr«
jrf)einlid)feit nach fehr 9r°fe; bettnoch würbe feine Stimme beg
Ntitleibg unb ber menfdjlichen Jfjeiluahme für bag jammerooße
Scf)icffal beg Unglücflidjen, ben man bem glammentob über«
lieferte, laut; nur neugierige unb tljeitna^mlofe ober böfjttifche
unb ^afeerfüßte 231icfe begleiteten i()n, alg er feften Schritteg
unb männlichen Niutheg ben brettuenben fpofgftojj beftieg. . . .
SSag fümmerte eg auch bie ftumpffinnige ober fiinftlich auf-
geftachelte unb faitatifirte ÜJfenge, baff biefer Unglücfliche ein
Jidßer unb tieffinniger Jenfer war, ein Sßahrheitg* uitb 3frei*
heitgapoftel, wie eg nicht oiele gegeben hat unb einer ber ebelften
©eifter, bie jemalg auf Grrbett gelebt? 3n ihren Slugen war
er nur ber Nudjlofe, ber ©ott unb bie heilige ftirdje geläftert
Sammlung. 'Tt. &. V. 102. 1* <173.!
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4
hatte, bcr abtrünnige SDiöttd) unb ^riefter , bev oerbammungs*
njürbige |>ärefiard).
§eutjutage freilich urteilt matt attber« über bctt großen
fDtann unb fein tragifdje« So«. ©dfon feit geraumer Seit rüftete
man fid) in feinem ©aterlanbe ißm in ber einigen ©tabt ein ®euf>
mal ju feßen, auf bem nämlichen ßampo bei giori, auf bem er
an jenem benfmürbigeu 17. gebruar oor nunmehr halb brei>
ßunbert Saßren beit geuertob erlitt, ©rfeßeint bod) berfelbc
SDiann, ber nach mittelalterlicher SlnffaffungSmcife ein flud)<
toürbiger $e£er mar, nach moberner SluffaffungSroeife al« ein
SDiärtprer, ber für feine miffeufcßaftlidje Ueberjeuguttg ftarb,
als ein ©orfämpfer ber ©ebanten» unb ©emiffen«freißeit, als
ein gottbegeifterter ißropßet. 1
ftein SSunber baher, baß ber mittelalterliche ©eift, ber auch
heute noch feineStuegS erlofchen ift, ben Spanen biefeS 3J?aitue«
bie unöerfößnlichfte geinbfdjaft gefchmoren hot — fein SBunber,
baß er alle §ebel in ©emegung feßte, um ju üerßinberit, baß
fein bereit« ooQenbete« ©tanbbilb fich fiegreich auf bem ßatnpo
bei giori erhöbe, ein triumpßirenbe« SSahrjeicßeH ber miihfam
errungenen ©eifteSfreißeit, ein oerförperter ißroteft gegen römifd)e
Unbulbfamfeit unb gegen jebe Slrt oou ®eifteSfned)tfdjaft uttb
ßierarchifcher Sprannei. Kein SBunber aber auch, baß bie
SBeigerung be« flerifaf gefilmten römifd)en ©emeinberatß«, feine
Ginmilligung jur (Errichtung be« ®enfmal« ju geben, einen
©türm be« UnroiUeit« entfeffelt hat, bcr auch außerhalb Italien«
in Uaufenbett oou fperjen begeifterten SBiberßafl medte — unb
baß mau bieäfeit« mie jenfeit« ber Sllpen bie meitere Gutmiefe’
lung ber Sltigelegenßeit mit gefpanntefter Slufmerffamfeit unb
tiefinnerlicher Slntheilnoßme oerfolgte. Um bie ßoeßgrabige
(Erregung ber ©emiitßcr auf beibett ©eiten begreiflich ju finben,
braudjt man fid) ja nur bie ©röße unb mahrhaft einzige ©e*
beutung be« ÜDiamte« (m oergegenmärtigen, beffen ^erfönlidjfeit
(174)
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o
im aWittelpunfte bei ganzen mit io großer Jpeftigfeit entbrannten
&fel ftefjt. 3 ft bocf) biefer Wann fein (Geringerer all ber
gröfjefte unb tieffimtigfte fpefulatioe ©eniul Stalienl, fein (Ge*
ringerer all ber füfpifte unb begeiftertfte Berfünbiger bei Sill*
einljeitlgebanfenl, fein ©eringerer all ©iorbano Bruno. —
@1 giebt ©rfdjeinungen in ber Wenfd)engefd)idjte, bie fernen,
fjocfjragenben, fonnenbeglänjten Berggipfeln gleicf) aul bett
bämmernben Siefen ber Saljrfjunberte ju uni fjerübergrüjjen —
©rfdjeinungen , bie einen ftillen, aber unwiberfteljlidjen $auber
auf uni aulüben, weil ein Slbglanj ewigen fiidjtl oon ifjren
Stirnen leuchtet unb ein Straljlenfranj unfterblidjen fRuljml
ifyre Häupter umfdjwebt.
Solche ©rfdjeinungett toirfen 6efreienb, fjer^bejwingenb unb
fjerjerljebeub toie eine woljltfjätige l)imtnlifcf|e Wad)t; fie jeigeit
uni, wal Wenfdjett fein unb leiften fönnen, unb wenn wir ju
i|nen aufblicfen, wirb uni groß unb feierlich ju Sinn. 2öie
ftärfenber Sebenlobem wel)t el aul jenen ^Regionen, in benen
fie beimifd) finb, ju uni fjer; wir glauben, inbem wir ifjnen
naljefommen, jene geiftige .^ö^enluft ju atlpnen, bie ju allen
Seiten bal Sebenlefement aulgejeidjneter Wenigen gewefen ift,
bie unfere im Stampf mit ber Wülifal unb @rbärmlid)feit bei
SlHtagllebenl ermatteten Strafte ftärft, bie bal bebrüefte ©ernittf)
entlaftet unb el allem, wal niebrig unb fleinlid) ift, enthebt.
3u ben aufjergewöfjtilidjen Crfdjeinuitgen in biefem Sinne
gehört aud) biejenige ©iorbano Brunol. 3d) glanbe nidjt,
baß matt fic^ in bie Sebenlgcfdjidjte unb in bie geiftige ©igenart
biefcl feltcnen Wannei »erliefen fann, oljne fid) »on Bewunbe«
ruitg burdjbrungen gu füllen unb otjne tief innerlid) ergriffen
ju werben, fowofjl »on ber ©röfje feinel ©eniel unb ber
Seelenftärfe, bie ac^t fdjrecfcnloolle Sterferjafjre mit aßen
pfjtjfifcfjen unb feelijdjen Wärtern, bie fie in fid) fcfjloffen, nidjt
ju erftfjüttern »ermodjten, all and) »on ber tragifefjen ©rüfje
(175>
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feineg jammeroollen ©efcßitfeg. $enn alle biefe Momente
tüirfen bei ißm f>armonifd; gufammen, um einen ©inbrud ßeruor«
gubringen, bem oielleicßt fein gweiter, ißm oöllig ebenbürtiger
an bie ©eite geftellt werben fann; alle biefe Momente muffen
aber eben begßalb audj gleicßerroeife itt öctracßt gegogen werben,
wenn matt ber waßrßaft einzigen Sebeutung ©iorbano SrunoS
ißrem üollen Umfange nad] gerecht werben will. —
©efjörte er bod; gn beit wenigen Slugerwäßlten, beren Sin»
fprud) auf Unfterblidffeit auf ineßr alg einem SRedßgtitel beruht.
SBeldje ßcrüorragettbe ©teile fein SRame in ber Sntroidelungg»
gefcßidjte beg mobertten, pßilofopßifcßen SBewußtfeing entnimmt,
wa§ er alg fdjarffinuiger unb tieffinniger Genfer für bie
9Biffenfd)aft geleiftet, wag ingbefonbere wir Eeutfcße in p^ilo»
fopßifcßer wie litterarifdjer öegießung ißm gu oerbanfett ßaben :
bag atleg ift ßeutgutage in fadjwiffenfdjaftlidjeu Greifen läugft
twfl gewürbigt unb erfannt. 2)ie SRacßwelt ift eine ftrenge,
oft tiberftrenge fRidjteriit, aber ißm fjat fie, feit feine ©Triften
meßr unb meßr ber unoerbicnten Sßergeffenßeit entriidt worben
finb, beit oollen Ärang ber ©Ijren, ben fie augfdßließlid) ben
Srften unb SBeften barreicßt, geweißt. @r ift ber größte $ßßilo=
fopß 3talieng, ber größte ber SRenaiffance; er ift ber ©cßöpfer
unb begeiftertfte Slpoftel ber mobernen, pautßeiftifdjen 28eft»
aufdjauung, bie in ©pinogag Seßre ißre fonfequeutefte wiffew
fcßaftlicße Sluggeftaltung unb in ©oetßeg ^oefien ißre ßerrlicßfte
bicßterifdje SBerförperung unb SBerfläruug fanb. — Sber wie
groß feine roiffenfcßaftlicße Sebeutuug aucß ift: nicßt bloß afg
genialer uitb tieffinniger Genfer, nicßt bloß alg entßufiaftifcßer
unb waßrßaft propßetifcßer SBerfünbiger unfterblidjer Sbeen,
aud) alg fjjelb unb SRärtprer unb fiegreicßer Xriuntpßator ftcßt
er üor utig ba: S)ie ©cfcßidfte feiner Srrfaßrteit unb Sciben
wirft auf itng wie ein ergreifenbeg ©ebicßt. ©ein gangeg
Unfein erfdjeint alg ein eingiger großer Stampf, beit er mit
ri76)
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i
wiberftreitenben Mächten fämpfte unb ber in bcn Stammen beS
Scheiterhaufens feinen erfchütternben §lbfd)Iuß fanb — ein Mampf
für eine heilige, mit begeifterter Snnigfeit ergriffene unb lebens-
lang hochgehaltene Ueber^cugung, ein Mampf für eine große,
einige, fein ganjeS ©innen unb brachten erfiillenbe nnb be*
herrfchenbc 3bee. $iefer Umftanb giebt feinem liebenSbilbe eine
(Sinheitlichfeit unb ©efcßloffenheit, tuie fte uttS nur äußerft feiten
in ber Söelt ber S53irflid)leit entgegentreten, eine tiefe, luahrhaft
fpmbolifche ©ebeutung unb eine großartige Harmonie. 3nbem
wir ihn auf feinem SebeuSgang, ber fich mehr unb mehr ju
einem CeibeitSgang geftaltete, begleiten, burdjftrömt uns mit
©<f)auem ber Shtfwvcht bie beglticfeube Ueber, jeuguug, baß hiev
bie (ihavaftergröße beS Menfcßen fich mit ber ©röße beS ©eniuS,
ber in ißm wohnte, becft, unb baß biefer Mann eS wertß ift,
baß fein 9lame unfterblid) in ber ©rinnerung ber 9ladjwelt
lebt.
©iorbano ©runo tourbe — loahrfcheiitlich im 3aßre 1548 —
ju 9lola in ©atnpattien geboren. Ueber bie ©erljältniffe feiner
©Itern unb feine eigenen früheften SebenSfcßicffale befißeu wir
nur fpärlicße Munbe. ©on feinem ©ater ©iobanni wirb be-
richtet, baß er ein MriegStnann gewefen fei, unb außerbem —
was einen ©iicffchluß auf feinen ©ilbuitgsgrab unb feine gefell*
fchaftliche Stellung erlaubt — ein guter greuttb beS SMcßterS
Xanfido; feine -Mutter feitnen wir nur bem Flamen nach —
fte hieß gvauliffa ©aoolina. ©Jas feine ©aterftabt 9tola betrifft,
fo ift bie herrliche liagc berfelben ebeitfowohl wie bie $hatfad)e,
baß feit ben $agen SiaurentiuS ©alias, beS berühmten ©djrift-
fteüerS unb 2llterthumSforf<herS , ein reges, geiftigeS lieben in
ihren Mauern geherrfdjt hat/ befannt. ®ie ©djönheit ber iljn
umgebenben Ulatur machte, wie wir aitS feinem eigenen Munbe
wiffett, tiefen ©inbruef auf ©runoS ©emüth, unb ba er leb»
haften ©eiftes war, fo ift es aud) waf)rfcheinlich, baß er troß
(ITT)
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8
feiner großen Sugenb bantalS fdjon moniertet Snregungen,
bie auf ben ©ang feiner inneren ©ntwicfelung non (Sinflufj
waren, aus ber geiftig bewegten Stmofpbäre, bie ihn umgab,
empfing. SQcrbiitgS bat er nur ben erften, frübeften I^eil
feines Knabenalters in 9io(a oerlebt. SIS er baS je^nte SiebenS*
jafjr juriicfgelegt batte, braute man ifpi feiner weiteren geiftigen
Susbilbung wegen nad) Neapel, unb ^ier trat er im 3af)re 1563
in beit Dominilanerorben ein unb wohnte faft neun Sa^re lang
in bemfelben ftlofter, in bem einft Db°ntaS oon Squino, bie
£eud)te ber mittelalterlichen SBiffenfc^aft, ber '-öater ber ©cbolaftil,
gewirlt. 1572 erlangte er bie ^ßriefterwei^e unb würbe nun
in baS Klofter ©an ©artolommeo in ßampanien unb balb
barauf lurj itadjeinanber in oerfdjiebene anbere Klöfter oerjeßt;
erft nach einer Sbwefenbeit oon etwa brei 3ahren lehrte er
nach Neapel in bie früheren Sierhältniffe jurücf. — 52Diefe ganje
3eit ber llöfterlicben ©title war jum $he*f bereits eigenen
fd)riftftellcrifchen Srbeiten, in erfter jReibe aber bem ©tubium
antifer Genfer unb dichter geweiht. (Sr fchricb feiner eigenen
Sngabe jufolge oerfchiebene fomifche unb tragifdje Dichtungen,
bie aber mit einziger SuSnabme eines noch oorbanbenen Üuft-
fpielSs oerloren gegangen fiitb; baneben laS er £ufre$ unb ißlotin
unb machte fid) grünblich mit ißlaton unb SriftoteleS belannt.
Such KoperniluS, beffen großartige fietjre oon entfcheibenbem
©iitfluß auf feine gan^e fernere SSelt- unb SebenSauffafiuttg
werben fottte, „pochte", wie er felbft fich auSbrüdt, fchon bamals
an bie fßforten feines jugenblichen ©eniütbS. Die folgen biefer
oielfeitigen, nach ben üerfdjiebenften Stiftungen bi» aitregenben
©tubien blieben nift auS. ©iorbano öruno gehörte ohnehin
nicht ju Denjenigen, bie fähig waren, fich in bie oorgefdjriebenen,
ein für allemal feftftehenben Den!- unb ©laubenSfdjablonen
mittelalterlicher Dogmatil ju fügen unb in ben ausgetretenen
©eleifen fdjolaftiffer SBort« unb ©egriffSfpielerei, beren innere
(178)
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‘I
$of)ff)ett er nur ju halb burd)fd)aut Ijatte, ju wanbeln. (Sr
war eine bnrch unb bitrd) fauftifdj angelegte ©atur unb befaß
neben einem tief religiöfeu ©entütlje einen füllten mit (eiben-
fdjaftlidjer Subrunft nach SBafjrheit oerlangenben, ungebänbigt
unb raftloö immer oorwärt« ftrebenbcn ©eift; einen ©eift, ber
ganj Seben unb geniale ©cweg(id)feit mar, ber auf ben Schwingen
feiner bichterifchen ^^antafie ade ^lö^en unb liefen ber Un»
enblicßfeit burdjfdjweifte, ber ba« gerufte wie ba« junädjft
Siegenbe mit gleid)er Scbhaftigfeit ergriff unb ba« §eterogenfte
mit fpieleitber fieid)tigfeit oerbanb. ©ein gattje« SBefen brängte
infolgebeffen mit innerer fftotfjwenbigfeit über alle« bloß Sleußer-
(icfje, ©djablonenhafte in religiöfen Singen fjinau« unb ju felbft-
tljätigem, geiftigem Slneignett unb getnütljlichem (Srfaffett ber
SBaör£»eit hin. 2Bie ebenfooiele jünbenbe ^euerfunfen fielen
eben beSfjalb bie neuen, ißm bi« baljiit ganj fern (iegettbcn
©orftedungen unb 3been, bie er au« bem felbftänbigen ©tubium
ber Sllten unb au« ber SMtüre bc« ttopentifu« fdjöpfte, in be«
heißblütigen Jüngling« empfängliche«, für ade«, wa« ihm groß
unb ebel erfchieu, (eicht ju begeifternbe« ©ernüth- Unter ihrem
(Einfluß jerfprengte fein ©eift bie geffeln, bie ihn bi« bal)in
nmwunben gehalten, unb lüfte fidj oon bem ©oben, in bem fein
gefamte« religiöfe« Settfen unb giihlen bi« bahin gewurjelt
hatte. Io«; unter ihrem (Einfluß gewarnt bie großartige einheit-
liche 3BeItanfd)auuug , beren begeifterter ©erfünbiger er nach-
mal« werben fodte, in feiner ©eele unb ©eftalt.
Saß ein ÜJIann oon foldjer Senfung«art unb ©eifte«rid)*
tung mit ben SKnfchauungen unb Senbcn^en, bie in feiner Um-
gebung bie herefchenben waren, fehr halb in Äonflift gerieth
unb nach Sage ber 93er£>ä(tniffe auch nothwenbig geraden
mußte, liegt auf ber $anb. äBar hoch gcrabe in jenen Sagen
ber ©eift ber Unbulbfamfeit unb be« gaitatilmu«, ber mit
©aul IV. feiner 3eit (1555) gleicfjfam in 'perfoit ben päpftlidjcn
(179)
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Stußl befliegen batte, innerhalb ber römifcfjen Äircfje immer
allgemeiner uub immer riicf^altlofer jurn Durchbruch gelangt.
Qi mar baä 3e‘tatter &er ©egenreformation ober, roie man ei
and) genannt l)at, ber fatf)olifc§en Deftauration. Doch jitterte
in Daufenben unb Äbertaufenben oon ©emiitbern bie mächtige
Seroegung nach, bie ba« große meltbiftorifdje @reigni§ ber
Deformation, ba3 ficb in ber erften fjälfte be8 Sabrbunbert*
in Deutfcßlanb abgefpielt, in ber gefamten abenbläitbifcben
CS^riftenbeü ^erüorgerufen batte — , noch brannte aller Crteit
tbeilS offen, t^eilS oerftedt baä fieuer fort, ba8 ber mutbige
SDöncb »on Söittenberg bureb bie Verbrennung ber päpftlid)en
VannbuOe mit ftarfer $anb entjünbet. Um fo energifdjer aber
machte ficb nun audj oon ber entgegengejeßten ©eite ber ber
Düdfcßtag geltenb, um fo eifriger mar ber fpe^ififd) römifebe
©eift beftrebt, bie überall auffebießenben fteime ber fteßerei gum
menigften in ben itod) oorroiegenb gut fatbolifdjen Sänbern ju
erftiden. tiefer ©eift mar e§, ber 3gnaj oon Sopola jur
Stiftung be§ Qefuiteuorbenä begeifterte, er mar eä auch, ber
bie ©reuet ber Vartbolomauauacbt jeitigte unb ber in bem
Debeum, ba§ ©regor XIII. auf bie erfte fiuitbe biefes grauen-
ooKen ©reigniffeS b'n anftimmen ließ, feinen empörenbften Slu§«
brud fanb. Slber nicht nur nach außen bin, auch innerhalb ber
römifebett &ird)e felbft befunbete biefer ©eift feine Üttacbt, offen»
barte er bie gleiche, reaftioitöre, auf fdjraufenlofe Unterjocbung
unb Veberrfcbung ber ©eifter unb ©emiitber gerichtete Deitbenj.
Stuf bie oorbergegangene ißeriobe übermäßiger Säffigfeit in
3ud)t unb Sehre mar eine Sßeriobe ber äußerften Strenge gefolgt.
2)iit argmöbnifd^en ©liden tourbe ber niebere $leru§ oon oben
ber beobachtet unb bemacht, mit fpärte jebe §lu$fcbreitung ge-
abnbet, mit riidfid)tglofefter Uuerbittliddeit aber oor allen Dingen
jebe freiere Deguug ber ©eifter, jebe irgenbmie oon ber faito-
nifeben Soßung abmeidjenbe Sebrmeinung oerfolgt.
aso)
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Unter folgen Verftältniffett [lieft ©iorbano Vruno, ber
nid)t jum [peudjler gefeftaffen mar, naturgemäft feftr halb burdj
freimütige 9leufterungcn unb unbefonttene fiunbgebungett
liberaler ©efinnnngen an. Scfton im Saftre 1571 batte man
ifjm bieferljalb ben ^ro^eft $u machen gebroftt. ?lber ma§ ju
jener $eit aller Söaftrfc^einlicftfeit nad) eine leere ©rofjung
tuar, burd) bie man iftit $u [djreden gebaute, ba« ermic« fidj
jeftt al« eine ernftftafte, unmittelbar über feinem Raupte
[cfjmebenbe ©efaftr: iftr ju begegnen »erlieft er insgeheim
Neapel unb begab fieft itadj [Rom. |)ier [teilte er [idj bem
s$rofurator feinet Crben« unb trat in ba« bortige Älofter be$-
[eiben della Minerva ein.
Slber aud) bort mar [eine ©idjerfteit gefäftrbet, [eine
greiljeit, ja [ein Sieben felbft auf« ernftlidjfte bebroftt. 5)ie
Slufeinbungett [einer neapolitanijcften ©egner lieften iftnt feine
[Rufte — , [ie perfolgten ifjn unau§gefe|t unb nötigten iftn —
feljr gegen [einen Söillen — ju abermaliger Jludjt. ©eitbem
irrte er mie ein Verbannter, raftloS, niftelo«, fteimatblo§, ein
»aterlanbSlofer glücfttling, bureft bie äöelt. Valb trieben iftit
9fotft unb Verfolgung, halb bie allgemeine Ungunft ber Ver-
ftaltniffe, halb bie eigene innere Unraft, »on Crt *it €rt, »on
Sattb ju £anb. Söoftl leuchteten meftr af« einmal »oriiber-
geftenb auf längere ober für^ere $eit [reuitbliefte Sterne über
[einem .fiaupt. SBoftl [eftien e£ ttteftr als einmal, als ftabe er
nad) langem Umbertreiben einen frieblidjen §afcn gefunben, eine
bleibenbe gufludjtSftätte j^ber alle ©türme unb Unbilben eine«
feinblichen ©efdjidS. 9lber auf bie iDaiter §ur [Rufte fam er
nicht, ©r mar mie eine [ßflanje, bie, bem ljeiinatljlid)en Vobcu
entriffen, im [rembeu Vobcn nicht Söur^el [affen fann. 911«
ihn cnblid) bie ©ebnfudjt nad) feinem Vaterlanbe, bie er lebens-
lang nicht au« [einer Seele jtt bannen »erntod)t batte, nad)
Italien ^uriieftrieb, ba ereilte it)n [ein tragijd)e$ @efd)id.
a»i>
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(jl würbe ituS ju weit führen, wollten wir Prunol öicl*
gewunbencn üebenlpfab in allen feinen Srümmungen »erfolgen,
wollten wir if)n Sd)ritt für Stritt auf allen Stationen feiner
abenteuerlichen Pilgerfahrt, bie if)n juerft nach Oberitalien unb
ber Schweij (157(5—78), bann nach granfreid) (1578—83)
litib ©uglanb (1583 — 85), bann neuerbingl nach ber fran*
jöfifdjen ^auptftabt (1585—86) unb enblich für »olle fünf
3ahre(1586 — 91) in unfer beutfdjel Paterlaitb führte, begleiten.
Sinb biefer Stationen bod) gar fo oiele gewefen, f)Qt er boc£>
nicht nur in ©enf, Paril unb Sionbon, fonbern aujierbem itt
einer fReilje hochberühmter Unioerfitätlftäbte — fo in Souloufe
unb Cjforb, in Söittenberg, Prag unb fpelmftebt unb enblidj
noch i» unb pabua tfjeill längere, t^eilS fürjere Qeit
gelebt unb für feine ihn begeifternben 3beeu propaganba ge*
inad)t unb gewirft. ®a§ ein fo »ielbewegtel Seben auch ein
fetjr wed)fel»ollel gewefen, begreift fid) leidet. 3n ber Jhat
erfuhr ®runo währenb belfelben in heroorragenbem 9Jia&e
ebeitfowohl bie ©unft wie bie Ungunft eines launenhaften ©e*
fd)icfl. @r hot mehr all einmal mit SDiangel unb ©ntbehrung
ju fämpfen gehabt unb hot jwifdjenburd) boch wieber in bett
erften ©efeHfchaftlfreifeii, ja felbft an ftoljen giirftenhöfen ge*
achtet unb oiel bewunbert gelebt. 3n Italien unb ber fran*
jöfifdjen Sdjweij hflt er fich lümmerlid) burchfd)lagen müffen,
in 9lo»i bei Satwna unb in anbereit oberitalienifchcn Stabten
fudjtc er fid) nothbiirftig burd) ©rtheilung oon Prioatunterrichr
ju ernähren, in ©enf arbeitete er monatelang all Sorreftor
in einer Sruderei. 3n 5ranfreid), ©nglanb unb ®eutf<h(anb
bagegen begünftigte ihn ju wieberholten ÜJialen in heroorragenbein
SWafje bal ©lücf. 3n Jouloufe ging er all Sieger aul
einer ftonfurreitj hert,or unb würbe jum orbeutlidjen profeffor
an ber Unioerfität unb jum ÜHagifter ber fd)önen Sänfte er*
nannt. 3n Paril hielt er an ber Sorbonne, ebenfo wie fpäter
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on beit $ochfd)nleu z» ^elmftebt unb SlSittenberg öielbgfud)te
Porlefungen über SDiathematif unb ^ßf)iIofop^ie; iit fionbon
enblid) fanb er jahrelang int fjaufe beS fjod^gcbilbeten , fron-
jofifcften ©efatibten 2ttid)ael be Saftelnau ein fidjereS, if)tt aller
Sorgen entl)ebenbeS, iljm ooHe geiftige unb genuitf)[id)e Freiheit
unb ungeftörte äWttfje geroährenbeS SlfQl. $ttd) an äujjercr
Sl) re unb Slnerfennuttg fehlte eS ihm itic^t. ©8 ift befannt,
bafj Stönig ^cinrid) III., ber 6of)tt Satf)arinenS öon Piebici,
Zit feinen auSgefprodjcnett ©önncrn gehörte,3 bafj er in @ng=
lattb auf ihren befonberen 3Bunfd) bcr ftönigin ©lifabeth nor-
geftellt rourbe unb baS Stecht, jcberjeit unattgemelbet bei ifyr
einzutreten, gettofj, baß er in präg ju Äaifer fHubolf II. in
perfönliche ^Beziehungen trat unb tuiebcrljolte Söerueife ber §ulb
unb Slnerfennung oon feiner Seite empfing. 5)abei fant er mit
vielen ausgezeichneten perföulid)feiten, unter betten nur Philipp
Sibnet), 2orb SBurleigf) unb ©raf Seicefter aus ber $eit feines
englifchen unb Äepler unb £t)d)o be Prahe auS ber $eit feines
böhntifchen füufentfjalteS genannt werben mögen, iit Perfef)r.
Srof} allebent aber fämpfte er lebenslang wiber ein feinbfeliges,
ihn unauSgefefct oerfolgenbcS ©efdjicf. Sr mar feiner von 3)enen,
bie nnbemerft unb unangefochten ihres SEBegeS ziehe» fönnen — ,
er lenftc aller Orten bie ©liefe auf fid) unb forberte burd)
fein ganzes SBefett zur Parteinahme für ober gegen fid) heraus.
Sr riß bie ÜKenfdjett zur Setounberung l)in, aber er regte burd)
bie fiütjnljeit feiner 3been auch beit 5a»ati8muS berfelben unb
burd) feine eigene 2eibenfchaftlicf)feit perföttlid)e £>afj= unb 5Had)e-
gefühlc in ihren Kerzen toiber fich auf. Sr hi«3 mit begeiftertcr
3nnigfeit an feinen Uebcrzcugungen, er founte eS fich nicht »er*
fagen, allenthalben für fie propagattba z» machen, er befafj
aud) ein gnteS 2heil von ber Streitbarfeit unb gebbelnft bcr
älteren ^umanifteit, er toar feurig unb unbefonnen unb forberte
feine ©egtter oft unnöthigermeife heraus. $ieS alles aber
14
wareg @igenfd)aften, bie ißm nothwenbig öerberfalicf) werben
mußten, jumal in einer fo aufgeregten, gerabe in ©ejug auf
ifjr religiöfeä ffimpfinben fo ^oc^grabig erhifcten uitb über»
reifen $eit.
2)ie leibcnfd)aftlid)e ^Bewegung ber ©emüttjer, bie 2uther3
füllte £f)Qt fieroorgerufen hatte, war ja in aßen Sänbern gleich
groß. 3n grankreid), wo fid) ©uifen nnb Hugenotten in er*
bitterter geinbjdjaft gegeniiberftanben, ^errfc^te Wäljrenb ber
gaumen 9kegierung33eit König JpeinricfjÄ III. ber ^Bürgerkrieg fo
ju fageu in ^ermanenj. Sind) ©nglanb war fortgefefct oon
religiöfen Parteiungen jerriffen, obwohl ba§ ftuge unb ener*
gifdje Auftreten GrlifabethS gcwaltfame Sluöbrüdjc ber 2eiben*
fünften nieberju^alten ober im Keime 311 erftirfen oerftanb.
3n 3)eutfchlanb enblid) war nach ber ©eenbigung beö fdjmal»
falbifdjen Krieget eine periobc äußerlidjer SRtifje eingetreten —
aber e$ war bie fdjwiile fRuhe oor bem fnrdjtbarften, fpätcr
nur um fo gewaltfamer lo$bred)enben breißigjährigen Sturm.
3iet)t man aße biefe Umftänbe in ©etracfjt, fo erklärt fidb
©runoö fRaftlofigkeit oon felbft. (Sr felbft ftanb über ben
beiben großen, fid) befehbenben religiöfen Parteien, weil fein
freier unb kühner ©eift fid) über bie fonfeffioneflcn Sdjratifen,
bie beibe trennten, fjod) empor gefdpoungen hatte — , aber eben
beäfjalb ftieß er aud) auf beiben Seiten — auf proteftantifdjer
fo gut wie auf katfjolifd)er — faft beftänbig an — , eben be3-
halb fah er fid) allenthalben 001t Jeinben umgeben unb lebte
fo 31t fagen fortwäfjrenb auf ber glud)t. 21u3 feinem ©ater-
lanbe hatte ihn bie Unbulbfamkeit be3 katholifd)-hierard)ifchen
©cifte« oertrieben, auä Jouloufe uitb pari« mußte er ber uu-
aufhörlid)en religion3politifd)en Unruhen wegen entweichen, in
Djforb würbe feinen ©orlefungcn burch feine fd)olaftifd)en
©egiter ein frühjeitigcö @nbe bereitet, in ©enf nnb nadjntalä
in ^jekniftebt geriet!) er mit ber reformirtcn ®eiftlid)keit in
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Äonflift. 2)aS (Gefühl tollfommener Sorglofigfeit nitb Sidjer*
heit ^nt er wohl nur in Sonboit, wo er im |jaufe unb unter
bem 8<hu§e beS htdjgefinnten £>errn ton (Saftelnau lebte, unb
fpäterf)in in SBittenberg, wo uodj ber milbe unb cd)t Rumäne .
@cift ^S^ilipp ÜRelandjthonS ruetjte, getonnt.
Ueberfjaupt waren bie Sottboner unb bie Sßittenberger
3aljre bie glüdlidfften, bie er jemals erlebt. Sein Slufenthalt
im Gaftelnaufdjen £>au)e führte itjn im budiftäblichften Sinne
auf bie tielbeneibeten „Rolfen beS 2>afeinS". (Sr lernte bort
jum erftenmal alle inneren unb äußeren iBortheile einer be-
norgiigten fiebenSftelluug aus nädjfter 9tä^e fennen, er füllte
fic^ mit ffleßagen im SDHttelpunft eineg geiftig tomehmen, ihm
iBerftänbniß unb ^erjtic^e Slntheilnaljmc entgegentragenben
Streifes, er bewegte fid) in biefer Htmofpfjäre, als ob fie fein
eigentliches iebenSelement wäre unb fat> fid) aufs gliicflid)ftc
geförbert in feiner geiftigen ifkobuftitität. So tarnen beim bort
in Sonbon bie bebeutenbftcn feiner italienifd) gefcßricbenen p^i*
Iofophifd)eit Schriften, unter benen biejenigen „lieber bie Urfadje,
baS ißrinsip unb baS (Sitte“, „®ie Austreibung beS herrfdfenben
X^ierS" unb „TaS Such tom ^eroifcfjett (SttthufiaSmuS" * bie
befannteften unb mcift genannten finb, in rafdjer golge
heraus.
SBittenberg h'nluie&erum übte auf SBruno in anberer Art
einen ganj bcfonberen SReij. (SS feffelte ihn burch feine großen
(Srinnerungen, eS war in feinen Augen eine tlaffifcfje Stätte,
eine Stätte, bie fdjou burcß bie 3;f»ntfac^c, baß fie bie SBiege
ber ^Reformation gewefen, für alle feiten geweiht war. (Srft
hier in 3Bittenberg ging ihm, wie eS fdjeint, baS tolle ®er*
ftänbniß für SDfartin SutherS gewaltige ^erfönlid)teit unb and)
baS tolle Sterftänbniß für bie tiefe unb fcf)öpferifd)e Criginalität
beS beutidjen ©eifteSlebenS unb für bie ftraft unb (Sigenart
beS beutfehen SBolfSdjaratterS auf. So hat er &enn f>'er *n
fl 85;
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ber alten Sut^erftabt fomohl bem ©eniu« be« großen beutfd)en
ÜReformator« al« aud) bem ©eniu« $)eutfd)faitb« felbft bett
Tribut einer fpontanen, au« marinem bergen quetlenben §ulbi»
gung bargebracht unb iljiten tief empfunbene fdjmungooöe Sorte
begeifterter öerounberung gemeil)t.R Seiber trieb if|n bie Un*
gunft ber SSer^ältniffe am Snbe aud) au« Sittenberg, beffeit
eble ©aftfreißeit er nid)t genug gu rühmen roeiß, »ieber fort.
§113 nach bem lobe §luguft« oon ©aeßfen bie ißm feinblid)
gefinnte Partei ber ftrengen ©alüiniften and) an bet bortigen
Unioerfität bie Oberßerrfcßaft erlangte, naßm er fcßmereti
bergen« feinen Sanberftab, ber ißn gunädjft auf furge 3c't
nach ^ragli unb bann nach ber neu begrünbeten Unioerfität
$elmftebt führen füllte, mieber auf. §lber aud) in ^elmftebt
mar nad) bem 2obe feinet ©önncr«, be« groß unb frei gefinnten
§ergog« Suliu« auf bie ®auer für ißn feitifRaum; bie leiben»
fcßaftlicßen Singriffe be« ©uperinteubenten unb £auptpaftor«
83oetßiu«, ber in öffentlicher ißrebigt oor ihm marnte, unb
be« Theologen unb fReftor« ®aniel |)ofmanu trieben ißn feßon
im folgcnbeu Saßr mieber fort. @tma um bie ÜJfitte be«
Saßre« 1590 finbcit mir beit rußelo« umhergetriebenen Genfer
mit ber ,jperau«gabe feiner ^oc^intereffauten lateinifchen
£id)tungen 7 befchäftigt in granffurt am SDlain.
Sßon bort au« machte er, mahrfcßeiulid) noch im felben
|>erbft, einen mehrmonatigen SXbftechcr nach 3«ric^ unb folgte
enblich 1591, che noch ber $rutf feiner eben ermähnten großen
Sateinmerfe beenbet mar, einer ihn unglücftichermeife gerabe ba=
mal« erreichenben (Einlabung eine« jungen oenetianifeßen ©bei-
manne« nad) SBenebig.
@« hat oft ben Ülnfcßein im ficben, af« fei etma« $ämo*
nifche« in ber munberbaren SBerfettung äußerer unb innerer S8e«
gebenheiten, etma« ®ämonifcße« im Salten be« 3ufa^^ unb
eine« rätl)fclhaften, uöHig unbegreiflichen ®efd)id«. 3u
ciscj
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VrunoS Seben tritt biefer bämonifcfye 3^9 on jenem SEÖeubc*
punfte beSfelbett, ber burd) feine plöfclidje 9iüdfeljr nad) Italien
bezeichnet wirb, in ganz befonberS auffallcuber Sßeife tjeruor.
©in anfd)einenb tiormlofer Srrtljum nämlid), bem er 3eit feines
SebenS gefjulbigt hotte, irug für ifjn ju jener >^eit burd) eine
unglucffelige Verfettung oon Umftänbeit bie afieroerhängnifjüollfte
grud)t. 6r fjatte ftch in fritieren 3af)ren oielfad) mit ber
mnemotec^nifd)en ober fogenannten Sullifdjeu Jiunft H befdjäftigt,
er fjatte eine 9iei[)e oott ©driften über biefelbe ^erauSgegeben,
er Ejatte bie gortbilbnng berfelbcn aus einer bluffen ©ebädjtnijj*
unb ©rinnerungSfunft in eine Äunft ber ©ebanfen*@rfinbung
itad) beftimmten, ein für aflemal gültigen fßrinjipien »erfuhr,
©ine non biefen ©djriften nun ^atte im ©ommer 1591 ein
junger oenetianifdier ©beimann aus bem ©efchlecht ber SDiocenigo
im 33ud)f)änblerlaben oon ©iotto erblicft. 2>aS Sud) erregte
fein lebhaftefteS Sntereffe, er wiinfdjte beit Verfaffer beSfelbeu
fennen gu lernen, er oerlangte banadj, fidj bei if)m felbft in ber
Shtnft ber ©ebanfenerfinbung ju unterrichten, ©o lub er ifjn
in ber angelcgcntlid)ftcn SBeife ju fid) ein. Unb Vruno lief?
fid) burd) bie ©inlabung oerloden. $>ie ©ehnfudjt nach feinem
fdjönen Vaterlanbe war im Saufe ber Oafjre immer mächtiger
in ihm geworben, er fonnte ber 91uSfid)t, baSfelbe wieber ju
feljen, nicht wiberftehen. ©o folgte er bem sJtufe SDfocenigoS,
würbe oon ihm in ber oerbinblidjften SBeife aufgenommen,
unterrichtete ihn feinem 2Bunfcf)e gemäß, Ejielt zmifd)enburd)
Vorlefungen oor beutfd)en ©tubenten in sJ$abua unb lebte im
SSinter beS SafjreS 1591 abwechfetnb halb in legerer ©tabt
unb balb wieber in Venebig. — Slber nad) Verlauf eines Ejnlben
3a|reS würbe ÜJiocenigo ungebulbig; er fah fid) in ber SÜunft
ber ©ebanfenerfinbung burd) VrunoS Unterricht nur wenig ge*
forbert unb gab nach ber SBeife eitler unb befchränfter 9J{enfd)eu
bem böfen SBiUen beS SehrerS an biefem ÜJiifegefdjicf bie ©djulb.
Sammlung. ft. V. J02. 2 (187)
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@r meinte, ©runo leßre ißn nicßt aße«, ma« er miffe, er ßalte
mit bcm magren ©eßeimniß feiner fiunft abficßtlitß unb
gefliff entließ juritef. Unt fieß für biefe Bermeintlicße ©öämiflig*
feit ju rächen, faßte ber elenbe SJienfcß (auf Stnftiften feinet
©eießtuater«) beit benfbar abfcßeulicßfteu ©ntfeßluß: er reichte
eine SJenunjiatiou gegen ©runo beim 3mquifition«gericßt ein,
ließ ißn in feinem eigenen $aufe näcßtlicßermeile überfallen
unb gefangen neßmen unb lieferte ben ßülflo« in feine ©ernalt
gegebenen feinen erbitterten geinben au«, ©o erfüllte fich
©runo« maßrßaft tragifeße« ©efeßief: am 22. 2Rai (1592) ßattc
man ißn gefangen genommen, am 23. mar bie ®enunjiation
gegen ißn eiitgereicßt morben, am 24. marb er in ba« Snquifition«*
gefängniß gebraeßt.
Unb nun begann jener entfeßließe, naßeju aeßt 3aßre maß»
renbe Sßrojeß — ein ^ßrojeß, ber juerft Bor bem Snquifition««
tribunal in ©enebig gefiißrt mürbe unb nacßmal« (feit 1593)
Bor bem Ä'eßergericßte ju ©om — ein ißrojeß, über beffen ©er»
lauf in leßterer ©tabt mir leiber nießt eingeßettb unterrichtet
finb, ber aber in ©runo« ©erbammung jum ©eßeiterßaufen
feinen graufigen Slbfcßluß fattb. 2öa« mau bem Slngeflagten
feiten« ber römifeßen Äurie in erfter SHeißc jum ©ormurf matßte,
ba« mar feine Eingabe an bie fopernifanifeße Söeltanfdjauung,
feine ©cmüßungen um bie ©erbreitung unb miffenfcßaftlicße
gortbilbung berfelben, fobann feine großartige ©otteäoorfteßung
unb Söeltauffaffung, feine Seßre oon ber ißrärpftenj ber ©eele
oor biefem 2eben unb enblicß feine gefamte, Born ©eift eeßter
SBiffenfcßaftlicßfeit bureßmeßte gorfißertßätigfeit, feine freie, aller
bogmatifeßen geffeln fpottenbe ®eifte«ricßtung iiberßaupt. Slber
nur in SRom mar man fieß, mie e« feßeint, ber Boßeit ©ebeutung
ber ©ruuofcßen fleßre naeß aßen biefen SKicßtungen bemußt,
nur bort befaß man ben entfpreeßenben SEeitblicf unb füßrte
bemjufolge ben ©rogeß gegen ben „Äeßerfürften" in einem
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gewiffermafjen großen Sinn. 3n SSenebig bagegen fyat man
allem Slnfc^ein nach in öruno nichts weiter al« einen gaitj
gewöhnlichen $efcer mie bunbert anbere aud) erblicft, unb man
bat ihn bemgemäfj in ben bärtigen Verhören au«fcblicf}lid) über
feine Stellung ju ben ©ogmen unb 2ebtfä|en ber römifdjen
Sirene befragt, fid) auf ben SSerfud) einer „tuiffenfc^aftlic^en"
SBiberlegung feiner 2ef)reit gar nicht eingelaffen unb fid) au«*
fdjlieBlicb auf bie Betonung be« ftreng fird)lid)en ©tanbpuntte«,
ber bie bebinguitg«lofe Unterwerfung ber SBernunft unter bie
burd) göttliche ©nabe geoffenbarte |>eil«lebre ber Stirne forbert,
befdjränft. 3)iefer 83ebanblung«weife entfprad) benn auch
Sruno« Verhalten. ÜRan wirb ibn uoit bem Sorrourf ber
Schwäche unb eine« fcfjwanfenbeit unb wiberfprmh«»otIen 33e*
nehmen« wäbrenb be« »enetianifd)en ißrojeffe« allerbing« nid)t
freifpredjen fönnen. — 2)enn wäbrenb ber erften Verhöre tritt
er, wie au« ben Elften9 beroorgebt, mit großartiger Unerfcbroden*
beit »or feine tRicfjter bin; er giebt einen furjen Slbrifj feine«
2eben«gange« unb „fübn unb unbefangen, al« ob er auf bem
Äatbeber ftänbe", eine burdjau« wabrbeit«getreue unb fadjgemäffe
JJarfteHung feiner SBeltanfchauung, §u ber er ficb rüdbaltlo«
befennt. $aitn aber mit einemmale »erlaffen ibn ßuuerfidjt
unb 5D?utb- @r erflärt auf öefragen feine »ofle Ueberein*
ftimmung mit bem Siircbenbogma ber 2ran«fubftantiatiou unb
unbefledten ©mpfängnifj — er »erficbert, baj) er an bie @ott<
beit ©brifti, an bie SBunber, bie fieserer ben (Stählungen ber
Schrift jufolge »erridjtet, an Fegefeuer, ifkrabie« unb §ölle
glaubt ! 3a in ben lebten Verhören, bie Sruno in beliebig ju
befteben batte» ^üren wir ibn fogar au«brüdlid) „aQe feine
Webereien wiber bie Siebre unb bie Saftigen ber beigen
fatbofifeben ftirebe" abfebwöreu, feine 9iid)ter auf ben ftnien
um Schonung feine« Seben« unb um Vergebung anfleben unb
für bie 3ufunft Sefferung unb »öUige ülenberung feine« bi«>
2* (189)
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herigen SEBanbel« geloben. 9Jlan wirb nicht fehl gefeit
in ber Slnnafjme, baff bie Srohungett feiner ©cgtter if)n in
©djrecfeu oerfefjt Ratten, baff bie Slngft oor ^olter unb ©Reiter»
hänfen ihn übermächtig ergriff. @r war eben aud) nur eilt
ÜDlenfd), ber fid) plfloä allen ©djretfniffen ber tiefften geiftigeu
unb genuitfjlidjen ©infamfeit prei«gcgeben faf>, er war ooit
aller SBelt oerlaffen unb füllte fid) ohnmächtig in feiner geinbe
©crnalt. Sieben ben Söcforgniffen um fein perfönlidje« ©djicffal
aber ftürmten fidjerlid) aud) religiöfe 3weifel unb ©frupel ber
peinlid)ften Slrt auf feine «Seele ein. 9lid)t bloß bie ©djrecfniffe
ber enblofeit Serferhaft, nicht blofj bie pf)t)fifdjeu unb fcelifcfjen
Dualen, bie er ju erbulben ^atte, aud) bie feierlichen ©rmaf)*
nungeit aur Umfel)r unb Sefehrung, an benen e« bie ^eiligen
äJäter nidjt fehlen liefjen, blieben ficherlidj nicht ofjtte ©inbrucf
auf fein tief religiöfe« unb in feinem batnaligcn troftlofen gu*
ftanbe ohnehin neroö« überreizte« ©emiith- ©r war nicht bloß
förpcrlich in geffelu gefchlagen — auch fein ©eift fanf allem
Slufchein ttad) oorübergehenb in ben SBatm ber alten fircf)(tdßeii
SluffaffungSWeife, bie er oöllig iiberwunbcn 31t hal>erl fehler»,
Zurücf. ©« ift etwa« wahrhaft Sämonifd)e« in biefer Sluf-
faffungeweife, etwa« wahrhaft Sämonijcfje« in jenem funba*
mentalen ©ah berfelben, ber bie bcbingung«lofe Unterwerfung
be« „natürlichen 2id)te«", b. i. ber tnenfdjlichen gcfuitben S$cr>
itunft unter bie Slutorität be« übernatürlichen bem 9)lenfd)ett
angeblich burd) göttlidje Offenbarung ju tßeil geworbenen
Sichte« unb bamit unter bie Slutorität ber $tird)e, biefer Sol*
metfeherin be« göttlidjen Söorte«, oerlangt. 2Bie energifch fidh
58rnno« ftarfer unb fiif)ner ©eift in glüdficheren Sagen aueß
gegen biefc Sehre nufgelchnt holte — in jenen feiten tieffter
geiftiger unb gemütl)Iid)er Sliebcrgefdjlagenheit gewann bie Hör*
ftcllung, ba& rud)lo« unb gottlo« fei, fich im SBcrtrauen auf
bie eigene Vernunft gegen bie Sogmen unb ©n^ungen ber
080.
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Üircfje aufaulehnen, aller 2Sahrjcheinlid)feit nach auch über jeine
Seele erneute ©ewalt. 3a er flammerte fich fchliefjlich fogar
wie an einen lebten jRettungSanfer an jene ungeheuer lidje Unter»
Reibung ber natürlichen »on ber geoffenbarten äßafjrheit, bie
er im normalen ©emütfjSjuftanbe mit oerbienter Verachtung
behanbelt hotte, an: unter auSbrüdlidjer Verufung auf biejelbe
oerlangte er als ^ß^itofop^ unb nicht als Kirchenlehrer beurtheilt
ju werben, unter ftitlfchroeigenber Vejieljuug auf biejelbe oer-
warf er jwar feine fitddichett Keßereien als folche, nidjt aber
feine auf ba3 natürliche Sicht fid) griiubenbe unb aus biefem
©ruttbe nach feinem Dafürhalten uitwiberlegliche Vh'to|°Pfy'e-
Oh»e 5wge lag biefem Verhalten ein uneingeftanbener
Sophismus ju ©rmtbe, aber eS war aller 2Bafjrfd)einlichfeit
nad) ein folcher, beit er unbewufjterweife unter bem ginflufj
unflarer unb wiberftreitenber gmpfiubungen beging. Sluf alle
gälte fämpfte er baraals einen fchweren, inneren Kampf. gs
famt feinem Zweifel unterliegen, baß fein ©emüth tief beim*
ruhigt gewefen ift, baff er jeitweife an fich felbft irre würbe,
bajj ihn SJfomente tieffter jDiutljfofigfeit unb gerfnirfchung über»
fomnten haben ntüffeu, Momente, in beiten er feine früheren
leibenfdjaftlidjen Angriffe gegen bie &ird)e thatfächlich als ein
Unrecht, als eine fdjwere, fein ©ewiffeit belaftenbe Schulb em*
pfanb. ©leidjwoljt gab er fid) jwifchenburd) immer wieber ber
Hoffnung auf eine SluSföfjnuug mit bem Sßapft, ja allem Sin»
Ühein nad) fogar ber Hoffnung auf bie SJiöglidjfeit einer Ver-
höhnung ooit ©tauben utib SSiffenfchaft in feinem Sinne l)'n-
3u biefem Vetjuf hatte er ein Vud) „Ueber bie fiebeit freien
Äiinfte", burch baS er bie ©unft beS he^'9en Katers für fich
ju gewinnen backte, oerfajjt, unb aus biefem ©runbe hatte er
felbft 3U wieberholten ÜJiaten feine üluSlieferung an baS römifefje
Snquifitiouötribunal üerlangt. gr erinnerte fich offenbar ber
Beiten, ba auch bie ißäpfte SBiffenfchaft unb gelehrte Vilbuitg
(191)
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gu fdjäfcen wußten, ba fie gegen freifinnige Andauungen eine
großartige unb weitgefjenbe Julbung übten, ba neben bem
fünftterifefjen auch ba« burdj ba« ©tubiurn ber Alten genährte
p^itofop^ifc^=wiffenfc^aftIici)e Seftreben bei ihnen mannigfache
görberung unb rege Unterftüjjung fanb. Snbeffett jene geiten
ber Jolerang unb religiöfen SEöeit^erjigfeit waren bafjin. ©ie
hatten ber ber ©egenreformation unb bamit einer Strenge
ber Auffaffung ©(ah gemacht, bie ©runo nicht begriff unb
nicht uerftanb. 2Sa« c« mit biefer ©treuge auf fich hatte, fofite
er nunmehr gu feinem ©djaben erfahren: fein SBunfd), nach
9tom überführt gu werben, fodte ba(b genug in ©rfüdung gehen
— aber nicht gu feinem @(ücf.
©chon feit 3afjr unb Jag fetten in biefer ©egiehung
Serhanblungen gwifdjen bem ©enat ber ÜRepublif unb ber
römifcheit Surie gefchwebt, fchon wiebcrholt hatten Abgefaubte
be« ©apfte« bie Benetianifdje Regierung gur Auslieferung be«
„©ruber« ©iorbano", be« „Äeßerfürften" unb „abtrünnigen
©riefter«" gebrängt. 3U ©cginn be« galjre« 1593 waren biefe
©erhanb(ungen enblich gum Stbfchfuß gefommen — ber ©enat
hatte ade feine pofitifdjen ©ebenfen, „au« finblidjem ©ehorfam
gegen beu hediflen ©ater" faden gelaffen unb fanbte ©runo
nach SRom. Jamit war ba« ©chicffal be« fieberen enbgültig
befiegelt — , benn uon nun an ging fein Serhängniß, wenn auch
nur langfamen Schritte«, fo hoch ftetig unb unaufhaUfam feinen
©ang.
@« erfcheint nicht Bödig au«gefch(offeit, baß fein ©rogefj
möglicherweife einen günftigeren Au«gang genommen hätte, wäre
er in ©enebig gur Aburteilung gelangt. Jenn bort hätte
man fid; oder 2Baf)rfd)einIid)!eit nad) mit ©runo« SEBiberruf
feiner lird)lid)en Siebereien, gu bem er fid) herbeigelaffen hatte,
begnügt unb hätte ihm Bielleicht in Anbetracht feiner reu-
miithigen Unterwerfung nadj Auferlegung einer mehr ober
092)
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minber ferneren Äirchenbujje, grei^eit unb Sieben gefdjenft.
einem ganz anberen ©efidjt«punft al« in Sienebig aber
betrachtete man, wie ich fdjon oben bemerfte, SBruno« Angelegenheit
in S?om. Sßa« in ben fecf)« Saljren feiner römifchen Äerferhaft
mit ihm norgegangen, wiffen mir freilich nicht. Sowohl über
bie ©njelnljeiten be« bortigen ffjrozefjoerfahren« wie über bic
llrfachen, welche bie ungewöhnlich lange 3)auer be«felbcn be*
biugten, ift nbfolut nicht« befannt. Aber wie »iele« in biefer
Sejieljung auch bunfel unb rätljfelhaft erfcheint, zweifellos ge<
mifj ift bod) ba« ©ine: bafj bie Äurie ben benfbar größten
fBerth barauf legte, ben berühmten Äefcerfiirften — wenigften«
fcheinbar — bebingungälo« auf bie Seite ber Stechtgläubigfeit
hinüberäujiehen, bafj fie feine Anftrengungen freute, um ihn
burch fogenannte „wiffenfdjaftliche" 3)emonftrationen tion ber
ff3rrthümlichfeit" feiner Sehren ju überzeugen, unb bafj fie
alle« baran fefcte, um auf bie eine ober bie anbere SBeife eon
ihm ba« ßugeftänbnifj, bafj er fich für „überführt" befenne, ju
erlangen. Unb nicht minber zweifellos ift auch bie 2f)atfa<he,
baß 93runo zu einem berartigen 3ugeftänbnifj jU (>en,eg£n
roar, baß er allen bieSbezüglichen $umutljungen auf« energifchfte
roiberftanb. SBie nachgiebig unb unterwürfig er fich auch in
Senebig gezeigt hatte, bei bem, wa« man jefct oon ihm »erlangte,
blieb er unnachgiebig unb »erftoeft. So lange man an fein
religiöfe« ©mpfinben appcQirte, befaß man eben einen mächtigen
AunbeSgenoffen an feinem wahrhaft frommen, zu Pietät unb
ßhrfurcht geneigten ©emiith; fo halb man fich aber an ben
philofophifchen Genfer al« folcßeit wanbte, empörte fich fein
intelleftuefle« ©ewiffen, fo halb man ihn „wiffenfdjaftlich" z«
überführen »erfuchte, reöoltirte fein flarer Serftanb. — @r fah
fuh burch bie Argumente feiner ©egner nicht miberlegt, ja er
fanb fich burch biefelben wahrfcheinlich mehr benn jemal« in
feiner Ueberzeugung »on ber SBahrljeit feiner eigenen Sehre
24
beftärft. ©egen jebeit ©erfuch einer ©erleugttung ber flar er*
fanuten SBabrbeit aber lernte fein ganjeS SBefen fic^ über-
mächtig auf. Qnbeffen, aud) feine ©egner iuaren ^artnäcfig
unb gaben ihre ©emübuttgen fo leisten ÄaufeS nicht auf. Str-
afften allem Stnfc^ein nad), i(jn burch bie lange 2>auer ber
Scrferbaft mürbe ju machen, fie legten eS barauf an, iljn
p^tjfifc^ unb moralifch $u ©rttitbe ju richten, um oon bent förperlicfj
unb gciftig ©ebrodjenen am ©nbe bod) noch jenen SBiberruf,
ju bem man ifjrt auf anbere SBeife nidjt ju beftimmen »er*
mochte, ju erpreffett.
®ajj mau auf biefeS giel ^ingearbeitet ^at, fteljt feft; e$
ge^t au§ beit SßrotofoHeit oorn ©egimt beS S^bred 1599, bie
in Kugeligen befannt geworben fittb, mit jweifellofer ©ewihbeit
beroor. ?lud) ber 3efuit SlaSpar ScioppiuS, ein junt Satbo*
lijiSmuS übergetretener ehemaliger ^ßroteftant, ber ju jener
in SRom oerweilte unb in einem ausführlichen oon ©ebäffigfeiteti
ftrojjenben Schreiben über bie ©erurtbeiluitg unb ben $ob
©iorbaito ©ruttoS nad) SDeutfd)lattb beridjtete, 10 betont aus*
brüdlidj, bah man bis junt lebten 91ugenblid auf einen SBiber*
ruf oon feiten beS ©efangeneit gerechnet habe, bah aus biefeni
©runbe bie ©ollftrecfuitg beS UrtbeitS noch ganj julejst um
mehrere Stage binciuSgefcbobcn worben fei uitb bah man oon
Stunbe ju Stunbe oergebtidj auf ©ritiioS Unterwerfung geharrt.
— üftatt wollte eben bie Hoffnungen, bie man fo lange gehegt
hatte, nicht aufgeben — mau hoffte bis aitS @ube, aber man
fab fid) grünblidj getäufcht. ©iorbano ©runo blieb ftanbhaft.
(Sr wuhte, was für ihn auf bem Spiele ftanb, er wußte, baß
ih« ein SSiberrttf retten fonnte, er wuhte aber aud), bah ec
rettungslos oerloreit war, wenn er fid) nicht $u einem folchen,
uid)t 31t jener feierlidjeit 5lbfd)Wöruiig feiner „Seriellen", bie
man oon ihm begehrte, oerftanb. Irob allebem wiberrief er
nicht. (Sr war 001t ber SBafjrbeit feiner 3beeu tief iittterlid)
UM)
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burchbrungeit, er fonnte unb wollte ihnen nicht abtrünnig werben,
er fomite unb wollte feine Ijeiliflften Ueberjeugungen nicht »ej>
leugnen.
Unwillfftrlicf), inbern wir feiner bamaligett Sage gebenfen,
taucht bie ©eftalt uitfereS großen beutfdjeii ^Reformators,
bie ©eftalt ißiartin ßutherS oor unferem geiftigeit Äuge auf.
Bir feßen beit fd)lidjten üRöncß oon SBittenberg in feinem
fcßwarjen unb unfdjeinbarem ©ewanbe — wir fetten ißn furchtlos
unb unerfchrocfeit, im ftraßlenben gürftenfreife auf jenem ewig
benfwürbigen, ewig unoer geglichen SReidjStage gu Borats —
wir feßen ißn groß unb gewaltig, mit blifcenben Äugen mußer*
fdjauenb, bie ftarfe ^pottb feft unb madjtooH auf baS ©ud) ber
©üdjer gelegt. SBir ßören bie ergreifenbett Borte: ,,^>ier fteße
idßl 3cß famt nicht anberS! ©ott helfe mir! Ämenl" Äucß
©iorbano ©runo fonnte nicht anberS — aud) ißn trieb ber
©eift ber Baßrßeit, ber 2Rartin ßutßer befeefte, auch ißn riß
bie ©röße beS ©eniuS, ber in ißm lebte, mit fort. @r hatte,
wie wir wiffen, aud) in ©euebig feine pßilofopßifdjen ßeßren
al§ folcße nid)t wiberrnfen — aber er hatte fid) bamalS bodj
pir Unterwerfung unter bie Äutorität ber ftirdje ßerbeigelaffeit
— er hatte uod) an bie äRöglicßfeit eineö StompromiffeS, eiltet
äußerlichen griebeitSfcßluffeS mit bem ©apfte, tueHeicßt fogar
an bie äRöglicßfeit einer ©erfößnung uon ®ogma unb Biffen*
fcßaft in feinem Sinne geglaubt. 3e|jt wußte er, baß jebe
berartige Hoffnung ein $raum war, unb baß eine tiefe unb
unüberbrüdbare ßluft bie intolerante, mittelalterliche ÄnfcfjauungS*
weife beS ©apfttßumS für alle feiten oon feiner eignen, freien,
am Sichte ber wiffenfcbaftlidjen gorfchuttg gereiften, üom ©eift
ber neuen 3*il burdjweßten, menfdjlirf) milbeit unb weitßerjigen
'Belt* unb ßebenSaitffaffnng fcßieb. @r halle eingefehen, baß
er nur jwifcßen pßhfifdjem unb moralifchem Untergang 31t
wählen halte unb baß er fterben mußte, wenn er fein ßebcn
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nicht burd? eilten unerhörten 2lft ber ©elbfterniebrigung retten,
e« nicht um ben ißrei«. feiner ©elbftachtung ton feinen ©egncrn
gurücffaufen wollte. 8lngefid)tS biefer 2llternatite aber fonnte
bie ©ntfdjeibung für ihn feiner gangen Statur* unb Gharafter*
antage nach unmöglich gweifelhaft fein. SBenn er fich ’rt
©enebig fcfjwanfenb unb fteinmüthig gegeigt, wenn ihn bort
thatfächtidj eine Schwäche angewanbelt hatte: jefct hatte er biefe
Schwäche überrounbeit, jefct war er muthig unb ftarf, ber
tragifchen ©röjje feine« ©chicffal« gewachfen unb felbft in Ketten
unb ©anben, uon Kerferntauern umfangen, inmitten aller
©chrecfitiffc, bie ihn umbrohten, frei . . . Söenn er früher über
feine eigene weltgefdpchtliche ©enbuitg im unftaren gewefen:
jefct itar er fid) biefer Senbung mit toller Klarheit bewußt
— jejjt fühlte er fich, wie wir au« feinem eigenen üKunbe
wiffen, mit toller Sntfdjiebenheit al« SDiärtprer feiner lieber*
geugung unb bamit gugleich al« SHärttjrer einer ewigen, in
ihrer allgemeinen fultureHen ©ebeutung lebenbig ton ihm em*
pfunbeueit unb mit ber tollen ©lutfj begeifterter Eingebung
umfafjtcn unb leben«lang terfochtenen 3bec.
durchbrungen ton biefem ©enmfjtfein, nahm er bie ©er*
fünbigung be« terhängnifjtollen Spruche«, ber ihn bem Scheiter*
häufen überlieferte, mit bewunberung«würbiger Raffung unb
Seetenftärfe h*u. ©ur wenige ftolge ©Sorte richtete ber gum
dobe ©erbammte unter bem erften unmittelbaren ©inbrucf ber
ihm gemachten Sröffnung an feine dichter: „3hr/ bie 3hr
mein Urtheil fprecht" — fo etioa lauteten biefe ©Sorte — „3hr
hegt tieüeicht mehr furcht als ich, ber ba« Urtheil empfängt." 11
©ebenft man bie Sage desjenigen, ber biefe ©Sorte fprach, unb
ben Slugenblicf, in welchem fie gefprochen würben, fo wirb man
in ber dljat bie Seelengröjje unb feltene ©tärfe be« ©eifte«
bewunbern müffen, bie in ihnen gum ©uSbrucf gelangten. ©Seitig
Änbere an feiner Stelle würben fich eine« fo ungebrochenen
(19«)
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9RutheS haben rühmen fömten — eines fo ungebrochenen 5Äutf)eS
im Hngeficfjte beS grauetwoUften HobeS unb nach einer acht»
jährigen, qualooöen ©efängni&haft in ben fterfern ber 3n»
quifition! ©iorbano Stuno befajj biefen SWutf). Sr mar auS
allen Prüfungen, bie ihm baS Sdjicffal auferlegt hatte, geläutert
heroorgegangeu — er hatte gerungen, gefämpft unb in fernerem
inneren Stampf übermunben. — 3e{}t lag baS alles hinter ihm
wie ein bumpfer, ihn oormalS beängftigenb untfangenber Hraum.
Sr mar aus biefem Traume jum hellen Sichte beS HageS, er
mar $u jener Klarheit beS ©eifteS, bie uns alle Hinge sub
specie aeternitatis — unter bem ©efidjtSpunft ber Smigfeit
— betrachten lehrt, erwacht. Sr hatte fich $u einer Feinheit
beS HenfenS unb SmpfinbenS emporgefchroungen, bie uns ber
Sphäre ber Snblicf|feit unb allen ihren »ergänglidjen SRötljen
unb jtümmerniffen enthebt; er hatte bie „Slngft beS Srbifchen"
oon fich geworfen, er mar gleichfam oorn Sanne ber Schwere,
er mar oon fich felbft unb oott allem, was ihn bebriieft unb
gepeinigt, erlöft. 3n biefer ültmofphäre ber Feinheit oerlorett
felbft bie ©chrecfniffe beS Scheiterhaufens, bie ihn bebrohten,
ihre ÜHacfjt; feine irbifdje furcht noch ©arge trübte in biefer
3eit ber Srhebuitg ben lauteren Spiegel feines ©emüthS.
Harum ift eS auch JtoeifelloS wahr, was wir ihn jn wieber»
holten Söiafen oerfichern hören, bafj er ben lob nicht freute,
ben Hob, ben er felbft fich erwählt hatte unb bem er willig
unb freubig, baS Hochgefühl hünenhafter SiegeSgewifeheit im
begeifterten Hrrjen, entgegenging . . .
Unb fein Hob war in SBahrfjeit oerf^lungett in ben Sieg. Hie
jüngelnbeit flammen feines Scheiterhaufens umfpielen für alle
3eiten wie ein leudjtenber ©lorienfehein fein Haupt unb umfliehen
oerfläreitb feine ernfte, aus ben bämmernbeu Hiefen ber Ver-
gangenheit in ftiHer ©röfce aufragenbe ©eftalt ... SS ift ein StmaS
in bem ÜRarttjrium gerabe biefeS SDianttcS, baS unwiberftehlich bie
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fper^eit bejwingt. gro9e« wir un«, wa« biefeS ©tmo« ift, fo
wirb bie Slntwort lauten müffeit : e« ift bie wahrhaft einjige
93erbinbung non geiftiger Sraft unb Seefcngröße in ber $er*
fönlid)feit ©iorbano 53runo«, e« ift feine entf)ufiafiif<f)c ffialjr»
heit«liebe unb feine J)eroifd)e CpfermiOigfeit in ber ffletljätigung
berfelbeit, bie gerabe burch bie Xrogif feine« ©chidfal« jutn
benfbar prägnanteren unb ergreifenbften $lu«brucf gelangt.
Slud) ohne biefe Jragif freilich war feinem Slawen bie
Unt>ergänglid)feit für alle feiten Qeioife. ©ar er boch ber be*
geiftertfte SBorfämpfer unb genialfte gortbilbner ber foperoi*
fanifchett ©eltanfdjauung, ber eigentliche Schöpfer unb S9e*
griinber be« mobernen ^antljeiämu« unb einer ber getualtigften
©ahnbredjer be« naturwiffenfchaftlichen ©eifte« ber Sleujeit
überhaupt, ©eljört er bo<h in bie SReihe ber wahrhaft große«
unb genialen Genfer aller Ißölfer unb ßeiteit, in bie fReihe ber
^hüofophett unb ©eltweifen im fjödjften ©iiute be« ©orteS
hinein, ©a« ihn unter biefeit aber in gaitj befonber« fjeroor*
ragenbent SRaße auäjeichnet, ba« ift jene ©luth leibenfdjaft*
lid^fter Eingabe an bie twn ihm uertreteiien Sbeen, bie ihm Jo
oerhängnißüoll werben follte, ba« ift bie Äraft hiwntelait»
ftiirmenber ©ahrbcit«begeifteriuig, bie feine Seele erfüllte. —
$iefe ilraft ber ©ahrheit«begeifternng ift für ihn im eminenteften
©rabe djarafteriftifd) ; fie bilbet bett entfeheibenben ©ruubjug
feine« ganjen ©efen«, beu ftarfen ©runbtou all feine« ©ollcnS
unb ömpfittben«. Sein gefamte« ©eifte«’ unb ©entüth«lebeit
war auf biefeit ©runbtou geftimmt; alle übrigen Iriebe unb
Steigungen orbneten fid) ganj ooit felbft biefer einen große«
SJeibenfchaft feiner Seele unter, in ber ber unbejwingliche
©ahrheit«- unb ©rfenntnißbraug feine« ftarfen ©eifte« mit ber
5Begeifteruug«fcif)igfeit feine« tiefen ©emüthe« üerf^molj. —
©iorbano 93ruito war eben nicht nur ein fcharffinniger unb tief*
finniger Genfer — er war oor allen Gingen ein ©nthufiaft, ei«
(l'JS)
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geuergeift, ein heijj unb leibenfdjaftlid) empfinbeuber SJtenfd).
$ie* bofumentirt fid) in auffaHenbftcr SBeife in feilten Schriften.
SBie ein großer $beil berfelbeu fd)ott äujjerlid) bie bidjterifdje
gorrn trägt, fo entfprid)t biefer gorm in faft ntlen gälten and)
burdjauS bcr innere ©cljalt. S?a$ poetifdje unb r^etorifdje
ßlement fpielt eine grofje Stoße in benfelben, unb nidjt bloß in
feinen Dichtungen, fonbern aud) in feinen ^rofafcfyriften nerrätt)
fid) ein oft bebenftidjeS Söorwalten einer reichen fünftterifrf)
geftattenben unb unauSgefejjt tätigen ^3t)antafie. ÄßerbingS
muß jugegeben werben, bafj ber ©inbrud fein burdjauS reiner
unb ungetrübter ift, ben man oott ber Seftüre ber Sörunofdjcn
Söerfe empfängt. 63 finbct fid) ju oiet ©efdjraubteS unb lieber«
labeneS in ihnen, ju üieleS, wa8 nach SarriereS treffenber 53e«
merfuitg an bie ßiinftcleien unb unfeinen Uebertreibungen bcS
©arodftilS, ber ju jener 3eit in ber Ärd)iteftur ber t)errfd)enbe
war, gemahnt. Der 3ntjatt ift faft ju reichhaltig unb 311 wenig
überfichtlid) georbnet, bie gorm be3 SBortragS oft fdjteppenb
unb fdjwulftig, oft wieber leibenfcfjaftlich bewegt: e3 fehlt bie
©infadjheit, bie &tart)eit, bie ruhig fortfchreitenbe Äonfequen^
be8 DenfcnS, bie fd)öne Harmonie, gafft man bie ©efamt«
wirfung ins Äuge, fo fann man fageit: 2Bir gewinnen burdjauS
ben ©inbrud, baff au3 SrunoS SBerfen ein ©eift fpridjt, ber
noch mit feinem eigenen inneren 5Reid)tf)um nidjt itiS reine ge«
fommen ift, ber nod) mit ber giifle ber unauSgcfefjt auf ihn
einbrittgeuben ©ebanfen unb nicht nur mit ben inneren Sdjwicrig«
feiten ber twn itjm betjanbetten Probleme, fonbern auch mit
ben ©c^wierigfeiten ber Darfteßung unb beS fprachfidjeu §lu8«
brudS ringt. Daher ba8 wiebertjolte gutiidfommen auf benfetbeu
©egenftanb, baS offenbar bem SSeftrebeit, fdjon ©efagteS beffer
unb griinblidjer nod) einmal 31t fagen, entfpringt; baf)er bie
gelegentliche Häufung ooit Söilbern unb rljetorifdjen gigurett,
bie übertriebene Steigung ju ©itaten, bie lleberf<hwänglid)feiten
099;
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im JluSbrutf, baS beftänbige £afcf)en nacf) neuen, d)arafteriftifd)en
unb effeftoollen SBenbungen, bähet bie Ungleidjheiten in ber
Stimmung, baS häufige Schwanfen jwifchen ©egeifterung unb
Nüchternheit, ber oft jähe SBedjfel jwifchen ©rnft unb Sd)er$
(benn er ift aud) ÜReifter in ber Satire unb in einer geift*
üoHen, oft überaus anmutig erfcheinenben, oft graufamen unb
bcijjenbcn Sronie) — batjer im allgemeinen bie hänget unb
Unebenheiten in ber 5>n'm- ?lber wenn ber Mangel an ©in*
heitlicfjfeit unb hormonifi^er SHarfjeit in ©rutioS Schriften audj
bisweilen ftörenb wirft, fo wirb biefer ©inbrucf bod) immer toieber
burd) beit geuerhaud) jugenbfrifc^er ©egeifterung, ber uns anS ihnen
entgegenweht, wett gemacht unb in ben ,£>intergrunb gebrängt.
SMefer geuerhaud) ebelfter ©egeifterung in Serbinbung mit bent
feltenen ©ebanfeitreid)thum unb ber erftauulichen giitle öon
feinfinnigen unb geiftreic^en SBenbungett, bie ihm jeher jeit ju
©ebote ftehen, oerteiht ber Srunofchen Schreibweife, trofc aflen
ihr anhaftenben SNängeln, einen uitoergänglidjen Neij. ©S ift,
wie Riegel treffenb bemerft, etwas ©acdjantifd)eS in biefem
UeberqueHen beS eigenen inneren NeichthumS, in biefem SuS*
ftrömen eines SelbftbewufjtfeinS, baS ben ©eift ftch innewohnen
fühlt unb bie @inl)eit feines SBefenS un& ®Men3 wei§.
2Bir folgen bei ber fieftüre gleichfam willenlos bem braufenben
Strom biefeS übermächtigen, titanifdjen ©mpfittbenS, wir werben
oott ihm ergriffen unb fortgeriffen unb gleich bem ©erfaffer
felbft emporgetragen »on ben ftarfen Schwingen feiner bichterifcf)
geftaltenben ^h^ntafie. 2Bir laufc^en, felbft begeiftert:
Stuf ber ©egeiftrung ©ang, ben eroig neuen,
3Bie btrer Seiner ifjn erflingen lieb,
$ie fid) beö SorbecrS unb bet SDttjrtbc freuen.15
unb unfer .£>erj wirb weit unb groß, wie eS baS feine gewefen,
unb unfer ganzes SBefeit fühlt fich geftärft unb erhoben unb
ooit bem gewaltigen Söogenfchlag erhabenfter ©ebattfen unb
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©mpfinbungen, ber un« au« feinen Sßerfen entgegentönt, in
feinen tiefften liefen ergriffen unb bewegt Unb in biefem
©inbrud werben wir burcf) einen »ergleidjenben SRücfblicf auf
ben SiebenSgaug unb ben Dob ©iorbano ©runo« immer »on
neuem beftärft. Denn, inbem wir ben ©erlauf feiner inneren
©ntwicfelung in ©ebanfen »erfolgen, wirb un« ber entfcßeibenbe
©influß, ben ber unbejwinglic^e SBafjrßeitS* unb ©rfenntniß*
brang feines ©eifteS auf biefe ©ntmidelung auSgeübt f)at, in
augenfäfligfier SSeife Har. 23ir fefjen, wie biefer Drieb fcßon
frütjseitig in bem faum bem Knabenalter entworfenen 3üngling
fjertwrtrat, wie unter feinem ©influß ber Süngling jum Spanne
reifte, wie er in ber ©ruft biefeS 9Jfaune« immer feftere unb
tiefere SBurjeln fctjtug, wie er mit ber ßeit alle übrigen 3n-
tereffen unb ©eftrebungen in feiner Seele in ben .fpintergruub
brängte, ficff aße Kräfte unb gäljigfeiten feine« reidfen ©eifte«
untertßan ju ntadjen wußte unb am Sitbe felbft bie große
bidßerifdje ©egabung, bie bie 9tatur ißm »erliefen, auSfdßießlidj
in feine Dienfte swang. — Unb wie biefe eine große Sieibenfdjaft
feiner Seele »on beftimmenbem ©influß auf ben gefamten ©ang
feiner geiftigen unb gemiitf)lid)en ©ntwicfelung würbe, fo wirfte
fie aucf) »on innen ßerau« geftaltenb auf fein äußeret ©e*
fdficf. Sie riß ißn frübseitig aus ben gewohnten Sieben«*
geleifen, fie nötigte ißn gut Srlucßt au« feinem ©aterlanbe,
fie trieb ißn jaßrsefjntelang rußeloS als ßcimatf)lofen glücßt*
ling burcß bie SBelt. @S mar nur ber naturgemäße SßitSgang
eine« fo beftfiaffenen Siebenmalige« , wenn ber HJtann, ber bie
SBaßrßeit über äße« liebte, ber für fie litt unb um fie rang,
ber fidj lebenslang mit allem, wa« er war unb fein eigen
nannte, in ben Dienft berfelben gefteflt ßatte, am ©nbe aud)
um ber SBaßrbeit mißen, nämlich barum, weil er fie um feinen
©reis »erleugnen woßte, elenb su ©runbe giug. —
Unb fo fönnen wir beim »on ifjm fagen: bie fcßöne ©e*
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geifterung, bic feine ©driften atfjmen, atfjmet aud) feine gan$e
lebenSuoB unb munberbar ergreifenb aus bem ÜRaljmen feiner
$eit unb Umgebung uns entgegenblidenbe ©eftalt. ©ie ift eS,
bie aud) feine 2eibenfd)aftlid)feit unb feine fRuIfelofigfeit abelt,
bie tuie ein leudjtenber SJiittelpunft all feines 35enfenS unb
©mpfinbenS fein ganjeS SBefen oon innen IjerauS burc^geiftigt
unb oerflärt. ©ie mar eS, bie ben grofjen Denfer in ihm jum
unerfd)rodenen SBat)rf»eit§* unb greiheitSfämpfer machte, fie war
eS, bie ihn inmitten aller Ouaten entfe^Iic^ langer Seibene*
unb ßerferjaljre aufrecht erhielt, fie war e§, bie iljn ftcrbenb
nod) mit bem ©ewufjtfein, eine große ÜDJiffioit ju erfüllen unb
für ein Unvergängliches in ben $ob ju gefeit, befreienb unb
erfjebenb burd)brang.
Unb fo weifen bentt alle 2ebeitS> unb SBefenSäu§erungen
biefeS feltenen ©eifteä auf biefen warmen ©pringquell ebelfter
©egeifterung, ber in feinem Sintern fprubelte, als auf ihren
lebten, gemeittfamen Urquell l)in. ©iorbano ©runo war nidjt
bloß ein unerfeffrodener ©orfämpfer ber ©eifteSfreifjeit, nidjt
bloß iljr Slpoftel unb üftärttjrer unb fie twrafjneub im ©eifte
erfd)auenber ©rophet: er war gleidjfam bie nerförperte SBahr*
IjeitS» unb greiheitSbcgeifterung felbft. ©o uiel glü^eitbe
SBaljrheitSliebe, fo Diel leibenfdjaftlidje Smiigfeit beS ©mpfinbens
aber oerbanb fidj bei ihm in ber glüdlidjften Söeife mit ber
ungemöf)nlid)ften Äraft beS ÜDenfenS, mit feltener ftlnrf)eit beS
UrtljeilS unb mit einem uttbefted)lid)en, burdjbringenb fc^arfeit
©erftanb. ©ben biefe STßatfacßc aber, eben biefe wunberbare
©ereinigung feßeinbar unoereinbarer ©egenfäfce macht bie ©er=
fönlidjfeit ©iorbano ©rutioS fo eigenartig bebcutenb, madjt
feine gefd)id)tlicf)e @rfd)einung oor allem anbern groß, ©ie
ift es and), bie feinem Seiben eine wahrhaft einzige ©ebeutung
verleiht, bie feinen 9?ameit gleidjfam für alle feiten ,$um
^eiligen ©tjmbol ber ©ewiffeugfreißeit gemadjt ßat, bie ifjn jum
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begeifternben SBortfüßrer aller Serer, bie gleich ißm fefbft bem
@eift ber Unbulbfamfeit unb beä fircßlicßen ganatiämuä flum
Opfer gefallen finb, ergebt. —
97aße$u breißunbert gaßre finb feit jenem benfroürbigen
17. gebruar, ber ©iorbano ©nmo ben geuertob erleiben faß,
baßingegangen, unb bie äfeße beä großen ©färtßrerä ift längft
in alle SBinbe oerweßt; aber unoergeßließ lebt fein 9fame in
ber Sefeßicßte unb in ber banfbaren Srinnerung aller Serer,
bie fuß bureß fein ©eifpiel in ber Breite gegen bie ßöcßften unb
ßeiligften gbeale ber ©fenfcßßeit geftärft unb biircß bie fitllicße
Äraft unb bie geiftige |>oßeit feiner Srfcßeinung tief innerlicß
erhoben füßlen, fort. — Sä ßat gewiß nur SBenige gegeben,
bie ber ewigen Sßaßrßeit fo tief unb ooll in« Sluge gefeßen,
wie er, unb oicüeicßt !aum einen Sinnigen unter biefen SBemgen,
ber fie fo ßeiß geliebt ßat unb ber fo ©eßwereä unb ©eßmerjenä*
Doücä um ißretwißen erlitt . . . Sben beäßalb aber ßat fein
Sliame aueß einen fo eignen, ßerjbemegenben unb ßer^cr«
ßebenben iHang. Sben beäßalb ift er aueß in uttferen Sagen
Bieber jum Sofungäwort für bie ©aeße ber greißeit geworben
— eben beäßalb erfeßeint er alä ein ßeifigeä ©ßmbolum unb
Birft wie ein ‘illlen ooit felbft oerftänblicßeä, feiner Srflärung
bebürftigeä ©tßiboletß. —
„©iorbano ©ruito unb greißeit!" unter biefem ©eßlaeßtruf
finb im ooroergaugeneu ©ontmer Saufenbe unb Slbertanfenbe oon
frei gefinnteu ©ürgerti ber ewigen ©tabt begeiftert ju beit
gaßnen geeilt, unter biefem ©eßlaeßtruf finb fie in gefcßloffeiter
fJßalanj: in ben SBaßlfampf gezogen, unter biefem ©eßlaeßtruf
errangen fie ben glorrcießften ©ieg. . . SSaä alle ©emüßungen
begeifterter Patrioten biä baßin nießt ju ftatibe ju bringen
»ermoeßten — ber Üiame ÖJiorbano ©runoä ßat eä wie im
jjmnbumbreßen oollbraeßt. — SBeil bie biä baßin oorßanbene
fierilal gefinnte ÜWeßrßeit beä römifeßen ©emeinberatßeä bem
Sammlung. H. g. V. 10 3 (203)
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denfmal heg großen SWamteg bie (Stätte, bie man jur
ricßtung begfelben in Slugficßt genommen, oenueigerte, barum
ßat fie bem begeifterten $lttfturtn beg mobernen, freifinnigen
©eifteg meieren miiffen, ber bei biefer ©elegenßeit cttblid) bie
erfte Stelle in ber Äommunaloertretung ber §aupt» unb Stefibenz*
ftabt beg jungen italicnifcßen Sönigreicßg errang. — 5Dic
neue liberal gefinnte SDießrßeit aber mußte, mag fie demjenigen
fcßulbete, bem fie in erfter 9ieiße ben Sieg über bie flerifalen
unb antinationalen Slemente ber römifcßen ©eoölfermtg »er*
baufte. Sie ßat ißr ©otum zu gunften ©iorbatto ©runog un«
oerzüglicß abgegeben unb bat Sorge bafür getragen, baß ficß
bag Staubbilb beg großen äßaßrßeitg* unb 5reißeitgfreunbeg fieg*
reicß unb triumpßirenb auf bem Gampo bei giori erbebt. —
@g giebt Slnläffe, Greigniffe, öegebenßeitett, bie eg Sebent,
ber bie 3eidjett &er 3eit zu beuten oerfteßt, junt Semußtiein
bringen miiffen, baß ber ©unb ber Witter oont ©eiftc, oon bem
Äarl ©ttßforo träumte, in einem gemiffen Sinne längft zur
SBirflicßfeit gemorbett ift, unb baß ein jmar unfic^tbared unb
rein ibealeg, aber bod) unzmeifelßaft oorßanbeneg ©anb alle
diejenigen, bie bem ©eift ber ffrreißeit unb beg fJortfcEjrittS
ßulbigen, alle diejenigen, bie ein ßoßeg leucßtenbeg Sbeal t>ott
juÜinftiger SKenfcßenmürbe unb ©tenfcßengröße im begeifterten
|>erzen tragen, feft unb unzerreißbar untfcßlingt. 3m gemößm
ließen Sebett fittb alle bie daufenbe, bie biefem ©imbe
angeßören, ficß biefer dßatfacße faum jemals bemußt; aber
eg giebt dage, Stunben, oielleicßt nur Slugenblicfe, itt betten
biefeg ©eroußtfein in ißnen lebenbig mirb, unb fie mit
einem ©efüßl oon ftoljer greube, oott begliidenber Ülßnung
unb Hoffnung, oon begeiftertcr Siegeggemißßeit bureßbringt . . .
@3 giebt Momente, in betten ein ©ebattfe bie Seelen aller
biefer daufenbe bureßzutft unb ber ©ulgfcßlag eineg großen,
ftarfen begeifterten Gmpfittbeng ißrer aller Terzett bureßzittert
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unb bewegt. (So(rf) ein ÜJioment ift aucf) berjenige getuefen,
in rcetdjem bie Quitte t>on bem Stonbbilb bei? großen 9J2är*
ttjrerS ber ©eifte£freit)eit, bie £wüe oon bem ©tanbbilb ©ior»
bano 33ruuo$ fanf. — SBergeffeit ift in biefem Slugenblicf alle«
geioefen, roa$ bie ©eifter unb |>er$eit im einzelnen etwa
jdjeibet, oergeffcit jebe ©djranfe, tueldje bie SBölfer unb 3n»
bioibuen trennt. Stufblidenb ju ber madjtoollen ©eftatt bes
großen äBafjrßeitSfreunbeä ßaben alle diejenigen, bie ber er»
fjebenben geier im ©eifte beirooßnten , fitf) in ©ebanfen
fe^roeigenb bie fiänbe gereicht, unb wie im SCngefic^te beS (Stoigeu
haben fic fid) oeretjrenb geneigt oor ber weltbcitoingenben
unb metterlöfenben 2Kacf)t ber emigen in ©iorbano ®runo
oerförpert getoefenen 3bee.
3* (205)
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Stitmerfuitflcn.
1 Sie ©efdjidjte biefe« Senfmal« ift nterfroürbtg unb in mcßr al« einer
©egteljung interefiant. Senn fie bat ba« 9lnbenfen be« großen ®ianne«
and) in Streifen populär gemacht, bie Di« baßin poh feiner roiffenfdjaft-
ließen unb allgemeinen fultureüen ©ebeutung faum eine butiKe 9Ujnung
belaßen, fie ßat bie ©liefe gang Guropa« auf Denjenigen, beffen 9famen
au« biefeni Äitlaß gu roieberbolttn ©ialeti burcfj alle ßeüungen ging, gelenft.
Ser römifcße ©emeinberatß roeigerte firf) (mie tjier für* refapitulirt roerben
mag) feiner $cit, feine Giuloilligung gur Grricßtung be« Seufmal« gu er-
tßeilen — er leimte ba« ©efucß bco Senfn’.alfomitee«, bem ©pilofopben.
©djriftfteHer unb anbere namhafte ©erjötHichfciten au« allen cipilifirtcn
Slationen als ©fiigliebcr augcßorten, runbroeg ab. Siefe Sßatfacße fonntc
an unb für fid) nicht munbcr nehmen, itocf) befrembcu. Senn bie flerifale
©efinnung ber überroiegeitben ©iajorität be« römifeßen ©eineinbcrath« mar
allgemein befannt. Sie flerifale ©artet aber batte naturgemäß ba« ftärffte
3ntereffe baran, bie Slufftellung gerabc biefe« Staubbilbe«, ba« ficß al«
ein oerförperter ©roteft gegen römifd)e Unbulbfamfeit barftellte, mit allen
ißr gu ©ebote fteljenbcn ©iittcln gu oerbinbern. ©leießmobl war bie Gnt-
rüflung über ba« Sorgeßen be« ©emeinberatß« in allen antiflerifal unb
national gefilmten Greifen ber italieuifcßen ©coölferung allgemein. 3n
3iom felbft unb in oerfeßicbencn Unioerfitäteftäbten be« SHeicße« fam c«
gu ftürmifcßen Semonftrationen; bie gange ftubirenbe 3ugcub gerietß in
unruhige ©cwegung, bie öffentliche ©ieinung ergriff in Icibenfcßaftlichcr
SBeife (unb groar in ißrer überroiegenben ©tcßrßeit gu gunften be« großen
Senfer«, beffen ©tanbbilb errichtet roerben foHte) ©artei: Unb unter bem
Srucfe biefer immer mächtiger werbenbcn ©trömung mürbe bei ben im
•Verbft be« 3aßre« 1888 oodgogenen ©euroaßlen gum römifeßen ©emetnbe-
ratß bie bi« baßin porßanbeue flerifal germnte ©teßrßeit beSfelben burcß
eine antiflerifale, Don ber man mußte, baß fie ben früheren ©efcßluß in
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ber Jenfmalgangelegenbeit rüdgängig machen mürbe, erlebt. Segtereg ift
benn audt) ju Beginn bes borigen ^atjreö gefdjeben, bic Ginroifligung *ur
©rridjtung beg 3)enfmalg warb erteilt unb bic Gntbüllung begfelben fanb
am 9. 3uni 1889 ftatt.
* 58 fü^rt ben 3iitel: II candelajo ($ct Siicfjter.^icljer) unb fom 1581
ober 82 in 'ßarig ^eraug.
s $»einrid) III. mar e8 auch. ber Bruno in ber märmftcn SEBcife an
irinen ©efanbten, ben #erm bon Gaftelnau, in Sonbon empfahl. Bruno
batte bem tönige übrigeng fein erfteg bcbeutenbercg pbilofopbifcbeg SBerf:
„Bon ben Schatten ber 3b«tt" (De umbris ideamm) gemibmet, unb aufter*
bieiem. bag 1582 erfdjien, gab er roäfjrenb jeneg erften Bariier Äufenb
balteg (1580—83) audj nod) fein fd)on erroäbnteg Suftipiel: „II candelajo“,
ben lateinifdj gefdjriebenen „Cantus Circaeus“ unb bag Büchlein De com-
pendiosa architectura et complemento artis Lullii“ Ijeraug.
4 „De la Causa, Principio ed Uno“, „Lo Spaccio de la Bestia trion-
fante“, „Degli eroici furori“. Buffer biefen brei unterblieben Biologen aber
cricbienen in Sonbon noch bic ebeitfo geiftboD gefdjricbenen : „La Cena delle
ceneri“ ($ag Bfd)ermittmocbggaftmabl) „De Tlnfluito, Universo e Mondi“
(Born Unenbliebcn, bem BU unb ben SSelten) unb bic „Cabala del Cavallo
Pegaseo“ (3>ie 0et)cimlef)re oom pegafeifcben Bierbc) — , enblid) bic „Gr-
flarung ber 30 (Siegel" — ein lateinifcheg ©d)riftd)cn über bie luHifebc Sluuft.
6 3" feiner feierlichen Bbfd)icbgrebe an bie SBittcnbergcr llnioerfitiit
1588. 3n SBittenbcrg gab Bruno, roabrfebeinlid) afg grucbt feiner Sehr-
tbätigfeit, ocrfcbiebenc Heinere lateinifdjc ©cfjriftcn Ijeraug, fo: De pro-
gressu et lampade venatoria logicorum (1587) unb Jordani Bruni No'ani
Camocracensis Acrotismus (1588).
“ 3« 'Brag roibmete er Saifcr SRubolf II. feine : £>unbertunbfeebjiig
Brtifel roiber bie SWatbematifer unb B^Iofopben biefer 3cit.
7 Gg finb bieg: De triplici Mininio et Mensurn (Bom breifad]
Älcinften unb bem sDia6), De Monade, Numero et Figura (Bon ber Ginbeit,
Der 3abl unb J^igur). „De lnnnmerabilibus, Immenso et Infigurabili, seu
del.’niverso et Mundis“ (Bom 3“bHofcu, Unermeßlichen unb Unoorftell-
baren ober oom Bll unb ben Selten) unb enblid): „De Imaginum,
Siguoruin et Ideamm Compositione“ (Bon ber ftompofition ber Bilber,
3ei<ben uttb Borftellungen), eine Sicberbolnng beg ©runbgebanfeng pon
„De Umbris Ideamm“.
* 3br Grfinber mar ber 1234 ju Balnta auf ber 3»icl ffltallorca
geborene ©panier SRaimunbug Sullue. ©ie galt für eine Brt @el)eintlebre
unb bat alö foldjc unter ben Barnen ber „©roßen ftunft" bie für bag
SKtiftijcbe unb feßeinbar Ueberuatürlicbe fo fiberaug cmpfänglitbe Bb<*»tafie
ber mittelalterlichen 2Wenfd)beit jahrhunbcrtelang aufg lebljaftefte be-
( -07)
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fädftigt. ©runo benufcte (ie al« bequeme« ©tittel, fid) an ben Derfdjie-
benften Orten cinjufübren unb fidj mit ifjrer tpütfe bie @unft unb Unter-
ftußinig ber ©roßen ju genrinnen.
9 lf« fiitb bie« bie Elften au« bem Slrdjio be« 3nquifition«gerid)t0
AM ©enebig, bie ber frühere italienifd)e 'älderbauminiftcr ©erti in feiner
Vita di Giordano Bruno Beröffentlidjt t)at. Sic bilben bie ©runblagc
aller neueren SJarftellungen uon ©runo« Sebcn.
19 ©crgl. ben ©rief Scioppiu« an 9iittcr«f)aufen bei ©erti: „Vita di
G. Bruno“ pag. 401.
11 „Maiori forsan cum tirnore sententiam in me fertis, quam ego
accipiam“. Scioppiu« an SRitter«l>üu{cn bet ©erti: „Vita di Giordano
Bruno“ pag. 401.
“ „Degli eroici furori“. ßrfter 35ialog, erfte« Sonett.
,208)
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«in Sdjmanenlitö öer grnnantih. flfg. gfbunbfn mit &o!bf<bnttt J 2 Io
Stationen meiner lebewpilgerftbflfL iz
genns im «ril - l2$
jie Pnlöfanflerin. :
inic! btt ®trlagianftalt unb Drucfttti (eormaH 3. 3. Siebter) in Hamburg.
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Abel mib HUtterfdjaft
int t>exitfd)cn Mittelalter.
'-Bon
Dr. gßr. pnjer,
ftgt. ttn&inat I. fil. in iBrtUan.
Hamburg.
SScrlag«anfta!t uttb SDrucferei (normal 3. g. Sftidjter).
1890.
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SRerfit ber Ueberfcfcung in fretnbe ©braten wirb tjorbefjaften.
trnef brr SSfrlagJaiiftolt unb Inufcrri actim ®e(rtl>'rt>oft
(normo» 3. J. Strfitrr) in Homburg.
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23o, in ber dfteften germanifchen ^eit, bie greiheit
bie flcfeüfc^aftlic^c ©runblage beS 2lbetS bilbet, ba mufj biefer
untergeben, fobalb erftere als ftänbebilbenber gaftor »erfcf)roinbet.
Ter älteftc beutfcfje ülbel, aitfS engfte mit ber alten SDemofratie
rerbunben, ftanb unb fiel mit biejer. 3n bem monardjifchen
ätaatsroefen, mie eS ficf) feit bem SluSgang beS fünften 2Eaf|r-
IpmbertS »on bem fränfifc^en ©aßieit aus als allein gültige
Staatsform über alle ßanbe ber Sljnftenljeit oerbreitete, mar
lein iptafc für 2lnfprücf)e, bie ihre Duelle mo anberS als in bem
alles beftimmeitben 23 i Heit beS |)errfd)erS fugten. $aljer bie
auffaüenbe St^atfac^e, bafj in ben älteften Duellen ber fränfifefjen
$eriobe feine 8pur eines SlbelSelementS im alten (Sinn fief)
corfinbet. SPaS fränfifcf) * falifc^e SRechtSbud) meijj nichts »on
einem ©eburtSabel, noch überhaupt »on perfönlicben unb recht-
lieben ©orjügen, bie in einem ftänbifchett ©lement begrünbet
liegen fönnten. 2llS perfönlicher ©orjug, ber burch bie |>öhe
bes SSergelbeS beftimmt roirb, tritt ftatt beS SlbelS bie 3lts
gehörigfeit jur ©efolgfdjaft beS ßönigS ober ber Tiienft im
$eere ein. ©on einem Slbel, menn mir unter einem folgen
eine ©efeltfchaftSflaffe mit anerfanntem ©orrang »or ben übrigen
Staffen beS ©olfeS »erftehen, fann babei noch feine 9iebe fein.
$ber bie fruchtbaren $eime jur ©ilbung eines neuen ?lbelS-
Sammlung. 91. 5. IV. 103 1* (211)
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ftanbeS mären gegeben. 23efannt ift bie ßoße Sebeutung beS
©efotgfcßaftSroefenS für beit Gßarafter beS cifteften beutfcßcn
AbetS; baS Snftitut beS $rinjipatS rußt fogar mit feinen
SBurjeln ooUftänbig auf ber im Stiege, inmitten einer ©d)ar
treuergebener Sßaffengcfäßrten geroonnenen auSge^eidjiieten ©tet«
lung. ®S leuchtet baßer oßne weiteres ein, baß in einer ißeriobe,
in weteßer ber Stieg mit allen feinen Abenteuern faft ben aus*
ßßließtidjen Snßalt ber SöoIfSgefdjicßte auSinacßte — uitb baS
mar gerabe in ben festen 3aßrßunberren ber antifen Söelt, im
erften Saßrßunbert ber ftänfifdjen 3eit &tr — gerabe
jenes altgermanifcße ©efotgfdßaftSwefen eine weitere ^-ortbitbuncj
ermatten mußte. Sn erfter Sieiße äußerte biefe erßößte SSebeu«
tung beS friegerifeßen SomitatS ißren ©influß auf bie SBitbung
einer größeren Anjaßt mäeßtiger gürfteugefdjledjter. 3>er ger-
manifeße SßrincepS war, troß ber AuSjeicßmutg , bie ißm unb
feinen Abfömmtingen in ber 58oIfSgemeinbe juftanb, boeß immer
nur ein Crgan berfetben gewefen, baS mit aßen feinen ©efug*
niffen Icbiglicß auf ber ©ewatt beS SBoIfSwittenS bafirt war;
ber ©efolgSßerr ber fpäteren ßeit löfte fieß, eben weil bie
©runbtage beS ganjen SMfSfebenS eine üößig anbere geworben
war, meßr unb meßr öon jener Unterlage ber SßolfSßerrfcßaft
ab, um feine ©ewatt auf baS Stecßt feiner eigenen Sßerfönlidjfeit
jit fteflen. .fjatte er urfprüngtieß ein friegerifcßeS ©cfotge bloß
ju oorübergcßenbeit ©elegenßeiten um fieß oerfammelt, unb war
baSfelbe naeß bem AuSgang beS SriegS> ober SJaubjugS meift
wieber auSeinanber gegangen, fo fdjtoß baS jeßt jur Sieget, jutn
auSfcßließenbeit SebenSiitßalt geworbene friegerifeße ^»anöroerf
giißrer unb ©efotge ju einem bauernben Sßerbanbe jufammen.
Sonnte es nadj attgermanifeßer Auffaffung noeß zweifelhaft fein,
ob nicht bie ftrenge Abßängigfeit im Dienft eines ©efotgSßerrn
bie ©tanbcSeßre fdjmätere, fo galt jeßt foteßer Sieuft atS eine
AuSjeicßmutg unter fonft gteicßfteßenben ©enoffen. ©erabe ber
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Umftanb, bafj ber ©ermane, bem im übrigen jeber SDienft —
unb beftänbc berfetbe auch nur in einem non ifjm innegehabten,
einem Oberen eigentümlich gehörigen ©runbftücf — »nie eine
mit bem ißrinjipe ber gemeinen greifjeit unoereiubare Reffet
erfchien, ben friegerifcfieit $ienft im ©efotge eine« SHächtigen
für nicht freibeitfchmäternb anfatj — nec rubor inter comites
adspici, fogt lacitu« — giebt ben fchlagenbften Vewei« non bem
hohen Änfehen, in welchem ba« Snftüut ber ©efotgfchaft fdjon
bei ben älteften 2>eutfd)en geftanben ^at r wenngleich biefe«
SCnfehen oorerft noch nicht fo h^t geftiegen mar, bafs ber
©efolgebienft fyöfym Stanbe«el)ve oerliehen hätte. S5ies festere
würbe erft möglich, al« ba« alte bemofratifchc ©emeinbeprinjip
auf gehört hatte, bie aüe« beftimmenbe ©ruitblage be« 93oI!«*
(eben« auSjumachen. ©in förmlicher Äobey gefofgt^aftäre^tticher
Veftimmungen bilbet fidj nunmehr au«. Strenger ©elforfam
auf ber einen, ©etoährung oou S<hu| unb Slntheil an ben
©rrungenfcf>aften be« Stiege« auf ber anberen Seite bitbeten bie
©ruitbbebingungen be« Verhältniffe«. 3n ber Verherrlichung
be« güfjrer« erbrieften feine ©etreuen ben ©egenftaitb ihrer
heiligfien Verpflichtung; fie wetteiferten unter fid) in Xhaten
ber Sapferfeit, beren Voßbringung jeboch nicht ihnen fetbft,
fonbent ihrem gührer jum Stulpe gereichte. SSenn er im
Stampfe fiel, war e« entehrenb für ba« ganje Seben, ben gürften
übertebenb au« ber Schlacht gewichen ju fein. ®ie ^Begleiter
ftritten nur für ben gürften, ber gürft für ben Sieg. 2)ie
©efotg«herren bagegen, beren Slnfehen nächft ihrer eigenen
£üd)tigfeit auf bem ©tanj ihre« ©efotge« beruhte, ftrebten burch
ba« jahlreichfte unb tapferfte Äomitat fich eine überwiegenbe
potitifche Vebeutung ju fichern. SDaher bie reichen $uwenbungen
an SBaffen unb Stoffen, an Strieg«beute unb fonftigen äuferen
Sorttjeilen. 3m übrigen beftanb bie ©efotgfchaft feine«weg«
btofe at« eine ©eteitfehaft im Kriege, fonbern bitbete ebenfo im
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grieben, wenn auch in verringerter ®tagal)t, baS ©hrengefolge
beS giihrerö. ®a niit^in alle ©eftrebungen ber ©efofgfcfjaft
auf einen SDiittelpunft, auf ihren gührer gufammentrafen, unb
biefer bie ihm gu ©ebot ftefyenben Kräfte nicht fowohl für ein
©tanbeSintereffe gegen bie freien, als vielmehr für bie ©rweite«
rung feines eigenen politiftfjen ©influffeS gegenüber anberen
ißringipcS emfefcte, fo ift eS auch erflärlid), wie fid) vorerft baS
monarchifche ©ringip fräftiger als baS ariftofratifdje entwicfelte,
unb wie gegen baS ©nbe biefer ©eriobe nid)t etwa ein fdjarf
ausgeprägter ?lbelftanb, foitbem eine größere Jlngahl non gürften-
gerechtem fjernortrat. ©erabe nun aber in ben Sföitgliebern
einzelner fürftlicfjen gamilien, welche vermöge ©eburtSrechtS
fuccebirten, farn gucrft ein eigentlicher ©eburtSabel gur ©rfdjeinung.
3Me Aufgabe, alle biefe gasreichen größeren unb Heineren
©tammeSfiirften unter einer einigen Ijerrfdjaft gu vereinigen,
war einem genialen Häuptling ber falifdjen granfen Vorbehalten.
Die ©rünbung beS großen granfenreicheS bur<h ©hiobwig ift
auch für bie ©ntwicfelung beS beutfchen SlbelS oon einfchnei*
benbfter ©ebeutung geworben. SGßaS wir aber über bie ?tuS>
bilbung beS ©efolgfchaftStvefenS bemerft haben, gilt in gefteigertcm
Sftafje auch für bie erfte $eit beS frättfifchen 9ieid)cS. DaS
Dienftgefolge beS fränfifdjen Königs bilbct einerfeitS gleichfam baS
SRufterbilb, bie höc^fte ©liithe ber ©ntwicfelung, wie cS anberer-
feits wieber ber SuSgangSpunft für eine völlig neue Schöpfung,
wie fie uns fertig in bem geubalabel beS ÜJlittelalterS vorliegt,
geworben ift. ©erfuchen wir cS, in furgen 3ügen baS SBefen
beS föniglidjen DienftgefolgeS gu fchilbern!
©ine ©ejeichnung beSfelben ift eS oorerft, bie unS einen
tiefen ©lief in ben ©hara^er beS ©erhältniffes tlfun läjjt: bie
©egeichnung beS ©efolgeS mit convivae regis. @S brüeft biefe
baS enge ©anb aus, in bem König unb ©efolge nicht nur im
Kriege, fonbern auch wäljrenb ber gangen übrigen ßeit ihres
UW)
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fieben« ju einanber fielen. SRamenttidj ber eigentliche .^ofbienft,
ber oorjug«weife in jene ^Bezeichnung mit eingefchloffen ift, ift
für bie fpätere ©eftaltung be« Ibel« bebeutfam unb oorbilblicf)
geworben. Im §ofe mar jebent ©efolg«mann fein eigene«
©efdjäft angeroiefen, unb hierauf entroicfelte fieff, jum $he«l >m
Infdjluß an btjjantinifcfie (Einrichtungen , eine SReilje non Jpof*
ämtern, beren jebe« ursprünglich nur für bie ißrioatbebürfniffe
be« Sönig« $u forgen hatte, bie aber Später gerabeju in wahre
Staat«ämter übergingen. 3Der Äönig mar burchau« an feine
23ebingungen Ijinftchtlich ®erer gebunben, welche er in fein
2)ienftgefolge unb in bie Umgebung feiner ißerfon aufnehmen
wollte. ®iefer monarchifche SMenftabel mürbe im ©egenfafc ju
bem alten bemofratifchen SRationalabel au« aßen (Jlementen ber
©efeUfcljaft jufammeitgefchöpft; e« fam babei junächft fo wenig
auf ba« «lut in ben Ibern biefe« neuen Ibel« an, baß felbft
greigelaffene bie Seiter be« Äönigsbienfte« bi« ju ben haften
Stufen emporflimmen fonnten. $iefe ®efolg«leute nun gebraucht
ber Äönig naturgemäß al« feine nächften 9tatf)geber. SBefonbere
SSertrautljeit mit ihm einerfeit« unb große« Infeljen beim 93olfe
wegen ihrer friegerifcheit fiebenämeife anbererfeit« befähigten fie
baju Dorjug«roeife. lu« ihnen nimmt er bie Anführer $u
Ärieg«iügen, Statthalter über unterjochte Sänber, ja fogar Könige
für unterworfene Sölfer, SSormünber für minber jährige Äönige.
Seinen ®efolg«leuten überträgt ber Slönig roohl auch am üebften
bie ftänbigen lerntet eine« Jperjog«, ©rafen, llbermanne«,
Schultheißen unb bergleicheit, fobalb er über biefe ju oerfügen
bie SKacht hatte.
$ie !u«jei<hnungen für biefe Äönig«bienftleute beginnen
mit ber .fjochfteUung ihre« SSergelbe«. $er Sönig ließ fich
für bie Xöbtung ober 93erlejjung eine« ihm 2>ienftbaren neben
bem oolf«rechtlich bem iüerlefcten gebührenbeit betrage oom SSer*
gelb ober Süße noch eine weitere Summe für bie Sßerleßung
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feines Sd)ußrecf)tS bejafjlen; fpäter würbe tiefe oon if)m, wie
eS fcfjeint, bem SSeleibigteit felbft überlaff eit, fo baß nunmehr
beffen SSergelb unb Süße erhöbt erfdjeint. gür beit Slntruftio
beträgt baSfelbe gerabe breimal fo oiel als für beit freigeborenen
granfeit, wäßrenb bet •römifcfjgeborette 3)ienftgefolgSmann, ber
oorjugSweife als Sifdjgenoffe beS Königs bejeicßnet wirb, in
biefer Slbftufung nur ßalb fo oiet gilt als ber fränfifd) geborene
Slntruftio. $)a ber Slntruftio junädjft als ein unter bem be *
fottberen ÄönigSf<f)uß fteßenber greier betrachtet wirb, fo fteßt
baburcf) feine Sdfäßung ju einem breifachen SSergelb an ihrer
richtigen Stelle ; beim eS erfdjeint als eitt allgemeines ißrinjh>
in bett SBolfSgefeßeit , baß bie jtttn föniglidjen ®ienftgefo(ge
©efjörigen nad) einem um baS dreifache erhöhten ÜJfaßftab
gefchä^t werben, liefet ÜJlaßftab ber SBerbreifadjung beS SBertßeS
fehrt bann aud) im gelbe wieber, wo bie Setzung beS SIntruftio
fich auf 1800 Solibi fteigert, aber aud) nur wieber in reget*
mäßiger Einhaltung ber Sfala, inbem bann aud) ber ©emein*
freie, ber fonft 200 gilt, auf 600 erhöh* tt»irb. 3)ie übrigen
SSorjüge, beren ber SIntruftio genoß, erfd)einen beSljalb weniger
formulirt, weil fie gan$ ber inbioibueUen ©ntwidelung angelförten,
bie fein perfönlicßeS 93erl)ältniß jum f)erm naljm. Seine Stellung
oor ©ericht fdjeint aber nicht tninber eine beoorjugte gewefen
ju fein.
35ocl) ift baS ©efolge niefjt ber einjige Seftanbtöeil ber
neu fich bilbenben Slriftofratie: als ein jweiter fommett noch
ßittju bie Staatsbeamten. Ü>iefe waren waßrfcßeinlid) fchon
jur bemofratifd)ett 3eit burd) ßö^ere Süße unb f)öl)ereS 2Ber>
gelb geehrt. SllS bie ÜJfacf)t ber ©olfSgemeinbe in bie |>anb
beS Königs übergegangen war, würben bie Beamten oon biefent
ernannt; in ihrer äußeren Stellung änberte fich ober baburd)
weiter nichts, als baß fie bie Xreue, bie fie bisher ber ©emeinbe
gefdiulbet Ratten, nunmehr auf ben fiönig übertrügen. S)amit
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traten fie aber fofort in ein ©ertjältnig, weId}eS bem ber ©efolgS«
leute fe^r äfptlid) war, obwohl matt fie mit biefen teineSmegS
jufammenwerfen barf; wie bie ©efolgSleute finb aut fie nun»
me^r bem König ju befonberer Ireuc »erbunben unb genießen
baffer beffeu Stu§, wäfjrettb fie anbererfeits iffren alten (Sinflug
ficf> größtenteils erhalten fjaben. IhtS beiben Elementen, ber
©efolgftaft unb bett Staatsbeamten , emwicfelt fit nunmehr
eine Äriftofratie beS $5icnfteS, welche, erft ftwantenb unb nichts
weniger als felbftänbig, allmäf)lidj fit befeftigt unb julefjt ju
einem wahren Slbel Ijeranwätft.
SSaS bem neuen Siettftabel in beit erftett 3af)rf)unberten
feiner ©titmicfelung not fehlte, um für einen in fit abgeftloffenen
Äbelftanb gelten ju tonnen, mar namentlit baS ißrinjip ber
©rblitfeit. ®iefes lag burtauS nitt in ber SRatur beS neuen
©erfjältniffeS, baS aus inbioibueflen ©eweggrünben eingegangen
itnb aus benfelben wafjrfteinlit aut wieber gelöft werben
tonnte. ®ot beginnen berartige Stellungen ober menigftenS
ipre ©orjüge f)ier unb ba bereits auf bie Söffne fit ju über-
tragen. (5S würbe baS in gleit« Söeife burt bie 3ntereffen
ber Kronbienftleutc wie beS Königs geboten. ®en erfteren
gewährte ber KönigSbienft jit bebeutenbe ©ortpeile, als bag fie
bemfelben bie Unabpängigfeit beS einfaten freien ©runbf)errn
»orgejogett Ratten ; ber König hingegen mugte bei ben jaf|l»
reiten inneren Streitigfeiten ftets bafür Sorge tragen, biefe
einflugreiten Familien immer oott neuem an fit ju feffeln.
2;ieS festere fteint aber f)auptfätl»t burt bie Knüpfung ber
Slriftofratie an ben ©ruttbbefifj »ermittelt worben ju fein, wie
folte in bem ©enefijialwefen fit auSfpritt; bot ift nit* Su
»erfennen, bog aut abgefef)en ^ieroott ber burt baS ganje
beutfte 9iettSleben fit f)injiel)enbe Jrieb nat ©rblitfeit öfter
ju ®rfteinungett geführt fjat, auS weiten ein folter Äbcl
ertoatfen tonnte.
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Slber auch fonft muffte Die oofle ©ntfaltung bieier neuen
Slriftofratie bur<h einige anbere Umftänbe oorerft nod) gurücf«
gehalten werben. (Sinmal genoß , troß bei? Uebergaitgeä bes
|>errfchaft$pringip3 oon ber ©olfägemeinbe auf ben Äönig, bie
gemeine greifjeit immer noch eine fo hohe ©ebeutung, baff fogar
9lbel unb greilfeit gerabegu für ibentifdje ©egriffe galten, unb
felbft ber ©intritt in ba$ föniglid)e SDienftgefoIge oon a)?anchem
als eine befcfjimpfeube Grniebriguitg ber angeftammten greitjeit
betrachtet würbe. ®leid)toohl geftalteten fid) fdjon in ber
gegenwärtigen ©eriobe — abgefelfen oon bent Sluffommen bes
Stönig^bienfteÄ — manche ©erfjältniffe, welche beit SBertl) ber
gemeinen Freiheit herabgubrücfen brohten. äBegen ntangelnbett
©runbbefißeS waren Diele greie genötigt, fidf auf ben ©ütern
wo^I^abenber ©runbherreit niebergulaffen unb fiel) benfelben,
gleich ben Unfreien, entweber als ©auern gu Vtbgaben ober al$
©afaflen gu gefolgfchaftlidjen Obliegenheiten gu oerpflichten.
£>ierburch würbe gwar im allgemeinen ihre politifdje Stellung
noch nicht oerrüeft: fie hulbigten bem Könige, fie bienten im
Heerbanne unb erfreuen auf bem ©rafenbinge wie bie freien
TOobialbefißer. Söttrbe alfo auch burd) folch« Äbhängigfeitö*
oerhältniffe bie perjönliche Freiheit nicht aufgehoben, fo blieb
hoch eine Schmälerung berfelbeit gurücf, welche wieberum auf
bie Sdjäfcung ber oon ihr ©etroffenett nngiinftig eiuwirfen
mußte. 3n bem ©taffe aber, in welchem ein Sh«* ber ge*
meinen greien unter ba$ 9?ioeau ber greifjeit herabfanf, ftieg
ein anberer — eben bie reichen nnb angefehenen ©runbherren —
über baäjelbe hinauf. Siefe fielen aber oorerft feineSwegS mit
ben föniglichett ©efoIgSleuten gufammen; e£ foimte oielmehr
neben benfelben noch eine Sngaljl oott jebem Siettftoerbanbe
unabhängiger oornehmer greien ejiftiren, bie au äußerer gefetl*
fdfaftlidjer Schälung bie erftgenannteii aufwogen, oielleicht fogar
überboten, ^ebenfalls finb wir nicht befugt, biefe unabhängigen
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Dornefjmen freien in einer 3eit, in welcher ber neue 2tbel«*
begriff ficb noch wenig fijirt batte, oon biefem au«zufd)lief3en :
bie 2f)eilnaf)me am ©efolge be« ßönig« war bislang wohl ber
roicfjHgfte, nicht aber ber einige gaftor iit biefem SBerbeprojeffe.
da« SBort Stbel finbei bentgemäß oorerft and) noch Änroenbung
auf bie oerfdjiebenartigfteit Serbältniffe, in benen Solfsgenoffeit
als fyerüorragenb über bie SDienge erfreuten, DorzugSweife gerabe
auf diejenigen, welche auf eigenem ©runb unb Sobeit faßen
uitb aßet ber Siechte t^eil^aftig waren, bie non alter« ber beit
freien juftanben. 3« ben SdjenfungSurfunben aßer Stämme
wirb „abelig" unjä^ligemale in biefem Sinne gebraust, auch
StanbeSgenoffen ober berjelben fßerfon, fei es abwecbfclnb,
fei e« zugleich, Stbel unb greifleit beigelegt: mau fpricbt oon
freiem Slbel, oom Stbel ber greifet. Unb wenn mitunter Äbelige
unb greie nebeneinanber genannt werben, fo ift es eben aud)
nicht anber«, al« wenn bie oerfd)iebenften SluSbrütfe für biefe
jufammengefiigt finb, um beit weiten Umfang, ben ber Stanb
ber greien f>at, ooflfommeu ju begreifen unb bie oerfd)iebenften
SBeftanbt^eile beSfelben jufammeitjufaffen, unter Umftänben Diel»
leicht wieber bie Ängefe^eneren berfelben ^erauSju^eben. So
ftefien bie Slbeligen auch aßgemein im ©egenfaß ju bent gemeinen
Soll, ben Säuern: man tfjeilt ba« gange Solf in Stbetige unb
Unabelige.
So lange nun bie äußere Steßung ber dienftleute nod)
feine oor bem übrigen Solle wefentlic^ ausgezeichnete war,
fonnte oon einer eigentlichen Iriftotratie be« dienfte« noch feine
9febe fein, diefe ^Bezeichnung wirb erft möglid), nacfjbem bie
©efolgfdjaft ficb über bie ganze oornefjmere itlaffe be« Solfe«
auSgebebnt unb aßen ober hoch faft aßen ©influß im Staate
an fidj gezogen bat- ©in weitere« |>inbernij3 ber SUbung einer
wahrhaften Slriftofratie lag barin, baß bie rechtliche unb that*
fachliche Steßung ber ßönigsbienftleute lange $eit ^inburd) ooit
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ber freien 2Eüillfür beS Königs als 35ienftherrn abhängig war.
Sin bebeutfamer gortfdjritt gur ©ewinnung eines freieren Staub»
punfteS lag nun bereits in ber ton uns fcfjoit oben namhaft
gemachten Srhöhung beS SSergelbeS unb ber 83ufje, begiehungS*
weife ber 3uf£^fa9utig ber KönigSbujje gu bem einfachen 2Ber*
gelb beS ©efolgSmanneS. Stber auch fonft gelang eS ben
KönigSbienftleuten, ihre Stellung mehr unb mehr gu befeftigen.
3u ftatten fam ihnen bei biefem 33eftreben namentlich bie
Schwäche ber fpäteren merowingifcheit Könige unb beren 83er*
wicfelung in galjllofe Kriege. SS bilbete fich unter folchen
Sinflüffett eine förmliche Korporation föniglidjer ©ienftleute
aus, mit beftimmten Rechten unb Slnfpriic^en, nicht fowoljl gegen
baS übrige 33olf, als oielmehr gegen ben König. Unb uon
grauten aus oerbreitete fich biefe Sntwidetung nach bem inneren
®eutfchlaub unb nach Italien, gu beit SBeftgothen unb ben
Angelfachfen. §atte bis bahin ber König als ber abfolute
Spenber aller Sterte unb ©naben gegolten, fo baf? baS perfön»
liehe 93erhä(tnij3 gu ihm auSfchliefjticl) ben größeren ober ge*
ringeren ©rab ooit öebeutfamfeit jebeS Staatsangehörigen
geregelt hatte, fo betrachtete baS 83olf nunmehr bie Shre unb
bie SSorgüge ber ®ienftleute als in ihrer eigenen Stellung be*
grünbet; ber König fah biefelben fich gegenüber gu einer felb*
ftänbigen SDiacht erwachfen, bie gu brechen ihm bie Kraft fehlte.
Alle bebeutenberen Aemter beS Staates unb .pofeS werben ihnen
anoertraut, bei allen wichtigen Angelegenheiten müffett fie gu
SRatfje gegogen werben.
So oollenbete fich allgemach bie Umwaitbelung ber alten
©eburtsftänbe unb .fperrfchaftsflaffen. 9?ächft bem Uebergang
beS 9)littelalterS in bie neuere $eit ift feine ^Jeriobe ton folcher
SSidjtigfeit für bie ©efeUfchaftSgefchichte als gerabe bie ©poche
ber inerowingifchen Könige. Allgemein tritt in biefer eine burch«
greifenbe Umwanbeluitg ber ©eburtsftänbe h^roor, bernhenb auf
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ber fteigenben Sebeutung aller fierrfcfjaftlirfjen SBertjältniffe, Her«
bunben mit bem 3urüdweid)en ber genoffenfchaftlichen. (Einft
ftanbeu Slbelige, grcie unb Siten in fcßroffer ftänbifcher Sonbe-
rang unb unter ihnen bie unfreien Knechte; nur bie greilaffung
bahnte ben Uebergang non ber fReddlofigfeit biefer wenigften«
ju einem befferen 5Hed)te. 9hm finb bie alten Orbnungen in
Huflöfung begriffen. (Ein fßrojeß ber 3erfehun9 ift non unten
nacf) oben immer Weiter gefdjritten. Sie $ahlreid)en grei-
laffungen, welche halb nicht bloß bie minbere, fonberit auch bie
nolle Freiheit gaben, brachten ber SBolf«gemeinbe ftet« neue
(Elemente ju, welche bod) nicht fo ohne weitere« mit bem alten
©tamm ber Seoötfcrung nerwachfett fonnteit. 3U ^en Sfatmen
be« alten 9ted)t« fommen bie fremben hinzu, ju ben Hbljängigfeit«-
üerljältniffen, welche bort mit ber ©rttjeilung non Sanb jufammen-
hingen, bie be« ißatronat« unb ber Klientel, weldje fich bann
toieber mit benen be« betttfchen SDiunbium« uttb mit anberen
freieren, auf Jreue unb perfönlid>e (Ergebenheit beruljenben 93er*
binbungen mifchten. Huch Seutfdje, bie fein eigene« Sanb hatten
ober einen mächtigen Schuh fuchtelt, traten freiwillig ober ge-
zwungen in fotche SBerfjältniffe ein, aber auf oerfd)iebene SBkife:
balb bienten fie für ben ißrei« ihrer greifet, bafb Würben fie
Kolonen; h*^ gaben fie fidj in perfönlidfen Schuh, bort über-
trugen fie ihr Sanb unb behielten bloß einen ÜRießbraud).
3ugleid) brachte bie (Eroberung größere Sanbbefihungen in eine
§anb, bie ju öeränberten 3Sirtf)fd)aft«einrichtungen Hnlaß gaben
unb ben Inhaber häufig auch Su einem .fjerrn über jin«pflichtige
Hderbauer machten. Sefünber« in ben weftlidjeu unb füblicßen
©egenben be« erweiterten beutfchen Sanbe« war bie« ber ffall.
Siefe würben ber Sih großer ©runbbefiher, bie SBiege mächtiger
©efchledjter. So fchwanb bie alte fRegelmäßigfeit in ber 93er-
theilung ber Slecfer, auf ber bie ©leidjberechtigung ber freien
wefentlich beruht hatte. Sagegen erlangten alle 9>erbinbungen,
C221)
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mosten fie auf Slmt unb perfönlichem $ienft ober auf beut
©mpfattge föniglicher ©üter berufen, eine fteigenbe Sßüfjtigfeit.
@g ift nicht mehr bie ©enoffenfchaft ber gm«1 allein, welche
in ©etracht fornmt, fonbern bag ©olf in allen feinen ©eftanb*
feilen unb feiner mannigfachen ©lieberung. @3 ift nicht bie
©efamtheit wefenttich gfeicfjftehenber, gleichberechtigter ©olfg*
genoffen, welche ben Staat augmacht, fonbern oerfchiebene Sieihen
fich iibereinanber erhebenber ©erfonen unb ©emalten führen
hinan big ju ben Stufen beg Sihroneg. ®ie ©inen hohen fich
ben Stöberen untergeorbnet, ja fie fangen an, biefe fo oon fich
abhängig ju machen, ba§ fie aug ber unmittelbaren ©erbinbung
mit bem Oberhaupt beg Staate« unb mit bem Staate felbft
heraugtreten.
©anj befonberg fam biefe Umtoanblung ben föniglichen
$ienftlcuten ju ftatten 25aju trat bann noch ein Weitereg,
bie ©leichartigfeit ber ihrer Sflaffe Singehörigen, ihre fefte Slb*
fdjfiefjung begiinftigenbeg SDtoment bie Stugbeljnung beg fönig-
lichen $ienftoerbanbeg über bie ganje oorneljme klaffe beg ©olfeg.
®ieg le|tere war bag ©rgebnifj ber ftetig wachfenben ©ebeittung
beg ©enefaialwefeng, weicheg in feinen Stnfängen wieberum
aufg engfte mit bem ©efolgfdjaftgwefen jufammenhängt. Schon
SDtontegquieu h«t mit intuitioem Scharfblicf ben Urfprung beg
gefamten 2ef|engwefeng, biefeg fpejififd) germanifchen gnftitutg,
in ber ©emohnheit ber alten ©ermanett gefunben, fich, wo
fich um bie Slugführung eineg größeren ©roberuttgg* ober Staub*
jugeg honbelte, freiwillig unter ben ©efefjl eineg ©rincepg ju
ftetlen unb beffen gührerfdjaft unbebingt anjuerfennen. So oft
nun ein germanifcheg ©olf einen neuen Sanbftridj eroberte unb
befe^te, würbe ein Ztyit beg ©runb unb ©obeng unter bie
©roherer oertljeilt unb oon biefen in ©efiß genommen. 2>er
ßönig erhielt natürlich bie größten SJänbereien, unb oon biefen
überließ er gewöhnlich Solchen, bie bei ihm in befonberer ©unft
(222)
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ftanben ober bie fid| burcf) Japferfeit um baS ©dingen be$
©roberungSjugeS befonberS »erbient gemalt fjatten, größere
ober Weinere ©tücfe als fielen. 3m übrigen belieft man ben
®oben im rußigen ®efi$ be$ unterjochen ®olfeS — nidjt nuä
irgenb welcher, ber bamaligen $eit unoerftänblicßen ©roftmutß,
foubern aus bem einfachen ©runbe, weif in ben btinnbeöölferten
unb burcf) fortmäftrenbe ftriege arg begimirten fianbftricßen noeft
genug ßerrenlofer ©runb übrig mar, ber für ben ©ieger »oß>
ftänbig auSreicßte. $Da$ ®enefigialwefett ift alfo ber ©cßluft*
punft beS neuen ftänbifeben UmbilDungSprogeffeS, aber aueft bie
aöe mittelalterlichen fiebenäDerftättniffe befterrfdjenbe, befrueßtenbe
unb erfüflenbe 3bee. 9iur wer ein auch noeft fo geringfügiges
©lieb in ber ftette auSmacftt, bie nunmehr, üon bem ßönig als
(extern unb oberftem £>errn aßen ®obenS unb 3nftaber aßer
9ie<f|te auSgeßenb, bie gange ©efeßfeftaft mit aßen ißren 9fed)ten
unb ^flicßten, aßem ißren Ifjun unb Saffen umfcßlieftt, ftat
Hnfprucß auf politifeße uub fokale ©eltung. Slucß anbere ®olfS>
flaffen, roie ber ®iirger* unb ®auernftanb, anbere fiebenSfreife,
wie bie Sfircße, ßaben fieß biefetn aßbeßerrfeßenben ©inftuft ber
SeßenSibee nießt entgießen fönnen; boeß ift eS naturgemäft, baft
ifjre SBirfungen fid) am lebßafteften unb einfcßneibenbften bei
berjenigen ©efeßfcßaftSflaffe fühlbar machten, bei welcßer fie
guerft gur ©tfeßeinung gefommeu waren, beren gange ficbenSart
unb fogiafe Aufgabe bie engfte ®erwanbtfcßaft mit ißr aufwies,
bie enblicß ißrer ©pifce, bem Äönige als oberften SeßenSßerrn,
gunäcßft in ber jRangorbnung ftanb. $ie ®orneßmen beS ®olfS —
beruße nun bie ©runblage ißrer SluSgeicßnung auf ißrer ®er*
binbung mit bem Könige, auf grofteni ©runbbefifc, auf $b=
ftammung oon einem bejonberS uerbienten ©efcßlecßt ober auf
'■Borgügen irgenb welcßer Sfrt — batten bis baßin eine natürliche
Sfriftofratie , wie fie jebeS fiulturöolf in fteß fcßlieftt, gebilbet;
in bem $)ienftgefoIge beS Königs war bann aitS ihrer SfRitte
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16
eine @efeßjchaft«flaffe aufgetreten, welche ben fruchtbaren Äeim
ju einem mirflidjen Slbel in fid) trug: ba« Streben nämlich,
faftifd) an bie ©injelperfon gefnüpfte Vorzüge in erbliche Familien«
uitb Stanbe«öorred)te ju oerwanbeln — ein Streben, bas Ve r-
roirftichung namentlich baburch erfuhr, bajj, wäljrenb bi« bahin
ber ©enufj perfönlid)er füu«jei<hnung ein ©nabenaft be« Äönig«
war, nunmehr bie ®efoIg«leute in forporatioem 3ufantmenfchluS
ihrem f)errn gegenüber fich ju einem gleichberechtigten fyaftor
emporarbeiten unb ihre baburch bereit« wefenttich gefeftigten
Vorrechte nod) weiter baburch ju ftüfcen fich artfehiefen, baS fie
biefelbeit binglich rabijiren, mit ©runbbefifs in 3ulatmnen()an8
bringen. Oberflächlich betrachtet, änberte bie« an bem SBefen
ihrer Siechte noch nicht«/ ba bie Sehen oon Anfang an ebenfaß«
nur auf Stuf unb SBiberruf gegeben würben, ber Verleiher nicht
blofj ibeeßer, fonbern faftifcher ©igenthümer blieb. Stber e« ift
hoch ein gewaltiger Unterschieb, ob bie ©rtheilung oon Vor-
rechten lebiglich an bie fßerfon be« ©egnabigten gefniipft ift
ober mit ihr jugleidj jene Saitbleihe oerbunbeit wirb. @« mag
eine folche auch in ber bem Geliehenen wenigft giinftigen gorm,
fie mag auch gaitj ohne inneren 3ufammenhang mit ber perfön-
liehen Steßung be«fetben erfolgt fein, fo wirb fich bod) nlSbalb
ein boppetter Vorgang bejüglidj be« Verhättniffe« jwifcf)en
Seihenbent, ©elehntem unb Seifjgegenftanb bemerfbar machen.
3unächft trachtet bie flüchtige gorm nach fefter, bauernber
©eftalt : au« ber Seihe auf 3?it wirb eine folche auf Sebensjeit
be« ©mpfänger«, bann eine ©rbleihe; in biefem Stabiutn erhält
fid) bann ba« Verhältnis lange 3^1, weil meift ba« faftifche
Vefihredjt be« ©rbbelehnten bem wahren ©igenthum fehr nahe
fommt, bi« Schließlich bie llmwanblung in rechte« ©igen faft
!aum mehr al« Vortheil empfunben wirb. 9Zod) merfwürbiger
ift bie Sßaitblung, welche ba« Verhältnis jwifchen bem ©dehnten
unb bem Sehen«ftiide erfährt. SBir machen fprr nämfid) fchott
(224)
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17
halb bie ^Beobachtung, baß ber ©elehnte feine perfönlidfen ©or>
rechte fo fehr mit bem öon iljm leih weife befeffenen ©runb unb
©oben in 3ufammen^ng bringt, baß nicht mehr bie ißerfoit,
fonbem baS @ut als ber Präger ber auSgejeichneten Stellung
feine? Inhabers erfcfjeint. @3 ift baS eine wirthfchaftlidje Xh«t*
fache, bie ihre Srflärung sumeift in bem fonferoatioeu Sfjarafter
äße? ©runbbefiheS, nßer ber ©Obenbearbeitung jugcwanbten
4)antirungcit finbet. @3 ift baher ein ©rcignijj oon ber größten
Tragweite getoefen, als bie föniglidjeit ©efolgSleute anfiitgen,
ihre 3e't nidht mehr gwifdjen Stieg unb £jofbienft jujubringen,
fottbem baneben fich ber ©eioirthfchaftung beS ihnen »om Sönige
oerlieheuen SanbeS ju unterjief)en. Aber noch ein anbereS folgte
auS biefer ©abijirung beS SönigSbienfteS auf ©runbbefifc. ©iS
bahin hotte nämlich eine fcharfe Trennung swifchen ben ©efolgS»
leuten unb ben übrigen angefehenen ©erfönlid)feiten bes ©olfeS
beftanben; eS ^atte an einem Sanbe gefehlt, baS aße biefe
tjeroorragenben ©olfSetemente ju einer Sorporation mit gemein-
fc^aftlichen gntereffen ^ufammengefchloffen hätte; ber föniglidje
$ienftmamt befanb fich, wenn er nicht in friegerifchen Unter-
nehmungen auswärts war, am fpofe beS giirften, ber reiche
Orunbherr bagegen fafj oereinfamt, ohne ben geringften gufammen*
hang mit bem betriebe beS §ofleben3 unb ber Staatsoerwaltung,
auf feinem |>errengut, umgeben oon jahfreidjen porigen unb
fonftigen Abhängigen, über bie er aflerbingS wie ein Heiner
gürft herrfchte, ohne bah jeboch biefer fein fterrfdfaftSbesirf in
näherer ©erührung mit bem Staate al? folgern ftanb. $)ie
alten ©runblagen ber ©olfSfreiheit, bie folcfje fleinen unb fleinften
j^errfchaftsfreife roefentlidj ihrer Unterlage gehabt hatte, waren
gefchwunben unb an ihre Stehe bie abfolute Monarchie getreten:
noch beftanben aßerbingS bie alten gönnen ber bemofratifd)en
$eit, aber fte waren taube Sdjalen geworben, in benen ber
oofle gruchtfern auf ein SWinimum jufammengefchrumpft war;
Sammlung. SB- 0. V. 103. 2 (225)
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18
noch immer befugte ber freie ©runbbefifjer bie alten SBolfSbittge,
ja er mürbe bann unb mann jn allgemeinen $of* unb SReidjS*
tagen entboten, aber bort präfibirte jeßt ein föniglidjer ©eamter,
ba$ Urteil mürbe in beffen 9?amen gefällt unb oon feinen
Unterbeamten Oolljogen, ^ier ftanb bie ©erufuttg oöllig in ber
SBiHfür be§ HönigS, unb auch fo erfcf|icn bie (Einholung be§
SßolfSroiHenS faft nur noch als eine gormatie; auf bie Raffung
ber midjtigften ©efchliiffe ift berfelbe fo gut mie einflußlos
geroefen. 3eßt bagegen mar bie fKöglidjfeit gegeben, aud} ohne
bafj man beit ftrengen Slnforberungen beS ©efolgSbienfteS fich
unterjog, in ein biefem ähnliches perföttlicheS SBerljältniß jurn
Honig $u gelangen. $er Honig ^atte felbft bie betreffenbe
Carole auSgegeben, inbem er feinen SDienftmannen ©üter, ftöfe
unb gorften anroieS. 3)iefe ©ele^nung mürbe nun SBorbifb unb
Antrieb für bie unabhängigen ©runbherren. SBenn fie in gorm
unb (Ehre mehr fe‘n tobten als ©runbbefijfer, bie bloß burd)
bie größere gal)! ber Sieder unb porigen fidj ooit beit gemeinen
freien untergeben, fo gab eS jeßt eine bequeme Slrt, bieS jn
betätigen, eben jene perfönlicfje 93erbinbung mit bem gürften,
meld)e baS SefjenSbanb gemährte. 2)aS mar baö SJiittel, um
bei ^offeften unb bei anberen ©elegenheiten einen hohen ©taub
einjunehmen. Unb locfte nidjt auf biefem SBcge bie 81uSficf)t,
Slemter unb ©iiter ju erlangen, .ßöHe, $ehnten unb SBogteired)te
über Hirchen unb Hlöfter, bie man nicht felbft geftiftet? Sluch
fanfte ©emalt beS dürften mochte mitroirfett, baff allmählich bie
großen freien ©runbbefifcer fich in feine SehenSntannen um*
manbelten. Sie trugen ihm ihre ©üter auf, b. h- ber gorm
megett übergaben fie ihm biefelben, um fie unter bem fcierlichften
Sreugelöbniffe als Sefptgüter mieber jtt empfangen. 9iur
föenige erhielten fich frei »oxt aller 2ehnSpflidjt, fie trugen ihre
®urg famt ben zugehörigen £öfen oon Heincm ju Sehen, als
»on ber ©onnc, melche Jlurett unb Sieder in ihren Strahlen
<m)
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glänjen lieft. SQlan nannte ifjr Söefifttftum ein Sonnenleften.
ffiar ihr ©ebiet einigermaßen anfehnlid), fo trachteten fie reich«*
unmittelbar ju «erben.
Sluf biefe SBeife ooßjog ficft bie 93erfcftmeljnng ber 3>ienft»
unb Seftenemannen ju einem mächtigen SlbelSftanbe mit be*
ftimmten ©taat«intereffen. 3Boftl lebte in ben £ehen«mannen
bie ©rinnerung, baft fie mit ißerfon unb ©ut, nicht wie bie
Dienftleute, au« ber Unfreiheit heröorgegangen. Doch ba« gleiche
abelige Seben, ba« gleiche Vermögen unb Slnfeften bei «jpofe unb
im Sanbe, ber gemeinfcftaftliche Dienft bilbete ebenfooiel leichte
Uebergänge jWifcften beiben ftlaffen. 3Bo ba« 38efen einer @adje
befteftt, bleibt auf ber Dauer auch ber 9fang nicht au«. Die
(Srben ber oornehmften §ofämter faften mit ihren glänjenben
Xiteln längft auf ihren ©ütern, nur bei feltenen unb feierlichen
Inläffen oerrichteten fie noch ihr 2lmt. ®ie ftoljeften Sehen«*
mannen hatten fein ©ebetifen mehr, fich um folcfte Hemter ooll
@hren unb mit wenig Dienft ju bewerben. 38a« aber Sehen«*
unb Dienftmannen mehr oerfcftmolj a I« gleiche« Ülnfefjen unb
®efiftthum, war ber gemeinfcfjaftliche ©ewinn unb @djaben;
ihre Slnftrengungen hatten ganj ba«felbe 3*et uacft oben «ab
nach unten, ftfeft oerbünbet ftanben bie Söelehnteit bem £>emt
gegenüber unb fcfjirmten jebe« ihrer SDiitglieber mit ben SBaffen
in ber |mnb bei feinem öefifce. SBoflte jener ©ehorfam, fo
fanb er ftißen 3Biberftanb, ber nirfjt ju brechen war; wollte er
Dienft in ber 9?oth, fo muftte er iftn mit neuen ©üterit unb
3ugeftänbniffen erfaufen.
©o würbe bie föniglicfte ^errfchaft allmählich ih^eö Inhalt«
entleert, ba« Sanb jerfplittert in unabhängige jrjerricftaften, ber
Sönig nicftt« nl« Häuptling ber 3lbel«herren — ba« war ba«
3beal ber SBafaßen. Durch Sehen«* unb Dienfthörigfeit waren
bie groften ©runbbefi&er hinburchgegangen, um julef)t ficft wieber
in germanifcfter SBeife frei unb eigenherrlich auf ihrem ©ebict
2* (227)
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ju finben, jafetreicfeer unb mächtiger als jemals in ber alten
$eit. Stofe in Seutfcfefanb gab eS fein §emmnife gegen biefe
ungtücfticfee 3erfefeunÖ* 3» Spanien feffelte ber &f gegen
ben maurifdfeen ©rbfeinb alle Kräfte ber Station, bafe fie an ben
fiönig gebunben btieben. 3n ©nglanb featte bie normännifcfee
Eroberung ein äfenlicfeeS 9iefultat. 3n graitfreicfe mürbe eg
erreicfet burcfe bie jaferfeunbertelang fortgefefete fßolitif eineg
einigen ÄönigSfeaufeS, melcfeeS fefeon »on ben 9iömern feer bie
©ewöfenung an eine centrale ^Regierung »orfanb. 3n bem weiten
Seutfcfeen 9leicf>e fefetten alte biefe Sfeatfacfeen; feier mufete ber
fiefeeuSfiaat jutefet baS fReicfe in gürftentfeümer $erfptittern, aber
baSfetbe ißrin^ip fucfete aucfe bie gftirftentfeümer in Saroitien ju
äerfefeen.
Ser ©cfemerpunft beS AbelSbegriffS lag in ber nterowingifcfeen
unb ber erften fränfifc^en geit in gefolgfcfeaftlicfeen ©ejiefeungen,
itacfe ben nunmefer eingetretenen Seränberungen aber ift er in
bem Sefijje eines reicfeSunmittelbaren ©ebieteS unb bem bamit
gegebenen fReidfeSftanbfdjaftSrecfete ju fucfeen. Jrofe' ber wefent-
ticfeen Seränberungen, wetcfeen feiemacfe biefer Segriff jefet unter«
lag, bleiben gteicfewofet beffen früfeere Attribute nocfe erfennbar;
nur treten fie je|t entwicfetter als in ber »origen ißeriobc
feeroor. Sie fränfifcfeett @bten befafeen SRekfeSämter unb @runb>
feerrticfefeiten: ebenfo ber mittelalterlicfec Abel, nur freiliefe mit
ausgebefenteren Sefugniffen. ©etbft ber fteinere $errenftanb
featte nunmefer baS ootle ©rafenreefet über feine immunen Se«
fijjitngen erworben. Sie fReidfeSämter, weidfee efeebem als Scnefijien
»om ftönige uertiefeen worben waren, featten fiefe in erblicfee SReicfeS«
lefeett oerwanbett unb einen patrimoniaten Sfearafter erfealteit.
AuS bem urfprüngtitfeen SmmunitätSrecfet ber Abeligen, b. fe.
ber Sefugttife, bie fönigtiefeen öeamten bejiigtiefe ber jpanbfeabung
iferer Amtsgewalt »on iferen Sefifeungen fernjufealten, feat fiefe
allgemacfe baS Sieefet ber ootlen ©eriefetSbarfeit über alle in
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21
ifjrem $errftaft«bejirfe Slnfäffigexi entwicfeft. |jaben fie früher
lebiglit ihre fjinterfaffen §ur Seiftimg ihrer SBerpflidjtung an=
gehalten, fo hat fit jefjt ber prioatrettlite Gfjarafter folter
Abgaben in einen öffentlitf)>re(^tlic^en oerwanbelt unb erfteint
bemgemäft au«gebehnt auf alle Untertanen bc« Territorium«.
SBaren fie oorbem al« 2Rittel«perfonen lebiglid) jroifcfjen bem
König unb ihren ©djufebefolflenen geftanben, fo mar je|t feber
birefte .gufaimnenbang jwiften bem erftcren unb bem einzelnen
3taat«angehörigen aufgehoben; ber König entbietet nunmehr fie,
nicht ihre Untertanen jum 9ieit$bienft. TeSljalb werben aut
in ben fpäteren 9iekf)3niatrifeln bie fReit^laften junätft nur
bem |>errenftanbe, nitt beffen Unterthanen auferlegt.
Sluf biefe SBeife gelangten allmählit bie ©bien ju einer
ber SReit^hoheit untergeorbneten fRegierung«gewalt über ihre
©ebiete. 3hr prioilegirter ®eritt«ftanb oor bem Könige, »oelten
fie bereit« ju fränfifter $eit in beftränftem DRafee gehabt
hatten, erweiterte fit jefct bahin, baß alle ©egenftättbe, weite
ihre ^erfon, ©hre, Sehen, ©igen unb ©tbe betrafen, oor bem
Könige oerhanbelt unb entftieben werben mußten. Tie ©bien
ftwangen fit folglich ju reid)8unmittelbaren Sanbe«herren empor ;
bot jeitnete fie nitt fotoohl ber SBefifc ber 9ieidj«freiheit, al«
oielmehr ber 53eft lanbe«herrliter 9iette oor allen übrigen
©eburt«ftänben au«; benn e« gab nitt nur reit&tnmittelbare
iRitterbürtige, fonbern aut reit^freie Sürger unb Säuern.
Tie geiftliten dürften unb bie reitSftäbtiften Korporationen
genoffen jwar hierin ba«felbe SRett wie bie ©bien, ber bebeutfame
Unterftieb liegt aber barin, baff ba« 9iett ber erfteren auf
ihrer Slbftammung beruht, gerabe wie bie« aut mit ber 9leits*
ftanbftaft ber gall ift. Serfinnbilblitt wirb biefe« SRett burt
ihre SBelehnung feiten« be« Kaifer« unter ©ntfaltung ber SReid)«>
fahne, währenb bei ben geiftliten dürften bie SBeleljnung mit
bem Zepter geftieht. Taneben bilbete ein jweite« §auptmerfmal
(229)
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ihrer §ofjen Stellung ihr alle anberen Staffen auöfdjlieBenbe«
3ted)t ber 9teidjSftanbfdjaft, b. £). be« in ihrer ^Beziehung ju beti
retch«täglicf>en löerhanbtungen jur ©rfcfjeinung fommenben 3)iit-
wirfung«recht« beim Sieid)«regiment.
Ter begriff be« Slbel« fchtiefjt fid) betnnacf) auf« engfte an
bie beutfdfc Sieidjäüerfaffung an. Stile fyamitien, beren Häupter
fich im S3efi| eine« reich«unmittelbareu Territorium« befanbeu
unb baS Stecht ber Sieich«ftanbfchaft genoffen, mürben nad) mittel-
alterlichem Siedet ben ebten ©efihledjtern beigcja^lt. $war fanb
unter ihnen fetbft wieberum eine 33erjdjiebent)eit be« Stange«
ftatt: juerft fanteit bie ©rafen, welche bi« 1180 a tiefamt jugleid)
dürften finb, fobann bie eblen ober freien Herren, oon gleichem
Stange mit beit ©rafen, aber be« amtlichen ©inftuffe« entbehrend
unb in ber Sieget nicht fo reich begütert; jn ihnen werben bann
manchmal auch bie ©rafen fetbft gewählt unb beibe Staffen
jufammen at« nobiles ben SÄinifteriaten gegenübergeftettt.
Snbeffeit begegnet man fetbft je|t nod) einzelnen ßeugniffen,
metche lebhaft an bie frühere Stellung ber Öbleti erinnern,
hierher gehört namentlich ber Sachfenfpieget. Tie dürften unb
freien §erren fteltt er in iBufje unb SBcrgetb noch ben Schöffenbar-
freien, b. h- bem ©eburt«ftaub ber alten 3re’ei1/ S^ich unb
gefleht fomit noch bie ©benbiirtigfeit beiber Staffen non freien
ZU. Ueberhaupt fpricht er nur wenig oom ^errenftanbe unb
fetbft ba, too er bie befte ©etegentjeit hätte, ihn at« einen be-
fonberen ©eburt«ftanb gegenüber ben anberen freien herootjuhebeu,
fchtoeigt er wie geftiffentlidj uou bemfetben; wo er bie oerfchie-
benen Staffen -ber freien auf^ähtt, nennt er nur bie Schöffenbar-
freien, Sieghaften unb Canbfaffen. Stltein anbererfeit« anerfennt
er bod) auch wieber bie höhere Stellung ber ©bien, inbent er
feftfefct, baß man ihnen 23uf?e unb Söergetb in ©otb entrichten
foll u. a. Tagegen fd)eibet fie ber Schwabenfpieget unter ber
^Bezeichnung „Semperfreie" nott ben übrigen Staffen ber gmen
<280-
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au« unb fteflt fie an bie ©pifce be« ftänbifcfjen ©tjftem«. ®ie
^Bezeichnung ift nur ein oerborbeiter ÄuSbrudf für bie ©enbbar*
freist, für bie bem ©tanbe innewohnenbe gahigfeit, foiuo^I
felbft einen ©enb (©eridjt) abhalten ju fönnen, al« auch auf
bem ©enb be« Äaifer«, bem 9teich«tag, in Äu«übung ber fReich«-
ftanbfcfjaft erscheinen ju bürfen. Gr« finb bie freien ^errett,
welche anbere gteie ju ihren Scannen haben. ©anz ftreng barf
freilich biefe« bi«fretioe 3)ioment nicfjt genommen werben, ba
auch bloße IRitterbürtige nicht feiten in ber nämlichen (Sigenfhaft
auftreten. Sbenfowenig ift umgefetjrt bie Mobilität burch ba«
®afaQetwerhältnif? jum ftönige bebingt; bemt wenngleich bie
dürften burchgängig £ehen«mannen be« Sönig«, bie einfachen
fRitterbürtigen bagegen wenigften« fef)r häufig fielen« mannen ber
dürften finb, fo finbet fich boch immerhin eine Änzaljl oon Herren,
welche fi<h in feine SehenSabhängigfeit begeben haben unb bereu
Freiheit gerabe be«halb al« eine befonber« ausgezeichnete gerühmt
wirb. 25ie hohen freien — wie man bie (Sblen nach ^em
gang ber ©piegel gleichfalls nennen fann — bilben fomit ben
erhüben ^errenftanb ber Nation. 3U «gierenben Ärifto-
fratie gehören:
1. bie brei geglichen unb bie oier weltlichen Äurfürften,
2. bie übrigen geiftlichen dürften (©rjbifchöfe, Sifchöfe unb
gefürftete siebte),
3. bie übrigen weltlichen gürften (^erjöge, ^faljgrafen,
SRarfgrafen, gefürftete ©rafen),
4. bie ©rafen unb freien Herren, bie zwar feine dürften-
gewalt, aber hoch £anbe«herrfchaft unb 9ieich«ftanbfchaft
befijjen.
©eobadjten wir genau ba« innere SEBefen biefe« Äbel«, fo
fpringen mt« al«balb jwei fcharfe charafteriftifdfje SRerfmale be«>
felben in« Äuge. 3)a« eine ift feine ©efchloffenheit, bie wieberum
auf« engfte mit feiner 93ererbungSfäbigfeit jufammenbäitgt. ®er
(23i:
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ältefte germanifcf>e Slbel war — wenige SluSnahmen abgerechnet —
ein offener ©tanb: inbem er aus ben Xiid^tigften beS VolfS»
ftammeS fich jufammenfehte, gehörte ein beftänbiger 2lb< unb
Zugang ju feiner Sftatur. gwar hat baS VererbungSprhtjip
aud) an ihm feinen ©influjj geübt, fo bafj mir in ben fpäteren
Sahrhunberten bie freiwillig ert^eiften perfönlichen Vorzüge ber
©bien mehr ober weniger in erbliche Vorzüge berfelbcn um»
gewanbelt feiert : trofcbem blieb baS ©runbprinjip unangetaftet
unb brach fich, wenn auch h^nfig gebecft, hoch immer wieber
Valjn. ©benfowenig fann ber fränfifche Dienftabel als ein
gefcfjloffener ©tanb mit erblichen Vorrechten feiner ÜKitglieber
bezeichnet werben, ©efdjloffenheit unb Vererbung liegen nicht
in ber 9iatur beS DienfteS, auch nicht beS ßönigSbienfteS; erft
muffte bie Verpflichtung, bie biefer auflegte, oon bem Siecht, baS
er gab, übermunben werben, ehe er als ©runblage eines ©tanbeS»
rechts betrachtet werben fonnte. Unb bieS lefctere gefchah erft
burch bie Verfniipfung beS ÄönigSbienfteS mit bem Venefijial»
wefen. Von ba ab batirte baS Streben, fich jnr Sichtung
feines VcfifcftanbcS , wie nach oben gegen ben $errn, fo nach
unten gegen bie übrigen VolfSflaffen in forporatioem Verbanbe
abjufchliefeen. Drat in ber germanifchen $eit baS gnbioibuum
als einzig maffgebenber gattor bei ber guerfennung ^ö^erer
Siechte unb ©breit heroor, fo ift eS jefct bie Siaffe, baS Vlut,
bie Slbftammung oon einem eblen Vater unb einer eblen SDiutter,
welche ben ?lbel tierleiht. Dodj finben auch ba wieber merf»
wiirbige Durchbrechungen beS ftrengen ißrinjipS ftatt — Durch*
brechungen, welche jebenfaHS mit ber bereits oben ge!ennzeichneten
Sluffaffuttg ber ©tanbeSoerhältniffe im ©achfenfpiegel jufammen»
hängen, ©inmal fah man zuweilen lebiglich auf baS Vlut beS
eblen Vaters, inbem man ben Söhnen eines ©bien auch Slbel
jufchrieb, wenn nur bie SHittter oon ©eburt eine greie war.
Söichtig ift bie Durchlöcherung, welche bie Siirche beS ÜJiittelalterS
(2S2)
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25
geraffen hat. ?tuiS ber oben fteljenben ftlaffifijirung bess 2lbcl«
ergiebt fich nicht nur bie ßugeljörigfeit, fonbern auch ber t^eil*
weife ^orjug ber fjofjen ©eiftlidjfeit uor ben weltlichen ©roßen,
greilich würben audE> biefe geiftlid)en fReich«ämter mehr ober
weniger au«fd)lief5lich oon ber weltlichen Striftofratie in öefdjlag
genommen, ober gan$ fonnte hoch eine ftirdje oon bem Sßringip
be« Snbioibualabel« nicht Slbftanb nehmen, beren Stifter unb
Slpoftel größtentheil« ben unterften SBolf«flaffen angehört hatten.
Slber auch in bie greife be« weltlichen $lbel« wußten fich fchoit
bamal« einzelne begünftigte ober oerbiente fßerfönlichfeiten burch
eine förmliche Stanbe«erböbung feiten« be« fReidj«oberhaupte«
(Eingang ju üerfdfaffen.
Sin jweite« augenfällige« SDierfmal be« mittelalterlichen
&bel«, auf ba« wir übrigen« fc^on mehrmal« im ©ange unferer
Unterfuchung hinjuweifeit ©elegenheit gehabt haben, ift fein
Politiker (Sharafter. Xlud) hierin weicht er — wenn auch nicht
in bem 2)ia§e wie hinfichtlich be« erftgenannten fünfte« — oou
bem SEBefen be« älteften germanifchen Slbel« ab. Sluflr ber
Urfprung ift bei beiben berfelbe. Seibemal erzeugte fich ein
Slbel au« bem friegerifcheit ®ienftgefolge heroorragenber Führer;
wäffrenb aber ber germanifche 8lbel im wefentlichen auf biefer
Stufe fteheit blieb — eine weitere 2lu«behttung be«felben wäre
auch bei bem bemofratifchen Gljarafter ber öffentlichen $erfaffuitg
nicht möglich flttoefen — , bilbete fich ber fränfifdje 2)ienftabel
ju einem herrfchenben Stanbe fort. Unb erft in feiner politifchen
SRachtfteflung fam er $ur o ollen (Entfaltung feine« SBefen«.
©efchlechter unb gamilien, welche biefe in ben äußeren 58er»
hältniffen geoffenbarte ÜUlacht nicht erlangen ober nicht behaupten
fonnten, oerloren fich allmählich in ben übrigen 58olf«ftänbeit ;
anbere, obwohl wenige gamilien, welche jur ^errfchaft fich auf*
fchwangen, begrünbeten eben baburdj neue $hnaftenfamilien.
(Eigentlich waren nur biefe .^errfchergef^lechter bie wirflichen
(238)
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26
Jräger bes SlbelS. ®as ©ort „Äbel" würbe baßer wäßrenb
eines großen S^eilS beS ÜÄittelalterS nur auf fie begogen. 3)ie
Urfunben bcS breigebnten SaßrbunbertS unterfcbeiben nod) regel-
mäßig, wenn fie bie 9iamen ber geugeu auffü^rctt: nobiles,
milites, ministeriales. ®rft gegen ®ube beS ^abrßunbertS unb
oorgüglicß im uiergeßnteu änbcrt (ich ber Sprachgebrauch, unb
man fängt an, aud) bie fRitter, guleßt bie ©ienftleute unter ben
gemeinfamen 9iamen ber „Sbelleute" gufammengufaffen unb mit
bem ©orte „$lbel" ben fjofjen unb ben nieberen ?lbel gu be-
greifen. ©eitler ülrt fiub nun biefe neuen ÄbelSelemetUe unb
auf welche ©eife Ijabett fie fid) mit jenen alten ©eftanbtbeilen
gu einer fogialen Älaffe gufammengefdRoffen?
©ir müffen, um eine richtige ©orfteßung non biefem mert-
miirbigen ißrogeß gu gewinnen, f)ier nod) einmal an bie aß-
mähliche Sntwicfelung bes alten SXbefftanbee erinnern. $5enn
genau biefclben SDJomente, welche in ber merowingifcfien unb
farolingifdjeit ,3eit baS Sluffommen beS btynaftifdjen ÜlbelS be-
giinftigtcn, fiub auch für bie ÄuSbilbung beS nieberen ÄbelS
maßgebenb gewefen. @in llnterfdjieb befaßt nur barin, baß es
bei ben erfteren ber ÄönigSbienft in ber fränfifdjen 3eit, bei
ben festeren ber ^ofbienft bei ben fpäterßin ben ©egriff beS
ßoßen ?IbelS auSmacßenben T'tjnafan war, ber bie Umbilbung
aus einer bienenben Älaffe in einen SbelSftanb bewerffaßigt
bat. Unb wie bort mittelft beS SeßenSbanbeS urfprünglicß un-
abhängige größere ©runbberreit in eine berjenigett ber twrneßmen
©efolgSleute ältliche ©teflung gum Könige eintraten, fo finb
hier burcb Sluftragung ibreS ©runbbefaeS an einen ®pttafan
gaßlreidje angefebene greie ber gleichen ©ßrenrecbte w’e
urfprünglicß unfreien SDiinifterialen tßeilßaftig geworben. ®om
©tanbpunft beS SRittelalterS aus betrachtet, beftebt bann ein
weiterer bebeutfamer Unterfchieb gwifcßen beiben ftlaffen beS
SlbelS barin, baß ber ®pnaftenabel bamalS fcßon längft ein
(234)
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1 27
hiftorifd)er, nad) unten abgefd^toffenei- erblicher ©ebtütäftanb ift,
mährenb ber SRitter* unb 2)iinifterialabel ba« ganje SKittelalter
hinburd) — wenn id) fo fagen barf — im gluffe be«t @nt-
ftebenS begriffen ift, in feinem Stnfang nnb Fortgang au« beit
einfad) freien unb felbft au« porigen gatnilien ftrf) Verleitet.
Derfetbe bleibt batjer aucf) im Stute nacf) rcie Bor mit jenen
erfteren oerbunbett, troft aller Serfudje be« Äaftengeifte« , if)it
ebenfaü« itad) Strt be« t)of)en äbel« abjufd^Iie^en. 9tur mit
ben Unfreien ift bie ©tjegenoffenfcfjaft befdjränft.
Der ©runb ber allmählichen Stanbe«ert)öhung ift nun ju
fudjen tljeil« in einem anjehnlidjen ©runbeigentljum uott minbefteu«
brei |mben, tt)eit« in bebeutenbem 2ehen«befi|. 9Äit jenem Ber»
banb fid) ba« SRedjt, in bem gräflichen öJeric^te at« Schöffe ju
ft$en unb ju urtl)eiten (Schöffenbarfreiheit), foroie bie höhere
$rieg«pflicht unb &rieg«el)re be« Witter«, auf biefem beruhte
ebenfo bie ehreuBotte Safattennerbinbung mit bem flehen«»
herrett $u Schuh unb Drufc in $of» unb Heerfahrt. Da«
»ichtigfte SÜioment ift jebenfatl« ber SRitterbienft, ber, nachbem
fpäterhin beibe Serhättniffe — ©runbeigenthum uitb flehen«»
beft| — ineinaitber übergegangen fiub, höher gefcfjä^t mürbe at«
ba« fcböffenbare ©runbeigenthum. (£« hängt bie« auf« innigfte
jufammett mit ber ?trt be« SÜrieg«bienfte« unb ber bamit Ber»
bunbenen fleben«meife. 31t« ber alte Heerbann immer mehr in
SBerfaU gefommen mar, bitbete fich ein neue« $rieg«ft)ftem, in
metchem ber Dienft $u ißferbe, bie beffere Semaffnung, bie
fchmerere Lüftung unb gemiffe Anfänge ber Daftif bem frieg«»
geübten 2Ranne eine höhere Stellung gaben; bie SBaffeniibung
roirb im flaufe ooit SJienfchenaltern allmählich ju einem fleben«»
beruf in ftufenroeifer Sluäbilbung. ©eroöhnlich rücfen baher je^t
nur noch bie Dienftmannen unb Safaßen ber dürften unb
anbere begüterte greie in« gelb. Diefe treten — hierin einem
burch bie ganje mittelalterliche ©efdjichte gehenben $ug auf
(2351
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forporatiüeu gufammenfchluß burd) gleichen SebetiSberuf Ser*
bunbener fofgeitb — in eine befonbere ©enoffenjchaft jufammen,
beren fämtlidje SDiitgtieber eine bloß friegerifc^e Lebensart führen
unb als beren hödjfte SBi'trbe bie beS 5RitterS betrauten, hierin
liegt ber Urfprung ber ritterlichen ©efd)(ed)tcr. Selbftoerftänblidj
waren bie Söhne SDerer, bie baS ritterliche Sehen führten, bie»
jenigen, welche auch iuitäcfjft burch bie Schtuertleite ber @hrc
unb be^ SRechtS ber Säter theilhaftig würben. Unb wenn audh
biefeS oorerft noch fein auSfcfjlieijlicheS SRedjt war unb wehr
af§ baS ©efchlecht ber wirtliche 2/ienft belohnt würbe, fo ift
hoch in ber ftaufifcfjen 3eit auf bie iRitterbürtigfeit ein ent»
fcpiebeneS ©ewicht gelegt worben. Aber nur ber abhängige
Sauer befanb fiel} in einem foldjen ©egenfaß. 2Bo er in alter
SBeife fich auf eigenem ©runb unb Soben erhalten, führte er
auch wohl ritterliche Sßaffen. $er holfteintfche 2lbel , wie er
uns im zwölften Qahrhunbert gegenübertritt, befielt aus freien
Säuern, bie ju ber ©renjoertheibigung oerpflichtet waren unb
beren fRecht hierauf, wie auf ber Iheilnohme am SanbeSgericht
beruhte.
3m Saufe ber $dt fonberte fich bann jene ftlaffe ber Se<
oölferung, bie im SBaffenbienft ihren Seruf fah, als gesoffener
sJiitterftanb oon beit übrigen Stäuben beS AtferbauS, bcS fmnbelS
unb ber ©ewerbe. 2)ie ©runblagen befteljen in einem ©runb>
befijj, oerfnüpft mit ber perfönlichen Freiheit unb ritterlichem
Seben. 3h* Sefiß unb ihre Freiheit büßen baburdj nichts ein,
baß ihr 3nt)flber in ein SehenS- unb SafaHenoerhältnifj jn einem
gürften trat; im ©egentheil, er gelangte bamit erft ju einem
ißlaße in ber §eerfchilborbnung, bie je$t bie ©runblage ber
ganzen ©cfellfchaftSorbnung würbe. SBie ber gürft burch baS
gafjnenlehen unmittelbar an bie ißerfon beS SaiferS hinangerüctt
ift, fo erscheint ber ritterliche ©runbbefijjer burch bie Auftragung
feines ©uteS an ben gürften an biefen angefniipft unb gewinnt
(286)
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baburcß giißlung mit bem ©eichSoberßaupt. llnb nur eine
folc^e, menit auch mittelbare ©erbinbung fdjaffte bem begüterten
freien eine Stellung, einen Slang im fjjeerfcßilbe. $aS ©ittergut
mußte notßmenbig SeßenSgut werben, wenn eS in baS gaitje
SebenSfpftem paffen füllte. £ie ©ebingungen für ben (Sintritt
in biefen ©itterftaub finb bann fcßon frühzeitig rechtlich fifirt
worben. Um als ritterbürtig oor feinen ©enoffen unb oor bem
©olfe gu gelten, mußten jwei ©orauSfeßungen erfüllt fein:
erftenS oier freie Slßnen, zweitens fo Diel ©ermögen, baß man
für ben ©djmucf beS SebettS übrig ßatte unb niemals bloß ooin
SBerf feiner £>änbe ju leben brauchte. ®ie erfte ©ebingung
fteUte baS ©efeß auf, ber ©acßfenfpiegel unb ber Schwaben*
fpiegel finb barin beutlidj unb faft gleicßbebeutenb. Söeibe ©roß-
eitern unb beibe ©Itern mußten üoHfrei fein — bieS, aber nur
bieS mar nach bem ©efeße unerläßlich jur ©itterbürtigfeit. 2Ber
aber felbft noch ^örig war ober beffen ©Itern hörig gcwefen,
mußte, wenn er in ben ©tanb ber ©itterbürtigen treten wollte,
erft Dom höcßften fperru im Sanbe feierlich als ein ©fann Don
©itterSart anerfannt werben. $icS gefcßaß burch ©rtßeilung
beS ©itterfcßlageS jum ,3wecfe ber ©rßebung in ben ©itterftanb.
£ic zweite ©ebingung war Don ber Sitte oorgefcßrieben. Sie
ließ troß ber perfönlicßen Freiheit nicht ju, baß bloße ©auern
unb £anbmerfer als Seine Don fRitter^art anerfannt würben.
2Boßl aber öffneten biefe ihre ©efeflfcßaft Dor bem ÜJlaune, ber
tßatfächlich ihnen wertß würbe an ffreißeit, ©ermögen unb
©ilbung, unb fie fdjloffen ißre Greife hinter bemjenigen, welchem
bie natürlichen Unterlagen eines abligen Sehens cntfchwanbcn.
Jaufenbe, bereu ©roßeitern noch nlS ©auern ober ^anbwerfer
arm unb unfrei begannen, traten fort unb fort in bie ©eiben
ber ©itterbürtigen ein, wenn bie ©roßeitern frei, oermögenb
unb angefeßen geworben unb bie ©Iteru biefe Dorneßmere SebenS*
fteüung fortgefeßt hatten.
30
Die ritterliche Slrt beS SfriegSbtenfteS hat aber nicht bloß
bic eine golge gehabt, bie ihm als ©eruf ergebenen begüterten
freien ju einem befonberen Stanb jufammenjufchließen, fie hat
auch nach oben unb nach nnten gewirft: nach oben, inbem fie
beit hohe« Slbel, ber ja gleichfalls in ber güßrung ritterlicher
SBaffen, wenn auch nicht wie bie ©orbejeichnetett feinen SebenS»
beruf, fo hoch eine feiner hauptfäd)lichften Aufgaben erblicfte,
in biefer einen ©e^ichung auf bie gleiche gefetlfdjaftliche Stufe
mit ben bloßen SRitterbürtigen brachte; nach unten, inbem fie
bie urfprüttglich unfreien Dienftleute, infoweit fie baS SBaffen»
hanbwerf jum Berufe hatten, trofc biefer ihrer perfönlichen Un*
freiheit jur Stufe ber freien fRitterbürtigen heraufnimmt, bis
jchließlid) ber gleiche ©eruf bezüglich aller brei in ihrem Urfprung
unb fonftigen SebenSoerhältniffeu fo Weit auSeinanber geljenben
ftlaffen eine fo mächtig auSgleidjenbe Söirfuttg erjeugt, baß fie
nach außen wie ein einziger Stanb auftreten. Dies war ber
höchfte Triumph ber ritterlichen SBaffenfüfjrung, baß baS Sin»
feßen unb bie @hre» melcße fie gab, berart überwogen, baß bie
urfpritnglichen ©ruttblagen: ^errfcßaft, f^rei^eit unb Unfreiheit,
bagegen jurücftraten. Slbel war nun 9iitterftanb, ber fRitter
galt als ablig, auch Wenn er als ÜRinifteriater ber »ollen Freiheit
entbehrte.
Glicht auf einmal hat fid) biefer merfmiirbige ißrojeß ooß»
jogen. Sangjam pflegen bie ©eränberungen ber fokalen SBelt
oor ftch ju geßen, unb ber Schritt oott ber nahezu bebingitngS«
lofen Unfreiheit beS ^errfchaftlichen DienftmanneS bis jur Pollen
Freiheit beS IRitterSmannS hat Saljrhunberte in Stnfprucö ge»
nommen. Die Slnfänge biefer Sßerf onenf faffe finb wohl in ben
servi benefieiarii ber ©olfSredjte ju fuchen. Schott DacituS
hat ben merfwiirbigen ßug beS germanif^en SharafterS wahr-
genommen, baß ber Dienft an bem |>ofe eines hohen fperrn ben
Dienenbeit emporhebe. ©S äußerte biefer $ug feine SBirfung
2SS)
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31
bei ber iöilbung beS fränfifdjen ^belftanbeS, wie fpäter bei ber
.fiinaufhebung ber unfreien $>ienftleute ber ^pnaften pr ©teßung
freier, ritterbürtiger perren. SDer ©lan^ be§ fperrn beleuchtet
auch bie nädjften Wiener, ber nafje perfönliche Umgang mit
jenem gab biefen @influ§ unb Slnfehen.
5)er ©ang biejer ffintwicfelung bürfte ungefähr folgenber
getuefen fein. Urfprünglicf) ftehen fie, gleich ben gemeinen Un*
freien, wenn auch nicht in bemfelbcn ©rabe ber 9fed)tIofigfeit,
im ©igenthum ihres 35ienftherrn. 3n ber SEBahl ihrer grauen
finb fie auf bie Üliinifterialinnen beSfelben befchrönft. 3hr
©igen fällt nie aus beffen ©ewalt. (Gegenüber britten ißerjonen
werben fie burdj ihn oertreten, ©o lange man alfo biefe ©eite
ihrer (Stellung befonberS ins Sluge faßt, mitfj man fie uubebingt
unter bie niebrigfte Äfaffe ber freien fteßen. ©ie werben beS*
halb auch im ©achfenfpiegel noch nicht in ber Crbitung ber
^eerfchilbe genannt unb erhalten bitrch ihre greilaffung bloß
ba£ iRecpt freier fianbfaffen; felbft noch &er SSerfaffer bes
©chroabenfpiegelS trägt fein Sebenfen, fie gerabep ©igenlente
p nennen. 3m ©egenfajj p ben übrigen Unfreien burften bie
Dienftmannen jeboch nur p ehrenooßen, namentlich friegerifchen
2)ienften oerwenbet werben. $>ie£ war ber eigentliche ÜluS-
gangSpunft ihrer fpäteren hohen gefeßfchaftli^en ©eltung. Unb
mit ber 3e't tont ^'e oermögenSrecfjtliche StuSftattung mit
©ütern fjinp, welche an Umfang unb ©rträgnifj ben ritter»
ließen Sehensgütern nicht nachftanbeu. 2>iefc ©üter würben
§war urfprünglich nicht p SeheuSrecht oerliehen, jonbern auS
©unft beS fperrn p $ofredjt gegeben. Slber ba$ ^ofredjt ber
®ienftleute wirb gröjjtentheilS bem SeheuSredjtc ber SSafaßeit
nachgebilbet unb in bem £>ofgericht beS ,£>errn fo gut wie biefeS
gejchüfct, unb bort wie hier fant eS p fefter Srblichfeit beS
SefifceS. 3)aher fonnte ihnen ber ©djwabenfpiegel nach ihrer
greilaffung nicht mehr bie nämliche ©teßutig wie ben gemeinen
(28»)
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32
(Sigenleutcn anweifen, fonbern muffte ihnen baS SRedjt ber Witter»
bürtigen uttb bamit ben fünften |>eerfd)ilb pgefte^en. @S ent*
ftanb fo um bie dürften unb Sblen fjer neben bem erften Greife
ber ritterlichen SSafallen ein zweiter SreiS oornehmer ©ienftleute,
welche burcf) §ofämter unb ^ofbienft ausgezeichnet unb bitrcf)
hofrechtlidjen ©runbbefi^ begütert waren. Sn ber ^ö^eren
öilbung unb ber feinen ^öfifdjen ©itte ber $eit hatten fte nicht
minber 3^he^ Bie Witter, ©ie führten ritterliche äSaffen
unb folgten bem §erru in bie gefjbe wie bie fftitter. SSie eng
allmählich bie ^Berührung beiber Stoffen würbe, baoon giebt
unter aitberem ber Umftanb 3euflnifi, Baff Bie alte $ienft*
mannenorbnung ber 9taf)men würbe, in welchen ftch nach unb
nach alle SRitterfc^aft einfügte. Sille bie ^Bezeichnungen, bie »oit
je^t an bie ©fala ber ©rabe beS SRittert^umS auSmacf)en
(©cffilbfnechte, ©cuperS, gamuli), erinnern an 2>ienftbarfeit.
SBebeutetc früher Snabe unb Snecht ben unfreien SDienftmann
eines |>errn im ©egenfafc Zu Bern freien miles, fo würbe je£t
biefe ^Bezeichnung einfach oom ©tanbpunft beS eblen SBaffen=
bienfteS aus, ohne fRücfficht auf bie perfönliche Stellung beS
SBetreffenben, aufgefafjt: bie Snaben (Snappen) waren nicht bie
Suedjte ber Herren, fonbent bie Suechte ber SS affen.
Stuf biefe SSeife ftreiften bie ®ienftmannen allmählich ihre
früheren fnedjtifchcn Sigenfchaften ab unb oerfchmolzen mit ben
ritterlichen greien zu einem ©eburtsftanbe. 2>ie ^mtftmäBige
Slbfchließung beS fRitterthumS, bie in feinem SBefen lag, brachte
auch Bie in ihm wirfenben Sbeen in ein ©pftem. 9?ur baS
SSichtigfte fann ich h*er berühren. SSie fchott in ber ©ermania
beS JacituS bie SBehrhaftmacfjung ber jungen SDtänner einen
bebeutungSooüen Slft beS nationalen SebenS gebilbet hotte, fo
war jefct bie ©djwertleite baS 3e>£hen Ber 9RünbigfeitSerflä-
rung beS ritterlichen SünglingS. SSorauSgegangen war biefer
meift eine längere ißrüfungS» unb ©ienftzeit bei einem herDor*
C240)
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38
ragenben $rieg«mnmt. Spalte fich ber ftnabe Wader gehalten,
fo erhielt er nunmehr mit gewiffer geierlid)feit ^<e SRanne«-
Waffen, bie ooHe ritterliche fRüftung. Unb wie fcfjoit in aft*
germanifcher $eit mit ber 3Beljrt)aftmad)ung bie Säuglinge au«
bem Greife be« $aufe« fjttauStraten unb fortan al« SJtänner
unb ©lieber be« Sollet anqefeheit würben, fo ftanb aud) jefct
bem ritterlichen Sünglitig, wenn er au« bem üeibbienft feine«
2el)rherrn entlaffen war, bie Söelt offen. ÜDer eigentliche 9iitter=
fchlag ift oon biefer ^reitaffung gatq unabhängig unb feiner
®ebeutung nach nicht« al« ber ibeale Ülbfdjlufj in ber fRang>
orbnung ber SRitterbürtigen. ÜReift liegen beibe bfte weit au«>
einatiber. *5roiffarb§ fiiebling, ber 9)?arfdjall ©ouciquaut, unb
Salain, ber Spiegel aller SRitterfdjaft, hatten, uadjbem fie bie
ritterlichen SBaffen angelegt, fdjon eine hükfdK sbcil)e oon
Jpelbetjthaten ocrrid)tet, ehe ber eine auf bem Sd)Iad)tfelb, ber
anbere, beoor er in einen ferneren gweifampf ging, ficf) ben
bitterfdRag erbat; Saparb unb bie grunb«berg galten längft
al« bie beften SRitter im §eere, al« fie ju Gittern gefchlagen
würben. £>er Sd)werpunft ber gefellfdjaftlichen Sebeuhtng be«
bitterftanbe« lag in ber ihm befonberett brt ber Stoffen*
führuug. Schwert unb San^e waren ber Stol$ be« bitter«
unb ba« Siecht be« Stoffentrageu« im griebeit follte feine 9lu«>
jeicffuung bleiben. ®er 2aitbfriebe oon 1156 beftimmte, bafj
ber Siichter jebem Säuern, ber 2atqe, Schwert ober überhaupt
Stoffen trage, entweber biefe ober 20 Schilling abnehmen folle.
lud) ber Kaufmann, ber in .£>anbel«gefd)äften bie Sßrooiuj
burchreifte, burfte nach bemfelbeit ©efefc ba« Schwert nur am
Sattel häugeitb ober auf bem Stogeit liegenb mit fid) führen.
SRitterlid>e $rei«fämpfe boten ben Ärieg«leuten ®hre unb Äu$*
jeidjnung auch im grieben, ber ÜRenge, bie fich um bie Schranfen
brängte, ein wiflfommene« Schaufpiel. Um nach aujjeu hin in
bie gerne ber Söelt ju wirfen, bilbeten fich bie Siitterorben, in
€amniluni{ ')!. 3 V. 103. 3 (211)
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weldjen bcr Slrieg als ein neues Södtprinjip auf ibeeHer ©runb*
läge aufgefafjt würbe. Äucf) Ijicr, wie bei fo Dielen ©eftaltungen
beS ©iittelaltcrS, Ratten bie 3nftitutionen bcr Sirene SJtufter
unb ©orbifb gegeben, wie aud) bcr ©nbjwed biefer Crbcu
immer nur bic ©erfjerrlidjung beS ßl)riftentljum8 war. lieber*
Ijaupt mnd)en bie 3becit eines djriftlidjcn 33JeItreid)§, bie $luS*
breitnng unb ?(nfred)terl)altung feiner ißrinjipien baS ©runb*
dement beS ganzen SHitterwefeuS an«. 8m ÄultnS ber gött*
lidjeti 8uitgfrau gewinnen biefe fjalbmpftifdjeu Seftrebungen eine
fidjtbare ©piße, baS ewig ©öttlidje nerförpert fid) barin jum
ewig Sßeiblidjeit unb giebt non ba aus ben §fnfaft ju einem
djarafteriftifdjen JlultuS beS ^raucitbienfteS überhaupt, (Jnblid)
muß nod) eines mehr iiußcrlidjen SfterfmalS beS ©ittertßumS
ermähnt werben, baS fpäterßiu non großer 2Bid)tigfcit für ben
gefammten ÄbetSftanb geworben ift: idj meine bie juerft bei
jenem unb burcf> jenes norfommenbe güijrung t>oit Familien*
uamen unb ©Sappen. Tie erfteren begegnen uns jiterft im
11. Safjrfjunbert, wo fie fid) auföiiter ober ©cßlöffer beließen,
bie ber gotnilie angeboren. Tod) entbehren fie nod) ber feften
iionftanj, medjfeln in ben fid) folgenbeit ©enerationen ober finb
gerabe bei ©rübern nerfeßieben nad) bem ©efißc, ben jeber ßat,
ober anberen Uniftänben. Tie ©rafcit ßatteu fid) ißren Hainen
urfprünglid) nad) bem ©au gegeben, ber ißren SlmtSfprengd
bilbete. Turd) ben ©ro^eß, in bem aus ?{mt Sefiß gemadjt
würbe, ßatte fieß auf biefem Territorium aßmäßliiß muß ein
.fjauptgut ßerauSgeßoben, auf bem fid) ber neue |jerrfdjafts<
begriff oonteßmHtß ju fonjentriren begann unb non beffen ©e-
geießnuttg ber ©raf batttt and) am liebften feinen eigenen tarnen
fid) übertrug. Tiefe ©ejeießnung würbe ber §aupturfpruug
ber neuen ariftofratifeßen ©efdjlecßternamcu. ©3aS baS Stuf*
tommen ber Sßappen betrifft, fo ßatte ftßon in ben älteften
feiten baS 3ufammcnfteßen ber ©erwanbten im Kampfe p
(242)
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einer eigentümlichen ©lieberung ber .fpeerhaufeu geführt, wobei
bie Schilber burdj gleichartige garben unb Äbjeidjen biejc ©e*
meiitfchaft aud) äufferlid) wahrnehmbar djarafterifirten. SS
entfprang barauS ber ©ebrauch ber Sßappen, beren Sittnbilber
fief» befottberS in ben Slreuzzügett fcftftelltcn unb mit beneu bie
gantilien bie ©efdjloffenheit ihrer ©efdjlechter befiegelten.
SS mürben aber biefe äujjerlidjcn Motioe ju einer felb«
ftänbigen ©eftf)led)terbilbiiiig nicht auSgereidjt hoben, wenn bas
fHittertljum nicht zugleich bie materiellen SBefi^oer^ältniffe jur
©ruttblagc feiner Sntwidelung ergriffen hätte. 3)aS fHitterthum
»erwuchs mit ber £cl)enSfähigfeit ju einem unb bentfclbcn 33e«
griff. SS würbe baburch biefem ©tanbe »orjugSweife bie Sahn
eröffnet, höhcrcg ©igenthum an baS ©cfchledjt ju feffeln. 3?er
rittcrlidje ©ruubbcfig würbe für bie ganze 3citanfd)auung ber
.^öhepunft unb SBerthmeffer aller politifdjen unb materiellen
5Red)tc, Steuerfreiheit, SanbtagSfähigfeit unb richterliche ©ewaft
erfdjienen als bie »oit biefem beuorjugten Sefift getragenen
SRealberedjtigungeit. 3n fokaler Segichung aber bezeichnet baS
9iitte«hum, wie baS ganze £ef)nwefen, einen ungeheuren gort«
jd)ritt beS Mittelalters, einen er.tfdjeibenben Schritt zur Sefrei«
ung unb ehrenhaften Srhebuttg ber Slrbeit unb ihres SerbienfteS
gegenüber bem Sefifc. $er alte ©ermatte hätte fief) einen Manu,
ber »on einem attbern Mann geliehenen ©ruubbefip gegen SJei«
ftung »on SJienften angenommen, nicht anbcrS bettfen föttnen
wie als ftnecht, bie bewaffneten .fpinterfaffen ber ©rofjett fittb
in ber $hflt bewaffnete Unechte. 2)afj jejjt ber betoaffnete bie«
nenbe Mann als ehrenhaft galt, obgleich er nur auf geliehenem
@ut, nicht auf echtem Sigeuthum fafj, bafi ber 9iame Unecht
jogar zum (S^rcntttcl werben fonitte, ift ein bebeutfamer gort«
tritt ber geit, Ejerbeigcfü^it burd) ein gemeinfanteS Sebürfniff
ber Sölfer SuropaS, baher ber foSmopolitifd)e Sinn beS 3n*
ftitut«, welcher befottberS feit ben Äreuzzügen unter ber pflege
3* (243)
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36
ber ftirdje gebiet); unb biefer ©imt war c« beim nud), meiner
beit gro&en ©runbljerrn mit bem flehten Seither, ben ©afaüen
mit bem Slfteroafallen bereinigte ; ©rjiehung, Seben«beruf unb
friegerifrfje @f)re waren it)iten gemeittfam. der ©taub ber
Siitterbürtigen mürbe ber eigentliche ©runbftod be« fogenannteu
niebereit Slbel«, ber in deutfchlanb halb auf ber breiteften ©runb=
tage unb in einer gemiffen SJiaffenhaftigfeit fid) ju eutmiefetn
unb fort^upflanjen begann. ©inen ©runbftotf bilbeteit bie
freien ©runbbefifcer auf bem Sattbe, welche wohlfjobenb genug
geblieben, um geharnifdjt ju Stoffe aufjureiten, jebodj nur unter
ber einen ©ebingung, baff fie ober ihre ©orfatjren auf ihren
.'pof feine bürgerlichen diettfte ober Saften, wie bie ftörigen
uitb Seibeigenen fie leifteten, übernommen hotten. ©on ihnen
fagte ba« Sprichwort: „ein ©betmann mag oormittag« zum
Sltfer gehen unb nachmittag« im durttier reiten." dazu fameit
bie zahlreichen großen unb flehten ©ut«befifcer, mefche früher
dienft* ober ©urgmannen gemefen, bie aber ihre ritterliche
Seben«weife au« bem ©taube ber Unfreien herau«gefjobcn hotte.
3tt einer SJlettge uon dörfern, wo jefct feine ©pur oon Sbligett
ju finbeit, meifen bie Urfuitbett ritterbiirtige Seute nach- ^äufig
fafjen auf einer ©urg ober einem £ofe, ber feinen ®hurm hatte,
zwei ober brei Familien jufammen. der ©ternerbunb in Reffen
unb Umgegenb zählte über 2000 abtige ÜJiättner, metche jufammen
nur oierthalbhunbert ©urgen hotten. die ©toffe jum ©achfen*
fpieget fagt, bah nur diejenigen nicht ba« Siecht bet Seute üon
Siitter«art übten, metd)e feinen eigenen ©ruttb unb ©oben
hatten unb ©ferbe btof) ju ihrer Seibe«nott)burft hielten.
SJiatt hot in neuerer geh metfad) bezweifelt, ob nud) bie
©atrizier unferer alten Sieid)«ftäbte biefem Slbel ber Siittcr«
bürtigen beigejählt werben bürfen. SEBettit genügenber @runb*
befiel, »erbunben mit ritterlicher Seben«meife, baju au«reid)te,
ben aJiann au« ber ftlaffe ber gemeinen freien in ben Slrei«
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be« Sitterabel« ^inaufjuljeben, fo ift ber Sßatrijier fidjerlid)
ritterbürtig gemefen. 6r befaß nicht nur innerhalb ber ©tabt«
mauern, fonbern auch auf bem Slanbe eine Änja^f öurgcn,
Jpöfe, Zehnten, grunbherrlidje ©efälle, 3agben, $ölle uub anbere
Berechtigungen, er ftanb meift in 2ct)euäbcjicf)uugeu ju geift-
liehen unb weltlichen gürften, er hielt fid) eine SDieuge Unter-
gebener unb ©djüfcltttge, — bast 3nftitut ber ÜHuntmannfchaft
fomrnt ^uitöchft im ©efolge be« SJktrijiat« bor — , er führte
eine ritterliche 2eben«»eife, tummelte fid) mit feinen Sfnechten
im Stampfe »ie im furniere, fur^, er erfüllte getreulich alle
Pflichten eine« ebleu Sitter«. ®afj er baneben örofjl)anbet
betrieb, fonnte ißm in ben Äugen feiner ©tanbeagenoffen fo
wenig Sadf)theil bringen, al« bem fianbebeltnann, »eldjer fein
©ut betpirthfehnftete ; nur burfte er, gleich lu'c jener nicht jum
gemeinen Säuern h«unterfinfen f ollte, nicht eilt bloßer Stränter
(ein; er füllte nicht nad) Sßfunbett au«»iegen unb nicht nad)
ber SHe au«fd)neibett. äöiirbe im SWittelalter — unb lebig(id)
mit beffen Änfd)auung«»eife ha^en lu'r h'er Su lhun —
eine anbere Äuffaffung gültig gemefeit fein, fo mühten auch bie
»enejianifchen uub florentinifdjen Sobili, bie ®eutfd) - Orben«-
ritter, bie alle fdj»unghaften fpanbel trieben, e« müßten auch
jolcfje hochgeftiegene gamilien, tuie bie Siebter unb Bugger,
bie mit ben SBurjeln ihrer ©röße unb ihre« Seichthum« auf
ben |janbel unb ©elbermerb jurüefgehen, au« ben Seihen be«
äbel« geftrichen »erben. (Srft gegen Sttbe be« üüiittelalter«,
al« Straft unb Sieben be« Äbel« erftarben, fuchte ber Saubabel
bie ißatrijier »on furnieren, ®omftiftern unb Sitterorbeit au«-
jujthließen. ©o Diel ber Äbel bamal« an Sebcutung im
Bolf«ganjen einbüfjte, um ebenfooiel fuchte er fein ©elbftgefiil)l
ju fteigern, tnbem er fid) laftenmäfjig abfdjloß uub nicht mehr
bem Solle, fonbern immer nur feinen ©enoffen in« ©eficht
blidte. ©anj attber« »ar ba« früher. Sie »ar eble Äbfunft
<ü«)
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iuerttjüoüer, nie übte bet Ülbel eine größere potitifd;e Mad)t als
im Mittelalter, aber niemals fd)ieit er audj weiter oerbreitet,
niemals frifdjer unb flüffiger. (5r ftaub bamals wie eine
orgauifchc, lebenbige Snftitution, bie fidj fortwäßrenb oerjüngte
unb erneuerte, weil fie an ©teile ber abfterbenben ©lieber fid;
neue aus bem Solfe Ijeranjog. (Srwägt man nun, weldj be*
trädjtlichen 2^eil beSfclben all biefe klaffen ber fRitterbürtigen
umfaßten, rechnet mau f)ingu, baß ber ÄleruS, welker mit
ißneit auf gleidjem guß oerfehrte, bamals in feine Meißen nid)t
wenige oou benen aufnahm, roeldje je^t freier als ©elchrte unb
Seamte leben, baß enblid) and) bie Äiinftler, fobalb fie fid)
über baS Jpanbwer! erhoben, uns in Silbern nnb Siidjern in
STracßt oou fßatrijiern entgegentreten, fo liegt bie Slnfidjt nahe,
baß bie rittcrlidje ©efellfdjaft im Mittelalter fo jicnilid) baS
war, was wir je^t bie gebilbete ©efellfdjaft nennen.
C246)
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Drrlagsnuftalt nnb Dntdtfrti (vormale ). I»irt|tcr ) in Hamburg.
(gitt illuftrirtfg ^rtufttwerf erftctt ÜHattflcä:
(’fraufyffltWn Mit
l*oii Bnih, mit Uirtlir,
■ti.t 'SMnlrJl i r. SHJrinf ni .kr.
linier i'i mrirf ui! pon
(£ontre>9tbiuiroI a X SJtroer,
£>au»tniami l*. ll-csdl,
H febtut*. Map. ». SJclicI ^itrlobcrg
». btutidion u. ciifll. SfcofRjitrfii.
oüufjnri r.'ii
'Prof fl. ». iBJmtcr, '.Wavincmalrr 'Jücilir,
Uinbitcr, tMnfi, Slricfd, 'üuvlli u fl
$aS 3Bcrt umfaßt bnS gefamte SDlarineroefcu unter bejouberer Slerücf'
fidjtigung ber beutjdjcn Kriegsmarine, jdjilbcrt in populärer Keife baS See*
mannSIcben au 93orb unb am 2anb, auf Kriegs* mie .^aubelsfc^iffen. unb giebt
bem 2eier ein getreues 33ilb oon bem Staube unb ber ®tad)t nuferer TOariue
in allen ifjren 3roei0CH- öegcu 40« Original ^Uuftrationen begleiten ben lejrt.
3>aS fomplete 28crf in '4>rad)tbanb gebuubcu foftet 7.» ®if. — 'J(ucf)
in 12 einzelnen Uicfcrungcu ü 5 Ulf. ^ u beließen
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Urrlagsanftnlt unb Drudtrrri luormnlo 3. #. ilirtitrrj in tambnrg.
Cenngfons Hümgaftigtten.
llebertrageu ooit $elbniauit.
9 Sogen o'fil in klein folio mit 37 euglifrijrn stiiijru non ftuflou Dir«'*.
'•l?rei$ in reid) oruament. '.JJradjteiiibanbe: 20 üttf.
Tcnniiion« M önigoibtidrn rrfdjeinrn liier jum rrftrn »jlt illuftrirt nor bent beulidirn
'Jlublitum imb hoben in biefer (ürftalt bnrd) bir mriftrrlioft an-'flf f iilirteit (tUuftrotionrn lore«
rinr gerabein begrifterlr Wufnabntr gefnnben.
stille IfDinfeL
10 Still (eben non Termine ttou Ktreufdigit»
3» uoUtnbetcnt ,'Varbciibritif auoncfiiljvt.
lejt non $). £Pmtcker.
0^“ Sllbum- Srormat in rrietjem Ifiubcmbc. $rc:4: 24 9Kf.
S5ie Xon|d|B|)fungrn Wagner« unb S'i«jt«, bir Xidftnngen $rhfe«, Ctbjru«, Iftier«, ®ribell
»nb Storni«, bir Oiemälbe ©ordlitt«, ürnbod)« unb fütenjel« ftnb jrbrm fflrbilbetrit mifrrrr Heil
lirf »rrtrautr ttnnftrorrte.
i.'irb wirb ti barnm allen ©rrebrern birfrr Weiftet' (rin, baft .{irrmiiit uon ©rcujdien
r* untrrnoinmrii tiat, in jr einem ftimmungbboOrn ©ilbr — gtridifain allrgoriidi — lebhaft Der
unlere tftngrii jn ritirn. wo« tut« ol« d)iirattrriftiid)r« Merfreicbrn br« rinirlnrn Xiditrr«, Dfalal
utib iDntiinftlrr« in feinen 'Werten bornrhmlidt frffelnb berührt bot.
^üti|ec-€rtmtmmgtit
von
|h*an? fsjern*ljcim,
rhemaligrin itoniul br« Teutfdien Weitfte« onf ^aluit.
Itiit einem einleitenöen llorroort non §r. 0tto finfd).
l>i i 1 18 in^arbenbrnif auegefütirten 'itoUbUbern unb oiden Tcjrt JUuftrotiimrii.
'Ureisf f» Sif.
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frlelmiffe eines griediifiljen JUjtes.
SSon
olubwig Weniger,
litffior bfä ©tjmnßfiuml in SBfimar,
Hamburg.
SBerlagSanftatt uub SDruderei (öormatS 3- 5- Stifter).
1890.
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Da« 5Red)t ber Uebtrfefcung in frembf ©praßen wirb öorbepalten.
»tut! brr 8rrla8#anftatt unb $ra<ftrrt 8ctien-&efeBtäaft
(normal# 3. g. 8ti<bttr) in Hamburg.
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3(n ber fruchtbaren Cftfüfte be« heutigen Salabrien«, wo
brr tarentinifcbe SKeerbujen nad) bcr weiteren gfädje ber ionifdjen
©ee fidb auftbut, lag ein fjalbeS 3abrtaufenb t>or ber djriftlicfjen
ßeitredjnung bie griec^ifc^e ©tabt Äroton, eine ©rünbung ber
Achäer. infolge ber günftigen öobengeftaltung, ber nu«gejeid)net
gefunben Suft, bei reichen £>inter(anbe« unb ber bequemen 93er*
binbuitg mit ber griecbifdjen ÜÖJuttererbe mar bie Anfiebetung in
furjer 3ci* ^erangemac^fen unb hotte in ber jweiten §älfte be«
jccbften Sabrbunbert« eine twbe Sötiit^e erreicht.1
9Kit bem SBobtftanbe ibjrer SBürger ftieg bie Au«bilbung
in beit meiften Gebieten be« geiftigen Seben«, bie ba^umaf bei
ben SSötfern griec^ifc^en ©tamme« in gebei^tic^er Sntwicfefung
begriffen maren. SSieleö oerbanfte bie ©tabt ben Anregungen be«
weifen ^ßt)t[jagora§, ber ben größeren Zty\l feineg SebenS in ihr
äugebracfjt unb feine p^itofop^ifc^e ©cbute bafelbft gegrünbet bot.
Son Äroton au« terbreiteten fid) feine jünger unb burdE) fie feine
eigenem liefen fie^ren unb £eben«anfcbauungen über bie Äiiften
Bon Unterhalten unb Sizilien. EDurdf lebhaften SSerfeßr mit*
einanber oerbunben, gleich empfänglich unb oon alter« ffer twtt»
eifernb in allem, wa« einen gottfdfritt ju bebeuten fdjien, Ufaten
bie blübenben ©riechen ftäbte an ben Ufern ber weiten ©eebud)t,
Sarent unb SDtetapont, ^erafleia unb ©bbari«, Stautonia,
Sammlung. 91. J$. V. IM. 1* (249)
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ba« epiaepßprifcpe Sofroi unb Region, fowie bie ©riinbungen
in fiufanien unb an ben Siiften ©ijiliett«, bec neuen SDenfweife
bereitwillig fiep auf, unb befonber« in ben ©eelen ber 3ugenb
fd^lug fie tiefe SBurjeln. ©elbft bie ftaatlidjen SBerpältniffe finb
nicpt wenig burcp bie ©runbfäpe be« Ißptßagora« beeinflußt
worben. Sine Neigung ju gemäßigter Süriftofratie, ein ftarfer
§aß gegen bie ©ewaltperrfcpaft (Jinjelner, ein enge« Sßerpaltniß
freunbfepaftlicpcr Snnigfeit untereinauber jeicpnete bie Sünger
be« großen SBeltweifen au«, unb auep bie Arbeit auf mancpcit
gelbern wiffenfcpaftlicper gorfepung, fo weit folcpe bereit« an-
gebaut waren, würbe fleißig getrieben.*
SDurcp ben s-ücrfel)r jur ©ec ftanb Srotoit aucp mit ber
weftlicpen Äüfte be« griecpifcpen gef^Qn^e^ in fortroäprenber
SSerbinbung. ©eine Sewopner waren bem großen $eiligtpume
be« $eu« in Dlpmpia eifrig gugetpan unb jeicpneten fiep burcp
rege öetpeiligung an ben berühmten SBettfpielen feine« |>ocpfefte«
au«. SBoit allen ©riecpenftäbten pat Äroton feiner $eit bie
weiften olpmpifepett ©ieger peroorgebracpt. 2>urcp wieberpolten
grfolg ermutigt, wanbte man fiep ben £eibe«übungen mit immer
größerem Gtifer ju unb erlangte in ad ben Slrten turnerifeper
Äunft, bie auf ben Slingpläpen be« Hltertpum« am meiften
gepflegt würben, eine allgemeine unb ungewöhnliche gertigfeit.
25em fßptpagora« bei ben ßeitgenoffen an Hnfepen !aum naep-
ftepenb, lebte gleichzeitig mit ipm in Äroton ber gepriefene Sltplet
SJiilon, ©opn be« SMotimo«, oon bem bie grieepifepe SBelt mit
ftaunenber Söewunberung fiep erjäplte, baß er fecp«mal in Olpmpia,
ebenfo oft in Ißptpo, jepttmal auf bem Sftpmo«, neunmal in
Slemea ben ©iegeöfranz im IRingen baoongetrageit patte. Seber
Srotoniat war ftolj auf ben poepberiipmten SMitbürger unb
wußte oon feiner riefenpaften ©tärfc fabelpafte jßinge $u
berichten, ©olcpe Seiftungen, oon folepem (Erfolge gefrönt,
bilbeten in jenem 3eitalter pag peg pöcpften (Sprgeije« im
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ganzen ©riechenöolfe unb marett auch oon äußerem SBohlftanbe
unb großer ©ßre im bürgerlichen fieben begleitet.3
£ie beiben angefeßcnften Srotonioten foöen burcß Oer*
roanbtfcßaftliche Banbe miteinonber oerfniipft geroefen fein.
SJtilon hotte SRtjia, eine Ü£ocf)ter be« Bhtßogora« au« feiner
@fje mit ber üielgefeierten 3;hean0/ ol« $ou«frau ^eimgefü^rt.
SBenn e« wahr märe, roa« überliefert roirb, baß au« ber geber
biefer grau ein noch hcute erhaltener Srief an eine ©ricdjin
namen« ißhhötö herrührt, ber fich über bie 2Baf)l einer §lmme
unb bie pflege be« ©äugling« in facßoerftänbiger SBeife an«*
fpridjt unb gute Stathfcßläge über bie meitere ©rjiehung be«
Sinbe« in §lu«fi<ht [teilt, fo bürfte man fließen, baß bei ihr
eigene ©rfaßrung in ber ©rjiehuttg gefunber 9?acf)fommenfchaft
mit einer oon ben ©Item ererbten Neigung jit lehrhafter £ar*
fteüuiig oerbunben geroefen ift.4
3n ber Beit, oon ber mir rebeu, much« in Shroton ein junger
äJtenfch auf, ber bei reicher Begabung oon bem gciftigen fieben feiner
Umgebung nicht unbeeinflußt blieb, meitn auch feine Steigungen
roeber ber £urnfunft noch reiner ©ebanfenarbeit, fonbern oiclmefjr
ber auf Beobachtung unb ©rfaßrung gegrüttbeten SüSiffenfcfjaft ber
SRebijitt jugemanbt mar. Merbing« mar auch auf biefem
©ebiete in ber ©tabt bereit« ©rfreuliche« geleiftet morben.
3)em jungen 2>emofebe« aber blieb e« oorbehaltert, bie froto«
nifchen Siebte jum ßöchften Änfehen unter ben griechifcfjcn Ber*
tretern be« gache« ju bringen. SBa« mir oon ben ©djicffalen
feine« fieben« miffen, läßt mit Sicherheit barauf fdjließen, baß
er bereit« in frühen gaßren burcß au«gejeid)nete ®iagnofe ebenfo,
mie burch @efrf)icf licfjfeit ber .§anb fich heroorgetf)an hot.5
S)ie oerfdjiebenen 3*oeige ber SDtebijin maren in jener 3*'*
Oott einattber noch nicht gefcßieben. ®ie griechißhen Slerjte be*
reiteten, mie e« noch heute in ©nglanb üblich ift, bie oon ihnen
oerorbneten Ärjneieu felbft; ?tyothefen gab e« nicht. Um ißrajri«
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ju gereimten, fam e« baßer barauf an, übet ©elbmittel ju »er«
fügen. $ie Söefc^affung bet mancherlei Snftrumente foreofjl,
reie ber nicht immer leicht ju bejieJjenben $rogen oerurfacßte
anfeßnliche Soften. @« rear üblich, einen größeren SRaum jum
Empfang ber fßatienten unb zur ©eforgutig oon leichteren fallen
bereit ju hotten, auch rearen gefchulte Wiener unentbehrlich,
b. h- gefaufte ©flauen, reelche ihrem Herrn in ben ©efdjäften
beiftanben unb gelegentlich reohl auch felbft auf fßrnji« gefchicft
reerben fonnten. ©eiernt reurbe bie Strjneireiffenfchaft barnal«
nicht auf hohen Schulen, reo gelehrte SReifter Süorträge hotten
unb Uebungett anfteHen, fonbern burch ben Stnfdjfuß an einen
älteren Slrgt, bei bem fidj ber herattreachfeitbe jünger be« gacß«
in bie Beßre gab. SSon alter« her bilbeten auch bie Tempel
be« §eilgotte« 9l«fIepio« eine Slrt ärztlicher ©chulen. ©ie rearen
mit mancherlei (Hinrichtungen jur Aufnahme uttb pflege oon
Sranfen öerfetjen ; erbliche fßriefter behanbeltett im SRamen be«
©otte« bie oon nah unb fern ßerbeiftrömenben Patienten unb
gelangten fo burch reertßooHe Ueberlieferung unb oielfeitige
Erfahrung in ben löefifc einer achtbaren Senntniß be« ^eilreefen«.
SRancße biefer fßriefterärzte löften fich tren ihrem ^eiligthum
Io« unb praftijirten auf eigene §anb. ©o rear e« beim fein
feltener f^all, baß ber ©oßn oom Sßater bie Sunft erlernt hatte
unb ba« Söefte oon beffen SBiffen zugleich mit Snftrumenten unb
Heilmitteln unb zugleich mit ber fßraji« ererbte.6
Slucß ®emofebe« rear ber ©ohn eine« Slrzte«. ©ein SSater
SaHipßon rear in Snibo« ißriefter be« SI«fIepio« gereefen unb
fpäter nach Sroton überfiebelt. ®ie mebizinifche ©cßule oon
Snibo« reetteiferte mit ber oon So« an Sücßtigfeit, unb wenn
fie auch feinen ^ippofrate« ßeroorgebracßt hat, utie biefe, fo
befaß fie hoch reohlgegrünbeten Slnfprucß auf hohe Sichtung ber
ßeitgenoffen unb burfte fich ebenfall« fehr angefeßener ©cßüler
rühmen, ©o erhielt beim auch SDemofebe« eine treffliche 93or»
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bereitung. Slber bic Sugenbjabre, bie ber ftrebfame junge Slrjt
unter ber Dbfjut be§ eigenen 93ater£ »erleben mußte, maren
nicht burcb greunbticbfeit unb grieben »erfcbönt. 25er alte
ftallipfjon mar ein aufbraufenber ÜWann, ber im Sä^jorn ficb
nicht p beberrfcben mußte unb feinem ©ofjne ba$ fieben un*
erträglich machte. @3 fam fo meit, baß ber bereits beran‘
geroadjfene, in feiner Sunft p ben fdjönften Hoffnungen be*
recbtigenbe Süngting ben ©ntfcbluß fußte, bie |>eimatb, ben
ftreiS ber greunbe, gefieberte Nahrung unb gtänjenbe ?luSfid)ten
im «Stich p taffen unb in bie grembe 31t geben. Söie ferner
ibm biefer Scbritt gemorben ift, läßt fi«h barauS ermeffen, baß
er fpäter alles, maS er fein nannte, babin gegeben bat, um baS
geliebte SBaterlanb mieberpfeben.7
©inftmeiten roenbete er fid) nach Regina, ber bliibenben gnfet
im faronifeben äßeerbufen. ©teicbmeit »on Sttben, mie »om argi«
»ifeben ©pibauruS entfernt, mochte fie für einen Slrjt günftige StuS-
fubten bieten. 0b fonft noch Umftänbe »ortagen, bic ben jungen 2)e>
mofebeS p biefer SSabt »erantaßten, miffen mir nicht. Bietleicbt mar
eS baS nabe ^etligthunt beS StSftepioS in ©pibauroS, nachmals
ber erfte Jiurort ber grie^ifeben SEBett, baS mit feinen Stniagen
©etegenbeit p mebijinifeben ©tubien, mie pm Serfebr mit
erfahrenen gaebgenoffen bot. 25emofebeS batte Ne SBabl fe‘ne<*
neuen SBobnfifceS nicht p bebauern. SJtittelloS angefommen,
ganj auf fich allein angemiefen, ohne ©ebülfen, ohne gnftrumente,
ja fogar ohne Strpeimittel, gelang eS ihm, bureb gtücflicbe
Suren, metebe erfenneit ließen, baß in bem tüchtigen Spanne
©efebiefliebteit mit SEBiffen unb pflichttreue in feltenem SJtaße
oereinigt maren, nach furjer geit äße feine Soßegen p überflügeln.
25er maebfenbe iRuf, beffen er ficb unter feinen neuen SMitbürgem
erfreute, führte f<bon nach SabreSfrift babin, baß bie Regierung
ihn mit einem ©ebalt »ott einem latente p einer feften 8tn>
fteflung berief, ©in äginetifdjeS latent batte SBerth »on
(263)
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6500 9Jiarf jefeigen ©elbeS; eS war alfo eine ©efotbung, bie
man aucfe feeute als eine retfet attftänbige bejeicfenen würbe.
9?acfe ben bamaligen ißreiSoerfealtniffen bebeutete eine Summe
non folcfeer £>öfee weit mefer, unb fie fäfjt erlernten, weldj feofeen
SSertfe man auf ben ©efife biefeS SJianneS legte.
©er fiebenSweg beS jungen HrjteS war fortan gefiebert
unb aQe3 fefeien oereint, um fein ©afein aufs angenefemfte ju
geftatten. @r grünbete fief) ein eigenes $eim auf ber gaftlicfeen
Sufet unb burfte mit 3uberficfet einer glüefliefeett 3ufunft entgegen»
felfeen. SWeitt ©emofebeS gefeört ju ben merfwürbigen ©ienfefeen,
bereit geben, naefebem eS burdj gewaltige Rügung einmal
auS bem fRafemen bcS ©ewöfenficfeett feerauSgeriffen ift, fortan
niefet mefer jur Stufee fommen !ann, bie, fein» unb feergeworfen
oon ben SBMen beS ScfeicffalS, ofene eS ju wollen, in baS
©etriebe ber weltbewcgenben 3eitoorgänge feitteingejogen werben
unb fetbft in beren ©eftaltung einjugreifen berufen finb. 3n
Stegina follte feines ©IeibcnS niefet lange fein, ©ereits ein Safer
naefe bem ©egimt feiner amtlicfeen ©feätigfeit im bortigen ©iettfte
erfeielt er einen 9iuf naefe Htfeen. 2Jfan bot ifent eine SünfteÖung
afS ftäbtiftfeer 3trjt mit einer ©efotbung oon feunbert SDfinen,
baS ift nafeeju 8000 ÜJiarf, wofür er bie ©erpfliefetung über*
nafem, auefe bort fein SBirfen bem gefamtett ©emeinwefen ju
gute fommen ju taffen.8
Slber atufe in ber attifefeen £>auptftabt fanb ©emofebeS feine
bauernbe föeimatfe. ©in 3afer lang featte er in feinem neuen
SBofenorte praftijirt unb in biefer fttrjen 3fit feinen ärjttiefeen
©uf ttoefe mefer watfefen fefeen, als eine ißerfönliefefeit auf ifen
aufmerffam würbe, bie ju ben glänjenbften ©rfefeeinuttgen ber
bamatigen 3eitgefcfei(fete gefeört unb ein beffereS ©djicffal oerbient
feat, als ifer ju tfeeit geworben ift. ©ieS war ißolfefrateS, ber
©ferann oon SatnoS, jener gewaltige SDlann, in beffen Hopfe
ber grofje ißlatt erwaefefen war, ein auSgebefenteS 9teicfe ju
(2M)
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begrünben, melcßeS baS Äüftengebiet beS ägeifcßeit SföeereS famt
beffen Snfeln umfaffen unb bic fagenßafte ^errfcßaft beS alten
©eefönigS SföinoS non Üreta jur SBirflicßfeit matten follte.
^ßoItjfrateS wußte feßr moßl, wie große Sebeutung baS ©olb
für bie ©rreicßung ber ßoßen 3^/ bie öor feiner ®eele fanben,
befaß; auf SReicßtßum berußte feine |>eereSmacßt; baS. Streben,
immer größere ©cßaße ju gewinnen, ift eS gewefen, baS ißn
fcßließlicß ju ©runbe gerietet ßat. Slber baS ©elb mar ißm
bocß niemals ©elbfawecf, fonbern immer nur SJiittel jur @r>
reidjung größerer SBertße, unb fo biente eS ißm aucß baju,
ßertorragenbe üDtänner an feinen §of ju jießen. 2Bir wiffen,
baß Slnafreoit ton £eoS unb 3bt)foS ton Stßegion, bie größten
2)icßter beS 3eilnfterS, bei ißm eßrentoße Slufitaßme fanben unb
ju feinem greunbeSfreife gehörten. 9tucß ein jcßidfalSlunbiger
©eßer weilte am $ofe ton ©arnoS, ein äRann eleYfcßer $erfunft,
ber in feiner £eimatß bie $unft erlernt ßatte, auS ber lobernbett
flamme beS OpferfenerS bie 3«funft ju beuten. 3» ber SKitte
beS ßeiligen Raines ton Olpmpia erßob ficß ber große Slfcßen»
altar beS 3euS/ flnf beffen §öße fette ©cßenfel ton 9iinbern
jaßrauS jaßrein bem ©otte ju @ßren terbrannt würben, unb
mit biefem Sltare war ein Crafel terfnüpft, an bem jwei
ißropßeten, auS ben ©efcßlecßtern ber famiben unb Slptiaben
je einer, ben ßeiligen $ienft terfaßen unb bie ©efefee beSfelben
an ißre SRacßfommen tererbten. 3)a jebocß nur eben bie jwei
für bie 3eit ißreS SebenS am f>eiligtßume ton Clßmpia §ln-
fteQung fanben, fo waren bie übrigen ©lieber beiber ©efcßlecßter
barauf angemiefen, anberSwo ißre tßeologifcße SBeiSßeit ju ter>
wertßen. 9?amentlicß bie famiben waren feßr begeßrte ÜDieifter
ber ©eßerfunft in griecßifcßen Sanben aucß außerßalb ißrer
efet'fcßen fpeimatß. ©leid) mandßen SBiirbenträgern ber römifcßen
Rircße ift meßr als einem biefeS geiftlicßen ©efcßlecßtS befcßieben
gewefen, audß im ©taatSleben ber 3*itgenoffen eine wichtige
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SRolle ju fpieleit. Sem Stamme ber Snmiben gehörte auch ber
Sef)er an, ber mit ben Serben Sintern jugleich alg S^rengaft
bei fßolpfrateg einen neuen unb opne gmeifel t«h* einträglichen
SBirfmtggfreig gemonnen hotte. $u ihnett gefeßt fich nun ber
3Jiebijiner. SentofebeS termochte bern glänjenben Stufe beö
fßolpfrateg nicht ju miberfteheu unb langte im tierten 3al)re
nach feinem SSeggange ton Sroton in Sarnog an. Ser Sprann
gemährte ihm ein Safjrgehalt tott jmei Salenten unb jog ihn
in feinen engeren Serfeljr. Sa« Vergnügen, meld)eg ber Umgang
mit bem gefdjeiten SJtanne feinem neuen ©ebieter gemährte, fo*
mie bie nahe öejieljuug, bie ber 33eruf beg Slrjte« fo mie fo
mit fich brachte, »eraitlagte, baß er auch auimärtigen Unter*
nehmungen feinem ©ebieter jur Seite blieb. Mein gar balb
füllte fich hwouSftellen, baß bie e£)rentotle Stellung tpeuer be*
jahlt merben mußte; benn ißr ift eg jujufchreiben, baß Semofebeg
in ben Sturg beg fßolpfrateg mit termicfelt roorben ift.9
Unfern ton Sarnog lag SDlagnefia, bie Stefibenj beg perfifchen
Satrapen. Samalg befanb fid) in biefer Stellung ein ehr*
geiziger unb ränfetoKer SJtann Slameitg Croitag, ber mit brenneuber
Ungebulb auf eine ©elegenljeit augfah, fich &e* feinem Röntge
Slnfepen ju terfchaffen. ^olpfrateg fc^ien ihm ein geeigneteg
Cpfer ju fein; er faßte ben fßlan, ihn auf eine liftige SEBeife
$u beseitigen unb bie herrenlofe Snfel bann für ben Stönig ju
geminnen. $u biefem 3tüec?e fehiefte er junädjft einen Unter*
hänbler nach Samog, ber bem Sprannen eröffnen mußte, Croitag
finne auf SlbfaH ton feinem f>errn unb hoffe babei auf Unter*
ftüßung beg fßolpfrateg, bagegen terfpreche ihm ber Satrap
reicpe ©elbmittel gur görberung feiner eigenen $iele. Gine
perfönliche Unterrebung fchieit nothmenbig, unb fßolpfrateg mürbe
eingelaben, nach Sülagnefia ju fommen. Gr ging in bie gaQe.
Srofc ben SBarnungen feiner greunbe, troß ben bringenben
üftapnungen feineg meltflugen Seherg, trop ben flehentlichen
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Sitten feiner enuachfenen Jochtet, bie ben geliebten SS ater nodj
an Sorb beS Schiffes meinenb umfdjlang, liefe fich ^olpfrateS
nicht abljalten, bie üerhängnifeooQe gahrt 3U unternehmen. 3n
Sftagnefia ift er 522 0. ßhriftuS auf ^eimtiicfifc^c äBeife er-
morbet worben. ®er Satrap liefe ben Seidjnam ans Äreuj
fcfjtagen unb bemächtigte fich ber mitgebrachten Schäle. 5Die
eingeborenen ©amier aus ber ^Begleitung beS SßolhfrateS mürben
in ihre ^eintath jurücfgefchicft, weil bem fchlauen Werfet baran
lag, für feine weiteren ißläne bafclbft eine Partei ju gewinnen ;
alle Slnbereit aber ohne Unterfdjieb machte man ju ©flauen.
Unter biefen befaitb fich auch unfer greunb SDemofebeS, fowie
ber Qamibe oon Clpmpia. Sh** Sage mag anfangs fciueSWegS
beneibenSwerth gewefen fein. Ülllmählich begann fie fich in
etwas ju beffern; ®emofebeS wenigftenS fanb auch in ©arbeS,
ber nachmaligen Stefibenj beS ©atrapen, ©elegenfeeit, burch SluS=
Übung feines SerufS Slnfehcn ju erwerben.10
OroitaS füllte feines tücfifch gewonnenen ÖefifceS nicht lange
froh bleiben. Ueberniüthig burch ntanche ©rfolge, würbe er
fchücfelich bem eigenen SanbeSherrn läftig unb oerbächtig. fiönig
®ariuS war burch außergewöhnliche Vorgänge auf ben SEhnw
gelangt unb befanb fich noch nicht lange in feiner hohen ©tellung.
®aher fchien eS ihm gefährlich, ben mächtigen ©atrapen in ber
üblichen SEBeife jur Verantwortung ju jiehen. Stach Serathung
mit feinen ©etreucn fanbte er fcfjliefelich einen juoerläffigen
SDtann, SRamenS SagäoS, mit bem Aufträge ab, ben CroitaS auf
gefehlte Slrt ju befeitigen. SagäoS reifte nach ©arbeS. ®ort
angefommen, übergab er bem föniglichen ©d)reiber, ben alle
Statthalter bei fich hatten, einen ©rief beS ftönigS, burch welchen
bie Seibgarbe beS Statthalters ben Vefehl erhielt, unoerjüglid}
ihre 35ienfte einjuftellen. 21IS bieS gefchah, erfannte VagäoS,
bafe baS Slnfehen beS ©rofeherra bei biefen SfriegSleuten noch
in ungefchwächter ©tärfe beftehe, unb jefet holte er ein jweiteS
, C257)
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©treiben fjertwr, tu welchem ber König ben joforttgcn Job
be« Droita« befahl. Jser ©atrap würbe niebergefjauen, feine
©täfce würben eingejogen unb famt feilten ©flauen nacfj ber
fönigli^en £>auptftabt ©ufa übergefüfjrt. Unter ben ©flaoen
befanben fit aud) bie, welche einft jum S^ac^laß be« ^ofpfrate«
gehört fjatten. 3um fünftenmale erfuhr J}emofebe« einen jäfjen
2Bed)fel feines ©eftidS; öon ber £>eimatf) an ber ÜHeereSfüfte
Unteritalien« faß er fit nunmeßr in ba« ferne ÜDiorgenfanb
unter Sarbaren oerftfagen unb bem äußerften ©lenb preis«
gegeben.“ 3nbe« fdjien e« in ben ©ternen gefdfrieben ju fteßen,
baß er nodj ju wichtigen Jingen aufbeßalten fei.
©ei ben ©erfern beftaitb bie ©itte, baß ber König mit
@ifer ber 3agb oblag unb ju $ferbe ben Kampf mit roilben
Jßieren aufnaßm. ©o »ar e« überliefert oon alter« ßer, unb
Jnriu« gütete fit woßl, ooit einem fjerfommen ju laffen, ba«
ißm SXnfe^en bei feinen Untertanen braute, jumal ba er felbft
ein greunb be« SBaibwerf« unb ein tüchtiger Leiter war. Ja
ereignete e« fit nid)t lange 3eit nad) ben gefcfjUberten ©or*
gangen, baß ber König bei einer SCBilbjagb oont Sßferbe fprang
unb fit babei ben guß oerrenfte. J>ie ©erlefcung motte
jiemlit ftarf fein, benn ber Knötel war ißm au« ben ©e>
lenfen getreten. 2Jtan brätle ben ©erlebten nat $aufe unb
ftidte gleit nat ärjtliter §ülfe. 9?un waren ju jener 3eit
am fönigliten $ofe ägßptifte Slerjte angefteßt; biefe galten
al« bie erften ÜDfeifter in ber $eilfunbe unb waren aut ou«-
gejeitnete ©pejialiften, aber ißre ftwate ©eite war bie
Slnatomie. ©ie naßmen ben König in ©eßanblung, müffen e«
aber grünblit uerfeßen ßaben, benn e« gelang ißnen nitt, ben
au«gefaßenen 3fuß wieber einjuritten, unb inbent fie babei ©e«
walt anwanbten, matten fie ba« Uebel ftlimmer al« juoor.
J)er König mußte heftige ©tuteten leiben unb fonnte fieben
Jage unb fieben ßlätte feinen ©tlaf finben. Sftatürlit madjte
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biefe @ejcf)id)te groheS Sluffehen unb bilbete baS einige ®e-
fpräch am ganzen |>ofe. SlfleS mar rathloS, am meiften bic
ägpptifchen ,'peilfünftfer. Ja melbetc fid) am adjten Jage, als
eS mit bem Könige ganj fehlest ging, ein SWann, ber jufäßig
früher in ©arbeS gelebt unb bort non ber feltenen ©efchicf-
licf)Feit eines griccfjifrfjen 9lrjteS aus bem iRadjlafj beS $olt)frateS
gehört hatte. @r fajjte fid> ein £>erz unb braute feilte Kunbe
»or ben König. JariuS befahl, ben fremben Str^t aufs fdfteunigfte
herbeijttholen. SDtan fanb ihn unter ben ©Hauen beS OroitaS
irgenbtuo, tuo fi«f> fjfiemanb um ihn fümmerte, auf unb führte
i|n uor, feine Sanbe nachfchleppenb unb in fiumpen gebüßt. 18
SBermuthlich mürbe uitfer §elb, menit man if)n gefragt
hätte, eS uorgejogen hoben, meiter unbeachtet in einem, metm
auch flenben, guftonbe äu leben, ber ihm bie C>°ffnun9 Kehr
(Gelegenheit jur |)eimfehr ju finben, als an einen morgen-
länbifcften fißnigSfjof ju gelangen, »on bem eine SoSlöfuttg
!aum jemals mieber ju ermarten mar. JarauS erflärt fich fein
Verhalten. SllS er uor ben König fam, frug if)n biefer, ob er
fidf auf bie $eilfunft uerfte^e. JemofebeS, ber fofort erfannte,
baft alles ooit feiner Haltung abhing, oerneinte. SUIein ber
König burchfchaute ihn unb merfte mol)!, bah er feinen £aien
in ber ärztlichen Kunft uor fich höbe. Ohne fi<h auf 2Bei-
terungen einaulaffen, befahl er, ©eifjeln unb Stacheln herbei-
jujdjaffen. Seht uerfuchte JemofebeS nicht mehr, fich iu wer-
ft eilen, boch rieth ihm feine Sefonncnheit, fich nicht uöüig preis-
jugeben: mer fonnte miffen, maS mit ihm gefdjah, menit bie
Sur mifelang? ©o gab er an, er fei nicht eigentlich Slr.zt
»on gach, boch h°be er uiel mit einem ?lrjte uerfehrt unb ba-
her einige befcheibene Kenntnijj uon beffen Kunft fid) angeeignet.
Slber es half nichts. @r muhte beit ftuh unterfucheu, unb mie
fein Kennerblicf fofort burchfchaute, morin bie SSefjanblung uer-
fehlt roar, ermachtc auch fein fachmännifcheS Qntereffe an bem
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gaHe. @r forgte junäf ft für fiinberung ber ©f merjen, wanbte
bann griff iffe Heilmittel an unb brachte el balb bahin, bafe
Jariul wieber ruhige 9Iäf te fanb. J)ie mafeooHe Sehaitblung,
welche ber 9latur ju Hülfe fam, hatte fo günftigen ©rfolg, baß
ber König in furjer Seit »öllig genefen war, mö^renb er bereite
äße Hoffnung aufgegeben hatte, je wieber einen graben guß ju
befommen.
5)ie SDanfbarfeit bei ^o^en HcrTlt fpraf fif in einer
fpmboliffen ©abe aul, bie funb tfjat, wie gerechtfertigt bie
Sefürftungen bei Jetnofebel gewefen waren; SDariul liefe ihm
*wei ißaar golbeite geffeln überreichen. SlUein Demofebel war nicht
ber 9Jiann, fich ohne weitere! in fein ©ficffal ju fügen. @r
richtete an ben König bie freimütf)ige grage, ob er benn ab»
fichtlich bafür, bafe er ihn gefunb gemacht, ihm ein hoppelte!
Uebel juwenben wolle? 35ariul gefiel bal offene SEBort unb
ba! ganje SEBefen bei griechifc^en Slr^tel; er lachte unb gab
ihm ben Stuftrag, fif ju feinen grauen ju begeben. Sill
er nun in ^Begleitung ber Kämmerer bal ©crail betrat, fagten
biefe ben ®amen, bal fei ber ÜJtann, ber bem Könige bie
©eete gerettet habe. ®a fc^öpfte eine jebe oon ihnen mit einer
©fale in bie ©olbfifte, bie mohlgefüöt imSintmer ftanb, unb
beffenfte ben Jemolebe! mit einer fo reiflichen ©abe, bafe
ber SBebiente, Welfer fm folgte, er h'cß ©fiton, bie »on ben
©f alen fjerabfatlenben ©olbftücfe auflal unb fif auf biefe SEBeife
nof eine hnbffe ©umme äufammenbrafte.“
Jemofebel ffien nun fein ©lücf gemaft gu haben. SEBen
ber König ehrte, ber war bei ben ißerjern ein grofeer SDiann.
fReifthum unb Slnfehcit fteßten fif ein. ©r war ber Helb
bei Jage!. Jie H^wn am H°fe überff ütteten ifen mit Sluf«
merlfamleiten. @r mafte ein anfehttlifel Hau! unb nahm
täglif ju in ber ©unft bei ©rofeherrn. Jariul ernannte ihn
nift nur ju feinem Seibarjt, fonbem fafete auf perfönlife
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3nneigung 31t ißm unb 30g ißn 3ur föniglicßen Dafel, eine ber
hofften ©ßren im perfifeßen fiofleben. Dort lieg er fid) ge-
legentlich auch oon {einen SebenSfcßicffafen erjäßlen unb hörte
mit freunblicher Slufmerlfamfeit bie ©cßilberungen aus {einen
Sugenbjaßren in Kroton an; aber baS, was ber ©rieche oon
bem Athleten SDlilon er^ä^Ite, gefiel bem Könige oor allem.
Den Werfern Hang e§ wie ein SJiärcßen, baß ein ganseS 93olf
ben befeßeibenen ißreiS eines KranjeS oon grünen Slättern bc$
6djmeißfS ber ©beln werth erachten fonnte, unb in 2Milon$
©eftalt war ja in ber Dßat ber Inbegriff beS ^öd^ften atßle-
ti{chen fRußmeS enthaften.
©0 fehlte nichts 3U bem ©lüefe uitfereS gelben außer baS
eine, roaS in ber ©eele beS ©riechen freilich alle Fracht unb
Ueppigfeit aufwog, bie $eimfeßr in fein Skterlanb. ©8 macht
bem .fielen beS DemofebeS ©ßre, öaß er itt {einer ©rtjößung
bei ©euoffen {eines früheren ©lütfS unb UnglücfS nicht oer-
gaß. @r feßte eS burch, baß auch ber ©eher aus ©liS, ber
unter ben ©flauen beS OroitaS {ich befanb, aus feinem Slenb
bemorgejogen unb in eine würbigere Sage gebracht würbe.
Such errettete er burch feine giir bitte bie ägppti}cf)en Ster^te,
beren unglücfliche Kur mit ber ©träfe beS SluffpießenS oer*
gölten werben follte. 14
©0 ftanben bie Dinge, als fidj ein neuer SBedjfel in {einem
2cben8{cßicffal oorbereitete. Unter ben grauen $artU§
rcar bei weitem bie bebeutenbfte an ©eift unb Dßatfraft Sltoffa,
eine Socßter beS KproS, beS erften Königs ber ißerfer unb Söe-
grünberS ber Dpnaftie. Die ßoße grau hatte }cßon Diel erlebt,
als fie bie ©emahlin beS DariuS würbe, ©ie mar in erfter
ßße mit ihrem Söruber KambpfeS oerbunben gemefen, ein 93er*
ßältniß, welches 3War gegen bie perfifeße ©itte oerftieß, aber
ber hohen Stellung beS Königs naeßgefeßen mürbe. 3118 bann,
tDäßrenb KambpfeS außer SanbeS weilte, mit £>ülfe ber mäcß«
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tigeu üJiagierjunft einer ooit beren ©enoffen unter bem Sior*
roanbe, er fei ©merbi«, ber tljronberedjtigte SBruber be«
Kambpfc«, fich 311m ,fperrfd)ec aufgeworfen hatte, übernahm er
nach bem Sobe be« Königs auch beffen grauenhau« unb in
ihm ncbft anbern hochgeborenen Samen bie Sßrinjeffin unb
Königinmitwe Sltoffa. ©pater mürbe ber falfc^e ©merbi« ent-
becft unb ermorbet unb Sarin«, ber einer Seitenlinie be«
föniglichen £>aufe« ber Slchämeniben entfproffen mar, auch felbft
bei bem ©turje be« Söetriiger« mitgemirft hatte, nach ihm auf
ben £hron erhoben. Stuch ihm fiel al« ©rbfrfjaft ber |>arem
feine« SBorgcinger« ju. ®« ift nicht ju oermunbern, bah unter
ben grauen be« neuen König« bie ftolje unb in allen Sfanfen
be« ©erail« erfahrene Socfjter be« Kpro« balb beit bebeutenbften
©influfj aitäübte. 3hre ^erfunft oerlieh ber Stellung be«
Sariu« eine gemiffe Segitimität, bie für ihn oon größter SBich-
tigfeit mar. 3n bie Srabitioneti be« perfifchen Königthum« oon
Äinbheit an eingemeiht, mar fie in ber Sage, ihrem britten ©e*
mahl manchen f lugen fHath 3U geben, roie ihn SZiemanb fonft
3U ertheilen magte ober ocrmochte, weil feinem anbern SDienfchen
fo mie ihr ber König fein gnnerfte« auffchliegen burfte.
Slnbererfeit« hatte aud) Sltoffa Urfadje genug, bem Könige fid)
unentbehrlich 3u machen, ©ie hatte ihm ©ohne geboren unb
fefcte alle« baran, ihrem älteften, bem befannten Xerje«, ber
nachmal« ben großen Krieg gegen ©riedjeitlanb meitergeführt
hat, bie Shronfolge ju fid)ern, auf welche beffen |>albbruber
Slrtabajane«, ber ©ohn be« Sariu« au« feiner früheren @he,
ba« 9ied)t ber ©rftgebnrt hatte. 14
SBie midjtig e« mar, auch burch förpcrlichc fReije bem
Könige fich angenehm gu erhalten, barüber mad)te fich bie nicht
mehr ganj jugenbliche Same feine fallen 93 orftellungen. Sa
gefchah e«, bah Sltoffa an einem Seiben erfranfte, beffen golgen
für ihre ©tetlung nicht abjufehen waren, ©ie befam ein ©e«
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fdpoür auf ber Isöruft, tueldjeS nadj einiger 3eit aufbrad) uub
weiter um fid) frafe. ©o lange baS ©efcfewiir nod) flein war,
oerbarg fie eS unb gütete fid) rooljl, mit irgenb gemanb baoon
gu reben, als eS aber immer fdjlimmer würbe, liefe fie ben
griedjifcfeen Srgt gu fid) befcfeeibcn, ber ifercm ©emaljl fo ge«
fcfeitft geholfen featte, unb entbccfte fid) ifem ofene fHüdfjalt.
2>emofebeS erfannte, bafe für ifen bie rettenbe ©tunbe gefcfelageu
feabe; jefct feiefe eS, bie günftige Rügung bcnu&en ober für immer
auf bie ^eimfefjr oergidjteit. Sr unterfudjte bie Alranfe unb
ftellte ifer oötlige .fperfteQung in $luSfid)t, bod) fnüpfte er an
baS ©elingen feiner Wur bie ©ebingung, bafe Sltoffa fid) eiblidj
oerpflidjte, ifem einen ©egenbienft gu leiften, ber, für ifen fo
Wichtig, wie für feine |»errin bie ©enefung, bod) nid)tS ent«
fealten fotlte, was ifjr felbft gur Uneljre ober gum ©traben ge«
reichen fönnte. ?ltoffa leiftete ben @ib; bie ftur würbe unter«
nommen unb Ijatte ben gcwünfdjten (Srfolg. SllS bie foniglidje
grau ifere ooHftänbige ©enefung wiebcr erlangt Ijatte, tfeat ifer
£emofebeS fein Anliegen fmtb, welcfeeS barauf feinauSlief, ifem
einen Sefud) in feiner Saterftabt Proton gu ermöglidjen. Cb
er wieberfommett werbe, blieb unnuSgefprodjen. Seibe er«
fannten, wie fdjwer 3)ariuS barein willigen werbe, feinen 2eib«
argt, auf beffen Söefife er ben feödjften SäJert^ legte, oon fid) gu
laffen, unb bafe eS befonberer SWittel bebürfe, um ben Stönig
bagu gu bewegen. £emofebcS featte fid) feinen fßlan bereits
auSgebadjt unb oerabrebete bemgemäfe bas Söeitere mit ber
gürfün. Sei ber nädjften ©elegenfeeit, wcldje fid) biefer gu
ungeftörter 3ufammcnfunft mit IDariuS barbot, füllte fie in ge«
fdjidtem ©efprädj ben ftönig banad) gu lenfeit fudjen.16
Unb fo gefd)al) eS. ®aoon auSgefeenb, bafe ber ftönig
i^r fdjon mantfeeSmal eingeräumt Ijabe, iljm in wichtigen
gragen feines fiebenS einen SRatfj gn ertljeilen, bat fie fid) bie
©rlaubnife aus, offen mit il)m über eine ©acfee gn fpredjen, bie
Somrahitig. 9!. 3. V. 104. 2 (263)
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il)r fdjon lange im füllen Sorge bereite. JariuS forberte
fie auf, ißm ja nichts gu üerfdjweigen, unb fieberte ihr feine
Janfbarfeit für Dolle Slufridjtigfeit gu. So fam benn SUoffa
auf ben ©egenftanb i^reö StummerS. JariuS fei ein mächtiger
Stönig geworben unb Bereinige in feiner §anb eine ©ewalt,
mit ber fidj DielcS auSriditen ließe, wenn fie tfjatfräftige 93er-
wenbung fänbe. Seiber aber fiße ber Stönig in ÜJtüffiggang ba
unb t^ue nichts bagu, irgenb ein Sanb ober SSolf weiter für
baS ^ßerferreicfj gu gewinnen. Jabei fei er bodj nodj in jungen
Satiren, unb eS würbe fieß wot)l gegiemen, baß er etwa« unter-
nähme, auS bem fein 93otf erfennen fönnte, baß ein ganzer
SJtann auf bem Jhrone ftjje. 9tud) bürfc er nicht außer ad)t
laffen, baß feine Untertanen, wenn fie nicht burch auswärtige
Kriege befcßäfügt würben, leicht auf ©ebanfen ber ©mpörung
gerathen fönnteu, benn nichts fei für bie SBölfer fo gefährlich,
als bie Jage langer 9tuf)e. Se§t fei bie rechte $eit bagu,
fo lange JariuS felbft noch in Doller SRüftigfeit ber auffteigenben
Straft beS SebenS fich erfreue; benn fo lange ber Störpcr gu*
nehme, wadhfe mit ihm auch Shatfcaft unb UnternehmungSgeift,
nur gu halb aber fteüten bie Jage fich «tt, tu® bie Äräfte ab-
nähmen unb mit ihnen bie Suft gu großen JhateiT-
SDlan hört aus ben Söorten ber Königin bie ©ebanfen beS
JemofebcS heraus, benn eS finb phttjagoreifche Sttnfidjten, welche
§ltoffa einflocht. UebrigenS war ihre Siebe fliiglid) gured}t
gelegt, ©inen folgen Sorwurf aus bem 2Kunbe her Jodjter
beS StproS founte beffen Nachfolger auf bem perfifeßen StönigS»
thron nicht leicht auf fich fi&en laffen.”
Stuf JariuS malten benn auch bie Sßorte feines SBeibeS
gang ben gewünfehten ©inbtuef. ©r erwiberte ihr, baß fie
DöUig aus feiner Seele gefproefjeu habe, benn eS fei längft
feine Slbficht, in ihrem Sinne gu hflnbeln. @r h“bc nichts
©eringereS befdjloffen, als Slfien mit ©uropa burd) eine iBrücfe
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gu oerbinben unb gegen bctS 53olf ber Sftjthen gu gelbe gu
giehen, auch fülle mit ber 9lu8führung bicfed planes nicht mehr
lange geroartet roerben.
Mein feine Slutwort fanb nicht ben erwarteten S3eifall.
Sltoffa meinte, fie fönne bem fiönige gu biefem Unternehmen
nicht gureben. Wie Sft)then unterroerfen, fei fein grofee» itunft*
ftücf unb roerbe ihm wenig SHnljm bringen. 2lud) fei er ihrer
ficher, benn fie würben fein roerben, fo halb er wolle. Wa«
gegen möge WarhiS ihr, ber Königin, einen (gefallen thun unb
lieber gegen bie ©riechen gu gelbe giehen. ©r werbe ihr ba>
mit einen lange gehegten SBunfcf) erfüllen. Sie fei mit ben
Wienerinnen, bie ihr jefct gur S3erfügung ftänben, wenig gufricbcn.
Wljue WariuS, wie fie fage, fo fönnte fie bann lafonifche, argiötfche,
attifche unb forintljifche Sflaoinnen befommen, über bie fie erfahren
habe, bafj fie in jeber |>inficht anfteltiger feien. Slujjerbem habe
er je^t einen Söiann gur Verfügung, ber über bie gricc^ifcfjeit
®erhältniffe in einer SEBeife unterrichtet fei, wie feiner am j£jofe,
fie meine ben griechifchen 9lrgt, ber feinen gujj geheilt habe.
WariuS ahnte nicht, bafj bie Sehnfucht feiner ©emahlin
nach griechifdjen Wienerinnen bloß erfonnen war, bamit er
glauben füllte, ber Dfath StoffaS fei auf eine weibliche Saune
jnrücfguführen. @r war ein gn guter @hemann, um nicht auf
ben SBunfch ber Äönigiit eingugehen. So würbe benn oerab*
rebet, eine Slngahl guoerläffiger Werfer unter ^Begleitung beS
WemofebeS nach &en bebeutenbften ^lä|en in ©riechenlanb gn
fchicfcn, bie alle wiinfchenSWcrthen ©rfunbigungen eingiehen
füllten, unb auf ©runb baoon aisbann ben gelbgug gn eröffnen.
Sllfo füllte baS Schicffal ©riechenlanb^ unb mit ihm bie 3ufunft
©uropaS an bie Saune eines SBeibeS gefnüpft werben.18 SÖBem
fällt nicht ein, was in neueren 3e'ten &en üerhängnifjtwHen
ftrieg heroorrufen half, ber gwei großen 93 ölfern tiiel 93lut unb
Whtanen unb feiner Slnftifterin ben Whron flefoftet hat!
2* (26i:
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5Run mürben ohne gögerti bie nötigen ©orfehrungen ge-
troffen. Sdjott am folgenben ®age lieft ®ariu« fünfzehn an-
gefehene fßerfer nor ficf) fommen unb mie« fie an, unter $üh-
rung be« ®emofebe« bie griedjifdjen ftüftenlänber gu bereifen.
®od) erteilte er ihnen gemeffenen ©efehl, genau barauf ac^t
ju geben, baß ®emofebe« nicht etma burchgehe, fonberu ihn
um jeben ißrei« mieber nach ©ufa jurüdjubringen. ®ann
mürbe auch ®emofebe« jum ftöuige befchieben. ®ariu« nahm
feinen Anftanb, feinen Seibarjt in ben ganzen fßlatt einjumeihen.
©r bat ihn, bie Rührung ber au«gemählten ißerfer ju über-
nehmen unb ihnen alle« 2Biffeu«merthe in ©ried}enlanb ju
jeigen. Uebrigen« gab er ihm auch ©tfaubnifj, feine ganje
merth»ode |>abe al« ©efchenf für ©ater unb ©rüber mitju-
nehmen unb ftedte ihm nach erfolgter fRitcffehr reichlichen ffirfafc
für alle« in Au«fid)t. fRicht genug bamit, erflärte ber Äönig
fich bereit, ihm ein mit allen möglichen Schüßen angefüllte«
üaftjchiff ntitjugeben, melche« ber ©rieche an ber p^öntfifcfjen
itüfte gaitj uad) eigener SBahl befrachten follte.
®ariu« ^atte bei biefen ©nabenermeifen nicht« meiter im
©inne, al« ben gefehlten Arjt burch fold)e Reichen feiner £ulb
noch mehr an fid) gu feffeln. ®er oorfichtige ©rieche jebod)
errcog bie 2Rögli<f)feit, bah e« mit biefer greigebigfeit auf
eine fßrobe feiner 3m>erläffigfeit abgefehett fein fönne. ©r er-
flärte baf)er bem Äönige, er mode lieber feine ganje |)abe in
©ufa gurüdlaffen, bamit er biefelbe bei feiner SRüdfeljr mieber
oorfinbe. ®a« Saftfcfjiff mit ben ©efchenfen für feine An-
gehörigen nahm er banfenb an.
©alb barauf fanb bie Abreife ftatt. 9Ran begab fich 3U*
nächft nach ©ibon, ber großen |>anbel«ftabt an ber Stüfte oon
fßhönifien. ®ort mürben ben fReifenben auf föniglidjen Sefehl
jmei ®reiruberer jur ©erfügung geftedt. Auch ba« £aftfd)iff
mürbe beforgt unb nach ber SGBahl be« ®cmofebe« mit merth-
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»ollen Gütern aller Strt »ollgelaben. SBit biegen brei ga^r*
geugen fuhr man an ben gried)ifcf)en lüften entlang, berichtigte
biefelben eingeljenb unb machte alle nötigen 9lufgeicf)nungen.
(Snblich gelangte man auch in bie ^eimifdjcn Gewäffer
beg 2)emofebeg. SBie mochte fein £>crg Hopfen, alg er in ber
grerne bie lüfte beg Saterlanbg auftauchen fah! 3n Tarent
gingen bie ©d)iffe »or 9lnfer. Jpier bot fid) gurn erftenmale
eine Gelegenheit gu entfommen, aber cg galt rafd) unb flug gu
hanbeln, um bie flucht Su betoerffteUigen. $er regierenbe
lönig 2lriftopf)ilibeg war ein SBerwanbter beg $emofebeg. Siefj
e« [ich ermöglichen, mit biefem unbemertt in Serbinbung gu
treten, fo war bie ^Rettung gefiebert. Unb eg gelang. Slrifto*
p^ilibeg würbe unterrichtet unb jögerte feinen Slugenblicf, bie
geeigneten ERaffregeln gu ergreifen. @r gab ben 93efehl, ben
fremben Schiffen bie ©teuerruber abgunehnten unb bie perfifcheit
^Beamten, weil fie offenbar alg Spione in bag £anb gefommen
feien, gu »erf)aften, unb wäf)renb fid) biefcg »ollgog, erfah
3)emofebeg ben günftigeu 3e'lPun^/ fid) baoon gu machen unb
in feine SSaterftabt Iroton gurücfgufehren. 93on bort lieg er
bem Sriftophilibeg fofort Nachricht gufommen; biefer gab nun-
mehr bie Werfer frei unb fteflte ihnen auch ihre Schiffe wieber
unoerfehrt gur Verfügung. So war ber Schein gewahrt unb
ber 3roecf erreicht; fpäter etwa gu madjenbe 93 or würfe liegen
fich mit allem fRecgt gurücfweifen. 19
2lber bie perfifdjen 93eamten, eingebenf beg »on ihrem
Grohhetm erhaltenen 99efef)lg, gögerten feinen Slugenblict, ben
Xemofebeg nad) Iroton gu »erfolgen. Sie ftiegen ang fianb.
3)urch einen glücflichen 3uf°ß itafett fie ben glüdjtling auf
bem SRarftplafj ber Stabt unb fudjten ihn ohne Weitereg feft-
gunehmen. 2)entofebeg fe^te fid) natürlich gur SBehr, unb eg ent-
ftanb ein fKuflauf beg 93olfcg. 2Ug bie 93ürger erfuhren, um
wag eg fich hanMc/ erhob fich «in 3tt,iefPaii &er Meinungen.
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25ie 58orficßtigeren gelten eS für gerätsen, im Dinblid auf bie
Üftacßt beS ^ßerferfönigS fieß ber Auslieferung feines ileibargteS
uid)t gu wiberfeßen; allein ber bei weitem größere ü£ßeil war
boeß entriiftet, baß eS einer ftemben SJiacßt, unb fei biefe aueß
noeß fo groß, erlaubt fein feilte, mitten in ißrer @tabt, auf
offenem fDiarfte, einen Mrototter Söiirgerfoßn wiber SöiHen feiner
greißeit gu berauben. ä)ion brong mit Jtnütteln anf bie ^ßerfer
ein, unb eS wäre gu Slutoergießcn gefomtnen, wenn nießt bie
SBefonnenen fic^ ittS Drittel gelegt tjätten. SDocß »ergeben?
gaben bie Abgefanbten beS ftönigS ben Srotoniotcn gn bebenfen,
wa? eS bebeute, wenn fie fieß unterfteßen wollten, ißnen einen
flüchtigen Sflaoen ißreS ©ebietcrS gu entreißen. ®oß ber Äönig
nimntermeßr eine folcße ©ewolttßot ungeröd)t fieß gefallen loffen
werbe, baß eS fein ©rfteS fein werbe, Sttoton mit ftrieg gu
übergießen unb nießt eßer gu rußen, als bis er fie olle gu Sflaoen
gemoeßt ßabe. 5Die ftolge Siebe goß nur Del inS geuer. ggQreu j>ie
ISiirger feßon oorßer empört bariiber, baß matt eS wagte, auf
folcße SBeife in ißre Stabt eingubringen, fo befeßloß man jeßt, ben
Werfern gu geigen, wie wenig man fieß aus ißtten unb aus ißrem
Äönige maeße. ®em Söortfiißrer würbe baS purpurne <ßracßtge>
wottb, welcßeS er trug, auSgegogen unb bem Wiener beS ißrptanen
angetßau; bei ben öffentlicßett Cpfern, bie ber ^ßrptan am
fiebenten jebeS ÜJJottatS an fämtlicßen Altären ber Stabt gu
ooUgießeu ßatte, foHte ber SDfann fortan baS bunte ^ßerfcrfleib
als amtlicße Sracßt attßabett, gur ©rinnernttg an ben Sßorfall
unb gum bleibettbett geießen, baß bie freie ©rieeßenftabt bureß
bie $roßungen beS afiatifeßen Despoten fieß nießt eittfcßücßtern
laffe. ®en perfifeßen Beamten blieb nicßtS übrig, als ber ©e*
toalt naeßgugeben unb woßl ober übel auf bie SDfttnaßme beS
2)emofebeS gu oergießteu. Aueß baS Saftfcßiff, welcßeS $etnofebcS
als fein ©igentßum itt Anfprucß naßm, mußten fie gurüdlaffen.
Sie gogett ttaeß Aßen guriid, wo fie naeß ntaitcßerlei Srrfoßrten
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anfangten unb bem Könige bie unerfreuliche ftunbe übet*
brockten.40
SDemofebeg ^atte fic^ nicht üerfagen fönnen, i^nen uocf)
einen Stuftrag bon fid) an Sariug mitgugeben. @r hatte bie
furge 3e‘4 feine* Slufenthaftg in Proton wohl gu benufcen »er*
ftanben. SDer 9ieid>thum, beffen er fich erfreute, machte i^u gu
einem angefefeencn SDiaune. ßr warb um bie Softer beg
Stifteten Siifon, unb bie ftattlidje SDiitgift, weld)e er bargu-
bringeit imftanbe mar, »erfd)affte if)m bag 3awort beg Saterg.
Sieg mar eg, mast er bem Älönige fagen liefe; eg tfjat ihm
mohf, ben Sariug miffen gu taffen, bafe er in feiner ^eimatf)
ein geachteter SDiann fei. Ser ißerferfönig hat ifjm feine gluckt
nie »crgiehen; menn bei £>ofe oott treufofen SDtcnfdjen bie Siebe
war, fo nerfefette er nicht, bag ©eifpiel beg Semofcbeg afg bag
eineg fdjledjten Sharafterg anguführen. 41
ßublid) mar bag Sebengfchiff unfereS gelben nad) medjfet*
ooffen SBanberjahren in einen fidjeru £>afen eingelaufen, ber
frieblid)eg Sefjagen unb ein lauge bauerubeg ©liid in Sfugficht
fteöte. Sur<h bie SJer^eiratfeung mit ber Sod)ter beg äRifon
mar er in ben Streik ber erften gamifien unb in öerwanbt*
fdjaftli^e ©egieljung gum £aufe beg ©pthagorag getreten.
Safe er »on ben Slnfchauungen beg grofeeu SBeifen bereits früher
nicht unbeeinflufet gcmefcn, ^aben mir oben gefefjen; wie hätte
aud) ein empfänglicher Jüngling üotl höheren ©trebeng einem
Seferer oon fo überwäftigenber ©eiftegmadjt ficfj entziehen fönnen!
Vielleicht mar übrigeng fchou ber Vater beg Semofcbeg bem
©pthagorag perfönlidj nahe getreten, £>ermippog, einer ber
^Biographen beg ^h’bofophen, berichtet, ißtfehagorag habe nach
bem Stöbe eineg feiner ©enoffen, eines Srotoniaten Siameng
Äaßiphon, bag beutfiche ©efüfjf gehabt, bie ©eefe beg ßnt*
fchlafenen weife Sag unb Siacht in feiner Umgebung. ßg ift
immerhin benfbar, bafe tiefer Satliphon fein anberer gewefen
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ift, al« bcr Vater unfere« gelben, ber giemlich in gleichem
Sllter mit sßpihogora« geftanben haben muß. — ®emofebe« mar
bamal« ein fertiger 9Rann ooß SebenSerfafjrung unb roiffen*
fchaftlicfjer Steife, ein anerfannter SJieifter feine« gad)e« in Sehre
unb Veifpief. Sn jener 3e't wirb geroefen fein, baß er
auch SDtuße gu f^riftfteHerifdjer X^ötigFeit fanb. @in mebi»
ginifche« Süöerf in gehn ©ücfjern ift au« feiner gebet hen,°r*
gegangen, roeldje« noch ^ßtiniu« in feiner 9?aturgef<f)icf)te benu|t
bat. 3ahfreiche ©d)üler ftrömten ißm gu, unb bie ärgtlidje
©chule oon Äroton erlangte bamal« ihren meit au«gebe{jnten
Stuf im griechifcfjen Sllterthum. 9JZit ®emofebe« gufammen
roirb gewöhnlich Üllfmaeon genannt, ebenfaß« SIrgt unb Statur*
forfcfjer au« ber ©chule be« Vbthagora«, bebeutenb at« Slnatom,
ber erfte, welcher ©eftionen oorgenommeit hoben foß. Sludj er
ift fcbriftfteflerifcb tbätig gemefen. SH« £anb«mann, geitgenoffe
unb SÜoßege öoit folcber Vebeutuug unb gleicbfaß« ein Slnljänger
be« ißpthagora«, muß er mobt auch mit SDemofebe« in Verfehr
geftanben hoben. SBenti berietet roirb, baß mehrere SDienfdjen*
alter fpäter, al« Sßpthagora« unb $>emofebe« längft nicht mehr
lebten unb ftiirmifche 3e*tei* über bie Sßpthagoreer herf™‘
gebrochen roaren, unter ben au« ber Verbannung heimfchrenoen
©chülern be« großen ^hßofophen eine Slngahl Sergtc geroefen
finb, bie burch biätetifche Vchanblung ber Stranfcn ©rfolge er*
gielten, fo erfennt man einerfeit«, roie eng ba« gach mit ber
ppthagoreifdjen Sehre »erbunbeit geroefen ift, unb roie lange noch
ber Sinfluß ber großen SHeifter roeitergeroirft hat. 22
3u jener 3C*1/ in roefd^er 3)emofebe« auf ber ^ößc feine«
SEBirfen« ftanb, erfreute ficß auch bie ©tabt Proton ihrer größten
Vlütfje. Die altoäterifcße Verfaffung, ber man Söoljlftanb unb
©ebenen oerbanfte, rourbe ooit bem beften Ihe^e ihrer Vürgcr
ftreng aufrecht erhalten. $er (Einfluß be« ippthagora« unb
ber fittliche Stern feiner ©runbfäfce machte fich and) auf bem
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ftaatlicfjen ©ebiete fräftig geltenb unb beugte jebem äRißbranche
ber SJtadjt, toelrf^e thatfadjlich in ben §änben feiner Snßänger
au« ben alten ©efdjlechterit lag, erfolgreich »or. SBoßl hat bie
©efdfichte alle Urfadje, bie feltene ©rfcheinung, baß eine Srifto»
fratie ber ©eburt mit einer Sriftofratie be« ©eifte« jufammen-
fiel, in ber ©rinnerung feftjutjaiten. 2!ro|bem ift e« burd)au«
begreiflid), baß e8 an äJiiß»ergnügten nicht fehlte, toelc^e mit
Siecht ober Unrecht fich jurücfgefe^t fühlten unb mit faum »er*
hehttem Serger auf eine ©etegenheit warteten, um bie einfluß-
reichen ©egner ju ftürjen unb felbft an bereit ©teile bie Seitung
be« ©taate« an fich iu «ißen.as
35a !am e« 510 »or ©hriftu« pm Kriege gegen bie mächtige
Sladfbarftabt ©pbari«, ber mit bem glänjenbften ©iege ber ftroto«
niaten unb einer »oflftänbigen SBernidftung ihrer Siebenbuhler enbete.
©pbari« mürbe »on ©runb au« $crftört. Um bie Stätte, welche fo
lange burdf ben Steichthum unb bie Ucppigfeit ihrer Semohncr ben
Sieib ber Siachbarorte erregt hatte, für äße feiten unbewohnbar ju
machen, leitete man ba« SBaffer be« gluffe« Ärathi« über bie
krümmer. Sn ber ©djladjt hatte »or aßen SJiilon fräftigen
Sntheü genommen. 3n ber £rad)t be« $eraWe«, mit ber
Sömenhaut angethan unb bie Äeule fchwingenb, ba« |>aupt mit
feinen olpmpifchen ©iege«fränjen gefdjmücft, war feine Siiefen-
geftalt bem fieere ber Ärotoniaten »orau«gefchritten unb hatte
©djrecfen unb SBernichtung in ben Steiheu ber geinbe »erbreitet.
Such hören mir »on ber ÜRitlfülfe eine« eleifdjen ©eher« au«
bem ^ßropheteugefdjlecht ber 3amiben. ©« ift burchau« nicht
unwahrfcheinlich, baß biefer ©elfer, er ßiefe Äaßia«, berfelbe
gewefen ift, beffen ©cfjicffal wir in ben fahren »orher an ba«
be« ®emofebe« gebunben faljen. 3)er weitreichenbe ©influß be«
angefetjenen Srjte«, ber ihm felber in SCareitt bie SRettung au«
bem §änben ber $erfer ermöglicht hatte, fdjeint e« gewefen ju
fein, bet bem ©eher junädjft eine ©teßung in ber Umgebung
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beS prämiert $eth$ öoit ©hbaris »errafft tjat. §11$ jebodj
im Heerlager ber ©pbariten .fpaber entftanb itnb furchtbare
©reuet öeriibt würben, erfannte ber ©eher, baf? in bem benot*
fteheubeu Stiege bie StuSfidjt auf ©rfolg gu beu Srotoniaten
fich neigte. S)ie Opfer, welche er al$ §eere$priefter bet ©gba«
riteu bargubringen beauftragt war, fielen merfwürbigerweife fo
ungiinftig für biefe au§, baff ber ©eher e$ für feine ^Sflic^t erachtete,
eine ©ad)e gu oertaffen, welcher bie tjimwlifchen ©ötter ihre
©unft fichtbar oerfagten. @r ging gu ben Srotoniaten über
uitb mufj fich benfetben unentbehrlich gemacht ha&en- SBir
hören wenigftenS, bafj ihm nach bem glüdlid) oottenbeten Stiege
ein ftattticher ©runbbefifj al$ Dotation für feine Serbienfte
»erliefen worben ift, unb feine Dkdjfommen hoben fich nod)
mehrere SRenfchcnalter im gefieberten SBefi^e ihrer Sanbgüter
befunben.*4
SBeniger günftig al$ ba$ be§ ©eher«, fottte fich ba$ ©chieffat
be$ 2)emofebe$ geftatten. 2)ie Politiken Unruhen, wetdje nach bem
gliidtidjen $lu$gange beS SriegeS gegen ©hbariS mehr al$ oorf)er
ba$ bisher wohlgeorbnete ©taatswefen öon Sroton erfdjütterten,
haben auch ben berühmten §lrgt in ihren ©trübet gegogen. @3
ift begreiflidj, baff er im ©treit ber Parteien gum ppthagoreifchen
©tabtabet fich h^t- ^ßhtha9orag felbft hatte bamal$ Sroton
oertaffen unb war nadj SDietapont übergefiebett; Oietteidjt
hätte feine ©egenwart beruhigenb gewirft. 9tun gefchah e§,
ba§ burch bie ©roberung üon ©hbariS reiche Sänbereien in
ben Sefih ber Srotoniaten gelangt waren, unb bafj bei beren
SBertheilung ber gemeine SOtfann nicht in bem SWafje feine
SBünfche erfüllt fah, als er e$ fidj eingebitbet hatte. 35ie ©r»
bitterung barüber war fo grofj, baß bie im ftitten fchon lange
beftchenbe unb burd) SBiihler fiinfttid) genährte ÜJiijjftimmung
gegen bie teitenben Steife gutn SluSbrud; gelangte. gu ben
Stagen ber unteren $Botf$fchid)ten gefeilte fich ,10$ e'n anbeter
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Umftanb. SCuct) Solche nämlich, welche ben ißpthagoreern burdj
SBaitbe be§ 23tuteS oerbunben waren, fingen an, mit ben be-
fteljenben guftänben unjufrieben $u werben, unb biefe an fiel)
auffaßenbe ©rßheinung fjatte ihren guten ©ruttb. ®er enge
.gufammenfjatt gmifcheti ben Süngern bc§ SBeifen beeinträd)tigte
in öielen gäßen SSerwanbte unb alte greunbe, beren Anfprücße
auf Siebe unb Sichtung burd) Sftatur unb ©ewöhnung gleich
begrünbet feierten, oft redjt empfinbtid) unb fränfte fie ebeitfo
tief, wie mandje Sigenthümlidjfeiten ber SuubeSbrüber bie
breiten ©cf)ic^ten beS SBoIfeS uor ben Stopf fließen. ®ie faft
göttliche SSereljrung beS SNeifterS, bie ftolje Abfonberung feiner
©chüler, itjre nach uiwerbrüdjlidj feftgeßaltenen ©runbfäfcen
geregelte SebenSweife, aßeS bieS war ben f)ergebrad)ten ©itten
juwiber. Schien eS bodj, als fäfjen bie s$t}tf)agorcer in fid)
felbcr Süfenfdjen einer fjö^eren ©attuug unb in ihren ÜWitbürgern
tief unter fid) fteljenbe ©efcf)öpfe nieberer Art. @8 erregte
Aergcrniß, wenn jene nur ihren ©enoffett unb fonft nicht ein-
mal ben Häuften Angehörigen, außer etwa ihren Sltern, bie
$anb gum ©ruße reiften, unb wenn fie untereinanber Söcfi^
unb £abe freunblidj mittbeilten, fo fühlten fid) bie eigenen
gamilienglieber gar oft fräitfenb jurücfgefc^t. Unb biefe Sente
waren eS iiberbieS, welche in ber fKathSöcrfammtung bureß 3abf
unb engen 3ufaromenhalt bisher bie Angelegenheiten ber ©tobt
ganj nach ihren SBißen geleitet hntten- ®o8 foflte enblich
anberS werben. 25ie Häupter ber SWißöergmigten, §ippafo8,
$ioboro8 unb IheafleS, fteflten im fRathe ber ©tabt bie gor»
berung auf, baß fiinftighiit ade Siirger ooit Stroton gleichen An»
theil an ber Scitung beS Staates erhalten, unb baß bie 23ef)örben
über aße ßJiaßregeln bem 93oIfe 9icdjenfd)aft oblegen foflten.*5
SBic ju erwarten war, erhob bie ppthagoreifche AbelSpartei
entjd)ieben SBiberfprud). An ihrer ©pifce finbeit wir neben
AlfitnadjoS, 25eimad)o8 unb SDieton aud) SDemofebeS. AIS bie
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©egner auf biefem SBege nicht gu ihrem $\t[t gelangten, ent*
fdjloffen fie fidj gu einem entfdjeibenben ©dritte, ©ie fefcten
eS burdj, baß eine SBolfSoerfammtung berufen mürbe; in biefer
maren fie fidjer, baS große SBort gu führen unb bie ißpthago*
reer nicht auffommeit gulaffen. @S fehlte nicht an rebegemanbten
ÜJiännern, unb man brachte bittere Anlagen gegen bie Sßtjtlja»
goreer oor. ©iner ber ©predjer behauptete, einen Sinbticf in
ihre ©eljeimfehren gemonnen gu haben, unb feilte groben bar*
aus mit, metdje befonberS geeignet maren, bie erbitterten
SDiaffen noch mehr gu erregen. fei ©efefc beS SBunbeS, bie
SJiitglieber mie ©ötter gu oerehren, bie übrigen Sföenfcfjen ben
Shi£rcn flfeicf) gu achten; baS SBolf betrachte man als gerben*
oieh, fid) felbft als beffen Wirten. SaS offenbare 3^ ber
ißhthagoreer fei nichts ©eringereS, als bie AHeinherrfchaft im
©taate; fie fprächen eS aus, baß eS beffer fei, nur einen Sag
ber ©tier, benn baS gange Seben Ipnburch ein ©tüd aus ber
|>erbe gu fein. 3hre gange 2£hr£ laufe auf eine S3erfd)mörung
gegen baS 93oIf hinaus. Ssarum fei eS üödig gerechtfertigt,
menn man fofche fieute überhaupt nicht anhöre. S)ie SBürger
füllten nicht bulben, baß fie, bie über baS geroaltige ^eer ber
©pbariten ben ©ieg erfochten hätten, nun in ber eigenen $ei*
ntath »on einer fleinen, aber mächtigen Partei unterbrürft
mürben.
©8 faßt fich begreifen, menn folche Anfchulbiguttgen ben
gemeinen äftann aufs äußerfte empörten, gumat ba man ben
Angegriffenen bie Sertheibigung oerroehrte unb auch bie 9Jiaß;
ooßeren nirfjt beftreiten tonnten, baß in bem Sßorgebradjten
manches auf Sßahrheit beruhe. S)ie ©ährung ftieg aufs
höchfte. SRod) menige Sage blieb bie ©tabt äußerlich in
grieben, bann gab ein gufäöiger Umftanb bie Seranlaffung
gum Ausbruch- Sie ^ßpthagoreer maren unoorfidjtig genug in
biefer gefpannten 3£it fich gut Sarbringung eines gemeinfamen
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Opfers an bie ÜJiufert in einem |>aufe nafje bem §eiligtf)um
beS ffSpthifcben HpoHon jufammeitgufiitben. ®ie ©adfe mürbe
ruchbar; ein ungeheurer S8oIf<S^aufe rottete fid) jufammen unb
oerfud)te baS ^auS ju ftiirmcn. 2Jiit genauer 9?otf) gelang eS
ben Slngegriffenen, §n eutfommen; ein $he'l flüchtete fid) in ein
öffentliches ©ebäube, SDemofebeS mit einer ©d)ar bon Jünglingen,
bie er um [ich ^attc, entfam nach bem, oermuthlich nahe*
gelegenen, ißlateä.
35ie ©efchichte unfereS gelben neigt ficf) ihrem Snbe ju.
Stuf ihn oor allen enttub fid) bie Söuth ber SDiaffen. $er
fmuptoormurf, metchen man ihm machte, ift mohl auf baS aufjer»
gemöhnliche Slnfefjen jurücfjuführen, baS er in meiten Streifen
beS Jn« unb SluSlanbeS genoß. 9)tan flagte ihn öffentlich au,
baß er bie Jugenb an fich locfe, um mit beren £ülfe fid) bie
Ädeinhenfchaft ju ücrfrfjaffen ; eS mürbe ein ißreiS oon brei
latenten auf feinen Stopf gefefct. Sturj barauf fam es ju
einem blutigen gufammenftoß, unb bei biefer Gelegenheit ift eS
bem oorhin genannten 2hea9^ gelungen, ben ausgefeßten ißreiS
$u oerbienen.26
$ieS mar ber ÜtuSgang beS merfmürbigeit üJtanneS, beffen
oerfchlungenen SebenSpfaben mir nadjjugeheit oerfucht hQben.
SGßohl gleichen feine ©d)idfale mehr romanhafter ©rfinbung, als
gefieberter 2Birflid)feit, unb hoch beruht baS meifte beffen, mnS
mir baoon miffen, auf juuerläffiger Ueberlieferung, mie eS benn
auch burch sahireiche ©injelsüge an fonft betätigte ^hatfachen
gefniipft ift. ®ie 9tadjmelt ift mohlbcrechtigt, bem großen
grie^ifchen ^eilfunftler ihre Jhcilnahme gu freuten. @r gehört
ju ben erften Mpofteln einer SBiffenfdjaft, bie, mie feine anbere,
berufen ift, unmittelbaren ©egen für bie ÜKenfchheit ju
ftiften. 9Die 2)enfart beS ÜKanneS befunbet bei oerjeihlichen
©chmächen bennoch überall, baß er eble 8iele oerfolgt hat unb
in allen 3Öed)felfäflen feines ©efcßicfeS an. Stopf mie an £erj
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gleich tüdjtig gemefen ift. SBenn er bem ißerferfönig gegenüber
ber fiift fic^ bebiente, um nadj ber 4?einiath jurüefjufommen,
fo mirb iljm ba« »oit SRiemanb »erargt merben, ber ftd) bie
Huffaffung ju »ergegenmärtigen uermag, reelle jeber @riedje
bem Barbaren gegenüber Ijegte. ©ein Verhalten gleicht bem
be« »ielflugen göttlichen ®ulber« Obpffeu«, mie ba« ®po« ihn
fchilbert. ®iefelbe Sefonnenheit im entfdjeibenben Söechfel be«
©efdjicf« nnb biefelbe 3öh*8feit, »eiche ba« erfefjnte $iel auch
in ber äußerften 9ioth nicht einen Stugenblicf außer acht läßt, er-
regen unjer SöoßtgefaHen unb unfere ®ßeiina^me. Sind) bie fpär«
liehen 9?ad)rid)ten über fein Verhalten in beu SKJirren bc« Partei*
fanipfeS bieten nichts, ba« it)u in unferer üldjtuug herabfefcen fönnte.
Uebrigen« mar e« mit ber SBlütlje »on Proton feit ben
unglücflidjen ©treitigfeiten jener ®age ein für allemal »Dr-
über. ®ie ißptßagoreer mürben »ertrieben; um bie ßö^ereit
3iele, meldje fie »erfolgt hatten, flimmerte fich ba« neu auf-
fommenbe ©efdjlecht nicht mehr. ®ie einft fo erfolgreich ge*
triebene ©tjmnaftif, mclcße beu ©ürgern ffießrfraft unb ©iegeS-
muth in ber Kriegführung »erlie|en hatte, »erfiel. SRidjt lange
nachher brach ein fernerer Krieg mit ber griechifdjen SRacßbar-
ftabt öofroi au«, ber ben Krotoniaten ein ähnliche« ©cßicffal
brachte, mie fie e« bercinft ben ©pbariten bereitet hotten. 3hr
geroaltige« fjeer mürbe am ffluffe ©agra« »on einer meit ge-
ringeren ©treitmadjt ber geinbe »ollftänbig »crnichtet, unb »on
biefein ©erläge hat Kroton fich nie mieber erholt.*7
®agegen erhob fich ein 3Renf<henalter fpäter an ber ©teile
»on ©pbari« ba« »on ben Slthenern im herein mit anberen
©riechen neitgegrünbete ®hurioi. Unter ben Slnfiebtern befanb
fich ber 2Jtann, bem mir unfer SBiffen über bie ©djicftale be«
berühmten griechifchen SlrjteS ganj iibermiegenb »erbanfen, unb
melchem unfere ®arftetlung, »ielfach »örtlich an ba« Original
fich onlehitenb, gefolgt ift, ber große @cfchidjt«jchreiber ^erobot.
(276)
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31
@3 ift burtfiauä roafjrfdjemtid), bafj et feine 9tad)ricf)ten über
bie Srlebniffe beg $emofebeä aus bem 3)funbe »on ficuten ocr*
nommen f)at, bie fefbft ober bereu Leiter bem .petben unferer
©rjöljtung natje geftanbeu fabelt.*8
SBcfcgc.
1 Äroton, ©rünbuitg unb Sage Strabon 6, 262. 269.
1 'JBt)tbagora8: Difäard) bei B»rpl)t)r. V. P. 18. 3uftin. IN), 4
ßiftc ber Bptßagoreer nad) bcu Stabten bei 3utublid). V. P. 36.
s SlgonifHf: Strabon 6, 262. SJtilon: ebb. 263. 3ul. Slfrican. 01.62.
4 5Kt)ia: ßueian. mus. enc. 11. 3anibl. 36, 267. Borplj- 4. ©uibag s. v.
Der Brief bei £>erdjer epistologr. Gr. p. 608.
I Sic Ucberlicfcrung über bag ßeben bess Demofcbeg lägt fid)
auf ciererlci Guetlen jurütffüljren, uäntlid):
A. £>erobot. 3, 129—138 nebft 5, 44 f . ; baraug Dio Gfjrpfoft.
or. 77 p. 653 uitb 3°- £z£Oe3 Chil. 3. 544, foioie ber größere
'Iffeil beg Slriifelg Jyuoxqiftic bei ©uibag.
B. Berntutfjlid) ein mebijiuifdjc« 2B e r f ; baraug ber 9lufang
bcö 9(rtife(g bei ©uibag, ferner ©ubocia p. 129 unb Mottos
bibl. 376, 34 Beffer.
C. Die bem Slpotloniog beigelegte Biographie beg $ptbogora8
unb bie © ^ r on i f (vnouv^uttut 3ambt. 35, 262) ber ftroteniaten,
baraug 3uuib(. V. P. 35, 254 ff.
I). Einer ber ©efdjidjtg jcfjreibe r über bie frotonifdjen Vorgänge;
baraug Slttjenäuä 12 , 522 (o» iff, im ©egenfnf ju Dimäog),
nie(Ieid)t auefj 'Äelian V. H. 8, 17.
6 Äranffjeitcn unb 9terjte: Dag SBefentüdje jufammcngefteUt
bei Bliimner, ©ried). $riöataltertt)ümcr ©. 351 ff.
7 3ugenb beg Demolebeö: $erob. 3, 131. 93atcr Äaütpljon : ebb.
125; er roar Slgflcpiabe auä finibog nad) Suib. s. v. J^uox^iftj;. Der
<Sd) utc uon Snibog gehörte fpäter and) fttefiag an.
* Slegina unb 9Ut)en: $erob. 3, 131. Daß D. in Regina beiratbete,
bezeugt ©uibag. Bet Bemeffung ber ©ebattiummen ift äginctifcbeg ©etb
corauggefebt. lieber Spibaurog Strabon, 8, 374 f. 'Beziehungen zu
Regina ebb. unb £»erob. 5, 82 ff.; bag ägflepicion feit 1881 auggegrabeu,
cgi. Bcibefer, ©riedjenlanb ©. 249 ff.
9 Demofebcg bei ißolpfrateg: £>erob. 3, 131 f.; über $o!t)frateg
ebb. 39 ff. DraFel oon Dlpmpia unb Bropbetengefd)led)ter Boedl) expl.
Pind. 01. 6 p. 152 unb bie olpmpifdjen Snfdjrifteit.
10 IfJothlrateg unb Oroitag: fterob. 3, 120 ff., D. in Sarbcg
ebb. 129.
II Oroitag' Sluggang: Jperob. 3, 126 ff.; über D. bamaligcg
©djiclial auch Sttfjenaeog 15, 622.
17 Dariug’ Beinbrud): §erob. 3, 129. 3ugMiebe ber Berfer-
lönige Xenoph- Eprop. 1, 2, 10. Bael)r zu £>erob. a 0. Slegpptifdje 'Herzte:
$omer. Ob. 4, 231. iperob. 2, 84. 3, 1. Elemeng 911. ©trom. 758 Botlcr.
(277)
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13 Wentofcbc! ftcilt ben Sfönig: £>erob. 3, 130. So fleine ßüge,
mie ber 9Jnme bc! gebienten Sfiton, beuten auf einen mohlunterridjteten
©ercfibrbmann be! ^)crobot ; f. ba! oben ®. 29 ©efagte
14 Wemofebe!' {Erhöhung: Jpcrob. 3, 132. Wio 6brt)f. or. 77,
653. Xijdjgcnoffen br! SönigS: §erob. 5. 24, »gl. .Yenopf). Sin. 1. 8, 25.
Stjrop. 7, 1, 30. TOilon: 'perob. 3, 137, »gl. 8, 26.
15 Sltoffa; ©ergaitgcnheit : §crob. 3, 31. 68. 88; 9Bad)t: 7, 3;
JerjeS Whnmfolgcr ebb.
16 Sltoffa! Teilung: .fjerob 3, 133 f. 9lad) Sttf)en. 12, 522 [teilt
abroeidjcnb »oit §crob., ®. feine 9iüdfef)r in Shüficht.
11 Wie Sieben nad) .fjerob. 3, 134. ©et Wiog. Saert. 8. 1, 10 »er-
gleicht ©gtljagora! bie SJebenoalter ben 3<>hrf3äcitcn. Slehulid) tote hier
l'ucret. 3. 445.
** Wafs Sltoffa, um attifche Wienerinnen $u befontmen, ben ftrieg
angejettett höbe, fagt Stelian. N. A 11, 27.
19 Wie 3(ud)t: £ierob. 3, 135 f. Slriftophilibc! mit W. bermanbt
$jerob. 3, 136. 5. (Wie Ucberliefcrung iyfhtvm di ix A!(>^aru5»->/f njv-
JtjftoxtjJtoc — nttgikvaf ift »erberbt, unb bie ©efferungs-
Beriudje befriebigen nicht. 3n ben ©Sorten ix n fteeft meine!
(Erachten! ein jrauenuame unb j)u tefen märe ctroa ivfhti-ut
di XQtjCttüyiig itji Jijuoxijdios <id fk if rj f 6 (i vq q UyiOio'f ii.idq; ober
ytjtfid ( tidfkifif ober ä^itlid}.)
50 ©erfolgung: £>erob 3, 137. Silben. 12, 522.
31 [Rettung: ^erob. a. £> ©rod be! Wariu!: Slelian. V. H. 8, 17
11 3n ber $eimatb JtaUipljon : Ilermippus de Pythag. 1 bei
3ofeph- c Ap. 1, 22 (©lütler Kr. h. Gr. 3 p. 41). Scfjriftftetlerei bc!
W. : Suiba!. (Eubocia p. 129. ©ei ©liniu! N. H. 1 ift er unter ben
Cueflcnfchriftftcflcrn Such 12 unb 13 angeführt. Sterbliche Schute bc*
W. : ,£tcrob. 3, 131; »gt- bei 3ambt. 35, 261 bie ßpbeben um ihn; bei
Gaffiu! Wio 38, 18 roirb er mit .frippofrate! jufammen genannt. Sie
9iad)richten über Sllfntneon giebt 3fUer, b. @r. 1, 421 ff. ©tjtba-
goreer Sterjte: 3amb(. 35, 264; »gl. Slelian. V. If. 9, 22.
13 firoton! ©tüthe unb ©gtbagora!: 3uftin 20, 4. Wiog. fiaert.
8, 3. Slpotloniu! bei 3<>nibf. 35, 255.
51 Strieg mit Stjbari!: Strabon 6, 263. Wiobor. 12, 9 f. Silben.
12, 621. Wer Seher ilatlia! jperob. 5, 44 ff.; Stein jtt £>erob. 3, 132, 8.
“ Wer Slufruhr: Slpotton. bei 3<Mtbt. 35, 254 ff., »gl. 248.
3uftin. 20, 4.
” Wemofcbe!’ Slu!gang: 3<>mbl. 35,257 ff. ©Sa! unter ©lateä
(nkaiius bie .yanbfdgriftcn , fietje 'Jiaud ,(u 261) ju »crftchen fei bleibt
unfidjer, »ieücicht eine 3nfd, mie bie übrigen Drtfchaften be! Slamene,
f. ©enfetcr s. v. lieber ben Wob be! W. ift nicht! Nähere! befannt; bie
unflarc llebcrtieferung läfjt nur erfetjen, baß er burd) Xlteaged fein OEttbe
gefunben hat.
37 ftroton! ©erfüll: Strabon. 6, 261 f. 3uftin. 20, 3 f.
** Xhurioi: Strabon- 6, 263 f. §eroboi: Suiba! s. v. 'H(H>doio<.
Strabon 14, 656. ©(in. N. H. 12, 8.
(27«)
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(Eutkduutg k s iaucrltoffö.
3?ou
Dr. £8. <Ä. ($)ffdJaitdjßij
in Cbfffa.
Hamburg.
^erlagäanftalt unb Drucferei §(.<©. (oormatö 3. g. 9lic^ter>
1880.
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Diecfjt bcr Ucberfe&ung in frembe Sprayen wirb üorbe^attcn -
Irutf bcr Ccrlagiaiifialt unb Iruderci JIcticn-ÖlfffDitboft
(normal* 3. g. Sldjtrr) In Hamburg.
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3at)re 1774 mürbe »on bem englifcheti (S^emifer
ffirieftlet) (geb. 1733 in ^ielbheat, einem $orfe in g)orf jt)ire,
f 1804 in fftorthumberlanb in Slmerifa) unb unabhängig mm
ihm in bemjclben 3af)re and) oou bem beutfchen Slpothefer
©<f)ee(e (geb. 1742 3U ©tralfutib, f 1786 iuüöping in ©djwebeit)
unb ferner tmn Sanoifier (1743 — 1794) in granfreicf) ein ®a«
entbecft, ba« unter bem tarnen ©auerftoff (Ofhgenium) in ber
2Biffenfd)aft befannt ift. SDiefe Cfttbedung muß eine (Spodje im
öereid) be« menfc^Iic^en SBiffen« genannt werben, ba fie bie
©runblage ber heutigen Chemie mürbe. Ungeadjtet beffen, baß
©cheele unb ifkieftleh oor Saooifier ©auerftoff in reinem
3uftanbe erhielten, mirb bie @hre unb ba« Sßerbienft ber @nt«
becfung biefe« ©afe« boch nur Siaöoifier pgefdjrieben unb
3toar au« bem einfachen ©ruube, weil e« wenig bebeutet, irgeitb
etwa« ju entbedeu, mag ba«felbe noch f° wichtig fein, fottbern
weil e« auch nöthig ift, ba« Sßerhältniß ber neuen (Sntbedung
3U fcßon befannten £l)atfadjen feftjufteüen unb ben 3Beg ju
weiteren Cntbedungeu unb jwedmäßiger Slnwenbntig berfelben
ju jeigen. Unb bie« war ba« 23erbienft Saooifier«.
25ie Unterfuchnngeit ©cheele« unb ißrieftlet)« würben unter
bem Cinfluffe ber bamal« geltenben thcoretifdjen ©orftel-
hingen über ben Söeftanb ber Atörper geführt.
Sammlung. 9?. g. V. 105. 1* (2*ij
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4
Cbmohl bte ©rgebitiffe ihrer 93erfud)e im SBiberfprucfje mit
biefeit Slnfdjauungen ftanben, fonnten ©cf)cele unb fßrieftlep
fic^ nidjt oon ber fyergebracfjteit J^eovie loSfagen.
Der große (Seift Saooifier« bagegeit oerließ, fobalb er
ben Sßiberfprud) ber alten Slufdjauung mit feinen Sntbedungen
bemcrfte, bie biSßer befolgten SBege uitb fteflte ber 9iatur fragen,
auf weldje biefclbe ihm fategorifdje mtb flarc Antworten für bie
gormulirutig neuer leiteuber ©runbfäße in ber Sßemie gab,
Antworten, welche jur ©ntbecfung »ieler neuer in ber Slatur
oorf)anbener «Stoffe führten, unter benett ber Sauerftoff ben
heroorragenbften ißlajj einnaßm.
Um einen flarcn Segriff über bie Unterfudiungen Saooifier«
ju fyaben unb biefelben aud) nach Serbienft toiirbigen 3U
fönncn, ift e« erforberlicß, wenigften« einen oberflädjlidjen ©lief
auf bie 23orfteüungen, meldje bie 2)ienfd)en »ergangener 3aßr»
fiunberte über ben ©eftanb ber Äörper Ratten, ju werfen, unb
jroar ift e« in erfter SUnie wichtig, fid) mit bem Slbfdjnitt ber
©efdjicßte ber Gßemie oor Sftooifier befannt ju machen.
Der Urfprung ber öfteren ißeriobe ber (S^emie oerliert fid)
in ba$ frii^efte SUtertfjum, bentt ba« Sßeftreben, bie oerborgenen
©igenfeßaften ber Dinge, bie geheimen Sßirfungen ber Dlatur 3U
erforfdfen, mußte fieß oon fefbft ergeben, fobalb ber SJienfd) 311
einiger Üultur getaugte. Unter allen SBöfferit be« SlltcrtljumS
fdjeint bei ben ißrieftern Slegßpten« unb bei ben ©rahminen in
Dinboftan ba« ©titbium ber SKatur am eifrigften getrieben
roorben 3U fein, allein oon beren gorfchungen unb Senntniffen
ift auf unfere Dage, abgefeßett oon fabelhaften Sericßten, nicht«
gefommen. 9?ur fo oiel toiffeit mir, baß bei ben Slegßptern ba«
SHaturftubium, — Sfjemie — genannt, oon ben ißrieftern geheim
gehalten würbe, unb baß man fd)on bamal« einige SJfetaHe,
garben, &od)fal3, ©almiaf, SKatron, ©eife, ©ier, @ffig ic. unb
oerfdjiebene chemifd) jubereitete Ä^neimittel gelaunt h«t. Äriege
(282)
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5
unb bereu jerftörenbe folgen liegen bie (Sgcmte in ihrer erfteu
^&f)afe in 2leghpten unb «giinboftan ju ©ruttbe gegen. Stur ein
fcgmacger Seim mürbe im Siebenten 3af)r^unbert auf arabifcgen
©oben terpflanjt; feiber ging barauS bie <3ucgt Ijeroor, unebfe
©tetaße in ebfe ju oermanbelu.
®ie uatürlichfte unb zunächftliegeube Sbee mar bie ooit ben
©lementen ober ©eftanbtheilen ber Sörper, über roeldje beim
auch nic^t nur bie ^ßgilofopgen @ried>enlanb£, fonbern aud) bie
Steifen auberer SSötfer oiel uacggebacgt hoben.
3mar hotten fcgon einige 'ißgifofopgen beS alten ©riechen*
lanbS geglaubt, bafj bie SJtaterie in ihrem SBefeit ibentifch unb
bie phhfifdpe SJtannigfaltigfeit nur auf bie f$orm ber fteinftcu
3:geife gegruubet fei. @o hot fchon Xgole« baS ©Juffer für
baS ©fentent aller Sörper gehalten; Slnbere hingegen haben bie
ßuft, mieber Slnbere baS geuer als ben Urftoff aller $inge
bezeichnet. Mnajimanber aber unb SlriftoteleS fiitb oon ben
üier gauptjuftänben, in melchen uns bie SJtaterie erfcgeint,
auSgegangeit, unb hoben oier ©lemeute angenommen, nämlich
©rbe, SBaffer, ßuft unb $euer. SMefe ^phpotpefe, als bie am
flarften in ber Statur jum SluSbrud gelangenbe, blieb burdf
oiele Sahrhunberte hinburch bie mahrfcheiulichfte!
Sn feinen anleitenben©r!läruugen nimmt SlriftoteleS folgenbe,
für alle $eitcn unbeftreitbare ©aftS juni ©tubiunt ber Statur
au: „Sn aßen fräßen tniiffen mir oom ©efannten 511111 Uitbe*
fannten fortfehreiten." SBeiter fegtägt SlriftoieleS fepr richtig
bie Slnafpfe als baS befte SJtittel beS ©tubiuntS oor. Snbem
er äße entgegengefepteu ©igenfdjaften ber SKaterie beobadjtet
unb feftfteßt, erfennt er als mefentlicge nur Hier an, unb jmar:
baS §eiße, baS Ürodene, baS Saite unb baS geuegte.
@r oereinigt bie ibentifegen CSigenfcgaften ber SDtaterie, mie j. ©.
fiifce unb EXrodenfjeit, unb ficht bereit üßrototpp im geuer, ebenfo
ben ber |)ij5e unb fjeugtigfeit in ber ßuft, beu ber geuchtigfeit
(2SS)
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6
unb teilte in bem SBaffer, ben ber Jrocfenheit mtb Stätte in
ber Grbc; beShalb nannte er fie 11 r ft o f f e. @8 ift Har,
bah biefe Sttaffififation nur auf bie ©ejiehung ber Körper jur
SBärnte begrünbet ift.
Stber StriftoteteS begnügte fief) mit biefen oier Urftoffen
nicht, er meinte, bah einfache Urftoffe einfache Sewegungen haben
miiffen; fo miiffe geuer unb Suft als natürliche ©ewegung bie*
jenige nad) oben haben; Grbe unb SBaffer biejenige nach unten.
Stber anher biefen ^Bewegungen ejiftire eine ©ewegung im Kieife,
weldje zwar unnatürlich für biefe Urftoffe, aber ooflfommener
atS anbere fei, weit ein Streik fid) als eine üoüfommene Sinie,
eine gerabe Sinie aber als eine unootlfommene barfteüe. @8
miiffe bemnad) etwas geben, für welches eine foldje ©ewegung
natürlich ift. „GS ift atfo offenbar," folgerte er mit einem
fcheittbaren sßatfjoS, „bah ^ ein beftimmteS, oon ben Hier Urftoffen
oerfchiebeneS SBefen ber Körper giebt, welches göttticher unb
höherftehenber als biefe ift. SBenn im Kreife fid) bewegetibe
Körper gegen bie Statur fid) bewegen, fo erfd)eint eS unbegreiflich
ober abfurb, baff biefe unnatiirlidje ©ewegung allein ununterbrochen
unb ewig fein fotl, ba aüe unnatürlid)eit ©ewegttngen bod) halb
aufhören. Unb fo müffen wir annehmen, bah «»her ben oier
Urftoffen, bie uns umgeben, ein anberer, oon unS entfernter
Urftoff oorljanben ift, ber um fo ooHfommctier fein wirb, je ferner er
uns liegt. ®iefcn fünften Urftoff nannte er bie „quinta essentia“.
£ie Sehre oon ben oier Urftoffen, aus welchen gewiffer«
mähen alles beftehe, hat fich im ©olfe fogar bis jur heutigen
3eit erhalten. 3fn ber £hflt, wir müffen bie Kraft beS ©enieS
beS StriftoteleS unb noch meh^ bie Trägheit beS menfd)lid)en
©eifteS bewunbern, Welche fo lange eine Sehre gelten lieh, neben
ber Ifjatiadjen befannt würben, bie ganz unb gar nicht mit
ben eingewurzelten Stnfdjauungen in Ginflaitg ju bringen
waren.
1284)
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(
©o feßen wir, baß ba« Slffertßum wenig gnr Söfuug ber
t$rage nad) ber .gufammenfeßung ber Körper beigetragcu ßat.
@« ßat nur t^eoretifc^ biefe fjrage anerfannt unb bamit ficf>
immerhin ein Verbienft erworben.
2Jiit ben Kreugjügen im elften bi« jitm Sube be« brei*
geßnten Saßrßunbert« fam bie ßßemie enblicß nad) ßuropa
herüber. $ie Slraber Ratten ißr ben Slrtifel „SU" (bie) ßitigu*
gefügt unb fo ßieß fie nun SUdjemie ober Sllcßpmie.
SBie nid)t anber« git erwarten, fonnte in jenen bunflen
3eiteit bc« Söfittelalter« bie ßßemie au cß in ßuropa feine $ort*
fcßritte machen; fie blieb auf bem ißr oou ben Slrabern ge*
gebeneit ©tanbpunfte fteßen. $er Slnfang ber Unterfucßungen
über bie ßufammenfe^ung ber Körper ift meßr auf eigenuiißige
Triebe jurücfgufüßreu , al« mit bem Streben nacß Sßiffen gu
begriiuben. ©eit jeßer lieben e« bie 3Renfcßen, ein Söoßlleben ju
führen unb ba«felbe folange al« irgenb möglicß ju genießen.
SReicßtßum unb Vergnügungen, bie erfterer oerfcßafft, fittb ba«
©trebett bet 9}icnjd)en. Veicßtßum faßen fie im 93efiß be«
©olbe«; ba aber ba« ©olb feßr feiten oorfam uttb and) nur
mit großer 3Jlüße ber ßrbe abgewonnen werben fonnte, fo {udjte
man nacß einem Drittel, ficß auf leidjte SBeife in ben Vefiß be«
wertvollen äJfetaUe« gu feßen. Sin bie SRöglicßfeit ber Sluf*
fiubung eine« folcßett Spittel« ju glauben lag naße, weil man
ficß oon ber SDfeinung leiten ließ, baß alle Körper au« benfelben
Veftanbtßeilen jufammengefeßt feien. ÜJlan glaubte alfo fcßließlicß,
baß äße Stoffe fid) in ©olb oerwanbeln ließen. $ie golge
war, baß bie ßßemie lange 3«t weiter uicßt« bebcutete, al« bie
Kenntniß ber SJietaße unb bie ©ucßt ber SDfetaßoerwanblung.
SDiefe a)ietalloerwanblung«fucßt war nod) mit einem anbereu
Vßantom gepaart, welcße« man unter ber Vejeicßnung „©teilt
ber SBeifen" (Lapis philosophontui) fannte. 9Jian fucßte näntlicß
uicßt nur bie nneblen SDletofle in eble ju oerwanbeln, fonbern man
(2S5)
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8
wollte auch ein Unioerfalmittel gegen alle Kranfheiten unb
fogar gegen bie ©terblidjfeit fcfjaffen. ?lucf) biefer SBa^n ift
einer 3eit, tn ber bie menfchüchc Kultur in ben Kinberfchuhen
ftedte, nidjt $n oerargen, benn fobalb bie Sfjemie ißre ßöchfte
Aufgabe in ber ©rforfchung ber Satur fah, mußte ftd) bem
JJorfcfjer oon felbft bie ftolje Hoffnung aufbrängen, mit bem
©rforfdjen ber Satur ju ißrem ÜÄeifter ju werben. Unb roa«
ift wol)l natürlicher, al« baß ber SJteifter ber Satur oor allem
fid) bie Aneignung ber fdjwierigften, föftlichften unb geßeimften
Künfte $um Jiele ftccft, baß er Seichthum, ©efunbljeit unb eine
lange £eben«bauer erftrebt. Uebrigen« fd)cinen fdfon bie erften
arabifcßen Vllcfjeiniftcn ber SOteinung gewefen jn fein, baß bie
(Elemente unter ber §errfcßaft geiftiger SBefen ftänben, bie ber
9ftad)t be« SRenfchen unterbau gemacht werben fönnteit. 35iefe
fchötte Jbee ber Slraber ging mehr ober weniger auf ihre
europäifdjett ©djiiler über.
©laubeu wir nur uid)t, baß bie Älchemiften grunblo« au
bie Siöglichfeit ber §erftellung oon ©olb unb au bie $ran«»
mutation (SBerwanbluug eine« Körper« in einen anbcren) ge-
glaubt haben. SBergeffen wir, baß wir im neunjehnten Jahr*
hunbert leben, unb beitfen wir un« in« inerte 3n^r^uubert
jurüd. 28ir befinben un« im Saboratorium eine« berühmten
ÜJleifter« ber heiligen Kunft; mau nimmt oor unferen Slugen ein
©tüd bi« jur Söeißglutfj erhifcten @ifeit« unb bringt ba«fclbe
in ein gefdjloffene« ©efäß mit SBaffer; wir fe^en, wie ein Sheil
be« SBaffer« burdj ein luftähnlidie« ©a« crfe^t wirb, wir fehen
bie S3erwanblung oon SBaffer in £uft; biefe £uft wirb frei ge*
affen unb mit einem glimmenben Körper in Berührung gebracht:
— er fladert auf. — SBir fehen bie SSerwaublung ber £uft
in Jener. SDiatt nimmt eine blaulidje, einem öergwer! ent*
ftammenbe Jliiffigfeit, legt in biefe Sifcn unb erhält an beffen
©teile Kupfer. 2Jian legt ein ©tüd SSlei in eine mit Knodjenafdje
(286)
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9
gefüllte Schafe unb erhifct fie ftarf; baS 93Iei fdjmiljt, feine
garbe neränbert fid), cS nerfleinert fid), eS entfielt eine buufle
Rrnfte, bie baS gcfdjmoljene ©lei übersieht, bie STrufte »er»
fdjminbet, bie Oberflädje ruirb blenbenb unb nnftntt eine! ©tüdeS
©lei haben wir t>or uns — ein Stüd Silber.
Unb ba frage id), wem non uns, ber in ein fold)eS f>eiligtf)um
eingelaffen tnurbe, Ijätte fich itid)t ber ©laube an bie Irans*
mutation aufgebrängt, tuet tuäre nicht ein fjeißer ?lbept getoorben,
»oller ©erlangen, in bie ©eheimniffe ber heiligen Sunft ein*
geführt ju werben?
liefe fo leicht erflärlidjen ©erirrungen ber §lld)emie f)errfd)ten
faft breijeljn 3al)rhunberte h'nburd). Sie bilbett eine 3e>t 'n
ber ©efc^id)te ber Gljemie, weld)c in jwei ©eriobeit gcrfäÜt;
eine nom nierten 3al)rf)unbert nach (S^rifto bis jum Anfänge beS
fed)jeljnten SaljrhunbertS — bie ffkriobe ber §lld)emiften — unb
eine nom erften ©iertel beS fedjaehuten SahrhunbertS bis jur
fDlitte beS fieb^efinten 3aljrhunbertS — ©eriobe ber Satrodjemiften,
b. lj. ber Gfyemifer = Slerjte.
lie §lld)emiften liegen ihren fftachfolgertt folgeube Slit*
febauung über bie 3afammenfehung ^er SO^ctaHc: Stile befielen
fie, i^rer ÜReinung nach, aus Schwefel unb Ouedfilber in ner*
fdjiebenen ©ortionen. Unter biefeit Spanien aber haben bie
Sldjemiften nicht baS oerftanben, was wir fegt barunter ner*
ftehen. Der ©djwefel ber 5Udjemiften mar ein ©eftanbtheil, ber
bem SRetaüe bie garbe oerleifjt; baS Ouedfilber biente als
oerebelnbeS (Element, ©eibe betrachtete man als ©eftanbtheile
aller fÜietaQe in reinem ober unreinem $uftanbe; fo befinben
fid) beibe im ©olbe im reinften 3uftanbe unb ftarf mit*
einanber nerbunben; im 3’»« bagegen ift mel)r Schwefel, —
weniger rein, als im ©olbe, unb nerbunben mit einem
ebenfalls unreinen Ouedfilber. Iro£ oller SÄängel war bie
Sllcheraie nicht arm an nü^lidjeH ©ntbedungen, bie freilich
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nteifteuS nur grüßte beS gufaüS maren. 9J?au lernte bie
Salpeterfäure, baS KönigStnaffer, ben Silberfalpeter, baS rotße
Ouecffilberojßb unb oiefeS aubere fennen. 9(ud) ßatte bie 9(1*
cßemie unter bcr 3«ß( ifjrer ©ereßrer mattdjen ecßt pßilofopßifd)en
9iaturforfd)er, j. ©. <55eber, EtßcopßraftuS EßaraeelfuS, ?(nb.
SibaoiuS 2c.
£ie Slntrocßemifteu ßaben baS Streben itadj ber ©ntbedung
beS Lapis Philosophorum faft anfgegeben, bagegen bauten fie
ein mebijiuifcßcS Sßftem auf, roelcfjeö bie ©orgänge im gefunben
unb fraufen Körper, foiuie bie SBirfungen ber Heilmittel auf
cßemifcße Vorgänge juriidjufüßren 0 erfüllte. 2)ie pßpfiologifcßeit
©erricßtungen im gefunben Organismus betrachteten fie a(S
cßemifcße ©rojeffe, in melden bie einzelnen ©eftanbtßeile beS
Körpers in regelmäßigem ©erßältniß aufeinanber mirfen. $ie
patßologifdjen ©rfcßeinungeu (Kranfßeiten) ßielteit fie für bie
llrfadje aller Störungen ber normalen eßemifeßen ^rojeffe.
Sie mußten baßer in ber $ßerapie nur bie Aufgabe er*
bliefen, mit entgegengefefeteu ÜJiitteln bie Störungen ju neutra-
lifiren unb auf biefe SEBeife bie toirfenben ©(erneute beS Körpers
roieber in bie richtigen ©erßä(tni|fe ju bringen. ®ie Satro*
djemifer »erglicßen alfo ben menfeßließen Organismus mit einer
Retorte, in meld)er ber cßemifcße, bei eintretenber Unregelmäßigfeit
ftets ju regulirenbe ©rojcß oor fid) geßt.
®ie SBänbe biefer 9fetorte befteßen aber nidßt aus einem
groben, im üebenSprojeffe unbetßciligten SDfaterial, fonbern aus
einem garten ©eroebe, meldjeS im ©egentßeil eine entfdjeibenbe
SBirfung auf ben ©ang biefeS ©rojeffeS ßat, — ein tlmftanb, ber
oon ben 3atrod)emifern gänj(id) außer aeßt gelaffen toorben.
91ud> mar ißiten nid)ts befannt oon ber qualitativen ©ebeutung
ber eßemifeßen Üfeaftioneit außerßalb beS SebenSprojeffeS, unb
ba fie ferner bie Körper nur nad) ißrett oberfläeßließen ©igen*
feßaften woneinanber trennten, j. ©. bem ©efeßntade nad) —
(28*)
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faucr, äfcenb, fühleitb jc. — , fo ift e« Har, ju welchen falfrfjeit
©rgebniffen fic gelangen mußten. ,£mben wirtlich einige 3atro>
(fjemifer ©rfolge bei ihren Ipeitoerfuchen gehabt, fo finb biefe
Erfolge einerfeit« anf bie ^cilfame SBirfung oerfchiebcner ©toffe,
anbererfeit« aber nnb hauptfädjlich anf bie im SRenfdjeu mohnenbe
9?aturfraft juriicfjufübren. Bon ben ^ntrochcmifern ift un« alfo
tro$ ifjrc« fdjeinbar wiffenfdjaftlidjen ©trebeu« eine nur wenig
brauchbare tfjeoretifcfje SorfteHung über Den öeftanb ber Körper
Ijinterlaffen worben. 3lt ben alcßemiftifchen (Elementen Ouecffilber
unb Schwefel hoben fte ba« ©alg h^jugefügt, aber nicht in
Dem jefct mit biefem tarnen oerbunbeiten ©inne. Ta« ©alj
würbe bem Cuedtfilber gegenübergeftellt al« eine horte uuoer>
brennbare ÜKaffe. 9lußerbem oerbanfeit mir ihnen ben Begriff
ber ©äuren unb ?llfalien. Ta« ift ber ©ruttb, warum bie
Satrodjemiften ^lafc in ber ©e}djid)te ber C£f)cntie finben.
Tie barauffolgeitbe, fiaooificr oorattgehenbc ^ßeriobe ber
©efehießte ber (Shcmie wirb burch ben kanten ber „phlogiftifchen
Iheorie" gefennjeic^net. 3n ber üttitte be« fiebjehnten 3afjr>
bunbert« trat ein merfwiirbiger Umfchwung in ben SJleinungen
über bie 3>ele unb 3roecfe ber 6ßemie ein- 9Äan befd)äftigtc
fich nicht mehr mit ben ÜJfetaüen unb ber ülietaCfe wegen, fonbern
fuchte nach ben ©efe^eit ber Bereinigung unb Verlegung ber
Körper, ein ©treben, welche« geeignet war, in ba« frühere (£f)oo«
einige« £idjt ju bringen. Um aber biefe ©efefce ju entbeefen,
mußte man näher mit ben Grigenfcßaften ber Körper befannt
werben; barau« erhellt, baß bie fRidftung biefer ^?eriobe mehr
qualitatit», al« quantitativ war. Ter Diattgcl genauer quanti*
tatiocr Unterfuchungen fieberte ber neuen 3lf)eorie eine Tauer
oon faft 125 fahren.
3u ber Annahme eine« elementaren Bremtftoffe« würben
bie (X^emifer bamaliger 3e*t bureß bie Beobachtung be«
Berbrennunglprojeffe« unb beffeit Bergleicßung mit anbereit
(2S9)
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)
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cßemifcßen ßrfdjeinuitgen geleitet. 3. 3. Vcdfer (f 1682) naßtn
and) eine Urfäure an, beutete bie großen Staturerfcßeinungen
afg d)emifd)e ^ßrojeffe unb gab bie erften ©runblagen ju
einer umfaffenbeit Jßeorie. SÖtan lernte nad) unb nad) ein=
fe^en, baß bie Vermanbhtng ber SUietalle in erbige ©ubftanjen,
nämlidj in fogenannte SWetallfalfe, bie ©äßrung ber glüffigfeiteu,
bag Sütßmen ber ST^iere, bag Seimen ber ©amen tc. ?leßnlid)feit
mit bem Verbrenmtnggprojeffe befißen. Von biefer 2(uffaffung
auggeßenb, ftubirte gegen Snbe beg fiebjeßnten Saßrßunbertg
ber beutfdje Gßcmifer ©eorg ßrnft ©taßl (f 1734) bie Vcr»
maitblunggoorgänge ctmag genauer nitb ftellte bie erfte georbnete
Sßeorie ber djemifcßeu Ißrojeffe auf; er fcßuf eine Xf>eorie,
bie halb allgemein angenommen unb unter bem kanten „pßlo»
giftifcße Jßeorie" betanut mürbe, ©taßl fanb, baff menti
man einen oerbrannteit Sorper, j. V. ©dfmefelfänre, mit einem
brennbaren Sörper, nämlid) mit Soßle gliißt, festere bie ßigen-
fdjaft beg Srenueng verliert, mäßrenb erftere ju ©cßmcfel, alfo
brennbar mirb. ßr fdjloß baßer, baß bie Soßle ißr Vrcttn«
bare^ ober Sßljlogifton an ©djmefelfäure abgebe unb eg in
©cßmefel oertuanble, baß alfo leßtercg aug ©äure unb ^Jljlogifton
befteße ober pßlogitifirie ©äure fei.
3tt ber großen SBelt ficß untfeßeitb, fanb ©taßl uicßtg all Ver*
brennlicßeg ober Verbrannteg, alfo überall pßlogiftifirre ober be>
pßlogiftifirle Körper. ÜDa nun bag Verbrennen unter fiicßt- unb
Sßärmeerfdjeinnngen oor ficß geßt, gelangte er ju bem ©cßluffe,
baß bag ^riitjip beg £idjteg unb ber 2Bärme bag s^rinjip beg
Unterfdjiebeg jmifcßeu Verbrcnnlidjem unb Verbranntem fei,
unb baß and) beim bunffen Verbrennen, beim langfamcn ßr-
falten, beim Sltßmen unb bei anberen cßemifcßeu ißrojeffen bag
93ßlogifton entmeber langfam entmeidje, ober, oßne frei ju merben,
oon einem Körper in beu anberen übergeße. 9lacß biefer Jßeorie
mirb alfo bie Heterogenität in ber 9?atur unb bie Stnjießung
(290/
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IS
ungleich artiger Waterien gu einanber burd) bie refatioe Wenge be«
$|(ogifton$, roetd)e ein Äörper enthält, beftimmt, unb abhängig
gemalt non ber Äraft, mit melier ein Äörper c§ an fid) gu feffeln
ober einem anberen ftörper gu eutgiehen nermag. 9?a<h biefer Slnfidjt
ift bie chemifdje StngiehungSfraft ober $erroanbtfchaft nichts aubereS
all ber retatine (5Jegeiifa0 gwifchett pf)logiftifchen uitb optjlo*
giftigen J^eorien. Stuf biefe SBeife ()at Stof»! fpnttjetifd) unb
analptifcb bie Sgifteng non )J$ffÄ|iftoH nadjgeroiefen, tro(jbem er
baSfelbe nicht im freien guftanflP erhalten tjat. Sinige feiner
begeiftertften Stntjänger ftiefjen aber auf fragen, bie *m 2öiber>
fprudje mit biefer $t)eorfe fid) befanben. SSenn ba« 5$er«
brennen eine 3erfe&un9 ift, worum ift bann ber Wetaßfalf,
melier bod) burd) ©tilgen be§ WetatlS im geuer entftanbeu ift,
fdjtterer als baS Wetaß felbft, aus meldjem er entftanb?
darauf giebt bie I^eorie @taf)lS feine StuSfunft, aber ber
menfd)liche ©eift mar um Stntmort nicht tierlegen : (Sinige
i^rieben bem fßfjtogifton bie (Jigenfdjaft gu, bie Jtörper, in
roelc^en eS enthalten ift, leichter gu machen; Stnbere gaben ber
Unooüfommen^eit ber Unterfudjungen bie Sdfulb ober enblidj
hielten bieGrrfcfjeinung überhaupt für gtt geringfügig, um einer fRach*
forfd)ung mürbig gu fein, — eine Slnfidjt, meld)e ©taf)I felbft feilte.
fragen mir nun: SBar benn biefe Theorie noßftänbig
falfd)? 3dj benfe — nein! unb betife, bafe jebe ber ©tahlfchen,
einftimmig oon fo nieten benfeuben Seuten angenommenen
Xljcorie gleicfjenbe Stuffaffung etmaS 28al)reS in fid) hat- ®'e
äJ?enfd)en be§ fiebgehnteit 3ahrhunbertS maren nicht geringere
JenfeT, als mir eS jefet finb, unb mir bürfeu nicht über ihre
Jbeen oon nnferem ©tanbpunfte aus urteilen. 2)a3 fßfjf°0'fion
toar für fie ein gang unbeftimmteS SSefett, aber feine Waterie
in bem 6inne, mie mir eS oerfteljen. $iefe 3bee mar atlerbingd
Derfdjroommen, gleich nieten anberen metapbhfifdjen SBorfteßungen
jener 3eit, aber nicht abfurb.
(291)
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®aß fie nic^t abfurb war, ift au« folgettbem flar. Grfefcen
wir ba« Eiort „Ißßlogifton" buriß ba« Eiort „Gnergie" uiib
ftellen wir in bem SBerfe ©taßl« — „Gßemie unb iflßßfif"
oon 1731 — überall ba« Eiort Gnergie anftatt ißßlogifton, fo
finben wir barin ben Slnfattg einer ber größten neueren 2>oftriiteit,
nämlicß bie ber „Grßaltuug ber Gnergie".
35iefe Jßeorie ift bttreß fiatwifier oeruoßftänbigt worben. E*ir
würben un« aber feßr täufeßen, wenn wir aniteßnteii, baß bie
£ßeorie£at>oifier« biejettige ©taßl« gänjlidß gii oerbrängenoermag.
©taßl faß beutlid), baß ba« Gßaratteriftifcße ber Verbrennung
Gntwidelung oon Gnergie ift, unb wenn er biefe Gnergie
ißßfogifton nannte unb ißr waßre« Elefen erläutert ßat, fo gab
er ju, baß e« beit funbamentalen Einfang ber Dlatur bilbet.
Gr oerftanb aber nießt bie eßemifeßen Veränberuttgen, melcße mit
bem Verbrennung«pro$effe oerbunben fiitb; biefe »erfteßen gu
leßren, war Saooifier oorbeßalten!
®amit will idj meine Giuleituug feßließen unb gu meinem
eigentlicßen 2ßema übergeßen.
©cßott oor ©taßl ßaben grünblidje gorfeßer, wie Vau
§elmont, 3oß. 9laß unb ÜJiaßom, bur<ß Vcrfudje gefuitbeit, baß
beim Verfallen ber ÜlictaHe unb beim Sltßmeit etwa« au« ber
£uft angegogen wirb; e« ließ fieß alfo mit Eecßt barau« folgern,
baß bie Körper beim Verbrennen, ftatt eines Veftanbtßeile« (be«
fßßlogiftoit«) beraubt, oielmeßr mit einem anberen Stoffe oer>
bunben werben, ©egen Gnbe be« acßtgeßnten gaßrßunbert«
würbe bieS au<ß mit oölliger ©ewißßeit bargetßan. 3wei &er
größten Gßemifer, bie je gelebt ßabeu, uämlidj 3oß. ijlrieftlep
in Gnglanb (f 1804) unb G. ES. ©cßeele in ©cßwebeit (f 1780),
fanben faft gleicßgcitig unb jeber für fieß, baß bie atmofpßärifcße
£uft au« gwei fiuftarten befteßt, alfo nießt cinfacß ift, baß
ber eine Veftaubtßeil berfelben beim Verbrennen be« ©cßwefel«,
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beg $ßf)o§pf)org, beim ©erfalfett ber 3)ietaHe, beim $lthmen ber
Spiere angezogen wirb, um ficfj mit ben ftörpern ju »erbinben,
unb baß ohne biefen ©eftanbtheil in ber Suft fein ©rennen unb
fein §tt^men ftattfinben fönnte. ®iefe Suftart würbe geuerluft,
bepl)Iogiftifirte Suft, and) Sebcngluft, reine Suft, genannt.
$en jweiten ©eftanbtheil ber atmofphärifcgen Suft, welcher
bie größere SDienge berfelbeu augmad)t unb nicht ju ntfjmen
ift, nannte man Sticfluft, pglogiftifirte Suft ober »erborbetie
Suft.
Sn feiner Slbijanblung über „Suft unb geuer" fagtSdjeele:
„$)ie Suft mug auS zwei elaftifchen glüffigfeiten beftetjen" unb
beftätigt bieg bnrd) eine Steife »ott ©erfinden. Gr nimmt eine
Söfung »oit Schwefelleberfali, gefattigt mit bem ®afe uon »er*
branntem Schwefel, trocfnenbe Oele, beit naffen Stücfftanb, ber
burd) Sfali in Söfung »ott Gifeiwitriol tc. gebilbet wirb, unb bringt
bieg in eilt ©efäg, bag er ^ermetijd) fliegt; ttad) einiger $eit
öffnet er bagfelbe, wätjrenb er ben |>a(g beg ©efägeg unter
SBaffer t)ä(t. ®ag SBaffer bringt in bag ©efäg unb nimmt in
bemfelben 20 — 30% beg urfprünglichett Untfangg ein, wag atg
unzweifelhafter Seweig gelten muff, baff bie obengenannten
Stoffe einen $he*l ber int ©cfäye »orhanbeneu Suft abforbirt
haben.
Scheele erflärte biefe ©rfdjcinuug, wie folgt: bie Suft entzog
bett genannten Stoffen bag tßfjtogifton, ittbem ber zweite öeftanb*
theil z- ©• in Schwefelfäure frei würbe.
Sn ber SXeinung, baß bie Glaftizität ber Stift ttad) ©er*
einigtmg mit ^hi°9ift°n fid) »ermittbere, b. h- einen geringeren
Umfang annehme, glaubte er, bafs bie Stift fompafter unb
fernerer werben muffe. Söie grog aber war fein Grftautten,
alg eg fich heraugftellte, bag bie int @efäg gebliebene Suft
»iel leichter War, alg bie »ott ihm z»m ©erfttd) »erwetibete.
2>araug fchlog Sdjeele, bag bie Suft aug zwei »erfd)iebenartigeu
(293 J
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1 H
gliiffigfeiten beftelje. @v nannte ben einen $f)eit( Da er ba$
Slthmen uitb trennen nidjt beförbert unb feine Neigung befifct,
'^f)[ogifton aitjitjie^en, fc^fecfjte Suft im ©egenfah bem ^weiten
Ifjeil, welcher bie bem erften feijlenben ©igenfdjaften befiel, aber
nur V* — V» ber atmofphcirifdjen fiuft au3mad)t. Um aber
jeigen ju fönnen, wohin ber jmeite Sfjcil ber fiuft, öerbunben
mit bem ^Jfjtogifton, ücrfdjwinbct, madjte er folgenben Verfud) :
3n einem gesoffenen ©efäfje jünbet er ^^oSpfjor, ober SEBafferftoff,
ber nacf) ber ÜKeinung ©djeeleS an« ^^togifton unb fiuft befielt,
an. 35ie Verbrennung führte il)ti 311 bemfelben Srgebnifj, welches
er burd) feinen erften Verfud) gewonnen hatte, nämlid) baf? ber
Umfang ber fiuft nad) ber Verbrennung fleiner geworben ift.
9?un glaubte er, bajj beim Verbrennen einer SBachSferje ober
Stöhle biefe @rfd)einung nicfjt ju Sage treten mürbe, aber aud)
hier entbecfte er baSfelbe, benn in ber jnriicfgebliebenen Suft
fanb er air fixe, ba£ Reifet Stoljlenfäure, bie man burd) Sali*
fjtjbrat au§ ber Suft fjerauäjieljen fonnte.
35a er alfo uidjt im ftanbe war, burd) ben Verfug ju
geigen, wohin jener X^eil ber fiuft, ber fid) mit 5p^Iogifton
oerbunbett hat, oerfdiwanb, fo fdjuf er eine unmögliche |>ppot^efe,
inbem er behauptete, ba§ ber »erfchwunbene $he'i ber 2uft, üfr‘
bunben mit ^ßhlogifton, SEBcirme gebilbet habe, wefd)e burd) bie
SBänbe beS ©efäfjeS fich oerflüd)tigte.
SBeitn nun auch biefe Vorfteöung falfd) war, biente fie ihm
boch als StnSgangSpunft für feine Verfudje, ben beim Ver»
brennen ocrfchwunbenen 2f)eil ber fiuft 'n reinem 3uftanbe $u
gewinnen.
Vorder hatte Scheele bie oerfd)iebenen Umwanblungen ber
Salpeterfaure ftubirt unb war $u ber ?lnfid)t gelangt, bajj bie
reinfte Säure, b. h- bie am wenigften ^h*0S>ftan enthaltenbe, bie
raudjenbe fein müffe, biejenige, welche er burd) 2)eftitlation auS
Salpeter unb Schwefelfäurc erhielt.
(2W)
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Sfnbem er beim 2)efti£liren mehr erhifcte, bemerfte er ein
ftarfe« Slufbraufeit unb neben ber raudjenben Säure bie ®u«<
{Reibung eine« befonberen ©afe«, toelche« ba« Verbrennen mit
einer ungeheuren Stuft beförberte. Sr ocreinigte bie Suft, welche
noch ber Verbrennung be« Vh°äph0r3 übrig blieb, mit ber Suft,
welche er bei ber gerfefcung be« ©alpeter« erhielt, im Ver«
häftnijj non 3 : 1 unb erhielt wieber Suft, bie ber atmofpljärifchen
ähnlich mar. 2en 2 heil ber Suft, ber ba« Vrennen beförberte,
nannte er nun „geuerluft". 2en eigentlichen ®ilbung«pro$efj
fdjrieb er ber .ßerfeßung bet SBärme $u, inbem ein 2he<l/
nämlich W°9tf*on/ mit ber Salpeterfäure bie raudjenbe Säure
bilbet, mährenb ber jroeite 2he^ — bie 5euer^ufl — frei mirb.
Scheele wieberholte feine Verfuche mit oerfdjiebenen Stoffen,
welche alle bem 'phlogifton fehr »erroanbt touren unb erhielt
entlieh feine „geuerluft" au« Sruunftein (2ftanganerj) burch
Slüfjen mit Schtoefelfäure, au« Sulpeter unb ferner au« ben
Rolfen be« Silber«, ©olbe« unb Guecffilber beim Srtoärmen. 3n
allen gäßen lieferte, feiner Meinung nach, bie SBärme ’ip^Iogiftojt,
ba«, mit Säuren unb Halfen oerbunben, bie geuerluft au«>
gefchieben hat.
So erflärte einer ber erften unb größten Shemifer be«
oorigen 3af)rhunbert« feine Sntbecfung.
Vor hunbert Salden mur ber Verfehr ^toifchen ©eiehrten
fe|r lungfam, unb auch bie ©eiehrten felbft beeilten fief) burdjau«
nicht, ber SBelt ihre Srfinbungen mitjutheilen, be«halb barf e«
nicht iiberrafchen, bajj ju eben berfelben ßeit, ju welcher Scheele
in Schieben feine Jeuerluft entbeefte, ein anberer Shemifer in
dnglanb, Vrieftlep, ber fich mit ähnlichen Unterfuchungen be*
fhäftigte, biefelbe Sntbecfung machte, toie Scheele.
2ie Slrbeiten Vrieftlep« in biefer 'Jfid)tung begannen im
3ohre 1771. Sr hatte gefunben, baß „air fixe“, b. h-
Soljlenfäure, bie beim Slthmen ber 2l)iere fich au«fcheibet, itt
Sammlung. 91. JJ. V. 105. 2 (295)
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ber ßuft unbrauchbar für bie Erhaltung beS fiebeuSprojeffeS
wirb, bah aber air fixe burcfj bie ©flanjen wieber in brauchbare
2uft für bie Slthmung umgewanbelt wirb.
3m 3al)re 1772 entbecfte er im ©tidojpb baS |jülfSmittel
jur quantitatiben ©eftimmung jene« ^er Suft, ber baS
91thmen unterftüfjt, ahnte aber noch nicht, baff bie 2uft ein
©eftanbtheil beS Stido£hbS ift. — 3n bemfelben 3af>re machte
er audj bie ©ntbecfung, bah, Wenn man in einem gefdjloffencn
©efäjje Stofjle mittelft eineg ©remtglafeS uerbrennt, fid) ein ©aS
bilbet, welches burrf) fialfwaffer abforbirt wirb, unb bah ein
Heiner $heü jurücfgebliebenen, nicht »erwehrten Suft burdj eine
naffe ÜKaffe Don ©ifenfpänen unb Schwefel gleidjfaHS abforbirt
wirb; er berechnete, bah ber 'Ifyeii ber fiuft, ber ber Hbforption
Söiberftanb reiftet, = Vs feines urfprünglicheu Umfanges ift.
3m 3ohre 1774 fanb ißrieftteh, bah man ben $he'l ber
2uft, ber fürs 33 erbrennen nötljig ift, in fehr reinem ßnftanbe
erhalten tönne, wenn man Salpeter in einem glintenlauf glüht.
$5aS fich bei biefem Vorgänge auSfdjeibenbe ©aS, welches burch
Sßaffer nicht abforbirt wirb, nährte bie flamme ungewöhnlich
ftarf. 3lm 1. Sluguft 1774 erhielt er baSfelbe ®aS aus erhifctem
äQuedfilberofpb unb auch QnS SWennige.
Qtrfreut über feine ©ntbecfung, eilte er nach s$ariS unb
oertünbete bercn ©ictjelnheiten im |jaufe Saooifier in ©egenwart
mehrerer ©eiehrten beim STOittagSeffen. ißrieftlepS Stnficht war,
bah baS non ihm entbedte ©as Suft, frei non 'phl^f*00/ H
währenb ber anbere, baS ©rennen nicht unterhaltenbe Shel(
Suft mit Sßhlogifton fpi-
Siaüoifier, ber unfterbliche ©hfmder granfreidjS, benuftte
biefe ©ntbecfuugen, fowie bie ber älteren ßl)emifer auf eine
höchft fcharffinnige SBeife : er Dcrbanb fie mit Dielen eigenen (Sr»
fahrungen unb grünbete barauf eine neue chemifdje Theorie,
mit welcher er bewies, bah «in ©ld08'fton überhaupt nicht
<296)
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gebe; beäljalb würbe bie £aooifierfd)e J^eorie bie anti»
Phlogiftifdfe Jtjeorie genannt.
. Saooifiet bemühte ftcf> ju jeigett, bafj ohne Sebenäluft feine
Verbrennung ntöglic^ unb baft baS Sßrobuft einer jeben Verbrennung
eine Verbinbung ber brennbaren ©ubftanj mit ber wägbaren
©runblage ber SebenSluft fei, bafj alfo bie ©djwefel-, bie Stöhlen-
fäure jc., welche burd) Verbrennung be£ Schwefels, ber Stöhle u. f. tu.
entfielen, foldje Sebensluft-Verbinbungen barfteßen. Gr nannte
baljer bie SebenSIuft ©jpgen (Ofhgenium), ©auerprinjip ober
©auerftoff. Gr wie3 and) burd) fef)r finnreidje unb genaue Verfuge
nach, baff ba8 SBaffer aus ©auerftoff unb ber wägbaren ©runb-
läge ber brennbaren Suft befiele, unb nannte ledere baher
$t)brogen (§pbrogenium), wafferbilbenben ©toff ober SBafferftoff.
Tie oerfdjiebeneii £uft< ober ©asSarten erflärte er für Ver*
binbungen ber wägbaren ©toffe mit einer unwägbaren SDtaterie,
bie er mit bem SfluSbrud „Calorique“, SBärmeftoff, beteidjnete.
Tiefer Sßärmeftoff, ber Sidjtftoff, ber ©auerftoff, ber SBafferftoff,
ber ©ticfftoff, Schwefel, Stoblenftoff, bie ©runblagen
ber Stohlenwafferftoffe, Vorayfäure, gtfufjfäure, bie Grbeit, ber
Stalf, ba£ fRatron bie oerfdjiebenen 3)teta0e waren nun bie un-
terlegten ©toffe, unb fo fam bie Gfjemie auf einmal ju einer
SJtenge oon Glementen, beren 3al)l fich burd) fpätere Gnt.
bedungen immer nodj oermehrte. ®ie franjöfifc^e fReoolution
entriß Saooifier feinen geiftreidjen Arbeiten, inbem fie ihn im
3af)re 1794 bem Vlutgerüfte überlieferte.
2Bir werben halb fefjen, ob Saooifier ba8 fRedjt hatte, in
feinem SBerfe: „Tie elementaren ©runblagen ber G^emie, be-
trachtet unter neuen ©efidjtäpunften unb auf ©runb ber neueren
Gntbedungen" (Traite elementaire de Chymie presente5 sous un
ordre nouveau et d’aprfcs les dtfeouvertes modernes) ju fagen,
bafj ber ©auerftoff gleidjjeitig oon ihm, Scheele unb fßrieftlep
entbedt würbe, eine Vehauptung, gegen welche ißrieftlet) proteftirte.
2* (2»7)
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£ie bemerfenäroertfjeften c^emifc^en Slrbeiten Caüoifierö
begannen im 3afjre 1768, al« er, 27 3af)re alt, $um SWitglieb
ber franpfifdjen Slfabemie ber SEBiffenftfeaften ermaßt mürbe.
3mei 3at)re (pater tritt fiaooifier mit einer felfr mistigen
Unterfucfeung auf: „lieber bie SDiöglit^feit ober richtiger Un*
möglicfefeit, SEÖaffer burdj anfealtenbc« ßrmärmen in ßrbe ju
oermanbeln." $iefer Serfudj, ber ein fealbe« 3n^r jur oöfligen
3Eurdjfüf|rung in SInfprud) nafjm, bernie« mit unmiberleglicfjer
ftlarfjeit, bafe feine SBerroanblung oon SBaffer in ßrbe ftatt*
gefunben ffat. $)ie ÜÜienge be« SEBaffer« £>atte fid) nic^t nur
nid)t oerminbert, fonbern fogar etma« oermefjrt burdj bie Sluf*
löfung eine« Xljeil« ber garten ©ubftanj, meldje fid) in iljr
gelöft featte; bnfür fjatte ba« ©efäfe, in meinem ber S3erfud) ge-
malt ronrbe, ebenfooiel im ©emidjt abgenommen. ß« ift
merfmürbig, bafe fiaooifier auf biefem SEBege rcieber bem be-
räumten fcfjmebifdjen ßfeemifer ©cfeeele begegnete, meldjer eben-
faß« bie Sefeauptung auffteßte, bafe bie Sermanblung oon
SEBaffer in ßrbe unmöglich fei. fjreilidj fam ©cfjeele ju biefem
©cfeluffe burd) bie qualitatioe Unterfudjung be« trotfenen SRüd*
ftanbe« be« SEBaffer« nadf) ber Slbbampfung. Snbem er biefen
SRürfftanb für einen Seftanbtfjeil be« jur Slu«füfjrung be« ßj*
perimente« benufcten @Ia«gefäfee« f)ielt, oergafe er, bafe ®la«
au« $alf, ©anb, Süfalien fjergefteßt mirb, b. ff. au« eben
benfelben 23eftanbtf)eilen, au« roeldjen bie ßrbe jujamnten*
gefegt ift. äJtan fonnte ben ßrgebniffen feiner Unterfucfeung
gegenüber affo behaupten, bafe Xran«mutation, b. f). bie $er*
roanblung oon SEBaffer in ßrbe ftattgefunben fjabe. ©egen fiaooifier
aber liefe fid) fein SEBiberfprud) ergeben, ba beffen Unter*
fudjungen aud) quantitatio Öeftätiguug fanben. — Cbroofel
biefer Serfudj nidjt jur ßntbedung be« ©auerftoffe« gefeört,
glaubte id) bodj, an bemfelben niefet offne meitere« oorübergefjen
3U bürfen, meil er, meiner Sfnfid)t nad), al« ©runblage für aüe
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21
weiteren Unterf Übungen SanoifierS, welche er ftetS mit ber
SBage in ber fpanb ausfuhrte, bient.
©eit Sanoifier ift bie quantitatine Veftimmung oller ©toffe
eine nothwenbige gorberung jeher Untersuchung geworben.
3Bir nerbanfen biefem Verfahren bie 2Röglid)feit, eine SfontroHe
über bie ©enauigfeit eines jeben Verfud)e3 unb jebeS SRefuttateS
ouSjuüben.
^ür Sanoifier felbft würbe biefer SKerfudE) eine fefte ®runb>
läge aller feiner Weiteren Untersuchungen, ßunädjft überzeugte
er fich, bah ber ©toff weber nernichtet wirb, nodj feine Statur
neränbert. @r erfannte ferner, bah in allen möglichen i|ko>
jeffen, bei beneit fcfjeinbar bie ßerftörung, Vernichtung ober
Transmutation beS ©toffeS nor fich gef)t, biefer ©toff ftetS
in ben ißrobutten beS ißrojeffeS gefunbeu unb in feiner ur-
sprünglichen fjorm auSgefd)ieben werben fann, Wenn wätjrenb
beS VerfucheS bie nötige Vorfidjt nicht auher acht gelaffen
wirb. 3m 3ahre 1772 unterbreitete Sanoifier ber Slfabetnie
ber SBiffenfchaften ein nerfiegelteS, fchriftliche ÜRittheilungen ent-
haltenbeS ißacfet. 3n biefen SDtittheilimgen fpricht er über bie
Vermehrung beS ©eroichtS ber 3J?etade beim ©lüften unb behauptet,
bah bei ber Verwanblung ber äRetaQe in Stalfe unb ebenfalls beim
Vrennen non Sf*h°$Phor unb ©djwefel bie Verehrung eine« be-
beutenben Ihe>^ »on Suft ftattfinbet unb bah &ei ber SHebuftion
ber metaßifchen Äalfe bie Suft fich wieber in grober Quantität
auSfcheibet. 3m 3af)re 1774 ftelltc er einen genaueren
Verfuch an, — übrigens nur eine SBieberholung eine«
bereits anberthalb Sa^rbjimbert früher non bem ?lpothefer Vrun
in Vergerac unb fpäter non SHet) unb Vople auSgefüf>rten
VerfuchS.
Sanoifier fchüttete in eine geräumige SRetorte ein fleineS
Quantum metaüifcheS ginn »nn beftimmtem ©ewicht, nerfchloh
bie SRetorte noßfommen bid)t unb beftimmte bann möglidjft
(•J99)
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22
genau mit ber 2Bage baS ©emicf)t be3 ganjen Apparates, farnt
feinem 3»l)alt. hierauf er^i^te er bie fRetorte längere 3f<t
fjinburd), fo bafj ba3 3^nn fc^molg unb fid} aQmäljlidj in jo.
genannte 3>mmfdje (SSerbinbung be£ ©auerftoffS mit bem
c^emifc^en ©(erneute 3^) öermanbelte. 9}ad)betn ber Apparat
geniigeitb abgefüfjlt mar, unterjog er benfelben mieber einer
SBägung unb fanb, baß fid) ba3 ursprüngliche ©emidjt, trop
ber ftattgeljabten Sßeränberung be$ 3'nne§ fogenannte 3>nn*
afdje, uicfjt geäubert hatte. 8113 er aber ben Apparat
öffnete, bemerfte er, bafj atmofpl)ärifd)e Suft in bie SRetorte
einbrang. ©r unterzog nun ben ganjen Apparat einer jmeiten
SBägung unb ftettte feft, bafj eine ®emitf)t8junal)me ftatt»
gefunben hatte, hierauf mog er bie fogenannte 3‘nnaf^e
für fich aQein unb fanb bei bem 23ergleid) ber urfpriiitglicfjen
©erpichte , bafj bie ©emidjtSjunafime be3 3*nneg ber ©emic^t-
junaljme, mcldje fich au3 ber jmeiten SBägung bc3 Apparates
ergeben hatte, gleich taar. ®urdj biefen SSerfuch tarn Saooifier
ju ber für bie ©fjemie mistigen Folgerung, a) bafj ba8 metatlifdje
3inn beim Uebergange in 3innafdje an ©eroidjt junimmt;
b) baj) biefe ©emid)t$junal)me burd) bie SBerbinbuitg be3 3*nng
mit einem Seftanbtljeil ber atmofpl)ärifcf)en Suft, meiner abforbirt
mirb, fjeroorgerufen mirb.
9Bie ©djeele, mar je^t auch Sauoifier auf ©runb feiner
SBerfudje überjeugt, bafj bie Suft au3 jmei nerfdjiebenartigen
©afen beftejjt. 3nbem er fich bie ißrieftlepfdjen ©rfaljruugen
ju nujje machte, badjte er an einen SBerfud), ber analptifd)
unb ftjntfjetifch bie Seftatibtljeile ber Suft unb ihre quantitatmen
93erhältniffe nadjmeifen unb aurf) bie 2Röglid)teit geben füllte,
bie ßigenfd)aften ber einjelnen Seftanbtljeite ju unterfucfyeu.
liefen funbamentalen Serfudj, ben Saüoifier einigemale
felbft mieberfjolte unb üor Slnberctt au$füf)rte, betreibt er
folgenbermafjeit :
(300)
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,,3d) nahm einen geräumigen Kolben mit fe^r langem $alfe
unb bog beufelben fo, bafe er fid) nach einer ©eite neigte unb
fein Snbe bie |50rm eine« $ofen3 befam. 3uf biefe Sßeife
fonnte bie SHetorte felbft in beit Ofen gebracht werben, wäferenb
ba« umgebogene Silbe ihre« $alfe« unter eine ©la«glocfe ge*
fteüt war, bie in eine Ouecffilberwanne tauchte. 3n ben Kolben
legte idf 4 Ungen feljr reine« Ouecffilber, bann gog id) mittelft
eine« ©iphon« au« ber ®la«glocfe etwa« Suft fjerau«, fo ba&
ba« Ouecffilber gu einer ^ö^e ftieg, bie ich burcfe Sluffleben
eine« ißapierftreifen« begegnete. 3dj machte in biefem SDfoment
eine genaue Seobadjtung über ben ©tanb be« ^Barometer« unb be«
Jhermometer«. fttachbem auf biefe SBeife äße« norbereitet war,
entgünbete id) im Ofen ein geuer, wellte« idj im Saufe non
12 Jagen immer in einer ©tärfe erhielt, bafe ba« Ouecffilber faft
bi« gum ©iebepunfte erwärmt würbe. Slm erften Jage ereignete
fiel) nicht« Sefonbere«. Obwohl ba« Ouecffilber nicht fiebete, ner*
bunftete e« fortwäljrenb unb begann ba« innere be« Solben«
mit fleinen Jröpfdjen gu bebecfen, guerft mit fe^r Meinen, bie
aber mehr unb mehr fid) nergröfeerten, bi« fie fdßiefjlid) non felbft
feerunterfielen unb fid) mit ber übrigen SDiaffe non Ouecffilber
wieber nereinigten. 3m gweiten Jage fal) icf) auf ber Oberfläche
be« Ouecffilber« fchwimmenbe rotfee Jheilchen, bie fid) bi« gum
fünften Jage an 3af)l unb ®röfee oermehrten.
„31« ich nach 3hlauf non 12 Jagen bemerfte, baß biefe
Jheilchen fich nicht weiter oermehrten, löfd)te ich ba« geuer au«
unb liefe ba« ®efäfe abfühlen."
„Jer Umfang ber Suft im Äolbeu unb in beffen fjwlfe,
fowie in bem leeren Jfeeil ber ©la«glocfe war unter normalem
Jrucf unb bei normaler Jemperatur nor Seginn be« SBerfucfee«
= 50 SfubifgoII; am ©cfelufe be« SBerfucfee«, bei berfelben
Jemperatur unb bemfelben Jrucf, war ber Umfang ber Suft
= 42 — 43 Sfubifgoß. 3ch fammelte forgfältig ba« rotfee
(301)
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©uloer, baS auf bem Cuedfilber fchwamm, trennte eS non bem
flüffigen Cuedfilber fo gut als möglich unb wog eS; fein ©ewicht
war 45 ©ran.
„$)ie in ber ©focfe jurüdgebliebene Suft hat fidj auf V«
ihres urfpriinglicheu Umfanget oerminbert, war untauglich ge-
worben für baS ätljmen unb unterhielt nicht baS ©rennen.
Ihicre, welche ich in biefe üuft ^ineinbradjte, erftidten fdjon
nach einigen Sefunben, unb brennettbe Äörper oerlofdhen äugen*
blidlich, al§ ob ich biefelben in SBaffer tauchte. ?lnbererfeits
nahm id) bie 45 ©ran beS rothen ißulöerS, weldjeS fich beim
<Jrf)if)cn beS OuedfilberS gebilbet fjatte, unb brachte baSfelbe
in eine Heine ©laSretorte, an welche ich ©efäftf jur Aufnahme
oon flüffigen unb gasförmigen Stoffen angefügt halte "
„3nbem ich biefe SRetorte erwärmte, bemerfte id), bafj bie
ÜRaffe beS rothen ißuloerS juerft bunfel würbe, unb als bie
SHetorte nahe am ©lühpunfte ftanb, in berfelben nichts jurüd*
geblieben war; in ben angefügten ©efäjfen aber fanb ich 411/*
©ran metaflifdjeS Duedfilber unb 7—8 ÄubifjoO ©aS, — ein
©aS, welches, bebeutenb ftärter, als bie gewöhnliche Suft, baS
©erbrennen oon Körpern unb baS Slthmen ber $l)ifre unter*
ftüfcte."
Saooifier oereinigte biefeS, aus bem rothen ’ißuloer aus*
gefchiebene ©aS mit ber in ber ©lode nach bem @rf)i&en beS
duedfilber jurütfgebliebencn fiuft unb befam ein, ber gewöhnlichen
atmofpfjärifchen üuft ähnliches ©emifd). $uerft nannte er baS fo
erhaltene ©aS „2uft, bie aujjerorbentlich ftarf baS Slthmen unter*
ftüfct" (eminemment respirable), fpäter SebenSluft (air vital),
bann „principe oxygene “uttb enblid) gab er ihm ben richtigen
SRainen Oxygäne, welken er aus ben griedjifchen SBörtern
o£vg (oxys) fauer unb ytvvata (gennao ich eräuge) ableitete,
dagegen nannte er ben jtoeiten gasartigen ©eftanbtheil ber 2uft
Azot (ßebenSberauber) ebenfalls eine Ableitung aus bem
©riechifdjen (oon „£»/;“ Sebeit unb berauben).
(302)
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25
Der Diame ©auerftoff, ber bem erfteren ©afe gegeben würbe,
war bie golge einer grünblicben ©rwiigung fiaooifierö: mit
biefem ©Sorte Wüßte er auf bie wichtige, rein cfjemifdje ©igen*
fefjaft biefe« neu entbeeften ©afe« fpnweifen, weld)e« bie ©igenfebaft
befifct, ba« Stimmen ju unterftii|en unb t>on welkem ba« £eben
abhängig ift. Saüoifier üermieb burcf) bie neue ©eaeidjnung jebe
Änfpielung auf bie pbbfiologifcbett Grigenfcfjaften be« ©afe«, wie er
benn aud) ben bureb ©cbeelc gegebenen 9iamen „geuerluft" oerwarf,
bamit ba« SBort geuer au« ber 3abl ber ©lemente, ju weiten er
©auerftoff, ©tidftoff, SSafferftoff, Äoblenftoff, Schwefel, $^o«pt)or
unb bie SMetaße gejault wiffen Wüßte, »erfdiwinben möchte.
Unterfud)en wir jejjt bie ©igenfebaften be« ©auerftoff« unb
feine ©erwertfiung für bie $wede ber menfcblidjen ©ebürfniffe.
Der reine ©auerftoff finbet, obfd)on er einen wefentfidjen ©e*
ftanbttjeil unzähliger Körper bilbet, feiner foftfpieligen Dar*
fteßung falber, nur eine befdjränfte ©erwenbung.
Der ©auerftoff ift unter gewöhnlichem Drud unb bei ge*
wohnlicher Temperatur ga«förmig unb lägt fid) al« fotdjer
burcf) feinen ber fünf ©inne bireft wafjrnefjmen, weil er Weber
ftarbe, nod) ©erueb noch ©efe^maef befifct.
Da er 1,108 fernerer al« atmofpf)ärifd)e fiuft unb 16,0
mal fernerer al« Söafferftoff ift, fantt mau iljn au« einem ©e*
fäfje in ein anbere« mit £uft gefüflte« bringen unb feine ©egen*
wart bureb einen glimmenben ©pan beweifen.
Der ©auerftoff lägt fid) mit £>ülfe oon ficilte burd) ftarfen
Drud ju einer glüffigfeit jufntnmenpreffen unb oerbid)ten. —
fjür fidi) aflein nirf)t brennbar, unterhält unb fteigert er bie
Verbrennung unter großer Sßärmeentroideluug; er ift alfo eine«
ber wefentlidjften unb wnentbe^rlicfjften ÜJiittel, um eine Ver-
brennung überhaupt ju ftanbe fommen ju laffen.
©ntjünbete, bi« jum ©lühett erhi^te ober nur glimmenbe
fiörper, wie j. ©. glimmenbe« £>olj, glühenbe« ©ifen, entjünbeter
(S03J
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^Jljoapfior, brepnenber Schwefel brennen in reinem ©auerftoffgaS
hellleuchtenb unb lebhaft mit groffem Sidjtglattj.
@r geht mit allen chemifcheu Elementen, $luor ausgenommen,
meift leidjt chemifche Serbinbungen ein. •
©auerftoff ift wenig löslich in 2Baffer. Sei gewöhnlichem
$rucf abforbirt baS SBaffir nur 3% bem Solumen nach, aber
biefe geringe SJienge ift fdjoit ^inreidjenb, um ba« Sternen ber
gifche im SBaffet ju unterhalten ; ber ©auerftoff toirb au« ber
£uft ober au« bem Sßaffer, in Welchem er gelöft oorfjanbeu
ift, burd) bie SlthmungSorgane »om Slute abforbirt, bei welchem
Vorgänge baS bunfle oenöfe Slut in baS rptf)e arterielle
übergeht.
$er im Slut burd) bie Slutförpercheu ^urucfgehaltene
©auerftoff erzeugt im Organismus djemifc^e fJJro$effe, bie für
bie gortbauer beS Seben« unb bie (Erhaltung ber SBärme im
Äörper nothmenbig finb. deshalb erftiden fdjon na<h einigen
©efunbeit $h*ere/ welche in einen 9taum gebracht finb, in bem
fein freier ©auerftoff öorfjattben ift. dagegen wirft reiner
©auerftoff, furje $eit unb in nicht aüju großer fDtenge ein*
geatljmet, auf ben thierifchen Organismus anregenb. Sei größeren
Duantitäten treten halb Sranfheitsfhmptome auf, bie mit bem
$obe enbigen fönnen.
@S ift alfo flar, bafj ber ©auerftoff in ber SDiebijin mit
gutem ©rfolge unb jwar in folgenbett fällen angewenbet
werben fann:
a) Qu (Sinathmungen bei Sergiftungen, welche burch Auf-
nahme oonStohlenfäuregaS, ÄohlenojpbgaS, ©chwefelwafferftoffgaS
in ben Organismus heroorgerufen finb; bei Afphhjie (©cheintob)
nach (ärftirfungSanfäKen, wie nach Strangulation (Srhüngen),
(Srtrinfen, nach Shiuroformirungen :c.
b) $ur SBunbbehanblung im allgemeinen. 3tt granfreich
gefdhieht feine Serwenbung in ber (£f)intrgie berart, baß man
(304)
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ba$ erfrcmftc ©lieb in muffäfjttlidje Kautfdjuffjiinen, bie beftänbig
mit ©auerftoff gefiiflt gehalten werben unb innen offen finb,
einfdjtiefct.
Tie ©erbinbuttg be$ ©auerftoffeS mit anberen Körpern
gefdjiefjt immer unter StuSfdjeibung Don SSärme unb fetjr oft
unter SuSfdjeibung Don 2id)t. 3e rafdjer bie ©erbinbung anberer
Elemente mit ©auerftoff Dor fief» get)t, befto lebhafter entfielt baS
©rennen, unb befto mef)r SEBärme unb £id)t wirb ergeugt.
3n reinem ©auerftoff brennen äße Körper mit einem oiel
ftärferen 2id»tglang, als in ber Suft. SDie fiebljaftigfeit biefeS
2id)tglange$ unb bie fjotje Temperatur madjt ber ÜDtenfd) ficf>
in Dielen gälten nutjbar.
©3enn man in einen ©traffl Don ©Bafferftoff, ber burdf
©auerftoff angeblafett wirb, feuerfefte Körper tjineinbringt, gum
©eifpiel Kal!, SÖtagnefium jc., fo merben biefelben fo glüfjenb,
baB fie wie bie ©onne leuchten.
9?ad; bem tarnen beS (SrfinberS trägt biefeS 2id|t bie
©egeidjnung: TrumonbS fiidjt.
SBeiter wirb ber ©auerftoff in ber fDictatlurgie Dermcnbet,
unb gwar gang befonberS gur Srgielung eines Ijöfjeren |)i&egrabe3
bei bem ©dfntefgen fermer fdfmelgbarer SDietaHe, roie g. ©. bcS
ißlatinS, beS ©otbeS :c. unb bei bem gur gabrifation fünftltc^er
Sbelfteine erforberfiefjen ©dpelgen ferner fdjmelgbarer ©taSflüffe.
gerner gur ©erbefferung ber Siuft in ©erfammlungStofalen
unb in Taudjergtoden, fowie aud) gur görberung bcö |>efe«
mad)8tßumö bei ber ißrefjfjefefabrifation.
Dr. ©refelb fü^rt ber Üftaifdie, worin §efepilge ausgefät
finb, Sauerftoff gu, woburcf) bie rafcf)e ©ermetirung ber §efe<
pilge bebeutenb geförbert wirb.
$118 Süfittet gur ©rgielung einer intenfioen ©erbrennung,
bgro. größeren |>ifce wirb ber ©auerftoff mittelft ©ebläfe in bie
flamme ober ba8 geuer eines bereits brennenben §eigmateriatS
(305)
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eingebfafen ober mit anbereit an ber Suft brennbaren ©afen
»ermißt, bireft terbrannt.
3n mehreren ©rofjftäbten , tote 9?em-9)orf, 2öien, ©rüffel,
fjat man ju geroerblid)en ßroecfen ©auerftoff im grojjen nad) bem
®erfaf)ren oon Seffio bu ÜJ^ota^ in ber Seife bargefteflt, baj? man
87 ©emid)tStf)eile Braunftein, 80 @emid)t«tl)eilc Slefcnatron unb
1 6 @emid)t«tf)eile Stupferojpb unter 3ufiif>rung ton atmofpljärifdter
fiuft in eifernen Retorten auf 450° C. erf)i$te unb ba« ent=
ftanbeite manganfaure Natrium mittelft Safferbampf roieber in
SRanganojrpb, ®e|natron unb ©auerftoff gerfefcte.
Surd) ©rt)if}en unb @infüf>ren neuer atmofpf)arifdjer 2uft
unb barauf folgenbe gerfefcuitg mürbe bann mieber ton neuem
©auerftoff gemonnen, fo bafe burd) fortgefefcte« Siebenten be«
SBerfafiren« grofje SRengen ton ©auerftoff, roeldje j. ®. tor
einigen Sauren in 9?em*^)orf pro Sag 850 Äubilmeter betrugen,
in eifernen Gplinbern auf 20 — 30 atmofptyärifdjen Srud fotn-
primirt, bett Äonfumenten jugefii^rt merben fonnten. Sa fidj
aber trofc ber ©infad;f)eit be« Berfaljren« ber Sßrei« immer ttocf)
auf 2 SD/arf 30 ißf. pro ftubifmeter fteßte, founte bie Snbuftrie
fid) biefe« HeigtnitteH nur in befcfyränftem SRajjftab bebietten.
©ine anbere iRufcanmenbung be§ ©auerftoff« jur ©rjietung
t)ot)er Semperatur unb befferer 91u«nu|ung ber Heizmaterialien
fjat fid) in neuerer 3eit ©ingang oerfcfjafft. Siefelbe befte^t
barin, baff man bie ©ebläfe, meldje ein ©emifcf) ton ge-
pultertem SRanganfuperoypb (©ramiftein) unb fottz. ©djmefel-
fäure enthalten, terbinbet, fo baff bie ©ebläfeluft burd} ba«
©auerftoffentmicfelungSgemifd) l)inburd)gef)t unb babci baS
auftretenbe ©auerftoffga« jur Neuerung mit fortleitet. Sie
baburd) erzielten ©rfparniffe an Heizmaterialien foßen 20 bi«
30% betragen.
Senn ©auerftoff in Berbinbitng mit Safferftoff tritt, fo
gefdjiefjt bie Bereinigung momentan mit einer ©jpfofiott, bie um fo
(306)
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ftärfer ift, als baS Berhältniß bcr beibett ©afe nätjer ber Pro-
portion ift, in welcher beibe ®afe SBaffer bilben, b. h- auf
1 Bolumen ©auerftoff fommen 2 Bolumen SGÖafferftoff. Dasfelbe
finbet bei ber Bereinigung oon Suft mit SSafferftoff ober mit
ÄohlenwafferftoffgaS (5. 33. Seucf)tgaS) ftatt.
Sine folc^e 3J?ifc^ung Reifet Knallgas.
Diefe Sigenfdjaft bient jur Srmittelung ber ©auerftoff-
menge in ber Suft. 2Kan nimmt eine bicfe ©faSröhre, bie an
einem Snbe jugeft^motjen unb in gleiche Steile geteilt ift, unb
füllt fie mit SBaffer. gnbem man fte bann perft in ein ©efäß
mit äBaffer bringt, führt man in biefelbe 100 Bolumen ber p
unterfuchenben Suft unb bann noch 50 Bolumen 3Bafferftoff
ein. 2Benn nun anftatt ber 150 Bolumen nadf ber Sjplofion
fidj nur 67 Bolumen ^erauäftetten, fo {fließt man, baß in ber
gegebenen SJlifchung 21 Bolumen ©auerftoff waren, ta aus
berfelben 63 Bolumen ausgetreten finb, oon welchen ein Drittel
bem ©auerftoff, jtoei Drittel bem Söafferftoff angef)örten. Sin
folcßer Apparat Reifet Subiometer.
SSenn ber ©auerftoff eine folc^e Snergie bei feiner Ber-
einigung nach oorhergeljenber Srwärmung ober in ber ©luth eines
bremtbarcn ßörperS äußert, fo jeigt er biefe Snergie weniger
bei gewöhnlicher Demperatur. Unb bennocfj ift eS gelungen, ben
©auerftoff p einem ettergifchen gaftor p machen, wenn bie
lejjtgenannte Bebingung befteht. Ilm bieS p erreichen, braucht man
nurburch ben ©auerftoff eleftrifdje gunfen burchgehen p laffen;
ber ©auerftoff befommt bann einen bem Ph0!?pf)0r unb ©djwefel
ähnlichen ©etucf) unb einen ©efdjmacf, welcher an fitebfe unb
SCuftern erinnert, er wirb bitter unb h^fel in einem folgert
guftanbe 0pn ober aftioer (fonbenfirter) ©auerftoff. SDian
oerfteht alfo unter Cpn im allgemeinen eine ätiotrope SPlobifi*
lation beS ©auerftoffeS, b. h- gewöhnlichen ©auerftoff, welcher,
burch nähere Slneinanberlagerung ober engere Berbinbung ber
(»07)
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30
einzelnen üttome untere inanber offne Slnwenbung dou Trucf Der*
bicfjtct, anbere @igcnfcf)aften angenommen hat-
Tag SBort „C$on" ift abgeleitet Don bem griedjifcfjen
o£nv (rieten). Heber bie Silbunggweife beg aftiDen ©auerftoff
ober beg 0zong aug Sltmofphärefauerftoff lägt ftd? folgenbeg
lagen.
Turcf) bie (Jinwirftutg ber Steftrigität auf Stthmofphäre*
fauerftoff, beffen Motefüte aus jmei Sltmofphären jufammen*
gefegt finb, wirb in beit Htomen eine Slnjie^unggfraft erregt,
bim. bie oorljanbene fogenannte djemifdje Affinität erhöht, fo
bafj eine bidjtere Äneinanberfageruttg ber Sttome, eine $erbid)tung
eintritt, wobei fiefj 3 Molefüte Sltmofp^ärefauerftoff = 3x2
= 6 Sttome zu 2 ÜJiotefüten ©zon Don je 3 Sltomen miteinanber
oerbinben. Tiefe ^nficfjt, welche aflerbingg wenig mehr alg eine
$hpott)efe barfteüt, ftügt fich auf bie fRefultate Dieter ejpert«
mentetter Unterfucfjungen, welche ergeben ^aben, bafj bei ber
lleberfiitjnmg beg SttmofphärefauerftoffS in aftioen ©auerftoff
ober ©zon mittetft ftitler eleftrifcher (Snttabungen fic^ genau
3 Sotumen Sttmofpprefauerftoff ju 2 Volumen ©zon Der-
bitten, bafj fidf atfo 3 zweiatomige Sltmofphärefauerftoff«
Motefiite in 2 breiatomige ©zowMolefiife oerwanbeln, unb bag
wieberuttt bei ber Ueberfüfjrung beg Cjong in ‘ättnofpgäre*
fauerftoff mittetft ©rhigen genau 2 Volumen ©zon in 3 Sotumen
fttmofphärefauerftoff übergeben.
Tag ©zon hat im allgemeinen fotgenbe ©igenfdjaften:
1. Unter gewöhnlichem Trucf unb gewöhnlicher Temperatur
ift eg gagförmig, lägt fich aber unter einem Trucf oon 125
Sttmofphären bei einer §tbfüf)lung auf 100° C. zu eiuer bunfet*
inbigobtauen gtiiffigfeit fonbenfiren. Tiefe SBerbidjtung ober
Jtonbenfation ift mittetft beg oon ^autefeuifle unb Shappuiä
bargeftetlten Slpparatg auggefütjrt worben.
2. 3n einer ©djidjt Don 1 Meter Tiefe betrachtet, erfcheint
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eS unter gewöhnlichem Trude ^itmnelblau, mit 5—6 Sltrno-
fpfjären SDrucf 3ufammengeprefjt inbigoblau. — Stuf biefe Sigew
fc^aften hin ^oben einige ÜKeteoroIogen bie jiemlidj gewagte
93ehauptung aufgefteHt, baß bie blaue |)immelSfarbe oon bem
Cjonge^alt ber 2uft ^errüfjre ! Toch ift man oon biefer iöer*
mut^ung mieber ganj abgefommen.
3. (SS fjat einen eigentümlichen ©cruch (nach Knoblauch,
©djmefel, Ph0^0* tc.), reijt eingeatfpnet fjeftig jum $uften unb
wirft fonjentrirt eingeathmet giftig. ©0 fönnen @rfticfungSfätte,
welche bei einem Silihfdjlag in gesoffenen Räumen oorfomnteu,
burch Cjonnergiftung oerurfadjt werben.
4. Sn reinem SBaffer ift eS nur wenig löslich, reich*
lieber aber in SBaffer, bem etwas Cjalfäure jugefefct ift.
Tiefe (Srfcheinung ift oon Seremin in Petersburg beobachtet
worben.
5. Sn ber SBärme jerfe^t fid) baS Cgon leicht oon felbft,
fo bafj eS fich !aum länger als jwei SBochen unb jwar nur
unter ftetem Perluft aufbewahren läfjt. ©tarier erhifct, verfällt
ber fogenannte aftioe ©auerftoff ober baS C3011 rafch in
Sltmofphärefauerftoff, unb eS entfteljen bann aus 2 Polumeu 0301t
3 Polumett Sttmofphäref auerftoff. O3011 ojpbirt fe^r fchnell
Pletalle, bie bei gewöhnlicher Temperatur nicht Ofpbirbar finb,
3. P. Ouedfilber; organifche ©ubftan3en werben burch O3on
gan3 serlegt, b. f). oerbrennen oollftänbig ohne glamtne, ober
werben ofhbirt.
Tiefe ©igenfehaft beS 0301t ober ber 03onif^en Suft benufjt
man für praftifche gwede, fo 3. 93. werben unter (Sinwirfung
berfelben Pflansenftoffe unb organifche ©ubftan3eu rafch gebleicht,
besw. 3erftört.
Tie fogenannte Pafettbfeiche ber Seinwaub, fowie bas
Gleichen burch 91uSbreiten auf Pafen unb Pegicfjen mit SSaffer
bei (Sinwirfung oon ©onnenfeheiu überhaupt, beruht auf ber
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(£inwirfung oon aftioem ©auerftoff, welcher jum I^eÜ burch
bag Söadjgthum beg ©rafeg, jum J^eil burch bag Ser-
bampfen beg SSafferg unter (Sinwirfung oon Sonnenlicht erzeugt
wirb. Snbeffen hat biefer Sorgang beg Sleidjeng oon fieinewanb
burch ©inwirfung beg Cjon§ big jejjt eine beftimmte Söfung
nodj nicht gefunbeit.
Cjon befreit ben ©piritug oom üblen ©erucf) unb ©efchmad,
inbem er bag gufelöl ojpbirt. Sei weiterer ©inwirfung beg
Ojong wirb ber ©piritug in Qfffigfäure umgewanbelt.
$iefe fÄugführuttgen werben genügen, bie angeführten Sei-
fpiele ber Serwanbfung beg ©auerftoffeg ju erläutern.
©amtliche Seftanbtheile ber ung umgebenben 2uft, bes
Skfferg, ber @rbe unb aller auf berfelben lebenben Siefen
enthalten ju einem guten <£i)eih freien ober mit anberen
©toffen oerbunbenen ©auerftoff. 3n faft allen natürlichen
unb in bern größten $1^ ber fünftlich heroor9e&rac$tcn 'pro-
jeffe ober aller berjenigen, welche eine SBirfung auf unfer
Sebeit hoben, fehen wir oerfdjiebene Slrten Oon Cfpbation ber
Körper.
Könnte man ben ©auerftoff wohlfeiler herftellen, unb bahin
geht bag ©treben ber praftifchen (Sh^tnifcr , fo würbe berfclbe
in einem weit größerem ÜÄaßftabe, alg bieder gedieht, jur
Senufcung gelangen. 211® eineg ber beften Verfahren ber
jüngften 3eit, weicheg eine praftifche Slnwenbung oerfpricht, muß
bag 2)urchficfern oon ©auerftoff burch Kautfdjuf bezeichnet
werben, Weil babei mehr ©auerftoff alg Cjon burchftrömt.
Xurch öftere SBieberbolung beg Serfahreng fann man einen feljr
reinen ©auerftoff erhalten. 2ftan nennt btefeg ^erftellungg-
oerfahren „Sltmolpfe".
(£g barf wohl nicht beftritten werben, baß bie dntbetfer
eincg ©toffeg, welcher eine fo wichtige fRoQe in ber Satur
fpielt, fich ein unfterblicheg Serbienft erworben haben, ja, noch
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mefjr, bie iöebeutung ber ffintbecfung, weldje ade unfere begriffe
über bie 9iatur iit anbere 39afjnen gelenft f)at, ergebt biefelbe
auf bie $öf)e eine« SSeltereigniffe«!
Salb nadj feinem funbamentalcn 33erfud) fteHte Sawoifier
eine gange 9Rci^e ton quantitatioen Unterfudjungen an. ©r »er»
brannte im ©auerftoff, ißboapßor, ©cßwefel, Koßle, bereit 3bentität
mit bem Diamant er feftftetlte, unb alle bamat« befamtten ÜJietaHe,
unb beroie« mit öoUftänbiger ©enauigfeit, baß in allen biefen
fällen eine Serbinbung ber genannten Körper mit ©auerftoff ein*
getreten war. Dabei liefern bie nid)t metaHifdjen Körper, welche
ftcß mit einer oerljältnißmäßig größeren Quantität ©auerftoff
oerbinben, ©äuren, bie 9Jietaöe, Ka Ife ober Ojpbc, wie er
fxe beffer nannte. ©leidjgeitig fanb tx fpntßetifcf) unb ana*
Iptifd) al« SBeftanbtßeile be$ SBaffer« SBafferftoff unb ©auer-
ftoff, weSfjalb er eS gu ber Steiße ber Cjcpbe regnete.
Die ©ntbecfung ber elementaren SSeftanbtßeile organifdjer
Körper unb ber Qbentität ber Sltßmung ber Dßiere mit bem
^rojeß ber SSerbrennuttg war ebenfalls ba« 2öerf fiaooifier«,
melier ficf) folgenbe SQorfteHung über ben ©eftanb ber Körper
bilbete:
1. ®S egiftiren einfache Körper, b. ß. Körper, bie man
bi§ jeßt mit feinem un« befannten erfahren ßat gerftören unb
jerlegen fönnen. Damit befeitigte er ben ©tauben an bie Dran«*
mutation ber Körper.
2. ©in einfacher Körper ift im ftanbe, ficß mit ©auerftoff
in beftimmten SBerßältniffen gu oerbittben unb eine ©äure ober
ein Ojßb gu bifben.
3. Die ©auren oerbinben fitf» mit ben Ogtjben^unb bifben
Salgc.
Diefe auf ber ©ntbccfung bes ©auerftoff« berußenben
©runbfäße ließen fidß fofort auf bie SBerbinbung aller einfachen
Körper miteinanber anwenben. ©o war bie neue Dßeorie,
Sammlung. 9?. 3- V. 105. 3 (311)
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bie antipfjlogiftifdje, weld)e alle bamalS befannten d)emifd)eit
©runbfäfce im 93er^ältni§ gu bett fDiineraffubftangen umfafjte,
burd) fiaooifier begrünbet.
fRad) £aooifier$ ®orftetlung Bereinigten ficf» bie Stoffe
paarweife, g. ©. Derbanbcn fid) gwei einfache Äörper, Sdjroefel
unb ©auerftoff gu ©djwefelfäure; $inf unb ©auerftoff, ebenfalls
groei einfache Körper, gu ßütfojpb ; ©dfwefelfäure mit 3infojt)b
bilbete ein ©alg, baS fc^roefclfaure ginfojrpb.
2luS biefer Stnfid^t bilbete fid) fpäter bie fogenannte bua*
liftifdfe Theorie.
So lange man biefe ?lnfid)t auf bie jT^atfac^e, ber
^Bereinigung allein gurüdfüljrte, fonute man bamals unb aud)
jefct nid)ts gegen biefelbe eiitweitben, ba fie fid) auf unwiber*
legbare unb ungweifelljafte SBerfucffe begrünbet. 2113 man aber
biefe §tnfid>t auf bie SBertljeilung ber SE^eilc^cn ber einfachen
©ubftangen im gufammengefe^ten fiörper erweitern wollte, fo
fteQte fief) halb bie Unmöglidffeit einer ©rflärung öieler fReaftioneit
heraus, befonberS wenn organifdje ©ubftangen einer genauen
Unterfudfung unterworfen würben. @3 entftanben beS^alb in
ben breifjiger Sagten biefeS 3al)rf)unbert3 anbere 2lnfid)ten über
beit ©eftanb ber gufaminengefefcten Äörper, unb e3 bilbete fid)
bie fogenannte „Unität3tl)eorie".
fiebere aber beftritt burdjauS niefjt bie fRidjtigfeit ber
Quantität ber ©lementc nad) CaooifierS ©rflärung, fonbern fie
wollte nur auf ©runb neuentbedter fHeattionen unb tljeoretijdjer
©rwägungen bie ©ruppirung ber S^eilc^en ber ©lemente ber
gufammengcfefcten ttörper, b. Ij. ihren inneren S0au, in baS rechte
£id)t gerüeft wiffen.
SBenit wir bie begriffe über ben Söeftanb ber Störper,
welche bie Vorgänger SaooifterS Ratten, mit beffen ®d)luf)*
fofgerungen Dergleichen, fo finb wir geneigt, jene mit Slinber«
lallen unb SiinglingSträumen in SSergleidj gu fefccn , biefe
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aber als bie oernünftigen SSorte eines reifen SJianneS
hinsufteßen.
SBofjer ftammten beim jene taufenbjährigen ©erirrungen
eines StriftoteteS, ©eber, ©acon, ©alenthtuS, ißaracetfuS,
Hnbr. SibaüiuS, ©tauber, ©ecfjer, ©taht, ©obre unb fchliefjlid)
Gaoenbifh, ©rieftlet) unb ©cheete, — ber erften ÜJZäniter ifjrer
3eit ?
@3 ift bem menfdflichen ©eifte nicht »er gönnt, bie erften
Urfacfjen ber (Srfcheinungen nach bereit SSefen 311 erfennen; er ift
nur im ftanbe unb nur auf ©runb be$ ©erfud)eS, bie SIb*
fjängigfeit einer @rfcf)ciuung oon einer anbereit ju ftubiren, b. h-
er oermag bie SinheitSoertjättniffe ju ergrünben unb, inbent er
eine ganje Bfeilje foldjer ©erhättniffe oereinigt, bie ©efefje biefer
©erhättniffe p entbeden, ©efefce, welche aber auch anbere un-
befannte ©lieber p finben geftatten. SebeSntal, wenn ber tnenfdj*
liehe ©eift eine für if)it ungeeignete Slrbeit anfängt, b. f). luenn
er fpefutatio bie Urfadfe ber Urfadjen ju ergrünben unb if)r
ma^reS SBefen p erfennen ftrebt, entfernt er fid) oon ber
SBafprfjeit. Stubirt er bagegen bie tt)atfäd)tid)en unb feinen
©innen jugättglicfjen ©ertjättniffe jioifdjen ben (Sr Meinungen unb
ift er bemüht, benfefbett getoiffermafjen nur nachsufpüren, um fid)
nicht oon ihnen täufdjen ju taffen, fo fte^t er auf bem eigent-
lichen ©oben ber SBatjrfieit. ®aS jeigt fiel) am ffarften an ber
©ntbedung beS ©auerftoffS unb ben barauf gefügten Segriffen
über ben ©eftanb ber Äörper. Sßie fugten bie otten ©Seifen
bie grage über ben ©eftanb ber Störper p beantworten? ©ie
pf)ilofopf)irten, aber fie arbeiteten nicht an biefer Stufgabe, ©ie
gaben fid) nicht bie SJiühe, bie Statur 311 oerhören, eS intereffirte
fie nicht, 3U erforfcheit, roeShatb in einem gaüe ihnen bie ©rbe
unb baS geucr 9J?etnß, in einem anberen gafle £f)on liefert.
Sie fd)äfcten bie ins einseine gehenben Unterfuchungen gering,
tiertrauten bagegen, inbem fie aßcS nur oberflächlich betrachteten,
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i^ren ©innen allein unb brücfteit nur beit ©inbrud, melden bie
in ber 9latur norhanbenen Körper auf fie malten, gan$ all«
gemein au§.
$ie Äldjemiften unb Sfatrodjemiften ftanben auf äf)nlid)en
©tanbpunften, fie ftellten fid) bie Aufgabe, baS SBefentliche, bie
Urfadje ju entbecfen unb Derförperten biefe begriffe im Lapis
philosophorum unb im 2ebeu8elijir. Sie fugten ba8 Sticht«
ejiftirenbe.
3nbent fie ihren f$potl)etifd)en Sorftelluttgett folgten, fdjufen
fie SDtpthen neuer ©ubftanjen: ©chmefel, Ouecfftlber unb ©alj.
Ratten fie fid) nun mit biefen SorfteHungen begnügt unb mären fie
auf ben ©ebanfeit gefommen, beren Stidjtigteit ju prüfen, fo Ratten
fie fich jweifelloä balb oon iljren ^ppothefen loSgefagt, aber $um
Uitglüd entftanb bei ihnen nod) eine neue Sorftellung über
reinen unb unreinen ©chmefel unb Guedfilber. 3118 ob bie oor«
fteflbarc Unreinheit ber Äörper mit beren Söefc^affen^eit nid) 18
gemein hätte 1 ©ie fonnten aber feinb pofitioen Serljältniffe
jroifthen ben ©rfdjeinungen ermitteln, traten aber biefe Ser-
hältniffe ohne ihr 3uthun ihnen öor klugen, fo erblidten fte in
ben d)emi{chen fReaftionen Slflegorien unb fchufen fich allerlei
Phantaftifdje Silber, ft. S. einen rotljen 3)rad)en, ber feinen
©thmanj oerjehrt, ober bie §odjfteit8feier beä.üRetallS mit ber
©äure u. a. m.
Stoch mehr aber, al3 burch bie Sorftellung folcher §irn-
gefpinftc, mürbe bie ©rfenntnifj ber SBahrljeit ben Älchemiften
burch bie ©eheimnifjfrämerei unb Serborgenheit ihrer Unter«
fuchutigen unmöglich gemacht. Sou ber SRitmirfuug über»
trbifdjer Kräfte bei ihren Arbeiten überjeugt, glaubten fie ben
©chleier be8 ©eljeimniffeS nicht entbehren ftu bürfen.
©ine folche 3titfchauung fonttte bie ©rlenntnifj nicht auf»
fommen laffen, bah einzig unb allein bie SReaftion, melche bei
ibentifdjen Sebiitgungen burch jeben anbereit Äörper, unb jmar
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in bemfelben quantitativen iinb qualitativen SBerbältnif? hervor*
gerufen werben faitn, als unantaftbare 23eftätigung für bie
Sidjtigfeit ber gu unterfudjenben @rfd)einung bient.
Sogar bann, als bie Sfjemie fc^on ihre wahre wiffen*
fdjaftlicbe Stiftung eingefchlagcn batte, fomtte man fid^ von ben
f)t)potf)etifcf)en SBorfteöungen nod) nicht gänjlicf) foSfagen, inbem man
g. 3. baS Urfäc^lic^e beS geuerS noch immer auf baS ^^logifton
juriicffü^rte. SBeldjer ©egenfafc gwifdfen biefeit Änfcbauungen
uub benen SavoifierS! Sefcterer fümmerte fiel) wenig um baS
Urfäd)lid)e beS geuerS. C^ne SBoreingenommenbeit fteflte er
einfach bie grage, waS für eine Schiebung bat baS treuer, ober
richtiger bie SBärme, gum SBaffer ? — verwanbelt fie auch nur
ein 2bf't<hen beSfelben in Gerbe ? SDie Antwort ift ein fategorifdjeS
Sein! @r erbitte bis gum ©lüben ein Stüd Sietall in ber
Suft, fcblofc Sietall unb £uft in ein ©efafj unb fragt, ob fid)
bie Cualität nnb Quantität beiber veränbert bat. $ie Antwort,
welche er erhält, läfjt an Älarbeit nichts 31t wünfcbett übrig.
@r verbrennt Äoble unb Sßafferftoff im ©auerftoff, unter*
fucbt bie fßrobufte ber SSerbrertnung unb unterfucbt auch bie
ißrobufte ber fNtbmung. 911S ©rgebnifj fteßt fid) bie 3bentität
beiber öerbrennungSprobufte heraus. @r unterfudjt bie SSärme
in beiben fßrogeffen, finbet fie nicht nach ber Energie ihrer ?luS*
fcbeibung, fonberit nach ber Quantität proportional ben bilbenben
^robuften unb erfennt ihre 3bentität.
9luS allem ©efagtett leuchtet ein, warum Savoifier bie
gleichartigen Arbeiten feiner 3eitgenoffen nicht beachtete unb in
feinen 9lngeigen barüber ftillfdjmeigenb hinweggegangen ift, ein
Umftanb, welcher ihm gum ©orwurf angeredjnet ift. @r war
fich eben bewufjt, felbft auf einem feften ©oben gu fteben, ber
ihn in bie Sage brachte, feiner Sntbedung Sebeutung jit
geben, fie in bie Seihen anberer Xbatfadjen gu ftellen unb aus
allebent eine richtige Schlußfolgerung gu gieben, wäbrenb feine
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Konfurrenten bie oon ihnen entbecften Sdjotfochen nicht au«-
beuteten, fonbern ber ihrer ÜJieinung nad) unfehlbaren bamaligen
Jljeorie als weiteres ©lieb einer Kette anreihten. •
Sit feinen Reflexions sur le phlogistique (Slbljanblung über
^hloflifton), erfchicnett im 3atjre 1777, fprirfjt er fic^, wie folgt,
über bie abgelebte $heor‘e auS:
„Unb wenn in ber Chemie fid) aUe£ befriebigenb ohne
^ßh^ogifton erllären läfjt, fo ift beSbjalb burchauS wahrfdjeinlich,
ba§ biefer Begriff gar nicht ejiftirt, baff er tielmehr nur eine
hhpothetifdje Borftellung, eine unnüfce Bermutf)ung ift (sup-
position gratuite), welche in ben ißringipieit ber gefunben Sogif
bie $ahl ^er Borftellungen ohne Bothwenbigfcit oermehrt. 3<h
fönute midj oieKeidjt mit biefer ncgatioen Behauptung begnügen
unb mit bem Beweife juf rieben fein, bah man fich oicl beffcr
Bcchenfdjaft über bie djemifthen ©rfcheinungen ohne ^ß^togifton
geben fann. öS ift aber bie ^ödjfte 3eit, bah ich mich über
biefe Stnficht, bie ich 'n ^er Sljemie als eine oerberbliche Ber»
irrung betrachte, eine Berirrung, welche bie gortfchritte biefer
SBiffenfdjaft bebeuteitb aufgehalten hoi/ heutiger unb förmlicher
ausfpreche."
3itbeffen fonnte man ja entgegnen : wenn auch bie ^J^fogifton»
tljeorie falfcf» war, fo hoben boch ©djeele uttb Sßrieftlep Sin»
beutungen gegeben, biefelben Unterfuchungen auSjuführett uub
biefelben Befultate, wie fiaooifier, $u befommen. greilid) ift cS
unmöglich, nicht nur bei folchcn Berühmtheiten, Wie ©cheele unb
Brieftletj, fonbern bei oiel befchcibenevcn Kämpfern ber SBiffenfdjaft
Ihotfadjen ju beftreiten unb Sinologien in ben örfcheinungen ju
entberfen; aud) bie ^8hIo9ifionl|eorie war eben beSljalb eine
wiffenfchaftlicfje , weil fie eine ganje Bei(je oon analogen ör«
fcheinungeti beobachtet unb jufammengefteflt hot. Bertaufcheu
wir nur baS SBort phlogiftiren mit rebujiren unb baS Söort
bephlogiftiren mit ojhbiren, unb bie gan^e Beihe oon <hemifd)en
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grflärungen ber öorhergehenben ^ßeriobe »Derben in quali«
tatioer ©ejiebung richtig fein! 9iun wirb biefe eine Schiebung
aber nicht ben Slnfprüchen ber SEBiffenfdjaft gerecht!
3n ber quantitatiDen Unterfuchung, in bereit 9)iöglid)feit
unb in ber gäf)igfeit, aus berfelben richtige ©djlüffe ju gieren,
befielt baä SBerbienft SaöoifierS unb jugleich auch ber Triumph
ber tbeoretifcben Stnfdjnuungen, gegrünbet auf genaue üBerfudje,
nicht auf Spfjilofop^iren, nicf|t auf oberflädjlidjeS ^Beobachten.
Würbe ein £eid)te3 fein, ^ier eine ganje Steife »on
^Berichten fiaooifierS ju nennen, mit ber ^Bezeichnung beä 3abre£
ihrer ©rfdjeinung, aber ich benfe, ^wertmäßiger ju ^anbeln,
wenn ich auf bie tiotlftänbige SIu§gabe ber „Oeuvres Lavoisier“,
bie baä franjöfifdje SultuSminifterium 1862 veröffentlicht ^at,
öerweife. SMefeS SEBerf läßt fid) mit großem Sntereffe unb
ÜRufcen burd)fefen.
3cb möchte nod) ^injufiigen, baß Saöoifier feit bem 3a^re
1764, b. f). feit ber ßeit, nl8 er bie wiffenfd)aftliche 93af)n
betreten ^at, bis ju feinem gewattfamen 2obe im 3«bre 1794,
fiebjig SBeridjte über feine Arbeiten veröffentlichte unb eine neue,
oon i^m begrünbete ßf)emie üerfaßte.
(£§ fonnte nid)t auSbleiben, baß bie neue Sefjre ßavoifier«
vielfach angefeinbet würbe, unb zwar gerabe »on ben größten
Gbemifern unb ^ßfipfifern jener $eit, »pie j. *8. ÜKafyer, SBobrne,
SReaumur, ^rieftletj, Scheele unb anberen.
Slber fo ftarf war bie Äraft ber SEBaßr^eit unb ber unab*
wenbbaren Sogif ber Schlußfolgerungen, baß Siaooifier 15 3af)re
nad) feiner (Sntbedung bie ©enugtljnung hatte, feine Sbeen
oon allen feinen $eitgenoffen geteilt ju fefjen. ©eine £ef)re,
als biejenige einer neuen unb ooMommen fruchtbaren 9tid)tung,
biente nunmehr nicht nur als ©runblage für baS ©tubium ber
ßfjewie, fonberu bilbete auch einen nicht unwefentlichen göftor
bei ber SBefcbäftigung mit ben fRaturwiffenfdjaften im allgemeinen.
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Unb in ber $hat, bie ©ntbecfung folc^er 2Ba£»r^eiteu, wie
bie Ungerftörbarfeit ber 9Raterie bei allen cßemifchen Opera-
tionen, bie ©rfenntniß ber Unmöglichfeit, baß bei einem cfjemifcfien
'jBrogeß irgenb ein Stoff geraffen werbe, welcher nicht un-
mittelbar an ber SReaftion tfjeilffat, ferner bie geftftellung
eine« fo einfachen ©efeße«, baß in allen @rfcf)einungen, bei
welken eine Zunahme an ©ewicht oorfommt, eine ^Bereinigung,
unb bei folgen, wo eine Abnahme an ©ewicht eintritt, eine
gerfeßung unb 3lu«fcheibung ftattfinben muß, fcßließtich bie Slrt
ber Unterfudjung felbft, begrünbet auf ba« ©ewicht unb ÜRaß,
ba« alle« gab bem menfd)lid)en ©eiftc nicf)t nur einen außer-
gewöhnlichen Stoß, ber fein Sntereffe wecfte, fonbern gab
ber Sh«mie neue« Sieben unb würbe SBeranlaffung, baß biefe
2Biffenf<haft, felbftänbig eingreifenb, fich gu einem ber umfang-
reichfteu unb niißlichften gweige ^er menfchlichen Senntniffe
entwideln fonnte.
Sogar bie theoretifchen SBorftellungen fiaooifier« über ben
Seftanb ber Körper bienten ber Söiffenfchaft in h^oorragenber
Söeife. 3ch fagte früher, baß nach ber Meinung Saooifier« unb
feiner Slithänger eine ©äure, um ein ©alg gu bi Iben, fich
nur mit bem Cjtjbe eine« SRetafl« oereinigen föitne. 3nbeffeit
ejiftirten Sllfalien (ttali unb Patron), gewöhnlicher Äalf, SBarpt zc.,
bie bie größte SBerwanbtßhaft mit ben ©äuren geigten, unb hoch
würbe in ihnen ber metaHifdhe $h£rt wit^t entbecft. gaft SRie-
manb aber gweifelte, baß fie, ber Sinologie nach, SRetaHofßbe
feien. Unb wirtlich *ra erften ®ecenitium biefe« Saßrhunbert«
gelang e« bem erften englifcßen ©hent^er/ unb Slnberen au«
ihnen bie SRetalle Kalium, SRatrium, ßalcium, Sarpum zc. au«gu>
fcßeibeit unb gu beweifen, baß ber gweite Seftanbtheil ©auerftoff ift.
Später war bie ©ntbecfung neuer einfacher ftörper nicht
mehr mit ©chwierigfeiten oerbunbeit, fonbern nur ©achc be«
3ufaH«. ©elangten wenig in ber iRatur oerbreitete ©ubftaugen
(»18>
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unb SJiineralien in bie .jpänbe eines richtigen ßljemiferS, jo war
bereu ßntbecfung fieser.
£en ©runbfäßen, bie Caooifier in ber SBiffenfdjaft feft=
[teilte, »erbanMe befonberS bie aualptijche ßhemie, b. h- bie Swift,
gujatnmengefeßte Subftangen in ißre ©eftanbtljeile gu gerlcgeu,
ihre ßntwicfelung; beim, jo lehrte Saooifier, jo lange als bie
Summe ber ®ewid)te aller gefunbeiten Stoffe ber unterfudjten
Subftang nicht gleich bem ©ewichte ber ganzen Subftang ift,
fann unb barf ber gorjchungSeifer beS ßhemiferS nicht raften.
ffiS ift Mar, baß ich nur einen gang Meinen Umriß jener
SBirfung, welche bie ßntbedung ßaooifierS auf bie gortfehritte
unb ßntroideluttg ber ßhemie bjatte, geben fonnte; wollte id)
ausführlicher werben, jo wäre ich gelungen, einen Söeridjt über
baSjenige gu geben, was bie Slnljänger unb Nachfolger fiaöoifierS
thaten. [für einen jolchen ©ericht fann als ßeitfaben baS
»ielbänbige Maffifdje SGöerf ooit ©ergeliuS bienen. ©ergeliuS war
einer ber größten ßhemifet biefeS 3ahrhunbertS bis gum 3ahrc
1848, ber in SaooifierS [Richtung arbeitete unb ber als lejjter
unb mächtigfter Kämpfer für bie bualiftifche Theorie gilt.
25aS gaMijche feiner umfangreichen Arbeit, bie bie Kräfte
eines gewöhnlichen SJfenfchen weit überfteigt, bleibt unbeftritten,
unb bie Kritif, welche ©ergeliuS an ben neuen Sbeen, bie in
ben breißiger Sahren anftaudjten, übte, war öielleicht baS befte,
anregenbfte ÜRittel, um neue Strafte, neue Kämpfer ber ßhemie
guguführen, Kämpfer, welche fid) auf bem fruchtbaren ©oben
beS ©erjucheS bewegten, aber nicht ihre mit ©hii°f°Phiren/
ober wie ©ergeliuS fich anSbritcfte , mit wiffenjchaftlidjen
Spetulationen oergeubeten.
Chne bie ©erbienfte unjerer 3eitgenoffen auch nur um baS
©eringfte jchmälem gu wollen, muß man rücfhaltloS auSfprechen,
baß burch ben großen gorfcher fiaöoifier utijere Söifjenjchaft
eine neue ©eftalt angenommen hat, unb baß bie neuere ßhemie
* (319)
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nur eine itothwenbige gofge t>er ihr oon Saöoifier ju ©runbe
gefegten ©ntbeefung ift.
Saooifier ift eS, ber ber ©hemie einen ftreng wiffenfchaftlichen
©harafter gab!
Befdjäftigen wir un« jefct mit ber Bebeutuitg, welche feine
©ntbeefung auf ben gortfcf)ritt anberer gweige ber 933tffcnfcf)aft
geübt hat.
©iner ber berühmteren ©hemifer, Siebig, oerglirf) ba«
Stubium ber iKaturroiffenfc^aftcn mit einer Beife in wenig be*
fannten Säubern. „$>ie Beobachtung über Oertlicfjfeiten unb
über bie ©Meinungen be« äußeren ScbenS in biefen Säubern
fann," fo fiitjrt er au«, „aßerbingS gemacht werben ohne
Äenntnifj ber Sprache biefeS Sattbe« unb ift matt im ftanbe,
über baSfelbe eine mehr ober weniger richtige Borfteflung ju
geben, aber nur ^Derjenige ift im ftanbe aßcS ju oerftehen, roa«
er in biefem Sanbe gefehen, ber bie Sprache ber ©inwoljner
biefe« Sanbe« fennt." 3)ie Sprache ber 9iatur, im Bergfexe
Siebig«, ift baSjenige, wa« fo recht eigentlich für ben Bereich
ber CS^emie ©eftung hat.
2)entt wahrlich, welche Sprache rebet oerftäitbficher, af«
biejenige ber Batur, wenn fie un« Slutwort ertheift über ben
inneren 3ufamntenhang ber ftörper. ' 4?ängt bodj »on biefem
bie 9Jtebrf)eit ber Üfiaturerfcheiitungen ab. 25ie 2f nt wort wirb
eine um fo ooßfommenere fein, je mehr un« ber Beweis möglich
ift, bah eine Berättberung ber Beftanbtheife beS Körper«, bie
an einer ©rfcheimtng theifnahmen ftattgefunben ober nicht ftatt-
gefunben hat.
Saooifier fann im Bejug auf biefe Sprache ber Batur
afS ©ntbeefer bes SB© betrachtet werben; er erfanb ein chemifcheS
?lfphabet, in wefchem bie Saute burcf) einfache Äörper erfe&t
finb. ®ie Borgänger Saooifier« muhten fich mit fcfjwer
feferfichett ^ierogltjpfjett behelfen. ÜJfein Bergleich macht er*
(S20)
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flärlitb, warum feit Üauoifier in bem ©ttdje ber 9iatur be-
beutenb meßr gelcjcn unb geformt worben ift, als in ben oor«
bergebenben Saljrtaufenben.
Unter ben SBiffenfdjaften, welche aus ber oon fiaooifier
gegebenen ^Richtung 9iubeu gog, war bie erfte bie —
Saooifier, welker ficf) mit ber SBiberleguttg ber $bIo8'^on’
XfKorie unb ber ülufftellung einer neueren SSerbrennungStbeorie
befcbäftigte, mußte fid) auch naturgemäß mit ber SBärme be-
jcbäftigen unb genaue üRetßoben gu itjrer ÜReffung finben.
2>ie Maffifdjen ©erfuche in biefer fRidjtung, bie oon fiaplace
unb fiaooifier auSgefüßrt würben, unb bie oon ihnen oor-
geftblagenen SRetboben gur ÜReffung ber SBärme finb 3ebem gur
genüge befannt. Quantitatioe Unterfucbungen waren übrigens
ber Sßbbfif nidR neu.
3b*e Sntwitfelung bauptfädjlid) ben Slrbeiten ber Stftrouomie
unb ber 2Ratf)ematif oerbanfenb, würbe bie fßbbftf fcfjon in ber
ÜRitte beS fiebgebntett 3a^rfjunbert§ auf biefe ©alpt gelenft. ®er
Sortbeil, welchen ibr bie neue SRidjtung brachte, geigte fidj be-
fonberS barin, baß oiele, biö^er gewiffermaßen für bie Sßbbfif
tobte, mathematifche ©roßen jeßt Sinn unb ©ebeutung ge-
wannen, wie g. SB. bie Tabelle ber fpegififcßen SBärme ber
Äörper. ?lußerbem aber lieferten bie neu entbedten einfachen
unb gufammengefeßten Körper ein reiches SRaterial gur ©r«
gängung ber phpfifalifcßen Unterfuchung unb ber ©rflärttng
tieler ©rfcßeinungen. SRan fann mit großer ©eftimmtbeit be»
baupteu, baß ohne fiaüoifierS ©ntbedung ber gu ©eginn unfereS
Sahrßunberts entbedte ©aloaniSmuS fcbwerlidj fo halb bie
richtige ©rflärung feiner ©rfcbeinungen, unter beiten befanntlicb
oiele cßemifcher SRatur finb, erhalten haben würbe.
Seit fiaooifier geben beibe Söiffcnfdjaften , tS^emie unb
fbbß», §attb in $anb. äöir fönnen uns feinen ©bemifer yor-
fteüen, ber bei feinen Arbeiten nicht immer wieber phhfifalifche
1321)
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Uiuerfudjungen gu |)ülfe nimmt; ober auch ber ber bei
bem ©tubium ber phhfifalifchen (Erfdjeinuitgen ftetä ben ©eftanb
be3 gu uitterfudjenbeu ftörperä fennett muß, fjat bie (Erfahrungen
ber SJjemie gu entlehnen.
3)ie (Entbecfung unb ba£ ©tubium be$ gufammenhangeg
jwiphen ber djemifcfjeu Natur ber iiörper unb ihren phhfifa-
lifchen Nierfmalen hat nicht nur bie genannten beiben SSiffen»
fdfaften um eine grofje Slngafp wichtiger X^atfachen bereichert,
fonbern biente auch tu ber lebten 3e*t ben Slftronomen gur (Er*
forfdjung unb Veftimmung ber 3u?ammenfehung ber |>immelg-
förper. 2)en größten 3)anf unter aßen Naturwiffenfdfaften hot
aber bie Nftneralogie ber neuen Chemie abguftatten. ©eit
ßaooifier ift eä möglich geworben, burch eine genaue djemifche
Slnalpfe bie Natur jebeS 2Jiineral3 gu beftimmen unb auf
biefe ©eftimmung eine genaue SUaffißfation in biefer SSiffen-
fdfaft gu grünben. $aben auch bie ©otanif, bie 30°t°9ie unb
ißhPfiofogie mit ber Slnatomie ber neuen Shemie feine SUafpp*
fation, wie bie SRineralogie, gu uerbanfen, fo hQt bemtoch bie
(Entbecfung be3 ©auerftoffä auch h'er einen nterfwürbigcn Um-
fchwung in ben beftehenbcn Slnfchauungen heroorgerufen.
SSir wiffen, bafi fchon fßrieftfeh einen 3ufammcnhang
gwijchen Iljieren unb Spangen erfannte, inbern er nachwieg,
baff bie burch bie Sltljmung ber 3:h*erc »erborbene ßuft burdf
bie fßPangen wieber in ßuft umgewanbelt wirb, bie fähig ift,
baS thierifche ßebeit gu unterhalten.
ßaooifier fanb bie ooUfommene Sinologie ber Slthmung
mit ber Verbrennung unb erfannte in ber erfteren bie Cuelle
ber thierifchen SSarme.
3)ie Nachfolger ßaooifierS unterfud)ten bie terfchiebeneu
©eftanbtheile ber Spangen unb Spiere unb erflärteit bie gunf-
tionen ber oerfdjiebenen Organe unb ber in benfelben ficfj
bewegenbeit glüffigf eiten; infolge biefer (Erflärungeu mufften bie
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9Jaturforfcßer aDmößlicß oon ber $ßeoric ber SiebenSfraft gurüd*
treten. @3 ift bie$ als ein Umftanb oon großer SBicßtigfeit gu
begeießneu. 3>enn wäßrenb man früher ftetS beftrebt mar, einen
unbeftimmten Segriff, wie bie üebenSfraft, in bie SBiffenfcßaft
eingufüßrett, fonnten jeßt bie ©eleßrten bie ftetS rege Sietigier
bei ©eifteS bureß baS ©ebürfniß einer genauen gorfeßung be-
liebigen, — einer gorfdjung, welche, wie ade anberen, oon ber
Seränberung ber eßemifeßen nnb pßßfifaliftßen ©igenfeßaften
ber ben Seftanb beS Organismus bilbenben ÜJiaterie auSging.
Serfucßett wir, baS ©efagte bureß ein SBeifpiel gu erflären: 2>er
roefentlicße, ber größte $ßeil beS fjolgeS befteßt aus .ftolgftoff.
@o lange man feine gufammenfeßuttg nid)t fannte, lag bie
Innaßme naße, baß bie SebenSfraft bem fpolg mit ipiilfe beS
tBobenS, ber flfeucßtigfeit unb ber Suft gugefüßrt werbe. Iber
als bie ßßemie entbedte, baß ber fpolgftoff aus einer beftimmten
Cuantität oon Äoßlenftoff unb (Elementen beS SBafferS befteßt als
fte gegeigt ßat, baß bie ftetS in ber £uft oorßanbene Äoßlenfäure
unter ber Söirfung beS ©onnenlidjteS in ben grünen S£ßeilen ber
ißflangen in ißre S3eftanbtßeile Äoßlenftoff unb ©auerftoff gerfeßt
wirb, wobei ber ©auerftoff in bie Itmofpßäre guriidfeßrt unb ber
Äoßlcnftoff in ber ^ßflange bleibt; als mau enblidj quantitativ
beftimmte, baß bie Sßflange gerabe fo oiel ©emid)t3gunaßme er*
fäßrt, als auS bem ßoßlenftoff ber Stoßtenfäure organifeße ©ubftang
gebilbet worben ift, unb bie gleicße SJZenge ©auerftoff in bie Itmo*
fpßäre gurücfgefeßrt, als bie oon ber Sßflange oerfcßluttgene Stoßlen*
fäure entßielt, würbe eS ftar, baß ber ißrogeß ber Silbung beS £jolg*
ftoffeS gang einfaeß auf einem eßemifeßen Sorgauge berußen muß.
lud) bie SJtebigin fteßt gur ßßemie in gleicher ©egießung, wenn
fid) nueß biefe beiben SBiffenfcßaften niemals toicber in eine oer*
fdjmelgen werben, wie eS gur 3eit ber 3atrocßemie ber galt
toar. 2)ie Srfaßrungeit ber SUfebigin werben aber ftetS bie
ffortfeßritte ber (Sßemie im gewiffen ©ittne rechtfertigen unb
46
beeinflußen. £en entfcfjiebenften ginfluß inbeffen übte bie neuere
©Ifemie auf bie Secßnif au?.
gg ift hinlänglich befaitnt, baß nicht nur jebeg Material,
meldjeg, in eine aitbere ©eftalt umgearbeitet, einem beftimmten
$roede bienen fotl, fonbern auch bie ©eminmntg beg SRaterialg
im roßen .ßuftanbe felbft eine gerftüdelung, ^ertßeilung,
Steinigung uitb äEjnlic^e Cperationen erforbert; bieg gefdjießt
ftetS entmeber burcß bie mecßanifche Straft ber fjänbe unb
SRafdjinen ober burdß chemifcße ^ßrogeffe. 25aß mit ber Snt-
bedang öieler neuer Körper unb i^rer gigenfdßaften bie $ecßnif
burcß Diele neue ^jerfteHunggoerfaßren unb burd) Verootl-
fommnung ber ejiftirenben bereichert metben fonnte, ift felbft-
»erftänblicß. Söilbete ftcß hoch fogar ein eigener 3lDe*0 ^er
Sttbuftrie unter bem tarnen: bie djemifdie 3nbuftrie.
Stieben mir aber alle biefe Verbienfte beifeite unb beiden
mir ung, baß bag immer madjfenbe unb nie gufriebcngufteHenbe
Vebiirfniß im 3D£enfc^en nach neuen, beffereu ober billigeren $ro-
buften ohne gutßun ber S^emie bie Srfinbungggabc angeregt
habe, fo muffen mir hoch gefteßcn, baß bie ©eminnfucßt allein
nid)t im ftanbe getoefen märe, bag gu geben, mag bie heutige
rationelle Xechnif auggeicßnet unb mag bicfelbe nur ber ©nt-
bcduttg Saöoificrg oerbanft, — nämlich bie SJtöglicßfeit, fich über
bie Vorgänge in ben gur Verarbeitung gelangenben Stoffen
roährcnb ber Verarbeitung Stedjenfcßaft gu geben.
$er ßanbmirtß ift im ftanbe, mittelft chemifdjer Unter-
fuchungen bie gufammenfeßung feines Vobcng oor unb nach
ber Srnte gu beftimmen unb herauggufittbeit, mag berfelbe burch
bie Sfultur einer gemiffen Sßflange berloren hat; er erfährt auch
bie Qualität unb Quantität beg Vießfutterg, melcheg er gu
beftimmten 3medeu gießt.
3)er ÜDtetaHurge meiß, melcße Quantität er aug einem
gegebenen ©emießt ©rg erhalten fann; er fann beftimmen, mo
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unb warum ein Verluft ftattgefunben ^at unb wie berfelbc in
ber »ermiebett ober nicht »ermiebett werben fann.
Seber gabrifant fantt im »orauS roiffert, wie »iel für feine
3wecfe brauchbare Stoffe im gegebenen Sötaterial »orhanben
finb, roaS er in ben Stücfftänben oerliert uub ob eS ber SDtiihe
werth ift, biefelben einer erneuten Verarbeitung gu untergeben
ober nicht.
Schließlich föttnen aller Slrten ber techttifchen Vetriebe,
unb jwar auf ©runb ber Verfudje »on ßaooifier, im woraus
wiffen, wie »iel SBärme ihnen bie« ober jenes §ei$material geben
wirb unb wie oiet fiuft man bemfelben jur ©rjielung guter
Verbrennung $ufüf)ren muß. Sitte bicfe fünfte bilben bie
©runblage einer rationellen Decfjnif, b. h- einer folgen, bie
im ftanbe ift, im weiteften Sinne Stedjenfchaft über ihre Vr0‘
bufte ju geben.
SOteine Darlegungen geben mir wohl baS Stecht, feinen
SBiberfpruch feiten« meiner ßefer fürchten $u müffen, wenn ich
behaupte, baß bie (Sntbecfung be« Sauerftoffe« nidjt nur ber
SBiffenfchaft angehört, fonbern ein Söeltereigniß bebeutet. Sßäre
bie ©ntbecfung nur oott wiffetifchaftlichem SSerthe geblieben, fo
hätte ich bie ruhmooOen Stamen »on ^ßrieftlep unb Scheele
»oranfteöen müffen; bagu aber f)\dt ich wich nicht berechtigt,
bemt bie miffenfdjaftlich werthöoHe ©ntbecfung be« Sauer-
ftoff« gewann erft ihre eigentliche Vebeutung bitrch ba« ©enie
be« großen ßawoifier.
(32S)
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Bas
©eutfdic IMkslirix
©in Vortrag,
gehalten im beutfcfyen ©pracfjoerein ju Snnäbrud
am 7. Satiuar 1889
Don
g. 39adurneIT
in ClnnMiruit.
Hamburg.
ScrlagdanftaU unb ®rucferci (toormatö 3- 5- icijtcr;.
1890.
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J>a$ {Recfit bcr Ueberfe$ung in frcmbe Spradjen wirb oorbeljalten.
Jrmf btt 'getlagianftaU unb Xvutftrti Sctirn-#ff{Hid)aft
(normal» 3’ 8- Sidjttr) in fynnbiiifl.
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«iBolfSpoefie, ©olfSbidjtung, ©olfsiieb:1 ba# finb ©ejeich«
nungen, welche häufig gebraucht, ober feiten richtig unb im
eigentlichen ©inne be# ©orte# oerftanben werben. @S wirb
baber angejeigt fein, junächft über bie Sntftehung unb ba#
Seien be# ©olfSliebe# Raubein; bann erft ben ©lief ju
werfen auf bie (Sntwicfelung be# ©olfSliebe# unb auf bie ©e«
beutung beSf eiben in nuferer Sitteratur.
Schlagen wir in einer Sitteraturgefchichte ober in einer
^oetif nach, wa# ein ©olfsiieb fei unb wie eS entftehe, fo finben
wir gewöhnlich Definitionen wie bie folgenben: „©olfsiieb ift
ein unmittelbare# Srjeugnife be# ©olfeS" (©öbefe, Sitteratur»
gefchichte) ober: „©olf Stieb ift (Sigenthum unb Srgufj einer
ganzen Station" (ßarriöre, ©oefie). SJtan merft fofort, bajj
folche Definitionen feine ©rflärungen finb, fonbern nur Um»
ithreibungeit; bettn nach wie oor bleibt bie 5ra9e offen ; wie
lann eine gro&e ©efamtfjeit , ein ©olf, eine Station ein Sieb
abfaffen? SDfit einer Definition ift h**r überhaupt nicht# ju
erreichen, wir miiffen einen anberen SBeg auffuchen. Den be*
quemften unb flarften Sinblicf würben wir gewinnen, wenn e#
möglich wäre, bie @ntftef)ung#weife eine# ©olfStiebe# noch in
ber lebenbigen ©egenwart, gleichfam oor unferen Singen ju
oerfolgen.
Sammlung. ». g. V. 10«. 1* (»29)
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2>aS ift in ber If)at möglich- ©dpn OScar «Schabe hat
(3ßeimarifd)eS 3ahr&u<$ III, 263) nachgewiefen, wie baS 1781
gebid)tete fc^öne Sieb planier @d)mibt’S „£>ier id) auf fRofett
mit Veildjen befränjt" non Vauern in ber Umgebung SBeimarS
gefnngen unb umgeftaltet worben ift. ©inen anbcren nod)
Diel näher liegenbeu Veleg bietet $. ©teinthal (SSölfcr*
pftjchologie XI., 1 ff.) @r bezieht fid) auf baS befannte ©ebicht
UhlanbS:
Ter gute ftamerab.
3d) balt’ «tuen fiameroben,
©inen belfern finbft bu nitt.
Tie Trommel fdjlug jurn Streite,
©r ging an meiner Seite
3u gleichem Sdjritt unb Tritt.
©ine Sugcl fam geflogen:
©ilt'ö ntir ober gilt ei bir?
3b" b«t e3 toeggerifjen,
©r liegt mir Dor ben tjrüfjen,
StB toär'S ein Stürf oon mir.
«Bia mir bie £>anb nocf; rcictien,
Tietoeil id) eben lob':
Monn bir bie £>anb uid)t geben,
331eib bu im cro'gen Sebcn
üRein guter Üamerabl
$aS ©ebid^t befi£t einen allgemein oerftänblic^en Inhalt:
greunbfdjaft bis jum $obe unb barüber hinaus bis ins ewige
Seben. @S hat bie einfadjfte ©tilform ber ©r^ählung, welche
ohne oermittelnbe Uebergänge Söilb um Vilb an uns oorüber*
führt, fo baß wir ben ganzen Hergang mit ben 8lugen beS
©eifteS flauen. $>ie Sprache ift einfach, War, fdjlidjt, mit
fRebewenbungen aus ber täglichen UntgangSfprache burd)fe|jt.
©infad) unb angenehm ins ©ehör faüenb ift auch ba$ ®erSmaß
unb bie ©ingweife. Scber, ber baS ©ebicht Icfen ober fingen
hört, oerfteht cS, ber ©ebilbete fowohl wie ber einfache SDiann
auö beni Volfe. $aS Sieb befifct bie Vebingungen ju einer
weiten Verbreitung unb hat bicfelbe auch wirfiid) gefunben.
©in folcheS Sieb nennen wir öolfSthiimlid); aber cS ift noch
fein VolfSlieb.
C3;m»
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D
2>ie UeberlieferungStoeife best ©ebichtcS ift eine hoppelte.
3n ben gebilbeten Streifen toirb eä iibertoiegenb burd) ben
5Drud oerbreitet: burch UtjlanbS SSerfe, burd) Sefebiidjer, burd)
©efangbiicher u. f. io.; in ben ©oltsfdjichten bagegett burcb bag
353ort: b»ier finbet lebenbige Ueberliefernng Don üüiunb ju 9©unb
ftatt. (Jitter f)at c3 fingen hören; e3 gefiel ifjui uttb beS^alb
fang er eä nad). ©on biefent tjörten eS Slnbere unb fangen e3
tuieber nad) unb fo fort unb fort.
2>iefe oerfcffiebene HeberlieferungStoeife jie^t merftoürbige
folgen nad) fid). ©ei ber ntünblirfjett Ueberlieferuttg be$ ©olfeS
beibt bie ©ingtoeife mit bcm Jejte oerbuttbett, beibe bilbett eine
©inbeit unb tuerbett als foldfe übermittelt. 2)a3 ©olf recitirt
unb beflamirt nid)t, eS fingt nur; ba^er fpricfjt eS aud) nid)t
Don einem „©ebicht", fottbern Don einem „Sieb" ober „©fangl".
3m $rude bagegett ift bie ©ingtoeife meift gar nicht oorbanben
in ben gebilbeten Streifen toirb inebr gelefen unb gefprodjen als
gefungen. — Umgefebrt beiuabrt ber £rud getoöf)nIid) bie
Ueberfcbrift be$ ©ebic^teiS („2>er gute Stamerab") unb ben ©amen
beS £id)ter$; bie münblid)e lieber lieferung bagegen beibe3nicf)t:
in ben ©olfäfdjicbten roirb baS ©ebicbt alSbalb ein namenlofeS
unb b«nrenlofeS ©ut. ülber noch ein anberer llnterfd)ieb ergiebt
ficb unb ber ift ber toidjtigfte. 3)er 25rud bewahrt ben $ejt
beS ©ebid)te3 ziemlich getreu; eS fd)leid)en fid) f)örf)ften« ©ah*
oerfehett ein, bie früher ober fpäter immer roieber befeitigt
toerben. ®en 3Jiitte(punft ber Ueberliefernng bilbet b*er baS
bebrudte leblofe ©apier, unb ba$ fann nichts ättbertt. ©attj
anberS ©erhält e$ fich bei ber oolfSmäfjigen Srabition: ihr
2Kittelpunft ift ba£ ©ebächtnijj aller 3ener, welche baS ©ebicht
fennen unb fingen. ®ie X^ätigfeit beS ©ebäcf)tniffe3 aber toirb
begleitet oott ber S£^ätigfeit ber ^5^antafie unb beä ®efüf)l$,
toefche forttoährcnb oeräitbernb unb umgeftaltenb eintoirfen.
©o ift bcnn in ber $f)Qt nachweisbar , bafj HblonbS
(331)
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6
„©uter Äamerab" im VoltSmunbe fid) bereits oeränbert. hat
ifkof. Steinthal berietet o. q. 0., wie er baS Sieb oon einem
$iettftmäbcf)en habe fingen hören: bie britte ©tropfe fang cS gar
nicht; bie anberen beiben hatten mancherlei Veränberungen, bie
fid) bei genauerer ^Betrachtung als wirtliche Verbefferuttgen er»
weifen, ©o fang eS in ber jweiten ©trophe: „2)ie Äuget fam
geflogen". SDie Volfsfängerin fejjte atfo baS beftimmte ©ubjeft
für baS unbeftimmte unb jwar fonfeguent nicht nur in biefem,
fonbent aud) in ben fotgenben Verfen („3h« hQt fie", ftatt
,,3h« h«t eS" u. f. w.); baS ift oiet genauer, wefentjafter,
lebenbiger, aufchaulicher. ISbenfo gelungen ift ber Umgujj beS
jweiten VerfeS, ber bei ihr lautete: „@ilt fie mir? ©ilt fie bir?"
®ie jwei turjen gleichgebauten fragen briicten beutlich bie ftofjeitbe
Slngft beS beobachtenben ©olbaten aus, unb bie ißaufe in bet
3Ritte malt ben fchrecflichen Vlugeitblid beS athemlofen f>in»
ftarrenS, auf wen bie Äuget einbringe, ob auf ihn ober auf
feinen greunb. Sfticht weniger gut finb bie Slenberungen im
britten Verfe. 3n ber U^fanbfdjeti Raffung fteljen unter fecf)$
SSörtern fünf ©infilber, welche betanntlich ben jer»
fchneiben unb ben VerS fdjleppcnb machen. 3)ie VoltSfängerin
entfernte jwei, inbem fie fe^te : „@r lag oor meinen frühen
„lag" ift gleichfalls beffer als „liegt", benn auch fonft fteht im
©ebicht bie Vergangenheit ber (Stählung, ©nblid) bilbet ber
ganje VerS jefct einen fchönen ©leichbau mit bem eierten Verfe
ber erftett ©trophe: „@r ging an meiner ©eite". — @S ift ganj
merfwiirbig ju beobachten, wie f)ier VoIfSfänger ohne jebe
Schulung, blojj geleitet oon natürlichem ©efühle, einen fo tun ft»
geübten Sänger wie llljlanb gteichfam im 3tfl,9e öerbeffert
haben.
3lud) für ben SBcgfall ber britten ©trophe laffett fich bie
©riinbe oermuthen. @8 ift fd)on innerlich unwahrfcheinlid), bah ber
töbt!ich©etroffene noch bie£>anb reidjt, unb ebenfo unwahrfcheinlich,
(332)
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7
bafj ber Sifer beg Sabeng bem Sameraben feinen Kugenblicf
gönnen füllte, biefen $bjd)iebggrufj ju erwibern. »(«bann fü^rt
bie ganje ©tropfe bie ^anblung nicf)t mef)r weiter: wie bie
tragifcfie Sfugel beit greunb ju lobe getroffen, ift fie oollenbet;
U^fanb fügte nur einen augflingenben ?lccorb f>inju, ber bie
greunbfdjaft ber ©eiben unb bie UnOerbrüd)Iid)feit berfelbeit
(„©leib bu im ew’gen Seben mein guter ftamerab") uod) be»
fonber« fjeroorljebt, wie eg iljm bie funftmäfjige Äbrunbung ju
oerlangen festen, ©nblid) f|at bie ©djlufjftropbe eine füfjlidj*
fentimentale gärbung. dag alleg finb Kiomente, welche bem
©olfggejdjmacfe juwiberlaufen; biefer begnügt fiel) mit bem
Sfjatfädjlidjen, mit bem Kotfjwenbigen unb SBefentlidjen,
©om Kamen beg urfprünglidjen dicfjterg fjatte bie ©ängerin
natürlich feine ?ll)nung.
©on wem rüljren nun biefc ftenberungen tjer? dag fönnen
mir nid)t genau ermitteln, bag wiffen wir nur im allgemeinen:
öon allen Senen aug bem ©olfe, welche eg bigfjer gefungen
fjabert. Unb diejenigen, weldje eg fernerhin fingen, werben bag
Sieb nocf) weiter umgeftalten, werben weglaffen unb jufejjen
ganj nadj eigenem ©efüljle. daburd) wirb bag ©ebidjt immer
me^r oon einem ftunfter^eugnifj ju einem Katurerjeugnifj, oon
einem Äunftlieb ju einem ©olfglieb.
Kun ift flar, wag eg Ijeifjt: ein ©olf bittet. Studj l)ier
ift ber urfprünglid)e didjter immer ein ©injelner; aber eg ftnb
Unjäljlige, bie nad) i^m fommen unb baran arbeiten: eg ift
ein ganjeg ©olf, eine ganje Kation, welche bag Sieb „3ured)t
fingt", wie ber bejeidjnenbe ©olfgaugbruef lautet.
Sluf biefem Sßege finb Diele Slunftprobufte, oon beuen jefct
nod) bie ©erfaffer nadjgemiefen werben fönnen, ju ©olfgliebern
geworben, befonberg im 14., 15. unb 1(5. Soljrljunbert: j. S.
©ebidjte £>gwalbg oon SBoIfenftein, £>einridjg oon Saufenberg,
Sieber oon SEBijjftatt, ©engenbad), ©riittewalb, Sutljer unb
(383)
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Stnberen. ©o finb auch bie ritterlichen SBät^tevlieber non ber
Äuuftpoefie in bie S8olf«bichtung geraden, ja fetbft antife ©toffe
mie |>ero unb £eaitber (groei Sönig«finber: „Steh, @t«lein,
liebfte« @I«tcin") fameit auf biefe Söeife in ba« beutfehe SBolf.
Jer Hergang bleibt berfetbe, wenn ber erfte SBerfaffer fein
gefcbulter ftunftbichter, fonbern ein ungelehrter 2Rann au« bem
SBotfe ift. 97ur werben fotche ©ebicfjte öfter unb lieber öom
®otfe aufgegriffen unb gefungen werben, weit biefer dichter
oon üornherein ber Stnfchauung«-, ©efüht«- unb St uäbrucf «weife
be« SSolfe« näher fteht at« berjenige au« ber Stoffe ber
©ebitbeten.
©« braucht in biefetn gatte weniger Umfchmeljung unb
Verarbeitung, bi« ba« ^robuft bem ©efiihte unb ber Neigung
be« Volfe« entfprid)t. Stuch foldje Votf«lieber entftehen noch
fortwätjrenb in unferett Jagen, wenn auch weh* ’n berfelbeu
3(njaht wie in früheren 3e*tci1- 3» ben Sttpentänberu treiben
bie ©chitaberhüpfeln noch immer neue ©pröfctittge. Stuch fonft
fann man ba« beobachten. 1870—1871 hatten plöfclich
mehrere beutfefje ^Regimenter ihre neuen ©otbatentieber. Vilmar
weift nach, wie 1830 ba« £ieb oon ber ertrunfenen SRütter««
tochter entftanb unb fiel; am 3ff^cin, in granfeii, ©djlefien unb
©teiermarf rafch »erbreitete. ©etbft neue ftitlturerfdjeinwtgen,
an wetche bie ftunftbichtung fid> nur jögernb wagt, ergreift
ba« Votf«lieb lebhaft, ©o hat e« j. V. fchon bie Sifenbahn
poetifch oerwerthet (Vödet, £>effifd)e Votf«tieber, 9ir. 58):
Stuf ber ©ifenbafjn bin id) gefahren
Ten fcd)jcf)mcn 9Rai,
©in treuem äßäbdjeit Ijab id) gelicbet
3u ber ©fjr unb ju ber £rcu.
Natürlich fütnmert fich ba« Volf auch biefem gatle
nicht um ben SRamen be« Jitter«, ebenfowenig mie ber
$id)ter barauf au«get)t, fid) befannt $u machen; hoch begegnet
(334)
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9
eS bei älteren ©olfSliebern fiäufig, baß er in einer angetjängten
©d)Iußftropl)e feinen ©tanb bejeic^net, tuaS n?of)l in 3ufammen*
fyattg gu bringen ift mit beni auSgebilbeten ©tanbeSgefiil)! jener
3eit. $a Reifet eS g. ©.:
SBer ift’S, ber un« bie« Sieblein fang?
Sin freier 8anbbfned)t ift erb genannt.
Sr Ijcit* gar rooI)l gelungen.
©oll ©elbftgefit^I befd)ließt ein anberer fein Sieb mit ben Werfen:
©er ift, ber nn« ba« Sieblein fang
3lub freiem ÜDtutt), ja 9)tutt)?
$a« tat ein« reichen Sauren ©otjn,
SBar gar ein junge« Sinti
SBieber ein aitbereSmal fjeißt eS: bieS Sieb fang ein ©tubeut,
ein Sinber, ein ©djreibcr, ein $ifd)er, c'n Jußrmann, ein
Stieger gut, ein junger fßfaff, ein Serggefefl, ein ©ätferSfned)t,
ein ©ilgram, ein Leiter gut gu 3lugSburg in bei ©tabt, ein
armer Settier u. f. w. 3(ud) bie grauemoelt ift vertreten. ©er>
cingelt fommt eS and) öor, baff ber 9lame beS £id)terS auS*
brüdlicf) genannt rnirb:
Ter un« ba« Siebtein bat gebiet,
Son nemen tjat er« ju geriet,
36rg $>atn>ad) tut er fid) nennen.
Älfo auS ben öolfStßiimlidjen Siebern ber Sunftbicßter unb
aus ben Srgeugniffeit ber ©olfSfänger fefct fid) bie ©olfslprif
jufammeu. 3luS biefen groei Ouelleu floß im Saufe ber $eiten
ein großer, faft unerfdjüpflidjer ©djaß, melier im ©ebädjtniffe
beS ©olfeS oon ®efd)Ied)t gu ®efd)led)t meßr ober minber ooü*
ftättbig überliefert mirb. @S ift ein freies lebenbigeS (Sigentljum,
aus bem 3fbcr fdjöpfen mag nad) Neigung unb gät)igfeit.
3n bem Sieberfdjaß eines SoIfeS fpiegelt fid) feine ©pradje,
feine ©ßautafie, feine SDenf • unb ©efiißlStueife, feine gange
©igenart unb felbft ber ©oben tuiber, ben eS betooßnt. £aS
1305)
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liegt in ber 9iatur ber Sache, benn wa« feiner ®rt nid)t an*
gemeffen ift, nimmt ba« Soll itic^t auf ober Ijält e« wenigften«
für bie $>auer nid)t feft. 3n biefem ©inne ift e« gemeint,
wenn man ©ammlungen oon SBoIföIiebern gerabeju al« „Stimmen
ber Söller" bejeidjnet (§erber) unb biefelben bei ©djilberung
üon Solf«cbaralteren oerwertbet bat. 9iur ein paar Einbeulungen
biefer Elrt mögen ^ier fßlafc finben.
$a« norbifc^e Solf«Iieb ift eruft, oofl tragifd^er Schwere;
ei bat befonber« gern bie finfteren, gcfpenftifcfjen SRaturgewalten
jum Snbalte, welche mie fRiefen über ben ÜDlenfchen Ijerein*
ftiirjen unb ihn ju ©runbe ridjtcn. $a« Slfa^ängigfeitSgefü^I
jener |>ocblanbäbewobner oon ber ftürmifcben unerbittlichen
Sftatur ifjreg Saitbe« fpridjt fid) beutlid) au«. 2>a« Soll ahnt
in Silbern unb Sagen, ton« toir at« SRaturgefeße erfennen.
3«Ianb, Norwegen, Schweben finb oorjugötoeife bie $eimatb
ber Scfjauerbaüaben.
®a« beutfche Soll«lieb ift iibertoiegenb fjciter, fräftig, traten*
luftig, oieltönig. $eutf<hlanb ift ba« Iieberreicbfte 2anb; hier
bat ba« Ceben be« Solle« in feinem ©efange befonber« reichen
Elu«brud gefunben. SBir löitnett basfclbe faft in feiner ganjen
gefchichtlichen ©ntwidelung oerfolgen: bie toelterfchütternben
Xbaten, mit beiten bie ©ermancit in bie ©efdjichte eintraten,
bie großen unb lleinett Stampfe untereinanber unb mit ihren
ÜRacbbarn, bie jabrbunbertelange politifebe Ohnmacht unb innere
#erflüftung, ber SDrucf ber fremben ©roherer, bie (jCTlidje
Söiebererbebuitg ju nationaler ©röfje — all ba« Hingt im
beutfchcit Solf«liebe miber; nid)t weniger jene tiefe ^römmigfeit
unb finnoolle fRcligiofität, welche innerlich ba« ©emütb begliidt
unb äußerlich eine 3rüOe fcfjöirer fpmbolifcber Sitten unb Sräuche
fchuf, bie ba« 2eben be« beutfcheit Solle« „wie lieblich buftenbe
SSinbeit umranlen unb fclbft ba« ©raufige, ba« 3erllüftete be«
9Renfchenbafeiti« ju oerbccfen ober ju milbern wiffen". (Södel.)
(8WS)
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flud) bie gejeßfd)afttid)en SBerljältniffe , bic §o<hfchä|ung beS
SBeibe«, bie |>eiligfeit ber Spe. bie beutle |)äu«Iichfeit, bie
montiigfalrigen g°rmen be« fRecht«(eben«, ja fclbft häßliche
nationale Seibenfdjaften wie bie SRaufluft, bie Srunfjucpt (in
ben ©chnaberpüpfeln fogar ber ©cpnap«!) fpredjeit aflerroegen
au« bem SBolfSliebe in feinen mannigfaltigen, iiberwiegcnb er<
jä^tenben ©attungen.
Sie flatrifdjen 83oIf«lieber finb Weid), flagenb, eintönig,
»weit gebest unb manchmal eben fo wenig furpoeilig wie bie
großen Sbenen, benen ba« ©laoemwlf entftammt". (®. fDJeper,
Cffap« 312.) — Sa« griechifcpe 2$olf«licb ift flar, burcfjfic^tig
wie bie Suft be« ©üben«, geiftreich- @« befunbet eine fonnige
S*eben«auffaffung, einen unbefangenen ©ettuf) be« Safein«, eine
paefenbe bramatifche (Energie. „Sßo bem ©erben bie mefanefjo-
lifdje $lage be« jungen 2Jiäbd)en« genügt, ba« auf bem ©flacht*
felbe bie Seiche if)re« ©eliebten fucfjt, »erlangt ber ©riedje eine
£>elbengeftalt, bie fid) emporf)cbt über bie fßfaffe be« 93oIfe«:
bie 31ia« ift nidjt ba« Sieb oom ftampfe um Sroja, fonbern
ba« Sieb twin 3orne be« Üldjifleu«. Unb biefem $uge folgenb
hat ein 93olf«lieb felbft ben armfeligen lebten ißaläologen-
fiaifer jurn gelben geftempelt." Sw italienifd)en 93olf«lieb
fpricht fid) »or aßem bie fubjeftioe Smpfinbung au«, fei e§ in
mutfjmißigem ©«f>cr^ ober in feßarfer ©atire, in Siebe«gtiid ober
£iebe«fchmerj. Siefe Sieber finb grajiöfe Äinber augenblidlidjer
Umgebung, epigrammatifd) fein unb treffenb. .^iftorifche Sieber,
SBnßaben unb fRomaitjen finben fich im eigentlichen Italien nidjt
unb nur am SRorbranbe be« Sanbe«, burd) fremben Sinfluft
erzeugt (SKeper, ebenba 313).
Sie äßeiftett au« bem SSolfe befipeu mehr ober weniger
oon biefem aßgemeinen Sieberfdwfse. ©« ift wopl faum ein
2Jicnfch fo arm unb fo unglücflid), bafj er nicht ba« eine ober
anbere „©fangl" fennt. Siefe „©fanglen" finb feine Subelrufe in
(837)
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ber freute, feine Tröfter im Unglücfe : bie T>olmetfcf|er aller feiner
©efüljle. gür ^'efe ©ebrauth« weife ^aben mir einen flaffifdjen
Seleg in ©oethe« gauft. ©retdfen, ba« unerfahrene Sürgerfinb,
hat auf bem Kirchgang gauft gefehen. 9lun fi^t fie einfam in
ihrer Kemenaten unb fühlt bie erften Regungen ber Siebe«neiguug.
Sie fucfjt einen 9lu«brucf bafür: ba fpricfft fie fich nicht un*
mittelbar au«, ba bichtet fie nicht felbft, fonbern greift in ben
allgemeinen ©djafc ber Solf«bichtung unb holt ein Sieb hetoor,
weldjf« fingt oon Siebe unb Treue:
G# roat ein Simig tu Sollte
®av treu bi# an fein ®rab,a u. f. ro.
3a felbft in ber Serfehr«fprache erfcheint ber ©nfluß be«
Sollsliebe«. ÜJiatt lefe Sriefe, welche ba« uitgebilbete Soll
befottber« in Slugcubliden ber ©efühlSübertoaüung fchreibt, unb
man wirb in zahlreichen gällen Sruchftücfe oon SollSliebern
bariu oerflochtcn finben, bie bem Schreiber unwilllürlich in bie
gebet gefloffeu finb.3
Sei biefer freien SBiebererjeuguttg au« fiel) herou« entftehen
nun fette Slettberuitgen, oon benen mir oorher gefprochen hoben,
©ie finb theil« unbewußte, bie üorgeitommen werben au« buttflem
SDrattge, wie wir bereit« oben au llhlatib« ©ebidjt beobachten
fonnten ; theil« finb biefe Slettberutigen bewußte, welche ber ©änger
oornimtnt, weil fein Temperament, feine allgemeine Slnfchauung
ober feine augenblicfliche Situation eine anbere ift al« bie
Terjenigeii, oon benen er ba« ©ebicht überfommen hot. Sludj
für folcfje bewußte $lenberuttgett fiitb bie öeifpiele zahlreich-
©itt« ber berühmteren SolfSlieber lautet:
Dort t)o<f) auf jenem Serge
Da gel)t ein ffltüfjlenrab,
Da# maljlct nid)t# beim Siebe
Die 9?ad)t bi# an ben Dag.
(838)
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Die 9WüJ)!e ift jerbro^en,
Die Siebe (jat ein (Snb.
60 g’fegn bidy ©ott, mein feine« Sieb,
3ef)t fahr id| in« (Slenb.*
@in junger ©efelle liebt bie SliiHerin ober bie StüllerS-
totster Ijod) broben auf bcm Serge. ©icfjt er baS 9J?iil)lrab
geljeti, beult er nidjt an ba$ Stahlen beä &orn§, jonberit an
fein Sieb. ®iefer ©ebanfe unb bie Sünfdjauung fließen ifjm im
Silbe ber SDJi'i^le 31t einer ©inljeit jufammcn. Soit ber Stühle
erfdjaut er gerabe jenen $f)eil, meiner fie oor allem cfjarafterifirt :
ba3 SDlüljlrab; baljer fingt er: „baS matjlet nichts benn Siebe".
$}ie groeite ©tropfe mad)t einen großen Sprung, oljne benfelben
burd) irgenb einen Uebergang angubeutcn : fie er^äfjlt »01t einer
öiel fpäteren $eit, »0 bie SDlüljle ftiü fteljt, ba§ Sftüljlrab gep
brocken, bie Siebe entzwei unb er baran ift, auä Seib barüber
in bie tneite Sßelt gu tuanbern. — $a§ Sieb ift un§ nod) in
öerfdjiebenen anberen Raffungen überliefert, (Sitte baoon lautet
(U^lanb, 2lbf). über baS Solfälieb, ©djriften IV, 34):
Dort ferne auf jenem ®erge Do« 8tab ift gang jerbrodjen.
Da maltet ein 9?arrenrab, Die Siebe I}at ein (Snb.
Da« treibet nidit« benn Siebe 2fat)r t)in, bu guter ©eiet!!
Die 9tacf)t unb and) ben Dag. 3<b frei nod), mo id) min.
$)a3 ®ebid)t geigt benmjjte Slenberuttg. 3nt allgemeinen
liegt biefelbe (Situation gu ©runbe tuie in ber früheren Raffung;
ollem je£t fingt bie ©eliebte: ©ie f)at ein oiel leidjtereä ©eblüt
unb betrachtet ba3 gange SicbeSuttglücf als eine ttärrifdje ©cjd)id)te;
bestjalb bie Segeidptung „iliarrcnrab", bcsljalb am ©djluffe ber
leben^luftige Stusruf: ,,3d) freie nod), tuo idj null"; fie tröftet
fi«h mit einem Slnberett. — 2)a£ Sieb ift nod) fjeute am Seben
unb totrb oom Solfe gefuttgen. Södel (.§eff. Solföl. 9tr. 10)
tljeilt fofgenbe Raffung mit:
* 3n« (Slenb fahren = in bie Srcntbc fahren.
(339)
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14
Da brunten an jenem Deiche,
Da treibet ba« SBaffcr ein 9iab,
S« mahlet nid)te anberst als* Siebe
Son Äbenb bi« auf ben Dag.
Da« SWiiijlrab ba« ift e« jcrbrochen,
Die Siebe hot noch e« fein Snb,
Daß mir 33eibe eoneinanber milffen fcheiben
©eben un« ©eibe bie §änb.
Scheiben, ad) Scheiben 1
SBer hot benn ba« Scheiben erbacht?
Da« hot mir mein jungfrifdj Seben,
©lein .'perj e« fo traurig gemacht.
3n meine« ©ater« Suftgärtchen
Da ftehen jtoei ©aume allein;
Der eine ber trägt ©tusfaten,
Der anbere braun« SRägelein.
fflhiefaten uub bie fein füge,
©raun« ©ägetein riechen e« wohl;
Die »erehr ich jefct meinem 3ein«liebd)cn,
Dafj e« baran riechen fofl.
$ie Situation ift fdjott wefentlidj gcänbect: bie Siebe bridjt
hier nießt innerlich jufammen, foitberrt äußere ©ewalt bebrängt
bie beibeit Siebeuben uttb jwingt fie jum Scheiben. £ie Siebe
lebt nod) beiberfeit« fort; baljer wirb aud) ba« Sieb weiter ge-
wonnen unb jwar junäcbft mit einer Stropfje au« einem anberen
alten ©olf«Iiebe, welche ber ©itterfeit be« 9(bfd)ieb« bewegten
?lu«bru<f giebt. 2J?it Slnlefjnung an ein britte« befannte« ©olf«-
lieb benft bie (beliebte bann nodj in $ierlid)er Ütaitiität an einen
Slbfd)ieb«ftrauf3 für ben (beliebten, ber if)n an iljre Siebe unb
Brette erinnern foK, fo oft er iljn fieljt uttb baran riecht.
©efonber« nterfwürbig uub jaljlreid) erteilten foldje Um-
geftaltungen bei ben leidjtbeflügelten fleineren ©attungen' be«
$olf«liebe« wie bei ben Sdjiwberffüpfeltt, wo bie öerfdjiebenften
augenblicflidjen Situationen uttb Stimmungen an ba«felbe ©ilb
attgefnüpft werben. So fingen j. ©. bie $eanjen in Ungarn;
(840)
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15
Srei jrf)nce)oai§i Sdubal
Jluign iiba mein So:
$iaj muiS iS »aftein,
Saft mi mai ©ui nimo mo.
$ie Hauben erfdjeinen hier als Hbjügler unb in ihnen crblicft
ba$ oerlaffene SWäbdjen baS ©innbilb beS untreuen ©cliebten.
HiefeS ©c^naberfjüpfel bat fich roeit über ®eutfc^Ianb oerbreitet.
Habei bleibt ber bilblicfje Hheil ber erften Hälfte feft ober er-
leibet nur geringe Sßerdnberung; bie zweite ,§älfte bagegen unb
bie ^Beziehungen berfelben jur erften werben je nach bem
wedjfelnben Srlebnifj umgebicfjtet. 3m ®ogtlanb fingt man:
3roa idjnceroeiße Säubta
3rtteflu über mein £>au$:
Unb ber ©djafe, ber mir beftimmt iS,
Ser blabt m'r net auS.
3n fRieberöfterreid):
3roa idjneetoaijji Sairoal
gtiageu iroa mairt SiauS:
Ser ©ua, ben ma bidjoffa - r • iS,
©(eibt mo nib auS.
Sehnlich hört man eS in Hirol. H)a3 SingangSbilb ift
basfelbe geblieben, allein bie Schiebung ift eine ganz anbere:
hier roerben bie Hauben als Snfömmlinge aufgefajjt unb fiitb
bementfprechenb bas ©innbilb bcS „SBuabn", beffett Snfunft baS
SRäbchen hofft unb erwartet.
3n Hirol fingt man auch:
8rooa id)necroeiBe Säubel
Unb oonS f)at on Stern:
Unb jefct bat mi mein alter Sd)a(j
91 roieber gern.
Hurd) SBeglaffen be$ ßeitworte^ mürbe ber erfte Hheil
etwas oerbunfelt; gleichwohl ift ber gufammenbang noch Har:
Hie Hauben finb wieber Snfömmlinge unb oerbilblichen bie
(341)
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16
SBieberfunft beS alten ©chajjeS; bet jmeite 33er§ weift auf ben
Sßorjug jener einen $aube fjin, moburch eine parallele mit ber
SBorjüglidjfeit be§ „alten ©thajjeS" leitet angebeutet wirb. 3n
Sirol hat bie ©tropfe noch eine britte Untbilbung erfahren:
91 irfjncciucific^ laubel
fliegt über mein 35adj:
UKueft nit fo (aut reben,
Sein guelofer itmdj.
25ie3mal braucht baä ®ienbl ben SBuabn nicfjt erft ju er»
märten roie in ben »orljer angeführten gäHeit; er ift fefjon bei
ihr unb fie unterhalten fich- 2>al)er hat auch b'e ^aube ihre
fRolle gcmechfelt unb ift ©innbilb geworben für bie $orcher
(= guelofer) in ber 9Mhe.
3n ©teiermarf hat man noch eine fec^fte Sßariation gebilbet.
3tooa fdjneeioeißi Säuberfn
Jöaben JJlügerln blaroi:
©ift a ranbtiga ©ua,
$aft a Gdjncib a (aroi.
$ier ift bie ganje ©trophe anberS gemenbet: bie erfte £>älfte
ift nicht mehr finnbilbenb für bie jweite, fonbern ba$ ®er»
gleid)ungSelement liegt in ber fatirifchen Slntitljefc. 25er zweite
®ers jeigt, baß ber erfte nicf)t wahr ift, er macht ben erften
lächerlich, betttt toenn bie Saube „blawi Klägerin" hat, ift bie 23e»
hauptung, bafj fie roeifj fei, lächerlich; wo eine „lawi ©chneib" ift,
wirb bie ^Behauptung, bafj ber SBua „ranbtig" fei, eine wijjige
Serhöhnung. 1 2)iefe ledere ©eftaltung hat in Jirol wieber
eine Umbilbung erfahren. 2)aS Element be3 ftontrafte« mürbe
beibehalten, jebod) anberS gemenbet : $on einer fchmarjen $aube
ermattet man nicht lichte ^lügel, t>ou bem ©eliebten, ber fich
früher treu gezeigt, nicht Untreue; allein mie ba« eine oorfommt,
fo fürchtet ba3 9ftäbd)en aud) ba§ anbere unb fpricht baä in ben
folgenbeit Vierzeilern auS:
(R42)
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17
3moa fof)lfrfjiua r.^e Säubaln
pab’n glüga! licdjti:
Unb baß mir mci ©iiabat
Sit treu bleibt, fünf)t il
3roegn roa# bteibft bctm au$?
grocgn maS fimmft benn nit t)er?
Sk'ir ift tjatt, alä roar i
Sei Sdja&al nit meffr.
SKir bat tion Saliebtfein,
Bon Jreufein toas tramt;
Unb i roollt unb i mcdit,
3 b®ttä SBadjmerbn oafamt.
3ab rocarb ma fo antriidf,
3afe rocarb ma fo bang:
3 ntoan halt unb fiird)t tjalt.
3 mad(S nimma lang.
SBo iS bcnn bie grenb
Unb wer bat ma'S entfüert?
Bor furjem ba fjatS no
3nt mein Jperjcn lofdpert.
3 fuedj unb i frag
Unb i finb’S nimma mehr —
Sic iS ma halt au^ogu
Unb’S fiammal iS leer.
(öreing-ftapferer, lirolcr SBolfSlieber ©. 146)
9toch manche Variation biefer Strophe mag im 93olfe
gebitbet morben, aber nicht $ur Stuf jeicfjnniig gefommeu fein, mie
btnn überhaupt bal, mal uni überliefert oortiegt, fo Diel el
auch fein mag, fidjer nur einen geringen Iljeit beffen bitbet,
mal t>orf)anbcn mar unb junt guten J^eit nod) öorljanben ift,
roie jebe auch noch fo leiste 58erüt)rung mit bem Sßotfe bemeift.
3)ie angeführten Selege unb mal biö^er über bie ©nt*
ftetjung bei Solflliebel gefugt morben ift, lägt auch fcgon bal
Siefen belfetben beuttich crfenneit. Schlichte ©infalt, Unmittct*
barfeit, Knappheit, Dlatürtidjfeit finb wor altem ©igenfcfjaften
bei SBotfllicbel. 35a finbet fid) feine lleberfpannung bei 9lul*
btudel, feine Anhäufung unb fein ißrunf großer SBorte, metche
ein fdjmachel ©efiiht aufbtafen füllen. 3? einfacher unb fchmud*
loier bie Sßorte finb, um fo leichter merft man unter ihnen ben
toatmen ißutlfchlag bei ftarffühtenbm £>erjenl, jumat in Siebes*
tiebern :
9tn Bucb’n t)an i gliebt
Unb ben mottet i tyab'n,
Unb bitü I)am fa ben Bucb’it
3n bie (Srb’n einigrab’n.
Sammlung. St. 3- IV. 106. 2 (313)
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18
2öie fein, wie feufdj briicft fid) bie tiefe Siebe in biefer
Strophe auS: fein äßort ift empfittbelnb ober grofffprecherifd)-
„3 f)an ihn gliebt, i wollet ifjn Ijab’n" — fo fpridß bie wahre
Siebe." (Södel LVUI.)
2BaS baS Soll fingt, ift nicht bloß gebaut, nid)t erbittet,
fonbern erlebt. ®afjcr finb biefe Sieber fo gegenftänblidj. 5)aS
Solf fingt, roaS man begreift nnb ficht, nic£)t roaS man benft
unb refteftirt. 2)aS erf>te SolfSlieb ift meljr finnlid) cmpfinbungS»
ooü als finnig gebanfenootl , eS ift niemals angefränfelt oon
beS ©ebanfenS SSIäffe. SDieift empfangen mir im SolfSliebe
nur eine fRethe oon ©inbrüden, oon finnlicfjen Slnfdjauungen,
oon Silbern ofjne ftrengen gufammenfjang, ofjne logifdje Ser»
fnüpfung. Sber biefe ©inbrüde, biefe Slnfdjauungcn, biefe Silber
erzeugen in uns beit beftimmten Ion ber ©mpfinbuttg, ber feiten
unmittelbar auSgefprod)en ift, fonbern gleichfam als bie Seele
beS Siebes unfidjtbar unb unfaßbar über bem ©anjen ruf)t.
©in Sergleich liegt nahe. SBie ©iner, ber plöfclid) oon einem
äußeren Sorgange heftig ergriffen roirb, im Slugenblicfe nicht
nadjfinnt, nicht reflcftirt, fid) nicht felbft baS ©efü^l oorfagt,
oon bem er ergriffen ift, fonbern fid) nur ben Hergang ber
$ittge gegenroärtig f)ält unb in ben äußeren Sorgängen un»
mittelbar entpfinbet, fo ift eS auch "n SolfSlicb. „Sinnliches
roirb auSgcfprodjeit; baS ©eiftige muß man merfen." @S hat
manchmal ben Slnfdjein, als roäre eS auf ein förmliches ©rratf)en»
laffen angelegt. 2Ber baS nicht fattn, roirb roeber rechtes Ser«
ftänbniß für baS Solfslieb noch rechte greube an bemfclben
geroinnen.
£iefe ©igenheiten beS SollSliebeS geigen fich bei ben oorf)in
angeführten ©ebichten beutlid) genug. Seim Uhlanbfd)en Siebe
ließ baS Soll gerabe bie Schlußftrophe roeg, welche ben ©runb«
gebanfen beS ©ebidjteS beutlicher auSbrüdt, aber bie ^anblung
nicht mehr weiter führt. 2lud) beim ÜJiütlcrlicbe finb nur bie
(3WJ
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©egenftänbe ge3eid)uet, bie ^t^atfadjen gegeben, baS ©ciftige
bagegen ift faum angcbentet; in äßnlidjer Seife ift bei ben
©d?naberf)üpfeln baS geiftige 93anb, welches bie Jfjeile ber
©tropfe oerbinbet, nidft auSgefprodjen, fonbern muß erratßen
werben. Unb fo ift eS and) in ben meiften anberen fällen.
SD?it biefen 6f)araftereigenfd)aften im 3ufammenfjang fte^t
aitd) jene @igentl)ümlid)feit beS SBolfSIiebeS, wefdje man feit
Berber mit bem Sorte „©prungfjaftigfeit" bcjeic^net. £er
ftunftbidjter achtet baranf, baß nicfjtS unoorbereitet fommt, baß
alles mit einer Einleitung unb ben gehörigen Uebergängen »er*
feßen fei; er fefjt ÜJiittelglieber ein, forgt für Slbrunbung unb
©leidjmäßigfeit. Um baS alles flimmert ficf> baS 9$olfSlicb
nicf)t: nur baS Sidjtigfte unb ©rgreifenbfte erfaßt eS unb ftetlt
eS bar unb erreicht bamit bie größte ©djnelligfeit ber §aub*
lung. ©o enthalten bie adjt 9$crfe beS SJiüHcrliebeS eine ganje
2iebeSgefd)id)te mit ©liirf unb Ungfiid. Sie nie! SSerfe ßätte
wof)l ein moberner fiunftbidjter gebraucht, baSfelbe bar jufteflen ?
ÜRit einer 5rQ3e °^er einem SluSrufe fpringt baS 93olfSlieb ge*
wößntid) fofort in medias res, fo baß fdjon aus bem erften 93erfe
ber ©efamtdjarafter beS ©ebicßteS unb bie Tonart beSfelben 31t
erfemten ift. ©0 beginnt 3. 93. eine fRccfenbaßabe: „Sbuarb,
warum ift beiit ©djtoert fo rotf)?" ober ein Älagelieb: ,,9ld)
©ott, id) Mag bir meine Stotfj"; ober ein tlbfdjiebSlieb: ,,9td)
©ott, wie wet) tßut ©treiben"; ober ein ©pottlieb auf §er3og
£einrid) oon 93raunfd)weig: „?ldj bit armer ^einje, wag fyaft
bu gemacht?"
SDaburd), baß baS 33otfSlieb alles fßcbcnfädflidje ferne ^ält,
fommt baS Sefentlidje unb fßotßwenbige 31t um fo ftärferer
Sirfuitg. 3n bem, was eS »erfdjweigt, 3eigt fid) ber ÜKeifter
beS ©tilS. |>ier ftedt aud) baS, was ©oetße ben „ feefen Surf
beS SBolfSliebeS" nennt; ßier 3eigt eS fid), baß „natürliche
iölenfdjen fid) beffer auf ben 2afouiSmuS oerfteßen als eigentlich
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©ebilbete" (®oetfjc). Die ^ß^amafie beg 3u^örer8 ober Sefer«
wirb burcß biefe fprunghafte Darftellung oiet lebhafter jur
©elbfttljätigfeit angeregt, unb üoöenbg bei graffen ©toffen ift
biefe Darftellung allein erträglich. Sftan Bergfexe j. 8. bag
SBoIfSlieb, welche« Ußlanb, SBoIfglieber I., ©. 272 „Die ©tief=
mutter" überfcfjriebeti hllt:
Sinb, mo bift bu tjingeroejcn?
Sinb, jage bu’g mir!
,,'Jtadj meiner TOutter ©d>mefter:
SBie roel) ift mir!"
Sinb, mag gaben Tie bir ju effen?
Sinb, fage bu’g mir!
„@ine ©riibe mit Pfeffer:
SBie roeh ift mir!"
Siub, mag gaben fie bir ju trinfen ?
Sinb, fage bu'g mir!
„©in ©tag mit rotfjem SBcine
SBie melj ift mir!"
Sinb, mag gaben fie ben .ftunben?
Siub. fage bu'g mir!
„©ine Skittje mit Pfeffer:
SBie roeh ift mir!"
Sinb, mag machten benn bie £>unbe
Sinb, fage bu'g mir!
„Sie fturben jur (eiben ©tunbe:
SBic me!) ift mir!"
giehen wir bie gleichmäßig wieberfehrenbett fragen ab,
woburch bag SBicßtige befonberg l)erDorge^oben wirb, jo finb
eg nur wenige SSerfe, welche bie Danblung barfteüen: nur ba«
SBcjentlidjfte unb 9Zot^wenbigftc wirb geboten. Der ©chmerjcttgruf
„SBie weh’ tft mir," läßt aßnen, baß bag ftinb ®ift im fieibe
hat; ber |>inweig auf bie $unbe erhebt bag $ur ©ewißheit.
3n ber aufmunternben Slnrebe „Äinb, fage bu’g mir!" erhält bie
erbarmunggoolle Dheilnahme aubeutenben Slugbrucf. (Sineg ift aber
nodj nicht Har geworben: gab bie ©eßwefter ber (©tief)mutter bem
&inbe ©ift aug eigenem Slntricbe ober auf Slnftiften ber ©tief-
mutter, unb wie oerf)ält fid) ber 8ater ba$u? begßalb folgen
noch jwei ©trophen, bie gerabe wieber bag SRottjwenbigfte geben:
Sinb, mag fofl bein SJater haben?
Äinb, fage bu’g mir!
„©inen Stuhl in bem Stimmet:
SBic roeh ift mir!"
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$)er alfo ift unfdjulbig, ber SDtorb gefdhah ohne fein SEBiffen.
kinb, roaS foü beine Mutter Ijaben?
ftinb, jage bu’S mir!
„©inen Stuf)! in bcr §ötle:
SBie roef) ift mir!"
9iutt ift ber Urheber be§ SBerbrecfjenS gefennjeichnet; zugleich
bli|t in ber lebten ©tropfe bie |)erjeng^ärte beä SBolfeS auf,
welche unerbittliche SBeftrafung forbert.
3n biefer fprungfjaften, blofj baS Stothmenbigfte anbeutenben
3lrt liegt auch bic ®ecenj unb Äeufchheit beS SBollSliebeS bei
2>arftellung oerfänglidjer Stoffe, too ftunftbidjter nid)t ungern
unter burchfichtigem Schleier breit auSmalen. SDEan oergleiche
j. S. bie „ÄinDämörberin" bei SBikfel 9?r. 54:
„komm ber. lieb 3andje, Unb als breitiertel Jatjr
komm ber ju mir." Skr fl offen roar,
SS ift gefcbeben, .ftat fte geboren
So ift Borbei. Sin jdjöneS ßinb.
Sie nahm bas kinb unb trugS
S'em SBaffer ju:
„^>icr tannft bu roobnen,
Jpier finbft bu 9tut)."
3u biefem @ebid)te mit ben 3 fleineit oierjeiligen Strophen
halte man bie 15 achtjeiligeu Strophen in ber „Kinbeämörberin"
be3 jungen Schiller, wo bie ©efaüene breit beflamirt oon bem
©ift ber SSelt, rcelcheS fo fii§ gefchmecft; oom Sdjroanenfleib
ber Unfchulb, ba§ terloren gegangen; oom meinen SBufenioaHen,
ba3 Ieiber nicht oon ^elbenftfirfe begleitet loar u. bgl. m. $er
SBetoeggruttb be8 StinbSmorbcS mirb im SolfSlieb mit 8 SBorten
angebeutet, bei Schiller burch 4 Strophen auägeführt:
Unb bas Sinblein — in bcr Mutter ®d)o&e
Sfag eS ba in füjjer, golbner SRulj’,
3n bem fRei^ ber jungen Morgcnrofe
Sadjte mir bcr bolbc kleine ju. —
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Jöbtlich lieblich iprad) au? allen 3^8rn
^eS geliebten Schelmen Sonterfep
Sen beflontmnen SJlutterbuien roiegen
Siebe unb — Skrrätheret).
©eib, roo ift mein SJater? lallte
©einer Unfchulb ftumme Sonnerfpradj’;
©eib, roo ift bein ©atte? haHte
3eber ©infei meine? fterjen? nach- —
©et*! umfonft roirft, ©aife, bu ihn fudjen,
Ser oielleicht jd|on anbre fiinber ijerjt,
©irft ber ©tunbe unfrer ©oblluft fluchen,
©eint bict) einft ber Sßame SSaftarb icbroärjt.
Seine Slhitter — o, im Sufen ^)öHe! —
ginfam figt fic in bem ?IU ber ©eit,
durftet einig an ber JJreubenquetle,
Sie bein Stnblicf fürchterlich oergätlt.
Sich, in jebent Saut non bir crroachet
Sobier ©cmne Dualerinnerung,
3eber beiner halben ®li<fe fachet
Sie unfterbliche SBerjroeifelung.
Jpölle, .fjölle, roo ich bid) oermiffe,
£>ölte, roo mein Sluge bich erblicft!
gumenibenruthen beine Süffe,
Sie non feinen Sippen mich entlieft!
©eine gibe bonnern au? bem ©rabe roieber,
groig, einig roürgt [ein SJteineib fort,
©roig — hier umftriefte mich bie $pber, —
Unb oollcnbet mar ber SKorb.
Sin ganzer ©tufengang be3 pfpdjologifdjen ^rojeffeS, burch
bett eine foldje Unglüdliche jur Berhängnifjöoßen Sftorbthat
getrieben werben fann, fomntt Iper jur $arfteßung. $a§ SBolfS«
lieb begnügt fid) mit bem fpinweiä auf ben tüüf)numnad)teten
©inn ber 83erlaffenen , welche im fßaffer bie befte ÜJuheftätte
fuc^t für ihr itinb.
ÄflerbingS fittb mit biefer fprungfjaften, abgebrochenen,
anbeutungSweifen fTarfteßung be« SBolfsIiebeS auch ©chatten«
feiten oerbunben: werben bie ©priinge 31t grofj, bie §lnbeutungen
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gu bünn, fo leibet bie Serftänblid)feit, jurnal bei ben älteren
SoltSliebern, welche »ielfadj anbere SebenSoerljältniffe »orau«<
fefcen unb iibcrbie« nodj häufig Iüdenljafte Ueberlieferung haben:
fie ftnb uns oft »öflige SRäthfel geworben. §lt«bann öermag
ba« SoIfSlieb bie feine Snbioibualifirung unb bie pfhdjotogifdje
9J?annigfaltigfeit ber Sunftlhrif nicht ju erreichen. 2Bät)renb
jeber »obre Äunftlprifer eine inbioibueüc fiebenSanfdjauung au««
fpridjt, eine eigenartige SSelt offenbart, bie un« an^ieht unb
gefällt, bleibt ba« Sotfäfieb mehr in ber Mgemeinfjeit ber
©mpfinbung unb ftrcbt eine pfhdjologifdje Vertiefung unb 3n«
bioibuatifirung berfelben gar nicht an. @« begnügt fid), in un«
eine allgemeinmenfchliche ©ntpfinbung anjufdhlageit. 3nbem ba««
felbe aber befonber« fräftig gefc^ie^t, wirb unfere ©efühl«welt
lebhaft erregt unb toir übertragen au« bem eigenen £>er$en bie
£$arbc bc« gan$ ißerfönlichen. 2Rit SHecfyt fagt Södel: „$ie aü»
gemeine gornt ber Seclenbcwegung im Solf«lieb nimmt erft
innerhalb unferer Slnfcfjanung unb burdj ba«, wa« mir fetbft
unwiüfürlidj an ©ebanfengehalt ober inbttjibueCfer ©mpfinbung
bamit »erbinben, bie gorm beuttitfjer Seefenbilber an."
£a, wie wir gehört, bie 2(nfd)aulid)feit eine ber wefent»
lichften @igenfd)aften be« Solf«liebe« ift, fo fornntt e« in bcm«
felben auf eine glütflidje SBahl fd)öner, ungefucfjter, fräftiger,
pacfenber Silber unb Sergleidje befonber« an. llnb hierin jeigt
e« wieber feine grofje 2Reifterfd)aft. ®a erhalten alle Vorgänge
im menfd)lid)en ©emütlje ihre ©pmbole, ihre Vergleiche, ihre
Spiegelbilber in ber finnenfälligen Ülufjenwelt, befonber« im
fiebeu ber iRatur, mit ber ba« Voll ja befonber« oertraut ift,
mit ber e« täglichen Umgang pflegt. 2Man fann nad) Selieben
in ben beutfdjen Volf«lieberfd)a(j hineingrcifen unb wirb überall
biefelbe Erfahrung machen.
fiaub unb ©raS btiS muf? bcrroelfcn ;
9tber treue SJiebe Hid)t.
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SBie wirb gier bie ©eftänbigfeit ber Siebe burcg ben Äontraft
mit bem ©cwegticgften unb SBanbetbarften ber äußeren 9?atur
einbringticg gemacgt! Ober man erinnere fid) etwa an bas
befannte „©erlaffen, üerlaffen wie ber @tein auf ber ©tragen".
3>aS ©efügt grenjentofer ©ertaffengeit fann burcg feinen ttäger«
liegenbeit unb patfenberen ©ergleicg auSgebrütft werben als burcg
ben ©tein auf ber belebten ©trage, an bem Stile acgtloS oorüber«
gegen, ber göcgftenS, wenn man ign bemerft, unmittig auf bie
©eite geworfen wirb, ©icgt bie ©erfaffengeit in ber ©inöbe,
fonbern jene mitten unter ben ÜHenfcgett ift bie qualoottfte!
gertier treten im ©otfSliebe bie äugeren $>ittge in un«
mittelbare ©erbinbung mit ben ©orgiingen beS menfcgticgen
©emiitgeS.
6$ ftefjen brri ©tcrn am §immet,
$>k geben ber Sieb’ ifjren Sdjtin :
„®ott grub cud), icf|öue$ 3ungfräultin!"
agiere reben, .jpimmelSförpfr, ©teine, ©ffartjen werben belebt,
jubeln unb ftagen mit bem SDfenfcgen, leben unb fterben wie er.
©o fingt ein treulos ©erlaffener:
fteljt eine Sinb in bieiem $f)at:
9t dj ©ott, um« ttjnt fte ba?
©ie toiü mir ^etfen trauern,
Sag i <S) fein 9)ufjlen gab.
$ie Sitie neigt fid) oor ber 3rau» roeldje igrem ©atten
bie Ireue bewagrt; bie ^pafetftaube Warnt oor nagem Ungfücf;
bie iftacgtigatl maegt ben Siebesboten. 35ie gute ©onne fiegt
baS SiebeSmtglücf jweier ©etrennten unb meint, auf bem un«
überfteigtidjen ©erge, ber fo tauge Sieb üon Siebe fegieb, fei
igr ber ©egnee noeg ju gart, um igtt ju fegmet jen ; aber ©otteS
©Sitte mug gefegegett: ber ©egnee fegmitjt unb fetig fliegt bie
©efangene ginauS. — Sta bureg bie gan^e SRatur wegt eine
gegeimnigoofle Straft unb SJfacgt, wetege im ^ufammengange
(WO)
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ftef|t mit bcm Stü be$ $)afein$. SBie fd^ön wirb in einem
geijßidjen 93olfäliebe ber ©eeleitfampf beS SBeltljeilanbeS ge»
fdjilbert :
35a 3e)u« in ben ©arten ging
Unb itjnr {ein bittre# fieib anfing,
35a trauert ade# über bie 3Äa6,
®3 trauert 8aub unb grüne# @ra8!
Sluf biefem ©ege ber Katurbefeelung finb namentlid) bie
Blumen aßmätylid) ju öößig tppifdjer Skrroenbung gelommeit.
Blumen finb Jungfrauen roie ba$ SRöStein auf ber |>eibe,
rcelcf)f8 ber toilbe Änabe bricht; ober S3 turnen unb itjre garben
bebeuten @igenfd)aften be3 ©emütljeS. ©o bie Silie unb ifjre
rocifie garbe bie Unfdjulb; bie Kofe unb ifjre rotfje garbe bie
üicbe; ba3 Sergifjmeinnidjt unb ifjre bfaue garbe bie Xreue u. f. to.
Sie finnbilbfidjen Sebeutungen frpftaßifirten fidj in Kamen unb
biefe gingen »otn SBolfSliebe fogar in ben ©ebraucfj be£ täg»
liefjen SebenS über. SDfancfje öfume oerbanft ifjre Benennung
bem finnigen ©emütfje be3 SoffeS: fo baS SBergijjmcinnidjt,
SDiafelieb, ©ofjtgemutf), QtfjrenpreiS u. f. tu.
©eit auägefponnene 33ergfeidje unb ©ilber liebt bie ecfjte
Bolfspoefie nidjt,5 getuöfjnfkfj reidjen fie nidjt über ein ober
jmei SSerfe fjinanS, bann mirb in ebetifooiel Werfen bie Stn»
roenbung baneben gefteflt. $lu3 biefem ©ebraudje fjat fid) eine
beftimmte gorm IjerauSgebilbet, tueldje man getuöfjnlidj als
„BaraßeliSmuS" bejeid^net unb ju ben ©tileigcntljümlidjfeiten
be# BolfSliebeS rechnet. 2)ie Sßertuenbung biefeö SßaraßeliSmuS
ift vielfältig. miß nur bie tuidjtigften Wirten mit Seifpielen
belegen.
Sie fdjön ift DodJ bie Silic,
3>ie auf bem Safjer {djroimmt!
Sie f<f|ön ift bod> bie 3ungfrau,
S)ie i^re t£f)r behält 1
3uerft jtuei SSerfe Sifb, bann jtuei Sßerfe Sfntuenbung.
($51 1
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@8 fann ober auch umgefeffrt ba$ 93ilb nachfolgen, ober e$ fantt
berfefbe ®efiihl$au§brucf roieberholt unb burdj ein hoppelte«
S3ilb üerftärft werben :
3 lieb bi jo feft
©ie ber ©am jeine Äejt,
©ie ber Fimmel feine ©terti
©rab jo bab t bi gern.
®ie ©ergleidjung fann ganj allgemein nnb auch negatio fein ;
v 3ft nit an jebS ©ajjert f(ar,
'Jlit an jeb« trüeD :
3ft nit an jebS ©üebi fein,
fftit an jebd lieb.
3a ei ift manchmal gar nicfjt auf eine birefte ißergfeicf)ung
abgefe^en, fonbern ber bilbliche $f)eil fann ben 3roecf ^f»ben,
eine ©emiitf)8ftimmung ju begleiten unb jtt oerftärfen:
Stf'n Jauern tuctS ftfjaucrn,
Jab e$ blau niebergeat:
«’Jienbl tuet trauern,
©eil ber ©ua eoit tyrn gcat.
®ie SJatur erfcfjeint tyet, um eine 93e$eicf)nung au8 ber
SJfufif ju gebrauchen, al$ jRefonanjraum, ber mittönt unb bie
filiinge be$ ©emütheä oerftärft. — Ober ber bilbliche Xfjeif fann
oenueubet toerben, um eine gemiffe ©runbftimmung ju erzeugen,
meiere ber dichter braudjt:
Jab ber ©alb finftcr ift,
Jab machen bie ©am:
Jab mein ©d)a& untreu ift,
Jod glab i tarn.
$)ie bäntmernbe Unbeftimmtheit, bie llnfichcrheit ber SBahr-
nehmung wirb burcf) ba3 9iaturBilb oorbereitet. — Ober ba8
9?aturbilb fann bie Situation jeichnen unb zugleich bie ©tim«
murtg anfdjlagen:
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S)rei Saub auf einet Sittbcii
, 3>ie Mitten alfo tooljl:
Sie t^ut Biel taujcnb Sprünge,
3^r f>erj ift freubenBolI.
3<b gönn’8 bem SPlägblein tooljl l
Die Sinbe beginnt gu blühen: e« ift grüfjling uitb frö^>
lidje Stimmung. Da« SDMgblein ift f|erau«gefommeu unb tangt
unter ber Sinbe ben Zeigen. Diefer 33eleg geigt un« bereit«
bie ©renge, wo bie beftimmte $orm be« ^ßaraßeliömu« in bie
allgemeine SBüblic^feit überfliegt.8
Die Neigung be« 93olf«licbe« gur finnlidjen SBerattfcfjau»
lidjung offenbart fidf) aud) im fleinen unb einzelnen. Äbftratte
StiiSbrücte ber geit unb be« Orte«, loie fie bie $nnftbid)tung
häufig gebraust, werben im SßolfSliebe möglicfjft gemiebeit.
gür „immer" g. 93. fefct e« lieber bie beiben finnlidjen |>älften:
„bie 9?ad)t unb aud) ben Dag" (ogl. oben im SDiüflerliebe).
Da« entgegengefefcte „niemal«" toirb anfc^aulicf) Umtrieben mit
„wenn bie 3iaben fidf) in weijje Dauben oerwanbeln" ober
„roenn ba« ÜJ?eer ftiß fieljt unb gum ©arten wirb" u. bgl. m.
(Sine weite räumliche Strecfe wirb au«gebrücft mit „foweit ba«
Äuge fieljt" ober „foweit bie Sterne teuften" ober „foweit ber
£>immel blau" u. f. w. Sn ä^nlicfjer SSeife werben aud) abftrafte
Äu«briicfe ber $al)l burd) fonfrete 93ilblid)feit aitfcfiaulid) gemacht.
So gtüg icf) birf) fo oft unb bicf
SIS mandjer Stern Bom §imme( blicft,
2tfä mandje 3Mume warfen mag
®on Dftcrn biä Sanlt URidjctätag.
Ueberaß merft man, wie biefe Dieter nidjt nur beiden,
roa« fie bidjten, fonbern aud) flauen.
Die bi«f)er an ben oerfdjiebcnftcn Steflen unb gu ben
»erfd)iebenften 3weden angeführten Sieberftrop^en geben gugleicf)
Seugnifj, wie ba« 93olf«lieb aud) über rein ftiliftifdje SJiotioe
(363)
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28
ber öerfdjiebenften Mrt oerfiigt, »eld)e bie Sirfung be3 3n()altce
erhöben. So fanben »tr finnoolle MuSrufe, »irffame grager
3n»erfionen, »ieberfebrenben ©leidfbau ber @ä|e in berfelb«
©tropbe. Sie fc^ön ift j. 8. bie Mnapbora im obigen ©d»ober«
büpfel: „3ft nit an jebS Safferl flar" , »eld)e fiel) burdj bie
ganje ©tropfe f)inburdjjief)t. Mud) innerhalb be3 Serfeä liebt
eä bie Solfäpoefie, ben ©inbrucf mistiger Sorte burc§ Sieber«
bolmtg ju oerftärfen: „©djeibeit, ad) Scheiben t^ut web!" —
„Sir jogen in baS »eite, »eite gelb". — „2>ie fallen, fallen,
3ungen." — „®ie hoben, hoben Serge; ba« tiefe, tiefe $baJ" —
Mud) j»ei Strophen »erben burd) Sieberboiungen miteinanber
oerbunbeit wie j»ei ©lieber einer fiette, inbem bie neue Strophe
ba§ Schlußwort ber oorbergebenben »iebert>olt, fo baß ©nbe unb
Mnfang incinanber greifen:
$a& i d) bid), Sieb, muß meibcn,
£0,511 jivnnget nticf) OJcmalt.
©eroalt bu bift eine grofje ißein u. f. n>.
(o. SBalbbcrg, SHcnaiffanceltjrif 61.)
3a ganje Serfe werben »ieberbolt, um fie befonber$ ein«
bringlicb ju machen, unb bie betreffenben Strophen iiberbieä mit
SaralleliSmuS gefcfjmücft. ©inen bübfdjen 8cleg biefer Mrt bot
§anä ©raßberger (in einem geuideton ber Siener SDeutfchen
ßeitung) mitgetbeilt:
®rou6en im SBalb
33 a SBafferle trüab:
£>aft an anbern ®neb'n gfjalf’n,
®ift nij me^r jo liab.
£>aft an anbern SJuab’n gball’n,
©ift nij mcfjr fo liab:
Ifannft bi Ijunbcrtntal toafd)'n,
SRinnt3 SSafferte trüab.
3n cntgegengefefcter Seife wirb ein ober »erben mehrere
Sörter oerfd)»iegen unb mäffen oom ,£>örer ergänjt »erben,
(354)
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29
rooburd) gleichfalls bie Ättfmerffamfeit gefpannt wirb. Sin Sei'
fpiel bei Uljlanb, SJoIfSlieber I., 268:
O @d)tffmann!
i!a& bu boä S-aljitlein ramme bretjn.
2a6 bu bas Sdjifflein untergetjn,
£a6 bu baS fdjmarabraun SNäbelein
flu ©runbe . . .!
(Sin häufig gebraustes ©tilmotiü beS SBolfSliebeS ift cS, glciS
mit einem ^inmeiS ju beginnen („£ort brobctt auf jenem Söerge."
„$a unten im tiefen 2f)al")/ fo baß man gleiSfant nur bie
Äugen aufjufSIagen brauSt, um bie ganje ©egenb nor fidj ju
fehen. Cber eS tnirb juerft baS allgemeine 93ilb ber Certlidjfeit
gegeben, bann noS ei» bejonberer 5£^eil baoon, woburdj) baS
©an$e erft reSt lebhaft unb anfdjaulid) tuirb.
Unb ba fic »or baS Slofter tarnen,
SBofjl nor baS tjofje Jtjor,
Sfragt er nach ber jüngfteu Tonnen.
®ie gigur ber grage inirb (außer bem Änfang, barüber
fSoit oben ©.19 f.) aud) im entfdjeibenben SBenbepuuft ber bar«
gefteUten ^anblnng gern gebraust, tuoburS biefer bebeutfam
heraustritt. Sin gutes Seifpiel bei Hilmar, SSoIfSlieb ©. 131:
28aS jog er aus feiner Jafctjen?
@in ffltcfjer luar blant unb rcar fpi(j.
ftenngeiSnenb für baS SiolfSlieb ift auS ber häufige ©ebraud)
»on ®iminutioen unb anberen Sßerf leinerungSroörtern : „3S hört
ein ©idjelein raufSen". „SS gieng ein Änöblein faSte".
„ÄS SlSlein, liebes SlSlein", unb fo geroöhnliS: „ein Sßafferl",
„ein Süebl" unb bergteiSen ungejähltemal. £aS fSmeibigt bie
©praSe, giebt ihr eine giirbung ber Zartheit, 3rtnigfeit, $erj«
liSleit, melSe baS naioe 9?aturgemüth »erlangt.
fReS»et man noS baju bie häufige S8ertt)enbung beS
Dialogs, fotoie beS SöeSfelS gtüifSen birefter unb inbirefter
(356)
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Siebe, fo wirb man erfennen, baß baS 93oIf über einen ©cf)a|
wirffanter ©tif mittel üerfiigt, wobur cf) ber 3n^oft fräftiger heraus«
gearbeitet, bie Sprache poetifcf)er geftaltet, bie ganje SBirfung
beS SolfSfiebeS erhöht wirb.
SBaS bie ©pracf)e fefbft betrifft, fo finbet man bie ganje
©tufenleiter oom MtagSbialeft bis fjinauf jurn reinen Schrift«
bentfcf). 3m allgemeinen ift baS ©treben nach einer Sprache,
welche glatter mtb feiner fich auSnimmt als bie gewöhnliche
UmgangSfprache, eS ift baS Streben nach einer gehobenen
Sprache beutlicß wahrnehmbar.
®ie SJietrif befifct fefbftoerftänblidj nicht bie SJiannigfaltigfeit
uttb feine SluSbifbung wie bie ber Äunftltjrif; aber bafiir ift auch
nirgenbS bie ©pur, baß fie etwas für fi<fj felbft fein toiß,
welches außer bem ©efjaft beS ©ebichteS einen SBerth hat- ^ec
SthMmuS ift höchft einfach, 9ehl nicht auf ©ifbeitjähfen, auf
Sorreftheit unb Pfeile, fonbern nur auf baS SEBefentliche, auf
beit Sfnfchfuß an ben 3nhalt. 5Der Sieirn wirb gern uerwenbet,
wenn er fich einfteßt; fehlt er jeboch, fo läßt fich ber dichter
baburch nicht aufhaften. @o fommt cS, baß ©trophen mit
üppigem Sieimfchmucf neben ganj reimfofeti ftehen. ©in ähnliches
SBerhäftniß ift wafirjunehmen bei Mitterationen unb ben Der*
fchiebenen anberen Äfang« unb Sautmafereien, bie bafb reichlich,
bafb fpärfich, bolb gar nicht oertreten finb.
gufammenfaffenb faun man fagen: §Ieußere gorm unb
Sieget finb Siebenfache, um fo mächtiger aber waltet bie innere
S£riebfraft. 25aher ift eS gefommen, baß bie SöoffSbidjtung
bie richtigen ©runbfäfce ber beutfchen SJerSmeffung auch noch
in jenen 3e‘tcn fefthiett, als bie ganje beutfcße Äunftbicf)tung
biefelben oerforen hatte.
Slach aß bem ©efagteit wirb fich bie ftarfe, oft über«
wäftigenbe SBirfung eines guten SBoIfSIiebeS begreifen.
Söir wenben uns §ur
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31
ßntnncfefuitg unbSebeutung beä beutfc^en SßoIfSliebe«.
$>ie beutle SotfSbichtung ift jo alt wie bas beutfche Sol!
felbft, ja ihre SBurgeln reichen nodj weiter, reichen in bie inbo*
germanijdje Urzeit unb gu ben Anfängen ber 3Rcnfd)heit gurücf:
bie poetifche ©chöpfungSfraft ift ein ebenfo nothwenbigeS Attribut
beS SRenjdjen wie ©djauen, ©mpfinben, güf)len, $)enfen. ©chon
in ber ©prad)bilbung offenbart fid) if)r mächtige« SBalten burd)
Uebertragung finnlidjer Vorgänge auf geiftige, burd) ©Raffung
jdjöner Sergleidje unb Silber, bie wir nod) in fjiftorifcfyer ßeit
in mannigfaltiger Söeife beobad)ten fönneit. UnS freilich ift
fjeute oielfad) fdjon ba§ Sewujjtfcin baoon oerblajjt: mir ge.
brauchen biefe alten unb neueren ©pradjfdjöpfungen meift als
abgegriffene üftüngen, welche mir gebanfenloS empfangen unb
ebenfo roieber roeitergeben. Sßer benft ^eute noch baran, bafj
er in einem fd)önen 93ergleid)e gefprod)en ijabe, wenn er etwa
jagt: „2>aS gange Unternehmen ift gu ©runbe gegangen" ober
„biefer SRenfd) ift gang gu ©runbe gegangen"? 2öer erinnert
ficf), bafj er ein Silb oermenbet ^at , welches fjer9enomn1en ift
oo m ©djiff auf bem SReere, oom ftaf)n auf bem gluffe? ®e,tn
nur biefe fönnen im eigentlid)en ©inne beS SBorteS „gu ©runbe
gehen" unb finb bann oernicf)tet. SBenn @iner jagt: „ich &«•
greife baS", fo wirb ihm heute taum mehr gutn Sewufjtfeiu
fommen, bajj er einen finntidjen Sorgang auf einen geiftigen
übertragen: bafj er mit ben ^pänben beet ©eifteS gugegriffen,
angepadt hat, wie er eS fonft mit ben §äitben beS SörperS
macht. 3>ie ,3ahl joldjer unb ähnlicher gälle ift Segiou. —
Such bie ÜJttjthologie unferer 21hnen, bie Srt, wie fie fid) bie
göttlichen £inge unb baS geljeimnifwolle Seben ber 9?atur in
Silb unb ©rgäfjlung oeranfchaulichten, ift ein wahres Slumenfelb
echter urfprünglicher SotfSpoefie. Unb jo hatte ®amann fRed)t,
wenn et jagte: „ißoefie ift älter als ißrofa; ^Joefie lebt in ber
(357)
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32
©pracfie, ißoefie lebt im äRpthuS, ißoefie fteljt am Anfänge ber
©efd)id)te."
Sieben ber ißoefie in (Sprache unb ÜRpthuS ^aben bie alten
©ermatten auch ißoefie im engeren ©inne befeffen.
©d)on bie lateinifdjen unb griedjifchen ©chriftfteller in bcu
erften 3a^rt)unberten nad) öfyriftuä erzählen non ©efang unb
Siebern ber ©ermatten. (Sine Sleipe uon Sieften biefer alt*
peibnifchen ißoefie pat fic^ mit geringen SSeränberungen bis auf
unfere $eit Ijerab gerettet, ©o ^ört man im ££}üringifd)en nodj
folgenbcn ©egenfpruch jum SSlutftiHen :
(Ss gingen brei tjeitige grauen,
3)ie rooflten baS SBlut 6efcf)auen.
®ie eine fprad) „eg ift rotf)",
®ie aubere fpradj „eg ift tobt",
5>ie britte jprad) „ei luotl ftitle ftcpn
Unb nicht toeitergetjn''.
((Schabe, SEeim. gafjrb. TII. 254.)
9iur baS SSort „heilige" ftatt meife grauen ift c^riftfic^en
UrfprungS, alles anbere ift noc^ urheibttifd) uttb ganj im ©tile
ber beiben befannten althocpbeutfchen 3au^erfPrüc^e gehalten.
(Die älteften Ueberbleibfel fc^riftlidjer Ueberlieferung enblid)
enthalten gleichfalls nid)t ißrofa, fonbern fßoefie beS 93olfeS.
®aS 93oIf mürbe bamalS gebilbet nom Äriegerftaube, uttb ber
fang natürlich junädjft non Ärieg unb ©djladjt, non Kämpfern
unb gelben, fang alfo SRecfenbaHaben, mie uns im f>ilbebranbs*
lieb, unb fang ©c^Iaditenlieber, mie uuS im SubtnigSliebe ein
fchöneS SJeifpiel erhalten geblieben ift (Silienfrott, ©eutfclfeS
Seben im SJoIfSliebe ©. XXXVIII).
SllSbalb aber mürben bie germani)d)en Hölter jutn Sfjriften-
tpum belehrt. 2>amit fanten bie Anfänge einer höheren geiftigen
finltur unb bamit auch ber Unterfdjieb jmifchen gebilbet unb
ungebilbet. Slaturgemäfe mar bamalS bie ©eiftlidjfeit Präger
biefer höheren Kultur. Sie brachte halb auch c‘ne onbere, mehr
(358)
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gelehrte, mefjr fdjufmäßige ^icf>tungStt»eife in bie Sitteratur unb
brüngte bie alte VoffSbidjtung ebenfo wie ben alten Volts*
glauben in ben |>intergruub. $afj bie VoftSbidjtung aber
wäfjrenb ber ganjen aftfjodjbeutfdjen $eit im Verborgenen weiter*
lebte, beweifen bie wieberpoften Verbote ber firdjlidjen Oberen,
^eibnifefje unb weftfidje Sieber ju fingen. 2Bir fjören in bett*
felben audj, baß bie alten $eutfdjen mitunter fogar in ber
&ird)e Xanjlieber anftimmten unb bafj bie Können im SUofter
ftatt ber Vefper lieber üoffSmäfjige Ciebeöfieber fangen; noef)
£ar( ber ©rojje mußte ifjnen baS in einem befonberen ©rlaß
»erbieten. Kidjt weniger betoeifeit baS »erborgenc gortfeben
ber VoftSbidjtung bie ftilifttfdjen unb inhaltlichen ©inflüffe ber*
felben, welche ba unb bort in ber mefjr fdjufmäjjigen $idjtung,
befonberS' aber in ber Inteinifdjeit Vagantenpoefie7 jum Vor*
fc^ein fomnten.
$fm Seginne beS KtittefaftcrS tritt ber geiftlidje ©tnnb
mefjr unb mefjr in ben fpintergrunb; ftatt feiner übernimmt nun
ber $fbef bie fjüfjrung in ber beutfefjen Sitteratur. $ie erften
Sfnfänge ber mitteffjodjbeutfdjcn Sprit gefjen oon ber VoltSpoefie
au«. Sieberftoffe, welcfje in jener $eit fjeroortreten, föntten nod)
in ber fjeutigen VoltSpoefie nadjgetuiefen werben. Von Dielen
Veifpiefen möge nur eines fjier Sßfajj finben, auf baS fdjon
jperm. junger (Vogtfanb) fjingewiefen fjat. $n einem Siebe#*
brief aus bem 12. Safjrljunbert finbet fidjbaS rei^enbe Siebdjen:
Du bist min, ich bin dln:
Des sott du gewis sin.
Dü bist beslozzen
In niinem herzen :
Verlern ist daz slflzzelin:
Dü muost immer drinne sin
tiefes üftotiö, baS ^erj afS einen Sdjrein ju betrachten,
ber mit einem Sdjfoffe üerfperrt ift, ift bem VoIfSfiebe nod)
jeljr geläufig. 80 fingt man in Ständen unb $irof:
Sammlung. ü. jj. V. 106. 3 (859 >
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ffllci' jperj unb bei' iper-t
Sein .tufammengfcfjnninb'n,
Xer Scfjlüffel ift oerloren,
©erb nimmer gfunb’n.
Opörmanit, ®cf)nab. S. 107).
häufig i|‘t bie finnige SBariation, baff nur einer, ber (be-
liebte, beit Scfjliiffcl junt Sdjloffe befiße.
SWei’ iperü ift ocridjtoff’n,
3fl Q ©ogcnjdjlOB bram
3ft an anjigei ©nebl,
3\i3 'S aufinadm fann.
3n biefev SBeife fingt man e$ in $iro(, Steiermarf, Kärnten,
iBogtlanb unb an attberen Orten £cutfdjlanb$.
3n ber ^weiten ^älfte beö 12. 3nf)rf)uubert3 wirb ber
:öolf§einfluß oom ßöfifdjen 9Befen best SRittcrtfjuinS meljr nnb
meljr juriief gebrängt; bafiir gewinnen frembe, fjauptfädjlid) fron*
äöfifdfe fDiobeeinfliiffe bie Oberfjanb, nnb ei cntmicfelt fid) eine
funftmäßige, ganj fonoentionelle Sprit: baS ßöfifdje ÜNinnelieb.
(Cer SoltSgefang würbe af3 un^öfifd), als „börperlid)" jurfid»
gewiefen. ÜNitt bie alten .'pelbenlicber fanbeit ©nabe, wttrben
aufgelefen, bem .ßeitgefdjmacfe entfpredjenb umgearbeitet unb ju
großen (Spen oereinigt, welche jum Koftbarfteu gehören, wa§
bie beutfdje Sittcratur befißt. So entftanben bie ^Nibelungen,
bie Kubrun unb bie auberen fogettannten ®olfSepett.
3tt ber ^weiten §älfte beS 13. unb im 14. 3af)rl)unbfrt
verfiel ber SRitterftanb unb mit ifjnt and) feine Sittcratur.
$afür gewannen bie unteren Sdjidjten, nameutlid) bas 33iirgcrtf)um,
metjr unb meßr ©cbeutung unb traten in beit SBorbergrunb. 5Nun
wirb aud) ber Sann gebrochen, weldjer bieder ben SBolfSgefang
beengt unb oerf)ülIt fjatte: oon allen gwcigeit fefjadt eS unb iit
allen möglidjen Xonarten. $5a (jören wir ^ägerfieber, heiter-
lieber, Stubentenlieber unb halb aud) .fjanbwerfer* unb SanbS*
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fnetf)tlieber. Slud) ba§ refigiöfe uitb geiftliche Sieb finbet iti uiib
Qu§er ber Sirene liebeoolle pflege.
Ueberblicfen wir bie ruic^tigften Gattungen beä 3$olf3liebe3
nom 13. — 16. Qafjrfjuttbert , fo finben wir, bafs bie fdjönften
perlen bem epifdjen Siebe, ben SBallaben uitb SRomanjeii an«
gehören. Uralte Stoffe erfdjeinen nod) unter benfelben: fo ba§
pilbebranbälieb, C£rmenrid)Stieb utib ber Säger «on ©riedjenlanb.
Sie finb gefdjweöt oon urgermanifc^er Straft. 9Äan fann mit
'43. Scherer fagen: 3e älter biefe iüolfsbaltaben, um fo marfiger
unb ergreifeuber finb fie. Sw 15. 3af)tfjunbert werben fie fcfjott
matter, breiter, oerfdjwommencr, erhalten fie einen fentimentalen
3ug ober »erfüllen in Ucbertreibung unb bamit in innere Un-
wahrheit; im 16. So^^unbert beginnen fie abjufterben. Sbnen
junächft fte^en bie läge« unb SBädjterlieber, in welchen fid) ein
trümmerhafteS Jtacfjleben ber Jjöfifc^ert Sprit offenbart. St)ten
Sntjalt bilben nächtliche 3ufammenfiinfte ber Siebenben, welche
burch einen 28äd)ter ober burd) ben ©efang ber iBögcl ober bn3
pereinbrechenbe £age3lid)t aufgefcheudjt werben:
Ser ©achter oerfüubgct una ben Ing
Hit hoben 3mnen, ba er lag:
„©oblauf öefell! e« mujj gefrfjicben fein;
So nun jroet Sieb bei cinanber jein.
Sie febeiben fidj halb!
Ser 9Konb fc^eint burd) ben grünen Salb."
„SDterf auf fein« Sieb, toa$ id) birfag:
G« ift noch fern oon jenem lag.
Ser SRonb febeint burd) bie ©olfenftern;
Ser Sachter betrübt uns 3)eibe gern;
Sa« fag id) bir:
Sie SRitteruacbt ift nod) uidjt für.“
Gr briieft fie freunblicb an jein 93ruft,
Gr jprad): „Su bift meine« ^erjen cm Suft,
Su tjaft erfreut ba« öerje mein,
®erfcbmunben ift mir alle ^cin.
3* (sei)
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3« bi«fer Qrnft
2luf (Erben mir feine lieber ift."
28a« 30g er bon ben $änbeu fein?
$on rotfjem ©olb ein Siiitgelein:
,,@icf)’ bo, feind Sieb, ba« rotfye ©olb!
3d) bin bir Don ©runb meinet Jperjen fjolb,
Ta? glaub bu mir:
Sin: bid) fo toolt id) fterben fdjier."
Sr au ?fad) tigall fang überall,
3Bie fie normal« mefjr fjatt gctljan,
$abei fpürt man be« Sage« ©djein:
„SBo nun jtoei Sieb bei einanber fein,
$>ie fdjeiben firf) halb!
3?er lag fcfieint burdj ben grünen 3Balb."
3n ber heutigen SBoIfSpoefie finb bafür bie „©tänbdjen"*
unb bie „gfenfterllieber" getreten. 3m 15. unb 16. 3afjrf)unbert
mürben biefe Sage- nnb SßädjterlieDer audj fjäufig geiftlicfj um*
gebietet. Dir fDiorgenftern, melier bic Sladjt üertreibt unb bie
Siebeitben rnedt, wirb jum äßorgenftern beS einigen Sebenß,
meiner bic SBelt aus bem ©d)lafe ber ©ünbe werft; ber SBädjterruf
auf ber ginne, ber bie Siebenbcn warnt, tuirb umgeftaltet in ben
9iuf beS SöärfjterS t>or bem lebten ©eridjt unb uor ber 58oH>
enbung biefer 2Beft (SSilmar, SBolfSl. 175).
3>ie Jage- unb SBäcfyterlieber buben nod) erjählenben Joit
unb finb burd) ben Jialog bramatifdj belebt, fie bilben baljer
ben tlebergang non ben öaClaben gu ben eigentlichen Siebes*
liebem, in meldjen bie inbioibueße ©emiithSftimmung mehr
hemortritt. 9iad) gorm unb Sn^alt geigen bie Siebeslieber eine
uuerfdjöpflicfie SÖiannigfaltigfeit. Steine ©attung ift fo zahlreich
tiertreten. Sille erbenflidjen ©timmungen nnb 3öed)felfälle ber
Siebe finb poctifd) werroerthet, oon ber erften SReguitg bis jum
ooHen ©enufj ber Siebe ober bis jum ©Reiben unb SJieiben.
Sieben ber Siebe fommt nun aud) bie förperlidje Sabe in
(S62)
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ber ^oefie gur ©eltung: eS entfteljert Xrinf- itnb 3ed)lieber,
dou beiten bie ßöfifdje ^Soefie nicßta mußte; nur bie lateinifdjen
Sagantenbicßter ßabeu ficß aucß in biefen Üöncn oerfud)t. „3n
bie Kneipen laufen, all fein ©elb oerfaufeit" war bcn Teutfdjen
id)on fef|t früße „ein ßoßer ßerrlidjer ©eruf". ®ie SBeltplage
be3 durfte« Raufte fcßon bamalä unb fanb am rotß* ober weiß-
befleibeten SBein ben alljeit tapferen SBiberfacßer. 3)arum toirb
er fo eifrig gefudjt, oereßrt unb im Siebe oerßerrlidjt als bnS
Sabfal ber dürftigen, als ber SEröfter ber ©etrübten, ber ©efell-
jdjafter ber Serlaffenen, ber greunb ber Sefümmerten unb ber
Slblaß ber ©ünbigen. @r »oirb als liebfter ©ußle gefdjilbcrt,
ber „mit einem fjölgernen fRödlein angetßan" unten beim SBirtß
im Äeller liegt;8 ober er wirb al$ SRebetßeil beflinirt, ober al$
oorneßmer IRitter öoit altabeligem ©ebliit begrübt; ober e8 werben
für fein ©ebenen ©ebete gum ßeiligen Urban, bem SBcinpatron,
emporgefcßidt, bamit er beit rotßen unb weißen Stebenfaft fegnen
unb ben ©enießer beSfelben oor 97ieberlagen gnäbiglid) bewahren
möge. 3a gange Xrinferlitaneien werben bem SBein gur ©ßre
gebidjtet.
®ie alten Heineren ©attungen be§ SolfSliebeS, bie iRätfjfel-,
SÖett* unb 2Buufd)lieber fotoie bie SUnberlieber blüljen neu auf.
Sleußerlidj einen breiten fRaum neßmen bie ßiftorifcßen Solls-
lieber ein. 55ie gaßlreidjen ©treitigleiten ber Sürger unter=
einattber, bie SerfaffungSläitipfe ber fReicßöftäbte , bie $eßben,
meldje dürften uttb fRitter einerfeitS fid) gegenfeitig, anbcrerfeits
ben bürgerlichen ©tänben lieferten, bie SefreiungSlriege ber
©cßweiger unb SJitßmarfcßen, bie ilriegSgüge gegen bie jpuffiten,
gegen bie dürfen unb bie SBälfcßen bilben ben 3nßalt biefer
Sieber, ©ie fittb mitten aus ber Segebenßeit ßerauSgebicßtet
mit ber Slbficßt, im Solle für biefe ober jene Partei Stimmung
gn macßen unb fo in ben ©attg ber ©reigttiffe eingugreifen, ßatten
alfo für jette feiten eine äßnlidje Stellung unb Sebeutuitg wie
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heute etwa bie Seitartifel ber großen politifcfjen Leitungen.
Ginfeitige Uebertreibung, ungerechte Vehaublung ber ©egtter,
fcßarfeS Auftreten gegen bie Obrigfeit machten fie gefürchtet unb
führten »ielfadj gum Verbot berfelbeit. Um ihnen eine möglidjft
rafche unb weite Verbreitung gu geben, paßte man ihre Dejrte
aßbefaiintcn SDtelobien an, fo baß fie jeber, ber fie oernahm,
fofort gu fingen mußte. Daßer fommt eS, baß bie E)iftorifcf)en
VolfSlieber für bie alte äJfufif nur geringen SBertß beftfcen.
Slflein auch ißre Voefte wirb gewöhnlich oiel gu feßr überfcßä&t.
Der größere £ßeil biefer Sieber ftammt gar nicht aus bem
Volte, fonbern würbe oon ftunftbießtern für baS Volt gebietet,
weichet fie, wenn eS nicht gerabe Partei war, fiißl aufnahm unb
geringe Suft ^atte, fie gurecht gu fingen, gür bie augenblictlüfie
Sage gefchaffen, waren fie überhaupt nicht gu einem langen
Seben angelegt: fobalb ber Streit, bie gcßbe, ber ftantpf oor«
über war, hotten fie in ber Siegel auch ißr Sntereffe oerloren
unb würben oon neuen oerbrängt. Daher bcitn auch bie Gr»
fcheinung, baß bie cßarafteriftifchcu üfterfmale beS ecfjten Volts»
liebes, bie wir früher beftimmt haben, bei biefen Sßrobuften oiel
weniger gum Vorfchein tommen als bei ben aitberen ©attungen.
3m allgemeinen gilt auch hier baSfelbe XIrtf)eiI wie für bie
VaOabe unb Vomange: fie finb um fo beffer, je älter fie finb.
Die jüngeren hiftorifeßen VolfSlicber »erfaßen in plumpe Stuf*
fchtteiberei unb in baS Hufgäßlen maffenhafter Gingelßeiten iit
troefenfter ißrofa , bei welcher nur bie holperigen unb mangel*
haften Verfe auf bie ehemalige ©oefie hrittueifen. Seit ber
üölitte beS 16. SaßrßunbertS beginnen fie feiten gu werben.
Sieben biefen weltlichen Siebergattungen entfaltet ftd) nun
auch baS geiftlidje VolfSlieb gu oofler ©liithe. Von brei Seiten
her ftrömt eS gufammen, einerfeits oon ben Ueberfeßungen ober
oießeicht beffer gefagt oon ben Vachbichtungen ber alten latei»
nifchen §pmnen unb ft ireßen lieber, welcße oielfacß gum Sdjönften
(SM)
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gehören, ma§ fßoefie jemals ju [taube gebracht; aitbercrfeitä Bon
ben [elbftänbigen ®id)t ungen, meldjc jefct in mannigfaltiger Art
ju läge treten: ba giebt eS ©itt* unb SJattflicber, ©ußgebete,
ißreiSgefänge, I^rifcfje ©rgüffe innerer ©rbauuitg, Sieber auf bie
Berfdiiebenftcn greuben unb Seibeit bc3 SebeitS, Anrufungen ber
^eiligen befonberS Üliariene, ÜJiotioe au£ ber biblifcßeit ®efd)id)te
unb |>eiligenlegenbe; enblid) brittenS Bon Umbicßt ungen meltlidjer
Sieber in gciftlidje, moBon id) [d)on früher gefprodjen unb ein
©eifpiel gegeben ßabe. 35ie ©olfäneigung jum geiftlidjeu ©efange
mar groß: e3 fang ber ©iiijeluc für fid), man fang in ber
gamilie, man fang bei ©ittgängcn unb ^rojeffionett , auf
Söallfaßrten, in ber Hirdje Bor unb nad) ber ißrebigt, bei ber
©efper unb mäf)renb ber ÜUleffe. fDian befaß aud) fdjou be-
ftimmte ©orfcfjrifteu für ben ©cbraud) ber Sieber beim ©otteä-
bienfte, es gab alfo beutfdje ttirdjenlieber im eigentlidjen ©inne
bcä SSorteö; baö fjaben bie gorfdjmtgen 9J?cifterö unb ©äumfers
(£as> fattjolifdje Stirdjenlieb) außer $meifel geftedt.9 And) bie
religiüfen ©onberbünbe mie bie älitjftifer unb ©eißter bcnußtcn
biefe ©aitgeSluft beä ©olfeS, um burcf) geiftlicfye Sieber if)rcn
Seljren ©ingang ju Berfcßaffen. 2Nit Suttjer mürbe ber ©ebrauct)
be3 SlircßenlicbeS nod) häufiger unb fefter geregelt. Aucßjcfct mürben
nod) Iateinifcf)e §t)mneit iiberfefjt, alte meltlid)c unb geiftlidje ®e>
fange umgebidftet unb neue mit proteftantifdjer gärbung gefcßaffeit.
SDfan Beranftaltete AusSlefen nnb Bereinigte fie in ©cfangbiidjer
ju fircf)lid)em ©ebraudje. 3)od) $eigt fid) in bcnfelbeit fcfion
eine Sßenbung: „nur ein geringer Jfjeil biefer Alirdjenlicber ift
roirfticße ©olfäpoefie, bie fDiet)rjat)t ift Stunftbidjtung, befonberS
alle bogmatifdjen Seßrgebid)te." (©öl)tne, Altb. Sieberbud).)
Au3 biefen Anbeutungen über bie einzelnen ©attungen bes
©olfäliebeS rcirb flar gemorbeu fein, mie ba3 14. unb 15.
SabApiitbert, als baS ©ürgertlfum unb feine ©emerbe einen fo
munberbaren Auffdjmung naßni unb baS treufleißige Jpanbroerf
'3Ö5)
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ftcf) jur Äunftljöhe emporarbeitete, bie eigentliche ©liithe^eit be«
beutfchen Volf«gefange« weltlicher unb geiftlic^er Slrt ift. Tie
ißoefie wuselt 311 biejcr 3eit nicht mehr in einem pfjantaftiichen
Traumleben wie in beit Tagen ber SKinnejänger, jonbent fte^t
ganj auf bem Voben ber SBirflidjfeit. Ter fRiß juiifctjeu ißoefie
unb Seben ift befeitigt: beibe finb ein«. Unb nicht nur bie
fchöiteren unb cbleren (Srfcfjeinuitgen be« Tafeiit« werben befungeit,
fonbern alle«, wa« unb wie ba« oofle 2JienfchenIeben e« bietet. Sil«
Seleg bafür mag nur barauf h*ngewiefeit werben, baß in ben
tReiterliebern unb ben etwa« fpäteren Sanb«fnechtliebern (fiir
bie Truppen ju 3uBe) °^ne Scheu fogar ba« Sangfingerthum,
ba« fRauben, Stehlen unb Tafchenau«leeren, womit ber „freie
Strieg«manu" eigenmächtig feinen ©olb aufbefferte, frifch unb fecf
befungeit wirb. tDiatt vergleiche 3. 33. in Uhlanb« Volf«(iebern
'J?r. 191, welche« fich wie ein vade mecum für junge Mrieg«-
gefefleit au«nimmt:
9limm btrS ju 'Dlutt) :
Iradjt nidjt nadj ©nt.
Safl 9licmanb Don bir erben !
Sauf nidjt ein .fpnuä,
Jrag nur fjernnet,
Jfju SSeib unb Kinb Derbtrben!
9timm barnadj einen Orben
llnb tocrb ein freier Kriegämann.
Sud) bir ein reidjen fjierrn,
SBilt bn baS Kriegen lernen.
3 n junger? 'Jiottj
Schlag .'pennen tobt
llnb laß fein @an$ meljr leben.
3m Saufe be« 16. ^ahrfjunbert« finben wir ba« Volfslieb
fchon in innerer (Entartung unb äußerem Slbfterbcn. Ter wüfte
Särm uitb 3an* in ©lauben«fachcn oerrohen bie ©entüther.
2Rit ber größeren Verallgemeinerung ber Vuchbrucferfunft nimmt
ba« Sefeit immer mehr überfjaub unb wirb fernerhin ba« jpaupt-
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mittel ber geiftigen Unterhaltung, mährenb ber lebeitbige Vortrag
oon Dichtungen in bemfelben SOiafse abnimmt. 9lud) auf bem
(Gebiete ber 2)?ufif gefchiefjt eine Ummäljuug. Söiß^cr mürbe
fie fjauptfädjlid) oon ben fahrenben Spielleuten, meldje aud) bie
befteu Pfleger uub Verbreiter bei Volflliebel toaren, beforgt.
3e£t tritt an beren Stelle „ber fürftlidjc ftapedmeifter mit btr
Santorei". Sine meitere golge baoon mar, bafj fid) bie äJUtfif
Dom Dejte lollöfte unb felbftänbig mürbe: bie Dejte merbctt
nunmehr in Drudmerfeu gelefen, bie SWelobie mirb auf Snftru*
menten gefpielt: el beginnt bie Trennung jroifchen Dichter unb
ÜJiufifer. Der größte geiub bei Volflliebel enblich ermächft
aul bem fich immer meiter aulbreitenben $umaniSmu8. Sr
jüchtet einen ©elehrtenftanb heran, meldjer frembe Stoffe unb
gormett aul oder ^errett Sänberu jufammeufchleppt unb bamit
auf lange Qnt bie üitteratur beherrfcßt. Die Volflbichtung
tritt in ben £)intergrunb juriid; hoch mirft fie felbft noch uon
hier aul fegettbringenb. 3ur 3eit ber Slullänberei oertritt fie
faft allein noch bal ^eimathliche unb Nationale in ber Sitteratur.
3ur 3^it, mo finnlofe nietrifdje Silbenjählung ober antife Verl-
meffung in ben Schmung fam, ßält fie allein noch bal alte,
ber beutfchen Sprache angemeffene ©runbgcfe^ ber öetonung
unb ber Verlmeffung ttad) Hebung uitb Senfung feft. Von ihr
geht beim auch ber Slnftofj $ur IRegenerirung ber beutfchen
SDietrif aul. Sie beeinflußt im meiteren Verlaufe bie Stunft-
Iprif unb erjeugt aul berfelben bie SMifchgattung bei fogenannteit
Sefetlfchaftlliebel, meines ber fiprif bei 17. unb $um Dheile
auch nod) bei 18. 3af)rhunbert! ihre befteu ißrobufte jufiihrt.
(Vgl. oon SBalbberg, fftenaiffancelprif S. 6 ff.).
Sine neue 3eit für bie Sdjäfjung bei Volflliebel fam erft
in ber jroeiten Hälfte bei 18. 3aßrßunbertl mit bem Sinjug
Shnlefpearel in Deutfdjlanb unb mit ber erften Slulgabe ooit
Volflliebern. 3hrer 9anien $lrt nad) ftanben Sfjafefpearel
1367)
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42
®rumen ber VoffSpoefie üiel näher als jene fran3öfifd)en ©tücfe,
mefdje bic 2)eutfdjen bisher öl« f)üdjfte Äunftmufter oerehrt
tjatteit; ja ©hafefpeare h«t gerabe3u alte VoffSfieber mirfungS-
»oll in feine $ramen eingeftod)ten. 1765 t>eröffentlicf)te afSbann
ber engfifdje Vifdjof ißercp bie erfte große Sammlung alter
VoffSfieber. ©ie tuurben halb in f£eutfd)fanb befannt unb
mirften mächtig auf .fjcrbcr unb feine geitgenoffen, befonberS
auf @oetf)e, mefdje alSbafb ein neue« ©oangefium ber ißoefie
»erfiinbigten : toeg öoit ber bisherigen ©efefjrtenbichtung ohne
©aft unb Straft, nur nach fc^iefext Siegeln auSgeffügeft unb mit
leerem JSitter behängt; meg aus bcm tintenffejcnben ©täbte-
leben unb h”tauS ju ben ibtjClifrfjen ßuftänben urfpriinglicher
äftenfcpheit, roo bie VoffSbid)tung im Verborgenen lebt; benu
fic ift eine Cueüe mahrer ißoefie, bei ihr ift Statur aus erfter
|>anb 311 empfangen, fie mirft »erjiingenb unb fräftigenb mie
ber 35uft beS SBafbeS unb ber £>aud) ber Jfjochlanbsiuft: „mer
aus biefent Vrunnen trinfet, ber junget unb mirb uid)t alt".
®aS Voltslieb mürbe mie ©hafefpeare ein ©djtagmort für
baS junge geifteSmädjtige $id)tcrgefd)fecht jener $eit. Uxxb fo
ift eS getommen, baß bie VoIfSbichtuitg einen entfcßeibenben
©influß gemonnen h<d bei ber SBiebergeburt unferer beutfchen
©idjtung. @S ift befannt, mie ©octhc fefbft VolfSlieber fammelte;
eS ift befannt, baß feine fdjönften Sieber jene finb, mo er
entmeber gerabe3u ein VolfSlieb 3U ©runbe fegte (^eibenröSIein,
©rfenfönig n. f. m.), ober mo er im ©eifte beS VoffSfiebeS
bidjtete, maS üor ber itaficnifdjen Steife überroiegenb ber gaU
mar. Uttb mie bei ©oetße fo mar eS bei Viirger, fo mar es
bei ben Stomantifern , fo mar eS bei ben greiheitsfängern, fo
mar eS bei ben ©djroaben unb fo mar eS bei ben meiften hertmr-
ragenben Sprifern nach ©oetfje unb fo mirb eS auch fernerhin
fein. 3)aS VolfSlieb ift in ber 2pat Per Jungbrunnen ge-
morben, ber nufere nationale Sprif uerjiingte unb ihr unaufhörlich
(368)
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43
neue 9?a£)rnng $ufüfjrt, wie umgefefjrt mandje« »olf«tf)iimlid)e
Sieb oon biefen Shmftbicfytern, we(d)e ftd) oom $olf«liebe be*
fruchten unb ergießen (affen, in« Süolf gelangt uttb ba auredjt
gefungen wirb.
SBie bie alternben Stabte fid) fortmäljreub mit neuen Straften
au« bem Sanboolfe auffrifdjen; wie unfere Sdjriftfpracfie fort-
wäljrenb neue« Spradjgut au« ben ÜKunbarten fdjöpft, fo jieljt bie
Äunftbidjtung ftet« neue Seime, neue Säfte au« ber $olfe*
bid)tung. Sßäfyrenb nocf) ©ridpar^er feinen Sauge«genoffen
Urlaub wegen beffen oolf«tf)ümlid)er $id)tung«weife angriff,
ift peute unter ben Sprifern bie Ueber$eugung fo fliemlid) all-
gemein geworben, bajj in ber $olf«tpümlid)feit be« Siebe« ein
erftreben«wert()er 93orjug liege, Sber aud) ba« gebilbcte ^Jublifum
felbft oerlangt mepr unb mepr nacp 93olf«bicptung. SDiait pat
feit ben iRomantifern angefangen, in allen beutfd)eit Sanben bie
Scpäße ber alten unb nocp lebenben 5ßolf«licber ju fammeln
unb burep ben 2)rud 31t fidjern. S« finb wopl über pnnbert
33änbe ju Stage gefommen; aber fie alle werben gefauft unb
gerne gelefcn. Sud) bei 2Jfufifauffüprungen ift ba« t»olflid;c
ßlement regelmäßig üertreten.
$a« ift nicpt bloße ÜDiobefacpe, fonbern ein tieferer ©runb
liegt bapinter. @« ift ein elementarer 3ug, ber unfere über*
bilbete 3ei* Jur Syolf«bid)tung loctt: (£« ift berfelbe 3U0> be*
un« im Sommer pinau«brängt au« ber Sdjwüle unb bem be*
täubenben Samt ber Stabt auf ba« ftille, frifepgrüne Sanb,
bamit wir bort im Scpofje ber 9latur au ©eift unb Sörper
neue Sraft, neue« Seben gewinnen. @« ift jene alte unftiUbare
Sepnfucpt be« Sulturmenfcpen uad) ©infalt, nacp SSaprpeit,
nacp Urfprünglicpfeit, nacp SRatur im ganzen Umfange be« SBorte«.
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9htmerfuugcn.
1 Tic Scjcichnungen ftammen Bon Jp erber. Tte frühere 3«* befag
feinen einheitlichen Flamen bafür, fonbern benannte nur einzelne ©attungen
roic „SReitcrlieblein", „Scrgreiffen", „Straffcnlicblein" u. f. ro. 3n ältefter
3eit bejeieffnete man ben SolfSgefang gegenüber ben gelehrten lateiniicffen
Serien (versus) at« carmen unb gewöhnlich mit einem Wbjeftio oerbunbeu
al« carmen barl)aruin, carmen vulgare ober triviale ober rusticum, carmen
publicum u. bgl.
* Taff ba« ©ebicht ©oetffe« eigenes Srobuft tft, änbert an ber ©adje
nicht«.
s Södel, §eff. SolfSl. CLXXV.
* Tie ©chnaberffüpfeln in ©leger, gffag« ©. 402. gr ffefft aber
in ber erften §älfte ber ©tropfen nur medjanifdjen ©infaff. ber Sinn unb
Scbcutung Berloren hat. Mein au« bem Obigen wirb ba« ©egentffei!
flar geworben fein. Offne bie beiben erften Serie mürbe ber ©egenfaff
jroijchen „ranbtig" unb „lam" nid)t io beutlicff fein unb nicht fo ftarf gefüfjlt
roerben; ber SarntlcliSmu« ift alfo notffroenbig jur Serbeutlichung unb
Serftärfung, er macht bie Strophe erft roipig unb ju einem @ebidjt.
s ftommen foltf) meiter auSgefponncne Silber unb Scrgleiche nor, fo
offenbart fiep gewöhnlich eine Schwäche ber Solf«pocfie: fie oermag eS
nämlich feiten, ben Sergleicff einheitlich unb folgerichtig burchjufüffren,
ionbern mifefft unpaffenbe 3ö8e ein- 34 will ein berühmte« ©ebidjt als
Seleg anführen. 3U feinem .fjeibenröSleiu benagte ©oethe ein alte« Soll«-
lieb. Tie 4. Strophe be«felben lautet:
Tao 9iö«lein. ba« mir roerben muff,
SHöSIcin auf ber ,'peiben,
Ta« hot mir tretten auf ben Juß
Unb gefcffach mir boeff nicht leibe.
Ter Ser« „hat mir tretten auf ben ffruff" fällt ganj au« bem Silbe :
ein fRöelein hat feinen fjuff unb fann nicht treten; ©oetffe h“t 4” baffer
geftrieffen, ben ©ebanfen aber beibeffalten unb bem Silbe entjprecffenb au«-
gebrüdt; „8tö8lein roeffrte ffeff unb ftaeff". ©o ffat er e« auch an anberen
(S70I
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45
Stetten gemocht unb )'o wirb es ber cc^te Sunftbichter ftetS machen, bem
ginheit ber Darfteltung ein .vauptgefch ift.
* jüngere unb fc^Iec^te SlolfSlieber jeigen biefeit iparatlcliStmtS manch«
mal fcßon uerfnödjert; baS 'Jlaturbilb ift rein formelhaft geworben, unb nur
in ber Sufawwenftettung ber frcmbartigften Dinge liegt ein geroiffer Si^;
Der Spielhahn im Salb
Sjat an Schwoaf an frump’tt;
Sann i brei Dianbl’n hält
Sännt i Atu ca oalump’n.
1 916 unb p begegnet man bcr Neigung, bie lateinifche Vaganten*
poefie felbft als So(f£bid)tung p betrachten ; allein baS ucrbictct fdjon bte
frcmblänbifche angelernte Sprache.
* DiefeS SRotio ift in ba$ Sdjnaberhiipfel cingebrungen unb lebt
bafelbft heut« nodj. So inelbet $ormann (S. 279) aus 95oralberg:
Unb ba$ SÖJoabli, baS i lieba thue.
DaS ift im Setter brunta.
§at a eidjcc Sittle a
llnb ift mit SHeafli bunba.
* Sitterarifchcä Gcntralblatt 1884 , 221: „Der allgemeine Dheil bc$
93uche3 (oon Seifter • 99äumfer hQt feine §auptbcbeutung in bem 92ath«
weife, bafi baS bcutidje Slirdjenlieb nicht ein IfJrobuft bcr SÜcformation ift.
Diefe namentlich QUf SacfernagelS Darfteflung geftü^tc 9lnficf)t muß je^t
als ein für allemal miberlcgt gelten, ba SBäumfer, Deutfche Sieber in bcr
tatholifchen fiirrfte, nicht bloß in einigen ocrein, gelten fällen fonftatirt,
fonbern auch überjeugenb flarftellt, baß über baS S3crf)ältniß beä beutßhen
Sieben pr Siturgic in ber oorreformatorifchen Seit allgemeine ®eftim«
mungen herrfchten.“
(3-1)
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für gegrünüung nm Dein 5eitöfDiirTni| cntrpredjcnöcn luaenDdllDimg.
3n 33er6inbung mit ©ct). flHebijinatrattj ^5rof. $r. u. GtOnard) in Siet,
ijSrof. $r. 2S. ^reijer in 33ertin, Sdjutratf) 2. SPaucr in 2(ug§6uvg nnb
©hmnafiat-Jürcftor (?. Sdjmetjer in .£mmm
heraiiesgcgebcn ucm
f>r. ffugti ©ürinit
2. ^nl)igmtg. 2Cprü 1890 bic« 9Rär£ 1891.
ißrciS bed 3ahrgangä 9J?f. 9.—.
„3>ie Steuc ®eut)(be ©hule" rocnbet ficf) an Eltern, Sekret unb «de ©ebilbeten,
bei benen ein 3ntcrcffc für bie gegenwärtigen Aufgaben ber (Srjp'hnng unb be$
Unterrichte öorauSgefc&t rocrbeu fann unb non bencn eine tfjatträftige Sörberung
biefer ernften Sfulturbeftrebungcn ju erwarten ift. Sie will für bie gegenwärtige
Sdjulreformberoegung einen einheitlichen SJtittelpunft barbieten unb bie Parteien
Bereinigen, bie fheinbar fcinblidi) einanber gegentiberftehrn, in 39irflid)feit aber naef)
einem giele ftreben, welche* ber Herbeiführung einer ber 3eitbitbung entfpreebenben
bcutfdj'Baterlänbifchen ©hule gilt, ©ie will bie Srunbjäfje pm Stewujjtfein bringen,
nah benen bie erjiehung fi d) naturgemäß geftaltet unb bem Seifte ber heutigen
©ifienfhaft entfpriebt- $e*balb roiü fie bie ©rgebniffe ber neueren Aaturmiffenjcbaft
für Srjiehuug unb Untcrridjt Derwertben. ©ie will bafür auftreten, baff (ärjiehungS-
unb Uiiterrihtälchre ihre felbftänbige ißertretung au Hodtjdjulen gewinnen utib bem
Stbrer an höheren ©dplen eine angemefiene päbagogifhe ®urd)bilbnng, nicht nur
eine einfeitige &adjfcbulung ju theil werbe.
Stanb unb Jitlr btt Sd)iilrffarm=Örturgung,
SRebe in ber foiiftituivenbeu SBerfanimtuug beä 2(ügemeiiiett ®cutfcf)en
SSereittS für Schulreform : „£ie neue beutfdje Sdjule",
gehalten am 15. April 1890 ton
IJrofcllfot* iP- Uvfijer.
Sch- 50 '#f.
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UfrlngsanUnlt uub Brndtcrri (oormals J. Iiidjtcri in Tambur!.
gier junge ©olfcfdjmiefc*
Birfffung von Earl (grnfl Hltrna
iCrnll Ricsac)),
— Vierte mänbertc uiib pcrniefjrte Auflage.
(füuftrirt Don
A. Airnlg, <S>. ^»orfdjc, 3*rof. $. "aiUpnifr.
'45rcid in Ijodjefcgnntcm Original. ßinbanb mit öolbjdjnitt fDlf. 6.—.
Aiiä brn llrtljcilcn ber greife:
laö Sud) ift reijenb auigeftattet unb empfiehlt fidi al» Jüeihnartite unb geftgefibenr
(ßltnft ßbronif. ffiien ’
XaS ffirrt Idfif tiefe 3)efriebigung im $erjen jurfid. (Sehiefiidie ((eitung
Sin praditpofl auigeilattetr» Sudi mit ber rbento rei)euben als gemütbDoUen Sithtung
einri Bon ©ott begnabrten iiditrri (Sriefler gritting.:
'fleionberi bie ringeftreuten itirbrr ftnb dufirrft anmutbig. (Berliner Xagrbialt.)
Gingen mtö
Bene ©ebidjfe non Blbcvt Bluffer.
8°, 280 Seiten elcg. gcl). ®lf. 3.—, elcg. geb mit ß)ülb)cf)nitt 3)if. 1 — .
Äu$ ben Urtfjeilen ber greife:
Sir fieraiiigobe bieirr fflrbiditr ift bie le&te $ii[bigung, Bie brm fterbenben t> a m e r 1 1 n g
Mi Ibtil würbe. beim ibnt ftnb fic alb ,.,lrirf)en langjähriger SSerebrung unb ffreunbftbaft* bom
SfesTia ffer gcroibmei. SBabridicinlidi ift es aud) tmnterling geroeirn, wrld)er brr SBrrlagtanfialt
unb trudari '.’lctirn ■ ©ricllirtiait Sllbctt Wlorirr» Sill fr rntp'ohlrii unb sugrffibrt bot. Irr
berühmte lichter itt ©raj) toollte olme groeifci burcf; bieie (Smpfeblung unb Zuführung Ulbert
Wörter grroifiermafirii al» feinen Waitiolger bejeidtnen, mit roeidtet ©rieidjnung er auch burdi
aus ittt Wechte genicicti ift, beim in Sioefer» Xirfituitgru ftnben mir .üamerlingJ icbSnr iform
tiamerling« catijet iirtie.it Schwung unb teilen ©ebautemiefe io jirmlid) toicber. ülUe feine Serie
finb don toobltbuenbrt farmonie, wahrhaft lünfttcrifcb goftaitrt uttb im Sinn turebfiditig unb flar
'Jtirgenbi ftört ein migtböriger VliKbrurt. eine nid)t«|agrobe iHebenbart ober ein überflüftigel
ftüUraort. Rnapp. geidiiofien, toobl gefügt, eridn'incn faft alle feine Strophen, bie jn [eien
unb in fid) aufjunebmen baber aud) immer ein ©enitfi ift. (Sieform Wo. 214 )
Sin Siebter, uollenbet in ber (form, mit einer beripadenbett Sprache begabt, boD
2B.irme uttb Smpftnbuug, ein Shtlojopb. rcicb an tiefen burd) reidjr Criabrung geläuterten
fflebattfen, mit einer feinen 'Ueobaditungägobe. roie fie nur bent SEBeltrocifen eigen — ein tpabrtr
SBort unb ein ganjer ilioct, ba« ift ber ÜJrrfaffer br« Buche!. ba« au bieier ©teile icbem ffreunb
be4 Schönen al« eine Cuetle rrinften [ünftlerifd)cn ©muffe« empfebfen ju Ibuncu, mir eine
berjlitbe ©enugtbuung bereitet. ($re*b )Ug. Wo. 201.)
vln bieiem jüngiten 28rrfe bei befaiinten SbrifcrS fitibcn wir eine Sülle ftiuimungbooHrr
forniBoneiibeter Siditungcn ju einem präditigeu Slraufte Mtiammetigetttunbeii. Sloefrr bebanbeit
bie Peridticbenartigileii Stoffe unb Mim Itieil tiödift ipröbe Sorwürfr. Die (Eröffnung ber ©ott
baibbabu. ber Xclrgrapb im vodiatpcntbale, bie iJrairiebübtter. bie Senn« be« Slpelle« larroir..
bie 'Dtartetcnberni SricbridiS b ©r.. ftaiferin Ifugeiiie. ber Stomet. ber Wcfang bei i53eltnieere#
— bieie auf« gerabemobl berauigegriiieneu Ueberiebriften laßen uns Sofort erfetttten, tan mir ei
in Dfoeferi neuen (Hebiditni nicht mit iiinlidjer SlUlagilbrit ju thun haben, (fine intereßante
ffliidjung Bon atitirem unb mobernem ffiefen tommt bent 4'udie febr su gute nnb uerleiht ihm
eilten ausgeprägten ffharaftcr. (Übein. «urier Wo. 238.)
3n ber Siittoideluitg ber gegenwärtigen Snrif bebrütet , gingen unb Sagen ' einen
erbebliibtti Sotticbritt, wie ihn nur em ediierftüiifller berurfadjen fann. (Wat. '8tg. Wo. 478.)
Irr Sevinfier bat bieie Bierte Sammlung feiner (Mrbidne ,btm eblen lichter SHobert
•tiamerling ali Scidjen ber üferetituug'' jitgrrigiKl unb batnit gewißetmafeen bie ©cifteiBcrmanbt
idiaft beftatigt. wctdie (Wifcben tljni unb tiamerling brftattben bat Sliitb hKocfrr beberrfdjt mit
UHfiPtricbaft bie Sonn , bie Spradie ift ebel unb (d)ün. bai Wefübl warm unb wabc. — — —
3)i e öebichte werben baijlnieben beS im groben ^ublifum noib tu wenig gewütbiglen Siebter»
gewib nod) erhöhen. (.{lainh. grembenhlatt Wo. 197.)
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Die
^ngiifitrr (Fttiiii-(fntfnij--(fi|iföitioii.
Sßon
Dr. 5fr. ^etnßrtrbf,
önmnafiaUfhtf r in Sljditrlltbrn.
SKit einer .fnrte.
Hamburg,
33erlag«anftalt uttb 3>rucferei 31. •&. (uormalä 3. 5- Stifter).
1890.
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I>aS 9ied)t ber Uebcrfefcung in frembe ®pracf)tn »oirb Dorbef)oIt*n.
®rnc( bfr SfrlaflbanftaU unb Enitfrrrt ?(aim-<IWrni<f)aft
(normal« 3. g. »idjtrr) in tynntnrg.
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»ie oortiegenbe Arbeit ift entftanben unter bem frifcbett
©inbrucf ber non 3- Scott Seltie, ©ibtiotbefar ber Äönigticfjen
@eograpbifd)en ©efeüfcbaft gu Bonbon, im Slnfnng biefeS 3abre$
berauägegebeuen „©riefe StantepS unb feiner Segteiter über
©min ©afcbaö ©efreiung".1 ©eitbem finb fedjä SJionate »er-
gangen. ©tantep ift nach ©ngtanb gurücfgefcprt, nm firf) feiern
gu taffen unb — gu beiratpen, ©min fßafdja, faum »on bem
ferneren Unfall, ber if|n furg nach feiner Slnfunft an ber Äüfte
in ©agamopo betroffen hotte, genefen, pot fiep in ben bunfetn
©rbtpeit guriicfgercanbt, um in beutfcfjem SDienfte ba3 ©ioi-
lifatioitSroerf, menn auch itt aitberer gorm ot3 uorper, fortgu-
fepen. ©eitbem finb mir ohne fftadjridjt über it)n. Um fo
mehr poben mir über ibn in ber lebten ßeit aus ©tantepS
Sieben gehört, bie biefer auf ungegäbtten ©antetten in ben testen
brei ÜJionaten gepatten bot, obgteid) er fetbft erttärt, feine geeube
am Sieben gu finben. ©o muff eS ibm mobt notbmenbig er-
fcbienen fein, um bie ©ngtänber auf bie oermeintlidjen ©efapren
aufmerffam gu machen, bie ihnen eon ben Seutfcben in Stfrifa
broben foCten, unb um burcb oft mieberbolte unb immer heftiger
mcrbenbe Stuftagen gegen ©min bie ©ormürfe, bie ihm taut
unb im ftitten mit Siecht ober Unrecht über bie augenfdjeinlidje
Siicpterreidjung ber eigentlichen groetfe per (Jjpebition gemadjt
Sammlung. 91. g. V. 107. 1* (375)
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4
werben mögen, jitrücfjuroeifen. Slucb fein jüngft erfdjieneneg
SBerf über biefelbe* ift in biefer Sejiebung eine grojfe oratio
pro domo, beren §auptargumente Silagen über bie eigenen
Offiziere uitb (Swing Unentfchloffenbeit, Sangfamfeit, Uitjuoer-
läffigfeit unb über bie fdjlimmen (Sigenfdjaften ooit (Sming
©efolge aug Slequotoria nad) ber Stüfte finb. @g ift inbeg nicht
meine Slbfid)t, auf biefe fragen ^ier näher einjugcben ober and)
nur ben trefflichen ÜKann gegen biefe Singriffe ©tanfepg ober
gar bie tbeilweife unqualifijirbaren Slrtifel ber Ximeg unb aitbercr
Sölätter jn öertbeibigen. (Sr roiro bag felbft tf)un, wenn er eg
für nötljig bü^- Vorläufig tbut er eg burdj — ©chweigen.
©djminbet bocb aud) bie (Srreguttg, welche bie Sanfettreben
©tanlepg unb feine Silagen in bem fReifewerf betöorjurufen im
ftanbe finb, angeficf)tg feiner auch bei biefer (Sfpebition gerabeju
bewunberuttggwürbigen fieiftungen unb glücfricf)en (Sutbecfungen.
Sluf biefe wiffenfdjaftlichen (Srfolge nur will ich, geftüfjt auf bie
trüberen $eröffentlicf)uugen unb bag neuefte SSerf ©tanlepg,
aufmerffam machen.3 3>ie Slrbeit fdjliegt fich fo inhaltlich unb
ihrer Slbficbt nach an bie in bemfelben Verlage 1884 erfd)ienene
©fij^e ber „(Durchquerungen Slfrifag" oon iß. Xreutlein
an, welche ich bem fiefer jum 3rce(fe ber Orientirung febr
empfehlen möchte.
Sig junt Sabre 1 885 nur in naturwiffenfchaftlicheu unb geo*
grapbifchen Streifen befannt, war ber Slame (Smin ißafd)ag, beg
©ouöerneurg ber Slcquatorialprooin$ beg äghptifcheu ©uban, feit
ber ÜJiitte beg Sabreg 1886 in Silier ÜDtunb. ©eine tapfere $8er*
tbeibigung gegen bie fdjier unbefiegbar fcheinenbeu föorben beg
fogennnntett ÜKahbi, wefdjer foebeu jwei englifch-ägbptifche ^eere
vernichtet, öbartum erobert batte, jog bie Slugen auch auf feine
fonftigen 93erbienftc nicht um Slegppten allein, fonbern um bie
(Sioilifation überhaupt. §atte er hoch bie in jeber Beziehung
traurigften SSerbältniffe feiner tßrooiitj in fiirjefter 3e>t unb
(37fl)
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5
in betounbcrunglwürbiger SEßcife gebeffert unb bort burcfj ©e»
feitigung bei ©flaüenhanbell unb bei graufatiten ägtjptifdjen
Negimentl, burdj milbe ©erwaltung unb Hebung bei Merbaitel
unb ber ©ewerbe eine $eit bei Ofriebenl unb ber ©e^aglic^feit
für Me eingefüljrt, wie fie bisher nie befannt gewefen war.
Dr. Sunfer, ber befanute ?lfrifaforfd|er unb langjährige Jreuitb
©mini, betätigte, aul bem ©uban juritcffehrenb, affe biefe Nach-
richten. 3n 2)eutf<hfanb regte ficf), wenigftenl in wiffenfcfjaft»
liehen Streifen, ©ewunberuitg bei tapferen unb tüchtigen 2anb!«
mannel, man fing langfam fogar an baran ju benfen, ob man
ihm nicht Unterftiijjung bringen fönne, ihn befreien fönne aul
ber Umflammerung burch bett 2Jiaf)bi einer», beit graufamen
Stönig 2Jiuanga oon Uganba anbererfeitl. 3n ©nglaitb würbe
feine Stellung unb Sage unb bie bei ©ebietl, bal er be*
herrfchte, in intereffirten Streifen bal ©efpräd) bei Jagel.
9Jtan beobachtete bie beutfehe Negung, man muffte ihr juoor*
fommen aul oielerlei ©rüttbett, unb man fom ipr juoor.
3m Mfang bei 3af)rel 1886 bilbete fid) in 2onbott ein
Komitee unter ©orfifc bei ©ir Sät. ÜRafinnon, eincl mit ber
Oftafrifanifcheu ©ngtifchen ©efeüfdjaft ebenfo, wie mit bem Shmgo«
ftaate in oielfacher ©ejiehung ftefjenbcn fperrn. @r famntelte
in furjer $eit unter feinen Jreunben eine hohe Summe (cirfa
1 1 500 £ ), bie Sonboner ©eographifdje ©efeüfchaft ftcuerte bei .
(1000 £), bie äghptifdje Negierung erflärte fich ju einem ©eitrag
oon 10 000 £ für bie Nettung ihres ©onoerneur! bereit. ?lud)
mehrere Leitungen betheiligten fich unter ber ©ebingung, baff
ihnen ber Mbrucf aul Slfrifa eiitgehcnber ©riefe ©tanlepl
geftattet würbe.4 ®ettn biefer berühmte Neifenbe war oon
Anfang au für bie Mlführung ber ©ypebition in 31ulfid)t ge*
nommen. 3war befanb er fich augenblicflid) in Norbamerifa,
um bort ©orträge ju halten, bie ihm 10 000 £ einbringen füllten.
@r hatte fich aber bereit erflärt, faül bal Komitee, welchem
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ein pan oon iljm oorlag, it)n jum fjührer ber ®Jpebition
mählen foßte, alle feine bärtigen Verpflidjtungen fofort rüd*
gängig ju madjen unb ohne jegliche Grntfdjäbigung ober ©e-
loljnung baS ©efreiungSmerf ju übernehmen.
$lm 11. Tejember 1886 erhielt ©tanlep eine Tepefdfe oon
©ir SKacfinnon: 3hr pon unb Offerten angenommen. ©c<
herben billigen fie. SDlittel oorhanben. Unternehmen bringenb.
kommen ©ie fofort. — ©d)on am 22. fernher lanbete ©tanlep
in ©onthampton.
@r hotte auS bcn brei oerfügbaren fRouten nach ber 3lequatorial-
proöinj burch baS 9J?affailaitb, über Slnfori-Karagme-Ufongora
unb ben Kongo aufwärts bie ledere getoählt, meil einmal ein Vor-
bringen oon ber Oftfiifte nur unter fortroährenbeu Kämpfen unb
bnmit oerbunbenen Tefertionen ber Träger, mit ©efährbung bee
£ebcnS ber franjöfifdjen unb englifc^en ÜRiffionare, welche in
ber ©etoalt beS Königs ÜJiuanga oon Uganba waren, möglich
fd)ien, anbererfeitS ber König ber ©eigier als ©ouoerain
beS KongoftaateS ihm alle Transportmittel biefeS ©taateS jur
Verfügung geftellt hotte. ?lud) h°ffte er ouf biefem SBege baS
3ufammentreffen mit arabifd)en ©ftaocnjägcrn $u oermeiben.
©r fannte bieS aus früheren Steifen als tmchft gefährlich für
bie TiSciplin ber £eute, welche burch bie ein freieres, leichteres
fleben führenben Stäuber leicht jum gortlaufen ocrleitet toerben
mürben. Tie SBeiterreife nad) ber Küfte foßte burch baS ©ebiet
ber Grnglifchen Oftafrifanifchen ©cfeflfchoft auf ÜKombaS gehen.
Slud) „ber Slrgwoljn ber Teutfd)en (?), eS honbele fidh um bie
SluSfübruug einer politifcfjen Aufgabe, foßte burch bie äöahl
ber Stoute jerftreut merbeit". Tenn bie Slufgabe, roeldje ihm gefteflt
mar, lautete nicht anberS unb nicht roeiter alS: „©efreie ©min".
3lm 27. Sonuar 1887 traf ©tanlep in SUejanbricn ein,
fonferirte in Kairo mit bem Kt)ebioe unb feinem ©remier-fDtinifter
9tubar pfdja unb mit ©d)meinfurth unb Dr. Ounfer, „bie hier
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als gacfjleute gelten", öon betten ber Sefjtere, eben auS betn
©uban juriidgefehrt, i^m manche itü$lidje SluSfunft geben fonntc.
Slm 21. ffebruar fattb er in ©anftbar aßeS burd) feinen Agenten
©Jafen^ie unb burd) beit ettglifchen JfonfuI §olmwoob öorbereitet.
$>ie ?IuSrüftung war in ©nglattb befd)afft. ©eifpielSweife ge=
hörten baju 26000 ©ieter 3eu8e, 1800 ftilogramm ©laSperlen,
9Keffing unb ©ifenbraht, ein jerlegbareS Stafjlboot non 8 7* ©Jeter
Sänge, 550 ©entehre, 200000 ©atronen unb 40 Sxägerlaften
beS feinften europäifd)en ©rottiants. Schon am 25. gebruar
tttar bie ©infchiffung ber ca. 600 Suaheli • Xräger, einiger 60
©ubanefen auS SCegppten unb ber SSaren auf ber „©Jabura"
bcettbet. ©oten nmrben über Sattb an ©min burd) Uganba unb
Unioro unb nach ben ©tanlehfäöen am mittleren ftongo ab«
gefanbt. 2>iefe tterfaffene Station beS ÄongoftaateS war infolge
einer burd) ©tanlet) inS Söerl gefegten ©ereinbaruug jtoifchen
bem ftönige ber ©eigier unb bem berüchtigten SIraber $ipptt $ib,
alias ©djeid) |>ameb ©en ©Johammeb, bem fdjlüuen ©Hatten«
unb ©Ifenbeinjäger unb „ungefrönten ßönig" Der ©Janjema
jtoifcheti Äongo unb Sanganifa, biefem als ©eamten beS fiongo*
ftaateS gegen ein beftimmteS ©JonatSgehalt übertragen worben.
©Jan wollte ihn babnrd) baran hinberit, feine ©eutejüge ben
Äongo Weiter abwärts fortyufehen, unb bewegen anbere Araber
batton abgufjalten, anbererfeits foüte er bie ©ypebitioit bei ihrem
Ueberlanbmarfche ttom ßottgo nach SJabelai in ber §Iequator-
prottinj ober bem 3tlbert ©ianfa, wo ©min fid) bamalS auf«
halten füllte, mit 600 Jriigertt untcrftüfcen unb aufjcrbem bie
fefjr bebeutenben bei ©min oermutheten ©Ifenbcinfdjä^e burd)
feine Seute nad) ber Station „Stanlep (falls" tranSportiren.
?luS bem ©rlöS beS ©IfenbeinS foflte citt 3l^eil ber Stoffen ber
©fpebition gebedt werben.
$!ie (fahrt StanlepS unb STippu $ibS mit ihren Seuten
auf ber ©Jabura »on ©anfibar bis ©anana ©oint an ber Stongo«
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münbung, roo man am 18. 3Rärj eintraf, ging, abgefefjett non
einer Prügelei jmifdjen ben ©anfibarträgern unb bett aug
Steg^pten mitgenommenen cirfa 60 ©ubanefen, gtiicflicf) oßne
bebentenbe 93erlufte oon ftatten. .§ier mürben brei Heinere
Kämpfer gemietet, mcldje bie Cjpebition junäd)ft big üHatabi
unterhalb ber erften gälle beg Kongo brauten. S3on ba aug
mürbe tßeilg ju Sattbe, tf)eilg jn SBaffer ber ÜRarfcf) big Sambuga
am Srnmimi fortgefefct. $>ie Sriefe geben oon biefem Sljeil
beg 3ugeg roenig 9tad)ridjten, aud) bag fReifemerf fafet fidj fe§r
furj über biefen Sßeg, ber in ©tanlepg „$5urcf| ben bunfeln
Sßelttfjeil" unb „®er Kongo unb bie ©rünbung beg Kongo-
ftaateg" eittgcfjenber beßanbelt ift. Siel 9tott) machten im Slttfang
bie ©ubanefen,5 bie faul unb unbotmäßig maren; „fefbft £iob
mürbe über fie ärgerlid) gemorbeit fein", lieber bie %äüc f)inaug
big ©faulet) Pool l)errfd)te großer SRangel att üebengmitteln.
31 Her prooiant mußte mitgefü^rt merben. 3lud) bie Irangport»
mittel reichten nidjt aug. Sn Sofobo mußten begfjalb 125
ÜRantt unb mehrere Cffijierc juriidbleiben. ®ie übrigen 511
3Rann unb 90 2Rann Sippu Sibg tarnen Anfang 3uni ju ©cßiff
in Sambuga am Slrumimi glüdlid) an. |>ier füllten 132 ÜRann
unter güßrung beg ÜRajor Sarttelot, beg älteften Offijierg,
jurüdbleiben. mürben außerbem bie Cffijiere Samefon,
SSarb, Xroup unb Dr. Sonnt) untergefteHt. öarttelot follte
Hier bie jurüdgebliebenett 2Äannfdjaften unb 600 oott $ippu lib
oerfprodjene Präger erroarten unb bann ©tanlep, ber mit ben
übrigen als Sorfjut, Pfabfinber uttb SSegbaßner oorauggefjen
mollte, unoer^üglicf) nad) bem ©intreffen Setter nacßfolgen.
Sarttclot mar ein in ben Kämpfen im ©uban unb in 3lfgljaniftan
erprobter britifrijer ÜRajor. ©tanlep fdjilbert ißn alg freimütig,
tapfer, fogar magefjalfig, fattn aber freilief) bie öeforgniß nidjt
unterbrüefen, baß er oieHcicfjt etrnag gefäfjrlid) fei, menn er
gereift merbe. ©g mangele ifjtn oielleid)t an ber nötigen
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fiangmutf). Xrofcbem glaubte unb glaubt er oicßeicbt auch jefct
noch, beu nad) beu gegebenen Serhältniffen richtigen SDlamt auf
biefen uerantroortlidjen Sßoften gefteflt ju haben. „@« lief) [ich
burebau« niefjt anber« modjen."
Mm 28. 3uni (1887) begann ber Sormarfd) oom befeftigten
Säger in Qambuga nach Cfteu. Sor ©tanlet) lagen ©egenbett,
Die bi« jefct feine« (Europäer« gujj betreten batte- @3 galt
fiawalli am Sllbert SJtianja auf 1° 22' nörbf. Sr. unb 30° 30'
flftl. 2. zu erreichen. 3ambuga liegt auf 1° 17' nörbl. Sr. unb
25° 8' öftl. 2. (oon ©reenwicb), alfo faft bireft weftlicb oon
fiawaüi in einer (Entfernung oon 80 geographischen üJteilen.
Xie Sorhut beftanb au« 389 au«erlefenen 2euten, ©tanletj
unb feinen Offizieren Sephfon, ©tair«, ßtelfon unb Dr. med.
Sßarfe. Son ben üßtannfebaften trugen 180 feine 2aften. ©ie
waren mit SSincbefterbiicbfen bewaffnet unb führten 2lefte unb
fwefmeffer, um bureb ba« Urwalbbicficbt ben SEBeg zu bahnen unb
fonftige §tnberniffe zu befeitigen. ©ie waren bie Si°mere ber
übrigen. Xiefe trugen 3 Xonnen SDlunition unb ebenfooiel
Sßrooiant; fie führten aufjerbem ba« oben erwähnte ©tafjtboot
mit ficb, wa« fid), fo lange man ben lülruwimi befahren tonnte,
al« aujjerorbentlid) nüfclid) erwie«.
X)id)t hinter Sambuga trat man in ben Sialb ein. ©tanlep
glaubte febr freigebig zu fein, wenn er ficb einen 2)larfdj oon
jtoei SBocben geftattete, um bie jtuifeften bem Kongo unb bem
@ra«lanbe liegenbe SBalbregion zu paffireu. (Er foüte eine«
auberen, ©cblimmeren belehrt werben.
Xer SBalb war im Slufang ftarf bewohnt. 3n natürlichen
ober burd) fiunft geschaffenen 2icbtungen lagen zahlreiche Xörfer
ber (Eingeborenen zerftreut. Xiefe oerhielten fid) oon Slnfaug
an feinblid) unb fdjon beim erften Xorfe, am erfteu Xagc be«
SDlarfcbe«, lernte man einige« oon ber barbarifdjeu Kriegführung
biefer SBilben feuuen. Xer fdjmale, feftgetretene (Sittgeboreuenpfab,
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auf melcßem man junäcßft im ©änfemarfcß marfcßirt mar, ßörte
plößlicß in ©icßt einer ©ingebornenanfteblung auf. @r mar
fiinftlicß burd) ©ebiifcß oerfpcrrt. ©tatt beffen öffnete ficß in
geraber SRicßtung auf ba# 3)orf ju ein breiter, licßter 28eg,
ganj oon Unterßoß; befreit unb anfcßeinenb einlabenb. 2tber
bie oorficßtigen Slnfii^rer ber Kolonne, au#erlefene, auf früheren
SReifen erprobte ©anfibarleute, bemcrften fcßnell, baß ber 2Beg
mit fcftnrf jugefpißteu £>oljpfäßlen gefpidt mar, melcße in flach«
©ruben eingeftecft unb mit großen ©füttern bebecft maren. &a#
mar für barfüßige 2eute unb felbft für bie ©tiefet tragenben
©uropäer eine große ©cfaßr. $>ie fcßarfen ©pißen brangen
burd) Scber unb gufj unb öerurfadjten, ba fie oergiftet maren,
furchtbare SSunben unb Cäßmungen. äReßrere Seute ber ©j*
pebitioit gingen ju ©runbe burch biefe £>iuterlift, auf bie man
al# auf ein allgemein gebrauchte# unb beliebte# 2lbmeßrntittel
aud) auf fpäteren SBegen burdj beit SBafb uttb an fonft ge-
eigneten ©teilen fließ. — Sil# man ficß mit großer ©orficßt unter
?lu#jießen ber fßfäßle unb ftetem geuer auf bem breiten Sßege
bcm $>orfe näßerte, gab ber am ©ingang beSfelbeit aufgefteHte
SSacßtpoften ein Slarmfignal mit ber Trommel, moranf ade
©ingebornen an bie jur ©ertßeibigung angeroiefenen fßläße eilten.
SDer Kampf freilief) toar ein feßr fur^er. ®a# $>orf mürbe nach
furjem SBiberftanb oerlaffen unb oon ben ©emohnern felbft
ange$ünbet, eine SDiaßregel, meldje bie ©iugeborenen auf bcm
ganzen SBege bureß beit 28alb, aud) naeß frieblicßer ©inlagerung
oon ^«mben überall beobachteten, (©tanleß fann feinen ©runb
bafiir fiitben al# bie „©rämlicßfeit biefer SBilben".) dergleichen
©eenen feßrten faft tüglicß mieber, fo lange man burd) be*
moßnte diftrifte jog.
©tanleß ßatte oom Sambuga au#, um möglicßft bie gerabe
Sinie auf Karoalli halten, junäcßft einen 2Bcg eiitgefdßlagen,
ber in fiiböftlidjer fRicßtung »om gluffe abfftßrte. diefer fam
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II
nämlich ju meit au« Sßorboft Jjer. ©ine .geitlang folgte man
gingebornenpfaben, bie in frumraen Sinien oon Sorf ju Sorf
führten. Sann mürbe eine ©lefantenberbenfpur benufjt. 911«
biefe zu weit t>om gluffe u& uad| ©üben führte, fdjlug man
bie SRidjtung bortf)in roieber ein. 9luf biefem SSege lernten bie
SReifenben nun juerft bie Statur biefe« Stongomalbe« jur ©eniige
fennen. Siebte«, bornige« unb ftacbelidjte« Unterholz unb born-
bemefjrte, riefige ©lattpflanzen, aufgezogen unter bem imburd)-
bringlieben ©chatten oon 50 — 60 äßeter t)o^en Saumriefen, be»
becften ben häufig fumpfigen ©oben, ber überall mit bußfertigem
£>umu« au« oermobernben ©lottern, Stielen unb ^roeigen belegt
mar. Schlingpflanzen aller 9lrt bi« zu ber Sicfe eine« Seine«
Zogen fid) neuartig in zubtßfen Serfcblingungeit toie ©emebe-
fäben oon Saum zu Saum, fo bafe man, roo nicht ©lefanten
einen ißfab gebrochen ober Sturm unb Älter oor furzem erft
einen ©aumricfen zu gebracht unb biefer ade« mit fid)
nieberreifeenb Sicht unb Suft gefchaffeit ^atte, mittelft 9ljt unb
fiacfmeffer tunnelartige Deffnungen bestellen mufete, um in ba«
Sicfid)t einzubringen, Sßamentlidj ber junge SBalb, ber an
Stelle einer oerlaffenen Sichtung aufgeroachfen mar, liefe fein anbere«
ginbringen in feinen Schatten zu. Sie ©egetation mar bort
fo miteinanber oermachfen unb oerroidelt, bafe e« leichter fd)ien,
über bie Spijjen biumegzufcbreiten, al« in ba« Sididjt einzu-
bringen. Äber auch alten oon Sßenfcbenbanb unberührten
Urroalbe, mo bie Säume höher unb umfangreicher, ber ©oben
fefter erfdjien, mar ber Äufenthalt ein auf bie Sauer gerabezu
furchtbarer, Stein Sonnenftrahl braitg burch bie ungeheuren ©lätter-
maffen. Selbft mitten am Sage mar tiefe Sömmerung, fonft
„greifbare ginfternife". $)ie Suft mar fchmül, unrein, oerborbeu
burch bie faulenben Ueberrefte ber ben ©oben bebecfenben ©flanzen
unb umgeftürzten Säume, in beren Ißober, ber oon Qnfeften
jeber 9lrt unb ©röfee, oon ber roinzigen Ämeife bi« zum fd)marzen
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T2
Jaufenbfuff unb hanblangen 9tiefen!äfer wimmelte, man tief
einfauf. £>in unb wieber unterbrachen träge bal)in fdjleidjenbe
öäd)e unb moberige, ftinfenbe ©ümpfe ober ein breiter Sieben*
flufj eineg großen Stromes ben SDlarfd). Jtobei regnete eS faft
jeben ^weiten Jag in Strömen. (93om 1. Sanitär 1887 bis
jurn 31. SJiai 1888 regnete eS an 138 Jagen 569 Stunben
lang, einmal 19 Stunben hintereiuanber). Shifferbem aber würbe
bie Karawane, oor allem natiirlid) bie halbnadten Jräger, oon
einer unenblic^cu ÜDienge »on SDiücfen, fliegen, mifroffopifdj
{(einen geden nnb flöhen, ungeheuren fchwarjen SSeSpett unb
befonberS oon ganjeu feeren rotier unb fdjwarjer, ernpfinblid)
beijfenben Slmeifen geplagt, oor benen man marjcfjirenb, liegenb
unb fifcenb auf ber $ut fein muffte. Sn ben Söäumen Rauften
Slffen üerfcfjiebener Ülrt unb ©röjje, befonberS 2Äa!iS unb SofoS
ober Ghimpanfen, bie hier eine bebeutenbe ©röjfe erreichen unb
bie fReifenben in ber 9iad)t burd) iljr tiefes, bajjartigeS ©ebriiD
beläftigteu. lieber ben Köpfen lärmten Sögel mit tounberbaren,
nie oernommenett Stimmen. 9Jlan fatj fie nicf)t in ber 4?ölje
oon 6—9 Stodwerf, obwohl man ihr pfeifen, Jrillern, Kreifdjen
unb Schreien forttoährenb hörte, ©rojfe unb Meine Papageien,
JurafoS, Schwalben, gmten, jgurger, giegenmelter, SBiebchopfe,
Gulett, Jroffeln, SBeberoögel unb taufenb anbere Slrten beoölferten
ben 92301b, oor allem audj SJiiüionen oon glebermäufen. SSilb
fah man öerf)ättni&mäffig wenig, nur beffen Spuren* eS würbe
burd) ben Särm ber herannahenbeit Karawane leicht oerf<f)eucht.
Ginigemale begegneten Glefanten bem guge, bie bann mit
fradjenbem ©eräufd) fliehenb SBege burd) baS Unterholj bahnten.
Sich weiter oon ber Karawane ber Sagb wegen ju entfernen,
war bei ber Unwegfamfeit beS SöalbeS unb ber ®efährlid)feit
ber Sewohner beS SSJalbeS, bie ben Ginjelnen aus fid)eretn
Jididjtoerfted ohne ©efinnen nieberftieffen ober mit oergifteten
Pfeilen ju Jobe oerwuubeten, nicht gerathett. Jiefen überall
(S»l)
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lauernben SSilben fielen aud) »iele Seute jur ©eute, bie fid)
trop fortnjäljrenber «Kaf)nungen einzeln ober in DruppS ber
SebenSmittel wegen »on ber Klaffe entfernten, ©ie würben
getäbtet unb jebcnfallS Derart, „benn biefe ©Silben pflegen alles
$u effen, was fie töbten", meint ©tanlet). Snblid) am 5. 3uli
fam man mieber am ^luffe an, ber nun nur auf !urje ©trecfen
nodj »erlaffen würbe.
Der Slruroimi, bei feiner «Dlünbnng in bett ftongo Dubu
ober ©ijerre, weiter oberhalb Suljali, KoncÜe, Kewa, julefct
bis }ur Duelle 3turi ober 3tiri oon ben (Singeborenen genannt,
ift an ber Klünbung 2700 — 3000 fffufj breit. Kod) 680 englifd)e
äReilen oberhalb berfetben ^at er eine ©reite »ott 375 gufj unb
ift 0 $uft tief- ©eine JpauptqueHen — er ftrömt aus brei
üuellflüfftn jiufammen — liegen wafjrjdfeinfid) in ber Käf)e ber
auf ben Äarten als 3unferS* unb ©d)weinfurtf)S ©erg be*
jeidjneten |)öt)en. ©on ba läuft ber ftauptftrom anfangs ungefähr
parallel bem Sllbert Kianfa am gufte ber allmäf)lidj nad) biefem
0ee auffteigenben ©obencrl)ebung, »on weldjer er jnljlreidje
SRebenflüffe erhält, fließt bann in flacher ©ogeitlinie bis 1°50'
nörbl. ör. unb »on ba plöjjlid) nad> ©üben umbiegenb in uit*
ge^euren SBinbungen erft füblid) bann weftlid). ©tanlet) be*
redpiet bie Sänge beS ^auptfluffeS auf 800 «Keilen (engl.), er
l)at bemnad) ungefähr bie Sänge beS KfjeinS. (150 beutfdje
«Weilen.) Die Ufer finb meift flacf), überall mit SBalb bebedt.
Srft weiter im Cberlauf wirb ber glujj burd) t)°f)c fteilc Ufer
eingeengt, reijfenb unb »ielfadj »on gelSbänfen burdjfcpt, welche
bie ©d)iffal)rt wegen ber entfteljenbeu ©tromfc^netlen erfdjweren
ober ganj unmöglid) machen. ©tromfdptellen finben fid; übrigens
aud) im Unterlauf, wenn aud) leichter ju überwinbenbe ober ju
umgebenbe. ©ebeutenbere Kcbenfliiffe erhält ber $luf3 aufeer
ben erwähnten Dueüfliiffen befotiberS »on Korben, ben Kepofo
unb mit bem Dui, »on ©üben ben Seitba.
(SS5)
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Sroß ber nidf|t feltcncn Stromfdfneden half bcr glu§ ber
©fpebitiott hoch roefentlich im gortfommen. Sraglaften
mürben um ba« ©tahlboot oerminbert, ba« gufammengefeßt
mieber einen meitcrn Sheil ber Saften unb bie Stanfen unb
Schmalen trug. $D?an requirirte aufjerbem, roo e« ging,
Äanoe«, burchmeg ©inbäume, meldje in« Schlepptau genommen
mürben. 2ln größeren Stromfchtieden mußten freilich bie Voote
entleert unb mit lauen unb Sdjlingpflangen am Sanbe meiter
gezogen merben, eine Slrbeit, bie öfter mehr al« einen Sag in
Slnfprucp nahm. Sennodj ging jefct noch ode« gut. j£>ier
am gluffe >oar &od) bie Sufi reiner unb ftifdjer, mehr Sicht
unb frifchc« SSaffer.
Sin ben Ufern be« Struminii erhielt man erft recht einen
begriff non ber tropifchen Vegetation. Sie niebrigen Ufer
roaren non Scijlinggemächfen oodftänbig übermachfen, fo ba§
man ihre |jöhe nicht beftimmen fonnte, ba biefe Schling*
pflanzen mie ein Schleier herabfielen oon bent unmittelbar am
gluffe fich crhebenben, mauerähnlich 40 — 60 Bieter auffteigenben
SSalbe. Vefonber« fiirglich oerlaffene Sichtungen geigten aujjer
einer ungeheuren Sichtigfeit ber Vegetation Steden mit pracht*
»öden Vlumen, meift oon bunfelrother, purpurner, gelber pber
meifjer garbe, babei bie mannigfaltigften gormen unb gär*
bungeit ber Vlätter, mie bcr Stämme; bie Vlüthen ftrahlten
SBohtgeriiche au«, mie fie Stanlep fonft nirgeitb« auf ber SBelt
fennen gelernt gu haben meint.
Sa« SBetter mar morgen« meift trübe unb büfter, bie
Semperatur 17 — 18° R., ber §immel mit brohenbett SBolfen
bebeeft ober ade« in bieten Sftebel gehüdt, ber bi« 9—10 Uhr
anhielt. ,,9ficht«/' fo fdjreibt Stanlct) in einem feiner Vriefe,
„bemegt fich bann; ba« gnfeftenleben fchläft unb im SBalbe
herrfcht Sobtenftide ; ber bunfle glufj, burch bie hohen ÜRauern
ber bichten Vegetation be« SBalbe« noch mehr »erbüftert, ift
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fchweigfom, wie baS ©rab, man glaubt faft baS ißodjen beS
eignen |>erafchlagS unb bie innerften ©ebanfen ju hören. SBenn
biefer Dunfetheit fein liegen folgt, bann tritt bie Sonne hinter
ben Sßolfenmaffen ^eroor. Der 9iebel oerfchminbet, unb ba$
Seben wirb burd) ben gellen lag erwecft. Schmetterlinge
feffroirren burd) bie Suft, ein oereinjclter 3biS fräch*t feinen
Hlarmruf, ein Däuser fliegt quer über ben Strom, aus bem
IBalbe crfdjaßt feltfameS ©emurmel unb etwas flußaufwärts
ertönt bie SlriegStrommel. Die fd)arffid)tigen ©ingebornett hüben
unS erblicft unb fchreien unS ihren StriegSruf entgegen, bie
Sperre büßen unb bie feinbfeligen Seibenfchaften finb erwacht."
Die glußufer waren ftarf bewohnt. gn faft jeber Siegung
beS gluffeS lagen Dörfer ber ©ingebornett, aus fegeiförmigen
Jütten mit l)oh€r @piße beftehenb, oft gattje 9tei£)en berfelben,
fo bei Sanalja, bem Crt, ber fpäter burch bie Slataftroph« beS
2Rajor SBarttelot berüchtigt würbe, nicht weniger als 13 Dörfer,
beren ©inwoljnerfchaft Stanletj auf 5200 Stopfe beredjnet.
Die ©ingeborueu gehörten ju einem großen Stamm, bem ber
öajofo, fie hotten wenigftenS ooit gambuga bis ÜJfugwqe (ober
HJiijui auf StanlepS Starte) baSfelbe Sllarmtrommelfignal unb
baSfelbe griebenSjeid^en; fie waren fehr fdjeu unb litten ihrer
SluSfage nach fämtlid) junger. ©S foüte weber Sananen,
noch Bucferroljr unb 2Jianiof, noch Biegen °^er £>ühttcr
geben. Die üblichen Daujchmittel, Stauris, äJteffingftangen,
perlen, fagten fie, hatten für fie feinen Söerth, fie fönnten fid)
boeß feine SebenSmittel bamit oerfehaffen. Dabei lagen in ber
ülähe ber Dörfer bis ju bem obengenannten SJiijui (ober ÜWjowe,
SKufupi) oft quabratfilometergroße Dianiof« unb 33anatten«
Pflanzungen, gn ben Dorfumjäunungen gebieten ißarabieS«
feigen oon feltencr ©röße unb Schönheit, eS fanb fidj hin«
reießenber Dabaf, auch SWaiS unb Stürbiffe unb in ben Sichtungen
Bananen. Diefe Sichtungen ftelleu bie ©ingebortten auf eigen«
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tljümli<f)c ©eife her- ©ie foppen bie Säume in einer §öf>e
»on 6 2J2eter; bie 3roeige werben »erbrannt ober jur Anlegung
ber Jütten unb 3äune »erwanbt. 3n,'f($en beit ®oum*
ftiimpfen wirb gepflanjt. fjeinblidje Angriffe zwingen jum
Serlaffett ber Jörfer unb Sichtungen, bie bann in furjer 3eit
in gan$ wunberbarer ©eife juwachfeti unb ber Äolottne bie
größten £>iitberniffe boten. ®er Umftanb, baß bie ©ingcbornen
meift ihre Dörfer oor ber Slnftntft ber Starawane »erließen,
erleichterte bie ©rlangung »on SebenSmitteln. ©efangene Sin*
geborene jeigten ficf) fe^r fcfjeu , würben aber balb jutraulicb.
§US giihrer waren fie jeboch nidjt ju gebrauchen, weit fie wegen
ihrer 3folirtl)eit untoiffenb ober and) böswillig unb unjuocrläjfig
waren. SWit ihren burdj eine fräftige SÜantaft£ unterftüfcten
fdjeinbar genauen Slngaben taufchten fie fogar ben gührer
einigemale.
Sis jum 1. Sluguft war ber SDlarfch trofc großer Sin*
ftrengungen faft ohne Serlufte »or fich drangen, ©in einiger
SDiann war geftorben. Cberßalb SDfijui aber bis in bie ©egenb
ber als Sait9flfäߣ bejeidjneten h°^c,t Äatarafte gerieth man
juerft in »ollftänbige ©ilbitiß, ju feeren Ueberwinbung man neun
Jage brauchte. J>ie Jörfer lagen h>er weiter in ben ©alb
hinein unb eS fanben fich wenig SebenSmittel. So nahmen
bie Kräfte ber Seute bei ber fdjwcreit Slrbeit fdjnefl ab. Siele,
bie ftdj troß wieberholter Mahnungen auf ber ®ud)e nach
SebenSmitteln $u weit »oin 3ll9c entfernten, würben »on ben
©ingeborneit crfdjlagen, ?lnbere »erloren fidj im ©albe, befer*
tirten auch wohl, um bann in ber ©inöbe ju fterben; JßS*
enterie unb fehmerghafte ©efdpuiire fjinbertett baS fcßnellere
gortfommen. J)och ging eS noch ftetig oorwärts, fo lange ber
3luß nod) nicht beit J)ienft »erfagte. dagegen würbe bie Sc*
»ölferung gefährlicher, fobalb man wieber aus ber ©ilbniß
heraus war. $ie ©ittgeborneit gehörten , nach ber Sauart
(38H)
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ihrer jpiitten unb ißrer Sprache gu fdjließen, einem attberen,
triftigeren SBolfe an. Sin Stelle ber fegeiförmigen traten oier*
eefige, getrennt liegenbe Sefjaufungen, jebe oon einem flogen
ßaune umgeben, bie Söänbe außerbem burd) Saumftämme ge-
fcßüöt, fo baß fie fogar gegen geuerlüaffen einen getoiffeit
©dju^ gemährt Ijätten. Sie (Singebornen führten oergiftete
Pfeile, unb, mof)l auf biefen anfefjeinenben SBortheil geftii^t,
griffen fie j. 93. bei Slrifibbu, oberhalb ber SßattgafäHe, ba#
Säger ber (Sjpebition in bjöc^ft entfdjloffener SBeife an, fo baß
e# nicht ohne Sßermuitbungen abging. 9tuch Sieut. ©tair# mürbe
oou einem oergifteten Pfeile oermunbet; ba aber ba# ©ift
mahrfdjeinlid) nicht frifd) mar, oerurfadjte e# nur eine mehrere
SDlonate offne, fdjinerj^afte SBunbe. güitf 2eute jebod), bie
nur gauj leichte ©tid)e erhalten Ratten, ftarbeu tfjcilö fofort,
theil# in menigen Sagen am ©tarrframpf. Sie (Siugeboriten
ftellen ba# ©ift au# einer $5 rumart ^er. ©ie tobten bantit
(Slefanteu unb anbere# große# SBilb. (Sin anbere# ©ift mirb
aus getroefneten, in ißalmöl gefotzten rotten Slmeifen bereitet.
9lm 25. Stuguft mürbe Sloijeli, gegenüber bem Einfluß
be# Diepofo erreicht. Ser ca. 1000 guß breite ©trom ftür^t fid)
in hohem galle in beit 9lrumimi. — SBom ftongo bi# Ijierljer
roaren bie Ufer biefe# bluffe# gleichmäßig niebrig gemefeit.
3$on f)ier ab begann hügelige# Sanb, bie glußufer mürben fteil,
oft felfig. Se r SSJalb mürbe lichter, ^almeit unb bie hohen
meißftämmigen öaummollenbäume, bie fich aud) am untern
Hottgo oielfach finben, traten jabjfreic^er auf. SBurbe f)ierburd)
einige (Srleicßterung gefchaffen, fo oerfagte bagegen halb ber gluß
feine oorjüglichen Sienfte. Sie ©chiffahrt mürbe immer mehr
burch ©tromfchnellen aufgehalten ober ganj unmöglich gemach:.
2M)rere große gätlc mußten umgangen merbett, eine Slrbeit
oon jebe#mal 1 — 2 Sagen. Sftan bot ber SBilbheit be# Strome#,
ber juleßt bi# auf 300 guß eingeengt in einem engen (Safion floß,
eotnmlung. SR. 3. V. 107. 2 (389)
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nocf) einige Sage Sroß. ©nblid) mußte man ÜanoeS unb ®oot
entleeren, baS ledere auSeinanbernehmen, um eS *u i'anbe
meiter ju tranSportiren. Sie Karawane würbe gemuftert. Sa
(teilte fidj ßerauö, ba(3 bie Seute nicht mehr im (taube waren,
bie Stiften, reelle bisher burch baS 93oot befürbert waren, unb
bieS (elbft jit tragen. junger un^ Äranfßeit ßntteu (ie bejü
mirt unb untauglich gemacht. 9iid)t weniger als 36 (Wann
waren (eit ÜRijuc theilS geftorben, tfjeits würben (ie »ermißt.
3ubcm traf bie 3?orßut je£t jum erfteumale (31. Sluguft) auf
eine Ülbtljeiluug SRanjema, welche $ur ftararoane beS arabifc^en
©flauen« unb ©IfenbeinjägerS llgarrowa ober lllcbi iöalijuS,
eines frühem 3et*bienevS ©pcfeS, gehörte. Sicfe Karawanen
finb cS, weldje tjauptfadjlic^ in ber ©egenb jroifdjen Sanganifa
bis junt ftongo unb nörblidj bis juni Slruwimi burcf) ihre
©flaoenjagben baS fianb entuülfern unb oerwüften. ©ie nähren
fid) ßauptfäd;(id) oon (Raub unb Siebftaf)!, feiten bauen fie an
Crteu, wo bie einzelnen Slbtßeilungen länger oerweilen, bie Sidj*
tuugen an. ©tanlep ßatte, wie oben erwäfjnt, ber Slongoroute
mit aus bem ©runbe ben SBorjug oor ben anbern gegeben, weil
er baS 3ufammenfommeu mit arabifeßen Karawanen fürchtete,
welche gewößn(id) unter ben Ceuten einer folgen ©ipebition
intrigiren, fie jum Ungeßorfam unb jur Sefertion oerleiten.
Sluf bem ©ege oon Cften würbe bei einigermaßen fdjmierigen
2$crf)ältniffen, ©anfibar im (Rüden, leicßt bie Karawane fid) bei
einem foldjen ^“fonimentreffen aufgelöft ßaben. SaS batte er
burd) bie ©afjl ber üongoroute oermeiben wollen. (Run fiel er
f)ier ben Arabern in bie $änbe, unb biefe fcßlaueu Barbaren
wußten bie (Rotf) ber Seute für fid) aufs befte auSjubeuten.
(Born Slugenblide beS gufamnientreffenS befertirten innerhalb
3 Sagen 26 ÜRann, bie fid) ben niarobirenben ©treiffefjaren
ber SRanjema anfcßloffen. — SBärc bie ©jpebition ferner ein
3af)r früßer aufgebrochen, fo hätte fie in biefer ©egenb (Nahrung
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bie .£mfle unb 'Jütte gefunben. Jeßt mar alle« in weitem
Umfreife burd; bie SRenfcßenjagben uttb Stäubereien ber Ugarroma
unb eines feiten ÄraberS, beS ftilittga Sottga, eines ©flauen
beS frühem ©anfibarfflaoen Äbcb ben ©elim, beffeit ©luttßaten
Stanley in feinem SBerfe „$er Äongo nnb bie ©riinbung beS
ftongoftaateS" gefcftitbert hat, fo grünbticß oertüiiftet, baß aud)
ni<ßt eine fpütte fielen geblieben mar. 2öaS biefe Jerftörer an
Rainen unb ^Pflanzungen non 93ananen unb iparabiesfeigen,
an 2Jianiof* unb SDiaiSfelbern übrig gelaffen hatten, baS war
non Siefanten, ©cßimpanfen unb fonftigen Slffett 31t »crwefen*
bem, ftiufenbem Soll) zertreten unb zermalmt worben, fo baß
bie ganze ©egettb in eine fürchterliche SBilbniß umgewanbelt
war. SDian mußte woßl ober übel gute ÜUliene zum böfen ©piel
machen, ficß mit ben Ungeheuern »ertragen unb Jreunbfcbaft
fcßließen, um nicht zu »erhungern. 56 001t ben Seuteu ©tanleps
waren oottftänbig untauglich geworben, ©ie mußten bei ben
Ärabern zuriicfgclaffen werben, bie ficß natürlich für ihre 93 er*
pfleguug bezahlen ließen. 9iad) furger 9laft ging eS weiter
burch baS oottftänbig auSgefogene ©ebiet. ©egenüber bem Sin*
fluffe beS Sßuru in ben Slruwimi würbe bie fiolonne wieber
gemuftert. fpier mußte Kapitän Helion, ber franf war unb be*
fonberS an Jußgefcßmüren litt, mit 52 fDiann z»nidbleiben.
33ian überließ fie ihrem ^djidfal, unb oerfprach fie fobalb als
möglich nachzuholen. ®ie übrigen wanfteu weiter, oottftänbig
entfräftet, z» afdjgrauen ©feletten abgemagert, ©eßwämme unb
wilbeS Obft, ©djnecfcn, ftäfer, Ämeifen batten fcßoit feit SBocßen
faft bie einzige Währung gebilbet. „98er nicht genug oon ben
merfwürbigeit gingen, oon welchen wir uns nährten, fittben
fonnte," feßreibt ©tanleß, „ging zu ©runbe." £er SDiarfcß
war ber langfamfte. Um bie Srfcßöpften nicht umfommen z«
laffen unb bie Saften fortzubringen, mußte jebe SBegftrede
mehrere ÜDiale bureßmeffen werben. $u einer Sutferuung 001t
2* (»91)
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60 engt. ÜHeilett braucßtc bie Sjpebition ben falben fDtonat
Oftober, ©taufet} fagt, e$ fei ißm ju SWutße getoefen, als
fcßfeppe er bie Seute an einer um feinen §al3 gefcßfungenett $ette
mit ficß. UntertoegS begegnete man toieber fDianjemaS, Leuten
beS ftilinga Songa. ©ie erjäfjften, baß baS Säger ißreS Sn*
fiißrerS 5 lagereifen entfernt auf bem anbern Ufer be$ JluffeS
liege. Sieä gab menigftettS einige Hoffnung, fo ftßfimm aucß
baS gufammeutreffen mit ben Arabern unb ÜKonjemaS ©taufet}
erfcßien. 9tacß einigen Sagen, am 14. Oftober1, tourbe ber
Srutoimi überfdjritten unb auf bem anbern Ufer ioeiter mar*
fcßirt. f)ier bot ber SBafb meßr griicßte unb bafb jeigten fid}
bie Vorboten einer größeren SUeberfaffung. Sm 18. Oftober
fam man im Säger Sifinga SottgaS in 3poto an. SOian
tourbe freunbficß empfangen. Sie SWianjema ßatten 120 — 160
$eftar mit SJiaiS, 2 §eftar mit fReiS, ebenfooief mit ©oßtten
beftefft. ©ie fjatten ungeheure fDiengen oott SUiaiS aufgefpeicßert,
rutcf) ©ieß, affe« ben Singebornen geftoßten. Sußerbem befaßen
fie große Söananenpffanjungen. Äurj, bie Sage ber Seute toar
eine oorgügficße.
Sie greunbfdjaft inbeS bauerte nicfjt fange. Sie ?fraber
Ratten gehofft, bie Sjpebition toürbe oiefe für fie begeßrenStoertße
Singe mit fid} führen. SIS fie ficß getäufdjt faßen, tourben
fie fcßmieriger in ißrer ©aftfreunbfcßgft. ©ie ließen fid) afleS
bejaßfen, juerft mit ben ftleibungSftüden ber Seute, bann mit
©etoeßren unb fßatronen, Sejten unb anbern biefett nicßt ge*
ßörigett, ganj unentbeßrficßen Singen, ©tanfet} faß ein, baß
bie Sfpcbition bei biefem SuSpIünberungSfpftem oerforen fei.
Sr mußte fcßfießlidß bie fcßärfftett Maßregeln ergreifen unb
einen ber ©öfctoidjter, ber Snbern ißre ©etueßre unb SDfunition
geftoßfen unb fie oerfauft ßatte, ßängen taffen.
©ei Kiliitga Songa blieben toieber 55 SDiann mit Dr. ißarfe
unb Sepßfon jurüd; über ißre Srßnltung mürbe ein förmlicßer
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Vertrag mit ben 2lrabern abgefc^loffett. 2lußerbem foQten biefe
unter güljrung SephfoaS beut im |>ungerlager am 3ßuru
juriicfgebliebenen Slelfon |>ülfe fcfjitfen unb bic bortgelaffencn
©orrätlje nacfjfjolen. 3ephf°n brod) fofort auf unb fanb »on
ben 56 SJlantt, welche bei Sielfon geblieben inareit, nur biefen
unb 5 anbere nod) »or, »on betten jwei im Sterben lagen.
2>ie übrigen waren befertirt ober tobt. @r brachte bie lieber-
lebenbeit nad) 3poto.
Stanley war unterbe^ mit StairS unb ben nod) übrigen
cirfa 200 ÜJiann weitergejogen. önblicf), am 10. Slooember,
nach einem weiteren »erfuftreidjen üttarfdje, immer burd) ben
Salb, erreichten fie bie ©rettje beS ©ebiet«, b aS bie Slraber »er-
wüftet hatten, bei 3bwiri, einer großen Siieberlaffung ber ©ateffe,
bie fid) wieber burch eine »on ber früher gefehlten abweichettbc
©auart ihrer Jütten auSjeichneten. ®ie @igenthümlid)feit ber
Dörfer beftanb in einer langen Straße, welche auf beibeu Seiten
»on einem langen, niebrigen, aus ^laufen fjcrgeftellten ©ebäube
»on 60 — 120 m Sänge eingefaßt würbe. Stuf ben erften ©lief
erjdjienen biefe ©aleffebörfer wie ein großes ©ebäube, baS in
ber äJütte beS SacßfirfteS auSeinanbergefdjnitten ift, worauf bie
tpälften 6 — 9 m auSeinatiber gerüeft finb. |>ier in 3bwiri
würbe eine »iergehntägige 9taft gemacht. SDenn hier war alle«
im Ueberfluß »orhanbett. 2)ie 173 noch übrigen Seute [topften
[ich mit ©eflügel, 3‘e0en/ ©ananen, SDlaiS, fiißett Kartoffeln,
2)am3, ©ohnen unb anberett he^r^^en gingen förmlich D°ü-
211$ matt am 24. Siooetnber aufbrach, waren bie Seute ban!
ber 9iulje unb guten Moft wieber »oUftänbig fjergefteßt. 21 ber
biefe 173 waren ber 9left »on 389! Sie »iele »on ben
3urücfgeb!iebeiten nachfommett würben, war feßr bie [[rage.
Schon am 31. Oftober war man auf ein ®orf bergtuerge
geftoßen, bie in biefen ©egenben unb weiter itörblid), wo fie
Schweinfurth fennen gelernt unb beschrieben hat, fich aufhalten.
(393)
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©ie nennen ficf) SBambutti, ©atua, ?tffa unb ©afutigu. (Diefe
©pgmäen leben im ungelicfjteten Urroalbe unb ernähren ficf)
burcfj bie 3agb, tveldje fie mit großem ©efdjic! betreiben. 3f)re
©röfje fcfjtuanft jwifdjen 90 cm unb 1,4 m. (Sin auSge-
tuadjfener $iwerg roog 40 kg. 3f)re Torflager finben ficf)
rings um bie (Dörfer ber acferbautreibenbeit (Singeborenen, oon
beiten fie gegen SBifb SebenSmittel auStaufdjen. SDJit ilfren
vergifteten pfeifen tobten fie (Siefanten, ©üffel, Antilopen,
anbere (Dljiere fangen fie in ©ruben ober ©iigclfallen; gifdje in
Sieben unb SReufen. (Da fie nur in ber SEßilbnijj leben unb oft
bie ©egenb toed)fetn, finb fie oorjiigficfje Shnibfcf)after, iooju
fie befonberS oon ben acferbautreibeitben eingeborenen benuftt
toerben. ©ie finb boSfjaft unb f)interliftig, wie eS bei folgen
gagboolfem ber SBalbtoilbnif? nid)t anberS fein faitn. 9Ran
unterfcfjieb befonberS 2 ©pe^ieS oon iljnen, bie fid) an Haut-
farbe, gorm beS ÄopfeS unb cfjarafteriftifdjen ©efidftSjügen
burcfjauS unäfjnlicf) »waren. (Die niebriger ftefjenbe ©pejieS ber
©atua Ijat eine nicf)t abjulcugneitbe Slefjnlidjfeit mit „beut lange
gefugten ©liebe 3toifd)en bem moberneu <Durd)fd)nittSmenfcf)en
unb feinem (Dartoiniftifcfjen ©orfafjren". ©ie fjaben fleine,
fd)lauc, röt^Iicfje, engjufammenfte^enbe Slugen, platte fdjmale
©ruft, fjängenbe Unterlippen unb ©dfultern, bie gü§e finb ftarf
einwärts gebogen, bie Sfrme lang, bie Unterfdfenfel unoerljält-
nifjmäBig furj, baju ber gattje Körper mit flaumartigen ober
mit fteifen, furjen, grauen Haaren Oebecft. $)ie SBambutti
f)aben fjofje ©tim, gajeßenartige, weit woneinanber ftef)eitbe
klugen mit offenem ©lief, gelbe (Slfenbeinfarbc. (Die ©atua
finb bunfler, oon ber garbe eines f)albgebrannten giegelfteinS,
etwa blaff-braun-rotfpgrau.
(Die Söambutti beioofjnen bie fübfidje, bie ©atua bie itörb-
lidje HäIfte &er ©egeub um ben 3turi bis ju ben SBälbem
oon Iroamba am ©cmlifi.
1394)
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(53 waren oon gbmiri bis jum Sllbert 9?ianfa nod) cirfa
126 SDieileu jurücfjulegen, junädjft immer noch burd) beit ©alb.
Slber er mürbe mit jebem Jage lidjtcr. Son Jorf ju J)orf
führten breite ©trafteii, unb SebenSmittel waren im Ueberflufj
oorbanben. J)ie fleißigen Söaleffe lichteten beit ©alb unb
pflanjten fortwä^reub, woju fie wohl audj bic fc^ort oben erwähnte
®ewol)nheit jwang, bah fte ein einmal tiott gremben befncfjteS
Jorf fofort nach bereu Slbjug in Sraub ftecfeit unb ein anbereö
anlegeit. Stm 1. Jejember faf) man oon einer fpiigelfette nach
Cl'ten hin juerft wieber ©eibelanb, flache mit ®ra3 bebecfte
©betten, währenb ficf) nad) 9?orboft ber ©alb ununterbrochen
weiter au3behnte. Slm 5. J)ejember war ba3 ©raälanb er*
reicht; ber tobtbringenbe biiftere ©alb lag hinter ben SReifenbett.
9iad) 160 Jagen unauggejejjter Jämnterung erblicfte man ba3
helle Sonnenlicht jutn erftenmale wieber. 9J2ait glaubt e3 gern,
wa§ Stanleh fdjreibt, bah fie 9tHe wie wonneberaufd)t waren,
wie ihrer geffeltt entlebigte ©efattgeite. ,,©ir liefen," fagt er,
„mit unfern Saften über baö weite uneiitgefriebigte gelb, wäh*
reub .gerben oon Süffeln, ©len* unb anberen rött)lic^ * grauen
Antilopen mit gefpi$ten Ohren unb weit geöffneten Singen auf
beiben Seiten ftattben unb oerwunbert bie plö&lid)e ©oge
menidjlicher ©efen betrachteten, bie mit greubengefdjrei au3 ber
buufelit Jiefe be3 ©albeä her0Dr^rac^ett- J>ie Seute jauchten
unb fprangen mit ihren Jraglaften buchftäblich oor greube
umher unb jagten fid) hin unb her- ®aä war ber alte
©cift früherer glücflid) ausgeführter ©fpcbitionen, ber plä^tich
juriicfgefehrt war. @8 hä*te jefct nur ein eingeborener Sin-
greifer fommen follen, gleichviel, wie ftarf er gewefeit wäre,
gleid) ©ölfen auf bie Schafe hütten unfere Seute fid) auf
benfelben geftür$t, ohne bie geinbe gewählt 311 ha&en. @8
mar ber ewige ©alb gewefeit, ber unfere Seute ju oer*
äd)tlicf)en Sflaoen gemadjt fjatte , bie oon beit arabifchen
(395)
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Sflaoen bei Kilinga £ottga in fo brutaler föeife geplünbert
worben waren."
Sluf bie Stngreifer brauchte man allerbingl nicht lange gu
warten. Dal £anb war reich bewohnt. Die eingeborenen
öabufcffe wohnten in fegeiförmigen Jütten unb bauten fpirfe,
©efatu, füge Kartoffeln, Sonnen unb befagen SRinber, Riegen
unb §ügner. ©cgon nad) wenigen Dagemärjcgen erreichte man
©egenben, wo bie Dörfer unb *ßf£angungen fo biegt aneinanber
tagen, baß man mitten jwifegen ignen ginburdjgiegen mußte.
Dal flaub ftanb unter ber Regierung SUiaffambonil, eines Unter»
föttigl bei befannteu Kabba SRcga oon Uitioro. Die ©in»
geborenen geigten fiel) burcgaul feinblicg. 93ott SBerg gu Öerg,
oon Dorf gu Dorf ertönte bie Kriegltrommel, ber grelle Don
ber Krieglgönter unb Stufen unb ©freien. Ueberalt geigten
füg §unberte oon fpeertragenbeu SRännern. Kaum wollte inan
fiel) auf Unterganblungeu einlaffen. ©nblicg öerfpradjen bie
SQBilben, igreö Königl SJieimtng eingubolen. Der folgenbe
ÜJlorgeit follte bie ©ntfegeibung bringen, ©ie lautete auf itrieg
unb würbe oon beu ©ingeborenen mit weithin fdjallenbem
3reubengefcgrei begrüßt. ©I fam gu einer regelrechten ©(gleicht,
in ber bie fleiite mit gfcuergeroehreu bewaffnete ©egar unter
guter gügrung natürlich ben ©ieg über bie ^unberte oon fpeer»
tragenben geinben baoontrug. Dennoch blieb ber SBeitermarfcg
nicht unbehelligt. 3m £aufe jebel Dagel waren ©djarmiißel
gu beftegen. Slber wal mar bal gegen bie frühere 9totg.
Man hatte fiebenlntittel in SDfaffe, auch SRarfch war ohne
große 93efcgwerben.
Der hier 375 gnß breite fpauptftrom bei 3turi war fegon am
9. Degember wicber überfegritten worben. 33on ba tnarfegirte
man bireft oftwärtl bureg hügelige flanbfegaft bil gunt 13. De«
gember. ÜJian befaub fieg auf einem uaeg Dften gin tangfam
anffteigenbeu ^ßlatean. Sluf bem göcgften ißunft einer @in>
(390)
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fattelung beSfelbett angefommen, erblicfte Stanleg in einer @nt>
fernung non ca. 40 km bie lange, ununterbrochene, in bie
SBolfen rogettbe, blaue £inie beS SafellanbeS oon Unioro, ba«
öftlicf) oom Sllbert Sliaufa fich auSftrecft. Stuf bie Beute
machte ber Slnbticf ben entgegcngefefjten Sinbrud als auf ihn.
Sie murrten: „ÜJtafchallah, biefer Stianfa geht aber auch immer
meiter oon un8," worauf er fie tröften fottnte: „galtet bie
Stugeit offen, SuitgenS, ihr tönnt ben SJiattfa jefjt jeben Stugen-
bticf 311 fehen befommen." Smmer tiefer ftieg man hinab, immer
höher ftieg baS Safetlanb ooit Unioro. ^löfetid) fah man oom
fchroffen Slbljang tief Ijinab auf eine graue SBolfe. mar
ber in leichten Siebet gehüllte Siianfa. ©S bauerte eine SBeile,
ehe bie Beute begriffen, baß baö, was fie unter fich fa^eu,
wirtlich SBaffer fei. Sann machte fich ihre Jreube in 3ubel‘
rufen unb 3auchjen Buft. Sie umgaben Stanleg, füjgten feine
■pättbe unb liehen ihn oor ©utfdjulbigungen nicht 31t SBorte
tommen. X>aö war meine ©elohnung, fagt er.
Sie @Epebition befaub fich auf 1°23' n. 58r. 1524 in über
beni ÜÄecre. Ser Slianfa® tag mehr als 750 m unter ihnen,
baS ©iibenbe beleihen ca. 9 Slieilen entfernt; ber oon ©üb-
weften h^ beni See juftrömenbe ©emtifi (ttafibbi) war beutlid)
ju ertennen, „wie eine filberne Schlange auf bunttem ©runbe".
Verfolgt oon ben ©ingeborenen ftieg man jum ©ee hinab
unb näherte fich bem am ©übenbe gelegenen Sorfe ÄatonfaS.
Stuch hier geinbfeligfeit ber SBilbeit. Sie meinten, alte«, maS
oom 3turi herfomme, muffe böfe fein, wollten feine S3lut-
brüberfchaft madhen unb lieferten faum baS SBaffer für bie
Surftenben. Sltt ben ©ec wollte man bie Sieifenben auch nicht
taffen wegen ber bort weibettben Stiitberherben.
Stanlet) erfunbigte fich fofort nach ©min. Stiemanb wollte
etwas oon ihm wiffen. ©eit ihrer Kinbheit erflärten bie jungen
ÜKänner fein „tftauchboot" gejeheit ju haben. (SWofon ©et)S?)
(387)
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2J?an mußte annehmen, baß Gmin bie Sriefe non ©anfibar
nießt erhalten habe ober nießt fomnicn roolle. Gr hätte boeß
fonft rooßf bie Gingebornen auf bie Slnfunft ©tanletjö wor«
bereitet.7 ©cßott »on hier ab beginnt ©taufeßS Unjufriebenfjeit
mit bem Sßafcßa.
2Ba3 tuar ju tßun? Gmin in SBabelai aufjufueßen, ben
ungeheuren SDiarfcß »on 25 lagert ohne ©emißßeit, ißn ^ort
31t finben, jnriief jutegen, fcfjieit ©taufet) ein 31t großem üBagniß.
3tt ben ©efeeßten ber festen Jage mar ein großer Jljeif ber
öorßanbenen SJiunition »erbraueßt. äBeiter unter fortmäßrenben
Kämpfen, bie ju ermarten roareit, ju marfeßiren, unb bann
unter benfelben gäßrlicßfeitert juritef 311 miiffen, baS ging nießt
an. ÄanoeS 31t einer ©eefaßrt mareu nießt ba, oueß feine
Säume, fofeße ßer^uftcHen. Sfucß an Sftaßrungämitteln mürbe
eS halb gefeßft ^aben , ba§ 3aßfreicß norßanbene SBifb fonnte
nießt als genügenber Grfaß für fofeße betraeßtet merben. 2er
Gntfcßfuß mar bafb gefaßt. Sftan befeßfoß naeß gbmiri 3uriicf--
3itmarfeßiren, bort ein gort an3u(egen, ba3 Soot unb bie ÜRacß-
3ügfer non Äifinga Songa unb non Ugarroma nacß3ußolen unb
bann mieber naeß bem ©ee 311 marfeßiren nnb mit bem Soote
naeß Gmin 3U fließen.
©ofort mürbe ber SRücfmarfcß angetreten. ?lut 16. 2e-
3etnber mar ba§ Sßfateau mieber erftiegen, am 7. Januar 1888
mar gbmiri mieber erreießt. Jie Gingebornen ßatten fiel) bie
berbe Seftioit 3U liefen genommen nnb bie Äaramane mürbe
roetiig befäftigt. £jier in ber SRäße ber »erfaffenen Jörfer 001t gbioiri
mürbe ein gort gebaut, b. ß. e$ mürbe ein tiefer ©raben ge3ogen,
ein Sßatüfabe^aun mit Geftßiirmen ßergeftellt, im gnnern ein SBafl«
gang angelegt unb Käufer mürben für bie Seute unb Sorrätße
gebaut. ®ann mürben bie umfiegenben Slecfer mit SDiaiS unb
Sanaiten befteflt. Jiefe Slnpffan3ungen gebießeit in maßrßaft
munberbarer ©cßneffe. ©taufet) taufte ba$ Säger gort Sobo.
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27
SlairS, tiad) Stilinga Üonga gefdjitft, brachte oou bort
ba$ SBoot unb Dr. ^arfe unb SRelfon juriitf. Sic waren uon
ben SDianjema trofc beS fchriftlichen Vertrags übel genug be
hanbelt worben. Von ben 38 ftranfen waren nodj 11 übrig.
Sie Uebrigen waren geftorben ober befertirt. Serfelbe Cffijier
ging fofort wieber jurücf nacf) UgarrowaS ÜZieberlaffung, unt
aud) Bon bort bie gurüdgebliebenen abjuljolen. Gine grei«
wifligenabtheiluitg Bon swan^ig 2J?ann mit ^Briefen an Söarttclot
begleitete ißn. 9(lS er Gnbe Slpril mit 16 Boit 56 3uriitf«
gelaffenen nad) gort $urüdfeljrte, war Stanlet), welcher
unter ber $eit einen ÜWonat franf gelegen ^atte, bereite wieber
nad) bem See abgewogen.
Sd)on am 2. §Ipril mar er mit Septp'on unb Dr. ifSarfc
wieber aufgebrodjeu. Ser immer noch fdjmadje 9ie(foit war
als SefehlSljaber im gort juriidgeblieben.
Ser jweitc HJJarfd) nad; bem See war, abgefeimt oon beit
^intcrliftigen iJSraftifen ber boshaften Zwerge, >^reu vergifteten
gußangeln unb Pfeilen, weniger gefäfjrlid) als bas erfte.
SWafatnboniS Uutertljanen jeigten firfj je&t freunblidjer gefinut.
ÜDian ^atte wo^l bie Unmöglichfeit beS SBiberftanbes ein«
gefe^en unb entjdjulbigte bie frühere geinbfeligfeit mit bem
übermütigen Srängen ber jungen üftannfdjaft, bie einen Ber«
nünftigen Vefdjluß oerinbert l)abe. SDiafamboni felbft fdjloß
unter groteSfen Zeremonien unb unenblidjen Verfluchungen
bes etwaigen Sreulofen Vlutbriiberfchaft mit Stanlet). Sie
SSilben fdjafften nun umfonft Sebensmittel her^e>/ brachten
iRinber, Riegen, §ül)ner in großer ÜRenge. Valb erhielt
Stanlet) auch Nachricht Bon Gmin $afd)a. Gr war im Saituar
ober Anfang gebruar „in einem großen ftanoe ganj auS
Gifen" nach Äatonfa gefommen. Sie Gingebornen machten
eine fjöchft ergöfeliche Schilberung baoon, nannten ißn 9Ralleju
(ben Sättigen) unb ben Sruber Stanlet)«, ben biefcr balb auf«
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28
finbeit roerbe.8 Salb barauf erfuhr er aud), baß „ÜJiatleju" bem
Häuptling töatonfa ein {cßmar^eS ißafet ^interlaffen ßabe, ba§
berfelbe ©tanleß, „feinem ©oßne", einßänbigen folle. tim näcßfteit
Jage feßon erhielt ©tanleß ben Srief. ©min ßatte auf ba8
©erüeßt (!) beä @rfdjeineu3 eilte« tSeißen am ©übenbe be&
©ceä 9lad)forfd)uugett mit einem J)ampfer angefteHt, aber Don
ben fureßtfamen ©ingeborenen nichts SeftimmteS erfahren fönnen.
©r bat ©tanleß ju bleiben, too er fei, er roerbe fid^ mit ißm
in Serbinbung feßen.
J)aS Soot tuurbe nun in ©ee gelaffen. 3epßfon fußt am
SBeftnfer ßinab bi« Sffua, ber füblidjften ©tatiou Don tlequatoria,
unb begrüßte bort jum erftenmale bie ägßptifcße Sefaßung.
Jie tlnfömmlinge rourbeit umarmt unb als Srüber bemiUfonimnet.
©inige Jage fpäter (29. Slpril) fant ber J)ampfer ftßebioe
bei Äaroalli in ©ießt. ©egen Slbenb begrüßten fieß ©min, ©afati
unb ©tanleß im üager aufs ßerjlicßfte. Öi3 jum 25. ÜJfai
blieb man jufammen unb — Derßanbelte. J)er erften ©nttäufeßung
©tanlepS, ber in ©min eine fräftige, große ©olbatengeftalt
erroartet ßatte unb fid) einem fleinen, fdjtnädjtigen ©eleßrten
gegenüber faß, gefeilte fuß halb bie jroeite, größere, ©min wollte
„feine Seute nießt öerlaffeit", fonbern bleiben. 3roar &ie Slegppter
in feinem £>eer, bie ägpptifcßen Seamten unb Sioiliften feßienen
feßr geneigt, mit ©tanleß ju jießen, bie »on ©min auSgebilbeten
fubanefifeßen ©olbateu bagegen oerfpürten feine Suft, ißr beßag*
ließet Jsafein mit bem ©olbatenbienft in tlegppten ju oertaufeßen.
Unb ©min erflärte ein über baS anbere 3Jial „roo meine Seute
bleiben, bleibe idß aueß". ©afati fdjloß fieß ,ißm an. ©in Söefeßl
oom Äßebioe, jurütfjufeßren, mar für ©min nießt ba, fo oft
aueß ©tanlep oon ber folbatifeßen Serpflicßtung be3 ißafcßa, naeß
tlegppten jurücfyufeßren, fprießt. Jer Äßebiöe ßatte e$ ©min
iiberlaffen, ju ßanbeln, wie er wolle, ©ein Srief an biefen,
„ber Sefeßl", fdjtießt mit ben SBorten : „Sie ßabeit ooUftäubigc
HOO)
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29 _
ffreifjeit, enttucber nach ftairo objumarfc^iven ober mit bett
Offizieren unb aRannfcffaften bort ju bleiben. — ^Diejenigen
oon ben Offizieren unb 3ftatutfd)aften, welche ju bleiben nninfcfjen,
föntten bie« auf ifjre eigene 93erantmortung f)in tfiun, bürfen aber
in .gufunft feine £iilfe oon ber fRegieruttg erwarten. Sßerfuchen
fie ben 3uf)aft biefe« Sefefjtä (?) genau zu oerftef)n :c.
©tanlep faf), ba§ ©min entfdjloffen fei, zu bleiben,
machte er ihm folgenbe Slnerbietungen: 1) er fülle feine ißrooinz
bem Äongoftaate übergeben mtb felbft al« ©ouoerneur gegen
ein @e^a(t oon 1500 £ oertoalten. So nic^t, fofle er 2) mit
feinen ©olbateit ©tanlep nadj bem 9iorboftufer be« SSictoria,
SJUattfa begleiten unb in bie SDienfte ber ©nglifdjett Oftafrifanifdjen
©efeDfc^aft treten. ®en erften SBorfdjlag lernte ©min fofort
ab, weil bie Sebiitgung, bie Söerbinbung zwifdjen SRil unb ftongo
offen z« fjalten, unerfüllbar fei unb weil feine fßrooinz enttoeber
ägpptifd) ober ,,9liemanbe« fiattb" fein fofle. $er zweite ftfjieit
if)m „tl)unlich". (?) ©ornuf ber S8orfcf)Iag hinau«lief, erfannte
er rooljl halb, greilid) ntufjte erft Unioro unb Uganba unter-
worfen werben, wenn man oon Cften ^er fixere s3etbinbung
mit ber SRilprooinz ^erfteflen wollte, ©in fRefuftat ber $Ber«
hanblungen würbe nid)t erreicht, ©tanlet) gab ©min SBebenfjeit
bi« zu feiner fRüdfehr oon ber §luffucf)ung ber 9iad)l)ut.9
®enn bie« war jefct zunädjft feine Slufgabe. 3n welcher
Sage fidj ber ÜRajor befanb, fonnte SRiemanb wiffett. Sebenfall«
^atte bie ihm aufgetragene Unternehmung ben richtigen gortgang
nicht gehabt, ©onft ntufjte er Iängft, nach jejjt 11 SKonaten
feit Abgang ©tanlet)« oon Sambuga auf bem für ihn oorge*
Zeichneten, theilweife ooflftänbig gebahnten ©ege, am Gilbert
IRianfa angefommen fein, ©r muffte alfo gefudjt werben.
@« würbe an bie Gruppen ©min« auf ©unfd) biefe« ber
törief be« &h£bi°e U1,b £'ue ®otfd)aft oon ©tanlet) abgefanbt,
in ber fie mit bem |>inwei« auf bett „öefehl" be« $hebioe zunt
(401)
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©erfaffen ber Sfequatorprooinj aufgeforbert mürben. geppfon
bfteb bei ©min juriid, um meiter mit ipin ju oerpanbefn. ©eibe
joflteu ©ubc gufi bie ©efaßuttg oon gort ©obo ttacp Samaöi
geleiten. Sort foüte int feftett Säger auf Stanfep gcmartet
merbeit. ©i§ bapin mürbe fiep ber fßafcpa aud) entfliehen paben.
2(m 25. ÜJiai jog Stanfep oom See ab. gort ©obo fanb
er in blüpenbem ßuftanbe. gaft 10 Slder SanbeS maren unter
ftuftnr, eine ©rnte ÜDiaiS bereits cingebrac^t. SJtit 113 ©attfi*
bariten uub 99 oon @min§ Seuten, bie ade mit Sebensmittefn
aus beni gort auf fange 3e't 9ut öetforgt merbett fonnten,
machte er fid) am 16. gufi oon bort auf bcn 2Beg, junäcpft
nad) gpoto. Sifinga Souga machte tuegcn ber fcpfecpten öc«
panbfung feiner Scpitßliuge faule ©ntfdjufbigungen. Seiber mar
man ju fcproad), um iljn für feinen ©ertragSbrucp büßen ju (affen.
UgarromaS Station fanb Stanfep »erlaffen. Sie Araber maren
mit ißrem SIfenbeiuraube abgewogen. Sötan traf fie fpäter, eine
gfottifle oon 57 SanoeS, unterhalb auf bem gluffe. Sie litten
junger, ©on ben 20 ©oten StanfepS maren noch 17 bei ihnen.
Siefe maren auf ihrem ©orbringett ttad) SBeften fortroährenben
Sümpfen unb Ueberfällen burch bie ©ingebortten auSgefeßt ge*
mefen, 3 maren getobter, ein einziger unoermunbet, unb eS mar
faft SBunber ju neunen, baß fie rüdmärtS ffiehenb noch bie
ftaramane llgarromaS erreicht hatten.
5lni 17. Stnguft traf Stanfep bei ©anafja auf bie Srümtner
ber 9tad)hut. @r hatte biefeti ißfaß mit ber ©orput oon gambuga
aus in 16 Sagen erreicht. Sie 'Jiadjput hatte 43 Sage gebraucht,
gn ber gangen 3roi)<pengeit patte fie baS Säger oon gambuga
nicht oerCaffen. Sort maren über bie Raffte ber Seute an Sxanf*
peit, meld)e fie fid) theifmeife burd) ben ©enuß roßen ÜDianiofS
gugegogen patten, geftorben. ©arttefot mar tobt, erfcpoffen ooti
einem Sffaoen Sippu SibS, ber ipit troß feiner Serfprechungen
oon Srägern im Stid) gelaffen unb fo fange bingepaften patte.
(•102)
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31
Sott bett übrigen Offizieren mar nur nod) Sonnt) oorßaubcn,
3amefon mar, mie fid) nad)l)er fjerauSftetlte, auf einer Dieife beu
Jluß abroärtS geftorben, SBarb in Sangala, Jrottp nad) Suropa
franf zuriitfgefefjrt. Sott beit 257 Seuten tuaren nod) 71 übrig
unb biefe in traurigem 3uftai,öc, mäljrenb Stanleps Seule tro§
ber ttielen ertragenen Strapazen fräftig unb gefuttb auSfafjett.
®ie ®efd)id)te ber fßadjljut ift eine lange, traurige, ttod)
fefjr ber Slufflärung bebiirftige (Spifobe itt biefer Sjrpebition.
Bern Stanlet) bie Scßulb an bem Untergang fo oicler 3Renfd)en
jumigt, barüber fpricf)t er fid) itidjt flar ans. 33ielleid)t Ware
eS beffer, er t)äüe bieS getljan. 9tad) SarttelotS, SnmefottS,
SonntjS Scridjteit tuar baS Ungliicf burd) Jippu 2ibS galfdjfjeit
unb 3krfd)lagenf)eit unb baburd) fyerbeigefüfjrt, baß Sarttelot
fid) meber mit feinen Offizieren nod) mit beit Seuten rid)tig zu
fteüen gemußt ßatte. ®er SD?angel an „Saugmutl)" ßatte if)m
ben Job bereitet.10
iRod) einmal mußte matt ben «crberbficßett SBalb burd)«
fcßrciten, unb faft Jjätte er Stanlet) uitb feiner ganzen Scgleitung
nod) baS Seben gefoftet. 2)ie SBaren unb firanfen mürben zu*
näd)ft auf einer großen $lnzal)l gefantmclter StauoeS itt bequemerer
Skije als früher beförbert. 9?ttr mad)teit bie (Singebornen,
roeldje, in ben Stampfen mit ben ÜHanjemaS UgarromaS oft
fiegreid), ißre eigene Stiirfe erft eittbedt Ratten, öftere Eingriffe
unb fügten ber (Sjpebition erf)eblidje öerlufte bei.
3Jief)rere $agemärfd)e oberhalb Ugarroma «erließ Stanlet)
bett 0r(uß, uw mit lXmgef»uitg ber SBiifte auf bem Sübufer in
birefter Sinie auf bem 9iorbufer, natürlid) ebenfalls bttrd) ben
SBalb, auf 3bmiri zu marfdjiren. Üftan traf auf jatjlreid^e
Wieberlaffungen ber 3njerf:le- SRtdjt weniger als 150 $örfer
ber munberbaren SRaffe fal) man ttom Stepofo bis 3bmiri. Seiber
brachen unter StatilegS 9Rannfd)aften bie fßodett aus. Sou
ßminS fDlabi-Seuten unb ben oon Sanalja als Präger ntitge»
(403J
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»ommeneu üflanjema ftarb ein großer $ßeil, mäßrenb oon ben ©an-
fibarleuten infolge ber 3mpfung, welche fie fid) an Sorb ber ü)ia«
bnra mit großem Söiberftreben Ratten gefallen laffen müffeit, ein
einziger ber fßeft erlag.
©alb ftieß man auf einen rechten Nebenfluß beß Sßuru,
ben 25ui, meld)er fid) mit jenem in ben 3turi ergießt. $Da er
311m Ueberfcßreiten ju tief unb breit mar, folgte man feinem
Saufe meit nad) korben. Grnblicß mürbe er, immer nocß 180 #uß
breit, auf einer mit großer Äunftfertigfeit ßergeftellteu ©rücfe
iiberfcßritten. 25a bie gefangenen 3roeri}e immer meiter nacß 91orb>
oft führten, ©tanleß aber fcßoit burd) ben Üftarfcß ben aui’
miirtß oon ber nötigen füböftlicßen SRicßtung abgefommen mar,
ließ er fie fcßließlicß laufen uttb folgte bett SBilbfpuren füböftltd).
?lber jcßott nad) mettigen ©lärfcßen mar er gejmitngen, mitten
im ungeheuren SBalbe §alt $u madjen, um iiacß Sebenßmitteln
außjufenben. 150 SDiamt mit ©emeßren mürben nach einer
ca. 15 SDieileu juriidlicgenben Üiieberlaffung gefanbt. Ülber faft
eine Söocße üerging, fie famett nicßt roieber. 2)ie .ßurücfgebliebeneit
gerieten in bie größte 9?otß. 2)ie Sebenßmittel mären gan$
aufgejeßrt biß auf bie für eine fo große Slujaßl geringen ^rooiaut-
oorrcitße ber Offiziere, rnelcße oon ©analja mitgebracßt maren.
©djließlid) erßielt Seber täglid) eine Jaffe SDießlfitppe. 2sie Seute
fingen au jüngere $u fterbeu. 91ad) 6 Xageu macßtc fid) Staulep
felbft mit ber größeren ©leßrjaßl auf, um bie gouragirer ju
fud)en. 9lur bie firanfen unb 10 SJiann ©ebeefung blieben mit
©omtp im Säger. Salb fanb man bie ©öfemießter. Sie mar-
fdjirten gemäc^lid), möglidjft langfant, mußten fieß jeßt natürlich
in 25rab feßen unb famen gerabe nocß gur reeßten $eit, um bie
nocß Uebrigen ju retten. 21 maren uttterbeß geftorben. Stanlep,
beffen ©cßilberung ber 9iotß gerabeju ergreifenb ift, meint, er
fei auf allen feinen Steifen bem abfoluteit ©erßungern nie näßer
gemefett.
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33
Stadlern audj noch bcr 3ljuru überfchritteti roar, erreidjte
man am 20. 25ejember (1888) baS roeftliche ©nbe ber ?In-
Pflanzungen beS gort ©obo. Sleue Ueberrafchung ! @S mar
nicht leer, roie man ermattet fjatte. Sieutenant ©tairS befatib
fid) mit ber ©arnifon unb Slelfon nod) bort unb tjatte in ben
fieben SJlonaten Don ©tanlepS Sibroefenheit nichts oon ©min
unb 3ephfon gehört. ©S mar unerflärtidj. Slach für^efter Slaft
mürbe roeiter marfd)irt. 9lm 9. Januar 1889 marb ber 3tnri
paffirt, baS ©raSlanb erreicht, baS auf Dr. ©onnp unb bie oon
©analja Uebrigen, bie ja nod) länger als bie Stnberen im SSalbc
jugebrac^t Ratten, ben entfpredjenben ©inbrucf ju machen nicht
»erfefjlte. ©ei föanbelore in SllafamboniS Sanb blieb ©tairS
juriicf mit bem größten Sbtil ber 2eute. ©tanletj eilte, nichts
®ute8 aljnenb, junt @ee. UnterroegS traf man auf ©oten Don
Samafli. ©ie brachten ©riefe Don ©min unb Sepljfon mit ben
iiberrafc^enbften Slachrichtcn. ©alb nach ©tanlepS ?lbmarfd) mar
in ©minS ißroninj burd) einen Offijier unb einen ©eamten baS
©eriicfjt Derbreitet morben, ©tanletj fei ein Slbenteurer, Don
Slcgppten gar nid)t gefommen. 2)ie angeblichen ©riefe Dom
ftljebiüe feien gefälfdjt. @S fei unmaf)r, bah ®hartum gefallen
fei. ©min unb ©tanletj Ratten ein Komplott gemacht, ©ie
rooUten bie fflefafcung aus ber ißroDinj herau^oc*cn unb
als ©JlaDen ben ©ngtänbern überliefern (1). ®ie gofge biefer
Slusftreuung mar eine allgemeine SRebeflion unb bie ©efangen-
feßung ©minS unb 3epf))onS gemefen. ©leid) barauf aber maren
bie SJlaljbiften in bie ißrooinj eingebrodjen , hattcn Stebjaf er-
obert unb eS trojj eines Eingriffs Don ©minS ©olbaten gehalten.
©)a§ roeiter fiibliih gelegene lunbjuru hatten fie Dergeblich be-
ftürmt unb hotten bann um Unterftüßung Kämpfer nach Sfjartum
hinabgefdjicft. Sejjt muhte eS auch &em ©föbeften flar fein,
bah ©hortum gefallen fei. Silan hotte Sephfon unb ben ißafdja
freigelaffen, ohne ben 2efcteren inbeS mieber in feine ©teile
Sammlung. 91. &. V. 107 . 3 (-405>
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34
einjufe&ett. Sic fRebellett Ratten bie Cberhanb, waren aber
unter fid) unein«.11
9lm 6. gebruar traf 3epf)ion, am 17. Smin im Säger
auf bem ^lateau bei Sawalli ein, am nädjften Sage ©tair«
mit feiner JMoune »om Sluri. Sie Sjpebition war jefct tuieber
vereinigt unb bi« auf Smin alle« bereit jum äRarftfi nach ber
Siifte. Siefer fd)ien noch immer unentfdjloffen. Sr wollte feine
Seute nidjt »erlaffett, bie ißroöinj nicht aufgeben. Sine Seputation
feiner Offiziere begleitete ihn. ©ie erflärten mit abjiehen ju
wollen, wenn mau ihnen 3eit ließe, ihre Fan|iton unb uubere
Flüdjtlinge nachzufjolen. 600 berfelben begleiteten ben ^?afd)a
bereit«. S« würbe ihnen eine grift gewährt uttb fie fd)icften
Wbgefanbte ab, nicht um Flüchtlinge einjuholen, fonbern, wie
fid) halb hfrauäftedte, um weiter gegen ©tanlep ju fonfpiriren,
um ihn fd)liefjlidj überfallen, ber ©ewefjre unb ber SJhinition
berauben unb »erjagen $u föniten. ©o wenigften« glaubte
©tanletj, unb bie Serfdjwöruitgen, welche bie jurücfgebliebeiten
Offiziere im Säger anjujetteln »erfuchten, SBotfchaften ber in
bie ^ro»in$ 3urütfgefel)rten, welche gerabeju baju aufforberten,
ben 3J?arfch aufzuhalten, bamit 3ene ihre »erbrecherifchen kleine
au«führett fönnteit, beftätigten feine Slnfidjt augenfcheinlid).1*
Snblid) fd|ien auch ®tnin ber Ueberzeugung geworben zu fein,
bah e« ba« Söeftc für ihn fei, ©tanlep ju folgen, ba er wohl
einfah, bah e« wit feiner äJlacht in ber fßroöinz ganz »orbei
fei. Such je^t gehorchte er nur ber 91oth, fein $erz jog ihn mit
jener „»erberbeitbringenben FuScinirung, »eiche ba« ©ebiet be«
©uban auf faft olle Suropäer au«juüben fcheint", bie felbft
Fephfon, ben fonft fo flaren &opf, bem ©taiilep einmal »or*
wirft, er fei „Sminift" geworben, ergriffen ju h°ben fchien,
immer nod) ju feinen Seuten h<n-
$tm 10. Slpril, bem mit ben Offizieren be« ijkfcha«, bie
fich noch in ber Sßro»inz befanbeit, »erabrebeten Sage, brach
MOf.)
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35
mau auf, ca. 1500 SJtann ftarf , oon benett ungefähr 600
©ming ©ioilgefolge, SBeiber, fifinbcr, triefe Jienftboten, cirfa
250 Seute ©tanlepg, ber SFieft ber ©fpebition, bie Hnberen
einheimif<he Präger maren. $Bon feinen ©olbaten folgten @min
nur fe§r menige. @g mar eine munberbare, oft mehrere ©teilen
ftd) ausSbefjnenbe Kolonne, bie ©tanlet) ooti jejjt ab hinter ftd)
herfchleppte. 23oran er felbft mit 5 Offizieren, ©min Sßafcha,
©afati itnb ber rotten ägpptifchen gähne mit bem Halbmonb,
bann ein bunteg ©emijch aller ©tämme SlfrifaS unb Stationen
©uropag, ©ngfänber, Slmerilaner, Stalieiter, granzofen, Jeutfdje,
guben, ©rieten unb Jürfen, baß bie ©ingeborenen oor ©c^recf
fich faum faffen fonnten.13 SDieg toanbetnbe et^nofogifc^e SEabinet
oon fraglichen ©yiftenjen aber fcpfeppte ftd) mit allerlei Stram
unb ©erümpel, beffen SInblicf ©tanlepg Humor unb ©äße bei
bem Slufbriitgen auf bag ^ßlateau oon Samafli bereite erregt
hatte. „©tan fah," fagt er, „©chleiffteine, fupferne 3ehnßflßl,nei,J
fiodpöpfe, ungefähr 200 hölzerne Settfteflen, altertümliche grof.e
Äörbe, ähnlich galftaffg SBäfcheforb, alte ©aratogafoffer, paffenb
für reiche amerifanifche ©tütter, große ©dfiffgtiften , umfang*
reiche plumpe ©acflaften, Heine Sßie^tröge, Papageien, Jauben
u. f. ro. u. f. to.", aflerbingg ein Möglicher 3ug, befonberg roenn
man bebenft, mit toie ftolzen Hoffnungen man auggezogen mar,
mit melden ©tühen unb Jobeggefahren, mit melchem Ungeheuern
SBerluft an ©tenfefjenfeben bie« ©efultat erreicht mar. ©tan barf
©titleib mit ©tanlet) hflö«u, barf ihm oiele feiner galligen Se*
merlungen auch «ber ©min unb (Safati oerzeihen unb !ann mit bem
^Dichter fprechen: „@g tf)ut mir in ber ©eele meh’, baß ich bid) in
ber ©efeßfdjaft fef)’." ®ie alte 33orfteßung oott ber gronie beg
Schicffal« melbet fich- ©r Z°9 au$ mit ftoljen ©Sorten, „um
einen H^ben ju retten", ober eigentlich, um ein ©eich zu er*
obern, unb lehrt ^eint an ber ©pifje eineg ©ammelfuriumg
meltoerfchlagener ©jiftenzen unb alten ©erümpefg.
3* mot;
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36
Benige Sage nach bent Slbmarfdje fiel ©tanfep in fernere
Kranfheit, bie ihn 28 Sage ans Saget feffelte. SS war oielleicht
fein ©liid, baff in SEBabetai unter ben SRebellenoffijieren bie
gröfjte Unorbitung unb Unbotmäjjigfeit ^errfc^te. So War eS
ihnen unmöglich, ihre ©ernichtuugSpläne auSjuführen. Srohbem
fonfpirirten bie Seute im Säger immer nod) mit ihnen, forberten
fie anf. fo fcfjneQ als möglich su tommen, unb oerfprachen, ben
SDiarfch ber Sjpebition aufjuhalten. Sie ©efalfr mar grojj, fo
bafj Stanletj, als er einen ber SRäbelSführer überführt ^atte, ein
Stempel ftatuiren unb ihn, nachbem ihn ein Kriegsgericht jum
lobe oerurtfjeilt hatte, aufhängen taffen muffte. SaS half-
Ser äRarfch nach her Küfte 30g fich junächft weftlid)
ber ©alegga- (blauen) Serge ^in, ungefähr 40 äReileit toeftlich
00m See, burch reiches ©ebiet, bann hoch am SRanbe beS auf
ber meftlichen Seite ben See begleitenben fßlateauS, bis man
ju bcm tief unten liegenben Semlitiflufj h'nabftieg, welcher bem
See oon tiibweft juftromt. Sor fich, 5ur Sinfen, hatte man in
weiter gerne ben in Schnee ftrahlenben ©ipfel eines ©ebirgeS,
beS fRuwenjori, ben Stanlep jum erftenmale am 25. 9Rai 1888,
bei feinem erften 3ufammentreffen mit ©min erblicft hatte. 3«h
werbe unten noch auf hiefe intereffautc Sntbecfung jurüdfommen,
nachbem ich htrj ben Beg ber Sjpebition gezeigt habe, welcher
in ben ©riefen unb auch in bem Berl „3m bunfelften Sfrifa"
nur oberflächlich beljanbelt ift unb über ben aud) baS obener-
wähnte Sagebuch beS fßater 81. Sdjtjnfe wenig bringt, was nicht
fdjon oon früherher belannt wäre. Ser SDtarfch führte pnächft auf
bem rechten Ufer beS Scmlifi weiter, bei beffen Ueberfchreitung
man Kämpfe mit ben Banioro, ben Unterthauen Kabba fRegaS
oon Uttioro ju beftehen hatte. Sie werben oon ben Singeborneu
Barafura genannt unb hatten bie ganje ©egenb jwifchett bem
8Ubert SRianfa unb bem füblicher gelegenen See oon Ufongora
(Sllbert Sbwarb-See) rings um baS Siuwen^origebirge anneftirt.
(408)
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37
3f)re ©ertreibung machte bie oon ißnen oft beraubten ©ingeborenen
gu gtfunben Stanley unb oerfdjaffte if>m freien ©urcßgug burcß
b ag ©ebiet oon Stmamba, über bag h<>he ©lateau oon STnfori
big gum Ufinbfa (bem fübroeftlichen) Ufer beg ©ictoria Nianfa.
©ig bortfjin mürbe tpeilroeife unter großen SDiütjfalen marfcpirt;
fo mar im Semlifitßafe ttod) einmal ein an ben Abhängen
beg Nuroengori auggebepnter Urtoalb gu burdjfcßreiten, ber ben
Äongotoalb an Ueppigfeit ber Segeiation, aber auch an fumpfigem
©oben, f>iße unb fieberfdjmangerer Suft nod) übertraf. $ann
fam man auf bürre £ocpebenen, mo bie SBinbe für biefe ©reiten
ungewöhnlich fall meßten unb bag lieber, befonDerg nach einer
©ergiftung burcß fcßlecßteg SEBaffer, felbft bie ätteften ©eteranen,
©afati unb ben ©afcßa, auf bag empfinblicßfte quälte. Am Ufer
beg ©ictoria Nianfa oerroeilte man längere $eit in SWfalala,
ber SNiffion beg befannten, leiber oor furgein oerftorbeuen, oor*
trefflichen SNiffionarg fNacfap, unb genoß gum erftenmale mieber
europäische ©aftfreunbfchaft. ©on ba ging eg füblid) über Xabora,
gum Jßeil unter fortmäßrenben Singriffen ber ©ingeborenen, bann
iüböftlicß big gur bamaligen ©cengftation beg beutfchen Sefipeg,
SJluapua, too bie SReifenben burch beutfche Cffigiere begrüßt nnb
mit europäifcßen ©eniiffen oerforgt mürben, ©on hier aug er*
hielten mir bie erften Nachrichten über ©tanlep im Nooember
1889, itachbem 2 V* 3aßre nur bunfle ©erüchte, rneift traurigeg
3nßattg, gu ung gebrungen mareit. $)er Äongoroalb hatte alle
Nachrichten feftgehalten, bie ©erbinbungen unterbrochen. 3m
gangen brauchte bie ©jpebition oom Sllbert Nianfa 188, uom
©ictoria Nianfa 55 Jage big SNuapua. ©tanlep patte big
©agamopo im gangen einen Niarfch oon 9703 Kilometer ge»
macht. Slm 4. $egember mar ©agamopo erreicht. ®ag blaue
inbifche SNeer lag oor ben entgücften Äugen ber SBegemüben.
Nur menige ber im gebruar 1887 oon hier Abgefahrenen faßen
eg mieber. Auch ben ©afcßa ^ätte ja faft noch am @nbe ber
,409)
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38
Steife ber Job ereilt. Jajj er lebt, mufj un$ freuen, bajj er
in beutfdjen SMenfte fein ßiDilifationäwerf fortfefct, um fo mefjr.
Slm 6. J)ejember gingen ©tanlet) unb feine Cffijiere ju ©djiff
nad) Slegppten. Jie englifdje ©ntfa&‘@fpebition toar ju ©nbe.
SBir aber feeren nodj einmal in ba« innere jurücf. Jtei
fünfte waren e« befonber«, welche im Slnfang be« §eimweg«
ba« geograpljifdje 3ntereffe ber fadjDerftänbigen ©jpebition«*
mitglieber erregten. $er ©emlifi unb fein Sauf, refp. bie Ser*
binbung bc§ Sllbert*@ee« mit bem füblidjer gelegenen, oon
©tanlet) 1876 entbecften ©ee Don Ufongora, ben er jefct „ju
@l)ren be« erften englifrfjert ißrin^en, ber entfdjiebene« Sntereffe für
afrifanifc^e ©eograplfie geigt", Sllbert @bwarb ©ee nennt, biefer
©ee felbft, unb ba« „Siuwenjori", aud) Sugambowa, SlDirifa,
Sfrufa ober Siuroenbjura, b. I). „Siegenmat^er ober SBolfen*
fönig" genannte mächtige fdjneebebedte ©ebirge füböftlid) Dom
Sllbert-@ee, öftlid) Dom ©emlifi.
TDer ©emlifi, bei ben (Singeborneu aud) Äaffibi, ftrömt
in bem Jfjale jwifcf)en ben Saleggabergen (blauen Sergen) linf«
unb bem ©ebirge, ba« fid) an ba« ben Oftranb be« 2llbert«©ee-
bedeit« bilbenbe $od)plateau oon Unioro füblid) anfdfliejjt.
©r ift ein mächtiger ©trom Don 250 — 300 Juff ©reite unb einer
burdjfdwittlidjen Jiefe Don 9 ffrujj, ^er ’u Dielen SBinbungen
einen Staum Don 240 km burdjläuftt. Son ben Slbffängen
be« Stuwen^ori fließen iljm nid)t weniger al« 60 feljr anfeljn.
Iicf>e, reifjenbe glüffe *n lief eingefdjnittenen, burc^ ba« Don bem
©ebirge in früheren 3e'ten ^erabgeftürgte ©etöH gegrabenen
Setten ju. Seim ©iitflufj in ben Sllbert-©ee fefct er ungemein
Diel ®d)lamm ab, woburd) ber ©ee immer metjr nad) Sforben
f)in Derfleinert wirb, ©tanlet) beregnet, baff er Dor ca. 600
3af)ren fid) ungefähr 12—15 ÜJieilen weiter füblid} ausgebefjnt
tjabe. (?) 3m mittleren Saufe wirb ber gMi burdj bie loeft»
licfjen unb öftlidjen ©ebirge bi« anf wenig über 100 gufj eingeengt.
(410)
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3)aS 2anb fteigt plöfclid) nad) ©üben hin, entfprecßenb bem
immer ßößer ficß erßebenben öftlicßen Xßalranb. fJiur 75 Meilen
oom Sllbert-See entfernt liegt eS 200 Meter ßößer als bie
Jßalfohle am Sübenbe besfelben. $er obere See liegt 1008
Meter ßocß. 2)er Ißeil beS IßaleS, melier ber ©eroalt bcr
oom Sllbert • Slianfa ßerfomnienben Stürme auSgefeßt ift, hat
nur fümmerlüßen ^flanjen- unb SöaumtoucßS, ßauptfäcßlKh
biinne Slfajiemoälber, in ber Mitte feines SaufeS bagegen burcß-
fließt ber gluß bie Süoambcroälber, ein SBalbgebiet, toaS
Stanlep gerabep ein natürliches ÜreibßauS nennt. 2>ie öft»
liehen unb füblicßen Sßinbe finb burdj baS hohe, maffige ©e-
birge im Often unb bie SBinbungen beS SßaleS ooQftänbig ab-
gefperrt. SMe bem rings eingefchloffenen $ßale entfteigenben
heißen fünfte, bie burch bas 93orhanbenfein heißer Duellen
noch fodjenber gemacht locrben, oerbüßten fieß in ben obern
Üiegionen, wenn fie bie folteren fiuftfeßießten beS ©ebirgcS er-
reichen, unb ßöitgen als ftete SRrbeltoolfe über bem Jßale, fo
baß ber SRaucß beS SagerS toie ein Mantel über ben fiöpfen
ber Sieifenben ßängen blieb, ißnen bie klugen feßmer^en unb fie
ßalb erftiefen maeßte. 3« feinem Ißeile SlfrifaS, meint Stanleß,
finbet man einen folcßen lleberfluß an fiebenSmitteln, nießt ein-
mal in bem berounberungStoürbig reießen Uganba. 3eßu folcßer
Kolonnen roie bie feinige hätten lange geit im Ueberfluß fcßroelgen
fönnen. 2lüe $rücßte, befonberS Sananen unb ^arabieSfeigen be-
fiten ßier bie hoppelte ©röße, bie Sananenßaine reießen bis 2500
Meter an ben Slbßängen beS öftlicßen ©ebirgeS, beS fHuroenjori,
ßiuauf. 2lm Oberlauf beS gluffeS wirb baS Sanb rcieber
weniger frueßtbar unb geßt in eine bürre, $ulefct juni See gan$
allmäßlicß abfallenbc fällige ©raSfteppe über.
SBon fpeciett geograpßifcßem Sntereffe ift nun bie geft-
fteßung ber jtßatfacße, baß ber Semlifi aus bem oberen See
fommt. 2ßeilS bureß eigene unb bie Unterfucßungen bes
40
Seutenant ©tairg, tffeilg burd) augbrüdliche 58erfid)erung ber
©ingebornen würbe feftgefteöt, baß bet ©ernlifi ben oberen ®ee
üevläjjt, biefer a(fo bie Imuptquefle beg 9til bilbet. Ob bet
®ee aud) nad) bem fiongo hin refp. bem Soroa SBaffer abgiebt,
fonntc nicht feftgefteOt roerben. ©tanlep erflärt eg jebodj für
unroahrfd)einlich wegen bet auch im SBeften fid) fortfeßenben
bebeutenben |)öhen.
lieber ben ?llbert-@broarb»©ee fonnte ©tanlep wenig in
©rfahrung bringen. 2>ie ©ingeborenen gelten ihn für größer
alg ben 2llbert»©ee. 2Bafjrfcf)einlid) ift bieg aber nicht ber 3raH.
©tanlet) meint, baf) er ttid)t weiter alg 50 teilen füblich fid)
augbe^tte, alfo ungefähr halb fo grofj alg ber untere ©ce fei.
3a, ©tanlet) fpricfjt (in ben SSriefen) fogar bie ißermut^ung
aug, bafj man eg nicht mit einem, fonbent mit groei ober
mehreren untereinanber oerbunbenen ©een gu tfjun habe. 2Bag
feine ©rforfdjuttg ungemein erfdpoerte, mar ber Umftanb, baf}
er faft immer mit iRebel bebeeft unb fein Ueberblicf ju ge»
mimten mar. Ob if)n bie eilten beg^alb ben -,,©ee ber
35unfel£)eit" genannt haben? ?luch ber Sllbert-Sbroarb hat oor
nod) überfe^barer 3«t eine bebeutenb größere Slugbehnung ge*
habt. 3>ag fie^t man an ben weithin falpeterhaltigeu Uferebeneit,
an ber oiclfacf) eingebuchteten nörblicf)en Ätüftenlinie. Sitte
©rhühun8 beg ©eeg uni anberthalb SReter mürbe ben
©piegel 8 km weiter nach Slorben unb ©üben augbebnett,
15 IReter ©rhöbung feine« SBafferftanbe« mürben ihn big an
ben oben gefchilbertett SBalb oott Sltoamba oorfchieben. ©o
weit muß er fief) früher auggebehnt haben, ehe ber ©emlifi in
bag oom fRuwenjori herabftürjenbe @letfd)ergeröfl feinen tiefen
2Beg gebohrt hatte. @r ift eilt Problem ttott ^öc^ftem geog»
noftifd^en Sntereffe, mag hi« fich bietet, ©tanfepg eingehenbe
©rörterungen hierüber in feinem SReiferoerf (cf. II., 304 ff.)
roerben nicht oerfehlen, ju weiteren gorfchungett anjuregen.
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41
Sluch biefer ©ee wirb gefpeift uoit ben Äbfliiffen ber Stowen*
jori, bie öon beffen fübroeftlicfjcn uitb füblichen Slbhängen tjerob*
fommen. @r wäffert feinerfeitS wieber außer burcfj ben ©emlifi
in ben §llbert*©ee, burcf) ben Heineren ßatonga, welker feiner
Oftfüfte entftrömt, nad» bem SBictoria Stianfa ab.
SWerfwürbig finb bie au« Ueberbleibfeln be« jurücftretenben
©ee« entftanbenen ©aljfeeit, non benen ber öon JÜatiöe am
SRorbenbc ©alj in frpftaQinrfd) reiner 3r°rm liefert unb fiir
ganj Cftafrifa in ber Umgebung ber ©een ba« oiefumftrittene
natürliche ©a^werf barftellt.
$>ie intereffantefte ©ntbetfmtg aber, welche ©tanlet) auf
biefem $beile ber Steife gemacht hat> »ft ber Stuwenjori.
Si«ßer fannte man am ©übenbe bei 2flbert=@ee« ben Hbjif-Serg
(1760 SOteter). Sluf früheren SHeifen hatte ©tanlet) bie füböfttich
baoon gelegene Süiafinnonfpiße unter ca. 0° 37' nörbl. Sr.
unb 30° 30' öftl. ß. (4600 SDigter), ferner etwa« weiter fiib*
weftlich unb füblich ben ©orbon Sennet unb jiemlid) auf gleicher
£öbe mit ber äJtafinnonfpiße weiter füblidj ben Slrnolb ©bwin»
Serg feftgefteöt. SDiefc Serge bilben bie Sorpoften eine« mach*
tigen ©ebirge«, wa« au« bem Iha^ be« ©emfifi fteil auf»
fteigenb ba«felbe öom Sllbert Stianfa bi« jum Sllbert @bwarb-©ee
begleitet, nach ©üben ait .pöhc gunehmenb, bi« e« in bem
oom ©emlifi quer nach Often fich erftredenben Stowenjorigebirge
eine |whe öon 5800 SJieter erreicht. Söunberbar genug ift e«,
baß Weber Safer, noch ©effi ißafdja öom 8llbert*©ee au«
unb ÜJtofon Set) auf feiner Umfahrt biefe« ©ee« im Saljre 1877
noch ©tanlet)« ©fpebition in ben Sauren 1876, nod) ©min
Safcha unb ©afati früher unb 1888 biefe« fd)neebebedte, wollen*
burchragenbe Serghaupt gefehen höben. @« erflärt fid) ba« wohl
barau«, baß ber Serg ben größten Jhcü be« 3af)re« öon bichten
SSolfen öerfdjleiert ift. Sluf eine nähere Sefchreibung be«
©ebirge« fann ich mich h'er nicht einfaffen. ©tanlet) giebt in
«13;
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12
feinem ßteifewerf (II., 287 ff.) eine ausführliche SDarfteHung im
ganzen unb einzelnen, foroeit e$ möglich war, bie formen
unb Konturen be« ©ebirge« bei ber Steife um beu SCÖeft* unb
©iibfuß beöfelben feftjufteüen. ©ine Bon ©tair« uerfud)te
löefteigung ^atte nur ben ©rfolg, »on einer $öhe Bon cirfa
2500 SJteter einen ©inblid in bie großartige SRatur biefe« burdj
Butfanifcße Kräfte emporgeftiegeneit Sllpenlanbe« gewonnen ju
haben, ba« fein anbere« ift, af« ba$ SRottbgebirge ber alten
©eograpßen, 35jebei Kumr, ©mar ober ftammar ber arabifdjen
9ieifebefrf)rciber unb Kompilatoren. ©ine ausführliche 3ufammen*
fteduug im Steifewerf belehrt uns über bie oerfdjiebenen Sin-
ficfjten unb fartographifdjen ®arfteHungen biefeS fageuumwo-
benen Sßeitö oott Slfrita, beö CueHgebietS beS ÜRils, Bon beit
älteften beä Steter £omer unb ^erobot, ber hinter baS
SRonbgebirge bie „2ßt)gmäen" oerfeßt, bie Zwerge, welche ficf)
im Ireibfjauswalbe non Slwaraba noch ßcute finben, bi« ^um
SInfang unfreS Saßrfjnnbert« (a. a. £>. II., 266 ff.). Später ift
baS „SRonbgebirge" als „Sage" Bon ben Karten nerfdjwunben.
SRan fucßte eS allenfalls im Kilimanbßharo ober Kenia, unb
StetcrmannS äRittheilungen 1888, 34. 93b. ©. 177 erflären:
„$ie {Jabel Bon bem SRonbgebirge, baS man nad) ©O. gerücft
ßatte 2c., würbe burd) ben SRiffionar Sßafefielb (1870) enbgiiltig
jerftört." 3efct ift burcß ©tanfet; tnbgültig bewiefen, baß ber
arabifcße ©eograpb ©cßeabebbitt im 15. Sabrbnnbert bod) nicht fo
gan^ Unrecht hatte mit feiner 93ebauptung: „3m URonbgebirge
eutfpringt ber ägbptifcße Stil. 91 uS biefem fommen Biele {Jlüffe,
bie fidj in einen großen ©ee Bereinigen. 9luS biefem ©ee fommt
ber Stil, ber größte unb fdjönfte gluß ber Grbe." @S bleibt
unflar, ob ber „große ©ee" ber {übliche ober nörblicße Stianfa
ober ber Uferewe ift, roaS für baS SRonbgebirge aber wieber
gleichgültig erfcßeint, nacßbem ber 3nfamwenhang zweier ©een
burd) ben ©emlifi feftgefteüt ift, nacßbem aud) bie ©peifung
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bei Uferemefeel burdj $uflüffe »om jRuroengori »orläufig ben
Äatonga itadjgemiefen ift. 3m Butwenjori erbliden mir ben
Bater ber ©emäffer bei «Rill.
Diefe lederen geographifd)eu ©ntbedungen unb bie burcf)
biefelben entfteljenben Probleme, jufammengenommen mit ber
©ntbecfung ber ungeheuren Slttlbehnung unb bei jReichthuml
bei? Slongomalbel, ber nach ©tanlepl Berechnung bie gleiche
»on 832 000 Ouabratfilometer <= Spanien unb granfreidj)
bebetft, jufammengenommeit ferner mit ber grünblichen @r*
forfchuitg bei Arumimi unb bei roeftlich »om Albert*@ee bil
gum Albert ©broarb ficf) aulbehnenben ©ebietel, feiner eigen*
thümfidjeit Boben* unb Beoölferungloerhültniffe (cf. bef. ©tanlep
a. a. 0. II., 365 ff.) fiebern für immer ber englifchen ©min*
©jpebition einen unter ben epocfjemachenben gorfchungl*
reifen in Afrifa, benen bie SBiffenfd^aft Unenblidjel »erbanft.
greilid) ntufj man nicht ben einfeitigen äRafjftab früherer
feiten, t»o bie Bebeutung einer fDldjen «Reife nad) ber 3af)l
ber gurüdgelegten fiilonteter bemeffeu mürbe (obgleich 9700
Kilometer auch Jeine föleinigfeit finb) antegen. Die .geit jener
blenbenben Späten, ber Durchquerungen Afrifal auf gänzlich
unbefannten SEBegen nach »erfchiebenen ^Richtungen fcheint worüber,
fall! nicht bie neuerbingl irgeitbmo aufgetaucfjte, abenteuerliche
3bee einer Durchquerung »on fiiberia bil ©auafim gur Aul*
führung fommt. (?) Die Aufgabe unfrer $eit ift bie toeniger
ejtenfioe all intenfiwe Slfrifaf orfc^ung. Dabei »erbinbet fid)
überall bal miffenfchaftliche mit bem materiellen gntereffe aufl
engfte. «Rieht gum «Rad)theil bei einen ober anbern. ©erabe
burch bie intenfioe ©rforfdjung »erhältnifjmäjjig fleinerer ©ebiete
mirb eine 9Renge theill bem ©ebiete ber «Raturmiffenfchaften,
theill bem ber ©eiftelmiffenfchaften angehörigen Aufgaben an*
geregt, bie fonft am 2Sege liegen bleiben, ©eognofie unb
Botanif, Zoologie unb Anthropologie, ©thnologie unb ©prach*
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wiffenfdjaft, fie alle finben um fo mehr SlnfttüpfungSpunfte
unb Slrbeitsfelber, je weniger bie (ürntbetfung burd) ungemeffene
gerablinige 2luSbel)nung oberfläc^licf) au bem ®efel)enen oorüber»
gel)t, je mehr fie felbft fchon burd) genauere ^Beobachtung bei
fleineren $imenfionen ben Soben für weiteres ©tubium oor>
bereitet.
@o wenig man baljer mit ben eigentlichen 3Wec*en ber
©tanlepfdien fogenannten @min-@ntfah*(£jpebition auS irgenb
welken ©rünbeit fpmpathifiren mag, fo wenig aud) oietleicht
bie ©eftalt beS ^orfcherS felbft in feiner oft angelfäd)fifd>en
©rabf)eit ober anbern @igenfd)aften Söiattchen anmutfjen mag —
auch mein ©efühl ihm gegenüber ift ein auS aufrichtiger
SBewunberung unb nicht feltener SBerwunberung gemifchteS — ,
Born wiffenfchaftlichen, fpeciell oom geographischen ©tanbpunft
aus müffen wir ber uttenblichen ÜJiül)e unb toboerachtenben
Kühnheit beS großen Pioniers ber 2öiffettf<haft ungefchtnälerteS
Üob joHen. @r hat fich auch burch biefe $hat wohloerbient
gemacht um bie SBiffenfchaft.
S)ie beigegebene Karte hat felbftoerftänblich nur ben 3metf,
ben SBeg ju jeigen, unb macht feinerlei ?lnfprud) auf ©enauigfeit.
ÜJteuerbingS finb fo oiel gute Karten oon Slfrifa, ich nenne nur
3r- .£>anbtfe (fJlemmingS Verlag £Rr. 38), 5R. Sübbede (©otlja,
SßertheS) erfchieiten, baß 3eber, wer will, fich genauer inftruiren
fann. ,§luf ber bei $ßertf)eS erfdjienetien „©elegenheitSfarte"
9ir. 2 (1889) „@min Sßafc^a unb ©tanlep" tc. oon 9i fiübbede
finb einige SBerfefjen. Kilinga 2onga (3poto) liegt auf bem
rechten Sturiufer. $)ie ©jpebition umfdjritt ben SRuwenjori
weftlid), nicht öftlid).
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Grenze ä. h'ont/os/aa /es
Uabotie
Wadelpi
Junker^B
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BASOKO
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Shit Mt* Ti ft ff u lib.s
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35’ 4 Oc
f=^~l
Reiseroute Sfanley's
von Jambuga bis Bagamoyo.
— • — Stanley s Reiseroute
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^ttmerfuitßen.
1 Keutfd) oon £>. 0. SSobefer, Seipzig, 3- 91. BrodhauO, 18f«0.
8 ,3m bunfclften 9lfrifa, 9luffud)ung , Siettung unb DiAdjug ©min
Bafchaä", beutid) t>on $. o. SBobefer, öeipjig, 3 91. Brodhaust, 1890.
8 9lud) 9lug. ©chhiife, Blit ©tanlet) unb ©min Bafd)a burd)
Keutfd) Dft«9lfrifa (Söln 1890 bet 3- S. Bachem) ift benu$t.
* 3m ganzen mürben cirfa 33 250 £ gezeichnet. Kie englifche Sie*
gierung hielt offiziell fid) aus erfiditlicheit ©rünben ber Sache fern.
5 Somchl 6min als auch SBifjmann haben mit ihren fubanefifchen
©olbaten anbere 6rfabrungen gemacht.
* ffiianfa bebeutet jo Biet roie großem SBaffer. ©0 wirb nicht auf
Seen allein angetnenbet.
7 9lu$ einem Briefe ©mittS an Dr. 0felfiit Born fRoBember 1887 geht
herBor, bafj 6min Seute auf Sunbfdjaft auügefchidt hotte. „6rtunrte ©tanlet)
ungefähr am 15. 2>ejetnber“ (1887), fchreibt er. ©tautet) taugte am 14. Ke«
Zember an $atte ©min bie Briefe Bon ©anfibar erhalten? ©S ift ba3
eine ber Bieten Unflarheiten, bie ber Äufflärmtg burch ©min fclbft tourten.
8 hieran anfnüpfenb, fügt ©tanteh folgenbeo a. a. D. L, 852: 34
hatte fdjon im 3ebruar 1887 oon ©anfibar Boten abgefchidt, um überall
bie fRadjridjt oon unferem Äommett ju oerbreiten unb bie ©ingeborenen
auf ba£ plöhlidje ^erattnohen oon Jrctttbcu au# bem unbefannten SBeften
oorjubereiteit. ftätte 6min fßajcha, ber uns am 15. Kezcmber (cf. o.) er«
»artete. fi<h nur bie 3Rüf)e gemacht, feine Kämpfer auf eine neunftüttbige
gahrt oon 3Rfua aus^ufenben, bann mären mir fidjer am 14. Kezentber
mit feinen Seuten jufammengetroffen, hätten fünftägige Sümpfe erfpart (?),
nicht Bier fflionatc 3crt Bertoren, unb ich wäre ant 15. ober gegen ben
16. 3Rärz innerhalb ber Baflifabcn oon 3ombttga gemefett, früh genug,
Barttelot oor bem Blörber, 3omefon oor bem töbttichen 3iebcranfatl, Xroup
tor ber Bothmenbigfeit , als 3noa(ibe nach itattfe gefanbt ju toerben,
38oob oor feiner BöHig miplofen SRiffiott nach San ißaolo be Soattba unb
Bonnh nor ber lieibenOjcit in Banalja ju beroahren. (Kas ift boch root)l
genug ber Borroürfe für ©mini ßr ift eben an altem fdjulb.) fRacf) I,
379 roaren ©tanlepS Briefe oon ©anfibar am 27. 3uli (87) abgegattgett,
am 11. September in SRfalala, am 1. tRooember in Uganba eingetroffen.
2tm 1. Kezentber hotte fie ©afati erholten, ber am 13. ftebruar 60n
Biuonga oertrieben mürbe. Bis bahin toaren bie Briefe nicht
roeiter beförbert gemefett, ©min hotte fic nid)t erhalten, ©ein Brief
an Dr. Oretfin mit ber Bezeichnung beS 15. KezemberS cf. o. ift nicht ju
erfiären. ^»öffentlich mirb 6min baS alles flar legen, ©r (attn es allein
unb mirb eS sine ira ac Studio tljurt-
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* (Dian fatin wohl anneljmen, baß ©min fo gut als ©tanlet) mußte,
maS er wollte, wenn es aud) nad) ©tanfepS Bericht ben Änfchein hat. a(S
habe er fid) ju nichts entfdjließen fönnen. Sein ©iberftanb gegen Stanley
«brieten, ber gewiß (eine triftigen ©rünbe batte, Weber ©igenfinn, nodj
Gßarafterfdjmäche war, madjen ben an ©iberfprüchen nicht gewöhnten,
energischen (Diann in feinen Briefen unb Berichten entfliehen ungeretht
gegen ©mitt. ©eine 9Icußerungeu über benfelbcit unb Gafati ftnb theil-
weife fleinlith unb härnifd). Sie englifchc intcreffirtc Äolonialprejfe hot
barauf weiter gebaut unb ©min gcrabeju herabjufe^en oerfudjt unb ge-
fchmäßt, maS ©tanlet) fidjer mißbilligen wirb, wie er fid) benn auch an
anberen ©teilen a. a. 0. über GminS 'fJerfon ftctS anerfennenb au8jprid)t.
cf. I., 414. 3<h tonn b'er nur bie einfachen Shatfadjcn erjählen, wie fie
©tanlet) giebt.
10 3<h lefe honte aus ber „Daily News“ doii ©alter Barttclot, bent
Bruber beS ©rmorbeten, IfäarfamentSmitgliebc ■. ©tanlet) giebt bor, in feinem
Buche „3m bunfelftcn Wfrifa" einen wahrheitsgetreuen Bericht über bie
Sage ber 9tod)hut unb bie Staßnahmen ber Cffijierc berfclben ju geben,
©obalb aber bie Sogcbiidjcr unb Bricffchaften SIHajor BartelottS unb ffir.
3atnefonS oeröffentlicf)t finb, wirb man fehen, baß ©tanletjS Bertljeibi-
gung(!) wegen feines Benehmens ber Kachhut gegenüber unjureichenb ift.
fltußerbem ift fie ungenau, irrcfüljrenb unb uncbel.
11 ©min Bafdja befaß jmei Bataillone regulärer Gruppen, im ganjen
1800 ®ian. welche über acht ©tationen Pon Kebjaf bis (Difua am Silben-
©ec oertljeitt waren, außerbem mehrere Saufenb 3rreguläre. SaS eifte,
nörblich fteßenbe Bataillon mar nie ganj jubcrläffig gewefen. ffieiügftenS
hatte Dr. 3unfer bieS behauptet. SaS jmeitc war treu erfdjienen. Such
nach ©tanleps Bericht waren es nur bie Offnere, welche meuterten. Ten
Gruppen hatte eS ©min unb 3eph)’on ilu oerbanfen. baß ihnen nichts gefd)ah-
©tanlep wirft ©min bor, baß er ißm aus ©tolj nichts oon bett mißlichen
militärifdjen Berhältniffen gefagt habe. Dr. 3un!erS obige SluSfage hatte
aber ©min, gefragt, als richtig beftätigt. freilich wäre eS ©tanlep er-
wünfeht gewefen, ©mitt in Befif) einer großen juoerläfftgen Stacht ju
ßtibcn. S>a8 war bie britte Gnttäujdjung. bie ihm begegnete. 3n Besug
auf bie Kettung beS (ßajdjaS mar jeboch woßt ber 3uftanb, fo ober io.
gleichgültig. ©arten mir weitere Slufflärungen ab.
” ffiaS ©afati, ber bor einigen Sagen nach 3talien jurüefgefehrt ifl,
über biefeit Slbjug auSgeiprochen , Hingt freilich anberS, oorläuftg iß eS
aber unberftänblicß.
cf. Batcr jj. SdjtjnfeS Sagebuch „fDlit ©min Bafcha unb ©tanlep
burch Cftafrifa" S. 33.
HW)
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Jrrli|san|Ult uni Prnikrrri J. (oornals ). #. fiid|trr) in Samknrg.
|uf Sd|nrrfd(ut|fii burd) Crönlanb.
SSon
|tanfcn*
Jatorifirlf Urbrrfrijiing.
3Kit übet 120 3 Hit ftrati oricn unb mehreren Karten. ~*WI
20 Lieferungen k 1 9Jiarf.
3?ie erfte Lieferung loirb Don jeber Sfludibnnbtmifl &ur 21nfi(f)t porgdegt.
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Slrrlegeonftolt uni SrnAtrri ä.>®. (oarmole J. f. jBirijtrr) in fjombart.
3n Sürje erfd)eint:
fEagni.
Vornan
t>on
Sßjörttftjertie £3 j ö r tt f o tt»
9lutorifierte Ueberfebung. 2 Vänbe. ©leg. gef). SDtf 9.—, eleg. geb- SDtf. 11.—.
Bon bicfrm übrraue intrrrlTnntfii Mrrkr fnnbrn imurtmlb
4 ttlodicit mehrere Anflagm ber ffiriginfli-Änsgabr Abfot}, brr
Kommt mirb and) oon bfiitfdifn £cfmi mit größter ^pannnng
uiti) onfmcrkfmnrr illifilnohmr griffen rorrbrn.
3« ben früheren 3a{)rgängcn bet „Sammlung" erfdjienen
iteber (deoejrapfyie.
(25 $fftf, rotnn auf einmal bfjogtn h 50 $f. = 12.50 Start.}
2lnbcrfon, Tie erfte ©ntbedung Bon Wmerifa. (SR. ft. 49/50) Ji. 1.2U
Saffian, SDtejifo. 2. Stuft. (62) -—.75
». Voguolatoofi, Tie Tieffee unb ihre SBoben- unb Temperatur-Ver-
bältniffe. SDtit einer Tiefenfarte bet Dceane bet ©rbe unb fed)S
Tiagrammcn im Tejrtc. (310/311) • 1.80
Vudihciffcr, ©ine tBif|eitfd|aftltd)c 8llpenreife im SBinter 1832. (97. fj. 4) « — .60
Vudiholn, 2anb unb Heute in ©eftafrifa. (257) • 1.—
(£ngel, Ta« Sinnen- unb Seelenleben b.9ftcnfcben unter b. Tropen. (204) • —.75
— , SRad)t unb SOtorgen unter ben Tropen. (240) ■ 1 .—
— , tfluf ber Sierra 'Iteoaba be SDteriba. (SR. 3-58) • — .80
». &od)ftetter, Ter Ural. (181) . 1.—
3>rban, Tic geographiftbeu SJtefultate ber oon ®. SHohlf« geführten
©jpebition in bie libqfdie SBüfte. SDtit einer ffarte. (218) • 1.20
Söglcr, Tirol af« ©cbirgblanb. Streiflichter auf Vergangenheit unb
©egentoart. (384) - — .«JO
Notier, Ueber bie ueueften ©ntbedungen in Slfrifa (69/70) • 1.20
SDicper, 91. V., Tie Stinapaffa auf ©elebe« (262) *—.60
9teuhauö, Tie §atpaii-3nfeln. (97.3-9) • 1 .—
9leumapr, $ur ©efdjicpte be? öftlithcn SDfittelmeerbcden«. (392) »—.60
Sabebcd, @ntroirfelung«gang ber ©rabmejjung« Arbeiten unb gegen-
wärtiger Stanb ber europ. ©rabmeffung. 91t it einer Ueberfid)t«-
Sarte Ber beutichen ©rabmeffung^-Slrbeitcn. (258) » 1.40
8. Seebad), ®entral-9lmerifa unb ber intcroceanifthe ©anal. SDtit
einer Starte oon ©entral-Sttmerifa. (183) . • 1 . —
Treutltin, Tic Turchquerungeu 8lfrifa«. SDtit einer Starte (433/434) « 2.—
©agner, Tie Vcränberungen ber Starte Bon ©uropa. (127) -—.60
©attenbad), Wlgier. 2. SSLbj. (35) • 1 —
8. Sittel, Ta« sßunbcrlaub am fjellotoftone. (468) - — .60
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Jujlus bau treu Btmiu'l
Sin Seitrag
jur ®cicf)irf)tc be3 nieberlänbifcfjcn ©djrifttfjuinS.
Sott
3>. Jörteft
in Bitn.
Hamburg.
SBedagSanftalt imb $)rucferei $.•©. (öornialS 3. SRicfjter).
1890.
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9ü'd)t ber Ucbcrfe^mig in freutbe Spradjcu luirb ppibcljalten.
®rud brr Stfrlnglanflnlt imb S'nttftrri 'Jlcticn OtofrUiduft
(DOrniaU 3. S- Widnrr) in Hamburg.
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I.
2)er bebeutenbfte 2>id)ter, meldjcn baS niebcrlänbifdje
Sd)rifttl)um aufjutuetfcit t)at, bcr »or^iglic^fte ißoet jener öpodje,
welche bie Jiieberiänber mit berechtigtem Stolze „3)ie golbene
$eit" nennen, 3uftn§ Dan bcn $$oubel* mürbe am 17. 9?o-
Dember 1587 in Ätölu am iRßein geboren. $8on feiner £>erfunft
ijt nur meuigeS befannt gemorben uttb biefcö betrifft aud) mefjr
feine Familie miitterlidjerfeitss alä jene »äterlid)erfeit$.
3n ben HWitteljafjren beä 16. Saljrljunberts madjte bie
Deformation in ben SRieberlanben immer größere go^fd)™16/
tro$ ber fatl)olifd)cn fpanifttyen ^>errfd)aft, ober wefleidjt gerabc
toegen biefer. ®att$ befonbcrS maren e$ jene eigenartigen, bcn
franjöfifdjen Chambres de Rhetorique nadjgebilbeten unb and)
ben beutfdjeit „äJieifterfdjulen" ciljnclnbcn „Deberijferä-jtamerö",
bie ber neuen Ccfjre jugetfyan maren unb fie ju förbern ftrebteu,
nicht acßteub ber Strenge, mit ber bie ^Regierung jebe biefer
Dcguugen $u umerbrücfcn fudjte. £er Uinftanb, baß bie $öe-
megung nicht öon oben ausging unb and) ber einheitlichen
Seitung entbehrte, mag ba3 Scftenmefen geforbert ljabcn, baS
* habe eS tuirgcjogcn, ftatt bc$ nicbcrläitbifcfjen Warnend 3ooft
3uitu3 ju fctjreiben, ba crftereö gleich betn beutfeben Soft nur eine Siürjung
liefe« Warnen« ift.
Srnmnlmtg. 9J. jj. V. 1CW. 1* C421)
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4
hier iit ber iippigfteit SBeifc gebieh- Sieben fiutherg §(n^ängertt
gab eg jene Kalöing, gminglig, Sßiebertäufer , furg: eine recfjt
ftattlic^e 3at)l Sefenntitiffe , beren Anhänger fpäter einanber
nic^t rninber bcfeljbeten als fie felbft in ben Jagen beS Jrangcg
befehbet unb »erfolgt nmrben, guntal bie religiöfen Parteien
auch politifdje Parteien bilbeten.
Sefoitberg für bie ^Reformation t^ätig waren bie Slittwerpener
SRebcrijferg, gu beren Häuptern ber taufgefinnte „fRfjetorifer" —
bag miß Jitter fagen — ißeter Kranen gehörte.
Jiefer würbe nun »on mohtmodenber ©eite »erftänbigt,
feine SBerhaftung fei befdßoffen, er floh ba^er mit feinen Kiitbertt
nach Köln, weicheg bamatg bie gaftlicfje 3uflud)tgftätte »ieler
©laubeitgflüchtlinge mar. ©eine ^oc^fd^ioangcre Frflu blieb
gurücf, fie mürbe eiitgeferfert unb gurn geuertob »erurtheilt.
3n biefer Sebrängnifj folgte fie bem SRatl) einer ÜDiitgefartgenen
unb erbot fid) um ben ißreig ihrer Freiheit fatfjolifd) gu werben
unb auch itjre öltefte Jodjter ©arah taufen gu (affen. Jag
Verbieten würbe angenommen, bag 2Räbd)en fant »on Köln
gurürf, beibe untergogen fid) bem ©laubengwechfel, unb bie @e*
fangene erhielt nun iljre Freiheit- ©ie eilte bann mit ihrem
Kinbe gum ©atten, unb ber gmanggbefehrung mürbe weiter nid)t
gebaut.
3m £>au[e ißeter Kraneng gu Köln »erfebrten gasreiche
Slntmerpeuer Flüchtlinge, barunter auch ein junger ©trumpfmirfer
nameug 3uftug »an ben ©oitbel, ber im Saufe ber geit
jene ©arah ^eirattjete. Stwa nach einjähriger @fje gebar fie
einen Knaben, ber wie fein SBater genannt würbe unb fpätcr
ber gefeiertefte JidRer |>odanbg war.
SSonbelg gamitie modjte woh( auch bem Srabantifchen
entflammen, weuigfteng beutet ber 9?ame barauf hin. Sonbcl
()ie& nämlich nach ber ÜRuubart beg ©übeng: ©teg, ißlanfe,
Währenb bieg im SRorbcn, im eigentlidjen podanb, mit SBlottber
(422)
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5
ober SBfunber auSgebrücft tourbe. UebrigenS mar ber ^Dichter,
bent Sroucbe feiner $eit gemäfj, nicht feljr genau in ber Schreibart
feinet SRamenS. Nahezu jioei 3a!)rzehut Unterzeichnete er feine
Söerfe mit Sooft oan SBonbelen ober mit bem Slnagram
beffen: Door een is’t nu voldaen (35urd) ©inen ift eS nun ooU>
bracht). Grft fpätcr fdjrieb er oan ben SBottbel, aber oft auch
iöonbelS unb attbereS.
Glänjenbe Jage fdbeinen eS nicht getoefen zu fein, bie ber
töater beS Richters in ber „heiligen Stabt am fRh£'n" »erlebte.
3m 3ahre 1600 befdjlojj er nach ber £eimath zurücfzufehreit
unb »erließ mit feiner gamilie Ätölu. ®o<h mar eS nicht fein
Geburtsort Slntmerpen, too er fich mieber nieberliefj, fonbern
Utrecht, bie Stabt, bie jum Gebiete beS befreiten SRorbenS
gehörte. 3>od; oerblieb er Iper faum ein 3ahr, fonbern über«
fiebclte nad) Slmfterbam, too er einen Meinen $anbel begann;
hierbei mujjte ihm SuftuS, bas ältefte feiner fünf Äinber, toerf*
thätig jur Seite ftchen.
@h£ mir beS Richters Sieben unb SEßirfen meiter oerfolgen,
fei eine furze 3)arfteHung beS uiebcrlänbijchen SchriftthumS jener
3eit gegeben.
üDiit bem Schminben beS ÜRiltelalterS fdjmanb aud) bie
Sebeutung beS nieberlänbifcheit SchriftthumS, baS früher fo
föftlidie griidjte 9eÄeitigt. $h£ilS lag bicS in ber $eit fclbft,
bie oon ben Greigniffen zu fef)r bemegt mar, als bafj fie einer
fünftlerifchen SluSgeftaltung bie nötige 9Jul)e ^iittc gemahren
fönnen; aber mehr noch mar eS ber Umftanb, bafj zufolge ber
burgunbifchen |>errfchaft Sitte unb Sprache beS Golfes immer
mehr unb mehr oermälfeht mürben.
SDie ermähnten fKeberijferSütamerS maren eS allein, too baS
heitnifche Schriftthum eine _3uflud)tSftättc fattb ; allerbittgS mürbe
hier ber ftunft mehr guter SBiüe als gäljigfeit entgegengebradjt.
(423)
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6
Sette Kammern bürften in bent ©üben ber ©ieberlattbc ben
llrfprung getjabt t)abeit; int 91orben mar bie erfte jette »on
äJiibbelburg, bie int Saf)re 1430 gegriinbet mürbe. gebe Sommer
batte ihr Oberhaupt, ba# ben STitef Saifer, Sönig, giirft ober
bergleidjen führte; über bie ©elbmittcl, ©eiträge ber SDtitgtieber,
mad)te ber „gi#fal>©üd)fcttmeifter", bie fdjriftlidjen Slttgelegett*
beiten beforgtc ber „gaftor", mährettb ber „9?arr" für mehr ober
mittber berbc ©päfje forgte. gebe Sommer führte and) ein
Stoppen ttttb ©innfprud). (Sie berüfjmtefte Sommer, bie Slinfter»
biintcr, meldjc im Sabre 1517 gegriinbet mürbe, batte ein Gl)riftu#*
bilb im SSappeti ttttb beit ©prud): „In liefde bloeyende“ (Sn
Siebe bliibenb).
Sie SDlitglieber hielten ihre ©erfammlungen ab in einem
geräumigen ©emache, ba# ibncit gemöljnlich öon ber ©tobt-
oermaltung foftenlo# pr ©erfiigung geftedt mttrbe. $icr trug
nun Sebcr feine poctifdjeit ©cböpfutigen t>or, jumeift ©pie*
lereictt, mie Sriolette, Settengebidjte, Sreb#bidjtungen, bie nämlich
oon oorite ober riidroärt# gelefett toerben fonnten, ©impletten,
Supletten, SRidcradeit u. f. tu., mie e# itt einer gereimten ©or*
fcbrift be# 9Jiatf)ia# Saftelchn, gaftor ber Sommer „Pax vohis-
cuin“ ju Otibettaarbe, beißt, eine ©orfcfjrift, beren ©eftimmungett
überall ©eltuitg faubett. (Sitten hoben ©ertb befaß bie „Sill*
bidjtuttg", eitt ©erfefpiel, rno jebe# SBort ber einen 3e^e niit
bem ber nädjften fid) reimte. Serartige Sättbeleien finben tuir
übrigen# faft itt jebettt ©djriftthume, tiamentlid) and) im Seutfdjen.
ÜJfehr al# mit bergleidjeit poetifdjeit Schöpfungen mirften bie
Sommern burd) ihre bramatifdjen ©orfteüungen auf bie ÜRettge;
e# maren bie# jumeift 9J?hfterienfpicle, too gute ttttb fdjledjte
Grigcnfdjaften, ©ünbett unb Sugenbcn öerförpert auftratett ttttb
mohlgemeinte ©prüdje in argen ©erfen boten. s21ud) berbe ©offen
mürben aufgeführt, furje ©eenen au# bem ©olf#leben unb jtoar
geroöhttlid) al# 9Iachftüde. 3ulüe^cn würbe auch ein allgemeiner
<424)
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7
bidjterifdjer SBettfampf — „Saiibjuniel" genannt- auSgejd)ricbcit.
hierbei tmtrben eine ^rad)t mtb ein ^?runf enttoicfelt, rneldje
ber ©djauluft bei- fötenge eine fijülle boten. $aS am 3. ?luguft
löt»l jit Sltitmcrpeu begonnene „Sanbjumel" übertraf tiad) ber
Sdjilberutig bcS trefflichen Ö5cfc^icf)töf(f)rciber^ Sondbloet adeS
frühere. £cr $ug burd) bie feftlid) gcfdjmüdte Stabt fühlte
nicht meniger als 1400 Weiter, 22 fßrunfroagen unb 190 ge-
fdimacfood »eruierte SBagen, in benen bei 300 Äammermitglieber
auS oerfebiebenett Stabten fallen.
Sehr begreiflich ift eS, bah biefe Atörpcrfdjaften, beren
Wiitglieber gröhtentl)eils beit beften Vürgerfrcifen angehörten,
einen groben (Sinflitjj auf baS Volt unb baS gefellfchaftliche
ijebeit auSiibten. Sie mürben baher oott ber fpaitifcheit .$errfd)aft
mit befonberem ÜRifjtvauen unb Ungnitft behaitbclt, 3uttin( fie,
mic fchon ermähnt mürbe, faft alle ber ftirchenrcformation ju>
geneigt mären. Vielleicht I)ätte aud) ber finftere 9llbn, ber feinen
Warnen in ben Wieberlanbcit burd) taufenb ©raufamteiten un>
oergehlid) gcmad)t, fomohl bie WeberijfcrS’StamerS, mie überhaupt
bie ganje SaitbcSfprache auSgerottet, meint er bei bem „Volt auS
Vutter" — mic er eS fpöttifd) nannte — nicht gröberen SBiber-
ftanb gefttnben hätte, als er je 31t öerntutfjen oermochte, Selbft
im fRathe 0011 Vrabant fatib er in ben 91bgeorbneteu 001t
Vriiffel unb Stntmerpen bie tapferfteu ©cgner feiner ^läne.
Seinen £)ah gegen bie Ataiitmcrn befunbet am beften ber Um-
ftanb, bah er, ber 1572 fo graufam beftraften Stabt dJiedjeln
ihre Wcdjte jurücfgebettb, bie ftammer hieroon auSnahm, fo bah
fie bis 311111 Vegimte befferer ‘läge gefchloffen bleiben muhte.
Senii3eid)ncnb für feine .fpanblungStueife ift and) eilt Vorfall,
ben ber @efd)id)tSfd)reibcr ipetcr bc3ongf)e mclbet: „31 in 16. SDiärs
1569 mürben in bem gait3cn Wicbcrlanbc alle Käufer unb ©e>
fd)äftslabeit ber Vuchbruder, Vitd)hönbfer unb Vudjbiuber auf
Vefehl bcS ,§cr3ogS 001t 91lba in früher fDiorgenftunbe gcfdtloffcn
<42.r>)
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8
unb 2Bad)en oor bie Sfjiiren gefteHt, bi« alle ©ücfter »on bcn
geiftlidjen Senforen unb bem 3Kagiftrate burcbfudjt würben,
©faftregetn, bie bei bem ©olfe groften Unminen gegen bie fpanifcfje
Snquifition fdjufeu. . .
©i«fter batte bie geij'tige 5ö*)run9 ber SWeberlanbe ber
©üben; biefer war e«, ber bem ©olfe feine bebeutenbften ftünftler
gab, feine Spraye war e«, welche al« ©c^riflfpradje $ur ©eltung
fam. Sie« würbe auber« bur<b bie Union oon Utrecht (1579)
unb burd) bie jwei Saftre fpäter erfolgte Unabbängigfeit«erflärung
aller fßrooinjen, nadjbem bie füllte SBaffentpat ber SBaffergeufen
bei ©riel bie greiljeit be« Sßorbcn« erfteben lieft, ©eine ÜMunbart,
ba« ^oHänbifcbc, gewann nun bie Obermad)t, bie e« bisfter and)
behalten, fo baft ba« ©lämifcbc al« ©d)riftfprad)e immer weniger
©eltung ftatte, bi« e« etiblid) in unferen lagen al« folcfje ganj
aufftorte ju fein.
Sem ©üben, glauberit unb ©rabant, bcn ^einiftätten
uralten gleifte« unb ©ewerbetbätigfeit, ftatte ber 9?orben beit
beftcn Sfteil feine« Söoftlftanbe« ju oerbanfett, ganj befottber«
war e« Slmfterbam, beffeit Söoplftanb burdj bie oielen fleißigen
unb oft aud) ocrmöglicbcn glüd)tlinge au« ben ©übprooinjen
gemeftrt würbe; unb biefe ©tabt war e« aud), oon ber au«
ba« nieberlänbifdje ©djrifttftum *u einer 9?eubliitbe erwacftfcu
foflte.
SU« ber @rfte in ber 3abl 3ener, welche ba« ocrfaUene
©djrifttljum $u erneuern ftrebteu, fann ‘ißftilip oon ©iarniy
gelten, ber Siebter be« ©olf«liebe«:
Wilhelmus van Nassauwen
llen ik van duytseken bloed,
Het Vaderland getrouwe
Blyf ik tot in den dordt. . . .
l£r ift and) ber ©erfaffer be« „©ijenforf ic.", jene« ©udje«,
ba« ^ifdjart, bie frudjtreidje ©ebe be« beutfdjeu ©djrifttftum«.
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9
bie ftet« am frembett (Stamme aufranfte, unter bem $itet
„Vienenforb be« tjeil. röm. Smmenfdjmarm« rc." fj«:au«gab.
SRarnij mürbe 1538 in Vriiffel geboren. 3um Süitgting
berangemaebfen, unternahm er tangere ©tubienreifen, mobei er
aud) eine geraume $eit ßalöin« ©djüter mar. 3n feine Vater*
ftabt jurüdgefebrt, betfjeiligte er fid) an einer Verbinbuttg gegen
bie fpanifd)e |>errfd)aft, flüchtete jebod), at« biesS entbeeft mürbe
utib ber Slutratf) ihn oerurtbeilte. @r nahm erft bei bem Kur*
fiirftcn non ber s4äfalj ®ienfte, bann bei bem Dränier, bem er
treu mit ^eber unb ©djmert biente. 3nt 3af)re 1584 mar er
Viirgermeifter be« belagerten Slntmerpen«, ba« er ohne §Iu«fid)t
auf ©ntfafe übergeben muffte. $iefc It)at mürbe non feinen
©egnertt ju feinem ©djaben au«gebeutet, fo baß er fid) oom
öffentlidjen 2ebcn gurürfjog, um ganj ber SBiffeufdfaft ju leben.
Sieben feinen Sfkofafcbriften, bie juerft ba« ©treben nad) ©prad)*
reinbeit befunbeten, oeröffenttidjte er auch gereimte Ueberfe^ungen
ber Sßfatmen, gefd)riebett „tbeit« in Verbannung, tbeit« im ©e*
fängnif? unter ge*ube«banb, tf>cÜS auch unter oieten anbereit
Kitmmerniffen". hierbei betunbete er, meint aud) fein große«
poetifdje« latent, aber immerbin boefj eine fräftige, geläuterte
©pradje.
Srmäbnung möge hier aud) Sünna Siju«, bie „brabantifdjc
©appbo", fiitben. ©ie lebte in ber erften Hälfte be« 16. Sabr*
bunbert« $u Süntroerpen unb mar bie Tochter eine« ©d)nlmeifter«.
Sbrer eigenen SRebe jufotge biirfte fie in ihrer 3ugetib einen rec£)t
loderen £eben«maubet geführt buben. $)ie SReue mag fie fpäter
oerantafet buben, 9?omte ju merben unb at« eifrige Äatbolifin
ba« 2ob ihre« fflefenntniffe« ju fingen, im ©egenfafje ju ihren
bicfjterifdjen ©euoffen ber Kammern, bie faft au«nabm«to« ber
'.Reformation jugeneigt maren. (Sin gemiffe« latent läfft ficb ihr
iüdjt abfpreeben, ba« ficb atterbing« mehr in ber Klarheit be« 2tu«*
bruefe« at« in poetifdjer Kraft unb ©pradbf^önbeit ju erfettnen giebt.
(427)
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10
$rei ©immer waren e£, Welche bie .fyauptftüfjcn ber
9(mfterbamcr Kammer „In liefde bloeyende“ bilbeten: Soorn*
£)ert, ©piegbcl unb Bonner.
3)irf SolfertSgoou gooritfjcrt wurbe 1522 in
91mfterbam geboren. fütafjooll in feinen Stnfcfjaunitgen, madjte
er fid) fowobl bie 5tntf)oIifen wie aud) bie ftarren Äaloiniften
ju geinben, fo bafi er wieberbolt fliid)ten nutzte unb crft 1578
in bie £>eimatf) guriidlebrte, um wiebcr mit beti fßräbüanten
in ©treit gu gerätsen, ber erft mit feinem 1590 erfolgten Xobe
ein (Snbc fanb. ©leid) ÜJiarniy war and) er bemüljt, bie ©pradie
gu reinigen, ©eine poetifcfjen ©djöpfungen fittb grüfjtentl)eil3
2el)rgebirf)te, benen ein Üinftlcrifdjer SBcrtt) faunt gugemeffen
werben lann.
.fpcinrid) 2auren§goott ©piegfyel (? — 1612) war ein
Kaufmann, beffen Sebeutung für baS nieberlänbifdjc ©djrifttfjuni
weniger in feinen and) ber 3ol)l nad) geringen ©djöpfungen liegt,
al§ in bem (Sifcr, mit bem er, vereint mit öoorutjert, in ber
erwähnten Kammer für ilraft unb Sieinljeit ber ©pradje eintrat.
3n feinen Heineren ®ebid)ten ift er nidjt feiten jenen Jänbeleien
wie Äreböbidjtungen :c. gugetljan, in feinem 2cl)rgebid)t „3>er
4?ergen3fpicgel" befunbet er oft eine ©ebruitgenbeit beS 9luS«
bruefs, welche bie ©rengen ber ©d)ön£)eit überfcfjreitet.
©ein greunb unb SerufSgenoffe Dioemcr Sßisfd)er
(1547 — 1620) war in ber Kammer in äbnlidjcr SBeife tf)ätig.
91ber nod) bebeutungSooller wurbe er burd) beit Umftanb, bafj
fein .fpauS bet ©ammelpunft aller hmftbcfliffenen ©eifter ber
4pauptftabt Ämfterbam würbe. 91IS £id)tcr pflegte er wie bie
meifteit ^oeteit feiner 3^1 »orgüglidj ba§ ©iitugebidjt, wobei
er faft immer ftlarljeit beS SBJortcS, SBerftiinbigfeit unb gumeilen
aud) gefunben .jpumor befunbete. ©owol)l ©piegbel wie 9$i3fd)er,
wie and) beffen gwei Xöd)ter 91una unb SJJaria Xcffclfd)abe,
bie gur Ännefjmlidjfeit bes 9?erfebrS im löaterljaufe nicf)t wenig
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beitrugen, waren fatljolifd) geblieben, waS im |>inblicf auf Soitbel
nicht überfliiffig gu erwähnen ift.
2>ieS tuaren bie 9Ränner, welche ber „golbenen $eit" ber
Stieberlanbe als Vorboten bienten, jener 3<üt, wo auf fünft»
lerifefjem ©ebiete SBonbel, ßats, .&ooft als dichter, SRem-
braitb, oatt Sijcf, .fjubred)t als SJtafer, Keiger, »an
Kämpen als 93ilbf)auer wirften, wo bie ffiiffenfdjaft glättgenbe
Staaten wie |uigo be ©root, .£>eittfiuS oufguroeifen fjatte
unb ©eeijclben wie SRupter unb Xrotttp ber flagge ^oflanbS
bie gröjjtc Sichtung gu oerfdjaffcit mußten.
3u beu Seften jener $eit jä^ft ^5 et er KorneliSgoon
£>ooft, ber 1581 in Slmfterbam geboren würbe; feine {yantilie
war eine ber angefetjenften bcS StanbeS. er gehörte jener
Kammer an, welche bie SSiege beS nieberlänbifd)en (SdjrifttfjumS
war; aud) er war ein häufiger ©aft im $aufc SioemerS. Sn
feinen SüitgliitgSjahrtn, in welchen er aud) ein 2’raucrfpiel
„Sld)ifleS unb ^ßolijena" uerfafjte, baS er felbft jeboch fpätcr
als unreif oerwarf, unternahm er eine längere Steife unb »er»
weilte huuptfächlid) in bem gelobten Uanbe ber Kunft, in Italien.
Stach breijähriger Slbwefenbeit wieber in bie §eimath guriid-
gefehrt, lieh er fic^ in Sepben nieber, wo er neben fleißigen
gerichtlichen unb StedjtSftubien auch ber ©id)tfunft feine 3e^
weihte; bie ffrucht beffen war neben gafjlreid)ett Heineren ©c»
bichten ein Xrauerfpiel „2:hcfclI§ uttb Slriabite". Snt Sabre
1607 fehrte er wieber nach Slmfterbam guriief unb nahm beit
Serfeljr mit ber Kammer unb StoemerS fjauS wieber auf, wo-
bei er mit $5onbeI befatint würbe. gwei Saljre fpäter würbe
er tton ber ^Regierung gum 2>roft üou SRuibett, ein recht an-
febnlidjeS Slmt, ernannt, ©ein ©djtofj rhet Muiderslot“ würbe
nun im ©ommer, gang bcfottbcrS nad) bem Xobe StoemerS,
ber ©ammelpunft aller tjernorragenben SJtäimer. ^pier »erfaßte
er feine Oranten „©craerbt oau Steigen", „Saeto", baS
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©chäferfpiel „©raniba", bal ßuftfpiel „SSarenar", eine lieber-
tragung ber „Slulularia" bei fßlautul unb eublidj aud) {eine
|>auptroerfe, ^iftorif^e Schriften, bie itjm ben Kamen einel
„nieberlättbifdjen Sacitu!" oerfdjaffteit.
Ser Sdjmerpunft feiner fdjriftftellerijdjeu ©ebeutung liegt
in ber fßrofa; Ijier ft^uf er beim mirflid) SJluftergiiltigel, ob-
gleid) ber ©orrnutf ber ©tilfünftelei, ber ihm oft gemadjt mürbe,
nicht unberechtigt ift. 3ierlid)feit ber Sprache — fie läßt überall
erfertnen, bah bie Italiener feine ©orbilber fittb — ift auch in
feinen ©ebidjten unb Schaufpielen uorhanben, bod) fehlt ihm
bort ber poetifdje Sdjmung, hier audj bie bramatifche ©eftaltungl-
gäbe, immerhin fantt ihm eine befonberl heroorragenbe Stelle
in jener geit, bie an bebeutenben SJiännern fo reich toar, nicht
abgefprochen merben ; bie ©puren feine« SBirlettl für bie nieber«
lättbifche Sprache fiub für alle feiten unoermifdjlich. Sr ftarb,
überhäuft mit Shren unb SBürbett, am 25. 9)iai 1647.
Käuntlid) unb auch geiftig getrennt ooit ber §lmfterbamer
Kammer unb beut |>ooftfd)en „Kluiber-Kreil" bichtete ber auch
all Staatsmann bebeutenbe Salob Satl (1577 — 1660) in
Sorbrccht. Obgleid) mehr all irgenb Sitter oon bem ©eifte
ber llaffifdjen ©ilbung burchbrungen, toar fein 333irfen hoch gatrj
oolflthiimlid), fo bafj er eine bil itt unfere Jage ^ineinrcidjenbe
©eliebtheit getuamt. Sßeber itt ©e$ug auf ©pradjfdpuheit noch
auf poetifdje Straft erreichte er feinen Kioaleu ©oubel. 2Ba!
ihn jeboch bem bergen bei ©olle! näher bradjte, toar, bah er
in beffen ©eifte fchrieb, baß er nidjt ntie ©onbel unb ber gange
jpooftifd;e Kreil eine unnatürliche unb beut ©olfe frembe ©er-
quitfung flaffifcher gorm — nid)t ©eiftel — uornahm. ?lm
beften fettngeichnct biel ber Umftaub, baß ©ottbell ©egabung
mohl bie höd)fte Slnerfettnuttg fanb, bah er ber gürft, ber König,
ber Sßring ber nieberlättbifdjen Sichtung genannt mürbe, mährenb
für Satl nur eine ©ejeid^nung galt: ©ater Satl. Sittige
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Semerfungen über gmei ^erfonen, berer bereits ermähnt mürbe,
biirften f)ier am rechten Orte fein. Sie betreffen bie Döchtcr
KoemerS, bie gleichfalls eine bic^terifc^c Dljätigfeit entfalteten unb
beren Sßirfen nicfjt ohne ©ittflujj mar, mie benn überhaupt baS
SBirfen ber grauen in feiner Sitteratur fo bebeutfam fich gezeigt
mie in ber nieberlänbifcheit.
Slnna SiSfcfjer mürbe 1584 geboren; fie mar bie ältefte
ber brei Döcbter ihres SBaterS. gtt ihrer Äinberjcit, faum gehn
3af)re alt, oerlor fie ihre Mutter, bie furg nach ber ©eburt
ihrer brilten Docfjter Marie ftarb, fie mar baber, faum ber
ftiitbbeit entmachfen, genöthigt, bie Seitung beS $aufeS, bie @r-
giehung ihrer ©efchmifter auf fich gu nehmen unb bie „meife
Slnna" — mie fie ooit Mett, bie ihr näher famcn, genannt
mürbe — erfüllte biefe Pflichten in bcfriebigenbfter SSeife.
3US Dichterin folgte fie, troj) beS fjerglichften SßerfeljrS, nicht ber
Kicfjtung fmoftS nnb 93ottbelS, fonbern ber oolfSthümlicheren
ßatS, mit bem fie bis gu ihrem 1650 erfolgten Dobe im frenttb*
fchaftlichen Söerfehr blieb. $hre jumeift fprnchartigen SOichtungeit
führen eine flare Sprache unb begeugeu bie ftlugfinnigfeit ihrer
Schöpferin.
Die unter Seitung ihrer Schmefter aufgemachfene Marie
Deffelfcfjabe mar um gehn galjre jünger als jene. Den gmeiten
tarnen nerbanft fie einem barocfeit (Jinfatl ihres ®aterS, beffcn
HattbelSfchiff mettige Monate »or ber Dochter ©eburt bei Deffel
fdjeiterte; biefeS SchabeitS gu gcbeufcu, gab er ihr bcn Kamen
Deffelfcfjabe.
Mehr als irgenb eine ermarb fich biefeS Mähren bie Siebe
unb Hochachtung Mer. £>ooft, ®onbef, HntjgenS — furg, alle
erlefenen ©eifter ihrer gfit, melche bie geber führten, gaben
biefe ©efüljle in Dichtungen funb.
gm Streife ber jungen ftünftlerf<f)nr, bie in ihres ffiater
HauS fich oerfammelt hatte, mar bas ebenfo fchöne mie geiftooHe
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3Jfäbd)eu ber SJHttelpuntt; unb als fpäter bie SBoIjnung |)ooft3
jum ©ammeiorte mürbe, mar eg aud) h*er 2Jfarie SEeffelfc^abe,
bie mit bem ©eifte ^olber SSeibtid)feit ben gefefligen Serfehr
belebte, ©ie fjeiratfjetc, faft brciffig Siapre alt, einen ©eeoffijier
namens San ßrombalg, nadjbem fie bie SSerbungen Sieler juriicf«
geroiefen. ©cpon nad) einigen Safjren ftarb if)r 3Jiatut unb aud)
bie ältefte i^rer jmei Södjter. Sie junge SJitme mar halb
roieber ooit einer @d)ar SBcrber umgeben, barunter aud) San
Saerle uttb ^upgenS. Ser erftere, ftafpar oait Saerle
(1584—1648), ift jener befannte ^umanift, ber aud) ben lati-
nifirten Samen SarlaeuS führte unb als ^Srofeffor an ber
$od)fd)ule ju Slntfterbam mirfte. Sie 3al)l feiner nieberläubifdjen
©ebid)te ift ebenfo gering, mie bereu poetifcper SSertl); gefd)äpter
fittb feine in jmei Säiibcu erfdjieneneu lateinifdjen ©cbid)te.
Stuf bie fdjriftftellerifdjen ©d)öpfungen jener $eit übte er, ber
intimfte greunb .^>ooft^, feinen geringen ©influfj, ba fein Urtl)eil
als baS entfcpeibenbe galt. Unb iljn trifft and) ber gröfjte S^eil
ber ©d)ulb, baß bie Sid)tung ben pfeubo > flaffifcpen 3rrpfab
einfdjlug.
©ertte patte £>ooft bie Serbinbung SeffelfdjabeS mit feinem
befteu g-reuitbe gefel)en, bod) all feine Semüpungen l;ierfiir maren
oergebenS. ©ünftiger geftimmt fdjeint bie junge SEBitme für
ftoftantin $upgcn8 (1596 — 1687) gemefett ju fein, bod) biefer
mar ein ftrenggläubiger unb glaubenSeifriger fßroteftant, ber
roieberpolt oergeblidje Serfudje machte, feine ^reuitbiit ju be>
feprcn. Ser @laubengunterfd)ieb modjte bie Serbinbung Seiber
Derpinbert paben. ^upgenS lebte fpäter in gliidlidjer @pe mit
©ufanna oau Saerle, ber ©d)mefter beS ©rmäpnteu; fie machte
ipn jum Sater breier ©öpite, bereit jüngfter Gpriftian ber be-
rühmte SSatpematifer unb Slftrouom mar (1629 — 1695).
Sadjbem ÜDinrie Seffelfcpabe ihre $reunbe $ooft unb San
Saerle fur$ nacpeinanber burd) ben Sob oerloren hatte, ftarb
11:12)
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i(jr aud) balb barauf ba§ eitrige Stiitb, ifere Xocfeter, bie fie fo
innig liebte, eilt SBerluft, ber fie fo fd)merjf)aft traf, bafe fie
ifett faum jtuei 3afjrc überlebte. Sie ftarb im 3uni 1049,
tief beflagt unb betrauert uon Sitten, bie fie fanuten. 2Jlerf-
umrbig bleibt ei, baß unter ben oieleu Ürauerücrfett, ju beiten
iljr Xob Slnlafe gab, fein einziger uon ©onbel fid) befinbet,
obgleid) er if)r in greunbjcfeaft bi$ ans @nbe jugetfjan mar unb
trojjbem er fonft faft gar fein freubigesi ober trauriges ßreignife
in feiner Sfälje unbefungen liefe.
3f)r SBertl) für bas> nicberläitbifcfee Sdjrifttfeum dufeerte
fid) mefjr burcf) ifereu perfönlicfeen Sinflufe als burd) ifere ©cbidjtc,
obgleid) aud) biefe eine mefer als mäfeige ^Begabung erfennen
laffett. SöefonberS ermeift bieS iljre 5)id)tung „©laria Diagbalena",
bie überall ben (Sinflufe ©onbelS jcigt, niäljrcub in ifjren Heineren
©ebicfjteu metjr jener Jpooft^, ber 3talienS ißoetcit itacf)ftrebte,
burd)fd)intmert. 3f)re Ueberfefeung oou Xaffoö „2)aS befreite
3erufalem" ift in ©erluft gerätsen.
2)ie $id)tungcit Äonftantin .fputjgenS, ber, nebenbei
bemerft, and) l)ol)e StaatSämtcr befleibete, fiitb jum grofeen
Ifeeile Sinngebicfetc , bie mit sJicd)t ju ben beften ber nieber-
länbifdjen fiitteratur getäfelt tuerbeu. Slufecrbem ueröffeutlicfete
er uod) fird)lid)e unb Sefergebicfjte. 3» feinem SluSbrucfe ift er
einfad) unb näfeert fid) nod) am meiften oon Sitten aus jenem
greife ber oolfstfeiiiitlidjen SBeifc (£ats. SBäfjrenb jebod) biefer
ju einfad), ja tjäufig fogar trioial ift, luäfjrenb biefer feine ©erfe
mit mel)r g-iiüioorten auöftattet als ber nad)fiditigfte ©eurtfjeiler
billigen fönntc, bcmüfetc fid) JputjgenS friiftig im VlnSbrucfe ju
fein, ettte 3Bortgebrungenl)eit ju bieten, lueldjc ifeitt fd)on bet
feinen ^eitgcnoffcit ben ©ortuutf ber Uitflarfeeit eintrug. Sind)
oertoeitbcte er auf bic Spradje meitiger Sorgfalt als £>ooft unb
©ottbel. 9tod) mären auS jenem Streife ju nennen ©erbraub
Slbrianfen ©reberoo (1585 — 1(321), ein begabter Sdjaufpieb
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bitfiter, ber jebod) fein $aleut weniger in feinen £rauerfpielen
natf) fpaiiifdjem SDiufter (,,9ioberid) unb Sllfoit?" — „®er
ftumme bitter" tc.) erwies al? in feinen natf) alt » itieber*
länbifdjer ?lrt gefdjriebenett ^Soffenfpielen. 9lud) er $äf)lte ju
ben abgewiefenen greiertt 2effcIfd)abeS, ber er trofcbem bis $u
feinem leiber gu frül) erfolgtem 2obe freuttbfdjaftlid) jugefeüt
btieb. $er SSerfe^r in 9ioeitterS §au? mar cS and), ber if)t\
oeranlafjte oott ber fDiaferei, ber er fid) jjuerft gemibmet, ab«
julaffen unb bid)terifd) 311 wirfen. Sr unb fein ©cttoffe Satnuci
Softer, ein Slrjt unb Sichter einiger Xrauerfpicfe („3pl)igenia" —
„3ti?" jc.) unb hoffen waren es autf), welcfje burd) Stiftung
ber Stfabemie (1617) ooit Sebeittung für bie nieberlänbiftfie
Sdjaufpielfuitft würben. .fjieroon fofl übrigen? fpäter nod) bie
SRebe fein. Sitblid) wäre f)ier nod) jn nennen .£jugobe©root,
ber berühmte 9iedjt?Iel)rer unb ®efd)id)tSfd)rciber, Staatsmann
unb $id)ter, nod) beffer befannt unter bem lateiuifdfen 9?amen
©rotiuS. (1583 — 1(545.) ?lutf) er ift jenem Streife gu^urec^uen,
ba er felbft in ben Sauren ber Verbannung au§ feiner ^eimatf)
im regen brieflidjett Verfef)r mit £»ooft, Vonbel, Jeffelfdjabe
unb Änberen blieb. UBeltfic $od)ad)tutig er jeberjeit ßier genoß,
beweifcn am beften bie jaljlreic^en .jpulbigungSgebidjte, in benen
and) faft überall ba§ billige Söortfpiel mit feinem 9iamett »or*
fommt. (groot == groß).
ßäßt fid) nicßt oiel jurn 2obe feiner lateinifdjen ©ebid)te
unb Srauerfpiele fagen, fo ift bie? faft nod) weniger möglid) bei
feinen nieberlänbifcfjen ©ebidjten, bie übrigen? aud) wenig an
ber 3af)l finb. Sein ^auptwerf ift l)ier „Vewei? be? wahren
©ottcSbienftc?", ein £efjrgebid)t, bem ineßr wiffenfdfaftlidjer als
poetifd)er SBertf) jugefprodjett werben fann.
2)iefe waren eS, mit betten Vonbel früher ober fpäter in
einen mef)r ober mittber intimen Verfeßr trat.
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n.
®er erfte poetifcße Sßerfud) SBottbelS, eilt redjt flägtidjer
^ocß^eitgreigen, ftammt aus bem 3aßre 1605; nicßt Diel beffer
ift fein jmei C?atjrc fpäter geschaffene« „jReujaßrälieb". Sine
größere Spur ^Talent« meift feßon ein furjeä ©ebießt auf, baS er
bem 1609 erfolgten jroölfjäßrigen SBaffenftißftanb jmifeßett £>oßanb
nnb Spanien tnibmete; rncßr noeß ift bie« ber goß bei einem
Srauerfatia, ber bem halb barauf ermorbeten Honig £>eiuridj IV.
non granfreid) galt.
3m gaßre 1610 ßeiratßete er äRarie, bie Sodjter bes
Kaufmann« §ait§ be Sßolff,* ber gleicßfaßs bem $rabantifcßen
entflammte unb beffen Soßn bie Scßmefb-r SonbelS jum SBeibe
naßm. fiurj nad) feiner §o(ßjeit ftarb fein Sater, unb SSonbel
übernahm nun gänjlicß beffen §anbel, ber freilich nur gering
mar, aber immerhin feinen SDlann näßrte. SBacfer ftanb ißm
ßier feine ©ßegeitoffin jur Seite, mag um fo nötiger mar, ba
ber ®icßter ju oft bergaß, baß er and) Strümpfe »erlaufen miiffe.
SSottbel mar halb naeß feiner Slnfitnft in Slmfterbam ÜJiit-
glieb ber „fReberijferS Hatner" geroorben unb jmar jener, melcße
„®ie ^abenbelblume" ßieß unb beren fDiitglieber faft nur
flämifeße glücßtlinge rcaren; jeboeß naeß furjer geit übertrat er
jnr ßoflänbifeßen Hammer unb fam ßierbureß mit ber gamilie
SRoemerg unb £>ooft in SBerfeßr. Sie erfannten fein Talent
unb munterten ißit in jeber Sßeife auf, gau$ befoitbcrS, naeßbem
fein erfteg 55rama (1612) „fßaffaß ober ßie ©rlöfung ber Hiuber
3frael au« Slegppten" erfeßien; er nannte e§ Trauer <£uftfpiel,
entfprecßenb bem franjöfifcßcn Tragicoinödie. @3 mürbe mit
großem öetfaße aufgenommen, ber nicht nur ber fCicßtung felbft,
* Slemerft fei, bau ba3 „bc" bei nicbcrlänbifdfen Flamen feineSroegS
ein 5lbe(^eid)en ift. fonbern ber fdjlidjte Slrtifet „ber".
Sammlung. 9i. 5. V. 108. 2 (435)
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fonbern ctudj bem Inhalte galt. Siefer bot nämlich einen 93er*
gleich mit ber ^Befreiung ber SRieberlanbe, ein ©ebante, bem
Vonbel in einem Schlufjgebichte beutlicf)en SluSbrud gab. Ser
3nl)alt biefeS ©djaufpielS — fofern eine fReilje langer Selbft»
gefprädje, furjer gwiegefprädje, umfangreicher Sieber unb ©hör*
gefätige hierfür gelten mag — fdjliefjt fidj jiemlich genau ber
©ibeler^nhlung an, öon ber ©otterfdjeinung im lohenben Sorn-
bufch bis jum Untergange beS pharaonifchen $ecreS. VotibelS
Sprache ift hier noch ziemlich roh mtb ungefüge, nicht beffer,
nicht fchlechter, als fie bie SReberijfcrS jener 3eit übten. Siefer
$icf)tung folgte ein „Sobgefang an SSilhelm VartienS",
einen befannten äRathematifer, beffen SRame im ^oHänbijchen
bermafjen jum „geflügelten Sßorte" würbe, wie in ber hoch’
beutjchen Schwefterfpradje ber feines SöerufSgenoffen Slbam SRiefe.
3n bemfelben Sahre würbe Vonbel ein Sohn geboren, ber
gleichfalls ben ÜRanten SuftuS (^oBänbifch Sooft) erhielt.
Zufolge Slufforberung beS Verlegers Sirf ißieterSaoou uer-
faüte Vonbel 1613 ben „©olbenen Saben für f unftliebenbe
iRieberlänber", eine SReihe furjer Spruchbichtungen $u oor=
hanbenen Silbern. SerartigeS war ju jener $eit fe^r üblich,
unb nicht nur Vonbel frf;uf einige folcher SBerfe, fonbern auch
3afob ©atS bitbete bie meiften feiner Sinnfpriiche in biefet
SBeife, er, ber fidj ftets in giinftigen Verljältniffen befanb unb
nicht wie Vonbel baS ©rträgnifj feine« Schaffens in Vetracfjt
nehmen mufjte. Sluf biefem ©ebiete übertrifft auch „®oter ©atS"
feinen Äunftgenoffen. #Sei ihm ift bie Sprache um uieleS oolfS-
thümli^er, bie poetifd^en Vergleiche weniger erzwungen unb
oolfSfremb. Saher mag eS wohl fommeit, ba§ biefe Sichtungen
VonbelS trojj beS VeifallS, ber ihnen geworben, nie jene
Verbreitung faubeit, wie bie beS behäbigen ©atS, für ben
ber -Titel eines „JUajfiferS bcS fßhilifterthumS" ber geeignetfte
wäre.
(J36)
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Sine Steife religiöfer ©ebidjte, bie ©ottbel in jener 3e<*
fchuf, haben fteHeitweife eine nterfwürbige Slehttlicfjfeit mit beiten
be§ fpäter lebettben beutfrfjen ®id)ter3 So^anneg ©chefler
(2lngelus ©ilefiuS, 1624 — 1677). Serfe, wie fie g. ©. in
Sonbel8 „Itodjgeitägefang gwifchen ©ott unb ber gläu-
bigen (Seele" üorfontmen, fönnten ebenfo gut bcn beutfdjen
9Rpftifer gum SBerfaffer ^aben, ber auf feinem bidjterifdjen ©fabe
trüber feinen SBillen gum Slttäbnid be3 reinften ©antf)ei8tnu3
gelangte, eine ©rfdjeinung , bie auch bei bem perfifdjen ®id)ter
9tumi ®fd)elallebbin (1207 — 1273) fic^tbar wirb. ©o wie
©chefler trat aud) ©ottbel fpäter gum SatholigiämuS über, unb
biefe ©leichart hier wie bort, wie nod) fpäter bei ben geiftig-
oerwanbten Häuptern ber beutfcheit romantifdjett $id)terfchule,
giebt ben SeroeiS, baff ei ihnen bod) ein feelifdjeä 93ebiirfni§
fein mochte, baff minbeftenS nicht jene felbftifcfjen ©riinbe, bie
iljnen öon ©egncrn gugefprochen würben, beftimmenb waren.
$>er Sßunber» unb §eiligenglaube, ber prunfoofle SRituä mufften
puf berartige ©emütljer nie! angiefjenber wirfett, al§ bie ©in-
fadjfjeit ber SReformationSlehre, bie bei ber in ^oDattb Jjerrfd^enben
falDiniftifdjen SRidpuug noch am nüchternften gum $u3brude
gelangte. §ier ba8 ftimmmigSDoHe gwielidjt be3 fat^otifd)en
5)onte§, bttrd} beffett buntbemalte genfter ber nur in
gebrochener Straft ben ®urd)lafj finbet, bort ber fahle ©au,
burd) beffett offene genfter baS ttofle 2id)t ungebämmt hinein*
fluthet unb bie ©hant£,ne felbft aug bem entfernteften SEÖittfelc^ett
oerjagt.
©om 3al)re 1613 — 1616 war ©onbelS ©cfjaffen nur fe^r
gering, tf)eil§ weil er, gur ©rfenntnifj feinet mangelhaften
SBiffettS gelangenb, eifrig ba8 ©tubium ber lateinifdjen uttb
frangöfifdjen ©pradje trieb (bie beutfche war ihm oott feiner
©eburtsftabt her nicht fremb), wieber, weil er jejjt nur
feiten in ber Summer erfrf)ieit uttb fomit beS anregettben ©erfc^rö
2* (437)
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entbehrte. @r unterlicp bieö nämlich, roeil er barnali ein Slmt
bei beit Saufgefinnten erftrebte, bereu puritanifch-ftrengeit Häuptern
bie tüeltfrofje bichterifdje Bereinigung ein ©reuet mar.
@rft 1016 veröffentlichte er rnieber eine größere Stiftung,
„Sie Säter", bie gleich ber nier Sa^re fpäter folgenben
Sichtung „Sie $errlid)feit Salomoi" eine freie lieber-
feßung öott Sßerfen bei franzöfifchen ißoeten be Satrai ift,
ben Bonbel fid) nun jum Borbilb genommen. 3ur felben $eit
»erfaßte er aud) ju oorfjanbenen Silbern ein „ga beibuch",
bai 135 g^cln, jumeift nad) Jlefop unb Slnberett, enthalt.
SBar an feinen SBerfen büßer ein ftcter gortfdjritt ju erfennen,
fo laßt hingegen bai leßte toieber einen fRüdfcßritt bemerfen;
ber §luibrucf ift minber gemailt, bie Sprache toeniger rein als
früher. Saifelbe gilt aud) oon ber gleichfalls ju Silbern ge-
raffenen ©ebicßtifammlung „Sie gelben ©ottci", Sd)ilbe-
rungen ber ©eftalten bei alten Seftamenti; hierbei benußte er
ßäufig ©ebicßte bei ermähnten Satrai, ber ju bem fogenannten
„litterarifcßen Siebengeftim" granfreicßi iäßtte, fo baß baS
©anje nicht gut ali Urrnerf gelten fantt. Seffer ift fcßoit fein
gleichzeitiger Sang „Sai jerftörte Serufalem", ber 32-
ftrophige „Saoibi Sobgefang Serufalemi" unb fein
„Sittengebicßt über bie ©itelfeit ber ÜRenfdjett". ©»
crgiebt fich eben, baß Bonbel, roie jcbcr echte Sichter, bie fßoefie
nicht „lommanbiren" fonnte, mie ber Sljeaterbircftor bei
fauftifdfeit Borfpieli meint, fonbern baß er bort, mo er gemiffer-
maßen nur auf Seftellung hin bicßtete, feinei Salentei nicht
mäcßtig mar.
Ser nadjfolgenbe „Sobgefang ber chriftlicßen SRitter",
ein SBerf ähnlich fettem „gelben ©ottei", mag nod) ali bai
gelungenfte SGBerl feinei bisherigen Schaffens betrachtet merben
©S hübet ben Uebergang ju einem neuen viel erfprießlidjeren
3eitabfd)nitt feiner ^hötigfeit, bie int 3aßre 1620 begann,
C438)
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itod)bcui er ooit einer mefjrmonatlidjen gefährlichen Siranfljeit
gencfen, meldjeS er mit einem fdjmungöollen ©ebidjte „®ebet"
feierte.
Um bie folgenbe ^^ätigfeit IBonbefS genau ju fhilbern,
märe beinahe nötfng, einige Kapitel Staats* unb üird^engcfc£)id)te
flu fchreibeit. Ser $anf ber Parteien, baS heftige gcgenfeitige
Öefehbcn ber Selten, bie anfangs nur bie uerfcfjiebene Scutung
roeniger SBorte trennte, nahm an Umfang immermehr $u,
jumal biefe ©egnerfdjaft auch jfur politifdjeit fid) auSmeitete.
ÜRiüeu im ßampfgetoüfjl ftanb auch 93onbel, ber ben Sßiber*
fächern gar manches bittere Spottgcbidjt anfheftete.
311S f)auptgegner ftanben einanber gegenüber fRemoit*
ftranten, auch nach ihrem Stifter Slrminiauer genannt, ©egtier
ber ifkäbeftinationSleljre, unb konträrem onftrantcn ober ©o=
marianer. ©rftere, ju beneit auch 33ottbe( jählte, marcti mehr
ober minber republifanifd) gefilmt, mäf)renb ledere jur Partei
beS ©eneral*Stattl)alterS SRorijs oon 9taffau (1567 — 1625)
gehörten.
Ser ffiifjrer ber SRemonftranten, ber ©egner beS £>aufeS
Orattien, mar ber ©rojVißenfionär 3anoau£Ibcnbarncuelbt
(1547 — 1619), ber nach mehrjährigem 'ißarteifampfe feinen
geinben unterlag unb auf bem Ölutgeriift cnbete. Slnbere feiner
Partei jogen fid) juriicf ober mürben, mie fpugo be ©root,
oerbannt.
97ad) feiner ©enefung lernte Söonbel ben greutib |>ooftS,
ben früheren ©cuernl-@ouoerneur OftinbienS Saure nj SReaöl
fenuen; ber ti$erfef)r mit biefem hochbegabten Anhänger beS
hiitgeridjtetcn ©ro^ißenfiouärS übte auf ben Sid)ter feinen ge*
ringen ©influjj aus. Seine folgeubcn poetifdjen Schöpfungen
marett zahlreiche fleinere ©ebidjte, oerfdjiebenen ‘ißerfonen
gercibtnet, fomie etliche religiöfe Sichtungen, oon benen baS
(4SU,
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„fiobgebicht ber ^eiligen Slgtte«" gattj befonber« erwähnt
fei, mittber ber bid)terifd)en SSoHeitbuitg wegen, al« be« Um-
ftanbe«, bafj $5onbel bereit« mehr al« anberthalb 3abrjebnte
nor feinem ©lnuben«med)fel bie SBerherrtidjung einer eminent
fatholifchen ©eftalt öornahnt.
Samal« würbe and) fälfchlid) ba« ©erficht laut, SBonbel
hätte an einer 93erfcf)Wörung ber ©ohne Olbenbarneoelbt« gegen
ben Statthalter ttjeilgenommen. ©enäljrt mochte jener SBerbadjt
burd) bie gahlreidjen ©ebidjte werben, bie er bem Slttgebenlen
be« Hingerichteten weif)te unb Welche bie heftigen Eingriffe auf
feine ©egner enthalten, ©rwäljnt fei hiertion ba« „©efpräd)
auf bem ©rabe öott weilanb Satt »an Olbenbarneoelbt";
Sonbel benu^te babei eine gorm, bie Dießeidjt frangöfifchen
Urfprunge« ift unb auch heute noch &e' fatirifchen ©ebichten
Serwenbuttg ju finben pflegt. ©« ift bie« nämlich jene, wo be«
Söerfe« Ie£te« ©ort ober ©ilbe bie gegebene grage al« @<ho
beantwortet, wie e« fpäter, wohl nach Sßonbcl« 93orbilb , Opiß
in feinem ©ebichte „®d)o unb ©ieberhaH" that.
9tod) fräftiger trat er, furj nach bem $obe be« ©tatt»
halter« SDforih oon 92affau, für ben hingerichteten Olbenbarnenelbt
in bie ©chranfen, inbern er fein aHegorifd)e« ©chaufpiel „ißala-
mebe« ober bie ermorbete Uttfdjulb" (1625) oeröffentlichte.
®er Snhalt ergäbt, bah ^alamebe« bei ben ©riedjen hoch in
Slnfehen ftanb unb ohne feinen SHath nicht« befchloffcn würbe.
3)ie« erwedte bie ©iferfucht Slgantemnon«, bie non ben Sßrieftern
nnb gang befonber« öon Saldja« genährt würbe unb enblid) gttr
©rmorbung be« $önig«fol)ne« führte.
3n S$onbel« Slbficht lag e« gar nicht, feine Singriffe gu
uerfcfjleiern , im ©egentfjeil, er gab biefelben möglidjft beutlich
gu erfennen, fo beutlich, baf) er felbft jette ©orte, bie ber greife
©rofc-ißenfionär bei feinem ©ttbe fprach, bem fterbenbeit ißala*
tnebc« in beit ÜJiunb legte.
(440)
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23
Ser ©rfolg biefer, minber gegen ben Statthalter alg gegen
beffen Umgebung gerichteten ©cßrift, bie auch ©teilen »on großer
poetifcßer ©cßönßeit aufmeift, mar ein gewaltiger; fie gäßlte in
wenigen Sauren bei breißig Auflagen, ©tolg pflegte Sonbel
»on jener ÖU ntandje feiner SSerfe mit P. V. K. gu geicßnen,
bag miß h^i§en : fßalamebeg »an beulen (Sollt).
Slnbererfeitg wieber mürben burd) biefe bramatifcße ©treit»
fcßrift gaßlreicße ©egenfcßriften ßeröorgerufen, ja noch mehr-
feine (Gegner festen burcß, baß gegen ißit bie ülttflage erhoben
mürbe. 3ßr ©entüßen, ißn oor beit fHicßterftußl im £>aag gu
bringen, wo eg ißm gmeifefloö feßr arg ergangen märe, mußten
jeboeß bie greunbe Sonbelg, ber fieß furge $eit auch »erborgen
hielt, gu »ereiteln; er !am »or bie fttmfterbamer ©cßöffettbanf,
bie ißn, um aud) ben ©cgnern einigermaßen gu genügen, gu einer
©elbbuße »on breißunbert ©ulbett »erurtheilte. SBie eg ßeißt, fotl
ihm biefer Setrag halb barauf raieber gurüdgegeben morbeit fein.
SRacß Seröffentlicßung einiger ©pigramme unb ©elegenßeitg«
gebießte erfdjien Sonbelg Ueberfeßuttg ber „$efuba" »ou
©eiteca, fomie eine längere $ßmne „Sie Srudfunft", SBcrfe,
benen nur ein feßr mäßigeg 2ob gegeben werben fann.
Sem ©tattßalter SDioriß »on fRaffau folgte griebrieß
fieinricß in ber äBürbe, beffen gemäßigtere Slnfcßauungen
befannt waren unb ben baßer bie unterlegene SRemonftranten-
Partei für fieß gu gewinnen ftrebte. Sonbcl bießtete gu feinem
©reig mehrere Sieber , baruntcr eine Umbicßtung beg beliebten
Sföarnijifcßen fßringenliebeg, beffen Segintt nun lautete:
Jgricbrid) Bon 'Jlaßau
Sin ic t), fjotlänbild) 33lut,
©etreu bem Statcrlanbc
®?it Sebcn, Scib unb ©nt.
9Iucß bie ©eburt »on beffen ©oßit begrüßte er (1620) mit
einem längeren ©ebießte „©eburtgtaggglocfe au äBilßelm
(411)
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oott 9? aff au". Sabei oergaft er nic^t ClbenbarncoelbtS, bcs
„SaterlanbeS Satcr", wie er ifjn nannte. Sine ftattlicfje $ahl
©tacfjelücrfe galten feinen politischen unb retigiöfen ©egttern,
hauptsächlich fei ^iernon erwähnt bie Satire „Stommel • s$ot",
was ungefähr mit „ftaftenmufif" iiberfeftt werben fönnte, unb
„®prüd)e beS fReiitecfe guchS". J)iefe richteten fid) gegen
ben Siirgermeifter jReiner fßaum, ber baS Urteil über
Clbeubarneüetbt fpracft unb beffeu ©ofjti Slbrian Sonbeis
iirgfter fjeinb mar. ©dfon bie SittgangSjeilen biefcr berben
Xidjtung geben einen Segriff beS ©anjeit:
9tun Ginä uom (ojcn 9tei:iecfe
©ejnngcn, baß hingt,
®em 'Jticfcrtc unb §einede
Gin fro^ SBitlfommen bringt-
Semerft fei, baß SRtcferle unb ^jeiuccfe Se$eichnungen für
Jeufelcheu finb.
Sineit gleichartigen berben ©pott meift auch fein „Sa nenn
SlatechiSmuS" auf; er beginnt:
®aucr: bid), unterricht mich (ein,
2Ba$ theo(ogi|che iyafultät mag fein.
Stubent; 3$ier Gfct biimmer noch «t$ bamm-
Unb in biefem Jone getjt eS fort.
Salb barauf erfeftien fein Jraucrfpiel „f?ippolt)tuS", bas
gleichfalls nur eine Uebertragung beS gleichnamigen non ©eneca
ift , ein „ßobgebidjt auf griebrid) Heinrich“ unb „J)er
h ^ i lt ft r o m" , worin er ben gluft, beffen äöellen feinen ©e-
burtSort befpiileit, in fchöneit unb tiefempfuitbenen Serfeit befang.
Son Sottbels üiebe für jene ©tabt fleugt Quch fein fpätereS
„® e b i dj t a n © n ft a o 91 b o I f , u m i f) n j u bewegen, b a ft
er ftöln, meine ©eburtsftabt, oerfchone".
SS würbe bereits erwähnt, baft auf Anregung SreberooS
bie Slfabemie gegriinbet würbe, ©ein früher Job lieft biefe
(«2)
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Angelegenheit eine 3e'^anfl ruhen, bi3 fte Softer thatfräftig
roieber aufnahm unb 311 einem befouberen Anfefjen brachte; er
nub 3>onbel maren nun bie ^äupter jener ^Bereinigung, bie ficf)
toon ber lKeberijfer3--Stamer nur infofern unterfdjieb , alst bort
ber pflege ber ©cfjaufpielfunft eine toeit größere Aufmerffamfeit
gemibmet mürbe. @8 hätte nidjt eine Stampfnatur mie jene
SSonbelS an ber ©piße biefcr ©efettfdjaft ftehen miiffeu, um
nicht auch bi£f£ tu beit Kampf ber Parteien 31t bringen. Salb
nachbem bie Afabentic itjre Xljätigfeit fräftig befunbete, etroa 1630,
erfchien ihrerseits ein ©pottgebidjt in gönn einer Preisfrage,
tiefes ©ebidjt, ba§ Pottbef 3ugefdjrieben mürbe — mohl nicht
mit Unrecht — , brachte gar Diele ©egengebichte tjeroor, barunter
auch cmc® 0011 3afob SatS, ber übrigens nicht pcrfönlich am
gegriffen mürbe, hierauf blieb ihm SBonbel bie Antmort nicht
idjulbig, unb Sat§ befam fo machet ftadjelige Sßort ju hören.
Xa§ mar bie einjige perfönlidje 93ejiehung, bie je jmijcheit
^jotlanbS größten Poeten beftanb, obgleid) iöeibc gemeinfd^aft»
liehe greuitbe hatten.
®er Umftanb, bah Gats reidj, in Amt unb SSiirben mar,
mochte mohl bie Urfadje biefer Sntfrembung nicht fein; Sßonbel
ftanb im Perfefjr mit feljr bebeutenben SDJännern unb fanb,
troj}bem er fein namhafte» Sermögen befaß, bie größte £)odp
adjtung bei Allen; itamentlid) feine ÜBebeutung als Poet mürbe
felbft oon feinen ©egiteru nidjt in Abrebe geftellt. 2)och DieHeicbt
mar e3 gerabe biefeS , roa$ bie Siferfudjt SatS’ h£roorrief, bie
ihn oeranlafjte feine greunbfdjaft ju meibeit unb bie ihn h>£r
jum Angriffe oerleitete.
33onbelS nächfteS größeres ©ebicht, bent mie gcmöhnlich
zahlreiche Spigramme unb SBibmungSoerfe oorangingen, mar
„3 um 3a hreStage ber Einrichtung OlbeitbarneoelbtS",
ba3 fehr feunjeidjnenb al£ 2)lotto führt: „Quid sentire putas
onines, Calvine, reccnti de scelere et ficlei violatae crimine“,
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ferner ein ©ebidjt „Jobteitopfer für üftagbebur g" unb
ein £obg ebidjt auf |jugo be ©root, ber, glücf lieber als
Olbenbarneoelbt, bie SJiadjt ber Kontraremonftranten nur burdj
©efängnifj unb Serbannuitg ju füllen befam.
Jer Job feinet SBeibeS, ba§ am 15. gebruar 1635 ftarb,
hielt ihn nur furje Zeit 0011 feinen bidjterifcfjen Slrbeiten ferne.
ÜJiodj in bemfelben 3a^re überfefcte er ein latehiifdjeS Jrauerfpiel
beS ©rotiug — „©ophompamaS", baS eine ©pifobe au3 bem
Seben beä oon SSonbef öfters bramatifch behanbelten ägtjptifdjeit
SofefS giebt. §11$ Äunftwerf fann biefe STrbeit nad) feiner
Sidjtung hin in Setradjt fommen.
SöereitS brei 3ahre früher, 1632, bereinigte fidj bie Slfabentie,
welche ba§ SSahlwort „Yfer“ (@ifer) führte, mit ber oft er-
wähnten Kammer, bereit Sebeutung bur<h Abgang unb Job ber
bebeutenbften SDZitglieber abgenommen hotte. J>ie Slfabemie
führte nun bett nereinteit Spruch : «Yfer in liefde bloeyende“.
Zahlreiche, redjt einträgliche ©djaufpiel • SorfteHungen, bereit
fieiter ©öfter war, ermöglichten ben nothmenbigen Jheaterbau,
ber mit SSeiftanb ber ©tabtobrigfeit in Singriff genommen
unb bei einem Koftenaufwanb 001t 30 000 hoflänbifdjen ©ulben
1637 ooOenbet würbe. SBie un8 bie oorhattbenett Slbbtlbungen
geigen, war biefeS erfte IjoUättbifche Jheater ein recht ftattlicher
Sau, bcffen Znfdjauerraunt bent ^eut e üblichen giemlicfj ähnlich
war Jie Sühne war ein wenig erhöht unb hatte auch einige
Jeforationeu aufjuweifeit. ©iitnfprüche, sumeift oon Sonbel,
gierten bie SSänbe, unter attberen auch folgenber, ber auf bie
angebrachten Süften beö JemofrituS unb $eraflitu3 Sejug nahm :
5nS ©cf)onipie( fam jur 3Belt als Cdjrjant 3eitoertreib,
3hm gleicht fein ©piel, nicht mar ein eblerS je crfnnben;
ßs locft bie SBelt gerbet, eS fefjelt ©cel unb £eib,
ßs ftachelt uns *ur Suft unb fc^fägt uns jüßc 9Bnnben.
5er Sfcnjchen ßitelfeit int fileinbegrifj erjcheint,
9S?o SencofrituS lacht unb JperaflituS meint. —
!«•»)
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Vonbel erhielt beit Auftrag ein ©<haufpiel $ur (Eröffnung
gu fd)affen; eS gefc^a^, unb baS neue Sweater rourbe 1637 mit
feinem „©pSb recht tian Stemftel" eröffnet. Der Verfaffer
mibmete biefeS ©tüd §ugo be ©root, ber als Verbannter
in lebte unb mit bem er einen lebhaften SBrieftuecfjfel
unterhielt. Der Inhalt beS ©tüdeS — baS pietätooO noch
heute am SteujahrStage auf ber Stmfterbamer Viiljne aufgeführt
mirb — fdjitbert nicht ganj gefchidjtlich treu ein ©reignifj aus
ber Vorzeit (1304) 91mfterbamS. Das ©ange ift gemiffermafjen
nichts anbereS als bie Selagerung DrojaS nach Virgil im
hoDänbifchen ©emanbe: nicht nur bie £anblmtg ift eine gleich-
artige, auch biefelben ^Jerfonen finb f)\n ju finben, toenn auch
unter anberem tarnen.
SBaS fi<h oon biefer erfteit bebeutenberen Schöpfung VonbelS
fagen labt, gilt für alle: ÜDtangel an ©rfinbung, SUianget an
§anblung überhaupt, fo bah eS nichts weniger als ein Drama
ift, üftangel an charafteriftifcher ©eftaltung, jebocf» ©teilen ooll
Iprifcher Schönheit unb eblen ÜluSbrudS. ^auptfädjlid) gilt
biefeS oon ben zahlreichen Siebern, mit benen faft alle feine
Stüde burchfefct finb. ©ineS ber fdfönften ift ^ftlariffenS
Steigen" aus „©hSbredjt", beginnenb:
O (Xfjriftnocht, fcfjöiicr als bie Sage,
3Sie fann §erob baS Siebt ertragen,
$aS belle bitref) bein Sunfel bfinft !
Go mirb geehrt unb angebetet,
Sod) hört lein £>od)mutt) nid)t ben Jubel,
Ser hctllaut bis ans Cljr ihm bringt.
Die feftlid) gefeierte Slnfunft ber ältaria o. ÜJtebici itt
Slmfterbam — belanntlich muhte fie in granfreid) bem Drängen
fRidjelieuS weichen — gab Vonbet ju einer gröberen 3af)t .ffulbi*
guttgSgebichten Slnlah- Dem folgte ein Drama „füieffalina",
baS er jebod) unterbriidte, ba eS als gegen baS ißrinjenpaar
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gerietet gebeutet würbe. Sin £rauerfpiel aus jener 3eit
„SRofantunbe" blieb Brudjftiicf.
3m folgenben Saljre gab Sßonbel eine Bearbeitung ber
„öleftra" ooit ©opfjofleS, uermut^licf) nach einer loteinifdjen
Ucberfeßung, ba jeine ßenittniffe beS Sriechijdjen hierfür nicht
auSreidjenb gewefen jein biirften, ferner eine öon SrotiuS fchr
getobte $idjtung „®ie ^eilige Urjula", bie jebod) bei ben
Broteftanten getualtigeu Slnftofj erregte, uitb enblid) nodj „2)ie
Briiber", ein Irauerjpiel, baS ©d)icfjal ber Brüber ©nulö
bctjaubetnb, uttb „3ofef in ®othan" nnb „3ofef in
Slegppten", jtuei ©djaufpiele, bcren crftereö jeinen bejten
©d)öpfungen $ugc3ä(j[t werben tann.
9iod) elfe bie tejjtgenannten SSerfe crfchienen, trat Bonbet
öffentlich ^um Katholizismus über, ein ©djritt, ber allgemeinen
Unwillen erregte unb bie galjl feiner ohnehin nicht wenigen
Segnet ocrmehrte. SDiandje behaupteten, eS wäre einer beabfidp
tigten zweiten @he wegen gefdjehen, 9lnbere, er fei bereite als
Äinb fatfjolifch geworben, wieber Slnbere attbereS. Sin aQebem
mochte fein wahres SBort fein. £er romantifche Seift
BonbelS mochte fich eben, wie bereits erwähnt würbe, innerhalb
beS Katholizismus oiet — mau fönnte jagen, Sott näher fühlen.
Bielleidjt ^at ihm and) ber Umgang mit ber fatholifdjcn ÜJiarie
Xeffeljdjabe ben Uebertritt erleichtert. ®afj fie einen unmittel*
baren Sinflufj herauf auSgeiibt hätte, lägt fidj nicht gut an*
nehmen, jumal fie felbft bei ben BefchruugSt>erfud)en, mit
welchen fich ber ftreug proteftantifdjc |mhgenS bei ihr oft be-
mühte, bie Slntwort gab, eS fei möglich, baß er 9icd)t fw&r*
bod) eS wäre einmal ihr alter Slaube unb baS Klügeln in
berlci ÜDiugen fei für grauen nicht jiemlidj.
gaft ließe fich fcgon über baS ©cgaffett beS nun mehr als
fünfzigjährigen ®ichterS ein Urteil abgeben, beim feine nad)=
folgenben Söerfe weifen wohl maitdjeS Sleichwcrthige auf, aber
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feinen einzigen Üließrmertl). Slud) feine ®id)tung „fiucifer",
bie eben in ber nacfjfolgenben $eit entftanb uitb im SluSlanbe
fein befanntefteS Söerf ift, fann niefjt af£ 9lu3itaf)me gelten.
III.
©leid) ben meiften SJteoptjpten befunbete Sonbct für feinen
neuen ©(auben einen ©ifer, ja man fönnte fageit Uebercifer, ber
nun in feinem ©djaffen gang befonberä gum flluSbrude fam.
©eine ©egner gaben ifjrem 30r,t ober Herger oft in ©pott-
unb ©djimpfuerfen StmSbrud; uatürlid) blieb ber allgeit fampf«
bereite unb ftreitluftige SBonbel bie Slntroort nidjt fdptlbig,
unb fo entftanb mitunter ein redjt lebhaftes unb ant)attenbe§
©egänfe.
Som ©eift ber Sefeßrung befeelt ift audj fein 1641 er-
fdjieneneS Irauerfpiet „f|3eter unb fßaul", meteßeg ba8 ©djidfal
ber beiben Stpoftel beßanbelt.
§ier fehlen bie langen ßfjorgefänge, bie feinen früheren
SEerfen eigentßiimlicf» maren. SBeitn fie aud) bei beit fpäterett
mieberfetjrteu , fo mar e€ roenigftenä im geringeren SDiaße alä
fonft. llebertjaupt mar fein bramatifdjer ©til gebrungeiter unb
lebenbiger gemorben, ein Umftanb, ber mofjt bem ©inftuffe
©öfters gugufdjreiben ift. SBie immer fcfjuf Sonbet in ber
3roifdjcngeit feiner größeren ©djöpfungen gatjlreidje Heinere
©ebidjte, gumcift ©pigramnte, bie fßerfonen ober Silbern gatten.
3m fotgeuben Satjre überfeßte er OtiibS „fperoiben", bie
jebod) erft 1716 im $)rucf erfdjienen; ßier geigte fid) Sonbef
guerft at$ ^ßrofafc^riftftcller unb gmar in redjt oorttjeittjafter
ÜBeife. ©ein SluSbrucf ift ftar unb fräftig, frei oon ©djmulit
unb Saftarbmörtern, äJtcingel, bie ben SSerfen ber meiften feiner
©enoffen, ja auef) feinen erften ©djöpfungett, anfjaften. UebrigenS
bürfte er mit biefer Ueberfefcung meßr eine Uebung im fiatein,
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al? eine fd)riftfteHerif<he fieiftung beabfidjtigt ^aben, bemt
anberenfaü? mürbe er bie Veröffentlichung foum nnterlaffen
hoben. Jit bemfetben Jaf)te erfchienen auch feine „95 riefe
ber heiligen Jungfrauen", ein mäßiges Vcinbdjen poetifcfjer
©pifteln, bie juft nicht gu feinen gelungenen Schöpfungen ge«
hören, fomie eine SReihe Meiner ©ebichte, gumeift religiöfen
Jnfjalt?. ©inen größeren bidjterifchen SSertf) befi^cn feine 1643
ueröffentlichten 9iadhbid)tungen einiger pfalmen Ratoib?.
93ei bem lebhaften Verfefjr, ber gmifd)en §oHanb unb bem
ftammoermanbtett, obgleich oft auch feinblich gegenüberftehenben
©nglanb beftanb, ift e? begreiflich, bah bie Slngelegenheiten be?
festeren Staate? in erfterem ein lebhafte? Jntereffe fanben. Jn
bem Kampf, ber nun gmifd)en bem englifchen Parlamente unb
König Karl begonnen, ftanb Vonbel, ber fatholifch geroorbene
Vonbel, natürlich gut Partei ber Stuart?, unb manche? fdjarfe
©ebidjt richtete er gegen bie „aufriihrerifchen ©nglätiber" unb
gegen bie „öerrätf)erifd)en Schotten", bie befanntlich König Karl
gu feinem Sdjufce fommen lieg, bie jebodj mit ben parlamentlern
gemeinfchafttiche Sache machten. — ©roße? Slergernifj erregte
auch eine S^meichelbichtung „Olioengtoeig", bie Vonbel 1644
bem Papfte Jttnoceng mibmete; parobien biefe? ©ebiihte? er*
fchienen, unb ma? für Vonbel noch fc^Iintmer mar — er gerroarf
fidj mit feinem greunbe §ooft. $u bicfer 3e‘l erfc^ien auch
bie erfte 9lu?gabe feiner ©ebichte, bie bi? bahin nur in (Singel*
brnden in bie Oeffentlidjfeit gelangten.
Jm Jahre 1645 brannte bie fatholifdje Kirche $lmfterbam?
ab, ein llnglüd?fa(l, bem er einige ©ebid^te mibmete. Obgleich
biefe !eine?meg? bie 9lnber?gläubigen angriffen, ja e? fam fogar
baritt fein Katholigi?mu? noch ntajmoller gunt 9lu?brutf al? in
manchem Vorhergegangenen, erregten biefe Richtungen bennodj
einen Sturm ber ©ntrüftung. Rer gange ©roll feiner ©egner
fchiett entfeffelt gu fein, unb e? erfchien eine gülle Spottgebichte
(448)
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31
gegen ben „papiftifdjcn Vonbel", ben „libertinifcheit Joelen".
Äaum beruhigte fid) biefcr Streit, in bem ber Sichter heftig
wie immer fämpfte, als ein neuer entftanb. Sen Slnlafc ^ierju
bot ein ©ebicf)t, baS ber @lauben§eiferige einem angeblichen
£ioftienmunber wibmete. Unb biefem folgten wieber Satiren
roiber fein erfcfjieneneä Sud) : „Slltargeheimniffe", eine 9teif)e
oon ©ebidjten über Seichte, SDleffe unb bergl., bie fteßenweife
oon unbeftreitbarer poetifdjer Schönheit finb.
Sereit3 früher h<d*e ftch Sonbef in theotogifche Stubien
»errieft, bie ihn manchmal wieber auf ben grrpfab ber äßpftif
brachten. UebrigenS war ihm bei ber Hbfaffung ber „Stltar-
geheimttiffe" ein gefuit behülflid); biefem 0rben, fowie beffen
Stifter wibmete Sonbel fpätcr auch einige Sobgebidjte. gür
bie Eingriffe füllten ihn ein Sattfbrief unb eine Silbfpenbe be§
®rjbifchofö öon SDtcchetn entfchäbigen, ju feinem Slerger erflärteit
jeboch fiunftfenner, biefeä angebliche foftbare Silb fei nur eine
werthlofe Slachbilbung. $ber mehr noch mochte Sonbel eine
Steuerung beä ©rsbifdjof« fränfeit. „Siecht gut, Sinjor Sonbel",
meinte er, „aber Sie finb noch lange nicht Gat§ nahe." — Sie
Siiicffehr §ugo ©rotiuS’ aus feiner Verbannung, bie im nämlichen
3at)re erfolgte, gab Sonbel Slnlafe ju mehreren ©ebichten.
Siefen unb anbercn f leinen ©ebid)ten folgte eine ^rofaüber-
fejjung oon SBirgilö „gbplleti" unb ber „2letteibe", halb
barauf auch fein Srauerfpiel „SDiaria Stuart", baS bem
©nfel ber Hingerichteten Königin, Sbuarb Üßfaljgraf oom Steine,
geroibmet würbe. Sioch mehr als in feinen anberen bramatifchen
Söerfen ift bie Kargheit ber §attblung in biefent ©tiicfc be«
merfbar, ba§ eine Verherrlichung ber !atholifcl)en giirftin h<*upt=
fäcf)lich sn bejweden fcfjien, jener giirftin, oon ber fein @pi>
gramm fagt:
ßroei Dinge tjaben itjr ben Dobesftreicf) gegeben:
3t)f ©rbrcdjt auf bie ffron' unb if)r fattjotifd) Sieben.
(449)
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Nebenbei fei eine anagrammatifche (Spielerei ermähnt, mofür
ißonbet roie bie meiften feiner fleitgenoffen eine Vorliebe hatte,
©r oerfe|te nämlich : Maria Stuart erit Matura arista.
Unter ben fteineren ©ebidjten jener $eit befinbet fich eineg,
bo« ber SSerbinbung ber fiuife ö. Dranien mit gr<fbnd) Söit^etm,
bem branbenburgifdjen ßurfiirften, gilt.
©achbern ber jmeite Jtjeit feiner fteineren ©ebidjte, 1648
gefammett, erfdjienen mar, ueröffentticfjte S^onbel ein größeres
©ebicht „Ser geahmte ©iarg". ©g erfolgte jum ifkeis beg
griebeng »on Stmfterbam, ber batb barauf ju ©fünfter be>
ftätigt mürbe. 9Zocf) feien aug jenem Sofjte ermähnt bag aHe-
gorifche Srama „Ser Sömentfjater" unb bas Srauerfpiel
„©atomon", beibe, gaitj befonberg bag festere, fcfjönfpradjig
unb ftiliftifdj glattgefeitt, fo baff eg gteidjfaüg feinen befielt
©Köpfungen anjurei^en ift.
Sie 1649 erfotgte Einrichtung Slart ©tuartg gab Sßonbet
Slnlafj ju einigen ©ebicfjten gegen bie „ßöniggmörbcr in @ng«
tanb", gegen ©rommell, ber
Vermummet Sucifcr fyat burefj fein Parlament
®ent $crrtt bag ©dauert entrüeft unb Sirrf)’ unb .§of gcjd)änbt,
Unb bag gcfalbtc .ftaupt nad) blut’gem Äainpf ber Sotten
©ab b>n um Subagiofjn Stcrrät^erfc^ar ber Spotten.
Unb a!S bag orbbeil ittjlug beg ÄönigS §aupt unb Sron,
©djuf r»«b ber .'pöüenfürft in ©ngtanbg Seid) ben Htjron. —
Sooft »an ben Sßonbetg ükrhättniffe hatten fid) feit einigen
Sahrett giinftiger geftattet; er erübrigte ein fteineg Sßermögen,
bag ihm ermöglichte, fidj »om E°nbel jurüct^u^ie^eu, um ben
©eft feiner Sage, einzig feiner ftunft geroibmet, ju »erleben,
©r übergab auch feinen Eanbel bem ©ohne, einem recht locfereit
©efellen, bem nicht nur jebeg SSiffett, fonbern auch ber uötljige
SSerftaub fehlte. Sonbel foltte feinen ©ntichlufj bitter ju be-
reuen haben.
(450)
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33 _
3n ber folgeitben 3eit war beS TicßterS SDJufc nicßt feßr
fruchtbar, erft 1654 füllte eine größere Ticßtung erfcßeinen unb
jwar ber ernannte „Sucifer".
ES gebt woßl nid)t gut an, biefeS ober ein anbereS feiner
SBerfe als SReifterftiid $u bezeichnen. Vonbcl war troß ber
oielen Tramen, bie er fdjrieb, fein Tramatifer fonbern Sprifer,
unb bie Trefflidjfeit feiner Schöpfung wirb faft nur oon beu
tprifeßen ©teilen beftimmt. Tiefe finb nun in allen feinen £aupt*
werfen beachtenswert!), fo wie aud) einzelne ©ebießte oon großer
©djönbeit üorßanben finö. 2Bof)l fpricfjt für „Sucifer", baß fein
Snßalt mehr Sntereffe ju erregen oerinag, allein Vonbel meiftert
biefen Stoff oiel weniger als er oon ibm gemeiftert wirb. 35er
Snßalt befagt ungefähr, baß Sucifer gegen ©ott ficb empörte,
weil er ben SDfenfdjen fcfjuf, ibm bie Erbe jur £errfcßaft gab
unb beu §immel oerßieß. Ter rebellifcße Erzengel oerleitete
auch anbere jum Slbfall, befriegt mit ihnen beu Schöpfer, unter*
liegt unb wirb für ewig oerbammt, bod) werben auch bie SDtfeufcßen
beS EbenS oerluftig.
SS ift alfo ungefähr baSfelbe, waS SJJilton in feinem
„Verlorenen ifJarabiefe" $nm Slusbrude brad)te. VonbelS
Ticßtung erfdjien einige Sabre oor bem SSerfe beS englifcfjen
5ßoeten, er fonnte baßer oon biefem nicßt beeinflußt fein, oiel
eßer ift baS ©egentßeil anzuueßtnen, ba JDliltoit mit ber nicber-
länbifeßen Spraye oertraut war. UebrigenS — ber ©ebattfe
ift Weber ba nod) bort urfpriinglicb, ba bie ©age oon ber Ern*
pöruug ber Engel unb beren §öOenfturj uralt ift.
SSenn „Sucifer" nie berart jur ©eltung fommen fonnte
wie ÜJliltonS SBerf ober baS ähnliche ÄlopftodS, fo liegt cS
woßl minber in bem Umftanbe, baß ber ©toff beffer jur epifdjen
als bramatifdjen Tarftellung geeignet ift, als in jenem, baß
Vonbel bett ©toff nicßt ju bewältigen ocrmodjte. ES giebt feinen
©toff, ben ein edjter Tramatifer nießt bramatijcß gu geftalten
Sammlung. 9 1. 3 V. 108. 3 H51)
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weiß, allerbitigS will bamit nidjt gejagt fein, bühnenfähig 311 ge«
ftalten. für 33onbeI, bcr 001t ber ariftotelifdjen ^reiein^cit
nid)t abweichen mochte, waren bie Schwierigfeitett weit größer.
$wei treffficf)c nieberlänbijd)e 2itterarf)iftorifer, ber aud) als
$id)ter ()od)gejd)äl3te 3. oait Sennep unb ber jcharffinnige
Soncfbloet, tarnen faft gteidjjeitig unb unabhängig uon eittanber
jur SDieinung, Vonbet hätte mit feinem „Sucifer“ eine Megorie
beS 21ufftanbS ber sJtieberlanbe gegen Spanien f (hoffen wollen.
ÜRandjeS hflt bicfe Slnficßt, welche bie VaterlanbSliebe beS $icf)terS
fd)tuer ocrbäd)tigt, fiir fich: mit feinem rcligiöfen ©tauben hotte
fid) and) fein potitifdjer üeränbert, mo$u feine neuen greunbe,
bie Sejuiten, ihr Schärflein beigetragen hoben mochten; aus bem
©eguer Spaniens war ein greunb jener fatholifchcn ÜRad)t ge-
worben, was auch ein ®cbid)t befunbet, baS er fpäter anläßlich
ber ©cburt eines fpanifchen ^rinjen ocröffenttid)te. ferner hattc
Vonbet einige allegorifdje Sdjaufpicle fd)on gcfdjriebcn unb ber
Stoff forberte gewiffermaßen jur Stllegorie hinaus. Selbft ber
Umftanb, baf? Sucifcr unterliegt, wäßrenb ber Dränier gegen
Spanien fiegreicf) heroortrat, läßt fid) fliigelnb beuten, obgleich
oan Setmeps 9tnfid)t, Sucifer fiege infoferne, als baS ÜJtenfdjen«
paar baS ifJarabieS oerliere, bod) als Vergleich 311 feßr E)iuft.
2lber bie Umftänbe, bie gegen jene Verbächtigung fprechen,
finb bocß 311 fchwerwiegcnb; eS liegt teilte Üteußerung Dor, bie
gebeutet werben fönnte, als höbe er bie jRiictfeljr ber fpanijdjen
,£jerrfd)aft erwiinfeht, uitb bcr §ißtopf Vonbet pflegte mit feiner
üReinuttg nid)t im Verborgenen 311 bleiben. Von ber ©egner«
fefjoft 31W tJreunbfcfjaft ift bcr 2öcg noch lottge ttid)t fo weit
wie dou biefer 31m Unterwerfung. ferner worbe bnmalS, wo
bie Erinnerung an ben adjtjig 3aßre lang befämpften geinb noch
unoerblaßt mtb baS SRißtrauen ttod) lebeitbig war, aud) nicht
eine Stimme laut, bie Vonbel beffen belichtet hätte. SEBäre
cS auch nur *m entfernteren an3itnehmeu gewefen, fo hätten
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35
feine jaljlreidjeu (Gegner fidjerlid) nidjt unterlaffcn, nodjbrütflidjft
barnuf Ijinjuweifeit, gumcd biefeö ©djaufpiel mefjr ©ntrüftung
ßeroorrief als je ein SBerf beS SDitfjterS. SDie £arftcßung beS
|>immel3 auf ber profanen Süljne bünfte ben frommen eine
@ntweif)ung bes §öd)ften. ©elbft oou ber fianjel ßerab rourbe
gegen biefen greoel gcprebigt, unb baS ©djaujpiel muffte aud)
nad) jmeimaliger 2luffiif)rung abgefefjt werben, liefern Hnfturm
begegnete SBoitbel mit einer fatirifc^en ^rofafdnift „©djuftrebe
für ba$ ©djaufpiel"; ftolj fügte er biefer als iülotto bei:
„Cedo nulli“, ma$ aud) feine s}?raf)lerei mar, benn Siacfjgiebig«
feit mar mirflid) nie feine ©adje.
Sieben ßpi gram men unb fteßcnmeife rcd)t mpftifdjcn 3)id)«
tuugeu („©infame Änbadjten in ben gaften" — „©ctbfemane" —
„Kcce homo“ — ) fdjuf Süonbel in bicfem 3af)re and) nod) bie
fßrofaübcrfejjung non .fporajs' „Oben" unb „Ars poetica“.
S?od) fei ermähnt, baf) ber greife £id)ter am 21. Cftober
beSfelbeit 3a^reS auläjjlid) be§ ©t. SufasfefteS ber Mnftlerge-
feßfcbaft in biefer feierlidjft mit bem 2orbeerfran^e als $>id)tcr=
fönig gefrönt mürbe.
Sion ben nad)folgcnben ©cfmpfungen mären befonberS ju
ermähnen: ein ©ebidjt au jfjapft SUejanber VII., ben Siadp
folger 3nnocenj’, eine umfaugreidje unb fteßenmeifc uor§iigIic^e
$id)tung „(Sinweifjung bcS ©tabtfjaufeS ju Slmfter-
bam" (1655) unb ein ©ebid)t ju ©fjreit ©fjriftinaS oon
©d) weben, bie bamalS in 3uusbrucf fat^olifd) mürbe unb
nach fRom pilgcrte. 3m folgenbeit Sa^re fdjuf er ein Srama
„©almoneuS", ein jicmlid) bebeutungSlofeS ©tüd, baS er fjaupt*
fäcfßicb nur fdprieb, bamit bie für „Sucifer" angefertigte Rimmels*
beforatioit SBerwenbung fänbe. $a3 ©tiief fpielt nämlid) im
Clpmp. ©nblid) crfc^ieit oon ifjm in jener $eit nod) eine ge-
reimte Ueberfefcung ber fßfalmcu Saoibä.
Sföit SonbelS fiebjigftem ©eburtSjafjre begann ber traurigfte
3* (468)
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9lbfd)nitt feines SebeitS. ©ein leichtfertiger Soßn hotte ben uom
Söoter übertiüntmetten §anbel rafcß h'nuntcr gebrockt unb geriet^
in arge ©elboerlegenheit. Xa in Xänemarf größere Setroge
außenfteßenb waren unb SSonbel feinem ©ohne bie nötige rafche
Slbwicfeluitg nicht jutraute, entfdjloß er fid) felbft bie 5a^rt
oorjunehmen. 3n ber bänifchen .'pauptftabt, wo ber greife
Xichter einige $eit »erblieb, mochte er recht gut aufgenommen
worben fein unb — toie etliche ©ebießte jeigeit — mit be-
beutenben fßerfonen »erfeßrt hoben. 35och befriebigt mag ihn
biefe SReifc in gar feiner SBeife hoben, benn he*mge^ebrt unb
befragt, wie es ihm ergangen, antwortete er mißmuthig, bafj
er oft gefleht habe:
£>crr luotlc mich crlßjeit
SSo» biefen bän’ichen Ddjfen,
ßrfüir mein SJünidjen, bringe
9tad| ipollanb mich ju HJienfc^en.
Xer jüngere Sonbel ftanb oor bem Sanferott. Um biefen
ju oerhinbern, um feinen 9Jamen nicht mit ©djimpf bebeden $u
laffeit, gab ber Sater fein ganzes Vermögen hi»- Söenit bie
angegebene $iffer »ou 40000 ©ulbeit richtig ift, fo biirfte e<S
mit „ber Slrmuth" SonbelS, bie fo häufig ermähnt wirb, nicht
fo arg gewefen fein. Anfangs mögen wohl feine Sßermögen®*
oerhältniffe fehr befdjeiben gewefen fein, aber „9toth unb ©lenb"
hat hoch nie bei ihm gegaftet, fowie er aud) nie ben ©eiftanb
feiner reichen greunbe attrief. ©ein ipanbelSgeminn, ber ©rtrog
feiner oietgelefenen Schriften unb anfehnlidjc ©efeßenfe, bie er
erhielt, ergaben ein für jene $eit recht ftattlicßeS Vermögen,
baS ihm eben ermöglidjte, ben ©efchäften ju entfagen.
Xer 93ertuft feines SefißeS war noch nicht baS Hergfte;
fein ©ohn mußte noch manchen argen ©treidj auSgeführt haben,
ba Sonbel barauf beftanb, baß er nadj ben Kolonien, nadj
Cftinbien geße, bie bamalS mehr noch als fpäter ber $ufluchtä»
ßafen Vieler war, bie im Seben ©chiffbruch erlitten. Unb al$
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bcr junge tßonbel bie gabrt oermeigerte, bat ber ©reis ben
Siirgermeifter, man möge jenen jmangStoeife babin fcfjicfen.
Sod) baju fam es nicht, inbem er fich enblicb hoch jur frei-
mittigen gafjrt beftimmen ließ, ©eine Kinber — er mar
SSitroer — blieben bei bem ©rofjoater juriid. @rft nach längerer
3eit erfuhr ber Sinter, bafj fein ©otjn baS 3i^ nicht erreichte,
bafj er mäbrenb ber Ucberfabrt geftorbeit fei. 9?ocb blieb i^m
ein Kinb, feine Softer Slitna, bie gliidlicb nerbeirattjet mar.
Um oor örotforgen gefchüfjt ju fein, mar ber greife Sonbel
genötigt, ein Sttnt an^unebmen, baS ihm feine unb
©ömter bei ber ftäbtifcf)eit ‘•ßfanbleibanftalt oerfchafften. ©ein
3abreSgebalt betrug 750 ©ulben, bie nötige ©iirgfcfjaft oon
4000 ©ulben teifteten feine greunbe. @S gefchab bies5 mit bem
beginn beS 3abreS 1658. Sie ©cbidjalSfcbläge tonnten feine
©cbaffenSluft ebenfomenig gerfcbmettern, mie fte bie SSiirbe beS
SlmteS ju erfcbmereit oermocbten; S3onbeI oeröffentlicbte in ber
nä<bfteit 3e*t e‘ue beträchtliche gab1 oon Sichtungen. 23or allem
ein längere«, befdjreibenbeS ©ebid)t „SaS ©eemagajinju
Slmfterbam", baS feineSroegS eine ÜDiinberung feines Könnens
behutbet, fleinere 3?itgebicbte, ferner „Sie ©tammtaf ein",
eine gereimte Sbr°n*f ber heroorra9en^f*ea SlbelSbäufer, ein
SBer!, bcffen Kunftmertb nicht hoch gefc^ä^t merbeit fann.
3m folgenben Sabre erfcbien fein Srama „3epbta",
er für feine befte ©cböpfung b‘e^ unb baS mirflich auch ju
feinen beften SBerfen jäblt. Sie Sprache biefeS ©cbaufpiels,
beffen $anblung ber befannten ffirjählung im alten Seftamente
folgt, ift fteüenmeife oon einer ganj befonberen ©chönbeit.
3$on ben nächften Söerfen SSonbelS — Ueberfe&ungen ber
SBerfe tßirgilS unb beS „OebipuS" oon ©opbofleS, bie
Srauerfpiele „König Saoib in SSerbannung" unb „König
SaoibS SBiebereinfefcuitg" — läfjt fich nic^t mehr jitm 2obe
unb nicht mehr jum Sabel fagen, als toaS oon ben meiften
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feiner ©djaujpiele gejagt werben fann. Sil« ©rgfinjung biefer
Jidjtungen, weldje bie befannten, int ©ud) ber Sinnige erjäfjlten
©reigtiiffe ^iemlid) getreu wiebergeben, fann ba« ein Safjr fpäter,
1061, erjd)ieuene Jraucrfpiel „Slbonia«" gelten. (£« bebaubeit
ben Slufftaub, ben biefer ältefte ©oßn Jaoib« nadj feinet
Siatcrö Job fjcroorruft, um betn jüngeren ©alomo bie Sirone
ju entreißen; hierbei wirb ©rfterer befiegt uub getöbtet.
Sind) ©onbel« ttäcf)fte§ SBerf „©amfon" bcljaubcft einen
©ibelftoff, wie fd)on ber Jitel anbeutet. giebt ben ©d)lufj
au« bem Üeben3laufe be« geblenbeten Sieden, wo er, ba« .paus
feiner geitibe jerftörenb, biefe unb fid) unter ben Jrütnmern begräbt.
Sn biefem ©tüde lägt ber Jidjter wicber übernteufdjlidje SEßefen
Ijanbelnb auftreteu, wie gabaül, ©amfon« „©eburtSeugcl" unb
Jagoit ben „dürften ber Ipölle uub größten ©ott ber ©bilifte*"-
(Sine teligiöfe Jicfjtung „©efpiegelung in ©ott", bie
halb barauf erfdjieu, gab wieber Slnlaß $u neuen Singriffen
feiner ©egner. £>ier fidj ber 2)id)ter oou ber ÜJipftif ferne,
weldjc bie weiften feiner berartigen ©griffen bunfel macf)t. ©in
größerer poctijdjer Söertl) ift biefem SSerfe and) uid)t juju-
jprcdjen, bod) ift bie Sprache flar unb öerftänblid). Sieben oer-
feßiebenett Heineren ©ebic^ten — wobei bie ©tadjcloerfe immer
felteuer würben unb balb aud) ganj oerfdguanbeu — neben
biefett erfdjiett jur felben $eit ba« Jrauerfpiel „Jie bata-
oifdjen ©rüber". 2Bie im ©ijSbredjt bewegte fid) aud) l)ier
©onbel« 2)iufe auf fjeimifdjem ©oben: bie Ipanblung fpielt jur
3eit ber Siömcrtjerrfdjaft. Suliu« ©aulu« unb Stifolau« ©urg=
ßarbt, ©efdjwifter oon föniglid)em ©ebliite, werben oou bem
auf fein Slttfe^en eiferfiitf)tigen ©tatttjalter gonteiu« ©apito
unter bem ©orwanbe beabfid)tigter jRebetlion gefangen genommen.
3um ©cßluffe wirb ber ältere ^ingeridjtet unb ber jüngere
gefettet bem ©äfar Siero gefanbt. — @S ift eine« ber
wenigen ©tüde ©onbel«, bie einen entfdjiebcnctt bramatifdjen
«86)
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Stoff haben; baff er if)it nid)t geniigenb ju oerwenbeu wuftte, beweift
eben toieber baS UitauSreichenbe feiner bramatifdjeit Segabung.
Slud) fein Können auf epifcfjem ©ebiete ift twtt feiner
großen Sebeutuug. $ieS jeigt fein 1662 erfdjieneneS ©poS,
fein einziges größeres, baS er Jcfjuf, „3of)nnneö ber 33 üf?er"
benannt. g°rm nnb ©prad)fd)öttf)eit ift flmor hier veidjfid) oor*
banben, fo bafj eS wie bie nadjfolgenbe rcligiöfe $icf)tuug „3)ie
§errlidjfeiten ber Kirrije" feinem beften Sd)affett jugerei^t
werben fann. ©ein nächfteS Jrauerfpiel „ißbaeton", be-
fannten mt)tf>ologifcf>en Snljaltä, ift unbebentenb.
3m Saufe ber 3e*4 hat}c fid) bnä Ämfterbamer £f)eater
als räumlich unanSreidjenb erwiefen; eS wnrbe bal)cr ein Neubau
befdjloffen uttb audj auSgefübrt. 3)od) würbe er nid)t, wie Soitbel
hoffte, mit einem feiner Dramen eröffnet, fonbern mit ber
„ÜJfebea" beS ^5 o ^ a ii SoS.
®iefeS „barbarifefje ©ettie", wie ihn ber itüberlanbifd}e
©diriftfteller £>ofbijf nidjt unpaffenb nennt, war urfprüngfidj
©lafergcfellc. ©ein erfteS ®rama „?lrait uitb JituS" würbe
bereits 1641 aufgefnlfrt. Sottbel munterte ben jungen .^anö>
Werfer auf, <£>ooft unb ganj befonberS San Saerle, ber fein
Talent gewaltig überfdjäjjte, unterftüßten ilpt unb fpornten ifpt
gleidjfatls ju bic^terifcfjcm Schaffen an. Sei ©rfterem war er
aud) ein gentgefeljener ©aft, fo bafj er gleichfalls bein „ÜRuiben»
freiS" jujurcdineu ift. 9Jid)t utiitber beliebt war er bei ben
Satrijicrn unb bent Siirgcrmeifter, ber ifpt jum SJJitleiter beS
©djaufpielhaufeS ernannte. 9tad) gemeinem ©rbenbraudje lohnte
er SSonbel, ber suerft für ihn eintrat, gar arg bie ©üte burch
allerlei fRänfe; er war eS aud), ber ju werljinbern muffte, bafj
baS Xh^ter mit einem ©djaufpiele SonbelS eröffnet würbe,
was fo jiemlid) als befchloffette ©ad)e galt.
Slls dichter ift SoS gattj unbebeutettb, obgleich fteflenmeife
ein Talent aufblißt; feine ©prad)e fatttt fid) mit ber fflonbelS,
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wa« poetifche Sdjönheit, Kraft unb ^Reinheit betrifft, nid)t
meffen. ©eine jaf^rcidjen Dramen, bie heute fd)on ganj üergeffen
finb, bieten gerabe ba« ©eoentheil ber ©onbelifcheu. SBetut
biefen mit 5Red)t bie fprge fianblung jum ©orwurf gemacht
wirb, fo trifft bie anbern bie ©efchulbigung 311 oiel 311 bieten,
ba« heißt, er fudfte feenifd) auf bie iRenge 3U Wirten. 31m
befielt fennjeic^net fid) feine SRidjtung burd) bie groteSfe ©e
merfung in feinem Prolog 3ur ©röffnung be« Jheatcr«. 9?fl<h ^luf1
3äf)Iung all ber ©d)aumunber, bie er nun bieten wirb, ruft er au«:
Statur [otl eure ftunft erzürnt in SIbgrunb tDün(d)cn.
2lu« @iferfud)t meinte er, unb nicht wie e« anber« auch
uerftanben werben tönnte. 5Rad) unb nach f)atte $£>3 ©onbel
gan3 an« ber ©unft ber äRenge oerbrängt; feinen ©d)nufpie(en
ober beffer gefagt ©djauftitefen würbe 3ugejauch3t, währenb bie $luf>
iitirung ©onbelfcfjer 2>ramen nur eine geringe 3u^örerfcb)aft fonb.
3ene« 35rama, mit bem ber alte dichter gerne ba« neue
Sfjeater eröffnet gcfeljen hätte, ift ba« 1664 erfd)ieitene „Slbarn
in ©crbaiutitng ober ba« £rauerf piel aller $rauer=
fpiele". ®ic groeitbenennung fott wol)l 90115 allgemein bem
3nf)alt gelten, unb ba wäre fie uicbt unrecht gewählt, beim ber
©erluft be« ’tßarabiefc« — net)ni’ e« ©iner wortgläubig ober
finnbitblid) — fanti wirflid) ,,ba« Srauerfpiel aller $ranerfpiele"
genannt werben, immerhin !ann e« auch 3U ©onbel« beften
SBerfen gejälRt werben. ®ie ^anblung biefe« ®ranta«, ba«
fid) gewiffermafjen feinem „Sucifer" anfdfliejjt, fdjreitet in ber
©pur be« ©ibclworte«, ba« er ftelletiweifc aud) wörtlirf; wiebergiebt,
überbie« benähte er auch ba« lateinifdje Irauerfpiel „Adamus
ex ul“ feine« iitbe« oerftorbenen f^ennbe« fwgo be ©root.
31ud) biefe« Söerf rief ©egenfchrifteit heroor, hoch 3« einem
ber früher fo häufigen Kämpfe fam e« nicht. SDcr alte ifßoct
wor 30hm geworben; feine ©djöpferlraft ^atte abgenommen.
5)ie nächfte ,ßeit reifte nur einige ©elegenheit«gebid)te uitb
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merfwiirbigerweife and) etliche anafreontifd) flittgenbe Siebereien,
©ein £>ang Zur religiöfen Schwärmerei modjte geruic^cit jein;
bod) uergaß er iticfjt, wie fein' näd)ftefij (1666) Srauerfpiel
„3ungchin ober ber Untergang ber d)inefifd)en
£)errfd)aft" zeigt, feiner alten ^reuttbe, ber 3efuiten. 3n
biefetn ®ranta, baS einzige, baS in feinem Zeitalter fpielt, be«
banbeit er ben 1647 ftattgefunbenen 91ufftanb in Shina. ®er
ftaifer, belagert von feinem früheren gelbherrn, uerrathen uon
feinen Seuten, töbtet S53eib unb Üodjter unb enblid) auch fidj.
(Sine bebeutenbe tRolle fpielt auch babei ber 3efuitcnpater Stbam
©<haal, ber uon bem ©ieger gnäbig befjanbelt tuirb. 3uin
©d)lnffe erfdjeint bem SRiffionär ber ©eift beS heiligen jfrranz
Sauer, ber befanntlid) and) als ©enbling beS OrbenS in Slfiett
wirfte, unb prophezeit ben (£inbrud) ber Tataren. $iefe$ fonnte
©onbel fef)r leicht gefefje^en laffen, ba bie 1hnt inbeffen erfolgte.
tiefes ©ratna, weldjeS für fein fd)wäd)fteS äöerf gelten
fann, hat benfelben 3nf)alt wie ein furz uorßer erfdjiencneS
feines ©djiilerS StntonibeS uon ber ©oeS, ber aud) fpäter
ben ©puren feines SReifterS folgte.
$er in berfelbett 3eit erfolgte ©ieg ber nieberlänbifdjen
flotte über bie englifdje gab il)m ?lulaß zu einigen ©ebidjten,
bie ben ©ieg felbft, fowie bie ©eehelbcu ÜRidjael fRupter unb
ftorneliuS $romp uerfjerrlicfjten. 3>er große ©raub uon Soitbon
ueranlaßte ihn zu einer „3ammer flage", ein ©ebidjt, bas
ben heften ans ber 3eü feiner ©ollfraft ebenbürtig ift. 9Zod)
fanb er in bemfelbett 3of)re 3eit „Sphißenia in ÜauriS"
uon ©uripibeS z» iiberfeßen.
SluS bem folgenben 3nt)re, 1667, wäre huuptfädjlid) fein
IeßteS ®rama „5R o a h" Zu erwähnen, ein SEBerf, weldjeS beS
3)ichterS Stlter fehr zu erfennen giebt.
©pärlich fieferte nun in ben lebten Saßren feines SebenS
ber einft fo ooUfprubelnbe ©orn ber $id)tung. Äleine ©ebidjte,
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©rabfdfriften unb bcrgleidjen mären cg jumcift , Sprühe für
©cbenfpfennige, bereit fßrägwtg bamalg für Hochzeiten, Sobeg*
falle mtb fonftige gamilienanläffe fehr üblich mar.
lieber feine ülmtgthätigfeit roaren in ber regten 3eit
Klagen »orgefommen, ja man behauptete fogar, er hätte bie
ernftmüdjternen ißfanboerzeidjuiffe mit Sßerfen angefüllt. Sllleiu
eg mag mohl nur im $inblicf auf fein fyofyeS SUter gefdjel)en
fein, baß er mit »ollem fRuhegeljalt feineg Slmtes enthoben
tourbe. ©leid) bie erfte $eit t>er Slutje benähte er bann, um
bie „fß hö nie i er innen" uon ©uripibeg unb „Herafleg in
Sr ad) in" »on Sophofleg jit übertragen. (Sin harter @d)(ag
für ben ©reig mar ber 1075 erfolgte Sob feineg einzigen
Äinbeg ülnna . . .
Ser Verfall feiner Kräfte trat nun allmählich ein. 9lm
5. gebruar 1079 ftarb Quftug »an ben SBoitbel im Sitter »on
nahezu 92 fahren.
Hie jaeet Vondelus
Poebo et musis amicus.
Siefe fchlechteu Serfe — §ollanbg größter Sid)ter hätte
beffere »erbient — bezeidjneten feine ©rabftelle in ber „Nieuve
Kerke“ (9leufird)e) ju Slmfterbam. (Sr mürbe itt berfelben ©ruft
beftattet, in ber feine gtuu unb feine (Snfel lagen; fpäter famen
noch anbere Särge l)*1^11/ bie ©rabftätte beg größten uieber*
länbifd)en Sidjterg gerieth ing SSergeffen, fo baff man nur mit
SDlühe bie Stelle ermitteln fonnte.
Slnläßtirf) feineg Sobeg crfd)ienen zahlreiche Srauergebidjte,
manche® berfelben füllt fd)ier ein ©Ünbd)en aug. Sic Senf*
münze, bie bamatg zu @hreu beg „SBatcrg ber Sid)tfunft", beg
„großen Slgrippinerg" geprägt tourbe, zeigt auf ber einen ©eite
fein umfränzteg Silbnifj, auf ber anberen einen gleichfallg um-
fränzteit ©dfrnan mit ber Snfdfrift „Seg Sanbeg älteftem unb
größtem Sichter".
(41-0)
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4.n
3m 3aferc 1867 mürbe ifem in Jtmfterbam ein Tettfmal
gefegt, bcffen am 8. Oftober erfolgte SntfeiiHung mit einem
breitägigen gefte gefeiert mürbe.
Ucberblicfen mir prüfcnb be$ Tid)ter3 fleben, fo finbeit
mir ein offenes, et)rlicf)eö ©emütfe, ein aufbranfeiibeS, fampf-
frofeeö Temperament unb einen rontantifcfecu, ber ©djmärmcrei
jugeneigten ©inn, ber baS Itngeroöfenlicfee erfefente. Unb ba er
biejeS nicfet nm fid) fecrum fonb unb aucfe nid)t finben fonnte,
fucfjte er e§ auf iiberirbifcfeem ©ebiete, bort, mo bie ©rfenntttife
feine feemmenbett ©cferanfcn fteflt. Tafe ibn ber 3S3eg nun ins
Tunfel ber SRfeftif führte, ift fefer begreiftid); ber ©taube, ber
bie SRaiüetät »ediert, mirb immer bafein getangeu.
Ueberbtidcn mir beS TicfeterS ©Raffen, fo miiffen mir
oor altem bebauern, bafe SSonbct fidj nid)t jener üotfStfeümticfecn
Stiftung jumanbte, in metdjcr ber miitber begabte 3afob EatS
fo etfolgreid) mirfte, baf? er fid) Don bcn fcfeutmeifterifcfeen
©ritten öon SaerteS beeinftuffen tiefe, ber gornt ttacfe ben Sttt«
Sttaffiferu nacfejuftreben, ober öielmefer bereit franjüfifdjett iRadj«
afemern, bem „©iebeugeftirn" iRonfarb, Tu ©ellat), SDiarot,
SBartaS, Sobet unb $aif. 9Rancfeerfeit3 mürben bic ©cfemädjen
feiner bramatifcfeen ©tüdc ju entfdjulbigen gcfudjt mit bem
Umftanbe, bafe e£ früher ein eigentlid)e« ©djaufpiet in ben
SRieberlanbett nicfet gegeben feabe, bafe alle bie Stnfangsfdjmierig-
feiten oorfeanben maren. Tiefe Gntfcfeulbigitngen finb jiemticfe
tticfetig. @itt guter Tramatifer mirb feine Söerfe unter alten
Umftänben gnt gu geftatten miffen, in ber §auptfad)e feat cnb*
tiefe fein ©efeoffett mit ber SBüfettentecfenif nichts gemein. Sfent
mangelte bie erfte SRotfemenbigfeit beS Tramatifer^: ÜRenfcfeett
unb SBelt fojufagen aus ber SBogelfdjau betradjten jn föttneit.
§IIS Cprifer jener $eit unb aud) ber uaefefotgeuben gebiifert ifem
^meifetloS bie erfte ©teile im nieberlänbifcfeen ©eferifttfeum, ba
(461)
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44
ihm kleiner an ©djtuung unb Straft ber Sprache feiner beftett
SSerfe gleidjfommt. Unb nicht gering ift aud) fein SBerbienft um
bie Sßerbefferung unb Üluäbilbung be3 ffiieberlänbifdjen, baS er mit
uielen SCÖortern bereicherte unb uon uielen gremblingen reinigte.
gaft fremb ftefjt ber SJeutfdje jener Sitteratur-Qrpodje ber
uieberbeutfdjen Sdjtuefterfpradje gegenüber, unb baS tuirb jum
hoppelten Unrecht, ba fie auch auf ba§ fjodjbeutfdje ©djriftthum
feinen geringen (Sinflufe auSiibte. 53on hier au3 h°^te fidj ber
„SBater ber beutfdjeu ©idjtfunft", füfartin Opifc (1597 — 1639)
bie iiorbilber gur Sfeugeftaltung ber oenuilberten beutfchen
®idjtung, toie er ja felbft gefteht: toelchen fRuhm er immer
auch burdj „hodjbeutfdj" tuirb erlangen, befennen toiü er jeberjeit
. . . frei,
$ajj (Sure 'Uocfic ber meinen SDiutter fei.
@3 thut notl) barauf ganj befonbcrä bi^Ä^^eifen, weil bie
meiften Sitterarhiftorifer nur feiner franjöfifchen si5orbilber
gebenfen. SSohl hnt Opife feine Öeifpiele aud) uon granfreidj
l)er geholt, aber erjt nachbem er, ber Schüler ®aniel .^einfiuS,
in §ollanb Sehre genommen. Ülber nidjt nur bie beutfdje
Sprif, aud) bie beutfdje bramatifdje Sitteratur tuurbe uon ber
nieberlänbifchen beeinflußt, toie fo manche Ueberfepuugen unb
^Bearbeitungen nieberläitbifcher ©chaufpiele jener 3eit lehren. . .
®aS 3eitalter s-ßoubel« bebcutete ben §öljepunft beS nieber»
länbifc^en ©djriftthumS unb aud) ben Ijöljepunft ber politifdjeit
SJfadjt ^ollanbg. fpier toie bort folgte gar halb ein rafdjer
Siiebergang, bem fein bebeutenber ?luffdjtuung meljr folgen
follte. 3tuar hob fid) bie Sitteratur in ber gioeiten |)älfte be$
18. 3ahrhunbert3, gtoar geitigte fie feither manche buftige
Slütlje, aber feine einjige, bie ficfj ju bem Strauje ber SBeltlitteratur
fledjteu liefe.
(462)
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Die
©pfrf uni) bir Jnfel Öornljölin.
@eo(ogi(cf)e mtb fulturfjiftorifcfie 33ilber.
SS ortvag,
gegolten im ©nftaö>9tt)oIf-S5erein ju SBraunfdjmetg
oon
l)r. £foos,
i*toftilor ber ökolcgit unb iJlinfraloflif an ber ^cr^ogl. $o4fdjule
ju »raunidirocig.
ffltit jct>n Slbbilbungen.
Hamburg.
SBerlagßanftalt unb ®rucferei 31.-©. (bomtalß 5- iWic^ter;.
1890.
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I'q« ber Ueberjebung in frembc ©praßen wirb öorbefyalten.
Irud btt Btrlagianflalt unb Student flctitn-ÄrftUidiaft
(normal! 3. g. Witzler) in Hamburg.
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^ie ©eologie ober bie Sehre oon ber (Srbe fann
fich nicht rühmen, eine populäre SEBiffenfcfjaft ju fein. Namentlich
bie pofitioett, auf £f>atfacf)en gegrüttbeten ©rgebniffe berfelben
erfreuen fid} feine« allgemeinen unb fjeroorragenben Sntereffe«.
@tma« meljr ift bie« ber gatl mit bemjenigen Steile unferer
S33iffenfd)aft, melier n acf) beit Äräften forfdjt, bie tuolfl mirffam
geroefen fein fönnen, um unfere Srbmaffe jum platteten ju ge«
ftalten unb biefem Sßeltförper biefenige 33efd)affenl)eit ju geben,
meld)e jur @ntftef)ung, ©ritahrung unb 33ermef)rung organifirter
SSefen nothmenbig mar.
©o bilben gemiffe Slbfc^nitte ber btjnamifdjen ©eologie,
bie fic^ über bie §erau«bilbung ber @rbe au« einer djaotifdjen
SDfaffe unb ihre SJejic^ungeu jtt ben übrigen £immel«förpern
oerbreiten, beliebte ©egeuftänbe geologifc^er Ißorträge. Sfber
gerabe biefe ^Ibfc^nitte finb rein tljeoretifdjer Natur unb befifcen
miffenfdjaftlicfy nur ben SSertl) unb bie ©ebeutuug oon §ppotf)efen,
b. f). oon ©rflärung«oerfucheu , melche burch $ljatfad)en nidjt
ober nur feljr unjurcicffenb bemiefen merben fönnen. Slufjer-
bem liegt bei begleichen ^Betrachtungen bie ©efaljr febr nahe,
baß ber 23oben ber ejaften Naturforfdjung überhaupt oerlaffen
mirb uitb mir burd) bie nur allein oermenbbaren ©pefulationen
unmerfbar in« ©ebiet ber opf)ie — unb $mar in ben
nebelhafteren $hert berfelbeit — in bie SNetaphpfif — hinü&er’
geführt roerbett.
Sammlung. ». 0r. V. 109. 1* (465)
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4
©tma« günftigcr oerßätt fid) bie @ad)e bet Setracßtungen
über bie ©efcßicßte ber ©rbentmidelung $u einer ftelt , welche
bem ©rfcßeiuen be« SJtenfcßen unmittelbar oorangegattgen ift. @3
mürben biefe in ßoßem ©rabe geeignet fein, ba« Qntereffe fämt*
lieber gebilbeter Streife bauernb ju feffelit, mettn nicf>t bie
©eologie, fomcit ißr tßatfädjlidje 93erßättniffe unb ejafte gor-
fauligen gu ©ruttbe liegen, eine fo junge Sßiffenfdjaft märe!
©« mecßfelit noeß gu feßr bie grunblegenbcit SIttfcßauungen über
ßödjft mistige Stbfdjnitte ber ©rbgefcßidjte unb jmar um fo meßr,
je näßer utt« biefelben liegen. @« ift bie« fo feßr ber gaö,
baß geologifdje ficßrbücßer, roelcße unferen ©tanbpunlt in ber
jmeiten §älfte ber fiebriger gaßre noeß forreft unb erfcßöpfeitb
gttr Darftetlung brachten, jeßt bereit« in Dieter iöegießung Deraltet
finb. Stameutlicß finb ade bamaligett Slnfidjten über beitjenigen
3eitabfcßuitt, an« meldjcm mir bie ätteften menfeßließen Ueberrefte
fentten — unb bie bi« baßin bie ßerrfeßenben mareit — ,
jur 3e*t Dotlftänbig aufgegeben.
@« giebt jmeiertei SIrteit Don Staturbctracßtuna, bie id) al«
bie fdjmärmerifdje ober inftinttioe unb at« bie Dernünftige
ober rationelle begeießneu möchte, ©rftere giebt fieß ununt-
fdjränft, aber aueß unbemußt, beit ©inbriiefen ßin, melcße bie
Statur auf ba« menfcßlidje ©emiitß au«übt, oßne naeß ben
©rünben biefer ©inbriide gu forfdjen, oßne banadj gu fragen,
in meinem tßatfäcßlicßeu 3ufammenßange bie ®inge fteßen, bie
uttfer Singe erblidt. ®ie rationelle Staturbetracßtung bagegeit
fueßt fogleicß gu ergriinben, in mclcßer SBeife unb me«ßalb
ba« ©efeßene auf uitfcre ©imie mirft unb mobureß bie Statur*
förper in ißrer Slnorbitung fieß fo überall« ßarmonifcß geftalten.
Seibe Slrten ber Sctracßtung föituen einen ßoßen ©emiß
gemäßreit — glüdlid) oeranlagte Staturen finb fogar beiberlei
Sluffaffuttgen fäßig unb bei ißnen mirb ber inftinttioe ©enuß
bureß ein Dernünftige« ©enießen noeß gefteigert. ®er Statur-
(4661
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o
fcfjw ärmer ift jebod) abhängig oon feiner Stimmung, oon ben
©ittbrüefen beS SlugenblicfS, oon beit obwaltenbcu SBerhältniffen
in feiner Umgebung, oon feinem förperlidjen SBohlbefinben;
fein ©enufj ift ein oorübergef)enber, ein bebingter. (Die ratio-
nelle fflatnrbetradjtung bagegen ift eine fortbauerube, utter*
fd)öpflid)e Guclle eines ©enic&enS, welches feine Sßiberwärtig-
feiten beS SebenS, ja nidjt einmal förperfidje üeiben 31t beein-
trächtigen im ftanbe finb, fo lange unfere Sinne nod) sur 93e-
obadjtung unb jur Sergleichung anSrcid)en.
$u einer vernünftigen 9tnturbetrad)tung gebürt fclbftocr-
ftänblicf) ein gewiffcS SDßafj oou pofitioen Renntniffen. SEBenn
auch bie ©abe ber Scobadjtung etwas SubioibuelleS ift, oon
ber Schärfe beS ülugeS, beS Chrc^/ »or allem Dom Sau unb oon
ber Sefchaffenheit beS ©efjirttS abhängt, fo fann ein Rombiniren
auf ©runb eigener Seobacfjtungeu ober berjenigen Ülttberer nur
gefdjehen, wenn bie geeigneten SorauSfehungen oorhanben finb.
3e reidjhaltiger ber SNeitfdj mit Renntniffen auSgeftattet ift, je
anehr er eS oerftanben hat unb immer nod) oerfteljt, bie ®r*
gebniffe ber gorfchung in fid) aufiunchmen, je gröfjer wirb feine
ffreube an ber 9iatur fein fönneit. (Deshalb fteigert fid) ber
rationelle Statnrgenufj mit ben Renntniffen, mit bem Sllter,
mähreitb bie fRaturfchwärmerei oft im gleichen SSerfjältnifj abnimmt.
(Deshalb fann eine unb biefelbe 9ieife 311 oerfd)iebenen
3eiteit, in oerfchiebenent SebcnSalter gemacht, unter fonft gleid)ett
Serfjältniffen, einen gau3 oerfchicbcneit ©enufj gewähren, and)
gans oerfchicbenett (Jrfolg hüben. (SS ift nicht 31t leugnen, bafj
fogar Renntniffe, bie auf ben erften Slid mit ben Staturwiffen-
fchaften nichts 311 tfjun 31t hoben fcheiuett, 3. S. gefd)ichtlid)e
Renntniffe, bod) in fjofjem 9Rajje ba3u beitragen fönnen, ben
9taturgenufj 3U erhöhen.
@S erflärt bieS auch bie Serfitüpfung oou ©eologie unb
©efchid)te, welche fid) in bem STitel biefeS SortragS: ©eolo-
(4G7>
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gifdje unb fultnr^iftorifc^e Söifber ton ber Oftfee unb
fpeciell oon bcr Snfel ©ornljolm ju erlernten giebt unb
welche ©erbinbmtg groeier formbar heterogener ©egenftänbe
tießeicht auf ben erften ©litf etwa« wuttberlich erfcfjeint. 333 ic
fetjr gefd)id)tlichc ®inge ton Sntereffe für ben ©eologcn finb
unb fruchtbringenb auf geologifche ©etradftungen wirlen löttnen,
wirb bie ©ntwidelung meiner ©Über jeigen müffen.
3n ber alten ©eographie he*6* Oftfee mare balticum.
2>ie 58ejeid)niing leitet fich ab Don bem Iateinifc^en SBorte
balteus unb ihm liegt wieber baS altnorbifd)e belti ju
©runbe, aus welchem baS fdjwebifche hält, baS bänifdje bälte
(beite) I)ergeleitet wirb. Sämtliche Sßorte haben bie ©ebeutung
©ürtel ober SReereSgürtel. Baltia ober Basilia nannten
bie alten ©öller and) baS £anb ober bie Snfel im (Rorbcn
©ermanienS, woher bereits in torgefdjichtlidjen feiten, wie bie
guttbe aus ©räbern beweifen, ber ©ernftein bezogen würbe.
Offenbar hatte fich ber im Slltnorbifchen wurjelnbe SRame
ber Oftfee auf baS ©ernfteinlanb übertragen, benn befanntlich
ift baS (übliche ©eftabe biefeS ÜHeereS bie Sdjahlammer, welche
noch jejjt baS fo fe^r gefuchte SUfaterial für ßunft- unb Sdjmud-
gegenftänbe liefert.
Ülud) wir gebrauchen fefjr häufig ©ejeidjnung ©al*
tifcheS 2Reer, wie benn üott ©eographett unb ©eologen bie
(Region ber Oftfee gan* gewöhnlich ©altifcheS ©ebiet, bie
beutfdje Oftfeelüfte in ihren Dcrfd)iebeneH $heilen ©alt if che
Tiefebene, ©altifdje Seenplatte u. f. w. benannt wirb.
2>ie jefct gebräuchlichere ©ejeichnung als Oftfee foß juerft
um bie (Dlitte beS neunten Saljrhunberts auf baS ©altifche
SJieer Slnwenbung gefnnben hüben, jur $eit, wo im Aufträge
beS angelfäd)fifcheu Königs Sllfreb beS ©rohen fiihne 9?or>
männer bie 2Reere um Sfanbinatiett bereiften unb bie (Radjrichten
über ihre ©ntbedungen unb Streif jiige nadj ©itglanb brachten.
(468)
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i
2Bir ^aben guten ©runb für bie Sinnahme, bafj bie Oftfee,
gcologiidj gefprodjen, ein fcfjr geringes Sitter befijjt. 3n ber
©cologie ift eS nidjt möglich, mit ben gleichen 3citma§en ju redjnen
wie in ber ©efdjidjte unb im täglichen fieben. Sin 3ahr ift
eine unbeftimmbar Keine ©röfje — ein Sa^r^unbcrt ein nur
burd) bie fcfjärfften örtlichen ^Beobachtungen nachweisbarer $eit*
raum in ber SntwidelungSgejdjtdjte unfereS Planeten.
SBären öor taufenb fahren bie entfprechenben 3Jleffungen
gemacht unb bertrauenSwerthe Ueberlieferungen oon mehreren
fünften ber Srbe über geologifdje Serhältniffe aus einem fo
entlegenen 3eitrcmme iu unS gefommen, fo toürbe Dielleicht
baS 3 ahr taufenb ein geeignetes 9Rajj abgeben, um geologifdje
^Begebenheiten ju beurtheilen. SS mürbe bann wot|l mögiidh
fein, SBeränberungen in ber ©eftalt ber Srbe, in ber 93ertf)ei«
Iung oon £aub unb ÜBaffer, in ber Srljebung ber ©ebirge u. f. w.
ju meffett. Äomntcnbe ©efdjledfjter werben mit bem Safjrtaufenb
als SinljeitSmafj geologifch rechnen fönnett; haben hoch bie lebten
Sahrhunberte eine ganje Steife werthooller ^Beobachtungen über
bie fdjmanfenben SBerhältniffe oon £anb unb SDieer, über ®e*
wegungen beS Srbfeften — furj über sßeränberungeu gebradjt,
welche trob beS fcheinbar geften Unwanbelbareit itt unb
auf unferem fßlaneten oor fich gehen. Sludfj bie Umgeftaltungen
in ber $h‘er‘ unb ‘‘Pflanzenwelt, ber SBedjfel in ber geograph'fch«»
SSertljeilung ber Organismen machen fich immer mehr bemerfbar,
je älter baS ÜDieitfchengefchlecht unb je mehr ber Sinn für foldje
SBahrnehmungen gefchärft wirb.
SBir fönnen atlerbingS nur nach geologifchen ^ßerioben
rechnen, beren ©rennen fich burd) auffällige Slenberungeti in
benjenigen fReften ber organifirten Söefen ju erfemten geben,
welche einer Srhaltuug in ben Srbfdhidjten fähig waren. 5Dort
legen wir beim bie ©renje jroifdjen jwei geofogifche gor*
mationen ober ^ßerioben. 3« ber Äinbheit ber SBerfteinerungS*
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8
funbe, als baS SDlaterial, welches uns jur Beurteilung ber»
gleidun Berljältniffc ju ©ebote ftanb, noch mangelhaft unb
äufjerft unooUftänbig war, fpradjen mir oom Untergang ber
älteren Sebewefen unb non- ber ©d)öpfung neuer Fornten-
Taher unterfcf)ieb man früher ©djöpfungSperioben, beren
jebe ben Untergang einer früheren SSelt uorauSfejjte.
Fcfct wiffen wir, bap alles 9leue aus Umbilbung unb l£nt»
tuicfelung beS Sitten entftanben ift. Taher laffen fid) bie ©renjen
ber Formationen nicht mehr fcharf ziehen unb »iel weniger noch
als früher wagen wir eS, bie Sänge einer ^eriobe, bie Zeit,
welche eine Umgeftaltung in Slnfprucfi genommen hat, in Fahre unb
Fahrhunberte auSjubriicfen. Sille Berfudje aus bem SEBadjSthum
oou ©rbfd)id)ten, wie baSfelbe an einigen fünften ber (Srbc, j. B.
in FlufjbcltaS ober in Torfmooren, währenb ber hiftorifdjeit ßeit
oor fich gegangen ift, auf bie Zeiträume ju fdjliehen, welche bie
23ilbung unferer $nlf» unb ©aubfteine, unferer Stfjonfchiefer unb
ftohlenflöfje in Slnfpruch genommen hat, erwiefen fich als mifcloS,
Febe neue Beobadjtung, jebe ©pecialunterfuchung weift barauf
hin, ba& wir eS mit Zeiträumen zn thun haben, beren Tauer
ber menfdjliche ©eift nur ahnen !ann, wie er auch nicht im
ftanbe ift, fid) eine flare Sßorftellung ju machen oon ber @nt>
fernung ber Fijfterne unb oon ber SluSbehnung ber ©onnenftjfteme
im Staunte!
Tie jüngften geologifchen gerieben werben als biejenigen
beS TilutiumS unb SllluoiumS bezeichnet. Tiefe Benen--
nungen fiitb auf bie lateinifdjen Berben luo unb lavo für SBafdjen,
HuSwafchen, Slbwajdjen jurüdzuführen. ©ic geben zu erfennen,
ba§ wir für biefe Formationen im wefeutlichen auf ©d)Wemm»
gebilbe, Slbfä^e burch Ftnffe ober ©letfdjer angewiefen finb,
wie folche auf bent Feftlanbe oor fid) gehen. Tie jüngeren
SDieereSbilbungen finb mit wenigen StuSnahmen unfereit Singen
oerborgen, unferer Beobachtung entzogen.
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ÜBemt wir ju ben Igoren Sraunfdjweigg ^inau^Joanbern,
bemerfeu »ir ait allen fianbftrafjen |>aufwerfe Pon ^anb- big
fopfgroöen ölöcfeit fefler, harter, meifteng frpftaUinifc^er geig*
arten, jogenannte Sefefteiite, weldje ber ißflug beim bearbeiten
beä Slderg aug bem ©aub* ober 2e£)mboben ju Sage geförbert
hat. gwifdjen biel'cn Heineren Steinen liegen oereinjelt blöcfe
oon ganj bebeutcnbeit Slbmeffungett, loie fie oorjuggweifc alg
■^rell* uitb Scffteine an ©trafjeneden oerwatibt werben ober nad)
bem 3erfd)lagen alg bamnaterial bienen. die gelgarten finb
hödjft perfcfjiebencr Slrt unb oft lägt fid) ang einem einzigen £>auf*
toerfe eine rcid)haltige unb jiemlid) Pollftänbige petvograp^ifefje
Sammlung vurcd)tmad)en.
Sille biefe ölefteine (unb fie finbeit fid) in glcid)er SBeife
voie bei ung im ganjeit nörblicfjen deutjd)lanb, in ben Slieber*
lanben, in dänemarf, im fiiblidjen ©daneben unb in einem
großen dfjeile SHufjlanbg), ftammen aug ben Ölebirgen
©fattbinaoieitg, ober ipenigeng aug Siegionen nörblid) oon ben*
jenigen ölegenbcn, too fie fid) gegenwärtig uorfinben. 9lid)t bag
SBaffer, bag gewöhnliche drangportmittel non verriebenem unb
Verfallenem Ölefteiugmaterial, l)at fie an iljve jc^igen guubfteDcu
gebrad)t. SJlöge bie bewegunggfäfjigleit beg fliiffigeu ©lementeg
aud) nod) fo groß fein itub erftaunlidje ÜJlengen jerftörter öle*
birggfehichten burd) nufere glüffe angefdjwemmt werben, bag
Söaffcr in fefter gorm, alg Sig, ift ein noch oicl beffereg unb
ergiebigereg drangportmittel.
diejenigen loderen ©efteine, welche ber 5£^ätigteit ber
©letfd)er ihre ©ntftefjung oerbanfen, nennt man SJloränen, fo
lange fie nod) nicht Pon @letfd)erbäd)eu unb anberen flicfeenben
©ewäffern bearbeitet worben finb. die norbifchen ©efdjiebe
ber baltifchen ©egenben nun fiitben fief) entweber in einer uit*
oeranberten ©runbmoräne ober in ben umgelagerten unb auf*
bereiteten Söilbuugeu, bie aug berfelben Jjeroorgegangeu finb.
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Siefe oormalige ©rwtbmoräne eineg gewaltigen bituoiaten,
ffanbtnaoifchen ©Ietfcfterg fpielt in ber neueren ©eotogie ber
norbifcfjen fiänber eine bebeutfame SRotle. Sie wirb üerfdjie*
bentlid), je itadj ihrer SRatur unb 3ufammenfej)ung, als 83tod»
ober ®ef cbiebetebm unb atg ©efd)iebemerget be^eirfjnet.
Srft nadjbcm man bie üerfdjiebenartigen ©cbwemmgebilbe
beg ttörblidjen Suropag mit beseitigen ©cftuttmaffen öerglidjen
batte, bie in beit Süpett, in Sstanb, Norwegen, namentlid) aber
in ©röutanb, oom Sife trangportirt unb surücfgetaffen werben,
ift man über ihre Sntftebunggweife oöflig ing llare gefommen.
ffig giebt benn auch gegenwärtig nur wenige ©eotogen, bie in
ihren Snfcbauungen non ben oorgetrageiten abweicbett, wenn
and» über bie SBer^ältniffe an bestimmten Orten, unb namcittlicb
über bie SluSbebnung unb iöegrenjung ber bituoiaten 9)Jeere,
noch 2Reinunggoerfd)iebenbeiten obwalten.
Sine 33ergtetfd)erung beg ung beutc intereffirenben ©ebieteg
famt aber nur baburd) erflärt werben, baß wäbrcitb ber ißeriobe
beg Situoiumg bie ftimatifcben SBerftättniffe gänzlich oerfdpeben
Waren oon ben gegenwärtig ^ier obwattenben. hätten wir eg
nun mit einer oereinjetten Srfdjciming ju tbun, jo tiefte ficb
ein fäftereg unb gugleid) feftr feudjteg Stima für unfere ©egenben
am einfatbften non einer oerfdjiebenen SSertbeitung oon £anb
unb SBaffer, oon Kontinent unb ÜKeer, Verleiten. SBenben wir
aber unfere Stide nad) anberen fRegionen ber nörblidbcn ^>alb-
fugel, j. 23. nach SRorbamerifa , fo treffen wir bort auf bie
gleichen ©rfefteinungen. Sud) fyev lönnen wir nicht umhin an-
junehmett, baft in ber Siluoiataeit eine Söergtetfdjerung ooit
gr öfteren Sänberftrecfen ftattgefunben habe, oon fotchen ©egenben,
bie jeftt oöflig frei finb oon einer Sigbede unb bie in einer ber
jeftigen gemäftigten Rotten unferer Srbe liegen.
Sieg füftrt uitg baju nad) einer allgemeineren Urfadfe für
bie gänjtich oerfdjiebene SBertfteitung oon Sßärme unb Säfte
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auf ber nörblidjen |>albfugel überhaupt ju fuchen. SRachbem
viele vergebliche SBerfudjc eine einigermaßen plaufibele ©rfläruitg
au« fosmtfchen ©rünbeit ^cr^uleiten, gemacht uitb gefcheitert
waren, würbe ber franjöfifche SDiatEjematifer Slbhemar in
1842 ber Segriinber ber (Dljeorie ü0,t ber s?eriobijität ber @i«»
Zeiten burd) bie verfchiebene SSertheilung ber ©onnenwärme auf
bie nörbtiche unb füblidje $albfugel im Saufe vieler (Eaufenbe
von Saßren. ®iefe vom englifcheit Slftronomen (Srofl erweiterte
(Dheorie erfreut fid) auch je^t noch vieler Anhänger, namentlich
unter Slftronomen unb Sß^Qfifern.
SScrfdjiebene ©rfcheinungen am §immel weifen barauf hin,
baß burch bie Ülnjiehung ber .fpimmelSförper, namentlich von
Sonne unb üüioitb, bie Neigung ber (Srbachfe jur Sonnenbahn
beftänbig etwa« veränbert wirb. SJlan bezeichnet bicfe (Sr-
fdjeitiung al« ba« SBorrütfeu ber 9iad)tgleichen, unb fann ich
hier bariiber nur mittheilen, baß nach ber Slbhemarfcßen Theorie
wäßrenb einer ißeriobe von beiläufig 10 500 Sohren ba«
SRajimum ber SBärnie, welche bie Srbe von ber Sonne erhält,
von ber nörblidjen auf bie füblidje |>albfugel verfchobeit wirb
unb umgefehrt. (Danach f)ätte im 3ahre 1248 unferer ftcit-
rechnung ba« SKajimum ber SBärmevertheilung auf ber nörb*
lidjen §alb!ugel ftattgefunben unb fich biefelbe feitbem immer
mehr abgefühlt. (Dann hätte bort jebodj auch 9250 Sahre
vor unferer ßeitrechnung kag 3jj0jimum ber ftälte geßerrfcht
unb fo wäre e« erflärlid), baß ju ber $eit bie Si«bebetfung
hier am au«gebehnteften gewefeu fei.
(Die Slbhemarfche Dheorie begegnet fefjr vielen Sinwänben,
namentlid) feiten« ber ©eologett. Ginntal ift e« noch nicht ge»
hingen, geologifdje SQeweife bafiir aufjufinben, baß auf ber
nörblicßen ftemifpfjäre periobifche SBergletidjerungen ftattgefunben
haben, unb bann beuten viele ©rfeßeinungen barauf tun,
baß feit ber Sßergletfcherung be« baltifdjen ©ebiete« ein
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bebeutenb größerer Zeitraum oerftridjett fein muß, als bie Sfjeorie
crgiebt.
SereitS feit anbertfjalb Sahrhunberten fjaben bie Stiften
ber Oftfee einen flaffifdjett Sobeit abgegeben für f)öd)ft wichtige
^Beobachtungen ^infic^tlic^ einer anberen, üielfadj erörterten
geologifdjen (Srfdjeinung. (SS Ijanbelt fid) babei um bie Ser-
änberungen, bie währenb ber fjiftorifdjen $eit in ber ^Begrenzung
t>ott fiaitb unb SBaffer ftattgefunben ^nben. 3)er fchwebiidje
©elchrte GelfiuS, ber greunb beS SinnäuS (beffen 91ame am
meiften baburd) befannt geworben, weil er ben glüdlidjcn ©riff
that eine ®cjintaltbeilung ber £fjermomcterffaIa an bie Stelle
ber früheren unpraftifdjcn Xiteilungen zu fteden), fammelte juerft
im Anfänge beS «origen SafjrhunbertS bie Ueberlieferitngen,
weldje unter ben Siiftenbewohnern beS bottnifdjen ÜJieerbufenS
über baS langfame Steigen ber Stifte beftanben. (Sr tlfat aber
nod) mehr — an bein felfigeit ©cftabe würben oielerortS
3eid)en in baS ©eftein cingehauen unb biefe fonnten ju fpäteren
efaften SKeffungen gebrandjt werben. SluS ben «ielen jeßt oor*
liegeitbett SBatime^mungen, Sergleidjungeit unb f)iftoriffc^eii 91uf-
Zeidptungeit ergiebt fid) baS unzweifelhafte Siefultat, baß bie
ganze Oftfüfte ©djwebcnS unb baS gegeniiberliegenbe Ufer
ginnlanbS wou §aparanba im korben bis SarlSfrona im
©üben in Rebling begriffen ift, b. h- immer höher über ben
Söafferfpiegcl emporfteigt.
3m allgemeinen nimmt baS SPiajj biefer ^Bewegung non
Sliorben ttadj ©üben ab. Sott ben «ielen 3a§ien/ welche oor-
liegen, wähle id) nur einzelne unb zwar foldje, benen bie
längften $Beobad)tungSzeiten zu ©runbe liegen. Hnbere ba-
ZWifdjenfalleitbe 9J£effungeu finb weniger znoerläffig, toeil fie
nur auf einer oierzehujährigen ^Beobachtung beruhen.
Sei ber ^afenftabt ißitea in 65° 91. ©reite beträgt bie
©teigung für ein 3ahrhunbert 1,26 m; an ber Stifte beS Sirch-
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fpiel§ Satan, ein ©rab »netter fiiblid), ift faft bie gleiche 3al)l,
1,23 m, fonftatirt, unb bet ber bebeutenben £>anbel§ftabt ©efle
in 60° S. Sr. fonb man für ben gleichen Zeitraum nur 0,85 m.
©üblich öom 60. Sreitengrabe liegen feine genauen Slcffungen
oor. 3tt ber Umgebung non Stodljolm (59° 30' 91. Sr.) unb
ftalmar (56° 30') lägt fiel) auS Slenberungett, bie im Saufe ber
3eit in ber Sage öott ©ebäubeu unb Säumen ftattgefunben,
bie ^ebung nod) fdjäf}en unb gmar »ttirb fie für bie Jfjauptftabt
Sd)»oeben8 auf 0,25 m, für ftalntar auf 0,15 m itt einem
3ktf)rf)unbert angegeben.
©ang anber§ jeboef) liegen bie Serfjältniffe am füblictjett
©eftabe beS baltifchen SDteereS. Son einer ^jebuitg be3 SanbeS
in f)iftorifdjer $eit ift ^ier feine Sebe mehr, bagegett taffen fid)
üielfad) ülngeichen ber eittgegcngefe^ten ©rfdjeinung, eines aH*
mählichen UntertaudjenS ber fladjen ftüfte unter ben SBafferfpiegel,
auffinben. §iergu gehören bie ttntergegangenett 2SaIbmtgen im
SDtemel-Selta, beren Seftc gegenmärtig unter ber Oberffärfje beS
&urifd)en |>affS liegen, bann alte Stcinpflafter unb anbere
Slngeidjen be§ cinftmalS trodetten SanbeS, bie jegt ftänbig über«
fpiilt finb.
Sei einer Seurtljeilung biefer Serfjältniffe ift jebodj mit
größter Sorficfjt gu »erfahren unb namentlich gier finb längere
fßerioben ber Seobadjtung nötgig, als uns bi« jegt gu ©ebote
ftegett. Sor allem fann eine llfergerftörung burdj SSMettfdjfag
ober eine neu eintreteitbe Stauung ber Strömungen gmifcfjen
geftlanb unb Unfein leidjt mit Ueberflutgung unb Settfutig beä
SanbeS üermcchfelt »oerbeit.
Sooiel ift aber mit Sidgergeit nadjgemiefcn, bie Sdjmatt«
fungett gtüifcgeit Sanb unb ÜDteer, bie Serfdjiebuttgen ber Stranb«
linien be$ baltifcgen SUiftengebieteS, gegen nicht überall gleirfjmägig
unb in ber nämlidjcn Sichtung oor fieg. SMefe Jhatfache ift »on großer
Sebeutung für bie ©rflärungSuerfuche be£ iutereffanten ißhänonie,,S!
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2)ie ^Bewegungen, welche noch gegenwärtig im ©ereile ber
Oftfee ber feften Srbfrufte inneguwohnett fcheinen, fmb nichts
weiter al« bie gortfefcung ber Aufwärt«preffungen in oor-
Ijiftorijdjer 3eit, wie fie au« ber Höhenlage ber jüngften SReere«-
bilbungen unb bereit (Entfernung uom jefjigen ©tranbe gefolgert
werben müffen. ©owof)I im füblid)en ©fanbinaoien wie im
norböftlidjen SJeutfdjIanb fiitben fid) weit in« 2anb hinein
3Reere«abfäße mit unzähligen fReften oon ©eethieren, welche mit
ben jeßigen ©ewohnern ber nörblidjen 2Recre ibentifch finb.
3n ©chwcben ergeben fid) foldje äRitfdjelbänfe bi« gu einer Höhe
Bon 250 SRetern über ben ©piegel ber Oftfee.
Sin ber tief eingefdfnittenen fdjwebifchetx SBeftfüfte nörblid)
Bon ©otcnburg liegt ber freunblic^e Sabeort UbbeDaQa. ©eine
Umgebung Ija* burcf) biefe fogenomtten gehobenen SRufchelbänfe
eine große Berühmtheit erlangt. ®a auf ber neuen 9toute oon
9Ralmö nach Gljriftiania ein Heiner Abftecher e« ermöglicht
UbbeBaHa gu befudjen, laffett fie fid; jeßt mit fieicßtigfeit erreichen.
SRachbent man bie großartigen STroü^ättafälle befidjtigt, ba«
Jh“f ber ©ota-@lf bewunbert unb ficß an ber intereffonten,
aber geitraubenbett gahrt burdh ben SroHhäOafanal ergöfjt hat,
Berläßt man in 2Bener«borg bie ^auptlinie. ®ie ©apn führt
junädbft über ein Hochplateau be« ©ruitbgebirge«, welche« aus-
gezeichnet fchöne ©eifpicle einer fogenannten Siunbhöcfcrlanbfchaft
mit ihren burd) ©letfcßer abgehobelten, gerunbeteu unb geglätteten
Reifen barbietet. 3n ber SRähe be« Orte« fährt ber 3U8 niit
fteilem ©efäfle in einen alten 9Reere«fjorb, ber je(jt faft gättglich
Bon Ablagerungen au« jüugfter 3eit erfüllt ift. ©ineSiheil«
finb e«'mäd)tige ©letfdjerbitbungen, 9Roränen mit gewaltigen
erratifcßen ©loden, anbenttheil« bi« gu 30 2Reter ftarfe An-
häufungen Bon ganzen unb getriebenen ÜRitfchelfchalen, oermifcht
mit etwa« ©anb unb mit oereingelten ©eröllett. 3h*e größte
(Entfernung oom jeßigen Ufer beträgt brei Kilometer unb lagern
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fie unmittelbar auf ben oon ber ©ranbung glatt gelecftcn
©neifjfelfen. die 9)iufc^eln befielen gröjjtcntheilS aus fofdjen
formen, bie noch jefct an ber bortigeu ftüfte leben, jurn Streit
aber aus Wirten, bie gegenwärtig erft in fjöljeren ©reiten, in
fälteren 3onen beS atlantischen OjeattS, angetroffen werben,
die oöflig gebleichten, bid)t auf eiitanber gepacften ©chalett
liegen bis in einer £öf)e oon 60 ÜDtetern über bem ©fager»9laf.
dergleichen Stnhäufungen ber ©chalen oon ©eethieren, bie
noch gegenwärtig Oft» ober Slorbfee, jurn dfjeit beibe SUieere,
beoölfern, werben nun auch angetroffen auf ber Snfel Oefel ltnb
ben übrigen, bem SRigafdjen SDleerbujeit oorgelagerten Snfeln, fowie
an ber Sfüfte oon (Sfthlanb. £>ier erreichen fie jebodj nur eine
£wf)e oon 10 ÜJletern über bem SDieereSfpiegel, wieber ein ©eweiS
bafür, bafc ein Smporfteigen beS SanbeS im füblichen dheile
beS baltifchett ÄiifteugebietS bebeutenb langfamer oor fich geht,
als bieS im Siorbett ber galt ift.
daSfclbe gilt für bie nörblidjen dl)eile Sänetttarfs, für
3ütlanb, $ünen, ©eelanb, fowie für SÜtöen unb ©ornholm. ?Wer»
roärtS jeboch giebt fid) nörblich oon einer Sinie, weldje giter burch
dänemarf oerläuft unb bann jwifdjen fRiigen unb ©ornholm
hinburch nach ßurlanb hiitüberfejjt, ein langfameS ©teigen beS
ßrbfefteit 3U erfettnen. ©ntroeber liegen alte ©tranblinien in
1,5 SJJeter $ölje über bem jef)igen mittleren Söafferfpiegel, ober
neue Snfeln finb in h'ftorifcher 3«it entftanben, ober ©anbbänfe
unb Untiefen oerbinben jefct SanbeStheile, bie früher burd) fahr»
bares SSaffer getrennt würben.
Sange 3«ü hot über bie Urfadje biefer (Srfcheinung bie
gröfjte Unflarheit geherrfdjt unb 3toar houptfächlid) baburdj,
weil mau bie langfameit, fogenannten fäfularen Hebungen unb
©eufungett ber jüngeren unb jitngften GSntmicfelungSftabien
unfereS ©rbförperS ftetS für etwas gattj anbereS angefehen hot,
als biejenigen ©erfdjiebuttgen, welche ttnfcre ©ebirge gebilbet unb
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f)od) über baS äReereSniueau aufgetfjürmt haben, $te berühmten
(Steilufer ber baltifrfjen Unfein, bie ftlintS auf ÜRöen unb SRiigen,
haben jebodi in attcrjüngfter $eit burdj eine neue unb jebenfatlg
richtigere Huffaffung ber SagerungSnerhältniffe ben Scfjfüffel jur
©rflärung geliefert. SDort liegt bie ©ruubmoränc beS biluoialen
©letjdjerS aflermärtS im gleichen 9iioeau mit ben bebeutenb älteren
Sreibefchichten. ©ie ift an ben SJänbern eines ©enfungSfelbeS att
©palten hinabgefunfcn, unb liegt jeftt neben älteren ©c^ic^ten
ganj in gleidjer SSeife wie in unferen ©ebirgen bie aJiecreS»
bilbungen ber oerfd)icbenften SllterSftufcn uebeneinanber liegen.
SSir haben es baher audj hier im »oüften ©inne beS SBorteS mit
©ebirgSbilbung ju thun. 3m füblidjen SCfjeire ber Oftfee ift nad)
ber ©letfcherjeit eine ©enfung cingetreten, unb infolge beffen
muhte baS Saub im ÜRorbeit fdjeinbar fteigen, inbem baS 2Hcer
fidj oon ber Äüfte surütfjog. ®iefe ©enfung geht nodj in
hiftorifdjer geit t>or fid)/ hat aber bebeutenb an Sntenfität ab*
genommen unb wirb nach unb nad) ganj aufhören.
SBir haben bcmnacf) bie 3nfeln beS baltifchcu äReereS
aufjufaffen als bie hödjften fßlateauS eines ©choUcn* ober
JcrraffengebirgeS, welches jum größten Steile unter bcm Spiegel
beS ÜReereS verborgen liegt. ©S liehe fich als baS baltifche
©ebirge bejeidjnen, welches erft nach ber ©letfdjerperiobe
feine jefjige .fjöhe unb ©eftalt erlangte.
3n ber SBiffenfchaft ift jebcSmal bann ein bebeutenber
gortfchritt ju t>erjeid)nen, menn cS gelingt jtoei fdjeinbar »er*
fdjiebeite Stfatureridjcinnngen auf eine unb biefelbe ©rutiburfache
^uriidjuführen ; wenn mir üoit neuem erlernten , bah eine unb
biefelbe Straft fidj unferen ©innen in ganj oerfdjiebener SBeife
offenbaren fann. SRid)t bloh tritt eine Vereinfachung unb baher
eine Verbeffernng unferer Slnfchauungen ein, — bie harmonijche
©eftaltung beS SBeltallS jeigt fich immer mieber in ihrer ganzen
©rohartigfeit unb ©rhabenljeit!
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3n biefem fpccicüen galle ift bie Deränberte löeurtfjeilung
ber 33ewegungSerfd)einuttgen in bei- €ftfee ttod) beSfyalb oon
SBidjtigfeit, weil fie erlaubt nun enbflültig gtt brechen mit bem
alten ©tauben an ein wirflidjeä ßntporbeben irgenb eines
£f)eileS ber feflen ßrbfrufte!
Ueberblicfen mir nun bie ÜRefuItate ber neueren geologifdjett
Unterjudjuitgett in beit baltifdjen Äüftenlänbern, fo fommeit mir
gu ber nadjfolgenbett Jluffaffung :
3ur 3e'1/ at$ ber gewaltige notbifd)e ©letfdjer fid) von
bent ffanbinavifd)ett ©ebirge weit füblid) inS flacfje fiattb er-
ftreefte, war bie heutige Oftfee ttod) nidft vorljanben. 2Bo
gegenwärtig ein gerftüdelteS Snfelreid) von ben glut^en beS
SJieereS umwogt wirb, bcfinte fief) ein nichtiges f^eftlanb mit
wenigen parallelen, im gangen unbebeutenben ^ö^eugiigen aitS
uttb über ba^felbe feftob eine mächtige ©iSbecfe, belabeit mit
ben Krümmern beS Vorgebirges, langfam aber unaufljaltfam
Ifinwcg. ®ie 83erf)ältniffe müffen amtäfjernb bicfelben gewefen
fein wie biejenigen beS heutigen ©rönlanbS. 23ergteid)t man
bie SluSbe^nung biefeS ©ebieteS mit berjenigen ber baltifrfjen
SHegiou, fo oerfdjwinbet baS gweifelttbe Staunen, weldjeS ber
3bee eines völlig vergletfdjertcn nörblic^en ßuropaS gemöfynlid)
entgegengebradjt wirb, derjenige £l)eil ©rönlanbS, wcld)er
gegenwärtig oon einer nie fc^meljenben ßisbede iiberfruftet
wirb, erftredt fid), fo weit jefet befanttt, über gwaitjig 33reitett-
grabe, nach korben ftetig an Sireite gune^menb. TaS ßis
nimmt lper e>n ®real ein, welches baS baltifcf)e ©ebiet im
weiteften Sinne famt ben englifdjcn Sttfcln umfaffen würbe.
Sßäfjrenb gegen Süben baS mit ßiS belabene Sattb fid)
bis an bie erften f)öf)eren ßrljebtingett unfereS beutfd)en 93ater«
taubes auSbefjnte, lag im Cften ein weites SJieer, an ber
Stelle, wo gegenwärtig ginnlanb uttb baS niebrige, waffer-
reidje ©ebiet beS norbwcftlidjen SRufjlanbS auf ber fianbfarte
Sammlung. S. 0. V. 109. 2 <479)
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erftfjeint. äSahrfdjeinlich [taub basjelbe mit bem jeijigen Skißen
ÜDieere unb folglich mit bcm (SiSmeer in SBerbinbung, jeboch
hat bie« nod) nicht mit ©ewißheit nachgewiefen werben föttnen,
ebenjowenig wie e$ noch gelungen ift, genau bie Äiifte ju be*
Zeichnen beS jefjt oeridjwunbenen biluoialcn Kontinenten.
©rft nach ber Sinjeit be$ mittleren unb nörblidjen ©uropa&
bilbeten fid) bie Senfuitgöfelber, weld)e eine io bebeutenbe SSet*
fdjiebung ber Küftenlinien unb eine jo große Slenberung in ber
ffiertffeilung oon £anb unb SBaffer Ijeroorriejen.
(Sn erflärt fid) nun and) ungezwungen, wen^alb bie norb*
beutjdjen Küftengcbiete, namentlich Söeftpreußen, fjiomment unb
'Diedlenburg, ooHfomnien beit gleidjen ©harafter tragen wie
jäintlidje Jljeile Sänemarfn, wie 'Jiügeit, bie größte Snjel
an ben beutjdjen Äüften, unb wie bie fiiblidjen ^rouinzen
Scfjwebenö, namentlich Schonen unb ber größere 2f)eil t>on
ölefinge. 2)ie bcjeidjiieitbe Formation ift überall bie oormalige
©runbmoräne, ber ©efd)iebelehm mit feinen fich in allen Ihe‘len
biefen einftmain jufammenhängenben Siaubcn gleicf)bleibenben
heroorragenben @igenjd)aften, — mit feiner grud)tbarfeit unb
©rgiebigfeit für SBalb- unb Sltferbau, mit feiner ©rttährungS*
fähigfeit für SJienjd), $h'er »nb ^flanje!
Slbwechfelung unb ©lieberung in biefem oon oornherein
jebenfaün ^oc£)ft einförmigen ©ebiete haben erft bie jpäteren
öreigniffe heroorgerufen. Söie auf bem geftlanbe bie Senfungg*
felbcr unferen jeßigeu glüffen ihren 2Seg angewiefen unb jur
Gilbung ber IX^alalluoionen mannigfadjfter Slrt bie SJeran*
laffung gegeben haben, fo führten fie im baltifchen ©ebiete baS
ÜJieer herbei. 2)urd) feine 2f)ätigfeit würbe an einer Stelle
baö geftlatib jerftört unb an anberer Stelle oergrößert; überall
nagte e$ an ben Kiiften unb oerarbeitete e3 bie locferen ©efteinS*
bilbungeit ber ©isjeit. 9lacf) unb nach entftanben auägcbehnte
ebene glädjcn oon Sanb unb ©eröllen, auö benen alle feineren,
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flammigen If)et(e reeggefpiilt unb aitSgereafcheu finb — geft-
laub unb Sttfeln erhielten ben jo überaus mistigen ©tranb!
Aber fe^r ungleidjmäfjig ift biefcr ©tranb au beit llfcnt
ber Cftfee Dertfjeilt. greei iJfaftoren fomnten für bie Cber-
pd)engeftaltung biefel iiiitgften geologifcheu ©rjeugniffel in
©etradjt. gorm unb Sage ber Hüftenlinie einerfeitl, bie Slidjtung
ber oorherrfcheitbett 2Binbc anbercrfeits, fdjreibeit ben UJiccreS-
reellen ihre Il)ätigfeit Dor. SDlattdjer Stufte fehlt ber ©tranb
gänzlich; ber ©efd)iebelef>m, Dielfad) Don ben SBeflen angenagt
fteigt bann unDermittelt aus bent üJieere empor unb bilbet ein
Steilufer, umfäumt non gewaltigen Anhäufungen ber auSge-
reafd)eneit ©löde. dergleichen fdjroffe Abftürje unb cftflopifd)e
fRiugroälle finb gereift manchen meiner fiefer Dott ber pommerfchett
Hüfte unb ber Snfel fRiigen h** befannt unb oieHeicfjt in utt*
frennblidjer (Srinnerung. 3d) brauche in biefer ®ejiehung nur
ben ©pajiergaitg bei ©Öhren um! Dlorbpeerb, ober bet ©inj
am gufje bei herr^^et1 ©ronifcer SßalbeS, ober ben 2Seg am
ÜJfeereSufer jreifchen ©afjnit} unb ©tubbenfammer auf ber §atb*
infei StaSmunb in! ©ebäd)tttifj juriicf jurufen !
©ei ben Dorhergehenben ©etradjtuttgcn ha&e i<h 0011 ^er
Cftfee als Don einem einheitlichen 3J?eere gefprodjen, ohne
barauf einjugehett, bafj ber ßharafter beS ©altifchen ÜJJecreS itt
feinem roeftl idjen unb üftlichen dhe**e beträdjtlid) oerfchieben ift
Allel, real auf diefeitDerhältniffe, Snfelbilbung, Hüftenform
u. f. re. ©ejug fjot, swingt uni jebod) für beibe dhe'^e 0er'
frfjiebene ©ilbungljeiten unb Derfchiebene (SntftehungSreeifen an-
junehmeit. 9lur möchte id) bie ©rett^e jreifchen einer recftlichen
unb öftlichen Cftfee etreaS anberl legen, roie biel gewöhnlich
oon beit ©eograpfjett gefdjieht.
Üritt man nämlid) biefer 2frage Don ber geologifchen
©eite näher, fo flößt man auf bie faft itt ber SDJitte jreifdjen
2* (4811
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®eutfdjlanb mtb ©djweben liegenbe Snfel Sornbolm als ein
bon SerwerfungSfpalten begrenzte« ©tüd ©rbfrufte, burcb meiere
eine natürliche ©reitje für baS baltifdje ©ebiet ^inbnrd)ge£)t.
®iefe Snfel wirb baburcb »on ber größten Sebeutung für
bie ©eologie ber Oftfee, weSbalb fie eS wofjl »erbient, baß
wir uu$ etwas näßer mit ihr befcbäftigen , unb bieS um fo
ntet)r, als fie ju gleicher 3eit aud) gefchichtlid) ein ^o^eS 3nter«
effe hat.
®ie Heine, nur 610 Ouabratfitometer ober etwa ll1/*
bcutfche Ouabratmeilen meffenbe Snfel befielt ju */s aus ©ranit,
gehört baljer jurn größten Jtjcitc einer geologifd)en Formation
an, weldje ber weftlidjen Oftfee »otlftänbig fremb ift. SBeber
in Sommern unb SDledlenburg, nod) in SDänemarf unb im füb*
weftlidjen ©dj weben, trifft man, abgefefien »on ben ©ef djieben,
©ranit unb oerwanbte ©efteine an. 2>iejeS frbftatlinifd)c
©ebirge feßt bagegen bie ganje Dorbfüfte SorubolmS jufammen
unb erhebt fid) aud) an einem 2f)eile ber SBeft« unb Oftfeite in
fdjroffeit, romantifd)en gelspartien, an welchen bie SBeöen beS
DieereS fid) bredjen. @S wirb hier ein »orjüglidjeS Saumaterial
gewonnen, baS in großen SDiaffen nach Stettin, Königsberg,
Hamburg unb Sremeit »erlaben wirb.
SDaS ©ranitgebiet ber Snfel bat reichlich uiermal bie
©röße bcS granitijdjen SrotfengebirgeS im |>arj unb fteigt
überall unmittelbar aus bem Sßaffcr empor, woburd) ber lanb-
fcbaftlidje Gbavafter aud) ein wefeutlich anberer wirb als ber<
jenige fRiigcnS. $aß man jebod) uidjt berechtigt ift auf Sorit<
bolm ben ausgeprägten ^ocßgebirgScbarafter beS SrodenS ju
f neben, gebt bereits aus bem Unterfd)iebe in ben £öben»er>
bältniffen berüor- 2öäl)renb im £)arj bie granitifcbeit ,§od)>
ebenen fid) bis ju 600 unb 800 Dieter erbeben, babei »on
Sergen überragt werben, bie 1000 unb 1100 Dieter £>öbe
erreichen, beirägt bie böcbftc Srbcbung unferer 3ufel 162 Dieter
(482)
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unb bie burchfdjnittlidje iüicereShöhe beS ©ranits überhaupt
nur 95 bis 125 Bieter.
tiefes niebrige ©ranitplateau wirb außerbem oodftänbig
iiberbetft oon ben nämlidjen lodern ©efteiuSbilbungcn, bie wir
als bie ©rjeugniffe beS ffanbinaoifd)en QJletfcf)cr§ aus ber 3)ilu»
oialjeit fennen gelernt haben. Sfur bort, reo biefe leicht 3er»
ftörbaren SJiafjen oont Siegen roeggefdjreenimt reurben, reie in
ber 9tälje ber ^pammerfefte auf ber äußerften Sforbfpifce ber
Snfel, tritt ber ©ranit ju Jage unb jeigt bann burd) bie ge*
glättete unb gefrifcte Oberfläche feiner gelfen, baß einftmalS ber
norbifcfje SiSfoloß auch über ihn fid) ^intoeggefcfjoben hat.
Xie ©teilränber, reelche Sornholm ihre .pauptanjiehung
Berleifjett, bie fturmumreogten Klippen unb tief eingefdjnittenen
Jelfenfchluchten ihrer Sfiifte oeranlaßten, aud) fie oerbanfen
i|re ©ntfiefjung ©palten, an reellen ringsherum große Srb*
fdjoüen fich loSgelöft haben unb in bie 2iefe gefunfen finb.
2>ie gortfefeuttg biefer 23rüd)e finbet fid) in ber ©ranit3one beS
füböftlidjen ©chreebenS, unb hicrburd) erreeift fich bie 3ugehörig«
feit SornfjoltnS 31t biefem 3:^eile ©fanbinaoienS. @S läßt fich
nicht mit ber gleidjen Seftimmtheit reie für fRügett, äJiöen unb
bie reeftliche Oftfee überhaupt nadjreeifen, baß bie ©eitfungS*
felber, welche Sornljolm umgeben unb jeßt oon ben glutljen
ber Oftfee erfüllt finb, erft it ad) ber ©letfdjerseit entftanben.
$enfbar erfdjeint eS immerhin, baß eine mehrere fjuttbert Bieter
mächtige ©iSmaffe baS ©enfungSgebiet oon 80 bis 100 SJieter
liefe, welches unfere 3nfel ootn fchreebifchen geftlattbe, foreie
oou Oelanb unb ©otlanb trennt, einft oollftänbig auSgefiißt
hat. s^^t)fifalifdje ©rünbe jebod) machen bieS wenig roafjrfchein»
lieh unb brängt oielmehr afleS 31t ber Slitnahme, baß auch
biefe $Serfd)iebungen erft am ©nbe ber $iluöial3eit oor fich
gegangen finb.
SebenfaßS ift ©oritholm ein ©tüd oon ©fanbinaoien unb
(4S3)
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trägt ba# biiftere, erhabene, jurn I^eil wilbe ©epräge be#
SRorben#. fRiigen bagcgen ift ganj imb gar beutfch — bort
ergebt fic^ ber bcutjche Sudjcnwalb, bort finbet fid| bcr
bcutfdje ©tranb — ganj wie in 9Redlenburg , genau wie in
fßommern.
2öie bie Sttfel felbft, jo finb aud) bie Sewo^ner SBorw
holm# urfprünglid) fdjwebifd). 3)ie 33eüöl!erung ift jefct jcbocf)
mit §erj uub Seele $änemarf jugethan, tro|bcm fie bi# in«
elfte 3atjrf)unbert unabhängig war unb oon eigenen Sönigcn
regiert würbe. SSahrfcheinlid) famen bie Sornljotmer fdjon an
3)äncmarf jur $eit bcr ©infiihruug be# G^riftentbum# burdj
ben au# ber ©efdjidjte wohfbefannten fchwebifch-bänifchen Söifcfjof
©gino oon finnb. .
2rop ber SRähc ber fdjwebifcfjen $üfte (36 Nitometer) unb
ber geringen ©ntfernung $eutfd)lanb# (Sotberg in fßommerti
87 Kilometer) finbet bcr S3erfef>r gegenwärtig faft au#fdjlicj3ti<f)
mit Kopenhagen ftatt uub wirb berfelbe burdj Kämpfer mit
Dänemarf# |)anptftabt «ermittelt. $Bon bort fährt täglich f>n
fleine#, aber gut eingerichtete# tßoftfcf)iff uad) fRönnc, bem
bebeutenbften $afeit* unb £>anbel#plap ber Snfel. Smmerhin
ift bei giinftigem SBiub unb SBetter eine jehnftünbige Seefahrt
erf orberlich, um nach ©ornljolm ju gelangen, währenb oon
Stettin au# bie $af)rt nur G1/« Stunben, oon Kolberg unb
Stralfunb 5 Stunben bauern würbe.
SDie SBornhotmer SRunbart ift eine eigeitt^ümticfje unb felbft
für ben Kopenbagener unoerftänbtid). äRan fönnte fie al# ein
fßlattbänifd) bejeidpien, in welchem fief) uod) fRefte bcr alten
gotlanbifchen, jept oerfchwuubenen Spradje wieberfinben foflen.
®iefelbc ift in mehreren 3nfchriften erhalten geblieben, oon benen
eine ber bebeutenbften ba# berühmte Saufbeden an# ber Kirdie
$u Safirfebt), ber älteften Stabt bcr Snfet, trägt. 5$on biefem,
au# ber jweiten £>älfte be# breijet)nten Sahrljimbcrt# ftammenbeit,
(4SI)
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23
au« ®ottnnber Sanbftein gemeißelten Sauffteine ift in nadp
fteljenber $i(Uir ba8 au« iterrafotta gefertigte ÜJiobell unb barnnter
bie Srflarung ber in fRunen gehaltenen 3nfcf)riften roiebergegeben.
Sfr Xaufftrin in ber HirAf tu Ünfirftbp
an» bom btfitfbntfn 3af>rbunbtrt
3t it i rf) r i f t be«
Ditta ir santi Gabrel ok seghdi
santa Maria, at han sktildi barn
fyda.
3nfd>rift be« •
Ditta ir Kliznbed ok Maria ok hails
US.
gnidjrift be« britlen
Hiar hwilits Maria, sum bann barn
fyddi, skapera himi | u | z ok
jordar sum oss loysti.
elften gelbe«:
2!ie« ift St. (üabriet unb ber fugte
tu St. ®?aria, bajj fic ein ßittb
gebären iolltc.
jroeiten gelbe«:
$ie« finb TOaria unb Cflifabctl) , bie
fid) begrü&en
gelbe«, auf ber Säule:
§icr ruljct Siaria , bte ba« fiinb
gebar, ben Sd)i>pfer be« Jpitnmcl«
unb ber Srbc, ber un« crlöftc.
Sfnfdjrift bc« pierten gelbe«;
Ditta iro pair prir kunungar, sum 3}ic« finb bie brei Sinnige, tucldje
kristi iriardti ofTr warum drdtni. tarnen, um Gljrifto unferem £icrru
Opfer tu bringen.
gnftbrift bes fünften gelbe«;
Hiar tök bann widr kununga oft'ri, $icr empfing er ba« Opfer ber
warr drötinn. Slünige. — unfer .fSerr —
gnl'tfjrift bc« fed)«ten unb iiebenten gelbe«;
Hiar ridu pair burt prik kunungar,
sidam pair offrat hafa örum
drätni gudi.
,f>ier ritten fic roeg, bie brei Üötiige,
nadjbem fic unferem Ferrit ©oft
Cpfer gebracht batten.
(4S.i)
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3n)'cf)rift 6c« achten c I b c ö ;
Pair pet hiar frani säghu. Sie ialjen oorau«, loa« ^ier ein«
treffen würbe.
3nfd|rift be« neunten Selbe«:
Jodar töku wärm dröt in ok berdn $ie Subcn nahmen unfcren £erm
kann widr tri ok gettu. nnb geißelten if)n an ber Pforte.
Snfcfjrift be« jehnten Selbe«:
Sidam laddu pair hann burt piadan 9Ja<f|t)er führten fie i$n gcbunben
hundinn. weg.
Snidjrift be« elften Selbe«:
Ok neghldu hiar Jodak Jesus ä Unb hier nagelten bie Suben Sei««
kruss. an« Sfreuj.
Si fram ä pitta. Stelle bir bie« Oor.
9luf ber Säule ber 9tamc be« ©tlbtjauer«:
„Weiftet Sigbraf."
Der gröfjte 2§eif ber Snfef ift fe^r fruchtbar unb fann fiep
fRügen, fotuie beit fonftigen probuftioen ©egetiben in Sommern,
ben übrigen Jtieilcn $äncmarf8, futuie ber fchwebifcpen fßrooinj
©cpoiien breift an bie ©eite fteflen. ©täbte finb wenige öor»
panben unb alle Mein, gröjjtentheifS au§ niebrigen, einftöcfigen
|>äufern befte^enb. Dörfer giebt e8 gar feine, ba auf ber ganzen
gnfef eine ©üterbennrtfjfdjaftung ^errfcf)t unb biefefbe baffer faft
gleichmäßig mit ^Bauernhöfen wie befpicft ift. $a3 Sanbeigentpum
ift burcfftoeg in fleine ©i'iter getfjeift, bie 30 bi§ 60 preufjifcpe
Üftorgen umfaffen, uiib jjeber Qngentffütner ßat feine 2Bof)n> unb
ffiirthfcfjaftSgebäube möglicpft in ber fDiitte feines SBefipeS angefegt.
2>ie .ßäufer finb ganj normiegenb braunrotp angeftridjen unb heben
fief) prädftig »on ben grünen gelbem unb ben üppigen Söalbungen
ab, ober liegen maferifd; ani SRanbe ber faftigen Söiefen.
SBäprenb im SUfittelafter ©ecräuberei faft ba$ alleinige
©etoerbe ber (Sinroohiter bifbete, befteßt bie 40 000 ©eefen
jähfenbe Scoölferung jefct jumeift aus Slcferbaucnt unb gifdjern.
®ie iubuftriefleit Unternehmungen befchränfeit fich im tt>efent=
fiepen auf bie ©eminnung uon Söaumateriaf in ber gorm non
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©rucfjfteinen, 3iegefti, Mörtel unb fcuerfeften Steinen, baueben
ift bie Slugbeute au Jtaoliu unb Serrafotta oon SBichtigfeit.
Jer frühere Sergbau auf &of>len ift jutn ©rliegen gefommen,
ba le&tere, toeldje einer jüngeren geologifcheit gormatiott, ber
oberen Iriag, ober beit fogeuaunten r^ätifc^en Schichten, äuge«
hören, fitfj alg Ijödjft unrein unb wenig brauchbar entliefen buben.
Ser angenehmfte unb für beit Sourifteu be^aglicfjfte Sluf*
enthalt ift bag fturljnng nahe beit bebeutenbeit (Ruinen beg
Schloffeg $ammerghitug. Siefeg a(g 93landg $otel befannte
S8irthgf)aug ift für einen bebeutenben grembenuerfefjr eingerichtet
unb empfiehlt fid) bttrd) feine Sage inmitten ber grofjartigften
Partien beg ©ranitmaffiog gaitj befoitberg jitm längeren 9$er>
nieilen. Srog ber geringen |>öhe über bem SDleere erinnem bie
mit bidjtctt (ßolftern oon |>eibefraut uitb 28ad)holbcr betuachfeuen
gelten ^ier in auffälliger SSeife an bag |>ochlanb unb bie
Süftengegenb im Urgebirge Sdjmebeitg. ©ine 27*ftünbige gagrt
mit bett oorjüglidjcit bänifcheu (ßferben unb beit gewanbten
Kutfchern führt oon (Rönne nach §ammerghuug. Utibefitmmert
um bag unebene Serrain unb otjite (Rüdfidjt auf bie oielett
jdjarfen ^Biegungen ber fchmalen SSege, welche ftetg an ben
tSrenjen ber einjeliten ©iiter unb |)öfe angelegt finb, (offen bie
Sutfcher auf ©oritholm ihre (ßferbe utiaufhaltfant traben,
brauchen babei jebod) meber (JSeitjche noch 93rentfe.
Sie jwanjig ttirdjeit ©ornholmg liegen wie bie (Bauern*
höfe unb ©iiter (©aarber) frcifte£)cnb über bie ganje gnfel jer*
ftreut unb ftamnteit grögtetitfjeilg aug bem (Mittelalter. ©ine
Sigenthiimlichfeit biefer Äircfjeit ift, bag fie jowof)l jum ©otteg*
alg firieggbienfte erbaut würben; lefctere SBeftimmung ift an
ben biden (Kauern, fowie an ben fehleren Pfeilern unb ©e*
roölben erfeitiibar. Sie äugettmauent fiitb mandjinal 8— lOgug
bid unb mit Sdjieglöchern oerfehen, wie j. 93. an ber höchft
intereffaiiten 9Jt)(arg(irche bei Slafirfebp. ©g ift bieg eine ber
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Oter fRunbfirdjcn ber Sinfel, brei ©todtoerf ^ocfj mit einem
SBaffenhaufe unb einem bcfonbern ©lodenthurme. Sirdje unb
2:f)urm finb au§ unbehauenen ©rattitblöden erbaut; runbum
bie 2Iußenntatter läuft ber 3 guß breite Sßädjtergang.
Eie Sirdjen fpieleit eine große fRoflc in beit gewaltigen
Sümpfen, welche auf ©ornholm im 12. unb 13. Sahrßunbert
jmifdjen beit Sönigen oon Eanemarf unb ben ©ifchöfett »oti
fittnb um ben ©efifc ber Snfel nnitfjeten. 3n ben Sircßen
fammelte mtb bewahrte Die ©emeittbc ihre Sßaffcn uttb nament'
ließ bie Xfjürmc bilbeten wahre SriegSarfenale. Eiefe finb ba-
malS noch unbebedt gewefen; ihre jefcige hödjft eigentümliche
£ols* unb ©djieferbebachuttg erhielten fie erft, als ber friegerifdje
ßwed aufhörte. Eie im ganzen fchmudlofen ©ebäube geben
in ihrer ©eraitlagutig , in ihren fRunbbogen, ^riefen unb
fßfeilerit, ihre ßugehörigfeit 311 beit romanifdjen ©anten beut=
lieh 5lt erfentten.
@3 erübrigt mir nun ltodj in wenigen $ügen ein ©Üb oon
bem 31t entwerfen, was beit Süftenlättbern ber Oftfee eine jo
große 2Bicf)tigfeit für Slnthropologie unb Sulturgefchid)te oer«
leißt. Eie baltifdjcit ©egenben bilben eine uralte ©tätte ntenfdj'
lieber Ehätigfeit. Eat)er hat bie Srforfchung ber jüngften 5rb'
(Sultur)fchichten eine große Hitjahl oon ©egenftänben 3U Inge
geförbert, welche für bie Earfteflung ber geiftigen unb materiellen
©ntwidelung beS ÜRenfd)engefd)led)t$ oon fwroorragenber 8e>
beutung finb. £>ier begegnen fich ©eologie unb Slnthropologie,
baher auch Sftaturwiffenfdjaft unb Sulturgefchichte; beibeit fällt
bie nähere Unterfudjung unb Deutung biefer gunbe anheim.
©efottberS reid) an Ueberlieferungett aus beitjenigen weit
3urüdlicgcnbett feiten, bie noch fdjriftlidjen Sluf^eic^nuitgen
irgeub Welcher 21rt geliefert haben, warnt oon jeher bie bänifdien
Snfeltt unb Siitlanb, fowie iRiigen, £>ibbenföe, fRußben,
©ilm unb bie pommerfdje Siifte überhaupt. EaS föiufeum
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norbijdjer SKtertljümer im Vänbjenspalai« gu ftopenljagen, jo-
wie ba« Sßromngiafmufeum für 9ieut>orpommeru nnb jRügen im
SRatfjfjaufe gu ©tralfunb, enthalten in auÄerorbentlidjer fReid)-
fjaltigfeit SBaffen, SBerfgeuge unb ©efäfje au# ber älteren unb
jüngeren ©teingeit, ber 93rongeperiobe n. j. ro. @« finb bie
inbuftrieöen ©rgeugnifje au# ben aüererften SntwidlungSftufen,
weldje ber 3Renfd) im uörblicfjen ©uropa burdjmacfite! 9Ran
erfennt au« ifjneit, Weid) gewaltig langen 3e‘traum biefe t,Dr*
(jiftorifdje ^ßeriobe umjajfen mufj.
9Bie ba« 3ufammenf°mmen ber äfteften antf)ropologijd)eu
©egenftänbe mit ben fRejten au#geftorbeuer Spiere ber glacialen
®iluüialgeit beweift, fällt ber Anfang biejer ^ßeriobe mit bcm
lebten SRiitfguge bc« norbifdjen ©tetfdjer« gujammcn.
S)ie 3njel 93ornf)otm f)at für bie präl)iftorifd)e ßeit feine
geringere Sebeutung al« irgenb ein Üljeil ber wcftlidjen Cftjee*
länber unb gwar fd)ou be«f)alb, weil fie f)ier weit in« SDiittef-
alter fjineingreift, al« in anberen ©egenben f<f)on fcfjriftlicbe
Uebertieferungen entftanben.
©« würbe midj jebodj gu weit führen, an biejer ©teile
hierauf ttäfier eingugeben, »ielmefjr inöd)te id) bie Slufmerffam-
feit meiner Sejer nod) einige ?lugeitblirfe auf bie (Srseugni jfe
einer weit jpäteren 3«it, auf bie jogenannten jRunenfteine, lenfeit.
$ieje jtummen unb bodj jo berebten 3cu9en on« ben äfteften
feiten be« Gf)tiftentf)umä irt biejem Guropa« befreit
eine grojje Verbreitung im gangen ftüftengebiete be« Vattifdjen
ÜDJecrc«. @« finb ©rab* unb ^enfmäler oon ber ücrjd)iebenfteu
§orm unb ©röfje mit Sufdjriften in eigeut^iimfid^ett ©djrift*
geilen, ntandjmal aud) mit giguren unb beforatioen 3äd)uungen
bebeeft. ©tet# hefteten fie au« einem eiitgigeit grojjcn Vtode
ober au« einer rof) bearbeiteten unb an ben jRänbern gugef)auciten
©teinplatte. 2>ie äfteften jRunenfteinc finben jid) bei Selliuge,
an ber Dftffifte Siitlaub«; fie ftammen au« ber gweiten .jpälfte
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beS zehnten ^ahrhunberts. 2)er großen ÜKef)rjaf)I — unter
otiberen aud) benen aus Vornholm — roirb ein etroaS jüngeres
Sitter augefcßrieben.
$aS SBort Stune bebeutet Schriftlichen, ift aber mit
fämtlid)en SBorten im Slltnorbifchen , ©otljijchen unb Slltljocf)-
beutidjen »ermanbt, welche bett SSegriff beS ©eheimnißoollen,
beS Verborgenen, in fid) fc^Iiefeen. 3d) erinnere nur an raunen
im 9leuf)od)beutfc§en, meines heimlich reben bebeutet unb un§
im Slltfjodjbeutfdjen als runa, ©emurmel, Slath, entgegentritt.
®a^er mag eS fontmen, baß mir nod) jejjt öielfad) bie Sinnen
als eine Slrt ©eßeimfchrift ju religiöfen gmecfen, als fd)üfcenbe
mpftifche 3ei<fjen auf SSaffen u. f. m., ouffaffen.
$>aß gerabe Schriftjeichen — bie SPlittel jur meitgeßenbften
Veröffentlichung unb Verbreitung oon ©ebanfeit unb 3bcen —
jugleicf) bie Vebeutung beS Verftecften unb Verborgenen haben,
muß rnoßl baburch erflärt roerben, baß bie Stunen nur oon
einjelnen bevorzugten klaffen benußt mürben unb bem größeren
Jfjeile beS Volles unoerftänblicf) roaren, ober ihm erft fpäter
zugänglich geroorben finb.
2>ie norbifcßen SRuneit ber @rab< unb 3)enffteine, mie
mir fie im ©ebiete beS Valtifdjen äJleercS finben, finb verhieben
oon ben beut jdjen ober mar fomannifchen 8chriftjeichen, bie
mir nur als auf Pergament gemalte Vucßftaben fennen.
SluS ben norbifcßen Siunen unb bem norbißhen Sllphabet
(Futhork, fo benannt nach ben erften fedjS Saut^eichen f u th o r k)
foHen fich nach einigen gorfdjern fpäter bie Schriftlichen ber
©othen unb Sltigelfachfen entmidelt haben, bie nod) als gotljijche
unb angelfädjfifcfje Stunen unterfchieben merben. Slm meiften
oerrcanbt mit ber norbiidjen SRunenfchrift ift bie iSläubifcße
Spradje, meldje jeboch in eine noch entferntere ©poche ber
mettfdjlichen Kultur priicfreicht. Slnbere Sprachforfcher, Z- V.
Sßilfjelm ©rimnt, hotte» es bafiir baß bie Slngelfachfcn ihre
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fRunen oon beit überelbifcf;en Sacßfen erhielten uttb mit nacß Suglanb
bradjtcn, wo bie ©cßrift fid) nur wenig erweiterte unb wenig felbftänbig
mtroideltc. ©ritnm führt alle 9tunenfcf)rift gemeinsam auf bie
6 älteften 23ud)ftaben beS itorbifchen SSIpßabetS juriicf ttub ift bcr
nficßt, baß biefe t>on ber großen 93ölfergruppe in ÜJJittelafien, ben
irbaren be§ Haffifcßett 2lltertßum§, auf ißrer SBanberung nacß
•ften mitgebracßt worben finb, als fic fieß über Europa ergoffen.
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tt «. (fpätrr tjinjitßctommcti.)
So »erliert fid) ber llrfpruug bcr fRunenfdfrift in bas
graue Sirtertßum, wie bie Entfteßung ber Erbe in eine ttod) weit
geßeimnißooflere SBergaugenßeit. Söeibe haben eS gemeinfam, baß
jebe feßrifttieße Urfunbe, jebe Ueberlieferung fehlt. Es finb baßer
fotroßf bie ®prad)forfd)er, bie ^nftorifer wie bie ©eofogeu, fobalb
fie bem Urfprung beS jeßt Sefteßenbcn näßer treten, auf Xßeorieit
unb £upotßefeu attgewiefen, we(d)e fieß ber gefdficßtticßen Ent*
»itfelung unb Dem jeßigeit 3uftan^e tßunlicßft anpaffen muffen.
$ie jeßt fofgenben ffigureu ftellen oier auf Söortißolm fieß
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bcfinbenbe fHunenfteine, unb jwar in bem richtigen 93crf>ältniffc
ifjrer relntioen ©röfje, fowie brei in 3i’tttou& angetroffene SHunen*
benfmäfer bar. 33on lejjteren finb bie Sellinger ©teine bereits oben
erwäfjnt worben. $a3 auf ber uorfjergeljenben ©eite bargefteüte
norbifrfje SUpfjabet entsaft fiimtfidje ©djriftjeidjen ber 3n>
fdjrifiett.
2ct gtofet 3tUingfr ©tritt.
9t u f ber SJorberl'eitc ftetjt:
Hat altr kunuke bad g&urva kühl .§aratb Siönig lieb madjen bttit
ilausi aft (lurtn fadur sin auk Senfmäler nach ®urm ieintm
aft dourvi mndur sina sa Haraltr 'öater unb und) feiner betrauerten
jassor van Tanmaurk 'DJutter. Serfclbe iparatb, ber ftd)
geroann Sänemarf
gortfegung unter bem Sradjen:
ata auk Xurviak unb nuef) Sioiroegcn,
Unter bem C£Qriftuäbitb:
auk T | anmarkar | kristno. and) bie Säneu ju Sffriftcn mflfbte.
£er oben abgebitbete große Seflinfler ©teilt ift ein enormer
erratifdjer 33locf, ber, wie ©ajo ©rammaticuS berichtet, burc^
eine ganje Mrtnee oon ÜJfenfdjen unb Ocfjfeit Don ber Äüftc fferbei*
(■192)
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gefcfjafft routbe, um ben ®rabf)ügel Don £f)t)ra, ©emafjlin be8 ®orm
ober ©urnt, be8 SütiigS dou 2:änemarf, ju jieren. @r jeigt au
ber einen ©eite fRunen, an ber anbereit Smblemeit, Don benen ba8
eine beutlid) als ein ßfjriftuSbilb ju erfemtett ift, baS anbere Der-
fd)iebentlid) als $rad;e ober ©eier gebeutet roirb. ®ie auf
©eite 30 mitgetfjeilte Sufdjrift befagt, baß ber ©tein für Sättig
@orm, ben ®rünber ber bänifd)eu $errfd)aft, unb beffett grau
2f)i)ra, Don beren Sof|u £aralb errichtet tuurbe. £>aralb8 t)at
eS unter ben bänifdictt Sättigen befantitlid) niedrere gegeben. $er
©of)tt ©ormS ift in ber ®efdjirf)te als |>aralb Slaatanb ober
©laujaljn Derjeidjnet.
Ift tleine Jtcllinflcr 3 teilt .
3n jdjrift:
Gurmur kunugr gnnli kubl dusi aft (Harm ftönig crridjtetc bieicS $enf<
dnrvi kunu siua Tanmarker but. mal natf) ber betrauerten Stönigin
(If)i)ra} : feiner 3)äncu Jroft.
Sönig ®orm foll nad) beit neuefteit ©efd)icf)tSforf(f)ern in
950, nad) attberen Sltigabeit in 936, fein ©oljn |>aralb itt 991
geftorben, bejtü. ermorbet fein. 2118 3af)re8ja^l fiir bie @rrid)tung
be8 2)ettfntal8 toirb 968 angegeben*
$er fogeuaitnte fleine Hetlinger ©teilt trägt nur SRuneit-
* .fjarato II. ober S31aatanb, ber 2of)tt ÖJormb, regierte feit 938 unb
ging 948 jum £f)riftentf)um über.
(4031
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fdirift uttb ift uon Stöuig @orm für feine grau $f)t)ra( bie
öielgeliebte unb
(SBergf. gigur unb
Snfctjrift auf ©eite
•31.)
5)a8 brittc
jütlänber fRunen-
benfmal führt ben
fRamenbcSCbbum-
fteittS n ad) einem
Sirdjfpiel bafelbft.
@3 ift ein $enf-
Xroft 2)anemarf6
3?ct CBbuni-Stcin.
, errietet roorben.
mol, meines non
einem Söoter für
feinen jüngften
©of)n errietet
mürbe unb fteljt an
gefd)id)tlid)er 99e=
beutung jebcnfafl«
meit hinter ben
beibeit erfteren ju-
riid.
Snfdjrift:
Durylfs sati stein uftir TukaTukasun Surulf fepte biefen Stein für luffl
hin usta. Gnd hialbi lians. lufajun ben jüngften. ©ott helfe
feiner (Seele).
f£er größte auf
Sornßolm gefun*
bene$>euffteiuiftber
SSrogaarb=©ten.@r
hat gegenmärtig in
beriltäßeuoH^a^le,
ber jroeitgrößten
©tobt ber Sufel,
einef)übfd)e2tufftel>
hing im S23olbe er-
halten. ©eine^öfie
roirb über 2m betra-
get ®rogaatb>2leiii.
gen. — SöiebieS aut
ben meiften älteren
fRuuenfteinen ber
galt, meldje lebig
ließ norbrunijehe
©d)riftjeid)en hll‘
ben, ftehenbiefclbcn
auf mehr ober
meniger uerfd)luit-
geneit Schlangen-
bänbern unb fol-
gen Deren Ström-
3 n f d) r i f t :
Suenkir lit raisa Stein denn eftir
Tosta Fadnr sin auk eftir Alf-
lak Brodur sin auk eftir Modr
sina auk eftir Sustur sina.
M94)i
Senfir lieb errichten biefen Stein
für lofta, feinen Statcr, oudj für
Sllflaf, feinen 93ruber, aucfifürftmt
SUtutter, and) für feine Sdjroeitcr
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mungen oon linfS nach rechts. ©ie werben an beibeit ©eiten
oon ben Stnien ber Säitber berührt unb bie einzelnen ©orte finb
ooneinanber burcf) ein fleineS üreuj getrennt.
Die gleiche Slnorbttung fiitben wir auf ben
jwei ausgezeichnet erhaltenen SRunenfteinen , welche
in ber oben angeführten 9lt)lar8firche bei Safirfebt)
aufbewahrt werben. Der eine berfelben ift in neben-
ftcfjenber ftigur abgebilbet. @r würbe augenfcheinlicf)
in Srinnerung an einen ©djiffbrucf) errichtet, wie
folgenbe 3n(cf)rift geigt.
Snicfjrift:
Sasur lit rosa steu cftir Al- Snfur lieb errieten benSteiu
vard fadur sin. Truknadi für SKoarb, feinen 3$ater.
Imn nti med ala skibara. Gr crtranf mit allen ©djifftS*
E(t)lgi kristr ha(l)bi siolu (euten. 2)er tjciligc Gfjrift
ha(n)8. Sten pesi stai eftir. fjelf c feiner Seele, X'icfcr
Stein fteljt fiir iljn.
Die jwei jule^t jur Darfteüung ge-
brachten Denfmäler au§ bent 5Df ittelalter
führen auf Pornholm ben 92amcn beS ÜRareoab-
unb beS ®eftermaria-©teine3. (Srfterer ftet)t
je§t auf betn Kirchhofe ju .^>aSle — auch
hier fdjeinen gamiliengrabbenlmäler oorju-
liegen.
3 11 f tb r i f t :
Anlakr let reisa Stein 2tn(af ließ crrid)teit biefen
dana eftir Sasur Fadur Stein fiir Safnr feinen
sin Bonta gudan. find SBnter, ben guten (Bauer,
hialbi Siol bans aug Glott helfe feiner Seele
Sata Mihcl. unb St. SDtidjacl. j,r «larrnb. stein.
Die Slbbilbungeit ber SRunenfteiue finb {amtlich nach Photo-
graphien angefertigt worben, beuen bie ausgezeichneten ÜKobclle
ju ©ruttbe liegen, Welche in ber Derrafottafabrif ooit 2. $jörth
nt {Rönne in oerfchiebener ©rüffe angefertigt werben. Das
Sammlung. 9?. IV V. 109. 2 (495)
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SRoterial für bie öornfjolmer Serrafotten bilben farbige plafttfcfje
Stjone, bie an ber Sübfüfte ber 3nfel, allerbingS nur in be*
fdjränften SDiaffen unb in einer Sage auftreten, welche ber 3er*
ftörung burd) bie SDJeereS*
branbung in f)of)em ©rabe
auSgefefot ift. ©S ift nod)
ungewiß, ob biefe rotb
unb griin gefärbten % fjone,
bie in iljrer abwedffelnben
Sagerung mit garten
©teinmergeln unb grob*
$ct SJtftrrmatifl'
Stein.
bie Sieuperforniatiou er*
innertt, noct) jur $ria§
gehören ober bereits ber
aufSornt)olm fetjr oerbrei*
teten Siasformation ju-
geregnet werben miiffen.
©an,$ äfjnlidje, in glei*
cber SBeifc oerwertljbüre,
förnigeit ©anbfteinen an mit biinnen ©anbftein*
3nfcf)rift:
As valti risti stein piusa iftr 2Uoalb errichtete biefen Stein für
Alfar brudur sin drinr godr. 21Ifcir, feinen 2Jrubcr, beit fluten
Trebinu syni auk Skogi svek Änaben. Sie Sötjne bee Xrebiini
saklausan. unb ©Jogi betrogen ben Unidptb
bigen.
platten abwedjfelnbe $f)one fommen bei fwlmftebt auf braun*
fd)weigifd)cm ©ebiete in bebeutenber üJ?äd)tigfeit Dor unb formten
in neuefter $eit burdj baS Sluffinben oon Ammonites angulatus,
einem be^cicfjneten Seitfoffil ber unteren liafifdjen ©djidjten, mit
©idjerljeit in unferen gormationSgruppen eingereifjt werben.
(4%)
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m e
(ElEftfrifdjnt B)afd|umt
unter ©erücfficfjtigung
Urei 0Efd)id)tlid)en (Biitintdieliniß.
©on
g. Juffer
in ®iarnt (^olfttin).
12 ?U)bt!butigen.
-M-
fmmburg.
©erlngSanftatt unb $rucferei (normafäS- 5- ÜKtdfjter).
1890.
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SDa8 9te<f)t ber Ue&erfefcuiig in frembe Sprayen roirb oorbeljalten
Trtirt btt SßftlagSanftalt uafe Xriufcrci Slctim türfcnisfioft
(BomtaM 3- 3- SRiifjtrr) in Hamburg.
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llnfer 3af)rbunbert barf mit einem gemiffen Stolj auf
eine große 3ieUje mistiger ©ntbedungen juriidblirfen, burcf)
melcfje mir in bcn Stanb gefefct finb, bie SRaturfräfte unferem
SBiflen bienftbar ju machen. 3n »ielen gäöe« mar allerbingS
nur nötfjig, SSermäc^tniffe meiter jurüdlicgenber 3e*te« unter
neuen @efid)t$punften jn oermerthen. Sin ©ebiet aber giebt eä,
ba§ unfer 3at)r^unbert alg fein uitbefchränfteä ©igenthum für
fid) in Slnfpruch nehmen fnnti, nämlid) ba§ ©ebiet beä ©atoa*
niSmuä; bentt erft oor hunbert 3af)rcn (1789) machte ©alcaiti
bie erften ^Beobachtungen über ©rfdjeinungen, welche burcf) bie
nnd) if)m benannte ©leftri^ität ^eroorgerufeit merben. Unb
gerabe bem ©aloaniämuä mar e$ oorbefjalten, bem raftlofen
©etriebe unferer 3c‘l feinen eigenartigen Stempel aufjubriitfen.
1833 fonftruirten ©auß unb SBcber in ©öttingen bett erften
brauchbaren galoanifdjen Telegraphen, 1866 mürbe Slmerifa
burcf) ba§ ftabel mit Suropa oerbunben unb an bie unzähligen
T)räf)te, bie theilö über, theils unter ber @rbe bett eleftrifdjen
Junten im Tienfte ber äfienfrfjßeit leiten, fließen fich feit bem
lebten 3ahrjehnt auch noch b'e Sernfprecheinridjtungen, «iit
benen jejjt fchon alle größeren ©täbte oerfehen finb. 01)ite
gmeifel ift ber Telegraph bie midjtigfte ©rfinbung unfereS
3ahrhunbert§; e§ hat fi<h a&er iu *u «euerer 3e'l noch
Sammlung. 91. Sr. V. 110- 1* (499)
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eine 9Jlafd)iue gefeilt, bie wie er bent ©ebiete beS ©aloaniSmuS
angehört unb gleichfalls eilt wichtiger Faftor in ber Kultur-
entwicfelung ju werben »erfpric^t. GS ift bieS bie ®hnamo-
mafchinc mit all ihren jahlreichen Serwenbuitgen. 2Bohl arbeitet
fie jum größten £he‘l 1,DCh >n engbegrenjten Staunten, als
Sichtmafchine aber ift fie wegen beS fomtettheflen ©langes, mit
bem fie unfer Sluge ju blenben »ermag, fchott 3ebwebem befannt,
unb immer häufiger wirb auch &*e Änwenbung berfelben als
SewegungSmafchine. Vielleicht ift bie $eit nicht mehr anjufern,
in ber jebeS fjauS, wenigftenS in beit Stabten, außer mit einer
Seitung für ©aS unb Sßaffer auch mit einer Seituitg für Glef-
trijität »erfehen ift. ®ie ungemein h ohe Stellung, welche bie
SDpnamomafchine fdjon jeßt unter ben SBcrfjeugen unfereS SBiHenS
einnimmt, ift eS, Welche uns »eraitlaßt, bei bem Schluffe beS
erften Saßrhunberts beS gal»anifd)en $eitalterS mit einer ein»
gehenbeit Sefprechung biefer SOiafdjine unter ^injujiehung ihrer
gefd)idftlid)en Gntwidelung »or ein größeres gebilbeteS ißublifum
ju treten.
3m Frühling beS 3aßreS 1820 machte ber $äne Cerfteb
in Kopenhagen bie Gntbedung, baß ber galoanifcße Strom im
ftanbe ift, bie SDtagnetnabel aus ihrer Ruhelage herauSjttbrehen.
5)ie Stadfricht »on biefer ^Beobachtung oerbreitete fich mit einer
Sdutefligfeit, bie im höchften ©rabe unfer Grftaunen wachrufen
muß, wenn wir bebenfen, wie unoodfommen in bamaliger $eit
bie VerfehrSmittel waren. 3m 3uli 1820 erft üeröffentlid)te
Cerfteb feine Gntbedung in einer Meinen Slbhanblung. Salb
barauf wieberßolte be la Siiüe biefe GEperimente auf einer
Staturforfcheroerfammlung in ©eitf, unb nun ergriff ein wahrer
Feuereifer baS gebilbete unb ^albgebilbete ißublilum. 3eber,
ber fich ein galoanifdjeS Glenient1 unb eine SDtagnetnabel »er-
frf;affeit fonntc, ließ Ießtere ihre geheimnißooHen Scin^e* auf-
führen. GS macht auf uns ben Giitbrud, als ob man fchon
(500)
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o
geaßnt ßätte, baß eine neue 3eit mit ber Cerftebfcßen ©ntbecfung
beginne, llnb »nenn aucß nocß »olle 13 Safjre üerftoffen, eße
SßJeber unb ber große ©auf? beit erften praftifc^ oerwenbbaren
Sßabeltelegrapßen anfertigten , fo folgten bocß bie Arbeiten ber
©eleßrten, welcße ficß bem neu entbedten 3roe'9e ber
gMoanbten, mit einer gang außerorbentlicßen ©cßnefligfeit auf»
eittanber. %üx unfere ßtoetfe genügt eS fjeröorju^ebeu , baß
fdjon im September beS 3aßreS 1820 ber grattjofe 9lrago bie
©eobacßtung madjte, baß ein Eraßt,3 welcßer oom galtanifcßen
©trom burcßfloffett roirb, ©ifenfeile anjugießen oermag, baß
ferner ebenfalls nocß im September 1820 ülmpfcre bie grunb»
legeitben öeobacßtungen gu ber langen Steiße ton Gntbedungen
macßte, weldje 1826 in ber Stmpferefcßen SE^eorie beS SDtagnetiSmuS
ißren Slbfcßluß fanben. Eie praftifcßeu fHefultate biefer Eßeorie
taffen ficß, fotoeit fie für unfere 3roe^e erforberticß finb, in
folgenbc ©äße gufammenf affen: Seber SDJagnet fattn als
eine öon eleftrifcßen Strömen burdjfloff ene Eraßt»
fpirale angefeßen werben, .fjat ber Scobacßter ben
Dtorbpol beS ÜKagnetS oor ficß, fo bewegt ficß ber
pofitioe Strom in ber Eraßtfpirale linfs ßerunt b. ß.
bem 3eiger ber Ußr entgcgcugericßtet, ßat er bagegen
ben Sübpol oor fid), fo läuft ber pofitioe Strom
redjtS ßerunt. Umgefeßrt faitn aucß jebe oon einem galta»
uifdjert Strome burcßfloffene Eraßtfpirale an bie Stelle eines
SDiagnetS treten.
Obgteid) aber bereits im Saßre 1822 Slmpere bie magnetifdjen
SBirfungen ber galoanifcßeit Spirale, welcßer er ben tarnen
Solenoib gab, ooüfommen befannt waren, fam man bocß erft
im 3aßre 1826 oon anberer Seite — örewfter unb Sturgeon,
beibe unabhängig ooneinanber — auf ben ©ebanfeit, in eine
oom galtaniftßen Strom burcßfloffene Eraßtfpirale einen Stab
weicßen GifenS gtt ftecfeit. Eie magnetifdjen SBirfungen eines
(50t)
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6
foldjcn (SifeitS, Sleftromaguet genannt, festen bie ^ßpfifer ber
bamafigen 3e^ ”l größte (Erftaunen. ^ßrofeffor
welker bie SBirfungen eines (SleftromaguetS in Sonbon faß,
braeß in bie SBorte auS: „@3 grenzt an Zauberei, *n &em
Slugeitblicfe, ba man mit einem ber $räßte ben fireiS ("Strom)
fdjließt unb fo beu eleftrifcßen Strom einfeitet, felbft aus einiger
(Entfernung ben mit 8 Sßfunb unb bariiber bejeßwerten Slttfer
angegogen ju feßen, ber ebenfo augenblicflicß wieber abfäUt,
menn ber ftreiS unterbrochen wirb.1
(ES ift oerjeißlicß, baß man fieß bureß bie gewaltigen Slraft-
Wirfungen ber (Eleftromagncte $u ben fii^nften Hoffnungen ^iit*
reißen ließ. Ü)ian gfaubte bureß biefeS neue sßrinjip ber Äraft-
umfejjuitg bie 5)ampfmafd)ine in ben Scßatten ftellen ju föniten.
bereits im 3aßre 1830 baute Saloatore bet SRegro in ißabua
bie erfte eleftromotorifcße ÜDiafcßine. 2)ie Stiftungen berfeffcen
waren allerbingS reeßt uubebeutenbe. Srofjbem ließ man fieß
aber nießt abfdjreden, weitere Skrfucße gu maeßen.
3nt 3aßre 1838 ßatte ber bureß bie Sntbedung ber ©aloano-
plaftif befatinte 3afobi eine fflewegungSmafdßine fertig gefteHt,
bei welcßer oier feftfiegenbe unb bier rotirenbe (Eleftromagnete
jur Stnwenbung fameu, wäßrenb ber eteltrifdje Strom in 64
3infplatin* (Elementen erzeugt würbe. 2>urd) biefe SDiafcßine
würbe nun aud) wirfließ ein Soot, welcßeS 12 ißerfonen trug,
auf ber Sftewa in Bewegung gefeßt, ber SWußeffelt erreießte aber
nid)t gang eine ißferbefraft, wäßrenb fidß bie ftoften unoerßältniß*
mäßig ßod) ftellten. Stn eine praftifdjc ÜBerwenbung berartiger
SDiafcßinen war baßer gar nießt ju benfen. SJiacßbem bann noeß
einige 3aßre ßinbureß ein granffurter 3. SBagner eS oerftanben
ßatte, weitere Jtreife für eine oou ißm ju fonftruirenbe galoa>
ttifeße Sofoinotioe ju intereffiren, oßne jebodj irgenb welcßen praf-
tifdjeu (Erfolg ermöglichen ju föitnen, gab man enbfieß gegen bie
SÖiitte ber Diesiger 3aßre biefe SBerfucße als üöllig auSficßtSloS auf.
1502)
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bereits im jroeiten Tccennium unfereä 3ot)r^unbertä mürben
inbeg bie ^Beobachtungen gemadjt, beren SBeiternerfolguttg in ber
neueften 3e't enblidfj ju ber Älonftruftion ber bemunberungg-
mürbigen eleftrifcfjcn SDiafcfjinen führte, furj Thnamog genannt,
^ierburcf) mürben nicht nur bie Träume eineg Sacobi unb SBolf
»ermirflicfjt, fonbern biefe 9D?afchinen geftatteten nod) mehrere
anbere Slitmenbungen, unter beneit bie fjerfteüung beg elcftrifdjen
fiicfjteS, bie Srjeugung tjo^er Temperaturen unb bie oerfdjieben«
artigften galnanijdjen 3erfefBin9en bie midjtigften finb. Srago
machte nämlich im 3a^re 1824 bie ^Beobachtung, baß bie
©chmiitgungett einer ÜKagnetnabel bebeutenb nerlangfamt merben,
roemt man biefelbe bicfjt über einer Supferfdjcibe anbringt. T)ie*
felbe Srfdjeinung beobachtete er auch, wenn er bag Tupfer burch
anbere, bie Sleftrijität gut teitenbe, Sftetafle erfejjte. 3m nädjfteit
3ahre führten feine meiteren Uuterfuchungeu ju ber Sntbcdung,
bafe fine SDfagnetnabel brehenbe Semegung annimmt, menn man
in ihrer unmittelbaren 9iälje eine &upferfd)eibe rafdj um ihre
?tchfe laufen läfjt. Tie föupferfdjeibe mar bei biefen SBerfudjeit
burch eine ©lagplatte non ber SWagnetitabel getrennt, bamit bie
entftehenbe Suftbemegung feinen Sinflufj auf bie 9?abel fm&en
fonnte. Sine richtige SrHärung biefer 3:^atfacf;e mujjte man
aber nicht ju geben. Srft alg garabap *m 3nhre 1831 bie
galnaitifche Snbuftion entbedte, fanben hifrburd) bie big baljin
räthfelhaft gebliebenen SBeobadjtungeit Slragog ihre uugejmuugene
Srflärung.
fjarabah midette jmei iiberfponnene Trähte ju einer Stoße
auf unb fejjte bie Sttben beg einen Trafjteg mit einem ©aloano»
meter5 in SBerbittbung , mäfjrenb er bie anbereit an beit ißob
fchrauben eineg galnanifchen Slementeg befeftigte. Sllg er nun
ju micberholten SDtalen beit galoaitifdjeit ©trom burch ben einen
Traf)t fdjidte, bemerfte er, baff bie SDiagnetnabcl beim
jebegmaligen Oeffnen unb ©chliefjett beg ©tronieg eine
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Slblettlung erfuhr. 2fuS ber 9?ic^tung biefcr Stbfcnfung folgte,
baff beim ©fließen ber Sette iit bem mit bem ©atoano«
meter üerbunbenen ®raf)t ein ©trom entftanb, melcöerbem
be« galüanifchen (Elemente« entgegengeridjtet, beim
Deffnen bagegen mit bemfelben gleichgerichtet mar.
$em neuentbecften ©trom gab man ben kanten Snbuf*
tionäftrom. 25ie meitere Verfolgung biefer (Sntbecfung führte
halb ju ber Slbünberung bei Separates, bafj bie beiben SeitungS-
brühte getrennt in ©piralen aufgemicfelt mürben, roelche über-
einanbergefchoben merben fonnten. gür bie innere fRoüe, burd)
meldje ber ©trom Der galoanifdEjeit Vatterie geleitet mirb, mähtte
man bicfen ®raht in menigen Sagen, mährenb man für bie
©pirale bei Snbuftioniftromei feljr oiele SBittbungen eine«
büttnen ®rohte« nahm.
3)a nach Slmpere ftatt einer ©tromfpirale auch ein SKagnet
genommen merben fann, unb ba ferner ©djtiejjen unb Unter«
brechen eine« Strome« gfeichbebeutcnb fein muff mit Mähern unb
(Entfernen eine« Strome« bejiehuitgiroeifc eine« ältagnet«, fo
leuchtet ohne meitere« ein, bah 3nbuftion«ftröme auf mehrfache
SBeife erzeugt merben tonnen. $ie Snbuftion mittetft einest
Strome« bezeichnet man al« (Eleftro-Snbuftion (auch 2$oIta«
Snbuftion), bie mittetft eiltet ÜRagnet« al« ÜJiagtteto-Snbuf-
tion. (E« giebt im gangen acht »erfcfjiebene SBege, auf
benen man Snbuftioniftröme ^erfteden fann: 1. SSenn
man einen ©trom fchliefjt, fo entfteht in einem nahen Seiter
ein ©trom oon entgegengefefjter ^Richtung. 2. SEBenn man einen
©trom öffnet, fo entfteht in einem nahen Seiter ein ©trom oott
gleicher fRidjtung. 3. SBenn man einen ©trom einem Seiter
nähert, fo entfteht in biefem ein Strom oon entgegengefefcter
9tidjtung. 4. SBetut man einen ©trom oon einem Seiter ent-
fernt, fo entfteht in biefem ein ©trom oon gleicher Stiftung.
5. SBcnn man in ber 9?ähe eines Seiter« ÜRagneti«mu§ erregt,
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fo entftef)t in bcm Seiter ein Strom, melier in SBejug auf bie
Slmpärefdjett Ströme be« 9)?agnet« entgegengefejjte fRicfjtung ^at.
6. SBeitn in ber SRaf)e eine« Seiter« 9J?agneti«mu« oerjc^toinbet,
fo entftefjt in bem Seiter ein Strom, toeldjer mit ben Slmperef^cn
Strömen be« SJlagnet« gleiche 9ticf)tung tyat. 7. Sßenn man
einen SJiagnet einem Seiler nähert, fo entfielt in bem Seiler ein
Strom, tuetdfer in ©ejug auf bie Hmperefdjen Ströme be«
SDtagnet« entgegengefefcte fRidjtung l)at. 8. 3Bemt man einen
SDiagnet oon einem Seiter entfernt, fo entfielt in bem Seiter ein
Strom, toeldjer mit beit §tmpärefcf)en Strömen be« üJJagnet«
gleiche Südjtung
3wei ©ruppett widriger Apparate oerbanfen ben obigen
(©efefcen i^re @ntftet)ung. $ie eine biefer beiben ©ruppen er*
reidjte mit bem mächtigen SHufjmforfffcben gunfeninbuftor
bereit« anfang« ber fünfziger 3af)re ihre größte 3?otlfomment)eit.
35ie anbere ©ruppe macfjte oerfdjiebetie SBanblungen bnrrf) unb
ift erft itt bem festen Sa^rjeßttt fo oerbeffert, baß eine roeitget)enbe
llmgeftaltung Hießt mef)r ju ermarten ift. SBäfjrenb aber jene
3nbuftion«apparate niemaf« über bie Sdjroetle be« pßtjfifalifcßett
Äabinet« Ijinau2getreten finb, bflben fid) bie lederen, in ißrer
»oDenbetften $onn unter bem tarnen 3)pnamo« befannt, einen
fieberen ißtaj} in ber fjodjentroiefetten Stedjnif ber 9?eujeit erobert.
dlad) biefert ertäuternben Sorbemerfungen motten mir un«
nun ju ber genaueren ^Betrachtung ber eleftrifcßen SDiafcßinert
felbft toenbeit. £ie erfte gorm berfclben be^eießnet man al«
magnctoeleftrifd)e, toeit bie (Slcftrijität burcß ben (Sinflujj eine«
SJiagnet« auf einen ©leftromagnet entfteßt. ®ereit« ein 3atjr
nach ber ©ntbedung ber Snbuftion burd) garabap, alfo 1832,
tourben bie erftert beiartigen 2Rafcf)inen oon jioei fjorfeßern
fonftruirt, roelcße unabhängig ooueinanber arbeiteten. £er eine
toar Satoatore bet iftegro, ^ßrofeffor ber ^JßpfiC in s}kbua,
(60S)
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bcr anbere fßßrii in ff?arii. SSeibe Ratten folgenbe fBorricßtung
erfonnen: Sin großer fjiufeifenmagnet fonnte rafcß um feine
Slcßfe gebreßt werben. Unmittelbar oor feinen fßolen war ein
ßufeifenförmig gebogener ©leftromagnet befeftigt. ©ai eine
©nbe bei Seitungibraßtei taueßte in Ouecffilber, wäßrenb ba*§
anbere bießt über ber Oberfläche bei Ouecffilberi enbete.
©reßte man nun ben SDJagnet rafd) um feine Sldjfe, fo fpraitgen
jwifeßen bem freien ©raßtenbe unb bem Cuecffilbcr unauigefeßt
eleftrifcße ffunfen über. ®a man balb erfannte, baß in ^metf*
mäßig fonftruirten 9J?afcßinen ber SWaguet »on nie! größerem
©ewießt fein muß ali ber
©leftromagnet, fo legte man
ben erfteren feft unb feßte
ben festeren in ©ewegung.
©er ©leftromngnet, beffen
Spiralen man nur eine ge-
ringe Sänge, aber eine große
Slujaßl ©raßttagen gab,
würbe büßt oor ben ißolen
bei SRagueti mittelft ein-
faeßer Ucbertragung in rafeße
©reßung nerfeßt.
$ur Äuffinbung ber ©tromridjtung in biefen SRafcßiuen
wollen wir bie ffigur 1 benußen. SBewcgt fieß bie ©raßtfpirale
auf bem oberen $albfreife unferer gigur in ber fRicßtung bei
großen fßfeili, fo werben in berfelben, weil fie fieß oom ©üb-
pol entfernt, naeß bem aeßteu garabaßfdjen 3nbuftionigefeß
Ströme erzeugt, welcße red)ti ßerum laufen. Ströme öon ber-
felben JRicßtung entfteßen aber aneß, weil fieß bie Spirale auf
biefem SEBcge bem 9?orbpol näßert (7. ©efeß). Sluf bem unteren
^lalbfreii finb fämtlicßc Serßältniffe umgefeßrt, unb baßer
werben ßier in ber Spirale liitfi ßerum laufenbe Ströme erzeugt.
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SöiS jejjt ^aben loir nur bie SBirfuitg beS feftliegettben ü)?ag*
netö auf bie Spirale betrachtet; eS ift uns baljer nod) übrig zu
untersuchen, welchen ©influfj bie (Jijenferne ber Drahtrollen auf
bie Strombilbnng hoben. Die ©ifeuferne wechfeln bei jebem
nolleit Umlaufe jweimal bie fßole mtb jwar in ben fünften
a unb b, währenb fie in ben fünften N unb S am ftärfften
wagnet^h finb. 5°^8cn mir bem einen @ifenfern auf feinem
SBege uon S an gerechnet. S3or S felbft ift er an feinem
freien @nbe norbmagnetifd), b. fj- bie ?Impferefd)en Ströme
gehen linfs hemm, fie hoben alfo, bo nuS in unferer 5i9ur
bie ^ßolflädhe abgewenbet liegt, biefetbe DrehuugSrichtung wie
im Siibpol beS feftliegenbeit 2J?agitetS. Da nun auf bem SBege
uon S nach il ber SÄagnetiSmuS abnimmt, fo müffen nach bem
fedjSten SnbuftionSgefeb in ber Spirale rechts hemm loufenbe
Ströme entftehen. Sluf bem SBege ooit a nach ^ entfteht Siib*
magnetiSmuS, bie Slmpörefcheit Ströme im Sifenfertt hoben
baher je^t jwar entgcgcngefe|jte fRidjtung, finb aber non berfelben
SBirfung auf bie Spirale, ba ber SltagnetiSmuS junimmt.
(5. ©efefc). @S entftehen fomit aud) burch ben SRag«
netiSmuS beS ©ifenfcrnS auf bem ganzen oberen £>alb*
frei fe rechts herum laufeitbe Ströme. Sluf bem unteren
fialbfreife müffen linfs herum laufenbe Ströme ent*
ftehen, weil hier alle 93erJ)ältniffe umgefehrt finb.
Die SBirfungett beS feftliegenbeit ÜDlagnetS unb bie ber CSifen*
ferne beS Sleftromagnetä oerftärfen fich alfo gegenfeitig bei ber
Stromerzeugung in ben rotirenbeit Drahtfpiralen. DaS eine
@nbe beS SeitungSbrahteS war an ber metaKifcfjen DrehungS*
achfe befeftigt, währenb baS anbere an eine ifolirt über bie
DrehungSachfe gefcfjobene 3y?etaHf)ülfe gelöthet war. ©egen bie
DrehungSachfe felbft, fowie gegen bie SJfetaUhüIfe lieh man
metaQifdöe fiebern fchleifen. SBenn man bann biefe fiebern
burch einen ®raf}t oerbanb, fo ging burd) biefen ein Strom,
(507)
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wetdjer jebeSmat bann jeine 5Rid)tung äitbcrn mujjte, wenn bie
©pulen oor ben äRagnetpoten oorbeigingen.
®a ficf) nun aber ein ©trom, ber jebeit Stugenbticf jeine
SÜdjtung änbert, nur in wenigen gäßen oerwerthen läfjt, jo
war bie nädjfte Aufgabe ber Iß^pjifer, eine ©orricfjtung gu er<
jiniten, mitteljt welcher eS möglich ift, bie oerfdjiebeu gerichteten
©tröme ber SDRafchine in einer unb berfelben fRidjtung ^trcf) ben
äufjeren ©cfflie^ungÄbra^t gu jenben.
SDian nennt eine fotdje ©orrichtung
©tromwenber ober Kommu-
tator. 0rigur2 jteflt einen fotzen
in ber einfachen SSuSführung oor.
Sluf ber $rehung$ad)je ftnb jroei
hatbcplinbrijche SDietaßbleche jo be>
jejtigt, bafj jie unter fid) unb oon
ber Stcfjfe burch nicfjtlcitenbe ©cfjic^ten
getrennt jinb. S^acf) jebem biejer
beibeit fjalbcplinber führt je ein (£nbe
be§ trabte« beS ®teftromagnet8.
3)ie ©nben be£ äußeren ©djfiefjungS-
braf)te£ brüden mit jtoei gebern gegen
V bie Stchfe, bie eine oon oben, bie
attbere oon unten. ®ie SDretjung
erfolgt recf)t§ ^erum, aljo oon S nach
oben unb bann nad; N. 28ie bereits erläutert, entfielt bann in ber
auf bem oberen .patbfreife jid) betoegenben ©pirale ein rechts herum-
taufenber ©trom, toährenb in ber anberen jich ju gleicher $eit
ein liitfs herum taufenber ©trom bilbet. $>a nun bie jeweilig oben
laufenbe ©pirale immer nur mit ber oberen geber >n leitenber
©erbinbuttg ijt, jo geht ber ©trom immer oon ber oberen geber
burdj ben ©d)Iiefjung3brabt nad) ber unteren gebet u. f. w., feine
Stiftung bteibt al jo im ©djtiejjungSbraht jtets biejetbe.
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Um möglich ftarfe SBirfungen mit beit magneto*eleftrifchen
SOfafc^inen ju erzielen, nahm man junädjft baranf Vebacht, bie
äftagnete ju oergrößertt. SBeil aber bicfe ©tahlmaffen nur fehr
uiwollfommen magnetifirt werben fönnen, fteflte man bünne
gleichgroße SRagnete her unb legte fie fo aufeinanber, baß alle
©übpole unter fidö unb ade Sorbpole unter [ich oereinigt
waren. Salb fah man jeboef) ein, baß nicht bie Vergrößerung
ber SRagnete allein junt $iele führen lonnte, fonbern baß eS
barauf anlam, mehrere große ÜRagnete in einer 9Rafchine ju
oereinigen. 35er (Srfte, welcher biefeit ©ebanfen praftifch Oer*
»oerthete, war ©töhrer in fieip^ig. @r oerbanb junächft brei
große 9Ragnete, fo baß ihre ©djenfel unter fiel) parallel waren
unb bie fech« fßole in gleichen Slbftänben auf einem greife
lagen, So$>pot unb ©übpol miteinanber abwechfelnb. Vor
tiefen ^ßoleit würben 6 3)rahtroHen mit (Jifenfernen gebreht,
welche gleichfall« in einem Greife in gleichen fKbftiinben befeftigt
waren. ®urch einen ©tromwenber fonnten fämtliche ©tröme
in gleiche Sichtung gebracht werben, ©pater oereinigte ©töhrer
fogar 8 SRagnete unb 16 3nbuftion«rollen in gleicher SBeife.
35ie größten magneteleftrifchen SRafchinen würben öon
1863 ab oon ber franjöfifdjen ©efeüfchaft 1’ Alliance gebaut.
2Ran ging bi« ju 48 großen SRagntfen uttb 96 Snbuftion«*
rollen. 3)iefe SRafchinen entwicfelten fo ftarle ©tröme, baß fie
troß ihrer ftoftfpieligfeit oielfach ju Veteud)tung«gwec!en Oer*
wenbet würben, $. V. auf großen Vaupläßen unb fieuchtthürmen,
fowie in ißari« Währenb ber Velagerung 1870/71. £ange
lonnten fich jeboch bicfe Sfafdjinea nicht al« bie beften behaupten;
fie füllten halb oon anbereu ooHlommeneren oerbrängt werben.
Vereit« im 3ahrc 1857 tjatte nämlich SB. ©iemen« in
SSerlin eine Verbefferuug an ben magneteleftrifchen ÜRafchinen
angebracht, welche oerhältnißmäßig ftarfe ©tröme ju erzeugen
geftattete. @r befeftigte eine größere Slitjahl Sfagnete in paralleler
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Sage, fo baß alle Slorbpole auf ber einen unb alle ©übpole
auf ber anbereit ©eite maren, unb ließ jmifcheit ben '.ßolen
einen ©ifene^finber rotiren, melcher ber ßänge nadj mit jmei
fid) gegenüberfiegenben tiefen Süßen oerfeßen mar. SängS biefett
Süßen toar ber Gplinber mit SeitungSbraht ummicfelt. ®iefe
®orricßtung nannte Siemens ßplinberinbuftor. ®amit bie
■ülagnetpole bcm Öhlinberinbuftor möglicßft genähert roerben
tonnten, erhielten bie §ufeifeumagnete auf ber Snnenfeite Heine
SluSfdjnitte. 5'9ur 3 enthält einen ber üDiagnete unb ben
Guerburchfcßnitt beS GhlinberinbuftorS. '25a nach i£&er ha*&cn
Umbrehung bie ißole in bem (Sif entern umgefeljrt merben, fo
müffen auch b'e entftehenben Sitbuftionssftröme hei jeber Um*
brehung bie Stiftung mechfelu. -Durch
Slnfügen eines ©trommepberS fann
man biefe ©tröme in einerlei SÜcßtung
burch ben ©chließungsbraßt fenben.
®a ber (SQlinberinbuftor einen »er*
hältnißmäßig fleinen ®urd)nteffer h«t,
fo folgen bie einzelnen SnbuftionS-
ftröme fehr rafch aufeittanbcr, unb ihre SSirfung nähert
fich baher bebeutenb mehr ber Sßirfuttg beS ununterbrochen
fließenben ©tromeS . ber maloanifdjen fflatterie, als bieS bei
ber älteren Äonftruftion ber gaß mar. Slm beften fpric^t für
bie ©iemenSfchen SDiafcßinen ber Umftanb, baß fie in taufenben
oon föfemplaren unter bem Slamen Säuteinbuftoren bei ben
(Sifenbahnen in ®ienft gefteßt mürben, um bie ©tröme für bie
Sngaitgfeßung ber ©ignalglocfeit ju liefern. ®iefe Sßlafchinen
enthalten 28 einfache ftarle SJiagnete unb liefern ©tröme, tueldje
ftärfer finb als bie uou 100 galoanifchen (Elementen. ®urd)
ihre große guoerläffigfeit mürbe fogar bie Sicherheit im ©ifen*
bahnoerfehr red)t bebeutenb erhöht.
Sluf bem oon Siemens eingejcßlagencn SBege roeitergehenb,
gelang es im Slnfange bcSSaßreS 1866 SBUbe in SJtandjefter,
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burd) galoanifcfjc Ströme Don gan$ außerorbentlidjer
©tärfe großes Sluffeljen ju errege«. ©r üerbanb eine
©iemenSfdje magnet-eleftrifd)e ÜJiafdjine mit jmci anberen, in
benen ftatt ber SJfagnete ©leftromagnete benußt mürben. Ser
©trom, roeldjer in ber erften ÜJiafdjine erzeugt mürbe, ging
burd) bie ©leftromagnete ber jroeiteit, unb ber ©plinberinbuftor
tiefer ^weiten 3Jlafd)ine lieferte ben ©trom, meldjer burd) bie
©leftromagnete ber britten SDiafdjine ging. Ser ©trom beS
SplinberiubuftorS biefer britten üJiafdjine enblicf) mürbe ju ben
©jperimenten benujjt. Sie erfte 2Jiafd)ine enthielt 16 ©taljl«
magnete, beren ©cfammttragfraft 160 Silogramm betrug. $u
ben ©cßcnfeln beS ©leftromagnets ber jmeiten SKafdjine maren
©ifenplatten non 66 ©entimeter Jpöße, 91 ©entimeter ©reite unb
3 ©entimeter Side, fomie 1000 Uleter biefer Supferbraljt Der*
Juenbet. ©eine Sragfraft mar beinahe 5000 Silogramm. Sine
93efd)reibung ber britten ÜKafcßine unb ber mit ifjr angefteßten
©Eperimente finbet fid) im „Sltfjenäum" : „3n ber 3Uafd)i«e
felbft lag fdjoit etmaS 5(cf)tunggebietenbeS, ba bie ©leftromagnete
au§ 1,22 Bieter ßoßen unb 25 ©entimeter biden, 14 ©entner
Supferbraljt entßaltenben ©djenfeln beftanben, jmifeßen benen
ein ßtjlinberinbuftor lag, ber burd) bie außerhalb bcS ©ebäubeS
aufgefteüte Sampfntafcßine ooit 15 ©ferbefräften mit einer
Qkfdjminbigfeit oon 1500 Souren in ber SJiinute gebreßt mürbe.
Um unb um flogen bie Gpliitber (ber brei ÜJiafdjinen), unb jebe
Dotation fanbte neue elcftrifdjc Ströme in bie ©leftromagnete,
als plößlid) ber freie aus ber ÜJiafd)iite ßerauStretenbe ©trom
mit Dotier Sraft in eine am ©nbe beS ©erfudjSlofaleS aufgefteüte
cleftrifcße Satnpe geleitet tourbe, unb fofort jmifdjen ben finget»
biden Soßlenftäben ein ungemein intenfioeS eleftrifdjeS 2id)t Dor
ben Slugen ber 3ufc^aucr aufflammte, baS fie ebenfo bienbete,
mie bie 9JlittagSfonne unb alle ©den unb SBinfel beS großen
©aaleS mit einem QHanj erleuchtete, ber ben ©onnenfdjein
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übertraf, unb gegen welchen bie f)ell brennenben ©aSflammen
in ber 9Rittc beS 3*mmer§ braun erfcfjienen. ©in in ber
SRid)tung beS Sicfjtftra^lS gehaltenes ©rennglaS brannte Södjer
in baS Rapier, unb wer bie SBärme mit auSgeftretfter $anb
auffing, fonnte biefelbe in einer ©ntfernung tion 50 9)?eter noch
beutlicf) wahrnehmen. 35ann fpaunte man eine lange eiferne
®raf)tfd)linge in bie Seitung ein; nad) wenigen SRinuten glühte
ber ®raf)t, nahm eine mattrotf)e garbe an, würbe weißglühenb
unb fiel in glüfjenben Stödten ju ©oben, ©benfo würbe ein
fur^eS Stiicf ©ifett oon ber SDicfe eines Keinen gingerS ge»
fcfimotjen unb oerbrannt; aber alle bie ©erfudje würben über*
ftraljlt oon bem Schmelzen beS fdjwerflüffigften SRetalleS, eines
©latinftabeS oon mehr als 6 SWiüimeter $urcf)meffer unb
61 ©entimeter Sänge."
®iefe gewaltigen Seiftungen ocrfdfjafften ber Söi(befcf)en
SDtfafdjine halb ©ingang in oerfc^iebenen gnbuftrieftätten. 92a»
mentlich fattb fie ©erwenbung für gatoanoplaftifche Arbeiten,
jur Ojonbcreitung unb jur Sidjtentwidelung für pffotograpljifdje
ßtoede. Slber auch ifjr Stern, ber jiuerft alles Sagewefene mit
feinem ©lan$e übcrftraljlt ^atte, foUte halb erbleichen, ge
genauer man biefe 9D2afd)ine nämlich fennen lernte, befto beut«
lieber traten auch ihre SRängel heroor; inSbefonbere war eS
ber rafche SBechfel be§ 93?agnetiSmuS in ben ©ifenfernen ber
3nbultionSct)linber, welcher biefe lederen recht ftarl erwärmte
unb baburd) ben galoanifd)en Strom fdjwädjte. ©S war infolge»
beffen nidjt möglich, burdj biefe SWafdjine auf längere 3eü
Ströme oon gleichmäßiger Stärfe §u erjeugen. ©oit ber 9iotfj>
wenbigfeit, gerabe biefe gorberung an bie elettrifchen SOfafchinen
ftellen ju müffen, hatte mau fid) aber bereits ^inretc^enb
überzeugt.
©S würbe uns hier ju weit führen, wenn wir ttodf) aß
ber anberen ©erfuche gebenleu wollten, welche man anfteOte,
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unt leiftunggfäßige SOfafcßinen ju erßalten. $)er heutige ©tanb
ber Sfeftrotecßnif öerroetft alle bieje fotuie alle oben betriebenen
eleftrifcßen SDtafcßinen in bag ©ebiet ber ©efcßitßte. Unb wenn
aucß nocß einige Saßre ßinburcß ber ©iemeitgfcße Gßlinber»
inbuftor öielfacße Serwenbung fanb, fo ßat bod) aucß er jeßt
bag gelb anberen SBorricßtungen gegenüber uotlftänbig raunten
muffen.
$ie neue ißeriobe, in ber wir jeßt nodi fielen, wirb ein-
geleitet burd) jwei großartige ßmtbedungen : burd) bie (Sntbedung
beg fßaccinotti-©rammefd)en 9tingeg unb beg bpnamo*
eleftrifcßen ißrin^ipg oon ©iemeng. $u biefem leßteren
wollen wir ung nun junäcßft wenben.
^Bereits int ®ejember 1866 ßatte ©iemeng in SBerlin oor
mehreren ^ac^geteEjrtert mit einer fDfafcßine ejperimentirt, welche
feine ©taßlmaguete enthielt, fonbertt ftatt biefer einen großen
©leftromagnet. ®ie 3)raßtenben beg leßteren waren bireft mit
ben Sürßen beg ©tromroenberg oerbuitben. Seoor bie SDZafcßine
in ©ang gefeßt würbe, ßatte ©iemeng ben ©trom weniger
galoanifirter (Elemente burcß ben fieitunggbraßt beg Qrleftro-
magnetg geßen laßen. ®ie Grrfaßrung leßrt aber, baß (Sifen,
welcßeg einmal magnetifcß erregt ift, bauernb geringe ©puren
oon magnctifdjcr Straft beßält. ©irb nun ber Gßlinberinbuftor
einer folcfjen fDfafcßiue gebreßt, fo entfteßt in feiner $raßtfpirale
unter bem ©ttfluß beg im ®ifen beg Gleftromagnetg juriid*
gebliebenen SWagnetigmug ein fdjwacfjer ©trom, weldjer burcß
ben ®raßt beg ©leftromagnetg fließt unb biefen oerftärft. ®a>
burcß finbet wieber eine Serftärfung beg ©tromeg im Stjlinber-
inbuftor u. f. w. ftatt, unb in furjer $eit ift bie SDiafcßine big
jum SDiafimum ißrer Seiftunggfäßigfeit angeregt. 2)ieg ift in
furzen ©orten ber Stern beg ©iemengfcßen bßnantoeleftrifcßen
fßrinjipg. ©egen feiner ungemeinen ©icßtigfeit, jugleicß aber
Sammlung. 91. g. V. 1X0. 2 (513)
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um nadjsuweifen, baf$ Siemens unzweifelhaft bie Priorität in
biefer Sntbecfung jufteht troß alter fflemüijuitgen ber ©nglänber,
welche biefc (Sfjre ihrem SanbSmann SB^eatftone retten wollten,
motten mir Siemens’ eigne AuSeinanberfehungen, welche fich im
gebruar»§eft 1867 ber Sßoggenborfffdjen Annalen finben unter
ber Ueberfdjrift : „lieber bie Untwanblung »on ArbeüS-
fraft in eleftr ifdjen Strom ohne Anwenbung perma-
nenter 3Ra gnete", ^ier wörtlich folgen taffen:
„SBSenn man jwei parallele ©rätjte, welche Steife beS
SdjliefjungSfreifeS einer galoanifchen Sette bitben, eiitanber
nähert ober ooneinanber entfentt, fo beobachtet man eine
Schwächung ober eine SSerftärfung beS Stromes ber Sette, je
nacfjbem bie Bewegung im Sinne ber Sräfte, weld)e bie Ströme
aufeinanber auSüben, ober im entgegengefefcten Sinne ftatt«
finbet. Ssiefelbe @rf<heinung tritt in oerftärftem SRaße ein,
wenn man bie ißoleitben zweier (Steftromagnete, bereit SBinbungen
X^eife beSfetben SchliefjungStreifeS bitben, einattber nähert ober
ooneinanber entfernt. Söirb bie ^Richtung beS Stromes in bem
einen ®raf)t im Slugenblicf ber größten Annäherung uitb (Snt-
fentung umgelehrt, wie eS bei eIeftrobt)namif<hen fRotatiouS-
apparaten ber eteftromagnetifchen 9Rafchinen auf mechanifchem
SEBege ausgeführt roirb, fo tritt eine bauernbe Sßerminberung ber
Stromftärfe ber Sette ein, fobalb ber Apparat fid) in Bewegung
fe^t. ®iefe Schwächung beS Stromes ber Sette burch ©egen-
ftröme, welche burch &*e ^Bewegung im Sinne ber bewegenben
Sräfte erzeugt werben, ift fo bebeutenD, baß fie ben ©rutib
bitbet, warum eteftromagnetifche Sraftmafchinen nicht mit ©rfolg
burch galoanifche Setten betrieben werben fönnen. SBirb bagegen
eine foId)e SE>2aftfjine burch eine äußere ArbeitSfraft im entgegen-
gefegten Sinne gebreht, fo muß ber Strom ber Sette burch b‘e
jefct ihm gleichgerichteten inbucirten Ströme öerftärft werben.
®a biefe SBerftärfuug beS Stromes auch eine SSerftärfung beS
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3ftagneti«ntu« be« Sleftromagnet«, mithin aud) eine SJerftärfuug
be« folgenben inbucirten Strome« ^eröorbringt, fo »üäc^ft ber
Strom ber $ette in rafdjer ^3rogreffion bi« einer folgen
^>öf)c, baß man ledere felbft ganj au«fchalteu fann, ohne eine
Serminberuitg be« Strome« loahrjunehmett. Unterbricht man
bie Drehung, fo oerfchminbct natürlich auch ber Strom, nnb
ber feftftehenbe Sleftromagnet oerliert feinen äliagnetiSmu«.
2)er geringe ©rab oon ÜJ?agneti«mu«, melcher auch 'm
roeichften Sifett ftet« jurüdbleibt, genügt aber, um bei mieber
eintretenber Drehung ba« progreffioe Slnmachfen be« Strome«
im Sd)Iießung«freife oon neuem einjuleiten. S« bebarf bahcr
nur eine« einmaligen furzen Strome« einer Mette burdj bie
SSinbuttgen be« feften Sleftromagnet«, um beit Apparat für alle
3eit leiftung«fähig gu machen.
2)ie ^Richtung be« Strome«, «eichen ber Apparat erzeugt,
ift oon ber Polarität be« jurücfbleibenbcn 2Jt'agneti«mu« ab-
hängig, änbert man biefelbe oermittelft eine« furjen, entgegen-
gefegten Strome« burch bie SSinbuttgen be« feften Sleftromagnet«,
fo genügt biefe«, um auch allen fpäter burch Dotation erzeugten
mächtigen Strömen bie umgefehrte Dichtung ju geben.
3>ie befchriebene SSirfung muß jtoar bei jeber eteftromag*
netifchen ÜJiafchine eintreten, bie auf Slnjiehung unb Slbftoßung
oon Sleftromagueten begriinbet ift, beren SBinbungen $hfite
be«felben Schließung«freife« bilbeit; e« bebarf aber hoch befonberer
9iücffichten jur ^erfteüung oon eleftrobpnamifcf)en Snbuftoren
oon großer SBirfung. 25er oon bctt fommutirteu, gleichgerich-
teten Strömen umfreifte feftftehenbe ÜJJagnet muß eine h'1,re»*
cf)enbe magnetifcße Trägheit ha&en/ um auch «ährenb ber
Stromioechfel ben in ihm erzeugten fjödjften ©rab be« äRagne»
ti«mu« ungefchtoächt beigubehalten, unb bie fidt> gegenüberfteheit-
ben ifjolflächen ber beibett äRagnete müffen fo befchaffett fein,
baß ber feftftehenbe ÜRagnet ftet« burch beuadjbarte« Sifett
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gefdfloffen bfeibt, möhrenb ber beroeglidje fid) brel)t. $iefe 53e>
bingungen roerbeu am beften burcß bie ton mir oor längerer
$eit in Vorfdhlag gebrachte unb feitbem ton mir unb Slttberen
tielföltig beiiu^te Slnorbttung ber ÜJiagnetinbuftoren erfüllt.
$er rotirenbe ©leftroinagnet beftef;t bei benfelben auö einem um
feine Sldffe rotirenben Grifettcblinber, melier mit grnei gegenüber«
ftehenbeu, ber 2ld)fe parallel laufenbett @ittf dritten terfehen ift,
bie beit ifolirten Umtuinbung§braf)t aufnehmen. $ie sßolettben
einer größeren gaßl ton ©taljlmagtteten ober im torliegenben
galle bie Sßolenbctt beö feftfteljenben ßleftroniagnetö umfaffcn
bie ^Peripherie biefeö ©ifenchlinberö in feiner gangen Sänge mit
möglidfft geringem ^mifchenraume.
SOZit $iilfe einer berartig eingerichteten ÜDiafdjine fanit man,
meint bie Verßältniffe ber eingeltten $he*k richtig beftimmt
finb unb ber Kommutator ridjtig eingcftellt ift, bei ^inreicffenb
fdjneller Drehung in gefd)loffenen Seituugäfreifen ton geringem
nnmefcutlidjen Söiberftaube ©tränte ton foldjer ©tärfc ergeugen,
baß bie UmminbungSbrähte ber (Sleftromagnete burd) fie in
furger $eit bis gu einer ^Temperatur ermärmt mcrbett, bei
meldjer bie Umfpinnung berfelben terfof)lt. Sei anhaltenber
©enufcung ber ÜJZafdjine muß biefe ©efalfr bnrcf) ©infdjaltung
tott SBiberftänbeit ober burdi üDiäßiguitg ber ©rehungSgefchttinbig«
feit termieben merbett.
SBäßrenb bie Seiftung ber magneteleftrifdjen Snbuftoreit
nicht in gleichem Verhältttiffe mit ber Vergrößerung ihrer
®imenfionett gunimmt, finbet bei ber betriebenen baS um«
gefehrte Verhältniß ftatt. @3 hat barin feiten ©runb,
baß bie Kraft ber ©tahlmaguete in meit geringerem Verhält«
niffe guttintmt als bie SDiaffe beS gu ihrer ^erftellung tertten*
beten Stahles, unb baß fid) bie magnetifdje Kraft einer großen
Slngahl fleitter ©tahlmaguete nicht auf eine fleine ^Jolflädje
fotigentrireit läßt, ohne bie SBirfung fämtlidjer ÜDßagnete be*
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beutenb ju fc^tuäc^ett ober fie jum Tljeil ganj ju entmagnetifiren.
ÜRagnetinbuftoren mit ©taljlmagneten firtb bnt)er nicht geeignet,
100 e3 fid) um ©rjeuguttg fef)r ftarfer anbaueritber ©tränte
banbeit. üRan ^nt eS jioar fdjon mehrfach oerfudjt, folcfje
fräftige magneteleftrifdje Snbuftoren ^erjuftellen unb auch fo
Iräftige ©tröme mit ihnen erzeugt, baß fie ein intenfioeS elef*
trifd)e8 üicfjt gaben, bod) mußten biefe 9Rafchinen foloffale
Timenfioiten ertjalten , rnoburd) fie fefjr foftbar mürben. Tie
©tahlmagnete oerloren ba(b beit größten Tbeit i^re« ÜRagne-
tiSmuS unb bic SDiafc^iite ihre anfängliche Kraft.
UieuerbingS bflt b« SRechouifer SBilbe in Sirminghant bie
£eiftung3fäf)igfeit ber magneteleftrifdjen 9Dtafd)inen baburch
mefentlid) erhöht, bafj er jtoei SJiagnetinbuftoren meiner oben
betriebenen Konftruftion jn einer Süiafdjine fombinirte. Ten
einen größeren biefer Stibuftoren oerfieht er mit einem (Sleftro*
magitet an ©teile ber ©tahlmagnete unb oermenbet ben anbereit
jur baueruben SDfagnetifiruitg biefei ©leftromagnets. Ta ber
Gfeftromagnet fräftiger mirb als bie ©tahlmagnete, melche er
erfefjt, fo mufj aud) ber erjcngte ©troin burd) biefe Kombination
in minbeftemS gleichem ÜJiage üerftärft mcrben.
©S läfjt fich leicht erfennen, bafj SBilbe burd) biefe Korn*
bination bie gefchilberten SRängel ber ©tahlmagnet<3nbn!toren
roefentlich oerminbert C)at. Slbgefefjcn oon ber Unbequemlichfeit
ber gleichseitigen ©enoettbung jmeier ^nbnftoren jnr ©rjeugung
eitieö Stromes, bleibt fein Slpparat bod) immer abhängig oon
ber unjuüetläffigen fieiftung ber ©tahlmagnete.
Ter Techni! finb gegetnoärtig bie Üliittel gegeben, eleftrifche
©tröme ooit unbegrenzter ©tärle auf billige unb bequeme SBeife
überall ba ju erzeugen, mo Slrbeitsfraft biSponibel ift. Tiefe
Tljatfache mirb auf mehreren ©ebieten berfelben oon mefentlicfjcr
©ebeutung toerben."
3Jian fteht au? biefen ÄuSeinanberfefcungen, bafj ©iemenS
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baS ißrin^ip feiner neuen DJtafchine »oHfommen ffar erfaßt hatte.
SEBheatftone teilte feine Beobachtungen über biefeit felben ^Junft
erft am 14. Februar 1867 in einer Sijjung ber Royal Society
mit unter bem Titel: „On the Augmentation of the Power of
a Magnet by the Rotation thereon of Currents indueed by
the Magnet itselP, ttnb eS unterliegt baljer feinem
3meifel, baß Siemens bie Gl)re ber Priorität jufte^t.
Tie Slnfichten, bie SB^eatftone in feinem Bortrage entmidelte,
becften fid) im mcfentlidjen mit benen oon «Siemens, unb e$
bleibt nur räthfelßaft, baß er ber Gntbedung »on Siemens gar
feine Grmähnung tßat, obglcid) biefclbe fdjon fed)S SBodgn
»orßer öffentlich befannt gegeben »ar.
GS bürfte hier bie paffeubfte Stelle fein, um einige furje
Bemerfungeu über bie Gintfjeilung ber eleftrifrfjeu SDJafchinen in
jtuei £>auptgruppeu, näntlid) in SBedjfelftr om> unb ©leid)'
ftrommafdjincn einjufdjalten. Stile bisher befchricbenen
SJiafdjineit finb äöechfelftrommafchinen ; nur burdj eine befonbere
Borrichtung, ben Stromroeubcr, ift man im ftanbe, bie SBechfel-
ftröme ber SDiafchine in einer unb berfelben fRidjtung burd) ben
äußeren PeituugSbraht ju fenben. Tie ©leidjftrommafchinen,
ju benen mir unS im folgenben roenben mollen, liefern bagegen
bireft, alfo ohne Slnmeubung eines StrommeitberS, gleichgeridjtete
Ströme. GS fei aud) noch barauf hingemiefen, baß gerabe biefe
2)tafd)inen eS finb, welche bie mannigfaltigftc Berwcnbitng in
ber Subuftrie gefuuben hoben; benn mcnn aud) für manche
groede, j. B. für bie §erftellung eines elcftrifchen BogenlichteS,
bie ©ed)fetftrommafchincn gemiffe Bortheile6 bieten, menn fie
bei Fernleitungen, meil für ihre ho^0efpannten Ströme nur
biinner SeitungSbraht erforbcrlich ift, namentlich feit Grfinbung
ber Transformatoren,7 immer nod) eine »üidjtige SRoöc fpielen,
fo ift boch unzweifelhaft feftgeftcllt , baß fie im ©efamteffeft
ihrer fieiftungen ben ©leichftrommafchinen mefentlich itachftehen.
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^Rationelle SBermenbung be« 2J?aterial<S ift aber bie erfte 33e*
bingung, welche bie Snbuftrie betreff« ihrer ©erzeuge fteHen muß.
25er mefentlicfjfte 2he*l bcr ©leidjftrommafchinen, bie mir
jeßt befpredjen motten, ift ber SRinginbuftor. ®eüor mir
jeborf) bie ©rflärung beSfelbett unternehmen, roollen mir einige
furje gerichtliche öemerfungen oorauSfchicfen. 3m Saljre 1860
fonftruirte Antonio Sßaccinotti in gloren^ für bie Uni*
oerfität Sßifa eine fRingmafchine. Sine ausführliche Sefcßreibung
berfelben mürbe aber erft einige Söhre fpäter in bem 3oarnal
„II Nuovo Cimento“ oeröffeutlicf)t. 25er betreffenbe 33anb trägt
bie Safjreäjahl 1863, fann aber erft 1865 fertiggeftellt fein,
meil bariti aud) eine öbfjanblung au« bicfem Söhre enthalten
ift. Sin« bem SBortlaut ber ^accinottifchen Slufjeichnungen geht
beutlich heröor, baß ihr SSerfaffer bie Theorie feine« fRinge«
flar erfaßt hötte. Slujjerbem ift ermiefett, baff er leiftungSfäljige
JRingmafchincn fonftruirte, in bcnen er theil« Stahl*, theil«
©leftromagnete oermenbetc. @S unterliegt fonach feinem ßmeifel,
baß bie ©efchidjte bcr E|$hh!if fßaccinottt al« bcn erften ©rfinber
be« Stinginbuftor« nennen muß. 2roßbcnt aber läßt fich nicht
leugnen, baß ber fRinginbuftor erft burdj feinen jmeiten @r*
finber ©ramme bie Söürbigung erfuhr, bie ihm gebührt. 3l‘no^e
©ramme au« ©elgien mar in ber ©efellfchaft l’Alliance al«
9RobeQtifch(er befchäftigt uub hatte fiel) fchon mehrere patente
über eleftrifche Sidjtmafchinen ermorben, al« er im 3ahre 1871
ben fRinginbuftor fjerfteüte, ohne eine Slhnuitg baüoti ju haben,
baß biefe ©rfinbung bereit« gemacht mar. 25afür, baff ©ramme
feine ©rfinbung felbftänbig gemacht hat, fpricf)t fchon ber Sßeg,
ben er einfehlug. ©r lieh nämlich juerft einen SKagnet innerhalb
eine« feftftehenben ^o^Iett ©ifenringe« rotiren, melcher mit
£eitung«braht ummicfelt mar, unb fam fpäter erft auf ben
©ebanfeit, beit SÖfagnet, bejm. Slcftromagnet, feftjutegen unb
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24
ben SRing in 2)retjung ju öerfe&en. ®ie Stnorbnung ber ein-
zelnen Steile rourbe iiberbieä unter ©rammeä geriefter §anb
eine mefentlicfy nnbere ab? bei ißaccinotti. $>er SRing mürbe auf
Rifl- ■*■
baS fleinfte ÜRa| gebracht , unb ber ©tromfammler, non ißacci-
notti fälfcpcf) ©trommenber genannt, unmittelbar an ben 3n‘
buftorring angefdjtoffen. £er ©taf)Imagnet mürbe mit fo-
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25
genannten ißolfdjufjen berart öerfefjen, baß ber IRing faft rimb*
fyerum non magnetifdjer Äraft umfcßloffen war. SBegen ber ge*
brungeneit gornt be« SRitigeS war e8 möglid), bie UnibreßungS*
gefcfjminbigfeit rcdjt tjodj $u nehmen, uitb bieS war t>ou be*
fonberem 93ortl)eil für bie ©tromfteigeruug.
9iad) biefen gefdjid)tlid)en 93emerfungen wollen wir uit« nun
mit |>ülfe ber gigur 4 bie Sntfteljung be8 eleftrif d)en
©tromeS in bem Ütinginbuftor flar machen. Der äußere
iRtng ift aus* Sifen f)ergeftetlt unb wirb burd) einen ftarfett
(Sleftromagnet in jwei ßalbfreiSförmige 9Jlagnete »erwanbelt,
roeldje bei S mit ifjren SRorbpolen, bei N mit iljreit ©iibpolett
aneinanber ftoßen. Die Pfeile auf bem fRinge beuten bie
9lmpferefd)en ©tränte an. Der SRing ift mit einer großen Sin*
jafjl Drafjtfpiralen umgeben, beren in unferer gigur nur fedjS
gejetc^net finb. Stuf ber 8ld)fe befinbet fid) ber ©tromfammfer,
welcher au$ fo oicl SeitungSftüden befielt, wie ©piralen t»or*
Rauben finb. Die Seitunggftüde (in ber 5*9ut fdjwarj) finb
burdj nidjtleitenbe ©ubftanj ooneinanber unb ooit ber ftäblernen
Sld)fe getrennt. Die beiben Draljtenben ber einzelnen ©piralen
finb mit je jwei aufeinanber folgenben Seitnngöftücfen oerbuuben.
93 on re<f)t3 unb oon linfä werben ftupferbraßtbiirften burdj
fd)wad)e Gebern gegen ben ©tromfammler gebrüdt.8 Der große
ißfeil jwifcßen S unb b giebt bie Drel)ungSrid)tung be3 IRingeS
an. 3Birb ber Siitig um feine Sldjfe gebrefjt, fo bleibt bie
magnetifdje 93ertl)eilung tvoß ber Söewcgung beS ©ifenS feft
liegen, fo baß alfo immer oben 2 SRorbpole unb unten 2 ©üb*
pole jufammenftoßen; bie ©piralen bagegen änberit fortwäljrenb
iljre Sage itt 93ejug auf bie magnetifdje Slertßeilung im IRinge.
2Bir wollen nun junäcßft unterfudjen, welche SSJirfuttg bie
Ijalbfreisförmigen ÜRagttete auf bie ©piralen auSüben, wenn
biefe fid) in unmittelbarer SRäfje ber fünfte a, S, b, N bewegen.
SBälfrenb eine ©pirale fid) in ber ÜJlälje oon S befinbet, muß
1521)
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26
in it)r nad) bem achten $arabatjfd)en Snbuftionlgefefc ein Strom
entfielen, werter mit beit Stmperefcf)en Strömen jwifdien S
unb a biefetbe 9iid)tung f)at, nad) bem fiebenten SnbufttonSgefe^
ein Strom, melier ju beit Stmpörefd)en Strömen 3Wifd)en S
unb b entgegengesetzte Stiftung tjat; beibe Stromgruppen »irfen
alfo in bemf eiben Sinne auf bie Spirate bei S. Sie Siidjtung
bei entfteljenben Stromei ift burd) ißfeite angegeben, ©enau
in berfetbcn SQSeife erftärt fic£j bie Strombilbung in ber Sfätje
oon N. ©ewegt eine Spirale in unmittelbarer 9?ät)e oon
a, fo ift bie SSirfung ber Slmperefdjen Ströme jwifdien a unb
N gteid) unb entgegengerid)tet berjenigen SSirfung, weldfe bie
2tmp£refd)en Ströme jwifdfen a unb S aulüben, el fann alSo
in ber Spirate fein Strom entstehen, ©enau balfetbe gilt in
©ejug auS ben ißunft b. 3e weiter nun aber eine Spirale öon
a itad) S oorrüdt, befto metfr gewinnen bie 9tmperefd)cn Ströme
hinter it)r bie Cbertjanb über biejenigen oor it)r; bal SJfajimum
ber SSirfung mujj alfo bei S eintreten. ©on S nad) b finft
bie SSirfung auS Stufl jurüd- ©beitfo mäd)ft ber Strom auS
beut SSege oon b itad) N unb nimmt ab auf bem SBege oon
N nad) a. SBir fetjen alfo, bajj bie Ströme in alten Spiralen
bei oberen £>albfreifel unter ficf) biefetbe SRidjtuitg f)aben. Sal>
fetbe gilt oom unteren £>albfreil. Ser Ucbergang bei Stromei
oon einer Spirate auf bie fotgenbe wirb burd) bal bajwifd)en
tiegenbe Seitunglftiid bei Stromfammterl oermittett. Ser
Strom bei oberen ^afbfreifel trifft mit bem bei unteren |)alb*
freifei in bem am weiteftcn nad) red)tl liegenbeit Seitunglftüd
jufammen. Ser ©cfamtftrom gef)t burd) bie Srafjtbürfte unb
ben Sdjtiefjunglbratjt nad) ber tinfl befinbtidjen ©ürfte, um
fid) t)icr wieber in jtoei gteidje Steile ju fpatten u. f. w.
Sie 3at)l ber Spiraten ift fetfr üerfdjiebcn, bei ben fteinften
finb el 20 bil 30, bei ben größten über 100. Sa nun bie
fteinften SDiafdjinen in ber SDiitiute 2000 bil 3000, bie größten
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27
mehrere £>unbert Umläufe madjen, fo müffett in jeber ÜHinute
»eit über 50000 ©pule» bei jebem ißole oorbeigef)en. 3n
gleicher Söeife paffiren audj bie fieitung^ftücfe bie ©ürften. ®ie
nid)tleitenbe ©ubftauj jtuifdjen je jmei aufeinaiiber folgenben
£eitung«ftiicfeti ift l)öd)ften« 1 bi« 2 SJiillimeter bicf. ®ie
dürften fd)leifen fid) au beit ©teilen, too fie gegen bett ©trorn*
fammler brücfen, feljr halb etwa« ljof)l, uitb baljer finb bie
dürften fogor in beit Slngenblicfett, in tueldjcn bie uidjtleitenbe
®d)id)t an ilgten »orübcrgel)t, mit ben ScitungSftütfen in 93e«
riif)rung. — £iefe SluSeiitatiberfejjungen laffen alfo als Doflfommen
einleudjtettb erfdjeinen, bafj bie 2ljeilftröme, toeldje bie jeweiligen
beibett §albfreife burd)laufen, Dott benen ber eine über, bcr
attbere unter ber fiittie a b liegt, ebenfo gleidjmöfjig oon ber
einen ©iirftc burd) ben £eitungSbrat)t nad) ber auberett fliegen,
wie in einer galoanifdjett Satterie uon einem ißol jttnt anbertt.
©iS je£t ^abeit toir angetionttiten, bajj ber Strom bircft
burd) ben ©djliejjungSbrafjt oon einer ©ürfte pr anbereu gcljt.
SSir Ijaben baljer ttod) jtt erörtern, toie ber ©trotn burd) bie
©leftromagnete uttb burd) bie einjujdjalteiibcn Apparate geführt
toirb. Unter biefem ®efid)tSpunft tf>eilt man bie 2)t)nantoS in
brei |jauptgruppeit ein: 1. §auptf d) I tt B * , 2. 97ebettfd)lu§-,
3. Gompouttbmafdpnen ober 2Jfafd)inen mit gemifdjter
Söidlttng. SBir geben eilte frfjematifcf^e ^eidjnung, gig. 5, ber
erften Slrt uttb erflärcn baratt and) bie beiben anberen. 2)ie beiben
Ubeilftröme beS SKinginbuftorS R tiereinigen fid) burd) bie
©ürfte a ju einem ©cfamtftrom. 2)iefer gel)t über bie Ätlcmme c
burd) bie Slpparate, bann über d burdj ben ©leftromagnet uttb
julejjt nad) b. ©ei biefer ajfajdjine mujj ber Sßiberftanb ber
eingefdjaltcten Slpparate im richtigen SÜertjältni^ bem ©3iber>
ftanbe ber Üftafdjinc ftef)cit. SlttS biefem ©ruttbc finbet fie
paffenbe ©ertoenbuttg, wenn eS fid) j. ©. barum fjanbelt, eine
untieränbcrlid)e 3a()l uon Santpett jn fpcifett. ©ei ber 9lebctt=
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28
fdjfufjmafdjine gef)t ein 2>rat|t öon a burd) bie GHeftromagnete
nacfj b, ein anberer geljt ooit a burd) bie Apparate unb bann
bireft nad) b. 25a man nun in beit SDrafjt ber ©feftromagnete
beliebige SBiberftänbe einfdjaften fantt, fo fönnen audj bie ge*
fpeiften Slpparate oerfdjiebene SBiberftänbe tjaben. ©ine Sieben*
fd)tuf}mafcf)ine geftattet batjer bie öielfeitigfte Slnwenbung unb
ift au3 biefem ©runbe bie $orm/ todcfje für ®d)uleyperimente
am geeigneten ift. ®ie ßompounbmafdjinen finb mittelft eine«
ftarfen $rat)teg genau ebenfo
gewidett, wie bie ,f)auptfd)lufj*
ntafdjincn, aufferbem geljt aber
ttod) ein biimter 2>raljt non einer
SSürfte burdj ben ©leftromagnet
jur anberen dürfte. 35ie Appa-
rate werben in ben biden 2)rat)t
geftattet. $iefe ÜJiafdpne regu*
lirt fid) felbft. 3ft näntlicf) ber
SBiberftanb jwifd)en c unb d Heilt,
fo arbeitet fie als £>auptfdjlu§*
mafdjitte, ift er bagegen groß,
fo arbeitet fie als Siebenfdjluß*
mafdjine. ©iefinbet bie paffettbfte
Serwenbung bei großen gewerb*
lidjett Slnlagen, weil in biefem
$afle oft febr oerfdpebette SBiberftänbe in bie ©tromleitung ein*
geftattet werben.
@3 fei f)ier nod) erwähnt, bajj fid) im Sifen be§ ©ramme*
fdjett SiittgeS infolge oott 3nbuftioit elettrifcfjc ©tröme bitben,
bie fogenannten goucaultfdjen ©tröme. 25iefe ©tröme wirten
auf ben Setrieb ber 2)pnamomafd)inen ftörenb, ba fie baS
Sifen bes SRingeS beträdjtlid) erwärmen unb ju iljrcr ©ntwidelutig
ein £f)eit ber aufgeWanbten Arbeit unnötig »erbraust wirb.
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29
Um nun bie öilbung ber goucaultfdjen ©tröme möglidjft ju
nerljinbern, fteHt man ben.örammefdjen fRing nidjt meljr au3
einem feften ©tücf f)er, fonbern aus bünnem @ifenbral)t, beffen
einzelne Sagen burd) ifofirenbe (Stoffe getrennt finb. ®ie
Söiitbungen be$ ©ifenbraf)te$ müffen fenfrecf;t jur 5Drel)ung3ad)fe
fteljen, roeil ber £eitung§braf)t ber ©pulen paraUet mit ber
£ref|ung3ad)fe oerlnuft. £>icrburd) finb bie goucaultfdjett
Ströme, tueldje parallel mit ben inbucirenbeit verlaufen, auf ein
8'fl- 6-
unfdjäblicfjeS SDiajj juriidgefüf)rt, mäf)renb ber magnetifdjen &raft>
ftrömung fein SBiberftanb entgegeugefejjt ift.
9?ad)bem bie ©eftalt be3 9iinge3 bie mannigfadjften
SBaitblungen burdjgemadjt fjat, fjat man fiefj jule^t nadj bem
Vorgänge non ©d>udert in Nürnberg für ben gladjring ent*
fdjiebcn. gigur 6 jeigt eine glad)ringmafd)inc, mie foldje non
öebrüber $rflaS i» Söunfiebel gefertigt merben. 2)er gladj*
ring, in ber .ßeidjnung pur(ij einen Sledpnantel uerbedt, f)at
parallel mit ber Sldjfe geringere 2lu$bcl)nung als fenfredjt jur
(528)
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30
gfadjringmafdjine oou ©djutfert iit Nürnberg. 3ur SIbnafjme
bei ©tromel fiitb bei bieder 9?iafdjine oier Siirften erforberlicf),
oou welchen in nuferer Slbbilbnng (redjtl) brei fid)tbar fiitb,
wäfjrcnb bie oicrte hinter bem ©tromfammter liegt.
itaum ein 3af)r mar nad) ©rnmmel Srfiitbung bei fRing*
inbnftorl oerfloffen, all el oou ^jefner-Ältenetf, einem Ingenieur
ber (Jleftrijitätlwerfe non ©iemenl & £>atlfe in ©erlin,
(526)
?(d)fe unb ift fnft auf bem ganjen Umfreife non großen hoppelten
ißolfdjußen umgeben. ®ie Sleftromagnete fönnen burcf) eine
©töpfelfcf)aItoorrid)tung (in ber Hbbilbmtg nidjt erficßtlid)) auf
©pannuttg ober Quantität, b. t)‘. ^intereinanber ober neben*
einanber gefdjaftet werben. $er ©tromfammler liegt linfl unb
wirb jum größten $fjeil burdj bie eine Surfte oerbedt. gigur 7
jeigt eine größere, mit oier ®oppeleIeftromagneten aulgeftattete
S«8- 7*
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31
gelang, auf einem anberen SBege baöfelbe iu erreichen.
$er Sif entern feineä 3nbuftor$, ber Trommel genannt toirb,
fjat Gplinbergeftalt nnb ift parallel ju feiner ?ld)fe mit einer
größeren Slnja^l oon Erafjtlagen ummicfelt. gigur 8 giebt
eine Ueberficßt über bie ^aupttljeile ber SDiafcfjine, unb jmar fo,
baß man bie Stirnfläche be3 $rommelinbuftor8 oor fich ßat,
welche ben ©tromfammler trägt. 3ebe ber fdjon ermähnten
S>raljtlagen befielt auä oielen SBinbungen, bilbet alfo eine
einzelne 2>ral)tgruppe, beren beibe Gnben mit je einem SeitungS*
ftüd be8 ©tromfammlerS oerbunben finb, unb jtoar fo, baß
ebenfo toie beim fRinginbuftor ber Anfang unb baS Gnbe ber
einzelnen ©ruppen an je jtoei aufeinanber folgenbe SeitungS*
ftücfe gefdjraubt finb. 3- finb 1 unb 9 jmet fünfte ber
Stirnfläche, burd) bie eine ®raßtgruppe geßt. S3on ben beiben
Gnben berfelben ift baä eine mit bem 2eitung$ftiicf c, ba«
anbere mit bem SeitungSftiicf d oerbunben, ebenfo geßt burcß
2 unb 10 eine ®raf)tgruppe, beren Snben nach h unb g führen
(527)
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32
u. j. ro. 3n miferer gigur finb ber beffereit Ueberfidjt wegen
nur 8 Srahtgruppen angenommen, unb oon biefen finb nur
bie 2x8 = 16 (Snbbräljte unb ihre SBerbinbung mit bem
©tromfammler cje^eicfjnet. Sie Sromntel wirb ber ganzen
Sänge nach auf etwa jmei drittel i^reS Umfangt oon jwei
ftarten Sieftromagneten umgeben, bie in N mit ihren 9Jorb«
polen unb in S mit ihren ©übpolen jufantmenfiofcen. SBirb
nun bie Srommel rafd) um ihre Sldjfe gcbreljt, fo miiffeu in
ben einzelnen Srahttljeilen ©tröme entfielen, weil biefelben
fortroährenb ihre Sage ju ben Magnetpolen änbern. @3 ift
baffer unfere Aufgabe, ju unterfudjen, mie alle biefe ©injel-
ftröme ficfj ju einem ©cfamtftrom auf am menfügen. 2Bir wollen
junächft eine Srafftgruppe eltoa 1,9 in§ Sluge faffen. SSirb
bie Trommel fo gcbrefft, baß im oberen £f)eil ein ©trom ent-
fiel, welcher bei 1 ^erau^tritt, fo mujj in bem unten liegenbeit
2f)eil ein ©trom oon cntgegengefefjter $Ricf)tung entfielen, melier
alfo bei 9 f)ineintritt, weil oben unb unten entgegengefefcte
ißole liegen. SaSfelbe gilt »on allen anbcren Srahtgruppen
unb jroar fo, baff ade Sljeile, meldje jeweilig oberhalb
ber Sinie M M liegen, ben pofitioen ©trom ^erang auf bie
Stirnfläche fenben, Wäfjrenb ade unter M M liegenbeti Steile
ihn oon ber Stirnfläche her aufnehmen. Sie SBerbinbung mit
bem ©tromfammler ift fo eingerichtet, bafj ade biefe (Sinjel*
ftröme ju jtoei ©ummenftrömeit oereinigt toerben, welche mittelft
jweier SSürftcn ihren 2öeg burch ben ©chliefjungSbraht nehmen.
Sie Siirften briicfeit gegen bie Seitungäftiicfe, welche gerabe bie
Sinie M M paffiren. SBir woden nun fehen, wie bie ©tröme
ber einzelnen Srahtgruppeit in eine Stidjtung gebracht werben.
SB on e gehen bie beiben ©ummenftröme für bie gcjeid^nete
©tedung ber Srommel au$; ihre SEBege finb folgenbe:
e 6 14 f 8 16 g 10 2 h 11 3 a
e 12 4 d 9 1 c 7 15 b 5 13 a.
(528)
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33
Siegen d unb h in ber Sinie M M, fo finb bieSSege fotgenbe :
d 4 12 e 6 14 f 8 16 g 10 2 h
d 9 1 c 7 15 b 5 13 a 3 11 h.
Siegen c unb g in ber Sinie M M, fo finb bie Sßege folgenbe:
c 1 9 d 4 12 e 6 14 f 8 16 g
c 7 15 b 5 13 a 3 11 h 2 10 g.
Siegen b unb f in ber Sinie M M, fo finb bie SBege folgenbe:
b 15 7 c 1 9 d 4 12 e 6 14 f
b 5 13 a 3 11 h 2 10 g 16 8 f.
Jür bie noch möglichen öier Stellungen ber Xrommel
gelten bie »orftefjenben 2Bege, oon redjtö nadf linlS getefen.
35ie ©erbinbung ber 35raf)tgruppen unter fich mittelft be£
©tromfammlerS erfcheint auf ben erften ©lief unftjmmetrifd).
35aß bieS in SBirflidjfeit nidjt ber gaU ift, geht au8 ben oor*
fte^enben fahlen unb ©udjftaben beutlid^ heruor. ©ettaii toie
bei bem Siinginbuftor ift f>ier ba8 @nbe je einer ®raf)tgruppe
burd) ein Seitungöftücf mit bem Slitfang ber folgenbeit oerbuitben,
toä^renb ber Stnfang unb baS @nbe jeber einjelnen 35raljlgruppe
nach jwei aufeinanber folgenbeit SeitungSftiidcn führen. 35a
nun ^ier auch in ©c^ug auf bie .gaßl ber 2)ra^tgruppen unb
bie @inrid)tung beS Strontfamntlerg baSfelbe gilt toie bei ben
9iingmafd)inen, fo ift flar, baß biefe äRafdjinen ebenfo toie jene
einen ununterbrochenen Strom öon gleicher SRidftung erzeugen.
3e länger bie Irommel ift, befto fiirjer finb bie 35raht>
ftücfe auf ber öorberen unb hinteren Stirnflädje im ©erljältniß
ju betiett, meld)e längs ber Trommel laufen. 35arau$ folgt,
baß an langen trommeln nur wenig 35ral)t ber inbucirenbeit
SSSirfung ber SleHromagnete nicht unterworfen ift. 35a biefer
©or$ug fich aber immer erft bei einer nicht ju geringen Sänge
geltenb macht, fo ergiebt fidf aud) jugleid), baß ber Irommel-
inbuftor am jwedmäßigften in größeren 2JJafd)inen oerwanbt
Wirb, währeitb ber glad}ring am beften für bie Heineren paßt.
Sammlung. W. g. V. 110. 3 (B29>
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34
3m Serfauf ber Sßeiterentwicfelung bcr Zrommelmafcbinen
bat man noch bie (Einrichtung getroffen, bafj ber (Sifcnfern ber
Zrommet an ber Sewegung nicht ttjeilnimmt, mäbrenb bie
Trommel felbft, bie in biefem gatle b°bfe Helfen bat, fich in
bem SRaum gmifeben bem (Sifenfern unb ben SSögert ber Grleftro-
magnete brebt. SBenn nämlich ber Sifeitferit gebrebt wirb,
miiffen feine ißofe fortmäbrenb itjre Sage änbern, unb baburd)
wirb ein Zbcif ber bemegenben Straft ^wecflo« oerbraudjt, ja
fogar mirb babureb eine nicht unerhebliche 3Jienge SBarme ent«
»riefelt, welche auf bie
Snbuftion fchäb(ich »oirft.
3ur Slbfcbwäcfjung ber
y 5oucauItfd)en Ströme ift
ber Sifenfern berZromntel
' au« ifotirtem 3)rabt her-
gefteflt, beffen SSinbuitgen
fenfrecht jitr Sldjfe ver-
laufen,9 meil ber Seitung«-
v brafjt parallel jur Slcbfe
liegt.
Sei beit neueftenXrom-
melmafcbinen ber ftirma
Siemen« & £a(8fe in
Serliit haben ber Stromfammler unb bie (Sleftromagnete noch
eine ?lbänberung in ber SInorbnung ihrer Zbe>lc erfahren,
welche bie Sraucf)barfeit biefer 3Jinfcf)inen nicht unroefentlich
erhöbt hat- Jiir ben Stromfammler ift jefct allgemein bie
„Jfreujfchaltung" angenommen, nachbem fie fchon feit
3abreu in einzelnen Jätten benufct mar. Zie Äreujfchaltung
ift in 5ig»r 9 fchematifd) bargefteüt. Zer befferen Ueberficbt
wegen fitib bie jtoei ^ßuitfte, welche ju je einer unb berfelben
Zrabtgruppe gehören, mit berfelben $abf oerfeben, bie eine
(530)
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35
ofjne, bie anbere mit ©tridj; eS gehören alfo bie fünfte
1 unb V, 2 unb 2‘ u. f. tu. ju je einer SDrahtgruppe. $urd)
SSergCeicfjen biefer gigur mit gigur 8 erfcmit man leicht, baf?
bie Sagerung ber einzelnen $rahtgruppen eine anbere ift als bei
bett älteren Ü)iafd)iuen. SBä^renb nämlidj bei jenen bie einzelnen
®rat)tgruppen genau centrifcf) liegen, finb fie hier ein tuenig e£=
centrifch angebracht. 9luS ber gigitr ift aufjerbem ohne weiteres
dar, bafj bie ©djaltungen uoflfomnten fpmmetrifd) liegen.
$ie ißfeile geben
bie ^Richtung ber
Ströme in beit ein-
zelnen $rahtgruppen an
unter ber 93orauS>
fe^ung, bajj ber eine
$ßol über, ber anbere
unter ber Trommel
liegt. 2Die beiben
3tueigftrö>ne, welche
bei biefer «Stellung
ber Trommel entftehen,
nehmen folgenben 93er*
Sifl. 10.
lauf :
a 5 5' b 6 6' c 7 7' d 8 8' e
a 4' 4 h 3' 3 g 2' 2 fl'l e
$ie dürften, welche beu ©trom abnehmen foHen, muffen
alfo an a unb e attliegen. $a jeboch biefe Sage ber Abnahme*
ftellen für bie ©tromenttuidelung uugünftig ift, hat man ben
©tromfammler um 90° uad) rechts gegen bie Trommel gebreht,
fobafj unter Beibehaltung ber obigen Srommelftellung bieSeitungS*
ftücfe a unb e in bie ÜDfittedinie beS (SleftromaguetS faden, gig. 10
ueranfdjaulicht alfo bie in ber wirflidjett SluSfiihrung gebrauch*
lidje 93erbinbung beS ©tromfainmlerS mit ben SJraljtgruppen.
3* <531;
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36
liegen li unb d in ber 9J?ittellinie beä ©leftromagnets,
jo nehmen bie beibcn 3'De'9ftröme folgenbe SBege:
h 4 4' a 5 5' b 6 6' c 7 7' d
h 3' 3 g 2' 2 f 1' 1 e 8' 8 d.
Siegen g uttb c in ber ÜJiittellinie beS ©leftromagnetS,
fo nehmen bie beibeit gtüeigftröme folgenbe SBege:
g 3 3' h 4 4' a 5 5' b 6 6' e.
g 2' 2 f 1' 1 e 8' 8 d 7' 7 c.
Siegen f unb b in ber Sßittellinie be$ ©leftromagnetä, fo
neunten bie beiben 3n,f*9ltrönie folgenbe SBege:
f 2 2' g 3 3' h 4 -i' a 5 5' b
f 1' 1 e 8' 8 d 7' 7 c 6' 6 b.
giir bie oier anbcren nod) möglichen Stellungen be»
StromfammlerS gelten bie »orftehcnbeu SBege, non red)t3 uad)
linfS gelefen.
®a nun bie Siirften immer gegen bie in ber SÖJittellinie
befiublicfjen Seitungöftücfe briiden, fo ergiebt fid), bafj bicfelben
bei jeber Stellung ber Trommel bie entftehenbeu 3tofi9ffrönie
aufnehtneu unb einen Strom non gleicher fRidjtung burd) bie
®raf)troinbungen beS äußeren StromfreifeS fenben.
Sin bie Stelle beS 2)oppelcleftromagnetö ber älteren 9)fa-
feinen ift bei ben neueren ein einfacher getreten. 3rigur 17
giebt bie Seitenanfidjt einer fofd)en SJfafchine. ®er aufrecht
fteljenbe ©leftromagnet hat ftarfe Sdjenfel aus ©ufjeifen, meiere
an ben ißolenbeu jur Slufnaljme ber Xrommel auSgeboljrt finb
unb mit ber ftarfen ©ruubplatte ber 9Driafc^ine ein jufammem
hangenbeS Stiid bilben.
2Me3 ift in Jürgen 3ü9eit k*e ©ntwidetung ber £pnamo>
mafdjinc aus ihren erften Slnfängen l)er. SBeldje Stellung
biefelbe bermaleinft in ber Sfedjitif erobern mirb, läfjt fidj
mit ©emifjheit noch uidjt oorf)erfeljeu. Soweit man aber bis
jefct urtheilen fann, wirb fie jur Kraftübertragung immer mehr
1532)
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37
»erwenbet werben, olpie jebod) bie $ampfmafd)iue itbcrftüffig
ju machen, ©ie wirb als Stromquelle in ber Xelcgrapfjie
immer weitere Verbreitung finben, fie wirb al$ Sicbtmafdjiue
nufere jefcigen 93eleud)tung3apparate metjr uub mcfjr üerbrängen,
fie Wirb wegen ber bebeutenben cfyemifdjeu SEBirfungcu ftarfer
galnanifd)er ©tröme neue ü)fetf)obeu ber äJietallgewinnunq
Sifl. U.
möglich machen. $ie ©aloanoplaftif bcbient fid) i^rer fdjou
jefet faft auäfdjlie&lidj.
hiermit finb wir am ©c^tuffe uttfercr ffletradjtungen an*
gelangt. SD'Zögcn biefelbcn iljr ©djerflein mit baju beitragen,
bajj bie einfachen 93erE>ältniffe nuferer jdjon fo Ijod) entwidelteu
Sleftrotecfjnif in immer breiteren ©d)id)ten ber Soienwelt be=
fannt werben.
(j33)
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91nmcr!ungcit.
1 ®a« ciitfoc^ftc (Element erhält man, wenn man in ein @ta$-
gefäfj auf ben ©runb ein Shtpferblcd) legt unb in bie obere $älfte einen
3inlbledjct)linber mit übergreifenbem SRanb tjängt. ®ie untere §älftc bei
GJefofec^ roirb mit ftupferoitriollöfung, bic obere mit Bittcrfaljlöfung ge-
füllt. Bon ber Jfupferpfatte führt ein ®rat)t, locldier mit einem Sidjtleiter,
etwa Sicgcllad, überzogen ift. burd) bie ftliiffigleitcn nach oben perau«.
$aö obere Gnbc biefe« ®ral)te8 (alfo auch be« ftupfer«) ift ber pofitioc
Sol, ba« obere (Enbe be« 3'nf« ber negatioe Sol br$ (Elemente«. Ser-
binbet man nun bic freien Silben bc« 3t»f« unb be« Supfer« burd) einen
®raf)t (Sd)licfoung«braht) , jo gleichen fich bie beiben (Eleftrijitäten gegen-
fettig au«, locrben aber ju gleicher 3c<t auch immer loieber ergänzt, fo
bafj bie Su«gteiehung ununterbrochen flaltjinbct, fo lange ba« Slement fid)
in brauchbarem 3uftanbe befinbet. Biefc Bewegung ber Gleftrijität nennt
man galoanifd)en Strom ober furj Strom. ®ie Bewegung oom pofitioen
Sol pm negatioeu nennt mau pofitioen Strom, bie entgegengejebte nega-
tioen Strom. 3n ber Siegel braucht man nur ben Su«brud „Strom“ unb
meint bamit ben pofitioen.
Bei anberen (Elementen fiat man 3iuf unb ftohle (Bunfen) ober 3>uf
unb Slotin (©roee). ®iefe Slörper finb burch einen poröicn X^ortcQtinber
getrennt. 3<nf befinbet fid) in ftarf oerbünnter Sdjwefetfäure, Slotin unb
itohle in fonputrirter Salpetcrfäure. Such hi” geht ber Strom (pofitioe)
burch ben SdjlicfjungObraht nach bent 3inf- Su&crbein giebt e« noch fiel«
anbere galoaniicbe (Elemente. (Eine Bereinigung oon mchtcrcn (Elementen
nennt man eine Äette ober Batterie.
* ®ie Sblenfung ber Biagnetnabcl ergiebt lieh an« ber Sinperefchen
Siegel: ®enft man fid) eine mrnfchlichc fjigur im Strome mit bcmfelben
fchloimmenb, ba« ©cfidjt ber Sabel pgewenbet, fo jdjlügt für biefe Origur
ber Sorbpol immer nach linfö au«.
3 ®er £eitung«bral}t, toclcher p Sollen (Spiralen) aufgcroiefelt
mirb, ift immer mit einer ifolirenben Schicht (bünncr mit Seibc, [tarier
mit SBoIle) fiberpgen.
t534)
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39
4 Sdjweiggerö Journal ber ©hbfif LVIII.
5 ©aloanometer jeigen fc^r fchwache Ströme an, ba Biele
$raljtminbungen um bie fRabel beriimgefübrt finb unb biefelbe ber ©in-
roirfung bcä ©rbmagnetieimuö baburd) entzogen ift, bafi fic mit einer jwciten
entgegengerichteten fcft oerbunben ift. Stöan nennt eine fotcöe 9iabel-©er-
binbung ein aftatifdjeö 9iabclpaar.
8 ©ei ben ©egcnlampcn, welche burch ©leichftrommajchinen in ©ang
gcjeft werben, brennt ber eine Äohlenftab, burch welchen nämlich bie pofitioc
©leftrijität auöftrömt, bebeutenb rajd)er ab alö ber anbere, mährenb bei
ben burdj SBcchfclftrom gejpeiften ©ogenlampen beibe Sohlen gleichmäfeig
»erjebrt werben. $ie SHegulirnorridjtungen, welche bie jwedmäfjigft c ©nt-
iernung jwifchen ben beiben Sohlcuftäben hrrpftellen haben, müffen aua
biefem ©runbe bei bem ©leichftrom Biet nerwidelter ala bei bem SBedjfel-
ftrom fein. Slnbercrfeitö aber haben bie fficdjfclftromlampen ben SRa'htheil,
baß fie ein fummenbe* ©eräufd) hören taffen, wa« namenttid) in ge-
fdjtoffenen SRäumcn recht ftörenb wirft.
1 gigur 12 jeigt einen Xranäformatorin feiner einfadjftcn ©eftatt.
fiin eiferner fHing ift mit jwei ©rahtfpiralen umwidett.
hkht nun burd) bie eine Spirale ein 9Bcdjfelftrom, fo
wirb ber ©ifenring wechfetnb magnetifirt. §icrburdj
werben aber in ber jweiten Spirale SBcchfelftröme er-
jeugt, welche bei Snwenbung Bon gleichen Spiralen
an traft bem erften Strom nahezu gleichfommen ®a
man nun bie 3ahl ber SBinbungen ber beiben Spiralen
nach beliebigem ©erfjältnif? wählen unb eine beliebige
8njahl fotcher Jranäformatoren anbringen fann, welche
untereinanber burch ^Jaraflelfdjaltung ober §interein-
anberfchaltung oerbunben werben fönnen. fo fann man
imttelft &er Jranöformatoren bie hah« Spannung bca
S0iafd)inenftrom4 beliebig hrrabminbern unb baburch bie
Stromftärfe Bergröjjern, ober man fanti auch auf Soften ber Stromftärfe bie
Spannung erhöhen.
* 3n Jig. 4 finb auö ©erfehen bie SHedjtede, welche bie Supferbraht-
bürften oorftetlen jotlen, nicht bidjt an ben Stromfammler gelegt.
9 ffltit noch befferem ©rfotge fertigt mau ben ©ifenfern auä frei«-
förmigen, unter fich ifolirten ©ifenbledjen, welche gleichfalls fenlrecht pr
flchfe liegen.
(63ä)
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*&ü}Uxtxnwü}tx
uttb feint romantifdp frcutibr.
3$ott
Dr. ^riitrid) j&tnn,
Sirofffior in Hamburg.
Hamburg.
^erlagSnnftalt uitb 2>rucferei SL-GJ. (öormalS 3- 5- 9iicf)ter).
1890.
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Tn« fHedjt bcr Uebcrfefcunc) in frembt Sproßen roirb Dorbefyadrn
Trutf brr 'PrrldflSnnftalt unb Irudrrri flctirn'®ffrtlt(b«fl
ioormalr 3. g. Siidürn in Hamburg
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^Berlin mar für ©cßleiermacher fein gan$ frember ©oben,
als er im September 1 796 bort für (äugere 3e*t feinen SBohnfifc
auffeßfug, um baS 9lmt eincö ©rebigerS an ber Sharit6
übernehmen. ®rei 3aßre »orßer mar er nach Ablegung feiner
erften t^eoIogifc£)en ©rüfung in baS ©ebifefeße Seminar ein-
getreten, juglcid) als Seßrer an bem ftornntefferfdjen SSaifen-
f)aufe befefjäftigt morben. 3» biefer Stellung fünfte er fid)
roenig behaglich; „jur großen SSelt," fo läßt er fieß oernehmeit,
„hatte id) natürlich gar feinen 3utritt, für bie feine machte mid)
ber Scßulftaub uod) ungefchidter, als ich fcßoii oon 9?atur bin,
unb bei ber gelehrten hfltte id) noch nidjt recht 3cü getjafat,
mich ein^ufiihren. 2Jtein Umgang befdpränfte fid) alfo auf einige
neue ©orgefeßte, ein paar alte ©efaitute meines ©aterS unb
ein paar alte UnioerfitatSfreunbe." Sine Srmeiterung feines
©efanntenfreifeS »ermittelte oornehmlich ber ©raf ?Xlcf anber
oon Soßna, in beffen österlichem £>oufe er oon Cftober 1790
bis SDiai 1793 jur greube ber gaitjen gamilie als £>auSlel)rer
gemirft hatte. junge ©raf mar bei ber JlriegS- unb
^Domänenfammer in ©erlin angefteflt; er führte Schleiermacher
unter anberem in bas ^per^feße £>auS ein. Sind) bort blieb biefer
freilich bamalS noeß feßr fremb, unb fo freute er fid), baß er
im SDlarj 1794 als Slbjuuft nach SanbSberg berufen mürbe
Sammlung. ». 8. V. 111. 1* (539)
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4
$em ülmte eines eoangelifc^en ^ßrebigerS fog er mit 2uft unb
Siebe ob; aujjerbem nahm er fid) mit großem gifer beS gugcnb-
Unterrichtes an; in beiben Beziehungen mirfte er fegenSreid) bis
jum September 1796, mo er roieber in Berlin einjog. SS
terfteljt [ich, baf) er bie früher beftanbenen Serbinbungen micber
anfmipfte; oornehmlid) toar eS baS fperjfdje £>auS, in bem er
nunmehr als ©aft gern gefehen mürbe unb gern meilte. tiefes
mar eins non ben jübifchen Raufern, melche in bem bamaligen
Berlin nie! bebeuteten, thcilS burch ihren Seichthum, tljeilS ba*
burch, bafj fie ju ber gelehrten SBelt tüchtige Sertreler fteüten;
tor allem pflegten fie eine ganj eigenartige ©efeüigfeit. $>ie
SEBorte ber Saf)el Seoin, ber fpäteren grau non Samhagen,
melche 1795 fchreibt, ©oethe fei ber SereinigungSputtft für aÜeS,
maS SDtenfd) he'feen lönne unb mofle, finb bejeidjnenb für bie
21nfd)auungen biefer Greife. SchleierntacherS Stellung zu ben*
felben erfahren mir am beften aus bem am 4. Sluguft 1798
an feine Schmefter ßhurlotte gerichteten Briefe; ba he>fet
unter anberem: „28er auf eine recht ungenirte Ärt gute ©e<
feflfdjaft feheit roiH, läfjt fich in folgen (grofjen jübifchen) Käufern
einführen, roo natürlich jeher SReufch ton Talenten, mcnn eS
auch nur gcfeöige Talente finb, gern gefehen mirb unb fich auch
gemife amiifirt, meit bie jübifchen grauen fefir gebilbet finb,
ton allem ju fprechen miffen unb gemöhitlid) eine ober bie anbere
fdjöne Äunft in einem t)°hen ©rabc befreit. 2lud) id) mürbe
ein paar ton biefen Käufern befugen, menn id) nic^t ben ßirlel
meiner Befanntfchaften ein für allemal gefchloffen hätte, unb
menn mich nicht baS 9Jlifjterl)äItnif! jmifd)en beiben ®efd)lechtern
abfdjrecfte, bei bem eS nur gar ju auffallenb ift, bah man nur
ber grauen megen h*ngeb)t. Stit ^erjenS unb BeitS ift baS
eine ganz anbere Sache. £ie erften fehen jmar auch tiele
greunbe, unb eS fontmt nid)t leicht ein merfmürbiger SRenfdj
nach Berlin, ber fie nid)t befuchte, unb auch hier finb fie in
(540)
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beti auSgefareitetften S3erbinbungen, aber fie galten bocß nicßt,
wag mau ein offeneg |>aug nennt, unb id) befonberg bin weiften»
tßeifg en fuwille bei ifjneu unb oermeibe eg, große ©efellfcßaften
ju feßett, weil mir wirflicß ju wenig baran liegt. ©ie be»
fonberg, bie fjers, fdjränft ißre perfönlicße Söefanntfdjaft feßr
ein, unb wenn fie nid)t beg ÜJianneg wegen müßte, unb weil
fie einmal eine befannte grau ift, fo würbe fie gewiß nur mit
ein paar SKenfcßen leben, iöeitg aber finb gar nicßt in biefe
Slaffe ju feßeit unb leben feßr eingejogen."
©eßen wir ung bie genannten ^»äufer etwag genauer an,
äunäcßft bag Seitfcße. ®ie £>erriu begfelbeu war 3>orotßea,
bie Socßter non ÜDtofeg ÜJtenbelgfoßn, welche aHaufrüße an beit
öanfier SSeit oerßeiratßet worben war. 2)ie SJerbinbung er*
fcßien äußerlich alg eine glänjenbe, bocß eg fehlte alleg, wag
fie für bie Serbunbenen ^u einer glücflicßen gemacht ßütte; bie
(äße war oßne Siebe gefdjloffen worben, ©o würbe eg für
Sorotßea Sebürfniß, einen größeren gefeflfdjaftlidjen ftreig um
ficß ju fammelti, jubem übertrug fie auf biefe SSeife eine ©itte
aug bent öäterlicßeu ^aufe in bag ißrige. 3)ocß aucß fo litt fie
an ftetg quäleuber innerer Unruße, unb bie ift, wie wir fpäter
feßeu werben, in ißrem ferneren Seben nur öermeßrt worben.
(Sine ißrer oertrauteften Sugettbfreunbinnen war Henriette be
Semog. ©eit ißrem fünfzehnten 3aßrc mit bent beriißmten unb
pßilofopßifcßßodjgebilbeten Slrjte fOiarfug §erj nermäßlt, lebte
fie, um ©cßleiermacßerg SBorte ju gebrauchen, mit ißm in einem
wunberbareit, nieloerfcßlungenen Sßerßältniß ; im großen unb
ganzen erging eg ißr in ber (äße ebenfo wie SJorotßea SSeit.
©cßleicrmacßer ßat oiele SSriefe an ^enriette £>erj gericßtet;
aucß itt feinen greunbegbriefen fpricßt er oft »on ißr. 3m
©egeufaß ju feiner eigenen ©eftalt fcßreibt er ißr „eine toloffale,
föniglicße gigur" ju, ißr ©eficßt ift ißm „unftreitig feßr fd)ön";
babei befaß fie ein gefäUigeg, rußigeg SBefen, unb fo tjat fie
6
©ulpi; Soifferee oerglichen mit ben oenetianifdjen grauen-
porträtS Don Sorbone ober Sigian, beren fdE)öner Stopf aud)
nad) oerfdjwunbener Sngenb noch angenehm ift. Sen Sßcrfehr
gwifdjen ©dßeiermadjer uitb ber £erg möchte id) am üebften
Dergleichen mit bem gwifchen ©oetpe unb grau Don ©tein, Don
bem aJUcfjael SSetnapS fagt, an ber Steinzeit beSfelben fönnten
nur Sie groetfeln, welche niemals gelernt hätten, aug Katen
ßeugniffen Kare ©dßüffe gu giepern
„Safj bu bir/' fcfjreibt ©cpleiermacber an feine ©cpwefter,
„ohne eS gu fe^cn, mein SBefen unb SBerhältnifc mit ber £erg
nicht benfen fannft, ift eigen. (SS ift eine recht oertraute unb
herglidje greunbfcpaft, wobei Don 2Rann unb grau aber auch
gar nicht bie Siebe ift; ift baS nicht leicht fi<h oorgufteßen?"
Sin einer anberen ©teße peiht eS: „Slm weiften lebe ich Kl1
(Sßiai 1798) mit ber §erg; fie wohnt ben ©ommer über in einem
nieblichen Keinen £>aufe im Spiergarten, wo fie wenig SKenfcpen
fiept, unb ich f>e alfo recht geniefjen fann. 3cp pflege jebe
Söocpc wenigftenS einmal einen gangen Sag bei ihr gugubringen;
. . . in einer Slbwecpfelung Don ©efdjäftigungeit unb SBergniigungen
geht mir biefer Sag fepr angenehm mit ihr pin. ©ie pat wich
3talienifch gelehrt, ober tput eS Dielmehr noch, lD*r tefen ben
©hafefpeare gufammen, wir befcpäftigeit uns mit ^ßhhfif, idj
theile ihr etwas Don meiner Siaturfenntnif; mit, wir lefen halb
biefeS, halb jenes aus einem guten beutfchen 23ud)e, bagwifchen
gehen wir in ben fdjönften ©tunben fpagieren unb reben recht
aus bem Snnerften beS ©emütpeS miteinanber über bie wichtigfteit
Singe." (Sin treffenber SluSbrud für bie ©eiftesoerwanbtfchaft,
weldje gwifcpen öeiben beftanb, ift eS, wenn ©djlciermadjer bie
£>erg „feine näd)fte oerwanbte ©nbftang" nennt, Don ber ihn
Sliemanb trennen fonne. SlßerbingS nahmen SBicle ait bem
SBerpältniffe Slnftofj, aber barüber patte Schleietinacper feine
„eigenen ©runbfäjje", er glaubte, eS liege feinem ©tanbe gerabegu
(542)
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<
ob, ben «Schein gu ocradjten, um fo mefjr, als if)m ber ©erfe£)r
mit $enriette $erg wefentlid) unb mistig erfdjiett, gu {einer
©Übung gereichte unb er fo mancherlei ©uteS ftiften fonnte.
(Sine redjt peinliche fäuSeinanberfejjung über bie gonge 9ln-
gclegenfjeit, „eine IfergenSerleidjterung" ^atte er mit feinem
oäterlidjeit gremtbe, bem §ofprebiger ©ad.
3n bem £>ergfcf)en £>aufe ift audf ba$ ©anb fefter ge*
fdjluitgen worben, welches ©d)leiermad)er mit griebrid) (Schlegel
oerfnüpft ^at. ®ie erfte fflefauntfd)aft Rotten ©cibe in ber
SDiittmodjSgefeßfcfiaft gemacht, ber 9tad)foIgerin ber „alteräfdgoadj
geworbenen 3Jiontng«gefcQfd)aft, iit wetdjer einft fieffing unb
9)?enbelgfof)n fief) begegnet waren." ®ie ÜDiemoireu ber $erg
fagen mörtlid): „3df beeilte mid), ©Riegel mit ©djleiertnadjer
befannt gu mailen, übergeugt, bafj ein näheres ©erljältnifj ©eiben
förberlidj fein werbe"; jebeitfaflS mürben burd) ben ©erfefjr
©eiber in bem .{paufe ber gemeinfamen greunbin itjrc ©egie*
jungen engere. $er befte ©eweiS bafiir ift bie freier be£ 29.
©eburtStageS oon ©d)leiermacf)er, über weldje ber ©efeierte am
21. SRooember 1797 an feine ©cfjmefter berichtet. Slm borgen
biefeS $age§ fafj er in tiefem Sieglige an feinem $ifcf|e, als
ber uitä befamtte ältefte 2)ot)na erfd^ien; fpäter trat beffeit
©ruber 2Bilf)clm ein unb gratulirte; nidjt lauge barauf tarn
fDiabame £>erg, enblicf) äliabame ©eit mit ©djlegel. „©löblich, "
fo fäljrt ber ©eridßerftatter fort, „mar auep mein lifd) ab*
geräumt uitb mit ©djofofabe uitb Studjen befefct, bie £ofjna
beforgt fjatte. ®ie freunblidjften ©lüdmünfdje ftrömten mir
oon allen ©eiten gu, unb fleine ©efdjenfe, um mir bie ©r*
innerung an biefe freunblidfe geier feftguf>alten. SDu fannft
beuten, mie idj mid) über bie Sßeilna^me oon fünf SRenfdjen,
bie mir alle in einem botjen ©rabe wertl) fiitb, f)erglicfj ge-
freut habe."
©on ben genannten „fünf 5Dienfd)eu" feinten mir Jriebrid)
(543)
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8
©cbteget noch nic^t. gotgenbeS mag uns feine ©efanntfcbait
»ermitteln, ®eborcn ift er 1772 ju fpannooer als ber ©obn
beS in bem Slopftodfd)en Streife bocbgefd)äbten 3ob- 2lb. Stieget.
SlnfattgS jum Kaufmann beftimmt, warf er fiel) »on feinem
16. 3abre an eifrig auf baS ©tubium ber alten ©pracben;
fpciter ftubirte er in ©öttingen unb öeip^ig iß^itologie: ißlaton,
bie tragifdjen Siebter ber ©riechen unb SBincfelmannS SBerfe
roaren feine SBelt. ©ereits 17y4 »eröffentlid)te er eine 3lb-
battbtung ,,»on beit ©djnlen ber grieebifeben ißoefie". 1767
batte gerbet nach einem $meiten bentfcf>en SSinefelmattn gefragt,
melcber ben Sempel ber grieebifeben 2öei^£)eit unb ißoefie eröffne,
©cblegel »erfpraef) in bem genanten Üluffafce eine in bem ©eifte
beS großen SunftbiftoriferS ju febreibettbe ©efebiebte ber griedji»
feben ©oefie, beutete ancb bie leitenben ©efiebtäpunfte biefeS
SßerfeS an. 3» bent 3abre, mo er in ©erlin anftrat, 1797,
erfebien bie ©d)rift „über ba$ ©tubium ber grieebifeben ©oefie",
metebe in unmittelbarem ©eilige ju ber ©efcbidjte unferer »ater»
länbifeben Sichtung ftebt, inbem ber ©erfaffer barjutbun »er»
fuebt, meteber fRufcen ait§ bem rechten ©tubium ber grieebifeben
©oefie für bie beutfefje gejogen merben fönne. Sabei fommt
er auch auf ©oetbe ju fpred)en unb d)arafterifirt ibn als
ben Siebter ber 9?eujeit, mit beffen SBerfen eine bem ©eifte
unb ber $orm nad) fieb ber grieebifeben annäbernbe eebte Sich-
tung mieber begonnen bube.
©ergegenmärtigen mir uns nodj einmal baS oben äuge*
führte SBort oon fRabel 2e»in über ©oetbe, unb mir begreifen,
roie ©ebleget in ben tonangebenben titterarifeben Steifen ©erlinS
gern gefeben mürbe. Äud) ©ebteiermaeber fanb ©efallen an
bem „jungen äRanne »ott 25 fahren »on fo auSgcbreiteten
Senntniffen, baff man nicht begreifen tann, mie eS möglich ift,
bei foldjcr 3ugenb fo »iet ju roiffen, »on einem originellen
©eifte, ber b’er, mo cd boeb »iet ©eift unb Satente giebt, alte#
£544)
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9
felfr weit überragt." Sd)leiermad)er hotte jwar bisher für
jebe einzelne 2öiffenfcf)aft, bie ihn intereffirte, einen 9Rann
gehabt, mit bem er bariiber rebeit fonnte, aber bod) fehlte eS
ihm nod) gänjicf) an einem, ber feine pfjilofophifdjen Sbeen fo
recht oerftanb, ber mit ihm „in bie tiefften 'älbftraftionen hinein*
ging". $iefe große iiiicfe füllte griebrich ©chlegel auf baS
herrlidjftc aus. ,,3cf) fann," fo äußert fid> Schleiermadjer
feiner ©djwefter gegenüber, „ihm nid)t nur, was fd)on in mir
ift, auSfdjütten, fonbern burd) bcn unoerfiegbaren ©trom neuer
$lnfid)teti unb 3been, ber it)m unaufhörlich jufließt, wirb aud>
in mir 9Rancf)cS in ^Bewegung gefegt, was gefdjlummert ^atte.
5turj, für mein SDafein in ber pt>iIofopf)ifcf)en unb litterarifdjen
Seit geht feit meiner näheren 93efanntfdjaft mit ihm gleidjfam
eine neue ißeriobe an". 3m weiteren betont ber Schreiber
bes SBriefeS — unb baS ift ein fjerrlidjeS ^eugniß für feinen
hohen etlichen ©tanbpunlt — , es fei eine (Eigenheit oon ihm,
baß er mit SRiemanbetn philofophiren fönne, beffen Gefinnungen
ihm nicht gefielen; beShalb höbe er fich bei ©djlegel juoor oon
ber Unoerborbenheit unb 9{ed)tfchaffeuhcit feinet GemütheS über*
jeugt, beoor er i(jn in baS innere feines SBerftanbeS fjinein*
geführt. — Unter biejett Umftänben fauit eS unS nid)t Sunber
nehmen, wenn ©d)leierntad)er fagt, bei ber oorlfin befd)riebenen
Geburtstagsfeier fei etroaS §errlidjeS bcfchloffcn worben, nämlich
©djlegel füllte beti Sinter über — eS war ber oon 1797 auf
1798 — ju ihm herauSjiehen. Segen eines Umbaues in ber
Gharit6 hotte er feine bortige Slmtswohnung oerlaffen müffen
unb war in ein $auS au ber bamalS noch jiemlich Wüften
unb unbebauten Oranienburger Sljauffee gezogen. Gern trat
er ©chlegel eine Stube ab, innig freute er fid) barauf, feine
leere Ginfamleit gegen einen folcfjen Gefeflfchafter ju oertaufchen.
3Rit griebrid) ©chlegel hielt ber „^ßhilofoph ber fRomantifer"
feinen Ginjug bei ©djleiermadjer. SaS ift fHomantif? ©chlegel
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jelbft gebraust ba« Dielgebeutete SBort in {einem Sluffafce über
©oetf)e« SBilfjelm fDceifter. Ja« genannte SBerf ift ein Sornan,
fo läßt er fidj au«, aber ein SRoman ohnegleichen ; in bem-
fclben ift bie ©umme ade» Soetifdjen enthalten, unb fo foß
ctudf bie romantifdje ißoefie ba« poetische Qbcal {ein. Jie
Somantil, ba« SBort al« Sezeidjnung einer beftimmien ^Richtung
gefaxt, bat alfo bie Aufgabe, biefe« Sbeal gu Dertoirlticfjen:
babei muß fxe achten auf fiinftterifdje gorm unb, beit Snljatt
angefehen, gleich bem Spo« un« einen «Spiegel ber ganzen um-
gebenbett SBelt uor^allen, un« in bem Spiegel ber ißoefie ba«
3eitalter geigen. Streffenb bezeichnet Sulian ©cbmibt ba« $iel
ber romantifcfjen Ißoefie mit ben SBortett, fie tooße „in Silbern
ba« ßöcbfte Beben ber SBelt unb ihrer ©eele barfteßen". Jarau«
ergiebt fich gnnäd>ft bie gorberung, ba« geiftige Vermögen ju
pflegen, roeldje« bie 9Kenfd)en befähigt Silber ju fdjaffeit, bie
Sbantafie. 3n biefem ©inne fagt ©cbleiermacber: „3<b moflte,
ber Jeufel holte bie §älfte afle« Serftanbe« in ber SBelt, unb
wir fönnten bafür nur ben oierten Jßeil jber fßbmrtafie e'n!
taufdfen, ber ^ß^antafie, toeldje aßein eigene 3nbioibualität
giebt unb ba« Serftänbuiß frember Snbioibualität." SBeiter
fcßreibt Sl. SB. Schlegel au ©dßeiermadjer, e« fei 3eit, baß ßuft,
$eucr, SBaffer, Srbe toieber poetifirt tDiirbeit, ber Jepoetifation«*
pro^eß habe lange genug gebauert; im ©eifte felje er fepon
bie echten ^ihhfifer afle zu ben SRomantifern übergeben. — Jen
©etoinn bnt un« bie fRomantif jebenfaß« gebraut, baß ba«
Dlaturgefiit)l „Derfeinert unb oertieft tuorben ift". gfrner aber
hat fie, roetl fie ba« höcpfte Beben ber SBelt nur in ber s$oefie
bargefteßt fap, eifrigft bie Jicßtuugen ber ©egentoart unb ber
Sergangentjeit bei bem eigenen Solle unb bei ben frembeu
Söllern ftubirt, unb befouber« unferem Solle ba« Scrftänbniß
feiner Sergangenßcit Dermittelt unb ba« begrünbet, loa« unfer
©tolz ift, bie beutfepe SBiffenfdjaft.
(646)
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11
Snmiefern gr. ©djlegel unb ©chleiermacher Slnhänger ber
romantifdjcn Sichtung finb, ift eben nur furj angebeutet; beoor
mir ausführlich über beibe SKänner fprec^cn, moUcn mir uns
mit gmei ©enoffen berfelbcn näher befanttt machen. S5a tritt
uns gunächft Subrcig Sied entgegen. (Sine äußere ©eranlaffung
führte ihn ju gr. ©Riegel; eS ^anbelte fich um einen ©eitrag
ju SReicffarbtS „fitjceum". 3Äan fanu uicht fagen, baß ©chlegel
einen fehr günftigen ©inbrud non Sied befommen ^abe; be-
fottberS im Vergleich ju ©chleiermacher erfcheint er ihm als
ein ganj gewöhnlicher ÜJienfch, ber nur ein felteneS unb fehr
auSgebilbeteS Talent hot. ©eit bem ©rfdjeinen beS „©ternbalb"
mürbe er anberer Slnficßt, in biefem fieljt er ben crfteu Stoman
feit SeroanteS, roelcher romantifch ift. — SSorin beftanb benn
aber baS feltene Salent SiedS? ©on frühe an mar bei ihm
bte *ßhantafie &ie herrf^enl)e Stacht geroefen, »ermittelft ber
©hantafic Solang eS ihm, bie öerfdjiebeuften ©timmungen in
fich iu erzeugen uitb ©eftalten ju bilben, melche fern oblagen
non ber SSirflidjfeit.
©chleiermacher befreunbete fich and) mit biefem Talente;
Henriette $erj bittet er, fie möge fich bod) bie „uerfehrte Sßelt"
geben laffen. „@S ift mirflid) fehr roijjig," fährt er fort, „unb
ich habe herzlich lachen müffen. S>er Sied ift hoch einjig in
feiner Slrt." 91och mehr Sluerfennutig goüt er bem „eigentlichen
Sidjter ber fRomantif", roenn er fagt: „UebrigenS überzeuge
id) mich, baß Sied feljr uiel ift für bie beutfcße fiitteratur,
unb $roar etroaS, mas meber ©oethe nodj ©chiller nod) dichter
fein fann, maS »ieüeicht außer ißm je^t 9tiemanb fein f amt ;
müßte er ficf} nur nicht auch mit feinen Arbeiten eilen!" (StmaS
uorfichtiger Hingt fein Urteil über SiedS poetifdjeS Sournal,
er fagt: „@S ift bariit fo allerlei nach feiner SDtanier." Sied mar
fehr erfreut über ©cßleiermadjerS anerfettneube Sleußerungen, bafür
^eugt bie SBJibmung einiger feiner fchönften 9Rärd)en im ©hantafuS.
C547)
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33er (Srfte inbeffen, weldjer beit in ©erlitt bamalS gonj
»ereinfamteit Sidjter aus feiner Sunfelljeit fjetoorgejogen unb
©d)leiermad)er fowofjl, wie gr. ©djlegel auf ifjn aufmerffant
gemacht Ifat, ift beS festeren ©ruber Sluguft SBilfjelm. günf
galjre älter als griebricf), war er fdjon mit jwanjig Sauren
unter bie ÜJiitarbeiter ber ©öttingifdjen Äujeigeu aufgenommen
worben. (Sinen bebeutenbeit ©influfj auf feine gauje litterarifdje
ßaufbaljn gewann @. 81. ©ürger, mit bem er in freunbfdjaft'
lidje ©erbinbungen trat. 8lud) roäljrenb feines 8lufentf)alteS int
SluSlanbe blieb er mit ber beutfdjeu Sitteratur in ©erbinbung
unb fniipfte ju ©oetf)e unb ©djiller ©ejiefjmtgen an burd) feine
©eiträge ju ben £>oreu. gn bett Sohren oon 1795 — 1804
war er am tfjätigftcu; „wäfjrenb biefer $eit tont," wie er
felbft fagt, „baS SJieifte in ben fritijd)en ©djrifteu ©efammelte
ju ftanbe, fobann bie Sßadjbilbungen beS ©f)afefpeare, beS
(Salberon unb einzelner ©tücfe oon italienifdjen unb fpatiifcfyen
3>idjtern." 3nt gritf)ling 1798 fant er ttad) ©erlin. ©einer
©djwefter madjt ©d)leiermad)er bariiber folgenbe SDiittljeilung:
„Seit einigen Sagen ift (gr.) ©djlegels ©ruber aus geua ljier,
ber als Sinter unb Ucberfefjer beS ©fjafefpeave befatmt ift.
©iefcr ©ruber t}at webet bie Siefe noch bie gitnigfeit beS
tjiefigeu, er ift ein feiner, eleganter ÜJiann, Ijat fe^r uiel
Äenntniffe nnb fiinftIerifd)eS ©efdjicf unb fprubelt oon SBij}; baS
ift aber and) alles. gd) fjabe ©Riegel geweiSfagt, baß fein
©ruber feinen ©inn für mid) fjaben würbe, unb wie eS fdjeint,
f)abe id) redjt." 33iefeS Urtfjeil beftätigt ein ©djreiben an ben
©djwebeit ©rinfmann, einen ©efinnungS« unb ©tubiengcnoffen
©djleiermacfjerS, in bem über 81. SB. ©d)legelS ©ebidjte ge>
fprodjen wirb. „ÜJterfwürbig," Reifet eS ba, „ift eS, baß biefe
erfiinftclte ©egeifterung ber SHeligioit bod) niemals urfprünglicf)
fein fann, fottbern if)nt immer burd) ÜJlalcrei ober burd)
frühere ißoefie fommen mufj." giir baS, worin ©djleiermadjer
;si$;
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webte unb lebte, ßatte 31. SB. ©eßteget banadj atterbing« feinen
©inn. 3m übrigen erfennt ©djteiermacßer naeß bem ange*
^ogenen ©riefe in ben genannten ©ebießten, biefer „eigenen
©tütße beutfeßer ©oefie", einen gortfeßritt gegen früßer an.
„Stile« teuere," fagt er, „feßeint mir nießt nur funftreießer,
fonbern and) geßattnofler at« ba« ältere, aber be« ©ruber«
©eift roeßt nießt bariit"; jwei Stegien finbet ber $ritifer reefjt
djarafteriftifc^, „aber bod) gar feßr autif, ate^anbrinifcß nämlicß".
SBir feßen, ©eßteiermadjer »ermißt in ber ©oefie 3t. SB. ©eßteget«
waßre ©mpfinbung; fertigte it unb Seßerrfcßung ber $orm
jeießnen fie au«. SBetdje« ©ewießt ©eßteget auf bie leßtere
legte, bejeugt ein ©rief an ©djteiermacßer, in roeteßem er biefeit,
ber ganj geroiß fein bießterifeße« ©enie roar, ÜJintß maeßt gunt
55id)ten, unb fieß ißm mit feinen metrifdjen Äenntniffen ju
£)ienften ftellt. „ÜJiaucße« freitidj," fäßrt er bann fort, „ift
in unferer ©pradjc nod) feßroer, aber e« muß teießt roerben, fie
erweitert fid) naeß allen ©eiten, benußt ißre »ernaeßläffigten
©cßäße unb roirft bie unniißen geffeln ab." Slucß mit ©oetße
ßat er »ietfaeß über SKetrif »erßanbelt; ba« tßeilt er ©eßleier-
maeßer mit in einem ©riefe, in roeteßem er bei biefem anfragt
wegen poetifeßer Ueberfeßungeit unb ©tubien, wegen be«
©opßoftc« unb ber Trimeter.
SBir fagten oben, ©ürger ßabe auf 81. SB. ©eßteget«
litterarifeße ©ießtung bebeutfam eingeroirft. @« ift befannt, baß
©iirger« ©tubien in ©öttingen fieß auf bem ©ebiete ber eng-
tifeßen unb romanifeßen ©praeßen bewegten, baß ©ßafefpeare
fein £iebling«bidjter war; wir wiffett, baß er ©iacbefß bear-
beitete, baß er eine iJfacßbilbung be« ®ommernacßt«traume«
unternaßm, unb baß 31. SB. ©eßleget babei mitßatf. SBa« SBunber
atfo, baß ber Sünger neben anbereti Ueberfeßungen bie bureß
ben ©ieifter ißm lieb geworbenen ©erbeutfeßungen ©ßafefpeare«
fortfeßte! 1796 erfeßienen in ben $oren unb in ©eid)arbt«
(549)
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„SDeutfdjlanb" groben baoon; jugleid) lünbigte er in ber erft-
genannten 3eitfdEjrtft in einem Sluffa^: „(Etwag über SB.
©fjafefpeare bei ©elegenfjeit SB. SKeifterg" fein 93orf|aben an,
ben englifdjen Siebter ju überfein, ©erabe unt beffenwiüeit
fud)te er audj bie f^reunbfe^aft mit $iecf. lieber feine 8lrt $u
überfein, fcfjreibt er an ©djlciermadjer : „(£g giebt bei einer
Ueberfejjung fo manche feinere 3tue*fe^/ lü*e °^cr ieneä
ju geben ftefje, über welcfjeg nur nad) einem bebeutenben
ßwifdjenraunt feit bem erften (Entwurf eine fixere SBaf)l ent»
fdjeiben fann. 3d) weife, wie oft unb öiel id) bie erften ©tütfe
meineg ©fjafefpeare burdjgcarbeitet fjabe; fie feabeit mir lange
$eit im SDtanuffript gelegen, efje fie jum ®rutf tarnen, unb
bod) möcfete id) nun öieleg barin anberS feaben." 3)em Ueber*
fejser 31. SB ©djlegel fpenbet audj ©djfeiertnadfer in einem
Briefe an SReimer ungetfjeilteg 2ob. „$ie S31umeufträufee,"
(Uebcrfejjungen romantifdjer ißoefie) fagt er, „finb fo elegant,
wie mir fange $eit nichts öor Slugett gefommen ift. ©enoffen
fjabe id) fie nod) wenig, unb mit bem Criginal fann id) nidjtg
vergleichen afg ben ©uarini. Söon ben ißetrarfifdjen ©onetten
Ijabe id) nod) nidjtg gefefen, aber fo im ooraug faßte id) faum
gtauben, bafe ©djlegel ben Petrarca verfehlen fönne. ©eine
Zueignung ift eine fdjüne Sfompofition, recht im ©eifte ber
italieitifchen ©djule." — „81ud)‘ f)aben mir," fo lefen wir weiter,
„bie SBorfefungen oon 31. SB. in ber „(Europa" im ganzen fefjr
wofjl gefallen, unb id) Ijabe bie grofee Klarheit in ber ®ar-
fteüung einiger Sbeen fef)r bewunbert." ©emeint ift [mit ben
®orfefungen ein Jfjeil berjeitigcn, welche 81. SB. ®d)legcl
wäljrenb feineg Slufentfealteg in Sfcrlin oon fperbft 1801 big
grütjjaljr 1804 in ben SBintermonaten alljährlich gehalten f)at.
3n einem SBrief oom 7. ©eptember 1801 fd)reibt er an
©d)leiermad)er oon 3ena aug: „3Jieine Slnfünbigung ber $Bor>
lefungen ift fdjoit t)iniibergefd)idt; id) empfehle fie hiermit 3^rer
(660)
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ißrotcftion mtb iöeförbcrurifj beftenS. Sie fönnen mich immer
fdjon mit guten ©ewiffen etwas ^eraugflrcidjen". 2)ie öorträge
betrufen bie ©efcbicljte ber mittelalterlichen unb neueren abenb*
länbifdjen Sßoefie überhaupt, theilS ben ßuftanb ber beutfchen
Sitteratur in ber jüngften SSergangenheit unb ber ©egenwart
inSbefonbere; bie eben erwähnten han^elteu über fiitteratur,
5lunft unb ©eift beS 3e*talter«.
SllS trefflicher ÜJtetrifer, Ueberfefcer nnb Sitterar^iftoriCer
ift unö $1 SB. Schlegel bis jefct entgegengetreten, ben Äritifer
lernen wir fennen aus einem am 9. Juni 1800 an Sd)leiermacher
gerichteten ^Briefe, in bem er non ber ungeheuren fDlaffe nott
Stumpfheit, fßlattheit, Slltgläubigfeit , griebliebenbheit unb
eigentlicher Dummheit fpricht, welche noch 8“ befeitigen fei.
Jn biefem 3uftanb ber SEBelt erscheint il)m bie ftritif als ein
unentbehrliches Organ ber großen SReoolution; bie glücf liehe
^eit, wo Oie junge 2>id)tcrgeneration fiel) gan$ ber pofitioen
SBirffamfeit h'ttgeben fann, muß fie fich erft fchaffett. Jm
weiteren ift bann bie Siebe uon ber SBegrünbung „fritifcher
Jahrbücher", bie freilich nicht h^ auSgeführt werben fönnen;
biefelben füllten an bie Stelle beS „Slthenäum" treten, beffeit
Singehen Schleiermacher bebauert, weil ein fo entfchiebcneS
$alent jur ftritif, wie Schlegel eS befifce, nun brach liegen
müffe. SBir tßeilen jnr CSfjarafteriftif beS Slthenäum, ber be*
beutenbftcn 3c'tW)r'it ber fKomantifer, folgettbeS mit.
35aS erfte Stiicf laut um Cftern 1798 bei S3ieweg in SBerlitt
heraus. Jn 5Be$ief)ung auf bie gorm ber Dfittheilung hatten bie
fflegrünber greiheit unb Slbwecfjfelung in SluSficht geftellt; in*
haltlich füllte bie Jcttfdjrift aüeS umfaffeit, waS unmittelbar
auf 93ilbung abjiele. Sluf gr. Schlegels Slufforberutig [teilte
auch Schleiermacher ^Beiträge in SluSficht; feine große greube
bariiber fpricfjt St. 23. Schlegel in einem ^Briefe oont Januar
1798 aus. SOie jweite Slbtheilung beS erften IBanbeS enthält
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unter einer ültenge ofjne Nennung ber SBerfaffer jufammen*
gefteHter StphoriSmen bie „Fragmente'' ©d)leiermacberS. SBeiter
lieferte biefer eine ©eurtljeilung ber Stntbropologie »on Stant,
bie nach ©djlegelS Urteil eine ber atroceften ©acfjen im
Stthenäum mar. Sin ©aroeS ©djriften bemieS ©djleiermacber,
baß berfelbe als Pfleger ber StnmerfungSpbilofopbie ein mittel*
mäßiger ^ß^ilofopt) fei. 3n feiner Siotij über SngelS ißbilofopljie
für bie SBelt hatte, mie Sapnann fagt, aud) ©oetbe baS ©eift*
reiche anerfannt, $r. ©djlegel fanb fie ganj sprigbtly, St. SB.
©d)Iegel pepper’d for this world mit ber eleganteften ©robljeit
unb bemfelben ©rio non Slnfang bis ju Snbe. 9lu<b mit gidjte,
beffen ^^ilofopbie it)m burcbauS nicht für baS ftat^eber geeignet
fdjien, fejjte er fi<b in einer Stecenfion über beffen ©eftimmung
beS SJtenfdjen auSeinanber, bie mit ÜNonolog unb ©ialog ab*
med/felte. gr. ©djlegel betete biefe Stotij an, St. SB. ©Riegel
nannte fie ein ÜJteifterftüd öon Reinheit in Ironie, ^ßarobie
unb fdjonenbcr refpeftueufer Strdpteufelei unb meinte, als er
hörte, 5‘^te babe &ie3 übet öermerft, baS fei mot)t barum,
meit er biefe SBaffe gar nicht mieber fiteren fönne. groei
Fragmente ©cljleiermadjerS finb befonberS bestjatb beacbtenSroertf),
meil fie jeigen, mie et£)if^e ©erfönlicbfeiten audj im ©piel ber
*ßf)antafie unb beS SBißeS fiefj nic^t »erleugnen. ®aS eine ift
nad) bem ©tidjmort „bie Offenheit" betitelt. Söcr auf ben
erften SSiitf fertig ift, fo beißt eS ba, beu Kafteltan oon ficb
felbft ju machen, unb maS in ihm ift, Sebem, ber an feiner
2büre fteben bleibt, ju geigen, ber beifet ein offener SDtenfcb.
SnbcS oon einem Sbarafter giebt eS feine anbere ©rfenntnife
als Stnfdjauung. ©er Sütenfd) gebe fid} felbft mie ein fiunft*
merf, ftelje frei unb beroege fid) feiner Statur gemäß, ohne $u
fragen, mer ihn anfief)t unb mie. ©iefe ruhige Unbefangenheit
oerbient eigentlid) ben Stamen ber Offenheit allein.
®aS jmeite Fragment trägt bie Ueberfdjrift : „3bee ju
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einem fiatedjiSmuä ber Vernunft für eble grauen." $a finben
toir gunäefeft „10 ©ebote" ; bejeidjnenb ift ba8 erfte : 3)u foUft
feinen ©eliebten Ijaben neben ifjnt; aber bu fotlft greunbin fein
fönnen, ofene in ba8 ftolorit ber Siebe ju fpielett unb ju
fofettiren ober an^ubeteu. 2)aS 10. lautet: Safe bidj getüften
nad} ber SDMnner 93ilbung, fünfte, SCßeiö^eit unb @f)re. $er
3. „©laubcnSartifel" befagt: „gefe glaube an Segeifterung unb
^Eugenb, an bie SEBunber ber Ä'unft unb ben iReij ber SEBiffen»
fd)aft, an greunbfd)aft ber SDinnner unb Siebe jum 93aterlanbe,
an »ergangene ©röfee unb fünftige SScreblung". ©ewife tritt
utig in biefen SBorten bie ®eiftc§eigentl)ümlidjfeit «Schleier»
ntadjerS entgegen, „wie fie in ber 93erül)rung mit bem SBerliner
gefeQigen Seben unb ben Vertretern ber romantifdjen ißoefie unb
*ßl)ilofopl)ie fid} auSgebilbet Ijatte." ffioQte gemanb meinen,
ber Verfaffer feabe bie {(eiligen 10 ©ebote unb ben djriftlidjen
©tauben auf biefe SEßeife abfdjaffen wollen, ber würbe fid) felbft
baS .Qeugnife auSfteHen, bafe er nidjt ^u unterfdjeiben weife
jwifdjen bem Spiel in Der gorm unb bem Srnft in bem Snljalt.
SBir leugnen nic^t, bafe ba3 Spiel ein gewagtes war, unb bafe
in bem „Sagen nad) SBip unb ©fprit" bie ©ren^e leidjt über-
fdiritten werben foitnte.
©3 fonnte nidjt fehlen, bafe bie Stuffäfce beS Ültljenäum bie
Äritif ber ©egner IjerauSforbcrten. Um »ott ßofcebue nic^t ju
reben, fo trat Üiicolai, ber öon Einfang an bei Sdjleiermad)er
feine ©nabe gefunben Ijatte, bie „feufjenbe Äreatur", ber „alte
fialifomier", itod) einmal auf ben litterarifdjen Scfeauplap.
Seine „oertrauten Vriefe ooit 5lbelf)eib 93. an iljre greunbin
Sulie S." waren befonberS gegen bie gragmentc in bem jweiten
Stüde gerichtet. Sdjleiermadjer nennt bie 93riefe erftaunlicfe
nai»; fie würben aber in ber genaer SlUgcmeineu Sitteratur«
Leitung als ber fräftigfte Sdjlag gegen bie fRomantifer gepriefen,
unb ber Sattjr gelobt, ber bie „HßeinweiSfjeit mancher junger
Sammlung. 9f. 55 V. 111. 2 (558)
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^(jilofopfien, beit gelehrten @goi8mit§, baS ftolje .'pintoegfe^ett
über bürgerliche Berf)ältniffe unb llonüenienj . . . fcfjarf iit3 Äuge
faßt unb mit SBi$ unb Saune fofd^e Iljorheiten jüdjtigt".
. Xiefe günftige Änjeige be3 geifttofen 3Kacßn?erfS beranlahte
Ä. SB. Sdjlegel, jum Eingriffe überjugefjen. Dorothea Schreibt
barüber au ©cßteiermacßer (28. 10. 1799): „33er gmift mit
ber Sitteraturjeitung ift angejettelt, unb e$ mirb nun tüoijf
halb etma£ Ceffeutlicfjeö barüber erfdjeinen. SBilhelm ift ein
rüftiger Slämpe, aber mir tßut e£ leib, bah er SBij} unb Ätäfte
gegen bie 3Bid;te fo uerfdjiuenbeu muh." ©alb barauf fanbte
Sdjlegel, ber langjährige Sütitarbeiter au ber geitung, einen
Äbfagebrief au biefelbe, getoiir^t mit fchttöben Beleibigungen.
Sdjleiermadjerä Äeuherung au« bem gat)re 1801, eä töune
bod) nichts pöbelhafteres geben, als bie fiittcraturjeitung
jefct fei, jeigt, bah fie fefjr gefüllten mar. SBenn er ferner
roiinfcht, bah gr. Sdjlegel in ber Srlanger Leitung recenfireii
möge, beim man tnüffe bodj irgenbmo eine ^anb in ber
Ütritif hoben, fo ift biefer SEBunfd) jmar nicht in Erfüllung
gegangen, bie genannte Leitung aber mürbe baS Organ ber neuen
Schule.
SBir menben un$ nunmehr mieber ber näheren Betrachtung
ber beibeit ÜRänner ju, melche bie fRomanti! in Berlin jumeift
oertraten. ®anj oerfehrt ift bie Änfdjauung, als h^tte Schleier*
machet fid) gar ju fefpr in Äbfjängigfeit oott gr. ©cßlegel be<
geben. SBurbe ihm bei bem gufammenleben Seiber ooit bem
greunbe bie SR olle ber grau juertheilt, fo ift er bod) gaitj
gemih nicht als ein Änfjängfel ooit Sdjlegel ju betrachten, mie
uuö noch Baruhagen miH glauben machen. SBie meitig Be*
redjtigung biefe Änfidjt hat, jeigen folgettbe SBorte Schleier*
macfjerS über beu greunb: ,,©r ift äußerft finbltch, offen unb
froh, naio in allen feinen Äeufjerungen, ein töbtlicßer geinb
aller gormeit unb piatfereien, heftig in feinen SBüitfchett unb
(5M)
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Steigungen, allgemein woßlwollenb, aber aud), wie Äinber oft
gu fein pflegen, etwuS argwöbnifcf). ©ein Gf)arafter ift nod)
nicht fo feft, unb feine Meinungen über 3J?enfd)en unb ©er*
f)ältniffe finb noch nid^t fo beftimmt, baß er nid)t leicht füllte gu
regieren fein, toenn er einmal 3emanb fein Vertrauen gefcfjenft
hat. 2BaS ich aber boc^ oermiffe, ift baS garte ©efiißl unb ber
feine ©imt für bie lieblidjen fllcinigfeiten bcS ScbenS unb für
bie feinen Sleußerungeu frfjöner ©efinnungen, bie oft baS gange
©emütfj entlüden. (Sr hält alles für fcfjroad), was nid;t feurig
unb ftarf erfdjeint. (Sr toirb immer mehr fein als id), aber
id) merbe ihn »oHftänbiger faffcn unb fennen lernen als et
mid).“ 3m Saufe ber 3e't traten nod) aubere ©d)wäd)en
©djlegelS ^eroor, welche ©d)leicrmad)er wahrhaftig nicfjt »er*
fdjweigt. 2Sie ein ©rief an Srinfmann jeigt, »ermißt er an
ihm bie innere unb äußere SHuße, um baS Sßerf über bie
gricdbifdje Sßoefie gu »ollenben. „(Sr ift," fo beißt eS bann,
„mit feinem großen ©gftem, mit feiner allgemeinen Slnfidjt beS
menfdjlichen ©eifteS, feiner gunftionen unb Sßrobufte unb ihrer
SBerfjältniffe noch nicßt im flareti unb ßat gu rcenig £>errfchaft
über fid), um ein SBerl fortguarbeiten, worin er es immerfort
mit biefer gu tf)mt bat. gamnierfchabe ift eS unb ein uttenb*
ließet Unglücf, baß er bie fragmentarifcf)en Arbeiten, bie ibm
bei biefem inneren Treiben entfielen unb nur aus bcmfelben gu
erflären unb gu »erfteffen finb, immer bruefen laffcn muß."
SBcnit ferner gr. ©cßlegel fefbft fein ©erhäftniß gu 3d;leier*
machet für fid) als ein fruchtbares anfie^t, unb fein ©ruber
SBilbelm ©d)leiermad)erS gebet bie weit geiftreidjere nennt,
biefen auch mahnt, er möge über bie Slrbeiten feines SruberS
wadjen, ber unaufhörlich feine inneren SReidjthümer in allerlei
Ungeftalten »on fid; gebe, fo ift bieS, mit bem ©origen gu*
fammengehalten, ©eweiS genug, baß ©chleicrmacher in ber „<$he"
mit gr. ©chlegel in ber 2hot nic^t ber nur empfangettbe Ztyit
' 2*; tsay
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20
»war. (Sitten bouerttbeit ©ewinn f)at atterbingS ©cfjleiermadjer
uitb mit ifjm bie ÜJiit- unb Siadjwett aus ber befprodienen 93er*
biubung gezogen, unb biefer befte^t barin, bafj er fic£) auf beS
grcunbeS fDiafjnung ^in entfc^toffen l)at, als ©c^riftfleßer auf-
jutreten. „2tn mir rupft er beftänbig," fdjreibt ©djreiermadjer,
„idj müfjte aud) fdfreiben, eS gäbe taufeub Singe, bie gefagt
werben müßten, unb bie gerabe icf) fagen fönnte". * Stuf ben-
felbeit ©egenftanb fommt er ju fpredjen bei ber ©efdjreibung
ber oben ermähnten ©cburtStagSfeier. „@d)teget," fo ^ei§t eS
ba, „fpiette mir jwar einen Keinen ißoffen, inbem er fie, (bie
anberen ©äfte) aufbefjte, in choro in feinen alten SBunfd) ein*
juftimmen, baff idj nun aud) ©iidjer fdpreiben foflte. 29 3aljre
unb nod) nidjtS gemacht, bamit fonnte er gar nid)t auftjören,
unb id) muffte it)m feierlich bie $anb geben, bafj idj nod) in
biefem 3at)re etwa§ fdjreiben wollte."
SaS ©ebeutenbfte, was ©d)teiermad)er auf biefe SBeife
auS fidj ^at „ans ßicfjt loden" taffen, ift bie ©djrift „über bie
Religion, Sieben an bie ©ebilbeten unter i^ren ©eräd)tern".
©ietfad) Ijat er mit ^enriette §erj über biefetbe öerljanbelt,
wäfjrenb er öou Slnfang gebruar Slnfang üJiai 1799 bie
©teile beS alten ^ofprebigerS ©amberger in ©otSbarn oerfat).
Stm 15. g^ntar fdjreibt er: ,,3d) ^abe ein Meines ©tüd Sie-
ligion gemalt"; anberSWo tjeifjt eS, er fjabe fid) in ©ejug
auf baS SJiadjni, b. t). bie üinftlerif^e SarfteQung, „geärgert
über eiujelite ©teilen in ber 5. Siebe, welche an einer Portion
Siatefti! leibe unb gewaltig trodeu gerätsen fei." 3n anberen
©riefen berietet er über beit gortfdjritt beS SßerfeS, bittet aud)
bie §erj einmal, i!)n in jebem ©riefe ju mahnen, bamit „bie
Sietigiou" ifjm tticfjt inS ©toden geratf)e. SBcldje fjrcube er empfun-
ben, als bie Strbeit oofleubet war, erfe^en wir aus fotgenben
©Sorten: „3efjt eben am 15. beS ÜJionatS Stprit (1799) ift ber
©trieb unter Sietigion gemalt, beS SJiorgenS ein Jjalb 10 Ut)r-"
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SS faitn nicht uttfere Stufgabe fein, unS über beit Snljalt
ber Sieben weiter ju Derbreiten, genügen mag bie SJlittfjeÜung,
baß ©djleiermad)er, ber SDiann ber ©ilbung, oon innerer Sioth*
toenbigfeit bef)errfcf)t, bie Sieligiott gerabe gegen bie ©ittwänbe
ber ©ebilbeten oertßeibigt, baß er berfelben eine eigene ^roDinj
in bem menfdjlichen ©eniütlje juweift, baß er immer roieber
betont, bie Religion fcl)f in bem ffinblidjen baS Unenblic^e.
Sr ^at bie Sieben »erfaßt auf bem §öf)epunft feiner Sugenb*
entwidelung, fein religiöfeS Snitenleben, baS toeit ablag oon
bem, roaS ber bamaligen Äirtfje als ^Religion galt, lieft er ba
heraustreten in bie Söelt. 2)a8 „Siomatttifdje" in ber ©dfrift
befielt barin, baß bie Sieligioit bem ©erfaffcr etwas gan$ Sn*
bioibitelleä, aus ber ©ubjeftioität beS Sin^clnen .£>erDorgcbenbeSift.
Slm meiften war Sdtleiernta^er um beit ©inbrud beforgt,
beit bie Sieben auf ben .fpofprebiger ©ad machen würben. £aß
biefe ©eforgniß nid)t mtbegrüubet war, beweift ber ©rief beS
fieberen, in wcldjeitt er bie« ©ud) für eine geiftDolle Slpologie
beS ltßantf)eiömusS erflärt, für eine rebnerifdje $arfteüung beS
Spinojiftifdjen ©hftemS. Smpört ift er audj über bie reoolu*
tionäre neue Sprache, bie ber erfteit Siegel alles Deruünftigen
Sieben« nnb ©elehrenS (ber ©erftänblid)feit) jum 2ro|j immer
mit falfdjer SJiünse $ahlt, fidj in rätselhaftes $>unfel büßt
unb, aus gurdjt fid) gentein auS^ubrüdeit, fd)roülftig wirb.
„Sin mit ber eblen ©infalt ber ©riechen fo befannter ÜJZann
wie ©ie," fo wenbet fid) ©ad au ©d)leiermad)er, „follte
wenigftenS biefe pomphafte unb gefd)madloje ©djreibart Der*
fchmähen unb fie ben Schwärmern unb poetifirenben SBifclingen
überlaffen, welche fid) mit bem Slnftaunen unb bem 2obe ber
empfinbelnben, gelehrt fein woQenben SSeiblein begnügen".
©chleiermad)er übergeht in feiner Antwort baS bloß 2itterarifd)e
beS Schreiben«; ber ffinbjroed feiner Sieben ift ihm, in bem
gegenwärtigen ©türm pf)ilofophifd)er SJieinungen bie tluab*
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ßängigfeit ber Religion tton jeber ÜJietapßufif red^t barjuftcHeu
unb ju begrünben. ©eine gonje Denfung§art ßat feinen anberen
©runb al« feinen eigentßiimlicßen ßßarafter, feine angeborene
SJißftif unb feine »on innen auägegangene S3ifbung.
©anj anber« als bei ©ad unb beffen ®eifte«üerwanbtcn
war bie Slufnaßme ber Sieben bei ben romantifcßen grennben
be« Scrfaffer«. 3n 3fena war im £>erbft 1 799 ber gauje fireis ber
Siomantifer »erfammclt. Anfang« September mar gr. ©cßlegel
oon Serlin bortßin übergefiebelt, im Oftober mar ißm Dorotßea,
meldje ficf) fcßließlicß oon Seit getrennt ßatte, bortßin gefolgt.
3n mehreren Briefen an ©djleiermacßer ßatte er fid^ über bie
Sieben geäußert, j. 8. gefügt, bie britte Siebe ßabe ißm feßr
gut gefallen, ber ©til fei weniger »oüenbet, al« in ben beiben
erften, aber ber Snßalt gefalle ißm feßr unb aueß bie ©ub<
jefnoität ber Slnficßt unb ber $eßanblung. 3n bem Sltßenäum
ließ er eine Slnjeige beS 93ucßeS erfeßeinen, nod; eße eS ooß>
ftänbig gebrudt mar. 28ie ©djleiermadjer barüber baeßte, feßeit
mir aus folgeubett SBorten an SBrittfmann : „Du mirft aus bem
Sltßenäum gefeßen ßaben, baß ©cßlegel oßneraeßtet er oon bem
fßofaunentou in feiner Siotij nidjts aßubet unb oielnießr glaubt,
neben bem £obe feinen Dabei unb feine SIbweidjung non mir
feßr ftarf angebeutet 3U ßaben, 3U einer orbcntlicßcn ffritif nießt
311 gebraucßeit ift." Der „^ofaunenton", ber 3U laute Don beS
ÜobeS ließ ©djleiermadjer befürchten, baß eS Hießt uon fersen
fomtne, bie bloßen Stnbeutungen beS Dabei«, baß ßier uieleS
3imidbefjalten fei. Diefe Sl^eige unb anbere Serßanblungeit,
bie mit ben Sieben in Serbinbuug fteßen, ßaben baS Serßältniß
ber greunbe 311m erfteumale nacßßaltig getrübt; befonberS über
bie „Sbeen" ©cßlegel« äußert fieß ©eßleiermaeßer mißbidigenb,
er nennt fie „baS ßoffentlicß leßte '4^robuft innerer Unfertigfeit
unb ungeorbueter giiHe oon ©ebanfen unb Slureguttgen".
©djlegel fießt fieß bcSßalb oeranlaßt 311 fdjreiben: „2BaS in ben
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3been in näherer Schiebung auf beine fReben fdjeiut als baS
Uebrige, ift eigentlich Weber an bidj nod) gegen bid^."
Schlegel berichtet uns genau, welchen ©inbrud bie fReben
auf bie ©ettoffen in Sena gemadjt hoben. Hud) ©oetlje, ber
oft borthin fam unb mit ben SRomantilern oerfeljrte, laS fie;
„anfangs fonnte er gegen SBilhclm (Schlegel) bie Silbuitg unb
Sielfeitigfeit biefer ©rfdjeinung nicht genug rühmen. 3e nad)*
(affiger inbeffen ber Stil, unb je djriftlicher bie fReligion würbe"
(b. h- je weniger oon ber SReligion überhaupt, unb je mehr
non ber fpejifijch d)riftlid)eit bie SRebe war) „je mehr üerwatt*
bdte fidj biefer ©ffeft in fein ©egentheil". Nebenbei mag be»
merft werben, bafe wir uns nicht wunbern Jönncit, wenn oon
Schiller hier feine Siebe ift; $r. Sdjfegel hatte fid) burd) »er«
fchiebcne SRecenfionen mit ihm überworfen, unb fo „ging man
nicht ju ihm". Huch Schleiermacher, ber beit groften dichter
früher t)od) geftcdt, hatte fich ganj oon ihm abgewanbt. —
5)en gewattigften ©inbrucf hat jebeitfaßS $arbenberg oon
SchleiermacherS SReben empfangen, „er erfanute in ihnen bie ge*
meinfame religiöfe Heimat!)." @r ftammte aus einer gamilie,
bie ben Herrnhutern angehörte, unb Sd)leiermacher war ja
oon feinem 10. SebenSjafjre an in Herrnhuterifdien Hnftalten
erjagen unb gebilbet worben, bis er ju Dfterit 1787 bie Uni*
oerfität Halle bejog. SBährenb Harbenberg in 3ena ftubirte,
gewannen fReinhotb, ber Vertreter ber Äantifchen ^h>l°fophif,
unb Sd)iflcr grofjen ©influfj auf ihn, in fieipjig traf er mit
$r. Schlegel jufammen, bem er „fehr gut gefiel als ein junger
ÜRann, aus bem aßeS werben fann"! 3n Sena fameit 93eibe
nun im Hcr^f* 1799 wieber jufammen. SöiSher hatte Harben*
berg, wie afle SRomantifer, in ©oethcS SSilbcInt SDicifter „ben
fRoman ohnegleichen" oerehrt. Hfimählid) befdfränfte fich bei
ihm bie Hachfthäljung auf bie gorm, in ©cjug auf ben Inhalt
würbe er umgeftimmt, wahrfd)einlich burch ben „Sternbalb".
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3)ieS ift um fo mehr anjunefjmen, weit er nach Dorotheas Bericht
bei ber perfönlidjen Begegnung mit Jiecf in 3ena „gattj rafenb
unb toll in biefen oerliebt mar unb behauptete, baS tuäre noch
ein gan$ anberer dichter als ©oetfje". 5)ie ©euoffen ber
neuen ©chule brauten ifjnt grofje Siebe unb ©emunberung ent-
gegen; jeine djrifttidjen Sieber nennt ©Riegel baS ©öttlichfte,
rnaS er je gemacht, bie ißoefie barin habe mit nichts ülehnlich-
feit als mit beu innigfteu unb tiefften unter ©oet^eS früheren
©ebidjten. @S faitn uns nidtjt munbern, roentt ber alfo ©efeierte
fidh entfchlofj, fid) auch in bem §öd)ften ju oerfudjen, roaS bie
gtomantifer faunten. ©ein ,3^ mar barum ein SRoman in
„traufcenbeutalem ©inne", in meinem bem ©emeitien ein hoher
©iun, bem ©emöhttlichen ein geheimnifjoolleS Sfnfeheit, bem ©e>
fannten bie 2Bürbe beS Unbefannten, bem ©üblichen ein unenb-
lieber ©cfjein gegeben mürbe, ©erabe in ber festen ©emerfung
btirfen mir eine SEBirfung oon ben Sieben ©chfeiermacherS fehen,
bie er nach ©chlegelS ©eridjt mit bem hödjfieit Sntereffe ftubirte,
non benen er ganj eingenommen, burcfjbrungen, begeiftert unb
enthübet mar. SDen ©toff ju feinem 9ioman fanb er in ber
©ibliothef eine« föiajorS oon gunf; bort „ftiefj er auf bie ©age
beS Heinrich non Ofterbingen unb oom ©äitgerfrieg". 9tach bem
tarnen beS ©ängerS betitelt er fein SEBerf, meines bie
Sehrjahre eines merbenbcit Richters enthält, mie 9iooaliS, bieS
ift ber ©chriftfteHername $arbenbergS, fich felber oorfam. gr.
©chlegel fchreibt im 2Jiai 1800 an ©chleiermacher: „§arbenberg
hat auch e*lten Vornan gemacht, |>einrid) non Dfterbingen.
(Sine munberbare unb burdjanS neue ©rfcheinuug. 3m üKärcfjen
ift er einzig unb fünnte halb audj fo ooHenbet unb gemanbt
unb ficher barin fein, mie in Siebern unb ©ebichteu. 25aS
©anje fod eine Stpotljeofe ber s45oefie fein." iparbenberg ftarb
bereits im SDiärj 1801. @S mar ©djleiermadjer nicht oergönnt,
ihn perfönlich fennen ju lernen; ben mieberholten bringenben
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©inlabungeu $orotbeenl, bocb auf eine geitlang nach 3ena
gu fommen, bamit fie in ihrem $immer »bie gonge Kirche oer>
fammett fetjen" fönnte, bat er nicht gotge teiften fönnen. Sin
fdjöneS ®enfntal bat er bem 3üngling, ber in ber gangen ©ene»
ration oon ber religiöfen ©eite if)n am meisten oerftanb, gefe&t
in einem ©riefe oom 29. 3uli 1802 an ©leonore ©runom. @r
rühmt an feinem Siotnau bie Siebe unb bie SJipftif, bie bem
©angen gu ©runbe liegeitbe große giiße bei SBiffcnl unb bie
unmittelbare ©egiebuug belfelben auf bal |>öcbfte, bie Kn>
fc^auung ber ©klt unb ber ©ottfjeit. „©etuiß, ^arbenberg
märe neben allem anbern ein febr großer ftiinftter gemorben,
meitn er uni länger gegönnt morben märe."
SBie oon £>arbenberg, fo berietet uni gr. ©Riegel aud>
oon ben übrigen Stomantifern, meiere ©ebeutung ©d)leierntad)erl
Sieben für fie gehabt, ober fie benfelben gugemeffen haben; aul
aßern gebt b^oor, baß mit benfelben ein neuel Slement, bal
religiöfe unb etßifcbe, in bie romantifdje ©emegung ge>
fomnten ift.
SBar auch, mie mir gefeßen hoben, burd) bie Stecenfion
ber Sieben oon feiten ©cblegell eine gemiffe ©erftimmung
groifdjen ißm unb ©djleiermocber eingetreten, ber Sefjtere bot ficb
babureb nicht abbalten taffen, bei ber ©enrtbeilnng eitiel SBerfel
Oon feinem greunbe für biefen in einer Söeifc einjutreten, bie
faum 3emanb oerfteljen fonnte.
Km 2. SJiärg 1799 empfing ©djleiermacber einen ©rief oon
©cßlegel, itad) melcbcm ber b<ftorifcbe Xb^il ber Sucinbe fertig,
unb ber ©erfaffer bamit über ben eigentlichen ©erg fei. ©djlegel
fefct auch bal Urteil feittel ©ruberl unb feiner ©djroägerin
Saroline gu; biefer gefiel bie ©ebrift beffer all jenem, ber
bamal! „gar gu teufelmäßig autif" mar. ©aug anbcrl urteilt
bie grau, melcße bureb ben Siomait am meiften in SJiitleiben*
fefjaft gegogen mar, ^Dorothea. „2Bal Sucinbe betrifft, — ja
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wag fiucinbe betrifft!" 5D?it biefetn ©tofjfeufger fommt fie in einem
^Briefe an ©cbteiermacber auf bag 83ud) gu fpredjen. „Oft
wirb eg mir fjeifj unb wieber fatt um« tperg", fdjreibt fie, „baß
bag Snnerfte fo fjerauggefefirt werben foß, — wag mir fo
t>ei£ig war, fo fjeimtitfi, jefct nun aßen Neugierigen, aßen Raffern
preiggegeben . . . Umfonft fuc^t er mid) burdj ben ©ebanfeit
gu ftärfen, bajj ©ie nod) fübner wären afg er. Sld), eg ift
nidjt bie Äiibnbeit, bie mich erfcbrecft" . . . ©d)Ieiermac^er
nennt bicfen Söricf fdjön, unb giebt ®orot^ea recht, wenn fie
fidj burcb feine „Siibnbeit in ber Neligion" liiert woße tröften
taffen . . . ®et)t atjg biefeu Steuerungen ^eroor, baß eg jebenfaßg
ein gewagteg Unternehmen war, bent fid) ©cbleget bei Slbfaffung
ber Sucinbe unterzog, fo hören Wir, bafj nadj bem Qrrfdjeinen
beg Nomang aße SBett, auch bie nädjften greuitbe beg 93er-
fafferg entfett waren. §tn bem SBerljättnifj ©dßegelg gu
Dorothea batten gar 3$iete febon Slnftofj genommen, in Na^reben
unb ißagquiflen batte ficf) ber Unmutb beg ißubtifunig bariiber
bereitg 9uft gemadjt: bie ®arftelluug unb ^reiggebung begfetben
oor afler SBelt erregte ftarreg ©rftaunen. ©in ©cbo biefer ba-
maligen ©timmung finbeit wir in ©ittbeqg Söortcn, welcher
fd)reibt: ,,3d) beabfiebtige nidjt gu beweifen, baß ber SHoman . .
fowobt unfütlicb atg biebterifeb formtog unb oerwerflicb ift.
SMefc ©infiebt bebarf feiner iöegrunbung mehr. 3a, fommt man
frifdj uon bem 93ucbc, fo erfdjeinen auch bie b^rbften Urteile
matt unb beinahe gutmütbig" . .
33on Slufatig an trat ©djteiermacber für ben angegriffeneu
f^rcunb ein. 3n einem 93ricfe an örinfmann febreibt er: „§ier
in utiferem SEbeite oon £eittfd)lanb ift bag ©ejdjrei gegen bie
Sucinbc aßgemein, ber s}.?arteigeift oerblenbet bie ßJtenfcben big
gur SRaferei, unb bie töcrtefcuug ber $eceng, biefeg böcbft unbe-
ftimmte Verbrechen, . . läjjt auch oernünftige SJfenfchen aßeg
©cböne unb Vortrefflidje in biefeut Suche unb feinen eigen«
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tfjümlidjeit, gereift groften ©eift überfein." Slehnlicf) fpridjt er
fid) in ber ©rroiberung auf ba§ Schreiben be$ |jofprebigcr3
©ad au«, ber an feinen „freunbfc^aftJicften Serbinbungen ÜÖiift»
faQen" gefunben hatte. ?lud) ba fagt er, baS Sud) enthalte
neben tiietem SobenSreürbigen nnb ©djönen manche«, reaS er
liiert billigen fönne, aber oerberbte ©runbfäfce unb ©itten jeige
eä nicht an. ©aö t)ier prioatim angebeutet ift, fiitben reir nun
öffentlich aller ©eit mitgetfteilt in ©chleiermacherS vertrauten
Sriefen über fiuciitbe. ©cftlegel forooljl reie Dorothea rearen
anfterorbenttieft erfreut über biefe ©d^rift beö ftreunbeS. Sejeich*
nenb ift ba$ llrtfteit 2)orotfteeuö; fie fdjreibt an beit Serfaffer
am 16. 3uni 1800: „Sie fefjen, reie aufmerffam ich bie Sriefe
ftubirt ftabe. ®a3 tnuft ich 3^nen aber bodj fageu, baft fie mir
reenigftenö fo fühn reie bie fiucinbe felbft ju fein fefteinen, unb
baft fie ber ©clt ^offentlid; mit ihrer ©riiublichfcit tioDcnbS ben
ftopf tierrüden reerbeit." $iltl)et) faftt fein Urtheil über Schleier-
madjerS SertheibignngSfchrift aufamnien in bie ©orte, berfelbe
habe barin eine äfthetifefte 3;he°rie • beS Stomancö entreorfen, bie
man mit fehr fdjönen unb geiftrcichen Screeggriinben Dergleichen
fönne, reie fie Semattb nachträglidj ^anblungcn untcrfdjiebe,
bie nicht mit ihnen ftimmen reollen. ®aö trifft ungefähr ju-
fammen mit ben ©orten ©djleiermadjerö an ©ad: ,,©enn
Scmanb eine Jhcor>e, b*e cr ftd) über ben Umfang einer poeti*
fd)en 35arfieflung gemadjt hat, in einem Seijpiel ausbriiden reill,
fo hat baS mit feinem (if^arafter nichts ju fdjaffen." — S)aft
©djleiermacher fpäter auberö gebaut hat über bie fincinbc unb
feine Söriefe, feigen bie an .^enriette §erj gerichteten ©orte: „3<h
habe ©palbing bie fiucinbenbriefe befannt, (fie rearen auonhm
erfchieneu) ... bei biefer ©elcgenf)eit laS idj fie reieber, reie
reurbe mir babei ju 9Ruthe!"
©eun ©d)legel einmal an ©cftleiermadjer gcfdjrieben hat,
beffen eigentlicher SBeruf fei bie 2rreunbfd)aft, fo hat fid) biejeö
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SBort bei ber eben erjagten Seranlaffung aHerbingS bewahr«
beitet; aber noch ein auberer galt bat bie 9fticf)tigfeit beSfelben
bewiefen.
Schlegel ging eS in 3ena nicht gut. Seine äußere fiage
war eine er befanb ficf) oft in ©elboerlegenbeit unl>
tonnte trofc alles guten SBiHenS, trofc afler ©egabutig bocf) uic^t
fo rafd) arbeiten wie fein ©ruber, um ©elb gu oerbieneu. ®aS
ging Scbleiermacher fe^r nabe, toie wir au« manchen brieflichen
Sleufjermtgen an bie ihm befreunbeten ißerfonen erfeben. @r
betrachtet boch gr. Schlegel immer noch als feinen greunb,
wenngleich bicfer nicht im böchften t§5rabe fei. S)iefe S33orte
tonnen fich in bem gegebenen 3ufammenbange nur auf bie Uw
juoerläffigfeit Schlegel« belieben, wie fie bei ber oou ihm mit
Schleiermacher gemeinfam unternommenen Ueberfeßung beS
©laton ju Jage trat.
„SSenn ich nur brei ®ücber, bie ©ibel ungerechnet, au«
bem 2lltert£)um retten foßte, fo würben eS boch teine anberen
fein als .fpomer, ^erobot rnib ^laton," lefen wir in einem
©riefe Schleiermachers an ^enriette oon Söillich Sind) in ben
©riefen an Henriette §erj ift oft oon bem genannten griechischen
Philosophen bie Siebe, überall tritt unS biefelbe fflcgeiftcrung
beS Schreiber« für ihn entgegen. SDiit greuben ging Schleier*
machet beSbalb auf gr. Schlegels Sorfdjlag ein, piatonS Söerfe
gemeinfam mit ihm $u überfein. „Sich, *3 ift eine göttliche
3bee," fchreibt er an bie §erj, „unb ich glaube wohl, baff eS
SSenige fo gut tonnen werben, als wir." ©rintmann gegenüber
äußert er fich, baS ©orbaben begeiftere ihn, benn er fei oon ber Ser-
ebrung beS piaton, feit er ibn tenne, unaussprechlich tief
burcbbrungen.
Schlegel oerbanbelt in feinen ©riefen nun oielfach mit
Schleiermacher über bie Slnorbnung beS ©anjen, über bie @c£jt-
beit einzelner Dialoge, über bie Slntüubigung beS SBerfeS u. a.
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©cfjon babei ^atte ber 2ej$tere oft einen fd)weren ©tanb; be*
•fonber« »erbroß iljn aber bie gange Sluffaffung be« greunbe«
tion ber ißflic^t be« Ueberfefcer«; er nennt e« eine wunberlidje
3bee, wenn ©Riegel »erlange, er fotte ben ißljäbru« nur gleich
überfein; e« fei gar nidjt in feinem ©til, fäfjrt er fort, bie«
gu tljun, beoor er ba« ©ßftem feine« ÜRitarbeiter« feitne,
unb über bie Ueberfe$ung«tljeorie aße« abgemadjt fei . . .
„3a, toenn id) aufrichtig fein fofl," fjeifjt eS ein anbere« 9DM,
„fo muff i d) gefteljen, bafj bu burd) bie Slrt, toie bu ben
9ßIaton unb meinen Slnttieil baran beljanbelft, ba« 2Röglid)fte
tljuft, um mir bie 2uft gu ber ganzen ©adje gu oerleiben."
9ll«bann geht ©dßeiermadjer in ber fdjärfften Sßeife oor gegen
ben bei ©dßegel immer toieber gu Sage tretenben 2Bcd)fel
gwifdjen eilfertigen Slnftalten unb laugen 3ö9erun9en/ guoer*
fichtlidjen 33er fjeifjun gen unb leeren SSertröftungen, gegen beffen
ooflftänbige 9dücfficht«lofigfeit feiner $l)ätigfeit unb feinen 2ln=
fragen gegenüber.
Sngwifdjen war ©Riegel mit ®orot()ea nad) ißari« ge*
gogen. $>afj bort itocf) weniger an eine geregelte Arbeit an
bem ißlaton gu benfen war al« in 3ena, liegt auf ber $anb.
fßüfirenb ift ber Sßrief, melden $orotf)ea am 21. Uiooembcr
1B02 oon bem neuen SBofjnorte an« an ©d)lciertnad)er fcfjreibt;
ba flogt bie unglüdlidje grau, bajj e« fo gar uicf)t redjt geljen
miß, trofebetn baß fie e« fidj recht fauer werben laffen; bann
bittet fie, griebridj nicht gu freiten wegen be« ißlaton, „ber
arme Söfenfd) tljut, wa« er fann, unb meljr al« er foflte; if)r
Herren fjabt gut rebeit, bie ifjr nicht für ba« tägliche 93rot gu
forgen habt“ . . . 2Sir fönueit uerfidjert fein, bafe ba« aße«
©djteiermadjer fefjr nafje ging, er war aber aucfj in feiner be*
iteibeti«wertf)en 2age gegenüber bem 53ud)f)änbler unb Verleger
grommann, mit welchem beftimmte Serabrebnngen wegen be«
(Srfdjeinen« ber ißlatonüberfefcung getroffen waren.
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3m Üluguft 1802 ljatte er bei biefem angefragt, ob er,
faß« ©djlegel i^n im ©ließe taffe, bcn ißlaton mit ifjm afleitt
wagen woüe. darauf fonnte grommaitn erwibern, eS feien nun
enblicß »on ©cßlegel jwei ffeiite Umleitungen aitgefommen, unb
ber größte $h*rt be$ SJtanuffripteä in balbige ?lu3ficßt gefteßt.
®od) e§ erfcßien and) je^t ni<ßt§ , mit ©cbleiermacbcr
aflein woßte ber Senenfer Sucßßänbler nicßt£ ju tßun haben,
unb fo erbot ficß auf ©dßeiermadjerö ®orf<ßlag SHeimer in
öertin, bie Ueberfeßung beS ißlaton oon iljm in Verlag ju
nehmen.
©o war benn gerabe baS Unternehmen, burcß weldjeS
©cßleicrmacber gehofft hatte/ bfl3 ®<»nb jmifdjen ihm unb
©d)!egel fefler $u fnüpfen, ben f5reunb auch ju ©tetigfeit unb
regelmäßigem gleiße ju erziehen, ber Slnlaß jur Untfrembung
geworben, gier ihn felbft aber würbe bie ißlatonüberfeßung
bie öeranlaffung, fid) auSfcßließlidj ber wiffenfchaftlichen 2hätig*
feit ju wibmen, mtb auf biefem ©ebiete ^at er llnoergänglicbeS
geleiftet. §lm weiteften hot er fid) ooit ben romautifchen Streifen
baburch entfernt, baß et fid) bem wirtlichen fiebert gaitj unb
gar juwanbte; feine in §aße, bei ber ©runbung
ber Unioerfität ®erlin, bei ber Erhebung ^eutfdjlanbS gegen
bie grembherrfcßaft jeigt ihn un§ als et^ifdje s^erföntid)feit
im heßfte« £id)tc.
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Ufrlflgeondalt unb llrndirrri J.«Ä. (oormato #. Uittiter) in Hamburg.
Der Hufym tm Sterben.
@iti ®eitrnc] $ur Segenbe be« lobe«.
Bon
i>eobor 35r$r.
8°. (Sfegnitt gcfjeftet 5 ffllf., fein gebiutben 6.50 BM.
Tie beiitirfic Ss ttrra 1 11 c roirb hierburdj uni ein gang eigentümliche« fflert bereidiert.
tatfelbe fchilbert bie lebten Äugeitblide 1111b Sorte berühmter l<rr(0!ini au* atlm Stdiibru
uub ßtitfn unb giebt rint gebrangtc Biographie berlelben. 2iefc 'Silber machen einen oft
ergreifenbeit, oft erbebenben Sinbrutf unb bieten bem ©ebilbeten eine rrnftf unb
weihen olle wie hodjlnterelfante Settüre. 2a« fdjön au«geftattete Buch wirb in
gebildeten Streifen geiuift gute Aufnahme unb and) al* © r f che u f burf) gute Brrnjenbung finben
Das junge Deuifdliaub. eilt fteiner Beitrag jur Sittcraturgcfdjirfjte
unferer Seit ron 3feobor 2Se6f. Btit einem Slnfjange ieittjer uod) unocr-
öffentlicher Briefe ööii 2f). SJtunbt, Jp. Siaube uub ft. Qhi&foro. 8",
elegant gcfjeftet ®tf 3.—.
2et Bielcrfabtene Autor giebt in biefem IsSerfe reiihe« Staterial unb eine Bail« tur
Beurtbeilimg berjenigen 2ichter unb ihre» litterari fdten Sitten«, roeldie man gemeinhin
unter bem fflefamtnamen »2a« junge 2eutfthlatn>" bejetdinrt. i'iit faft allen biefeit
®eifte*6eroen eng bcfreunbet getuefrn. ift S Steht bor allen 51 n bereu tu einer foldjen 2ar*
fteUung berufen, unb bat er r* and) verftanben, bie Schilbeiung ber Bcrjonen, $eihimfttnbe
unb ber gefchiditlichen fflomente in ein leben«Ootle« unb b ö <bft intere ffanteb Silb
Sufamraeiijufaffen. Sa» idjüu aiugeftattete Buch wirb allen Sit te i at utfrcunben hoch-
u> i 1 1 f o m m en fein.
-fünfteljn 3ul)re Stuttgarter tjoftljcater-i’ettung. ein «&•
fdjnitt au« meinem Sieben. Bon 3feobor SSelif. Btit bem B°rtr<it bc«
Berfaffer« unb einer Jlbbilbung beet ©tuttgarter ;po(tf)eater«. @r. 8°.
ölegaut geheftet Bif. 6. — , gcbuitbeu Btt. 8.—.
2er Berfaffer. ineldicr 15 (fahre lang ba« Stuttgarter $oftbealer luerft al» artiftifdier
Beiratb unb Sirettor, bann al« Jute ubant geleilet, bietet hier eine aii«iührlidie SarfteUung
ber Sorgdnge bort inährenb feinet langen 2ienftjcii — nicht feinbfelig unb oerbiilert,
fonbern frei, oifeu unb unparteiifih iiad) jeber Sichtung 2abei giebt er inttrefiante liui>
blide m bie geiftige Senfamtcit unferer jüngeren 2ramaiifer, in ba» Singen unb «dmpfen
naih einem beutfdien Aationaltbeater. (fine Seihe ber befannteften nnb berübmteflen
2heatergr5fjen be» Schaufpirl« unb ber Cper paifiren Seoue, unb mifiht ber Berfaffer
mancherlei tbftliche Auefboten über Eefctere eilt.
künftig 3aljre eines ieutfdjeu Jljeatcr-Direktors. «rinne.
rungen, ©fi.yett unb Biografien au« ber ®efd)id)te bc« Hamburger
Stjal ia.I!)cater« uott jUeiitlfofb öfrtmann. (Slegant geheftet Blf.3.— ,
elegant gebuuben SWf 4.50.
|mt0e ©olbfdjmiefr-
Bidjfung ooit E.trl <£rttfl Hltcita
(Srnp B(esaci).
— b»» Biertc Deränbertc unb Dernicfjrte Auflage.
3Hufirirt Poti
«Ä. (ftirntg, Uforfdfe* ^rof. f. ftftjnicr.
Brei« in Ijodjelcgantem Driginal-lSinbanb mit ®olbf nitt Btf. 6.—.
Bn« bett Urtlfeilen ber ^reffe :
2a« Such ift reijenb au«geflattet unb empfiehlt fich al« SBeihitachU’ unb gcflgefdten!.
(ftunft (Shronit. Siien.)
2n» ffiert ISBt tiefe Befriebigung im fersen äuritd. (Sdjleftiche Leitung.)
Sin pradjtuoll au«geftattete« Buch mit ber ebettfo reijenben al« gemülhpolleii 2ichtiing
tine« bou ®ott begnabelen 2id)ter«. (trieftet geitung.)
Sefonber« bie eitigeflteulen Sieber finb 3 u her ft anmuthig. (Berliner tageblalt.)
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Urrlopnuflalt uni Jlrnihrrri %.<$. (oarmals J. J. jiid)tfr) in iaabnri.
•t»ocf)intcrcffantc 9ieuigfctt:
M Sdinccfrijnljrn bunt) (ßröitlanii.
®on
^riMfof gtanfen»
^»Urifirle P(ktrftl|ing.
2 SJcinbe. ®r. 8°. 2Hit übet 160 Driginal-9lbbilbungen, einer ©eneralfarte
non ©röntanb unb brei Heineren Sarten.
IJSrcia eleg. geh- 9Jlf. 20.—, eleg. geb. 3Hf. 22.—. Äucf) in 20 Sieferungen
& 1 2Hf. gu begießen.
3)ie erfte giefernng liegt in nHen ffiKtihnnblungen gur 91nfirf)t auf.
OUuftrirte ^rofpefte werben unentgeltlich abgegeben.
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©tme'uuierftüHMidjti!
über bie
fogpnonntr uirrtr Jlimntfioiu
Vortrag,
gehalten bei bem StiftungSfcft beg mattem. • naturro. S$ereiu£
ber ted)ni(c^en ^ocfjfc^ule in Stuttgart am 8. Sejcntbcr 1888;
mit ©rroeiterungcn unb ßitaten
oon
Dr. gart granj,
lojcnt an bcr tcdiniirtifii t'odijdnik in Suitlgart.
9)tit jcfjn 9tbbilbungen.
— *■
+
Hamburg.
s-üedag3anftalt unb 2>rucferci (uormalS 3. g. föidjter).
1890.
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$<nS JHecfjt ber Ucberieftung in frcmbe ©praßen roirb »orbtfjalten.
Srtitt brr ®etlag4anftalt unb Intimi “Metten ■ OirfeHidjaft
(bormaiS 3. jj. SRitfitrr) in Hamburg.
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®er matfjematifdjen SEBiffenfdjaft ber neueren $eit ift
eigentljümtid) ba£ Streben uadj Verallgemeinerung, nad) ßu*
fammenfaffung be« ©iitjelnen unter allgemeinere @efid)t«pun!te,
ttnb banebeu fpcciett unferem 3afjrf)unbert ber Ürieb nad) tieferer
@infid)t in bie (SJrunbtagcn unfereö SBiffen«. bereinigt tjaben
biefe efteufioen unb intenfiöeu £enbcn3en unter auberetn bie
moberuen Staumtfjeorien (jeroorgebradjt. Schott im fiebaeljnien
unb ad)t3et)nten 3af)rf)unbert non oereinjeltcn ptjitofoptjen unb
Ideologen gefaßt, tjat bie 3bee einer önueiterung unfereS 3taum*
begriff« erft im erften Xrittet uttfere« Satjrfjunbert« angefangen,
©emeiugut ber SDiatfjematifer 31t tnerbeit, unb bilbet jefct für
biefelben ein nufcbringenbe« Priu3ip ber Verallgemeinerung.
Stuf attberctt ©cbieten tourbeu bie Vefuttate ber eyaften matt)e-
matifdjen gorfdjung benufct, um gemiffen tängft fultioirten
Ptjantaftereien nttb Spefutationen neuen sJtat)rung«ftoff 31t geben.
@ben bie teueren 2tmneubungen fittb e« nor allem, roctdje bem
Vegriff ber oierten ©imcnfion feine Popularität in nidjt*
matljematijdjen Greifen, aber aud) 3afjtreid)e SRijjöerftänbniffe
eingetragen ßabeit, — Sftifjoerftänbniffe ber 2trt, baff biefelben
ba« Slnfetjen ber SKatfiematif in ben Stngen mancher £aien 3U
fdjäbigen im ftanbe roarett; baß man in ben feiger Sauren
bas SBort f)üren foitnte, an jetten ptjantaftereien trage eine
„erfenntnifjfranf geworbene SÖtatfjematif" bie Scfjutb.
Sammlung. 31. S- V. 112. 113. 1* (569)
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Snt $inblicf einerfeits auf bie Popularität ber fogenannten
üierten 2>imenfion, anbererfeitS auf bie mannigfachen irrigen
Sluffaffungett, meldje bie SKuffteHung biefe§ ©egriffS jur golge
hatte, möchte id) einen raffen ©ang burcf) bie I^eorie ber
tjö^eren fRäume unb ihre mannigfachen Slntoenbungen unternehmen
unb am ©djluffe mit fritifdjem SBIicf auf ba§ burchroanberte ©ebiet
guriicfblicfen; — mobei ich b'c ÜRicfjtmathematifer baran erinnere,
bafj fein „firjösig ayeojfjfT^rjToc über ber @ingang8tf)üre
beS ©aaleS irgenb Sinem beit ©intritt mehren moQte, fonbern
bie ©erfidjerung gebe, bafj bie geometrifdjen SdjulreminiScengen
eS Sebent ermöglichen rnerben, mir auf jenem ©ange ju folgen.
Sch geftatte mir, brei Strömungen ju unterfcheiben, meldje
auf bie ßonjeption mehrbimenfionaler fRäume h”tführtcn; ^'e
erfte liegt in ben jahrfjunbertefangen öergeblidjen ©erfuchen ber
9Ratf)ematifer, ba§ Par allelettajiom ber ©uflibifdjen ®eo-
metrie ju bemeifen, unb in ben gorfdjungeit, meldje fich an bie
burch ©aujj erreichte Söfung beS fRäthfelS anfchloffcn; bie jmeite
in bem «ngfücEIic^en ©eftreben einiger SRaturforfdjer unb Philo-
fophen, gemiffe metapbhfifd)e, fpeciell foSmologifcfje fragen
•ju löfen unb 0118 gemiffett SBiberfprüchett 311 entrinnen; e$ finb
bieS bie gragen nad) ber @nblicf)feit ober Unenblichfeit bei
UntoerfuntS, 3af)l ber gtjftente, SBeltanfang unb SBeltenbe,
Äonftitution ber SlRaterie, ©ejidjung jmifdjen ben ©rfcheinungen
in ber finnlich mahrtiehmbaren SBelt ju ben unbefannten Gingen
an fich; enblidj bie britte in ben ©erfudjen gu einer ©rflarung
ber (behaupteten) fpiritiftifdjen SBahrnehmungen, ©eifter-
matcrialifationen, $ellfehen ber Somnambulen unb §ppnotifirten,
SBirfung in bie gerne tc.
STiefe ©intheilung in STranfccnbentalgeometrie, $ranS-
fcenbentalphhfif utib £raufcenbentalpfh<hologie foH
übrigens nur baju bienen, einige Drbnuttg in bie ©etradjtung
unb nadjherige ©eurtheilung beS ©anjen ju bringen.
(570)
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ö
1. 9)ian famt fagen, jebe Söiffeitfcfjaft ift oorjugSweife
burcf) bic peinigenbett Siätljfel unb ©djtoierigfeiten groß ge-
worben, bie fid) iljren Vertretern entgegenfteHten. (Solche
SRät^fel bilbeten unter auberen für bie ©eometrie bie Stjiome.
93efantttlid) liefert bie ©uflibifdje ©eometrie baS glänjenbfte
Veifpiel für bie bebuftioe 2Ketfjobe, wottadj ein ©a& um beit
anberen burdj Äombinatiou aus ben oorljergeljenben abgeleitet,
bcbitjirt wirb. Urfprünglidj blofje Regeln unb Vorjdjriften für
bie ißrajiS, bie burdj ^robiren ober burd) 3ufflß gefunben
waren (ogl. ®iobor, |jero, ©trabo) unb in Slcgppten bei ber §er*
ftefluttg ber |>odjbautcn, SBaffcrbauten unb
ben immer roieberfeljrenben SanbeSoernteffungen
ifjre Verwenbung fanben, wurbett bie geo-
metrifdjen ©äfce erft oon ben ©rieten wiffett-
fdjaftlidj $u jenem ©pftem oerarbeitet, weldjeS
wegen ber ©djärfe ber Sogif unb ber Voll-
enbuttg ber gorm immer wieber ton neuem
unfere oerbiente Vewunberung erregt, ©in
©lieb ber $ette reiljt ficf) an ba£ attbere ;
ben Slnfang aber bilbet eine ©ruppe oon meljr
ober weniger felbftoerftanblidj flittgenbeti
©äjjen, bie uttbewiefen blieben. Sie eigentlid) geometrifdjeit
Sljiotne, bie ©ullib ber ©eometrie ooranfteöt — mögen fie
nun mit «/r^juara ober xoival Zwoicu1 bejeidjnet fein —
ftnb bie folgettben:
8. SßaS einattber becft, ift einattber gleid).
11. 3mei gerabe Sinieu a unb b, bie oon einer britten
c fo gefdjnitteit werben, bafj bie beibett inneren an
einerlei ©eite liegenben SBittfel a ß jufammett Meiner
finb als jwei Sterte, treffen, gettügettb oerlängert, an
berfclben ©eite jufammen (gig. 1).
12. .gwei ©erabe fdjliefjen leinen (enblidjen) SRautn ein.
(571)
S>8' 1-
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6
löefonberg bag elfte, bag fogenaunte Parallelen-Sljriom,
befijjt burdjaug nid)t benjenigen ©rab non ©elbftoerftänblidjfeit,
bah eg nidjt gum SBeiueife reigen foflte. 2tber merlmürbig, mehr
alg groeitaufenb 3a^re miberftaub cg alten Sllnftrengungen ber
9J?athematifer, bagfelbe gu bemeifeit; b’SUembert, ber fid) eben-
faflg baran »erfaßte, nennt eg „l’ecueil et le scandale des
el^ments de geometrie;“ in ber „Snct)flopäbie ber Sßiffen*
fünften unb ßiinfte" gählt ©of)n!e nicht tueniger alg 92 ©chein*
bemeife für biefen ©ah auf. ©efonberg lange quälte fich
Segenbre bainit; er geigte, bah bicfe 2$oraugfehung gleic£)tr>ert^ig
ift mit einer ber brei folgenben:
a. ®urch einen punft Q außerhalb einer ©eraben a (Jig. 1)
lägt fich nur eine einzige parallele gu a jicljen, b. £)• nur eine
eingigc ©crabe, bie, fo roeit man fie auch verlängert, a nicht fdjneibet
— ober mie man jefjt, um mehrere ©ä^e gufamntenfaffen gu
tonnen, lieber fagt, nur eine ©crabe b, rneldje bie ©erabe a
in bereu „unenblidj fernem fünfte" fdjneibet — ; benit gäbe
eg gmei noneinaitber nerfdjiebene parallelen b unb göge man bie
©entrechte c non Q auf a, fo mären bie SBinfel « unb ß gufammen
entmeber größer ober Heiner alg gmei fRed)te, alfo müßten fich nach
©ah 1 1 bie ©eraben a unb b entmeber auf ber einen ober ber
attberen ©eite non c in einer enblidjeu Sittfernung begegnen;
gmeiteug mit ber SBoraugfehung:
b. SBenu gmei parallelen non einer britten ©eraben gefchnitten
merben, fo finb bie inneren SEßcdjfelminfel einanber gleich, ober
c. ®ie Söiufelfumme in einem ®reied beträgt gmei Siechte, —
mie beibemal ebenfo leidet 311 fe^cn ift.
Sine biefer SBoraugfchuitgen muhte unberoiefen
bleiben, ©g hoff oud) nidjtg, bie parallele anberg gu be-
finireit, etma alg bie Sitiie, bereu Puntte non bet ©eraben a
überall ben gleichen 2lbftanb hoben; benn bann bemeife man,
bah biefe £inie eine ©erabe ift.
(672)
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7
„2BaS ift eS nun mit biefen Äjtomen, bie baS fjunbament
ber ©eometrie bilben, was finb unb waS foücn biefc ©äfce,
unbeweisbar unb bocf) unzweifelhaft richtig? ©inb fie ein
©rbtljeil auS ber göttlichen Quelle nnferer Sßernunft, wie bie
ibealiftifdjen S|3^iIofopf)en meinen, ober ift ber ©c^orffinn ber
bisher aufgetretenen ©enerationen oon 2tfatf)ematiferu nur nod)
nicht auSreichenb getoefeit, ben S8eweiS ju finbett?"
©auft fcheint als (Srfter, unb zwar fdjon in fe^r früher
3eit, 1792, beit wahren ©runb erfannt ju haben, wie fich auS
einigen Slnbeutungen unb aus feinen h<nterlaffenen ©djriften
ergab; aber bie SSJa^rfjeit blieb nod; längere 3eit »erborgen,
ba er felbft nichts barüber t>eröffentlicf)te. @r fam auf bie
©tttbedung burch feine Unterfud)ungen über bie Krümmung ber
Cberftädjen. ®ie einfache Söfuug beS StäthfelS ift bie,
ba& jene ©äjje nicht bewiefen werben föniten, weit fie überhaupt
nicht unumgänglich nothwenbig finb; bah alfo bie Stfiome feine
SlnfdjauungS*, noch weniger Senfnothwenbigfeiteu oorfteHen;
bah auch ohne fte WiberfprudjSfreie ©eometrien fid) entwicfetn
taffen. SefctereS gefchah bnrch öolpai unb fiobatfchemsfi;,
©chüter oon ©auh, etwa im 3ahr 1832. SS3ie ein foldjer
Aufbau einer ©eometric mit SBerjicht auf eines ober mehrere
jener Sljiome möglich ift, barf id; furj geigelt, ba bieS bie
©runblage für baS SSerftänbnih beS golgenben bilbet.
SSIeiben mir junädjft bei ber Planimetrie, ber ©eometrie
auf ber fläche, alfo bei ben SRaumanfchauungen, welche für
jweibimenfionat oeranlagte SBefeit, bie nur oon 2änge unb
Söreite, nicht aber oon ber |)öhe etwas mühten, bie alleinigen
wären, — um erft nachher jur ©tereomctrie überzugehen. \
SBefanntlicfj fpiclen in ber (Suflibifdjen ©eometrie bie $?on>
gruengfä^e eine wichtige jRolle; man pflegt bie 9iid)tigfeit aller
geometrifchen Sonftruftionen burdj ben 9iad)weiS ber Äon gruen j
an ©trecfen, SBinfeln, gtädjenftüden je. 31t geigen. ®ie Äongntenj
(573)
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8
jroeier geometrifdjer ©ebilbe aber, 3. $. bie jtoeier Sreiede A
unb B (gig. 2), tuirb baburdj nacßgewiefen, baß man fid) bal
eine A in ber 3e^enflä<^e f ortberuegt benft, bis eS mit bem
aitbcren B oollftänbig jur ®edung gebraut ift. $>iefeS 3ur*
35edungbringen jroeier fongruenter Sreiede burdj 93erfdjiebuitg
in ber 3ei£henebene ift in aßen fällen ausführbar, mit ber
Ausnahme, mettn bie SDreiede fpmmetrifdj liegen wie At unb B,
wotwn fpäter.
Sine ftiUfdjweigettbe 93 orauSfeßung bei biefem Verfahren
ift, baff währenb ber 93erfd)iebung beS gflfichenftüdS innerhalb
ber 3eidjenpd)e baSfelbe feine ©eftalt unb feine 2)imen«
fionen nicht
ä n b e r e. $ iefe
93orauSfe{jung ift
aßerbingS erfüllt,
3. 93. wenn bie
3eid)enfläd)e eine
Sbene ift; in biefer
fann ein ®reied in
©ebanfen beliebig
üerfdjoben werben, ohne baß bie 9GBinfel, ©eiten unb ber gläcben*
inhalt eine 9lenberung erteiben. ®ieS gilt auch nod), toenn wi*
unS bie 3e^enebene 3U einer Splinberflädje ober Stegeifläche
aufgeroUt benfen; auf ber fo entftanbenen Segelfläche 3. 93. läßt
ftd) baS $reied 3toar mit 93iegung, aber ohne Dehnung ober
3ufammcn3iehung, atfo ohne 9lenberuitg 001t ©eftalt unb Sn^aft
beliebig fortbewegen. 9lttberS bagegen bei einer Sifläcße; auf
einem @i würbe ein barauf gepaßtes glädjenftiid galtung er«
fahren müffen, wenn man eS nach ber ©piße beS SiS hin fo
bewegen wollte, baß eS ftetS gan3 auf bet glädfe aufliegt.
2ttan fieht alfo, baß bie ÜKöglid}feit, burch Slufeinanberlegen
3Weier glädjenftüde üjre Songrueit3 3U beweifen, burchanS feine
(574)
3ig. 2.
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9
uttbefdjränfte ift, baß in jenem Verfahren ein wirtliches ißoftulat
fich oerbirgt. Sben ^ieroon ^anöelt nun baS achte 2ljiom;
biefeS ftellt folglich feine iRotljroenbigfeit bar unb ift alfo un<
beweisbar; eS fagt unS, baß nur auf beftimmten glätten
(j. 33. bet @bene, ßhlittber* ober Segelfläche) bie $or»
berung 8 erfüllt loirb; wollten toir un« bie Aufgabe
ftelleu, eine ©eometrie auf ber @ifläcf)e auSjubilben, fo müßte
bie gorberung 8 *tl SSegfaö fommcn.
Solcher flächen nun, welche biefe Sigenßhaft hoben, baß
gläcfjenftüde in ihnen ohne $eljnung ober 3ufamnten$iehung
oerfchoben werben föttneit, giebt
eS unzählig oiele; eS fiitb bie in
fich fongruenten, in fid) gleichartig
gefrümmten glächeit, bie foge»
nannten „flächen oou fon*
ftantemSRaß ber Krümmung"
(babei unter KrümmungSmaß einer
fläche in einem ißunft oerftanbeit
baS ißrobuft ber Krümmungen nach
gewiffen jwci ju einanber feuf*
rechten ^Richtungen). ÜJtan unter*
fcheibet breierlei Wirten folchcr
gläcßen. (SrftenS bie flächen mit jogenanntem fonftanten
pofitioen SrümmuttgSmaß; bieS finb folche allenthalben gleich*
mäßig gcfrümmte flächen, bie überall nach berfelben Seite hof)l
finb, Wie j. 93. bie Kugelflächen; jweitenS bie flächen mit foit-
ftantem negatioen KrümmungSmaß, bie nach berfelben Seite
hin tßeilS fonfao, tljeilS fonoef gebogen finb, nach 2trt oon
Sattelflächen; cnblidj bie glädjen mit fonftantem SrümmungS*
maß ÜRutl, mie 5. 93. @bene, Segel, ßplittber.
@S läßt fich beroeifen, baß innerhalb irgenb einer ber brei
©attungen jebe fjfäc^e auf eine beliebige ber gleichen ©attung
(WV>
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ohne Segnung ober .gufammenjiehung aufgebogen werben fann;
fo [affen fid) alle benfbareit ftcgelfladjen, (fpliitberflächen, ab>
wirfelbaren ©chraubetifläd)en u. f. tu., wenn man fic ficf) nötigen-
falls ttaef) einer ©eraben aufgefdjnitten benft, fämtlid) in eine
Gbenc nmbiegen.
2Bir ^aben ba^er nur nötljig, brei fpanpttppen $u be>
betradjten: bie Stugelflädje (gig. 3) als SppuS ber glätten
fonftanteit pofitioen ÄriimmungSmafeeS; bie Jraftrijflacbc
(gigur 5), geftaltet etwa in gorm eines umgefeljrten gefdjtueiften
GhanipagtierfelchS mit unenblid) ocrlängerter ©pijje, als befonberS
einfadje unter bett glädjett mit fon-
ftantem n?gatioen StrümmungSmüfi;
enblicf)bie Sbene als jRepräfentantin
ber glcidjett mit fonftantem Jtlrüm*
mungSmafi 9lutL
giir alle biefe brei gladjen trifft
bie SSorauSfefcnng 8 ju, baß fie in
fid) oerfd)iebbar finb; ober anberS
auSgebriidt: wenn man fid) oerftanb-
begabte jweibimcnfionale SBefen
benft, tucldje eine fold»e gläd)t
bewohnen unb weldje nicht oon ben ©ebilbett außerhalb
ihres fläd)enf)aften fRaunteS, fonbern nur oon benen innerhalb
ihrer glädje SBafyrncf) mutigen hoben fönnen, uott lederen aber
in äl)n[id)er SBeifc, wie wir SDienfdjen oon benen unfereS fRaumcS,
fo müffen biefe SBefen ihren jweibimenfionalen fHautn als einen
gleichartig gefrümmten erfennen, wenigftens falls ihre eigene
[Bewegung innerhalb ber glache eine ungef)inberte ift.
Sie geraben Stnien auf einer folcfjcn glädje werben für
jene SBefen bie fürjeften SSerbittbuttgSlinien jtoifdjen je $mei
fünften ber glache barfteöen, alfo bie Sinien, weld)e oon gäben
gebilbet werben, bie ohne [Reibung auf ber gläche gefpannt
(ÖT6)
a
b
p
< fir
Q
c
%
S'8- ^
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11
werben, ober bie fogeuantiten geobätifcfjcn Siitieit; biefe finb
tbentifrf; mit benjenigen, melrfjc ein mit feiner {Bewegung an bie
glätte gebunbener ÜRaffenpunft auf ©runb einer gegebenen
Slnfangsgefdjwinbigfeit befdjreibt, faßS feine dufferen Kräfte auf
iljn wirfen. SBir werben biefe Sinieit fiinftig einfad) mit
„Sürjefte" ober „©erabefte" be$eid)nen (offne übrigens ©erabe
burdj Stürmte befiitiren ju woflen).
©uctjen wir uns nun ber {Rcilje ttad) oon ber ©eomctrie
auf ber fiugelffädfe unb ber Sraftrijfläcfye einen Söegriff ju
machen, um fie berjenigcn auf
ber ©bene gegeniiberjufteßen
unb bamit ben tieferen Sinn
ju erfahren, ber ben Voraus*
fe(jungen 11 unb 12 unter"
liegt.
3unöcf)ft bie ©eometrie
auf ber & u g e 1 f I ft d) e
(gigur 3); alfo bie {Raunt-
anfe^auungett, weldje in«
teßigentc gweibiitteufionale
SBefen auSbilben würben,
bie mit iljren {Bewegungen
auf biefe glädje befdjräuft
Wären. Sie fürjeften Sinien fittb ©rofffreiSbögen. {ßaraßele
©erabefte giebt eS überhaupt niefjt; bejw. bie fünfte, welche
non einer ©erabefteit iiberafl bie gleite fiirjefte (Sntfernung
Ijaben, liegen auf einem ftlcinfreiS (ißaraßelfreiS); ferner trifft
nicf)t aßein baS Sljiom 8 ju, fottbern auef) bie {BorauS-
fefcung 11; beim wenn jwei ©erabefte a unb b ooit einer
britteu c gefdfjnitten werben, fo begegnen fie fief) ftets in enb-
liebem Slbftanb (in R unb R1), mag SSinfel a mit ß ju-
fammett ntefjr ober weniger als jwei {Rechte ober attdj jwei
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SRecßte felbft betrogen. SBenn alfo gwei jener S33efeit öott gwei
fünften P unb Q einer ©erabeften c fenfredjt gu festerer ab»
geßen unb auf ber (beliebig groß gu benfenben) ßugelfläcße mit
gleichen ©efißwinbigfeiten auf ©erabeften a unb b wanbern, fo
werben fie anfangs nießt hoffen, fid) jemals wieber gu begegnen, —
wie eS auf ber ©bene (gigur 4) in ber £ßat nießt ber gatl
wäre — , unb bod) träfen fie fieß in gwei fünften, in R unb R’.
2)aburcß, baß fie wieber gu beit SüluSgaugSpunften P unb Q
gurüdgelangen, wäre für fie ber SRacßweiS geliefert, baß ißr
fläeßenartiger 9iaunt nießt ber unettblicße ift, für ben fie ißn
oieöeicßt anfangs gelten, fonbern baß er enbließ, begrengt ift, —
äßnlicß wie itadj ber erften ©rbumfegelung für bie SBerooßner
ber ©rbe bewiefen war, baß biefe nießt bie unenbltcß große
©treibe ber antifett SSeltanfcßauung tft. UebrigenS gilt biefe
SBemerfung2 natürlich nur bann, wenn jene SSefen innerßatb
ißreS gweibimenfioitalen SRaumeS ungeßinberte ©igenbewegung
befäßen. SJBären fie an bie SBeweguttg anbercr gweibimenfionaler
Körper (Planeten) gebunben, fo gäbe eS für fie feinen abfolut
fijen Sßunft in ißrem SRaum, oou bem fie behaupten fönnten,
baß fie gu ißm als SluSgattgSpunft wieber gnrücffeßrten; ißr
Üiaum müßte ißnen baßer unbegrengt erjeßeinen, wäßrenb wir
wiffen, baß er enblicß ift.
SDie ©umme ber SBinfel in einem SJDreieef auf ber Äugelpcße
beträgt meßr als gwei SRccßte, baS 55reicef P Q R g. SB. beftßt
in P unb Q gwei reeßte SBinfel, wogu noeß ber SBinfel bei R
fommt. ferner feßließen gwei ©erabefte ftetS eine enbließe glüeße
ein; eS gilt alfo baS Sljiorn 8 unb 11, jeboeß nießt baS Sljiom 12.
Sünbererfeits läßt fteß ßinficßtlicß ber ©eometrie auf ber
SEraftrijrfläcße geigen, baß gwei ßürgefte feinen enblicßen
gläeßenraum einfeßließen (Sljiom 12), unb baß ein S)reiecf oßtte
Slenberung ber SDimenfionen [m ber gtäcße oerfeßoben werben
f .mn (Sljiom 8). dagegen fittb bureß einen Sßunft Q anßerßalb
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einer &iir$eften a nicf|t nur eine, fonbern unjäljlig öiele biefelbe
niemals fdjneibenbe Sürjefte möglid); biefe alle finb begrenzt
ton jwei 1) unb b’, rodele bie ©erobere a in bereit jwei
toneinonber »erjcfjicbenen unenblicf) fernen fünften treffen;
a(fo aud), wenn « unb ß jufammen Heiner als jwei SRedjte
finb, brauchen fief) a unb b nidjt notf|Wenbig in einem ettblid)
entfernten ißunft ju begegnen.
|>ier fjaben wir alfo bie ©eometrie »or uns, welche auf
baS ^araQelenafiom 11 öerjid)tet, bie fogenannte „niefjb
(hiflibifdje" ©eometrie: bie SBinfelfumme im £reiecf ift für
biefelbe Heiner als jwei 9tecf)te.
Settrami l)at bie ©eometrie auf
ber £raftri£fläd)e baburcf) auf bie Sbene
abgebilbet, bajj er (fjig. 6) ben unenb-
lid) fernen fünften ber glädje bie fünfte
einer ÄreiSlinie juorbnet; eine ©erabe a
befi^t bann jwei uncttblid) ferne fünfte
U unb U1; burd) einen ißunft Q au§er*
Ijalb laffen ftd) gwei bie erfte in beren
mtenblidj fernen fünften fefmeibenbe ©eraben b unb b1 legen,
bajwifdjen liegen unjäfjlig Diele nidjt ©djneibenbe. (3ntereffant
ift, bafj bie imaginäre ©infjeit i, bie Ouabratrourgel aus — 1,
fjier eine Siolle fpielt. ®ie nid)t.@uHibifd)e ©eometrie läfjt fid)
als eine foldje auf einer imaginären föugelflädje auffaffen; man
brauet nur bie ©eiten a, b, c eines SugelbreiedS burd) ai, bi,
ci ju erfefcen; bie auf biefe Söeife fid) ergebenbe ©eometrie
befiel bie ©igenfdjaften ber nidjt-Guflibifdjen, mit ber ÜluSnaljme,
baß ifjr feine ?lnfdjaulid)feit gufommt; bagegen laffen fxef)
auf einer foldjen imaginären ftugelflädje Ereicde uidjt nur
olfne SJefjnung ober .gufammengieljung, fonbern aud) offne
Biegung Derfdjiebett, wie auf ber reellen Alugel. SluS ben
erwähnten ©rünben fprid)t man ftatt non nidjt-Suflibifdjer ©eo<
(679)
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14
metrie audß oft uon „pfeubofpfjärifcßer" ober „imaginärer"
©eometrie.)
Äurj, ftetlt man nurbalacßte Slyiom atl Soraulfeßung
auf, fo Reifet bieS: mir treiben ©eometrie auf irgenb einer glätte
uon gteidjmäßiger Krümmung, alfo um nur bie |>aupttt)peu ju
nennen, entmeber auf ber Äuget ober auf ber ißfeubofpßäre
ober auf ber ©bene; läßt man bal elfte Stjiom ßinjutreten,
fo ßeißt biel: mir treiben ©eometrie auf ber Äuget ober ber
©bene; enbticß mit .fjunjunaßme nodj bei jmölften Stjioml
mirb audj bie Äugetgeometrie aulgefdjtoffen, unb el ßcißt: mir
treiben ©eometrie auf einer gtädje oom fonj'tanten Äriimmungl»
maß 9ZuH, etma fpecieH auf ber ©bene.
2>ie ©uffibifcße ©eometrie fteßt atfo in einer gemiffen SBeife
in ber SDZitte jmifdjen ber fpßärifcßen unb ber pfeubofpßärifcßen
©eometrie; in ber erfteren ift bie SSinfelfumme einel $reiecfl
größer, in festerer fteiner all jmei 9lecfjte, in ber ©uftibifdjen
©eometrie gerabe gteicf) jmei Siebten. 2>ie ©eometrie Suflibl
fann alfo all ein ©ren^fatl fomoßt ber einen all ber anbcrn
jener ©eometrieit aufgefaßt merben; mie ber Äreil all @renj<
faü ber einbefdßriebeiten ober ber umbefdjriebenen regulären
ißotpgoite, ober mie bie ißarabet atl ©renjfatt oon Gttipfe ober
^pperbet.
®ie große SSicßtigfeit biefer Unterfliegungen liegt barin,
baß bamit bal alteingemurjette SBorurtßeit abge«
feßüttett mürbe, all fei bie ©uftibifcfje ©eometrie bie
einjig benfbare, ni cf; t üielntefjr nur ein fpecieller
galt aul einer unenblidjeit 3Q^ 0011 ©eometrien,
bie ebenfo miberfpru eßlfrei aitfgebaut merben
fönnett.
Stnatog fann baran gebadjt merben, eine «Stereometrie
unter bem ©eficfjtlpunft auljubitben, baß ber breibimenfionate
©rfaßrunglraum unferel ©eficßtl« unb STaftfinnl all ein fpecieller
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wirtlicher Jall aug einer unenblidjen Slnja^l von benfbaren
Jollen einer mehrfachen quantitativen 3)?annigfaltigfeit betrachtet
tüirb. —
SBir finb in feiner SBcife im ftanbe, einen [Raum von
mehr £}imenfionen ober von anbereu ©igenfc^aften ung vorsu*
[teilen, alg bie fRaumform befipt, in welcher fid) für ung bie
©egenftänbe orbneit, ober — »oie fßrofeffor Äummer in feiner
[Borlefung fid) augbrüdte — alg „ber [Raum, welchen unfer
lieber Herrgott für ung erfchaffen hat"- SBo^l aber vermögen
wir eine anbere berartige SRannigfaltigfeit ju befiniren, 511
benfen. Unmöglich ift ja für ben SDfathematifer nur, wag
fid) felbft wieberfprid)t, wie eine frumme ©erabe ober eine
ct)linberfönnige Sugel. ©ine [Reihe von ©ebanfenbiitgen, mit
beiten wir operireit alg mit ganj vertrauten 2)ingen, finb für
ung ebenfo unvorftetlbar; bag Uitenblichgrofje, bag Unenblidj*
fleine, bie unenblid)c [ßunftmannigfaltigfeit auf ber Strecfe, bie
©renje eineg uitenblicheit ®e3imalbruchg, bie imaginären Sreig»
punfte ber ©bene, bie äSirfung von fträften in bie Jerne, bag
®ing an fid), — aöeg bag finb blojje ©rjeugttiffe unfereg
SDenfeng unb unvorftetlbar.
befiniren wir ung alfo „[Räume" von brei 3>imenfioneit
mit anberen Gigenfd;aften, alg ber @uflibifd)e @rfaf)runggraum
befi^t, fämtlich enthalten in ein unb bemfelben vierbimenfionalen,
unb allgemeiner [Räume von beliebig vielen 2)imenfionen. $>ieg
gefchieht burch folgenbe Ueberlegung.
SSenn wir, mit unfereit itforftetlungcn ^crabfteigenb, ein
©erabe alg einen [Raum nieberer Drbming betrachten, fo müffen
wir bemfelben eine $imenfion jufd)rciben; beim ein veränbcrlicher
[ßunft begfelbeit ift in feiner jebegmaligen Sage burch ein ein*
jigeg SLRerfmal beftimmt, bie Slngabe ber bejüglid)en ©ntfernung
beg [ßuuftg von einem beftimmten Slnfanggpunft nach Sänge
unb [Richtung, ober, wenn wir unter 3u9runbe*e9un9 einer
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Sänge als SRafjeinljeit bie Entfernungen burdj bic Slitzaljl ber
9Jiaßeinf)eiten angeben, ift ber ißunft burcf) eine mit einem
SBorzcidfen oerfeljene 3<*f)l beftimmt. (Seite oariable (Entfernung
beS fßunftS oon bem SlnfangSpunft beifjt bie „Äoorbinate" beS«
felbeit, rein analptifcf) biefe 3a*>l eine „Variable".)
Analog ift bie (Ebene als ärocibimenfionaler SRaum anzu<
fefjen; benn ein oariabfer s$unft berfelbett ift burd) Slngabe
Zweier SDierfmale, uämlidj burd) bie Entfernungen beSfelben oon
Zwei ©runbgeraben (Äoorbinatenacpfen) beftimmt. SluS ber zwei-
bimenfionalen Ebene laffen fiel; beliebig oiele Sinien (einbimen-
fiouale fRäume), fpecieK ©erabe, Äreife ic. auSfd)eiben. Slnalptifd)
fönnen mir eine beliebige ©leidjung gtüifcfjen zwei Variablen
auffteHen; biefe repräfentirt, falls nod) gewiffe ©tetigfeits-
bebiugungen erfüllt finb, geometrifcf) eine Äuroe; unb jtuar eine
©erabe, falls bie Variablen nur in ber erften ißotenj oorfommen;
eine §pperbel ober Parabel ober EHipfe, fpeciell ÄreiS, wenn
bie Variablen and) in ber zweiten ißotenj oorfommen jc. SClfo
burd) Slufftcüung einer ©leicfjung zwifdjen gtuei Variablen
fdjeiben toir aus bem gmeibimenfionalen fRaum einen einbimen-
fionalen, eine Sinie auS, burd) Slufftellung zweier foldjer ©lei-
djitttgett ben Schnitt zweier Sinien, einen ^ßunft.
Enblid) auS bem breibimenfionalen ebenen Staunt fönnen
toir in ©ebanfcn beliebig oiele Ebenen, Äugeln, Eplinber :c.,
ferner frumme unb grabe Sinien, alfo beliebig oiele zwei« unb
cinbimenfionale Stäume £)erauSl)eben; analtjtifdj gefdjiel)t bieS,
inbem eine beliebige ©leidjuttg siuifdjen brei Variablen oorauS-
gefcjjt wirb; enthalt biefe bie brei SSariablen nur in ber erften
$otenj, fo ift bamit eine Ebene auSgefdjieben ; burd) jroei gleich-
zeitig befteljenbe bevartige ©leidjungen wirb ber ©dfnitt zweier
Ebenen, eine ©erabe befinirt u. f. f.
S$crfud)en wir, biefeS Verfahren fortzufefcen, fo läßt unS
bic Slnfdjattung im ©tid). Stid)tS f)'nbert unS aber, eine
(r*2j
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©leidjung jruifc^en Dier Variablen aufjufteßen unb bamit einen
üierbimenfionafen 9taum p befiniren. f5aö3 in &er ©letc^ung
bie öier SSariablen nur in ber crften ißotcng erjdjeinen, fo ift
burd) biefelbe ein ebener breibintenfionaler, unfer (Snflibifcher (Sr-
fa^rungSraunt au«gefchieben; fontmen bie Variablen nnr in ber
gmeitett i^oteng Dor, jo honbelt eS fid), unter geroiffen ©cbin»
gungen, um einen fugeiförmigen breibimenfionalen jRaunt u. j. m.
3u einem Dierbimenftonalen 9?auin finb oljo unenblid) Diele ebene
unb gefriimmte breibimenfionale enthalten, mie in unjerem 9iaum
unenblid) Diele ebene unb frumme glädjen. 3)ie CSigenfcfjaften
jpecieß eine« fuge! förmigen breibimenfionalen 9taumes
bot fpelmholh3 näher befprodjen; ein fold)er 91aum wirb fidj
p unferem ebenen (Srfa!jrung«raum Derbalten mie bie EreiSlinie
pr ©eraben, bie Engel pr (Sbene; alle ©erabefteit in einem
foldjen 9iaum führen baljer mieber in ftd) priitf, ber 9taum
felbft ift alfo ettblid).
$ie $ljew’e ber bifr-, fünf-, überhaupt mehrbimenfionalett
IHäume mürbe Don 91iemaun, §elmf)olh, Eroncder, bann Don
Eiein, ©Riegel, Srill, Edling, 53eej au«gebaut; e« mürbe bie
Siehre Don ben 9iaumfurDen unb gläd)en, bie Erümmung«theorie,
bie Sä^e Don (Suler unb ®upin, ba« Sreiförperproblem, ber
Sah über bie Slnpbl ber regulären Eörper u. a. auf einen
9ttaum mit n 3>intenfionen au«gebehnt.
$er .fpauptauftoff, bem man bei Saien immer mieber be-
gegnet, liegt barin, baß gefagt mirb, e« fei ein Unbing, biefe
mehrfach auägcbeljnteu 9)fanuigfaltigfeiten noch „9täume" p
nennen. $em gegenüber ift feftphalten, bah für ben 9Jlatl)e-
matifer jene mehrbimenfionalcn 91 ä u m e itid)t« au-
bere« fein follen al« analt;tifd;e giftionen, benen erft
bann etroa« SBorftellbare« entfpricht, menn bie hinten-
fionljahl n = 3 ift. 2Ber eS oorgieI)t, einen nagen 9lu«brurf
mie „ÜJfannigfaltigfeit" ober „Crbnungäfhftem" (2oj)e) ober
Sammlung. ». g. V. 112. 113. 2 5S3)
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bie ©qeic^nung burd) einen Sudjftaben mit Snbej Rn bafür
311 öerwenben, bem fann bied unbenommen bleiben. Ob jene
höheren fRäume ej;iftiren ober nicht, barnad) fragt ber üHattje-
matifcr gar nicht, ba fie bloß Srjeugniffe feines eigenen SenfenS
finb. SBenn ber ÜRatßematifer 3. ö. oon bem ÄrütnmungS*
maß eines n-bimenfionalen fRaumeS fpridjt, fo ift er fidj bewußt,
bah e§ fid) babei um einen bloßen fRedjnungSauSbrucf ßanbelt,
bem feine 2Infd)anlid)fcit meßr ^ufotnmt, wenn 11 größer als
2 ift. $011 ber ©erecfjtigung unb bem fRußen jener Segriß’S*
crioeiterungen mirb fpäter beS Näheren bie Siebe fein.
SßorfteÜbar finb, tuie erwähnt, jene höheren SJäunte nicht,
unb Stant fud)t gerabeju bie grage ju löfen, njeS^alb mehr*
bimenfionafeit SRäumen gegenüber bie menfdjlidje SJorfteüungl*
fraft oerfagt („©ebanfen oon ber wahren ©d)äßung ber lebenbigen
Kräfte", ©ef. SBerfe ©anb V., § 9 — 11): „. . . ^emjufolge
halte ich bafür, baß bie ©ubfta^en in ber eyiftirenbcn Seit,
wooon wir ein £f)eil finb, wesentliche Strafte oon ber Slrt
haben, baß fie in ^Bereinigung miteinanber nach bem hoppelten
umgefehlten SBerßältniß ber Sßciten ihre SSirfungen oon fid>
auSbreiten; 3weitenS, baß baS ©auje, baS barauS entfpringt,
oermöge biefcS ©cfefceS bie ©igenfchaft ber breifacßen Simenfion
habe; brittenS, baß biefeS ©efeß willfürlich fei unb baß ©ott
bafür ein anbereS, 311m Stempel bes umgefehrten breifachen
SBerßältniffeS hätte wählen fönnett, baß enblicf) oiertenS auS
einem anbern ©efej) and) eine SuSbehnung oon anbern Sigen*
fcbaften unb Slbmeffungen gefloffen wäre .... ©ine SSif fern
fcßaft oon allen biefen möglid)en fRaumeSarten wäre
unfehlbar bie fjöchfte ©eometrie, bie ein enblicher SBerftanb
unternehmen fönnte Sie Unmöglichfeit, bie wir bei
uns bemcrfen, einen SRaurn oon mehr als 3 Slbmeffungen uns
oor3uftellen, fcheint mir baßer 3U rül)ren, baß unfere Seele
ebenfalls nad) bem ©efej) beS umgefehrten hoppelten
(5*4)
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19
93erf)8ltniffeS ber SBeiten bie ©iubriicfe Don braunen
empfängt1 uub baß ifjre Statur felber baju gemodjt ift, nidjt
allein fo ju leiben, fonbern aud) auf biefe SBeife außer firf?
ju mirfen." 9iimmt man noch bie furj barauf fotgenben
SSorte Kants fjinju: „2Benn eS möglich ift, baß eS SluSbelp
nungen oott anbern Slbmeffungett ($)intenfionen) gebe, fo ift
eS auch fefjr mahrfdjeittlid), baß fie ©ott irgenbmo attge=
bracht hat," fo feljen ©ie, baß mir ttnS auf einmal mitten in
beit metapfjpfifdjen fragen beftnben.
SSentt mir alfo jeßt ben fidjent Soben ber mathematifchen
gorfdjung üerlaffen unb bem nebelhaften ©cbiet ber £ranS«
fcenbcntalphhfif uttS jumenben, fo möge gleich anfangs auS*
briidlidj fjeroorgc^obcrt merben, baß eS fid) im folgetiben jtt*
näd)ft um eine bloße Darlegung ber roichtigften, im Saufe ber
3eit aufgefteflten, bieSbe^iiglidjen Theorien unb erft meiterf)in
um eine fritifdje Seleudjtung berfelben l)a»&cln foH.
3d) perfönlid) üermerfe bie meiften ber folgetiben Jhcoriett
atS ^^antaftereieit; aber aud) auf biefem ©tanbpunft bietet
es citt großes pljilofophifdjeS, mitunter aud) pftjc^iatrifdjeS 3n«
tereffe, anjitfeljett, mie, nad)bem ber fRaumbegriff jene ungeahnte
Srmeiterung erfahren ^atte, biefe auf bie tiefgel)enbften rneta*
phhfifchett unb pft)d)ologifd)cn gragen angemanbt mürbe.
2. Zöllner5 mar burd) feine aftrophhfifalifd)en Unter«
fitdjuugen, befonberS über bie ÜRatur ber Kometen, auf bie
grage nach ber 3°^ ber 5'ffterne unb bamit nach ber @ttb«
lidjfeit ober Uneitblidjfeit beS SRaumeS uub beS im
Uninerfum enthaltenen ©toffeS geführt morben.
3|t ber 9?attm unb bie SRaterie enblich ober nicht?
SBerljältnißinäßig einfach mar bie grage für bie alten
griechifdjen ißhil0i0Phen-6 Weber ber großen ©d)eibe, auf ber
bie SOlenfchen mohnten, mölbteit fich, mie bemeglidje große ©las«
fugein, bie fiebett ©pljären ber Planeten; auf einer meitereit
2* (586)
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20
adjten Siugel, bem primum mobile, waren bie unjäßlig öielen
gi;rfterne attgebracßt; unb oben auf biefem JreibßauS faßen bie
©ötter ©riedjenlanbS nnb „amüfirteit ficß föftlicß über baS wum
berlicße Treiben ber SDtenfcßen barunter", gür biefe Kosmologie
war fomit ber 9iaum enblicß, wenn aucß unermeßlicß groß.
Slber bie neue aftronomifcße Seßre jerftörte biefeit ganjen
Sau , unb ein eubfofer ^intmel mit einer enblofen Sdjar ge-
waltiger ©eltförper öffnete ficf) bem geiftigen Slicf. $er SDlonb
bewegt fid) um bie Grbe, biefe um bie Sonne; 9JtiQionen »ou
Sonnenfpftemett erfüllen beit iDiilcßftraßenriug, ber felbft wieber
nur ein Snbioibuum in einem größeren ©attjen ju fein fcßeint.
©iebt es ba ein @nbe? SeibeS, fowoßl baß bie 3a^ ^er
Sonnen enblicß, als baß fie unenblicß fei, läßt fid) fcßeinbar
Zeigen. ©eftatten Sie mir, baß idß beibeS beweife.
©rfleitS ber üorßattbene Stoff ift unenblicß. ®enn wäre
er enblicß, fo fönnte bie enblicße ©aSntaffe auf ©runb beS
SNariottcfdjen unb fftewtonfcßen ©efcßeS nicßt im ©leußgewicßt
fein. Sei bem Seftreben ber ©afe, fid) im Jiaum auSzubeßnen,
müßten fid) bie größten enblitßeit SDlaffett in bent unbegrenzten
9iaum fortbauerub bis jum Serfcßwinbctt verflüchtigen , in ein
Aggregat biSfreter ©aSntolefüle non fonftanter unb grabliniger
©efeßwinbigfeit auflöfeit, bereit mittlerer Ibftanb unenblicß groß
ift. 2)ie $icßtigfeit beS ©afcS würbe nad) unettblicß langer
3eit unenblid) Mein geworben fein unb ber 5Haum für unfer
9Iuge als eine nießt mit SDfaterie erfüllter, als twllfommen leer
erfeßeittett. $ieS ift ttidjt ber gall; burtß bie Sfiftettj ber uns
finulid) oerneßmbaren SBelt finb wir empirifcß jur Vlmtaßme
einer wenigftenS partiellen ntatcriellett Üiaumerfülluttg gezwungen,
golglid) ift bie SorattSfeßung unrichtig uttb fomit bie SDiaterie
utieitblid).
2)ie SluSflucßt, burd) beit umgebenbeit Sletßer werbe auf bie
äußere ©renzfcßidjt ber enblidjcn ©aSmaffe ber erforberlicße
1586)
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2>ruöf auSgeiibt, ift un$uläffig, ba ber 2letf)er alle Slörpcr, alfo
aud) bie fluft burd)bringt. Gbeufo bie Slnnaljme einer io
niebrigen Temperatur jener ©ren$fcf)id)t , baß bie ©afe if)rc
elaftifcf)c Straft Doßftäubig öerlierett uitb tropfbar fliiffig werben,
entfällt burd) bie Ueberlegung, b aß bie enblidje Suftmaffe oon
beit 2öärmeftra£)len ber ©onneti allenthalben in cttblidjer Gut-
fernnng getroffen würbe.
GS bliebe übrig bie §ppotl)efe einer Segrcn^mtg ber 3 eit,
welche feit ber Gyiftenj ber SBelt biö auf bie ©egenwart oer*
floffen ift, alfo bie Mitnahme eines ©djöpfungSafteS, burdj
welchen ju einer itt enblic^er Vergangenheit liegenben 3e>t ein
beftimmter MnfaugSjuftanb ber 28elt begonnen hat, ber fid) nun
fortbauernb in einer für unfere ©intte unb 3citräutne tutmerf*
ließen Söeife bem öorbin erwähnten Gnbjuftaub ber ©toffuer*
flüchtiguug unb allmählichen Sluflöfuitg ber SBelt in ÜJfidjtS
nähert. Sine foldje VorauSfejjuug würbe (für 3adner) feine
logifdje, fonbent nur eine willfürlidje Vegrenjung ber Staufal»
reihe cinfcfjliegext, gegen weld)c fic^ ber Vcrftanb auf ©runb bes
ihm innewohnenben ÄlaufalitätSbebürfniffeS fträubt.
3weitenS, ber oorhaubeue ©toff ift aber and) nicht um
cnblich, fonbern enblid). Tenn wäre er unenblid), fo müßte
au jeber ©teile beS materiell erfüllten 9laumeS ber ^Drucf ber
Diaterie unenblid) groß fein. Teuft man fid) närnlid) eine
enbliche Quantität gasförmiger ober flüffiger ober fefter fDtaffe,
weld)e unter bem Ginfluß ihrer Sträfte bie ©eftalt einer Singel
angenommen hat, fo ift ber Trucf im Gentrum ber Slugel
proportional bem fJlabiuS ber Slugel. ©od alfo bie SDiaffe eine
unenblidje fein, fo müßte aud) ber SRabiuS ber Slugel einen
unenblich großen SBerth befifcen, unb an jeber oom Gentrum
gleid) weit entfernten ©teile wäre ber Trucf gleid) unb uttenb*
lid). Sine unenblich §ltmofpäl)re würbe mit unenblichent
Trucf auf uns lafteu unb uns 31t ©leinen preffen.
22
SKocß meßr; 0 IberS7 loieS barauf ßin, baß bie SInnaßme
einer unenblidjen 3aßf »on Hidjt unb SÖÄrme auäftraßlenben
ftörpern (giffternen) notßwenbig ju bcnt Scßtuß fiißrt, baß b a$
ganje Himmelsgewölbe überall mit einem ©Ianj unb einer
SBärme [trauten müßte, wie gegenwärtig bie Sonnenfcßeibe.
2öir Ratten fcßeinbar nur eine einzige ungeheure Sonne. Söian
fönnte eintuenben, baß in bern jwifeßen ben SBeltförpern be*
finblicßen 2)iebium bie Sidjtftraßlen abforbirt werben; bann
würben aber aucf) bie SBärmeftraßlen abforbirt unb jenes SDic«
bium würbe unenblicß erwärmt fein, waS nidjt ber gall ift.
SUfo ift ber Stoff enblicß. ©r ift aber and) nidjt enblicß; benn
wäre er enblicß .... unb fo fort, aurücf jum Anfang, in
infinitum.
?luS biefem Sabßrintß oon feßeinbaren SBiberfprücßen
weiß fid) 3öQ»er nur bureß bie Hintertßiire ber oierten
©imenfion ju retten.
$>ie ©igenfeßaften, bie Wir bem SRautn beilegen, finb me-
fentlid) empirifeßen UrfprungS. 3n bem primitioeit 3uftanb ber
unbewußten ©erftanbStßätigfeit beS ÜJient'cßen werben bie bureß
finnlicße ©mpfiubungett erzeugten ©Über ber Sfeßßaut auf eine
glädje, alfo einen jweibimenfionalenfRaum bezogen. 3U’C^ Cbjefte,
weldje ßiutercinanber fieß bewegen, feß einen in biefer gläeße
in eigentßiinüicßcr SJeife fieß gegeufeitig ju üerfcfjieben, ju oer*
beden, aueß ißre ©eftalt ju änbern. Um biefe auf jener ©nt*
wicftungSftufe rätßfelßaften ©rfeßeinungen 31t erflären, faß fieß
naeß ber Slufidjt 3öüuerS ber ©erftanb 31t einer Hßpotßefe über
bie ©efdjaffenßeit beS SRaumeS genötßigt, unb 3U ben jroei
2)imenfionen be$ SRaumeS würbe bie britte gefügt. lie fort*
wäßrenb beftätigte ©idjtigfcit biefer ^ßpotßefe bei ©rflärung
ber ©inwirfungeu ber Außenwelt erßob biefe Hßpotßefc 3U einer
folcßen ©ewißßcit, baß wir gar nidjt meßr im ftaitbe finb, oon
biefer ©efdjaffenßeit bcS ffiaumeS ab3ufeßen.
(5SS)
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23
Kerfelbe Vorgang geigte fid) in ber aftronomifdjen Er*
fenntnifj. Zur Srftärung ber fdjeinbar auf einer Äugelflädje
bor fid) geljenben ^Bewegungen ber |>immet$törper, wetdie g. Kf).
regeüofe ffia^nen am Fimmel gu befdjreibcit fct)einen („fßlaneteit"),
war man genötigt, eine Kiefenbimenfion beS Himmelsgewölbes
aitgunef)men, unb bie fompligirten ^Bewegungen im gweibimen*
fionalen 9iaum, auf ber Äuget, uerwanbelten fid) in f)öcf)ft ein*
fad)e ^Bewegungen im breibintenfionalen.
ES genügt, einen 6d)ritt weiter gu getjen unb eine gweite
Eigenf<f)aft unfereS fHaume« angunefjmeu, um mit einem SRate
bie borljin gefdjilberten Sßiberfprüdje entfalten gu fetjen. ©ei
jenen ©eweifen war ftiflfdjweigenb borauSgefefct , bafj unfer
fRaunt ber unbegrengtc ebene £uttibifd)e fei. SDiadjen wir bie
Hppottjefe, bafj er ein fugetförmiger jRaum fei, atfo ein
fotdjer breibimenfionaler, ber fid) gu einem ebenen breibintenfio*
naten fRaum ebenfo berljält, wie bie Äuget gur Ebene, atfo
ein 9iaum, beffen ÄrümmungSmajj nid)t bcn SSJert^ fRull, fonbern
einen wenn aucf) nod) fo ttcineu pofitiuen SSertt) befityt. 3n
einem fotzen finb bie geraben Sinieit burd) ÄreiSlinien erfe^t
gu beuten, bereit fRabiuS beliebig grofj fein fann. Z^ei SRaffen-
punfte, welche fid) boneinanber entfernen, begegnen fid) wieber
unb gwar periobifd) wieberfet)renb in enblid)en Zeiträumen, bereu
©röfje bon ber ©efd)Winbigfeit ber ^Bewegung unb bem Ärüm*
mungSmafj beS fRaumeS ab^ängt; periobifcf) wirb tebcnbige
Äraft in Spanntraft bei Slmtäfjeruug unb Spannfraft in
tebenbige firaft bei Entfernung berwanbelt. KaSfelbe gilt für
beliebige äRaffen. SBclten, bie an einer Stelle beS fRaumeS Ber-
ge ^en, trennen fid), um an einer anberen Stelle mit atibcren SRaffen
gu neuen SBetten gufammengutreten. Kie ©efaljr ber allgemeinen
Stoff* unb Energie*3erftreuung unb bamit beS SBett*
ftitlftanbeS, bie fo bieten Sdjrerfcti berbreitete, feit Kljomfon*
mit allerbingS wenig jRedjt auf ©ruitb beS Eartiotfdjen
(580j
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24
©a^eS3 feine bcfanute £)t)pothefe aufftellte, wäre gliicflid) ab=
gemenbet.
®ett Slnftoß ju biefen 3beett erhielt 3ö^ner burch ^’e‘
mann/0 ber unter atibercm in fofgenber SBeife fid) äußerte:
„@e()t man oorattS, baß bie Körper unabhängig oom Crt
efiftiren, jo ift baS KrümmungSmaß überaH fonftant, uub e£
folgt bann aus ben _ aftronomifchen Sföeffungen (an ©tern*
®reiecfett), baß eS nid)t tmtt 9?ull oerfd)iebett fein faitu; jebcufall&
müßte fein reciprofer SBertl) eine gläcße fein, gegen melcfje ba£
uuferen Steleffopen zugängliche ©ebiet t>erfd)minben müßte."
3n neuerer 3c*t fc^ciiten jette 3ötlnerfd)en Slnmenbungett biefer
3bee auffallenbermeife attdj itt äftathematiferfreifen fid) manche
greunbe ermorbcn ju haben. 9)ioftu führt aus — unb
91. Söeej1* hat bem gegenüber ein atterfeunenbeS SEBort — :
„9}idjt iinmahrfdjeiulid) tft eS, baß fid) nodj in bem abfaufettben
Saljrhunbert allmählich itt beit 93 orftelInng«FreiS ber ©ebilbeten
eine Neuerung brängt, meld)e in 2lrt unb Süebeutung jener
SBorfteflungSänberuitg gleid)ftel)t , meldje tor mettigen 3ahr-
hunberten in SJejug auf bie ©eftalt ber ©rbe unb bie Stellung
berfelben im Sßeltall jum 2lbfd)luß fam. @S I)aube[t fid) barum,
ben Sßeltenraum als unbegrenzt unb bod) cnblich nach $lrt ber
Kreislinie unb ber Kugelfläche zu erlernten unb bamit bie
broljenbe ©pfjin{, meldjc bem armen ©rbenmanbercr unabläffig
baS nermirrenbe Siätßfel t>on bem unettblidjett fRaume oorljölt.
Zu ftürzen; eS hanbelt fich barum, bie graufige Konfequenz oon
ber gerftreuuitg ber ©nergie beS SBeltaÖS zu bredjen unb bamit
eine ^orfteflung zu bannen, rneldje mie ein Sllpbrucf ebcnfo ftarf
auf ber bualiftißhen, mie auf ber moniftifcßen Söeltaufdjauung
laftet; mirb bod) als 3>et ber SBeft eine Skrfümmerung itt
©rftarrung unb üRonotoitie gefeßt. Unb füllte eS and) nicht
gelingen, bnrzulcgett, baß man für baS SEBeltaH bie enbliche,
fpßärifdje 9laumform benfett muß, fo mirb eS jetten bcbriicfettben
(590)
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fragen gegenüber fd;ou al« SBo^lttjat empfunben werben, bafj
man fidj biefe enblidje gorm mit bemfelbeit fRedjte wie bie
übliche naef) feiner 28af)( beuten barf."
©on einem fugeiförmigen fRaum ju fpredfen, bat aber erft
bann einen ©iun, wenn ber ©egriff eiueö »ierbimenfionalen
fKaurne« befinirt unb acceptirt ift, in welchem unenblidj fiele
breibimenfionale SRäume, ebene unb gefrümmte, enthalten finb,
wie in unferem breibimenfionalen fRaum unenblich fiele glädjen.
tiefer Gebaute, baf? nufer fRaum nur ein £bcil eine«
größeren Ganjen ^ö^erer Orbnung fei, lief} 3öüner nicht mehr
frei; um fo mehr al« ihm bamit Stuf f lärmig über eine fReihe
wichtiger gragett bet Ontologie — nach bem ©ertjältnif} ber
Grfdjeinungen ju ben Gingen an fich, nad) ber Sott*
ftitution ber fDiaterie u. f. w. — gebracht fdjiett.
Gr glaubte gerabe^u gewiffe flhatfadjen entbedt ju haben,
weldje bie Gfiftenj f)fi)erec fRäume be weif eit. Um bie
göünerfdjen ?lnfd)auungenis fürs ju ffijjiren, ift e« nötfjig,
etwa« weiter au«juholeu.
SDie 3:^otfache, baß wir überhaupt räumlich forfteüeit, b.
baß wir Gmpfinbuttgen auf Urfachen beziehen tönnen unb müffett,
ift eine for aller Grfahrung, b. i. apriorifcf) unferem ©erftanbe
innewohitenbe gähigfeit. Snfoferu ift ber fRaum, ba« Grseugnifj
biefer fid) bethätigenbeu gähigfeit jurn räumlichen ©orfteüen
überhaupt, eine „9lnfchauung«f orm a priori“, dagegen
ift für Zöllner — unb er glaubt hierin, wie in ben mciften
ber folgenben fragen Äant an feiner ©eite ju finben — ber
fpecieüe 3nljalt biefer Slufdjauungöform, j. ©. ber fon un«
3Renfd)ett angefdjaute fRaum ein ©robuft ber Grfahrung.
$5emt biefe fpecieüe fRaume«art tonnte nur au« benjenigen Gin«
brüefett unb Gmpfinbuttgeit erjeugt werben, wcldje bie un« uer«
liehene Crganifation unjerc« £eibe« fon ber Gefamtheit ber in
ber SBelt überhaupt ejiftirenben Urfadjen (ber $)inge an fid))
empfangen fonnte. (@S »erhält fid) ber SRaumbegriff all
foldjer ju jeber fpecietlen SSorftellung belfelben mie ein
Äolleftiribegriff, 3. 93. ber eines $reiedl, 3U ben ©injeloor«
fteflungen, weldje biefer Segriff umfajjt. SCÖiCt man eine biejem
begriff entfpredjenbe SSorftellung er3eugen, fo tritt uni ein gan$
beftimmtel UDreietf, beffen ©eiten unb SBinfel biefe ober jene
beftimmte ©röfje befifcen, »or bie ©eele; unb biefe fpeciefle
Slnfdjauuug ift empirifdjen Urfprungl, ift nur möglid) für
3emanb, ber einmal ein ®reied gefefjen tjat.)
3ft aber ber u n S anfdjaulidje 9iaum aul $l)atfad)en ber
©rfafjrung entfprungen, bie uttferem SBerftanb burdj bie ©inne
jugefüfjrt merbcn, fo ift el benfbar unb baljer aud) möglich,
bng el Jfjatfadjen ber ©rfafjrttng im ©ebiet unferel räum-
lichen SBorftelleul gebe, bie fiel) nicf)t beroeifen, nirfjt aul betn
^Begriff unferel breibimenfionalen SJtaumeg Verleiten laffen.
©ine folcfje Jfjatfadje erblidt göllner in bem Bunber
ber ©pmmetrie. ©8 ift eine ber 2:l)atfad)en, bie uni all-
täglid) umgeben, unb über weldje ficf) iljrer jErioialität wegen
friiljer ÜJtiemanb gewunbert hatte, mie tmr SJtewton Sftiemanb
über bal |>erabfaflen bei Slpfell »orn 93aum ficf) erftaunte.
35ie ©ntbcdnng biefel SBunberl üinbigirt ßößner für Sant.
„Bir wollen bartfjutt," fagt Äant,u „bajj ber ooQftänbige 93e«
ftimmunglgrunb einer förperlidjen ©eftalt nidjt lebiglid) auf bem
33erf)ältnifs unb ber Sage feiner £f|ei(e gegeneinanber beruhe,
fonbern nod) iibcrbie! auf einer ^ieljuug gegen ben all-
gemeinen abfoluten 9taum, fo mie iljn bie SUfaßfünftler
benfctt, — bod) fo, bafj biefe! SBerljältnijj nidjt unmittelbar
faun mafjrgenommcn werben, aber wol)l biejenigen Unter-
fdjicbe ber Siörper, bie ein3ig unb allein auf biefem ©runbe
berufen: Beim jivei Figuren, auf einer ©bene gejeidjnet, ein-
anber gleich unb ähnlich finb, fo beden fie einanber (tonnen fie
3ur ®edung gebracht werben). SlUein mit ber förperlitfjen
(592)
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27
^luäbeljnung ober aud) bcu Sintert uitb Slawen, bie nic^t in
einer ©bene liegen, i|'t e§ oft ganj anberS bemanbt. Sie
Fönneit oöllig gleid) uitb äfjnlid), jebod) an fid) felbft
fo »erfdjiebett fein, baß bie ©rettjen ber einen nidjt
3ugleid) bie ©rengen ber anberen fein fönnen. 2)a3
flemeiitfte uttb flarftc Scifpiel tjaben mir an bett ©liebntafjen
be$ menfd;ticfjen ßörperS, rneldje gegen bie ®ertifalfläd)e be3«
felben fptnmetrifd) georbnet finb. ®ie red)te $anb ift ber
Cinfen äljnlidj unb glcid), unb tuettn matt bloß auf eine ber*
felben allein ftcfjt, fo muß eine »ollftänbige ©efdjreibung
ber einen in allen ©tiidett aud) oon ber anberen gelten. SBeil
aber gar fein Unterfdjieb in bent 35crfjältni§ ber Sfjeile ber«
felben unter fid) ftattfinbet, fie mag eine rccfjte ober linfe fein,
fo mürbe biefc fpanb in Slttfetyung einer folgen ©igenfdjaft
gänjlid) unbeftimmt fein, benn fie mürbe auf j e b e ©eite beä
tuenfd)lid)en ftörperä paffeit, meldjcS unmöglich ift." genier
an anberer Stelle:15 „2öa2 fanit motjl meiner £>anb ober meinem
£)f)r äfjitlidjer uitb in aßen Stüden gleicher fein, als ifjr öilb
ittt ©piegel? Uttb bemtodj fanu idj eine foldje fpanb, al8 int
Spiegel gefefjen mirb, nidjt an bie Stelle iljreS llrbilbeä fcfjen ;
benn menn biefe§ eine redjte §attb mar, fo ift jene im Spiegel
eine linfe. 2Jfan fatttt bett .^anbfdjul) ber einen fpanb (ofjne
il)ti umjuftiilpen) nidjt auf ber anberen brauchen u. f. f."
®ie ©rflärung biefer SSibcrfpriidje finbet Kant in bem
SJerfjältnijj ber ©rfdjeinungcn jtt ben batjinter liegenben ®ingen
an fid): „Sßaä ift nun bie Sluflöfung: Siefe ©egenftäitbe finb
nidjt etma tßorftellitngen ber ®inge, mie fie att fid) felbft finb,
unb mie fie ber pure Serftaitb erfennen mürbe, fonbertt eS finb
fitinlidje5lufd)auungett, b.i. @r f d) ei ttungeu, bereit ÜDiög ließ feit
auf bem Skrljältnifj gemiffer an fid) unbefattnter ®ittge
$u etma« anberem, ttämlid) nuferer Sinnlidjfeit be-
ruht." darunter ift be3 9täf)eren moljl folgenbcS 311 öerfteljen.
(593!
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28
Stenn mir bei Sonnen« ober Sterjenlidjt baS Sdjatlenbilb
nuferer rechten .jpanb auf einer gegeniiberliegenben SBanb ent«
luerfeit, jo finb wir im flanbe, bcn auf ber SBanbflädje erzeugten
Schattenriß unmittelbar burd) Umfcfjrnng ber fd)attenwerfenben
£attb in fein ftimmetrifcheS ©egenftücf ju oertoanbeln, ohne baß
hierbei au ber .fjaub etwas anbereS oeräubert mürbe, als ihr
räuinlidjeS Serhältniß jur SrojeftiottSflädje. (gegenüber beu
Sd)attenerfdjeinungen in ber jmeibimenfionalen SBanbebene ift
hier bic §anb baS ©ing an fid), baS. „hinter bie Oberfläche ber
Grfdjeinungen guriicftritt“. Slitalog fönnte ein unb basfelbe
Objeft im oicrbimenfionaleit fRaum burd) fßrojeftion fhmmetrifche
Störper in unferem breibimcnfionaten erzeugen (recht^Ijemiebrifc^e
Ätriftaüe — fRedjtStraubenfäure; IinfSl)emiebrifd)e Striftafle —
SinfStraubeufäure).
@8 liegt naße, nun überhaupt bie ganje uni finnlid)
gegebene breibimenfiouale 353 e 1 1 als ein ißrojef tionS«
Phänomen einer anbereu Söelt „an fich" oou oier
©imenfionen nach Analogie einer Sd)atteuprojefti o n
aufjufaffen, alfo als bloßes Sd)attenbilb einer unS nicht
bireft wahrnehmbaren Stell oou Objeften, meldje im Vergleich
ju ber uns gegenwärtigen Störperwelt um ebenfo nie! realer
fitib, wie bie breibimenfionaten Storper realer finb als ihre
Schatten auf ber SBanb, ober ihre Silber auf ber glädje ber
ffteßh'Ud ober ber camera obscura.
©ie Sorftetlung ber ganzen ficht baren Stelt mit ihren
brei ©imenfionen ift ja erft oom Serftanbe lebiglid) auf ©runb
oou Silbern erzeugt worben, welche auf ber Silbfläd)e ber
s3ießhcud, alfo in einem ©ebiet oon gwei ©imenfionen fich bar«
ftellten, ift alfo ein 353 er E unfereS SerftanbeS, ju bem er
burd) bie SBiberfprüdje angetrieben würbe, welche ihm bei Sit.
nähme »on nur jwei ©imenfionen bie perfpeftioiföhm Ser*
^errungen, Serbedungcit, Serfleincruugen ber Objefte barbieten
(&M)
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29
würben. (3n ber wenn ein ßinb feine .fpanb »or bent
^luge bewegt, biefelbe brefjt, nähert ober entfernt, fo erfjält baS»
felbe nadjeinanber bie »erfdjiebeuartigften (Sinbriicfe in ber glad)e
ber SRefcfßiut non einem unb bemfelbeit Cbfefte, »on beffett
3bentität unb Unoeränberlidjfeit es bod) burd) fein ®efüf)t fort»
wäfjrcnb überzeugt wirb. Riefte baS Stinb bte »eräitberlidje
iprojeftion ber |janb in ber gläd)e ber 9teßf)aut für ein reales
Cbjeft, nic£)t »ielmcfjr bie balfinter liegenbe |>anb, fo müßten
fid} beftänbig SBiberfpriidje ergeben.)
(Sinm al alfo f)at, nac^ Zöllners 2lnfidjt, jeber SDfenfcf)
fdjott ju ber urfprünglid) jmeibimeitfiomtfen SRaumanfdfauung,
burd) S53iberfpriid)e getrieben, eine britte SMmenfioit ^in^ugefitgt,
inbem er fid) boran gewöhnte, bie auf ber Sftefctjautflcidje jwei»
bimenfional erfdjeineubeu ©egenftänbe breibimenfiottal »orjuftellcn.
U)ie weitere ©rfenntnifj, bie Sluffaffung ber materiellen 2Bett als
tgcfjattenbilb einer realeren uietbintenfionalen Söelt, wirb, »er»
fünbet 3ößncr, für bie Scanner beS jroanjigften SafjrfjunbcrtS
ebenfo eine Srioialität barfteflen, wie feit GoperttifuS für uns
bie (Jrflärung ber ^Bewegungen ber $imme(Sförper mit £nilfe
breibimenfionaler Slttfdjauungen
©renjett ber Siaturerfenntniß ejiftireu für 3^Hner nidjt.16
t£Bir miiffen bie Sßibcrfprüdfe ju löfen fudjen. 35aS burdjweg
angewenbete Süerfa^ren hierbei giebt ifjm baS 9tiemannfcf)e
Sßrinjip an bie £>anb, „unerwartete SBaljrnelfmungen
burd) Srgänjung ober SBerbefferung bcS ^Begriffs»
fpftemS $u erflären."
9ftan follte faum uermutfjen, baß er bei biefer Stuffaffung
ber (SrfdjeiuungSwelt ©auf} unb ißlato als ©efinnungSgeuoffeu
entbedt ju £)aben glaubte.
Sott ©auf) erjä^lt fein ©iograpf) SBalterSfjaufen:17 er
fjabe öfters als feine innerfte Slnfidjt auSgefprodjen, bie brei
■SDimenfionen beSSRaumeS feien nur eine fpecififd)e (Sigent^iint l icfjfci t
(*»95)
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30
ber menfdjfidjen Seele; fieute, mefcfje biefeö nid)t einfefjen
fönnten, bejeidjnete er einmal in feiner fjumoriftifcfjen öaune
mit bem Kamen „SBöoticr". 2Bir fönnen uns, jagte er, itt
SSefen Ijineinbenfen, bic fid) nur jmeier Simenfionen beroufjt
finb; ^öfjer über unS ftefjenbe mürben uielfeidjt in äfjnficßer
SBeife auf unS fjerabbfirfeu ; unb er fjabe, fuf)r er fdjcrjenb fort,
„gemiffe Probleme Ijier auf bic Seite gelegt, bie er in einem
f| öfjeren 3 u ft a it b e fpäter geometrifd) ju beljanbefn gebähte."
SaS SBeifpiel 'JSfatoS oon ber fpöfjle ber ©efeffelten
im fiebenten Sud) besä „Staats" foH jmar nidjt auf eine be*
mu|te Sfnticipation ber ©efefce f)öf)ercr Käume, aber auf eine
Äfjnung äf)ttlid)er Kaumanfd)auungeit Anbeuten. Ser im Siafog
jroifdjen SofrateS unb ©laufen gehaltene ^affuS ift, furj bar*
gefteflt, fofgenber:
Kinn benfe fid) SDienjdjen in einem f)öf)fenartigen Kaum,
beffen SluSgang nad) bem Sicfjte 511 offen ift, oon Alinbfyeit auf
fo gefeffelt gehalten, baß fic nur nad) bem gunern ber §öf)le
ju bliden oermögen. Sie SBefcucfjtung fomme non einem fjinter
ifjnen in ber gerne bremtenben geuer. gmijdjcn bem geuer
unb ben ©efeffeften, am SfuSgang ber £>öf)fe öorbei, füfjre ein
SSeg, auf bem ©egeuftänbe getragen mcrbeit, auef) Kienfdjeit
gefjen, tfjeifS fpredjenb, tfjeifS fdjmeigcnb. Sie ©efeffeften merbcit
nott fid) unb oon jenen Kienfdjeu uid)ts anbereS fe^eu, afS bie
Born geuer auf bie gegemiberftefjenbe SBanb ber $ül)le 9«*
toorfeneit Schotten; Bon bem ©efprodjenett merbett fie nur baS
ISdjo an ber $öt)Icnmaub Bcritefjmen. Katürlid) merben bie
©efeffeften, menn fie fid) untereinauber umerrebeit, biefett allein
Bott ifjnen bemerften Sd)atteu bie Kamen ber ©egenftönbe fcfbft
geben unb bie Sdjatten ber mirflid)en ©egenftönbe für baS
allein SBafjre galten. SÜBenu nun einer ber ©efeffeften entfeffeft
unb gum 2id)te aufgubfideit genötigt mürbe, märe er, geblenbet
Bott bem ©fange, nid)t im ftanbe, bie ©egenftönbe gu fefjen;
(f>96)
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31
unb »Denn i(jm gefügt würbe, jefct fef)c er richtiger, baS früher
©efetyene fei nur ©aufelwerf gewefen, fo würbe er anfangs
oorjiehen, jenes bodj für wahr $u galten, nicht bie ©cgenftänbe
felbft, unb erft nad) längerer ©ewoljnung bie Sßal)rl)eit erfennen.
Samt aber würbe er wegen ber Seränbcriutg fid) gliidlicf)
greifen unb lieber wiinfdjett, einem bürftigen äftaitne ohne @rbe
baS gelb als Sagelöhner $u befteüen, als unter beit ©efeffelten
derjenige ju fein, ber bie erfdjauten ©chatten ber ©egenftänbe
am fdjärfften erfennen unb im ©ebäcfjtniß bewahren würbe, aud)
wenn eS unter ihnen ©{jrenbejeugungen unb Seloßnungen hier-
für gäbe. Unb wenn ein foldjer wieber in bie |)öf)le ^iitab>
ftiege unb ben früheren ©ij) eittnäfjme, fo würbe il)m, ba feine
?(ugen mit Sunfelßeit erfüllt wären, gefagt werben, er fei mit
oerberbten Slugen ^erabgefommen. „Unb würben bie ©e-
feffelten," fragt ©ofrateS, „nid)t Sen, ber gemanbeit ju ent»
feffeln unb ^inaufgufü^reit »erfucfjtc, fönnteit fie irgenbwie feiner
habhaft werben, fogar wohl tobten?" ©laufoit: ,,©an$ gewiß,
beim 3euS." ©ofrateS: „SBettn bu aber baS 2tuffteigcn nad)
oben unb bie Setradjtung beS oben Sefinblichett mit bem ©id)>
ergeben ber ©eele ju bem Sereidje beS ©ebenfbaren ^ufammeit-
ftedft, fo wirft bu baS, was td) hoffe, nid)t »erlernten, aber nur
ein ©ott weiß wofjt, ob eS mit ber SSaßrßeit jufammentrifft."
Sie ^latonifdjeit Sbeen unb bie $atttifd)en Singe
an f icf) betrachtet fornit ßöKner als räumtidje Objefte »ott meßr
als brei Simettfioiten, bie in bemfelbeit ©inn baS „wahrhaft
©eienbe" barfteden, wie bie ftörperwelt gegenüber ben Silbern
auf ber 9fefcl)aut. (SJfatt wirb fagen bürfen, baß göüner bei
feinem Suchen ttad) ©efinttungSgenoffen hierin ju weit geführt
wirb, unb baß ifUato felbft ber ©rftauntefte Wäre, wenn er
oon biefen feinen oierbimenftonalett 9iaumanfchauungett Ätunbe
erhalten föitnte.)
©uchen wir (immer ltocf» fd)einbar 3öduer fotgenb) bie neu
(597)
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gewonnene $tnftf)auung auf bie rein pf)i)fifalifc^en Probleme anju>
wenbett. 91ad) ©aujj laffen ficf) äße Söirfungen eines 9RagnetS auf
anbere Körper burd) tnagnetifdje gluiba erflären, welche auf
feiner Oberfläche (einem jtueibimenfionolen fRaum) in beftimmter
SBeife oertheilt fittb. ®ie Gntbecfung ber Schiebungen beS SDfagne-
tiSmuS jur Gleftricität legte eS nabe, bie Sertbeilung ber ntagne-
tifeben Jfuiba on ber Oberfläche ber Äörper ju erfetjen burd)
^Bewegungen eteftrifdjer ÜRoIefuIarftröme int inneren ber
Körper, alfo in einem breibimenfionalen fRautn. Slber wenn
and) bie magnetifefjett @rfcf)einungen auf bie eleftrifcben jurüd=
geführt finb, fo ift bod) baS SBefcn ber Gleftricität noch
fo rätbfelbaft ntie jtwor. Söäre eS nidjt bettfbar, bie Sraft ber
<5teftricität unb ber Schwere auf medbanifc^e ®rutf> unb
Stofjfräfte ju rebujirett, inbem ein weiterer Sd)ritt geinagt
wirb? Taff wir eS mit einer wcnigftenS jcf)on biSfntirten grage hu
tfjun haben, möge man barauS erfefjen, bajj einer ber jugleidj
nüdjternften unb fdjärfften Seurtbeiler naturpl)ilofopbifcber
fßrobleme, s.ßrofeffor 2Rad)18 in ißrag, fidj nicht freute, bie
^Infidjt auSjufpredjen : baß „ber ©runb, warum eS bisher nicht
gelungen, eine befriebigettbe Xh^orie ber Gleftricität her^ufteHen,
nief(eid)t mit baran liege, baß ntatt fidj bie eleftrifdjen (Srfdjei-
nungen burdjauS bureb ÜRolefularoorgängc in einem breibinteit-
fionalett fRaum erflären wollte".
fRiemann betrachtete, nach ben SKittheil'ungen eines feiner
•Schüler, „jcbeS materielle Sltom als einen Gintritts-
puttft ber »ierten Simenfion itt beit breibimenfionalctt
IRaum." Gr fagt:19 „Sou biefer $batffldje geleitet, mache id)
bie /pppotbefe, bafj ber SBeltraum non einem Stoff erfüllt ift,
weldjer fortwähreub in bie ponberablcn ?ltome ftrömt uttb bort
aus ber GrfdjeinuugSwelt (ftörpcrwelt) werfdjwinbet. 3» jebes
pottberable Sltont tritt in jebem ülugcnblicf eine beftimmte, ber
©raoitati ouSfraft proportionale Stoffmenge ein unb erfcheint
(••>98)
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33
bort. $ie poitberablen Iförper f in b fjiernadj ber 0rt,
mo bie ©eiftermelt in bie Hörpermelt eingreift."
$ie bielbejüglidjeu ©ebanfen göHncrl uitb SRiemannl finb
moljl burd) folgenbe Sinologie am einfachen Har jn machen.
3n einer ©bene benfe man fid) jmei SJIaffenpunfte, meldje burdj
ben ©influfj einer gegenfeitigen Hnjie^ungSfraft fidj ju nähern
ftrebeit. Serbinbet man bie beibeit fünfte burd) ftarre ©erabeit
mit einem Ißunft im 9ianm mtb benft fid) ben SBinfel biefer
©erabrn jufammengebrüdt, fo ift bie Slnjiebungsfraft jroifdjen
ben fünften in ber jmeibimenfionalen ©bene auf einen mecfja-
nifef»en 3Drud im breibimenfionalen SRaunt juriicfgefüljrt.
3it ber Sltonttbeoric ber ©ßemie l)nt fidj ber Uebergang
öon ber jroeibimenfioualen jnr breibimenfionalen fRaumanfd)aimng
fcßon oolljogen; bal djemifdje SUiolefül mirb als ein Aggregat
oon ©tcmentaratomen gebaut, bie in beftimmter Steife im
Siaum, nidjt meßr mie früher in ber ©bene gruppirt finb.
SEBiöliceimö20 j. 19. mürbe burdj eine Arbeit über bie ißaramildj-
fäure »eranfafjt, bie S3crfd)iebenl)ei t ifomerer SDIolefiile oon
gleidjer Strufturformel burd) üerfd)iebene Sagerung iljrer
Sltome im SRaunt ju erflären.
2>ie Sltome aber ejiftiren bod) nur in unferem 93crftanb.
Gingen, bie mir nie gcfefjen unb nie gelaftet Ijaben, legen mir
bie Sejdjränfungen bes ©efeßcuen uitb ©etafteten auf, ba$u
liegt feine SRotljmenbigfeit »or. 3m ©egentßeil entfielen, fagt
äRad), SRadjtljeile burd) biefe ®efdjränf ungen. SBeitn mir
bie djemifdjeit Sltome nur nacf) brei 2)imeufionen
nebeneinanber gelegt benfen, fo ift bie ^er
benfbaren ©ntfernungen größer, all bie $al)t ber
in biefem fRaum möglidjeit ©ntfernungen. 3n ber Xljat,
ein SDiolefiil bcfteße j. S. aus fünf Sltomen A, B, C, I). E,
0 4
fo finb jroifdjen ifjnen ober 10 ©ntfernungen benfbar, aber
1 . £
Sammlung. ». %. V. 112. 113. 3 (3W)
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34
nur 9 unabhängige ©ntfernungen möglich (gig. 7); b. h- bie
jetinte noch beitfbare Entfernung DE ift oermöge ber ©igenjdjaft
btefeS Raumes fcfjon mitbeftimmt, matt fann über biefetbe nicf)t
mehr frei oerfügen. @3 ift nicht möglich, bie ©ntfernung DE
allein objuänbern, ohne baburch bie übrigen ©ntfernungen ju
änbern, otfo nicht möglich, fid) mehrere fünfatomige ifomere
9D?oIefüIe ju benfen, bie fi<h nur burcf) bie ©ejie^ung gwif<heit
D unb E unterfdjeiben. 2Bof)l ober finb in einem oierbimen-
fionaten Slaum für fünfatomige SDlolefüle jefjit unabhängige
©ntfernungen nicht nur benfbar, fonbern auch ^erftellbar.
SBetm hier oon betreten ÜJlolefülen unb Atomen bie Siebe
ift, bie einen Körper unftetig erfüßen, fo werben SlngiehungS-
unb SlbftofjungSfräfte jwifchen ben Sltomen,
alfo unoermittette gernwirfungen nicht als
unbenfbar angenommen werben tnüffen.
QDer ©ebanfe oon gern wirfungen ohne
oermittelnbeS SJlebium hat für 3ößnft
fo wenig als für Slewton, Sfant unb SHad)
etwaö ©rfchrecfeitbeS. 2öo ejiftirt beim
ber Körper A, ber auf einen anberen
Körper B wirft? fragt flöDner — über-
einftimmenb mit ÜDiacf). Söenn bie Antwort tautet: bort, wo
unfer SBerftanb einen $he'l ber »oit ihm erjeugteit unb oon unS
wahrgenommenen SBirfungeu ^iuöerfe^t, fo ejiftirt j. 93. ber
üJlonb an ber ©rboberfläche, infofern er bie gluthwelle beS
ÜDleereS ergeugt. Statt beS atten fdjolaftifc^en ©rnnbfafceS:
ein Körper fann nicht ba wirfen, wo er nicht ift, ließe fid)
oietmehr fagen: ein Sörper wirft nic^t ba, wo er ift, fonbern
er wirft ba, wo er nicht ift. SEBenn bie 2icf)tftrah(en eine«
neuaufftammenben unb nach Monaten wieber oertöfchenben
Sterns, wie g. 93. beS Sterns oon 1885 im Siebet ber Stnbro-
meba, unfer Singe treffen, fo wirft auf ber Slefchaut besfetben
(600)
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35
ein Körper, ber wogt Bor Bielen £aufenb Sauren burdj 3U*
fammenftoß mit einem anberen in krümmer gegangen, ber alfo
gar itid)t mehr als folcher ejiftirt. Ron bem beftimmten Orte,
an bem fich ein Regenbogen befinbe, fann nid)t wol)l bie Rebe
fein, ba biefer jebem öefdjauer an anberem Ort erfd)eint u. a.
aud) SeriihrungSwirfuitg ift nur ein fpecieKer gaß öon
gernwirfung, roo ber abftanb gu (lein ift, um gemeffen werben
ju föitnen. außerbem, wenn eine JSfugel meine §anb brütfl,
fü fann nicht behauptet werben, baß ber gange ftörper ba
ejiftire, wolfin ich bie 25rurfempfinbung oerlege, nämlich an ber
RerührungSfteße; berfelbe Raum, ben ein Körper einnimmt,
fann nicht gleichgeitig Bon einem gweiten Körper eingenommen
werben.
«Ifo, ffernwirfungen gwifdjen Atomen bflben wenigftenS
nidft mehr Räthfelhafte« an fid), als unmittelbare S)rucf«
wirfungen.
3. Slber biefe atonte ober SDfonaben ober Sfraftcentren,
wie wir fie heißen mögen, fiub für Zöllner empfinbenbe SBefeti,
mit S3uft* unb Unluftgef fielen; alle ^Bewegungen ber atome uitb
i^rer aggregate, ber Störper, gehen fo Bor fid), al« ob fie ben
unbewußten 3wecf oerfolgten, bie Summe ber Uitluftempfinbungen
gu einem SRinimum gu machen.
Ober oielnxehr, logifcherweife muß ^ötluer fließen:
nicht bie atoine felbft befigeu ffimpfinbungen, fonbern bie hinter
ihnen ftehenbeti oierbimenfionaleu „$iuge an fid)", Bon welchen
fie bie breibimenfionalen Rrojeftionen finb; ähnlich, wie wir
nicht ben au einer üöanb fid)tbareu Scffatteu gweier miteinanber
ftreitenben äRenfdfen Smpfinbungen beilegen, fonbern biefen felbft.
$er legte Schritt, ben oierbimenfionalen Raum mit
intelligenten SBefen (©eifteru, Spirit«, tranfcenbentalen
Subjeften, aftralmefen) gu beoölfern, gu beneit bie Rienfdjen in
beftimmter Regielfung ftegen unb bie gelegentlich in uuferen
3* (601 >
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SrfahrungSraum eingreifen, war fomit für 3öQner nur ein
Heiner. Anfangs jögernb, trat er fpäter, eingenommen ton bcn
23orfüf)rungen beS fülebiumS ©labe, welches 5l!jafom aus
Slmertfa fjatte fommen Iaffen, mit bem ganzen ©ereilt feiner
^ßerfönfid)feit für bie feit etwa 1840 neuerbingS in ©djwung
gefommenen Sehren beS Spiritismus ein, unterftüßt ton
Ulrici, 3. ®. gic^ie u. Ä. SBie burd) bie fiöfung metaphhfifdjer
Söiberfpriiche bie Syiftenj beS tierbimeufionalen SRaumeS, fo
fdjien ihm burd) bie fpiritiftifc^en Sjperimente bie Sjifteng
ber ißn bewohnenben tierbimenfionalen ©eifter bemiefen ju
fein unb gelegentlich ein SieblingSwunfd) beS großen ÄönigS-
berger ^Sfjilofop^en in SrfiiHung gegangen. Sia nt, ber gegen«
Wcirtig mit einer geraiffen Smfigfeit ton ben ©piritiften als
SBorläufer beS mobenten Sßft)chiSmuS in Slitfprud) genommen
toirb, fagt in bcn „träumen eine« ©eifterfeherS" :31 ,,3d) gefte^e,
bah id) fe^r geneigt bin, baS ®afein immaterieller Staturen in
ber SBelt gu behaupten unb meine ©eele felbft in bie Älaffc
biefer SBefeu gu terfeßen. ($4 fcfjeint, ein geiftigeS SBefeit fei
ber SRaterie innigft gegentoärtig, mit ber eS oerbunben ift, unb
wirtte nicht auf biejenigen Strafte ber ©(erneute, womit biefe
untereinanber in 5ücr^ältniffen fiitb, fonbcrn auf baS innere
ißrinjipium ihres ßuftanbeS. SS wirb fünftig — id) weiß
nicht wo unb mann — noch bemiefen werben, baß bie
menfdjlidje ©eele aud) in biefem Seben in einer un*
aufhörlid) terfnüpften ©emeinfehaft mit allen im-
materiellen Naturen ber ©eifterwelt ftefje, bafj fie
wechfelweife in biefe mirfe unb oon ihnen Sinbrüde empfange,
bereit fie fith aber als Sftenfd) nicht bewußt ift, fo lange alles
woßl fteßt. SS mürbe fdfön fein, wenn einebergleichen
fhftematifche Sßerfaffung ber ©eifterwelt, wie wir fie
torfteüen, nicht Iebiglidj aus bem begriffe »on ber geiftigen
Statur überhaupt, ber gar ju feßr hßpothetifd) ift, fonbern aus
(602)
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einer wirtlichen unb allgemein jugeftanbenen ©e*
obadjtung fönnte gefcf> loff en ober aud) nur wahr*
fdjcinlich oermuthet werben."
S5ie üielumftrittene grnge, ob biefe Sleu&erungen SantS,
fowie bie noch auffallenberen in ben ©orlefmtgeu über Pfpdjo*
logie"** in feine oorfritifcf)e, bejro. nadjfritifdje Periobe $u
rechnen finb, itnb ob baS „tranfcenbentalc ©ubjeft" oon ihm
oierbimenfional gemeint mar ober nicf)t, enblich bie grage über
feine Stellung gegenüber bem ©eher ©weben borg muß fyier
unerörtert bleiben, ©enug, bie oierte 3)imenfion erwies fi<h für
^tjantaften wie 3ößncr u. f. w. als feljr geeignet, auf bie ©r*
flärung ber behaupteten überfinulichen 2öahmef)mungen
aller 2lrt überrafd)cnbeS Sidjt ju werfen.
®ie fpiritifiifchen Phänomene Iaffen fiel) itt pfjpf ifalifdje
unb intelleftuelle fdjciben.S3 3U ben erfteren ift ju redjncn :
©emegung oon Jifdjeu, ©tüf)len; ©eieben oon ©pajierftöcfen,
Pantoffeln mtb ©efenftielen; munberbarcS SBerfen oon ©egen*
ftänben; ©eifterflopfen (Cutter oernaljm auf ber Söartburg
einen fiärm, „als würfe man ein ©djocf gäffer bie ©liegen
herab"); efftafifdjeö Schweben oon perfonen über bem ©oben
($. SgneS, fiuitgarbiS, Peter oon Sllcantara, ber fid) währettb
beS SJieffelefetiS bis an baS Sirdhengemölbe erhob) ; ©erminberung
ber Schwere (bie fchmimmenbc Sljt beS Propheten @(ifa);
|>ejenproben; ©eibringen gewünfchter ©egenftänbe; Slblenfung
ber äJtagnetnabel burd) eine entfernte Perfon ; fiöfung oon
Sfnoten in einem gefdjloffenen gaben; Unempfinblidjfeit unb
Unoerlefjbarfeit gegenüber oon glühenbeit Sohlen, Sreujigung,
goltern unb fragen oon heißem ®ifen; unfidjtbare ©eifter*
mufif; Srfcheinungen („ÜJiaterialifationen") oon ©eiftent ober
loenigftenS einseiner ©liebmaßen berfelben (bie weihe fpanb beim
©aftmaßl beS ©elfajar, ©uch 2)aniel; gufjabbrüde bei ben
Sjperimenten ©labeS, Photographin oon 3öHner); doppelte
(60- )
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(Erfd)einung berfelben ©erfon („boppette« ©efidjt", gforence
(Eoof, ßatie Sting, ©cnfitiüe oon ©rof. (SroofcS); Turchbringung
bcr ©iaterie (gefc^foffener Thiiren, genfter ic.). ©on inteflef-
tueßen ©bänomencit feien ermähnt: ©cifterfchr ei ben („(Emauu-
leftor", gnftrument erfunben oon Gare jur (Erleichterung be«
©erfehr« mit ben ©eifterti); Geflfehen unb SSeiSfagen uon
(Somnambulen , ©ifiouären, (Efftatifern unb ^ppnotifirten, —
beförbert ober erwecft u. a. burd) fRarfotifa (SomatranF ber
©rahminen, ^>afd)ifcfj ber Orientalen, ÜRepcnthe« Römers, SRotp),
burd) Tempeljchlaf, ÜRufif unb Tanj (©rojeffioiten ber Stftarte,
SRelptta, $efate; ©abäiSmu« ber Äanaaniter, tanjenbe unb
peulenbe Termine), burch abgefonbertc« Seben unb Slufentfjalt
in unmirtfj(i<fjcn ©egenben, burd) SuSftrömungen be« ©oben«
unb ber ©ewäffer (Orafel ju Tetppi, ©ibpDe Telpbobe in ber
Göple am Sloernerfee), burch Slnfchouen oon (Ebelfteinen (Urim
unb Sbuinmim), oon Ningen (5)a!tpIomantie), gtanjenben 2Retaß*
bechern, ©piegetn unb reinem SBaffer (Äatoptromantie, §pbro«
mantie), burd) ©eftreichen ber gingernäget mit geweihtem Oel
(Cnimantie). ferner: (Erhöhung ber ©erebfamfeit, ©predjen in
fremben Sprachen; (Erfcheinung berfetben ©ifion bei oielen
©erfonen ju gleicher 3ert (fompfenbe ©charen in ber Suft,
äRaffabäer £ap. 5; $e’chCI1 oor ber 3erf*örung gerufatem«),
röthfelhafte ©erbreitung oon Nachrichten (©erferficge bei ©latää
unb Nihfafe, granjofentag 1848); geiftige« SSirfen in bie gerne
(„Telepathie"), geftbamten, SBißenäubertragungen u. f. w.
Tabei ift ber ©pirittömuS fo alt unb fo oerbreitet loie
bie SRenfchheit; bie fflerichte oon ben (Experimenten ©labe«,
oom Toftor gauft, ber weifjen grau, ben Gegenproben, bcr
2BünfcheIruthe unb bem Tifchleimbed-bid) firtben fiep in anberer
gorm in bem äRiirchen oon bem 3flU&erftob ber (Sirce, Slaroit«
bliihenbem ©tab, bem SRebijinfad be« Slmerüaner« unb in ben
©rjählungen oon ben ägpptifchen 3auberern unb ben SBunbern
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beö ßcil. SltnbrofiuS lieber; bo8 Jifdjrüden ift bei ben ©ßinefen
unb ben Snbianern ooit Soma ebenfo im ©djroung, mie e3 in
©uropa um bie üDiitte beS SafjrßunbertS ©efeQfdjaftSunterßattung
bilbete. Jer moberne ©piritiSmuS foH 8 — 11 SJiiHionen
Snßänger, befonberS unter ben gebilbeten ©tänben, umfaffen,
bie itjre ©rlebniffe mtb 2lnfid)ten in 25 periobifcßen .ßeitfdpriften
unb fjunbert unb aber ßunbert felbftänbigen Sßerfen nieber legen.
leichter für 3öllner, al$ &■ ©• ba3 ^ellfe^en unb
bie geiftige $ernmir!ung erftären. 3unädjft groei ©eifpiele.
©oetße*4 fagt: „Unter Hiebenben ift biefe magnetifdje $raft
befonberä ftarf unb mirft fogar in bie $erne. Sdj l>abe in
meinen Sünglinggjaßren $älle genug erlebt, mo mid) auf ein*
famen ©pagiergängen ein mächtiges ©erlangen nadj einer ©e>
liebten überfiel, unb mo id) fo lange an fie backte, bis fie mir
mirflid) entgegenfant. ©§ mürbe mir in meinem ©tübdjen un*
leiblich, fagte fie, id) fonnte mir nidjt meljr ßelfeit, id) mußte
ßierßer." ißrofeffor ©epp in ÜOlündjen erjä^Ite mir einmal
fofgenbe öon ißm fetbft menigftenS für eine Jfjatfadjc gehaltene
©pifobe aus feinem Heben, bie id) nadjljer in feinem ffikrf über
ißaläftina nad)la§ : ©r litt ©cßiffbrud) im SDiittelmeer, fdjmamm
auf ben SSefleit unb mar jeben ?tugenblicf gemärtig, „au§ ber
großen ©d)ale gu trinfen"; ba, in ßöd)ftcr JobeSnotß erfaßte
ißn ber lebhafte SBuitfd), ben geliebten ©Item in ber fernen
$eimatf) burd) gerumirfung beS ©eifteS infolge nerööfefter ?tn*
fpannung ber ©nergie ben teßteu ©ruß gu übermitteln; eine
SBeQe marf iljn oßitmäcßtig, aber lebenb anS Ufer, unb al§ er
nad) 3aßr unb Jag gurüdfeßrte, erfuhr er, baß feine ©Itern,
©eibe unb gleichzeitig, burd) lebhafte Slßnungen öon feiner ©efafjr
in Äenntniß gefcßt maren.
Jenfen mir un§, mir ergeben un§ au§ einer ©bene (groei*
bimenfionaler iRaum) in einem HuftbaQon in bie §ößc (britte
Jimenfion), fo genießen mir einen meiteren Umblid, al§ bie in
(605)
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ber Ebene Stefjenben; luir oermögen in betreff eines erwarteten
EifenbaljnjugS auf längere $eit oorauSjufagen, baß er ^eran-
nahe, wir finb im ftanbe in weite gerne geidjen J'1 geben ur*b
gegebene geilen ju bemerfen; fur^, ber jroeibimenfionale Staum
ift, non ber britten $imenfion aus betrachtet, nach allen Seiten
bin ein offener. Sinolog müßten uns breibimcnfionale um-
fdjloffene 9täume, aus ber Dichtung ber öierten ®imenfion be-
trachtet, a(S offen erlernen, unb gwar in einem um fo größeren
Slbftanb oon bem Ort unfereS ftörperS, je höher fief) bie Seele
nach ber »ierten ®imettfion erhebt. ES finbet hierbei mit
waeßfenber Erhebung nach biefer vierten ®imenfion in ähnlicher
SBeife eine Erweiterung beS breibimenfional iiberfchauten 9taumeS
ftatt, wie bei ber Erhebung über bie ©rboberflädje nach geome»
trifchen ©efeßen eine Erweiterung ber jweibimenfional über-
fchauten |>ori$ontalfläche ftattfinbet. So erhob fid} alfo in bem
angeführten Beifpiel bie Seele Sepps in bie oierte Sitnenfion,
unb oon hier aus war eS ihr eine ftteinigfeit, über baS SDiittel-
meer, gtalien unb bie Schweij weg nadj £eutfd)lanb ju blitfen.
SS ift ju erwarten, bemerft Zöllner, baß oon Beginn beS
helljehenben 3uftanbeS mit wachfenber Entwitfelung beSfelben
fucceffit) eine Erweiterung beS geiftigen ©efichtSfreifeS eintreten
müßte, b. h- bie förperlidjen ®inge müßten für bie Seele in immer
größerem Slbftanb burchfießtig werben; ja, man fönnte fogar ein
®?aß für bie ©röße ber Erhebung in bie oierte ^imenfion
ermitteln, falls meßbare Beobadjtuitgen über bie robial nach
allen ©imenfionen wachfenbe gernficht einer allmählich in ben
magnetijdjeit Schlaf oerfejjten, heöfehenben Somnambule an*
geftellt werben tonnten.
3n ber $hat befdjrcibt ber amerifanifdje .gieflfeher S)aoiS
feine behaupteten SSafjrnchmungeu im magnetifchen Schlaf unter
anbcrein mit ben SBorten: . . . „$er ÄreiS meines SdjauenS begann
fid) jefjt ju erweitern, gunädjft tonnte ich bie Stauern beS
C«W)
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DaufeS beutlid) mahrnehmen. Ülnfangg erfdjienen fie mir bunfel
unb finfter; aber halb mürben fie geller unb bann burdp
fdjeinenb. 3<h founte je^t bie ©egenftänbe, ba« fpauSgeräth
unb bie ©erfüllen in bem angrcnjenben $auje ebenfo feidjt
fefjen, roie bie in bem Zimmer, in meinem ich mich befanb.
*2fber meine SBa^rne^mungen floffen uodj meiter. ®ie meite
Oberfläche ber @rbe mürbe Diele Rimberte Don SÄeilen Dor
meinen umf)erfd)roeifenben ©liefen, bie beinahe einen fpalblreiS
bejdjrieben, burdjfichtig mie SBaffer, unb ich fab bie ©ef)irnc,
bie Sitigemeibe unb bie Doüftänbige Slttatomie ber £h*ere, welche
in beit SBälbern ber öftlichen fpemifphäre umherftrciflen, ^unberte
unb Staufenbe Don SRcilen Don bent Zimmer entfernt, in meinem
ich biefe Seobadjtungen anftellte."
©teilt man fich ferner Dor, man betrachte ba« Treiben
auf einer belebten ©trafje in einer camera obscura, fo fcheinen
ade Seränberungen ber ©egenftänbe in einer ©bene Dor fid)
ju gehen; ©erfonen, bie fich nähern, oergröjjern fich; folc^e, bie
fich entfernen, Derfleinerit fich; mürbe eine fefjr bünne ©latte
in ber ^Richtung gegen fie f>er getragen unb roährenb be$ ÜragenS
mannigfach bemegt, fo mürbe, je nachbem bie ©bene ber ©latte
gegen bie Silbebene ber camera geneigt ift, biefelbe einmal
größer, einmal Heiner ju merbeit, jeitmeife fogar ju Derfchminben
fcheinen. @3 mürben fich, falls mir bie mirflidjen Serhältniffe
nicht fennten, für uns SEBiberfprüche mit bem ©efe$ Don ber
©rljaltung ber Stoffe ergeben: biefe löfeit fich aber burd) bie
Annahme, bafj jene fcheinbar in ber gmeibimenfionalen ©bene
Dor fich flehenben Semegungcn in SBirflichfeit im breibimenfionalen
fRaum erfolgen. Slnalog erflärt fid), für Zöllner unb feine
©artei unter ben (ehrlichen) ©piritiften, ba$ unoermittelte
©rfepeinen unb Serfdjminben Don ©egenftänben ober
©erfoneit ober einzelner ©liebmafjen berfelbcu burd)
geeignete ©tellung biefer in SBirflichfeit Dierbimenfionalen
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©egenftünbe ober ißerfonen gegen unfcren breibimenfionalen
9taum.
3- SB- für bie ©rflärnng beS ^erauä bringend ber
©djrottugel aus ber gefcf)loffenen ©laSfugel o^ne 3cr*
brechen ber (enteren ift folgenbe, wenn aucfy etwa« trioiale
Ueberlegung fet)r befannt: $D?an benfe fid) intelligente SBefen,
welche in einer ©bene [eben unb »on einer §ölje nichts roiffen;
il)r Staum ift bie ©beite, unb ein s-ßunft A. fann für fie nad)
einem anberen Crt B in ber ©bene nur gelangen burd) ®er=
fdpebung in ber ©bene. 3n ber ©bene fei (gig. 8) ein &rei«
mtb barin ein (jweibimenfionaler) Sörper A. SBenn nun ber
Körper plöfclid) au« bem $rei« »erfdjwunben ift unb fid) aufecr-
l)alb in bem ißunft B ber ©beite oorfinbet,
Ouitb menn fämttic^e bie $rei§peripl)erie
bewo^nenbe Söefen »erfidjern, bafj ber $reiS
»on bem Körper nic^t paffirt morben fei,
fo mirb allgemein unter jenen Söefen an»
g.fl 8 genommen werben, eS liege Setrug ober 3»u*
berei »or. ©in befonbereS intelligenteg
3nbi»ibuunt mirb bann »ießeidjt auf ben ©ebanfen fommen,
bafj ber Äörper »on einem SEBefen in ber britten ®imenfion in
ber SRidjtung nad} ber festeren »erfe^t unb bann aufjerljalb beS
ÄreifeS mieber in bie ©bene jurüdgelegt fei. 333 ir finb folcfje,
einen breibimenfionalen fRaum bewoljnenbe Söefen; nidjtS leister
für uns, als biefe 3öu&erei auSjufüfjren. ©teigen mir eine
«Stufe auf unb beulen uns eine ©laSfugel unb ein «S^rotlom
barin, fo genügt eS, um baS Sdjrotforn batauS ju entfernen,
bafj ein Söefett in einem »ierbimenfionalen, ben unferigen aß-
feitig umgebenbett SRaum in unferen breibimenfionalen fRaum
eingreife, bie ©laSfugel famt ©djrotforn nad) ber »ierten
SDimenfion entriide unb beibeS fo jurüdfüljre, bafj ficf> notier
baS Sdjrotforn außerhalb befinbet.
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$ag gnnere einer ©cgleife, wie in gig. 9 b, wäre für
folcge aweibimenfionale SEÖefeit ein gesoffener SRaum. Slug
einem gaben a lägt ficg biefelbe gerftellen, erfteng innerhalb
ber @betie, inbem ber eine £geil BC um 360° um B gebregt
wirb (unb oon jenen gebacgten SBefen nur auf biefe SBeife),
jweiteng innergalb beg breibimenfionalen ©aumeg, inbem ber
gaben a juerft in bie Sage c, bann burcg ^eraugbregen aug
ber @bene in bie Sage b übergefügrt wirb, wobei in legterem
gaü bag @nbe C in berfelbett jRicgtung bleibt. Slnalog liege
ficg ber Knoten d erfteng im breibimenfionalen SRaurn burcg
3)regen oon BC um 360 °, gweiteng unb einfacher in einem
oierbimenfioitalen ogne Slenberung ber ©icgtung BC fcgürjen
unb löfen; — ein ©ebanfeu*
gang, ber fitg mit 3ugülfe>
nagme oon oier Variablen
aucg in aller Strenge in
bie Spracge ber ÜJlatgematif
überfegen lägt (©imong,
Klein, Jfjoppe, ©cgiirlein),
womit aber natürlicg fein
matgematifcger ©eweig für
bie SDiöglicgfeit beg ©cglcifenejperimentg gegeben fein foll.35
35ie ©ebingungen — fagt göHner unter welcgen unfere
(£rfenntnig oon ber 3Belt fortfcgreitet, liegen in ben 33 i ber»
fpriicgen beg 2)enfeng mit ben £gatjacgeit ber ©eobaigtung.
SDic erwägnten fpiritiftifdgen SBagrnegmungen, wie ©erminberung
ber ©cgwere, 2)urcgbringung ber SDlaterie, totale ober partielle
©eiftererfcgeinungen, beweifen bag ©orficggegen gewiffer ©er«
änberungen an itnferer Körperwelt, inbem „bie ©eifterwelt in
bie Körperwelt eingreift". (gefegt eg jagen in ber ©onbel eineg
Suftballong jwei Sßerfonen ficg gegenüber, in fo bicgtem ©ebel,
bag bie gnfaffen jcbeg ©licfeg auf bie @rbe unb ben bewölften
(609)
•d B C,a
4 bQ c {b
3ifl. »•
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Fimmel beraubt mären, unb fie empfänben plöjjlid) einen ®rucf,
ber fie mit unfidjtbarer ©eroalt ouneinanber ju trennen fudjte,
unb fie bemerken jugleid), roie ein an einem fpiralförmig ge»
munbenen $raf)t aufgefjängteS ©eroidjt fid) jn f)eben fud)te, fo
mürbe ein SSefeit, bem bie abfo luten fRaumoerhältniffe beS
©aßonS befannt mären, bcn le$tereu in fdpießer fRotation um
feine StängSadRe unb in HbroärtSbemegung begriffen erfennen.
|)ätte ©alilci ober SReroton an ber Suftreife theil genommen,
fo mürben fie, öermutffet gößner, ohne jemals bie ©rbe gefehen
gn haben, auf bie (Sfiftenj biefer ihnen unfid)tbaren 2BeIt auS
jenen ©rfcljeinungen gef d)l offen fyaben, mie 2c»errier unb
HbarnS auf bie Sfiftenj beS Neptun aus DrtSoeränberungen
beS Uranu« fchloffen, beoor ihn cm fterblidjeS Huge erblicft
hatte. Sbenfo müffeit mir auf bie ©jrifteuj einer anbern, mit
intelligenten SBefen beoölferten üierbimenfionalen Söelt, bie uiel«
leicht eine größere ^Realität als unfere ©innenroelt befißt, auS
ben fpiritiftifdjen ^ß^ä nomenen fcfj ließen.
2öaS berechtigt uns überhaupt, ber SBeft unfercr ©imte
allein abfolnte ^Realität jujufchreiben? $>er Unterfchieb jroifchen
ben ©ilbent ber träume unb ^paflucinationen, bie ohne Ser«
mittelung beS phpfiologifdjen ©efidjtSfinnS, auSgeftattet mit
aßen Slttributen ber ©innlichfeit, in unferer ©eele entfteljen,
gegenüber ben im geroöhnlicfien fieben burd) Sermittelung beS
©eficßtSfinnS in uns erjeugten bcftebt nur in ber größeren 2eb*
haftigfeit, ©efeßmäßigfeit unb Seftänbigfeil ber lefcteren. Huch
in ber ©eele eines Hnberen oermag, roie bie befannteit h9P'
notifchen Serfuche bemeifen, ber inbioibuefle SBiüe eines ein«
jelnen SJienfchen Sorftellungen gu erzeugen, mit aßen ©tjmptomen
berfelben ^Realität, mie mir fie ber uns umgebenben fogenannten
realen Söelt beilegen. 3n ähnlicher Söeife toirb als Urfache
unferer real genannten SorfteßungSroelt ein inbioibuefleS, mit
3ntelligen$ unb SBillen begabtes Söefcn üorauSgejefct merben
ceio)
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muffen, gleichgültig, wieweit in quantitatioer §inficht bie
Snteßigenj unb ©tärfe jene« inbioibueHen SEBiüeuö beit menfcf)-
licken überragt.
3u welcher ©ezieljung fte^t nun jene oierbimenfionale
©eifterroelt }u ber S33elt nnferer ©ittnlid)feit?
§ier befonberS fefct bie Dljeorie ®arl bu ©reis an28
biejenige göHnerS an; hinter jebem Ding ber ©innlid)feit
fteljt ein realeres tranfcenbentaleS (üierbimenfionaleS) „Ding an
fi<h", welches fid) in jenem gleicfjjam auf bem ©rfahriitigSraum
projicirt. ?ludj mit ber irbifc^en ©erfon jebeS SRenfchen ift
ein tranfcenbentaleS ©ubjeft gleichzeitig; nur mit einem Dljeit
unfereS SSejenS fiub mir in bie irbifdje Orbnung uerfenft.
Die Trennung beS irbifchett SeibeS üott bem „geiftigen i?eib"
tritt ein, erftenS im Seben, foroohl uniuillfürlich (Doppelgänger,
boppelteS ©eficht), als burch fremben SSiflenSzwang (ßitation,
§t)pnotif(rung); zweitens im ©terben; brittenS nad) bem lob
als roillfürlidje .Darfteflung beS tranfcenbentalen „ülftralleibeS"
(©eifter, ©efpeitfter) unb als »eranlafjte Darfteflung (flftateria-
lifatiou, fllefromantie). Die ©fiftenz biefeS gleichzeitigen trau-
fcetibentaleit SdjS ober ÜtftralleibeS, biefeS DämoniumS, baS uns
ftetS begleitet, zeigt fid) unter aitberen in ben guftänben beS
tiefen ©chlafS, beS ©omnambuliSmuS unb SüiebiumiSmuS,
welchen baS äRerfmal einer Verlegung ber ©mpfinbungSfdjroefle
gemeinfchaftlich ift, ferner in bem Doppelgefühl ber gieberfranfen
unb SBabnfinnigen, iit bem Süden iit ainputirten ©liebern.
©ei ben ©omnambulen ift bie @nipfinbungSfd)Wefle bauentb »er-
legt, alfo bie Drenmmg beS ©ubftanzleibeS Dom §lftralleib jeher-
Zeit möglich; eine ©omnambule ift Z- ©• iw ftanbe, in wenigen
©efunben geiftig eine fReife »on Orleans nad) SDieunt) Zu unter-
nehmen, um bort eine fterbenbe ©djroefter z« befudjeti, unb
finbet babei noch 3e>t, fich unterwegs einige ©täbte anzufehen,
bie fie nod) nicht fennen gelernt (bu ©rel). Die SSunber ber
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©efjeriit oon ißreoorft (guftinuS fterner), bie finftreifen ber
tauberer unb ^eycn je. erflären ftc^ fo oon felbft.
Ski bet SBicßtigfeit, welche biefe ©heorien für bie fragen
nad) bem SSer^ältitife uoit ©eele unb 2eib unb bem gortleben
nad) bem Job fabelt müffeit, läßt ftd) benfeu, baß bieXfjeo*
togie nidjt gleichgültig benfelben gegenüberftanb.
Stach bem englifcfjen Sßeojopfjen §enrt) SJiore*7 (1614 bis
1687) — ber bie Slnficfjt auffteflte, alle Körper ber ©innenroelt
feien mit brei, bie ©eifter mit oier ©imenfionen begabt, weshalb
für bie ©eifter feine Unburd}bringlid)feit ftattfinbe — war in
©eutfcfßanb ber württembergifche Pfarrer goh- Subw. grider**
(1729 — 1761) auS ©ettingen bei Urad) ber erfte, welcher, unb
jwar, wie eS fd)cint, unabhängig uoit SJtore, bie Äonjeption einer
burd) eine ©intenfion erweiterten Staumanfdjauung gewann unb
auf bie ©rflärung oon 33ibelfteflen nerwanbte.
©ie jwei ©teilen, über welche fid) eine umfangreiche Sitte«
ratur angefammelt fjat, fiitb: ©pheferbrief Äap. 3, ©. 18:
„Stuf baß ißr begreifen möget mit aßen ^eiligen, welches ba
fei bie SSreiteunb bie Sänge unb bie Xi ef e unb bie £>öh<";
fowie baS altteftamentalifche SJorbilb ba^u, Jpiob, &ap. 1),
9. 7 — 9: „SDteineft bu, baß bu fo üiel wiffeft, als ©ott weiß,
unb woßeft aßeS fo toßfommen treffen als ber Slßmädjtige; er ift
höher benn ber §immel, was wiflft bu thun; tiefer beim bie
$öße, was fannft bu wiffen; länger benn bie ßrbe unb
breiter benn baS SDieer."
griderS ^3^i[ofop^ie ift oon Oetinger*9 eingeljenb be«
fdjrieben. Seßterer wanbte bie gricferfdje fRaumtheoric außer«
bem au auf bie ©rflärung oon SBifionen ber Propheten unb
bie ©efcßreibuitg beS neuen gerufalemS in ber „Offenbarung
gohanniS"; baSjenige, waS auf biefer SBelt bie Sänge auSmadhe,
fei iit foldjcr ©tabt unmeßbar, fie ha&c folglich eil,e D'erte
©imenfion, wooon fich freilidj ohne ©röffnung eines befonbereit
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6enforii fein Segriff formiren loffe. Sou Detinger ift befaitnt,
baff er, burdjbrungen oon ber ^Realität einer uit« umgebenben
unfidjtbaren ©eifterroett, nachts in bie SBälber unb gelber ober
aud| feine Sircfje ging, um ben abgegebenen ©eiftern ju prebigen.
3u bem Sudjhänbler gue« in Tübingen fagte er, bießuft fei „foooll
oon ©eiftern, bafj Siele, wenn fie c« müßten, ober fetjen fönnten,
bei 9fad)t fid) fürchten mürben, ein genfter aufjutitacfjen."
SU« gegen ba« @nbe ber fiebriger Safjre bie fpiritiftifdje
Sercegung unter Stnfüfjrung oon Groofe«, SBaßace, göttner,
gierte unb Utrici befonber« lebhaft im ©ange mar, fonnte man
bie miberfprecfjenbften Urtljeite au« bem tf)eotogifd)en Säger
hören. Ser „ßiberale ißroteftant" unb bie „ißroteftan*
tifcf)e $ird)en jeitung" äußerten fief): ,,e« ift ein fjäfjlidjer
fiejenfabbath, ben mir bie ftortypfjäen ber ÜRaturroiffenfd)aft auf*
führen fetjen; aber e« ift bie notfjroeubige ©rgänjung ju jenem
SJfanget an Sertiefung in ecfjte S^ßofop^ie unb roiffenfdjafttidje
jE^eofogie, metefje jenen Greifen eigen ift." Stnbererfeit« $öf fer,
ißrof. ber 3;^eofogie, fRcbafteur ber geitfcfjrift „Seroei« be«
©tauben«" : „Ser ferneren, oietteidjt töbtlicfjen SEBunbe, bie bem
9Jfateriati«mu« unferer Sage burdj biefe neue ©rfenntnifj aller
sEBafjrfdjeintidjfeit uadj gefdjtagen merben roirb, barf fidi ber
Gfjrift geroijj freuen." Unb fßr°f- Suttjarb, iRebafteur ber
„GrgänjungSblätter jur allgemeinen eoang.*tutf). Sirdjeit^eitung"
fdjrieb 1879 eine lange anerfenttenbe Slbfjanbtung über 3öflner«
Sfjeorie ber oierbimenfionateit fRaumroefen, beginnenb: „Sem
ftoffoergötternben ÜRateriaIi«mu« ift feit furjern im Heerlager
ber bi«tjer ifjm ergebenen SRaturforfcfjer felbft eine nidjt ju
oeradjtenbe ©egnerfefjaft erroadjfen; ein 3beati«mu« fünfter
3trt fjat fidj au« eben berfelbeit atomiftifdjen ÜRaturbetradjtung
tjerangebilbet, roetefje bem 2Rateriali«mu« jur ©runbtage biente."
3öttnerS0 felbft madjte aufmerffam unter anberem auf
bie djarafteriftifdje Uebereinftimmung ber oon Gfjriftu« berichteten
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Sßunber mit bem „neuen Sicht", baä nach feiner Ueberjeugung
bnrdj bie SBegrünbung ber JranfcenbentalphbfiF auf ©runb
fpiritiftifdjer iß^änomene angebrochen fei : B^eifjung beS2cmpel<
oorbangS bei ber Äreujigung, Stuferfte^ung unb fjimmelfabrt,
SBerFlärung, ba§ (Sprechen in vielerlei Bungen bei Sluggiefjung
be§ ^eiligen ©eifteä; ferner auf bie SBorte S^rifti, in benen er
feine 3ünger ju wieberbolten SDfalen auf bie Unmöglid)feit bin-
weift, benjenigen Ort ju »eranfcfjautic^en, wohin er bei feinem
SSerfdjtninben gebe, unb uon wo er wieberFommen mürbe.
(3ob- 13, 33; 13, 36; 14, 2 u. 3; 14, 28; 16, 5; 16, 13;)
„3b* werbet mich fucben, unb wie icb ju ben 3»bcn fagte: SSo
icb begebe, ba fönnt ibr nicht binFommen. Spricht ^ßetruä ju
ibm: fperr wo gebeft bu bin? 3efu3 antwortete ihm: $a icb
bingebe, Fannft bu mich bicSmal nicht folgen, aber bu wirft
mir bemacbmalS folgen" u. f. w.
SDie (Spifobe 17, 19 erfdjeint Börner wie bie ©cbilberung
einer fpiritiftifcben ÜJfaterialifatiouSfibuug; er berichtet, wie er
unb $ßrof. Srooteä mehr als einmal gefebett bnben, wie ficb
2J2ebien (£>ome, (Eglington u. §1.) frei in bie Suft erhoben,
^eutyutagc Fönne iftiemanb mehr bie SWöglicbFeit ber
leiblichen SBieberFunft (S h ^ i ft i in Slbrebe ftellen. iöiit
berfelben innerften Ueber^eugung wie Oetinger erblicFt er in
jenen ©eftrebungen ber Sranfcenbentalgeometrie einen propbe>
tifchen Hinweis auf bie bereinftige (Erweiterung
unferet SRaumanfchauung unb bie baburch bebingte
oollFommenere (ErFenntnifj gegenüber allen lepten
grageti, welche bie benFenbc 502 enfdjb6*4 peinigen.
(ES lohnt nicht bie 2J2iit»e, auf berartige lächerliche (Ein-
mifd)ungeu in theologifche fragen weiter einjugeben.
Nunmehr geftatte ich ww, weine perfönlichen Slnfichtcn über
bie im »orbergebcnben gefchilberte Xbeorie &er höheren SRäume,
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ber ©intljeitung fotgenb, 3U entwidetn unb ba§ ©rgebniß beS
fotgenben ©ebanfengangä fogfeidj jufammeitfaffenb oorwegju*
nefjmen: Ser menfd)tid)e ©rfafjruitggraunt i ft ber
einjige ÜKaßftab, unter be f f cn ©orauSfe&ung über
auögebet)nte 33? annigfaTtigfeiten Unterfliegungen an-
gefteltt werben tönnen; bie Sljiome ber ©eometrie
djarafterifiren biefen Scannt aU einen ebenen, gteidj«
förmigen. Sie fogenannten met)rbimenfionaten
Staunte finb nichts weiter aU ©ebanfenbinge, ana*
tptifdje giftionen, wetefje bajit bienen, ©äfce ber
Stnalpfiä ober ©eometrie allgemeiner auSjufpredjen,
mehrere ©äfje in einen einzigen jufammenjufaffen,
StuSnatjmen ju oermeiben. Sitte übrigen Stnwen*
bungen ber fogenannten oierten Simenfion finb
gegenftanb3lo3, weit auf Srugfcf)füf fen b cru fjen b.
©in ©tanbpunft, oon welchem au8 eine togifdje Seurtf)eilnng
jener Sßeorien gefefje^en fann, wirb gewonnen burd; guriief-
gefeit auf baS SBefen ber Staumanfdjauung. Sa§ ©rfte, wa3
bem SJtenfcßen oon ber Stufjenwelt entgegentritt, finb Stffef>
tionen ber ©inne, SRcijungen ber Steroenenben burd) Steuer*
unb $örper-©(bwingungcn. Siefc iReije tjaben ©tnpfinbungen
jur 3oI9e- Ueberjeugt oon ber ©jiftenj einer Oon un§ unab*
gängigen realen Slußcnwelt unb unterftiifet oorjugSweife burtfi
ben Saftfinn tofatifiren wir biefe ©mpfinbungen , finben, baß
biefetben in irgenb einer gorm, toelcße oor alten ©mpfinbungen eji*
ftiren muß, fid) orbnen. Siefe g orm , in welcher fidj für unS bie
©egenftänbe einreifjen, ober oermittetft berer wir bie Singe außer
un8 oorftetten, ift ber ©rfaßrungäraum. Sie ©truftur
biefer Staumform faim aber nodj irgenbwie befdjaffen fein.
Son jenen Steifen unb ben barauffotgeubeit ©rnpfim
bungen bleiben in ber ©eete ©rinnerungen surüd, wetdje uit§
in ben ©tanb fefjen, jeben Stugenbtid bie ©orftettung ber
Sammlung. 3- V. 1L2. 113. 4 (615)
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©egenftönbe im ©emüth micberherjufteOcn; mir betrauten bann
bie ©egenftönbe, welche uorljin auf unfere Sinne wirften, in
„innerer Änf^auung". Die ©runbgebilbe bei {Raumei, bie
faum a priori mit ber {Raumanfchaumtg gegeben waren, finb ber
{ßunft, bie ©erabe nnb bie ©bette. Den {Einlaß jur ©ilbung
biefer Slementarbegriffe erhalten Wir in ber ©rfaljrutig.
3- 83. Dort einem Stab, einem gcfpannten gaben ober ber-
gleichen benfen mir ade Untwflfomnienljeiten meg unb gelangen
fo burcf) Slbftraftion jur reinen SBorfteHuitg einer „©erabeit",
bie aber felbft nicht befinirt merbett fann; alle Definitionen ber
©erabeit müffen lederen Söegrtff felbft mehr ober weniger öerftecft
einfdjließen; ein leiteitbei {ßrinjip bei jener S3egriffibilbung ift
uni in ber Dccfung breier fünfte innerhalb ber Se^linie gegeben.
2Rit biefen ©runbbegriffen unb einigen baraui abgeleiteten
operiren mir in ber elementaren ©eometrie. Die geometrifchen
©ebilbe fonftruiren mir uni babei in ber inneren 2lnfd)auung
auf ©ruub ber ffirinnerung, welche mir oon ben burch Slbftraf»
tioit genommenen jurüdbeljalten ^abeit; uttb wenn mir bie
©ebilbe empirifd) auf Rapier fonftruiren, fo ift biei nur eine
©rleidjteruug ber inneren Slnfdjauuttg. Uebrigeni ift bie geo*
metrifche Söiffenfchaft burchaui feine rein logifdje. SCÖie ©erfen99
mit {Red)t betont, ift bei bem Slufbau biefei Spftemi außer bem
St;llogiimni fteti nodj eine 33etljätigung ber Ülnfdjauung ju
betnerfen. SEBenn brei fünfte ABC oorgefteöt merbett nnb
jmifdjen A unb B, ebettfo groifdjeti A unb C eine ©erabe
möglich ift, fo lehrt uni erft bie Sliifdjauung beit SEBinfel B A C
feinten; fie erft jeigt, baß {Raum $wifd)en beibett ©erabeit ift,
ber eine SBerbinbutig ber {ßunfte B unb C burd) eine ©erabe
öott gleidjer ülrt wie jroifdjen A unb B uttb gmijdjen A unb C
geftattet; fie lehrt zugleich, baß biefe ÜJJöglichfeit für alle {ßuitfte
auf A B unb A C befteßt unb erjeugt fo bai britte ©lement
ber {Raumoorftefluug, bie ©bene (2o(je, SRetaphhfif Seite 245).
(610)
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5 t
SEBenn wir bemeifen moflen, bafj bie ©umme ber üöinfel im Sßierecf
hier fRechte ift, unb ju biefem 3®ed e*nc ®iagonale sieben, fo
jagt mir nicfjt baS Iogifd)e ®enfen, fonbern bie Hnfdjauung,
bafj bie ©umme ber SBinfel in ben beiben fo entftehenben
©reieden biefelbe bleibt rnie in bem jubor angefdjanten ©iererf.
$ie grage, mie biel SDimenfionen unfer ©rfahrungS*
raum befi^e, ift eine fefunbäre unb läfjt fid) betrieben beant»
morten, je nadjbem ein ©lement bem fRaum als erjeugenbeS
ju ©runbe gelegt mirb. Ursprünglich ift bie SDreiheit ber
3)imenfionen: Sänge, SBreite, |jöhe, ein unbeftimmter „SRad)>
hall ber fonfreten SBe(teinrid)tung"; befttmmt fd)eint bie ^Dreiheit
erft aufjutreten, feit ber föoorbinateitbegriff eingefiif)rt mar:
SEBirb ber SRaum als ©efamtljeit feiner fßunfte erjeugt, fo fiitb
jur Drientirung eine« SßunfteS brei Hbmeffungeit, etma bie
brei mit SRidjtnngSmerfntalen oerfetjenen 3lbftänbc beS fünftes
bon brei ©ruitbebenen erforberlid). ®er SRaum erfcheint bann
als eine breifad) auSgebeljnte SRannigfattigfeit. 9Rit
bem gfeid)en SRedjt f «Junten mir ilju als eine bierfadj auS»
gebef)nte SDiannigf altigfeit betrachten, falls nämlich bie
©erabe (ober bie Singel) als ©runbelement beS fRaitmS borauS»
gefegt mirb, roorauf fchon Sß liider aufmerffam madjte. ERämlicf)
benfen mir unS j. SB. bie ©erabe als erjeugenbeS ©lement
beS SRautncS, fo bilben bie ©eraben in einer ©bene, bie bon
einem Sßnnfte anSgcf)en, eine einfache Unenblid)feit; bie ©eraben
bott allen fünften ber ©bene auS bilben fomit eine jmeifadje
Unenblichfeit. Um alle ©erabe im SRaum ju erhalten, b. h-
lefcteren mit ©eraben ju erfüllen, genügt cS, jmei ©beiten an»
junehmen unb bon jebem Sßunft ber einen ©bene nach jebetn
ißunft ber attberen ©bene eine ©erabe ju jiehen, alfo bie jmei=
fache Unenblichfeit ber einen mit ber jroeifadjen Unenblidjfeit
ber anberen bollftänbig ju fombiniren; fo betrachtet, ftellt fi<h
ber SRaum als eine jmeimaljmei* ober bierfache Unenblichfeit
4* (6171
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bar. (Srrtfjiimfidj ift natürlich, wenn Soße bemerlt, beSljalb
fönne g. B. bic ©bene auch als breibimenfional angefehcn
werben, weit eS freifteße, ftatt gwei recßtwinfeligen Soorbinatew
acßfen brei fi<^ unter HO0 fdjneibenbe 2ld)fen anguitehmen.
SMerbingS wirb ein folcheS ©Aftern bei ben fogenannten $rei-
ecfSfoorbinaten benufct, aber bann bcfte^t groifchen ben brei §tb>
ftänben eines fünftes non ben brei ©eraben eine Relation.)
®ie ©truftur beS SftaumeS ift angegeben in ben
2tjiojnen, ben ©runbwafjrtjeiten ber ©eometrie, bie eben beS<
halb nidtjt gu beweifen finb. ©ie fagen aus, baß unfer fRaum
ben G^arafter einer „ebenen" gleichförmigen gorm in
welchem bie fefteit ©ebilbe ohne Dehnung ober gufammen*
giehung fid) bewegen taffen; fie finb infofern cmpirifch, als bie
ätienfchheit biefe ©runbwahrheilen erft erlernen mußte, wie jeber
9Henf<h feine ©prache lernt, — was nicht ^inbcrt, baß bie
Stfiome non unS unabhängige ©igenfchaften unfereS SrfahrungS-
raumeS barftetten, in welchem nun einmal ißunft, ©erabe, ©bene
bie einfachen ©lemente bitben.
$iefe Behauptungen werben befoitberS flargelegt, wenn wir
in ein ©ebiet herabfteigen, baS wir leichter beljerrfchen. ©teilen
wir uns wieber gweibimenfionate Söcfen W oor, welche auf
einer Slugeifläche K leben, ohne non einer britten ©imenfion
eine Slnfdjauung gu bcfijjeit. ®iefe Slugeifläche ift ihr a priori
gegebener SRaum, enblich unb unbegrengt, ba ein SiugelgroßfreiS
für ein SBefen \V baSfclbe ift wie für uns eine unbegrengte
©erabe. $itfer Staunt befißt ©igenfchaften, welche fid) in
anbereit, Don jenem SBefen W gu erlcrnettben ©runbwahrheiten,
Stjiomen, geigen müffen. Um bie Söinfelfumme im ®reied gu
fonftruiren, werben fie fid) eine ÜHaßeinheit gur SBinlelmeffnng
herfteUen, etwa inbem fie gwei aufeinaitber fenfrechte ©erabefte
(Slugelgroßlreife) giehcit; fie finben, baß jebeS $>reied (g. B.
A l'QP f5ig. 3) eine SSinfelfumme ergiebt, bie um eine Äon*
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ftanlc größer ift als $wei ihrer rechten SBinfel. ©ic er»
fennen ferner, baß jiuei ©erabefte fi<f) in 3 »ei fünften R unb R*
fdjneibcn u. f. f, ÜRichtS ^inbert bann jene SBefeit W, ©e»
Pachtungen in ber $infidjt anjufteflen, welche ©mpfinbungen
fie erfahren würben, faß« ifjr SRaunt ein anberS beschaffener
jweibimenfionaler, ein anbereS SRaumoib wäre, — um bamit
einen trefflichen SluSbrucf oon Softe gu acceptireit, ber ihn „feinen
©egnern gum ©cfdjenfe macht, als baS ©ingige, was er für
ihre ©ad)e thun fönne".
S)abei ift jeboch noch golgenbeS gu erwägen. Um bie
Sinologie ooöftänbig burchgufüftren, müßten wir für jene SSJefen
Boütommen freie Sewegung in ihrem 9taum auSfchlieften unb
il)re Sigenbemcgung an biejenige oon anberen gtoeibimenfionalen
©ebilben gebunben benfen, wie bie unferige an biejenige oon
©laneten. @S ift beS^alb fehr unwahrfcheinlicfj, ob bie W eg je-
mals in SSirflichleit fonftatiren fönnten, wenn fie wieber beit»
fetben abfoluten fRaumpunft R erreicht ha&en- Slujjerbem finb
ihre SReffungen ebenfaßS mit gehlem behaftet oorauSgufeften.
Slß uitfer ®enfen, auch bie Qnttwicfelung ber analfttifdjen
©eometrie ift an bie fRaumanfchauuitg gebunben. @S fteht uns
nichts im SEBege, eine ©egieftung groifefjen n Variablen aufgu»
Stellen, aber eine Slnfchaulidjleit fommt berfelben nicht mehr gu,
wenn n größer als brei ift; unb wenn gefagt wirb, burch Stuf«
ftellung einer linearen ©leidjung gwifeften oier Variablen fei
ein ebener oierbimenfionaler fRaum befinirt, fo ift fich ber
nüchterne 3Ratl)ematifer bewußt, bah bieS nichts weiter als eine
SiebenSart ift, bagu bienettb, geometrifche ©egiefjungen als ©pecial»
fälle eines allgemeineren ©efefteS auSgubrücfen ober gewiffe
©äfte gufammengufaffen. ®aS „ÄrümmungSma§ eittcS n>bi*
menfionafen SRcmmeS" ift eine analotiScfte gormel, oet eine
geometrifche ©ebeutung nur für n = i unD n = 2 emjpricht.
$afc bie ©rweiterung beS ©egriffs „fRaum" gum gweef
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ber .ftufammenfaffung unb gut Sßernteibung ooit Su$naf)tnen
einige SJicnfte leiften famt, jeigt fid^ beutticf) in ber Snalpfiä81
unb tafjt fidj nur fe^r umwflfommen bnr<h einige elementare
Seifpiete jeigen:
©dfon Äant unb 9)?übiug wiefen borauf fjin, baff gmei
fottgruente Xreiede in einer ©bene nid)t in jebcm galt burdf
SB erfdpebung innerhalb ber ©bene jur ©eduitg gebrad)t »erben
fönnen. 5Die 2)reiedc in gigur 10a taffen fic f) nur bann beden,
wenn mir bie
britte$imenfion
juf>ütfenet)nien,
alfo ba$ eine
2)reted um eine
©eite umflaf
pen. Stnalog
fönnen mir
f a g e n : $»ei
fongruente
ramiben — bie
alte ©eiten unb
SBinfet gleich
haben — taffen
fidj in jebem
galt jur üDedung bringen; beim wenn fie liegen »nie biejenigen non
3igur 10b, fo benfcn wir un$ uortjer bie eine in einem fingirtcit nier-
bimenfioitalen 9?aum umgeftappt. — ferner ift befamitlid) bei ber
Stnwenbung ber SDfafjbeftimmungen auf bie ©eomctrie a eine
©trede, a2 ein Cuabrat, a3 ein SlubuS; wa§ aber ift a4, aJ? 3U’
nädjft geometrifcf) nid)t beutbar. 9lber nad) ^utaffung be8 ®egriff8
mehrbimcnfionater 9täume entfällt aud) biefe Stuänatjme, unb es
ftetlt g. S8. a4 ba§ 9fefuftat ber Sntjaltäbeftimmung in einem oier-
bimenfionaten 9faum t>or. — ©cfjlcgel hot ferner bie regulären
f620)
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oo
^ßolpeber in einem mcl)rfad) auSgebelfnten SRaum uuterfndjt unb
gefunben, ba§ ber ©a|: es giebt nur 5 reguläre Körper (3fo<
faeber, $)obefaeber . .), baS StnfangSglieb einer gemiffen einfad)
gefe^mäfeigen Steife »on ©ä{)en ift ; im »ierbimenfionalen fRaum
gäbe es fed)S reguläre Slörper jc. — Sdjoit Gnbe beS »origen
Saljrhunberts »erfudjte ßagrangc bie SHecfjanif als eine
©eometrie »on »ier SDimenfionen aufaufaffen, inbem bie 3eit
als »ierte ftoorbinate ^injufommt. U. a. m.
©on einigen SJtifjüerftänbniffen ßofjeS möge nod) furj
bie Siebe fein (ßofce, ÜRetapfjpfif 1879, 2. ©ud) fioSmologie,
2. Sta p., 35ebuftionen beS ©aumeS, ©eite 246 ©d)Iufj, 248
©litte, 256 Anfang unb 9Ritte, 262 ©djlujj, 264 SDtitte; ßogif
1874, über Segrenjung ber fflegriffe, ©eite 217). Gr ermafjnt
feine gac^Senoffenr auf ^em ©renjgebiet jroifcfjen 2Ratl)ematif
unb ^ß^ilofopt)ie i^reö HmteS ju märten unb bie ferneren ©e*
beiden geltenb gu machen, welche fie im ©amen ber ^ß^ifofop^ie
gegen manche matf>ematifd)e ©pefulationen ber ©egenmart er*
heben foOten. Gr felbft legt gegen bie Gnueiterung beS
©e griffe „Staum" auf mefjrfad) auSgebeffnte ©pfteme heftige
©ermahrung ein : „GS ift burdjauS unjjuläffig, ©amen unb ©egriff
beS ©aumeS auf ©ebilbe ju übertragen, bie mit ifjm unter ben
gemeinfamen Oberbegriff eines anfdjaulichen CrbnungSfpftemS
fallen mürben . . ., ouS biefem gefährlichen Sprachgebrauch entfteljen
bie folgen, bie mir »or unS felfen: bie Sinnahme, eben ber
©aum, in meinem mir leben, l>abe mirftidj aufjer feinen brei
$>imenfiouen eine »ierte unb fei nur tiidifd) genug, fie unS nid)t
merfen ju taffen, vielleicht aber gelinge eS unS in 3ufunft, aud)
in fie hinein einen ©lief ju thun; bann mürben mir burd) fie
fpmmetrifdje Äörper ebenfo jur $ecfung bringen lönnen, mie in
ben breien bie fpmmctrifdien giguren &er ®&ene. . . . 28aS hätten
mir übrigens bann für ein ©ut gemontten, menn mir uns mit
bem Umffappen fpmmetrifrijer ©aumfiguren befdjäftigen lönnten,
(«21)
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56
uitb was geßt uns jeßt ab, ba wir eS nicßt fönnen, unb außer-
bem, muß beim baS alles fein, waS fd^ön Ware, wenn eS
wäre?" unb an bie träume ber gourieriften erinnernb: „bann
wirb eS freilich fdjön fein, wenn gejäßmte SBalfifcße unS burcß
bie werte ®imenfion beS .ßucfermeereS tragen werben." „Sa
gewiß ber Siame beS SiaumeS für uns nur ein OrbnungSftjftem
bebeutet, in welchem Wir biefe urfprünglicße, auS aritßmetifcßen
^Betrachtungen allein gar nicßt ableitbare Slttfcßauung ßabett,
fo gewiß ift eS logifcße Spielerei, ein Spftem uon oicr
ober fünf Eimenfionen nocß Staunt $u nennen, ©egen alle
folcße ißerfucße muß man fieß weßren; fie finb ©rim affen
ber SBiffenfcßaft, bie burcß DöHig nußlofe paraboyien baS
gewößnlicße Sßewußtfein einfcßücßtcrn uttb über fein gutes Stecßt
in ber SBegrettjung ber ^Begriffe täufcßen." Unter anberem be>
werft Soße: „Sieben oon einer ©erobert, bie als heimlicher ÄreiS
oon unenblichem SDurcßmeffer in fieß juriidtfeßre, oßne ißre
Siicßtung oeräubert ju ßaben, finb nießl Ußeile einer eja-
terifeßen SBiffenfcßaft, fonbern geugniffe einer
logifeßen ^Barbarei. Sticßts anbereS bezeugen biePßrafen
oon parallelen, bie fieß in unenblicßer Grntfernung
feßneiben füllen, fie feßneiben fieß in feiner enblicßen @nt-
fernung, unb ba jebe Gsntfernuitg, wenn man fie erreießt bäcßte,
toieber eine enblicße fein würbe, fo tßun fie eS überhaupt in
feiner; gan$ unjuläffig aber ift bie SBerfeßrung biefer 23er*
neinung in bie pofitioe SBeßauptung, im Unenblicßcn gebe es
einen Ort, wo ißr 2)urcßfcßritt ftattfänbe. 2)aS ift pompßafter
Äalfnl, bureß ben ooUftänbiger SBiberj'inn empfoßlen wirb." u. f. f.
Sleßnlicße ©rweiterungen Wie biejenige beS ÖegriffS Staum
finb in Dielen Zweigen ber SDtatßematif übließ unb Don großem
Siußen :
9IuS bem urfprünglicßett SBegriff ber gaßl, als Siefultat
ber wiebcrßolten Seßung eines ObjeftS, bie SÖerecfjti*
(C22)
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57
gung oon 3a^en tD'e 2 + 3 V — 1, — ö , V1* bireft nadjju*
weifen, wirb 9tiemanb gelingen. — 5 wirb als 3Q*}1 erft
baburd) eingefüfjrt, bajj bie Definition ber ©ubtraftion,
(a — b) -f b = a, aud) auf folcfje Sifferensen a — b auSge*
be^nt wirb, in benen ber ajiinuenbug fteiner ift als ber ©ub<
trafjenbuS; uub fjierju ift eine ©rroeiteruug beS Segrip ber
3af)t in bem ©inne erforberlidj, bafe audj foldje uneigentlic^e
Sifferensenformeit als 3Q^en in ber 2lritf)metif jugelaffen
werben. Sebermann aber weifj, welche 93ort£jeire für bie SS er*
einfadjung aritfymcti jdjer ©pradjweije bitrdj biefe
3ulaffung erlangt worben ift; eS ift barait möglich, bie ©ub>
traftion unter bie Stbbition, weiterhin bie Dioifion unter bie
SDtultiplifation ic. ju fubfumntiren.
Stetjulid) »erhält eS fic^ mit SBegriffen wie „unenblid) ferner
ißunft", „unenblid) ferne ©bene", „imaginäre Ä'reiSpuitfte" u. f. w.
Ser unenblid) ferne üßunft einer ©d)ar oon Sßaraßelen
ift offenbar fein „ißunft" im urfprünglidjen ©inne biefeö SBortS.
Seine ©infüf)rung beruht aber aud) auf nidjtS anberem, als
einer analgtifdjen ober geometrifdjen {Jeftfe^ung, weldje ermög-
licht, ©äfce jufammenjufaffen. ©tatt su fagen: 1) jwei ©crabe
fdjneiben fid) im allgemeinen in einem ißuuft, 2) in bem fpecieUen
gafl, wo fie parallel finb, fdjneiben fie fid) nidjt, oereinbarcn
wir su fagen: jwei ©erabe fdjneiben fidj ft et S in einem ipunft,
(nämlid) wenn fie parallel finb, in einem uneigentlidjen, bem
fogenannten unenblid) fernen fßunft). Saraus folgt bann
mit 9lotl)wenbigfeit, bie unenblid) fernen fßunfte aller 9iid)=
tungen auf einer (uneigentlidjen) ©erobert ju benfen. Äeinem
oernünftigen ÜDiatljematifer faßt cS ba^er ein, bie „unenblid)
fernen ©eraben" in einer beftimmten Sage auffud)en su woßen.
SicS finb afleS nur nüfclidje 9t ebenSarten, fpülfSmittel ber
SluSbrncfSroeife. ©ine metaphpfifdje ©pefulation ift hinter bem
SSegriff „unenblid)" in ber ÜKattjematif nur für Senjenigen
(C2!)
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»erborgen, weldjer bie Sutfteljung beSfelben unrichtig er*
faf?t Ijat.
333enn Sojje fragt: was gewännen wir für ein ®ut, wenn
roir in jebem galle ftjmmetrifd)e giguren äur Dedung bringen
fönnten? fo biirfte er mit bemfelben IRedjt fragen: was Ijaben
toir für ein ©ut gewonnen, toenti toir bie ermähnten Säge ber
©eometrie in ei nen sufammenfaffen? Antwort: @infad)f|eit
beS DenfenS. Unb oorauSgefejjt, bag bie 9J?ad)fd)e Definition
oon 2Biffenfd)aft als „Qelonomie beS DenfenS" für jutreffenb
anerfannt toirb, ift jenes ©erfahren ber Segriperweiterung
burdjauS wiffenfdjaftlidj.
Die fjeftige Abneigung monier ©Ijilofopfjen gegenüber ber
©Weiterung beS 'Jtaumbegrip lägt fid) übrigens leidster ocr»
ftefjen, wenn man bie tfjatfädjlidjen Uebergriffe fidj oergegen*
Wärtigt, bie aud) üon matl)ematifd)er Seite nidjt feiten finb.
Dr. ©uftao ©eil er mann oeröpntlidjt eine toiffenfd)aftlid)e
©eilage junt Programm beS ^önigftäbtifcfjen SReafgpmnafiumS
31t ©erlin, Cftcru 1889 mit bem Dljema: „SeweiS aus ber
neueren $Raumtl)eorie für bie ^Realität oon 3e*l
unb SRaunt unb für baS Dafein ©otteS", Programm*
nummer 95. So fidjer eS ift, bag jebe Slnwenbung beS matfje*
matifd)en SfalfulS auf bie 5ßf)t)fif nur ein ber Qualität, nidjt
ber Quantität itad) neues SRefultat bringen, bag infjaltlidj
nichts weiter tjcrauSgeredjitet werben fann, als oorljer burd) bie
©orauSfefcitngen gineingelegt würbe, fo gewig ift burd)
fRedjituitg baS Dafein ©otteS Weber $u beweifen, nod) ju be-
ftrciten; aud) nidjt burd) §errn Dr. ©uftao ©ellermann.
SBeniger IjarmfoS ift ein an jene intereffanten Unter*
fucfjutigen über bie regulären oierbimenfionalen ißolpeber fid)
anfdjliegenber ©erfitd) beS §errn Schlegel, 32 bie ©erljältniffe
beS oierbimenfionalen SRaunteS burd) ißrofeflion biefer ißolpeber
auf ben breibimenfionaleit ©aum ber menfddidjen fünfdjauung
(624)
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näßer gu bringe«: „unb nacßbem wir in ber ißrojeftion biefer
©ebilbe auf beit breibimenfionalen SRaum aud) ein I f S*
mittel ber ülnfcßauung gewonnen ßaben, wie mir eS in
analoger SBeife aud) in ber «Stereometrie benähen, fo feljen mir,
baß bie wiffenfcfjaftlidje ©ntwicfelung einer folgen oierbimen-
fionaten ©eometrie feineSwegS außer bem Sereid) ber ÜJföglid)«
feit liegt. $iefe 3ufunftSgeometrie wirb aüerbingS niemals bie
SBidjtigfeit unb ©cbeutung ber ©eometrie ber ©bene unb beS
SRaumeS erlangen, unb aud) in iljrer ©igenfdjaft als formales
©ilbungSmittel unferen Sdjufen fern bleiben, eS müßte beim
fein, baß in einer fünftigen ©eneration bie @nt*
laftung uon einem uitmobcrnen Sefjrftoff eine nod)
ungeahnte Steigerung beS 93orftellungS- unb $lb>
ftraftionSoermögenS gur $olge ffätte."
|>öl)ere Üfaume finb im ißrincip unöorfteflbar, ba aud)
bie allen menfdjlidjen SBorfteUungen gu ©runbe liegeitben @m>
pfinbungen an bie einzige breibimetifionale gornt gebunben finb,
in welker ficf) für uns bie ®inge orbnen. Um gum leßten
9Kal bie §elml)oI&’fdjen gweibimenfioiialen SBefen gu £>iilfe gu
rufen, — glaubt $err Scßlegel in ber £f)at fid) iibergeugen gu
fönnen, baß folcße SBefen, falls fie bie gweibintenfionale ©rutib«
rißebene E eines breibimenfionalen ©ebäubeS G bewoßnen, allein
burd) ben Slnblitf beS redjtecfigen ©runbriffeS G fid) in ißrer
SBorfteltung oon bem ©ebäube G felbft geförbert fiitben? 9fur
ein neues iRätßfel toirb bamit für fie auftreten. Cf)ne baS @e>
bäube G felbft einmal gefdjaut gu fjaben, mögen fie ißren ©eift
beliebig germarterit unb ifjre SßorftellungSfraft oerooHfommnen,
fie werben oon bem breibimenfionalen ©ebilbe G, baS itad) ber
briiteit 2)imenfion in beliebige Sntfentung fid) ausbeßnen famt,
niemals eine richtige Slnfcßauitng geioinnen. Huf meinem ©tanb«
punft fann id) ben Sdjlegel’fdjen lluterfucßungcn fein weiteres
Sntereffe als ein analptifdjeS eutgegenbringen.
(625)
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gür mich finb, mie bemerft, bie fogenannten höheren Säume
bloße anaftjtifäe giftionen. ©ie fcfjeinen mir Sehnliche« gu
fein im ©ebiet be« groar SJenfbaren, aber nid)t 33orftellbaren,
wie ber Stetfier ober bie Sltome im ©ebiet be« groar $or-
[teilbaren, aber nießt 2öaf)mef)mbaren. Slud) bie Sttome finb
bod) gunächft bloße gebanflidje £ülf«mittel gur 3U*
fammenf af fung. üötid) ergreift jebe«mat eine Strt SBeljjnutlj,
menn id) in einem populär»p^Qfifalifcfjen 93 ortrag ben ftaunen*
ben 3uf)örern mittßeilen höre, biefe ober jene ©djidjt g. SB.
einer biinnen ©eifeitblafe fei fo ungemein bünn, bafe ^öc^ft
»oa^rf c^einlid) nur ein eingige« SJtolefül neben bem anberen
fidj befinbet. 3Be«f)alb nießt ebenfogut 2 ober 17 7* Stolefüle?
Unb wie märe e«, menn un« bie Staterie gar nicht ben ©e-
fallen tfjun roollte, au« Sttomen gu befte^en? 933er e« unternimmt,
über bie abfolute ©röfee ober ba« ®eroid)t (nießt bie ©truftur)
eine« Stolefiil« Unterfuc^ungeu angufteflen, oergifet, bafe mau e« hier
mit einem biofeen (Srgeugnife unfere« Sleitfen« gu tljun |at,
unb gleidjt einem Stann, ber fo lange baoon träumte, roie
fdjön e« für ihn märe, an einer beftimmten ©teile feine« Slder«
einen ©djafc gu finben, bi« er in ber $hat nad} bem ©chafce
grub. SBenn jebem Sßrobuft unfere« SBerftanbe« ober unfern
^Sßantafic eine Sealität entfprec^en müfete, fo märe bie 3#
ber @rfaf)rung«miffenfcbafteu Legion; bie Su«bilbuitg einer
pßtjfifalifd^en Söafteriologie märe in naher Stu«fid)t.
©o meit ber eine matljematifdie Xhc^- ®en Snroenbungen
ber S£fjeorie Ijö^erer Säume auf S£ranfcenbcntalph#f unb
2ranfcenbentalpft)d)ologie fteße id) oöttig ablehnenb gegenüber.
Sßie ©djlufefotgerungen 3ößner« über bie (£ n bließf ei t ober
Unenblidjfeit ber Siaterie, roeldje gu 333iberfprüd)en be«
$>enfen« führen foflen, leiben an mandjerlei Stängeln. U. a.
roirb ben theoretifchen Unterfuchungen ba« SSariottcfdje ©efetj
gu ©runbe gelegt, ©elbft gugegeben, bafe mir nach ber 3. regula
(62«)
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Gl
philosophandi 9?ewtonS bie phhftfalifcheu (Sigenfd^aften (Tem-
peratur, Sftaffe, SluSbeßnung ic.) ber uns in ber 9iäf)e be*
famtten Körper auf bie in beliebiger gerne auf un8 toirfenben
mittelft ber Sinologie übertragen müffen, fo ift bie Slnwenbbarfeit
jenes ©efeßeS bo<^ nicht eine unbefcßränfte; baS Sföariottefche
©efeß ift ein bloßes iltäherungSgefeß unferer bisherigen @r*
fahrung; fd)on bei bem SDrud oon ißuloergafen ift eS nicht
mehr in aller ©trengc gültig. Sllfo auch biefe Srfahrutigen
über bie Befchränftheit ber Slmoenbbarfeit biefeS ©efeßeS müßten
mittelft Sinologie übertragen werben. UebrigenS, auch wenn
oom ©üblichen aufs Uncnblicfje gefchloffen werben bürfte, als
wäre SeßtereS eine fefte, beftimmte ©röße, wenn alfo jene Söiber*
fprüdje in ber That mit jwingenber ßlothwenbigfeit fich ergeben
würben, hätte Zöllner bie SSarnung Kants, ben er fo oft $u
fmlfe ruft, auch h‘er beherzigen müffen. gür Kant (Kriti! ber
reinen Vernunft) ift baS Unenbliche eine ber Slntinotnien,
oon benen ftets eine Behauptung unb ihr ©egentheil mit ber*
felben SBahrfcheinlicfjfeit fich ergeben unb über bie ber enblicfje
ÜDfenfcf) nicht weiter nachgrübeln foHe, ba fie für unferen Ber*
ftanb zu groß ober zu flein feien.
SBie erwähnt, betrachtet 3öflner bie ganze ©rfcheinungSwelt
als ©chattenprojeftion einer realeren oierbimenfionalen SBelt, unb
in einer aflerbingS weit nüchterneren Steife hoffte SRacf) über
gewiffe ungelöftc Probleme ber IßJjtjftf burch |>inzunahme einer
oierten Timenfwn Sicht oerbreiten zu föntten. ®S ift zuzugeben,
baß auf ©runb jener gößnerfcßen §tn^auung mit einiger
^ßbantafie fo zi«ulidj jeber räthfelhafte Slaturoorgang erflärt
werben fann. Slber in leßter Snftanz werben auch h*er bie
Schwierig feiten einfach in ein anbereS ©ebiet zurücf*
oerlegt; ähnlich wie bei ber ©rflärung ber ©rfcfjeinungen burch
Sltome ober berjcnigen ber ©ntftehung beS SebenS burch lieber*
tragung oon Keimen in Sßfeteorfteinen. ©oß ein zweibimenfionaleS
(627)
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23ifb bie ißrojeftion eineö räumlichen ©egenftanbeS fein, fo muß
baS VrojeftionScentrum eine beftimmte £age gegenüber ber
Vilbebene befijjen, eS muß in SSe^iehung auf lejjtere hinter
bem Objeft liegen, hierin liegt eine mirflitfie VorauSfefjung,
unb analog ift eS bei ber 3öH«erfchen SlnfdjauungStoeife. 3e
mehr VorauSfehmtgen jur ©rflärung eines Vorgangs miHfürlich
eingeführt tuerben, befto leichter ift felbftoerftänblich bie ,,@r«
flärung".
5Die behaupteten fpir itiftifchcn ffiahrnehmungen finb
ooöenbS nicht ©adje ber 9?aturmiffenfchaft. Cber beffer, wenn
'Jlaturerflärung ju befiniren ift als möglidjft einfache Verreibung
ber SJiaturerfcheinuitgen, fo ift baS £ierauSbringen beS ©chrot-
JornS aitS ber gefdjtoffenen ©laSfugel bnreh gemanbteS Ver*
taufcheu ber ©laSfugel mit einer anberen, ober baS ^reimerbeit
einer gebunbenen ijSerfoit burdj 2(nfpannung ber SDtuSfeln toährenb
beS ViubenS in weit einfadferer ©eife erf lärt, als burch Vor-
gänge in einem mirflid} ejiftirenbeit oierbimenfionalen SRaum.
UebrigenS toirb baS Treiben ber heutige« ©piritiften felbft
phantaftifche 9taturforfchcr nicht leicht »eranlaffen, ihren ©pe*
fulationen näher ju treten. ®ie SlnfchauungSroeifeit 3öß«erS
unb SJuprelS hüben menigftenS ihren guten 8 i n n ; im übrigen
aber reiht fich eine 2he°rie &eS Spiritismus an bie anbere,
ohne baß ftetS bie ermähnte Sigenfdjaft Ijinjuträte. ®a ift oon
„Sreujung oon Sraftfd|mingungSrt)thmen", oon SluSftröm ungen
beS „ObS" (eines lejjten räthfelhaften gluibumS) bie 9tebe;
©chlagmorte, toie Sltom, Slether, Sraft, merben, unflar erfaßt,
auS ber 9?aturmiffenfd)aft herübergenommen unb unbarmherzig
gehanbhabt. 3umal bie „Sraft" ift einigen ©piritiften ein
cbenfo geläufiger Vegriff, mie einem Vubcnbefifcer beS ßannftabter
VolfSfeftcS oon 1888, ber „Üiaturfräfte aller Slrt um ben billigen
VreiS oon 25 Pfennigen" Sebermamt jum Saufe bot; — fo
geläufig, baß fdjeinbar biefer Vegriff gar nicht mehr ber
C628)
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Definition bebarf. Der ^rofeffor an ber f. f. §ocf)fd)ule für
©obenfultur in SBien, Sd)lefinger, führt au$: „3eber Körper
befte^t auä einem finnlidj erfettnbaren D^eii unb einem ihn
umgebenben immateriellen Kräftefpftem ; ein ©latt Rapier wirb
betrieben eine anbere Kraftfphäre befifcen, als toentt eS
unb efd) rieben ift, unb eine Somnambule oermag ben Unter*
fdjieb biefer Kraftfpljären wahrzunehmen nnb bamit ein ge*
fdjloffetteS Rapier ju lefen." (3u bebauern ift nur, bajj baS
befchriebene Rapier feine ljöl)ere Kraftfphäre nidjt in ber 9iicf)tung
geltenb ju machen rocijj, über bie manchmal barauf itieberge*
legten Säfte beutlid) feine Ungebufb erfennen ju geben.)
S35er ficf> bie 9Kül)e nimmt, einige Jahrgänge ber fpiritifti*
fcfjen geitfchrift „Sp^inj" burdjjulefen, mit all ben 'äluffäften
über 2Jitjfti! unb OffultiSmuS Offenbarungen über baS gort*
leben unb ba$ QenfeitS, Dlefromantie, Räuberei unb Sßeiffagungett
aller Srt, wirb fich in bie bunfelften feiten beS SKittelalterS
oerfeftt füllen. SBaljr^aft erfrifd)enb inmitten biefer bumpfen
Sltmofphäre oon OffultiSmuS, wirft bie iteulid) in ben gedungen
Berichtete federe Spifobe oon iRefau, too „eS" fo lange unb
intenfio mit Kartoffeln unb ©ratpfanuen toarf, oftne felbft bett
©eiftlidjen beS Orts ju ocrfchonen, bis fid) fdjliefslid) bie ©e*
mopner in ihrer Verlegenheit an ben ^ß^Qftfer fjelmholft um
9tatf) manbten, wie einft bie Dclier in üfinlidjer 9?oth au baS
Drafel oon Delphi; ju früh för bie 9lad)welt würben bie natur»
toiffeujchaftlichen Stubien ber 9tefauer baburch unterbrochen, bajj
„ei“ fid) als ein $auSfnecht entpuppte.
Die SBirfungen, welche fid) Ulric i 33 oon ber fpiritiftifdjen
£ehre für bie Kräftigung beS ©laubenS an eine Ijöchfie fittliche
SSeltorbnung unb an bie Unfterblichfeit ber Seele oerfpricht,
bürften fe^r zweifelhafter illatur fein; möge und ein anbereS
gortleben nach ^ent $°b befchieben fein, als bie fpiritiftijdjen
Phänomene es funbgeben. 1) „©hhfifd) Qeratlien bie Seelen
(029)
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unferer Serftorbenen — fagt SBunbt31 — in bie Sflaberei
gewiffer lebcttber SNeitfchen, ber fog. SNebien. ®iefc Niebien
ftnb, gegenwärtig wenigftenS, nic£)t feljr oerbreitet unb feinen
faft auSfdjIießlic^ ber amerifanifchen Nationalität anjugchörcn.
*uf öefehl berfetben führen bie Seelen mechanifcfje Seiftungeu
auS, weldje burdhgängig ben Gtjarafter ber 3wedlofigfeit an
fid£) tragen, fie flopfen, heben Slifc^e unb Stühle, bewegen
Setten, fpiefen fwrmonitaS jc. 2) 3ntelleftuell öerfaHen bie
Seelen in einen guftanb, ber, foweit ihre in Schieferfchriften
niebergelegten Seiftungen auf ihn fchliefjen taffen, nur als ein
beflagenSwerther bezeichnet werben tarnt. 35iefe Schieferfdjrifteit
gehören burdjgängig bem ©ebiet beS höheren ober niebereu
SlöbfinnS an, namentlidj aber bem nieberen, b. h- fie finb
ööflig inhaltsleer. 3) ?lm retatio günftigften fcheint ber mo«
ralifdje 3«fl<*nb ber Seele« befdjaffen ju fein. Nach allen
3eugniffen läfct fid) ihnen nämlich ber S^arafter ber §arm.
lofigfeit nicht abfprechen. gür brutalere §attblungen, Wie 3. ö.
3erftörung eines SettfchirmS, eittfdjulbigen fich bie ©eifter aufs
höflichfte . . ." SBunbt finbet eine entfittlichenbe SSirfuug beS
Spiritismus in ber ©ntfrembung 001t einer ernften, bem $$icitft
ber SSiffenfchaft ober eines praftif<hen SerufS gewibnteten Slrbeit.
Nod; höher anjufchlagett finb bie unwürbigen Sorftellungeu
bott bem 3«ftanb beS ©eifteS nach bem £ob; am oerberblichften
erfcheint baS 3errbilb, welches baS fpiritiftifdje Spftem üon
bem SSalten einer höheren SBeltorbnung entwirft, inbem eS
SNenfdjett oon minbeftenS höchft gewöhnlidjer geiftiger unb fitt«
»icher Segabung ju auSerlefenen SSertjeugeit ber 33orfef)ung
ftempelt.
SDie Serfuche, theologifdje fragen mit 3«h«lfenahme
naturwiffenfchaftlicher Theorien, fpecieH ber 3ööuerfchen Theorie
mehrbimenfionaler Näume, ju beantworten, gehören einem glüd*
licherweife faft überwunbenen Stanbpunft an. 9Jian gewöhnt
(630)
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65
fid) mefjr unb meljr, bie Staturwiffenfdjaft mtb Xljeologie als
getrennte SDiScipIinen ju betrauten, bie nidjtS mitehtanber ju
ttjun fabelt, unb non betten nidjt bie eine ju ber an«
beren Dertoenbet werben barf.
35ieS fdjeint eine golge ber mobernen SCefinirung Don
Staturerflärung. So lange ntan hoffte, bie SiaturDorgänge
felbft erflären, b. f}. auf iE>re lebten Urfadiett prüdfüljren
ju fömtcn, mufften tljeologifdje fragen burd) aßeS angeregt
»erben. ®ie brei lefctDergangenen Qafjrljunberte weifen eine für
unfere jefcigen Ülnfdjauungen auffaßcnbe t8ermifd)ung Don
Geologie unb Staturwiffenfdjaft auf. Steper,35 ber ©rfinber
ber £ogaritt|men, war nebenbei ein eifriger Xljeologe; er fdprieb
eine Auslegung ber Slpofaltjpfe mit ißropofitionett unb matlje*
ntatifdjen Seweifen. Otto ü. ©uericfe, ber (Srfinber ber Suft»
pumpe, befd^äftigte fidj ju Anfang feine« 93ud)S mit bem SBunber
beS Sofua, weldjes er mit bem Slopentifanifdjen Spftem in
(Sinflang p bringen fudjt, unb mitten in Unterfucfpngen über
ben leeren Siaum unb bie Statur ber Suft finben fid} fragen
über ben Ort beS Rimmels unb ben Crt ber fijöfle erörtert.
2DaS fjSrinjip ber Ueinften SSirfung, baS für bie Söfung einiger
fpeciefler Aufgaben gute S5ienfte teiftet, würbe p einem fjalb
tljeologifdjen, — baS Sidjt Wäljlt in bemfelbett ÜJtittel bas
SJtinimum beS SBegS, beim Uebergang Don einem SJtittel in ein
anbereS baS SJfinimunt ber $eit, bet Ätel einer geber eines
®ogelS ift ein Sörper fleinften SBiberftanbeS tc. — Stad) ber
heutigen SBorfteßung bewegt fid) baS £id)t auf allen SBcgen,
aber nur auf ben SBegen fleinfter 3e** Derftärfen fid) bie £icf)t»
roeßen berart, baff ein mcrflidjeS Stefultat p ftaube fommt.
2>aS ißrinjip ber „Sparfamfeit ber Statur", fagt SJtad), brüefen
mir lieber weniger ergaben, aber Diel aufflärenber unb richtiger
auS: @S gefdjiefjt immer nur fo Diel, als oerntöge ber Slräfte
unb Umftänbe gefdjeljen fattn. 2)ie Stettenlinie weift beit tiefften
Sammtunfl. 3t. g. V. 112. 113.
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66
©chwerpunft auf, weit nur bei bem tiefften ©djwerpunft (ein
weiteres gaflett ber ßettengtieber möglich ift.
Saplace gab Napoleon auf beffen grage, warum in feiner
mecanique celeste nicht wie in ben ©griffen 9?ewton$ ber
■Karne ©otteS oorfomme, jur Mntwort: ,,Sire, je n’avais pas
besoin de cette hypothese“, unb ben ©tauben 9iewtonS an
einen perfönlichen, allmächtigen, allgegenwärtigen ©ott fudjte er
bamit ju erftären, baff 9lewton bamals nicht bei gefunben
©innen gewefen fei. Sener Sluäfpruch 2aplace$ ift geroife
ein friooleö SBort, baä unter §albgebilbeten üiel Unheil ge>
ftiftet hat, baä aber ber UebergangSperiobe trefflich entfprieht.
|jeutjutage befiniren wir Katurerflärung als 3er*e9un9
ber fomplijirten Shatfadfen in mögtichft wenige unb
möglichft einfache; eS gilt alfo, erftenS möglichft tjiele 39e>
obadjtuugen in einer überfichtlichen fjrorm jufammenjufaffen unb
zweitens bie einjelnen ^Beobachtungen in möglichft einfache ju
jerlegen. ©in mal müffen Wir biefe 3er*e9un9 einfteHen. 3ln
welchem Vunft bieS bergall ift, alfo wann wir fagen wollen,
jefjt fei ein Katuroorgang auf bie ein fach ft e SEBeife beschrieben,
bleibt un$ iiberlaffen.
®ie Sltomtheorie ober bie Theorie beS 2letf)er$ finb baher,
wie fchon erwähnt, nur oorläufige $ülf$mittel, oou unferem
Verftanb für 3*^* ber 3ufainrnei1faffung erfunbeit. ©elbft
wenn eS fchon gelungen wäre, alle phhfüalifchen ©Meinungen
ber ©rauitation, ber ©leftricität, beS ÜKagnetiSmuS rc., ja felbft
bie feelifdjeu Vorgänge auf ^Bewegungen oon Sltomen ober
auf Stetherfcfjwingungen jurüefjuführen, — was hätten wir
bamit für ein anbereS 3'e* erreicht, als Vereinfachung beS
5>enfenS; irgenb ein thatfädjlicheS ©eheimnifj wäre ber Vatur
nicht abgetrofct ; nur fompli jirtere Väthfel auf einfachere Siätljfel
rebu^irt. 333er anberS betift, oerwcchfelt 9iaturwiffenfcf)aft mit
naioer Vewuuberung ber Triumphe heutiger gorfdpmg. ©ehr
(632)
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67
oft bringt größere ©rfenntnijj größere ©elbftbefcßränfmtg
mit ficß.
demjenigen Ulaturforfcßer, welcßer behauptet, bie IRicßtigfeit
ber materialiftifcßen SBeltanfcßauung baburcß beweifen ju fönnen,
bafj er ben Söecßfel ber SRaturerfcßeinungen in ein 3ufatlgfpiel
oon SDiolefüIen auflöft, muß twrßer bie Stufgabe geftellt werben,
bie Sjifteitj ber SNolefüle ju beweifen; — eine Aufgabe, bie
ftetS ungelöft bleiben wirb, ba bag fiepte, wo« hinter ben @r*
fcßeinungen liegt, immer nur ©rjeugniß unfereg fubjeftioen
deufeng ift ; eg ift nicßt auggefcßl offen, baß bie jeßigen p^gfifali*
fdjen £>iilfgöorftelIungen einmal buriß anbere würben »erbringt
werben.
Unbeeinflußt burcß alle tRefultate ber ejaften gorfcßung
finb unb bleiben baßer bie tßeologifcßett Slnficßten Sebermanng
^riöatfacße, bie er freiließ am beften nicßt t»or bie Oeffeutlicßfeit
bringt, „die ßöcßfte Statur -ißßilofopßie ift, eine umwUeubete
SSeltanfcßauung ju ertragen unb einer fcßeinbar abgefcßfoffenen,
aber unjureicßenbett oorjujießen".
die 9Zaturwiffenfcßaft felbft ßat eg nur mit ben öeob-
acßtunggtßatfacßen ju tßun, unb nur burcß bag gehalten an
ben dßatfacßen wirb ficß biefelbe entwicfeln. ©eßen wir baßer
oon ©pefulationen ab, welcße, nicßt auf bem ©runb ber Gcmpirif
rußenb, ficß ing Stebelßafte »edieren. Sebermann barf, ja foll
ficß bie ßöcßften 3iele ftecfen; aber aucß für ben nücßternen
ÜJiatßematifer unb Staturforfcßer liegt ein weiteg ©ebiet frei
unb offen nacß allen ©eiten üor — feßr im ©egenfaß ju mancß
anberen digciplinen — , Probleme, umfaffenb genug, bie ernfte
Strbeit eineg SDtenfcßenlebeng ju füllen.
5* (G33)
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5lninctfunflcu.
1 Stäpcrcö f. ©eeg. ©pmnafialprograntm, flauen 1888, 9tr 514.
5 911$ Grgängung ju einer ©emerfung bon «Dta<p, ,,©ie «Recpanif
in iprer Gntroideluug, piftorifcp • fritifcp bargcflcQt", 1883 , 6. 465 9ln-
mcrlung.
3 Jpelmpolp, ©opuläre wiffenfcpaftlicpe Sorträge, 4. §eft: „lieber
ben Urjprung unb bie ©ebeutung ber geometrifepen 9ljiome."
* ©gl. hierüber auep: T>iltmanu, „®ie ©tatpematif, bie &adel-
trägerin einer neuen 3'**-" Stuttgart 1889, foraie eine ©efpreepung biefer
©sprift non 91. ©d)mibt, ©fatpem. «natum. SRittpeilutigen, perauSgegebett
non Dr. 0. ©öflen, ©anb III. 1. £>eft.
6 3üHner (f 1882 al$ ©rofeffor an ber Uniöerfität in fieipjig,
„lieber bie Statur ber S’ometcn“, 1872.
9 lieber ba$ folgenbc ogl. baö ©erf ©ilpelm ©teper3, bc* be-
fannten aftroitomifcpen 3cuillctoniften, „5>ie Gntftepung ber Grbe unb b<4
3rbifcpcn„, 1888.
I 0lber3, „lieber bie Tiircpficptigfcit bc$ ©eltraum$“, 1826.
8 ©gl. barüber g. ©. ©eprauep, „$a8 ©ringip »on ber Grpaltung
ber Gnergie feit Stöbert ©ieper", 1885.
9 ®icfe3 ©ringip ift nur bie Folgerung au$ ber Grfaprung$«
tpatfaspe, baß bie ©arme niemals! opne fiompenfationen Don fiöipern
niebercr gu foldjen pöperer Temperatur übergepen fann. fonbern nur um-
gefeprt, barf alfo auep niept apobiftifepe ©eroeiölraft erpalten.
19 SRiemann. gefamm. ©erfe „lieber bie $>ppotpcfen, bie ber ©eo
metrie gu ©runbe liegen."
II «Dl oft, „«Reue ©arleguttg ber abfoluten Geometrie unb ©ecpatiif
mit ©erfidfieptigung ber grogc nadj ben ©reuten be$ ©eltraum$", ©ro-
grantm 1883.
11 ©ceg, SRisp., „lieber bie Guflibifspc unb niept • Gudibifdje ©ec«
metrie", ©rogramm 1888, ©. 12.
13 ßöllner, „©iffenfspaftlispe 9lbpanblung", ©b. 1.
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69
“ Sant, „Ponbem erften Unterfdjieb ber öegenben im iRaum" 1768.
©efamm. Werte Sb. V. ©. 298 ff.
15 Äant, „Prolegomeua 311 jeber fünftigen 9J?clapl)t)fif", ®ef. Serie
Pb. IH. ©. 40 ff.
19 3ötlncr, „Siffenfdjaftlidje Sbbaublungen", Pb. I., „lieber Emil
bu Poiö SHepmoitbÖ ©reifen beä 9?aturertenuenö". Pgl. audj Saut.
Sritif ber reinen Vernunft, ©. 366.
17 ©artoriuö non SalterSbaufen, „©ruß jum ®ebäd)tni&*, Seipjig
1856. S. 81.
19 Sladj, „Tie ©eft^ic^te unb bie SBurjel beö ©apeö non ber Er-
haltung ber Slrbeit". 1872.
19 fKientann, ®ef. Serie, „9leue matbentatifdje Prinsipien ber
Saturpbilofopbie".
*® „La chimie dans l’espace“ non nan’t §off, 1875, Porrebc
non 3- Siöliceituä.
91 Sant, „Träume eine« ©eifterjeberö, erläutert burdj Träume ber
Pletapbpfif.“ 1766, ®cfam. Serie, 'Pb. VH. ©. 32 ff.
99 Saut, „Porlcfungen über Pfpdjologie", neu beraubgegeben unb
mit einer längeren (Einleitung oerfeben non Sari bu prel.
71 Sirdjner. „Ter ©piritiSmuö, bie Starrheit unfereS 3e<*alterä";
„Teutfcbe 3«!’ unb Streitfragen", bernuSgegeben »on 3r. P. ^olßcnborff,
Jahrgang XII. §eft 186/187.
94 (Setermann, „©ejprädje mit ©oetlje", III. 133—139.
9i Tu Prel, f. befonberS bie ermähnte Einleitung „fiantö mpftifebe
Seltanfcbauung" ju SantS Porlefungen über Pfucbologie, fomie nielc 9luf*
fäfce in ber „©pbinj". SWonatöjdjrift für iiberjinnlidje Seltanfdjauung,
3. 'S. 3“brgang 1886, Pprilbeft, „Ter Slftral • Seib". U. a. $>aupt-
oertreter beä inobcrucn ©piritiöntu«: Groofeö, lllrici, 3- £>• 3id)tc, poff-
mann, Pertt), SaHace, Ptfalom, bu Prel, Wellenbad), Eb. n. .fiartmann,
Peidjcubad), !£>übbe-Sd)leiben, Sicfetnettcr, Staat
99 lieber bie ©efeße beö 3“iammenbangö, ber gegenfeitigeu Üage unb
ber Pufeinanberfolge non Putiften, ijinien, glädjen, ftorpern unb iljrer
Tbeilt i"1 Paum ngl. Cotar Simonp, Si$ungöbcrid)te ber Saif. ?lf.
b. Siff. in Sien, Paitb 88, Slblbl. 2, ©. 967, 18811, ferner 3 ob-
Pen. Sifting, „Porftubien jur Topologie", ©öttinger ©tubien 1847,
1. Pbtbl-, S. 814; au$ ber neueften 3e't; Tingclbct), „Topologiidje
Stubien über bie auö ringförmig gefebloffenen Sänbern burd) gcroiffe ©ebnilte
erjeugbaren ©ebilbe", Seipjig, Teubner 1890.
97 £enrt) Store, „Enchiridium metaphysicum“, 1671.
99 Sfricferö SJebenöbilb non Ebmaun, Pfarrer in llnterjefingen
(Sürttemberg).
(635)
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70
19 ftr. (£ fjr. Detinger (1702— 1782), „DaSSbftem §erm griderS".
CSinjelne Stupitdübericbriften finb u. a. : 3. Bon bem ©enfrben nad) bet
©eburt beS ©eifteS auf bie mietbare ©clt; 4. oon bcm gro&en ©eit«
ipftem, jo .pimmcl unb ©rbe begreift; 5. bon ber Serfajfung beS öaitjen
im unftdjtbnren ©etfterreid) ; 6. pbiloiopbiidjer Beweis, baß bie Seele fid)
feilen ober trennen unb in jmei entfernten Orten jugleid) fidj befinben
ober mit gmei ocrfdjiebenen materiellen Umftänben menigftenS eine 8e«Ian8
oerbunben fein fönnc rc.
50 3öHner, 3. Banb ber „©iffenfibaftlirben Sbbanblungen“. Un-
richtig biirfte eS fein, roenn 3öÜner folgenbe Aeufjernng oon ©auf) ben
©ebanfen an oierbimenfionate Säume unterfebiebt: „®S giebt fragen, auf
bereu Beantwortung id) einen unenb(id) Diel böseren ©ertb legen würbe,
als auf bie matbematifdjen ; j. B. über ©tbil, über unfer Serbältnijj ja
©ott, über unfere Beftimmung unb über unfere gufouf*- '8 m>r
gleichgültig, ob ber Saturn 5 ober 7 Slonbe bat, — e8 giebt etwas ^>ö^ere4
in ber ©eit. Ob bie Seele 80 3al)re »ber 80 Sliüionen 3abte ,eM-
wenn fie einmal untergeben foll, fo ift biefer 3e>traum bod; nur eine
©algcnfrift; cnblid) würbe eS oorbei fein müffen. 9Ran wirb baber ju
ber Anfidjt gebrängt, für bie ohne eine ftrengc wiffenfdjaftlidje Begrüitbung
fo oieles anbere joriebt, bafj neben biefer materiellen ©eit nodj
eine gmeite, rein geiftige ©eltorbnu ng ejiftirt, mit ebenfo
oiel ©annigfaltigfeit als bie.inber mir leben,— ibr folltn
mir tbeilbaftig werben."
81 © er fen, Programm beS SealgbmnafiumS gu Bfdeberg, 1886/87,
Brogrammnummer 102, 1887. „Die p^itofop^ifc^en ©runblagen ber
©atbematif.“
** lieber bie neueren ftorftbungen Dgl. befonberS fiilliitg, „Die nidf!
ßuflibijtben Saumformen"; Stbur, „Ucbcr bie Deformation ber Säume
fonftanten Siemannfdjen ßriimmungSmafjeS" SRatb- Annalen Bb. 27,
S 170; Brill, «Salb- Annalen, Bb. 26. S. 4; S. Bceg. „lieber
SKannigfaltigteiten pö^ercr Drbnuitg" , SJatb- Annalen Bb. 7, ©. 392;
S. Beeg 1. c.
83 Sdjlegcl, „lieber ben fogenannten oierbimenfionalen Saum“;
'Allgemein oerftänbl naturwifjenjcbaftl. Abbanblungen, $eft 1, Berlag oon
Ö. Sicmann, 1888.
31 lllrici, „Der iogenanntc Spiritismus. eine mifienftbaftlieb*
3ragc", 1889; gntgegnung barauf: ©unbt, „Der Spiritismus, eine fo«
genannte miffenfcbaftlicbe ftrage.“
“ lieber baS golgcnbe ogl. Blad), „Die SKeibanif in ihrer ®nt«
midelung ^iftorifcf) • fritifc^ bargcftetlt", 1883.
(C3ö)
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Jtrlagsunflolt nn& Prniferrri |.=ß. (normale 3. #. fiirijtn) in Saabarg.
Bie ©rßttym ti?s Jlra'finns.
Bon
Dr. B. (CullmT,
Sorrefponbirenbcm TOitglieb bei SocICtd mÄ<lico-psycholo(flque ju ^actJ.
Qn§ ®entfche übertragen
Don
Dr. med. ffitto Bornbliitl),
gweitem Strjte bei $toomjial'3rrenanftalt Sreuj&urg C.-3.
@t. 8° (VIII unb 272 ©.). 5ßrei8 5 3JU- eteg. geh-, 6 Ulf. eieg. geh.
Srfter Slbfdjnitt. ^rrefein, ©rblic^feit, geiftige »nb fittlidje öntartungen.
L 9Iatur unb Urfprung be$ 3rrefein$. II. Die ©rennen be? 3rre(ein«.
HL körperliche, geiftige unb fittlicf)e Seich™ ber erblichen Entartung.
3njeiter SIbfchnttt. ®ie 3tt,an9:gäuft^n^e-
L Die ^Sta^angft- II. Die S^bfelfucht ober ©riibeffucht. m. Die
Serührungöfur^t. IV. Berfdjiebene geiftige 3ro“ng3iuftänbe.
^Dritter Slbfifinitt. ßranfhafte Jriebe.
I. Selbftmorb* unb 2Korbtrieb. II. Die Dipfotnanie. III. Untciberftchlicher
Irieb jum Stehlen, ju Einläufen, jum Spiel. IV. Die Bpromanie (ber
BranbftiftungStrieb).
Vierter Slbfchnitt. ®ie Gycentrifd^en.
I. Unftetc, Slbenteurer II. Ejciraoagante unb ©chmufcige. HI. f^od)1
müthige unb Berfdjroenber. IV. Erfinber, Dräumer unb Utopiften.
fünfter Slbfdfjnitt. Verfolger.
I. Verfolgte Verfolger. II. Ißrojefjfüihtige. III. Eiferfücfjtige.
Sechster Slbfdjnitt. ©djttmrmer.
I. Eigentliche Schtoärmer. II. ganatifer. III. Erotomanen (Siebebroiitbige .
(Siebenter Slbfcfjnitt. S?erberbte.
I. $bfierifche. n. Sügner. III. Simulanten. IV. Berbredjer.
Sichter 2lbfcf)nitt. @efd)Iecf)tltcfj Slbttorme.
I Slbtocichungen beb @eidjled)t3triebeS. II SBerfehrungen ber ©ejdjlechte-
empfinbung. III. SInbere gcjchledjtliche Berirrungeu.
SZeunter 2lbfcf;nitt. fragen ouö bev gerichtlichen ÜKebijin.
I. Verbrechen unb Srrefein. II. llnterfdjeibenbe Diognoflif. III. 3U‘
rechnungbfähigfeit.
Zehnter Slbfchnitt. Qrrefeiit unb Gibilifation.
I. Dal 3rrefein in ber ©cfcpichte. II. Srrefein, Talent unb @enie.
DI. Die ißftjchopathologie in flitteratur unb kunft.
fBrnn ti bem Sucht gelingt, in »eitere «reife tu Dringen, »ich ti manchen
liuetu ftiften tonnen.
Dr. Frhr. von Banehmann in „SleS.-ßhir. tHunbfchau”, ÜBicn.
3ebrnfaü8 barf man Dem Uebcrfeber. ber in gelungener ffieiie feiner Hufgabe
gerettet geworben, Xant wifjrn. baä ebenio iitteceffanle aI4 brlchtenbe Such weiteren Steifen
tugdnglidj gemocht tu heben, unb lünnen wir bie Stettüre beC-frlben indbeionbere ben Srttlichen
ÄoDcjcn mit allem «runb anempfehlen. (geitfcfirift für ISftntiintrte.)
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ürrlageanftult uab Oraibrrri |.=0>. (oormala 3. f. Sielet) ia fjamliri.
m
piblifdje «nl> profane PEHmbertkäter. ®on 2lmort
bem 3üngetcn 1.60
Pie Por|teUunßen von ber §ecle. Sou 9Ibolf ®aftian 1.—
pctuegunga- unb pinncauorfteUungen bce |ttcn-
fdjcn in iljren pegieijungcn ?u feiner ©rofj-
kirnobcrflädjc. ®on Dr. Earo. SWtt 6 9lbbifbungcit — —.80
Per 3U p. ®on Dr. Euba|d) —.75
Pie Pflege bcrllrrenfanfi unb ici|t. ®on Dr. C. EngeHjorn — 60
lieber ©ciftceltörungcn unb ©etficakranke. ®oii
©et|. SDleb.OHatf) Dr. 6. JJ. Jlcmmiug —.60
pdjlaf unb ®raum. Sou Dr. grcnSbcrg —.60
$piritientua unb pdjule, ®on Dr. roed. Rebler 1.—
® räumen unb Renken. 2. 9lufl. ®on Dr. 3uliu$ 3enfen —.75
STljun unb pattbcln. ®on Dr. SuliuS 3enfen —.75
Per ppiritiamua.bieilarrkeit unferca§eitalter*.
®oii Lie. Dr. Stinktier 2.—
lieber bic pinneanmkrncljmungcn. 2. 2lufl. 2?on
®rof. Dr. E. 2ct)ben —.60
Per Pppnotiamna. ®on ®rof. Dr. E. 9Rcnbel —.80
lieber pinucatäufdjungen. ®on ®rof. Dr. Hermann SWeper —.75
Pie gegenwärtige ptlicberbclebung bca pcacen-
glaubcna. ®on 3-ricbricb 91ippolb 2.—
lieber bic ©renjen iwifdjen pfxjdjifdjcr ©cfunb-
Ijcit tntb ©ei|tca|töruttg. ®on Dr. 'Uelmanu —.75
QElgcorie bca glberglaubena. ®on Dr ®fleiberer —.75
lieber ©mpftnbitngen. 2. 9lbj. ®on Dr. 28. ®rct)cr — —.75
lieber Aberglauben unb gjtttjfKciantu» in ber
|ttcbigin. 2. Slufl. ®on ®rof. Siegmunb SKofenftein —.75
©rinnerung unb ©cbädjtniff. ®on gerb, ©djulfc —.60
Paa ©rautnleben ber pcclc. ®on ®rof. Dr. $. Siebccf —.75
Pie geitlidje A**feinanberfolge ber ©ebanken.
®on ®rof. fiubro. Strümpell —.75
pinncaroaljrnckntungcn u. piuueatäufdiungcn.
®cm Dr. 5». ©ciibt —.60
Pie erften gjätfc ber ©rkenntniff, inabefonbere
baa ©efek ber llrfädjlidjkcit unb bie |tHrk-
lid)kcit ber Auncmoclt. Son Dr. Ebriftian 2Biener —.*50
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jüietto Atdiuo
flla §tammnat£r öes mkxm gitterattntljunis.
©ine (Sfyirafterftubie
nuä bcr itaüenifdjen ^Henaiffaucc
oon
j»re. 'jtfmttfini)
in SJiündji'ii.
Hamburg.
$8edagSan|ta(t tiub 35rucferei 31. ■($. (öinmalS 3f. 5. sJJicf)ter).
1890.
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®Q6 Siecht bet Uebcrfebung in frembe ©brocken wirb norbebalten
i'rurf btr SSttlagianfialt unb Srudtrtt Scttai-SefcDfdpft
(ttormaU 3. 3- SRid^trr) in Qantburg.
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Bu ben inteveffanteftcn, freilich nicht gerabe erfreulidjften
(Srfcheinungen, welche bas Zeitalter ber fRenaiffance fjeröorgebrad^t,
gehört gweifellog fßietro ber STretiner, unb nicht mit Unrecht hat
man behauptet, bafj burd) bag Auftreten biefeS bämonifd|en
2Renfd)en bag 93ilb jener wiberfprudjgtollen @pod)e erft ben
lebten ißinjelftrid) ermatten habe.
2)er ebenfo begabte mie d)arafteriofe ©djriftfteüer fßietro
Slretino, ber in feinem ©d)affen bie gange Sßielfeitigfeit ber ba*
maligen italienifdjen Sitteratur ftreifte unb auf bie öffentliche
Meinung bie einbringenbfte SBirfung augubte, bern feine 3eit‘
genoffen, gefrönte Häupter unb unfterblidje Zünftler, bie ehren-
ooflften Seinamen gaben, fyofye üBürben »erliefen unb um
gegärte fReidjthümer in ben @d>ofj marfen, ift ung gugleid) ber
nollgültigfte SRepräfentant jener ßeit ungezügelter ©enufjfud)t,
bie in ihm, fann man fagen, ihren ^»iftoriograp^en gefunben.
©eine ©Triften finb mie fein ©rab nahegu oergeffen, fein
'Jiame gebranbmarft; bie £itteraturgefd)id)te gwar ermähnt feiner,
bocf) wo eg gefd)iefjt, ba ift bag Urteil über ihn ein ftreng
oerwerfenbes. Sber wenn immer ber Äretiner fold) ruljmlofen
Untergang felbft mitoerfdjulber haben mag, für ung, ©öf)ne
eineg anberen 3af)rhunbertg, eineg anberen ßanbeg, mag eg nicht
ohne Sntereffe fein, beit merfmürbigctt SDiann im fRahmen feiner
3eit betrachten gu biirfen.
Sammlung. fr. V. 114. . 1* (G39)
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4
^ßietro Stretino tourbe am 20. Sprit 1492 im Spital ber
fteinen Stabt Srejjo geboren. Sr gilt al« ber illegitime Soljn
eine« Sbelmanne« Suigi ©acci unb einer feiten Xodjter be«
©täbtd)en«. $ita, bie SJiutter Pietro«, bot oielfadj SWatern
unb Silbbauern al« 9KobeH gebient, unb noch fte^t man über
ber jt^ilre ber ©t. ©eter«fircbe ju Sre^jo einen bem ihrigen
naebgebitbeten fföabonnenfopf. ^ietro befudjte einige Sabre lang
bie ©ebuten feiner ©aterftabt, rno er fid) jeboeb in feiner SBetfe
au«zei(bnete unb in gar nicht« ba« Verfangen betbätigte, fiep
Senntniffe unb Siffen anzueignen, miemobt ihm ffar fein muffte,
baff er, ohne Kamen, ohne gantilie, obne greunbe unb ©efibüfcer,
einzig unb allein auf ftd) felber angeroiefen, beit 933eg butdj bie
28elt ju machen hotte. 2Jiit breijebn fahren beftabl er feine
SKutter unb ftob nach ^ßerugia, mofelbft er bei einem Sudfbinber
in bie Sehre trat unb bi« zu feinem neunzehnten Seben«jabre
oerblieb. Kacb einer anberen Se«art muffte er au« Srejjo
fliehen, roeit er gegen ben Sblajs ein beiffenbe« ©onett gefd^riebeit.
‘I)amal« regierte ißapft Suliu« II. Sr regierte mit bem
|jelm auf bem Raupte, benn e« galt bie ©orgia« zu oertreiben,
©ologna zu erobern, ben Herzog oon gerrara in ben ©ann zu
thun, ba« empörte glorenz zur Kühe zu bringen unb gegen bie
ftotje Kepublif ©enebig mit Saifer SKajintilian unb Sönig
Subioig XIII. oon granfreicb bie Sigue oon Sambrap zH
fcplieffen. ©o perrfebte in Italien allenthalben bie geöffte Unruhe,
ba« ganze Sanb glich einem Heerlager, in roelcbem e« toenig
Kaum gab für bie fünfte be« ^rieben«, unb wer biefen oblag,
ber fab ficb oft genötigt, oon Stabt zu ©tabt zu jie^en,
miihfam fein Scben zu friften mit Su«fübriutg Meiner Sufträge,
bie ipm ba unb bort zu tbeil mürben. Sber e« maren immerhin
feiten, roo einem fühnen Sbenteurer ba« ©liicf in feinen oer«
lorfenbften ©eftalten roinfte. 2)ie ^ßbautafte be« jungen Such1
binber« Sretino, genährt burdj eine eifrige, aber ganz regellose
(640) :
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2eftüre, erwachte, unb er befchlofj, 1511, von Perugia auSju-
wanbern. ®r machte fich auf ben Beg of)ne fReifebünbel, ja
offne einen $eßer ©elb in ber Dafdje. DtichtS als feine Reibung
auf bem 2eibe befifcenb, erreichte er vagabunbirenb bie ewige
ffionta. ©in begüterter Kaufmann, ber befannte Sgoftino ßf)igi,
ber in ©omp unb 2ujuS eS ben dürften gleichet, nahm ben
abgeriffenen Sanbftreidjer unter bie $ahl feinet Wiener auf.
Der Siretiner entwenbete eine fifberne Daffe unb entfloh aus
gurd)t vor ©träfe. Äurje $eit fpäter finben wir ihn in Dienften
beS ÄarbinalS ©an ©iovaitni, Welker verfpricht, fich bei
SuliuS II. für ihn ju verwenben. Der ©lan fc^tägt fehl unb
©ietro burd^irrt bie 2ombarbei. @r führt ein ziemlich auS-
fdfweifenbeS 2eben unb wirb bann in fRavenna Sfapujiner.
Slber er vermag bem Slofterleben feinen ©cfdjmad abjugewinnen,
wirft bie töutte ab unb befdfliefjt, auf gut ©liid fid) wieberum
nach SRom iSu wenben. Sin bem gliinjenben §ofe beS neu-
erwähnen ©apfteS, beS geiftreidjen zehnten 2eo, wimmelt eS von
SRalern, ©ilbffauern, Slrchiteften, SDlufifern unb ©oeten. fjeft
reiht fich an geft, unb für Die, bie eS verherrlichen helfen, für
bie Zünftler, von einem SRafael herab bis jum lebten ©uffone,
fdjeint fortan eine golbene 3e** angebrochen ju fein, Slretino
in bie 2ivree eines St'ammerbienerS gefleibet, verliert fich in ber
bunten SJtenge von ©d)meid)fern unb ©chmarofcern, Höflingen
unb galanten grauen, bie fich bamit vergnügen, gntriguen an-
^ujetteln, ben ©iebiceer öffentlich in funftvoöen ©onetten $u ver-
herrlichen unb insgeheim fid) in boshaften ©atiren über ihn
luftig ju machen.
DaS war bie richtige ©d)ule für einen Slretino, ber alSbalb
begriff, weld)e Bege er einsufchlagen habe, um in einer foldjen
Belt fein ©liid ju machen. Slud) er begann 2eoS 2ob ju
fingen in paffabeln ©ierjehnjeilern. ©in ©arafit ju werben unb
$h fein, baju bebarf eS ja feines langen ©tubiumS. 2eo unb
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mehr nodj fein ©etter Satin«, ber fpäter al« Siemen« VII. bert
päpfttidjen Stuf)t beflieg, belohnten ben ©oeten. (Sr burfte, in
ein prächtige« ©ewanb gefleibet, auf ftolgem Stoffe fifceub, fid)
bem gtängenbcn ©efotge anfchtiefjen, aber er wollte mehr unb
beffereS. ©ietro oerfchaffte ficf) Selb unb (Smpfel)lung«briefe,
bann machte er fid) auf, eine Steife gu unternehmen, bie ihn
nach ©ologna unb ©ifa, ja bi« SJtaitanb führt. Sn einem
©riefe fdjilbert er bie liberale Aufnahme, bie er allenthalben
an gürftenfjöfen gefunben. Steich befd)enft, ift er im ©egriff,
wieber nach Siom gurüdgufeljren, al« er unterwegs ben Job
£eo« oernimmt. (Sin harter Schlag für unferen ©ietro, beffen
tühne Jräunte oon fünftigem ©lüd unb Söohlleben fich in eitet
Junft oerflüchtigen, benn am §ofe be« nüchternen unb ftrengen
$abrian ift fein ©taft mehr für ben tofen Schwarm ber ©aufter
unb Abenteurer. Aber ba« Sdjidfal will, bafj ber neue ©apft
biergehn Jage nach feiner (Srwähtuttg eine« jähen Jobe« ftirbt;
bie Jiara finft auf ba« §aupt be« SDtebiceer« Suliu«. Jiefer
war gang ein SKann nach bem bergen Aretino«, ber ihn al«balb
in fchtechten ©erfen befang, an welchen nur ber Umftanb er*
wähnen«werth fein biirfte, baf; ber Jicfyter bon fich felbft at« bon
einem „göttlichen ©oeten" fpridjt, wet<he ©egeidjnung fortan immer
wieberfehrt. Aehntiche Steimereien wibmete ber Aretiner Sari V.,
grang I. unb bem ©orftanbe ber päpfttid)en Sangtei, unb alle
folcfjermafjen ©erherrlidjteu geigten fich banfbar, inbem fte be«
J)id)ter« Jafdje mit ßedjiiten füllten. Aber itod) hatte ©ietro
bie Stärfe unb (Srgiebigfeit feine« Jatente« nicht erfannt.
©eriihmt würbe ber Aretiner erft burch bie Sonette, bie
bem Senner italienifdjen Schriftthum« immer al« ein intereffante«
SBerfchen erfcheinen werben. SSeil aber bie Sitteraturgefdjichte
fich 'n ber Sieget begnügt, ben frechen Satirifer mit einigen
abfälligen ©emerfungen abguhanbeln, fo erfahren wir über bie
Sonetti lussuriosi nicht mehr at« ba« eine, baff e« ein fdjtedjte«
(642)
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Such ift, urfprünglich ba$u beftimmt, ben $ejt 3U bringen ju
einer Reiße hödjft öerwegener Zeichnungen, unb &ic
öffentlichung beS SBerfeS bera SQuftrator fomohf wie bem
dichter fcßmere Seftrafung eingetragen f)abe. 2)a mir ferner
häufig in fonft ganj juoerläffigeit ©ammelroerfen, wenn »01t
Slretino bie Rebe ift, auf ungenaue unb unrichtige Angaben
ftoßen, fo mag eS gerechtfertigt erfcheinen, wenn an biefer
©teile hier ausführlicher einer litterarifchen Seiftung ©rmähnung
gefcfjieht, non bereu rein poetifchem SBertße ein für allemal
ftreng abgefeßen werben muß.
beginnen wir mit furjer SBieberßolung mehr ober minber
befannter Jßatfacßen. ®iuIio Romano, eigentlich s-ßippi, i>er
größte 3ei$ner unter ben Schülern Rafaels, ließ oon 2Rarc
SIntonio Raimonbi im Saßre 1524 fechjeßtt feiner Zeichnungen,
gemiffe Stellungen oorfüßrenb, in Äupfer ftedjen. 3RafaetS ehe*
maliger garbenreiber, il Baviera genannt (ba er oermuthlich
aus Saßern ftammte), ber als 3unge in RafaetS $auS km
unb beS SDiarc Antonio glatten brucfte, wirb juoerläffig aud)
biefe fechiehn gebrucft hoben. GsS mag unentjcßieben bleiben,
ob ©iulio Romano fecßjeßn ©onette SlretinoS iduftrirte, ober
ob fießterer 311 ben »orhanbenen Zeichnungen ben Stejrt lieferte;
ficher ift nur, baß ber dichter fomoßl mit bem 3RaIer, als mit
bem &upferftedjer in enger greunbfcßaft lebte, wie au« bem uns
erhalten gebliebenen Sriefwecßfel ßeroorgeßt. Rocß befißen mir
einen oortrefflichen ©tich äRarc SlntonioS nach SijianS Silb,
welches uns beu Siretiner oorführt unb bie 2)eoife trägt : Petrus
Aretinus acerrimus virtutum ac vitiorum demonstrator.
ÜRan fann nur muthmaßen, baß biefe fechjeßn Slätter in
jebenfaßS fehr befdjränfter Slttyaßl unb maßrfcßeinlich in Quer*
folio jur SluSgabe gefommen finb, benn biefeS gormat ift ben
anberen befannten Stichen 3Rarc SlntonioS eigen. Unter jebem
Statt war ein ©onett SlretiitoS in fiebjteßn Zeiten geftochen. 1
(MS)
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XieS fogt SIretino auSbriidtid) in feinem 93riefe an feen röntifdfen
SSunbargt ©attifta 3atti, bem er u. 3). ©enebig b. 19. 2)egember
1537 bie ©tid)e überfenbet unb bagu fdjreibt: „SDu wirft einen
©fid auf bie ©onettc werfen, bie fid) am guffe Borfinben."
©apft Siemens VII. Ijatte !aum bie Verausgabe biefer
©fätter erfahren, als er fofort befaßt, ben 2Harc Äntonio ge*
fangen gu nehmen. @8 ift giemfid) fidler anguneljmen, bafj ber
Sünftler Bor ben ?lugen be§ erzürnten ^ßapfteS bie glatten mit
bem ©ticf)el t)abe gerfrafcen unb Bernidften müffen unb bafj ber
biebere Supferftedjer 3ofIain in ©artS, Bon bem wir gteidj reben
wollen, mefjr afS 160 3aljre fpäter mit anberen Supferplntten
betrogen würbe.
ÜRarc Slntonio !am burcf) gürfpradje bcS ©itbljauerS ©accio
©anbineHi, oorndjm(ict) aber burd) ©ermittefung beS SarbinalS
Sppotito be 9J?ebici auf freien gujj. Saum begnabigt, war eS
fein erfteS, ben ©apft wieberum ficf) geneigt gu matten. ®r
BoOenbete bie grofje Supferpfatte beS ^eiligen SaurentiuS, bie er
nad) ber geidpiung beS ©accio ©anbineöi ftadj, welche Strbeit itjtt
auf« neue bei Siemens VII. in ®unft fefcte. ®iutio fRomano
War bei bem Vcrgog Bon ÜJZantua Bor bem 3orne beS oberften
Sirdfjenfürften fieser, gortan lebte ber SWeifter in ber atten
3nfetftabt, erbaute bortfelbft baS unter bem tarnen ©alaggo
bi %t befannte fiuftfdjlojj, weites er aufs reidjfte mit üppigen
greSfen fdjmiidte, unter beiten befonberS ber ©turg ber ©iganten
nad) Ooib eine gewiffe Serüfjmtf)eit erlangte.
©afari fdjreibt feljferfjaft, bafj eS gwangig ©lätter 9Rarc
SlutonioS gewefen.* ©anbrart, gontanini unb ©albinucci t)aben
biefeit genfer bem ©erfaffer nadjgefdjrieben, unb bod) fprid)t
SIretino fetbft in bem oben citirteu ©riefe an 3att* gang be*
ftimmt Bon fed)gefjit ©tidjen (XVI modi intngliati in rame).
S3ie ©onette SlretinoS waren fowof)t auf ben Stilen, als
and) befonberS gebnirft gu lefen. 3)ie erfolgte 3nf)ibirung biefer
(644!
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erfteren ^ßublifation mar mof|l bie alleinige Urfache feiner
fchneffen Abreife aus SRom. 2)er dichter flüchtete erft nach
Strejjo, feiner Saterftabt, fpäter begab er fid) in baä Säger
©iooanni beg Üftebiceerä, beS berühmten Anführer 8 ber fdjmaraen
Sanben. 3n ber golge führte Äönig granj I- 0011 ffranfreich
eine Au8jöljnung beS frechen Spötters mit bem ^ßapfte herbei.
©iammatteo ©ibcrti, nad>maligcr Sifdfof oon Serona,
3)atoriuS unb geheimer 3Rath SllemenS VII., ber in öiefen gingen
ftrenger backte als fein |jerr, mar einer ber eifrigsten Verfolger
SKarc Antonios unb auch bem SJretino fef)r gehäffig, mie mir
halb hören merben.
MuS SßietroS Sriefmechfel erhellt, baff er einigemal noch
in ber Sage geroefen ift, feinen ©önnern bie Silber famt ben
Sonetten überfenben 311 fönnen. ®ann aber begannen bie Stiche
fo feiten ju merben, baß fie allmählich gan$ uerfdjmanben unb
bie reicfjften Sammler trofj ber ^öc^ften Angebote nicht im ftanbe
maren, anberc als t)a^ »erftiimmelte ©jemplare an fid) ju
bringen. 333ir börfen babei nicht oergeffen, baff fromme ©eelen
es für ein gottgefälliges SBerf hielten, foldje „SatanSfd)lingen"
jn befeitigen (öter devant les yeux des objets qiii sont des
pieges que l’Enfer dresse aux ämes, Reifet e§ bei S^eöiüier,
ooit bem mir a. a. C. reben merben). ®a mag bemt in blinber
SSntb mit oielem anberen ©djlecfyten auch manches SBerf non
unerfefjlicfjem SBert^e burd) Zelotenhanb furjmeg oernid)tet
worben fein. Auch fofl baran erinnert merben, baff im 3af)re
1Ü46 eine SReorganifation be§ SnftitutS ber Snquifition ftattfanb.
$>ie gan3 aufferorbentliche Seltenheit ober eigentlich bie
ÜJlichtejriftenj ber Slätter be§ SDiarc Antonio mar Attlafj, baff
Annibale (Jarracci, einer hoch&erühmten Sofognefcr Äünftler»
familie angehörig, ju @nbc beS fechjehnten SahrhunbertS befd)Iofi,
Zeichnungen in gorm ber untergegangenen Slätter nach bem
3nhalte ber fedjiehn Sonette StretinoS anjufertigen. 35iefe
(«451
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3eidjttungen (amen oon Neapel, bem ©ntftehungSorte, nach
§oöanb, rno fie auf Shipferptatten geäfct mürben.3
28ie bie edjten Äupfertafeln maren auch lange ßeit hinburcp
bie echten Sonette äufjerft ferner erfjaltficf). Rur mit größter
SKübe gelang eS bem gelehrten Slfabemifer De la ÜKonnape, fid)
fünfzehn ber Driginalfonette ju oerfdjaffen, bie er in lateinifcfje
Diftichen umbichtete. Die ehemalig Vouhierfdje Söibliot^ef in
Dijon bemaf)rte baS 9Jlatiuffript biefer Uebertragung, bie fpäter
aud) im Drnd erfdjien, aber menig Verbreitung faitb.
Slnfnüpfenb an tie Sonette, fei f)iet eines anberen oiel-
berufenen erotifdjen SSerfeS gebaut, baS ebenfalls ben Sretiner
jum Verfaffer fjat. SBir meinen bie Ragionamenti, meift citirt
unter bem ÄoHeftiotitel : Ragionamenti capricciosi e piacevoli,
bie, menn auch reichlich ein 3aljrjehnt fpäter erfchienen, bod)
mit ben Sonetten in einigem 3ufantmen^ang fielen, rneil in ben
Sonetten oielfac^enortS tarnen unb fonftige Iofale Slnbeutungen
fiel) finben, bie, an fich oft jicmlidj nnoerftänblid), ihre ©rflärung
in bem meit breiter gehaltenen ‘pvofamerfe finben.
Diefe Dialoghi, roeldje ber Verfaffer erft Capricci unb bann
Ragionamenti nannte, erfdjierteu juerft oereinjelt unb erft fpäter
gefammelt u. b. 3. 1535, mahrfd^einlid) in Venebig. ÄIS bie
gefchäfctefte SluSgabe gilt bie vom Sahre 1584, einen ftarfen Sanb
deinen gormatS barftellenb. 4
SDfan hält« Unredjt, mollte man biefeS 3Ser! feines jügelloS
frechen Inhaltes megen oom Stanbpunfte reiner Sittlichfeit aus
einfach üetroerfenb beurtheilen. Das 3e*talter ber Renaiffauce
fannte eine Rloral nach heutigen Gegriffen fchlechterbingS nicht.
Die Ragionamenti finb in geroiffem Sinne ein getreues Spiegel-
bilb ber ©efeUfdjaft jener Dage, unter oiel SSerthlofem fanu
ber Sultnrhiftorifer in biefeu |jetärengefprächen manch mertlp
»ollen gingerjeig für bie ©eurtheilung bamaliger 3uftänbe
finben, toenn $lretino auf baS Dreiben an geiftlichen unb
(646)
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weltlichen $iifeu bie haften Streiflichter faßen lägt. ©em
Renner italienifdjen Schrifttum« erfcheint auch t>»£ Sraffung be«
SBerfe« intereffant genug: bie Dialoge ftnb ungemein lebenbig,
flar unb frifch getrieben, bie erphlenben ©h£tle »erben burdp
weg mit größter Anfdjaulichfeit in fnapp bramatifcher ©iftion
öorgetragen, unb fo bebeuten bie Sßagionamenti einen ©enfftein
in ber Sntroicfelung ber italienifchen Sprache, fte müffen un«
al« ein treffliche« ÜJJufter ber bamaligen lingua parlata gelten.
Heber biefen rein fprachlichen SBertf) be« SBerfe« hat f£in ®£s
ringerer al« Alfieri fid) fe^r anerfennenb geäußert, wenn er im
achten Rapitel feiner Autobiographie bemerft: „S<h la« bamal«
(1770) unter oielem anberen bie ©ialoge be« Aretiner«, unb
wenn fchon ihre $ügellofigfeit mich anwiberte, entjücften fte mich
gleichwohl burd) bie Urfprünglichfeit, bie SDiannigfaltigfeit unb
bie Eigenart ber Au«bcücfe."
Nehmen wir nach biefer Abfchweifung ben gaben ber
Schilberung be« äujjereu ßeben«gange« be« Satirifer« wieberum
auf. Aretino entfloh alfo, bem gorne be« ©apfte« über bie
oeröffentlichten Sonette, bie rajch ein bewunbernbe« ©ublifum
gefunbcit, ju entgehen, au« 9lom. Sr hielt [ich öorübergehenb,
wie bereit« bemerft, in Are^jo auf, bort traf ihn ein Schreiben
be« SDiebiceer« Siouanni, ber ihn ju fich in ba« ßager bei
gatto befchieb. Sn biefem fühnen ©egen, ben feine Sotbaten
ben großen ©eufel, Gran diavolo nannten, fanb ©ietro einen
neuen Seither. SGÖeil bet ©rief fo recht geeignet ift, ba«
^wifchen biefen beiben, fonft feljr ocrfchiebenett äKännent be=
ftehcnbe greunbfd)aft«oerhältnijj ju fennjeichnen, wollen wir ihn
in Ueberfefcung h'£r mittheifen: „An ben wunberbarett ißietro
Aretino, ben wahren greunbl Sch bitte ©id), baff ©u bei
Smpfang ©iefe« oon Arejjo abreift, um hierher gu fommett unb
bei mir $u bleiben; ich wiinfdje e« h££älith/ b£nn »<h wujj e«
mir jum ©orwurf machen, wiber ©einen Söitlen ©ich bort
(647)
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gelaffen 311 fyaben, bem gra Dlicolo, bem SBafoite unterteilt,
baff ©iammatteo 2)ich oerberben fonnte; aucf) ben ^ßapft ^aft
2)« öerloren, jo baff $u, ber 2)it ber 23elt ©efefse ju geben
wufjteft, 2)id) ruinirt haft, aud) ju meinem ©djaben : benn wäreft
5Du in 9iom am §ofe geblieben, ^ätle aud) id) gemanben be*
feffcn, ber ohne ?Rü(ffic^t bie SBeweggrünbe oertheibigt hätte
ad beffen, was idj getfjan habe unb nodj ju tljun gebenfe. 0tun
erwarte id) 2)id), wofern eS gewifj ift, baff 2)u, fei eS freiwillig,
fei eS au# anberer Urfadie, bie ©renjen oerfiefjeft: id) Witt 2)ir
baS 2ob erteilen, baff SlUe mitunter fönnen. 2rübfal blafen,
aber niemals 2>u. SluS gatio, ben 3. Sluguft 1523.
2)ein ©iooanni be SDlebici."
Sonnte Slretino einer fofd) warmen unb aufrichtig gemeinten
©inlabung wiberftefjen? diadj bem einftimmigeit Urteile Silier,
bie i^n perfßnlic^ fannten, war er jwar trofc all feines Ueber*
mutf)eS burd)auS nicht friegerifd) beanlagt, feine gefürchtete SSiaffe
war ja bie geber unb nicht ba§ ©d)»ert, unb ihm hätte e§
beffer gefallen am fwf unter feilen @d)ran3eu unb üppigen
grauen, als bort aufjen auf freiem gelbe unter rohen ©olbaten.
Slber eS blieb ihm oorerft nicht grofje SluSwahl übrig, unb er
fuhr benn alSbalb nach 3auo ab. 3« fßrofa unb in Werfen,
in ©onetten unb in ©tauben fchilbert ber Slrctiner ben überaus
warmen Qrmpfang, ber ihm oon feiten beS Heerführers unb
feiner perfönlichen Umgebung ju theil geworben, ©iooanni eilte,
mit feinen Gruppen jurn Heere gtanj I- ju ftofjen, ber in
Oberitalien fid) aufhielt, gwar war ber „ritterliche König"
burch bie 9Uefeitfdjlad)t oon Sülarignano Hcrr Don 3R«ilanb,
©cnun unb eines 2he<t3 ber fiombarbei geworben, aber er burfte
fiel) beS erlangten SBortfjeileS nicht allju lange freuen, benn halb
hielten bie Saiferlichen Oberitalien aufs neue befefet. 9tad)
manchen SBedjfelfäden war bann baS fran^öfifche Hfer öor ijßaüia
gerüdt. $orf trafen ©iooanni unb Sretino ben König, unb
cei?)
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ber SJfebiceer »ermittelte eine perfönlidje ©efanntfcbaft jroifdjen
tfranj I. unb bem fedfen ©onettenbid)ter, ber in feinem ganzen
Naturell »iel be# Aiijiehenben für ben geiftöoQen gikften ^aben
mochte, beim granj gefiel ficf) gleich ©iooanni itt beffen ®e>
fellfd)aft äufjerft mohl unb »erfafj beim ©treiben ben Aretiner
mit öoHgemid)tigen ®mpfeblung#}cf)reibert, bie itjm in Nom nid)*
nur »olle ©erjeihung, fonbern aud) bie befte SSieberaufnabme
fiebern mußten. SBie ein Der^iueifelter ©pieler fd)tie§[ic£) üöe#
auf eine ftarte rnagt, gebadete ber franpfifche ßönig bamal#
mit Aufbietung aller Jlräfte fid) in ben ©efifc ber fiarfen ©tabt
©aöia p fejjen unb bamit «lieber in Italien feften gu& äu
faffen. Gr foHte ben ganzen @infa| nerlieren, alle#, nur bie
GJjre nicht, roie er bemt an feine SNutter, bie fd)öne unb geifb
reiche Suife »on ©aüopen, fdjrieb, unb nun burfte Äarl V. fid)
freuen be# Sriumpbe#, ben er über ben ©egner banongetragen.
Unterbe# mar Aretino nadf sJiom prüefgefehrt unb, faum
bort mieber ^eimifcf) gemorben, in heftiger Siebe entbrannt pr
reijettben 8öd)iu feine# früheren ffreiitbe#, be# päpfttid)en Satario
©iberti. Aber Pietro ^atte an bem ©olognefer Gbetmaun
Ac^ifle bella ©olta einen gefährlichen Nebenbuhler, ben er burd)
ein beijjenbe# $a#quiH lächerlich unb bamit unfdfäblicfj p machen
fudfte. Ser gefränfte Nobile fann auf Nadje. Gelegentlich
eine# abenblid)en ©paprgange# am Siberftranb fab fich ber
dichter plöblidj einer üermummten ©eftalt gegenüber. 3m
näcbften SNoment fdjon liegt er p ©oben, au# fermeren äöimbcit
blutenb. Nicht roeniger al# fünfmal ha* Acbifle jeinem ©e»
Ieibiger beit Solch in bie ©ruft geftofjcn, ihn fchmer an beit
§änben »erlebt unb mar bann entflohen. Aretino roarb, bem
Sobe nahe, aufgefunben unb heimgeftbafft. Aber feine fraftige
Sonftitution fiegte, unb roiber Grmarten rafdh erholte er fid) oott
ber ferneren ©ermunbuug; bann trat er bei bem fperrn ber
fd)önen ßöchin flagbar gegen ben Gbelmanu auf, norgebenb,
1649}
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bah Sldjille beüa Solta bie ©eliebte ebenfatt« mit bei». lobe
bebrofjt ^itte. ©iberti oerweigerte bie 3u|'tij unb ber ?Ib«
gewiefeite griff jornntuthig jur $eber unb fdjleuberte Sonett
auf Sonett, Snjurie auf Qtojurie gegen ben ißapft unb feinen
SRinifter unb jeigte fo jum erftenmale bie ganje Straft feine«
ftfllimmen latente« ber ©erläfterung. 83erni, ber Sefretär
©iberti«, hob ben gehbehanbfdjuh auf unb antwortete auf bieje
Angriffe in einem Sonett mit jwölf Slnfyängfeln, ©obe genannt,
wie fie in ber Jomifdjen fßoefie ber Italiener beliebt finb. @r
bei§t barin ben Strctiner einen feilen Hunb unb ein etjrlofe«
Ungeheuer, ©ine Stelle lautet ungefähr folgenbermahen: „93iel>
leidet ftxrbft bu einft, ©lenber, an ber Seite beiner Sdjweftern,
welche beibe in Slrejjo ber freien Siebe leben." 25iefe Stelle
ift merfroürbig beS^alb, weil fie in getuiffem Sinne ben trabi»
tioneüen ©eridjt über bie £obe«art Slretino« jum oorau« giebt.
©r foQ befanntlich als fünfunbfe^igjä^riger ©rei« über bie
if»m fjinterbrac^te ffaitbalöfe Sluffiiljrung feiner beiben Sdjweftent
fo fef)r gelabt haben, bah er mit bem Stuhle, auf welchem er eben
faß, rücfling« ju SBobeit geftürjt, wobei er fid) ba« Hinterhaupt
fo fehler oerle|te, bah nach wenig ©tunben ber Job eintrat.
— 2>er berühmte ÜJieifter fffeuerbaef) hat biefen 9Roment in einer
figurenreichen Äompofition mit genialer föraft fijirt. £a«
ijaftum felbft, angeblich im 3af)re 1557 eingetreten, wirb un§
aber erft oiel fpäter oon einem fieberen Antonio Sorenjini, ber
ju ®eginn be« fiebjehnten SahrfiunbertS lebte, mitgetheilt in
einem fateinifch gefchriebenen SDialog über ba« Sachen.
®er 3reberfrieg mit be« ®atario gelehrtem Schreiber be*
grünbete in gewiffer Sejiehung Slretino« Stuf in ganj Italien.
SBieberum oerlieh er 9iom unb begab fid) oon neuem in ba«
Säger ©iooanni«, Slater be« fpäteren Herjog« ©ofimo be«
©ro§en oon glorenj. ®er 3“hrer ber fchwarjeit Sanbeit nahm
ben frechen Satiriler wieberum mit offenen Ärmen auf unb
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tterfprach in jeber Seife ficfj für ifyit gu üermeubeit unb
feinen greunb, fofern ©ott unb bag gute ©lücf iljn felber
wohlbehalten aug bem firiege fyeröorgefjen laffe, mit ber ©tabt
Sreggo gu belehnen. Stber eg füllte anberg fommen. 3m 3af)re
1526 war ©iotianni be äRebici ernftlicf) bemüht, bem berühmten
ftrieggmann ©eorg grunbgberg ben 2Seg nocf) fRom »erlegen.
Sie Saiferlichen hotten fid) in ©otternolo bei ©orgoforte, gwifdjen
SRontua unb ©erona, oerfchangt unb ber ©rofjfapitän fd)idte
ficfj eben an, fein ßager gu infpigiren, alg bag ©efdjojj einer
feinblidjen gelbfdjlange ihm bag ©ein gerfcfjmetterte. Senige
Sage fpäter ftarb ber 3Webiceer gu SRantua in beg Siretiner«
Ernten. Siefer gog fidj 1527 nad) ©enebig gurücf, wo ber
Soge ©ritti ifjn freunblidj aufnahm unb iljm ©djufc »erfprach,
wenn er gelobte, eine gortfefcung ber fdjmähenben Sltigriffe gu
unterlaffen, bie SIretino gegen ben bamalg in bet ©ngelgburg
gu fRom belagerten fßapft Älemeng VII. gerietet hotte. ©alb
erfolgte benn aud) bie ooUftänbige Slugfö^nung mit bem Sirchen«
überhaupt, unb ber päpftlidje fDiajorbomug, 9Ronfignor bi ©afone,
©ifdjof üon ©iceuga, würbe beauftragt, bem ©atirifer ein ehren-
t»o(l lautenbeg ©reoe gu überbringen.
3n ©enebig ift Äretino mit geringen Unterbrechungen big
an bag ©nbe feineg fiebeng geblieben, $ier fafj er wie auf
einem fixeren geig, ober um ein anbereg gutreffenbeg Silb gu
gebrauchen, wie eine giftige Äröte frei in unnahbaren ©ümpfen.
©on Iper aug burfte er ungefdjeut feine ©rpreffuitgen augiiben,
welche ihm ben oon ihm felbft hoch8efjoltwen Seinamen ber
gürftengeifjel eintrugen. Surben ja hoch fogar SlRebaiflen ge-
prägt, bie auf ber einen ©eite fein ©ilbnijj geigten mit bem
3Rotto: Divus Petrus Aretinus Flagellum principum unb auf
ber anberen eine cpnifche gigur mit bem 9Rotto : Totus in toto
et totus in qualibet parte. Stuf bem Sitelbilb feiner ©ücher
nennt er fid) gumeift divina grazia uomo libero — freier 8Ranu
(651)
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16
oon ©otteS ©naben. Sein Silb umgiebt bann meift eine
Sorbeerumlränjung uitb eine überfchwengltchc lateinifdje SDeöifct
Acerrimus virtutum ac vitiorum demonstrator, ober: Veritas
odium parit. $>ie Sejeichnung: ©öttlicber Jlretinuä, dürften*
geifiel, ift halb tppifcb geworben.
Jlretino bewohnte in Senebig einen jener ftoljen ^aläfte,
bie &afa Solani, am großen Kanal unb wußte fich fein fürft-
ticbeS §eim mit erlefenem ©efchmacfe auöjuftatten. 3n ben
Sälen unb 3*mmern waren bie foftbarften Stoffe unb ©erätfp
fdjaften auSgebreitet, überall gemabrte man ljerrlicf)e Statuen,
feine eigene Säfte in mehrfach wieberbolter Ausführung, prächtige
Silber unb Sfi^en aus ber 9Ö?eifterf|anb eines ©iorgione, eines
Xijian. lieber AretinoS intime Sejiebuttgen ju ben größten
Äünftlern feiner 3eü befißen mir bie untrüglicbften ®o!umente.
@r felbft rühmt ftcf» , baff fRafael-eS nicht oerfcbmäbt Ijabe,
feinen SRatb ju t)ören, als er banialS am §ofe 2eo X. mit ihm
jufammengetroffen mar. 3nt Sabre 1527 mußte Sebaftian bei
Siombo, ber ju ben oertrauteften greunbett beS AretinerS ge-
hörte, ibn im tarnen beS ißapfteS erfucßen, bem ftaifer hoch
ben traurigen 3uftanb SRomS gu ©emüt^e ju führen, unö woljl
nicht mit Unrecht ift oermutbet morben, baß bem mächtigen unb
einflußreichen Agenten beS bamaligen §errtt oon Italien bie
Anfänge ber Besprechungen gemacht worben finb, auf welche
bin er fpäter ftarbinal gu werben hoffte. üDlit Saufooino, mit
Safari ftatib er in regftem Serfebre. $ie Seiben burften, wie
fo oiele Anbere, in fcbwierigen Jäöeit feines SeiftanbeS ftrfjer
fein. Solche Serbältniffe mit ben angefebeuften Künftlern trugen
bem Sdjriftftefler oon überall ber Silber , Sfiggen unb 3ei$*
nungen ein, bie er bann feinerfeits ben Jürften, welche in
anberer SBeife feine Abnehmer waren, natürlich nicht ohne
©egenleiftung gu erwarten, anbot. $er ÜlJZeifterbanb eines Jigian
oerbaufen wir mehrere '.ßortraitS beS gefürchteten SatiriferS;
;«M)
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17
ju ben beften berfelbett gehört baS nunmehr ber ©alerte ©itti
in ^florettj einBerteibte ©ilbitifj, uon roelc^em jabflofe Kopien
tfiftiren. Kretin u iiberfanbte baS Original 1545 an Gofimo I.,
erblichen ©rofe^erjog non UoSfana, ©of)n beS güljrerS ber
fdjroaräen ©anben, mit einem ©riefe, in meinem es Reifet:
„2Bal)rf)aftig, baS ©ilb lebt, bie Sßulfe plagen, ber ©eift be-
wegt eS, gan$ mie id) im Seben gemefen, unb Ijätte id) bent
£ijian nod) met)r Xfialer gegeben, als eS in SBa^r^eit gefd)efjen
ift, fo mürbe and) bie ©eroanbung mie Sammet, ©eibe unb
©rofat leuchten."
Sijiatt mar ein marmer greunb unb ©emunberer be#
SIretinerS, unb einzig aus bes Sezieren fflrieffd)aften miffen mir
um fo manche ©injelfjeit auS bem Sebett beS großen KünftlerS,
bie uns aufjerbem unbefannt geblieben märe. 3n meinem Sin*
fef)en Slretino aud) fpäterl)in nod) in 5Rom ftanb, föttnen mir
einem Schreiben Ji^ianS entnehmen, meines biefer im 3nf|re
1548 non bort aus nad) Jfjaufe fenbet: „SlHemelt fragt mich
l)ier nach Sud); @ure Meinung mollen fie f)ier Sille miffen,
3f)r gebt ben £on an."
Ueber SlretinoS ©ejieljungeu ju ÜJlid)el Slngelo äujjert
fid) fp. ©rimm eingefjenb in feinem SBerfe, meld)eS baS Sebett
unb ©djaffen biefeS großen 9RantteS be^anbelt. $>ajj ber geniale
SWetfter in einem unrüfjmlidjen Kampfe bie SB affen ftrecfen
muffte Bor bem fredjen ©atirifer, ift eine traurige Hjatfadje,
bie fdjlagenber als alles anbere nod) uns beroeifen muß, meldj
ein geroaltiger ©egner ber SOiann mar, ber fid) felber einegürften-
geifjel genannt. 2Bir merben meiter unten ©eranlaffung nehmen,
auf Urfadje unb Jolge beS bitteren ©treiteS juriitf^ufommett.
©on SlretinoS §äuSlid)feit in ©enebig geben bie Ber-
fd)iebenften, unS erhalten gebliebenen ©eridjte bou geitgeuoffen
anfd)nulid)e ©djilberungett. $eS 2)id|terS ©iograpf), ber (Sonte
3Kajjud)elIi , nennt unS als bieSbegüglid)e Ouellen: bie Korre-
Sammlung {fr. V. 114 2 u>53)
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fponbenz Sllbo SDianujio« beS Süngeren, bie Sommentarien
Oct. CanbiS über Italiens ©täbte utib anbere ©djriften.
Der in ber Safa ®olani perrfdjenbe Sott ber ©efeüigfeit
fann ber feinftc unmöglich gewefen fein, aber wir bürfen nidjt
mit bcm SDtafje ftrenger ©ittlicpfeit unb unnacpficptiger bürger-
licher fföoral an baS Zeitalter bet fRenaiffance perantreten. 3w
mitten fcpwelgerifcper fjefte, wo SujuS unb ungezügelte ©rauft-
fucpt fdjamlofe Orgien feierten, fpielte eine Sbplle fich ab, »ic
fie in foldjer Umgebung rüprenber unb ergreifenber faum gebaut
werben fann. Unter ben „Siretinerinnen" patte ein überaus
jart gebautes Üftägbleiit Slufnapme gefunben, bem ißietro fortan
fcpier auSfcplie&lid) feine ©unft guroenbet, mit jeber gib«- feines
.ÖerjenS an ber iiberfcplanfen ©eftalt mit ben blaffen giigen
pangenb. jOrei Qapre oerweilt ißierina fRiccia in bem .paiiic
beS SIretinerS, bann oerfcpwinbet fie plöfclicp aus bemfclben unb
wirb lange, lange nicht mepr gefepen. ©nblicp feprt fie toieber,
ißietro nimmt fie mit offenen Slrmen auf, aber fie ift fränfer
unb leibenber benn je, nicht jene bejaubernbe SRorbibezza mepr
fpricht aus ben lieblichen 3ügen, nein, baS in überirbifcpem geuer
erglänjenbe Sluge, ber ergreifenbe Slang ber ©ruftftimme fünben
eine Sluflöfung an, bie mit jebem Jage neue gortfdjritte madjt.
®iS ju iprem im Sapre 1545 erfolgten föinfcpeiben lägt ißietro
ipr in mepr als öäterlicher SBeife bie zärtlicpfte, aufopfembfte
pflege zu tpeil werben. 21uS jener 3e*t haben fiel) fünf ©riefe
erpalteu, bie er an ^ßierinaS äRutter, ÜRarietta SRiccia, gerichtet.
Dort fchreibt er einmal f<hmerjcrfüüt : ,,3d) f)abe fie geliebt,
icp liebe fie unb werbe fie lieben bis am jiingften Dage, wo
über unfere (Jitelfeit gerichtet wirb."
4*oit ißenebig aus oerfidjert Slretino all feinen 'Jteunben
wieberpolt, wie wopl er fiep fiible als freier ÜRantt oou ©otteS
©nabeit, bcm „ber ©cpweife feiner Dintenfäffer ©lürf unb
:Uupm einbringt. SRit einer 5f^er unb einigen tBlötterii
(.A4)
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19
Rapier jpotte ich ber gangen SBelt!" — „Sie nennen mich beu
Soh» einer Äurtifane , mag flimmert eä mich, ber icf) fierg
nnb ©eift eines SiönigS befi^e. " — „2)leinc Webniflen finb aus
Schrot unb &orn jeher Ülrt geprägt, mein ©üb prangt an ber
ftront ber ißaläfte, mein $opf giert bie Äämme, bie XeHer unb
glatten, bie ©den ber Spiegel fo gut roie ber eines Slefanber,
eines ßäfar, eines Scipio. ffiitie Sorte oon ftriftaflgläjern
trägt meinen 9iamett unb nach mir nennt fid) jene fRaffe non
'pferben, banon ber ißapft mir eines gegeben. 2)er ©ad), ber
einen 2§eÜ meines £>aujeS befpült, Reifet ber Äretiner, unb
?lretinerinnen genannt gu werben, ift ber Stolg ber iDfäbdjen,
bie mich bebienen. 3a, man {priemt gum bitteren 3ngrimm
aller gehanten non einem aretinifdjen Stile."
2ln einen 3reuit& fchreibt er: „So niete Herren ftören
mid) beftänbig mit ihren Sefuchen, baß meine Ireppe burd) ben
häufigen stritt ihrer güfje abgenu^t wirb, roie baS sJ$flafter beS
ÄapitolS burd) bie Sftäber ber Triumphwagen. 9?ie, glaube ich,
fah SHom eine folche ÜJiifchung ber ^Rationalitäten, als biejenige
ift, bie in mein $auS fommt : Türfen, 3uben, 3nber, grangofen,
Teutfche, Spanier. 3d) fd>eine ba§ Orafel ber SBclt geworben
gu fein, 3eber fommt, mir gu ergäben, welch Unrecht ihm oon
biefem dürften, oott jenem Prälaten roiberfa^ren ift, unb fo .
bin id) ber Sefretär ber gangen SBelt." Sin anbermal fchreibt
er an feinen ©coattermanu, ben ©udhhänbter ÜRarcolini, ber
niele feiner ©iicher neriegte: „äBeun bie 3Renge ber ©ejud)er
mid) allgu fehr beläftigt, bann flüchte id) in ©uer |>auS unb
in baS TigianS ober id) oerbtinge ben SRorgeit in irgenb einer
elenbcn Kammer bei Firmen, roel<$e ben Fimmel anflehctt um
beS SKmofenS einiger geller wegen, bie ich ihnen fd)enfe."
Ter ©riefwechfel, welchen Slretino mit ben ©röfjen feiner
3eit: dürften, Slünftlern unb ©eletjrten unterhielt, füllt mehrere
©änbe. SltS befte ?luSgabe biefcS jeitbem neu aufgelegten für
2* (t«6)
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©eurtfeeilung ber .geit« unb ©ittengefdjidjte gar nicht unwichtigen
OueHenwerfeS galt lange bie ju ©ariS im gafjre 1609 in fed)*
©änben erfchienene Sammlung.
3n ©enebig fanb Slretino, ber im übrigen aus feiner Un-
roiffenljeit gar fein $ef)l machte, im ©egentheil fidj bamit rühmte,
fein „gebaut" ju fein, eö bennoch für angejeigt, ficf) einen
©efretär ju hatten unb faitb einen folgen in ber ©erfon bes
9iiccoIö granco auS ©eneoent , beffen ©ertrautljeit mit ber
griechifchen unb fateinifrf)en fiitteratur ihm, bem Slutobibaften,
fefjr ju ftatten fam. Später überroarfcn fich bie ©eiben uub
befehbeten fich aufs ^eftigfte in unfagbar fchmufciger SBeife.
SMe geinbfchaft begann 1538, brei Safere fpäter liefe granco
in Xurin bie „erhältlichen", gegen Slretino gerichteten „©riapea "
mit einem Anhang Don 270 Sonetten, brucfen, tooburd)
er feinem oormaligen $errn jchtueren Schaben jufügte. ©e*
fanntlich enbete granco 1569 einer beifeenben Satire auf
©apft ©aul V. wegen am ©algeu. — $in anbeter fchlintmer
©egner war bem Siretiner erftanben in ber ©erfon be$ granceSco
2)oni, ber, lange $eit fein warmer Slnfeänger, mit bem Satirifcr
grünblich gebrochen unb im Safere 1556, bem Xobeäjafere ©ietros,
ein ©uch oeröffentlicht hat unter bem Jitel: „(Srbbeben (terre-
moto) be$ $oni mit bem Untergang eines foloffal grofeen
beftialifchen Sfntichriften unfereä .ßeitaltcrS, gewibmet bem lafter-
haften, oerrucfeten, jebeS GSIenbS GueH unb Urfprung: ©ietro
Slretino, bem unflätigen 9Ritglieb ber biabolifcfeen galfcfefeeit,
bem wahren Slnticferiften unfereS SafetfeunbertS." Sn bem ©ucfee
felbft behauptet 35oni, bem Siretiner für baS Safer 56 beit $ob
oorhergefagt gn haben, weil ber freche Spötter oon fich be-
hauptet, ein Sohn ber SDJabonna oon Slreggo felber gu feilt,
anfpielenb auf bie Sfeatfacfee, bafe feiner SDiutter, ber lita,
.Büge bem Silbfeauer gum SJfobeH gebient bei ©djmücfung beS
©ortalS am ®ome feiner ©eburtSftabt. — 2>oni ift in oöüiger
(650)
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21
©ergrffenßeit geftorben im 3alpre 1574, oon Kretin o über tu i ff eit
wir ou$ guoerläffigften Quellen, baß er am 21. Oftober 1556
im $aufe beS ßionarbo ®anbolo am Sana! ©raube eine«
jäfjen JobeS am ©ehirnfdjlage ocrftorben ift, bis jum lebten
läge geachtet uub geehrt oon feinen $eitgenoffen unb ben
©roßen feines fianbeS, l)atte bocfj ber ©roßhergog oon gloreng
fidf aud) bem altemben SDfanne noch ftetS als großmütiger
|>err erwiefen. 3m 2>ome oon Urbino freilich fonitte er nicht
beigefeßt werben, feine fterblichen ©efte naßm bie SufaSfirdje
in ©enebig auf, bie ©rabftätte felber ift aber halb in OöQige
©ergeffenßeit gerätsen.
@S möchte je^t am ©laße fein, oon bcn ÜluSgeicfinungen
gu reben, bereu Slretino feitenS feiner fürftficfjen ©önnet fid) gu
rühmen hotte. $m iiberfchwenglichften fc^wärmte woßl Äarl V.
für ben ©ößen beS XageS. (Sr fc^icfte ißm eine golbene Jfette
unb bot ißm bie ÄaoalierSwiirbe an, bie ißietro jebocf) ausfällig,
babei eine Stelle aus feinem SBiareScalco anfüßrenb : (Sin Äaoalier
ohne ÜJüttel ift eine SJiauer oßne SJreuj, bie jeber §unb
fdjimpfiren barf. — ©ei feiner ®urd)reife, auf ber ©ücffehr und)
35eutfc^lanb, e$ war in ißeScßiera, unterhielt ber große Äaifer
fid) ftunbenlang oertraulid) mit Slretino unb ließ ißm für ein
bort recitirtcS ßobgebicßt eine große Summe auSgahlen. ©or
feiner 21breife empfahl er ben Ticßter ber Signoria oon ©enebig
als „baS ißm auf (Srbe 3Tf>euerfte" hödjft angelegentlich.
Slucß bie Saiferin fcßicfte, cS bleibt unentfcßieben, ob aus
©ewunberung ober aus gurcßt, «ne golbene brei ißfunb fcßmere
Äette. (Sine auberc ilette, im SBert^e oon 100 Scubi, erhielt
er oom 3nfanten unb (Srgßergog ©fj'tipp, a!8 Äöitig ber gweite
biefeS ©amenS. ©om .ftergog oon Urbino begog Slretino ein
3ahrgelb oon 200 Scubi. (Sine beträchtliche Summe ©elbeä,
beren ©etrag nicht angegeben, ließ ißm ber $oge ßuigi ©ritti,
fein ©ereßrer, regelmäßig auSgaßlen, wofür beitti auch ^ßietro
(66T)
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22
bie iRepublif banfbarlicbft befc^roieg. ©elbft beS ®roßtürfeu
©ultan ©olimanS Stbmiral, |>at)rebbin ©arbaroffa, ^utbigte
it)tn mit anfeljnlicfjen ®efdjettfett. ©er fii^tic Korfarenbauptling,
ben fpäter befanntlicb Karl V. mit entliehenem ®lüd bcfriegte,
fc^rieb an „ben erfteit ber cfjciftlicfjeu ©c^riftfteQer" ißictro
Äretino: £at)rebbin ©arbaroffa, *ßafd)a, Äbmiral be$ ©ultanS
©oliman, König non SlgieT, grüßt ©ich fßictro Äretino, ben
herrlichen unb Unwichtigen. gcß metbe ®ir anmit, baß id)
©ein ©Üb, in ©über getrieben, erhalten höbe, jugleich mit bem
©riefe, ben eS ®ir gefallen bat, mit ju fdjreiben. Sicherlich
fiebft ®it mehr einem |jeerfftl)rer als einem ©dfriftfteller gfeic^;
ich ^abe noit bem SRubme gehört, ben ©ein ÜJame in ber SBelt
genießt, unb id) ßabe mehr als einmal in ©einem ©etreff meine
genuefifdjett unb römifcßen ©flaöen, bie ©ich oon SUnfebett
fennen, ausgefragt, weil eS mid) freute, non bem SRutlje ju
nerne^men, mit bem ®u mein 2ob ncrfünbigteft unb bie ©apfer*
feit priefeft, bie mich bei ben ©iirfeit mie bei beit granfett
gleicßerweife fcbäfcenSmertb macht. geh wüufcbe eines ber ©Über
ju fetjen, bie in Italien cirfulirett unb benen man nachfagt,
baß fie mir ähneln. geh ^abc bem ©efanbten ber ©ignoria
»on ©enebig gefagt, baß er mid) entfdjulbige, tnenn id) ®idj
nicht unüerjiiglid) belohne, weil ber ©roßberr mir befiehlt in
feinen Mngelegenßeiten abjuretfen; aber fobalb ich juriid fein
werbe, miß ich nicht ermangeln, baS ®ir ©erfprocheite ju iiber=
fenben. Schrieben in Konftantinopel, in ber 9J?itte beS SRonatS
SRamafan im gabre 949 nnfereS großen Propheten 2Hnf)ameb."
SBir wiffen, baß König granj feinem Stioalen Karl V. itt
ber £>eerfat)rt gegen bie Korfaren bie ÜJHtßülfe oerfagte, ja man
bat jogar behauptet, baß haprebbitt burcb ben gran^ofen mit
®efd)ü|) oerfeben worben fei. ©rwiefen ift, baß ber „aller*
d)riftlicbfte König" ftetS freunbfd)aftlid)e ©ejiebungen jur Pforte
unterhielt, wennfcbott er aus ©eben uor bem Urtbeil ber SBelt
(es»)
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23
feinerfei offene Söuttbeögenoffenfcßaft einging mit bem erflärten
„©rbfeinb be« cßriftlicßen tarnen«". ©o barf ei un« nießt groß
SBunber nehmen, ben Slretiner bie«mal auf ©eite f5ranä I-
fielen ju feßett. Stber bie öegeifterung für ben Xürfen ertofeß
al«balb, naeßbem Karl V. ßeimgefeßrt mar oott ber fiegreitßen
©innaßme $uni«, 1535. 3eßt galt e« toieberum ben gelben*
mütßigett SöefdEjirmer ber Gßriftenßeit in lobtriefenbett Dßmnett
ju oerßerrlicßen. 3ntnterßin aber ift ei nießt ganj unroaßr*
fcßeinlicß, baß Karl V. ben 2)lann, beffen ©pottluft er fo feßr
fürchtete, abloßnte, inbem er ißm jutn oorau« für fein bie«-
bcgüglicße« ©ebießt 100 ©cubi au«$aßlen ließ. 2)latt fattn rooßl
fagen, baß feit ©regor VII. e« feinen SKann in Stalien gegeben
ßat, oor bem Kaifer unb Könige fo gewittert, mie oor Sßietro
Slretiuo. ®er §erjog ooit vfjatma bemüßte fieß fogar bei ^Sapft
2$aul III. um ben Karbinal«ßut für ißn, unb ba« fpätere Kircßett-
oberßaupt, 3uliu« III., au« Slre^o gebürtig, überfanbte feinem
fianb«manne taufenb ©olbfrouen mit bem öanbe be« ülitter«
oom ßeil. ©eifte. 3m 3aßre 1535 naßm ber ^erjog oon
Urbino, ©eneral ber Gruppen be« Kircßenftaate«, ben Siretiner
mit fieß naeß 9Iom, rao ißm oon bem fßapfte, bem britten 3uliu«,
oon feilten Karbittälen unb ber ganjett Seoölferung ein ©mpfattg
ju tßeit mürbe, mie ißn Könige unb ifaifer bei ißrem ©injuge
faum erfuhren, ©rraäßnt foß ßier aueß merbeit, baß berfelbe
Süiann, ber fieß gelegentlich bamit brüftete, fein „©cßutfucß«"
ju fein, oon ben meiften geteßrten Slfabemien feine« Sanbe« jum
©ßreitmitglieb ernannt toarb. gürtonßr aueß ein Sßarafteriftifum
für ba« Zeitalter ber Stenaiffance.
üftießt aßeitt bureß §pmnett unb Sonette, bie an au«-
feßmeifenbett fiobe«preifungen äße« biSßer ®agetoefette meit über-
trafen, fueßte Slretino fieß freigebige ©önner ju fießern, nein,
ber merftoürbige 2)1 antt ift aueß SBerfaffer oerfeßiebetter ©üeßer
rein religiöfen 3nßatt«, bie er bann ßoßen SBürbenträgern
(66»)
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Sueignet. So wibmet er bie 'ißarapßrafeu ber fieben Sußpjalmen
DaoibS (1534) bem ^erjog oon fieoa gegen ein beftimmteS
Qaßrgelb, bie brei ©ücßer ber SDienfcßßeit ßßrifti (1535) bem
fOiarquiS be (a Stampa, baS fieben ber Jungfrau Statßarina
(1540) bem 9Äarcßefe bei Sßofto unb baS fieben ber gungftau
9)iaria (1540) ber ÜJiarquife, feiner ©emaßlin, bie ©enefis mit
ber SUifioit 9Joaß3 (1541) bem ßeiligen Sßater guliuS III.
Scip. Slmmirata ßat beregnet, baß Slretino an ^enfionen
jäßrlicß tanfenb Scubi be^og, an ©ratififationeu im Verlaufe allein
oon acßtjeßn gaßren über 25 000 Scubi oereinnaßmte, unb
fomit läßt ficß woßl behaupten, baß er nacß heutiger Scßafcung
woßl eine runbe 9)fiflion oon granfen unb barüber fid) erwarb,
wobei freilief) baS trioiale äöort galt: SBie gewonnen, jo jerronnen.
§Xf« Sttufter eines iDiaßnbriefeS jei ßier ein Schreiben
ÜlretinoS eingcfdjaltet , baS er am 9. Januar 1538 au bie
SJiarcßcfa bi ißeöcara gerietet, bic ißn wegen feiner religiöfen
Schriften beglüdwünfeßt unb ißn oufgeforbert, auf biefer 93aßit
ju »erharren. Der freeße Spötter antwortet: „gcß befenne, baß
id) mieß ber SBclt weniger nüßließ uttb ßßrifti weniger wertß
erweife, inbem id) meine Stubien auf erbießteten Danb unb nießt
auf SBerfe ber SBaßrßeit oerwenbe. allein bie Sinnenluft ber
'ütuberen unb meine eigenen SBebürfniffe finb bie Urfadje jenes
UebelS; beim wenn bic gürften ebenfo bigott wären, wie icß
bebürftig. fo würbe id) mit meiner geber nur äßiferere nieber*
feßreibeit. SBereßrte grau, uid)t Sillen ift bie ©nabe ber gött*
ließen gufpiration ju tßeil geworben, bie änberen werben un*
abläffig oon ber Segierbe oerjeßrt, wäßrenb in @mß baS ßimm=
Iifd)e geuer lobert, unb ©otteSbienft unb ißrebigten finb für
@ucß basfelbe, was für gene SPtufif unb £omöbien finb. —
Da wibmet mein greunb ©ruciolo bem aflercßrifUicßfteti Äönig
(gran$ I. Oon granfreieß) feine Sibel unb ßat nacß fünf gaßren
feine Antwort erßalten Deäßalb fönnte meine Äomöbie: La
(6fi0)
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25
Cortigiana, roelcße mir uoit feiten besS ÄönigS bie große ©ßren*
fette eintrug (ber giirft ßatte ben geiftreidjen ©infafl, ißm eine
Äette gu fdjenfen, beren gungenförmige ©lieber an ben ©pifjen
gefärbt toaren, gleicfffam als ob fie in ©ift getauft mären, baS
Atleinob geigte bie Sluffcßrift: lingua eius loquetur mendatium,
feine 3unge wirb fiiigen fpredfen), bem alten leftamente ©pott
bieten, raemt bieS nicßt ungegiemeitb märe. 3d) muß aber ent»
fcßulbigt merben, roenn id> nicßt aus boSßeit, foitbem um leben
gu fönnen, mid> mit Sfcanb befdjäftige. SRöge ber |>err @udj
erleudjten, baß 3ßr ©ebaftiano ba ißefaro oeranlaffet, mir ben
SReft ber ©umme gu fdpden, auf melcße idß bereits breißig ©cubi
erßalten ßabe, unb id) befenne mid) @ud) fcßon gum oorauS
bafiir oerbunben."
bismeilen ermeifeit fid) beS SretinerS bemiißungen ©elb
gu erpreffen, mag er ©d)meid)elei ober ©pott oerfdßroenben, als
oergeblicße, unb bann bricßt feine SButß in ein mitbeS ©eßeut
ans. bemeiS hierfür ift bie djarafteriftifd) gefaßte ©piftel, bie
ber ©nttäufdjte an ben dürften üon Salerno richtete, ber eine
geitlang «ßenfioit begaßlt, eine SBeiterleiftung jebocß oerroeigcrt
ßatte. 2)eSgIeidjen apoftropßirt ber enttäufdjte 2)id)ter ben
fcßrecf (icßcn Sßier Suigi garnefe, ffergog oon ^arma , als biefer
ade $lufforberungen gu fdjenfen beharrlich ignorirte, mit ben
öfters citirten berfen, beren ©inn ungefähr biefer ift: „be-
fleißige hieß boc^ , »erfommener per Suigi, bu SJreißeQer-
fjcrgöglein, ber ©emoßnßeiten eines fo ßod) geehrten ÄönigS
(grang I. oou ^ranfrcid) ift ßier gemeint). gebet, ber über
breißig bauern unb ein öerfafletieS ©emäuer gebietet, miß bodj
fonft bie ©ßren einer göttlichen berefjrung fid> anmaßen." 9iun
füßlte fid), roie gebermann roeiß, per fiuigi leiber! über febe
üble SRndfrebe foldjer ©attung feßr erßaben.
SDJitunter erfußr petro beloßnungen fonberbarer Ülrt; bie
Oberfläche feines JRörperS, fagt boccalitti, glicß einer fdjraffirtcn
(«61 >•
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©eefarte. Söeit Äretiuo einen tapferen Kapitän ©ier ©trojji
in burle«fen ©einten feart mitgenommen unb biefer ifem ben
Untergang gefcfeworen featte, roagte ber Sinter, nacfebem er er=
fahren, bafe ber fffforentiner ficfe in ©ettebig auffeatte, wodjenlang
fein ftau« nicfet ju oerfaffen; ein gaftum freitidj, welche« ber
neuefte ©iograpfe be« ©atirifer«, ©inigaglia, gerne aus ber
SBett fcfeaffen möcfete. — ,§einricfe VIII. , König oon ©nglanb,
featte bem Sretiner eine Sßenfion oon 300 ©cubi oerfprocfeen,
unb ba bie ?Iu«äafetung ber ©umme ficfe oergögerte, befcfeulbigte
ber ©efcfeäbigte ben engtifcfeen ©efanbten in ©enebig , ©ir
©igiämunb föowet, feinterriid« bet Uuterfcfetagutig. $5er ©rite
rächte fid) roegen biefer ©erteuntbung, inbem er bem freefeen
Säfterer burdf fieben bewaffnete 2Jiänner auflauern utib ifen
graufam burcfepriigetn liefe. 2>a« SDferfwiirbige an biefer ©e=
fcfeicfete ift nicfet etwa ber Umftanb, bafe ber Stretiner, „bewegt
oon cferiftticfeeit ober moralifdjeit ©efüfelen", biefe fcfewere ^eim-
fucfeung gebulbig über fid) ergeben liefe, fonbern bafe ber eitglifcfee
©efanbte ficfe förmfidjft ob feine« 3rrtfeum« entfdfeutbigte, al«
ber ©ertreter Karl« V. ficfe erbot im Flamen feine« $errn bie
fragliche ©umme ju jafeten. 3)ama(«, im 3uli 1548, war
®on $iego £mrtabo be 2Wenboja, ber angebticfee Serfaffer be«
erften ©cfeetmenroman« ber ©panier, Sajarillo be lorme«,
faiferticfeer fiegat in ©enebig, bann itt ©om. ®er berüfemte
©taat«mann unb fpätere ©efcfeicfet«fcfereiber , befanntlicfe ein
feiner Kenner ber itatienifcfeen Sitteratur, featte mefermal« ©e^
riifernngen mit bem Stretiner, bem er, at« e« galt, be« SMcfeter«
Xocfjter Äbria ju oerfeeiratfeen, im tarnen be« Kaifer« 100 ©cubi
Überreste. $u ^er Mitgift im ©efamtbetrage oon 1000 2)ufaten,
featte ber ©rofefeerjog oon f^torenj 300, ber Karbinal oon
©aoeitna 200 ©cubi beigefteuert.
2)er alte ©iicfeet ?tngeto, ber einige feiner fcfemeufelerifcfeen
©riefe unbeantwortet getaffen, follte c« bitter büfeen, bafe er
(Wtt)
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27
fid) burdj fofcfje Unterlaffung einen Stretino jum ausgefprocfjenen
©egner gemalt. Sie erfte ?Innä^erung be« jubringlidjen
3JZanne«, ber in ganj Italien Sob unb Scßanbe auäjutheilen
ftcf) Dermal fanb im 3aßre 1538 ftatt. 9lretino ^attc au
Subooico Solei über ben guten unb fd)ted)ten Stil gefcßrieben
unb bei biefer Gelegenheit SWidhel Ängelo« ermähnt, al« er ben
Uuterfcßieb gwifcßen garbe unb 3eic^nun9 betonte. „Sdjöne
Farben ohne geichnitng," heißt eS bort, „mit beuen allerlei bunte«
geug ohne richtige Umriffe ju ftanbe gebraut wirb, welche @{jre
erwerben bie? Ser wahre 3tuljm ber garbe liegt in ben
ißinfelftridfcn, wie fie SKicßel Sngelo gu führen weiß, ber 9latur
unb Shmft fo oöflig inne h<ü, baß fie felbft nicht wiffen, ob fie
»on ißm ober er »on ihnen ju lernen habe. (Sin guter SWaler
muß metjr oerfteljen al« einen Sammetpelj ober eine Gürtet»
fcfptalle gut nachjuntnchen." — Sann manbte er fid) an bett
großen SDZeifter felbft, ben er in ben überfchwcnglidjften gönnen
alfo anrebet: „3dj, ber id) burd) Sob unb Sabel fo oicl oermag,
baß faft alle«, wa« an Änerfennung fowoßl al« an ©ering-
ftf)ä^ung ?Inberen ju theil geworben, burcf) meine $anb oer-
liefen würbe, id), bennodj feljr wenig unb fojufagen nichts, be-
grüße (Sudj. SBagcn würbe id) eS nicht, hätte burd) bie Ächtung,
bie fein Älang jebem gürften einflößt, mein ÜRamc nicht fd)ott
fo oiel oon feiner Unwiirbigfcit oerloren Unb hoch , Sud)
gegenüber bleibt mir nichts als @ljrfurd)t! Stönige giebt es
genug in ber SBelt, aber nur einen SHidjel Slngelo! Sßeld) ein
SBunber, baß bie SZatur, bie nid)tS fo ergaben fdjaffett fann,
baß 3ßr eS nicht erreichtet, ihren eigenen SBerfen ben Stempel
hoßer äßajeftät nicht aufjuprägen oermag, ben bie ungeheure
SDZadjt (SureS Griffeln in fid) trägt! ißfjibia«, SlpeöeS unb
58itruoiuS fteßeu im Schatten neben (Sud)!" — Sann legt
?lretino mit einem ungeheuren Slufmanb oott atlegorifd) poetifcßen
S3orfteUungen bar, wie er felbft fid) bie fiompofition beS
(663)
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28
„jüngften ©erstes" gebaut unb giebt bie ©erftdjerung,
bah et gwar einen Schwur gethan, nie wteber nach SRom ju
fommen, SfRidjel 2lngeIo« SEBerf aber werbe ihn fich felbft treulo«
machen. Uebrigen« möge er fic^ öon feiner brenneitben ©ehnfudjt
»öllig überzeugt galten, ber SSelt fein ßob gu oerfiinben. —
$>er folcfjermnfjen ©efeierte antwortete auf biefeS halb befcheiben»
bemütljige, halb fredpanmahtidje Schreiben mit feinfter Sronie,
inbem er bebauert, baff, weit bereit« ein fo grofjer Iljeil be«
©emälbe« fertig ift, er feine, Äretiito«, ©ebanfen, leiber niefit
mehr benufcen !aun. SBörtlid) ^ei|t e« bann: ,,2Ba« ©uer än=
erbieten anbetrifft, über mich gu fdjreiben, fo macht e« mir nicht
nur Vergnügen, fonbern ba ftaifer unb Äönige e« für bie hödjfie
©nabe erachten, wenn ©urc geber fie nennt, bitte ich barum.
Sollte ©uch in ©egug bnrauf irgenb etwa«, wa« in meinem
Öefifee ift, erwiinfcht unb angenehm fein, fo offerirc ich &
mit ber größten ©ereitwilligfeit."
Slretino, ber ben eigentlichen $wecf feiner lobrebnerifchen
©piftel nunmehr erreicht glaubte, bat um ein ©tiicf ^anbgeichnung,
„wie er (ÜJiirf>eI Slngelo) e« in« $euer gu werfen pflege".
$od) ber SReifter ^ntte fein ©eripredjen fo »oQftänbig »ergeffen,
bafe er fogar auf wieberfjolte« ÜRahnen unb ©rinnern ?tretino«
nid)t« fdfidte, bi« enblich nach fahren burd) ©enöenuto ©eflini
bem 3ub**ngtichen eine ©nbe wirb, bie einer ©erfpottung mehr
at« einer ©efchenfuitg gleicbfommt. 2)er alfo ©nttäufihte Der»
langt bcffere«, aber ber grofje äReifter hat für fofd^e jfrorberungen
nur ba« Schweigen ber ©erachtung. 3efct aber reiht bem
©enetianer ber ©ebulbfaben grünblich unb er fenbet an 9Ridjel
Slngelo einen ©rief, ber al« SReifterwerf au«gefuchter Shtfamie
in ber SBeltlitteratur faum feine« gleichen finben bürfte. 2>a«
ben gangen SRann Stretino fo oöüig c^aratterifirenbe Schriftftücf
beginnt: „Signore! iRachbem ich nun bie gange Sompofitiou
©ure« füngften ©erichte« gefehen f>abe, erfenne idj bann, wa«
(664)
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29
bie ©djönbeit ber ftompofition anlangt, bie berühmte ©ragie
fRafaelS roieber; als ein ßbrift aber, ber bie Ijeil. Saufe empfing,
fdjäme ich mich ber gügelfofen Jrecf^eit, mit ber ©uer ©eift
bie Sarfteüung beffen gewagt bat, wo« basi ©nbgiel all unferer
gläubigen ©efiible bilbet.
Siefer SHicßel Sugelo alfo, fo gewaltig burd) feinen Üiutjnt,
biefer SJlicbel Sngelo, fo berühmt burdj feinen ©eift, biefer
SKic^el Sngelo, ben wir 2We bewunbem, bat ben fieuten geigen
wollen, baß ihm in ebcnfo hohem ©rabe grömmigfeit uitb SHeligion
abgeben, als er in feiner Slunft »ollenbet haftest. Jft eS möglidt,
baß 3br/ t>»e 3b* Such @uter ©öttlic^fcit wegen 3um ©erfebr
mit gewöhnlichen iDlenfcben gar nicht berablaßt, bergleid^en in
ben böcbften Sempel ©otteä ^ineingebrac^t bubt? lieber bem
erften ÖUar ßbtifti, in ber erften ÄapeUe ber Sßelt, wo bie
großen ifarbinäle ber Äirdje, bie ebrwürbigeit ©riefter, wo ber
«Statthalter ©brifti in heiligen Zeremonien unb in göttlichen
SBJortcn feinen üeib, fein ©lut uub fein gleifd) befcitnen unb
anbetenb betrachten.
SEBäre ei nicht faft ein ©erbrechen, ben ©«gleich herbei*
jufübren, fo würbe ich mid) beffen hier rühmen, waS mir in meiner
ÜRanna gelungen ift, wo ich, ftatt wie Jbr auf unerträgliche
Srt bie Singe bloß gu legen, mit oernünftiger ©orfiebt beu
ungüdbtigften, üppigften Stoff in garten, gefitteten SBorten be-
banbeit habe. Unb Jbr' &ei einem i° erhabenen ©orwurf,
laßt bie (Sngel ohne ihre bintmlifcbe ©rächt unb bie ^»eiligen ohne
eine ©pur irbifdber ©erfdfämtbeit erfcheinett? §aben boef) bie
Reiben felber bie Siana in ©ewänbern oerbüllt, unb wenn fie
eine nadte ©enu£ meißelten, fie bureb ©teüung unb $anb>
bewegung faft alö befleibet erfebeinen laffen. Unb 3br, ber
3bt ein ©b^ft feib, orbnet ben ©tauben fo febr ber ttunft
unter, baß Jb* bei beu äHärtprem uub heiligen Jungfrauen bie
©erleßung ber ©d)ambaftigfeit gu einem ©cßaufpiel arrangirt
(865)
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habt, bas mau in iibelberüd)tigten Käufern jelbet nur mit ab'
gewanbten ©liefen gu betrachten wagte. 3n ein üppiges Sabe>
gimmer, nicht in ben Shot ber höchften Kapelle bürfte bergleichen
gemalt werben. Söahrhaftig beffer wäre eS gewesen, 3hr gehörtet
gu ben Ungläubigen, als in biefer SBeife, gu ben ©läubigen ge-
hörig, ben ©lauben Anbeter angutaften. Slber fo weit wirb
ber Fimmel nicht gehen, baff er bie auherorbentlidje Kühnheit
SureS SöunberwerfeS unbestraft ließe. SS wirb, um fo wunber-
barer eS bafteht, um jo Sicherer baS ®rab SureS 9iuhmeS fein."
3n biejem moralifirenben Sone geht eS noch weiter, bann
aber fommt Slretino auf fid) felber gu Sprechen utib fährt fort:
,,©ut wäre eS allerbingS gewefen, wenn 3hr mit aller
Sorgfalt Suer '-üerfprechen erfüllt hättet, wäre eS auch nur um
ben böfeu 3ungen Schweigen gu gebieten, bie ba behaupten,
nur ein ©herarbo °^er Sommafo wüßten ©efälligfeiten aus
Such herauSgulotfen. Slbet freilich, wenn bie Raufen ®otbeS,
bie Such ©apft ®iulio ^interlaffen ^at, bamit feine irbifchen
Ueberrefte in einem oon Such gearbeiteten ©arfophag ruhen,
wenn Such fo Diel ®elb nicht gum 3nneh«lten Surer SJer*
fpreepungen oermögen fonnte, toorauf fonnte ba ein SDtann wie
cd) Sich Rechnung machen? freilich nicht Suer ©eig unb Sure
Unbanfbarfeit, o großer SWeifter, finb baran Schulb, bah ®iulioS
®ebeine in einem einfachen Sarge fdjlafen, fonbern ©iulioS
©erbienfte felber: ©ott wollte, baff ein folcher ißapft nur burch
fich fei, waS er ift unb nidjt burch ein fltofjmächtigeS Sauwerl
erft, baS 3hr aufführtet, etwas gu werben Schiene, Stoßbein
aber habt 3hr nicht gethan, waS 3hr Solltet, unb baS nennt
man ftef)len.
.'pättet 3hr Such bei ber ftompofition SureS ©emälbes au
bas halten wollen, was in meinem ©riefe, ben bie gange SBelt
leimt, an wiffenfdjaftlicher Unterweifung über Fimmel, ipöüe
unb 'fkrabieS enthalten war, bann, ich wage eS gu Sagen,
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31
würbe bic 'JJatur ftcf) jefct nicht fd)ämen muffen, fo grobe«
Talent in t^ucfj gelegt ju haben, bah 3hr felber wie ein ©öfcew
bilb be« Stünftlerthum« haftest. 3m ©egentheil, e« würbe bie
Vorfehung (£uer 2öerf befcf|üfcen, fo lange bie SBelt fteht."
Serbitore ?lretin o.
Diejem Schreiben jdjicfte ifjietro, tiadjbent er reblich bafür
geforgt, bafs beffen 3nljalt in ben weiteren Streifen Verbreitung
gefunben, ein begütigenbe« 'ißoftffriptum nach, worin e« hei&t:
„9?uit, ba meine 2Butf) gegen bie ©raufamfeit, mit ber 3br
meine ehrerbietige Unterwerfung erwibert habt, ein wenig ber*
raucht ift unb ba ich Such, wie mir fcheint, ben Vewei« geliefert
habe, bah, menn 3hr di-vino feib, ich auch nicht bon Söaffer
(deir acqua) bin, jerreifet biefe« Schreiben, wie ich gethan,
unb fommt jur ©rfenntnih, bah ich aüerbing« banach fei, um bon
Königen unb ftaifern Antwort auf meine Vriefe ju erhalten."
Slretino, als er biefett Vrief berfanbte, burfte jum borau«
be« Veifall« fid)er fein, ben fein boshaftes SBortfpiel: SBeiit
nnb SSaffer bei Vuonarotti« geinben finben würbe, unb e« fatm
nicht geleugnet werben, bah e« bem frechen Spötter in ber Dljat
gelungen ift, bem groben 'JJameu SJiichel Slngefo« einen ÜJiafel
aiijuhängen, ber bi« in feine lebten fieben«jahre an ihm haften
geblieben; beim mit allem ©rutib nannte ber greife ÜMeifter ba«
©rabmal, an welchem er, mit Unterbrechungen allerbing«, oierjig
3at>re gearbeitet, bie Dragöbie feine« Seben«. Die erhaltenen
Vejahlungen hatten nicht einmal be« ÜWeifter« 9lu«lagen gebccft !
3öeit leichter unb oergnuglicher in ber D£)at muhte Ülretino
fiel) ju oerfchaffeu, wa« er jur Veftreitung feine« auf fürftlichem
Jufje eingerichteten Haushalte« beburfte. Damal«, al« fein
warmer ©önner, ©iobanni be ÜJlebici, ber mit ihm Difcf) unb
99ett getheilt hatte, geftorben war, befchloh er, fortan iit feine«
ÜMenfcfjen Dienft mehr ^u treten unb al« „freier Diautt oon
(««7)
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32
©otteS ©naben" zu leben. SBie fd)on bemerft, ftofjen wir
allerorts in feinen ©riefen auf ©teilen, bie feiner ooUen ©e-
friebigung mit ben felbftgefdjaffenen ©erhältniffen berebten SIuS‘
brucf »erleiden.
Slretino war im ©runbe genommen, wie man oon jeher
richtig über ihn urtfjeilte, nichts weiter als ©cfyriftfteller , aber
ein ©chriftfteßer oon eminenteftec ©egabuitg. SlfS folc^er bat
er, fogar einzig als ©tilift betrachtet, eine gewiffe Originalität
ju beattfpruchen , benn er ignorirt aus reiner Unfenntnijj ben
trabitioneflen Formalismus unb SRechaniSmuS ber Sprache,
oerböbnt alles ©egelwerf als pure ©ebanterie unb gebt fo, aus
ber ©otb eine Xugenb macbenb, feine eigenen SBege. ©ein
Talent ber ungezwungenen leichten ®arfteßung, beS mühelos
raffen Schaffens würbe ihm, nach bent ÄuSfpruch eines be-
fannten ©eiehrten, zu allen feiten ©ebeutung gefiebert haben,
im Zeitalter ©utenbergS machte eS ihn zum ©ater ber Sountaliftif,
jutn Äonbottiere ber SJitteratur, wie Tizian ihn nennt.
Um biefe $eit wufjte bie ftolje ©epublif ©enebig fich noch
fübn zu behaupten auf bem $öfjepunft ihrer politifchen ©eite.
Stöemt auch fchon, bebingt burch bie ©ntbecfung beS ©eewegS
nach Oftinbieit unb bie ©ntbeefung SlmerifaS, ein allmählicher
©erfaß beS $anbelS begann, war eS immerhin ein reicher Staat
mit ftrafffter Politiker Sicherheit, in beffeit Schuh ber Siretiner
fich begeben. Unb wo hätte fich bamaligen Italien eine
Stabt auffinben laffen, bie eS ©enebig gleich thun fontite in
jenem heiteren ©enufjlcben, baS fo herrlich oerflärt war burcf)
eine hohe Sßerthfcbäjjung ber in jener $eit flßeS bebeutenben
ftunft? ®ort fühlte ©ietro fich benn auch *u feinem ©lemente,
ber ©lafc war mehr als jeber anberer geeignet zur ©ntfaltung
feiner publiciftifdjen Talente. 2Bir wiffen, ba§ juft in ©enebig
bie erften Slnfänge beS .ßeitungSwefenS zu fuchen finb. Um bie
9Ritte beS fechzehuteu 3ahrhunberts, wohf auch fchon früher
(668)
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33
legte bie fRepubüf bon 3eit äu 3ei* an öffentlichen Drten ge«
fchrtebene ßindjridjten (notizie scritte) au$, bie man gegen 83e*
jn^tung einer Meinen Scbeibemünje (gazette) fefen formte, unb
oon biefer fDJünje erhielten bie 9?euigfeit8blätter bann ben 9iamen
gazzette, in granfreid) gazette.
3u Slretinoä 3eiten tobte *n ben Greifen ber italienifchert
©rammatifer unb Satiniften am beifieften ein Sfampf, ber bie
Schaffung einer einheitlichen SHationalfpracbe jum ©egenftanb
batte. 3m 3abre 1525 mar be8 $arbinal8 Sembo bialogiftrter
Straftat nach cicerotiijtbem ßftufter unter bem ü£itel: Prose di
Pietro Beinbo nelle quali si ragiona della vulgär Lingua
erfchienen, moriit behauptet roirb, baf$ ba8 loSfanifcbe bie attifche
Sprache 3talien$ fei. darunter öerftcbt 93embo bie alte
Sprache ber 3rIorentinif<ben ftlajfifer, ber fogenannten Trecentiften:
$ante, Petrarca, ^Boccaccio. 2>ie ©riinbung ber floreittinifchen
Slfabemie faßt in ba8 3abr 1540, ben oft citirten ßiamen ber
Crusca nahm bie ©efeßfcbaft erfl fpäter an, bie erfte 2tu8gabe
be« SBörterbucheS erfcbien jmar erft 1612, aber bie ©rammatifer
fuchten tmn allem Anfang an ben SRegeln, bie fie auffteßten,
aßgemeitte ©elturtg ju t»erfchnffen.
Solch ftreng tbeoretifd)en SBeftrebungen gegenüber ermie3
ficb Äretino al8 reiner 9?aturalift, ber fidj eine eigene Sprache
erfchuf, mie fie ihm al8 bie paffenbfte erfcbien, feinen ©ebatifen
einen möglichft ettergifchen 2tu$brucf ju oerleibett. So gilt er
in ber ©efchidjte ber italienif^cn Sprache als Vertretet ber
lingua parlata beS uso vivente. Älfieri, ber im gereiften
2)ianne»after erft begann grünblich bn8 3talienifdje ju erlernen,
oerftchert im$, mie mir gehört in feiner fo anjiebenb gefchriebenen
Sutobiograpbte, bah er aus ben dialoghi be8 Slretinerä oieleö gelernt.
Slretino felbft bot oon feinem latente nlä Schriftfteßer, beffer
noch als Stilift bie aßergiinftigfte Meinung: „3$ mache mich nie
jum Sflaoen ber gehanten. 21ian fiebt mich nie ben Spuren
Sammlung. 9!. g. V. 1X4. 3 (669)
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Petrarcas ober Soccacciog folgen, mir genügt mein eigener,
unabhängiger @ei[i. 3 cf) laffe Slnbere oon Feinheit beg ©tilg,
$iefe ber ©ebanfen fchwafcen. 3cl) fomme oorwärtg ohne Selber,
ohne Slnleitung, ohne Rührer, ohne ßeudhte, unb ber ©chweijj
meiner 5£intenfäffer (il sudore de miei inchiostri, ein oft ge=
brauner Slugbrud) bringt mir ©lücf unb SRuhm."
Sin ben oerbienftooHen Sernarbo Üaffo, beg Xorquato
Sater, fchreibt er: „3m Sriefftil bift ®u nicht g alg mein
Nachahmer, ber hinter mir barfujj einherfdjreitet. $$u oermagft
roeber bie Seidjtigfeit meiner Sh™fe/ noch beit ©lanj meiner
Silber ju erreichen." — freilich ift »iel gefcheheit, in Slretino
biefe ungeheure ©elbftöerherrlichung grofjjujiehen, benn fein
(geringerer alg Slrioft ift eg, ber in feinem rounberbaren @pog,
in ber 14. ©trophe beg 46. ©efangeg unter bem ©efolge beg
$arneferg Sllejanber „bie gürftengeifjel, ben göttlichen ißietro
Slretino" beg SBegeg bahingiehen läfjt.
®er ßitterarhiftorifer Älein fällt in feiner ©efchid)te be»
italienifdjen $ramag über ben Slretino ein burdjweg oerroerfenbeg
Urtheil; anberg berichten über ihn §wei gmnjofen. ®er be-
famtte ^ßhilarete Shagleg fchreibt in feinem SBerfe: Moeurs,
Drames du XVI siede: Slretino erinnere lebhafter alg iKrioft
unb felbft SJiacchiaüefli an bie ariftophanifche Stomöbie. Sind)
©inguenö in feiner Hist. litt. d’Italie VI. ©. 225 nennt ihn
einen wahrhaft aufjerorbentlichen uttb genialen ÜHiattn , ben
oieHeidjt nur jwei §inberniffe, feine Unroiffcnheit unb feine
Safter, barau hinberteu, fich jur hödhften £>1% ju erheben.
freilich finb nicht Sille, fo wie Slretino felbft, mit feinem
©tile jufrieben. logcanetli, wie 5D?a$juchelli ung berietet,
wirft ihm ©djwulft unb Unnatur oor. ©uarini tabelt bag
§hperbolifd)e ber ^3brQfe> dg ob nicht Seber, ber Slretino je
gelefcn, ohne weitereg wiffen mufj, baff juft bie §pperbel feine
eigentliche ©tärfc gewefen. ©ogar einer feiner Siographen,
(<IVO)
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35
be S9oi«preauj, nennt feine Schreibweife einen unoerftänblidien
3atgon, ber einen nbgenußten ©ebanfen burcfj bunfte unb ge»
gierte SBenbungen aufftufcen miß, bergeftalt, baß ein SDtenfch
non ©efcßmacf bie Sangeweile einer fo wiberwärtigen Seftüre
nic^t ertragen fann.
$iefe« Urteil fann im ganzen woßl ©eltung tjaben für
Slretino« ©rieffiil, für feine religiöfen unb erotifdjen Schriften,
Jueit weniger jebodj für bie Sprache feiner Sufifpiele; benn
auef) al§ ®ramatifer fjaben wir ben merfwürbigen ÜJtenfchen $u
betrachten unb feine ftomöbien finb e« eigentlich nur, bie ihm
einen immerhin bemerfenäwerthen $Ia| in ber ©efdjichte ber
italienifcßen Sitteratur anweifen.
SBir befifeen Bon Slretino fünf Äomöbien: II Marescalco
(1533 in 2)rud erfchieneit), La Cortigiana (1534), La Talanta
(1542), L’Ipocrito (1542), II Filosofo (1546), außerbem eine
^Eragöbie : L’Orazia, in reimlofen ©Iffüßlent gebichtet unb ben
befannten ft'ampf ber ^oratier mit ben ©uriatiern behanbelnb.
©iorgio ©inigaglia, ber jüngfte unter ben ffliograpßen be«
©atirifer«, hot fein« Stubie über Pietro Slretino, erfd)ienen
ju 9Iom 1882, unebirte Schriften unb 3) of umente beigefügt,
unter anberem eine fatirifche Somöbie in 5 Sitten, betitelt
Fortunio. Der Herausgeber bemerft, baß ©amerini biefe« SBerf
entweber nicht fannte, al« er feine Sammlung ber fünf oben
genannten Äomöbien ebirte, ober 3roeifel an ber ©djtßeit ^egte.
Sinigaglia, befjen mit großem gleiße ausgearbeitete „Stubie
über Slretino" $u ben fogenanuten ©ßrenrettungen gehört, äußert
felber jiemlid) naiB, baß er nicht fießer fei, ob bie Bon ißm
jum erftenmale an« Sicht gezogene Momöbie nicht als ba« SBerf
eine« 3c*tgenoffen betrachtet werben bürfe, ber bie beiben echten
Äomöbien: ben Marescalco unb bie Cortigiana jufammengefaßt
unb barau« ein neue« Stüd gemadjt. ©in enbgiiltige« Urtljeil
barüber abgegeben, müffe einem ©eleßrteren unb ©rfahttteren
3* (C71)
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als et fei, überlaffen »erben. — @8 liegt auf bet fpanb, baß
mit ®ntbecf ungen fold) jmeifelljafter Slrt bet Sitteraturgcfchichte
nichts gebient fein fann. Siretino »ar ein äufjerft fruchtbarer
Sutor, aber nur ein relatio Meiner $heil feiner ©<^t-iften »er*
bient e$, bafj bie Bladjroelt noch barüber erfahre. 28aS frommen
unS feine Rinnen, feine Segenben, feine non miberwärtigem
fiobe triefenben Debifationen in ißrofa nnb in Sßerfen? Soffen
Wir fie in »ohtoerbienter ©ergeffenheit ruhen. SBahrlidj, Stretino
bürfte faum ber ©ater ber Sournaliftif genannt »erben, hätte
er nicht »ie fein Slnberer oor ihm aus bcm ©runbe eS oer>
ftanben, unauSgefefct mit feinen ©ublifationen bem ©ebürfniß
beS lageS entgegensufommen, immer non neuem oon fich rebeit
ju machen, ftets bie grofje SPfenge auf feiner ©eite $u hoben.
SBenn mir aber feinen reichen latenten bie ooBfte Stnerfennung
joflen, mit feinem rein menfcfjlichen ßljoraftcr fönnen »ir uns
nie befreunben; alles in aflem bleibt ber Siretiner für feben
Slpologeten eine äufjerft unbanfbare Perfon.
Slbgefchen non ber Sragöbie, bie unter ftrenger ©eobadjtung
ber brei @int}eiten aufgebaut ift, fomit als ein im ftaffifchen
©inne »erfaßtes ©tücf ju gelten hot, fo müffen »ir SlretinoS
Suftfpiete ber Commedia dell’ arte befählen. ©efanntlich unter*
fcheiben bie Italiener jiemlid} fdjarf jwifchen gelehrter unb
DolfSthiimlichcr Äomöbie. SSir »iffen, ba& bie Suftfpiete ber
römifchen dichter ptautuS unb Xerenj oon jeher oielfach in
fRom au ben $öfen unb Sfabemien in ber Urfprache jur Stuf*
führung gelangten, unb cS bemühten fich gelehrte Prälaten unb
fiarbinäle unter ber ftubirenben Sugenb geeignete fträfte ju
»ürbiger ®arfteflung ber antifen ßharaftere $u finben. 55a$
©eifpiel fanb 9iad)ahmung, bodj üerfiel man halb barauf, bie
Sieben ber Slgirenben in itatienifcher ©erfion ju geben, bie
Ueberfeßungen »anbelten fich aflmählich in freie Siachbilbuttgen;
jeitgenöffifche ®harftttere, beftimmte ©orfäfle, ©ittetibilber »urben
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37
bett 3ufd)auem oorgefüfjrt, meift Ijanbelte eg ficf) um pifante
Sfanbafgefcf>i(f)ten, aber bie 3>ramatifirungen bewegten ficf) gang
in pfautinifcfjcn unb terengifdjen gormen unb fo entmicfelte ficf)
bie fogenannte Commedia erudita, bie befonberg am ^tofe gu
gerrara unter bett 3Iufpicien be§ fiergogg Grcole I. rafd) in
©lütfje fam. Sflg bebeutenbe f)öfifcf)e £id)ter galten non je ber
ß'arbinal Sibbiena uttb ülrioft, aud) SKacfjiaüefli oerbient feiner
oft citirten äRanbragota wegen f)iet Grmäfjnung.
3m fdEjarfen ©egenfaf} gur gelehrten Äomöbie fteljt nun
bie Boffgtf)ümticf)e Äomöbie, bie Commedia dell’ arte, impro»
oifirte ober Stcgreiffomöbie genannt. Sllg Grfinber, beffer
Sultioator, berfelbeit nennt bie £itteraturgcfd)icf)te ben ©iinftling
unb Siebfiitggfomifer Sieog X., grancegco Stereo. 2)ie Stegreif«
fomöbie mürbe ni<f)t nacfj einem fcfjriftlidjen Dialoge memorirt,
fonbent au« bem Stegreife nad) einem Borger entworfenen
Scenariumplane gefprodfen. 3)em latente beg Scfjaufpieferg,
unb bie 3tafiener Ratten ja befanntfidj Bon jef)er bie beftett
Smprooifatoren, war bort ein reicher 2tn(a& gegeben gu brifliren,
3eber burfte in Bößig freier SBeife feinem fjan ge gu berbem
Spaß unb gu bcifjeuber Satire bie 3ö9ef fließen Iaffen. S)ie
SBerbinbuttgen ber tiicfen^afteit Stellen Bermittelte ber Mrtedjino,
wof)f einer ber micf)tigften unter ben feftftefjenben ober Gfjarafter«
tppen ber italiettifcfjeu Äomöbie, gu benen unter anberett nocf)
gehörten: ber $ottove, ber Sßantafone, ber Scaramuggo ober
©ramarbag, bie Golombine atg ©etiebte ^ßufcineflog.
Sfretino, fo urteilte $fein, fonnte berufen fdjeinen, ber
flaffifcfjen itatienifdjen ^offomöbie bie SBotfgfomöbie ober bag
nationalbiirgerlicfje Suftfpief eittgegengufefcen, wenn berber, fati*
riit^er, oft unfauberer 2Bi| unb bialogifcfje gertigfeit im Vereine
mit Unmiffenffeit unb Unbilbung gu einem folgen Suftfpiele
f)inreicf)ten. Seine ftomöbien tjabcn Bott ber fpoffomöbic bie
Unfittlicf)feit unb ben fd)mu&igen Sfanbaf gu eigen, mäfprenb fie
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38
Bon ber Commedia dell' arte, weld)e, burd) Sohnfpieter bar«
geftettt, gleichzeitig neben ber Waffifdjen, ton oornefjmeit ©ttettanten
gefpietten Komöbie als ©olfSfomöbie einljerging, ben «Stegreif*
djarafter in ber 3erfa^ren^eit ber $anblung unb in ber epifobifdjen
©untijeit ber ©cenenfotge jur Schau tragen.
@8 tft hier nicht ber Ort, eine eingeljenbe Stnalpfe ju
bringen über jebe ber fünf ftomöbien SlretinoS, welche in neuer
SluSgabe ben fünften Saitb bitben ber SDtaitänber Biblioteca
classica economica, mithin feineSwegö $u ben bibliograpljifdjen
Seltenheiten gehören. ®ie ftüdjtigfte ßeftüre fann baS überein«
ftimmenbe Urteil ber ftrengften Kritifer, weiche über ben Stretiner
ju ©ericht fafjen, beftätigen, bemgemäfj biefer merfwürbige 2J?antt
über eine tiefe Kenntnijj bc8 menfchiichen ^ersen8 unb rafche
©rfaffung ber oerfchiebenftcn ©hara1ftereigenthümli(hfciten Ber«
fügte, ©eine ffiguren finb fämtlich lebenbig unb wahr, fie
Zeichnen fid) fdjarf unb beutiid) erfennbar ab unter ber bunten
(fülle ber ^anblung, fie beherrfdjen bie ©eene unb fdjaffen
müheioö bie broßigften Situationen. SSir fehen ben ttretiner
fo recht in feinem ©lemente, wenn er ben Kinbern feiner frohen
Saune bie toHften ©infälle, bie biffigften ©pigramme, bie ge«
wagteften Sieben in ben SDiunb legt. 3n feinen Komöbien mehr
noch Bieüeicht aI8 in feinen anberen «Schriften erwetft fid) ^ietro
als furchtbarer ©atirifer. 3m 9J?are8catco, im gilofofo, in
bem |>etärenftücfe ©alanta fpiegelt fich &ie ©efeflfehaft bee
fechjehnten 3ahrf)unbert8 in ihrer ganzen Korruption, ber
©h«I°f0Ph ^latariftotile ift eine Karifatur ber ©tatonifer ba>
maliger 3e*C fein Spocrito gab ben Änftofj jur Schaffung jenes
©artuffe, ben wir Siße fennen. Slm beften freilich getingen ihm
bie Kurtifanen. Sie bitben nach be8 KritiferS be ©anctiS
ilrtheit fein SieblingSthema. „®ie§ ift bie Komöbie, welche
Bon biefem Sahrhunbert hetöorgebeodjt werben foimte, ber lefjte
«ft beS ©eenmerone, eine fchamtofe unb cpnifche SBelt, bereu
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39
gelben ^offcfiranjen unb Äurtifanen finb unb bereit SRittel*
punft ber päpftlidje $of bilbet, ba3 gietobjeft für bic
©eifjelbiebe bc§ SRanneS, ber ftd) in feinem |>ort non 33enebig
bie ©traftofigfeit gefiebert batte " — $>ie Italiener rühmen,
bafj ?tretino3 2Rare3ca(co einen 9iabelai3, einen <S^afefpeare
3U infpiriren oermoebte. (Sein SReffer 9Raco, ber auä ©iena
!ommt unb nach SRom gebt in ber Stbficfjt, bort ^arbinal ju
»erben, foll ber $bpu$ gewefen fein, nach »elcbem SRotiferc
feinen 2Ronfieur be ^ßourceaugnac gefebaffen, jenen bieberen
limoftnifdben Sanbjunfer, ber un3 fo febr ergibt als ein SRufter
liebenSroürbtger SJefcbränftbcit unb Seicfjtgtciubigfeit. Ob unb
»ie lange 2Roliere bei einem Slretino in bie Üebre gegangen,
wäre wobt erft notb naebiumeifen, aber bie ^Behauptung biirfen
wir wagen, baff bie realiftifcb*natnraliftifcbe ©(bitte beS neun*
jebnten SabibantKrtS oon Hretiuo fo manches ficb angeeignet bat,
ob wiffentticb ober rein inftinftio, fott hier nicht entfebieben werben.
SlretinoS ganje ^erfönti^feit, bie fdjeittbaren SBiberfprüdje
in feinem Gbarafter bieten einen braftifdjen 99eteg für bie
.fpppotbefe oon ber Vererbung beS Stuten. Som SSater batte
er bie ißroebttiebe geerbt}, bie ©u<bt in oornebmen Greifen 3U
glönjen, eS ben ©rofjcn in aßen ©tiiefen gleich ju tbun, oon
ber SRutter (benn ad) ! gutmiitbig finb fie ja Me, fagt be*
fanntticb „2Rajor" gerbinanb) ben §ang }u braoer Äameraberie,
bie ihn brängt unb treibt, baS Grworbene rebticb mit ben
nieberen fiuftgenoffen ju tbeiten. Ganteritti, ber jüngfte feiner
Gbitoren, finbet SlretinoS ®oppet(barafter am prägnanteren auS-
gebrüeft in einer oon Sitterarbiftorifern gern citirten ©eene ber
„Gortigiana". 2)ie ftupplerin Stlöigia fuebt bie SBäcferSfrau
$ogna 311 einem ebebreeberifeben ©teßbicbein mit bem ©eefen
Sßarabolano 311 Überreben unb mifebt, in lebhaftem ©eptauber
gleichzeitig ihre ©ebete oerriebtenb, SBrucbftücfe auS bem ?loe
SRaria unb bem ißaternofter in ihre fcbänbticben Socfungen.
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gamerini bemerft hiergu, bafj in ber fRenaiffance biefe 9J?ifc§ung
»on grömmigfeit unb fiüftemheit, non ©feptigiSmuS unb SIbcr*
glaube häufig war; Wir aber »er mögen in biefer ©eene, fo
»errudjt ihre £arfteflung immerhin bleibt, nichts gu erbliden
als einen bem gemeinen Alltagsleben aufs atlergetreuefte ab-
getauften $ug, benn gut-fromme ©eelen, bem ©taube ber
Aluigia angehörenb, hat eS in {üblichen fiänbern »on jeher ge-
geben, biefe Art ift auch heufe bort no<h nicht auSgeftorben.
Söemerft fei noch, bafj bie „gortigiana" bem ©rojjfarbinal t>on
Orient gugeeignet ift.
93iüig werben wir unS fragen müffen, wie unb burdj welche
fDlittel eS Aretino, bem Jjeimatt)- unb »aterlofen Abenteurer ge-
lungen ift, fich in fo furger 3eit iu folc^er Söebeutung empor«
gufchwingen, wiefo eS möglich war, bafj er, bem ja bie glemente
ber gelehrten Silbung fehlten, in einem hodjgebilbeteit 3flhr‘
hunbert ein langes SDlenfcfjenalter ^inburc^ fich behaupten fonnte
auf fdjwinbelnber £jöl)e als intimer greunb ber größten Stiinftler,
als gefdiäjjteS Süiitglieb ber angefeheuften Afabemien.
9Hcht etwa in bem gauber feiner einnehmenben fßerföulich*
feit, in bem feffelnben fJieig feiner wihfprüljenben Unterhaltung,
in feinem feinen ©erftänbnijj ber bamalS alles bebeutenben Slunft
allein bürfen wir ben ©cfjlüffel fudjen gu bem fKäthfel fold)
großartiger grfolge. SBahr ift eS, bafj bie SJiebiceer, ein grang I.,
ein ftarl V. feinen Umgang fudjten, ihn f>oc^fc^ä^ten als geift-
reichen ©efenfdjafter , als buon compagno, wahr ift eS, baff
bie grofjett 3)teifter feinen 9iatf) oft »erlangten, wahr ift eS,
bafj fclbft ein Xigian in ihm eine fongeniale SRatur erblicfte,
ber er bie werthooflfteit Anregungen für fein fünftlerifdjeS
©djaffen gu bauten hatte, weil ber ®id)ter mit berebten SSorten
baS gum oorauS gu fchilberit wufjte, was er felber bann mit
glühenben garben für bie 9lacf)welt gum bauernben ©ebächtnifj
auf bie Seinwanb gu übertragen berufen war.
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3um ©emeiS bcffen lieben bie £itterarl)iftorifer ein ©Treiben
angufüßren, welches Slretino im ÜJZai 1544 an ben SWeifter beS
ßoluritS richtete unb meines bemeifen foß, mit meid} feinem
$ünftleroerftänbniß er gu beobachten mußte.
@r blicfte nadf eingenommener äKaßlgeit, on eine« ber
genfter feine« am großen Äanal befinbtic^en ißalafteS gelernt,
in trüber ©timmung hinab in baS bunte Treiben, baS ißm fo
oertraut ift. SBie immer fcbießen im rafdjen durdjeinanber bie
©onbelit baljin auf ber trägen, trüben gfatf), ber gifdjmarft
unb bie angrengenbeti Uferftraßen fiub belebt oon ÜJienfctjen.
Slber maS i§n fonft erfreute, oermag beu*e fließt iß« *>em
bumpfen ©innen gu entreißen. ©r ^at einen ferneren lieber-
atifall überftanben unb mibcr feine ©emohnßeit ^eute allein
gefpeift. da menbet er feinen ©lid nadj oben unb genießt nun
ein ©djaufpiel, baS ißn mit einemmal aß feine fleineit Seiben
oergeffen läßt. ©r fdjilbert: „ffiäßrenb bie ©olfSmenge ^eiteren
SDiutheS unb lärmenb baßinftrömte, roenbe idj, mic ein üJZann,
ber, fid) felbft gum Ueberbruffe, nießt meiß, maS er mit feinen
©ebanfen anfangen foß, bie Slugen gum $immel, ber, feitbem
©ott ißn erfeßaffen ßat, niemals bureß ein fo anmutige« ©e«
mälbe oon ©Ratten unb fiießtern oerfdjönt mar. die Suft mar
gerabe fo, mie fie diejenigen barfteßen möchten, melcße dieß
betteiben, meil fie nießt du fein fönnett. 2BaS nimmft du bentt
nun aber maßr: gunädjft bie großen ©ebäubc, bie obgleich fie
oon ©tein finb, aus einem lünftlicßen äJiaterial angefertigt gu
fein fdjicnen. du blidft bann in bie £uft, bie mir ßier rein
unb flar, bort aber trüb unb biifter oorfam." — dann mirb
uns baS mecßfelnbe garbeitfpicl ber Söolfen oor Slugeit geführt.
SSenn bie uäßer befinblidjeit in ßefler ©onuenglutß flammten,
ßeißt eS: „geigten einige ©teßen eine grünblaue gärbung, anbere
mieberum ein ©laugrün, baS in ber $ßat oon ber Sanne ber
Siatur, biefer Söieifterin ber SJieifter, gemifeßt mar. ÜJiit ißrem
(«77)
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§eD unb ihrem Sunfel oertiefte unb hob fte Terror, was fte
für notfjwenbig f)ieft, fo baß idj; ber id) weiß, wie in deinem
ißtnfef ©eift oon ißrem ©eifte waltet, ju brei* unb tiermalen
auSrief: „Sijian, wo Weilft Su nun?" SBürbeft Su bod), auf
mein Sßort, falls Su ba$, wog id) Sir beriete, gemalt ^ätteft,
bie 333elt in baSfelbe ©rftaunen terfejd ^aben, welche# mtd)
oerwirrte."
Stber Äretino war, wir muffen es wiebertjolen, im ©runbe
genommen bod) nid^ts weiter als ©cfjriftftefler; ben gewaltigen
©iufluß, ben er auf bie öffentliche ÜKeinung auSübte, richtig
ju begreifen, ift eS notl)roenbig, bie 3e*t/ *n &er er lebte, fctbft
einigermaßen 31t oerfteßen. SJfit bem HuSgange beS fünfjeljnten
OaßrhunbertS war bie 3Beltgefd)id)te in eine neue *ßßafe 9e*
treten, baS fiegreidjc Vorbringen ber Deformation bebeutete bett
Diebergang beS römifd) • beutfcßen KaifertljumS, unb an ©teile
biefer abgelebten 3nftitution trat baS ^ßrinjip 00m politifdjm
©leicßgemichte ber Nationen; eine töHig neue 3e‘t faßte here'n’
bred)en. Jroß ber gewaltigften Vlnftrengungen gelang eS Karl V.
nicht mehr feinen Sraum ber Schöpfung einer Unioerfalmonarchie
ju oerwirflichen , ben SBiberftanb, ben fein oon ihm befiegter
©egner ffranj I. leiftete, enbgültig 3U bredjen. Saß biefer
SBiberftanb gerabe in Italien am ^artnäcfigften fein mußte,
ergiebt fich aus ber Vefchaffenljcit biefeS SanbeS felbft. SRußte
hoch bort bie Vielheit ber Serritorien, bie ©paltung ^wifchcn
Vürgern unb Spnaftien, jwifdjcn üeßnSherreu unb Vafallen,
baS oerwaßrlofte §eerwefeit unter ben §änben unfähiger ffüljrer,
bie geloderte Vfanne^ucht, bie fdjledjte Vewaffnung ber oer>
wilberten Kriegerbanben, bie ganje Kriegführung enblich, wie fie in
JaffoniS: Secchia rapita fo göttlich flegei^elt wirb, ben gransofen
bie beften ©rfolge terfpred)en. 3n Italien alfo üotljog fich
juerft ber Vrud) mit ben h^förnmlidjen formen beS ÜJiittel*
alterS, üon bort, wo bie Srabitionett aus bem flaffifcßen ?llterthum
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jwar fange fdjlummernb lagen, aber nie untergegangen waren,
ging für bie übrigen Sufturoölfer ©uropaS bie SRorgenrötlje
einer neuen 3^* aus. ®er Öafjr^unberte fjinburd) baucrnbe
Äarnpf jwifd)en ißapftthum uttb ^aifertljum gebar eine ©iclfieit
politifdjer ©eftaltungen , 9tepublifen nnb Sprannien, unb in
biefern Umftanb liegt, wenn nidjt ber einzige, fo bodj ber
mädjtigfte ©rnnb ber frühzeitigen HuSbilbung beS QtalienerS
jum mobernett ÜRenfcf)en. Sie tfjeologifdj’et^ifdje SHnfdjauungS-
weife beS SJfittelalterS ftiefj, angefommen auf bem ©ipfel if)reS
wiberfpruchsooßen SafeinS, part gegen ben ißofitioiSmuS, wie
ein ©olitifer, 2Jtadjiaoeüi, ein |)iftorifer, ©uicciarbini, ipn ju
bilbeit fith oermafjen, nacfjbem furj oorper ein franaöfifcper
Staatsmann, ©omineS, bie neue Sepre Oon ber pöcpften politifdjen
SBeiSpeit oorgetrageit hatte, als er in feinen Senfwiirbigfeiten
bie ffuge ©taatsfunft eines elften Snbwig in überfcpwenglicpfter
SBeife gepriefen. Unter erbitterten Kämpfen noßäiept fidh bie
©Raffung einer rein menfcplidjen unb natürlichen SSelt, beren
SRittefpunft ber inbioibueße ©goiSmuS ift, bem afle moralifcpen,
gefeCffchoftlichen ©ejiepungeu fich wißenloS unterjuorOnen paben.
guerft entwideft eine foldje ©ewaltperrfcpaft bie Snbimbualität
beS Sprattnen, beS Sonbottiere felbft im pöcpften ©rabe, fobann
biejenige beS non ipm protegirten aber aucp rüdficptSloS auS=
genügten SalenteS beS ©epeimfcpreiberS, SicpterS, ©efeßfcpafterS.
ffiir biefe ©epauptung liefert bie politifcpe fowopl als bie
Sitteraturgefcpicpte jener 3e*ten unS 93erege in japllofer
grüße. ©S ift napeju geroifj, bafj ißietro ber Slretiuer afS ge-
heimer politifcher fßgent jebem ber brei finalen biente, ffranj I.
fo gut, wie $arl V. unb $einrid) VIII. non ©nglanb, bafj er
eS nerftanben pat, firf) jebem biefer gewaltigen §erren gegenüber
in SRefpeft ju fepen unb bafj bie ffeineren dürften StalienS
mit geringen MuSnapmen ihn gerabeju fürchteten. Hub fo ift er,
ber fcpamlofc ©ettler, ber niebrige ©cpmeicpler, ber breifte
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©rpreffer baS tebenbige ßonterfei jener Söelt ber nadten ©elbftfudjt
in ihrer «erworfenften gorm.
2Bir befifcen aus beS befannten SitterarbiftoriferS be ©aitctiS
geber eine ^öc^ft geiftreicbe ©tubie über ißietro Äretino, bie itt
ebenfo feiner als fdjarf jutreffenber SBeife ben 6§arafter biefeS
merfwürbigen SDianneS anatpfirt. ®ort wirb er baS bewußte
©itb feines gafyrljunberts genannt, welche« ihn grojj gemalt
bat. Senn Sßiacbiaöefli unb ©uicciarbini ben junger, baS
©etüfte als ben ^>ebe( ber SSelt bezeichnen, fo ift eS SIretino, ber
biefe Jtjeorie in ©rayis umfefct. Unb feinen ©elüften entfpredjen
«oflfommen bie pbbfifd)eit Strafte, ein eifemer Störper, ©nergie
beS SBißenS, ÜJJenfe^enfenntniß unb 3Jienfcben«erad)tung unb
jenes wunberbare ©ermögen, welches ©uicciarbini bie „2Bitte*
rung" — il fiuto — nennt, fein unfehlbares ©pürtolent.
®ie ©efriebigung feiner ©elüfte bilbet beim aud) ben 3™^
jeineS SebenS. tpierju taugen alle Sföittel, nur finb fie nach
©erfd)iebenfjeit beS gaßeS auch immer anberc. ©alb ift Kretin«
ein Heuchler, halb ein Un«erfd|ämter, batb friedjenb, halb frec^,
halb fcbmeicbelt, halb «erleumbet er. Seichtgläubigfeit, gurdjt,
©rojjmutb finb in feiner $aitb Sftauerbrecber, mit benen er bie
gewaltigften ©reffen legt. 9}idjt »on Statur aus ift er ein
©öfemicbt, er wirb ein fofdjer aus ©erecfinung, getrieben burdj
baS ©ebürfnijj. @r war böfe aus logifdjtn ©rünben unb gut
aus ©itclfeit. ©ie(e woßtett, «erführt burdj fein ©lüd, eS ihm
gleidjtbun, aber aß feinen Stadjabmern fehlte feine ginbigfeit,
feine SRübrigfeit, fein ©djarffiun, feine ©eweglicbfeit, fein SSifc.
Siner ganzen SJteHfdjenflaffc, fredtjen ©tüdSrittern jener $age
galt er als ein gürft, ein SWufter unb ©orbitb. ©icberlid) ift
bie ©erjönlidjfeit beS KretinerS einer eingebenben ©etraebtung
nicht unwertb, beim ein fotcbeS ©tubium erschließt uns bie
©ebeimniffe ber italienifcben ©efeflfebaft beS {ersehnten 3abr>
bunberts, welches in ihm ganj unb «oß 311m KuSbrud gelangt
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in jener nmnberbaren ÜRifdjung moralifcher Sßcrfommenheit,
inteHeftutßer Straft unb fiinftferifrfjer Smpfinbung.
Surdljarbt, ber in feiner „Stultur ber 9tenaiffance" bem
Siretiner ein Stapitel wibmet, bemerft, e3 fei baS befte 3e^en
be« heutigen italienifchen ©eifteS, baß ein foldjer S^araftcr unb
eine folcfye 23irfung$weife taufenbmal unmöglich geworben finb.
SBir fönnen biefem $>iftum nur bebingungSweife unfere 3U’
ftimmng geben. Un8 erfcheint ißietro Slretino in allen ©tuden
alä ein inoberner iDtenfch, ber, bie Sterförperung be§ inbiüibueßen,
feine fRüdfic^t fennenben (SgoiämuS feiner 3e*t aß bie groß*
artigen ©rrungenfehaften ber fpätereit Statjrljunberte, $u benen
wir norab ba§ ungeheure SRedjt ber ißerfon ^äßlen, fchlanfweg
für fiel) felber anticipirt. Sin foldjer ülftann macf)t gewiß ©djule
unb wenn and» unter gan$ öeränberten ÜBerljältniffen feiner
feiner Sünger unb Snfel in feinem Sanbe auch nur entfernt
meßr jene Sebeutung wiebcrerlangte, bie öorbem ben „göttlichen"
Sföeifter als gürftengeißel gefürchtet gemacht, fo ift hoch nicht
ju leugnen, baß in ber politifchen XageSpreffe unferer 3eitett
noch immer ab unb ju jene fogenannten Vertreter ber öffent-
lichen SJteiuung auftauchen, bie in ihrem ganzen Ihim u>ib
©ebaßren auf ba$ lebhaftere erinnern an ^ietro Slretino, ben
©tammoater be$ mobernen SitteratenthumS.
(tisl)
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Shtmerfuitßen.
1 $ie Sonette, mit ber (Einleitung im gangen 17 $id)tungen. geigen
im allgemeinen forrelten Äuffsau; am Ijäufigften fommt bet toeiblicfje Seim
rima piana, feltener bet männlidje, rima tronca, gur 91moenbung. $ie
93crfe finb elffitbig, ber endecastlabo ift ja befanntlidj im 3tol*cnifd)en
ber Serl aller größeren S)idjtung8arten. 3)ie trabitionelfc öiergeljngeilige
Sonettenftropbe ^at einen 9(nfjang coda befommen, inbem auf ben legten
SSerl ein Siebenfttber, scttenario, reimt unb baä ©ange bann mieberum
mit einem elffitbigen Serjepaar reimenb fdjliefjf. Solche Spielereien finben
ficfj Ijaufig in ber fomij^en ißoefie ber Jftatiencr. ®ie SJiergeiler finb rime
cbiuse, umarmenbe SReime, bie $reigeiler rime alteniate, gefreugte Seime,
fo bafj für ben ganzen Sufbau fi dj folgenbel Sdjema ergiebt: abba abba
< d cd cd d c c.
* Fece Giulio Romano in venti fogli intagliarc da Marcantonio,
in quanti diversi m(»di, attitudini e positure giacciono i disoneati nomini
con le donne e che fu peggio, a ciascum modo fece Messer Pietro
Aretino un disonestissimo sonetto, in tanto, che io non so quäl fasse
piii brutto o lo spettacolo dei disegui di Giulio all’ occhio o le parole
dell’ Aretino agli oreclii. Vasari (Vite de Pittori, Firenze 1772. IV., 282).
3 5>er befanntc SdjriftfteHer unb ifjolßbifior (T^r. ©ottl. o. SRurr,
alö SBagamtmann i. 3 1811 in Nürnberg oerftorben, giebt uni in feinem
„Journal gur fiunftgejtbidjte unb gur allgemeinen Sittcratur" 9). XIV. eine
ausführliche ®efd)reibung ber Sujetl ber einzelnen Slätter. Sie mären
(in Ouerfolio elf Soll breit unb fieben Soll bodj) ber ©üdjerfammlung bei
iRatfjöfonfulenten unb 95rotanj(erS tfeuerlein einoerleibt, bortfetbft befanben
fid) aud) ülretinoö Sonette tjm>&ld)riftIicÖ unb gebrueft.
(äRurr oermutbet roof)l mit allem SRcdjt, baß biefe fjJlatten mären,
ioeld)c ber biebere ßupferftidjftänbler 3otlain in ißaril gegen Enbe bei
fiebgefaiten ^abrljunbertä gu oeniidjten glaubte, toie mir lefen bei SbeeiÜier.
Origine de l’Imprimerie de Paris 1694, p. 124, mo cl t)eifjt: Nous ne
<levons point taire la belle action d’un graveur ä Paris (Mr. Jollain,
(6S2)
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marchand de la Rue St. Jafcques). II sut oii il y avait de ces planches
infames qui representaicnt ces dessins abominahles de Jules et de ces
''onnets impurs de 1’ Aretin. II y alla en offrir une somme considerable
et les acheta 100 ecus dans le dessin de les detruire entierement et
d’empecher par ce moyen qu’ on n’en tire plus aucune estampe. —
Senn gheöillier hin^ufe^t. bag Sollaiu immer geglaubt hat, baf; e« bie
oon 911010 Antonio geftodjenen Qriginalplatten gewefcn feien , bie er Der-
nietet, fo bärfeit mir benuod) mit meit mehr Sahrftheintidjfeit annehmeu.
bag bie urfprünglic^cn glatten überhaupt fefjon längft ueruicfjtet waren.
Wad) SWurr ejiftirten oon ben Sonetten Slretino« felbft mehrere 91u«gaben.
911« Editio princeps erfefjeint ein Südjlein in 12°, 23 Seiten um-
jaffenb, toeldjeiS ben einfache it Xitel trägt: Sonetti lusstiriosi di Pietro
Areiino. 9Rit Ülusnahtnc beS frechen Xitelbilbe« mar biefe 9(u«gabe ohne
Silber. Öleidjjcitig mit biefer cirfulirte wohl auch eine 'Aufgabe mit
Silbern für Amateur«, roie mir fagen mürben. Später tarnen noch anbere
binju, nach tjanbfc^riftticfjen Sammlungen hrrauegegeben. So erfahren
mir, baß roahrfcheinlich Mretino felbft, nach bem Xobe be« Wiccolo franco,
feinet langjährigen Selretär«, 1554 eine folche oeranftaliete mit 20 Sonetten.
Xie meiften ber grögeren Sücgereien befifcen nur oft recht fehleroofle
?lu«gaben nach $ronbfci)riften , faft fämtlich an« englifchen Xrudereien
heroorgegangeu, bann finb jumeift bie fogenannten Dubbii amorosi (amt
Risoluzioni beigegeben, roie in bem ber Wündjener ÄgI. $of- unb Staat«-
bibliothef einoerltibten Sücglein, mclche« 26 Sonette enthaltend ohne
3ahre«iahl, auf bem Xitelblatt bie Hingabe enthält: Nella Stamperia del
Forno alla Corona de’ Cazzi. Sie auch biefer 9lu«gabe angefügten Dubbii
amorosi mit Risoluzioni, ein 5rQ8e' »nb füntroortfpiel, finb jmeifello«
unecht. 911« SHeimereien oon höchft unfauberem Sngalte einmal in 17,
bej. 34 Quartinen, bann in 31, bej. 62 Cttaoe Wimen gefagt, gehören fie
ganj beftimmt einer jpäteren 3*it an, roa« fchon äRajgudjeOi in feiner Vita
di Aretino (Padova 1741, p. 259) fonftatirte: Fra queste (opere senza
fondmnento a lui attribuite) si puö contare un libretto in 8® senza
alcuna nota di anno, luogo e stampatore, ma che sembrn d’ impressione
oltramontana e pare fatta sul principio del 1600, nel cui frontispizio si
legge: Dubbii amorosi di Pietro Aretino.
3n (Raffung unb 3nhflH erinnern bie Dubbii mit ihren Risoluzioni
in etwa« an bie Urtgeil«fprüche ber altproöentalifchcit 9Winnef)öfe. mir ift
bie gaya ciencia im Saufe ber 3ahrhunberte fegr tief fjeruntergeftiegen.
23ig unb leidjte .fjanbhabung ber Sprache wollen mir biefen Jüngern be*
„göttlichen" Hlretino inbe« nicht oötlig abfprecfjen.
4 Xie TOünchencr Äönigl. §of- unb Staat«bibliothet ift im Sefifjc
biefer oon SRajjucheüt al« „fehr fchön unb feiten" beyeichneteu Hluegabc.
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Xer Banb enthält bie jtuet arbeite ber Wagionantenti, je brei XageSjeiten
(giornate) umfaffenb. At§ Anhang geroiffermafsen folgt ein britter Xheil:
ein Wagionameuto, in meinem grate goppi'io f><h ntil Snbooico über ba«
fieben nnb bie ©enealogie ber Äurtifanen WomS unterhält Xem Buche
finb außerbem fonberbarertoeife nodj beigefügt Annibal GaroS „8ob ber
geigen", Commento delle Fiche, unb bie ftficrj^afte Webe auf bie große
Wafe beS Afabemiepräfibenteu fieoni, Diceria de' Nasi.
geben ber fed)S „Xoge" füüt ein längeres ©efprädj nuS jioOchen jtoei
(fpäter Serben eS oier) grauen beftimmter Cualität; über baS fieben ber
SWöncfje, ber ©^eleute, ber fiurtifanen, einer Wooijin werben praftifche
SBinfe ert^eilt unb anbereS mehr. — Xer Ausgabe ber Wagionantenti non
1600: Stampati in (’osniopoli ift beigegeben: La puttaua errante, eine
in Xialogform gefaxte Abßanblung über bie ars amandi, bie trielfadje
Uebertragungen in anbere Sprachen gefunben. gnS Sateiniiche überfejjte
ber befannte Bielfdpreiber fiaepar o. Barth biefelbe unter bem bejeiebnenben
Xitel: Pornodidascalos. GS ejiftirt auch eine in Württberg i. g. 1627
crfdjienene beutfehe Bearbeitung. — Außer ben eben genannten beiben Aus-
gaben ber Wagionantenti befi^t bie SRündjener $gl #of- unb Staats-
bibtiotfjef noch ein Büchlein mit bem Xitel: Ragionamento nel quäle M.
Pietro Aretino figura quattro suoi amici que favellano de le corti del
Mondo e di quella del cielo. MDXXXIX. Xie jtoet ibeile biefeS XraltatS
über baS Xreiben an ben italienijdjen .feofen, baS er auS eigener An-
fehauung ictjilbern fonnte, füllen 110 ©eiten. Xiefe Abßanblung beS
AretinerS unb eine anbere über baS ©piel, beren lIRajjuchelli Grroäßnung
tbut, hoben bei weitem nicht bie Berbreitung gefunben, tute bie eigentlichen
Ragionamenti capricciosi e piacevoli
Bemerft fei ^ier , baff noch ein SBerf ejiftirt mit bem Xitel: La
puttana errante in 3 ©efättgen, jtifammen 138 Dttabe Wimen. Xer Ber-
faffer mar AretinoS greunb: Sorenjo Beniero, BolfSbichter au« Benebig
Xie Editio princeps erjehien im gahre 1531 in Benebig.
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Heber Me
JUIjmunjBotipie kr ©jiete.
So»
»nmnofioHf^m an brr »$fini(d)fn »ittcr.«fab«nt{ ju 8ebb«t|.
SNit brri abbilbunjfn.
Hamburg.
SBertagSanftatt unb ©rucferei St..©, (öorntnl« 3. g. <Rid)ter).
1890.
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$!<jg 9icd)t bfr Uebtricpung in frembe Spradjen roirb oorbe batten.
Trud bet BcrtagSonftalt unb Üruderci tktirn.«efe[ticl)aft
(eonnalt 3 3. Siebter) in Hamburg.
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Unter ben Organen, reelle bie Erhaltung beS @in$el-
inbioibuumS ber Jfjierroclt bejroecfen, nehmen bie 21 thmungS«
organe eine nicht geringe (Stellung ein. SBie bie ©erbauungS«
orgnne, fo finb auch fie beftimmt, bem tljierifchen Organismus
9iäf)rftoffe jujufüljren; boch befcfjränft fic^ ihre ÜT^ätigJeit jum
Unterfchiebe bon jenen nur auf gasförmige SRährftoffe. Ser
roidjtigfte gasförmige 9Mf)rftoff ift nun ber ©auerftoff. Er
ift „ber grofje 2luSfel)rer beS |>auShaltS", wie ißn ber englifdje
3oologe (pujletj {epr bejeidjnenb nennt. Surcp baS ©lut, in
welches er aufgenommen ift, wirb ber ©auerftoff in alle SEBinfel
beS Organismus eingefüprt; auf biefem SBege erfaßt er äße
organifdjen Xheilcpen, bie frei finb, bemächtigt fiep ihrer Se*
ftanbtheile unb fept mit ihnen bie einfacheren formen: SBaffer,
ftoplenfäure unb ^jarnftoff jufammen. Surcp biefen fort-
währenben ©roje§ unb bie bamit oerbunbene nothwenbige 2lb-
fcheibung ber gebilbeten ißrobufte, befonberS ber für btn thierifcheu
Störper unbrauchbaren Äoplenfäure, ift natürlich eine bamit
£>anb in §anb gehenbe Aufnahme neuer ©toffe bebingt. 3n
biejer Slbfcfjeibung ber unbrauchbaren Äoplenfäure unb in ber
Slufnapme neuen ©auerftoffs aus ber SJuft befielt nun baS
Sammlung. ». 5. V. 115. 1* («7)
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SBefen ber Sttßmung. ©ie finbet fid^ bei öden X^iercn mit
HuSnaßme ber in anberen Sßieren lebenbett ©arafiten, welche
ja »ott biefen fdjon geatßmete Siäßrflüffigfeit begießen. ©ber
nicßt ade Spiere ßaben befonbere SltßmungSorgane. 3)eren
Sftotßweubigfeit riißrt nur oon quantitatioen SSer^äftniffen ßer,
unb »erben ficfj baßer ©röße, ©norbnung unb ©efcßaffenßeit,
ja fogar baS ffiorßanbenfein befottberer fätßmungSorgane nacß
ber SKenge beS ©auerftoffS ricßten, ber gur SluSgleicßung ber
abgegebenen Soßtenfäure erforberlicß ift. 2)a nun aber beibe
©aSarten, fowoßl ber ©auerftoff als aueß bie Soßlenfäure,
üorgugSwcife bem ©lute beigemifeßt finb, fo muß ber ©tßmungS-
apparat fo eingerichtet fein, baß er im ftanbe ift, baS auS ben
eingelnen Ißeilen beS SörperS gurücf feßrenbe , an ©auerftoff
arme, aber an Soßlenfäure reieße ©tut (begw. bie fieß äßnticß
»erßaltenbe (SrnäßrungSflüffigfeit ber nieberen SEßiere) mit einem
an ©auerftoff reießeren, aber an Soßlenfäure ärmeren 3Kebium
in SBecßfelwirfung gu bringen. 3)iefe SBecßfelwirfung muß
mögließft leießt ftattfinben, eS muß mittetft eines einfachen ©aS-
auStaufcßeS bem ©lute ber mattgelnbe ©auerftoff gugefüßrt unb
bie iiberfcßüffige Soßlenfäure abgeuommen werben fönuett. 3e
naeß ber ©efeßaffeußeit beS SJZebiumS, in welcßem baS £ßier
lebt, ob eS alfo ben ©auerftoff auS ber Suft felbft ober aus ber
in bem SBaffer oertßeilten atmofpßärifcßen Suft aufneßmen muß,
finb nun bie ©tßmungSorgane, wenn überhaupt welcße oor*
ßattben finb, Derfcßieben, unb fo unterfeßeibet man bentt Organe
ber Suftatß mutig (Sungen unb Xracßeen) unb Organe ber
SBafferatßmung (Kiemen unb SBaffergefäße). ©inb feine be*
fottberen SltßmuugSorgaue oorßanben, unb bieS ift bei maneßen
niebereu £ßieren ber gad, fo wirb ber ©aSauStaufcß bureß bie & örper-
ßaut beforgt. |>eute fodeS nun meine Aufgabe fein, ben Sau unb bie
SBirffamfeit ber ©tßmuugSorgane, alfo ber Sungen unb EEratßeen,
fowie ber Siemen unb ©Jaffergefäße, in Sürge oorgufüßren.
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$8etrad)ten wir gunächft bie Slthmung burch £ ungen.
X>a ber Qmd ber fiungen bei allen lungenathmenben
liieren berfetbe ift unb fomit auch im wefentlichen U)r Sau
ein gleicher jein muß, biefer aber beim äRenfdjen am ooH-
fommenften ift, fo wirb eS gwedmäßig fein, bie menfchlidje ßunge
als SluSgangSpuntt gu nehmen. Offenbar tjängt bie Soll*
fommenheit beS ÄtljmungSapparateS oon ber ©röße feiner Ober*
flärfje ab, ba baburd» ja bie Stenge be£ neuerfrifcfjten SluteS
bebingt wirb. Slußerbem aber wirb gwecfmäßig auch eine möglichft
große Oberfläche auf einen Meinen Sftaurn gu fongentriren fein,
bamit in ihrer Umgebung fiuft unb Slut ungeßinbert ftrömen
fönnen. liefen beibeit Sebingungen genügt bie ßunge be3
SJtenfchen am ooHfommenften. Seoor ich jebod} näher barauf
tingehe, fei e3 mir geftattet, gum befferen Serftänbniß beS
folgenben ^ier einiges übet baS Slut unb ben im 3ahre 1619
oon bem englifchen Slrgte ^aroep entbecften SlutfreiSlauf ein*
gufchalten. 2)aS Slut ift bie ©rnäljrungSflüjfigfeit beS thierifchen
StörperS. ®ie in Speife unb Iran! enthaltenen SafjrungSftoffe
»erben in bie £>aargefäßft)fteme beS StagenS unb beS 2)armS
aufgefaugt, aisbann burch bie fogenannten ShhluSgefäße gum
SRil^bruftgange geführt; biefer ergießt feinen 3nf)alt in eine
Slutaber, bie Iittfe Schlüffelbeinoene, unb wirb fo baS burch
ben SebenSproAeß gefcßmächte Slut toieber erneuert. 3» lebenben
Jförper ift baS Slut nun in beftänbiger Setoegung begriffen; ci
betoegt fid) burch gefc^loffene ©efäße, Slbern; äWittelpunft biefe«
fianalfhftemS ift baS £>crg, burch beffen rhhtljmifche Semegungen
bie Strömung beS SluteS hcrtwrflerufcn Wirt». 2tu3 bem |>ergen
entfpringen bie Arterien, ÜßulS* ober Schlagabern, in
»eichen ba« Slut gu ben eingelnen Sörperorganen ^inflicgt,
bann aber auch bie Senen ober Slutabern, burch welche eS
ttieber gum bergen gurücffehrt. 2)aS menfd)lid)e §erg, etioa
fauftgroß, liegt in ber ÜJiitte ber SrufthÖljle, nidjt wie bielfach
6
irrig angenommen wirb, in ber linfen Seite berfetben ; feine
finge ift. jebod) idjief, fo bafj ber fiängäburthmeffer oon oben
rechts nach unten linf® gebt. $ie Höhle be® Herren« ift burch
Ouermänbe in 4 Kammern geteilt, in smei ©ortammern unb
jmei §erjfammern. 8u®
ber linfen Jperjfammer
gelangt ba® ^eürot^e,
arterielle ©lut burd)
bie grofje &örperpul®aber
ober Slorta in ben Sörper;
bie feinften ©er,$tüeigun>
gen, bie Haargefäße
ber Gloria, leiten in bie
nominellen über, mefcbe
nunmehr ba® bunfelrotlje,
oenöfe, meniger fauer*
ftoffreic^e, bafür aber mehr
foblenfäurebaltige ©lut
ju ber rechten ©orfamtner
führen; auf biefem Sfiege
bat ba® ©lut alfo einen
S<lifmfllti(l)rJ)arftflIunflbM*lutttti«!aiiff«bi’iin®i(nid)cn. Qj-pfign ^ jg buftfl Pen
Tas artfrifDr Shit tft ~5, bne »rtt&[c V\\A\' ßf^eirfmet " D ^
ftörper, ben fog. großen
Sö lutfreiölauf, jurücfgelegt. 3lu® ber rechten ©orfammer gebt
ba® ©lut in bie rechte Her^amraer unb oon ba burch bie
finngenarterie jur fiunge. §ier fommt, mie mir noch näher
feben toerben, ba® oenöfe ©lut mit ber atmofphärifchen fiuft in
©erührung, e® giebt bie untaugliche Äohlenfäure ab, nimmt
Sauerftoff auf unb mirb fo mieber in ernäbrungäfäbige®, arterielle®
©lut umgewanbelt. $lu§ ber fiunge geht biefe® bann burd) bie
fiungenoenen in bie littfe ©orfammer be® HecScn^» — oon
ber redfteu ©orfammer burch bie fiungen bi® jur linfen ©or>
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fammer Ijat bas ©lut ben f leinen Kreislauf jurüdgefegt.
25ie SDauer beö ganzen SlutfreiSlaufS hat man auf ungefähr
23 ©efunbett feftgefteflt. &'ef)ren mir nun jur ©efdjreibung ber
menfd)Ii(^en 2unge guriicf. ©ie ift eine traubenförmige $)rüfe,
bereit fjotjte ©erjmeigungen nach innen gehen. $>ie ©erjmei-
gungeit tragen an ihren Snben bie fogenannten Sungen- ober
2Ifalpigl)ifd)en ©löschen, auch Suftjellen genannt, blinbe
Srmeiterungen, roeld)e im Sitter »ielfacf) miteinanber fommuni-
^iren, in ber Sugenb aber nur burd) bünne f>äutd)cn »oneinanbet
getrennt finb. 3bre 3a^ beträgt itad) fwfd)fc 1800 »Dtiflionen,
ihre atljmenbe gläche 2000 Ouabratfuß. 933ä^rcitb nun im
inneren biefer 93Iä§rfjen bie Oberfläche burd) galten noch mehr
»ergrößert mirb, ift bie Slußeitfläche bicht mit Haargefäßen, bem
fogenannten refpiratorifdjen ©efäßneß bebedt. gn biefe feinen
©efäße ergießen bie leßten ©erjmeigungen ber Sungenarterie ba?
au# bem ftörper fommenbe oenöfe Sölut. ®a nun aber bie
2ungenblä3d)en nur burd) fehr bünne Häutchen ooneiitanber ge
trennt finb, fo ift ein bequemer SluStaufd) jroifdjen ben gafigen
©eftanbtljeilen be$ ©luteS unb bem ©auerftoff ber 2uft burd)
biefe Häutdjeit b>»burcb ermöglicht. ®iefer SluStaufd) mürbe
jeboeb fab* fcbneU eine Sättigung ber 2uft in ben fiuttgen mit
Soblenfäure unb einen 2Äangel an ©auerftoff berbeifiibren, meint
nicht biefe Äohlenfäure abgefdjieben unb neuer ©auerftoff jngefiibrt
mürbe. 2eßtere§ gcfdjieht nun burd) bie ©emegungen, roelche
mir Gcin>unbSlu«atf)mung nennen (Inspiratio unb Exspirntio),
unb bie ihren ©runb in regelmäßigen ©erengerungeit unb Sr-
roeiterungeit beS SöruftfaftenS ba&en- 2)ie 2uttge. metche ber
©ruftroanb oorne anliegt, muß biefett ©emegungen folgen
Eeljnt fie, alfo auch bie 2ungenblä£chen fid) au«, fo bringt
äußere 2nft burd) bie 2uftröhre in biefelben ein, um baS burd)
biefe Sfu§bet)nung geftörte ©leicßgemid)t jmifchcn 2utigenluft unb
Sltmofpbäre hetjufleflen. fm fid) jufammen, fo mirb ein
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$l)eil ber in ben SungenbläScheit enthaltenen Suft au« biefen
unb folglich mich auS ber Sunge auSgeprefjt unb burch bie
Suftröhre fjinciuSgetrieben. SBöhrenb aber bei ber ©inathmung
bie ©rweiterung beS BruftfaftenS eine fjofgc ber X^ötigfeit ber
fog. 3nfpirationSmuSfeln ober Snfpiratoren ift, ju benen
baS bie Sruft» unb Bauchhöhle boneinanber trennenbe gtoerihfell,
fowie bie 3l°ifc^enr*PPenmu®^eIn norjugSweife ju rechnen finb,
erfolgt bie StuSatljmung ohne aftioe 9JiuSfetbetheiIigung; fte ift
öietmehr nur eine gofge ber ©laftijität ber fog. ©jpiratoren,
baS finb SRippen* unb fRippenfnorpet , baS Sungengewebe unb
bie Saudjeingeroeibe. Die ©laftijität fotnmt bann jur ©eltung,
wenn nach erfolgter ©inathmung bie SnfpirationSmuSfeln er*
fchtaffen. Sei tiefer ©inathmung, foioie bei tiefer SluSathmung
treten aüerbingS auch noch anbere Organe in Dfjätigfeit; fo bei
erfterer SRuSfetn beS §alfeS, ber Bruft, fetbft ber Slrme unb
Seine, bei [euerer bie SRuSfetn ber Saudjwanb. — Die 3aht
ber Sungen beträgt beim SRenfdjen jwei; fie liegen in ber Bruft*
höhle ju beiben ©eiten beS £erjenS. Die rechte Sunge ober
ber rechte Suttgenpgel ift etwas größer als bie tinfe unb toirb
burch 3we» Sinfchnitte in brei, bie Iiufe Sunge burch einen ©in*
fchnitt in jwei Sappen getheitt. Betrachten wir nun noch bie
SBege, auf welchen bie Suft in bie Sungen unb aus benfelben
geführt wirb, etwas genauer. 3U biefen Suftwegen gehören
bie SRafenhöfjte, ber ©djtunbfopf, ber fehtfopf unb bie Suft*
röhre. SBährenb bie brei erfteren auch noch unb jwar uorjügfidj
ju anberen 3n>ecfen bienen, ift bie Suftröhre auSfdjliefjtich für
ben SthmungSprojefj beftimmt. ©ie jieht fich gerabe »or ber
©peiferöhre am $alfe bi« jur Brufthöhle hin, ift faft ganj
runb (nur an ber hinteren ©eite etwas abgeplattet), oorn unb
feitlicf) non burch ftnorpelrinqe gebilbeten SBänben umfchloffen,
hinten aber mit einem muSfuföfen Serfd)lufj oerfehen. Bor bem
britten Bruftroirbel theilt fiih bie Suftröhre in jwei Äefte,
(*»2)
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9
Sronchien, roeldje in bie beiben Sungen gefeit, fiel) bort
baumförmig in immer feinere Stefte Berjtoeigen, bis fte in bie
genannten SungenbläSdjeit enbigen.
Sungen finben fidj nun bei allen liieren ber Bier oberen
SEBirbelthierflaffen, alfo bei ben ©äugetljieren, Sögeln, Reptilien
unb Amphibien, bann aber auch bei ben fog. Sungenfifdjen,
welche, ba fte Bielfad) in ©chlamm unb ©ümpfen leben, ebenfalls
ber fiuftatfjmung bebürfett, unb ferner nocfj bei einigen ©dptecfen.
Sei ben ©äugettjieren haben bie Sungen biefelbe Sefdiaffenheit
roie beim ÜJtenfchen, finb auch h»er meift gelappt, wenn auch
bie 3a^I ber Sappen Bariirt. Unter ben jahlreichen Serfdf)ieben«
feiten, welche bie Suftröhre ber ©äugethiere Bon ber beS
SJienfchett jeigt, ift wof)l als widjtigfte anjufül)ren, bajj fte fid) bei
bett SEBieberfäuern, ©chweinen unb SGßalfifc^en in brei Slefte t^eilt,
oou benen jebod) ber britte Heiner ift unb noch in bie rechte Sunge
führt. 35ie Sungen ber Sögel geigen im allgemeinen ebenfalls
einen mit ber beS 9JJenfdjen übereinftimmenben Sau, bod) finb fie
ftetS ungelappt unb liegen an ber hinteren SBanb beS Sruft«
faftenS an; auch finb bie beiben Sungen gleich grofj. Slufjerbent
aber finben mir hier noch eine befonbere (Einrichtung. ®ie (Enben
ber in ben Sungen ftch Berjtneigenben Slefte ber meift Biclfach
gefrümmten Suftröhre ftehen burch Oeffnungen an ber Oberfläche
ber Sungen mit bünnf)äutigen ©öden (Suftfäden), beren 3al)l
9 beträgt, in Serbinbung. ®iefe Suftfäde liegen in ben (Ein-
gern eiben eingebettet; burch befonbere Oeffnungen ftehen fie mit
ben hohim $nod)en ber Sögel in Serbinbung. güHen fith bie
Sungen beim (Einatljmen mit Suft, fo tuirb auch ein EJljed ber-
felben in bie Suftfäde unb aus biefen in bie Ättochen gelangen,
fo baff oiele Knochen ber Sögel mit Suft gefüllt, pneumatifdj,
finb. 2)iefe (Einrichtung hat offenbar als ^auptjwed, ben
Körper ber Sögel burch &ie baburch bebingte fpecififcfje Seichtigfeit
|um fliegen geeigneter ju machen. $er berühmte <ßhhfi°loge
(«»*>
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10
$u{jtt glaubt aber, bafj aufjerbem ba« Stthembebürfnife mährenb
beä fliegen« baburch tierminbert roerbe; burd) Füllung ber ©äcfe
mit atmofp£|ärifcher 2uft mürben nämlich bie meiften Organe bes
Stumpfe« gemiffermafjcn oon ber Suft umfpült unb müffe bie«
uon ©influfj auf bie Organe' unb ba« Sörut fein, melc^e« in ben
an ber Oberfläche gelegenen ©efäjjen cirfulire. Such bürfien
biefe Suftfäde moljl, mie Stülpt meint, al« Suf tbefjälter
bienen, non beren Sorratfj an Suft für bie eigentliche Sungen-
athmung mährenb be« ^luge« 8eS«hrt »»erben fann. Unter ben
Reptilien ober Striechthicren haben bie Sungen ber Strofobife
unb ©d)ilbfröten bie meifte Stefjntic^feit mit ben menfchtichen.
3)ic Sungen ber ©drangen unb (Sibechfeu hingegen foniie bie
ber Amphibien, alfo ber gröfdje unb SDtoldje, finb nur ein-
fache hohie ©äde, meift glatt, fettener mehr ober meniger mit
gellen unb galten auf ber Innenfläche befefct. 8ie finb ftetö
ungelappt itub meift gleich grofj; nur ift bei ben ©drangen bie
linfe, bei ben fujjlofen, fchlangenähnlichen ©ibechfen bagegen,
5. 58. bei ber SBtinbfdjleidje, bie rechte Heiner unb fürjer. ®ei
ber in ©iibnmerifa unb Oftinbien ein^eimifcfjen Slinbwühle,
jomie bei einigen Schlangen, j. 58. ben 58ipern, fiubet fich nur
„eine" üolttotnmeu auSgebilbete Suitge, bie anberc ift faft galt}
oerfiimmert. Slufjerbem aber finben fich an ben Sungen mancher
©drangen noch jellenlofe, blafige $lnf)änge, benen Stuljn eine
ähnliche 58ebeutung mie ben Suftfäden ber 58ögel beilegt. 5Bon
ber in ihnen angefammelten Suft foOett bie ©chlaugen mährenb
ber Aufnahme eine« umfangreichen JBiffett«, beffen hinunter*
roiirgen oft ©tunben in Slnfprudj nimmt, für bie Unterhaltung
ber Slthmung jehrcn fönnen. 2Ba« bie Suftröhre anbetrifft, fo ift
fie meift gaitj cplinbrifch unb natürlich ba, roo nur eine Sunge
oorhanben ift, ungetheilt; bei ben fyröfdjen unb ftröten fehlt
bie Suftröhre ganj. $ie Sungen ber Sungenfifche finb auch nur
hohle, einfache ©äde; ebenfo biejenigen ber Sititgenf chneden,
(694)
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bei weldjen biejelbeu burd) ein meift rechte ober ItufS neben
bem Elfter naße beim fi'opfe gelegenes Socf) (Slthemlocf)) nad)
außen münben. 3)ie mannen ©pinnen unb ©forpionen
$ugeSd)riebencn Snngen finb feine Sungen, ba ihnen baS charafte»
riftifche refpiratorifc^e ©efäßnefc fehlt, welches fich an ber inneren
Sßattbung ber Sungen auSbreitct. @S finb oielmehr Tracheen, ju
beren Betrachtung idj nunmehr übergehen miß. ®iefe jweite $lrt
oon Organen ber Suftathmung finbet fich bei ben ©liebertf)ieren,
unb jwar oorjugSwcife bei ben Snfeften, jtaufenbfiißcru unb
©pinnen. $ie £rad)een ober SuftathmungSgefäße finb Böhren,
weldje ben Äörper burchjiefien, elaftifch finb, fich baumartig
oerjweigen unb babei in oielen Oeffnungen, ©tigmeit ober
&thetnlöd)er genannt, nach außen münben, um bie burch biefe
eingeführte Suft bireft mit bem fie umgebcttben Blute in Be»
rührung ju bringen, ©ie »ermitteln fo, inbem fie fid) bis in
bie ©ewebe h'aeinoerbreiten, bie ülthmung ober Befpiration
unmittelbar unb jmar in ber SBeife, baß bie auSjuatf)menbe
fiuft in ben feinen $rad)eenäften auf bemfelben Sßcge gurüd»
fehren muß, auf welchem bie eiugeathmete £uft cingcbrungen
ift. Oft ober auch bilben bie Tracheen ein gefchloffetteS ©hftem,
inbem feine Oeffnungen nach außen führen. 2)ie in ben Tracheen
»orhanbette 2uft wirb bann nicht unmittelbar »on außen in
biefelbe gelangen, fonbern, ba folche 2:h*ere weift SBaffer
leben, aus Ie{5terem iubireft jugefüfjrt werben. biefem groeefe
befißen biefe Xh>ere fog. STradjeenfiemen ober ftiemen*
tracheen, fabenförntige ober blattartige gortfäße ber Körper haut,
welche burd) ihre Ülnjaljl ober Slrt ber Snorbnung eine große
Oberfläche barbieten, burd) ihre Bewegung einen ftarfen Sßedjfel
beS fie umgebenben SSafferS herüorrufen/ u>ib in welche bie
Tracheen einmünben unb ficf) oer^weigen. ©olche Üradjecnfiemen
ftttben fich bei ben im SBaffer lebenbcn Sarocn ber grühlingS»
unb Eintagsfliegen. Bei ben Sarnen ber SBafferjungfern finben
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ficf> bie Xradjeenfiemen nad) SiöaumurS ©ntbedung im 3nnern,
im ÜJlaftbarme, unb wirb benfelben burch ^Bewegungen ber mit
einer ftlappüorrid)tung nerfefjenen Slfteröffnung Sßaffer behufs
Slufnahme ber barin abforbirten £uft beftänbig ju« unb weg-
geführt. Hnbere, fo namentlich bie Sarnen mancher SBafferfäfer,
haben bie ©ewohnljeit, befonbere SIthemröhren (©ipfjonen),
bie fich am HinterleibSenbe befinben unb meifi mit einem Slranje
Don paaren ober gefieberten fflorften umgeben finb, über ba$
SBaffer ju erheben unb bie baburch aufgenommene Suft in bie
Tracheen, mit benen fie in Serbinbung ftehen, einjuführen.
Üöieber anbere Stafetten, fo bie SBafferfäfer felbft unb bie
Sßafferwanjen, nehmen unter ben glügelbeden einen X^eit Suft
mit in« Sßaffer unb ermöglichen fo ben ©aSwedjfel burch bie
unter ben klügeln gelegenen Ät^emlöd^er. 35iefe ?lrt Slefpira-
tionSprojefj wirb meift noch baburch begünftigt, bafj bei Dielen
biefer Snfeften bie Tracheen im inneren fadartige Anhänge
tragen, welche, wenn baS Snfeft jur Sufterneuerung an ben
SEBafferfpiegel fommt, fchnell Dollgepumpt werben. Sei ben Suft*
infeften hingegen fcheinen biefe Suftreferooire oorjugSweife baju
ju bienen, ben Körper beS SnfeftS fpecififch leister ju machen
unb fo baS glugoermögen ju oergröfjern. 2113 SBeifpiel hierfür
erwähne ich ben SJlaifäfer, ber befanntlich Dor bem Sluffliegen
burch öftere ^Bewegung ber glügelbeden bie atmofphärifche fiuft
burch bie auf ber Oberfeite be3 Hinterleibes gelegenen Sthem*
lödjer einpumpt, (ßählen beS SDtaifäferS!) ßeljren wir nun
ju ben Tracheen, bie mit befonberen Oeffnungen (Stigmen) nach
aufjen miinben, jurüd. 3n ber Siegel finb bie Htfjemlöcher
ober Stigmen an beiben Seiten beS SörperS Dorhanben, ihre
Slnjahl ift Derfchieben unb fchwantt jwifchen 1 unb 10 ißaaren.
SJleift liegen bie Stigmen an ber Seite beS Hinterleiber, bei
einigen Halbflüglern aber an ber SBaudjfeite, bei manchen fiäfern,
j. 33. SRaifäfer, ©elbranb unb anberen auf bem Stüden, bei
(«M)
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Smynthurus, einer §Irt ©pringjdjwanj, fogar an ber Unterfeite
be« Stopfe«, unmittelbar unter ben 3rüf)lent. 3n ber Segel
geht oon jebem ©tigma nur ein einjiger Tracheen fta mm au«,
ber entroeber fid> felbft oerjroeigenb feine Serbinbung mit ben
übrigen Sradjeenftämmen eingeht ober aber mit ihnen fommuni^irt.
11m ben Slthmung«pro3efj 3U ermöglidjen, finb bie ©tigma oer-
fd)lief}bar unb jmar bilben entweber bie Sänber ber Dehnungen
felbft ober bie SSanbungen be« bauen au«gehenben Xradjeen«
ftamme« ben Serfcfjlußapparat. £erfelbe ift mit einem 2Ku«fel
oerfehen, burdf beffen ßufammenjiehung bie Oeffnung gefdjloffen
unb fo bie Serbinbung mit ber äujjeren fiuft abgefperrt merben
fann. @in» unb 21u«athmung mirb meift burd) Serengerung
unb Hu«behnung be« §interleibe« beforgt, oft aber aud) burch
(Sin* unb 2lu«fchieben ber $interleib3abfdjnitte. 33ei ber Ser»
gröfjerung ber ^interleibö^ö^le ftrömt fiuft ein, bei ber Ser»
engerung tritt bie fiuft au«. — ®a« Iradjccnfpftem ber Sauf enb»
füget ift toefentlidj baSfclbe toie bei ben 3nfeften. Sei ben
©folopenbren befinben fid) bie ©tigma an ber ©eite, bei ben
eigentlichen Xaufeubfügern auf ber Sauchflädje be« fieibe«.
Unter ben Ie|teren bcfi&t ber in ®eutfd)lanb häufiß oorfommenbe
©anbtaufenbfufj mit cirfa 90 Seinpaaren ba« einfacfjfte $rad)een>
fpftem. 5)ie Tracheen entspringen oon ben einjelnen ©tigmen
in Süffeln, au« melden bie fiuftröhren, ohne ju oeräfteln,
leroorgehen, um, immer bünner unb biinner werbenb, bie oer»
fdjiebenen Organe 31t umfpinnen. 2)a« $racheenft)ftem ber
©pinnentljiere, »03U bie ©forpione, eigentlichen ©pinnen unb
SHilben geredjnet toerben, 3eigt bebeutenbe $lbioeid)ungen oon
bem ber Snfeften. §lm ähnlichften ift eS noch bei bem in
Sibliothefen unb Herbarien häufig an3utreffenben, jeboch nicht
fdjäblichen Siidjerfforpton, fotoie bei ben ülfterfpinncn nnb
SJHlben. ©an3 ohne Sracfjeen, überhaupt ohne $lthmung«organe,
ift bie Ärähmilbe be« SDienfdjen. Sei ben ©lorpionen unb
(6»7;
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eigentlichen ©pinnen bleiben bie Xracheeit feine einfachen Söhren
mehr, fonbern ber oon einem ©tigma auSgefjenbe Xracheenftamm
erweitert fiel) balb 311 blattartigen , breiten SameHen, bie wie
bie Slätter eine« 83ucf)eg aneinonber gelegt finb unb 3Wifcf)en benen
bnS Slut cirfulirt, fo baff man biefelbeit, wie ich fdjon erwähnte,
früher als Sungeit gebeutet bat, obfd)ou if)tien ein refpiratorifche«
©efäfenefe fehlt. Xa man fie aber als UebergangSformen $u ben
Snngen betrachten fann, hat man fie neuerbingS wohl mit Siecht
Xracheenluitgen genannt. X>ie ©forpionen befipen 8 folcher
Xracheenluugen, oon benen jebe ungefähr 20 SameHen tragt;
bie Xaranteln hingegen nur 4, oon benen jebe einzelne mit 80
folcher fiungenplatten befept ift. Unter ben eigentlichen ©pinnen
befipt bie befannte amerifanifche Sogelfpinne, fowie bie in ©üb-
franfreich unb ©iibfpanien lebenbe Xapejierfpinne 2 Saar
Xracheenlungen, währenb alle übrigen nur mit einem fßaar aus-
geftattet finb. Sei einigen, 3. S. ber 3eHenfpinne, ber Söhren-
fpinne unb ber in uitferen Xeichen oorfommenbeit SEBafferfpinne,
ift baS 3Weite hintere S°ar burefi Xradjeenbüfchel erfept, bie
fich unöeräftelt unb ohne ©piralfäben burch ben galten Körper
oerbreiten. Xie übrigen ©pinnen befipen außer bem einen Saar
Xracheenlungen noch ein Xracfjeenpaar, alfo fein Xradheenbüfchel,
welkes fich aus wenigen einfachen glatten Söhren 3ufammenfept.
@rwähnen3werth ift noch, baß man bei Peripatus, einem auf ben
Antillen lebenben unb bisher 3U beit ©lieberwürmern gewählten
Xpiere, ein Xracheertfpftem entbeeft hat unb ^jufletj ihn beSpalb
ju ben ©lieberfüfjern fteüt.
3ch gehe nunmehr über 3ur Setrachtung ber SB a f f e r*
athmuugöorgane, ber Kiemen unb ber SBaffergefä jje.
2Säl)renb bei ben Sungen bie Sersweigungen nach innen
gerichtet finb, menbeit fich bei ben Kiemen bie Se^weigungen
nach außen. Sin beiben ©eiten eine! bogenförmigen Knochens,
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beS Kiemenbogenä, befiitbeit fidj eine SRei^e einfacher ober
»eräftelter Slättdjen, in melden fid) ba§ refpiratorifdje ©efäjjneh
in gorm oon Haargefäßen auSbreitet. ®ie Kiemenbogen finb
am Zungenbeine befeftigt unb liegen mit ben Riemen in einer
Höhle, ber Kiemenljöhle, welche oon ber Kiemenhaut unb
einem auö 4 Knochenftücfen beftehenben Kieme nbecfel gebilbet
roirb. $)ie Kiemenf)öhle münbet meift burd) nur einen ©palt
(äußere Kiemenfpalte) und) außen unb burd) fünf jtoi}cf;en ben
Kiemenbogen gelegene Oeffnungen (innere Kiemenfpalten) in
bie 3Äunbl)öhle. ®ie ßaljl ber Kiemen ift meift 4. ®a3 burd)
ben üDiunb aufgenommene SSaffer tritt burch bie inneren Siemen-
fpalten in bie Siemenhöhle ein, ftreid^t an ben Kiemenblättchen oor-
bei unb giebt babei ben ©auerftoff ber in ihm fuSpenbirten £uft an
ba3 in ben Kiemenblättchen enthaltene 33lut ab unb tritt bann
burd) bie äußere Kiemenfpalte tuieber nach aufjeti. ®ie inneren
Kiemenfpalten tragen, um baS Sittbringen »ou 9lahrung3ftoffeu
in bie Kiemenhöhle ju üerf)iubern, einen gitterartigen SJerfdjluß.
Kiemen befißen oor allem bie gifd)e, bann aber auch Kiemen-
molche (»noju ber in ben unterirbifchen ©eroäffent KrainS lebenbe
Olm gehört), bie Sarnen ber gröfdje uttb Kröten, fotoie bie
Krebfe, bie iRingelroürmer mit Ausnahme ber Qtrbwürmer unb
@gel, bann bie 2Beid)thiere, b. f. SJtufcheln, ©chneden unb unter
ben Stachelhäutern bie Holothurien — ober ©eetoaljen — , toenn
auch aQe in »ergebener öilbung. ©elbft für bie gifcf)e ift
bie uorhin gegebene Sefdjreibung ber Kiemen nid)t immer ju<
treffenb. ©o befißen einige Knochettfifche an ben Kiemenbogeu
nur eine 5Reil)e oon ®lättd)eu; auch ber Kiemen
fdjnmnft jroifchen 2 unb 4. SBieber anbere, fo bie ©alme,
befißen noch f°S- Slebenfienten, fiemenähnfiche Söilbungen am
®runbe beä SientenbedelS, meld)e mohl ba$u bienen mögen,
bie Kiemen feucht $u halten, für ben SlthmungSprojefj jeboch
ohne SSebeutung finb, ba ihnen ein refpiratorifd)eg ©efäjjneß
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feßlt. ®ie fiabprintßfifcße, woju ber oftinbifc^c Äiettcrfifd)
gehört, ßaben fonberbar geftaltete ©djlutibfnocßen. $iefelben
bcfteljcit aus feltfam gewuubenen Slättcßen, wdcfje Meine fRäume
bilben, in benen ba« SBaffer jurüdgeßalten werben fann. 2>ie$
madjt bie gifcße fäßig, Seiche unb glüffe iu »ertaffen unb
längere $eit auf bem Xrodenen umßerjufriecßfn. Sludj bie
Siemenfpalten, befonberä bie äußeren, geigen mancße Serfcfjieben*
feiten. Sei ben fKalen ift bie äußere Siemenfpalte feßr öerengt;
bei bem in ©urinant lebenben aalartigen Symbranchus bilben
äußere uttb innere Siemenfpalten nur eine einzige unter ber
Seßle gelegene Oeffnung. Unter ben ©anoibfifcßen ober
©cßmeljfcßuppern befißt ber woßl uon 2UIen wegen feiner
als „Saoiar" befannten Sier ßocßoereßrte ©tör eine SRebenfieme,
außerbem aber nocß eine fog. Siemenbedelf ieme, welche ein
refpiratorifcßeS ©efaßneß befißt unb baßer als wirMidje Sieme
fungirt. Sei ben Ä'norpelf ifcßen, ju welcßen bie §aififdje
unb 3<Merroc^en gehören, ftrömt baS SEBaffer nicßt burd) bie
fWunbßößle in bie Siemenßßßle unb aus biefer burd) bie äußere
Siemenfpalte wicber ßerauS, fonberu geßt meift in umgefeßrter
SRicßtung, unb finb baßer aucß bie Siemen anberS gebaut.
$wifcßen ben Siemenbogen füßren gwar wie bei ben übrigen
gifcßett 5 innere Siemenfpalten gu ben Siemen, aber oon jebem
Siemenbogen füßrt eine ßäutige ifSQtte/ an ^erCH beiben ©eiten
bie Siemenblättcßeu angewacbfen finb, bis jur äußeren Söanb
ber Siemenßßßle, tßeilt baburrß ledere in 5 fog. Siemen*
tafcßen, bie jebe nacß außen bun$ eine eigene Oeffnung
münbet, fo baß ftatt einer äußeren Siemenfpalte beren 5
öorßanbett finb. 2)ie in ben glüffen SuropaS, and) im fRßeine,
uorfommenbe ißrife ober gemeines 9ieunauge befißt fieben
beutelförmige Siemen oßne Siemenbogen, welcße nicßt einfach in
bie SIÄunbßößle münben, fonbern mit einem gemeinfamen unter
biefer gelegenen, blinb enbigenben Sanal, ber nad) öorne in bie
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SHunbgögle übergebt unb bort einen Happenartigen ©erfcglug
befifct, in ©erbinbung fielen; uon biefen 7 Kiemenbeuteln führen
Kiemengänge bireft nacg äugen. Slucg will icg gier nicgt un«
erroägnt (affen, bag bie ftgon angefügrten fog. Sungenfifcge
aufjer ben fiungen eigentliche Kiemen unb fogar nocg Sieben»
fiemeit befigen, moburcg biefe gifcge alfo im ftanbe finb, fomogl
in ber Suft als aucg im Baffer gu atgmen. ©iegröfcge «nb
Kröten gaben befaitntlicg im fiaroenguftanbe ebenfalls Siemen,
bem ooHfommenen agiere feglen biefelben jebocg. 2)ie Kiemen»
molcge begatten aber neben ben £ungeit nocg nacg ber ÜJteta»
morpgofe äugere, büfcgelförmige Kiemen, melcge, an fnorpeligen
Kientenbögen befeftigt, neben ben Kiemenfpalten an ben ©eiten
be3 HalfeS gerabgängen. ®ie Kruftentgiere ober Krebfe
befifjen faft alle (einige Slffeln unb bie fog. gifcgläufe aus»
genommen) Kiemen »on blattförmiger ober ctjlinbrifcger ©eftalt.
©ie figen meift am ©runbe ber oorberen magren giige unb
bitben entroeber äugere Körperangänge ober liegen mie bei ben
Krabben unb glugfrebfeu in einer befonberen Kiemengögte,
melcge burcg 2 ©palten nacg äugen münbet. $urcg bie eine
am ©runbe ber güjje gelegene Oeffnung tritt baS Baffer in
bie Kiemengögle ein unb burcg bie anberc an ben gregmer!»
geugen gelegene ©palte toieber gerauS, eine ©trömung, melcge
ber meift rücfgäitgigen ©eroegung ber Krebfe angepagt ift. $ie
ßagl ber Kiemen bei ben Krebfen fcgroanlt gmtfcgen 6 unb 21.
©ei beit Slffeln, öon benen mogl bie ÜJtaueraffel, KeKeraffel
ober KeQerefel unb Stodaffel belannt fein biirften, finb bie fünf
Sßaar Slfterbeine beS Hinterleibes in bacggtegelartig übereinanber»
gelagerte Kiemenlamellen umgemanbelt; babei bilbet gemögnlicg
baS oorberfte ©aar einen SDecfelapparat, beffen beibe Klappen
eine förmlicge Ätgemgögle umfcgltegen; in biefer befinbet ficg
fiuft, melcge burcg ©palten nacg äugen entroeicgen fann. S)en
an gifcgen fcgmarogenben gifcgläufen feglen meift befonbere
Sammlung. #. {$. V. 115. 2 (701)
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SlthmungSorgane, fo baß bei ihnen woßl bie Siefpiration burd)
bie Sörperßaut beforgt n>irb. Sie SRingelwür mer athmen
mit §tuänabme ber (Srbwürmer unb @gel, wie id) fdjon an-
führte, burd) dienten. Ser Siemenapparat befteßt entweber
au§ um baS Sopfenbe gefteßten tentafelförmigen Mntjängen ober
au0 blattförmigen, gefieberten, meift auf bem SRüden befinb-
liefert Sn^ängen, beren Oberfläche mit einem garten fjlimmer-
epithelium überzogen ift. graft äße 9Roltu8fen ober SB ei dp
thiere finb mit wirtlichen Siemen öerfeßen, bie enttoeber in einer
SRantelhöhle ober in einer burch Ummanblung ber lederen
entftanbenen fpöfjle liegen unb entmeber gefiebert, blattförmig
ober fogar fadförmig finb. ©o befifcen g. 93. bie ÜJtufcheln
meift 4 blattförmige Siemen, bie paarweife mit bem einen
ÜRanbe am ßtiiefen feftfifcen, wäbrenb ber anbere 9tanb frei nach
unten gelehrt ift, fo baß baburdj eine Slrt Safdfe gebilbet wirb.
Sabei finb fie mit oieten SBimpern toerfefjeti unb burch Jfl&l*
reiche Ceffnungen fiebartig burchbrodfen. Sa8 SBaffer gelangt
gu ben Siemen burch einen uon beit bie Siemen bebeefenben
SRantelblättern beg SßiereS gebilbeten ©palt ober auch burch
gwei ooit biefen burch SSerwadjfung gebilbete Röhren (©iphonen)
unb wirb auch burch biefelben Oeffnungen wieber, nadjbem e«
bie Siemen befpnlt, nach außen entleert. Ser SBechfel bes die-
fpirationäwafferä wirb burch bie wahrfd)einli<h »an bem SBißen
ber Jh*ere unabhängige Bewegung ber SBimpern beforgt. Sei
ben Sunitaten ober SDZantelthieren, wogu bie im SKeere
lebenben ©eefcheiben unb ©alpen gehören, finb bie Siemen nicht
mehr frei, fonbern meift gu einem ooflftänbigen Siemenfad
oerwachfen. Sie ßftantelblätter be3 Shtere« finb bis auf gwei
Oeffnungen miteinanber oereinigt. Surch bie eine berfelben, bie
ÜDtunböffnung , gelangt ba8 Stefpirationöwaffer in ben Siemenfad
unb burch bie anbere, bie Sloafenöffnung, nebft ben abgefon-
berten (Sjfrementen nach außen. Sie Siemenhaut ift auf ber
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inneren glätte mit rcdjtnnnfelig ficfj freujenben Seiften bnrd)*
^ogen, bie beiberfeitö mit einer Steiße glimmercilien befeßt finb,
toefdje bie regelmäßige SBafferftrömung unterhalten. 2)ie Äieme
erljält bnburd) baS EluSfeßen eines SteßeS, burcß beffett üDtafdjen,
ftiemenfpalten, baS burcß ben SRunb aufgenommene SEBaffer
ßinbnrdjgetrieben wirb unb bort ben ©auerftoff an baS 58lut
abgiebt, weldfeS in ben ßmifcßcnräumen ber ©palten cirfulirt.
93ei einigen ©alpen bilbet bie ftieme eine ben Körper faft ber
ganjen Sänge nodf quer burcf)$ief)enbe ©eßeibewanb , fo 3, 58.
Sulp» maxiinn. (iHaiört. ®r8ät. mtn ber Seite gtfrtru.)
. HundaffnttaQ
ti’ ii ktnSfjnt/tig
fiatftMwdt
ballen
jf> t 1 j . #on wcldtcm bie triffnartigfit Vtbevn rnifptingrn , in bet 'Jinix
bei t iii: reu fiRbrn fidt tu- burdt rnvallrtc Slrtitic angebniteten ÜJtuMrln. inelitie bie
Sufammrnjlc^mig brü Sörperb bewirten
bei Salpa maxima. 58ei ben ©eßneefen atßmen alle, nur
bie fdjon ju Einfang be§ StortragS ermähnten Sungenfdjtteden
ausgenommen, burdj Äiemen. 5)iefelben finb meift famm> ober
feberförmig unb liegen enttoeber auf bem Stiicfen frei ober in
eine Siemenßößle eingebettet; manchmal finb fie ringö um ben
ganjen Körper ober nur freiSförmig um ben ganjen Elfter ge*
(teilt; toicber bei anberen finb bie Stiemen in jroei Steißen att
ben ©eiten be$ Körpers angebracht, Ueberßaupt ift Elnorbnung
unb ©eftalt ber Stiemen bei ben ©dpteefen äußerft mannigfaltig;
2* (70S)
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ber fRaum erlaubt mir näher barauf eiujnge^en; jubem ift
aber auch biefe Skrfchieben&eit nur für ben ©pftematifer Don
befonberer Sebeutung. SDie 3al)l ber Stiemen ift faft ftet# 2.
S)ie Sopffiißer ober Xintenfifdje befreit unberoimperte,
tfjeil# blattartige, tfjeil# al# §autfa(ten auf Stiemenbogen er-
fdjeineube Stiemen, beren bei ben eigentlichen Jintenfifc^en
unb bem ißapiernautilu# 2, bei bem gemeinen ©cf)iff#boot ba-
gegen 4 beträgt. $urd) Sßermacbfung jmeicr mu#fulöfer Sappen
entfielt eine mehr ober minber ootlfommene SRöljre (Jridjter),
bereit offene# ©nbe gtuifdjen ber ^interflädje be# Stör per# unb
ber 9Ratttelmanb bet Siemenhöf)le belegen ift. ®a, wie gejagt,
bie Stiemen unbetoimpert finb, fo mirb ber 2Sed)fel be# Sie*
fpiration#waffer# burd) bie 5lthembewegungen be# X^iere# be-
forgt, inbem ba# ©eewaffer burd) ben geöffneten ÜJiantelranb
ju beiben ©eiten be# Trichter# in bie Siemenhöljle eiitbringt
unb, nad)bem e# bie Siemen befpült, burd) ba# 3uf a m nt ertlichen
be# ÜRantel# unb Jxidjter# bei gefdjloffenent 9Rantelranb burd)
ben Iridper wiebev au#geftoßeti wirb. Ob bie £>olotl)urien
ober ©e entölen nur burcß bie äußere $aut ober and) außer-
bem nod) burd) Siemen atfjmen, ift noch nid)t entfliehen.
Merbing# fefjen bie meiften iRaturforfdjer bie früher al#
„SBafferlutigen" bejeidjneten unb jwifcf)en ben SEBinbungcn be#
25armfanal# gelegenen, röhrenförmig oeräftelteti ober unoer-
äftelteu Organe, welche oereinigt in bie Sloafe be# 3Jfaft-
barm# miinben, al# innere Siemen an; bod) bürfte nach
üRußn eine ejrfretorifche $ßätigfeit berfelben nicht au#ge-
fchloffen fein , währenb ber englifche Zoologe §ttylet) fte
auäfdjließlicf) nur al# @yfretion#organe betrachtet roiffen
will.
3)ie jweite $lrt öon Organen ber üöafferathmung ift ba#
SIBaffergefäßfhftem. Slnalog ben Tracheen befteht ba#jelbe
au# röhrenförmigen Organen, welche burd) Ceffnungen ba# bett
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Äörper umgebenbe SEBoffcr in baS innere beSfelben einzufüßren
im ftanbe finb, um e§ bort in meift jat)lreicfjen ©eräftelungen
mit ber ©äbrfliiffigfeit beS £ßiere$ in ©erüßrung ju bringen.
finbet ftcß baßer nur bei im SBaffer lebenben Spieren,
unb jmar unter ben SBürmerit bei ben ©äbertßiercßen, ben
©trubelroürmern unb einigen ©ingelmiirmern, j. ©. ben ©egen*
Würmern unb ©lutegeln, hat jeboeß foft bei allen außerbem
Sdianatijrfir Tarfitllung 6ti egafttrgcfäSfBfltaiü eint* 3ff[ternrt
So* öaflrt gelangt bunt) beit Stunt) in ben Hiingtanal. »on bort bunt) bic ®ef4fcft4mtne
in bie 3augfüftdini, allbann ntieber \imicf in ben SHtnglanal unb bie $oli|cben Wlajcn
unb biirdi bereu Sujammemiebnug bunt) ben Minglanal in ben Strinfanal, ber bunt)
'bie fog. Wabreporcnplatte mit ber «uSenmelt in Serbinbung ftebt.
noeß bie ©olle eines ©jfretionSorganS mit ju übernehmen,
roäßrenb eS bei ben ©tacßelßäutern eine Hauptrolle für bie
Fortbewegung beS 5£^tereS fpielt. ©ei ben mifroffopifcß Keinen,
nur feiten 1 mm großen, früher ben Fnfufotien jugejählten
©äbertßiercßen liegt an beiben ©eiten beS ftörperS ein mel»
gewunbener, gefäßreicher Äanal, ber bureß ©eitengefäße frei in
baS innere ber ßeibeSßößle führt unb fieß in zahlreichen Keinen
Äeften in bie ©äberfeßeibe naeß außen oerjweigt. 3m 3nneren
(70ö)
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miinben bie beibeit Kanäle in eine gemeinfame, bor ber ßloafe
gelegene, jufammenjiefjbare, fontraftile ölafe, burd) beren Äon-
!ra!tion ba$ unbrauchbar geworbene SBaffer burcfj bie $(oafe
auSgetrieben toirb. SBielfadj finb an ben freien @nben ber
©eitengefäjje, fowie and} in beit Kanälen felbft, lange SBimpern
angebracht, bie burd) ihre beftänbige Bewegung einen 2Bed)fel
be§ SiefpirationSwafferä beförbern. Die int ©feere lebenben
©trubelwurmer beft^eit etn bem ber ©äberthierdjen ähnliches
Söafjergefäjjjhftem, bod) fe^tt bie fontraftile 93lafe, unb wirb
baber bon bielen Zoologen beit ©trubelwürmern nur eine ©aut»
atljmung jugefcbrieben. Die SBlutegel bcfifcen eine Stnja^I
Äanäle, bie nadj au^en auf ber 33aud)jeite miinben unb als
SBaffergefäfjfpftem gebeutet werben. Sei ben Siegenwürmern
finben fidj oielfac© gewuttbette Kanäle, welche burd) eine mit
SBimpern berjeljene weite Oeffnung in bie ßeibeSljöble, burd)
eine enge Oeffnung nad) aufjen miinben. Die ©augwürmer,
ju welken baS an ben Äiemeit ber Äarpfett lebenbe Doppel-
bier unb ber bejonberS in Snglanb weit berbreitete fieberegel,
welcher bie unter bem ©amen Seberfäule ober ©ngelfeuche
befannte Sranfbeit ber SBicberfäuer ^eroorruft, gehören, befiften
ein gut entwidelteS SBaffergefäjjfbftem, welches entweber auS einer
fontraftifen, nach aufjen fic© öffnenben Sölafe ober auS SängS*
gefaben mit fontraftifen, aber wimperlofen SBanbungen beftefp,
bon benen bann mit SBimpern berjeljene Slefte attSgeben, welche
ben ganzen fiörper burd)jieben unb wafjrfdjeinlid) offen enbigen.
SBaS nun bie ©tadjelljäuter ober ©c^inobermen an»
betrifft, jo beftfcen biejelben alle, bie fcfjon befprodjenen ©olotburien
ober ©eewaljen natürlich ausgenommen, ein SBaffergefäfjfpftem,
wenn and) in betriebener SluSbilbung. Slm boQfommenften ift es
bei ben ©eeigeln unb ©eefternen entwicfelt, mätjrenb eS bei ben
©aarfteraen unb ©d^langenfterntn unboHfommetter, ja bei
manchen nur jpurweife oorbanben ift. Sun einem hinter bem
'70«)
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23
SRunbe gelegenen fRingfnnale gefjeit meift fünf ©efäjjftämme ab,
welche burdj feitliche bergweiguugen in bie gur Fortbewegung
beS X^iereö bienenbeu ©augfüfsdjen ober fog. Stmbulafral*
fügten münben. Slufjerbem befinben fich an bem SRinge einige
fontraftile blafen, bie ißotifdjen blafen, welche man als Zentral»
Organe beS ganzen ©efäfcfhftemS anfe^en !ann. ©ie ftellen
nämlich behälter bar, in welchen baS oon ben ?lmbulafral»
fügten gunt SRingfanale gurücfftrömenbe SEBaffer fid) anfammeln
unb aus melden eS burcf) bie Montraftion ihrer SBänbe mieber
in ben iRingfanal auSgetrieben werben fann. ®er ®^fiofoge
3tu^n nennt fie baljer auch ißropulfionSorgane. 3)er 9ting-
fanal ftet)t burcf) ben fog. (Steinfanal, einen meift falfigeit
©cf)(aud), ber fid) burd) bie SDfitte beS Körpers hingiefjt, mit
ber Slufjenwett in berbinbung. ®er SBechfel beS JRefpirationS-
roafferS wirb burd) bie Bewegung beS bie Fnnenwanb {amt-
licher Kanäle übergiefjenben F^mn,erefJ*t^e^utng beforgt. bei
ben ^paarfternen finb bie 2ltl)mungSorgane fjöc^ft unooH*
fommen auSgebilbet. 9tad) Eirofdjel foü bie innen längSge-
faltete ?lfterröf)re bie {Refpiratioit mitbeforgen; nad) ©reef aber
folfen bie auf ber Oberfläche befinblichen ®oreit mit »erbicften
geüwänben in wimpernbe Kanäle führen, welche in bie fieibeS-
höhle münben unb leicht fjlüffigfcit aus- unb eintreten taffen.
Stuf biefe Sfrt fönnte bann leicht bem HthmungSbebürfnifj ©enüge
geleiftet werben.
betrachten wir nun noch 3um ©d)luffe bie ^>autatl)mung,
welche man gum Uitterfcfjiebe oon ber eigentlichen 9tefpiration
auch wohl ißerfpiration nennt, ©ie befteljt ebenfalls in lieber-
gang oon ©auerftoff auS ber Siuft in baS blut unb in Slbgabe
oon Mohlenfäure unb SEBafferbampf auS bem Körper. 3)ie £>aut-
athmung fpielt in ber 9latur eine größere SRolle, als man nach
bem, was ich bisher angeführt, glauben möchte. @S ift wohl
angunehmen, bafj fie bei allen gieren oorfommt, wenn fie
(707)
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natürlich auch bei beit mit SlthmungSorganen »erfeheiten öon ge«
ringerer Sebeutung ift. ©elbft beim SKeitfdjett, ber bod) bas
bollfommenfte Organ befiel, finbet ein ©aSWedjfel burdf bie
§aut be« Körper« ftatt. Sei ber eigentlichen Öthmung beträgt
bie in einer ©tunbe au« ber atmofpljärifchen Suft aufgenommene
©auerftoff menge 23 Siter ober 34 ©ramm, bie gleichzeitig au8«
gefdjiebcne Kohlenfäure etwa 40 ©ramm unb ber au«gehaud)te
SBafferbampf 20 ©ramm. Sei ber .fpautathmung aber überroiegt
bie Abgabe ber SBaffermenge; biefetbe füll in 24 ©tunben
500—800 ©ramm, alfo etwa 20—33 ©ramm in ber ©tunbe
betragen, ein Quantum, gegen roelche« bie ©auerftoff* unb
K'of)lenfäuremenge faum in Setracfjt fommeit famt. Unb boch
ift befannt, bafc, tuenn zwei drittel ber .§aut be« menfc^fic^en
Körper« etwa burd) Serbrennen oerfcfjt worben, ber Sföeufch
fterben muff, ba ba« übrigbleibenbe drittel nicht genügt. $aut«
athmung allein wirb meift nur foldjen $l)ieren zufommen,
welche ein geringe« Slthembebürfnifj hüben unb beren |»aut im
ftanbe ift, einen ©aSauStaufdj zlD‘f^en bfr inneren SRähr«
flüffigfeit unb bem umgebenben SRebium, fei e« nun Suft ober
SBaffer, zu ermöglichen. SDaher finbet fie fich benn auch aufc«
bei ben im Serlaufe meine« Sortrag« gelegentlich erwähnten
Xhicren bei ben meiften SBiirmern, fowie bei ben Sölenteraten
ober barmlofen $h<eren/ &• f. Quallen, Korallen unb Schwämme,
fowie bei ben tßrotojoeu ober Urtieren, zu welchen bie niebrigften
Organismen unter anberen bie Snfuforien, gehören. SehufS
SBedjfel be« zur ißerfpiration bienenben SBaffer« finben mir
nun tierfdjiebene ©inrichtungen; fo wirb bei folgen, bie feiner
Ortsbewegung fähig finb, z- s-8- &e' ben feftgewachienen
Schwämmen, biefe er(e$t burch bie burch ben ganzen Organismus
gehenbe SBafferftrömung unb burch bie Sewegung be« bie
K'analmänbe bebeefenben f^(immerepit{)eld ; bei ben Qfnfuforien
mögen bie SBimperbaare, welche »orzugSweife zwar SewegungS*
(708)
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25
organe finb, ben 3Becf)feI be$ SRefpirationSWafferS förbern.
Ob bie bei ben 3nfuforien oorhanbeuen fontraftifen ©tafen
(Safuoten) wirtlich eine 3ioße bei bem KthmungSproaefj fpielen,
ift noch nicht entfliehen, ©ie finb jwar im ftanbe, fid) mit
SBaffer ja füllen unb baSfelfae wieber burdj bie gufammen»
jiet)ung be£ umgebenben 'ißrotopIaSmaS nad) aufjen ju entleeren.
2Benn nun burd) bie ?lt^mung, fowofß burch bie Suff-,
wie auch SBaffer- unb §autntf)mung, ber atmofpharifchen Suft
fortnmhrenb ©auerftoff entzogen unb Äoljlenfäure jugeführt wirb,
wirb bann nicht, fo tuirb oiefleicht ber Sine ober Slnbete fragen,
im Saufe ber $eiten eine Sättigung ber Suft mit ber für ben
thieriftfjen Organismus unbrauchbaren Äoljtenffiure unb ein
3JiangeI an ©auerftoff eintreten? ©ewifj würbe bicS ber gaß
fein, wenn nicht bie ®flanjen für ben Aufbau ihre« ÄorperS
beS StohtenftoffS bebürften; burd) bie in ben SBIättern befinb*
liehen ©paltöffuungcn nehmen fie bie ilohlenfäure ber Suft auf,
jerlegett biefelbe mit £iilfe beS SidjteS in ihre Seftanbtheile,
Äo^fenftoff unb ©auerftoff, unb geben atsbann ben für fie un*
tauglichen ©auerftoff wieber ab. ©o wirb baS nöthige ©leid}*
gewidjt in ber atmofphäriichen Suft wieber hergeftetlt. $hiere
unb ®flan$en finb, wie in fo oiclen anberen Beziehungen, alfo
auch bei ber Slthmung, gegeufeitig ooneinanbet abhängig. 3a,
wahrlid) gro& unb wunberbar ift baS Buch ber 'Jiatur; man
mufj nur oerftehen, barin zu lefenl!
ow>
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ttaffenmifdjung
im
Jubentljm
Sou
Dr. $So«! Jlfsfierg
in
9Rit brei Slbbilbungen.
Hamburg.
IBerlagganftalt unb 55rucferei $!.•©. (üortnalS 3- 3- Stifter).
1891.
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£>a« 9ied;t ber Ueberfefcung in frembe ©praßen wirb corbcbaltea.
trmt brr SertagJanftalt nnb $ rudern Vcttrn-VtfeQftbaft
Normal» 3. g. Sidjtrr) ln Hamburg
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vor furjem war bie Steinßeit ber jübifcßen fRaffe ein
faft unbeftritteneg SDogma; beim nicfjt nur in £aien!rctfen,
jonbern and) unter ben Stntßropologen war bie Stnfidjt ^iemtic^
allgemein verbreitet, baß bie Kinber 3$raelg ben t»on ißnen
vertretenen femitifdjcit $ppug von SSermifcßnng mit anberen
etßniftf)en (Slementen frei erhalten unb baß biefdbett vermöge
ber 3aßrtaufenbe ßinburd) fortgefeßten Sfoliruttg unb 2lb=
gefdjfoffenßeit biefe ©tammegreinßeit big auf ben heutigen lag
bewaßrt ßätten. 5n feiner verbienftvoKen Slbljaublung: „gur
Solfgfnnbe ber Suben"1 erlennt SHidjarb Slnbree jwar bie
Sßatfacße an, baß itt ben ölteften $eiten ÜJliftßuitgen ber 3uben
mit anberen Söllern ftattgefunben fjabeit; ber befagte ?lutor
fpricßt aber jugleid) feine Stnfidjt baßin au«, „baß biefe Sei«
mifcßungen von bem unverwüftficß fcßeinenbett Stamme völlig
überwuttben unb bcrart aufgefcßliirft worben feien, baß ba$
allgemeine ßomogene ©efüge barunter nidjt litt unb ber monu*
mentale |>ebräertppug in Körper unb ®eift ftetS fiegreidj wieber
aug ber 2ftifdjung ßervorging". SSeiterfjin bemerft ber nämlicße
©eletjrte: ®ie fämtlicßen äJlifdßungen mit ßeibnifdfen SQSeibern,
welcße in ben ölteften $eiten in Sorberafiett ftattfanben, fonnten
in Sejug auf ben förderlichen ^jabituS ber Suben um begwillen
leine feßr wefeutlidje Slenberung ßervorbringeit, weil eß meift
Sammlung. 91. g. V. 116. 1* (713)
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4
Semitinnen anberer Stämme waren, welche bie 3uben ju
SBeibern genommen patten". — Soweit fRicparb Anbree. 3)a§
aber bie in festerem Sitat au«gefprocpene 2tnficf>t heutzutage
nicht mehr aufrecht erhalten werben fann, bag fcpon oor
3aprtaufenben in ^aläftina unb ©orberafien eine
intenfioe ©ermifcpung be« jübifchen Stamme« mit
einem inbogermanifcpen ©otfe unb waprfcpeinlich auch
mit Angehörigen ber mottgolifchen SRaffe ftattgefunben
hat, bag bemnach bie heutigen 3uben feine«weg« al«
jener reine SRaffentppu« angefehen werben bürfen,
al« welche man fie gewöhnlich betrachtet, — ju biefem
Scpluffe brängeti gewiffe neuere gorfcpungen, bie un« im nach1
fotgenben befchäftigen werben.
3)ag im heutigen ^ßatäftina bie ©eoölfcrung eine gemifchte
ift, hierüber taffen bie Berichte ber SReifenben unb gorfcper, bie
innerhalb ber lepten Saprzehnte ba« heilige 2anb befuept paben,
feinen ^weifet beftehen. 3)er befannte Oyforber (gelehrte, ©rof.
A. Sapce bemerft, * bag er fcpon bei feinem erften ©efuepe
in ißaläftina überrafcht war burep bie beträchtliche Anjapl oon
blauäugigen unb btonbpaarigen Sfinbern mit peller Hautfarbe,
benen er in ben Stäbten unb Ortfcpaften, in«befonbere im
gebirgigen Xpeife be« Sanbe«, begegnete. 5Diefe btonben ©olf«-
elemente be« heutigen ©aläftina« galten bi« oor furjem noch
für SRacpfommeu oon 91 orbeuropäern, bie burep bie ßteujjüge
ober ähnliche (Sreigniffe im SJiittelalter naep bem heiligen Sanbe
oerfcplagen würben. @in ganz neue« fiiept ift inbeffen über
biefe btonbe ©eoötferung ißaläftina« oerbreitet worben burep
bie oon ben (Snglänbern C«burne unb glinber« ©etrie in
Aegppteit angefteHten etpnologifcpen Unterfucpungen. Scpon oor
mehreren gapren patte ber juerft erwäpnte gorfeper auf bie
Spatfacpe pingeioiefen, bag auf ben Abbilbungcn ber Tempel-
unb egräberbauten au« ber geit SRamfe« II., wie fie ju Abu
C714)
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o
©imbel un« erhalten fiitb , bie ©djafa ton Äanana (ftanaan)
mit blauen Augen, rötblicb blonbem §auptbaar unb ebenso
gefärbtem ©arte unb Augenbrauen, unb bie Amaur (Amar)
ebenfalls mit blauen Augen, rötf)ticf)em fmuptbaar, ©art unb
Augenbrauen §ur ®arfteflung gebraut finb. $>a aber — fo
folgerte Oiburne bann weiter — nach ben SDlittbeilungen ber
3nf<briften, beim, ber ©appru«, bie ©cbafu ton Ranana etwa«
füblict) ton Hebron wohnten, wäbreitb bie Amaur ^njeifefSotjue
Öittitrr.
ibentifcb finb mit ben Amoritern be$ alten leftaments, fo unter«
liegt e8 feinem 8rce‘M/ bafj bereits im 14. Saljrbunbert
tor bem ©eginne unferer 3eittecbnung in ©aläftina
eine ©etölferung ton inbogermanifdjer (atifcber)
Abfunft gelebt bat. Auch finb bie im torbergebenben er«
wäbnteit ©cbläffe burcb bie ton glinberS fßetrie neuerbingS
angefteHten Unterteilungen8 in toüftem Umfange beftätigt
worben, ©on ber britifcben Affociation ber Söiffenfdjaften ba«
mit beauftragt, ^ßb0t09raPbten unb Abgüffe bcrjufteüen ton ben
etbnologifeben ®ppen, welche auf altägpptifcben ®enfmälent uns
(715)
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6
entgegentreten, fanb er, baß auf bem SBanbgemätbe eine«
tfjebanifcßeu ©rabeS ber Herrfdjer non ftabefd) am OronteS mit
meißer Haut nnb f)eßem rötl)lid)-braunem Haar gur 3>arfteßung
gebraut ift. 9?un mar fiabefd) bie fiibtidje $auptftabt ber
Hittiter (ßbittiter ober S^eta), nac^bem biefeS 93oIf Serien er-
obert {>atte; aber bie altägpptifdjen 3nfd)riften bejeidjnen biefe
©tabt als „im £anbe Joon Slmaur gelegen", unb baß ber in
bem kbefagteu ©rabe .bargefteßte Herrfdjer oon ftabefdj oon
amoritifdjer ^»erfunft geroefen fein muß:, biefer ©djluß ergiebt
ülmoritrr.
fiel) aus ber $f)atfad)e, baß bie Hittiter auf ben SBanbgemälben
SUtägtjptenS mit gelber ober orangefarbiger Haut, bunflem Haar
unb bunflen Slugen, foroie mit häßlichen ©efidjtSgügen unb
anberen fogleicf) gu erörternben 6igentf)ümlid)feiten bargefteßt
finb. 3m ©egenfaß gu ber foeben ermähnten ©rfdjeiuung ber
Hittiter treten unS bie Slmaitr (Slmoriter) auf ben oon glinberS
Metrie reprobugirten SBanbgemälben unb ©fulpturen als ein
burct) förperlicße ©cßön^eit fid| auSgeidjnenbeS ®ot? mit fub>
aquilinen 9iafen unb nad) unten fpijjgulaufenbem Äinnbart
entgegen. Söart unb Hauptfjaar finb röttßidjbraun; bie Haut-
farbe ift nad) bem [e§termäf)nten ©elefjrten ein auf bie ©inroirfung
(716)
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lgkj
7
ber ©onne guriicfguführenbe« Stofarotß,4 unter bem jebod) ber
bette ©runbton ber |iautfärbung beutlicß ^croortritt. ®ie in
9lebe ftetjenben $arftetlungen taffen auch bie h<>he ©tatur,
ba« regelmäßige Sßrofit (cfjarafterifirt in«befonbere baburdj,
baß ber SJtafenrücfen at« eine gortfejjung ber etrna« fcßräg
nach oorn abfaflenben ©tim erfc^eint) unb bie überau«
energifcfjen unb martialifcßen 3üge biefer Seoölferuttg beutlid)
erfenneu.
Stach ben obigen geftftellungen unterliegt e« alfo feinem
.ßroeifel, baß, eße noch bie S^raetiten ißatäftina in
SBefiß genommen hatten, ein Sttjeil biefe«£aube« »on
einer burcß ßetten eint, rötfjlidje« $art» unb |jaupt=
haar unb blaue Singen gefenngeicßneten Seoötfer ung,
— alfo einer Stoffe, roeldje bie djarafteriftifchen
©igenttjümtichfeiten be« gerntanifdjen gmeige« ber
großen arifcßen SSötferfamilie auftoie« — bemoßnt
mar. 2)ie ®enfmäter unb Stufgeicßnungen Slltäghpten« lehren
un« aber ferner, baß biefe roeiße, oon ber femitifdjen ©eoötferung
be« Zeitigen Sanbe« ftcfj roefentlid) unterfdjeibenbe Staffe auch
nad) ber Sroberung fßatäftina« burd) bie 3«raelitcn bafetbft
meiter ejiftirte. $)ie auf einem äghptifdjen SBanbgemätbe au«
ber Spodje ber 22. SDpnaftie gur ©arftettung gebrachten ftrieger,
melcße ©ßifhaf gur ßeit Steßobeam« in feinem Stiege mit ben
©täbten 3uba« gu ©efangenen gemacht hat, haben nicht fübifcße,
fonbern amoritifcße ©efidßgüge. ©ie haben burdjau« nicht«
gemein mit jenen, auf bem fcßmargen Obeli«! oon Stimrub mit
beutlid) auägefprodjener jübifcßer ^ßßfiognomie bargefteßten
SDtännern, toeldje ben Tribut 3eßu« überbringen. @« muß alfo
nocß im 10. Sahrhuubert ber Oorcßriftlichen Slera ba« ®ro« ber
ffieoötferung im fübtidjen Subäa ooit amoritifcßer b. i. inbo-
germanifcßer Hbfunft geroefen fein, unb ift e« unter fotdjen
Umftänben leicht erftärlid), baß, mie oben bemerft, noch heutgutage
(717)
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8
in gemiffen ©egenben ißalöftinaS SRefte biefer blonbcit IBeoölferung
nachgewiefen werben fönnen.
SBir wollen an btefer Stelle einfchalten, baß ber SRachmeiS
»on bem ehemaligen ffiorhanbenfein eine« .gweigeS &« in&o»
germanifchen SRaffe im ^eiligen Sanbe für bie anthropologifdj»
urgefchid)tlicbe gorfchung auch infofern oon hohem Sntereffe ift,
als burd) biefelbe für gemiffe Uhotfadjen, bie man fich bisher
nicht recht ju erflären mußte, eine ©rflärung geliefert wirb.
3ene weiße 9iaffe beS alten ißaläftina fteht, mie Satjce hersor-
hebt,5 im engften gufammenhang mit jener, ehebem in 9torb*
afrifa weit oerbreiteten weißen Seoölferung, als beren Ueberrefte
jufolge ben SDtittljeilungen oon namhaften franjöfifchen ©eiehrten
bie Sabtjlenftcimme SllgerienS ju betrachten finb. Sßährenb
man noch oor einigen Sahren bie burd) h°he Statur unb hellen
Seint, fowie burd) ihren perfönlichen SJiuth unb ihre Sorliebe
für Freiheit unb ftaatliche Orbnung fich auSjeichnenben, im lief*
Ianb weniger gut, als in ben ©ebirgSgegenben gebeihenben
$abt)len als 9tad)fommen ber über bie iberifdje ^albinfel nach
SRorbafrifa eingewanberten 93anbalen betrachtete, fyaben neuere
Unterfuchungen eS wahrfcheinlich gemacht, baß jene weiße 93e»
oölferung 9lorbafrif aS , beren leßte 9iefte uns in ben Sabplen»
ftämmen entgegentreten, bereits feit ben fpäteren Äbfdjnitten ber
neolithifdjen ißeriobe (jüngeren Steinjeit) bie füblichen Säften»
länber beS SRittelmeereS bewohnt. Satjce hält bie befagte 23e*
oölferung für ibentifd) mit ben Sibpern beS SUtertljumS, währenb
glinberS ißetrie auf bie Uebereinftimmung hinweift, welche bie
auf altägtjptifchen Sfulpturen unb ©emälben jur ®arftetlung
gebrachten £f)al)ennu oon SRorbafrifa hinfichtlich ihr« ©efichtS*
$üge mit ben Slmoritern ju erfennen geben. 3)urch ben SRachmeiS
oon bem ehemaligen S3orljanbenfein einer ben Snbogermanen
ftammoerwanbten Seoölferung in Üiorbafrifa erflart ftch auch
aufs ungejwungenfte bie oon mehreren ^orfdjent feftgeftellte
(718)
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9
Xfjatfocfie, bah bie ©uanchen, jene auSgeftorbene Seoölferung
ber fanarifdien 3nfeln, welche gegenwärtig nur noch oermifdjt
mit onberen etljnifchen ©lementen in ben heutigen ©ewohnern
ber Sonoren fortlebt unb beren ©felettreftc auö ben §ö^len oon
©ran ©anaria unb Teneriffa $u Jage geförbert werben, — bah
biefe ©uandjen ^infid)tlid) ihrer ©d}äbelbilbung, ©tatur unb
anberer förperlicher @igenthümlid)feiten eine bemerfenötoertfie
Uebereinftimmung mit ben ©ermanen aufweifen. 3ene ehemalige
Weiße ©eoölferung fftorbafrifaö, als beren 5Refte bie Kabplen*
ftämme ju betrachten finb, hot fic^ — fo muh jeßt als hödjft
wahrfdjeinlid) angenommen werben — entlang bem SRorbranbe
beS Kontinents nad) SBeften auSgebreitet unb hat auch, 00n ber
2Beft!üfte beS heut'Sen 3Horoffo nach ben Kanaren iiberfe^enb,
biefe 3nfeln in ©efifc genommen, ©ine ganj befonbere ©ließe
erhält bie Jhe°rie oon bem ehemaligen SBorljanbenfein einer
weiten, ben Qnbogermanen nahe oerwanbten ©affe in 9iorb*
afrifa unb ©aläftina ferner noch burdj bie ©erbreitung gewiffer
twrgefchidjtlidjer ©rabbenfmäler in ben befagteu ©ebieten. 3ene
unter bem Flamen ber „Jolmen" allgemein befannten, aus brei
ober mehr mächtigen ©teinplatten, bie entweber jur gorm einer
©rabfammer ober eines ©teintifc^cS (Menhir) jufammengeftellt,
mitunter auch „©teinfreife" (Cromlech) placirt finb, be*
ftehenben prähiftorifchen ©rabmonumente finben fich überein*
ftimmenb in SRorbafrifa unb ißaläftina, unb jwar in festerem
Sanbe houptfächlid) öftlid) »om Sorban, alfo in jenem ©ebiete,
wo bie oon Smoritern begrünbeten Königreiche ©afan unb
^efchbon einft beftanben hoben. Sind) ift im ^jinblitf auf bie
oon gaibfjerbe unb Slnberen nachgewiefene JhatM)e' bah eine
jufammenhängenbe SReihe biefer merfwürbigen prähiftorifchen
SRonumente oon ben britifdjen Qnfelit über granfreid) (wo fie
inSbefonbere in ber ©retagne in großer Slnjahl oertreten finb)
burch ©panien, SRaroffo, Algerien, Junis unb JripoliS bis
(71»)
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10
nad) (Serien unb paläftina fich — im |>inblicf auf
biefe Sfjatfadjc ift fcfjon bor mehreren Sohren, e^e man iiod)
non bem ehemaligen Sorhanbenfeitt einer inbogermanifdjeit 93e*
bölferung in Norbafrifa unb ißaläftina auch nur &*e seringfte
3bee hotte, bon feiten namhafter gorfdjer bie Sermnthung
auSgefprochcn worben, bafj bie ©emeinfamfeit unb bemerfenä*
werthe Uebereinftimmung in ber Äonftruftion biefer ©rabbenf*
mäler auf berwanbtfchaftliche ©ejiehungett jwijchen ber Se*
bölferung biefer ©ebiete hinbeute.
2Baö fpeciell bie SBohnfi^e anlangt, welche bie inbogerma*
nifche Seoölferuitg im alten Paläftina iune hotte, fo lehren
uns bie im alten Steftamente enthaltenen Nachrichten, bag bie
Slmoriter 3U einer gewiffen $eit jene ©ebirgögegenb bewohnten,
welche oon Slabefch im Norben bis an ben Nanb ber füblich
oon Snbäa gelegenen SSiifte ficf) erftrecft, unb bafj biefelben
öftlich bom Sorban bie juoor erwähnten Königreiche Safan
unb £>efd}boit gegrünbet hoben. ©he fk nach Paläftina ge*
langten, fcheinen fie ihre SBohnfifce in ber ©uphratebene gehabt
ju haben; bie in ben affprifdjen fteilfchriften unS überlieferten
Namen ber weftlich bom ©uphrat gelegenen Ortfdjaften Seth*
SlmmariS unb $lp*2lmmariS finb nach ©apce auf bie Slmoriter
jurücf^ufiihren. Nach XomfinS6 finb fowohl bie ©ibeoniter,
wie bie Slnafim beS alten SfceftamentS, als $meige ^ großen
fümoriterftammeS auf^uf affen. 2)ie ^errfchaft beS lefjteren fcheint
fid) ju einer gewiffen 3e*t über ben größten $hetf PaläftinaS
erftrecft ju hoben; fpäter würben bie Slmoriter burch bie bor*
bringenben ©tämme ber SNoabiter, Slmraoniter unb ©bomiter
auö bem größeren X^eile beS oon ihnen befe^ten ©ebieteS ber*
trieben. 3>er Name „§oriter", weldjet ihnen itt ©bom bei*
gelegt würbe, wirb bon ©apce alä „weifje Scanner" iiberfefet.
©ine ©teile im Pentateuch (Numeri XIII., 29) befagt aus*
brüdlich, bafj, ehe noch bie Söraeliten baS gelobte Sanb in
(720)
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11
SBefijj nahmen, ba« Äüftengebiet utib ba« X^af be« 3orban«
im ©efifce ber Saitaaniter, ba« unmittelbar angrenjenbe ©ebirg«-
lanb aber im Söefi^e ber |>ittiter unb 3ebufiter — welche ledere
ltatb einer ©teile im ®ucf)e @jed)iel al« eine au« ber Shreuiung
oon ^>ittitern unb Slmoritern ^ernorgegangcne SDiifdiraffe auf«
jufaffen finb — fid) bcfunben bat. Segen ber Ijofyen ©tatur,
bie fie mit anberen ^Ungehörigen ber inbogermanifcben 9taffe
gemein haben unb bie, wie bereit« erwähnt, auch auf beit alt*
ägtjptifcbeti Saitbgemälben unb ©fulpturwerfeit äur ©eltung
fommt, werben bie Slmoritcr oon ben 3uben mit bent Sud)fe ber
Geber oerglidjcit, unb c« wirb bemerft, baß neben ihnen bie SSölfer
»on femitifdjem ©ebliit „unanfehnlidj wie ^eufc^recfen" er*
feinen. Xer wegen feiner Körper länge berühmte Sinnig 0g
oon ©afait barf wobt al« ber edjte Siepräfentant be« burd)
feinen fjoljcn Sud)« imponirenben inbogermanifcben Xppu« be-
trautet werben.
3m oorgebettben würbe bereit« ber fiittiter gebaut, be-
jiiglicb bereit bie ^eroorragenbften Slutoritäten auf bem ©ebiete
ber ägpptologifcfien unb affbriologifdjen $orfd)ung in ber Knfidjt
übereinftimmen, baß bie $beta ber altägpptifdjen 3nfdjriften,
bie ft^atti ber affprifdjen fteilfdjriften unb bie f>ittiter ober
©öbtte oon .§etß ber 23ibel ein unb ba«felbe Soll bezeichnen.
Xiefelben werben in ber ^eiligen ©d)rift al« bie Söewoljner be«
füblicß oon .fpamaf) gelegenen .fpebron, in ben affprift^en Steil*
{Triften aber al« ein nid)t unbebeutenbe« SBolf, ba« bi« an ben
Gupbrat faß, bejeidinet. 3n gcl^tüättbe eingebauene ©fulpturen,
welche ben .fpittitern gugefcßrieben werben, finb an öerfdjiebenett
fünften ftleinafien« unb ©grien«, fo oor allem im Gngpaffe
oon Äarabel, in ©iaur*Äaleffi (^ß^rpgien), $u Söogbaz-ftöi (im
alten Sappabocien), unweit Xfcberabi« unb nabe bem 3uoor,
erwähnten fiamab aufgefunben worben. 3)ie $auptftabt ber
^ittiter war Stardjemifd), beffen ©tätte man bei bem foebeti
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12
genannten 5Dfd)erabiS toieber aufgefunbeit hat. 2>er ^3^arao
SljutmofiS III. f|at um 1600 tor S^r. bie $ittiter unb ihre
©tammeägenoffen in langwierigen Kümpfen unterworfen unb auch
Ethutmofi« IV. hat fie befriegt. 2Iuf bem ©ipfel ihrer ÜJtadjt
aber feinen biefelben um 1370 gur 3c*t Sfantfe« II. geftanben
gu haben, gegen ben fie fid) unter ber Rührung ihre« gürften
ßljtafar mit einer Angahl oerwanbter ©tömme oerbauben.
Obwohl bie ©chlacfjt an ben Ufern be« Oronte« fchliefclicf) eine
für bie Aegppter günftige ©ntfdjeibung herbeiführte, fo fdjeint
ber Krieg bod) halb oon neuem entbrannt gu fein, unb erft im
21. Sahre ber Regierung Siantfe« II. fam e« gu einem benf*
reürbigen {JriebenSfcfjIuffe, über ben eine hochwichtige Urfunbe
im Sempel gu Karnal erhalten ift. — 23a« bie Abftammung
unb Slaffcngugehörigfeit be« in Siebe ftehenben ©olfe« anlangt, —
ein fßunft, ber uti« gang befonber« intereffirt, ba er für bie
un« befchäftigenbe grage nach bet 9iaffenmifcf)ung im Subra«
thum non SBicfjtigfeit ift, — fo würbe bereit« im oorfjergehenben
barauf f)tngett>iefeu , bah gufolge ben tteuerbiug« üon glinber«
Metrie angeftetlten Unterfuchungen bie Kheta auf &en altäghptifdjen
SBanbgemälben mit gelbbrauner Hautfarbe, butiflen Augen unb
fchwarjent ober bunfelbraunem Haupthaar borgefteflt finb. $ie
gu ÜJIebinet-^abu fich finbenbe SJarfteßung eine« oon SRamfeS UI.
gum ©efangenen gemachten ^ittiter-^ürften, ebenfo wie gwei gu
£el el 2)ehubi unweit |>eliopoli« aufgefunbene, gegenwärtig im
britifchen SRufeum gu fionbon aufbewahrte Sleliefplatten, welche
einen £>ittiter>gürfteu unb eine ^ittiter-gürftin gur 3)arfteflung
bringen, geigen eine mtoerfennbare Annäherung an ben
mongolifchen SE tjpu S, bie fich iitSbefonbere burch bie ©reite
unb ba« $eroortreten ber bem Obetliefer unb ben SEBangen«
beinen entfprechenben ©efidjtspartie gu erfennen giebt. 3U
©unften ber Theorie oon ber mongolifchen Abftammung ber
.fjittiter fann auch ber geringe ©artwudj« unb bie eigentümliche
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4jaartrad)t biefeS SßolfeS (ßufammenfaffen be$ IjaupttjaareS gu
einem ober mehreren $öpfen, bie im SJiacfen ljerabt)ängen) ge*
beutet werben. SBenn auch gewiffe Grigenthüratichfeiten, roie fie
bie altägpptifchen ®arfteHungen oon $ittitern aufweifen, wie g. 83.
bieniebrige „fliefjenbe" ©tim, bie oerftältnigmä^ig grofje, gefrümmte
SRafe unb bas gurücftretenbe Sinn, einen nicht unwefentlichen
Unterfdjieb gwifchen bem in tRebe ftetjenben SSolfe uitb bem un*
oermifchten mongolifdjen SEppuS gu erfennen geben, fo fte^t boch
£omfin£7 nicht an, bie auf ben altägpptifchen $enfmätern gur
S)arfte£lung gebrachten &heta hinfid)tlid> ihrer dufferen @r=
fdjeittung mit ben Rannen gu oergleichen. 25aff wir bie fnttiter
at$ ein SBolf oon mongotifcher Sibfunft, bcgw. als eine auS ber
Sßermifchung oon 5Jfongoten unb inbogermanifchen (amoritifchen)
ober femitifchen ©tämmeit fjeroorgegangene Seoölferung, gu be»
trachten hoben, — biefe Sinnahme erhält noch eine bejonbere
©tü$e burch ben Nachweis ber jEhatfache/ baß fchon im früljeften
Sllterthume SSölfer oon mongotifcher Slbftammung in ber Siachbar-
fcljaft beS bon ben |>ittitern befeuert ©ebieteS anfäffig gewefeit
finb. SBenn wir uns baran erinnern, baff gufolge ber @rgeb>
niffe, ber neueren affpriologifchen gorfchung jene, unter bem
SRamen bet ©umero-Slffaber befannte Urbeoötferung S3abptonienS
— nach ben in ben Sfeilfchriften unS erhaltenen ©pradjreften gu
urtheilen — oon turanifiher, alfo mongotifcher Sibfunft gewefen
ift unb bah nach Senormant auch bie attmebifche Sprache, fowie
biejenige beS alten ©ufiana auf baS ehemalige S3ort)anbenfein
eines S3olfeS oon turanifcher Slbftammung in ben betreffenbeit
©ebieten hinbeuten, wenn wir ferner ben Umftanb in öetradjt
gietjen, bafj eine Slngaf)! oon ©enfmälern aus ber lipffoSperiobe
SlltägpptenS, wie g. 83. ber oon SRub. 93irchow8 untängft ge*
meffene unb befchriebene ©phinj oon £anis unb eine neuerbingS
gu 33ubaftiS auSgegrabene ©tatue, burch ben oon ihnen gur
3)arftetlung gebrachten ÜRongolentppuS 9 ben befagten Slbfchnitt
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ber altäghptifchen ©efd)id)te af« eine jeitweifigc Dccupation be«
^fjornonenfanbe« burd) ©öfter non mongolifcher Sfbftammung
erfcheinen faffen, — wenn wir affe« biefe« in ©etrad|t gieren,
fo Ijat e« in ber 2f)at nichts fflefrembenbe«, wenn wir aud) in
©aläftina eine ©enölferung antreffen, bie fid) burd) ifjre äujjere
@rfd)einung af« ein mongolifcher Stamm, bejw. af« eine ÜJtifd)ung
non ÜJiongoleit mit fremben (affophplen) SRaffenefementen, ju er*
el’tiini; Bon lani» (SSonumfnt ber t>i)f[o«periobf mit mongoIiMjrr ®cfl<6täf>übung.)
fennen giebt. 10 2Ba$ ben fefcterwäfjnten ißunft anfangt, fo ift
bie ©ermifd)ung non SImoritern unb $ittitern, wie wir oben
bemerften, an« ber SBibel mit Sicherheit jn erweifen; biefe
Annahme erhält ferner noch eine befonbere Stä^e burch bie
®hQMa£§e/ bo§ auf bem oben erwähnten tljebanifchen SBanb-
gemälbe ber hittitifche £>errfd)er non Äabefcf) mit weiter £>aut
unb hcßem röthfich-braunem fiaar — alfo mit beit Störper*
merfmafen ber Slmoriter — jur ®arftellung gebracht ift, fowie
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aud) burd) ben llmftanb, bafj nach ber gewöhnlichen Sfnnahme
bie .fjittiter in Äobcfcf) eine Slrt grembherrfchaft ou#geübt haben
(analog beteiligen, weldje bi# üor furjem bie dürfen auf ber
Salfanfjalbinfef über inbogermanifche Sölfer behaupteten), uiib
baf? biefe grembherrfchaft mit Sicherheit barauf fdjliejjen läfjt,
bafj ben ^jittitern Sßeiber oon amoritifdjer unb femitifcher §er»
halft al# grauen «ab ft'onfubinen ^ur Verfügung geftanben haben.
Sßeldjen ©itiffufj haben aber — biefe grage ift nun junächft
ju beantworten — jene, im oorljergehenben namhaft gemachten
nichtfemitifchen Söffer auf bie femitifdje Seoöfferuitg paläftina#
au#geübt? 3)afj bie 3#raeliten im alten Paläftina mit ben
bafelbft lebeitben md)ti#raelitifdjen Solf#elementen fid) häufig
oerniifdjt haben, wirb felbft Don jenen ©thnologen jugeftanbeti,
bie, wie 9t. Stibree, für bie refatioe 9teinheit ber jübifchen SRaffe
eintreten. SBäreit efjelidje unb uneheliche Serbinbuiigen ber
Sfinber 3#rael# mit ben nichtiSraelitifdjen unb jum $he>t aud)
nichtfemitifchen Sölfern Paläftina# nicht ein häufige# Sor-
fomnmijj gewefen, fo hätten jene Sibelftellcit gar feinen Sinn,
in benen bie 3#raeliten oor ber Sermifchung mit ben fremben
^Söffern gewarnt werben. So heifjt e# im 5. Such 9Jtofe, ftap. 7,
nachbem unmittelbar oorfjer ber §ittiter, 9lmoriter, ©irgofiter,
Äanaaniter, Pherefiter, ^eoiter unb Sebufiter ©rwähniuig ge«
fcheheit ift: „®u follft bich nicht mit ihnen befreunben; eure
Töchter foflt ihr nicht geben ihren Söhnen unb ihre Xödjter
follt ihr nid)t nehmen euren Söhnen." Sind) haben, wa# bie
Sermifdjung ber guben mit fremben Sölferit anlangt, bereit#
bie Patriarchen ben fpäleren ©enerationen ein Seifpiel gegeben.
§agar, bie üJtagb Sfbraham#, bie bemfelbeit feinen älteftcn Sohn
3#maef gebar, war oon äghptifdjer Slbfunft; 3faaf unb 3afob
waren mit aramäifchen grauen, gofeph mit einer Sfeghpterin
oerheirathet unb SBtofe# wirb getabelt, weif er eine SJtibianiterin
jttr grau genommen hatte. ®aoib ift ein 9tad)fomme ber
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SRoabiterin SRutp, unb Bon ©afomo, bem ©opne ber ftittiterin
©atpfeba, bemerft bic peilige ©cprift (1. ©ucp Könige Sap. 1),
„baß er Biele auStänbifcpe SBeiber, bie Xocpter ^SparaoS unb
moabitifcpe unb ammonitifcpe, ebomitifdje, gibonitiftpe unb
pittitiftpe grauen liebte". Slucp ift jenes „Biele, ©öbeloolf“,
meines bie aus Äepppten auSgiepenben gSraeliteu begleitet pat,
wopt auf ägpptifcpe grauen, mit benen bie ©tämme gSraelS
im fianbe ©ofen epelicpe ©erbinbungett eingegangen waren, gu
beuten. 25afj ferner bie Sitte, nicptiSraelitifcpe SBeiber gu
grauen gu nehmen, auep natp ber SRüdfepr auS ber babploniftpen
©efangenfcpaft bei ben guben nocp fortgebauert pat, biejer
©cplufj ergiebt fiep auS ©teilen in ben ©üepern @fran unb
SRepemia. l* 2ÜS (Srfterer im gapre 458 B. Spr. Ängepörige
ber ©tämme guba unb ©enjamin natp gerufalem gurüeffüprte,
fanb er bafelbft eine SRifepung Bon gSraeliten mit ^ittitern,
Kanaanitern, ©perefitent, gebufitern, Simmonitern, SKoabitern,
Hegpptern unb SImoritern Bor. ©owopt ©fra,11 wie SRepemia
eiferten gegen bie ©ermifcpung beS ©olfeS gSraet mit fremben
©ölterit, unb bie ^äufigfeit ber bamalS üblicpen StRifcpepen er«
giebt fiep aus ben SBorten beS Septeren: „gep fap auep gu ber
$eit guben, bie SBeiber napmen Bon SlSbob, Ämmon unb äRoab
Unb ipre Kinber lonnten niept jübifcp reben, fonbern naep ber
©praepe eines jegtiepen ©olfeS u. f. m." ©tarl müffen au<p
bie fremben ©eimifepungen gum jübiftpen ©tamrne in ber lepten
3eit Bor bem Untergange beS jübiftpen ©taateS gewefen fein,
gene „gremben" unb „zeitweilig im Sanbe ftep Slufpaltenben",
über bie unS berieptet wirb, paben gur ©ermifcpung oerfepie«
bener etpnifcper ©lemente im jübiftpen ©otfe bamalS fepr er«
pebiiep beigetragen. ©aSfelbe gilt auep Bon jenen SlnberS«
gläubigen, bie natp SBieberaufbau beS Tempels aus ©prien,
©riecpettlanb, ©almtjra u. f. W. natp ©aiäftina gogen unb bie,
um gübinnen peiratpen gu föntten, baS iSraelitiftpe ©efenntnijj
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cmtafjmen. ®roß mar bamalS auch bie 3°hi ber jnm jübifdjen
©lauben übergetretenen fßerfonen, bie am |>ofe ber jübifd)en
gürften eine einflußreiche ©tefluug eintiahmen; biefelben roerben
im Salmub als „fßrofelhten ber föitiglichen Safel" begeidjnet.18
Um hier fogleid) einige ©emerfungen über baS ©erhalten ber
3uben in einer fpätercu ©poche — nämlich gur 3?^ mo fic
unter römifdjer ^errfcfjaft ftanben — angufnüpfen, fo öerbanfeit
mir gofepfpiS ausführliche SDiittheilungen über bie ^äufigfeit
beS UebertrittS gum gubeitthum gur 3e*t brr ©ömerherrfchaft.
Unter SiberiuS bot ber Uebertritt einer oornehmeu SRömerin
ben Slulaß gur erften 3nbenoerfolgung.u 2)ie grauen, melche
fich feiner ©efchneibung gu unterroerfen hattfn, neigten am
meiften gum 3ubenthum, unb ebenfo, mie in 2>amaSfuS gahl*
reiche ^eibinnen gum fübifchen ©efenntniß übertraten, gab eS
auch in SRom in allen ©Richten Slnhängerinnen biefeS ©laubenS.
SlnbererfeitS bemeifen bie ©bifte, melche gegen bie ©efchneibung
»on SRichtjuben erlaffen mürben, baß auch SRäitner übergetreteu
maren. 3m ^inblitf auf bie foeben ermähnten Shotfachen ift
<S jebenfaüs cum grano salis gu nehmen, menn ber römifdie
©efchidjtSfdjreiber SocituS bemerft, baß bie 3uben beS römifchen
SReidjeS fich nicht mit anbereit ©ölfern »erniifcht gälten nnb
hingufe^t: Alienarum concubitu abstinent. 3>aß ein 3ube ein
ÜJfäbchen heibnifchen ©laubenS gur grau nahm ober umgefehrt,
fam ailerbingS nid)t oor; fobalb aber baS betreffenbe SJiäbchen
ober ber betreffenbe 3Raitit gum gubenthum übergetreten mar,
maS nach ben gefdjichtlichcn 3engniffen fehr tjäufig ftattgefunbeu
hat, fo mar bamit baS in SRebe ftehenbe ©hehinberniß befeitigt.
2Rit ©echt meift auch 3- ©eubauer15 barauf hin, baß bie in
ben ©chriften ber Wpoftel fidj finbenben ©itate aus bem alten
Seftamente, infofern fic bei ben ©mpfängern ber ©pifteln eine
gemiffe ©ibelfenntniß oorauSfe&en, baranf hinbeuten, baß beim
©eginne uitferer 3eürechnung bie ©eoölferung SfleinafienS unb
Sammlung. 91. 8- V. 116. 2 (727)
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©riedjenlanbä mit jübijdjeu ©olf«eIementen ftart burc^fe^t mar.
Sette in Siebe ftetjenbe äJiifdjung oerfdjtebener Siaffeit im Suben*
thutn mirb aud) burd) eine ©teile im lolmub betätigt, in
melier gejagt mirb, baß bie im römifdjett Sieidje gerftreut
lebenbe jiibifche ©eoölferuttg ju berjenigen Subäa« fid) fo »er-
halte, mie ein $eig, ber au« mit itleie oermifchtem jOteljl Ijer»
geftellt mirb, ju einem au« reinem Sütel)! hergefteflten leig,
woran« ficf) alfo ergiebt, baß im beften gatle bie jübifc^e ©e*
Dölferung immer noch «I« ein Jeig b. i. al« eine au« öerfcßiebenen
©eftanbtßeilen äitjammengejeßte iDiaffe be^eic^net werben muß.
SSSa« jpeciell bie ©erntijdjuttg ber guben mit altgried)ijd)en
©o(f«elementen anlangt, jo mürben im Slltertljum fdjöite heflenijche
grauen unb Snaben burd) ben p^önijijdjen £anbel nad) Sßaläftina
eingejüßrt. „®ie ßebräijdje ©prache hat," jo bemcrft SR. ?lnbree,‘6
„ein merfmürbige« 3eugniß aufbercaljrt, welche« ebenjoje^r ba«
fyolje Sllter al« ben großen Umfang bieje« §attbel« bejeugt.
Xie SJtebenmeiber, mcld)e meiften« getaufte ©flaoinnett waren,
führen nämlich ben fdjou in beit etljnograp^ijdjen ©ettealogien
uorfommenbeu SRamen: „pilegesh“, we!d)c« genau ba« griecfjifdje
naXXuxtt; ijt, au« bein aud) ba« lateinijdje pellex jtammt. 3m
ßomerijdjen .geitalter werben jo bie erfauften ober frieg«gejangenen
©flaoinuen, meldjc SJtebenmeiber waren, genannt; e« ijt mithin
Ijier ber gewöhnliche gaH, baß mit ber au« ber grembe
tommenbcu SEBare aud) bie ©e^eicßnung berjelbeit aufgenommen
mirb. Unb bie Hebräer, bereit Uroäter jcßoit iiacfj ber ©trtefi«
ißre ©Hauen um ©elb auftauften, hoben alfo im SSegc be«
§anbel« jene ©ejeidjttung oon ben ^ßtjoni^ieru erhalten. 2)amit
ijt eine Süiifdjung aud) mit griedjijchem ©lute bargethan."
Um h'er nod) einiger anberer Jhatfadjen äu gebeuten, bie
für bie utt« bejd)äftigenbe gragc »oit ©ebeutung finb, jo haben
aud) in ben erfteu gahrhunberten ber chriftlidjen Slerä Ueber-
tritte jttm 3ubentl)um nicht ju ben ©eltenheiten gehört. Söährcnb
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bie im 3. 3af)rf)unbert unferer Zeitrechnung im füblicßen $^eile
oon 3)ie|'opotamien wobnenben Suben fid) oon jeber SBermifcßung
mit fremben ©lemeuten frei erhalten hoben, bot fidj bie jübifcße
Seoölferung ber füböftlicfj oon Sabpfonien gelegenen perfifcßen
ijSrooing ß^ufiftan bermaßen mit ber bort ciitbeimifcben 23e*
oölferung oermifd)t, baß fromme Raufer ber jübifd)*babtjlonifcbeu
ißrooinjen fich freuten, mit djufiftifcßen Sdibiiutcn ein ©pe«
bünbniß einjuge^en. ©beufo fam e£ auch in ber am XigriS
gelegenen ©tabt ÜJiadjuja ju einer intenfioeit üflifcßung ber bort
wopnenben 3uben mit ber einfjeimifdjen Seoölferung. ®aß im
ß. unb 7. 3aßrbunbert unferer ßfitrf^nung oor bent Auftreten
3D?of)ammeb8 arabifepe dürften unb ga^lreidje ^imjariten jum
3ubeutf|ume übertraten, ift beSpolb oon geringerer SBicßtigfeit,
toeil ein ben 3uben fo naße oerwaubteS öolteefement, wie ba§
arabifeße, auf bie förperlidjen ©igentljümficbfcitcn ber 3ubcn
woßI fanm einen umgeftaltenben ©ittfluß auöiuüben im ftanbe
war; bagegen war eS für bie iRaffenmifcßung im Subenttjume
jebenfaüs oon einiger Sebeutung, baß im 8. Soßrbunbert ®ulan,
ber gürft ber ©bofaren, §um Subentßum fich befriste, was jur
golge hatte, baß e£ ju einer 9Kifd)ung ber 3uben mit bem
befagten türfifd)»finnifd)en ©tamme fam. ©nblicß fei hier noch
erwähnt, baß in Ungarn oom 11. bis jum 13. Soßrhunbert
eheliche SSerbinbuitgen jwifeßen SRagparen unb 3»ben eilt
häufiges SSorfommniß waren. Söenn ftönig EabiSlauS ber
^eilige oon Ungarn bureß ©efeß oom 3aßte 1092 bie ©beH
äwijcßen Sßriften unb 3uben oerbietet, fo hatte eine foldje
gefefjlicße Seftimmung nur bann einen ©iitn, wenn berartige
©ßebünbniffe überhaupt oorfanieu. 9iod) im 13. 3ahrbunbert
ift nach einem ©eridjte, ben ber Grjbifdjof Siobert oon ©ran
bem ißapfte erftattete, bie $af)l ber in Ungarn jwifdjett ben
©efennern bcS dpriftlidjen unb jübifeßen ©faubenS abgefdjfoffetten
©ßen eine feßr beträchtliche gewefeu.17
2* (720)
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2luS unferett Dorlfergeljenbeu Setra<f|tungen bürftc alfo jur
©eniige Iferoorgeljen, baff bie 3uben eine äKifdjraffe, ein
auä oerfd)iebenartigen etljnifcfjen 23 eftanbtljeilen bunt
gufam mengemürfelteS 23olfStljum barftellen, baß bie*
felben ein Konglomerat bilben, an meinem neben bem
präponbetirettbeit femitifdjen ßlement baS inbo*
germanifdje unb mal)rfcf)einlid) aud) baS mongolifdje
einen nicfyt unroefentlidjen Slittljeil Ijat. 2BaS fpeciell
bie 23ejiel)ungen ber 3uben ju bet inbogermanifd)en 23eoölferong
beS alten ^3a(äftinaS (Slmoriter) unb ju ben ®ried>en beS
ÄltertljumS anlangt, fo mürben auch mir, menn bie im oorfjergeljen*
ben ermähnten biblifdjen, fjiftorifdfen unb fprad)lid)en 23elege für
bie 2$ermifd)ung ber 33raeliten mit Slmoritern unb Hellenen nidjt
üorfjanben mären, auf baS fjäufige Sorfommen ehelicher 2$er*
binbungen jmifdjeit Snbogermanen unb 3uben im Slltertljum,
bejm. auf augerefjelic^en gefd)ledjtlid}en SBerfefjr jroifdjen ben
befagten SSölfern, aus bem Umftanbe fd)liefeen bürfen, bafj blonbe
unb blauäugige 3uoen in ben entfegenften SBeltgegenben fomoljl
in Storbafrifa, Portugal, SRufjlanb, Kleittafien, Sßerfien, Kurbtftan,
roie faft im ganzen Orient angetroffen metben, unb bafe fpeciell
bie unter fRubolf SirdjomS Seitung oorgenommenen ftaüftifdjen
©rbebuitgen18 über bie garbe ber ülugen unb fjaare ber ©djul*
finber 2)eutfd)IanbS einen 2)urd}fdjnitt oon 11,2 fßrojent bloitb*
paariger unb blauäugiger Subenfinber, bie jiemlid) gleichmäßig
über baS ganje ®eutfd)e fReidj »erteilt finb, ergeben Ijaben.
ßieljen mir in (Jrroägung, bafj nad) ber 23ird)orofd)en ©tatiftif
bie 3)urd)fdjnittSäiffer ber ©lottben in ganj SDeutfdjlanb
31,8 fßrojent beträgt, fo mufj bie foebett ermähnte Serljältnifj*
jal)l ber blonben 3uben als eine relati» bebeutenbe bezeichnet
merben. 3)aS 23orfommen oon 23lonben beim jübifchen SBoIfe
glaubt nun 3. ß. fßric^arb19 auf bie ßinmirtung ber fRatur-
Umgebung jurüdfiihren ju foQen. ®r nimmt an, bafj bie 3uben
(730)
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21
infolge ber flimatifcheu Berljältniffe unb ber fonftigen ©jiftenj»
bebingungen in ben fühleren fiänbern SJlorbeuropa« jum Streif
blonbhanrig unb blauäugig geworben feien, wäfjrenb fie in
Sänbern mit wärmerem Sflima bie ihnen eigentümliche bunfle
Haarfarbe, fowie bie bunfle Färbung ber 9lugcn unb ber |)aut
au«nahm«lo« bewahrt gälten, ©an$ abgefehen aber baoon, bnfj
bie ledere Behauptung nicht jutrifft, iubem blonbhaarige unb
blauäugige 3ubeu, wie wir fogleidj feiert werben, auch in
Sänbern mit tropifefjem ober fubtropifcfjem Slima oorfommen,
biirfte bie obige S^eorie, foweit fie fid) auf bie umgeftaltenbe
Straft ber SRaturumgcbung ftüfct, aud) be«halb nicht faltbar
fein, weil e« feinem 3roc*fei unterliegt, baß bie Qriuflüffe be«
Stlinia« unb ber fonftigen Seben«bebingungen, weint fie überhaupt
eine Umgeftaltung ethnifcfjer (Sfjaraftere fjerbeijufiiljren oermögen,
tiefe SBirfuug nur innerhalb aufjerorbentlicf) langer 3eiträume
auäjuüben im ftanbe finb, — innerhalb eine« 3eitraumeS/ im
Vergleich ju bem bie 4000 bi« 5000 Qahre ber ^iftorifc^en
ffintwicfelung ber 3J?enfchheit nur af« eine winjige Spanne 3e*t
crfcheinen. ®ie oon ißricharb aufgefteüte Behauptung, baß bie
Blonbheit ber 3ubeit erft feit ihrer Sinwanberung in norbifc^c
©egenben infolge ber Grinwirfung ber flimatifc^en unb fonftigen
Berljältniffe fich h^raug3ebilöet h^e, biirfte fich baher wohl
faurn aufrecht erhalten laffen. SBenn man ferner erwägt, bafj
mit ben oben erwähnten 2lu«nahmen bie Quben feit bem Be«
ginne ber djriftlichen Slera unter ben Bölferit Europa« eine
ifolirte Stellung eingenommen h^en unb bajjj erft innerhalb
ber lefcten ^ahrjehnte bie 3Qh* ber SDfifchc^en eine etwa« gröfjere
geworben ift, — wenn man biefe Umftänbe in Betracht jieht,
bürfte e« wohl faum geftattet fein, bie oben erwähnten 11 ißrojent
blonber 3ubenfinber auf gefc^lecfjtliche Bermifchungcn, bie etwa
in neuerer 3 eit ftattgefunben haben, juriicfjufiihren, unb e«
bleibt fomit nicht« anbere« übrig, al« ba« relatio häufige
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22
Auftreten ber ©lonbljaarigteit unb ©lauäugigfeit
unter beit heutigen Subett jener ©ermifd)ung beS
jübifcfjen ©olfeS mit Sttbogerntatten, wie f i e nad)
uitferen obigen SluSeittanberfejsungen im SUtertljume
ftattgefunben Ijat, jujujc^reiben. Mttdj tuirb eS uns
fattin in Srftnuneit »erfcpen, tuenn mir fefjen, bajj eine Stoffen*
mifdjuttg, bie »or Sa^rtanjenben fid^ »otljogen Ijat, nocf) bei
beit heutigen 3ubett in it)ren folgen ©eltung fommt, ba,
mie oben bemerft, bie etljnifdjen ©^arattere fid) mit aufjer*
orbentlidjer ju erhalten pflegen, nnb ba geroiffe
©igenfcfjaften bcr ©orfafyrett, bie anfdjeineitb bei ben 5Radj-
fommeti längft erlofdjen finb, fetbft ttad) 3a^rtaufenbeit als
„ataoiftijdje Srjdjeinuitgen" roieber 311 Jage treten.
Um auf bie grage nacf) ber ©erbreitung beS bloitben
jübifdjeit JppuS juriicfjufomtnen, fo mürbe bereits ermähnt,
bajj bloitbe unb blauäugige 3ttbett jn fon oerfdpebettften Säubern
unb Slimaten angetroffen merben. ©djon im »origen 3»f)r‘
fiunbert l)at Sempriere, ein fratt^öfifc^er Slr^t, ber längere 3e>1
in ÜJiaroffo lebte, bie |>äitfigfeit beS blonben $aareS, ber blauen
?iugen uitb beS ^eüen JeintS unter ben 3ubeit biefeS ©ebieteS
^eroorgetjoben, unb bei ben 3ubett Algeriens pabett Stoßet, ©orp
be ©t. ©incent unb ©roca, bei benjettigen ber ÜRegentfdmft
Junis f)at SSilbe bie nämliche Jl)atjad)e fonftatirt.20 Stadj
©lafeSlep ift bei ben 3uben ber norbafrifanifdjett Süftenlänber
mit bem blonben fpaare, beit blauen Slugen unb ber gellen
Hautfarbe tiidjt feiten eine gerabe Stafe unb ein faft gerab-
linigeS profil tombinirt. Sin bem guftanbefommen beS le$teren
l)at bie gornt beS Sinnes, roeldjeS »on bem gurücftretenbeii
Sinne ber 3ubeit anberer Säuber fid) mefent(id) untcrfdjeibet,
einen gemiffen Mntjjeil. Slud) jofl ttad) ©lafeSlep bie gerabe
Stafe uitb baS gerablinige profil bei beit 3uben SiorbafrifaS
um fo häufiger »orfommen, je roeiter man »01t SUgier aus in
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ber 9iicf)tutig nad) Ofien fortfcbreitet.31 ©eine Seobadjtungen
über bie förperlidjen Sigcntt)üm(icf)feiten ber 3ubeu bei Orient!
faßt ber englifdje ©elebrte ©. SBilfinfon iit folgeube ©ä^e ju*
fanttnen: „3$ »utQ hier ttodj beit bemerfenlroertfjen Umftanb
ermähnen, bafj unter ben 3uben bei Orient! rötblidjel £>aar
uitb blaue Singen, fombinirt mit einer feinmobellirten geraben
Sfafe, febr häufig »orfommen; burcb biefe ®igeittbiimlid)feiten
uitterfdjeiben fie ficb »oit ber übcriuiegenben SDle^rja^l ihrer
europäifdjen ©laubenlgen offen. $)ie ftinber im heutigen 3eru*
falem fallen auf burd) i^ren bellen rofigen leint . . . 2)ie ge*
fritmmte SJafe, bie bei ben 3ubeit bei Occibcutl bie Siegel
bilbet uttb bie im allgemeinen auch ein (Sbarafteriftifum ber
nidjtilraelitifcben 93e»ölferuitg bei l)entigen ©pricnl barftellt,
ift ben beut$utage in 3ubäa mobnenbett 3uben fremb unb
fdjeittt auch in alter 3e*1 bort nicht allju bünfifl öorgefommen
jn fein."3* 35ie ©efidjtljüge bei ^eilaitbl, mie fie in ber mittel*
alterlidjen Äunft fidf eingebürgert buben, fiub nad) SSilfiitfon
gurürf^ufübren auf jenen jiibifcben $bpul, mie er im 4. 3abr,
bunbert unferer 3e*tre4)MUnS — nl$ man juerft beit (Srlöfer
bilblidb barpftellen uerfudjte — in Serufalent tiorberrfdjenb mar.
SBlonbe 3»ben — um biefe! nod) JU ermäbnen — fattb ißidering
tn SIben, Söebboe iit Sruffa, Äonftantinopel, an ben 2>arbaiteflen,
foroie in ©mprna, unb ißruner Söep fortftatirte bal SBorfommen
be! bloitben jübiftbeit Xbpnl in fturbiftatt. Söenn and) bie
unter ben portugiefifcf) * fpanifcfjen 3uben — ben fogenannten
©bepbarbim — gar nicht feiten auftreteube SBIonbbeit möglicher*
roeife auf jene Siaffenmijcbuttg juritcfjufübren ift, mie fie unter
ber meftgotbifeben ^errfebaft unb aud) fpäter noch amifdjen beit
Slttbängern bei jübifdjen unb d>riftlicf)eit ©efenntniffel auf ber
fßtjrenäenbalbinfel ficb notljogen bat, f° berechtigt bod) uicbtl
ju ber Slnnobme, bafj bie unter bett 3ubcn be! Orieiitl ficb
finbenbe ©lauäugigfeit unb 93lonbbaarigfeit auf einer mäbrenb
24
be« SDlittelalter« ober gor erft in neuerer $eit ftattgebabten
SSermifcbung oerfcbiebeiter etbnifdjer Slemente beruhe, öielmetjr
beulen, wie bereits erwähnt, olle Umftänbe barauf b«n, baß jene
81offenmifd)uug, auf welche bie Slonb^aarigfeit unb ©lauäugig,
feit ber 3ubeti im Orient mit größter 2Babrjcf)einlid)feit jurüd*
^ufü^ren ift, im wefentlicben noch Dor bem beginne ber djrift»
lidjeit Slera ju einer 3«t, wo bie 3uben ein felbftänbige« Staat«*
toefen bilbeten, fid) uoft^ogen bat.
SJiit ber Äuffaffung ber heutigen 3uben al« einer au« Der*
fd)iebeiten etbnifdjen (Elementen fid) jufammenfe&enben 2Jtifdi)raffe
fte^t bie Sfjatfadje im ffiinflang, . bafj, abgefebeti Don ber im
Dorbergefjenben befprodjenen £)aar>, Äugen* unb Hautfarbe, aud>
binfidjtlid) anberer förperlidier @igentt)ürnIid)feiteH nidjt nur
unter ben 3uben Derfd)iebener fiänber, fonbern auch unter ben*
jenigen, weldje ein unb ba«felbe ©ebiet bewohnen, nicf)t un*
erhebliche ©erfcbiebenbeiten uacbgewiefeit werben fönnen. So
weifen Don ben 67 3uben be« ruffifdjen ©ouoernement« 9)Jin«f,
bei benen SB. $bbow«fb antbropologifdje ÜJieffungen Dorgenommen
bat, 19,3 ©rojent bie Sangfdjäbelform (3)olicbofepbalie), 26,9
Prozent bie mittellange S^äbetform (üftefofepbalie) unb 53,8
projent bie Äurifcbäbelform (©racbpfepbalie) auf,43 wäbrenb
3. SDtajer unb 3. Äopernitfi au« ben Don ihnen bei 316
galijifdjen 3uben oorgenontmenen Sdjäbelmeffungen oöflig ab*
weicbenbe 3'ffert1, nämlicb nur 4,6 Prozent bolidjofepbale,
10,8 Prozent mefofepbafe unb 84,9 Prozent bracbpfepbale
Scbäöel beredten. 41 3>en Don 9Jiajer unb fiopernicfi Dorge*
nommenen 9Jfeffungeit fteben b>nfid)tticb tbrcr ©rgebniffe bie*
jenigen nabe, weldje 33. ©lecbmann43 auf Änregung 2. Stieba«
an 100 Dorwiegenb au« Bitbauen, Siolanb unb Äurlanb
ftammenben 3uben Dorgenommen bat- Unter benfelben ift bie
fur^e Sd)äbelform mit 86 Projent, bie mittellange mit 11
'Prozent unb bie lange nur mit 3 projeut Dertrcten. ®a«
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Sorfommen fowoßl ber bradjpfepßalen, wie ber bolidjofepljalen
@d)äbelfornt bei ben oon $t)bow3fi gemeffeneit Suben wirb
non Stieba al$ golge etljnifdßen 2J?ifd)uug betrachtet;
inSbefonbere foll aud) ber Umftanb, baß unter beu befagtett
Subett neben Äurjföpfen unb Sangföpfen eine beträchtliche SInjot)t
non mittellangen (mefofepfjalen) ©djäbeln fid) finbet, auf „eine
fcßon lang anbauernbe nnb erfolgreiche 93ermifd)itng
beiber $t)pen untereinanber" beuten. Vlud) bie $al)len
WajerS unb SlopernitftS ntüffett fo aufgefaßt werben, baß e3
fich um bie Sermenguug jweier oerfcßiebener $t)pen ßanbelt;
bod) ift offenbar unter beit 3uben ®alijieit§ bie numerifdje
Ueberfegenheit beg bradjtjfepßalen über ben bolidjofcpl)afen JppuS
eine weit bebeutenbere, alä bei ben 3ubeit be3 ©ouoernements
ÜJlinSf. $ie lefcterwäljnten gorfdjer jieljen auä ber non iljuen
aufgefteHten Jabelle nicßt allein ben Schluß, baß unter beit
non ißnen gemeffenen gali^ifcßeit Sttben jwei nerfchiebette Jtjpen
oertreten finb, foubern fie geben aud) an, baß bie !nrj*
fopfigen (bradjtjfepfjalen) 3nben im allgemeinen
brünett, bie Iangföpfigen (bolicßofepß a len) 3uben ge»
roöfptlidjblonb feien 48 — eine Äoincibenj, bie, wenn fie burd)
fernere antßropologifdje Unterfucßungen beftätigt werben {oflte,
für bie (Srtjaltung beä inbogermanifdjen (SlementeS im jübifcßcn
SBolfe einen weiteren ®e(eg abgeben würbe. 2BaS lederen fßunft
anlangt, fo bürfett wir bei unferett Sefern wofjl als befannt
oorauSfe$en, baß bie mit fflfonbßaarigfeit, ®lauäugigfeit unb
heller £aut fombinirte Sangföpfigfeit jiemlid) allgemein als
charafteriftifche (Sigentfjümlicfjfeit be£ germanifdjen gweigeS ber
großen arifcßen Sßölferfamilie betradjtet wirb. ®beufo, wie äNajer
unb Sfopernicfi, gelangt and) Sl. 2Bei$bad) *u bent ©djtuffe, baß
im jübifdjen ®olfe jwei oerfdjiebetie fRaffentppen nertretcn finb.
J)ie (grgebniffe ber non ißm an 19 lebenben 3 üben nnb an
einer 9lnjal)l non 3ubeitfd)äbeln auSgefiißrten SDleffuitgett, fowie
t735j
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bie aus ber SBergleidjung ber oon anbereit äntljropologen oor*
genommenen Unterfndjungen gemonnenen fRefultate faßt SBeiSbadj
in bie Söorte jufammen: unterliegt feinem greife!, baß
fidj unter ben europäifdjen 3uben jtoei oerfdjiebeuc Sdjäbelttjpen
oorfinben, nämlid) ein bolidjofepfjaler (langföpfiger) mit fdjmalem
©efid)t, mit fdjmafer, im ganzen großer 9?afe unb biinnen Sippen,
unb ein bracfpjfepfjaler (fnrjföpfiger) mit breitem ©efid)t, niebrigfr
breiter unb Meiner Sttafe unb biden Sippen."*7 ©benfo, toie
Sökisbad) erfetmt Jiarl Sßogt groei 5£t)pen bei ben 3uben an.
2)erfelbe bemerft: „ÜÄan finbet Ijauptfäd)lid} im 9forben, in
fRufjlanb, ißolett, 55)eatfc^fanb unb Säumen einen jübifdjen
Stamm mit oft rotfjen paaren, furjem 33art, etwas aufgeworfener
Stumpfnafe, Meinen grauen liftigen Singen unb oon meljr ge*
brungenem Körperbau, mit runbem ©efidjt unb meift breiten
öadenfnod)«», ber mit mand)en flaoifdjen Stämmen, namenttid)
beS fftorbeitS, oie! Slefjnlicfjfeit fjat. 3m Orient bagegen unb
in ber Umgebung beS SDiittelmeereS, fomie oon bort fpoAuä
nach §oOanb oerbreitet, erblideu toir jenen femitifdjen Stamm
mit langem fdjioarjem £aar unb 93art, großen manbelförmig
gefdjlißten fdjwarjen Slugeit mcIand)olifd)en SluSbrudS, mit
länglidjen ©efidjteru unb erhabener 9?ofe, fur$ jenen $ppuS,
wie toir ilpt in ffiembranbts ißortraitS toieberfittben." ($ergl.
Jfarl 93ogt, SJorlefungen über ben ÜHenfdjen II., 238). — 15)e r
Umftanb, baß oon getoiffett Unterfudjerit ber jiibifdje Sd)äbel
als langföpfig, ooit Slnberen Wieberum als ejtrem furjföpfig
befefirieben toirb, — baß 3. ö. nad) ©ebboe bie in ber lürfei
toofjnenben 3nben burd; bie Sänge unb Scfjmalfjeit ifjrer Scfjäbel
oon allen im ©ereidje ber oSmanifdjen |»errfd)aft fomoljl in
©uropa »oie in Slfiett lebcnbeit Sßölferu fidj unterfdjeiben foüen,
toäbrenb anbere ©ttjnologeu, »oie 3. ©. £>amilton Smitfj, ben
jübifdjen Sdjäbcl als einen naljeju fugclförtnigen (fpljerical)
bejeidjnen, *“ — biefer SSiberftreit ber Meinungen ift am
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ungezroungenften barauf giiriidjufit^ren, baß je nach ber ©er*
fdjiebenheit ber fRaf fenmifdjung unter ben Qubett oer.
fdjiebener ©ebiete balb bie langf öpfige, bolb bie furz*
föpfige ©djäbelform oorßerrfcht.
$aß mir im heutigen 3ubcnthum eine 9J?ifc^ung oerfcßiebener
Rippen ober Staffen oor un« hoben, — ju ©unften biefer An>
nafjme fpridjt ferner ber Umftanb, baß, abgefehen oon ben foeben
ermähnten ©erfcßiebenheiten ber ©chäbelform, bie Angehörigen
be« QubenthumS aud; hiiifichtltch onberer ©igeuthümlichfeiteit
ber ©(höbet, unb ©efic^tdbilbuug fehr erheblich ooneinanber ab*
roeidjen. ©o finb j. 93. bie oon ®gbom«fi unb 2Bei«bad) für
bie §öße unb ©reite ber ©tim ber oon ihnen gemeffenen Stuben
gegebenen Ziffern erheblich größer al« biejenigen, metcße 93(ech»
mann burch feine SDteffungen fonftatirt hat. ©o meidjen auch
bie gaßlen, rneldje bie befagten Anthropologen als SDtaße für
ben unteren 2hert ©efic^te« unb bie llntcrfieferregion
(©iftanj oon ber Stafemourzel bi« jum Äinnftadjel, Abftanb ber
Unterfiefenoinfel ooneinauber unb Sänge be« UnterfieferS) au«
geben, ferner bie $iffern, meldje ben Abftanb ber SBangenbeiu*
höder ooneinauber unb boburd) bie ©reite ber mittleren ©efid)t«*
Partie bezeichnen, fehr erheblich ooneinanber ab. 2)ie ©er*
fdjiebenheit in bem Abftanb ber SBangenbeinhöder, mie fie au«
ben oon 93led)mann unb 3Sei«bad) einerfeit«, oon SDhboro«fi
unb Stopernidi anbererfeit« angegebenen .ßiffern ftd) ergiebt, ift
barauf zuriidzufiihren, baß bie beiben erftgenannten Unterfucher
oormiegenb breitgefidjtige Stuben, bie beibett letztgenannten gorfdjer
bagegen Snbioibueit mit langen unb ooalen ©efid)t«zügcn ge<
meffen ha&en. Sticht unerheblid) finb auch bie ©erfc^iebenheiten,
mie fie bejüglid) ber ©reite ber §iifteu, ber Stlaftcrmeite (@nt>
fernung ber SDtittelfingerfpijzen ooneinanber bei horizontal au«,
geftredten Armen)*9 unb h*nfid)tlich ber bie Sänge be« Ober«
unb Unterarm« unb bie Dberfrfjenfelläiige bezeid)uenbcn Sütaße
(7S7)
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bei 3ubeu feftgeftellt würben. 3U crwäßneit ift ferner, baß
and) bejügrirf) ber Körperlänge ber Suben bie Angaben bcr
Unterfucßer crßeblicß ooneinanber abweicßen. 2>aß bie Silben
im allgemeinen als ein HJolf non niebriger Statur bejeießnet
werben müffen, unterliegt aüerbingS feinem 3weifel. SIS SDtaß
ber burcßfcßnittlicßen Körpergröße ber Suben ßat Scßulf}30 1 637 mm,
SBeiSbacß31 1632 mm, ©eßeiber,32 Kopernitfi unb SDtajer53
1633mm, ©nigirew34 fogar nur 1611 bis 1612mm berechnet.
SöeiSbad) fanb aueß, baß unter ben im 33ereicße ber öfterreicßifcß*
ungarifeßen Üftonarcßie oertretenen Nationalitäten näcßft ben
SDiagpareu bie Subeit bie niebrigfte ©tatur aufweifen, unb
@. Scßulß ftetlie bei ©elegenßeit feiner an Sngeßörigen oer*
feßiebener ruffifeßer göltet oorgenommenen SNeffungeit feft, baf»
bie oon ißm gemeffenen ruffifeßen Suben fowoßl ßinter ber
flaoißßen Seoölferung beS rufftfeßen NeicßeS, wie ßinter ben
Sfcßerfeffen, Setten, ©ftßen unb Jfcßuwafcßen ßinficßtlicß ber
Körpergröße feßr crßeblicß jurüdfteßen. Sßenn aber aud) bie
Suben im großen unb ganzen bureß niebrige ©tatur fidj anS>
jeießnen, fo gehören boeß foldje oon ßoßem SSitcßS, wie fieß
Sebermann täglicß überzeugen fann, burdjauS nießt 31t ben
©eltenßeiten. ©0 bemerft j. ©. ber englifeße ©tßnologe SnweS,35
baß fpecied unter ben Suben SBolßßnienS große ßagere ©eftalten
ßäufig oorfommen, unb aneß Koßl fprießt non ber langen unb
ßageren Jigur ber 3uben in gewiffen Xßeilen ber öfterreießifeßen
SNonarcßie. ®aß eS fpecied bie Naffenmifcßung ift, welcße auf
bie äußere ©rfeßeinung unb bie förperlicßett ©igentßiimlicßfeiten
ber Suben einen beftimmenben ©influß auSübt, wirb aueß bureß
jene ©efcßreibuug beftätigt, bie ©. Kocß30 oon ben Suben ber
Krim, ben fogenannten „Karaim", liefert. ®ie Suben biefeS
©ebieteS, wo nacßweiSIicß eine $ermifd)ung beS jübifeßen
©lementeS mit einem türfifeß-fmnifeßen SoIfSftamme (Kßafaren)
ftattgefunben ßat, unterfeßeiben fieß in meßrfadjer fjinfießt oon
<73H)
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benjenigen onberer Sönber. ©ie Ijnben eine flcine unb gcrabe
9ßa?e, bereit dürfen mit bem profil ber ©tim eine gcrabe 2inie
bilbet, fo bafj ber ©eftcbtSfontur au benjenigen griec^ifcfjer ©tatuen
erinnert. VcmerfenSwertb ift aud) ba« wenig prominirenbe
Äinn, bie ©lanjlofigfeit ber Singen unb ber geringe Vartwud)«
ber in ber Sirim lebenben 3uben, bereu ©efi<ht«iüge in gemiffer
h>infid)t an bie ®efirf)t«bitbuitg ber Jartaren erinnern. ©benfo
roie bie 3uben ber Jfrim, finb and) biejenigen anberer ©egenbeu
burd) bie ©eringfiigigfeit be« Vartwudjfe« gefennjeiebnet, wäfjrenb
allerbing« bei ber iiberwiegenben 3Jle^rja^I ber 3ubeu bie Ueppig-
feit be« Vartwucbfe« auffällt.
Söenn wir im 5Borl)ergef)enben gewiffe förperlidte ©igen-
t^ümlicbleiten bei* 3ubenal« bebingt bureb bie 9taffenmifd}ung, wie
fie nachweislich fc^on nor 3abrtaufenben »n fßaläftina unb
23orberafien ftattgefunben b3t/ bezeichnet bQ&en/ 1° wäre cd
anbererfeit« bodj unjutreffenb, wenn man alle Gfjaraftere bes
heutigen Subentbum« auf bie Vermifcbung uerfcfjiebener fRaffen-
elemente zurüdfübren wollte. @$ unterliegt unfere« ©radRen«
üielmebr feinem Zweifel, taff gewiffe förderliche ©igentbümlidp
feiten uub Vefonberbeiten ber Drgauifation, welche un« bei ben
heutigen 3 üben entgegentreten, feineSweg« als eigentbümlidje
fRnffendjaraftere auf zuf affen, fonbern öielmebr im wefentlidjen
ouf bie fokalen Verbältniffe, auf bie ifolirte ©tellung, in ber
fich bie 3uben 33brf)unberte b'n&urd) befunben f)£,t|en^ unb auf
ben ÜDrucf, ber fo lange auf ihnen lüftete, jurüdjufübren
finb. 3encr eigentümlich ftedjenbe Slid, wie er fid) bei Dielen
3uben finbet, fann nach 3acobS3T febr wobl als eine SRemi-
niScenz an jene 3e'ten beS $)rudeS unb ber Verfolgung ge-
beutet werben, wo bie 3uben fortwäbrcnb nicht nur für ihre
habe, fonbern auch für ihr unb ihrer Slngebörigen Seben beforgt
fein mufften. Sßenn wir au« ben biblifdjen unb biflorifcben
Senaten entnehmen, baß bie 3uben beS SlltertbumS unter ber
(739)
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gühruttg ber 3Kaffabäer ben Sffhrern wieberhoft SRieberlageu be»
reitet unb baß biefelben fogar ben fieggeroohntcn römifd)en
feeren burd) ißre firiegStücfjtigfeit feßr oiel gu fd)affen gemacht
^abeit, mtb wenn mir aug ben Söeric^ten ber IReifenDen erfetjeit,
baß bie alg 58iehgüd)ter, Sltferbaucr unb |>anbmerfer tätigen
Suben oon Renten (Arabien) unb iturbiftan burd) Körpergröße,
einen wohlentwirfelten SJruftfaften unb eine fräftige SDiugfulatur
oor ihren europäifdjen ©laubenggenoffen fid) auggeichnen, Jo be*
barf eg feines SöemeifeS, baß jene int allgemeinen niebrige
Statur unb ber relatio geringe Sruftumfang, wie ihn bie auf
bie Unterteilungen ÜJiilirärpflichtiger fid) ftüfcenben ftatiftifc^en
Erhebungen für bie heutige jübifeße SJeoölferung $eutfchlanbg,
OefterreicfjS unb einiger anberer europäifcher £änber ergeben
haben, im wefentlicßen auf bie gefunbheitlicf)en Slachtheile beg
©ßettolebeng, beffen Ginwtrfung felbft bei ben unter günftigeren
SBerfjältniffeu lebenben Gnfeln mtb Urenfeln ber foldjen Ein«
flüffen auSgefehtett Suben noch gur ©eltung fommt, — gurücf«
gufiibren finb.30 Sßag ben lefcterwähnten ißunft anlangt, fo ge«
nügt eg, an bie, allen fanitären Sßorfdjriften fw*}nfpredE)enbe 93e*
fchoffenheit ber alter Subenquartiere gu erinnern, fo g. 58. an
bie Ihatfaehe, baß in bem Subenoiertel »on 5J3rag 178G burd)«
fcßnittüch 29 bis 30 ^erfonen, 1843 nod) 20 big 21 ißer«
foneu auf ein fleineg |>aug famen, unb baß in granffurt a. 2Ji.
im 3ahrc 1811 oon ben, eine gang geringe @runbfläd)e be*
bedenben uttb gugleid) niebrigen Raufern ber Subengaffe ein
jebeg burdjfchnittlid) 14 ißerfonen beherbergte, f$ür bie füm*
merlidje Gntwirfelung, alg welche bie im allgemeinen niebrige
Statur unb ber geringe Sruftumfang ber heutigen Suben 5Deutfdj«
lanbg, Oefterreichg unb SRußlanbg aufgufaffen finb, muß oder»
bittgg audj big gu einem gemiffen ©rabe ber Umftanb oerant«
wortlid) gemacht werben, baß bie Sefettner beg mofaifchen
©laubeug in ben befagten fiänbern oerhältnißmäßig häuPß >n
(740)
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31
bie Sermanbtfchaft heiraten. SU! eine gofge ber ©inmirfung
f o^ialer $erf)ä(tmffe ift eS mohl ourf) ju betrachten, trenn bie
in »ergebenen europäifdjen Säubern angefteflten ftatiftifcßen ©r*
Hebungen ergeben hoben, baß bie guben burchfcßnittlich in jün-
gerem Sebensafter h^irathen, at! ihre djriftlichcn fDlitbiirger, ttnb
baß uneheliche ©eburten uub ©elbftmorbe bei benfelben außer*
orbentlidj wie! jettener oorfommen, al! bei bett cßriftlichen 93iir*
gern be! nämlichen Staate!.39 $er größere ßinberfegen ber
j übifcfjen Sf)en beruht einerfeits auf ber foeben ermähnten frühen
SJerheirathuug, anbererfeit! auf ber relatiö geringen «Sterblichfeit
ber au! jübifcfjcn ©hen hfroorgegangenen Äinber. SBeun bie in
^ßreußen mtb in anberen beuifdjen Staaten ungeteilten ftatifti*
fcßen ©rhebungen für bie groifcfjen 3ubeu uttb (Shtiftinnen,
fornie für bie jmifcf|en ©hriften unb Sübinnen abgefchloffenen
@hcn eine geringere bunhfdjnittüche ßinberjabi ergeben hoben,
al! für biejenigen, mo fomohl ber 2Rann mie bie grau bem
3ubentf)um angehören, fo fleht biefe $hot?ochc anfcheinenb in
SBiberfpntcf) mit ber »on beu h^öorrogeubften ©eiehrten ge-
machten ^Beobachtung, ber jufofge bei 'Jiaffeufreitjung in ber fRegel
eine jahlreiche fRadjfommenfchaft erjiett rnirb. 3)ie in fRebe
ftehenbc geringe grucßtbarfeit ber befagten gemifdjten (Sh«* finbet
aber mohl barin ihre ©rflärung, baß infolge jener fokalen £>in»
berniffe, meldje fich bem Slbfcßließen einer ©he jmifdjen Steiften
unb Sübinnen, fomie jroifchen 3uben unb ©hriftinnen entgegen*
[teilen, entmeber einer ber beiben @hefontraf)enten ober beibc jur
3eit, roo fie heirathen, in ber fRcgel feßon in oorgeriieftem Sllter
ftehen, unb baß bementfprechenb bie geringe Slujahl ber au! ben
betreffenben ©hen heroorgehenben Äinber nicht auf ber SRaffen*
üerfdjiebenheit ber <5hef°ntra^entcn / fonberu auf bem relatiö
hohen Sitter be! SlRanne!, ber grau ober beiber beruht. — ®ie
größere burchfchnittlicße 2eben!bauer ber gubeu, mie fie für ©ng>
laitb, ®eutfchlanb unb 55eutjch*Oefterreich ftatiftifcß* feftgefteflt
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würbe, ift feineSweg« als eine bet jübifdjen 93eoölferung ju
foniinenbe 9inffeneigcntf|ümlid)feit ju betrauten, fie beruht üiel«
meljr barauf, ba& bie 3uben beS weftlidfen ©uropa« nur feiten
öefdjaftigungeu fid) wibmen, Weldje bie ©efunbljeit fcf)äbigen ober
burd) Unfälle baS 2eben in ®efal)r bringen. ©in Unterzieh
jJüifdjen ber SebenSbauer ber 3uben unb ber cf)riftfidjen Söeoöl-
ferung lägt fid) in fold;en fiänbern nid)t itadjroeifen, wo — wie
j. 93. in ©alijien unb in gewiffen $l)eilen 9iufjlanbS — bie
3uben ein erljeblidjeS Kontingent juni Slrbeiterftanb ftetlen.40
©iiten gewiffen 9littl)eil an ber für SBcfteuropa nad)gewiefenen
längeren SebenSbauer ber 3ubeit mag wot>I aud) ber Umftanb
fjaben, baff fiebere baS 23ebürfuiS jum ©etiufj geiftiger ®e*
träufe weniger empfiuben, als il)re djriftlic^en Mitbürger. — £a«
fiir, baß ^willingS« unb 2!riningSgeburten bei ben 3uben weit
felteuer oorfommen, als bei ©fjriften, fefjlt eS bi« jeßt nod) an
einer jureidjenben ©rtlärung. ®ie geringere ©terblicf)feit ber
SBödjnerinnen unb ber Sinber unter 5 3af)ren, wie fie für bie
jiibifdje öeoölferuug ©nglanbS unb 2)eutfd)lanbS uadjgemiefen
ift, erflärt fid; auf 3 ungezwungene burd) bie befonberS liebe-
volle gürforge unb Slufmerffamteit, weld)e bie, burd) einen f)od)«
entwidelten gamilienfinn fiefj auSzeid;ttenbcu ©atten unb SBäter
jübifdjen ©laubettS ifyreit Slnget)örigen juwenben. ®ie foeben
erwähnte f)od>grabige ©ntwidelung beS gamilienftnne« ift aber
il)rerfeitS wieberum ein ©rgebnifj früherer fojialer guftänbe; ber
in ^ebrüefung lebenbe, »om ©taatSleben faft ooflftanbig aus«
gefdjloffene 3ube »ergangener 3af)rl)unberte fnd)te natürlich im
Äreife feiner gamilie bie greuben, bie if)m außerhalb berfelben
oerfagt blieben. — 2BaS fpecieH bie jübifd)en grauen anlangt,
fo mag bie ftrenge Regelung ber gefd)led)tlid)en ^Beziehungen
burd) baS jübifdje ©efeß bi« ju einem gewiffen ©rabe baju bei«
tragen, biefclben in guter ©efunbljeit zu erhalten, ©ben barauf
beruht eS tooljl auch, baß nur ein fet)r geringer ißrozentfaf} oon
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jübifäen Äinbern tobtgeboren wirb. — SBährenb, wie Soeben be-
merft, ben auf bie ^Regelung ber ©efchlechtSoerhältniffe fi<h be-
giehenben ©eftimmungen beS jübifdjen ©efegeS eine bbQientfdje
Sebeutung nicht abgefprodjen werben fann, ift ben biätetifdjen
©orfcßriften ber jübifdjen iReligion — wenigftenS fo weit $eutfch‘
lanb in grage fommt — eine erhebliche ©ebeutnng nicht gugu-
erfennen, ba bie auS bern ©enuffe beS SchweinefleifdjeS [ich
ergebenben ©efahren burch bie in ben bcutfchen Staaten gefeg-
lieh oorgefdjriebene gleifchfchau unb bie Unterfnchnng auf Trichinen
auSgefchtoffen werben.
SSenn man früher eine oermeintliche Smmunität ber 3uben
gegen gewiffe Sranfheiten unter ben SRaffencharafteren beS heu'
tigen 3ubenthumS aufgegählt bat/ wenn j- hier unb b« &*•
hanptet würbe, baß bie Quben non ©h°*era unb Sungenfcßwinb*
fucht faft regelmäßig üerfdjont bleiben, fo haben bie in neuerer
3eit auf ©runb ber SterblidjfeitSregifter angefteHten ftatiftifeßen
©rhebungen bie Unrichtigfeit biefer ©ehauptung gur ©oibeng
bargethan. ©benfo, wie bie 3uben ©uropaS im SRittelalter
bureß ben „fdjwargen $ob" gu Xaufenben weggerafft würben,
unb ebenfo, wie bie 3uben beS Orients beim Auftreten ber ©eft
in ben »on ihnen bewohnten Sänbern niemals oerjeßont bleiben,
ebenfo haben bic 3uben $eutfcßlanbS, OefterreichS, fJranfreicßS
unb anberer europäifcher Staaten bei ©elegenheit ber währenb
ber legten 3aßrgehnte >n ben betreffenben Säubern graffirenben
©holeraepibemien oon biefer Seuche nicht weniger gu leiben ge-
habt, als ihre chriftlichen ÜRitbürger.41 $aß ferner auch bie
Snngenfchwinbfucht unter ben 3uben feßr gaßlreicße Opfer forbert,
hierfür fehlt eS ebenfalls nicht au ftatiftifchen ©elegen. 3n
SRuffifcß<©olen finb beifpielSweife in ben 3aßren 1877—1880
t»on ben bortigen fRelruten mofaifdjett ©laubenS nicht weniger
als 4 ©rogent wegen Juberfulofe für militäruntauglich befunben
worben.4*. SDaß jtaubftummheit unb garbenblinbßeit bei 3uben
Sammlung. Sf. 8. V. 116. 3 (743)
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häufiger oorfommcn, als bei ©briften, — bie« ift mit ^öcfjfter
S53Q^rj(^einIid)!eit auf baS oben ermähnte häufige §eiratben in
bie Verwanbtfdjaft guriicfgufübren, wäbrenb ber bei 3ubeit fidj
finbenbe febr bobe ^ßrogentfab oon ©eiftcSfranfbeiten wenigftenS
gum Streit auf ^Rechnung jener geiftigen Anftrengungen unb
Aufregungen gu fefcen ift, welche bei bem leicfjt erregbaren jübi*
fcben ^Temperament mir gu leicht baS feelifcbe ©leichgewicht
ftöreit.
Raffen wir bie ©rgebniffe ber oorbergebenben Setrachtungen
noch einmal furg gufammen, fo ift eS wobl nicht allgugewagt,
wenn wir behaupten, bajjbaSVolfSSraelSfein heutiges
©epräge einerfeit« ber fdjott öor Sahrtaufenben
ftattgeba bte n SRaffenmifdjung, anbererfeitS ber ©in*
wirfung ber fogialen Serbältniffe unb ber3ubrhun'
berte hindurch fortgefeßten Sfolirung einer fpäteren
©poche oerban ft. Auch möchten wir gum ©djluffe noch bar*
auf b'tiroeifen, bajj bie Sermifchung beS femitifchen mit bem
inbogermanifchen ©(ementc, wie fie gufolge unferer obigen Aus*
einanberfe^ungen fchon 1500 Sabre oor bem Seginne unferer
ßeitredjnung in <ßaläftina ftattgefunben bot, nicht nur anf bie
förperlid)e Sefchaffenbeit ber SuDeit, fonbern adern Anfdjein nach
auch auf bie Sitten berfelbcn einen gewiffen ©inffujj auSgeübt bot.
SBenn wir bemerfen, baß bei beu Suben, wie bei ben weiften
orientalifcben Sölfern, urfprünglid) bie ©olpgamie allgemein ge*
brüuchlidj war, baß aber fpäter an bie Stelle ber Vielweiberei
allmählich bie SJfonogamie getreten ift, unb wenn wir erfahren,
baß bie oon babtjlonifcben Äoloniften nach bem entoölferten
3«rael übertragene Sitte ber Xödjterbütten (Sukkoth-Benoth)*8
oon ben 3uben oerabfebeut würbe, fo ift biefe Sittenreinbeit, wie
fie bie SSraeliten in fchroffetit ©egenfab gu ihren babplonif^en
Stamnwerwanbten an ben lag legten, mit großer Sßabrfchein»
lid)teit auf beu ©influf? beS fchon im bantaligen 3ubentbum
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enthaltenen inbogermanifdhen SotfSelementeS auriicfjuführen. Die
SlRonogamie, bie befanntlich fcf>on in fetjr früher geit eine oon
ber arifchen SBötferfamilie hodjflehaftene gnftitution bitbete, bie
Stuffaffung beS SBeibeS als einer bent SKanne gleichberechtigten
fßerföntichfeit, atS feiner treuen ©efätjrtin in ©tücf unb Unglücf,
— biefe fpecififd) inbogermanifche Stnfdjauung tja* auch in baS
jübifche Sotfäthum infofern ©ingang gefunben, als fetbft 31t
einer geit, wo bie Sßottjgamie bei ben Sinbern gSraetS noch
allgemein oerbreitet war, bodj ftet§ nur eine grau atS bie
^perrfrfjecin im £»aufe galt nnb jmifcfjdi biefer einen bcoorjugten
grau unb ben fiiebliitgen beS ÜRanneS aus ber Staffe ber tjanS*
geborenen unb marftgefauften Dienerinnen eine tiefe Stuft be*
ftanb.44 üluch bebeuten bie in beseitigen Schrift (Deuter. 24, 1 ff.)
enthaltenen öeftimmungen, welche bie jübifche ©hefdjcibung be*
treffen, jebenfatts einen wichtigen gortfcßritt im Vergleich ju
ber unter ben SBötfern beS Orients jiemticf) allgemein oerbreiteten
Änfdjauung, bie bem Spanne ein uneingefdhränfteS SBefi^* unb
ffieräufjerungSrecht über baS SBcib einräumt, — ein gortfchritt
im Detifen unb Hanbetn, ben man woht auf ben bei ben guben
jur ©eltung fontmenben inbogermanifchen ©inftufj jurücfführen
barf. 9tuf jener ethnifcfjcn SD?ifdjung ber guben mit inbogerma*
nifchen SßotfSetementen, wie fie nach unferen obigen 9luSeiuanber*
fe^ungen in oord;rifttic^er ftattgefunben hat beruhen auch
Woht gewiffe Uebereinftimntuugen in ben retigiöfcn Uebertiefe*
rungcn, auf bie man erft in neuerer geit aufmerffam geworben
ift. ©0 bilbet nach 3. Rippert45 ber inbifdje Jama (iranifcf):
Jima) nur eine fßaraßete ju ber ©otteSgcftatt beS Slbraham,
wie fie bie guben ber üorjaphiftifcf)en ^Religion (b. i. jener 9fe*
ligion, welche bem auSfchliefjlichen gehooabienft bei ben guben
oorauSgegangeit ift) gefannt haben, ©benfo, wie gnma atS „gürft
ber Seligen", als ber „Sonig ber Heimgegangenen unb 93er>
fammter ber 3Renfchen im genfeitS" bezeichnet wirb, ebettfo finben
«•
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toir aucf) in bcr Sibel bte SorfteQung, baß bie 9tad)fomtnm
SlbrafjatnS in feinen Sdjofj jurücffefjren. 2lucfj bilben bie £eu*
tung beS 9iamen$: „fttbraffam" als „Sönig ber |>öl)e",44 fowie
bie in ber SBibel mehrfach erwäfinten Sranbopfer auf Sergen/7
eine fReminiöcen^ an ben unter ben Snbogermanen roeitoer»
breiteten „$ö{)entu(tu8" b. i. bie Sitte, ber ©ottfjeit auf Sergeä*
fjöfjen ju opfern, bej«. bie auf 33erge8f)öf)en errichteten @rab-
benfmäter al8 ?Utäre ju benufcen.
s)lumcrfuitgcn.
1 Sötetefelb unb Seidig. Berlag oon Belagen k filafing 1881.
5 SJergl. bie Abhanblung: „The white race of Palestine“ in ber
englifdjen 3eitfd>rift „Nature“ 9ir. 979 Vol. 38 (2. Augufl 1888).
3 „Racial Photographs from the Egyptian Monuments“. Sonbon
1888 Bergt ferner Srlinber« Betrie« Artifel: „The earliest racial portraits“
in „Nature“ SRr. 997 Vol. 39 (6. ®ejember 1888).
4 $a§ bie rothe §autfärbung nid)! etwa auf ber Ablagerung eine«
befonberen Pigment«, fonbern auf bem ®urd)fcf)intmern ber im guftanbe
ber Blutüberfüllung befinblidjen ©efäßc ber Seberljaut burd) bie ober-
fläd)lidjfte #autfcf)icbt beruht, hat Bubolf Birdjoto in feiner Abhanblung
„®ie Anthropologie Aegtjpten«" (Äorrefponbenjblatt ber beutfd)en ßJefeO-
fchaft für Anthropologie, (Ethnologie unb Urgefchidjtc 1888 9h:* 10 ®- 105 ff-1
heroorgehoben.
* Ä. a. D.
6 Bergt. „Remarks on Mr. Flinders Petrie’s Collection of Ethno-
graphie Types from the monuments of Egypt.“ Journal of the Anthro-
pological Institute of Great Britain and Ireland. 1889. p. 224 unb 225.
7 A. a. D.
8 Bergt, bie Abhanblung : „®ie BJumien ber Könige im SRufeum ju
Bulaq". (Sitzungsbericht bcr Berliner Atabemie ber ffifffenfdjaften oom
12. 3uli 1888.)
• ®aß ber ©phinj oon ®ani« ebenfo, roie eine unlängft oon SiaoiHe
ju Bubafti« au«gegrabene ©tatue, ben 3Rongolentt)pu« jur 2>arftedung
bringen, hält SHubotf Birchoro (a. a. O.) für nicht untoahrfcheinlith. 3n
Uebercinftimmung hiermit jirht ber engtifche Anthropologe (£. $. ftfotoer
au« ber Breite ber mittleren ®efid)t«partie unb bem Borfpringen ber
SBangenbeine bei ben in Siebe fteljenben ©tatuen ben ©d)luß, baß SKongolen
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als ©lobefle für biefelben gebient tjaben. ®a nun bie befagten Xenfmäler
unzweifelhaft ber £tbffoS-5ßeriobe ?HtägflptcnS angeboren unb ba auf ber
ju SubaftiS aufgefunbenen Statue ber ©ame unb Xitel eines ftttlfoS-ftönigeS
nadjgeroiefen rourbe, fo erhält fjierburcfi jene 9lnfid)t eine ftarle Stufte,
ber zufolge bie 3nöafion unb Groberuuq beS $ftaraonenlonbeS burd) bie
£irtenlönige (fttjffoS) als einer jener GroberungSzüge aufzufaffen ift. wie
fie bie ©longolenoöller oon 3^* Zu 3«* «“4 tBeften unb Süben unter-
nommen ftaben. GS mürbe bemnad) bie ^ujlfoS-gnBafion eine parallele
barfteüen tu benGroberungSzügcnAttilaS. SjdjingiS-Gh an$ unbXimurS, aus
benen bie heutigen ©ieberlaffungen ber ©tagbaren, ginnen unb Xürlen in
Guropa fterporgegangen ftnb. 9lnbererfeitS ift jener fi'ampf, welcher in
©aläftina unb Serien jtoifcften ben Semiten (gSraeliten) unb ben Stämmen
öon mongolifcßer Äbfunft (§ittiter unb biefen oermanbte Stämme) geführt
mürbe, rooftl nur als eine Xfteilerfdjeinung jener Sämp’e aufzufaffen,
welche überall ba ftattgefunben ftaben, roo biefe, bezüglich ihrer Sulturent-
micfelung fo feftr aufeinanber angeroiefenen unb bod) feinbticft ftdj gegen-
Überfteftenben Staffen aufeinanber trafen. Sergl. Journal of the Antbro-
pological Institut of Great Britain and Ireland Vol. XVI. p. 377
10 ©ad) IBrigbt (Empire of the Hittites, flonbon 1885) roeifen bie
auf ben gelSilulpturen Bon ÄardjemiS pr XarftcDung gebrachten fßerfonen
in iftren ©efichtSjögen neben femttifdjen Gharafteren geroiffe Gigenthümlicf)-
feiten ber mongolifdjeu ©affe auf. Xpler hat bara»f aufmertiam gemacht, baß
auf geroiffen, im ©ritifcften ©tufeum ju Sonbon aufberoahrten Sfulpturen,
welche ben .£>ittitern pgeicftrieben roerben, jroei Bericfjiebenc Xppen bargefteHt
finb, bon benen ber eine burcf) mongolifcfte ©efidjtSzüge unb eine Art oon
Gftinefenppf ebarafterifirt ift, roährcnb ber anbere bie gewöhnliche femitifcfte
©eficfttebilbung aufiueift. ®aS leftterroähnte Soll betrachtet ber befagte
©eiehrte als bie SBafaflcn beS mongotifcften SolfeS. — ®ie Annahme, baß
bie #ittiter (Kheta) oon mongofifcfter Ablun't finb, glaubt ber englifche
©eiehrte 6. 9t. Gonber auch mit iprachlicften ©rünben belegen ju fönnen.
SBenn auch bie bisrogltiphijcbcn gnfcfjriften auf jenen tleinafiatifchen gelten-
benfmälern, bie mit größter äBahrfcheinlicftfeit ben ßittitern jugefdjriebcn
merben, noch nicht entziffert mürben unb fomit ein genauerer Ginblicf in
bie Sprache, roelche oon biefem frühgeichichtlichen Solle gefprochen rourbe,
jur 3«<t »och nicht ermöglicht ift, fo geftatten bod) bie in a(tägt)pti{cften
Aufzeichnungen uns erhaltenen Gigennamen gemiffer, ehebcm oon |>ittitern
beroohnter Drtfchaften, foroie bie in altägpptifchen gnfchriften oerzeicftneten
©amen hittitijcher gurften einen allgemeinen Schluß betreffenb ben Gharafter
ber Sprache, bie Bon bie'ent Solle gefprochen mürbe. GftabaS unb anbere
©etehrte ftimmen in ber Anjicf)l überein, baß bie ©amen ber hcttitijchen
(Könige meber einer femitifchen noch einer arifchen Sprache angchören.
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38
ferner weift Eonber bnrouF ljin, bofj unter ben betagten .'petrfchernatntn
Sorte fid) finben, bie and; in Der affabijdjen unb alimebifchcn Sprache —
alfo in 3*>'0uien oon turanifdjer Stbhinft — oorfommen unb in biefen
©praßen alä ©ejeidpiungen für ben dürften figuriren, unb baß einer
ber tjittitifdjen §crr[d)ernamen im Etruafifcfjen, baä ttad) bcr änfidjt ge-
miffer Sprachgelchrter ju ben turanijchen Sprayen in naben ©ejiehungcn
fielen folt, fid) roieberfinbet. Seiterhiu wirb ber Umftanb. baff in ber
Sprache bcr ipittiter ber QJcnitio bem jugeljörigcn SRominatio nicht fetten
oorangeht, — eine Sonftruftiou, bie in ben femitifefjen Sprpchen nicht nor*
fommt, — bon Eonber aliS ein ©eroeiü für bie 3ugel)örigleit ber hittitiidjen
Sprache jum turanijchen Spradjenfoftem betrachtet. 2lud) bie religiöfen
2Jnfd)auungen ber $>ittiter, bezüglich beren bie oben ermähnten tJtlöifulp-
turen gemiffc 2Iufjd)lüffe liefern, fprechen ju ©unfien ber 3:t)ct>rie oon ber
turanifchen (mongolijehen) 2lbftammnng beS betagten ©olfeP. Gnbtich werben
auch flcwiffe Sigentt)ümlicf)feiten ber hittitifdjen Iradjt — fo tuebefonberr
jene ©chuhe mit aufgerichtetem Schnabel, welche auf ben bic fcittiter jur
3>arfteflung bringenben SDenfmälern fich finben, — oon Eonber aW ©eroeife
für bie mongolifebe 9lbfunft biefeä ©olfeS angeführt. ©ergl. herüber bie
ütbhanbtung Eonberä: „Hittite Ethnology“ im Journal of the Antbropo-
logical Institute of Great llritain aud Ireland Vol. XVII. 1888 p. 137 ff.)
11 ©ergl. Sdra fiap. 10, 10—12.
11 ©ergl. ©ehemia llap. 13, 23 unb 24.
13 ©ergl. 21. URcubauer „Notes on the Racctypes of the Jews“ im
Journal of the Anthropological Institute of Great Britain and Ireland,
Vol. XV. 188« p. 17 ff.
" ©ergl. 3t. Slnbrce a. a. SD. ©. öl.
16 21. a. SD. ©. 18.
10 21. a. D. ©. 49 unb 50.
17 fDafj auf ber ©prenäenhalbinfel infolge beS gewaltfamen trvdtZ,
ber auf bie bafelbft wohnenben 3uben auügeiibt würbe, ein ber
Sefcteren gum Ehriftenthum übergetreten ift, unb baß in Spanien bie ein-
heimifche ©eoölferung biü in bie hödjften ffreife eine intenfioe SRifdiung
mit jübifchem ©lute erfahren hat, ift allgemein befannt. 3?ie getauften
3ubcn (SRaranuen) jählten in Eaftiltcn unb 2lrragonien im 15. 3ahrbunbert
nad) §unbcrttaufenben; fie brangen in bic hüchften Staatäämter ein unb
erlangten burd) ihre SReichthümcr großen Einfluß ; ja e$ gab in ben be-
tagten ©tobinjen nur wenige angefeljene gamilien, bic nicht etwa«
jübifche« ©lut in ihren 2lbcrn gehabt hätten. (©ergl. ©rne^, ©efchichte
ber 3ubeu VIII. 301). Sbenjo, wie bie Spanier, hüben auch bie ®a*!en
unb ©ortugiejen eine 5DUfd)ung mit jübifchem ©lute erlitten. ¥lud) auf ben
©alearen h«t eine intenfioe 9Rijd)ung be$ jübifchcn mit bem eingeborenen
(748)
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Slentente ftntfgefunben. $>iefe gnfeln bilbeten bereits unter §abriait baö
giel einroanbernber guben, bie im 14. gaprpunbert alöbann jur Annapme
bcS SpriftentbuntS gejmungeit würben unb bcn Slamen „Aittiufim" führten.
(Sergl. 9t. Anbree a. q. D. ©. 55.)
18 Sergl. ben ©efamtbericpt über bie garbe ber Augen, ber .'paare
unb ber $aut ber ©cpullinber in 3>eutfcplanb“ im „fiorrefponbenjblatt
ber fßeutfcpen ©efeflicpnft für Anthropologie. Stpnologie unb Urgefcpicptc",
gaprgang 1885 ©. 89 ff 9lacp ben oon Sircporo in ber „geitfcprift für
Stpnologie“ (gaprgang 1876 ©. 17 ff.) gemachten Slittpeilungcn weifen, wenn
man bie garbe ber Augen, beS Haares unb ber fjaut gefonbert betrachtet, 18,7
fßroaent ber in Sreupen unterfuchten ©cpullinber jübifcper fionfcffion blaue,
18,8fßro,^ent graue unb 53,5 Srojent braune Augen auf (im ©egcnfap ju 43
Ißro^ent blauer Augen, 32,7 fgro.tent grauer Augen unb 24.3 ißrojcnt brauner
Augen bei cpriftlicpen Scpullinbern in fßreufjen), währenb 32,4 ^Srojcnt
jübifcher ©dmlfinber in fßreupen blonbeS £>aar, 55.5 ^rojent braunes £aar,
10,1 Srosent fcpmarjeS $aar unb 0,5 ffärojcnt rotpeS $aar (int ©egcnfap
ju 72.2 Srojent biottbeS §aar, 26,1 S^ent braur.eS $>aar, 1,2 ffSrojent
fcpwarjcS .'paar bei cpriftlicpen Scpullinbern in Sreupcit) befipen.
10 Sergl. bie Abhanblung Don gopn Sebboe: r0n the phjsical
charaeteristics of the Jews“ in ben Transactions of the Ethnological
Society of London, Vol. I. New Series p. 222 ff.
30 Sbenbafelbft S. 227.
Sbenbafelbft S. 227 unb 228.
** (Sbenbafelbft ©. 228 unb 229.
83 Sergl. bie Abhanblung Submig ©tiebaS: „Sin Seitrag jur Anthro-
pologie ber guben" im „Arcpio für Anthropologie" Sb. XV, ©. 61 ff.
34 Sbenbafelbft ©. 69.
16 „Sin Seitrag jur Anthropologie ber guben.“ gnauguralbiflertation
non Sernparb Slecpmann. $orpat 1882.
,8 Sergl. bie obenermähnte Abhanblung ©tiebaS ©. 69.
37 Sbenbafelbft ©. 70.
38 Sergl. bie obenerwähnte Abhanblung SebboeS ©. 223. $ie pocp-
grabige Saugföpfigleit ber in ber ftürlei lebenben guben (Spagnuoli; wirb
auep oon ©eisbaep (a. a. D.) peroorgeboben.
3* 2) ic Jftaftermeite ber guben beträgt naep ©cpulp 101,27 fßrojent,
naep Slechntann 103,27 fßrojent ber Sflrperlänge, wäprenb biefclbc bei
anberen Söllern erpeblicp gröper ift unb bei Siiolänbcrn 104.5 fßrojent, bei
Sftpen unb Setten napeju 107 fßro,ieut ber Körpergröpe auSmadjt.
30 Bulletins de la ('lasse physico • mathematique de I’Academie de
St. Petersburg T. IV. 9tr. 15 unb 16.
049)
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40
31 fiörpcrmeffungen üerfcpiebener 3J?enfcpenraffen," 8ettf<brift für
(Ethnologie 1877 Supplement S. 214.
” Unterfucpungen über ben mittleren ©Suchst beS SKenfcpen in Ungarn,
©ubapeft 1885.
53 Sergt. bie obenerroaljnte fHbpanblung StiebaS S. 70.
M S3ergl. „SRaterial jur mebijinifepen Statiftit unb ©eograppie
JRufjtanbS" im faiferl. rufftfe^en mifitärmebizinifepen 3ournal 1878 unb 1879.
56 ©ergl. Sebboe a. a. 0.
36 $ie firim unb Dbeffa. Seipjig 1854.
37 ©crgl. „On the raci&l characteristics of modern Jews* im
Journal of the Anthropological Institute of Great Britain and Ireland,
©b. XV. p. 39 ff.
38 Saß bie nitbrige Statur unb ber geringe ©rufiumfang, roie er
bei ben 3uben bie Siegel bilbet, bis ju geroiffem ©rabe auf burep unge>
nügenbe Ernährung unb fonftige ungünftige ©erpältnifje bebingte Stängel*
paftigfeit ber Gntroidclung juriidjufübren ift, — btejer Schluß erhält eine
Stühe bureb bie non ©Icdjmann (a. a. £.) mitgetheilte ©eobadjtung. nu«
ber peroorgept, baß bie rufftfehen 3uben im alter oon 20 3ahrm attent-
halben uitgenügenb entroidelt unb baper fepr häufig militäruntauglicb ftnb, unb
baß anbererfeitS mit ber 3“»>ahroe beS SUterS bei benjelben foroohl ber ©rab
ber Gntroidelung zunimmt, roie auch bie ruffiiepen 3uben bezüglich ber
Stilitärtauglicpfcit in etroaS höherem SebenSalter günftigere Kcfultate
liefern, als im 20. ScbcnSjapre.
• 39 ©ergl. 3ocob4 a. a. D. S. 26.
40 Gbenbaielbft S. 28.
41 Gbenbafelbft S. 30.
43 Gbenbafelbft S. 31.
43 ©ergt. 2. ©uep ber fiönige fiap. 17, 30; foroie 3- Sippert, Äultur»
gcfcpicptc ber Stenfcppeit. Stuttgart 1887. ©b. n, @. 15. 5)ie Sitte ber
„Üöcpterbütien" ober „©rauthülten" — oon ben Gingeborenen ber portn*
giefifepen Senkungen 35?eftafrifaö a<$ Casas das tintas bezeichnet — roirb
noch heutzutage oon 'zahlreichen Siaturoölfern aufrecht erhalten. Diefelbe
befiehl barin. baß bie ©raut an ihrem Hochzeitstage in einer befonberen
Hütte untergebracht roirb unb fiep bort jebem Stanne ipreS Stammes, ber
mit einem ©efepenf um ipre ©unft roirbt, preisgeben muß.
44 ©crgl. 3- Sippert a. a. 0. S. 109.
43 Gbenbafelbft S. 2G0.
48 Gbenbafelbft S- 261.
47 ©crgl. j. ©■ 1. ©mp Stofe fiap. 22, 2.
(7S0)
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grnnlft, Ptinj aott länrntatk.
Sou
$ujta» Jiiiuff. f
Ufarrfr in 4itimbacb
Hamburg.
iyprlagsanftalt unb 3)rucferei (oormalS 3. SKicfjter).
1891.
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2>a$ 8iedit ber Ueberfc&uiifl in frernbe ©praßen wirb oorbtljalten.
Tnirf Du ®rrIog»an(toIt unb Irudcrei 'ürtipu-«B^feISfd)nft
(bormalt 3. 3. Sid)tu) in Hamburg.
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(Sfyafefpeare unb fein @nbe — hantlet uitb fein @nbe.
2Bo ©bafefpeare genannt wirb, benft man gleidj an fein be-
rübmtefte« unb genialfte« 2Berf, an fiamlet. ®ie« gilt nid)t
aßein oon ben (Snglänbern unb 3}eutfc^en, fonbern aud) ton
ben granjofen. 3ejjt nocf) bringt faft jebeS 3abr eine ©djrift
über Hamlet, benn e« ^anbeft fid) §ier nicht aßein um bie
äftbetifäe SBürbigung, fonbern — unb bie« ift ba« Sebenfticfje —
noch tiel mef)r um ben ©inn unb Snfjalt be« ©ebicbte« in
Sinjeln^eiten unb im ©anjen. ©djreiber biefe« f>at in $ßrub’
3)eutfd}em SOfufeum 1867, 5. 6 unb 1866, 5 feine Sluffaffung
biefe« ©tücf« entroicfelt unb gegen ©inroenbnngett gefiebert. 2)a«
ßtacbfolgenbe enthält eine burebau« neue unb termebrte ®e-
arbeitung jener Suffäfce, an beren ©runbgebanfen id) jefct noch
feftbalte.
©bafefpeare bat im $amlet, rote in feinen anberen ©tücfen,
ficb an eine frembe (Srjä^lung angefc^Ioffen, aber biefe, fo febr
er ibr in mannen fünften treu geblieben ift, in $infid)t auf
beit @barafter feine« gelben unb ben ?lu«gang be« ©tücf«
roefentlicb umgeftaltet, fo umgeftaltet, roie roir bie« bei feinem
feiner übrigen ©tücfe finben. 2)ie urfprünglicbe §amletfage
finbet ficb britten 93ucb ber bättifeben ©efebiebte be« ©ajo
©rammatifu«, eine« geitgenoffen g^ebricb gfjotbbart«. ®er
Sammlung. 9t. 8. V. 117. 1* (758)
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4
gratijofe BeHeforeft bearbeitete bie ®ejc§id)te in bem mora«
lifireubem @efd)mntfe feiner 3eit unb lieft fie unter ber ?luf»
fdjrift „Avec quelle ruse Amleth, qui depuis fut roi de
Dannemark, vengea la mort de son pere Horvendille, occis
par Fengon so» frere“ im fünften Banbe feiner SJloneHen 1564
erfdfeinen. 3<h glaube nicht, bafj ©^afefpeare ben lateinifdfen
Xejt beS ©ajo gefannt l)at; roaljrfcheintich hot er Belief oreft«
97o»elIenfammlung oor ficfj gehabt. Die englifdfe Ueberfefcung
biefer ÜJlooetlen erfd)ien erft 1608, nach bem ©fjafefpearefdjen
Drama. SDiefeS hat »erfdfiebene SBanblungen burchgemacht.
®d)on 1587 roirb eine $amlet betitelte Dragöbie ermähnt, bie
(Stnige bem X^oma« Äpb jufchreibeu, Slnbere für eine Sugenb»
arbeit ©fjafefpeareS galten; jebenfaUS ift fte fpurloS öerfdjrounben.
3m 3o^re 1598 roirb ferner eine Dragöbie „£>amlet" als ein
SBerf ©halefpeareS erwähnt. „Unfere 3ugenb," fdjreibt ©eorg
|>arqep, ein greunb unfercS Did)terS, 1598, „ift ganj entjüdt
»on ©halefpeareS BenuS unb 9lboniS; allein feine Sucrejia
unb feine Dragöbie oom Dänenprinjen ftamlet gefallen ben
füigeren unb ernfteren Leuten mehr." 2tuS biefer älteften Be-
arbeitung mögen einjelne ©tüde, roenn auch oerberbt unb »er-
ftiimmelt, in bie uns erlfalten gebliebene OuartauSgabe »on 1603
aufgenommen roorbcn fein. 3tn 3aljre 1604 erfc^ien eine öielfacf)
»erbefferte SluSgabe beS ©tüdS. ßu ben roefentlitfjen Berän-
bcruitgen rechnet Bobenftebt nid}t nur bie Umroanblung »er-
fdpebener Flamen, fonberit namentlich bie feinere Durcharbeitung
unb oollftänbigere Sntroidelung beS ^auptcharafterS, bie Um-
fteflung bebeutertber Auftritte unb enblid) bie beffernbe £anb,
roeldje burch baS ©anje geht.
Betrachten roir nun ©halefpeareS Duelle, bie in allem
roef entliehen mit ©afo iibereinftimmenbe Stählung beS Belle»
foreft im SluSjuge.
£ror»enbill, ein ©tatthalter »on Sütlanb, macht fich burch
(7M)
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o
feine fühnen fRaub$üge jur ©ee fo gefürchtet, baß ber auf
feinen 9iuf)m eiferfüdjtige ßöitig Voller non fRorwegeit auSjieht,
i^n ju faefämpfen. ®ie beibeit Reiben treffen fid) bei einer
lieblichen Snfel, fteigen ans 2anb unb oerabreben einen
fampf (j^olmgang) unter ber ©ebingung, baff ber ©ieger alles
Sanb beS ©efiegten gewinnen unb biefen ehreitooH beftatten
fülle, fwroenbill bleibt ©ieger, unb ber Honig non 2)änemarf,
SRorif, giebt ihm feine 2odjter ©erutf)a jur ©emahlin, weil er
ihm burch Abtretung eines anfehnlichen 2he*k3 ber ®eute feine
fchufbige ©hrerbietung ermiefett hotte. SluS biefer ©he ging
Hamlet heroor. — ©fjafefpeore »erlegt ben ©chauplafc nach
©eelanb unb macht Hamlet jum ©ohne beS gleichnamigen Königs
oon ®änemarf.
fJtach ber ©age wirb |>orDenbill oon feinem ©ruber gengo
umgebracht, ber baburch Meintjerrfcher SütlanbS wirb. ©r
befchönigt fein ©erbrechen burch ben ©orwanb, bah er ^oroenbitl
nur getöbtet f)obe/ um beffen fcfjöne ©emahlin ©ertrub oor
feinen graufamen ÜJtihhonblungen ju retten, unb oermählt fich
mit biefer, welche um ben HönigSmorb gemufft hotte. fjier ift
nun ber grofje Unterfchieb jwifchen ber ©age bei ©ajo unb
noch wehr bei ©elleforeft einerfeitS unb ©hafefpeare anbererfeitS,
bah nach ®«fem baS ©erbrechen bem Solle ganj unbefannt,
'nach 3euem allgemein befannt ift; hot boch nach bem 9iooeIIiften
gengo feinen ©ruber mit einem 2lnf)ang, ben er fich Su öer’
fchoffen gemuht, bei einem geftgelage iiberrafcht unb gemorbet
unb biefe 21)01 nachher auf bie oben angegebene SBeife be*
ichönigt. ©ei ©hafefpeare träufelt ©laubiuS, wie er ben gengo
umgetauft hot, feinem fchlafenben ©ruber ©ift inS Ohr/ unb
nur ©ertrub weih um ben 2Rorb. deswegen braucht ©hafefpeare
einen ©eift, um ben fmmlet in baS ©eheimnifj einjumeihen unb
ihn jur fRache ju ftacfaeln. ©ben bamit ift aber bem ©ohn
biefer Stuftrag wefentlich erfchwert. 2)er Hamlet ber ©age hätte
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6
nämlitß, wenn er blinb magßerjig gemefeti märe, ebenfalls fo*
gleicß nacß ber ©rmorbutig feine« SSnter« einen Änßang um fidj
fammeln unb ben ßönig töbten ober botfj abfeßen unb aug bem
fReicße tiertreiben Können. Sber bag Huffcßieben unb 3aubem
oon ©ßafefpeareg |>amlet finben mir fc^on in bem geiftig ge»
funben fpamlet ber ©age tiorgebifbet. Slmletß, mie er in ber
©age ßeißt, fteflt ficß maßitfinnig; benn, mie er ju feiner Sülutter
fpäter fagt, er meiß, baß fein Oßeim, bet flmletßg S3ater ge*
morbet, aucß oor ber ©rmorbung beg Steffen nicßt jurütffcßeuen
roerbe, beffen fRacße er fürsten müffe, meil fie uon ber SRatur
geboten erfcßeine. „Unb SRacße miß icß aucß neunten unb in
einem ÜJiaße, mie fie in biefem Sanbe big jeßt nicßt erhört
morben ift — menn ßßon icß bie 3e't unb bie ®elegenßeit
ba^u erft noch reifen taffen muß." greilicß ift jroifcßen bem
Slmletß ber ©oge, ber nicßtg tion fßßilofopßie unb fßeffimigmug
meiß unb bem melancßolifcß-tierrücften, geiftreicß pßilofopßirenben
®änenprinjen ©ßafefpeareg ein großer Unterfcßieb. 91 ber man
borf biefen Unterfcßieb nicßt übertreiben. 35ie $amletfage ift
nicßt fo roß unb bürftig, mie fie oft genannt mirb; fie tierbient
biefe SBeracßtung fo menig ober nocß meniger, alg bie ©agen
oon ©rutug unb ^efl.1 ®er Slmletß ber ©age jeigt einen
fünftlicß oerfcßluitgenen ©ßarafter. Sörutug gilt allgemein für
bumm; ßinter Slmletßg Treiben mittern fcßärfere Seobacßter
berecßnenbe Sßerfcßmißtßeit. Sörutug entßüflt fein maßreg SEBefen
erft beim ©intreten ber ft'atoftropße; Stmletß unb §ainlet fegen
bie ÜJiagfe ber ©eiftegftörung, nacßbeni fie biefelbe, mie um ißre
Umgebung ju necfen, oon 3e't 3U gelüftet ßatten, einmal
in uollem ©rnfte gattj ab, nänilicß im SWeinfein mit ber 2Jiutter,
unb jmar tßun fie bieg nicßt aug fRacße ober aug Uebermutß,
fonbern aug gefränftem ©ittlicßfeitggefüßl. 3)ie jmeibeutigen,
finnooö unfinnigen fRätßfel, bie ber f>elb augfprubelt, roaren
für ben norbifcßen ©efcßmacf ein ^auptreij. SEBie man Hamlets
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7
Unternehmen, [ich wafjnfinnig ju [teilen, erflären ntog, jebenfaßg
liegt bariit ein gewiffer $rofc gegen bag ©chidfal, eine $eraug<
forberung aßer möglichen folgen; er lüe'6/ l)a6 er auf unter*
ßö^Item ©oben wanbeit, aber er wanbeit auf bent gefahrtwßen
2Beg fort big ang Snbe. ©benfo ift fcfeon ber Slmletf) ber Sage
fein ruhig bleibettber, jurüdge^ogenet, eiitfamer 9JIenfch, toie
©rutug ober £efl, foitbern mit einer SIrt norbifcfeer STapferfeit
unb Xobegoeracbtung begiebt er fitf) mitten in bag Treiben beg
-fjofeg, rei^t gefliffentlid) bie fßeugierbe ber Stufpaffer unb weife
fie bod) jchliefelich auf eine faljdje gäfjrte 5U loden, ©orfidjt
unb Sfedljeit finb bei ©eiben merfwürbig oerbunben. SKatt fann
nic^t mit ©ifdjer fagen, bie alte ©age wiberfprecfee ficfe felbft;
fie woße verborgenen Xieffinn fdjilbent unb benfe nicht baran,
bafe fie ihren gelben jwedroibrig honbeln laffe, inbem er ihn
oerratfee. 5)ie alte ©age f)at oielmefer eine innerliche greube
an bem ©piel, bag ber Dermeintlicfje Sölpet mit feinen ftärferen
©egnern fpiett; fie fpannt ben ©egenfafc jwifchen ©eiben ab*
ficfetlicfj aufg feöchfte; fie weife ja überbieg mit ihrem gelben,
bafe »on Anfang an bem ÜDiörber unb feinem Vlnfeang Job unb
©erberben bereitet ift, mag auch bie ©träfe lange auf ficfe
warten laffen. Slmleth ift wie ßfjriemfjilb, wie ber ©ermane
überhaupt „laucräche"; erträgt bie 9iadje fange in [ich heru,n,
lacfet innerlich *>'e 5einbe aug, unb plöfelich ift bag ©achewerf
ooßenbet.
gettgo glaubt ebenfowenig afg ©hafefpeareg ©laubiug an
ben SBahnfinn Slmlethg. @r ftiftet baher ein ©iäbchen an,
bafe fie oertrauten Umgang mit Slmfeth fucfee unb babei er*
forfcfee, ob ber SBahnfinn wirflich ober oerftedt fei. ®ag
SRäbcfeen, aug bem bei ©hafefpeare Ophelia geworben ift,
oerräth nicfetg. gengo fc^lägt nun einen anberen 2Beg ein.
©eine ÜDiutter mufe währenb ber angeblichen Slbwefenfeeit ifjreg
©emafefg ihn augforfdjen, wobei ein Höfling ihn belaufcht, aber
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8
ooii bem mifetrauifdjen ©ringen auSgefpätjt unb ermorbet wirb.
$>ie Sage giebt biefem Sauger feinen 9famen; er ift beS
Urbitb ton SlfafefpeareS ©otoniuS.
Stmtetf) ^ält nun feiner ÜJiutter eine ergreifenbe Siebe,
entbectt ihr feine ©erftettung, rührt iljr ©ewiffen unb terfidjert
fich ihres StillfchweigenS in ©etreff feine« fRadjeplanS. &18
Sengo oergebenS nach bem ©rmorbeten forfcht, geigt ihm ttmtetfe
im angenommenen Sßaljnfinn ben Ort, roo bie Seiche liegt,
gengo befcljliefet nun ben ©ringen mit gmei ©egleitern nach
önglaitb gu fctjiden, um iljn bort fraft einer SSeifnng in 9funen»
fdjrift burch ben König enthaupten gu taffen. Unterwegs aber
bemächtigt fich Ülmteth ^eimlic^ ber ^olgtafel mit ber SRunew
fcfjrift, terwifdft baS Original unb erfe^t eS burd) eine Stuf*
forberung an ben König ton Sngfanb, feine ©egteiter ^inric^ten
gu taffen, ihm fetbft aber bie Königstochter gur ©emahtin gu
geben. ©eibeS gedieht. Slmteth gewinnt burch feine inftinftioe
Schlauheit unb Sehergabe, womit er terborgene ®inge erfpäht,
bie ©unft beS Königs unb fehrt nach einem 3ahre nach Süttanb
gurücf, wo man, ihn tobt wäfjnenb, eben feine fieichenfeier hält.
@r fpiett wieber ben SBafenfinnigen, betäubt bie ©äfte als
SJlunbfchenf burch SBein, günbet ben ©ataft an unb ermorbet
bett König gengo. 9?ach biefer Stachethat hält fid) ftmteth
guerft terborgeit, tritt aber, atS er fich überzeugt, bafe bie
Stimmung beS ©olfeS ihm günftig fei, auS feinem ©erftecf
hertor, crgähtt ben Hergang ber Sache unb weife burch feine
Siebe bie ©emüther bergeftatt für fich eingunehmen, bafe er ein»
ftimmig gum Könige gewählt wirb. ®r regiert lange unb
gtüdlid), gieht fpäter noch einmal nach @nglanb, befiehl bort
merfwiirbige öbenteuer unb fällt gulefct in einem ßmeifampf.
©ei alter Slefentichfeit tritt aber bie ©erfchiebenheit ungleich
ftärfer hemor. Sfl£oS Slmteth ift geiftig gefunb unb über $wecf
unb SDiittel fich gang ftar; StjafefpeareS |>amlet franf, innerlich
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9
gebrochen, uerftört ; er will ba« Verbrechen rächen, aber weife
nicht, wann unb wie; nur gezwungen räd)t er gulefct feine«
Vater« Srmorbnng am 9Äörber, richtet ein unnüfce« Vlutbab
an, gefjt babei felbft unter unb feinterfäfet al« Äönig auf bem
Xljron, ben er hätte befteigeu follen, einen gremben, ben Nor-
weger gortinbra«. Sott einem eigentlich tröftlic^en ©djlufe,
oon ber 2lu«ficht in eine beffere $ufunft fann feine Nebe fein.
Seine einzige Sleufeerung im ©tiicf weift barauf f)in- Sifc^er
fagt gwar, ©hafefpeare entlaffe un« mit ber 8lu«ficfet, bafe eine
neue gefunbe Orbnung oon bem „intaften" gortinbra« auf bem
oerwilberten Voben gefäet werbe. 3cfe fann bie« nicfet finben.
Stucfj über bie 3u*unft be« Sanbe« ift ber fReft ©cfeweigen, ein
gragegeidjen. 2)afe gortinbra« nicht, wie behauptet worben ift,
rechtliche Hnfpriicfee auf ®änemarf hotte, geigt fdjon-'ber Slnfattg
be« ©tücf«. SEBo ein ©taat feine Freiheit unb ©elbftänbigfeit
an ein Meid) oerliert, mit bem er früher fchon manchmal im
Sumpfe gelegen, ba fann oon einem lichten $lu«blicf in bie
3ufunft nicht gefprocheu werben. 2>er ©chlufe ift Ijfrb unb
büfter, wie ba« gange ©tücf.
Sin ißunft barf nicht oergeffen werben, 'ämletlj oollbringt
ba« Machewerf allein, ohne burch Veifpiele, maffig wie ber
Grrbball, bagu geftad)elt gu werben. „3d) allein", fagt er bei
Sajo mit Medjt, „höbe ba« SBerf oollbracht, ba« ebenfogut auch
euren $änben gulam. Miemanb leiftete mir bei ber rühmlichen
$hat Veiftanb. 3nJar bin i(h übergeugt, bafe ifer mir eure
Üfeeilnahme nicht oerfagt haben würbet, wenn ich barum gebeten
hätte, ba ich eurer $«ue gegen ben ehemaligen Sönig, wie
eurer Slnljänglichfeit an ben angeftammten dürften ooHfommen
oertraue. Siber e« gefiel mir, ohne bie ©efafer für euch bie
©cfeulbigen gu beftrafen, weil ich ftembe ©chultern nicht mit
einer Saft beloben wollte, ber ich allein gewachfen gu fein
glaubte." 9Ran fieht au« biefen SBorten, bie Slmleth nach
(75*).
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10
gelungener $ßat ju bem üerfammelten SSolfe fpricßt, bajj £reue
unb ©lauben im fianbe nodj nießt au«geftorben unb nießt afled
faul mar in $änemarf; man fießt barau« jugleicß, bafj Slmletß
ber mörbige ©oßn eine« ^eroifd^eit 3«talter« war. ©anj anber«
fteßt fidj ©ßafefpeare« fandet bar. @r ift eon bem Semujjtfein
burcßbrungen, bafj auf feine ©cßultern eine $u fermere 2a ft
gelegt fei. „©emießen ift bie 3«! au« ben ©elenfen; meß’ mir,
bafj icß geboren rnarb , fte einjurenfen" — (I, 5) bie« ift ba«
Sterna be« ©tüd«. ^aarfeßarf unterfeßeibet fieß babureß fandet
oom ftönig Slaubtu«. $5änemar! mar naeß ber SRebe be«
Äönig« I, 2 bureß ba« Ärieg«gelüfte be« ©efaßr,
au« ben trugen ju geßen; aber Slaubiu« meifj bureß feine
©efanbten ben ©taat, ben fJortinbraS bureß ben Xßronmedjfel
oerrenft glaubte, »or S^trümmerung ju bewahren. Slu« 3)äne-
marf madjt fandet, ber al« Sbealift alle« oeraflgemeinert, bie
3eit, bie ganje bamalige ÜRenfcßßeit; er fießt nießt ein, bajj
feine Aufgabe nießt mar, bie 3“*/ fonbern nur ba« Meine
®änemarf mieber einaurießten. @r mar aßerbing« nießt ber
3Raitn, ba« iRacßemerf allein ju ooßfüßren. @r ßätte baßer,
menn eine ju fernere £aft auf feine ©eßultern gelegt mar,
feine greunbe in« Vertrauen jießeit foßen; meißt boeß aueß
Obßffeu«, eße er bie fRacße ooflfüßrt, feinen ©oßn Xelemacß
unb jroei Wirten in« ©eßeimnifj ein ; ber juriief feßrenbe Orefte«
maeßt bie ©Ieftra ju feiner Vertrauten. ,,®a« Unmöglicße roirb
oon fandet geforbert," fagt ©oetße, „nießt ba« Unmöglicße an
fieß, fonbern ba«, maS ißm unmöglicß ift" — aßerbing«, roa«
ißm aber nießt ju feßmer märe, menn er e« rießtig auffafjte unb
praftifcß angriffe. ©eine Slufgabe mar nießt fo feßmer, roie bie
be« Orefte«, mit bem fandet feßon fo oft oergließen morben
ift. Sin ber ÜRutter SRacße ju neßmen, mürbe »on Orefte«
oerlangt ; fandet foßte bem Sluftrag be« ©eifte« gemäß feine
äJlutter fcßoneit unb nur feinen Oßeim ftrafen; feine SDlutter
(760)
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war ja nicht Slnftifterin, fottbent nur SJiitwifferin um bcn
Üflorb gewefen. Slufeerbem hatte fani ber ©eift nic^t oerboten,
ba« ©eljeimnife ülnberen mitgutbeilen ltnb mit ihrer §ülfe ben
SRadjeauftrag gu ooflgieben. $a« „©djwört!" be« ©eifteö famt
nur barauf geben, fie b. b- |>oratio unb ÜJJarcetluS fallen ba« ©e«
beimitife ber nächtlichen ©rfdjeinung für fith behalten, hingegen
mar e« bem £>amlet non bem ©eift auäbriicflid) freigefteßt, wie
er bie Untfjat rächen mofle — offenbar auch in bent ©inn,
ob er fie aflein ober in ©efeßfchaft oon einigen 2Jiitwiffern gu
ftrafen gebenfe. 9?un aber fchmeigt er oom Snbalt unb bem
Auftrag ber ©rfcöeinung gegen Obermann, auch gegen feinen
beften greuitb ^oratio unb ftöfet biefeit baburch fo fehr oon
ftdj gurüd, bafe e« un« begreiflich mirb, toarum ^oratio erft
fo fpät roieber auftritt unb nie felbftthätig in bie £>aitblung
eingreift.
Ueberfjaupt ift über bem gangen ©tücf bie bunftige ©djwüle
eine« aflgemeitiett äJiifetrauen« auSgebreitet. $ie ©age athmet
neben aflem furchtbaren ©ruft hoch gugleicb eine getoiffe fomifche
fieiterfeit, bie un« h'e nnb &a e'n ßächeln abnüfaigt. Sei
©hafefpeare weht un« überafl ein ©rabgeruch unb Seichenbuft
entgegen; faum am ©dßufe fönnen wir leichter aufathmen,
wiewohl, wie fdjon bemerft, bie üüu«ficbt in bie gufunft nerbedt
bleibt. Slinleth traut, wie man au« feiner 9tebe an bie oer>
fammelte SDJenge erfieht, auch nicht recht feinen SanbSleuten;
aber er ift feiner Aufgabe gewachfen, weife fie mit 2Bife unb
£ju::tor gu töfen unb ift überaß ber 90?ann auf bem *ßla&.
Mein bei ©hafefpeare ift ba« Sßiifetrauen bie ©eele be« ©tüd«.
^ßoloniu« mifetraut bem Saerte« unb fenbet ihm einen Slufpaffer
uad). Saerie« mifetraut feiner ©chwefter unb giebt ihr baher
Sehren ber $ugenb unb Slugbeit, bie fte ihm in ihren @r>
mabnuitgen guriidgiebt; beim fie traut ihm fo Wenig, al« er
ihr. Jpamlet ift oon oornberein mit 9JJifetranen erfüllt, ob bei
(761)
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12
bem fRegierung«roedjfel äße« mit redeten ®ingen gugegangen
fei; er mißtraut leiber audß bem Jfjoratio lange 3^1, bi« gur
Sluffüßrung be« ©c^aufpielS ; gleichwie anbererfeit« fmratio bem
©eift nicßt traut unb meint, er fönnte ben §amlet in 2eben«>
gefaßt ftürgen. SRocß roeit meßr al« |»oratio ift fandet im
Verlauf ber 3e>t gegen ben roaßren Sßarafter be« ißm tx-
fcßienenen ©eifteS mifjtrauifcß; er meint, raöglicßerroeife fei er
ein böfer ©eift, ein «ertappter Üeufel. 2)ie ©rfaßrung, bie er
an feiner SRutter madjt, oerleitet ißn gum SRifjtrauen gegen ba«
gange toeiblicße ©efcßledjt, aucß gegen Dpßelia. SRijjtrauifcß ift
er gegen bie 3eitutnftftni>e, wenn biefe aucß ber ©oßfiißrung
be« fRacßemerfe« nocß fo günftig ftnb; mifjtrauifcß unb groeifleriftß
ift er aucß in ber fReligion — benn ©ein ober fRicßtfein nadj
bem $obes ift ißm eine grage; mifjtrauifcß ift er natürlich nocß
uielmeßr al« gegen feine greunbe in feinem ©erßältnifj gu
Glaubiu«, bem er oon Slnfang an nicßt getraut ßatte, bann
gegen ©oloniu«, 2aerte«, fRofenfrang unb ©iilbenftern, unb
biefe« äRifjtrauen ergeugt roieber ÜRifjtrauen; am menigften traut
er ficß felbft, unb gerabe, meil er ficß felbft nicßt gutraut, ber
$ßat gemadjfen gu fein, gerabe be«roegen ift er ißr nidjt ge>
roacßfen. @r, ber geiftreicße 'Ißeoretifer, beffen Jßatfraft burcß
3meifeln unb 9Jiijjtrauen geläßmt ift, taitn freilich bie au« ben
gugen gegangene bänifdje Sßelt nicßt einrenfen. fiätte er meßr
9Rutß, 3UO£rftd>t/ ©tauben, 3utrauen gu ficß felbft unb gu
ätnberen, fo märe bie ißm gefteßte Aufgabe nicßt gu fcßmer.
füjamlet aber benft mit bem fßropßeten: „(Sin Seglicßer ßüte
ficß oor feinem gminbe Unb traue aucß feinem ©ruber nicßt;
benn ein ©ruber unterbot cft ben Slnberen unb ein ftreunb oerrätß
ben fttnberen." Qerem. 9, 4, unb mieberum SRicßa 7, 6:
„SRiemanb glaube feinem iRäcßften unb oertaffe ficß auf dürften;
bemaßre bie £ßür beine« SRunbe« oor ber, bie in beinen Slrmen
fcßläft." ?lber fo «ergmeifelt fcßlecßt mie im jübifcßett ©olle
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ftanb eS nicht iit Dem $5änemarf ber ©age inib nicht einmal
in bem unseres XrauerfpielS.
3)er Slmletb ber ©age oerfejjt uns nämlich in bie oor>
cfjriftlicbe, altffanbinaDifcfje ^eroenjeit, unb ©bafefpeareS fandet ?
Sine beftimmte S«t ift nicht angegeben, (Snglanb ift im ©trief
bem Äönigreid) 5Dänemarf jinSpflicbtig; ba$ wiefe alfo auf baS
9. Sa^r^unbert fjin; an jene ^eroenjeit erinnert ferner ber
|>olmgang jwifihen $amlet8 $ater unb bem Könige uon 9tor*
wegen. $ann ift wieber oom fjegefeuer, eon ber Seifte unb
ber festen Oelung bie Siebe. 3n bie proteftantifdje ßeit uerfe^t
unä bie fReflejion beS gelben, ber mit |>oratio in SBittenberg
ftubirt t)at, feine pbilofopbifdje, äftbetifche unb bramaturgifebe
öilbung, fein Sweifelit an beu lebten unb ^öc^ften fragen bee
®afeinS. |)ier finb nur gwei Slttnabmen möglich: Sntweber
bat fid) ©bafefpeare gang unb gar oergeicf)net; er fonnte nicht,
wie ©eröinuS meint, einen focialen ßbarafter ber neueren Se*1
malen, ber aus ber §eroenfitte beS SfaturjeitalterS ^erau^ftrebt;
ein fbafefpearifdjer |>amlet in ber ffanbinaoifeben £>eroengeit ift
ein ©elbftmiberfprud). ©o betrachtet hätte ©bafefpeare einen
großen Rebler begangen. @8 ift aber noch eine anbere Slntwort
möglich, nämlich: ©bafefpeare b<tt bie gefchichtliche ©runblage
beS ©agenftoffeS gelaffen, ift aber bann unoermerft oon ber
heibnif^en Sei* in bie chriftliche, pbilofopbifcbe, proteftantifebe
Seit, in ber er felbft lebte, binübergegangen unb hat iiberwiegenb
biefe bargefteüt. SJlan fiefjt bie urfprünglichen garbeu bei
genauerer 93efid)tigung noch burebfehimmern, währenb fie bod)
im wefentticben übermalt finb. ÜJlan fann baher nur ratben:
Sefieh’ baS bramatif^e Oemälbe nicht ju febr in ber Stäbe;
bann wirft bu beit altbeibnifchen Untergrunb weniger gewahren.
2>er fritifch genutete üefer unb Suf^auer witb freilich finbeit,
baß bie ftreng gefchloffeite Einheit unter biefem 2)oppeIcharafter
beS ©tücfeS einigermaßen gelitten E>at. ®aS ©tücf fott im alten
(703'
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14
J)änemarf fpielen; aber Jtänemarf ift nur ein oorgefchobener
9tame für ©nglanb. „ J>er gange Jon ber Sprache," fagt ^riefen,
„ift ber ber bamaligen englifcf)en SBelt in ben t)ödjften Steifen
ber ©efeflfehaft; bie ©ebräuche, bie ©ewohnfjeiten, bie Aufnahme
ber ©cfjanfpieler unb aßeg, wag in ben ©eenen gwifchen biefen unb
bem bringen öerfjanbelt wirb, ift nur nach englifdjen Sitten
unb SBerhältniffen aug ©hafefpeareg 3e’4 3U erflfiren. 3n
aßem, wag wir fehen unb f)ören, liegt bie Slbficht gu Jage,
ben fiiftorijdjen S^arafter üößig aufgufjeben nnb jebe grage
nach Ort unb 3ett unbeachtet gu laffen." SBir haben nicht blofj,
wie in anberen Jramen, eingelne Slnfpietungen, ber SBerfaffer
wiß oielmehr ein peffimiftifcheg Silb beg englifchen ©taateg gu
feiner 3eit überhaupt entwerfen, wiewohl auch ber aßgemeine
Sßeltfdjmerg nicht leer auggeht. Jier Sljarafter be3 S3olfg war
fo hecabgefommen, bafs fchon 1603 ber frangöfifdje ©efanbte
öenumont aug fo oielem oerfchiebetten ©amen oon Sranfheiten,
aug fo oielem, wag in ber ©tiße brütet, prophegeite, oon je£t
auf ein Sahrfjunbert werbe ©nglanb oon feinem ©lüefe fchwerlich
einen anberen 9J?if?brauch machen, alg gu feinem ©chaben.
|>amlet nnb 2ear faßen in bie oorlefcte, Jimon fäßt in bie
le&te ißeriobe oon ©hafefpeareg SGBerfen, unb wir fönnen aug
biefen ©tücfen leicht auf trübe (Erfahrungen unb eine peffimiftifche
^Betrachtung oon SBelt unb 3e»4 fc^lic^cn. Sßie gang anberg
©oetheg aug bem Sßeffimignmg mit ©lücf gum Optimigmug
fortringenbe unb fortbringenbe, gu immer reinerer Harmonie mit
ficfj, mit ©ott unb ber SBelt fich entwicfelnbe SBeltanfchauung
unb weitoergweigte 2;^ätigfeit! — Sßie griefen berichtet, hat
fchon 1794 ein ©nglänber, Sßameng $lumptree, ben fiamlet
alg ein aflegorifdjeg Jenbengftücf betrachtet unb nachguweijen
oerfucht, ©fjafefpeare habe mit biefer Jragöbie einen inbiretten
Jabel gegen Sftaria ©tuart auggefprochen. 3n unferer 3e*{
hat ©überfrag im ßßorgenblatt (1860, 46. 48) ©rwünfehteg
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in bicfer ©egief)ung beigebrad)t. @r erinnert an bie Srmorbung
beS Königs Jarnlet) burcf) ©othwell, ber Qenem wenigftenS
förperlid) ebenfofehr itachftanb, als Staubio bem ©ater |>amletS;
fowie an bie übereilte $ciratf) beS äRörberS mit ber SEBitwe,
SRaria ©tuart. 3a!ob mar frei lief) bamals noch feljr jung
unb ©otfjwell war batb nach ©erübung beS ©erbrechen« im
Kerfer als Sßaljnfinniger geftorben. Snbeffen machte 3afob aud)
fpäter feinen ©erfud), bie Srmorbung feines ©aterS $u rächen.
Ueberfjaupt war et ein fdjlaffer, fraftlofer S|arafter. £>ume
fagt oon ihm: „©eine gä^igfeit war grofj, aber er war ge-
riefter, über allgemeine 9ftafjregeln ju Bernünfteln, als eine
Berworrene ©adje auSjufüfjren; feine Äbfic^ten waren billig,
aber fte fehieften fief) beffer für ein ^ßrinatleben, als für bie
Regierung eines Königreichs. @S fehlte ihm gänjlid) an politifdjer
£er$f)aftigfeit." J)ieS trifft wörtlich auf §amlet ju. Äujjerbem
war 3afob, wie ^jamlet, ©önner unb Kenner beS JheflterroefenS.
SaerteS erinnert an 8llejanber unb 3of)anu fRutfjoen, Sairbs
Bon ©omrie in ©chottlanb. 3ener war als gewanbter Kaoalier
in allen ritterlichen Hebungen, befonberS im 5cd)tcn auch in
©aris befannt. SEBäfjrenb er fich in granfreief) unb 3talien
aufhielt, hatten ihm, als feine ©üter noch fonfiSjirt waren,
bie ßefjnSleute feines wegen ©etheiliguug an einem gegen 3afobS
^Regierung gerichteten SlufftanbeS Hingerichteten ©aterS burcf)
einen treuen Wiener SRhpnb (©hafefpeareS SReinholb) wieberholt
Unterftüfcung gefchicft. ^llejanber unb 3of)n machten nun einen
9Jiorbanfcf)lag auf König 3afob; babei fam eS ju einem SRing-
fampf, worin 3oljn SRuthoen beit König an ber Kehle paefte;
aber ©eibe würben julefct, Bon bet herbeigeeilten ©egleitung beS
Königs niebergeftofjen. SlleyanberS ©raut war eine ®nna SJiargareta
JouglaS; man glaubte, fie fei Born Könige geliebt; fie ftarb
im SEBahnfinn aus ©chmerj über ben Job beS ©räutiganiS unb
mag (neben bem üRäbchen ber ©age) ©fjafefpeareS ©orbilb für
(785)
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Ophelia unb ipr ©cpicffal gewefen {ein. — ißotoniu# ift, wie
£fcpifcpwip gejeigt pat, au# ^ßoliinnio (ißolpppmntu#) entftanben,
bem gelehrten ißebanten, ©cpwäper unb Sßprafenpelben in S3ruito#
ßuftfpiet „il candelajo“. 1586—88 lehrte ©iorbano SJruno
in SEßittenberg; optie .ftmeifet folgten ipm junge SJtänner au#
befreunbeten ßonboner Steifen. SBom 3apr 1590—92 ftubirten
nacpmei#licp meutere ©Rotten unb ©nglänber in SBittenberg;
Bon 1590—1600 tuar nacp $fdjifcpmi| bie fwdjfcpule uon
$änen au# bem pöcpften Äbel japlreitp befucpt. ©o erftärt
fiep benn fandet in SBittenberg Bon felbft; barin liegt feine
SJejießung auf ßutper unb bie Deformation, bie „ben ÜKenfepen
auf fein innere# Berweife", fonbern auf ben unfircpliepen,
moniftifcpen, pantpeifirenben, wenn niept pantßeiftifepen fßpilo*
foppen au# Dola, ber eine geiftige Derbinbung jwifcpen ©ngtanb
unb ber beutfcpen $ocpfcpule bewirft patte. SWögliep, baß
©pafefpeare ben fßpilofoppen 1586, wo beiöe SJiänner in Bonbon
waren, perfönliep fennen lernte.3 — Slepnlicpe ©reuet, wie im
|)au# ©tuart, patten fiep neun 3npre fpäter in ber gantilie
©ffej: abgefpielt. (Sffej war fcpneU in Dublin geftorben unb
gwar, wie bepauptet würbe, an ©ift. SBenige Jage pernaep
peiratpete feine SBitme ben ©rafen ßeicefter, mit bem fte fepon
Borper in einem unerlaubten SSerpältniffe geftanben patte,
©omit wäre @ffey fandet, ßeicefter ßfaubiu# unb ^oratio
ßffej greuitb ©outpampton. ßeicefter pielt ben ©ffej unter
bem SSorwanb Bäterlicper greunbfepaft auf bem ßanbe ober
im SoHeg; er mißtraute ipm unb entfernte ipn oon feiner
SDiutter — er füreptet ipn offenbar, unb ebenfo wie ©ertrube
ihren fandet, fürchtete biefe SWutter ipren ©opn, ben fte nie
mit feinem ©tiefoater au#föpnen fonnte. ©pafefpeare mag
immerpin einige güge au# @ffe£ in ben fandet aufgenommen
paben — im allgemeinen ift an ber ©ejießuitg ju 3afob feft«
jupalten. fandet patte fepon in feinem Sleußereit weit mepr
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oou bem fettleibigen unb furptbtnigeit 3afob, al« uott Sffej:,
ber ungeachtet eine« gewiffen .jpange« p fcfjtoermüt^igem ©rübeltt
bod) eine glatt jenbe, ritterliche, friegerifche ^Perjönlichfeit war.
SBa« Eättemarf betrifft, fo fommt bie« ßanb in ber eng-
lifdfjen ©efchichte jener mehrfach oor. 3afob« Stiefuater,
SothweQ, warb uon ben Einten gefangen genommen. ©lifabeth
ftanb mit Eänemarf in freuttbfchaftlichem Serfehr. Sauter
©lemente, au« betten fi<h <S^afefpeare§ Hamlet in feiner jc^igeti
©eftalt bilben fonnte. Eafj itn ©rttttb ©nglattb ber Sd)aupla&
be« Stüde« fei, liegt in ben SBorten V, 1 :
ipamlet: ,,©i fol Sßarunt hoben fie ihn beim ttad) ©nglanb
gefchkft?
©rfter Eobteitgräber: „9htn, weil er toll war. ©r fofl
feinen Serftanb ba wieber triegen, unb wenn er ihn nicht wieber*
friegt, fo thut« ba nicht oiel."
fiamlet: „Söarunt?"
©rfter Eobtengrctber: „9Kan wirb« ihm ba nicht oiel att=
werfen. Eie ßeute finb ba ebenfo toO wie er."
©benfo ift ba« 66. Sonett be« Eichter« fchott oft al«
Seitenftüd p |>amlet angeführt worben, ein Sonett, in bem
fid) Shafefpeare über ben Verfall ber Sitten unb fünfte bitter
beflogt.
Een Schluß be« Erauerfpiel« erfläre ich mir au« @haft’'
fpeare« banger gurcfjt, ©nglanb möchte infolge be« immer mehr
einreifjenben Serberben« plefct wohl gar bie Seute eine« fremben
©roberer« werben.
Eiefe nicht wegjuleugnenben geitbephungen merben nun
uott Sielen al« nebenfädjlich betrachtet unb, wenn überhaupt, fo
nur im Sorbeigehen ober gegen ben Schluß angeführt. 9111er«
bing« foflte freilich jebe« Stiid fidj felbft erflären; wenn aber
bie« nicht ber gall ift, wa« bann? Sei feinem anberen Erama
gehen bie Slnfichten ber ©rflcirer tueiter au«einauber, al« bei
Sammlung. 91. 3. V. 117. 2 1767)
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tarntet. SJlan mujj fid) ein $erj faffeit unb fagen: ber geiler
liegt am Jrama. |>ätte ©hafefpeare bie Sage einheitlich ge«
jeidjnet, bie Gegebenheiten wol)l motioirt unb bie Gljaraftcre
mit feften Sinien umriffen, fo wäre bie ÜJienge verriebener @r«
flärungen gar nicht möglich- vielen Süden, bie maitgel,
haften SJlotivirungen, bie fchwanfenben ©eftalten unb $eitver«
ftöjje beS ©tüdeS erflären fich leicht, wenn wir baS ©an^e als
Jenbenjftüd nehmen, als Älage über bie Slotlj unb ben GerfaH
ber $eit uni» eine SEBarnungStafel für Safob 1. 211S Jenbenj«
bramatiler burfte ©halefpeare nicht alles hrrouSfogen, ich011
weil bie £>auptperfon, bie er im ©inne hotte, noch lebte; er
muffte bie Slbfid)ten unb fßlätte ber honbelnben ißerfonen öer-
fchleiern, ben Jabel burch ibealifirenbeS Sob milbern, ©egenwart
unb Gergangenheit burcheinanber mifchen, baS ffanbinaoifcpe
Zeitalter als ©runblage ftehen laffen, aber boch auf biefer
©runblage einen Gau aufführen, ber feinen ^eitgenoffen befaitm
erfchien, bem ißublihtm Släthfel aufgeben — bieS alles freilich
auf Äoften ber ftreng gefcploffenen Sinheit unb Jeutlichfeit beS
©tüdeS.
Sölan !ann hier freilich ju weit gehen, wie bieS SRümelin be«
gegnet ift. 2tlS ^auptjwed unb Hauptinhalt beS ©tüdee faßt
er, ben tiefen ©inn unb bie verborgene SBeiSfjeit in bie gorm
fcheinbar irrfinniger Sieben unb Honblungen ju legen; bet Jüdjter
wollte fein Sicht leuchten, feinen ©eift unb 2Bi{s in neuen
formen fpielen laffen ; er wollte aufferbem bie hinter irrfinnigeu
Sieben öerftedte SBeiSheit ber eigenen SebenSerfahrung entnehmen,
bem fßublifum in frember unb ungeahnter ©eftalt eigene Stim-
mungen unb ©ebanfen oorführen, feiner peffimiftifchen SBelt»
unb .geitanfcfjauung einen berebten StuSbrud geben. @r benupte
nun bie Hmnletfage als ©efäfj, in baS er feine ©timmung unb
SBeltanfchauung, feinen Berger unb Gerbrujj, feine ©rillen unb
Saunen hineinlegte ; aber ber bänifc^e Hamlet, ber norbifdje H^b
<768)
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unb blutige Siädjer einer blutigen $f)at; eignete ficf) nicf)t jum
Präger fofcfjer 3been unb Stimmungen; bie SJtelaudjoIie, ber
uibrirenbe (Steift unb SBifc oon ©Ijafefpeareg eigener 2>id)terfeelc
finb bem mtjtljifdjen Slmtett) fern unb fremb. ©d finbet beim
Stumelin feine (Sinßeit in biefem ©tüd; er Betrachtet eg alg eine
Steiße oon ©emälben, oon benen jebeg für fid) feßr anfprecßeitb
ift, bk ober feinen jufammenftimmenben 3nßalt ßaben unb baßer
feine» beftimmten ©efamteinbrud machen fönuen. 83e$eicßnenb
ift hefonberg, wie ficß Stümelin über bie beiben ©eenen äußert,
in benen ber junge gortinbrag auf tritt, „ßein ÜJtenjcß würbe
etwag oermiffen, wenn bie beiben ©eenen weggeblieben wären.
9)tan fönnte ßödjfteng fagen, baß in ber lebten ©eene 3emon^
ba fein mußte, ber ein oerfößnenbeg unb erläuternbeg ©djlußr
wort fprießt unb ben gortbeftanb ber ftaatlicßeu Drbnung oer-
bürgt. ©iefe Stolle ßätte and) bem ^oratio jugetßeilt werben
fönnen." 3m entfdjiebenften ©egenfaß gegen biefe Sluffaffung be-
ßoupte kß, baß gerabe bie beiben gortinbrag, bie ber ‘JJicßter
mit meifer »ereeßnung jebegmal jur redjten 3eit in baS $rama
oerfliißt, ba« ganje ©tücf oom Slnfang big jum gnbe gu-
-fantmeHßalten, binben unb bünben. Stumeling «uffaffung, bte
St- Senebiy £itm ^errbilb weiter entwidelt, ift in bie weitoetj«
bläu,, b„i allgemeine gebiibett -jeitbetoufjtfein ouibrMenbe
„SUgemetue »eageft^te oon D. ®eorg Weber«
3n ber genaueren, Hein gebrudten »u8fü$tiing (SbatefOMre'
ma" “*»“< >« **».
Settf^enbet Sütffcf|u», Wnfitle, grübetnbe, unentfcf|iof[„„ 5b0.
rottet be« «nnjen oon Snnemart, melier ben lob feine» »<„,L
an bem Sümge, feinem Mürber, ja rochen bo6e ober f,thf, t.
Uber ju ®runbe gebe, fei «egenftonb unaWffiger sLi ^
unb ffleobacfjtung ber fiunftfritifer gemorben unb bof f,,, ™"®
(Unter $umor, 3ronie unb loü&eit oerMteierte tBa.n , ? ” '
«*-» •* * i« ÄSK
2* (769;
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20
gefunben. — Sllfo Junior, Sronie unb Soflfjeit ift nicht allef ? ef
liegt noch ein Dätfjfel bahinter. 9Kan fie^t, wie ber ©efchichtf«
fc^reifaer, ber übrigens! über bie Sragöbie feinen Sabel auf-
fpricfjt, fie oielmehr als „ooüenbctef ÜNeifterwerf" betrachtet, [ich
über ben roefentlidjen Inhalt biefeS SJleifterwerfef nicht flar ge*
worben ift. Uebrigenf möchte ich fragen, ob ei ein £ob für
ein ©eiftefwerf ift, wenn ef fo gang tterfdjieben aufgelegt toirb
wie Hamlet.
3Bir ftetleu nun ben ©ah auf: Hamlet ift ein geitgenöf-
fifcheS Senbengftücf, aber ef ift jugleid) mehr alf bieS ; eine »ofl-
fommene ©inheit ift nicht oorhauben, aber bie relatioe »erleugnet
fich nicht. befonberf burd) |>amletf SDionologe hot ber Sichter
unf einen Slriabnefaben in bie §anb gegeben, an bem wir unf
burch baf Sabprinth feiner Sichtung fidler hinburchfinben.
betrachten wir, um unf junt ©ingelnett ju wenben, bie @r-
fcheinuitg beSi ©eifteS in ihrer grunblegenben bebeutung. Sa
hat 1879 ©hr. ©emler in einem ©chriftchen über Hamlet hct‘
aufgebracht, ber ©eift fei ein armer Äauj, ber lange jammere
unb gar oielef rebe, fchliefclich aber über bem ©erebe unb ben
groteffen bilbern auf bem Senfeitf baf Sieffeitf oergeffe, näm-
lich ben ©hr9e'ä be3 bringen gu entgünbeit unb ihm feine Än*
wartfchaft auf ben Shron oor Stugen gu hotten. SEBaf nun bie
bilber auf bem Senfeitf betrifft, fo bienen fie natürlich nicht
gur ßharafteriftif bef oerftorbenen Stönigf; ©hafefpeare felbft
fpridjt im ©inne bef fatpolifchen ©laubenf, ber, obgleich bie
Deformation eingeführt war, immer noch nachwirfte. 2lber bifcher
hat gang Ded)t, wenn er fagt : Siefe namenlofen Cualen foD em
SRantt leiben, ber an Söürbe, an gelben-, Degenten- unb äRenfcpen-
tugenbeit einzig im Sieben baftanb; warum? weil er nach Stich,
im berbauungfguftanb, ohne beichte unb Slbfolution geftorben
ift. (Sf reichte gang ^in, bef ©etftef ©ehnfucht nach ©rlöfung
nur barin gu fe^en, bajj er nicht ruhen barf, fonbern umgehen
1770;
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21
muff, lote bieg ja im ©eifterglauben überall unb »on jeher bie
ftehenbe Annahme gewefen ift. ©hafefpeare hQt über @rfor>
bernifj »on bem ©einigen, »on feinem Aberglauben ^injuget^an.
Bifcher führt nod) eine ©teile äug 2Kafj für SDlafj an: III, 1.
Senn fich aber ber dichter felbft mit foldjen Bhantafieit trug,
wie reimt ficf) bamit Sßifdberö in bemfelben freft ber fritifc^en
©änge enthaltene Behauptung, ©hafefpeare toiffe fo gar nicf)tg
»on einer Sranfcenbenj, bafj er fich an bie ©pifje ber wahren
mDbernen 2Beltanfid)t fteHe; er fei niemalg unb immer religiög,
burch uitb burch ^ßant^eift ? SMefe Aeufjerung finbet fich iroQr *n
bem 1844 getriebenen Auffafc: ©hafefpeare in feinem 93er*
hflltnijjj jur beutfcheu fßoefie, ingbefonbere jur politifcfjen, unb
ber Auffafc über framlet mag fünfzehn 3afjre fpäter entftanben
fein; immerhin aber hätte Bifcher fich in ber Borrebe, wie über
anbere, fo auch über biefen fßunft bericfjtigenb äufjern foQen.
Sag ben ^weiten fßunft betrifft, fo muffen wir fageit: Sie
eg fich mit ber ^hronf°tSe in 3>änemarf »erhält, erfahren wir
tiirgenbg im ©tücf. 3ft framletg Bater geftorben, fo ift ber
/lOjährige framlet reif genug, fein fRachfolger ju werben; hatte
ber ©ohn ein 9te<ht auf ben $hron/ f® brauchte beg Baterg
©eift ihm bieg nicht lange ju fageit. SDer ÜÄörber wirb ohne
weitereg $önig; bag ift eine »oüenbete $h®tf®<he- 35afj framlet,
ber nur ein paarmal »on ber 9}iöglicf)feit, SDänettfönig ju
toerben, rebet, fich f® gleichgültig ju biefer fjrage ftcHt, mag
man in feinem unpolitifdjen unb thatfcheuen Sefen begriinbet
finben unb biefen $ug J® feiner 6f)arafteriftif bernt^en. Sarum
unterrichtet ung aber ©hafefpeare nicht genau über bie Berljältniffe
ber 3eit unb beg Ortg, über bie Berfaffung beg bänifchen ©taatg,
über Bot®™®8’ »®b feiner gamilie frühereg Berhältuij? jum
Könige? $>ie ©ypofition ift mit einem Sort mangelhaft.
3ief)en wir wieber bie Oreftie beg Aefcfjhlug gur Bergleichung
heran, .frier ift alleg, bie BorgefcfjiChte, ber Ort, bie $eit flar
(771)
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unb bestimmt ge^eic^net. $)ie§ fyängt freilich bamit zufammen,
bafj bie Oreftie eine Trilogie bilbet, |>amlet hingegen »wie ein
©rudjftücf, ba« nur mit fich felber zu Dergleichen ift , tot un«
liegt, halb Störchen, halb ©taatSaftion. 3n ber Siebe beö
£önig§ I. 2, roo ©ertrub bie hohe SBitroe unb @rbin biefeö
fricgerifchen Staat« genannt mirb, bezeichnet „©rbin" (jointress)
nach ^>euffi ba« Anrecht ber Königin auf ben Xljron, um ba«
an fiamlet begangene Unrecht, bafj er non ber $hronf°i8e au«>
gefchloffen morbeit, ju befchönigen. 8nbere Stellen feinen für
ein Zahlreich ju fprechen. „8m meiften hQt bie Annahme
für fleh, eS habe überhaupt eine ftreng georbnete ©rbfolge gar
nicht beftanben; ©laubiu« hQbe faftifdj bie erlebigte König«*
gemalt ergriffen unb fei burch nachträgliche 3uftimmung ober
Söahl be« Siolf« ober beö 8bef« bariit beftätigt roorben. ®«
tritt aber im ganzen Stücf feine biefer oetfehtebenen Huffaffuugen
flar unb entfehieben Ijeröor, obgleich jebe berfelben ber
ganzen ^anblung ein anbere« gunbament leiht."
(Siimelin). Sicht« fann treffenber fein al« biefe ©emerfung.
©ine meitere grage ift: SSelche 8rt oon Sache mirb bem
.jjjamlet auferlegt? allgemein mirb geantroortet: bie ©lutradje.
8ber ber ©eift lägt bem Sohne bie 8rt ber Sache ober Strafe
ganz frei („mie bu immer bie $hat betreibft"), unb ba finb nun
oerfdjiebene gaße möglich- 81« ber König bei bet 8uffüljrung
be« Schaufpiel« zitterte unb erblafjte, fonnte hantlet, menn er
bie Sache nicht früher ooflzieljen moHte, oor oerfammettem
©olfe auf ihn loSgehen, ihn öffentlich aufforbem, feine Schulb
Zu befemten, ihn nach erfolgtem ©eftänbnifj öffentlich abfefcen,
Zeitleben« einfperreit ober auf eine öbe gnfel oerbannen laffen.
©egnügt fich hoch auch bie ©rutu«fage mit ber ©ertreibung ber
larquinier unb mürbe bod) in ber neueren $eit ©hrißtön II.
für feine Stjrannei mit lebenslänglichem ©efängnifj beftraft. SBir
benfen bei Sache gar zu gern an ©lutrache, unb meil ©hafe=
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fpeare# .jpamlet, rote ber ?lmletfe ber ©age, ©lutracfee übt, fo
faffen bie ©rflärer ben Auftrag be# ©eifte# oon ber ©fticfet ber
©lutradje. ®er $ejt nötigt nicfet baju; ja, roemt tarntet bem
Auftrag be# ©eifte# gemäfe feine 3Rutter fronen follte, fo tonnte
bie# am efeeften burcfe eine fRacfee unblutiger 9lrt an iferem ©e«
mafel gefcfeefeen. fRacfe ©rimm# SBörterbudj unter „SRacfee" bleibt
fogar bei ber SeraÜgemeinerung be# ©egriff# oott fRadje immer
bie ©orfteOung be# Sertreiben# unb ©erfolgen# im ^intergrunb,
bie ttacfe bem alten, gemein-germanifcfeen fRecfet#begriff in ber an«
geführten milberen ober in ber ftrengeren g°rm/ wonach ber
©cfeulbige für oogelfrei erflärt rourbe, ftattfinbeu tonnte. Äucfe
biefc ftrengere Slrt oon fRacfee tiefe ficfe anroenben, fall# ber
üJJörber ficfe oott feiner @emütfe#erfcfeütterung erholt, bie 3Riffetfeat
geleugnet unb mit feinen SInfeängent ben ©piefe gegen |>amlet
unb £amlet# Slnfeattg geteert feätte. gfreilicfe, „wer bi« folgen
ängftlid) juoor erroagt, ber beugt ficfe, roo bie ©eroalt ficfe regt".
S)ie „füfene $feat" tennt er nicfet. Hamlet erroagt ju genau ben
Slu#gang, roie er felbft fagt, unb fo jeigte ficfe benn, bafe ber
neroö#-gefüfelfame ißfeilofopfe be# SBelt« unb 3e*tfc^)mei;äcS,
©ofen eine# gebilbeten 3aferfeunbert# eben baburcfe, bafe er nicfet
ficfe entfcfeliefeeu fann, eine milbere Slrt ber SRacfee $u üben, junt
fünffacfeen 3)1 ör ber roirb.
©ine weitere 2lrt ber fRacfee roar ba# @otte#urtfeeil eine#
groeifampfe#, ba# Hamlet ober einer oon feiner Partei mit bem
Könige auf ficfe genommen feätte. ©itten Irolmgattg oon ent«
fcfeeibenber SBirfuttg tennt ja fcfeon bie ©age oott Slmletfe# ©ater
£>oroenbill.
I'ie jeitgenöffifcfeen ©ejiefeuttgen roollen feier nicfet recfet ju«
treffen. 3Raria ©tuart, ©ertrube# ©cgenbilb, roirb juerft ge-
fangen gefefet, entfliefet, roirb lange 3afere nacfefeer toegett eine#
anberen ©erbrecfeett#, beffen fie befcfeutbigt roirb, feingericfetet.
©otferoeü, ba# ©egenbilb be# Slaubiu#, roirb toegett ©eeräuberei
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gefangen gefegt unb $mar uon einem fremben, bem bänifd)en
Solle. ®r ftirbt mabnfinnig im Setler. Sei ber Sejiebung
auf Seicefter unb ©ffef lägt unS bie Sergleidjung o^nebies gan$
im ©tidj.
ÜRit biefer Sluffaffuitg ber bem fandet aufgetrageneu fRadje
als einer Slutradje bängt ein anbereS folgenfcbmeress aRijjoer*
ftänbnifj jufammen, baS ficb ^auptfäc^Iii^ in t^eologifc^en ober
bejcbränlt religiöfen Greifen eingeniftet unb leiber fcf)on Berber
in feinem Sluffafc: „SEBilbelm ©balefpeare" jum Sl^n^errn bat-
Slud) .fperber, beffen $luffafc mir rafd) bingemorfen fcbeint unb an
manchen $>unfelbciten leibet, meint, ber gequälte ©eift forbere
oom ©ohne fRube unb SRadje, Slutracbe, unb fie^t in bem
©cbluh be$ ®rama3 baS SBert beS ©djidfalS ober Serbäng-
niffeS, baS bie 5Ratf)e beroirlt b abe mit unbefledten |jänben
beffen, bem fie aufgetragen mar. @r finbet in ibnt ben utnge-
lehrten OrefteS unb ruft bei bem Auftritt mit ber ÜRutter aus :
„SUo ftebt ibr bei biefem Auftritt, OrefteS, (Sleftra, JÜIqtämueftra!
„$en guten Hamlet lonnte trofc aller Sorfcbritte felbft feinet
SaterS ©eift aus feinem Sbaralter nicht treiben." 2)ann mar
am ©nbe biefer ©eift, roenn er bem fandet etmaS UnfittlidjeS
auftrug, eine böüifcbe Srfcbeinung, roofiir ihn fandet eine geit»
lang ^ielt. £erber mar ber ebenfo jartfüblenbe als nad)ben«
lenbe, aüeö mie auS einer ©eiftermelt betracbtenbe, uon meta«
pbbfifcben unb ©emiffeiiSffrupeln erfüllte unb auS biefem ©runbe
bie Stutracbe unterlaffenbe ®änenprin$ gan$ fbmpatbifcb- ©r
fanb in ihm ©eift uon ©balefpeareS unb uon feinem (|>erbcrS)
eigenen ©eift. ©cbt brrberifch ift auch bie Äbbängigfeit uon
aufjerorbentlicben, fonberbaren ßufäHen, bie fReigung, ficb oom
©cbidfal beftimmen ju laffen. SDiefeS ©cbidfal tritt nach Berber
bei fandet ein, fobalb er uon ber oerunglücften ©enbung nach
©uglanb jurüdgelebrt ift. Slebnlicb fagt Ulrici: „$>et natür-
liche ÜRenfcb in fandet fpornt ihn an jur $b°t unb br-
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id)ulbigt if)tt ber firaftlofigfeit unb Feigheit: ber dfriftlidie Sinn,
mehr ©efül)l alg flnreg ©ewufjtfein, hält ihn unwißfürlid)
jnrücf." SDarnad) wäre eg ^amletg SSerbienft, bie fRadje $u
unterlaffen, nicht ju Raubein. $ieg Reifet aber, wie Vifcher
mit fRecht bemerft, bie Jragöbie umfehren, an ihrer Voraug*
fe|ung rütteln. 3ft benn ber ©eift nicht ort^oboj djriftlid)?
3ft eg benn nicht btefer dfriftliche Später, ber bem fandet jn>
ruft: räcfje mid)? ^amletg gaubern if* aßerbingg eine golge
beg ©rübelng, ©rwägeng, fRefleftireng. SEBo aber im ganjett
©tüd zweifelt tarntet an ber SRedjtmäfjigfeit ber ihm auferlegten
fRad)e? $u fetter nimmt er bie Sache, wie er fid) felbftoor*
hält, unb am glüdlidjen Sluggang beg Unternehmeng jweifelt er,
aber für unfittlid), uitchriftlich Ifält er fie nicht. ©r meint, ber
©eift fönnte ein Xeufel unb bie sJlad)rid)t oon ber ©rmorbung
feineg Vaterg eine tiößifdje fiüge gewefen fein; fobalb er fid)
aber burd) bie Sluffüfjrung beg @d)aufpielg »öflig flar geworben
ift, befd)äftigt er fid) wieber mit bem SRacheplan. ®iefe dfrift*
lidpgefiunten ©rflärer fc^einen mir bie Vegriffe ©träfe uttb
fRad)e fid) nicht flar gemacht ju haben. Schon im Sprach1
gebrauch bebeutet (oergl. ©rimmg SBörterbudj unter fRadje) JRadje
nicht feiten Vergeltuug eineg Unrechteg burch ÜRenfcfjen unter
göttlicher ^Billigung unb $ülfe, fo namentlich im Sllten £efta*
mente; auch noch bie neuere ©prad)e rebet oon ber fRadfe ber
©efefoe, oon gerechter SRacfje, wofür jwei ©teßen aug ©chißerg mehr*
fach an ^autlet erinnernbem „SBilhelm SEeß" angeführt werben
(II. 2; V. 1). Sollte benn bag bie fiehre beg ©^riftent^umS
fein, mau Jolle bie öeftrafung eineg empörettben Verbrecheng ber
©ntwidelung ber 3*>tumftänbe unb bem ©ingreifen ber göttlichen
Vorfeffung überlaffen? Verbiente SRacbethg Verbrechen nicht
gerächt, geftraft ju werben? 3a, wenn §amlet wirflich mit ber
fRadje ©rnft gemacht hätte, fo hätte eg wie im „ÜRacbeth" jum
Vürgerfrieg fontmen fönnen, unb ber Sluggang wäre ohne gweifel
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gewesen, roie in biefem »erföljnenb abfcfjliehenben Xrauerfpiel. Auch
3Duncan« ©öfjne Ratten einen Vntermorb $u rächen, unb SRalrolnt
unb üJfacbuff haben bie« getljan, offne jur Vlutradje ju fd)reiten.
Au« biefem $rama fann man erfelfen, roie Vedft (IV. 3) unb
fRadje (V. 2) einanber nicfjt au«fchliefjen unD roie e« auch eine
eble 9tad)e giebt, bie ba« Sicfjt ber Ceffentlidjfeit auffudü unb
ba« Sntereffe be« ^Sriöatmanneg mit bem $ßatf|o8 be« für 9iecf>t
unb Freiheit ftreitenben Vaterlanb«freunbe« oerbinbet. — fRacfje
ift oft bloß ber patffetifche ober pathologifdfe Au«brucf für
©träfe, Vergeltung. SBie oft ertönt ber fRai^eruf in ben Ärieg«-
gefängeu au« ben Vefreiung«friegen, namentlich bei Sörner!
ffiine Siicfe in ber ®i<f)tung fehe ich barin, bafj fi<h ©hate<
fpeare nicht genauer über bie 2Irt ber fRadfe au«fpridft. Von Saerte«
(IV. 5) fönnte man fagen, hätte tarntet, menn e« nidjt $u fpat
gerocfen roitre, lernen fönnen, roie er gegen ben Vatermörber
auftreten muffte. gieljen wir nochmal« ben SHacbetl) jur Ver-
gleichung h^r. 2Bar e« nicht ihre« Vater« ©eift, ber 2>uncan«
©öhnen eingab, fich oor bem ÜRörber $u flüchten unb ihn mit
Ärieg $u überziehen? SDfit einiger ^?hantaf*e fann man ft<h bie
©rfcheinung be« gemorbeten Äönig« »orftetlen, ber feinen ©öhnen
ben $hQtbefianb enthüllt unb fie jur Sftac^e b. h- äl*m $luf*
ftanb gegen ben $hronräuber ermahnt. SRacbetf), SDfacbuff,
ÜKalcolm finb ©öhne einer friegerifchcn ^eroenjeit, bie nicht«
oon SBeltfchmerj, $heater unb fßffilofophie roeiff. 5)ie jeitgenöf-
fifchen Vejiehungen finb Har unb brauchen feine Vefdfönigung.
3n Hamlet aber ift ba« ©igenthümlid)e, bah ein philofophirenber
Vrinj immer mit VadfepIäHen umgeht, ohne fid) bie Art unb
SBeife be« Vorgehen« (modus proeedendi) Har ju machen. *@«
fragt fich: roa« ift ©hafefpeare« eigene Ueberjeugung gerocfen?
SBeitn bod) in ber langen 3eit jroifcfjen ber ©rfcheinung be«
©eifte« unb ber Aufführung be« ©chaufpiel« (III. 2) öamlet
ben ^oratio in« Vertrauen gezogen hat ober ihn eben jefct
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ootlenb« in« Süertrauen jiept, warum wirb ber üon .fpamtet fo be*
geiftert gepriefene, befonnene unb iiberlegenbe ^oratio nic^t ber
öeratper be« unpraftifcp-ejcentrifcpett Däitenprinjen ? SBarum
fagt er ipm nicpt, baft, ttacpbem burtp beit grfolg be« ©cpau*
fpief« ber ©acpüerpalt fiep flar perau«gefteDt pat, ba« Sefte
wäre, ben fiof ju oerlaffen, ein §eer ju fammeln, ben Stönig
ju befriegen unb ipm bie Ärone oom Raupte ju reiften? |>amtet
fönnte bann immerhin panbeln ober nicpt panbeltt; ba« Drama
fönnte feinen ©ang weiter gepen unb fcplieften, wie e« jeftt
fcplieftt ; aber ©pafefpeare pätte burcp einen einigen Dialog mit
|joratio ben ©rflärern öiele SJtüpe erfpart unb grobe SJtiftoer-
ftänbniffe jum oorau« abgefdjnitten. SSir miiftten bann : |>antlet
pat fiep mit fRecpt, aber er pat fic^ nicpt fo geraept, wie er fiep
pätte räcpen foHen. ©cpweigen ift nicpt bloft ber SReft, fonberit
beperrfept ba« ganje ©tücf.
Die fRacpe al« SBlutracpe aufgefaftt lenft auep ©rflärer, bie
oon aller religiöfen Sefangenpeit fern finb, au« ber reepten
Safttt. @o tabelt ©erbinu« mit berebten SBorten |>ainlet« Utt»
entfcploffenpeit unb Slengftlicpfeit, bie ipn pinbern, ben Auftrag
feine« S3ater« ju erfüllen. Sluf einmal aber fpriept er au«
einem gan$ anberen Don, fo baft ber Sluffäger bie SRolIe be«
Sßertpeibiger« übernimmt: „3n ber Slufgabe. bie fiamlet auf*
erlegt ift, tpeilt ipn ein innerer 3wiefpalt in fiep felbft, ber «Streit
eine« pöperett ©efefce« mit bem iRaturgefeft ber SRacpe, ber
feineren, fittliepen ©efiiple mit bem gnftinft be« SBlut«. ©einen
Zweifel an ber ©ieperpeit ber Dpatfacpe unb an ber 9tecpt*
mäftigfeit ber SRacpe, bie ©anftpeit feiner ©eele, bie fiep unbe*
wuftt gegen bie SDZittel ber Stacpe fträubt, ben fiang feine«
©eifte«, bie fRatur unb golgett feiner Dpat ju iiberbenfett unb
baburep feine panbelnben Kräfte ju läpmen; alle biefe ©frupel
ju genauer Srwägung be« ?lu«gang« nennt er felbft im (Sifer
be« ©elbfttabel« ju brei SSiertpeilen geigpeit unb ju einem Viertel
(TH)
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2Bei$Ijeit. ©^afefpeore ^at ober bie üJtifcf)ung fo öortrefflicf)
abgewogen, baß wir, gegen $amlets eigene fßarteilidjfeit wiber
fi d) felbft, ber äBeiS^eit gum minbcfien bie frnlfte gufdjreiben
werben. 3)em £>amlet raubt ein Ueberfdfuh an ©ewiffenfjaftig*
feit, Sanftmut!), traucrnbem ©ram feine Ifjatfraft." 3)a hätten
wir affo einen 3ufummenftoh oon ^Sflic^tcn, unb wenn bas
fpätere, gebilbete unb humane 3f»talter offenbar ^ö^cr ftef)t als
bie 'Jiaturfitte beS ^eroengeitalterS, fo muff bnä 9taturgefefc ber
9facf)e mit feiner blof? re!atit>en '-Berechtigung jurit cf treten oor
bem hüheteu ©efefc ber „ SBeiö^eit, Jugenb unb Sanftmut!)".
®amit nimmt ©erüittug ben Stabe! gegen Hamlet wieber gurücf.
folgerichtig muffte ©eroiuuS weiter fagen, |>amlet geige in
feinem 3flubern brei Viertel 2Bei8t)eit unb Ijöchfteng ein SBiertel
feigheit. SBer wollte eine Sntigone tabein, wenn fie bem fitt«
liehen ®efe| ber ©efdjwifterliebe folgt unb nid)t bem rachfüdj*
tigen Söefehl StreonS? ?lber auch bei 93tfcher fließen trofc alleg
fßroteftes ber bänifrfje unb ber englifd)e, ber ^eroifc^e unb ber
reflcftirenbe fandet fo ineinanber, bah ber erfte oon bem
gweiten bebeutenb beeinträchtigt wirb. SSifcher hält gwar an ber
9iadjepfUcht §amletä, bie er natürlich uh* Slutradje fafft, feft;
bah über fandet bie Shat hinau8fd)iebt, bah er fie genau unter»
fuchen unb ber Sache auf ben ©runb fommen will, bah er
namentlich gweifelt, ob ber ©eift nicht ein »ertappter Xeufel ge*
rnefett, bieä wirb oon Sßifcher entfchulbigt. 9?ad) ihm barf
.pamlet gaubern, feinem 3uubern liegt, gum £h«l wenigfteng,
ein ibealer Segriff oon 2öal)rheit unb ©erechtigfeit gu ©runbe.
„Ipamlet gweifelt an bem, wag unmittelbar oorliegt, unb bie
Xeufelgoorfteöung ift nur baö ©ewanb ber 3eitbegriffe, in bie
er fid) f leibet ; 3weifel b. f). 3meifel, ob genügenber SBemeig
oorhanben fei. Neigung gum 3meifel überhaupt liegt fo gewih im
$intergrunbe, alg fie oon fpamletg 9iatur ungertrennlich ift, im
Sorbergruttb aber liegt biefer beftimmte 3meifet unb biefer ift
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nid)t gu tabeln." Ta fommt mir ein (Sinfaß oon ungefähr: jo
hätte ich’ 3 gemalt, wenn id) ©hatejpeare« |jamlet gercefen märe !
Tafj boc^ bie Srflärer ißr eigene« fubjeftioe« Urt^eif, mie e« in ihrem
Temperament, in ihrer ©emütß«« unb ©eijteöridjtuiig murgelt, jo
ferner oerleugnen tönnen ! @8 fjanbelt fid) einzig unb allein um bie
grage, mie ©hatejpeare bie ©adje beurteilt, unb ba fiitb utt«
bie ßJionologe be« gelben unjere« ©tücf« oott grunbfegcnber
Söebeutung. SBenn mir bieje SDZonoIoge nicf)t mehr gu feiner
Sharafteriftif gebrauten bürfen, morauf moflen mir bie Stuf*
faffuitg feines ßfjarafterä griinben? SBon Stnfang bi« gum
©djlup tabelt |jamlet jein gaubem. @r hat ein prophetifche«
©emütt) (I. 5); jcf)on oor ber ÜJlittfjeitung be« ©eifte« Ijatte er
„etmaS oon argen Stänten" oermutpet ; ja, fd)on nach ber Slubieiig
jpridjt er beit tiefjten ©eelettjdpnerg au« über bie blutjdjänbe«
rijc^e fjeirath jeiner ßKutter. Ta« ©ejpräch mit bem ©eijte
tarnt auf alle bieje 33orgeichett nur ba« ©iegel brücfen, unb
menn nun tarntet gmei fDiouale nachher biejen ©eift, in bem
er bocf) jeinen Sßater ertannt hat, biejen ©eijt, ber it|m bod)
nic^t im Traume erj^ienen, joitbertt leibhaftig it)m gegenüber
geftanben ijt, jür einen Teufel holten tann, fo ift bie« fDiijj-
trauen im ©intte be« Tidjter« unb nach ber gangen Anlage be«
©ebicht« nur eine eitle, grunböerfe hrte ©elbftbejd)öitigung Hamlet«.
Ter SÄonolog (II. 2) geht oon ber 83orau«fe{sung au«, bafj fein
3$ater ermorbet roorben fei. SBie fattn §amlet in einem Sltljem
biefe Thatfache bejahen uttb begmeifeltt, menn e« ihm nicht oiel>
mehr um einen SSormattb für bie Söefriebigung jeiner äfthetifdijen
Liebhaberei al« um bie ©rmittelung be« Thatbeftanbe« gu th»n
ift? Tie ßftoitologe geigen un«, mie fandet fich gu feinem ®e*
roijfen fteflt. @r toill mehrmal« fich fctbft anlügen, fein gm*'
bem jehött anjtreicheu, allein bie ©prache be« anflagenben, gür*
nenben, ftrafenbett ©emifjett« bricht burd) alle biefe ©cheittgrünte
fiegenb burd). Ta« jRidjtige märe, metttt ftamlet eitt ©chaujpiel
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aufführen läßt, nicht um ficß oon ber SBaßrßeit ober Unmaßr*
^eit ber SluSfage beS ©eifteS zu überzeugen, foitbern um ben
Äönig, wenn biefer, mie Dorau$zufeßen njar, bei ber Sluffüßrung
bes ©tücfS fein böfeS ©emiffen oerratßen hätte, oor bem oer*
fammelten Voll jur Siebe zu [teilen unb auf irgenb eine ffieife
ben hoppelten Verbrecher zu [trafen. £>ier hoben mir ben
SSenbepunft beS ®ramaS, hier war eS noch möglich, bem ©tüd
einen glücf liehen SluSgang zu geben ; aber §amlet ift fchon lange
bem oerzeßrenben auSßößlenben 3roeifrl DerfaHen, unb eS geht
je$t immer mehr mit ihm abmärtS; beim er hot ben günftigen
Slugenblicf nicht benußt, bie ©elegenheit nicht beim Schopfe
erfaßt.
2)ie ©ntfcßulbigung bes gtoeifelnben unb zaubernben Prinzen
fommt zum Jßeil ouf bie [Rechnung beS 19. SoßrßunbertS, baS
felbft oom 3®eifel unb oou ber [Reflexion burchbrungen unb
baburch im §anbeln gelähmt ift, anbererfeitS aber biefen SJtangel
burch fo manche Vorzüge oergeffen läßt, ©enau betrachtet ift
freilich fchon bei ©^ofefpeare |>amletS ©ßarafter ztoeifeitig unb
Zmeibeutig. ©erabe barin liegt baS 2)ämonifcße beS ©tücfS,
baß ©ßafefpeare ber trägen, unentfcßloffenen Statur beS Prinzen
bie reizenbe Jolie eines feinfüßlenben unb fpefulatioen 3bealiften
untergelegt hat. @r hat ben bänifeßen [ßrinzen mit fo Dielen
liebenSroiitbigen 3ü8en auSgeftattet, ißn als geiftreieß, roißig,
gelehrt, empfinbfam, pietätsooll gegen feine SKutter gefcßilbert,
baß ber ©rflärer oerfueßt roirb, bie ffanbinaDifcße Urzeit, in ber
ein fotdjer (Sßarafter gar meßt möglich mar, zu oergeffen, Hamlet
iibermiegenb als ®oßn ber neueren 3ftt, ber er felbft angehört.
Zu faffen unb ißn möglichft zu entfcßulbigen. £>amlet ermeeft
unfer fDUtleib unb geminnt unfere ©ßmpatßie; er ift burch eine
Saune beS ©efeßiefö in einer roßen, ^ugleid) barbarifeßen unb
oerberbten 3e^ aufgeroaeßfen; eS ift ißm eine zu feßroere Saft
auferlegt, mobei tiberfeßen mirb, baß biefe Saft nießt gerabe in
V780;
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ber Vlutrache befielt, roieroohl ©Ijafefpeare biefen fßunft aller«
bing« beutlicher heroorheben burfte, unb baß Knbere, namentlich
|>oratio, mit fRnth unb $l|at i^m bie Saft tragen helfe« fonnten.
3)ie Zeichnung feine« ©harafter« nähert fiel) nun immer mehr
ben 3«den ber mobernen 3e*t? ift fei« 3aubem in zwei gälleu
gerechtfertigt, fo geht man meiter unb finbet ihn mit Slöftlin*
im SJiorgenblatt nicht thatlo«, weil ja poratio felbft am
©chiufe oon 2:hatet!- Sobten unb fßlänen rebe, fonbern nur utt«
praltifch- ÜJtan finbet mit SRümelin, .pamlet fei nicht feige, nicht
unentfcbloffen, er tobte brei fßerfonen, trete bem ©eift entgegen,
entere ein ©dfjiff, fechte mit Saerte«, er fei (gegen feilte eigene
(Srflärung) fein £an« ber Träumer; er roähle nur falfcße ÜRittel
für ferne 3wecfe, feine Jpanblungen feien fonfu« unb unjmerf«
mäßig. 2)ie Sluffaffung feine« (Sharafter« hängt freilich mit ber
Sluffaffnng attberer (£f)araftere jufammeit, be« Saerte«, fßoloniu«,
ber Ophelia, be« fRofenfranz unb ©ülbenftern. „Unfcßulbig,"
fagt Vifcher, „ftirbt nur Ophelia. Sille Slnberen büßen ihre
©djulb mit bem lobe." pamlet felbft ift nach Vifcher „fchulbig*
unfchulbig, unglücflich*g(ücflich ; fein fRadjeftreich erhält, ba ein
neue« Verbrechen be« Stonig« oor 3eu9en fonftatirt unb ba«
erfte Verbrechen baburch beftätigt mirb, bie Vebeutung eine«
öffentlichen fRichteraft«". 2Jlan fieht, wie ber £on hier Don ber
©djnlb hinweg auf bie Unfchulb fich neigt, |>amlet erfcßeint
überrciegenb al« ein Opfer be« ©chicffal«, al« ein ©erlogener
be« |>errn.
Vefonber« wichtig ift bann bie grage nach ber 3ufunft
2>änemarf«, roooon fchon oben bie fRebe mar. 3)er Verluft ber
politifchen ©elbftänbigfeit an einen anberen, früher befiegten unb
um einen Jheh feine« ©ebiet« oerringerten ©taat ift ein fehr
Zweifelhafter ©eroinn fogar in bem galt, baß ber neue £>errfct)er
bem oon Vifcher gezeichneten Vilbe entfpräche. Von löblichen
(Sigenfdjaften bei gortinbra« ^ebt ©hafefpeare uur Xapferfeit,
(781)
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$hatetibrang, politifdjeu ©brgeiz, Streben nach ÜJiadjterweiterung
hertwr. Ob biefe $üge in feinem Sljarafter aud) bem unglütflichen,
innerlich oerfaulten Staate $>änemarf zu gute fommen werben, weih
fein ÜJienfcf). „Hamlet" unterfcheibet fidj baburdj wefentlich non
„Siidjarblll.", „ßear", „Üftacbetl)", roo aQerbingö nach fo öielen unb
tiefen ©rfd)ütterungcn eine tröftlidie StfiluhauSficht eröffnet wirb,
wie $ifcf)er mit 9fecht bemerft. Sott Anfang an, mit ber
Stlpronrebe beS ©laubiuS, wirb biefe politifche Stimmung in uns
erweeft; bie @efat)r, an Norwegen baS restlich gewonnene ©ebiet
ju »erlieren, wirb oon bem praftifc^en ©laubiuS abgemanbt;
gortinbraS hat ober im eierten Slufjug ©elegenheit, fid) eon
bem zerrütteten #nftanb $änemarfS perfönlid) ju überzeugen, er
febrt im entfdjeibenben ?lugenblid zurücf, unb nicht nur ein $heil,
wie er im Anfang gehofft hatte, fonbern baS ganze ßanb $äne»
marf fällt ihm als Seute zu. £>ier ift Klarheit, Ueberfidjtlid}'
feit unb 3ufammenhang.
SDlag auch &ie tnehr ober minber optimiftifdje Äuffaffung,
bie feimrzeit in ber SDarfteHung eon Sogumil 3)awifon ihren
^»öhepunft erreichte, burcf) bie Jragöbie felbft eine ^Berechtigung
Zu erhalten fdjeinen, mögen wir uns eon Hamlets urfprüuglid)
eblem unb geiftreidjem SBefen noch fo fehr angezogen fühlen, fo
muh matt boch namentlich im ängeficht ber ÜJfonologe, wo alle
iüerfteHung aufhört, fagen, bah Sljafefpeare baS Hauptgewicht
auf bie Schattenfeite legt, bah w zeigen wiß/ täte bie eortreff*
lichften ©igenfehaften beS ©eifteS unb Herzen* burch träumerifche
Uneutfchloffenheit eergiftet werben, wie für ben ©inzelnen unb
baS ©anze Serberben unb Untergang barauS entfteht. Hantlet
hat feine Aufgabe grunbeerfehrt gelöft. Seine ©httter, bie er
fronen füllte, tobtet er burch feine Uneutfchloffenheit; ebenfo
ben ^olottiuS, ßaerteS, bie Ophelia, jruei Sdjulfreunbe liefert
er in oermeintlicher Slothwehr unb übel angebrachter SRadje ans
ÜReffer; er wirb, je nadjbcm man zählt, unb ben ©egriff ÜJiorb
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weiter ober enger fajjt, ein breifacher, fünffacher, fiebenfacher
SRörber; er felbft fommt ira Stachewerf um unb ber Staat
fällt an SJlorwegen; (Snglanb wirb nun in 3ufuilft bent *>er=
einigten S)änemarf»iRorwegen ainapflicfjtig werben. ©ine Sie r*
föfjnung liegt nur barin, baß Hamlet mit feiner SERutter unb
Saerte« oerföhnt ftirbt. 3cfj finbe in bem Schluffe bie herbe
Sehre, baß Unentfchtoffenheit unb f>albt)eit bie fchlimmften gehler
eine« gürften finb unb fich am fchwerften beftrafen
®ie genannte, mehr ober weniger optimiftifche Sluffaffutig
oon fmmlet« ßfjarafter war befonberl in ben 50er unb noch *n
ben 60er fahren unfere« gahrhunbertS oerbreitet — unb jwar
wahrfcheintich, weil ber 2)eutf<he, ber in bem nicht thatenlofen,
aber thattofen $amlet fich felbft bargefteKt fah, burch bie ein-
feitige §eroorhebung oon £>amlet« SBorjügen fich über fich fetbft
tröften wollte, gnbeffen wirb auch <<l 3u^unff ber fprichwörtlid)
geworbene Immletdjarafter feine 93ebeutung beibehalten. 3)er
fprichwörtliche fiamlet ift ein geiftreicher, philofophifch gebilbeter
SJtann, ber aber oor lauter (Grübeln, Ueberlegen, 3TDe*fefn unb
ßaubern nicht jum Raubein fommt, unpraftifch ift unb bleibt,
feine Stufgabe nicht löft, feiner Stellung nicht gewachfen ift.
S3on feinem 3l°eifeln ftnb auch häufig feine grflärer angeftecft.
$a foll ber Uebergang oom $enfeu $ur 2hat irrational fein,
in eine unenbliche Sinie führen; eine anbere, blinb wirfenbe unb
oorwärtStreibenbc Straft muß ba eintreten; an biefer jroeiten firaft
fehlt eS bem Hamlet — aßerbing«, wie nun einmal fein $enfen
befchaffen ift; e« giebt aber auch ein önbere« ®enfen, ba« nicht
ewig in fich f^tber freift, fonbern oon felbft jur $hat brängt ;
ber abftraftefte unter ben beutfchen 2)enfern, ber ißh*lDf°Ph
gicfjte, befaß biefe« ®enfen, e« trieb ihn jur Ihat» feine fReben
an bie beutjche Nation waren eine $hat unb bie Vorläufer
anberer entfprechenber $aublungen. SDafj £>amlet biefe« fein
eigentümliche« ®enfeu hegt unb pflegt, an feinem 3u>eifeln eine
Sammlung. 'Ji. g. V. 117. 3 (7s:i)
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greube fjat, Slubere necft, fierauäforbert unb ihnen entgeht, in
einem $ltf)em ffä fämefäelt unb fällt, im ©djöntfjun mit ben
SKöglfäfeiten einer SRachetfjat nicht einmal bie Slrt unb SSeife,
roie biefe $hot ju ooQführen märe, in« Sluge fajjt — ba« ift
jein geiler, feine ©cfjulb. 3)a« ©chicffat bietet i^m mehrmals
güti jtige ©elegenheiten jur ?lu«führung ber SRadje bar ; aber un*
bejonnener al« jener $önig, bem bie fibhüinifäen 93ü<her ange«
tragen mürben, lägt er fie alle unbenufct, bi« e« julefct f)ei§t:
Fata uolenteni trahunt. @r rfätet julejjt ein „nufcloje« Ölut»
bab" an, mie ©eroinu« jagt, unb begräbt bie ©röfje unb greiijeit
be« ©tant« in feinem gaH.
SRünteliu« ©fjatefpeare»©tubien merben immer epifäemacfjenb
in ber ©hafefpeare»2itteratur bleiben, unb mir müfjen be«roegen
genauer auf feine barin enthaltene Sefprec^ung be« Hamlet ein*
gehen. ®ar nie! Xreffenbe« bringt ber nüchterne Sritifer tytv
oor, aber, mie mir oben gefeheit hoben, er übertreibt ben SWangel
an ©inheit im ©tücf; er fagt auch $amlet« ©ho™^ einfeitig,
unb mie oon Slnbereit immer bie „geigheit" £>amlet« betont
mürbe, fo follte man nach Sftümelin« SDarfteflung meinen, ber
3>änenprinj fei ein ÜJtufter oon SERuth unb ©ntfäloffenheit.
Allein bie ifjaten -&amlet«, auf bie ffä SRümelin beruft, ge»
fäehen fojufagen in neroöfer S3erjrceiflung, mie bie« S3ifäer gut
au«geführt hat; fonft aber ift offenbar gemohnheitämäfjige tapfer»
feit, bejonnener ÜJtutf) feine ©acf)e nicht. 9Bie überall, fo auch
hier fämanlt er jmifäen jmei ©jtremen: geigheit unb 2Bag<
halfigfcit. SQ3a« aber ba« ©ntern be« ©djiffe« betrifft, fo be
merft ©ilberfchlag mit Siecht, ©hatefpeare h°&e burd) &ie ®rt
feiner Siiicffehr bem |>amlet jebe abfichtlic^e 3Biüen«beftimmung
nehmen unb ihn in feiner llnfälüffigfeit al« ©pielbaÜ be«
©cf)icf fal« barfteöen rcollen. SBeiter bemerft SRümelin, ber
©runb oon Hamlet« fonfufem, unjmecfmäjügem $anbeln fei nicht,
bnjj ©hatefpeare ihn fo barfteüen mollte; jmeefmibrige« Raubein
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habe nur im Suftfpiet, nicht in ber SEragöbie Staunt ; non einem
bramatijdjen gelben erwarten mir fo oiel Snteßigenj, bafj er
für feine $wecfe tan unpraftifcfjeS SJiittel wähle; unmöglich
fönne baS bie Abficht ©hafefpeareS gewefen fein, eine bloße Un>
plänglicßtat, baS auSpführeit, real man eigentlich miß, p
fcfjilbern ; fcfjon AriftoteleS nennt unter allen fjäflen einer bra«
matifctjen ^anblung benjenigen ben unbrauchbaren für ben tra-
giften dichter, in welchem bie tragifc^e ^?er}on ben Vorfa£
habe, etwa! p thun, ihn aber nicht ausführe. Aflein Hamlet
führt ja ben Vorfafc, etwas p thun b. h- baS Verbrechen p
rächen, anS; er tßut fogar mehr als er thun fotltc. 3>aS gmecf-
reibrige befte^t alfo bei ihm barin, baß er nicht p rechter ßeit
b. h- fogleich, eine fpanblung fonbern p Unrechter 3£ß b. h- p
fpät ju oiele ^anblungen ootlbringt. gwecfmibrig honbelt in
geroiffer Seife auch her tragifcße §elb, ein OebipuS, ein SJiac*
betß; fie hnnbeln aber in einer Seife, baß fie bas 3ta, nach
bem fie trachten, oerfeßlen; bie tragifcße 3roetfn>ibrigfeit wirb
unfere gurdjt unb unfer SDiitleib, bie fomifcße unfer Sachen er-
regen. |mmfet greift p SJiaßregeln, um feinen 3roeä iu £r"
reichen; f)taher gehört ber uerfteßte Saßnfinn, bie Aufführung
beS ©cßaufpielS, baS ©efprädj mit ber SJiutter, ber gegen fjio-
loniuS geführte ©toß, ber bem Sönige galt. Aber biefe SJiittel
finb bem 3ntecf nicht ooflfommen, fonbern nur halb entfprechenb ;
bie rechten SJiittel läßt er bei ©eite, unb jwar aus SJlißtrauen,
Sßtenfchenfcheu unb SJlenfchenoerachtung, gurdjt oor einer rafch
abfcßließenben Shat- läßeiter lefen wir: „2)ie retarbirenben
(prücfbrättgenben) SJtomente finb für eine Sragöbie fo unerläß-
lich bie Hemmung für eine gute Uhr. Senn fandet gleich
nach ffirfcheinung beS ©eifteS ben Alt ber Stäche ttoßpge,
fo wäre baS ©tüd in ber jweiten ©ceite p @nbe." 3n ber
Ühot ^anbe(t Hamlet ununterbrochen im ©tücf. ©eine wieber-
holten ©elbftanflagen jeigen nur, Wie fctjr ihn ber ©ebanfe an
3* (7»5j
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feine Aufgabe erfülle; barau« biirfe man nicht auf fjcig^cit
fchliejjen, fo wenig, als au« ben ©elbftanflagen ober
SDielchthal« — bie aber, müffen tüir bemerfen, im Unterfcfjieb
oon fandet« fortwährenben ©elbftanflagen gnn$ oerein/selt ba=
fielen unb Vorboten be« ^anbeln« finb. SBenn ©hafefpeare
nicht eineu unentfchloffenen S^araftcr zeichnen wollte, warum ift
er beuit oon feiner Quelle abgewichen? SBarum ^at er nicht
ähnlich wie im „Blacbeth" bie (Jrmorbung oon fandet« Bater
felbft unb ihre geregte Beftrafung nach Ueberwiubung ber ent>
gegeuftebenbeu ^inberniffe bramatifd) bargefteHt? ®ie jurüd>
brängenben Momente liegen eben in fandet« innerem; $ur ©träfe
bafür, bafj er bie Umftänbe nid)t benufct, oerftridt er fich immer
fefter felbft in ba« SJiefc unb geht mit ben Slnberen unter.
Hamlets $aubern fü^rt un« jur Betrachtung feine« oer-
fteUten SBaffnfimt«. ^ätte er nicht oon $au« au« ftarfe Än>
läge jum SSahnfinn, SBahnwifc, ju ftiflem, brütenbem ©chwer=
muth gehabt, fo wäre er auf biefe« Sßittel gar nicht oerfaüen.
Bei ihm war biefeö äJiittel jwedwibrig, weil er nicht, wie
ber Slmleth ber ©age, oon ben SRadjitellungen feine« Ch^im«
bebroht war. Unter ber 3Jia«!e be« SBahnfinn«, fagt man,
hofft er, ben SRacheplan entwerfen ju fönnen. Mein fchon ber
Slmleth ber ©age erregt burch fein närrifche« SBefen bie Stuf*
merffamfcit unb ba« 3Jii|3trauen feiner Umgebung, ©hafefpeare«
fandet trägt einen SBahnfinn jur ©chau, ber nicht, wie ber oon
©ajo« Slmleth, einen fomifchen, bie üachluft reijenben, fonbern
einen überwiegenb oerfchloffeneit, innerlich brütenben, oerbiffeneu
unb bebrohlichen Sljarafter ha^ oob «ben be«wegen muff er eher
feinem Borhaben fdjaben. ©ilberfchlag finbet ben ©runb in
Hamlet« SBunfcfj, al« ein 2Baf)nfinniger oom §of unb feinen
geften wegbleiben gu bürfen. 3?aoon fteht aber im Üejt nicht« ;
im ©egentheil geht fandet abfichtlid) oft unb Diel mit bem
Äönig«paar unb ben Röfleuten um unb hat feine grenbe baran,
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fie necfeit, fo bah fic gar nicht wiffen, wie fie mit ihm baran
finb, unb eben biefeö Siecffpiel, biefeS ^änfefnbe Slnbeuteit foü
liiert nur bie eigentliche Stocke oorbereiten, fonbern fefbft bie
Stelle ber Stäche oertreten, vmb je länger biefeS Spiel be$
SBahnwifceö bauert, um jo mehr muh eS als eine Slrt @rfah für bie
Stäche felbft gelten. Sßäre eS nicht jo, jo wäre eö unbegreiflich,
ba§ fpantlet nie über bie Slrt ber Stäche nachbenft ober mit
^oratio jich befpricht.
freilich erhebt fich Iper bie $ra0c/ °b fmmlet nicht wirf-
lieh mahnfinnig fei, eine jjrrage, bie nicht fo thöricht ift, roic fie
SJtanchem erjdjeint. ©eroinuS jagt : „tarntet« Söahnfinn ift nur
ber Scheinroahn jinu ; er ift oöllig bei Sinnen." Völlig bei
Sinnen ift Sayos Slmleth, aber nicht SljafefpeareS §elb. 9$or
bem 3n,e>fan,Pf mit SaerteS jagt fwmlet, er jei oon jich felbft
gefchieben unb oon fernerem Slrübfiun geplagt gewefen; breimal
gebraucht er oon biefem .guftanb ben SluSbrucf „SSafjnfinn". $>ie
Dlöglichfeit beS $obeS oor Slugen, pflegt ber SJlenfd) nicht ju
fügen; fpamlet befinbet fich nie in eigentlichem SBahnfinu, 100hl
aber häufig in einem bem SBaljnfinn ähnlichen 3uftaitbe. 2öer
Wochen* unb monatelang (baö gaitje Stücf mag brei bis oicr
SJtonate faffett) ben SBahttfinnigen fpielt, ber muh fich immer
mehr in einen mahnfinnähnlidjen 3uftan^ hineinarbeiten, gerabe
toie £er, ber immerfort lügt, feine fiügen unb Slufjchneibercien
jule^t jelbft, wenigftenS halb äu glauben, für wahrfcfjeinlich ju
halten genöthigt wirb. Hamlet wanbeit an fchmaler $ante beS
SßahnfinnS bahin, entfett fich immerfort oor ber (Gefahr, feine
ilüge möchte jur 2Birflid)feit werben unb wirb in biefem über»
reiften, franfhaft gefteigerten ©eifteS« unb ©emüthSjuftanb oon
einem Sleuherften jum anberen getrieben.
^ebenfalls hat $ifd)er Siecht, wenn er behauptet, Shafefpeare
hätte hier mehr motioiren folleit. (Sin SKouolog, in bem .£>amlet
ben S3orfafj faht, fich wahnfiuttig ju ftelten unb biefeu ißorfatj
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in feiner SBeife begrünbet, Ejätte erwünfcßteS 2i<f)t über feinen
ßtjarafter unb über ben .ßufammenhang be8 ©tüdeä oerbreitet.
SBifrfjer meint freilich, fpamtet fei ebenfo oerrücft wie alle
genialen SDienfchen, bie e8 nicht baljin bringen, baß ihnen ade«
fo fdjrecflicf) flar fei, tote orbinären Köpfen, fo oerrücft, toie alte
tieferen Naturen, bei benen einzelne Kräfte ftcf) ju fotcfjer ©tärfe
enttoideln, baß bie Harmonie geftört toerbe, unb er »iffe ba§
unb fönne e8 bocß nicht attbero machen, aber barum fei er nicht
toll im ©inne ber fßfpchiatrie unb SKebijin, fonbern miffe
uneublich mehr oon fidf, al8 fo mancher Kritifer, ber ihm
^ter^en unb Vieren prüfe; in biefem ©inne gelte oon ihm: er
fpielt ben Slarren, weit er einer ift. $ier ift bad jtoeimalige
„alle" angugreifen; rein hanttonifche Naturen, bei benen ade
Kräfte gleichmäßig entroicfelt ftnb, ©erftanb unb ©hontafie' ®Ci
bäcßtniß unb ©charffittn, finb ja feßr feiten. @8 giebt aber auch
närrifche ßeute, bie bloß periobifd) oon ©innen finb. @o weit
ift e8 gottlob noch nicht gefommett, baß jeber geniale SHenfcf)
fiep wie Hamlet beträgt unb ^attbelt. ©ott behüte un8 oor
folcßer ©enialität! $ie8 gilt auch gegen 2ied in feinem ©chrift«
tfjen: §amlet ein ©enie. 2118 ©enie, meint Siecf, benfe er nicht
an fein Siecht, auch nicht an fein Siecht jur $hronfolge; immer
faffe er nur ba8 füdgemeine in8 21uge unb oemachläffige bar-
über ba8 Snbioibuede. Sehnlich fage CS^riftuS a!8 religiöfer
©eniu8: „SBeib, wa8 habe ich wit bir $u fcßaffen?" unb wieber:
„SBer ©ater ober ÜJlutter mehr liebt af8 mich, ber ift meiner
nicßt wertß." @8 giebt aber gottlob auch h°rm°nifche ®enic8,
wie ©oethe; e8 giebt fenter praftifcße ®enie8, geniale ©taat8-
männer mit einem frfjarfen ©lid fürs ©ingelne Wie für8 ©anje.
©in ©enie im eigentlichen ©inne ift oljnebie8 fpamlet nicßt;
ißm eignet nur bie fprittgettbe unb abfpringettbe, ^erfahrene @e=
nialität, bie e8 ju nichts ©anjent bringt. 9iid)t einmal fein
waßnwibigartiger guftanb ift einheitlicher Strt. ©r lebt in einer
C788)
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Slrt ®eifte«bämmerung, bie mit |jetlfeljen roecbfelt. Taff er, ben
ftopf über feine ©cbulter aurücfgebrebt, non Ophelia jur Thür
binauSgebt unb ohne §ülfe ber Äugen beit SBeg finben fann,
erinnert an ba« ©cbamanentbum be« SRorbett«. 3n folgern 3U'
ftanbe ber Dämmerung unb be« fiellfeben«, be« ©eben« auf ber
ftante be« SBatjnfinnS, tourjelt auch ba« Söfi^artige ber 9tebe,
ba« Vermögen, burdf bie Äntroort auf eine fffrage ben f$ra*
genben $u oernicbten, inbem biefer ihren ©inn nicfjt faffen fann
unb erft 3«* ^bett mufj, ihr nacbjubenfen. Tiefer 3uftanb
läßt ihn aber aud) bie Änfc^Iäge feiner fjembe inftinftartig
burdjfdjauen unb rafdj bie treffenbften ©egenmafjregeln ergreifen;
baburd) ift er jaubemb unb fidf felbft iiberftürjenb, jart unb
roh, getuiffenbaft unb geroiffenlo«, !amt ben betenben SJater*
mürber nicht tobten unb liefert ohne fflebenfen 9tofenfranj unb
©iilbenftern an« SJieffer. Tiefe« Traumleben, biefer halbe SBa^n-
toi|, biefer fortrcäbrenb ebbenbe unb ftutbenbe ©eelenjuftanb läfjt
ihn nicht jur 2lu«fübrwtg feine« eigentlichen Vorhaben« fommen,
bi« ihn bie Umftänbe baju jtoingen; in biefem 3wiefpalt aber
gebt er felbft unter.
2Ber über gemiffe Tinge ben Sßerftanb nicht oerlieren fann,
lefeit mir bei fieffing, ber bat feinen ju oerlieren. 3um
toerben mar, roa« fiamlet am Änfang erleben mußte; aber eine
Ärt SBabnroih, eine fije 3bee gehörte fchon ba§u, baff fmmlet
fidj bie eitle ©cbeimoclt, in ber er lebt, noch fdjtoärjer au«*
mall, al« fie ift unb barum feinem beftcn greunbe, bem eblen
^oratio, fein 3utraaen fchenft. Tiefe franf^afte ©emütb«*
ftimmung ift nad) unferer Äitficht ber ©cblüffel ju bem oer*
micfelten, rätbfelooHen SBefett be« ißrinjen. Änbere, wie Sßifdjer,
finben ben ©cblüffel jum §amleträtbfel im ©etoiffen nach bem
SKottoIog III. 1: „fo macht ©etoiffen geige au« un« Ällenic."
Tabei rnirb ©oetbe« Slu«fpruch angeführt: „9Iur ber Setrach*
tenbc bat ©etoiffen, ber |>anbelnbe ift immer getuiffenlo«. 3m
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tpaubeln fann ein praftifc^eS ©enie e8 nicht Men recht machen ;
ei mufj b'e linb ba ein fRed)t »erlebt »erben, »emt ein fjotjer
3med erreicht »erben fotl; »er mitten im |>anbeln brin ift, ber
»irb »on einer I^at jur onberen unwiberftebtich fortgetrieben;
er fann ba nicht lange unterfucben, ob ba8, wa8 er t^ut, immer
in genauer Uebereinftimmung mit ben ©orfcbrifteit ber Sitten-
lehre ift. ©bett be8wegen, liege fid) fagen, mag fid) |>amtet
nicht in ben Strom ber $attblung ftürjen, fonbern gebt am
Ufer bin unb fyr, gebanfenooH erroägenb, ob nicht ber Strom,
»enrt er ficb ihm anöertraute, it)n unb mit ihm auch Stnbere mit
fort unb in8 ©erberben reifjen fönnte. @8 ift ihm eine ®e-
miffen8fathe, ben M8gang genau ju erwägen; ja er weifj, baß
er i^u ju genau erwägt. Mer in ber Stelle UI. 1 ift ba8
SSort conscience, ba8 St. SB. Sd)leget mit ©ewiffett überfcfct,
wohl eher mit ©obenftebt burch ©ewufjtfein (fReflejion, 9Jadj-
benfen) ju geben; e8 ift ba8 auf ben Selbftmorb angewanbte
retigiöfe fflebenfett in ©ctreff ber ©ergeltung nach bem 2obe.
Sbafefpeare glaubte ja unb lägt, wie oben bemerft, auch ben
Däneuprinjen an fpötle unb $immef glauben; batr.it ber oerbredie-
rifdjc Stonig nicht im ©ebet 511m Fimmel eingebe, frfjont er it)it.
$er ©taube an ba8 3enfeit8 bätt ibn alfo öom Selbftmorb unb von
ber ©lutradje ab. SBie pafjt aber ber SÄonolog : Sein ober 9iid)t«
fein ju biefem ©tauben ? SBie fann 2>er, bem erft üor ein paar
ÜK onateit ein ©aft au8 ber anberen Söelt erfdjienen ift, fotcbe 3,ÜCÜel
an einem Sieben nach bem lobe an8fprecben? £>ier ben ^amlct
attcb nur in bie notbbürftigfte Harmonie mit fid) fetbft ju
bringen ift faunt möglich; man müfcte beim annebmen, er fei
ein eingefteifchter Zweifler gewefett, ähnlich jenem Sfeptifei, ber
betete: „O ©ott, wenn e8 einen gicbt, erbarme bich meiner
Seele, wenn id) eine ^abc, unb mache mich einmal ewig fetig,
wenn anber8 mit bem $obe nicht atte8 au8 ift."
2>ie8 führt un8 ju ber grage oon f>amtet8 ©tauben att eine
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göttliche SBorfehuitg 3«: mehr eS bent @nbe gugef)t, um fo mehr
rebet er »on ber Sorfeljung, bie unfere 3wetfe (affo auch feinen
3tnec!( mentt er einen folgen flar »erfolgt) forme nnb über ben
gaQ eines ©perlingS mache. S3on jeher mürbe »on millenS«
fchmadjen ißerfonen ber 93orfef)ung8gIaube ins ©piel gezogen
nnb, menn bie ©inge nicht ben gemünfdjten SBerlauf nahmen,
baS ©chidfal bafür »erantmortlich gemocht. 5Run f)at jo nad)
Berbers unb Süitberer Sluffaffung ber |jelb eben, inbem er baS
©cfjidjal malten liefe, baS SRacheroer! mit unbefledten fjänben
»ollgogen; baS ©djidfal l)Qt ifjm baS SRadjefchmert in bie £atib
gebriidt. iBifcfeer rebet ebenfalls »om ©d)idfal, löfet gmar ben
frnmlet fcfeulbig merben, aber nid)t fein ©chidfal fcfeafft fid)
ielbft ber ÜJlenfd), fonbern 2Renfch unb ©djidfalSmadjt mirfen
gufammen unb bringen bie ©ragöbie gu ftanbe. ©em fandet
märe aber ftatt ber „SBorfeljung" »ielmeljr bie ÜRemefiS, bie »er«
geltenbe ©eredjtigfeit entgegenguhaltcn, ber IRiemanb entgeht.
SBir fönnen nur mit ©eroinuS unb fRötfdjer annehmen, bafe im
©inne beS ©idjterS biefe Berufung auf bie SSorfefenng ober baS
©chidfal gut rceiteren ßfearafteriftif beS t^atlofcn unb feine
©hatlofigfeit in ber ^auptfadje, mie feine einzelnen ©baten, bem
©djidjal gurecbnenben bringen bienen, ©o betrachtet er ficfj
benn als bliubeS SBerfgeug ber ©d)idfafSmacht; im ©lauben,
biefe ÜDiacfet merbe bocb giriert baS Sefte tfeun, tjartbelt er, mo
er b^nbelt, mit einer Slrt dolus eventualis; für ben SluSgang
macht er bie ffiorfehung »erantmortlid). gäHt feinem tollen
Vorgehen ein fcfjulblofeS Opfer, fo läfet fid) baS ber gbealift,
ber in bem mirflid)eit SBeltguftanb nur eine ©atire auf feine
Qbealmelt fe^en fann, menig fümmern; ift bie SBelt ein miifter
©arten, »on »ermorfenen Untrnut »ötlig erfüllt, fo mufe tiefes
natürlich auSgerottet merben. 2luS biefer ÜRenidjenoerachtung
erflärt fich feine ©raufamfeit gegen ben tobten ißoloniuS, gegen
Ophelia, iRofeufrang unb ©ülbenftern. ©ine anbere ©rflärung
(791)
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behauptet freilich, ©hafefpeare habe feinen blutfrohen unb neran-
ftarfen 3ufäaumt in e<f)t englifchem, graufamem ©efdjmacf, wie
im „Äönig Seat" unb fonft, fid) gefällig erweifen wollen unb
baljer biefe 3üfle aus ber ©age unteränbert herübergenommen,
obgleich fte ju bem übrigen ©horafter beS gelben, ju feiner
jartfüf)lenben Statur, feinem ©eift unb SBifc nicf>t paffen. „SBir
befommen ungefähr einen (Sinbrucf, wie wenn Iphigenie bei
©oetbe einmal in einem 3üufd)enaft als ^Sriefterin ein paar ©e-
fangene auf bem Sitar ber ®iana $u fchladjten hätte." 3clj haIte
biefe Vergleichung SRümelin« für unglüdlid). 3n ber 3pbigenie
geht eS non ber Stadst $um Sicht, oon ber fRoheit $ur ©efit-
tung, nom ©rab jum Seben; im „|jamlet" oom ©rab jum ©rab,
jur Stacht, jur Verroefung ; Wir fönnen !aum freubig aufathmen ;
faft alles ift faul, auch bie äufcere Vübung; bie feinen 9Jta-
nieren in biefer £>ofgefchithte finb meiftenS uur angetünchte Un-
natur, ©emeinheit, oerworfene Sdjfelträgerei. 3)aS fogcnannte
chriftliche ober proteftantifche 3eitalter fann biefen Xhatbeftonb
nicht änbern; man barf nur an bie fReligionSterfolgungen, bie
fieser- unb |>e;cenhinrichtungen , an ben meifjen unb rothen
©cfjrecfen ber franjöfifchen SReoolution erinnern. ®ie gebilbetften
Stationen hoben fich fchon mit ben abfcheulichften Unthaten
beflecft, unb bei Völfern, bie non ber Shiltur faum belecft finb,
finben fich eble, fittU<h benfenbe unb hanbelnbe SJtenfchen. ©in
fßublifum, baS im Xheoter fich on ber ®arftellung oon blu-
tigen, graufamen Suftritten weibet, ift im ftanbe, felbft folche
$hoten ju begehen. SJlan fann alfo bcibe ©rfläruitgen, bah
©hafefpeare fich bem rohen ©efchmacf ber 3uf<houer attbequeml
unb bah er bie 3üge ton ©raufamfeit mit ©lücf in |>amlrt3
(Sharafter begriinbct höbe, mit einanber terbinben. ©ertinus
erinnert noch baran, bah baS beutfche Volf, ber moberne fandet,
tro§ feiner philofophifchen unb äftfjetifchen Vilbung in ber 3«*
feines trügerifcfjett nationalen SuffdjwungS (1848/49) fich mit
("92!
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SBIut unb SKorb befledt habe. SIber fdjon im englifcfjen 93olfS>
cparafter liegt eine große SdjonungS* unb SRiicffic^tSlofigfeit.
Tiefe meltoerachtenbe Stimmung Hamlets bürfte ber ©runb fein,
toorum er, ber eben auch gur 933elt gehört, fein eigenes Seben
mehrmals in bie Spange fdffägt. Tie gonge SBelt ift in feinen
Slugen nur mertf), baß fie gu ©runbe geht, unb menn er gu
Ophelia fagt: „Sch foge, mir moOen nichts mehr oom |>eiratfjen
roiffen; mer fc^on oerheiratljet ift, Sille außer ©ittem, foQ baS
Seben bemalten, bie Uebrigen foQen bleiben, mie fie finb," fo
erinnert bieS gong an ®. o. jpartmannS 'iß^antafie oon bem
gleidjgeitigen, gemeinfamen SBefcfjluß ber SKenfc^^eit, baS SBotleu
aufguheben unb ber 9Renfd)f)eit$gefd)i<§te ein @nbe gu machen.
^amletS Temperament ift offenbar baS melandmlifdje mit
einem bebeutenben gufafc ®on fß^tegma; oom Sanguiuifer hat
er feljr menig; baS ©fjolerifc^e lauert im ^intergrunbe unb
bricht, menn ihn bie Umftänbe oormärtS brängen, in raffen unb
itberrafd)enben Stößen ^eroor. TaS ift baS ©efälfrlicfje in
feinem SBefen, beffen er gegen SaerteS ermähnt. SB aS fein
^fjfegma betrifft, baS ficfj in ißm mit bem |>ang gur Schmer
mmb oerfchmiftert, fo fönnte man mit ifjnt unfern Sdjubart
oerg feigen, ber in beu midjtigften SebenSoerhältniffen fid) oon
gufätligfeiten beftimmen, millenloS fich in bie ©efangenfdjaft
führen unb auch auf bem SlSperg bie ©elegenfjeiten unbenußt
ließ, aus feinem ©efangniß gu entfliegen. 9iur oon Sdjubarts
Seidjtfinn muffen mir §amlet freifpredje«. TieS hängt freiltdj
bamit gufammen, baß mir über fein Seben eor feinem breißigften
Saßr, fo alt ift er im Trama, gar nidjtS erfahren. SBäre baS
Stüd gleichmäßiger burdjgearbeitet, fo mürbe SBittenberg unb
.^amletS Thun unb Treiben bafelbft ein IjerTlidjeS ©egenftüd
gu SaerteS Slufenttjalt in ^ßaris bilben, ben mir uns nach feines
S3atcrS ©rmahnungen unb nach ber Stbfenbung beS SpäßerS
Sieinfjolb leicht auSmalen fönnen. Tie SBorte „@r ift fett unb
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furjeit 9ltt)era8" foBen fid) auf ben ©djaufpieler Surbabge be-
ziehen, ber |>amfeta Soße gab; fic gehören aber $ur S^arafterifti!
fjamletS. ®a$ Süchtige finbet fid) f($on bei ©oethe SB. SReifter
V , 6. $ur S3ergleid)ung bient ber fjagere SaffiuS, twn bem
liäfar in bem nad) ©eroinuS gleichzeitig mit unferem £rauerfpiel
entftanbenen „3uliuS Säfar'' beS ®id)terS wünfdjt: „SBär er
nur fetter! 3d) lernte SRiemanb, ber ihn efjer miebe, al« biefer
lagere ©ajfiuS", — eine ©teile, auf bie fid) ©d)iHer in feiner
£f)arafterfd)ilberung 3Bill)elm3 non Oranien bejiel)t.
©o ftef)t Hamlet oor unS, nicht ein ooßenbeter äRattn,
mie fein SBater, fonbern ein fd)Wermüthiger, in unausgeglichenen
SBiberfprüchen fid) abarbeitenber Süngling im Uebergang zum
SRanneSalter, bafj ihm, inenn er feine ©chweße überfchritten
hätte, nur neue ©äfjrung, aber feine ftlärung hätte bringen
fönnen; ein genialer fßebant, ber fRebenperfonett opfert unb bie
§auptperfon bis jule^t »erfd)ont, ber öor lauter Säumen ben
ÜBafb ni^t fieht unb oor bem Sluägang auf ©rben unb ber
3ufunft in einer anberen SBelt jurüdbebt; ein ©orgengriibler
HfQinroyQovitaryi;, SlriftophaneS), ber über ber ^ufuttft b*e
©egenwart oerfäumt; ein geiftreicher $l)eoretifer, ber nicht &en
SBeg zum Jfjanbeln finbet. gortinbraS fa9t 5»ar/ er f)ätte,
märe er auf ben Sh™11 flelangt, unfehlbar fich hödjft föniglich
bewährt — ja wohl, in ruhigen, aber nicht in ftürmifd) be-
wegten, unruhigen feiten. 91 n unb für fich taugte er eher
zum fßrofeffor in SBittenberg, als jum ftönig uon $änemarf,
ber er nad) »oBbrad)ter SRache unfehlbar geworben wäre.
fabelt wir fo jugeftanben, bafj ©hafefpeare wegen ber
9lnjpielungen auf ^eitöerljältniffe, politifdfe guftänbe, Seit-
genoffen unb auS fRüdficfjt auf baS nad) SÜiwedjfelung i»er-
langenbe ^heaterpublifum bie hierher gehörenben fßartien mit
aßjugrofjer Sorliebe behanbelt unb bariibcr bie ftrcng gefchloffeue
©inbeit beS ©tiids oerfäumt hat, fo müffen wir boch behaupten,
(794)
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baß bie Sßerfon beg |>auptbetben, in beffen ßbarafter ber £etb
ber Sage, Äönig Safob, ©ffej, ©batefpeare felbft nach einem
Steile feines SBefeng äufammengeffoffen finb , ftdj recht mobb
wenn man nur genau ficb an ben £ejt ^ält, ftatt ihn ju
meiftern, alg eine tebengwabre, gerichtlich unb pfpcbologifd)
mögliche ißerjönlicbfeit auffaffen läjjt. ®ie SEBelt ift ja »oller
fBiberfprudj unb eg giebt in ihr eine SDtenge wiberfprucbgoofler
S^araftere, wie j. 93. eben unfer ©cf)ubart. 3a, eg taffen fiel)
noch wiberfprucbgtwßere ß^araftere benfen, alg ber ®änenprinj.
ßg fommt nur barauf an, baf} man bie einzelnen ß^arafterjüge
aus* einer gemeinsamen Cueße ableitet. 35iefe ift bei Ramtel
ber ^>ang jum Zweifeln unb ©rübeln, bag franfbafte Süiijjtraueu
gegen ©ott unb bie SBelt. ,§ier ift freilich ber Sßlangel einer tlaren
ß^pofition, eineg feften Unterbaueg fe^r ju bebauern. Jgiamlet
ift, wie er ift; wie er aber fo geworben ift, erfahren wir
nicht.
3ft fo bie fjauptfacbe gerettet, fo tonnen mir mandje
fölättgel in ber ÜJiotioirung unb in ber Zeichnung ber anberen
ßbataftere sugeben unb bie ßtflärer ruhig ftreiten laffen. Sei
Öpbelia5 weift ©ifdjer mit ©lüd nad), baß bie ÜDiotioirung
oon |>amletg ^Benehmen gegen fie mangelhaft ift. Sßäre bie
äJtotioirung genauer, fo wäre auch ihr SBefen burcfjfitfjtiger,
würbe fie nid)t oon bem ßinen atg fdjulbig, oon bem Anberen
atg unftbulbig, balb alg fJlatur, halb atg JRofette, batb atg
üßeildjen, batb alg gtubenbe ©idjtrofe gefafjt. 2lu<b über fic
werben bie Sitten nicht fo balb gefdjloffen fein; ihre Sluffaffung
bängt »on ber ßrtlärung ber Sffiorte eineg launenhaften, ^alb
wabnwißigen fßrinjen ab unb fie felbft wirb oor ©cbmerj
wabnfinnig. ÜJiöcbte eg boeb ©batefpeare beliebt haben, müffen
mir mit Sif^er wünfeben, ung bur<b einen SDtonotog Ophelias
ober /pamletg aug ber Serlegenbeit ju Reifen. 9?ad) meiner
Slnficbt woßte ber ^Dichter Cpbetia alg förperticb unb geiftig
(795)
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fcßulblog, alg reineä SJlöbcßen ßinfteßen. S33ie bei aßen gingen
fo muß man audj beim ©rama auf ben Stnggang feßen. Slug
ben Sieben beg fünften Slufaugg oon ber unbefledten §üße ber
fitßen Ophelia geßt bieg Har ßeroor, unb fmmfetg SBorte non
ber ©ocßter 3epßtag erfcßeinen nun alg bloße Siederei gegen
ißren Sßater. Slucß bariiber wirb geftritten, ob §amlet bie
Ophelia geliebt ßabe ober nicßt; aber aucß ßier mirb ber Streit
burcß §amletg Slugruf bei ißrer 93eerbigung entfcßieben, er ßabe
fie meßr geliebt, alg oierjigtaufenb Sriiber fie ßätten lieben
fönnen. 3'e^en öon bem ftarfen Slugbrud nocß fo biel
ab, fo bleibt eg bocß geroiß, baß |jamlet fie geliebt ßat, roenn
er audf auf bem ©runb ber mit feiner SJiutter gemachten traurigen
(Jrfaßruttg, roie an ber roeiblicßen ©ugenb überhaupt, fo audj
an ißrer Sleinßeit gejroeifelt ßat. ©er obengenannte ftarfe
$ugbrud erinnert an feine Sleußerungen über ficß felbft, in benen
er fidß gerabe roie feinen Dßeim alg einen Scßurfen unb niebrigcn
Sflaoen bejeicßnet. ©ie Selbftaitflage bleibt fteßen unb ßat
im Sinne beg ©icßterg recfjt, fo oiel aucß oon ißrer gorm auf
bie Siecßttung ber augenblidlicßen Stimmung gefeßt werben mag.
©ie fcßlüpferigen Sieben unb leisten SBergcßen, roelcße bie SBaßtt>
finnige ßörett läßt, bie fidß mit ©obeggebanfen trägt, erflären
ficß aug ber oerbor betten $ofluft, bie fie eingeatßmet bat,
»ießeicßt aber auch jugleicß aug ber befannten ©ßatfacße, baß
bie gefcßlecßtlicß reinften SJienfcßen bei Seucßen ober im SGBaßnfinn
bie fcßlüpfrigften Sieben füßren unb gelegentlich ficß ben roilbeften
Slugfcßroeifungett ßingeben. Soccacciog ©efamcron berußt auf
ooßfommen pfpcßologifcßem ©runbe; mitten in ber ißeftjeit
werben bie üppigften ©efcßicßten er^äßlt. Sßafefpeare ober in
feinem Slamen fiamlet ßätte alfo feinem SBeltfcßmerj aucß bet
Opßeliag 3e*£^nu,1S 2uft gemacßt, inbem er fagen rooßte, baß
felbft in ber reinften „Jungfrau Scßamerrötßen geßeime Suft
begehrlich gittert" (|jeine), baß eg feine troßfommene roeiblicße
U96)
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Jugenb giebt, bafj aud) bei ber reinften ber oerborgene un*
reine |>ergenggrunb gelegentlich an ben Jag tritt.
(Sine ber widpigften ©emerfungen SRümeling ift bie, bafj
©hafefpeare mehr fcenenweife, alg im tpinblicf auf genauen
ßufammenhang beg ©angen gearbeitet habe. ©ie trifft beim
fmmlet big gu einem getuiffen ©rabe gu. Ja ift ber alte
©oloniug, ben ©fjafefpeare offenbar immer fo gejeic^net hat,
wie er ihn gerabe brauchte. SBir oergid):en barauf, ein eirtfjeit*
licheg Sharafterbilb biefeg ÜRanneg gu geidjnen, ber oon bein
Einen gu hoch, oon bem Slnberen gu niebrig gcftetlt wirb,
unb bemerfen nur, bafj er atg cfjarafterlofer $ofmann, alg eitler
Schwäger, alg überoorfichtiger , wohlbienerifcher ®ed erfcf>eint,
beffen ^auptweigheit im Mijjtrauen unb in ber Erregung oon
Mifjtrauen bei Slnberen befteht unb baß burd) feinen Job bie
SBelt nicht üiel oerloren hat- Eigentlich boghaft ift er nicht,
planmäfjigeg $anbeln liegt ihm fern unb eg ift bie fcltfamfte
©djrulle, wenn glathe meint, ©oloniug unb feine gange gamilie
trachte nach her Äöniggwürbe, Ophelia fei $amletg ©eliebte
geworben, um einft feine ©emafjlin unb alg folche Königin gu
werben, unb fie ertränle fid), nacpbem burd; ben Job ihreg
©aterg unb ^amletg Jreulofigfeit unb SEBahnfinu ihre Hoffnung
gerronnen war. 2BeId)e fßhflntafien beg Äritiferg!
Jie übrigen Eharaftere fiab Je^t iu »erftehen: Jer ge«
wiffenlofe, biplomatifch fdjlaue, um fein Mittel, bag gum ^3iele
führen fann, oerlegene Äönig, bie fd;wache, finnliche ftönigin,
SRofenfrang unb ©ülbcnftern, |>amletg 3ugenbfreunbe, aber gu>
gleid; Jfjofleute, ihrem Äöitig blinblingg ergeben, oon Epamlet
genedt unb gefoppt unb gulefjt auf perfibe SEBeife in einen ge«
waltfamen Job gejd)idt, ba fie hoch oon bem eigentlichen groed
ihrer ©enbung nach Englanb nichtg wußten unb hantlet fich
baburch hinreid>enb fiebern fonnte, bafj er ben ihnen übergebenen
©rief beg Äönigg oernidjtete.
(7»«:
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ßaerteS ift urfprünglich ebenfalls Hamlets greunb; g»vifc^en
©eiben maltet aber baS entfdjiebenfte SRihtrauen; fie gieren
ftcf) ooneinanber gurücf unb bie Grmorbung beS ^ßofoniuS burcb
fandet nährt biefeö SKihtrauen immer mehr unb befeftigt eine
uttauSfüllbare Äluft gmifchen ©eiben ; ßaerteS ift ebenfo jefuitifch
gefinnt mie SlaubiuS unb im Slugenblicf ber fjödjften Gefahr
Hamlet felbft: er greift gum uerrudjteften üftittel, um feinen
Gegner aus bem SGßege gu räumen, ©ei biefer Gelegenheit
erfahren mir, bah tarntet fich, fo lange ßaerteS in ißariS mar,
beftänbig im Gebrauch beS SRapierS geübt hui- buchte er
oieHeidjt an bie SDlöglidjfeit eines 3,l>eitampfeS — nicht mit
ßaerteS, jonbern mit bem Könige, um auf biefe Sßeife fich an
ihm gu rächen?
2Bir müffen noch einmal gu fRümeliu gurücf. @r meint —
unb 9i. ©enebij übertreibt biefe ©ehauptung ins Abenteuer*
liehe — , bie ^Dialoge beS fubjeftioeit |>amlet ha&fU f° ®i«I
SRaum eingenommen, bah baburd) aflguftarf gurücfbräitgenbe
Momente in bie ^anblung ^ineirtfamen. „3>er ©agen-$amlet
mu&te fid) baher felbft oon 3e't gu 3e>1 ber ©äumttih unb
Unthätigleit anflagen unb eS fdiob fich f° oermittelnbee
3mifd)englieb frembartiger (Slemente bie ffiorfteßung beS geift-
ooüen, unfchlüffigen ©äumerS unb Träumers ^tnetti. SDieje
erregt bann h<n unb roieber ben ©djem, als ob baS Gange
hoch in einem Guffe gebacht märe unb oeranlafjte jene mancherlei
fünftlichen Deutungen, bie fich fchliefelich als unburchführbar
ermeifen." ®amit rcirb ber Grunbcharafter beS gelben, bie
Gruttbibee unb baS 3*c* ber gangen Sragöbie aufgehoben.
|>amlet muhte feine Unentfdjloffenheit in ben »erfchiebenften
ßagen unb 3ei^üuften au ben Xag legen; er finbet fein Gegen-
bilb nicht bloß in ßaerteS, (SlaubiuS unb f5°rtinbraS, fonbern
fd)on in bem ©chaufpieler, ber bie Defuba fpielt unb oon einem
(798)
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fremben unb uralten ©chmer$ mehr erregt wirb, als tarntet
öou ber traurigfteu felbfterlebten (Erfahrung, bie itjn mir üon
3eit gu 3c»4 aufrüttelt, um if|n bann bem alten träumerifchen
SBefen, bem trüben Sriiten unb ©innen offne 3iel unb 3wecf
anheimfallen ju laffen. 35ie 3e*1 nrnfete baffer auSgebefjnt
werben, unb fo Iäfjt fidf beim bie bunte, abwechfefungSreichc
^anblung beS ©tiicfeS, namentlich bie fReife beS SaerteS nach
ißaris, ber ©urchmarfch beS gortinbraS, bie ©enbung Hamlets
nach ®nglanb, bie nur furjc 3e*f einnimmt, weil fie gar nicht
jum 3>ele lam, bieS alles lägt fich recht wohl mit bem ©runb*
gebanfen bei ©tücfeS in 3ufammenf)nng bringen. 2Bir fchliefjen
biefen 2£bfchnitt mit ber richtigen SSenterfung SBobenftebtö :
„$aS ©chicffal jerreifet feinen SebeitSfaben unb macht ihn
fterbenb noch ^um SBerfyeug feiner ißläne, inbem ei ihn gleichfam
blinblingS bie SRachepflidijt oolljiehcn läfjt, welche er mit flarem
Sluge unb gellem SSewufjtfein niemals »oH^ogen haben würbe.
Sber eben burch bie lange Serjügcrung ber äufjeren ©träfe,
beS SlbfdjfuffeS burch ben $ob, wirb ber fchulbige König innerlich
weit einbringlicher geftraft, als wenn ihn ber rädfeitbe ©tahl
gleich getroffen hätte, unb hierin liegt bie tragifdfe ©uffne unb
©crechtigfeit" — wiewohl er auch als abgefe^ter, oertriebener,
lebenslang gefangen gehaltener König bie rächenbe SRemefiS im
oollften aiiafj erfahren hätte.
®S fragt fich iulejjt, ju welcher Klaffe oon ©hafefpearcS
33ramen fein Hamlet gehöre. 3ch nehme ihn jiunächft mit
SD?acbeth, 2ear unb Shmbeline jufammen, bie wie £amlet
politifch • nationalen ©eljalt haben, aber in bie »orgefchichtliche
3eit gurücfreichen. 3m SRacbetf) wirb ein fchottifcher König«*
mürber, im Spnibeline ein römifcfjeS, im 2ear ein franjöfifd)eS
^jeer, baS in Sngtanb gelanbet ift, oom englifchen |)eer ge*
fdjlagen. 3m |>amlet aber ift ©itglanb bem bänifchen ©taat
Sammlung 91. 5. V. 117. 4 C799)
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gintyfKcfjtifl, baS Soll, baS t)iex auftritt, tft ganj üerborben;
uub biefeS Solt ift befanntlid) int Oruttbe baS englifdje Solt,
nic^t bas bättifche. ®er .ftaupthelb ift gänjlid} unpolitifdj —
reelle StuSfidjt für bie guhutft eröffnet fic^ ba? HJtacbeth,
2ear, (Stjntbeline oerfefcten ihren ©toff in bie Sergangenheit;
tarntet fpielt, wenn aud) nicht bem SRamen, fo boef) ber £(jat
ttad) in ©IjafefpeareS geit.
(5S hat fdjon mannen fandet auf bem $Ijrone gegeben.
Sor ^unbert Sauren fa& auf bem SEljrone granfreichs e’n
SJiantt, ber bie fratijöfifcf)e SBelt nid)t einrenten tonnte, ein
*ßt)tegmatifer, oom Seite ber ©djloffer genannt, aber leiber
nid)t im ftanbe, baS uerfprengte unb ocrbreljte ©d)lof5 beS fran*
jöfifdjett ©taatSmefenS einjuridjten. Slm betannteften ift bie
Sergleidjung bei? beutfe^en SolfeS mit hantlet. 3m 3ahr 1840
beftieg beit preufjifdjen 2§ron griebrid) SJilhelm IV. ©djon
ber unterfefete Körperbau, bann ber £>aug jum dtefleftircn unb
Uhrologifirett, fein verfahrenes unb abfpringenbeS Siefen, feine
Oeiftreidjigteit, fein jtoifchen äBoQen unb 9?id)ttu ollen fd)tuan«
tenbeS SBerfjältnifj jur beutfdjen (Sintjeit, feine ©djeu oor einer
rafdjen, entfe^iebenen unb entfe^eibenben £f)at — baS alles
ftempelte iljn mehr jum 3)änenprinjen auf bem $hrone 3rriebridjS
beS ©reffen, als jum SRomantitcr auf bem throne ber Cfäfaren.
„©ine Saifertrone toirb nur auf bem ©c^lac^tfefbe geholt" fagte
er mit 9ted)t. 9tun — baS ©djlachtfelb hätte fid) gefunben.
griebridj ber ©rojje hätte ohne weiteres jugegriffen, unb
hätte griebridj SBilljelm IV. ebenfo gehanbelt, fo hätten toir
Jftöitiggrä^ unb ©eban 20 3ahre früher ha&e« können. @r
fürchtete aber, bie Hnnaljme ber Äaiferfrotte tonnte ihn in einen
$rieg mit Cefterreid) oerwicfeln. .Qule^t nmrbe er ganj
ißeffimift. ©eltfame Rügung beS ©djidfalS, baff unter feinet
^Regierung 3)eutf^lanb bem tleinen üDänemarf gegenüber eine
(800)
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^amletroße fpielte! 2)er fßreujjenfönig mit feinen »ielfac^en
liebenSnnirbigen Sigenfcfjaften be§ ©elftes unb ^serjenö mar
eigentlich baS »erperföulichte, nach ©töße unb Einheit ftrebenbe,
aber über bie SSege unb ÜJiittel ju biefem hohen ©Ute uttficher
hin« unb hertoftenbe ®eutfchlanb. Serühmt ift greiligratf)3
©ebicht Hamlet ans bem 3af)re 1844, baS ich, Sielen
nnbefannt ift, herfe^en min.
Deutfdjlanb ift Hamlet! — ©ruft unb ftunim
3« feinen lt)orcn jebe 'Jtad)t
@efit bie bcgrab'ne Sreibeit um,
Unb luinft ben SDtäuncrn auf ber SBadjt-
3)a ftefjt bie ^otje, blanfbetuebrt,
Unb jagt bem ßaubrer, ber noch jtueifelt
„Sei mir ein 'Jiäcber, jieb’ bein CSc^roert !
Wan bat mir ©ift in£ Dbr geträufelt."
©r forebt mit jitternbem ©cbein,
©iä ibm bie SSJabrbcit fcbrccflicb tagt;
SSoti Stunb’ au will er ÜHädjcr jein. —
Cb er ei enblid) tuirflid) roagti'
irr finnt unb träumt unb meifi nicht iHatlj ;
kein IKittcl, baä bie greift ibm ftäblct
3u einer frijeben mutb'gcn Xbflt,
JebU «btn bie frifdje, ntutb’ge Seele.
Xaä mad)t, er bat ju uiel geboeft;
Irr tag unb lag ju uiel im ©ett.
@r tuutbe, weil baä ©lut ibm ftoeft,
vfu furj uon Vltbem unb ju fett.
(Sr fpann ju uiel gelehrten 3Öerg,
Sein befteä Xbun ift eben ®enfcn ;
(Sr ftaf ju lang’ in Sßittenberg,
3m §ßrfaal ober in beu Scheuten.
Xrum fehlt iljm bie ©ntfdjloffcubeit ;
kommt 3rit, tommt SRatb — er ftetlt fidj toO,
.fiält SJionologe lang unb breit,
Unb bringt in SSerfc feinen ©roll.
Stuft ihn jur ©antomime ju,
Unb fäüt’d ihm einmal ein ju fechten,
4 4 (¥01,
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»2
So inu& 5ßoloniub-Ko|}ebne
35en «tidj empfangen flalt beb Siechten.
So trägt er träumerifd) fein 38eb\
©erböbnt ficb fetber inbgebeim ,
SiäBt fid) oerfebiefen über See
Unb fctjrt mit Stictjelreben beim;
'■Bericfjiefjt ein tftrfenal non Spott,
Spricht »on gcflidtcn Siumpenfön’gen —
2)odj eine Ibat? ©cl)üte ©ott!
Sie bot er eine ju bejcbön’gen !
©ib cnbtidb er bie filinge paeft,
Gruft jtt erfüllen feinen Scbrour;
$ocb acb — bab ift im lejjten 9lft,
llnb ftretft ifjit felbft ju ©oben nur!
©ei ben Grfcblagnen, bie fein $afj
©reib gab ber Schmach unb bem ©erberbcu
Miegt er entfeelt, unb {Jortinbrab
Siücft flirrenb ein, bab SKcicf) ju erben.
©ottlob, nodj finb toir nicht fo weit ;
©ier Sitte fabn mir jpielen erft!
froh’ Siebt, .i-ttlb, ba& bie Äebnlicbfeit
'Jiid)t auch im fünften bu bcroäbrft!
2Bir boffen früb, mir hoffen ipät:
D raff’ bicb auf unb fomm’ ju Streiche,
Unb hilf cntfcbloffen, rocil eb gebt,
3u ihrem SHecbt ber fleh’ üben Üeicfjc.
9)tad) ben SRoment ju 9Jufje bir!
3?ocb ift cb 3C*1 ~ brein mit bem Scbmert,
61) mit franjiBftfcbem Siapier
2)id) fcbnöb’ oergiftet ein Sacrt !
Gb’ raffelnb nabt ein rujjifcb’ £>ecr,
®afj eb für ficb bie Grbfcbaft nehme!
0 fieb’ bicb »or — ich jiocifle feljr,
Cb biebmal eb aub 92oriocg’ fäme.
'Jiur ein Gnifcblufj! Stuf ftebt bie Sahn -
Iritt in bie Scbranten fübn unb breift!
Tenf’ an ben Scbrour, ben bu getban
Unb räche beineb ©aterb Seift!
CWJ)
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SBoju bie« ©rübeln für unb für?
$0$ — barf i$ jdjeltcn, aller Sräumer?
)8in i$ ja jelüft ein ©tiicf üon bir,
25u ero’ger Qauberer mib Säumer!
3)a8 ®ebid)t leibet, mie alle Vergleichungen, an einer ge-
miffett Halbheit. $ie beutfdje Freiheit — »ott ber ©inheit ift
feine Siebe — ift gemorbet, fie fteigt bei Stacht aug bem ©rabe
unb »erlangt »on — nun wer ift ber beutfche Hamlet? H'er
ift eine Unflarljeit. Unb ebenfomenig begreift man, mie bie
heimlich oergiftete Freiheit biefeg ©eheimnifj, bag boef) ju fetter
3eit bag £ageggefpräch mar, beit beutfehen Üftarineru, bann
mieber bent jmeifelnben $auberer N. N. anöertraut unb »on
ihm 9iacf>e »erlangt. ißolouiug-Äohebue muß bett ©tich empfangen
ftatt beS Siechten. 2öer ift beim biefer „Siechte"? SBeldje
^erfon ift bentt ba gemeint? ?luf men märe Slaubittg ju
beuten? 3m übrigen ift bie Sluffaffung »ott Hamletg ©harafter
burchaug geiftreich unb gelungen unb eg ift ein Verneig für bie
Südftigfeit unferer (gemäßigt peffimiftifdjen) SBürbigung beg
©titefeg, bah rin bem englifchcn ©eifte fo mahl»ermanbter nnb
ber englifchcn Sprache unb Sitteratur fo funbiger dichter mie
greiligratfj Sfjafefpeareg räthfelooflfte Dichtung fo gebeutet hat,
mie fie fid) bem einfachen, unoerfünftelten, »on ber ^ppothefen-
fettche nicht angeftecftcti ©inn barfteUt.
©echg 3ahre nach bem genannten ©ebidft, im 3ahre 1850,
erfchien ©eroinug SBerf über ©hafefpeare. 2)er ©d|iffbruch ber
nationalen Hoffnungen legte ihm bie Vergleichung mit Hamlet
nahe unb bei ber Vefprechung beg $>ramag fagt er mit Sin-
fniipfung an greiligrathg ©ebicht: „©iner unferer neueren
dichter hat ein ©ebicht mit bett SSortett begonnen: ®eutfchlanb
ift Hamlet. Unb biefer Slugfprud) ift in ber $hat c*n Qeift*
reicheg ©piel mit SBortcn ober »erroorrenett VorfteHungen.
SDenn gatt$ fo mie Hamlet fiitb mir ja big $u biefer testen .geit
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bin jtüifdjeit einer ^art an unS rücfenben Aufgabe rein praftifcber
SRatur unb einer bekömmlichen Qrntroöfjnung »on I^un unb
^onbeln entwöhnt gewefen" u. f. in.
©eien wir froh, bafj ber beutle @eniu8 tior bem lebten
Slfte beS SrauerfpielS ficf) noch aufraffte unb an 3>eutfd}lanb3
©pifce ein geborener Äaifer trat, nicht f)alb fo gelehrt unb
geiftreich, wie fein Vorgänger, aber ber SJtann auf bem $la^,
ber f>errfdjer, nach bem bie 3eü feuf^te. fiamlet mögt unb
wägt, aber er wagt nicht; erft wäg’ä, bann wag’« — war
2öilbelm8 I. SSablfpruch, bem er im griebcn unb in brei Kriegen,
barunter einer mit bem 3rocrg Jtönemarf, Sfjre machte.
Statürlid) fonnte ©bafefpeare bei feinem ^amlet nicht an ®eutfcb
lanb benfen; beim bis jum 30 jährigen Shrieg, ben er ja nicht
mehr ertebte, waren wir ein SSolf ootl SJebenSmutb unb Sebent
frifc^e, ftolj unb felbftbewufjt, rafcb jur $bat/ gefürchtet unb
geachtet in ganj Suropa. ©päter würbe e3 anber3. £od)
warum alte Söunben aufreifjen? ©ott fcbüpe un8 »or bamletfcber
©enialität unb ©eifteSricbtung. ®r gebe uns recht Diele SRänner
wie Sötlhelm 1. unb fein gnfel, ber ba ift ein Säfar auf bem
Simone ber Gäfaren.
(804)
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oo
^nmcrfuttgen.
1 'Jiad) ©clfdjom« Kommentar ju ©ajo ©ramaticu« bcbcutct „Slmlctt)"
ober „SImleb" im 3«Iänbifcbeti einen tbi)ri<btcn, uiipraftiidjcn Üieujdjen.
Sud) fcbroebijcb ift nach Selfcboro amloda = Jummfopf. Jer SBegfaQ be« h
finbet fid) bei ©ajo aucf) fonfi in (Eigennamen, ©hafefpeare batte einen
Sotjn #amnet, ber 1596 fiarb. (Einige (Erflärer jagen, ba3 3intcrcffc.
roel<bc« ©hafefpeare jt^on früh an ber §amletfage genommen, fei ©erau-
lajjung gemejen, feinen ©opn bavnad) $u benennen unb ber ©cbmer* über
beffeu frühen Job ^abe ber tiefftnnigen Jragöbie bie büftcrc Stimmung
gegeben, in ber ftc beginnt unb aultlingt tote ein ftlagegefang über bie
©ergänglicbfeit.
* To be or not to be (©ein ober üiidjtfcin) mären bie testen ©orte
SBielanb«, be« ©erfaffer« ber Sutbanafta.
s ®a§ ©ritno« ißbilofopbie auf ©hafefpeare« .yamlet eingemirft bQbe,
roirb bon Xfcbifebroib, Äönig, Sobenftebt behauptet, oon Dlaj; Äocb unb
SH. ©etjer«borff (Programm be« öpmuaftum« in DIbenburg 1889) ge-
leugnet. 3$ glaube, bafj ©eperSborff ju meit gebt unb balle namentlich
bie (Entftebung be« kanten« ©olotiiu« an« ©otiinnio für gefledert.
4 Äöftlin bat ben ^amlet jmeirnat, juerft im SKorgenblatt 1860,
46. 47 jiemlicb optimifiifcb, bann im Jeutfdjen STOufeum 1867, 29. 30
mehr in oermittelnbem ©inn befprodjen.
s ©onberbarerroeife fommt in ®ffejr ©efdjicbte her Sßamc Ophelia
oor. $ume jagt: „(Effej marfebirte, um feinen fieuten 3*it Ju lieben, fi<b
oon ihrer Äranfbeit unb (Ermattung ju erholen, mit 1500 9Kann nach ber
©raffebaft Ophelia (in 3rlanb — im 3ahr 1599).
(SO.V
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Der
^ujtattb ks (Erkttnent.
Sou
Dr. Samtes ^eterfen
in Qambutj)
Hamburg.
Srrlag^anflntt uitb ®rutferei (normal« 3. g. fRic^ter).
1891.
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S'oS 9icd)t ber Uebtrfffcung in frtmbe Sprayen wirb oorbtpalten.
Irud btr SetlagtanftoH unb ®ru4mi
(sorntoK 3 Jf Kidjtrt) (n 4>a*iburg.
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gr öfter bie Sebeutung ber ^hpotftefe als eine« $ülfs*
mittels ber wiffenfcftaftlichen gorfcftung ift, um fo mehr muft
man fic^ ftiiten, biefelbe für mehr $u galten, als fie ift. 3)ie
Serfennung ihres SftaralterS als einer |>ppothefe unb bie Set*
wechfelung mit X^atfac^en, wie fie gelegentlich eorfommt, birgt
ftets eine ernfte ©efaljr für ben gortfcftritt ber Sßiffenfcfjaft in ficf).
SBir finben faft immer, wenn ein neuer, grofter ©ebanfe
juerft in gorm einer ^pppotljefe auftrat, einen lebhaften Stuf»
fcftwung ber betreffenben SBiffenfdjaft. 3ah^e^e gorfcfter
werben neu angeregt, 3eber nimmt ju ber betreffenben Meinung
perfönlid) Stellung, ber ßampf gegen biefelbe unb bie Huf*
fuchung üoit Stüfcett für biefelbe fönnett ftets nur ber SEBiffenfchaft
förberlich fein. SDian fann fagen, baft eine geiftreiche |>tjpothefe
auf eine SBiffenfcftaft einwirft, wie ein erfrifcftenber Segen auf
ein oeröbeteS Hderfelb. Hit Stelle beS oorher fpärlich unb
fümmerlich auftretenben ißflanjenwuchfeS tritt plö&lidjeS ©ebeihen,
neues ©rgrünen unb Slüljen.
Unb biefeti ©influft bemerfen wir bei einer §ppothefe oft
auch bann, wenn biefelbe fpäter als falfch bei Seite gefdjoben
wirb.
©in Slid auf bie ©efdjichte ber Saturwiffenfchaften be*
ftätigt baS ©efagte.
SammlunB. 91. 8- V. 11H. 1* (809)
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4
Stuf bem ©ebiet ber ßootogie würbe ©unier einer ber
einflnfjreidfjften ©elehrten, inbent er jwei neue Prinzipien auf*
fteflte: UaS ber Korrelation ber Organe, nad) welchem
jeber Organismus ein einiges gefdjIoffeneS ©anjeS bitbet, in
welchem einzelne X^eile nid}t abänbern tonnen, otjne in aßen
übrigen I^eiten Steuerungen erfdjeinen ju taffen — , foroie
baS anbere Prinzip ber „Saupläne, nach benen bie zugehörigen
Utpere mobeßirt ju fein fdjeinen, unb beren einzelne Unter*
abtljeitungen nur leichte, auf bie (Sntwictelung ober baS §inju*
treten eines UpeilS gegrünbete ÜJtobififationen finb, in benen
aber an ber SBefentjeit beS planes nichts geänbert ift".
3)iefe beiben Prinzipien gaben Stnregung ju einer großen
Saht oon oergleichenb*anatomifchen Arbeiten, inbem eine große
ÜDienge oon gorfcfjerit bie 9tid)tigfeit ber Prinzipien im einzelnen
nachzuweifen üerfuchte.
StnbererfeitS wanbte ftch ©eoffrop ©aint*§ilaire gegen
©uoier, inbem er im ©egenfafc zu ben oerfcpiebenen fc^arf
getrennten Uppen bie Stnfidjt auSfprach, alte Uhiere feien nach
einem einheitlichen plane gebaut. @r würbe fo ber Sorgänger
beS in Sezug auf bie non ihm auSgehenbe Stnregung unb
görberung unerreicht baftehenben Sh°rieS Uarwin.
Stlfo obgleich oon ©runb auS üerfdjieben, förberten hoch
bie beiben genannten fippotpefen bie Qoologie in ganz öeroor*
ragenber SBeife,
3n ber SDiineralogie unb ©eologie wirb ber Stame SBerner
ftets als einer ber ©rften genannt werben, wenn auch feine
Stnfidjten über bie Silbung ber ©efteine heute iiberwunben finb,
weil gerabe feine 3been zu einer ©mfigteit beS ©tubiumS an*
regten, baß oon ipm au eine ganz ueue Spocpe ber SBiffenfdjaft
geregnet werben tarnt. Unb wenn ^jumbolbt unb £. o. Such
SBerner heftig befämpften, inbem fie feinen £jppothefen ber
©ebirgSbilbuttg entgegengefe|te, heute ebenfowenig anerfannte
(810)
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5
SReinungen gegenüberfteDten, fo müffen auch fie mit ju ben
Tätern ber ©eologie geregnet werben, ba gerabe ber Äampf
jwifchen ben Schülern SöernerS, ben SReptuniften , unb ben
Anhängern o. S3ucf)8, ben putoniften, SJeranlaffung ju einer
großen ,3flh* t>on heut nod) gültigen ^Beobachtungen würbe unb
ben ©runb ju ben jefct noch geltenben S^eorien legte.
@3 ift unnötig, noch mehr gaüe aufaujählen, wo §tjpo*
tiefen, auch wenn fie falfd) waren, befrucf)tenb eingewirft haben.
Sluf Stritt unb $ritt begegnen wir ben SBetoeifen für bie auf*
gefteHte ^Behauptung, wenn wir bie ©efdpchte ber ÜRaturwiffen*
fdjaften burchblättern.
ÄnbererfeitS ift nicht ju oerfennen, baf? eine ©efalft für
ben wahren tJortfdjritt unferer SRaturerfenntnifj barin liegt,
wenn §ppothefen infolge ber Jtuffinbung jahlreidjer bamit in
Sinftang fte^enber XE)atfad)en ober aucf) nur gewiffermajjen burd)
ben täglichen Umgang mit benfelben allmählich im ©emufjtfein
be3 gorfcherS aufhören, |jppotl)efen ju fein. 2)a3 Operiren mit
folgen ^ppotljefen wie mit Sljatfadjen, ihre Serwenbung jur
Segrünbung neuer $ppotf)efen fann bie SCÖiffenfd^aft ebenfo febr
jurücJbringen, wie fie fie anfangs förberte. ®a führen bie
93erfucf)e, alle ©rfcheinungen mit ber als £fjatfad)e angefeljenen
^»ppot^efe in Sinffang ju fefjett, oft ju ben abenteuerlic^ften
^Behauptungen unb wunberlichfteu SBorftellungen. 3ebe ^ppot^efe
foH nur baS fein unb fein wollen, was fie ift, ein (SrflärungS*
oerfud) für eine Steife oon @rfcf)einungen, bie gufammenfaffung
mehrerer ©injelthatfachen unter eine gemeinfame, nicht nn*
mittelbar beobachtete ober beobachtbare Urfadje. Säfjt fidf
eine neu gefunbene $ljatfad)e ber früher gebilbeten £>hpotf)efe
nicht unterorbnen, fo ift eS Sache beS gewiffenhaften SrbeiterS
auf wiffenfchaftlichem ©ebiet, nicht bie ^Beobachtung oon ber
|)ppothefe aus $u fritifiren, wie eS gelegentlich gefchietjt, fonbern
oon ber beobachteten X^atfad)e aus bie ^bpotfjefe $u prüfen
(811)
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6
unb, fad« biefelben fiep nicpt in ©inflang bringen taffen, gu
oerfudjen, eine beffere, neue ^ppotpefe an ©teile ber alten gu
fepen.
©ang befonbere Sorfidjt ift bei ber Serroenbung non
|>9potf)efen gur Segriinbung anberer gu beobachten. iRicht feiten
wirb baburcp ein ^irfelfdjlufj tjerbeigefii^rt. Um ein Seifpiel
hierfür angufüljren, wirb in ber 2)arwin*2)ana,fchen 2hcor’c
ber SoraBenbauten gu ©rflärung berfelben angenommen, bafj
ber SReeregboben an ben Orten, tuo ficf) foldje ©auten finben,
fiep in ©enluug befinbe, ober genauer, eine pofitioe Ser*
fdjiebung ber ©tranblinie ftattfinbe. SInbererfeit« wirb oft bas
Sorpanbenfein oon Storaßenbauten als Seweig für bie ©etifung
eintö ©ebieteg angeführt. SDer ©cpluf? ift unrichtig: bag, was
im testen ©a{j alg beroiefen gilt, mar für ben erften ©a&
Soraugfefjung, Sinnahme. SBie gefährlich ein folget ffehlfchluß
fein fann, geigt ber $inweig auf bie neuerbingg oon ©emper
unb SRurrap aufgefteüte Iheor*e/ tüelrfje gerabe negatioe
Serfcpiebnng ber ©tranblinie alg ©ebingung für bag Sorpanben*
fein oon SoraHenbauten in manchen ©egenben ooraugfefct, unb nach
welcher man mit bemfelben fRecpte folgern fönnte, bafj g. S. bie
©egenb ber ©elew*3nfeln ein ©ebiet ton Hebungen beg 2J?eereS*
grunbeg fei. @g ift hier nicht ber Ort, gu entfcpeiben, weldje ber
beiben Ipeorien bie größere Söafjrfcheinlichfeit hat, nur barauf fei
pingewiefen, baß aug bem Sorfommen Oon ftoraßenbauten allein
auf pofitioe ober negatioe Setfcpiebung ber ©tranblinie fein
©chlufj geftattet ift, fo lange nicpt eine ber beiben fwpotpefen
burcp ben unmittelbaren fRacpweiS ber Hebung ober ©enfung
alg bie alleingültige nachgewiefen ift.
2)er $wec! beg tDrliegenben Sortrageg ift ber fRacpweig, bafj
bie ton oielen gorf ehern oertpeibigte, oon gabireichen ©ebilbeten
angenommene 3Reinung, bag innere ber ©rbe fei flüffig,
eine |>ppotbefe ift, gegen welche fiep fchwerwiegenbe
'*!»)
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7
(Sinmönbe geltenb machen taffen, baß bie (Srfcheinungen,
auf reelle bie ^ppottjefe fid) grünbet, aud) mit ber Annahme,
bie @rbe fei feft, oereinbar finb, — bafj fogar, nach bem
heutigen Staube ber SBiffenfdjaft, manche (Srfdjeinungen mit
ber $lrtnaf)me be« ftiiffigeu (Srbfern« unoereinbar finb.1
(Sine (Sn tf Reibung, ob ber (Srbfern flüffig ober feft ift, bie
Deutung alter einfdjtngigen (Srfcheinuttgen unb ifjre ©rflärung
burcf) eine ber beiben äHöglidjfeiten, biirfte jur $eit noch nicht
möglich fein. SDian fann bi« jeßt nur mit größerer ober ge»
ringerer 2öafjrfc£)einlicf)feit ein Urtßeit abgeben.
SBoöte man aber barum bie %xaqe nad) bem ßuftaub be«
(Srbinnern überhaupt für eine müßige erftären, fo ginge
man ju rceit. Sluch bie ©petulation ßat ißre ^Berechtigung in
ber SRaturroiffenfchaft , fobatb bie S8eobnd)tung oerfagt. 9lur
bürfen bie beobachteten unb bie erfdjtoffenen ^fjatfadjen nicht
gleidjmerthig nebeneinanber geftetlt, bejietjungSmeife oermedjfelt
merben.
®a«, roa« mir oom guftanbe be« ©rbitmern thatfächlid)
miffen, ift recht menig. 3ft e« hoch bi« jefct nur gelungen,
bi« ju ganj aufjerorbentlidj geringen Xiefeu in ba« innere ber
(Srbe oorjubringen. 2)ie tiefften ©ergmerfe erftrecfen fidj nur
menig über 1000 SReter in bie liefe; in ©ohrtöcfjern ßat man
in bem bi« jejjt tiefften, bei ©chtabebadj, 1748 üKeter erreicht,
ba« oon fiietf) bei (Slnt«horn mar mit 1330 SD?eter mehrere
Sah« hindurch ba« tieffte, ba« bei Sperenberg, berühmt megett
ber in bemfetben angefteflten Jemperaturbeobachtungen, geht
1293 2Jieter tief. Nehmen mir tjinju, baß bie Sotjrföcher meift
nur eine ober roenige Formationen burchteufen, — fo h<d ba«
oon ßiettj einen rothen ©anbftein nicht burdjfunfen, ba« oon
Sperenberg ift innerhalb be« Steinfalje« beenbet morben, fo
mögen biefe menigen Eingaben genügen, um ju jeigen, baß bie
inneren Jhe'^e ber (Srbe ber ©eobacßtung faft gar nicht jti»
(»IS)
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8
gänglich getuefeit fittb. Die angegebenen Xiefen fpielen im
SBerljältniß gum Xurchmeffer |ber ©rbe gar feine SR olle. Da«
©perenberger SSohrlod) (mit 1293 SReter) nimmt nur ungefähr
ben gehntaufenbften Xljeil beg ^rbburdjmefferg (mit
12712 Kilometer) ein, ift alfo fo unbebeutenb, baß eg fid) auf
einem ©lobug uon getuöljnlidjen ©rößenuerljältniffen gar nid)t
gur Darfteflung bringen ließe.
Daher barf eg ung nicht munbern, baß bie grage nach ber
©ubftang beg ©rbinnern burth ben Soßrer ihrer Söfung
nicht näh« geführt mürbe. Diefelben Schichten, biefelben ®e*
fteine, welche bon ber Oberfläche h« befannt finb, hat « auch
in ben Xiefen attgelroffen. 2Bir finb baher bezüglich ber ©toffe,
bie ben ©rbfern bilben, lebiglich auf fflermuthungen befchränft,
unb müffen, moßen mir überhaupt ber grage näher treten, uon
einer ^ppotlfefe, ber $£ant*£aplacefchen Xheorie »on ber ©ntftehung
ber Sßlanetenfpfteme, auggefjen. SRehmen mir berfelben ent»
fprechenb an, baß bie ©rbe fid) aug einem anfangg gagförmigen,
bann glühenb fliiffigen, rotirenben Körper entmidelt habe, fo
fönnen mir, ben ©efeßen ber SRechanif entfpredjenb, behaupten,
baß fich bie Stoffe im großen unb gangen nach ihrem fpegififchen
©eroicht georbnet haben, inbem bie fchroereren bem Zentrum beg
rotirenben Körperg guftrebten, bie leichteren bie peripljerifchen
Xheile einnohmen. Xiefc SReihenfoIge mirb burch bie ®eob*
achtung in ben ung gugänglidjen Xheilen ber ©rbrinbe beftätigt
Die leichteften ©ubftangen umgeben alg fiuftßüße ben feften
ßrbförper, barauf folgt bie SBaffermaffe mit bem fpecififchen
©emicht uon ungefähr 1, bann bie feften ©efteine. Huch biefe
finb, uon einigen Unregelmäßigfeiten abgefeljen, (fo müffen bie
hochgrabig ueränberten echten ©ebimentärgefteine außer Hcßt
bleiben) oberflächlich im allgemeinen leichter, alg in ber Xiefe.
©g ift giemlich fidler erroiefen, baß bie fogenannten fauren
©ruptiugefteine, mie g. ©. bie ©ranite unb ähnlichen ©efteine,
(814)
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9
welche ein fpegififdjeS ©ewidjt oon 2,6— 2,8 fjaben, geringeren
Xiefen entflammen, als bie bafifrfjen, baf altartigen ©efteine mit
bem ©ernidjt oon et»a 3. Unterfudjungen beS fpegififdjen ©e.
»idjts beS ©efamtförperS ber ©rbe nad) ben oerfdjiebenften
SDietfjoben Ijaben — ton Keinen Slb»eid)ungen abgefefjen — ba£
übereinftimmenbe fRefuttat 5,6 ergeben. X>a nun bie gefamte un£
befannte $üße ber @rbe leichter als 5,6 ift, muß bie £jaupt»
maffe ber @rbe ein größeres ©ewidjt — nad) giemtid) allgemein
angenommener ©djöfcung ungefähr 7 — Ijaben. SOian f)at, biefer
$a§l entfprc($enb, nidelfjaltigeS ©ifen als Äernfubftang ber
©rbe angenommen. X5iefe ©ermutljuug Ijat roegen ber $äufigfeit
eifenfjaltiger »Stoffe in allen feilen ber @rbe manches für fidj,
fie »irb beftätigt burdj baS üßorfommen metaflifdjen ffiifenS an
mehreren Orten in bafifcfien, alfo öermutljfid) großen Xiefen
entftammenbeu ©efteinen. Sieben bem @ifen führen biefe @e>
fteine — Söafalte — fdjmere SJiineralien, unter anberen Olibin,
eilten Äörper, ber ben leichteren ©efteinen feljlt, in ber Xiefe aber
aller 3EBaf)r}d)einlid)teit nach fet)r oerbreitet ift. fflefonberS wirb
bie Slitfidjt, baß ber Äern ber ©rbe aus @ifen befiele, burdj
bie Analogie mit ben SJleteoriten beftätigt. Xiefelben be»
flehen gum großen Xfjeil aus nicfel^aftigem ©ifeit, oergefell*
fdjaftet mit oorgugSmeife bafifrfjen ferneren ©ilifatmineralien.
X>aS ©ifett ber SDieteoriten geigt biefelbe 3ufammenfc^unS unb
©truftur, »oie bas ber Srbe entftammenbe. Xa oiele ©rünbe
bafür fpredjeit, baß bie SJieteoriten ©rudjftütfe größerer Planeten
finb, fo läßt fid) gegen bie ^erangieljung biefer Slaturförper
gum ©ergleid) mit ben ©cftanbtfjeifen ber Srbe roofjl !aum
etmaS einmenben.
Xie gange oorfteljenbe SluSfüljrung ift rein b^P^t^etifch-
3£|r Srgebniß fann nidjt beanfprudjen als Xljatfadje angefe^en
gu »erben. Slußer Ädjt gelaffen ift babei bie SDiöglid)feit, baß
ber fjolje Xrud, »eldjem bie inneren Xljeile ber ®rbe auSgefefct
' (815)
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10
finb, bai fpejiftfche ©erntet ber Körper im Qntiern berart
»eränbert, bah ein ßörper, ber am Srbmittelpuitft mit bem
©ewicht 7 erfcheint, an ber ©rboberfläche, unter bem Trucf »on
nur einer Sltmofpfjare, bebeutenb leister ift. $oung* null
gefunben haben, baff SBaffer in einer Tiefe non HO geographifchen
SJteilen bai ©ewicht bei Quecffilberi habe, bah ©tal)I int @rb*
mittelpunft bai ©ewicht 28, unb fteinige ©ubftan^en etwa 20
befipen. Tie 3af)len finb gefunben worben unter ber Sßoraui*
fefcung, bah ber (Sinfluh bei Trucfi in berfelben Söeife ju*
nimmt, wie ei innerhalb enger ©retten experimentell beobachtet
werben fonnte. SBir biirfen jiemlich fieser annehmen, bah biei
nicht ber gafl ift. SSatjrfcfjeinlich wächft bie 3nfammenbrücfbar=
feit ber Körper nicht proportional bem Trucf. Slu&erbem fanti
man einwenben, bah bie mit ber Tiefe fteigenbe Temperatur
bei ©rbinnern bem Trucf entgegenwirft, inbem fie bai fpejififche
©ewicht ber ©nbftanjen erniebrigt. 3n welcher Sßeife unb in
welchem ©rabe aber Trucf unb Temperatur einanber gegen*
feitig beeinfluffen, weldjei ©ewicht bie ©ubftanjen unter ihrem
hoppelten ©influjj in irgenb einer Tiefe haben, bai entjieht fich
bii jefct üotlftänbig unferer ßunbe. Tai ©jperiment hat baräber
noch nichti ergeben. §at ?)oung Stecht, fo finb wir gezwungen,
noch dichtere ©ubftanjen, ali bie, welche bie Stinbe ber ©rbe
bilben, ali ©eftanbtheile bei ©rbferni anjunehmen, alfo etwa ©afe.
Tie meiften ©eologen halten bii je^t noch, — foweit wir über*
fjaupt Sleufjerungen über bie ©ubftanj bei ©rbinttern finben, —
bai Sorljanbenfein ooit ©ifenmaffen für bai 2Bahrfd)einlichfte.
Söenit nun auch bie SBofjrungen bezüglich ber ©ubftanjen,
aui benen bai ©rbinnere befteht, fein SRefultat ergeben haben,
fo finb fie boch in anbercr SBejiefjung für unfere ßenntitifj ber
®rbe hochwichtig gewefen — unb werben ei immer bleiben, —
nämlich in iöejug auf bie SBärmeoerhältniffe. Sie haben
eine früher fdjon oft auigefprochene SBermuthung überall beftätigt,
(816)
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LJ
bajj bie SBärme nach bem Jnnern ber (Srbe hin all-
mählich junimmt.
Ter ©rab ber Zunahme ift allerbmgS foiuo^I in beit Der«
fdjiebenen ©egenbeit ber Grrbe, af« aud) in »ergebenen liefen
recht berfdjieben.
©in SÖIicf auf bie untenfteljenbe 3wfammenftellung ber geo-
ttjermifdjen Tiefenftufen jeigt bieä. (Unter geottjermifc^er
Tiefenftufe üerfteljt matt bett burcfjfdjnittlidjen ^Betrag, um
welchen man ficf) bem ©rbmittelpunfte nähern muß, um eine
3una^me ber Temperatur um 1°C jtt beobachten).
©eiläufig ermähnt fei hier nur, bafj ba« Slnwadjfen ber
Temperatur erft Don einer gemtffen Tiefe an ftattfinbet. Jn
bett alleräufjerften ©«hinten ber ©rbe mechfelt bie SBärme mit
bett 3ahre«$eiten. 3Kit bem ©inbringen in bie ©rbe nimmt ber
Unterfchieb jroifchen ben fälteften unb wärmften ©raben ab, bi«
in einer Tiefe bott ca. 20 9ftetem bei uit« (an anberen Orten ift
bie Tiefe etwa« anber«) bie Temperatur jahrein, jahrau« bie-
felbe ift, fo jwar, bajj fie ber mittleren Jahrestemperatur be« Ort«
an ber Oberfläche ber ©rbe entfpricht. ©rft twtt biefem fünfte
an, bi« ju welchem bie non ber ©otttte herrührenben SBärme-
fdjwanfungen nicht mehr hinabreichen , macht fich ber ©ittflujj
eine« im Jnnem ber ©rbe befittblichen SBärmeljerbeS bemerfbar.
I. ©eothennifdjc Tiefettftufeit.3
n. ©ergwerfe.
'Btapmum
9Jitmnutm
iurcbidjTtitt
SJreufccn
115.3
15,5
54,3 m
6adjfen
—
—
41,8 *
Sdjemni« (Ungarn)
51,1
30,3
41,4 „
CEornroall
—
19 ,
‘JtemcafKe
—
33 „
Stanefjefter
—
39 „
Belgien
—
—
94 ,
■Änjiit (Sranfreicb)
1545
21,09 „
SWinaeä QleraeS
—
8Ö „
(S17)
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12
b. Soljrlödjer.
lutdxcbn’.t:
9tüber4borf
. 30
m
9?eu|aljrocrf
. . 29,2
n
SRonborjf (SJuyembutg)
. . 31,04
n
ißi&büljl bei TOagbeburg
. . 26,5
*
Örtern (Springen) . . . .
.. 40
*>
S?a SRodjelle
. . 20.1
6t. 9lnbre
. . 30,95
*T
Ui&erpool
.. 86
T
yjeuffen
.. 11
•t-
SJtonte 3Ra(fi (Soüfana)
. . 13.7
Jf
Sdjlabebad;
. . 35,7
n
Sperenberq
. . 32,51
rr
II. Slufccrgewöfinlitfic Jentvcraturtn.
'Deraroerlr
Tiefe
®ärme btr Saft
Gomftotf Sang (Sierra 'Jleoaba)
610 ni
40° C
$rjibram (®öl)men)
88!) „
17 *
III. Sofyruttfl öon Sdjlabcbad) bei iicipjig.*
»r.
Tieft
Temper. R.
dunafimr
1 *Rr.
Tiefe
Temper. R.
3unal>me
1
36 m
8,8°
0
| 19
576 m
20,6 0
0.8 0
2
66 ,
9.6 ,
0,8 B
; 20
606 ,
21.1,
0.5,
3
96 „
10-3 ,
OJ „
21
636 ,
21.3,
0,2 ,
4
126 ,
10,9 ,
0,6 „
22
666 ,
22.0,
0,7 ,
5
156 ,
11,3 ,
0.4 „
23
696 ,
22.9 „
0,9 „
6
186 ,
12.2 ,
0,9 „
24
726 ,
23,3 ,
0.4 ,
7
216 ,
13.0 „
0,8 ,
25
756 ,
23,9 „
0,6 „
8
246 ,
13,6 ,
0.6,
26
786 ,
24,8 ,
0.9 ,
9
276 „
14.3 ,
0,7,
27
816 ,
25,2 ,
0.4 .
10
306 „
14.5 ,
0,2,
28
846 ,
26,3,
1.1 ,
11
336 ,
15.2 ,
0.7, ,
29
876 ,
27.2,
0.9 „
12
366 ,
15.4 „
o,2, :
30
906 „
27,8 ,
0,6 „
13
396 ,
16,6 ,
1.2, !
31
936 ,
28,5 ,
0.7 ,
14
426 ,
17,1 „
0,5 , ;
32
966 „
29,3 ,
0,8 „
15
456 ,
17,7 „
0.6,
33
996 ,
29.8,
0.5 ,
16
486 ,
18.3 ,
0,6,
34
1026 ,
30.1,
0,3 »
17
516 ,
19,0 „
0,7,
36
1056 ,
30,4,
0,3 „
18
546 ,
19,8 „
0,8 ,
36
1086 ,
31,3,
0.9 „
(Klh)
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13
»r.
lirfr
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Sr.
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K 3una(imr
37
1116 m
32,2 0
0,9 0
48
1446 m
40,9
° 0.5 *
38
1146 „
32,7 „
0,5 „
49
1476 p
41,5
0,6 „
39
1176 „
33.7 ,
1,0P
50
1506 .
42,3
, 0.8 „
40
1206 „
34.4
0.7 p
51
1536 r
42,5
p 0,2 „
41
1236 „
35,2 p
0,8 „
52
1566 p
42,8
0,3 „
42
1266 „
36,2
1,0 .
53
1596 p
43,6
p 0.8
43
1296 .
36,9 „
0,7 „
54
1626 „
44.0
p 0,4 „
44
1326 „
37,7 „
0,8 p
55
1656 ,
44.4
r 04 p
45
1356 „
38,8 „
1,1 „
56
1686 n
45,2
p 0.8 „
46
1386 „
39.7.
0,9
57
1716 r
453
p 0.1 n
47
1416 „
40.4
0,7 p
IV. ®ohrung
non Sperenbcrg bei Berlin.
»r.
»*ft
©drmf C.
3unafim?
lirfenflufr
1
220 m
21,58°
0
— m
2
283 B
23.47 ,
1,89 „
33,40 „
3
345 T
26,43 „
2,96 r
21.30 p
4
408 „
26,88 „
0,45 r
140,00 p
5
471 r
29.08 p
2.20 „
28,70 „
6
534 .
30,92 r
1,84 „
34,20 p
7
597 r
33,12 r
2,20 ,,
28,70 p
8
660 „
35.83 r
2.71 r
23,30 „
9
1064 .
46.55 „
10,72 r
37.75 „
10
1269 „
48,10 p
1.55 p
132,00 p
fionftante ®obentemperatur
in 20
Bieter
9,75°.
Äuf 1249 SDieter fanb eine Temperaturerhöhung non
38,35° ftatt, alfo beträgt bie mittlere geothermifche=Tiefenftufe
32,51 Söieter.
V.
Temperaturbeobachtungen, weld)e non ©tapff im ©ottharb*
tunnel norgenommen würben, h°^n eine allmähliche gunahme
i>er SEBärme auf ber horizontalen ©trede nach ^em Snnern be§
burchftochenen SBergeö ju ergeben. Tie non ©tapff neröffent-
lichten Profile zeigen, baß bie SEBärme im Tunnel non ber Tiefe
i>eS betrcffenben £rte$ unterhalb ber Oberfläche be§ SöergeS
(»19)
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14
abhängt, fo baß auch biefe beobacßtungen bie fonft beobachtete
SBärmejunahme mit junehmenber ©ntfernung ton ber ©rbober*
fläche jeigen.
betrachten mir nun bie oorfteßenben 3ah^en etwas genauer,
fo fehen mir auf ben erften blief, baß oon irgenb me[cher
©leichförmigfeit in ber 3u«ahme ber Söärme nichts
in benfelben ju erfennen ift. Tie 3a^en feßwanfen in
ber auffaHenbften SGßeife. gür jaßtreiche Unregelmäßigfeiten hat
man genügenbe Urfachen ßerauSgefunben. ©o j. b. nimmt bie
SBärnte in Sohlenbergmerfeit oerhältnißmäßig rafch ju infolge
chemifcher borgänge in ber ©teinfohfe. Tie oben angegebene
geringe Tiefenftufe beS ÜJionte SKaffi erffärt fich aus ber fRäße
heißer CueHen. giir &»e Unregelmäßigfeiten ber ÜJfeffungen oon
©perenberg unb ©cßlabebacß bagegen fehlt uns jegliche ©rflärung.
©S ift oerfucht morben, bie SBärntejunaßme innerhalb eine«
unb beSfelben boßrlocßs burch eine allgemeine gormel auSju*
brüefen. gür ©perenberg j. b. mar eine gormet aufgeftetlt
roorben, melche innerhalb geroiffer liefen eine einigermaßen gute
Uebereinftimmung jmifdjen ben berechneten unb beobachteten
Temperaturen ergab, ©ine berallgemeinerung berfelben über
bie ber beobaeßtung jugänglicße Tiefe oon 1300 ÜJfeter
hinaus hätte aber bon 14 000 SJieter abmär tS eine Temperatur
beS ©rbinnem unter 0 0 ergeben, — ein gewiß unannehmbare«
Sfefultat.
Tie SDfeffuitgen oon ©cßlabebacß haben ebenfalls jur Sluf*
fteüung eines ©efefceS, nach bem bie Temperaturjunaßme er*
folgen follte, geführt, bei ben Sbmeicßungen aber, melche auch
in biefem gatle fich jWifcßen ben bem ©efefce entfprechenben unb
ben roirflich beobachteten SBärmegraben herauSftellten (biefelben
betragen jum Theil einen ©rab), überhaupt fchon angefichtS ber
Unregelmäßigfeit in ber Slufeinanberfolge ber 3öhIen, melche bie
(8J0)
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15
Temperaturäunahme bezeichnen, bürfen wir folgen ©efefcett nid^t
aHjuoiel SEBertf) beifegen. Sßir bürfen eg immerhin fdjott alg
ein wertf)t?olIeg ©rgebttifj betrachten, wenn bie mit aller Sorfidjt
auggeführten SDieffuitgen oon ©chlabebach geigen, bafj innerhalb
ber Xiefe big ju 1500 SWeter ein ungefähr gleichmäjjigeg
gu nehmen ber Temperatur ftattfinbet.5
@d)on bie ©chwierigfeiten, welche ber ^Beobachtung in Sohr*
löchern entgegenftehen, machen bie Serwertf)ung ber SRefultate
gu allgemein gültigen ©cfjlufjfolgerungen unmöglich. Tag
©inbringen ber Oberflächengewäffer, burch weicheg bie SBärme
ber ©efteine erniebrigt wirb, ift nicht ju oerhinbent; chemifche
Vorgänge, burch ben .gutritt oon 2uft ober SEBaffer heroorgerufen,
fönnen bie Temperatur erhöhen; ©palten, welche unterirbifche
©eroäffer hinaufführen, ntüffen an ber ©teile, wo ber 23 obrer
fie burcljfchneibet, eine lofale Temperaturerhöhung anjeigen.
Ta immer einige geit »erläuft, big bag Thermometer an bie
erbofjrtc ©teile gebracht werben fann, fpielt auch noch bie SEBärnte«
fapajität, be$m. ßeitunggfäf)igfeit beg ©efteing eine wichtige
SÄofle. gaffen wir alle biefe ÜHomente, bereit Sorhanbenfein
bie SDieffunggergebniffe öerbunfelt, ing 2luge, fo müffen wir
jugeben, baß wir !aum Slugficht fyaben, jemalg $ur Silbung
eineg allgemein gültigen ©efefjeg für bie SSärmejunahme ju
gelangen. Sßir werben ung wohl mit bem bigljer gefunbenen
TurchfchnittgergebniS begnügen müffen, mit ber Angabe,
bafe bie SEBärme auf je 30 äJieter um 1°C. junimmt.
@her könnte man fchon aug beit äßeffungen in 23ergwerfen,
in welchen bag Thermometer fid) in frifch gefchlagenen Sohr*
löchern anbringen läfjt, genaue SRefuItate erhoffen.
Unter ber Soraugfefcung, bafj bie SEBärnte in ber Tiefe
ähnlich junimmt, wie in ber Sßäf)e ber ©rboberfläche, hat man
aug ben ©chlabebacher Temperaturbeobachtungen bie Tiefe
berechnet, in welcher 1600°, bie Schmelzwärme ber Saoen,
(821)
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16
angetroffen wirb, unb bafür 9,6 ©teilen gefunben. ÄeineSwegS
ober ift bamit gejagt, — wie weiter unten ausführlicher gezeigt
werben joll — ba§ in biejer Tiefe thatfächlich 2aoen im
©chmeljftuh befinbtid) finb; eS ift alfo bamit feineSwegS etwa
eine Tiefe ber ©rbtrufte oon 10 ©teilen berechnet.
Son Bielen ©eiten, namentlich ber ©eptuniften, würben
bie ©teffungen Bon ©perenberg benufct, um felbft baS ©orhanben*
fein eine« he>6en ©rbfernS ju leugnen. Tie Hnnahme eines
heifjcn (SrbfernS, für welche noch anberweitige, unten ju er*
örtembe Seobaijtungen fprecheit, iftburchauS nothwenbig, unb wirb
auch burch bie *n ©chlabebad) gefuitbenen 3ah^en nicht wibtr*
legt. Sagt man aber, ber (Srbfern fei flüffig, fo geht man
entfchieben ju weit, noch mehr, wenn man auf irgenb eine SBeife
bie Tiefe ber ©rbfrufte mit |)ülfe ber eben befprodjenen ©e-
obachtungen berechnen wollte. 3Bir toiffen wenig genaues über
bie ©röfje beS GrinfluffeS, ben ber Trucf ber nach ©erflüffigung
ber ©toffe ftrebenben SBärme entgegenfefct. Später wirb biefe
©eite ber grage näher beleuchtet werben, nur fooiel mag hier
fchon gefagt fein, bafj berUinfluh beSTrucfS hödjft wahr*
fdjeinlich ben ber Temperatur bebeutenb überwiegt,
bafe alfo gerabe bie Temperaturbeobachtungen für einen feften
©rbfern ju fprechen fcfjeinen.
Such eine ©erwerthung ber ©ohrrefultate für bie SllterS-
beftimmung ber ©rbe ift auSgefchloffen. "Sine folche ©eredj-
nuitg, welche oon ©eiten Bieter ©eologen mit greuben begrübt
würbe, hat ber englifche ißhhfi^er wnb ©eolog SBilliamThomfon
angeftellt. @r ging non ber ÄanPSaplacef^en fjbpottjefe aus,
bah bie @rbe fidf einft in glühenb • flüffigem 3uftanbe befunben
habe, unb berechnete bie bie feit ber ©ilbung einer feften
ÄTufte Bcrfloffeit fein foD. ©eine ©erechnungen grünbeten fich
auf brei ffraftoren: bie Temperatur ber ©rbe bei ©eginn ber @r*
ftarrung, bie geothermifchen Tiefenftufen unb bie SeitungSfäljigfeit
(822)
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17
ber ©efteine. Sei ber Serfdjiebentjeit ber SOßert^e, bie für jeben
ber brei genannten gaftoren möglich finb, barf ei uni nicht über*
raffen, baß bai ©rgebniß feiner ^Rechnungen fid) innerhalb
rec^t weiter ©rengen bewegt; er fanb ali SKagimum 400, ali
SWinimum 20 3Rißioneit gaßre, ati waljrfcheinlichfte gaßl werben
90— 2002Rißionen gaßre angegeben. §lbgefeßen oon ben gehlern,
benen bie ©cßäßung ber Slnfangitemperatur unterworfen fein
map, läßt fid), wie 9? eu m a Qr in feiner „©rbgefeßiehte" richtig
erwähnt, gegen bie Senußung ber geothermifcheit Tiefenftufen
ber ffiinwanb erheben, baß aße Soßrungen, beren ©rgebniffe
benußt würben, fich nicht in ©efteinen bewegten, welche ali
Seftanbtßeile ber urfprüngtießen ©rftarrungäfrufte angefehen
werben fönnen. Tie ©teinfalglager Don ©perenberg g. S. haben
ja nicht bie Temperatur, bie ihnen aui ber $e\l ber erften 2lb«
lüßlung gufommt, fonbem fie finb Hbfäßc einei 3Keerei, bie
erft nachträglich wieber Don unten her burchwärmt würben,
©i liegt auf ber $anb, baß feßon in biefer einen Tßatfacfje
ein unüberfteigbarei |)inberniß liegt, bie nahe ber ©rboberflädje
gewonnenen ©rgebniffe auf bie gange üRaffe ber ©rbe gu über«
tragen. Slußerbem würbe Don Tßomfon nid)t beachtet, baß burch
bie mit ber fortfchrcitenben ©rftarrung gunehmenbe gufammen*
gießung ber ©rbe SBärme frei werben müßte, welche beit Sorgang
ber ©rfaltung wefentlich Dergögerte. SBcnn auch bie ©röße ber
fo entftanbenen SBärmemenge fid) Dorläufig ber gahlenmäßigen
geftfteflung entgießt, fo barf man hoch mit Sicherheit behaupten,
baß TßomfonS gnßfen gu gering finb, baß fomit auch bie ©in«
wäitbe, welche gegen bie Theorien TarwiitS uitb Stjeßi, welche
ja ungeheure Zeiträume in SInfpruch nehmen, mit $ülfe biefer
3 a ^ 1 e n gemadjt würben, hinfäßig finb.
T>ie burch bie Söärmemeffungen gefuitbene Tßatfadße, baß
im ©rbinuern höhere Temperaturen ßerrfeßen, ift feßon burch
bie einfache Tßatfacße be$ SorfommenS heißer Cueßen unb
Sammlung. * R. V. US. 2 (S23)
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18
glühenber Satten gweifetlof feftgefteHt. Taff ©ewäffer »on
©iebehifce, baff gefchmolgene ©efteine Bon über 1000° SBärme
bem ©rbimtern entfteigen, beweift, bah bort E)oE)e Temperaturen
herrfchen. Taf allgemeine SBorfontmen in ben üerfcf)iebenften
©egenben ber Srbe, in ber 91älje ber ißole, mie am Ülequator,
macht bie fttmtahme mancher ©eologen Bon örtlichen SSärme*
quellen unttmfirfdjeinticf).
©oId)e lofale SBarmeherbe finb in großer ,gaht Qn*
gegeben worben.6 Ungefähr jeber chemifdje unb mecf)anifc§e
Vorgang/ ber fid) gelegentlich in ber ©rbe abfpielt, foQ imftanbe
fein, bie ©efteine gu fdjmefgen ober ©eroäffer gu erbten. ©o
ift bie Oypbation oon $ieflagern alf Urfache ber ©chmel*
gung ber Satten begeidjnet worben, ©teinfoblenbränbe finb
für bie befagten Sßärmeerfcheinungen tterantwortlüh gemacht.
@ap Suffac benufct bie äßafferaufnabme tton waffer*
freien ©hIoril)en/ bie ÖEbbation Bon ÜJietalleu,
namentlich StlfalimetaHen gur ©rflärung ber ©rf^einungen. Toch
fönnen bie angegebenen chemifdjen Urfachen auf gwei ©rünben
nid)t angenommen werben. ©rftenf müßten biefe Vorgänge in
gang aufjerorbentlid) großem SDta&ftabe ftattfinben, einem 9Jiah*
ftabe, wie er nie auch nur annähernb beobachtet würbe ; fobann
wäre bod) gu erwarten, bah bie aufgeworfenen Sattamaffen gang
Borwiegenb mit auf ben bie SBärme ergeugenben SDiaffen beftehen,
— auch bafür fehlt jegliche ^Beobachtung.
2Benn SDtaltet7 unb anbere gorfcher ber neptuniftifchen
®d)ule befonberf mechanifdje SEBärmequeQen angeben, fo finb fie
nicht glüdlicher. ©owobl bie galtung unb ßufammenfchiebung,
alf and) bie 3crtrnmtnerung ber ©efteine müffen SBärme er*
geugen, bagegen läßt ficf) nicht« einwenben. ÜJlau wufete nach
ben Unterfud)ungen tton 3- Thomfon,8 bah ber ©djntelgpunlt
bef ©ifef burch Trucf erniebrigt wirb. Taffelbe würbe für bie
erbbilbenben ©efteine angenommen ; ef würbe behauptet, bah &e'
(824)
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19
bem enormen 35rucf innerhalb ber @rbe eine geringe SBärme«
fteigerung ©dpneljung ^erbeifütjren miiffe. ©päter wirb gezeigt
»erben, bajj ber Sergleid) ber ©efteine mit ©iS unjutäffig ift,
inbem fi<$ biefelben gerabe entgegengefept »erhalten. 35er 35rnc!
erfjöt)t bie ©cfjmeläwärme berfelben. Slufjerbem madjt 9tepers
mit Diedjt bie Semerfnng, bajj aus beit angegebenen Sljeorien
bas Sorfommen ton ernptioen Äalffteinen, Ouarjiten u. f. tu.
iiotfjwenbig gefolgert werben miiffe, ba ja audj biefe ©efteine einen
ganj bebeutenben Slnttjeil an bem Sau ber ©rbrinbe fjaben.
SU« Urfadje ber galtung unb ©tauung, überhaupt ber
med)anifd)en Sorgänge in ber ©rbrinbe, — Sorgänge, für welche
man tjeute nieiftenS bie 3ufammenjief)ung beS erfaltenben ©rb*
batls terantwortlicp map, — bejeidinen bie 9teptuniften allein bie
©cuttere. Welche fid) geltenb map, wenn bcn @d)idjten bie fefte
Unterlage burd) ©rofion entjogen wirb, ©o märe pier in lebtet
Sinie bie ©onnenroärme, welche ben Kreislauf beS SBafferS be-
wirft, Urfadje ber ©djmeljung ber ©efteine. 9
35ie Sertreter ber Ijeute nod) jiemlid) oerbreiteten SInfidjt,
bie ©rbe fei im mefentlidjen flüffig, ftüfcen fid) jum 2pü
auf bie $antfdje |>9potf)efe ber ^laneienbilbmtg. 2luö berfelben
d)eint unmittelbar unb notfjmenbig ju folgen, baff bie einft
ganj pffige ©rbe fid) bei ber ©rfaltung mit einer feften Ärufte
umgeben Ijabe, bafj ba« innere nod) flüffig fei. 3pile biefeö
fliiffigen Srbinnern werben burdj bie Sultane an bie ©rbober-
fläche beförbert. 35amit aber eine fold)e Seförberung mögfid)
fei, mufj bie firufte terfjältmfjmäfjig bünn fein, fonft würbe
bie 2ata auf i^rem weiten SBege burd) baS ©eftein unterwegs
erhärten. 35ie ©tärfe ber feften Strafte wirb terfdjieben an-
genommen, oft finbet man bie ®ide ton etwa 5 2Jieilen ange-
geben. 35ieS mit wenig ^Sorten bie Stnfic^t einer ganjen 3af)l ton
gorfcfjern, bie fid) nod) in tielen £ef|rbüd)ern ber ©eograpfjie unb
©eologie pbet, bie aud) ton ja^treicfjen ®cbilbeten geteilt wirb.
2* C825)
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20
gnbeffen hat öon jeffer — neben beit fcfjon genannten SBiber*
Jagern — eine grof?e ©egnerfdbaft gegen biefe fphpotl)efe beftanben,
welche aul aftronomifchen unb phhfifalifdjen ©rünben biefelbe für
unhaltbar erflärte.
Unter erfteren würbe bie ißräjeffion unb Mutation ber @rb-
achfe, ber ©etrag biefer ©rfcheiitung jum 9?a<fjroei3 bafür benufct,
baß bie §auptmaffe ber ©rbe f e ft fei.
®ie Steife ber ©rbe bemalt im Saufe ber 3af)re nicht
immer biefelbe Sage im SQJeltenraum bei, fonbern fie befdjreibt
um bie Stcfjfe ihrer ©ahn um bie Sonne, ber ©fliptif, einen
Kegelmantel, wie bie Slc^fe eine« umfaHenben KreifeB. ©iefe
Schwanfung ber ©rbacf)fe ift eine golge ber unregelmäßigen
©eftalt ber ©rbe. ©ie Snjiebung, welche (Sonne unb 3JZonb
auf ben äquatorialen Söulft aulüben, ftrebt bie ©rbachfe fenfrec^t
ju i^rer ©ahn ju ftellen. ®a aber bie ©rbe um iljre 9l<hfe
rotirt, fo refultirt baraul bie ©rehung ber ©rbachfe um bie
Slcljfe ber ©fliptif. ©iefe @rfd)einung würbe oon fpopfinl10
benagt, um ben ©rab twn Starrheit ju beregnen, ben bie ©rbe
hefigen muß. @r behauptete, baß bie Mutation einen anberen
©etrag hoben müffe, wenn bie ©rbe ber §auptfacf)e nach flüffi»?,
all wenn fie mehr ober weniger feft fei. @r berechnete bie
SBirfung ber genannten Stnjiehunglfraft auf Körper oon oer<
fchiebenem Sau. So legte er einen flüffigen Körper mit fefter
Schale, ben bamnligen Slnfcfjauungen entfprechenb, feiner SRecfj-
nuiig ju ©runbe, nahm erft eine homogene glüffigfeit in
homogener Schale, bann eine ungleichförmige glüffigfeit in
ungleichförmiger Schale an, unD gelangte ju bem ©rgebniß,
bajj bie ©rbfrufte eine ©iefe »on miitbeftenl 200 Steilen — alfo
einem ©iertel bB günftel bei ©rbrabiul — haben müffe, baß
aber auch eine burcf)au3 ftarre ©rbe ben tfjatfächlichen ©er>
hältniffen entspräche.
®ie ©iefe ber Krufte, welche fpopfml fanb, übertraf
(S26)
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21
weitaus baSjenige ÜJiafc, welches man iljr Borger auf ©runb
geologifdfer J^atfac^en gegeben fjatte. @r falf fofort ein, bafj
bic Sauen, welche man als Beftanbtheile beS flüffigcn SrbfernS
betrachtet, unmöglich einen 23 eg BDn 200 Steilen burd) bie Stufte
gurüdlegeit fönnten, offne gu erftarren, unb nahm beSljalb, um
bie ©ruption ffiiffiger Sauen gu erflaren, an, baß unterhalb bet
Bulfane eingelite ^o^fräume mit fcfjmetgenben «Stoffen innerhalb
ber feften ©rbrinbe befinbfidj feien.
fpopfinS fanb gahlreidje ©egner. 15 Sieben folgen, welche
feine Berechnungen nicht anerfennen wollten, weil ihnen fein
©rflärungSuerfud) ber uulfanifdjen ©ruptionen nicht genügte,
fugten Slnbere11 bie ©rgebniffe feiner fRedjnung unglaubhaft gu
machen, inbern fie ihn uom phhfifalifdjen Stanbpunfte aus angriffen.
Sie geigten, bafj baS ©rbinnere feineSroegS eine uotlfommene
glüffigfeit fein fönne, wie £>op!iitS annahm, fonbern gälje fein
miiffe, fowie ferner, baff bie Sieibung beS fliiffigen fiernS gegen
bie fefte Schale non erheblichem ©influjj fei, welchen ©influjj
JgwpfinS ucrnachfäffigt hatte-
SS. Tfjomfon,12 ber ein bem ©ebiete ber fßhhftf tnie ber
©eologie hochberühmter gorfdjer, nahm bie Berechnungen £>opfinS
wieber auf, inbem er bic fehler feines BorgängerS gu uermeiben
fuchte. @r berechnete bie ©röjje ber ^rägeffton utib Slutation
für einen Körper auS einer homogenen, nichtgufammenbrüdbaren
fflüffigfeit, beweglich wie SBaffer, oon einer biinnen Schale
umgeben, fowie für ein gähfliiffigeS, ungleichförmiges SunereS.
@r berechnete einen ©rab ber Starrheit, welcher ben beS ©lafeS
übertrifft unb ungefähr bem gleidjfommt, als tuenn bie gange ©rbe
aus Stahl beftänbe. Tie erften Beröffentlichungen ThomfonS
erfdjienen in ben fedjgiger 3kihren- Sftitte ber fiebengiger 3af)re
nahm er bie eben bargeftellte Begritnbuug13 feiner Behauptung,
bie ©rbe fei ftarr, guriid, an feiner Behauptung hielt er trofcbcnt feft
auf ©runb feiner Betrachtung ber ©bbe* unb Jlut&erfdjeinungen.14
(»27)
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22
Tenfelben SluSgangSpunft roä^ften ißotffon, Slmpöre15
uitb ©eo. Tarwin16 für ißre ^Berechnungen. (SS würbe $u weit
führen, ben StuSfüßrungen biefer gorfdjer genauer ju folgen.
Ter Kentpunft ißrer Unterfucßungett befteßt in bem ©ebanfen,
baß bie (Srbe, wenn ber ^jauptfacße nach flüfftg, infolge ber
SDionbaitjießung gewaltige glutßroellen werfen müßte. TaS
Sorßanbenfein fotd^er glutßwellen würbe non ben erftgenannten
5ßßßfifern geleugnet. 51: ^ o m f o « gab ju, baß bie (Srbe
felbft glutßweöen wirft. (Sr berechnete, baß bie oceanifcße glutl}*
welle größer fein müffe, als fie ift, wenn bie (Srbe nicht auch
ber Hnjtehung beS ÜJionbeS folgte. Snbem er nun bie Tifferenj
jwifchen ber theoretifch abgeleiteten unb ber tßatfädjlicß beobachteten
glutßßöße beS OceanS feftfteßte, fanb er, baß biefe Tifferenj, —
neranlaßt burd} bie glutßbewegung beS feften (SrbförperS felbft — ,
einen Setrag jeige, ber ber glutßßöße eines ganj auS ©taßl
befteßenben Körpers gleicßfäme. (Sbenfo fanb ®eo. Tarwin,
baß bie (Srbe einen bebeutenben ©rab non Starrheit befißen
müffe. (Sr legte einen etwas anberS fonftruirten (Srbförper ber
Rechnung ju ©runbe, als Tßomfon, um ben Sorwürfen,
welche fiefctercm, wie fchon oben gefagt, gemacht würben, ju
entgehen. Racß Slnficßt oon Tarwin würbe bie RieereSflutß,
wenn bie (Srbe nur fo ftarr wäre, Wie 5ßeth^ nicht bemerfbar
fein, weil bann bie Oberfläche beS (SrbförperS fo ftarf oeränbert
werben würbe, baß fie fid) ber Oberfläche beS in glutßbewegung
befiitblichen OceanS parallel fteHett würbe.
Stilen biefen Rechnungen würbe neben ben fchon bejeidjneten
noch ber Sorwurf gemacht, j. S. oon Sßabswortß,“ baß fte
fid) auf einen irgenbwie ßppotßetifcß fonftruirten Körper beließen,
ben man nicht ber (Srbe glei<hfeßett bürfe. Ter (Siitwanb ßat
infofern feine ^Berechtigung, als wir jugeben müffen, baß wir
über bie Sefcßaffenßeit beS (Srbinnern nidjts SeftimmteS wiffen.
Tod} ift ju beachten, baß ungefähr alle Riöglicßfeiten in Sctracßt
(882)
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23
gezogen finb, — homogene urtb nicht homogene, gäbe unb elaftifche
Subftangen, gleichförmige unb ungleichförmige Rinbe, — alfo
gerabe foldje Sefdjaffen^eitcn, wie fie oon ben Verfechtern beg
flüffigen (Srbinnern behauptet würben, ferner ift gewiß be«
merlengwerth, bah alle Rechnungen, glett^oie I oon
welcher ©ruitblage auggehenb, bagfelbe Grrgebnih
haben, nämlidj, baß bie @rbe ihrer §auptmaffe nach
ftarr ift.
Reben ben befprochenen Betrachtungen, welche non ben
drfcfjeinungen ber ©rbe in ihrer Begiehung gu anberen §immelg»
förpern auggingen, ift eine Reihe non Arbeiten, gum Jßeil ber»
felbett gorfcher, bie oben genannt würben, gu beriicffichtigen,
welche fich im wefentlichen mit ber grage befchäftigen: 233 ie
mu§ bie @rbe erftarrt fein, oon innen her ober oon
ber Peripherie aug?
§opfing hatte fich für bie «ftere 2lrt unb SBeife erflärt.
©r meinte, ba§ infolge ber Äbfü&lung bie ®ichtigfeit ber ein»
gelnen ber ©rbe oermehrt werbe unb biefelben fo bem
(Zentrum berfelben guftrebten, bah bag Sentrum guerft erftarrt
fei unb bann auch bie peripherifdjen $heüe fefte gorrn an*
genommen hätten. @r legte babei bie $ant»£aplacefche §ppothefe
oon ber einft glühenb flüffigen Befcfjaffenljeit beg ©rbförperg gu
©runbe. fjjenneffp11 nahm auch biefe Befdjaffenheit in einem
früheren 3uftflnb ber ©rbe als gegeben. @t führte aug, bah
fich in bem gang pfiffigen Spljäroib bie Steile nach ihrem ©emidjt
orbnen muhten: bie fchtoereren nahmen bag Zentrum ein, bie
leichteren lagerten fich nm bagfelbe herum, big ein ©leichgewichtg»
guftanb herbeigeführt würbe. 3n biefem muhte ber ©rbförper
aug einer Reihe fongentrifcf)er Schalen beftehen, in welcher jebe
Schale in fich ein gleichmäßige^, oon bem jeber höheren ober
tieferen Schale oerfdjiebeneg fpegififcheg ©ewicfjt hafte. ®ie
äuheren Schalen, welche guerft ihre SBärrne abgaben, erfuhren
(829)
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24
baburch eine 3unahme ihrer ®id)te, mußten alfo ju finfen
[treten. Sßärmere $heite famen fo mit ben abgefüßtten in
©erüßrung, moburdj teuere mieber ermärmt mürben, a([o auf»
ftiegen. 3)ie tiefer (iegenben ©dfjalen Ratten SBärme abgegeben,
ftrcbten ju finfen, trafen aber auf fpejififd) fcfjmerere ©ubftanjen,
bie bieg Derljinberteit. §ttfo immer mußten bie anfangs mefleidjt
finfenben 2ßeile ber erftcn (SrftarrungSfrufte megen ber @r»
märmung »ott unten her unb megen bei höheren ©eroicßtS ber
tiefer liegenbeti Jßeife mieber auffteigen. ©o fcßtießt $eneff tj,
entgegengefeßt $opfiuS, eine (Srftarrung »on ber 5ßeri»
pßerie her. (Sr giebt als ©rcnjmerthe für bie 35icfe ber
prüfte 4 SäWeilen im SKinimum unb 150 Streiten im SJZafimum an.
2)er non $ennefftj betretene 2Heg mürbe fpäter non nieten
Slnberen mciter nerfotgt. @ße inbeffen mit Hoffnung auf fixere
(Srgebniffe an ber Söfung ber grage meiter gearbeitet merben
tonnte, mußte baS ©erhalten ber SJtaterie, fpe^ieü ber erb»
bitbenben ©ubftanjen, gegen SBärme, befonberS aber auch gegen
®rucf, genauer ftubirt merben. SBenn mir bei £enneffp unb
fpoptinS namentlich eine genauere SSürbigung beS Ie|tge»
nannten gaftorS »ermiffen, fo liegt bicS baran, baß bie Unter»
fucfjungen, rnetcße baS ©erhalten ber Körper beim Uebergang
aus bem ftüffigen in ben fefteu 3uftanb genauer fennen lehrten,
jumeift in eine fpätere 3eit falten. (SS mußte befonberS genau
unterfucßt merben, ob bie Körper beim (Srftarren [ich auSbeßnen
ober ficß jufammenjiehen, mit anberen ©Sorten, ob baS fpe$ififcße
©emicßt berfetben erniebrigt ober erhöht mirb. daneben mußte
baS hiermit eng gufammenhängenbe ©erhalten gegen ®rucf näher
geprüft merben. ©5enn erfattete ©chtacfenmaffen oon ber 0ber»
fläche ber ßrbe her in ben ©lutßball einfanfen, fo famen fie
unter oeräuberte 25rutfoerhältniffe. 35er erhöhte 35rucf
tonnte oerfeftigenb ober ocrftüffigenb auf biefetben einmirfen.
|)opfinS fjatte bie ©ebeutung biefeS gaftorS crfannt, ohne
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25
inbeS benfelben in feine Betrachtung einführen 3U fönnen, ba
ihm bie nötigen Taten über bal Verhalten ber einzelnen Sörper
fehlten. Erfagt, bah bal Erbinnere mehr ober weniger
fl üffig fein muffe, wenn bal Beftreben ber Semper atur,
bie SRaffen ju oerflüf figen, fchneller junehme, all
ber Sinflufj bei Trudl, welcher fie oerfeftigt, baff aber
umgefehrt bal Erbinnere feft fei, wenn ber Trudfid)
ftärfer geltenb mache, all bie Temperatur, mit attberen
SBorten: ob bie Erbe feft ift ober flüffig, hängt oon ber re»
latioen gunahme ber Temperatur unb bei Trudel ab, foroie
oon bem Bcrhalten ber erbbilbenben ©toffe gegen Trud unb
SBärme.
fpopfinl machte, ebenfo mie Bunfen,” einige Berfudje
bezüglich bei julehtgeuannten fünftel. Er faitb, baff ber
©djmelgpunft oon Sßachl, ©djwefel, ©tearin burch fteigcnben
Trud erhöh1 tüirb, bafj bie Erhöhung ber ©chmclgwärme aber
nicht proportional bem Trud ftattfinbet, fonbern mit fteigenbem
Trud geringer wirb, gür metallifdie Segierungeit fonnte er über-
haupt feine ©chmelgpnnftlerhöhung bei gunehmcnbem Trud be»
obadjten. |>opfiul felbft legte feinen Berfuchen feinen entfchei»
benben SSertf) bei, ba bie unterfudjten ©ubftangen all Beftanbtheile
ber Erbe uidjt ober nur in gan3 untergeorbneter SOfenge in
Betracht fommen. Bezüglich ber mineralifchen ©toffe ftanben
ihm feine Taten ju ©ebote.
©päter behaubeite 2B. Thomfon benfelben ©egenftanb.
©ein Bruber 3. Thomfoit hatte bal ©efefc aufgefteüt, bah
für alle ©ubftanjen, tu e f cf) c fid) beim Erftarren gu«
fammenjiehen, Trud ben ©cf)melgpunft erhöht,
mährenb bei ben Körpern, welche beim ©efrieren
Bolnmoermehruitg erfahren, ber ©dfmelgpunft burch
Trud erniebrigt wirb. gier 2Baffer hat Thontfon bal
©efe$ efperimentcQ beftätigt. Eil fdjmilgt unter erhöhtem Trud,
C831)
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26
felbft bei Temperaturen unter 0°, weil SBaffer befanntlid) beim
Gefrieren ftch auSbeljnt.
3n ©ejug auf bie ©efteine galten iljm SifchofS ©erfudje
als mafjgebenb. Tiefelben Ratten ergeben, bah bie fteinigen
Subftanjen beim ©rftarren eine ftoutraftion bis ju 25 °/0 er>
fahren. Sei biefen Stoffen muff alfo Trucf ben Schmelgpunft
erhöhen. Ta nun in ber ©rbe ber Trucf bei je 100 gujj
um etwa 9 Sltmofphären, (in ber Tiefe nod) ^ö^er!) bie SSärrae
nur um 1° junimmt, fo fcfjlofj Tljomfon, baff bie ©rbe im
Zentrum ftarr fei.
Tod) würben ©ifdfofs ©erfudje oon manchen Seiten nicht
anertannt; man warf ihm oor, baff fie nicht unter ©eobacfjtung
aller ©orfidjtSmahregeln angefteHt feien. Namentlich wenbet
fich gorbeS19 gegen biefelben.
©ifdjof hatte folgenbe ©olumenoerhfiltniffe gefunben:
gfWmotjf#
»afalt. . . . 1000 Sfjeite
SEradmt... 1000 „
©ranit . . . 1000 ,
fllaflfl erftarrt
963 Steile
888 „
888 „
fiBitaUiniidj
896 Steile
818 „
748 „
gor b es wieberfjotte bie ©erfuche unb fanb felbft 3ufam-
mengiefjung, jeboch nicht in fo grobem ÜJtahftabe, wie ©ifchofS
fahlen geigen.
Trog biefeS ©rgebniffeS hielt er feine eigenen ©erfudje für
ungenügenb. @r lieh bie grage, ob bei ben genannten ©efteinen
Äontraftion ftattfinbe, offen, weil ihm bie ©eobachtung ber
natürlichen ©orlommniffe ben burch baS ©fperiment gefunbenen
©rgebniffen gu wiberfprechen fcfjien. ©r fagte, bah bie ©eob=
adjtung oon ©efteinen in ©ang> unb fiagerform immer eine
fdjarfe Mbgrengmtg gegen baS Nebengeftein erfennen taffe, bah
bort oon einer ftontraftion nichts gu fehen fei. Stbgefehen baoon,
bah ©finge oon ©ruptiogefteinen hoch fehr oft, wenn auch nicht
gerabe an ber ©erührungSftetle mit bem Nebengeftein, fo boch
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27
im Snnern beS ©ange« felbft, (Sprünge jeigen, bie fid) febr
wohl als ÄontraftionSriffe beuten taffen, fdjeint Jorbe« gatij
außer Seht gelaffen ju haben, baß an ber ©rboberflädje er*
ftarrte ©efteine, Safalt 3. 58., eigentlich immer ÄontraftionS*
erfcheiitungen jeigen. Später wirb biefer ißunft nod) eiumat
ausführlicher be^anbeft werben.
?Iußer ^orbeS ha&en Slnbere19 experimentell gejeigt, baß
©ilifate ju ben ©ubftanjen gehören, welche fich beim
©rftarren jufammenjiehen, welche alfo burch 2>rurf
oerfeftigt werben.
Sieben ben ©ilifatgefteinen oerbient noch baS 58erhatten beS
(SifenS, bejw. ber SDletaHe, oon benen oben gefügt würbe, baß
fie oieQeid)t einen großen $he*l beS ©rbimtern auSmachen,
SBeachtung. Such hierüber liegen jahlreichc tßerfuche oor.
SDlaltet,*0 ber aud) ©itifate unterfuchte, fanb für gcfchmoljctteS
©chmiebeeifen hoc h über ber ©chmefjtemperatur baS fpejififche ©e*
wicht 6,65, für baSfelbe (Sifen fatt 7,17, fo baß hiernach ©ifen ju
berfetben klaffe non ©ubftanjen gehören würbe, toie bie ©itifate.
2>ie SBerfudje würben auf anbere ©ubftanjen auSgebefjnt, unb
bejüglidj beS ©ifenS wieberhott.*1 ©taht unb ©djmiebeeifen,
SReffiitg, ©Über fanfen in fattem 3uftanbe in bem gefdjntotjenen
äRateriaf oon gleicher 3ufQwmenfehung unter. SBejügtich beS
©cßmiebeeifenS fteflten f>annat) unb Stnberfon28 nochmalige
Serfuche an, inbem eine Sauget biefeS äftaterialS in eine ge*
fchmotjene ÜJlaffe beSfelben eingetaucht würbe. 5DaS ge*
fdpnotjene Sifen war bem ©rftarrungSpunft mögtichft nahe.
Söenn bie Äugeln fall waren, fanfen fie, mit ber Erwärmung
tauchten fie empor, unb fliegen, je wärmer fie waren, befto
höher. Sie genannten fjorfcher faitben, baß gcfdjmotjcne« ©ifen
fich SDlomcnt beS geftwerbenS um etwa 6% auSbeljnt.
5RobertS unb SShtigtfon3* fanben biefetbe Qafyl, fteflten
aber feft, baß biefe SluSbehnutig nur in bem llebergangSaugen*
(SSS ;
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28
blicf aus bent fliifftgen in ben feften 3uftanb gilt, al jo
gewiffermaßen im plaftifchen 3uftanbe, baß ober bei ber geft*
Werbung eine ^ufammengiebuitg um 7% ftattfinbet. fRieS unb
Söinlelmaitn*1 unterrichten 3™*/ SBiSmuth, Sintimott,
©ifett unb Stupfer in feftem unb flüffigen 3uftanb bei Tempe»
raturen, bie bem ©djmelspunft möglichft nahe tagen.
Ta§ ©rgebitiß war, baß biefe ©ubftangen, wenn t)eiß, im
feften 3uftattbe leichter, als im fliiffigen finb. Ttutf würbe
biefelben atfo, wie (5iS, bei nieberer Temperatur
flüffig machen fönnen. SBollte man aber biefe Serfudje
ba^u benu^en, um ju beweifen, baß bie SDietalle im ©rbinneren
in ftüffigem 3uf*anbe oorhanben finb, fo ift bem entgegenju-
galten, baß bieS nur bei Temperaturen gilt, bie bem ©dpnefp
punft nafje liegen. Sei ffiifeit tjatte 3. ©. ber Serfudj ergeben,
baß bei ber ge ft Werbung ppcl) ejne ^ontraftion ftattfinbet.
Smmerhin ift jitjugeben, baß einer Serwertßung ber ©rgebniffe
ju ©unften ber Slnficfjt, bie @rbe fei feft, aud) ©ebenfen
eutgegenfteßen, ba wir eben über bie Temperaturen beS @rb-
ittnern nicßt genau genug unterrichtet finb.
Tie Uebertraguttg ber im Saboratorium gewonnenen ©r*
gebniffe auf bie in ber SRatur ftattfiubenben Serhältniffe barf
überhaupt immer nur mit äußerfter Sorficßt gefcßehcn. ©o ^at
man thatfädjlich bie fRichtigfeit ber ejperintentell gewonnenen
Sluffcßlüffe über baS Verhalten ber Körper bei ber ©rftarruug
beftritten. Cben würbe mitgetheilt, baß 28ach8 unb Schwefel
ju ben Slürpcrit gehören, bei betten Trucf bett ©chmeljpunft
erhöht, welche alfo im Gentruin jiterft ftarr werben miiffen.
gorbeS fagt 3. ©., „baß Diicmattb jemals eine Sttaffe 0011
gefcl)tttol3eitem fDietaH ober ©chwcfel juerft im Ämtern höbe
Irpftallifiren ober erftarren fehett, ba baS innere folcfjer Üßaffen,
wie woßl befannl ift, flüffig bleibt, ttachbem fich auf ber Cbcr*
fläche eine itrufte gebilbet hat/ unb weiter, baß bie ftrufle
(»84}
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29
immer an ber Oberfläche bleibt unb nicht finft". ßbenfo
bemerft er, „baß eine Stufte tom ©eroidjt 2,65 nicht tief in
bie flüffige SJiaffe ber Srbfugel mit ber mittleren didjtigfeit
6on 5,3 einfinfen fönne."
Me ißerfucfje, bie mir im Saboratorium oornefjmen fönnen,
feiben an bem Uebelftanbe, baß fie in oief ju Meinem SOiaßftabe
gegenüber ben natürlich gegebenen SSerßättniffen oorgenoramen
werben miiffen. SBeber fönnen mir mit großen 9J2affen, nod)
unter ßojjen dritd» ober Xcmperaturoerljäftniffen arbeiten,
wenigftenS nicht annäßernb unter ben in ber Siatur oorfom-
menben. SSenn j. 58. eine ©djmefefmaffe im Saboratorium oon
ber Oberfläche ßer erftarrt, fo liegt ba§ moljf meift an ben
Meinen diraenfioiten be3 ©efäßeS, an beffen SBanbungen bie
juerft gebilbeten feften Tljeile abfjciriren unb fo am ©infen wer-
fjinbert merben. dann aber ift aucß bie demperaturoertfjeilung
eine anbere, a(3 in ber Srbe, unb fcfjließlid) fpielt bie drutf«
bifferenj jroifdien ben im Innern be8 ©djmefjtiegefS befinb*
liehen ÜJiaffen unb ben an ber Oberfläche liegenben dfjeifcn beS
©d)mehfluffc§ feine fRoHe. Sin meiterer Uebelftanb, ber faum
$u befeitigen ift, ift ber, baß gerabe bie dfjeile, meldje bem
höchften dritcf untermorfen fittb, bie am 58oben be$ ©efäßeS
befinbli^en, jugleicf) ben höchften Temperaturen burd) bie oon
unten f)er ermärmenbe gtamme au§gefe$t finb. — daß bie
.gäfjigfeit beg erftarrenben ©djinefjffuffeS, meldje baS Sinfinfen
ber an ber Cberflädje gebilbeten feften ftrufte in ba§ innere
erfdjmert, bei ben fleinen dimeitfionen beS @d)me4fluffe3 im
Saboratorium einen größeren Sinfluß haben roirb, al§ bei ber
erftarrenben Srbe, liegt auf ber §anb.
da8 Sßerfjalteti ber SDictafie ift für bie Sntfdjeibung ber
grage, ob bie Srbe feft ober fliiffig fei, nicht oon fo erheblicher
SBebeutung, mie ba» Verhalten ber ©ilifate. diejenigen, roeldje
einen feuerfliiffigeit Sern ber Srbe anneijmen, tf)un bieS ijaiipt«
(83:.)
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30
fädjlidj, weil bie Sulfane feuerflüffigeg SWateriaf liefern. SBeitn
fich nun aber nadjroeifen lägt, bafj bie ©ilifate ju ben
Stoffen gehören, bei benen fyotyt ®rucf bie Serfeftigung be-
günftigt, welche alfo fjöcf)ft wahrfdjeinlich in ber Xief e
in feftem ßuftanb oorhanben finb, fo ift ein |>aupt-
argument ju ©unften beg flöffigen ©rbinnern feiner roic^tigften
©tü$e beraubt. SDie Sulfane beförbern ja befanntlicfj »orjugä*
weife ©ilifate au bie ©rboberfläcfje, SDfetaHe (@ifen) wenn auch
an oerfcfjiebenen Orten, hoch nur immerhin feiten.
grüner würbe gefagt, baf} für ©efteine ber ejperimenteße
iKadfroeiS geliefert würbe, baff fte bei ber ©rftarrung Son>
traftion erleiben. ©g beburfte faum beg mühfamen ©jperimentg,
um bieä ju jeigen. 2)ie SRatur felbft beweift ung bie S^atfac^e :
bie ©jperimente fönnen angefodjten werben, bie natürlichen
2hatfachen nicpt.
% orbeg hatte, wie oben gefagt, geleugnet, baff ©änge
unb Säger oon ©ruptiogefteinen Stontraftiongerfcljemungen jeigen.
SSie gleich gejeigt werben foH, hohen hei biefen aller SBahr*
fcheinlichfeit nach hefonbere Serpältniffe mitgefpielt. Sei Suppen
unb Oberflächenergüffen ift bie ©rfcheinung, baff bie augge«
worfelten Sßiaffen bei ber ©rftarrung Sontraftion erfuhren, eine
recht häufige. Sefonberg augenfällig finb bie feit alterg befannten
fäulenförmigen Slbfonberunggformen ber Safalte unb Ouarj*
porphhre, fowie bie neuerbingg erft befannt geworbenen Säulen
beg Obfibian.®5 Cuargporphpre unb $ßhon°ftrt)e jcigcn oft
plattige Slbfonberung. SBarum in einem gafle bie Sontraftiong*
riffe paraflel, im anberen gaße fenfrecht jur Sbfühlunggfläche
gebilbet würben, biefe ©rfcheinung bebarf noch her ©rflärung;
bafj aber eine Sontraftion in allen biefen gälten ftatt»
fanb, ift f ich er. SSenn ©änge unb Säger bie Sontraftiong*
erfcpeinungcn oft ocrmiffen laffen, fo mag bag an ihrer Silbung
liegen. SSenn burcp einen Srater gluthflüffigeg SOiaterial aug-
(836)
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31
geworfen war, fo mußte bie innerhalb beS Sraterä befinblidie ÜHaffe
— ber ©ang — lange glü^enb bleiben, ba burcf) bie iiberlagernbe
SDede gefdjmolgener Saoa unb bie burd) ben Transport ber ©lutb»
niaffe erbeten ©eitenwanbe beä ©angeS eine rafd)e Slbfüblung
oerßinbert würbe. fjaitb a^er *>od) ©rfaltung unb bamit Äon-
traftion ftatt, fo ift nidjt unwabrfdjeintid), baß bie jwar im So»
lumen oerringerte, aber boc^ nod) gäbe9ttaffeburcb3ufammenfinfen
in fic§ felbft, bejiebungSweife 9tadjfd)ub ton unten, wieber ben
©eitenwänben beS ÄraterS angefdjmiegt würbe, fo baß ber ohnehin
nicßt bebeutenbe Setrag ber Sfontraftion, ber bei ber enbgültigen
geftwerbung entfte^en mußte, fidj ber Seobadjtung leicht ent-
heben fann. $anbelt e£ fid| bod), wenn audj bie Silbung oon
SontraftionSriffen ftattfinbet, immer nur um jiemlidj geringe
Srogentfäße ber ©efteinSmaffe bei ber 3tfantmengief)un3- ©ei
einem oljnefjin fcßmalen ©ang wirb fid) ein ÄontraftionSriß, ber
oieHeidjt 1% ber ©angmaffe beträgt, fcßwcr beobachten laffcn.
©inen fo großen Setrag ber Äontraftion, wie ißn SifdjofS Ser-
fuche ergeben batten, weift bie Seobadjtung in ber ÜRatur nicßt
auf, unb barin fönnen wir goebeS fRecßt geben, baß er bie
©röße biefer 3ab*eit angreift. Sei ben Sägern ton ©ruptio»
gefteinen, welcße nach Slnfidft jaf>lreid)cr ©eologen jum großen
fogenannte „intrufioe" ©ruptiogefteine finb (b. b- folthe,
bie gwifdjen aitbere ©efteine eingepreßt würben), berrfd)ett
ähnliche Serbältitiffe, wie in ben ©ängen. Seftätigt werben
bie oorftebenben 2lu$füf)rungen baburcß, baß bie inneren Ibe*k
mächtiger Safaltmaffen g. S., weldje oberflächlich ©äulen*
abfottberung geigen, biefe ©rfcßeinung nicht aufweifen.
Süden wir nod) einmal guriid. ®ie Setradjtung ber
Srägef f i on$- unb SlutationSerf Meinung, fo wie ber ©bbe*
unb glutbböbe finb gu ©unften eines foliben ©rbinnern
beutbar. ®ie Unterfudjuitgen ber ©rftarrungSerfcßei*
nungen laffen fid) begüglid) ber SKetalle oielleicßt
<#S7)
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begüglidj ber Silifatgefteine jebcnfallS gu ©unften
ber Vlnficht, bie ©rbe fei feft, oermerthen. SBenn wir uns
bemnadj gu biefer Snficht befettuen wollen, jo liegt unS nodj ob,
gu prüfen, wie vertragen fich bie oulfanifchen Srfdjeinungen mit
ber behaupteten Starrheit ber ©rbe? Stuf ben erften SSticf
fdjeint ja bie einfache Jhnifa^K/ bnjj gluthflüffige SKaffen bem
Srbinnern entfteigen, unfere Slnfic^t ooQftänbig gu entfräften.
Son §opf ins würbe fchon oben mitgetljeilt, bafj er, nach*
bem er fid) für bie Starrheit ber ©rbe entfchieben hnlle, gnr
©rflärung beS SulfaniSmuS eingelne .pohlräume, mit flüffigen
Saöen gefüllt, unterhalb ber Sultane annahm.
3u berfelben Slnfic^t fam auch SB. Ihomf°n* b«<hte fi<h
ben ©rftarrungSoorgang folgenbermajjen : „Sobalb bie Oberfläche
anfing, gu erftarren, unb in fo großer äWenge erftarrt mar, ba§
fte nicht mehr fchwimmen fonute, fanf bie Dflaffe gegen baS ßentrum
hinab, ©rneute ©rftarrung an ber Oberfläche erfolgte. Such
baS 9ieuoerfeftigte fanf, utib baSfelbe mieberljolte fich wieber unb
wieber. SRadj unb nach würbe eine Srt oon wabenförmigem,
feftem ©erüft gebilbet. SS entftanb ein Sfelet ober SJtahmen
burd) bie gange SOfaffe, in welcher fich fßfeiler bis gur Ober*
fläche erhoben. Sn ben gnufd^mmunien jmifchen biefeit fßfeilern
entftanben, wenn fie nahe genug beieinanber ftanben, aus ben
erftarrten Saoen Sriicfen ton feftem ©eftein, bie im SerpältniB
gu ihrer Sreite bicf genug waren, um nicht einguftürgen uub
gu fiufen. . . . flfach unb nach würbe bie wabenartige ÜJiaffe
nafjegu feft mit nur unbebeutenbeit 3eöeu oon flüffiger Saoa."
(StwaS gefiirgte Ueberfefcung ber betreffenben Stelle bei Xhom)°n )
SDiefclbe Snfidjt wirb auch in ben berühmten Principles
of Geology Speü’S angenommen. 3a^re*^en ©eologen fchcint
inbeS biefer 28eg ber Sereinbarung ber ©rgebuiffe phpfifaltfchcr
^Berechnung unb geologifcher Seobadpung nicht paffenb. Sn
einer großen 3afü twn Sehrbüchern wirb entweber unter Sgno-
.'838)
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33
riruiig ber oben befprod^etteit ^Berechnungen ben Suffanen ju
Siebe an bem flüfftgen guftanb ber ©rbe feftgeljalten, ober bie
grage nach ber £>erfunft ber Saoen al* eine offene be<
hanbeft.
©in ganj befonbere* Verbienft, bie non ben ^S^ftfent be-
hauptete Starrheit ber ©rbe mit ben ©rgebniffen gcoIogifcEjer
gorfdjungen in Uebereinftimmung p bringen, hat fich 9t e per
erworben,*6 inbem er über^eugenb nachgewiefen hat, baß felbft
ftarre ©efteinc unter geeigneten Umftänben inffüffige
Saoen über geführt unb fo jur Eruption gefangen fönnen.
3n fofgenbem wirb gezeigt toerben, wie bie ©ruption fefter
SWagmeit möglich ift, unb baß gewiffe ThQtfachen ber ©eftein**
lehre, bie ba* ntifroffopifc^e Stubium ber garten offenbart
hat, fich am einfachem erffären faffen burch bie öon SRe per
behauptete Starrheit aller Saoen in ber Tiefe.
Ta bie Sififate p ben Subftanjen gehören, mefche bei
bem ©rftarren fi(h pfammenjiehen, muß ber Trucf auf biefelben
oerfeftigenb toirfen. Tie üßofefüfe berfelben haben bur<h bie hohe
Temperatur ba* Veftreben, fich ooneinanber p entfernen, toefche
Bewegung aber burdh ben bie Sftolefüfe einanber näherttben Trucf
aufgehoben Wirb, ©in pjeite* ÜJioment, welche* berücffichtigt
werben muß, befteht in ber mehrfach beobachteten Thatfadje,
baß ba« 9Jtagma oon $füffigf eiten burchtränft ift.
3n ph^^n ©efteinen hflt man burd) mifroffopifche Unter»
fudjung @infcf)füffe oon fj^fftgfeiten, Saljföfungen, SBaffer unb
fefbft ffüffiger Sohfenfäure unter foldjen SSerhältniffen entbecft,
baß an ein nachträgliche* fjjineingefangen berfefben nicht p
benfen unb an ber Urfprünglichfeit ihre* Vorfommen* im
©eftein nicht p zweifeln ift. daneben aber enthält ba« ©e*
ftein*magma noch große ÜJtengen oon ©afen, welche pnt
Tf)eil in ben ©emengtfjeifen ber gegarten ebenfo Wie bie
Jlüffigfeiten, _ bie man bei Sfnwenbung ftarfer Vergrößerungen
Sammlung, SR. g. V. 118. 3 (839)
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erfemtt, — eingefchloffen finb, $um aber auch bei jeber <Srup>
tion in großer ÜJienge ben Kratern unb ben fiaoafirömen entfteigen.
Tie 2RögIid)feit, baß fidj glüffigfeiten imb ©afe mit bem
ÜJiagma in ber liefe mifcfjen, ift burd) ben Trucf, unter bem
fie ftcfj befinben, gegeben. @8 ift experimentell feftgefteßt morbcn,
baß ©ubftanjcn, bie fic£| unter gemöhnlid)en ©erljältniffen nid)t
mit SBaffer mifdjen, bie« unter l)opem Trucf tlptn, roie ebenfo
aud) bie gefteigerte £ö$lid)feit ber ©afe unter Trutf längft
befannt ift.
2Sir haben un8 alfo ba8 SJlagma in ber SEiefe heiß, mit
glüffigfeiten unb ©afen gemifi^t, aber infolge be§ über
bemfelben laftenben 3)rud8 ber überlagernben ©efteine feft oor»
jufteßen.
SBirb Paraffin in einem gugefdjmolgenen SRoljre ertoärmt,
felbft meit über feinen ©djmeljpunft, fo bleibt eS ftarr, weil
ber in bem gefdjtoffenen SRoljr entftefjenbe Trud bie ©erflüffigung
»erhinbert. SBirb baä Ütof)r geöffnet, ber Trud oerminbert, fo
tritt faft augeitblidlid) ©d)meljung ein.
SBirb ber Trud über bem ©efteinSmagma ber
Tiefe »erringert, ma8 $. 83. burd) SBerfdjiebung , ©paltem
bilbung, ©tauung in ben überlagernben ©efteinen gefdjepen !ann,
fo tritt in bem SDiagm«, ba$ infolge bcS 35 r u cf S feft mar,
ganj ober tpeilmeife ©erflüffigung ein. Ter ©rab ber
©djmeljung mirb ein mehr ober meniger öoßfommener fein.
@2 merben, faßs bie Trudoerminberung fich bis in große
liefen mit po^en Temperaturen erftrcdt, mit anberen SBorten ein
erheblicher ©palt bie ©rbrinbe burchfeßt, felbft bie am fchmerften
fdjmeljbaren ©eftanbtheile be8 SDiagma mit »erflüfftgt merben.
3n anberen gäßen, mo bie Trudoerminberung meniger bebeutenb
ift, mirb bie SBärme öiefleidjt nur au8reid)en, um einen Tljfil
ber in bem intrateflurifchen ©eftein befinblidjen ©toffe in flüffige
gorm ju bringen.
(840)
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35
$>ie 2)rucfoerminberung ift inbeffett nid)t nur Ur}adje ber
SJerflüffigung, fonbeni fic oeranlafjt aud), bafe bie ©afe, welche
burd) ben 2)rucf bem ÜÄagma beigefeßt waren, plö&lidj ent-
weichen. ©o erfrört e8 fich, baf} bei jeber ©ruption ÜJtaffen öon
Söafferbampf, ©Ejtorwafferftoff unb anbercti ©afen bem ftrater
entftrömen. 3)ie ©afe finb aber auch mit Urfache beS Muf-
fteigenS ber Sana im ©cf)lot beö 33ulfan3. 3)er $rutf, ben bie
überlagembeit OfclSmaffen auf bie oerflüffigte Sana ausüben,
würbe nicht genügen, um biefelbe hohe 33erge h‘naufäutreiben.
2)a3 ift bie Seiftung ber ©afe, bie fich plö&lich au8 ber £aoa
entbinben. 9teper oergleicht ben Vorgang treffenb mit bem
Muffteigen foljlenfauren SBafferg in einem Siphon. 2)urd) ben
$rud beä gefchtoffenen ©efäjjeg ift bie ftohtenfäure in bem
SBaffer gelöft. ©obalb burd; Deffnen beS Sßentilß ber $>rud
oerminbert wirb, treibt bie aus ber glüjfigfeit freiwerbenbe
fiohlenfäure ba3 SEBaffer in bie |>öf)e unb jerftäubt esi. ©erabe
fo jerftäuben bie ©afe beö 2Jtagma3 bie £aoa ju Mfche unb
$uff. ©3 braucht wohl faum befottberö betont ju werben, bafj
bie eben mitgetheilte Mnfidjt fich njcfentlicf) oon ber älteren
93ulfantheorie, bie heute af$ gänjlich iiberwunben gelten fann,
unterfcheibet. früher nahm man an, bafj bie ©pannung ber
im ©rbinnem gebilbeten ©afe, ihr ®rucf gegen bie ©rbfrufte,
Urfache ber ©eben, fowie beS MuftriebS be$ flüfftgen ©rbinnem
in ben ftratern fei. ÜRad) biefer älteren Theorie waren bie
Sßulfane bie ©idjerheitäoentile ber ©rbe, welche oon ben ©afen
geöffnet würben, wenn ber 2)rud einen gewiffen ©rab iiberftieg.
SBoflte man bie alten Theorien mit bem im ©iphon ftatt-
finbenben Sßorgange oergleichen, fo würbe bie Mehnlid)feit her*
gefteßt fein, wenn bie ftotjlenfäure baS iBentil ber glafche
felbftthätig öffnete. ^^atfad^Iic^ ^at fie ba$u nicht bie genügenbe
©pannfraft, ebenfowenig wie bie ©afe be3 ©rbinnem ben
Sfraterweg freimachen fönnett. ®a$ ©a3 im ©iphoit fommt
3* (841)
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jur Sßirfung baburdj, bafj bic f>anb ba3 Sentit öffnet, ©ei
ben Sultanen fpielett bie burdj Kontraftion bei (Srbrinbe
entftehenben ©palten bie Solle bet baS Sentil öffnenben
£anb.
Sora phpfifalifchen ©tanbpuitft lägt fidj gegen bie oor*
gebraute Deutung ber oulfanifchett (Srfcfjeinungen wohl fchwerlich
ein ©inrnanb ergeben, e§ fei bentt, baß man leugnen wollte,
baß bie ©ilifate ju beit ©ubftanjen gehören, bei betten Ttutf
oerfeftigenb wirft. SBoHte man aber biefelben ju ber Klaffe
oon Körpern regnen, auf welche ber Trucf, wie auf Siä, oer*
flüffigenb einwirft, fo wäre eine Sruption überhaupt unmöglich-
SBirb Si£ ftarf fomprimirt, fo fdjtnilgt e$ felbft bei nieberen
Temperaturen. Sach Äufhören beä Trucfeö muß baö ®i3, wenn
auch oorübergehenb, feft werben. Söürben alfo bie erbbilbenben
©ubftangen bie (Sigenfdjaft mit bem SBaffet tfjeilen, baß fie beim
(Srftarren Sluöbeßnung erleiben, fo müßte ein ©palt in ber
©rbfrufte bie im Snnertt oieüeicfjt flüffigen ©ubfianjen jur
Serfeftigung bringen. Ter bie Trucfoerminberung oeranlaffenbe
©palt wirb oon einem ßaoapfropf oerfchloffen, welcher ba3 alte
Trucfoertjältnifj wieberherftellt.
Sllfo, furj jufammengefagt: bie ©ilifate müffen ju ben
©ubftanjen gerechnet werben, welche Trucf, felbft oberhalb ihre«
©chmeljpunfteä, oerfeftigt, benn nur unter biefett Umftänben ift
Eruption berfelben möglich- ®er ®*ncf nimmt in ber Tiefe
ganj enorm gu, bie Temperatur relatio langfam; mit aller-
größter Sßahrfcheiitlichfeit alfo behält elfterer über bie lefctere
bie Dberfjanb, unb bie Stagmen finb in ber Tiefe ftarr.
fieptere Sehauptung wirb noch burch eine gan^e ülnjahl
oon Seobachtuitgen an ©ruptiogefteinen geftüjjt.
Stau fieht in ben Tünnfcßliffen nicht feiten |>omblenbe,
©limmer unb anbete bafijdje ©emeitgtheile am Sanbe eigen*
thümlich angefreffen, forrobirt ober mit einem ©aume oon
tM2>
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SJiineralneubilbungen umgeben. 3)afj biefe @rfd)einungen nicf}t
ber berroüterung jugefdjrieben merbeit bürfen, geE>t au« ihrem
83orfommen in ganj frifdjen ©efteinen §ert>or. 3Jian fonnte
fünftlid) biefclbeit Srfdjeinungeit herftetlen, wenn man KrtjftaUe
bet betreffenbeu ©ubftanjen in ©cfjmeläflüffe non ©ilifaten ein-
taudjte. SDfatt fann bemnadj bie betriebenen borfommniffe
fo erftären, baf? man annimmt, ^ornblenbe unb ©limmer be«
ftanben jcfjon in ber $iefe in einem ©eftein , welche« oor
feiner ©ruption nid}t eoUftänbig oerflüffigt mürbe, aber ba«
pm Ztjeit oerflüffigte ÜJiagma griff bie ungefdjmol jenen Seftcnb-
t^eite an. 3Jian fönnte aud> uerfucfjen, foldje ©rfdfeittungen fo
ju erftären, baf? man bie forrobirten SKineratien at« erfte 2lu««
fdjeibuitgen au« bem ©d)meljflufj anfiefjt, mdd)e fpäter mieber
burd) ba« ÜKagnta tlpitroeife gelöft mürben. £ann miijjte aber
jmifdjen ber erften öilbung biefer SRineralien unb bereu fpäterer
Sßieberanflöfung eine d)cmifd)e Ummanblung in bem ©chmetjftufj
fid> ooltjogen ^abett I SEBotjer fotlte biefe ftantmen?
Stet)nlid) bürfte bie ©rftärung für bie fo häufig bei ben
Cuarjen ber Cuarjporp^tjre, Siparite unb 3it)i)oIitt)e ange-
troffene ©rfdjeinung, (roetd)e übrigen« aucf) bei anbcren SJfine-
ralien gefunben mirb) ber abgerunbeten Kanten unb ©inbudftungeti
ju geben fein. ®a« Stuöfe^en ber Krpftalle beutet barauf ^in,
bafj biefetben in einem früheren ^uftanbe be« ©eftein« beftauben
haben, bann aber tfjeilmeife gelöft mürben. 3)ajj fid) ein Krt)ftatl
oon freier Kiefelfäure au« bem SUtagma nod) oor ben fpäter
au«gefchiebenen mehr bafifcfyen Sütineratien gebitbet tjaben fottte,
ftef)t nicfjt mit unferen c^emifdjen ?lnfd)auungen in ©inftang.
©« taffen fidj ttodj mehr beifpiete anfütjren. SRur eine«
oon befonberer bemei«fraft fei noch genannt. 3n ben ber-
einigten ©taaten oon Stmerifa mürben in ben testen fahren
mehrfach bafatte*7 aufgefunben, meiere neben Olioin freie
Kiefetfäure in f5orm öon Ouarj enthielten. @« mar bi« baf)in
(MJj
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unerhört, baß in einem ©eftein, wie SBafatt, Ouarj neben
Olioin öorfommen fönne. Stad) aßen früheren ©rfaljrungen
fonnte Ouatj neben bem bafifdjen Olioin nicfjt hefteten, fonbern
eä mar ju ermarten, baß bie fötejelfäure mit ben ©lementen bes
Olioing ein faurereg ©ilifat, etma ber ^projenreilje, bilbete.
SSäten äße ©ubftanjen, bie ben Söafalt jufammenfefcen, gleich’
jeitig in gefchmoljenem guftanbe borfjanben gemefen unb an
ber Oberfläche ber ©rbe erftarrt, fo hätte fich nach aßen ©rfah*
rungen feine freie Äiefelfäure neben ober oor bem Olioin augfdjei«
ben fönnen. 2)enn aßem Snfdjein nach ift *>er Ouarj ber ältefte
©emengtheil. Sßoflte man bagegen behaupten, baß in ber $iefe
anberechemifche Sffociationggefehe für bie SBerbinbungen herrfcfjten,
unb bemgemäß bie Silbung beg Ouarjeg oiefleidjt in bie Xiefe,
bie ber aitbcren ©emengtheile an bie Oberfläche ju oerlegen, fo
märe bag eine ^Behauptung, melche aßen anberen ©rfahruitgen
jumiber, biefem einen gaße Su Siebe fonftruirt märe. 2öir finb
ja, mie ^gegeben roerben muh, noch roenig über bie Vorgänge
in ber liefe orientirt, befonberg auch nicht über bie Stoße, melche
ber 2)rucf bei chemifchen Steaftionen fpielt. 2)och fann ber 3>rucf
entfchieben nur in bem ©inne bie Steaftionen beeinfluffen, baß
er ©lemente, melche an ber Oberfläche menig Steigung ju
d)emi jeher ^Bereinigung geigen, oerbinbet. ©ine biffociirenbe
SEBirfung ift faum benfbar.
Such ber Sugmeg, bie Ouarjfrpftaße aug burdjbrochenen
©efteinen, Duarjiten ober ähnlichen gelgarten ^erguleiten, ift
burch bag Sugfehen ber fraglichen $rt)ftafle unmöglich gemacht,
©ie hoben ganj bag Snfehen urfprünglicher ©emengtheile, nicht
bagjenige frember ©inßhlüffe. Stoch baju finben fie fich in f°
gleichmäßiger SBertheilung innerhalb beg ©efteing unb in fo
gleichartiger ©röße, baß biefer ©rflärunggoerfuch entfchieben alg
oerfehlt angejeljen merben muß.
Stehmen mir aber an, baß bag ÜJtagma in ber liefe feft
CSU)
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mar, fo fc^tuinben bamit aQe ©chmierigfeiten. 35ie themifchen
Änafyfen ber betreffenben ©afatte jeigteit (nach »erjcfjiebenen
gunborten »erfc^iebe«) 52 — 57% Äiefelfäure. 9iun flieht eS
©efteine mit üuarj, ©ranit unb Duarjbiorite mit 49—52 %
Äiefelfäure. Sn biefen bat baS ©orfommen beS OuarjeS nichts
ÄuffaHenbeS. demnach fonnte baS ©afaltmagma in ber $iefe
in ähnlicher gorm, »nie e‘n folc^e« ©eftein, ganj gut hefteten,
fflenn nun burd) Aufhebung beS 3)rucfS eine ©erflüffigung beS
©efteinSntagmaS in ber ©Seife eintrat, baß bie leichter fdjmelj*
baren ©eftanbtlfeile in flüffiger gorm erfd^ienen , ber fernerer
fcbmel^bare Quarj aber feft blieb, fo muffte ber flüffige
beS äWagmaS, nach Slbjug ber als fefter Duarj c^emifd^ uit-
roirffam gemorbenen ßiefelfäure, oerhältnißmäßig bafifd) fein,
fonnte alfo auch bafifdtje 9ttineralien, mie beit Olibin, jur 2luS*
fc^eibung gefangen faffen.
©Sollten mir baS SKagma beS quargfiibrenben SBafaftd als
©eftanbtheil eines pffigen ©rbfernS anfef)en, fo mürbe baS
©eftein, obmoljl tljatfächlich epftirenb, tom c^emifc^en ©tanb»
punfte eine Unmöglichfeit fein.
©liefen mir noch einmal jurücf. gür bie ©eantmortung
ber grage na<h bem Hggregatjuftanbe beS ©rbinnern maren bie
@rfd(einungen ber ©ra^effion unb Mutation ju ©unften einer im
mef entließen feften Srbe »ermert^bar. ©benfo bie ©bbe unb
gluth. SBurbe bie Söfung ber $rage nerfud)t unter 3ugrunbe»
fegung ber Slnna^me, bie ©rbe fei ein ft ganj ffüffig gemefen,
unb betrachtet bie ©rftarrungSoorgänge, fo ergab fid) mit SSaljr»
fcheinfi<hfeit bie geftigfeit beS ©rbinnern, inbem mir fanbett,
baß ber $rucf menigftenS für bie bie ©rbfrufte bifbenben ©ub*
ftanjen bie ©rftarruitg begünftigt, Diel leicht auch für bie ©e*
ftanbtheife beS ©rbinnern. Schließlich mürbe gejeigt, baß bie
uulfanifchen ©ruptionen feineSmegS nur möglich finb unter 2ln-
nähme eines flüjfigen ©rbinnern , fonbern fehr mof)l mit ber
(846)
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•Starrheit ber @rbe tiereinbar finb. ferner würben einige
Tßatfadjen ber ©eftein«Iefjre ßerangejogen, um nadjjutoeifen,
baß wenigften« uiele Sauen in einem früheren .guftanbe feft
gewesen fein müffen.
SBir buben un« auf einem bunflen ©ebiet bewegt.. Tie
unmittelbare ©eobadftung uerfagte jumeift. SBir mußten @r-
fabrungen, bie im Saboratorium gcmadjt waten, auf SSerßätt-
niffe übertragen, bie un« im großen unb ganzen fremb finb.
SBir wiffen nichts über ben Trud unb bie Temperatur in grofjen
Tiefen. Oft mußten wir un« mit SPföglicfjfeiten unb SBaßr*
fdjeinlidjfeiten begnügen.
SBoIIeu wir un« bemnacb bod) ber Slnfidjt anfdjließen,
bie @rbe fei ftarr, fo föniteit wir fagen, nach bem heutigen
Stanbpunft unferer Senntniffe bQt biefc Slnfidjt bie größere
SBafjrfdjeinlidjfeit für fidj. Slnbererfeit« jWingt feine entgegen-
fteßenbe ^Beobachtung gerabeju jur Hnnafjme eine« flüffigen
©rbinnern. SBir bürfett aber nie oergeffen, baß unfere Snfidjt nidjt«
weiter ift al« eine |> p p o t b e f e , eine ^ppotßefe, bie aüerbing«
^Berechtigung befifct, bie aber bod) eine« Tage« burd) überrafcbenbe
SSeobacßtuugen erfdjüttert werben fann.
^ntncrfungcn.
1 Unter allen geologifcben §t)potljefen, j. S. bezüglich ber Sultane,
ßrbbeben, @e6irg«bilbung ift benjenigen ber Sorjug ju geben, roeld)c
überbauet »on ber (frage, ob ber Srbfern flüffig ober feft ift, unabhängig
finb. 2>ie befannte ffalbfiße ©rbbebentbeorie grünbet fltf) auf bie
Jpbpotbefe oont flüffigen (irbinnern. galb nimmt ben flüffigen ßrbtern
ata gegeben an, unb fue^t feine Theorie befoitberS burd) ben ftatiftiidjen
9lad)toeifi be£ 3l|fammentreffcn8 oon (Srbbeben mit gemiffen Sonftetlationen
ber ©onne unb be« Sftonbe« $u ftü|en. fBiH galb feine Sbeorie burd)-
führen, fo ift ti in aHererfter Sinie feine ©a<be, nadjjutoeifen ober audj
nur roabritbeinficb ju mailen, baß bie Grbe toirllidj flüffig ift, bann mag
audj ^gegeben werben, baß ©bbe unb fflutberfdjeinungen be« ©rbinnern
©rbbeben erzeugen tönnen, baß oulfanififje (Eruptionen unb Srbbeben ben
(84«)
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41
Auftrieb bet flüfflflcn Waffe in Spalten, bcjiehuugemeife miterirbifrijc £>oöl-
räume ifjre ©ntftchuug uerbanfeu fömieu. 3» bent SSJerf „Xie Umwälzungen
im SSeltatl" (SBien 1890) wirb nur an zwei Stellen ganz !nrj gejagt, bnß
bic ©rbe fliiffig fei, weil mehrere Autoritäten fidi ju (fünften biefer Anficht
äußern, oljite zu erwähnen, bafj immer eine größere ober geringere öegner-
feßaft bagegen beftanben ßat. Allein ein ft a t i ft i f rf) e r 'Jtacßwciä bei?
Zeitlichen 3u.famme ntref fenä beweift nod) feinen urjächlidjcn 3U‘
jammenßang. Xen '-Berjudjcu, baö 3ufammentreffen Don ©rbbeben mit
gewiffen fionftcKatioueu, unabbängig oom fläffigen ©rbfern. ju erflären,
ift au$ bem ©runbe ber Vorzug zu geben, weil fic einfadjer finb, als
bic ffalbfdje .^ppotfjcfe unb fidj nicht auf anbere .fitjpotfjeien ftüßcn.
* 9iad) fitjell, Principles of Geology 1872, II. pan. 203.
3 Xie 3al)len finb tl}eiI3 ben Criginnlnblmnblungeit. tbciw 3Ieu-
matprä ßrbgefchidjtc unb Dapparentä Traite de Geologie entnommen.
4 X uh der, 9i. 3oh*f>- SBiett, 1889 I.
5 Seioubcres wichtig ift, baß ba$ früher behauptete Anroa äffen ber
gcotbermiidien Xicfenftufen mit fteigenber liefe, weldjeet man
in Spcrenberg unb ©rcncUe beobachtet haben wollte, in Sdjlabebach nidjt
beobachtet würbe. Achnlidje ©rgebuiffe haben, nad) einer münblidten 9)tit>
theilung uon .fjerrn Xr. ©etliche in £>nmburg, bie in fiieth bei ©Imbhorn
oorgenommenen IReffungen gehabt.
6 Tie bieobe^üglidjen fütteraturangaben fichc in Slctier, Xheoretifche
©cologie. Stuttgart, Koch, S. 20c; ff.
7 Philos. transactions. fionbou, 1872, 1873.
* l’hilos. transactions. ©biuburg 1849, XIV.
* 9)1 oßr, ©cid)id)te ber ©rbe. 3)onu, 1860, S. 293 ff.
10 .fiopfinä, Philos. transactions. Sonbon, 1839, 1840 1842. —
Reports Hrit. Assoc. 1847, 1854, 1857, 1858.
11 Jpeuuefji), l’hilos. transactions. Ponbou 1851. Nature 1872 V.
— Xelaunap, Geolog. Magazine, 1808. — ä3ab$roertf). American
Naturalist 1884.
11 9B. Xhomjon, Trans. Roy. Soc. Kdinlmrg 1804, XXIII. —
l’hilos. Mag. 1803, XXV. — Philos. Irans. Monbon 1863. — Trans.
Geol. Soc. ©laSgoW, 1878, VI. — Nature 1872 V.— Xßomfon unb
Xaite Natural I’hilosophy 1807 I.
13 Xhomfon, Rep. Hrit. Assoc. 1870. XLVI.
14 9Ü. Xhomfon. l’roc. Roy. Soc. London 1802, 1863. — Phil.
Magazine 1803.
15 $oijf on unb Ampere, Coinptes Ilendus 1808 LXVI.
10 0eo. Xarwiu, Philos. trans. London 1880CLXX, 1882 CLXXII.
17 ®unien, 'Rogg. Ann 1850. — Phil. Mag. 1853.
(S 17)
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42
,s Sor&tiS- Pop. Sei. Rov. 1869 VIII. — Gcol. Map. 1867 IV. —
Chemical News 1868 VIII. — 91. Sialjrb. Silin 1841, 184:5. — Gool.
Map. 1870 VII.
19 tiallorf, Amor. Journal of Science 1887. — Pagorio, Tfdjer-
ntafb min. petr. 311. 1887 VIII.
s" äJlallct, Philos. Trans. 1872. — Proceeil. Roy. Soc. ßonboii'
1874 XII, 1875 XIII, Nature 1874 X.
Sl (Sentncr, Sllillcr, ©fjitnet), Nature 1877 XV, 1878 XVIII.
— IKobcrtb, I’ror. Roy. Soc. Bonbon 1875 XIII.
** Proc. Roy. Soc. (Sbinüiirg, 1879 X.
,5 l’hilos. Map. 1881 XI.
*4 ©i^tutflSbcr. 'JC fab. SHiindjen 1881.
^bbiiiqä, Obsidian Cliff. Yellowstone Park. Rep. II. S. Geol.
Snrvey. Seventh ann. rep.
a“ Thcorct. ©cologie S. 200.
i: 3bbingS, Amer. Journal 1888, XXXVI. — Silier, Amer.
Journal 1887, XXXV.
Tie öorfteljenb angeführte ilitteratur ift gröjitenthcilö bircR be-
nutzt worben, tljcilmeifc finb Slefcrate ber Criginalabljanblungen oerweubet.
(848)
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Der
(Befdjidltfilimiirr (Contflius Mus.
S3on
98. W4
USumnaiialproieftot in Vdlbroitn.
Hamburg.
3>er[ogoonfiatt unb Drutferet 'S.-®, (tiormals 5. 9ficf)tev).
1891.
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2)a£ iHedjl ber Ueberjefcung in frembe Spradjtn roirb uorbttjalten.
Xrui itx 8cc!ao«anftaU'unb Studcrei 8cti«i-akfeB)(bafl
.normal? 3. 5. Sidjift) in Hamburg.
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£)as Staifcrreich ift ber griebe — biefcS für feinen
Urheber fo wenig gutreffenbe 23ort, womit Napoleon IU. feine
£errfchaft empfahl unb rechtfertigte, war auch bas SofungSmort
beS römifchen ßaiferthumS, gumal feines ©egrünberS SluguftuS.
©o, atS ber griebenSfürft, ber bie empörten 23 o gen ber ©ürger.
friege geglättet, ber bie ©türme, welche Italien unb bie gange
abenblänbifche SGBelt aufguroühlen unb über ben Raufen gu werfen
gebroht hotten, befchwichtigt, als ber ©ringer beS §eilS, ber
göttliche unb menfd)liche Orbnung in ber 23elt wieber tyex-
gefteflt, wirb ÜtuguftuS, unb gewiff im ©inne ber Mehrheit
feiner ßeitgenoffen, oon §orag befungen. Slber um welchen
©reis war ber griebe erfauft? Um ben ©reis ber Freiheit
unb ber Sürgertugenb. ÜJtit bem Sßetteifer bet freien
©ürger um bie @hre unb SDfacht im ©emeinwefen war eigentlich
bem fRömerthum fein Snljalt genommen; nicht mehr baS ©ange,
ber ©taat, bie ©efamtheit, mar eS, bem baS 23ir!en beS ©in*
gelnen galt, fonbern ein SKenfcfj, ber wohl biefen ©egriff
beS ©taatS, bie ©efamtheit beS ©ürgerS, ben 9teid)Sgebanfen,
oerlörperte, aber ein SRenfcf), hinaufgehoben über äße Slnberen,
bie wohl unter fid; gleich, aber auch gleich waren in ber
Änecffifchaft.
2)en ©chmerg barüber, um welchen ©reis bie einheitliche
Orbnung beS 9teicf|S, bie ©efriebung ber 2Selt erlangt war,
Camatiing. 9t fj. V. 11». 1* (851)
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beit Schmerj um bie oerloreue greiljeit uub SRömertugenb ^at
SRiemanb tiefer gefüllt uitb Berber an«gefprodjen al« bet ©e»
fdhi<ht«fchreiber ßorneliu« Xacitu«, ben mir roofjl, roie man
SBrutu« unb Saffiu« bie lebten Slömer be« 93ürgerthum« genannt
hat, ben lebten 3tömer in ber 2itteraturgefdjicf>te nennen bürfen.
X)er große 2tuff(^mutig ber @efchichl«forfchung nnb ©e-
fc^ic^tSfc^reibung in ben lebten 3afjrje£)nten Ijat auch auf bie
römifche $aifer$eit uub ihren ©ef<hicht«fchreiber Xacitu« bie
Äufmerffamfeit mieber in ^ö§erem ©rabe gelenft, unb nie fiub
über iljn unb feine SBerfe, roie über bie Xiuge unb ißerfonen,
uon »eichen er fjanbelt, umfaffenbere Stubien gemalt, ent>
fdjiebenere unb auSeinanbergehenbere Urteile auSgefprodjen
worben, fo baß mir nicht bloß auf benjettigen Äaifer, welchem
ein großer unb ber berüljmtefte Xfjeil feiner @efchicht«bücher
geroibmet ift, Xiberiu«, fonbern aud) auf Xacitu« felbft ba«
SBort anwenben tönnen: 83 on ber Parteien ©unft unb £aß
berroirrt, fc^roaitft fein S^arafterbilb in ber ©efdjidjte.
£jören mir, ohne ber fpäteren 2lu«einanberfeßung oorju-
greifen, junädjft, roa« md)t ein iß^itotoge roie 83ern^arbp unb
Xeuffel, fonbern ein fo unioerfaler ©eift roie SRaufe über Xacitu«
fagt: „©eine Schriften jeigen (gegenüber auberen Quellen
ber IJeügefäicfjte) einen burdjau« Ijiftorifdjen ß^arafter: roir
fönnen feine Xarfteöuug in einzelnen Partien fritifiren, aber
wir werben iljn überall berounbern" — unb bann (nac^bem er
einige fünfte berart auSgeführt f)at): „boch ich bin e« mübe,
&u«fteflungen an ben Sßerfert eine« Söleifter« ju machen, ben
idj berounbere unb oere^re" — fo werben roir es rooljl ber
2Jiühe wert!) finben, bie 8ßerfönlidj!eit unb bie SBerfe unfere«
©efdjidjtSfc^reiberS eingebenber ju betrachten.
Xacitu« theilt mit fo oiefen berühmten sJiamen au« ber
alten fiitteratur ba« £oo«, baß roir über feine perfönlicßen
83erf)ältniffe wenig Sichere« roiffen. 2Bir fennen roeber feine
C8&2)
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gamilie unb feinen @eburt«ort, noch ba« 3<>hr feiner ©eburt ober
feine« £obe«. SRur fo öiel fte^t feft, baff fein Sehen oon ber
SRitte be« 1 . Saljrljunbert« n. Ghr- bi« in bie lebten 3«iten be«
Saifer« Jrajan fidj erftrecfte. 2>afj et au« einem angefeljenen
unb roof|If)abenben $aufe ftammte, lägt fein Sifbungggang unb
feine ftaatliche Saufbahn, fomie feine SBejie^ung ju ber gamilie
be« Slonful« Ägricofa fdjliefjen, unb e« fteljt nid}t« im Söege,
feinen SSater in bem fRitter Sorneliu« Sacitu« ju fefjen, melcher
nach ^Iiniit«’ Angabe ba« SRechnungSmejen in ber ißrooinj ©allien
beforgte. grüh bilbete er fidj, roa« nod) immer bie ©d)ule
be« Staatsmann« mar, jum fRebner au«, unb meiere« ber ©ang
biefe« ©tubium« mar, fdjilbert er felbft in bem ©efprädj über
ben SRebner in anfchaulidjer SBeife. 81« feine Sehrer nennt er
ben ÜRa reu« Slper unb Quliu« ©ecunbu«, bie beiben ^auptoer»
treter ber bamaligen mobernen üerfünftelten fRebemeife. ®afj er
auch ben Unterricht be« Ouintitian genofj, ber oon SBefpafian
al« ißrofeffor ber Söerebtfamfeit angeftetlt mürbe unb bie be«
rütjmtefte ©dfule hotte, ift mahrfcbeinlid), menn auch nicht be»
fonber« bejeugt. 8ber mit biefer theoretifchen Anleitung fonnte
ein 9Jiann, ber bie frühere alte ©itte angehenber fRebner, fi<h
an bebeutenbe öffentliche fRebiter anjujd)fiehen, fo fehr preift,
nicht jufrieben fein, er fuchte auch aufjerhafb ber ©chule Um-
gang unb SBerfehr mit ben bebeutenbften SRebnem, ©taatSmän»
neru unb ©chriftgefehrten feiner 3fit, nnb fein jüngerer 3e't*
genoffe fßliniu« bezeugt in feinen Briefen, morunter mehrere an
lacitu« gerichtete, bah beffen 9?ame ein gefeierter mar, bah er
umbrängt mar oon Schülern unb Sehrern ber SRebetunft unb
über anjuftellenbe fRebelehrer af« Autorität befragt mürbe,
©eine iReberoeife mirb oon ißliniu« htrj unb treffenb mit bem
?lu«brud atfivoq bezeichnet : feine ©erebfamfeit mar eine ge«
maltige unb trug ba« ©epräge be« gehobenen. S)ah er auch
bie anberen äöiffenfchaften be« Staatsmann«, ba« fRe<ht unb bie
(863)
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©efcbicbte, ftubirte, ift felbftoerftänbfic^. &udj mit ber ©b'lO”
fopbie mar er tiertraut ; bodj fagt er felbft, baf? eine fingern*
bere ©efc^äftigung bamit binau«gebe über ba«, mag einem
Körner unb (Senator geftattet fei.
3m Älter non etlichen unb 20 3af)ren mürbe iljm bie ßbre
in tbeil, bn§ er eine ©attin au« oornebmem $aufe ^eimfü^rte,
bie Softer be« Äottful« Suliu« ÜTgricoIa, be« ©efieget« oott
©ritannien, meinem er in ber ihm gemibmeten Schrift ein berr»
liebe« Senfmal ber ©erebrung unb 2iebe gefefjt bat. ^ierbureb mar
er in ben Ärei« ber haften gamilien aufgenommen, in benen
noch ©ömerftotj unb ©omertugenb febte, roelcbe unter Somitian
in fo heftige Kämpfe mit ber |>errfcbergemalt oermicfelt mürben.
$ocb ift nicht befannt, bafj Sacitu« felbft fernerer betroffen
morben fei. SBie meit bie Änfpielung im Slgricola, mo Sacitu«
ton ben lebten feiten Domitian« fpriebt, ba biefer nicht mehr
in ^mifebenräumen, fonbern in einem fort mutete uitb gleicbfam
mit einem Streich ba« öffentliche ßeben nieberfeblug, unb fort-
fährt: „Unfere $änbe fcbleppten einen ^elöibiu« ©rifeu« in«
©efättgnifj, un« übergofj Senecio mit feinem ©lut" — inmieroeit
biefe Slnfpielungett auf bie perjönticbe, gelungene SDlitmirfung
be« Sacitu« ober blofj auf bie Wu«fübrung ber ttjramtifcben
üüJafjregeln bureb ben Senat überhaupt ficb bejieben, läfjt ficb nicht
mohl entfebetben.
©on feiner öffentlichen fiaufbabn fpriebt Sacitu« felbft in
ben ^iftorien, bafj ©efpafian ihm bie ©ahn ber ®brc,t unb
Slemter eröffnet, Situ« ihn beförbert unb Somitian noch böher
erhoben habe, b. b- er befleibete unter bem erften Saifer ba«
Smt eine« Duäftor«, unter Situ« bie Debilität ober ba« Sri*
bunat, unter Somitian bie ©ratur zugleich mit einer ber haften
©rieftermiirben. ©ach feiner ©rätur mar er brei bi« öier 3ahre
oon 9iom ferne unb mit feiner ©attin, al« bereit ©ater im
Sabre 93 ftarb, noch abmefenb, ob al« faiferlicber ©eamter in
<«M)
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einet Prooinj ober als ^Befehlshaber bei einem ©ren^eer, ift
unfidjer. BefctereS nimmt man gerne an, um ihn an ben 9tt>eiu
ju cerfefcen, mo er Gelegenheit gefunben habe $u ben gorf^ungen
über ®eutfchlanb, welche er in feiner ©ermania nieberlegte.
SRach ®omitianS ©djrecfenSregiment, beffen ganje Regierung
er als eine fünfzehnjährige Unterbriicfung aller ebleren Strebungen
unb Regungen branbmarft, atmete er mit flterbaS Iljron«
er^ebung auf mtb ging fofort baran, gerichtliche SBerfe ju
fcfireiben. Unter SRerba erlangte er bie höchfte SBürbe, bie beS Jton-
fulats. (Er hielt in folt^er (Eigenfdjaft bie fieid^enrebe auf S3ir*
giniuS SRufuS, einen äÄann uom alten fRuf unb alten ©djlage,
ber unter SRero ben äufftanb beS 3uliuS Sinbey in ©aUien
niebergetnorfen unb bie ihm angebotene Äaifertoürbe aus Patrio-
tismus auSgefdjlagen hatte. ®ett tReft feines Bebens bis jum
ffinbe non SrajanS «Regierung »nibmete er feinen gefdjicfjtlidjen
©tubien unb ber Stbfaffung feiner ©efchichtsmerfe, nachbem er
ein Beben reich an ©rfa^rung unb eine $eit non gewaltigen
(Einbrücfen hinter fich hatte Ueber bie $eit unb bie Ärt feines
®obeS haben mir feine Äenntnifj.
®ie uns erhaltenen Schriften beS ®acituS finb ber 3e>tfolge
nach biefe: erftenS ber SMaloguS ober baS ©efpräcf) über bie
SRebner, jebenfalls feine frühefte Schrift, welche noch bor Domi-
tian ober in bie erfien ßeiten feiner ^Regierung fällt; fobann bie
$wei fleineren hiftorifchen Schriften Slgricola unb ©ermania auS
ben fahren 98 unb 99; hinauf bie jmei grofjen ©efchichtSwerfe,
bie ^iftorien unb bie Ännalett, welche bie ©efchichte beS julifchen
unb flaöifchen SlaiferhaufeS jufammen in breiig 93ii^em behan-
beln, mobon bier$ehn ben fpiftorien unb fedfjSjehn ben Snnalen
angehören. Son ben ^iftorien, welche früher berfajjt finb, aber bie
fpätere 3eit bom 3ahre 69 bis jum (Enbe ®omitianS i. Q. 96 behan-
beiten, haben wir nur bie erften fünf 23ü<f)er unb jwar nicht ganj
boDftänbig. Son ben ?litnalen, welche bie 3«it oon ?luguftuS’ ®obe
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8
bis SRero erzählen, finb bie erften fünf bis fechS unb bk festen
fechS ©üdjer, beibemal aber auch nicht ganjnoflftänbig, erhalten.
&)t mir an eine eingeljenbere ©etradjtung ber Üadtrifchetr
SBerfe gehen, wirb eS nicht ungeeignet erfdjeinen, einen ©tief
auf bie 3eitnerhältniffe unb bie 3uftänbe ju werfen, wie eS im
öffentlichen, gefellfcf)aft[i<fjen unb litterarifcfjen 2eben SRomS in
ber jweiten ^älfte beS 1. galjrhunbertg auSfal}.
3)aS römifche 9Rei<h erreichte eben ju XacituS’ .geit feine
höchfte 2Racf)tentfaltung unter Irojan, welcher burch fiegreiche
Kriege mit ben Ladern unb Northern bie unteren Jionaulänber
mit Siebenbürgen unb bie Uuphratlänber h’njufügte, ein SR eich
mit einer fflenölferung non 100 SRiHionen Einwohnern. $>er
SRittelpunft unb bie $auptftabt bicfeS SReidjeS war 9Rom mit
einer ©eoölferung non etwa 2 SORiflionen, eine Stabt, bie ihres»
gleichen auf ber SBett nicht hotte, ooüenbS nachbem unter SRero
jwei drittel ber Stabt umgebaut unb non ber alten Stabt unb
ihrem ungleichartigen SluSfeljen nor ber ©rächt ber ÜRarmot*
paläfte Wenig mehr ju fehen war. 3U 9taoS ©rachtbauten hotte
©efpafian ben griebenStempel, er unb UituS ben SRiefenbau beS
5ioloffeum8 hinjugefügt, XituS unb 2)omitian aufjerbem präch-
tige $hermen/ einen neuen tapitolinifchen Xempel unb baS fog.
gorum beS SRerna gebaut; hierzu !am enblich baS gorum Xra-
janS mit ber Siegesfäule, baS noch JuifonftantinS 3eit als un»
oergleichlich gepriefen würbe. 3>iefe £iäu ferm affe war burchwoben
unb umranft non retjenben ©arten, belebt unb erfrifcht burch
Jaufenbe prachtnoller ©runnen unb SBafferwerfe. guflkith a^er
war biefe SRiefenftabt belebt non einem ©ewüf|l non ÜRenfchen
aus aller Herren Sänbern, ber äRittelpunft beS oerwirrenben
SBettnerfehrS, ber gufammcnflufj non Sßaren unb 3Rerfwürbig«
feiten, inSbefonbere Äunft werfen beS ganjen ErbfreifcS, eine-
SBeltherberge, wie fie fchon bamalS genannt würbe, eine SBelt
im SluSjug, compendium mundi.
(856)
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9
Unb biefe einzige ©tobt gehorchte einem SEBillen, ein £err
unb ©ott, wie fich Galigula unb Domitian nennen ließen, gebot
über biefe SRiflioneu. aber er nidjt allein, mit ihm fein §of,
ber im fiaufe be« SafjrljunbertS eine immer weitere au«behnung,
immer tiefer greifenben ©influf? gewonnen Ijatte. 3c größer ber
Umfang ber ©efdjäfte, je höher bie Stellung be« dürften war,
befto jaljlreidjere £änbe ^atte ber £>errfd)er nötfjig. filiert bloß
jur ©ebienung feiner ißerfon unb feine« $aufe«, fonbern auch
al« ©ehülfen feiner Slrbeit unb ©ertreter in ber ©erwaltung
ber @efd)äfte hatte ber ßaifer ein |>eer oon ©flaoen unb grei-
gelöffelten. So bilbete fidj eine £>ofbeamtenfchaft, bie halb eine
tljatfä{f}lid)e SDGacht würbe, unb welche bie Unterfd^iebe ber ©tänbe
ber früheren ©efellfchaft wefentlidj auSjugleichen geeignet war.
fieröorragenbeit (Einfluß Ratten namentlich bie brei ^ofbeamten :
ber @ef)eimjd)reiber, ber ©orfteher be« amte« ber ©ittfdhriften
unb ber ©ermalter ber £>offaffe. SBenn auch abwedjfelung«»
weife ju folgen Slemtern römifefje Witter herbeigejogen würben,
fo behaupteten fich boch immer wieber bie greigelaffenen, in
welchen Dacitu« eine folche fianbplage erblicft, baß er e« al«
ein befonbere« ©lütf unb beneiben«werthe« ®ut bei ben ©er*
manen preift, baß bort ßreigelaffene feine höhere ©olle al«
©flaoen fpielen. 3hrc Ohnmacht ift ihm ein ©ewei« oon Freiheit.
?luch ißliniu« fagt: „©roße greigelaffene finb ein ^auptmerfmal
eine« nicht großen dürften." 9Bie biefe greigelaffenen ihr
©chäfchen ju fcheeren oerftanben, baoon ift ein ©ewei«, baß ber
unter ©laubiu« allmächtige SRarjiffu« 400, fßafla« 300 SDliHionen
©efterjien, bie größten ©ermögen ber alten SEBelt, befaß. ®nt*
fprechenb ihrem ©ermögen war natürlich auch ihre ©roßtljuerei
unb ©erfchwenbung. Die ©aber ber ßreigelaffenen waren
^-fprüchwörtlich wegen ihre« ungewöhnlichen ©runf«.
©egenüber unb neben biefem f>of mit feinen ©eamten unb
abhängigen Leuten ftanben nun bie alten ©tänbe ber Senatoren
(857)
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unb fRitter. Stoch mar ber Senat bie oberfte Söe^örbe bes
SteidjS, ber eigentliche StaatSrath; alle SlegierungSgefchäfte
waren in ihm oereinigt. Selbftänbige SRegierungSgewalt freilich
hatte bie Körperhaft feine mehr, aber immer noch hatt« ft«
ben Schein, bie föerrfdjaft mit bem Kaifer ja theilen, fofem
ihre 93erathungen unb ®ef<hlüffe bem SöiHen be$ gürften bie
gefefcliche gornt berliehen. ©rft ®omitian erniebrigt auch
äußerlich ben Senat jur ooflen Siufl unb beanfprucht bie ®e*
richtsbarfeit über benfelben fraft feiner angemaßten ÜJtachtfüfle
als |jerr unb ©ott. Slber unter Sterna unb Trojan mürbe bie
JBürbe ber Kurie mieberhergefteöt ; jener mar felbft ein Senator,
®rajan ein gütiger fperr, beffen ^clbenfinti ganj anbere 3>efe
hatte, als bie ©efdjlechter in 9tom ju unterbrücfen. ®aS
SBidjtigfte aber an ber ©ebeutuitg beS Senats mar, unb mürbe
eS mit ber StuSbeljnung beS SteicheS immer mehr, baß biefe«
Kollegium bie eigentliche Schule ber ^Beamten mar, unb h'er
eine giitle oon (Erfahrung unb ©ewanbtheit in ben ©efdjäften
ber gefamten sJteicf)Snerroaltung fid) jufammenfanb. 3e mehr
aber biefeS ©efchäftSmäßige übermog, jumal ba unter ben
Kaifem bie ©efolbung ber Äemter unter oerfchiebenen Titeln
unb Staaten fich immer weiter auSbehnte, um fo weniger war
biefe SSerfammlung noch wie in alter ßeit ein Stath oon über»
jeugungStreuen, ber SBürbe ihrer Stellung fich bewußten SJtannent,
Oielmehr SBerfjeug beffen, ber fie berief unb ihre Sifcungen
leitete. ®ie 2)t ehr heit hulbigte ber SJtadjt, ftürjte fich, mie
SacituS fagt, in bie Sfnechtfdjaft, unb fcßon unter XiberiuS
erreichte biefe Selbftentwürbigung beS Senats, welche fich 9an$
befonberS in ber Sngeberei unb SBerurtheilung hrroorragenber
ober mißliebiger SDtitglieber auSfprach, einen folchen ©rab, baß
biefen Kaifer, ber boch ein freies Staatsleben nicht wollte, eine -
fo nieberträchtige ©ebulb ber Unterwürfigfeit unb Kriecherei an»
efelte. ®em Senatorenftanb an Vermögen unb ÄuSficfjten auf
(SW)
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1.1
@f)ren unb (Sinfluß ftanben am nächften bie bittet ; mit ihnen
mürben hauptfädjlich bie @erid)te befefet, unb außerbem wucf}fen
fie immer mehr in bie Remter ber äußeren Verwaltung, ber
4?ofgefdjäfte unb Offijierftellen hinein.
2Bar aber unter bem taiferlidhen Regiment ba« öffentliche
£eben in 9iom erfticft, ober wenigften« bod) in bie ÜJfauern ber
Surie eingefdjloffen, fo tonnte alle«, wa« an bie äußere ober
innere fßolitif ftreifte, fid) unter bem 2)rud be« .£>ofe« nur febr
oorfidjtig unb ängftlicfj bewegen, unb alles geben würbe um fo
mehr in bie prioaten greife unb ©efeöfchaften jurüdgebrättgt.
$ier bilbete fid) eine neue Ärt oon öffentlicher Meinung. Um fo
weniger aber tonnte ben Äaifern auch biefer Verfefjr gleichgültig
erfcheinen, unb je mehr er gepflogen würbe, befto mehr würbe
er überwacht. ÄUe« war oon ©pähern umgeben, bie harmlo«
hingeworfene SBorte, Äeußeruttgen ber SBeinlaune notirten, ja
fie felbft hnau«lodten, um fie §u Verbrechen ju ftempeln unb
anjujeigen. S)ie« gab ben ©toff für bie oerberblichfte ©orte
oon SOtenfdjen, bie $elatoren, welche wieber eine Üttenge oon
Zuträgern an ber §anb hatten, bie in alle Steife hineinreichten,
Seute, wie ein ©efchidjtäfdjreiber jener $eit fagt, „welche au«
gemeinen ©rünben anjeigen, au« §aß ober um erhaltene« ©elb,
ober weil fte teine« erhalten, unb berichten nicht bloß über ba«
wa« einer gethan, fonbern auch gefagt, unb ob ber eine ober anbere
barüber gefchwiegen ober gelacht ober gemeint habe." „Sauter
Äugen unb Ohren," fagt ein anberer, „ftttb in 9iom auf ba«, wa«
ift unb wa« nicht ift, gerichtet." SBenn nun auch unter milbereu
Siegenten bie 2Jiad)t biefer geheimen ©päljer befchräntt war, fo
tonnten hoch freiere ©efprädje, oollenb« an öffentlichen Orten, —
unb ba war eben neben ben ©aftmählern in ben Käufern ber
ÜKittelpuntt ber ©efeUigfeit — in ben Sirculi b. h- Steifen oon
Vetannten, bie fich irgettbmo treffen, im £heater/ in ben Väbern,
in beu fallen unb SEBanbelgängen — nicht ohne ©efahr ftattfinben.
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12
Um fo mehr muffte fif bie Unterhaltung auf harwlofere
©ebiete werfen, auf $age8« unb ©tabtneuigfeiten, eigentlichen
Slatff über prioate SBerljältniffe, befonbetS über 'ißerfonen,
welche in ber ©tobe waren, unb beren gab eS ja bei ber SWaffe
ton öffentlichen Suftbarfeiten, SBettrennen, gechtcrfpieleit,
hefcen, Sühnenaufführungen immer reif lifen Sorraf. daneben
aber ift nif t ju berfennen unb burf juberläffige ©ewährSmänner,
namentlich ben jüngeren ißliniu« wirb ei bezeugt, bafj in ben
höheren Streifen auf geiftiger ©eljalt unb Sntereffe für feinere
Unterhaltung, befonberS bei ©aftmäljlern, weit berbreitet war.
fragen ber Sßiffenffaft unb Shmft würben erörtert, Uebungeu
be$ ©farffinnS in Staffel« unb SBifcfragen angefteQt. 2)ie
Unterhaltung war überhaupt weit mehr, als ei heut3uta9e ber
gaü ift, ba$ ^»auptmittel fif fflilbung anjueignen.
Ueber bie fittlifen 3ttfiünbe beö Saiferreif i finb befannt«
lif unfere SorfteHungen fehr ungünftige, unb Klagen über @nt«
artung naf allen Stiftungen finb ff on unter ben 3eitgenoffeu
allgemein. $ie hauptfäflifften Uebel, an weifen bie ©efell*
ff aft Iranft, ftnb erften« bie SluSffweifungen ber ©imtliffeit,
inöbefonbere bie, wenn wir ben ©ittenff ilberungen eines Subenal
glauben bürfen, ganj entfefjlife ©ittenlofigfeit ber grauen unb
bie bamit gegebene Serwifberung beS gamilienlebenS, jweitenS
ber mafjlofe SujuS in allen ©ebieten be« ©enufjlebenS. Snbeffen
bat £. grieblänber in feiner ©ittengeffifte ber römiffen
Saiferjeit fif bie Derbienftlif e ÜJlühe gegeben, biefe SorfteHungen
auf ein riftigereö ©taff gurütfjuführen. @r erinnert erftenS
baran, wie biefe Stage ff on hunbert unb mehrere 3<fre früher
erhoben unb baS Sieb Don bet guten alten $eit Don jeher unb
überall auf Soften ber ©egenwart gefungen würbe, fobann ba§
bie namhaft gemaf ten Seifpiele eben bof nur bie auffaüenbften,
baS äufjerfte Uebermafj, fowie bafj bie 2>arfteHungen oielfaf
fehr übertrieben finb. Snbrerfeits tybt er heroor, wie in |»infif t
roc O)
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13
auf ben erften ^Sunft baneben hoch auch jafjlreiche Veifpiele
ton mufterljaften fifjeit, ton hodjftnnigen, fittenreinen grauen
au« ben ^öc^ften Steifen nicht fehlen, au« ben mittleren unb
nieberen Stänben aber in ben Snfcfjriften fiel) erfjebenb tiete
geugniffe finben, welche beroeifen, wie grauentugenb, Sitten-
reinheit, Irene, Sanftmut!), gewiffenhafte (Erfüllung ber SKutter-
pflichten feine Seltenheit unb ttie fie gefdjäfct unb geachtet
waren. 2Ba« aber ben fiuju« betrifft, fo ftefjt tor allem feft.
Wie Xacitu« ausbrücflich bemerft, baß feit ber (Erhebung ber
flatifchen Ipnaftie unter Vefpafian ein ganj bebeutenber
Umfthlag jurn befferen ftattgefunben : ton ben reifen gamilien
waren eine ÜRenge theil« burch Verfdjwenbung terarmt, theil«
burch bie gräulichen Verheerungen bet Vürgerfriege be« 3al)re8 69
auSgeftorben ober in ihren Vcrhältniffen jerrüttet ; anbererfeit«
waren fowohl au« ben italienifc^en Sanbftäbten al« au« ben
Vrotinjen mächtige gujüge in bie ^auptftabt erfolgt ton Ver-
tonen unb gamilien, welche ihre häßliche (Eiufachheit unb
ÜJtäßigfeit mitbrachten unb beibehielten ; enblid) h<*l Vefpafian
felbft burch fein Veifpiel einfacher, nüchterner unb fparfamer
£eben«meife mehr gewirft al« Strafen unb ©efejje. Sobattn
macht auch h'er grieblänber barauf aufmerffam,. wie burch bie
Vergleichung mit anberen feiten bie VorfteHung ton ben ba-
maligen ßuftänben eine wefentlid)e Sinfchränfung erleiben müffe,
wie in«befonbere ber 2uju« in ber |>auptftabt bamal« beöwegen
fo ungeheuer erfchienen fei, weif er in ber bamaligen äSelt eben
ohne weitere« Seifpief war. (Ebenfo bürfe man ba« Oute,
welche« bie Verfeinerung ber 2ebett«weife gehabt, nicht außer
Seht laffen; bie greube an Oärten unb fianbgütern, an ferner
8u8ftattung ber SBohnräume h°&e aU£h eine gefunbe Seite,
unb toflenb« fei bie große Sorgfalt für alle möglichen 2ln-
ftalten ber fReinlichfeit, SBaffertterfe unb Väber, nicht ju unter-
fchäfcen. 9iicht ju tergeffen feien auch bie große greigebigfeit im
(*U)
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14
©auen unb ©cpenfen, Stiftungen aller 91 rt für gememnüpige
unb mopltpätige 3*°^ bie Speifungen für Srme bei ben
geften ber garailien, bie Uneigennüpigfeit, roomit bem ©olf
aller Stänbe Unterhaltung unb greube gemährt mürbe.
@r fcpliefjt feine Sbpanblung über biefen ©egenftanb mit
ben ©Sorten: „(ES ift fieper, bafj bie Kultur ber römifepen
Äaiferjeit eine fepr Pope unb reiche mar: nerfeinerter SebenS-
genufj, SEBoplftanb nnb bie materiellen Sebingungen eine« ge>
funben SujuS maren meit unb allgemein oerbreitet. Such für
fpätere 3e*t pßt biefer öielgefepmäpte fiujuS manchen ©egen
gemirft unb baS öeben in (Europa menfepenmürbiger gemacht.
Unb fo bemäprt fich auep pier baS SGBort ÜJiommfenS, bafj bie
Äaiferjeit mepr gefepmäpt al« gefannt fei."
3u biefer Verfeinerung beS fiebenS unb beS SebenSgenuffeS
gepört inSbefonbere auep bie Sitteratur unb in biefer felbft bie
pope SBertpfcpäpung unb bie allgemeine Sfeimtnijj unb SuS»
Übung ber Dicptfunft.
3BaS fcpnn |>ora^ oon feiner 3«*/ naep feiner SEBeife mipig
übertreibenb fagt: „mir glüpen alle oon einem (Eifer, ©erfe ja
maepen", baS gilt auep oon ben folgenben Stittn, unb um f°
mepr, je meniger bei gunepmenbem Despotismus anbere ©ebiete
ber Sitteratur, mie ©ereb jamfeit unb ©efepieptfepreibung opne ®e>
fapr unb Snftofj maren. 2Rit biefem oieten Dicpten maren auep
japlreicpe ©orlefungen oerbunben, melcpe einem fo gemiffenpaften
©ereprer ber eblen Sfunft mie ©tiniuö oft ganje läge fofteten.
©ejeiepnenb ift, baff unter ben graufamen Dptamten 9?ero unb
Domitian poetifepe SBettfämpfe angeftetlt mürben, roobei mit»
unter fogar 12 — löjäprige Änaben ben ©iegerfranj erpielteu.
©on ben Dicptern, melcpe in bie 3«! &eS DacituS fallen, finb
pauptfäcplicp SiliuS 3ta!icuS, ©tatiuS, SWartialiS unb Suoenalis
$u nennen, deiner oon biefen Dicptern aber erpob fiep $ur
eepten ©oefie. ©iliuS pat in feiner ©efepiepte beS punifepen
C862)
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Kriege« jwor einen ooterlänbifd^en ©toff bebanbelt, aber mehr
rebnerifcb unb beflamatorifcb als poetifd), oljne gefcfyicfjtlidje*
Serftänbnijj unb ohne felbftänbige ©rfinbung, nach Römers unb
Virgils Stejepten. ©tatiuS unb SRartial finb ©elegenbeitS*
bitter, ÜJlartial ber ©Töpfer beS lateinifcben ©pigrammS,
wifcig unb fein, aber ofjne würbige ©toffe unb oljne ©cbam
unb 3o>rtgefü^l,' inbem er ftcb in wiberlicbfter Sßeife in fcbmupigen
lüftemen Silbern ergebt, aufjerbem ein Schmeichler beS f)ofS
unb beS ÄaiferS, Settier um ©unfi unb ©efcbenfe. ©tatiuS
ift toürbeooQer unb anftänbiger, nic^t ohne ©emütb unb SBärme
beS ©efüblS; feine rafcf) bmgeworfenen ©rgüffe beS improöifi»
renben Talents (Silvae) fiub {ebenfalls mehr wertb als fein
©poS X^ebaiS, weites in pbrafenbafter Stbetorif einen ©toff
aus ber griecf|ifcf)en Sagengefcbicbte aufpupt. Siel bebeutenber
ift ber ©atirifer 3uuenal, welcher bie fiafter feiner $eit in
mehr gräfjlidjen als wi&igen Silbern geifjelt, mit ernfter fittlid)er
©ntrüftung; aber eS fehlt ifjm ganj bie heitere Saune eines
fwraj: er trägt mit ben bicfften färben beS Realismus auf
unb tljut ber 2Bir!nng feiner ©ittengemälbe felbft burd) bie
ermübenbe ©intönigfeit feines fßeffimiSmuS unb feiner lieber*
treibung ©intrag.
Son ben Sßrofaifern nerbienen Quintilian, ber jüngere
SliniuS unb ©uetoniuS genannt ju werben. Quintilian ift ein
ftödjft fdjä^barer ©c^riftftefler ; feine „ Unterweif ung jitm fRebner"
ift ein nortrefflitbeS Such oon grofjem gleifj, gutem ©ejcbmacf
unb gefunbem Urteil, ©ein ÜRufter unb Sorbilb ift ©icero,
bocb ohne bajj er ihn fflaöifd) nacbabmt. ©r Iäfjt ben teueren
ihr Siecht wiberfabren, fängt aber bereits an bie im folgenbeit
3abrbunbert berrfrfjenbe Stiftung auf baS Ältertbümlidje oorju*
bereiten, ©ine liebenSwürbige ©eftalt ift SliniuS ber jüngere,
beffen Srieffammlung uns ein aujjerorbentlich öielfeitigeS Silb
non ben gefedfc^aftlidjen unb litterarifcben ßuftänben ber traja*
(843)
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nifchen 3eit barbietet. @r jeigt fich barin als eine eble, nicht
b(og für baS ©ute unb Schöne begeifterte, {onbern audj tütrf
farn tätige ißerfönlidjfeit, wenn er audj etwa« felbftgefäßig
unb nicht frei non (Sitelfeit ift. Sftocfj näher als biefe beiben
fte^t bem Xacitud ©uetoniuS IranquißuS, welcher ebenfalls
bie ßaifergefchichte beS 1. SafjrljunbertS beljanbelt bat in Sebent
befcbreibungen fämtlicher Äaifer non ©äfar bis Domitian, ©ein
8Berf ift oon reichem Inhalt unb bietet eine SJZenge non gericht-
lichen SRotijen, Hnefboten unb (Eharafterjügen ber einjelnen
©erfönlicf)feiten; aber eS fehlt ihm bie funftmäfjige Änorbnung,
er giebt mehr ftücfweife Anhäufung non Stoff, ohne uns in
ben glujj ber gerichtlichen ^Bewegung hineinjufteßen.
(Snblid) müffen wir in einer 3e>t, wo bereits feit jwei
ÜRenfchenaltern baS Sljriftenthum feinen ©egenSgang in ber äBelt
angetreten hatte, auch auf bie religiöfen 3uftänbe ber bamaligen
römifchen Söelt einen ©lief werfen. (ES ift eine nerbreitete Än-
fchauung, als ob jur 3eit bet (Entfteljung unb erften (fntwicfelung
beS ©briftentljums baS £eibenthum bereits im größten ©erfaß
unb in förmlicher fluflöfung fich befunben habe. Sluch hier hat
grieblänber in feiner oben erwähnten ©ittengefchrte baS ©er-
bienft, bie hergebrachten ©orfteßungen berichtigt ju haben, (fr
beweift, mit wie tiefen SBurjeln noch bie 2Jtenge ber römifchen
©eoölferung im glten ©lauben ftanb, wie befonberS auS ben
jahlreichen 3nfchriften uns noch ein lebenbiger ©laubenSgeift
entgegentritt. SuS benfelben geht heroor, bafj man immer
noch 00n &en ©öttern afleS ©Ute unb bie Äbwenbung aßeS
UebelS erflehte unb bafür banfte, bafj alfo bie grofje ffllehrheit
in biefem ©lauben an bie baS ßeben ber SQBelt unb ber 2Renfchen
lenfenbe ©orfehung ber ©ötter Ir oft unb Hoffnung in SRoth
unb Irübfal fanb, unb wenn man hierin nur eine Slnbequemung
an bie tjerrfchenben formen baS fReligion fehen woßte, fo wäre
baS eben wieber ein ©eweiS bafür, bajj biefe bei ber SRehrbett
(S«4)
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itodj ifjre t>oße ©eltuitg hotte. 3ur Spaltung unb ©tärlung
biefeS ©olf«glauben« biente ber mit @ifer unterhaltene unb ge*
pflegte Tempel* unb Söilberbienft. Reu geftärft mar biefer
©ötterglaube burd) bie in ber griecf)if<hen SBelt öofljogene Üluf*
frifchung burch orientalifc^e Qsinflüffe, femitifche, perfifdje unb
ägpptifche 35ienfte, «eiche namentlich eine ©erimterlichuug be«
religiösen fieben« in ©iijjungen unb Reinigungen bemirften.
?tud> bie ^S^ifofop^ic unb ihre Süufflärung ^atte bem alten
©tauben noch feine«meg« ben ©oben entzogen; ben eigentlichen
?lthei«mu« lehrte feine« ber philofophifdjcn ©pfteme, ber ©fep*
ti$i«mu« leugnete bloß, baff ba« 25afein ber ©öfter [ich be-
wegen laffe, ber @pifurei«mu« blofj ihre gürforge für bie
SBelt. $er ©toijiSmu« aber, ba« im 1. unb 2. galjrhunbert
oerbreitetfte ber philofophifd)en ©pfteme, erftrebte unb erreichte
fogar eine ©erföljnung $«ifchen ©ernunft unb ©lauben. $er
höchfte ©ott ift freilich nur einer, aber bie Sleufjerungen unb
äöirfungen feiner aßbeherrfdjenben, göttlichen Kraft «erben al«
Untergötter, al« Dämonen oerförpert, eine Slnfchauung, «eiche
im Slnf<htufj an bie platonifche ^beenlehre befonber« ber frucht-
bare ©cf)riftftefler ißlutard) unter |>abrian au«gebilbet hQt-
Offenbarungen biefer göttlichen SRächte burd) ©orjeichen unb
Drafel «erben überall anerfannt unb gefeiert, ber ^h^ofoph
auf bem Simone, SRarc ülurel, miß nicht leben in einer Söelt
ohne ©öfter. f>iernad) finb auch &*e Mnfcfiauungen ber 9Ref)r=
jahl ber ©ebilbeten feine8«eg« atheiftifd), fonbern nur fritifch
gerichtet gegen bie unmittelbare gor« ber ©ötterwelt.
Sigenthiimlicf) unb auffaflenb erfcheint bei ber ermähnten
Änpaffung unb ©erfd)tnc4ung ber griechifch-römifchen ©ötterroelt
mit fremben Äulten bie ©teßung ju beit jmei monotheiftifchen
Religionen, bem Subenthum unb (Shriftemhum. |>ier ift ftrenge
Hbfdjliejjung, feine ©pur oon Slnnäherung. 2Bie bie ©efemter
be« einen bilblofen ©otte« in ben heibnifd)en ©ötlern nur ©öfcen
Sammlung. 5. V. 11#. 2 (S66)
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I
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unb böje ©eifter jähen, fo mußten ^Römern unb ©riechen, roeld^c
baS ©örtliche nur in einer giiHe oon ©öttergeftalten erfaßen
fonnten, jene als fieugner beS ©örtlichen überhaupt, als ©ott*
lofe erfreuten. ®a^er würben in SRom bei ben Verfolgungen
nach bem neronifchen ©ranbe bie ©giften als bie geeigneten
Opfer ber VolfSwuth Ijingeftellt, weil fie, Reifet es bei JacituS,
allgemein oerhafjt waren wegen ber ihnen angebicfjteten ©räuel,
obwohl fie gröjjtentheilS nur beS allgemeinen SRenfchenhaffeS
überführt würben: fo würbe ber ©egenfafc, in welchen fleh
baS S^riftent^um jur SBelt fteHte, oon ben ^cibnifc^en Siömern
empfunben. Solche Steuerungen bei $acituS unb ähnliche bei
VliniuS jeigen immerbin, baff in 2rajanS geit &ie Seite &er
(S^riften noch nicht fo weit bie Slufmerffamfeit ber ^ö^eren
Streife erregt ^atte, baß man es ber SNühe merth gefunbett butt«
ficb genauer über fie ju unterrichten.
Äebren mir nach biefem abfchweifeuben 8luS- unb Umblicf
ju unferem ©efchichtjchreiber jurürf unb betrachten wir feine
unS erhaltenen SBerfe beS Näheren. 2)ie erfte Schrift, ber
Dialogus ober baS ©efpräch über bie jRebner, bebanbelt in
einer nach ©icero gebilbeten eblen unb gewählten Sprache baS
Sterna: SBarum bie jefcige ßett — baS ©efpräch wirb in
bie ^Regierung beS Vefpafiatt gefegt — oon bem iRubm ber
©erebjamleit oerlaffen, warum bie ©erebfamfeit in ben 120
3aljren feit ©icero foweit juriicfgefommen fei. 2Jiit begeiftertem
@ifer werben bie Sitten ber guten alten 3eit gejdfjilbert, oor allem
bie tüchtige ©rjiehung ber Sugenb, welche in ebler Sitte unb
©efdjeibenheit, in $urücff)altung unb ©Ijterbietung oor ben Sitten
erftartte unb heranreifte. 2Rit Schmerj unb Unwillen aber be=
flagt ber ©erfaffer bie ättobe feiner 3eit, wo alles auf ©enujj
unb auf ©itelfeit, auf Schein unb Schau jugefchliffen unb jugefpi&t
wirb, wo nicht ber SRann als öffentlicher ©harQ^er, fonbern
ber iRebefünftler gefdjä^t mtb gefucht ift, wo nicht grünbltche
(866)
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Arbeit itnb pflidjlmöffige Eingebung, fonbern Slbridjtung unb
felbftfüchtige ober gennmifüdjtige ©treberei bie SDlittel finb um
Stellung, Slnfeljen unb BermÖgeit ju erwerben. 3)ie Bereb-
famfeit aber, wie alle ed)te Shinft, gebeizt nur in ber greiheit,
wo ber äRenfch jeberjeit Jeine Perfon einje^en, unb ben 2Jlamt,
nicht blofj ben Zünftler jeigen mufj.
3ft bie Sef)nfud)t nach ber greiheit in biefer erften Schrift
mehr ba« Srgebniß einer litterargefdjic§tlicf)en Betrachtung,
in welcher aber bie SBärme be« Patrioten überall burchglüht,
fo (teilt un« bie nächfte Schrift, ber Slgricola, ba« SBilb
eine« 2ftanne« au« jener $eit oor Slugen, an bem altrötnifche
Xugenb, pflichttreue unb Sapferfeit gepaart mit Befonnenheit
un« Bewunberung abnöthigt, ba« Bilb feine« ©chwiegeroater«
Slgricola. gern oon ben Socfungeit ber ^auptftabt war er
aufgewachfen, wie c« in guten alten geiten brauch war, unter
ber Obhut feiner SDlutter, welche ebenfofehr feine geiftige Bil*
bung förberte, al« ihn auf« praftifche unb tljätige £cben hin*
wie«. 3n ben $rieg«bienft eingetreten, folgte er nicht bem Bei«
fpiel ber jungen Herren, welche ben w3Üienft in ÜWutwißen »er*
lehren unb ben Offigier«rang al« einen greibrief ju Urlaub unb
SWüffiggang ober jur Unwiffenheit anfehen", fonbern burch dienen
unb ©ehorchen lernte er befehlen unb gebieten. Schon unter
9?ero jeigte er feine befonnene Klugheit, inbem er al« Prätor
jwifcfjen Kargheit unb Berfchwenbung bie äWitte fyelt, ber
Ueppigfeit ferne, bem guten 3Suf näher. SDer Berfuchung einer
reichen prooinj unb eine« nachfichtigen Borgefefcten wiberftanb
er tapfer. SBeber bie Seutfeligfeit fchabete feinem Slnfefjen, noch
bie Strenge feiner Beliebtheit. 9?ie überhob er fid) feiner ®r«
folge. ®urch feine mafjooHe Haltung jwang er felbft einen fo
menfchenfeinblichen, argwöhnifchen, ber Slnerlennung be« Ber«
bienfte« fo wiberftrebenben Äaifer wie ®omitian $ur gurütfhal»
tung, weil er nicht burch $rofc unb eitle« prahlen mit greiheit bie
2* (867)
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öffentliche SDfeinung unb bamit ba« Scßicffal ßerau«forberte. Unb
ebenfo wie feine 9D?anne«tugcnben rühmt Jacitu« bie Steinbeit
unb Jiefe feine« ®emütß«leben« : wie fchwer wiegen in einer
ßeit, wo eheliche Jreue, ßäu«licßer Sinn, gamilienglüd feiten
geworben waren, bie Wenigen SSorte: „Jie ©atten lebten in
wunberbarer ©intracßt, in gegenfeitiger Siebe, ein« ba« anbere
höher fteHenb, nur baß ba« Sob ber guten ©attin um fo größer
ift, je größer bie Sdjulb bei einer fcßtedjten." SD?it rüßrenbem
Scßmeri beflagte er ben Job feiner SRutter; ben Berluft be«
Sohne« ertrug er rneber mit erfünftelter Saite, wie fo Diele tapfere
SDiänner, noch aber auch nach äBeiberart flagenb nnb jammemb :
in feiner grauer biente ihm bie Pflicht be« Slmte« al« Heilmittel.
3n ergreifenben Söorten beflagt Jncitu« ben Hingang eine« folcfien
2Jianne«, unb wie erhaben finb bie 3bfcßieb«worte, bie er bem
BoQenbeten nachruft: „Stuße fanft unb weife un« unb bem
Hau« Don fcßwächlicßer Seßnfucßt unb weichlichen Jßränen jur
Betrachtung beiner Jugenben! Jmrcß Bewnnberung unb unfterb*
liehe« Sob, unb wenn unfere Jage ausreießen, burd) Sleßnlicßfeit
be« SBanbel« woßett wir hieß ehren. ©wig ift bie Schönheit
be« ©eifte«, bie man nicht burd) fremben Stoff unb Sunft,
fonbern burch ben eigenen Sfjarafter Jur $arfteßung bringen
fann."
©in trefflicße« Seitenftüd ju bem £eben«bilb be« Stömer«
Ägricola ift bie folgenbe Schrift über ben Urfprung unb ffioßn’
fiß, bie Sitten unb Bölferfcßaften ber ©ermanen, ober, wie fie furj
genannt wirb, bie ©ermania. J)er fcharfe Blicf be« SDtenfcßen*
unb ©efeßießtöfenner« fießt, baß ba« gtömertßum bie Höße
feiner Blütße überfeßritten habe, baß ba« Berßängniß brängt.
Unb wo finb bie ffeinbe, Don benen ber gewaltige Bau be« rö>
mifeßen Steicße« erfeßüttert ju werben füreßten fonnte? ©« finb
im 0ften bie ißartßer, im Storben bie ©ermanen. Sber, fagt
Jacitu«, nießt fo gefäßrlicß ift bie Sönigsmadjt ber ißartßer,
(S69),
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wie bie greift ber ©ermanen. So lange, ruft er auS bei
ber Srimterung an bie über 200 gahre prücfliegenben Sin*
fälle ber Simbern unb Jeutonen, folange fiegen wir über
©ermanien, b. h- arbeiten wir an ber ©efiegung ber ©er-
manen. ©on biefem ©olf feinen 3e't9cuoffen nähere Kenntnifj
ju »ermitteln tjielt JacituS ber SDiühe wert!) unb ebenfo für ein
patriotifcf)eS unb litterarifdjeS ©erbienft, unb er l)at bamit
äuglcid} uns, bcn 9ladf)fommen jener ©arbaren, ein unfd)ä&bareS
SDenfmal unferer Sinnen hinterlaffen, welches, wenn auch in Sinjel-
feiten raifjoerftanbenc unb mifwerftänblidje ©otijen entfjaltenb,
bocf) im ganjen, ba»on überzeugt uns alles, waS bie Sllter*
tt|um$forfcf)ung ans £icf)t gebraut hat, burd)au3 ^utreffenb unb
wahrheitsgemäß ift.
Sr erfennt »or allem bie Sigenart ber ©ermanen als eines
unoermifchten, nur fid) felbft gleiten ©olteS an, beffen ©e« ,
rüfjrungen mit ©om aÜerbingS feit Säfar »ielfacfjcr geworben
finb. 2öaS am weiften bie Slufmerffamteit beS ©ömerS an-
jie^t, ift natürlich baS ÄriegSwefen ber ©ermanen, ihre ©e-
waffnung, bie Srt ber SluffteHung in ber Sdjlacht, bie SuS-
Hebung ber ©lannfchaften, bann bie Leitung beS Krieges, bie
Einführung ber .peere, bie Stellung ber gührer, ©rafett, §er«
jöge unb Könige, ihre Siechte unb Sljren, weiter ihre ftaat-
licken Einrichtungen unb ©ebräudje, bie ©ol!S»erfammlungeit ju
5Rath unb ©eridjt. greiheit unb Japferleit unb Jreue, baS finb
bie ©runblagen, anf betien bie Kraft unb bie SBiirbe beS ©olfeS
beruht. SnSbefonbere ift JacituS »on ©ewunberung unb Staunen
erfüllt über bie geftigfeit, womit ÜDianneSwort unb Jreue ge-
halten wirb. J>ie Freiheit ift ihr Slement, in ber greiheit
warfen bie Kinber auf ohne Uuterfchieb ber Stänbe. 3>ie
Künfte unb ßafter ber feinen ©efittung, ©erführung unb Un-
natur fenneu fie nicht. JaS ßeben in ber gamilie, fo einfach unb
roh flcgenüber römifcher ©erfeinerung, ift rein unb gefunb unb
(*«*)
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fein Stücf ihrer Sitten mehr ju toben als bie ^eilighaltung
ber ©he/ ju Wetter 2Rann unb SBeib nicht in frühem, unreifem
Älter jufammengegeben werben; nicht nach fRücfficht auf ©etb
unb ®ut unb äufjere ©ortheile, fonbent in ooHer fReife, einanber
gleich an ftattlidfem äBudjS unb riiftigen ©liebmafjen, werben fie
gepaart, unb in ben Äinbern ftellt ficf) bie Staft ber ©Itern bar.
ÄnbererfeitS freilich oerfennt ber fcf)arfficf)tige ^Beobachter
auch nich* bie Schattenfeiten unb Safter, baS träge £>erumliegen,
bie Jrunf* unb Spielfucht, bie Unbotmäfjigfeit unb ben Jro$;
baS Uebermafj ber Freiheit bebingt einen URangel an ©emeittgeift,
fo baff fie fich fortwährenb befel>ben, fowoljl einzelne ©efdjledjter
innerhalb beS Stammes als auch ©tamm gegen Stamm, unb
gerabe biefe SuSwüchfe ber Freiheit finb eS, auf welche ber
fRömer faft bie einzige Hoffnung fe§t, wenn er an ben 3U’
, fammenftofj germanifcher fRaturfraft unb beS an SUterSfchwäche
leibenben fRömerthumS benft: „2Röge hoch — ruft er aus —
möge hoch ben Stammen, wenn nicht bie 3unc*Öun9 Su unS,
bodh ber |iafj gegen einanber bleiben, fintemal bei bem brängenben
Serhängnife beS Reiches uns baS ©lücf nichts ©röfjereS ge*
währen famt als bie 3w‘etracht ber geinbe!"
SRach biefer Ueberfchau über bie brei Heineren Schriften finb
Wir nun begierig auf bie beiben grofjen ©efchichtöwerfe, bie £>ifto*
rien unb bie Ülnnalen. Unter bem ©efüf)t beS freien fiuft^ugeS,
welcher unter $Reroa uttb Jrajan baS öffentliche fieben bnrch*
brang, fchtägt JacituS in ben £>iftorien ben ooHen epifchen Jon
an, um bie Vorgänge jwifchen ÜReroS Job unb ber ©rhebung
beS ©efpafian ju fchilbern. 3uerft Ieffn mvc> wie ber hQrte
unb ftrenge Solbatenfaifer SeroiuS ©alba, oon ber ©unft
beS nach fReroS Seicfjtlebigfeit fich jurücffehnenben SSolfeS unb ber
Slnhängfidjfeit ber burd) bie ©eljanblung einzelner Rührer unb
Jtuppenförper oerftimmten Solbaten oerlaffen, burch ben SSüft*
ling Ctfjo, einen ©enoffen oon fReroS Stusfchweifnngen, geftürjt
(Ä70)
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mürbe, mie bann 0tf)o, |>err in ber §auptftabt, mit ben Segioneit
am 9?hein, bie auf eigene gauft »ott ©alba abgefaßen mären,
in Sßiberftreit geriet^ unb, nadjbem er ben Vorgänger befeitigt,
nod) elje er felbft auf bem Jtjrone feftfajj, mieber einen SReben*
buhler in bem Schlemmer unb ißraffer ViteßiuS erlieft. 3n
ausführlicher ©rjählung merben bie Vorgänge in SRom bis ju
OthoS ÄuSgang nach ber »erhängnihöoßen ©flacht bei Ve*
briacum bargefteßt, baS ©ünftlingSregiment ber Vertrauten beS
©alba, bie SEBithlereien unter ben ©arbefolbaten gegen bettfelben.
2Bir erfdjrecfen über bie ©emalttßätigfeiten ber germauifchen
Segionen, ihre Unbotmäfeigfeit gegen bie ^elbherren unb bie Ver*
roüberung »on $ucht nnb ©itte; mir »erfolgen mit gefpannter
Äufmerffamfeit bie SRärfche ber $eere, bie Umtriebe ber gührer,
bie Änftrengungen ber Parteien, unb ftaunen über bie Saunen
beS ©efchicfeS, roeldjeS einem ÄuSrourf ber 3Renfd)hrit mie Vi-
teßiuS ohne jebe eigene Slrbeit bie Krone in ben ©djooh marf;
merben fpngeriffen »ott ber Verebfamfeit, momit SacituS biefe
©egenfä$e ber ungebulbigen SRüßrigfeit unb Kampfluft ber ®ol*
baten unb beS trögen ©enujjmenfcben ViteßiuS auSmalt, beffen
Verhalten bis jur ©renje menfchlicher (Sntmürbigung geht, ber,
roährenb um bie Regierung ber SEBelt Ströme »on Vlut für ihn
»ergoffen merben, in ben fchattigen Sauben feiner ©ärten »erfteeft
regungslos baliegt, mie ein faules $hi*ri baS fich D°Q gefreffen
hat, Vergangenheit, ©egenmart unb 3ufanft gleic^emtaßen »er*
geffenb, ber in folgen ©tumpffinn im entfeheibenben Äugen*
blicJe »erfunfen tft, bah, menn nicht Änbere fich beffen erinnerten,
er felbft »ergeffen hätte, bah er Kaifer fei. ®ann mieber über*
mannt ben Veridjterftatter an biefer felben ißerfönlichfeit bie 9tüh*
ruitg : „Keiner," ßei§t eS, „mar fo gleichgültig gegen SWenfdjen*
gefdjicf, bah ihn nicht biefer Änblicf im Snnerften erfchüttert hätte,
mie ber fierr ber äöelt feinen fßalaft »erlaffeitb burch bie ©tabt
hinausging, aber »on ber fich ißnt in ben SGBeg roerfenben Veoölfe*
CS7U
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24
rung genötigt »urbe, »ieber jurücf jufe^ren, »on nun an nidjt
mef)r Äaifer, fonbern nur bic Urfadje »eiteren ©lutoergiefjenS, »ie
er enblidj, als alles »erloren, in wafjnfinniger Ängft unb Unfid)er«
^cit alles fürcf)tenb, an »erfcf)loffenen J^üren probirenb, »or bem
fieeren jurücffdjrecfenb, fid) in einem fdjmäf)lidjen Söinfel »erbirgt,
bis er heroorgejogen nnb burdj bie Stabt geführt »irb, ohne
bafe Qemanb eine S^räne um ihn »eint: bie Srbärmlichfeit
feines SluSgaitgeS ^atte baS (Srbarmen erftidt."
Unb gegenüber biefem »üfteu ©e»irre entfeffelter fieiben*
fünften unb roljer ©egierben baS eble ©ilb beS jungen $itnS,
bem Sd)önf)eitSbienft unb fiebenSluft fein |>inberni& finb, »o eS
gilt, Süchtiges ju »irfen, unb neben biefer liebenSroürbigen
Sugenbgeftalt ber alte, ernfte ©efpafian, ein SDiufter altrömifcber
■8ud)t nnb Strenge, noQ ©efonnenheit unb äßürbe, ifpn $ur
Seite fein gelbljerr ÜDtucianuS, ftattlid) unb »orneljm im Auf-
treten, oljne bocf) bie @I)rerbietung 9e9en &«n Sßürbigeren ju
»ergeffen.
Unb »enn beit Patrioten bei ben ©räueln beS ©ürger«
friegeS ber Sd)mer$ unb bie (Sntriiftung ergreift über ben greoel,
bafj römifd)e Solbaten, als ob fie einen Sultan oom ©artljer«
tf|ron ju ftofjen gingen, unb nicf)t ihren eigenen wehrlofen alten
gührer nieberjubouen, mit trufcigen SSaffen auf eilenben Stoffen
auf baS gorum hereinbred)en, unb nid)t ber Anblicf beS ragenben
ßapitors unb bie £>eiligfeit ber ehrroürbigften Jempel fie ab«
fdjrecft: mit meiner Sttnerfennung für greiljeitSfinn unb tapfer»
feit »erfolgt ber Scfyriftfteller anbererfeits beit Aufftanb ber
©ataoer unter ßioiliS, »ie »irb bie natur»ücf)fige ftraft unb
bie Unermüblitf)feit biefer ©arbaren unb iljreS Siegeslaufes ge«
$eid)net; unb »ieberum mit »eifern ^odjgefüljl beS SRömer«
ftoljeS »irb bie pflichttreue unb einfichtSüoöe güfjrung beS 6e*
realiS heworgehoben, bem JacituS bie grofjen äSorte in ben
SJiunb legt: „Syenit aber bie Stömer gefc^Iagen finb, »aS ift
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bann übrig als ein ftrieg Sitter gegen Sitte ? $urd) baS ©liicf
unb bie Crbnung oon adft 3o^rf)unberteit ift biefer Sau beS
Sieic^eÄ jufammengewachfen, unb er fann nicht jertrümmert werben
ohne ben Untergang J'erer, welche ilpt jerfchlagen!"
Unb wie lebenbig treten auS ber SOiaffe beS Stoffes ©injel*
bilber heraus, wenn ber ©rjähler unS batb einen ©enturio oor«
führt, ber allein, um feinen gelbherrn gu retten, ben wütfjenben
Prätorianern entgegentritt, halb eine ©eene wie jwifc^en £ilbe*
branb unb feinem ©o^n Jpabubranb auSmalt, wie ein CegionSfolbat
auS Spanien in bem mörberifchen nächtlichen ßampf um 6re>
mono mit feinem ©of)n jufammentrifft, ben er als unmünbigen
Ä naben in feiner §eimath jurüdgelaffen hat unb jefct, nachbem
berfelbe ertoachfen unb ju ©albaS Gruppen ausgehoben war, als
feinen ©egner oor fich fic£>t. $er ©ohn oerwunbet ben Pater
unb wirft ihn nieber; fchon will er ben ©efatleneu burchfuefjen,
ba erfettnen fie fich, er he^ ben ©terbenöen auf unb gräbt ihm
fein ©rab: unb Sitte werben ergriffen mitten im ftampfgewühl
»on bem entfefclichen ©efcf)icf unb oerwünfehen ben ^eillofen
Sirieg. Unb als ©egenftnef baju fehlt eS auch nicht an einer
heiteren ©pifobe wie bie Sapujinabe in „SBaHenfteinS fiager".
Unter ben äbgeorbneten bcS Senats, welche ben anrüefenben
PiteHianern entgegengefdjicft werben, ift ein ftoifcher pijilofoph
PiufoniuS fRufuS, ber fich unter bie blutgierigen, fdjlachten»
ergrauten Krieger mifcht uttb ihnen in wohlgefefcter $Rebe Pre-
bigten hält über baS ©lücf unb bie ©üter beS griebenS unp
bie jährlich leiten beS ftriegeS. Piele halten eS für ©pott, bie
Piehrjafjl für fchulmeifterliche Slbgefc^macftheit, unb nur baS
®ajwifchentreten ber OrbnungSliebenben rettet ben Pienfchen oor
fchlimmer Pergeltung feiner unjeitigen SSeiSheit.
5Doch nicht blofe ftriegSbilber unb Sampffcenen weife JacituS
hinreifeenb ju fchilbern, er führt nnS auch nach bem ©ieg ber
Pefpafianifchett Gruppen in ben Senat, wo $eloibiuS priScuS,
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ber Schwiegerfoljn be« ißätu« Jfjrafea, be« SJtärtprer« ber greiheit
unter 9?ero, feine üReinung abgiebt mit eljrenber Slnerfennung
be« neuen Saifer«, ober ohne Schmeichelei, wie er ben ßJiarceßu«
Gpriu«, eine« ber ^eroorragenbften SB erzeuge be« ®e«poti«mit«
unter ßfero, nieberbonnert unb ben Senat oufforbert, gegen äße,
bie fid) ber Slugeberei fdptlbig gemacht unb bie Söiirbe be« Senat«
erniebrigt haben, fräftig einpfd)reiten, unb wie er halb, im geuer-
eifer be« Bewufjtfein« fenatorifdjer SBürbe, ohne auf ben Äaifer
p warten, ba« f>eft felbft in bie fpanb p nehmen beantragt,
ein Auftreten, welchem $acitu«, auf fünftige Berwicfelungcn oor-
au«beutenb, bie Bewertung beifügt: (, tiefer $ag war für i^n
ber Slnfang großen SInftofje« wie grofjen fRuhme«."
SBenn Wir ^ier nur am Sdjluf? ber erhaltenen Partien ber
|)iftorien einen §inwei« auf Sümpfe im Innern, auf 3ufammen=
ftöfje jwifchen ber faiferfic^en ©ewalt unb bem freien Bürger*
tbum befommen, fo bewegen fid) bagegen bie Stnnalen non
Slnfang an ganj auf biefem ©oben ber inneren Streitigfeiten
jwifcfjen ber fperrfdjergeroalt unb ber Freiheit. 3e au«gebehnter
ber Stoff ift, oom gahre 14 bi« 68, befto mehr ift bie ©arftcl*
lung gebrängt unb pgefpifct. ÜRit ernfter gurüdbaltung, ein
fdjarfer Beobachter, nicht blo§ oergangener ßnftänbe unb Bor-
gänge, fonbent auch ihre8 3ufammen^anSeS un^> ihrer Urfachen,
fifct ber ©efdjichtgfchreiber p ©eridjt über ba« ßäfarenthum.
gwar wirb bie SBeltlage nicht aufjer ad)t gelaffen. SBir
werben an ben Bljein, nach ©aßien, ©ermanieit, Britannien, p
ben pannonifchen Segionen an ber 55onau unb in bie thrafifdjen
Sänber, nach SIfien an bie armenifdppartifdje ©renje geführt unb
feljen römifche SBaffen unb römifdje Beamte aßer Slrten bemüht,
bem Imperium feine Sf)w 3U wahren. SBir fehen ©efanbt-
fchaften au« aßer SBelt, ©efangene, dürften unb grauen nach
Born fomnten, um ihr Urteil unb ihr Schitffal bort p holen
3n«befonbere finben wir auch h>er mit refler Xheilnabme in au«>
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fiiljrlidfjer $arfteQung bic Vorgänge bei unferen germanifchen
93 erfahren uttb bie wechfelnben ©efefiide ihrer ©ölfer unb dürften
befproc^en : wir fchaubern mit ben römifdjen Segionen auf bem
Seidjenfefb ber SSaruSfcfjIac^t, wir burchwanbeln mit ©ermanieug
unb 2>rufuS bie Sagetgaffen ber Segionen, wir höre« bie ©rüber
Ärminiuä unb glaoiug ßwiefprad) halfen unb einanber 93errat()
am ©aterlanb ober 2;hor§eü unb ©erblenbung beg Xrofeeg
gegen bie 2Beltmacf)t SRontg Dorwerfen, wir fef>en bie beiben
©unbegfürften Srminiug unb SDiarbob bie Leihen ihrer Krieger
burthfliegen unb um Freiheit ober ^»errfc^aft fämpfen, wir lefen mit
tiefer Bewegung bie ebfen unb grofjen SBorte über Slrming Ghtbe :
„9?ach Slbjug ber Stömer unb 9tieberwerfung 9Jfarbobg nach ber
Königgmacht ftrebenb, fanb er an ber Freiheit feiner ©olfggenoffen
SBiberftanb; mit SBaffengewalt angegriffen, fiel er nach wech*
felnben Stampfen burd) bie ärgtift feiner ©erwanbten, entfliehen
ber ©efreier ©ermanieng, ber nicht 9iom in feinen Anfängen,
wie anbere Könige unb Heerführer, fonbern in ber Ejöchften
©tüthe feiner 3J?acht befämpft hot, in Schlachten unentfcfjieben,
im Kriege nicht befiegt. 9?och wirb fein SRame in Siebern bei
ben ©arbaren befungen, ben griechifchen ßhronifen unbefannt,
Don ben ©ömern nicht gebührenb gefeiert, inbem wir bie alten
©rohen erheben, um SReueg unbefümmert."
Kann eg ein grojjartigereg geugnifj Don bem weltgefchidü-
liehen ©lief, bem unparteiifcfjen Urtheil beg fRömerg geben?
Solche ©über aug ber allgemeinen SBeltlage fehlen, Wie
^efagt, nicht, unb mitunter erholt ber SchriftfteDer gerne fich
felbft unb feine Sefer burch folche ©pifoben Don bem nieber-
brücfenben Irauerfpiel ber untergehenben Freiheit in 8tom, unb
freut fidj ebler ©efinnung unb 2hat, wo immer er fie finbet,
bei SRömern unb ©arbaren, bei Solbaten unb Beamten, 3Rän<
nern unb grauen. 9lber bie treibenben ÜRächte finb in 9tom,
im Kaifer unb feiner Umgebung fon^entrirt. 3h* ©Piel W eä,
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welches JacituS mit unbarmherzigem ©riffel in ergreifenbcr
©chitberuitg ber breiunbztoanzig 3a^re beS StiberiuS, ber fieben
legten beS StaubiuS unb ber zwölf erften non 9?ero3 fjterrfchaft
enthüllt. |>ier ift ber @efd)id)t$färeiber auf ber $öhe feiner
ftunft, ber SWenfchen ©efdjicfe unb ber 3Jienfc^cn ©eeten ju er=
forfdjen. 2Sir werben hineingeführt in baS Treiben ber Parteien
am $of unb im faiferlidjen |>aufe fetbft, roie in bie SBerljanb*
Jungen be$ ©enatS, in bett SBettftreit ber Schmeichelei unb
©treberei jtoifcfjen feinen 9J?itgtiebern, in bie unmürbigen $ßro-
Zeffe wegen SRajeftätSoerbrccheii, in ben Stampf ber Sift unb
©ewalt gegen bie Freiheit unb bie Jugenb.
3uerft ift eS in ber fRegieruttg beS £iberiu§ ber ©egenfag
ZWifdjett bem Staifer unb feinem SReffen ©ermanicuS, bem jugenb*
licken 5trieg$helben, bem Sieblittg be$ 93oIfeS unb beS $eere$,
ber uuS eutgegentritt. ®in ©olbatenaufftanb in ben germanifchen
feeren am SRf)ein giebt bem getb^errn ben Slntrieb, bie un«
ruhigen ÜDiaffen burch Ärieg ju befchäftigen, unb baS t^ut er in ben
meifterhaft gefdjilberten genügen in baS norbweftlidje ®eutfch’
Ianb mit gewaltigen ©flachten, »erluftnolten ÜKärfchen unb
SRücfjügen. Stber biefe Kriege finb nicht itad) bem ©inn beS
ftaiferS, meldet tueitgefjenbe Unternehmungen im SluStanbe meibet
unb fürstet; baher wirb ©crmanicuS abberufen unb in ben
Orient gefehlt, roo ba£ Stufehen beS 2;^ronfoIgcrS Unorbnungen
beilegen unb unsere $uftänbe befeitigen foH. $abei finbet er,
burd) ben ihm untergeorbneten, aber wieberfpenftigen unb an-
majjenben ©tatt^atter $ifo fortroährenb beffinbert unb geärgert,
einen frühzeitigen 2ob. ®r ftirbt unter »erbäc^tigen Umftäitben
in ©prien; feine greunbe aber unb feine SSitwe Slgrippina
nehmen als fein SSermädjtnif} ben 9$orfag mit nach fftom, ben
S3erftorbcnen zu rächen an betten, welchen fic bie Urfache feine#
2obe$ jufdhreiben.
Unterbeffen hot fiel) SiberiuS in 5Rom bie thatfächtich, aber
i&'ej
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nicht rechtlich unb gefefjfich auf itjn übergegangene ÜRadjt ge-
fiebert in fdjlauem Spiel gegenüber bem Senat. 9Rit Älugfjeit
unb Sift — ©erfteflung ober .^euc^elei nennt el Xacitul —
ge[jt er $u ©Jerfe, um bem Senat ben Schein ber üRitregierung
ja laffen unb boch bie wirflidje ÜJiad^t in feiner $anb ju oer-
einigen unb alle ©etüfte bei SSiberftanbel non Seiten ber alten
<Sefd)Ied)ter nieber^ufc^ragen, unb bie ÜJiefjrfyeit bei Senatl fommt
ihm mit Schmeichelei unb flned|tfinn bereitwillig entgegen.
Unter ben Rathgebern nnb ©ef)ülfen ber Regierung fpielt fd)on
frühe eine ißcrfönfichfeit eine Rolle, welche in liberiul Re-
gierung ben SBenbepunft jur fchtimmften Entfaltung feinel
menfchenfeinblichen, harten unb graufamen ßharaftcrl hCT&e'’
führt, ber 93efc^r«^abcr ber ©arbetruppen Sejanul. 3hm wirb
hauptfächlidj bie Slufhejjung bei ftaiferl gegen bie gamifie bei
©ermanicul, beffen SBitwe Mgrippina unb ihre Söhne juge-
fchrieben; er fdjiirt ben 4?nfj gegen bie feinem Einffufj wiber-
ftrebenben ißerfonen unb umgarnt burdj ben Slrgwoffn, ben er
fortroährenb in ihm erregt unb mach erhält, ben gürften immer
mehr, bil er ft<b in bie gamifie ber (Säfaren eingefchfidjen hat;
ßuerft oerfangt er für feinen Sohn bie |>anb einer Xod>ter bei
nachmaligen Äaiferl Slaubiul, ©ermanicul’ ©ruberl ; fobann Der-
führt er bie ©attin ooit 2iberiul’ eigenem Sohne $)ruful unb
oergiftet mit ihrer Riithülfe ben fßrinjen. Sber nachbem ber
nächfte Thronerbe befeitigt ift, hat bal §aul ber tfgrippina nur
neue 2fulfid)ten gewonnen. 2)arum mufj ber Söfewicht jefct
feine fpebel in ©ewegung fefcen, um fie unb ihre Söhne ju Der-
berben. Seine ©erbünbete 2ioia unb bie 5taiferin-2Rutter müffen
bie SBitwe bei ©ermanicul, ihren ftofjcn, trofcigen ©inn, beim
Äaifer oerHageit, fie fefbft wirb burch beftodjeue fieute ju ^ef*
tigen Reben heraulgeforbert, auch ihre ©öfjne Rero unb $)ruful
werben attgefchufbigt, überhaupt bem Äaifer ber ©erbad)t jur
©ewifchrtt gebracht, el gebe eine förmliche Partei ber Sgrip-
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pina, welche ben Staat ju fpalten brohe. 2)er alte Äaifer, auf«
fchwerfte betroffen burd) ben Berluft be« einzigen Sohne« wirb
immer menfchenfeinblidjer unb härter, ein Eremutiu« Sorbu« wegen
einer fiobrebe auf Brutu« unb Saffiu«, ben er ben lebten Körner ge*
nannt, angef lagt, muff, ba er feine SluSfidjt auf ©nabe hat, fidj felbft
ben Job geben, feine SBücfjer werben oerbrannt. gmmer oerlocfenber
wirb bem Jiberiu« oon Sejan ber Entfchlufj nahe gelegt, fid) oon
ber Stabt mit ihren traurigen Erinnerungen, ben wiberwärtigen
Erfahrungen oon Seiten ber nädjften Angehörigen, wie ber feiub*
feligeit Beoölferung in h°hen unb nieberen Greifen — bei ben
lederen war er unbeliebt, weil er fein greunb oon Suftbar*
feiten unb nicht freigebig mit Spielen unb Schaugeprängen mar —
juräcfjujiehen in einen frönen Sanbaufenthalt. Enblich tft Jiber
baju bewogen, fich nach Eampanien ju begeben, unb balb nimmt
er feinen ftänbigen Aufenthalt auf ber gelfeninfel Eapri, wo
ihn Jacitu« ganj in bie graufamen Saunen eine« menfchen*
feinblichen SSütljerich« unb in oerborgene Süfte öerfinfen lägt.
Sennoch hat Jacitu« nicht unterlaffen, bie guten Seiten
be« Jiberiu« al« Kegenten gebührenb heroorjuheben, unb nicht
blof? au« feinen erften acht Saljren, benett er Sob fpenbet, fon*
bern auch bi« in feine legten feiten berichtet er oon feiner um*
fichtigen, raftlofcn SJhätigFeit für bie Crbnung unb Bermaltung
be« Keiche«, wie er frei oon ©eminnjucht unb Habgier bie
mohlthätigften Kiagregeln für bie Ernährung be« Bolfe«, bie
Schonung ber ißroohtjen anorbnet, Kecht unb ©erechtigfeit hanb*
habt, ben Staat oor jeglicher Beeinträchtigung wahrt, ben un*
heilooHen golgen be« SBudher« fteuert, bei öffentlichem Unglüd
freigebig Unterftügung gewährt. Er hat eine greube batan,
©elb für ehrenhafte gmede au«jugeben, er oerbirbt nicht bie
ÜJienge burd) bie rohen ged)terfpiele, er lägt oerbiente SRänner
unangefochten in b°hen Aemtern, er ehrt treue anhängliche
greunbe, unb weih fogar bei ©egnern, bei Anhängern be«
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geftürjten ©ejan, ioldje ©efinnung ju fdjä&en, er läfjt perf online
Sränfungen urb freimütige Süeufjerungen über feine $erfon un*
geahnbet, er üerabfcfjeut niebrige Schmeichelei, er fpric^t große
unb »ürbige ©runbfäfce au« : oon ber ©e»alt bürfe man feinen
©ebraucf) machen, roo man gefe&lid) oerfahren fönne, ©efeße
Reifen nicfjtS gegen fc^lec^te Sitten. @r »eifj, bafj er ein Sterb-
licher ift unb menfdjliche ^ßflittfn erfüllt, er ift jufrieben, wenn
er ber Aufgabe besS oberften Beamten genügt. äJtenfchen fiitb
fterblich, aber ber Staat ift ewig.
SRad) Jiber« ©ntfernung au« ber Stabt gefjt ba« oon
Sejan gefdjürte föeßen unb Verfolgen »etter, allgemeine Un-
fidjertjeit unb Ülngft bemächtigt fid) ber ©emiither; immer eigen-
mächtiger unb gemalthätiger tritt ©ejan auf, bie &b»efenheit
be« ÄaiferS benujjettb, um feine Stellung unb URacht immer
fefter ju begriinben. SDie Äataftrophe ober, »eiche biefe« fein
©ebahren l)eraufbefd)»ört, unb ben Sturz be« ©ejan erfahren
roir au« $acitu« felbft nicht; hier ift in unferem $ejt eine
größere 2üde. 3m Snfang be« fed)«ten Suche« »erben »ir in
bie 3eit nach biejern ©reignifj hineinüerje&t. 2)urcf) be« allmäch-
tigen ©ünftling« Serrath in tieffter Seele oermunbet unb alle«
©laubeit« an äHenfchen unb Xreue beraubt, »ütljet nun Xiber
gegen alle«, »a« mit ©ejan im Sunbe gemefen »ar ober bafür
galt, mit unbarmherziger $anb. @r fpridjt in einem Schreiben
an ben Senat bie entfefclichen Sßorte: „3Me ©ötter follen mich
ärger oerberben, al« ich mich täglich oerberben fühle, »eitn ich
»eifj, »a« ober »ie icfi Such fdjreiben ober nicht fchreiben fofl."
2>er üprann ift fertig, ein Silb be« 3ommer«, fotoie ^lato ihn
betreibt, gerriffen unb gemartert oon bem Semufjtfein feine«
inneren Slenbe«. Sl(« leßte« Opfer oon £iber« SBütljeii gegen
bie gamilie be« ©ermanicu«, nachbem Slgrippina felbft unb ihr
ältefter Sohn 9?ero umgefommen finb, fällt Drufu«, nach lungern
©efängnifj einem unmürbigen $obe burd) gemeine Söädjter über*
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liefert, ©infamer wirb e3 um ben greifen Jfjerrfdjer, fein lang*
jähriger ^Begleiter iReroa, non 3Drn unb ^urdjt gezwungen, fo
lange er nodj unangefochten war, einen eblen $ob ju fudjeit, nimmt
fich freiwillig baS fieben. ©ine SRanie be£ Selbftmorbe$ greift
unter ben Ueberreften ber eblen @efd}led)ter in 5Rom um ftd). liber
aber bewahrt bi« aw3 ©nbe bie Befonnenheit unb bie 'Bestellung,
noch in feinen lebten Slugenblicfen ber Schretfen feiner Umgebung.
2öir haben bie ©efrfjic^te beS Siaiferä $iberiu« auSführlidier
behanbelt, weil biefe Partie t>on jeher al$ ba3 fWeifterftütf beS
SacituS gegolten hat. Ülber auch We ©5efcf)ichte bet $wei folgenben
^Regierungen, welker bie fedj$ lebten Bücher ber Ülnnafen gewibmet
finb, beä SlaubiuS unb SRero, reiht fich würbig an jene an.
©laubiuS, ben ber $ohn beS ©efchtdcS auf ben römifchen $hrtm
gefefct hat, ift ein fläglidjeS Beifpiel ber Schwäche be8 ©ha*
rafter«, unb jeigt, wie oerberblid) biefe bem Staat würbe. Bon
SBeibern unb (SünfttingeH abhängig, ein Spielball ihrer Begehr-
lidjfeiten unb fRänfe, macht ©laubiuS mehr ben ©inbrud be$
SJlitleibä unb ber Betastung als ben beS SdjredenS. 2lber ent-
fefclidj ftnb baS Eafterleben unb bie B erbrechen, womit SDieffa*
lina ben $hron/ unb bie ®ünftlingS^errfchaft ber Jreigelaffenen
baS SRömerthum entwürbigt, unheimlich bie fRänfe unb bie grenzen-
lofe ^errfchgier ber jüngeren Slgrippina, um bie Ijerrfdjaft an fich
nnb ihren Sohn ÜRero ju bringen, ergreifenb ber Sluägang beS ©lau»
biuS, welchen bie Ungebulb ber Slgrippina oergiftet. BJobltbuenb
unb erhebenb wirft baneben bie ©rjäf)lung öon ben ftriegSthaten in
Britannien, wo ebenfo ber ®lanj ber römifchen SBaffen unter
tüchtigen $elbf)erren, wie ber ^elbenmutlj ber für ihre 3rc*heU
fämpfenben Barbaren bem ©emütl) ©rholung oon ben ©räueln
unb Sd)änblid)feiten in ber $auptftabt gewährt.
iRodj erfchütternber ift, wa§ wir oon 9te ro$ Regierung
lefen. 28ir begleiten junächft mit freubiger $he*fnahme bie
erften 3ahre be§ jungen giirften unter ber oerftänbigen unb
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tüchtigen fieitung eine« ©eneca unb SurruS; mit Sefriebigung
»erfolgen mir bie ßriegStljaten beS eblen wadferen Sorbulo, ber
ben Sömernamen bei ben Völfern im SSorgenlanbe wieber ju
(Ehren bringt, gein ift bie geicfjnung ber jugenblidjen fieiben*
fdjaft SeroS für bie fchöne SUte, gräjjlich bie (Erjäljlung »on
ber (Ermorbung beS SritannicuS, SlaubiuS’ ©ohneS, entfeijlid) er*
greifenb baS Singen um bie ^errfc^aft jwifchen ber für ihren
Ginflufj fürdjtenben ÜJtutter unb bem jur ©elbftänbigfeit er*
wachten ©oljn. Slber bie unbänbige ©innlidjfeit beS jungen
fiaiferS wirb baS Opfer ber Sänfe eines anberen SEBeibS:
ißoppäa ©abina, bie ft^önfte grau »on Som, fd)lingt ihre Sefce
um Sero, unb iljr ©emahl Otho überläfjt bie ©attin, um für
ficf) (Sinflufj ju gewinnen, ber fiüfternljeit beS £>errfcherS. Sun
jcrbric^t baS fiafter alle Sanbe ber Satur, ber @oljn wirb $um
SSuttermßrber. ©o auf ber 93a fjn ber fieibenfcfjaft unb beS
Verbrechens fortgetrieben, »ergifjt Sero ganj bie Söürbe unb
Slufgabe beS ^errfcherS unb h»t nur noch ©inn für ©enufj unb
©innenluft, für ©piel unb (Eitelfeit. (Er tritt als githerfpieler
unb SBagenlenfer »or baS ißublifum unb jroingt bie ©ohne
»ornehmer ©efchlecffter jur gleichen (Sntwürbigung beS Sömer*
namens. Unb wie bie Stänner, fo werben auch Srauen
ber höhnen ©tänbe burdj bie SluSfchweifungen beS SaiferS
grunbfä&lich »erfuhrt unb »erberbt.
Slber neben ben abfchrecfenben, ben Sefer mit ©chmerj unb
Unwillen erfüHenben ©chledjtigfeiten am ©ifje ber Ijerrfdjaft
fehlt eS auch hto nicht an eblen unb erfreulichen Silbern »on
SSännem unb $haten auf bem gelbe ber (Eljre. 3n Sritaunien
lämpft ©uetoniuS ißnnlnS mit gleichen (Ehren ®ie (Eorbulo im
Orient, gelben unb £>elbinnen finben warme ^heilnaljme unb
Slnerfettnung beS ©efchichtSfchreiberS im Stampf um grei^eit unb
VolfSthum. gn Som aber erhebt fich enblich bie ©timme ber
erniebrigten Sienfchheit, eine Seihe »on SRännern bieten bem
Sammlung 9». 3. V. 11«. 3 (8*1)
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SBütljen beä greoelä Jrofc. ©in ißätuä Jljrafea bricht ben
Änedjtfinn ber Uebrigen, ein ©eneca Ijält Steben ooß f)ober
©ebanfen unb würbenofler ©efinnung unb giel)t fiel) gurücf oon
bem entarteten Zögling unb ber Verantwortlidjfeit biefe« Jreiben«.
aber baä fiafter auf bem Jljrone fdjrecft »or feiner SJZiebertradji
nnb ©ünbe me|r guriidf, bie SJiajeftätägefepe werben wieber
Ijeroorgeljolt, anflagen, ©eridjte unb Vluturtljeile folgen eim
anber. Ja« Verbienft unb bie SEBeiSljeit unb Jugenb muß in
Vurruä unb ©eneca, bie Unfdjulb in ber jungen Äaiferin
Oftaüia fterben.
3n biefen 3ammer ber ©cfjanbe, beren Veifpiel ber £)ot
gur ©djau trägt, fällt nun bie ©ntfeffelung ber Slemente, ber
üertjeerenbe Vranb ber ©tabt Vorn. ßum Unglücf fommt noch
bie ©raufamfeit; bie ©d^ulb beS baä Volf gur SButl) unb
Vergweiflung treibenben geuerä wirb auf bie Suben unb ©Triften
abgelaben unb eine SDtenge unfdjutbiger frieblid>er 9Jtenfcf)en bem
Jobe unter $oljn unb ÜJtartern preiägegeben, fo ba& bie SButlj
beä Volfä fefbft in fDtitleib umfdjlägt, alä man fieljt, bafj fie
nic^t bem allgemeinen Seften , fonbern ber ©raufamfeit eine*
©ingigen gum Opfer gefaßen finb.
$>er Verheerung ber §auptftabt folgt ein Stauben unb
Vlünbern im gangen Steicfj gur Vefdjaffung ber SJtittel für ben
SBieberaufbau. aber nun regt fid} aud) bie Vergeltung. Si
wirb eine Verfdjwörung geplant gum ©turg beä Üprannen,
beren anftifter ißifo, ein oorneljmer burd) gäf)igfeiten Ijcrtor-
ragenber SDtann, bei aßen beliebt, wenn audj oljne ©ittenftrenge
unb mafellofen ffiljarafter, in aßen ©tänben J^eilne^mer unb
©euoffen finbet. aber bie aflgu weite Vergweigung ber Ver-
fdjwörung ^inbert iljre ©efjeimhaltung, ber anfdjlag wirb oer
ratzen unb nun wütfjen graufamc Verfolgungen unb ^inricfjtungen
in äJtafjen. 2)em genfer guoorfommenb, befdjliefjen ga^lreiibe
äNänner unb grauen burd) felbftgewäljlten Job bem nur itodj)
(8*2)
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alg eine üaft gefüllten Seben ein ©nbe gu machen mtb fterben
freubig unb gefaßt beit Job beg ©eifen.
Jie großartigfte ©eftalt in biefen blutigen Jragöbiett ift
ißätug Jßrafea, in welchem SRcro bie Jugenb unb ©eigfjeit
felbft umgubringeit trautet. 2öaö bie Hnflage gegen bettfelben
»orbringt, bag oergeichttet bie ©efdjichte alg bie Jugenben beg
tapferen unb weifen SOtanneg, er oerbietet feinen Jreunben für
ißn unterftüßenb eingutreten unb wartet rußig ab, wag über
ißn »erhängt wirb. Hlg ber Söeamte fommt unb ben öefetjt
beg ©enatg überbringt, er foße feinen Job wählen, öffnet er
fict) bie SIbern unb ftirbt mit ben ©orten: „J5er greifjeit bringe
id) bieg SÖIut gum Opfer bar." — hiermit fließen bie Hnnalen,
auch fo in ifjrer unooüenbeten ©eftalt einen unauglöfdjlichen
©inbrucf in ber Seele beg Seferg gurücflaffenb.
©ucfjen wir nun nacf) biefem Ueberblitf über ben 3nßalt
ber Jaciteife^en ©erfe bie ©igentljümtichfeiten unb Sorgüge
ißreg Urfjeberg gu einem ©efamtbilb gufammcngufaffen, fo wollen
wir ißm guerft felbft bag ©ort geben, wag er fidj alg ©efcpit^tg*
jcfjreiber für eine Hufgabe geftellt ßat. @c ßat fid> entfcploffen,
oßne ÜÄenfdjenfurdjt unb 9Kenfcßenßaß, oßne ©unft ober Hbgunft
nicf)t bloß bie ©reigniffe, jonbern auch ben gufammenhang ober,
wie ber lateinifcße Hugbrucf treffenb fagt, bie Vernunft in ben
J)ingen unb bie Urfacpen berfelben gu berichten. @r fpricßt eg
alg feinen $wecf aug, baß bie äWenfcßen, ba bie SKehrgaßl nicßt
aug eigener ©inficht bag ©bie unb SRüfcliche oom 3d)lecf)ten
unb ©djäblichen gu unterftßeiben »erflehe, burcß Hnberer ®e*
ßhicfe belehrt werben, ©ag er geben Witt, ift barum nicht eine
©fjronif oon ©ingelßeiten, 9?euigfeiten gleichgültiger Ärt, auf
bie Unterhaltunggfu^t ber Seute berechnet, fottbern eg finb be<
beutenbe ©reigniffe, res illustres.
©ag gunächft bag Jßatfächliche betrifft, fo legt Jacitug
nicht gang neue ©runblagen für bie Senntniß unb JarfteHung
3* («83)
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36
ber Sreigniffe, er ruht auf ben oorhanbeiien Queßen uHb folgt
ber IDJefjrljeit ber ©djriftfleßer, welche er tor fich hat; wo bie*
felben ooneinanber abweichen, roäljlt er jwifdjen ben lieber*
liefetungen unb giebt feine wohlerwogenen ©rünbe an, warum
etwa« nid^t fo gewefen fein fann nach Sllafjgabe ber Umftänbe
unb beg SfjarafterS ber fwnbelnben Verfonen; wo bie Ueber*
lieferung gar $u unfidjer ift, beleihet er ftef», bie oerfcfjiebenen
Angaben, welche er oorfinbet, ju nennen, aber er wifl nicht
blofj bie Jhatfadjen ber Steilje nach berichten, fonbertt fein
^auptoerbienft ift, fie in einen urfädjlichen gufammenhang ju
bringen unb ingbefonbere überall bie Veweggrünbe ber ^an«
belnben ißerfonen aufjubeefen. Sr ift nicht blofj objeftioer 3u*
fchauer, er ift Slömer burch unb burch, ein ernfthafter politischer
Sharafter, ber eutfehieben Partei nimmt, aber Partei für bag
©ute unb Rechte; er miß eble ©efinnung unb Xf)at nicht oer*
fchweigen, bag Schlechte branbinarfen, wo er eg finbet. ©ein
Urtheil fpricht er aber nicht immer unmittelbar au8, fonbem
befonberg gerne fo, bajj er bie Sinbrücfe, welche bie Sreiguijfe
unb Vorgänge auf bie augenjeugen unb bie Vetfjeiligten machen,
angiebt ober, wie bie nteiften alten ^iftorifer, ben §anbeluben
Sieben in ben SJlunb legt, worin ber ©chriftfteßer bie ißerfonen
feine eigenen Smpfinbungen unb ©ebanfen augfprechen lögt, ©o
jeigt er bag innere Seben in ben Vorgängen unb Sreigniffen auf
unb jieljt ung mit hinein in ben glufj ber gerichtlichen Bewegung.
3n biefer $urcf)bringung beg ©toffeg mit perfönlichem fieben
offenbart er bie Xiefe feiner SDtenfchenfenntnijj, er lieft in ben ©eelen
bet hanbelnben ^ßerfonen, uub ganj befonberg bag Verbrecher if che
unb Vöfe oerfolgt et in feine oerborgenften liefen, ©o wirb er,
wie Slanfe fagt, jum ^ßf^cgologeti beg Verbrecheng. 33abei picht
er an paffenben ©teflen in ben ©ang ber S)arfteßung inhaltfchwere
©entenjen ein, welche bie SBelterfahrung unb Sebengweigheit
ihm an bie §anb geben.
(S84)
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37
$iefe fubjeftioe Färbung nun, welche Xacitu« feiner £ar»
fteQung terleifjt, rooburcf) er ben 2efer fo gewaltig ergreift unb
mit fortreifjt, ift neuerbing« oielfad) angefoc^ten, unb e« ift
gerabeju ÜJiobe geworben bei gewiffen ©eiehrten, (namentlich
Ä. ©taffr, Ä. greptag, ©filier), an Jacitu« ju mäfeln
unb ihn hcr^ufelen «inen oerbiffenen ^arteimann ton
befchränftem SBlicf, ohne öerftänbnifj für bie SGÖirflic^feit,
ohne ©elbftänbigfeit ber gorfchung unb ohne fidjere« Unheil,
erfüllt oon rhetorifchem ^BaUjo«. Namentlich feine 3>ar»
fteQung be« Xiberiu^, fagen fie, leibe fehr an aüen biefen
SNängelti. hierauf mögen nach unferer eingeheitben Darlegung
be« 3nhalt§ unb be« ©ang« feiner ©efdjichtäwerfe noch folgeube
©emerfungen geftattet fein. £acitu« wiQ erften« nicht ©efdjicht«*
forfcher, fonbern ©efcfjichtäfchreibet fein; er fchreibt ferner nicht
Sulturgefchühte, fonbern politifdje @cjd)id)te. 2Ba« au« bem
Nömerthum geworben ift, ba« wiQ er feinen 3eitgenoffen unb
ber Nachwelt jeigen. Unb wenn er in feiner Äunft, bie »er*
borgenen ©eweggrünbe ber ^anbelnben ju erforfcheit, manchmal
$u weit geführt worben ift, fo giebt er anbererfeit« in beut
©efdjichtSftoff, ben er un« oorlegt, ooQftänbig ba« SNaterial an
bie $anb, falfdje Zuffaffmtg unb übertriebene Urteile jurecht>
julegen (Nanfe). S35a« insSbefonbere ba« Sharafterbilb be«
Jiberin« betrifft, fo müffen wir jugeben, bafs h*er manche« nicht
jufammenftimmt. SBenn wir bie lebten fchlimmen feiten biefe«
Staifer«, bie oielen ©luturtheile gegen Niänner ber alten ©efdjlechter
unb bie Zugehörigen be« ©ertnanicu« betrachten, fo fönnen wir
bie menfchenfeinbliche graufame Natur be« $errfcf)er« nicht
oerfemten. 2Benn aber lacitu« anbererfeit« in feiner früheren
Negierung biefe böfen ©eiten nicht fo h«oortreten fie^t, wenn
er Söbliche« unb Süchtige« an ihm anerfennt, fo finbet er nur
einen SSeg, beibe« in einer ißerfon ju erflären, batnit nämlich,
baff biefer Negent oott Znfattg an ein ooQenbeter Heuchler
(885)
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38
gewefen fei, unb oon biefem ©efichtlpunft aug beutet er nun
aflerbingg mancheg, mag unanfechtbar ift, ing ©glimme unb
wirb bem SJZann nicht ganj geregt, oon bem Stanfe fagt: ein
grofjer ÜJZann tnar er nicht, aber ein geborener ^errfdjer.
fragen mir nad) ber potitifchen ©efinnung beg Xacitug, fo ift
er feinegmegg, wie man wegen feineg Jtjrannenfjaffeä annehmen
möchte, $emofrat, fonbern ein Sereljrer ber attrömifdjen Ärifto*
fratie, welche lugenb unb @^re mit SBeiSfjeit gepaart $ur Sticht*
fchnur nimmt unb aHeiu ben Stufen beg ©emeinwefeng im Huge hat.
3wat haben bie 3C* tocr^ä I tn iff e bie SJZonarchie jur Stothwenbig*
feit gemacht; eg lag im Sntereffe beg griebeng, fagt er, bafj bie
SJtacht (Sinent übertragen mürbe. 2t ber immer ift bie greiljeit eine
SRacht, mit welcher bie ©ewatt ju rechnen hat. Sn bem ÜBiberftreit
beiber wirb ber Sbte unb Stedjtfchaffene jmifchen fchroffer
SEBiberfpenftigfeit unb würbelofer Untermürfigfeit bie rechte SRitte
finben müffen; er wirb bag ßwecfmäfjige mit bem (Shrenljaften
oereinigen, in 2tmt unb Seruf bag befte wirfen, bem ©chicffat
nicht in ben 2lrm greifen, bag Stab ber $eit nicht jurücfbrehen
motten, aber wenn bie ©ettatt ihn bie gerabe Sahn nicht mehr
wanbeln lägt, mit ®hren $u fterben wiffen.
®iefe Stefignation ift eg auch, welche Xacitug in Sejiehung auf
ben ©ang ber 2)inge in ber SBelt beobachtet, auf welche feine SGBelt*
anfchauung hinaugfomntt. (Sr fann fich beg ©angeg, ben bie römi*
fchen (Dinge genommen haben, nicht freuen, eg finb büftere trübe
Silber, welche bag 2luge beg Patrioten ju fehen befommt, unb eine
befriebigenbe Söettanfchauung, ein freubigeg Sertrauen auf eine
gütige Sorfehung ift hierbei faum möglich. @g hat ihm niete
ÜJtühe gemacht, ben testen ©runb ber ®inge unb ber ffint*
wicfelung ber üJtenfchengef Richte, bie SJiögtichfeit eineg % ©in»
greifeng ber ©ötter in bie ©reigniffe ju begreifen. @r fragt
fich, ein Serhängnifj unb eine unabänberliche Stothwenbigfeit
ober ber gufatt bie SBelt bewege. @r fennt bie fiehre ©pifurg
iMO)
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39
unb bie ftoifche ^g^ilofop^ie, bon welcher jene bie ©ötter in
feliger SRufje, unbefümmert um ben SBeltlauf in unerreichter
$öf)e thronen läfjt, biefe bie ©ottheit als bie SBernunft in ben
gingen begreift, aber er befennt fidj ju feiner bon beiben aus-
brücflich, er bleibt auf bem ©oben ber heimifdjeit ^Religion fteljen,
er (eitet ©reigniffe bon SBidjtigfeit unmittelbar bon ben ©Ottern
her, er fpridjt bon ihrem $om unb ihrer 9ftadje. SSenn er aber
auch ber öolfSthümlid)en Meinung folgt, bafj bei ber ©eburt einem
Seben fein SebenSweg beftimmt fei, bie ©ötter alfo eigentlich bie
SoHgieher be$ gatum finb, fo miß er hoch bie Serantwortlichfeit
ber menfdjlichen $anblungen nicht leugnen: mo bliebe fonft baS
Serbienft ber Jugenb? ©eine ganje ©efchichtfchreibung läuft
bielmehr auf ben ©a$ h*nQUg: bie SBeltgefdjichte ift baS SBelt*
gericht. 3)ie SBerfehrung ber natürlichen Orbnung unter ben
äRenfchen ^at bie ©chale be$ göttlichen 3orneg öoß gemacht,
bie Seichen ber $eit weifen hin auf baS brängenbe Serhängnifj
beS Reiches. ®iefe 3eühen 3“ beuten unb bamit feiner 3e*t
unb fommenben ©efchlechtem eine SBarnung 3U geben, wie fie
bem jufiinftigen 30rn entrinnen foflen, baS ift ber fwh e 23eruf
bee ©efdjichtSfchreiberS.
©nblich bleibt uns noch übrig, bon ber $orm ber 2)ar>
fteßung unb bem ©til beS StacituS ju reben. Sbgefehen bon
feiner ©rftlingSarbeit, bem 3)ialoguS, haben feine Schriften eine
gan$ auSgefprochene ©igenart, mit ber ©infchränfung, bafj bie
boßenbete SReifterfchaft in bem fpäteften SBerfe, ben Annalen, am
reifften fich funbgiebt. @8 ift im aflgemeinen ber ©h^after beS
ffirhabenen, welcher feine Schreibart auSjeichnet, nicht bie fchlichte
einfache Srt ber ©rjäljlung, fonbern bie gewählte, rebnerifche unb
poetifch gefärbte 3)arfteflung. @r geht überaß in bie Xiefe, er fchlägt
überaß ben boßen STon ber ernften ©ebanfen unb ber moralifchen
©mpfinbung an. @r wiß nicht ergäben unb unterhalten, er wiß be*
lehren unb ergreifen, jur Söewunberung unb 3um Unwißett hinreifjen.
(897)
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Auch im ©ingelnen oerm eibet er alles ©eroöhnliche unb
Alltägliche, er fudjt forgfältig bie ©orte unb ©ortoerbinbungen.
©r ^at uiele neue ©Örter befonberS aus ber 3)ic£)terfpra<f)e auf-
genommen; anberen giebt er neue inhaltooGere Sebeutung. @r
ift reich an bilblichen AuSbrüden unb ©enbungen, welche bem
Sortrage ©chwung unb ©arme »erleiden. JhinftDoO ift bie
©ruppirung ber ©lieber ber Siebe, eine befonbere ©tärfe bot
er barin, bie ©egenfäpe hertwrgupeben unb aufeinanberftofjen
gu laffen. @r ift ein geinb ber Siebfeligfeit, Diele ©orte macht
er nicht, eher gu wenig, ©ie feine ©ebanfen ernft unb Doll
unb tief finb, fo foOen fte auch mit ber inhaltooOen ©ucfjt
fnapper, gebrängter friirge pacfen. Um gefällige SBerbinbungen
ber ©apglieber unb ber ©ä|e ift eS ihm nicht gu tbun, er läfjt
SBinbeglieber unb leicht gu ergängenbe Xbeife beS ©ajjeS gerne
au4, er gebraucht gerne für mehrere ©apglieber unb Derfchiebene
©ubjette baS gleiche ^Bräbifat, er brängt in ein ©ort eine ®e*
bantenoerbinbung gufammen, bie mehrere ©orte erforberte. ©r
!ann fchwierig, hart unb bunfel fein, aber er ift nie langweilig
unb gewöhnlich-
©o erfcfjeint uns ber ©efc^ic^tft^reiber, auch wenn wir ihn
in bie ©erlftatt feiner Arbeit begleiten unb in ber Ausarbeitung
beS ©ingelnen beobachten, burchauS als eine Dolle eingigartige
Sßerfönlidjfeit, unb wir fönnen nicht beffer fcf)Iiefjen als mit ben
©orten SRanfeS: „@r behanbelt baS überlieferte ÜKaterial wie ber
Hünftler feinen ©toff, unb über baS ©ange ergiegt er ben ©trom
feiner SBerebfamfeit, welche alles gu einer geiftnährenben ©e>
ftaltung umfdjafft, er ift ebenfo unabhängig Don feinen 93or-
bilbern, als unnachahmlich, ein SRufter AOer, bie oor ihm unb
nach ihm gefchrieben hoben."
lS8*i
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fntfl fflorilj Arnbt.
S3on
Dr. gaßoß laouer
tu fRainj.
.Hamburg.
SSerlagöanftaft uttb 5Driitferei (üormalS 3- g. SRidjter).
1891.
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2>a3 9?ed)t ber Ueberfefcung in frembe ©proben wirb »orbe^alten.
Xrud brr SBrrlagianftalt unb Xrutfrrei flcIim-VrfrQMaft
(boroiatb 3. Sinter) in (lamtmrg.
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Dorf) wie fid) auch gfftaltcn im £tben mag bir 3fit,
3)u iolfft mit nicht ocralttn, o Itaum ber <jmlid)ftit.
36t Sttrne leib mit StUflfn. bie ruhig nithrrfdjau’n :
„4ikini allf Stilbet fchmtigtn unb faljctjcn (höben trau’n,
3d) min mein ffiort nicht brechen, nicht Silben metben gleich.
Still prebigen unb fprechen uon liatfer unb bon Seich!
(Sebenfenborf.)
2Öenn mir, gliidlidje ©pigonen, Dor unferem geiftigen
Stuge bie erljebenbe $eit ^er ©efreiungSfriege »orüberjte^en
laffeit unb fid) bann im leucfjtenben $intergrunbe bie erhabenen
§elbengeftalten abljeben, bie bamalS mit intern 93Iute für $eutfd)-
laitbs ®inf)eit unb greiljeit eintraten, bann gebenfcit mir aud)
gerne unb mit banferfiifltem fjjerjen jener mutigen Serfecfjter,
bie in SBort unb ©d)rift fiif)n gegen ben fremben Jpramten
auftraten unb burdj i^re begeifterten ©efänge bie ©emütljer
beutfdjer 3«nglinge unb 2Wänner jur 33ertl)eibigung beS tljeuren
$8aterlanbeS entflammten. SBir gebenfen itjrer mit einem ©efüfjle
ber Sßietät unb SRüfjrung um fo mef)r, als eS if)neit nidjt Der-
gönnt mar, bie grüßte ifjrer Slnftrengungen, il)rer |>elbenfämpfe
ju flauen, ©ie ftetjen Dor uns mie SDiärtprer einer heiligen
©ad)e, umfloffen Don ber ©loriofe unDergänglidien .fjelbentfjumS,
als bie tapferen, utterjdjrodenen Sorfampfer berjenigen ©üter,
bie mir nad) langem ©eilten unb $arren, nach langem SRingen
unb Stümpfen enbtidj ermorbeit babeit. Unb fo merben bie
9tamen eine« Strnbt, eines ©djenfenborf, Xljeobor Äörner,
Sammlung. S. g. V. 120. 1* (891)
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4
fRüdert imb Ußlanb unfterblidj fein, folange noch ein ^eutfcßer
ftcß beutfcß fühlt, ficf) bonfbar erinnert feiner großen ©efcßichte
unb ber gelben, bie cS ermöglicht, baß mir im Sorbeerfdjatten
eines großen, herrlichen, einigen ®eutfdjen SleicßeS wohnen unter
bem ©cepter eines mächtigen ©cßufc unb $ruf} gewappneten
KaiferS, beS berufjigcitben |>orteS gefegneten griebenS.
2Rit erhöhtem ©tol^e, mit gehoppelter greube blidect wir
jeßt wieber auf 2)eutfchlanbS feßönften ©trom, ben ber beutfdje
Slrtn aufs neue mannhaft befdjirmt, aufs neue ben gierigen
Krallen beS weiften SlblerS entriffen.. ,,©ie foßen ifjn nicht
haben, ben freien beutfdjen Schein !" fo feßoß eS aus ber Keßle
eines einfachen ©eridjtfcßreiberS SRüofauS SSecfer 1840, ben
(SroberungSgelüften granfreicßS gegenüber, unb : „geft fteßt unb
treu bie SSacßt am fRßeinl" brauftc eS im einftimmigen ©cßlacht=
gefang im rußmooßen gaßre 1870.
SDocß öergeffen mir babei meßt beS treueften „SBädßterS am
fRßein", beSjenigen waderen SaterlanbSfreunbeS, ber juerft in
einer füßnen Schrift ju 3e*ten öon ©eutfcßlanbS tieffter @r>
niebrigung betonte, baß ber fRßein 25eutfcßIanbS ©trom, nicht
SDeutfcßlanbS ©renje fei, — oergeffeit mir nicht beS oerförperten
beutfehen 2RanneSibealS in — ©rnft 3Rori| Ülritbt.
Kein wahrhaft ®eutfcßgefinnter wirb baffer ben herrlichen
©trom befahren fönnen, ohne ooß 2)anfbarfeit unb fRüßrung
ben ©oben ju betreten, ben bie gußtapfen biefeS ©iebermanneS
geheiligt; benn nach beS ®icßtreS ÜluSfprucß ift „bie Stätte,
bie ein ebler fßienfcß betrat, geweiht", ©o laßt mtS benn
junäcßft in ber freunblichen SRufenftabt ©omt baS einfache
©artenßäuScßen befueßen, barinnen ber flßrtaeuS beutfeßer grei-
ßeitSlieber gewohnt. ÜJiit ©ßrfureßt wanbeln wir in ben fleinen
fRäumen, bie einen großen 2Rann mit einer SBelt großer ©e-
banfen unb heiliger ©efüßle beherbergten. Unfer ©lid faßt auf
beS hoßen ©erblichenen ÜobtenmaSfe , auf feine ©ppsbüfte; ju
(892)
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5
ben fröftigen marfigeit 3ügf« paßt ber berbe ßnotenftocf, ber
ben riiftigen SBanberer, ber ©äbel, ber ben mutigen ©ater*
lanbSoertßeibiger uergegenrocirtigt. daneben gewähren roir bie
rooßlbefamtte fräftige |>anbfcßrift in einer fleinen ©ammlung
oon ©riefen. ©ecßt« in ber @cfe fteßt ein alter ©effel, auf
bem fein befter greunb greißerr ». ©tein feine eble ©eele
auSgeßaucßt, — eine tßeure Reliquie ! 9?ocß einen SBlict roerfen
roir »om ©alfon auf bei $icßter8 SieblingSftrom. ©obann
brängt e§ uitö, bem ©tanbbilbe VlrnbtS auf bem „alten
3oÜ" einen ©efucß abjuftatten. üöiit einem ©efüßl ber ßöcßften
©ereßrung rußt unfer ©lief auf ber aus @r$ nacß SlfingerS
SKobell gegoffenen, gebrungeuen ©eftalt im beutfcßeit fRocf mit
ben jufammengepreßten Sippen unb ber geballten Sauft, bie auf
einem Sicßenftamm rußt, roäßrenb bie recßte §anb auf feinen
Sieblingäftrom, ben ©ßein, ßinmeift. 9ll£ gnfeßrift lieft man
außer feinem 9?amen bie SBorte: „®er Üißein ®eutfcßlanb3
©trom unb nicßt ®eutfeßlanb§ ©reuje!" — unb au§ feinem
ßerrlicßen ©atcrlanbSlieb: „3)er (Sott , ber Sifen macßfen ließ,
ber rooHte feine Äneeßte!"
Sträumenb unb finnenb ftcßen roir ßier am ©tanbbilbe beS
beutfcßeften aller beutftßen SUiänner unb blicfen ßinab auf bie
griinlicß feßimmcrnben SBogen be£ SRßeinS. ©or uns liegen im
blänlicßen ®ufte bie romantifcßen „fiebert ©erge", oott freunb*
licßem Sicßte ber milben £>erbftfonne beftraßlt; fiißn erßebt ber
$racßenfel8 fein jerriffeneö |>aupt, um baS bie fernen tlbler
freifett, recßts romft ©obeSberg unb in ber gerne jRolanbäecf
unb fcßaut roeßmiitßig roie ein ©cßatten »ergangener ©itterjeit,
»om ©tßimmer ber ©age umrooben, ßinab auf bie 3uflucßt8«
ftätte »errounbeter ©eelen, auf bie ItebooH »on ben Firmen be§
SRßeinftrom3 umfcßlungene frieblicße 3nfel 9tonnenroertß. ftier,
roenit unfere trunfenen ©liefe über bie ßerrlicßen beutfeßen Sanbe
feßroeifen, bie ber ftarfe beutfeße Slrnt auf^ neue »or ben
(893)
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6
(SroberuugSgeliiften beS neibifdjen, weiften StadjbarS befc^ii^t
hat, hier gebeuten wir gerne unb uoU bantbarer S3eref)rung beS
großen SJtanneS, beffeu fdjönfter ,3utunftStraum bie 33erwirf*
lidjung ber fi'aiferibee, beffen 3beal bie Sinfjeit unb ©röße beS
beutf^en StkterlanbeS war. 0 wenn fein feliger ©eift je|t
fjerabfdjauen fönnte aus ben SBolfen auf baS einige, große unb
mächtige 23eutfd)lanb, ba würbe nidjt mc!jr fdjmerilidj fein
ÜTCottjruf erfüllen, ber fich ifjm in ber 3e*fc bet größten 3err*ffen*
^cit unb Zerfahrenheit ber beutfcfjen Station entrang, ber Siottjruf :
„2BaS ift beS SDeutfdjen SBaterlaub?" — Sioch ift freilich
nicht alles erreicht, was ber Säuger begeiftert auSruft, bod)
fommen wirb einft ber $ag, wo alle Sanbe beS ißartitulariSmuS
fallen, wo alle eigennüfcigen Sonberintereffen fdjwinben, wo fidj
alle beutfdjeit SBolfSftämme wie Sörüber an baS $erj ftnfen.
SDaitu wirb eS ertönen in braufenbeu SIccorben oom Stljein bis
3um fernen SDtemelfluß, an ber SJtorb- unb Oftfee:
©o »eit bie bcutfdje 3un8e Hingt
Unb ©ott im $>immet Sieber fingt;
880 ßibe frfjroört ein 3)rucf ber |>anb,
880 Sreue tjeß oom Äuge bfifct
Unb Siebe »arm im feigen fifct;
3Bo 3orn oertilgt ben metfdjen £anb,
38o jeber granjmann Ijeißct fjeinb,
8B0 jeber ©cntfdje tjeifjet ftfreunb, —
3>aS foB e« fein, baS joU eS fein,
33 aS ganje 3)eutfd)tanb foB e8 fcinl —
®ieS Sieb f)at wunberbar in allen beutfdjen $erjen gejünbet,
eS ift jum Politiken ©laubenSbetenntniß geworben unb wirb
immer wieber mit neuer öegeifterung gefungen: „S3JaS ift beS
®eutfdjen SSatertanb?" — 3a wir wiffen eS jefjt, wir flauen
nidjt rneljr auf ber ftarte ein buntes ©ewirr oon Staaten unb
Stätdjen, wir fe^en, wie eine garbe bie ©renjlinie oon ber
SJtofel bis jum SJtemel, oon ben Sllpenfetten bis jum SBelt um=
giebt, ein ßerrlidjeS Sanb mit einer giiHe prächtiger Stromgebiete
(8M)
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7
mit rei*enben, lacfjenben Ufern, ein £anb, baS eine reiche rühm*
öoKe ©cfchichte hat, citt £anb, baS trofc ber SDfannigfaltigfeit
ber $ialefte unb Sitten fid) eins fühlt in bem hohen ©ebanfen
ber ©inljeit unter bem fräftigen Scepter eines jugenbticfjen
ftaiferS, bem mannhaften Schiifcer unb Schirmer ber NeidjS*
grenzen, — ein £anb, beffen SBewohner in ßeiten ber ÄriegSnoif)
roie ein ÜJiann jufammenfteljen, ein £anb, baS im grieben bie
grüdjte eblen ©ewerbfleipeS, beS |>anbelS unb ber ftuitft jeitigt,
wie fein anbereS, ein £anb enblitfj, in bem mir öod S3e--
geifterung unb fiiebe unfere £>eimatf) erfennen. ®atum ^inmeg
mit allen ffeinlic^en Nörgeleien, ^tnmeg mit adern SORifjtrauen
unb Slrgwohn, — fobalb eS fid) barum fjanbelt, garbe ju be=
fennen, rufen mir wie aus einem SDtunbe:
3>a8 ganje Seuticblanb fotl e$ fein! —
D Sott »om glimmet fiel)' borcin
Unb gicb un3 rechten, beutfcben 2Ruth,
®aß mir e§ lieben treu unb gut.
®a$ fotl e$ fein, ba3 fott e$ fein,
®a8 ganje ®eutfd)fanb fotl e8 fein!
(Sr n ft SBtorifc Slrnbt würbe am 2. SßeihnachtStage 176£
in Sdforifc auf ber bamalS fc^webifc^ett gnfel fRügen geboren,
in bemfelben gahre, als ber ftolge itorfe, fein größter ©egner
Wä£)renb feines ganzen fiebenS, baS £icht ber SBeft erblicfte.
Sein Sßater, ein waeferer 2Rann Don altem Schrot unb Sforn,
war eigentlich ein greigelaffener beS ©rafen ißutbuS unb ©uts*
Verwalter. Seine Söiutter fcfjilbert ber dichter mit folgenben
Werfen:
Unb in beS §aufe$ ®bnn ftanb
ffiiit SBeib roie her au8 fernem £anb;
9Kit blauen 2lugen gleich §intmel8fd)ein
©d)aut’3 in ba$ Senjgemimmel hinein,
<3ab freunbüd) au? unb gar betreiben,
SBie ©ngel fid) in ®emulh fleiben,
Cft auch bie läctjelnbe ©eberbe
Sie fenfte halb jur grünen @rbe.
(895)
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8
©o wu<h« unfer Arnbt aus einem urgefunben beutfchen
$ünengefd)te(^te in ber forgfameit ©rjiefjung brauer unb ge*
bilbeter @ltern, umgeben oon ber fc^orfett Sörifc norbifcher
-Seeluft al« ba« jweite »on ad)t Kinbern hera» unb geben?!
nocf) im h°he» Alter mit ©ärme feiner ungebunbenen, glücf*
fielen 3ugenb. 3n feinem fiebenten Saljre fam er in ba« nahe*
gelegene Eumfewifc, wo fid^ fein Vater ein Sauerngut gepachtet
hatte. fpier erteilten bie (Sltern bem Knaben ben erften Unterricht,
beim eine ©dfule gab e« ba nicht. fpier würben bie jungen
tüchtig gegen ©inb unb ©etter abgehärtet, mufften ^atb naeft
bie ißferbe in bie ©chwemme reiten, faßen be« ©intern leicht*
betreibet in ©glitten, unb warf ber Vater abfichtlich ben ©dritten
um, bann mufften fich bie Knaben ladfenb au« bem ©chnee
hertwrarbeiten. ®a« war alfo echte fpartanifche Streifung,
©pater erhielt (Srnft £au«Iehrer, unb bann fam er in bie
©cfjule ju ©tralfunb, in beffen ÜJiä^e fich fei» $ater ttieberliefj.
£>ier erhielt fich ber unoerborbenc 3unge inmitten ber Ver-
fügungen locferer Kameraben, bie ih» wegen feiner länblichen
Vlöbigfeit »erfochten, bie Unfchnlb unb Unentweihtheit feiner
©eele. 0ft jügelte er feine jugenblidf feurige ^ß^antofie burch
förperliche ©rmübungen in ©alb unb ^lur, am ©tranb unb
in beu ©ogen be« 9J2eere8. Sion eiiiem unbeftimmten, aber
buch unwiberftehlichen ©anbertrieb in einer 3eit »on AbfcE)ieb«-
feierlichfeit mehrerer Abiturienten urplöfclich ergriffen, wie wenn
er einem Seben üoH Summefei unb Verweichlichung mit aller
©ewalt entrinnen wollte, ergriff er einft beit ©anberftab unb
marfdfirte rüftig auf« ©eratljewohl in bie ©eit hlinein. 3)ie
erfte 9lad)t fchlief er auf bem fieuboben eine« ©chäfer« unb
wanberte am anbereu Sföorgen läng« ber 'ijkene hi»- Auf allen
fftitterfijjen uub ^ßachthöfen bot er fich »13 ©etretär an, bi«
fich ein menfcheufreunblither ©ufolferr für ihn lebhaft intereffirte
uub feine |>eimfehr oermittelte. £ort warb er ohne Vorwurf
(996)
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empfangen unb bereitete fic§ in ber ©tiöe jum ©tubium oor.
3nt 3af)re 1791 bejog er bie Unioerfität ©reifSwalb, bann
3ena, um Dljeologie ju ftubiren. Dodj fonnte ißn ber bamalige
nüchterne Xon biefer SBiffenfdjaft nicf)t erwärmen. Obmofjt er
fein ©jameit gut beftanbeu unb mit ®rfolg geprebigt fjatte,
jog er ein Sßanberleben einer fetten ißfrünbe, bie iljn ju Sügen
erwartete, oor. @r jog gu guß, ju ©ciff unb Söagen burdj
bie SSelt, lernte Ungarn, Cefterreidj, 3talien, Söelgieit unb
fwllanb fennen unb fefjrte nad) l1/* Sauren in bie Jfpeimatlj
juriicf.
3m 3af|re 1803 finben wir ißn in ©reifSwalb, wo ißm baS
©djicffal ein treues äßeib, bie Dodjter eines bortigen ißrofefforS,
belieb unb halb barauf eine ißrofeffur ber @efcf)idjte. Seiber
genoß er nid)t lange fein IfäuSIidjeS ©lüd; unerbitterlidj riß
ifjm ber lob bie geliebte ©attin oon ber ©eite, nacf)bem fie
if)ti mit einem ©oljne befd)enft ßatte.
Snjwifcßen war eine fdfwere $eit über ®eutfd)lanb an*
gebrochen. 2lrnbt hatte auf feinen Seifen bie ©djladjtfelber ber
fiegreidjett franzöfifdjen SeootutionSf)eere unb bie ber erften
föelbentljaten SonaparteS gefcfjaut. Surj nad) feiner Slbreife
oon ^SariS war bort ber leudpenbe ©tern beS führten ftonfulS
unb SaiferS aufgegangen.
Obwohl ficß 2lrnbt ber SBewunberung für biefen großen
gelbßerrn nidjt oerfctyließen fonnte, fo fjaßte er bod) ju fefjr
ben Despotismus, unb barum waren feine erften feilen S« feinet
Scfämpfung beftimmt. Unb war er beit ^ranjofett fcfyoti früher
gram ißrer SÖiorbbrennereiett wegen, bie fie in ber ißfalz oerübt
Ratten, fo erfaßte ifjn ein tiefer ©roß gegen ben Dtjrannen,
ber über Deutfdjlaitb bie größte ©dpnadj oerljättgte. SllS er
nun gar mit Ijöljnifdjer DeufefSfauft bie alte £>errlidjfeit beS
Deutfdjeu SeidjeS zertrümmerte, ba faunte fein ßorn feine ©renjeit
me^r gegen bie übermütigen, f}abfüd)tigen Unterbrücfer, bie
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feit 3afjrf)unberten an ber ßerftiicfefung mtb Schwächung unferes
beutfdjen ©aterfanbe# fpftematifch arbeiteten. Unerfchrocfen unb
offne ©djeu ^ieft er ber beutfdjen Nation, ein groeiter 3>e-
mofthene#, bonnernbe ©trafprebigteu. ©or feiner erften ©chrift :
„lieber bie greifjeit ber alten SRepublifaner" ftanb bas( (au#
©opboffe# entlehnte) ÜJiotto: „SBem gurdjt öor 3eraanb feine
3unge fcfjfieht, ber bünft ntid; ber ©d)litnmfte nun unb immer!"
3n feiner brei Sahre fpäter, 1803, erfdjicneneti ©djrift: „©erfucf)
einer ©efchidjte ber ficibeigenfc^aft in Üßommern unb SRiigen",
prebigte er gegen bie ungerechten ©ebriicfungen ber Sunfer, bie,
wie er an ber fjaub ber ©efchidjte nachmie#, in ben lebten Safjr-
hunberten immer mehr jugenommen hotten. SDaburch oerbiente er
ficb bei ben ©bedeuten feinen 5)anf, im ©egeutheif, fie nannten
ihn einen £euteoerberber unb Sauentaufhejjer, ja fie oerflagten
ihn fogar bei bem Äönig ©uftao IV. oott ©djweben, bah er in
majeftät#befeibigenber SBeife beffen ©orgänger oerunglimpft habe.
Qnfofgebeffen warb Slrnbt, ber ©erfaffer, oon bem ©eneral-
gouoertteur oon Sommern §ur ©erantmortung nach ©tralfunb
gefaben, $ier rechtfertigte er feine Steuerungen mit SBafjr*
heitsbeweifen berart, bah ber Äönig fefbft jugeftanb : „3a, wenn
bem fo ift, fo hat ber ÜJlann recht!" — Unb e# mürbe bem
fühnen ÜJlann nidjt nur fein §aar gefrümmt, fonbern er erlebte
fogar bie ©enugtfjuung, bah ber Sfönig halb barauf bie Seite*
cigenfchaft aufhob.
3n bemfelben Qahre erfchien auch feine ©d^rift : „©er-
manien unb ©uropa", worin er SRapofeon unb bie fjranjofen
af# bie Urheber aller ®rangfat in ©uropa h>nfteßtc, ein ©or*
bote feine« gewaltigen SÖSerfeS : „®eift ber 3eit."
3njwifchen oerbüfterte unb bebrohte ber länberöerfdjfingenbe
Sprache immer mehr ben europäifchen fporigont. SRapofeon hatte
fidj bereit# auf ben Staifertfjrou ffranfreich# gefegt unb mit ben
frechen ©Sorten fich bie eifertte Steone Stalien# hin3u9cfbgt-
(898)
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„®ott hat fie mir gegeben: mef)e bem, ber fie antaftet!" —
Unb in hünbifdjer llntermiirfigfeit famen (Jitropal dürften ge>
frodjeit unb überhäuften if)tt mit unmürbigen ©dmieidjefeien unb
3)eforationen. SBcld) entehrenbel ©chaufpief! ©o füjjt matt bie
Jpanb bei Unterbrücferl. 3n fchamfofer £>eud)efei trat ber
grofje ©djaufpiefer all 93ölfcrbefreier unb (Srlöfer auf bie 2Beft-
bühne, um bie noch allenthalben blühenben Seheitloerhältniffe
aufjuheben, — bie »erblenbeten SDienfchen Oerehrten ihn mie
einen Slbgott, fie fahen nicht, bafj er fie non „hänfenen geffelu
befreite, um ihnen fchtuererbrüdenbe eiferne Setten" aufjuerlegen.
©chon fange mar bal Slnfehen bei faijerfichen Slameul unter-
graben, nicht ohne Sßerfchufben ber £>ab!burger, bie mehr an
bie Sergröfjerung ihrer ^aulmacht, all an bie SSohlfaljrt bei
S)eutfd;en fReidjel buchten. Diel machte el einem Slapoleon
leicht, bie oöHige Sluflöfung bei Deutfdjen iJieidjel herbeiju-
führen. ÜJiun benufcte ber fdjlaue 9iän!efchmieb einen nrgliftig
gegen Deutfchlanb bei SIbfchfufj bei breiffigjährigen Sriegel ge-
planten f^affftricf, — bie Freiheit nämlich einzelnen bcutfchen
gürften mit aulmärtigen Mächten ©ünbniffe abjufdjliefjen, unb
brachte beti oerrätherifdjen SRhctnbunb unter feinem ©djube ju
ftanbe. Grtmal SRieberträchtigerel fennt fauin bie 2Beltgefdjid)te
all bie Schmach, mie bie beutfchen Sanbelöerräther ihren 3ubal>
lohn in Diteloerleihungen unb ©ebietlermeiterungen aul ber
§anb bei granjofenfaiferl empfingen. ÜÖJit fchneibenbem §ohn
fonnte bicfer jefct fagen, bafj er ein Deutfchel fReich nicht mehr
fenne. 3U ©efterreichl Demütigung trat nod) feine oöCfige
Sefiegung 1805 hinju. 9?u n galt el s$reufjen.
§ier fafj ein mtlber Sönig, fjrtebrich SBilhelm III., ber
aber einftn SRapoleott nicht gemadjfen mar. Sieben ihm ftrahlte
unb feuchtete ein SBeib uoEf feftcner £)ofjeit, Königin üuife.
Doch alte oerrottete .guftänbe im Srieglmefen, föeoorjugung bei
2lbef! unb Qrntrcöhnung öon friegerifchen ©trapajen führten
C8»9)
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Preußen« gaü bei Sena unb Sluerftäbt herbei, unb mit iljm
lag $eutfcf)!anb gefnedjtet ju be« Torfen güßen.
3njwifd)en war Slrnbt nadj ©reifswalb jurüdgefehrt , wo
ifjni ein ®ueü mit einem ftfjroebifchen Offizier, melier non ben
$seutfd)en oeräd)ttich gerebet ^attc, beinahe ba« 2eben gefoftet
hätte. Sftod) mehr Kühnheit aber bewie« er burdj bie $erauS-
gäbe be« mit glammenbuchftaben getriebenen SSerfe«: „©eift
ber 3e>i", worin er bem fremben Unterbrüder ben ffrehbehanbfchuf)
fjinfdjleuberte, fowie feiner eigenen gefned)teten Nation ben (Spiegel
ihrer Schmach unb (Sdjanbe oor^iett. Hber nic^t nur al« „patri*
otifd>er ©ußprcbiger" trat er auf, fonbern auch als begeifterter
'-Prophet, ber ben batbigen Sturj beS franjöfifdjeu Kaiferreid)«
unb bie 2Jiorgenrött)e ber beutfd^en Freiheit oorijerfagte.
®iefe Schrift bewies in einer 3e*t, too Btapoleon ben
öud)£)änbler Sßalm wegen S3erfanbS einer gegen tf)n gerichteten
Schrift unb in einem ©renjlanb ben uttglüdfidjen ^rinjen »on
©nghien hatte erfdjießett Iaffen, oon $lrnbt bie größte Kühnheit,
Junta! ein geheime« 9ieh ber Spionage fid) ttm ganj JJeutfdjlanb
fchlattg. ®en beutfchen dürften wirft er ihre Kriecherei unb ihren
Sanbeöoerrath, allen Stäuben ihre Siinben oor unb prebigt ©n*
fef)r in fich fetbft. ®ie fcheinbaren Sßölferbcfreiungen ber granjofen
unter bem 2>edmantel ber Humanität, in SBafjrheit aber ihre »am-
pprartigen SluSfaugimgen eutlarote er auf baS ScfjonungSlofefte.
„3h* alfo/' rebet er bie fffranjofen an, „ihr feib baS
würbige S3olf, ihr, bie ihr @uropa um feine fdjönften $off*
nungen betrogen habt, ihr wollt bie öeglüder unb Herren
Slnberer fein, bie ihr wieber bie friedjenbften unb efenbeften
Sffaoen eine« Sinjigen geworben feib, ber euch burch feine
ebleren Künfte befjerrfdjt, als burdj gemeine 2ift unb prunfenbe
Slefferei? 3hr nennt euch baS große $olf! SEBenit Sänber
auSgeplünbert, Staaten umgefehrt, freie SSölfer unterjocht, alle
Sugenb unb @hrc für ©olb feit haben, groß ift, fo finb
(900)
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»wenig größere ©ölfer gewefen. SBeitn ober 5R e b I i cf; f eit,
Xreue unb ©erecßtigfeit uitb SJfäßigfeit ben SDfenfdjett unb
baS ©olf groß machen, fo fagt eucß felbft, wie flein ißr feib."
25iefe ©pradje läßt an ®eutlidjfeit nichts $u wünfdjcn
übrig; bocfj er fäfjrt in biefem £one fort unb wirft ißneit ifjre
©arbarei, ben firniß ißrer fogenannten ©Übung, ißre SBittb*
beutefei unb Seidjtfertigfeit oor. @r nennt fie fümmcrlidje
SRittelbinger, beiten bie öolle {übliche 9taturfraft ebenfofeßr feßle,
wie bie fcßmärmerifdje ttorbifdje ©emütßStiefe; ißr fünblidfeS
Shrüppelwefen offenbare ficf) in ißrer Älunft, bie ben Slffen,
aber nicßt ben freien 3)2 e n f e u barftelle. „SRidßtS als leerer
©djein," fäßrt er in geuereifer fort, „nicßts als ber feinblicße
©djlangenglaita oon jEugenben, oon welkem ber unüerborbene
SDienfd) ficf) mit Slbfcßeu unb ©djrecfen abwenbet. 0ßne Sie*
ligion, oßne o ef ie, oßtte SEßaßrßeit, $u fcßwad), eud)
ju beffern, $u gebilbet, eures UrtßeilS inne ju werben,
tretet ißr ftolg ßitt, unb fräßet uns Slnberen mit einer beifpiel-
lofen Unoerfdfämtßeit oor, baß mir ungefcßliffene ©cfellen unb
©arbaren feien. SeicßtfertigeS, unOerbefferlidjeS ©efinbel, baS
fcßwaßt, wo Slnbere füfjlen, baS ßüpft, wo Slnbere fteßen,
baS fid) einbilbet ju fein, wo Slnbere finb — ißr ßabt Dielen
fdjönen ©djeiit, ben wir aber oerabfcßeuen müffett, weil er
oßne SSirflidjfeit ift. ©in ©olf, baS alle Sugenben in
bloße 2öor t e überfpielt, baS ficf), Wo Slnbere ßabeit, empfinbeti,
genießen, mit leeren ©cßatten ber 25inge begnügt, ein fo
»ounberbar betßörteS unb betßörenbeS ©olf als bie gran*
jofen fann feinen frifcßen, freubigen ©tod auf bie Süfenfcßßeit
feßett; eS ift ju weit über alle ÜDienf djlicßfeit ßinauS."
$atte je ein ®emoftßeneS füßner unb offener gefprocßen,
als ber liftige ^ßßilipp oon ÜJfacebonien um ©riecfjenlattb baS
©am fefter unb fefter 30g, ßatte je ein (iicero mädjtiger unb
oermegener gebomtert gegen ©atilina, ben ©erfdjwörer, unb
(901)
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Antoniu«? — ®och bie (Spraye wirb nod) breifter, al« feine
Angriffe fiefj gegen ben allmächtigen Äorfen felbft rieten. ®ie
liftige, faltberedjnenbe, graufame ®e«potenuatur biefe« uer«
wegenften oder Ipranneit enthüllt er in erf<hrecfenber fRadtljeit.
©r jeigt, wie er nur jutn ©djeine einige krümmer ber fRe*
publif bemalet , bie eitlen granjofen mit äußerem ©lanje ge»
bienbet unb fä^rt fort: „<£r trägt ba« ©epräge eine« außer»
orbeutlid)en ÜRenfd)en, eine« erhabenen Ungeheuer«,
ba« noch ungeheurer fdjeint, weil e« über unb unter ben
aRenfcßen bjerrfd^et unb wirft, welchen e« nicht augehört. ©e*
mttnberung unb gurcht jeugt ber ©ulfan unb ba« ®otmerwetter
unb jebe feltene ÜRaturfraft, unb fie fatut man auch ©onaparte
nicht oerfagen. . „2)ie ernfte Haftung, be« ©üben« tief oer»
fteefte« geuer, ba« ftrenge, erbarmung«tofe ©emiith be« forfifchen
gnfulaner« mit |>interlift gemifdjt, eiferner ©inn, ber furcht-
barer fein wirb im Unglücf al« im ©lücf, innen tiefer Abgrunb
unb ©crfchloffenheit, außen ©emegung unb ©lißesfchnelle; baju
ba« bunfle ©erfjängniß ber eigenen ©ruft, ber große Aberglaube
be« großen SRenfchen an feine ißarje unb an fein ©lücf, ben
er fo auffallenb jeigt." Al«bann oergleicht er ihn mit bent
alle« oerfchfingenben SBeltmeer, mit ben mämter» unb oölfer»
morbenbeu SBüt^ericfjen 2)f<hingi«han unb Attila.
35aß ©eutfchlanb biefem 9Ranne unterlag, fam einzig unb
allein baher, baß e« fich felbft unb feiner t)<oi)en Aufgabe un*
treu warb, gürften unb Solf fjß&en fi<h gegenfeitig befchimpft
unb oerrathen unb ju Unechten entiebrigt. 25arum appeüirt er
an ihr @hr9ef“^ unb rüttelt fie au« ihrer ©rftarrung unb
Abgeftorbenheit auf. „$t)rannen unb Könige werben ©taub," —
fo fdfließt bie ©trafprebigt, — ißhramiben unb Äoloffeen jer*
bröcfeln, ©rbbeben, ©ulfane, geuer unb ©djwert tljun ihr Amt,
ba« ©roßte oerßhwinbet; nur eine Unfterblicßfeit lebt ewig,
bie SÖahrheit. äöahrheit unb greißeit ftnb ba« reine
(902)
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Element bea Sebena bea göttlichen äRenfdjeit , burdj fic i ft er,
ohne fie nidjta. 3ft nicht alles SB ahn, waa mir feheit unb
empfinbeu, treiben nicht bie Söeften bethört mit ber bethörten
3eit bahin, fann ber treue SBitle nicht öerwunben, fo ^at baa
tüljnfte Söort jeine ©erfölptung. 3d) liebe bie ÜRenfchen."
®iefe Schrift Slrttbta gehört nach bem Urtheite ^äuffera
gu bem Straf tigften unb Ermed uugareichften, waa je
eine beutjdje geber getrieben.
$ah biefe fiihne unb gefährliche «Sprache fRapoleona I)öcf)fteu
©rimm erregen muffte, ift Kar, unb Slrnbt fühlte fich auf
beutfchem ©oben nicht ficfjer. Sr ging bealjalb nach Schweben,
mo er fortfuhr, in allen möglichen glugfdpriften baa beutfche
©olf jur Erhebung anguftadjeln. Sr lieh feinem „©eift ber
3eit" einen gweiten $heil nachfolgen, ber bem erften an Kühn-
heit nichta nachgab. $ier gog er gegen bie feige ©efügigfeit
unb Ergebenheit in bie SSer^ältuiffe fchonuugaloa gu gelbe.
Er ereifert fich 9eßm bie gefinnungälofen Klüglinge, fd)ift fie
„fieifetreter, ümnftföpfe unb kröpfe, feige unb gemeine
Knechte ohne Sinn für baa ©rofje unb ohne ©efühl für baa
95olf unb feine Ehre." Er warnt oor jebem fonfeffioneflen
£>aber. „Saht alle bie Meinen ^Religionen," ruft er, „unb thut
bie grofje Pflicht ber eingig hoch ft eit, unb ^ocf; über bem
Zapfte unb 2utf)er bereinigt euch gu Einem ©lauben. 35aa
ift bie hödjfie fReligion, gu fiegen ober gu fterben für bie
@ere<htig!eit unb äBahrheit, gu fiegen ober gu fterben für
bie heilige Sache ber SRenfchheit, bie burcf) alle Iprannei in
Saftern unb Schauben untergeht. $aa ift bie höchfte Religion,
baa ©aterlanb lieber gu hoben ala Herren unbgürften,
ala ©ater unb 2Rutter, ala Söeiber unb Kinber. ®aa
ift bie höchfte fReligion, feinem Enfel einen ehrlichen fRamen,
ein freiea Sanb, einen ftolgen Sinn gu ^interlaffen. 3)aa
ift bie höchfte fReligion, mit bem theuerften ©lute gu
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bewahren, mag burcf) ba« tljeuerfte, freicftc 33lut ber
®äter erworben Warb. 35iefe« ^eilige ftreug ber SBelterlöfung,
biefe ewige fReligion ber ©emeinfchaft unb §errlichfeit, bie euch
S^riftuä geprebigt hat, macht gu eurem Sanner!" — Unb an
einer anberen ©teile fogt er: ,,3cf) liebe bie Unfterblidjfeit.
®arum lieb id^ Freiheit, Sicht unb ©efefc..., gebt mir ein
freie«, glorreiche« SJaterlanb, unb nie mag mein SRame
genannt werben, al« in meinem |>aufe unb bei meinem fRadjbar;
gebt mir nur ein ^ßlä&djeu in ©ermania, wo bie Serdje über
mir fingen barf, ohne bafj fie ein grangofe h^^fc^ie^c, gebt
mir ein $äu«chen mit einem ©artensaune, wo mein frnhn
frühen barf, ohne bafj ein grangofe ihn bei ben gittichen
faffe unb in feinen $opf ftecfe, unb ich wiß fröhlich fingen wie
bie Serdje unb frühen Wie ber ^paffn, wenn auch ein deinen*
fittel meinen Seib bebeeft." . . . „gahre benn hin, Sftidjtigfeit, unb
©tärfe lebe! fpafj befeele, $orn entflamme, SRache bewaffne
nn«! Safjt un« oorgehen für unfer Sanb unb unfere Freiheit,
auf bafj unfere Kinber ein freie« Sanb bewohnen. SDlänner auf!
unb feib gerüftet! 3hr bürft nicht leben al« ©flauen!"
®iefe SEBorte fcf)leuberte Mrnbt wie SBranbrafeten in bie
Söelt gu einer $eit, al« ^ßreuffen burch ben Vertrag gu Xilfit
feine größte 2)emüthigung befiegelt ^atte. $)ie SRotf) oergröfjerie
fich noch, al« ber ftaifer Sllejanber oon Siufjlanb feinen früheren
33unbe«genoffen ffriebrich Söilhelm treulo« im ©tiche ließ unb
fidh Napoleon guwanbte, aKerbiug« oorläufig gegen ©nglanb.
2>och faft $He fahen bie folgen für ®eutfcf)lanb oorau« unb
liefjen bie Köpfe hangen; nur Strnbt oergagte nicht. Unb feine
SDlahnworte fattbeit SBiberhaü in gleichgefinnten $ergen. 92od)
war ba« beutfehe SBaterlanb nicht aQer eblen Männer bar.
3n Söerlin liefen fich Sicht*/ ©djleiermacher unb 3ah«
oernehmen; in ber Serwaltung ergriffen ba« oerlorene 9tuber
ein ©tein unb ©djarnhorft. Oefterreidj „an ©h^n unö
(9W>
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an Stegen reich", ermannte fidj noch einmal, ber h?lbenmüthige
§ er sog non ©rauttfchweig brattg mit feinet „©djwarjen
©djar" »on ©Öhmen bi« gur ßtorbfee, ©djill erneuerte in
Preußen, Börnberg in Reffen beit Srieg. Sßarett aud)
biefe ©emühuttgen nod) nicht non ©rfolg gefrönt, — mußte
auch ©tein geädjtet fließen unb ber braöe Hnbrea« |)ofer
feine ©rfjebung mit bem ©lute bejahten, — eS waren bod) bic
©orboten eine« neuen ©eifte«, ber über ESeutfchlanb fam.
3efct bulbete eS aud) unferen Hrnbt nicht mcßr in ber
gfrembe. Unter bem 97amen eine« ©prachmeifter« Hßmann
fe^rte ber »on bem ©tarfchaß ©outt feine« Hmte« @ntfe|te unb
©eädjtete nad) ©erlitt unb f pater nach ©reifSwalb gurficf.
§ier fonnte er feinen acht Safjre alten ©o^n att« ©aterherg
brücfen, aber feine ©Item traf er nicht meßr am £eben an.
3n ©erlin fanb er ba« ©olf in großer Hufregung unb bereit
gu ben größten Opfern. 3m Saßre 1811 lernte er in Sre«lau
„©ater ©lücßer" fennen, mit bem er fidj, wie mit ©d)arn»
fjorft unb ©neifenau, über bie Slot!) be« ©aterlanbe« befpradj.
©on ba reifte er mit bem f5euer eine« Jüngling«, obwohl be-
reit« ein ©iergiger, unter mannigfachen Hbenteuern nach Peters-
burg, woßin il)n ©tein berufen hatte, ber ißn au« feinem „©eift
ber 3eit" fennett unb lieben gelernt hatte.
Sngwifchen war ber Saifer oon fRußlanb mit Napoleon ger-
faßen unb ber Stieg gwifchen ©eiben erflärt. Saifer Hleyanber
berief nun ben auf ©eranlaffung ©onaparte« oon griebrich
SEBilhelm entlaffenen früheren preußifchett SJiinifter greiherrn
oon ©tein an feinen £>of. ©iefer badjte fofort an Hrttbt, unb
fo fanbett fich gwei gtoar äußerlich oerfchiebene, aber in ihrem
Streben unb SBoßett gleichgefinnte SRänner.
2Bie ein fieufdjrecfenfchwarm überfluthete bie große Hrmee
ben Often, um, wie Napoleon in wahnfinniger ©erblenbuttg
auSrief, ,,be« ©cßicfjalS SBißen gu erfiißen unb fRußfanb bar-
Sammlung 9t. 3. V. 120. 2 (905)
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nieberguwerfen". Sltlein eS fam anberS. Vluf ©tein» ©etreiben
locfte man baS grofee $eer weit ins £anb hinein, um an
.^ungerSnotfe, groft unb ©eueren mächtige ©unbesgenoffen gu
gewinnen. $er SluSgang ift befannt.
Sftacfe bem ©ranbe oon ÜJfoSfau war eS Wieberum ©tein,
ber einen angebotenen billigen grieben SRapoleonS oerfeinberte.
9lun erfolgte ber jammeroofle fRüdgug unb liefe eine wafere
fieiefeenftrafee guriid. 5Der graufame, feerglofc Sgoift überliefe
feine treue Slrmee bem @Ienb unb entflog auf einem ©auern»
fcfelitten. Sftacfe feiner ülnfunft in 'ißariS liefe et ben granjofen
oerfünben: „QDie ©efuitbfeeit ©r. fföajeftät war nie beffer!"
Slrnbi, ber ftferiftfteHerifcfe fefer tfeätig gewefen war, be-
gleitete ben greifeerrn oon ©tein naefe ©reufeen, um feier bie
gafene ber ©rfeebung allentfealben aufgupflangeit. Unterwegs
fefeauten fie bie jammerooüen Ueberrefte ber grofeen Srmee.
©o fanben fie oft fealböerfofelte fieiefeen oon ©oltfeen, bie, um
bem grofte gu entrinnen, bem geuer gu nafee gefommen waren;
in einem floftercifeulicfeen ©ebäube erblitften fie bie Eeicfeen bis
gum ^weiten ©todwerf gefefeiefetet. gn Königsberg traf Slrubt
mit Dorf gufammen, jenem „eifernen SKanne", ber baS ©e=
freiungSbanner fefewang unb gu ben SRuffen überging, gefet
regten fiefe ber eblen ©eifter tiele, unb Ufeeobor Körner fonnte
begeiftert fingen:
JaS Sott ftetjt auf, bet Sturm bridjt toS!
Slber auefe ?lrnbt biefetete jefet feine fcfeönften Kriegs» unb
greifeätSlicber. $a flang eS wie trompeten- unb ©ofaunen-
fcfeall:
Jer Sott, ber (iifen toacf)fen lieb, ber tuothe feine Äuec^te,
Jrum gab er Säbet, Sdjroert unb Spieß bem 3)tann in feine JKedjtr,
2>rum gab er if)m ben füfjnen fWutfy, beu gorn ber freien Sieb«,
®afe er beftänbe bis aufs ®tut, bis auf ben Job bie tJet)be.
(906)
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D®eutfd)lanb,Ijetr(ieSi8aterlaiib!obcutfffje8tcb’itnbIrcue!
$u Ijofjeä Satib, bu fd)öne$ 2anb, bir fcfooören wir auf# neue:
S'eni ©üben unb bem $ned)t bie ?ld)t! $er fpeife firätj’n unb Staben!
©o jictjn wir au# ftur .fjermanngfdjlacfjt unb wollen Städte Ijaben.
Saßt braufcu, wa# nur braufen lann, in fjeüen lidjteu flammen !
3ßr Xeutfdjen alle, 2)tann für Wann, für# Satcrlanb jufammen'
Unb (jebt bie ^erjcn fyimmelau unb himmelan bfe $änbc,
llnb rufet alle Wann für Wann: $ie finecf)tfdjaft bat ein ©nbe!
StriegSmutljiger, opferfrcttbiger, oaterfanbs«
liebenber, begeifteruber tonnte (ein 3)idjtcr bie fReiheit
ber Streiter gur fJreiheitSfchladjt entflammen.
SHs (flaufewife nad) Sdjarnfiotfts Sbeen eine Sanbmehr«
orbnnng ausarbeitete unb bie Schöpfung unter Steinl Leitung
erft fo rccfeteS Seben gewann , fdjrieb Sftrnbt im ®ienfte ber
Sad)e: „2öaS bebentet Sanbmetjr nnb fiattbfturm?" —
9iun erfolgte aud) ber günbenbe „Slufruf an mein 2$ oft"
beS ft'ötiigS oon 'ißreufeen. — Slufeer mehreren Meinen Sdjriften
liefe Slrnbt feinem „©eift ber 3eit" einen britten Jljeil folgen.
(Sine aflgu garte denforfeele in Söcrlin ftiefe fidj an 9(rnbt§
fräftigen 2luSbriiden unb tuänfefete für „Stjrattn unb frembe
genfer" bie SluSbrüde „fperrfcher" unb „frembe gr-
öberer". Ülber fttrnbt gab nicht naefe, nnb auch wir feoffen,
wenn wir ben ferttigen, berbett 3Jtann in feinen bamalS gewife
berechtigten bitteren StuSfätlen gegen bie Unterbriider 2)eutfcfe-
lanbS wahrheitsgetreu wiebergegeben ha&en, nic^t bei fuper«
humanen unb bem 2luSlanbe gegenüber atlgu oorfidftig auf«
tretenben Leuten 2lnftofe gu erregen. fBir tonnten wenigftenS
gur Gtrwiberung beit oietleicht nicht unbegrünbeten SBerbadft
auSfprecfeen, folcfee Gabler mikfeten wofel nicht gut patriotifdi
gefinnt fein. So oorficfetig waren auch bie fonft f° belifaten
unb höflichen |jerren $rangofen uns gegenüber nicht, wenn fie
oon uns als bett „barbares allemands“ fpreefecn. 28ir führen
alfo ofene Scheu noch einige charafteriftijd)c Scifce uttfereS Strnbt an :
2* (907)
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„333er % ^ rannen befämpft, ift ein fjeiliger SKann, unb
werUebermuth fteuert, t^ut ©ottegbienft"! — „$ag hohe
giel beg Kriegeg ift: Srringung eineg großen, gemein*
famen 93aterlanbeg. Slfle, bie fid) jum Kampfe gegen bie
.gwingherrfchaft ergeben, foßen fich alg 35eutfd)e füllen!"
Napoleon oeranftaltete eine Slugljebung ooti 350 000
2Jfamt unb hoffte bie Kuffen in zwei @chlad)ten aufg £>aupt
ju fragen. 93on Defterreich fürchtete er nic^tg; hotte er bod)
nach f^nöber 93erftofjung feiner erften ©emahlin Sofefine fich
mit einer öfterreidjifdjen Prinzejfin, 9Karie*£uife, oermählt;
nur »on Preujjen beforgte er SBiberftanb. Unb hier rüftete
man fi dj in erhabener fflegeifterung roie ju einem Kreuzzug.
„@g entftanb/' fagt ©pbel, „in Preujjen ein $eer, wie cg
fein zweiteg in ber ©efdjichte giebt. Sin herein grauer 33ete*
ranen unb unbärtiger Jünglinge mit ber beften Kfannegfraft
ber Kation, folbatifchcr Ungezwungenheit unb Derbheit mit
relifliöfem ©djwunge unb gewiffenljafter Sitte, braufenber
greif>eitgliebe mit ftreitgem Pflichtgefühl unb treuem Untertan*
fittn. @g enthielt bie Keime ju aßen echten gortfdjritten, bie
feitbem in bem Politiken Beben preufjeng gefcheljen finb, ju
bem unaugtilgbaren ©treben nach Politiker SEBiebergeburt, bag
»on bort in äße beutfdje ©aue getragen worben ift." 93on je
neunzehn Sinwohnern — grauen, Kinber unb ©reife mit ein-
gerechnet — fteßte Preufjen je einen SKann zum greiheitg*
friege. ©0 wuchg bag |>eer big zu 247 000 SKann. daraufhin
hob Kapoleon noch einmal 180000 9Kann in granfreich aug.
SBahrenb ber gefinttungglofe öfterreichifche ©taatgfanzler
ajiette mich «och eine zweibeutige Haltung beobachtete, traten
Preujjen unb Kujjlanb in ein engeg ISünbnijj. Srft nach Jtoei
©djlachten, in benen zt®ar Kapoleon bag gelb behauptete, aber
mit größeren 93er lüften alg feine ©egner, trat Cefterreich ber
heiligen Mianz bei.
CJ08j
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21
So fam eS ju ber ewig benftüiirbigen, breitägigen Sßötfer*
fcf)lac§t bei Seipjig, in ber Napoleon gänglidj geflogen roarb.
ffient warb ber ©ieg in bem Jarlen ©treit,
©er griff ben IßreiS mit ber ©fenfyanb?
$>ie ©elften (jat ©ott wie bie ©preu jerftreut,
®ie ©elften pat ©ott bermept wie ben ©anb;
SJiel Xaufenb bedften ben grünen 9tafen,
2>ie Uebriggebliebenen entflogen wie §afen
Napoleon mit,
0 Seipjig, freunblirfje Sinbenftabt,
®ir warb ein leudjtenb ©prenmal:
©o lange roQet ber Safjre 9iab,
So lange fd?eint ber ©onne ®tral>l,
@o lange bie ©tröme jum SJieerc reifen,
©irb tiocp ber fpätefte ©nfel preifen
3>ie Seipjiger cf) la db t. . . .
§ier »erfaßte Strnbt auch bie «Schrift : „2)a8 preufjifche
SBolf unb $eer im galjre 1813", weiche 3eu9n*6 abtegt Don
ber echt beutfcf)en ©efinnung unb bem frommen ©ottDertrauen
be$ Serfafferl. 2)arin rebet er bie SDeutfchen an at8 2Ränner,
bie „baS SSatertaub lieber haben als ©otb unb benen bie beutfdje
greiheit toert^er ift als baS Seben unb bie gottgefällige Xugenb
teurer als irbifc^e ©üter.
§ier erfdjien auch feine berühmte Schrift: „2)er fR^eiit,
Eeutfd^tanbä Strom, aber nicht SDeutfchlanbS ©renje." ®arin
betonte er bie ©pradjgrenje als bie alleinig berechtigte gmifcheu
granfreich unb ®eutfd)tanb unb forberte taut unb nachbrucfäDotl
bie Sflücfgabe ehebem beutfcfjer fßrooinjen, fchou um ben beute«
füchtigen Machbar fern Dom frönen beutfcfjen Schein ju hatten.
Seiber fcheiterte fein ec^tbeutfcheS Streben an ber boppetjüngigen
SJietternichfchen fßotitif. 3a Stein nannte fie gerabeju um
moralifd), 93 1 ii ch e r fchimpfte über bie „biptomatifcfjen geberfudjfer
unb $intenflecffer, über bie Schufte, bie ben ©algen Derbienen".
2>ie patriotifch gefinnten SWänner, wie Stein unb fStrnbt,
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festen menigftenä in granffurt a. SW. burcp, SJJapofeon im
eigenen Sanbe nnjugreifen.
©o marfdjirte ber ade 33 lücpe r in ber SReujapränacpt 1814
bei Äaub über beit SRpein, fcpfug SJtapoIeon in zwei ©cpladjten
nnb riicfte auf Sßari3 lo§.
Trum blafet, iljr Trompeten, |>uforen perau«!
Tu reite, £>crr fffelbmarfdiatl, im fliegenben Saug,
Tem Siege entgegen jutn Stpeht unb iiber’n SRpein,
Tu alter tapferer Tegen,
Unb ®ott fott mit bir fein!
©r fe^te e§ burcp, baff „ber Äerl herunter muffte", er
bewirfte SRapoleonS Sübfepttng. $lber leiber fonnten bie guten
Sßatrioteu bamalä nicfft bie SRürfgabe ton @[faf?*Cotpringeti burcp*
fepen. Sfticpt einmal eine ßrieggfteuer warb graitfreicp auf*
erlegt, bie geraubten Äunftftpüfce tturben ipneit aufjer ber oom
33raitbettburger Spore geraubten 33iftoria beiaffen, ja ipr ©ebiet
fogar am Oberrpein uttb in ©atopen um 150 Duabratmeiteu
erweitert. 3! ber ©teilt prophezeite ber „unterfcpämten Waffe"
eine Slbredjmtng für bie gufunft, attd) 33lüd)er fap ttad) biefem
„unterantmortlicpen ^riebensfcplufj" einen batbigeit 33rucp tornu«.
SWettentidp mar fpiiter in SSieit befonberS barauf bebadjt,
Sßrcufjeit, ba§ bie Hauptarbeit getpan patte, um feinen ter*
bienten 2opn ju bringen.
Sa fcpoll plöplicp bie Sfunbe burcp ©uropa, SRapoIeon pabe
feinen Sßerbaititung^ort ©Iba terlaffeit uttb fei in ffrattfreicp
gelanbet. SWit Subei warb er ton ben ttanfelmütpigen gran*
jofett begrüfjt. Sa mar e3 mieber Sßreufjen, unb befonber§
ber alte SWarfcpaH „33orwcirt8", ber „mit eifernem 33efen ba8
Sanb reingemacpt". SRapoIeon warb auf bie öbe Sufel ©t. ^cl cna
terbanitt, unb e3 gab 33iele, bie mit ipm SWitleib empfauben,
mit ipm, ber in jepn Sfapren brei SWißionen granjofett, im
afrifanifcpcn ©anbe, an ben Ufern be§ ©uabalquitir unb Sajo,
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i
au ber SEBeidjfel unb in ben ruffifdjen ©iSfelbern erbarmungslos
feinem ©Ijrgeij geopfert fjatte.
Sßieberum warb fßreujjen burd; bie raffinirten Umtriebe
ÜJlctternidbfcber ^ßolitif um feinen iuot)loerbienten 2ot)n gebracht.
ÜRan gab it)m eine fo unoort^eiltjafte ©renglinie, tote nur
möglich, unb eS hätte fdjon bainatS mit bem Schwerte gegen
Ccfterreidb fein 91cd;t erfochten, wenn biefeS nicf)t im ©etein
mit ben übrigen europäifdjen 2)iäd;ten gebrobt ^ätte, ^ßreufjen
gu zertrümmern, ©o fügte eS firfj unb wartete beffere 3eit «b.
Strubt mar nun freilich mit ber ©iiwerlcibung ooit ©d;mebifd;*
Sommern unb ber 3ufel SHiigen ein fßreujjc geworben, mie er eS fc^ou
längft im §erzen mar, aber noch fab er feinen .gufunftStraum,
fßreufjen an ber ©pifce 33eutfchIanbS gu feiert, liiert oermirflidjt.
SBir finben ihn im 3abre 1815 in &öltt als Herausgeber
ber geitfehrift: „53er Sßädjter", er wollte ein treuer 3Bäd)ter
fein am SRfjein. ©alb barauf warb er ooit ber preuffifdjen
Regierung gurn 3ßrofeffor ber ©efchidjte in ©onn ernannt.
®ort oerheiratljele er fid; mit ber ^palbfdjroefter ©cbleicrmachers
unb grünbete fid; ein neue« Heini, Sr blieb, was er mar, ein
warmer Jreuttb beS ©olfeS unb oertbeibigte bie berechtigten
gorberungen beSfelben in ber ©d;rift: „lieber bie fünftige»
ftänbifeben ©erfaff ungen in 23eutfd;Ianb". 53ieS gab einigen
bämifdjett unb niebriggefinnten ©peid;eflecfern ©eranlaffung, bie
freie ©eDe beS SiebermanneS bei ber ^Regierung gu oerbädjtigen.
©on fold;en ©cbweifweblern fagt Slrnbt felbft:
gucböjeit ift jt&t.
SSebelnber ©cbrcaitj
SBirbt fid) jule^t
Streidjelub ben Mranj;
Sdjmeidjeln unb beudjetn,
99iibetn unb 3Rcudjetn
2)?u&t bu oetftc^en,
SBenn bu roitlft ftetjen
SSorberft im Janj.
(#U)
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Stfjarf unb ohne ©cpeu fteHte er bie tafcenbuctelnben
Süemterjäger in feinem oierteit J^eil oon „(Seift ber Seit" an
ben fßranger unb erflart ihnen, wie einem „jweiten Napoleon"
ben Sfrieg. ®a tonnte eS benn nicf)t festen, bog feine geinbe
an feinem ©turje arbeiteten. @r erhielt eine SHiige unb SBar*
ttung non ber Regierung, wenn er im ©inne feines „©eifteS
ber Seit" roeiter mirfe. ®odj feine ©egner waren bamit nicht
jufrieben; feile ©pürnafen, täufliche ©ptophanten belauerten
iptt ringsum, ißlöfelicf) warb er oerhaftet, feine Rapiere ton-
fiSjirt unb eine ßriminalunterfudjung gegen ipn eingeleitet.
9Kan ftöbertc in feinen SBrieffcpaften nadf StnhaltSpunften, warf
ihm bie Slufpejjung ber bamalS aufrührerifchen afabemifchen
3ugenb oor, ja man machte ihm fogar ein Verbrechen barauS,
bag er fid) einft, um ben |>äf<hern Napoleons ju entgegen,
eines fallen ißaffeS bcbient hätte. Slm meiften ft^merjte ben
alten üßann ber ungerechte Vorwurf, er habe bie gugenb oer«
führt. Obwohl man ihm nichts ©djtimmeS nachweifen tonnte,
blieb er bod) feines SlmteS entfett. Jrofcbent warb er nicht
»erbittert, hielt an feiner ^eimatlj feft unb oerlor fein (Sott*
oertrauen nicht.
SJcutfdjeS §erj, berjage nidjt!
3rtju, roast bet« ©croiffen ipridjt,
2>ie|er Strahl bcS $mnmel31id)tg:
Jfyue red)t unb fßrdjte liidjtg.
SJiugtc er fiep auch fehr einfdjränten, waren ihm auch bie
gittiepe feines freien ©eifteS etwas gelähmt, er oerlor baS
2Bopl unb SSepe feines VaterlanbeS nicht auS beit Hugen. 3m
Sabre 1830 oeröffentlichte er bei ber Verfügung beS fiönigS
oon grantreich eine ©chrift: „®ie grage über bie 9tieberlanbe
unb fRpeinlanbc", worin er aufs neue auf bie $u regulirenbe
©prachgrcnje hmmeift. ®iefe ©eprift erfreute feinen alten
greunb unb ©önner ©tein in hohem SJtage.
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Salb barauf fcßlug ißm ba« ©cßicffal eine fcßrocre SEBunbe,
bie nie oernarbte: einer feiner ©ößne, auf ben er bie fcßönften
Hoffnungen gefegt, ertranf im SRßeine. 3« mehreren feiner
fiieber flogt ba« Saterßerg um ben oerlorenen Siebling:
28enn bie Ieifcn ©ädjtein raufeben,
©äufetit burd) bie ©(älter bebt,
2Rufj icf) boreben, muff idj (aufeben,
Db ber Siebfte nieberfebioebt.
©efränfte ©ßre, irb if cf) e materielle Serlufte
mürben ißm erfefct; boeß biefe Seere blieb unau«gefüHt. 3m
3aßre 1840 feßte fjriebricß SBilßelm IV. Slrnbt mieber in fein
SImt ein, unb erft jeßt erhielt er feine SRanuffripte mieber.
Obrooßl feßon ein ©iebgiger, moüte er feinen gütigen SKoitarcßen
nicht burd) eine Steigerung »erleben; feine Stollegen ehrten ihn
burd) bie Sßaßl gum SReftor ber Uninerfität. SDlit SRfißrung
begrüßte er in einer fernigen SRebe bie alten, liebgemonnenen
SRäume, bebauerte nicht mehr jünger gu fein unb ermahnte bie
3ugenb gut pflege beutfeher ©itten. Sber noch geigte eiV baß
eine jugenbliche ©eele in feinem alten Störper mohnte. SRüßrig
unb rüftig arbeitete er meiter an feinen hohen Sbealen, beutfeßen
©inn gu pflegen unb beutfdje 3Bacßt gu ßalten am SRßeine.
3m 3ußre 1848 roählten öier SEBaßlförper ben neununb*
fiebgigjährigen ©rei« in bie beutfehe Kationaloerfammfung.
2>ort erfeßien er auf ber SRebnertribüne „mie ein gute« altes
beutfehe« ©emiffen" unb marb oon ber SÜienge jauchgenb be-
grüßt. f)ier mie« er befonber« auf eine einheitliche Serfaffung
unter ißreußen« güßrung ßin, mährenb er Defterreicß« Unfähig«
feit flarthat. SU« ftef) griebrid) SBilßelm IV. meigerte, bie
angebotene $rone angunehmen, bat unb befißroor ißn Slrnbt
in einem Sriöatfcßreiben, boeß bem Kufe ber Kation gu folgen.
$ocß ber Stönig oerßielt fi<ß ableßnenb. ®ie« erfüllte Slrnbt«
©eele mit tiefem ©eßmerg, er legte fein SJtanbot nieber, feßrte
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nacß 23oitn jurücf, öerlor aber nicßt gattj bie Hoffnung. „Sin
SJolf, baS fo Diel ÜJfutß unb ©eift ßot als bie Deutfcßen,"
jagte er, „!aim als ein fRaub fcßlecßterer S3ölfer nicßt unter-
geben; bie ©eßnfucßt eine« großen 93otfe« nach ©ßre, ®facßt
unb SRajeftät ruirb ben Dag i^rer ©rfüßung erleben. ©laubet
nur, haltet feft unb jufammen !
Docß marb ibm trofc feine« feltenen SlltcrS nicht bie greube
jit tbeil, feinen fc^önften Draum erfüßt ju feben. Slm
26. Dezember 1859 feierte er feinen neunjigften ©eburtStag.
SluS aßen Streiten DeutfdjlanbS tuurben ibm ©Iücfnmnfcße unb
finnige Sßjrengaben tbeil, ibm bem „SBater Slrnbt", bem
Webling ber Nation. Der Ißrina-fRegent oon Preußen fanbte
ibm in Slnerfettitung feiner großen SSerbienfte ben rotben SIbler*
ovben. Slm Slbenb oorßer batte man tßm fe*n Sßreitlieb:
„SöaS ift beS Deutfcßen SSaterlanb?" al« ©tänbeßen gefungen,
Deputationen ber Unioerfität, beS 3JiagiftratS unb afler Korpo-
rationen beglücftoünfcßten ibn, bie ©tabt Köln fanbte ißm baS
©brenbürgerreeßt. Dtefe Ueberbäufungen oon ©ßrenbejeugungen
aller Slrt regten ben ebrtoiirbigen ©reis fo auf, baß er mitten
im SSeftrebeu, Slßen ju bauten, mit ben SBorten ftarb: „Saß
mir bie Slugen jufaßen!" — ©ein DobeStag ift ber 29.
Sanuar 1860.
©o war fein @nbe ein feligeS. $atte er aueß nicßt bie
SBermirflicßung feines feßönften gufunftStraumeS erlebt, bie aß-
gemeine Siebe unb Sichtung beS beutfeßen 93olfeS bemieS ißm,
baß ber ©ame, ben er gefäet, aufgegangen war ju taufenb-
fältiger grueßt. Die Sßereßrung ber beutfeßen Sugenb bot ißm
bie SSürgfcßaft, baß ein ©efcßlecßt ßeranmacßfe, mannßaft unb
beutfeßgefinnt genug, fein gbeal gu »erroirf ließen. Unb fo gefcßab’S.
Süßer Slrnbt oerfteßen miß, muß feine $eit oerfteßen. ©ein
granjofenßaß ift fein 2Renfcßen> unb fRaffenßaß an
unb für fieß. ©ein ©roß toenbet fteß gegen bie Unterbrücfer
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feineg SBoIfeS, madjt ihn aber nid)t blinb gegen bie SBorjüge
biefer Nation, feine ißreußenliebe wurgelt nidjt in einer ein»
feitigen (Singeitommenheit gegen Defterreid), fte wurgelt in ber
feften Ueberjeugung, baff ju ber bamaligcn 3e^ nur ißreußen
berufen war, bie ©inljeit unb ©röße 2)cutfd)Ianbg fjerbeiguführen.
$arum war Ärabt ein beutfcßer SÄann im ooHften ©inne
beS SBorteS, beutfd) in 2Bort unb £f>at, — ein leuchteitbeS
2$orbilb ber 3ugenb.
Slrnbt war fein Sflaffifer in ©djrift unb 5orm/ cr
fein großer ©elefjrter unb Staatsmann, — er war ein
warmer greunb beS beutfcffen SBolfeS, ein begeifterter
ißropßet ed^t beutfdjen SBefenS, ein ernfter, uner»
fdjrocfener SQiahner in ber 3e^ ber SRotf) unb 93ergagtf)eit,
ber tobeSmutljigc 93efämpfer jebcr £prannei, ber
tapfere Sorfedjter beutfcfjer SBolfSfreiheit unb @!)re,
ein SDfärtprer ber $emag ogenriedjerei, ber 333 affen*
fcfjmieb in ben iJrei^eiSfämpfeii, ber unerntiibliche 33e*
förberer beutf^er ©inbeit. $aju gefeilte ficf) eine waffre,
ttn geheuchelte grömmigfeit, ein unerfd)ütterlicbeS, felfenfefteS
©ottüertrauen. 35ocf) feine lammSfromme ©ottergebenbeit
im ©inne weichlicher Unt^ätigfeit unb beS trägen ©ebenfaffenS
prebigte er, — nein, bie SBaffen ju ergreifen im Vertrauen
auf ©otteS §iilfe. ®urcf) alle feine Sieber webt ein ^eiliger
3orn gegen alles ©emeine unb Unbeutfdje, eine 93 e*
geifterung unb Siebe ju feinem Sßolfe, baß fte, getragen
oon ben fräftigen ÜJielobien, ju beiten er oft felbft bie Anregung
gab, nie ihre SSirfung oer fei) fett werben.
©o finb feine fräftigen Sßeifen nodj ßeutc bie SieblingS»
lieber ber beutfdjen Sfugenb. SBo ficb bie lebensfrohen ©tubenten
gnm Sfomtnerfe oereinen, ba ertönt fein ®unbeSlieb: ,,©inb wir
oereint jur guten ©tunbe", — beim ©ettuffe beS ebfen Sieben»
fafteS fein herrliches ffenerlieb: „SlttS geuer warb ber ©eift
(915)
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gefdjaffen, brum fc^enft mit fiijjeä geuer ein!" — in 3eiten
nationaler (Srfyebung : „5)er ®ott, ber ®ifen roacEjfen ließ , ber
wollte feine 5?itecf>te", — inmitten beS SBaffcngeflirrS : „SBaS
blafen bie Xrompeten? ^ufaren f)erau8l" — in 3c*ten b« 2Je»
brängnifj: „SBer ift ein 9)iann? SB er beten fann unb ®ott
bem £>errn oertraut."
Saturn, beutfdjeS S3olf unb befonberö o beutfcf>e
Sugenb, ber eS Oergönnt war, ®lorreid)e3 ju erleben, er*
wäge unb befferjige ftets unfereS üDeutfcfjeften aller 35entfd)en
SB orte:
5)eutfdje ftreibeit, beutfdjer ©ott, heutiger ©taube ohne 6pott,
SJeutfdjeS $erg unb beutfdjer @tapi ftnb oier gelben attjuinal.
3>iefe ftelj’n wie Jetfenburg, biefe festen alle-i burcf).
2>iefe galten tapfer au« in ©efatjr unb 2obeSbrauS.
®rum, o #crj, »erjage nicht, tpu, ma« bein ©eroiffen fpricf|t;
5>ie$ beinfiidjt, bein 2Beg, bein $ort, hält bem Sapfern ewig Säort! —
.(916)
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UNIVERSITY OF CALIFORNIA LIBRARY
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19 1947
ttOecMLU
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n 21-100m ia.,46(A2012.16)412
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Endlicher
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IJov. 12*13
)CT 22 1917
JAM 13 1920
APR 7 13X1
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STORAGE
(ANNEX
25m 5/13
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