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Full text of "Sammlung gemeinverstandlicher wissenschaftlicher Vortrage"

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Sammlung  gemeinverständlicher 
wissenschaftlicher  Vorträge 

Franz  von  Holtzendorff,  Rudolf  Ludwig  Karl  Virchow 


fWym 


k&aWBi 

läSsi 


Sammlnng 

<^emeint>erftänblicf>er 

toiffcnfc^aftlt^er  $ortriige, 

berausgegeben  oott 


Hub.  üird)otti  unb  «fr.  u.  tjoUjettborff. 


XIV.  3me. 


ß erlitt  SW.  1879. 

2?  erlaß  ton  Sari  $ a b e l. 

(fi.  ®-  füilftiVfAt  Bftfago&sManiifang). 

33  9Bil&»lm.-etra&f  8t. 


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n{plts*S!er£ricjni$s  ber  XIV.  üerie. 


$<fl 

etitr 

313/314.  Äludbobn,  Blticber 

1-72 

315/316.  IJiQflenfle^er,  lieber  bie  Jbiere  ber  lieffee  . . 

73—136 

317. 

o.  f'olfcenborff,  3otm  «’öonmrb  unb  bie  'JSeftfperre 

gegen  (Snbe  bes  adjt^efjnten  3abrbunbert8  . . 

137—176 

318. 

Stanfe,  Anfänge  ber  Äunft.  Slntbropologifcbe  Bei* 

träge  jur  ©efdjicbte  bes  Ornaments  .... 

177-208 

319. 

Äaifer,  Äaulbacb’s  BilberfreiS  ber  SBeltaefcbiAte  209-240 

320. 

5Heefe,  lieber  bie  Statur  ber  ftle<f|ten.  ÜJtii  10  in 

ben  lept  gebrucften  ©oljtfcbnitten 

241  288 

321. 

£olle,  ®ie  JJrometbeuSfage  mit  befonberet  Betüd* 

ficbtigung  if)rer  Bearbeitung  burcb  Slefcbploä  . 

289-320 

322. 

©emper,  lieber  bie  Aufgabe  ber  mobemen  J|ier= 

geogtapbie 

321  352 

323. 

SBJiniler,  ®ie  Ärönung  Äarl’8  beS  ®ro|en  (tum 

Stomifcben  flaifer 

353-388 

324/325.  oom  Statb,  lieber  baä  ©olb 

389-462 

326. 

ftroboefe,  ©ottfrieb  non  Bouillon 

453-504 

327. 

Oftboff,  DaS  pbpfiologif<be  unb  pfpdiologifcbe  SJio* 

ment  in  ber  fpracblicben  ftotmenbilbung  . . . 

605  552 

328. 

SJtebliö,  2)er  Stbein  unb  ber  ©trom  bet  Gultur 

in  ber  Steuaeit 

553—604 

329. 

SJtalmft^n,  flarl  non  tiinne 

605—644 

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IV 


■Mt fftitt 

330.  ©epp,  flaifet  gtiebtidfr  I.  Sarbotoffa’g  2ob  unb 


fflrab 

645  -700 

331. 

St e8 gen,  35aS  menfthliche  Stimme  unb  Spradj= 

Crgan.  Mit  14  ©olzfdinitten 

701—736 

332/333.  Scbaäler,  SDaS  SReicb  bet  Ironie  in  fulturgefd)icht= 

lieber  unb  äftbetifcher  Beziehung 

737  - 840 

334. 

Äleefelb,  2)ie  ©albebelfteine 

841  876 

335. 

©eifenbeiiner,  lieber  §2ahrfcheinlichf?it8technung 

877  920 

336. 

Stricfer,  ©efebiebte  bet  Menagerien  unb  bet 

Zoologifthen  ©arten 

921-964 

3<h  bitte  zu  beamten,  baß  bie  Seiten  ber  ■‘pef te  eine  hoppelte  ’JJa= 
ginirung  hoben:  oben  bie  Seitenzahl  bes  einzelnen  ©efteS,  unten  — 
unb  zroar  cingeflaminert  — bie  fortlaufenbe  Seitenzahl  bes  Sahrgangets. 


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Sßon 


flerlin  SW.  1879. 

Verlag  »ott  (Jarl  £abel. 

(£.  i fl.  tübmti’sdit  ÜtrlagsbmtitiatiM'Mg.) 

33.  SBilbelm-etraSe  33. 


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!Dfl«  Siecht  bft  Ueberftfcung  in  frembe  Sprachen  ®itb  ßorbebalten. 


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*u>er  e8  wagt,  an  bemSage  bet  beutfdjen  tReithStagSroahlen1) 
bie  Slufmerffamfett  für  einen  wiffenfchaftiidjen  Bottrag  in  Sin* 
fprud)  gu  nehmen,  wirb  ftd?  be8  BebenfenS  nidEjt  errrebren  lönnen, 
ob  nid^t  ba8  lebhafte  politifclje  Bntereffe,  ba8  un8  alle  befyerrfdjt, 
Jene  Sammlung  bed  ©eifteS  auSfcljliefjen  möchte,  bie  auf  Seiten, 
bet  £öret  ebenfowenig  fehlen  fotl  »ie  auf  ber  be8  {RebnetS. 
S<$  gebe  mid)  inbefj  ber  Hoffnung  ^in,  ba§  gerabe  ber  ©egen* 
ftanb,  um  beffen  SDarftellung  e8  fid^  in  biefer  Stunbe  Ijanbelt, 
mit  ber  politifd)en  unb  nationalen  Bebeutung  beö  Sage8  in 
»orgüglidjer  Seife  gufammenftimmt.  SDemt  menn  heute  unfer 
gefammteS  Bolf,  gu  einem  nadj  aufjen  mastigen,  nach  innen 
mit  freiheitlichen  Siebten  wot)l  au8geft arteten  JReitbe  Bereinigt, 
Bon  ben  Silben  bis  gut  Oftfee  bie  SBaljlen  für  ein  beutfd^eS 
Parlament  BoHgieljen  fonnte,  fo  Berbanlen  wir  biefeS  nicht 
allein  ben  erfolgreichen  Slnftrengungen  ber  ©egenwart  unb  nicht 
allein  ben  gro|en  Btännern,  welche  heute  bie  führet  unferer 
fRation  in  äfrieg  unb  ^rieben  ftnb,  fonbetn  bie  nationalen  ©üter, 
beten  wir  un8  gegenwärtig  erfreuen,  ftnb  gum  guten  Steile  ba8 
SBetf  unferer  Bätet,  Bor  allem  jener  ftarfmüttjigen  Patrioten, 
Welche  in  bet  Beit  ber  ©rniebrigung  2)eutfchlanb8  für  bie 
Sieberaufriihtung  unb  in  ben  Sagen  bet  ©rljebung  für  bie 
Befreiung  be8  BaterlanbeS  mit  begeifterter  Eingebung  gefämpft 

XIV.  313.  314.  1*  (3) 


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4 


haben.  2Ber  aber  fönnte  unter  ben  Kämpfern  jener  großen  Seit 
an  Sfcfyatenglanj  unb  ©barafterftärfe  mit  bem  ruhmreichen  SJianne 
fidj  meffen,  beffen  Silbnifj,  cou  Naucb’S  SKeiftertjanb  mobedirt, 
biefem  ©aale  beute  gut  3tetbe  bient?  SBar  e8  bodj  cor  allen 
anberen  gelben  Slüdjet,  roeld^er  in  bem  §reibeit8friege  bie 
Surften  unb  Sßölfet  gum  ©iege  fortrifs,  nicht  als  ein  glücflidjer 
Heerführer  im  gewöhnlichen  ©inne  beS  SBortS,  fonbern  als  ein 
nationaler  HeroS,  in  welchem  fich  bie  t)öd}ften  friegerift^en 
Stugenben  mit  ber  glübenbften  58aterlanb8liebe  unb  ber  cotfS- 
tbümlichften  ©eftnnung  oerbanben. 

Snbem  ich  e8  unternehme,  oon  einem  in  fo  Ijobem  ©rabe 
populären  gelben,  beffen  SUjaten  unb  beffen  eigenartige  fPetfön» 
liebfeit  ben  weiteften  Greifen  unfereS  33olfe8  »ertraut  geworben, 
oor  einer  gebilbeten  3u^orerfc^aft  gu  teben,  entbehre  ich  be8 
SBort^eilS,  oiel  beß  bleuen  bieten  gu  fönnen;  ich  werbe  mich  oiel* 
mehr  genügen  laffen  muffen,  meift  an  allgemein  SöefannteS  gn 
erinnern  unb  nur  ba8  ©ine  unb  Subete  in  neuer  ^Beleuchtung 
gu  geigen  ober  burd)  d^arafteriftif^e  3üge  gu  oeroodftänbigen. 

3u  biefem  3wecfe  fönnen  un8  literarifdEje  Hülfömittel  bienen, 
bie  %e  ©ntftebung  ber  jüngften  3eit  oerbanfen:  oor  adern  bie 
eigent)5nbigen  an  feine  ©emablin  gerichteten  Söriefe  SMücbet’S 
au8  ben  Jahren  1813 — 1815,  welche  ein  in  hoben  militärifdjen 
©bren  ftehenber  Sßerwanbter  beß  gelben,  ber  Herr  ©eneral» 
lieuteuaut  oon  ©olomb,  fürglidj  mit  einen  fachgemäßen  ©ommentar 
herau8gegeben  hat-  ®iefe  Sritfe  lehren  un8  SMütber  in  an= 
giehenber  SBeife  oon  feiner  rein  meufcblidjen  ©eite  fennen  unb 
bieten  auch  gelegentlich  furge  militärifcb’politifcbe  Nachrichten. 

gür  bie  früheren  Jahre  entbehren  wir  einer  fo  frönen  unb 
bequemen  Srieffammlung;  aber  abgefehen  oon  bem,  wa8  ältere 
Biographen,  oon  Skrnhagen  bis  ©cberr,  an  eigenhänbigen  ©cbrift» 
ftücfen  Slüdjer’S  ihren  Arbeiten  einoerleibt  hüten,  finten  fich 
wcrthnode  ^Beiträge  gur  SebenSgefdjicbte  unfereS  gelben  in  nam» 
haften  Shetfeu,  welche  anbeten  äfriegS*  unb  Staatsmännern  au8 
(«) 


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5 


bet  Beit  bet  ©rniebrigung  unb  bet  SBiebergeburt  9>reu|en8  unb 
JDeutfdhlanbS  — ich  nenne  nut  ©neifenau’S  geben  »on  fPerf}  — 
gewibmet  finb.  *)  @8  bürfte  fid)  ba^et  ber  23erfudh  wohl  lohnen 
mit  Senujjung  beö  in  ben  lebten  3ahten  neu  gewonnenen 
SJiaterialS  Slüdher’S  23 erhalten  währenb  bet  UnglücfSjahre  1806 
btS  1812  nicht  tninbet  a!8  bie  nadjfolgenben  StuhmeStage  jum 
©egenftanbe  einer  gebrängten  ©chilberung  ju  matten. 


©ebharb  geberedht  b.  23lüdjer  wutbe  am  16.  SDecember  1742 
ju  SRoftocf  geboren,  ©ein  Sßater , ein  ehemaliger  Süttmeifter  in 
hefftfdjeu  $Dienften,  ^atte  bort  feinen  SBohnftfi  genommen,  unb 
in  ber  Stabt,  nicht  auf  bem  gaube,  Berlebte  ber  junge  23lü<het 
ben  größten  5thril  feinet  Änabenjahre  unb  groat  unter  einfachen, 
feineSwegS  glänjenben  23erhältniffen.  £Die@ltern  hatten  mit  befchei» 
benen  ÜJiitteln  für  7 ©ohne  unb  2 SSödjter  3 n forgeu.  ©ebljatb  gebe« 
recht,  ber  jüngfte  ©ol)H,  warb  3um  ganbwirth  beftimmt,  unb 
fdjien  fdjon  au8  biefem  ©runbe  einen  gelehrten  Unterricht  ent* 
behten  ju  fönnen.  3nbe|  ift  bie  weitoerbreitete  5Jieinung,  al8 
ob  SBlüdjer  nur  nothbürftig,  gleich  einem  SDotffinbe,  lefen,  fchreiben 
unb  rechnen  gelernt  hatte  unb  über  bie  ©lemente  be8  23olf8« 
Unterrichts  nicht  hinauSgefommen  wäre,  burdhauS  nicht  richtig. 
SUlerbingS  hat  unfer^elb  in  feiner  3ugenb  e8  nicht  bis  3ur  Sertraut* 
heit  mit  ber  Orthographie  gebracht,  unb  ift  wäprenb  feines  langen 
geben8  immer  in  Äonflift  mit  ben  Siegeln  ber  beutfchen  ©ram* 
matif  geblieben;  aber  23lücher  hat  boch  auch,  n>a8  man  oft  genug 
überfehen,  als  Änabe  im  gateinifchen  Unterricht  genoffen,  wie 
er  felbft  gelegentlich  erwähnt  unb  wie  e8  auch  bie  lateinifchen  2tu8» 
brücfe  beweifen,  bereu  et  fidh,  wenn  auch  in  $orm  Bon  .jpufaten» 
latein,  bis  in  fein  2llter  nid)*  ungern  bebient  hat.  ©ewanbter  unb 
tüchtiger  freilich  als  auf  ben  33änfen  ber  ©tabtfchule  bewies 

(*) 


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6 


ficfy  bet  muntere,  ja  milbe  .ffnabe  in  allen  SeibeSübungen, 
unb  mit  bet  ftäfylernen  Äörperfraft  entroicfette  fici^  ein  ftifcher, 
feefet  OJtuth  unb  ein  fefter,  entf ^[offener  ©inn. 

UebrigenS  oerbanfte  SÖIüd^er  bem  (Elternhaufe,  fo  menig 
mit  auch  »on  bemfelbeu  miffen,  nod)  anbete  merthoode  SDlit« 
gaben  für  baS  geben;  not  allem  ein  ftrengeS,  unmanbelbareS 
@hr'  «Kb  ^Pflichtgefühl,  rücfhaltlofe  SBahrheitSliebe,  ed)t  menfehen» 
fteunblichen  ©inn  unb  ein  frommes,  frö^lie^eS  ,£)erg.  3dj  fage 
aud)  ein  frommes  £erg.  SDeun  trofc  adeS  Unbäubigen  unb 
3ügellofen  in  SBort  unb  «Sitte,  trofc  beS  SBetternS  unb  gludjenS, 
in  bem  fidj  Städter  fo  oft  gefiel,  mar  er  eine  aufrichtig  religiöfe 
Statur.  ©ein  langjähriger  Seibar^t  SieSfe  begeugt  oon  bem 
gelbherrn,  bafj  er  nie  ohne  fein  ©ebetbud)  mar  unb  bafj  er, 
mie  SJiorgenS  unb  SlbenbS,  fo  auch  oor  unb  nach  ber  ©c^Iac^t 
nicht  gu  beten  oergafj.  Unb  ift  eö  etmaS  anbeteS  als  ber  un* 
gefuchte  SluSbrud  feines  bemüthigen,  frommen  ©imteS,  menn 
bet  oiel  gefeierte  Heerführer  begeifterte  gobfprüche  mit  ben 
SBorten  gurücfroeift:  „2BaS  ift’S,  baS  ihr  rühmt:  eS  mar  meine 
Sßermegenheit,  ©neifenau’S  23efonuenheit  unb  beS  großen  ©ctteS 
Sarmhergigfeit." 

S3on  anberen  großen  unb  guten  SJtännern  miffen  mir,  bafj. 
fie  beu  beften  SUjeil  ihres  fittlichen  SBerthS,  bafj  fie  bie  SBilbung 
oon  Herg  unb  ©emüth  oor  adern  einer  cblen  SJiutter  ©erbauten, 
©odte  eS  fidj  mit  SBlüc^cr  nicht  ebenfo  ©erhalten?  3luf  oer* 
ebelnbe  meiblidje  ©inflüffe  im  (Elternhaufe  beutet  eS  auch  hi«»  menn 
ber  berbc,  äußerlich  rauhe  ÄtiegSmaun  immer  gebilbeten  grauen 
gegenüber  einen  3artfinu  unb  einen  SEaft  an  ben  $£ag  gelegt 
hat,  mie  ihn  nur  eine  gute  häusliche  ©rgiehung  bei  angebornem 
gciugefühlgu  geben  oermag. 

2Rit  14  3ahr£n  marb  Slüdjer  nebft  einem  älteren  23ruber, 
mie  man  fagt  gur  (Erleichterung  beS  elterlichen  Haushalts,  öu 
einem  ber  gamilie  oer jehmägerten  ©utSbefifcer  nach  fRügcn  gefanbt, 
mo  bie  jugenblidje  Unbänbigleit  fich  nod)  ungehinbeter  als  im 

(«) 


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7 


Saterhaufe  öuheru  burfte,  unb  neben  SB  alb  unb  glur  ba8 
fdjauntenbe  SOReer  nnb  bie  wilbromantifche  Äüfte  ©elegenheit 
gu  ben  fünften  SBagniffen  boten.  (Roch  galt  bie  lanbwirth» 
fdjaftliche  SEIjütigfeit  als  bte  SerufSbefchäftigung  unfere«  gelben, 
unb  non  wiffenfchaftlichem  Unterricht  war  in  (Rügen  tieüeicht 
noch  weniger  al«  in  ber  medlenburgifchen  ^eimath  bie  (Rebe. 

(Da  trat  Slücf>er,  16  3ahte  alt,  plßfjHch  in  ben  ÄriegSbienft. 
©in  fchwebifcbeS  .fpufarenregiment  — benn  bte  3nfel  (Rügen 
gehörte  baraalS  noch  ben  @djweben  — übte' einen  fo  unwiberfteh» 
licken  3auber  auf  ihn,  bah  er  trofc  ber  (Hbmahnung  ton  Schweflet 
unb  ©<hwager  ftdj  anwetben  lieh  unb  als  3unfer  eintrat. 

SDie  fdjwebifchen  Sruppen  hatten  bie  unangenehme  Aufgabe, 
int  fiebenjährigen  Kriege  gegen  griebrieh  ben  ©rohen  311  fämpfen; 
fie  terloten  barüber  ben  (Reft  ber  Megerifthen  (Ächtung,  ben  fte 
au8  befferen  Setten  gerettet,  ©chon  au§  biefem  ©runbe  fonttte 
man  eS  als  ein  ©litcf  für  Slüchet  betrachten,  bah  « auf  bem 
Sorhofien  einer  gelbwache,  als  er  in  jugenblidjem  Uebermuthe 
bie  gegenüberftehenben  geinbe  unaufhörlich  neefte  unb  terhßhnte, 
mit  bem  f)fetbe  ftürjenb , ton  einem  pteufjifchen  ^ufareu  ge* 
fangen  genommen  unb  gum  Dberften  ton  Selling  geführt 
würbe. 

SDiefer  treffitd^e , ton  bem  grobem  Könige  hochgeachtete 
jDffigter  hatte  feine  greube  an  bem  fchßnen  muthtollen  Süngling 
unb  trug  ihm  an,  in  fein  (Regiment  eingutreten.  Slücher  wieS 
bieS  (Änerbieten  nur  fo  lange  3utücf,  als  er  nicht  beS  fchwebifdfen 
galjneneibeS  entbunbeu  war,  unb  blieb  in  ber  Umgebung  beS 
SDberften , bis  e8  biefem,  ber  eine  fteigenbe  Sßorliebe  für  ihn 
fahte,  gelang,  ton  bem  fthwebifdjen  gelbhetrn  bett  Slbfd^ieb  be§ 
©efangenen  3U  etwirfen. 

©0  fonnte  unfer  £elb  als  ©ontet  in  SeQing’8  .fmfaren» 
regiment  eintreten,  unb  bamit  begann  für  ihn  bie  fchßnfte  Seit 
feines  8eben$,  feine  Slütljegeit,  wie  er  fie  im  (Älter  gern  nannte. 

„(Der  mir  untergehli«he  Selling  war  ein  wahrer  Sater 

(» 


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8 


gegen  mtdj  unb  liebte  mich  fo  unbegrengt,  bafj  e8  fdjon  batt 
fommen  mufjte,  burdE}  muntere  Sugenbftreidje  tyn  gum  Unwillen 
gu  reigen." 

Salb  gum  ßffigiet  beförbert,  madbte  Slüd^er  a!8  SSEbjutaut 
be8  Oberften  bie  bcfte  ©dbule  burcb  unb  blieb  auch  in  bet  5Rä^e 
feines  ©onnerS,  al8  biefer  gum  ©eneral  erhoben  würbe.  23on 
Äuneräborf  biß  gteiberg  nahm  er  an  wandten  ©(blockten  unb 
©efedbten  beß  7 jährigen  ÄriegeS  St^eil  unb  ttyat  ftd^  wieberbolt 
burcb  fedfen  5Kutb  unb  raf<be  ©ntfcblojfenbeit  fyeröor.  aber  all» 
gubcreit,  bei  bem  geringften  Slnlaf;  ben  3)egen  gu  gieren,  »ergafj 
fid)  ber  leidfjt  aufbraufenbe  ^ufarenlieutenant  einmal  fo  weit, 
baf)  er  fogar  feinen  ©eneral  gnm  3)ueH  ^erauSfotbern  wollte. 
33lüd)er  würbe  gu  einer  anberen  ©cbwabron  »erfefct,  fanb  inbefj 
in  feinem  neuen  ÜRajor  fPobfcbarlp  einen  »orgüglidben  gebrmeifter 
im  ©olbatenbanbwerf,  fo  baf}  er  fidj  ibm  fein  geben  bmbutdfj  gu 
35  auf  o er pflic^t et  füllte. 

Stiebt  fo  nüjjlidb  »erbrachte  Slücbet  bie  gtieben8jabre,  welche 
auf  ben  7 jährigen  Ärieg  folgten.  35a  er  für  feinen  ungeftümen 
Üljatenbrang  im  3)ienfte  feine  Sefriebigung  fanb,  für  wiffen« 
fd^aftlid^e  ©tubien  aber  bie  SSorbilbung  unb  in  ben  pommerifdjen 
Duartieren  au<b  bie  Anregung  fehlte,  fo  trieb  er  e8  wie  bie 
meiften  feiner  ©tanbe8genoffen.  @r  tangte,  jagte,  tranf  unb 
ftnelte,  ^ofirte  ben  grauen  unb  oerübte  allerlei  luftige  ©treidle. 
©lüdfUcber  SEBeife  aber  bat  ba8  au8gelaffene,  oft  wüfte  ©atnifon* 
leben  be8  »origen  3abrbunbert8  Weber  feinen  ftabU)arten  Äörper, 
noch  bie  @d)neU  traft  be8  ©eifteS,  noch  eublicb  |)erg  unb  ©ernütb 
gefdf)äbigt. 

würbe  bie  militarif^e  gaufbabn  unfereS  gelben 
in  unliebfamer  SBeife  unterbrochen.  6r  ftanb  im  Sabre  1770 
al8  ©tabSrittmeifter  an  ber  polnifdjen  ©renge,  alß  ibm  auf  Sn« 
trag  beß  @eneral8  »on  Boffow,  ber  an  Selling’ 8 ©teile  getreten 
War,  aber  bem  fedfen  unb  gewaltbatigen  Slücber  nicht  woblwoöte, 
ein  £etr  »on  SägerSfelb  im  Ufoancement  »orgegogen  würbe. 


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9 


SMüdjer,  in  feinem  fefyr  empfinblichen  (S^tgefüijl  oerlefct,  fdjimpfte 
über  bie  ungerechtfertigte  Surucffefsung  unb  bat  ben  jfönig 
griebrich  in  nadjftehenben  furzen  SBorten  um  feine  ©ntlaffung: 
„©et  oon  3ager8felb,  ber  fein  anbeteS  üßerbienft  hot,  als  ber 
Sohn  beS  SRarfgrafen  oon  Schwebt  gu  fein,  ift  mir  oorgegogen; 
ich  bitte  @».  ÜRajeftät  um  meinen  Slbfchieb.“  ©er  Äönig, 
welcher  webet  ben  Rittmeifter  oerüeren,  noch  ftd)  oon  ihm  ©rofc 
bieten  laffen  wollte,  referibirte  in  feinet  Söeife,  Slücher  fofle  fo 
lange  in  33erhafi  gefegt  werben,  biß  er  fi<h  eines  SBeffeten  be» 
pnne.  ©a  aber  ber  jefct  ooflenbS  f erlebte  Rittmeifter  nach 
neunmonatlicher  $aft  noch  auf  feinen  Sbfehieb  beharrte,  würbe  ihm 
betfelbe  burch  folgenbe  Drbre  bewilligt:  „©er  Rittmeifter  Sölüd^cr 
ift  auS  bem  ©ienfte  entlaßen  unb  fann  fidh  gum  Steufel  fcheeren." 

So  gab  Blücher  eine  Laufbahn  preis,  an  ber  et  bod?  mit 
gan3er  Seele  bing.  6r  war  mittellos  unb  bagu  cerlobt,  ©a 
cetlieh  ber  fächfifche  Oberft  oon  SRehling,  ©eneralpächter  einet 
polnifchen  .£>ertf<höft,  ihm  mit  ber  ^>anb  feiner  Mochtet  ein  £anb* 
gut  in  Unterpacht,  ©anf  feines  unoergleid)lich  praftifdjen  Sinnes 
unb  ©anf  ber  Suthoft  unb  SluSbauer,  womit  er  bem  neuen 
Berufe  fi<h  wibmete,  wirthf  duftete  Blücher  fo  oortreffiieb , ba§ 
‘er  nach  einigen  Salden  con  feinen  Grfpatniffen  ein  @ut  in 
Sommern  faufen  fonnte.  $ier  erwarb  er  fidh  gerabe3u  ben  Ruf 
eines  SRufterwirtheS,  unb  feine  StanbeSgenoffen  ehrten  ihn 
burch  bie  SSaljl  3um  RitterjcbaftS*  ober  Sanbrathe.  Slucp  $rieb* 
ridh  ber  ©rofje,  welchem  Blüchct’S  auSge3eichnete  Stiftungen  in 
ber  8anbwirthfchaft  nicht  entgingen,  wanbte  bem  ©utSbefifcer  unb 
Sanbrathe  bie  ©unft  wieber  3U,  bie  et  bem  hörigen  Rittmeifter 
ent3ogen,  unb  war  ihm  fogar  mit  ©elboorfchüffen  unb  ©elb* 
gefepenfen  gut  Berbefferuug  feines  ©utS  behülflicp.  ©agegen 
weigerte  fiep  ber  Äönig  ungeachtet  aller  btingenben  ®efud?e 
Blücpet’S,  ihn  wieber  als  Offner  angufteHen.  Rapegu  15  3apre 
fah  fich  ber  feurige  9Rann  oon  bem  Berufe,  für  ben  er  wie  nur 
wenig  Slnbere  geboren  war,  unerbittlich  auSgefchloffen. 

c») 


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10 


Stiles  häusliche  ©lücf,  bie  Siebe  ber  ©attin  unb  baS  frö^Iid^e 
©ebeifjen  einer  ^a^lreidjen  Jfinberfchaar  boten  trofj  beß  innigen 
gamilienfinneS,  bet  ifym  eigen  war,  auf  bie  Dauer  feinen  ©rfafj. 
Hnbefriebigt  griff  SMüdjer  mieber  gum  Spiele,  fcem  er  eine  Steife 
ocn  Sagten  gang  entfagt  haben  fotl,  nnb  begann  überhaupt  ein 
ungeregeltes  geben,  biß  ihm  enblidj,  gmei  Saljre  gunor,  ehe  er 
feine  ©emahlin  burth  ben  $ob  »erlor,  baS  Slbleben  griebrich’S  beS 
©rofien  bie  SluSficht  auf  bie  {Rücffehr  gum  SDiilitärbienft  eroffnete. 
3m  Sahre  1787  mürbe  23lüchec  mieber  in  bem  fdjmargen  (je£t 
ridjtiger  rothen)  ^pufarenregimente  angeftellt  unb  gmat  als  5Rajor, 
um  halb  gum  Dberftlieutenant  unb  fdjon  im  Sahre  1790  gum 
SDberften  unb  {Befehlshaber  beS  {Regiments  gu  aoanciren.  @r 
lebte  nun  mieber  gang  als  Solbat,  tüchtig  im  Sienft  unb  frifth 
unb  muthig  bem  Slugenblicf  ^ingegeben.  £>b  er  »iel  ober  meuig 
©elb  hatte  — oft  fehlte  eS  gang  baran  — beeinträchtigte  feine 
frohe  Saune  faum;  er  oerftanb  bcffet  gu  entbehren  als  gu  ge» 
niefjen,  unb  maS  baS  ©lücf  in  fühnem  Spiele  ihm  etrca  gu* 
manbte,  mürbe  meift  raf<h  oerthan. 

©rft  in  ben  Salden  1793  unb  1794  bot  ftd}  für  SSlücher 
bie  lang  erfehnte  ©elegenljeit  gu  größeren  friegerifdjen  2haten. 
SSn  ber  Spifce  feines  {Regiments  nahm  er  meift  in  bcr  SBorffut 
ber  oereiuigten  öfterretrfjifdv^reu^ifcben  £eere  an  ben  ^elbgügen 
gegen  baS  reoolutionäre  Sranfreich,  aufangS  in  ben  {Rieberlanben, 
bann  am  JDberthein  2heü.  UeberaD  aber  that  er  ftd),  mähtenb 
ber  Ärieg  für  bie  IBetbünbeten  im  ©angen  nicht  glängenb  »erlief, 
burdj  feinen  entfcbloffenen  SRuth,  feinen  fräftigen  SBillen  unb 
feine  unübertreffliche  ^pufarenlift  het»»r. 

SBie  er  felbft  UobeSfurcht  nicht  fannte  — oft  genug  fefjte 
er  baS  eigene  Seben  faft  toOfühn  auf  baS  Spiel  — , fo  gemohnte 
er  auch  feine  Seute,  für  bie  er  übrigens  väterlich  forgte  unb 
über  rcelche  er  alles  oft  mit  einem  fräftigen  SBifcmort  »ermochte, 
»n  febe  ©efaljr;  aber  feiten  ober  nie  verleitete  ihn  fein  »ermegenet 

ÜRuth  unb  fein  SSertrauen  auf  baS  ©lücf,  bie  Serantmortung 
(»«) 


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11 


beö  gübterS  auä  bem  2Iuge  ju  laffen.  ©eine  fübnen  Jpufateu* 
ftreic^e  waten  f^iau  beregnet  unb  wutben  mit  größter  Sorftcbt 
auSgefübrt.  2Rebr  als  einmal  fügte  bet  fyelbenmütljige  Sdeitet» 
obtift , ben  her  Äönig  am  4.  3uni  1794  jum  ©enetalmajot 
etnannte,  bem  geinte  empfintlicbe  Serlufte  ju;  fo  jeidjnete  et 
ftdj  in  bem  ©efedjt  3U  SJtoorlautern  burd}  eine  glüngenbe 
6aca0erie«9tttaque  auS,  unb  ebenfo  bebeefte  et  ficb  bei  Äirrweiler 
(in  bet  wo  et  ben  ©eneral  SDefaij:  gurücffcblug,  unb  bei 

ÄaifetSlautetn  mit  5RuI)m.  Sei  Äirrweiler  etbeutete  Slüdjer 
6 Äanonen  nebft  Sagen  unb  ^fetben  unb  machte  500  @e» 
fangene. 

Uebet  feine  &t)aten  unb  ©rlebniffe  in  beu  gelbgügen  Don 
1793  unb  1794  führte  Sinket  jEagebüdjer,  bie  fpäter,  butd^ 
feinen  abjutanten  ©rafen  ©ol£  unb  ben  ÄtiegSratb  SRibbentrop 
beatbeitet,  etfebienen  finb. 

Slütbet  l)at  immer  Sertb  auf  biefe  Aufzeichnungen  gelegt 
unb  bie  8ebren  unb  Seifpiele,  bie  fie  enthalten,  noch  oft  im 
Alter  empfohlen.  3ene  Tagebücher  finb  auch  nicht  allein  febr 
anfcbaulicb  unb  lebenbig  gefdjtieben,  fonbetn  enthalten  nach  bem 
Urteil  ©adboerftänbiget  füt  ben  9>arteigängerfrieg,  für  ben  Sor* 
poftentienft  bet  ©aoalletie,  füt  UebetfäQe  unb  anbeteS  manches 
noch  beute  ©ültige. 

@8  war  nicht  Slüdjer’S  ©djulb,  wenn  bie  oerbünbeten 
ß[terteicbifd)>pteu§ifcbcn  £eere  SDanf  bet  metbobifeben  Strategie 
bet  Oberfelbberten  unb  ber  wadbfenben  3toirtTadjt  bet  aufeinanbet 
eifetfücbtigen  unb  mifjtrauifdben  ©abinete  fid)  fdjliefjlicb  übet  ben 
Schein  jurüdfjieben  mußten.  Slücber  febtte,  als  butdj  ben  Safelet 
grieben  1795  ^reufjen,  nid)t  obne  DefteneicbS  ÜJiitfdbulb,  bem 
geweinfamen  Kriege  gegen  granfteicb  entfagte,  mit  bem  SRubnt 
eines  neuen  3'ftben,  eine8  Lieblings  bei  £eete8  unb  beS  Sol!e8 
gntürf. 

(St  etbielt  füt  bie  näcbften  3abte  ein  Gommanbo  innerhalb  bet 

burc b ben  gtieben  gesogenen  SDemarfationSlinie  in  fRiebetbeutfcb« 

m) 


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12 


lanb.  3n  Aurid)  oermählte  er  ftdj  mit  gräulein  Amalie  Bon 
©olomb,  einer  Todjter  beS  bortigen  Äammerpräfibenten,  weldje 
fid)  nid)t  allem  burd?  ©djönheit  unb  ^er^enggüte,  fonbern  audj 
burdj  geiftige  Sebeutung  aulaeidjnete.  Amalie  Bon  ©olomb 
Wat  30  Safyre  jünger  all  ihr  ©emahl,  ber  jebodj  auc^  all  günfjiger 
nod)  eine  wahrhaft  glängenbe  ©tfcbeinung  barbot.  23hi^er  mar 
befanntlid)  ein  fc^öner  {Diaun,  jd}lanf  unb  grofj;  bie  hohe»  breite 
©tim , bie  ftar!  gefrümmte  SRafe,  bie  blijjenben  blauen  Augen 
gaben  audj  {einer  äußeren  ©rfdjeinung  bal  ©epräge  bei  gelben. 
Kühnheit  unb  unerfchütterlidje  {Ruhe,  Älarheit  bei  ©eiftel  unb 
Seftigfeit  bei  SBiQenl  {praßen  fic^  in  {einen  3«gen  aul;  in 
{einen  SRunbwinfeln  aber  lag,  nacb  Arnbt’l  Aulbrucf,  33er{(^mi^t* 
heit  unb  Jpufarenlift. 

2Bat  el  ju  Berwunbem,  wenn  33lüdf)er  nicht  allein  ber 
Liebling  ber  grauen  war,  {onbern  bie  ^erjen  AUet  gewann,  mit 
benen  er  nerfefyrte?  ©elbft  unter  {o  {^wietigen  33erhältniffen, 
wie  fte  iljn  im  3a^re  1802  in  SBeftphalen  erwarteten,  all  er 
SJtünfter  für  {Preufjen  in  Sefijj  nahm  unb  bort  all  ©ou» 
Bemeur  ber  ©tabt  unb  ihre!  ©ebietl  für  bie  nädjften  Sa^re 
fein  Duartier  auffcblug , erfreute  et  ftd)  einer  feltenen  fPopuIari» 
tat  auch  in  bürgerlichen  greifen.  ©I  waren  griebenljahre  für 
bie  preufjifdje  Armee,  unb  SBlüd^er  fanb  Seit,  feiner  geibenfdjaft 
für  bal  ©piel,  bem  er  im  gelbe  ftetl  entfagte,  nad^ugehen. 
4>äufig  fah  man  ihn  in  bem  2?abe  ^prmont,  bal  er  im  ©ommer 
oft  befudjte,  um  bie  hmhften  ©ummen  {fielen.  ©I  war,  wie 
wenn  {einem  feurigen  Temperament  fühnel  SBagen  ein  Söebürf» 
nifj  gewefen  wäre. 

{Daneben  uetlor  er  inbefs  bie  SßeltBerhältniffe  ebenfo  wenig 
wie  bie  Angelegenheiten  feinel  militäri{djen  SSerufl  aul  bem 
Auge.  3e£t  juerft  tritt  feine  {ßerfönlidjfeit  aud)  im  politifdjen 
geben  ber  {Ration  henwr.  ©t  wirb  ber  entfd^iebenfte  ©egnet 
bet  Bon  <£>augwi{}  Bertretenen  fd^wac^Iicfjen  griebenlpolitif;  er 
hafjt  ÜRapoleon  unb  erfenut  bie  fteigenbe  ©efa^r,  bie  Bon  ber 

(IS) 


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13 


ftangöfidjen  Uebermacht  broht.  öffen  unb  herb  warnt  et  cot 
jefcem  Sünbnifj  mit  bem  Solbatenfaifer,  unb  .feit  bem  3ahre 
1805  wirb  et  neben  $ring  2oui8  gerbinanb  unb  ©enerat 
{Rüt^el  einer  ber  geiftigen  gührer  ber  ^rieg^artei  tm  preufiijcben 
£eere. 

Slücher  jubelte  auf,  als  enblich  im  Jperbfte  be8  genannten 
3abre§  bie  Slrmee  mobil  gemacht  unb  bie  Hoffnung  erwecft 
würbe,  bafj  griebrid)  SBilhelm  III.  im  Sunbe  mit  Sllejcanbet 
non  fRufjlanb  bem  öfterrei^tfdben  Äaifer  in  bem  an  ber  3)onau 
eröffnet em  großen  Äampfe  gu  ,£>ülfe  fommen  werbe.  5818  bann 
aber  nach  ^augwifc’  übelberufener  EJtiffion  $)reufjen  ba8  brohenb 
erhobene  Schwert  wieber  in  bie  Scheibe  ftecfte,  rcahrenb  Öfter» 
reich  einen  nachteiligen  Trieben  einging,  fRufjlanb  feine 
Struppen  gurüdgog  unb  bie  fübweftbeutfdjen  dürften  enblidj  auf’8 
engfte  an  Elapoleon  fich  aitfchloffen,  ba  war  Sßlüc^er  nicht  ber 
lefcte  unter  ben  gasreichen  Patrioten,  welche  ooE  UnwiEen  unb 
3orn  aufbrauften.  Salb  fdjimpfte  er  auf  bie  üJiinifter,  bie  ane 
Schmach  oerfchulbet,  halb  begeifterte  er  fid)  für  „bie  göttliche 
.Königin"  8uife,  für  bie  er  aflein  noch  in  ben  Äampf  giehen 
möchte,  halb  wanbte  er  fich  mit  einem  freien  unb  fräftigen  SBorte, 
wie  e8  nur  ihm  erlaubt  war,  an  ben  König  felbft. 

griebrid}  SBilhelm  entfchlofi  fid}  enblich  im  Spätfommer  be8 
3ahre8  1806,  al8  neue  SDemütt)igungen,  £erau8forbetungen  unb 
Sntriguen  Elapoleon’8  ihm  !aum  eine  anbere  2Bal)l  liehen,  gum 
Kriege.  Slber  bie  Umftänbe  waren  nunmehr  einem  Kampfe  ber 
ifolirten  preuhijdjen  CCRadjt  gegen  ba8  ftangöfiche  SBeltreid)  fo 
ungünftig  wie  möglich,  aud)  »erfannte  ber  befonnene,  tn  mili« 
tärifchen  3)ingen  fel)t  einfidjtige  König  nicht  bie  tiefen  Sd}5ben, 
an  benen  feine  2ltmee  franfte  unb  bie  er  oor  bem  5Hu8bruche 
be8  Krieges  gu  befeitigen  gewünfdjt  hätte. 

Slücher  bagegen  fieht  froh  in  bie  3ufunft.  6t  fürchtet 
bie  grangofen  nicht,  fonbern  fann  ooE  9Euth  unb  KampfeSluft 
faum  ben  Stag  be8  2oSbrud}8  erwarten;  er  wiE  inbefj,  wie  et 

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14 


bem  Äönig  »erflc^ett,  nichts  ttebereilteS  unternehmen  unb  fich  tatest 
ton  gu  großer  Segierbe  htnreifeen  taffen.  S3on  ben  geinben  aber 
ift  er  überzeugt,  bafs  fte,  wie  et  bem  ©enetal  IKüd^el  fdjreibt, 
ihr  ©rab  noch  bieöfcitö  beS  Scheines  ftnben  unb  ben  herüber» 
fommenben  angenehme  dtachricht  wie  ton  (Rofcbach  bringen 
»erben. 

SDiefe  Siegeshoffnung  würbe  jeboch  f<hon  tief  genug  herab 
geftimmt,  ehe  SMüd&er  mit  feinem  @orp8  ton  SBeftphalen  nach 
Thüringen  aufbra(h.  ©t  fah  noch  immer  ben  lähmenben  ©in» 
flufc  ber  SJtänner  beS  ©abinetS  fortbauern  unb  ade  Shatfraft 
hemmen.  „®ott,  rtie  weit  ift  eS  mit  unS  gelommen!"  ruft  er  in 
einem  ©riefe  an  fRüdjel  auS.  @r  hofft  nur  noch  ©ute§,  wenn 
ber  Äönig  fi<h  in  bie  ÜJtitte  ber  Ärteger  begiebt.  JDann  »erbe 
er  täglich  anbere  föteinuugen  hören,  als  fie  ihm  biß  jej}t  „ton 
einet  boshaften  Slotte  ton  gaulthieren"  torgetragen  werben,  unb 
feine  Stnficbt  werbe  fidj  anbern,  wenn  et  fich  ton  lauter  ent» 
fehloffenen  9Jtenf<hen  umgeben  fetje  unb  ben  allgemeinen  Ha§ 
lennen  lerne,  bet  bie  SJBenigen  treffe,  welche  ihn  bisher  täufchten 
unb  betrogen. 

§riebri(h  SSilhelm  begab  fich  gut  Slrmee;  aber  beS  ÄönigS 
beffere  (Sin ficht  fonnte  »eher  bie  ^lanloftgfeit  unb  bie  SBerfehrt« 
heiten  befeitigeu,  bie  in  bem  Hauptquartiere  beS  alterSf djwachen 
HergogS  ton  33raunf<hweig  h«rrf<hten,  noch  bie  ^ebanterie  unb 
Schwerfälligfeit,  welche  ben  gangen  SJiechaniSmuS  beS  pteufjifchen 
Heeres  fenngeichneten.  SBie  gang  anberS  auf  feinblidjer  Seite, 
Wo  ber  geniale  Sdjlaehtenfaifer  in  ber  gütle  feiner  Äraft,  um* 
geben  ton  ben  außgegeichnetften  ©eneralen,  an  bet  Spifge  fieg* 
gewohnter  Struppen  ftanb! 

9ln  bem  fdjicf’alSfchweren  14.  IDctcber,  in  ber  üDoppel* 
fdjladht  non  3ena  unb  Suerftäbt,  führte  ©lüd^er  bei  bem  leiteten 
Orte  bie  SScantgarbe  bet  Hauhtarmee.  (Sr  machte  mit  ber 
©ataDetie  einen  glücfHdjcn  Angriff,  würbe  aber  burch  feinbliche 
(SarreeS  in  feinem  SB  erbringen  aufgehatten.  3n  ber  Hif?«  keS 


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15 


(Gefecbtfi  würbe  ihm  baß  ^ferb  unter  bem  Seibe  erfchoffen;  er 
muffte  mit  bet  Oieiterei  gurücfweichen.  2Rittlerweile  warb  ber 
höchftfommanbirenbe  Jpergog  »on  Vraunfchweig  ferner  »erwunbet, 
eß  fehlte  an  jebem  einheitlichen  Sefefyl  unb  bie  planlos  in  ben 
Äampf  geführten  Struppen  erlitten  harte  Verlufte.  3118  bann 
bie  9)teu§en,  inbem  fie  ba8  Dorf  ^affen^aufen  räumten,  non 
einer  fraugöfifchen  Dioifton  umgangen  würben,  ^offte  Vlüdher 
nod)  butd)  einen  Angriff  mit  ben  lebten  9iefer»e*($a»allerie»3lb« 
Teilungen  bet  Schlacht  eine  günftige  SBenbung  gu  geben ; allein 
bie  fdjon  erbetene  (Genehmigung  be8  Äönigß  würbe  ihm 
»erjagt  unb  ber  fRücfgug  anbefohlen.  Da  an  bemfelben  Jage 
bie  £ohenlohe’fd)e  Slrmee  bei  3ena  gänglid)  gefchlagen  war  unb 
bie  »on  borther  gliehenben  gu  ben  bei  3luerftäbt  bcftegten  Struppen 
ftiefjen,  artete  bet  {Rücfgug  auch  biefer  halb  in  tegellofe  glud)t  au8. 

33lüd)er  war  einer  ber  wenigen  höhnen  Dfftgiere,  welche, 
auch  aa(^  ber  Äataftrophe  beß  14.  Dctoberß,  ba  ber  gange  Kammer 
bet  preufcifchen  ßtiegßfühtung  gu  Stage  trat,  ben  Äopf  nicht  »er» 
loten.  (Sr  befehligte,  al8  unter  ^ohenloheß  Leitung  bie  £aupt» 
maffe  ber  gesprengten  3lrmee  auf  Umwegen  ftd)  über  bie  dlbe 
rettete,  bie  Sirrieregarbe,  gerieth  aber  in  bie  peinlichfte  Sage, 
nachbem  felbft  Hohenlohe  mit  10,000  fDtann  bei  $)renglow  bie 
SBaffen  geftrecft  hatte.  Slücher  fab  fi<b  mit  10,000  fölann 
burch  bie  »ietfache  Uebermacht  gweier  frangöfichet  fölarfchätle  ge« 
fähtbet,  welche  ihm  ben  2Beg  nach  ber  Ober  »erlegten  unb  gleich» 
geitig  Diücfen  unb  glanfe  bebrohten.  3118  er  bann  noch  weitete 
gerftreute  #eeteßrefte  an  ftch  gog  unb  bi8  in’8  OJlecflenburgifche 
»orbrang,  jaubte  Napoleon  nodh  ein  britteß  Gforpß  gu  feiner 
Verfolgung  auß,  fo  bafj  ihm  auch  bet  Söeg  nach  SRoftocf  abge* 
fchnitten  würbe.  9lun  wanbte  fi<h  SMücher  unter  immer  erneuten 
heftigen  (Gefechten  nach  Sübecf  in  ber  Hoffnung,  hiet  auf  englifchen 
gahrgeugeu  nach  Dftpreu|en  fidf  eingufchiffen.  Snbem  er  aber 
mit  feinen  abgehefcten  Struppen  bie  alte  ^anfeftabt  erreichte,  fah 
er  bie  geittbe  bicht  auf  feinen  gerfen.  Die  fPreuffen  fchlugen 

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16 


fi<h  noch  in  ben  Straften  SübecfS  auf’S  Jiapferfte,  bis  fie  fid^ 
sei  bei  Uebermadht  auf  fyolfteinifdje0  ©ebiet  nach  {Ratfau  gu* 
tücfgiehen  mufften.  Sin  ein  Gattinnen  »at  nicht  mehr  gu  beulen: 
SMüdjer  muhte  nothgebrungen  capituliren;  et  that  eS  mit  fernerem 
bergen  unb  nicht  ohne  feiner  Unterfdjrift  bie  JBemerfung  beigu» 
fefcen,  baff  er  nur  auS  gänglicpem  SRangel  an  Stob  unb  SRu« 
nition  bie  SBaffen  geftrecft.  Gr  burfte  auf  ©htentsort  nach  Ham- 
burg gehen. 

SBährenb  Sölüdjer  als  einet  bet  SBenigen,  »eiche  in  ben 
Jagen  bet  Schmale  unb  ©rbärmlichfeit  ihre  23appenf<hilbe  rein 
unb  macfelloS  halten,  bie  preuffifche  SBaffenehte  rettete,  Ȋlgten 
ficfc  bie  feinblichen  HeereSmaffeu , ba  eS  feine  preuffifche  Slrmee 
mehr  gab  unb  felbft  bie  ftärfften  Seftungen  burch  incalibe 
Gommanbanten  fopfloS  unb  feig  bem  Sieger  überliefert  »urben, 
ungehinbert  bis  gut  SDber,  ja  bis  an  bie  SBeichfel.  5>ie  fßniglidje 
gatnilie  muhte  in  bem  öftlidhften  Jhe'le  bet  ÜRonarthie,  in 
Königsberg,  bann  in  SRemel  eine  3uflucht  fuöbeu.  55a  erft 
nahte  bie  erjehnte  ruffifche  Hülfe.  55er  fReft  ber  preuhifchett 
Jruppen,  oon  bem  tapfern  ©eneral  ?eftocq  geführt,  fchlofj  fid) 
ben  SSerbünbeten  an,  unb  burch  glücflidje  Kämpfe  »urbe  bie 
Hoffnung  begrünbet,  bah  mit  ber  ^)ülfe  ber  fRuffen  noch  immer 
ein  leiblicher  Triebe  errungen  »erben  möchte.  3n  ber  Schlacht 
bei  95reuhifcbsGi>lau,  »e  Seftocq  mit  feinen  6000  SRanu  SSunber 
ber  Japferfeit  »errichtete , erlitt  fRapoleon  fc  fch»ete  23erlufte, 
bah  er  trofc  feiner  SiegeSberichte  bem  Könige  bie  qpanb  gu  einem 
günftigen  ^rieben  bot,  wenn  et  [ich  ocn  feinem  S3unbeSgenoffen, 
bem  Kaifer  SUejcanber,  loSfagen  »erbe.  35iefe  Bumuthung  wieä 
griebrich  SBühelm  gurücf  unb  ber  Krieg  nahm  feinen  gortgaug. 

S3lücher  »ar  ingwifchen  gegen  ben  ftangöfifchen  ORarfchall 
SSictor  auSgewedhfelt  »erben,  nachbem  et  feit  ber  Sbreife  uon 
Hamburg  14  Jage  in  fRapcleon’S  Hauptquartier  gugebracht  hatte. 
„55er  groheSRann,“  fo  berichtet  er  über  ben  frangöfifchen  Kaifer, 
„hat  fich  eine  gange  Stunbe  gang  allein  mit  mich  unterhalten; 

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er  hatte  oiel  5Rühe  mich  alles  serftcinblich  gu  machen,  ba  ich 
bet  Sprache  nid^t  mäklig  bin,  liefe  fidj  aber  nicht  abhalten,  e8 
mid)  begreiflich  31t  machen,  bafe  er  grieben  »eilte." 

3(8  Vlüdjer  bann  nach  Vartenftein  fam  unb  bcn  Äßnig 
entfcfeloffen  fafe,  ben  Ärieg  fort3u jefeen,  blicfte  er  froh  in  bie 
Bufnnft,  unb  3»ar  unt  jo  mehr,  als  er  nach  bem  Sturge  beS 
SJtinifterS  ^augwife  feinen  greunb  ^»arbenberg  an  ber  Spifee 
bet  ©efdjäfte  unb  gugleidfe  in  Vefifee  be8  uubegrengten  Sßertrauen8 
beS  ÄaiferS  Aleranber  fafe.  Schon  »agte  er  3U  hoffen,  bafe 
auch  bet  3U  Anfang  be8  3afere8  in  Ungnaben  entladene  greifeerr 
nen  (Stein,  in  welchem  ba8  fdjarfe  Auge  beS  Solbaten  ben 
Staatsmann  ber  Bufunft  erblicfte,  alSbalb  non  bem  Äönig  gu*' 
tücfgerufen  würbe.  @r  bejchwot  ben  auf  feiner  eäterlicfeen  33urg 
in  fRaffau  weilenben  gteihertn,  boch  ja  3U  fommen,  fobalb  er 
gerufen  werbe.  „Sinb  wir  bann  »ereint,  fo  feilen  un8  bie  noch 
übrigen  an  ©eift  unb  geib  franfen  gaultfeiere  leinen  Schritt 
Jetrain  mefet  ftreitig  machen.“ 

(Der  tapfere  ©eneral,  »on  bem  Äönige  mit  bem  fchwargen 
AbleroTben  auSgegeidfenct,  würbe  auSerfefeen,  mit  einer  neu  au8* 
gerüfteten  Struppenfcfcaar  im  Verein  mit  ben  Schweben  im 
SRücfen  ber  gran3ofen  in  Sommern  gu  fämpfen.  Vtücher  felbft 
hatte  ben  Vorfdjlag  gu  bem  Unternehmen  gemacht,  unb  Äeiner 
wäre  gut  Ausführung  beS  planes  geeigneter  gewefen.  3(8  er  bann 
in  3?önig§berg  mit  ben  Vorbereitungen  für  bie  ©rpebition,  een 
ber  man  ©tofee8  erwartete,  befchäftigt  war,  würbe  er  häufig  non 
ber  Königin,  welche  bafelbft  norübergehenb  wieber  weilte,  em* 
pfangen.  Sie  gnife  ben  fühnen,  patriotifchen  ^riegSmann,  fo 
»ereilte  Vlüdjer  auf’8  Sieffte  feine  hochfinnige  Königin.  Sie  liefe 
ihn,  wenn  in  ihrem  Keinen  Abenbgirfel  @harh‘e  gegupft  mürbe, 
gern  non  feinen  jüngften  ÄtiegSerlcbniffen  ergählen,  wa8  Vlütfeer 
mit  jugenblichem  geuer  unb  nicht  ohne  bie  3uoet  ficht  tfeat,  fünf» 
tig  grefeere  ©rfolge  gu  ergielen.  Senn  babei  auch  ihm  »on  ber 
Königin  ein  Stüdfdhen  geinwanb  gereicht  würbe,  bamit  er 

XIV.  313.  314.  2 CU) 


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18 


©parpie  barauß  gupfe,  fo  pflegte  et  eß  uubemerft  in  feie  «Säbel* 
tafele  gu  fteifen.  guife,  ipn  einmal  batübet  ertappenb,  geipt 
ipn  läipelnb  bet  Unterfdjlagung.  SMücpet  etflärt  eß  für  eine 
Äriegßlift  unb  bittet  um  bie  ©nabe,  feine  Station  ©parpie  gu 
£aufe  gupfen  gu  bürfen,  »aß  ipm  unter  bet  S3ebingung  promp* 
tefter  Ablieferung  geftattet  »irb. 

fRacpbem  ein  ©orpß  non  7000  SJtann  außgerüftet  unb  mit 
©nglanb  »ie  mit  ©(pweben  ein  Uebeteinfommen  getroffen  »at, 
fegelte  SBlüt3^er  am  31.  Sföai  1807  auß  Villau  na<p  bet  3nfel 
!Rügen  ab.  ©er  f<p»ebif<pe  jfenig  aber,  »eichet  fitp  bie  Ober* 
leitung  außbebungett,  patte,  etje  bie  9>reupeu  anfamen,  eine 
längere  SEBaffenrupe  mit  ben  grangofen  gefdjloffen,  fo  bap  fiep 
Slüdjer  gu  einer  ipm  gtünblidj  nerpapten  Untpätigfeit  nerut* 
tpeilt  fap. 

SSäptenb  fo  bie  foftbaren  Sage  ungenüpt  nerftriepen,  erfüll« 
ten  fiep  rafcp  bie  ©efepiefe  bet  preupifepen  SRonarepie.  33ergebenß 
patte  mau  um  feben  fpreiß  Defterreicpß  Beitritt  gu  bem  preupifep» 
tufftfdpen  5ßunbe  gu  erlangen  gefuept.  ©ann  »utben  bei  grieb» 
lanb  bie  feplecpt  gefüprten  {Ruffen  entfepeibenb  gefeplagen,  unb  bet 
Bat  Alejranber  war,  trop  ber  bem  33erbünbeten  im  Angefiept 
bet  ©atben  wieberpolt  gelobten  Sreue,  bereit,  mit  fRapoleon 
grieben  unb  grewtbfcpaft  gu  fcpliepen.  ©o  fap  fiep  ber  oer* 
laffene  gtiebriep  SSilpelm  auf  bie  ©nabe  beß  übermütpigen 
©iegerß  angewiefen,  weleper,  »eher  butdf  bie  popelt,  noep  burtp 
bie  Spränen  ber  unglüefliepen  Königin  gerüprt,  baß  fReept  beß 
©tärferen  rücffieptßloß  außbeutete. 

SB  er  wüpte  niept,  wie  unfägliep  bemütpigenb  unb  bitter 
bie  33eftimmungen  beß  Silpter  griebenß  für  $)reupen  waten? 
SBurbe  bem  Äönige  boep,  inbem  ipm  fRapoleon  bie  eine  Hälfte 
beß  ©taatßgebieteß  entrip,  bie  anbere  nur  gelaffen  alß  ein  Beug» 
nip  bet  Aeptnng,  bie  ber  frangofifepe  Äaifet  gegen  ben  Baren 
pege,  wäprenb  au<p  Diuplanb  fi<p  mit  einem  ©tücf  beß  net» 

ftümmelten  ^Ireupen  nergröperte.  33oHenbß  nerberblidj  »at  enb* 

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19 


Jidb  bie  übereilt  abgefdjloffene  Gonoention,  bie  (Räumung  ^IreufjenS 
toon  beit  frangöfifdbcn  Gruppen  betreffend;  denn  dtefer  Vertrag 
machte  ben  abgug  ber  feindlichen  .£>eere  »on  B^lungen  abhängig, 
bie  bet  Sieger  bis  in’S  Unerme&lidbe  gu  ftcigem  entfd^Ioffeit  war. 
fortan  war  baS  gertrümmerte,  webrlofe  $)reufjen  gang  in  bie 
«£>änbe  (Rapoleon’S  gegeben,  in  beffen  Velieben  eS  ftanb,  bem  oer* 
bauten  Staate,  fobalb  er  wollte,  eiu  Gnbe  gu  madbeit.  (Rur  bie 
IRücffidjt  auf  (Rufclanb  fonnte  i(?n  noch  abbalten,  ben  lebten 
Stritt  gu  t^un  unb  baS  £au8  ber  £obengodern  gu  entbronen. 

2lber  bie  Sage  ber  (Rotb  unb  ber  Sdbmadb,  bie  über  ben 
Staat  griebridb’S  beS  Grofjen  gefommen,  begegnen  gugleid)  ben 
beginn  ber  Siebergeburt  (PreufjenS  unb  ber  Vorbereitung  gut 
(Rettung  beS  GefammtoaterlanbeS.  SERit  bem  (Ramen  beS  grei* 
berrn  »on  Stein  uot  adern  ift  bie  Griuuetung  au  bie  Sieber* 
aufricptung  ^)reu|enö  oerfnüpft.  GS  beburfte  beS  fd^öpfetifd^en 
GeifteS,  ber  ftttlidjeu  -£>obeit  unb  ber  bewuubernSwertben  Sbat* 
raft  biefeS  großen  (JRanneS,  um  bem  gertrümmerten,  »om  geinbe 
fdjwet  bebrängteit  Staate  unter  ben  benfbat  fdjwierigften  Ver* 
bdltniffen  neue  Grundlagen  beS  GebeibenS  in  gufunftSreicben 
(Reformen  gu  geben.  3$  erinnere  nur  an  bie  Vauernemangipatiou, 
an  bie  anbabnwtg  ber  Gewerbefreibeit  für  Stabt  unb  8anb,  an 
bie  bebeutungSoode  Stabteorbnung,  (Reformen,  bie  gum  Sbeil 
freilidb  fdbon  in  ber  oorbergeljenben  3eit  geplant  unb  »orberettet 
worben  waren,  gu  bereu  ^Durchführung  aber  erft  bie  (Rotblage 
beS  Staats  unb  Steiu’S  gewaltiger  Geift  ben  fräftigeu  3«npulS 
gaben. 

aber  nicht  adein  um  eine  neue  politifdbe  Drganifation 
banbeite  eS  fidb,  fonbern  eben  fo  bringenb,  ja  nodb  bringenber,  er* 
fdbicn  bie  Umgeftaltung  beS  «jpeetroefenS,  bie  Sebrbaftmacbung 
beS  VolTS,  wofür  im  Sinne  Stein’S  Scbamborft,  bet  eigentliche 
Schöpfer  ber  neuen  ^eereSorganifation,  mit  Gneifenau  unb 
anbern  tbätig  war  unb  nidbt  am  wenigften  griebridb  Stlbelm  III. 
felbft  »erftdnbnifjoode  unb  eifrige  Sbe^»abmc  aH  ben  &a3  *e3*e> 

2*  09) 


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20 


©djarntjorft  unb  ©neifcnau,  bcibe  mit  33lüdbet  befreunbet, 
gehörten  eben  fo  wenig  wie  biefet  unb  bet  greifen:  »on  ©fein 
non  ©eburt  bern  ©taate  an,  in  beffen  SDienft  fte  fid?  mit  blei» 
benbem  £Rubm  bebeeften,  wie  benn  aud)  a0e  »ier  bei  »oflfter 
Eingebung  an  ^reu&en  in  bem,  wa8  fie  witften,  baö  SBefte  be8 
gangen  beutfdjen  SBolfeS  im  Sluge  Ratten. 

©ineö  bannooerjd)en  Pächters  ©obn  batte  bet  ebenfo  befrei» 
bene  alö  geniale  ©dbarnborft,  ben  man  bet  beutfdjen  greibeit 
SBaffenfdbmieb  genannt  bat,  wäbtenb  bet  griebenSgeh  im  preu» 
feigen  SDienfte  fldj  nut  atlmälig  ©eltung  »erfebaffen  Ißnnen. 
©tft  in  ben  Stagen  bet  3Rotb  letnte  bet  Äßnig  ben  unüergleicf)* 
lieben  SBertb  beS  SRanueS  fennen,  meldbet  mit  fo  »iel  Ein- 
gebung unb  ©elbftloftgfeit  ibm  unb  bem  ©taate  biente. 

Unb  ähnlich  »erhielt  e8  ficb  mit  Sribbato  »on  ©neifenau, 
beffen  Flamen  mit  33lü<bet’$  JRubmeötbaten  oon  bet  Äajjbacb  biß 
SBatetloo  ungertrennlicb  »erbunben  ift.  2118  ©obn  eineg  ebe» 
maligen  ofterreiebifeben  DffigierS  gu  ©djilba  in  Stbüringen  ge» 
boten,  batte  et  al8  Änabe  geitmeife  bie  ©änfe  gehütet,  biä  et 
in  SBütgburg  im  £aufe  beö  mütterlichen  ©rofwaterö  beffete 
Stage  »erlebte  unb  bann  bie  Unioetfttät  ©rfutt  begog,  um  ficb 
matbematbifdben  ©tubien  gu  wibtnen.  2lbet  halb  trieb  ben  lebenß» 
mutbigen  Süngling  bie  9?otb,  in  2ln8badbi|dbe  ÄtiegSbienfie  gu 
rieten;  et  fab  als  junget  Dffigier  2lmetifa  unb  fanb  enblidb  in 
bet  bewunbetten  2ltmee  griebricb’8  II.  2lufnabme.  Slacbbem 
©neifenau  in  preufjifcben  ©arnifonen  feine  beften  Sabre  in 
untergeorbnetet  ©tellung  »erbradbt  batte,  fam  enblidb  bie  Bett, 
wo  bie  groben  militärifdben  ©oben,  bie  umfaffenbe  23ilbung 
unb  bie  b°b®  patriotifebe  ©efinuung  beS  9Jianne8  ihren  SBertb 
erhielten.  @r  batte  bie  Stäben  beö  preufeifdjen  EeereS  früher 
als  2htbere  burdbfebaut;  et  fab,  als  bet  gelbgug  »on  1806  be» 
gann,  audb  bie  gebier,  welche  bie  Leitung  beging;  aber  als  jpaupt» 
mann  fonnte  er  nicht  ratben,  fonbetn  nut  f echten  wie  ein  tapferer 
©olbat,  um  bann  fliebenb  ba8  ©chladbtfelb  oon  Sena  gu  »et» 

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21 


laffen.  „ÜDa8  waren  ©räuel,  taufenbmal  lieber  fterben,  atö  ba8 
wieber  erleben!"  rief  er  f pater  in  Erinnerung  an  bie  gludjt  au8. 

Erft  in  ben  Unglücf8tagen  fdjlug  ©neifenau’8  ©tunbe.  2118 
Eommanbant  non  Eolberg,  wohin  ihn  griebridh  SBilljelm  fanbte, 
fteüte  ber  gelben  müßige  SJtann,  unterflögt  »on  SRettelbecf  unb 
einer  brauen  33ürgerf<haft,  in  ben  Jagen  ber  ©djanbe  unb 
ber  Schmach  ein  leudjtenbeS  Seifpiel  friegerifcher  Jüchtigfeit  unb 
patriotifcher  ©eftnnung  auf,  unb  würbe  bann  auf  ©djarnljorft’S 
JBorfdjlag  nebft  ©rolman,  33open  unb  SHnberen  in  bie  SERüitär* 
organtfation8*Eommiffion  ju  einer  epcdjemac^enben  J^dtigfeit 
berufen. 

SMüdjer  warb  nicht  SDRitglieb  biefer  Eomtniffion;  er  hätte 
baju  auch  fdjwerlich  gepaßt.  3h«1  würbe  bagegen  nach  bem 
^rieben  ba8  Eommaubo  über  bie  Jruppen  in  Sommern  übertragen; 
aber  bennoch  nahm  er  an  ber  Umgeftaltung  ber  2lrmce  lebhaften 
Slntheil.  SDie  Sbeen,  non  benen  jene  SER  (inner  au8gingen,  befeelten 
auch  ihn  u«b  er  beftarfte  fie  in  benfelben. 

2118  ber  Äönig  am  28.  3uli  1807  ben  glorreichen  33er< 
theibiger  non  Eolberg  an  fein  befdjeibeneS  ^oflager  nach  SDRemel 
in  ben  fernften  SSinfel  ber  SDRonardjie  berief,  fdjtieb  23lü<her  bem 
uon  ihm  hochuerehrten  SERanne: 

„@ehen  ©ie  hin»  »on  meinen  beften  SBünfchen  begleitet. 
3(h  ah«be(  wogu  ©ie  beftimmt  finb,  unb  freue  mich  barüber; 
grüben  ©ie  meinen  greunb  ©charnhorft  unb  fagen  ihm,  bah  ich 
e8  ihm  an’8  Jperg  lege,  nor  eine  SRationalarmee  ju  forgen. 
5Diefe8  ift  nicht  fo  fcbwierig,  wie  man  benft;  »om  ßollmab  muh 
man  abgehen,  niemanb  in  ber  SBelt  mufj  ercimirt  fein,  unb  e8 
mu§  gut  ©chaube  gereichen,  wer  nicht  gebient  hat,  e8  fei  benn, 
bah  ihm  förpetlidje  ©ebrechen  baran  Ijinbern.  — Unfere  unüfjen 
fPebanterien  mag  ber  ©olbat  ganj  »ergeffen.  5Die  2ltmee  muh 
in  ©ioiponS  getheilt  werben,  bie  3)i»ifion  non  allen  ©orten 
Jruppen  componirt  fein  unb  im  Jperbft  miteinanber  manboeriren. 

(«) 


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22 


2)a  ^aben  Sie  mein  ©laubenSbefenntnifj,  geben  Sie  eS  an 
Sdjarnfyorft,  unb  fdjreiben  Sie  mi d)  beifce  3b«  Meinung." 

5Da§  eS  gelte,  auf  ber  ©tunblage  ber  allgemeinen  SBefyr* 
Pflicht  ein  nationales  $eer  31t  fcbaffen,  but^brungen  »on  allen 
eblen,  tüchtigen  unb  gebilbeten  Elementen,  in  biefer  ttebergeugung 
begegnete  fidj  33lüdE>er  mit  Sdjarnborft  unb  beffen  patriotifdben 
SRitarbeitern,  fo  mie  mit  bem  leitenben  StaatSmanne  Stein,  be* 
als  lefjteS  3id  bei  feinem  reformatorifcben  SBirfen  bie  93orbe* 
teitung  beS  SSolfeS  für  einen  balbigen  UnabbängigfeitSfampf  im 
Singe  fyatte. 

©neifenau  aber  ging  in  feinem  CSifer  fo  weit,  bafj  et  nicht 
allein  eine  militärifdje  ©^iebung  ber  3ugenb  ootfchlug,  fonbern 
bie  burd)  ben  Ärieg  sertrümmerte  Solbatenfaffe  ganj  befeitigt 
Unb  burcb  ein  friegerifd)  gefaultes  SBolfSbeer,  brei  mal  fo  grofj 
wie  baS  bisherige,  erfeijt  wiffen  wollte. 

#eute  werben  wir  eS  als  ein  ©löef  betrauten,  ba§  ber 
©ebanfe,  baS  fteljenbe  £eer  burd)  bie  ÜBlilig  §u  »etbrängett,  bei 
Stiebridj  28ilf)elm  feinen  Slnflang  fanb;  wir  werben  audj  ben 
Äönig  triebt  tabeln,  baf$  er  nid>t  fogleicfe  baS  $>rincip  ber  aflge» 
meinen  SBebrpflicbt  3ur  SluSf  übrung  gu  bringen  fudjte:  galt  eS 
bodj  sunädjft  mit  fpätlicben  SORitteln  bie  gefallene  Slrmee  wieber 
aufgurichten,  gefäubert  »on  allen  3Weifefbaften  Elementen,  ge* 
fault,  auSgerüftet  unb  geführt  nach  neuen  ©runbfätjen. 

Sßäbrenb  mit  bem  jfonige  bie  beften  SRänner  ihrer  Beit  in 
ber  angebeuteten  SBeife  an  ber  ^Regeneration  beS  Staates  arbei* 
teten,  ftanb  il)nen  nicht  allein  in  ben  Slnbängetn  beS  altpreufjifchen 
3unfertbum8,  in  ben  33orurtbeilS»oUen,  ©igennüfcigen  unb  fragen 
eine  mächtige  Partei  entgegen,  fonbern  noch  fdjlimmere  Sorge 
bereitete  bie  SiHfüt  beS  fremben  UnterbrncferS. 

3n  ber  f<hen  erwähnten  ©onoention  »om  12.  3nli  1807 
batte  fRapoIeon  bie  allmälige  fRäumung  ber  bem  Röntge  3uritcf» 
3ugebenben  8ättber  abhängig  gemalt  oon  ber  3al)Iu«3  ober 

Sidjerftettung  ber  ÄriegScontribution , bereit  £5lje  noch  gu  be* 
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23 


redjnen  war.  Mit  SSiHfür  würbe  bie  gorberung  in  bie  <£>öi}e 
gestaubt,  bie  3«i  bet  ©ccupation  in’8  Ungewiffe  »erlängert  unb 
ingwiften  ben  Untertanen  bie  lejjte  Jpabe  abgepre&t.  fRic^t 
weniger  als  eine  MiHiarbe  |at  Napoleon  in  ben  3afjren  1807 
bis  1812  auS  bem  Ijalbirten  $>reufjeH  mit  feinen  5 Millionen 
»erarmter  SBemo^ner  gezogen. 

2SaS  half  eS,  wenn  baS  föniglidje  3)ulbetpaar,  bet  ^lid^te, 
tedjtfd)af|«tte  Monardj  unb  feine  hoä)  finnige  Suife  jebem  fPrunfe 
entfagten,  Sdjniucf  nnb  SEafelgefr^irr  gu  Silber  fdjlugen  unb 
fparfamer  als  fprioatleutc  Rauften:  gegenüber  ben  Summen, 
welche  bie  Habgier  ber  Unterbrücfer  oerfdjlang,  bebenteten  jene 
Dpfer  wenig.  3m  Dctober  1807  würben  bie  ©ontributionS» 
forberungen  auf  154  Miö.  firirt.  Vergebens  fudjte  man  mit 
0tu§(anb8  Unterftüjjung  mafjigenb  auf  ben  Sieger  gu  witfen; 
cergebenS  warb  ber  ebel  gefinnte  fpring  SBilhelm  als  Unterl)änbler 
nadj  Claris  gefanbt;  SRapclecn’S  trügerifte  ^olitif  gog  bie  Unter» 
hanblungen  in  bie  gange  bis  gum  Sommer  1808,  unb  bis  ba* 
hin  lebten  nicht  »iergig,  fonbetn  mehr  als  hunbertfünfgig  Saufettb 
grangofen  auf  preufjifchem  ©ebiete  unb  auf  fPreufjenS  Äoften. 

2)a  winfte  aus  ber  gerne  bie  Möglichfeit,  burch  ein  füfyneS 
SBagnifj  bie  geffeln,  womit  ber  Swingherr  ©uropa’S  baS  oer» 
ftümmelte  fpreufjen  gebunben  hielt,  fprengen  gu  fßnnen.  2)em 
freoetaften  Spiel,  welches  Napoleon  mit  ber  gamilie  ber  S3our» 
bonen  in  Spanien  trieb,  war  bie  oiel  bewunberte  ©rbebmtg  beS 
fpaniften  SßolfS  gegen  bie  grembherrfchaft  gefolgt,  konnte 
nicht  aut  in  9)reu&en,  in  gang  fftorbbeutfchlanb  ber  ©ebanfe 
nationaler  Selbftfyülfe  günben?  ©nglanb,  fceffen  Gruppen  fd&on 
auf  ber  ppreuäifchen  $albinfel  gegen  bie  grangofen  fochten, 
werbe,  fo  fonnte  man  Ijoffen,  eS  nicht  an  |ntlfe  fehlen  laffen. 
tDefterreid)  rüftete  in  aller  Stille  mit  meiern  ©ifer.  ^reufjen 
aber  fonnte  IDanf  ber  Stütigfeit  beS  Äönigö  unb  feiner  unoer» 
gleicplittn  Mitarbeiter  eine  wol)lgefdjnlte  Slrmee  oon  50,000 
Mann  aufftellen,  wäljrenb  Napoleon  ben  größten  Steil  feiner 

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24 


Gruppen  auS  IDeutfchlanb  gieren  mufete,  um  bic  3nfurrectiou  in 
«Spanien  gu  bewältigen.  3Bie,  wenn  nun  $)reufeen  im  3lnfcfelufe 
an  ßefterreich  ben  legten  entfdjeibenben  $ampf  begann  unb  bie 
(Erbitterung,  bie  in  gang  {Rorbbeutfcfelanb  ^erxfd^te,  gur  {Rettung 
be8  33aterlanbeS  beniigte? 

So  wollten  bie  Scanner  entfc^loffeuer  Slfeat,  Stein,  Scham* 
feorft,  ©neifenau  unb  nicht  am  weuigften  unfer  SÖIüd^er.  (Entgegen 
ftanben  bie  Slengftlicfeeu  imbgurdfetfamen  mit  bengrangofenfreunben. 
2)er  Äönig  gögerte,  {Rufelanb  feielt  ifeu  gurücf;  auch  Deftevreich 
gauberte  uub  liefe  ficfe  einicfeücfetern  non  Napoleon,  welker  gu 
(Erfurt  feinen  S3uub  mit  Äaifer  Sllepanber  nur  enger  fcfelofe.  $Da 
blieb  $)reufeen  faum  nocfe  eine  2BafeI,  SllS  Napoleon,  burch  einen 
aufgefangenen  23rief  Stein’ S über  beffen  kleine  belehrt,  gürnte 
unb  brofete,  ratificirte  grtebrich  SSBilfeelm  ben  unglücflichen  {Pa* 
rifer  Vertrag,  ber  bem  Sanbe  unevjdjwinglicfee  Dpfer  auferlegte, 
baS  preufeifefee  £>cer  auf  42,000  5Rann  befdjranfte  unb  gur 
Stellung  einer  ^ulfSmadjt  in  granfteichS  Kriegen  cerpflicfetete. 
Stein  erfeielt  feine  (Sntlaffung  unb  Napoleon  erliefe  Don  Spanien 
auS  baS  berüchtigte  S5ehet,  baS  ben  grofeen  Patrioten  als  geinb 
gtanfreicfeS  unb  beS  {RfeeinbunbeS  ächtete  unb  ifen  gwang,  arm 
unb  feeimatfeloS  nach  Defterreidfe  gu  flüchten. 

Scharnfeorft  unb  ©tteifeuau  gu  ftürgen,  gelang  ben  ©egnern 
Steinß  nicht;  fte  arbeiteten,  waferenb  bie  politifchen  {Reformen 
ftoeften,  in  ber  Stille  weiter  an  ber  SBefetfeaftmachung  beS 
Staats,  fo  weit  eS  ofene  offene  {Beilegung  beS  ^arifer  58er* 
itagS  gefefeefeen  fonnte. 

2luch  Slücfeer  befielt  ben  £>betbefefel  in  Sommern  unb  be« 
nügte  feine  Stellung,  ben  friegetifefeen  ©eift  bet  Gruppen  gu 
ftäfeten,  neues  ©efchüfe  unb  SBaffen  aller  Srt  gufammen  gu 
bringen  unD  auch  auf  bie  bürgerlichen  greife  ermutfeigenb  gu 
mitten.  Dfene  ÜRitglieb  jenes  StugenbbunbeS  gu  fein,  welcher  ben 
«£>afe  gegen  bie  frembe  Unterbrücfung  unb  ben  (Eifer  für  baS 
23aterlanb  nährte,  arbeitete  er  auf  baffelbe  3iel  fein,  wäbrenb  er 

(24} 


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25 


in  bem  fc^toierigcn  33erl)ältniffe  gu  ben  fiaitgoftfcfeen  Gruppen, 
bie  fferen  abgug  in  jebet  Söcife  »ergogerten,  trofe  feines  Un» 
geftümS  eS  nid)t  au  Älugfeeit  unb  SJtäfeigung  fehlen  liefe. 

sJiut  eine  langwierige  fcfemergljafte  Äranffeeit,  bie  mit  Unter« 
bredjungen  faft  9 SJionate  antjielt,  hemmte  »ielfadj  feine  Stetig« 
feit,  fe  bafe  ihm  gut  Unterftüfeuug  in  ben  bienftlidjen  ©efcbäften 
bet  Dbcvft  »on  33ülow  beigegeben  würbe.  aber  wäfetenb  ber 
Äörper  litt,  blieben  ©eift  unb  ©emiitfe  ftarf  wie  immer. 

,,©w.  ©jrcelleng  Sörief , “ fdjrieb  ifem  ®d?arnh»rft  im  Sluguft 
1808,  „Ijat  mir  unbeidjreiblicbe  greube  gemalt.  9Ule  fagen  unb 
fchreiben  unb  id)  fefee  eS  aus  Sferem  eigenen  ©cfereiben,  bafe  bet 
©cift  nicht  gelitten.  ®ie  ftnb  unfer  anfüi}ter  unb  £elb  unb 
müfeten  @ie  auch  auf  ber  ©änfte  twr«  unb  nad?getragen  werben, 
nur  mit  3feneit  ift  ©utfdjloffenfeeit  unb  ©lüd“ 

aber  im  Herbfte  beS  3ahre8,  als  taS  Hauptquartier  »on 
Treptow  nad)  ©targarb  »erlegt  war,  »erfd)limmette  ftd?  baß 
Reiben  iBlüdjer’S  unb  gugleich  bemächtigte  fid?  feiner  eine  tiefe 
Hppochonbrie  mit  allerlei  feltfamen  ©inbilbungcn.  ailerbingS 
ftellt  ftd)  »on  bem,  waS  übet  bie  außbtiid)e  ferner  aufgeregten 
©inbilbungSfraft  ergäbt  wirb,  manches  als  gabel  heraus,  aber 
SLfjatfad^e  ift,  bafe  SJlüdjer’ß  5>l;antape,  burd)  ©djlaflefigfeit  uub 
ftarfen  Äaffeegenufe  in  rufeelofen  Mächten  auf’S  HSchfte  erregt, 
wunberlid)e  ©rfcheinungen  falj  unb  ficfe  »er  allem  bamit  befc^&f= 
iigte,  wie  eS  in  ber  SBelt  fünftig  fommen  muffe.  Siicfets  aber 
ftaub  ifem  fefter,  alö  bafe  er  beruf  eit  fei,  mit  HeereSmacfet  ben 
frangöfifefeen  3«tperator  gu  ftürgen  unb  baß  SBaterlanb  gu  befreien, 
„fftapoleoit  mufe  herunter,"  hörie  man  ifen  fagen,  „unb  idj  werbe 
fd)t?n  geifert;  ehe  baß  gefdfeehen,  will  ich  nicht  fterben.i  ©r  mufe 
herunter." 

SBJaS  man  bamalS  alö  franffeafte  ©inbilbungett  beS  alten 
SfcoQfopfS  »erlabte,  fotltc  ficfe  in  ber  golge  alö  bie  fDianifeftation 
eines  tief  inneren,  nach  Saaten  ringenben  HelbcnbewufetfeinS 
erweifen. 

(35) 


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26 


3m  grühling  1809  gelangte  Slüdjer  »ieber  in  ben  Bollen 
33efi£  feiner  ©efunbheit,  unb  mit  ber  förderlichen  SRüftigfeit 
fehrte  aud}  bet  angeborne  f$rohftnn  jurütf  unb  jmar  um  fo  mehr, 
al8  fid)  bie  SluSfidbt  eröffnete,  ba§  eS  halb  3um  Kampfe  mit 
bem  Unterbrücfer  fommen  »erbe.  Sin  feinen  ehemaligen  Slbju* 
tauten,  ben  ©rafen  Bon  ber  ©olt},  fchrieb  33lüd}er  am  4.  Styril 
unter  Slnberm: 

»3ht  SBricf  Born  17.  hat  midj  bie  lebhaftefte  greube  gewährt. 
Sie  finb  unb  bleiben  mir  über  aUeS  »erth  n.  f.  w.  ©olfs,  ich 
lebe  hier  unbefdjreiblid}  froh-  35ie  Hemmern  tragen  mich  uf^änben, 
täglich  erhalte  ich  neue  Seweife  Bon  greunbfdjaft  unb  3u» 
neigung;  meine  Kinber  finb  alle  bei  mich."  „33on  meiner  un 
glücflichen  Kranfljeit  bin  ich  fo  geheilt,  ba§  ich  »eit  gefunbet 
bin,  als  ich  nie  war"  :c.  „UebrigenS  geht  wiebet  alles  nach  af* 
ter  SBeife;  beS  SJiorgenS  treibe  ich  meine  ©efdjäfte  unb  bann 
geniefee  ich  unter  greunbe  baS  geben;  Karte  biege  ich  nach  alter 
SBeife;  — um  mich  habe  ich  lauter  gute  fDienfchen."  — „Uebri» 
genS  bin  ich  in  einiger  §el}be  mit  ben  $etrn  in  Königsberg. 
9tad}  meine  uuglüdliche  Kranfheit  haben  bie  ^>enn  fich  beitem» 
men  laffen,  mich  für  einen  halben  3nBaliben  3U  betrauten, 
aber  ich  hele  fie  jeijt  betau  unb  habe  beit  König  gefdjrieben,  wo 
er  meine  SDienfte  nicht  gebrauchte,  mich  meinen  Slbfdjieb  3U  geben, 
ich  wiffe  33rob  3U  finben  unb  Betlangte  nid)tS;  aber  ber  fKonard} 
behanbelt  mid)  in  alter  SBeife  unb  bie  anbern  . . . werbe  id) 
fchon  bienen.  — 3efct  mein  ffreunb,  heifct  eS  bei  mich  ?<bcn:  bie 
Slugen  uf,  benn  id)  erwarte  alle  Sage  Beinbe  in  meine  SRadjbar» 
fchaft;  3U  ihrem  ©mpfang,  wer  fie  auch  finb,  halte  id}  mich  be» 
reit,  unb  hßnble  gan3  nad)  meiner  Ueber3eugung,  ba  ich  gan3 
ohne  Snftruftion  bin,  inbeffen  bin  id}  baS  lefjte  gewohnt."  . . . 

3US  SBIücher,  froh  in  bie  3ufunft  fchauenb,  baS  leitete  fdjrieb, 
lagen  bie  35inge  in  ©uropa  unb  befonberS  in  £>eutfdjlanb  an* 
berS  als  ein  halbes  3al}r  3Uüor.  IDamalS  hatte  SDefterreid)  Bor 
ben  SDrohungen  fftapolecn’S  unb  bem  engen  ©inBernehmen  §tanf» 

(2fi) 


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27 


reid)S  mit  9tu§lanb  feine  friegerifchen  Slbficbten  »ertagt.  Sefjt 
im  Slpril  1809  war  bet  Krieg  an  bet  Donau  im  »ollen  ©ange, 
unb  wenn  aud)  JRufjlanb  nod)  bei  bem  frangöfifcben  öünbnifj 
bebaute,  fo  rieten  bod)  in  Serlin  felbft  bie  sJlad)folget  ©tein’B, 
bie  feinen  anberen  $u8weg  auS  ben  fie  umlagernben  Schwierig» 
feiten  fafjen,  baff  fid)  bet  König  füt  ben  ©intritt  in  ben  .Kampf 
an  DefterreicbS  ©eite  rüften  möge.  2lber  fonnte  baS  gefnebelte 
9)reufjen  ohne  fRücfbalt  an  fRufjlanb,  in  bet  Jpoffnung  auf  ©ng» 
lanbö  fetne  £ülfe  ben  Kampf  auf  geben  unb  Job  im  33unbe 
mit  jenem  öefterreidj  wagen,  baS  »ieüeidjt,  wie  im  Sabre  1805, 
nad)  bet  etften  gtofjen  SRiebetfage  SBaffenftiflftanb  unb  grieben 
mit  IRapoloeon  fdjlofj  unb  ^reujjen  fchufjleS  bet  fRadje  beS 
©orfen  preis  gab?  Der  König,  welcher  fid>  junor  über  bie  lebten 
Slbftdjten  JRufjlanbS  »ergewiffern  wollte,  gögerte  mit  bem  wag* 
nifjnoflen  ©ntfchluf},  lief)  eS  aber  gefcbehen,  bafs  im  Stillen  alle 
33orbereitungen  füt  ben  Krieg  getroffen  unb  bie  ©ontributionS» 
gablungen  an  granfteid)  eingeftellt  würben.  5Rur  eines  öfter» 
reidjifcben  Sieges  fdjien  eS  ju  bebürfen,  bamit  ber  Krieg  in 
fRorbbeutfchlanb  loSbrädje.  2Ber  befc^reibt  bie  Spannung  jener 
Jage?  Die  ©rljebung  Dörnberg’S  in  Reffen,  ber  eigenmächtige 
3bmarfch  beS  SchiH’fchen  ©otpS  auS  Serlin,  ber  3ug  be8  $er» 
jogS  »on  23raunf<bweig  unb  in  ben  Jiroler  2llpen  bet  ^»elbenfampf 
beS  Jpirten»olfS  — baS  alles  h'eU  bie  ©emüther  in  Slthem. 
3war  mufjte  ber  König  baS  »erwegene  ©chid’fdje  Unternehmen, 
baS  ihn  rorjeitig  compromittirte,  »erurtheilen  unb  ftrafen;  als 
aber  bie  furchtbare  ©djlacbt  bei  SlSpetn  jRapoleon'S  ©iegeSjug 
£alt  gebot,  feinen  aud)  füt  fj)reufjen  ber  ©intritt  in  bie  Slftion 
gefommen. 

Keiner  Ijatte  biefe  leibenfchaftlicher  erfehnen  föitnen,  als 
33lücher.  ©r  hatte  fd)cn  auf  eigene  £anb  tärtilleriepferbe  ange* 
fdjafft  unb  bafür  »on  bem  Könige,  ber  burd)  ©djill’S  »erwegene 
Jhat  mifjtrauifd)  geworben,  einen  unangenehmen  Sßtief  erhalten. 
Daher  bat  er  um  feine  ©ntlaffung. 

(*7) 


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28 


„®tatt  beffcn  hat  man  mich,"  fd^reibt  et  einem  greunbe 
„gum  ©eneral  bet  ©aoaflerie  ernannt!  3<h  ljabe  ihm  (bem  jiönige) 
babei  gebanft,  aber  auch  gerabe  habet  gejagt,  bet  ©eneral  bet 
©aoalletie  mürbe  nie  anberß  benfen  uub  ^anbeln  alß  bet  ©eneral* 
lieutenant,  unb  memt  ich  nicht  mehr  im  Söefij}  fcineö  3utrauenß 
märe,  hätte  bieß  feinen  SBerth  für  mich-  9loch  miß  idj  eine 
Heine  Stift  geben;  crbnet  eß  fich  bann  nicht,  fommen  mir  nicht 
gu  einem  ©ntfchluh,  fo  gehe  ich  unb  »ermenbe  meine  Kräfte, 
bie  ich  noch  hflbe,  gum  heften  meineß  bebrängten  beutfchen 
ffiaterlanbeß.  Strage  Seffeln,  mer  ba  min,  ich  nicht-" 

IHlß  bann  bie  erfte  fRachricht  »on  bem  ofterrei<hif<hen  ©iege 
bei  Slßpern  gu  it)m  brang,  beeilte  er  fich,  bem  Äßnig  bargulegen, 
bah  bie  frangoftfche  Slrmee  bem  9iuin  entgegeugehe.  ©r  bittet 
auf  baß  SDringenfte,  ihn  mit  einem  ©orpß  über  bie  @Ibe  gehen 
gu  lajfen,  um  |>annoDer,  Reffen,  SBeftphalen  gum  Äampfe  für 
bie  Unabhängigfeit  gu  entflammen.  ©r  glaubt  mit  feinem  Aopf 
für  ben  ©rfolg  bürgen  gu  fcnnen. 

„Slllergnäbigfter  Äonig,  gemähten  @ie  bie  SBitte  eines  in 
3h*«n  ®ienft  grau  gemorbenen  SKanneß,  bet  fo  ehrlich  wie  er 
3h«en  ton  bergen  ergeben  ift,  ber  bereit  ift,  fid)  für  ©ie  auf« 
guopfern,  unb  beffen  heifjefter  SBunfd)  barin  befteht,  feine  lebten 
8ebenßtage  für  ©ie  unb  3h*e  SfKadtt  nämlich  gu  uermenben.  — 
Siubet  mein  58orfchlag  nicht  ben  alkrhöchften  23eifaÖ,  nun  fo 
habe  ich  mein  ,£erg  erleichtert  uttb  mein  Slbfdjeu,  frembe  Ueffeln 
gu  tragen,  bargethan.  3ch  bin  frei  geboren  unb  muh  au<h  f° 
fterben."  — 

33Iüdher’ß  Söitte  mürbe  nicht  gemährt,  »ielmehr  3$orforge  ge* 
troffen,  bah  nicht  baß  Reifee  S81nt  ben  Sllten  3U  unbefonnenem 
$anbeln  fortreihe.  3h®  freilich  empörte  ber  ©ebanfe,  bah  nian 
argmöhnen  möchte,  er  fönnte  auf  eigene  Sauft,  ähnlich  mie  ©d>iü, 
operiren  unb  bie  3nfurreftion  fRorbbeutjchlanbß  beginnen;  fo 
lange  er  in  beß  Äßnigß  ©ienften  ift,  barf  9tiemanb  an  feinem 

©ehorfam  gmeifeln.  SDagegen  ift  er  entfchloffen,  ohne  ben  3nter* 

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29 


effcxt  9}reuf}en8  ungetreu  gn  »erben,  ben  preu§ifd?en  ©ienft  für 
eine  3eit  lang  gu  rcrlaffen,  fo  fc£>r»er  eö  ihm  auch  wirb,  non 
einer  2lrmee  gu  fcbeiben,  in  ber  er  fünfzig  3abre  gugebracpt,  unb  non 
einem  $errn,  ben  er  liebt  unb  für  ben  er  fid)  taufenbmal  opfern 
mßdjte.  „Slbet  bei  adern  biefen  unb  bei  ©ott  im  Fimmel,"  er 
ertrügt  feine  Äränfung  mef)r.  3noalibenfommanbant  will  er 
nic^t  metjr  fein , »ifl  nicht  feine  3cit  in  Untbätigfeit  »er* 
träumen,  wäbrenb  anbere  btaoe  bentfdjie  SRännet  „not  bie  $8e» 
freiung  ihres  beutfe^en  SJaterlanbeS  fämpfen."  „3ch  bQhe  bem 
Staat  adeS  geopfert  unb  nerlaffe  ihn,  wie  man  ufj  ber  Söelt 
fdjeibet,  baS  l^et§t  arm  unb  blofc;  aber  mein  SJiutfy  ift  unbe* 
grengt;  wobin  idj  gebe,  wirb  ein  berubigenbeS  Sewu&tfein  unb 
eine  5Renge  SRebHcber  mich  begleiten.  ©tüfjen  Sie  — bet  SSrief 
ift  an  ©neifenau  gerichtet  — Sd)arnborft  uub  treibt  not  mit 
bie  gute  Sache."  — „.Könnt  3br  beibe  €ä  bringen,  ba$ 
ich  nach  -Königsberg  entboten  werbe,  fo  ift  oieleS  gewonnen;  ich 
fpreche  mit  bem  $errn  ehrerbietig,  aber  auch  offen  unb  freimütbig, 
unb  bie  niebrig,  fdjwad)  unb  fdslecht  ©efinnten  foden  fchon 
fchwetgen,  wenn  ich  b«  hin." 

33lüdjer  würbe  nicht  nach  -£>ofe  befdjieben;  er  erhielt  auch 
ben  erbetenen  'übfchieb  nicht,  wohl  aber  ein  fe^r  gnäbigeS 
Schreiben,  worin  ber  König  bie  UnauSfübrbarfeü  feiner  friege» 
rifchen  §>läne  mit  bem  öfterreichifch^ranjöfifcheu  SBaffenftidftanb, 
ber  halb  nach  ber  unglücflichen  Sd)lad)t  bei  SBagram  abgefchloffen 
worben,  begriinbete.  freilich  fdjien  mit  biefem  SSaffenftiflftanb 
ber  [Ringfampf  an  ber  5)onau  gwifdjen  SRapoleon  unb  ©efterreich 
noch  nicht  beenbet  gu  fein,  unb  jetjt  batte  auch  Sriebridj  Söilbelm 
trcfc  ber  ‘Äbmahnung  SRufjlanbS,  tre£  ber  SBergögerung  bet  »er* 
,beifsenen  englifd)en  ganbung  in  fRerbbeutfcblanb  fid)  entfchloffen 
bem  Kaifer  grang  feine  -£mlfe  angubieten,  wenn  ©efterreid)  fich 
ftarf  genug  geige,  ben  -Krieg  mit  ©tfolg  wiebet  aufgunehmen,  unb 
gugleidj  gewidt  wäre,  feinem  33erbünbeten  bie  SBieberethebung 
gum  fRcutge  einer  ©rofcmacht  gugufichern.  Slber  waS  im  ©e» 

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30 


Reimen  $evr  Bon  Änefebecf  in  Defterreich  fab  unb  hätte,  formte 
fPreufsen  unmöglich  ermutbigen,  auf  bie  ©efaljr  ty«,  jelbft 
untergugeben , jejjt  leßgufd?lagen,  unb  halb  machte  ber  trirfltcbe 
Olbfchluf)  be8  SBiener  griebenß  allen  gewagten  planen  ein  (Snbe. 

9Iur  SJlücbct'ß  0?atb  war  auch  jefjt  noch:  „gu  benSBaffen!“ 
ba  ein  cbrenooller  Üob  beffet  fei,  als  bie  ©flaBerei.  (Sr  fielet 
Borauß,  ba{j  Napoleon  für  bie  (SinfteUung  ber  (Sontributionß» 
gablungen  unb  bie  Ujm  nicht  Berborgen  gebliebene  SSorbereitung 
gum  Kriege  9ta<he  nehmen  werbe ; et  will  baljer,  ba§  ber  Äönig 
bie  ©icbetbeitßmänner,  bie  ibn  wie  gaultbiere  umgeben,  gum 
Sleufel  jage  unb  ft<b  mit  feiner  9lrmee  unb  feinem  S3olfe  Bereinige 
unb  bie  gange  beutfd?e  Station  aufrufe,  um  ben  naterlänbifchen 
©oben  gu  nertbcibigeu. 

2Ber  bie  bamalige  SBeltlage  fenut,  wirb  faum  batübev  in 
Sweifel  fein,  bafj,  wenn  griebricb  SBilbelm  III.  uatb  SBlüdber’ß 
fo  brtngenbem  Slatbe  gebanbelt,  fPreufjen  unb  mit  ibm  SDeutfch« 
lanb  für  lange,  Bietleidbt  für  immer  gu  ©vunbe  gegangen  wäre. 

2Bir  bürfen  fogar  gweifeln,  ob  einige  SKonate  früher  9>reufjen 
im  33unbe  mit  Defterreich  ben  frangöfifcben  Smperator  l?ätte 
überwältigen  fönnen.  $at  eß  bodj  4 3abre  fpäter  nach  bem 
©otteßgericht  Bon  1812  trot)  bet  rufftfdjen  £ülfe  ber  furcbtbarften 
Slnftreugungen  beburft,  um  baß  napoleonifdje  SBeltreiä)  gu  ger* 
trümmern.  Sber  tro^bem  macht  eß  bem  bergen  Slüdjcr’ß  alle 
wenn  er  bem  Könige  guruft:  SBir  haben  nidjtß  mehr 
gu  Betlieren;  ein  ebtenBollet  £ob  aber  ift  beffet  alß  ein  gebtaub» 
maTfteß  Beben!  „(Sw.  fgl.  SOtaj.  fönnten  nodj  ftch,  bie  fönigliche 
gamilie  unb  baß  Banb  retten,  wenn  ®ie  unß  bie  SBaffen  in  bie 
<£>anb  geben.  9Jiit  Biel  geringeren  Mitteln  wiberftanb  'einft 
griebricb  ber  ©ro§e  ber  Unterjochung."  — „@aug  £Deutfd^laubr 
beffen  greibeit  am  leisten  gaben  Bon  (Sw.  fgl.  Sötaj.  gebalten 
wirb,  fann  unb  wirb  mit  unß  gemeinidjaftlidbe  @ad}e  machen. 
SBaß  fönnten,  waß  wollten  wir  nicht  tbun,  wenn  unfer  Jbönig 
nur  fich  unfer  annehmen  unb  mit  unß  fämpfen  unb  lieber  ben 

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31 


£ob  alä  ©cbmadj  tbeilen  wollte."  geibige  IRatbgeber,  fa^rt  er 
fort,  fudjten  ben  natürlichen  SRutb  unb  bie  ©ntfdjloffenbeit  feines 
grenzenlos  geliebten  3Ronarchen  burd)  Kleinmütbigfeit  unb  »er* 
feljrte  Siebe,  baS  Sanb  zu  fronen,  irre  zu  leiten.  „Jpabeu  ©ro. 
!gl.  2Raj.  bie  einzige  ©nabe,  meine  fufjfäUige  Sitte  ju  böte«  unb 
fie  fo  zu  nehmen,  wie  ich  fte  freimütbig  als  ein  beutfdjer  SRann 
3b«en  zu  Süfcen  lege.  4>aben  @w.  5Raj.  bie  ©nabe,  mich  bie 
©ewäbrung  burdj  ben  Ueberbringet  wiffen  zu  laffen."  9iur 
einen  ©trabl  »on  Hoffnung,  flebt  er  fcbliefjlid),  wöge  ber  König 
ibm  geben.  „SBarum  foüten  wir  unS  benn  geringer  als  bie 
©panier  unb  Stiroler  achten.  3Bir  haben  größere  ^ülfSmittel 
als  fie.  SBenn  wir  unfern  £>erb  zu  »ertbeibigen  wiffen,  fo  wer* 
ben  wir  wertb  fein,  fortzubauern.  Unwertb  ber  gortbauer  werben 
Wir  untergeben." 

SBaS  Slucper  bangen  .^ergenS  »orauSfab,  ift  zwar  uidbt 
»oflftänbig  eingetreten,  aber  bejammernSwertb  würbe  bie  Sage 
3>reuhenS  in  ben  Sabren  1810  bis  1812  in  hohem  ÜRafje. 
Napoleon,  genau  »on  allem  unterrichtet,  waS  in  Königsberg  ge* 
plant  unb  gefprodjen  worben,  fcbitfte  ficb  an,  abzurechnen  für 
bie  Unruhe,  bie  ihm  baS  Verhalten  fPreufjenS  wäbrenb  beS  öfter* 
teichifdben  Krieges  »erurfacbt  hatte*  unb  iSleranbet  »on  JRufjIanb 
gewährte  nur  geringe  Hoffnung,  ben  König  gegen  bie  [Radwege* 
banfen  beS  frangöftfchen  KaiferS  f (hüben  zu  !önuen  ober  zu 
wollen.  Napoleon  »erlangte  in  barfcbem  S£one,  bah  ^reufien 
gable,  was  eS  ihm  fchulbe,  fei  baS  nötbige  ©elb  nicht  »orbanben, 
fo  fönne  ber  König  in  «Domänen  unb  ganb  zahlen.  ®r  »erlangte 
ferner  bie  [Rücffebr  ber  föniglichen  Samilie  nach  S erlin,  offenbar  um 
fie  beffer  in  feiner  ©ewalt  zu  haben.  „SBenn  ber  König  nicht 
nach  Serlin  geben  will,  fo  gebe  ich  “a<b  Berlin,"  erflärte  er  bem 
preufjifchen  Slbgefanbten.  2lm  23.  «December  1809  30g  ber 
£of  in  Serlin  ein,  mit  bem  ferner  geprüften  gürftenpaare 
auch  bie  beiben  älteften  ©ohne,  ber  Kronprinz  unb  $rinz  SBil* 
heim,  unfer  Kaifer,  beibe  als  ©arbeoffigier  mit  ihrem  [Regiment. 

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32 


aber  webet  fcie  rühtenbeu  ©eweife  ber  anbänglidbfeit  unb  SBer* 
ehrung,  noch  ber  ©lang  ber  GringugSfeier  fonnten  bie  bangen 
ahnungen  nerfcheuchen,  bie  baS  ©emüth  bet  leibenben  Königin 
ängftigten.  SDie  ©tinnerung  an  baS  (Sc^tcffal  bet  fpanifdjen, 
non  SRapoleon  entthronten  ©utbonen  trat  it)t  immer  brohenbet 
Bor  bie  Seele.  Sie  erlebte  noch,  ba|  Napoleon  für  bie  rütf- 
fiänbige  Kontribution  bie  ißroning  ©Rieften  begehrte,  unb  ba| 
fogar  bie  rathlojen  fDlinifter,  bie  unfähigen  Ulachfotger  Stein’S, 
biefe  neue  ©erftümmlung  fPreufjenS  befürworteten.  ©alb  barauf 
ftarb  fie,  bie  fttHe  fromme  ©ulberin,  bie  Schufjgßttin  ihres 
©oltS.  glatte  fie  auch  in  ben  fdljicffalfchweren  Stagen  ihren  ©e» 
mahl  nicht  gu  fühnen  Qjnif d)lüffen  beftimmen  fßnnen,  io  be* 
ruhten  bodj  bie  Hoffnungen  ber  Patrioten  gum  guten  Stheil  auf 
ihr.  audh  ©lüdhet  war  um  eine  Hoffnung  ärmer  geworben, 
als  er  am  22.  3uli  1810  bie  ©adjricht  non  bem  Stöbe  ber  non 
ihm  io  hochverehrten  gürftin  erhielt,  fdhrieb  er  an  feinen  oer» 
tTanten  ^reunb  ben  bamaligen  IRittmeifter  ©ifenhart: 

„Siebet  ©ifenljatt.  3<h  hin  Bom  ©lifj  getroffen.  SDet  Stolg 
ber  SEßeiber  ift  Bon  ber  ©rbe  gefdhieben;  fie  muff  Bor  unS  gu 
gut  gewefeit  fein.  — Schreiben  Sie  midh  ja , alter  ffreunb , ich 
bebarf  aufmunterung  unb  Unterhaltung.  @8  ift  bodj  nnmßglidh, 
ba£  einen  Staat  fo  Biel  aufeinanbet  folgenbeS  Unglücf  treffen  !ann 
als  ben  unfrigen.  UebtigenS  gebe  bet  Himmel,  ba§  fidh  alles,  waS 
3h*  fester  ©rief  enthält,  beftätigt;  in  meiner  jefjigen  Stimmung 
ift  mich  nichts  lieber,  als  bafj  ich  erfahre,  bie  SBelt  brenne  an 
allen  Biet  Snben." 

2)afc  halb,  recht  halb  ber  allgemeine  ©ranb,  wonach  ben 
Helben  oerlangte,  aufflammen  unb  bet  Speftafel,  wie  er  ftd? 
auSbrüdfte,  loSgehen  werbe,  in  biefet  Hoffnung  würbe  Slüdhet 
im  3ahre  1811  beftärft,  als  baS  freunbfchaftliche  ©erhältnifj 
aiejcanber’S  gu  gtanfreidh,  woburdh  bie  wieberholte  SDemüthigung 
JDefterreichS  unb  bie  3wang8lage  ^reufjenS  nerfdjulbet  worben 
war,  in  Spannung  überging  unb  Napoleon  in  unerfättlidhem 

(32) 


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33 


Sorget  je  ben  ©ntfdjlufe  fafjte,  bie  Streitfräfte  fctneS  28eltreid)8 
ju  einem  JRiefenfampfe  gegen  ben  Äolof)  be8  9lorben8  aufju* 
bieten. 

S5a  fdjien  aud;  IPreufjenS  Sdjicffal  fid)  enbgültig  entfdjeiben 
ju  muffen.  Stuf  bet  ^eerfha§e  gegen  IRufflanb  gelegen,  münzte 
fRapoleon  baß  ganb  mit  allen  feinen  friegerifcben  ^ülfömitteln 
ju  unbebingter  Verfügung  ju  tyaben.  55ie  9lü<!fid)t  auf  3Ru§* 
lanb,  »eldje  bem  Staate  bisher  ben  Dieft  feiner  Selb ftänbigf eit 
gewahrt,  war  nun  befeitigt:  fpreufjen  mufjte  fid)  unterwerfen  ober 
mit  ben  SBaffen  in  bet  ^anb  ben  Äampf  ber  IBetjmeiflung 
fämpfen.  SBenn  e§  auf  ber  £aut  brenne,  trßftete  fid)  23lüd)er, 
bann  lefyre  bie  9lotl)  fyanbeln.  Slbcr  fonute  $>reufjen,  auf  allen 
Seiten,  non  Süben  unb  SBeften,  non  Jpamburg,  SDanjig  unb 
fPolen  l)er  mit  erbrücfenber  Uebermad)t  bebrofyt,  bie  eigenen 
Heftungen  in  frangöjtfdfen  £änben,  in  ber  $l)at  aud)  nur  mit 
ber  geringften  Slußfic^t  auf  ©rfelg  ben  Äampf  beginnen,  wenn 
fRufelanb  nid)t  fofort  mit  ftarfer  STruppenmacbt  e8  betfte? 
Sllejanber  wollte  inbef;  ben  Angriff  9fapoleon’8  innerhalb  ber 
©renjen  feiueö  9ieid)8  erwarten  unb  gab  ju  erfennen,  bafj  er 
9>reufjen  feinem  Sdjicffale  überlaffen  werbe. 

9Jlod)ten  aud)  jefjt  nod?  bie  ju  allem  entfdjloffenen  fölänner, 
wie  Sd)arut)orft , ©neifenau  unb  nidbt  am  wenigften  Sßlüdjer, 
meinen,  bafj  ber  £ob  beffer  als  bie  äfnedjtidjaft  wäre:  $riebtid) 
SBilljelm,  ganj  non  ftanjofifdjer  ©ewalt  umflammert  unb  jebcn 
5£ag  ber  ©efangenualjme  burd)  bie  frangofifdjen  Gruppen  gewärtig, 
fonnte  in  bem  SBewufjtfein  ber  33erantwortHd)feit  für  fein  £au8 
unb  fein  Sßolf  nid)t,  wie  ber  einjelne  Solbat,  ben  2obe8!amnf 
ber  Unterwerfung  norjiefyen;  er  untergeidmete  not^gebrmtgen 
ben  Vertrag,  ber  il)n  jur  .fmlfeleifiung  gegen  JRuflanb  ner* 
pflidjtete,  ben  2)urd)matfd)  bet  napofeonifd)en  ^eere  geftattete, 
benfelben  SBerpflegung  jufidjerte  unb  bie  franjöfiidjen  Stuften 
in  ben  preufjifdfen  Heftungen  nerme^rte. 

9iun  freien  e8  feine  Hoffnung  für  bie  Patrioten  mel)r  ju 

XIV.  313.  314.  3 (33) 


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34 


geben.  SDen  ÜReiften  entfanf  bet  SRutfe  unb  nur  bie  23eften 
wagten  nod}  an  eine  Brunft  beß  gefallenen  33aterlanbeS  gu 
glauben.  SBaferenb  gafelteidje  ^oljere  Df  fixiere  ben  Elbfdjieb 
nahmen,  um  unter  englifdjen,  tufftfdjen  ober  fpautfd&en  §atynen 
gegen  ÜRafoleon  gu  lämpfeu,  eilte  ber  Steigert  non  Stein  nad) 
Petersburg,  um  mit  feinem  feurigen  Reifte  Elleranber’S  meiere 
Seele  gu  auSbauernbem  SSiberftanbe  gu  ftärfen  unb  »on  {Rufelanb 
au3  für  bie  fünftige  ^Befreiung  33eutfd)lanb8  gu  mitfen.  tHudj 
Sdjarnfeorft  nnb  ©neifenau  Ijatte  bet  .König  als  ben  graugofen 
»erbädjtig  aus  feiner  5Räl)e  entfernen  muffen.  Sdjarnljorft 
freilidj  blieb  audfe  in  feiner  3utüdgegogentyeit  gu  23etltn  bie 
Seele  beß  preu^lfc^en  ^eermefenS  unb  in  ©neifenauS  £anb 
legte  ber  .König  bie  lefete  Hoffnung  auf  bereinftige  {Rettung,  in* 
bem  er  iljm  geheime  Aufträge  für  eine  S3etbinbung  befreunbeter 
3J2äd^te  gegen  ben  gemeinfamen  geinb  erteilte. 

Unb  33lü$er  enbtidj?  SBaS  ift  auS  iljm  in  jenen  bunflen 
Sagen  geworben?  S$on  im  ^erbfte  beß  Saures  1811,  nod) 
»or  bem  Elbfdjluffe  beß  UnterwerfungSantragS  Ijatte  ber  .König 
ifyn  auf  fRapoleon’3  Einbringen  beß  (SommanboS  in  Pommern 
entheben  muffen.  9tad)  SBerlin  berufen  erhielt  SMüdjet,  ba  aud) 
bort  unter  ben  Slugen  ber  ftrangofen  feines  SBleibenS  nidjt  mar, 
bie  SBeifung,  auS  SRüdffidjt  auf  ben  JDrang  bet  Umftänbe  fidj 
einen  anberen  Elufentfyalt  gu  wählen,  bis  bie  SSertyiltniffe  ge* 
ftatten  mürben,  iljn  mieber  in  Sljätigfeit  gu  fefeen. 

33lüd)et  begab  ftd?  nad)  Sdjlefien,  wo  ifem  »on  bem  Könige 
ein  ©ut  in  ber  SRälje  »on  -[Reifee  gefdjenft  mürbe.  S3on  feinet 
Stimmung  geugen  bie  bitteren  2Borte,  bie  er  an  ©neifenau 
richtete:  „?Radj  ber  unglüdlidjen  Sdjladjt  fcfytieb  griebtid}  H: 
aUeS  ift  »erloren,  nur  bie  ©fyre  nidjt;  jefet  fdjreibt  man:  alles 
ift  »erloren  unb  bie  ($l)re  aud)."  Oft  liefe  er  fid)  wäferenb 
feiner  unfreiwilligen  SRufee  in  Sdjweibnife,  nodj  öfter  in  23reS* 
lau  fefeen,  unb  überall  machte  er  feinem  Sdfjmerge  übet  beS 
SBaterlanbeS  tiefen  gatl,  fo  wie  feinem  glüfeenben  3orne  über 

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35 


tag  feige  SDiplomatenoclf,  »oDenbö  aber  feinem  milben  unbän* 
higen  Jpaffe  gegen  „bie  Saframentßmälfchen"  unb  ben  „Sdjmere* 
uothöferl"  non  Sonaparte  8uft.  Slber  butd)  all  fein  SBettern 
unb  glühen,  bem  ängftlidje  beutfdje  Seelen  fd^eu  auß  bem  SBege 
gingen,  fo  wie  burdj  bie  feltfamen  2lu8brü<he  einer  franfhaft 
gereijten  (Sinbilbungöfraft,  bie  iijn  SJlanchen  als  tyalboerrücft  er* 
jdjeineu  liefen,  Hang  auch  je£t  noch  bie  ungerftorbaTe  Hoffnung 
auf  ben  Sturg  ber  frangöftfchen  3wingl)errf(^aft  hinburd).  Unb 
nic^t  lange  mehr  feilte  e§  »ähren,  fo  fah  ntan  ben  greifen,  oft 
nerfanuten  Oiecfen  an  ber  Spifce  öeutfeher  unb  frember  £eere 
Striumpbe  erringen,  mie  fie  feinem  gelbhetrn  glangenber  befchieben 
mären,  ben  Struppen  bes  fSiarfdjaH  SBormärtß,  bem  beutfehen 
25olfe  bet  Söefreier. 


3m  grüi)ling  beö  3abteä  1812  brachen  bie  napoleonifchcn 
ürieggfehaaren,  grangofen,  3taliener,  Spanier,  fRieberlänbet, 
SDeutidje  unb^olen,  nachfftufjlanb  auf,  eine  halbe  ÜJtillion9Ötenfchen. 
9lad;bem  ber  Äaifet  gum  lebten  ÜJlale  in  SDteßben  bie  beutfe^ett 
dürften  um  fich  gefammelt  hatte,  übernahm  er  felbft  bie  gühtung 
beö  ^auptheereS,  baö  über  SBilna  in  ber  Sdidjtung  nach  ÜJioöfau 
oerbtar.g,  mährenb  baö  nörbliche  glügelheer  mit  20,000  $)reufjen 
nach  ber  SDüna  unb  ba8  fübliche  mit  ben  £)fterreichern  nach  SSdh9s 
nien  fidj  bemegte.  „9fa<h  ein  ober  gmei  Schlachten  biu  ich  *» 
fau,  unb  ber  üaijer  liegt  oor  mir  auf  ben  Änieen."  2lm  14. 
September  hatte  91apcleon  alletbingS,  menn  auch  nadh  furcht* 
baten  33erluften,  bie  h-  ©tobt  beö  alten  fRufjlanb  erreicht;  aber 
SKoßfau  ging  in  glommen  auf  unb  brachte  ben  erfehnten  gtieben 
uicht,  mährenb  ber  frangöfifche  Äaifer  oon  falfdhen  Hoffnungen 
fid}  fo  lange  ^in^alten  liefe , ba§  auch  ohne  bie  Sdjrecfniffe  beS 
beifpiedoS  harten  SBinterö  bet  SRücfgug  ber  großen  fflrmee  ge* 

3*  (») 


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36 


fäfycbet  gewefeu  wäre.  2)ie  fürchterliche  .Kälte  unb  bie  unauö» 
gefegte  Sßerfolgung  burd)  bie  [Rufyen  »oüenbeten  ba§  ©chidfal  fceö 
ftolgeften  £eeteä,  ba§  bie  SBelt  gefeljen.  SBährenb  bie  lebten 
£aujenbe,  welche  t>on  ber  ,£>auptarmee  übrig  geblieben,  in  meilen» 
langen  gcfpenfterhaften  Bügen,  abgeriffen,  in  Sumpen  gewicfelt, 
auf  bet  fdjneebebecften , mit  Seichen  unb  Krümmern  aller  5Ätt 
gefüllten  ©trafje  fid)  nach  bem  SRiemett  hiufd)leppten,  eilte  9Ra» 
poleon  auf  einen  23auernf<hlitten  uotauS  nach  5Barf<hau.  2lm 
14.  IDecembet  fah  man  ihn  ohne  £eer  in  ®re$ben;  am  17. 
brachte  ber  SJRoniteur  ba6  berüchtigte  Bulletin:  „SDie  gtofse  2ltmee 
tobt,  bet  Äaifer  gefunb,  fo  gefunb  wie  je." 

3n  IDeutfchlaub,  wo  man  über  ben  Sßerlauf  beö  gelbgugS 
2Bod)en*,  ja  SKouate  lang  nichts  »etnommen,  brachte  bie  jfunbe 
»on  bem  furchtbaren  ©otteSgericht,  baS  tyei  ben  menfchlichen 
$odjmuth  getroffen,  bie  tieffte  ^Bewegung  ber  ©emüther  h«twr- 
„2)er  ^)err  hat  il)n  gefchlagen,"  ging  eS  oou  -ERunb  ju  9Jtunb. 
„3e$t  ober  nie!"  würbe  bie  Sofung  aller  beret,  bie  Jahre  lang 
»ergebend  nach  ber  Slbfdjüttlung  beS  .frangöfifcheu  3od)S  fid)  ge» 
fehnt  hatten. 

Unb  hoch  war  eine  ©rhebung  ©eutfdjlanbS  aud)  jefct  noch 
mit  aufjerovbentlichen  (Schwierigfeiten  unb  ©efahrert  oerbunbeu. 
2luf  bie  ruffifchen  Gruppen,  bie  nicht  feljt  oiel  weniger  als  bie 
ftanjofifchen  gelitten,  war  ootläufig  faum  311  rechnen,  auch  wenn 
man  fid)  bet  Hoffnung  htngab,  bafj  fie  nicht  an  ber  ©renge  ^>a!t 
machen  ober  im  gaH  ber  gortfehung  fceö  .Krieges  nicht  nach 
©robetungen  auf  Soften  2>eutjd)lan&§  traditen  würben.  25a» 

gegen  ftanben  bieSfeitS  beS  !RhetneS  nodj  anfehnliche  frangöfifdje 
$eereStheile , bie  gelungen  an  ber  ©Ibe,  Ober,  2öeid)fel  waren 
in  feinblichen  Rauben,  unb  au$  granfreidj  unb  ben  feft  mit  ihm 
»erbünbeten  Sanben  fonnte  SRapoleon,  welcher  in  §)ariS  mit 
fieberhafter  ©ile  neue  Lüftungen  betrieb,  binnen  furgem  f<hlag» 
fertige  Slrmeen  auf  ben  .Kampfplafj  führen. 

2lm  wenigften  burfte  ber  preu&iidje  .König  »orgeitig  bie 

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37 


©ebanfen  be8  SlbfaHS  »errathen,  womit  et  fid^  trug.  Sange  »er 
bem  SBefanntwerben  bet  ruffifd^eu  Katajtrophe  hatte  er  fid)  unter 
£arbenberg'§  Seitung  mit  Defterteid}  in’ß  Ginoernehmen  gefegt 
für  ben  galt  einer  ben  gtangofen  ungünftigen  Sßenbung  beS 
Ätiegeß.  3etjt  trachtete  er  »ollenbS  mit  Kaifer  gtang  unb  beffen 
SJiinifter  SKetternich  fidj  gu  »erftänbigen  unb  gugleid)  über  Stuf;* 
laubs  Slbfichten  in’8  Klare  gu  fommen.  D^ne  ^>ülfe  non  ber 
einen  Seite  unb  ebne  Sicherheit  nach  ber  anberen  burfte  ber 
.König  feine  feinblidje  Haltung  anneljmeu. 

!Da  war  eS,  wie  man  weif),  ein  preufjifcher  ©eneral,  ber 
ben  .Knoten  jetfyieb  unb  baS  Stab  in’8  Stollen  braute,  ©eneral 
§)orf,  welker  unter  ÜJtacbonalb  ba8  preufjifdje  ^)ütf8^eet  befehligte 
unb  ben  Slütfgug  ber  frangöfifdjen  Slrmee  beefte,  hatte  mit 
fd^arfem  Singe  ■ erfannt,  baff  ba8  Sdjicffal  ^)reu|en8  unb  2)eutf<h= 
lanbS  in  jenen  fritifchen  Sagen  in  feiner  £anb  ruhte.  Kämpfte 
et  mit  feinen  unoerfehrten  Stufen  weiter  auf  frangöfifcher  Seite, 
fo  fonnten  mit  .£ülfe  non  SBerftärfungeu  au8  SBatfcijau  unb 
Königsberg  bie  Stoffen  an  ber  oftpreufjifchen  ©reuge  feftgehalten 
Werben,  biß  Stapoleon  mit  einer  neuen  Slrmee  auf  bem  Kampf» 
plajje  erfdhien.  Srat  aber  §)otf  gu  ben  Stoffen  über  ober  ftellte 
et  nur  fein  GorpS  neutral,  fo  gab  e8  bort  feinen  <£>alt  mehr  für 
bie  §rangofen  unb  Dftpreufcen  würbe  frei.  Stad?  fernerem  inneren 
Kampfe,  »on  Söerlin  ohne  Snftruftion,  that  ber  waefere  ©eneral 
ben  rettenben  Stritt  unb  fd^lo^  mit  ben  Stoffen  bie  SteutralitätS* 
Gonoention  »on  Sauroggen  ab. 

ÜDet  König,  in  Berlin  noch  »on  frangöfifchet  ©ewalt  um» 
geben  unb  burch  föorf’S  Gigenmädjiigfeit  oor  ber  Seit  bloßgefteHt, 
fonnte  nicht  wohl  anber8  al8  Slbfefcung  unb  Kriegsgericht  »et* 
fügen.  Slber  bie  Stoffen  liefen  biefe  Drbre  nicht  an  ben  ©eneral 
gelangen,  unb  »on  Königsberg,  wo  bie  ruffifeben  Sruppen  unb 
nicht  am  wenigften  ?torf  mit  lautem  Subei  als  Stetter  begrübt 
würben,  ging  fofort  jene  l^errlid^e  Grhebung  beS  S3olfe8  aus, 
bie  fidj  unaufhaltfam  nach  Sommern,  Sd^Iefien  unb  ben  SJiarfen 

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38 


fortpflangte  imb  gulefct  aud?  ben  oorfiditigen  Äonig  unb  feine 
Staatsmänner  fortrifj. 

3BaS  in  jenen  Jagen  Ijodigefpannter  Qfrwatfung,  fo  lange 
Sriebrid)  SBilbetm  III.  noch  nicht  baS  erlofenbe  Sott  gefprodjen,. 
Slüdiet’S  beutfdjeS  Solbatenberg  empfunben,  Iä§t  ber  SBrief  et» 
ratzen,  ben  er  am  5.  Januar  1813  an  Scbarnhcrft  rid^tete: 

„9Jti<b  judtS  in  allen  finget,  ben  fäbel  gu  ergreiffen. 
Senn  eS  iefct  nidf  Sr.  9Rajeftät  nuferes  fonigS  unb  aller  übrigen 
beutfdjen  fürften  unb  ber  ganzen  Nation  fürnebmen  ift,  afieS 
fcfceßm  grangofengeug  mittiamt  bem  Sonaparte  unb  all  feinem 
ganzen  fSnfyanfl)  com  beutfdjen  hoben  weggucertiflgen;  fo  fcbeint 
ßftich,  baS  fein  beutfcper  man  SRe^r  beS  beutfchen  nabmenö  »ehrt 
fepe.  Sefcto  ifjt  wiberum  bie  3«tt  3«  buhn,  wah  ich  fcbon 
anno  9 angeratten,  nehmlig  bie  ganfje  nation  gu  ben  Saffett 
aufguruffen,  unb  wenn  bie  fürften  nicht  wollen  unb  ficb  bem 
enttgegen  fefcen,  fte  famt  bem  Sonaparte  wegh  3U  jabgen. 
SDenn  nid)  nur  freuten  allein,  fonbern  baS  ganjje  beutfcbe  catter» 
lanb  muff  wiberum  £erauff  gebraut  unb  bie  nation  hetgefteßth 
werben." s)  — Unb  am  10.  gebruar,  als  ber  ätönig  ficb  fcbon 
nach  SreSlau  begeben,  auch  bereits  gnr  Stellung  con  freiwilligen 
Sägern  aufgeforbert  hatte  unb  entfdjloffen  war,  felbft  ohne 
Defterreicb  mit  tRufelanb  allein  ben  Ärieg  gn  beginnen,  lieh 
93lüd?er,  welcher  noch  immer  con  ber  griebenSIiebe  ber  jRatbgeber 
beS  ÄönigS  ^örtc,  fid)  in  folgenber  Seife  oernehmen: 

„3<b  fan  alleweile  nich  füll  fifcen  unb  nid;  bie  gene  gufeamen 
Seiten,  wan  eh  Sich  um  bah  Satterlanbt  unb  bie  fretjhcit 
^anbeßn  buht,  gafft  baS  laufje*  unb  ich  . . . 3eugb  »<>n  benen 
©iplomahtifer  gu  Sillen  teuffein  farcn;  warum  feil  nid)  alles 
Muffigen  unb  loh  auf  bie  frangofsen  wie  bah  ^epUige  bonner» 
weither.  2)ie  ben  Äönig  cohr  fchlagen  noch  lenger  3U  gauhbern 
unb  mit  bem  Sonapartte  friben  gu  galten,  ftnb  ferrä^ter  an 
ihn  unb  bah  gantje  beuttfehe  caterlanbt  unb  beh  thotfchiehenS« 
wert-  2>enn  betweiß  wihr  hihT  f<hwa33en  bufjn  an  Statt  bie 

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39 


Station  auff  unb  in  (lig  ju  rujfeu,  ^aben  bie  ^ranjofen  jeutt 
unb  ©elägenhept  iren  binft  unb  Armch  wiber  tyt  unb  ein  $u 
fRichtten  unb  bafjnim,  fo  fag  3dj:  marfch  unb  auff  unb  mitt 
ben  begen  ben  feinbt  inn  bie  ribben." 

Da  nmtbe  enblich  am  16.  ÜJiärj  bet  Ätieg  au  granfreidj 
erflätt;  am  17.  ecfd^ien  ba8  ©efef*  über  bie  ©Übung  bet  Üanb» 
weht  unD  gleichseitig  bet  berühmte  Aufruf  „An  mein  ©elf." 
©innen  fur^em  glich  fl^nj  §)reuf)eu  einem  grofjem  Jpeerlager  unb 
»on  allen  Älaffen,  reich  unb  atm,  jung  unb  alt,  mürben  au8 
»otljter,  reinjter  ©egeifterung  gerabeju  unglaubliche  Opfer  ge» 
bracht.  SRidjt  allein  bet  Äonig  fah,  wie  jeht  er  bie  aikhtfraft 
unb  bie  OpferwiQigfeit  be8  ©elf8  3al)te  lang  fleinmüthig  unter* 
fcbätjt  hfltte:  wa8  jefct  gejchal),  bat  bie  Ermattungen  auch  bet 
Äühnften  übertroffen.  @8  war  in  ben  3ah*en  be6  Drucf8  unb 
bet  ©chmacb  ein  neuer,  naterlänbijcher  unb  tief  fittlidjer  ©eift 
über  ba8  ©olf  gefommnn,  unb  roa8  bie  ©djarnhorft,  ©neifenau, 
Elaufewif}  an  militärifchen  Einrichtungen  gefdjaffen,  gab  jefjt 
ben  Nahmen  ab,  in  Dem  man  bie  ftiegerijehe  ©olf8fraft  fammeln 
unb  bie  ^jeere  ber  grciljeitöfricge  au8rüften  fonnte. 

3Ber  aber  füllten  bie  gelbhetten  fein#  gür  bie  fd^lcfifdjeu 
Gruppen,  cerftärft  butch  ein  tufftfeheä  (Sorp8  unter  SBinfcingerobe, 
würbe  ©lüchet  torgefchlagen,  roährenb  bie  ©egnev  feine  tolle 
unb  rüdfichtölüfe  ^ujarennatur,  fein  fyotyü  Alter  — er  jahlte 
70  3at}re  — unb  feine  oft  franfhaften  Eiubilbungen  wibet  ihn 
geltenb  machten.  Da  war  eö  ©charnhorft,  Der  am  nathbrücf» 
lichften  für  ben  oft  ©erfannten  eintrat.  2118  er  ju  ©re8lau  in 
biefer  Angelegenheit  jurn  fönigl.  Calais  in  ©egleüung  ©opeu8 
ging,  'äußerte  auch  biefer  ©eforgnifs  wegen  ©lücher’8  franfhaft 
erregten  ©emüthSguftanbeS.  „Er  l)at  ja  einen  EIeph“*»ten  im 
Seibe. " „„Unb  wenn  er  taufenD  Elepbanten  im  Üeibe  hätte,  ec 
mu§  bie  Armee  führen.“" 

Der  Äönig  willigte  ein.  ©lü<her  jelbft  h°üe  e8  nicht 
anberS  erwartet  unb  fchon  in  feiner  SBeife  fräftig  gegen  jene 

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40 


Sleugftlichett  gebounert,  welche  ihn  oom  £eerbefehl  fern  galten 
wollten.  SORau  feile  ihm  nur  30,000  ÜJiann  geben,  bamit  wolle 
et  Stapolcon  uub  alle  feine  grangofen  auS  2)eutfchlanb  hinaus* 
jagen,  er  fefce  feinen  Äopf  batan. 

@o  leidet  feilte  unferem  gelben  baS  SBerf  bet  Befreiung 
bes  SjaterlanbcS  nicht  werben.  23iS  gut  @lbe  freilich  btang  er 
an  ber  Spifie  feines  GorpS,  ohne  auf  ernftlidjen  SEBiberftanb  gu 
fielen,  iu  furzet  Beit  »er;  er  rief  bie  ©inwohner  ©achfenS  auf, 
in  ©emcinfdjaft  mit  ben  fPreufjen  bie  gähne  beS  läufftanbeS 
gegen  bie  fremben  Unterbrüder  gu  ergeben  uub  baS  Berhafjte  Sech 
abguwerfen , wät)renb  einzelne  Abteilungen  beS  »erbünbeten 
<£>eeteS,  barunter  ein  eon  SSlüdjer’ö  älteftem  ©ohne  grang  glücf* 
lieh  geführtes  ^ufarenregiment,  bis  tief  nach  £h“tingen  hinein, 
ja  bis  gum  Charge  fchwärmten.  3ngwifchen  aber  eilte  SRapoleon 
mit  120,000  ü)iann  beu  SBerbünbeten  butd)  gtanfen  unb  Shü‘ 
ringeu  entgegen  unb  fam  am  1.  SORai  biß  in  bie  fftähe  Bon 
ßeipgig.  Bwar  hotte  fich  53lücher’S  GerpS  btei  Sage  gucor  mit 
ber  ruffif<h»preufsifchen  £auptarmee,  über  welche  bet  ruffifche 
©eueral  SBittgeuftein  ben  Oberbefehl  führte,  Bereinigt:  gleichwohl 
gälpten  bie  SBerbünbeten  nicht  mehr  als  85,000  SKann.  SDenuoch 
gingen  fie  am  2.  SJiai  bei  ©rofjgötfchen  gum  Angriff  oor,  Bet* 
mochten  aber  trojj  ber  hclbeumüthigften  Anftrengnngen  beu  ©ieg 
nicht  gu  erringen,  fonbern  mußten,  nadhbem  fte  bem  geinbe 
fehr  emppnbliche  SBcrlufte  gugefügt  hotten,  in  ber  SRadp  baS 
©chladjtfelb  räumen,  ©ie  thaten  eS  in  ftrammer  Orbuuung 
unb  ohne  ein  ©efchüfc  ober  eine  gähne  gu  oerlieren. 

Am  wenigfteu  hot  33lü<her  eS  bei  ©rofjgörfchen  an  ftür* 
raifcher  Sapferfeit  fehlen  laffen.  3n  bet  ©eite  nerwunbet,  lieh 
er  fich  einen  leichten  33etbanb  anlegen,  um  fich  oon  neuem  in 
beu  Äampf  gu  begeben,  unb  0Rad}tS  in  ber  JDunfelheit  machte 
er  beu  33erfu<h,  bie  grangofen  auS  ihren  23i»ouacS  burd)  einen 
GaoaHerieübeifall  gu  Bettreiben.  25aS  ©dpcffal  hotte  anberS 
entfdjieben  unb  auf}  er  ber  9iieberlage  hotten  bie  SSerbünbeten 

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41 


alSbalb  nocf  eine«  anbeten  gtefeen  Serluft  gu  beflagen,  nänilicf 
ben  £ob  beö  in  bet  ©cflacft  gefäftlicf  oermunbeten  Scfarnforft, 
bet  non  Slücfer  mit  Diecft  einet  netlotenen  Scflacft  gleicp  ge» 
adelet  mutbe. 

hinter  bet  ©Ibe,  bei  Saucen,  ftedten  ficf  bie  SHuffen  unb 
fPreufeen  non  neuem  gum  .Kampfe,  meniget  in  bet  Hoffnung,  ben 
geinb  nitbergumerfen,  als  um  ifm  ben  Soben  fo  lange  roie 
möglicf  ftteüig  gu  machen  unb  feine  Ausbreitung,  namentlicf 
nacf  Serlin  fin,  gu  finbern.  ©rft  nacf  gmeitagiget  @cf  lacf  t,  in 
Weiter  Slücfer,  im  ßentrum  bet  Serbünbeten,  ben  feftigften 
Anprall  bet  §einte  ausgefallen,  mutte  ungebrocfenen  9JlutfeS 
unb  in  befter  Drbnung  bet  JRücfgug  übet  ©ßtlife  unb  |)apnau 
in  bet  {Ricftung  auf  Biegnife  angetreten.  Sei  ^>apnau  befcflofe 
Slücfer  ben  ^rangofen  einen  ^interfalt  gu  legen  unb  baS 
Baurifton’jcfe  ©otps  burcf  einen  plßfelicfen  ©anallerieangtiff  feitn* 
gufucfen.  25er  füfne  ©treidj  gelang  unb  finterliefe  in  Slücfet 
SeitlebenS  bie  ©rinnetung  an  eine  glängenbe  SBajfentfat,  auf 
bie  et  mit  nicft  geringerer  Sefticbigung  als  auf  eine  gemonnene 
©cflacft  blicfte. 

Sen  Biegnife  gog  fidf  baS  ruffifcf»pteufeifcfe  ^)eer  nacf 
©cfmeibnife  fin,  um  bie  Serbinbung  mit  Defterreicf,  auf  beffen 
Alliance  man  foffte,  gu  unterfalten.  3n  bet  ©rmartung,  Defter. 
reicf  für  ficf  geminnen  unb  ingmifcfen  bie  rufftfcfen  SRcfetoen 
unb  preufeifcfen  Banbroeften  ferangiefen  gu  fßrtnen,  mitligten 
bie  Serbtmbeten  in  einen  SBaffenftiUftanb  ein,  beu  fDletteruicf  gu 
auSficftSlofen  ftriebenSoerfaublungen  benüfete.  25enn  fllapoleon’S 
€>tolg  fträubte  ficf  gegen  jebeS,  aucf  baS  biüigfte  Bugeflänbnife 
unb  liefe  es  liebet  gefcfefen,  bafe  aucf  ©eftetteicfS  Söaffen  ficf 
mit  benen  bet  Setbütibeten  Bereinigten. 

Slücfer,  roelcfem  fcfon  bet  Abfcflufe  beS  SBaffenftiUftanbeS 
mibermättig  genug  gemefen,  fürcftete  nicft  allein  mit  ben  gleicf* 
gefimtten  ÜJlännetn  bet  Armee,  fonbern  mit  betn  grßfeeren  Pfeile 

beS  non  friegetifcfem  ©eifte  befeelten  SolfeS  nicftS  fo  fefr  als 

(«0 


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42 


einen  faulen  Stieben.  "Dagegen  hätte  et  e8  gern  babin  gebracht,  bafj 
bie  preujjifdjen  Sirupen,  wie  bie  rufftfchen,  für  ftd^  Ijanbelten; 
bann  glaubte  er  mit  feinem  Äopfe  für  ben  guten  ©rfolg  bürgen 
gu  fennen.  „Slber  in  gemeinfchaft  gebt  ei  nic^t  gui)t,-  unfete 
aOirte  oerlangen  gu  oibl  non  un8,  wibr  haben  bafj  mögliche  ge* 
leiftet,  aber  bie  ruffifdjen  ©arben  unb  fo  and?  ihre  fchwebre 
(SaraUerie  werben  wie  im  fdjafefaften  uf bemalt  t,  webrenb  bie 
unfrigen  fich  uff  opffern." 

3118  ber  £elb  fo  f tagte,  ahnte  er  nod)  nid}t,  bafj  et  gum 
Oberbefehlshaber  einer  großen  au8  einem  preufjifd^en  unb  gwei 
rufftfchen  ©orp8  befte^enben  Slrmee  beftimmt  war,  bet  fogen» 
nannten  fd^leftfd^en  Slrmee,  bie  ihre  Stellung  gwifchen  ber  bol)* 
mifdjen  ober  Hauptarmee  unb  bem  Dlorbbeete  ^aben  feilte, 
greilid)  hatte  man  i«  bem  großen  Hauptquartier  ber  Slücher» 
fd)en  Slrmee,  bie  an  Struppengabl  geringer  als  bie  beiben  anberen 
|>eere8maffen  war,  nidjt  eine  entfdjeibenbe  IRolle  gugebacht  unb 
ben  ungeftümen  Sinn  beS  Belbtjerrn  baburch  gu  gügeln  gemeint, 
bafj  man  ihn  in  feinen  ^Bewegungen  non  benen  bet  Hauptarmee 
abhängig  machte  unb  ihm  nur  bei  fieberet  SluSfid^t  beS  ©elingenS 
eine  Schlacht  angunebmen  erlaubte.  9118  SBlüdjet  fic^  aber 
fträubte,  bie  Äünfte  eine8  gabiu8  ©unctntor  gu  üben  unb  lieber 
auf  ben  Oberbefehl  oerg lebten  wollte,  würbe  ibm  unter  ber  H>anb 
norgeftellt,  bafj  ein  gelbberr,  welker  nafjegu  ljunbert  Saufenb 
5J?ann  commanbire,  boeb  immer  eine  gewiffe  Selbftänbigfeit 
unb  ©elegenl)eit  gum  Schlagen  habe. 

UebrigenS  war  33löd^er’S  Stellung,  auch  abgefeben  non  ber 
©infebtänfung,  bie  er  burdj  ba8  grofce  Hauptquartier  erfuhr, 
fdjwierig  genug.  9?on  ben  ihm  untergebenen  rufftfchen  GorpS» 
fübrern  machte  ihm  ber  eiferfüchtige  gangeron  ba8  geben  fauer; 
auch  bet  tapfere  ?)orf,  welcher  ba8  preuffifdse  ©orp8  mit  Slubm 
führte,  bereitete  bem  gelbberrn  burd)  fein  eigenfinnige? , ner* 
biffeneS  SBefen  niel  9lctb-  9iur  bie  fraftnoflc,  gang  ber  grojjen 
Sache  binftegebene  9latur  S3lü(her’8  nermochte  biefe  Schwierig» 
(«) 


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43 


feiten  glücflicfe  ju  übetwinben,  unb  nicfet  minber  oerftanb  er  eg, 
bie  SJlaffe  beg  £eereg,  Stuffen  wie  |5reufeen,  mit  feiner  Siegeg* 
guoerfidfet  311  erfüllen  unb  audfe  bie  SBioerwiüigen,  inbem  er 
i^nen  fein  „SBorwartg,  Äinber,  oerwärtg*  jurief,  mit  fidj  fort« 
gureifeen.  SBenn  ber  greife  |>clb  auf  feurigem  Stofe  in  männlitfe 
ftfeöner  Haltung,  mit  feinem  offenen,  trofe  ber  70  Safere  blüfeenben 
SlntUfe,  mit  feiner  feervlicfe  gewölbten  feeitern  Stirn,  bcn  grofeen, 
feeüen,  füfen  blifeenben  8ugen,  ber  mäifetigen  äbletnafe  unb  bem 
fcfeelmifdfe  gutmütfeigen  Sädjeln  um  ben  SJiunb  buttfe  bie  Steifeen 
fprengte,  feine  Slugeu  feie  unb  bortfein  blifeen  liefe,  feier  ein  Sdfeevg*, 
bort  ein  .Kraftwort,  im  StotfefaU  aucfe  «ne  2>onnerfaloe  non 
glüdjen  augfanbte:  immer  wirfte  fein  ©rfcfeeinen  unroiberftefelidfe, 
electrifirenb. 

liefet  sum  wenigften  enblicfe  lag  bie  Sürgfdfeaft  fünftiger 
Siege  in  bem  unoergletöfelitfeen  ®eneralftab£<feef,  weldjet  an 
Stfearnfeorft’g  Stelle  getreten  mar,  in  bem  feoefegebilbeten  unb 
ftfemungoollen  ©neifenau.  „Sßun  ift  ©neifenau  uodfe  ba,"  fagte 
Jölüdfer  nach  bem  tiefbetrauerten  SEobe  beg  ©rfteren;  „gefet  ber 
au<fe  ab,  fo  folge  idj  lebenbig  ober  tobt." 

Sn  ©neifenau  füllte  33lü<feer  bie  ©rgängung  finben,  bie 
ifen  3um  gröfeten  gelbfeerrn  ber  oerbünbeten  £eere  madfete.  25a 
ber  geniale  $5rafttfer  beg  ©cfelacfetfelbeg  ber  frieggmiffenfcfeaftlicfeen 
SBilbung  fo  fefer  entbeferte,  bafe  er  niifet  einmal  mit  einer  Jtarte 
umgugefeen  mufete,  fo  mufete  für  ifen  ein  ©eneralftabgcfeef,  welcher 
bie  oielfeitigften  Äenntniffe  mit  befottnenem  2)enfen  terbanb  unb 
für  bie  füfenften  kleine  bie  umfiefetigfien  2>igbofttionen  entwarf, 
non  feödfeftem  SBertfee  fein.  @r  feat  benn  audfe  feinen  oertrauten 
©efeülfen,  baufbar  unb  befdfeeiben,  oft  alg  bag  benfenbe  £aupt, 
ft<fe  felbft  alg  ben  aitgfüferenben  Slrm  begeidfenet,  wäferenb  ©neifenau 
in  eblet  Selbftnerläugnung  nie  fragte,  wie  niel  non  ben  Sorbeern, 
bie  er  um  bie  Sdjläfe  beg  gefeierten  gelbfeerrn  winben  fealf, 
eigentlid)  ifem  gefeore.  SBeibe  wufeten  fiefe  unauflöglid)  nerbunben 
in  begeifterter  Eingabe  an  bie  gtofee  naterlänbifcfee  Satfee. 

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44 


ßlotfe  el)e  bie  erfefente  lefete  ©tunbe  beß  SBaffenftißftanbß 
gefommen,  liefe  SSlüdjer,  ba  bie  Stanjofen  in  bet  neutralen 
Sone  JRequifttionen  erhoben,  feine  Gaoaßerie  gegen  ben  §einb 
»orgefeen,  erhielt  aber  non  ben  (Sommiffarcn  bet  SBerbünbeten 
bie  SBeifung,  feine  Sruppen  ^urütf^urufen.  ©a  erflarte  et  futj 
unb  bünbig  bem  pteufeifdjen  ©ommiffariuß:  „bie  SRatteupoffen 
bet  ©iplcmatüer  unb  baß  Mieten  furnieren  muffen  nun  einmal 
ein  ©nbe  feaben.  3<fe  werbe  ben  Sact  ofene  SRoten  fcfelagen." 

SDRtt  bem  17.  $uguft  begannen  bie  ©efeefete  ber  fdjlefiftben 
Sltmee.  „3n  biefem  SÄugenblicfe,  feferieb  Blühet  mit  Sleiftift 
feinet  ©entafeUn,  feabe  iefe  bie  grancofen  betbe  auffgefeauen;  fte 
feaben  2000  ßJiann  oetloferen  unb  6Äanonen  nebft  300  (§>ferben?), 
auefe  manche  gefangen.  3$  bin  gefunb  unb  ©efereibe  biefeß 
unter  toten  unb  lebenbigen."  Unb  wieber  melbet  er  am 
19.  Üluguft  unter  Sobten  unb  gebenbigen,  bafe  er  mehrere  fran* 
göfifd^e  ©orpß  in  bie  gludfet  gefcfelagen:  „3cfe  matfefeire  fogleidj 
ab,  um  ben  f$einb  3U  Boßgen." 

©ß  waren  bie  heftigen  ©efeefete  am  ©ober,  um  bie  eß  fidj 
feier  feanbelt.  23lü<feet  featte  baß  linfe  Ufer  beß  glufjeß  occupirt 
unb  liefe  am  21.  $uguft  bei  Söwenberg  auf  baß  reefete  Ufer 
hinüber  recognoßciren.  ©utefe  feinen  feden  SBormarfcfe  reifte  er 
Sßafeoleon,  ber  bei  ©reßbeu  ftanb,  fttfe  felbft  gegen  ifen  ju  wenben. 
®ber  33lü<feer  wiefe  jebem  33etfu<fee,  ifen  jur  ©efelacfet  ju  bewegen, 
auß,  gufrieben,  Sage  lang  ben  Äaifer  feintet  fi«fe  feergujiefeen. 
„3tfe  bin  gefunb  unb  fefet  oergniigt,  bafe  i(fe  bem  gtofeen  man 
eine  nafee  angebrefet  feabe,  er  foß  wüttenbt  fein,  bafe  et  miefe 
niefet  3ur  ©efeladjt  feat  bringen  fönnen.“ 

3nbefe  featte  Slüefeer'ß  5lrmee  bei  bem  fRfufjuge  emfefinblicfee 
SSerlufte  erlitten,  u.  a.  bei  9>lagwifc,  wo  bie  fcfelefifcfee  Sanbwefer 
ifere  erfte  Söluttaufe  beftanb  (fo  bafe  bet  ffrenge  2)orf  fic  falu- 
tiren  liefe,  alß  fte  auß  bem  ©efeefet  ^urücfFefette)  unb  noefe  mefer 
bei  ©olbberg,  wo  bie  Sferbunbeten  fogar  gegen  4000  SDiann 
»etloren. 

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45 


©o  cerluftreid;e  fRücfgugSgefechte  fcmtlen  bie  ©timmung 
in  bet  Slrmee  nicht  ^eben.  ?)orf  murrte  unb  fd)alt,  baf$  man 
bie  Struppen  nidjt  beffer  jd)ene,  unb  ber  ruffifche  ©eneral  gange» 
ren  geigte  fich  »otlenbS  unbotmafeig.  ©8  mar  3«t,  butch  einen 
glüngenben  ©rfolg  bie  ©orpSführer  wie  bie  Struppen  fefter  an 
ben  Oberbefehlshaber  gu  fnüpfen.  SDagu  fotltc  fid)  bie  gihiftigfte 
©elegenheit  bieten,  al8  Napoleon,  um  2>re8ben  gegen  bie  böh» 
mifdje  3trmee  gu  becfen,  au8  ©djlefien  gurücfeilte  unb  \)kx  ben 
Oberbefehl  über  naljegu  100,000  5Rann  bem  SDtarfdjall  ÜRacbo« 
nalb  übergab.  9U8  biefer  gegen  bie  Sßerbünbeten  oerging,  fam 
e8  am  20.  Sünguft  gu  ber  ©c^Iadjt  an  ber  Ka^bad).  @8  war 
ftürmifd^cö  Stegenwetter,  bie  ©ebirgSpäffe  hoch  atigefchwollen, 
ber  SBoben  für  Steiterei  unb  ©efdjüfc  faft  ungangbar,  a(8  fl)orf 
unb  ©acfen  in  einem  überwältigenben  Anprall  ben  §eiub  eotl» 
ftanbig  gerfprengten  unb  niete  Staufenfce  ben  fteilen  SBergranb 
bet  Kafcbad)  unb  ber  wüthenben  SRei§c  hinabftürgten.  SDer 
glangenbe  ©ieg  würbe  mit  geringen  Opfern  erfaßten  unb  burd) 
bie  raftloS  fortgefefcte  SSerfotgung  bie  SRacbenalb’fcbe  Ülrmee  faft 
uernicbtet. 

„£eute,"  fo  melbete  23lüd)er  „in  ÖiH  unb  mühbe  unb  matt" 
feiner  ©emaljlin,  „heute  wahr  ber  tag,  ben  ich  fo  fehnlich  fle* 
wünjcht  h°fo;  wir  ha^cn  ben  geinb  »eilig  gefdjlagen,  »iCe 
©anonen  erobert  unb  gefangene  gemagt;  morgen  benfe  ich  noch 
»iCte  gefangene  gu  machen,  ba  ich  ben  geinb  mit  meiner  ganzen 
©aoalletie  oetooDge.  @8  war  ben  ganfceu  tag  ein  Stegen,  fo 
bah  ich  nicht  einen  trocfenen  SBiffen  behillte." 

SÄm  fpäten  3tbenb  be8  glorreichen  Stage8  finben  wir  bie 
gelben  33lüdjer,  ©neifenau  unb  ihre  nächften  ©ehülfen  auf  bem 
©ute  33red)tel8hof  bei  einem  ©iege8mat)le.  3n  einem  weiten  ge» 
wölbten  ©aale  war  eine  lange  2afel  aufgefdjlagen,  auf  ber  grofje 
irbene  ©chüffetn  bampften.  ©ie  enthielten  ftifd)  au8  bem 
S3oben  gegrabene  unb  in  SSaffer  abgelebte  Kartoffeln,  gu  benen 
nic^t  einmal  ©atg  befdjafft  werben  fonnte.  ©in  ^auptmann, 

c«) 


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46 


bet  an  betn  unteren  Gnbe  bet  Stafel  ^lafc  genommen,  falj  un* 
ruhig  um  fid).  931üd)et  merft  eS  unb  fragt,  maS  et  fuche.  Unb 
als  et  fyßrt,  baff  jener  SDfftgiet  nach  Saig  »erlangt,  ruft  bet 
gelbljerr  auS:  „Gr  ift  moljl  je  ein  Geurmanb,  et  miß  fegat 
Saig  freffen.*  So  bie  Jpclben  »on  1813. 

SDafc  Slüdhet’S  8ob  feit  bem  Stage  an  ber  Äafcbadh  non 
allen  Sippen  tönte,  braucht  faum  gejagt  gu  roerbeu.  SDie  »et* 
bünbeten  9J?onatdjen  überjanbten  ihm  mit  fchmeidjelhaften  3 u* 
fünften  bie  Ijöd^fteu  SDrben.  ,,3d}  mei§  mahrlich  nicht  mehr, 
i»o  t)in  ich  ade  freufjer  unb  DrbenS  Mengen  foO." 

fJtapoleon  aber  erlitt  in  jenen  Stagen  nod)  anbete  faum 
minbet  fernere  23erlufte.  3»ar  ^atte  er  bie  bö^mifdje  Slrmee 
»or  SDreSben  gefdjlagen,  aber  baS  GorpS  beS  General  SBanbamme, 
baS  bie  SBerbünbeten  »erfolgte,  mürbe  bei  Äulm  »ernic^tet,  unb 
nadjbem  fdjon  bie  pren&ifdjen  Generale  Stauengien  unb  Sülom 
»on  bet  Sflorbatmee,  ohne  3»t^un,  ja  gegen  ben  SBiüen  beS 
/Oberbefehlshabers  SBernabotte,  ben  SRarfdjaH  Dubinot  in  bet 
JRälje  »on  Setlin  bei  Gropeeren  gurüefgemotfen , festen  bie 
Äolbenjdjlage  ber  33ülom’f<hen  Struppen  bem  ÜJlatf^aß  9lep, 
bem  beften  ber  napoleonifdhen  Generale , bei  SDennemifc  fo 
grünblich  gu,  baff  er  bie  JRefte  feiner  Slrmee  faum  nodj  gu  Jam* 
mein  »ermocfyte. 

£err  Napoleon,  meinte  ©lüdfjet  fd)on  am  4.  September, 
merbe  nun  mohl  gu  paaren  getrieben  merben.  SlßetbingS  »er« 
modjte  er  jene  ftarfen  Sßerlufte  nidjt  mehr  gang  gu  erfejjen  unb 
bie  Sßerbün beten  befamen  nach  unb  nach  eine  entfdjeibenbe  Ueber* 
macht,  bie  fte  Anfangs,  auch  nach  DefterreidhS  Beitritt,  nicht 
gehabt.  3Lber  ber  gto§e  Schlachtenmeifter  gab  baS  Spiel  noch 
feineSmegS  »erloren.  SBieber  manbte  er  fidj  mit  feiner  £aupt* 
armee  gegen  SBlüthet  unb  tljat  alles,  um  ihn  gu  einer  Schlacht 
3u  bringen.  SDa  er  aber  gmeimal  fo  ftarf  mar  als  bie  fdjlefifdhe 
Slrmee,  midh  SMüchet  ihm  fo  lange  aus,  bis  er  »iebet  gurüdf» 
ging;  bann  brängte  et  ihm  nach,  um  „ihn  t»arm  gu  halten.“ 

(«) 


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47 


3Jber  fo  fetjr  aud}  bic  friegetifd)en  <5Teigutffc  unferen  ?telb* 
herrn  in  anfprud}  neunten,  fo  »ergeht  bod}  fein  3:ag,  wo  er  nicht 
theilnahmüofl  ber  ©einen  gebäd}te.  „aber  meine  gute  fERahle," 
fdjreibt  er  ber  ©attiu  am  15.  September  au8  Herrnhut,  „bu 
btft  »erftimmt  unb  mifcoergnügt,  bafc  macht  mid}  f ummer,  weg 
mit  bie  griBeu,  eS  wirb  afleS  gufyt  werben,  ber  JpirneB  geigt 
fid}  uns  fo  ^eitter  . . . nod}  ^eute  marfcbire  id?  nach  S3auj}en  unb 
in  wenigen  tagen  nur  ©reSben,  ober  id?  gehe  über  bie  Grlbe 
gwifcben  Üorgau  unb  3)reffen."  „Hier  in  ^errnijut,  fährt  er  fort, 
bin  id)  3 tage,  nie  in  meinen  leben  fyabe  id}  beffet  quartier  ge« 
fjabt;  ad}  eS  ftnb  »ortrefflige  leute  bie  Ijcrrnfyuter,  fte  haben  mich 
uff  tauben  getragen  unb  »ergoffen  trähuen,  ba  id}  fte  »erlaffe, 
auch  id)  unb  meine  ganfje  Umgebung  mögten  weinen." 

SU«  23Iüdber  fdjon  baran  backte , über  bie  ©Ibe  gu  gehen, 
»erlangte  baS  grofje  Hauptquartier,  bafc  er  mit  ben  fd}lefifd)en 
Gruppen  bie  armee  in  33öl)tnen  »erftärfe.  SDiefem  fonberbaren 
anftmteu  trat  er  jebed}  im  ükrein  mit  ©neifenau  energifcb  unb 
mit  triftigen  ©rünben  entgegen  unb  fefjte  eS  »ielmeljr  burd}, 
bafc  ihm  bie  @tlaubni§  gu  einer  SBewegung  gegeben  würbe,  bie 
unbeftritten  baS  ©djicffal  beS  ftelbgugeS  entfdneben  hat- 

Biad)bem  ©eneval  Senningfen  mit  70,000  rufftfchen  9iefer»en 
an  bie  ©teile  ber  fchleftfchen  armee  gerüdt  war,  -fchwenfte 
33lüd)et  nad}  fflorben  ab,  um  ftd)  mit  bem  ftets  gaubernbett 
unb  gwetbeutigen  Äronpringen  »on  @d)weben  (93ernabotte)  gu 
»ereinigen,  biefen  mit  fid)  über  bie  @lbe  gu  giehen  unb  »on  bort 
fid}  in  Biapoleon’S  dürfen  gu  werfen,  währenb  ©chwargenberg 
mit  ber  bd^tnifd^en  Slrmee  über  baS  ©rggebirge  in  ©adjfen  ein« 
bringen  unb  fo  ben  ©egner  »on  ©üben  faffen  foBte.  3n  ber 
erften  Hälfte  beß  Dctoberfl  »oBgogen  ftd}  bie  entfdjeibenben  «Be» 
wegungen.  5)urd}  baS  mörberifd}e  ©efecbt  bei  SBartemberg,  wo 
baS  tapfere  llorf’fche  (JorpS  fo  grimmig  ftritt,  würbe  ber  Ueber« 
gang  übet  bie  (Slbe  gewonnen;  öernabotte,  fo  oft  er  auch  oet* 
fudjte  gurücfguweichen,  würbe  burd}  33lücbet’S  ßnergie  unb  Älug» 

(«> 


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48 


heit  allem  Sßiberftreben  gum  $ro£  feftgeljaltcn  unb  im  ©aal» 
tljale  fortgcgogen,  währenb  gu  gleicher  Beit  auch  ©chwargenberg 
fict>  bet  frangofifchen  Sluffteflung  näherte. 

33ei  Seidig  Ijatte  5Raf>oleon  noch  nahegu  190,000  9Rann 
in  günftiger  ©teflung  gwifchen  ben  feinblichen  feeren  Bereinigt. 
35a  begann  am  16.  Dctober  bie  gtofje  33ölferf(hla<ht,  bie  am 
18.  ober  richtiger  erft  am  19.  mit  bet  (Srftürmung  Sei^igö 
unb  ber  §fud)t  fRaf>oleon’8  enbete.  @8  war  eine  fReihe  großer 
unb  blutiger  ©(flachten  auf  engem  fRaume,  wobei  wiebet  bie 
fd)lefifd)e  SSrmee  uitb  inSbefonbete  Dorfs  preu§ifd)e§  6orp8  ficf 
»or  anbeten  heroorthat;  fo  namentlich  am  16.  bei  ÜRöcfern,  wo 
SRarmontS  Slrmee  in  einem  blutigen  fRingfampfe  aufgetieben 
würbe;  fo  am  18.  October  bei  bem  3)orfe  ©cfönfelb,  ba8 
S3lüdE>er  bureb  bie  ßluffen  wieberholt  mit  Stobeßoeracbtung  ftürmen 
liefe,  unb  fo  cnblich  am  19.  bei  bet  (Eroberung  8e4>gig8,  al8  baß 
^aflifdje  $hot  «ft  nach  fürchterlichem  Kampfe  unter  BIücher’8 
nnb  ©neifenau’8  perfönlicfer  Leitung  genommen  würbe. 

9118  bann  bet  greife  gelbhert  in  bie  eroberte  ©tobt  einritt 
unb,  auf  bem  föiarfte  abgeftiegen,  bie  »erbünbeten  9Ronat<hen 
begrüßte,  umarmte  unb  füfjte  ihn  bet  Äaifet  aiejranber  unb 
nannte  il;n  „ben  Befreier  2>eutf<hlanb8."  „Such  ber  Äaifer 
»on  Dcfterreid) , fdjreibt  Blücher,  überhäufte  mich  mit  8 ob  unb 
mein  Äönig  banfte  mich  mit  Spänen  in  ben  Singen."  folgen» 
ben  2ag8  warb  er  »on  feinem  banfbaren  Könige  gum  ©eneral» 
felbmatfchall  ernannt,  wa8  bie  #eere  nach  bem  Borgange  ber 
{Ruffen  in  ßRarfcfaß  BorwärtS  »erwanbelten. 

„2Rit  bie  otbenS,  fchreibt  ber  »iel  ©eehrte,  weih  ich  midj 
nun  fein  fRaft  mehr,  ich  bin  wie  ein  aßt  futtfeh  Derb  behängen, 
aber  ber  gebanfe  lohnt  mich  über  aßeS,  bah  ich  berjenige  wahr, 
ber  ben  übermühtigen  tihrannen  bemütigte." 

Braune  ich  no$  äu  fagert,  bah  Bcn  «un  aIt  SMücfjer’S  5Rame 
ber  gefeiertfte  in  ©eutfcflanb  war?  35er  waefere  Slrnbt  hat  ber 
Begeiferung  »ieler  Slaufenbe  einen  getreuen  2lu8brucf  geliehen, 

C48) 


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49 


inbem  et  baö  Sieb  »om  „gelbmatfchall"  fang,  ber  „in  fliegenbem 
@au0  fc  fteubig  rettet  fein  muttjigeS  ^Bferb,  fo  fchneibig  fdjttinget 
fein  blijjenbeö  ©d)wert." 

„D  fcfjaut,  wie  ihm  leuchten  bie  'Jlugen  fo  flar! 

D fchaut,  wie  ihm  wallet  fein  f^neewet^e«  £>aar! 

©o  frifd>  t'lül)t  fein  Üllter  wie  greifenber  SBein, 

©rum  fann  er  Bemalter  bcfl  ©cbladtfelbeS  fein. 

3) er  9Jlann  ift  er  gewefen,  ba  alle«  ccrfanf, 

©er  mutlng  auf  gen  £>immel  ben  ©egen  nodi  fdjwang. 

Sa  ft^wur  er  beim  Sifen  gar  jornig  unb  l;art, 

©cn  2iSälftfcen  $u  weifen  bic  prcufjijdic  2lrt. 

©en  Schwur  hat  er  gehalten.  9tt§  Äriegäruf  erflang, 

$ei,  Wie  ber  greife  Süngling  in  ben  ©attel  fid)  fcbwang! 

©a  ift  cr’0  gewefen,  ber  Äe^raus  gemacht, 

ÜJtit  eifernem  fflefen  ba§  Sanb  rein  gemacht.* 


ÜKit  bet  Seipgiget  (£d)lad)t,  bet  größten,  um  mit  Sinket 
gu  reben,  „bie  nie  uf  ber  erbe  ftattgefunben  hat,"  mar  bie  33e» 
freiung  25eutf<hlanb§  im  wesentlichen  noDenbet.  Söenigftenä  gab 
e§  für  fRapoleon  unb  bie  krümmer  feiner  gelfcarmee  bieSfeitö 
be8  SRheineS  feinen  £alt  mehr,  unb  ber  9Rarfchall  Borwärtö  mar 
e8  por  allen,  weither  bie  33etfolgung  fo  eifrig  wie  möglich 
betrieb. 

„9tun  ift  baö  grofje  unternehmen  geenbigt,  fdjrieb  et  am 
3.  Sftooembet  1813  au8  ©iefjen;  bie  gtangofen  finb  genjjlith  üb« 
ben  9lein  gejagt;  8 tage  hinter  einanber  habe  ich  ftetS  mein 
quartier  be§  abenbö  ba  genommen,  wo  eä  Napoleon  oetlaffen, 
unb  ftetö  uf  ber  fellben  ftelle  gefchlaffen.  (St  hat  ben  größten 
theiQ  feiner  Ültmeh  »erlohren,  befonberö  feine  attellerie,  unb  wenn 
nicht  groffe  gehler  begangen  wehren,  fo  wehre  er  felbft  mit  allen 
oertohren  gewefen." 

Blücher  ftanb  am  fRhein  unb  hoffte,  wie  er  am  11.  ffto* 

XIV.  313.  314.  4 (4») 


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50 


Bembet  au8  SUtenfirdjen  bet  ©emaljlin  melbete,  balb  ben  ftolgert 
@ttom  gu  pafftren.  „©en  erften  briff,  ben  tdb  bidj  fdfereibe, 
will  idfe  Bom  icnfeitigen  uffer  ©atiren.  5Ba8  fagft  bu  nun,  bu 
ungläubige,  id)  feoffe,  bidj  nod)  au8  $>ari8  gu  ©dbretben  unb 
©djöne  fadfeen  gu  fcfeidfen." 

Slber  bie  ©htge  gingen,  ©auf  ber  metfeobifdjen  .Rtieg» 
füferung,  bie  ba8  grofee  Hauptquartier  uotfdfetieb,  unb  ©an!  bet 
griebenSliebe,  »ooon  ba8  öfterreidfeifdje  ©abinet  befeerrfdjt  war, 
nidfet  jo  tajdj,  wie  fein  ftürmifdjer  ©ifer  Berlangte.  SMüdfeer, 
mit  ber  „nerbammten  Heftung  SJtaing"  Biel  befcfeäftigt,  mufete 
Sotten  lang  in  Höcfefl  liegen  unb  war  bann  wenigftenS  frei}, 
bafe  bie  großen  Herren,  bie  ifen  jo  fefer  „genirten,"  ftd)  entfernten 
unb  er  ba8  Steidfe  allein  befielt.  Stu r besagte  e8  ifem  nidfet,  bafe 
er  wiebet  „eine  gange  He£c  bringen“  um  ftdfe  Wegen  feilten 

©nblidfe  fonnte  um  bie  erfte  ©tunbe  be8  neuen  3a^re8  bet 
Stfeeinübergang  ftattfinben.  33oH  gtenbe  fdferieb  33lü<feer  am 
Sfbenb  be8  1.  Sanuat  1814  au8  33adfearadfe:  („©er  früfee  neu» 
jaferSmorgen  Wafer  Bor  micfe  erfreulig,  ba  icfe  ben  ©tollen  Stein 
^ajjirte,  bie  uff  et  ertöfenten  not  greubengefdferep,  unb  meine 
brauen  Gruppen  Empfingen  mich  mit  Subei.“  „©et  leferm  Bon 
meine  braßen  ©ameratten  ift  fo  gtofe,  bafe  icfe  micfe  Berbergen 
mufe,  bamit  aHe8  gut  Stufee  fomt;  bie  ienfeitigen  beutfcfeen  be» 
wohnet  (Empfangen  un8  mit  greubenträfenen." 

Slm  17.  Sanuat  war  33lüdfeer  tn  Stanep,  „ein8  bet  fdfeönften 
©tätte  Bon  granfteidfe*.  „SRorgen  marfdfeiere  icfe  uf  ©ufen  unb  jo 
immer  weiter  nacfe  fPari8.  SSenn  alles  gefet,  wie  e8  gefen  füll 
unb  mufe,  fo  wirb  in  furzet  geit  ber  gtibe  ooDgogen." 

©en  1.  unb  2.  gebruat  ftiefe  ber  SötarfcfeaU  bei  ötienue 
gum  erften  fötale  unmittelbar  mit  feinem  grofeen  ©egnet  gufammen 
unb  erfodfet  über  ifen  einen  glängenben  ©ieg.  „©er  grofee 
©dfelag  ift  gefcfeefeen, " fdfereibt  er  am  2.  Stage,  „©eftern  traf 
icfe  mit  ben  faifer  uapoleon  gufamett;  ber  Ä’aifet  f.Bon  Stufe» 
lanb  unb  unfer  .Röntg  !amen  an,  wie  bie  Sattalie  ihren  Anfang 

(SO) 


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51 


nahm;  beibe  monateben  übergaben  mid)  alles,  unb  bliben  gu 
©tfyauer  be8  fampff’S.  Um  1 Ufyt  griff  id)  ju  mittag  ben  §einb 
an;  bic  Sditacbt  bauerte  bis  in  bie  fRadft  unb  erft  um  10  U^r 
batte  id?  ben  .fteifer  napoleon  auf)  allen  feinen  ftetlungen  »er« 
triben,  60  Äanonen  unb  über  3000  gefangene  ftOen  in  meine 
fyenbe.  2>ie  3abD  ber  toten  ift  fefyr  gro§;  benn  bie  erbitterung 
batte  ben  ^o^ften  grab  erreidjtt.  JDu  fannft  benfen,  wie  »iel 
banf  id)  uon  bie  monarcben  einernbtete.  Sllejranber  brücfte  midj 
bie  £anb  unb  fagte:  93iüd)er,  Ijeutte  haben  fie  bie  frone  uf  alle 
Sfyre  fige  gefegt,  bie  ÜJtenfctjen  werben  ihnen  ©egnen.  3d)  wahr 
bis  gum  ^infinfen  ermattet  unb  fcbliff  5 ftunben  ohne  uf  ju 
wadjett.  ^»eutte  früh  muffte  id)  meinen  gegner  nodj  einmal  an* 
greiffen  unb  oöllig  oertreiben." 

SBlüdber’S  großer  Sieg  unb  fein  perfßnlidjeS  ©intreten  für 
bie  Sortfetjung  beS  ÄtiegeS  brängten  einmal  wieber  in  bem  fürft* 
lidjen  Hauptquartier  bie  ^tiebeuSgebanfen  3utücf;  übel  bagegen 
War,  baf)  bie  faum  Bereinigten  Jpeere  fi<b  wieber  trennten. 
SSlüdjer  matf dritte  bur<b  bie  ©bene  ber  ©Campagne.  „3Bo  idj 
jefjt  bin,  wäebft  bet  befte  ©bampagner  in  gan3  granfteidb;  er 
wirb  biet  oom  ©eneral  unb  »on  9)adffnedbt  getrunfen,  mid)  be* 
fommt  er  aud)  giemlidb  gut."  2lber  beS  Krieges  ift  ber  gelbbert 
überbrüffig  unb  febnt  fidj  nach  tRube. 

93a!b  famen  fcblimme  SLage.  3m  SLljetl  ber  SRarne  würben 
SSlücber’S  gu  weit  auSeinanber  ge3ogene  Sruppen  »on  Napoleon, 
ben  Sdjwa^enberg’S  tÄrmee  nidbt  befdbäftigte,  unüerfebenS  an* 
gegriffen;  fie  erlitten  (14.  Februar)  grofee  SOerlufte,  unb  bn  um 
biefelbe  Beit  bie  grangofen  aud)  an  anberen  Stellen  glücflidje 
©efeäjte  lieferten,  fo  würbe  im  großen  Hauptquartiere  31t  SropeS 
ber  Stiücfgug  nadb  93at  für  9lube  beidjloffen  unb  uon  angftlidjen 
Seelen  fogar  f<f)on  bie  tRetirabe  bis  an  ben  tRbein  in  StuSfidjt 
genommen.  SebenfallS  lag  baS  ©nb3iel  beS  ÄriegS,  bie  93er« 
nid)tung  beS  napoleonifcben  HeereS,  wieber  in  weiter  fferne. 

2)a  war  eS  wiebet  93lü<ber,  welker  mit  feiner  gewaltigen 

4*  (51) 


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52 


(Energie  ben  2(u8fd)lag  jum  ©uten  gab.  (5r  baMe  feit  feinem 
©intritt  in  ffranfteid),  aud)  l)ierin  gan3  mit  ©neifenau  über* 
einftimmenb,  unentwegt  Paris  atö  baS  Biel  beS  Selbjugß  feft* 
gebalten.  „SBibr  gubt  gefinnten  wollen  <Sd)lagen,  fd)rieb  et 
cot  bem  Kampfe  bei  Sötienne  an  SBincfe,  aber  bie  ©iplomati* 
quer  fabelt  bunbert  anbere  Projecte;  fotl  bie  Sadje  guljt  fübt 
bie  Plenfcbbeit  »erben,  fo  muffen  »ir  nach  Paris.  ©obrt 
fönnen  untere  Pionardjcn  einen  gubten  frieben  fddiefjen,  id)  barf 
fagen  SDictiren.  ©er  Jiran  bn*  öBe  Jpauptftäbte  befudst,  ge« 
plünbert  unb  beftoblen:  »ibt  »eilen  unS  fo  waS  niept  frbulbig 
madjen,  aber  unjere  @bre  forfcert  baß  23ergeltungSred)t , il)m  in 
feinem  nefte  gu  befugen."  3efct  evwirfte  fid>  5Müd?er  burdj  ben 
ßberften  ©rolman  bie  ©rlaubnif),  ba§  er,  oerftärft  bureb  gwei 
SlrmeeforpS,  allein  bie  Dffenfioe  auf  Paris  fortfefcten  burfte. 
3»ar  würbe  bie  genehmigte  £>rbre  ein  paar  Jage  barauf  »iebet 
gutücf  genommen,  aber  im  fd)lefifd)en  Hauptquartiere  ignorirte 
man  ben  ffiiebetruf  unb  30g  balb  audj  bie  ©ebwargenbergifebe 
ärmee  ftd)  nadj.  ©aS  gab  bem  Ätiege  bie  lefgte  entfdjeibenbe 
SBenbung. 

üNm  7.  Ptärg  lieferte  5ölüd)er  bem  Äaifer  bei  ©vaonne  eine 
blutige  ©cblarbt,  bie  3»at  unentfdjieben  blieb,  Napoleon  aber 
bie  empfinblicbften  Serlufte  3U3og.  SRcd)  fernerer  litt  bie  fran» 
göfifebe  2lrmee  3»ei  Jage  fpater  bei  8aon,  unb  nur  33liubet’S 
Äranfbeit  unb  bie  baburd)  tjerbeigefüljrte  Unficberbeit  in  ber 
Leitung,  ba  ©neifenau  im  ©efübl  feiner  23erantmortlicbfeit  gegen 
feine  Patur  3U  wenig  wagte,  Ijinberten  hier  einen  ooHftänbigen 
©ieg. 

©a  nerfudjte  Napoleon  bei  SlrciS  für  Stube  fein  ©Ittcf  gegen 
©d)  Wasenberg,  unb  aud)  bort  abgewiefen,  warf  er  fid?  auf  bie 
SfiücfgugSlinie  ber  »erbünbeten  Heere,  ol)ne  bafc  ftd)  biefe  »on 
bem  Ptarfdje  auf  Paris  abbalten  liefen.  3n  blutigen  ©efed)ten 
mürben  bie  Piarfdjütle  Ptarmont  unb  Ptortier,  weldje  bie  Strafte 
natb  ber  ^»auptftabt  beefen  füllten,  geworfen;  am  Ptorgen  beS 

(5i) 


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53 


30.  Ntcirg  ftanben  33lü<het  unb  ©chwargcnberg  Bor  ben  ÜJtauern 
Bott  fParig  unb  crftritten,  jener  im  Norben,  biejer  im  SDften  ber 
©tabt,  ben  lebten  ©ieg.  3918  3 Uhr  Nachmittage  bauerte  bet 
Äampf;  bann  trat  SaffenftiUftanb  ein,  aI8  gerabe  33lüchet’8 
$eer  ben  ÜJtontmartre  ftürmte.  2)er  f^etb^err  liefe  noch  90  ®e* 
fcfeüfee  auf  bie  befeenfctjenbe  ^ö^e  hinauf  bringen,  um,  wenn 
ee  fein  müfete,  bie  frangöfifche  .^auptftabt  gu  befdjiefeen. 

ÜJMt  bem  Abfdilufe  ber  (Kapitulation  um  SRitternacht  mar 
ber  tfeatenreiche  ftelbgug,  bet  an  ber  Ober  begonnen,  gu  @nbe. 

RMücber,  beffen  ^elbennatur,  unterftüfet  Bon  ber  beifpiellofen 
Süchtigfett  feinet  Armee,  gumeift  ba8  ©elingen  beö  ftelbgugg 
herbeigefufert  hatte,  fonnte  fidj  beö  glängenben  Gfrfolgeg  in  ber 
gütle  beb  erften  SlugenfclidfeS  nicht  recht  freuen,  ©eit  8aon  war 
er  franf,  Born  giebet  gefchwächt  unb  Bon  heftigem  Augenleiben 
heimgefucht.  3for  ^>ari8  hatte  er  nur  au8  bem  Sagen  hetau8, 
Bor  ben  Augen  ben  ©chirm  eineg  gtünfeibeuen  SDamenhuteg, 
feine  befehle  geben  fonnen. 

Stofebem  wollte  et  am  Sage  be8  feierlichen  (Singugg  ber 
Berbünbeten  Stuppen  nicht  fehlen.  ÜJian  fah  ihn  am 

frühen  SJtorgen  beö  31.  3!Rärg  in  noHem  Staate,  ben  grünen 
©chirm  unter  bem  ©eneralgljut,  unb  eg  gelang  nur  mit  ffJtühe 
ihn  gu  bewegen,  bafe  et  auf  bem  KDtontmartre  bleibe. 

21m  2.  April  legte  er  ben  Cberbefehl  nieber  unb  nahm 
feinen  Aufenthalt  in  $)ari8,  wo  et  erft  nach  Sechen  Bon  feinem 
Augenleiben  geheilt  würbe. 

Auch  ohne  biefe  Jfranfheit  würbe  33lüd)er  nach  feinet  gangen 
Art  auf  bie  fttiebengoerhanblungen  in  ’Patig  fchwerlich  (Sinflufe 
auggeübt  haben.  @8  fehlte  ihm  bagu  Bor  allem  an  ftaatg* 
männifchet  SBilbung.  (Sr  felbft  fdjeint  biefen  SGRangel  nicht  Ber* 
fannt  gu  haben.  Sn  biefem  ©inne  möchte  ich  eine  merfwürbige 
$ergengergiefeung  ©lüdjet’g  aug  bem  frangöfifchen  ^elbguge  beuten. 

Ale  nämlich  ber  SelbmarfchaO  eineg  Abenbg  gemüthlich  mit 
feinen  Sifchgenoffen  plauberte,  h^fte  man  ifen  plo^lich  nachbenf* 

(SS) 


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54 


lidf  fagen:  ©neifenau,  wenn  idj  wa8  gelernt  hätte,  waS  hätte 
ba  nid)!  aus  mir  werben  fonnen.  s3ber  ich  feabe  alles  eerfäumt, 
wa8  id)  hätte  lernen  joden. 

gadjenb  erwieberte  ber  ©eneralftabSdjef:  „SßaS  Ratten  6w. 
@jr.  benn  noch  mehr  werben  woUen,  als  ©ie  jefet  wirflid)  finb? 
©ie  haben  ben  ^öc^fteu  Soften  im  ©taate  ja  fdjon  erreicht, 
©er  gelbberr  liefe  fidj  nicht  irre  machen,  jonbern  fuhr  fort:  3« 
meiner  Sugenb  ^abe  icfe  mich  um  gar  nichts  gefümmert,  anftatt 
ju  ftubieren,  habe  id)  gezielt,  getrunfen,  mit  ben  SöeibSleuteu 
mid)  abgegeben,  getanjt  unb  fonft  luftige  ©treidje  oerübt.  3)a= 
ber  fomrnt  eS  benn,  bafe  id)  jefet  nid}t8  weife.  3a,  fonft  wäre 
icfe  ein  anberer  Äerl  geworben,  baS  fönnt  3fer  glauben;  auS  mir 
batte  waS  werben  fönnett!"  — 

9Jlan  fönnte  meinen,  Slitcfeer  habe  etwa  an  ben  SDtangel 
ftiegSwiffenfcfeaftlicfeer  ©tubien  gebadjt?  38er  ba  weife,  bafe  er 
an  tfeeoretifcfeen  Äenntniffen  feinter  betn  jüngften  ©eneralftabS» 
Offizier  3urücfftanb,  wirb  geneigt  fein  3U  glauben,  bafe  er  ben 
SRangel  an  friegSwiffenfcbaftlicber  SBilbung  tief  empfunben  haben 
muffe.  länbererfeitS  aber  ift  bunberfältig  bezeugt,  bafe  ber  geniale 
9>raftifer  mit  feinem  iäblerblitf,  feinem  burcfebtingenben  ©cbarf« 
finn  unb  feiner  raffen  ©ntfcfeloffenfeeit  oon  ber  Slfeeorie  ber 
ÄriegSfunft  fefer  gering  badete,  bafe  er  ©cfelacfetenpläne  unb 
dRarfcferouten  ju  entwerfen  rubig  feinem  ©eneralftabe  iiberliefe: 
ibm  genügte  baS  Söewufetfein,  bafe  es  im  entfd)eibenben  Momente 
bocb  auf  feine  giiferung  anfoinme. 

Sejeicbnenb  ift  in  biefer  ^»inficfet  bic  (S^üfeluug  eines 
Slngenjeugen  über  SBlütfeer’S  33erfealten  am  ÜSorabenb  ber  ©cfelacfet 
oon  Seipiig  ober  richtiger  oon  SDiöcfepn.  SBäferenb  unter  SluS* 
breitung  ber  ©pecialfarten  oon  ben  unter  ibm  commanbirenben 
@eneraleu  ber  ©djlac^tplan  befprod)en  wirb,  fifet  iMüdier  in 
einem  anberett  3iniwer  beim  Äanjler  jJtiemeper  auf  bem  ©opfea 
unb  raucbt  unter  jutraulicfeen  ©ejpräcfeeu  rufeig  feilte  pfeife, 
ftidoerguügt  wie  im  Scfeoofee  bes  griebenS.  311S  3ene  fertig 

(M) 


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55 


finb,  fagt  er:  „9tun,  ifyr  .jperrn  ©chriftgelebrten,  waß  habt  3hr 
©uteß  außgehecft?"  SEBie  er  gugetyort,  erwiebert  er,  „baß  mag 
woljl  baß  Steckte  jein,  aber  ich  !ann  non  bem  allen  nidjtß 
braunen,  wenn  ich  mit  meinen  Sungeitß  auf  baß  ©djlachtfelb 
fomme,  werbe  ich  fc^on  fehen,  maß  ju  tljun  ift.  9tun  £etr 
(Sanjler,  noch  eine  pfeife!" 

©in  folcher  sBiann  wufjte,  »aß  et  ot)ne  theoretijche  Äcnnt- 
niffe  werth  »ar,  unb  räumte  feinem  tSnberen  ben  Vorrang  im 
gelbe  ein. 

Dagegen  batte  er  immer  non  neuem  Urjadje,  über  bie 
i<b»äd)lid}e  Haltung  ber  preufjifchen  ©taatßmäuner  ju  Hagen, 
unb  oft  genug  muffte  itju  bie  ©ehnfucht  überfommen,  ben 
faexxn  Diplomaten  et»aß  oon  feinem  ftarfen  juoerfi^tlidjen 
©eifte  einflöfjen  ju  fönuen. 

SJian  rueife,  »ie  fel>r  gerabe  in  Variß  eine  beffere  Vertretung 
ber  preufjifchen  unb  ber  beutfehen  Sntereffen  3U  wünfehen  ge« 
»efen  »äre.  Deutfchlanb  »urbe  für  bie  beifpiellofen  Opfer 
fehlest  belohnt  unb  auß  unberechtigter,  ja  fträflidjer  ÜRilbe  gegen 
granfreid)  nicht  einmal  mit  fdjüfcenben  ©renjen  »erfehen.  Vlüdjer 
warnte  wohl,  eß  mögen  bie  gebe«  ber  ^errn  Diplomaten  nicht 
wieber  Derberben,  waß  bie  Schwerter  erworben;  aber  babei 
blieb  eß. 

©obalb  Vlüchet’ß  ©efunbheit  bergeftellt  war,  würbe  er,  ohne 
bie  bringenbe  ©inlabung  beß  sPrinjregenten,  mit  ben  Votentaten 
nach  Bonbon  311  fommen,  abgereift  fein,  um  wieber  3U  ben 
©einen  gurücf  gu  lehren.  SBie  oft  hatte  er  fich  »ährenb  beß  gelb* 
3ugeß  nach  feiner  ©emahlin  gefehnt,  unb  wie  unbefthteibfich  un» 
ruhig  war  er,  wenn  er  feine  V riefe  erhielt.  9tun  brannte  ihm 
in  Variß  collenbß  „ber  ©oben  unter  ben  güfjen." 

SBir  werben  unß  baher  baß  müfcige  8eben,  baß  ber  .£>elb 
im  Valaiß  fRopal  bei  Urunf  unb  ©piel  geführt  haben  foD,  nicht 
all3ufröhlich  benfen.  Dafe  Vlücher  fich  bem  langentbehrtem  Spiele 
wieber  3uwanbte,  ift  begreiflich;  bafj  er  aber  h«nbert  SEaufenbe 

<») 


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56 


etngebüfjt  hatte,  nid)t  mäht.  sÄud>  hielt  er  im  Jtinfen  ftcti  fehr 
mäf)i0  unb  begnügte  fid)  mit  fdjnjachem  Äaffee  unb  Jhee  ober 
aud)  mit  Warmbier.  ©en  fParifern  mar  er  ein  ©egenftanb  be» 
teunbernber  Sfteugier,  hie  unb  ba  auch  beß  Slttfto^eS ; fo,  menn  er 
an  einem  fyei&en  Jage  ohne  Umftanbe  im  ©afthaufe  ben  fRocf 
außgog.  (Die  Gfnglänber  bagegen,  bie  gasreich  nad?  fPariß  !amen, 
bemunberten  bieö  mie  manches  ©erbe  an  bem  ruhmoollen  Jg>eer« 
fütjrcr,  ber  ben  langen  Äampf  ©rohbritannienß  gegen  ^ranfretch’ß 
Uebermacbt  gu  einem  für  fie  fo  oortijeilfyaften  ©nbe  geführt  hatte. 

„@ß  finb  hier  mehr  als  100  ©nglänbet  angefommen,  bloß 
um  mich  gu  fehen  unb  fennen  gu  lernen.  — ©eftern  ift  ber 
berühmte  gorb  Wellington  ^ier  angefommen  unb  ich  bin  auf 
btei  Jage  gu  ihm  gebeten."  — 3eber  neue  ©rief  melbet  oon  neuen 
!Äuögeid)nungen.  „©er  Äönig  oon  ftraufteid)  (8ubmig  XVIIT.) 
hat  mich  öffentlich  gebanft,  bafs  ich  anfänglich  bie  utfadje  fei, 
bah  er  feinen  trohn  roiber  beftiegen.  — ©ie  (Stabt  Bonbon 
hat  midj  einen  @hren  ©egen  oerehrt,  ben  ich  ba  ©mpfangen  merbe. 
©er  ©egen,  ben  ich  »om  Äaifer  Sälejcanber  erhallte,  ift  oom 
hiefigen  3ubeliet  uf  20,000  Jhaler  Jajrirt.  9lun  fommt  noch 
fo  ein  ©äbeü  auß  Petersburg,  maß  Jcuffel  fofl  ich  mit  alle 
3uoelene  Waffen." 

Slm  menigften  moHte  ftriebrich  Wilhelm  mit  feinem  fönig* 
liehen  ©anfe  gurücfbleiben.  @r  erhob  ©lücber  gum  Surften  oon 
Wahlftabt  unb  fieberte  ihm  eine  ©otation  in  liegenben  ©üteru 
gu.  @ß  gefdjah  tagß  oor  ber  Ueberfahrt  nach  ©nglanb.  ©rft 
non  hieraus  fdjtieb  Sßlücher  barüber  feiner  nun  fürftlichen 
©attin. 

„Sflun  muh  ich  bich  befannt  machen,  bah  tro§  allen  mtber* 
ftreben  mid)  ber  fönig  ben  morgen,  mie  mihr  nach  ©ngelanb 
gingen,  gum  dürften  ernannte,  mit  bem  namen  gürft  Slücher 
»on  ber  Wahlftabt;  meine  @öt}ne  finb  ©tafen  33lüdjer  oon 
Wahlftabt.  ©ah  §ürftenthum  erhallte  ich  in  ©chlefien,  aHmo 
ein  flofter  mar,  bah  Wahlftabt  helfjt-  S^ac^  meinem  tobe  erljelft 
(«) 


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57 


bu  uf  leben8$eit  eine  fPenfion,  baff  ©u  al8  gürftin  leben 
tauft."  ,,©ie  Dotierung  tuljt  oiehH  cot  mid?  unb  id)  genifje 
im  oorauh  bie  greube,  euch  ade,  bie  mich  lib  unb  wehrt  finb, 
in  glücflige  oerfaffung  nach  meinen  leben  ju  wiffen." 

©dbon  in  Soulogne  erfuhr  Slücber  groben  be8  beifpiel= 
lofen  Sntbufia6muS,  womit  bie  Snglänber  ju  feiner  Stfcbeinung 
emporblicften.  „©eftern,  fchtieb  er  am  3.  3uni , b«be  ich  mit 
bem  ^)@rgog  non  jtlarenfe  uf  baö  Sinien  ©cbiff  3mprenabel  (ba8 
bie  bobfn  Säfte  3 Sage  fpäter  nad)  ©ooet  fütjren  feilte)  gegeffen ; 
noch  bin  id)  taub  non  allen  Äanonenbonnet,  unb  bep  nab  ge= 
ftört  oon  alle  Qrbtenbejeugungen.  2öen  baf)  fo  foljtt  gebt,  fo 
werbe  i<b  in  Sngelanb  »errüeft.  3n  lonbon  foll  i(b  mit  SleuffelS 
gewalb  beim  §>rinh  {Regenten  logiren ; id)  werbe  aber  fudjen,  ba* 
non  loh  jufommen." 

„©ie  Sngellänber  tarnen  t?ir , fepreibt  er  weiter  au8  Sou» 
logne,  ju  punberten  um  mich  3u  feljcn,  unb  feben  muff  id)  bie 
banb  geben  unb  bie  ©amen  machen  mid)  förmlich  bie  (Sour. 
@8  ift  baö  nerrifebfte  Solf,  wa6  id)  fenne.  3<h  bringe  einen 
©egen  unb  einen  ©äbell  mit,  woran  cor  40,000  Spoto  3u» 
welen  befinblig.  ©ie  ©tabt  8onbon  pot  mid)  gleichfalls  einen 
©egen  gefepenft.  3dj  bin  in  bie  Sloub8  ju  8onbon  ohne  Sallo* 
tage  aufgenommen  worben  unb  in  ©dbottlanb  bat  man  mich  ju 
Sbenbutg  jurn  Spren  mit  gltb  bet  gelehrten  gefcllfdjaft  Sreirt. 
SEBen  id)  nicht  tobl  werbe,  fo  ift  e8  ein  wunber." 

@8  follte  noch  gan$  anber8  fommen,  fobalb  Blücher  ju 
©onet  ben  britifeben  Boben  betrat.  {Riebt  allein,  bah  man  ibn 
am  Ufer  mit  bem  ungeftümften  greubengefdjrei  empfing,  fonbern 
et  würbe  im  eigentlichen  ©iune  nom  Solle  gehoben  unb  getragen. 
3eber  wollte  ihn  berühren,  ja  3ebet  etwa8  non  ihm  jum  3tn» 
benten  hoben.  Sr  muhte  jule^t  ben  Ueberrocf  pteiSgeben , ben 
bie  jubringlicpen  Beredet  in  gehen  $ettiffen.  Unb  bie  geftjung* 
frauen  ©oner8  gingen  in  ihrer  fdhwärmetifchen  Begeiferung  fo 
weit,  ba§  fie  ben  gelben  nicht  paffiren  liehen,  ohne  $änbebrucf 

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58 


ober  nod)  liebet  ot)ue  jfufe.  ©ebulbig  liefe  bet  ebrroürbige  ©reis 
bie  3ubringlichen  gewähren.  SllS  Slnbere  aber,  bie  ihn  oot 
feinem  Quartier  feierlich  begrtifeten,  gar  nach  einet  Socfe  beS 
angebeteten  gelben  begehrten,  nahm  et  lätfeelnb  feine  Äopfbe* 
becfung  ab  unb  fagte:  „@S  thut  mir  leib,  bafe  i<h  in  biefet  ,£>in» 
ficfet  fo  arm  bin.  33etrac^tcn  ©ie  felbft  meinen  ©Reitel,  nicht 
njafer?  SBenn  ich  jebem  biefet  fchenen  .Jtinber  auch  nur  ein 
einjigeS  £>ar  geben  rooüte,  fo  mufete  ich  auS  ©nglanb  fahl  non 
bannen  gehen." 

©ergebenS  fuchte  ©lücfeer  gleich  ben  beiben  Jpetrfchern  in» 
cognito  nach  Bonbon  gu  fommen.  ©eine  eigenthümliche  ®t» 
fcfeeinung  uettieth  ihn  bet  horrenben  SRenge  unb  fo  mufete  er 
bis  nach  Soubon  unb  feier  erft  eoDenbS  ben  gangen  -©türm  beS 
©olfSjubelö  auSfealten.  ©och  hören  mir  ihn  felbft: 

„SibeS  mafeldjen,"  fchrieb  er  auS  Sonbon  ben  6.  3uni,  „geftern 
bin  ich  in  ©ngelanb  gelanbet,  aber  ich  begreijfe  nicht,  bafe  ich 
noch  lebe;  bafe  ©olf  feat  mich  hepnafee  gerriffcn;  mau  h“t  mich 
bie  $>ferbe  aufegefpannt  unb  mich  getragen ; fo  bin  ich  nach  Sen» 
bon  gefommen.  SSiber  meinen  willen  bin  ich  »er  ben  ^Regenten 
fein  ©chlofe  gebrad)t,  oon  ihm  ben  JRegenten  bin  ich  ©mpfangen, 
wie  ich  eS  uid}t  befchteiben  fann.  6r  hinf  mich  am  bunfel* 
blauen  banbe  fein  'Portrait,  roafe  feht  SHeich  mit  ©rillianten  be» 
fefet  »ahr,  um  ben  ^alfe  unb  fagte:  ©lauben  fie,  bafe  ©ie  feinen 
treuem  greunb  uf  ©rben  haben  wie  mich-  3d)  logire  bei  ifem." 

„©ein  ©ruber  (SRajor  oon  ©olomb)  ift  bei  mich  unb  grüfet. 
©r  ift  Senge  oon  allen  behm,  roafe  mit  mich  »ergeht.  ©aS 
©olf  trägt  mich  uf  henben.  3<h  batff  mich  nicht  feljen  laffen, 
fo  machen  fie  ein  ©efchrep  unb  find  gleich  10,000  gufammen. 
3n  nionbirung  batf  ich  gar  nicht  erfcheinen.  SRun  lebe  roohl, 
ich  fann  nicht  mehr  fchreiben,  benn  ich  bin  oöllig  betäubt." 

„©ein  ©ruber,"  helfet  eS  in  einem  lefeten  ©riefe,  Dom 
12.  3uni,  „hat  mich  »etfprochen,  ©ich  aöeS  iu  fchreiben  roafe  mit 
mich  »ergeht;  ich  fann  ©ich  «bet  oerfidjern,  bafe  eS  gleichfam 

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59 


unbefchreiblig  ift.  5Den  wo  icf?  nic^t  beftenbig  »on  wachen  unb 
begleitern  umgeben  bin,  fo  »erbe  id?  jerriffcn.  SBen  ich  fahre, 
fpant  man  mich  bie  $)erbe  au§  unb  gibt  mich;  id)  werbe  un* 
menfchlidj  non  3 ÜJfaljler  werbe  id)  gugleidj  gemahlen." 

3Bie  wett  Stüber  baoon  entfernt  war,  §u  übertreiben,  lernen 
wir  unter  anberm  auS  bet  (Srgätjlung  feineö  Seibargteö  ibieäte, 
ber  berichtet,  ba&,  fobalb  ber  gürft  aufftanb,  eö  festen,  a!8  ob 
aQe  üJlalet  Sonbenä  ihr  Atelier  in  feiner  ©tube  aufgefchlagen 
l)ätten,  unb  bie  ©tuhe  mit  ©taffeleien  fo  befe£t  war,  baf)  er 
nic^t  geben  tonnte,  ©etfelbe  23erichterftatter  erjäljlt  noch  folgenbeS: 
5Ruf)te  ber  SBagen,  wenn  33l«d)et  auSfuhr,  jufäHig  halten,  fo 
würben  bie  SBagenthüren  aufgemacht,  unb  bat!  S3olf  ging  in 
einem  Buge  burch  beit  SBagen,  brüefte  unb  fdjüttelte  ihm  mit 
einem  Blücher  for  ever  bie.  ^>anb  uno  rief  aisbann  fein  Hep 
Hep  Hurra!  55ie  reichften  unb  erften  Bürger,  felbft  Sorb'S, 
bejablten  bie  ©ienerjehaft  im  £otel,  wo  ber  gürft  wohnte,  um, 
alö  3)iener  nertleibet,  bem  gürften  beim  grühftücf  aufwarten 
3u  bürfen. 

SBir  hörten  auS  SMücher’S  Sötiefe,  baf}  fein  ©djwager  ber 
gürftin  bie  Bonbonet  Krlebniffe  ju  befchreiben  oerfprocheu.  Ko» 
lomb  aber  befennt  in  einem  mir  gütiger  SBeife  in  Kopie  mit* 
geteiltem  ©chreiben  bie  Unmöglichfeit,  feiner  ©chwefter  einen 
S3egriff  oon  ben  Khtenbejeugungen,  bie  man  SMücher  erweife, 
ju  geben,  ©o  lange  Knglanb  ejriftire,  hflbe  etwas  ähnliches 
nicht  ftatt  gefunben.  „£)ie  jdjönften  SBeiber  machen  ihm  förmlich 
bie  Kur  unb  er  befommt  Äüffe  wie  ©anb  am  SDteere;  ju  ^fetbe, 
/u  SBagen  unb  ju  gufee  machen  fie  förmlich  genfterparabe  unb 
taffen  fidj  t>om  ^)öbel  beinahe  erbrüefen,  nur  um  ihm  bie  Jpanb 
3U  reichen.  — SBo  er  fid)  fehen  läj}t,  geht  ber  Bärm  gleich  loö 
unb  man  nimmt  oom  Äaifer  unb  Äönig  gar  wenig  Slotiä,  wenn 
er  ba  ift." 

„2)aS  alles  ift  nun  red)t  hübfeh,  wenn  eö  nur  feine  ©efunb* 
heit  auöhalt.  Steinen  Sag  fommt  er  oor  3 bis  4 Uhr  ju  Jpaufe, 

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60 


um  7 Uhr  gebt  bet  Scirm  mieber  lo8!  deinen  Stugenblicf  fRube: 
Sifttcn,  Ü)iner8,  ©oupetS,  @pa gierfabrten , afleö  treibt  eines 
ba8  anbere,  unb  id)  begreife  nid)t,  wenn  er  nod)  auf  ben  Seinen 
ift.  Söenn  e8  nod)  eine  SBeile  fo  fortgebt,  muff  er  franf  »erben, 
er  fann  e8  nidjt  auebalten." 

9lber  Slöcber  ^ielt  e§  nod)  met  3Sod)en  lang  au8,  mäbrenb 
meldjer  Bett  Sefte  an  gefte,  SluSflüge  an  StuSftüge  fid)  reiften. 
Unter  anberem  befudjte  bie  fürftlid)e  ©efeflfdjaft  bie  llnioerfttät 
Djrforb,  »o  Slüdjer  befatmtlid^  gum  S^renboftor  ber  juriftifdjen 
gafultat  erhoben  mürbe  — unter  unermefjlid)em  3ubel  ber  ©tu» 
bentenfdjaft.  Stufet  fanb  bie  @ad)e  mit  5Red)t  etmaä  fpafibaft 
unb  fagte  mit  treffenbem  ©djerg:  „5Run,  menn  idj  3)oftor  merben 
fofl,  fo  muffen  fie  ben  ©ncifenau  menigftenS  gum  Stpot^eFer 
madjen,  benn  mir  gmei  gehören  einmal  gufammen."  — UebrigenS 
»erlief  ihm  auch  ßambribge  bie  ©oftormürbe.  — 

fRidjt  ebne  banfbate  SRübrung  über  aß’  bie  Siebe,  bie  man 
ifym  ermiefen,  reifte  Slüdber  am  11.  3uli  enblid)  non  Sonbon 
mieber  nach  35ooer  ab.  „|)ätte  id)  nidjt  SBeib,  noch  Ätnber,  fo 
mürbe  id)  bieö  glütflidfe  Sanb  nidjt  mieber  oerlaffen/  fagte  er 
einer  britifdjen  ©ejeßfd)aft.  3n  SDeutfdjlanb  angefommen  aber 
»erfidjerte  er,  baff  er  lieber  nod)  einen  gelbgug  mitmadjen,  als 
auf  fo(d)e  3lrt  mieber  nach  Sonbon  geben  rooße. 

2lud)  auf  oaterlanbifcbem  Soben  fehlte  eö  felbftnerftanblid) 
an  begeifterten  Jpulbigungen  nicht , bie  gmat  einen  meniget  ftür« 
miftben , aber  befto  b^idjeren  @l)arafter  trugen.  „3n  jeber 
©tabt,“  erjaljlt  ber  geibargt  Slüd)er’8,  „ja  faft  in  jebem  3)orfe 
mürbe  ber  ?fürft  auf’8  b^lidjfte  begrübt  unb  oon  ben  fd)önften 
9Rabd)en  mit  Slumen  gefcbmüdt,  fo  baf?  ber  SBagen  oft  fo  noß 
Bon  Slurnen  mar,  bafj  fein  fRaum  gum  ©ifcen  übrig  blieb  unb 
auf  ber  ©renge  burd?  £inau8merfen  bet  gu  ermartenben  Se* 
frängung  $Ha|s  gemalt  merben  muffte.  2)ie  an  ibn  gehaltenen 
{Reben  ermieberte  S3lüd?er  gemöbnlid)  in  ernftem  reltgiöfen 

©inne,  inbem  er  ben  ©auf  non  ftd)  auf  ©ott  lenfte,  ber  ihn 

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61 


jum  3i>erfyeug  ertöten,  baS  8anb  »on  bem  Ratten  ©rucfe  31t 
befreien. 

®ei)r  häufig  bot  fid)  39lüd?et  in  iberlin,  wo  er  mit  glän* 
3tnben  (ä^ren  aufgenommen  würbe,  ©elegenheit,  öffentlich  ober 
in  größerer  33etfammlung  3U  reben.  2)ann  bewährte  fid)  fo 
recht  bas  SBovt,  bah  baS  <£er3  ben  JRebner  mad)t  unb  nicht  bie 
Äunft.  2)er  rauhe  ÄtiegSmann,  ohne  febe  flaffifche  Sßilbung 
wuf)te  in  warmem  Jone  ohne  alle  tüorbereitung  mit  hinreihen* 
bet  (Gewalt  3U  teben.  3U0  eifriger  Anhänger  ber  Freimaurer, 
bereu  hnmane  Jenben3en  feiner  ©efinnung  fo  oöQig  entsprachen, 
hielt  er  in  ber  Soge  „3u  ben  brei  SBelttugeln"  manchen  auS* 
führlidjen  SSortrag.  33e!annt  ift  namentlich  eine  lange  Diebe, 
worin  er  unter  anberem  auf  bie  fDiänner  hinraieS,  bie  ihm  tljätig 
oorgearbeitet  unb  geholfen;  nachtem  er  oiel  311m  Bobe  feines 
Freunbeö  unb  SEBaffengefährten  ©neifenau  geiproeben,  gebachte 
et  mit  JRührung  beS  frül)  »ollenbeten  ©djarnborft  unb  fdjlofc 
mit  Der  ergreifenben  Slnrebe  an  ben  iBerewigten  felbft:  SÖift  35u 
gegenwärtig,  ©eift  meines  greunbeS,  mein  <£d)arnhorft,  bann 
fei  2)u  felber  Beuge,  bah  i<h  ohne  35id)  nichts  würfe  oofl* 
bracht  l)nben. 

Dlod?  betannter  ift  baö  grohe  nnb  fd)öne  Short,  womit  et 
einmal  einen  begeifterten  £cbtebner  ungebulbig  unterbrach  unb 
baS  id)  fchon  einmal  erwähnt:  „2BaS  ift’S,  baS  ihr  rühmt?  (SS 
war  meine  23erwegenheit,  ©neifenau'S  2?efonnenheit  unb  beS 
groben  ©otteS  Sarmhe^igfeit.“ 

ÜDiefe  neiblofe,  freubige  Slnerfennung  fremben  SBerbienfteS 
gehört  3U  ben  hmlichften  3ügen  in  33lü<het’S  (S^aratterbilbe, 
unb  oieDeicht  ohne  33eifpiel  ift  baS  innige,  nie  geftörte  gteunb* 
fcbaftSoerhältnih,  bah  ben  Oberbefehlshaber  mit  feinem  ©eneral* 
ftabSchef  oetbanb.  ÜRan  weih,  bah  SSlüchet  einmal  bei  fröhlichem 
ÜJiahle  baS  SRäthfel  löfte,  wie  man  feinen  eignen  Äopf  füffen 
!öune,  inbem  er  aufftanb,  3U  ©neifenau  hinging  unb  ihn  mit 
het3licher  Umarmung  fühte.  SDiefe  feltene  SBerbinbung  eines 

(6t) 


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62 


genialen  ÄopfeS  mit  bem  Ijelbenljafteften  2lrme  follte  ftc^  noch 
einmal  in  einem  ru^mcotlen  gelbguge  bewähren. 

@h«  noch  bet  gtofce  dürften»  unb  2)iplomaten=(Songrefs  gu 
2Bien  bie  ©euotbnung  ber  eurepäifdbcn  ©erhältniffe  Dollenbete, 
unternahm  e8  Napoleon,  inbem  er  tyeimüdj  non  (Slba  entwich 
unb  an  bet  Äüfte  granfreidhS  Ianbete,  ben  Sl^ron  bet  ©ourbonen 
plöjjlich  gu  ftürgen  unb  baß  ein  3abr  guoor  niebergeworfene 
Äaiferthum  wieber  aufgurichten.  ©eil  Staunen  unb  Schrecfen 
fab  bie  3Belt  bem  unerhörten  Sdfaufpiele  gu,  wie  ein  gangeS 
©elf,  baß  Heer  Doran,  non  bem  Könige  abftcl  unb  bem  Ufurpa* 
tot  hwlbigte.  35ie  aßiirten  ©Rächte  inbefs  »ergaben  ben  3»®iefpalt, 
bet  fidj  in  2Bien  unter  ihnen  erhoben  unb  ben  ©apoleon  auö» 
gunüfcen  »ahnte.  25en  gum  $beil  noch  auf  bem  fRücfmarfche 
begriffenen  Heerfdhaaten  würbe  Halt  gebeten  unb  ein  allgemeiner 
Jhrieg  gegen  ©apoleon  befchloffen. 

35a§  bet  greife  ©lüchet  bie  preufjifchen  Gruppen  führte, 
Derftanb  fidf  für  bießmal  Don  felbft.  (Sr  hart*  auf  bie  etfte 
Äunbe  Den  ©apoleon'ß  Snuafion  in  granfreich  feinen  fehlten 
©ürgerroef  abgelegt  unb  fich  in  Dollet  ©eneralßunifcrm  unter 
ben  ginben  bem  ihm  gujauchenben  ©elfe  gegeigt.  21  m 10.  Slpril 
1815  reifte  et  Den  ©erlin  ab,  um  über  (Sein  unb  (Sachen  nach 
güttidb  gu  eilen,  »o  er  in  feinem  Hauptquartier  bie  Sammlung 
eines  Heere8  BDn  120,000  ©Rann  erwartete.  ©Wellington  trat 
in  ©riifiel  an  bie  ©pi£e  non  100,000  ©Rann,  bie  auß  @ng* 
länbern,  ©ieterlänbern  unb  Hannooeranern  beftanben. 

©lücher  war  auf  bem  SBege  nadb  güttidb  nicht  in  ber 
frohen  Stimmung,  worin  er  gu  SReujaht  1814  ben  (Rheinftrem 
überfdhritten.  (Sr  fürchtete  für  baß  geben  ieineß  älteften  Sohneß 
grang,  welcher  in  bem  Dorljergebenben  gelbguge  fich  mit  Oiithm 
bebeeft  hatte  unb  nun  an  ben  geigen  einer  Äepfwunbe  l)infiechte. 
(DaS  ©ilb  beß  Oranten  fcpwebte  bem  gärtlidien  ©ater  immer 
Der  (Sugen.  3m  Uebrigen  glaubte  et  2lnfangß  nicht,  bafj  eß  für 
bießmal  im  gelbe  Diel  gu  tbun  gäbe;  nur  bie  gänber  würben 

(6S) 


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63 


wiebet  »erfyeert  unb  nerwüftet  werben.  ,,.£ibt  fte^t  aüeS,"  fdjreibt 
et  auö  ©oblenj,  ^ fünften  blut^e  unb  ba$  wettet  ift  un* 
nergleidblid);  id)  werbe  aller  ehrten  mit  jubeü  uf  genommen 
unb  bie  Struppen  freuen  ftd)  mich  wiber  ju  febn;  wehre  id) 
fummerfrep,  fo  fßnnte  id)  mid)  glücflid?  greifen,  aber  id)  genieße 
feinen  froen  angenblidf." 

SEroftlidjere  9tad)rid)ten  über  ba§  ©cpicffat  feines  geliebten 
©obneS  Ijoben  bie  Stimmung  beS  greifen  gelbbertu,  sugleid) 
aud)  bet  Iflnblicf  ber  wohl  gerüfteten  SJrmee  unb  bie  2lu8fid)t, 
ba§  e8  enblid)  su  entfcbeibenben  ©dtlagen  gegen  ben  Stobfeinb 
fommen  werbe.  „3u  jeit  non  ^ögftenS  10  tagen,"  fdjreibt  er  am 
3.  3uni  au8  9lamut,  „wirb  bie  büdfe  wohl  lofj  gehn  unb  wityt 
nach  gtanfreid)  ^ineinge^n.  Sonaparte  greift  un8  nicht  an,  ba 
»or  fönnten  wibt  ^ier  nodj  ein  3afyr  ftebn,  feine  angelegenbeiten 
ftebn  fo  SBriOant  nid^t.  23 or  einige  tage  bin  id)  in  Staffel  ben 
ben  fönig  ber  nieberlanbe  unb  ben  ^)©rsog  SBeüington  gewefen, 
man  but  mid)  febr  gubt  aufgenommen  unb  SBeüington  ^at  mid) 
6000  man  ber  f djßnften  ©anaüetie  gezeigt,  id)  fte^e  l)ir  mit 
130,000  man  §)reuf)en,  bie  im  fd)önften  ftanbe  finb  unb  wo 
mit  id)  mid)  getraue  SEnniff,  SEripolifj,  unb  StOgier  su  erobern, 
wenn  e8  nubr  nicht  fo  weit  wel)te  unb  man  überS  waffet  muffte." 

SDaf)  ütapoleon  nicht  angreifen  werbe,  war  ein  Srrtljum. 
6t  butte  ficb  nicht  umfonft  entfd)loffen,  fidb  mit  ber  Hauptmacht 
Slüdbet  unb  Wellington,  in  benen  er  gefährlichere  geinbe  fab, 
al§  in  ben  oom  Ober»  unb  fUiittelrbein  »orbredjenben  JDefter» 
reid)ern  unb  SRuffen,  fidb  entgegen  su  werfen,  ©r  näherte  fidb 
ber  ©atnbre  unb  flieh  uw  15.  3uni  mit  ben  $)reu§en  sufammen, 
bie  er  su  fcblugen  gebaute,  ehe  fid)  33lüd)et  mit  SBeüington  net» 
einigt  hätte.  ,,3d)  bred)e,"  fd)tieb  Slüdjet,  als  et  non  bem 
erften  Angriff  auf  feine  Sorpofien  hotte,  „ich  breche  fogleid)  uf 
unb  rücfe  meinen  gegnet  entgegen,  mit  greuben  wiU  ich  bie 
©d)lad)t  annebmen." 

golgenben  SEag8  fanb  bie  @d)lacbt  bei  Bignp,  weftlich  »on 

(RS) 


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64 


fllamur,  ftatt.  3 )a  baS  preufeifdhe  @orp8  unter  Sülow  aus 
9JHfcoerftänbm§  noch  nicht  hetangegogen  unb  Wellington,  felbft 
bei  DuatrebraS  Bon  bem  fBlarfchall  SRet)  angegriffen,  nicht  in 
bet  Sage  war,  bie  Besprochene  ^)ülfe  ju  bringen,  fo  ftanb 
Slüdher  am  16.  3uni  nur  mit  83,000  Sötann  bem  ftärferen 
Seinbe  gegenüber.  Sou  ÜJtittag  2 Uhr  bis  in  bie  9Rad)t  bauerte 
bet  blutige  Äampf.  9lm  Ijartnärfiflfteu  würbe  um  Signp  ge* 
ftritten,  wo  grof)e  SDRaffen  Sufeoolfs  unb  200  ©efdhüfce  auf 
beibeu  ©eiten  um  ben  §)reis  beS  StageS  rangen.  SMücher  felbft 
befeuerte  bie  Struppen,  inbem  er  ben  Stiirmenben  fein  „üinber 
BorwärtS!"  jurief.  „Wir  muffen  waS  getrau  haben,  ehe  bie 
©nglänbet  fommen."  Slbet  bie  ©nglänber  famcn  nicht  unb 
Sülow’S  ©orpS  ebenfo  wenig,  ©egen  Slbenb  würbe  bie  preu» 
Bifcpe  ^ufftellung  gwiidhen  Signp  unb  ©t.  2imanb  burchbrochen. 
35ergebenS  warf  ftd?  33lücher  an  bet  ©pifje  ber  JReiterei  in  bem 
gefübrlicfjften  Slugenblidfe  ben  feinblidjen  Äütaffieren  entgegen; 
bie  preufnfcfae  ©anallerie  warb  nach  bebeuteuben  SSertuften  ju« 
rücfgewotfen;  ba  würbe  SBlüchet’S  §>fevb  butcb  einen  Schuft 
tobtlid)  üerwunbet,  eS  flüchte  in  ftarfem  Saufe  nach  conoulfiBifchen 
Sprüngen  jitfammen,  unb  ber  Selbmarfdjall  lag  betäubt  halb 
unter  bemfelben.  SRufjtg  lie&  ber  Slbjutant  fRoftifc,  inbem  et 
mit  gezogenem  ©egen  fid)  ueben  ben  fo  fchwer  gefährbeten  Selb» 
hettn  ftellte,  bie  wilbe  3agb  Borüberjiehen;  bie  feinblichen 
Äütaffiere,  noch  einmal  gurücfgeworfen,  fprengten  wieber  norbei, 
ohne  in  bem  hereiubredbcnbeu  Itlbenbbunfel  beS  ©aliegenben  ju 
achten,  unb  mit  .£mlfe  preufjifdhet  Ulanen  gelang  eS,  Slüdber 
unter  bem  fPferbe  herootjUjiehen  unb  Bor  bem  wteber  Borbringenben 
Seinbe  in  Sicherheit  ju  bringen. 

©ie  Schlacht  war  nerloren,  12,000  tobte  unb  oerwunbete 
9)reufjen  bebecften  baS  Selb.  3nbeff  Berfolgte  SRapoleon,  beffen 
Struppen  ben  Sieg  Iheuer  erfauft  hatten,  bie  Ueberwunbenen 
nicht;  et  glaubte,  fte  würben  oftwärtS  in  ber  Oiichtung  auf 
SRamur  jurüdgehen  unb  fo  für  ben  folgenbenben  Stag  bie  6ng= 

64) 


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65 


länber  ihm  allein  überlaffen.  9lber  ©neifenau,  welker  an  beS 
Bermifcten  ^elbljerrn  ©teile  ben  fRüdfgug  leitete,  befahl  bie  norb» 
weftiiche  fRidjtung  auf  SBawre  eingufdjlagen,  um  ben  ©nglänbern 
nabe  gu  fommen.  9tur  fo  fonnie  am  18.  Suni  auf  bem  ©chlacbt* 
felbe  uon  BeDalliance  nad)  ber  Bereinigung  Blüchet’S  mit 
SßeHington  bie  Slrmee  Bapoleon’S  üernidjtet  unb  ein  raffet  9lu8= 
gang  be§  gelb^ugö  berbeigefübrt  werben. 

Sngwifdjen  batte  ber  treue  Slbjutant  Boftifj  feinen  .pertn 
in  bem  SDunfel  ber  Bacht  mit  Bieter  fJJlübe  nach  einem  naben 
SDorfe  gebracht,  wo  ibm  in  einer  Bauernbütte  auf  einem  ©trob» 
lager  linbernbe  Umfcbldge  gemacht  unb  ÜJtilch  gur  ©rquicfung 
gereicht  würbe.  35ie  Befähigungen,  bie  Blücher  erlitten,  waren 
gwar  nicht  bebenflich,  aber  fcbmcrgbaft;  benn  bie  gange  redete 
©eite  beö  ÄörpetS  war  ftarf  gequetfcbt;  aber  .Kopf  unb  .petg 
waren  fo  frifch  wie  nur  immer.  SBir  habe«  ©d^lägc  gefriegt, 
fagte  er  gu  bem  eintretenben  ©neifenau,  wir  müffen  eS  wieber 
gut  machen.  Sud?  bie  Sruppen,  bie  fdjon  am  17.  wieber  ge» 
orbnet  unb  gefecbtSfäbig  baftanben,  wufjte  er  mit  fernbaften 
2B orten  angufeuern:  „Sch  werbe  ©ud)  wieber  norwärtS  gegen 

ben  geinb  führen,  wir  werben  ihn  fchlagen;  benn  wir  müffen." 

©ben  fo  muthnoU  fdjreibt  er  an  bemfelben  Sage  (17.  Suni) 
feiner  ©emahlin;  nur  ber  Uebermacht  Berbanfe  Bapoleon  ben 
tbeuer  erfauften  ©ieg;  tiefere  er  noch  einige  folget  ©chlachten, 
fo  fei  er  mit  feiner  Slrmee  fertig.  „Schlagen  werben  wir  un8 
nun  öfters,  bis  wir  wiebet  in  fPariS  finb.“  9luS  feinem  ©turge 
macht  er  nid)t  Biel;  bafj  er  biefen  Sag  gum  grofjen  Sh«l  auf 
bem  ©opija  gubringt,  nerfdjweigt  er  gang. 

Sngwifchen  liefe  Wellington,  welcher  nach  bem  ©efedjt  non 
DuatrebraS  fidfe  mit  feiner  9lrmee  norbwärtS  nach  9Ront  @t. 
Sean  in  ber  IRidbtuug  auf  Btüffel  gegogcn,  fragen,  ob  Blücher 
ihm  für  ben  folgenben  Sag  (18.  Suni)  mit  2 9lrmeecorp8  pfeife 
leiften  werbe.  SRicfet  mit  2 ©orpS,  fonbern  mit  ber  gangen 
Ülrmee,  erwieberte  Blücher,  werbe  ec  fommen,  jeboefe  nur  unter 

XIV.  313.  SU-  6 (65) 


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66 


ber  ©ebingung,  bah,  wenn  an  jenem  Jage  ber  franjßfifcbe  'iln« 
griff  unterbleibe,  am  19.  bie  Dffenfine  gegen  {Rapoleon  ergriffen 
werbe.  ©o  würben  für  ben  folgenben  Jag  alle  Jruppen  übet 
SEBanre  nach  ber  englicben  3lufftetlung  b'n  birigirt  unb  nur  eiu 
6orp0  mit  ber  ©eftimmung,  ben  SRarfcb  ju  becfen,  jurücfgelaflen. 

©lüdier  felbft  befanb  ficb  noch  am  SJiorgen  be§  18.  3uni 
in  jdjtimmem  Suftanbe.  6t  hatte  heftige  ©eimergen  an  ber 
gangen  ©eite,  bie  ber  >Quetfcbung  außgefcbt  gewefen  war.  Sein 
Beibarjt  wollte  ibn  mit  ©pirituä  wafcben.  „{Rein  ©oftor,"  fagte 
ber  gelbberr,  „bewte  mag  eö  ben  alten  Änotben  gleich  fein,  ob  fie 
balfamirt  ober  nicht  balfamirt  in  bie  (Swigfeit  geben;  gebt  eä  aber 
beute  gut,  wie  itb  b^ffe.  fo  »ollen  wir  un0  balb  alle  in  'Paris 
wafcben  unb  baben."  @o  ftieg  ber  £elb  ju  5])fetbe  unb  bamit 
waren  bie  ©cbmerjen  netfdjwunben. 

3tber  welche  3lnftrengungen  ftanben  ibm  unb  ben  ©einigen 
benot!  ©on  ftarfem  {Regen  burcbnä§t,  feilten  gufwolf,  {Reiterei 
unb  ©efchüjj  auf  gang  burchweichtem  ©oben,  übet  angefchwollene 
©äcbe,  bureb  SBalb  unb  ©ebüjcb  mehrere  teilen  weit  mit 
mßglicbfter  {Rafcbbeit  oorwärtS  getrieben  werben,  um  bie  ent» 
jebeibenbe  ©tunbe  nicht  ju  »erfäumen.  „©orwärtö,  Äinber,  not» 
wärtö!"  feuerte  er  bie  (Srmübeten  an.  „Äinber,  fcbeltet  mir 
ben  {Regen  nicht;  baS  ift  ja  unfer  alter  tHIIiirter  non  ber  Äa^badb; 
ba  fparen  wir  bem  Äßnig  wieber  oiel  $)uloet."  Ueberall,  wo 
ein  £inbernih  ficb  erhob,  trieb  et  mit  Wort  unb  ©lief  ju  be* 
fcbleunigter  @ile  an.  „(Sä  beifet  wohl:  eö  gebt  nicht,  eä  muh 
geben,  Äinber,  wir  müffen  oorwärtö!"  3cb  habe  eä  ja  meinem 
©ruber  Wellington  oerfprochen.  gpört  ihr  wohl?  3b*  wollt  hoch 
nicht,  bafe  i<b  wortbrüchig  werbe?" 

Gcnblicb  war  ©lücber  nach  4 Uhr  SJiittagö  an  ber  ©pilje 
be8  ©ülow’fcben  Sotp0  in  bie  {Rabe  be0  ©djladjtfelbeß  Borge« 
btungen.  (Sr  lieh  angreifen,  ohne  bie  Slnfunft  ber  übrigen  Jruppen 
ab ju warten.  60  war  bie  böcbfte  Seit,  benn  Wellington,  nach 
ftunbenlangem  Kampfe  febwer  bebrängt,  beburfte  bringenb  ber 
c«) 


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67 


Unterftüfcunfl.  ©djon  gä^ttcn  btc  Siebten  unb  Vermunbeten  bet 
englijcb'bannoüer’fcben  *2trmee  nach  Dielen  Staufenben,  unb  nur 
noch  mit  größter  Slnftrengung  miberftanb  bag  englifdbe  ©entrum 
ben  rouebtigen  Unfällen  bet  geinbe.  Vun  aber  mufjte  Napoleon 
einen  Stbeil  bet  Struppen  gegen  bag  juerft  anfommeitbe  preufjifdje 
©orps  nermenben,  unb  fpäter  brang  ein  gmeiteg  ©orpg  ben  @ng* 
länbern  jur  ©eite  in  bie  ©d?lad)tlinie  ein.  Da  fonnte  SeHington 
ben  Vefebl  ju  allgemeinem  Votrücfen  geben.  SBlücber  erftürmte 
bie  .fmben  non  8a  ^ap  ©ainte.  9lacb  längerem  IRingen  mar  bie 
frangöfifebe  sfltmee  ooDftänbig  gefcblagcn,  ja  oerniebtet.  SBeüington 
unb  Vlüdjer  fonnteu  fid)  alg  ©ieger  begrüben.  Durch  bie 
energijdje  Verfolgung  aber  festen  bie  9>reufjen,  ba  SeUington’g 
£eer  ju  oiel  gelitten  balle»  bem  gemeinfam  errungenen  ©iege  bie 
Jbrone  auf.  Denn  bie  Verfolgung,  bie  ©neifenau  mit  bem  2luf= 
geböte  „beS  lebten  Rauchs  non  VJenfdjen  unb  ^ferben"  leitete, 
mar  fo  ungeftüm,  baf}  bie  Stefte  ber  gefcblagenen  SStmee  jeben 
^)alt  oerloren  unb  Vapoleon  felbft,  faft  miHcnlog,  in  bem  roilben 
©etiimmel  nom  ©dbladjtfelbe  fortgeriffen  mürbe,  ©ein  Sagen, 
<£mt,  Degen  unb  anbere  reiche  Veute  fiel  preufjifcben  ^üfelieten 
in  bie  £änbe.  @r  batte  ftd)  auf’g  Pferb  gemorfen  unb  mar 
fliebenb  entfommeit,  man  mufjte  nicht,  mobin. 

Sufrieben  fonnte  Vlücber  nod?  am  äibenb  beg  benfmürbigen 
Stageg  feiner  ©cmablin  febreiben:  „SBafj  ich  oerfproeben,  habe  ich 
gebalteu;  ben  16ten  mürbe  id>  gelungen  ber  gemallb  gu  meidren, 
ben  18ten  habe  ich  in  Verbinbung  meines  Vruberg  SBeHington 
Vapoleon  bafj  gabraufj  ju  madjen,  mo  er  b»n  gefom,  meif)  fein 
menfeh.  ©eine  armeb  ift  »öQig  en  de  Routt,  feine  atteüerie  ift 
in  unfern  benben,  feine  orben,  bie  er  felbft  getragen,  finb  mid) 
foeben  gebracht,  fie  ftnb  in  einen  feiner  magen  genom.  8af)  biefe 
3cißen  bet  Princefe  ©barlotte  unb  ber  fönigl.  Familie  befannt 


madjeu,  auch  ber  princefj  S^erbinanb  unb  DiabjimiH."  — Unb 
am  SJforgen  beö  folgenben  Stageg  berichtete  er  an  jfnefebeef: 


„fölein  greunb.  Die  ©d}önfte  ©dftlfgt  ift  gefcfelagen.  Der 

OP  TI.  t 5*  ^\\  f®7) 

(üStTtKITT)  Di 


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68 


herligfte  ©ieg  ift  erfochten.  SaS  Setaflie  wirb  etpoBgen,  ich 
benfe  bie  Sonaparte’fche  ©efdjichte  ift  nun  wohl  für  lang  wibet 
gu  enbe.  8a  Seflaliance  ben  19.  früh.  3<h  fann  nicht  mehr 
fdjteiben,  ben  ich  gittere  an  äße  glieber.  Sie  anftrengung  wahr 
gu  grofj." 

318  fülajor  ©olomb  bem  gelbljerrn  im  Saufe  be8  SagS  eine 
SRelbung  gu  machen  ^atte,  traf  er  ihn  gu  SBagen.  Sa  fe£te 
33lüd?er  iRapoleon’S  jput  auf,  nahm  beffen  Segen  an  bie  ©eite 
unb  fagte:  „SBie  gefaß  id)  ihm  fo?" 

^>ut  unb  Segen  beö  ÄaiferS  fanbte  33lü<her  bem  jbßnige; 
„fein  Perfpedio,  woburd)  er  un8  am  @d?lad)ttage  beferen,"  ge* 
badete  er  gu  bemalten,  ben  SSagen  aber,  ber  freilich  befcbäbigt 
war,  feinet  ©emahlin  gn  fchicfen. 

SBeber  ba8  eigene  JRuhebebutfnifj,  noch  bie  ©rfcbßpfung  ber 
Gruppen,  noch  endlich  bie  iRücfficht  auf  bie  gahlreichen  Heftungen 
im  nörblichen  ftraufreich  hielten  Slüdjer  ab,  feinen  Plarfch  in 
bem  feinblichen  Sande  gu  befchleunigen,  um  ben  ©ieg  ooflftänbig 
auSgunüfjen.  „Ptan  fagt,"  fcpreibt  er  am  22  ten  3uui,  „Napoleon 
woße  bie  Srümmer  feind  .£)@re8  bei  Saon  fammeln,  e8  foß  mich 
wenig  fummer  machen,  bringen  bie  Pariiet  ben  thronen  nicht 
um,  bi8  ich  nach  Paris  fomme,  fo  bringe  ich  bie  Patifer  um, 
e§  ift  ein  mahl  ein  ©ibbtüchigeS  Soflf."  — „©uljte  nacht,  fo  enbet 
ber  Srief,  ich  muh  fehlen,  füffe  beine  umgebuug  unb  afle 
brauen  Setliner." 

SRapoleon,  welcher  ohne  3rmee  nach  gurüdfeilte,  appeflirte 
an  beit  Patriotismus  ber  jfammer.  Siefe  aber  fchwieg.  3Jlit 
äbfehung  bebroht,  banfte  bann  ber  Äaifer  ab  gu  ©unften  feines 
©otjneS  ßtapoleon  III.  Sngwifdhen  bildete  fleh  eine  propiforifepe 
Regierung.  Seputirte  gingen  gu  ben  perbünbeten  Pionarchen 
nach  bem  ©Ifafj  ab;  eine  anbere  ^Deputation  begab  fich  gu  Slüdhet 
unb  SBeßington.  Ser  lefjtere,  ben  preufjen  nuchtücfenb,  war  nicht 
abgeneigt,  auf  halbem  SBege  ^>alt  gu  machen  nnb  auf  bie  ©in* 

nabrne  oon  Paris  gu  Pergichten.  Blücher  aber  wieS  bie  Sepu* 

(68) 


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69 


tation  furgweg  ab.  6r  war  am  26.  Sunt  non  ©ariS  nur  nodj 
12  fKeilen  entfernt,  bie  er  auch  balb  gurüdfgulegen  hoffe. 

„©onaparte,"  Reifet  eS  in  einem  ©tiefe  non  jenem  Jage, 
„ift  abgefefct  unb  will  nadj  america  geh».  Sd)  ^abe  fftoftijj  heute 
nach  Eaou  gefdhicft  unb  »on  bie  ©eputirte  ©onaparte  fein  tobt 
ober  feine  auSlifferung,  bie  Übergabe  aller  geftungen  an  ber  Samber 
unb  bet  ßJiafj  »erlangt,  biefeS  wehre  bie  (Sonbition,  unber  welche 
ich  mit  ihnen  unterfjanbeln  wollte.  SDem  »hn  er  ad)t  mardhire 
id?  noch  ^eutte  grab  uf  5>ari8;  iäj  werbe  bafj  <$ifen  fd)miben  weiß 
e8  wafyrm  ift,  ben  ich  wiß  not  ben  herbft  gu  ^aufee  fein." 

SBenn  ©onaparte  ihm  auSgeliefert  wirb,  fdjeint  ihm  in  ber 
Jfyat  baß  Älügfte,  ihn  tobt  fdjiefjen  gu  laffen.  „68  gefehlt  bie 
9Öienfd$eit  baburd?  ein  ®ienft."  3n  ben  nächften  Jagen  machte 
er  ben  ©erfud),  burd)  ben  SJtajor  ßolomb  ben  enttrohnten  Äaifer, 
al8  biefer  hoffnungslos  in  2Dtalmaifon  weilte,  abfangen  gu  laffen. 
31  ber  bie  ©rücfe  war  abgebrannt  unb  bet  ©ebroljte  erreichte  bie 
frangefifche  Äüfte. 

fßidht  ohne  neue  ©erlufte  etgwang  enblidh  ©lüdher  am  3.  Suli 
bie  Uebergabe  non  s})ari8,  in  bet  Hoffnung,  baf)  bie  fo  eben  »et* 
lorenen  3000  Üftann  bie  lebten  in  biefem  Kriege  feien;  benn  er 
habe  ba8  Sötorben  fatt. 

„fPariS  ift  mein,"  fonnte  et  am  4.  Suli  melben.  „2)aS 
frangöfifthe  militair  matdjirt  hinter  ber  loire  unb  bie  ©tabt  wirb 
mich  übergeben.  5Die  unbef^reiblidhe  ©ra»oure  unb  beqfpihllofe 
auf)  bauet  nebft  meinen  ©ifernen  wißen  »etbanfe  idj  aße8.  31  n 
»orfteßungen  unb  lamentiren  über  entfreftung  ber  leutte  hat  eS 
nicht  gefehlt,  aber  ich  wahr  taub  unb  wufjte  auf*  erfahrung,  bafj 
man  bie  grüßte  eines  figeS  nur  burd)  un  auf)  gefegtes  »etcoflgen 
recht  benufcen  mu|.  3d)  fan  bid)  heulte  nicht  mehr  fdjreiben 
ich  6in  gu  fehr  befdjefftigt  unb  gu  matt.  SDtad)’  bifen  ©tijf  gleich 
in  ©erlin  befannt.  ©ott  feu  gebanft,  IDafj  bluth  »etgiffen  wirb 
ufhören." 

©lüdher  trat  in  bem  »oflberedjtigten  ©efüt)le  beS  ©iegerS 

(69) 


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70 


auf.  (Die  $)arifet  mit  ber  Laft  bet  (Kinquartierung  gu  »etfchonen, 
fiel  ihm  nid^t  ein;  er  fei  nicht  gefonnen,  5>atig  eine  Laft  gu  erfroren, 
welche  23 erlitt  non  Seiten  bet  granjofen  gu  etbulben  gehabt  habe. 
@r  forgte  »ielmeljt  bafür,  bafj  aug  ben  §)arifer  fötufeen  alleg 
bag  3utücfgenommen  mutbe,  mag  bie  Stangofen  früher  ben  SBe= 
fiegten  geraubt,  ferner  legte  et  eine  (Kontribution  oon  100  SEJtiQ. 
auf;  et  mollte  fogat  bie  Stücfe  oon  3ena  fprengen,  unb  menn 
eg  „SJtugje  Jadetanb"  nicht  gefiele,  fo  möchte  er  ftd)  normet 
barauf  fefcen.  (Die  Berftörung  mutbe  »erlittet  burdi  bie  2lnfunft 
ber  fDtonarcheu,  welche  aud)  bet  frangöfifchen  ^auptftabt  bie 
(Kontribution  erliefen.  Sölüt^er  mollte  baljer  fogleidj  bag  (Kommanbo 
nieberlegen  unb  mutbe  nur  burch  bie  bringen  ben  Sitten  beg 
Königg  baoon  gurücfgebracht.  SBieber  fehlte  eg  an  tjotyn  2lug* 
geidjnungen  nicht;  aug  (Knglanb  fam  ber  23ath*Drben,  „eine 
(Diftingtion,  bie  noch  feinen  aufdenbct  3U  t^eiH  geroorben,"  unb 
»on  feinem  Könige  ein  bejoubetg  gefertigter,  großer  golbener 
Stern,  morauf  in  ber  fdiitte  ein  eifetneg  Kreug.  „2lber  ma§ 
belffen  müh  ade  erben,  l)et,en  mir  einen  gurten  oor  ung  ocr* 
theidhaften  griben,  bet  mehre  mich  liber." 

Sein  ÜJtifjmuth  mud)g  mit  jeber  Stunbe;  er  fürchtete, 
25,000  fölann  aufgeopfett  gu  hoben,  ohne  baf)  eg  ung  irgenb 
einen  dlujgen  brächte.  (Dafj  er  gu  benen  gehörte,  roeläje  (Slfafj 
unb  Lothringen  forbetten,  oerftebt  fich  oon  felbft. 

„3<h  bitte  nur  aderunterthänigft,  “ fo  hotte  Slücher  fdjon 
6 Jage  nach  ber  Schlacht  »on  SBaterloo  an  ben  König  gefchrieben, 
„bie  (Diblomatifer  bahin  angumeifen,  baf)  fie  nicht  miebet  bag 
»erlieren,  mag  ber  Solbat  mit  feinem  Slute  errungen  hot.  (Dieier 
2lugenbli<f  ift  bet  eingige  unb  le£te,  um  (Deutfdjlanb  gegen 
Stanfteidf  gu  fichern." 

(Da  nicht  nach  feinem  Setlangen  gefdjah , f)ielt  Slücher  ben 
^rieben  nur  oon  furger  (Dauer.  „2lbet  ba§  muh  midf  nun  gleich 
oihl  fein;  ich  werbe  nicht  mehr  mit  frigen,  ben  id>  habe  eg  jatt,  ba 

(70) 


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71 


mibr  jo  wenig  oortbeille  non  unfre  Slnfirengung  unS  gu  erfreuen 
haben." 

6t  jagte  baS  ^ejjtcre  nicht  in  ©egiebung  auf  jeine  eigene 
9>erfon;  benn  et  warb  burdb  bie  ^reigebigfeit  be§  Königs  reichlich 
bebaut.  @r  batte  3 Heine  Dörfer  in  ©cblefieu  gum  ©ejebenf 
erhalten  unb  jetjr  anjebnliche  ©elbjummen  waren  ihm  nod)  gu» 
gebaut.  Die  lederen  lernte  et  ab  für  ficb  wie  für  feine 
Kameraben.  Kämen  freilich  auS  gtanfreicb  gro§e  ©ontributionS* 
fummen,  jo  fei  baS  etwas  anbereS.  „'Über  preufjifcheS  ©elb 
nehmen  wir  nicht  an;  bie  Nation  bat  genug  getban."  „Jgjätte 
man  mid)  ben  miOen  gelajfen,  jo  brächten  wUjr  25  milion  tabler 
nach  häufle,  bie  armeb  b*tte  2 monat  gebalb  als  bouceur,  unb 
bie  gange  armeb  würbe  neu  gefleibet;  aber  jo  ift  alles  oerborben 
unb  bie  jfrangofen  fommen  abermablS  gubt  weg." 

9lm  31.  Dctober  rief  enblidb  ©lücher  ber  2lrmee  fein  lejjteä 
gebewobl  gu.  ‘Auf  bem  Söege  nach  ©erlin  aber  würbe  er  fo 
leibenb,  ba§  er  in  ftranffurta.  9)f.  unb  an  anberen  Orten  Soeben 
lang  ftiü  liegen  bleiben  mufjte.  Da  waren  benn  auch  bie  gabt« 
lofen  JDoationen,  womit  man  ihn  beimiuchte,  für  ibn  nur  eine  8aft. 

@r  lebte  nach  ber  Stücffebr  oon  bem  lebten  glorreicbeu  jjrelb* 
guge  noch  4 Bahre,  balb  in  länblidjer  Burücfgegogenbeit  in  ©chleficn, 
auf  bem  ©ute  Ktiblowifj,  balb  in  ©erlin.  £ier  jpielte  er 
wieber  mit  alter  Seibenfcbaft  unb  achtete  beS  ©elbeS  nicht.  «£>äuftg 
befud)te  er  gut  ©tärfung  feiner  ©efunbbeit  KarlSbab  unb  mar 
auch  bier  ber  ©egenftaub  begeifterter  £ulbigungen.  @r  erlebte 
audb  noch  bie  ftreube,  bie  mecflenburgifcbe  ^eimatb  wieber  gu 
jeben,  unb  jelbft  Hamburg,  wo  er  einft  als  Kriegsgefangener  ge* 
lebt,  beherbergte  noch  einmal  ben  ruhmreichen  ©aft. 

9Jlit  ben  preufjtjcben  (Staatsmännern  blieb  ©lücher  auf 
jdblechtem  ftufje.  Da§  man  in  ©erlin  bem  ©eifte,  bet  im  3abre  1813 
bie  $trmee  oon  Sieg  gu  ©ieg  geführt,  gu  mißtrauen  anfing  unb 
baS  ben  ^reibeitSfämpfern  ^eilige  gu  oerlenuen  unb  gu  oer* 
leugnen  begaun,  fonnte  am  wenigften  ©lücher  oergeihen.  @r 

Oi) 


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72 


batte  ein  (freies  Saterlanb  aufridften  Reifen  wollen,  nid)t  einen 
reactiouären  ^olijeiftaat.  93iS  an  fein  @nbe  blieb  et  ein  warmer, 
beObenlenber  Patriot,  ein  ebrlidjer,  offner  unb  ganzer  fBianu. 

©o  ^at  SMüdjet  gelebt  bis  gum  12.  «September  1819.  6r 
ftarb  auf  feinem  fdjleftfdfen  ©ute  Äriblowifc. 

Unter  ben  gasreichen  ©enfmälern,  bie  bem  gelben  errietet 
würben,  trägt  baS  {Reftocfer  eine  futge  3nf<brift  oon  ©oetbe,  mit 
beffen  ©orten  wir  fdjliefjen: 

3n  Darren  unb  jbtieg, 

3n  ©turg  unb  ©ieg 
S3ewuf)t  unb  grofj, 

©o  rif}  er  unS  oom  teinbe  loS. 


^nmcrhimgen. 

1)  SS  war  am  10.  Januar  1877,  als  ber  crfte  ber  beiben  bi« 
»erbunbenen  SSorträgc  im  cf?emifrf>en  ^crfaale  gu  OJlimtben  jum  Seften 
ber  »on  bcm  2$olfSbilbung8Berein  gegrfinbcten  grauenarbeitsfcbule  ge* 
halten  würbe. 

2)  ©aS  mittlerweile  erfc^ienenc  fleißige  unb  BerbienftBoUe  ©er!  beS 
£ernt  SlrcbioatS  Dr.  3-  SB igger:  gelbmarftball  füürft  33lücber  uon 
©ablftatt  (Schwerin  1878)  bat  mir  SScranlaffnng  ju  einjclnen  23er* 
befferungen  gegeben,  ebne  ba§  i<b  in  irgenb  einem  wefentlidjcn  Buge  baS 
2)ilb  ju  änbern  brauchte. 

3)  3cb  oerfuebe  Bon  bi«  an  SBlücber’S  eigene  ©orte  in  feiner  regel» 
lofen  Scbreibwcife  wieber  gu  geben. 


(72) 


$iu<f  sen  Wtfcr.  Unget  (Z\f.  ®rintm)  in  Berlin,  ©<ipönefcetgetjira$t  17*. 


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Heber 


6ie  Cfyiere  6er  Cieffee. 


©on 

Dr.  IJ.  3Uej.  ßagenftedjtt, 

$>rof.  in  ^etbelbtrfl. 


ßerlin  SW.  1879. 

©erlag  »on  (Jarl  £ a b e I. 

(it.  iß.  tnbmtj'sitit  BnloBitmdiioabliiiiJ.) 

33.  Süilljelm  • fetrcifif  33. 


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25aö  ERec^t  ber  Ueberfefcmtg  in  frernbe  ©praßen  roirb  oorbeljaüen. 


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UirleS  »etralHflt  Irtt,  bet  ÜRenftb  bleibt 
MS  (Btvattigfit ! Siebe  er  ((breitet  über  gruufea 
WecrcS  • «bflrunb , trenn  <S  rer  SStttb  ictänrat, 
auf  trüber  ffittUn  betrcgiem  ii fab  bin ! 

€opbbcle<  Hntijone,  über. 


vlid)t  aQein  bet  Steig  tiefüerbecften@eheimniffen  unb  bereifet, 
mit  männlicher  Äraft  ben  gewaltigen  ©lementen  bis  in  bie  festen 
©chlupfwinfel  ^ert  gu  werben,  treibt,  gu  erforfeben,  wan  in  ben 
liefen  bet  @ee  lebe,  in  welche  fein  8id?tftrafyl  fällt,  in  welken 
feine  i'flanje  grünt,  in  welken  nach  erftem  ©rmeffen  ein  un» 
geheurer  SDrucf  allen  erganifhe  ©efdjehen  barnieberhält  unb  für 
welche  in  immer  gleich  einf altem  SBaffet  bie  Beit  für  Sag  unb 
3uhr  feinen  Söedjfel  bringt. 

Vielmehr  erfteht  in  ber  SBiffenfchaft  »on  ber  SkrtheÜung 
ber  Spiere  im  SJieere  ein  wichtigen  ©apitel  ber  Shiergeogtaphie 
unb  »erfpricht,  ba  in  ihm  ttofc  großen  ÜJtaf)ftabn  bie  33egiehungen 
fich  Berhältnifjmäfjig  einfach  geftalten,  ein  @ (bluffet  für  bie  ®rb» 
gefehlte  gu  werben. 

SBenn  wir  anfänglich  bewunbern,  wie  auf  ©tben  ein  3eg* 
liehen  gu  feinet  Umgebung  paffe,  mit  feinen  ^ülfnmitteln  ©e» 
beihen  ftnbe,  bann  im  SBunbet  ban  Unerläßliche  erfennen,  fließen 
wir  mit  bet  ©inficht,  en  fei  ein  Sitten  erflärenbet  ©runb  für 
©igenfepaften  unb  SSotfommen  ber  Shiete  in  ben  bermaligen 
SBechfelbegiehungen  ber  Drganifatton  unb  ber  Umftänbe  nicht  ge« 
geben.  Stachbarfdjaft  unb  gleiten  Älirna  machen  nicht  gleich; 
93erwanbten  lebt  unter  oetfehiebenen  Umftänben,  anneinanber  ge» 
riffen;  »erfepiebene  klaffen,  Drbnungen  unb  ©attungen  mifchen 

XIV.  315.  316.  1 * (75) 


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4 


pch  in  einem  ©ebiete  gut  geglieberten  gauna.  2Ba8  in  feinet 
©igenheit  als  befonberer,  eingerichteter  @chöpfung8bejirf  erfdjeint, 
ift  ©nbergebnifj  non  Verfärbungen  in  Slljiereigenf^aften  unb 
lerritorialgeftattung.  3m  ÜBerben  unb  Verbreiten  behauptet  bet 
©tamm  feine  Äraft  gegen  ben  Swang  örtlicher  Slnpaffung.  6t 
pnbet  ftch  ab  mit  bet  6tbgefd)id?te,  weldje  leife  obet  ftürmifch 
feine  SBo^nfi^e  mit  ©unft  obet  Ungnnft  berührt,  erweitert  unb 
einengt.  Viemal8  mürbe,  wa8  bie  Umftänbe  »erboten;  aber,  wa8 
werben  tonne,  beftimmte  ftch  burd)  ba8,  waS  normet  war.  3öa8 
lebt,  ift  ein  ©ofument  für  bie  ®efchi<hte(  wie  für  bie  ©igen» 
fdjapen  eines  ©rbtljeilS. 

SDie  Paläontologie  bat  früher  unb  in  reicherem  fötale  al8 
bie  geographifche  Verbreitung  Sicht  übet  vergangene  ©rbepodjen 
verbreitet.  3hr  ©chwerpunlt  liegt  in  bem  auf  ÜReereSgtunb  ab= 
gelagerten  fDtateriale.  ©ort  »orgüglich  umgaben  Viebetfchläge 
fchüfjenb  bie  organifdjen  JRefte,  traten  mit  ihnen  in  Verbinbung 
unb  SluStaufdj  unb  pdjerten  bie  Vemahrung  minbeftenS  ber  ©e» 
ftalten  im  Vilbe  be8  SufammenlebenS  für  unberechenbare  Triften, 
©eethiere  geftatten,  bie  beiben  JpülfSmittel  bet  ©rbgefchidpte,  geo» 
graphifche  Verbreitung  unb  geologifdhe  golge  ju  tombiniren. 

©ie  erfte  metbobifdje  gorfchung  über  bie  bermalige  Ver* 
breüung  ber  5£b*ere  in  bet  @ee,  bie  von  ©bwarb  §orbe8, 
fchlofj  ftch  entfpredjenb  biefer  inneren  Verbinbung  auch  in  bet 
Seit  eng  an  bie  Arbeiten  von  Spell  unb  ©e8hape8,  welche 
bie  Sehre  ©uoier’8  unb  Vrogniart’8  von  einer  Veihe  felb» 
Pänbiger  unb  voQftänbig  gefchiebener  ©<höpfungen  ftürjten  burdh 
ben  VachweiS  be8  UeberlebenS  fchalentragenber  VtoQuSfen  au8 
ber  SEertiär^eit,  unb  an  bie  ©teile  ber  ©rbummälgungen  unb 
©ünbPuthen  bie  6ontinuität  ber  organifchen  ©djöpfung  festen, 
©ie  alte  ©dhule  hatte  nicht  feiten,  gumal  bei  ben  giften  beS 
Monte  Bolca  im  Vincentinifchen,  welche  ihres  ©leichen  eher  im 
inbifcpen  al8  im  mittellanbifchen  Vteere  ju  pnben  fdhienen,  ben 

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5 


©ebanfen  gehabt,  waS  foffil  fei  unb  beutlic^  nicht  mehr  bei  un8 
lebe,  möge  noch  in  unerforfcbten  8änbern  unb  üKeereStiefen 
ejdftiren.  Suoiet  fcbnitt  furg  ab:  ifym  war  eine  fojfile  Art 
eine  »erlorene.  A18  8 9 eil  erwies,  e8  gebe  Weber  eine  einfache 
Schöpfung  noch  eine  gerftücfelte,  oielmebr  eine  fontinuitlidje 
©ntwicflung,  belebte  ftd)  ber  alte  ©ebanfe  wieber.  9Kan  batte 
eine  SDlenge  rezenter  europäifchet  Skalen  ftimmenb  mit  fofftlen, 
am  meiften  mit  beneu  be8  Monte  Pelegrino  unb  non  Ficarazzi 
bei  Palermo.  Ob  ficb  ba8  burdj  ticflebenbe  nermebren  laffe,  ent* 
fdfloß  ficb  SorbeS,  mit  bem  Schiffe  SBeacon  im  ägäifcben 
5Jieere  gu  etfotfcben. 

S)ie  9iaturwiffenf<baft  batte  bi8  ty*biu  für  2iefjeefenntniß 
con  ben  färglidjen  ©aben  geehrt,  welche  bei  anbeten  Arbeiten 
abfielen.  3)ie  gewerbliche  Ausbeutung  unb  Unterfucbung  be8 
üJteereS  hielt  ficb  naturgemäß  nabe  ben  lüften;  in  bet  blauen  See 
achtete  bet  Schiffer  nur  be8  3Binbe8  unb  bet  ©eftirne;  et  übet* 
ließ  e8  bet  fPbantafie,  bie  Siefe  gu  benölfern.  SDie  Schwamm» 
taudjer,  welche  fdjcn  gu  ariftotelifcber  Beit  ein  nach  Sangmethoben 
unb  SBaarenfenutniß  gut  organifirteS  ©ewetbe  batten,  gingen 
nur  in  15  %. x),  bie  ^>erlfifdjer  mit  ihrer  in  ^iftotifc^  nicht 
beftimmbaret  Beit  mit  anbereu  ©ulturgeidjen  con  Afien  nach 
SJtittelamerifa  übertragenen  Snbuftrie  nur  in  6 — 8 
Aufternfifcher,  welche  in  20  %.  arbeiten  unb  Äorallenfifcbet, 
welche  an  3fdjia,  fBMotfa,  Algier  unb  ben  @ap*oetben  felbft 
bis  50  unb  100  geben,  batten  nach  ber  33taucbbarfeit  ihrer* 
©eräthe  SJiandjeS  liefern  fßnnen.  SDiefe  finb  bie  ©runblagen 
ber  heutigen  Sieffeefangwetfgeuge.  S)a8  ©cßleppneß  (dredge), 
ober  bie  äfurre,  entlehnte  bet  SDäne  JD.  $.  föiüller  um  OJiitte 
be8  notigen  SabtbunbertS  non  ben  Aufterufifcbern,  welche  nermuth* 
lieb  fdjon  in  ber  ©teingeit  mit  ißm  bie  Raufen  »on  Auffetn  unb 
£etgmuf<beln  gufammen  brachten.  £ieffif<bneße  (trawl)  werben 
in  mancherlei  ©eftalt  benußt.  Da8  befcbwerte  Äreug,  mit 

crn 


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6 


welchem  bie  Äoraflenfifcher  bem  ÜJteer  feinen  ©dhmucf  entreißen 
unb  welches  be  fjacage  SDuthierS  für  ©runbfifchetei  auf  fei* 
flgem  33  oben  brauchbarer  fanb  als  baS  9tef},  wirb  gut  phönigi* 
fdjen  Beit  faum  anbetS  auSgefehen  haben.  Urwüdhftge  Bang” 
mafdjinen,  33ambu8gerüfte  unb  deinen  mit  Singeln  bringen  an 
ben  Alwinen  unb  Sapan  noch  heute  gewiffe  «Seltenheiten  beffer 
aus  mafjigen  liefen  als  bie  beftburdjbathten  ber  großen  ©je* 
pebitionen.  Slber  nur  eingelne  ©lüde  erfchienen  ben  Bif  ehern 
beS  Aufhebens  wertl).  SDtan  erhielt  »on  ihnen  einen  Purpur» 
ober  einen  9Jtelonenigel,  einen  ©eebefen,  an  Sapan  unb  6ebü  einen 
Äiefelfchwamm,  aber  fein  33ilb  beS  tiefen  SBafferS.  Sin  norbi* 
fdjen  Äüften  föbert  man  SDorfch,  Äabelfau,  ©chellftfch  (©abib* 
fifdhe)  mit  Slngelfchnuten  auf  33änfen,  in  Untiefen  »on  10  bis 
50  %.  »u<h  mußten  bie  Bifdjer,  bafj  an  ©rönlanb,  wie  im 
SRittelmeer  früher  jener  gamilie  gefeilte  ©renabievfifthe  mit 
groben,  hartfpijjigen  ©«huppen,  auS  ber  ©attung  Macrurus 
Bloch , Lepidoleprtis  Rieso  jejät  ©tamm  ber  Bamilie  bet 
Macruriden , in  Siefen  non  600  — 1200  %.  leben.  Sn  500  B* 
legen  bie  ^ortugiefen  bei  ©etubal  bie  Singeln  für  (Jentro* 
phoruS*h«ie,  welche  am  fRanbe  beS  atlantif«hen  SiefbecfenS 
bis  SJlabeira  in  mehreren  Slrten,  bann  an  SBeftinbien  unb  ben 
SOloluffen  »otfommen. 

SBereingelte  gdQe  oon  befonberem  Sntereffe  gab  eS  wohl 
auch-  2)er  3üte  Slbriaang  gog  um  fölitte  beS  »origen  Saht” 
hunbertS  unter  79°  91.  an  ©rönlanb  auS  1416 ' mit  ber  goth» 
eine  gwei  überrafdjenbe  $)flangenthiere  auf  h»h«u  ©tamme  mit 
einem  33üf«hel  »on  gwölf  gigantifdjen  fPolppen  nach  Slrt  beret 
bet  geberforaHen,  mit  je  acht  langen  gefrangten  Slvmen,  Umbellu- 
laria  grönlandica  L.  *)  SDaS  eine,  4'  5"  h»«h-  Würbe  oon 
SJtpliuS,  baS  anbete  »on  ©lliS  als  ein  8ilienftral)ler  befdjrie= 
ben.  ©ie  gingen  fpdter  »erloren;  bie  Slrt  würbe  1874  auf  ber 
©ppebition  ber  3ngegerb  unb  ©lab  an  wiebergefunben  unb 
(«) 


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7 


»on  ginbafl  betrieben.  Um  gleiche  3eit  wie  jene  mürbe  ber 
erfte  Vertreter  bet  bis  bafin  für  gänjlicf  auSgeftorben  erachteten 
©chinobermeuotbnung  ber  gilienfttafler,  Pentacrinus  asterias  L 
ein  ftieberftern  mit  Äeldj  auf  bofem  Stiele,  beffen  ©lieber  man  äfn» 
lief  foffil  als  Srocfiten  fannte,  an  ©uba  gefangen  uttb  e8  folgten 
ifm  fpatfatne  ©Template  »erwanbter  21  rten.  3 oh«  {Rofc  brachte 
1818  bei  2luffu<fung  ber  norbweftlichen  ^Durchfahrt  jenfeitS  be8 
9)olarfreife8  in  Bancafterfunb  aus  800  unb  1000  ?i.  SBürmer 
unb  eine  Seefternform,  welche  wegen  Steilung  ber  2Irme  unb 
Verwirrung  »on  beten  Sleften  SRebufenhaupt  genannt,  allein  in 
ben  feifeen  inbifefen  ÜJieeren  itjres  ©leichen  fanb:  Euryale  ober 
Astrophyton  Linckii  M.  T. 

3118  3ame8  ©larf  {Rofc  1841  auf  ber  {Reife  jur  ©tfor» 
fefung  be8  SübpolS  bei  ©oulman’8  3nfel  in  Süb*Viftorialanb, 
nahe  ben  au8  ewigem  ©ife  auffteigenben  Vulfanen  ©rebuS  unb 
Stertor  au8  270 — 300  g.  in  lebenben  JtoraDen,  Streuen 
(mooöartig,  flächig  ober  gezweigt,  mit  fleinen  ©ehäuien  Kolonien 
jufammenfefcenb,  in  einem  ftüfletfranj  fich  entfaltenb;  fPolpioa 
ber  ©nglänbet),  SBütmetn,  Scfnecfen,  Ätebjen  bie  erfte  »olle 
9>robe  einer  Stieffeefauna  erhielt,  fanb  et  barunter  folcfe,  welche 
man  bis  bahin  für  ben  hofen  {Rorben  eigenthümlich  fielt, 
namentlich  Arcturus  Baffini  Sabine , einen  3lffelfreb8  (fsopode) 
»on  ungemüfnlichet  ©röfe,  welcher  feine  fpatfamen  3ungen,  nach» 
betn  fie  baö  ©i  »erlaffen,  forgfam  mit  fi<h  trägt.  2) er  3Seg 
für  bie  Vetbinbung  »on  §)ol  ju  ?>ol  fefien  {Rofj  gegeben,  ba 
SBaffer  »on  etwa  + 4°  3)  fief  unter  50 — 60°  S.  in  allen 
Schichten  gegen  ben  2tequator  unb  ben  $>ol  in  ber  Stiefe  finbe, 
bort  »on  warmem  äBaffet,  julefjt  in  1200  %.  ÜJtäcftigleit,  hier 
»on  falterem  überlagert. 

2)a8  halte  man  etwa  an  Jhatfacfen  unb  SE^eotieen,  al8 
1843  gotbeS  bet  britifefen  {Ratnrforfchemrfammlung  ju  ©orf 
feinen  Veridjt  erftattete. 

(7») 


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8 


gorbeS  Ijatte  wirflidj  tertiäre  ORufdjeln  lebenb  gefunben, 
tfyeilS  fo,  ba§  fie  lebenb  häufig,  fofftl  feiten  waren,  tljeilS  um» 
geteert.  SBaS  bereu  ffiertljeilung  betraf,  fo  unterfdjieb  er  adjt 
Siefengonen.  Die  oberfte  bis  gu  2 g.  fei  bie  reichte.  Den 
folgenben  eine  immer  größere  tertifale  9fu8bel)nung  gutl)etlenb, 
fanb  er  oon  bet  oierten  mit  30  g.  abwärts  bie  Sewdjner  nadfj 
9lrten  unb  Snbittbuen  fpärlidjer  unb  in  ber  lejjten,  Don  105  g. 
ab,  nur  8 (Scfyaltfyier arten.  3n  300  g.  fdjien  ein  lebenSlofer 
abgrunb  gu  beginnen.  Diefe  abpffu8»Sl)eotie  fjat,  wie  wir 
jefct  erfennen,  Ujre  ©runblage  gum  Sljeil  in  einer  93efonbertjeit 
beS  gangen  SDlittelmeereS,  inbem  baffelbe  burd)  geringe  2luS» 
Weitung  unb  auStiefung  ber  ©trajjje  oon  (Gibraltar  ton  ben 
falten  ©runbftrömen  unb  ben  burcfy  biefe  gewährten  @aSwed)fel 
unb  3nful}r  ton  Spieren  auSgefdjloffen  ift,  gum  Sfyeü  woljl  im 
tulfanifdjen  ©oben  jenes  befonberen  23ecfenS.  DiefeS  burfte 
nidjt  generalifirt  werben.  @rüne  ©eepflangen,  aigen,  gingen 
bis  55,  Äalfalgen  bis  105  g.  3n  ben  oberen  fRegionen  über» 
wogen  füblidje,  in  ben  tiefen  nörblidje  Spiere.  Siefenlinien  et* 
fdjienen  ton  äljnlidjer  Sebeutung  für  Sljietberbreitung  wie 
SBreitengrabe.  Die  arten  Ratten  beftimmte  Siefen  für  baS 
SRajctmum  bet  3nbiDibueu,  bie  (Gattungen  für  baS  ber  arten, 
#ergmufd)eln,  Cardium,  mit  6 bei  36  - 43,  Äanunmufdjeln, 
Pecten,  mit  11  bei  105—145  g.,  babei  bie  eingelnen  ungleiche 
oertifale  auSbetynwtg  ober  Siefeufraft,  batljpmetrifcbe  @ner* 
gie.  Sßerfdjwiubenbe  würben  oft,  in  fRepräfentation,  burd) 
äljnlidje  erfefct.  S3on  ÜRufdjeln  unb  ©djnedfen  ging  je  eine  burd} 
alle,  3 butdb  7,  9 burdj  6,  17  burd)  5,  38  burdj  4 3on«t. 
93on  ben  leiteten  war  Don  ben  butd)  mefyr  3onen  gefyenben 
$ gugleid}  atlantifd);  bie  bat^metrifdje  (Energie  bebingte  bie 
geogtapfyifdje  auSbreitung.  Da  SSeränberungen  im  9Reete8grunb 
in  geologifdjen  (äpodjen  Ijtetnad)  ben  arten  fernerer  ober  leidster 
bie  CSpifteng  abfdjneiben,  fdjloffen  b’ardjiac  unb  ffierneuil, 
(80) 


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9 


ba§  geogtapbifcbe  Verbreitung  unb  batbpmetrifcbe  Energie  auch 
geologifcbe  Sanglebigteit  bebingeit  unb  baB  eine  unb  anbere  »or« 
güglicb  tiefwobuenben  jufomme.  3n  Umfebrung  erregen  geolo» 
gifcb  langlebige  bie  Vermutung,  ber  Stieffce  angebört  ju  haben. 

2)ut(b  bie  totalen  Slbpffaloerbältniffe  war  bie  2;beotie  auf 
einen  ju  tleinen  üftafjftab  angelegt.  ©twaS  würbe  butcb  Stuften 
gebeffert,  welcher  in  Vollenbung  ber  Siaturgefcbicbte  ber  euto* 
paifd)en  üfteere  nach  ^orbe§  frübem  Stöbe  bie  3onen  auf  nier 
befdbräntte.  @8  wirb  n unlieb  fein,  ben  (Sbarafter  jolcber  ju 
febilbern. 

©ine  ©tranbjone  tommt  in  ben  fBieeren,  welche  wecbfelnbe 
Seiten  haben,  gur  noHen  SluSbilbung,  am  ft  driften,  wo  £öbe  bet 
glutbwefle  unb  gorm  bet  Äüfte  auSgebebnte  ©bbeftrdnbe  febaffen. 
Stuf  biefen  muffen  bie  Vewobner  ftarfen  Singriffen  begegnen. 
Sie  behelfen  fid>  geitweife  mit  feilten  Tümpeln,  brüden  fid)  an 
ben  §el8,  oerfrieeben  fi<b,  fdjlie^en  bie  Schalen  unb  ertragen 
bann  SBärme  unb  ©inbunften  beS  SBafferS,  Sroft  unb  Siegen. 
SDagegen  erwedt  baS  jjicbt  reiches  gtüneS  ^flanjenleben,  eS  loctt 
junge  SEbiere  aufwärts.  SBo  bie  Vranbung  bie  Äüfte  trifft, 
jüfce  SBaffer  fälligen  begegnen,  giebt  eS  zertrümmerte  organifebe 
©ubftanj  in  netfebiebenen  Vebürfniffen  unb  dbräften  angemeffener 
Slrt.  3eber  auffprifcenbe  tropfen  tommt  als  ein  Vab  »oll 
©auerftoffS  nieber.  25aS  9Reet  bringt  Siabrung  ben  geöffneten 
SJldulern,  eS  atbmet  für  feine  Äinbet.  Unglaubliche  SJiengen 
junget  Vrut  werben  bet  tollenben  Stelle  anoertraut  ober 
InoSpen  an  ben  SDiüttern  5Die  Verfcbiebenbeit  beS  ©runbeS, 
ber  Verlauf  ber  Äüften  dnbert  wenig,  bet  ©barafter  im  ©rogen 
behauptet  ficb-  SRtjriaben  non  ©eepoden  (Valaniben,  drripebifebe 
b.  i.  fabenfüfjige,  angewaebfene  bartjcbalige  Ärebfe)  bebeefen  bie 
Steine;  Vrpojoen  infruftiren  ben  SEang;  ©tranbfebneden  leden 
ben  grünen  Veleg  ber  Reifen ; ber  oon  ber  ftlutb  jurüd  gebliebene 

SluSwutf  raftbeit  oon  ©pringfrebfen  (Slmpbipoben);  SBürmer  unb 

(81) 


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10 


SDiufcfyeln  Heben  @d)de  unb  Satt  an  ober  graben  in  ©anb, 
spfafytroerf  unb  ©tein.  Ufcrftabben  becfen  ftd>  unter  ben 
©teinen,  um  Ütac^tö  ben  ©tranb  abjufutjjen.  2rifd?e,  bet  glutlf 
anf^mtmmenb,  fallen  bei  ©bbe  in  {Reufen  unb  $anglöd)er. 
SDer  wei^enben  SBetle  folgen  {Rebelfralje,  SDlooe,  ©tranbelfter, 
©abelf^näbler,  {Regenpfeifer  unb  ©anbläufer  unb  finben  reit^= 
gebecfte  Stafel. 

SDieSone  ber  Sanbalgen,  ber  Saminarien,  bis  gu  15  S-, 
ftete  oon  Söaffer  bebedft,  ift  boc^  burdjauS  bem  Sirte  $ugängig. 
@ie  tyat  nic^t  Sort^eil  unb  fRacbt^eil  ber  Sranbuug.  5Ran 
muff  hier  felbft  tdjaffen.  £Die  Slftion  ertjß^t  fir,  intedeftueHe 
unb  geftaltlic^e  ©igenfraften  wedeln  in  ewigem  {Ringen,  in 
Siebe  unb  j?ampf.  färben  fielen  eine  grof)e  Stolle;  33iele8 
fcE»eint  barof,  ba§  3Reifte  geniest  eines  fdjüfjenben  ©ewanbeö, 
einer  Serfleibung.  3»ifren  Ältppen  unb  ginblingfteinen,  über* 
warfen  oon  breiten  3ofteren  unb  traufen  Uloen,  fielen  grüne 
©c^Ietmfifdje  unb  Sippfifdje,  an  ben  Stangen  penbeln  feltjam 
ftarre  ©eepferbd^en  unb  langftbnaujige,  faft  burdjfidjtige  @ee* 
nabeln.  3ierlir  gleiten  bunte  {Racftfdjnecfen  unb  ©trubelwürmer 
jjoifdjen  bem  ©eegtaS.  ©rüne  ©arneelen  fjufdjen  fudbenb  bar* 
übet  mit  langen  ©liebem;  auf  froftaHfyeöem  ober  miir meinem 
Seibe  mit  jartem  Siolet,  {Rofenrotp,  ©elb  unb  Drange  befdjrie* 
bene  friefeen  frei  bunty  bie  §lut.  .£>ier  f^rcimmen  gatjlreir 
pelagifre  Spiere,  bei  gebämpftem  Sterte  emporfteigenb,  ©opepoben* 
frebfe,  Flügel*  unb  Äielfdjnecfen,  ©alpen  unb  Quallen,  $um 
Streit  im  SBec^fel  beö  SebenS  am  ©runbe  aufgeworfen,  nur  jur 
{Reife  abgelöft,  Ijier  auc^  bie  Satoen  oon  gieren,  wel^e  er* 
warfen  auf  bem  ©runbe  fifjen  ober  wanbern-  3luS  ©galten 
leurten  bie  Äronen  ber  ©eenelfen  (2Htinien),  flierlir«  gebetbufr* 
fragen  ber  {Roptenwürmer.  21uf  ©riamm  unb  ©anb  furen 
©eeigel  (©riniben)  unb  ©eewaljen  (^olotpurien)  {Raprung; 
mit  rotten  gloribeenalgen  wetteifert  ber  frarlarene  ©eeftern. 

(8S) 


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11 


3m  ©djlamm  fyalb  oerftedt  wanbcrn  Sötufcheln,  fangen  an 
Älippen,  liegen  alö  jierliche  unb  bunte  33enu8,  £ellina,  ©onajt 
auf  bem  ©anbe,  bie  tobten  ©dealen  ber  SBctle  gebenb  jum 
©djmud  beö  ©tranbeö.  Ätäftige  Sftaubfchneden  bohren  beren 
©djalen  an.  3m  35oben  niften  ©runbeln,  lauern  ©eeaale, 
ftachliche  ©forpänen.  Rümmer  unb  feitlich  wanbernbe  Safdjen» 
frebfe  galten  ben  ©runb  rein,  felbft  gefätyrbet  oon  Grafen,  beren 
SHrme  baö  Ergriffene  nicht  taffen,  ©er  EremitfrebS,  oorn  bunt 
gemalt,  birgt  ben  unfeheinbaren,  wehrlofen  Hinterleib  ängftlid)  im 
entlehnten  ©djnedenhauä.  £>hne  bie  8tt  aufjulöfen,  bringen  bie 
äußeren  Umftdnbe,  unter  bcuen  halb  bieö,  balb  baS  nüßt,  große 
fjftannigfaltigfeit  ju  ©tanbe.  Erft  mit  größeren  ©iffeTenjen  ber 
geographifchen  Sage,  mehr  nach  ben  ©ergangenen  geologifchen 
©efcßiden  wedjfeln  tärten  unb  ©altungen.  ©tärfer  fällt  bie 
lofale  33obenbefchaffenheit  inä  ©ewicht;  ©chlamm,  ©anb,  Stl>on, 
gel8  haben  bejonbete  SBeroohner.  3m  fpegieOen  ©ebiete  oer» 
theilen  ftd)  bie  ein3elnen  nach  ber  Sebenöweife,  eergefellfchaften 
fich  nach  Sebütfniß,  gehen  mit  einanber  unb  bei  einanber  in 
Süohnung  unb  Äoft.  SEBie  baö  Sieht  bie  garben  hetauöforbert, 
fo  geftattet  ba$  ftillere  SBaffet  jierlichen  ©chalfchmud  unb  ftatt» 
licheö  2Sach§thum.  E8  entfaltet  fich  ber  fReichthum,  mit  welchem 
bie  Uunft  ba8  9Reer  umfleibet,  bie  »olle  Dtepräfentanj  be8 
Sebenß,  bie  ©efonberheit  ber  Djeane.  SBo  in  h«%«  fDteeren 
in  biefe  3one  9tiff  bilbenbe  ÄoraUen  eintreten,  felbft  S3änfe  oon 
belebten  IBIumen,  überholen  oon  ^orjeflan«  unb  jfegelfchneden, 
oon  ©eeigeln,  ©ternen  unb  wunberlidjen  Ärabben,  befeßt  mit 
©ponbpluö*  unb  Ebamas2Ruf<beln,  in  ben  ©palten  Ehätobon* 
fifche  fpielenb,  eins  ba8  anbere  an  Suntßeit  überbietenb  unb 
übermucßernb,  fann  mit  ihr  faum  bie  Fracht  tropifcper  Sanb* 
fchaft  wetteifern,  in  welcher  umranfte  großblumige  Jßäume  oon 
herrlichen  Schmetterlingen  unb  ebelfteinglänjenben  SBögeln  um* 
fchwätmt  werben. 

(83) 


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12 


fRaito  SleRnlicRfeit  ber  Wirten  unb  biologifd)  ift  eß  anguneR* 
tncn,  baR  bie  Äüftenfauna  fid)  auß  ber  gaminariengone  refrutirt 
Rabe.  SBte  man  Sluftern  gut  SBerfenbung  übt,  inbem  man  Re 
in  SluiRbetfen  beß  SBafferß  entbehren  unb  bie  ©dRalen  ^djlie^en 
läRt,  gwingt  bie  *Ratur  bie  Ediere,  welcRe  am  dReereßfpiegel  RdR 
anfiebeln,  ficR  in  bie  33erRältniffe  gu  fcRiden.  2Bo  etwa  Umftänbe 
eine  gitoralfauna  oernicRteten  unb  an  einem  neuen  ganbe  »ul» 
JanifcRen  Urfprungß  würbe,  9Rangelß  Uebertragung  non  anftRlie* 
Renben  Äüften,  in  ber  gaminariengone  SRaterial  für  eine  neue 
gitoralfauna  gut  SSetfügung  fteRen.  ©inigeß  fönnte  Dom  ®ÜR* 
waffet  unb  33racfwaffer  entnommen  werben,  beffen  SBewoRner, 
felbft  mariner  äbfunft,  Rpperlitoral,  S3erbinbung  unb  ^d^igfeit 
beß  IRücftrtttß  nid?t  immer  aufgegeben  Raben. 

2118  britte  3mie  rechnete  bi8  gu  50  §.  Stuften  bie  ber 
Äorallinen  ober  Äalfalgcn,  welcRe  an  ©teile  beß  fparlidj  ge» 
worbenen  grünen  ^flangenlebenß  treten,  naäRbem  baß  gidRt,  weldjeß 
nacR  SBetfucRen  Don  Sctel  im  ©enfer  ©ee  in  50  §.  ©über* 
dRlotür  nicRt  angreift,  feine  SRacRt  Derloren.  SDiefe  liefen  werben 
nicRt  meRr  Don  ben  ftärfften  SBeflen,  nur  Don  jenen  Ieifen 
©trömen  bewegt,  welcRe  ben  ©alggeRalt  außgleicRen  unb  falteß 
SBaffer  gum  ©runbe  füRren.  3)a  autR  baß  geben  bet  f<Rwim* 
menben  eingedigen  ißflangen,  SDiatomeen,  Dom  gidRte  abRSngt, 
!ann  Riet  tRierifcRe  ©jriftcu;  webet  bireft  nocR  inbireft  auf  ^Rangen» 
wucRß  begrünbet  werben,  ©inige  StRiere  mögen  auß  biefer  3one 
in  RöRere  auffteigenb  fRaRtung  Rnben,  anbere,  Rd)  fenfenb,  in 
iRr  gut  S3eute  faden;  im  Uebtigen  muR  bie  ©tufenleiter  tRieri* 
f<Ren  gebenß  ficR  auf  uieberfinfenber  ober  mit  bem  ©runbftrom 
gugejdRwemmter  tobtet  organiftRet  ©ubftang  aufbauen.  ©<Rlatnm= 
freffet,  Sobtengräber,  gumpenfammler  bilben  bie  Unterlage.  fRiebrig 
organiRrt  unb  trage,  dou  ben  ©inf ftoffen  lebenb,  näRren  fie  unb  iRre 
S3rut  ©tariere,  RöRer  Drganifirte.  3)atin  liegt  nicRt  genug  ©pe* 
jipftReß,  um  nidjt  ben  RöReren  ÜRietflaffen  mit  ©iufcRluR  bet 

(84) 


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13 


gtfdje,  wenn  au#  oerarmt,  ben  9lufen#alt  mögli#  ju  !af|cn. 
©elbft  SBale  fu#en  in  biefet  Bone  fRafyrung.  Korallen,  üeber» 
forallen  (SUcoonariben),  ©eefebern  (fPennatuliben)  unb  @#wämme 
erwarten,  an  bie  ©teile  gebunben,  wa8  #nen  bef#eert  werbe, 
unb  nerbreiten  fi#  in  biefer  3one  au#  in  fältere  Sßreiten; 
©ta#e#äuter  (<5#inobermen),  Bon  ben  ©eeigeln  Borjügli#  jart« 
fta#Iige  ©patangen,  Ben  ben  ©eefternen  bie  6#langenfterne 
(£#!}iuriben)  mit  gefpenftig  greifenben  Firmen,  gal)lrei#e  ®ee* 
walken  (£olo#urien),  fu#en  langfam  f#lei#eub  ben  @#Iamm, 
ober  fletternb  pflan^enartig  aufgewa#fene  Jl)iete  ab.  Unter  ben 
ftieläugigen  Ärebjen  finb  e8  Borgügli#  SDreiecfftabben,  wel#e 
umfyerftelaenb  bie  ©tra&enpol^ei  üben,  non  ben  fifjaugigen  bie 
feljlfüfjigen  (gämobipoben)  fammt  ben  anf#lie|enben  fPpfno« 
goniben  unb  Slffelfrebfe,  3fopoben,  meift  uom  ©#Iamme  f#muf}ig. 
3Jtuf#eln  finb  no#  gemein,  bur#fut#en  ben  ©#lamm,  bauen 
©änfe,  Heben  fi#  an,  bohren  in  -Korallen,  ©#wämme  unb 
gel8,  laffen  fi#  umwa#fen,  liegen  unglei#f#alig  auf  ber  ©eite: 
Lüftern,  ^erg«,  geil*,  33ögel#enmuf#eln  unb  2*ibafnen.  2)em 
©anbe  unb  .Riefe  pafet  ft#  f#iefaugig  bie  ©#oUe  an;  9to#e 
unb  ^>ai  lauern  mit  ft)ärli#em  £>berli#te  gere#tem  2luge. 
SJtangel  an  fangen  unb  93erlangfamung  beö  ©a8au8tauf#e8 
minbern  ben  ©auerftoff,  wel#er  enbli#  in  300  g.  non  33,7  % 
auf  ein  ÜJtinimum  non  11,4  % fällt.  SBerminberte  3(#mung 
bebingt  IangfamereS  2Ba#8tt)um,  ©pätreife,  bef#ränfte  gru#t- 
barfeit  unb,  in  nur  f#einbatem  ©egenfafce,  für  Einige  bebeu* 
tenbe  ©rofie.  SERan  erfennt,  bafc  in  ber  93ef#ränfung  biefe  3one 
in  einigen  fünften  mit  ber  literalen  übereinftimmt,  in  anberen 
abwei#t.  3ebenfaQ8  fann  man  au#  t)ier  bie  gauna  au8  ber 
gatninariengone  ableiten. 

SDie  ©efonberljeiten  ber  ÄoralUnengone  fteigern  fi#  in  bet 
ber  Sieffeeforallen  Bon  50  %.  abwärts.  9ta#  gewi#nli#en 
Begriffen  lt#tlo8,  wirb  biefe  Jiefe  Bon  Slag  unb  9ta#t,  ©ommet 

(85) 


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14 


unb  äBiuter,  fRegen  unb  ©onnenfdjein  nur  in  terfpateten  unb 
ausgeglichenen  Strömungen  beeinflußt.  Slbgefehen  ton  bem  ftetS 
fteigenben,  aber,  je  großer  bie  fcbon  erreichte  Siefe,  um  fo  lang» 
famer  fid)  multipli^iteuben  ©rucfe,  ift  fte  ßorijontal  unb  nertifal 
weithin  ibentifd).  2)ie  33ebingungen  finb  uniterfal,  bie  33e* 
wohnet  meift  feffil.  Schwämme,  jforalleu,  {Rö^rcnroiirmcr, 
Srpojoen  entgehen  ber  5Berf<hlammung,  inbem  fie  ©erüfte,  ©e» 
häufe,  Sthirrfolonieen  auS  ftdh  heraus  aufbauen.  3»ifchen  ihnen 
befeftigen  fid)  Äammmufcteln  unb  lÄrmmufcheln  (S3rad)iopoben), 
in  alten  ©pochen  fahr  äahlreid),  jeßt  fparfam.  ©djinobermen 
fehlen  nicht,  aber  bie  Älaffen  bet  echten  9Jtollu8fen,  SSürmer, 
Ärebfe  engen  fich  ein.  SBäßrenb  ©chlammfreffer  reichlich  »er* 
treten  finb,  befcßränft  fich  bie  3Belt,  welche  fid)  auf  biefen  auf» 
baut.  SDie  ^ülfSmittel  höherer  Drganifation  nerlieren  an  23e* 
beutung. 

Bür  bie  Stiefen,  welche  man  bis  bahin  berücffidjtigte,  ift 
auch  biefe  ©intheilung  3U  fomplicirt.  OJtan  thut  wohl,  100  §., 
baS  ©ebiet  lebenber,  gefärbter  flanken  ^ufammenjufaffen  als 
ein  für  ben  ©tranb  unb  bie  größere  5£iefe  bet  fDlobiftfation 
fähiges  unb  ihm  entgegenjuftetlen,  was  über  jene  2iefe  hinaus* 
geht.  SDiefeS,  wie  fjorel  meint,  bireft  auS  bem  Litoralen  ab* 
juleiten,  ift  nicht  juläfftg. 

@8  ergab  fid)  alSbalb,  baß  $orbeS’  Seßre  ton  ber  bathb* 
metrifchen  ^Distribution  mobißjirt  werben  müffe  unb  bie  tom 
lebenSlofen  SlbpffuS  irrig  fei.  fDtan  fann  babei  in  ben  folgen* 
ben  Uieffeeunterfucbungen  eine  torbereitenbe  fPetiobe  ton  25  Sabren 
ton  einer  beS  leßten  SDejennium  unterfd) eiben. 

3n  ber  erften  waren  eS  torgüglid)  ©fanbinatier,  welche  in 
einem  für  2iefe  unb  SluSbehnung  bet  untersuchten  norbifcßen 
SJteere  befcßränften  Umfange  fehr  ©ingehenbeS  leifteten.  Sotän 
faß,  baß  baS  bathpmetrifche  Bentrum  einer  3lrt  in  terfcßiebenen 

Steilen  ungleich  liege,  notbifd)e  9lrten  füblid)  tiefer  gingen. 

(86) 


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15 


2öa8  an  ginnlanb  litoral  unb  in  20  g.  lebte,  fauf  bei  ©othen* 
bürg  in  11  unb  80  g.  @8  war  ba8,  etwa  9io§  abgerechnet, 
bet  erfte  SlachweiS  einer  Verbreitung  ber  Spiere  mit  einer  falten 
©runbwafferfchicht  in  beftimmten  Sahnen  gwifcpen  bet  Oberfläche 
polarer  ÜJleere  unb  ben  äquatorialen  liefen,  welche  in  ber  Siegel 
»erftanbeu  wirb  al8  eine  Ausbreitung  »on  ©eethieren  mehr 
polarer  ^perfunft,  bei  welcher  aber,  wie  e8  mir  fcheint,  ebenfo» 
wohl  an  bie  Verbreitung  »on  Arten,  welche  ficfa  in  wärmeren 
SfJleeten  in  ben  fühlen,  fauerftoffreichen  unb  bewegten  ©runb 
gezogen  haben,  gegen  ben  (Strom  nach  ben  $>olen  hin  gu  beulen 
ift.  £o»ön  »ermochte  in  ben  ffanbina»if<hen  föleeren  eine  lebend* 
loje  $iefe  nidjt  gu  finben.  W.  @ar8,  welcher  »om  Pfarramt 
gut  Boologie  übertrat,  jepr  gu  beren  Stufen,  ftellte  in  einer 
Sleibe  »on  3abren  unb  gafften  au8  250—425  g.  427  Arten 
gufammen,  welche  gu  etwa  £ ben  klaffen  über  bet  einfacpften 
bet  fProtogoen  unb  mit  je  etwa  |>unbett  ben  hohen  ber  echten 
SJlolluSfen  unb  Ärebfe  angehörten.  3)ie  eigentlich«  SEieffeefauna 
beginnt  nach  ihm  jpärlich  in  100  g.  unb  nimmt  mit  fteigeuber 
SEiefe  an  3nbi»ibuen  gu.  SKan  erfennt,  bah  auth  biefeS  örtlich 
begrünbet,  abhängig  ift  »on  ber  SEiefe,  in  welcher  ber,  neue  uub 
günftigere  Vebingungen  btingenbe,  ein  wenig  ber  Vranbüng  gu 
»ergleichenbe  ©runbftrom  eintritt.  @8  fehlten  nicht  ©poche 
macpenbe  formen,  ©in  ftililienftrabler,  Rhizocrinus  loffotemis, 
welchen  ®.  O.  ©arS  1864  an  ben  gojfoben  fanb,  »ermittelt 
gwiichen  ben  befannten,  fich  »om  ©tamme  ablöfenben,  fcbwim* 
menben  unb  gleich  Dphiuriben  fletternben  gieberfternen  ©omatula 
ober  Antebon  unb  bem  iPentacrinuS  ber  Antillen.  3)ie  Aenbe» 
rungen,  welche  feit  ber  Äreibegeit  bem  geftlanb  unb  oberen 
SBafferfchichten  gänglich  neue  gormen  gegeben,  fchienen  übet  bie 
SEiefen  be8  norbatlantifchen  Ogean8  feine  SRacht  gehabt  gu  haben, 
©oobfit,  ein  ©efährte  granflin’8,  brachte  1845  au8  bem 
©iSmeer  ber  5)a»i8ftra|e  au8  300  g.  Ärebfe,  SJioHuSfen,  ©chi* 

(87) 


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16 


nobermen.  55ucb  ba8  ÜJtittelmeer  gab  IDofumente,  welche  e8 
gorbeS  oerfagt  b<*tte.  3)a8  &abel  gwifeben  (Sagliari  unb  33ona 
bradj  1858  in  1200  g.  an  einet  ©teile,  an  welker  bem  Abfall 
non  ©arbinien  gn  einer  Sieffeerinne  nicht  ^Rechnung  getragen 
war.  3n  Dem  aufgefyolten  ©tuet  liebten  ÄcraQen,  55uftern, 
.Ramm*  unb  geilmufcbeln,  CRöbtenwürmet,  5H8gibien,  9Roo8» 
t^iereben,  btngen  Jtreifel*  unb  ^urpurjebneefen.  5Rinbeften8  eine 
Äotalle  tarn  au8  größter  Jiefe.  1860  brachte  bie  ©cblamm* 
fangmafebine  bet  33ullbogg4)  au8  1260  gaben  an  bieüeine  ge< 
flammert  13  ©djlangenfterne,  ben  5Ragen  doO  Qkunbfdjlamm. 
1864  enblid)  gab  58arboga  be  33ocage  9tacbri<bt  non  einem 
£iefelgitterfd)»amm  einer  bis  babin  auSfcblie&licb  japanejtfdj 
eradjteten  ©attung  Hyalonema  limtanicum,  in  ben  £aifif<btief« 
grünben  ber  ©etubalbai. 

Si8  futg  gunot  batte  mau,  bie  jpatfamen  ©tfiefe  ber  ÜRufeen 
mifjoerftänblicb  im  ©pfteme  einteibenb,  angenommen,  regente 
©ebtoämme  bilbeten  nie  Äiefelnefje  unb  ba8  5Rat'cbenwerf  becher- 
förmiger ÜBentrifulitenfcbwämme  bet  Äreibe  unb  be8  ©rünfanbS 
Don  5Rorb«@nglanb  fei  auf  ©cbwammbornfafent  ober  Rallfafern 
gu  begieben.  ©ben  h“tte  5R.  ©cbulfje  ben  in  einen  @<bopf 
Don  .Riefelfäben  auSgebenben,  gum  SEbeil  »on  ber  §)alptboaforalle 
ummaebienen  japanifeben  geberbufcbfdjwamm,  Hyalonema  Sie- 
boldii  Gray  unb  ben,  wie  auö  ©pi^en  gewebten  ©ieftfannen* 
febwamm  non  ©ebu  in  ben  ^)btHbb‘nen<  t)ie  JRegabera,  Alcyon- 
cellum  Quoy  u.  Gaimard,  Euplectella  aspergillum  Owen,  al8 
geberbufebfebwamme  Detbunben  unb  Söpnille  übomfon  fte 
mit  bem  antiöifcben  Dactylocalyx  con  ©tutepburp  al8  ©la8* 
jebwämme,  SBitrea,  bezeichnet.  SDiefe,  ber  ©«blüffel  ber  Sentrifu* 
liten,  oermebrten  fi<b  in  ben  Sieffeeforfdjungen  fo,  baf?  ÜJtarfball 
1878  ihrer  37  unb  mit  55.  58.  SReper  7 weitere  gufamnten* 
ftetlen  tonnte,  alle,  foweit  befannt,  au8  100—700  g.  @8  ergab 
fid?  nicht  bie  33erwacbfung,  fonbetn  bie  fedjSftrablige  ober  brei* 

(M) 


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17 


adßfige  gorm  bet  fabeln,  wenn  aud)  öfter  in  Vetfümmerung  unb 
fähiger  3tuöldngnng  non  iflcßjen,  atö  cßarafteriftifdjee  ÜDterfmal, 
fo  baß  fie  £>.  ©cßmibt  gefcßidt  alö  ^epactinelliben  gufammen» 
faßte,  welche  ©d)wammorbnung  jeltiam  bie  norbijcße  2ieffee 
mit  feisteren  ©ewäffern  tropifdjer  Söieete  unb  ber  Äreibegeit 
»erfnüpft. 

©ine  aubere  Kategorie  non  niebrigen  JDrgantämen,  weldje 
aus  pelagifcß  icßwtmmenbem  8eben  unb  ©terben  jaßlloje  Ütümmer 
jum  fDteeregboben  ßinabfenbet,  griff  non  1854  in  bie  SJtaterie 
ber  £ieffeeforf<ßung  ftar!  ein  unb  leitete  junädjft  in  eine  »er» 
feßrte  ©aßn. 

9Jtil  ben  gut  Prüfung  be8  atlantijdßen  ©runbeS  »erbefferten 
©onben  fam  au8  über  1000  %.  gleicßtnäßig  grauweißer  ©djlamrn 
mit  gaßlteitßen  ©<ßalen  »on  jpolotßalamien.  Stailep  geigte  bie 
Verbreitung  be8  ©cßlammeS  joltßet  Jürt  im  ganzen  atlantifdßen 
Djean.  SDiefe  ©cßalen  finb  fällig,  werben  IjergefteEU  »on  öfter 
gtünlidjer,  gelblicßer  ober  orangefarbiger,  nicßt  3rDen  barfteüenber, 
fitß  in  formöeränberlicßen  gäben  auSftrecfenber  eiweißiger  Ur« 
jubftang  (9>rotopla8ma)  unb  ßaben  jenen  9tamen,  weil  meift  in 
Kammern  getßeilt,*  weltße,  bei  ßößeren  »on  ©tüßwänben  burtß» 
jeßt,  ftetö  mit  ^)oren  burtßlöcßert  finb,  woßet  ber  anbere  9tame 
bet  Klaffe,  goraminiferen.  Sener  ©cßlamm  enthielt  am  ßäufig» 
ften  bie  etwa  1 mm  große,  bereite  in  ber  Kreibe  bemerfte 
Globigerina  bulloides  d’O.  mit  jaßlreicßen  fpiralig  »erbunbenen, 
in  ber  Steiße  an  ©röße  juneßmenben,  gegen  einanber  abgeplatte« 
ten,  jonft  fuglig  gewölbten  .Kammern  unb  erßielt  banatß  ben 
9tamen  be8  ©lobigerinenfcßlamm8.  ©parfamer  fanb  ficß  Orbu- 
lina  univerm  d'O.,  welcße,  gunäcßft  einfatß  fugelig,  bod)  gumeilen 
tnnerlitß  3—4  fleine  Kammern  birgt,  Pulrinulina  mit  5 — 6 
f<ßeibenfötmig  georbneten  Kammern,  in  wärmeren  fDteeren  bie 
größere  P.  Menardii  d'O.,  in  fälteren  P.  Micheliana,  etwa8 
freifelförmig  unb  mit  peripßerijcß  meßr  auSgebeßnten,  fonijtß 

XIV.  315.  316.  2 (89) 


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18 


bortretenben  Kammern,  ©inige  Sape  fymburdb  fat}  man  biefe 
$)olpthalamien  atä  bie  charafteriftifchen  23eroohner  beö  Sieffee* 
grunbeö  an.  Dl)ne  3i»eifel  leben  mancherlei  'Polpthalamien  auf 
bem  ©runbe,  anbere  aber  mürben,  non  3.  SRüller  ab,  non  Dielen 
©eiehrten  fdjmimmenb  gefunben.  Sie  tauchen  gerne  am  Sage 
unter,  roeßhalb  SRajorDwen  fie  ©olpmbitae  nannte.  9Rurrap 
hat  foldje  in  oetfchiebenen  Siefen  bis  150  g.  nachgewiefen  unb 
bie  ©haHengereFpebition  unb  !ä.  Stgaffig  ha&eu  sc^eigt,  baff 
bie  auf  bem  ©runbe  gefunbenen  Schalen  gar  fein  33itb  ber 
lebenben  Shiere  geben,  ©lobigerina,  Dtbulina  unb  anbere  finb 
im  pelagifchen  Schwimmen  mit  feinen  Stacheln  befleibet,  beten 
fcä nge  ben  Smtchmeffer  ber  Schale  mehrfach  Übertrip,  unb  an 
welchen  blaftg  auöquetlenbe  $)rotoplaömamaf{e  fich  fabig  aufl* 
giep;  ber  Kern  ift  prachttcH  fdharlachroth.  Solche  Stacheln 
haben  auch  bie  in  Drbulina  terborgenen  .Kammern,  ©arpenter 
freilich  möchte  bie  Meinung  nicht  gang  aufgeben,  ba§  @1  obige* 
rinen,  nachbem  fie  fchwimmenb  12— 16  Kammern  hergefteHt,  auf* 
hören  gu  wachfen,  fich  mit  einer  äußeren  Kalflage,  einem  {Rubi* 
mente  Ijö^cter  Sdhalenbilbung  umfleiben,  lebenb  nieberfinfen, 
um  fich  bann  S“  Dermehreu,  ba  junge  in  gtöfjeret  SRenge  über 
bem  ©runbe  fchwärmten.  2)a|  einige  fPolptbalamien  in  großen 
Siefen  leben,  bemeifen  Sanb  tammelnbe,  welche  in  2435  g.  ftch 
neben  ©lobigetinen  unb  Drbulinen  allein  finben,  glafige  Kriftel* 
larien,  beten  bicfe  Schale  baö  Schwimmen  unwahrfcheinlich 
macht,  porgeflanähnliche  33iloculina  unb  Sriloculina  unb  Sin* 
fittung  fanbiger  unb  fchaliger  au  Schalen,  Steine  u.  f.  w. 

55er  Sieffeefthlamm  birgt  ferner  fieflige  Schalen  Don  25ia= 
tomeen,  eingefligen  $>flängchen  in  gönn  Don  Scheiben,  Schiff* 
cheu,  Spinbein,  Stäbchen,  oereingeit  ober  als  ©liebet,  gruftula, 
dou  Ketten,  mit  burd)  ©elb  Derbedftem  fPflangengrün,  mifroffo« 
pifchet  ©töfje,  einige,  wie  ©htenberg  geigte,  in  uniDerfeHet 
33erbreitung  unb,  wie  SReabe  erfannte,  in  gleichen  Sitten  bie 

C90) 


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19 


Sluftern  beb  Äimmeribgethen  uub  heutige  näßrenb.  Sie  3one 
i^reß  Sebenb  ift  burcß  bab  Sic^t  beftimmt,  in  bie  SEiefe  gelangen 
fie  nur  atß  geilen. 

(Sin  britter  protiftifcher  Seftanbtßeil  beß  ©chlammeb  wirb 
geliefert  oon  JRabiolarien.  Siefe  fyaben  gleich  ben  $)olnthalamien 
Betanberlidje  gabenfüße,  aber  fie  untetfcßeiben  ftcß  burch  eine 
Geniralfapfel  unb  peri^tjerifd^e  9lefter  gelber  BeDe«-  3h*  ©feiet 
ift  Äiefel,  entweber  ©eßäufe,  jierlid)  gegittert,  gleich  Reimen, 
fPagoben,  ©djitmen,  Äugeln,  ober  IRabeln  unb  ©täbe,  gegen 
einanbet  in  regelmäßigen  Figuren  geftüßt,  fpangenartig  mit 
Heineren  belegt  unb  netbunben,  ©cßneefrpftallen  gleich,  alß 
habe  bie  organifcße  l'eiftung  fid)  tom  anorganifdjen  3>»ange  nid)t 
lobgemacht.  3n  norbifdjen  5Reeren  fparfam,  erlangen  fie  bie 
größte  (Sntwitflung  bei  ßoßem  jpejißfdjen  @ewid)t  beb  SBafferb 
im  fübroeftlidjen  ftiHen  SDjean  unb  malapijdjen  3lrd)ipel.  3m 
SJiittelmeer  ift  ber  9teid)tl)um,  melden  $äcfel  bei  SReffiua  nach* 
wieb,  im  nörblichen  ligurifdjen  Jßeile  feßr  Berringert.  ©ie  fiub 
aubfdjließlid)  fdjwimmenb.  9Ran  ßat  fie  in  bet  Siefe,  foroeit 
bab  ©treifneß  gefenft  wirb,  in  immer  neueu  ‘.Arten,  unb,  ba  in 
ben  fRieberfdjlägen  nod)  weitere  Wirten  fid)  finben,  fdjeinen  aud) 
gan$  große  Siefen  befonbere  fRabioIarien  $u  ßaben. 

(Sine  Drbnung  3wifdjen  ben  SRabiolarien  unb  ^olptßalamien 
bilben  bie  (Sßatlengeriben  in  etwa  30  (Arten  mit  einfachen  Äiefel* 
geßäufen,  ppramibal,  fugclig,  linfenförmig,  thränenfläjchchenattig, 
gierlid)  ornamentirt,  oft  mit  ©tacfjeln  unb  $ortfäßen,  mit  einet 
Oeffnung  überragt  Bon  einer  Bippe,  in  ber  weiten  ©ubftanj 
mit  einem  ober  mehreren  förnigen  Äernen  unb  bunfelbraunet 
forniger  SDtaffe.  ©ie  fchwimmen  aubfd)ließlid)  in  einiger  Siefe. 
(Sine  §orm,  Calcaromma  calcarea  W.  T.  nom  ftillen  OReere 
ift  Bon  ©porenräbdjenähnlid^en  Äalff5rpetd)en  fruftenartig  übet« 
gegen.  .Ob  fie  biefe  nur  fammelt,  ob  bie  GhaDerigeriben  äu  550,1 
fRabiolarien  alb  (Sntwicflungbftufen,  ob  fo  bie  Orbulinen  3u  ben 

2 * (9D 


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20 


©lobulinen  gehören,  ob  man  aOeS  baS  nicht  beffer  für  einfadjfte 
^flangen  als  für  Stbiere  halte,  baS  gu  unterfudjen  ift  b»et  nicht 
am  ^lafje. 

(Ein  fünfter  mifroffopifcher  Slntheil  beS  SieffeejchlammS 
würbe  guerft  oon  5Balli<h  unb  oon  S5apman  aus  liefen  non 
1000  §.  unb  me^t  gebracht  in  bem  blofjen  Sluge  amorph,  freibe» 
artig,  puloetig  erjcheinenben,  gefeuchteten  $alfförperd)en,  theilS 
oereingetten  tunben  (Erbjenfteinchen,  (Eoccolithen,  ober  Stäbchen, 
JRhabbolithen,  theilS  aus  jenen  gufammengeballten  (Eoccofphaereu 
ober  mit  btefen  befehlen  polpebrifchen  unb  fugligen  5th«bbo» 
fphaeren,  zugleich  ein  £>auptbeftanbtheil  ber  Schreibefreibe  unb 
fcheinbar  im  Sieffeefchlamm  gufammengehalten  oon  einer  fchlei» 
migen  Subftang. 

-gjujrlep  unb  Jpäcfel,  obwohl  lejjterer  Organismen  fannte, 
welche  in  pelagijchem  geben,  Siabiolarien  ähnlich,  foldje  fefte 
Sh  eile  enthielten,  nahmen  biefelben  für  wahrfchcinlich  mit  bem 
Schleime  gufammengehörig,  biejen,  welcher  (Eiweifjreaftionen  gu 
geben  fchien,  für  ben  niebrigften  lebenben,  fotmoeräuberlichen, 
geftaltlofen,  unbegrengten,  gleich  bem  foffllen  Eozoon  banfbilben* 
ben  ^)rotopla8maleib,  bie  erfte  Stufe  ber  im  SRenfchen  gipfeln» 
ben  organijdjen  fReUje  in  ber  Sieffee,  ben  Bathybius  Häckelii 
Huzcley.  SRadjbem  Karting  1872  gegeigt  hatte,  ba§  ben 
(Eoccolithen  gleiche  Hörnchen  entftehen,  wenn  man  in  (Eiroeifj 
©hlorfalf  langjam  auf  ^ottafdje  einwirfen  läpt,  bat33ud}anan 
gefunben,  ba§,  wenn  man  oiel  Ullfohol  gu  Seewaffer  fe^t,  ein 
feinflocfiger,  amorph  nnb  gelatinös  bleibeuber  ©ipSniebetfchlag 
entfteht,  welcher  ähnlich  bem  (Eiroeifj  ftch  burch  Soblöjung  unb 
Jfarmiu  färbt.  9thabbolithen  aber  unb  (Eoccolithen  rühren  nach 
ben  (Erfahrungen  auf  bet  (Ehaflenger  gänglich  het  aus  ber  9lr* 
matur  fchwimmenber  Organismen,  eietleidjt  oon  ifllgennatur, 
welche  man  ftetS  im  Dberflädjenneh  unb  im  ÜJfagea  ber 
Oberpächenthiere  ftnbet,  unb  oon  welchen  einige,  in  ftrenger 

C»2J 


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21 


Drbnung  befejjt  mit  jfeulen  ober  Suba»artigen  Sehern,  überaus 
gietlicb  ftnb. 

Snbem  bie  fämmtlichen  erwähnten  mifroffopifchen  Orga- 
nismen in  feljr  großen  SJtengen  tobt  gleich  einem  Stegen  gum 
©runbe  finfen,  liefern  fie  otganifche  Subftang,  Äalf,  Äiefelfäure, 
©ifen  unb  anbere  ©eftanbtheile,  beren  bie  Sieffeebewohner  gu 
ihrem  Aufbau  bebürfen,  unb  bilben  ben  33oben,  auf  welchem 
biefe  ficb  augufiebeln  haben.  2>aS  SJotfommnife  jener  ift, 
obwohl  fie  nicht  auf  bem  ©runbe  leben,  majjgebenb  für  beffen 
Stuöfehen  unb  baS  0eben  auf  ihm.  3nbem  Stabiolarien  in  allen 
Siefen  leben,  fteigt  ihre  3«hl  mit  ber  Siefe  ber  ÜJleere,  aber,  für 
bie  ©pifteng  SBärmc  oerlangenb,  fehlen  fie  unb  Sthabbolithen  ben 
fälteren  Streiten.  9Jtan  finbet  fie  nicht  bei  ben  garoet  unb  fie 
werben  oon  ber  irijchen  jtüfte  burch  einen  fchmalen  2lrm  einet 
arftifchen  Strömung  60 — 80  SJteilen5)  fern  gehalten.  SBarme 
unb  tiefe  SJteere  muffen  auS  biefem  ©runbe  im  Schlamm  relatio 
oiele  JRabiolatien  haben.  2)iefe8  fteigenb,  inbem  bie^)olpthalamien, 
Welche  oon  mehreren  hunbert  gaben  ab  zahlreich  finb,  oon  1000  g. 
ab  ben  ©harafter  regieren  unb  in  2250  g.  in  großer  Feinheit 
oorfommen,  unb  anbere  jtalffchalen  in  2300—  2500  g.  eerfchwin» 
ben,  wie  baS  S^immo  guerft  in  ber  GelebeSfee  bemerfte.  UJtan 
fieht  jene  gunächft  nodj  oeränbert,  gelblich,  in  Stücfdjen  getfaHen, 
©occolitljen  oon  ben  SRänbern  h*r  angefrefjen,  Schalen  oon 
glügelfchnecfen,  ^teropoben,  oerfärbt,  gemach  fehlen  üalffchalen 
gänglid),  ber  Äalfgehalt  beS  Schlammes  minbert  ftd?  unb  fchwin» 
bet,  bie  weifclidje  gärbung  ('©lobigerina«ooge)  macht  einer  grauen 
(®rep=ooge),  banad)  einet  gelbtothen  (Sieb  clap)  9Ma£.  3)ie 
Untetfuchung  geigt,  baff  biefe  SluSfüflungßmaffe  ber  Sieffeetröge 
Silifat  oon  rotbem  ©ifenojrpb  unb  Shonerbe  ift,  gang  gewöhn» 
lieh  mit  33eimijchung  oon  fDtangan,  welches  guweilen  jehwarg 
färbt  ober  fich  in  ÄnoDen  fammelt,  feltener  um  otganifche  Körper, 
einen  ^aiftfchgabn,  eine  Schwammnabel,  öfter  um  Simftein» 

<9« 


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22 


ftüdcben  ober,  wie  ©ümbet  meint,  nur  burd)  baö  ©grübeln 
untermeerifdjer  Duellen.  9Jlan  fonnte  fldj  im  atlantifdjen  Dgean 
an  einigen  Steden  täujdjen,  inbem  aucl)  bie  Äiefelgebilbe, 
©djwammnabeln,  JRabioIarien,  ©iatomeenfcpalen  beim  Hebet» 
gange  beö  grauen  ©runbeö  in  ben  rotten  fehlten,  aber  im  ftiHen 
SKeere  fanben  ftd)  gwifdjen  Äarolinen  unb  gabronen  in  4575  g. 
JRabiolatien  in  foldjet  SJtenge  unb  5Rein^eit,  bafj  man  baö 
Slabiolarienjdjlamm  nennen  fonnte,  etwa  wie  ifyn  fofftle 
Ätefelgure  non  33atbaboö  unb  ©altanifetta  in  Sizilien  geigen. 
SDer  rotfye  ober  gelbe  Sljon,  welker  auö  ben  gerfaUenben  Äalf« 
fd^alen  fyeroorgetjt,  an  beffen  33ilbung  aucf)  ©ruptingefteine  Sin« 
tljeil  nehmen,  feljlt  nie  gänglid?  groifd)en  ben  JRabiolarien.  SBenn 
bie  dftifdjung  ber  auf  ben  ©runb  nieberfaHenben  ©dpalen  unb 
©erüfte  pelagifcpet  SE^iere  unb  ipre  relatine  SBebeutung  für  bie 
©ebimente  im  ©äugen  guerft  bebingt  wirb  burd)  baö  SBorfommen 
nadj  SBärme  unb  Stiefe  beö  füleereö,  nad)  ©ntfernung  non  ben 
Äüften,  welche  Schlamm,  Äoratlenfanb,  ©eröB,  8anen  auö« 
fd)ütten,  fo  wirb  ©rljaltung  unb  befinitine  ^Relation  beftimmt 
burdj  bie  fpegielle  fDleereöauötiefung.  SDie  SLiefe,  in  weldper  bie 
Äalffdjalen  fdjwinben,  ift  nid)t  abfolut  ibentifd)  unb  man  fann  fie 
auö  bet  gatbe  beö  ©runbfdjlammö  fdjliefjen.  ^orcupine  faub 
beu  grauen  ©djlamm  am  ©ingang  beö  SJtittelmeerö  in  580  g. ; 
©fyallenger  an  bet  Sagomünbung  bei  ©ap  ©Öpidjel  in  470  g., 
füblid)  ©.  Sincent  in  1 J 50,  jüblicb  ^jalifaj:  überall  non  1200  g. 
ab,  am  ©ap  in  1250,  an  ben  Söermubaö  in  1375,  in  $ beö  SBegö 
non  bort  nadj  ©anbp  £oof  bei  9lew  »$}orf  in  1700  g.  äuf 
9lboenture*banf  an  Sluniö  lagen  in  30 — 250  g.  neben  anbeten 
Äalffdjalcn  aud)  polptljalamifdje,  aber  in  1700  g.  nörblid)  Sföalta 
unb  in  1753  füblid)  ©prafuö  gab  eö  nur  lebenölofen  gelben 
£l)ongrunb.  ©üblid)  nom  ©ap  beidjränfen  ftd)  bie  fdjwimmen» 
ben  ^otptljalamien  auf  einjig  Globigerina  buUoides  unb  mal)« 
tenb  anf  40°  16'  ©.  ber  ©rnnb  in  1900  g.  auöfdfjliefjlidl)  mit 

(94) 


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23 


©lobigerinen,  SDrbulinen,  ^ulotnultnen  nebft  ©tacbeln  unb 
©Aalen  »on  fRabiolarien  unb  ©Awämmen  bebecft  iftr  auA  bei 
Äerguelen  in  geringer  Sfciefe  ©Awammnabeht,  Stotalia  unb 
anbere  ^olpthalamten  geigt,  maAen  leitete  fübliA  »on  50°, 
gängüA  ben  Diatomeen  ^Mafc.  Die  Ijotje  33reite  begiinftigt  burA 
auö  ©iS  ftammenbeS  ©üjjwaffer  unb  ben  ©ietranSport  einen 
UebetfAnl  »on  Diatomeen;  boA  maAt  bie  Slufftnbung  »on  53 
arftifAen  Foraminiferen  bei  ber  ©jrpebition  unter  9tare$  jen= 
feitö  77°  15',  worunter  Globigerina  bullende«,  wenn  auA  rer* 
fümmert,  unb  »on  weiteten  35  jenfeitS  65°  an  ber  Äüfte  »on 
Norwegen,  an  ben  ^unbeinfeln  unb  in  ber  93affing8bai  wahr* 
?AeinltA,  ba§  e&  im  antarfüAen  ©teere  niAt  nur  Umftänbe, 
welAe  baö  fieben,  fonbern  anA  folAe  gebe,  welAe  bie  Stuf» 
bewahrung  ber  ©olothalamien  in  ber  Sieffee  einfAranfen.  2luA 
befielt  auf  ber  ^gulhaSbanf  in  90 — 150  F-  ber  grünliAe  ©anb 
faft  gang  au8  Foraminiferen,  wenngleiA  ©lobigerina,  Dtbulina, 
|>ul»inulina,  wie  pelagifA,  fparfam  finb.  Die  33alorou8 
fanb  bie  ©lobigetinen,  ben  ©runbAarafter  beftimmenb,  in  ber 
3Da»iSftra§e,  an  ©rönlanb,  gegen  3tlanb  in  57°  50'  9t.  bei 
1860  in  56°  11'  bei  1450  unb  bei  690.  60  giebt  Steden, 
in  welAen  ©lobigetinen  fLA  tiefer  behaupten,  al8  gewöhnliA, 
mfelartig  auf  bem  Stabiolariengrunbe  gwifAen  Hawaii  unb  Saiti 
in  2600  F-,  gahlreiA  in  2675  unb  eingeln  in  2850  F-  im  @olf» 
ftrom  nahe  ben  33ermuba8,  unb  in  2650  gugleiA  mit  Drbulinen, 
gröberen  Foraminiferen,  ©ehörfteinen  »on  FÜAen  unb  ©tero* 
pobenfAalen.  2Bie  e8  fAeint,  fehlt  ber  ©lobigerinenfAlamm, 
wie  im  ©Httelmeer,  fo  in  bet  2lrafuta8 « ©ee  unb  im  nörbliAen 
ftiHen  Dgean. 

Da  leiAte  ©Suren  ben  Äalf  wegnehmen,  fann  man  lanm 
gweifeln,  bafs  bie  Jtohlenfäure  im  ©eewaffer  unter  bem  burA  bie 
Siefe  bebingten  Drudt  ben  .Ralf  löfe,  bie  niAt  faltigen  Stheile 
gnrücflaffenb,  au8  welAen  ba8  ©tangan  »on  einigen  »etwefenben 

(9b) 


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24 


Äßtpern  gefällt  wirb,  unb  fo  bet  djaraftetifttfc^e  ©tuub  bet 
Siefen  oon  me^r  alß  2400  %.  entfiele.  Die  gßfung  in  gern* 
geren  Siefen  fann  abfyängen  con  ftärferer  2lnfammlung  con 
Äo^lenfäute  in  abgefdjloffenen  Sedfen  unb  in  bet  9täf>e  oulfa* 
ntfdjer  £eetbe,  wa8  in  einigen  bet  genannten  ftäOe  nafye  liegt. 

Sluf  folgern  ©tunbe  fßnnen  SBürmer  unb  ^olptfyalamien 
gHt  ©ilbnng  t>on  JRßljren  au8  ftrembförpern  ftd)  nidjt  mefyr  faltiger 
©djalen  unb  fabeln  Bebienen.  Die  23erwenbung  non  Äalf  im 
eigenen  Aufbau  organifdjer  Äßrper  ifi  nict)t  auSgefdjloffen,  abet 
fparfam ; 5EJiufd>eltt  bleiben  Hem,  ÄoraHen  finb  getbredblidj,  9>o* 
logoen  büben  gatte  Bweige,  @ct)inobermen  tteten  unter  SBefdfyrän* 
Jung  bet  jfalfylatten  in  ungewßljnlidjer  $orm  auf;  wo  ©fyitin 
ftcf>  mit  bem  Äalfe  gu  ©dealen  oetbinbet,  übetwiegt  eß  unb  be* 
bedft  biefen  fcfaü^enb.  S3ei  ber  SBidjtigfett  fefter  Äalft^eile  für 
«Seetljiete  bebingt  bie  Äalfarmutlj  bet  Sieffee  eine  effeftioe  2kt= 
attnung  bet  Stjierwelt,  wenn  audj  nicfyt  fo  gtofj,  alß  eß  »egen 
3erftßtung  ber  SRefte  auf  bem  fogenanuten  5Rangangrunb  fdjetnt 

3fn  Settacbtung  bet  otganifdjen  pelagifdjen  ÜJlieberfdjläge 
unb  iljreß  nacfjljetigeu  üBerfyaltenS  übet  bie  ^etiobe  bet  Unter* 
fudjungen,  in  meldet  »ir  un8  gunäd&fi  bewegen,  Ijinauß  gegangen, 
wollen  wir  beifügen,  baff  an  jenen  bie  fpteropobenfdmetfen, 
bejonfcetß  ©leobota,  Diacria,  ©aoolinia,  £oa!ea,  ©refeiß,  Srißtera 
einen  nid^t  unbebeutenben  2lntl)eil  nehmen  unb  einige  SJiale 
auffielen,  fo  in  bet  fftätye  ber  Antillen  unb  im  mejrifanifdjen 
SJieetbufen,  wo  21.  21  gaff tg  fte  in  860  %.  meljr  al8  bie  Hälfte 
beß  ©Iobigerinenfdjtammeß  bilbenb  fanb,  bafj  oon  echten  ©djuedfen 
»orgüglidj  bie  SMaufdjnecfe  3antljina  unb  »on  Äielfdjnecfen, 
£eteropoben,  2ltalanta  in  Settadjt  fommt,  bafj  man  »on 
giften  ©efjßtfieine  unb  £aiftfdjgäl)ne,  auch  oon  lebenb  bi8  ba* 
Ijin  nidjt  befannten  ©attungen  oon  SSalen  nidjt  feiten  baß  @e* 
fyßrbein,  Sßmßanum,  unb  an  geeigneten  ©teilen  allerlei  Änocfjen 
»on  ©itenen  ftnbet.  2ln  bet  ©iweifjlieferung  für  ben  Siefgtunb 
(»«) 


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25 


fönnen  auf  unbeffalte  pelagiffe  Organismen  Slntbeil  nehmen, 
©alpen,  Ouaüen,  ffallofe  ©f  necfen,  Stoctilufen  unb  bie  itynen 
äbnlifen  fpinbelförmigen  ^procpften. 

Son  1868  an  Ijaben  fid?  ©jrpebitionen  gebtängt,  »jeldje  bte 
©ee  nach  »erffiebenen  Stiftungen,  S£iefe,  Strömung,  Temperatur 
©f  were,  ©aSgetjalt,  f emiff  et  Sefcbaffenbeit,  Sobennatur,  Tl)ier* 
unb  §)flangenmelt  unb  auf  beten  SRelation  mefobiff  unter« 
fuften.  SBit  »ermögen  beute  bie  ©rgebniffe  ttod)  nift  »oll  gu 
würbigen.  Söenn  wir  in  biefem  beffränften  Staunte  ben  liefern 
einige  <£>auptfaf  en  »ertragen,  werben  wir  mit  ben  etwas  ftemben 
goologiffen  ©ingelnbeiten  immer  Staffift  beanf prüfen  muffen. 

SDic  ffwebiffen  ©jrpebitionen  im  bofawrbiffen  SHeere 
gingen  in  faft  aQjäljrlifem  TurnuS  »otan.  ©ngliffe  begannen 
1868  unter  ©arpentet  unb  2Bp»ille  Tbomfon  mit  ber 
fiigbtning  an  ben  garöer,  festen  fif  in  1869  unb  1870  mit 
bet  ^orcupine  fort  unter  ben  ©enannten  unb  ©wpn  3ef» 
ftepS  auf  bem  alten  Storbgrunbe,  weftlif  unb  füblif  Stlanb 
bis  gut  Steile  »on  Sreft,  längs  Portugal  unb  bis  Sötalta  unb 
gipfelten  naf  bamit  erlangten  trefflif  en  Sorftubien  in  ber  <5 b a l* 
lengerfabrt  »on  1872 — 76,  ber  größten  »on  allen,  »orauS« 
fiftlif  auf  für  einige  Sufunft,  unter  wiffenff aftlif er  Leitung 
»on  9Bp»ille  Tfyomfon  unb  energiffer  goologiff  et  SJiitarbeit 
»on  SDtofelp,  SRurrap  unb  beS  genialen  unb  liebenSwürbigen 
IDeutffen  ».  SBillemoeS  ©ubm,  weifen  baS  ©eff icf  in  ben 
Tiefgrunb,  ben  gu  erforff en  er  unermüblif  tbätig  war,  nabe 
bem  ©nbe  ber  Steife  gut  ewigen  Stube  bettete.  2)iefe  ©jrpebition 
ging  längs  Portugal  unb  ©ibraltar  gu  ben  ©anarien,  freugte  bte 
beiben  Tiefbecfen  unb  baS  3wiffenplateau  beS  norbatlantiffen 
DgeanS  gegen  bie  Antillen,  ging  übet  ©.  TbomaS  unb  bie  Ser« 
mubaS  naf  ©anbp  £oof  unb  ^»alifajr  unb  gurüd  übet  bie  Ser» 
mubaS  naf  ben  Slgoren  unb  ©ap»Serben,  gum  äequatot 
längs  Slfrifa  gegen  @ap  SRefurabo,  freugte  wiebet  baS  Plateau 

(»r> 


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26 


beö  atlantifdjen  Dgeanß  unb  btc  weftlidje  SRinne  gwifdjen  S. 
9)aul’8  $el8  unb  ^ernanbo  bo  9Rorenl)a,  lief  ©al)ia  an,  wanbte 
fid)  mit  Umgebung  beS  für  ba8  ©steppen  wenig  geeigneten  übet 
3000  %.  tiefen  ®tunbe8  nad)  Eriftan  b’2lcunl)a  unb  butdjfdjnitt 
gum  6ap  bet  guten  Hoffnung  ein  britteS  SJtal  bie  Atlantis. 
Ueber  baö  fo  »erbrachte  3af)t  liegt  bet  ©eridjt  »on  SBpoille 
SE  t?  0 m f d n cor.  SDaö  @d)iff  lief  bann  in  beeren  ©leiten  Söia* 
rion’8,  (Sbwarb’8  unb  Groget’8  3nfeln,  Äerguelen’Slanb  unb 
£eatb'8  ober  SDiacbenalb’S  3nfel,  mit  iüblidjftet  Station  untet 
65"  42'  ©.,  SERelboutne  unb  Spbnep  an,  ging  nach  9Reu«©ee» 
lanb , übet  Sibfdji,  Äermabef  unb  9ieu»^>ebtiben  gut  Eorreßfttafje, 
bet  Sltafuta»,  (SelebeS*  unb  *Blinboro«See;  im  britten  3al)re  non 
.£>ongfong  in  baö  ©leer  an§etl)alb  ber  nad)  9leu* 

©utnea,  nad?  3apan,  übet  bie  gtöfcte,  bet  oon  bet  Euflcarota 
gemeffenen  äljnlidje  SEiefe  oon  4475  gu  ben  Sanbwid), 
fd)täg  bntd>  ba§  ftiHe  ©Reer  nach  SEaiti,  nad)  3uan  gernanbeg 
unb  ©alpataifo,  um  burd)  ben  ®olf  oon  §)ena$  unb,  im  3anuat 
1876,  bie  ©RagfyeUaenftrafje  gu  ben  8alf(anb8«3nfeln  in  ben 
atlautifdjen  Dgean  gurüdfgufeljren,  ©ßontcoibeo  angufaufen,  ftd) 
nodjmalS  gegen  Eriftan  b’Slcunlja  gu  wenben  unb  jene«  ©leer, 
jejjt  übet  ®8cenfton  bis  gegen  Sierra  leone  auf  bem  13—14®  SB. 
unb  bann  übet  S.  ©incent  unb  bie  Slgoren  in  einem  weftlidjen 
Sogen  nad)  (5ap  ©igo  gu  butdjfdjneiben,  baß  ©lateau  oon 
etwa  1400  weld)e8  in  jenen  3nfeln  gipfelt,  beffen  9lbl)änge 
unb  ben  öftlidjen  Eiefgtunb  bet  9lorb*  Atlantis  bis  in  2935  §• 
mufternb. 

2)en  ©eteinigten  Staaten  oerbanfen  wit  bie  Äenntnifc  beö 
©aljamameereß  unb  mepifanifcben  ©teerbufenß.  ©tan  tjatte  normet 
bie  8otl)proben  gwifdjen  bet  Äüfte  unb  bem  Slufjenranbe  be8 
©olfftromß  mit  8 — 9000  Hummern  auß  Eiefen  biß  1500  g. 
genommen,  jebod)  in  ben  Keinen  Sdjlammportionen  aufjet  fjora« 
minifeten  unb  SDiatomeen  nichts  Söefentlidjeß  gefunben.  Stimp* 
<*>) 


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27 


fort  hatte  an  bet  Äüfte  9Reu*@ng!anbS  gefchleppt,  ©raf  8.  F- 
9>ourtaleS  in  einem  wegen  gelben  FieberS  abgebrochenen  Betr 
fucfje  mit  bem  Dampfet  ©oroin  in  100—270  F-  eine  ntc^t 
minbet  reiche  Shierwelt  als  in  feierten  SSaffern  gefunben,  höhere 
Ätebie,  9lnneliben,  9ftubbwürmet  (Gephyrei),  SRofluSfen,  ffta* 
biaten  unb  Foraminiferen,  jebod)  in  350  %.  nur  krümmet  oen 
Äoraüen  unb  Schwämmen.  Darauf  nahmberfelbe  1868  mit  bem 
Dampfer  33 ib  b eine  SReihe  Querfchnitte  in  bet  Fforibaftrafje, 
bem  TOcholaS»  unb  bem  SantarewÄanale  gwifchen  bem  Feft« 
tanb,  Guba  unb  ben  Bahamas  bis  517  F-  3lrt  bet  gweiten 
Fahrt  beS  Schiffs  1869  betheiligte  ft<h  8.  SÄggaffig  unb  führte 
1871  mit  ^ourtaUS  unb  Steinbachner  bie  fahler  non 
Bofton  über  BarbaboS  unb  üftagbeflaeuftrahe  nach  S.  Francisco, 
wobei  bie  SÄuSbehnung  beS  fPourtaleSplateau  bis  BarbaboS,  bie 
grc|e  Berbreitung  charactcriftifcher  Jieffeearten  nadjgewiefen,  aber 
in  Bkftamcrifa  wenig  gefunben  würbe. 

©ben  erhalten  wir  Borberichte  übet  ©tgebniffe  einer  ©p 
pebition,  auf  welcher  1878  91.  Slgaffig  mit  bet  Blafe  ben  ©olf 
nötblich  JöefPGuba  gegen  Sanb  Äep,  bie  SwrtugaS,  baS  Stlacran 
3Riff,  bie  9Ju!atanbanf  unb  bie  SRiffiffippimünbitng  mit  größten 
liefen  üon  850,  1323  unb  1920  F-  unterfuchte.  — $>ourtal4S 
fanb  bie  Oiifffauna  wenig  in  bie  Jiefe  uerbreitet,  fo  bah  ihr  eine 
3»ne  fpärlichen  8eben8  auf  gertrümmerten  ÜRufchelfchalen  unb  .So* 
raHenfanb  bis  in  90  F-  folgte.  3n  einer  gweiten  bis  300  F- 
änberten  biefe  krümmer,  »on  Serpulenwürmern  gu  ©ehäufen 
»erlittet,  in  ben  3*»ifchenräumen  burc^  fPolpthalamien  gefüOt  nnb 
butdj  SRudiporenfalfalgen  geglättet,  ihten  ©harafter  unb  bargen 
gwifchen  fich  Beweife  reichen  ShierlebenS.  8.  9lgaffig  nannte 
bieS  baS  ?)ourtaleSplateau.  Dafc  jenfeitS  bet  tiefe  ©lobigerinen* 
grunb  arm  war,  wenn  auch  mit  Bertretern  aller  SLtjterflaffen  bis 
gu  ben  F«f<hen,  ft^ien  ihm  »on  bet  Statut  beS  BobenS  abhängig, 
©in  FelSgrunb  werbe  auch  in  1000  F-  reiches  8eben  hflhen. 

99) 


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28 


SBirHicb  tyrt  91.  9tgaf|iä  fpäter  ben  ©lobigetinengrunb  bort 
ebenfo  reich  gefunden  alö  bie  ©ballenger.  8.  9(gajft3  hielt 
habet  bie  heutige  Begrenzung  ber  ©ontinente  unb  SReere,  etwa 
mit  Belaffung  ber  200  g.  Binie  für  ©cbwanfungen,  urfptüng« 
lieb,  bie  ©ontinente  mit  geftbaltung  ber  allgemeinen  Umriffe  aß« 
mählich  gehoben,  bie  fflleere  auögetieft.  Sn  ber  Uebereinftim» 
mung  ber  Slieffeetfyiere  beiberfeüs  »on  Manama  erhoffte  er  dafür 
Beweife  unb  Belege  für  bie  ©orrelation  ber  ©omplifation  be§ 
Saug,  ber  {Reihenfolge  in  bet  3eit,  ©ntwicflungSgefchicbte  unb 
geogtapbifcben  ^Distribution.  ©inigeS  baoon  ^at  fid)  erfüllt; 
SRancbeS  lenft  ben  ©ebanfen  in  anbere  Bahnen. 

3Bir  bürfen  nicht  oerjchweigen,  bafj  über  bie  näcbften  @t* 
gebniffe  hinaus  bie  Unterfudbungen , welche  bie  Gomtnijfion  für 
bie  ©tforjdjung  beutidber  QReere  1871  unb  1872  mit  bem  9hnfo 
9>ommetania  auSfübrte,  but<h  ©raftbeit  unb  geeignete  {Die* 
tboben  ma&gebenb  waren  unb  bafe  baS  englifche  ©<hiff  ©becr’ 
water,  baS  ametifanifcbe  StuScarora  unb  bie  beutfcbe  ©or* 
nette  ©ajelle  durch  ©onbirungen  unb  ©chleppen  einige  ber  bei 
ben  genannten  gabrten  gelaffenen  dürfen  auSjufüflen,  anbrerfeitS 
gewonnene  ©rgebniffe  gu  beftätigen  in  ber  Sage  waren. 

<Die  Untetfudjungen  an  Üaufenben  einzelner  ©teilen  fteßen 
in  Uebereinftimmung  ber  ©rgebniffe  in  weit  auö  einanber  lie« 
genben  Siegionen  gewiffe  ©runbjüge  für  baS  S£iefjeeleben  fejt. 
SDie  noßfommene  9luSeinanberlegung  nach  ben  Bedingungen  ber 
örtlichen  Umftänbe,  ber  ©ommunifationen,  bet  geologifchen  Ser* 
gangenbeit  mu§  bet  3ufunft  übetlaffen  bleiben. 

2)aS  Beben  in  SBaffermaffen,  in  welche  man  bie  ©ebirge  ber 
©rbe  terfenfen  fann,  ohne  fte  ju  füflen  unb  auS  weiten  an  ben 
tiefften  ©teßen  nur  wenige  oon  beren  böc^ften  ©ipfeln  betragen 
würben,  gliebert  fich  nach  zwei  Sichtungen,  ©in  £beü  fehltest  fitb  au 
baS  oberflächliche  Beben,  ber  anbete  an  baS  am  ©runde.  ©ie 

©onbetung  ift  nicht  fdjarf,  ba,  wafl  wanbett,  meift  auch  fchwimmt 

(100) 


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29 


utib  fpäter  aufgeworfene  Sintere  fchwimmenbe  3ugenbformen 
hoben;  fte  bringt  jebod)  mit  fid),  bafe  eine  ber  Oberfläche  nabe 
3one  unb  eine  am  ©runbe  einer  3n>ifc^enfc^idjt  unenblid)  über» 
legen  finb  an  Styerreicbtbum.  3n  ber  $auptfache  hoben  wir 
hier  ju  tbun  mit  bem,  wag  am  ©runbe  fid)  aufhält;  für  folcheg 
machen  bie  ©efonberheiten  ber  Stieffee  ficb  geltenb,  wäbrenb  pc= 
lagifcheg  Seben  über  wenig  tiefem  ©runbe  gang  ober  bodj  faft 
gan3  feinen  ©hofftet  behält  unb  in  SRiebetfchlägen  ftd)  fo  am 
©oben  geltenb  macht,  wie  über  febr  tiefem. 

SBir  »erftet)en,  ba§,  je  gröber  bie  üiefe  ift,  um  fo  weniger 
SBanbetung  am  ©runbe  unb  ©chwimmen  einem  2htoe  ober 
feiner  ©tut  anbere  gebengbebingungen  alg  big  babin  ertragene 
gewähren  fönnen.  SÖeitbin  giebt  eg  feine  merflichen  3Berfc^ie» 
benbeiten.  (Sin  ben  (Smbrponen  gewöhnlich  terlieheneg  ?Dtab 
ton  ©ubftang  unb  Seiftunggfähigfeit  oermag  nicht,  fie  aug  ben 
groben  liefen  jur  Oberfläche  ju  bringen.  (Die  ©eränberung  ber 
Umftänbe  in  (Drucf,  Sicht,  ©agmifd)ung,  welche  habet  ertragen 
werben  müfcte,  würbe  bag  9Jla§,  weicheg  in  ber  Saminarienjone 
gilt,  weit  überfdjreiten.  ©o  werben  nach  bem  ©ejetje  ber  nüf}* 
liehen  ©igenfehaften  bie  SBanberungen  in  SBeite  unb  £öt}e  be» 
fchränft,  feffile  unb  träge  formen  überwiegen.  3n  auggebebnter 
©leichartigfeit  ber  Umftänbe  erhalten  bie  geeigneten  Sitten  grobe 
geogtapbifebe  ©erbreitung.  Smmerbin  wirfen  örtliche  Umftänbe 
ähnlich  wie  in  ber  grünen  Sone-  £unberte  oon  SJleilen  weit 
bebingen  Slmajonag,  Orinocco,  ©ambia,  fBtifftifippi  unb  ©angeg 
burd)  ben  ftlubfchlamm  auch  in  grober  Üiefe  bie  Slrt  ber  ©e* 
wohnet;  Äeraüenriffe  umgeben  fid)  mit  einem  mafjgebenben 
Äalfbtei,  tulfanifche  3nfeln  mit  Säten,  fchmelgenbe  polare  ©let* 
fdjer  mit  füf)erem  SBaffer.  3Bo  ton  geftlänbern  gegebene  ©e« 
bingungen  nicht  regieren  entfeheiben  für  bag  ©runbleben,  bie  Slrt 
ber  peiagifchen  ©ewohner,  bie  SHöglidjfeit  ton  beren  ©rhaltung 

auf  bem  ©runbe,  bie  ©runbftröme,  welche  falteg  SBaffet,  noch 

(101) 


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30 


viel  metyt  uon  antarftifcpen  alß  non  arftifchen  Legionen,  gegen 
unb  über  ben  Aequator  führen.  3Baß  in  fo  geftaltete  »Eiefe  pa&t, 
ift  »ie  foßmopolitifch,  jo  langlebig.  ginben  fid)  geologifd}  alte 
gönnen  in  »erhältnifjmäfcig  geringen  liefen,  fo  muffen  bie  be» 
treffenben  SHeeteßbecfen  alö  alte  angefehen  »erben.  Auß  (Jon* 
futreng  beß  ©ffelteß  geologischer  SSorgeit  mit  bem  j ewiger  Um» 
ftänbe  unb  SBege  erflart  ftd)  ber  Sßiberfpruch,  bafc  polar  ober» 
flächlicpe  unb  antite  gormen  ficb  in  ber  SEiefiee  d erbreiten  unb 
hoch  eingelne  »arme  Slegionen,  Antillen,  Sapan,  ^>^tlip>p>ineu, 
ÜJtoluHen,  gibfc^i,  Auftralien  unb  in  et»a  baß  !anarijd}=portu* 
giefif^e  33ecfen  Vertreter  alter  geologifdjer  Betten  in  relati» 
feilten  ©rünben  beherbergen,  Äiefelgitterjch»ämme,  fPentafrine, 
fcimulußfrebfe,  9lautilußfd)necfen,  Srigoniamufdjeln,  (Seratobußhaie. 

Auß  bem  Allgemeinen  erfennt  man  für  geologifche  33er» 
»enbung,  bafc  mehr,  alß  man  biß  baljin  annal)m,  außgebehnte 
©dachten  beftimmt  »erben  burch  auß  fch»immenbem  2eben  nieber» 
faüenbe  JDrganißmen  unb  burch  bie  9Dlöglich!eit  non  bereu  6on» 
fetoirung  nach  £iefe  unb  anberen  SJlotioen.  (Sharalteriftifdbe 
8ager  grober  9tummulit«polpthalamien , Sammluugen  mifro» 
ffopijdjer  jtalf»  unb  Äiefelfchalen  in  ber  Äreibe,  reine  s})olp» 
epftinenbetten,  ÜJJaffen  non  (Suomphaluß»  unb  33cOerophonfchalen, 
»eiche  ^eteropoben  angehört  gu  haben  Scheinen,  unb  non  ^)te* 
ropoben  »ollen  jefjt  not  Schlüffen  auf  geologifche  3eit  auf  ben 
6h«ra!ter  ber  fDleere,  in  welchen  fte  fich  bilbeten,  oerwertliet  »et» 
ben.  33ieücicht  erfennen  »ir  einft,  bajj  5Rcereß»erfla<hung  @e» 
fchöpfe  mit  Äalf  in  Sfeletten,  Stüfcen,  Schalen  an  Stelle  foldjer 
mit  Äiefel,  Ghttin,  gibroin  unb  Änorpel  fetjte. 

SBerfen  »ir  nun  einen  33lid  auf  baß,  »aß  auß  ben  Der* 
fchiebenen  SEhietflaffen  alß  auß  größten  »liefen,  alß  unioerfell,  alß 
abfonberlich,  alß  bisher  ©etrennteß  »ermittelnb,  alß  mit  befon» 
bereu  SEieffeeeigenfdjaften  netfehen,  norgugßmeife  Sntercffe  erregt. 

(103) 


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31 


Set  unb  anbeten  in  offenem  SBaffer  fcbwim* 

menben  Rieten  faun,  wenn  fte  mit  ©runbnefcen  gefangen  werben, 
in  Stage  gefteÜt  werben,  ob  fie  in  coli  er  Siefe  gelebt  tyabeu.  ÜJian 
entnimmt  SDtotioe  bafür  auS  ©iifcerfolg  beS  SangS  in  3*®ifdjen- 
jd>id)ten,  auS  foSmopolitifdjer  Verbreitung,  auS  geringer  Sdjwimm» 
fraft  unb  SRobifüation  in  ben  (Sinnesorganen.  Süt  bie  non  bet 
Gfyallenget  bei  Sapan,  in  befjen  fliätje  einige  Sifdje  bis  auS 
2800  %.  fommen,  gefammelten  Srten  giebt  ©untrer6)  bie  Sunb* 
tiefe  nid)t.  9Jian  fann  »ermutigen,  ibafj  2 (JentroptyoruSljaie, 
1 5Ro$e,  2 SebafteS,  2 SDiacruruS  unb  2 (JorpptjaenoibeS,  oon 
welken  einet  audj  p^ilippinifd?,  1 33atljptriffa , 1 StelopuS, 
1 |)alofauruS  auS  ber  ^>äring8familie,  1 (Jongromuraena,  2 @p» 
napfyobranctjuS,  Sale,  oon  melden  S.  batkybiu«  fit i)  auch  jwi» 
fcben  (Sap  unb  Kerguelen  unb  im  fyoljen  notbpa^iftfcbeu  SOfeerc 
finbet,  unb  Nettaxtoma  parvtceps  G.,  beffen  nädjfter  Verwanbter 
im  5GRittelmeer  lebt,  auS  großen  Siefen  ftammen.  Sei  (Jap 
Sincent  in  Portugal  fing  man  Coryphaenoides  serratux 
Loru-e,  eine  ©tabeiraform  bet  Söiafruribenfamilie  in  600  %. 
SejonberS  gro§e  Sugen  unb  Vorfommcn  mit  (JeratiaS  unb  9Ke* 
lanoceteS,  gopljioibfifdjen  ober  SJieerteufeln  mit  fc^wadjen,  Ijüpfenb 
bewegenben  Stoffen,  ftimmten  für  Itoben  auf  bem  ©runb.  2)aju 
famen  Mora  mediterranea,  eine  5Rabeira=@abibf orm , unb  in 
1950  S-  Macrurux  atlanticus  Lowe  unb  Halosaurus  Owenii 
Johnson,  and}  fDlabeiraformen,  im  @an$en  ben  bet  9iinne  ent» 
fpredjenfcen  ßufammenljag  portugiefifdjer  Sieffauna  mit  Söfabetra 
beftätigenb,  aber  aud)  ben  mit  bem  bei  gleicher  Steile  um  ben  fyalben 
©rbumfang  getrennten  Sapan  in  fcSmopolitifd)en  ober  tepräfen* 
tirenben  Srten.  Sür  bie  ©ternoptpd)iben , eine  abweidjenbe  Sa* 
milie  ber  spijpfoftomen,  Siföe  mit  Suftgang  an  bet  @d?wimra* 
blafe,  weldje  mit  einet  Srt  auS  2575  S-  gwifdjen  SetmubaS  unb 
Sporen  unb  im  ©anjen  in  5—6  Srten  mit  bet  Srawl  famen,  fo* 

woljl  SternoptpdjuS  als  GljauliobuS  bei  Sifjabon  auS  100,  an 

(10») 


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32 


ben  $)t)ilippinen  au8  1050  begtoeifelte  ».  SSillemoeS  Suhm 
weniger  aI8  Shom  fou  bie  Sieffeenatur.  Snbem  fte  in  2—3“ 
großen  6jtemplaten,  wie  aucf  fleine  pelagtfdje  ftlunbet,  welche 
noch  fpmmetrifch  finb7),  9Racht8  oberflächlich  fchwimmen,  batf 
man  benfen,  bafc  biefe  Bifdje  balb  oben,  halb  unten  finb,  mit 
ftarfer  bathpmetrifcher  Energie,  in  bet  3ugenb  mehr  als  fpäter. 
68  wäre  möglich,  ba§  bie  gleichfalls  hochpelagifchen  burchfichtigen 
SBurmftfche,  ^elmicftbpben  mit  Siefgtunbaalen  ähnlich  in  33er« 
binbung  flehen.  $Die  Sternoptpchiben,  fchuppenloS,  metaHifch 
fdjiQernb,  gto§jahnig  unb  grofjföpfig,  leuchten  wie  «Sterne  non 
einer  CReihe  phoSphorefcirenbet  Blecfen,  welche  bie  gufammenge« 
hörigen  ebenfowoljl  in  grofcet  Siefe,  als  Machte  oberflächlich  JU» 
fammenbringen,  auch,  oon  anberen  Shieren  für  fleine  33eute  an« 
gefehen,  als  8ocfung  bienlich  werben  fönnen.  Solche  Blecfen, 
befonberS  36  an  ben  Äiemenbecff)autftrahlen  beS  6houliobu$, 
mit  Iichtbrechenbem  Äörper,  metallglän^enbem  #intergrunb  unb 
befonberen  fReroen  nerfeljen,  würben  auch  für  fRebeuaugen  er* 
flärt.  55er  neränberte  SDrucf,  wahrfcheinlich  bie  grofe  6jrcitation 
ber  9Ru8feln  läfct  Sternoptpchiben,  etwa  wie  eine  SSlinbfchleichc, 
in  Stücfe  gebrochen  an  bie  Oberfläche  fomrnen,  wie  baS  auch 
mit  Dphiurtben  nnb  au8  geringerer  SEiefe  Spnapten  gewöhnlich 
ift.  2Rit  ÜRafruriben  unb  Sternoptpchiben  oergefeHfchaften  fi<h 
Scopeliben,  gleichfalls  leudhtenbe  fRaubftfche,  unb  e8  famen  non 
ben  brei  Familien  gtofje  3Rengeu  au8  500  %.  bei  ben  üReangiS» 
Snfeln,  füblich  ber  ^Mjili^jpinen.  3luf  ben  ,£>palonemagrünben 
fangen  bie  japaneftfchen  ^ifcher  ©abibcn.  SlCleS  baS  finb  php« 
foftome  Sifche,  welche,  wie  tn  feierten  ©ewäffern,  Seichen  unb 
Bluffen  mit  SBelfen,  Äarpfen,  Stolen,  Salmen,  fo  in  ber  Sieffee 
mit  ben  gebachten  Bamilien  auftreten.  SDer  Schwimmblafeugang, 
welcher  im  Seicftwaffer  geftattet,  ben  Schwanfungen  beS  SuftbrucfS 
gerecht  ju  werben,  fcheint  in  höherem  ÜJtafce  in  ben  fRioeauoerän« 
berungen  im  tiefem  fEReere  auSgenutjt  ju  werben.  68  giebt  in  bet 

(IM) 


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33 


Sieffee  auch  reine  ©runbflfche  an®  bengamilien  bet  ©cblaugenflfch«, 
JDpiflbiben  unb  ber  Seufel®»  ober  grofdjftfdje,  ^ebiculaten  ober 
So^ioiben,  beren  nädfefte  33erwanbte  im  feierten  ©dflamme  wüh« 
len,  ober,  mie  Aniennarius  marmoratus  Le*mn,  in  weiter  33 et« 
breitung  unb  grofjer  33eränberlidjfeit  im  treibenbeit  Sange  niften, 
ober  mie  §röfche  auf  bem  ©bbeftranbe  hülfen.  Sn  ben  beiben  au* 
JDberfläcben  unb  ©tunbflfchen  abguleitenben  £>auptgruppen  giebt  e* 
blinbe  Strien,  Jpnops  Murrayi  Günther , mit  flarfen  Sruftfloffen, 
im  atlantifdjen  Dgean  auö  1600  unb  1900  3.,  bei  ben  äruinfeln 
au*  2150  B-,  feine  äugen,  aber  auf  bem  ©cheitel  be§  flauen 
ÄopfeS  eine  ooate  ©teile  mit  burdjfidjtiger  Oberhaut  unb  ?ed)§» 
ecKgen  jc^malen  Säutc^en  auf  filbernem  ©runbe.  Ceratias  ura- 
noscopm  Murray,  ein  jchwärglicher  ffophwibflfd?  au®  2400  %. 
gwifcheu  ÜJiabeira  unb  Srafitien,  mit  engen  äthem  Öffnungen 
unter  ben  33ruftfloffen,  fleinen  fouifd)en  tDornen  ftatt  ©chuppen  unb 
mit  unbebeutenben  gloffen,  hat  gang  Heine  ^ot^fte^enbe  äugen. 
33ieUeicht  läfjt  ficb  hier  ber  ©ebanfe  oon  ©aoallari  anmenben, 
melier  bei  unterirbifchen  unb  nächtlichen  Spieren  SBerth  auf 
SBa^me^mungen  oou  über  ba®  SRcth  ^inauöge^enben  SBärme« 
ftralflen  legt,  welche  bei  großer  3SelIenläuge  flattere  SBredjung 
Bedangen  unb  biefe  in  fleinen  äugen  mit  gtojjen  Sünfen  flnben. 
©olche  äugen  finb  bochgrabig  fnrgfichtig.  3n  ber  Sorre8ftrafle 
fing  man  unter  anbevn  abenteuerlichen  einen  §ifd),  weichet,  er« 
machten  blinb,  jung  unter  biefer  £aut  äugenpunfte  geigte.  3ener 
Uopbioibe  unb  ein  bei  ben  ätü  au®  360  g.  gebrachter,  etwa  ber 
©attung  JDneitobe®,  haben  ben  fogenannten  ängelfltabl  auf  bem 
&opfe  fo  entroicfelt,  bafl  man  ihn  betrauten  barf  al®  ein  ©inne®» 
organ,  welche®  bic  in  Siefjeefchlamm  nerfteeften  §ijcbe  Bon 
ännäberung  einer  3?eute  benachrichtigt. 

SJian  barf  annehmen,  baff  3)taeruriben  ben  5)orfchen  ahn* 
lieh  DDn  Ärebjen,  SRufdjelu,  ffiürmcrn,  oielfach  tobt  nieberfatlen» 
ben,  leben,  ©ternoptpehiben  unb  ©fopeliben  jung  oberflächlich 

XIV.  315.  316.  3 (105) 


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34 


»on  pela giften  Spieren,  fpäter  ftarf  einanber  »ertilgen.  8opbioib* 
ftfdj?  frefjen  glunbet  unb  anbete  $tfd)c  unb  Ärebfe.  ^rifd?  ent« 
leerte  Vtägen  würben  wichtige  Siufft^löffe  geben  unb  bie  $iicbe 
als  Stieffeeraritätenfammler  nußbar  machen.  91uf  ben  .ppalo* 
nentagrünbeu  giebt  e8  Verpj:  unb  ©cotpaena  unb  in  50  nach 
SBillemoeS  einen  §ifcb  bet  blinben  fPbpboftowengattung  Slm* 
blpopfiS,  A.  Hermannianus  (?),  welcher,  auf  bet  ©djnauge  unb 
am  Äinn  mit  ffteroenorganen  in  ©rübchenform  »erfeben,  bie 
nächften  Verwanbten  in  afiatifcßen  Vracfwaffern  unb  ben  Äen* 
tufp^öljlen  bat.  (Jinic^e  Sitten  einer  ©attung  mit  flachem  lan* 
gern  Äopfe  im  mepifanifdfen  ©olf  fchienen  91.  Slgaffij  bie  »er* 
fümmerten  Stegen  burch  empfinblicbe  fähige  Verlängerungen  »on 
Äorperlänge  an  Vruft  unb  ©chwan^floffen  311  erfeßen.  <Dte 
Äontrafte  fteben  beieinanbet.  SEßenn  foloffale  Vergrößerung  ber 
Stegen  »etgeblich  ift,  behilft  man  fidj  ganj  ohne  fte;  was  auf  tiefftem 
©runbe  lebt,  fommt  auch  iw  oberftäcblichften  unb  im  ©üßwaffer 
fort,  gür  Die  Sieffeeljaie,  falls  fie  Ärebfe  »erfdbmäben,  giebt  e§ 
bemnach  gifcße  genug  93eute.  9te<h  bet  merfwürbig  »er* 
mittelnbe  Änorpelfifch  ©bimaera , affenftfch,  fommt  auS  großen 
liefen;  feine  großen  Slugen,  ber  lange  fabige  @chwan3,  ber  ge* 
3äbnte  Siücfenftrabl  machen  ihn  äußerlich  fammfcbuppigen  Via* 
fturiben  ähnlich-  9lu8  einer  ber  großen  liefen  beS  mejrifanifchen 
©olfeS  mit  etwa  1900  g.  erhielt  91.  Slgaffij  einen,  wie  eS  fcheint, 
»erwanbten,  noch  nicht  benannten  augenlofen  Jhtorpelfifch  mit 
gigantifcßem  runbem  .Kopfe  »on  Äaulquappengeftalt.  SlmphiojruS 
lebt  wie  bei  unS,  fo  auch  in  Sluftralien  im  feierten  SBaffer. 

Alrcbfe  machen  in  antarftifchen  haben  Breiten  etwa  20  °/tt 
bet  Spiere  tiefer  als  1000  g.  auS.  Von  ftieläugigen  Via« 
laf  oftra  fen  lieben  bie  furgfehwänjigen Krabben  mehr  mäßigeüiefe. 
SDie  Vermutbung,  welche  fich  auf  bie  SebenSweife  unb  »iel* 
leicht  auf  baS  Vorfommen  ber  »iele  guß  fpannenben  Macro- 

cheira  Kämpfen  de  Haan  auf  ben  £palomenagrünben  3apan8 
(106) 


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35 


begrünbete,  bah  2>reiecffrabben  am  meiften  geeignet  feien,  in  grofje 
Siefen  gu  gehen,  ^at  nicht  getäufcht.  Stuf  bem  gloribarijf  finb 
fffiajiben,  bie  Ärebfe  gtie^if^et  9Dtüngen,  gasreich,  unb  gaben  eine 
Slngahl  neuer  (Gattungen  unb  Strten  non  fPhromaja,  ^>ifa,  Scora, 
©uprognatha,  Slmathia,  StnomalopuS,  gambruS,  SoIenolambruS 
auS  über  100  Stuf  bem  burd)  ben  -Riefetgittetfdjmamm  ,$ol» 
tenia  cbarafterifirten  ©runbe  oerbreiten  fid)  Dorynchus  Thomsoni 
unb  Amathia  Carpenteri  N.,  lefctere  au 8 bem  SDiittelmeer  fpegi» 
fifcb  erachteter  ©attung,  oon  ber  fRorbfpi^e  ber  cfpebriben,  Butt 
of  the  Lews,  big  ©ibraltar.  @rofje  ftacblidje  Stenorhrmchiben 
ftnben  fich  auf  ben  ©uplecteDagrünben  bei  ©ebü;  an  SJtarion 
gab  eS  in  310  $.  fc^ön  rofenrottje,  grohe,  ftarf  beftachelte  $ifa, 
wäfjrenb  bem  Slachwaffer  hoher  antarftifcher  Breiten  furgfchwän* 
gige  Ärebfe  fehlen.  StuS  großer  Siefe  fam  bei  ben  §)hiHpP'nen 
bie  BoeJ'SHgcnbform  einer  blinben  ftacbligen  jfrabbe.  Bon 
Bieredfrabben  geigten  in  englifdjen  S3teeren  aus  80 — 808  %. 
Gonoplax  rhomboide«  Fabiiciu»,  eine  ÜJtittelmeerart,  unb  ber 
norwegifche  Geryon  tridens  Kroyer  bie  Begegnung  oberflächlich 
getrennter.  Bon  ten  ©riphiben  Pilvmnu»  granvlimanvs  St., 
oon  ben  $)ortuniben  gwei  Slrten  BathtynecteS  unb  Achelous 
spinicaiyus  St.  fotnmen  an  ^loriba  auS  mehr  als  100  %.  Bon 
ben  n otcpobifchen  Ärebfen  nimmt  bafelbft  bie  Seufoftbe  Li- 
thodia  cadaverosa  St.  noch  *n  40  g.  täufchenb  bie  SGRasfe  tobter 
abgeriebener  Schalen  ober  ÄoraUftüde  an.  9lm  wunberbarften 
oerhält  fid?  bie  fDorihpibe  Ethusa  granulata  N.,  welche  bei  Ba* 
lentia  an  ber  irifeben  Sübweftfüfte  in  110—370  g.  noch  be* 
wegliche  aber  blinbe  Stugenftiele  h“t  biefe  in  442—705  %.  norb* 
wärtS  unbeweglich,  genähert,  gröber,  fo  bah  Ite  an  Stelle  eines 
fdjwinbenben  ftarfen  mittleren  Stachels  ber  Scbnaugenfpifce  füb= 
lieber  3nbioibuen  treten. 

Bon  langfehwängigen  Ärebfen  fanb  fich  eine  Keine  gangufte 
mit  fehr  furg  geftielten  Slugeu  an  ben  BermubaS  in  7(X),  an 

3*  (io?; 


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36 


ben  Ärü  in  80  B-;  SbacuS  erfchien  nicht  tiefet  als  100.  2)ie 
©alatheiben  lieben  bieStiefjee,  fie  famen  prächtig  roth  aus  grofjen 
liefen  an  ben  Sibfdji.  SJlit  betn  ftangöfifch'atlantif<hen  Äabel 
auS  300  %.  aufgebrachte  lebten  mehrere  Sage  unb  fchienen  lidht* 
fcheu.  SJtuniba  auS  530  B-  auf  bem  ©lobigeriuenfchlamm  im 
wärmeren  Strome  an  Batöer,  ^ebriben  unb  norwegijcher  üRinne 
war  gleichfalls  fcharlachroth  unb  halt«  grofce  fupfri^  glängenbe 
Äugen.  SBie  bie  Äugen  jcheinen  bemnadh,  fo  lange  noch  eine 
fdjwache  Beleuchtung  bleibt,  auch  bie  Barben  mit  erhöhter  3n» 
tenfität  aufgutreten.  SenigftenS  bie  ,£>pa!onemagrünbe  haben 
©remitfrebfe  in  Schnecfenhäujern,  welchen,  wie  guwcilen  im 
Söiittelmeer  Schwämme,  fo  bie  ^alptheaforaQeu  ben  Äalf  ent* 
giehen. 

©arneelfrebfe  finben  fidj  gewöhnlich  in  Siefieenefjen,  aber 
gleich  Bilden  etwas  zweifelhaft  für  <!perlunft.  ©in  ‘Palaemon 
gehört  gu  ben  gemeiuften  Scl}maro$ern  in  (Juplecteüa.  2)er 
tieffte  Sdjleppgug  im  atlantifchen  Dgean  in  36°  30'  9t.  auS 
2650  gwifchen  Sanbp  £oo!  unb  BermubaS  ergab  eine,  einer 
nahe  bem  (Jap  auS  2550  mehrere,  einer  ab  (Jap  SDtefurabo  im 
©uineaftrom  auS  2500  neun  grofee  fchatlachfarbige  ©arneelen, 
welche  fechS  Ärten  oertraten,  barunter  9>enaeuS.  3®i|'chen  9)iin» 
banao  unb  9teu=@uinea  waren  folche  gang  gewöhnlich  unb  min» 
beftenS  eine  Ärt  ibentifch  bei  Bal)ia  unb  ben  (Jroget’S.  ÄlpheuS 
fnm  im  ^>^üip>p>menmeer  auS  1070  B-  ©in  ^)enaeuS  auS610B. 
bei  Äantaou  in  ben  BibfdjiS  hat,  gut  Unterjtüfjung  ber  Buhlet» 
((huppen,  bie  ©et&eln  gweier  Äaufüfje  unb  eines  BruftfufjeS  gu 
unten  behaarten  glatten,  einem  Bafll’chitm  umgewanbelt.  55er 
mäfsig  tiefe  SelSgrunb  bei  9teu*Seelanb  wimmelt  oon  @at* 
neelen. 

3n  460  B-  auf  ©lobigerinengtunb  bei  Sombrero  unb  in 
bet  SOtitte  gwifchen  bort  unb  Berto  in  1900  B-  fanb  bie  6h al« 

lenger  Ärebfe  mit  oerfümmerten  Äugenftielen  8),  eietlei<ht 

(108) 


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37 


bem  fofftlcn  Grrpon  nahe,  etwa«  an  bie  8angujte  etinnernb,  gu» 
weift  bem  glu§freb8  ähnlich,  Wälemoesia  leptodactyla  W.  S. 
12  cm  lang,  mit  15,5  cm  langen,  feinen  oorbeten  ©cheeten  nnb 
©efefcung  atlet  fünf  ©ruftfufjpaare  mit  ©feeren,  unb  W.  cruci- 
fera  W.  S.  mit  nur  cier  ©cbeerenpaaren.  ©ine  britte  9lrt,  W. 
euthria,  fam  an  ben  ^Mjiltypinen  au$  1070  g.  unb  fehr  jahlreid) 
bei  Äermabef  unb  ben  gib)d}i8,  eine  ber  atlantifdjen  wahrfchein* 
lieh  ibentifdje  au§  968  an  bet  ©aut  oon  £)ufatan,  wäljrenb  bie 
©attung  in  bet  antatftifcben  Sieffee  fel)lt.  25ie  gamilie  bet 
2lftagiben  bereicherte  an  bet  etft  genannten  ©teile  fetnet  ein 
blinber  Astacus  zalevcus  W.  S.,  11  cm  lang,  burd)  ©inengung 
ber  ©djwangwurgel  an  grabenbe  Shalaffinen  etinnernb,  nut  mit 
btei  fPaat  ©dieeren,  baeon  bie  rechte  etfte  faft  jo  lang  als  bet 
2eib,  lang,  fpifc  unb  fein  gegähnt,  bem  9tadjen  eines  ©aoial 
gleich,  gang  geeignet  ©tetneptndbibenfifdje  unb  bergleidjen  tobt* 
lieh  iu  faffen.  9lud)  feiere  hat  baö  5Reer  gwifdjen  ^lufatan  unb 
ben  SettugaS  in  1920  g.  5Diefe  2lugenlofigfeit  tommt  bem  in 
ben  © cbeeren  wenig  fchlanfen  Astacus  (Catnbarus)  pellucidus 
TeUkampf  bet  Äentufp  * ÜRammutljthßh^  gleichfalls  gu.  ÜDie 
^ummerform  9te^hroh8  fam  an  äuftralien  auö  275  g.,  an 
ben  ©ermubaS  au§  700  grofj  mit  oerfümmertem  ©ehfelbe  auf 
feht  oerfürgten  Sugenftielen,  eine  porgellanweifje  91  rt  oon  9ieu» 
©eelanb  au8  275  g. 

3)ie  burd?  ©pärlichfeit  ber  9ltten  bei  in  ^auptjadjen  auf* 
fällig  mannigfaltigem  ©au  fid)  al8  eine  wahtfdjeinliä)  alte  ga* 
milie  bofumentitenben  jpaltfüfjigen  äfrebfe,  ©chigohoben,  ahn« 
liehen  8eben8,  wie  bie  ©arneeten,  ift  in  gro§en  Siefen  gahl* 
reich.  8lu8  2200  unb  1000  g.  gwifchen  ©etmubaS  unb  Slgoren, 
in  1920  gwijchen  SortugaS  unb  $)ufatanbanf,  in  800  an  ben 
9lrü  würben  fdjarlachrethe  Gnatophausia  gigas,  zoea  unb  gra- 
cilis  W.  S.  gefunben,  bie  größte  21  rt  über  14  cm  lang,  befou* 
betö  burch  ben  langen  gejagten  ©<hnabelfortfa$  ben  $)alaemon« 

(109) 


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38 


©arneelen  , aber  burdj  unooQfommene  ©ebecfung  bei 

Äiemen,  fufcäfynlicfje  Söe^affeuljeit  oon  fteben  Sruftfufpaaren, 
©efdjränfung  ber  Äiefetfüfje  auf  ein  $>aar  nicht  jenen,  fonbern 
ben  Uophogaftriben  gujutedjnen,  non  anberen  ©chijopoben  burch 
Abhebung  beö  ^anjerß  non  fünf  tfyorafalen  Segmenten  »er* 
jchicten,  baburd)  unb  in  Teilung  beö  lebten  Schwanjgliebeö  an 
bie  in  ben  Segment3ahlen  abweichende  Siebalia  etinnernb,  welche 
felbft  in  berfeiben  2lrt  wie  im  SJiittelmeer  an  Äerguelcn  in  150  g. 
»orlommt.  5)ie  ©nathopl)aufien  haben,  mie  jonft  fd^opobijche 
Ätebfe,  Shtgen  unb  ©ehörorgane  an  ©ruft,  Schwang,  ©einen 
tragen,  ©jrtraaugen  an  ben  Unterüefern  beö  jweiten  ^)aareÖ;  fte 
fönnen,  waß  fie  freffen,  genau  anfefyen.  3«  ber jelben  ©ruppe 
geht  Chalaraapis  anguifer  W.  S.  non  ben  trDpijdjen  Siegionen 
beibet  großen  ÜJieere  biö  in  antarftifdje,  an  ber  ©ißbatriöre  er= 
jefct  burd)  Ch.  alata.  ©in  britter  Sd^opobe  mit  lofem  Siücfen* 
d)ilb  hat  auf  Slugenftielen  ftatt  normaler  SHugen  gro§e,  teilet* 
förmige  glatten  ohne  Spur  eineß  Sehapparatß,  Petalophthal- 
mu«  armiger  W.  S.,  in  ben  Sropen  beibet  SJieere,  mit  SJiänn* 
(ben  außgejeichnet  burch  ©erbicfung  ber  Buhler  unb  ber  oorberen 
©liebmafjen,  an  ber  ©ißgränje  in  1950  %.  burd)  ben  großen 
P.  inermvs  W.  S.  ohne  bieje  ©tjdjlecbtöbifferen^  erlebt.  2>ie 
©uphaufiben,  welche  jene Sdjilbabbebung  nicht  haben,  finb  burd) 
befonberß  grofje  Wirten  oertreten;  Euphausia  ximplex  W.  S.  ent* 
behrt  ber  Siebenaugen,  beten  bie  oberflächliche  E.  superba  fedjß 
$)aare  an  ber  ©ruft  hat.  ©in  ©eifcelfrebß,  ÜJinfiö,  weither  bei 
©rojet’ß  unb  Äerguelen  biö  170  %.  im  S<hlamm  lebt,  hat  bin* 
menähuliche  ©eftalt  ber  äugenftiele  unb  leere  ©bitinplatten  wie 
9>ctalophthalmuß.  So  finb  deutlich  Sdjijopoben,  im  SBefent* 
li(hen  pelagifch,  in  ftarfer  bathpmetrifcher  ©nergie  auch  biß  in 
licbtlofe  liefen  ihr  geben  au  fuhren  mehrfach  eingerichtet  unb 
eine  ©ruppe  mit  augenähnlichen  ©inrichtungen  ungewöhnlicher 

Slrt  unb  Bulle  oerliert  anbere  SOiale  bie  Slugen. 

(110) 


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39 


35ie  gwifdjen  ftieläugigeu  unb  fifcäugigen  malafoftraten 
Ärebfen  oermittelnbe  Orbnung  ber  Gumaceeu  ift  in  grö&eten 
Siefen  nidjt  feiten,  ©gängige  treten  mit  fonberbaren  formen 
reid)Ii^  auf.  Unter  ben  sämpbi.poben  geic^net  fid)  burdj  ©röfje 
mit  über  10  cm  Cystoaoma  Neptuni  Gut  rin  Meneville  auö  in 
1096  %.  bei  Gap  ©.  SSincent,  1500  bei  ©.  $)aul’8  Reifen,  audf 
an  ben  Slru.  2)er  Äopf  biefeS  gang  burd)fidjtigen  meift  in  50 
bi$  100  g.  fdjwimmenben,  wenig  Gier  füljrenben  ÄrebfeS  iftjfaft 
fo  groj}  atö  bie  fieben  fRumpffegmente  gufammen  unb  wirb  oben 
gänglid)  oon  ben  Sugen  eingenommen.  3)abei  haben,  rnaä 
jtrebfen  äufjerft  feiten  unb  bei  $)fyronima  bem  Söeibe  allein  gu* 
fommt,  beibe  ©efdjledjter  nur  ein  gübletpaar.  £)en  Gammarus 
loricatus  beö  t)ot)en  SRorbenä  oertritt  bei  $earbinfel  eine  ä^n« 
lidje  ftadjlidje  8rt.  Gin  lämphipobe,  beffen  Äopf  in  einen  äugen* 
lofen  Büffel  auSgegogen  ift,  lebt  bei  Äetguelen  in  40—120  §., 
ein  gigantifdjer  nalje  Spljtmebia  in  1600  g.  gwifdjen  biefen  unb 
ben  Groget’3,  eine  .^pperibe  oon  7 cm  nur  mit  rotten  §>ig» 
mentflecfen  ftatt  ber  Säugen  in  großen  Siefen  ber  ’ärüfee.  Sämphi* 
poben  in  großer  3«bl  fa«b  9iorbenjf jolb  mit  bem  $)töoen 
1875  im  norbifdjen  Giömeer.  SDen  arftifdjen  ©trom  begleiten 
norbifdje  Slrten  wie  Eusirus  cuspidatus  Kroyer , welche  man  auf 
©rönlanb  bejdjränft  hielt,  in  englifdje  ÜJteere.  Gin  bei  ben 
üEReangiöinfeln  auf  Gomatula  in  500  g.  fdjmarofjenber,  in  ben 
SJtagenfacf  eingegrabener  sämphipobe  ^atte  gleich  feinen  sieben* 
parafiten  bie  fdjwarg*  unb  mei&gefcpetfte  garbe  beö  SBohnthierö 
angenommen. 

SDie  oon  SSmphipoben  gu  Säffeln  oermittelnben  Slnifopoben, 
bie  für  ben  ©djwang  oertümmerten  Saemobipoben  fammt  ben 
ipnen  anguhängenben  $)pcnogoniben  unb  bie  Sfopoben  felbft  be* 
gegnen  fi<h  mit  ben  befprodjenen  in  auögegeidjneter  unb  reifer 
Vertretung  in  ber  Sieffee,  in  ben  flaueren  SBaffern  beiber  sPole, 

auf  ben  ^tpoalonema*  unb  GuplefteHa=grünben.  Von  ben  Sänifo* 

(111) 


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40 


poben  geben  ©djeerenaffeht,  Üanai8,  mit  bi§  17  mm  ©röfee  unb 
ben  europäifd)en  nabefiebenbe,  im  {ERänod)en  grofjföpfige  9lnceu8 
bübenbe  $)raniga  antarftifd)  in  bie  Üiefe.  an  Christmas  har- 
boor  auf  Kerguelen  in  150  wo  £anai8,  ftatt  wie  91  ff  ein  bie 
©ier  unter  23ruftplatten  ju  tragen,  fie  gleich  ©opepobenfrebfen  in 
©äcfen  mitfübrt.  3Son  gaemobipoben  wirb  Caprella  npino- 
mnma  N.  im  falten  ©trome  an  ©cf)Ottlanb  in  2 — 300  & meb= 
rere  Boü  grof?  unb  fdjreitet  wie  ein  ©efpenft  mit  ftabförmigem 
8eib  unb  ©reifflauen  über  Slieffeefdjmämme.  {Rpmpbon  fpannt 
an  ©bwarb’8  unb  ©roget’8  Snfeln  in  1600  %.  2',  N.  aby worum 
N.  in  ben  arftifdben  ÜReeren  30  cm.  5Rit  bem  fraugöfifcben 
Äabel  famen  ©apreQen  unb  $)pfnogoniben  au8  300  ff.  lebeub, 
fehlten  in  480.  ©rofje  9>pfnogoniben  f^at  auch  le  4)aoe=33anf. 
JBon  ben  Sfopoben  geigt  nicht  weniger  als  9lrcturu8  eine  gewaU 
tige  ©töfje  bie  antarftifd)  bominitenbe,  auf  62°  @.  in  1795,  an 
{Suftralien  in  410  %.  gefunbene,  ootberr(d)enb  im  $lad)waffet 
lebenbe  Serolü  Bromleyana , . fobalb  fie  in  ber  liefe  lebt,  unb 
erinnert  burdj  bie  9lbfonberung  gweier  feitlidjen  {Regionen  oon 
ber  mittleren  burd)  8äng8furcben  an  5£rilobitenfrebfe  ältefter  geo« 
logifcber  Formation.  93on  ben  giftbläufen  ift  Aega  spongiopkila 
gemeinfter  Sifcbgenoffe  ber  ©upleftefla;  bie  2"  lange  A.  naeuta 
N.  au8  2—300  g.  an  ©diottlanb  15§t  oermutben,  bafj  mehr 
berartige  33egiebungen  gu  ©cbwämmen  befteben;  91.  9lgafftg 
fanb  einen  naben  S3erwanbten  gar  oon  11"  8dnge  unb  3"  ©reite 
in  1900  %.  an  Dufatanbanf.  ©ine  augenlofe  Sfopobenfamilie, 
SRunopfiben,  burd)  ©reifbanb  ben  ©d)eerenaffeln,  butcb  3b* 
fcbnürung  einiger  Segmente  gegen  ben  ibopf  oon  ben  folgenben 
bem  3nceu8  nabe,  ftnbet  ftd)  wie  an  {Norwegen  lebenb,  fo  in 
gto§er  antarftifdjer  SSerbreitung  oon  @bwarb’8*3nfeln  bi8  gur 
{Rotbfpifce  {Reu*©eelanb8.  Sie  unb  @etoU8  würben  audb  bei 
ben  3goren  unb  flernambuco,  aber  nicht  au  ben  ffibfd)i  gefunben, 
wo  3rcturu8  nicht  fehlte. 

(112) 


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41 


gür  bie  antifen  8 i m u l u 8 f r e b f e hat  fid?  wohl  bet  beftimmtere 
SeweiS  bet  Ärebßnatut  in  ben  Dielen  niebeten  mit  einigen  fyöijeten 
gemeinfamen  fogenannten  ^aupliuSlatoen,  aber  für  bie  $)ljilip* 
pinenform  feine  größere  '.Ausbreitung  nad)  SBeite  ober  SEiefe  er- 
geben. Sou  Cftracoben  fanb  ftdb  ton@bwarb8»  unb  ©rojet’8= 
Snfeln  biö  SReufeelanb  eine  mit  1,5  cm  fefjr  ungewöhnlich  grofje 
©ppribina. 

Son  ©opepob.en  wimmeln  atleSJteere.  ÜBon  cittipebifchen 
Ärebfen  famen  au8  2850  g.  an  bet  norblidjen  ©tenje  be8  weft« 
litten  bet  norbatlantijcben  SEiefbedfen  auf  9JtanganfnoDen  aufge» 
wachfen  unb  au8  2800  gmifdben  3apan  unb  ben  ©anbwidb 
6 cm  grofje  weibliche  ScalpeUum  regiutn  W.  T.,  in  bet  Slrt  be8 
SBachSthumS  berjenigen@djalftü<fe,  welche  man  ©cuta  nennt,  an  fof« 
ftle  Sitten  anfdjliefienb,  ben  Äalf  burd?  bicfe  Dberhaut  fdbüjjenb, 
je  5—  9 5Rännd)en,  2 mm  lang,  fadfattig  unb  mit  au8  bem  ©p- 
pri8*8atDenftanbe  erhaltenen  .ftaftantennen,  unter  bem  Sftanbe  bet 
©cuta  ttagenb.  Sluf  ben  Dphiutibeu  au8  500  g.  an  ben 
SJieangiS  fafjeu  gleichfalls  ©ktipebien  unb  auf  ©tadjeln  bet  üEief- 
feeigel  fPhormofoma  folcbe  bet  ©attungen  8epa8  unb  SllepaS.  3n 
©efetljcbaft  tielet  anbeter  SEbiere  famen  fie  au8  2500  g.  nahe 
bem  Slequatcr  in  ber  Sltlantie  jwijcpen  Slfrifa  unb  ©.  $)aul’8 
gelfen. 

3öci(f»tt)icrc.  Unter  ben  Ätafeu,  ©ephalopoben,  hatfRau» 
tilu8  eine  ziemliche  bathpmetrifcbe  ©nergie.  Sei  ben  gibfdhi  im 
glachwaffer  gemein,  würbe  er  bei  SDtatufa  in  310  g.  gefangen. 
9{u8  360  g.  fam  eine  einzige  ©pirula  mit  bem  SEb'ete  bei  Sauba 
neita  im  Slrtiarcbipel,  wahricbeiulicp  au8gefpieen  oon  einem  5Ra- 
ctutuS.  goffile  Gepbolopobenformen  haben  feine  neuen  Settreter 
butdh  bie  SEieffee  erhalten,  ©epiola  fam  auf  le  £ate  Sanf  au8 
83  g.;  an  ben  9Reangi8  au8  500  g.  ©irroteuthid,  welker,  ba8 
falte  SBaffet  liebenb,  antarftifch  in8  glachwaffer  geht 

©chnedfen,  ©aStropoba,  unb  edhte  ÜRufdjeln,  gamelli* 

(US) 


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42 


brandjia,  geben  im  ‘Allgemeinen  nicht  febr  erheblich  in  bie  Sfciefe. 
SB  eit  neibreitet  fitib  einzelne,  Heine,  meift  »erfrüppelte  Sitten. 
3n  860  g.  gwifchen  <5ap  Slntomo  auf  (Juba  unb  ©anb  Äep 
fanb  91.  Slgaffij  eine  ungewöhnlich  grofce  3<»bl,  auch  auöge* 
fucht  fdjöne,  aber  nur  Don  geringer  @rö§e9).  SDie  an  @ct)ino* 
betmen  fdjmatofcenben  ©tpliferfchnecfen  farnen  an  .polotburien, 
gmifdjen  ÜJtentesibeo  nnb  Dem  (5ap  auö  2650  g.;  Schlamm» 
muffeln  bet  (Gattungen  8eba,  3tca  nnb  Sitnopfiö  lebenbig  in 
gelblichen!  ©lobigerinenfchlamm  bet  atlantifdjen  2iefe  auö  2740 
unb  nebft  gernrobtfchnecfen,  Solarium,  auö  1900,  einzelne  frifd>e 
Stoicufafchalen  mit  cjpaifijchgäbnen,  nielleicbt  alö  gifchepcremeuter 
auö  2435,  ^erlfdjnecfen,  SDlargarita,  an  Kerguelen  auö  1260  unb 
1675,  eine  grofje  Solutafcbnecfe  in  bet  ©übfee  auö  1600  g.  unb 
ein  gtofjet  3a>cifc^ater  nabe  8ima  auö  bet  S£tefe  beiDet  großer 
5Jieere.  Teneriffa  gab  auö  600  g.  ‘Jleita,  gionfta,  geba,  8i« 
mopfiö,  IDentalium,  bie  fJKeangtÖinfeln  auö  500  Sulla  unb 
Slnomia,  baö  roatmgrunbige  Slrübecfen  auö  1075  .ffäferfcbnecfen, 
(Jbiton,  unb  ©chüffelfcbnecfen,  Patella,  welche  fonft  mehr  feierten 
SBaffetn  angeböten.  93on  ÄetmaDel  biö  gibfebi  ftnb  Area 
pectuncoloides  unb  Limopsis  borealis  in  200 — 1000  g.  gemein. 
Äammmujdjeltt  fdjmarojjen  in  (SuplefteHa  wie  Pecten  vitreus 
Chemnitz  in  ^oltenia.  8e  .Space  Sanf  ift  in  83  g.  reich  an  gufuö, 
Succinum,  Stopbon,  Slolbia,  Slftarte  unb  9ltca.  pecten,  fpteuro* 
tomafchnecfen,  ©t^ljonten  unb  (Snemibienfchnecfen  gaben  bem 
fPourtaleÖplateau  baö  9tnfeljen  ber  mefojoifchen  3ura=epocbe  unb 
älterer.  5>ie  SieffeemotluGfen  non  gatßet  biö  ©panien  ftnb  nach 
@mpn  Sefftepö  faft  ade  norbifct>.  Srucbftücfe,  welche  bie 
Schweben  1868  non  bet  ©djnecfe  @uma  unb  ^oc^norbifdhe« 
Slftatten  auö  2600  g.  brachten,  finb  faum  Seweife  beö  8ebenö  an 
folchet  ©teile.  Seltene  bocbnorbifche,  wie  Buccinopsis  striata  J. 
unb  Latvrus  albus  J.,  fommen  an  (Snglanb  gufammen  mit  fgnari» 
fchen  unb  mebitetranetf^en,  wie  Tellina  compressa  Brocchi  unb 

(114) 


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43 


Verticordia  costata  Philippi , elftere  rote  Fusus  Sarsii  J.  unb 
Cerithium  granomm  Word  audj  fofftl,  leitete  bis  3apan,  unb 
mit  mcjrifauiicbcn,  roie  Pleuronectia  lucida.  färben  fehlen  nicpt. 
©raun  unb  grün  geftreift  ift  bie  SJiiefjmufcbel  Dacrydium  «- 
treum,  in  2435  %.  au8  ©djwammnabeln , goraminifeten  unb 
(Soccolitfyen  ein  ©eljüufe  jufammeufphtnenb,  lebhaft  orangefarbig 
bie  £ima  bet  Sliefiee.  Slugen  jeidmen  grabe  bie  bie  iicfe  lieben* 
ben  Beeten  au6,  jugleid)  ein  Sinnesorgan  unb,  roie  (äbelfteindjen 
glanjenb,  ein  ©cfjmutf,  $u  fel)en  unb  gelegen  ju  roerben,  festen 
audj  nid)t  einem  ffufuS  auS  1027,  nod)  einer  fPleurotoma  auS 
2098  %.  SDie  »on  £ria8  bis  Äreibe  wichtigen  auftralifdjen  Sri* 
goniamufdjeln  fanben  fid)  an  (Sap  ?)orf,  ©pbnep,  fPort  Sacffon, 
StaGmanien  nic^t  tiefer  als  35 

®rad)iopoben  fommen  »erein^elt  in  ber  Siotb*  unb  ©üb» 
atlantiS  auS  über  1500  %.  ©ie  bebütfen  bet  ©teine,  GoraQen 
unb  bgl.  $ur  »Jlnijeftung.  5Jlan  finbet  fte  »ertreten  butd)  Terebra- 
tula  cranium  uub  T.  septata  an  ben  Dulfauifcbeu  ©erötlen  bet 
§arßer,  unb  unter  äljnlidjen  Sebingungen  an  Jpearb’S  unb  Gro* 
get’S  Snfeln.  JDeftlid?  ber  ^Ijilippinen  fommen  fie  auS  2000— 
2475  bei  Guba  Terebratula  cubemis  P.  unb  Tere  ratulina 
Caületi  Grosse  auS  270,  mehrere  Cistella  auö  200 — 250,  Wald- 
heimia  ßoridana  P.  au8  110 — 200,  bei  Teneriffa  Megerlea 
truncata  auS  10  3m  ©äugen  fefyr  oerbreitet,  finb  fie  nad)  Strten 
unb  Snbioibuen  nic^t  fefyr  galjlreid).  Stieffee  an  oulfanifcpen 
gänbern  bürfte  in  alten  Gpodjen  itjrer  Gntfaltung  günftig  ge* 
roefen  fein.  8ingula  fam  übrigens  im  ©djlamm  non  Gebü,  bem 
geologijdjen  alten  gladjbecfen,  in  ÜJiaffen  oor. 

törtjogoen  finben  fi<^  bei  3apan  bis  3125  in  fonft 
fterilen  Legionen  oon  2000—3000  g.  mit  befonberS  fdjßnen  S3icel* 
laria  unb  ©alicornaria.  SDie  in  bet  Siegel  oergroeigten  formen 
ftreden  bie  3»t>cige;  bie  ©tiele  ber  gum  fangen  benufcten  23ogel* 
fßpfdjen,  ISmcularia,  unb  ©eifjeln,  SSibracula,  ftnb  befonberS  lang. 

ai« 


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44 


3)aS  fiel  auf  bei  einer  Slrt  auS  2500  g.  ab  (5ap  fERefutabo  unb 
bei  einer  au8  2175  g.  in  bet  SRorbatlantiS  maßen  bie  ©fiele  bet 
Stoicularien  4— 5 mm.  garciminariaäßnlidje  Ralfen  ftd)  SORangelS 
©runbeS  gum  Stufroadjfen  bafelbft  in  1900  unb  1950  g.  mit 
23etanferung  im  ©cßlamm.  gepraliaäfynlidbe  nabmen  bie  gietlidje 
©fulpfut  mit  in  über  2000  g.  5Bor  allen  reigenb  mar  Nar&ria 
cyathus  Wr.  T.  aus  1525  g.  bei  6ap  @.  33incent  unb  roeiter  in 
1950  auf  einem  fonifdjen  burdjftd)tigen  ©fiele,  gleidj  bem  eines 
©tengelglafeS,  6 cm  ljod^r  mit  gierlicßem  äfrang  gafylreidjer  freier, 
langer  gäben,  jeber  mit  gereiften  fPolppengellen,  fdjeinbar  frinoib* 
artig  unb  IDictponema  ber  fambrifdjen  Seit  äßnlidj. 

Stfiönteltßiere.  ©ine  fußßoße  ©pntljia  mit  erbfengroßem 
^»irnganglion  fanb  fiep  öftlic^  ber  $)l)ilippinen  unb  in  55  g.  in 
ber  fDiagßellaenfttaße;  Soltenien  maren  nir^t  feiten  in  mäßigen 
Siefen. 

äöiirmer.  Sßon  SSorftenmürmern,  Slnueliben,  fommen 
fRöbren  bilbenbe  gotmen  in  ben  allergrößten  Siefen  Der,  mo  gu» 
meilen  nichts  al8  fie  Ijerauffam  eine  Slmmodjaribe,  fDlptiodjele, 
12  cm  lang,  mit  nur  17 — 20  Segmenten  unb  ofyne  Äopffiemen 
au8  2975  im  altantifdjen  JDgean,  bei  ben  gtbjdji  au6  2900, 
gmifcben  3apan  unb  ©anbmid)  au8  3125,  leere  non  Söürraern 
auS  fleinen  ^olptßalamienfcbalen  gebilbete  fRöfyren  tiafye  ben 
S3ermubaS  auS  2650,  im  Schlamm  grabenbe  auS  1875  unb 
2800  füböftlidj  3apan.  3n  2500  g.  ab  ©ap  SDiefurabo  gab  eS 
neben  folgen  eine  Ülrt  mit  SRütfenfiemen  unb  langen  meifjen,  in 
©elenfen  geglieberten  Sorften,  non  bem  atlantifdjen  Plateau  auS 
1525  g.  eine  ©upljrofpne.  3n  ben  norbifdßra  ÜJieeren,  oorgüglid) 
ber  fPorcupineauSbeute  famen  fte  auS  2435  unb  1443  g.  3n 
Siefen  uon  meßr  als  300  g.  »ermißte  6l)lerS  non  allen  non 
SJlalmgrön  für  biefe  ßlaffe  aufgeftetlten  gamilien  nur  gmei 
ftranbbemobnenbe , bie  Seiet  laufen  unb  ^ermelliben,  unb  ßatte 
fieben  Sitten  in  einem  3uge  aus  1380  g.  @8  gab  auS  jenen 
(116) 


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45 


©ppebitionen  nur  Syllis  abiasicola  Ehlers,  weldje  nid)t  weniger 
tief  alö  1000  g.  »orfam,  unb  nur  einige,  welche  500  %.  alß 
fDlinimum  ju  »erlangen  tienen;  bie  bathpmetrite  ©nergie  ber 
©injelnen  ift  fehr  grofc.  ©on  52  8trten,  welche  500  %.  über« 
fc^ritten,  tienen  für  jefct  nur  10  nid)t  in  ber  ^unbertfafcenlinie 
»orflufommen,  bathpphil  ju  fein.  5 )a  marine  SBürmer  nid)t  auf 
frijc^e  fPftonjenfoft  angewiefen  finb,  fällt  eine  Sdjranfe  ber  ©er« 
breitung  weg.  ©o  finb  aud)  bie  ©efonberheiten  geringer  unb 
bie  aufjerorbentlte  ©rö&e  ber  Strten  anberer  Älaffen  fcmmt  nid)t 
»or,  wenn  gleich  non  ©rube  betriebene  Äerguelenformen  nid^t 
gerabe  flein  finb.  Farben  fehlen  ben  SLieffeeformen  in  ber  ©egel 
nicht,  bie  $rten  tiefer  alß  500  finb  jeboch  meift  äugen« 
loß,  auch  wenn  nahe  ©erwanbte  tSugen  haben.  2)ie  Temperatur 
beß  ©runbwafferß  hat  biefelbe  ©ebeutuug  wie  für  ©erbreitung 
an  ben  Äüften  unb  ber  arftijdje  ß^arafter  herrfcht  cor.  ©ei 
ben  §ibfd)i  fehlten  feiten  Ctpbrobitajeen,  ©bjeriben,  ©Ipmenibeen; 
ähnlidj  war  bie  Sußbeute  bei  ©nofima;  le  #a»e  ©anf  halte  in 
83  §.  reiflich  Slphrobite,  Dnuphiß,  ©abetla.  ©ine  äphrobitagee 
tmarofjt  in  ©upleftetia;  folche  an  Gomatula  fügten  jtcf)  in 
gatbenanpaffung. 

©on  ben  SJiubbwürmern,  ©ephprei,  geigen  einige  eine  grofie 
©erbreitung,  Halicryplus  spinulosus  von  Siebold  »on  ©rönlanb 
unb  ©pi^betgen  biß  gut  Oftfee,  Chaetoderma  nitidulum  Loven 
»on  15  §.  an  ©djwebenß  SBeftfüfte  in  bie  Tieftinne,  in  664 
an  ©chottlanb  unb  in  390  in  ber  Gulebra*§)affage.  ©inige  Slrten 
übernehmen  bie  ©ermittlung  jwifdjen  befannten,  wellte  fdjarf 
getrennt  tienen,  8eioberma  »on  ‘Uni  auß  1945  %.  gwifchen 
Tbalaffema  unb  ©chiutuß,  inbem  eß  ben  Elfter  bem  ©orberenbe 
genähert  hat  unb  bed)  beß  SRüffelß  entbehrt,  jwiten  ©ipuncu* 
üben  unb  ^riapnliben.  ©ternaßpiß  fam  an  5ieu«©ee(anb  auß 
700— 1100  3m  ©angen  gehören  bie  ©ephpreen  antarltifd) 
bem  festeren  SBaffer  an. 

(UT) 


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46 


S)ie  bis  batyin  nur  an  Gomatula  parafitifcb  befannten, 
für  iljre  ©tellung  etwas  ftrittigen  SJtpgoftomiben  Ijaben 
fid)  nicht  allein  an  jeuen  in  raeift  mäßigen  liefen,  wie 
bei  £alifar  fo  im  SRoluffenmeer,  fonbern  in  neuen  ©attungen 
mit  grofjen  9lrten,  gefeflig  eingefapfelt  an  ^entacrinuS  in  500  g. 
unb  an  anberen  9)entafriniben  SSatl)Bcrinu8  unb  ^pocrinuö  in 
1375  g.  gefunben. 

SBie  biefeö  ©cbmarcfjerleben  gebt  aud)  baö  ber  Siunbaiirmer, 
sJiematoben  mit  in  grofje  Siefen.  ©ie  Sieffeegarneelen  im 
©uineaftrom  unb  an  @.  $)aul’S  gel§  in  2500  g.  waren  non 
großen  ©crbiuSartigen  SRematcbenlareen  infigirt  unb  freie  buufle 
9tematoben  fanben  ftcb  im  Sieffeefcblamm  bis  1950  g. 

©in  abgeriffeneS  ©tue!  au8  2500  g.  ab  Gap  9Jie|urabo 
geigte,  bafj  bie  burd)  ibr  Äiemenftabwerf  auSgegeichnete  ©attnng 
S5alanogloffuS  in  ber  Sliefe  eine  aufserorbentlid)  grcfje  ärt  ba*- 
^olpgorbiuS  fanb  fid?  bei  Sapan. 

Stachelhäuter  (<gd)  in  ob  er  men)  ftnb  bis  in  bie  SEiefe  non 
1000  gaben  reich  unb  mannigfaltig  unb  beftimmen  bauptfäcblid)  ben 
©barafter.  3n  ben  antarftifcben  Siefen  non  mehr  atS  1000  g.  finb 
fie  nod)  etwa8  reidjUcbct  als  Ärcbfe,  weniger  ftarf  ift  bie  Ser* 
retung  in  gang  grofjen  Siefen.  Sie  geben  bie  größte  Sereidje* 
rung  für  Suffaffung  bet  Älaffe  unb  ftarfe  Serbinbung  mit  net* 
gangenen  geologifcben  ©pochen.  ©ie  anatomifcbe  UnteTfudjung 
mag  entleiben,  ob  eine  äußere  Annäherung  merfwürbig  vom 
©ewöbuli<ben  abmeidbenber  regulärer  unb  irregulärer  ©eeigel 
auch  eine  beftimmte  innere  Serbinbung  biefer  Älaffe  mit  ber  bet 
©eewalgen  bebeute. 

SUie  (Seeigel  ftd?  böufen  fonnen,  geigte  ein  Bug,  welcher 
non  bem  Plateau  bei  bem  ©betlanb’S  2000  ©tue!  Echtnus  nor- 
vegicus  Düben  u.  Koren  brachte.  Cidaris  papiüata  Lenke,  an 
ben  englifchen  jfrlften  äufjerft  feiten,  erwieä  fich  in  250— 500  g. 

als  biegemeinfte  Art.  ©ieSiefenßerbreitung  regiert  bie  geograpbifche. 

018) 


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47 


2)ie  an  engliidien  Äüftc«  wenig  tief  lebenben  Echinus  Flemingn, 
esculentus,  Psammechinus  miliaris , Echinocyamua  angulatu 8, 
Amphidetus  cordatv s unb  S patangv*  purjntreus , unb  tuelleicbt 
alö  Siefform  S.  Raschi,  f dienen  gunädjft  fpegififd)  celtifcb;  au8 
v mittleren  Siefen  Cidaris  papillata , Echinus  elegans,  norcegicus, 
rarispina,  Btissopsis  lyrifera , Tripylus  fragilis  waren  audj  al8 
ffanbinaoifch  befannt,  bie  93arietät  gu  C.  papillata  C.  hystrix, 
bie  wahrfcheinlid)  bamit  311  oerbfnbenbe  6'.  ajfinis,  E.  melo , 
To xop neuste*  breoispinosus , Pmmmechinus  microtuberculatva 
unb  Schizaster  canali/erus  and)  an  Portugal  unb  im  SJlittel* 
meer.  5Die  in  abpffalen  Porocidaris  purpurata,  Phormosoma 
placenta,  ('alveria  hystrix  unb  fmestrata , Ncolampas  rostella- 
tus,  Pourtalesia  Jeffreisii  unb  phiale  bei  ber  pi'rcupineejrpebition 
nertreten  gefunbenen  neuen  ©attungen  famen  gugleid)  oom  ^>our* 
tatesplateau.  Stber  bie  ©baUenger  fanb  auch  in  425  %.  bei 
9l8cenfion  unb  in  1000  bei  Srfftan  b’Slcunfya  E.  Flemingii, 
welcher  alfo  mit  bem  Plateau  gebt,  unb  C.  hystrix  in  460  %. 
bei  Sombrero.  ©cbinocpamuS,  welcher  bie  3ugenbform  3U  ameri« 
fanifcben  Stolcnoclppu8  barfteüt,  fc^eint  mit  E.  angulatu s nur 
einen  »erirrten  .Kümmerling  oon  ben  2lntitlen  mit  bem  ©olf» 
ftrom  aubgefenbet  gu  haben. 

2)ie  fpecififd)en  Sieffeeecbiniben  fdjliefeen  fid>  an  bie  Äreibe» 
3eit.  $>orcuptne  braute  unter  59°  46'  9i.  au8  445  bie  gro§e 
Jaminrotbe  Ccdveria  hystrix  W.  T.,  welche  ftatt  ber  ftarren  Seeigel» 
fapfel  bie  einjelnen  glatten  weich  oerbunben  hat,  badjgiegelartig 
fleh  beefenb,  in  ben  fü&chenreidben  00m  fölunb  gum  Scheitel,  in 
ben  füfjchenlofen  in  umgefebrter  Drbnung,  fo  bafj  ber  3gel  plofc» 
lieh  wie  ein  ^fannefudjen  gufammenftnft,  bagu  befonbere  Heine 
Blättchen  für  je  gwei  §)aare  oon  güjjdjen  unb  bie  güfjchenplatten 
»on  ben  füfe^enlofen  überragt,  »erinnevlicht.  ©ine  anbere  9lrt, 
C.  fenestrata,  fanb  fief?  an  ©chottlanb,  Srlanb  unb  Portugal, 
©ine  britte  Sorm,  auch  biegfatn,  hoch  mit  nur  wenig  fi<h  beefen* 

tu») 


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48 


ben  glatten  bört  wegen  ber  9lbfd)wää)ung  bet  (Sljaraftere  bet 
Bü&djenplattenreiljen  auf  bet  SRunbfeite  einer  befouberen  ©attung 
au  unb  würbe  con  SSoobwarb  auf  Äteibefoffile  bezogen:  Phor- 
motoma  placenta  ((foyitög  = Äotb).  JDiefe  finben  ifjre  nädjften 
SBetroanbten  in  ber  Echinothuria  ßo>Hs  bet  Äteibe,  Ratten  biö 
baljin  eine  Sßettretung  in  bet  lebeuben  ©djöpfung  nicfyt  unb  fon= 
ftituiten  bie  gamilie  bet  ©djinotijuriben.  ^Ijormofoma  fam  and) 
mit  P.  urantts  VT.  T.  au8  1525  %.  bei  6ap  ©.  Vincent,  au8 
ben  ©uplefteQagrünben  con  Gebü,  Phormosama  hoplucantha 
W.  T.  con  ©noftma,  wo  ba8  japanifdje  £palonema  geftjdjt 
wirb,  au8  565—770,  weitet  auf  bem  2öege  nad)  ben  ©anbwidj 
aud  1875—3125  fr,  an  Stuftralien  in  410  fr  @8  wie8  biefe 
le^te  Slrt  nad),  baff  eigentfynmlidj  fdjaufelförmige  ©nben  bet 
©tadjeln  bet  SJtunbregion  gum  ©djlammumroüfylen  bienen,  bamit 
bie  ungewöijnlitie  Befeftigung  bet  fDiunbgone  unb  bie  ftarfen 
©tad)elmu8Eeln , cielleid)t,  im  9lu8tauf$,  bie  SSeroeglidjfeit  bet 
fonftigen  Äapfel  erläuternb.  Pourtalesia  miranda  A.  Agassiz , 
an  froriba  gefunben,  certritt  bie  com  Unteroolitl)  biö  gut 
Äreibe  befannte,  für  auSgeftorben  erachtete  frimilie  bet  2tnand)p* 
tiben  unter  ben  irregulären  3g ein.  55ie  ©djale  ift  niebrig,  fd)mal 
geftrecft,  läuft  hinten  in  eine  Strt  unter  bem  öfter  abgefefcten 
©d)wange8  au8.  SDrei  8üf)d)enreil)en  oon  ootn  gum  fRücfen  treten 
rafd^  apifal  com  SDlunbe  mit  eiet  ®efd)led)t8öffuungen  unb  bet 
SBtabreporenplatte  gu  einem  ootberen  ©djeitel  gufammen,  wäljrenb 
bie  beiben  anbeten  central  nad)  hinten  laufen,  eine  ®d)leife  bil* 
ben  unb  rücfroärte  nal)e  bem  Öfter  einen  Hinteren  ©Reitel« 
punft  erteilen,  melier  con  bem  corbeten  burd)  eine  befon« 
bete  ipiattengruppe  getrennt  ift.  5)iefe  ©attung  finbet  fid)  aud) 
an  ©djottlanb  in  2800  fr  gwifeben  3apan  unb  ben  ©anbwid), 
in  345  an  ©nofima,  in  7—1100  an  bet  Dftfüfte  con  9teu» 
©eelanb,  in  1600  an  ©bwatb’8  unb  ©roget’8  Snfeln.  @8  fdjliefjt 
fid)  an  Alceste  bellidij'era  W.  T.  bei  ©anbß  ^joof  au8  1700  fr, 

(12U) 


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49 


mit  Hinterem  ©cbeitel,  in  einer,  faft  ben  gangen  Stiicfcn  ein» 
nefymenben  ©enfung  bie  porbeTen  giifjdjenbabnen  bergenb,  treidle 
gmei  JRei^en  an  ber  ©pi£e  mit  großen  Don  Äalfplatten  geftüfjten 
Scheiben  blumenartig  enbenbet  güfce  tragen,  «nb  Aerope  rostrata 
PT.  T.  au8  1240  auf  bem,  wie  bei  ^ourtalefia,  com  Slfter 
nad}  porn  mit  5JtflbenpDrenpIatte  unb  uier  ©enitalöjfnungen  ab» 
gerücften  ©cbeitel  mit  8 — 10  feljr  gro|en  plumpen  SRßfyrenfüfcen 
ber  potbereu  Sahnen  unb  großen  Sentafeln  am  fobügen  SRunbe. 
3n  2650  g.  gegen  bie  3?ermuba8  bin  fanb  ficb,  3 cm  gro§,  bie 
ber  gemeinen  Ananckyte»  ovata  ber  Ä reibe  febr  nabe  Calymene 
relicta  W.  T.  mit  gtrei  ©Reiteln  unb  nur  gtpei  ©enitalöffnungeu, 
n>abrf<beinli<b  ibentifc^  20  cm  grofj  aud)  pon  Sriftan  b’Slcunfyj. 
Uebereinftimmenbe  Slnancbptiben  ^aben  3nan  gernanbeg  unb 
93aIparaifo;  SUcefte  finbet  ftd)  aud}  bei  SJfonteoibeo  in  1900  g.f 
bei  9leufdjottlanb,  ©omera»3njel,  9ieu=@eelanb,  3apan.  iSnbere 
©attungen  petbinben  fid)  mit  Snfulafter  unb  SDlicrafter  ber  Äreibe, 
9>aleopneufteS  au 8 100  g.  bei  SöarbaboS  eng  mit  bem  foffilen 
afteroftoma  au8  duba;  9leolampa8  fietjt  fdjon  ben  heutigen 
Spatangen  ähnlicher.  $)ie  meiften  abnormen  formen  finb  mehr 
antarftifd)  ale  arftifdj.  Sud?  bie  ©aleniaben,  mit  einet  übet» 
gärigen  ©djeitelplatte,  eine  früher  bet  treibe  au8fd)lief)licb  gu» 
geteilte,  nun  aud)  mit  Salenia  terticuria  Tate  in  auftralijcbem 
©iccan  gefunbeue  gamilie  regulärer  3gel  finb  in  <S.  varispina 
A.  nidjt  allein  an  gloriba  unb  in  390  g.  in  ber  du» 
lebtapaffage,  fonbern  aud)  in  15*25  g.  an  dap  @.  S3incent,  in 
1800  ab  dap  Sltefurabo,  in  1425  bei  Sriftan  b’^cunb«  lebenb 
gefunben.  ©ine  Sammlung  pon  Sieffeetgeln  gleißt  meljt  ber 
jfreibegeit  als  ber  gauna  geringer  Siefen  europäifdjer  SJleere. 

antarftifd)  fommt  bei  dcbiniben  wie  bei  anberen  dcbinobermen 
befonbere  Srutpflege  not.  Goniocidarie  canaliculata  Ag.  beiratjrt 
unter  ©tadjclgruppen  nabe  ben  ©enitalöffnungen,  Cidarü  nutrix 
W.  T.  am  9Jtunbe  bie  ©mbrponen,  bis  fie,  einige  ÜJtidimetet 

XIV.  315.  316.  4 (131) 


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gtof),  ©eftalt  unb  eigene  ©dbufjmittel  DoHenbet  haben.  Sei  He- 
miaster  Philippi  Gray  an  ben  galflanb’8  unb  .Kerguelen  bilben 
bie  eiet  feitlidjen  gü|(^enplattentei^en,  in  bie  btumenförmige 
gigut  be8  SHücfenö  eingebrüeft,  mit  oerlängerten  unb  nerbünnten 
Slattdjen  Üafdjen,  in  melden  bie  großen  ©iet  bureb  ©tadeln 
gebeeft  liegen. 

SBenn  ba8  holothurienattige  5Su8fehen  bie  §)ourtaleften  unb 
bie  Siegfamleit  bie  ©aloerien  unb  ^Jjotmofomen  ben  ©eeroaljen, 
^olothurien,  nähert,  fo  fommt  bem  ein  wenig  Psolas  ephip- 
pifer  W.  T.  doh  £earb’8  3nfel  auö  75  g.  butd)  bie  ftarfeu  Ser* 
falfungen  be8  9tüden8  unb  Drbnung  pilgartiger  glatten  gu  einet 
Srutbecfe  entgegen.  2)od)  finbet  man  in  bet  Üiefe,  au8  welken 
ba8  Sdjleppnefc  fte  befonberS  leicht  beraufbringt,  bie  £olotl)urien 
Jalfarm,  felbft  füt  bie  ©tücfe  beö  2Runbring8,  geleeartig,  tl)eil8 
glaöattig  heß  mit  butchfdjeinenben  unb  nidjt  unwal)rfd)einlid) 
leuc^tenben  ©ingeweiben,  ttjeilö  gefärbt.  &ing8  unb  quer  mit 
Äatmoifinbänbetn  !am  eine  au8  1900  %.  auf  bet  ?)nfatanbanf. 
©ine  fdjon  niolette  2lrt,  wie  jene  nahe  ^)fclu8,  füblid?  ©.  Sin* 
cent  hatte  bei  enger  2eibe8l)öfyle  auf  bem  biefen  gelatinöfen  Jftitcfen 
garte  Äiemenblätter  in  Setbinbung  mit  einem  Stmbulafralgefäfj. 
3n  ben  antarftifdjen  liefen  gab  e8  bei  2600  bei  ©ap  93te* 
furabo  in  2500  oiele  «^olothurien.  3n  2 — 300  %.  fanb  frei?  an 
©djottlanb  bie  garte  Echinocucumis  typica  Sars,  einmal  audj 
P«olm  aquamatus  Koren  in  fetjr  großer  3a^l.  §üfjd)enlofe  ©au* 
bina  fanb  man  in  7 — 1100  an  Dftneufeelanb.  Sefonbere 
Srutpflege  hatte  ein  $)[olu8  an  ^earb’8  3nfel  unter  ber  gelobe* 
nen  3tücfeni)aut.  3n  Stanginfeln  Don  Macrocystis  pyrifera  lebenb 
mit  fe^r  gtofjen  baumartigen  Slentafeln  oerfehen,  trug  bie  burdb» 
fi^tige  Cladodactyle  crocea  Lesson  an  jeber  IRücfenfufjreibe  etwa 
ein  SDufcenb  3unge,  welche  auch  gro^e  Slentafef,  aber  bi8  gut 
@rö§e  oon  4 cm  fümmerlicbe  @o^lenfü§e  Ratten,  ©ine  Heine 
©hirobota  nahe  3afon’8  3nfel  an  5Raghellaen  g eignete  ftd?  burdb 

(IM) 


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51 


3aljl  unb  ©röjfe  bet  fRäbtpen  in  ber  $aut  au8.  £Die  Subftaug, 
welche  eine  10"  lange  ©eleebolottjurie  au8  1975  %.  bet  Süb* 
fee  unb  anbere  purpurn  färbte,  gabfBiojelep  faft  genau  baffelbe 
Spectrum  roie  ber  garbftoff  ber  2lntebon. 

©ee  ft  er  ne  finben  ftef)  in  allen  mäßigen  Siefen,  bie  1853 
non  SfbSbjörnfen  entbeefte  ©rifinga  Don  Sabrabot  bis  in  bie 
antarftif^en  SDfeere  überall  in  400—  3000  g.  SDutcb  ©djlanf* 
beit  unb  Sänge  bet  an  ber  SBurjel  eingeidjnürten  breigebn  2lrme 
unb  ©nge  be8  |>D^lraumö  ben  Dpfyiuriben  genähert,  unter  ben 
©eeftenten  am  nädjften  bem  Solaater  pappoaua  Forbea , fxnbet 
B.  coronata  Sara  ber  SRorwegifdsen  Äüfte  nad)  fRorben  unb  SBeften 
©rjat}  unb  ©efeDftbaft  in  ber  glatten  B.  endecacnemos  Absbjörnsen, 
beibe  pradpooH  farmin,  in  Drange  unb  ©djarladb  fpielenb,  ba8 
ganje  €Re^  erleudjtenb,  eine  Gloria  maris.  £Die  3roeite  2lrt  fdbeint 
gemßljnli^er.  ©riftngen  famen  in  2350  g.  bei  iÄScenfton,  in 
390  in  ber  ©ulebra=^affage,  in  1525  in  ber  fftorbatlantiS,  in 
1250  an  97eu*®(f}ottlanb , an  Kerguelen  unb  Jpeatb’S  Jnfel  bi8 
in  62°  ©.,  gmii^cn  91pi  unb  ©ap  5)orfin  2440,  bei  ben  5Jleangi8 
in  2000  unb  mefyt,  in  2600  auf  bem  23eg  dou  Japan  nad)  ben 
©anbn>id>.  SDie  Derbreitetfte  Sieffeegattung  ift  .£>pmenafter, 
beffen  Slrme  burdj  eine  3arte  SJfcmbran  mit  rippenartigen  Stäben 
Detbunben  fiitb,  rei<b  farminroib  bei  ©igo  in  1125  g.,  mit  H. 
pellucidus  in  5000  g.  bei  ©cbottlanb,  in  allen  Steilen  be8 
großen  DceauS  dou  400—2500  Siefe,  mit  H.  nobilis  W.  T.  in 
1800  g.  bei  Sfuftralien,  bei  ©nofima  in  565  unb  770,  bei  ben 
©leangiS  3ufeln  in  1070.  3n  ben  feljr  tief  lebenben  gehören 
bann  Straftet,  ber  abfonbetli^e  ©orcellauafter  au8  2350  g.  nabe 
Slgcenfton,  melier  fidj  burd)  lange  Stapeln  längs  be8  5Rü<fen8 
jebeS  3rm8  auSjeidjnet.  fföeljrere  ^aben  befonbere  ©rutpflege; 
Leptychaater  Kerguelenaia  O.  Smith  bewahrt  bie  Jungen  jicifcpen 
ben  fäulenförmigen  ©afen  bet  Stifteten,  $)a;rillen,  feiuer  (Rücfen* 
baut,  bis  fie  in  ben  Slrmeden  auSfriecpen;  Hymenaater  nobilia 

4*  (123; 


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52 


unb  ähnlich  pterafter  haben  am  ©djeitelpol  fünf  gro&e  33rut« 
Happen,  ein  falflanbifdjer  Slfteracantbion  bilbet  eine  Srutbe» 
»abranftalt  burd)  ©infdjlagen  bei  2lrme  übet  ben  Pt  unb  »ie 
im  Serben  Echinaater  Sarsii  M.  T. . 8uibia,  Slftrogonium, 
äftropeden,  bet  leudjtenb  rot^e  Boteafter  finb  fämmtlid)  in  ber 
üieffee  gefunben.  £Dte  ^>ofttion  in  62°  @.  mar  in  1800  g.  reich 
an  großen  ©eefternen. 

©urpaliben  fanben  ftdj  an  $earb’8  Bnfel,  Kerguelen,  ©abia, 
am  SiuSgang  bet  5Jtagbellaenftra§e  bei  ©ap  ©itgin  mit  Scheibe 
Bon  3—4".  — 3?ie  Dpljiuriben  gehören  ju  ben  Berbreitetften 
©ewobnern  bet SEieffee,  unter  anberen  bie  ©attungenDpfjiomufium, 
»riebe  ihren  Flamen  nach  ben  mofaifartig  feftgefügten  Äalfplatten 
hat  unb  bei  0.  eburneum  Bon  gloriba  am  meiften  Berbient,  unb 
Stmphiura.  S5ie  ebiienifibe  ISmpbinre  ift  non  einer  arftif^en  nicht 
3U  unterfdjeiben.  Ophioceramü  lanuarii  nerbreitet  ftd)  oon  Jßeft* 
inbien  bis  Patagonien,  Ophiomusium  Lymani  oon  fßormegen 
bis  füblid)  ©ap  ©inceut  in  1090,  bei  PemScbottlanb  in  1250  g., 
in  1000  g.  bei  Striftan  b’&cunba;  eine  2lrt  fanb  fi(b  an  ben 
©ermubaS  in  2650  g.;  OpbiopboliS  bilbet  bie  ^auptfpeife  ber 
.Kabeljaue.  Ophioglyphe  bullata  ftnbet  fid)  in  2350  g.  bei 
Stöcenfion , eine  9(rt  in  2650  g.  bei  ben  ©etmubaS.  Sind)  bie 
antarftifdjen  Dpbiutiben  haben  für  gebenbgebären  unb  ^Brutpflege 
neue  Späten  gebracht.  (Sine  Dpbiacantpa  non  ben  galflanb’8  ift 
lebenbgebärenb ; Ophioglypha  hexactis  E.  Smith  (vivipara  W. 
T.)  non  Äerguelen  mit  6—9  Firmen,  trägt  ihre  Bungen  auf  bem 
SRücfen  mit  fid).  SDiefe  ftärfere  ©rutpflege  antarftifeber  ©ebino* 
bermen  »itb  auf  bie  für  ©cbmärmen  bet  8aroeu  iu  ©iS  unb 
©iSfcbmelje  ungünftigen  Serhältniffe  bezogen  »erben  bürfen. 

©on  ben  £aar*  ober  gieberfternen,  ben  ©tinoiben  finb  bie 
im  .peranroaebfen  jeitig  abgelöften  ©omatula  ober  SIntebon  in 
grofjer  Pienge  an  9torb»tSmerifa,  51  g.  bei  ^alifay,  1250  g. 
bei  9leufd;ottlanb,  bei  ©.  Pauls  gelfen,  jablreid)  in  7 — 20  g.  bei 

(124) 


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53 


33ahia,  an  ©ronlanb,  an  ©chottlanb  unb  ^Norwegen,  im  ÜJiitteU 
meet,  bei  ben  9Jleangi8,  bei  Gnofima  in  565—770,  weiter  ab 
ton  3apan  auch  in  2800,  an  Gap  $orf  in  8 — 12  fr  gefuuben; 
e8  giebt  aber  barunter  minbeftene  einige  tetfdjiebene  Sitten. 
{RhijocrinuS,  jwifchen  Slntebon  unb  bem  23ourgeticrinu8  ber  Äteibe 
ober  bem  93elemnocrinu8  ton  3owa  oermittelnb,  welcher  ftdt>  auch 
erroacbfen  mit  ben  9ianfen  im  ©flamme  feftflammert,  in  fd^tanf 
aufgeworfenen  in  gütlichen  ^rrnen  entfalteten  SBäumchen,  war 
anfänglich  nur  in  R.  loffolemü  Sars  au8  bet  5Rorbatlanti8  be» 
fannt.  fPourtaleS  braute  bagu  ben  größeren  Rh.  Rausonii 
ton  froriba,  welchen  bie  £afjler  an  33arbabo8  in  80 — 120  fr  in 
einigen  Gjremplaren  wieberfa  nb,  welche  10 — 12  ©tunben  lebten. 
91.  Ägaffig  bflMe  bei  ©anb  ^ep  auf  frl8grunb  ba8  9ie^  fo  toll 
9U)igocrinen , a(8  fei  e8  burd)  einen  SBalb  ton  ihnen  gegangen. 
JDie  erfte  2lrt  finbet  fidj  auch  in  bet  Gulebra=|)affage  in  625  fr, 
gabireich  bei  ©anbp  £oof  in  1350,  in  400  bei  Portugal  unb 
gwifcben  @.  'JJiiguel  unb  ©.  SDRaria  in  ben  Slgoren,  auch  ange» 
bohrt  ton  ©tplifer,  in  1000  bei  Jriftan  b’2Jcunha.  3®ifd}en 
Slntebon  unb  IR^ijccTinud  oermittelt  für  ben  Stamm  ein  wenig 
ber  garte  Bathycrinus  gracilvs  W.  T.,  guerft  in  2435  8.  in  ber 
33ai  ton  93i8faja  gefunben.  B.  Äldrichianus  W.  T.  fam  ab 
Gap  9Refutabo  au8  1500  fr,  mit  20  — 25  cm  hoppelt  fo  ho<h 
alö  gutor.  Gben  bort  fanb  ftch  bem  paläogoifehen  ^MatpcrinuS 
nahe  Hyocrinm  bethelliamus  W.  T.  mit  einem  Äelcpe  ton  6 cm 
auf  einem  ©tammftücf  ton  17  cm,  beffen  für  je,  feft  gefügte 
©cheibcpen  ben  §)entacrinu8  näher  ftehen,  bie  gleiche  ©attung  bei  ben 
Grogetö  in  1375  fr,  bei  ben  2Jteangi8  in  2325  fr  3«  ben  be» 
fannten  großen  ülrten  biefer  ©attung  felbft,  ber  felteneren  P. 
atterias  L.  unb  ber  etwa8  häufigeren  P.  Müllen  (Jerstedt  au8 
bem  UntiDenmeer,  fanb  an  Portugal  3efftep8  1870  in  1095  fr 
ben  fleineten,  am  ©tiele  auch  ranfentragenben  P.  Wyville- 
Thomsoni  J.  unb  in  400  fr  bie  Ghallenget  ben  nahe  ftehenben 

<1M> 


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54 


P.  Maclearanu8  W.  T.  purpurfarbige  grofje  Peutafrinen  |d)ei= 
neu  lofal  befdiränft,  bodj  in  liefen  non  3—500  g.  gemeiner, 
als  man  bacpte.  ©ie  fiub  jahlreich  in  100  g.  auf  ben  6uplef« 
teüagtünben  »on  6ebü,  an  ben  Äermabefinfeln  in  630—650,  an 
ben  Äepinfeln  in  126,  an  ben  ÜReangiS  in  500,  an  Sanglao  unb 
©iquijor  in  ben  Philippinen  in  375  g.  Unzählige  ©tielglieber 
nnb  Slrme  bebecfen  ben  ©runb  nörblid}  non  6uba. 10)  Der  ftieltofe 
Holopus  Rangii  d’O .,  melier  burd)  einen  gtfdjer  an  23arbabo8  an 
ber  angel  gefangen  mürbe,  ift  auch  in  einigen  meiteren  ©tücfen 
»orgefommen.  6in  2Rr.  SBertram  auf  ben  SöermubaS  bejah 
ein  nahefteljenbeS  Snbioibuum  non  f"  8änge  unb  ein  junges 
fam  au8  2 — 300  g.  in  bie  .£>änbe  non  a.  agaffij.  Diefe 
lebenben  armlilieu  bilben  nunmehr  eine  anfehnlidje,  manuigfal* 
tige  {Reihe.  Plan  fieht  mit  Segietbe  ber  3«it  entgegen,  mo  bie 
Slnatomie  non  ihnen  allen  gemacht  fein  mirb.  Da8,  ma8  feit 
^unbeTttaufenben  »on  Sahten  nergangen  fdjien,  lebt  mieber  auf 
©i$tMtmnpolt)pen.  Da  am  (Schlepptau  brei  neue  arten 
non  ©chmimmpolnpen,  ©iphonophoren,  Rkizophysa  conifera  S., 
R.  inermis  S.  unb  Bathyplnjssa  S.  abyssorum  häufig,  babei  regel» 
mäfeig  im  abftanb  »on  12—1500  g.  con  beffen  Anfang  hingen, 
fich  aber  nie  in  biö  ju  200  g.  cerfenften  SDberftöcbennehen  fingen, 
glaubt  n.  ©tu ber,  bah  felbige  in  gebachter  Siefe  fchmimmen. 

CutaDen  unb  ^iolppcn.  au  ^»pbroibpolppcn  gab  bie 
Pourtal48ejrpebition  unter  71  arten  64  neue,  befonberS  viele  pln« 
mularien,  non  melcben  jmei,  mie  audh  Sertularella  Gayi,  ibentifch 
mit  europaifchen  arten.  ©ech8  arten  famen  au8  Siefen  »on 
mehr  al8  300,  gmölf  au8  mehr  als  200  g.  L'ladocarpus  para- 
düea  Al.  erreicht  14“,  einem  »ergmeigten  geberbufch  ähnlich, 
Aglaophenia  rigida  Al.  9",  mehrere  anbete  arten  6—8".  68 
fommen  bis  in  nicht  unbebeutenbe  Siefen,  90  g.  unb  mehr, 
gpmnoblafte  gormen  not,  bei  melden  menigftenS  bie  Ptöglichfeit 
onrhanben  ift,  bah  bi«  tiic^t  mit  Äapfeln  umhüllten  ©ejdjlechtS* 

C1Ü6) 


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55 


fncSpen  als  ßuallen  frei  werben.  SBeber  in  hob«*  Sreiten  fei}« 
len  bie  .^pbroibpolppen , nod}  in  großen  liefen.  Eydrall- 
mania  falcata  get)t  an  (5uropa  Don  5 — 542,  Thuiaria  articulata 
oon  50 — 632  Sertucellaria  polyzoniae  Bon  ber  glutbgrenge 

biö  374  g.  3»ei  £l}uiaria  famen  au8  SBaffer  unter  0°  au8  640, 
eine  8afo€a  au8  345  g.,  ©tepbanocppbuS  auf  2BaIfnodjen  ab 
Sabia  au8  2275.  (58  gab  ihrer  in  1525  g.  auf  bem  atlantifd}en 
Plateau.  33ei  ber  ^orcupinefabrt  fam  ein  fpäter  oetloreneS  au8 
2435  g.  £Die  Ärone  ift  ber  rotb  unb  gelbe,  ber  ©attung  (5orp* 
morpba  nabe  9Jtonocaulu8,  2 m bod},  mit  Äeld}  unb  Sentafel« 
frang  Bon  40  cm  au8  1850  unb  2900  g.  im  SRotbpa^ifxfc^en 
SJteer.  ©ine  oftomiben  quälte  ©afftopeia  fanb  ftch  im 
gijcbnej}  au8  2040  g.  füblid}  OKontenibeo  unb  nod}  einmal. 

Söeifje  lebrige  Slftinien  famen  ab  3apan  au8  565  g,  gu« 
weilen  gro|e  au8  gröfter  Siefe,  ab  3apau  au8  2050,  2800  unb 
3125;  fdjeibenförmige  SDiSfofomen  au8  1315  g.  bei  3uan  ger« 
nanbeg.  @8  gab  Biele  Slftinien  auf  ben  ©uplefteüagrünben.  (Die 
(5ingeweibe  ber  weiten  Sieffeeaftinie  finb  mit  bemfeben  rotben 
garbftoff,  ^olpperptbrtn,  gefärbt  wie  ©eratotrochuäpolppen. 

fDieÄorallen  ber  Sieffee  leben  in  ber  Siegel  colonienweife 
auf  gel8grunb  unb  finb  meift  folitäre  Surbinoltben.  gaft  alle 
©attungen  greifen  in  bie  Sertiärgeit,  manche  weiter.  33on 
42  Sitten  ber  §)orcupine  batte  feine  bie  geßigeu  äußeren  Auflage* 
rnugen,  wie  fie  bie  fRifffotaUen  gröberer  üJteere  oerfitten ; 
9 jener  Slrten  finb  gugleid}  pliocän,  eine  miocän,  eine  gehört  ber 
Äreibe  an  unb  fünf  finb  älteren  ©pochen  oerwanbt.  3b  80 — 
120  g.  finb  bie  gabireichen  Sitten  bei  ©atbaboS  ben  tertiären 
©uropa’8  uiel  ähnlicher  al8  benen  Bon  SBeftinbien,  fo  baf*  40 
©attungen,  22  tiefe,  18  litorale,  meift  Sftipilbuer,  übereinftimmen. 
35ie  Sieffeefauna  ©uropa'8  fchob  fid}  weftwärts  unb  erhielt  fleh, 
al8  bie  3öeftinbien8  gröfetent^eilS  unterging.  fRur  10  ©attungen 
erreichen  nad}  SRofelep  1000,  Bier  1500g.;  über  1600  unb  burd} 

a*7) 


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56 


ade  Jiefen  bou  30—2900  geljt  nur  Fungia  symmetrica  P.  2Bie 
•in  ber  Strafje  Don  Sloriba  in  350 — 450,  finbet  fte  fi^  in  bet 
•iRorbatlantiS  unb  in  ber  SübatlautiS  mit  60  ©rab  SDiftang,  im 
nörblidjeti  ^)ajifi{^en  Sföeer  in  2850  %.  mie  im  f üblichen  unb 
an  ben  SJloluffen,  gebeizt  auf  jebet  SJobenart,  auf  ÄotaDfchlamm, 
auf  ©[obigerinen,  wenn  aud)  zerbrechlich  bünn  auf  [Diatomeen  unb 
rotbem  Jhon,  jmiftben  ÜHabraciS,  in  Jemperaturen  Bon  1—20°, 
fam  auö  2300  %.  mit  reifen  ©ietn.  ©inige  bet  einfachen  ju» 
fammengebtücften  ^labedum  finben  ftd)  gleichfalls  tief,  F.  laänia- 
tvm  in  400  §.  an  ben  gatoet,  F.  dütinctum  an  Portugal,  F. 
alabastrum  M.  in  1000  %.  ab  SRiguel,  F.  apertum  M. , F. 
angulare  M.  in  1250  lefctereS  auSnahmSweife  nad)  ber  3<chl 
fünf  georbnet  mit  40  Scheibewänben , anbete  oberflächliche  auf 
ben  ausgezeichneten  ©rünben  ber  9trü  unb  Bon  ©ebü.  2tuch  Ber* 
wifcheu  ben  gewöhnlichen  58 au  bie  Stplafteriben , welche  alle 
Scheibewänbe  gleich  unb,  wie  SarS  an  58Dopota  entbecfte,  bie 
Jentafel  nicht  auf,  fonbern  jwifchen  jenen  hoben,  in  mehreren 
Sitten  non  Stplafter  in  ber  weftinbifchen  $rotinz,  an  Sluftralien, 
Snbien,  Jriftan  b’Slcunha,  in  Cryptohelia  pudica  Milne- Ed- 
wards, beren  ÜKunb  Bon  einer  Äelcpfeite  fchilbartig  überbedft  ift,  in 
9teu*@uinea  unb  in  1525  g.  an  S.  Jh°mfl3.  Buwetlen  fommen 
im  atlantifchen  ÜJleere  ©eratotrochuS  Bor,  bis  bahin  auSf<hlief)li«h 
tertiär  erachtet,  mit  ftarfen  SRippen  unb  burd)  bie  gtö§ere  SluS* 
bilbung  ber  SBäube  ber  zwei  erften  Orbnungen  wie  gehörnt,  C. 
nobiUs  M.  lebenb  aus  1000  %.  in  ben  Sporen,  beörotpe  Jen* 
tafel  entfaltenb  auf  bla§nelfenfarbenet  Scheibe  mit  frepprothem 
dJtunbranb,  blafjblauem  Sanbc  unb  gelbrothen  unb  hellgrauen 
Streifen  gwifchen  ben  S3afen  jener,  unb  C.  diadema  M.  auS  675  %. 
bei  ©ap  Slgoftinh0  bei  $)etnambuco.  Siel  weiter  zurücf  in  Silur, 
3)eton  unb  Äoble  greift,  bafaltartig  bie  ^olppen  zufammen* 
brängenb,  gaBoftteS,  welchen  ä.  Slgaffiz  bei  ©uba  auf  ber  8inie 
ton  292 — 850  %.  fanb.  3u  SJlenge  bebecfen  bie  fleinen  Madracis 

(IM) 


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57 


asp&rula  unb  hellena  ftfdjreidje  Untiefen  bet  33ermuba8.  3n 
europäiid)en  unb  ftemben  föteeren  ift  in  bet  Siefe  am  gemeinften 
©arpopfyptlia.  C.  boreali#  Fleming,  bi8  in  705  %.  an  3rlanb 
unb  1250  an  ben  SermubaS,  ift  foffil  in  ©icilien.  Sopboljelia 
unb  Slmpfyipelia  lieben  madige  liefen. 

Seber*  unb  SRinbenfcraQen,  ©eebefen  unb  ©eefebern,  alcpo= 
natifcpe  ^olppen  ftnb  in  ben  füllen  9Jleere8 tiefen  non  500 — 
1000  & reid)  nertreten,  befonbetS  SPlopfea  unb  ^)rimnoa.  3n  ben 
größten  Siefen  fanb  fid^  überall  itgenb  eine  SSrt  non  UmbeHularia, 
U.  grönlandica  L.,  in  metyr  als  2000  %.  gtrifeben  (Jap  Sincent  unb 
SRabeira,  eine  im  ©olf  non  ÜJtejrico  au8  1568  $.,  eine  meftli^ 
dpi  au8  2440  bei  ©nofima  in  565  unb  770,  ab  oon 
3apan  in  2050,  neunmal  in  12 — 2600  %.  im  antarftifdjen 
SfRee r,  felbft  unter  62°  jwifdjen  ©ljetlanb’8  unb  38lanb  in 
400  %.  8ila»pt}o6pl)orefcirenbe  ©orgoniben  waten  an  Gap 
fßincent  in  600  %.  gafylteicf)  unb  erteilten  2'  @rö§e.  ©ine  tobte 
3ftbee  non  2"  SDutdjmeffet  napm  auf  bem  atlantifdjen  $>lateau 
in  1525  g.  an  iljrer  Dberflacpe  Stjeil  an  bet  fdjwärjlidjen  ÜJtan» 
ganfärbung.  $>ennatuliben  non  2—3'  famen  nalje  bem  8a  $)lata 
au8  600  ber  enorm  großen  norwegijdjen  Funiculina.  ftn- 
marchica  ähnliche  jwijdjen  3apan  unb  ben  ©anbroid}.  3ucp 
©ornularia  erreicht  in  Siefen  bis  ju  3125  %.  mehrere  3oß  ftatt 
einiger  Linien  Sänge.  2) aß  Seudjten  ber  ÜJfopfeen,  SBitgulatien, 
UmbeUularien  fonnte  ipeftral  unter  judjt  werben.  ©8  gab  bei  ben 
erften  Sidjt  oon  B — F,  bei  ben  3 weiten  oon  a— E,  bei  ben  britten 
non  D— b.  $Da8  geübten  fteigerte  fid>  futj  bei  3ufafc  füfjen 
SBafferS. 

©djtoämnte.  $eyatinelliben(ngl.  @.  18),  welche bie  gor« 
men  ber  Äreibe  unb  paläojoifdjet  Seiten  jutücfrufen , »etgefefl» 
fünften  fid)  jafylreid)  mit  ^entahinen , Äreibeigeln,  tertiären 
Äoraüen  im  atlantifdjen  SDjean,  an  Portugal  unb  SBrafLHeu  in 

(1*9) 


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58 


etwa  1000  g.f  ju  einem  metfwürbigen  gaunalbilb.  2lphtocaHifte8, 
ba8  SenuSfßrbchen,  bie  citronenförmigen  Seeneft  et  £oltenia  mit 
fünfftrahligen  fabeln  unb  JRoffeDa,  garrea,  GuplefteHa,  ^pa« 
lonema  finb  fosmopolitifch,  faft  immer  mit  Stielen  ober  mit 
Satten  non  Äiefelnabeln  fiep  bie  Stellung  im  Schlamme  fidjernb. 
Jfjpalonema  in  1240  g.  im  atlantifdjen  £>jean,  in  etwa  1900  im 
mejrifanifcben  ©elf  unb  in  1525  bei  S.  SEl)oma8  mit  bem  mefyt 
eiförmigen  H.  toteres  W.  T.,  in  525  bei  Gap  Sincent  unb  in 
500  bei  ben  Butts  of  the  Lews  mit  II.  Iwritanicum  B.,  l>atte 
meift  bie  umtleibenbe  ^alntboaferaQe,  an  jungen  Gpemplaren 
beginnenb,  aber  nicpt  in  2800  g.  ab  3ap»nr  ttofc  4"  ©rßfje. 
©8  fommt,  wie  an  Sapan  in  feisteren  ©rünben,  nicpt  opne 
Zahlreiche  Sieffeegefellfdjaft  mitjubtingen.  Bwifcpen  Äermabef  unb 
ben  gibfdji  fanb  man  eine  SRabel  bacon,  ftärfet  al8  eine  Strid» 
nabel.  GuplefteHa  fam  mit  bet  faft  fußlangen,  fcplanf,  bettet» 
artigen  E.  suberea  W.  T.  gleichfalls  au8  bet  ausgezeichneten 
portugiefifcb‘fanarifcben  IRinne,  cielfach  jwifchen  QJtontecibeo  unb 
bem  Gap,  eine  bet  Subena  oerwanbte  gro|e  ärt  oon  Sepia 
#onba  unb  fenft  an  Guba  au8  gtofjer  Eiefe.  Sei  ben  Äep*infeln 
waten  ^palonema,  £oltenia,  SlpprocallifteS  bereits  in  129  g. 
reichlich;  bie  Sieffee  jwifchcn  Äetmabef  unb  gibfchi  wimmelt  non 
ihnen.  2) et  Holtenia  Carpenteri  W.  T.  non  ben  Butts  of  the 
Lews  in  500 — 1000  g.  entfpricbt  SRoffeHa  an  ben  Kerguelen. 
2>ie  Steine  beS  falten  atftijchen  SiefftromS  finb  häufig  Don  bet 
halbfugligen  Tisiphonia  agarici/ormis  W.  T.  infruftirt.  3) et 

autarftifdje  ©runb  ift  con  Äiefelnabeln  bebecft.  2>en  Jppalonemen 
nähert  fleh  ba8  auf  bem  norbatlantifchen  Plateau  in  1525  g., 
in  ähnlicher  SEiefe  im  mepifanifepen  ©olf,  in  630  g.  bei  ben 
Äermabef  gefunbene,  wie  ein  Sappen  genetfehwamm  geftaltete, 
tahmgelbe  ober  nelfentothe  Poliopogon  amadou  W.  T.  mit 
Süfcheln  großer  Äiefelfäben  im  Schlamme  oeranfert.  £Die  bet 

(MO) 


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59 


@arfobefubftan$  Angehörige  $arbe  würbe  an  ber  8uft  lebhafter. 
3n  bem  mortelartigen,  lebenöatmeu  Äoraübret  an  ber  ©renje  ber 
SermubaSriffe  in  1690  fanb  bie  G^aDenget  plumpen  (Sfyam* 
pagnergläfern  ähnliche  Lefroyella  decora  W.  T.  @8  fehlt  bemnacp 
ben  Stereiben  nicht  an  jierlidjflemÄrpftaDgefdjirr.  Stad?  ben  ©itter* 
fdjwämmen  finb  anbereÄiejfelfcbwämme,  befonbetö  ©ßperiaben, 
8itbiftiben,  ©eobiben  bie  häufigeren  SSewobner  bet  Siefen  non 
500—1000  %.  unb  »iele  ber  gefunbenen  Slabeln  gehören  ihnen 
an;  .£otni  cbwämme  lieben  mehr  bie  3one  ber  ÄoraUinen,  bie 
.Rallf  cbwämme  bie  liiorale,  wobei  aud)  fie  antarltifcb  auffällig 
grofj  werben  lönnen  SDie  Äiefelfdjwämme,  felbfi  gefüllt  mit 
©lobigerinen,  nähren  auf  fid?  unb  in  fid>  eine  Heine  SBelt  non 
fDtufdjeln,  Ärebfen,  Slmpbiuren  unb  SBütmetn. 

Uriniere.  Uebet  biefe  ift  ba3  2Si<htigfte  oben  gefagt  ®ie 
fammelnben,  fd)on  im  iüfjen  SSaffer,  bann  in  einiger  2Jleere8tiefe, 
oon  ©.  £>.  Sat$  in  450  §.  an  Norwegen  gefunbenen  IR^o* 
poben  haben,  wie  Stör  man  geigte,  aud?  in  ber  ©efdjränfung, 
welche  grofete  Siefen  ihnen  für  ba8  SJtaterial  auferlegen,  gtofje 
arc^iteftonift^e  ©efchicHicbleit  unb  Sorgfalt.  Sieben  Sitten 
haben  eine  jebe  ihre  befonbere  Sht,  Sbeilchen  aufyufucben,  orga* 
nifdje  unb  anorgatiijcbe  t? erfdjiebener  Statur  juredjt  ju  legen  unb 
ju  »erlitten.  Strt  unb  Se^anblung  ber  Söaufteine,  grober  unb 
ftaubartiger  Duar^fanb,  gefärbte  Äörnet,  meift  oon  SJtangan, 
Heine  unb  gtofje  Scbwammnabeln,  ©lobigeiinenfcbalen,  Äoffo* 
litten,  SJtufchelftücfcben,  ^ier  ichatf  fortirt,  bort  jierlid)  gemifcht, 
halb  fparfam,  balb  reichlich  »erlittet,  balb  geglättet,  balb  in 
Stuftica  raub,  unb  bie  Äammetbübung  laffen  ben  ©elebrten  bie 
©attungen  Spiroculina,  33al»ulina,  Slftrorbija,  8ituola,  Stotel* 
lina,  Stbabbammina,  Stortbofpbaera , £>ifflugia , ©pclammina, 
SJlatfipella,  Sedjnitella,  ißilulina,  Srodjammina,  Stobofaria  unter* 
fdjeiben  unb  führen  ibn  mit  Nodomria  Schlichtii  Reuss  in  »er* 

(131) 


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60 


gangeite  geologifche  Beiten;  ben  Saien  aber  matten  fte  ftaunen, 
wie  in  tieffter  ©erlafjenfyeit  bet  Ojeane  nid)t  allein  höhere  J^iete 
mit  bunter  Färbung,  gieriger  ©eftalt,  8id?tglanj  ihr  SDafein  gu 
f ermüden  roiffen,  fonbern  auch  niebetfte  ©ubftang  25ienlicl)e8  mit 
bie  ©inne  Slnfprechenbem  »erbinbet: 

Utile  cum  dulci. 

3uli  1878. 


^nnterkuttgeti. 


1)  %.  bebeutet  Sahen,  gewöhnliche«  ©affertiefmafj,  2500=14572  m 

2)  ©nige  öfter  »orfommenbe  Slawen  »on  SdjriftfteUern , welche 
einer  STtjierart  ben  Stamen  gegeben  haben , ftnb  gemäß  ber  ©ewohnheit 
abgefärjt  unb  bebeuten:  A.:  9tleje.  Stgaffij;  Ai:  Süman;  J.:  ©w^ns 
Sefftep«;  L.:  Sinne;  M.:  SJtofele»;  M.  T.:  3J?üUer  unb  Srofchel:  N.: 
Storman;  d’O.:  b’ßrfcignp ; P.:  ©Durtale«;  S.:  ©tui>er;  St:  ©timpfon; 
W.  S. : ».  SBiUemoe«  ©uhm ; W.  T. : 2Bß»iHe  ihemfcjn. 

3)  2)te  Semperaturbeftimmungen  finb  nach  ®elp«8. 

4)  3Bir  führen  englifche  unb  ameritanifche  ©chiffe  nad)  ber  ©e* 
Wohnheit  jener  Sänber  al«  weiblich- 

5)  ©teilen  finb  überall  ©eemeilen. 

6)  Stach  ben  neuerlichen  ©eröffentlichungen  »on  ©ünther  tragen 
wir  folgenbe  Sipe  »on  61  neuen  Sieffee-Sifcfcarten,  al«  auf  ber  ©hnHenger- 
©epebition  gefunben  nach-  Sie  Sifte  beweift  bie  ftarfe  ©ertretung  be« 
ftimmtcr  Samilien  in  ber  Sieffee  unb  maebt  bei  beren  ©efonberl)eiten  e« 
gang  ft  eher,  baß  man  e«  in  ber  gang  überwiegenben  SJtehrheit  mit  echten 
Sfeffeebewohnera  ju  thun  h“be.  ©nige  Slrten  machen  »ieHetcht  ©ilbung 
neuer  Samilien  nöthig. 

-Stnorpetfifche. 

Scyllium  canescens  400  S-  ©üb  Stmerica,  ©übweftfüfle. 

Slcanthobterifche  .Rnochenfifche  ohne  ©chwimmblafengang. 
Bathydraco  antarcticus  1260  S-  $earb  3.;  Srachinibe,  ohne 

©chwimmblafe. 

Cottus  bathybius  565  %.  3a»an. 

(iss) 


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61 


ÄnD<$enfif(§e  mit  ©t^mimmblafengang. 

1 Setarches  Fidjiensis  215  §.  gibfdji;  au§er  am  Äcpf  mit  »in« 

jigen  Spcloibft^uppen,  Äiemenbecfel,  SB  er« 
ficmenbecfel  [unb  äugenfyöblcorberranb 
bewaffnet. 


Antimora  rostrata 

Haloporphyrus  australu 
Melamirm  gracilis 
Lotella  marginala 

Srrembo  Messieri 
Bathynectet  laticeps 
„ compressus 

„ gracilus 

Typhlonus  natu« 

Aphyonut  gelatinosus 
Acanthonu«  armatus 
Bathygadus  cottoide« 


(ftnbibtn. 

600—1375  g.  jmifcfy.  9iio  $>latamünbung, 
(5ap,  Äerguclen. 

55—70  g.  9Jlagl;ellaenftra{je. 

1975  g.  antarftifcb,  tieffd?»arj. 

120 — 345  g.  ©üb  ämerifa,  ©übweftfüfte. 
(PpßibHbrn. 

345  g.  SJlibble  3-,  9Jtejfterftraße. 

2500  g.  DJtittelatlanti«;  fleine  äugen. 
1075-2500  g.  91.  ©uinea ; fcfyr  fleine  äugen. 
1400  g.  91.  ©uinea. 

2150 — 2440  g.  91.0.  äuftralien;  äugen 
nidjt  fiebtbar. 

1400  g.  äuftralien,  91.  Guinea;  bur^fic^tig. 
1075  g.  91.  ©uinea;  fleine  äugen. 

520 — 700  g.  9t.  ©uinea,  Äermabef;  ob 
ju  (Songrogabinen  gehörig? 


Macrurut  longiro/itris 
„ holotrachys 

„ fasciatut 

Coryphaenoidet  rudis 

„ aequalis 

„ cramceps 

„ microlepis 

„ Murrayi 

„ serrulatus 

„ filicauda 

„ variaöUis 

„ a/finü 

„ carinatut 


fflammben. 

500  g.  91.  ©eelanb;  große  äugen. 

600  g.  'platamünbung;  große  äugen. 

120 — 245  g.  ämer.  ©übweftfüfte;  febr 
große  äugen. 

5C0 — 650  g.  9lörbl.  o.  Äertnobef,  ©title« 
9Jteer. 

600  g.  Portugal. 

520 — 650  g.  916rbl  Jtermabef ; fleine  äugen. 

215  g.  gibfdji;  große  äugen. 

1100  g.  91.  ©eelanb. 

700  g.  91.  ©eelanb. 

1800 — 2650  äntarftifö,  beibe  Äüften  ©üb« 
ämerifa’«;  äugen  ungewöhnlich  Flein. 

135 — 2425  äntarftifd},  Äerguelen,  3-  Sfr« 
nanbej,  ©title«  ÜJleer;  äugen  flein. 

1900  g.  f)latamünbung. 

500  g.  $>rince  ©bwarb’«  3nfel. 

OM ) 


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62 


Echiostoma  microdon 
„ micripnus 


Malacogtms  mdicus 
Bathyophia  ferox 


Bathymurua  ferox 
„ mollig 

Chlorophthalmug  nigripennis 
„ gracilis 

Bathypterois  longißlis 
„ longipes 

„ quadrifilis 

„ longicauda 

Scopelus  antarcticus 
„ mizolepis 

„ crassiceps 

„ tnacrostoma 

„ microps 

Ipnops  Murrayi 


Stomiatiöen. 

2440  g.  Sluftral.  jctymarj,  2 Seudjtorgane 
unter  ben  äugen. 

2150  g.  äuftral.,  förcarj,  Seucfjtergane 
über  bem  £)berfiefer , berfümmerten 
äugen  äßnlid). 

500  g.  «Stilles  ÜJteer. 

2750  g.  9t.  9£tlantiS , etwa«  fl.  äugen, 
l'eucßtorgane  über  Dberfiefcrmitte,  Heine 
Ueudjtflccfen  längs  SBau^feiten,  äußcn» 
ftratjl  ber  33au$fleffe  nnb  ©<$tt>anj. 

Scopetitien. 

1100  g.  9t.  ©eclanb. 

1875—2365  g.  jüböftücf?  ?)ebbo. 

120  g.  Jaoofelbbai;  große  äugen. 

1100 — 1425  g.  S.  SltlantiS,  3-  gentanbej, 
9t.  ©eclanb. 

520—630  g.  Äerraabef  3-;  Heine  äugen. 

2650  g.  Oftfüfte  non  ©übamerifa 

770  g.  33rafilfüfte. 

2550  g.  ÜJtittlereS  unb  fübL  Stilles  ÜJteer. 

1075  g.  äntarctifcß;  große  äugen. 

800  g.  9t.  ©uinca;  feßr  Heine  äugen. 

675 — 1500  g,  ätlant.  u.  äntarct.;  fcßroarj, 
flcine  äugen. 

2425  g.  Stilles  ÜJieer ; Heine  äugen. 

1375  g.  3®il’cßen  Sap  unb  Äcrguelen ; 
Heine  äugen. 

1600 — 1900  g.  ©übatlantiS ; auf  fpatel* 
form,  ©djnauje  tkudjt*  ober  ©eßorgan. 


äteruoptijdjiben. 

Gonogtoma  elongatum  800  g.  ©iibl.  0.  9t.  (Guinea. 

„ gracile  345 — 2425  g.  ©üböftl.  ü.  3apan. 

„ microdon  500—  2900  g.  ©tifteS  ÜJteer. 


Salmoniden. 

Bathylagm  antarcticus  1950  g.  äntarctifd»;  feßr  große  äugen. 

„ atianticus  2040  g.  ©üb  ätlant.;  feßr  große  äugen; 

laid>en  oieQeicpt  in  antarctifdjen  ©üß* 
toaffern. 

(U4) 


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63 


äUptbofanrilten? 

Alepocepaalut  niger  1 400  §.  ülörbl.  Bon  Sluftraüen ; &opf  groß. 

ffaplotpHonibtn  ? 

Platytroctes  apus  1500  8-  ÜJiitt.  Sltlnntiß;  jiemL  große  Slugen. 

Bathytroctes  microlepis  1090  8-  G.  ©.  ÜJincent,  fepr  große  Slugen. 

„ rostratus  675  8.  'pernambuco. 

Xenodermichthys  nodulosm  345  3.£)ebbo,  fcpwarj;  ftatt  mit  ©puppen, 

nur  mit  rubimentären  ©ebilben  in  ber 
■£>aut. 

Ifalofanrihen. 

1090—1375  8-  Sltlantiß,  jwijcpen  Gap  u. 
Äerguelen. 

2750  %.  ÜJiitt.  Sltlanti« ; beibc  mit  großen 
©puppen  in  ber  Seitenlinie. 

ffluroentbtn. 

2500  g.  ÜJiitt.  Atlant  8. 

1500 — 1800  8-  ©tid.  üJlecr,  Stntarctijcp ; 
Äorper  furj,  Singen  fc^r  flein,  nähert 
fid?  Ueptoceppaluß. 

7)  Sa  bie  oon  ©teenftrup  unb  ÜJlalnt  über  bie  fpmmetrif^en 
Swgenbjuftänfce  fpüter  ajpmmetriftber  ©Rollen  gemalten  Angaben  im 
Prinjipe  auch  Bon  31.  91  gaff  ij  beftätigt  »erben,  ift  bie  9lnnapme 
Bon  SßpBill e-Ibomfon,  baß  bie  pelagifcpen  fleincn  fpmmetrifcpen 
8crmen  nickst  ju  fpüter  ajpmmetrifcpen  gehörten,  niipt  gerabe  ftarf  geftüpt, 

8)  SBie  ©pence  SBate  fo  eben  jeigt,  irrte  ÜBillemoeß  in  ber 
Sinnahme,  baß  biefer  ©ruppe  bie  Singen  fehlten,  fte  hat  fte  an  unge* 
toöhnli<htti  ©teilen  unb  unbeweglich.  Sie  mit  4 paaren  ©epeerenfüßen 
ftnb  jepon  Bon  geller  alß  Polpcpeleß  beschrieben , bie  mit  5 bilben  bie 
©attungen  Pentacpeleß  unb  SBillemoefia.  33ei  Polpcpeleß  unb  penta* 
tpeleß  liegen  bie  Slugen  in  ©ruhen  beö  Slücfenpanjerß  fo,  baß  fte  an 
ben  oorberen  ©eiteneefen  Borragen,  bei  ÜBideraoefta  an  ber  Sßorberftäcpe 
ber  ©tim.  Sie  Gpadenger  f^nfc  3 Polncpeleßarten , barunter  P.  Hellen 
biß  in  1070  8-  an  91.  ©uinea,  6 pentacpeleß,  barunter  P.  obscurus 
biß  1070  8.  an  ül.  ©uinea,  Willemoesia  leptodactyla  in  1900  3- 
an  3uan  3fmanbej  unb  in  ber  Ülorbatlantiß , ade  auf  ©lobigerinen* 
ftplamm.  ÜBäprenb  ber  Slugenftiel  ber  ermachfenen  minimal  ift,  pat  ber 
Jugenblitpe  3oeaftanb  große,  beutlicp  geftielte  Slugen.  Sie  SJerfümmerung 
fepiebt  ©pence  SBate  auf  baß  ©raben  im  ©anbe,  niept  auf  bie  Siefe, 
ba  P.  Helleri  biß  120  8-  fommt,  bagegen  eine  neue  Grangonibengattung, 

(135) 


Halosaurus  macrochir 
ros  trat us 


N emichthys  infam 
Cyema  atrum 


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64 


©palaScarig,  trog  tiefen  2Bopnfiße8  fepr  große  ’Jlugen  pat.  ©ie  ©empe« 
ratur  ber  SBopnfiße  für  bie  tffiiHemoefien  feptoanfte  gwijipen  + 1°8  unb 
- 6°.  Tormann  pat  bann  aber  in  grage  geftetlt,  ob  niept  pentacpeleS 
«nb  tHiiUemoefia  ©efcplecptfiformen  (toopl  Plänntpen?)  ju  PelpcpeleS 
feien,  glaubt  auep  niept,  baß  2Uppeu8  grabe  unb  palt  ben  Sau  Bon 
SBiKemoefia  für  ©iymimmen  fprecpenb,  bleibt  enblicp  babei,  baß  bie 
Sßerroanbtfcpaft  mit  ftlurijcpen  unb  jurafitfepen  (Srpon  fepr  nape  fei. 

9)  ©all  pat  feitbem  einen  Borläufigen  Sericpt  über  bie  Bon  ber 
Slafe  unb  ber  Söibfc  gefummelten  5J!ot(ubfen  erftattet.  Unter  benen  au8 
200 — 1920  g.  waren  einige  weit  Perbreitete,  Pleuronectia  lucida  J., 
Limopsis  arca,  bie  Biefleiipt  ju  ber  foffilen  ©refflepa  gepßrige  Lyonsia 
bella,  Euciroa  elegantissima  au8  ber  meift  foffilen  Serticorbiagruppe. 
©iefer  al8  500  g.  fommen  bie  ©attungen  gimepfiS,  3lrca,  Sljrimea,  ©oul« 
bta,  pleuronectia,  geba,  SRucula,  goonfia,  pleurotoina,  ßaHioftoma, 
©rocpuS,  Ptinolia,  ©entalium,  tiefer  als  1000  g.  Lyonsia  bella, 
(1920  g.)  gimopftS,  Slrca,  geba,  ©oulbia,  ÜJlinolia.  ©iefe  Ausbeute 
pat  burcpauS  feine  weftamerifanifepen  3üge;  wenn  man  ba8  früper  für 
eine  bou  PonntaleS  bei  gloriba  «gefunbene  $alioti8  glaubte,  fo  fepeint  e8 
fiep  babei  mepr  um  eine  Sepnlicpfeit  mit  afrifanifepen  gepanbeit  ju  paben. 

10)  3n  gortfeßung  ber  Unterfutpungen  mit  ber  Slafe  erpielt  SapU 
tain  ©igSbee  im  2lpril  1878  bei  bem  5Rorroleu<pttpurm  nape  £abanna 
aus  177  g.  jwangig  Bollfommene  ©remplate  bet  beiben  angegebenen 
PentacrinuSarten,  wobei  91.  Slgaffij  geneigt  ift,  ben  ftplanfercn 
P.  Mülleri  mit  entfernteren  2lrrntoirbeln  für  bie  Sugenbform  ju  bem 
ftämmigeren  P.  asterias  ju  palten,  ©ie  ©piere  famen  lebenb  perauf 
unb  ließen  fiep  im  ©Swaffer  ©tunben  lang  lebenb  erpalten,  obwopl  fie 
Ieicpt  bie  Äßpfe  pängen  unb  abfallen  ließen,  ©ie  jarteren  waren  gelb, 
bie  größeren  purpurn  ober  weiß,  fie  bewegten  bie  2lrme  einzeln,  ©«bei 
gab  e8  japlreitpe  Srucpftütfe. 


flH) 

T>rntf  non  ®tir.  Unfltr  (?&.  Biimm)  in  Bnltn,  £$ön*fctroerftrallt  17 ». 


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3of?n  £)ou?arb 

un6 

b i e Peftfpcrrc 

gegen  <£n6e  6es  adjtjefjnten  3afjrljun6erts. 


8on 


sfronj  »o«  Ijolfcfnborff. 


fiwliu  SW.  IS?^. 

93  erlag  von  @arl  a b c I. 

(€.  <8.  tnbmti’id]»  Hrrlogibni^tioaillnng.) 

33.  Sfiilbflm.ett.i6t  33. 


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t 


3>a$  9tcd)t  ber  Ueberfeöunfl  in  frernbf  Sprachen  wirb  oorbetjalten. 


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*£I?ie»iel  bet  ©ngldnbet  Sohn  ^omatb  »ot  einem  Saht» 
hunbert  gethan  fyat,  um  baS  gooS  bet  ©efangenen  unb  bie  @tn« 
richtung  bet  ©trafanftalteu  ju  «erbeffern,  welken  Anfpruch  et  et» 
heben  barf,  als  33egtünber  bet  ©efängnifjreform  gepriefen  jtt 
werben,  ift  allen  ^Denjenigen  befannt,  bie  bet  ©efcpichte  bet  ©traf« 
tedhtSpfiege  einige  Aufmetffamfeit  gugewenbet  haben. 

SBeniget  allgemein  befannt  ift,  welche  SSerbienfte  betfelbe 
ÜJiann  um  bie  33erbeffetung  bet  öffentlichen  Äranfenpflege  ftdj 
erwarb,  inbem  er  wieberhdentlich  bie  europäifehen  ©taaten  unter 
bamalS  fchwierigen  33erhaltniffen  butd; wanbette,  Äranfenhdufer 
unb  j^ofpitälet  untetfuchte,  tief  eingetiffene  ©traben  bet  33er» 
wattung  aufbedfte,  ben  ©tünben  bet  fPeftfeuche  nadhforfchte  unb, 
unter  Aufopferung  feincö  eigenen  SebenS,  jur  befferen  3?ehanblung 
ober  Teilung  feldher  beitrug,  bie  »en  allen  ©eiten  gemieben  unb 
geflogen  waren.  SDbgleicp  Jporoatb  fein  Arjt  uon  SBeruf  war, 
fo  hatte  et  bod)  in  feinet  3e»t  auf  bie  ©rfenntnifj  mancher  Äranf» 
heitSurfact>en  uub  bie  AbfteHung  bet  in  bet  öffentlichen  Ätanf» 
heitSpfiege  eingetiffenen  fBtifcbtöuche  ebenfo  erfolgreich  eingewirft, 
wie  in  neuerer ßeit,  wdljrenb  beö  ÄrimfriegeS,  50ii§  9lightingale. 
©leid)  ihr  bewies  er,  bafc  eS  juweilen  gut  ift,  nicht  alles  »et» 
trauenSuoH  ber  33erantwortIichfeit  folchet  gachmdnner  ju  übet« 
taffen,  bie  entweber  alS  SBerwaltungSbeamte  burefj  bie  33otliebe 

. XIV.  SIT.  1 * (139) 


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4 


für  beftehenbe  3»ftänbe  befangen  gemalt  würben  ober  im  ibealen 
Streben  nach  reiner,  wiffenfchaftlicher  ©rfenntnif)  bie  praftifcheu 
Aufgaben  unb  ©ebürfniffe  ihrer  eignen  3eit  mit  gleichgültigen 
©liefen  betrachten. 

Sich  mit  ber  öffentlichen  Äranfenpflege  unb  ben  Urfachen 
bet  Seuchen  ju  befdjäftigen , war  £owarb  fdjon  baburch  »er» 
aniaht  worben,  bah  et  »or^ugämeife  in  ben  englifchen  ©efäng» 
niffen  einen  <£>eerb  jenes  furchtbaren  „.Reif  erfiebetS"  gefunben 
hatte,  baS  jeitweife  bie  (gefangenen  felbet  weniger  gefährbete,  als 
Diejenigen,  bie  »orübergehenb  mit  ihnen  in  ©erühtung  traten. 
@t  h«lte  bie  Urfathen  folcher  6rfd)einungen  erflärt,  bie  bet  9lbet* 
glaube  auf  übernatürliche  Sßunber  gurücffühvte  unb  eS  burch  feine 
^Beobachtungen  auhet  3®eifel  gefegt,  bah  bie  fchwatgen  äffifen 
non  Djrforb  im  3al)te  1577,  bei  welchen  »on  ben  betheiligten 
^Richtern  unb  3nf<houern  plöfclid)  300  ©etfonen  burch  ein  töbt* 
HcheS  Riebet  bahingerajft  würben,  wäljrenb  bie  abjuurtheilenben 
©erbrechet  »erfchont  geblieben  waren,  alfl  ein  in  ©eftalt  beS  Äetfer* 
fiebetS  »olljogenet  SRacheact  ber  @efüngnih»erwahtlofuug  an^u» 
fehen  waren.  ®8  ift  natürlich,  bah  ^owarb’S  © efanntfehaft 
mit  ben  Urfachen  unb  ©rfdjeinungen  beS  ÄetferfieberS,  non  bem 
et  metfwütbiger  SBeife  trojj  feines  jahrelang  fortgefehten  ©erfehrS 
mit  (gefangenen  »erfchont  blieb,  feine  Dheilnahme  auch  für  anbere 
Seuchen,  inSbefonbere  bie  ©eft,  erweefte. 

©och  eine  anberweitige  ©ejiehung  beftanb  bamalS  jwifd)en 
Strafanftalten  unb  ©efthäufern.  SBie  man  fagen  fonnte,  baff 
ein  fehr  grober  2heil  ber  englifchen  Unterf  uchungSgefangenen 
um  bie  ©litte  beS  »origen  SaljrhunbertS  nach  unferen  heutigen 
©egriffen  in  eine  Äranfenanftalt  gehören  würben,  fo  lüfjt  ftch  auch 
behaupten,  bah  bamalS  in  bet  ©tehrjahl  ber  europaifd)en  Staaten 
©eftfranfe  ober  ber  ©eft  oerbächtige  ©erfonen,  gleich  fdjroeren  ©er» 
brechern,  eingeferfert  würben.  Der  ©eftrafung  burch  ein  grau» 

(140) 


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5 


fameS  S3erbäcbtigung8gefefe  oerfiel  oft  Derjenige,  gegen  beneine 
leichte  SBermutbung  bei  9lnftecfung8gefabr  oorlag. 

SlngeficbtS  bet  9Jtaf)tegeln,  gu  benen  bie  Dbrigfeiten  cor 
gweibunbert  Sauren,  bur#  t^örid^ten  ©djrecf  ober  überwältigenbe 
8ur#t  nerantafjt  waren,  fd^ien  bereit«  batnaie  bie  grage  be» 
redjtigt,  ob  bie  §)eft  bei  ungebinbertem  SBalteu  an  einigen 
Orten  fo  niete  Opfer  geforbert  haben  würbe,  wie  ihr  burdj  net* 
febrte  UbfperrungSgebote  gleicbfam  gugetrieben  worben  finb. 

SBar  in  ben  Stnorbnnngen,  bie  ein  t)oc^tt>cifer  ©ürgenneiftet 
unb  jDtagiftrat  non  8onben  im  Sabre  1665  gut  Abwehr  bet  $)eft 
nerfüubet  batte,  etwa«  anbereS  gu  feben,  al8  eine  Sßerutlbeilung 
einfach  nerbädjtiger  ^etfonen  gut  greibeitSberaubung  ober  gor 
StobeSftrafe? J) 

Diefen  Stnorbnungen  gn  $olge,  war  jebeS  .JjauS,  non  bem 
aus  eine  Snftecfung  gu  befürchten  war,  mit  feinen  Sewobnern 
fofort  oöllig  abgufpetren.  Die  $bure  warb  mit  einem  rotben 
Äreuge  begeichuet,  unter  bem  in  lateinifdjet  Sprache  bie  SB  orte 
ftanben:  „.£>ert,  erbarme  bi#  unfer!"  @ine  SBacbe  forgte  $ag 
unb  fftadjt  bafür,  baf)  fRiemanb,  mit  tSuönabme  bet  ©birurgen 
ober  Slergte,  Äranfentoärter,  Snfpeftoren  au8»  ober  einging.  $He8 
bie8  bauerte  in  notier  Strenge  einen  gangen  9Jtonat  btaburdj, 
bi8  bie  banon  betroffene  gamilie  entweber  auSgeftorben  ober  ge» 
nefen  war. 

Den  SSerbatbt  bet  Uebertreibung  ift  gewif)  nicht  gerechtfertigt, 
wenn  ber  englifdje  Strgt  üfteab1)  über  bie  SBirfung  fol#er  9Jla|» 
regeln  berichtete: 

„Darf  man  fi<b  na#  atlebem  wunbern,  wenn  folcbe  unnet« 
nünftigen  S3efeble  Älagen  b^notriefen  unb  bie  S3ewobner  bur# 
bie  wiber  ftc  nerbängte  ©efänguifeffrafe  in  Schaden  gefegt  würben? 
Daher  fam  e8,  bah  man  aöeö  tbat,  um  bie  bereits  norbanbene 
Äranfbeit  moglidjft  lange  gu  nerbergen,  wa«  ni#t  wenig  gu  beren 

(Ul) 


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6 


»eiteret  23erbreitung  beitrug.  3ur  äujjerften  33  ergmeiflung  ge» 
trieben,  braten  einige,  um  bet  Stotb  gu  entgegen,  gemaltjam  au8 
ben  Pforten  b««u8;  anbere  ftürgten  fidj  auS  ben  genftern,  be» 
ftac^en  ober  ermorbeten  bie  aufgefteüten  2Ba<h  tpoften,  um  gu  ent* 
lommen.  33ei  Sßadjtgeiten  traf  man  foldje  Ungtü  «fUd^e,  tyet  unb 
bort  berumirrenb,  beten  gräfjlicheS  ©efchrei  ©ntfefcen,  33etg»eiflung 
ober  ©eifteSfranfbeit  oerrietb,  fei  eS,  bafj  fie  oom  Siebet  über* 
»ältigt  »aren,  fei  eö,  bafj  ihnen  ber  Anblicf  tobtet  greunbe  unb 
Angehöriger  Scbtecfen  eingeflöfd  batte-" 

©in  gtofceS  ffierf  »at  eS,  baS  .fjoroatb  in  Angriff  nahm, 
aiö  er,  ohne  oon  ^Regierungen  ober  (Staatsmännern  unterftüfct 
gu  fein,  bem  bamalS  noch  ftebenben  Seinbe  ber  Süb*@uropäifcben 
Staaten  entgegenging,  um  ©ntftebungSgrünbe,  Urfac^en , 33et* 
breitungSroeife,  Abmebrmittel  unb  jpeüung  bet  |)eft  an  ben  gu* 
meift  baoon  beimgefudften  Orten  Tennen  gu  lernen. 

Sieben  ben  Seweggtünben  echter  üRenfchen liebe,  oon  benen 
-£>omatb  beberrfc^t  blieb,  bis  er  in  bet  Ausübung  feines  SöerufS 
als  Äranfenpfleget  einer  anftecfenben  .ftranfbeü  im  3anuar  1790 
gu  ©berfon  in  JRufclanb  auf  feiner  testen  SotfcbungSreife  erlag, 
»aren  eS  aber  auch  bebeutenbe  mirtbfchaftlicbe  3ntereffen,  bie 
burcb  baS  häufige  Auftreten  bet  |)eft  gefäbrbet  »urben.  3)ie 
Äriege  beS  ÜJiittelalterS  batten  baS  ©leid)  gereicht  beS  33olfSbauS* 
baltS  unb  ben  ruhigen  ©ntreidlungSgang  ber  Äultur  roeniger 
gefcbabigt,  als  bie  gelegentlich  einbredjenben  33erȟftungen  bet 
|)eft,  in  benen  bet  Aberglaube  früherer  3abrbunberte  eine  £eim* 
fuihung  beS  göttlichen,  mit  füllet  ©tgebung  gu  tragenben,  reiber* 
ftanbSloS  bingunebmeuben  3orneS  erblicf te. 

AIS  fidj  feit  bem  16.  3abtbunbert  ber  Seebanbel  gu  immer 
höherem  Auffdjwunge  erhob,  waren  eS  gumeift  bie  feefabrenben 
Stationen,  bie  jenen  häufig  mieberfebtenben  Seuchen  nicht  nur 
ihren  Tribut  an  SRenfchenleben , fonbern  auch  «ne  gleichfam 
(»«) 


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7 


bleibenbe  SBtanbfefcahung  in  ©eftalt  btücfenbet  Sßermögenöoetlufte 
unb  läftiger  23etfehr8hemmungen  flu  enteilten  Ratten.  2lQe  jene 
53eranftaltungen,  bie  feit  bem  @nbe  beb  15.  3ai)tljunbert8,  flut 
Abwehr  ber  f)eft  in  ben  #äfen  be8  mittellänbijchen  SKeeteb  ge* 
troffen  würben,  »«gegenwärtigen  nur  einen  oft  erfolglofen  Änmpf 
jwifchen  faufmännifdjer  ©ewinnfucbt,  bie  fid)  unerträglichen  Ueffeln 
ju  entgehen  jucht,  unb  ber  burd)  3ahrhunberte  überlieferten 
■SdjrecfenSljerrfdjaft  bet  ©eud)e. 

2>er  ^>ljüant^rofl5  £owarb  hatte  mit  richtigem  SMicf  bie  33e* 
beutung  auch  ber  wirthfchaftlidjen  3ntereffen  erfanntj  bie  bie 
Unterbrücfung  ber  ^eft  in  fi<h  |d)loh.  3ener  eigenthümliche,  baö 
gefammte  SBolf  butdjbringenbe  £anbel8geift,  ber  ein  SJierfmal  De8 
englifchen  ©tammeS  ift,  nerräth  fid)  auch  bei  ihm,  inbem  £owatb 
nirgenbö  nerfäumte,  barauf  aufmerfjam  flu  machen,  welchen  ©elb* 
oortheil  (Snglanb  au8  jwecfmähig  gewählten  SJiafjtegelu  gegen 
bie  SBerbreitung  ber  jPeft  fliehen  fönnte. 

5Diefen  ©efid)t8punft  benujjenb,  bemühte  er  fich,  nachfluweijen, 
bah  ©nglanb  felbft  burch  ®ulbung  be8  nicht  flu  überwachenben 
3wifd)enhanbel8  ber  ^oQänber  mit  orientalifchen  ©taaten  im 
hohen  fötale  bie  ©infchleppung  bet  f)eft  nach  ©nglanb  befßtbere, 
bah  bie  #erftellung  eine8  geeigneten  „SajarethS"  an  ber  englifchen 
Äüfte  in  S3etbinbung  mit  ber  SJegünftigung  be8  bitef  ten  £anbel8 
mit  ber  Seoante  ben  englifchen  ^anbelsintereffen  33orfd)ub  leiften 
würbe;  ferner,  bah  bie  $)arlament8afte  au8  bem  26.  9iegierung8* 
jahre  ©eorg’8  n.  fd)äblid)  fei,  wonach  in  ©nglanb  unb  Srlanb 
feine  ber  ^nftecfung  fähigen  SBaaten  ohne  ©efunbheitöpah  gelanbet 
werben  burften,  wofern  bie  betreffenben  $anbel8artifel  nicht  in 
au8länbifd)en  ^efthäufern  in  SJialta,  Stncona,  SBenebig,  5Reffiua, 
fcioorno  unb  ©enua  ober  9Jlarfeitle  hinreichenb  gelüftet  worben 
waten.  @t  fleigte,  wie  ed  fam,  bah  im  achten  3ahtflehnt  be8 
o origen  3ahthunbert8  ber  leoantinifdje  Jpanbel  an  ben  öftlichen 

(l*S) 


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8 


©epaben  bcö  mittellänbtfchen  SReereö  P«h  ju  brei  Biertein  in  ben 
<£>änben  griechifcher  Käufer  befanb  mtb  ©nglanb , wa«  ben 
Begug  bet  Baumwolle  au«  türftfchen  ©ebieten  anbelangte,  gänglich 
non  ben  #oHänbern  gängig  geblieben  war.  ©r  erinnerte  baran, 
bafc  non  ben  adjtjefyntaufenb  ©äcfen  Baumwolle,  bie  batnalfl 
non  englifdjeu  gabrifen  netarbeitet  würben,  jwei  ^Drittel  burch 
hoöänbifdje,  fraujoPfche  ober  italienifdje  Raufet  in  ©nglanb  ein* 
geführt  würben,  bie  ©efunbljeit  ber  ©nglänber  alfo  in  ben  .ftänben 
f re  mb  er  Nationen  bewahrt  lag.  SDie  wirt^aftlii^en  unbljanbelä* 
politifdjen  9k<htheile  gwedfwibrig  eingerichteter  Duarantaine=Än* 
ftalten  an  ber  ^anb  bet  ©rfahrung  unb  auf  ©runb  forgfältig 
eingefammelter  9Rach  richten  bärget l)an  gu  ^aben , bürfte  al8  ein 
Söerbienft  £omarb’8  nicht  gänglidj  gu  überfeinen  fein,  obwohl 
baffelbe  burch  ben  menf<hh«tli<hen  SBertt)  feinet  Bemühungen 
weitaus  überprahlt  wirb. 

3n  ber  „Befchreibung  bet  h“Kptf  ächlichften  euro* 
häifdjen  fPephäufer"  (8agaretl)e),  bie  ^>owarb  wenige  3aljre 
not  feinem  5£obe,  alö  fein  le$jte$  SBerf,  1789  hwauSgab,  bepfcen 
wir  eine  Berichterpattung , bie  auch  noch  geeignet  bleibt, 
bem  ärjtlichen  ©ach»erftänbigen  werthnolle  SBinfe  gu  liefern  über 
eine  ©euche,  beren  nähere  Beobadhtung,  währenb  be8  lebten 
fBtenfdjenalterö,  nergleichungtweife  nur  wenigen  europäifchen 
Äergten  »ergönnt  war. 

SBir  etfahren  aufl  ihr  ben  ©tanb  ber  £>inge,  ber  Änpdjten 
unb  Meinungen,  ber  »ichtigpen  ©treitfragen  unb  ßweifel,  wie 
Pdf  berfelbe  gegen  baß  @nbe  beö  »origen  SahrhunbertS  in  ben 
Äugen  eine«  gewiffenljapen,  forgfältigen  unb  unbebingt  norur* 
theilfifreien  Beobachters  barpeUte.  SBeit  banon  entfernt,  auf  bie 
UReinung  einzelner,  fogenannter  Autoritäten,  gu  fchwören,  ha^e 
£owarb  auf  feinen  Steifen  in  granfreich,  3talien,  ©riechen» 
lanb  unb  in  ber  5£ür!ei  planmäßig  bie  Stimmen  ber  betufenpen 
a«) 


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9 


©achoerftdnbigen  unb  Setzte  nach  einheitlichem  $)laue  gefammelt, 
um  ben  witflid)  oorhanbenen  Shljatbeftanb,  nach  3rt  eines  richtet* 
liehen  SBethörS,  foweit  feftfteHen  gu  laffen,  al8  ihm  bet  eigene 
ISugenfcbem  nicht  oergönnt  war,  ober  fein  eigene«  Uttheil  ihn  im 
©tidj  (affen  muhte. 

fftach  9trt  bet  neuetbingS  auch  in  SDeutfdjlanb  angewenbeten, 
amtlichen  UnterfuchungSmetboben  hfltte  er  eine  tNngahl  foldjer 
fragen  aufgefteüt,  bie  ihm  als  bie  wid)tigften  erfchieuen.  3)a 
fdjon  bie  $rt  bet  gragefteQuug  für  ben  ©tanbpunft  bet  bamaligen 
©efunbheitSpflege  begeichneub  fein  fann,  ift  e8  gerechtfertigt,  biefelbe 
»»örtlich  mitgutheilen. 

@rften8:  SEBitb  bie  ^)eft  h«ofig  ^urch  petfönliche  SBetüIjrung 
(©ontact)  mit  bem  Traufen  oerbreitet  ? 

SweitenS:  Äann  bie  |)eft  oon  felbft  auf  natürlichem  SBege 
entftehen?  (b.  h-  abgefehen  oon  ber  ©infchleppung?) 

25  ritten  8:  Stuf  melche  ©ntfernung  loitb  bie  ben  $)eftfranfen 
utngebenbe  2uft  oergiftet?  3n  welchem  ©rabe  !ann  bet 
©ebraud)  oergifteter  ÄleibungSftücfe  ober  bie  Berührung 
pefttragenber  ©egenftänbe  bie  Äranfheit  heroorbringen? 
Vierten«:  3üel<he8  finb  bie  3ahre8geiten,  gu  benen  ftch  bie  ^)eft 
oorgugSweife  geigt,  unb  welche  Beit  oergeht  gwifdjen  ber 
Slnftecfung  unb  bem  2lu8btu<h  ber  Äranfheit? 
günften«:  SBelcheS  finb  bie  erften  ©pmpiome  ber  $)eft?  S3e* 
ftehen  fie  nicht  häufig  io  ©rüfenfehweflungen  in  bet 
Slchfelhöhle  ober  bet  Seiftengegenb? 

®ed)ften8:  3ft  e8  wirflich  wahr,  bah  groei  oerfd^iebene  §>eft* 
fieber  mit  beinahe  gleichen  Symptomen  oorhanben  finb? 
2)a8  eine  mit  (Recht  M^>eft"  genannt  unb  auf  gewiffe 
©ntfernungen  butch  bie  Buft,  ohne  förperliche  Berührung 
übertragbar,  währenb  ba8  anbere,  ba8  man  gleichfalls 
feht  gut  „contagiöS"  nennen  fönnte,  fich  nur  butch 

(14») 


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10 


SBerügrung  ober  minbeftenS  nur  burcg  allernäcgfte  Sin« 
nügerung  an  angeftecfte  ^etfonen  ober  inftcirte  ©acgen 
mitt  geilt? 

Siebentens:  SBeldfag  ift  bie  58eganblung8tteife  ttagrenb  ber 
erften  9>eriobe,  unb  reelle  33eganblung  ift  in  ben  fort» 
gefcgrittenen  ©tabien  anguttenben?  SBaS  itcig  man 
©icgereS  über  ben  ©ebtaucg  ton  ©gina,  ton  ©erpentaria, 
ton  Söeiu,  ton  Dpium,  ton  ©inatgmung  reiner  2uft 
unb  falten  üBäbern? 

Siegten  8:  SBenn  bie  $)eft  in  einem  ganbe  l^errfdjt,  fdjreiben  als« 
bann  bie  Slergte  ben  ^Befallenen  eine  fraftige  ©rnägrung 
ober  ©ntgiegung  ton  5Rafaung8mitteln  tor?  äkrorbnen 
fie  auch  Slrgneien  an  folcge,  bie  noch  nidjt  angeftecft  ftnb? 
SReuntenS:  ©inb  bie  ©enefenben  neuen  Unfällen  bet  $)eft  au8» 
gefegt?  (ober  für  eine  gemiffe  Beit  gefertigt?) 
Begnteng:  SSelcgeg  ift  baö  SSergältnig  ber  StbeSfäUe  unb 
welcgeS  ift  bie  gettögnlicge  3«tbauer  in  bem  ÄranfgeitS» 
terlaufc? 

©ilfteng:  SBelcfag  finb  bie  SRittcl,  bie  *})eft  gu  terginbern,  ba8 
weitere  gortfegreiten  ber  Slnftecfung  aufgugalteu  unb  bie 
inficirten  £>rtc  ton  bem  gerftörenben  ©ifte  itieber  gu 
reinigen? 

Slug  ben  Antworten,  bie^omarb  oon  aefa  Slergten  an  ben 
bamalg  wiegtigften  Äranfenanftalten  ton  ÜRarfeille,  8itorno, 
SER a Ita,  SBenebig,  5£rieft  unb  ©mptna  einfammelte, s)  ergtebt 
fi<g,  ba£  faft  in  allen  ©tücfen  bie  $)efifrage  im  achten  3agrgegnt 
be8  torigen  3afagunbert8,  trog  ber  Ueberlieferung  ton  oielen 
9)tenid)enaltern,  göcgftenS  benfelben  fPuuft  erreicht  gatte,  bie  bie 
in  tgren  ÜRitteln  unb  9Jletgoben  fortgefegrittene  SUiffenftgaft  gin« 
fi(gtli(g  bet  ©goleta,  »ägrenb  be8  19.  3agrgunbert6,  bereits 
in  ben  erften  3agrgegnten  unfereS  3agrgunbert8  erreichte. 

(14«) 


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11 


Leiber  Reifet  ba$  aber:  3D iefelben  Streitfragen  in  33c« 
gietjung  auf  bie  $rt  bet  (Sntftehung  unb  Verbreitung  ber  Seuche, 
biefelbe  Unb ef au ntffa ft  mit  ben  SJlitteln  ihrer  wirffamen 
Befämpfung  unb  Teilung,  biefelbe  Unflarijeit  übet  baS  eigent« 
lif  e SBefen  bet  Äranfheit,  bie  man  als  Blutoergiftung  erfannt  batte. 

3m  ©rofcen  unb  ©äugen  fann  bieS  Stefultat  Stiemanb 
SBunbet  nehmen.  (Srwägt  man  »ielmeht  ben  ungeheuren  Slbftanb 
in  bem  allgemeinen  (SntwicfelungSftanbe  bet  heutigen  3eit,  bie 
Vetbefferung  bet  SBerfgeuge,  mit  benen  bie  neuere  Vaturwiffen* 
ffaft  beobachtet,  bie  größere  3iffet  bet  gleichzeitig  gemiffe  Äranf* 
heitSerff  einungen  beobachtenben  ©af  uerftänbigen,  bie  ®f  nelligfeit 
in  bem  SluStauff  ber  Wahrnehmungen,  unb  bie  ffärfere  Äritif 
Zweifelhafter  Beobachtungen,  bie  SluSbeljnung  eines  bie  alte  unb 
neue  ©eit  itmfpannenben  BeobaftungSgebieteS,  baS  3Saf8tl)um 
ber  Jpeitfunbe  nad)  beinahe  allen  Stiftungen,  bie  (Sntftehung  neuer 
3weige  ber  Staturwiffenff  aft,  fo  fann  man  ff  roetlid)  umhin,  ben 
©farffinn  mancher  ©afoerftünbiger  gu  bewunbern,  bie  £owarb 
gegenüber  Slnfiften  auSfprafen,  bie  man  burfauS  mobern  gu 
nennen  oerfuf  t ift. 

(Sin  roefentüf  er  flbftanb  jener  3eit  im  Vergleich  jur  heutigen 
©eufenlehre  mar  allerbingS  baburf  bebingt,  bah,  in  (Sr* 
mangelung  berjenigen  BeobaftungSmethoben,  über  weife  heut 
gu  Jage  bie  Vtebicin  gut  geftfteflung  ber  naf  weiSbaren  Äranf» 
heitSgebilbe  an  ben  Reifen  »erfügt,  £owarb’S  3eitgenoffen  nof 
aufcet  ©tanb  fein  müffen,  genau  gu  beftimmen,  woburf  fif  bie 
bamals  jogenannte  aftifaniff  e ober  ägpptiffe  Beulenpeft 
oon  gewiffen  anberen  töbtlif  »erlaufenben  SJtalariaficbern  unter* 
ffieb,  ob  eS  mehtere  „5lrten"  oon  f)eft  naf  bem  @rabe  bet 
Böflartigfeit  gebe,  wie  fif  bie  $)eft  gu  gewiffen,  in  manferlei 
JDingen  äljnlif  en,  ÄranfheitSmerfmalen  beS  glecfenf  ptjuS  »erhalte 
unb  anbereS  mehr.4) 

(H7) 


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12 


©etabe  biefe  Umftanbe  einet  oft  unftdjer  gebliebenen  ©t» 
fennung  bet  witflid?  ootliegenben  .ftranfljeit,  muffen  erwogen 
werben,  wenn  man  jtdj  barübet  Stedijenfdjaft  ablegt,  warum  nadj 
ben  »on  ^»owarb  mitgetljeilten  Siffem  bie  SJtortalitätBöerljält» 
niffe  in  »erfdjiebenen  3«tyetioben  nid)t  nur  mehrerer  fjinterein» 
anbet  auftretenbet  ©eudjen,  fonbern  fogar  einer  unb  berfelben 
@eud)e  fo  weit  non  einanber  abweidjen. s) 

©bettfo  erflärt  fic^  barauS,  wenigftenB  tljeilroeife,  bafj  baS 
^eiloerfafyren  »ielmeljr  burdj  3ufäHige  örtliche  Ueberlieferungeu 
als  butdj  flare  ^rincipien  beftimmt  warb.  @8  fdjeint,  ba§  non 
nerftanbigereu  Siebten  neben  ber  gratis  bet  bamalS  nur  feiten  in 
ifyret  Sietwerflidjfeü  begriffenen  Slberlaffe«)  in  ber  Öeljanblung  bet 
|>eft  bie  Analogie  bet  tppljSfen  gieber  Bielfad}  befolgt  würbe: 
baljet  als  Siegel  bie  Slnwenbung  allgemein  befannter  SDiittel  gut 
JÖefämpfung  ber  gieberglut  (antipfjlogifttfdje  ©etjanblung), 
ober  bie  33erabreid)uug  fäulnifjwibtiger  (Srjneien  (fog.  anti* 
feptifdje  33eljanblung)  neben  djitutgifdjen- ©ingriffen,  jur  S3e» 
fdjleunigung  ber  (Siterung  in  ben  9>e[tbeulen  ober  gut  ©ntfernung 
ber  etwa  auftretenben  Äarbunfeln. 

Jpowarb  felbft  fdjlof}  fid},  wie  naA  bem  fReidjtfmm  feiner 
in  Äerfern  gefammelten  ©tfafyrungen  nidjt  anberS  ju  erwarten 
war,  Denjenigen  an,  bie  auf  ^erftellung  reiner  8uft  in  ber  Um» 
gebung  beS  Traufen,  auf  IßefAaffung  eines  guten  SLtinfwafferS, 
unb  angemeffene  ©rnäljrungSweife  größeres  ©ewidjt  legten  als 
auf  33erabrcid)ung  beftimmter  Slrjneien,  unter  benen  33re<f>»  unb 
SlbfüljrungSmittel  etflärlidjer  Söeife  bie  erfte  Stolle  fpietten.  @d)on 
bie  gro&e  Slnja^t  ber  bamalS  in  SBorfdjlag  gebrauten  (Ärgneien 
lä|t  einen  ungünftigen  ©djlufj  auf  bie  SBirffamfeit  jebet  einzelnen 
ju;  itjre  8ifte  erinnert  uns  nur  ju  lebhaft  an  bie  Slnpreifung  aller 
jener  ©etränfe,  bie  bei  bem  erften  Auftreten  ber  (Spolera  in  ben 
heutigen  SageSbldttern  feil  geboten  werben.  9iid)t  wenige  bet 

(i«) 


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13 


con  bewarb  befragten  Sterjte  legten  bem  in  ftatfen  Dofen  Der« 
abreidjten  ©^tnin  befonbere  Bebeutung  bei  unb  biefeS  SRebicament 
bürfte  wofyl  baS  einige  fein,  baS  ber  neueren  ÜRebicin  in  einzelnen 
9>eftf5llen  ein  übrigens  befd>eibene3  Bertrauen  einflö&en  würbe. 

Gtinen  fonberbaren  ©inbrucf  fyinterläfjt  eS  aud),  wenn  bewarb 
burd)  einen  ©adwerftünbigen  erfährt,  ba|  baS  religiöfe  Befenntnif} 
ber  ©rfranften  hier  unb  ba  auf  bie  2lrt  ber  Behaublung  einen 
Clinfluh  übte;  eine  !£l)atfad?e,  in  ber  man  bie  lebten  (Srinnerungen 
an  jene  Beiten  etfennen  mag,  in  benen  bet  ©eiftlidje  ben  Söeruf 
beß  ahrjteS  als  ben  feinigen  in  Slnfprucb  nahm.  ©obalb  ein 
<5l)ri  ft  erfranfte,  fagt  Betboni,  ifct  er  (Saoiar,  Änoblauch 
unb  ©chweinefleifd),  triuft  Branntwein,  @ffrg  unb  anbete,  ähnliche 
glüjfigfeiten,  um  bie  ©ntwicfelung  ber  $)eftbeulen,  beren  $uf« 
treten  als  ein  gutes  Beiden  genommen  würbe,  möglidjft  ju  be» 
fßrbern.  3 )ie  Araber  unb  dürfen  im  Orient  Ijanbelten  wahr» 
jdjeinlid)  Dernünftiger,  wenn  fie  jur  ÜRild)  ober  jit  jc^weifetreibenben 
SRitteln  iljre  3ufiud?t  nahmen,  jene  „c^riftlid^e  tSrjnei"  Der» 
fdjmäfyten  unb  übrigens  ber  (Smpfehlungen  ber  älteften  arabifd)en 
Slerjte  gebauten,  benen  ju  golge  baS  ^auptaugenmer!  auf  frifdje 
2uft  unb  reines  SSaffet  gerietet  werben  feilte.  3n  Äairo 
nahmen  bie  ÜRuhamebanet  gar  feine  ©etränfe,  fonbern  Opium, 
unb  begnügten  fid)  mit  ber  Slnwenbung  beS  glühenben  ©ifenS 
jut  Beßrung  bet  $)eftbeulen.  9lud)  bie  3uben  befolgten  iljre 
eigene  {Regel.  3n  Äonftantinopel  unb  ©mprna  pflegten  fte 
©tronenlimonabe  ju  nehmen,  tranfen  juweilen  ihren  eigenen 
Urin  unb  enthielten  fidj  ftreng  bet  gleifcpfoft. 

üßidjtiger  als  bie  ©rinnerung  an  bie  meiftentheilS  oolHg 
planlofeu  ^eilungSterjudje  bet  alten  3eit  ift  bie  Beachtung  bet 
Antworten  auf  ^owarb’S  erfte,  bie  anftedenbe  Äraft  ber  $)eft 
bejüglidje,  grage. 

©ammtlidje  ©utachten  ftimmen  barin  überein,  bah  bie  ©euebe 

(149) 


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14 


entweber  nur  burd)  unmittelbare  förderliche  Berührung  bet  9>eft* 
franfen,  ober  außerbem  burd)  (Einathmung  bet  fte  in  nächfter 
SRähe  umgebenben  guft  übertragen  »erbe.  3m  Qjingelnen  aber 
geigen  ftd)  bereits  bie  Streitfragen,  bie  in  ber  terfd)iebenartigen 
Beftimmung  beö  Begriff«  ber  „9lnftec!ung"  ihren  ©runb  ^aben, 
giemlid)  beutlid?.  (Einige  fcßließen  bie  8uft  als  Sträger  beö  ^)eft* 
gifteS  ans,  anbere  legen  bet  förperlicßeu  Berührung  nur  eine 
untergeorbnete  93ebeutung  bei.  $o»arb  felbft  fteUt  bie  (Ein* 
atßmung  ber  ben  •R'ranfen  in  nächfter  $Rähe  umgebenben  ober 
ton  inficirten  ©egenftänben  auSgeßenben  ©iftluft  unter  ben 
Begriff  „(Eontagium“.  3m  Uebrigen  tjielt  er  auf  ©runb  feinet 
eigenen  (Erfahrung,  troß  ber  gegenteiligen  Berftcßerungen  Slnberer, 
bie  förderliche  Berufung  ber  Äranlen  mit  ben  Ringern  ober 
ber  ^>anb  für  ungefährlich.  9lud)  ^«it  er  bafür,  baß  baS  ?)eft« 
gift  nur  auf  geringe  (Entfernungen  ton  bet  8uft  terweßt  »erben 
fbntte.  ®e»iß  ift,  baß  er  auf  feinen  ^Reifen  in  ^enftantinopel 
unb  Smprna  niemals  baS  geringfte  Bebenfen  trug,  in  bie  ge» 
fürd/tetften,  felbft  ton  Slergten  gemiebenen,  fpefthößten  ^>ülfe 
bringenb  ßinabpfteigen , ben  |)ul8  unb  bie  3u**8e  ^eftfranfer 
gu  unterfucßen  unb  für  Steinigung  bet  Ätanfengimmer  Sorge  gu 
tragen,  ol)ne  babei  eine  anbere  BorficßtSmaßregel  gu  beobachten, 
als  bie  richtige  SBaßrnehmung  ber  Söinbricßtung,  unter  welcher 
et  fich  ben  (Erfranften  näljerte. 

ÜRit  (Sntfchiebenheit  mißbilligte  et  jebodß  bie  tßeilä  ober» 
fläcßlichen,  tßeilä  leichtfertigen  Berficßerungen  ^Derjenigen,  bie  ba 
behauptet  hatten,  baß  ftaatlicße  fPrätentiomaßregeln  gegen  bie 
Berbreitung  Der  9>eft,  »egen  angeblich  geringer  Söirffamfeit  ber* 
felben,  entbehrlich  fein  ȟrbcn. 

9118  tßatfächlich  feftgeftellt  fonnte  nach  ba  SReinung  feinet 
3eitgenoffen  bieS  gelten:  bie  orientaiifche  $eft,  auf  eutopäifcßem 
Boben  nirgenCS  entfpringenb , manbert  tßeil«  auf  bem  Seewege 

(ISO) 


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15 


be8  mittellänbifcben  fföeeteS,  tbeild  butd)  ©ublanb  unb  ^)oleu 
in  bie  weftlicbet  gelegenen  Staaten  ©uropa’S  ein.  £%te  ben 
©organg  ber  Ueberttagung  »on  einem  Snbinibuum  auf  baS  an* 
bete  genauer  ju  fennen,  ift  als  erwiefen  angunebmen,  ba§  bad 
$>eftgift,  beffen  ®ef5^rlid^feit  $u  gewiffen  Jahreszeiten , wie  bei 
ftrenger  SBinterfälte  unb  in  bewegter  guft  geringer  ift , als  in 
feudjtwarmer  ftiOer  8uft,  aber  lange  Beit  binburcb  eine  3Rit» 
tbeilungSfäbigfeh  unter  geeigneten  Umftänben  bewahrt,  audb.an 
gefunbbleibenben  ^erfonen  unb  gewiffen  ©egenftänben  be8  £an«= 
belSoetfebrS  fyaftet,  ferner  oornebmlidb  an  folgen  Drtlidjfeiten 
Ausbreitung  gewinnt,  in  benen  eine  »erwaijrlefte,  arme  ©eoölfe* 
rung  unter  (Sntbeljrungen  leben  mu§. 8)  Die  Ausbreitung  ber  'peft 
fönne  babet  burd)  geeignete  ©orbeugungSmittel  oon  Seiten  be8 
Staates  unb  butcb  jwecfmäf}ige8  ©erhalten  bet  bebrobten  ©e* 
»ölfetung  »erringert  werben. 

gür  bie  Aufgabe  be3  Staates  unb  ber  gefefcli<ben  ©runb* 
lagen  bet  öffentlichen  ©efunbbeitSpflege  mubte  bamal8  wie  beute 
eine  berartige  ^eftfteüung  au<b  als  but<bauS  binteicbenber  ©e* 
ftimmungSgrunb  gelten.  £>bet  follte  bet  Staat  tbeilnabmloS 
bem  ^ortfdjreiten  einet  Seuche,  beren  Äeime  im  ©erlebt  nev* 
fehlest  werben,  fo  lange  zufdjouen,  bi8  eS  ber  eyalten  wiffen* 
fdbaftlidjen  gorfdmng  gelungen  fein  wirb,  ben  Hergang  ober  bie 
©erbreitung  in  allen  ©injelbeiten  zweifellos  naebzuweifen?  Jpo* 
warb  b“t  niemals  bezweifelt,  bab  bie  StaatSregierungen  nicht 
bloS  auf  bet  ©runblage  matbematifcb  fieberet  ©eweife  bin  bad  ©or« 
banbenfein  gewiffer  übatfacben  ober  UrfätbUcbfeiten  angunebmen 
haben,  fonbern  in  weit  häufigeren  fallen  auf  ©tfabrungSangaben, 
auf  SBabrfebeinliebfeiten  unb  ftarle  ©ermutbungen  ihre  $anblungen 
einriebten  muffen,  wenn  eS  auf  bie  Abwehr  fo  grober,  ben  ©olfs* 
beftanb  bebrobenben  ©efabren  anfommt,  wie  fie  bie  ^>eft  in  ftch 
f (bliebt.  AuS  biefem  ©tunbe  erfannte  er  auch  bei  aller  Unparteili<bfeit 

<i»t> 


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16 


bie  ©rünbe  berjenigen  niemal«  an,  welche,  ben  oorwiegenb  miafl* 
matifdjen  ßßatafter  befl  ^5eftgifte8  behaupten^  au«  (Rücfftdbten 
bet  fiuangiellen  Sparfamfeit  Don  bet  @inri<htung  ftrenget  Sb- 
fperrung8anftalten  abriet  ben. 

JDie  gelegentliche  Unwitffamfeit  mancher  auf  Slbfperrung 
be8  oerbachtigen  5Betfe^r8  abgielenber  ©inrichtungen  oermod)te 
#o warb  nicht  Don  beten  @ntbehrlichfeit  gu  übergeugen,  Dielmeht 
erblidfte  et  batin  nnt  eine  Sufforberung  mehr,  übet  Derbefferte 
unb  wirffamere  SRaßregeln  nadjgubenfen. 7) 

Unter  ben  ffieranftaltungen  gut  abweht  bet  5>eft  ftanben  gu 
feinet  Bett  in  erfter  8inie  bie  93orf<briften  übet  Sperre  butdj 
Duarantaine,  benen  bet  gefammte  23erfehr  mit  bem  ©e* 
biete  bet  Sürfei  unterworfen  blieb,  inbem  ba8  Spftem  bet  ©e* 
funbheit8paffe  unb  23erbächtigfeit8patente 8)  eine  Unter* 
fdjeibung  begtünbete,  bet  gemäß  bie  einzelnen  Schiffe  unb  beten 
Labung  bei  ihrer  Slufunft  in  ben  $afen  bet  feefahtenben  Staaten 
gu  beljanbeln  waten.  3)ie  hettf^enbe  Annahme  war  in  ©emüß* 
heit  alter  Ueberliefetungen  biefe:  bah  tm  Luftraum  bet  'peftfeim 
feine  anftecfung8gefahr  fpäteftenß  nach  Ablauf  Den  Diergig  ober 
gweiunbDiergig  Sagen  Derliere.  ^erfonal  bet  Scbiff8mannf<haft, 
^)affagiere  unb  aDe  mit  ihnen  in  Serüßrung  gefommenen  $er* 
fonen  blieben  baher  meiftentheilS  Diergig  ober  gweiunbDiergig 
Sage  lang,  beoor  fte  lanben  butften,  in  gewiffen  eigens  gu  biefem 
3wecf  h^ü^tthteten,  Dom  23 erlebt  thunlichft  entlegenen  unb  nach 
ihrer  Dertlichfeit  leicht  gu  übetwachenben  ©ebäulichfeiten  einet 
gefunbheitöpoligeilichen  Unterfu<hung8haft  unterworfen, 
©leichgeitig  waren  bie  baton  bettoffenen  Schiffe,  beren  öabung 
nicht  Dßßig  unoerfänglidj  erfchien,  bet  ©utfracßtung  unterworfen, 
wobei  gewiffe  SBaaren  einer  regelmäßigen  Lüftung  untergogen 
werben  mußten. 

^)owatb  begeicßnete  unter  ben  ton  ihm  befuchten  Ouaran* 

C 152) 


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17- 


taineanftalten  unb  Peftljäufern,  biejeuigen  »onfHoorno,  bie  im 
3ai)re  1778  errichtet  »erben  »aren,  als  bie  beften  unb  pecf* 
mäiigften.  SDerfelbe  ffürft  beS  lott)ringiid)en  Jperrid)et^auje8f 
bet  1786  in  SEoScana  perft  bie  SEebeSftrafe  abpfdjaffen  ben 
SJtutlj  befa§,  ijaite  aud?  bafüt  ©orge  getragen,  »er  (Srlaft  ber 
1785  etfcfyienenen  „©efunbtyeitSoerorbnungen"  (Ordini 
di  Sanitn)  ben  ©taub  ber  bamaligen  är^tlir^en  ©rfatjrungen  burd) 
einen  in  bie  8 e »ante  entfenbeten  8trjt  genauer  feftfteflen  p 
laffeti.  * 

©on  SlltetS  tjer  erfreuten  fidj  jebod)  bie  ©icberfyeitSanftalten 
ber  Slepublif  ©enebig  beS  größten  ÜlnfefyenS.  üDiefe  »aren  eS, 
benen  Ijäufigfte  fftacfyalptung  p SEijeil  »utbe.  Sitte  Srfabrung 
eon  brei  3afyrfpnberten  ftanb  ilpeu  barnalS  pr  ©eite,  ©eit 
bem  Stfd?einen  ber  dürfen  in  Sonftantinopel  Ratten  bie  ©ene» 
tianer  in  Ärieg  unb  ^rieben  bie  mannigfacbften  ©erufjrungen 
mit  ipnen  gehabt.  9iodj  im  fiebjetjnten  3a^ri)nnbert  »ar  ber 
lenantiniidje  ^janbel  ber  Slepublif  blütjenb.  Die  ©orforge  gegen 
bie  Peft  gehörte  baljet  p ben  »i&tigften  Staatsangelegenheiten, 
benen  eine  ftänbige  Slufmerffamfeit  gu  wibmeti  »ar. 

Um  fid)  bamit  befannt  p machen,  patte  ftdj  <£>owarb  auf 
feiner  gtofjen  orientalifdpen  gorfdtungSreiie  eines  fonbetbaten 
©erfahren 8 bebient.  St  patte  fitp  in  ©mtjrna  an  ©orb  eines 
für  »erbädjtig  erflärten  ÄauffaprteifdpiffeS  begeben,  in  ber  Stb» 
fidpt,  bei  feiner  ‘Unfunfi  in  ©enebig  bem  barnalS  oorgeicpriebcnen 
©erfahren  unterworfen  p werben. 

Sinige  ©teilen  auS  ^»oroarb’S  ©djtlbetung,  bie  überaus 
anfcpaulid)  ift,  mögen  pier  eineu  plap  finben: 

„fRadpbem  unfer  @d)iff  burtp  ein  gootfenboot  an  ben  geeig» 
neten  Slnfetplap  geleitet  worben  »ar,  fap  icp  einen  »om  Sefunb« 
peitSamte  entfenbeten  ©oten  beim  ©dpiffS  capitata  eiutreffen. 
3lm  folgenben  SEage  !am  ein  ©ote  in  einer  ©onbel.  um  micp  in 

XIV.  317.  2 (133) 


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18 


baö  neue  gagarett)  gu  führen.  9Ran  führte  mid)  mit  meinem 
©epäd  in  einem  Äafyn,  bet  butdj  ein  $£au  non  gehn  gufc  8änge 
mit  einem  anbern  Sote  oerbunben  war,  in  bem  ftd}  fedfö  IRubetet 
befanben;  alö  idj  am  äuöfchiffungöplafce  angelangt  »ar,  lofte  man 
baö  $au  loö  unb  mein  Äaljn  matb  mit  bem  @nbe  einet  Stange 
gegen  baö  Ufet  gehoben,  wo  mit  eine  fPetfon  entgegenfam  unb 
mit  melbete,  bafj  fic  amtlichen  23efel)l  erhalten  habe,  mit  alö 
SEBäc^tct  gu  bienen." 

„©obalb  mem  IReijegepäd  auögefchtfft  toat,  !am  mit  ein 
höherer  SBeamtet  entgegen  unb  geigte  mit  mein  Quartier,  baö 
auö  einem  jetjt  unreinlichen  ßimmet  ohne  ©tühl,  Seit  obet  2;ifch, 
aber  oon  Ungegiefet  wimmelnb,  beftanb.  3d?  oerroenbete  ben 
gangen  5£ag  unb  ben  nädjften  Vormittag  übet  eine  $)erfon,  um 
mein  3i»nmet  auöguwafdjen,  abet  biefe  SBorfidjtömafjregel  genügte 
nicht,  um  ben  üblen  ©etud)  gu  beteiligen  unb  mit  bie  &opf* 
fdjmetgen  gu  erfparen,  »on  benen  id)  ftetö  gu  leiben  fyatte,  wenn 
id)  bie  ^efthäufer  unb  einige  ^ofpitäler  bet  ütürfei  betuchte. 
Genanntes  £agareth  ift  oorgugöroeife  füt  bie  dürfen  beftimmt, 
ober  füt  ©olbaten  unb  ORannfchaften  folget  gafyrgeuge,  bie  bie 
^>eft  an  Sotb  Ratten.  3n  einer  biefet  JRäumlichfeiten  befanb 
fid>  bie  33efaf$ung  eines  ©djiffeö  auö  JRagufa,  baö  auö  Ancona 
unb  trieft  fortgetrieben  motben  toat." 

„9Rein  Sßä^ter  f triefte  feinen  23ericht  über  meinen  ©efunb» 
heitöguftanb  ein  unb  auf  23etroenbung  unfereß  ©otifulö  matb  id} 
in  baö  alte  gagareth  übergeführt,  baö  bet  Stabt  näher  gelegen 
ift.  SDa  id)  füt  beffen  23 or fielet  einen  ©mpfefylungöbrief  com 
ftangöfifc^en  23otfc^after  in  (Sonftautinopel  befa§,  ^atte  id)  ge» 
hofft,  eine  angenehme  Söohnung  gu  erhalten,  abet  id)  fanb  mid> 
in  meinen  ©tmattungen  geläutet.  2)ie  JRäumc,  bie  man  mit 
antoieö,  beftanben  in  einem  oberen  unb  unteren  Simmer,  beibe 
nid)t  weniger  unerträglich  unb  ftinfenb  alö  mein'erfteö  Quartier. 

(154) 


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19 


3d>  gog  eS  Bot  in  bem  niebeten  3immer  auf  bem  mit  5Dtauer* 
fteinen  gepflafterten  ©oben  faft  ganjlid?  com  äßaffet  umgeben, 
meine  Sdjlaffteöe  gu  nehmen.  fRad)  Ablauf  Bon  iedjS  Jagen 
lief)  mid)  bet  93orftel)er  jebodj  in  ein  erträglidjereS,  auß  Bier 
Simmern  beftetjenbeö,  Duariier  Berfefjen;  baffelbe  Ijatte  eine  fef)r 
etfrifdjenbe  2lu8fid)t,  aber  bie  {Räume  waren  nid)t  meublirt,  fie 
waren  oielmefyr  unfauber  unb  ebenfo  nngefunb,  wie  bie  fd)limmften 
©äle  in  ben  aHerfdjledjteften  ^ofpitälero.  2)ie  SBänbe  meines 
3immer8  waren  nieDeid)t  feit  einem  falben  3af)ttyunbert  nidjt 
gewaidjen,  fie  waren  Bon  SlnftecfungSftoff  gefättigt.  3dj  lief)  fie 
mehrmals  mit  Äalfwaffer  abwafdjen,  um  ben  ©eftant  gu  Ber» 
treiben,  mit  bem  fie  erfüllt  waren.  2tHe8  bieö  jebod)  war  Ber« 
gebenS.  3d?  Berlot  ben  Stypetit  unb  fdjlof)  barauS,  bafj  idj  in 
©efaljr  war,  ein  langfam  gefyrenbeS  £agatetl}fiebet  gu  erwerben. 
3dj  Berlangte,  baf)  mein  3immet  mit  ungelofdjtem  Äalf  unb 
SBaffer  abgewajdjen  werben  mödjte.  heftige  S3orurt^eile  ftanben 
meinem  {Bedangen  entgegen.  ©8  gelang  mir  jebo<b  mit 
£ülfe  beS  englifdjen  ©onfulS,  ber  mir  ben  erforberlidjen  Äalf 
Berfdjaffle,  gum  3iele  gu  gelangen.  &lSbalb  würbe  mein  3immet 
fo  feljr  aufgefrifd?t  unb  bie  8uft  fo  }el)t  gereinigt,  baf)  idj  wiebet 
meinen  {RadjmittagStljee  nehmen  unb  bie  fRadjt  fdjlafen  fonnte. 
Slm  anbern  Jage  waren  bie  3Rauetu  bereits  oöüig  auSgetrodfnet 
unb  getudjloS  unb  nad)  Verlauf  einiget  weitetet  Jage  fyatte  id) 
meine  ©efunbljeit  wieberetlangt.  5Rit  Slufwenbung  einer  feljr 
geringen  (Summe  unb  gum  ©rftaunen  bet  übrigen  gagaretljbe* 
wohnet  gewann  id)  für  midi?  unb  meine  {Radjfolget  ein  ange* 
netymeS  unb  gefunbeS  3immer  an  ©teile  eines  unteinlidjen  unb 
fel>r  anftedungSgefätjrlidfen." 

„IBot  ben  Jtyüren  ber  beiben  großen  3immet  faf)  man  in 
©tein  gemeißelt  bie  3«g«  bcö  ^eiligen  ©ebaftian,  beS  ^eiligen 
SRarcuS  unb  beS  ^eiligen  {RodsuS,  bie  als  ©dntfcpatrone  folget 

2 * (1JS) 


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20 


gagarethhäufer  gelten,  Wriihet  »erbrachte  man  bie  non  ber  9)eft 
ergriffenen  Stabtfranfen  in  biefe  3immer  gum  3®ecf  eine«  »ietgig 
tägigen  Aufenthalts  unb  liefe  biefe  für  biefelbe  Seitbauer  in  einem 
anberen  Sintmet  »eilen,  beoor  man  ihnen  einen  ©efunbheitSpah 
öerabfolgte.“ 

„3)ie  5Rehrgahl  ber  fünfter  in  biefen  Simmern  unb  in 
einigen  älteren  ^efthäufern  finb  gegenwärtig  mit  Siegeln  net» 
mauert,  woburch  bargethan  wirb,  bafj  im  oorigen  Sahrhunbert 
bie  Aergte  bie  Söidjtigfeit  ber  gufterneuerung  unb  beS  freien 
guftgugeS  in  ben  Ätanfengimtnern  wobl  gefannt  haben,  ©ine 
nöllig  oerfchiebene  9Jtetl)obe  ift  feitbem  Bon  ben  Aergten  ange* 
nommen  worben.  @8  fe^cint  jebocfe,  als  ob  wir  gegenwärtig  gu 
ber  älteren,  »eit  aus  gefunberen  ^)rajriö  gutücffehren  foUten. 
SGßahrftheinlidh  fannte  man  in  älterer  Seit  auch  nicht  bie  gegen» 
wärtig  gangbaren  fchlimmenSSorurtheile  gegen  bie  Söaichungen  oon 
franfen  ^erfonen  ober  oerunreinigter  3i»nmet.  SDentt  gerabe  tn 
ben  alten  fPeftt)äufern  bemerfte  ich,  ba|  größere  Aufmerffamfeit 
auf  bie  ^erbeifdhaffung  reichlichen  SBaffergufluffeS  »erwenbet 
würbe  al8  in  ber  fDiebrgahl  ber  ^ofentäler,  bie  feit  funfgig 
Sahten  erbaut  worben  ftnb." 

UebrigenS  war  baS  Verfahren  für  bie  Abhaltung  ber  Duaran* 
taine  in  allen  ©ingelbeiten  burch  genaue  33orf<hriften  geregelt 
unb  burch  ©trafgefejje  gefiebert,  beren  Uebertretung  in  gewiffen 
Wällen  burch  bie  SEobeSftrafe  geahnbet  werben  feilte,  ©eregelt 
war  baS  Anmelbeoerfahten  für  einlaufenbe  Schiffe  gum  Stwecfe 
ber  Prüfung  ber  Borhanbenen  ©efunbheitSattefte,  ohne  fRücfficht 
worauf  übrigens  in  93enebig  alle  aus  türfifdfeeu  ©ebietStheilen 
ober  anbern  ihnen  benachbarten  <£>äfen  einlaufenben  Schiffe  einet 
Quarantaine  unterworfen  würben.  & eregelt  war  bie  Uebetwachung 
ber  Sagarethe  burch  ben  SBorftanb,  ber  in  eigener  Verton  bei 
@onnen«Auf«  unb  Untergang  fämmtliche  £hwmi  gu  eröffnen 

(158) 


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21 


ober  $u  fdjtiefeen  i^atte  unb,  mit  einem  langen  Stabe  in  ber  ^>anb, 
bie  Anuübtung  uerbädjtiget  $>erj  onen  fi<b  abguwebren  l;atte,  wenn 
er  nicht  felbft  ber  Duarantaine  »erfaßen  wollte.  ©eregelt  war  baß 
©ebübrenwefen  bet  Sßäcbter,  bie  non  ©taatöwegen  bejaht  waren, 
jur  SSermeibung  jeglicher  Uebernortbeilung  Anbeter;  geregelt 
ber  93erfel?r  ber  Abgefperrten  mit  beftimmt  bejeidjneten  SOiarfe» 
tenbern,  bie  Uebenßmittel  juführten  unb  ityre  Äörbe  an  langen 
Stangen  ben  'Abnehmern  überlieferten  unb  bie  SBegablung  erft 
bann  in  (Empfang  nehmen  burften,  wenn  bie  ©elbftücfe  notier 
in  Söeinefftg  eingetaucbt  worben  waren;  geregelt  baß  2?eerbi» 
gungßwefen  unb  jebeß  irgenbwie  benfbare  33orfommnif},  »or  allen 
anbern  Dingen  aber  bie  ©eljanblung  bet  Sä?iffßlabungen. 

Söie  baß  Seefriegßredjt  beß  ftebgebnten  3a^unbertß  eine 
Oieilje  »on  ^anbelßartüeln  unter  bem  Ditel  ber  Äontrebanbe 
auß  bem  33erfebt  ber  Neutralen  mit  ben  Ätiegfüfyrenben  gewalt» 
fam  ju  oerbrängeu  jrnfyte,  fo  fyatte  eine  tnifjtrauijdje  ©efunb« 
beitßpolijei  aud)  ben  Vertrieb  oerbädjtiger  Artifel  in  ber  Annahme 
ber  ^eftgefäbrlidjfeit  auf  baß  Aeufjerfte  eingefdjränft,  wobei  an« 
erfannt  werben  mag,  bafj  eß,  »om  Stanbpunft  ber  »enetianifdjen 
£anbe!ßpolitif  auß  betrachtet,  immerhin  lobenßwertb  etfdjien,  wenn 
bie  faufmänuifeben  ©rwerbßintereffen  feem  Sdjub  »on  £eben  unb 
©efunbheit  gtunbfablidh  untergeerbnet  würben. 

Daß  Verfahren  in  ber  Seljanblung  ber  Sßaaren  grünbete 
fict>  auf  eine  erfabtungßmüfeig  angenommene  größere  aber  ge* 
ringere  ©efabrlitbfeit  in  ber  33erf<bleppung  bet  ^>eft  unb  beftaub 
bemgemaf)  entweber  in  einet  längere  3eit  btobureb  fortgefegten 
Lüftung  unb  Umladung,  ober  in  einfacher  Lagerung  unter  93en» 
tilation  ber  8ageträume. 

Die  (Erfahrungen  ber  neueften  Seit  lebten,  ba§  mau  biefen 
Hebetlieferungen  in  allen  $auptpunften  getreu  blieb,  wo  eß  fi<b 
um  bie  Abwehr  ber  fPeft  hobelte. 

(ist; 


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22 


2118  fySdjft  gefährlich  galten  bemgemäf):  SB  olle,  bie  au8 
ihrer  SBerpacfung  gänzlich  ^erauSjune^men  unb  in  Raufen  ocn 
höchftenS  »iet  gufj  aufoufdjidjten  war,  um  täglich  jweimal  um» 
gerüttelt  unb  Bon  intern  Pajje  entfernt  p »erben,  ©eibe, 
Gebern,  roheSaumwolle,  jtameelhaare,  gilj,  ^)elj»erf, 
Sud)  unb  Beinwanb,  fo»ie  aBe  in  eine  berartige  UmhüBung 
Berpacften  ©egenftänbe,  mit  2tu8naijme  etroa  ber  Btofinen  unb 
Äorinthen,  beten  theilweife  23erbunftung,  wie  man  bamalS  glaubte, 
als  eine  2lrt  ber  fDeSinfeftion  »irfte.  2118  in  boljem  Waffe  Ber* 
bächtig  galten  aud)  SEabaf,  obwohl  einige  2lerjte  auch  ibn  p 
Ben  2lbw ermitteln  gegen  bie  $)eft  regneten  unb  bafl  5Rau<hen 
bringenb  anempfahlen,  $^ier^äute,  SBachS,  Schwämme  unb 
Äerjen,  mit  3?üdfid)t  auf  ben  barin  enthaltenen  33aumwoflen» 
bo<ht.  greigegeben  waren  im  unBerpaCften  3uftanbe  nur  @e» 
treibe,  ©alj,  Betnfaamen,  Sämereien,  SBein,  BJiarmor,  Mineralien, 
Barbftoffe,  #olj,  (Elfenbein,  ©anb  unb  einige  anbere  Slrtifel. 

<£)owar b’8  Urt^eil  über  bie  Benetianifdjen  (Einrichtungen, 
bie  er  unter  |)tei8gebung  feines  Bebens  erforfdjt  hatte,  lautet  im 
©ro^en  unb  ©anjen  entfdjieben  ungünftig.  (Et  fagt  barübet: 
„25ie  SBetorbnungen,  bie  in  ben  Benetianif(hen  SQuarantaine* 
anftalten  beobachtet  werben  foBen,  finb  weife  unb  gut.  ©egen* 
»artig  aber  finbet  man  in  faft  aßen  2tnftalten  ber  ©efunbheitS» 
pflege,  bie  ich  ©elegenhett  p beobachten  hfltte,  fo  »tel  Stach» 
läffigfeit  in  bet  2lu8führuug  jener  SßorfC^riften,  foniel  SSeftech« 
lichfeit  unter  ben  leitenben  fPetfonen,  bah  bie  Duarantaine  bei* 
nahe  nufcloS  geworben  ift  unb  bie  Bajarethe  p nichts  iÄnberm 
bienliCh  finb,  als  pr  Befolbung  Bon  SSeamten  unb  Dienftuntaug» 
liCher  ^erfonen.“ 

93ieBeicht  lautet  biefeS  Urtheil  noch  3U  milbe.  Stad)  ber 
Sefchteibung,  bie  bewarb  felbft  Bon  feinen  Benetianifchen  Äranfen» 
jimmern  gegeben  hat,  würbe  man  ihn  faum  tabeln  fönnen,  wenn 

148) 


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23 


er  behauptet  hätte,  bah  man  bie  Duarantaineanftalten  bet  ba» 
maligen  3eit  SBrutnefter  anftecfenber  ftranfh  eiten  mit  betreiben 
Siechte  nennen  fonnte,  mit  bem  er  jelber  bie  englifchen  ©efäng» 
nifje  feiner  Beit  alß  Schulen  beß  Verbrechens  unb  ber  33etbetbnih 
gefchilbert  hotte. 

Von  befonberet  Vebeutung  erfcheint  baß  über  Venebig  ge- 
fällte Verbammungßurtheil  auß  smei  ©tünben.  ©inmal  mar  in 
Vegiehung  auf  bie  in  Vetracht  fommenben  D ertlichfeiten  feine 
Seeftabt  geogtaphifth  fo  fehr  beeorgugt,  mie  bie  gagunenftabt, 
bie  ihre  Duarantaineanftalten  in  ber  ©ntfernung  mehrerer  ita» 
Uenifchet  SReilen  auf  leicht  ju  übermadjenben  3nfeln  eingerichtet 
unb  aufeetbem  noch  mit  h°he«  dauern  abgefchloffen  hotte,  fo 
bah  jebe  Uebertretung  ber  beftehenben  Vorschriften  beffer  contro* 
lirt  metben  fonnte,  alß  anberßmo. 

Sobann  bejah  SBenebig  eine  ©inridjtung,  bie  noch  hfut 
ju  Sage  bie  Aufmerffamfeit  aller  berjenigen  oerbient,  bie  ber 
öffentlichen  ©efunbheitßpflege  ihre  31  ufmetff amfeit  jumenben. 
©rmägt  man,  bah  SBenebig  nach  feiner  S3erfaffuug  eine  gleich» 
{am  centrale  Stellung  einnahm  im  Vergleich  ju  feinen  feftlänbi» 
fchen  Vefifjungen,  bie  fid)  einet  gröberen  Selbftänbigfeit  in 
ihrer  SBermaltung  erfreuten,  fo  märe  fogar  bie  Anbeutung  erlaubt, 
bah  gujammengefebte  Staaten  nach  bem  SDinfter  bet  neueren 
Vunbeßftaaten  Anlafj  hoben  fönnten,  mit  ber  ©efchichte  biefer 
©inrichtnng  fleh  oertraut  ju  machen. 

SBährenb  einer  ungemöhnlich  heftigen  ^eftepiDemie  mar  um 
bie  SRitte  beß  15.  3ahrhunberß  in  33enebig  butd)  Defret  beß 
Senats  ein  ©efunbheitßrath  gefchaffen  unb  in  feinet  3uftän» 
bigfeit  nach  unb  nach  weiter  außgebilbet  motben,  fo  bah  feine 
SBerfaffung  in  allen  ihren  ©injelheiten  oielen  Veridjterftattern 
muftergültig  erfcheinen.  SDiefe  SBehörbe  mar  mit  allen  mefents 
liehen  Attributen  ber  ooD^iehenben  ©emalt  außgeftattet,  fie  hotte 


T'Tt? 

fcrUYt?. 


(is») 


S • >" 


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24 


in  bürgerlichen  fProceffeu  unb  in  ©traffachen  eine  weitgehenbe 
fachliche  unb  perfönlidje  3uftänbigfeit  uub  warb  non  ben  an* 
gefehenften,  reidjften,  unbefted)Hd)ften,  erfahrenden  Bürgern  bet 
dtepublif  alö  ein  ©hrenamt  unb  eine  IDurchgangSftetle  gu  höheren 
©taatSämtern  verwaltet.  ©eleitet  war  ba3  ©oüegium  burch  brei 
alljä^rlid^  vom  ©taat  erwählte  ©ommiffatien.  SJiit  unb  neben 
ihnen  amtiren  jvuei  Jpülfflbeamte  unb  gwei  außerorbentliche  Gom* 
niiffatten,  welche  (entere  bie  $)rotocolle  au  93orb  ber  einlaufenben 
©c^iffc  führen,  außetbem  in  fchwierigen  unb  jchleunigen  gälten 
fofert  einfdjteitcn  fonnten.  Senn  bie  fieben  gut  S3ehörbe  gehörigen 
fPetjonen  »erfammelt  finb,  bilbcn  fie  einen  orbuungSmäßig  be* 
festen  ©eridjtöhof,  ber  in  allen  Angelegenheiten  ber  öffentlichen 
©efunbhcitspflege  urteilt. 

Alle  93erorbmmgen,  bie  nicht  etwa  ber  gefefcgebenben  ©e= 
Walt  ber  diepubliE  »orbehalteu  finb,  gehen  non  bem  ©ejunbljeitö« 
rath  auö.  ©r  befifct  ein  fubalterneö,  vom  ©taat  befolbcteö  $er* 
fonal  von  Schreibern,  bie  gleidjfam  bat!  fadjverftänbige  ©lement 
barftellcn,  baher  auf  Sebenögeit  ober  auf  bie  2)auer  guten  93er» 
halten e ernannt  werben,  3?eigegeben  ift  ihm  ferner  als  ©ecretär 
ein  redjtfwcrftdubiger  9loiar  uub  ein  fiöfalijchct  Abvofat,  legerer 
»ortoiegenb  für  bie  Unterfuchung  ber  bem  ©taate  gufemmenben 
©trafgcfäUc  unb  33ußen.  2)ie  $>tioten,  b.  h-  bie  23orfteher 
ber  Äranfenl)aufer,  finb  bem  ©efunbljcitSrath  untergeben,  beä* 
gleichen  bie  über  bag  ©tabtgebiet  verbreiteten  Auffichtfibeamten 
ber  öffentlichen  ©efmcbheitttyflege,  bie  ben  SBerfauf  ber  SebenS» 
mittel,  bat!  SDtarftwefen  unb  anbereS  mehr  gu  überwachen, 
auch  regelmäßig  über  alle  3Bal>rnehmungen  gu  berieten  haben, 
bie  bie  öffentlid)e  ©efunbheitbpfiege  irgenbwie  angehen.  2)affelbe 
ißerfonal  hat  auch  nuf  ba8  SBettlerwefen  gu  achten,  infofern 
au8  33erwahrlofung  in  ben  ärmften  unb  bebürftigfte  n 
©Richten  anftecfenbe  Äranfheiten  entftehen  ober  be» 
a«0) 


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25 


fßrbert  werben  fßnnen;  e$  führt  genaue  ©terberegifter  mit 
ber  Verrichtung,  bei  allen  ploßlich  oorfommenben,  Ijinftdjtlid?  ber 
Urfadje  oerbächtigen,  2wbe8füflen  forgfältige  ffiachfcrfdjungen  an* 
gufteßen,  gu  welkem  3»ecfe  bem  ©efunbljeitörath  ein  Slrgt  unb 
unb  ein  6^irurgu8  befonberö  beigegeben  finb.  Außerhalb  ber 
©tabt  Venebig  beftanb  in  jeber  größeren  ©tabt  be$  »enetianifchen 
haubgebietß,  beren  £anbel  einigermaßen  Vebeutung  befaß,  eine 
nach  benfelben  ©efidjtbpunften  eingerichtete  ©efunbßeitSbetyerbe, 
bie  mit  folgen  $)erfonen  befeßt  fein  mußte,  beren  Unabhängig» 
feit  außer  Bweifel  ftanb,  weil  fie  an  ^anbelSgefdjaften  perfßnlid} 
nitßt  beseitigt  fein  burften,  unb  aus  ftäbtifdjen  ÜRitteln  feine 
Vefolbung  empfingen.  Sille  biefe  localen  Vehßrben  waren  bem 
©efunbljeitörathe  ber  ©tabt  Venebig  untergeben. 

Äuffaflenb  batf  e8  genannt  werben,  baß  in  biefer  ©intid}* 
tung  ber  ocnetianifdieu  {Republicf  mandjetlei  ©runbgebanfen 
frühzeitig  oerwirflicht  würben,  bie  bie  neuere  ©taatSwiffenfchaft 
nicht  feiten  al8  englifche  Vorbüber  betrachtet  hat.  Snßbefonbere 
ift  babei  eigentümlich,  baß  man  an  ber  ©piße  einer  fo  macht* 
ooßen  Veßßrbe  ben  ©ebanfen  ber  ehrenamtlichen  ©elbftoerwal* 
tung  in  ber  SBeife  oerwirflichte,  baß  man  baS  fadjberftänbige, 
tedwifdj* berufsmäßige  unb  befclbete  Veamtenperfonal  in  eine 
untergebene  ©teßung  verfeßte,  wie  bie8  noch  heu*e  vielfach  in 
ber  englifcßen  ©raffchaftßoerwaltung  üblich  ift,  bagegen  bie  ooße 
Verantwortlichfeit  ber  oberen  Leitung  nur  folgen  SJiännern  oer* 
traute,  bie  buvcß  ißte  bürgalidje  ©teßung,  burdj  Unbefangen* 
heit  unb  bie  SBeite  eines  politifch  gereiften  Vlicfeä  bie  Vürg* 
feßaften  barjubieten  fdjienen,  baß  fie  fich  in  ber  Verfolgung  ihrer 
3wecfe  frei  halten  würben  »on  jeber  ©infeitigfeit,  bie  manchen 
Fachmännern  eigen  ift,  inbem  fie  wiffenfchaftliche  Theorien,  ob«1 
perfßnlidje  Slnficßten  als  Staatsangelegenheiten  behanbeln,  fobalb 
ihnen  bie  SOiacht  beS  SlmteS  gegeben  wirb. 

(>*D 


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26 


2lu dj  anbermärtS  ^atte  bie  $)eftnoth  bagu  gebrängt,  ©efunb» 
hettSbebörbeu  mit  auherorbentlichen  2Jiac^tDoQfDmmenbeiten  gu 
Raffen.  Sobalb  bie  Seuche  erlofchen  mar,  pflegte  man  aber  bie 
Sehren  bet  Vergangenheit  nur  gu  leidet  gu  oetgeffen.  SSahrfchein» 
Iid)  mar  eS  auch  baS  oenetianifche  ÜJlufter,  baS  9Jteab  cot« 
fchmebte,  als  et  1720  feine  berühmte  »ielfadf  aufgelegte,  noch 
1801  ins  grangöfifcbe  überfefcte  Schrift  auf  Veranlaffung  be$ 
englifchen  Parlaments  abfafjte.  (St  rechnet  gu  ben  mirlfamften 
33  orbebingungen  erfolgreicher  Vefämpfung  bet  Peft  bie  (Sinti ch* 
tung  eines  ©ef unbheitSratheS  nach  bem  ©runbfafce  bet  Unter» 
otbnung  örtlicher  Vehörben  unter  eine  hödjfte  JfteichSfteHe.  (Sr 
fagt  barüber  golgenbeS: 

„Sch  glaube,  baff  man  in  atlererftet  Sinie  einen  ©efunb» 
heitSrath  bilben  muh,  gufammengefeht  auS  ben  höchften  ©taatS* 
beamten,  auS  ftäbtifchen  Seifigem  unb  groei  ober  btei  älergten; 
biefem  JRathe  märe  auSreichenbe  SDRachtooUfommenheit  gu  ge» 
mähren,  um  mit  SMUigfeit  unb  ©erechtigfeit  bie  oon  ihm  auS» 
gegangenen  Vefehle  oollftrecfen  gu  laffen.  2)ie  Dbfotge  für  recht» 
geitige  (Srfennung  ber  in  feber  Pfarrei  auftretenben  (Srfranfungen 
mü§te  fernerhin  nicht  alten  unmiffenben  SSeibern,  mie  bisher, 
überlaffen  bleiben,  fonbetn  Männern  oon  erprobter  Buoerläffig» 
feit  unb  ©ef^idlichfeit.  3hre  Pflicht  märe,  bie  Äranfen  gu  be* 
fudjen,  unb  fobalb  fte  irgenb  melcheS  ungemöhnliche  ÄranfheitS» 
geilen  bemerfen,  namentlich  in  gällen  blaffer  glecfen,  oon  (Eiter- 
beulen ober  Äarbunfeln,  fofort  bem  ©efunbheitSrath  Vericht  gu 
erftatten,  melcher  aisbann  Slergte  abfenben  mirb,  um  oerbächtige 
Seichen  gu  prüfen,  unb  bie  nahe  belegenen  Käufer  gu  befugen, 
namentlich  in  gällen,  in  benen  bie  Snfaffen  unoermögenb  finb, 
meil  hier  bie  Peft  am  leichteften  entfteht.  Söenn  auf  ©runb 
ihres  Söeric^teS  baS  Vorhanbenfein  non  peft  anerfannt  ift,  muh 
man  fofort  bie  (Sntfernung  bet  angeftecften  gamüie  auorbnen 

ei«) 


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27 


unb  ben  SSerfeht  bet  ©efunben  mit  ben  jfranfen  abfd}neiben.- 

Srofc  beö  SeftehenB  einet  mit  mirffamet  93Rad}t»otlfoinmen» 
feit  auSgerüfteten  ©efunbheitsbehötbe  unb  trofc  bet  günftigen 
geographifdjen  S3etl}ältniffe  ^atte  $omatb  bie  ^eftfperre  in 
33enebig  bur<hau8  unmirffam  ober  getabeju  gefährlich  gefunben. 
2)et  angenfdjeinlid)e  SSetfaU,  in  bem  bie  3tepublif  feit  2Jienfd)en- 
altern  bahinfiechte,  ^atte  offenbar  ade  iijre  ©intid}tungen  er- 
griffen. ©in  befted^lic^eö  S3eamtentl)um  fe^te  bie  befteljenben 
Siegeln  einfach  aufjer  Singen,  bewarb  felbft  überzeugte  fid}, 
inbem  er  ©elbgefchenfe  »erabreichte,  bafj  ba8  Verbot,  ©elboor» 
theile  anjune^men,  nicht  mehr  beamtet  mürbe. 

@8  märe  begreiflich  gemefen,  menn^omarb,  ber  ber  feften 
Sfafidjt  mar,  b afc  ba8  ?)eftgift  nic^t  burd)  förpetlid)e  ^Berührung 
»on  ben  £autporen  aufgenommen,  fonbern  nur  burd}  ©inimpfung 
ober  ©inattjmung  übertragen  roerben  fönne  nnb  überbieS  fogat 
bie  Seiten  ber  SSerpefteten  nad)  eingetretener  ©rftarrung  für 
gefahrlos  hielt,  9lngefid)t8  ber  in  23enebtg  gemachten  ©tfahrungen, 
3u  einem  ©egner  ber  SDuarantaineanftalten  gemorben  märe. 
@r  mar  inbeffen  ju  gemiffentjaft,  um  fid}  ben  leichtfertigen  'Schluß- 
folgerungen betfenigen  anjufd)lief)en,  bie  in  allen  fallen  eine 
Ciuarantaine  nur  au8  bem  ©runbe  für  unentbehrlich  hieben» 
meil  ein  abfoluter  ©d)ufc  oermittelft  betfelben  nicht  erreicht 
motben  mar.  3«  ftarfen  2B orten  ftrafte  er  biefenigen,  bie  au8 
©rünben  ber  ©parfamfeit  ober  in  bet  leichtfertigen  SBeftreitung 
bet  Uebertragbarfeit  ber  $)eft  baju  riethen,  »on  9Jta§regeln  ber 
©perre  abjufehen  unb  e8  ben  ©injelnen  anheimjugeben,  fich  burd} 
ein  paffenbeS  ©erhalten,  burch  ben  ©enufc  »on  gutem  Söein, 
burd}  5Raud}tabal,  burch  Slufheiterung  il)re8  ©emüthS,  burch 
rechtzeitige  glud)t  ober  anbete,  bamalB  empfohlene,  drittel  in 
Sicherheit  ju  bringen.  35ie  grofje  ÜKeht^ahl  bet  ärztlichen  ©ad)» 
»erftänbigen  ftanb  ju,£>omarb’g  Seiten  unter  bem  ©inbrucf  bet 

(IM) 


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28 


©reigniffe,  fcie  ftd^  3U  Anfang  be8  18.'  3ahihunbert8  in  9Jiar* 
feüle  zugetragen  hatteu  unb  ju  beweifen  fd)ienen,  wa8  einerfeit® 
bie  23erabfäumung  oon  SBorfidjtSmafjregeln  auf  ©eiten  bet  2?e= 
hövbe  Detfdfulben,  anbererfeitö  bie  Stnroenbung  einet,  wenn  audj 
»erfpäteten,  ©perre  nüfcen  fann. 

$owarb  war  alfo  barauf  bebaut,  unter  2lnerfennung  bet 
Sßothwenbigfeit,  bie  ©infdjleppung  ber  fPeft  »on  ©taatSwegen 
ju  »et^inbern  ober  bod?  3U  erfcf)roeten,  feine  33orfchläge  beu  23e« 
bürfniffen  feiuet  Seit  unb  ben  üBerhältniffen  feine®  93aterlanbe8 
anzupaffen. 

©eine  58orfd)läge,  bie  ficb  auf  bie  ©inridjtung  eine8  $>eft» 
la3aret^8  an  bet  englifdjen  ©übfufte  beziehen,  haben  heute  unter 
»öllig  ceränberten  Umftänben  nur  nod)  ein  feht  untergeorbneteS 
3ntereffe.  SJian  t^ut  ,£>owarb  fein  Unrecht,  wenn  man  fie  in 
bet  .£>auptfadhe  »eraltet  nennt.  fftiemanb  würbe  heute  baran 
benfen,  ben  non  ihm  entworfenen  ^lan  anzuempfehlen.  3mmer» 
hin  aber  netbienen  manche  non  ihm  gegebenen  SBinfe  boch  be» 
achtet  ju  werben. 

2tn  ©teile  bet  hergebrachten  Beitbauer  bet  Quarantaine 
empfahl  et  beten  Sbfütjung  gerabe  au8  beni  ©efichtSpunfte 
bet  ftrengeren,  thatfräftigeren  iDurdjfü^rung.  ©benfo  war  oon 
ihm  nid)t8  anbere8  zu  erwarten,  al8  bafj  et  in  ben  iflnftalten 
ber  Slbfperrung  bie  üoüften  23ütgf<haften  ber  ©efnnbheitSpflege 
butchgefühtt  wiffen  wollte,  um  ben  ©ingelnen  nor  bemfelben 
©djicffal  ber  ©rfranfurtg  zu  bewahren,  bem  et  felbet  mit  ge« 
nauet  Sßoth  in  SSenebig  entronnen  war. 

£owarb  felbft  fyat  fidjerlid)  gefüllt,  ba§,  fchriftfteüerijcb  ge« 
nommen,  feine  Arbeit  nid}t  »otlftänbig  war  unb  einer  ©rgängung 
beburfte.  Sieben  feinem  unbezähmbaren  Triebe,  bet  ©lenfchheil 
»üblich  31t  fein,  mag  et  auch  ba8  33ebütfni§  weiterer  Qlufflärung 
empfunden  Ijaben,  at®  et  ficb  3U  feiner  lebten  grofjen,  ruffifdjen 

(1«4) 


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29 


{Reife  anfcfjicfte,  »on  ber  er  nicht  wiebet  ^eimfe^ten  füllte.  — 
©eine  Darftellung  ber  ©übeuropäifdfen  gagaretb*@inricbtungen 
bebanbelte,  nach  ber  {Ratur  ber  »on  ihm  burchforjcbten  gänber, 
nur  bie  bequemere,  überftdjtlidjere  unb  einfachere  §orm  ber@ee* 
fperte  in  ben  .pafenftäbten. 

©inige  betfelben  hotten  fidh  bie  Aufgabe  wefentlid)  baburdb 
erleichtert,  bafj  fte  inficirte  ober  ftarf  »erbäebtige  ©ebiffe  über« 
haupt  nicht  lanben  liefen,  fonbern  bei  »erfuebter  Annäherung 
einfach  »erjagten. 

Ungleich  febwieriget,  als  gur  @ee,  ift  bie  .panbbabung  ber 
Duarantainenorfchriften  im  {Binnen»etfebr  ober  an  ganbgrengen. 
Deflerreid)  unb  IRufjlanb  befanben  ficb,  ihrem  türfiiehem  Machbar 
gegenüber,  in  einer  wesentlich  anbern  Sage,  als  SOenebig  unb 
fogar  ÜRarfetlle,  wo  alle  frangöfifeben  Smporte  au8  ber  geoante 
ausnahmslos  unb  unter  AuSfcbluf)  bet  atlantifcben  Jpäfen  gu  lanben 
»aren.  Ueber  bie  »orauSficbtlicbe  SBirffamfeit  bet  ganbfperre 
Auffläruug  burdj  einen  fo  geroiffenhaften  ^orfeber  wie  .po warb 
gu  erlangen,  wäre  »on  befonberer  SSicbtigfeit  gewefen,  gumal 
gerabe  auf  biefem  ©ebiete  bie  {Beobachtungen  mangelten,  wähtenb 
begüglid)  ber  Ouarantainemafjregeln  in  ©üb*©uropa  eine  {Reihe 
»on  werth»oKen  Verarbeiten  »orgugSweife  bureb  Stalien  unb 
gtanfreicb  geliefert  worben  war. 

©ine  gweite,  auf  bie  Vefämpfung  ber  $)eft  begüglidje  ,paupt» 
frage  wäre  biefe  gewefen:  SBenn  bie  einmal  bem  auSlänbifcben 
panbelSoerfebt  gegenüber  gehanbhabte  ©perre  umgangen  war, 
ober  au8  irgenb  einem  ©runbe  bie  ißeft  bie  ganbeSgräuge  übet» 
febritten  hot  — welche  weiteten  ÜJtafcregeln  ber  Abwehr  finb  al8= 
bann  gu  ergreifen?  ©inb  biefelben  üRafjregeln  ber  ©perre  »on 
ört  gu  Drt,  »on  Söeg  gu  2Beq,  »on  ©tabt  gu  ©tabt,  »on  .pauS 
gu  ,pauS  einfach  gu  wieberbolen?  SBelcbe  Unterfcbiebe  ergeben  ficb 
hier  au8  bet  alSbann  eintretenben  Veroielfältigung  bet  Aufgabe? 

(16S) 


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30 


SBie  oerljcUt  fidj  bet  SBitfungSfreiS  bet  ©taatSgewalt  gu  bet« 
jentgen  bet  ©emetnbe?  SBelche  ©dbranfen  eigeben  fidj  füt  bie 
©efunbheitSpoligei  auS  ben  Siebten  beS  Staatsbürgers,  auS  bem 
©onflifte  jwifdjen  ben  SBohlfahrtSgwerfen  bet  ©efeUfdhaft  unb 
ben  anerfannten  Siechten  bet  ©ingelnen? 

S5a&  biefe  Stagen  nicht  bloß  für  bte  9Jiitteleurohäifchen 
SBinnenftaaten , fonbern  fchledE)thin  bte  wichtigeren  ftnb  im  33er« 
gleich  ju  bet  ©eefperte,  fonnte  £owarb  nicht  überfehen.  @t 
wat  ftd?  barübet  ooUfommen  flat  bafj  eine  Anempfehlung  bet 
jDuaraniaine  gegen  baS  AuSlanb  niemals  gleicijbebeutenb  fein 
fonnte  mit  einem  33erfpredhen  ooflfommenet  Sicherheit  gegen  bie 
fPeft,  unb  bafj  bet  gaH  einet  unwitffam  gebliebenen  SerfehrS* 
fperte  nothwenbig  oorauegefe^en  werben  mufj. 

9iur  wenige  Anbeutungen  laffen  in  -£>owarb’S  ©dhtift  übet 
bie  8agarethe  barauf  fchliefcen,  bafj  et  in  bet  £auptfa<he  mit  ben 
einstigen  Kat^fdjlügen  einoetftanben  war,  bie  fechSjig  Saljre 
früher  »on  feinem  üaubSmann  5Di eab  ertljeilt  worben  waten, 
©in  SJiann,  bet  baS  ©ift  beS  moralifdhen  ©ontagiumS  in  ben 
englifdjen  ©raffchaftSgefängniffen  etfannt  unb  bie  Sebeutung  bet 
Abjonberung  bet  ©efangenen  »on  ihresgleichen  richtig  gewürbigt 
hatte,  fonnte  unmöglich  ber  t^öridjten  ÜJleinung  ljulbigen,  ba§  man 
nach  bem  Auftreten  eines  ^eftfalleS  in  ben  ©täbten  bie  Jhanfen 
nebft  ihren  Angehörigen,  in  ihren  SBohnungen  glei<hfam  ju  oer» 
nageln  habe,  um  bie  Sntenfität  beS  ©ifteS  ju  fteigern  unb  bie 
©ejunben  butdh  Anwenbung  non  ©ewalt  in  fünftlich  gefdhaffenen 
^)efthöhlen  umfommen  gu  laffen.  Schon  auS  ©tiinben  achter 
fDienfchenliebe  fonnte  £owarb  feine  wefentlidh  anbere  Meinung 
haben,  al8  5Jieab,  bet  ba  lehrte:  „3)a8  natürliche  Siecht  beS 
SJienjchen,  fi<h  einer  SebenSgefaht  burd)  gludht  ju  entziehen,  barf 
butdh  ben  ©taat,  burdj  ©infpettung  in  Beiten  ber  $)eft,  nidht  »et« 

nidhtet  werben.  AlSbalb  nach  gemelbeter  ©rfraufuug  finb  bie 

<166) 


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31 


Ärcmfen  nicht  in  ihren  Raufern  gu  beiaffen,  fonbern  fofort  in 
paffenb  eingerichtete  Sänftalten  gut  Teilung  gu  bringen.  Bhte 
£au8genoffen  finb  außerhalb  bei  Stabte  ober  ÜDörfet  in  gut 
»entilirten  Bellen  untergubringen  unb  bort,  abgefonbert  com  SBerfetjr 
mit  uncerbächtigen  $)etfonen,  eine  Beit  lang  gu  beobachten.  Bebe 
£ärte  gegen  bie  bet  ^)eft  eerbächtigen  sPerfonen  fteigert  nur  bie 
©efahr  Der  Verheimlichung,  »ähtenb  auf  redjtgeitige  ©ntbecfung 
bet  etften  gälle  SlUeS  anfommt.  2)ie  ®ebrauch8»©egenftänbe( 
ÄleibungSftücfe  u.  f. w.,  bie  mit  ^eftftanfen  in  Verühtung  jtanben, 
finb  am  beften  butdj  geuet  gu  Gereichten.  Um  bet  ^abfudjt,  bie 
folche  SDinge  gern  aufbewahrt,  »irffam  gu  begegnen,  empfiehlt 
fich  ©ntfdjäbigung  auS  öffentlichen  SRitteln  für  bie  obrigfeitliche 
Vernichtung  peftgeführlichen  Vricateigenthumö.  kleinere  Drt» 
fchaften  foHen  im  »eiteren  Umfreife  abgefperrt , eingelne  ©e* 
höfte,  in  benen  ^)eftfäHe  corfommen,  niebergebrannt  »erben. 
Unter  feinen  Umftänben  batf  bie  Seuche  in  enge  Väumlichfeiten 
gewaltfam  eingefchloffen  »erben." 

Vergleichen  »it  nnfere  heutigen  Äulturguftänbe  mit  ben» 
jenigen,  bie  gu  $o»arb’S  Beiten  gegen  ©nbe  beS  nötigen 
BahrhunbertS  corhanben  waren,  um  gu  ermitteln,  welche  9tath» 
fchläge  unb  ©rfahtungen  früherer  3eiten  gut  Vefämpfung  ber 
9>eft  für  un8  brauchbar,  welche  anbern  als  ceraltet  gurücfgu* 
weifen  finb,  fo  lafjt  fich  »ic^t  oerfennen,  bah  in  wichtigen  fünften 
bie  uns  umgebenben  Verhältniffe  ganglid?  ceranbert  worben  finb. 
Bmmethin  aber  haben  wir,  in  ©rmangelung  guteichenbet  @t» 
fahrungen  innerhalb  beS  heut  lebenben  ©efchlechts,  alle  Vetan« 
laffung,  bie  befferen,  auf  bie  ®ef<hi<hte  bet  ^eft  begüglichen 
Schriften,  gu  benen  ^owarb’S  Slrtifel  gu  rechnen  fein  bürfte, 
aufmerffam  gu  butchforfchen  unb  ihren  Bnhalt  mit  ben  Veo» 
baäjtungen  gu  cergleichen,  bie  bie  neuere  SBiffenfdjaft  übet  an» 

bete  Seuchen,  inSbefonbere  über  ben  JcphuS  unb  bie  ©h»lera 

- (»t) 


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32 


angujlelfen  bemüht  war.  2Ba8  inSbefonbere  bie  ©^oleta  anbe« 
langt,  beren  Urfprunggftätie  gleichfalls  bem  Drient  angehört, 
fo  ergiebt  fic^  ber  9trt  ber  Berfchlcppung  unb  Uebet« 

tragung  non  Drt  gu  £5rt  eine  {Reilje  faum  abguweifenber  2lna* 
logien. 

SDie  hauptfächlichften  Schwierig! eiten,  bie  einet  9lad}afymung 
ber  alten  ^eftfperre  gegenwärtig  im  SSege  gu  fielen  fdjeinen, 
bürften  in  folgenben  Umftäuben  geboten  fein: 

2)et  ^jaubelöoerfehr  gwifdjeu  ben  abenblänbifchen  Staaten 
unb  ber  orientalifcjjen  SBelt  unb  bie  Bewegungen  beö  f»erfonen* 
gug§  »on  £)ften  nad)  SBcften  unb  umgefeljtt  ^at  eine  sjluöbeh« 
nung  gewonnen,  bie  jeber  Begleichung  mit  bem  ootigen  3aljr= 
hunbert  fpottet.  3n8befonbete  muß  auch  bie  £erfteHung  be« 
alten  |>anbel8weg8  nach  Dftinbien  oermittelft  ber  SDurdtjfted^uug 
ber  Üanbenge  oon  Sueg  babei  »eranfdjlagt  werben.  2tn  Stelle 
ber  alten  Segelfd)irfe,  bie  nad)  längerer  Seefahrt  wenigftenö 
gwifcben  mittellänbifchen  $äfeu  unb  norbifcben  £anbd$plößen 
einige  Bermutßungen  bet  Unoerbächtigfeit  für  fid)  Ratten,  finb 
fd)itell  laufenbe  SDampfer  getreten,  bie  au  gasreichen  ätuijdjen« 
ftationen  ü)te  ^affagite  wed)feln.  fRußlanb,  ein  faum  gu  übet« 
fdjauenbeö  BetbinbungSglieb  gwifdjen  Slbenb«  unb  SJlotgenlanb, 
hat  feine  ©rengen  nid)t  nur  gegen  SBeft'Europa  oorgefdwben, 
fonbern  fidjaudj,  wa8  nod)  bebeutfamer  ift,  ben  alten  ©rengftätten 
ber  $)eft  in  9lfien  burd)  feine  Eroberungen  fort  unb  fort  ange« 
nährt.  SDte  Bebeutung  feines  $anbel8,  ber  auf  großartigen 
Schienenwegen,  gwijd)en  ben  Ufern  ber  9}ewa  unb  ber  2Beid)fel 
einerfeitß  unb  ben  ©eftaben  beS  j<hw  argen  ÜJteereö  unb  ben  tranö» 
faufafifdjen  Bedungen  bahinrollt,  fteigert  bie  ©efährlidjfeit  ber 
Uanbwege  für  s))eft  unb  Eßolera  oorgugöweife  im  ,£>inbltcf  auf 
2)eutfd)lanb  unb  £>efterreid).  Unfere  mittleren  unb  größeren 
Stabte,  bie  Sammelpunfte  einer  nicht  nur  gasreichen,  fonbern 

(ISS) 


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33 


jum  grofjen  Sljeil  leiber ! auch  batbenben  unb  nothleibenben  33e* 
oölferung,  haben  eine  Auflbehnung  gewonnen,  bie  eine  Anwenbuiig 
bet  alten  $)eftfperre  auf  grofce  ©innenftäbte  unbenfbar  erfdjeinen 
laffen  rnufi.  3Rit  bet  Anhäufung  einer  ungeheuren  ©eoölfetungb» 
jiffet  in  ben  mobernen  3nbuftrieftäbten  bat  meiftentheilb  bie  33effe= 
tung  bet  ©ohnungboerhältniffe,  bet  öffentlichen  ^Reinigung 
unb  bet  33olfbernährung  feinebwegb  gleichen  ©chritt  gehalten 
unb  eb  möchte  in  ben  ‘Augen  mancher  SBeobac^ter  ber  Bweifel 
wohl  berechtigt  erfcheinen,  ob  in  beu  nieberen  33eDöIfetungb» 
fchichten  mancher  ©uropäijeher  3nbuftrieftäbte,  befonbetb  ju 
3eiten  ungewöhnlicher  wirtschaftlicher  fRoth , bie  wötberifdjc 
Äraft  ber  $eft  nicht  großer  fein  möchte,  alb  in  orientalischen 
Jpafenftäbteu. 

Auf  ber  anbern  ©eite  ftehen  aber  auch  *><e  erheblichen  ©egen» 
anjeigen,  bie  unb  oor  übertriebener  ^urc^t  »amen. 

(Sb  ift  unmöglich,  bafj  bie  fPeft  gegenwärtig  weite  ©treefen 
ganbeb  burchroanbert,  ehe  fie  bemerft  unb  erfannt  wirb,  ©eil 
fie  fiel?  oon  ihren  ehemaligen  Schleichwegen  gu  ben  größeren 
93erfehrbftrafeen  ^im»enbet,  unterliegt  fie,  überall  wo  fie  be» 
troffen  wirb,  ber  ©ahrjcheinlichfeit  fofortiger  (Sntbedfung.  Ob» 
wohl  fie  unb  fchneller  erreichen  fann,  alb  ehemalb,  finb  wir  ben* 
noch  beffer  barauf  oorbereitet,  fie  in  gebührenber  ©eije  abju* 
wehren,  ober,  wo  b ab  unmöglich  fein  follte,  einjufdjränfen  unb 
3U  befämpfen.  S3eoor  ber  ©üterjug,  ber  cerpeftete  ©aaren 
fortfcbleppt,  in  einen  (Sifenbahnljof  einläuft,  ift  ihm  ein  tele» 
graph'f<her  Sunfe  ooraubgeeilt,  ber  bab  ©rgebnif}  forgfäliiger 
©tfunbigungen  übermittelt,  ©ang  ©nropa  fteht  unter  ber  ^)o* 
lijeiaufftcht  einer  Alleb  beobachtenben  treffe,  bie  auch  bab  ent* 
fernte  ©erficht  bezeichnet  unb  ju  fofortigen  Aufflärungboerfuchen 
anregt.  ©elbft  fäumige  ‘.Regierungen  ftehen  unter  bem  ©influfs 
ber  öffentlichen  Meinung,  bie  ©chu^  für  geben  unb  ©efunbheit 

XIV.  »17.  3 (1S9) 


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34 


gebieterifd)  »erlangt,  ©efteigert  ift  baS  ©efüfel  ber  Verant* 
wortlichfeit  in  bern  ©eamtenthum  gegenüber  ben  ftaatSbürgerlichen 
fRedjten.  Stach  gleidjmäfeiggehaubhabten  Metfeoben  beobachtet  bie 
moberne  Statnrwiffenfchart  in  aQen  ätulturftaaten  bie  gleiten 
Vorfommniffe.  Sfteue  ©efidjtSpunfte  fittb  für  bie  Veurtljeilung 
ber  VolfSfeucfeeu  gewonnen.  Die  Vobenoerhältniffe  menfchlicher 
©ofenftätten,  bie  man  oor  hunbert  Sauren  noch  unbeachtet  liefe, 
finb  in  ihrer  SBebeutung  gewürbigt  unb  als  ein  Factor  ber  ©e* 
fuubheitSpflege  erfannt.  Dur dj  baS  Mifrojfßp«  baß  bie  fleinften 
Dinge  taufenbfad}  oergröfeert  unb  bie  djemifche  [Retorte,  welche 
Stoffe  ^erlegt,  ift  gwar  über  ben  Urfprung  ber  VolfSfeuchen  noch 
nichts  entfchieben,  aber  mancher  Stttfeum  jerftreut,  ber  ju  fehler» 
haften  Maferegeln  ber  [Regierung  ben  Anlafe  bot.  SBenn  auch 
nicht  auSgerottet  unb  immer  noch  erheblich,  ift  wenigftenS  in  ben 
mittleren  Schichten  unfeTer  Venölferung  jener  Aberglaube  oer» 
ringert,  ber  ber  9)eft  SBorfcfeub  leiftete.  Selbft  baS  SBad)Sthum 
ber  poiitifchen  Freiheiten  ift  nicht  ju  unterfcfeäfeen.  konnten  bie 
abfoluten  Monarchen  auf  bem  ©ontinente  ©uropaS  oor  hunbert 
3ahren,  ohne  irgenbweldje  Scheu  oor  moralifcher  Verantwort* 
lichfeit,  fchnefler  befretiren,  rücffichtStofer  befehlen  unb  wiflfürlid} 
ftrafen,  fo  oermochten  fie  boch  weniger  butchgufefeen,  als  bie 
Staatsmänner  eines  freien  ©emeinwejenS,  beren  Mafenahmen 
fadwerftänbig  norbereitet,  forgfältiger  erwogen  unb  non  bet  frei* 
willigen  Unterftüfeung  gemeinfinniger  VenßlferungSfchichten  nach» 
haltiger  gefräftigt  finb.  Die  ungeheuren  Machtmittel,  bie  in 
©eftalt  unfeter  ftefeenben  Armeen  aufgefammelt  finb  unb  in  einem 
ÄriegSfaUe  baS  menjchliche  lleben  »ermßge  ber  Verfeinerung  ihrer 
3erftörungSmittel  mit  maffenhafter  Vernichtung  bebrofeen,  fönnten 
möglidherweife  $u  Anftalten  ber  MenSrettung  umgewanbelt  werben, 
wenn  fie  ber  heranrüefenben  Seuche  als  Sperre  entgegengefteHt 
werben.  Mit  ihrer  planmäfeigen  Vetwenbung  föunten  Mafe* 

(1TO) 


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35 


regeln  bet  2lbfpertung,  bie  früher  an  ißrer  UnauSführbarfeit 
fd^eiterten,  gegen  ben  gu  8anbe  anbringenben  SBerfeßr  unter  Hör* 
auSfeßung  ihrer  fftüßlicbfeit  burchgefeßt  unb  erjwungen  werten. 
§ln  ©teile  ber  ^>a^ierbl  of ab e,  bie  gegen  bie  $)eft  früherhin 
erflärt  würbe,  liege  fidj  ein  wirffamer  33elagerung8juftanb  hanb* 
haben. 

9iicht  ju  überfeinen  ift,  baß  bie  $)eft  fich  immer  mehr  unb 
mehr  au8  ben  Äüftenßläßen  beS  türfifdnen  ©ebietS  in  entlegene 
©tätten  beS  innetn  ÄleinaftenB  jurüdgegogen  h®i-  ©elbft  bie 
geinbe  ber  Slürfei,  bie  ihren  Untergang  »erfünben,  müffen  an* 
erfennen,  baß  feit  ,£)owarb8  3«ten  bet  S3orrath  an  menfchlidjer 
.Kultur  in , Segneten,  ©riecbenlanb,  Horberafien  geftiegen  ift. 
SBäre  eS  witflich  wahr,  waS  man  »or  hundert  Sohren  allgemein 
glaubte,  baß  bet  33aumwoKeuhanbel  »orjugSiueife  ber  2räger  beS 
§)eftqifte8  gewefen  fei,  fo  würbe  bie  Verlegung  ber  haußtfäch’ 
lidjften  ^Bezugsquellen  ber  SBaumwoUe  nach  fftorbamerifa  unb 
SDftinbien  als  ein  günftigeS  Slnjeidien  gebeutet  werben  fßnnen. 

5Bon  befonberer  SBichtigfeit  ift  aber  eines,  waS  £owarb  ju 
feinet  Seit  nicht  beachtet  hat,  weil  er  eS  noch  nicht  beachten 
fonnte:  2)ie  gänzlich  eeränberte  SSebeutung  ber  nölfer» 
rechtlichen  Schiebungen  in  ber  heutigen  ©taatenwclt. 

Sßor  hunbert  Saßren  hawbclte  jeber  ©taat,  wenn  er  fich  burdi 
Sperre  unb  JDuarantaine  gegen  baS  fRaßen  bet  ^>eft  ju  wehren 
trachtete,  nicht  nur  auSfcßHeßlid)  in  feinem  eigenen  Sntereffe, 
fonbetn  auch  mit  bem  immerhin  befeßränftern  gjtajj  feiner  eigenen 
Sötittel.  SöaS  anbetc  ©taaten  beabfichtigten  ober  erreichten, 
blieb  unbeachtet.  ®aßer  bie  Bertßeilung  ungleichmäßig  unb 
ungleichseitig  wirfenber  Kräfte.  £eute  bagegen  finb  fämmtlidie 
©taaten  (Europas  ron  bem  SBewußtfein  gemeinfamet  Sntereffen 
unb  gemeinfamer  ©efaßren  auf  bem  (Gebiete  ber  ©efunbßeitS* 

pflege  unb  in  bem  Kampfe  gegen  bie  .großen  HolfSfeudien  ebenfo 

y*  cm> 


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36 


fet>r  butcpbrungen,  wie  üon  bet  Ungnlänglicpfeit  eines  »erein* 
gelten  ©orgepenS  gegen  einen  geinb,  bet  nicpt  mehr  biefen  ober 
jenen  Staat,  fonbetn  bie  Sötenfcpheit  unb  bie  SBelt  bebropt. 
©erabe  bie  ©ntroicfelung  beS  mobernen  ^anbelSoerfeprS  pat  biefe 
Uebergeugung  gum  35utcpbruch  gebraut.  So  entftanb  bie  neue 
Aufgabe  auf  bem  ©oben  bet  gütigen  ©efittung:  3)ie  Stuß» 
rottung  bet  ©polera  als  eine  gemeinsame  Angelegenheit  ber 
Äulturftaaten  mit  gemeinfameu  ©titteln  gu  betreiben.  Snbem 
bie  3Beft*©uropäifcpen  Staaten  gemeinfam  nach  »otangegange* 
nem  ©inoerftäubnifj  gleicpgeitig  hobeln  unb  entfett  offen 
gur  rechtzeitigen  ©etpängung  einet  £anbelSSperrc  gegen  foldje 
Staaten  fd>teiten,  in  beten  ©ebiet  bie  ?>eft  aufgetreten  ift,  ftepern 
fie  fiep  einen  ber  9Jlenf<h^eit  bienlicpen  ©iufluf)  auf  Regierungen, 
bie  auä  ©igenfinn,  Unfenntnifj,  ©equemlirpfeit  ober  Seichtfinn 
mit  ber  SDutcpfühtuug  entfepeibenber  ©tafjregeln  gögern  möchten. 
SDie  ©töglicptect,  bie  cot  punbert  iahten  fehlte,  ift  heute  ge* 
boten : SDie  ©uropäifepen  StaatSregierungen  finb  befähigt,  ihren 
gemeinfamen  ©influfj  an  ben  außereuropäischen  UrfprungS* 
ftätten  bet  ©polera  unb  $)eft  in  nadjbtöcfli^et  Söeife  fühlbar 
gu  machen  unb  bie  allmäplige  Ausrottung  jener  Seuchen  angu* 
bahnen,  inbem  man  begreift,  bah  3«  aHermeift  bie  SBanber« 
jeucheu  an  ben  ursprünglichen  Stätten  ihres  regelmäßigere  Ur* 
Sprungs  gu  befämpfen  finb. 

SöelcpeS  aber  mürbe  eorauSficptlicp  baS  ©erhalten  ber  heu* 
tigen  ©efellScpaft  fein,  wenn  eS  troß  oder  ©orficptSmaßregeln 
nicht  gelänge,  bie  $)eft  »on  ben  ©rängen  ber  »eftlichen  ©uro* 
päifcpen  Staaten  fernguhalten?  SBürben  mir  oon  Reuem  burch 
Schrec!  gelähmt  werben  unb  baburep  ben  einbtingenben  Söiber* 
Sacher  ©orjehub  leiften,  wie  eS  in  früheren  3aptpunberten  gefepah? 
SBürben  fiep  Buept  unb  Sitte  löfen,  wie  in  ben  3eiten  beS  breißig* 
jährigen  ÄriegeS?  SBürb?  bie  ©taffe  ber  gureptfamen  burep 

(»7») 


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37 


fopflofe  gludjt  A0e8  in  SSerwirtnng  ftürgen?  SBütbe  bet  Saumei 
bet  ©enufejudjt,  bie  iljre  ,£>enfergmablgeit  mit  Sobesfurcfyt  paart, 
im  Sünbnifs  mit  feiger  33ergmeiflung  bie  Dbetbanb  gewinnen“? 
Ober  finb  bie  moralifdjen  Sefifjtbümer  bet  ©egenwart,  finb 
Aufopferung,  ÜJtenfdbenliebe,  ©emeinfinn,  ©elbftoerleugnung,  in 
bemfelben  SJtafee  geworfen,  wie  bet  SSorratb  unferet  wiffen* 
ft^afüidjen  .ftenntniffe? 

3 dj  wünfc^te,  biefe  &tage  bejahen  gu  fönnen,  aber  idj  muf) 
fie  unentfdjieben  taffen.  9ftid)t  gu  leugnen  ift  jebodj,  bafj  bie 
©efabtlidjfeit  ber  $)eft  nicht  bloä  abbängt  non  ber  Söetbetblidj* 
feit  %e8  im  ©unfein  fcbleicbenben  ©ifteö,  fonberu  aud)  oon  bem 
SJMnbermaf)  fittlidjer  ©igenfdjaften,  bie  in  ben  ßljarafter  bet 
SBöttet  wurgeln.  §eig^eit,  SBetgwetflnng,  ©igennufc  unb  ©enuf)= 
fud)t  finb  bie  fiebern  2)unbe8genoffen  bet  ©eudfe  unb  oetoiel» 
faltigen  bie  Äeime  be8  Sobeö. 

j£>tet  geigt  fidj  bie  SSedjfelmirfung  aller  menfdjlidjen  gebenS* 
cetl)dltniffe.  ©em  oft  betonten  SBorte,  ba8  eine  „gefunbe  ©eele 
im  gefunben  geibe"  terbeifet,  ftebt  wenigftenö  im  .£>inblicf  auf 
bie  großen  SBanberfeucben  alö  ©egenfafc  oon  gleicher  ©tärfe  aud) 
bie  SBabrbeit  gegenüber:  „(Sine  gefunbe  ©eele,  auögerüftet 
mit  ben  Sugenben  bet  ©elb ftbeb ertfd)ung,  mit  bet 
Äraft  ber  ©ntfagung,  f ätjig  gut  Aufopferung  beö 
©igennu^eg  auf  bem  Altar  bet  951  enf  d>e nliebe , oet bürgt 
bie  58al)rfcbeinlicbf eit  ber  ©ef  unbbaltung  beö  geibe8. 
©ie  gefunbe  ©eele  ift  öaumeifter  beö  gefunben  geibeö! 

Jpowatb  mar  nid)t  ber  erfte,  ber  in  3eiten  ber  ^)eft  ba8 
eigene  geben  an  bie  IRettung  feiner  SRitmenfdjen  gefegt  bat.  ©urd) 
ba8  ©unfel  einet  ber  trübften  Beitperiobeu  ftrablt  ber  91a me  beö 
(SarbinalS  Söoromeo.  Aber  man  batf  nicht  oergeffen,  ba§  ber 
befebeibene  33rite,  ebne  burdj  firc^lidje  ©elübbe  gebunben,  ebne 
oon  fDtoticen  menfd)licber  @brfu$t  getrieben  gu  fein,  loSgelöft 

(113) 


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38 


»ort  aßet  ©enoffenfdjaftlichfeit  gleidjftrebenber  Ntenfdjen,  lebiglich 
auf  ftdj  felbft  ftefyenb,  frei  oon  jener  Pflicht  beS  ©erufeS,  bie  bem 
2lmte  beS  ©eiftlicbcn  uub  SlrgteS  in  Seiten  bet  fyedjften  9lott)  gur 
Sierbe  gereift,  hetauSgetreteu  ift  aus  bem  ©anne  beS  SBohllcbeuS, 
au8  ben  (Stätten  bet  ©efunbheit,  auS  bem  Äreife  bet  gteunbc, 
au8  bem  ©enuffe  »erbienten  unb  wohlerworbenen  SRuljmeö,  au8 
bem  Stammen  be8  eignen  ©aterlanbeS,  um  in  weitefter  gerne,  gu 
Seiten  bet  fPeft,  Ungläubigen  unb  dürfen  Jpütfe  gu  bringen. 

3n  einem  anberen,  als  bem  mittelalterlichen  Sinne,  fam  et 
al8  Äreugfahter  in  ba8  SCßotgenlanb.  ©t  trug  ba8  Äteug  be8 
gtiebenS,  unb  in  feinet  ^erfon  offenbarte  fidj  wahrhaft  ber  ©eift 
einer  neuen,  über  bie  Sdjranfen  bet  Nationalität  unb  ber  mittet 
elterlichen  Kirche  erhabenen  Ntenfdjenliebe.  @r  ift  bamit  einer 
ber  Propheten  jene8  rothen  ÄteugeS  geworben,  ba8  in  .ftrieg8= 
geiten  ben  oerwunbeten  geinb  aufrid)tet  unb  heilt,  eines  Symbols, 
ba8  möglicherweife  auch  in  SuFunft  eine  ebenfo  greife  Aufgabe 
3lngefi<ht8  oerheerenber  Sßanberfeuchen  finben  Fönnte,  wenn  e8 
barauf  anfommt,  25iejenigen  rechtgeitig  gu  fammeln,  bie  furchtlos 
unb  entfchloffen,  wo  anbere  Kräfte  fehlen  unb  oetfagen,  bem  ^)eft* 
hauche  entgegengehen  unb  bamit  auf’S  Neue  beweifen,  was  jpo« 
warb  bewiefen  hot,  bah  bie  3>eft  in  ber  ©egen wart  Feines  jener 
apoFalphtifdjen  Ungeheuer  ift,  beuen  bie  »ergagenbe  9Neuf<hheit 
fich  hänbetingenb  gu  unterwerfen  hftt,  fonbern  ein  geinb,  ber 
burch  Flare  Ueberleguug,  reebtgeitige  ©erficht,  tapfern  Ntuth  unb 
hingebenbe  Ntenfchenliebe  aue  bem  gelbe  gefchlagen  werben  fann. 


3Uimrrhungrn. 


1)  Directions  for  the  eure  of  the  plague  by  tbe  College  of 
Physicians  and  Orders  by  tbe  Lord  Mayor  and  Aldermeu  of 
London,  1665. 

(174) 


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39 


2)  Sott  SRicharb  SUleab,  bem  Seibargt  ©eorg  I.  unb  SSerfaffer 
einer  noch  ju  Anfang  tiefe®  SahrljunbcrtS  ^gefdbäfeten  Abbanblung  über 
bie  ^)eft,  berietet  fein  franjrftfcber  Ueberfeßer  St^eobcre  gierte 
SB  er  t in  nach  englifcber  Quelle  eine  Anefbote,  bie  ib>reS  culturgefcbicht* 
liefen  Sntereffe«  wegen,  hier  erwähnt  werben  tnag. 

6in  greunb  »on  SUleab  batte  1722  im  Unterlaufe  bie  Äönigliche 
SRegierung  fc  heftig  angegriffen,  baff  er  unter  ber  Anfcbulbigung  bc«  föoeb* 
»erratf«  im  SDlarj  fce8  folgenben  Sabre«  in  ben  lewer  gefegt  würbe. 
(Einige  Seit  nachher  warb  ein  SUlitglieb  be«  SUiinifterium«  fran?  unb  ließ 
Dr.  SUleab  rufen,  um  oon  ihm  bemäntelt  ju  werben.  Der  füniglicbe 
Skibarjt  erflärte,  baß  er  beftimmt  Teilung  »erfpreebe,  aber  fein  @la« 
2Baffer  »erabrcicben  würbe,  besor  bafl  ihm  befreunbete  Unterbau«mitglieb 
au«  bem  Stowet  entlaffen  fei.  35a  bie  Äranfbeit  be«  SUlinifter«  ftch  »er* 
ftblimmerte  unb  ber  Ä5nig  erfuebt  würbe,  in  bie  greilaffung  ju  willigen, 
erfüllte  fub  bie  »on  SUleab  gefteflte  SBcbingung,  unb  btefer  feilte  ben 
SDlinifter.  Am  Abenb  ber  greilaffung  überreichte  SUleab  feinem  gteunbe 
5000  ©tüneen  an  ärjtlicbem  Honorar,  bie  er  für  bie  SBel)anbluug  be« 
Patienten  feine«  eingefperrt  gewefenen  (Sollegen  in  ber  3wifcbenjeit  be* 
jogen  hatte.  — 

3)  3>ie  Warnen  bet  beteiligten  Aerjte  waren:  SRapmonb,  Arjt, 
unb  2)e«moulien«,  ©btrurg,  beibe  gu  SUlarfeifle,  ©io»anelli  »on 
Üi»omc,  Stbep  non  SUlalta,  SUloranbi  ju  SBenebig,  SSerboni  ju  Strieft, 
ein  nicht  naher  bejeidmeter  jübifc^er  Argt  ju  Smprna  unb  gra  guigi 
bi  ^)aoia,  $>rior  bc«  fDofpital«  »on  ©t.  Antonio,  ebenbafelbft. 

4)  Dr.  SUloranbi , ber  in  SBenebig  jebenfaU«  ©elcgenbeit  gu  häufigeren 
Beobachtungen  batte,  »erfteberte  bewarb,  baß  e«  gwei  Arten  »on  5>eft 
»on  ähnlichem  (Sbarafter  gebe,  bie  eine  »on  guft»erberbniß  berrührenb, 
theile  fidj  auf  alle  (Entfernungen  mit,  bie  anbere  wirfe  nur  burch 
Sontact  ober  febr  nabe  Annäherung  an  SPerfonen.  5)ie  erften  nenne  man 
,,'Peftfieber",  bie  gweite  „AnftccfungSfieber*.  SDarau«  gebt  ber»or, 
baß  er  alle  SUlalariafieber  gur  ,f)eft"  im  weiteren  Sinne  regnete.  Berber 
finben  wir  bei  £>omarb  ebenfowenig  wie  bei  anberen  geitgenäjftfebtn 
©chriftftellern,  genauere  SUlittheilungcn  barüber,  wie  ftch  bie  fog.  ägpptifcbe 
$>eft  in  gewiffen  ©egenben  nach  <btem  Auftreten  ju  enbemifdjen  SUlalaria« 
fiebern  »erhielt.  SUl  o ranbi  fcheint  jebenfaU«  ba«  SBenecianifche  fog.  Lagunen» 
lieber  gut  f)eft  im  weiteften  Sinne  gerechnet  gu  haben. 

5)  3)ie  Angaben,  bie  £>owarb  erhielt,  waren  fehr  »erfchieben.  3iebt 
man  aber  ben  3Surchf<hnitt , fo  ergeben  ftch  etwa  gwei  (Drittel  5tobe«fätIe 
im  SBerljältniß  gu  ben  (Erfranfungen,  wafi  ber  61)  olera  ungefähr  gleich* 

(IT&) 


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40 


foinmen  bürftc.  Bie^t  man  bie  oft  unjwecfmäfjige  BebanblungSweife 
ber  bamaligen  Bett  (?«  häufige  Vlutenziebungcn!)  in  iöctracbt,  fo  jcbeint 
beute  {ebenfalls  fein  ®runb  oorbanben , bie  Peft  ineijr  $u  fürsten,  als 
ifyre  afiatifcfje  Soncurrentin. 

6)  2luf  (Srfurf)en  teS  rufftfdjen  £wfe3  lieg  ber  ®ejunbbeitSratb  non 
Venebig  eine  £)eilmetbebe  burd)  ben  primaarjt  ©iambaStian  Paitoni 
1784  auSarbeitcn,  wcoon  ^owarb  einen  9luSjug  lieferte.  paitoni 
fagt,  bajj  äberläffe  unb  äbfiibrungSmittel  unjuläffig  feien; 
alle  ÜJlittel,  njeldjc  ben  Äräftejuftanb  beS  Ätanfen  ju  beben  geeignet  feien, 
gelten  ibm  aiS  gut,  alle  gegentbeilig  wirfenben  fehlest.  3m  erften 
Stabium  feien  Schweiß  treibenbe  Büttel  nü^lid^.  21  IS  günftigeS  Beiden 
faßt  er  bafl  Auftreten  ber  Bubonen,  ftnb  biefe  mifjfatbig  (liuib)  ober 
fdjwarj,  jauchig,  ober  warfen  fie  fcbnctl,  fo  ftebt  eS  fcblimm.  (Sin  noch 
fdjIcc^tereS  3eicben  ift  2lntbra;r.  gaft  immer  tßbtlid)  ift  ber  Verlauf,  wenn 
Petunien  ftcb  geigen  ober  aber  (Durchfall  unb  .^ämorrbagien  eintreten. 

3u  cerwunbern  ift,  baß  biefer  oielfad)  mobem  »erfabrenbe  2lr$t  nicht 
ber  äbffiblungSbäber  jur  Befiimpfung  beS  gieberS  ober  ber  permanenten 
üufterncuerung  gebenft,  obwohl  er  Ventilation  als  S<hu|jmittel  gegen  (Sr« 
franfungen  empfiehlt. 

7)  lieber  ben  SBitterungSeinflufj  berichtet  ^powarb  eine  beglaubigte 
Beobachtung  aus  bem  (Dorf  Spam  bei  SEibeSmell  in  (DerbpSbire,  wohin 
1665  bie  peft  aus  Sonbon  burch  ein  paquet  mit  BefleibungSftoffen  ge= 
langt  war.  3m  September  1665  jtarben  6,  im  Dctober  22,  im  Bo« 
»einber  5,  im  (Dejentber  7.  3m  Sanuar  1666  3,  gebruar  5,  Blärj  23, 
äpril  12,  ÜJlai  5,  3uui  20,  3uli  53,  Sluguft  78,  September  24, 
Dctobcr  17,  Bocember  1.  Leiber  ift  bei  bewarb  bie  ©efammtjiffer 
ber  Sinwobner  unb  ber  Srfranften  neben  ber  Ba^l  ber  StobeSfäHe  nicht 
Bezeichnet. 

8)  (Die  Serminclogie  ber  granjofen  unb  3taliener  unterfchieb  patente 
brüte  unb  patente  nette. 

SS  waren  bie«:  Ptarf eitle,  wo  er  bie  prajciS  ber  (Durcbraucberungen 
IobenSwertl)  fanb,  ©enua,  Sioonto,  Beapel,  Blalta,  3ante,'  Sntprna, 
Venebig.  Von  biejen  gab  er  furje  Beitreibungen,  äußer  ben  befchriebenen, 
fab  $) owa rb  noch  anberen  Qurantaincanftalten,  an  benen  er  nichts  er« 
mäbnungSwertb  fanb. 


(»«) 

Drurf  oen  ö(br.  Uiigir  (XI).  Wnmui;  in  ©etlin,  S^inctngrrfb.  17*. 


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Anfänge  6er  Kunft. 


^Inthropologtfd^e  Beiträge  jur  (ßefcfycfjte 
6es  ©rrtarrtents. 


Sorttag  gehalten  im  Äunftgewerbe»  33erein  in  ÜJlüitcfyen 
ben  28.  3anuat  1879 

cen 

^tcfeffer  Dr.  3ol)amtE5  ttitnhc 

in  Diünd'en. 


3 i >\ 


fitdi»  SW.  1879. 

SSerlag  ton  (Sari  £ a b e l. 

(C.  if.  rSbciti’sd’r  X)iri«gaba4i|ianbW!ig.) 

33.  WinCim  • EtraS*  33. 


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2 )ni  SRccfot  bei  Ueberfeßung  in  frtmbe  Sprayen  wirb  corbebalten. 


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5teu§erlich  geringfügig,  unfdjeinbat,  für  baß  33erftänbni§  ber 
allgemeinen  Äulturentroicfelung  ber  3Jlenf<hheit  aber  hochbebeutfam 
ift  baß  Sßatertal,  welcheß  ben  ©egenftanb  ber  fotgenben  SBe» 
fprechungen  bitbet. 

2)aß  möchte  ich  Dotaußföhicfen:  ich  fpreche  nicht  alß  Äunft» 
fenuet,  fonbern  alß  Anthropologe  — hoch  über  Materien,  in 
welchen  fich  Strd^äologie  unb  Anthropologie  bireft  bie  Hanb  reichen. 
SBenn  ftd)  auch  bie  moberne  Anthropologie  oorwiegenb  ber  6t» 
forfchung  bet  förperlichen  6igenf<haften  beß  ÜJienfd)en  wibmet, 
fo  hat  fie  boch  nicht  barauf  oerjichtet,  auch  ©tunblagen  bet 
geiftigen  6ntwic!elung  ber  Sftenfchheit,  bie  ©runbphänomene  beß 
gefeflfcbaftlidjen  8ebenß  nnb  gwar  »or  adern  jene,  welche  fich  in 
wirtlichen  Dtaturobjecten,  wie  Utahrungßmittel,  SBohnung,  ©eräth, 
SBaffen,  ©chmuc!  barftetten,  in  ben  .Kreiß  ihrer  ©tubien  gu 
jiehen.  SDaburd)  tritt  bie  Anthropologie  in  birecte  93erbinbung 
mit  Äulturgefchiöhte  unb  Archäologie.  Aber  währenb  bieje  beiben 
25ißciplinen  gerabe  in  ber  IDarftedung  ber  haften  SMüthen  beß 
menfchlichen  ©eifteß  ihre  Hauptaufgabe  juchen  rnüffen,  befchäftigt 
Reh  bie  Anthropologie  mit  ben  „Anfängen  ber  Kultur  unb 
Äunft",  wie  wir  biefelben  theilß  bei  ben  einem  9laturgu[tanbe 
näher  fteljenben  SBöltern  unb  IRaffen  noch  heute  beobachten,  an» 
bererfeitß  auß  ben  Kulturreften  reconftruiren  fönnen,  welche  unß 
bie  älteften  SSewohner  unfeteß  Sontinentß  binterlaffen  haben. 
SRamentlich  auß  ber  lederen  Oteihe  beabfichtige  ich  3h«en  heute 
©inigeß  »orgulegen. 

XIV.  318.  1*  (179) 


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4 


ÄeineSwecjS  feiten  fonbern  feht  gasreich  ftnben  fid)  überall 
in  (Sutopa  bie  Objecte  bet  ar<häologif<h*anthropologifchen  gor* 
fdjung.  2Sir  ftnben  bie  SRefte  uralter  Slnfiebelungen  unb  33er« 
feljrSmege,  (SultuSftätten  nnb  33efeftigungen.  (Sin  eigenartiger 
längftDerfdjellener  Slcferbau  ha*  an  Bielen  Orten  feine  ©puren 
als  fogenannte  „^odjäcfer"  bem  33oben  feit  3al)rtaufehben  un« 
nertilgbar  aufgebrüdt. 

fRadj  laufenben  jaulen  aud)  in  unferen  ©egenben  bie  ur* 
alten  39egräbnifjftätten  in  #ügeln  nnb  ©räberfelbern,  wo  nad) 
altheibnifcher  Sitte  neben  ben  Leichnamen  SBaffen  unb  Schmucf 
ber  fUlänner  unb  SBeiber  mit  ben  Urnen  unb  ben  ©eräthen  beS 
täglichen  ©ebraudjS  niebergelegt  würben.  91  uS  bev  3u!ammen» 
ftellung  all’  ber  bis  je^t  befannt  geworbenen  (Singelfunbe  gelingt 
eS  fdjon,  ein  reichfatbigeS  Silb  ber  (Sulturentwidelung  bet  euro» 
päifdjen  33orgeit  ju  entwerfen. 

SBäljrenb  in  früherer  Beit  namentlich  bie  heibnifchen  ©rab« 
ftätten  als  bie  wichtigen  Duellen  ber  anthropologifcb-archäolo» 
gifdjen  gorfdjung  galten,  eröffneten  fid)  in  neuerer  unb  neuefter 
Beit  gunbftellen,  welche  ein  übetrafcbenb  oiel  reicheres  unb  weit 
BollftänbigereS  SRaterial  lieferten.  3dj  meine  bie  SRuinen  jener 
alten  3Bohnplä£e,  welche  auS  bem  Schlamm  unb  Schutt  ber 
Sahrtauienbe  wiebet  anSgegraben  würben,  auS  benen  unS,  ähnlich 
wie  auS  ben  wiebeterfchloffenen  2lfd)enhügeln  beS  33efuo,  ber 
Bolle  fReig  beS  täglichen  Lebens  auS  grauer  33orgeit  entgegen» 
leuchtet. 

SDie  confetoitenbe  .Kraft  ber  trocfenen  Bulfanifdjen  lÄfdje, 
welche  unS  bie  Äunftjchäfje  Bon  ^»erfulanum  unb  Pompeji  fo 
wunberbar  frifch  erhalten  hat,  wirb  in  unferen  gunbfteflen  erfefct 
burch  bie  bie  gäulnif)  unb  Orpbation  ^tttbcmbc  SBirlung  torf» 
ähnlichen  Schlammes  unb  witflichen  SOorfeö  in  Seen  unb  9Roor» 
ftrecfen.  3n  ben  fohlen  unferet  .Kalfgebirge  finbet  ficf)  nicht 
feiten  eine  bie  gerftörenben  (Sinroirfungen  ber  atmofphäte  ab» 

haltenbe  Sdjufjbecfe  Bon  SEropfftein  ober  SEuffftein  über  bie 
(180) 


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5 


Sfteftc  alter  SBohnpläjje  gebreitet.  ÜÜSäfyrenb  auf  bem  flauen 
8anbe  bie  ©puren  ber  alten  Söopnftätten,  ihrem  meift  Dergäng* 
liehen  Plateriale:  $olg  unb  8ehm,  entfprecpenb,  faft  »oDfommeu 
Derfdjwunben  finb,  finben  wir  an  ben  genannten  fchüfcenben 
Drten  ihre  9tefte  oft  noch  in  einem  gerabegu  ftaunenerwedenben 
©rhaltungSguftanbe. 

@8  ift  hier  nicht  meine  Aufgabe,  3h»en  im  ©ingelnen  bie 
©efchichte  ber  gunbe  torgufüpren,  benen  wir  ben  neuen  Huf* 
fdjwung  ber  anthropolcgifch^arcbäologijchen  gorfdjung.  Derbanten. 

©ie  erinnern  fich  noch  ®He  baran,  wie  lebhaft  ba8  allgemeine 
Sntereffe  erwecft  würbe,  bureh  bie  erfte  Sluffcnbung  bet  fRuineu 
jener  metfwürbigen  in  bie  ©een  hirteingebauten  »orgefdjichtlicben 
SBohnftatten,  bet  'Pfahlbauten  unb  ber  ihnen  ähnlichen  Slnfiebe» 
lungen,  welche  namentlich  in  bie  föhcfeen  ber  ©djwcig  reiche 
©chä^e  !ulturgefd?ichtlichen  SDRaterialS  lieferten. 

fabelt  jd}on  bie  Pfahlbaufunbe  un8  einen  ©inblid  in  eine 
auffteigenbe  ©ulturentwidelung  in  grauer  SSorgeit  eröffnet,  fo  ftnb 
boch  oom  anthropologifchen  ©tanbpunfte  aus  bie  gunbe  alter 
SBohnpläfje  in  ben  fohlen  noch  bebeutfamer,  ba  wir  ben  lejj* 
teren  ein  noch  oiel  ^o^ereS  Filter  ald  ben  ^>^albauten  gufprechen 
muffen. 

SBährenb  wir  in  ben  Pfahlbauten,  auch  tn  jenen,  beren  33e* 
wohner  nur  SBaffen  uub  ©eräthe  au8  ©tein,  Knochen  unb  Jporn 
beugten,  beutliche  SBeweife  eines  alten  &derbau8  finben:  bie 
©etreibeförner  (©erfte)  unb  bie  flachen  ^anbrnüplfteine,  um  ein 
roheä  Plehl  gu  bereiten,  ja  bie  nerfohlten  9tefte  be8  barauS  ge* 
badenen,  bem  weftphälifchen  Pumpernidel  ähnelnben  Pfahlbauem* 
brobe8  felbft;  währenb  in  jener  Periobe  ber  Weinbau  feljr  Der* 
breitet  war,  wie  un8  bie  in  Piaffe  gefunbenen  ©amen,  bie 
©pinnwirtel  unb  ©piubeln,  bie  SBebegewidjte  ic.,  bann  gaben, 

©tride,  fließe  unb  bie  ©ewebe  oerfchiebener  3lrt  unb  Secpmf  be* 
weijeag  währenb  un8  tm  JlUgemeinen  au8  ben  SReften  bet  Pfahl* 
bauten  Jehon  eine  gewiffe  höhere  ©ultureutwidelung  entgegentritt, 

a»t; 

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6 


au8  mannigfachen  ©eräthen  unb  Söpfereireften,  auö  beit  Änod)en 
ber  gasreichen  gepachteten  .fcauöthiere  — beuten  bie  Rejte  bet 
älteften  SSewohnung  burdj  ben  Rtenfchen  in  ben  ^öfylen  auf 
»iel  unentwicfeltere  8ebenöBerhältniffe.  SBir  haben  hier  bie  Ueber« 
bleibfel  eine«  Bon  3agb  unb  gifdjfang  lebenben  5ßolFeö  Bot  unö, 
welchem  bet  Acferbau  unb  bie  Sßiehgucht  unbefannt  waren,  unb 
bei  benen  ftch  bie  Äunft,  ©efchirre  auö  plaftifcher  @tbe  gu  formen 
unb  gu  brennen,  feineöwegö  fchon  alö  ein  allgemeines  33e» 
bürfnifj  eitfwicfelt  hatte.  3n  einigen  bet  Jpöhlen,  unb  gwat  ge» 
tabe  in  jenen,  welche  fonft  bie  auffälligften  §unbe  geliefert  haben, 
füllten  fich  nach  bem  freilich  noch  beftrittenen  3eugnifj  ber  ©nt* 
becfer  feine  Sopff  «herben  unter  ben  übrigen  Beugen  einer  alten 
SBewohnung  gefunben  haben.  SBenn  fich  biefer  negatioe  Sefunb 
bei  forgfältiger  Beachtung  neuer  Ausgrabungen  beftätigeu  füllte, 
fo  fteht  ihm  boch  fchon  jefct  ber  pofitioe  Rachweiö  gegenüber, 
welcher  oon  ben  norurtheilöfreieften  ©eologen  unb  Anthropologen, 
ich  nenne  nur  ben  Ramen  0.  gtaaö,  geführt  würbe,  unb  welche 
unter  ben  älteften  heften  in  ben  einfhnalö  bewohnten  fohlen 
auch  ©eichirrtrümmer  oon  gebranntem  Sh°n  aufgefunben  haben. 
Auch  in  ber  Bon  #ertn  ßittel  in  ©emeinfchaft  mit  £>.  graaö 
auögebeuteten  Räuberhöhle  bei  Regenöburg,  in  ben  fohlen  ber 
fränfifdjen  <S«hweig,  beren  Auögrabungöergebniffe  ich  mit  aßet 
(Sorgfalt  unterfudjen  fonnte,  finb  auö  ältefter  Beit  Sopff «herben 
mit  aßer  Seftimmtheit  nadjgewiefen. 

5Do«h  ergeben  auch  unfere  für  bie  Töpferei  in  jenen  alten 
Sagen  bejahenben  jfttnbe,  baf)  wir  hier  an  ber  ©renge  ber  ©t» 
ftnbung  ber  feramifchen  Äunft  fteben. 

jfeineöwegö  fcbliefjen  bie  Anthropologen  fchon  befchalb 
auf  baö  höhere  Alter  ber  ^»öhlenbewohnung  gegenüber  ben  $)faS* 
bauten,  weil  in  erfteren  ftd?  unentwicfeltere,  rohere  Gulturoer» 
hältniffe  geigen;  bie  2ßiffenf«haft  h«t  bafür  Boßfommen  pofitiBe 
Seweife. 

Unter  ben  gasreichen  Shierfnochen,  welche  auö  ben  Sunb» 

(MS) 


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7 


fdjidhten  bet  Pfahlbauten  gehoben  würben,  finben  fidh  nur  bie 
{Refte  »on  gieren,  welche  entwebet  noch  jefjt  in  ben  betreffenben 
©egenben  leben,  ober  noch  3»  3 eit  bott  gelebt  haben. 

ÄnbetS  »erhält  e8  fidh  wit  ben  jhcochenreften  in  benjenigen  fohlen 
welche  in  ältefter  3«t  »om  ÜJienfchen  bewohnt  würben. 

sieben  ben  Knochen  »on  Sieh,  Hirfdh,  SSilbfdhwein  jc.  finben 
fidh  foldje  »on  $hi«en,  weldhe  bei  bem  heu^gen  ©tunb  be« 
Älima8  an  ben  Sun  horten  nicht  mehr  fleh  gu  halten  » erwögen. 
Sw  berühmteften  ift  unter  biefen  ^htcren  *>a8  Sftenthipx,  welche«, 
Wie  bie  gasreichen  {Refte,  bie  e8  Snterlaffen,  beweifen,  einft  nicht 
nur  in  unteren  ©egenben  unb  in  bet  ©djweig,  fonbern  auch  tm 
füblichen  Stanfreidh  h^benweije  gelebt  hat  unb  eine  Hauhtjagb« 
beute  bet  alten  ^&^Ienbeti>o^ner  auSmadhte.  ©eine  Knochen, 
namentlidh  fein  ©eweih  würben  mit  befonbeter  Vorliebe  »on  ben 
Höhlenbewohnern  gu  ©eräthen,  SBaffen  unb  SBetlgeugen  »erat* 
beitet.  3n  ber  pfahlbaugeit  fehen  wir  bagegen  namentlich  ben 
©belhirfdh,  feine  Knochen  unb  fein  ©eweih  an  bie  ©teile  beö 
{RenthierS  getreten. 

2>ie  alten  IRenthierjäger  lebten  fonadh  in  Seiten,  in  welchen 
fidh  baS  Älima  burdh  einen  hodhnotbifchen  Sharafter  noch  wefent« 
lieh  nicht  nur  »on  bem  heutigen,  fonbern  auch  »on  bem  au8  ben 
älteften  Uebetlieferungen  für  unfete  ©egenben  htftorifdh  befannten 
flimatijehen  SSerhältniffen  unterfdEjieb. 

3ebenfall8,  wenn  wir  auch  feinen  StahaltSpunft  haben,  um 
bie  feitbem  »ergangenen  3ahthunberte  gu  gählen,  reicht  bie  33«» 
Wohnung  ber  ^>ö^lcn,  reichen  bie  Sunbe  einer  au8  ihrem  23 oben 
gehobenen  hrimitiöen  ©ultut  in  graue  Seitfernen  gurüc!  unb 
geben  un8  ©elegenheit  bie  Gulturentwidfelung  unferer  23otfaI)ren 
gleichfam  an  ihrer  SBiege  gu  belaufchen. 

SfBie  unentwidfelt  muffen  wir  un8  ba8  geben  ber  alten  Uten» 
thierjäger  benfen,  wenn  ihnen  wirflidh  gelegentlich  Jogar  gu  bet 
hrimitioften  3ßetfeinetung  be8  üftahleS  bie  erfte  SBorbebingung : 

(1*3) 


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8 


bet  Äocptopf  fehlte"?  Aber  piet  tritt  unß  eineß  bet  auffaüenbften 
Probleme  bet  Ifnlturfortcpung  entgegen. 

Sieben  ben  SBajfeu  unb  ©erätpen,  namentlich  auß  gefcplagenem 
geuerftein  gefertigt,  welche  wir  ben  älteften  Sunbfdjic^teit  bet  fohlen 
entnehmen,  ftnben  wir  auch  ga^Ireid^e  Stüde  »on  bearbeiteten 
Änodpen  unb  ©eweip,  namentlich,  wie  ich  fcpon  erwähnte,  com 
Stentpier.  Auß  biefem  fefteu  SBlateriale  würben  Solche  unb 
SReff ergriffe,  Pfriemen  unb  Siabeln,  ©dpabinftrumente,  Pfeile 
unb  Jparpuneufpihen  u.  91.  gefcpnifst,  welche  in  gorm  unb  Secpml 
ben  oon  ©ßfimo’ß  üor  bem  SBerfepr  mit  cioilifirten  Stationen 
allgemein,  aber  auch  noch  heute,  gebrauchten  SBaffen  unb  @e» 
räthen  in  auffälliger  SBeife  ähnlich  fehen. 

Unter  ben  ©tüden  beß  bearbeiteten  Stentpiergeweipß  finben 
fi<h  im  ^öplenfcputte  nun  aber  auch  jene  wahren  Äunftob* 
jede,  welche  in  neuefter  3eit  unter  ben  Anthropologen  fo  grofceß 
Auffepen  gemacht  hüben.  @ß  jtnb  in  Stenthiergeweipftüdc  ein» 
geriete  jum  Sipeil  wirflicp  lebenßnoHe  Beicpnungen,  meift  SL^iere 
aber  auch  SRenfdjen  barftelleub,  ober  auß  Stentpiergeweipftüden 
gefcpnipte  Shiernacpbilbungen. 

Siefe  Sarfteöungen  finb  Beugen  einer  gewiffen  Gfntwide* 
lung  beß  ähmftfinnß,  einer  gteube  am  Staturfcpönen,  welche  ft<h 
hiß  3U  einer  ihren  Bwed  in  fiep  felbft  tragenben  Stacpbilbung 
beffelben  erheben. 

An  ber  Anfangßgtenje  bet  europäischen  Äultur  fepen  wir 
hier  Beiftungen  auftreten,  welche  fich  in  gewiffer  Sejiepung, 
wenigftenß  in  ber  gäpigfeit  objeettoer  Staturnadjbilbung,  ber 
STecpnif  einer  späteren  weit  höher  entwidelten  ^)eriobe  überlegen 
geigt,  auß  welcher  unß  bie  prachtooHen  SBaffen  auß  33ronje, 
©djmud  auß  SSronge  unb  ©olb  ic.  erpalten  finb,  beten  Drna» 
»entirung  faft  außicpliepcp  auß  Binienfompofitionen  geome* 
ttifeper  Art  beftept. 

Sie  erften  Kopien  =§unbe  biefer  Art  würben  oon  ben  be» 
fannten  antpropologifcpen  gorfepern  (Spriftp  unb  Bartet  im  jüb« 

(IM) 


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9 


lidjen  gtanfreidj,  in  bet  ©orbogne  gemacht.  3k  bie  Äalfgebirge 
jener  malerifd)  frönen  ©egenb  haben  Reh  bte  Ströme  tiefe 
Schäler  mit  t entrecht  gegen  üppige  SBtefeti  flächen  abfallenbe  gelS* 

»änbe  eingetiffen,  in  reelcben  fich  jablreiche  größere  unb  Heinere 
fohlen,  ©rotten  unb  ftelSnifcben  oorfinben.  3lHe  biefe  natür» 
lidjen  Schutjörter  waren,  wie  bie  ffunbe  eTweifen,  in  fehr  alter 
Beit  oon  9Renfchen  bewohnt.  35em  cenferoatioen  (Sinne  ber 
SDlenfdhheit  entbricht  e8,  ba§  HS  in  bie  heutigen  Sage  herein  in 
jener  ©egenb  bie  SSenüfcung  natürlicher  uub  fünftlicher  Reifen* 
höhlen  ©ebrauch  geblieben  ift.  ©anje  Belfenwänbe  fieht  man 
bort  mit  geufter  unb  SEhüröjfnungen  betecft,  welche  in  fünftlich 
auBgebauene,  manchmal  ftocfwerfartig  über  einanberliegenbe  Äam* 
mern  unb  größere  IRäume  führen.  SDiefe  fünftlidjen  gelSwoh* 
nungen  bienten  in  früheren  unruhigen  3eiten  ber  umliegenbett 
Seoölfetung  al8  geflöhte  3uflucht8ftätten  in  ^einbeägefahr  unb 
werbeu  theilweife  noch  heutigen  SEageS  namentlidh  als  SorrathS* 
räume  benäht.  3u  neuefter  3eit  würben  burd)  $ertn  lehret 
5Rerf  in  ber  ©egenb  beS  33obenfeeS  jwifdjen  ©onftang  unb 
Schaffhaujen  in  einer  £öhle,  bem  Äefflerloch  bei  SEapiugen,  fdjon 
auf  jchweijerifchem  SBoben,  ähnliche  gunbe  gemacht.  2)a8 
Äeffletloch  ift  eine  nur  wenig  tiefe  oon  natürlichen  Pfeilern  ge* 
jtüf$te  Seifengrotte,  ähnlich  jenen  fleinen  fohlen,  welche  in  ber 
fDorbogne  bie  reich fte  Ausbeute  geliefert  haben.  9luch  hier  finben 
wir  noch  in  ber  9iähe  jaljlreicbe  fünft  liehe  gelSwohnungen  in 
bie  {entrecht  gegen  ben  See  abfaQenben  Sanbfteinwänbe  (bei 
Ueberlingen)  eingearbeitet,  welche  baS  33 cif  als  „^eibenlöcher" 
benennt.  — 

©eftatten  Sie  mir,  bah  idj  Shnen  junächft  bie  widjtigften 
Objecte,  welche  oon  biefer  frühreifen  Äunftentwicfelung  bet  eure* 
päifdjen  Uroölfer  3engnih  geben,  in  aller  .Stürze  jfijjire. 

2lu8  ben  fehlen  ber  25otbogne  beft^en  wir  3eid?nungen 
oon  §ifchen  in  ein  cplinbrücheS  Stüd  fRenihiergemeih  graoirt. 

3luf  bem  Schaufel ftüd  eines  SRenthierhcrnS  3eigt  fi<h  bie  einge* 

(i»> 

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10 


tiefte  Seicfenung  oon  .topf  unb  ©ruft  eineä  ©teinbod  öfynlidjen 
Sljiere8.  Stuf  einem  anbeten  ©eweiljfiüd  feljen  wir  eine  ©ruppe 
ton  Sftentfyieren.  51m  beadjtend  werteten.  ba  fie  mit  einigen 
bet  in  fföpfenä  non  Sdjliemann  gefunbenen  Sle^nlic^feit  geigt 
erfdjeint  mit  eine  ©ruppe,  welche  au8  gwei  $)ferbeföpfen  unb 
einer  nacften  tnenfdjlidjen  gigut  befielt  neben  einem  faft  fdjlangen» 
artig  fid^  niebetbeugenben  23aum ; offenbar  ift  nad)  bet  JRidjtung 
bet  burdj  ©tridje  angegebenen  Sefte  eine  gicijte  ober  Sanne  ge* 
meint.  3)et  33aum  ift  bet  fRaumbefdjränfung  wegen  in  biefer 
fonbetbaren  Sage  bargeftedt.  Sn  iljn  jdjlie&t  fidj  ein  Spftem 
fenfredjter  unb  ijorigontaler  Stridje  an,  weldje  eine  Srt  oon 
gledjtwerf  etwa  eine  Hurbe  bargufteüen  fd^ einen. 

Sufjer  biefen  unb  einigen  anberen  in  iljrer  Sedjtljeit  aber 
weniger  fielet  oerbürgten  ©raoitungen  fanb  fidj  audj  ein  wa^ted 
plaftifd)e8  SBetf  au8  JRengeweilj  gefdjnitten.  @8  ift  ein  2)old}» 
griff,  ein  fyirfdjäljnlicljee  Sljier  barfteQenb.  9Rit  ftaunenerweefenber 
©ejdjicflidjfeit  unb  ©efdjmadf  Ijai  e8  bet  alte  Jtünftlet  oetftanben, 
bie  Stellung  be8  S^iere8  bem  befd)tänften  IRaume  angupaffen. 
©tplifirt  unb  bodt)  lebenSooQ  beugt  ba8  SM«  ba8  ©eweilj  auf 
ben  £aI8  gurücf;  wäljrenb  bie  33orberläufe  unter  bie  39ruft  ge* 
gogen  finb,  fireden  fidj  bie  Hinterbeine  ber  fnßdjernen  Älinge 
entlang.  SBenn  auch  giemlid)  rofy  in  ber  SuSfüljrung  fennte 
biefeö  metfwürbige  Stücf  nod)  tjeute  einem  modernen  Äiinftler 
al8  SDiobeH  bienen. 

fRidjt  weniger  reic^  waren  bie  gunbe  im  Äefflerlodj. 

Unter  ben  auf  JRentljietgeweil)  eingraoirten  Sapinget*3etd)= 
nungen  ift  am  beriifymteften  ba8  weibenbe  IRentljier,  beffen  fRatur* 
waM^eit  unb  fixere  Stridjfüljrung  faum  oon  einer  ber  2>or* 
bogner  Segnungen  erreicht  wirb.  ©8  ift  ba8  um  fo  meljr  gu 
bewunbern,  weil  ba8  SRaterial,  auf  welkem  fidj  bie  3«djnung 
finbet,  Ijatt,  ba8  gur  ©inrifcuug  bienende  3nftrument,  waljrfd&ein* 
lid)  ein  fpifcer  geuerftein,  rofy  unb  ungefüge  erfdjeint.  35afj  e8 
trofcbem  mßglid)  ift,  derartige  ©raoitungen  in  feften  Änodjen  mit 
(186) 


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11 


einem  ©teininftrumentberguftellen,  fyat  aber  .perr©unbafet  ©taf 
SBurmbranb  bemiefen,  meiner  not  unferen  Singen  mit  einem  im 
Äeffterlocb  gefunbenen  Beuerfteinfplitier  auf  fxifc^eu  Änodjea  ein 
moblgelungeneS  Slbbilb  biefeö  grafenben  StentbierS  in  relati» 
furger  Seit  ^crftedcn  fonnte.  Stuf  gmei  anberen  Stentbierftangen, 
melcbe,  [wie  bie  erftere,  ©riffe  »on  größeren  Snftrumenten  ge» 
mejen  gu  fein  fcheinen,  geigen  ;fich  3etcbnungen  non  Serben, 

»on  benen  namentlich  ber  »orgeftrecfte  Äopf  beS  einen  Statur* 
beobacbtung  befunbet. 

©ine  anbere,  rohere  Seic^nuug  eines  9>ferbe*  ober  Stcntbiet» 
foftfeS  finben  mir  auf  bem  ©tiff  eines  35ol<he8  auS  Stengemeib* 

Stoch  bie  rohe  Umtifjgeicfnung  eines  fpringenben  JpirfdjeS  miß 
ich  noch  ermähnen. 

3n  bem  jfefflerlocb  haben  fidj  gmei  eigentliche  ©chnifjereien 
auS  Stentbierborn  gefunben.  SDaS  eine  baS  ©tücf  eines  .panb» 
griffS  einen  ©tierfopf  barfteüenb,  ift  baS  berühmte  Dbject,  meines 
als  Äopf  beS  SJtofcbuSocbfen  begeicbnet  gu  merben  pflegt.  Stuf 
ben  SJtofcbuSochfen,  bet  wie  baS  Stentbiet  beute  nur  noch  im 
bßcbften  Sterben  lebt,  mäbtenb  fein  früheres  Sßorfommen  im 
S^beintbal  auf  baS  ©idjerfte  conftatirt  erfdbeint,  bat  man  bei  bet 
fraglichen  ©culptur  batum  geratben,  meil  bei  bem  SJtofcbuSochfen 
mie  auf  biefer  SDarfteöung  bie  Körner  locfenartig  an  bem  ©chäbel 
betabgebogen  finb.  SDie  .pötner  richten  bei  bem  SJtofcbuSochfen 
guerft  ihre  ©oncanität  nach  »orne,  menben  ficb  aber  fcbliefjlicb 
mit  ihrer  ©piige  mieber  nach  hauten.  SDiefe  djarafteriftifefje  lejjte 
StüdmärtSbiegung  bet  ferner  mürbe  ber  alte  Jtünftler,  bem  eS 
fo  febr  um  Slaturmahrheit  gu  tbun  mar,  bah  et  fogar  bie  .paare 
beS  BellS  barguftellen  fuchte,  gemife  nicht  »ergeffen  haben,  menn 
er  mirflich  einen  SJtofcbuSochfen  hätte  bilben  moUen.  SJtir  fcheint 
als  genügenber  ©runb  für  bie  SlbmärtSbiegung  ber  .pörner  bie 
notbmenbige  Slnpaffung  an  bie  Borm  beS  gemäblteu  ©emeib» 
ftücfeS  unb  bann  ber  3®ecf,  einen  banblithen  ©tiff  gu  bilben, 

an  melchem  »orftebenbe  fpifie  ber  3«brecblichfeit  unb  ber 

: (wo 

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12 


Unbequemlicbfeit  »egen  311  vermeiben  waren.  3<b  !ann  in  bem 
primitiven  Äunftwerfe  nur  eine  freiftplifirte  Nadjbilbung  eines 
©tierfopfeS  erfennen,  weniger  formgefdjicft  aber  im  $)rincip  ber 
Nacfcbilbung  beS  .fpirfcbeS  mit  bem  gurücfgelegten  ©eweih  auS 
ber  SDorbogne  verwanbt. 

(Sine  gweite  ©Onifcerei,  weldje  wohl  aud?  einft  baS  ©riff* 
enbe  eines  ÜJiefferS  gierte,  geigt  eine  metfwütbige  Doppelbar« 
fteflung.  93on  ber  einen  ©eite  erfennen  wir  ein  wohlauSge* 
führtet,  giemltcb  langgeftrecfteS  $) f et bef opferen;  von  ber  anberen 
©eite  erfdjeint  baS  Äöpfcben  eineg  $afen  mit  langen  ebenfalls 
wie  bie  ferner  beS  ©tierfopfS,  um  baS  3tbbred)en  gu  vermeiben, 
gut  ©eite  gelegten  Obren. 

SDaS  finb  bie  widjtigften  jener  vielbefprocbenen  Seweife  bet 
älteften  Äunftentwicfelung  ber  europäischen  Utmeufchen. 

2Bir  fönnen  ihnen  einen  relativ  b°cbentwicfelien  ©inn  für 
Naturbeobacbtung  nicht  abfpredjen;  wir  muffen  fie,  wenn  aud)  als 
primitive,  boeb  als  wahre  Äunfttoerfe  gelten  laffen. 

9Nan  glaubte  wohl  anfänglich,  bie  gange  grage  nach  bem 
SBefen  btefer  nicht  recht  in  baS  ©pftem  paffenben  §unbe  baburch 
auS  ber  SBelt  fOaffen  gu  Tonnen,  bafj  man  bie  ©ebtbeit  ber 
gunbgegenftänbe  leugnete.  @8  ift  richtig,  bafj,  naebbem  biefe 
wichtigen  §unbe  gemacht  waren,  in  bebauerlicbct  SBeife  auch  ge» 
fälfdjte  Nachahmungen  probuctrt  unb  verlauft  würben,  unb  ich 
rechne  eS  unter  bie  wefentlidjen  SSerbienfte  unfereS  8.  8inben* 
febmit,  für  gwei  nacbträglid)  probueirte  Objecte  ben  Nachweis 
bet  gälfdjung  geführt  gu  h“ben.  Nach  «gen«,  gewiffenhafter 
Prüfung  ber  ©egenftänbe  felbft  ba*  ftO  aber  meine  Nteinung 
bahin  feftgeftellt,  bafj  wenigftenS  bie  eben  befproebenen  Äunftwerfe 
feine  gälfebungen  finb,  fonbern  als  reale  Objecte  betrachtet  werben 
muffen,  mit  welchen  wir  bei  ber  Neccnftruction  ber  alten  Gultut 
©uropa’S  ftetS  werben  gu  rechnen  hoben.  30  vermag  audj  in 
ber  Slnetfennung  ber  ©chtheit  biefer  Betonungen  unb  ©Onifcereien 

feine  principieQe  ©chwierigfeit  gu  erfennen. 

(188) 


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13 


Die  Darfteßungen  fi«b  bocp  meift,  — waß  auch  manche  ©e= 
lehrten  barüber  in  bem  erften  (Srftaunen  übet  bie  unerwarteten 
(äfrgebniffe  ber  Ausgrabung  UeberjcpwengiicheS  getagt  haben  mögen 
— recpt  nai»  unb  erbeben  fiep  wenig  ober  nicht  über  bie  befannten 
Abhebungen  »on  SRaturobjecten . wie  fie  wilbe  Sölfet  in  aßen 
Steilen  ber  @rbe  machen  ober  gemacht  ba^cn-  3öir  (epen  bei 
ben  uucioiliftrten  Waffen  ebenfo  wie  bei  unferen  .finbern,  ba§  baß 
Setftänbnip  für  Dlacpahmung  non  Diaturobjecten  bem  Serftänbnift 
für  ginienornamentif  in  geometrijchen  unb  ^>^antaftiid}en  fötuftern 
»oraußgept  ober  fiep  roenigftenß  i'cpon  gleichzeitig  mit  bem  leiteten 
entwidelt. 

tSue  ben  zahlreichen  Seroeifen,  welche  unb  bie  Cftpnograppie 
liefert,  bafc  uncioilifirte  Sölfer,  auch  ohne  Äenntnifj  bet  fDietaße, 
einen  relativ  hoch  entwicfelten  Äunftfinn  zeigen  fönnen,  greife  ich  als 
Seifpiet  bie  Üunft  ber  (Sßfimoß  perauß.  Die  ©ßfimo  leben  unter 
äpnlicpen  äußeren  £ebenßbebingungen  wie  bie  alten  <£6plenjäget 
©uropa’ß  in  einem  falten  Älirna  »orwiegenb  »on  gifcpfang  unb 
ber  3agb  beb  Dient  hier  b,  unb  fie  »erftepen  eä  wie  jene,  3ei<p* 
nungen  in  Jrt'nocbeu  unb  Sreibpolztäfelcpen,  fowie  ©tpnihereien 
in  Sein  unb  .porn  außzufüpten.  ©it  3opn  gubbotf  »er* 
öffentliche  eine  Anzapl  »on  @ßfimo»3eichnungen  (®ta»irungen) 
auf  jfnocpen,  welche  ©eenen  auß  ber  3agb  unb  bem  gtjepfange, 
baß  ©tißleben  im  .paufe,  Spiele  ber  Äinber  u.  91.  m.  barfteßen. 
£err  ^rofeffor  6 der  zeigte  bei  bem  beutjepen  Autprop otogen* 
Songrefj  zu  ßonftanz  @ßfimo>3eicpnungen  auf  SEreibljoljtäfeldjen 
graoirt,  welche  etwa  btefelben  ©egenftaube  bepanbeln.  Namentlich 
eparafteriftifep  fiub  bie  Darfteßungen  »on  gifepen  unb  »om  @iö* 
baren.  9luf  ben  gubbod’fcpen  9lbbilbungen  ftub  bie  Nentpiere 
beffer  gelungen;  eines  betjelben  entfpriept  in  Ausführung  unb 
©teflung  beß  .Körpers  unb  ber  Seine  auffaßenb  jenem  auß  ber 
Spätlinge*  -pople. 

Die  ©cpnipereien  auß  Änocpen  fteßen  bei  ben  ©ßfimoß 
wie  bei  ben  eutopaifepen  Urmenfcpen  bie  päufrgften  3agbtpiere 

(189) 


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14 


bar,  alfo  bort  ben  ©eeljunb,  ben  dißbären.  2luch  5Jienf<hen  finben 
ftch  gelegentlich  auf  bicfe  SBeife  bargefteöt.  @eljr  cpatafteriftifcb 
fcheint  eß  mir  für  eine  primitine  ©efd)macfßrichtung,  ba§  ftc^ 
unter  ben  dßfimofchnitjereien  auch  folche  SDoppelbarfteHungen  finben 
wie  baß  SUjatunger  $Pferbe«.£)afenföpfchen:  dißbär  uub  ©eehunb, 
3Wei  gufammenhängenbe  üftenfchenbüften. 

Sei  ben  dßfimoß  ift  ebenfo  wenig,  alß  wir  baß  »on  unferen 
älteften  Verfahren  toraußfefjen  bürfen,  bie  gteube  an  ber  Äunft 
getragen  non  einer  allgemeinen  Verfeinerung  beß  Sebenß.  Äane, 
ber  »ielfach  Gelegenheit  hatte,  biefeß  Voll  3U  beobachten,  liefert 
baß  Verjeidhnih  beß  Sncentarß  einet  oon  ihm  befichtigten  dßfimo* 
£ütte. 

„dine  ©djale  auß  ©eehunbßfell,  gum  ©ammein  unb  9luf- 
bewahreu  beß  SBafferß;  baß  Schulterblatt  eineß  SBalroffeß,  welcheß 
alß  gatnpe  biente,  ein  flacher  ©tein,  um  biefelbe  ju  ftüfjen;  ein 
3Weiter,  großer,  bünner,  platter  ©tein,  um  ben  fchmetyenben  ©chnee 
barauf  31t  legen;  eine  ganjenfpifie  mit  einem  langen  Vanbe  auß 
SBalrojjfchnur;  ein  Äleibergehänge  unb  bie  Äleibungßftücfe  ber 
8eute  felbft  umfaffen  bie  gefammten  irbifchen  ©fiter  biefer  armen 
gamilie."  Slbet  trofc  biefer  Slrmuth  fehlt  ihnen  auch  nicht  im 
SWgemeinen  ein  ©inn  für  Vetfdjönerung  beß  Sebenß.  3hte  Suft 
an  Äörperfraft  unb  ©ewanbtheit  beweifenbem  Spiel,  an  diujel* 
unb  dhorgefnng,  an  STrommelmufif  unb  5£anj  fpridjt  für  bie 
lebhafte,  fimtliche  dmpfinbung  biefeß  Volfeß,  welche  ber  ftarrenbe 
Vorben  nicht  3U  be3Wingen  oermochte.  ^arrp’ß  ©chilbetung 
eineß  Sbenbß  in  einer  dßfimohfitte  beweift  unß,  bah  mit  aQet 
Vefchranfung  beß  unß  am  nöthigften  etfcheinenben  gebenßcomfortß 
fich  bod)  eine  gewiffe  #ohe  beß  Sebenßgenuffeß  unb  ber  gebenß« 
freube,  bie  ©runbbebingung  jeber  Äunftentwicf elung,  »erbinben  fann. 

dr  er3ählt:  2Bir  hotten  nur  einige  SJtale  ©elegenheit,  ihre 
(ber  dßfimo)  ©aftfreunbfchaft  auf  bie  fProbe  3U  fteHen,  unb  hotten 
babei  allen  ©tunb,  3ufrieben  3U  fein.  55ie  beften  ©peifen  unb 
bie  befte  SBohnftätte,  bie  fie  hatten,  ftanben  unß  3U  SDienften,  unb 

(190) 


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15 


bie  9lrt  ihrer  Slufmerffamfett  äußerte  ftcf>  in  einer  SBeije,  wie  fte 
©aftfreunbfchaft  unb  eine  gute  ©tgieh  ung  Borgufchreiben  ^jficgctr. 
SBit  »erben  bie  guBotfommenbe  greunblichleit,  mit  ber  unS  bie 
grauen  anboten,  unS  unjere  Äleiber  auSgubefjetn  unb  gu  tTodnen, 
uujere  ©orräthe  gu  fod)en  unb  unS  ©d)nee  gum  Drinfen  gu 
fdhmelgen,  nic^t  fo  leidet  Bergeffen,  unb  jprechen  ihnen  bähet  unjere 
©ewunberung  unb  Achtung  unBethohlen  aus.  2118  ihr  ©ajt  Ber» 
lebte  ich  nicht  nur  einen  behaglichen , fonbern  auch  einen  genufj» 
teilen  2lbenb.  Denn  als  bie  grauen  arbeiteten  unb  fangen,  bie 
SRänner  fdjweigenb  ihre  Ülngelfchnüte  auSbefferten , bie  Äinber 
cor  ber  2^ür  jpielten  unb  ber  Dopf  über  ber  glamme  einer  hell« 
leucfytenben  £ampe  brobelte,  Bergafj  man  eine  3«t  lang,  bafj  bie8 
©ilb  eines  häuslich  glüdlichen  ©tiMebenS  in  einer  ©Sfimohütte 
Bor  fich  ging." 

©ine  ähnliche  ©emütfyüdjfeit , ein  ähnlich  hoch  entwicfelter 
©inn  für  bie  fleinen  8ebenSfreuben  mag  wohl  auch  in  ben  arm» 
liehen  ^öhlenwoijnungen  unjerer  ©orältern  geijerrfdjt  haben,  in 
benen  jt<h,  wie  in  ben  ©Sfimohütten,  auf  biefer  ©runblage  ber 
©inn  für  ba8  fRaturfchöne  unb  bie  gäfyigfeit,  bafjelbe  nachgu* 
ahmen,  entwideln  fennte. 

2 )ie  8uft,  jtch  gu  jehmüden,  bie  greube  an  leuc^tenben  garbeu, 
rüden  gasreiche  gunbe  in  bieje  alten  Seiten  gurüd.  5Dian  hat 
glängenbe  Söhne  größerer  unb  fleineter  ü^iere  an  ben  ©nben 
fünjtlich  burdjboljrt  gefunben,  um  als  ®d)mud  theilmeije  »ie 
perlen  gu  £alSfetten  Bereinigt,  getragen  gu  werben,  bann  Sftötfyel, 
bet  wohl  gut  ©emalung  ber  #aut  biente  unb  gar  nicht  feiten 
fdjßu  gefärbte  ÄrpftaHe,  namentlich  Don  glufjfpath,  bei  welken 
bie  fünftliche  Durchbohrung  lehrt,  baf)  fie  als  gefchä^ter  ©djmud« 
gegenftanb  gebient  haben  müjfen.  ©ine  gewiffe  Äenntnif)  in  ben 
©efleibungSfünften,  fönnen  wir  unjeren  ^ohlenmenfchen  nicht  ab» 
jprechen.  DaS  beweijen  bie  gasreich  gefunbenen  Änochennabeln 
mit  SDehr,  welche  ben  Bon  ben  ©SfimoS  gut  Jperftellung  ihrer 
Äleiber  benüfcten  fabeln  Bollfommen  gleichen. 

(c*t) 


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16 


II. 

3ln  ben  oorhin  gcldjilberten  £ßhlenfunftwerfen  au8  bet 
©cpweig  unb  ©übfranfreich  fällt  bejonbetß  ihr  unoermitteltcr 
©taub  auf  mitten  gwifchen  beu  SReften  einet  in  Ijcc^ftet  Be» 
fdjränfung  lebenben  3agerbe»ßlfetung.  $Die  ^ö^lenfnnft  etfcbeint 
auf  ben  erften  Blicf  ebne  3ufammenhang  unb  Begtünbung  in 
»oraußgehenben  Äunftübungen  fettig  au8  bem  SJienfcbengeift, 
heroorgebrochen,  wie  bie  gewappnete  ^allaö  au8  bem  Raupte 
be8  ©ßtteroaterS.  Ober  follte  e8  unß  bod)  gelingen,  noch  bie 
©puren  einet  früheren  ober  gleicbjeitigen  Jtunftübung,  bie  91  n= 
geigen  einet  Stufenleiter  in  bet  urfprünglicben  Äunftentwicfelung 
ber  ^»oblenbewobner  nadhjuweifen? 

ÜJteiner  ÜJteinung  nach  ift  baß  ber  Saß  unb  gwat  finb  cS 
bie  tejrtile  unb  bie  fetamijebe  Äunft,  welche  bie  erften  ©tunb» 
formeu  unb  $>rincipien  ber  Drnamentirung  unb  fünjtlerifcben 
9lu8fchmücfung  lieferten. 

3unädjft  mu§  feftgefteHt  werben,  bafe  feine8weg8  bie  ©ta* 
»irungen  unb  bie,  SRaturobjefte  barfteüenben,  ®d)niheteien  ben 
einzigen  9Rad)wei8  eines  relati»  auögebilbeten  Äunftgefcbmacfß 
nnferet  Höhlenbewohner  erbringen.  2Ran  hat  in  ©übftanfreid) 
ebenfo  wie  in  ber  Ühapinger  ^ö^lc  SBaffen  unb  SBerfjeuge  au8 
©lein,  Änoepen  unb  Horn  gefunben,  welche  nicht  nur  in  ihrer 
äußeren  Sormgeftaltuug  fonbern  burch  wahre  Drnamente,  lebiglich 
jum  ©d)mu(f  angebracht,  3eugnif)  non  primitiven  Äunftbeftre* 
Bungen  ablegen. 

fftamentlich  bie  Sunbe  be8  JtefflerlochS  unb  ber  benachbarten 
greubenthaler*£öhle,  welche  felbft  feine  Shientachbilbungen  ge» 
liefert  hat,  habe  ich  einem  genaueren  ©tubium  unterworfen  unb 
e8  fcheint  mir  au8  ber  Betrachtung  ber  bort  gefunbenen  Objecte 

(1S2) 


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17 


mit  aller  ©idberbeit  ein  3ufammenbang  mit  langft  geübter 
Äunfttedmif  ^etnorjuge^en. 

SÖRerfwürbiger  2öeife  l)aben  fiel» , waß  ein  Söeweiä  ihrer 
wenn  baß  SBort  erlaubt  ift,  ©leidjjeitfgfeit  ift,  in  bet  J^auinger« 
unb  in  bet  ??reubenthaler».£)öble  je  ein  eigentbümlicbeß  ^algbein* 
übnlitbeß  3nftrument  gefunben  mit  uoUfommen  gleicher  Oma* 
mentirung.  2)ie)e  ©ewetbftüde  finb  mit  einem  giemlid)  rohen 
fBieffer  gefebni^t  mtb  geglättet,  man  erfennt  nod)  beutlidh  bie  gu» 
fälligen  ©inriffe,  welche  burd?  ©charten  beß  @cbuib»3nffntmentß 
auf  ber  fonft  geglätteten  fläche  bethorgebradrt  würben.  Bur 
Süngenaxe  beß  3nftrumentß  finb  — gwei  am  9Ranbe,  eine  in 
bet  5Ritte  — fParatleluertiefungen  in  ben  Änod)en  eingefdbabt, 
burd)  weldse  junädbft  gwei,  — einige  Sinien  breite  — parallel» 
leiften  gebilbet  würben;  inbem  man  nun  weitet  in  febiefer  SRidj» 
tung  fParaüelfurdjen  in  fummetriidjem  Ülbftanb  in  biefe  bemor* 
fpringenben  Seiften  einrifcte,  entftanb  ein  erbabeneß  auß  fleinen 
IRauten  gebilbeteß  an  ein  einfacbeß  ftlecbtwerf  etinnernbeß  Orna* 
ment,  bem  ein  gewiffer  ©efebmaef  nicht  abgebrochen  werben  fann. 
9tn  höbet  entwicfelte,  auß  ber  textilen  Äunft  entnommene  Oma» 
ment*?0totm  erinnern  bie  fdbtcf  ober  feufredit  gut  Sängenaxe 
herlaufenben  %'araHellinien  an  einer  anß  SRenbom  gearbeiteten 
<Specrfpt^c  unb  an  einigen  anberen  griffartigen  3nftrumenten. 
©in  ©cbabmeifcl  auß  JRengeweib  geigt  in  einer  rinnenartigen 
Vertiefung  ein  „©trief  ornament,"  unb  bie  ©pifje  eineß  Jporn^frie» 
menß  ift  im  ©angen  in  ber  ©eftalt  eineß  gufammengebrebten 
©triefeß  mobellirt.  2)afe  wir  eß  hier  wirflid)  mit  abfitlid)  ge» 
wählten,  ber  textilen  Sedmif  entnommenen  Ornamenten  gu  tbun 
haben,  beweift  am  ftdserften  eine  gröbere  ^arpune  ebenfallß  auß 
SRentbiergeweib  gefebnifct.  3b«*  etwaß  gerbrecblicb  erfebeinenben 
SBibetbafen  finb,  glcicbfam  um  ihnen  für  baß  »Änfeben  mehr 
SBiberftanbßfähigfeit  unb  Jpalt  gu  geben,  burd)  ein  regelmä&igeß 
Vanboraament  an  ben  ©dfaft,  mit  bem  fie  in  Sßabxbeit  auß 
einem  ©tücfe  gefertigt  finb,  gebunben.1) 

XIV.  318.  2 (19$ 


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18 


8tofcerorbentlich  flat  treten  unS  bie  ©tunbbtincibien 
bet  Drnamentirung  auS  bet  Unterfuchung  bet  älteften  feta» 
mifdjen  Öiefte  auS  bet  fRenthiergeit  entgegen.  9lu8  ben  Dtna< 
menten  bet  fRentbiergemeibftücfe  unb  bet  batauS  gefertigten  3n« 
ftrumeute  etfannten  wir  fo  eben  mit  unabhängiger  @et»ifeljeit,  bajj 
SKotine  ber  textilen  Sechnif  als  Ornamente,  lebiglid)  gum  ©cbmucf, 
einem  ©chönheüSbebürfnih  eutfprechenb,  bei  ben  Höhlenbewohnern 
33etwenbung  fanben.  ©8  entflicht  baS  »odfommen  ben  geift* 
»öden  SluSeinanbetfefcungen  ©emher’S*)  übet  bie  ©ejchichte  unb 
bie  öntftebung  be8  Ornaments.  23efanntlich  leitet  ©erntet  auch 
biete  bet  Ornameute  bet  Jteramif  »ie  bet  SDietantedjnif  unb 
Skufunft  au8  berfelben  OueQe  ab.  9lbet  ber  3ufammenhang 
gunachft  beS  feramijchen  unb  textilen  Ornaments  ift  feuteSwegS, 
»ie  ©erntet  anguucbmen  fdjeint,  ein  rein  ibealer,  meift  fo  ent» 
fianbeu,  ba{j  mau  bie  als  gejcbmacfoüll  unb  idjön  empfunbenen 
£iniencompojttionen  bet  glechtwerfe  unb  ©efpinnfte  auf  bie  burdj 
anbere  Stechnif  Ijergeftellten  ©egenftäube,  um  ihnen  eine  fünft» 
lerifche  ©eftaltung  gu  geben,  übertrug.  3wifchen  tejrtiler  Äunft 
uub  Äeramif  befteht  ein  BoUfommen  birefter  3ufn'«nienbaug. 

Süt  bie  Äetamif  bemeijen  baS  getabe  jene  roheften  ©cberben 
unb  krümmer,  melche  frühere  §orfcher  moty  oft  als  wertlos  bei 
©eite  gu  werfen  pflegten. 

IDie  SLöpf e unb  ©efchirre,  welche  wir  in  ben  älteften, 
menfchliche  Äulturrefte  führenben  ©chicen  ber  fohlen  finben, 
ftnb  gum  ülheil  roh,  fdjwer,  zweifelsohne  nicht  mit  tßerwenbung 
bet  5)reh)<heibe  gemacht.  JDann  finben  wir  anbere  in  ©eftaltung 
unb  33ehanblung  beS  ShonS  viel  noßfommenere  ©efäfee,  welch« 
gum  2heÜ  an  gräco»italifche  formen  anflingen.  ^namentlich 
an  leiteten  finben  wir  häufig  Ornamentitung  mit  einem  fpi^en 
Snftrument  in  bie  plaftifche  2)1  affe  eingerifct  ober  mit  einem 
anbern  auSgeftochen  ober  eingebrücft 

^Betrachten  wir  uuS  gunächft  bie  Ornamente  bet  älteften 
Sopfereigegenftänbe,  welche  auS  bet  3ufammenfteßung  geraber 

(194) 


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19 


Sinien  entfielen.  SBit  feljen  ba  enger  ober  werter  gofteQte  ^)a* 
raßebginien  über  ben  ©efäßbaudj  fenfredjt  nad)  abwärts  ober 
benfelben  (felfener)  borigontal  umfreifenb  ßinlaufen.  25ann  finben 
wir  biefe  beiben  fcinienfyfteme  mit  einanber  combinirt  entweber 
in  ber  §(rt.  baß  baS  fenfredjt  nach  abwärts  taufenbe  £inienfnftem 
non  -^oriugontallinien  ebenfaßs  unter  einanber  parallel  aber  in  . 
giemlid?  weitem  9(bftanb  f entrecht  burdjfdjnitten  wirb,  Jpabett 
wir  hierin  fdjon  ben  einfad)en  StttpuS  eines  giedjtwerfg  auSge* 
fprotfcen,  fo  erfcßeint  betreibe  noch  beutlidier  unb  origineßev, 
wenn  bie beiben gintenfefteme beS Ornaments  fid)  fdjiefroinflig 
burcßfreugen.  SDiefeS  uralte,  ftdj  ftetS  wieberljclenbe  Ornament 
ber  ©efdjitre  umflicht  gleidjfam  baS  gerbredjlidße  ©efäß  mit  einet 
ibealen  fdjüßenben,  teftiler  Ä'unft  entftammenben  .jpüße,  weldje 
tyrn  für  ben  ?lnblicf  eine  gewiffe  gefteigerte  ^eftigleit  erteilet, 
äijnlid)  wie  jenes  einfache  Söanbornament  auf  ber  in  ber  üßatj« 
iuger  £bt)le  gefunbenen  aus  SfteHtßierßorn  gefdßnißten  Harpunen» 
fpiße,  wo  bie  gebredjliO  erfcßeinenben  SBiberßafen  burdj  baS 
Ornament  an  ben  ©tßaft  bet  ©pitje  feftgebunben  fdjeinen.  Slbet 
biefer  Bujammen^ang  beS  Ornaments  mit  bem  burd)  baffelbe 
gefdjmüdften  ©egenftanbc  ift  in  beiben  Mafien  gunädßft  fein  auS 
reinem  @d>cnl)eit8bebürfniß  ßeroorgefyenber,  ibealer. 

Unter  biefett  roßeften,  auS  einer  Stßonmaffe,  in  welche  fleine 
Ouargftücfdßen  giemlid)  regelmäßig  eingefnetet  finb,  ßergefteflten 
altertßümlidjen  ©efäßreften  auS  ben  oon  mir  unterfudjten  <£)ößlen« 
fnnben  auS  ber  fränfifdjen  ©cßweig  (Oberfranfen,  Bauern)  geigt 
eine  große  Slngaßl  eigentßümlidße  ffinienornamente,  weldje  an  jene 
ebenerwäl)nten  fünftlfd)  mit  griffelfetmigen  Bnftrumenten  einge» 
tieften  Betonungen  auf  feiner  gearbeiteten  ®efd)irren  erinnern. 
Sie  befteßen  auS  meift  giemlid)  fcßmalen,  feierten  $urdßen,  weldße 
entweber  iu  einfacher  8inienrid)tung  annäßernb  paraflel  fenfredßt 
ober  (seltener)  ßorigontal  ober  inbem  fie  fid)  im  teeßien  SBinfel 
ober  fdßiefwinflig  burißfreugen,  um  beu  ©efäßbaueß  taufen.  35iefe 
©eidßirre  finb  fämmtlidß  oßne  SBerwenbung  ber  Slöpferfdßeibe  ßer* 

2»  (195) 


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•20 


gcfteOt,  oon  bebeutenber  aber  unregelmäßiger  SSanbbicfe  innen 
butcß  baS  ©rennen  im  fRaucßfeuer  („Schmauchen")  tfeffcßwatg 
gefärbt,  bagegen  außen  auffaüenb  er  SBeife  »on  ber  rotßen  garbc 
beö  gebrannten  JßoneS.  Diefe  fcßmäleren  ober  breiteren  Streifen 
unb  ©intiefungen  auf  ber  äußeren  Oberfläche  ber  ©efchirre  taffen 
. feinen  ßweifel  barüber,  baß  ße  burcb  ©inbrücfe  oon©räfetn 
ober  ©infen  entftanben  feien.  Sie  bilben  ben  Ab» 
brucf  eines  engen  glecßtroerfs  auS  ©raS  ober  ©infen. 
SDie  glecßtricßtungen  ßnb  tßeilS  fenfrecßt,  tßeilS  ßorigontal,  fo 
baß  ßd?  bie  ©raSabbrücfe  fenfrecßt  freu  gen,  tßeilS  fliehen  fte  fief> 
fdjiefwinflig  in  einanbet.  2)er  gange  Abbrucf  beS  ©eflecbtS,  bie 
Abbrücfe  ber  ©räfcr,  ber  ©infen,  be§  Schilfs  finb  oielfacß  fo 
DoHfommen  beutlidj  unb  fcßarf  erhalten,  baß  man  bie  einzelnen 
Stippen  unb  ©eroen  bet  ©raSblätter  nod?  gu  gäßlen  oermag. 
An  einigen  Scherben  ift  übetbieS  ber  ©erlauf  biefer  ©inbrücfe 
fo  regelmäßig,  baß  mau  leßtere  »on  ben  fünftlicß  eingetieften 
Linien«  ober  Strichornamenten  auf  ben  feineren,  mit  bet  Dreß» 
fcßeibe  gefertigten  ©efäßen  faum  gu  untetfdjeiben  oermag. 

@o  läßt  ßdj  benn  auS  biefen  (Sinbtücfen  mit  aßet  Süßer« 
ßeit  bie  alte  ftabrifationSroeife  ber  ©efcßitre  nadjweifen. 
3dj  ßnbe,  baß  ße  in  ber  SBeife  ßergeftellt  würben,  baß 
ein  meift  auS  ©raS  ober  ©infen  bicßt  geflochtenes  ©efcßitr« 
mobell  innen  mit  plaßifcßem  $ßon  auSgefleibet  unb  bie  innere 
glädße  beS  fo  ßergeßeHten  ©efäßeS  bann  geglättet  würbe.  2>aS 
©efdjitr  trocfnete  in  biefer  gledjtßülle  unb  beßielt , nach  bem 
leisten  ©rennen,  welches  im  offenen  Staudjfeuer  gefcßaß,  nicht 
nur  im  Allgemeinen  bie  $orm  be§  gledbtmobeHS  bei,  fonbern 
geigte  nun  auch,  nadßbem  feine  leichte  -fmUe  gu  Afdje  oerwanbelt 
war,  auf  bet  oot  bem  Stauch  beS  Feuers  gefcßüßt  gewefenen  unb 
baßer  rotßen  Außenfeite  ben  Abbrucf  beS  ©eßecßtS,  feiner,  wenn 
man  ©raS  bagu  oerwenbet  ßatte,  gröber  unb  breiter,  wenn  baS 
Soofmobeß  auS  ©infen  ober  Schilf,  ober,  waS  für  einige  oon 

096) 


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21 


wir  unterste  gtof)e  ©ejcbtrre  gugutrejfen  fdjeint,  aut)  feinen 
<£>clgfpänen  gufammengeflocbten  obet  gebunben  war. 

JDiejelbe  SReHjobe  bet  Jperfteßuug  grober  £öpfereewaare  geigt 
fi<b  »eit  oerbreitet. 

tSu&er  iu  ben  Jpöblen  in  Dbetftanfen  faub  ich  bie  gleiten 
Sibbrüde  einer  glecfytform  auf  gasreichen  ©efchirrtrümmern,  welche 
Don  Jperrn  (Sie  ff  in  auS  bet  Jpöljle  bei  SSreitenwien  in  ber  bap* 
rifchen  Cberpfalg  auSgegrabeu  würben.3)  33orgüg(icb  anSgeprägt 
geigen  ftdj  biefelben  glecptornamente  auf  2opff  darben  auS  einet 
btdbiftorifcben  SSnfiebelung  bet  jüngeren  ©teingeit  (oorwiegenb 
gef^Iiffene  ©teinwajfen  unb  ^>itf(bbotninfttumente)  bei  SJtagpa* 
rab  in  Ungarn,  welche  i(b  bcr  ©üte  beS  Jperrn  &.  33ibliotbef» 
fefretär  iS.  ^artmann  in  ÜDtünchen  terbanfe. 

L Jpödjft  »abrfrbeinlicb  würben  babei  nod)  anbere  tjiedeidjt 
»on  ber  Statut  bireft  gegebene  terbrennlicbe  Sfcopffetmen  in 
gleitet  SEBeife  wie  bie  gletbtfotmen  benüfct.  ©inige  Strihnmer 
großer  ©efcbirte  biejet  5Srt,  welche  fonft  genau  baS  gleite  33er* 
halten  wie  bie  in  glechtformen  gebrannten  geigen  — ihre  Slufjen» 
fläche  ift  ebenfalls  rotb  bie  3nnenflä<he  bagegen  Dom  Stauchfeuer 
beS  SranbeS  gejchwärgt  — finb  nämlich  äußerlich  mit  gang  un* 
regelmäßigen  Staubigfeiten  befeßt,  gwifdjen  welchen  ficb  b'et  unb 
ba  eingelne  iSbbrücfe  ton  33infen  obet  ©Täfern  nachweifen  laffen. 
2>ie  auö  itgenb  einer  organischen  ©ubftang  beftebenbe  gern,  in 
Welcher  biefe  ©efchitre  bergefteflt  würben,  muh  baber  auf  ihrer 
3nnenfläcbe  raub  unb  uneben  alfo  wohl  faum  eine  wahre  Riecht* 
form  gewefen  fein. 

Sticht  nur  in  ©uropa  auch  in  anbeten  äöelttbeilen  ift  bie 
gleiche  SJtetbobe  bet  üopffabrifation  unb  bamit  bie  gleiche  ©nt* 
ftebung  beS  älteften,  urjprünglicbfteu,  folgerechten  2PpfornamentS, 
welches  in  aßen  SBeltgenenben  eine  auffaflenbe  9lebnli<hfeit  geigt, 
nachgewiejen. 

SDaS,  »aS  ©ir  3ob«  gubbocf  in  feinem  berühmten  SBerfe: 
bie  torgefchicbtliche  Beit4)  über  bie  primitioe  ©efcbirrfabrifation 

(197J 


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22 


bei  fefcigen  SBilben  berietet,  erinnert  gum  Sl^eil  an  unjere  Be* 
obachtungen,  gum  Sl^eil  beutet  eg  and)  nod)  anbere  SBege 
bet  ©tfinbung  her  Töpferei  an:  „©apitain  ©oof  fah  in  Una« 
lafcpfa,  »o  bie  Stö^ferfunft  nicht  befannt  mar,  ©efäfce  aug  einem 
flauen  (Stein  mit  tönernen  Seitenwdnben,  bie  eine  entfernte 
Slehnlichfeit  mit  einer  Stuftaufform  batten",  gubbocf  bemerft 
bagu:  „SBir  erhalten  tjierburc^  meCteid^t  einen  begriff  oon  ben 
erften  Anfängen  ber  Töpferei.  ^>atte  man  erft  ben  tRanb  beg 
fteineruen  ©efäfjeg  aug  $hon  ^ergcftetlt,  fo  lag  ber  ©ebaute 
nahe,  ba|  aud)  ber  Bobeu  aug  bemfelbeu  Stoff  gemacht  unb  ber 
Stein  auf  btefe  SBeife  burch  ein  gwecfmäfiigereg  ORaterial  erfefct 
»erben  tonne."  Slud)  bei  unferen  ©efäfjen  würbe,  wie  roit 
nachher  fe^en  »erben,  ber  Jpalg  unb  SRanb  beg  ©efafceg  in  ahn* 
lieber  SBeife  aug  freier  £anb  geformt.  9ioch  mehr  nahem  fid) 
aber  unferem  alterthümlichen  Verfahren  bet  Töpferei  bie  folgenben: 

„Die  ©ingebotenen  am  unteren  SDlurrap  fodjen  ihr  ©ffen 
in  einer  ©rboertief ung , bie  fie  mit  Slhon  betteiben;  auch  über* 
giehen  fie  gu  anberen  3»ecfen  wohl  Äürbigfchalen  unb 
hötgerue  ©efäfce  mit^ho«.  bamit  biefelben  bie  £ifce  gu  er* 
tragen  oermögen,  ©g  »erben  ung  auf  btefe  SBeife,  fcbliefjt 
Subboct,  brei  SBege  angebeutet,  »eiche  bie  ©rfinbung  ber  Töpferei 
herbeigeführt  habe«  tonnen." 

Voflfommen  mit  unferen  Beobachtungen  aug  ©uropa  ftimmt 
überein,  »ag  .Sperr  ©.  JKau  über  bie  2hongefä§e  bet  norb= 
amerifanifchen  Snbianer  berichtet:5) 

„©ine  ber  oon  ben  3nbianern  bei  ber  Verfertigung  größerer 
Jöpfereiwaare  angemanbten  ÜJiethoben  beftanb  barin,  bah  fie 
Äörbe  oon  ber  ©töfce  unb  ©eftalt,  bie  fie  ben  ©efäfjen  geben 
wollten,  aug  Binfen  ober  SBeiben  flochten,  nnb  inwenbig 
mit  einer  Dh°nlaäe  »an  ber  erforberlidjen  SD i cf e be» 
f lei  beten.  Die  Äörbe  »nrben  burch  bag  Brennen  gerftört  unb 
hinterliehen  auf  ber  Stufcenfeite  ber  ©efdfje  ©inbrüefe,  welche  bem 

(19») 


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23 


.Rorbgeflechte  entfptadjen  unb  gewiff  ermaßen  bie  »Stelle  abfichtlith 
angebrachter  33ergierungen  »«traten.  SJtit  biefem  Sktfahren  waren 
bie  Töpfer  am  <5ahofia»(5reef  ebenfalls  befannt,  benn  einige  ber 
»on  mir  gefnnbenen  krümmer  ihrer  itbenen  Saare  laffen  bie 
erwähnten  ©inbrücfe  wahrnehmen.  ©er  ©^on  ber  auf  biefe 

SBeife  hetgefteUten  ©efäße  ift mitSanb  (ober  ge» 

ftoßenem  ©eftein  »on  quatgiger  tSefchaffenheit)  ge« 
mengt;  er  ift  gut  gebrannt  unb  (and)  innen?  3.  IR.)  »ou  gelb* 
liebem  ober  rötfylidjem  auSfeßen,  welkes  bloß  ber  SSirfung  be6 
teuere  gugufeßreiben  ift,  ba  bei  ber  erwähnten  särt  bet  ^jerfteUung 
ber  garbeuübergug  gang  fehlt.“ 

SÄucß  bie  afiatifeßen  unb  afritanijehen  Ureölfet  jeßeinen  biefer 
URetßobe  ber  Äeramif  fich  bebient  gu  haben.  Semper  biibet  in 
feinem  mehrfach  erwähnten  SBerfe  Opfergefchine  ber  alten  afta» 
tifeßeu  (Sulturrölfer  unb  bet  (Egppter  ab,  welche  nicht  nur  bie 
©eftalt,  fonbern  auch  ba8  wohlauSgefüßtie  äußere  Ornament  eines 
ÄotbeS  geigen  unb  wir  wiffen,  wie  fich  bie  urälteften  ©ewohn« 
heiten  unb  ©ebtäueße  überall  »or  2Wem  im  religiöfen  ©ultu8 
erhalten  haben. 

©ie  ©efeßirre  ber  IReger  ©entralafrifaS,  wie  bet  alten 
japanifeßen  SRufcßeleffer  geigen  gang  analoge,  fünftlicß  ^cr^eftellte 
Ornamente  ber  glecßtfonn,  wie  wir  fie  an  unjereu  alten  ©efeßin« 
reften  fortgefchrittenev  Slecßnif  al8  (Erinnerung  an  bie  einft  geübte 
primiti»e  feramifeße  URetßobe  finben. 

Stuf  ber  gangen  weiten  @tbe  bei  ben  burch  faft  unermeßliche 
Säume  getrennten  Siölletn  ber  »erfchiebenften  Soffen  ift  aljo  ber 
ursprüngliche  3uiammenl;ang  ber  glecßtoraamente  mit  ben  Oma* 
menten  ber  Äeramif  ber,  baß  ein  rechtes  ©efchirr,  nach  ber 
utiprünglicßen  SPcßuif  ßergefteflt,  biefe  Ornamente  als  91  u8* 
btuef  beS  ptimiti»en  teeßnifeßen  Verfahrens  felbft  au 
fich  tragen  mußte,  ©et  confer»ati»e  Scßönfheitöfinn  bet  SRenfcß* 
heit  behielt  bann  biefe  einft  unfreiwilligen  Verfcßönetungen  ber 

(199) 


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24 


Slufcenfläche  ber  ©efchirre  bei,  ald  fchon  län^ft  eine  neue  Dechnif 
aufgcfommen  war. 

Die  Dßpferjcheibe  bringt  befanntlich  aud)  eine  IReihe  felbft* 
ftänbiger  Ornamente,  bie  ebenfalls  bem  tecfynijdjen  Verfahren 
entflammen,  (jctnor.  Doch  wäre  eS  falfdj,  gu  glauben,  bafj  bie 
regelmäßigen  .£>origontalliuien,  welche  gum  Sl^eil  ornamental  ba§ 
moberne  ©ejdjirt  umtreifen,  lebiglid)  ftch  auf  bie  Ölnwenbung  bet 
Döpferfcheibe  jurüdfityten  laffen.  SBie  gejagt,  ftammt  in  ber 
Äeramif  baS  .porigontalbaub  gwifchen  feufrechten  Linien  birect 
»ou  ber  gledjtformtecbnif  nnb  ich  ^abe  33eifpiele,  wo  an  flauen 
©ejchirren  bie  gledjtridjtung  wenn  nicht  gang,  jo  bod)  jaft  auS* 
jdjlicßlich,  in  ber  ^origontalen  »erläuft.  '.Sud)  noch  einige  anbere, 
bet  Slöpferfcheibe  »orauSgehenbe  tec^nijc^e  feramtfchc  Verfahren 
bebingeu  .jporigontalftreifung.  Sieben  bet  gle^tjorm  würbe  aud) 
baS  SluSbrücfen  bcS  ©ejcbinö  burch  einen  fugelformigen  ©tein 
geübt,  ben  mau  in  bet  burd}  ihn  gebilbeteu  Sopfhöhle  bre* 
henb  bewegte,  mit  unb  ohne  gleichgeüige  93erwenbung  einer 
äußeren  jejten  gorm.  @iu  anbereS  ber  ©rfinbung  ber  Dreh* 
fcheibe  noch  mel)t  fid)  annäherndes  2] erfahren  ift  baS  läuSbtehen 
fchüffelförmiger  ©efäßbäuche  mitteljt  eines  ©aßeS  fdjeibenföt* 
miget  Drucfformen  »on  »etf^iebenet  ©röße.  hierbei  bilbeten 
fid?  namentlich  nad)  innen  leidet  »orfpringenbe  Jporigontallmien, 
Welche  fid?  ben  durch  bie  Drehfdjeibe  ergeugten  feljr  ähnlich  et« 
Weifen  fönnen. 

SBas  den ‘Anthropologen  hiebei  am  meiften  interefftrt,  ift 
baS  intellectuelle  ^priuctp  ber  Drnamentation: 

Das  alte  ftp  lg  er  e d^t  e feramifche  Ornament  ift  ber 
in  ben  Linien  »etebelte  AuSbrucf  bet  primiti»en  ga« 
brifationStechnif. 

DaS  Ornament  geht  fonadj  fd^on  in  jener  uralten  Beit,  mit 
weichet  wir  unS  hier  bejchäftigen,  inteflectued  aus  bem  principe 
hernor,  welches  ©empet  fo  flat  heroorhebt,  auS  bem  principe: 

aus  ber  Sioth  — ober  wie  ©emper  ha^  fpaßenb  für  einige 

(200) 


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25 


tejrtile  Ornamente  bemerft  — au8  bet  9kth  — eine  Stugenb 
gu  machen. 

3dj  fann  hier  nicht  in  ba8  nähere  SDetail  ber  un8  fid^  auf* 
brängenben  fragen  einireten,  nur  ba8  geftatten  «Sie  mir  nodj  gu 
bemetfen,  baf)  audi)  ber  gmifdjen  JpalS  unb  ©efäfcbaud)  Uegenbe, 
mcift  mit  einem  „S trief mufter"  ornamentirte  Siingmulft,  melier 
faum  einem  ber  älteften  bauchigen  @ef<hirre  mit  »erengertem 
£alfe  fehlt,  au8  ber  primitioen  gabrifationStechnif  fidj  mit  9loth* 
menbigfeit  ergiebt.  ÜReift  mürbe  bie  glecbtfora  nur  für  ben 
©efäfsbaud)  felbft  ^ergefteOt.  üRadjbem  fie  mit  5tijon  auSgefleibet 
unb  biejet  innen  geglättet  mar,  mürbe  ber  engere  meift  fenfred^t 
auffteigenbe  Jpal8  »oflfommen  au8  freier  £anb  mobellirt.  @8 
mufcte,  um  bie  Slnfafjfteüe  gu  »erftärfen,  hier  eine  Verbidung 
angemenbet  merben,  meldje  man,  fie  bem  gledjtmobeH  anpaffenb, 
als  gledjtring  ornamentirte.  Analog,  menn  aud)  mieber  anber8 
motioirt,  entmidelt  fidj  aud)  ber  fRingmulft  gmifchen  gladjboben 
unb  anfteigenber  ©efäfjmanb  au8  primitioen  tedjnifcben  ©rünben 
nämlid)  butd)  SDrud  gegen  bie  Unterlage,  menn  ba8  ©efchirt 
o^ne  eine  fefte  gorm  ^ergeftellt  mürbe. 

SDiefeS : „au8  ber  Sftotb  eine  Sugenb  machen,"  fährt  in  ber 
älteften  Äeramif  ned)  gu  einet  anberen  5Jtethobe  ber  Ornamen* 
tation : 

Siegelmä&ig,  eutht>thmM<h  fid)  mieberholenbe. 
Unregelmäftigfeiten  nnb  gehler  ber  technifchen  £>er* 
ftellung  merben  gum  Ornament: 

5)ie  alte  Töpferei  »erfuhr  hier  bei  ber  ©tfinbung  biefet  Slrt 
»on  Ornament,  mie  ein  Äinb,  melche8,  nachbetn  e8  »on  feinem 
»ieredigen  Sebfudjen  eine  ©de  abgebiffen  unb  beffen  gorm  ba* 
burch  in  feinen  Stugen  »erungiert  hat,  nun  bur«h  Stbbeifjen  aud)  bet 
übrigen  (5 den  feinem  Symmetrie»  unb  SchönheitSbebürfnij)  ©enüge 
thut.  ©in  gufäniger  gingeteinbrud  in  bie  noch  plaftifd)  formbare 
2opfmanb  erfdjeint  al8  gehler,  menn  aber  fold)e  runbliche  f(hüffel* 

förmige  ©inbrüde  ober  mohl  auch  rinnenartige  Vertiefungen  in  regel* 

(*>!) 


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26 


mäßigem  iÄbftanb  oon  einanber  etwa  ftangförmig  ben  ©efäfjbauch 
umfreifen,  fo  ^aben  wir  ein  gefdjmacfüofles  Ornament.  SDie 
älteften  ©ejc^irtc  geigen  biefe  Ringer brucfornamente  in  oerfchie« 
benet  Äuöbilbung.  fötanche  folc^e  gingereiubrücfe  ftnb  einfach 
runbi^üff eiförmig,  bei  anberen  tommt  eine  neue  3terbe  bingu, 
inbem  auch  noch  ein  2lbbrutf  befl  gingetnagelranbeö  beliebt  würbe. 
Sßei  anbeten  Stopfen  ift  mit  ber  SSreite  beS  gingetnagelö  ber 
J^on  jiach  aufwärts  gebrücft,  babutd}  entfielt  eine  feidjte  läng» 
liehe  Vertiefung  oben  oon  einem  tunblit^eu,  gleidjjam  bachfötmig 
ootfptingenben  St^onwölftcben  gefrönt. 

6«  oerfte^t  fid?  oon  felbft,  baß  an  ©teile  bet  ginger  unb 
gingernägel  auch  anbere  eben  gur  £anb  liegenbe  mehr  ober  we* 
niget  paffenbe  ©egenftdnbe  gut  $erfteQung  folget  SDrucfoma* 
mente  Verwenbung  fanben,  nad}bem  nur  einmal  biefeö  Dtna* 
mentirungSprincip  gefunben  unb  beliebt  geworben  war. 

8lm  bäufigften  würben  oon  ben  Höhlenbewohnern  bie  Oma« 
mente  mit  Holgftäbchen  eingebrücft  ober  auögeftochen.  @in  gort» 
fdjritt  tritt  baburd}  auf,  baf)  fRöhrchen  — g.  S3.  Schilf  ober 
fRöbrenfuocben  größerer  Vögel  — gum  Sinbrücfen  oerwenbet 
würben,  fo  entfielt  ein  gej^madooüeö  oertiefteö  Siingornament, 
auö  beffen  Sföitte  bie  plaftifdje  SRaffe  ftch  perlenartig  ergebt. 
Unter  ben  sJ)fahtbaufcherben  g.  V.  beö  Starnberger  See’8  ftnben 
wir  f<$on  wahre  Stempel  gur  ^erfteUung  biefet  SDrucfornamente 
benäht.  68  finb  ba8  bie  mit  Linien  ornamentirten  üöpfe  oon 
ftarfen  Vrongenabeln,  wie  feiere  auch  als  Haatfchmucf  in  jener 
Seit  taufenbfättig  im  ©ebraudje  waren.  Unter  bem  jtopf  geigen 
oiele  biefer  Vabeln  ben  eigentlichen  fftabeljchaft  mit  einer  oet» 
tieften  Spirallinie  umgeben.  läuch  biefe  Spirallinien  würben  oiel» 
fach  auf  ben  ©efchirren  abgebrüeft.  *)  ÜReift  umfreifen, 
idjief  gegen  bie  Hel)enrichtung  geftellt,  betätige  Spital« 
einbrüefe  bie  größte  Ausbauchung  be8  ©efäfceS.  3n  bet  gorm 
fchliefet  fich  biefeS  Ornament  bireft  an  bie  alten  längftbeliebten 
glechtornamente:  ben  glechtring,  ben  Stricf  an. 

(Vui) 


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27 


Sßie  wunberbar  conjetoati»  bet  Äunftgejcbmacf  bet  Sftenjd)* 
beit  ift,  leben  wir  nicht  nur  an  unjetet  beftänbigen  SBiebetbolnng 
bet  beliebten  flajftjcheu  Draamentalmottoe.  Söenn  ©ie  an  bem 
BerfaufSlocalc  eines  SÜöpfetö  »orübergeben  unb  fid)  bie  mobernften 
OrnamentationSformen  bet  für  ben  täglichen  ©ebtaud)  be» 
jümmtenöefchitre  betrachten,  jo  jtimmen  biejelbenbei  uuSbetfUtebr» 
gahl  nach  noch  ooUfommen  mit  biejem  älteften  DrnameutationSge» 
fchmacf  uberein.  gledjtroetf,  welches  mit  jeinen  einfachften  orna» 
mentalen  9Jtoti»en  bie  ©efäfje  im  ©angen  nmgiebt,  bie  ©pital* 
motioe  noch  in  bet  alten  Stellung,  bie  gingereinbtücfe,  ttjeilö  bei 
toheret  SBaate,  roie  eS  jcheint,  wirfHd)  noch  nach  bet  Urmetbobe 
bet  Jpöblenmenj^en  bergefteüt,  ober  eS  ift  bet  ginget  erfefct  butch 
Sftöbrenftempel  ober  anbete  ©tempelformen. 

Unjet  mebetneS  populär* Üopfotnament  jomobl  gemaltes  als 
reliefartig  eingetiefteb  ift  — abgefeben  oon  geroifjen  2lnflängen 
an  flajfifcbe  Drnamentation  — noch  ibe ntijch  mit  bem  äl» 
teften  nachweisbaren  Drnament,  welches,  wie  mit  jaben, 
gtöf>tenibeilS  aus  bet  Benützung  bet  glechtraobelle  bei  bet  Töpferei 
betootging.  3)ie  Sbbtücfe  beS  glechtwetfeS  jcheinen  übrigens  gum 
Sheil  auch  bei  bet  ©onception  bet  elften  3bee  anbetet  Bergie* 
tungen  burd)  ©in»  unb  Slbbrücfe  mitgejpieli  gu  haben,  g.  33.  bei 
jenem  cbarafteriftijcben  Drnament  butch  Spiraleinbrüde  mit 
Brongenabeln,  baS  fich  bis  ^eute  — in  ben  gotmen  etmaS  oet* 
gtö§ett  — erhalten  bat.  — 

3<h  eile  gum  ©cblu&. 

3n  bet  engften  Begebung  gu  bet  tettilen  Äunft  unb  gut 
Äetamif  ftebt  in  ben  älteften  3eiten  bet  ©ulturentmidelung  ©u» 
ropa’S  auch  bie  Baut uuft  SDie  auS  Steigen  unb  heften  gwijchen 
pfählen  geflochtenen  Jpürbenwänbe  mürben  entmebet  nur  innen, 
fo  bah  baS  glecbtmetf  äußerlich  ftc^tbar  blieb,  ober  oon  beiben 
©eiten  mit  i*eb»n  belegt.  3)a8  technijche  Betfabren  bei  bet  jpet» 
fteQung  eines  ^»aujeS  unb  eines  ÜepfeS  ift  aljo  ptiucipiell  ooll* 
fommen  baS  gleiche  unb  mit  fönnen  unS  nicht  munbetn,  menn 

(201) 


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28 


auch  bie  SDrnamentirungSmeife  fidj  auf  beiben,  in  bet  golge  fo 
weit  augeinanbergehenben  ©ebieten,  als  im  principe  oermanbt 
erweift.  SEBir  haben  9lefte  alter  SBohnungen  gefunben  — burd) 
Sranb  ^art  geworbene  nnb  nun  ebenfo  wie  bie  Üopffcherben  faft 
unoer wüftlicbe  Sehmflumpen.  Sie  laffen  auf  baö  25eutlid)fte, 
wie  bie  oben  ermähnten  alten  Sopffdjerben,  nur  natürlich  weit 
gröber,  bie  (Einbrücfe  beS  glechtwerfeS,  weld)eö  il)neu  einft  alS 
.palt  biente,  erfennen. 

2luS  unferen  Betrachtungen  ergiebt  fid),  bafj  wir  unS  bie 
alten  Höhlenbewohner  beS  mittleren  unb  weftlid)en  ©uropa’S  nicht 
mehr  als  jene  faurn  oom  affen  fich  unterfcheibenben  5Bilben 
benten  bürfen,  wie  fie  unS  non  einigen  Sorfämpfetu  einer  fpecu* 
latioen  mobernen  fRaturphilofophie  gefdhilbert  würben.  3hre  an' 
geftaunte  primitice  Äunftentwicfelung  ftch t feines» 
wegö  nollfommen  unmotiöirt  ba,  fie  geigt  fich  unS 
getragen  burch  (Erfahrungen  unb  gortfdjritte  in  ben 
tejetüen  unb  feramifchen  fünften,  ben  beiben  SJiutter» 
fünften  aller  Drnamentif.  — 

SEBir  fühlen  unS  angeheimelt,  wenn  wir  fern  non  ber  He** 
math  bie  SDRätchen  unb  @ef<hid)ten  ergäben  hüten,  benen  wir 
als  Äinbet  am  SBintecabenb  laufd)ten.  Sei  je£t  weit  fich  unter* 
fchcibenben  Sölfern  beweift  unS  bte  ©emeinfamfeü  beS  Sefi|eS 
alter  Sagen  unb  ÜJiären  bie  Urgemeinfchaft  ber  SlutSabftammung. 

Sollte  eS  mit  beu  alten  (Erinnerungen  ber  Äunftübung  an* 
berS  fein?  Sötüffen  wir  nicht  gwifchen  unS  unb  ben  alten  Höhlen* 
bewohnetn  unb  fRenthierjägern,  beten  primitine  Äulturrefte  wir 
auS  bem  Schutt  ber  Sahrtaujenbe  auSgrabeu,  beten  SDrnamen* 
tirungSformen  wir  aber  heute  noch  alS  eine  je$t  unnerftanbene 
Urabition  treu  fefthalten  unb  bewahren,  ein  Sanb  geiftiger  ja 
oieHeicfjt  leiblicher  Serwanbtfchaft  nermuthen? 

Schrecfen  Sie  nicht  ohne  eine  nähere  Prüfung  »or  bem 
©ebanfen  an  eine  JDeScenbeng,  an  eine  leibliche  Serwanbtfchaft 
mit  ben  alten  Jpähfeubewohnern  .un-icf  gßenn  wir  non  bem 

(804) 


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29 


Solumen  bcö  @€^irn8  einen  9Rücfid)lufj  auf  bie  geiftigen  9tn» 
lagen  beS  SRenfcßen  »nagen  bürfen,  fo  haben  wir  bis  jeßt  feine 
Urfacße,  bem  alten  in  ben  fohlen  DberfranfenS  ^aufenben  ©e» 
fcßlecht  hierin  einen  niebrigett  fRang  einjuräumen. 

Sei  ben  babnbrecheubcn  Unterjuchungen,  welche  ju  @nbe 
beS  oorigen  3abrbunbert8,  namentlich  non  ©Sper,  Stifcßmann, 
©olbfuß  >n  ben  großartigen  fofftlienteicßen  ^ößlen  angeftellt 
würben,  welche  ©betfraufen  jum  fÄuSgangSpunft  bet  wiffenfehaft» 
ließen  ^oblenfoifcbung  in  ©utopcf  gemacht  haben,  würbe  unter 
ben  fReften  fofftler  Spiere  neben  anberen  SRenfcßenfnocßen  auch 
ein  wohlerhaltener  ©cßäbel  gefunben.  SBir  hielten  benfelben  lange 
für  oerloten.  3eßt  berichtet  unS  ^err  SSopb  ©awfinS,7)  baß 
% berfelbe,  wie  fo  manches  anbere,  unerfeßlicße  wiffenfcßaftliche 
ORaterial,  in’S  2lu8lanb  oerfcbacbert  würbe,  ©er  Schübel  beftnbet 
ftch  im  SRufeum  ju  Djrforb,  woßin  ißn  Sucflanb  brachte,  welcher 
1816  bie  fränfifchen  ^ößlen  befuchte  unb  burch  bie  hört  ge» 
wonnenen  ©rfaßrungen  angeregt,  bet  Segrünber  ber  wiffenfehaft* 
lieben  ^öblenforfcßung  für  ©nglanb  würbe.  Sopb  ©awfinS 
gibt  eine  Sefcbreibung  biefeS  für  bie  baperifche  Urgeichichte  h°*h* 
wichtigen  ©cßäbelS. 8 ) ©S  ift  ein  richtiger,  boßet  öracßpcebbale, 
oon  einer  ©cßäbelfotm,  wie  ich  fte  noch  heute  unter  ber  33e- 
oßlferung  jener  unb  bet  angtengenbeu  altbanerifeben  ©egenben 
(3.  33.  SRicßelfelb  bei  Sluerbach)  auSgefprocßen  gefunben  habe, 
©ein  Umfang  ift  547  mm.  fRacß  meinen  gaßlreicßen  (über  1000) 
Seftimmungen  beS  ©cßäbeiumfangeS  an  ähnlich  geftalteten  braeßb» 
cepbalen  ©djäbeln,  beträgt  ber  mittlere  ©chäbelumfang  unferer 
heutigen  baoerifdjen  ffanbbeeölfetung  nur  515  mm.  Unfer  fohlen» 
fchäbel  überragt  fonach  mit  547  mm  biefeS  5Rittel  nicht  nnbe* 
trächtlicß.  ©in  ©chäbelumfang  oon  547  mm  entflicht,  nach 
meinen  ÜReffungen,  einem  ©cßäbelinnentaum , b.  ß.  «ipirnoolum, 
oon  1720  ccm,9)  b.  b-  wie  haben  hier  einen  ©<ßäbel  mit 
einer  marimalen  $irnau8bilbung  00t  unS.  ©en  mittleren 

(SOS) 


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30 


©d)öbelinhalt  fanb  icb  für  moberne  Samern  (8anbbeo6lferung) 
jm  1419,  SUelcfer  für  „©acbfen"  jogat  nur  ju  1374  ccm. 

SEBir  fto{jen  hier  auf  jenes  5Berhaltni§,  auf  welches  Jpetr 
93irchow  bet  ber  Betrachtung  bet  ^fahlbaufcbäbel  in  feiner  »iel* 
berufenen  fjtebe  bei  ber  50.  SRaturforfchernerfammlung  1877  ju 
fDlündjen  aufmerffnm  gemacht  hat.  ©oweit  bie  bisherigen  gunbe 
ein  Urtheil  geffatten,  fteht  bte  ©ehirnauSbilbung  in  jenen 
uralten  oorhiftorifdjen  gerieben  nicht  etwa  unter  bet  mittleren 
©ehirnauSbilbung  ber  gegenwärtigen  Bewohner  betfelben@egenben, 
fonbetn  überragt  biefelbe  mehrfach. 

3Bir  brauchten  unS  alfo  nicht  ju  fdjämen,  auch  wenn  wir 
unß  als  bie  bireften  fRachfommen  beS  ©ailenreuther  Sroplcbtjteu 
befennen  müßten. 

Ueberhaupt  Bereinigen  fielt  ja  in  bet  neueren  3«t  fo  manche 
©rgebniffe  bet  ejeaden  gorfchung,  welche  unS  bie  europäischen 
ttrmenfchen  nicht  mehr  als  antochtljone  SBilbe  erfcheinen  laffeu, 
fonbern  als  ©inwanbeter,  welche  Kultur*  unb  jbunfterinnerungen 
in  bie  neuen  unwirtlichen  ©i£e  auS  ««er  glücfHcheren  Urheimath 
mitgebradjt  haben. 

2Ju<h  bie  prähiftorifche  Äeramif  fteuert  ihr  ©cherftein  bei, 
um  biefen  wichtigen  SRachroeiS  fefter  ju  begrünben.  Unb  jwar 
finb  eS  getabe  jene  fdjeinbat  roheften  ©efchirrtrümmer,  welche  ben 
Beweis  erbringen,  bah  ftd)  bie  5£Spfer  jener  weit  entlegenen 
Seiten,  fe  mangelhaft  ihre  ohne  bie  Hilfsmittel  bet  Urheimath 
augefertigten  ©efdjirre  auch  fein  mögen,  bodj  att  eine  relatin 
hochentwicfelte  Äunft  bet  Töpferei  erinnerten  unb  bereu 
allgemeinfte  $rabition  bewahrten.  35aS  beweift  bie  mehr 
ober  weniger  forgfältige  aber  unzweifelhaft  abfichtliche  ©in* 
mifdhung  ooit  „Duarjftücfchen"  (unb  anberen  fleinen  ©efteinS* 
fragmenten)  in  beu  »ermenbeten  8ehnt,  bie  feineSwegS,  wie  mau 
bisher  allgemein  meinte,  ber  fäuSbrucf  befonberS  roher  HerfteDungS* 

Weife  ift,  fonbern  mit  ber  Ülbficht  gefdiah,  bie  2»pfe  bureb  biefe 
(206) 


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31 


offenbar  auf  lange  norauSgebenbet  ©tfabrung  begrünbete  Stetbobe 
wtniger  leidet  getbtedjlicb  gu  madjen. 

Jpore«  wir,  »a8  ein  flafftfdjer  3euge,  ©•  Semper  in  feinem 
gtunblegenben  SSetfe,  „S)er  Stil", 1 °)  batübet  »on  bem  mobernfteu 
Staubpuuft  bet  Äetamif  au8  bemerlt: 

„Puffer  bet  ^Mafticität  ift  al8  ©runbeigenfcffaft  aller  feramiicben 
Stoffe  erforbetlid)  iffre  Homogenität.  muff  unterf  «hieben 
werben  gwijdjen  ber  Homogenität  b er  Üffeile  unb  ber  Staffen» 
Homogenität.  35ie  erftere  ift  nid>t  immer  notbwenbig,  ja  meiftenS 
ftbäblid»,  fo  baff  man  fie  mit  H*lfe  ber  entfettenben  Stoffe  unb 
(Sämente  (Gbamotten),  bie  man  ber  ^»afte  beimifcfft,  abficbtlicb 
»ermeibet.  JDiefe  grobförnigen,  oft  frembartigen,  feuer* 
beftänbigen  23eimifd)ungen  ber  Safte  beben  bie  Homogenität 
ber  leffteren  auf,  aber  in  fontinuirlidjer  SBeife  unb  gleicffmäffig; 
e8  entfteffen  SRuffepunfte  in  ber  Stoffe,  bie  bie  Bcrbredjlicfcfeit 
berfelben  nach  ihrem  Srenuen  unb  bie  ©efafft  beö  Springens, 
fei  e8  fcurcb  2,emperat»rmedbfel  ober  burdj  0d?ocf,  nerminbern, 
»eil  bie  gröberen  ©lemente,  bie  in  ber  Stoffe  oertffetlt  finb,  bie 
regelmäffigen  Schwingungen  unterbrechen,  welche  ben  begxunenben 
3tiff  fortpfiangen,  inbem  fie  ftrafflenförmig  bie  Stoffe  burd)fibem. 
3ene  gröberen  33eftanbtl)eile  oertreien  beuielben  SDienft  wie  bie 
86djer,  bie  man  in  Spiegelfdjeiben  am  ©nbe  eines  iftifjeä  bohrt, 
um  iffn  gu  »erbinbern,  weiter  gu  geben.“ 

£Die  feinfte  moberne  Äeramif  bebient  ficff  aljo  beffelben  StittelS, 
wie  jene  oorgejcbicbtlicben  europäifcffen  „Söilben". 

So  eröffnen  un8  benn  fcbltefflitb  unfere  blutigen  ©etracb» 
tungen  ben  ©inblicf  in  einen  ungeahnt  weiten  ©eftcbtöfreiä. 

Sie  fcheinen  nach  berfelben  9tidjtung  gu  beuten  wie  bie  nicht 
bocb  genug  gu  fcbaffenben  gunbe  unfereS  Sd)liemann8  in  bem 
uralten  Gulturboben  Stroja’8  unb  in  ben  Hetoengräbern  be8  gelb: 
reichen  StpleneS.  Sie  beweifen  im  Bufammenbalt  mit  ben  bi8 
jefft  au8  weitgerftreuten  ffcunborten  »orliegenben  antbropologifch* 
arcbäologütben  ©rgebniffen  nicht  allein  einen  gejdjicbtlicben  3«, 

(M) 


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32 


fammenbaug  in  ber  äftcften  ßulturenttticflung  aQet  europätfcben 
Söttet  arifd^er  (Sprache,  fie  f erlagen  auch  Me  Srücfe  hinüber 
au8  (Europa  gu  ben  altberübmten  ©tätten  afiatifeber  (Sultur. 


Anmerkungen. 

1)  Sericbt  ber  VII.  allg.  Serfammlung  ber  beutf^en  antbrop.  @e- 
fetlf^aft  in  ©onftanj.  ©.  117  unb  164,  §ig.  11.  ipier  auch  bie  Ab. 
bilbungen  ber  übrigen  erwähnten  Objecte. 

2)  ©.  ©emper.  (Der  ©HL  Sb.  I.  ©.  79  jc.  Sb.  II.  ©.  34, 
35  jc.  jc. 

3)  (Sleffin.  (Die  £>6f)le  bei  Sritannien  in  ber  Cberfalj.  Au8* 
lanb.  1878.  91  r.  15.  ©.  290  ff. 

4)  Sb.  II.  ©.  195  (1874). 

5)  Arduo  für  Anthropologie.  Sb.  III.  1686.  ©.  23. 

6)  Seiträge  $ur  Anthropologie  unb  Urgefdii^te  SapernS.  Sb.  I 
©.  59,  SDafel  XIII.  9t r.  39  u.  40.  (Die  entfprechenben  Sronjenabeln. 
Safel  VII.  9tr.  131,  286,  405. 

7)  (Die  Wählen  unb  bie  Urbewohner  Europa«.  1876  überfefct  non 
Dr.  ©pengel.  ©.  192,  Anm.  1. 

8)  a.  a.  O.  162  unb  189.  Sänge  172  mm,  Sreite  140,  £>fllie 
140,  Umfang  547,  Sängenbreiteninbejc  81,4. 

9)  Seiträge  jur  Anthropologie  unb  Urgefdji<bte  SapemB.  Sb.  II. 
©.59.  58. 

10)  a.  a.  £>.  Sb.  II.  ©.  122. 


(308) 


Srai  ven  Webt.  Unjit  (ib.  Urimnt,  in  Berlin,  ©djönebetfltrftt.  IT  a. 


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Ifaulbacfy’s 

Bilberfreis  ber  ttMtgefcfytcfyte. 

Don 

öirtor  fiaifer. 


ßcrlin  SW.  1879. 

33  e t l a g cott  (5  a r l $ ab  t 1. 

(C.  <0.  KUtrit|'sii|i  Bulmjshnrtitiniiiilnng.) 

33.  ‘ffiilijtlm  • Strafe  33. 


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5Da«  SRedjt  btr  Ueberftfcung  in  fctrnbe  ©ptadjcn  roitb  oorbeJjaUcn. 


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!^m  3aljre  1845  erhielt  Äaulbadj  »ob  fjtiebridi  SBilbelm  IV.  ben 
Auftrag,  baS  SreppenbauS  beS  bamalS  im  23au  begriffenen  ÜJieuen 
*Dtufeum§  in  23erlin  mit  SBanbgemälben  auSgufdfmwfen.  ©djon 
gehn  3a^te  notier  batte  et  ben  Garton  gur  ^unuenfd^la^t  ent* 
werfen  unb  bernad?  bie  3etftörung  »on  3etufalem  in  Del  gemalt. 
SBeibe  @<böpfungen  feilten  nun  in  bet  preufjtfcben  £auptftabt 
a!$  ©lieber  eines  SilbercpfluS  wieberijolt  werben,  worin  bie 
;£>auptmomente  ber  SSeltgefdjtcbte  maletifd)  bargefteHt  würben. 
•fUulbadj  beenbigte  i.  3-  1865  fein  gtofjeS  SBetf,  baS  wäljrenb 
brei  Sa^rge^nten  fetneS  unermüblid^en  ©t^affenS  bie  ^auptauf» 
gäbe  feines  8eben§  geworben  war. 

I. 

2>urdj  biefe  monumentale  Gompofttion  nafym  er  mit  bem 
SJteifter  bet  heutigen  ffreScomaferei,  mit  GotneliuS  um  fo  melft 
ben  SBettfampf  auf,  als  er,  auS  beffen  ©dfule  beröotgegangen, 
bereits  bureb  feine  £unnenid)Iacbt  ftdt>  mit  ibm  entgweit  unb  eine 
felbftänbige  33abn  betreten  batte.  2) er  ©egenfaj)  ber  beiben  SReifter 
trat  nun  in  ber  fünftleriftben  SebanblungSweife  febatf  beroor, 
weil  jene  Sflrbeit  beS  jüngern  mit  ben  beiben  auSgefübrten  $aupt* 
werfen  beS  altern  9JialerS  ben  gleiten  ©egenftanb  gemein  Isatte- 
3>nn  was  GorneliuS  in  ber  ©Ipptotbef  unb  gubmigSfirdje  gu 
SKündjen  gefonbert,  aber  nid)t  getrennt,  bebanbelt  batte,  bie  Se* 
beutung  beS  SUtertbumS  unb  ber  djriftlidben  3eit,  »ereinigte  Äaul* 
bacb  an  gwei  ficb  gegenüber ftebenben  ©anbftadjen  im  3nnern 
jenes  ©ebäubeS,  welches  Äunftergeugniffe  ber  »erfdfiebenften  hülfet 
unb  Seiten  anfbewabrt. 

XIV.  319.  1*  f^ll) 


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4 


33ctbe  Äünftler  fielen  ferner  auf  ber  gleichen  $öhe  beS  Beit» 
bewufjtfeinS  ober  auf  bem  ©oben  ber  beutfchen  Stuffläruug , bie 
in  ben  ©ebieten  bet  bilbenben  Äunft  unb  bet  Poefie,  »on  Söincfel* 
mann  unb  geffing  begrünbet,  in  Sfjomalbfeit  unb  ©oethe  ihren 
^öljepunft  fanb.  3)aS  ©ilbwerf  £f)or»a(bfen’8  oon  ber  ©r* 
Raffung  beS  ÜJienfchen  butd)  ^>aOa8  unb  Prometheus  war  »on 
©orneliuS  als  ber  »oDenbete  2lu8btu<f  beö  antifen  ©eifteS  fowoi)[ 
als  auch  ber  menfd>lt$en  ©ernunft  überhaupt  anerfannt  unb  im 
SJtittelpunfte  feiner  großen  ©ompofition  in  ber  ©Ipptotfyef  nad)» 
geahmt  worben.  QJiit  bemfelben  ©ilbe  eröffnet  Äaulbadj  ben 
grieS  feines  ©emälbecpftuS  in  ©etlin.  sieben  bet  göttlichen  ©er* 
nunft  »eranf^aulicpt  er  bann  auch  ba8  ftnnliche  ©egehren  beS 
3Jtenf<hen  nad)  ©enufj  unb  ©ewinn,  feine  niebern  Stiebe  bet 
gortpftonjung  unb  ©tnährung.  Stuf  ber  ©eite  beS  Prometheus 
fdjliefjt  er  übet  ber  aQegorifchen  gigut  bet  ©age  an  jenes  erfte 
gwei  anbere  ©ilbdjen  auS  bem  orientalifchen  unb  römifdjen  Sagen* 
gebiete  an.  5luS  jwei  oom  ägpptifdjen  ©torch  geöffneten  ©lern 
treten  bie  beiben  ©efchledjter  hetoor,  auf  ©lumenfelchen  ent» 
fproffen,  jubelt  fich  baS  Pärchen  ber  ©aturtinber  ju,  fchon  eilt 
bie  Schlange  herbei  unb  bietet  bet  tleinen  @oa  ben  Stpfel  beS 
ParabiefeS  an  unb  ber  SSffe  begrübt  ben  leichtbethörten  Slbarn. 
!fln  ber  ©ruft  ber  SBölfin  [nährt  fich  b<*S  ©rüberpaar  3ftomuluS 
unb  iRemuS.  SDiefe  SDarfteQung  bet  »ernünftig«finnli<hen  SJtenfdjen* 
natur  ift  ber  Anfang  beS  herrlichen  SltabeSfenfriefeS , ber,  an 
beiben  Söänben  fortlaufenb,  bie  SSeltgefd)ichte  als  ein  humoriftifcheS 
Äinbetfpiel  behanbelt  unb  ben  barunter  befinbtichen  ^auptbilbern 
gut  ©rflätung  unb  ©rgängung  bient.  25en  Schluß  aber  bilbet 
©oethe,  ber  als  ein  Äönig'inmitten  oon  gerbet  unb  £umbolbt 
thront,  ©or  fich  h“t  er  ben  gauft  aufgefdjlagen,  an  jeiner  ©eite 
hulbigt  ihm  linfS  ber  ©rjengel,  rechts  SDiephiftopheleS.  „@8  liegt 
ein  tiefet  Sinn  im  finbifdhen  ©piel"i — fchon  im  Anfang  beS 
griefeS  hat  e§  fich  bewährt:  bort  war  baS  finnreiche  ©ilb  ber 

(S12) 


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5 


Ijeüenifdjen  (gopfytofyne  bcr  Anfang  beS  linbifchen  ©pieleS,  womit 
bie  autife  ©ntwitfelung  beginnt,  unb  ben  abfchlufj  ber  mobernen 
©ntroicleluugSreihe  bitbet  hier  ©oethe  mit  ber  menfchlichen  greiheit 
feines  DenfenS  unb  gühlenS  in  ber  ©litte  gwifchen  bem 
mepfyifitopljelifdjen  ©igen  willen  ober  bem  ©eifte,  ber  nur  »erneint, 
unb  ber  ©reatur  ber  göttlichen  ©nabe,  bem  ©ngel,  toeldjer  bie 
Serie  beö  @d}öhfer8  nur  bewunbert,  aber  fie  nicht  begreift.  3n 
berfelben  ©litte  gwifchen  ben  ©ytremen  fteUt  ©orneliuS  ben 
©lenfchen  bar  in  feinen  3<i<huungen  gu  ©oetlje’S  Sauft , unb 
gmar  mit  ber  mistigen  Unterfcheibuug  einer  pelagianifdjen  unb 
auguftinifchen  Stidjtung1):  baS  augnftinifche  ©retchen  wirb  »om 
©ngel  gerettet,  ber  ©elagianet  ffauft  »om  Steufel  fortgefdjlehpt  — 
biefelbe  Unterfdheibung,  bie  auch  bem  SieblingSwerle  beS  ©orneliuS, 
ber  Seltfchöpfung  unb  bem  Seitgerichte,  gu  ©runbe  liegt. 
©oetlje’S  §auft  ift  alfo  ber  gemeinf<haftli<he  auSgangSpunlt  »on 
©orneliuS  unb  Äaulbach- 

allein  fdjon  in  biefem  VeriihrungSpunlte  geigt  fich  auch  &et 
©harafterunterfchieb  ber  beiben  ©leifter:  Äa ulbach  ift  gang  unb 
gar  mobern,  ©orneliuS  aber  hat  bie  Surgeln  feiner  geiftigen 
Vilbung  in  ber  Vergangenheit  nicht  minber  als  in  ber  ©egen« 
wart.  2)a8  Sllterthum  fdjaut  er  im  Sichte  beS  öfchpleifchen  ©eifteS, 
baS  djriftliche  ©littelalter  in  SDante’8  göttlicher  Äomöbie,  unb 
baS  allen  3eiten  ©emäfje  »ereinbart  er  mit  bet  VilbungSform 
ber  heutigen  3eit,  welche  ©oethe  gefchaffen  hat.  ©orneliuS  fchrieb 
an  ©oethe,  als  er  ihm  feine  gebergeichnungen  gum  gauft  gufanbte, 
um  ihm  feine  Siebe  unb  Vewunberung  auSgufprechen : „SDie 
Sirfungen  einer  gleichgeitigen  Äunft  ftnb  bie  größten  unb 
lebenbigften,  unb  gange  Voller,  ja  gange  3eitalter  werben  »on 
ben  Setfen  eines  eingelnen  großen  ©lenken  begeiftert."  3ebo<h 
bemerft  auch  ©orneliuS,  baf}  „bie  Serie  einer  grofjen  Ver« 
gaugenheit  unS  mastig  in  bie  bamalige  2)enl«  unb  ©mpfinbungS« 
weife  hineingiehen".  ©oethe  felbft  ertannte  noch  ein  anbereS 

(S13j 


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6 


Element  in  jenen  3eid)nungen  als  feinen  gauft,  inbem  ec  barüber 
urtheilte:  ©orneliuS  ^abe  gu  feinem  gauft  — etwas  fjingugefiigt. 

5Öie  in  Segug  auf  bie  3eitbilbung  unb  ben  ©egenftanb 
fd^eint  ebenfalls  in  bet  2lrt  bet  Sehanblung  Äaulbad)  mit 
ßotneliuS  übereingufttmmen.  SSiie  fönnte  auch  ein  ÜRann  »on 
©eift,  bet  auS  ber  £anb  eines  ©ornelius  bie  fünftlerifche  SBeilje 
empfing,  »on  bet  ©ebanfeumalerei  biefeS  SOteiftetS  abtrünnig 
wevben!  ©erabe  Äaulbach’S  SBerfe  müffen  eS  felbft  bem  ober* 
flä(f)lid;en  Sefdjauer  flat  machen,  ba§  bie  echte  Äunft  noch  etwas 
anbreS  ift  als  eine  ülugenrceibe,  ba§  »ielmeht  in  ihr  bie  haften 
3been  beS  SeitalterS  ausgeprägt  finb;  auch  in  bem  gewöhnlichen 
Äopfe  werben  fie  eine  Slhnung  »on  ber  „fönigüchen"  Stellung 
erwecfen,  welche  Schiller  ben  Äünftlern  mit  ben  Sorten  anweifi : 
Sie  ftehen  auf  ber  SJtenfchhett  Jpöhen.  Unb  bo<h  ift  ein  grofjer 
Unterfchieb  gwifdjen  ber  ©ebanfenmalerei  beS  ©ornelius  unb  ber 
3bealität  Äaulbach’S*).  S)ort  ift  ber  ©ebanfe  getragen  »on  einer 
<harafter»ollen  ©efinnung,  »on  ihr  empfängt  er  jene  ©nergie, 
welche  bie  Uebetliefetung  beS  SJllterthumS  unb  ÜJUttelalterS  fo  gut 
als  bie  SilbungSfotm  ber  ©egenwart  burdjbringt  unb  frei  ge* 
ftaltet,  ohne  bah  er  P<  jerfe^t  ober  in  ihr  fi«h  gerfplittert,  »iel* 
mehr  in  jebem  ©ebanfenfplitter  beS  ©ornelius  ift  ber  gange  föiann. 
©oethe  erfannte  bie  gebiegene  jfraft  beS  ?CRanneS  fdjon  auS 
feinen  gauftbilbern,  ba  er  feine  3lrt  als  „eine  alterthümlich*tapferea 
fenngeichuet.  ©ornelius  nannte  fich  einen  ÜJtarfchall  ber  beutfchen 
ftunft,  als  er  am  @rercietplaf5e  in  Serlin  feine  Sohnung  begog, 
unb  fich  felbft  als  $)eter  ©ornelius  ftellt  er  unter  bem  Silbe  beS 
biblifcheu  JpauptmannS  ©orneliuS  bar,  welcher  nach  bet  ©rgählung 
ber  iHpoftelgefchichte  gwar  £elm,  Schwert  unb  Sdhilb,  nicht  aber 
feinen  tapfern  Sinn  ablegt,  als  er  »om  ©ngel  gum  Stpoftel  9>etruS 
gerufen  wirb.  Sßicht  biefe  gefunbe  garbe  ber  ©ntfchliefeung  hat 
ber  ©ebanfe  bei  Äaulbacf),  fonbern  bie  angefränfelte  Släffe  eines 
fophiftifch'getfefjeuben  9täfonnementS.  Äaulbach  ift  ber  fDtaler  bet 

(«4) 


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7 


ISufflärung,  welche  mit  ber  IBergangenbeit  bricht,  bie  Ueberlieferung 
»erneint. 

ÖHcbt  wie  bie  ©oetbegeftalt  im  8lrabe8fenfriefe  fte^t  JtauU 
bad)  feft  auf  bem  Sieben  ber  menfcbücben  greibeit  gwifeben  ©ngef 
unb  ©atan,  fonbern  im  ®<bwanfen  gwifeben  ben  ©jetremen  trägt 
leicht  feine  megjbiftopbelifdbe  Statur  ben  ©ieg  bauen.  fRidbt  ben 
Äaulbadj  fönnten  wir  ba^er  an  bie  ©teile  ©oetbe’8  in  feinem 
fHrabeSfenfriefe  rüden:  an  feiner  ©eite  wäre  ber  ©rgengel  eine 
f)ot)le  (5l)arafterma8fe,  unb  nur  ÜRep^iftoptjeteÖ  böte  eine  reelle 
SSegiebung  bar.  SBofyl  aber  fönnten  wir  bort  ben  ©orneliuS  mit 
feinem  gauft  ber  ©oetbegeftalt  fubftituiren;  benn  wie  ber  Dichter 
be6  gauft  ^at  ber  fötaler  ber  ©typtotbef  unb  SubwigSfircbe  ben 
antifen  unb  mobernen  ©et ft  in  ficb  »erarbeitet  unb  nimmt  je$t, 
wie  eä  ber  ^tftorifer  SRiebu^r  »orber  »erfünbete,  unter  ben  beutfdjen 
fötalem  biefelbe  ©teile  ein,  bie  ©oetfje  unter  ben  beutfdjen  Dichtern. 
Doch  müßten  bann  neben  ©orneliuS  jene  beiben  ©jtreme  bie 
3>läf5e  »ertaufd^en:  „2) er  dbriftlidbe  fötaler*  würbe  nicht  wie  ©oet^e 
fein  rechtes  £%  bem  pelagiauifdben  fötepl)iftopl}ele8,  fonbern  bem 
©ngel  leiben,  ber  ibn  gum  Slpoftel  ^)etru8  befdjieb.  Denn  »on 
biefer  ©eite  her  »ernabm  ©orneliuS  „baS  @twa8",  baS  ©oetbe 
in  feinem  gauft  nidbt  ^at,  ba8  ibm  aber  ©orneliuS  jufügte4* - 
Dante  bat  biefeS  @twa8  in  bem  ©afje  auSgef  proeben : Die 
©ettbeit  felbft  fann  nicht  bem  fötenfeben  »ergeben,  e8  fei  benn, 
bafj  er  Reue  empfinbe  unb  33ufjje  tbue;  mit  anbern  SB  orten:  ©8 
giebt  feine  Siebe  ohne  ©eredbtigfeit.  DiefeS  @twa8  ift  ein 
$au»tgebanfe  be8  Sauft  »on  ©otneliuS  unb  ber  ©runbgebanfe 
feines  #aupt*  unb  SieblingSwerfeS  in  ber  SubwigSfirdbe  geworben 3). 

Dem  ©orneliu8  gegenüber  ift  Äaulbad)  ber  gange  fötepbifto» 
»beleS,  b.  b-  ein  »erneinenbet  ©eift,  feboeb  „ber  ©dbalf,  ben  man 
ftetS  witlfommen  beifit"  — ba  wo  er  am  ^lafce  ift.  fötit  feiner 
mepbiftopbelifdben  ©optjiftxl  »erfnüpft  ficb  Äaulbacb'8  glangenbfte 
©igenfebaft,  fein  SBifc.  ®r  ift  bie  wahre  fpuISaber  feiner  ©enialüät, 

(MS) 


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8 


womit  et  an  ben  genialsten  unter  ben  JDidjtern  bei  aiterthuml, 
an  Slriftophanel  hinaufreid)t.  3Rit  iijm  tljeilt  et  aud}  im  fchatfen 
©egen  ja  jj  gu  Sorneliul  bie  unvergleichliche  ©ragie,  bie  einen  fo 
eruften  aber  gleich  genialen  ©eift  wie  Platon  gut  SBewunberung 
hinrifj.  gteüich  fehlt  ihm  bie  charafterooDeßnergie  bei  Slriftophanel, 
in  biefet  ^infidjt  gleißt  et  bem  SDic^ter  bet  fföafchinengötter, 
©uripibel,  welken  Slriftop^cmed  all  ben  33erberber  bet  ttagifchen 
Äunft  gebtanbmarft  unb  bet  fittlichen  ©ebiegenheit  bei  33aterl 
bet  Sltagöbie,  Stefchplol  entgegengefefct  hat.  ganb  „bet  tapfere" 
©otneliul  feinen  ©eiftelBerwanbten  an  bem  greiheitlfämpfer  Bon 
OJiatathon  unb  ©alamil,  fo  ift  bem  Äaulbadj  bie  jophiftifche 
£altungllofigfeit  gemeinfam  mit  jenem  3)i<hter  bet  ^eriflcifd^e« 
Slufflärung.  33eibe,  bet  35id)ter  ber  antifen  unb  bet  SRalet  bet 
mobernen  Slufflärung,  finb  gleich  ergriffen  Bon  bem  Sauerteig 
bet  {Repejrion  unb  gelähmt  in  ihrer  Ära  ft  ber  fünftletifchen  ©e* 
ftaltung:  alte  SOorgüge  bei  wiffenfchaftlichen  gortjchrittel  ihrer 
3eit  terwanbeln  fidj  bei  ihnen  in  eben  fo  niele  ÜKängel  ihtel 
fünftlerifchen  ©chaffenl.  „Schmucfeuripibeiich"  hat  tÄriftophanel 
alle  Äünftelei  genannt,  welche,  um  bem  filmen  3)emol  oon  Slthen 
gu  gefallen,  bie  eble  ©infalt  ber  echten  Äunft  preilgab  unb  bie 
Schöpfet  bei  Schönen  in  bet  Äurgweil  Schöpfet  oerfehrte.  SÖenn 
übet  Gorneliul  behauptet  worben  ift,  er  habe  uur  für  bie 
Slriftofratie  bet  23ilbung  gemalt,  fo  hat  Äaulbach  auch  f“r  ben 
SDeniol  bet  heutigen  Silbung  unb  felbft  für  ben  unreinen  ®e= 
fchmacf  einel  Berbilbeten  3eitalterl  reichlich  geforgt:  für  bie  ge» 
lehrten  ©enatter,  bie  gern  benamen,  für  bie  feine  2Belt,  bie  an 
feinem  garbenglang  ohne  ben  gatbenfchmelg,  an  feiner  immer  ge* 
lecften  aber  nicht  immer  correcten  3ei<hnung,  an  ben  prächtigen 
©ewänbern  unb  bem  theatralifchen  fPomp  fid)  erfreut,  ja  fogat 
für  bie  ©öfcenbiener  bei  gleifdjel,  bie  an  üppigem  gormenreige 
ftdj  laben,  allein  tro§  aHebem,  wie  ©oethe  an  ©uripibel  ben 

gefchmeibtgeu,  ben  Berfchiebenartigften  Aufgaben  fleh  anpaffenben 
(sie) 


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9 


©eift  gepriefen  unb  in  biefet  Hinfidbt  iljn  fogat  bem  SÄefdjploS 
unb  SopbofleS  »orgegogen  bat4),  muffen  mir  e8  au  Äaulbadb 
anerfennen,  bafj  er  nicht  allein  ben  Faunen  fceS  $£age8  unb  bet 
SJtobe  gebulbigt,  fonbern,  abfebenb  oon  ber  tecbnifdben  Seljanblung 
bet  gormen  unb  gatben,  auSbtücflicb 5)  in  bie  güHe  unb  geinbeit 
bet  geiftigen  Ee^nif,  ber  Gompofition,  ben  Skwerpunft  fetneS 
fünftlerifdben  StrebenS  gelegt  fyat. 


n. 

3n  Äaulbadb’8  Söeltgefd^ic^te  biefe  fünftletifcbe  ©inbeit  bet 
Gompofition  in  bem  9teid^t^um  unb  bet  Gigentfyümlidjfeit  feinet 
£)arftellung8mittel  gu  erfennen,  ift  unfete  Aufgabe.  Unfete 
SJtetljobe  ift  e8,  bie  fagenbafte  unb  biftorifdje  Uebetlieferung  bet 
Unterfucbung  gu  ©tunbe  gu  legen,  um  an  ben  Slbmeidbungen  oon 
berfelben  bie  eigenen  3been  be8  ÄünftlerS  gu  etforfdjen.  55enn 
eine  SHuftration  bet  Ueberlieferung  bürfen  mit  in  Äaulbadj’8 
2Beltgefct)i(bte  nidbt  ermatten,  bat  er  bod}  »»  feinem  SMlberfreife 
ben  allegorifdjen  ©eftalten  ber  Sage  unb  ©efdjidbte  bie  $)oefie 
unb  bie  Sßiffenfdbaft  al8  bie  ©lütter  ber  Slufflärung  gegenüber* 
gefteHt,  unb  batf  er  audb  mit  allem  Siedete  ba8  »olle  ©laf?  ber 
Jünftlerifcben  greibeit  anipted)ert. 

<Die  ©lieberung  be8  ©angen  folgt  bem  ©efejje  ber  Symmetrie 
ober,  nad)  einem  SluSbrucfe  ©oetbe’8,  ber  JDialrifiS,  nadb  Hegel 
bet  fkledjten  bialeftifdben  3meibeit.  2)ie  fübcftlidje  SUanbflädbe 
be8  StreppenbaufeS,  bie  auf  ber  linfen  Seite  be8  Haupteingange8 
liegt,  »eranfdjaulidbt  ba8  SUtertbum,  bie  gegenüberliegenbe  Sßanb 
bie  Sleugeit  ober  ba8  SDRittelalter  unb  bie  neuere  Beit.  Bebe  bet 
beiben  SBänbe  ift  in  gmei  Hauptfiguren  unb  brei  HaubtWber  fo 
eingekeilt,  bafj  jene  gmifdjen  ben  lefctern  fidj  beftuben  unb  burdb 
ihre  Ioloffale  ©rofje  übet  bie  giguren  bet  Hawptbilber  becoorragen. 
Sie  ftetlen  abmedbfelnb  ben  ©rünbet  eines  auguftinifken  ©otteS* 
ftaateS  unb  eines  pelagianifdfjen  SSeltftaateS  bar.  8in!8  auf  ber 

(8t7j 


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10 


Seile  be8  SllterthumS  ftnb  e8  9Jlofe8,  bet  Stiftet  bet  jübifdjen 
®otte8herrf<haft,  unb  Solen,  ber  ©efefcgebet  äthenS,  al8  be8 
2Jlittelf)unfte8  bet  antifen  Slufflärung  uic^t  blo8  für  ba8  nationale 
#etlenenthum  fonbern  and?  für  ben  alejtanbrimfdj  * romifdjen 
JpeQeni8mu8;  rechts  inmitten  bet  mobetnen  ©ntwicfelungSteihe 
bet  Stiftet  be8  ^eiligen  römifchen  SReidjeS,  Äarl  b.  ®r.,  unb 
griebrich  b.  ©r.  al8  ©rünber  bet  etften  nationabbeutfchen  ©tofj* 
macht,  ba8  gemeinfame  3beal  bet  beutfdjen  ölufflatung,  eines 
Seffing,  Schiller  unb  ©eethe.  ?ln  jebe  biefet  oiet  |>aut)lfiguten 
fd)lie|t  ft<h  ein  £auptbilb,  an  Solon  bie  SBIütt)e  ©riechenlanbS, 
an  fDlofeS  bie  Betftörung  »on  3erufa!em,  an  Äarl  b.  ©r.  bie 
Äreugfahter,  unb  an  ^tiebridj  b.  ©r.  ba8  SieformationSgeitalter. 
3ebe8  bet  beiben  sPaare  wirb  burd)  ein  erfteS  £auptbilb  einge* 
leitet,  welches  bie  anbern  biftorifdj  begtünbet,  ba8  erfte  unb 
mittelbar  auch  ba8  nachfolgenbe  9>aat  burch  bie  5Bölfetf<heibung 
ober  ben  £hutm  Ju  Sabel,  ba8  gweite  burd)  bie  33ölfermanberung 
ober  bie  £unnenfd)lacht. 

S3on  SSilb  gu  23Hb,  oon  SBanb  gu  SfBanb  »erfolgt  bet 
hiftorifche  Sortf^ritt  bie  Stiftung  »on  bet  Sinfen  gut  Siechten. 
3Diefe!be  Stiftung  geigt  fich  in  bet  materifchen  Beleuchtung. 
Allein  im  lebten  £auptbilbe  unb  an  bet  lebten  Jpauptfigur  finben 
mir  einen  gwar  wenig  in  bie  Slugen  fallenben  aber  feht  wichtigen 
Unterfchieb.  ,£>ier  wirb  auf  einmal  ba8  Sicht  »on  bet  rechten 
Seite  genommen.  Betmöge  bet  fpmbolifirenben  Slrt  Äaulbach’8 
ift  bie8  nicht  ohne  Sebeutung,  fonbern  weift  auf  eine  tiefet 
liegenbe  3ntention  be6  ÄünftlerS  h*n-  @°  wenig  im  etften 
^»auptbilbe  bet  mobetnen  ©ntwicfelung , in  bet  ^mnnenfdjlacht, 
ber  Untetfchieb  gmiichen  bem  wunberbaten  Sichte,  ba8  »om  üreuge 
auSftrahlt,  unb  bem  natürlichen  SageSlidjte,  ba8  hinter  bem 
(Soloffeum  hwabfinft,  al8  bebeutungöIoS  etfcbeinen  fann,  eben  fo 
wenig  batf  jener  Sidjtwechfel  im  lebten  ^auptbilbe  bet  iffieltge» 
fchichte  al8  gufäüig  angefehen  werben.  Bielmehr  wie  bott  ba8 

PW 


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11 


natürliche  liefet  ben  Untergang  beS  clafftfchen  9llterthum8  fpmbolifch 
auSbrücft,  fo  bebeutet  hier  ba8  2id)t,  welches  baö  fReformationS* 
bilb  erhellt,  unb  auf  bet  feef  emporgeworfenen  Stirn  be8  großen 
griebridj  fi<h  fammelt,  ba8  Sicht  ber  ©egenwart  unb  3ufuuft: 
e8  bricht  mit  bem  Sichte  bet  Vergangenheit,  ber  hiftorifchen  Ueber» 
lieferung.  SÖährenb  in  ben  fünf  anbern  $auptbilbem  be8  hiftorifchen 
GpfluS  eine  gewiffe  3leu§erlichteit  ber  3eitanfcbauung  überall 
burchfcblägt,  unb  Äaulbach’8  biafritifche  fRatur  einen  breiten  (Spiel* 
raum  h°t,  wirb  hier  oorjugeweife  bie  SpnfrifiS  in  ©lauben, 
SBiffen  unb  Äönnen  bargeftellt,  b.  h-  bie  Durchbringung  be8 
Innern  unb  Puffern,  be6  3bealen  unb  SRealen,  be8  auguftinifchen 
unb  pelagianifchen  ©eifteS.  Sleufjerlid)  betrachtet , fonbert  fidh 
alfo  bie  ganje  (Sempofttion  in  3wei  gleiche  Hälften,  bie  antife 
unb  bie  moberne  3ett,  wooon  febe  an8  brei  ^auptbilbern  befteht; 
innerlich  trennt  fte  fi<h  aber  in  jwei  hörhft  ungleiche  ^alften,  bie 
burch  ihren  3beengehalt  allein  fidj  ba8  Gleichgewicht  haMen,  baS 
ailterthum  unb  SRittelalter  einerfeitS,  unb  bie  neuere  3eit,  unb 
bie  erfte  Jpälfte  befteht  au8  fünf  ^jauptbilbern,  bie  anbere  aber 
an8  einem  einzigen.  3ene  merfwürbige  ©rfdjeinung  be8  Sicht* 
wehfelS  bebingt  bemnach  im  6p!(u8  ber  SBeltgefchichte  bie  wichtige 
Uuterfcheibung  einer  innerlichen  ober  efoterifhen  oon  ber  äufjet* 
liehen  ober  eroterifdjen  ©lieberuitg  be8  ©anjen  unb  beweift,  wie 
in  ber  ©ompofition  ber  einzelnen  Silber,  fo  auch  im  ©runbplane 
Äaulbadj’8  fDtangel  an  fünftlerifcher  Durdjbringung  oon  3nnerem 
unb  Sleuherem,  oon  ©ebanfenform  unb  Bormgebanfe®). 

Denfelben  Unterfchieb  erfennett  wir  in  ber  ©intljeilung  einet 
jeben  ber  beiben  SEßanbe.  gut  bie  epoterifche  Slnfchauung  ftnb 
tinfs  bie  Slüthe  ©rtechenlanbS,  rechts  bie  Äreujfahrer  ba8  SRittel» 
glieb  jwijchen  beiben  (Sptremen;  für  ba8  efoterifche  Serftänbnifj 
aber  finb  fie  eben  fo  wenig  bie  SRittelpunfte  ber  ßompofition, 
als  im  Silbe  oon  ber  Sßlferfcheibung  bie  Figuren  be8  üRittel* 
grunbeS  unb  bie  mittlere  ©ruppe  be6  SorbergrunbeS  bieje  Se* 

(»19) 


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12 


beutung  fyaben,  fonbern,  wie  in  jenem  Hauptbilbe,  baS  ade  anbem 
einleitet  unb  begriinbet,  bie  SHngelpunfte  bet  (Jompofitiou  offenbar 
in  bie  beiben  ©jrtreme  gelegt  finb,  nämlidj  in  ben  25ualiSmuS  bet 
auguftinifdjen  ©emitengruppe  unb  bet  pelagianifdjen  ©ruppe  bet 
3apfietiten,  fo  finb  biefe  fdjeinbaren  SRittelgliebet  beS  CSpfluä 
eigentlich  nur  bie  SlnfangSgliebet  eines  fpmmetrifdjen  Slerljält* 
niffeS,  wooon  linfö  bie  Serftßrung  »on  3erufalem  baS  tein 
augufHnifdje,  rechts  baS  JReformationSbilb  baS  auguftinifdj* 
pelagianifdje  ©djlu&glieb  bübet,  während  umgefetyrt  baS  etfte  2ln» 
fangSglieb  bie  pelagianijdje,  baS  gweüe  bie  auguftinifdje  SRidjtung 
»ertritt.  SMefe  oier  Hauptbilber  folgen  paarweife  ben  beiben 
paaren  ber  auguftinifdjen  unb  pelagianifdjen  ©taatengrünber, 
SOlofeS  unb  ©olon,  Äarl  unb  gtiebridj  b.  ©r.;  unb  biefe  »iet 
Hauptfiguren  finb  audj  für  bie  ejroterifdje  wie  für  bie  efoterifdje 
S3etrad)tung  ber  fpmmetrifdfje  5Rittelpun!t  ber  gangen  (5om* 
pofition. 

Ueber  ben  Hauptfiguren  finb  bie  gu  iljten  Häuptern  fdf?we« 
benben  ©eftalten  gleichfalls  paartteife  georbnet:  3ft8  uub  Slpljrobite 
müffen  abwärts  gu  SJtofeS  nnb  ©olon,  Stalien  unb  SDeutjdjlanb 
gu  $atl  b.  ©r.  unb  gtiebrid)  b.  ©r.  begogen  werben,  fie  finb 
beren  abftracte  fProjectionSbilber T).  2>ie  allegorifdjen  9>aare  bet 
©age  unb  ©efdfyidfyte,  ber  3ßiffenfd)aft  unb  ^)oefte  finb  aufwärts 
mit  bem  SlrabeSfenfriefe  gu  oetbinben:  SDie  ©age  mit  bet  SDar* 
fteduug  ber  nernünftig  finnlichen  Sföenfdjennatur  im  Anfänge  beS 
griefeS,  bie  ©efdjidjte  mit  ben  brei  ©chicffalSgotthciten  am  @nbe 
ber  antifen  ©ntwidelung,  welche  gemäfj  ber  bie  fyiftorifdje  Strabition 
»erneinenben  ©runbanfid^t  beS  ÄfinftlerS,  fofem  fie  bem  ©djtrffale 
ober  bem  Untergänge  »erfüllen,  ber  ©efcfyicfyte  anljeimgefaKen  ift, 
ferner  bie  SBiffenfdjaft,  auS  beren  ©djoofje  bet  ©eniuS  ber  9luf* 
flärung  mit  ben  tjeWobernben  gadfeln  emporfd^webt,  mit  bet  5)ar» 
fteHung  bet  mobernen  ©rfinbungen,  beS  SteleffepS,  beS  eleftro« 
magnetifdjen  Slelegrap^en  unb  ber  ©ifenba^nen,  enblich  bie  9>oefie 

(WO) 


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13 


im  greife  bet  ©rajien  mit  bem  @^(u|bilbd)en  oon  bet  bidjterifchen 
aufflörung  in  ©oethe’8  gauft. 

3wifd)en  biefen  ©nbpitnften  bet  beiben  SSänbe  breitet  fich 
in  gmei  ununterbrochenen  [Reihen  ber  arabe8fenfrie8  au8  unb 
folgt  genau  jener  bualiftif^en  ©liebetung  befj  ©anjen  in  ben 
barunter  befinblid^en  Hauptbilbem  unb  Hauptfiguren.  @r  fteHt 
eine  wellenförmige  ©ewegung  bar:  gleich  ber  wogenben  See  heben 
unb  fenfen  fich  gwei  fchöugefchroungene  Linien  bet  arabeSfe  über 
jebem  Hauptgliebe,  unb  am  ©nbe  beffelben  prallen  ihre  SBinbungen 
gegen  bie  nadjfolgenbe  8inie  unb  gipfeln  mit  ihr  wie  gwei  fchaum* 
gefrönte  SBeflen  in  einem  ^)aat  einanbet  gugefehrter  ftinbetge» 
ftalten.  SDiefen  enggebunbenen  SRhpthmuS  ber  arabe8fenlinien 
behenfcht  Äaulbach  mit  ber  freiften  ©enialität:  ihr  Söeßenfpiel 
macht  er  gum  SSummelplafje  „be8  finbifchen  Spieles",  worin  ber 
©rnft  ber  SBeltgefdjichte  fich  fpiegelt.  SDiefe  freien  Äinber  feinet 
9)hantafle  ftnb  t>on  feiner  irbifchen  Schwere  gebrücft,  fie  fufcen 
nicht  auf  ber  feften,  wohlgegrünbeten  ©rbe,  elfenartig  au8  Sicht 
unb  8uft  gewebt,  ftüfcen  fie  fich  auf  bie  ©lütter  unb  ©lüthen, 
huf  eben  burch  bie  [Ranfen  unb  Bweige  ber  SÄrabeBfe.  3«  ihn«H 
gefeiten  fich  »erwanbte  Äinber  ber  fRatur,  bie  Ühwre  be8  SGBalbeS 
unb  ber  Suft,  unb  mifchen  fich  i»  b<*8  he*i«te  ©pW*  5)en  «tb- 
geborenen  2Renf<hen  ahmen  fie  bie  hatmlofen  Äünfte  be8  griebenS 
nach,  aber  auch  3Rorb  unb  Stob,  ©ütgetfrieg  unb  Unterjochung 
fie  fpielen  bie  SBiMürhertfcbaft  ber  orientalifchen  ©efpoten,  bie 
fünfte  unb  bie  SBiffenfchaft  ber  Hellenen,  bie  weltbegwingenbe 
SDiacht  ber  [Römer,  unb  am  ©nbe  treten  bie  furdjtbaren  @dhicffalS- 
göttinnen  auf,  bie  unerbittlich  aße8  Schöne  unb  ©rohe  ber  antifen 
SBelt  bem  Untergange  weihen.  SDo<h  fann  e8  wohl  ben  muntern 
Äinbern  fein  rechter  ©rnft  fein  mit  ber  STobtengrübertoHe  ber 
ate,  fRemefiB  unb  ananfe,  bie  ber  Äünftter  ihnen  gugetheilt  h«i, 
balb  werben  fie  bie  Saft  ber  tragifchen  ©ermummung  abwerfen 

(«0 


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14 


unb  in  einem  onbern  ecbt*ariftopbanifd)en  SSolfenfufufS^eim  ein 
neue«  ©piel  beginnen. 

©djon  fährt  im  3uge  ber  33ölfetwanbeter  bie  germanifdje 
£au8ftau  unb  ergäbt , ben  ©pinnrecfen  in  bet  £anb,  Äinber» 
unb  ^»auflmätdben  ober  bie  Jbierfabel  »on  ben  {Raufen  be8 
{Reinefe  ©ie  bat  tor  ihren  mit  bem  gudfilpelg  überbecften 

Ä arten  ein  paar  fablföpftge  ^Ijilologen  gefpannt,  bie  übet  ben 
Untergang  be8  clajfifcben  ältertljumö  »erlagen  unb  gleid)  ben 
propbetijdjen  Stoffen  beö  2ld}iIIeu§,  bie  intern  £etrn  unb  bem 
©riedjennolfe  Stob  unb  U3erbetben  weiffagten,  bet  mobernen  Söelt 
ein  äbnlicbtö  ©cbicffal  netfünben.  Unb  in  bet  Jbat,  wie  e8  bie 
Solgegeit  lehrt,  Ijat  fie  grofeeö  Unheil  unb  Ungemadf  gu  etbulben, 
©atan  wirft  ben  ©amen  bet  3wietracbt  unter  bie  neubefefyrten 
SBölfet,  auf  ba§  fie  beim  nädjften  Gtrwacben  fidj  auf  Job  unb 
geben  betämpfen,  weil  fie  je§t  nicht  wiffen,  ob  fie  auf  ben 
£omoufio8  ober  ben  ,$omoiufio8  getauft  worben  finb.  2)ie  mittel« 
alterlicben  ©otteäftreiter  muffen,  baö  Äreug  in  bet  ^>anb,  auf 
lahmem  @jel  übet  ben  £etlefpont  fefjen  unb  mit  ßinem  ©cbwaben* 
ftteidje  ©aragenenleibet  mitten  entgweifpalten;  fpifjfiubige  ©tbola« 
ftifet  muffen  mit  feinen  .fränbdjen  auö  ben  {Rofenblfittern  be8 
Äotan  eine  ©Ute  nach  bet  anbern  betauSgieben;  inmitten  bet 
6ngel,  bie  ba§  ^eilige  ®rab  bemalen,  mu|  bie  Sffife  oon 
3erufalem  errietet,  Äaifet  unb  .Könige  muffen  mit  bem  Sann» 
ftrafyle  getroffen,  Äefcet  oetbammt  unb  Jpeyen  »erbrannt  werben. 
Allein  nad)  allen  ben  langen  geiben,  bie  al4  ein  bunfleS  9?er* 
bängnil  baö  itn  Srobnbienft  feufgenbe  ^bilologeupaar  fc^eint 
betaufbefdjworen  gu  haben,  bricht  enblidj  ber  neue  Jag  an:  bie 
©onne  bet  beutfdjen  Stufflarung  bat  ibn  ^eraufgefü^rt , unb  bet 
mobetn«romantif<b«  ®eift  »ermäblt  fidj  in  ©oetbe’ö  Sauft  mit 
bet  wieberetwecften  Slutife. 

2)iefet  Strabeefenfriefl  ift  bie  .Krone  »on  jtaulbacb’S  SBett« 
geliebte,  eine  ?>etle  ber  Äuitft,  welche  nur  btefet  SReifter  bilben 

(Ml) 


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15 


fonnte.  ©ein  frei  fptubelnbet  SBife  jcfelägt  Ijiet  alle  £6ne  Bon 
bet  feinftett  3tonte  bis  gur  fdjneibenben  ©atire  an,  oljue  in  biefent 
luftigen  SBetfe  bet  ^feantafte  burd?  frioolen  ©pott  baS  geinge* 
fühl  gu  Detlefen.  3n  bem  reigenben  Äinberfpiele  löfen  fid)  audj 
bie  Jpärten  BOti  .ftaulbacb's  gebenSanfdjauung  in  SBofelflaug  auf. 
@8  ift  felbft  eine  echte  ©djöpfung  bet  $)oefie,  bie  am  ©cbluffe 
im  fReigentange  bet  ©ragien  erfcbeint,  unb  gugleidj  bie  reife  tfrucfet 
jenes  IRaturftubiumS , baS,  wie  eS  bet  Äünftler  felbft  in  ben 
BteSfen  an  bet  neuen  fpinafotbef  gu  SRmtchm  geftanben  ^at,  in 
5Rom  ihn  bie  clafftfd^cn  3?enfmälet  bet  SBorgeit  Berfennen  unb 
Bergeffen,  in  bet  lebenbigeit  ©egenmatt  aber  ben  tangenben  Söiuget* 
paaren  non  Sllbano  baS  tieffte  ©ebeimnife  feinet  Äunft  ablauftheu 
unb  bie  anmutig  gefdjmungene  Sinie  unb  bie  ©uifeptbmie  bet 
öemegung  mit  58uge  unb  jpanb  etfaffen  liefe.  .£>ier,  nicfet  bort, 
mo  et  nach  manchem  ungeitigen  ©cfeevge  gu  gutem  obet  jcfelimmem 
Snbe  in  feinem  eigenen  Silbniffe  feernortritt,  fönnen  mit  uns 
Borftetlen,  als  träte  Äaulbatfe’S  feine,  gefdjmeibige  ©rfcheinung 
gleicbfam  in  einet  ariftopbanifefeen  ^atabafe  unS  gegenüber,  als 
mürbe  er  ben  9>elgmantel  auSeinanber  f plagen,  fdjalfbaft  Bor  fid) 
bin  lädjeln  unb  gegen  bie  Sefchauer  leicht  ftefe  netneigen  — mie 
ein  ©tbaufpielet,  bet,  feines  (Erfolges  gemife,  am  ©dfelufe  bet 
Äomöbie  fidfe  anfdjicEt  ihnen  guguflüftern:  Älatfä|t  in  bie  #ättbe, 
plaudite  spectatores! 


in. 

23om  ©«berge  menben  mit  unS  gum  Stufte  beS  gefcbidbtlicbett 
ßebenS,  beffen  mächtigen  ^ulSfdjlag  mit  in  ben  fedj&  <£>aupt« 
bilbern  mabmebmen,  unb  bebienen  unS  ba,  mo  eS  nötbig  fein 
mitb,  „beS  tiefen  ©inneS,"  bet  in  jenem  Knbifdjen  ©piele  liegt, 
als  eines  „fotilaufenben  GommentaiS,“  meldjen  eigentlich  bet 
Äünftler  im  gtiefe  unS  barbieten  moQte.  3)a8  erfte,  gtunblegenbe 

^auptbüb,  bie  SSßlfetfcheibung , ftellt  ebenfo  ben  feimftäftigen 

(22*) 


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16 

Anfang  beS  hiftorifchen  2ebenS  bet  ÜJtenfchheit  bar,  wie  eS  felbft 
»on  bet  fchöpferifchen  greube  angehaucht  ift,  mit  »eichet  bet 
Äünftler  bie  Hauptaufgabe  feines  8eben8  begann.  2Bie  in 
feinem  anbettt  Silbe  beS  ©ptluS  burdjbringen  ft<b  hier  3bee  unb 
iSuSbrucf  ju  einet  lebenbigen  ©efammtwirfung,  uertnüpfen  ftd) 
bie  einzelnen  (Gruppen  in  einer  unb  betfelben  Hanblung  unb 
bieten  unter  ftdj  anfchauliche,  nicht  bloS  ibeetle  Sejiehungen  unb 
Uebergänge  bat.  H^r  ift  bet  ©toff  bet  Ueberlieferung  mit 
fünftleriftper  greiheit  geftaltet,  nicht  aber  wiUfürlid)  entfteHt 
ebet  fopljiftifdj  »erbtest.  Siblifch  ift  bie  ©intheilung  bet  9Ra<h» 
fommenfcbaft  9toat)’S  in  ©emiteu,  Ham*ten  unb  3aphetiten,  bie 
©ewaltherrfchaft  9Rimrob’S  in  Sabel  unb  bie  Berftreuung  bet 
Sölfer  beim  Shurmbau.  SDie  Serbinbung  unb  SDRotiüirung  biefet 
btei  Momente  aber  ift  beS  ÄünftlerS  eigenes  SBetf. 

3n  bet  mofaiftpen  ©rjählung  erfd^eint  bie  babplonifdje 
©pratpcetwirtung  als  ein  göttlicher  9Rathf<hlu§,  ber  gegen  ben 
©igenwiDen  ber  in  ungeteilter  Äraft  bimmelanftrebenben  gjtenfch« 
beit  gerietet  ift.  ©iehe,  fpricht  bet  Herr,  als  er  bie  ben  Sabel* 
tljutm  bauenben  2Jtenf<henfinber  gewahrt,  eS  ift  einerlei  Solf 
unb  einerlei  ©pracpe  unter  ihnen  allen;  fte  werben  nicht  ablaffen 
»on  allem,  waS  fie  »orgenommen  haben  ju  thun.  SRach  ber 
©onceptton  ÄaulbafS  ift  3»at  bie  Söffetfdjeibung  gleichfalls  ein 
göttliches  ©trafgericht,  baS  jebodj  nicht  ben  ftrebfamen  ©eift  beS 
Söienfchengefdble^tS  fonbern  ben  tprannifdjen  Uebermuth  eines 
©injelnen  trifft,  gür  bie  SDRenfchheit  ift  bie  Sölferfcheibung  nicht 
ein  ©trafübel  fonbern  — bie  Sölferbefreiung,  b.  h-  ber  erfte 
Slthemjug  in  ber  8uft  ber  greiheit,  womit  bet  erfte  $)ulSfchlag 
ihres  gefch«htlichen  SDafeinS  beginnt.  5Die  nach  treu  9tacen  ge» 
fchiebenen  Sölfer  ergreifen  Sefifj  oon  ber  weiten  Gerbe,  welche 
ihnen  bet  ©djöpfer  jum  SBohnfifce  unb  jum  ©djauplafce  ihres 
©trebenS  beftimmt  hat.  SRach  ihrer  ©igenart  gestalten  unb 
gliebern  fie  ihr  SDafein  unb  SSirfen,  grünben  ftdj  ihren  Herb 

(224) 


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17 


unb  fr  Saierlanb,  fte  $empel  unb  Elitäre,  um  in  »ergebenen 
3ungen  unb  formen  ben  ©inen  ©ott  311  Bereiten,  bet  fie  au8 
bem  ©öjjenbienfte  beö  Scannen  befreite. 

3n  Krümmern  liegen  im  ÜJiittelgrunbe  beö  33il  beö  auf  ben 
untern  ^erraffen  beb  SabelthurmeS  bie  ©efcenbilbet,  bie  Stimrob 
fif  an  ber  ©eite  feines  5tfyrone$  errietet  l^atte.  Son  feiner 
nadjften  Umgebung,  ben  Höflingen  Berlaffen,  wirb  er  bie  3«l* 
ffeibe  iljreS  ©potteS,  ba  er  ber  ©egenftanb  frer  fflauiffen 
gurft  gu  fein  aufgehört  h®t.  ®r,  non  bem  bie  Sibel  .fagt:  er 
begann  ein  gewaltiger  ^errfdjet  3U  fein  auf  ©eben,  ift  ber  otjn» 
mäftigfte  auf  ©rben,  fobalb  ber  ©ine  .jperr  beS  JpimmelS  unb 
ber  ©rbe  naht.  £>ie  Sßlfer  empfinben  biefe  Stcfe:  fie  trennen 
fif  ebenfo  Bon  bem  Slprannen,  tnie  biefer  fid)  Bon  bem  ©inen 
©otte  getrennt  batte,  al8  er  felbft  fif  göttlicher  ©bren  nermafj. 
9lber  auch  unter  einanber  trennen  fidj  bie  auö  ber  ©flaoerei  be» 
freiten  Sßlfer  in  bie  brei  .£>auptftcimme  beß  @em,  «jrjam  unb 
3apl)et,  ber  ©öbne  Stoah’8:  im  Sorbergrunbe  tnenben  fid)  bie 
brei  ,£>auptgruppen  ber  ©emitcn,  .fpamiten  unb  Saphetiten  nad) 
Betfcbiebenen  Stiftungen. 

1.  ©te  SJtittelgruppe  fteöt  bie  ^amiten  bar.  auf  ihrem 
©tammoater  ruht  ber  Bäterlife  gluf:  Setfluft  fei  £am,  ein 
Änedjt  bet  jtnefte  fei  er  feinen  Srübern!  3«  ber  SRitte  gwiff  en 
ben  beiben  Sruberftämmen  gieren  bie  £amiten  Bon  Sabel  fort, 
aber  bie  befreienbe  ipanb  beö  ©inen  ©otteS  erfennen  fie  wicht. 
JDaS  Sranbmal  ber  Änef  teSgefinnung,  be8  craffen  aberglaubenö 
unb  ber  brutalen  ©innliffeit,  ber  ^jinterlift  unb  $ücfe  auf  ber 
lidjtffeuen  ©tirne  tragenb,  Berlaffen  fie  ben  ©ßfcen  Stimrob,  um 
ihrem  ©ßfjcnpriefter  gu  folgen.  6r  ift  ber  3fpu8  beö  bitmpfeften 
aberglaubenö.  auf  bem  tnilben  Süffel  reitcnb,  prefjt  er  ben 
ffeufelifen,  Bierfepfigen  getiff  an  bie  Sruft;  ben  SRantel  über 
bie  ©tim  gegogen,  mit  ftierem  Slicf,  fprift  er  bie  finulofe 
3auberformel.  3«  biefem  Steifer  pafjt  ber  hafelife  Süffel:  et 

xiv.  3t».  2 ms) 


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18 


trägt  Amulette  unb  JaliSmane  am  #otn,  auS  bem  ftruppigen 
©tirnhaar  glofjen  mit  unheimlicher  ©luth  bie  jornwüthigen  äugen 
heroor.  ÜJtit  gurdjt  unb  Sangen  neigt  fid)  baS  Jpamiten^Utäbcben 
»or  bcm  3aubetfprud)e  beö  Schamanen  unb  brücft  ben  ©aum 
beS  priefterlid)en  ©ewanbeS  an  bie  wulfKgen  Rippen,  glühenbe 
©innlidjfett  prägt  fich  in  ben  üppigen  formen  i^re«  ÄörpetS 
aus.  hinter  ihr  h<*  f «bleibt  bie  fupplerifche  älte,  mit  Borge* 
ftrecftem  ärme  lüftet  bie  ßigeunerbejre  baS  über  ben  Äopf  ge- 
zogene ütud)  unb  fchaut  oerftohlen  nach  bem  fdjönen  Saphetiten* 
3üngling  auS.  äuf  bet  anbern  ©eite  beS  Süffels  fchreitet  ber 
bamitifcbe  Ärieger;  an  biefer  ©eftalt  »ollenbet  jebet  3u8  baS  ©e» 
präge  räuberijdber  5£ücfe:  ber  f d?leic^enbe  ©cbritt  unb  bie  lauernbe 
Haltung,  bie  ^etRitid^  geballte  Sauft  unb  ber  gum  btnterliftigen 
®to&  erhobene  ©piefe , bet  fd?eue  Slicf  unb  baö  Derfchmitfte 
Uächeht,  fogar  bie  oereinjelt  wie  an  bet  ©djnauje  beS  Staub* 
thiereö  htroorftarrenben  £aare  bet  Dberlippe.  SJtit  fanatiidjem 
©rimme  fletfcht  hinter  ihm  ber  frauflhaarige  SJtohr  bie  3ähne 
unb  flutet  ben  frommen  ©emiten*Änaben. 

Die  zigeunerhafte  ^amitenbanbe,  bie  ihren  Srübetn  flucht, 
trägt  felbft  ben  »äterlichen  Slud):  @te  werben  fein  bie  ^uedjte 
ber  Unechte  ihren  Srübern.  ©ie  ha&en  nidft  baö  freie  Dafein 
ber  menfthlichen  ©ultur:  ihnen  gehört  nur  bie  thierifche  ©egen wart, 
fie  haben  feine  menfchliche  3ufunft,  feine  Seftimmung.  SEBohl 
haben  fie  ihre  fcagerftätten,  aber  eine  Heimat  unb  ein  Saterlanb 
werben  fie  nitgenbS  finben,  wohl  nähren  fie  ft<h  unb  pflangen  fi<h 
fort,  aber  fie  werben  nie  ben  ^flug  führen  unb  ben  Met  be» 
ftellen,  fie  werben  nicht  burch  intelligente  Arbeit  ihre  Steilheit  fleh 
erwerben,  nicht  $anbel  unb  ©ewerbe  treiben,  nicht  SBiffenfchaft 
unb  Äünfte  pflegen,  ©ie  bilben  nur  eine  Sanbe,  niemals  einen 
©taat  unb  eine  Äirche.  3wat  haben  fie  Steligion,  aber  finb 
nicht  religiös;  benn  baS  Sanb,  baS  ©ott  mit  ihnen  oerfnüpft, 
ift  nicht  SBürbe  fonbern  ÜJtadft,  unb  baS  Sanb,  baS  fie  mit 

<W6) 


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19 


bet  ©ottheit  »er eint,  ift  nicht  ©hrfurdit  fonbern  gurdjt:  jdjlagen 
werben  fte  ihren  gettfch,  wenn  ftc  ihn  nicht  mehr  fürchten, 
ihn  wegwerfen  wenn  er  nicht  ihren  Segierben  bient,  aber  ber 
neue  ©egenftanb  ihrer  Religion  wirb  fein  anbereb  ©öttliche 
fein  fonbern  nur  — ein  anbeter  getifch.  Der  Aberglaube  befreit 
unb  etjieht  nicht  bie  5Jtenf<hen,  er  lenft  fte  nie  auf  bie  Sahn 
ber  ©efdjichte  unb  ©ultur.  Die  ungefchichtliche  Jpamitenhorbe 
fteht  alfo  im  fchatfen  ©egenfaße  fowohl  ju  ber  geschichtlichen 
gruppe  bet  Sapßetiten  ober  titrier  alb  auch  8“  ben  »orgefchicht* 
liehen  ©emiten. 

2.  Den  ©tamm  ber  ©emiten  geftaltet  bet  Äünftler  ju  einem 
frönen  Silbe  beb  patriarchalifchen  griebenb.  Auch  hier  folgt  er 
bib  ju  einem  genau  beftimmten  fünfte  ber  Ueberlieferung. 
Abraham  ift  ber  ©rbe  beb  »äterltchen  ©egenb,  ben  Soaß  feinem 
erftgebornen  ©ohne  ©em  erteilte.  @t  hat  in  ber  Sibel  ben 
zwiefachen  ©harafter  eineb  ©tamm»aterb  unb  pohepriefterb,  ober 
er  heißt:  „Der  Sater  »ieler  Sölfet  unb  aller  ©laubigen".  Un» 
mittelbar  »erfehrt  er  mit  bem  ©inen  ©otte  3eßo»a,  ftiftet  mit 
ihm  einen  Sunb  unb  ein3eichen  biefeb  Sunbeb,  woburch  alle  manu» 
liehen  9iad)fommen  unb  alle  OJtänner  im  Solfe  3ftael  bem  ©inen 
©otte  geweiht  werben.  Die  grauen  aber  finb  ben  ÜRännem 
unterthan  alb  ihren  Herren.  Abraham  oerläugnet  fogar  feine 
rechtmäßige  ©attiu.  Allein  auch  auf  ihr  ruht  ber  ©egen  beb 
Sehooa,  benn  et  »erlünbet  ihrem  ßJianne:  unenblich  wie  bet 
©terne  3®hl  fei  her  ©ame  Abraham’b.  Äaulbad)  entwicfelt  in 
feiner  abrahamitifchen  ©ruppe  beibe  ©runbgüge  ber  biblifihen 
Ueberlieferung:  Abraham,  ben  Sater  aller  ©laubigen  unb  ben 
Sater  »ieler  Sölfer.  Der  femitifche  Patriarch  ift  bie  einzige 
©eftalt  beb  Silbeb,  welche  glaubenbDolI  aufblicft  unb,  nicht  er» 
fdjrecft  butch  bie  bab  ©trafgericht  »oßgiehenben  ©ngel,  ben  ©inen 
»Slferbefretenben  ©ott  »on  Angeftcfjt  ju  Angefidjt  febaut:  ber  auf 
ben  SBolfen  uieberfabtenbe  3eho»a  ift  bie  Sifion  Abraham’b.  A18 

2*  (*27) 


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20 


©tammegfürfi  unb  £oheptiefter  fifct  et  auf  bem  SBagen  bet  aug» 
wanbernben  «Semiten,  gu  ihm  brängt  fidj  bie  männliche  3ugenb 
be8  ©tammeä.  ©egnenb  breitet  et  bie  SRedjte  übet  feinen  ©ol)n, 
bet  ben  Söagen  lenft,  bie  ginfe  übet  jwei  anbte  Sö^ne  beg 
©tammeg,  bie  not  ben  Setwünfdhungen  beg  ^amitif<^en  Slegerg 
an  bie  Stuft  beg  Patriarchen  fließen.  Sieben  bem  3Sagen  f^reiten 
bie  grauen  eintet,  ben  SBaubetftab  in  bet  $anb(  ooran  eine 
SRutter  beg  ©tammeg,  ftolg  auf  ben  teilen  Äinbetfegen , für 
melden  fie  bag  ganb  bet  Serheifjung  ju  gewinnen  hofft-  3»«i 
ftnaben,  bie  fte  auf  ben  breiten  dürfen  bet  cot  ben  abraijamitifdjen 
SBagen  gekannten  Bugsiere  gefegt  hat,  laben  fidj  an  bet  füfeen 
8rud)t  bet  Siebe,  bie  ihr  Sthnoater  9loah  pflangte,  bag  jüngfte 
Äinb  fttecft  barnadh  oetlangenb  bie  $änbchen  aug  bem  ton  bet 
ÜJlutter  getragenen  Äorbe  herab. 

3u  biefem  patriarchalifdhen  ©tillleben  gehören  auch  bie 
Spiere,  bie  alg  ^augt^iere  beg  ÜJtenfdjen  goog  feilen.  3«  bem 
Wüben  Süffel  beg  hamitifdhen  Sauberpriefterg  bilben  ben  pafjenben 
Sontraft  nicht  blog  |bie  gaumen  ©tiere  am  SBagen  beg  Patriarchen 
nebft  bet  .ft ul),  welcher  an  bet  ©eite  bet  abrafyamitifdjen  Plutter 
bag  .ftälblein  ihr  gutter  Dom  Plaule  abäfet;  fonbern  nod)  Diel 
mehr  bie  ^etbe  bet  frommen  ©dfaafe  fpiegelt  bag  pattiardjalifdje 
geben  bet  ÜJtenfchen  ab.  9Rit  bem  Sewufjtfein  beg  @tammeg= 
oberljaupteg  trägt  bet  SBibbet  feinen  ftattlidjen  .ftopffchmucf  unb 
überragt  feine  ipeetbe,  bet  fruchtbare  ©tamm  bet  frommen  gämmer 
brängt  fich  um  il)n  her,  unb  neben  bem  hamitifchen  fRäubet  bucft 
fich  bag  garte  gämmchen  ebenfo  unter  ben  geib  bet  blöcfenben 
SRutter,  wie  bie  9tbrahamiten*jtnaben  oot  bem  wilben  SRohren 
in  biefegnenbenSÄrme  beg  Patriarchen  fließen.  IDieferparalleligmug 
gwifdjen  bem  SL^tet*  unb  3Renf<henlebeu  tritt  hier  nicht  ftßrenb 
aug  bem  Gharafter  ber  (gruppe  tjeraug,  fonbern  DoHenbet  bag 
liebliche  Silb  beg  pattiatchalifchen  füatutlebeng. 

25er  ©tamm  9lbtaham’8  ha*  nicht  bie  locfere  gorm  ber 

(228) 


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21 


£amitenbanbe,  er  ift  eine  gef  ^offene  gamiliengenoffenfd^aft , er 
hat  eine  3ufunft:  in  t^m  ift  gunächft  bie  abger unbete  gorm  beß 
mofaifchen  ©taateß  »orgebilbet.  2Uß  SBanberhirten  »etlaffen  bie 
IHbrahamiten  baß  ©tromlanb  gwifdjen  Stigriß  unb  ©uphrat  unb 
gieren  weftwärtß  in  bie  ftromlofen  unb  waibereichen  ©teppen» 
flächen  beß  £auran.  @<hon  erreichen  bie  ©bräer  bie  ©ebirgßau 
9>aläftina.  ^iex  wachfen  fte  unb  »ermehren  fid)  unter  bem  »ater« 
lieben  ©egen  bet  Patriarchen  Sbraham,  3faaf  unb  Safob,  aber 
bie  £>irtenftämme  3frael  finben  noch  nicht  ihre  ^eimath*  in 
Paläftina:  um  ihren  Kornbebarf  eingutaujehen,  giehen  bie  groölf 
©ohne  3afob’ß  weiter  nach  SBefteu  in  baß  reiche  tSegppten  unb 
treten  in  ben  grohnbienft  ber  Pharaonen-  3n  ber  ©chule  ber 
Reiben  werben  jejjt  bie  gwölf  ifraelitifdjen  ©tämme  baß  93  o IC 
Sfrael:  ba  erwäcbft  ihm  ber  grojje  Piann  feiner  ©efdjichte,  ber 
ihm  feine  3ufunft  unb  Seftimmung,  bie  erfehnte  c^eimath  unb 
baß  Staterlanb  gibt,  unb  auf  ben  eß  hiuwiebetum  3ahrhunberte 
nachher  entftanbene  ©inrichtungen  feines  93olfS=  unb  ©taatß» 
lebenß,  feine  gange  nationale  3nbi»ibualität  gurncEführt,  um  biefen 
bie  Autorität  ber  göttlichen  Offenbarung  unb  jenem  ben  ©lang 
beß  fRationalhelben  gu  fichetn.  SDenn  wie  ber  Patriad)  Abraham 
»erfehrt  ber  ©efefcgebet  Ptofeß  auf  bem  ©inai  unmittelbar  mit 
bem  ©inen  ©otte,  unb  wie  jener  nut  für  feine  männlichen  9iad}* 
fommen  mit  3ebo»a  einen  5Bunb  ftiftet,  fo  finb  im  mofaifchen 
©taate  aQe  Piänner  „baß  unmittelbare  ©igenthum  ober  ber 
Älernß  beß  3eho»a,  ein  priefterlic^  Königreich  unb  ein  heiligeß 
ä?olf."  «uch  ber  ©runb  unb  ©eben  in  Paläftina  ift  ^eiliges 
8anb,  baß  ©igenthum  beß  3eho»a,  unb  bie  Sfraeliten  finb  nur 
feine  Pächter;  baljer  fie  ihren  ©runbbefifc  nicht  auf  immer  »er« 
laufen  bürfen  unb  bem  3et)o»a  ober  ben  ©tammeßgenoffen  beß 
Propheten  »om  ©inai,  ben  8e»iten,  alß  einen  Padjtginß  »om 
©rtrag  ihrer  ©rnten  ben  3ehnten  entrichten  müffen.  ©er  tfl  cf  erbau 
ift  alfo  bie  töafiß  unb  baß  SBeroufjtfein  ber  unmittelbaren  äter« 

(*89) 


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22 


einigung  beß  33olfeß  Sfrael  mit  bem  ©inen  jftationalgotte  3eb<?o<« 
ift  bie  Seele  beß  mofaifchen  Staateß. 

.ftaulbacb’ß  Semiten  «©tuppe  ift  in  biefer  gwiefachen  33e* 
giehung  ber  Prototyp  beß  mofaifchen  fRatur*  unb  ©otteßftaateß. 
SDcr  2lcferbau  wirb  butd)  baß  ©efpann  ber  gabmcn  Stiere  uot» 
gebilbet,  bie  cinft  ben  Pflug  gieren  werben,  wie  fte  jefct  bem 
außwanbernben  Patriarchen  bienen.  SDet  SBetnbau  ift  butcb  bie 
Strauben  angebeutet,  welche  bie  Knaben  auf  bie  Sßanberfaijrt 
in  baß  gelobte  Sanb  mitnebmen.  SDie  abrabamitifche  ^außfrau 
wirb  im  mofaifchen  Staate  einen  feften  $erb  unb  eine  ftetige 
Ramilienfitte  grünben,  unb  am  Spinnrocfen,  ben  fte  jefct  im 
Äorbe  trägt,  für  bieÄleibung  ber  ^amiliengenoffen  forgen;  hoch 
wirb  fte  ihrem  ©atten  nicht  minbet  untertban  jein,  fonbern  non 
ibm  alß  einem  priefterlicben  £errn  gefauft  werben,  unb  bet  jtauf» 
preiß  ungefähr  gleich  gro§  fein  wie  ber  eineß  leibeigenen  jfned)teß. 
©nblid),  wfe  jejjt  bie  £änbe  beß  Patriarchen  ben  göttlichen  Segen 
über  SQlänner,  SBeiber  unb  Äinber,  übet  bie  gerben  ber  (Rinber 
unb  Schaafe  außbreiten,  wirb  auch  bie  mofaifche  ©otteßberrfchaft 
baß  gange  33olfß»  unb  Staatßleben,  fogar  bie  £auß*  unb  Stafel» 
orbnung  ber  3uben  biß  in’ß  ©ingelfte  unb  Äleinfte  regeln  unb 
bebertfd)en. 

2llß  ein  patriarchalifcber  ©otteßftaat  trat  baß  jübiiehe  3?olf 
auf  ben  Schauplafc  ber  ©efcbichte,  machte  aber  auf  biefer  Sahn 
nur  ben  erften  Schritt  ober  einen  Anfang,  ohne  ihn  gum  Bert* 
gang  unb  ©nbe  weitergubilben,  weil  eß  fein  gangeß  SDafein  auf 
ben  unbebingten  3wfa™«nenbang  mit  ber  ©ottbeit  grünbete. 
©ott  ift  ber  unceränberlich  gute  ober  ootlfommene  ©eift,  bet 
SRenfcb  aber  ift  »erbefferlich  ober  perfectibel  nur  babureb,  ba§  er 
»etänberlich  ift.  SBirb  bie  unwanbelbare  SBütbe  ber  ©ottbeit 
unmittelbar  bem  menfcblichen  Streben  aufgeprägt,  fo  ift  biejem 
bie  eigene  SBürbe,  bie  perfectibilität  ober  ©ulturfäbigfeit  ge» 
raubt:  eß  wirb  tnpifch  gleich  ben  ©attungßtppen  ber  organijehen 

(230) 


B. 


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23 


t 


9Jatur.  3n  allen  ©ulturgebieten  mürbe  oon  ben  3uben  ein 
Anfang  gemalt,  aber  buttfe  bie  religiöfe  Autorität  ber  gortftferitt 
gehemmt.  SDer  Atferbau  fonnte  im  mofaiicfeen  Staate  nicfet  frei 
ficfe  entmicfeln,  »eil  aflefi  ©runbeigentfeum  gleitfefam  ein  ÜJiajorat 
bet  ©ottbeit  mar,  eben  fo  menig  $anbel  unb  ©emerbe,  meil  nur 
bet  ^atbtginß  erlaubt,  baß  unentbehrliche  SDRittel  beß  menfcfelicfeen 
SSerfeferß  aber  gut  Unfrucfetbarfeit  »erbammt  mar.  3)er  ibeale 
Auffcfemung  beß  fünftleriftfeen  unb  miffenfcfeaftlichen  ©eifteö  mar 
in  einem  SBolfe  gelahmt,  baß  ben  patriarcfealijthen  Autoritätß» 
glauben  Abrafeam’ß  alß  bie  Slütfee  beß  menitfelicben  Gebens  fcfeäfete 
unb  bie  SDarfteflung  ber  ©ottbeit  im  Silbe  oerbammte.  Selbft 
in  ber  Religion  ift  eine  tppift^e  Scbranfe,  bie  erft  com  ©briften9 
tbum  burdfebrocben  marb.  3n  feiner  ©otteßibee  erreichte  eß  gmat 
bie  bÄdjfte  Sßernunftform , melcfee  bte  »ottbrifllidjen  ©ulturoölfer 
anftrebten;  aber  in  ber  Anficfet  übet  bie  Stellung  beß  ÜJtenicfeen 
jur  ©ottbeit  mar  eß  ebento  befangen  burtfe  ben  abrabamitifcben 
Autoritätsglauben,  mie  in  ben  anbern  ©ebieten  beß  ©ulturlebenß. 

3?er  Autorität  gab  eß  ben  unbefcbränften  Sortang  »ot  bet 
Sernunft,  mäbrenb  natb  ber  auguftinifcfe«(feriftlicfeen  gefere  jene 
nur  ber  3eit  natb  baß  erfte  fein  batf,  in  SBaferfeeit  aber  bie 
Priorität  ber  SBernunft  gebührt.  Sein  particulariftifcfeer  Stolg 
mar  eß,  nicht  bloß  baß  33olf,  fonbern  ber  Änecfet  ©otteß  gu 
beifeen:  eß  mar  nidjt  ber  Änecfet  feiner  Srüber  mie  bie  #amiten, 
aber  ber  Änecfet  feineß  fJiationalgotteß,  für  beffen  SDienft  eß  fitb 
unbebingt  opferte.  SDurcfe  biefen  fnechtiftben  §)articularißmuß  ift 
eß  mäbrenb  ber  mefer  alß  taufenb  Safere  feiner  nationalen  ©yifteug 
ebenfo  ftationär*tppif<h  gemorben,  mie  bie  SRaturtppen,  an  benen 
mir  feeute  nicht  bie  geringfte  Seränberung  mafernebmen,  menn 
mir  fie  mit  bem  SBeigenforn  unb  ben  ©ranatäpfeln,  ben  SDatteln 
unb  Celgmeigen  oergleicfeen,  roelcbe  in  ben  oieltaufenbjäferigen 
©rabftätten  Aegoptenß  unb  in  ber  oulcaniftfeen  Afcbe  oon  Pompeji 
außgegraben  mürben.  5öie  ber  Utfprung  biefer  organiicfeen  Sippen 

C*M) 


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24 


nidjt  burd)  eine  ftetige  (gntwitfelung , fonbern  burd)  Umprägung 
erflärt  wirb8),  fo  tft  baß  ©ijriftentfjum  nur  burd)  Umprägung 
beß  ftarren  jitbifdjeit  Üppuß  bie  SßoQenbung  beß  mofaifdjen  ©e* 
fejjeß  geworben.  @8  felbft  aber  ift  alß  ein  ©runbelement  ber 
mobetnen  ©ultur  itid)t  wie  bie  patriardfalifdjen  fftaturformen  be8 
Dricntß  ©egenftanb  einet  naturgcfdüdjtlidjen  Umprägung  fonbern 
einer  meiifcpcngefdjidjtlidjen  ©ntwitfelung.  <Der  jübifdjc  Slppuß 
im  engem  Sinne  beß  SöorieS,  b.  lj.  bie  Stabilität  ber  mofaifdjen 
SEljeofratie  ift  alfo  Weber  ba8  u tt  = qefdjiefctlic^e  55afein  ber  wilben 
$amitenl)orbe  nod)  ba8  gefd)id)tlid}e  geben  bet  eigentlidjen  ©ultur» 
oölfer,  fonbern  er  ift  oon  n i cb t » gef d)i d) tl ic^er  Ülrt;  ober,  fofetn 
er  gum  Gft)riftcntl)um  umgeprägt  worben  ift,  bie  3uben  aber  nid)t 
felbft  bie  fraget  beffelben  geworben  finb,  fonbern  eß  nur  auf 
bie  gefd)id?tlidjen  $>ölfer  befonberß  ber  germanifdjen  iRace  über« 
liefert  ljaben,  nimmt  er  eine  oor*gefd)id)tlid)e  Stellung  gu  ber 
edjt=menfd)lidjeu  (Sultur  ein. 

Äaulbads'ß  abral)amiten*©rnppe  ift  alfo  ber  s})rototnp  beß 
oorgefdjidjtlidjen  SEppuß  ber  3uben,  wä^renb  ber  nidjfcgefdjidjtlidje 
©tjarafter  ber  fpegififd)*orientalifd)en  Sßßlfer,  wie  bet  $inbu  unb 
&egppter,  ®ffpter  unb  Werfer,  nid?t  in  ben  .pauptbilbern,  ionbern 
nur  in  ben  2trabe8fen*fpilaftern  gut  ©arftellung  fommt.  Allein 
ift  fie  bieß  bloß  für  bie  ijraelitifdjen  Semiten?  35ie  Araber  ge* 
fyoren  gu  berfelbett  SRace,  unb  im  fünften  ^pauptbilbe  unb  in  bem 
entfpredjcnben  Steile  beß  gtiefeß  unb  ber  ^>ilafter  erfdjeint  ber 
3ßiam  ober  bie  arabifdpe  SEtyeoftatie  im  Äampfe  mit  ben  djrift« 
licken  ©otteßftreitern.  Sollte  uid)t  aud)  fie  in  ber  Semiten« 
©nippe  tfyren  fPrototpp  finben? 

fRadj  bet  Uebetlieferung  ber  Söibel  unb  beß  jtoran  ift 
abra^am  „berSater  uieler  SBölfer"  «ic^t  nur  für  bie  ifraelitifdjen, 
fonbern  aud)  für  bie  ifmaelitifdjen  Semiten,  bie  'Ätaber:  ba  fie 
oon  3fmael,  bem  erftgebomen  Soljne  abratyam’ß  ftammen,  fommt 
tljnen  fogat  baß  Sorrent  ber  ©rftgeburt  gu,  worauf  bie  orienta« 

(3S2) 


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25 


Itfcben  Statur»  unb  ©ottebftaaten  gegrünbet  finb.  fftach  ber  2?ibel 
»ethetfjf  3e^oca  auch  bem  SBüftenfohne  3fmael  ungählbare  9ladi« 
fommen.  3m  ©inne  beb  3elam  ift  Abraham  gleichfatlb  „ber 
IBater  aller  ©laubigen",  b.  h-  bet  rechtgläubigen  ÜJtoflimen.  'Audi 
nach  bem  Äoran  ift  er  ber  unmittelbare  SSertraute  beb  £errn, 
bet  Setehrer  beb  ©inen  ©otteb,  „aufjer  bem  fein  ©ott  ift,  ohne 
beffen  SBiHen  Äeinev  bei  ihm  »ermitteln  fann,"  wie  ber  2bton* 
»erb  aubfagt.  äbraham  ift  alfo  nad)  bet  2lnftd)t  beb  Propheten 
»on  fffteffa  weber  3ube  noch  @hrift(  fonbern  bet  erfte  ortl>obo,re 
SJioflim.  23iS  gu  biefem  fünfte  fleht  Äaulbadi’b  Slbrahamiten* 
©ruppe  im  ©inflang  mit  ber  Uebetliefcrung  beb  Äoran  unb  ber 
Sibel;  felbft  bie  Untetorbnung  bet  grauen  ftimmt  mit  ber  ara* 
bilden  $>olpgamie  übetein. 

9lbet  »on  hie*  an  »erfolgt  feine  ©arftellung  eine  anbere 
0iid)tung.  2)ie  Srud)tbarfeit  unb  ©innenfreube,  bie  in  bet 
abrahamitifchen  £aubfrau  unb  ben  Trauben  effenben  Üinbern 
»eranfchaulicht  ift,  bleibt  in  ben  ©dnanfen  beb  patriarcbalijcben 
gamiliengefühlö  unb  einer  nai»en  ©innliddeit,  fie  ift  nicht  jene 
glühenbe  ©innenluft  ber  rechtgläubigen  SRoflimen,  bie  gur  2obebluft 
wirb,  weil  tm  heiligen  ätampf  unb  SLob  bie  frommen  bab 
»Parabiebgu  erwerben  hofften,  wo  nach  bcräßerheiffung^tohammeb’b, 
fie  auf  golbburchwirften  fPolftern,  unter  bornenlofcm  üotob  unb 
bichten  Sananenbäumen  bei  immer  fliefsenbem  Söaffer  lagern, 
unfterbliche  3ünglinge  ihnen  23ed>et  SSJeineS,  ber  ben  (Seift  nicht 
trübt,  barreid^en,  unb  nie  alternbe  3ungftauen,  bie  |)urib,  ihr 
fcohn  fein  feilten  (56.  ©ure).  ferner  fjat  Ä’aulbad)  jeben  3ug 
ber  biblifdjen  unb  arabifdjen  Uebcrlieferung,  ber  bab  patriarchalifch» 
friebliche  ©epräge  ber  ©ruppe  hätte  »erroifchen  ober  flöten  fönnen, 
mit  gleicher  ©orgfalt  »ermieben.  3)er  trabitioneOe  ©egenfafj  ber 
©attinnen  äbtaham’b,  «£>agar  unb  ©atah,  unb  ihrer  ©ohne, 
3faaf  unb  3fmael,  ferner  ber  Sogenidmhe  in  ber  SBüfte,  wie 
3fmael  in  ber  93ibel  genannt  wirb,  finb  in  Äautbach’b  ©ruppe 

{23») 


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26 


nicht  $u  erfennen.  ©ein  Slbraffam  ift  aucff  nidjt  baS  tppiftffe 
SORufterbilb  für  jene  ftiegerifcffen  ©laubenSboten  beS  38lam,  bie 
für  beit  ©inen  ©ott  Slllaff  baS  ©cffwert  ergriffen,  im  raffen 
Siegesläufe  ®fien  unb  Slfrifa  burdjgogen  unb  ben  $albmonb  in’§ 
Her$  beS  cfcriftlicffen  ©uropa  trugen.  SDiefer  arabifcfce  FanatiS« 
muS  ber  fPropagauba  ffat  in  ber  ©emiten»@ruppe  ebenfowenig 
einen  2luSbrucf  gefunben  als  fein  ©egenfaff,  ber  fpecififcff  jübtfcffe 
Fanatismus  ber  ftaffinität  ober  beS  geibenS  für  bie  0fteinljeit 
beS  nationalen  SeffooabienfteS:  jenen  ffat  Äaulbacff  nur  im  FrieS 
nnb  ben  $>ilaftern,  biefen  erft  neben  bet  Hauptfigur  beS  SJtofeS 
in  zwei  fnieenben  ©eftalten  beutlicff  auSgepräpt. 

SBeffer  fommt  e§  nun,  baff  bet  Äünftler  in  bet  Slbraffa* 
miten*@ruppe  biefe  fdbarf  gezogene  ©renjlinie  feftgeffalten  unb 
in  ber  ©eftalt  beS  crientalifcffen  Stomabenfürften  „ben  33ater 
Bieter  SBclfer"  offne  bie  orienialicffe  ©inniidjfeit,  „ben  Skater 
aller  ©laubigen"  offne  ben  femitifcffeu  Fanatismus  ber  Straber 
unb  ber  Suben  oeranfcffaulicfft  ffat?  Offenbar  ffat  et  bieS  nicfft 
aus  bet  UebeTlieferung,  meber  aus  ber  Sibel  notff  bem  j?oran 
gefdböpft,  fcnbern  auS  ber  eigenen  gebenSanfcffauung,  bie  et  wie 
GorneliuS  mit  ©oetffe  tffeilt,  als  bem  oon  beiben  anerfannteu 
Haupte  ber  teutfdien  ifluffldrung:  Äaulbacff’S  §lbraffamiten*@ruppe 
ift  rein  anguftinifcff. 

3.  ©ben  fo  rein  pelagiani  icff  ift  bie  gegen ftberfteffenbe  ©ruppe 
ber  ^apffetiten  ober  ber  inbogermaitifcben  Stare.  Stur  fie  fcfflägt 
entfdiieben  bie  Sticfftnng  oon  ber  Sinfen  jut  Stecfften  ein  unb 
betritt  juerft  ben  2Beg  ber  gefcfficfftlicffen  ©ntwicfelung,  ber  in 
ber  Steiffenfolge  ber  Hauptbilber  burcff  biefe  Stiftung  bezeichnet 
ift,  fie  allein  Berrätff  aucff  feine  ©pur  einer  teligiöfen  lieber» 
liefernng  unb  ber  Steligion,  fonbern  lebiglidff  ©elbftoertrauen  unb 
BorroärtSftrebenbeS  Äraftgefüffl.  SDaburcff  unterfdjeibet  fie  ficff 
auffaüenb  oon  ben  gläubigen  ©emiten  roie  oon  ber  abergläubifdien 
Hamitenbanbe.  ©lieft  bort  ber  ^atriarcff  in  frommer  ©emutff 

(.234  J 


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27 


jjum  allmächtigen  empor,  fo  wirft  tjier  ber  getmantfcbe  ©eleit«* 
berr,  auf  rafhem  i'ferbe  batwneilenb,  noch  einen  rubig  ftoljen 
©lief  hinüber  auf  beu  ohnmächtigen  $£prannen  fRimrob.  ©eniefjt 
jener  at«  ©nabe  unb  Segen  ber  ©ottbeit  bie  Sülle  unb  Srucbt* 
barfeit  ber  SRatur,  ben  Stieben  unb  ba«  ©lücf  be8  gamilien* 
leben«,  ben  Sfieicbtbum  feinet  beerben  unb  Seinberge,  baö 
Sacbötbum  feines  Stamme«,  fo  fämpft  biefer  mit  ber  SRatur 
unb  erwirbt  ficb  ben  UebenSbebarf  mit  ber  .Straft  feine«  atme«: 
mit  ben  Speeten,  bie  et  in  ber  Uinfen  trägt,  bat  er  ben  Söwen 
unb  ben  ^)autber  erlegt,  um  mit  ihrem  Seil  ben  eigenen  unb 
feine«  fRoffe«  8etb  ju  beefen,  ben  .^elmfcbmucl  bflt  er  wie  fein 
©eleitägenoffe  bem  wilben  Ut  unb  ©ber  geraubt.  ©r  ift  alfo 
ber  ritterliche  Säger,  aber  nicht  ein  tRimrob,  jener  „gewaltige 
Säger  oor  bem  $errn",  ben  mir  übet  bem  Sabeltburm  im 
ÄinbeTfpiele  be«  Siiefe«  auf  bem  IRücfen  eine«  SRenjcpen  reiten 
feben.  @t  ift  fein  orientalifdjer  JDefpot  fonbern,  al«  ber  ©rfte 
im  freien  23etein  ritterlicher  ©enoffen,  ift  er  ein  germanifdber 
Sürft  unb  gleicht  bem  Dboafer  unb  jenen  „germanifeben  Saffen« 
brübern",  bie  ber  Zünftler  im  Srie«  über  ber  ,£mnnenfcblacbt 
ebenfo  mit  SSbietfeHen  befleibet  unb  mit  betfelben  natürlichen 
£elm§ier,  bem  germanifeben  äbgeicben  be«  Ur»  unb  ©berfopfe«, 
gefchmücft  bat-  teilet  baö  eble  Stbier,  ba«  bie  9iatur  für  ben 
freien  9Rann  gefebaffen  gu  haben  febeint:  ba«  ftolje  fRofj  bäumt 
ficb  gegen  bie  SBiDfüt,  aber  ber  funbigen  £anb  unb  bem 
fräftigen  Scbenfelbrucfe  be«  Weiter«  gehorcht  eS  willig  unb  fromm, 
unb  ift  bann  am  fünften,  wenn  bie  unbänbige  fRaturfraft  oon 
bet  menfeblicben  Äunft,  non  ber  3ntelligeng  unb  bem  Sillen 
be«  SRanne«  gegügelt  ift.  ÜRacb  einem  arabifeben  Spricbworte 
ift  bie  {Reitfunft  bie  Schule  bet  Staatfifunft:  ba«  eble  %>ferb 
läfjt  ficb  reiten,  aber  nicht  auf  ficb  reiten,  ebenfo  ber  SDefpot 
will  auf  ben  SRenfhen  reiten,  ber  Staatsmann  aber  — gügelt 
unb  lenft  bie  9Renfd?en  nah  ben  ©eietjen  ihrer  eigenen  fRatur. 

(*»i) 


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28 


2)er  ritterliche  beutfdje  gürit  {ft,  wie  fein  ©egeuftücf  bet 
fcmittfdjc  Patriarch,  eine  tppifche  Jpauptgeftalt,  nicht  in  bem  @inne, 
ba§  er  gleich  bem  3auberpriefiet  ber  $amiten  bloß  bie  @egen* 
wart  abbilbet,  fonbern  fo,  bafj  er  aud)  bie  3ufunft  norbilbet: 
gleich  bem  Patriarchen  hat  er  eine  3«funft,  ja  mit  feinem  »or» 
wcirtöftrebenben  Piutlje  erobert  er  ftch  bie  Bufunft,  unb  fo  fieser 
unb  fühn  er  fein  Pferb  auf  bie  33aljn  beö  hiftorifdjen  gortfdjriteö 
lenft,  ift  er  and?  ber  prototppifche  Plann  ber  3ufunft  ober  beö 
nadjfolgenbeu  gefchidjtlichcn  gebenö.  3efjt  ift  et  freilich  nur  ber 
ritterliche  3ägerömann,  ber  fein  fRofj  ju  tummeln  unb  mit  ber 
wilben  Patur  ju  Jämpfen  »erfteht,  aber,  hat  et  einmal  baö  ganb 
feiner  Seftimmung,  fein  S3aterlanb  fidj  erworben,  wirb  er  ebenfo* 
wenig  alö  et  hier  bloß  auf  bem  Pfetbe  reitet,  fonbern  baö 
Pferb  ju  reiten  »erfteht,  bann  auf  ben  Pienfdjen  reiten,  wie  ber 
©ewaltherrfdjer  Pimrob  im  Äinberfpiel  beö  griejeG  erfcheint, 
fonbern  et  wirb  fein  SBolf  jügeln  unb  lenfen  nach  ber  ©efe^mäfiigfeit 
bet  eigenen  SBolfönafur.  $Der  beutfdje  Peiterömann  cor  bem  3?a* 
belthurm  wirb  alfo  ber  Staatsmann  bet  beutfdjen  Nation  fein. 

38er  ift  biefet  ftolje  23orfämpfet  unb  Pegent  bee  beutfehen 
33o!fe$?  SBeldjer  Ptann  ber  Bunfunft  obet  ber  ©efchichte  ift  in 
ihm  ebenfo  tppifd)  oorgebilbet,  wie  in  ber  9lbrahamiten*Ö!)ruppe 
ber  mofaifdje  Q&otteöftaat?  3ft  eö  Dbcafet?  SBohl  würbe  er,  gleich 
bem  #erulerfftrften  im  Slrabeöfenfriefe  fühn  feine  «panb  auö* 
ftreefen  nach  her  großen  wuchtigen  Ärone  beö  römifchen  PeidseS, 
unter  beten  Saft  ber  fleine  Pomuluö  äuguftuluö  feufjt  unb 
weint.  3lber  würbe  er  fie  antiquiren  unb  ber  fBergeffenheit  an* 
heimfallen  laffen  ober  neben  fids  einen  Pioalen  bulben,  wie  jener 
^»erulcrfürft?  3Mö  ber  Ptann  ber  3ufunft  würbe  er  auf  bie  eigene 
Stirn  fie  btücfen.  ©ber  würbe  fte  ber  pelagianifche  SReiter  auö 
bet  ^ianb  ber  römifchen  .pieratdiie  empfangen,  wie  bet  granfen* 
fönig  Äarl  b.  @t.‘?  — ober  fogar,  wie  ber  Schwabenherjog 
griebtidj  23arbaroffa,  um  benfelben  gehn  ftdj  jum  25ienfte  eineö 
cm) 


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29 


pöpftlitpen  {Reitfnecpteß  erniebriegen  unb  bann  feinen  Unwillen 
im  Äpffpäufet  ober  Unterßberge  »erjcplafen?  — 35et  Scpalf 
Äaulbad)  patte  wäprenb  faft  gwangig  3&pten  alle  SBelt  mpftiftgirt, 
ba  et  fie  hoffen  unb  glauben  machte,  et  werbe  feinen  Silberfreie 
bet  SBeltgefdjicpte  mit  bem  fcplafenben  3ufunftßfaifer  bet  beutftpen 
Sage  frönen  unb  ben  JRotpbart  alß  bie  letzte  Hauptfigur  Äavf 
b.  @r.  gut  Seite  fteUen.  <$t  überrafepte  3)eutftplanb  i.  3.  1864, 
a(8  er  gulept  ber  erwarteten  ©eftalt  beß  römijepen  Äaiferß  grieb* 
titp  beß  ©rften  bie  perrlitpe  ©tfepeinung  beß  nationalen  fPteupen« 
fönigß  griebricp’ß  beß  3weiten,  bem  Helben  ber  beutftpen  Sage 
ben  Halben  bet  beutfepen  Slufflärung  unterftpob. 

griebritp  b.  ®t.,  ber  ötünbet  beß  pelagianifcpen  SBeltftaateß, 
wo  jebet  naeb  feinet  ga^on  felig  werben  füllte,  fiept  allein  unter 
ben  niet  Hauptfiguren  ber  Staatengrünber  in  bem  ooüen  Siebte 
ber  Sufuuft,  weltpeß  oon  bet  {Recpten  gut  Sinfen  perabfällt.  ©r 
ift  alfo  ber  ippifcp  »orgebilbete  fBtann  ber  beutftpen  3ufunft, 
wäprenb  ipm  auf  ber  gegenüberftepenben  SBanb  ber  ©tünber  beß 
auguftinifepen  ©otteßftaateß  5Rofeß  entfpriept  unb  in  ber  Semiten* 
©ruppc  burtp  ben  ^atriarepen  Slbrapam  oorgebilbet  wirb.  2Bie 
fein  ^rototpp  in  ber  Sappetiten  »Wtuppe  ber  Strömung  beß 
geftpicptlicpen  Sebenß  folgt,  ebenfo  entfepieben  wenbet  griebritp 
b.  ®r.  fein  iäntlifc  unb  bie  gange  ©eftalt  bem  neuen  Sage  gu. 
9luf  feinem  SSptone  fipt  ber  rittetlitpe  Äönig  fo  frei  unb  fiepet 
alß  jener  fürftlitpe  {Reiter  auf  feinem  Sftoffe , unb  ber  oberfte 
©tunbfap  feinet  antimaccpiaoellifcben  Staatßlepre:  „SlQeß  für  baß 
ÜBclf,  nieptß  burep  baß  Solf“  pat  eine  gamilienäpnlitpfeit — mit 
ber  {Reitfunft  alß  einer  Scpule  ber  Staatßfunft.  So  ftolg  alß 
jener  baß  Söwenfell  trägt,  fo  föniglicp  fleibet  biefen  bet  H«melin, 
fampfbereit  ftüpt  er  bie  {Recpte  auf  ben  ÜJegen,  unb  aüe  Spann* 
fraft  beß  ©eifteß  unb  Äörperß  fammelt  fiep  in  feinem  Ulblerbticfe, 
ber  im  Sonnenftpein  ber  3«?unft  bie  ©elegenpeit  erfpäpt,  um 
burep  eine  raftpe  Spat  baß  3auberwort  ber  beutftpen  3ufunft 

(237} 


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30 


gu  erfüllen:  fcöge  baß  Schwert  S5eutf<hlanbfi  in  meiner  £anb, 
bann  feilte  in  ber  SBelt  fein  Jtanonenfdju|  abgefeuert  werben 
wiber  meinen  SBiüen.  SDiefeß  2Bort  beß  großen  Hohengollera 
ift  feine  »erflungene  Sage,  eß  lebt  in  jebem  9)reufjenhergen,  eß 
ift  bet  Bauberfcblüffel,  ber  bie  Pforte  bet  beutfd^en  3«funft 
öffnet.  ©djcn  in  einer  3«i<hnung  »•  3-  1852  lä|t  Äaulbad) 
ben  3werg  »em  Unterßberg  mit  bem  3auberfd)lüffel  an  ber 
Äaifergruft  t orbei f (breiten  unb  außbrutfßooU  mit  bem  Seigefinger 
gen  Himmel  weifen,  gleich  alß  wolle  er  bie  baoorftehenben  Äinbet 
bet  ©egenwart  bebeuten:  SBaß  fudjt  it>r  ben  Üebenbigen  bei  ben 
Siebten!  SSitb  einmal  ber  lebenbige  ©eift  beß  großen  griebrich 
aufftehen  unb  ben  gcgücften  SDegen  wiber  ben  ©rbfeinb  ber 
preuf}ifd?en  ©rofimacht  ergeben,  bann  wirb  baß  beutfdje  33olf  bie 
erfe^nte  ©in^eit  unb  ©röfce  erreicht  ftnben ; freilich  wirb  eß  fid) 
bagu  bequemen  muffen,  nad)  ber  ritterlichen  ©taatßfunft  beß 
’itntimachianell  regiert  gu  werben.  55ann  wirb  aber  bie  fampf» 
gerftftete  ©ermania  nidtt  mehr  gleich  bet  abftracten  gigur,  bie 
gu  Raupten  beß  großen  9)reu§enfönigß  fdjwebt , bem  gidjte  beß 
neuen  Slageß  ^albweg  ben  SRücfen  feeren  unb  über  SSüchern 
grübeln,  nicht  mehr  baß  IReichßfchmett  in  ber  ©d)eibe  roften 
unb  adjtloß  bie  fReid^ßfrone  fich  »om  Raupte  ^erabgleiten  laffen. 
©ie  wirb  gleich  bem  großen  griebrich  bie  ©tim  emporrichten 
unb  bem  vollen  £id)te  ber  3ufunft  juwenben,  ben  grünen  ültantel, 
ber  jefjt  wie  leere  Hoffnungen  ihre  SRechte  einhüllt,  wirb  fie  ab* 
werfen  unb  im  lichten  ©tahlgewanbe  heroorfchreiten,  bie  unirucbt* 
bare  ©rübelei  ablegen  unb  ben  34  köpfen  beß  SJunbeßtageß,  bie 
gu  ihren  güfeen  ftnnloß  burcheinanbet  fchreien,  ©chweigen  ge- 
bieten, bie  Ärone  beß  „einigen  ©eutfchlanb",  bie  jefct  unter  bem 
SRuneuftab  ber  „©age"  am  SBoben  liegt,  wirb  fie  aufheben  unb 
baß  blanfe  {Reicbßfchmert  foweit  außftrecfen, 

$11«  bie  beutle  3“wge  Ringt 

Unb  ©ott  im  Himmel  lieber  fingt.») 

(M8) 


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31 


£aben  wir  ben  SJtann  bet  ©efchichte,  ten  ©tammoatet 
bet  mobetnen  tSuftärung  in  Äaulbatb’8  inbegermaniichet  göltet* 
gruppe  etfannt,  io  wirb  auch  ber  3üngling  bet  ©ejchtcbte,  bet 
$)rototpp  bet  antifen  Slufflärung  nicht  ferne  fein.  Die  heüenifche 
Silbung  oertritt  bie  ewige  Sugenb  in  bet  ©efchidjte,  unb  in  bet 
heßenifchen  Äunft  ift  SJpollon  ihr  ooQenbeteS  sSbbilb.  Salb  wirb 
Äpotl  alö  gpmnaftifch  gebildeter  Grphebe,  alS  unbefleibetev  jura 
3üngling  hetanreifenber  Änabe  mit  gel’cheiteltem  Jpaar,  ba§  längö 
bet  ©tim  jurüdgeftrichen , in  leisten  Torfen  übet  ben  Staden 
maßt  unb  burdj  bie  ©tephane  jufammengehalten  ;witb,  balb  auch 
im  reifen  SünglingSalter  al8  ÄatlinifoS,  als  bet  jdjöne  ©ieget 
im  eblen  Äampfe  abgebilbet,  wie  im  oaticanifchen  Apollo,  Daun 
fällt  nut  bet  leiste  jtrieggmautel,  bie  (5^lamp§  über  ben  Stüden 
herab  uub  auf  ben  auägeftredten  Ülrm,  welket  gemäfc  ber  altern, 
bem  Äautbacb  bamalS  (1847)  oorliegenben  (Srtlärung  ben  Sogen 
trägt;  übet  bet  rechten  ©pultet  bängt  ber  unbebecfte  Äöcbet  an 
bem  Sanbe,  baö  fcbräg  um  bie  Stuft  ft<h  fdjlingt.  ©eine  hielte 
oenätb  3om  unb  ©tolj  gegen  ben  l>d^lid>en  Drachen  |>pthon, 
ben  et  fiegreich  befämpft.  Der  ©lieberbau  ift  fchlanf  unb  b od}» 
fttebenb,  bie  Sewegung  rafd)  unb  elaftiidj,  bie  Aörperfotmen 
gomnaftijch  auögearbeitet  unb  fein  anjcbwetlenb.  JflUe  biefe  Büge 
beS  ©pheben  unb  be3  ÄaOinifoS  Slpoflon  finben  fid),  wenn  auch 
mit  fünftlerifcbet  Freiheit  in  ben  eigentümlichen  Bujammenbang 
ber  ©ruppe  oerwebt,  in  bet  j weiten  $auptgeftatt  bet  3apbctiten 
»eteinigt,  in  bem  frönen  3üngling,  bet  bie  SJtähne  beö  fchnellen 
^äfetbeS  ergreift  unb,  mit  ihm  in  bie  Söette  laufenb,  oon  Sabel 
weg  unb  bem  3iele  feines  gefcpicbtlichen  ©trebenö,  bem  beflenifcben 
Satetlanbe  entgegeneilt.  SJtit  bem  Pfeile , bet  in  feinem 
Äöcher,  unb  bem  Sogen,  bet  in  feiner  ^>anb  ruht,  ba*  bet  fern» 
tteffenbe  3äger  ben  Sogei  in  ber  Suft  erreicht  unb  mit  bem 
©iege^eidjeu,  bet  zierlichen  gebet  feine  Soden  gefdjmüdt.  3otnig 
jucfen  bie  Stauen  unb  ftolj  häufeln  ftdj  bie  Sippen,  ba  fein 

(*J9) 


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32 


gro§eö  fcunfleß  2luge  ben  päfclicpen  SDradfeit  — bie  3*Seuitcr^eJ:e 
trifft.  3)ie  feingejcproungenett  fnappangegogenen  Linien  feineö 
Äcrperö  contraftiren  mit  beit  finnlic£>  flrojjtnben  formen  ber 
Jpamitenbirne. 

©iefer  eble  unb  fdjöne  apoUino  ift  ber  Prototyp  ber  pelle- 
nifcpen  «Ralofagatpie , wie  fein  älterer  SBruber,  ber  germaniftpe 
fReiterSmann,  ber  Urahne  ber  beutfcpen  aufflärung. 

Seibe  jufammen  ftnb  bie  inbogermaniftpen  $)rototppen  beö 
pelagianifcpen,  wie  ber  Patriarch  abrapam  ber  femitifdje  Stamm- 
»ater  be8  auguftinifdjen  ©eifteS. 

Unb  baS  ganje  ©Üb  »on  ber  SSölferfcpeibuug  bebeutet  ba8 
auSemaubergepen  ober  bie  ©iafrifiö  beö  auguftinifcp-pelagiamfchen 
SOienfdjengeifteö  in  ber  9Beltgefd)id)te. 


3Vnmcrkimgrn. 

1)  Uefcer  bie  Unterftbeibung  einer  auguftinifcpen  unb  pelaginifcpen 
iKidjtung  in  ©oetpeftpen  ©icptungen  Bergt.  8.  ©icfebrecpt,  ©amarib. 
3aprg.  1861.  ©.  53  ff. 

2)  ©er  23erf.  erlaubt  ftd> , auf  feinen  23ortrag:  ßorneliu«  unb 
Äautbacp  in  ihren  8iebling8ircrfcn,  23afel  1877,  ©.  40,  ju  tertneifen. 

3)  a.  £>.  ©.  48. 

4)  ©otfrieb  Hermann  berichtet  nach  einer  Itnterrebung  mit 
©oetbe  in  ber  (Einleitung  ju  feiner  StuCgabe  ber  $efabe  be«  6uriptbe8 
B.  3-  1831:  Euripidis  versatile  et  diveraissimis  argumentis  aptum 
iugenium  memini  ante  multos  annos  Goethium  in  sermone  quo- 
dam,  quum  ego  Aeschylum  et  Sophoclem  anteferrem,  multa  cum 
laude  praedicare. 

5)  'Jtacp  einem  ©efpratp  beß  SSerf.  mit  Äaulbacp  1862.  23ergl. 
DrmcS,  'Peter  »on  6orneliu8.  Uebcrf.  B.  Äertbenn  1866. 

6)  SSergl.  b.  23err.  Sßortrag : 6orneliu8  unb  Äaulbacp  in  ihren 
8iebling6t»erfen.  23afel  1877. 

7)  21.  a.  £>.  ©.  44.  Jlnmerfung. 

8)  SSergl.  über  bie  Begetabilifcpen  Sippen:  $eer,  bic  Urwelt  ber 
©cpweij.  3urich  1865.  15  6a».;  über  bie  animalifepen  Sippen:  23  i* 
f rf> of f , bie  ilcrfcpiebenfieit  in  ber  ©cpäbelbilbung  be«  ©oriÜa,  6pimpanfe 
unb  Drang-Utang.  2Jlüncpcn  1867. 

9)  ©iefer  25ortrag  ift  bereits  am  22.  gebruar  1866  gepalten  worben; 
baper  panbett  er  in  ber  gortn  bcS  3ufünftigen  »on  bem,  wa8  jefet  in 
©eutfeptanb  erreiept  worben  ift. 

(240) 


ITrurf  een  <#efrr.  Un^er  (Ify.  (Sirimm)  in  Ccrlin,  «c^üneftcr^eTftrafie  17». 


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Heber 


bie  Tfotur  ber  5lecfyten. 


9iadj  einem  SB ertrag  in  ber  (Manger  ^tiilomat^ie 

(3Jiai  1878) 

Don 

Dr.  M.  ■RtrlS, 

Btoftjfor  ttr  Sctantt. 


mit  |0  in  ben  ffert  gebrachen  ftoljfdjnitten. 


ßtrli»  SW.  1879. 

33  e r I a g »on  (Sari  $abel. 

(C.  <£.  i'nbnili'sdjt  Brtlaosbudjlianbltrj. ) 

33.  Silbtlm.  £tra&t  33. 


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2)ai  !H?<bt  Uft  Uebtrfcfeung  in  frmbe  $prct<ben  »irb  Dcrbfbalten. 


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Stuf  bic  Statut  bet  gleiten  fyai  bie  botanifd^e  gorfdbung 
bet  gwei  lebten  Sahrgeljnte  überrofdhenbeS  £i<ht  geworfen.  ®ie 
gewonnenen  Sluffchlüffe  finb  heute  beratt  gefistet  unb  bie  <£>aupt* 
fragen  foweit  ertebigt,  um  eine  Behnnblung  auch  not  sftidhtfadj* 
leuten  gu  nertragen.  2)a§  fte  eine  fold&e  in  »ollem  9Jio§e  Der* 
bienen,  wirb  bet  freunblidje  ßefer  balb  gugeben. 

2ßa8  bie  Botanifer  gleiten,  Lichenes,  nennen,  baS  finb 
niebete  ipflangenformen  non  gumeift  fo  dharafteriftifdjem  ©e* 
präge,  bafj  aud)  bcm  8aienauge  ihre  (Sigenart  fi<h  aufbrängt.  Uten 
ben  grünen  gartblätterigen  URoofen  finb  fie  burdh  ben  SJiangel 
bet  Blätter  fdjarf  gefonbeti;  auch  bie  moosgrüne  gdrbung  fehlt 
ihnen.  9lbet  audh  mit  ben  übrigen  nieberen  frpptogamifdhen 
fangen,  ben  tilgen  unb  Sllgen,  lä§t  ihre  burdhauS  eigenthüm- 
lidhe  üradht  eine  Berwedbfelung  nur  auSnahmSweife  gu. 

3n  giemlichem  gormenreidhthum  unb  oft  ungeheuerer  2ln= 
gahl  ber  am  gleichen  £)rt  bereinigten  ©tßtfchen  ber  gleichen  9trt 
übergiehen  bie  gledhten  gelfen,  ©teinblöcfe  unb  5Rauern,  Baum* 
tinben,  Bretter  unb  Balten,  Sföalb*  unb  £aibeboben  mit  buntem 
gwerghaftem  9)flangenwuch0.  Balb  theilen  fie  ben  gleichen  ©taub* 
ort  mit  aJioofen  unb  tilgen,  feltener  mit  einigen  tilgen  unb 
Blüthenpflangen,  balb  liefern  fie  ben  eingigen  §)flangenfchmucf 
jonft  terfchmähter  fahler  unb  bürtet  ©teilen.  3hre  ftattlidhften 

XIV.  3».  1* 


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4 


formen  lieben  bte  geudpigfeit  beö  2öalbboben8  unb  »erwidern* 
bet  Saumtinben.  3lber  felbft  att  ben  JDrteu,  wo  bet  ewige 
©djnee  bet  Hochgebirge  unb  Polarlänber  jebcn  emppnblicbeten 
PPanjenwncbS  jurüdbrängt,  ba  friften  nod)  2id)enen  U)r  aujprudj* 
lofeS  unb  $ähe8  geben.  Unb  wo  im  glüfyenbeti  ©onnenbranb 
jebe8  anbete  ppänjcben  »erborrenb  abpirbt,  leiften  gierten 
nod)  fräftigen,  nachhaltigen  SBiberftanb:  pe  ttocfnen  ju  pul* 
»eriptbaren  Äruften  gufammen,  bie  au8  monatelangem  Schein* 
tob  jebe  Sefeudpuug  gu  langfamem  üTOadjßtpum  immer  wiebet 
aufwedt.  Hille  erfteuen  pdj  längerer  gebenßbauer,  als  iijrc 
jwergpaften  SDiafce  meift  o ermutigen  laPen. 

SDie  am  reid)pen  außgeftalteten  gledpen  pnb  alljeitig  »et« 
dpelte  unb  »erjweigte  ptaut^äpnlid^e  ©tödchen,  »on  ihrer  Unter* 
läge  aufprebenb  ober  fyetabljcingenb:  ® trauchflecpten.  3U8  bie 
»ornehmfte  gehört  gu  biefen  bie  jebem  £od)Walbwanberet  wohl* 
befannte  Sartfledjte  (Usnea  barbata  gig.  1.  A.).  3l)te  reich» 
befranpen  grauen  ©träuchlein  pattem  ba  al8  fuplauge  2Rähnen  an 
»erwetterten  gärdjen,  bort  feinen  pe  in  üppigem  2Bucpern  gu  ^>uu* 
berten  unb  aber  ^unberteu  gange  Säume  gu  erpiden.  3«  i^nen 
gefelleu  pd)  Tleiuete  gotmen  in  fcproarjem  unb  grauem,  gelbem  unb 
graugrünem  ©ewanb.  Stuf  fanbigem  Söalbbeben,  unter  liefern, 
Preiselbeeren  unb  ^aibefraut,  breiten  pdj  gange  SBeftanbe  ber 
bellgrauen,  gemeibartig  »ergweigten  9iennthierflecSte(Cladoma 
rangiferina)  au8.  3m  alten  SReichßwalb  gwifdjen  ©dangen 
unb  Nürnberg  trifft  man  leidet  ©treden,  auf  benen  überhaupt 
nur  bie  StennthierPechte  wädjft.  ©ie  geben  im  kleinen  ein  Silb 
ber  auSgebcffnten  norbifdjen  gle<bten«^>aibe,  in  beren  3ufammen= 
fefcung  neben  ber  fRenntljierPechte  eine  aubere  ©trauchPechte, 
Cetraria  islandica,  eine  Hauptrolle  fpielt.  SDiefe  leitete,  al8  Hlrg* 
neimittel  irrthümlid)  „ißlänbif d)e8  3Jioo8"  genannt,  gebort 

(2«4> 


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5 


aud)  in  unteren  ®ebirg8gegenben  ju  beu  anietjnlicfiften  (5rb* 
lid?enen. 

formen  mit  banbattigen  flauen  Steigen  bilben  ben  lieber» 
gang  gum  3£t)pu8  bet  Baubf leckten,  ©iefe  breiten  ihren 
Äßtper  mit  reidbtjerjnjeigtem,  oft  emporgefräufeltem  JRanb  auf 


3iflur  i. 


A.  Usnea  barbata,  bic  Bartflechte  (nat.  k'iv.).  B.  Sticta  pulmonacea,  bie 
Sungenflectjte,  oon  ber  Unterfette  gefaben  (nat.  ®r.).  a Stpotbecien  ober 
grücbte.  / $>aftfd)eibe,  womit  bie  Bartflechte  auf  ber  Diinbe  eines 
BaunteS  angetoachfen  ift.  (SlnS  3ad)0,  ^ebrb.  b.  Bot.) 

ihrer  Unterlage  au8.  Sei  ganj  ungeftßrter  SluSbilbung  fofat* 
benähnlidj  gefaltete,  fteiflfßrmige  ©treiben  mit  geferbtem  3Ranb, 
bilben  fie  bei  gebrängterem  Sotfommen  unregelmäßig  3tmfdjen 
cinanbergreifenbe  budjtige  Bappen.  Unter  ihnen  ift  bie  Bungen* 
flechte  (Sticta  pulmonacea),  al8  „BungentnooS"  früher  arjnei* 

(WJ) 


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6 


gebräuchlich,  wof)l  bie  ftattlidhfte.  (§ig.  l.B.)  3hte  oielfad}  auö* 
gegacften,  leberbraunen,  unterfeite  weiß  gea  betten,  gtubig  t>er= 
tieften  9>flängchen  fiub  auf  moofigem  SÖergwalbboben  bei  un8 
nicht  feiten.  2lm  meiften  oerbreitet,  auffällig  uub  befannt  aber  ift 
wohl  bie  golbgelbe  SBanbflechte  (Physcia  parietina),  gu  beten 
Slnfiebelung  ccm  reichlich  nährenben  fRinbenftücf  bis  gum  ftaub* 
bebecften  eifernen  ©itter  fein  Stanbort  gu  fd)led)t  erfdjeint. 

SRit  Strauch*  unb  gaubflechten  fämpfen  an  SRinben  unb 
Steinen  ftegreich  um  ben  ^laß  bie  Äruftenflechten  in  bunter 
5Renge.  3nuig  mit  iljter  Unterlage  cerfdjm eigen,  oft  in  biefelbe 
eingefenft,  auß  Steinen  nur  bureß  Sluflofung  beß  ©efteine  mit» 
telft  Säuren  befreibar,  erfdjeinen  fie  bem  uubewaffneten  9luge 
halb  alä  wingige  Schuppen  unb  tüfteln,  halb  als  förnige,  tiffig 
njargige,  reich  gefelberte  prüften  »on  fdjwarger,  grauer,  brauner, 
oft  auch  brennenb  rother  unb  gelber  Färbung,  welche  ber  Sonnen» 
glang  fteigert.  3h*e  befcheibenften  formen  fehen  auf  Solenhofer 
Äalfplatten  aue  wie  »om  £auch  entftanbene  8le<fthen  mit  net» 
wifchten  Umriffen.  SJorlautere,  wie  bie  ganblartenflecßte, 
(Rlxizocarpon  geographicum) , übergiehen  naefte  ©efteinSflädt^en 
an  £od)gipfelu,  ober  SteinblScfe  auf  SLrümmerhalben  gleichmäßig 
mit  hellfarbiger  Trufte.  SSom  gufengipfel  bcS  33ohmerroalbe8 
leuchtet  bie  gelbe  fRhtgocarponbecfe  feines  2tummerfege!8  weit* 
hinauß  inS  gaub. 


5£>ie  älteren  Sßotanifer  machten  gwifthen  ben  als  gleiten 
eben  gefenngeidjneten  ?)fIangenformen  unb  ben  ÜRoofen  noch 
feinen  Unterfchieb.  Daher  auch  h«u*e  no^  33olf8namen  wie 
gungenmeoe.  ieiänbifchee  5Roo8,  für  gungenflechte,  ißlänbi* 

.246) 


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7 


fdje  gleite.  ©rft  Journefort  bilbete  au8  biefen  ©ewächfen 
eine  befonbete  ^flangenflaffe  Lichenes,  bie  et  ben  Älaffen  ber 
Algae  (SUgen)  unb  Fungi  ($)ilge)  an  bie  @eite  fteBte  (1694). 

©eitler  hat  ftd?  gunachft  bie  äu^etlid^e  jfenntnifj,  Unter* 
fcheibung  unb  ©laffification  bet  ftledjtenformen  breit  entwicfelt. 
Slu8  ben  oerhältni&mäjjig  wenig  gabireichen  Jnpen,  beten  SB  et» 
fdjiebenbeit  fchon  bem  flüchtigen  unbewaffneten  Sluge  einleuchtet, 
finb  allmählich  an  5000  übet  bie  gange  ©rbe  oertheilte  Sitten  in 
gabireichen  (Gattungen  unterfcbieben  unb  befdjTicben  worben. 
Uebet  taufenb  banon  fommen  auf  SDentfdjlanb  unb  bie  Schweig. 
Slber  eine  fruchtbarere  ©rforfcbung  be8  inneren  Baues,  bet  §ort* 
Pflanzung,  ber  2eben8eigentbümlid)feiten  ber  flechten  überbauet 
ift  erft  feit  wenigen  3abrgebnten  angebahnt  unb  burchgeführt. 
2öa8  biefe  gorfchung  non  auerfannten  Sluffchlüffen  gunachft  gu 
Jag  förberte,  ba8  fchienen  unnetföbnliche  SBiberfprüche  unb  un» 
lösbare  fRätbfel.  Unfere  Aufgabe  ift,  gu  geigen,  wie  bie  SBiber» 
fprüche  gum  SluSgleicb,  bie  JRätbfel  gut  göfung  allmählich  ge» 
langt  finb. 

Betrachten  wir  guetft  bie  ©lieberung  be8  flechten* 
förperS  im  ©angen.  ©in  Blid  auf  Sigur  1 läfjt  auf  bem 
BegetationSförper,  gager  ober  $b“Uu8  ber  flechten 
bie  fruchte  ober  Slpothecien  (a)  unterfcheiben.  ©8  finb 
tellerförmige  ©ebilbe,  bei  ber  Bartflechte  auf  3»eigenben  fitjenb, 
unb  ringsum  gierlich  bewimpert,  bei  ber  gungenflechte  auf  ber 
Unterfeite  beS  JbaHu8  ranbftänbig. 

2>et  JhaHuS  felBft  bilbet  aufcet  feinen  »ielgeftaltigen  3 »ei* 
gen  £aftorgane,  welche  ihm  bie  fehlenben  Söutgeln  erfefcen. 
Bei  ©trauchflechten  einfache  #a ft f Reiben  ($ig.  1 f.)  am  ©runbe 
beS  £auptftämmchen8;  bei  gaubflechten  £aftfafern  ober  9tb‘* 
ginen  ($ig.  5r.),  bie  in8  ©ubftrat  lofe  einbringen.  Sin 

(347) 


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8 


Äruftenflechten  entgeht  bie  2lrt  ihrer  Serbin  bung  mit  bet  Unter* 
läge  flüchtiger  Setrachtung.  ©ie  fönnen  unnerfehtt  nicht  ab* 
gehoben  »erben. 

@8  gilt  nun,  bie  gorthflangungSorgane  ber  flechten 
eingehenb  gu  unterfuchen.  Sor  9tdem  bie  fruchte  ober  21p  o» 
thecien.  3hr  äußerer  Sau  ift  mannigfaltiger,  al8  nach  ben 
gwei  iibereinftimmenben  Dppen  gig.  1 gu  »ermuthen  fcheint.  Die 
©jrtremefinb:  obetflächlicb-betDottretenbe,  auffällig  gefärbte,  centi* 
meterbreite,  flache  Scheiben  eincrfeitö  (nacftfrüchtige,  gpmno* 
catpe  flechten);  anbererfeit8  in  ben  DhaßuS  eingefenfte,  mi* 
froffopifch  Heine,  fugeltge  ober  flafcfjenformige  Höhlungen,  oon 
welken  man  hödjftenS  bie  enge  SJiünbung  äußerlich  wahrnimmt 
(bebecftfrüchtige,  angiocarpe  flechten),  ©ewiffen  Äruften* 
flechten  haben  ihre  ftrichförmigen,  im  Birf^cf  gegogenen  fruchte, 
bunfeln  ©chriftgügeu  auf  h^Den  Saumtinben  gleidjenb,  ben 
Samen  ©chriftflechten  (©raphibeen)  eingetragen. 

So  nerfdhiebenartig  ihr  äußeres  Änfeljen,  fo  übereinftimmenb 
ift  in  ben  widjtigften  fünften  ber  innere  Sau  all  biefer 
glechtenfrüdjte.  gig.  2 unb  3,  einer  nacftfrüchtigen  ©traudjflethte 
entnommen,  mögen  hierüber  2lu8funft  geben. 

©in  mitten  burch  ben  £eQet  unb  beffen  Stiel  geführter 
SängSfchnitt  geigt  bei  h ba8  £pmenium,  in  welchem  bie  mi* 
ftoffopifch  Keinen  ©amen  ober  ©hören  ber  glechtenfrucht 
entftehen.  Da8  .£>pmenium  ruht  auf  einer  bejonbeten,  als  ©ubhb* 
menialfchicht  y begeichneten  ©ewebelage.  Den  Uebergang  gum 
2;haßu8  bilbet  bet  au8  loderem  SJiatf  (m)  unb  bichter  JRinbe 
(r)  beftehenbe  ©tiel.  Die  Sinbe  formt  über  bem  £pmemum 
einen  ootfpringenben  {Raub  (t),  welcher  an  bet  jungen  grucht 
eine  gefdjloffene,  erft  fpdter  aufbrechenbe  SBölbung  barfteUt.  ©in* 

(S«) 


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9 


gefenfte  grüdjte  angiocarper  gleiten  ftub  uom  ©emebe  b ti 
SfyjHuG  ofyne  »eitere  ©onberung  unmittelbar  umgeben.  — 
©tariere  milrojfopifcfye  Sergröfjerung  läfjt  un8  in  ben  fei» 
nern  Sau  bet  grudjt  tiefer  einbringen.  (Big.  3.)  äöit  er* 
fennen  an  ^jpmenium  (h),  ©ubbbmenialfcbicbt  (y)  unb  SJlarf 
(m)  folgenbe  Ginjelnfyeiten : 


ftigur  2. 

3enfred)ter  2)urd)id)nitt  bcö  gtjmitocarbeit  9iuotl)ecium$  oott  Auaptycbia 
ciliaris,  SOnial  »ergr. ; h .ötjmenimn,  y 2ubl)i)inenialfct)id)t.  2>acl  Uebrige 
gehört  nidjt  eigentiid)  ytm  'ilpotbecinm,  fonbern  juin  SfjalluögetDebe. 
m SDtarf,  r 9tinbe,  bie  bei  t einen  9tanb  über  bem  £i)mettium  oorftülpt. 
g ©onibien  (oergl.  3.  19  u.  f.).  (iiitfl  3ad)$,  Vefyrb-  b.  ©ot.)',  , 


Saä  SRarf  (m)  ift  auö  reicbnerjmeigten,  nefcförmig  net» 
bunbenen  Bäben  ftljartig  bet  floaten,  beten  3t»if<3?enräume  luft* 
erfüllt  finb.  Die  ©ubijpmenialidjidjt  (y)  befielt  au8  bitter 
ü er  fügten,  jmifdjentaumlofen  Bäben,  meldje  baö  QJteffer  meift  an» 
gefdjnitten  ober  burdjgefdjnitten  bat.  3m  $pmeuium  felbft  fou* 
beru  fidj  bie  non  ©ub^menialfübeu  unmittelbar  entfpringenben, 

(J4») 


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10 


ftigur  3. 


Sin  Iljeil  ber  oorigeu  gigur  (550  mal  uergröftert).  m Warffdjic^t, 
V Subf)i)tnenialfd)id)t,  p $arapl)t)fen  beö  .fcpmeniuntb,  beren  Spieen  ge- 
bräunt fittb.  5>üjioifd)en  bie  Sporenfdjläudje  in  uerfdiiebenen  iKeife- 
graben.  3Jon  1 — 4 auieinanberfolgenbe  ßuftänbe  ber  Sporenentroitfelung. 
Dab  ißrotoplaötna,  »eitlem  bie  Sporen  eingelagert  finb,  burd)  (Sin- 
trocfnung  ber  3Ied)te  oor  ber  $räparation  jufammcngejogeu. 

(Ülub  Sad)b,  Uetjrb.  b.  33ot.) 


«JO) 


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11 


faft  parallelen  jaljlreidjen  9tebenfäben  ober  Patapfypfen  (p) 
boo  beo  feulenformigen,  famen*  ober  fporenerseugenben  Sdjläu» 
<bcn  (9tfci). 

2)ie  ©porenfdjläuc^e  finb  für  uns  bic  .pauptfadje.  Syrern 
©au,  üjret  Gsntwidelung,  iljrer  ©ebeutung  muffen  wir  befonberS 
nadjgefjen. 

SDiefelben  finben  ftd)  in  fdjlaudjreidjeren  grüd^teu  bidjt  neben» 
einanber  auf  allen  möglichen  ÜReifegraben.  3>r  reife  Sdjlaud) 
fülprt  in  ber  Siegel  8,  fjier  fpinbelförmige  unb  jraeifädjetige 
Sporen.  (&ig.  3. 4.)  3)er  jugenblicfye  bagegen  ift  eine  »iel 
fleinete,  feulenformige  3cOe,  »on  eiweißhaltigem  waffetreid}em 
Sdjleim,  Protoplasma,  nodj  gleichmäßig  erfüllt.  6r  wirb  länget 
unb  biefer,  fdjiebt  fid)  jwifdjen  ben  paraphpfen  »or,  unb  foubert 
alSbann  fein  »ermefyrteä  Protoplasma,  in  bem  gleichseitig  adjt 
junge  3eDdjen  als  Anlagen  ber  Sporen  auftreten.  fRodj  befielt 
bie  junge  Spore  auS  einem  Ijautlofen  ProtoplaSmaflümpchen. 
Äur3  barauf  fdjeibet  biefeö  auf  feinet  SDberflädjc  eine  3etlftoff* 
hülle  ab  (9ig  3.  i.).  hierauf  fasert  fiep  bie  Spore  (§ig.  3.  2.). 
©iS  jur  Sfteife  wachfen  bie  Sporen  nod)  etwas,  Raufen  Gfiweiß* 
unb  gettDorrätfye  in  ihren  Fächern  auf  unb  »erbiden  if)te  fcfjließ* 
lief)  in  bet  dufferen  Sdjid^t  ftd)  bräuneube  Beßwanb.  (j$ig.  3. 3. 4.) 

gut  biefen  ganzen,  als  freie  3ellenbilbung  befannten 
3ellenbilbung8preceß  im  SlfcuS,  beffen  Gfrgebniß  bie  Sporen 
barfteHen,  ift  gegenüber  ben  meiften  anbeten  3eßenbilbnng8»or« 
gängen  bejeithnenb,  baß  bie  Sporen  im  Protoplasma 
beS  9lfcuS  freifebwebenb  angelegt  werben  unb  reifen. 

lieber  bie  nächfte  ©eftimmung  ber  Sporen  giebt  ein 
leidjt  anjuftellenber  ©erfud)  2luffc^lu§.  Plan  bringt  eine  troefene 
glec^tenfrudjt,  »on  einem  bünnen  ©laSpIättchen  lofe  überbedt, 
in  einen  feuchten  9taum.  @twa  auf  einet  Uhrfdjale  in  eine 

(»51) 


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12 


mit  feuchtem  gliefjpapier  auSgefletbetc  Untertafle,  über  welche 
eine  ebenfo  auögefleibete  Reine  ©laäglocfe  geftülpt  wirb. 
SRacb  wenigen  ©tunben,  oft  fdjou  in  fürgetet  grift,  geigt  bie 
mifroffopijdje  Prüfung  beö  ©laöplättdjenS  bie  meift  gafflreicb 
aufgeworfenen  ©poren  iu  acfflgähligen  ©ruppen.  SDiefelben 
ftnb  burd}  ben  feitlidjen  SDrucf  ber  gequollenen  ^arapljpfen  auf 
bie  Stfci  berauSgebrängt  unb  fogar  mit  einet  gewiflen  ©ewalt 
emporgefdfleubert  worben,  ©ie  fliegen  leicht  auf  1 cm  ©nt* 
fernung.  ©8  genügt  nun,  bie  fporenbejäete  ©lafplatte,  cor 
©taub  unb  ©dtflmmel  geid?üfjt,  in  feuchter  Suft  wäljrenb  einer 
SRei^c  non  Jagen  gu  »erwarten.  2U8balb  beginnen  bie  ©poren 
gu  fei  men.  ©ie  queQen,  fie  fdjteben  an  beiben  ^oleu  burdb 
eine  Deffnung  in  ihrer  äufjeren  braunen  SBanb  ben  ron  ber 
inneren  farblofen  SBanbfdjidjt  bebecften  3nl)alt  wargenförmig 
herauf.  $Die  Sttarge  ftrecft  fidj  gum  bünnen  gaben,  biefer  »er» 
längert  ftd),  gliebert  ftd>  burcfy  Duerroänbe  unb  »ergweigt  ftd}  (»ergl. 
gig.  6 A,  s = ©pore,  h =Äeimfaben).  Sielfammetige  ©poren 
ergeugen  eine  entfpredflenb  gtöfjere  Slngabl  »on  Äeimfüben  (gig. 
9.  10.),  ebenfo  eiugelne  fepr  grofle  einfammerige  gleiten* 
fporen. 

Unter  ben  begegneten  Umftänben  wadflen  bie  Äeimfaben, 
meift  giemlidj  langfam,  fo  lang,  bi8  bie  lebten  33orrätbe  bet 
©poren  an  intern  SBad^gt^um  bienlitpen  Söauftoffen  erfdböpft 
flnb.  S)abei  treten  häufig  bie  »etfdjicbenen  gabengweige  unter* 
einanber  in  unförmige  23etbinbung.  ©djon  Julafne  erhielt 
(1851)  in  biefer  SBeife  auf  eingelnen  größeren  gleiten* 
fporen  reicpmafcbige  -Jtefce  »on  Äeimfaben.  2)o<h  ift 
unter  lebiglid)  biefen  Sebingungen  unb  fogar,  wenn  bie* 
felben  burd)  ^»ingutreten  folget  minetalifdjen  fRäljrftoffe, 
wie  fte  ben  fraglichen  gleiten  fonft  genügen,  erweitert  unb  net* 

(MS) 


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13 


beffcrt  werben,  bie  ©rgiebung  einer  djarafteriftifdjen 
jungen  ^lecbtenpflange  auS  ben  ^eimfäben  ber  Spore 
allein  begeidjuenber  SBeife  niemals  gelungen. 

SBir  miiffen  bie  gange  mistige  grage  nad)  ber  ffleubilbung 
eines  3i*^tenftoc!eS  auS  ben  glechtenfporen  für  einen  Slugen» 
blicf  oertagen,  um  noch  einem  groeiten  roefentlicben  gortpflan» 
gungSorgaue  ber  gleiten,  bem  ©permogonium  mit  feinen  ©per* 
matien,  unfere  Slnfmerffamfeit  gu  wibmen. 

SDie  ©permogonien  finb  aud)  in  ihren  größten 
f)öd?ft  unfdjeinbare  ©ebilbe,  balb  feljr  garte  ©impevn  am  SttjaHuS, 
balb  toingige  ©argen,  beten  Körper  gröjjtcntbeilS  in  ben  $baHu3 
eingefenft  ift.  Sie  finb  beSfyalb  audj  Diel  fpäter  befannt  gewor* 
ben  als  bie  SBpotbecien.  £>ie  Äenntnif)  ihrer  allgemeinen  Ser» 
breitung  unb  ihres  feineren  SaueS  oerbanfen  mir  toiebet  SEulaSne. 

Sem  innern  Sau  ber  ©permogonien  nur  fooiel:  fie 
ergeugen  in  iljrer  Höhlung  maffenbaft  febr  Keine  runblidje, 
ober  längliche,  furg  ftäbcbenfßrmige  3eHd)en,  ©permat ien, 
burd)  Slbgliebetung  an  befonbcren  garten  fabenförmigen  SErägern. 
Sefeudjtet  quellen  bie  gaHertumbüDten  ©perinatien  alS  ein  mingi» 
geS  ©cbleimtrßpfcben  auS  bem  ©permogoniumbalfe  heraus.  Unter 
biejenigen  Sebingungen  gebracht,  bei  melden  bie  ©poren  feinten, 
geigen  bie  ©permatien  feine  weitere  Seränbetung.  9luS  ihrer  oft 
erprobten  ÄeimungSunfäbigfeit  ift  bie  Sermutbung,  fie  mßcb* 
ten  männliche  ©efchlechtSgellen  fein,  welche  an  irgenb  einer 
©teile  be§  GtntroicfelungSgangeS  ber  ©poren  ober  ©porenfrüchte 
biefe  gu  befruchten  beftimmt  feien,  feit  SE ulaSne  immer  wieber 
abgeleitet  worben.  2>en  tbatfädjlichen  SeweiS  inbeffen,  bafj  unb 
wie  bie  ©permatien  ein  fabenf  örmigcS  Qimpfängnifjorgan 
ber  febt  jugeublidjen  ^rucbtanlage  wirflid)  befruchten, 
bat  erft  oor  gwei  3abren  ©tabl  geliefert. 

<»53> 


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14 


3n  bem  SOiafje  nun,  als  bie  gefilterten  gejd)ledbtlid)en 
BoripflangungSorgane  bet  gledjten  gufammen  mit  ben  analogen 
Organen  toer  ^ilge  nadj  ©au,  (Sntmidelung  unb  gunftiou  er* 
fannt  mürben,  ift  bie  bis  ins  (Singeine  ooDftänbige  Ueberein« 
ftünmung  biefer  33etl)ältniffe  bei  ben  flechten  einerseits,  ben 
fogenaunten  ©djlaudjpilgen  ober  ÜlfcDmuceten  (non  benen 
5Rord)eln,  Srüffeln,  23ed)erpilge  befannte  SRepräfentanten  finb) 
anbererfeitS  an  ben  Sag  getreten,  ©ie  ©leidjmerti)igfeit  ber 
butd)  freie  3ellenbilbuug  in  ben  ©djläudjen  erzeugten  ©poren  ber 
Bledjten  nnb  bet  SIScompceten  gab  fdjon  1850  ©djleiben  ©er« 
anlaffung,  bie  ©chlaudjpilge  non  ben  übrigen  ^ilgabtheilungen, 
meldfje  feine  ©djlaudjfporen  erzeugen,  abgufrennen,  unb  furgmeg 
mit  ben  'gfedjten  in  ein  unb  Mefelbe  Älaffe  gu  Stellen. 
Unb  SllleS,  rcaS  frühere  unb  Spätere  gorfdjungen  über  (Sntftehung, 
SuSfdjleuberung  unb  Äetmung  bet  ©poren,  bann  über  bie  ent* 
fprecbenben  Vorgänge  im  ©permogonium  unb  über  bie  ÄeimungS* 
unfähigfeit  ber  ©permatien,  giriert  über  ben  Ijier  nicht  einge^en* 
ber  gu  behanbelnben  SBorgang  ber  Befristung  Selbft  unb  bie  fi<h 
anreihente  (Sntmitfeluug  ber  gefdjlechtlid)  erzeugten  jungen  Studjt 
barget^an  hoben,  baS  Sinb  für  $led)ten  unb  für  ©djlauch* 
pilge  burd)auS  ibentifdbe  Vorgänge. 

Sludj  im  SpecieKeren  ©au  ber  ©permogonien  unb  ber  Stpo* 
t^ecien  geht  bie  Uebereinftimmung,  gmifchen  beftimmten  gleiten 
unb  beftimmten  Slfcompceteu  in  alle  (Singelheiten.  ©en  nacft* 
früdjtigen  Bleuten  entsprechen  2l|compceten  mit  offener,  teilet*  ober 
fdhüffel*  ober  j^eibenförmiget  gruc^t  (©ifcomncet  en,  @djei* 
ben  pilge).  ©en  bebetftfrüdjtigen  gleiten  bagegen  ©djlaudj* 
pilge  mit  margenförmiger,  eingefenfter  grudjt  (Jfernpilge, 
5)prenomnceten). 

BefonbereS  ©emidjt  ift  enblid)  auf  bie  Einheit  beS  aua* 

(SM) 


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15 


tomifdjen  ©lementarorga  ne8  gu  legen,  auä  bem  alle  biefe 
gleiten*  unb  9)ilg*gortpflangung8organe  entfielen.  2)a8  ift  bie 
9>ilg*  ober  glecbtenfafer,  aud?  al8  .£>ppbe,  gaben,  furgweg 
begegnet. 

IDie  .^njpbe,  fß  »ie  fie  al8  Jt'eimfaben  ber  Spore  entfpringt, 
tote  fie  »ergweigt  unb  nerflocbten  Sperniegonien  unb  Ölpotbecien 
aufbaut,  ift  burdj  gang  beftimmte,  bei  tilgen  unb  gleiten 
übereinftimmenbe  ©igenfdjaflen  gefenngeidjnet,  unb  »on  ben 
anatomifdjen  ©lementen  ber  Öligen,  üHoofe  unb  bohren  @e* 
roädjfe  burdjauS  unterschieben.  SBir  müffen  auf  biefen  bo<b* 
wichtigen  i'unft  fpäter  ausführlich  gurüeffommen. 

Somit  wäre  benn,  wenn  man  nur  bie  JDrgane  ber 
gefdjledjtliäjen  gortpflangung  bervicf jidjtigt,  bie  üb* 
liehe  Sonberung  »on  glecbten  unb  Scblaudjpilgen, 
begw.  gleiten  unb  tilgen  überhaupt,  in  gwei  »er* 
fdjiebene  $)flangenf  laffen  ni <ht  gerechtfertigt.  Ölber 
biefe  Trennung  ftüfct  f ich  gunädjft  auf  bie  oben  fdjon 
gef <hi l b erte  ©igenart  be8  »cgetati»en  glecbten förper 8. 
JDagu  fömmt  weiter,  baff  ein  feljr  großer  Slbfit  ber 
glecbten  auf  Stanborten  gebeiht,  welche  feine  anbere, 
als  mineralifebe  Nahrung  gewähren,  wäbtenb  bie  $)ilge 
aller  Drbnungen  auf  organifebe  Uläbrftoffe  notb* 
wenbig  angewiefen  finb. 

Um  nun  biefe  »öflige  $)ilgäbnlicbfeit  bet  glecbten  begüg* 
U<h  ber  gefcblecbtlicben  gortpflangung  unb  baneben  ihr 
gängltcb  abweidhenbeS  Verhalten  hinfübtlicb  ihrer  8eben8* 
weife  unb  Fracht  3U  begreifen,  müffen  wir  bie  erfeböpfenbe 
mifroffopifche  Unterfucbung  be8  5Begetation8förper8  bet 
glecbten  gu  {Rathe  giehen. 

gigur  4 giebt  einen  8äng8»  unb  einen  Duerfcbnitt  burdj  ben 

(«») 


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16 


S^attufl  einet  ©tiaudf>fledjte  unb  gwar  bet  oben  befprodjenen 
Sartfletbte.  (gig.  4.) 

SD ai  ©ewebe  fonbett  fid)  in  Stinbe  (r)  unb  SJtarf  (m). 
SDurdj  ba8  ORatf  jieljt  in  unferem  befonbeten  gatte  nodj  ein 


58artfled)te.  A Vängsfcfjnitt  eines  ßroeigenbeS,  H Cueri^nitt  eineö  älte- 
ren ©tämmdjenS,  bas  bei  »a  einen  Seitenjmeig  trägt.  300  mal  oergr. 
Sctjeitel  bes  ßweigenbeä  oben,  r :Xinbe,  m 'JOtarfgefledjt , x ajiler  gafer- 
ftrang,  g ©onibienfdjidjt  (oergl.  ©.  19  u. f.).  (2lns  ®ad)e,  tfetjrb.  b.  33ot.) 

ajciler  ©trang  (x).  SDiefer  beftefyt  au8  parallel  ftreidjeuben  gäben, 
bag  9Ratf  auä  lodet  oerfiljten,  bie  Otinbe  wieber  au8  bid)t 
»erflodjtenen.  Sind)  bie  bidjtefte  9tinbe  fann  burd)  jetfafernbe 
IReagentien  in  il)te  urfprunglidjen  gaben  roieber  jerlegt  werben. 

(JS€) 


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17 


93ergleicheu  wir  mit  gig.  4.  ben  SDunhfdjnitt  eines  8aub» 
fled)tenthaDuS,  3.  SB.  gig.  5.  »on  bet  8ungenfle<hte,  fo  treten  unS 
eigentlich  nur  foldje  Abänberungen  beS  SßaueS  entgegen,  toeld^c 
mit  ber  Ausbreitung  beS  £haHu8  auf  e'net  Unterlage  im  3u* 


giflur  5. 


Sungenfledjte.  äQuerfcfjnttt  beS  XbaQuS,  500  mal  oergr.  o SRinbe  ber 
Cber>,  u bie  ber  Unterfeite,  r 5Rf)i,)incii  ober  $aftfafent,  welche  ber  SKittbe 
entfpringen;  m 9Rarffd)id)t,  bereit  gäben  tljeilö  im  Särtgö-,  tfjeilö  im 
JQuerfd)nitt  ju  fefjen  flitb ; g bie  ©ouibiett,  grnppemoeife  oou  ©allertfjüHen 
umfdjloffen  (ocrgl.  19  u.  f.).  (3htö  <3ad)ä,  2ef)rb.  b.  33ot.) 


fammenhang  ftefyen.  Oben  eine  bittere  Diinbe  (o),  bann  locfereS 
ÜJtarf  (m),  hierauf  meift  eine  ausgeprägte  untere  Diinbe  (u), 
auS  weither  bie  .^jaftfafern  ober  als  gabenftränge  ober 

OP  TnP 

i'usivsn:i' 


c 


OTT 


iimt 


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18 


einzelne  gäben  inS  ©ubflrat  gehen.  (Einfachere  gönnen  ent« 
beeren  bte  untere  Orinbe,  ebenfo  bie  weiften  ÄruftenfleAten,  bereu 
unterfertige  gäben  einzeln  fo  tief  in  ber  Unterlage  ftdj  oerbreiten, 
baf}  man,  wie  fdjon  erwähnt,  ben  2^aQu0  uu&erlefct  nicht  ab« 
heben  fann. 

Sei  allen  gönnen  beS  gtechtenthatluS  geht  baß,  übrigens 
feljt  langfam  fortfdjreitenbe,  SßachSthum  nur  Bon  beu  gaben« 
fpifcen  an  3»eigenben  unb  SRänbern  aug.  (Die  älteren,  ein* 
wärtS  gelegenen  Sl^eife  haben  ihr  2Badj8tt)um  beenbigt. 

2lu<h  bie  tljalluSbauenben  gäben  gleichen  ben  ana« 
tomifchen  (Elementen  b e 8 fPilgthalluS,  ben  ^ypljen 
ober  9>ilgfafetn.  SBir  muffen  biefe  noch  eingehenbet  fenn« 
geidhnen,  als  oben  fdjon  gefcheheu.  (SS  finb  »ielgeftaltige 
gäben,  feiten  einfadj,  meift  »erzeigt  (oergl.  gig.  5 bei  m), 
in  ihrer  engeren  ober  weiteten  Höhlung  mit  farblofem  fProto* 
plaSma  Berfehen.  Seber  gaben  wädjft  nur  au  feinet  ©pi^e  unb 
grengt  fchrittweife  feinen  SuwadjS  burt^  eine  immer  quer  fte« 
henbe  ©djeibewanb  ab.  (Durch  mannigfache,  locfere  unb  engere 
Serfledjtung,  Serfilgung  unb  Serfdjmelgung  ber  fouft 
Bon  einanber  unabhängigen  gäben  entfielen  bie  »erfc^iebencn  ©e* 
webe  beS  gledjten*  wie  beS  fPilgförperS.  (Dagegen  fommen  bie 
©ewebe  aller  anberen  ^flaugen  burdh  Bielfach  wieberljolte,  all* 
feitSwenbige,  innere  gädjerung  eingelnev  9)tuttergeHen  gu 
©taube,  ©nblich  unterfd^eibet  pch  bie  3eHwanb  bet  $)ilg*  unb 
glechtenhpph«  meift  ft  off  lieh  Bon  ben  3eQwänben  ber  übrigen 
©ewädjfe  burch  abweichcnbeS  Verhalten  gegen  gewiffe  chemifche 
IReagentien,  inSbefonbere  gegen  3ob. 

©oweit  gleicht  alfo  auch  b®8  ShalluSgewebe  ber 
glechten  bem  ©ewebe  ber  eigentlichen  $>üge. 

Schon  ein  flüchtiger  SlicE  auf  unfete  bereits  befprodheneu 

(3M) 


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19 


S-halluSburdifdjnitte  B»3-  4 unb  5 Iet>ri  aber,  ba£  bic  ^ophe« 
unb  baS  ihnen  entftammenbe  Bilggewebe  nicht  baS  eingige 
auatomifdje  Glement  bcS  Bl  ed)  tentljalluS  auSmadjen. 
Swifdien  ben  -£j»phen  liegen  anberSgefärbte,  grüne  ober 
gtünlidse  Bellen  (g)  nun  gang  anberer  2lrt.  ©iefe  fehlen 
ben  tilgen.  Sie  finb  in  nnferen  Slbbilbungen  burd}  Scbtaf* 
firung  bernorgeljoben. 

@5  giebt  3tpci  »erfc^iebene  2rjpen  für  bie  Sertheilung 
biefer  grünen  (Elemente  im  gtec^tenförpcr. 

Sei  ber  grofjen  fTRehrgahl  ber  Bled)tenformen  befdjränfen 
fid)  bie  grünen  Elemente  auf  beftimmte  Sagen  fceS  ^tjphen* 
ftfjee  unb  bebingen  fo  eine  S$id)tung  beS  BledjtenihalluS 
in  grüne  unb  nidjtgrüne  Sagen:  gefdjichtete  ober  Ijetero» 
niete  gleiten,  ©ie  grünen  ©dncfiten  finb  ausnahmslos  ber  be* 
listeten  Oberflädje  genähert,  unb  flimmern  an  burdbfeudjteten 
Bledjtenförpern  merflidj  burd?.  So  liegen  fie  bet  ber  Strauch* 
flehte  Big.  4.  fogleidj  unter  ber  fRinbe  (bei  g),  baS  5Rar!  ringsum 
einfdjliefjenb.  (Sbeufo  an  bem  frudjttragenben  SLhaHuSgroeige 
Big.  2.  Sei  Saub*  unb  Äruftenfled)fen  bagegen,  mit  auS» 
gefprodjenen  Sicht*  unb  feftgeljefteten  Sdfattenfeiten,  liegen  bie 
grünen  Bellen  nur  unter  bet  oberen  fJiinbe  (Big-  5.  g.)  (SJtandje 
ifruftenflechten  befielen  gett>iffertnafjen  auS  einen  Schirme  »on 
4j»hl?en,  unter  beffen  €CRitte  grüne  3eHen  beifammen  liegen,  mäh* 
tenb  ber  fortttadjfenbe  fRanb  beö  ShaHufl  betfelben  entbehrt.) 

Slbttjeidjenb  »erhalt  fid)  eine  ÜRtnbergahl  uon  weniger  reich 
auSgeftalteten  niebtiger  ftehenben  Bledjtengattungen.  3h*e  grünen 
Elemente  gehen  unterfchiebSloS  bur(h  ben  gangen  ShatluS, 
fo  bah  jeber  mtfroffohifthe  ©urd}i<hnitt  ^hbhen  unb  grüne  Gfle* 
mente  in  gleichmäßiger  SRifdjung  aufmeift:  Ungefdjichtete, 
homöomere  Bledjten. 

2*  (J59) 


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20 


33on  if)nen  ift  fdjwerlid)  irgenb  eine  gern  audj  in  8aienfreifen 
allgemein  befannt,  obgleich  fie  auf  (Srbboben  unb  ©teinen,  jumal 
in  Äalfbergeit,  jafylreidj  unb  mannigfaltig  auftreten.  3ber  fie 
bilben  bei  trocfcner  SBitterung  nur  mifjfarbige,  unfdjeiubare 
fprobe  prüften  unb  Ueberjüge,  weld)e  in  biefem  3uftante  ju> 
weilen  febe  ?yfcti^tenäljnU eit  »erläugnen.  auffällig  werben  fie 
erft  uadj  ftarfen  Slegengüffen.  3)ann  bilbet  il)r  aufgeguoDener 
Äerper  blaugtftne  ober  braungrünc,  fefte  ober  jitternbe  ©dsleim* 
ftöcfc^en , feiten  ftraudjartig  »erjweigt,  öfter  laubflecfytenäfynlid) 
gelappt,  gefröSartig  gefurzt,  förnig  u.  f.  f. 

3Die  gallertartige  Duetlung3fäl)igleit  ber  3eHenwänbe  iljrer 
grünen  Elemente  Ijat  biefen  Siedeten  ben  beieidjnenben  Flamen 
©atlertfledjten  eingetragen.  (SBergl.  gig.  7 unb  9,  Collema,  unb 
gig.  8 bie  gan^  eigenartige  Ephebe.) 

3m  3nneren  bet  grüßte  unb  ©permogonien  fehlen  bei 
faft  allen  gledjten  bie  grünen  3eR«t.  9?ur  foweit  ba8  Slfyallufl* 
gewebe  bie  gritdjte  trägt  unb  umfyütlt,  pflegen  bie  grünen  3eDen 
»orjubringen.  (gig.  2 g.) 

Sie  wiffenjdjaftlidje  ©ntbecfung  bet  grünen  Elemente  unb 
iljrer  oerfdjiebenen  Shtorbnung  im  SlfjalluS  gehört  SBallrotl) 
(1825.)  6r  nannte  fie@onibien,  SBrutjellen,  weil  er  iljnen 
eine  Söcftimmung  gut  ungefdjlecljtlidjeu  gortpflangung  ber  gleiten 
3ufd)rieb.  SBie  weit  fid)  bei  biefer  2lnfd}auung  SBaljrljeit  nnb 
3rrtl)um  mengten,  foH  fpäter  bavgetljan  wetben.  33on  anberer 
©eite  ift  jut  SBerineibung  »on  SDlifjoerftänbniffen  uorgefdjlagcn 
worben,  bie  grünen  3eHen  mit  JRücffidjt  auf  ifyre  djarafteriftifdje 
gärbung  als  (J^romibien  3U  begeidmeu. 

5)ie@onibien  finb  grün  ober  gtünlidj.  S)a8  fyeifjt:  fie  ent* 
galten  einen  garbftoff,  weidet  mit  bem  Blattgrün,  bem  ($ lj 1 0 r 0* 

pljpll  ber  grünen  $)flanjen  überhaupt  ibentifd)  ift,  entweber  für 

(260) 


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21 


fidj  allein,  ober  begleitet  non  einem  jt» eiten  garbftoff  »on 
»erfchiebener  Nuance  um  blau  unb  braun.  2Der  jweite  garb* 
ftoff  ift  ibentifdj  mit  bem  ^^pcctbrom,  einem  garbftoff,  ber 
in  Verbinbung  mit  ©blorophbfl  bie  blaugvüne  bis  braungrüne  gär* 
bung  gasreicher  uieberer  Slgenformen  bebingt.  SBeun  mau  ben 
©onibien  ihr  6ljlcro^9Q  burdj  Sllfohol  gelöft  ent^ie^t  f fo  bleibt 
ber  etwa  »orhanbene  3weite  garbftoff  unoeranbert  juröd  3n 
golgenbem  feil  bet  Äürge  falber  nur  non  grünen,  b.  h-  blofj 
Blattgrün  füljrenben,  unb  »on  blaugtünen  ©onibien  getyredjen 
werben,  b.  h-  foldjen,  welche  neben  bem  Blattgrün  noch  fPhb* 
cochtom  enthalten. 

5Daö  Blattgrün  ober  ©blorophbH  »ft  nadjgewiefenermafjen  baö 
Organ,  weldjeS  bie  Vegetation  befähigt,  ju  affimiliren,  b.  h- 
Äohlenjäurc  3U  gerfehen  unb  aus  beren  Äohlenfloff  unb  ben  @le* 
menten  beS  SBafferS  unter  Beteiligung  gewiffer  ffltineralftoffe 
organifche  ^flangenfubftang  3U  er3eugen.  2)ie  ©onibien  finb 
alfo,  phbf idogifch  genommen,  bie  SHffimilationSor* 
gane  ber  gleiten,  welchen  fie  beu  gleichen  JDienft  leiften,  wie 
bie  gaubblätter  ben  Bäumen.  9lu<b  fterben  im  glechtenthaQuS  bie 
alten  ©onibien  ab  unb  werben  »on  ihren  jüngeren  9facbfommen 
^pftologifc^  abgelöft,  wie  am  Baume  bie  Blätter.  SEBeil  bie 
SljfimilationSfunctiou  ber  ©onibien  an  ben  ©intritt  con  8icht» 
ftrahlen  in  biefelben  gefnüpft  ift,  liegen  bie  ©onibien  überall  auf 
ben  8i(btfeiteu  beö  SL^aQud.  UebrigenS  ift  biefe  2l{fimilatien8* 
function  für  bie  ©onibien  guerft  »on  grieS  (1831)  flat  auSge* 
fprochen  worben. 

SDie  ©yifteng  bet  ©onibien  im  anatomifchen  Aufbau,  unb 
bie  hrerburth  bebingte  Qlffimilationßfä^igfcit  ber  gleiten 
reifet  gwifchen  biefen  unb  ben  eigentlichen  ^>if 3 en  eine 

(S61) 


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22 


Älufl,  mie  fel}t  auch  bei  beiben  baß  ^i^engeaebe,  einfchlU&lich 
bet  gefdjledjtltdjea  gortpflanjung,  ibeutifdje  (Dinge  fein  mögen. 

(Die  gledjten  mären  alfo  oorläufig  ©chlauchpilge  mit  grünen 
Slffimilatienßorganen.  2Bie  finb  biefe  feibft  gebaut?  5Bie  ent* 
fielen  fte,  meldje  (Sntmidelung  machen  fie  burd)  ? ©efyen  fie  auß 
ben  £pphen  hetcor,  ober  bie  Jppphen  auß  ihnen?  5Diit  bet  33eant* 
mortung  tiefer  fragen  mitb  baß  9täthfel  beß  glechtenlebenß 
geiöft. 

33ecor  mit  auf  bie  baljin  führeuten  einzelnen  ©dritte 
bet  botanifdjen  gorfdjung  eintreten,  mag  bie  Söfuug  feibft  noran» 
gefd}icft  fein,  mie  fie  jefct  non  ben  juftanbigen  SBotanifern  allgemein 
angenommen  ift.  (Die  glechtengonibien  finb  öligen,  ©ie 
leben  in  bet  Sl edji e uereinigt  mit  ©djlauchpiljen. 
(Dtefe  gebenßgemeinfdjaft  umfafct  ©tnaljrung,  2 Badjß* 
t^um,  ©eftaltbilbung  unb  gortpflanjuug  beibet  @e« 
noffen. 

SERit  einigen  bet  »erfdjicbenartigften  unb  alß  glechlengonibien 
am  ijäufigften  corfommenben  'Älgenfotmen  molfen  mit  unß  gc* 
nauer  befannt  machen.  (Diefelben  finb  in  gig.  6.  jufammen  mit 
SD^eilett  beß  ^pp^engemcbeß  bargeftetlt.  2Bir  moHen  fie  aber 
uorerft  alß  frei  lebenbe  tilgen,  unabhängig  non  ihrem  23or* 
fommen  in  ben  gleiten  beobachten. 

Sebermann  fennt  bie  puloerigen  graßgrünen  SSnflüge,  meld)e 
an  (Bäumen,  Brettern  unb  SOiauern,  befonberß  auf  bereu  emig 
feuchter  SRorbfeite,  nie  fehlen.  (Sine  abgefdjabte  $vobe  unterß 
EORifroffep  gebracht  löft  fich  in  unzählbare  tnifroffepifd)  fleine 
runblidje  Stilen  unb  3eüenftöcfe  auf;  biefe  leiteten  gehen  auß 
ben  einfachen  ßeHen  burch  miebcrholte  allfeitßmenbige  üheilung 
hetoor.  (Durch  bie  Bnfuht  frifd^en  SBaffetß  angeregt  fann  ber 
SeKeninhalt  in  jahlteidje  Portionen  verfallen,  melche  bie  Bfüe 
(*62) 


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23 


oetiaffen  unb,  mit  felbftänbiger  33eroegli<$feit  burd)  äBimpern 
auSgeftattet,  al0  ©djmätmjellen  im  SBaffer  fidj  fyerumtreiben. 
3»t  fRufye  gefommen  formen  unb  teilen  fid)  bie  «Sdjwärm. 


gigut  6. 


3Jerfcf)tebene  äeifpiete  oon  Stigen,  roeldje  ale  gied)tengonibien  oorfommen 
(nad)  Sornet,  ftarf  oergröjjert).  A £ppfjeu,  g ©onibien.  A Äeintenbe 
Spore  * ber  SBaitbfledjte,  beren  £eimfcf)iaud)  fiel)  auf  bet  Sllge  Cystococcus 
feftfe^t.  B (£in  gaben  ber  9Uge  Scytonema  oon  j£)i)p^eit  ber  gleite 
Stereocaulon  umfponnen.  C bem  iljaüub  ber  öaüertfledjte 

Physma:  in  eine  ber  ©aliertalge  Noatoc  bringt  ein  3toeig  ber 

.fcpptje  ein.  D 9tnd  bem  SStjalluö  einer  anberen  ©aUertflecfjte,  Synalissa. 
$ie  ©onibien  finb  gleich  ber  ©atlertaige  Gloeocapsa.  E iluö  bem  Kjalluö 
ber  Straud)fled)te  Cladonia.  Cystococcus- ©onibien  oon  £t)pf)en  nm- 
fponnen.  (3luä  ©acfjä,  iJetjrb.  b.  Sot.) 

(M3) 


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24 


geflchen  n>ie  ihre  ©Iterngeßen.  SDa8  ift  in  ber  ^auptfache  ber 
«infame  8eben8lauf  bet  nieberen  9ßgen  auS  ber  fPalmellaceen« 
familie,  öott  benen  toir  bie  ©attungen  Cy9tococcus,  Pleuroeoccus, 
Protococcus  »egen  ihres  häufigen  33orfommen§  al8  ©onibien  bet 
meiften  unb  oerbreitetften  ©traud)*,  £aub*  unb  Prüften  flechten 
wenigftenS  nennen  muffen,  ©iehe  gig.  6 A.  unb  E. 

5Die  ©aßert  flechten  führen  blaugrüne  ober  braungrüne 
(phbcodjromhaliige)  ©onibien  au8  bet  Sbtheilung  ber  ©altert« 
algen.  33on  biefen  erfreut  fich  bie  ftatttidjfte,  Nostoc,  mieber 
be8  23e!anntfein8  in  »eiteren  Greifen.  Sie  häufig  trifft  man, 
nach  ftarfen  {Regengüffen,  mitten  anf  bem  Sege  lofe  herum‘ 
Hegenb,  laichäl^nliche,  braungrüne,  fchlüpfrige  ©chlehnmaffen:  ba8 
ift  unfer  Nostoc.  Urocfen  gut  unfcfieinbar  bünnen,  faltigen  ^>aut 
jufammcngefdjrumpft,  entging  et  unfrer  Slufmerffamfeit.  23om 
{Regen  burcijttänft  unb  gequollen,  liegt  er  auf  einmal  not  un8, 
al8  märe  er  mit  bem  {Regen  »om  £immet  gefallen.  2>a8  ift 
ber  ftattlichfte  feines  @tamme8;  feine  fleinften  {Oermanbten  bilben 
©aflerffügelchen,  nicht  größer  a(8  ©tecfnabelfcpfe. 

Serbrüeft  unter  ba8  50iifroffop  gebracht  enthält  bie  üRoftoc« 
flatterte  galjllofe  herlfd)nuräbnlicbe  grünliche  Beßenreihen  (gig.  6 C), 
gutoeilen  rofenfrangartig  üon  grßfjeren  ©liebem  unterbrochen, 
©ie  »achfen  unb  oermehren  fich  burch  fortgefefcte  Daerthcilung 
ihrer  Bellen.  3)ie  BeBmembranen  erzeugen  bie  mächtige  ©aßert« 
hülle.  Senn  biefe  gerfliefst,  fo  treten  einzelne  gäben  al8  33rut* 
fnßfh<hen  heraus. 

Nostoc  erfdjeint  als  ©onibienbßbner  u.  8.  bei  ber  ©aßert* 
flechtengattung  Collema  Unfere  gigur  6 geigt  bei  B eine  auch 
in  einer  ©trauchflechte  als  ©onibium  oorfommenbe  »eitere  ©at* 
tung  ber  {Roftocaceenfamitie,  Scytonema;  bie  Beßenreihe  nur 
oon  einer  bünnen  ©aßertfeheibe  umhüßt. 

OM) 


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25 


5Me  fRoftocaceenfamilie  tft  burdj  bie  Slnorbnung  bet 
Bellen  in  Keinen  auSgegeidjnet.  ©ine  anbere  ©ruppe  blaugrünet 
©atlertalgen,  bie  Bamilie  ber  ©broococcaceen,  geigt  feine 
reibenweife  Ülnorbnung  ihrer  meift  burd?  aüfeitSroenbige  Steilung 
ftd)  »etmebrenben  3etlen.  SDagegen  ftnb  ©ingelngeflen  wie 
BeOenftöcfe  in  gefcbidjtete  ©allertbüllen  eingefd)ad)telt.  33eifpiel 
bie  gonibienbilbenbe  ©attung  Gloeocapsa  Big  6 D. 

©fl  ift  nad)  SBallrot^’ö  ©ntbedung  ber  ©onibien  geraume 
Beit  »ergangen,  ehe  bie  epocbemadjenbe  Stuffaffung  »on  ber 
Stlgennatur  ber  ©onibien  auftrat,  fidj  33abn  brach  unb 
fcbliefclicb  allgemeine  3uftimmung  erwarb.  Sie  ift  aud)  nicht 
aub  einem  Raupte  entfprungen.  Slebnlidje  Sermutbungen  finb 
ba  unb  bort  feit  3a^rgel)nten  aufgetaudjt  unb  wieber  unter* 
gegangen,  »bne  gu  flarer  entliehener  Brageftelluna  unb  au8* 
gebebnter  metbobifdjer  33eantwortung  ber  §rage  geführt  gu 
haben.  — 

3n  eingelnen,  gerftreuten  Ballen,  welche  meift  ben  weniger 
eigenartig  ausgeprägten  ungerichteten  Bledjtenformen  an* 
gehören,  inSbefonbere  bei  mandien  ©aller! flehten  unb  Ephebe 
ift  nämlich  bie  tlebereinftimmung  beS  SöaueS  ber  grünen  ©le* 
mente  mit  gang  bejtimmtcn  freilebenben  Sllgenfcrmen  f»  un»et* 
fennbat,  baf)  fie  feiner  befferen  mifroffopifchen  SluSrüftung  ent* 
gelten  fonnte. 

5Ran  benfe  g.  33.  auS  bem  BlechtentbaOuS  twn  Ephebe 
(Big-  ^0  alle  £ppben  (h)  weg,  fo  bleibt  ein  ©tücfchen  ber 
©allettalge  Sirosiphon  mit  fämmtlicben  ©ingelnbeiten  beS 
fertigen  SBaueS,  welche  überhaupt  befannt  finb:  ein  Bweig, 
au8  gablteidjen  ba^aatalen  ©toefroerfen  aufgebaut,  ba8  cberfte 
unb  jüngfte  (gs)  eine  Belle,  au8  beren  Duertbeilung  bem  Bweige 
neue  ©todwerfe  guwadjfen.  2)ie  Unteren  fächern  fid?  balb  in 

(MS) 


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26 


bec  Ouerridjtung.  SD  er  gange  ©foef  von  einer  ©aöertmembran 
umgeben,  bie  3eHeninhalte  blaugrün  gefärbt. 

©benfo  ift,  wenn  man  von  ben  Jpp^ijen  abfieht,  in  bet  mi« 
froffopifdjen  ©tructur  jwifchen  einem  Slljanuäftütf^en  ber  ©aDert* 
flehte  Collema  (Big.  7)  unh  einem  folgen  ber  ©all erfolge 
Nostoc  fein  Unterfdjieb.  (SSergl.  Bigut  9.)  ^>erlfd>nur- 
burchgogene  ©chleimmaffen  i)ier  unb  bort.  SDie  Sßetlfchnüre 
rofenftangäbnlich  aus  großen  unb  fleinen  ©liebent  jufammen* 
gereift.  2HIe  Bärbungen  unb  djetmfdjen  fReactionen  gleich- 
rum  ift  auch  feit  Anfang  tcS  Sahrhunbertö  bie  ©aQertaige 


Bigur  7. 


(Sine  öaUcrtflerfjte,  Collema  pulposum  (roenig  uergr.);  bte  fteinen  Dünge 
längere  unb  ältere  Brächte.  ('3(n  ö Sa  cf)  3,  VeljrO.  b.  'öot.) 


Nostoc  immer  ivieber  einmal  für  einen  unfruchtbaren  Buftanb  ber 
apotheciumtragenben  ©allertflechte  Collema  angefehen  »erben. 
Manche  (Sollemen  finb  auch  äu&erltch  von  fRoftocftöcfchen  nur 
baun  ju  unterfdjeiben,  wenn  fte  Brächte  tragen. 

©nblich  tvar  an  einigen  Äruflenfle^ten  (Schrift flechten) 
bie  Slehnlichfeit  ber  ©onibien  mit  auf  Baumtinben  häufig  frei 
lebenben  Öligen  ber  ©attung  Chroolepas  bemerft,  unb  fogat 
jufäßig  bie  Bilbung  algenartiger  ©chwärmgeHen  auä  biefen 
©onibien  gefehen  worben,  beren  Beobachtung  ein  bebeutfamer 

(Hi) 


fe- 


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27 


gingerjeig  für  bie  ^Igenä^nlidtfeit  bei  ©onibten  felbft  feilt 
mu§ie. 

aber  einmal  fehlte  allen  blefen  ©ingelnbeoba^tungen  bei 
Ieitenbe  ©ebanfe.  @obann  galten  bie  l)iet  erwähnten  niebeten 
gleiten  mit  fdjled^teibinflS  nnuetfennbatet  $lgenal)nlid)feit  ifyre 


3 

ßigur  8. 


(üinBrorig  be^Ibaüttä  bcrgtecfite  Epbebe,  burd)  äQueÜungStnittcl  burd)* 
fid)tig  gemacht;  50  mal  »ergr.  ys  Sdjeitctiftte  beä  Broeigeü.  y ©onl» 
bien.  A .^gptjen.  a (seitenaft.  (Äuö  Sacfjg,  tfetjrb,  b.  SQot.) 

wr> 


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28 


©onibien  etyer  für  abweidjenbe  formen,  »on  benen  au8  ein 
©cblufj  auf  Ijfym  gleiten  nicht  gelte. 

(5rft  ©djto  enbener’0  metbobifd)e  anatomifdje  Uuterjud}un* 
gen,  über  bie  meiften  glecbtengruppen  burd)  ein  3abrjel)nt  (1858 
bi8  1868)  auSgebetynt,  brauten  ben©ebanfen  3ur  Sieife,  baf)  ade 
gledjtengonibien  mit  beftimmten  Sllgentppen  roirflid)  ibentifd? 
feien.  3Bie  weit  non  anberer  ©eite  in  ©djwenbenetä  @e» 
banlengang  mafjgebenb  eingegriffen  worben,  fod  atöbalb  jut 
©pradje  fommen. 

(50  gewährt  »ielfacbe0  3ntcreffe,  ©d)wenbener’8  SBege 
gu  »erfolgen.  9(nfang8  ein  befd;ränfte§  9lu§geben  auf  bie  fertige 
anatomif  dje  SE^atfadöc.  (5t  »erarbeitet  trocfene ältere  glcdjten» 
ejremplare,  prüft  bie  Slnorbnung  ber  ©onibien  unb  gäben  im  2M» 
gemeinen,  bann  ben  Aufbau  ber  ^»^p^engetoebc  beö  £baßu§  in 
allen  (Singelbeiten.  (5r  unterfudjt  ferner  bie  äußere  ©eftalt  unb 
ben  inneren  23au  ber  ©onibien,  unb  ftedt  bie  anatomifdje  unb 
VbBfwlogijdje  Uebereinftimmung  ber  beiben  ©onibienfarbftoffe 
mit  ben  enffprecpenben  Sllgenfarbftoffen  feft,  fowie  bie  bead)ten0« 
wert^e  S3etfrfjiebenl>eit  ber  3obreaction  bei  ber  ©onibiengellwanb 
unb  ber  pilgäbnlidjen  gatenmembran.  9lu0  ber  ^Beobachtung 
einfacher  unb  mehrfach  geteilter  ©onibien  unb  au0einanberfallen* 
ber  ©onibiengruppett  fcbliefjt  er  auf  SBadj&tljum  unb  SSermeb* 
rung  ber  ©onibien  im  $banu8  unb  giebt  bie  für  bte  eingelnen 
©onibienformen  <barafteriftifdjen  Siegeln  binfid)tlicb  ber  Slufein* 
anberfolge  unb  Sücptung  ihrer  3«Htheilungen.  2lu8  bet  nid^t 
feiten  beobachteten  SBerbinbung  »on  ©onibieu  unb  ,£>ppben 
folgert  er  „ba0  allgemeine  ©efefc,  baf)  bie  ©oni* 
bien  burd?  teitlidje0  2lu0mad)fen  ber  gafergellen  ent» 
ft  eljen."  ©ein  »orfidjtiger,  jurücfbaltenber  ©tanbpunft  b*n* 

ftdbtlicb  ber  9ügenä^nlidjfeit  ber  ©onibien  ergiebt  ftd?  am  beften 
(868) 


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29 


auö  folgenbem  ©tat.  „Die  ©onibien  ftimmen  in  manch«  93e* 
gietjung  unb  namentlich  auch  mit  SRiicffidjt  auf  bie  SermehrungS* 
weife  fo  auffallenb  mit  ben  nieberen  8llgen  überein,  bafj  man 
gerabegu  fagen  fann,  bie  Statut  ijabe  l)ier  ein  ©tuet  Sllgenleben 
gum  gweiten  ÜJial  jut  ©rfcheinung  gebraut.  3)ie  blaugrünen 
©onibien  entfpredjen  ben  ©jroococaceen  unb  Stoftocaceen,  bie 
gelbgrünen  ben  ^almeDaceen."  2)ie  ©onibien  finb  ihm,  furj 
gefagt,  ben  flechten  eigene,  an  ben  npphen  entflehenbe 
Organe  oon  unoerftänblicher  Sllgenäbnlicbfeit. 

®ie  elfte  Steife  »on  @chwenbener’8  einfehlägigen  Ser* 
Sffentlidjungen  fchliefjt  1863.  Äurg  Darauf  brachte  be  Satt)’ 8 
„iDtorpholbgie  unb  9%fiologie  ber  ^ilge,  gierten  jc.  1866" 
in  bie  ©rforfeijung  bet  ^ledjtenfrage  neuen  3ug. 

35  e Sari)  fufjt  im  S^l^atfäc^lid^en  ber  gledjtenanatomie  ju* 
meift  auf  ©d)Wenbenet’8  flaffifdjen  Unterfuehungen.  9J6er  er 
gebt  bet  ©onibienfrage  fd^ävfer  3n  8eibe,  iubem  er  in  allen  ben* 
jenigen  fallen,  wo  bie  oolle  anatomifdje  Uebereinftimmung 
3Wif<hen  gewiffen  gledjtengouibien  unb  gewiffen  frei* 
lebenben  SJlgen  unoerfennbat  »orlag,  bie  3bentitat 
beiber  SDinge,  nidjt  bie  bl o§ e 9lel)nlithfeit  entfdjieben 
betont,  ©obaib  aber  einmal  für  beftimmte  ©onibien  ihre 
SUgeneigenfchaft  gugegeben  wirb,  fo  muft  bie  Hauptfrage  be» 
antwortet  werben,  welches  bie  Segieljnngen  biefer  ©onibien* 
algen  3U  ben  ^ilgtheilen  ber  entfpredjenben  flechten  finb. 
Sllfo  forbert  be  Sarp  weiter:  „©ntweber  bie  fraglichen 
flechten  finb  bie  oolltommenen,  frud)ttragenben  3u* 
ftanbe  ber  fraglichen  tilgen,  welche  au8  ber  Steihe 
felbftänbiger  ^)f  langenformen  gn  ft  reichen  finb.  Ober 
bie  Iefjteren  finb  tppifd)e  SUgen,  welche  bie  Worm  ge» 
wiffer  gleiten  annehnten,  baburch  bafj  parafitifchc 

f!«9) 


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30 


9( f cjDiftt)c eten  in  f tc  einbringen,  in  unb  mit  ihnen 
warfen  unb  ihre  gäben  an  ben  grünen  BpHc«  öfters 
befeftigen.* 

2)iefe  $lternatine  ift  baß  erlöfenbe  Söort  für  bie  gleiten* 
frage  geworben.  üJian  hat  fyinfid)tlid)  berfelben  be  33atp  groei 
33 or würfe  gemalt.  Einmal  bie  Unbefangenheit,  mit  welker  ihre 
beiben  5Jiögli<hfeiten  als  geroifferma&en  gleidj  wahrftheinlicb  be* 
banbeit  ftnb.  9lbet  9tiemanb  ber  3.  33.  nur  bie  unmittelbar 
noraußgebenben  9lußeinanberfej}utigen  be  33arp’ß  über  Ephebe 
nergleicht,  wirb  baran  gweifeht,  bah  bie  Annahme  eineß  IRfcomp* 
ceten*9)aTafitißmuß  bemjenigen  gorfdjer  am  nächften  lag,  ber 
währenb  beß  »oraußgegangeuen  Sobrgebnteß  bie  Biologie  ber 
parafttifchen  fPilge  eigentlich  begrünbet  hatte. 

Sobamt  bie  aengftlidjfeit,  mit  weither  bie  gange  gragefteOung 
auf  bie  ©aüertflecbten  unb  Ephebe,  mit  nathbrücflitbem  9luß* 
fchluh  ber  typildjen  heteTomeren  gleiten,  befchränft  würbe.  9lbet 
biefe  3Borfi(ht  floh  auß  ber  SUoraußfehung,  bah  bie  911  gen* 
eigenfdjaft  ber  ©onibien  biefer  gleiten  noch  lang  nicht  er* 
wiefen  fei.  JDie  fofortige  9lußbehuung  bet  9Uternatinc 
auf  bie  anberen  gleiten  nerftanb  fith  non  felbft,  fo* 
balb  bei  irgenb  einet  bie  tälgeneigenfcba ft  ihrer  ©0* 
nibien  auher  3»eifel  geftellt  würbe.  (93ergl.  be  33arp 
in  33otan.  3tg.  1868,  198.)  Unb  auf  berartige  fJladjweifungen 
werben  nun  gorfdjungen  non  nerfdjiebenen  (Seiten  mit  gleich* 
geitigem  ©ifer  gerithtet. 

©in  Schritt  non  weittragenbem  ©rfolge  war  bie  balb  bat* 
auf  (1868)  non  gaminfjiu  unb  93atanehfp  unb  gugleith  non 
Sfcigfohn  gemalte  ©ntbecfung,  bah  feb*  nerfdjiebene  ©onibien 
höherer  gleiten,  auß  bem  glethtcnnerbanbe  befreit,  gu  felbft* 
ftanbiger  ©ntwidelung  alß  ippifthe  woblbefannte 

(*T0) 


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31 


aigenformen  gebracht  werbeu  fonnen.  SBenn  man  bünne 
8le«htenthallußf<hnitie  in  SBaffet  uutergetaudjt  halt,  fo  fterben  all* 
mählich  bie  £pphen  ab,  »nb  b*e  ua<h  Eigenart  üppig  fid?  »ermehren* 
ben  ©onibien  treten  tyeTauö.  ©er  wicptigfte  ©ewinn  im  ©in* 
jelnen  war  bie  genau  »erfolgte  Schwär  mjellenbilbung  ber 
lugeligen  grünen  ©onibien  nuferer  »erbreitetften  2aub*  unb 
Straucpflechten  nad)  §(rt  ber  aigengattung  Cystococeus. 
SDicfe  Sorget  beuteten  ihre  ©ntbecfung  im  Sinne  ber  erften 
Süternatine  be  Sarp’ß,  inbem  fie  bie  freilebenben  ©onibien* 
algen,  wie  f.  3-  SSallroth,  für  Blecptenbrut , als  befonbere 
loßgelßfte  Organe  ber  &!cdjten  erflärten. 

©ie  aigennatur  ^a^lreidjer  ©onibienformen,  unb  jwat  ber  »er* 
fdjiebenftenBledjtengattungen  unb  aigentppen,  ftanb  nun  aufjer  allem 
3weifel.  Slber  nod)  fehlte  für  »iele  befonbere  ©onibienformen  ber 
91adjwei8  ihrer  aigeneigenfchaft  überhaupt;  anbere  3bentitätßna<h» 
meifungen  waren  noch  unooQftänbig.  Snßbefonbere  aber  würben  jur 
enbgültigen  ©ntfdjeibung  ber  nunmehr  auf  alle  gleiten  auöbeljn* 
baren  be  S8arp’fchen  aiternati»e  genügenbe  aufflürungen  über 
baß  gegenfeitige  Verhalten  »on  ©onibien  unb  ^pp^eu  »ollftanbig 
»ermifet.  aileß  Sntereffe  »ereinigte  fid)  bemnad)  auf  jwei  brennenbe 
fragen:  ©ntfte^en  wirffich,  wie  man  noch  eben  annahm,  bie 
©onibien  an  ben  £pphen  ttofj  ihrer  aigengleid^eit?  Unb  waß 
wirb  auß  ben  nach  Saminfcin’ß  unb  anberet  art  ju  freiem 
Seben  außerhalb  bet  gleite  gebrauten  ©onibien  weiter? 

3um  ^weiten  9Ral  betrat  nun  Sdjwenbener  ben  äfampf* 
plafc,  jeitlich  unb  fachlich  unabhängig  »on  SBarane^fp,  &a» 
min  hin  unb  3fcig John.  Uub  je^t  gab  bie  3Weite  JReihe  feinet 
arbeiten  (1868  unb  1869  crfdjienen)  ben  außfdjlag. 

Scpwenbeuer  hatte  in  ben  lebten  Sahren  »iele  ©onibien* 
formen  meift  anatomifch  weiter  erforfdjt.  Gr  war  ferner  an 

<*n> 


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32 


jungen  gledjtenftMdjen  ben  Beziehungen  jWtfcfyen  ©onibien  unb 
gäben  genauer  nachgegangen. 

©emgemäh  betont  er  nun  gum  erften  5Jlale  in  einem  auf 
ber  fdjffieigetifcfjen  9iaturforfchet*33erfammlung  im  Jperbft  1867 
gehaltenen  33ortrag: 

1.  ©ie  3bentität  zahlreicher  fchatf  charafterifirter  ©oni* 
bienformen  mit  ben  entfyrechenben  Öligen. 

2.  ©en  Umftanb,  bah  nochfftiemanb,  auch  et  felbft  nicht, 
©onibien  au8  ^)phhen  ha&«  hetoorgehen  fehen. 
©ie  fertig  oft  beobachtete  33erbinbung  beibet  fönne  auch 
burch  nachträgliche  33etfchmel3ung  bet  »other  ge» 
trennten  ©ebilbe  ju  @tanbe  fommen.  ©ah  biefe  nach* 
trägliche  33etfchmefzung  in  einzelnen  Bällen  witflich  ftatt* 
finben  muffe,  wirb  eingehenb  nachgewiefen. 

3.  ©a8  beobachtete  ©inbringen  oon  %>ilzfäbeu  in  gonibien» 
bilbenbe  Öligen,  fowie  bie  Umfpinnung  folcher  al8  ©in* 
leitung  zur  ©rzeugung  junger  glechtenftocfchen. 

Ölu8  biefen  neuen  S^Vatfac^en  in  SBerbinbung  mit  ben  alten 
©rfahrungen  über  bie  ftoffliche  33er jdjiebenbeit  ber  #h* 
^hcn»  unb  © onibienmembran,  über  bie  qu alität 
ber  gortpflauzungSorgane  neben  ber  bisher  erfahre» 
nen  Unmöglichfeit,  einen  Blechtenfporenfeim  für  fich 
allein  zur  neuen  Blechte  hrranzuziehen,  wäljrenb  fich 
$)ilze  aller  Ölbtheilungen  auf  entfonechenbem  9?ährboben  au8 
ihren  Sporen  erziehen  laffen,  Sdjwenbener  nunmehr 
bie  allgemeine  Boigerung: 

©onibien  unb  $hpheu  fiub  als  ölige  unb  $>ilz 
Zwei  burdjauS  oerfchiebene  ©ewächfe.  33on  ben  ©o* 
nibien  werben  ebenfowenig  £ppheu,  als  »on  biefen 
©onibien  hetoorgebracijt.  3ht  gegenfeitigeS  33erhalten 

(278) 


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33 


begreift  fid)  nur  unter  ber  SotauBfebung  b e8  $arafiti8mu8 
be8  ^>Ü3eS  auf  ber  2llge.  SDie  »on  gamin^in  unb  ®e* 
noffen  wiebet  aufgenommene  erfte  2Uternati»e  be  SaTb'8, 
wonach  bie  freilebenben  ©onibienalgen  nur  abgel  öfte  gleiten* 
organe  mären,  ift  unmöglich.  @ie  fällt  fdjon  not  ber  einen 
SL^atfac^e,  bajj  in  benjenigen  SUgenfamilien,  welche  einzelne  flechten* 
©onibienformen  liefern,  jablreiche  fchritiweife  abgeftufte  parallel* 
gattungen  ber  ©onibienalgen  »orbanben  ftnb,  welche  nur 
im  freilebenben  3»ftanb,  aber  nie  in  einer  gledjte  gefunben 
merben.  ©ie  muff  ferner  jurücftreten  »or  ber  fftachweifung,  bafj 
©onibien  nicht  an  |>bbfyen  entfielen,  wohl  aber  mit  ben  in 
Sllgenftöcfcben  cingebrungenen  $bbhen  nachträglich  ftd)  »etfchmeljen. 

©ine  auch  burch  ihre  §orm  feffelnbe,  mit  SHbbilbungen  reich 
belegte  ©efammtbarfteOung  ber  h«»orgehobenen  ©äfee  unb  $£bat» 
fachen  befehlet  ©cbwenbener’8  benfmütbigeS  Auftreten. 

35iefe8  mecfte  ben  3öiberfpruch  »on  j weierlei  ©egnern.  ©in* 
mal  bet  fammelnben,  befchteibenben,  claffififitenben  gidjenologen 
unb  gledjtenliebhaber,  welche  fich  ebenfowenig  ihr  befonbereB  SReich 
rauben,  alB  ihre  ganj  eigenartigen  SieblingBbflänjchen  um  bie 
©hre  ber  Snbtoibualität  betrügen  laffen  wollten.  Sweitenä  ber» 
jenigen  Sotanifer,  welche  jwat  bie  SUgeneigenfdjaft  ber  ©onibien 
freubig  anerfannten,  bagegen  für  beren  Schiebungen  3U  bem 
$»bhengewebe  etfchöpfenbere  unb  jwingenbete  SRadjweife  »er- 
langten. Son  biefet  ©eite  machte  man  ©djwenbenet  bie  faft 
auBfcbliefjliche  Folgerung  au8  bet  Anatomie  fertiger  3uftänbe  jum 
Sotwutf  unb  bie  »erbältnifjmäfjige  Sernachläfftgung  genauer, 
ootlftänbiger,  entwicfelungSgefdjichtlicber  unb  not^igenfatlS  erben* 
menteller  SRa^weifungen  barüber,  wie  Sllgen*  unb  ^iljtljeil  bet 
flechte  jufammen treten  unb  jufammen  fid)  »erhalten,  ©in  flafft* 
f<he8  Seifbiel  biefer  burchauS  anregenben  Äritif  fteDt  Sornet, 

XIV.  WO.  3 (373) 


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34 


unter  «Den  SRadßfolgern  ©äßwejibener’ä  berjenige,  bet  in 
©cßwenbenet’6  ©inne  mit  am  erfolgreichen  t^ätig  gewefen 
ift.  ,25ie  Sbentität  ber  ©onibien  unb  aigen  bartßun,  ba8  ift 
bet  erfte  $)unlt,  aber  nicht  entjdjeibenb.  SDie  ftd)  entgegenfteßen= 
ben  Meinungen  ber  Herren  Baminßin  unb  Vataneßfp  unb  be& 
£etrn  ©cßtoenbener,  welche  glet(^mä§tg  bie  3bentität  gugeben, 
beweifen  baö  genügenb.  66  ift  außerbem  unerläßlich  gu  geigen, 
baß  bie  Vegießungen  bet  .popße  genau  biejenigen  finb,  welche 
bie  $arajiti6mu8*2;ßeorie  »orauäfeßt  unb  baß  fie  anber6  nicht 
begriffen  werben  fönnten." 

SDen  anforberungen  feinet  eigenen  Äritif  ift  nun  Vorne  t 
jelbft  burch  »ielfeitige  unb  treffliche  gotfcßungen  gerecht  gewor* 
ben.  (1873.) 

6r  beßnt  guvörberft  bie  Vad} weife  über  bie  aigeneigen* 
fdjaft  ber  ©onibien  auf  60  glecßtengattungen  in  fauberfter 
JDurdßfüßrung  aud.  ©ein  £auptoerbienft  aber  befteßt  barin,  baß 
er  in  ba8  Verßältniß  gwifcßen  ©onibien  unb  .frppßen  fcßärfet 
unb  tiefer  einbringt,  al6  alle  feine  Vorgänger.  6r  beweift,  baß 
•frppßen  unb  ©onibien  gwar  in  ißrer  ©ntwicfelung  überall  »on 
einanber  unabhängig  ftnb,  in  ißrer  8eben6weife  aber  vielfach 
ineinanbergreifen.  SDie  Verüßtung,  begw.  ba6  ©inbringen  ber 
.pppßen  in  bie  ©onibien  förbert  beibe  im  SBacßStßum.  9iur 
bie  §)arafttentßeorie  macßt  biefe  Sßatfacßen  erflärlicß.  (Vergleiche 
bie  Vornet  entnommenen  ©onibien*abbilbungen  gig.  6.) 

SBäßrenb  Vornet  fo  bie  Vegießungen  gwifcßen  ©onibien 
unb  «frppßen  befriebigenb  aufflärte,  ßatte  auch  SBoronin  ben 
9lacßwei8  erbracht,  baß  bie  einmal  freigeworbenen,  ©cßwärmgeUen 
ergeugenben  ^almellaceengonibien  gewöhnlicher  gaubflecßten  ißr 
aigenleben  fortfüßren  unb  niemalö  ÜJiieue  macßen,  etwa  gu 
glecßten  wieber  auöguwacßfen. 

(»74) 


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35 


Selter  alß  bie  bisher  entwicfelte  unanfechtbare  £6fung  ber 
Slechtenfrage  auf  anatomifchem  SBege  ftub  bie  ©eftrebungen,  burch 
©rgiebung  eineß  Slethtentballuß  auß  feinen  mutb* 
ma&lichen  ©omponenten,  Slechtenpiljfpore  unb@oni« 
bienalge,  ben  experimentellen  fRadjweiß  für  bie  5)oppefnatur 
ber  glechten  ju  liefern.  SBegen  ber  8ücfenbaftigfeit  bet  früheren 
^Beobachtungen  über  bie  Äeimung  ber  Slechtenfporen,  unb  weil 
äufcerften  Soßeß  immer  noch  bie  Snnabme  erlaubt  festen , ba§ 
bie  Äeimfäben,  wenn  man  fie  weit  genug  brächte,  fchliefclich  @o* 
nibien  erzeugten,  ift  gerabe  biefer  fpntbetifdje  ©eweiß  »on  ben 
oerfchiebenften  ©egnetn  ber  neuen  Sle<htentbeorie  nathbrücflich 
»erlangt  worben. 

55er  erfte  berartige  ©erfuch  (1871)  geigt,  bafe  man  auß 
toUfommen  ^ppljeuretne«  ©töcfchen  ber  ©adertalge  Nostoc 
burch  Sußfaat  »on  ©poren  ber  ©aUert  flechte  Collema  auf  ober 
neben  benfelben  einen  $baHuß  erziehen  fann,  ber  oom  ©ollema« 
glechtenthaHuß  nicht  ju  unterfcheiben  ift.  55ie  ©porenfeimfäben 
gehen  theilß  in  bie  ÜJtinevalnöbrftoffe  liefernbe  Umgebung,  theilß 
auf  unb  in  ben  ©adertalgenftocf,  ben  fte  reichoerjweigt  burch« 
wachfen.  Bulefct  wächft  ein  Slbeil  ber  .£>9pben  a^8  Si^igineu 
auß  bem  geworbenen  Slechtenthafluß  wiebet  herauß  (Sig.  9).  ©iß 
jur  Sr««htbilbung  würbe  bie  ©ultur  nicht  gebracht. 

5)ie  ©pntbefe  »on  Collema  ha^  ben  ©rfolg,  manche 
©egner  ber  neuen  Uebre  wenigftenß  bfaftdjUiih  ber  ©aßertflechten 
ju  überführen.  SDiefelben  ©egner  aber  griffen  nun  auf  einen 
möglichen  funbamentalen  Unterfchieb  jwifchen  ben  ©aHertflechten 
unb  ben  echten  Siedeten  surücf,  ju  beffen  ©efeitigung  fte  neue 
fpntbetifd)e  ©eweife  an  brieromeren  Siechten  forberten. 

3bwm  ©erlangen  ift  alßbalb  »on  $£reub  unb  ©ornet 
(Sig.  6 A.)  foweit  entbrochen  worben,  alß  biefe  gorfd^er  bie 

2 * (Wi) 


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fttßur  9. 


Hjatlub  ber  ©aflertalge  Nostoc  (SRanbpartie  beb  fngeligen  Älgenftürfdjeub) 
360  mal  uergr.  35ie  ©aderte  Doll  blaugtfiner  Serlidjnüre  mit  einzelnen 
größeren  ©liebem.  Sluf  unb  neben  ber  tilge  feinten  fedjb  Sporen  * ber 
©atlertflect)te  Collema.  Sfjre  Äeintfiben  gelten  bei  hh  aub  entfpreeftenben 
SlnidjtoelJttngen  in  bie  tilge,  me  [die  fie  ytm  ^lerfjtenttjaUud  umgeftalten.  Sei 
u>  ic  treten  einzelne  £>t)pf)en  beö  erzeugten  ürled)tentl)aUub  alb  .'Xbijinen 
toieber  beraub.  (3lub  beb  Serf.  'Sbbanblg.  „lieber  bie  ©ntftetjung  ber 
ftledjte  Collema  ic.  „IDtonatbber.  b.  Serl.  'Äfab.  187 J.) 

(««) 


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37 


Anlegung  ber  Spotenfeimfäben  einiger  gaubflechten  an  bie  grünen 
©pftococcu Stellen  unb  bie  tßeilwei je  Umfpinnung  ber  leiteten 
erwiefen.  SSeiter  fonnten  $reub  unb  ©ornet  ihre  Slußfaaten 
nicht  führen. 

SBaß  bet  ben  erften  ©erfuchen  noch  fehlfchlng,  baß  h<*t  nun 
fürglich  Stahl  in  glängenber  SSBeife  cofleubet : bie  ©rgiehung 
fruchttragender  beterotnerer  ftled)tenftöcfchen  burd)  Bufammentreten 
ihrer  Sporen  unb  ©onibien.  ©r  giebt  eine  ooUftänbige  fpn* 
thetifche  @ntwicfelungßgej<hi<hte  non  ber  feimenben 
biß  gur  reifenben  Spore. 

@8  ift  ein  '2tmtßgebeimniß  ber  Bledßtenfunbigen,  baß  einige 
feltene  glechtenformen  im  ,£>pmenium,  gwifchen  ben  Slfcen  unb 
$)araphpfen  eingebettet,  regelmäßig  ©onibien  enthalten,  foge* 
nannte  $pmenialgonibien.  3u  ihnen  gehört  bie  flehte,  auf 
8ößboben  wacpfenbe  gaubflecßte,  Endocarpon  pusillum,  mit 
welcher  Stahl  ejperimeutirt. 

3)ie  £pmenialgonibien  biefer  gledjte  ftammeu  oon  beu  gut 
Sllgengattung  Pleurococcus  gehörenbeu  SlhaHuSgonibien  ab.  Sie 
gelangen  bei  ber  im  £b«Hn8  eingeleiteten  ©ilbung  ber  0rudßt* 
anlagen  gwifchen  bie  grudjtbppben.  3n  ber  heranreifenben  Frucht 
thetlen  fie  fieh  gwar  wie  im  SEhnßwö  felbft,  ba  fie  aber  gwifchen 
je  gwei  ^h^lnnflen  weniger  ftarf  warfen  als  im  SEhnOnö»  1° 
finb  ihre  3eDen  fchließlid)  3 — 4 mal  fleinet  als  biejenigen  ber 
^hQUnögonibien. 

3h«  Sage  i*n  «frpntenium  bringt  e8  mit  fid},  baß  fie  gleich* 
geitig  mit  ben  paarweiß  im  Slfcuß  gereiften  Sporen  unfehlbar 
au8ge!d)leubert  werben.  3ebe  außfliegenbe  Spore  befömmt 
20 — 40  .^pmenialgonibien  alß  fDiitgift.  5)a8  ift  ber  $aupt* 
oorthfil  beß  leicht  gu  wieberholenben  ©ulturoerfucheS. 

8dßt  man  bie  Sporen  auf  ©laßplättchen  feimen,  fo  wachten 

c*”) 


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38 


auö  ben  jaljlreidjen  Sporenfadjern  aQfeitig  Äeimfäben  IjetauS. 
©in  $l)eil  bauen  fa&t  unb  umfpinnt  bie  nadjften  ©onibien,  ein 
anbeter  Slljeil  »äd)ft  auS,  um  Stl^menbienft  ju  leiften.  (§ig.  10.) 
<Die  umwadjfenen  ©outbien  »erben  alSbalb  größer,  leb» 
Ijafter  grün,  mit  einem  SBort  träftiger.  2)afj  fie  biefeö 
bet  Umfpinnung  burd)  bie  $ppl)en  oerbanfen,  jeigt  baS  l'cfyatf 


(Spore  s Dem  Endocarpon  pusillom,  puifcfjeit  .^pmenialgonibien  geformt, 
h .fctipfjen,  g ©onibien.  2)ie  bppfjenumfpomtenen  ©onibien  üon  ben  niäjt 
iimfpottnenen  burd)  betrad)tüd)ere  ©röfte  auffällig  oerietjieben.  320  mal 
oergr.  (Shrä  (Statjt,  Beiträge  pir  ChrtroidetungSgefd). 
b.  gledjten,  .§eft  II.  1877.) 

unterfd)iebeue  ©erhalten  berjeuigeu  ©onibien,  welche  »on  Äeim« 
fäben  unberührt  bleiben.  ®tefe  ©onibien  bleiben  fleinet  unb 
feilen  fid)  juweilen  nad)  einem  etwas  abweidjenben  SupuS. 

Sluf  ©laSplatteu,  o^ne  entfpreebenbe  mineralijdie  Dtäljrftoffe, 
fterben  bie  umfponnenen  ©onibienfyaufen  mit  ben  Sporen  ab,  wie 

(ST8) 


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39 


gu  erwarten  war.  2t uf  bem  lehmigen  ©oben  hingegen 
cultinirt,  welken  bi e Bleute  fonft  bewohnt,  wadjfen 
fie  gum  »ollfommenen  ©nbocarpontljallug  Ijeran, 
»eichet  nadj  4—6  2Bod)en  ©permogonien,  nad)  ebenfo* 
nieten  ÜJlonaten  ©poren  tragt. 

©tafyl  1} at  nidjt  allein  ba8  erftrebte  Hauptergebnis  feiner 
©pnttjefe  gewonnen,  fonbern  gugleid)  in  ben  H9memd8°m*rien 
eine  für  bie  fidjere  SBeiterentwitfelung  ber  ©porenfeime  ungemein 
witffame  Slnpaffung  fennen  gelehrt.  StuSerbem  aber  geigt  er, 
baS  einegweitegledjte,  weldjeam  natürlidjen  ©tanbort  bem  Hpntenial» 
gonibienbefitjer  Endocarpon  ein  treuer  fftadjbar  gu  fein  pflegt,  aber 
felbft  feine  Hbme»Mlgenibien  ^(e  auggefdjleuberten  @onU 
bien  beö  Endocarpon  ofyne  Umftänbe  gleichfalls  in  ©efdjlag 
nimmt. 

Thelidium  minutulum  ift  eine  3werg= gleite  mit  giemlicp 
unregelmäSigem,  non  Endocarpon  fefyr  abweidjenbem  ©au:  ein 
gafernefc,  ba  unb  bort  grüßte  tragenb,  an  anbern  ©teilen  ©o* 
nibiennefter  umflammcrnb.  5)ie  grüßte  nenatljen  ©erwanbtfd)aft 
mit  Endocarpon.  ©knn  nun  Endocarpon  unb  Thelidium  neben 
einanber  ihre  grüdte  reifen,  fo  werben  audj  ihre  ©poren  gufammen 
auggefdjleubert.  H9mej1'a^8on^ien  ber  erften  Siebte  unb  ©poren 
non  beiben  gleiten  fommen  bunt  burd)  einanber  gn  liegen.  2>a 
ergreifen  unb  umfpinnen  bie  ©porenfcimfäben  non  Thelidium 
bie  im  Ueberflufj  auggeworfenen  H9men’al80n^*en  Don  Endo- 
carpon. Unter  bem  <$influ§  tiefer  Hpphe**  erfahren  bie 
Kolonien  ber  ©nboearponalge  eine  anbere  innere  Änorbnung,  alg 
bei  ber  Umfpinnung  burdj  ©nbecarponhpphen- 

fDlit  einem  SSort:  ÜluSer  ber  lang  erfehnten  nolt* 
ftänbigen  ©pntljefe  einer  h*teroroereu  gleite  geigt 
©taljl  experimentell,  wie  ein  unb  biefelbe  Eigenart 

(*I9) 


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40 


nicht  bloSoon  gn>  ei  gattun  g<b  unb  familienocrfd)iebenen 
Fledjtenpilgen  als  ©onibium  benüßt,  fonbetn  and) 
hinfidjtlid;  ber  SÄnorbnung  ihrer  3eHeitcolonteen  oon 
jebem  bet  beiben  in  anberer  SEBetf e beeinflußt  wirb. 

SDamit  fällt  and)  bet  leßte  3weifel,  toeldjer  gegen  bie  neue 
ßehre  »on  ber  SRatur  bet  gledjten  non  irgenb  einer  ©eite  nod) 
hätte  erhoben  werben  fönnen. 

3>ie  ^let^ten  finb  erlöft.  ÜJian  Ijatte  fie  butd)  lange  Saßte 
in  bet  3rre  umhergetrieben.  5öa8  ihnen  fein  (Sifer  unb  fein 
©igenfinn  bet  fammelnbeu,  bejdjveibenben  fofiematiid)en  8id)eno« 
logen  oerjcßaffen  fonnte,  baS  haben  ihnen  bie  »erfdjmähtcn  bio* 
logifdjen  2?otanifer  enblidj  nadigewiefen,  ein  §eimatb6red>t.  ©in 
unanfechtbares  J|peimathSred)t  bei  ben  anbern  äfcompceten,  obn 
benen  (ich  ihte  hei*f<henben  ^>ilge  lange  »er  ber  23raunfohlen$eit 
abgejweigt  haben,  um  bem  Sllgenoolf  nad^ugehen.  3cßt  hamn 
fie  nur  nod)  ihres  Söirtor  ©(heffel. 


SBir  haben  bisher  bie  in  ben  lebten  Sah^ehnten  roflgogene 
©ntnncfelung  ber  maßgebeubften  Ölufflärungen  übet  bie  ßebenS» 
gejchidjte  bet  Flecßteu  fdjrittmeife  oerfolgt.  SDarum  erfc^eint  eS 
nicht  überflüffig,  eine  Ueberfic^t  beS  bermaligen  ©tanbeS  bet 
Frage  in  jufammenfafjenben  ©aßen  h‘«  angufchließen. 

1.  3ebe  flechte  befteht  auS  gn>ei  gut  ßebenSgemeinfcßaft  innig 
»etbunbenen  netfeßiebenen  Organismen.  SDanon  ift  ber  eine  ftetS 
tin  9)ilä  ans  bet  Sljcomncetenreihe,  bet  anbere  eine  ‘Alge.  SDiefe 
ßebenSgemeinfchaft  läßt  beibe  ©eroächfe  wie  ein  eingigeS  3n* 
bioibuum  erfeßeinen.  ©ie  erftreeft  fid?  auf  Ernährung,  SBocßS» 

thum,  ©eftaltbilbung  unb  Fortpflanzung. 

(«80) 


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41 


2.  Die  glechtenpilze  finb  'äfcompceten  (Schlauchpilz«)  theilS 
ber  Difcompceten«  (©cheibenpilz*)  t^eilS  ber  Pprenomnceten» 
(Äernpilz«)  ©ruppe.  3l?re  Serwanbten  wohnen  tl)eilS 
als  ©chmatoher  auf  lebenben  Organismen,  ttyeilS  anf 

m ben  »erfchiebenfteu  tobten  orgnnifdjen  ©loffen.  SDie  gleiten» 
pilZe  felbft  aber  tommen  anberS  als  im  glechtenüerbanbe  nicht  »ot. 

3.  SDie  glechtenalgen  gehören  »erfd)iebeneu  nieberen  SUgen« 
familien  an.  SDie  grünen  am  fyüujrgften  ben  gamilien:  pal« 
mellaceen,  ©hroolepibeen,  auSnahmSweife  ©onfer»aceen,  ©oleochae« 
teen.  Die  blaugrünen  »or  SlOem  ben  gamilien:  ©hroococcaceen 
uub  Softocaceen,  feltener  ben  fRioulatieen,  ©irofiphoneen,  ©cpto* 
nemeen.  Siele  ihrer  allernächften  Serwanbteu  ber  gleiten  ga= 
milie  finb  nie  im  gledjtenuerbanbe  beobachtet.  Diefe  bewohnen 
ebenfo  wie  bie  freilebenben  glechtenalgen  felbft,  meiftenS  gefellig, 
feuchte,  nicht  bleibenb  überfdjmemmte  ©tanborte:  Baumriuben, 
Bretter  unb  Salten,  ©teine,  gelfen  uub  Stauern,  Dachziegel, 
©rbboben. 

4.  ©8  giebt  »iel  mehr  »etfd?iebene  Sitten  oon  glechtenpitzen, 
als  gonibienbilbenbe  Sllgenarten.  Stamme  gledjtenalgen  treten  mit 
nur  wenigen,  anbere  mit  zahlreichen  glecptenpilzarten  unbÖattungen 
in  benglechtenoerbanb  ein.  ©ine  beftimmte SUgenform  ift  in  13©at« 
tungen  jum  Dheü  wenig  unter  fidj  »erwanbter  glechten  anatomifch 
beobachtet.  3n  einem  gaüe  ift  bie  Serbinbung  zweier  ziemlich  »er« 
fchiebenenglechtenpilzgattungen  mit  einet  unb  berfelbenSÜgcnfpecieS 
erperimenteQ  bewiefen.  3n  bet  JRegel  aber  bevorzugen  unter  fich  »er« 
wanbte  glechtenpilge  auch  »“he  »erwanbte  Sllgenformen.  Die 
Serhältuifie  liegen  hie»  gang  ebenfo,  wie  bei  echt  parafitifchen 
Beziehungen  fonft  im  Pflanzenreiche. 

SlnSnahmSweife  baut  ftch  ein  unb  berfelbe  gledjtenftocf  mit 
mehreren  beftimmten  Sügenformen  charafteriftifch  auf. 

(**D 


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42 


5.  £Die  3nnigfeit  bet  8eben6gemeinfchaft  fpricht  ftd?  bei 
fömmtlichen  gleiten  gunächft  barin  au8,  ba|  beren  üfyaUuö 
ungefdjlechtliche  gortpfiangungSorgane  ober  ÄnoSpen  ergeugt 
(©orebien),  welche  im  einfachen  gaHe  eine  pilgfaben» 
umfponnene  Sllgengelle  barfteOen,  jebenfallö  aber  immer  uom  • 
9>ilg«  unb  uom  Sllgentheil  ber  gleite  gemeinfam  aufgebaut  finb. 
SBallroth  überfah  an  ihnen  ben  ^ilgtheil,  unb  ibentificirte  fie 
furgweg  mit  ben  ©onibien.  SDiefe  ©orebien  werben  gumal  bei 
feuchter  ffiitterung  in  ungeheuren  9Rengen  erzeugt.  SBenn  fie 
maffenhaft  aus  bem  S^haDuS  austreten,  fo  »erleihen  fie  beffen 
Dbetfläche  ein  puloerig«beftäubte8  Slu8fel)en.  ffiom  glechtenförper 
Io8gelöft,  bur<h  SBinb  unb  JRegen  weitergetragen,  geben  fie  gur 
Entftehung  ber  an  $lechtenftanborten  fo  überaus  häufigen  grünen 
unb  grünlichen  Sinflüge  23eranlaffung.  ©ie  wachfen  meift  gu 
neuen  gle<htenftö(f<hen  heran,  fönnen  aber  au«h  bei  anhaltenber 
9täffe  ihre  Sligen  gu  felbftänbigem  geben  entlaffen.  (2)af)  Sin« 
flüge  »on  gang  bem  gleichen  oberflächlichen  Sinfehen  auch  au8 
reinen  Silgeuaufiebelungen  beftehen  fönnen,  braucht  !aum  befon» 
berS  betont  gu  werben.) 

6.  Sin  ber  ©rgeugung  unb  bem  Slufbau  ber  gefchlechtli^en 
gortpfiangungSorgane,  ©permogonien  unb  §rüdjte  (STpothecien)  ift 
au8fchlie§lidh  ber  glechtcnpÜg  betheiligt.  ©eine  ©poretifeimfäben 
fönnen  aber  nur  unter  ber  33ebingung  gu  giedjtenftöcfchen  heran« 
wachfen,  bah  fie  bie  ihnen  eutfprecheuben  glechtenalgen  antreffen. 

7.  2Bie  häufig  bie  9teubitbung  »on  glechtenftöcfchen  au8 
©porenfeimen  unb  freien  Siigen  in  ber  SRatur  wirflich  ftattfinbet, 
barüber  fehlen  bie  Erfahrungen.  3m  ©äugen  fcheint  bie  93et« 
mehrung  ber  ©töcfchen  burdj  ©orebienbilbung  weitaus  gu  über« 
wiegen.  Siuch  fruchten  manche  ftarf  forebienbilbenbe  Siebten 
äufierft  feiten.  Siber  ba  überhaupt  bei  feuchter  SBitterung  Sporen 

fJ8i) 


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43 


genug  an  Drte  auSgefdjleubert  werben,  wo  ihnen  bie  entfpreehen* 
ben  Algen  reichlich  ju  ©ebote  ftehen,  fo  tft  häufige  ffteubilbung 
non  $lechtenpflänj<hen  purch  ßufammentreten  non  Spotenfeim» 
fäben  unb  Algen  wenigftenS  nicht  unwahtfd)einlich.  ©inige 
Slechtenformen  befißen  überbieb  in  ber  ©rgeugung  non  £pmenial* 
gonibien  eine  ©inrichtung,  welche  jum  Aufbau  neuer  Snbinibuen 
auS  Sporen  unb  Algen  auSbriuflich  fic^erub  beitragen  muß. 

8.  £infi<htlich  beS  ©infiuffeS,  welchen  ber  'Algen*  unb  ber 
^ilgtheil  auf  bie  ©eftaltbilbung  bet  gledjte  auSüben,  fommen, 
non  noQftänbiger  SSeherrfchung  ber  ©eftalt  feitenS  ber  h9Phen' 
burchwadjfenen  Alge,  bis  gu  auSfdjließlicher  Abhängigfeit  ber 
©ejtalt  nom  algenumfpinnenben  $>ilg,  fo  ziemlich  alle  Abftufun» 
gen  not. 

2)ie  Alge  beftimmt  für  fid>  allein  bie  ©eftaltnerpältuiffe  bei 
©phebe,  bie  -£>pphe  fogar  in  bie  unabhängig  non  ihr  auS* 
wachfenben  Seiten^weige  (§ig.  8a.)  erft  nachwächft.  Sie  bleibt 
ber  maßgebenbere  $heil  noch  bei  nielen  ©allertflechten,  bei  welchen 
bie  $pphenburchwachfung  juweilen  feine  unb  weift  nur  unterge* 
orbnete  Umrißänberungen  im  ©efolge  hat>  f°  baß  bie  flechte 
fraufer,  reichlappiger  erfcpeint  als  bie  hpphenre*ne  ^Uge.  (Aepn» 
liehe  ©tfdjeinungen  finb  an  manchen  ed)t  parafitijehen  ^iljen, 
u.  a.  SRoftpilgen  befannt,  welche  beim  IDutchwachfen  ganzer  Aefte 
unbSweigeber  2Sirthpffon$entheilS  beten  ©eftalt,  tljeilS  ©roße,  gorm 
unb  Dichtung  ber  SBlätter  abätibern.  SoAecidium  elatinum,  welches 
Stannenjweige  in  fog.  ^»eyenbefen  umwanbelt,  Aecidium  Euphor- 
biae,  welches  bie  befallenen  STriebe  ber  SöolfSmilch  gleichmäßig 
entfteQt  u.  f.  f.) 

^Dagegen  beherrscht  ber  $ilg  bie  §ormbilbung  bei  allen 
Äruftenfleehten,  8aub*  unb  Strauch  flechten,  wo  SBachSthum  unb 
SBergweigung  nur  non  ihm  auSgeht,  unb  bie  Algen  bem  Verhalten 

(*»3) 


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44 


be8  .fmpljengeroebeS,  baS  aut  an  ÜJtaffe  weitaus  überwiegt,  gebulbig 
folgen.  @8  giebt  bei  Ärufteufletten  einzelne  gormen,  in  beren 
jugenblitben  not  algenlofen  S^alluS  bie  ISlgenjeUen  eh^eln  nat* 
träglit  erft  einmanbern. 

9.  §%fiologift  ift  bie  glet tengemein jdjaft  not  allen  ba« 
butt  gefennjeitnet,  baff  bie  ®lge  für  fit  unb  il}ten  'pilj  afft» 
limirt.  35er  glettenpilj  fann  bemnadj  ofjne  bie  $llge  nid^t 
leben. 

10.  3lbet  aut  bet  9>ilj  leiftet  fein  ©tücf  Srbeit  für  bie  (Srnäfy* 
rung  beiber  ©enoffen.  3e  natbem  et  bie  £>berflädje  ganj  obet 
tfyeilweife  einnimmt,  forgt  et  auSfdjliefslidj  obet  mitbeteiligt  für 
bie  fSufnafyme  bet  unorganiften  rofyen  9lä^tftoffe,  Äoljlenfäute, 
SBaffer,  SÖUneralbeftanbt^eile  unb  bet  SttljmungSluft.  3a,  er 
oermag  fRäfyrftoffquellen  aufjuftliefeen,  welche  bet  3Hge  allein  unju* 
gänglid)  ftnb:  ob  et  nun  feine  Steinen  tief  in  oerwitterabe 
Saumrinben  naprungSfutenb  entfenbet,  obet  ob  et  mit  bet  fauern 
äuSfteibung  feinet  #ppfyen  2öd)er  in8  ©eftein  frifct. 

hieraus  etgiebt  fit,  bafc  bie  &lge,  obgleit  fie  be8  gletten* 
oetbanbeS  nitt  bebarf  unb  im  glettenoerbanbe  it)re  greitjeit 
fammt  iljrer  gortpflanjung  aufgiebt,  iljre  S)ienfte  in  bet  ftletten* 
gemeinftaft  bot  feineSwegS  unentgeltlit  leiftet.  2)ie  Serbin» 
bung  mit  bem  95ilje  förbert  fogat  in  oielen  Bällen  natweiSlit 
ba8  SöatSt^um  ber  3Uge.  'Äufeetbem  ift  bet  ©tufc,  bie  ©tc* 
nung,  weite  ber  quattiergebenbe  $)ilj  bet  9llge,  feinem  arbeite« 
tiittigen  ©aft  unb  ©enoffen  gewahrt,  befonberS  bei  potent» 
witfelten  Kletten  ganj  unoetfennbat. 

11.  35ie  glettengemeinftaft  ift  bemnat  fein  teineS  ©t*na» 
tofoeroetfyiltnifj,  bei  weitem  bet  ©tmarofjer  feinen  SBirtl)  in 
gleitem  SJtafje  beeinträchtigt  unb  ftäbigt,  als  er  felbft  gebeizt. 
Sur  ganj  wenige  ©aflertfletten  eutiprete«  annäbernb  biefem 

(264) 


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45 


galle.  2)ie  ausgeprägte  glechtengemeinfchaft  ift  »ielmebr  eine 
SBirthfchaftS»  unb  SebenSgemeinfchaft,  auf  einet  northeil* 
haften  2lrbeit8theilung  beruhenb,  welche  in  gewiffer  £inficht 
beibe  ©enoffen  ftärfer  macht,  al8  fie  unoereinigt  gemefen  wären. 
2)a8  gilt  inSbefonbere  ^inftd>tlid^  bet  SlnftebelungSfähigfeit  bet 
gleiten  auf  noch  unoerroittertem  ©eftein,  bem  gegenüber  bie 
SÜge  allein  ebenfo  machtlos  erfcheint,  wie  bet  §>il$  für  fich  allein 
wäre. 

12.<Siet)t  man  fich,  junächftim  llflan^enteichc,  nadh  bemglecpten* 
oetbanb  gleichen  ober  ähnlichen  SebenSgemeinfchaften  um,  fo  trifft 
man  auf  feine  unmittelbar  »erwanbte  ©rfcheinungi  ©ine  ent* 
ferntere  Slehnlidjfeit  jeigen  bie  ©pmbiofen,  um  einen  non  be  Sarp 
auf  ber  Äaffeler  9laturforf^er»erfammlung  eingeführten  3lu@brucf 
ju  gebrauchen,  oon  einigen  fftoftocaceen  mit  gewiffen  Üebermoofen, 
SBaffetfarnen  unb  etlichen  Silüthenf) flanken.  3n  allen  biefen 

gällen  Ijatibelt  eS  fid>  um  Sllgencolonieen;  welche  im  ©ewebe 
ihrer  SSMrthe  eingewanbert  fich  ftuben.  Salb  ift  ihre  'Änwefen* 
heit  jufäüig,  fie  fönnen  ebenfo  gut  fehlen  (üebermoofe,  ©pcaS* 
wurzeln);  halb  ift  ein  beftimmte8  Dtgan  auf  bie  Aufnahme  ber 
2llge  auSbtücflich  eingerichtet,  unb  non  ber  2llge  regelmäßig  unb 
ausnahmslos  auch  bezogen  (ISgolla).  33ie  Slnwefenheit  ber  Sllge 
bebingt  hier  wie  bort  erhebliche  ober  geringfügige  Slbänberungen 
an  ben  SBachSthumSrichtungen.  — Soweit  fittb  biefe  Sombiofen 
ber  glechtenfpmbiofe  analog.  SDie  SSerhältniffe  ihrer  ©rnährung, 
gormbilbung  unb  gortpflanjung  bagegen  laffen  fich  wit  ben  ent» 
jprechenben  ©tfcheinungen  im  glechtenleben  nicht  Dergleichen. 


(*») 


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46 


Citrratur. 

be  ©arp,  ÜHctp|)cIcgie  unb  'P^pclogie  bet  pilge,  gleiten  jc.  jc.  1866. 

».  Ärempelfyuber,  ©ejcbichte  unb  Literatur  ber  Sicfymologie.  1867 
bis  1872. 

«n  liefen  beiben  Drten  bie  altert  Literatur. 

©aranefcfp,  Beitrag  gur  Äenntnif;  beS  jelbftänbigen  Gebens  ber  gleiten» 
gonibien.  1868.  Safjrb.  f.  wiff.  ©ot.  VII. 

be  ©arp,  SDie  ©rfdjeinung  ber  Spmbiofe  1879. 

Bor  net,  Recherches  s.  1.  Gonidies  des  Lichens.  Annales  d. 
Sciences  nat.  V.  Ser.  Bot.  t.  17.  1873  unb  t.  19.  1874. 

gamintjin  unb  ©aranefcfp,  3»r  ©ntu>icftlung6gefdji($te  ber  ©onibien 
unb  3oofpDrenbtlbung  ber  gleiten.  So  tan.  3tg.  1868.  9lr.  11. 

gran!,  ©iolog.  ©erljältniffe  beS  S^aHuS  einiger  Äruftenflecbten.  Gol)  n, 
©eitr.  g.  Siel.  b.  pflanjen.  ©b.  II.  1876. 

S^igfcljn,  Gultur  ber  ©laucogcnibien  nun  “peltigera.  ©ot.  3tg. 
1868.  ?Rr.  12. 

jlnp,  Ueber  ßiepina.  Sifcb.  b.  ©ef.  ©aturf.  greunbe  g.  ©erlin.  1874. 

5Ree§,  Ueber  bie  ©ntfteljung  ber  gleite  Collema  glaucescens.  2JlonatSb. 
©erl  «fab.  1871. 

©4>»enbener,  Unterjucbungen  übet  ben  gledjtentbaHuS.  3n  ©ägeli, 
©eitr.  g.  reiffenfdj.  ©otanif,  .£>cft  II.  III.  IV.  1860 — 68. 

— lieber  ©pljebe.  gtora  1863. 

— (Die  «Igentppen  ber  gledjtengcnibien.  1869. 

— (Irötterungen  gur  ©enibienfrage.  glora  1872. 

— 25ie  g (echten  als  parafiten  ber  «Igen.  ©ortrag  in  ber  ©afeler 
©aturforfdf.  ©efeUjcbaft  1873. 

(SM) 


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47 


©ta^I,  ©citxäge  jur  (gnhmdelungfigff^idit«  her  gleiten.  1877. 

Straeburger,  Uebei  Ägotla  1873. 

SEreub,  ^id^nenculhit,  Sotan.  3tg.  1873. 

Tulasne,  Mem.  p.  s.  ä l’histoire  des  Lichens.  Annales  d.  Sciences 
nat.  III.  Ser.  Bot.  t.  17.  1852. 

SBinter,  Ueb«  bie  (Gattung  ©pfjärcmpljale  unb  SBerw.  3a§rb.  für 
»iff.  ©ot.  X.  1876. 

Woronin,  Recherches  8.  1.  Gonidies  du  Lichen  Parmelia  pul- 
rerulenta.  Annales  d.  sc.  nat.  V.  Ser.  Bot.  t.  16.  1872. 


(S87) 


Imd  scn  (Tffcr.  tlnjtt  (2$.  Q)rimm)  in  Bfrlin , gicsttnäcrtuii  17«. 


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£ie 

^romeffteusfctcje 

mit  befoitberex  33erücfftd)tigung 

Ujwr  Abarbeitung  burd)  3Ufdjqlo$. 


Vertrag,  gehalten  im  nnfjeni<baftHd)en  SSereine  ju  ©djmerin 
am  15.  SDecember  1877 

oen 

(Earl  IJollc, 

©tjmnafialbireftor  in  2Baren. 


ßerlm  SW.  1879. 

33erlag  ton  (Sari  £abel. 

(C.  iS.  i'uiwilj’sitJ'  UrtionsbtHljhonblnrip. ) 

33.  9BU0<ttn  • ©trat»  33. 


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35ac  SKec^t  ber  Ueberfefcung  in  ftembe  Sprachen  rotrb  oorbebalten. 


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2)et  rübmlicbft  befamrte  33etfaffer  bet  ©nglifdjen  ©efd&idjte  ber 
©riecfeen,  ©rote,  jagt  im  1.  Sanbe  feines  unnergleicblidjen  SBetfeS: 
„S5ie  meiften,  wenn  nidjt  alle  ^Rationen  haben  SRptljen  gehabt, 
aber  feine  Nation,  ausgenommen  bie  ©rieten,  tjaben  i^nen 
unfterbticfjenfReig  unbadgemeineS3nteteffemitgetbeilt."  £)eu©runb 
banon  haben  wir  in  bet  eigentümlich  mpthiften  mtb  poetifdjcn 
Anlage  beS  ©riec^onoolfS  gu  fuchen.  3n  feinet  dRptbologie, 
fagt  Söeldfet  in  feinet  ©ötterlehre,  non  bet  ^oefte  oetfdjiebener 
3eitaltet  finben  mit  bie  urfytün  glichen  Slnfdjauungen  ber  ©öfter, 
$eroen  unb  dRenfdfenwelt  fo  gebiegen  unb  ftilgetedjt,  fo  fräftig 
unb  gart  auglcid^,  fo  plaftifd)  unb  flat  an’S  8i<ht  geftedt  unb 
bo<h  fo  »oll  ©efyeimnifj  unb  in  bet  Sliefe  fdilummernben  ©efühlS, 
fo  felbftönbig  geraffen,  fo  Ijatmonifdj  unb  bis  gut  nod* 
fommenften  @thönl)eit  fortgebilbet,  gugleid)  fo  nerftänblidj  unb 
tteffenb  umgebilbet  non  genialer  unb  oft  bet  mutfywiHigft  über» 
fprubelnben  8aune,  wie  bei  ben  ©riechen.  ©8  war  in  bet 
2l)at  ein  grofceS  SBerf  unb  nicht  nur  ba8  müfjige  ©Raffen 
phantaftifcher  Poeten,  ba8  grofje  SebenSwerf  eine8  fo  rcic^  be* 
gabten  SBolfeS,  wie  e8  bie  Hellenen  waren,  in  feftge^altener 
2lnf<hauung  butch  ade  äBedjfel  bet  Seiten  tyinburdj  bie  au8  einet 
3bee  ^etnorgeffttungenen  tteffenben  ©runbgüge  eines  jeben  per» 
fönlidjen  ©ötterdjarafterS,  fowohl  nach  bet  ©eite  ber  dRenfchen» 
wett  als  nach  ber  bet  5Ratut  hin,  fo  ftreng  unb  ftetig  gu  wahren 
unb  gugleich  bo<h  gu  immer  lebenSoodetem  SluSbtucf  unb  fefterem 
3neinanbergteifen  ader  Süge  auSgnbilben  unb  mit  fprecfyeuben 

XIV.  321.  1*  (291) 


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4 


33ejiehungen  ju  bereichern.  @8  gehörte  baju  grofcet  ©rnft,  ber 
bie  SBiUfüt  tänbelnber  ^^antafie  fern  holt,  unb  bod)  mieber 
baneben  eine  eigentümliche  Anlage  für  $orm,  Schönheit  unb 
©rajie,  bie  ber  $)bantafie  al8  Helferin  nicht  entbehren  fönnen. 
©o  lonnte  e8  auch  mir  gefächen,  baff  ber  ©laube  an  bie 
©ötter,  bie  munbetbare  3Uufton  ihrer  (Realität  nicht  blc8  3atjr* 
hunberte  lang  aufrecht  erhalten  mürbe,  fonberu  einen  fo  hohen 
Slufftbmung  nahm,  bafj  alle  Bmeige  menf<hli<ber  Gultur,  bie  gu 
ihm  in  Segieljung  ftanben,  eine  #öhe  bet  33olIenbung  erreichten, 
bie  un8  noch  jefjt  mit  ftaunenber  ©emunberung  an  ihren  nie 
erreichten  Serien  emporbliden  läfet. 

Unb  aQe8  im  geben  ber  .fjeQenen,  alles,  ma8  ihr  @eniu8 
fdjuf,  hin0  ouf’8  engfte  mit  ihrem  @ultu8,  mit  ihrer  (Religion 
gufammen.  (Rur  burch  ihre  (Berbinbung  mit  ben  he‘tiüften 
SRpthen  ift  ihre  geftaltenreiche  (Poefte  im  SSolte  ju  bem  großen 
Slnfehen  gelangt,  ba8  bie  Dichter  immer  auf’8  neue  gu  ihren 
unterblieben  Serien  begeifterte.  SßieleS  felbft,  mag  un8  nicht 
mehr  mpthifch  in  ben  antifen  Dichtungen  erfcheiut,  fonbern  rein 
poetifd),  hfltte  für  bie  Hellenen  lebenbige  Sefenheit;  fie  maren 
gemöhnt,  non  ben  freunblichen,  halben  Schöpfungen  ihrer  ?>hantafte 
überall  im  geben  unfiebtbar  umgeben  $u  fein.  Darum  hotte 
auch  bie  (poefte  über  fie  eine  unenbliche  ©emalt,  eine  größere, 
als  über  anbete  (Böller.  ®o  fonnte  in  ihrer  SERitte  ein  £omet 
erflehen,  über  ben  bet  ftolje  StuSfpruch  gethan  ift: 

, gange  fann  bie  9tatur  unb  als  fie  geraffen, 

(Ruhete  fie  unb  fpraep:  ©inen  .fromeroS  ber  Seit!" 

©o  nur  maren  e8  auch  bie  Hellenen,  in  beren  ©chofce  bie 
tragifche  §)oefie  ihre  erften  herrlichen  .Seime  entfaltete  unb  jene 
großen  Dichter  hcr»orbrac!bte,  bie  noch  ftetS  als  (Dtufter  bet 
bramatifchen  Sunft  gelten.  (Rennt  fi<h  bodj  üflefchploe  felbft  eineu 
Bögling  ber  Demeter,  ©inb  auch  bie  bauenben  unb  bilbenben 
(*«) 


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5 


Äünfte  t>on  dufteren  Umftdnben  abhängiger  als  alle  Äunft  ber 
Siebe  unb  Dielung,  als  alle  gertfdjritte  bet  ©iffenfchaft,  auf 
bie  ber  Staat  ja  nur  mittelbar  einwirfen  formte,  unb  bebürfen 
fie,  um  etwas  ©rofjcS  gu  Stanbe  gu  bringen,  folget  Mittel,  wie 
fte  nur  ber  Staat  gewähren  fann,  unb  gmar  ein  Staat,  fo 
blütjenb  unb  reich,  »ie  ätljen  in  feiner  lebenSooOften  ©poche, 
fo  finb  bodj  gerabe  fte  fo  innig  in  allen  ihren  ©etfen  mit  bet 
Süötbologie  unb  bem  ©ultuS  eerroachfen,  bafj  fte  ohne  ihr  unbenfbar 
finb.  ©ober  haben  alle  jene  Äünftler  gu  ihren  Schöpfungen 
ihre  ©eftalten  genommen,  woher  anberS  als  auS  bem  Steife  bet 
frönen  ©ötterwelt?  Unb  woher  ftammen  jene  ÜKarmortempel, 
gu  bencn  in  he*^fler  Anbetung  bie  ©riechen  aus  allen  ©auen 
wallfahtteten,  unb  beten  krümmet  noch  mit  ihren  fdjlaufen 
Säulen  unb  bilberrcichen  ©iebelu  jebeS  Sluge  entwürfe«,  woher 
als  auS  bem  GultuS  ber  ©ötter  unb  Heroen,  beren  ©laube 
Solf  unb  jfünftler  befeelte?  3ene  hetrltdjen  ©öttergeftalten  ber 
Hellenen,  wie  fie  3ahrtaujenbe  in  ewiger  3ugenb  gelebt  haben, 
finb  unS  noch  jef}t  baS  fDiaft  alles  Schönen  unb  Snmuthigeu. 
Unb  weiter  fagen  wir  wohl  uicht  gu  »tel,  Kenn  wir  behaupten, 
bafj  ber  ÜJtothologie  auch  alle  jene  ernften  ©ebanfen  über  baS 
©ßttliche,  baS  Siechte,  baS  ©ble  unb  ©eife  unb  alle  jene  tieferen 
(Smpfinbungeu  ihren  Urfprung  oerbanfen,  bie  ohne  ein  prieftet» 
lidheS  ©ewanb  mit  priefterlicben  ©orten  unb  Silbern  in  bet 
griechischen  ^>^ifofop^ie  hcrö°ttreten. 

SDech  eS  mürbe  unS  gu  weit  oon  bem,  waS  wir  beabfichtigen, 
ablenfen,  wollten  wir  noch  weiter  in  bie  ©eheimniffe  beS 
griechifdjen  SJipthoS  unb  feines  ungerttennbaren  3ufammenhaug8 
mit  bem  gangen  i*eben  unb  IDidjten  beS  ^elleneubolfs  eingu* 
bringen  juchen.  3ene  5Jipthen  an  unb  für  fich  haben  im  Baufe 
bet  3eitnt  noch  feineSwegS  ihre  Sebeutung  unb  Äraft  »erloren 
unb  üben  nicht  nur  auf  ben  gelehrten  ^orfcher,  ber  fich  ein» 

t»3; 


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6 


gebenbet  mit  ihnen  bejdjäftigt  unb  in  bie  oielen  ©eftalten  unb 
unb  Silber  wiebet  einen  lebenöoollen  3ufa»™enbang  gu  bringen 
fudjt,  fenbern  auf  jeben,  beffen  ©inn  nicht  gang  am  geben  unb 
©etriebe  ber  ©egenwatt  unb  be«  Sageölätmö  bängt,  einen 
unenblichen  5Reig  au8.  SSie  wir  als  Äinber  ftitl  unb  fdjauernb 
ben  HJtäbrehen  bet  .fjeimatb  laufdbten,  bie  un§  bie  Butter  am 
Äamin  in  ben  ©ämmerftunben  nicht  oft  genug  erzählen  fonnte, 
fo  leihen  wir  je§t  gern  jenen  großen  ©agen  unfet  Otjr,  bie 
gange  Söller  bewegten  unb  in  ihrer  tiefen  ©ebeutung  unb 
SBabrbeit  bis  auf  unfere  3eit  hetabreichen.  3)a8  ift  ja  eben  baS 
©rohe  unb  ©ebeutungSooHe  be§  fDtptboS,  wie  ihn  ein  gange« 
Sol!  gefebaffen,  bah  feine  propbetifche  Söahrheit  weiter  reicht,  alö 
bem  ©ewufjtfein  beö  ©chaffenben  felbft  offenbar  ift.  ©er  SDftptben» 
fdjöpfung  liegt  eine  über  ba8  ©ewufjtfein  hinauögehenbe  ähnung 
gu  ©runbe,  welche  im  oerfcbloffrnen  Welche  trägt,  wa§  günftige 
©onnenblicfe  allmählich  mehr  unb  mehr  entfalten.  ©8  liegt 
ferner  in  ber  Satur  be8  5Jtptbo8,  ber  ja  eben  ber  SluSbrucf 
einer  religiöfen  3bee  ift,  bah  er,  wie  atleS  ©pmbolifche,  oet» 
fchiebenen  SebenSbebürfniffen  genügt,  fo  fern  fie  auß  bemfelben 
Jteim  heroorgehen,  bah  et  oerfdjicbene  Slnffaffungen  guläfjt,  welche, 
ohne  gu  einet  ©inbeit  gu  »etfchmelgen,  fidj  boch  nicht  gegeufeitig 
au8f<hliehen,  »on  beneu  feine  ihn  gang  erfchöpft,  inbem  für 
anbere  3nbioibualitäten  bie  fDiögliehfeit  offen  bleiben  muh,  an 
berfelben  Duelle  mit  gleicher  ©efriebigung  gu  fchöpfen.  ©aber 
ift’8  benn  auch  möglich,  bah  felbft  übet  ben  ©efichtSfreiS  beS 
9flterthum8  hinaus  bie  Stagweite  eine«  alten  SJlptboß  reichen 
fann,  weil  fcbliehlicb  in  le^ter  3nftang  boch  allet!  fReligiöfe  auf 
benfelben  ©runbibeen  unb  ©runbbebürfniffen  ruht,  bie  einet 
©ntwicfelung  fähig  finb,  welche  bte  ©rengen  eiueö  burd?  wefent* 
liehe  ©igenthümlichfeiten  oon  anberen  gefchiebenen  9ieligion8- 
gebietS  überfchreitet. 

(»94) 


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7 


3UIe8  ©efagte  gilt  »on  feinem  uns  aus  bem  grietpiftpen  alter* 
tpum  pinterlaffenen  SRptpoS  mepr  als  oon  ber  ^rometpeuSfage, 
beten  33ebeutung  unb  {Bepanbluug  burtp  ben  größten  Ütagifer 
ber  Hellenen,  aefcpploS,  in  biefen  3etlen  öorjufüpren  mir 
oergönnt.  fein  mag.  SJtir  ift  bie  ©cpwierigfeit  ber  Aufgabe 
wopl  bewufft,  unb  iip  bitte  im  »orauS  um  gütige  SRac^fic^t, 
wenn  i(p  in  bem  engen  {Rahmen  baS  nidft  erf<pöpfenb  be* 
panbeln  fann,  woran  @eleprte  3abte  beS  8eben8  gearbeitet 

haben- 

S3e»ot  i<p  ben  3npalt  ber  Slefcppleifcpen  Stragobie  »ot* 

führe,  will  i(p  uns  in  furzen  3Ü8en  bie  ©age  felbft,  wie 

fie  unS  üon  #eftob  unb  anberen  ©cbriftfteQern  erjaplt  ift,  in’S 
©ebäcptnifj  gurücfrufen.  Söir  müffen  jurüdgepen  auf  bie  ©nt* 
ftehungSgefdjidpte  ber  SfBclt  unb  ber  ©öfter  überhaupt,  wie 
fie  $efiob,  ber  bßotif<pe  ©änger,  in  feiner  SL^eogonie  unS  liefert. 
{Ratp  ihm  entftanb  im  Anfang  baS  ©paoS,  ein  leeret,  unermefj* 
lieber  {Raum,  barauf  ©aia,  bie  ©rbe,  £attaro8,  ber  Sbgtunb 
unter  bet  ©rbe,  unb  ©toS,  bie  alles  oetbinbenbe  Siebe,  ©aia 
brachte  UranoS,  ben  £immel,  bie  ©ebirge  unb  {PontoS,  baS 

SReet  hetoor,  unb  mit  UranoS  »erbunben,  bie  Titanen,  beten 
füngfter  ÄronoS  ift,  bie  ©pflopen,  jene  wilben,  einäugigen  Unge* 
heuer,  unb  bie  ^efatonepeiren,  hunbertarmige,  fd^recflid^e  {Riefen. 
2)a  jebodp  UranoS,  über  bie  gurdptbarfeit  feinet  Äinber  etfepredt, 
fie  in  ben  Tartaros  warf,  ba§  fie  nie  an  baS  Sid^t  ber  ©onne 
fämen,  fo  berebete  bie  gürnenbe  SRutter  ben  ÄronoS,  feinen 
S3ater  UranoS  gu  flütjen.  3)aS  gelang,  unb  mit  jfrouoS  beginnt 
bie  jweite  ©ßttergeneration  ober  bie  3«it,  in  ber  fiep  bie  neuent* 
ftanbenen  SRaturfrafte  unb  ©ewalten  in  {Ruhe  auSbreiteten  unb 
entfalteten.  SDod j audp  ÄronoS,  unter  bem  bie  5Renf<pen  ipr 
golbeneS  3ettalter  patten,  »ermodpte  ber  Aufgabe  ber  SBelt* 
regierung  nidpt  ooO  ju  genügen. 

<» 5) 


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8 


3ßm  ßatte  bie  Sitanht  JRßeia  mehrere  Kinber  geboten,  bie 
bet  Vater  fofort  nacß  ißret  ©eburt,  um  non  ißnen  nidjt  feiner 
#errfdjaft  beraubt  gu  »erben,  oerfdjlnugen  ßatte.  9tur  3euS 
Würbe  non  bet  SRutter,  bie  bem  ÄronoS  bafüt  einen  in  SBinbeln 
gewidfelten  Stein  gereicht  ßatte,  gerettet.  $818  er  im  Verborgenen 
auf  Kreta  ßerangewacßfen  war,  unternahm  et  gegen  ben  Vater 
jenen  großartigen  .Krieg,  bei  bem  bie  gange  ©otterweit  fid)  in 
gwei  Parteien  fpaltete:  gum  3«u8  [tauben  jebodj  bie  meiften  unb 
beften  ber  ©otter,  alle  ßößeren  .£>immel8gewalten,  gum  KtonoS 
bie  wilben  Titanen.  9tur  ^rometßeuS,  ber  non  feiner  weif= 
fagenben  SRutter,  ber  Jitanin  StßemiS,  ben  9lu8gang  be8  Kampfes 
erfaßten,  ftßieb  fid)  non  feinen  Vrübern,  ging  gum  3euS  über 
unb  ftanb  ißm  mit  feinem  Augen  SRatße  gut  Seite.  SDet  furdßt* 
bare  Streit  fcßwanfte  lange  ßin  unb  ßer,  bis  3e«8  gu  feiner 
£ülfe  bie  im  Tartaros  gefeffelteu  (Spflopen,  bie  ißm  gewaltige 
SBaffen,  ben  2)onnet  unb  Vliß,  brauten,  unb  bie  «ßefatondjeiren 
an’S  Sidßt  gog.  9lun  würben  non  ben  Sergen  DlpmpoS  unb 
£>tßrpS  Reifen  ßerüber  unb  ßinüber  gefcßleubert,  unb  3eu8  fußt 
mit  bem  fracßenben  Vlißftraßl  unter  bie  Titanen,  baß  Fimmel 
unb  ©tbe  erfcßrecfltcß  erbebten,  unb  Eanb  unb  SBalb  ringS  in 
geuet  aufloberten.  ©nblidj  errang  er  ben  Sieg;  bie  Stitanen 
werben  in  bie  ginfterniß  beS  SartaroS  ßinabgef(ßleubert,  unb 
e8  beginnt  bad  britte  3eitalter,  in  weldßem  ni<ßt  meßr  bie  roßen, 
ungebänbigten  Vaturmäcßte  ßertfcßen,  fonbern  Drbnung  unb 
©efeß  walten  unb  ©tbe  unb  £immel  fidj  erneuen  fotlen. 

5>arum  eertßeilt  3euS  guerft  unter  ba8  @ef<ßle<ßt  bet 
olpmpifcßen  ©ötter  bie  Remter  bet  SBeltregierung,  für  ftd)  felbft 
beßält  er  ba8  Königtßum  übet  ade,  ba  et  ben  Kampf  burd) 
feine  Leitung  gewonnen.  SBie  faß  eS  aber  mit  ben  ÜJtenfdjen 
auS?  Unb  weldje  Stellung  neßmen  bie  neuen  ©ötter  gu 

ißnen  ein? 

<*!*) 


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9 


SDte  Sagen  »on  bet  ©utftehung  beß  PtenfchengefcblecbtS 
waren  in  .£ella8  »erfdjieben;  bie  »erbreitetfte  nennt  fie  wie  bie 
©ötter  ©ohne  ber  ÜJtutter  @rbe  unb  Iäfct  ©ötter  unb  SRenfcheu 
anfangs  in  feliget  ©emeinfchaft  mit  einanbet  leben.  ©aS  war 
baS  unS  »on  £efiob  unb  nad)  ihm  auch  »on  festeren  ©idjtern 
mit  Vorliebe  gefchilberte  golbene  3eitalier,  eine  3«t  ungetrübten 
©lücfeS,  ewiger  8iebe  unb  ewigen  SidjtS.  £Die  SJlenfchen  waren 
ba  frei  non  allen  Sorgen,  »on  .Rümmer  unb  SBhihfal,  fte  lebten 
in  einem  parabiefe  blühenber  Sugenb  unb  lachenber  £eiterfeit. 
©ie  ©tbe  gab  ihnen  mühelos  unb  reidjHd}  alle  ©üter  unb  ©aben,; 
fic  waren  reich  an  gerben,  lieb  ben  ©ßttern,  unb  ewiger  Triebe 
waltete  unter  ihnen.  ©er  Stob  fam  ihnen  wie  ein  fanfter 
Schlummer,  unb  becfte  fie  bie  ©tbe,  fo  würben  fte  ju  guten 
©enien,  bie  unfichtbar  ihre  Srüber  umfcbwebten  unb  fd^ü^ten. 
©odj  bie  SDlenfdhheit  »erfcf)lechterte  fich  »on  Stufe  jn  Stufe  unb 
fiel  am  (Snbe  in  jenen  traurig*unglücf[eligen  3»ftanb,  in  bem 
Prometheus  fie  antraf,  als  3e»S  ben  2hr®n  Cer  ©ötter  einnahm. 
Sehenb  fahen  fie  umfönft,  hörenb  hörten  fie  nicht,  üraum*( 
geftalten  gleich  frifteten  fie  fümmerlich  ein  langes,  bangeS  ©afein. 
Sie  fannten  nicht  bie  Äunft  fich  ans  Stein  ober  $olj  SBohnungen 
ju  f Raffen;  in  bunflen  fohlen  wohnten  fie  unter  ber  Qrrbe, 
nicht  »om  Strahle  ber  Sonne  erwärmt,  beweglichen  2lmeifen 
»ergleidhbar.  Äein  fidjereS  3ei<hen  Ratten  fie  für  ben  falten 
SBinter,  für  ben  blühenben  Frühling  unb  ben  früchtereichen 
£erbft;  ohne  Sinn  unb  plan  trieben  fie  alles,  ein  Sag  »erging 
ihnen  gwecfloS  wie  bet  anbere.  ©a  erbarmte  fich  Prometheus  beS  ge= 
funfenen  ©efcbledjtS.  @r  lehrte  fie  ben  SSuf»  unb  SRiebergang 
ber  ©eftirne  unb  etfanb  ihnen  3abl  unb  Schrift,  ©ie  Shiere 
fpannte  et  guerft  in’S  3od),  bafj  fie  ber  Pienfdjen  Arbeiten  »er» 
richteten,  unb  führte  ihnen  am  3«gel  baS  fftcfc  ju,  ben  Schmucf 
beS  ftolgen  fReichthumS.  9luf  bem  Pleere  lehrte  er  fie  fRuber 

CS»7) 


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10 


unb  ©egel  gebrauefeen;  er  geigte  ifenen  bie  ÜJlifefeung  milber 
Heilmittel,  bafe  fte  nidfet  mehr  in  iferem  @lenb  bafeinfieefeten  unb 
beutete  ifenen  33orgeidben  unb  S£räume,  ben  glug  ber  33ßgel  unb 
bie  ©ingeweibe  ber  Dpfertfetere.  3n  bet  ©rbe  aber  beeile  er 
ihnen  bie  unenbliefeen  ©efeäfee  non  ©rg,  ©ifen,  ©über  unb  ©olb 
auf;  futg  alle  Äünfte  empfingen  fte  »on  ifem(  unb  in  allen 
Sequemliefeleiten  beß  Gebens  war  er  ifet  gefermeifter. 

©o  fanb  3eu8  baß  ©efefeledfet  ber  2Renf<feen  alß  ein  f»robuct 
beß  9>tometfeeuß  »or.  3«erft  wollte  et  eß  als  gu  gefafetliefe  gang 
»erniefeten;  boefe  ba  fidj  jeinet  ber  alte  Sreunb  non  neuem  annafem, 
liefe  fiefe  bet  ©ßtterfßnig  bewegen,  forberte  jebocfe  für  ben  ©cfeufe, 
ben  et  ifenen  angebeifecu  laffcn  wolle,  bie  SBereferung  aDer  olom* 
pifefeen  ©öfter.  9)ian  fam  wie  gu  einem  ©ericfetßtage  in 
SDiefone  gufammen,  um  feierlich  übet  bie  gegenseitigen  Pflichten 
unb  SRec^te  gu  »erfeanbeln.  ^rometfeeuß  tratalß  StnwaltberOJlenfefeen 
auf;  boefe  feine  allgugrofee  5Renfdjen!iebe  unb  fluge  8ift,  wie 
attefe  ber  alte  Üitanengrotl  gegen  bie  neuen  ©ßtter  oerleiteten 
ifen,  ben  3euß  gu  betrügen.  3um  erften  Opfer  fefelacfetete  er 
einen  ©tier,  barg  baß  Sleifefe  unb  bie  ©ingeweibe  in  bie  Haut, 
auf  bie  er  ben  SJiagen,  baß  fefeledfetefte  ©tüdf,  legte,  bie  gtßfeete 
tfnoefeenmaffe  aber  umfeüllte  er  mit  weifeem  Seit.  Dbgleiefe  bet 
aüwiffenbe  3euß  ben  betrug  burdfejefeaute  unb  bittet  im  bergen 
grollte,  wäfelte  er  boefe  bie  Änoefeen;  aber  um  fiefe  gu  räefeen, 
entgog  er  ben  SUleufdfeen  baß  ^euer,  biefe  lefete  JBebingung  aller 
menfdfeliefeen  ©ultut  im  weiteften  Umfange.  2)ocfe  $>rometfeeuß,  ben 
feine  Älugfeeit  nie  im  ©tiefe  liefe,  entwanbte  bie  offen  ben  QKenfefeen 
oorentfealtene  ©abe  feeim liefe  in  einet  Serulftaube  »om  Dlpmpoß 
unb  braefete  fte  triumpfeirenb  ben  ©terbliefeen.  3«u8  3orn  war 
grofe,  alß  er  bie  erften  Stammen  in  ben  SBofenungen  bet  ÜRenfefeen 
leuefeten  fafe,  unb  fein  ©ntfefelufe  ftanb  feft,  ifenen  tn’ß  £auß  ein 
unoertilgbareß  Uebel  gu  fenben,  an  bem  fie  nodfe  bagu  ifere  Suft 

(2S») 


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11 


haben  feilten,  ©ein  Sohn,  ber  funftreichc  .£>ephaifto8,  bilbete 
au§  ©rbe  ein  SDRenfd^enbtlb,  bem  er  Stimme  unb  Äraft  bet 
anberen  Ptenfchen  »erlief,  3Bud)8  aber  unb  SIntlif}  glitten  bem 
Silbe  ber  unfterblidjen  ©öttinnen.  2lthena  unterwies  bie  fyolbe 
Sungfrau  gu  allerlei  funftreichen  5Ber!en,  Slpljrcbite  fehmüefte 
ihr  fdjöueS  £>aupt  mit  unwiberftehlicher  Slnmutl)  unb  lielj  ihrem 
fchmadjtenben  Sluge  jenen  feuchten  ©lang,  ber  ihr  felber  eigen 
war,  £erme8  aber  legte  in  ihre  Sruft  fchmeicbelnbe  SDemuth 
unb  ein  nerfchlageneS  ©emüth-  ©hariten  unb  Jporen  umgürteten 
fie  mit  funlelnbem  ©efchmeibe  unb  buftigen  ^Tangen,  fo  ba& 
eS  eine  8uft  für  ©ötter  unb  Ptenfchen  war,  fie  angufchauen, 
unb  bie  ©ötter  nannten  fie  als  bie  non  allen  Sefchenfte  Pan» 
bora.  3n  fdjimmernben  ©ewänbern  fam  biefe  griedjifche  ©na 
auf  bie  ©rbe  in'S  £auS  beS  ©pimetheuS,  beS  uachbebächtigen, 
äberbegehrlichenSruberSbeS  Prometheus.  ©ieferljatteoergebenSben 
Sruber  gewarnt,  oom  BeuS  eine  ©abe  angunehmen;  ©pimetljeuS 
merfte  aber  baS  Unglücf  erft,  als  eS  ba  unb  gu  fpät  war.  ©r  nahm 
bie  liebliche  3ungfrau  gaftlid)  auf;  f obalb  fie  aber  in  feinem 
$anfe  war,  fdjlug  fie  »om  gaffe,  baS  fie  mit  fid?  trug,  ben 
üDecfel  gurücf,  unb  heraus  flatterten  alle  Sorgen  unb  Uebel,  bie 
fi<b  rafd)  nun  über  8anb  unb  ÜJteer  auSbreiteten  unb  ben 
9Jtenf<ben  feitbem  quälen,  bafs  er  ihnen  nid>t  mehr  entgehen 
fann:  Jbranfheiten  inen  bei  Pacht  unb  S£ag  umher,  heimlich  unb 
fchweigenb,  bßfe  gieber  fd^leidjen  über  bie  ©rbe,  ber  5tob  beflügelt 
feinen  ©djritt.  Unb  felbft  baS  eingige  im  gaffe  verborgene  ®ut, 
bie  Hoffnung,  bie  im  Reiben  tröftet  unb  bem  thränenben  9luge 
bet  Bufunft  glücflidie  Silber  ncrhalt,  felbft  fie  blieb,  als  Pan» 
bora  ben  SDedfel  rafdh  wieber  gufdjlug,  am  JRanbe  hangen  unb 
würbe  ben  atmen  Sterblichen  nicht  doO  gu  Slheil. 

35en  Prometheus  aber  hiefe  3euS  burch  ^jebhaiftoS  in  bet  ein» 
famften©egenb  beSÄaufafoS  an  einen gelfenfchmieben  unb  ihm  burch 

(SW) 


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12 


feinen  Sibler  bie  immer  neu  wadjfenbe  gebet  langfam  auö^acfen. 
©rtöft  feilte  er  erft  bann  »erben,  wenn  jemanb  freiwillig  für 
if)n  ben  Slob  erlitte.  $118  fein  ^Befreiet  erfd^ien  ^»erafleö;  auf 
feinem  SSege  ju  beit  ^eSperiben,  beren  golbeue  ülepfel  er  Idolen 
wollte,  fam  et  am  Äaufafoö  Darüber,  erlegte  »eil  ©tbarmenS 
ben  Slblet  unb  fteOte  für  Prometheus  ben  ©entauren  ©biron, 
ber  für  ihn  ben  Job  erlitt.  Prometheus  aber  feljrte  al3  23eratber 
unb  Prophet  ber  ©etter  auf  ben  Dltjmp  jurücf. 

Plan  wirb  auö  bem  furjen  $lbrifj  bet  ©age,  ben  ich 
foeben  gegeben,  bereits  erfannt  Ijaben,  welche  b°be  SBicbtigfeit 
fie  in  bem  gefammten  ÜHptbenfrcife  beö  ©tiecbenDolfS  einnimmt, 
©iebt  fie  bodj  eben  bie  Antwort  auf  bie  gragen,  bie  ber  Ptenfcb 
fid)  non  jeher  aufgewerfen  \)al,  auf  bie  grage  nach  ber  ©nt* 
ftebuug  ber  SBelt  unb  ber  Ptenfcben,  nach  bem  93er^ältui§  ber 
über  aOeß  waltenben  ©ottbeit  ju  ben  ©efdjöpfen,  nach  bem 
Urfprung  be§  Uebelö  unb  mancbem  anberen.  ©aber  ift  gerabe 
biefe  Sage,  in  bie  fid?  fo  wirtfam  bie  ©eftalt  be8  Prometheus 
»erflod'ten,  aufe  innigfte  mit  ber  ©runbibee  ber  nerfcbiebenften 
{Religionen  unb  felbft  beö  ©briftentbumS  nerwanbt.  ©o  ift  eS 
benn  aud?  gefommen,  bafj  fie  bie  auf  bie  neueften  3«iten  für 
©elebrte  wie  für  Siebter  ihre  SBebeutung  bewahrt  bat,  unb  bafj 
beibe  au§  ibr  bie  »erfebiebenften  Seutungeu  ju  fchöpfen  »erwögen. 
3d?  erinnere  nur  an  ©alberon,  33»?ron,  ©bellep,  £etber  unb 
©oetbe;  befonbere  an  be6  le^tern  jilage  be6  Prometheus : 

„tbebede  beinen  <£>immel,  3«u8,  mit  SBolfenbunft,  unb 
übe  bem  .Knaben  gleich,  ber  Sifteln  föpft,  an  ©idjen  Sieb  unb 
©ergeeböben.  Ptuf)t  mir  meine  ©rbe  botb  laffen  fteben  unb 
meine  $ütte,  bie  bu  nicht  gebaut,  unb  meinen  £erb,  um  beffen 
©lut  bu  mich  beneibeft." 

Sie  Fragmente,  bie  wir  oom  ©oetbe’fcben  Prometheus  be» 
fijjeu,  gehören  ja  in  ben  j?rei8  jener  beiben  nur  im  gauft  au§» 

CSOO) 


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13 


geführten  ©ntwürfe,  bie  fi<b  baS  titanenhafte  Streben  unb  gingen 
beS  5Renfd)en  gum  93orwutf  malten,  unb  an  benen  ber  SDit^ter 
oon  Sugenb  an  mit  befonberer  Vorliebe  gearbeitet;  ebenfo  wenig 
wie  ber  Prometheus  ift  ber  SDtabemet  unb  ber  ewige  3ube  gut 
SluSführung  gefommen. 

Doch  wir  befijjen,  wie  ich  fd^on  »orbin  angebeutet,  auS  betn 
Sitterthum  eine  bithterifche  33ebanblung  ber  prometbeuSfage, 
bie  leiber  »erftümmelt,  aber  auch  fo  noch  großartig  unb  unüber- 
trefflich i^ön  ift,  unb  bie  nach  ihrer  gangen  Anlage  bent  SJtptboS 
eine  überaus  tiefe  unb  eigentümliche  Deutung  giebt,  ich  meine 
bie  äragöbie  beS  SlefcbhloS,  ben  man  mit  Stecht  ben  größten 
Dichter  unb  Theologen  ber  JpeDenen  genannt  bot.  3Bie  bie 
anbern  tragifcben  Dichter,  geftaltete  auch  er  bie  Sage  gu  einer 
Jtilogie,  b.  h-  gu  einem  gufammenbängenben  ©angen  non  brei  $ra* 
göbien,  beren  erfte  ben  geuerraub,  bie  gweite  bie  Seffelung,  bie 
britte  bie  Sefteiung  beS  Prometheus  barfteüte.  Stur  bie  mittlere 
ift  uns  »otlftänbig  erhalten. 

Die  erfte  Scene  tserfe^t  uns  fofort  auf  ben  Schauplatz  beS 
DramaS,  in  bie  fcptbifcbe  SSüfte,  an  ben  ÄaufafuS  t>oU  fcbnuet« 
lieber  ©infamfeit.  SBilbe  fahle  gelfen  ftarren  unS  entgegen; 
feines  Ptenfcben  §ufc  fefaeint  je  biefe  ©egenb  betreten  gu  hoben. 
Da  er  jehaden  Stritte,  laute  Stufe : nier  ©eftalten  erfcheinen,  Prometheus 
non  ^>ephoiftoS  unb  feinen  Dienern,  gfratoS  unb  SMa  geleitet.  Sie 
fommen,  ben  ©ötterfreöler  an  ben  fteilften  unb  öbeften  Reifen 
gu  fchmieben.  Prometheus  bleibt  tro£  aller  Qualen,  bie  et  bei  bet 
geffelung  erbulben  muf},  ruhig;  fein  flagenbeS  9Bort,  fein  Schrei, 
fein  Seufget  beS  ScbmetgeS  entringt  fich  feinet  gequälten  33ruft. 
Selbft  ber  horte  ©ott  ber  Sdjmiebe  wirb  non  ÜJiitleib  bewegt: 
er  jammert  unb  »erwünfebt  feine  jfunft,  Stroft  fpenbcnb  rebet  er 
ben  Prometheus  an.  Doch  ber  »erharrt  in  finfterem  Schweigen;  butcb 

(301) 


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14 


feine  SJfarter  wirb  fein  5£rofc  gebeugt;  felbft  im  ^ßdbften  2Bef) 
miß  et  biefen  toben  ©eftalten  feinen  ©cbmerg  nidft  geigen;  bet 
©tolg  in  ibm  beberrfdjt  jebeS  anbete  ©efübl. 

6t  ft  als  er  allein  ift,  btidjt  wilb  ber  ©türm  bet  ©efüble 
betoor.  Slber  baS  ift  fein  weibifdjeS  Sommern : nein,  et  ruft  bie 
ibn  umgebenbe  fRatur  gut  3eugi«  beS  Unrechts  an,  baS  er  oom 
©ötterfönige  etbulben  mufj.  3wat  fie^t  er  ein,  baff  er  baS 
unoetmeiblicbe  ©efdjicf  nicht  wenben  fann,  bafc  er  fidj  in  ©ebulb 
fügen  mu§,  ba  bie  ©ewalt  ber  ÜRotb  unbegwingbat  ift;  both 
fcbweigen  fann  et  nicht:  muff  et  bod)  biefe  $ein  bafur  etbulben, 
bafj  er  ben  9Renf<hen  fo  fteunblidj  geholfen  unb  ihnen  ba« 
geben  erft  lebenSwertb  gemalt  ^at.  ©o  bewegt  er  fidj  gwifcben 
wilbem  $£rof}  gegen  3euS  unb  gebulbiger  Rügung  in  baS  ©efdjicf, 
bem  nicht  gu  entrinnen  ift. 

33a  nabt  fidj  ihm  bie  ©cbaat  bet  Sfteereötßdjter.  9to<b 
niemanb  bat  fein  8eib  gefe^en;  bet  ©tolge,  er  fann  e8  nic^t  ertragen, 
baff  ifyn  jemanb  fo  fcbntäblicb  bulben  fielet;  er  wünfcbt  fidf  in 
ben  tiefften  StartaroS,  auf  ewig  gefeffelt,  nur  baff  fein  ©ott, 
fein  SRenfch  ihn  erblicft  unb  feiner  ©cfymadj  fpottet.  3(18  aber 
bie  Dfeaniben  tbränenben  3(uge8  ihn  beflagen  unb  ooQ  SRitleib 
ihren  Unwillen  über  be8  3e»S’  Ungerechtigfeit  offen  gu  etfennen 
geben,  ba  erwacht  auch  in  Prometheus  Stuft  wieber  ba8  alte  ©efübl 
be8  3otn8-  ffurdjtbare  SBotte  fdjleubert  er  gegen  ben  ©ötterfönig: 
„fRocb  ^abe  auch  ich  ihn,  ben  ^ö^eren,  in  meinet  ©ewalt;  einft 
wirb  er  nodf  meinet  bebürfen.  aber  ich  ratfye  il)m  nic^t  ebet, 
als  bis  er  mich  befreit  unb  für  bie  ©cbmacb,  bie  et  mir  an» 
getfjan,  reifliche  ©ü^ne  gegafylt  bat."  ©r  ift  fitb  feiner  ©bmadjt 
auch  einmal  gang  bewufft,  unb  bie  gurdft  ber  SReermäbcben, 
et  möchte  noch  mehr  be8  3«u8  unerbittlichen  ©inn  beleibigen 
unb  fo  nie  ein  6nbe  feine«  UnglücfS  finben,  fann  ibn  nicht 
bewegen,  feine  SBorte  gu  milbern;  im  ©egentbeil,  er  fährt  fort, 

(SO») 


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15 


ben  3eu8  gu  befdjulbigen  unb  gu  ptophegeien,  einft  würbe  er  fich 
ihm  noch  weichhetgig  unb  reumütig  geigen. 

3a,  als  bie  Dfeaniben  ihn  enblid)  bitten,  ben  ©tunb  feiner 
©träfe  gu  ergäben,  wirft  er  bem  3euS  graujatne  llnbanfbarfeit 
not;  ourd)  ihn  nur  fei  et  ber  ©ötter  Äönig.  3118  er  aber  fort* 
fahrt  unb  berietet,  wie  er  ben  QJienfcheu  auf  alle  SBeife  geholfen, 
ba  erfennen  bie  Sungfrauen  bodj  auch  fein  Unrecht,  unb  ihr 
SERitleib  beginnt  gu  wetten;  Prometheus  aber  wirb  gegen  fieauchfalt, 
unb  im  ^ödjften  ©tolge  ruft  er  auS:  „9Rit  $leif),  mit  gleifj  ^ab’ 
id)  gefehlt;  ich  leugn’  eS  nicht."  £Do<^  im  ©efüfyl  beS  übet* 
»ältigenben  ©chmergeS  fügt  et  Ijingu:  „55odh  foldje  Dualen 
Ijab’  id)  nid}t  nerbient."  Unb  im  33ebürfnifj  frommer  £h«ilnahme 
ruft  er  bie  fdjon  forteilenben  3ungfrauen  wieber  herbei,  fein 
8eib  gu  oetnehmen  unb  mit  ihm  gu  bulben.  ©o  gewinnt  et 
fie,  bie  eingigen  SBefen  in  biefer  furchtbaren  ©inöbe,  bie  ihm 
eine  eble,  hergliche  Slheilnahme  erweifen. 

55odj  fie  bleiben  nicht  allein  bei  Prometheus;  DfeanoS  felber 
fommt,  um  bem  ©efeffelten  feinen  ©dhmerg  gu  geigen.  9tun  glaubt 
et  aber  wieber  alles  PlitleibS  entbehren  gu  fönnen;  jebem  gleich* 
geftellten  ©otte  gegenüber  erwacht  in  ihm  ber  alte  ©tolg,  bie 
felbftbewufcte,  wenn  auch  unterliegenbe  Äraft.  SJiifjtrauifch  glaubt 
et  in  bem  SReergott  nur  einen  gleidjgiltigen,  müfeigen  33efdhauer 
feiner  Dualen  gu  fehen,  unb  »erjdhmäht  febe  Fürbitte  beim  3euS, 
bie  er  ihm  anbietet,  biß  fich  beibe  faft  im  3otn  wieber  non 
einanber  trennen,  unb  DfeanoS  ben  Prometheus  als  einen  unoer* 
beff erlichen,  trofcigen  gretler  nerlä§t. 

2Run  nerfinft  Prometheus  in  Sträume,  in  benen  er  feinen 
©dhmerg  oerbeijjt  unb  fein  8eib  in  fich  Mit;  aus  feinen  brütenben 
©ebanfen  werft  ihn  erft  ber  theilnehmenbe  ©efang  ber  Pläbdhen, 
bie  ihm  unter  Spänen  milbe  StrofteSworte  fpenben  unb  jebem 
©efühle  ihres  weichen  $ergenS  &uSbrurf  leihen.  55a  fann  auch 

(Jos) 


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16 

Prometheus  fich  nicht  mehr  halten;  er  will  fte,  bie  einzig  wah t mit  ihm 
leiben,  nicht  burdj  neue  SBorte  übet  baS  Unrecht  unb  ben  Unbanf 
bet  neuen  ©öltet  erzürnen,  nein,  gang  will  er  fte  füt  fic^  ge* 
»innen.  Drum  ergäbt  er  ihnen,  waS  et  alles  füt  bie  armen 
«Sterblichen  getrau.  Der  ©hot  »irb  gerührt  unb  bemitleibet  ben 
Prometheus  con  neuem.  3US  et  bann  aber  fortführt  311  erjagen,  roieer 
bie  Plenfchen  guerft  bie  ^jeilfunbe  unb  alle  SSrten  ber  SUahtfage* 
funft  gelehrt,  »ie  er  fte  angeleitet  höbe,  ben  ©öttern  gu  opfern 
unb  ihren  SEBiQen  gu  erfotfchen,  ja  wie  er  ihnen  auch  ben  Schofj 
ber  ©rbe  geöffnet  unb  bamit  alle  ©olb*  unb  Silberfcpähe  ge« 
geben  habe,  ba  begreifen  bie  3uttgftauen,  ba§  bet  Unglücfliche 
in  feinet  Plenfchenliebe  gu  »eit  gegangen  unb  mahnen  ihn,  füt 
fidj  felbft  gu  forgen;  nur  fo  würbe  er  feiner  geffeln  frei  unb 
einft  nicht  minbet  gewaltig  als  3eu8  felbft  hetrfdjen.  Doch  ftatt, 
ba§  Prometheus  burdh  biefePtahnung  beruhigt  wirb,  erwacht  nur  in 
ihm  mit  ber@rinnerung  an  feine  Äraft  baS  Selbftgefüljl  noch  mehr, 
©r  beutet  ein  ©eheimnifc  an,  baS  er  beftfct:  „Die  9ioth»enbigfeit, 
bie  non  ben  brei  Pargen  unb  bem  eingebenfen  ©hot  ber  ffurien 
regiert  wirb,  beftimmt  jebem  fein  S00S,  unb  biefcm  wirb  auch 
3euS  nicht  entgehen.  Die  frommen  Ptäbchen  aber,  bie  nur 
einen  ©lief  in  baS  Seben  ber  ©ötter  unb  Ptenfchen  gethan  unb 
trea*gehorfam  ftetS  beS  3euS  Dbgewalt  geetrt  haben,  erbtiefen 
in  beS  Prometheus'  SSiorten  nur  freoelhaften  Uebermuth  unb 
unheiligen  Sinn.  So  fingen  fie  betenb,  fühnenb,  trauernb,  mahnenb 
unb  ftrafenb  baS  fchöne  Uieb: 

„Stimmet  möge  ßeuö,  ber  SMbehetrfcher,  an  meinem  Sinne 
feine  Jt'raft  erproben  — 9Ro<h  möge  ich  felbft  je  laffig  fein  mit 
heiligen  Opfern  ben  ©Ottern  gu  nahen,  fromm  an  beS  SBaterS 
DfeanoS  raftlofem  Strom;  SRimmer  mir  freute  betSDRunb,  baS 
fei  feft  mir  unb  fcpwinbe  nun  unb  nimmer!  — Selig  baS  S00S, 
wenn  ich  fHO  — Dürfte  fernhin  leben  bet  freubigen  Hoffnung, 

(304) 


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17 


9Hein  ©emüth  gu  »eiben  in  jenniger  guft;  SDod)  fafct  mid}  ein 
©rauen,  »ie  ich  SDich  fo  in  unausstehlichen  Dualen  etbrücft 
mu|  bulben  feben,  ©eil  bu  nach  eignem  fRath,  ionber  Burd)t 
ddt  3eu§  bie  SJienfdjen  gu  t^h  etjrft , o Prometheus!  — ©ie 
Den  Sieb  nerlaffen  ift  beine  Siebe?  ©prich,  »o  finbeft  35u 
Stettung?  ©ei  ben  Äinbern  ber  (Srbe?  2>u  faheft  bamalS  nie^t 
bie  Derfümmerte,  blebe  Dhnma$t,  bie  übet  beT  ©{erblichen 
blinbeö  ©eit^ledjt  »ie  ein  9lefe  geworfen ! SRiemalS  »irb  oon 
menfchlicbet  Araft  3«u8  ewigem  (Rathfchlufe  Dergegtiffen!  — 25a8 
etfenn’  idj  in  beiner  unenblidjen  ©d^merienölaft,  Prometheus! 
©ie  fo  anberS  erfchallt  jefct  bieS  mein  Sieb,  als  jenes,  baS 
herüber  Den  ©uret  Jpodjgeit  flang,  ba  SDu  in  ladjenber  Suft,  im 
bräutlichen  litten  ©hmuc!  freubig  bie  Bteubige  ^eimfü!?rteft, 
•fpefione,  unjete  ©<h»efter!"  — 

25ie  $anblung  ift  hiermit  auf  bie  Ijod^fte  ©pijie  geführt, 
unb  fpamtenb  erwartet  ber  £6rer  eine  Söfung.  ©ollen  bie  3ung* 
frauen,  bießingigen,  bei  benen  Prometheus  wahreSPtitleibgefunben, 
unb  benen  fid?  fein  £erg  tre^  alles  ©tolgeS  offen  erfhlcffen  hat, 
gehen  unb  ben  Unglücflichen  allein  laffen?  Das  fönnen  fie  nicht. 
Unb  hoch  bütfen  fie,  bie  Brommen,  bie  bes  3eu6’  ©iOen  unb 
©efehle  fo  heilig  halten,  bei  bem  übermüthigen  Breoler  nicht  auS« 
harren,  ©oll  piometheuS  auf  ihren@efang  etwas  erwibern  unb  ftdb 
gu  rechtfertigen  Derfuchen?  DaS  fann  er  nicht,  ba  bie  Dfeaniben 
fchon  jefct  in  feine  ©orte  SDlifjtrauen  fefien,  unb  er  fie  nur  noch 
mehr  erbittern  würbe.  Unb  boch  mufe  et  fie  gurücfbehalten:  er 
bebarf  ber  Uheilnahme,  wie  ftolg  auch  fein  £erg  ift  unb  fid) 
felbft  alles,  Sroft  unb  9iath  unb  ^>ü!fe,  fein  mochte,  ©tolg 
unb  SDemuth,  gottlidje  Araft  unb  menfchlicheS  ©ebürfen  wechfeln 
je$t  mächtig  unb  ftürmenb  in  feinet  ©ruft.  C mcd)te  bcch  ein 
gütiges  ©efdjicf  biefe  3®e«f*l  loferr  unb  burd)  bie  2hat  ben 

XIV.  320.  2 (SM) 


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18 


ÜReermäbdien  geigen,  bah  fie  feinem  Unwürdigen  ihr  ©itleib 
gejchenft  Ijaben. 

Äaum  ift  bet  ©eiang  oerflungen,  faum  fann  bet  3ujcbauer 
biefe  Setradjtung  anfteHen,  jo  fiürml  unerwartet  in  wilber  Haft 
eine  jehone,  aber  wunberlich  entftedte  3ungftau  auf  bie  ©eene. 
6ß  ift  bie  in  eine  Äuh  oerwanbelte  3c,  bie  Jodetet  beß  atgioi* 
fdjen  itönigß  Snadjoß.  3euß  mar  non  ihrer  Schönheit  geblenbet 
unb  verfolgte  bie  SBißerftrebenbe  mit  feinet  Siebe,  biß  bie  Un* 
gliicftidje  burdj  bie  eiferjüehtige  £ere  in  eine  Jtuh  cerwanbelt, 
unb  il)t  bet  taufenbäugige  2lrgoß  alß  ©achter  beigegeben  würbe. 
SDen  fjatte  nun  gwar  3eu8  burd)  feinen  SDiener  Hermcß  tobten 
laffen,  aber  3o  felbft  würbe  in  wtlbem  ©ahnftnn  butefj  Sänber 
unb  2Reere  gettieben  unb  fonnte  feine  ?)tui)e  finben.  &uf  ihren 
Srrfahrten  fommt  fie  eben  jejät  in  bie  unwirtliche  (äinöbe  beß 
.ftaufajoß;  alß  fie  bott  ben  gefeffelten  $)tometheu0  etblidft,  oermag 
fie  in  ihrem  ©rftaunen  nur  außgurufen:  „©o  bin  id)?  wo  bin  idb? 
unb  wer  bift  3Du,  bet  in  Beljenfeffeln  com  ©türm  ber  Cual 
Umbraufte?"  2)a  paeft  fie  wiebet  ber  wilbe  ©ahnfiuu,  in  bem 
fie  bie  entfejäüdhfteu  Silber  unb  ihren  furchtbaren  ©achter  fiebt. 
unb  betenb  unb  fludhenb  flel)t  fie:  „©aß  h“be  id)  gethan, 
o 3e«ß»  bah  3)u  jo  fürchterlich  mich  quälft?  D Iah  mid?  com 
i^euer  oergehrt  werben,  Iah  bie  @rbe  mich  oerfchlingeu,  gieb  mich 
ben  Ungethümen  beß  üfteeteß  gum  §raj};  nur  laf)  mich  nicht 
leben!  ©rhöre  mich!"  — 

Sief  ergriffen  hat  bet  (5hot  ber  Dfeaniben  ihr  gugeljert 
unb  erfährt  com  si>rometheuß  ihren  9tamen  unb  ihr  ©chicfial.  3o 
wunbert  ficb  über  biefe  Äenntnih,  unb  wenn  fie  auch  auß 
©chamgefühl  bie  Siebe  bee  3euß  nicht  erwähnt,  jo  gefleht  fie 
hoch  äu-  bah  Here’ß  ©roll  fie  fo  uneitblid)  quäle,  unb  ihr  ©atte 
bieß  Unrecht  gejdjehen  laffe.  SDen  jprometheuß  aber  bittet  fie,  fich  iht 
gu  offenbaren,  ihr  ein  Heilmittel  gegen  ihr  Seib  gu  jagen  uub 

(30«) 


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19 


tl)t  gu  fünben,  weldj’  neue  Dualen  fie  nodj  erwarten.  25a  mu| 
fPrometljeuä  it)t  gefteljen,  ba§  aud)  er  auf  3eu8’  39efef)l  fo  fdfmäfylidj 
gefeffelt  unb  gepeinigt  wirb,  weigert  iljt  aber,  um  bei  ben 
Sungfrauen  nic^t  von  neuem  anguftofjen,  unb  weil  er  erft  eben 
feine  gange  SeibenSgefd^idjte  ergäbt  l)at,  biefe  gu  wieberijolen. 
2ludj  will  er,  obgleich  er  bie  ßufwnft  flat  »or^erfie^t,  bet 
unglücflicben  3o,  um  il)t  gerfchlagencö  Jperg  ntcf}t  uod)  mehr  gu 
ängftigen,  nid)t  fagen,  weld)’  lange  Srrfaljtten  il)t  nod)  beoor» 
ftefyen;  bod)  ba  fie  immer  auf’ 8 neue  in  ihn  brängt,  erflärt  et 
ftdj  endlich  bereit. 

2)a8  |>erg  ber  Dfeaniben  ift  unterbeffen  wahrhaft  auf  bie 
Folter  gefpannt : fte  fehen  bab  UnglücFöweib  nur  ftc^  unb  Fonnen 
nicht  begreifen,  wa§  bie  garte,  fchone  Sungfrau  fo  ©djlimmeß 
»erbrochen,  baff  fie  f o leiben  muff.  ©prad?  Prometheus  wahr,  unb  ift 
wit!lid)3eu8  and)  i^rSBerberber?  ©o  oereinigt  benn  Prometheus  mit 
iljrer  SBitte  bie  feine  unb  forbert  bie  3o  auf,  in  bem  ©tgählen 
ihrer  ©efchidjte  unb  in  ben  üfyränen  bet  t^eilne^menben  ÜJtäbchen 
felbft  SEroft  unb  SBergeffen  ihres  SeibS  3U  Jucken. 

9tun  beginnt  3o,  bie  SBeltcrfahrene,  welche  bie  Suft  unb 
mehr  noch  ba$  Seib  bet  Siebe  gefoftet,  bie  33ilber  ber  ©rinne* 
rung  aufgurollen,  wie  3euS  fie  liebgewonnen  unb  in  nächtlichen 
SEraumgeftalten  mit  leifen,  locfenben  SBorten  fich  in  ihr  ,£>erg  ge* 
ftohlen.  „£>  jfinb,  tjabe  er  gu  ihr  gefprgdjen,  weife  beb  höchften 
^errfc^erö  aller  fDienfchen  unb  ©öttcr  Siebe  nicht  guriicf;  hinaus 
Fomm’  in  bie  tiefe,  ftille  SBiefenau,  bortljin,  wo  beS  33ater8  beerben 
weiben,  baf)  oon  feinet  ©ehnfucpt  beS  ©otteS  SSuge  ruhen  mag." 
3)er  gange  Söerid^t  ber  3ß  wirft  furchtbar  ergreifenb  auf  baS 
unbefangene,  fromme  ©emiith  ber  Dfeaniben.  „SBehe,  weht, 
rufen  fie  aitS,  entfefjlich!  Jpätte  id)  boch  nimmer  geglaubt,  baff 
foldje  meinen  ©ebanfcn  ftembe  SReben  nod)  in  mein  Dfyr  bringen 

2 * <301) 


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20 


würben,  ©leine  Seele  wirb  falt;  — o Sd}icf|al,  Schief jal,  id) 
f^aubte  tief  gufammen  beim' Slnblicf  beS  goofeS  ber  3o! 

Sehr  ruhig  erwiebert  Prometheus : 25u  flagft  gu  früh,  fpare 
IDeine  Sfngft,  bie  SDu  baS  SBeitere  erft  eernemmen,  unb  ba  bie 
©täbdjen,  bie  fid}  !aum  ein  größere»  Ungtücf  benfen  fönnen,  ihn 
bitten,  weiter  gu  berieten,  ba  and?  bem  Ungliuflidjen  eS  füfj  fei 
fein  geib  oorher  gu  wiffen,  fo  fängt  et  gu  ihr  gewenbet  an,  ben 
erften  Stfyeil  ber  abenteuerlichen  3rrfahrt  gn  jdjilbern,  bie  itjr  nod? 
beeorfteht;  an  bie  ftaunenben  ©täbdjeu  aber  richtet  er  bann  bie 
grage:  „Scheint  eu d}  nun  ber  Äönig  ber  ©ötter  ein  ©eroalt* 
fyerrfdjer  gu  fein?" 

So  fann  nur  in  lauteS  Klagen  auSbtedjen:  „3ft  mir  baS 

geben  nod)  ©ewinn?  SBarum  ftürge  id)  mid)  nid)t  auf  ber 
Stelle  »cm  fteilften  Reifen  unb  mad)e  ein  Grnbe  meiner  Dual? 
Sterben  ift  ja  beffer  als  täglid)  neues  geib."  £)od)  Prometheus 
tröffet  fie  mit  feiner  Sage,  iijm  ift  ja  nid)t  einmal  bet  Stob  als 
©rlöfung  Pergönnt.  „Sieh,  fagt  er,  idj  ^abe  fein  anbereö  3»el 
meiner  Dual,  als  beö  3euS  Sturg  non  feinem  2^rone."  Unb 
fo  ift  er  wiebei  bei  bem  ©eheimnif)  angelangt,  baS  fdjon  oorher 
bie  Dfeaniben  fo  jeljt  gu  wiffen  begehrten,  baS  er  aber  tief  in 
feinet  S3ruft  oerfdjliefjen  gu  muffen  erflärt.  93iS  gur  geeigneten 
3eit.  2>ie6  ©eljeimnif)  ift  fein  eingiger  £roft;  baoon  fprid)t  er 
brum  aud)  am  liebfteu  unb  fei  eS  aud)  nur  in  felbft  geljeimuifj* 
ttoÜen  SB  orten,  ift  eS  bod)  baS,  waS  ihm  feine  Äraft  unb  ge» 
mifferma&en  feine  Ueberlegenheit  fogar  über  ben  Äßnig  ber 
Uranionen  füllen  läfct.  „3«u§,  fo  fährt  er  fort,  wirb  fid)  felbft 
ftürgen  burd)  ^lanlofe  9lathfd)läge.  @r  wirb  eine  |>od)geit 
fdjliefeen,  bie  er  nod}  oerwünfd)en  foH,  benu  ber  ©attin  $inb 
wirb  mächtiger  fein  als  ber  äSater.“  21  uf  bie  B*age  ber  3o,  ob 
benn  3''uS  biefem  Unglürf  nicht  gu  entgegen  oermöge,  entgegnet 
^romet^euS:  „©immer  wirb  er  il}m  entrinnen,  nie  eher  als  bis 

(308, 


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21 


id)  auS  biefen  ^effeltt  gelöft  bin.  £iergu  mu§  aber  ein  @pto& 
con  ©ir  erfdjeinen;  et  wirb  in  ©einem  ©efdj!ed)t  bet  bteigehute 
fein."  ©ie  ffteugier  bet  So  wirb  burd)  bicö  Drafef  fehr  erregt; 
fPrometheuS  lä§t  ihr  aber  nur  bie  SBahl,  ob  fie  ein  ?Dlehrere§ 
con  biefem  il)ren  fpäten  fRachfommen  obet  baS  @nbe  iljrct  Srr* 
fahrt  gu  hören  wünfdje;  läfjt  fid)  aber  bod)  fdjliefdkh  burd)  bie 
Sitte  ber  fdjeinbar  nun  gang  wiebergetoonnenen  ©feaniben  be* 
ftimmen,  beibeS  git  berieten.  So  aber  roirb  barauf  oon  mitbem 
SBahnfinn  ergriffen  unb  ftfirmt  unter  lautem  2üehgefdjrei  con 
bannen. 

3lberma(6  finb  $)romett)eu8  unb  bie  Sungfrauen  allein, 
©er  S£itan  fchweigt  im  ©efiil)l  feineS  S£riumptje8.  3lber  fo  fel)t 
audj  bie  ©fearibcn  baS  ©efdjicf  ber  fdjulblofen  3o  ergriffen 
unb  fo  gern  fie  bem  ©ulber  ein  Süort  ber  erneuerten  S^eilna^me 
unb  ber  ©Uligung  feines  3orn3  gegen  3eu?  fagen  mosten,  fo 
wagen  fie  bod)  nicht  ben  genfer  ^immelö  unb  bet  @rbe  offen 
eines  Unrechts  gu  geiljen.  ©er  ©efang,  ben  fie  anftimmen,  enbet: 
B©o$  wie  beS  3e«S  fRathfdilägm  id)  gu  entrinnen  cermag,  fann 
ich  nicht  faffen." 

©a  fann  fPrometheuS  nicht  länger  an  fid)  ha^en>  enblid) 
muffen  bod)  bie  5Räbd)en  cotlfommen  oon  feiner  Unfd)ulb  unb 
bem  grecel  ber  ©ötter  überzeugt  fein;  nur  bie  gurret  fann  fte 
hinbern,  fid?  offen  gu  erfläven.  ©rum  miß  er  auch  biefe  lefcte 
Surdjt  noch  bannen  unb  betont  immer  con  neuem,  wie  aud) 
3euS  einft  con  feinem  Jljrone  geftürgt  werben  wirb,  unb  wie 
nur  er  ihn  retten  fonne. 

,,©u  prophegeift  unb  fc^mä^ft  ben  3eu3  ««9  Uebermutl)  — 

3<h  rebe,  u>aS  ba  tcirb  gefc^e^eu,  unb  ich  wünfth  eS  auch  — 

Unb  herrfchen  folt  ein  anbrer  jemals  übet  3«uS?  — 

SRoch  härteres  wirb  als  biefeS  ihm  ju  bulben  fein  — 

Unb  ohne  gurcht  toagft  ©u  3U  fprechen  folcheS  SSBort?  — 

(309) 


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22 


3BaS  foH  tcf)  fürsten,  ein  Unsterblicher  wie?  — 

Sloch  härtere  Dual  als  biefe  fchafft  tieüeitfct  er  ©ir  — 

6r  ntög  ei  t^un:  auf  alles  bin  ich  jeßt  gefaßt. 

SSber  auch  jefct  oermögen  bie  SDfeaniben  gnrdjt  cot  bem 
©ötterfönige  nicht  gu  überwinben;  fie  ahnen  einen  noch  heftigeren 
nnb  furchtbareren  Äampf,  bet  gwifeben  beiben  auSbredfen  wirb, 
unb  fönnen  nicht  entfeheiben,  auf  welche  Seite  fid?  baS  Siecht 
neigt.  'ÄuS  biefer  Stimmung  h^auS  fpredjen  fie  baS  fromme 
SBort:  ©et  SBeife  beugt  ftd)  oor  ber  'Jbrafteia  Piadjt  b.  h-  »or 
bet  SJiadjt  bet  unentrinnbaren  SiemeftS,  ber  ©öttin.  bie  alle 
Spaten  mit  ©lücf  lohnt  ober  mit  Unglücf  ftraft. 

©e8  tief  gefränften  Prometheus  3om  wallt  aber  jefjt  auch 
gegen  bie  Sungfrauen  auf,  unb  bitter  erwibert  er  ihrem  weifen 
Spruche  bie  SB  orte: 

„So  bete  benn  unb  frömmle;  fniee  ftets  Bor  bem, 

©eS  bie  ©emalt  ift;  mir  gilt  3euS  fo  eiet  als  nichts. 

@r  Walte,  fchaffe,  betriebe  biefe  furge  3eit 
5Racb  feiner  8uft;  fein  ^Regiment  ift  halb  am  3 iol- 
@inen  wetteren  SuSbrucp  ber  ©efühle  hemmt  bas  plöfslidje 
©rfepeinen  beS  ©ötterboten  £erme8.  ©amit  beginnt  ber  le£te 
8kt  beS  erfchütternben  ©rauerfpiele: 

3euß,  ber  bie  Sieben  beS  Prometheus  gehört,  h°t  ben 
.fummelSboten  entfanbt,  um  über  jene  räthfelpafte  .fpoepgeit,  bie 
Prometheus  anbeutete,  SiäpereS  gu  erfu.iben.  ©er  33ote  tritt 
gang  mit  bem  feefen  Stolge,  bem  Uebermuthe  eines  ©iencrS  auf, 
ber  burch  bie  Sebeutfamfeit  feines  §mn  gewöhnt,  eigne  £ulbi* 
gungen  gu  empfangen,  biefe  uon  jebem  erwartet.  Piit  £opn  unb 
Schimpf  ben  Prometheus  anrebenb,  »erlaugt  er,  äugen  bildlich  unb 
unumwunben  folle  ber  ©itan,  um  ihm  nicht  hoppelte  üJiüpe  beS 
SBegS  gu  oerurfaepen,  erflären,  burch  welchen  @hrbunb  fiep  3eu8 
etnft  ben  Untergang  bereiten  werbe,  ©erabe  fo  ptahletifch  unb 
felbftoertraucnb,  erwiebert  Prometheus,  rebeft  ©u,  wie  man  »on 

(HO) 


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23 


einem  SDienet  bet  ©ötter  erwarten  batf.  SSud)  jte,  bie  neuen 
Siegenten,  fyerrjdjen  ia  fo  unoerftänbig,  als  foQte  ihrem  £immelS= 
fdjlcffe  nie  trauet  unb  8eib  naben.  Unb  bod)  habe  idj  fdjon 
2 ,£>ertf<her  non  biefem  Sfytone  ftürgen  feben;  ben  britten  fdjneQften 
unb  ichimdflichften  ftall  werbe  id)  and)  halb  erleben.  35u  aber 
gebe  nur  benfelben  3Beg  beim,  ben  £Du  gefommen  bift;  ber 
@ötter  acht’  idb  nicht,  unb  erfahren  mhrft  25u  non  mir  aud) 
feinen  2)eut." 

2luf  folgen  2on  war  Doch  £>ermeS,  ber  biö  jefct  nie  einen 
SBiberfurud)  gegen  3euS’  Befehle  weber  oon  einem  ©otte  nod) 
non  einem  Sterblichen  erfahren  hotte,  nicht  gefaxt,  »ielmehr  hotte 
er  ben  ©efeffelttn  ganj  gebeugt  unb  ju  all  unb  jebem  bereit  ju 
finben  geglaubt.  2BaS  nun  beginnen?  3euS  wifl  unter  allen 
Umftanben  jenes  ©ebeimnih  erfahren.  .jpetmeS  geht  brum  auS 
ber  Stolle  beS  übermütbigen  IDienerS  in  bie  beS  gefdimeibigen 
£ofmannS  über.  @r  erinnert  ben  Prometheus  fanft,  wie  gerabe 
folcber  Uebermuth,  wte  er  ihn  eben  gezeigt,  ihm  biefe  jammer» 
Boüe  üage  oerfd)afft  höbe.  ÜJtit  beS  $ermeS  ^erablaffung  wädjft 
aber  nur  baS  Selbftgefüljl  beS  Titanen:  „SBiffe,  fpricht  er,  all’ 
mein  8eib  möcht’  id)  gegen  2)ein  ©ieneramt  nicht  »ertaufcben; 
liebet  bem  Reifen  hier  »iß  id)  bienen  als  beS  3euS  getreuer 
Bote  fein.  So  übermütl)ig  muh  man  bie  Uebermütbigen  be* 
hanbeln.  Unb  futj,  ich  fag1  eS  runb  heraus : bie  ©ötter  alle 
trifft  mein  £af),  bie  fd)änblicb  mir  für  Söobltbat  BöfeS  tl)un." 

J^ermeS  fiebt  ein,  bah  er  mit  feinet  ÜJtilbe  ebenfo  wenig  wie 
mit  feiner  «gjärte  auSrichtet,  brum  giebt  er  bem  ©efpräcbe  eine 
neue  SBenbung.  6r  meint,  Prometheus  fei  förderlich  wie  ge- 
mütlich ftanf ; et  müffe  nor  SWem  noch  9Jlä§igung  lernen.  2>od) 
Prometheus:  „hält’  ich  j«  mafeigen  mich  nod)  n^t  gelernt,  wie 
fdräch’  id)  wohl  mit  S)ir,  bem  jtned)t?"  3a  als  £ermeS  ihm 
»orwirft,  bah  er  ihn  wie  ein  unmünbig  Äinb  oethöhne,  bricht 

(311) 


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24 


bet  Jüan  ungeftüm,  alß  wolle  et  bem  93eten  ben  3Äunb  »er* 
fiegeln,  in  bie  ©orte  auß:  „9ticßt  für  ein  Äinb,  um  »ieleß  un* 
»erftanbiger  nocß  muß  ich  ©id)  galten,  wenn  ©u  micß  außgu* 
fotfdjen  benfft.  DReiu,  feine  SRartet  giebt  eß,  feine  Äunft,  womit 
micß  3«uß  bewegen  wirb,  ißm  biefeS  funb  gu  tßun,  beoor  er  mi<ß 
»on  btcfer  Ueffeln  ©cßmacß  erlöft.  ©rum  mag  et  fdileubern 
{eines  feurigen  93lißeß  Straßl,  in  weiten  ©cßneeftutmß’Unge» 
wittern,  im  ©onnerßaU  ber  unterirb’ftßen  Siefe  »erwirrenb  mifdjeit 
baß  2III.  9ticßtß  bejfen  wirb  mich  beugen,  je  gu  fagen  ißm,  burcß 
wen  ibm  feineß  Äönigtbumß  SBerluft  brobt.  9ticßtfl  nüßt  ber 
©ortftßwall;  tauben  Ob««  ^rcbtäft  ©u.  ©ieß  laß  ©it  nimmer 
träumen,  baß  i<ß  mich  »or  3euß’  ©efcblüffen  bang  in  beüifler 
Surcßt  crniebrige,  baß  icß  ibn  anfießen  foHte,  ben  IBerßaßteften, 
bie  ^)änbe  weibifcß  gum  @ebete  emporgeftrecft,  auß  biefen  SJanben 
mi<b  gu  löfen.  Sßimmermeßr!" 

3eßt  bot  ^ermeß  alleß  oerfudjt;  umfonft!  9tun  barf  et 
feinen  ‘Änftanb  nehmen,  ben  lebten  Sßeil  feineß  SSuftragß,  ber 
für  ben  $aH  beß  ©tißlingenß  beftimmt  war,  außgufübren.  (5t 
»erfünbet  alfo  mit  allem  ©cßeine  falter  SHuße  bem  ^rometßeuß 
bie  noch  furchtbarere  ©träfe,  bie  ibm  be»orfteßt:  „SJiit  SBliß  unb 
©onnet  wirb  bet  ^immltfc^c  Äönig,  beffen  ©u  fpotteft,  ben 
gelfen,  an  ben  bu  gefeffelt  bift,  fpalten  unb  bicß  in  bie  unenb* 
lidfften  liefen  fcßleubetn.  jpier  wirft  ©u,  »om  ©unfel  umgeben, 
eine  lange  3cit  »erborgen  liegen,  ©ann  wirft  ©u  wiebet  an’ß 
Siebt  fteigen,  unb  ein  gefräßiger,  ftetß  hungriger  Slbler  wirb  baß 
Bleifcß  beineß  Seibeß  in  ©tücfe  reißen,  jeben  Sag  auch  ungelaben 
fommenb  unb  an  ©einem  Seben  geßtenb.  ©olcße  Dualen  mußt 
©u  aber  fo  lange  erbulben,  biß  ein  @ott  für  ©icß  büßen  unb 
ftatt  ©einet  in  ben  Sartaroß  fteigen  will.  @laube  mit  aber 
nur:  bieß  ift  feine  ©ießtung  unb  ^taßlerei;  beß  3euß  sJ0tunb 
pflegt  nichts  (Siteleß  gu  reben.  Ueberlege  unb  bebenfe:  einft 

Ol*) 


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25 


mödjteft  Du  wohl  nicht  Deine  ©elbftübetbebung  für  beffer  als 
guten  SRatfy  galten." 

Der  ©bor  bet  5Keermäbd)en,  bcr  bet  ber  ©djilberung  fold)er 
Dualen  erfchtitft,  ermähnt  ben  Prometheus,  ben  SBorteu  beS 
$ermeS  ©ebör  gu  fcbenfen  unb  einen  guten  SRattj  nimmer  gu 
neradjten.  „§olg  ibm;  bem  5Bei)en  bringt  e8  ©cbanbe,  wenn 
er  fehlt."  SBenn  aber  je,  fo  ift  Prometheus  jefjt  feft  entfd)loffcn, 
aHe8  übet  fid?  ergeben  gu  laffen.  3nt  ^5d>ften  ©folge  entgegnet 
er:  ,,©o  werbe  benn  nun  aud)  auf  mid)  gefd)leubert  beS  fdjnei* 

benben  Blihftrab'.S  flamme,  bie  8uft  Bom  Donnetgefrad)  burd)» 
toft  unb  bet  ÜJtad)t  milbgucfenber  23lif}e,  unb  bie  Siefen  ber 
©rbe  Bom  ©runb  aufwüblenb  bet  ©türm  Unb  bet  Brau» 
bungSfcbwaH  bet  mogenben  ©ee,  ©r  tbütme  ftdj  t)od)  gu  bet  bimm* 
lifd?en  Bal)n  bet  ©eftirne  hinauf:  unb  gunt  finftetn  ©cblunbe 
be8  SartaroS  metb’  hinunter  mein  2eib  Bom  ©trnbel  gerafft  ber 
®d)icffal8mad}t;  SRiemalS  bod)  fann  et  mid)  tobten!" 

©tbeben  mit  nicht,  wenn  mir  biefe  SBorte  l}ören‘?  Der 
©bor  tbut  eS;  bod)  ^ermeö  ergreift  ein  anbereS  ©efübl.  ©eine 
©timmung  wirb  SButb  unb  fteigert  fid)  biö  gur  Baferei,  ba  ibm, 
bem  ©otte,  alle  ^Mäne  gefdjeitert  finb,  ba  et,  ber  Diener,  bie 
Befehle  feines  £errn  nitbt  bat  erfüllen  fönnen.  9lun  forbert 
et  noch  bie  Dteaniben  auf,  oor  bem  SuSbrud)  beS  oernicbtenben 
Unwetters  fid)  gu  entfernen.  Dod)  fie  oergeffen  ihres  ©efd)led)t8, 
ibtet  Schwäche;  iefjt  in  ber  böd)ften  Botl)  empfinben  fteaud)  mit 
Prometheus  baS  bö^bfte,  baS  eingige  Plitleib.  „5öie  fanuftDu 
gu  uneblet  Sbai»  entgegnen  fie  bem  fermes,  uns  aufforbern? 
9Jtit  ihm,  mit  ihm  will  id)  bulben,  waS  ba  fommt.  Den  Bet- 
rätet lernt  id)  baffen,  unb  Berratb  Reifet  bie  peft,  welche  not 
allen  ich  nerabfd)eue." 

Prometheus,  bet  auS  bem  £immel  ©eftofjene,  bet  oon  ben 
©öttetn  ©eflobene  batf  fleh  rühmen  einen  treuen  3eugen  feiueS 

(>1S) 


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26 


UnglüdS  gefunben  gu  haben,  meldjet  felbft  nicht  SÄnftanb  nimmt 
an  feinem  Untergange  theilgunehmcn.  ©och  Prometheus  trium« 
Beuö  mufe  fiegen  unb  fiegt  and?.  9to<h  einen  Slugenblid 
ichmebt  ber  gegüdte  SMifj,  fdjrocigt  bet  ^aöenbe  ©onner;  ba  ver« 
nehmen  mir  auS  beS  Prometheus  Ptunbe  felbft,  mie  ber  33oben 
fchmanft,  bie  S3li^c  gudeu,  bie  ©onner  tollen,  unb  im  milben 
Aufruhr  aller  ©lemente  Fimmel  unb  ©rbe  bei  feinem  Sturze 
erbeben.  Slber  fein  9Jtunb  mirb  noch  nicht  gefchloffen;  laut  ruft 
er  auS:  „£)  Plutter  ©rbe,  bu  heilige;  o Stettjer,  beS  allburch» 
bringenben  fcichteS  33orn,  o feljt,  melch’  bitter  Unrecht  idj  et« 
bulbe!" 


©aS  ift  in  furger  @figge  ber  Inhalt  ber  un8  noch  er« 
haltenen  Jragöbie  ber  9lefchpleifchen  Trilogie.  3m  Slugenblide 
freilich,  mo  mir  biefe  lebensvollen  ©eftalten  beS  ©ichterS  oor 
unferen  2lugen  hobeln  fehen,  liegt  unS  ja  ber  ©ebanfe  fern, 
feine  Perfonen  3U  abftraden  Segriffen  abflären  gu  moUen,  fo 
fern,  bafe  mir  gang  in  Slnhören  unb  iSnfchaun  vetfunfen  ftnb. 
©och  mit  fRecbt  bemexft  ©ropfeit  gu  feiner  Ueberfefcung  unferer 
5£ragöbie:  „2Bir  muffen  unb  bitrfen  von  bet  33ebeutung  jener 
Sage  unb  ihrer  Petfonen  fprecben,  ba  bie  erfte  Biegung  beS  33e» 
mujjtjeinS  in  jebem  SBolfe  als  ein  factum  fich  geftaltet,  baS  von 
©efdjlecht  gu  ©efchledjt  überliefert  bem  gläubigen  ©emüth  bie 
geheimnisvollen  Anfänge  alles  geiftigen  ScbenS  offenbart.  3eber 
ber  heiligen  fftamen  medt  ein  beftimmteS  93itb,  beftimmte  ©e« 
fühle  unb  eine  ©rfenntnif},  bie  unmittelbarer  unb  batum  mächtiger 
mirft  alS  bie  OKetaptjpfif  ihres  BufammenhangS.  ©rft  menn 
mit  unS  in  biefen  Äreiß  unmittelbarer  Slnfchauungen  h*neingu» 
benfen  vermögen,  metben  mit  baS  SBerf  beS  ©ichterS  nachem» 
pfinben  fönnen." 

©ie  ©eutungen  aber  ber  Sage  finb  um  fo  verfdjicbener,  je 

(314) 


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27 


fühlbarer  unb  auffatlenber  einem  jeben  auf  ben  erflen  33Iicf  ber  @on* 
traft  ju  fein  fcheint,  in  bem  ber  ©idjter  fid)  ju  ber  {Religion  feineß 
SBolfeß  jeißt,  ober  aber  bic  grofje  S3erfebrtijeit,  bie  in  biefer  9ie® 
ligion  felbft  liegt.  3ebem  fdjeint  9>romctheuß  baß  aUerfdjreienbfte 
Unrecht  ju  erbnlben.  5luf  feiner  ©eite  erblicfen  mit  aUeß,  maß 
fd)ön,  ebel  nnb  grofc,  unjeter  Siebe  unb  Söemunberung  mertl)  ift, 
auf  ber  beö  ©egnerß  nur  blinben  {Reib  fteinliche  £errfchfucht, 
beßpotifdjen  ©igettfinn,  eigen  finnige  ©cbmäcbe  unb  fchmache  Un» 
banfbarfeit,  bie  fid)  biß  jur  ©raufamfeit  fteigert.  Unb  fo 
fchilbett,  fragen  mir,  Slefchploß  ben  Äönig  ber  ©etter?  9Jtan  h<*t 
behaupten  roollen,  ber  ©iebter  h“be  abfidjtlid)  burdi  biefe  Slra* 
gobie  ber  {Religion  feines  33clfeß  opponiren  unb  mie  fpätere  ^*1°’ 
fopben  ben  alten  ©lauben  an  bie  ©etter  eTfdjüttern  mollen. 
©odi  man  bebenft  nid) t,  bafc  bie  Beilen  bamalß  uod)  nid)t  ba 
maren,  alß  2lcfd?v>loß  bidjtete,  unb  »ergibt,  meid)’  frommer  ©id^ter 
ber  Saubßmann  »en  ©leufiß  mar.  ©i>tteßfurd)t  mar  ber  £>bem 
ieineß  Sebeuß;  3euß  ihm  ber,  meldet  aQeß  ©örtliche  in  ftd?  net* 
eint  unb  ber  tiefften  ©hrfurd)t  unb  Anbetung  bet  ÜDtenfdjen  merth 
ift.  5?on  ihm  fingt  er: 

„Beuß,  ,f)err  unb  ©ott!  ©ein  Sßefen  ju  erfennen 
3ft  nufer  ©eift  ju  ft^roat^ ! 

unfere  Sippen  alfo  ©i<f>  benennen, 

SBie’ß  ©ir  geziemen  mag! 

Sßobin  auch  unfere  Stugen  bliefen, 
ffiobin  mir  bie  ©ebanten  fcf)icfen, 

9Bir  finben  ©eineßgleidjen  nicht. 

Söei  ©ir  allein,  menn  unf’re  £er$en 
©rliegen  unter  Sorg  unb  Schmerlen, 

©teht  unferer  Hoffnung  3nuerfuht." 

Unb  an  einer  anberen  ©teile  betet  er; 

,,©u  $err  ber  £errn,  ©eligfter  ©u  bet  ©eligen,  Slüer  ®c* 

(JIS) 


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28 


Walt  ©cwaltigfter,  3eu6  in  feem  Jpimmfl  broben,  ^6r  unS, 
o ethör’  unS  gnäbig." 

2lu8  bemfelben  ©runbe  ift  aud)  eine  jweite  Deutung  ju 
»erwcrfen,  bie  man  bem  ^efdjt>loö  untergelegt  hat.  'Wau  fagt, 
et  habe  in  feiner  Dragöbie  nicht  eine  religiöfe,  fonbern  nur  eine 
fittlicbe  Sienben3  oerfolgen  wollen:  er  habe  unS  in  Prometheus 
baS  eble  33etfpiel  männlicher  Staubbaftigfeit  im  ©rbulbcn  eines 
um>et)ä}u!beten,  burd?  tprannifdje SEßillfür  auferlegten  2eiben8  b*“8e« 
fteüt.  Ober  man  gebt  noch  einen  «Schritt  weiter  unb  behauptet: 
bet  Broec!  beS  Aefchpleifcben  DramaS  ift  baS  Streben  be§  Ptenfchen« 
geifteS  bargufteQen , ber  ftcb  feines  eigenen  SBiOenS  bewußt  ge* 
worben  ift,  fi<b  felbft  fühlt  unb  über  bie  ©cbranfen  beS  @nb* 
liehen  unb  ber  Abhängigfeit  non  einem  Roheren  SBiQen  h*Kau§* 
greift,  ber  im  Vewufjtfein  feiner  Freiheit  ben  SDiuth  faf)t,  ftcb 
©ott  gleid^uftellen , mit  ihm  31t  rechten,  ja  fid)  gegen  ihn  $u 
empören. 

So  oergleicht  man  benn  ben  Prometheus  mit  bem  biblifdjen 
j£>iob , mit  SifpphoS  ober  bem  ©oethe’fchen  gauft.  Das  war 
wohl  unferem  ©oethe  erlaubt,  bet  bie  ©eftalten  beS  9Jiptl)oS  $u 
Spmbolen  eines  burdjauS  mobernen  VewnfctfeinS  gemacht  unb 
in  allegotijcber  SSeife  mit  frembartigen  ÜJlpthen  oerfnüpft  bat. 
Doch  gut  Ausführung  foldjer  3been  hätte  nie  ein  tragifcher 
Dichter  ber  Hellenen  wagen  bütfen,  ben  3eu8  ju  oerwenben, 
unb  am  allerwenigften  hätte  eS  ber  fromme  AefdjploS  gethan. 

2Bir  müffen,  um  bieS  jutücfjumeifen,  oor  allem  bebenfen, 
baff,  wie  bie  ^Religion  ber  ©riechen  eine  Äunftreligion,  fo  alle 
ihre  Äunft  nur  religiöfe  jfunft  war,  b.  h*  fie  *»at  bie  Vermittlerin, 
burch  welche  bie  Religion  im  Volfe  belebt  würbe  unb  auf  @e> 
mütf)  unb  ©efinnung  beffelben  einwirfte.  Unb  gerabe  AefdjploS 
war,  wie  febet  acht  tragifche  Dichter,  ein  8ehrer  unb  priefter 
beS  VolfS ; in  ber  Seit  beS  beginnenben  3weifel8  fuchte  er  gerabe 

(jis) 


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29 


feie  neuerliche  [Religion,  bie  ba8  SBolf  fo  lange  glücflich  unb  ftat! 
gemacht,  gu  fluten  unb  bie  SSiberfprüche  gwifdjen  göttlichem  unb 
menjdjlidjem  ©efefc  aufguflciren.  konnte  boch  auch  bei  beu  Hellenen 
fein  «Dichter  ©eltung  gewinnen,  ber  fidj  etwa  bloö  burd)  Talent, 
9>t)antafie  unb  Äunftfertigfeit  gur  ^)oefie  berufen  fühlte;  eG  be» 
burfte  oielmehr  neben  einer  inneren  ©urchbilbung  oon  £erg  unb 
SUerftanb  einer  tiefen  unb  jumfaffenben  Äenntuih  aller  gefcpicht» 
liehen  unb  religiöfen  Ueberliefcrung,  einer  flaren  ©inficht  in 
göttliche  unb  menfchliche  ÜDinge. 

28ir  muffen  unS  aljo  nach  einer  anberen  «Deutung  umfehen. 
«Da  ift  oor  allem  gu  berücffidjtigen , bah  ber  Prometheus,  roie 
mit  ihn  eben  fennen  gelernt  hoben,  nur  ein  SSruchftucf  ift.  SBir 
»erlaffen  Prometheus,  auf  ben  ^echften  ©ipfel  beS  3®iefpaltS 
mit  3euö  angelangt,  unb  wiffen  nicht,  ob  unb  wie  bie  Prophegei* 
ungen  einer  ©tlöfung  in  ©rfüöung  gehen  werben.  «Diefe  @r* 
löfung  ober  »ielmeljr  Serföhnung  beS  Prometheus  mit  3eu8 
muh  ber  ©ichter  noch  bargeftellt  hoben:  eS  gejchah  im  fog.  ge« 
löften  ^rometheu®.  Unb  gwar  muhte  batin  eine  gange,  oolle 
unb  wirtliche  2}erföhnung  gegeben  fein,  b.  h-  eine  fold)e,  welche 
auS  ber  Slnerfennung  ber  Sßahrljeit  unb  beö  0^ed)teS  heroorgeht, 
woburch  bie  frühere  ©ntgmeiung  in  ihrem  ©runbe,  ber  IBer« 
fennung  beS  SBahren  unb  Siechten,  aufgehoben  unb  greunbfchaft 
an  bie  ©teile  bet  fteinbfcpaft  gefegt  wirb.  SDenn  ©egner  »er* 
föhnen  fich  nur  bann  wahrhaft,  wenn  fte  feinen  ©roU  in  bet 
©eele  mehr  hegen  unb  einjehen,  bah  ber  £aber,  mit  bem  fte 
fich  anfeinbeten,  eine  Verirrung,  ein  Unrecht  war. 

«Der  ©ötterftreit  unb  feine  Söfung  ift  als  bie  eigentliche 
Aufgabe  für  bie  ©ompofttion  unfereS  iDichterS  gu  betrachten. 
«Der  ©age  »on  ber  fucceffioen  ©ntftehung  ber  Söeltorbnung, 
bie  wir  »erhin  anbeuteten,  liegt  aber  eine  3bee  gu  ©runbe,  bie 
fi<h  alS  eine  religiöfe  auf  baS  äkrhaltnih  beS  fDienfcben  gu  einer 

(317) 


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30 


höheren  SBelt  bezieht,  unb  ba  ber  mit  3eu8  fampfeube  Prometheus 
bet  SBo^ltijäter  beö  PJenfchengefchlechtS  ift,  ba  et  um  ber  ÜRenfdjen 
willen  ftreitet  unb  leibet,  wirb  bicfe  SBejiehung  nur  um  io  enger. 
Snbem  nun  9tef<hploS  bie  3bee  beS  ÜRpthoS  in  feinem  Sewufct« 
fein  fortbilbenb  auSprägte,  fonnte  eS  feine  Slbfidjt  nicht  fein, 
bie  fRichtigfeit  beS  auf  ftdj  felbft  gefrästen  fDfenfchengefchlechtS 
nachguwcifen,  eben  fo  wenig  aber  bie  ©cttheit  bem  fBtenfchen* 
geifte  gegenüber  herabjufefien.  «Seibeö  mufcte  oielmehr  nermittelt 
werben:  ein  3wiefpalt  ift  burd?  Schulb  bei  ber  Parteien,  bet 
©ötter  unb  ber  Pfenfcheu,  gegeben,  unb  bie  8öfung  biefeö  3wie* 
fpaltS  ift  eben  ber  Sntjalt  beS  gelöften  Prometheus. 

3?aS  frühere  geben  ber  Pienfchen  war  ein  niebereS,  thierifcheS 
5)afein,  ohne  Sntelligenj  unb  Sittlichfeit,  webet  non  höheren 
SBefen  noch  non  eigener  ©inficht  geleitet,  nur  oom  bumpfen, 
bewufjtlofen  Triebe  beherrfcht.  35ieS  ©efdjlecht  will  3eu6  ner* 
nichten;  Prometheus  rettet  eS.  ©r  ift  aber  nicht  gufrieben  bamit, 
eS  nur  gerettet  ju  haben;  er  geht  in  feinem  SBiberftanbe  gegen 
3eu8  weiter,  ©eine  fSienfcheuliebe  bleibt  nicht  bie  rechte  unb 
mafjooHe;  fie  wirb  ju  einer  einfeitigen  23egünftigung  unb  Öe* 
fötbernng  beffen,  was  baS  weniger  ©bie  im  ÜJieufchen  ift  ober, 
wie  wir  eS  auch  auSbrücfen  formen,  beS  bloS  Stbifchen,  beS  ber 
©ottljeit  niiht  befreunbeten,  nicht  burch  grömmigfeit  unb  Siebe 
an  fie  gefnüpften  Plenfchen.  Allerlei  nortreffliche  ©aben  halte 
Prometheus  ben  9Jtenfdjen  gegeben ; aber  eS  fehlte  baS  Sittliche, 
unb  bieS  Sittliche  ift  eben  ein  SBetf  ber  ©ötter,  baS  Prometheus 
nicht  »erleiden  fonnte.  £Der  prometheiiche  Plenfch  ift  her  ©ott* 
heit  entfrembet,  unb  fo  ift  Prometheus  felbft  ein  33ilb  ber  oon 
ihm  gebilbeten  Ptenfchen:  in  Äampf  unb  9toth  auSharrenb,  im 
Selbftbewufctfein  ftolg,  in  erfiuberifchem  35cnfen  unermüblich, 
raftloS  üormäriSftrebeub ; aber  auch  8U  Unbefonnenheit  unb  bünfel« 
haftet  Ueberhebung  geneigt;  unb  eS  taugt  boch  nur  einzig  bie 

(319) 


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31 


SSeiStjeit,  Die  oom  3euS  ftammt,  nur  bie  Älugljcit,  He  auf  ©itt* 
lic^feit  beruht. 

Öluf  bet  aubeten  ©eite  befifet  boch  aber  bet  ÜJtenich  bie  höchften 
©eifleSgaben  unb  Anlagen  gu  aOem  ,£)ohen  uub  ©ebenen;  er 
befifet  auch  baS,  waS  aufeer  bem  ©efüfele  ber  ©ottheit  bag  Jieffte 
in  ifem  ift , freien  Söiflen  unb  fRecfetSgefübl.  35ie  9latur  aber 
bet  menfd)lid)en  greifeeit  aller,  Vernunft  unb  ©ered)tigfeit  waren 
ber  alten  fRaturreligion  unb  ben  Titanen  gang  fremb,  unb  3euS 
erfdjeint  ung  eben,  nadhbem  er  bie  .perrfcfeaft  gewonnen,  noch 
gang  auf  bet  «Stufe  bet  biofeen  [Raturgottfeeit,  wie  bie  alten 
©ötter,  bie  er  »om  Üfyrone  »erbrangt  ^at;  er  ift  eine  SDlacfet, 
mit  ber  ber  ÜRenfd),  wenn  er  gum  ©elbftbewufetfein  fommt;  notb» 
wenbig  in  ©onflict  gerätsen  mufe.  ©eine  ^errf^aft  ift  noch 
eine  »oüfommene  üpranniS,  in  ber  [Riemanb  frei  ift>  alg  er 
l'elbft,  eine  £ertf<baft  ofene  öerantwortlicbfeit , nur  täügewalt 
übenb.  Prometheus  aber  ift  ber  ©ofen  bet  3:ijemi§,  bet  ©öttin 
ber  ©erecfetigfeit,  unb  iomit  alö  bie  JRecfetSorbnung  ber  ©cwalt 
gegenübergeftellt,  unb  biefe  fRecfetSorbnung  forberte  einem  35e8po* 
tiSmuS  gegenüber,  bafe  nicht  nur  ungerechte  uub  leiben* 
fcbaftlicfee  Jpanblungen,  wie  bie  §effelung  be8  Prometheus, 
eingeln  ober  feiten  »orfommen,  fonbetn  bafe  überhaupt  feine 
möglich  fei  ober  bet  ©runbfafe  bcö  fRecfetS  febet  iHuSnahme 
entgegenftehe. 

35iefer  ßonflict,  ber  in  unfere  Slragöbie  fid^tbar  IjerDortritt, 
wirb  im  gelöften  Prometheus  ausgeglichen.  3euÖ  weife  Teilung 
für  ÖiUeö : er  lenft  beS  ÜRenfdjen  ©eele  gur  äkfonnenfeeit  unb 
läfet  ifem  bie  geiben  gur  gehre  werben;  er  felbft  erfennt  aber 
auch,  bafe  Freiheit  in  bie  SBeltorbnung  übertragen  werben,  unb 
Dafe  fein  [Regiment  fein  ungerechtes  begpotifdfeeS  fein  mufe.  SBollte 
er  länger  in  feiner  beSpotifcben  ©ewalt  trofeen,  fo  erfolgt  ber 
»on  Prometheus  propfeegeite  ©turg.  2lber  auch  Prometheus  ift 

(31») 


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32 


jeneß  uranfänglidjen,  non  ber  gefitteten  ÜJtenjdjfyeit  überwunbenen 
.jjabetß  mfibe.  @r  wirb  befreit  burd)  .^erafleß,  jenen  größten 
^>ercS  ber  ©rieten,  jenen  ©ettmenfdjen  »cü  grofjer  üfyaten  unb 
nod)  größerer  Reiben , ber  frei  ift  burd)  feinen  brüdenben  ®e* 
borfam,  burd)  freiwillige  Änedt)tfd)aft  fdjulbtein.  3n  iljm  tritt 
ben  ÜJtenfdjen  bie  Slnfdjauung  ber  gottbefreunbeten  unb  eben 
beßljalb  wafyrfyaft  freien  unb  ftarfen  3Jienfd)l)eit  »or  bie  Stugen; 
als  ©otterfcljn  aber  trug  et  jene  Äraft  in  fidj,  bie  gu  allem 
©bien  unb  £ol)en  netljig,  ba  ber  Sölenfd)  otyne  göttliche  ^>ilfe 
nidljtS  oellbriugen  fann;  er  ift  ber  13.  ©prof)  auö  bcm  @efd)led)te 
ber  3o.  2?ic  Urwelt  ift  gang  nun  abgetan;  eine  neue  SEöelt* 
orbnung  tritt  ins  geben,  $)rometl)euß,  ber  fluge  ©ol)n  bet  ge* 
redjten  Sttjemiß,  weilt  alß  33eratfyer  im  Steife  ber  ©öfter  ewig 
bem  gur  ©eite,  unb  ftatt  beß  ©ofyneß,  ber  bem  3«uß  gum 
Iterberben  gewejen,  gebirt  SEtjetiß  ben  l)etrlid)en  ^eliben.Sldjifleuß, 
baß  unfterblidje  S3orbilb  »on  ^»ellaß. 

©o  ber  ORptljoö,  wie  ©ropfen  feine  furge  23etrad)tung 
f djliefjt;  feine  proptyetifcbe  SBaljrbeit  reid)t  weiter,  als  bem  93e* 
wuf)tjein  beß  35id)terß  felbft  offenbar  ift.  ©olcpe  9>ropt)egeiungen 
eineß  SBolfß  befunben  ein  ©efül)l  beß  inneren  Sebürfniffeß  unb 
üBerlangenß,  baß,  weil  eß  ba  ift,  befriebigt  werben  mu§.  Unb 
alß  baß  tyeflenifcfye  geben  fid)  allfiegenb  unb  freubetaumelnb  übet 
bie  gänber  beß  JDrientß  außgebreitet,  fid)  mit  bet  SBeißljeit 
Slegpptenß  unb  ben  SBunbern  3nbieuß,  mit  3el)ot>al)bienft  unb 
9Jiitraßmpfterien  oermiid)t  tyatte,  alß  übet  bem  neuen,  gätjrenben 
©Ijaoß  >Jtad)t  unb  ©rabeßftiÖe  angftooll  lagerte,  ba  ging  ein 
tjeüer  ©tern  im  ÜJtorgenlanbe  auf  unb  leuchtete  über  ber  Ätippe, 
unb  eß-  jaud)gten  bie  bimmlifdjen  .fjeetjdjaaren. 


(WO) 

Trutf  een  ©ebr.  Unger  (ib-  ©rimni)  in  Qtrlin,  © J.'önebfrgeiftra£<  17  a. 


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l(daj  W jlnfgalnj 

bet 


@in  int  geograpfjifdjen  herein  gu  faanffnrt  a/9Ä.  im 
Dctober  1878  gehaltener  SSortrag 


»pn 


(t.  Semper. 


«erlin  SW.  1S79. 

38  erlag  »cn  (Sari  £ a b e l. 

(C.  i S.  I'nbtrit)'s4i!  5uiQgsbnitiljonbliing.) 

33.  »Strafe  33. 


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5S)aö  9ied)t  ber  Ueberfefeung  in  irembe  Sprachen  roirb  bprbeönlttn. 


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;£)er  mitunter  gehörte  9tußfprud),  eß  fei  bie  ©efcbichtß* 
fotfd)ung  bot^  eigentlich  nur  eine  5Ra turiuiff enf dja ft , hat  ebenfo 
oft  fehr  euergifchen  SBtberfpruch  erfahren.  3<b  »iß  hie*  nicht 
unterfuchen,  ob  mit  9ted)t;  wohl  aber  bin  ich  geneigt,  biefen 
©afe  gerabeju  umgufehren  unb  auf  einen  Stljeil  unterer  mobernen 
sRaturwiffenfdhaft,  nämlich  auf  bie  fogenanute  9iaturgefchicbte 
an$uwenben.  @djon  bieö  SBort  felbft  beutet  bie  Dichtung  meiner 
©ebanfen  an:  foll  ein  einzelner  3®etg  ber  9taturgefchichte  SBiffen* 
jehaft  werben,  fo  muh  er  ©efchichte  unb  jtnar  ©efdjichte  im 
wahren,  beften  Sinne  beß  SBorteß  jein. 

ÜJtan  macht  freilich  oft  genug  ber  3oologie  wie  ber  SSotanif 
ben  Seewurf  ober  einen  Sorwutf  bavauß,  bah  fi<  eben  ©e* 
fchichte  fei  unb  fomit  auch  nicht  SSBiffenfdjaft  im  ©inne  bet 
SKathemati!  etwa  ober  ber  9>hpfif.  3)iejenigen,  welche  ihn  er» 
heben,  bebenfen  nur  ©ineß  nicht:  bah  eß  fein  ben  gorfcher 
trejfenber  Sotwurf  ift,  wenn  ihm  bie  ^Begrenztheit  beß  ©egen* 
ftanbeß  feiner  gotfehung  ober  bie  geringe  ©umme  febon  ftcher* 
gefteflter  Sehtfä^e  Borgehalten  wirb.  5)enn  bie  SEBiffenfc^aft  Ber* 
änbert  ihren  (Sharafter  in  feiner  SÖeije  proportional  mit  ber 
©umme  ber  non  il)t  fchon  erfannten  ©efe^e;  wefentlich  ift  für 
fte  eben  nur,  bah  in  ih*  baß  ©treben  nach  ©rfenntnih  jur  Boden 
Setljätigung  fomme.  üDieß  aber  gefchieht  unb  fann  gefchehen 
in  ber  ©efchichte  fo  gut,  wie  in  ber  9>hbfif:  bie  3eiten  ftttb 
längft  norüber,  ba  ftcb  unfere  moberne  ©efcbicbtßlehre  noch  nicht 

XIV.  322.  ' 1 * (328) 


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4 


erweitert  hatte  gu  einer  ©efchichtewiffenfchaft  baburch,  bah  bie 
@efchicht§forfchung  in  ber  geitlidjen  33erfnüpfung  gefcbidjtlicher 
ifyatfadjen  einen  ©aufalgufammenhang  aufgufinben  eerfudjte  unb 
nachguweifen  »ermochte.  SDaS  aber  ift  ja  gerabe  baS  Sßefen 
wirflich  wiffenfchaftlicher  ftorfdjung,  bah  eine  beftimmte  enblidje 
@rfcheinung  auf  bie  beftänbig  wirffamen  Urfachen,  meld>e  jene 
perüorriefen,  mit  3mang  gurftcfgeführt  wirb. 

2BiH  man  alfo  ber  heutigen  9iaturgefchichte  einen  2$otwurf 
barauS  machen,  baff  fie  ©efcbichte  fei,  fo  wäre  er  bod)  nur  bann 
ein  foldjer,  wenn  jene  in  bem  »eralteten  Sinne  ber  früheren 
©efchidjte  rein  djronologifch  georbneter  S£l?atfad?eu  beljanbelt 
würbe;  unb  eS  läfst  fi<h  aQerbingS  nicht  läugnen,  bah  eS  nod) 
nicht  gar  lange  her  ift,  ba  Soologie  wie  33otanif  biejen  Jabel 
mehr  ober  weniger  oerbienten.  Sluffpeicherung  non  Seobachtun« 
gen  ohne  Sßerftänbnih  betfelben  gu  fuchen  war  lange  3eit  bie 
f)arole  für  beibe.  Slber  eS  fann  auch  mit  ooUftem  Otechte  ge* 
fagt  werben,  bah  mit  unb  burch  üDatwin  biefe  JRegiftratur  un* 
begriffener  unb  fdjeinbar  unbegreiflicher  Jljatfachen  fid)  baS  ehrenbe 
3eiwort  rafch  erobert  hat,  eine  ed)t  wiffenichaftliche  üftaturge* 
idjid)te  gu  fein.  2)enn  baS  SBefen  ihrer  ^orfchung  befteht  jefjt 
unb  gang  auSfdjliehlich  barin,  bie  beobachteten  Jhatjadjen  nicht 
bloß  ergählenb  aneinanbergureihen,  fonbern  auch  gu  etflären,  b.  b- 
Urfachen  ihres  üDafeinS  aufgufuchen  unb  bie  ©efe^e  ber  SBirfung 
biefer  bebingenben  Urfachen  feftgufteflen.  So  betrachtet  bie 
Soologie  bie  Summe  aller  Jhierformen  als  etwas  (beworbenes 
itnb  fie  bemüht  fid)  bieS  ©emorbene  begreifen  gu  lehren.  SERan 
fann  barüber  ftreiten,  ob  eS  wirflich  burd)  bie  ^Darwin’fdje 
Jheorie  fdjon  gelungen  fei,  eine  fidlere  unb  für  bie  5ftehrgahl 
Der  ftäUe  genügenbe  (Srflärung  gu  geben;  baS  aber  fann  feineS* 
falls  beftritten  werben,  bah  fie  allein  eS  gewefen  ift,  welche  bie 
ftreng  wiffenfchaftliche  Aufgabe  ber  3oologic  bahin  formulirt 
hat:  35ie  ©ntftehung  ber  uneublid)  oielgeftalteten  formen  ber 

(324) 


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5 


5£t>iere  auf  bebingenbe  Utfachen,  bie  naturnothwenbig  witfen 
mufften,  gutücfguführen. 

Unb  in  biefem  ©inne  ift  bie  3oologie  eine  ©efchichtßroiffeu* 
fdjaft,  ba  fie  oerjucht  burd)  geflftellung  beß  gefchichtlichen  Serbenß 
ber  jefct  lebenben  2hietfortnen  bie  Utfad)en  aufgubecfen,  welche 
biefe  allmählich  unb  nothwenbig  werben  liefen.  35aß  ©pftem  bet 
3ooIogie  ift  nut  bet  mehr  ober  minbet  gelungene  ISußbrucf  für 
unjere  .Renntnifj  unb  unfer  Verftänbniff , bie  mit  non  biefem 
Serben  gewonnen  haben  unb  jo  mit  JRedjt  eigentlich  ein  ®e= 
jchichtßfhftem. 

Saß  aber  für  bag  gange  ©ebiet  einer  burch  iljren  3nt)alt 
in  fid)  abgefchloffenen  Siffenjchaft  gilt,  mu§  nothwenbig  auch 
Geltung  haben  für  einzelne  SEtjeÜe  betfelben. 

@0  giebt  nun  aber  einen  iflbfehuitt  unferer  3oologie,  welcher 
fich  in  ber  Slljat  big  in  bie  nenefte  Seit  ^inetn  biefer  gorberung 
wifjenjchaftlich,  b.  h-  gefd)id)tlich  gu  nerfahren,  faft  ooQftänbig 
entgogen  l)at:  eß  ift  bie  $htetgeographie.  Sie  hat  bißher  ale  ihre 
üornehmfte  ober  gar  alß  ihre  eingigfte  Slufgabe  bie  angefehen, 
bie  Ehatiathen,  wie  fie  bet  jefcige  Verbreitungßguftaub  bet  leben» 
ben  ÜEhiere  bietet,  aufgufuchen  unb  gu  fchilbetn.  Senn  fie  babei 
gu  fogenannten  ©ejefjen  ber  Shictnerbreitung  fam,  fo  enthielten 
biefe  faft  außnahmßlog  nichts  aubeTeg,  alg  wiUfürlich  in  größere 
©tuppen  gufammeugefa&te  ©ingelheiten  fold?ec  Shatfachen  bet 
Verbreitung.  Von  einem  auggebilbeten  Vetflänbnif}  betfelben  ift 
feine  ©put  gu  ftuben  unb  nur  äufjetfl  feiten  ftnb  bie  Verfuche, 
ein  folcheß  gu  gewinnen. 

SDiefet  Slußfpruch  möchte  nielleicht  fDiandjem  alg  gu  tjart 
erfcheinen.  3u  feinet  fKechtferiigung  wiD  ich  furg  auf  bae 
neuefte  Seif  übet  Shietgeographie  hinweifen:  bag  Vuch  »on 
Sallace.  @ß  ift  meineg  Siffeng  biefeg  Serf  bag  erfte, 
weldicg  fich  Hat  bie  Aufgabe  fteüt,  ben  im  Stugenblicf  herrfchen» 
ben  3«ftanb  in  ber  Verbreitung  bet  Shiete  auf  frühere  gurücf* 
guführen  unb  bie  Urfachen  aufgnbecfen,  welche  aug  feuern  älteren 

(»»> 


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6 


Baftanb  ben  jefcigen  jüngeren  mit  fftotbmenbigfeit  l^ettorge^en 
liehen.  Stber  obgleich  SBallace  mit  gemobnter  Klarheit  biefe 
Aufgabe  feinem  Suche  »oranfteüt,  fo  trägt  er  in  ber  praftifdjen 
üDurchfübtung  feines  ©ebanfenS  bod?  mieber  ber  alten  SJtobe  fo 
ftarf  [Rechnung,  baff  bie  Kapitel,  meiere  nach  ber  alten  unb 
fchledjten  5Retbobe  rein  e^ronologifc^er  Slneinanberteibung  bie 
@rbe  in  beftimmte  Sbiercegionen  unb  bie  Slbietwelt  in  geogra» 
pl)ifdje  Kategorien  tbeilen,  meitauS  ben  größten  Slbfcbnitt  beS 
SucheS  einnebmen,  mäbrenb  biejenigen,  melcbe  unS  einen  ©in* 
blitf  in  bie  ©efdjichte  beö  ©ntftebenS  biefer  [Regionen  geftatten, 
faum  ben  achten  Sb*ü  beS  ©angen  auSmachen.1)  Slber  i<b  bin 
weit  bauon  entfernt,  in  biefe  SBorte  einen  Sabel  für  SBallace 
legen  gu  moOen;  benn  i<b  bin  überzeugt,  bah  er  fo  meitgebenbe 
3«rüdfbaltung  nicht  geübt  haben  mürbe,  menn  ibm  nicht  burcb 
bie  Umftänbe  eine  foldje  auferlegt  morben  märe. 

9Jtan  mirb  aber  fragen,  marum  benn  mit  [Recht  eine  foldje 
Burücfbaltung  geübt  mürbe,  ba  man  boch  längft  erfannt,  baf$  fie 
miffenfcbaftlicb  nicht  ftattbaft  fei?  SDie  Slntmort  ift  nicht  ferner 
ju  geben. 

@be  eS  möglich  ift,  bie  Urfachen  einer  ©rfdjeinung  gu  er* 
forfchen,  muh  man  biefe  felbft  grünblich  fennen.  SBir  fonnten 
unS  feine  Sbcorie  oom  SBefen  beS  Siebtes  bilben,  fo  lange  mir 
baS  Sicht  in  feinen  Derjdjiebenen  ©rfdjeinungen  nicht  ober  nur 
ungenügeub  etforfdjt  batten.  SBenn  eS  gilt,  mie  in  bet  Sb*e*‘ 
grograpbie,  bie  @eie|e  feftgufteUen , meldje  bie  ©ntftebung  ber, 
ber  3«t  nach  aufeinauberfolgenben  formen  geregelt  haben,  fo 
müffen  mir  gunächft  hoch  biefe  Slufeinanbetfolge  felbft  erft  richtig 
erfannt  haben.  Unb  obgleich  nun  ein  3®eig  unfeTer  Boologie 
als  Paläontologie  fchon  fett  langer  3eit  neben  jener  ein* 
bergebt,  bat  er  unS  bod)  im  ©runbe  noch  immer  feine  ©efchichte 
ber  Sbieemelt  in  bem  oben  begegneten  ©inne  geliefert.  SBir 
erfahren  groar  burch  bie  ÜBerfteinerungSfunbe,  bah  in  ber  Kohlen* 
petiobe  biefe  Sbi«e.  in  ber  Kreibe  jene  anberen  gelebt  haben; 

<*M) 


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7 


reit  lernen  non  ihr,  ba&  bie  SDintenfifclje  im  3ura  bie  grßftte 
9Rannigfaltigfeit  ihrer  formen  aufweiien  ober  ba|j  einzelne  jefct 
lebenbe  Styietformen,  wie  bie  ©laSfchwämme,  bie  ©ntenmufdjeln 
unter  ben  Srachiopoben , in  wefentlich  gleicher  ©eftalt  fdjon  gu 
ben  älteften  3e*ten  ber  öilbung  unfetet  ©rbrinbe  ejriftirten. 
3lber  wir  erfahren  nicht,  wie  fo  bie  eine  biefer  früheren  gaunen 
als  anfangöguftanb  ober  gleichfam  alö  ©rnbrpo  einer  jäteten 
augefptochen  werben  fßnnte.  3Sir  erhalten  nur  bie  chronologifche 
aufgählung  bet  nerf^iebenen  Raunen,  welche  überhaupt  einmal 
auf  bem  ©tbboben  ejrtftirt  haben,  ohne  bafs  wir  einfefyen  lernten, 
ob  unb  warum  bie  eine  bie  golge  bet  anberen  früheren  fein 
muffte.*) 

S)ie  Urfadjen,  welche  biefem  unbeftiebigenben  3uftanb  gu 
©tunbe  liegen,  fiub  mannigfaltig  genug  unb  eine  aufgählung 
bet  widjtigften  wirb  unö  bagu  oerfyelfen,  bie  ber  mobetnen  J^ier* 
geographie  geftetlten  Aufgaben  gu  formuliren  unb  bamit  bem 
eigentlichen  ©egenftanb  unfern  Uuterfuchung  nahe  gu  treten. 

3n  erfter  ginie  ift  h^borguheben,  ba|  unfere  Äenntnifj  oou 
ber  ©efd^i^te  ber  St^icrtoelt,  fo  wie  fie  fi<h  wirflich  abgefpielt 
hat,  immer  fehr  lüefenhaft  bleiben  muh;  benn  bie  bei  weitem 
größte  3al)l  früheren  2hiere  ift  fputlofl  oerfchwunben.  ©nnft 
ber  Umftäube  wirb  wohl  in  eingelneu  fallen  ein  reiches  fföaterial 
unb  mitunter  felbft  ein  gang  ooKftänbigeS  bet  gorfchung  an  bie 
£anb  geben,  wie  bieS  beifpielöweife  jefct  in  amerifa  gefchehen 
ift.  £Die  SDRenge  bet  in  ben  lefeten  3ah«n  au8  ben  ©üffwaffer* 
fchichten  bet  gelfengebitge  gu  Sage  gefßrberten  gönnen  ift 
grabegu  überwältigenb  unb  ihre  aJiannigfaltigfeit  erftaunlich  im 
hochften  ©rabe;  Shietgruppen,  wie  g.  33.  33ßgel  unb  SReptilien, 
ober  gifche  unb  amphtbien,  ja  felbft  ©äugethtere  unb  fReptilien 
werben  bur<h  neu  entbeefte  3wifchenformen  in  fo  überrafchenber 
SBeife  mit  einanber  oerbunben,  bah  feber  IDarwinianer  feine 
fühnften  Hoffnungen  weit  übertroffen  fieht.  SBaä  aber  biefen 
SRefultatew  ber  amerifanifchen  gorfcher,  wie  ÜRarfh,  Seibp  unb 

(l*7> 


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8 


©ope,  fo  gang  befonberen  äßerth  »erteilt,  tft  weniger  biefer  {Reif* 
furn  an  neuen  unb  intereffanten  ärten,  als  ntelmeljr  bie  butf 
fie  ermßglif  te  5)arfteQung  ber  ©ntwicfelung  einzelner  ©ruppen. 
SDaS  befanntefte  93eifpiel,  non  bem  jebet  gewiß  ff  on  gehört 
haben  wirb,  ift  bet  burf  !9Rarfh  gelieferte  {RafweiS,  „baß 
bie  tertiären  ^fetbe  Slmerifa’S  in  gang  lüdfenlofer  {Reihe  aller 
benfbaren  UebergangSftufen  ^inüberfu^ren  gu  öiefufigen  pfetbe* 
artigen  gieren  unb  gweitenS,  waS  faft  nof  wiftiger  ift,  baß 
alle  biefe  »erff  iebenen  ©tufen  bet  §)ferbe  mit  einem,  bann  mit 
anberfalb,  mit  gwei,  gwei  unb  einhalb,  breieinhalb,  oiet  Jpufen 
in  ber  tyier  gegebenen  {Reihenfolge  ff  if  tenweife  unb  regelmäßig 
übereinanberliegen,  wie  eS  ber  galt  fein  mußte,  wenn  fif  burf 
aßmäßlidje  {Rebuction  eines  nielßufigen  gußeS  langfam  unb  ohne 
©prung  ein  ehfufiget  gebilbet  haben  füllte.  SDlanferlei  aua* 
tomiff  e $hatfaf  en  beuteten  bereits  auf  eine  folf  e ©ntwicfelung 
beS  $>ferbehufS  auS  bem  §uße  eines  mefufigen  SfiereS  ßin; 
eine  glängenbere  Seftätigung  ber  {Riftigfeit  biefer  feoretiff 
gewonnenen  Uebergeugung  fonnte  in  ber  2ßat  gar  nif  t gegeben 
werben,  als  bieS  burf  ÜRatfh’S  ©ntbecfungen  gef  f ah-  3f 
barf  auf  wohl,  ohne  inbiScret  gu  fein,  hiwjufügen,  baß  if  nach 
breitägiger  SOtufterung  ber  überreifen  ©ammlungen  biefeS  eifrigen 
unb  äußerft  gewiffenhafteu  §orff  erS  bie  Uebergeugung  gewonnen 
habe,  baß  biefem  einen  SSeifpiel  feßr  balb  nof  anbete  unb  »ieW 
leift  nof  weit  wichtigere  folgen  werben.  SBenn  irgenbwo  bet 
wie  mir  ff  eint  etwas  übermäßig  ftrengen  gorberung,  eS  müßten 
alle  oon  ber  tljeoretiff  en  Soologie  poftulirten  UebergangSformen 
erft  wirflif  gefunben  werben,  ehe  man  fie  gu  beachten  brauchte, 
in  ber  2ßat  einmal  in  auffälligem  unb  ben  ©egnern  bet  25atwin* 
ff en  £heorie  ben  23oben  entgießenben  SBeife  genügt  werben  foU, 
fo  wirb  bieS  guerft  unb  oieHeif t überhaupt  in  großartigem  3Raß* 
ftabe  nur  iu  'imerifa  gef f eben.*) 

SÄbet  troßbem  muß  baS  liefen  bet  uerfteinerten  ©effiftS* 

(3*8) 


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9 


utfunben  immer  ©tütfmerf  bleiben;  benn  bie  SOlehrgaljl  aller 
J^iere  unb  mahrfSeittliS  gerabe  bie  mistigeren  maren  überhaupt, 
ba  fte  harter  Steile  in  ihrem  Äörper  entbehrten,  gar  nid}t  »er« 
fteinerungbfähig.  Sie  fönnen  baher  auS  nie  gefunben  roerben. 

2) er  einen  gotberung  alfo,  bie  an  bie  £htctüeoäraVhte  hetantritt, 
fann,  mie  mir  feiert,  nur  in  fefyr  ungenügenbem  fölafje  entfproSen 
metben;  mie  bebeutungöooll  aber  bieje  unb  butS  bie  9fatur  felbft 
auferlegte  $3efStänfung  ift  mirb  am  beften  burS  bie  (Erörterung 
etneß  Sßeijpieleb  gegeigt  metben  fönnen. 

2Jfan  ftreitet  fid>  jefct  DielfaS  unb  mit  ungemöhnliSet  SBärme 
um  bie  grage,  mo  bie  ©inbeglieber  gmifSen  ben  fÖtenfSen  unb 
ben  näSftnermanbten  äBirbelthieren  gu  fttc^en  feien  unb  eb  fc^eint 
faft,  alb  ob  man  häufig  Per  Meinung  fei,  in  bicfer  grage  märe 
ein  ©cfftein  beb  IDarminiömuS  getroffen.  £\jne  nun  bie  Sßidjtig» 
feit  betfelben  leugnen  gu  mollen,  bie  fie  aber  mol)l  ^viuptfäc^lid? 
beShalb  für  unb  hat,  meil  mir  unb  mit  allen  unferen  ©SwäSen 
butS  fte  rauh  berührt  fühlen,  mufj  iS  boS  behaupten,  baf)  es 
3ol)lteiSe  anbete  gragen  auf  bem  ©ebiete  ber  3oologie  giebt, 
roelSe  für  bie  (Sntmicfelung  unferer  miffenfSaftliSen  SlnfSauungen 
meit  mistiger  finb;  nur  treten  mir  fDleufSen  bei  ihrer  3)iSfujfion 
aQetbingb  ein  menig  in  ben  #intergrunb.  ©o  ift  beifpiclsmeife 
bie  grage  itadj  ben  SBermanbtfSaftbbegiehungen  ber  SBirbelthiete 
unb  ber  mirbeflofen  oiel  bebeutungSoofler,  meil  bie  bisher  gmifSen 
beiben  ©ruppen  beftanbene  Äluft  gang  unnergleiSliS  »tel  »eitet 
ift,  alb  bie  gmifSen  ÜJienfS  unb  älffen  ober  anbeten  ©äuge» 
Steren  .jpier  aber  läjjt  unb  ber  rein  gefSiStliSe  3»eig  unferer 
Boologie  gang  im  ©tiS;  wir  bürfen  niSt  ermatten,  jemals  bie 
nerfteinerten  üßorfahreu  ber  SBirbeithiere  mit  ©iSerheit  aufgu» 
finben,  inbem  mir  in  ben  ©SiSten  bet  (Erbe  mühlen;  eine 

3) emonftrirung  berfelben  ift  einfaS  unmögliS- 

2)ie  ©Swierigfeit  ober  theilmeife  UnmogliSfeit  bet  «per* 
fteQung  beb  thiergefSiStliSen  UrfunbettbuSeb  legt  bähet  ber 

(3*9) 


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10 


Übiergeogtapbie  eine  Sefdjränfung  auf,  ber  fie  nie  gang  wirb 
-Sperr  »erben  fßnnen ; aber  mit  um  fo  größerem  fRadjbrud  oerlangt 
fie  baljer  aber  auch,  bafj  bie  Paläontologie  fid)  beftrebe  jenes  Ur* 
funbenbu<b  jo  oollftänbig  als  möglid)  gu  machen,  bamit  bie  auf 
anberen  nnb  etwas  fdjwietigeren  SBegen  ber  §orj<bung  gewonnenen 
©rgebniffe  burd?  bie  bereits  oßKig  gelefenen  -Kapitel  jenes  Sucres 
in  ftrengfter  SBeife  geprüft  werben  fönnten. 

©efe^t  aber,  eS  wäre  mßglid),  waS  eS  inbeffen  nicht  ift, 
burdj  9lufwüblen  aller  @rbf<bicbten  eine  gang  genaue  Slufgäljlung 
aller  einfcblägigen  SUjatfadjen  gu  gewinnen  unb  alfo  baS  paläon* 
tologifdje  33ud}  abfolut  oollftänbig  gu  machen:  fo  würben  wir 
borf)  immer  noch  febt  leidet  einem  Srrtbum  beim^efen  beffelben 
anSgefejjt  fein. 

2)iefer  3rrtbum  beftänbe  batin,  baff  man  oieOeitbt  glauben 
mochte,  jebe  gauna  einer  liegenben  ©rbfdjidjt  fei  ohne 

weiteres,  bloS  weil  fie  einer  anberen  überlagere,  als  eine  SBeiter* 
entwicfelung  ber  gunädjft  unter  ipr  liegenben  aufgufaffen.  ©ie 
fönnte  bieS  fein,  brauchte  eS  aber  nicht.  (Sin  parabojreS  Sei* 
fpiel  wirb  bieö  beutlidj  machen.  ©efetjt,  man  hätte  in  ber  obe* 
ren  @<^ic^te  eines  2anbe8  ©äugetbiere  neben  Sögeln,  Reptilien 
unb  gifepen  gefnnben,  wäbrenb  jene  erften  in  bet  gunäcbft  bar* 
unter  liegenben  fehlten:  fo  würbe  bie  j$rage  ftcb  auf  werfen,  ob 
jene  ©äuger  auS  einer  ber  brei  anbeten  £biergruppen  b^001* 
gegangen  feien  ober  auS  gweien  ober  allen  breien  gleicpgeitig;  eS 
entftünbe  ferner  auch  bie  §tage,  ob  fie  nicht  etwa  iSnfömmlinge 
auS  einer  anbern  (Region  feien,  fobaf)  jene  jüngere  $auna  ein 
9Kif<bling8probuct,  aber  burcbauS  feine  regelmäßige  SBeiterbilbung 
ber  älteren  gauna  beffelben  SanbeS  wäre.  SDie  ©ntfdjeibung 
übet  biefe  fragen  wäre  nie  oon  ber  Paläontologie  gu  geben, 
man  wäre  oielmebr  genötigt,  fi<b  an  bie  ibeoretifebe  ßootoäie 
gu  wenben,  um  oon  ihr  SluSfunft  barübet  gu  erhalten,  auS  wel» 
(bet  ber  brei  ©ruppen  ber  $ijcbe,  (Reptilien  ober  Sögel  bie 

(*30) 


L 


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11 


Säuget  entftetjen  formten.  25ie  9lbftammung  bet  ©äugethiere 
Bon  ben  gifdjen  würbe  hödjft  wahrfdjeinlid)  entfliehen  nerneiut 
werben:  für  bie  Bon  ben  33ßgeln  f^ätte  ftd?  wo^l  bie  fERehrgahl 
ber  gorfcber  nodj  Bor  Äußern  entfliehen,  wähtenb  jefct  bie  ?ln» 
fi<ht  fid?  ein  gewiffeS  Siecht  gu  erwerben  beginnt,  welche  in  ben 
^Reptilien  bie  gemeinjamen  Vorfahren  ber  ©äuget  unb  ber 
SSögel  erblicft.  @benfo  würbe  nur  bie  fpftematifdje  3oelogie  im 
©taube  fein,  bie  in  ber  oberen  ©djidjt.gefunbenen  Säugetiere 
als  ftembe  ©inbringlinge  oon  aufcen  h®r  311  etfennen,  inbem  fie 
geigte,  bafj  biefe  nach  ihren  fpftematijchen  ©haraftereu  gar  nicht 
non  ben  unter  il)neu  liegeuben  ^Reptilien  batten  heroorgehen  fßnnen. 

5SuS  btefem  abfidjtlic^  etwas  fdjroff  gewählten  SBeifptel  geht 
heroor,  bafj  wir  felbft  im  günftigften  gaOe,  Wfnn  nämlich  baS 
paläontologifche  Urfunbenbuch  BoHfommen  wäre,  bod)  immer  bie 
j^ftematifdje  3oo!ogie  gu  IRathe  gu  giehen  hatten,  um  über  bie 
genetijcben  33egiehungen  bet  aufeinanberfolgenben  gaunen  oöllig 
flar  gu  werben:  eine  gotberung,  welche  oon  ber  neueften  fPaläon* 
tologie  im  ooUften  5Raafje  anerfanut  wirb.  3lbet  eS  muff  babei 
hoch  auch  wieber  horoorgehoben  werben,  baf)  unfere  ©pftematif 
weit  baoon  entfernt  ift,  ben  hohen  ®rab  oon  inbuctioer  Sicher« 
heit  gu  beftfcen,  ben  fie  haben  müfete,  wenn  fie  ohne  Ä'ritif  als 
untrügliche  Stichtfchnur  feilte  benufct  werben  fßnnen.  3n  biefet 
S?cgiehung  ift  baß  Borbin  fo  lobenb  erwähnte  58ud?  »on  SSatlace 
fehr  weit  hinter  ben  gorberungen  ber  3«it  gurücfgeblieben,  benn 
eS  bafirt  Biele  feiner  golgerungen  auf  fpftematifd^e  9tnfd)auungen, 
welche  oon  ben  3oologen  als  noch  controoerS  behanbelt  werben, 
ober,  wie  g.  58.  bei  ben  ganbfchnerfen  auf  ©tjfteme,  bie  längft 
burch  neuere  Unterfuchungen  als  oßUig  falfd)  nachgeAiefen  wor« 
ben  fttib. 

GrS  fteKt  fich  alfo  als  gweite  non  ber  ^^iergeogra^j^ie  gu 
bead)tenbe  gorberung  bie  hin : bafe  fie  gur  SBegrütibung  ihrer  9ln» 
fisten  nicht  fritifloS  bie  herrfdjenben  Stnfichten  bet  fpftematifchen 
Soologie  Berwenbe.  ©erabe  fo  gut,  wie  bie  mobetnen  ^aläon* 

(«D 


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12 


tolocjcn  fid?  mehr  unb  mehr  gu  3oologen  umbilben  unb,  wie  baß 
jüngft  in  glängenbfter  SBeife  burd)  Sittel  bei  Unterfucbung  bet 
foffilen  Schwämme  gefdbab,  aud)  bie  rein  tyftematifdjen  fragen 
berücfficbtigeu  muffen,  ebenfowobl  werben  bie  3;l5iergeogra<j^en 
genötigt  fein,  mehr  alö  bißber  gefdjafy,  bie  S3erwanbtfcbaftß* 
begieljungen  ber  für  fie  wichtigen  Spiere  in  töetracbt  gu  giebeit. 

SMre  nun  jene  erfte  IBoraußfejjung  »on  ber  SBoflftdnbigfeit 
beß  paläontologifcben  öudjeß  je  gu  erfüllen  unb  hätten  wir 
gweitenß  auch  fdjon  einen  uötlig  fieberen  @inblicf  in  bie  realen 
S3erwanbtfd)aftSoerljdltniffe  aller  2^b'ere  gewonnen  unb  wäre  jo» 
mit  baß  goologifebe  ©pftem  »cllfommen,  fobajj  feiner  leichten 
nnb  fieberen  Slnwenbung  gar  feine  ©cbwierigfeiten  im  äBege 
ftünben:  fo  würben  wir  boeb  immer  nod)  nicht  ben  nnß  gang 
gufrieben  fteüenben  Qrinblicf  in  bie  Sßorgduge  ber  gejdjicbtticbeu 
(Sntwicfelung  unferer  S^ierroelt  gewonnen  babeu. 

SSMr  batten  bann  aUerbingß  gwei  feljr  bebeutenbe  ©ebritte 
»orwävtß  getban;  beim  bie  Slneinanberreibung  ber  gejcbidjtlicben 
Stb^tjacben  wäre  noDfommen  unb  wir  wären  im  ©tanbe,  mit 
Sicherheit  baß  Slußeinauber  »on  bem  gang  gnfdlligen  ffteben« 
einanber  gu  trennen.  Slber  biefe  britte  Borberung  bliebe  babei 
gang  unb  gar  unerfüllt:  auß  bet  fo  feftgeftellten  ©efdjicbtSlebre 
auch  eine  ©ejebiebtöwiffenfebaft  gu  machen.  SDenn  bie  Urfahen 
jener  »on  unß  erfanuten  äkrfnüpfung  »erfebiebenet  gaunen  ober 
ihrer  ßntftebung  auß  einanber  wären  babei  gdnglicb  unerforfdjt 
geblieben.  SÖJir  haben  fomit  brittenß  jejjt  noch  gu  unterfudjen, 
waß  bet  Sbiergeographie  notb  tbut,  bamit  fie  ber  weiteten  Pflicht 
gu  genügen  »ermßge  unb  ficb  gleidjgeitig  ber  SÖiffeuidbaft  ber 
3oologie  alß  würbiger  £be'l  berfelben  anfcbliefee. 

Baffen  wir  gu  biefem  Söebufe  baß  »orbin  angeführte 
Seijpiel  bet  amerifanifeben  Pferbe  etwaß  näher  in’ß  sÄuge. 
S53ir  batten  auß  ben  Stbatfadjen  ber  fpftematijcben  3oologie  mit 
jRecbt  gefolgert,  bah  ein  einbufigeß  Pferb  nur  burch  Umbilbung 
auß  einem  oielbufigen  St^ier  entfteben  fonnte  unb  bie  Paläon» 

(3») 


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13 


tologie  fyatte  un8  ben  beweis  geliefert,  baf?  bie  tbeoretifcb  ge» 
forberten  Ueberganggftufen  genau  in  foldjet  aufeinanbetfolge  gu 
finben  feien,  wie  jene  fpftematifebe  .^ppotbefe  biee  »erlangte. 
Sber  barmt  ift  nod)  feine  antwort  gegeben  auf  bie  ^rage,  welche 
fpedeHen  Utfadjen  benn  ben  früheren  »iel^uftgen  Vorfahr  jener 
echten  fPfetbe  zwangen,  ftdj  in  einen  @infyufer  umjubilben. 

SDie  antwort,  welche  bie  SDatwin’fcbe  2l)eorie  auf  biefe 
f^rage  geben  würbe,  lautet  etwa  fo:  bie  unbegrenzte  Variabilität 
bet  »ielfyufigen  Vorfahren  unterer  $>ferbe  mu§te  eine  anjaljl 
»erfdjieben  Drganifirter  formen  erzeugen,  unter  benen  eine  au8= 
wähl  ftattfanb;  biefe  au@wal)I  würbe  beftimmt  burd)  ben  Vor» 
tbeil,  welker  biefer  ober  jener  art  burd)  ihre  eigentümliche  unb 
abweicbenbe  JDrganifation  erwuchs  im  Äampfe  um  bie  (Spiftenz. 
9iun  läfet  fid)  bei  ber  fjebenöweife  ber  ©tag  freffenben  pferbe* 
artigen  2b'ere  Md?*  erfennen,  bafj  in  bet  fRebuction  bet  $ufen 
ein  gewiffet  Vorteil  liegen  muffte,  ba  bet  hochbeinigen  unb  rafdj 
laufenben  Stieren  bie  ©djneHigfeit  wädjft  mit  ber  abnorme 
ber  3<>b*  unb  Oberfläche  bet  ben  Voben  berübtenben  <Stüjj» 
punfte.  IDiefe  Vetrad)tung  aber  führt  unö,  wie  wir  feben,  be» 
reitö  mitten  in  Verbältniffe  btMettt,  »on  benen  wir  big  babiu 
feine  9iotiz  genommen  bitten.  9tur  bureb  bie  SBcdifelbezicbungen 
ZWifcben  ber  gebenSweife  unb  ber  »ariabeln  ©rganifation  jener 
$)ferbe  einerfeitft  unb  ben  äußeren  ©jriftenzbebingungen  anberer» 
feit«  fonute  eine  auöwabl  in  beftimmter  fRidjtung  »ermittelt 
werben  unb  eS  müffen  babet  biefe  getreten  ebenfo  gut  als  urfäd)» 
liebe  Vebingungen  für  ba8  ©ntfteben  neuer  arten  ober  Varie» 
täten  angefeben  werben,  wie  bie  allgemeine  Senbenz  bet  5£biere 
ZU  »ariiren.  Um  aber  entfebeiben  zu  fönnen,  inwieweit  jener 
außwäblenbe  (ober  gar  umänbetnbe)  Sinflufj  jolcber  SebenS» 
bebingungen  b'«r  eine  beftimmte  tRicbtung  ber  ©ntroicflung  feft» 
gebalten  ober  gefteigert,  bort  eine  anbete  »erminbert  ober  gar 
abgefebnitten  haben  mag,  bebürfen  wir  einer  tief  einbringenben 
Äenntnif)  »on  ber  SSirffamfeit  jener  Qfriftenzbebinguugen  unb 

(333) 


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14 


it>rer  ©djwanfungen  auf  fctc  »etfdjiebenen  Sfcfyierarten.  Sllfo  aud> 
bic  Äenntnifj  btefcr  pfypfiologifdjen  33egiet)ungen  bet  Spiere  gut 
Slufcenwelt,  bieS  Sott  in  feinet  aögemeinften  33ebcutung  ge» 
nommen,  ift  notfywenbig,  um  ein  flateS  Vetftänbnifj  gu  gewinnen 
oon  jenen  Vorgängen,  welche  bei  bet  Umwanblung  einet  Slrt 
in  bie  anbete  ftattgefunben  Ijaben;  benn  crft  bie  pljpftologifdje 
fRotfywenbigfeit  folget  Veränberungen  madjt  unS  biefe  aud)  be» 
gteiflidj.  Unb  gu  bemfelben  Siefultat  fornmen  wir  immer,  mögen 
nun  eingelne  Slrten  nur  unb  ©ruppen  ober  felbft  ooQftänbige 
Raunen  auf  bie  Votljwenbigfeit  bet  uon  iljneu  eingefdjlagenen 
(SntwirflungSridjtuug  geprüft  werben:  webet  bet  burd)  bie  $)aläon« 
tologie  gu  iiefetnbe  9iad)wei3  aller  ober  gatjlreidjer  UebergangS» 
formen,  nod)  t^re  t^eoretifdje  Votfywenbigfeit  wären  ofyne  jene 
allgemeinfte  9%fiologie  bet  tljierifdjen  Organismen  im  ©tanbe, 
unS  einen  wiffenfdjaftlid)  guftieben  fteflenben  ©inblid  in  bie 
Vorgänge  gu  gewähren,  wie  ftc  bei  bet  Umbilbung  einet  §auna 
in  eine  aubete  nottymenbig  ftattgefunben  fyaben  muffen. 

fftod)  eine  anbete  Vetradjtung  fiitjrt  unS  auf  baffelbe  3*€l  tjin. 

2)ie  ©arwin’fdje  Sijeotie  ftellt  als  Slpiom  Ijin,  ba§  alle 
Ediere  »ariabel  feien  unb  ba§  biefe  Variabilität  oft  unbegrengt 
ober  ridjtungSloS  fei.  ®o  lange  eS  galt,  wie  e8  wofyl  uotgugS» 
weife  SDatwin’S  Slbfidjt  war,  bet  alten  Stnfidjt  »on  bet  Umwanb« 
lung  bet  Wirten  Slnetfennung  unb  Veadjtung  gu  oetfdjajfen,  war 
eä  fidjetlid)  fyinreicfjenb  unter  geftljalten  bet  beiben  Slpiome  bet 
(5tblid)feit  unb  Variabilität  gu  geigen,  wie  unter  ben  um  iljre 
(fpifteng  fämpfeuben  Sitten  eine  burd)  VüfjHdjfeit  ober  ®d)äb* 
lidjfeit  ifyrer  Drganifation  ergeugte  SluSwatyl  eintreten  mufcte. 
9hm  biefe  9lnfid)t  fid)  längft  Slnetfennung  oerfdjafft  ijat,  batf 
e8  nidjt  länget  oerfdjwiegen  bleiben,  baf)  beibe  Ätäfte  ober  @igen* 
fdjaften  tljietifdjet  Organifation  nidjt  einfach  als  Slpiome  gu  be* 
Ijanbeln  finb.  ©o  wie  wir  bieget  unS  gewöhnt  tjaben,  bie  @tb» 
lidtfeit  unb  Variabilität  gu  benufcen,  mögen  fie  woljl  in  eingelnen 
gällen  gang  beredjtigften  SDienft  tljun;  nichts  befto  weniger  [teilen 

<»M) 


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15 


fte  unö  gmei  gro§e  Stagegeidjen  Ijin,  auf  melche  mit  bieder  jebe 
cjracte  Sntmort  fchulbig  geblieben  finb.  68  ift  aud)  nidjt  meine 
Slbficht,  ^iet  einen  SBetfudj  gu  einer  folgen  Sntmort  gu  unter» 
nehmen;  benn  ba  ich  überzeugt  bin,  ba{j  mebet  bie  $angenefe 
SDarmin’84)  bie  6rbli<hfcit  erficht,  noch  auch  bie  23atia» 
bilitdt  bur<h  adeS,  maS  batübet  aud)  fchoit  gefagt  unb  gebrucft 
mürben  fein  mag,  siel  flarer  gemorben  ift,  fo  erschiene  eg  mit 
ald  5Bermef|enheit,  moKte  ich  fyiet. einen  93erfud^  gut  göjung  jener 
SRdthfel  magen. 

^Dagegen  ift  e8  mohl  meine  Slbficht,  furg  gu  et« 
örtern,  melden  SBeg  mit  einf plagen  fönnten,  roenn  e8  unfere 
Aufgabe  mdre,  bie  eine  biefet  fragen  einer  Söfung  entgegen  gu 
führen,  2Beld)e8  finb  bie  Utfadjen  bet  Sßariabilitdt?  ©o  lautet 
biefe Stage.  Sät  un8  als  Staturfotfcher  fann  e8  nur  einen  2Beg 
geben,  bet  un8  babei  fidjet  gu  führen  »ermöchte:  ben  bet 
^Beobachtung.  SBit  fragen  alfo  meiter:  2Bie  unb  mobutch  ent« 
flehen  in  bet  Statur  bei  33erdnberungen  ihrer  £>tga« 

nifation? 

©o  meit  mit  bi8  jefct  fehen  maven  in  biefet  SBegiehung  brei 
$)uncte  au8eiuanber  gu  h0^»;  bi«  Umdnberung  einer  ©pecieS 
fönnte  einmal  SRefultat  einer  ^^bribation,  gmeitenS  butdj 
bitecte  6inmirfung  bet  duneren,  fich  »etdnbernben  Umgebung 
bet  $h*ere  entftanben  unb  brittenS  eine  §olge  gang  aQgemeinet 
6ntmicflung8gefefce  fein. 

68  ift  Idngft  ben  $)flangengüchtetn  befannt,  ba{j  bie  $t)bri» 
bation  ein  gang  o ortreff lidjeS  gjtittel  ift,  bie  6onftang  bet 
6haraftere  einer  Slrt  gu  brechen  unb  neue  SBarietaten  gu  et» 
geugen;  man  meif}  ferner,  bah  auch  in  ber  freien  Statut  bet« 
artige  burd)  ^pbribation  entftanbene  neue  Sormen  gefunben 
merben  unb  e8  ift  gerabegu  erftaunlidj,  melche  SJtannichfaltigfeit 
in  ©eftalt  unb  Sätbung  auf  fotdje  SBeife  bei  fangen  etgielt 
metben  fann.  SSiel  meniget  plaftifdj  fcheinen  bie  Spiere  gu  fein; 
man  ift  fogar  oft  fo  meit  gegangen,  bie  SJtöglichfeit  ber  ^pbri« 

(»») 


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16 


bation  bei  JJfyieten  gänzlich  ju  leugnen.  3nbef)  ftdberlttfc  mit 
Unrecht:  unb  id)  möchte  bezweifeln,  ob  bet  bet  täglich  ftd?  meh* 
tenben  3at)l  gelungener  ^nbribationSnerfuche  zwtfdjen  oft  recht 
fef?r  oerfchiebenen  SEhieren  bie  SEBibettac^er  bet  Darwinschen 
!Ebeorie  auch  jefjt  n od)  bie  93ehauptung  aufrecht  erhalten  möch* 
ten,  eine  ^mbribation  fei  bei  Stireren  nicht  nachzuweifen.  @o* 
»iel  inbeffen  muh  unb  !ann  zugegeben  wetben,  bah  bie  burd) 
Äteujung  bei  $bf«en  b”öwflerufene  Variabilität  bei  weitem 
nicht  fo  auSgiebig  ift,  wie  bei  Pflanzen.  3«  ben  meiften  Odilen 
entftebt  babei  eine  9Rif<hung  bet  elterlichen  ©baraftere,  wie  z-  93. 
bei  ben  befannten  ©chmetterlingSbtybriben  gwifchen  bem  £inben= 
unb  bem  ^appelfchwärmer.  ERut  feiten  treten  gang  neue  formen 
auf,  wie  bei  einem  Äafabubhbriben,  ber  in  ben  ^arfanlagen 
eines  5Dir.  Vujrton  in  ©nglanb  in  freier  ERatur  entftanben  war; 
bie  Eltern  batten  einen  weiten  ober  rothen  f?eberbuf<h,  ih« 
©pröhlinge  aber  orangerothe.  3a,  eS  fcheint  faft,  als  ob  gerabe 
bie  ,£bbriben,  welche  mitunter  in  freier  ERatur  auftreten, 
eine  t>iel  gröbere  9>lafticität  erhielten,  als  bie  bur<h  unS  mit 
^auSthieren  ober  in  unferen  goologifchen  ©arten  angefiebelten 
SEhieten  erzielten  EJRiichlinge.  IRIS  Veifpiel  folcher  in  ber  SRatur 
entftehenben  ^ipbriben  nenne  ich  bie  gahlreidjen  Varietäten 
unferer  ©übwafferfifche,  fpeciell  ber  SBeibfifche,  welche  fo  mannidj* 
faltig  in  ©eftalt  ftnb,  ba§  ber  93eftimmer  foldter  3»if<henformen 
oft  in  bie  bitterfte  Verlegenheit  gerdtl),  wenn  er  entfdjeiben  foll, 
ob  er  biefe  ober  jene  EHrt  cot  ficfa  habe.  3ch  berufe  mich  babei 
auf  bie  Autorität  unfereS  oerbienftooflen  3oologen  »•  ©iebolb, 
welcher  nicht  anfteht  eine  Slngahl  folcher  ERacen  gerabezu  alb  ^>n» 
briben  z»if«he«  ganz  oerfcbiebenen  Ärten  zu  bezeichnen. 

Die  fomit  nicht  länger  beftreitbare  EJRöglichfeit,  bah  auch 
bei  SEhieren  burch  ^bribaticn  neue  formen  entftünben  ober, 
waS  baffelbe  ift,  bah  bie  ©halftere  ber  alten  ©peäeS  oerdnbert 
würben,  ftellt  fomit  jeber  tbiergeograpbif&en  Unterfuchung  bie 
Aufgabe,  nachzuforfchen  ob  nicht  Unterfchiebe,  benen  man  geneigt 

(33H) 


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17 


ift  einen  hoben  SSertb  gut  Unterfcheibnng  gtoeiet  Raunen  beiga* 
legen,  oieHeicbt  bloS  auf  ^Rechnung  einet,  burcb  .fwbribatton  er* 
geugten  Veränberung  alter  formen  gu  fcbieben  feien. 

©8  liegt  auf  bet  ^anb,  bah  eS  oft  fcbwer  ober  gang  unmog* 
lieb  fein  mu§,  betattige  eben  als  möglich  bingefteHte  Vegiebungen 
gwifchen  bet  #pbribation  unb  ben  d^arafteriftifdjen  gormen  einer 
gauna  aufgubecfen,  fo  lange  wir  bie  ©efetje  bet  $pbribaüon  gu 
gutem  Steile  Don  ben  für  bie  fangen  genommenen  ©rfabrungen 
entnehmen  muffen.  Um  inbeffen  gu  geigen,  bah  auch  fo  fdjon 
mit  einigem  ©runbe  gemiffe  eigentümliche  gäHe  geograpbil^er 
Verbreitung  ber  $biere  auf  bie  ^pbribation  als  auf  eine  utfäch* 
Hebe  Vebtngung  für  baS  äufücnbefemmen  jener  Verbreitung 
gurücfgefübrt  werben  fönnen,  will  ich  b*«  einen  fdjon  Don  SBaOace 
biScuürten  gall  nochmals  befpredjen. 

©8  ift  bie  gauna  3nbienS,  wie  ber  binterinbifeben  3nfetn 
febr  reich  an  gablteicben  ütrten  ber  i ebenen  ©djmetterlingSgattung 
9>apilio,  welche  hier  in  SDeutfdjlanb  nur  einige  Vertreter,  nämlich 
ben  befaunten  ©egelfalter  unb  ben  ©djwalbenfcbwang  befifct- 
Unter  jenen  inDifdjen  ift  eine  9trt,  Pap.  Pammon,  auSgegeidjnet 
baburdj,  bafe  baS  SRänndjen  gweierlei  oerfchiebene  gormen  geigt, 
wäbrenb  baS  SBeibdjen  immer  nur  in  einer  febr  wenig  rariiren* 
ben  ©eftalt  auftritt.  SDiefe  SpecieS  ^at  eine  ungemein  weite 
Verbreitung;  fie  ift  auf  bem  geftlanbe  fowobl,  wie  auf  allen 
binterinbifeben  Snfeln  gefunben  worben  unb  fte  fommt  gleichfalls 
auf  Dielen  3nfeln  beS  füllen  DceanS  uor.  3)er  baubtfäcblicbfte 
Unterfdbieb  gwifchen  ben  beiben  gönnen  beS  fUtänndjenS  befielt 
barin,  bah  bie  eine  an  ben  ^interflügeln  einen  ähnlichen 
Schwang  trägt,  wie  unfer  ©chwalbenfchwang,  wäbrenb  bie  anbere 
ohne  foldjen  Slnbang  ift.  Stuherbem  aber  finben  ficb  noch  Unter* 
fefaiebe  in  ber  gätbung.  3n  Vegug  auf  biefe  bat  nun  SBaQace 
guerft  b«>wtgeboben,  bah  biefe  gärbungen  Dariiren  je  nach  ben 
gunborten  unb  ferner,  bah  bie  gefdjwängte  gorm  immer  eine 
gärbung  bat,  wie  fie  berjenigen  anberet  unb  gwar  gang  Der= 

XIV.  m.  2 (373) 


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18 


fdjiebenet  gefdjwängter  2lrten  betfelben  ©attung  ungemein  ähn- 
lich ift,  bie  gerabe  an  bemfelben  gunbort  lebt.  6r  h«t  bteö  alö 
einen  gad  »on  SRimictp  (fRadjäffung)  auf  gefaxt,  aber  wie  icb 
glaube  mit  Unrecht.  @8  laffen  fiep  nämlich  gar  feine  Begiepungen 
gwifdjen  ber  8eben8weife  biefer  (Sjremplare  unb  ben  fte  »or  ihren  @e* 
fcpwiftetn  auegeidjnenben  ©igenfdjaften  auffinben,  burch  welche 
itgenb  ein  fRufcen  gegeben  würbe;  ohne  einen  foldjen  aber  ift 
«8  nicht  geftattet,  ade  gufädigen  Slehnlidjfeiteu  in  gorm  unb 
gätbung  gwifdjen  gwei  Slhierarten  als  gäde  »on  dRimicrp  gu 
begeidjnen.  IRun  finb  aber  bie  Stefjnlichfeiten , wie  fte  an  »er* 
fdjiebenen  Orten  gwifdjen  ben  gezwängten  $)ammon*2Rännchen 
unb  ben  ihnen  ähnlichen  9)apilio«9lrten  beftehen,  gu  auffadenb, 
um  nicht  boch  bie  Slnfidjt  gu  erweden,  ba&  gwifdjen  beiben 
wirflich  Begieljungen,  aber  freilich  nicht  folche  ber  SRimicT»,  ftatt* 
gefunben.  35a  fdjeint  mir  benn  bie  Annahme  wohl  gemacht 
werben  gu  bürfen,  bafc  biefe  '«Sehnlidjfeiten  burch  ^bribation 
gwifdjen  gwei  »erfdjiebenen  iMrten  entftanben  fein  fßnnten.  35iefe 
Sßermuthung  wirb  feljr  »erftärft  burch  bie  SUjatfadje,  welche  ich 
felbft  beobachtet  habe  unb  bie  fpäter  burch  Äubarp  beftätigt 
würbe,  bah  auf  ben  $)alau»3nfeln  tm  ©tiden  Ocean  nur  bie  un* 
gefdhwängte  gorm  beS  $ammon*9Ränndjen8  »orfommt  unb  gu* 
gleich  auch  “De  jene  anberen  SMrten  betfelben  ©attung  fehlen, 
mit  benen  Mammon  burch  ^>pbribation  bie  gefchwängte  Slbart 
an  anberen  Orten  ergeugen  fann.  fRatürlidj  ift  bie8  nur  eine 
$ppothefe,  bereu  fRidjtigfeit  burch  ba8  ©rperiment  gu  prüfen  an 
Ort  unb  ©teile  nicht  gerabe  feljr  fdjwierig  fein  bürfte. 

dtodj  ein  anberer  gatl  mag  hier  erwähnt  werben.  35ie 
8anbfdjnecfenfauna  »on  5Reu*(5alebonien  ift  »ot  31  dem  burch  eine 
eigentümliche  Untergattung  »on  BulimuS  begeidjnet.  35ie 

dRannidjfaltigfeit  ihrer  Slrten  ift  gang  erftaunlidj;  fortwährenb 
werben  neue  befdjtieben.  Bon  einer  fcharfen  Slbgrengung  gwifchen 
ihnen  ift  inbeffen  nicht  bie  (Rebe:  fie  gehen  ade  in  einanber 
über.  35iefe  Statfadje  hat  ein  neuerer  Beobachter,  welcher  biefe 

OB8) 


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19 


Schnecfen  an  Ort  unb  «Stelle  fennen  gelernt  Ijat,  baburdj  ju 
erflären  nerfudht,  ba|  et  btc  Uebetgänge  gwijchen  ben  gut  unter» 
fdjeibbaren  Wirten  als  echte  burdh  |>^bribation  entftaubene  SBaftarbe 
auf fa|te,  eine  Sinnahme,  toelc^e  feljt  grofje  3Baljrf$einlidjfeit 
für  fic|  |at.  Seiber  fehlen  inbeffen  auch  in  biefem  gaHe  alle 
©tperimente. 

Slber  fo  lange  wir,  wie  in  ben  beiben  hier  angeführten  23ei* 
jpielen,  feine  fidlere  Gcrflärung  für  bie  beobachteten  (Stfcheinungen 
gewinnen  fönnen,  ftehen  fich  bie  überhaupt  möglichen  .fjppothefen 
als  burehauS  gleichberechtigt  gegenüber;  unb  bie  Stage,  ob  bie 
angeführten  unb  eine  ÜJtenge  anberer  ähnlicher  ^Beobachtungen 
nicht  burdj  bie  SBirffamfeit  ber  £pbribation  ju  erflären  fein 
möchten,  mu|  bähet  unbebingt  aufgeworfen  werben,  wenn  man 
fich  nic|t  im  Suchen  nach  ben  Urfadhen  jener  ©rfdbeinungen  Ber- 
itten will. 

«praftifdh  hat  bieje  Srage  atlerbingS  für  ben  Slugenblicf 
feinen  großen  Söerth;  benn  wir  wiffen  bis  je|t  noch  f°  oufjer* 
orbentlich  wenig  non  bet  Tragweite  unb  bem  33orfommen  ber 
^pbribation  bei  Spieren,  ba|  eine  allgemeine  unb  fidjere  Sin» 
wenbung  non  ©efefceu  bet  lujbribation  ebenfowenig  möglich  ift, 
wie  eine  SluffteHung  folchet.  Slber  um  fo  nadhbrüdflicher  tritt 
gerabe  beStjalb  bie  Sorberung  an  unS  heran,  biefe  SSerfudhe  mehr, 
als  bisher  gefdhah,  unb  in  ipftematifetjer  SBeife  anguftellen  unb 
babei  namentlich  auch  jolche  SL^icre  mit  heran  ju  jiehen,  welche, 
wie  oiele  wirbellofe,  gwar  feine  3“9thiere  für  joologifche  ©ärten 
finb,  noch  werben  fönnen,  tro|bem  aber  für  eine  ftreng  wiffen» 
fchaftlidhe  33e|anblung  ber  SEhietgeographte  eine  ebenfo  gro|e 
Sebeutuug  befifcen,  wie  bie  SBirbelthiere,  mit  benen  man  bisher 
faft  au8fchlie|li<h  in  biefer  {Richtung  ejrperimentirt  h®t. 

SDie  jweite  Urfadhe,  welche  eine  SBeränberung  bisher  conftan- 
ter  (Jhoraftere  bewirten  fönnte,  fotlte,  wie  ich  behauptete,  in  beit 
änderen  Sriftenjbebingungen  ju  fuchen  fein. 

3«h  ftetle  mich  bamit  faum  in  @egenfa|  $u  Darwin,  wohl 

2*  (339) 


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20 


aber  31t  feinen  fftadhfolgern;  benn  biefe  befireiten  oft  auf  ba8 
©ntfdjiebenfte,  bafj  birecte  ©inwirfungen  ber  äußeren  Umgebung 
ben  minbeften  ©influß  üben  fönnten  auf  bie  33eränberlichfeit  ber 
Sitten  ober  fie  befdjränfen  it)n  bod)  auf  ein  Minimum,  ©e* 
leugnet  wirb  babei  oon  ihnen  nicht,  baß  3.  8.  SBärme  ober 
Äälte,  bie  Quantität  ober  Dualität  ber  fftafyrung,  ©alggeljalt 
be8  SBaffetS  unb  fein  9ieidjti)um  an  ©auerftoff  ober  Sohlen* 
fäure,  bie  Schwere,  ber  Slggregatguftanb,  fur3  'Me8,  roaS  irgenb* 
wie  mit  Spieren  in  birecte  Berührung  fommt,  auch  auf  biefc 
einen  entfdjiebenen  unb  mitunter  recht  weitgehenben  ©influß  3n 
äußern  oetmag.  3ber  e8  foll  ftd?  berfelbe  gunäcßft  ober  über« 
fyaupt  nur  in  einet  SluSwaßl  gwifcßen  ben  »erfcßiebenen,  fenen 
©inflüffen  auSgefeßten  gieren,  äußern  fönnen;  unb  wo  er 
etwa  in  befdjränftet  2Beife  aud)  umgeftaltenb  auf  bie  2eben8* 
weife  unb  bie  Drganifation  ber  Spiere  3U  witfen  im  ©tanbe 
fei,  ba  foQte  et  bod)  nie  fo  weit  gelten  fönnen,  baß  babutd)  bie 
ttmbilbung  einer  Slrt  in  bie  anbete  gewährleist  würbe.  IDenn 
e8  gilt  al8  au§gemad)t,  b aß  ade,  burd)  bie  birecte  ©inwirfung 
ber  äußeren  8eben8umftänbe  neu  et3eugten  @igenfd)aften  immer 
wiebet  »etloren  gehen,  f obalb  bie,  bie  Beränbetung  bebingenben 
Umftänbe  ^inwegfaDen.  ©ine  3.  8.  burd)  9tal)rung8mangel  er* 
3eugte  fleine  äbart  würbe  h^nad)  augenblidflid)  wieber  groß 
werben  müffen,  fobalb  bie  bebingenbe  Urfadje,  alfo  ber  ÜJiangel 
an  gureicßenber  flla^rung,  aufgehoben  wäre. 

fftun  ift  e8  aber  eine  bisher  nicht  genügenb  gewürbigte  Stt)«*’ 
fadhe,  baß  mit  bem  jfleinbleiben  gewiffer  Snbioibuen  aud)  immer 
mehr  ober  weniger  ftarfe  Beränberungen  ein3elner  ihrer  Drgane 
#anb  in  £anb  gehen.  ©0  habe  ich  &•  33.  burd)  faft  groeijäljrige 
©tperimente  gefunbcn,  baß  unfere  gewöhnliche  SBafferaffel  (Asel- 
las aquaticus)  fehr  flein  bleibt,  wenn  man  fie  unter  fonft  gün* 
fügen  8ebingungen  in  einem  hermetifd)  »erfcßlofienem  ©lafe  güdb* 
tet;  unb  e8  ift  mir  gelungen,  ohne  Deffnen  be8  ©lafcS  in  faft 
groei  3al)ren  4 ober  5 ©enerationen  311  ergielen,  non  benen  bie 

(340) 


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21 


lepte  ftd}  Dutd)  Feinheit  ihrer  3nbioibuen  au8geid}nete.  äupet* 
bem  aber  unterjdjieben  fid?  biefe  oon  ben  im  freien  gefangenen 
©yemplaren  berjelbeu  ‘Jlrt  gang  auperorbcntlicb  in  bet  Sebaarung 
bet  Seine  fowobl,  ald  aud)  in  ben  telatioen  ©röpenoerbältniflen 
bet  oetjcbiebenen  Jförperregionen.  @8  gebt  batauä  tyexvot,  bap 
bie  Serminberung  bet  ©ejammtgröpe,  wie  pe  burd)  ben  (Sinflup 
folget  3ücptung  tyetüotgerufen  witb,  pd)  nicht  gleicpmäpig  übet 
alle  JÜörperabjcbnitte  nertbeilt,  benn  fonft  müpten  bie  Heineren 
Seine  bet  2tbart  aud?  biejelbe  3a^  bet  Sorpen  unb  in  bet 
gleiten  Stellung  gu  einanbet  b‘iben,  Die  pe  bei  ben  oöllig  au8* 
gewannen  einnebmen;  bicö  ift  aber  nicht  bet  gaU.  So  ift 
beutlidj  erfidjtlic^,  bap  eine  unb  biejelbe  Urfadje  in  ungleicher 
SBeife  auf  bie  oerfchiebenen  SL^etle  befleißen  St^icreö  wirft.  Slber 
alle  biefe  jo  Durch  bie  birecte  ©inwitfung  bet  äuperen  t'ebenfi* 
umftänbe  betnorgerufenen  oerjebiebenartigen  ©igentbümlicbfeiten 
j ollen,  fo  fagt  man,  wieber  fputloS  oerjehwinben,  fobalb  bie  be» 
bingenben  SJtomente  xii^t  mehr  ootbanben  wären. 

@8  ift  nun,  wie  idj  gleich  bemetfen  wiü,  iu  bob*m  ©rabe 
wabtjcbeinlicb,  bap  bieS  richtig  ift.  2lbet  e8  läpt  fich  mit  Stecht 
begweifeln,  ob  bauen  auch  immer  bie  richtige  iSuwenbung  ge* 
macht  worben  fei;  benn  e8  folgt  au8  ber  eben  gugegebenen  ST^at* 
jache  noch  Durchaus  nicht,  bap  nicht  bod)  Seränberungen  conftant 
gemacht  werben  fönnten,  welche  ihren  Utfprung  ben  birect  wir« 
fenben  äuperen  £eben8bebingungen  oerbauften.  @8  gehörte  bagu 
eben  nur,  bap  bie  bewirfenben  Utjachen  felbft  conftant  blieben, 
©in  Seijpiel  aus  meiner  eigenen  ©tfabrung  wirb  feigen,  wie 
bie8  möglich  fein  Dürfte. 

SBäbrenb  meiner  langjährigen  Steifen  in  ben  Tropen  bet 
öftlidjen  jpemifpbäre  b°be  ich  gang  befonbetS  bie  i*eben8weije 
ber  ÄoraHeti  unb  gwar  not  Slllem  bie  bet  Stiffbauenben  in’8 
&uge  gefapt.  25abei  machte  ich  benn  bi«  Semetfung,  bap  bie 
Stiffforallen  nur  bann  fenfrecht  in  bie  £öbe  wachfen,  wenn  pe 
oon  einem  giemlich  parfen  Strom  tangirenb  getroffen  werben, 

(Ml) 


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22 


ober  alSbalb  bie  Slenbeng  aunehmen,  ficß  nad?  allen  Sichtungen 
hin  aufljubreiten,  fowie  fchwacße  ober  unregelmäßige  Ströme 
horizontal  über  fie  ßinftreichen.  fDiefe  ©eobacßtung  erflärt  ein 
bisher  unoerftanbeneS  ©erhalten  in  bet  geographt'chru  ©etbrei* 
tung  ber  Sijffotallen.  Söir  roiffen,  baß  fie  ausnahmslos  SBarm* 
waffertßiere  finb  unb  baß  fte  bie  heueren  fSeere,  wie  baS 
Sotße,  ganz  befonberS  lieben.  Sätßfethaft  fdjien  eS  nur,  baß 
gerabe  im  allerheißeften  fSeere  alle  Siffe  ohne  Ausnahme  fehlen, 
obgleich  ÄoraHenarten  in  ihm  norfommcn,  welche  ben  Siffbauen» 
ben  SpecieS  ungemein  naße  ftehen:  im  ©olf  non  Manama, 
©efieht  man  ftch  nun  eine  Stromfarte  beS  Stillen  £)ceanS  unb 
erinnert  man  [ich  meiner  oorhin  mitgetheilten  ©eobachtung,  fo 
wirb  baS  Sätßfel  mit  einem  SJlale  leicht  gelöft:  eS  fönnen  bie 
ÄoraOen  bort  nor  Manama  feine  Siffe  erzeugen,  weil  einmal 
bie  Strömungen  bovt  ganz  außerorbentlich  wechfelnb  finb  unb 
weil  fie  zweitens,  ftatt  jene  ÄoraDen  tangirenb  zu  treffen,  nach 
allen  Sichtungen  Iß«  horizontal  über  fie  wegfließen.  Statt  in 
bie  |>öhe  zu  wadjfen,  breiten  bie  ÄoraKen  fich  nun  nach  allen 
Sichtungen  hin  gleichmäßig  aus  unb  baS  ©ntftehen  eines  echten 
SiffeS  auf  bem  fanft  anfteigenben  Ufer  beS  fBleerbufenS  non 
Manama  wirb  fomit ' »erßinbert  werben  müffen.  ©Mt  wiffen 
ferner,  baß  ber  SfthmuS  »on  Manama  fdjon  feit  feßt  langet 
3eit  ben  Stlantifcßen  Dcean  oom  Stillen  trennt  unb  eS  ift  baßer 
feßr  waßrfcßeinlich,  baß  auch  bie  Strömungen,  wie  fte  jeßt  im 
Stillen  fSeere  laufen,  f<hon  feit  unbenflicßen  3riten,  eben  feit 
Aufrichtung  jener  ©arriere  zwifcßen  ben  beiben  fDieeren,  genau 
in  ber  gleichen  SBeife  bort  gewirft  hüben  mögen;  bie  beftimmte 
gorm,  welche  burcß  biefe  Ströme  im  fSeerbufen  oon  Manama 
ben  bort  lebenbenben  ÄoraQen  aufgezwungen  wirb,  werben  fie 
alfo  auch  genau  fo  lange  gehabt  haben  müffen,  wie  bie  Ströme 
beS  ÜReeteS  in  bet  ißnen  jeßt  eigentümlichen  Stärfe  unb  Sich* 
tung  beftanben  haben.  Diefe  §)eriobe  ift  aber  ficherlich  eine 
feßr  langbauernbe,  bis  tief  in  bie  tertiäre  ©poche  zurücfreichenbe 

(MiJ 


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23 


geweien  unb  mdhrenb  biefer  gatten  langen  9>eriobe  mar  bie 
Gonftang  ber  bort  lebenben  Äotaflenformen  fchon  allein  burch 
bie  Gonftang  ber,  ihre  SBacbßthumßrichtung  beftimmenben  duneren 
Ginfiüffe  fidjergeftellt.  SDie  anwenbung  auf  anbere  ähnliche 
ftälle  ift  leicht.  ^Iß^ltdje  unb  rafch  oorübetgehenbe  ©d)wan» 
fungen  in  ben  Gjdftengbebingungen  werben  fefyr  mabtfcheinlicb 
feine  irgenbwte  erhebliche  unb  conftant  bleibenbe  umformenbe 
Ginwirfung  auf  bie  ©eftalien  ber  Shie™  unb  ifa«  Cirgane  ge« 
habt  haben  fßnnen;  wenn  aber  jene  ©djwanfungen  nur  gang 
allmählich  Bot  fidj  gingen,  fogenannte  iäculare  waren,  jo  wer» 
ben  fie  für  unjer  SSahmehmungßBermßgen  Berfchwinben,  burch 
ungemeffene  Beiten  ffabuTch  bie  gleiche  conftante  Ginwirfung 
auf  bie  Bon  ihnen  betroffenen  Jhiere  außüben  fßnnen.  35ie  Gon» 
ftang  beß  Ginfluffeß  bebingt  auch  bie  ©tetigfeit  bet  burch  ihn 
herBotgerufenen  S3erdnberung. 

^ierauß  ergiebt  fid)  aber  biefelbe  gorbetung,  bie  wir  oben 
fchon  aufgefteQt  haben:  foQ  bie  ^hietgeographie  witflich  gu  einet 
erfennenben  unb  nicht  bloß  etgählenben  abtheilung  ber  3eoiog»e 
werben,  fo  hat  fie  unbebingt  bie  SBechfelbegiehungen  gwifchen 
ben  2h*eren  unb  ihren  Gjriftengbebingungen  gu  erforfchen;  benn 
nur  burch  bie  Itenntnifc  biefer  fßerhdltniffe  wirb  fie  im  ©tanbe 
fein  gu  beftimmeu,  welche  Sfaränberungen  in  einet  ftauna  auf 
fRedjnung  beß  duneren  Ginfluffeß  ober  ber  ©tammBermanbtfchaft 
gwifchen  ben  Spieren  biefer  Raunen  gu  fefjen  wären,  aber  auch 
hier  wieber  begegnen  wir  berfelben  ©djranfe,  bie  fich  unß  Bor» 
hin  fchon  entgegenftedte:  eine  wirflidje  Bergleichenbe  allgemeine 
^hhftologie  ober  eine  Biologie  ber  Slhiere  ift  nicht  norhanben 
unb  mir  beginnen  feht  gu  unferem  fRachtheile  erft  jefct  einige 
©eiten  biefeß  93ucheß  aufgufdfagen.  35er  ndchften  3«t  bringenbfte 
aufgabe  ift  eß,  eine  folche  gu  fdjaffen. 

8Bir  haben  enblich  brittenß  noch  bie  fERßglichfeit  beß  SBitfenß 
allgemeiner  Gntwicflungßgefefce  gu  bestechen,  auch  bieß  erör- 
tern wir  am  heften  an  einem  ©eifpiel.  9fad)  unfetet  annahme 

(343) 


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24 


flammen  feie  mit  4 ©liebmaßen  oerfehenen  SBirbelthiere  ab  oon 
witbellofen,  welche  entroeber  gar  feine  ober  eine  feljr  nie!  größere 
3ai}l  folget  äußeren  Anhänge  be6  &örperS  gehabt  haben  müffen; 
mit  fennen  fein  eingigeS  roirbellofeS  Ztyiet,  welches  4 Seine  be» 
fißt,  burdj  beten  birecte  Umbilbung  biejenigen  bet  2Birbeltl)iere 
Ratten  hertwrgehen  fönnen.  2Ba8  aber  tft  bet  ©runb,  baß 
getabe  bie  3aljl  4 in  bet  ©laffe  bet  SBirbeltßiere  fo  ftreng  feft- 
gehalten  wirb?  @8  ift  unmöglich  einen  p^ßologift^  oerftänb« 
liehen  Süßen  für  biefe  3al)l  aufgußnben;  fein  ©runb  ift  erficht« 
lieh,  matum  nicht  auch  SBirbelthiere  mit  6 ober  mit  8 Seinen 
fich  Ratten  erhalten  fönnen;  ja  bie  Schlangen  haben  befanntlictj 
in  ihren  hnnberten  oon  Sippen  ebenfo  oiele  SeroegungSotgaue, 
bie  aber  freilich  in  feiner  SBeife  burd?  Umbilbung  au8  ben 
4 Seinen  ber  übrigen  SBirbelthiere  heroorgegangen  fein  fennen. 
^Derartige  ©haraftere  nun,  welchen  mit  feinen  beftimmten  Süßen 
ober  ©ebraudj  gugufdjreiben  im  ©tanbe  ftnb,  unb  bie  troßbem 
oft  eine  feljr  hche  SBtt^tigfeit  für  bie  Seftimmung  ber  Set* 
roanbtfdjaftSbegiehungen  ber  Spiere  beftßen,  werben  mort)hologifche 
genannt,  im  ©egenfaß  gu  jenen  anbeten  phhftologifdjen , beren 
Süßen  eoibent  ift.  3n  unierem  Seifbiel  mar  bie  Siergaßl  bet 
SBirbelthierfüße  ein  foldjer  morphelogifther  ©harafter.  35a  mir 
nun  nicht  im  Stanbe  ftnb  ober  roenigftenS  jeßt  noch  nicht,  alle 
fddje  morbhologifchen  ©haraftere  gu  etfläten  unb  mir  anberet* 
feit8  nicht  beftreiten  fönnen;  baß  an  fie  häufig  bie  SBeiterbilbung 
ei*e8  üppuS  gebunben  ift,  fo  ift  man  oft  bagu  gefommen,  in 
ihnen  ben  SeroeiS  für  ein  unerfannteS,  immanentes  ©ntmicflungS« 
gefeß  gu  fehen.  3<h  perfönlidj  muß  nun  freilich  befennen,  baß 
ich  nicht  recht  an  bie  ©jrifteng  folcher  unerflärlicßen  ©halftere 
glauben  fann  unb  baß  ich  bie  Meinung  hege,  ihre  Unerflärlieh* 
feit  läge  oielmehr  in  unfeter  ungutei chenben  ©rfenntniß  begrün« 
bet1).  35a  e8  nun  aber  einmal  ÜJlobe  in  ber  3«>otogic 
ober  oielmehr  bei  ben  ©egnern  bet  mobernen  3oologie  geworben 
ift,  bie  SKöglichfeit  ber  ©jrifteng  alles  beffen  3U  leugnen,  maS 

(344^ 


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25 


ihnen  nic^t  birect  unter  bie  &ugen  gebracht  werben  fann,  fo 
will  id)  ^ier  gugeben,  baß  man  in  bem  ©orbanbenfein  foldjer 
morpbotogifchen  ß^araftere  wenigftenS  einftweilen  einen  ©eweis 
für  ba8  ©Jirfen  unerfannter,  eupbemiftifd}  fogenannter  allgemeiner 
(SntwicflungSgefeße  fetjen  mag.  !äber  auch  biefe  ©onfequeng, 
übertragen  auf  baö  hier  in’ 8 äuge  gefaxte  ©ebiet  ber 
geograpbie,  ftcllt  biefer  abermals  bie  gleiche  gorberung,  bie  wir 
fdjon  fo  oft  gehört  haben:  bie  Dielleidjt  bod?  oorbanbenen  pbhfto* 
logifcben  SSecbfelbegiebungen  jwijdjen  biefen  morpbologifchen 
(Sbarafteren  unb  ben  8eben8bebingungen  il)ret  fraget  au^ujudjen. 
(Denn  nur  burcb  bie  Annahme,  baß  fte  im  ©runbe  bocb  nidbt  eigent» 
lieb  morpbologi|<be  feien.  fonbern  einen  phpftologifcßen  ©runb  ju 
ihrer  ©jriftenj  hätten , werben  wir  babin  gelangen  fönnen , mit 
(Sicherheit  ju  entfeheiben,  ob  berartige  allgemeine  ©ntwicflungS* 
gefeße  mit  beftimmt  gerichteter  Senbenj  bet  Umbilbung  beftanben 
haben  muffen  ober  nicht.  (Die  nicht  ju  leugnenbe  $bat» 
fache,  bah  wir  einftweilen  ben  ßlußen  bet  ©iergabl  für  bie 
©eine  ber  SBirbcltbiere  noch  nicht  einfeben,  beweift  noch  nicht, 
baß  ein  folcher  nicht  bennoeb  beftanben  haben  fanne  unb  ich 
möchte  meinerfeit8  auf’8  ©nergifchfte  gegen  ben  Jpecbmutb  pro» 
teftiren,  ber  mit  barin  ju  liegen  fdjeint,  baß  man  bie  Möglich* 
feit  einer  gujriebenftellenben  ©rflarung  beSwegen  leugnet,  weil 
gerabe  un6  eine  folche  gu  geben  noch  nicht  gelungen  fei. 

2Bit  jeben  alfo,  bafj  bie  brei  Kategorien  oon  ©inflüffen, 
»eiche  oereint  ober  für  fich  allein  eine  ©eränberung  ber  tbierifchen 
formen  bewirft  habe«  fönnen,  gleichmäßig  auf  baffelbe  IRejultat 
binfübren:  um  $u  entfeheiben,  ob  fte  alle  gufammen  ober  welche 
allein  gemirft  haben  bei  ber  Umbilbung  einet  gauna  in  bie 
anbere,  ftnb  bie  biologifchen  ©ejiebungen  aller  Spiere  3«  ißten 
Umgebungen  auf’8  ©orgfältigfte  gu  unterfuchen ; ohne  ein  genaues 
©tubiurn  bet  aDgemeinften  oetgleichenbeu  'Pbpfiologie  werben 
wir  nie  im  ©tanbe  fein,  bie  3:bierneDSTaP>bie  wirtlich  wiffen» 
fchaftlich,  b.  b-  gefchichtlich  ju  bebanbeln.  (Damit  ftnb  benn  aber 

(MM 


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26 


aud)  bie  »etjchiebenen  9^id}tungert  genau  bezeichnet,  welche  ju 
t?etf eigen  bie  Aufgabe  ber  mobernen  S&hiergeographie  ift,  wenn 
anberG  fte  fi<h  auö  bem  ergählenben  JfinbheitGftabium  Ijet« 
au§  auf  gteidje  $öhe  mit  ben  anberen  Steilen  bet  3<wlogie 
emporfchwingen  unb  wie  biefe  bie  entbeeften  S^atfa^en  »erflehen 
lernen  will. 

3<h  will  nun  baG  gewonnene  fRefultat  zum  ©chlufj 
nod)  in  einige  furje  Säfce  jufammenfaffen.  SBir  erfannten  alG 
exfte  SBebingung  für  eine  miffenfdjaftlidje  ©eographie  bet  Üfjiete 
eine  möglidift  .forgfältige  ^erftellung  aller  foffilen  gaunen,  ba 
bieje  ai8  KntwicflungGftabieu  beö  jejjigen  SBerbreitungGguftanbeG 
aufjufaffen  finb.  2)iefe  Aufgabe  übernimmt  bie  Paläontologie, 
unb  jemehr  fie  ftd)  batan  gewönnen  wirb,  bie  gefdjidjtlidje  9luf- 
faffung  in  ihre  Unterfudjungen  hinein  gu  tragen,  um  fo  leiebter 
wirb  eG  aud)  werben,  bie  jetzigen  Saunen  auf  bie  früheren  jurücf* 
Zuführen.  Slber  um  5£äufd)uugen  z»  oermeiben,  welche  burd) 
eine  33etfcnnung  ber  natürlichen  SSerwanbtfdjaftGoerhättniffe  ber 
oerfteinerteu  Sitten  fefjr  leicht  entftehen  fönnen,  bebürfen  wir 
eineG  ftdter  erfannten  natürlichen  ©pftemG  ber  Soolcgie.  SDiefeG 
©apitel  bilbet  ben  Snljalt  beG  morphologifchen  SlbfchnitteG  bet 
3oologie  unb  eG  wirb  augenblicflich  mit  einem  folchen  Kifer  unb 
mit  fo  gutem  Ktfolg  baran  gearbeitet,  bah  wir  hoffen  bürfen,  in 
nicht  aBgulanger  griff  ein,  wenn  auch  nicht  gang  ooDfommeneG,  fo 
boch  gcuügenbeG  ©pffem  aufgeffeQt  gu  fehen,  weldjeö  in  feinen 
©runbjügen  auch  oon  bet  fpäteren  gorfeffung  alG  baG  ©pffem 
anerfannt  werben  wirb.  Um  aber  bie  Utfadjen  aufjubeden, 
welche  bie  auf  folche  Söeife  flar  erfannte  KntmidlungGgefchichte 
ber  auf  einanber  folgenben  gaunen  nothwenbig  beftimmten  unb 
feine  anbere  juliefcen,  ift  eG  brittenG  nöthig,  bie  Beziehungen 
aller  jefct  lebenben  SUffere  zu  ihrer  Umgebung  gu  unterfuchen 
unb  eine  allgemeine  »ergletdjenbe  Ph9Pol°g'e  aufzubauen;  benn 
nut  butd)  bieje  fönnen  wir  wirflich  in  ben  ©tanb  gefejff  werben, 
einen  theoretifd)en  (ginblid  in  jene  Vorgänge  ju  gewinnen,  butch 

(SM) 


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27 


welche  gunächft  bie  einzelnen  formen  auf  ben  brei  oben  begeich* 
neten  SBegen  »eTanbert  unb  gugleidj  bie  früheren  Raunen 
in  bie  fpäteren  übergeführt  werben  mußten. 

4pier  nun  liegt  ein  gange8  grofce§  gelb  betgorfchung  offen, 
hoch  faft  unbebaut  gu  güfjen,  ber  Arbeiter  Ijauenb,  welche  ben 
jungfräulichen  Beben  urbar  gu  machen  oerftünben.  SBem  eS  bet* 
einft  gufaQen  wirb?  SBir  wiffen  c8  nicht.  3Die  Slngeichen  mehren 
fich  gwar,  alö  rufteten  fith  bie  Vertreter  ber  reinen  Sodogie.  eg 
gu  erobern,  anbererfeitS  aber  fdjeinen  auch  bie  [Phpftologeti  ntc^t 
abgeneigt,  e§  gu  betreten,  »Sollte  fich  in  ber  S^at  gwiicheu 
biefen  beiben  ©ruppen  oon  gorfebern,  bie  fiih  big  in  bie  neuefte 
3eit  hinein  faft  feinbfelig  gegeuüberftanben,  ein  Äampf  um  jene 
neutrale  3one  erheben,  fo  bürfteu  bie  ©rfteren  leicht  ben  Äürgeten 
giehen.  25enn  ber  Vottheil  ber  befferen  Vorbereitung,  wie  bet 
reicheren  £ülf8mittel  gur  Bearbeitung  einfehlägiger  gragen  mittelft 
te8  GfrperimentS  ftünbe  gweifelloö  ben  f)hhM0ge*i  gu  ©ebote. 
3Benn  auch  meine  perfönlichen  Neigungen,  ober  wenn  wir  wollen, 
meine  3ntereffen  fich  mehr  auf  bie  ©eite  bet  3oologen  [teilten, 
fo  würbe  ich  hoch  unter  allen  Umftänben  bie  Eroberung  biejeS 
©ebieieö  auch  burch  bie  9)l)9fiologen  mit  ber  größten  greube  be* 
grüfjen;  benn  ber  ©ewinn  ihrer  gorfchungen  fäme  hoch  auch 
wieber  ber  fpftematifchen  3oologie  fowohl,  al8  auch  ihrem 
geographif(h«n  Steige  gu  ©ute.  Unb  bann  erft  würben  bet 
$biergeogtaphie  bie  au8reidjenhen  [Kittel  an  bie  $anb  gegeben 
werben,  bamit  fie  würbe,  wag  [ie  fein  foU:  eine  wifjenfdjaftüche 
©efthichte  ber  oerfchiebenen  gaunen  unfeter  ©rbe  je^t  unb  in 
früheren  gerieben  ihrer  ©ntftehung 


(Ul) 


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28 


^nmcrkuutjen. 


1)  Set  Sefcpreibung  ber  für  bie  einzelnen  SEpierregionen  cparafte« 
riftifc^en  formen  fügt  SBallace  jmar  nicht  feiten  allgemeine  ^Betrachtungen 
über  bie  .perfunft  biefer  lederen  an;  aber  btefe  (Erörterungen  bringen 
faum  unter  bie  JDberflücpe  ein  unb  fte  leiben  an  bem  einen  für  bie 
©peculation  biefcö  Sorfctcrß  fo  f eh t bejeicbncnben  Blangel:  ?ll(c« , auch 
bie  complicirteften  Verpältniffe,  burcp  fogenannte  einfache  ^rincipien  er« 
Haren  ju  wollen  auch  ber  auSbcpnung  na<p  treten  biefe,  ben  einzelnen 
(Eapiteln  angepängtcn  (Erörterungen  fet;r  jurücf,  jo  bag  fte  mich  in  feiner 
SBeife  »eranlaffen  fönnen,  ben  im  Icjct  gebrauchten  SluSbrucf  ju  oeränbern 
ober  einjufcpränfen. 

2)  3«  neuefter  3eit  haben  fiep  allerbingS  in  erfreulicfjfter  SBeife 
bie  arbeiten  gemehrt,  welche  ber  hier  geforberten  SEenbenj  l^utbigen. 
Srüper  fchon  hat  man  wieberholt  barauf  pingewiefen,  bag  bie  oerjebiebe« 
nen  Saunen,  wie  fte  in  ben  aufeinanberfolgenben  ©(pichten  ber  (Erbe  $u 
finben  ftnb,  jientlicp  genau  ber  fpftematifepen  Reihenfolge  ber  einjelnen 
SEpiergruppen  entfpreepen;  ber  bebeutenbfte  Vertreter  biefer  Slnficpt  war 
Slgaffij.  2lber  biefer  fowopl,  wie  fo  mancher  Slnbere,  fügten  folcpe  Sein« 
eiben;  nur  alö  ein  ©ptnbol  auf,  niept  aber  alö  Slnbeutung  ober  Seroei« 
bafür,  bag  fiep  alle  Saunen  nun  auep  in  biefer  Reihenfolge  birect  au«« 
einanber  entwicfelt  paben  möchten.  (Eä  genügt,  in  biefer  Sejiepung  ju 
bewerten,  bag  agafftj  bis  in  bie  neuefte  3eit  hinein  ein  energifeper 
©egnet  ber  SJarwin’fipen  SEpeorie  fowopl,  wie  ber  alten  Vlnficpt  oon  ber 
realen  ©tammoerwanbtjcpaft  oder  SEh*erc  ®at  unb  biß  an  fein  Sehen«* 
enbe  geblieben  ift  Unter  ben  neueften  arbeiten,  fo  in  benen  Rütimeper’8, 
Äomalenöfi’«,  3ittel’ö,  äBagner'ö  tc.  finben  fup  mciften«  nur  (Erörterungen 
über  einjelne  lEpiergruppen,  unl>  1°  wieptig  tiefe  arbeiten  auep  fein 
mögen,  fo  liefern  fte  un«  boep  nur  Srucpftücfe  $u  berjenigen  ©efepiepte, 
welcpe  geftatten  mürbe,  bie  jept  auf  unferer  (Erbe  oon  ben  SEpiergeograppen 
feftgeftellten  Regionen  al8  legte  (Entwicflungöppafen  früherer,  ebenfo  atlge« 
meiner  3uftänbe  ber  Verbreitung  nacpjuweifcn.  am  weiften  näpert  fup 
bem  pier  im  äuge  gehaltenen  Sbeal  noep  bie  Unterfucpung  Rütimeper'« 
über  bie  perfunft  ber  SEpierwelt  ber  ©eproeij. 

3)  (Ebenfo  wieptig  in  Sejug  auf  bie  S^ge  ber  abftammung  ber 
©äugetpiere  fepeinen  bie  fofftlen  Reptilien  afrifa’ß  werben  ju  foüen,  bie 
un«  jept  pauptfäcplicp  bnrep  bie  Sefcpreibungcn  Ricparb  Owen’«  befannt 
gemaept  werben. 

(3«) 


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29 


4)  25ie  Spatfape,  baß  alle  ©igenfpaften , wie  fie  im  MenSlaufe 
eine«  SnbiBibuumS  napeinanber  ober  jugleip  miteinanber  auftreten,  ben 
fRapfommen  mehr  ober  weniger  unBeränbert  unb  erblich  übertragen  wer» 
ben,  obgleich  biefe  auSnaptnSlcS  als  ganj  einfache  Bellen  opne  jegliche 
©pur  ber  fpäter  auftretenben  Organe  ipr  lieben  beginnen,  würbe  bisher 
al«  unlösbare«  Siätpfel  betrautet.  Oarwin’S  ^angenefi«  fupt  biefe  ©r» 
jtpeinung  ju  erflären  in  folgcnber  SBeife:  fte  nimmt  an,  baß  alle  lebenben 
Speile  eine«  Organismus  beftänbig  fleinfte  .Reime  abgeben  feilten,  welpe 
ben  Slnftoß  jur  öilbung  neuer  Organismen  geben  fönnten,  wenn  fie  in 
berfelben  pronologifpen  unb  topegrappifpen  Dieipenfclge  aufeinanber* 
ftießen,  in  ber  fie  auSgeftreut  würben.  55iefe  .Reime  feilten  ftp  ferner 
burp  gegenfeitige  2tnjiepung  an  beftimmten  ©teilen  anpäufen  fönnen, 
io  im  ©i  unb  in  ben  ©amenförperpen.  Unb  fo  würbe  in  bem  au« 
bem  ©i  fiep  entwicfclnben  Organismus  bie  IHeipenfolge  im  Auftreten  ber 
einjclncn  Organe  non  Bornperein  beftimmt  fein  burp  bie  Slfnnität  jener 
Aeimpen,  ba  biefe  fiel;  nur  in  berfelben  IHeipenfoIge  unter  glcipjeitiger 
JluSbilbung  ju  Organen  »erbinben  fönnten,  wie  bie  war,  in  weither  fie 
fiep  bei  bem  fiep  entwicfclnben  mütterlitpen  Spier  abgelöft  patten.  ©anj 
abgefepen  banoit,  baß  bieS  im  ©runbe  nitpt  eine  .fbppotpcfe  ift,  fonbern 
meprere,  unb  baß  wir  feine  einzige  Spatfape  aus  ber  ©ntwicflung  ber 
Spiere  fennen,  welcpe  für  fte  fpräcpe,  ift  fie  autp  nitpt  einmal  im  ©tanbe, 
eine  IReipe  Bon  5?ererbungSerfpeinungen  ju  erflären,  weltpe  offenbar  er» 
flärt  fein  mufften,  epe  eine  folcpe  $ppotpefe  als  biScutirbar  bejeidmet 
werben  bürfte.  2)apin  gehört  j.  33.  bie  Vererbung  ber  ©cftblccptS* 
unterfepiebe  burd)  biefelbe  ÜJiutter;  biefe  aber  pat  botp  nur  eine  9lrt  ber 
©ntwicflung  burtpgemaept  unb  jene  fupponirten  Aeiimpcn  fönnen  foniit 
autp  nur  in  einer  eittjigen  Dieipcnfolge  ftp  abgelöft  unb  im  ©i  abge- 
lagert paben,  b.  p.  alfo:  alle  Dlacpfomincn  eine«  3lkibpen«  müßten  natp 
jener  .pppotbefe  aud)  wieber  nur  SSkibcpen  werben  fönnen.  ©benfo  wenig 
fmb  bie  ©rftpeinungen  beS  ©enerationSwecpfclS  ober  ber  ^artpenogeneftS 
ber  fflienen  unb  SEBefpen  burd?  fte  nerftänblip  ju  mapen. 

©in  anberer  Slerfud),  bie  ©rbliepfeit  ju  erflären,  betitelt  „3)ie 
flerigeneftS  ber  fHaftibule  ober  bie  3Mlenjeugung  ber  tfebenStpeilpen* 
foH  pier  nur  als  Suriofum  erwäpnt  werben;  einer  emftbaften  SBibet» 
Iegung  bebarf  berfclbe  nipt.  ©r  ftept  ungefäpr  auf  berfelben  93aftS, 
wie  bie  Speorie  beffelben  IkrfafferS  Bon  ber  regelmäßigen  ülufeinanber» 
folge  geclcgifper  ^erioben  mit  jablreüprn  Spieren  unb  ganj  opne  folpe, 
fobaß  auf  ben  tpierreipen  'J>erm  ein  tpierlofer  ülntipernt,  auf  bie  Aople 
eine  9(ntifcpfe  opne  Sbiere  unb  fo  weiter  regelmäßig  gefolgt  fein  füllte. 
©6  ift  baS  Bon  ipm  fo  meifterpaft  cultiBirte  ©ebiet  ber  naturwiffen» 
fdaaftlipen  ^pantaften. 

(349) 


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30 


5)  ©S  fei  mir  geftattet,  einen  hierauf  bejüglitpen  Saß  au«  einem 
©riefe  IDarmin’S  an  mitp  pier  mßrtlicß  mitjutpeilen.  (Sr  fcpreibt  mir 
unter  tem  10.  ©ecember  b.  3-  1878  golgenbeS: 

„3Die  '.flnficpt  mancher  Slutoren,  baß  ben  Organismen  eine  angeborene 
unb  plfßlitß  auftretenbe  (spontaneous)  Senbenj  jur  ©ariation  innemebne, 
fcßeint  mir  ooflftänbig  unhaltbar  ju  fein.  ©pperimente,  bie  itp  in  meiner 
, Cross  and  Self-Fertilization*  gegeben  Ijabc,  überjeugtenfmicb  noch  Biel» 
niepr,  als  id;  eS  fo  fdjnn  mar,  non  ber  Unritptigfeit  biefcr  'S n fiept.  3d? 
mödjte  auch  neep  einige  2Bortc  ßinjufügen,  um  ju  betonen,  baß  man  im 
ßßipften  ©rabe  Bcificptig  fein  füllte,  epe  man  bepauptet,  baß  irgenb  eine 
©igenfepaft  ober  (Sparafter  opne  Sebeutung  fei  unb  baper  auep  nid't 
burtp  natürliche  3ucptmaßl  gemennen  ober  »eränbert  morben  fein  fönne. 
SllS  baS  ©mp  über  ben  Urfprung  ber  Slrten  juerft  erftpien,  füprte  ©ronn 
meprere  folcper  gälle  an,  »on  benen  itp  4 im  Slugcnblicf  gemärtig  pabe. 
©rftlicb  bie  ©efeße  ber  fippflotajrie ; aber  es  ift  jeßt  burep  ©tptoenbener 
gegeigt  merben,  baß  biefe  eine  golge  beS  ©ebrängtfeinS  ber  jungen  Äno* 
fpen  bei  ibrer  (Sntftepung  finb,  maS  Bon  offenbarer  Pppftologiftper  ©ebeu» 
tung  für  bie  $>flanjc  ift.  3»eitenS  bie  (Sinferbungen  am  Sdanbe  ber 
©Iätter;  aber  jReincfe  bat  gegeigt , baß  fie  bie  golge  ber  'Snmefenpeit 
Bon  Prüfen  in  ben  gatij  jungen  Slättern  finb,  beren  Secret  maßrftpein» 
li(p  bie  ©Iätter  beftpüßt,  ba  bie  fDrüfen  jpäter  Berftpminben.  ^Drittens 
bie  üerfepiebene  ©rßße  beS  äußeren  OpreS  in  ber  ©attung  ber  föiäufe ; 
ba  mir  aber  jeßt  unffen , baß  fie  als  feine  Saftorgane  bienen,  fo  fann 
eS  niept  ©unber  nepmen,  fie  bei  Srten  mit  oerfepiebenen  ©emopnpeiten 
ungleitp  ftarf  auSgebilbet  ju  finben.  ©iertenS  bie  Berf epiebene  gange  beS 
StßmanjeS  in  bemfelben  ©enuS;  aber  ein  $err,  ber  folcpe  Spiere  in 
©efangenftpaft  palt  unb  nitptS  non  ©ronn  erfapren  patte,  feprieb  mir 
Bor  einigen  3apren,  baß  er  überjeugt  fei,  ber  ©d;manj  müffe  bei  biefen 
Spieren  mäprenb  beS  ©rabenS  unb  ©obren«  Bon  9lußen  fein  burep  ©e» 
ftimmung  ber  einjupaltenben  SKicptung.* 

Die  pier  burtp  Sarmin  gegebene  gifte  berartiger  morppologifcpen 
©ßaraftere,  bie  noep  Bor  Äußern  unerflärlitp,  b.  p.  opne  ©cbeutung  für 
baS  2eben  iprer  Sräger  ju  fein  feßienen,  burtp  neuere  Unterfutpungen 
aber  iprer  Unerflärlicßfeit  beraubt  unb  bamit  ju  pßpftologiftßen  Sparaf* 
teren  mürben,  ließe  fiep  leicht  bebeutenb  Bermeßren.  3)i eS  pier  $u  tpun, 
erftpeint  mir  überflüfftg,  ba  eS  genügt,  gegeigt  ju  paben,  baß  in  Bielen 
gälten  bie  ©ejeitpnung  eines  ©parafterS  als  eines  morppologifcpen,  b.  p. 
nußlofen,  lebiglicp  ißren  ©runb  in  unferer  unjurcitpenben  Äenntniß  Born 
geben  ber  Organismen  pat. 

©in  einjigeS  ©eifpiel  aus  meiner  eigenen  ©rfaßrung  mitt  itp  in» 
befjen  botp  pier  notp  mittpeilen,  ba  eS  menig  befannt  fein  bürfte.  ÜJtan 
(SM) 


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31 


»ei§,  baß  feie  ^autjcpuppen  ber  IReptilien  in  fepr  mannigfaltiger  äöeiie 
gejiert  ftnb  burd)  allerlei  Reiften,  IKippen , ©tadeln  unb  ähnliche  'Bor* 
fprünge,  bie  man  bisher  al8  Ornamente  ber  4>aut  biefer  liiere  auf* 
gefaßt  bat  ©ne  pppftologifcpe  Sebeutung  berf eiben  mar  bi«l;er  ganjlti) 
unbefannt  unb  man  mürbe  fte  iicpcrlicb  bem  entfprecpenb  unter  bie  mor» 
Phologifcpen  Gparaftere  eingereityt  haben.  @8  bat  ftd>  nun  aber  burd) 
bie  Unterfud)ungen  non  (Sartier  berau«geftellt,  baß  fte,  menn  aud)  in 
ihrer  auSgcbilbeten  ©eftalt  nur  feiten  non  irgenb  melier  Bebeutung, 
bod)  bie  JRefte  »on  Bilbungen  ftnb,  welche  bie  aHerpöcpfte  Bebeutung  für 
ba8  geben  ber  Spiere  haben.  31De  Oieptilien  müffen  ftd)  häuten,  bie 
meiften  tpun  bie«  baburep,  baß  fie  bie  alte,  unbrauchbar  geworbene  £>aut 
auf  einmal  abftreifen;  anbere,  wie  bie  ©beepfen  fetalen  fie  in  oerfepieben 
großen  geßen  ab.  Bei  allen  Sauriern,  wie  ©chlangen  nun,  welche  bis* 
her  barauf  unterfucht  worben  flnb,  wirb  bie  Häutung  eingeleitet  burd) 
bie  SluSbilbung  einer  mitten  in  ben  ©chichten  ber  ©pibermtd  liegenben 
gage  feiner  elaftifcher  ^>ärd)en  ober  ©tackeln , welche  non  Gartier  als 
•£>äutung8paare  bejeichnet  würben,  ba  fte  baju  bienen,  bie  alte  abju* 
ftoßenbe  £>aut  ju  locfern  unb  fo  bem  Spiere  ben,  wie  man  weiß,  fehr 
befchwerlichen  projeß  ber  Häutung  ju  erleichtern  unb  Bor^ubereiten. 
4>aben  biefe  $äutung8paare  ihren  Oienft  gethan,  fo  oerfcpmefyen  fte  in 
ben  meiften  gälten  ju  jenen,  bie  ©cpuppon  jierenben  Borfprüngen,  bie 
non  ba  an  ohne  alle  Bebeutung  ju  jein  fepetnen.  3n  anberen  gäden 
bleiben  fie  als  ein  uerjepieben  fcid)teS  fpaarfleib  beftehen,  wie  3.  B.  bei 
einer  im  fußen  SBafjer  ber  l;interinbifc^en  Snfeln  lebenben  ©chlange 
(Chersydrus  granulatus),  bei  noch  anberen  wieber  treten  fte  mit  SEaft* 
orgatten  in  Berbinbung,  wie  3.  B.  berartige  feine  Safthaare  bei  allen 
©bechfen  gut  entwicfelt  an  ben  gippenfcpilbern  an.^utreffen  ftnb.  Bei  ben 
©eefotiben  bilben  fte  enblicp  außerorbentlich  ftarf  entwicfelte  Bürften  an 
ber  Unterfeite  ber  breiten  Sehen;  ber  inecpanifcpen  2ßirf  jamfeit  biefer 
geßteren  Berbanfen  jene  ©beepfen  ihre  befannte  gäpigfeit,  an  fenfrechten 
glatten  SBänben  empor*  ober  an  ben  SDecfen  ber  3intmer  mit  größter 
©ejepwinbigfeit  entlang  3U  laufen.  Oie  leßterwäpnten  Bilbungen  haben 
fomit,  wie  man  fieht,  einen  gan3  auSgefprccpenen  Dlußen  für  ba6  Spier; 
aber  biefe  fowopl,  wie  bie  p^ftologifc^  gan3  unwichtigen  ©culpturen  auf 
ben  Schuppen  ber  Schlangen  unb  ©beepfen  entftehen  burd)  Umbilbung 
ber  bei  allen  in  gleicher  ffieife  auftretenten  4)äutung6paare,  welcpe  al« 
eminent  wichtige  Organe  im  geben  biefer  Spiere  auf3ufaffen  ftnb.  9Jian 
weiß,  baß  Biele  ©drangen  wäprenb  ber  oft  Sage  lang  tauemben  Hu- 
tung 3U  ©runbe  gehen;  bie  Urfacpen  baoon  ftnb  unbefannt.  Stber  e8 
barf  al«  Bermuthung  auSgefprocpen  werben,  baß  eine  niept  genügenbe 
äuSbilbung  jener  JpäutungSpaare  unb  in  golge  baoon  eine  niept  3u* 

(351) 


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32 


reicbenbe  Sccferung  ber  alten  -'paut  mit  eine  ber  Urfacben  fein  mag, 
weltbe  ba6  ©eiingen  ber  Operation  $u  »er^inbern  vermögen.  Sin  inbuc* 
tioer  33cwei8  für  bie  IRicbtigfeit  ber  luer  »orgetragenen  Sinfupt,  bie  juerft 
non  Sortier  aufgeftetlt  würbe,  fdjeint  mir  barin  ju  liegen,  bafj  au<b 
bei  bem  glufjfrebS  gan;  ähnliche  $äutung8baare,  wie  bei  ben  ^Reptilien, 
unter  bem  alten  abjuftreifenben  fPanjer  betjufft  Socferung  beffelben  gebil. 
bet  werben;  auch  bei  biefen  gieren  werben  fte  in  feine  Seiften  umgt* 
wanbeit,  welche  man  mit  SRedjt  als  bebeufungSlofe  Ornamente  auffafjt. 
3>ie  Sntbecfung  biefer  wid)tigen  SO^atfaefce  »erbanfen  Wir  ©raun. 

©(^einbar  ganj  uner!lärlid>e  ©erljältniffe  in  jwei  ganj  weit  non 
einanber  abftefjenben  ^iergruppen  fmb  fomit  burtf)  bie  Unterfut^ungen 
»on  ©raun  unb  Sortier  auf  einen  ganj  ibentiftben  Vorgang  ale  Urfac^e 
jurücf geführt,  beffen  SSidjtigfeit  für  ba8  Sehen  ber  betreff enben  Spiere 
auf  ber  £>anb  liegt.  34  bin  überzeugt,  ba§  bei  forgfältigerer  Unter- 
fuebung  berartiger  morpbologifcben  Sfiaraftere  unf  »or  3tllem  iljrer  Snt- 
ftefmngSweife  bie  Srflärung  berfelben  nach  Oarwin’ftfjen  ^rincipien  oft 
genug  leicht  gelingen  bürfte.  2>ie  Unmöglicf)feit  aber  alle  je(jt  fc^on  ju 
erflären,  ift  ebenfowenig  ein  Argument  gegen  bie  gewonnene  Srflärung 
ber  anberen  §älle,  wie  bie  Sbatfacfye,  bafj  bei  Soniferen  Sblorop^pH  im 
SDunfeln  entftebt,  ben  9tadj»ei8  entfräften  fann,  bafj  bei  allen  übrigen 
blattgrünen  ^flanjen  ba6  ShloropbpU  nur  im  Sichte  gebilbet  wirb. 


(35») 


SDrutt  ucn  Wffcr.  Ungfr  (4$.  ®Timm)  in  ©erltn,  €><$5neb<TjjerftT.  17  «. 


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2)te 

järönung  Iuris  bes  drohen 

511m  Hömifcfyen  Kaifer. 


93on 


Dr.  ^rttjur  Ätmhler. 


« 

ßtrliit  SW.  1879. 

Serlag  uon  (Jarl  £abel. 

(€.  10.  tiibrriti'sttit  Xln!oj|ibs4||iinilnng.) 

33.  ®Ub«!m.®lra6«  33. 


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,2Da$  JKed)t  bet  Ueberfe^ung  in  ftembe  ©praßen  tcirb  ootbeijatten. 


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Ü-Jie  römifdje  Äaiferwitrbe  fonnte,  ba  ba8  $)apftthum  im 
weftlidjcn  ©utopa  gu  einet  bebeutenben  politifchen  ÜJlacht  gelangt 
wat,  nur  auf  bem  SBege  bi|>lDmatift^er  Untethanblungen  mit 
bem  junadjft  babei  beteiligten  fRachfolget  be8  2lpoftel8  butch  ben 
$önig  bet  ftranfen  erworben  werben;  unb  bafe  biefer  in  ben 
ftaatlichen  SBer^ältniffett  begtünbete  unb  baher  natürlichfte  5Beg 
non  (Seiten  bet  ftäpfte  fpater  geleugnet  unb  bie  .Krönung  al8 
eine  £l)at  göttlicher  Snfpiration  bargefteüt  würbe,  fo  bafj  bie 
SScrlei^uttg  bet  höchften  SBiwbe  bet  abenblänbifchen  C5^riftcn^cit 
ein  non  ©ott  ben  (StellBettreter  ©hrifti  BetlieheneS  93orre<ht  fein 
feilte,  war  bie  Cuetle  jener  unheilvollen  .Kämpfe  gwifdjen  .Kaifer* 
lhum  unb  ^Sapftthum,  welche  ©utopa  währenb  beS  gangen 
fJJHttelalterS  erfchittterten  unb  ben  ©runb  legten  31t  bet  ftaatlichen 
Senüttung  unb  O^nntac^t,  in  bet  3talien  unb  5)eutf<hlanb  big 
in  bie  neuefte  Bett  hinein  gefangen  lagen. 

ÜDafj  bie  SBieberherftellung  be8  abenblänbifchen  «KaiferreidjS 
nicht  Bon  bem  3ufaU  einer  Snfpiration  abhing,  belegt  bie  ©e» 
fchichte  ber  3<»hthunbette,  welche  bie  3eit  Bon  bet  ©ntthronung 
be8  fRomuluS  2luguftulu8  biß  gut  .Krönung  Äatl’8  be8  ©rofjen 
auSfüllen,  burd?  unwiberlegliche  3eugniffe.  3a,  wenn  bie  ©rinne» 
rung  an  ba8  alte  3tnperium  mit  bem  Auftreten  Dboafer’8  unb 
bem  ©turge  be8  wefttömifchen  .KaiferS  ben  nachfolgenben  ©e» 
fchleehtern  BoQftänbig  entfdjwunben  gewefen  wäre,  fo  hätte,  wie 
butch  electtifchen  ©trahl  getroffen,  ba8  begrabene  SBeftreich  butd> 

XIV.  323.  1*  (3») 


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4 


Me  Snfpiration  geo8  III.  triebet  erwedft  werben  fönnen.  Slbet 
ba8  weftrömifdje  fReicfe  lebte  in  ber  ©rinnerung  fort,  unb  bie 
©runbibee  ber  rßmifcfeen  Söeltmonarcfeie,  bafe  9?om  ber  SRittel* 
puntt  aded  inteOeftuetlen  unb  ftaatlt^en  gebenS,  bie  ©entralfonne 
be8  J?o8mo8  fei,  »on  bet  überall  gidjt  unb  geben  auSgeftrafelt 
werbe,  welche  bie  Sftepublif  guerft  erfaßt  unb  bie  Äaifer  big  gur 
SBotlenbung  entwicfelt  Ratten,  überbauerte  nidjt  nur  ben  ©turg 
ber  alten  Sfßelt,  fonbern  befeerrfdjte  bie  fyiftorifdj’politifdjeit  i?ln« 
fdfauungen  be8  gangen  ÜJiittelalterö.  SBeber  bie  Snoafton  ber  58ar* 
baren,  nod)  ber  Untergang  be8  weftlic^en  9teid)e8,  nod)  bießtynmadjt 
ber  33pgantiner  unb  bie  ©rünbung  ber  @otben=  unb  gongobarben« 
fönigreicfee  fonnte  bie  ©rimterung  an  ba8  alte  3mperium  oetnicfeten. 
©ie  ©tabt  be8  9lomulu8,  an  bie  fid)  gunädfeft  bie  3bee  »on  bet 
einftmaligen  ©rßfee  ber  3Beltmonard)ie  fnüpfte,  ftanb  feocfe  unb 
ergaben  ba,  trofe  ber  furchtbaren  ©türme,  bie  ba8  93ot* 
bringen  ber  S3atbaten  über  fie  gebraut;  fie  gehörte  nicht  bem 
9Jtifrofo8mo8  e^ljemerer  ©taaten,  fonbern  bem  ?Dtafrofe8mo§ 
eine8  bie  gange  Söelt  umfaffenben  ÄaiferreicheS  an.  ©en  SRu^m, 
bie  fd^önfte  unb  glängenbfte  ©tabt  ber  ©rbe  gu  fein,  Ijatte  fie 
gwar  an  Sfteutom,  iljre  üppige  Jod^ter,  abgetreten,  aber  in 
ber  ibeetlen  SBelt  lebte  fie  fort  in  alter  Jpotjeit.  ©ie  3bee  hatte 
fie  wieber  »erjüngt  nnb  fie  nochmals  gum  ÄrpftallifationSpnnft 
einet  neuen,  fid;  auf  ben  Srümmern  ber  alten,  erbebenben 
?Dlonard)ie,  gur  SJtetropole  eines  neuen  3mperium  gemacht,  ba8, 
ben  propbetifdben  3utuf  Sergil’S  bewahrheitenb1),  ben  ftolgen 
©innfprud)  feinet  3mperatoren  fcpuf:  „Roma  caput  mundi  regit 
orbis  frena  rotundi.“ 

©ie  politifAe  SBicfetigfeit  ber  ©tabt  war  e§,  wie  ber 
28.  ©anon  be8  cfealcebonifchen  ©onci(8  (45t)  offen  auSfpticht, 
welche  SRom  ben  Sorrang  unter  ben  übrigen  fPatriarchenfifeen 
bnrd)  bie  »erjammelten  93äter  guerfennen  liefe2),  unb  biejet  33or. 
rang,  ben  e8  in  ber  Jt'irche  genofe,  war  e8  wieber,  ber  gur 
ÜReugeftaltung  beS  Smperium  führte.  ©o  in  ficb  bie  ©rbfdjaft 

(356) 


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5 


bet  alten  fDtonarchie  mit  bem  neuen  lieben,  ba8  ber  ©ifc  beS 
SadjfolgerS  beö  Slpeftelfürften  fyertjcrrief,  »ereinenb,  blieb  fie  bet 
fERagnet,  meldet  alle  «Kräfte  ber  neuen,  fid)  auS  bem  Sölfer» 
wanberungScbaoS  allmählich  entwicfelnben  Staaten  unwiberftehlich 
augog.  Sei  bem  SilbungSprogeffe  aber,  nicht  feiten  in  bet  @e* 
fa^r,  non  ihm  nicht  »erwanbten  ©fementen  »ernidjtet  gu  wer* 
beu,  fab  fi<h  enblich  baS  neue  Oberhaupt  bet  ©tabt,  ©hrifü 
©tetlBertreter,  genötigt,  fich  nach  .£>ülfe  umgujehen. 

55a  ber  natürliche  ®cbuf),  welcher  nach  Spgang  wieS,  nicht 
gewährt  würbe,  fo  blieb  bem  römifchen  Sifdbof  nichts  übrig, 
als  ben  mäcbtigften  dürften  ber  abenblänbifdjen  Shriftenheit  um 
Seiftanb  unb  Oiettung  angugehen,  unb  fo  führte  ihn  fein  2Beg 
in'S  gtanfenlanb,  gum  mächtigen  ©ohn  beS  Äarl  SDlarteH,  ber 
fchon  einmal  not  bem  muhamtbauifchen  Ülnfturm  baS  9tbenblaub 
gerettet  h«tte.  Pippin,  ber  gewaltige  9RajorbomuS,  »oll  ©eh«* 
jucht  de  jure  gu  befitjen,  waS  er  fchon  de  facto  fein  eigen 
nannte,  erflärte  fidj  um  ben  fPreiS  bet  Ä'ßnigSfrone  gur  3nter* 
»ention  bereit;  benn  tyex  fiel  chriftliche  grömmigfeit  unb  weit» 
liehet  Sortheil  auf  baS  ©lücflichfte  gufammen.  Sou  nun  an 
fehen  wir  9Rom  an  baS  neue  Oieich  ber  ?>ihhiniben  gefettet; 
gwar  »erfuchte  eS  wieberholt,  biefe  geffeln  gu  löfen,  aber  bte 
SRacht  ber  Serhältniffe  jehmiebete  fie  nur  noch  fefter  unb  unauf* 
löslich  gufammen. 

55ie  $>ähfte  fämpften  lange  gegen  bie  ftd)  ihnen  ftetS  mehr 
unb  mehr  offenbarenbe  Sothweubigfeit  an,  in  bem  allmählich  »orn 
5>atriciet  gum  Äaifer  ber  IRömer  emporftrebeuben  Äönig  ber 
ffranfen  ihren  founeränen  ©ebieter  anerfennen  gu  müffen;  benn 
fie  wollten  nicht  bie  Hoffnung  aufgeben,  gwijchen  ©riechen  unb 
ffranfen  laoirenb,  auf  JRom  ftd>  ftüfcenb,  auS  ben  2)onationen 
9>ihpin’$  unb  Äatl’S  ein  jouneräneS  SBeltfürftenthum  für  bie 
Äirdhe  grünben  gu  fönnen.  9lbet  baS  unabläfftge  5)tängen  bet 
gangobarben  nach  bem  Sefifc  bet  ©tabt  bet  Stpoftel,  bie  Uu* 
fähigfeit  ber  Spgantiuer,  gu  helfen,  unb  enblich  nach  Entthronung 

(MT) 


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6 


befl  ÜDeflbetiuö  baö  fräftige,  alle  ©cfelitfee  unb  3ntriguen  beö 
9>apfte8  burtfeftfeauenbe  unb  »ereitelnbe  Sluftreten  Äarl’8  liefe  bem 
fftatfefolger  fPetri  feine  SBafel  mefer  übrig:  er  mufete  jttfe  non 
Ofttom  trennen  unb  bem  granfen  fitfe  gang  in  bie  Sinne  werfen. 

Söäferenb  feiner  breiunbgwangigjäferigen  Regierung  fonnte 
$abrian  I.  trofe  ber  ununterbrotfeenen  $ülfe  unb  greigebigfeit 
beö  gtanfenfßnigö  nidjt  gu  bem  entfifeeibenben  ©tferitt  gebratfet 
werben,  fitfe  non  Bögang  loögufagen;  er  blieb  in  gweibeutiger 
Berbinbung  mit  ben  ©rietfeen,  bis  enblitfe  Jtarl  furg  oot  bem 
Jobe  beö  $)apfteö  fitfe  genötigt  fafe(  biefen  gurn  offenen  Brutfe 
mit  Oftrom  gu  brängen3),  inbem  er  ifen  bei  ©elcgenfeeit  bet 
©treüigfeiten  wegen  ber  BÜberoereferung , weltfee  bie  oon  ber 
Äaifetin  3rene  im  3afere  787  gu  fRicaea  »erfammelte  ©onobe 
feetoorgerufen  featte,  aufforberte,  ben  Äaifet  Ä'onftantin  VI.  9)or* 
pfeprogenituö,  weltfeen  Äarl  fowie  bie  jfaifetin  SRutter  in  einem 
»on  Stlcuin  oerfafeten  fJRanifefte,  baö  bet  granffurter  ©pnobe 
»on  794  oorauöging,  alö  „auö  $ocfemutfe  wafenwifeig  geworben“ 
begeitfenete,  bet  $ärefte  ftfeulbig  gu  erflären.  £abrian  follte  auf 
biefe  SBeife  gum  Brutfee  mit  ben  Oftrömern  getrieben  werben, 
um  gang  ben  Sntereffen  beö  Äönigö  bienftbar  gu  fein,  bet  ben 
Bilberftreit  feauptfätfelitfe  beöfealb  aufgenommen  featte,  weit  er 
feierbei  „ein  SRittel  gefunben  gu  feaben  glaubte,  baö  ifem  geftattete, 
baö  Äaifertfeum  für  erlebigt  gu  erflären  unb  für  ficfe  in  Slnfptutfe 
gu  nefemen"4).  JDer  römiftfee  Bifcfeof  gerietfe  in  bie  peinlitfefte 
^age;  benn  et  featte  eben  ber  Bicaeaniftfeen  ©fenobe  wegen  an 
3rene  unb  Äonftantin  in  ben  ftfemeicfeelfeafteften  Sluöbrücfen  ge» 
ftferieben,  bie  Äaiferin  mit  Helena  unb  ^ultfeeria  »erglitfeec, 
ben  Äaifer  mit  Äonftantin  bem  ©rofeen,  unb  ifem  gugletcfe  ©ieg 
über  feine  geinbe  propfeegeit,  wenn  er  im  Orient,  wie  Äarl  im 
Occibent,  reitfelitfe  ©otb,  ©Über  unb  $)ro»tngen  bem  heiligen 
$etruö  ftfeenfe4).  JDiefer  Brief  featte  bie  (Einleitung  gu  einem 
Bünbniffe  mit  bem  oftrömiftfeen  3mperator6)  — wofei  gegen 
ben  Äöntg  ber  gtanfen,  weltfeet  allgulange  mit  ber  Befriebiguug 

(348) 


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7 


bet  unetfättlidjen  ünfprüche  ^abrian’fl  gogerte  — fein  fotlen,  ba© 
für  ben  $apft  bie  eerhängnifwollften  folgen  hätte  nach  gieren 
fönnen,  wenn  Jbonftantin  barauf  eingegangen  wäre;  benn  Äatl 
würbe  leinen  üugenblidf  gegögert  haben,  ben  binterliftigen  ©teil* 
oertreter  ß^rifti  abgufefcen,  wie  e©  auch  ber  Äönig  JDffa  oon 
ÜJiercia  in  ©orfdljlag  gebraut  haben  foü 7 ). 

£abrian  antwortete  auäweicbenb  auf  Äarl'©  ©erlangen.  6t 
fucfyt  erft  bie  com  Könige  in  betn  erwähnten  üftanifefte  oeröffent* 
lichten  Ünfichten  über  ben  ©ilberbienft  gu  wibetlegen  unb  fährt 
bann  gum  ©chlufc  übetgehenb  fort,  ba§  et  au©  furcht,  bet 
Äaifer  möge  faramt  feinem  .£>ofe  in  ben  Srrthum  gurüdfallen, 
noch  nicht  auf  bie  üften  ber  ©pnobe  geantwortet  habe.  ®r 
habe  ihn  aber  an  bie  Stücfgabe  bet  Äonftantin’fchen  ©chenfungen 
gemahnt,  worauf  ihm  noch  nicht  geantwortet  fei,  baher  „finb 
fie",  fährt  er  fort,  „un0  gegenüber  in  einer  hoppelten  ®<hulb 
geblieben,  unb  je|t  erft  oon  einem  Srrthum  gutütfgefommen 
(nämlich  bet  ©ilbergerftorung).  3Bir  werben  fie  befchalb  noch* 
mal©  ermahnen,  un©  gu  gehörten,  unb  thun  fte  ba©  nicht,  fo 
werben  wir  ben  Jfaifer,  wenn  6w.  ©ortrefflid)feit  e0  genehmigt, 
wegen  feine©  ©eharten©  in  bem  gw eiten  Srrthum  für  einen 
äfefcer  etflären8).“  Ülfo  ber  gweite  3trthum,  ba©  ©orenthalten 
ber  jfonftantin’fdjen  ©chenfung,  ba0  war  bie  fefcetifche  ©chulb 
be0  bpgantinifchen  Äaifet©,  welche  ihn  bem  Zapfte  bet  Jpärefte 
oerbächtig  machte.  SDiefet  ©tief,  am  6nbe  feinet  ^Regierung 
gefchrieben,  wirft  ba0  befte  ©chlaglidht  auf  bie  ©eftrebungen 
^abrian’0;  unerfättlich  im  Korbern,  unerfchöpflich  im  3nterpre* 
tiren  ber  ©chenfung0urfunben,  war  et  währenb  be0  langen  ©e* 
fifce©  be©  päpftlichen  ©tuhle©  unermübltch  gewefen,  alle  nur 
benfbaren  SJtittel  in  ©ewegung  gu  fefcen,  um  „bem  ^eiligen 
©etru©"  ein  fouoetäne©  gürftenthum  gu  fjtnterlaffen.  6r  hatte 
Jtatl’©  Übfichten  unb  SBüniche  burchfchaut  unb  war  Anfang© 
nicht  abgeneigt,  auf  biefelben  eingugehen.  Über  er  oerlangte 
bafüt  bie  unbebingte  üu©fühtung  ber  oon  Pippin  754  gu  jfirfep 

(369) 


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8 


auSgefteßteu,  non  Äarl,  bet  (einet  etften  ‘Jnwefenbeit  in  (Rom 
774  erweiterten,  (owie  anbeter  im  8ateranard)in  beftnblichet 
©d^enfungöutfnnben  unb  bie  (Snerfennung  (einet  uubefdjrcinften 
©berljobeit  in  ben  it)ro  abgutretenben  Gebieten.  @r  präcifirt 
(eine  $otbetungen  giemlid)  genau  in  einem,  wabtfcbeiulicb  bem 
3abre  778  Angehörigen  Briefe  unb  fügt  nadj  Slufgäbluug  ber 
ihm  guftebenben  Groningen  uub  (Stabte  b«ngu,  ba§  etft  bann, 
wenn  ÄatI  9lHe8,  wa8  Äonftantin,  bie  9>attidet  unb  anbete 
©ottielige  ge(cbenft,  gurücferftattet  unb  auf  biefe  3Bci(e  bie  bei' 
lige  Äittbe  ©otte8  erbost  habe,  bie  Sölfet,  welche  bieS  böreu, 
aultufen  werben:  @8  ift  ein  neuer  Äaifer  ®otte8,  ein  dbriftlichfter 
Äonftantin  erftanben.  Unb  niibt  eher  wirb  ber  2lpoftelfürft  not 
bem  Sifce  be§  -£>öchften  für  Äarl’8  SBobtergeben,  langeg  geben 
unb  (eine  6tbßbun8.  fowie  für  bi®  SRajeftüt  feine«)  bu«b  ©ott 
geftärften  (Reiches  bie  ©nabe  be8  iSQmäcbtigen  ergeben,  beoor 
ber  jfönig  nicht  bem  (eligen  ^etruS  unb  bem  ^)apft  bie  ^atti* 
monien  ungefcbmälert  gurüdfgegeben  habe*). 

2)afj  (o  mafjlofe  3tn(prüd)e,  gu  benen  #abrian  nur  burtb 
ba8  (Bedangen  Äatl’8  nad)  bem  faiferlicben  SDiabem  ermutbigt 
würbe,  beim  Äönige  bie  böcbfte  SRifjbilligung  finbeu  mußten, 
ift  natürlich-  Söie  batte  er  auf  Borberungen  etngeben  fönuen, 
beten  (Erfüllung  (eine  eigene  SRacbt  in  3talien  iüuforifch  gemacht 
haben  würbe?  ©8  war  (eben  früher  gwifdjen  Sdben,  bie  an» 
fänglidj  in  ben  freunb(d)aftlichften  Segnungen  gu  einanber 
ftemben,  eine  bebenfliche  Spannung  eingetreten,  fo  bah  Äarl, 
al8  et  im  Sabre  776  gegen  (RetgaufuS  non  Briaul  gu  Belbe  ge» 
gogen  war,  nach  ber  Schlacht  non  Sretifo  3talien  terliefj,  ohne 
ten  9>apft,  tro^  ber  inftänbigften  Sitten  beffelben  (Rom  gu  b<» 
(uchen,  gefeben  gu  haben.  9Ran  war  bamalS  einem  Sruche  febt 
nabe;10)  benn  ber  Jtönig  war  bei  ber  änwefenbeit  päpftlich« 
©efanbten  an  (einem  £>ofe  hinter  gewiffe  Sutriguen  ber(elben  ge» 
fommen  unb  bidt  baber  9lnaftafiu8,  ben  päpftlicben  Äammer» 
hertn,  wegen  frechen  ©ebabrenS  unb  (einen  Segleiter,  ben  8ongo» 

(MO) 


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9 


barben  ©otbiftib  wegen  Verleitung  fßniglkher  Notare  gur  Ur!uu* 
benfälfdjuug  gefangen  bei  fid?  gurücf,  worüber  .£>abrian  in  beit 
heftigfteu  Born  geriet!},  ohne  jebod?  Äar!  gut  Slenbetung  feiner 
SJlafjregel  bewegen  gu  fßnnen11).  3>a  aber  beiben  gleich  oiel  an 
einem  guten  ©inoerftänbnif}  lag,  fo  fudjte  man  ben  brohenben 
3»iefpalt  mßglichft  gu  »etmeiben  unb  ben  bebenflid)  werbenbcn 
Antagonismus  auSgugleichen.  33er  fonft  eifrige  Vriefwechfel  ge* 
riet!)  aber  in’8  Stodfen,  unb  ber  jfßnig  unterbrach  fein  @d?wei* 
gen  nur,  wenn  er  nßthig  fanb,  ernfte  Mahnungen  nach  9Rom 
ergehen  gu  laffen1*). 

©rft  im  Sah«  781  war  bie  fDiifjftimmung  fo  weit  gehoben, 
bafc  Jfatl  mit  feiner  ©emahlin  £ilbegarb  unb  ben  ©ßhuen 
Subwig  unb  Äatlmaun,  ben  füngft  ©eboreuen,  gum  gweiten  9)tal 
nad?  Sflom  !am  unb  bet  $)apft  in  guDotfommenbfter  SBeife  fich 
beeilte  an  Äarlmann,  ben  et  gleich  nach  feiner  ©eburt  gu  taufen 
gewünfcht  hatte,  aber  burd)  beß  Königs  fühle  ©rwiberung  auf 
ben  auSgefprochenen  SÖunfd?  baoon  abgehalten  würbe,  nochmals 
bie  Staufhanblung  ootgunehmen  unb  ihn  Pippin  gu  nennen.  3« 
gleicher  Beit  falbte  er  beibe  ©ohne,  fiubwig  gum  Äßnig  oon 
Aquitanien  unb  Pippin  gum  ftßnig  ber  gangobarben.  Diefe 
©albung  war  im  ©runbe  genommen  unnöthig,  ba  Stephan  II. 
fpippin  ben  Äurgen  unb  feine  gange  gamilie  gefalbt  l^atte  unter 
bet  an  bie  ftänfifchen  ©rohen  ergangenen  SDroljung  beS  Bnter* 
bict8  unb  ber  ©pcommunifatiou,  wenn  fie  je  anbere  Jtßnige,  als 
au8  ben  8enben  ber  ^ippiniben  entfproffen,  wählen  würben; 
benn  bieS  ©efchlecht  fei  burd?  göttliche  ©nabe  gu  biefer  ©thßhung 
gewürbigt,  bie  gugleich  auf  Bürbitte  bet  ^eiligen  Apoftel  ihren 
SBicar  auSerfehen  habe,  bamit  et  eS  burch  feine  £anb  beftätige 
unb  weihe1*).  Äarl  hatte  bähet  bie  Salbung  wohl  nicht  oet* 
langt,  aber  ba  ber  ^apft  fid?  bagu  erbot,  fo  war  er  bamit  ein* 
»erftanbeu;  £abrian  jeboch  war  erfreut,  fich  bem  Äßnig  gegen* 
■über  burch  eine  $anblung  ergeben  geigen  gu  fßnnen,  bie  fein 
eigenes  Anfeljen  in  ben  Augen  ber  fJRit*  unb  fRadjwelt  erhßh«n 

(361) 


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10 


muhte.  55ie  bieSmalige  Begegnung  mit  bem  fränfifchen 
fd)er  hatte  ber  5>apft  ebenfalls  gehörig  auSjubeuten  »erlauben, 
unb  bie  ihm  non  Äarl  gemachten  ©oncefftonen  bewogen  ben 
fonft  fo  oorfidjtigen  Stachfolger  9>elrt,  oom  1.  55ecembet  781 
ab  in  feinen  Urfunben  nicht  mehr  nach  ben  3ah*en  beS  griedji* 
fd^en  ÄaiferS,  fonbent  nad)  benen  feines  ^outificatS  gu  gäljlen1  *). 

3?iefeS  gute  ©incernehmen  Seiber  war  aber  nicht  »on  tan* 
ger  SDauet  unb  bie  fDtihoerftänbniffe  «ermehrten  fid)  als  ber 
.König  788  burd)  bie  Sefiegung  beS  'ilbeldjUt  in  ben  Seftfj  Se* 
neoents  gefommen  war,  auf  weldjeS  fowie  auf  £uScien  ber  'J)apft 
Snfprüdje  erhob.  SDiefex  fam  nämlich,  je  unoerhohlener  Jtarl’S 
©ehufucht  nach  ber  Äaiferftone  ju  $age  trat,  burch  fortgefefjteS 
©tubium  ber  ooit  bemfelben  beftätigten  fpippin’fd)en  @d)enfungS» 
urfunbe  nach  unb  nach  3«  immer  neuen  Siefultaten1  J),  bie  ber 
.König  ber  granfen  feboch  als  für  ihn  unannehmbar  jurücfweifen 
mufete,  unb  fo  jiet)t  fid)  feit  bem  genannten  3ohre  burd)  ben 
Sriefwed)fel  Seiber  baS  tieffte  SRihtrauen  beS  5)apfteS  gegen 
Karl1  ),  unb  felbft  auf  bem  geiftlichen  ©ebiet,  baS  fte  fonft 
immer  im  ©inoerftänbnif)  gefunben  hatte,  nämlich  bei  ben  fdjon 
oben  berührten  ©pnobab Angelegenheiten,  trat  ein  bebenf lieber 
©egenfap  herüor»  ber  erft  burd)  ben  am  25.  ©ecember  795  ein» 
tretenben  S£ob  |)abrian’8  gelöft  würbe. 

Karl  oergoh  Sinnen,  als  er  bie  Slad)rid)t  oon  bem  Ab* 
fcheiben  beS  fPapfteS  erhielt17);  benn  biefer  war  ja  3euge  aöer 
feinet  Kämpfe  unb  Triumph«  gewefen,  hatte  ftdj  ihrer  mit  ihm 
gefreut  unb  war  währenb  feiner  faft  oiertelhunbertfährigen  fRegie» 
rung  treulich  bemüht  gewefen,  baS  Sieich  ©h^fti  3«  erweitern. 
3n  ©rinnerung  ihrer  oereinten  fegenSreichen  SBirffamfeit  oergah 
ber  ebelmüthige  granfe,  waS  fie  einft  getrennt,  unb  fo  lieh  et 
burd)  Alcuin,  ber  ja  aud)  bem  Zapfte  nahe  geftanben  hatte,  eine 
ehteneoHe  ®rabfd)tift  oerfaffen,  bie  et  bem  ©efdjiebenen  auf  fein 
©rab  am  Altar  beS  heiligen  8eo  in  ber  Saftlica  beS  Apoftel» 
fürften  weihte18). 

(361) 


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11 


2)a§  ,£abtian  um  Äatl’ä  Streben  nacf>  bet  Äaifetfrone  ge* 
wu§t,  ijt  jweifellod,  wenn  aud)  feine  fpeciellen  fftadjrichtcn  barüber 
oorliegen,  mit  Sludnahme  ber  beS  SBil^etm  non  ÜJfalmedburp, 
meldet  berichtet,  baff  |>abrian  bem  Äönige  bie  Ärone  wieberholt 
angeboten  l)abeis). 

2)ed  papfted  23etlangen  nach  einem  großen  unabhängigen 
founeränen  Sürftenthum  nutzte  aber  alle  Untertjanblungen  fchei» 
lern  lafjen.  ^Htlenfatlö  hätte  [ich  jwifchen  23eiben  noch  eine  23er» 
ftänbigung  übet  bie  Äaifetfrage  erzielen  Iaffen,  wenn  ber  Sranfeu* 
fönig  nid)t  batauf  beftanben  hätte,  in  ben  firchlichen  2lugelegen» 
beiten,  wie  in  ben  weltlichen  rex  et  rector  ju  fein.  Jpiergegen 
fämpfte  £abrian  nun  mit  aOer  ihm  eigenen  Energie  an  unb 
fübn  ruft  et  bem  Äßntge  gu:  „Non  plus  sapere,  quam  oportet 
sapere  sed  sapere  ad  sobrietaten“50).  35afj  ftd)  Äarl  aber 
in  biefem  fünfte  burchaud  unnachgiebig  jeigte  unb  allen  ihm 
gebotenen  23erlodungen  mit  ftefttgfeit  wiberftanb,  befunbet  ieinen 
genialen  unb  ftaatdmännifchen  23Hd  auf’d  ©länjenbfte  unb  ade 
Schmeidjeleien,  gedungen  unb  fünfte  £abrian’d  liehen  ihn 
biefe,  in  ber  9latur  ber  2?erhältniffe  tief  begrünbete  SSahrheit 
nicht  oerfennen,  unb  oermochten  ihn  nicht  barüber  ju  täufdjen, 
bah,  wenn  überhaupt,  nur  ein  feiner  Souneränetät  burchaud 
unterliegenbet  Statthalter  (Sbtifti  bahin  gebracht  werben  fönne, 
ihm  bie  Äaiferfrone  auf’d  .paupt  fehen11).  @d  fämpfte  hie* 
Priueip  gegen  Princip,  baher  benn  bie  Äaifetfrage  fo  lange  un« 
erlebigt  bleiben  mufete,  biß  ber  gefügigere  geo  III.  jur  Siara  ge» 
langte. 

2)iefer,  ber  ben  Stuhl  Petri  butch  Simonie  erlangt,  wohl 
wiffenb,  welche  ftarfe  gattet  er  in  ben  23erwanbten  beö  oerftor» 
benen  ^Bapfteö  gegen  ftch  habe,  unterwarf  fidj  bem  Äönig  bet 
granfen,  bet  ihm  allein  Schuh  unb  tßeiftanb  gewähren  fonnte, 
bebingungdlod.  21  m Sage  nach  bem  gpinfeheiben  £abtian’d,  am 
26.  IDecember  795  erwählt,  fchidte  et  fofort  ©efanbte  an  Ä'atl, 
bie  mit  bem  2teueib  bed  papfted  jugleidj  bie  3ei<hen  ber  Ober» 

(363) 


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12 


hoheit  beS  ^atriciuS  übet  (Rom  unb  ben  Slpoftelfifc,  baS  Saunet 
bet  ©tabt  unb  bie  ©djlüffel  »cm  ©rabe  (Petri  in  bie  £änbe 
be8  ÄönigS  nieberlegen  mußten*5). 

g«it  biefet  freimintgen  Unterorbnung  beS  Zapfte«  untet  bie 
weltliche  ^erijd^aft  mar  baS  bebeutenbfte  Jpinbernifj  begüglidj  bet 
©rhebung  Jfarl’S  befeitigt.  2>en  Äönig  binbet  nicht  mehr  bie 
©nergie  nnb  polüifcbe  ©emanbtheit  .frabrian’S;  et  fühlte  ftd) 
Seo  gegenüber  als  ©ounerän,  unb  in  biefem  S£one  lauten  benn 
aud)  bie  S3 riefe,  welche  er  bem  ©telbertreter  (S^rifti  fenbet. 
®lei<h  in  bem  SÄntroortfchreiben  auf  öeo’ß  Slngeige  feinet  äBafyl 
weift  er  biefem  feljr  beftimmt  bie  ©renge  feinet  Sefugniffe  an; 
et  h«be  nur  für  baS  ©lücf  bet  Söajfen,  bie  ber  Äönig  gum 
Schuf}  ber  Äirdje  führe,  gu  beten  unb  ficfj  in  ber  Sefolgung  ber 
canones  eiueS  frommen  gottgefälligen  SöanbelS  gu  befleifeigen. 
„Un6  giemt  ei,“  fo  fc^rcibt  er,  „unter  Seiftanb  beS  göttlichen 
SBillenS,  bie  heilige  Äircbe  ©hrifti  gegen  ben  Slnfall  ber  Reiben 
unb  bie  Sermüftuug  ber  Ungläubigen  überall  mit  ben  Söaffen 
»on  Slufeen  gu  oertheibigen  unb  im  3nnern  burd)  Slnerfennung 
beS  fatholifchen  ©laubenS  gu  befeftigen.  Such  giemt  eS,  heiligfter 
Skter  mit  gu  ©ott  erhobenen  jpänbeu,  gleich  SRofe,  unfere  gelb* 
güge  gu  unterftüf}en"*3).  Äarl  ift  aljo  defensor  et  rector 
ecclesiae,  bet  Stopft  nur  episcopus,  ber  allein  bie  Söaffen  beS 
©ebetS  gu  führen  berufen  ift.  SJlit  wahrhaft  faiferlidjer  SRacht» 
nollfommenheit  hotte  h*erm*t  ber  ^>atriciuö  ber  (Römer  bem 
(Pontifey  (DlayimuS  ein  fehr  befdjeibeneS,  wenn  auch  um  1° 
fegenSreichereS  gelb  ber  Jh^tigfeit  gugewiefen.  £abrian  gegen* 
übet  hotte  er  ftetS  fämpfen  müfjen  um  auch  ttlö  öenfet  bet 
Äirche  wirfen  gu  fönnen,  feinem  (Rachfolget  gegenüber  trat  er 
aber  oon  Anfang  an  als  unumfdjränfter  £errfeher  auf,  ber  burch 
fein  SRachtgebot  jeben  Söiberfpruch  abfdjneibet.  ©8  war  hiermit 
ein  ähnlidjeS  Serhöltuift  wieber  ^ergefteQt,  wie  eS  einft  unter 
ben  alten  römifchen  Säfateu  beftanben  hotte,  bem  ja  ebenfalls 
ber  £>berpriefter  unterworfen  war. 

UM) 


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13 


3n  biefet  Sluffaffuwg  feinet  ÜJladjtfpfyäre  würbe  Äarl  oon 
feinem  treuen  gehret  unb  greunb  Sllcuin  auf  ba8  Eifrigfte  unter* 
ftüfjt,  ber  ihn  wieberholt  Schirm  unb  Schuf}  bet  Jfitche  unb 
ihren  Steterer,  „ben  Dberpriefter  bet  c^riftlit^en  gehre“  nennt8 *), 
auf  bie  Erhabenheit  feiner  Stellung  h^ weift,  bie  über  alle  an* 
beten  Gewalten  herno nage,  unb  bet  ben  Äenig  ungweibeutig  als 
non  ©ott  gur  hofften  SBürbe  etforen  hinfteßt.  3n  einem  799 
an  jfarl  gerichteten  ©riefe  begeichnet  er  brei  hödjfte  ©ewalten, 
non  benen  bie  erfte  ber  $>apft,  bie  gweite  ber  Äaifer  in  Dftrom, 
bie  brüte,  aber  bebeutenbfte  ber  Äönig  inne  habe,  burch  welche  er  auf 
Slnorbnuitg  Ehtifti  gum  Seichter  be8  djriftlichen  SBolfeS  eingefefct 
fei  unb  burch  bie  et  weit  über  bie  anberen  SBütben  heennerage, 
„ba  er  butd)  SBeiSheit  heDet  ftrahle  unb  burch  ©erehrungS» 
würbigfeit  feiner  ^Regierung  erhabener  baftehe  als  jene;  auf 
ihm  allein  beruhe  ba8  gu  ©oben  hingefunfene  ^eil  bet  Äirche;“ 
bähet  benn  non  ihm,  wie  e8  in  einem  fpäteren  ©riefe  he‘§h 
feber  butdj  bie  gehren  be8  ewigen  geben8  erfreut  h«imfebress). 
21 18  Äatl  auf  ber  entfcheibenbeu  Sternfahrt  begriffen,  fenbet  ihm 
ber  gutücfbleibenbe  SUcuin  einen  poetifchen  3«tuf  nach,  in  bem 
er  au8ff«hrt,  ba§  Slom  ben  dürften  al8  genfer  be8  SteichS  unb 
fPatron  erwarte,  it>n  ben  $önig,  ben  fRector,  bie  Beerbe  bet 
Äirdje,  bamit  er,  al8  ^errfcljet  be8  EtbfreifeS,  in  ber  (Stabt  ^>ert 
unb  Stiebtet  fei,  um  bie  ©ebrängten  gu  erheben  unb  bte  lieber» 
müthigen  gu  oernichten,  auf  bah  Äirche  unb  (Staat  in  Eintracht 
unb  Triebe  regiert  werbe,  unb  eine  beerbe  unb  ein  Jpirt,  ein 
©eift  unb  ein  ©laube  fei86).  SUcuin  bet,  wie  fid}  au8  biefen 
©eifen  flar  eTfenneu  lä§t,  auch  in  ber  jfaiferfrage  ©ertrauter 
feine8  groben  SdjitlerS  war,  erfannte  fogleich  bie  ©ebeutuug, 
welche  ber  9)apftwecbfel  für  jfatl  haben  muhte  unb  Suchte  biefeu 
butch  immer  erneuten  Hinweis  auf  bie  Erhabenheit  feinet  Stellung 
gu  bem  entfcheibenbeu  Stritt  gu  ermuthigen. 

35o<h  beoor  ber  Äönig  ben  enbgiltigen  Entfchfuh  faffen 
fonnte,  hatte  er  fein  unb  be8  §)apfte8  ©erhciltnih  gu  ben  ©riechen 

(365) 


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14 


reiflich  in  33eb«d)t  gu  gieren;  benn  h<«  hobelte  eS  fich,  gwar 
entfcbteben,  bo<h  »orftchtig  gu  SBerfe  gu  flehen,  ba  ber  SRad^fofger 
$)etri  nod)  nicht  gang  auS  bet  SBetbtnbung  mit  33hgang  getreten 
mar,  $abrian  »ielntehr  ftd)  ftetS  als  Untertan  beö  oftromifchen 
ÄaiferS  betrachtet  unb  felbft  noch  8eo  III.  politifdje  93egiehungeu 
mit  SDftrom  unterhalten  h®tte*7). 

3ur  Bett  feinefi  erften  Auftretens  in  3talien,  befonberS  nach 
ber  ©ntthronung  beS  DefiberiuS  unb  ber  freunbf<haftU<hen  mit 
bem  ^apft  angefnüpften  Uuterhanblungen  h“tte  Äarl  fleh  wohl 
mit  ber  Hoffnung  getragen,  bei  feinen  Äaiferplänen  bie  ©rieten 
nicht  fonberltch  in  SRedjnung  bringen  gu  muffen;  fpäter  aber,  als 
fid}  baS  innige  93erhältnih  gu  ^abrian  immer  mehr  loderte,  fam 
man  ihm  non  SSpgang  guoorfommenb  entgegen,  inbem  3rene 
währenb  feines  Aufenthaltes  in  Italien  781  burch  ©efanbte  für 
ihren  ©ohn.  ben  Äaifet,  um  bie  #aub  »on  JRotrubiS,  beS  ÄönigS 
ältefter  Tochter,  anhielt,  wobnrch  bie  hö<hfte  SBahrfcheinlichfeit 
norhanben  war,  mittelft  »erwanbtfchaftlichen  ©influffeS  in  frieb* 
lieber  AuSeinanberfefjuug  mit  ben  Dftrömern  baS  faiferliche  SDiabem 
erlangen  gu  fönnen*8). 

©rft  als  et  gum  britten  ÜJtal , wegen  ber  burch  bie  SRacb« 
fommen  beS  entthronten  SangobarbenfßnigS  im  Serein  mit  ben 
©riechen  angefteflten  93etf<hwßrungen  unb  geinbfeligfeiten  im 
3c*hte  786  nach  Stalien  gog,  erlangte  er  befonberS  bei  ben  Unter» 
baublungen  mit  Arid)i8,  welcher  ft<h , nadjbem  ihm  fein  .£>ergog* 
thum  33ene»ent  garantirt  worben,  ohne  ©chwertftreich  unterwarf, 
einen  tieferen  ©iublicf  in  bie  »erwictelten  SBerhältniffe  Unter» 
unb  fÖiittelitalienS,  ber  ihn  belehrte,  bah  nur  bie  SBaffen  gwifdjen 
ihm  unb  ben  93hgantinern  entfeheiben  fßnnten.  fötit  furgem 
©ntfdjluf}  gerrih  er  barauf  baS  33anb,  welches  ihn  noch  an 
Äonftantinopel  hätte  feffeln  föunen  unb  erflörte  ben  ihm  »on 
ber  Äaiferin » föiutter  gefehlten  ©efanbten,  ba§  er  bie  91er» 
lobung  feiner  Tochter  mit  bem  Äaifet  Äonftantin  für  aufgehoben 
betrachte*9). 

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15 


Stene  nach  bet  unumfcbränlten  ^ettfd^aft  begierig  unb 
fürchten b burd)  eine  frättfifdje  Schwiegertochter  in  ihrem  ©influh 
gehemmt  gu  »erben,  nahm  mit  greuben  ben  ihr  bingewotfeuen 
£anbfd)uh  auf  unb  gwang  nun,  gum  £ohn  gegen  ben  granfen« 
Innig,  ben  jungen  macfjtlofen  Äaifer  eine  gemeine  Armenierin, 
SJiaria  non  Annia,  gu  Ijcirathew , welche  er  jebocb  halb  »ieber 
oerftieh,  um  fid)  mit  einem  ^toffraulein  Slheobate,  gu  oerbinben, 
bie  er  gugleidj  gut  Äaiferin  ftoneu  liefe. 

SDer  .Kampf  »urbe  in  Unteritalien  non  Seiten  3rene’ 8 burd?  ben 
in  ©emeinfchaft  mit  bem  $)atriciu8  SEh«oboruS  non  Sicilien  unter« 
nommenen  ©infafl  beö  Abelcbi8,  Schwager?  be?  am  26.  Auguft  787 
»erftorbenen  Arides,  in’8  Benenentinijcbe  begonneu,  ber  jebod)  im 
£erbfte  788  mit  einem  entfdjeibenben  Sieg  beö  gegen  ben  SBiflen  beS 
9)apfte8  »ieber  in  fein  ^>ergogthum  eingefetjten  ©rimoalb  unb 
.Karl’8  gelbhertn  5Binoghifu8,  .£)ergog8  non  Spoleto,  unb  einet 
ooBftänbigen  9iieber(age  bet  ©rieten  abge»iefen  würbe*0). 

SDiefer  plßfcUcbe  UeberfaB  muffte  bem  gtanlenlöntg  bie 
Uebergeugung  aufbtängen,  baff,  »enn  fein  Streben  nach  ber 
Äaifetfrone  ein  erfolgreiche?  fein,  unb  ba8  bisher  ©rreidjte  nicht 
burd}  einen  glücflicben  Angriff  ber  Spgantiner  auf’8  Spiel  ge« 
fefct  werben  foBte,  er  nothgebruugen  aBe  oetfügbaren  Kräfte  gu» 
fammennehmen  muffe,  um  bie  Dftrömer  gang  au8  Stalien  gu 
oetbrangen  unb  fie  befonber?  non  ihren  33erbinbungen  mit  bem 
abriatifchen  BKeere  abgufchneiben ; benn  mit  bem  Sßefife  biefeS 
SDteereS  »at  auch  bie  -£>errfcbaft  über  Unter»  unb  ÜDiittelitalien 
gefiebert,  ©egen  bie  33enetianer,  bie  ben  ©djlüffel  gut  Abtia 
befaßen,  war  Äatl  fc^on  im  3ahre  785S1)  burd)  bie  auf  feinen 
S3efehl  oon  ^abrian  pünftlichft  ooBgogene  AuSweifung  ihrer 
.Kaufleute  au8  bem  ©jcarchat  unb  ber  ^entapoliS*2)  wegen  ner» 
botenen  Silanen*  unb  ©unudjenbanbels,  gumeift  jebocb  ihrer 
gtiedjifcben  Spmpathien  wegen,  feinblid)  aufgetreten;  bo<b  lonnte 
et  an  einen  birecten  Angriff  auf  bie  fcagunenftabt  nicht  benlen. 
©rft  muhte  et  8iburien,  ba8  fid?  ihm  789  unterwarf,  SDahnatien 

(3«T) 


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16 


unb  Sftrien,  bie  gegen  ©nbe  be8  3ahthnnbert8  bet  ftünfifchen 
^Monarchie  einoerleibt  würben,  in  Gefifc  genommen  unb  bie  ftdje 
sUieerbeberrfdEjeriu  ting8  bur<h  ftänfifche  ©toberungen  eingefchloffen 
haben,  ehe  fie  ihn  als  ihren  ©ebieter  anerfannte  unb  ihm  tjul- 
bigte  (805),  obwohl  et  bamalS  fdjon  mit  ben  ©tiefen  Trieben 
gefdjloffen  ^attess)  (803). 

©eit  SBeginn  bet  geinbfeligfeiten  mit  SDftrom  brnngte  „bie 
ganje  »telfad^  »erwicfelte  Sage  ben  gtanfenföntg  nad)  bet  jfaifcr« 
frone  ju  greifen"*4).  2lbet  el)e  et  ben  entfcheibenben  Stritt 
thun  fonnte,  fam  ihm  in  feinet  Äaiferpolitif  ein  ©reignifc  3U 
ftatten , weites  plöfcltch  feine  Jaftif  in  bem  Angriffe  gegen  bie 
©tiefen  änberte. 

•Die  l)ertl(^füd)tige  Stene  ^atte  ihren  ©obn,  ben  Äaijet 
Äonftantin  geblenbet  (796),  nom  üfyten  geftofjen  unb  ftch  bie 
Herrfchaft  angentafjt.  3«w  erften  ÜJlal  in  bet  @efdjid)te  regiert 
ein  Söeib  ba8  weltbeherrfchenbe  SRömerreich,  unb  biefe  unerhörte 
S£hat  tief  überall  bie  Ijßdjfte  ©ntrüftung  ^ernor,  3umal  nach 
römifchen  fRecht  bie  ^Regierung  nie  einem  SBeibe  übertragen  wer- 
ben fonnte35).  SDiefe  hochwichtige  Gegebenheit  traf  gleichseitig 
mit  bem  SEcbe  Habrian’8  jufammen.  9RU  einem  ©d)lage  hatte 
ftch  bie  Sachlage  geänbert  unb  oot  Äatl  eröffnete  ftch  bte  »er* 
lotfenbe  2lu8ftcbt,  nicht  nut  Gehertfchet  SBeftromd  fonbern  3m» 
geratet  be8  alten  römifchen  2Beltreich8  3U  werben,  unb  fo  galt 
e8,  eine  ©ombination  3U  finben,  welche  bie  an  biefen  3wif<henfatl 
gefnüpften  Hoffnungen  3ur  SBahrheit  werben  liefj.  Seicht  fanb 
ftch  ein  ÜRittel,  Äarl  al8  fRacbfoIger  be8  im  Saljre  796  geftorbe* 
nen  Äonftantin  VI.  auf  ben  $hron  ber  6üfaren  3U  erheben, 
unb  bet  gtanfenfßnig  3ögerte  nicht,  fleh  beffen  3U  bebienen,  in« 
bem  er  feit  bem  3ahte  798  mit  ber  jfaiferin  but<h  ©efanbt« 
fdjaften  in  Unterhanblungen  trat,  beten  @nb3wecf  eine  eheliche 
Gerbinbung  3Wifchen  ihm  unb  Stene  fein  follte36).  Allein  nach 
weiteren  3wei  3abrc«  tiefen  ih«  bebeutenbe,  feine  ©egenwart  er* 
heifdjenbe  Unruhen  nach  SRom  unb,  bie  fchwebenben  Unterhanb* 

(368) 


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17 


hingen  mit  3rene  für  ben  Slugenblicf  abbredjenb,  ergriff  er  ba8 
nabeliegenbe  ©ute,  ohne  babei  ba8  entferntere  Beffere  auS  ben 
Singen  gu  terheren;  benn  nad)  ber  Äaiferfrönung  nal)m  er  bie 
Babinbung  mit  bet  jMfetin  wieber  auf,  aber  ber  unerwartete 
©turg  bet  SDeSpotin  tereiteltc  bie  weitfeljenben  kleine  beö  granfen* 
faifetß3  7). 

SDcr  9(ufrul}r,  welcher  bamalö  in  Stern  auögebrodjen  war, 
galt  8eo  III.,  ber  ihu  burd)  fein  mahlojeö  Bertolten  gegen 
bie  Berwanbteti  beö  terftorbenen  $>apfte8  protocirt  hatte.  @r 
warb  bei  einem  $>rocejfion8ritt  nad)  ber  gaurentiuöfird)e  am 
25.  Slpril  799  ton  gebungenen  Bewaffneten  überfallen,  terwun* 
bet  unb  fo  arg  gugerichtet,  baf)  fid)  baö  ©crüdjt  terbreitete, 
man  habe  ben  fPapft  geblenbet  unb  ihm  bie  3«nge  auögeriffen. 
SDtan  jdjleppte  ihn  in’ö  Älofter  bet  ^eiligen  ©pltefter  unb 
©tepljanuö;  bod)  würbe  et  »en  hier  Stadjtö  ^eimlic^  uad)  bem 
Älofter  be©'"  heiligen  (Sraömuö  gebracht,  auS  bem  er  mit  £mlfe 
eineö  päpftlid)en  Ißalaftbeamten  über  bie  Stauer  nad}  ber  Bafi* 
lifa  ©t.  9>etri  entfam.  ©in  neuer  Bolföaufftaub  brad)  leö,  ben 
jebod?  ber  non  ©poleto  ^erbei^ceÜte  SBineghifuö  mit  bewaffneter 
«£)anb  bämpfte  unb  jo  i*eo  auö  ben  Rauben  feiner  Reiniger  be* 
freite* 8). 

Äarl,  oon  biefer  reoelutiouären  Bewegung  fofort  benadj* 
ridjtigt,  jdjicfte  jogieich  ben  @rjbifd)of  ton  Aöln  unb  ben  ©rafen 
Slbcariuö  nach  3talien,  um  ben  9>apft,  ber  fid)  in  Begleitung 
beö  Slbteö  SBirunbuö  ton  ©tablo  nach  ©poleto  begeben  hatte, 
fowie  ben  wäljrenb  bet  römifchen  Borgänge  in  ber  ©tabt  be* 
finblich  gewefenen  Sltno  ton  ©algburg,  ben  innnigfteu  greunb 
Stlcuinß,  nach  Saberborn  jit  begleiten,  wo  ber  Äönig  gerabe 
^>of  hielt.  Stit  ihm  erfchien  bafelbft  ein  ©efolge  ton  203  Bifdjcfen, 
©eiftlid}en  unb  weltlidjen  ©rohen,  welche  bie  bejd}werlid}e  Steife 
über  bie  Sllpen  nicht  gejdjeut  hatten,  um  ben  fo  fdjwet  befdiul* 
bigten  Stadjfolger  $>etri  tor  bem  Satriciuö  ju  rechtfertigen, 
geierlidhft  ton  Äarl  mit  allen  ihm  gebül}renben  @hr*n  empfan* 

XIV.  323.  2 (362j 


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18 


gen,  wie  unS  ein  unbefannter  äugengeuge  in  einem  trefflichen 
©ebichte  ausführlich  fdjilbert3  9) , blieb  bet  9>apft  wäbreub  beS 
ganzen  Sommers  ©aft  beS  §tanfenfönig8,  unb  nachdem  er  bie* 
fern  über  bie  tömifchen  Unruhen  ^Bericht  erftattet  unb  fich  gegen 
bie  »ibet  ihn  butch  ©efanbte  unb  eine  Slnflagefchrift  ber  31 uf» 
ftänbifchen  bei  bem  Äönige  erhobenen  33erbä<htigungen  »ertljeibtgt 
hatte,  ergab  fich  oon  felbft  bei  ben  Gonferengen  über  bie  Siebet* 
herfteflung  bet  fRuhe  unb  Drbnung  in  IRom  auch  bie  ^Berührung 
ber  für  beibe  üheile  wid)tigften  grage  non  ber  Uleubegrünbung 
beS  Smpetium. 

35aS  IRefultat  ber  ^abetbornet  Unterhanblungen  war  bie 
(Einberufung  einer  JReichSoerfammlung  nach  JRom,  in  ber  bie 
weltlichen  unb  geglichen  ©tofjen  ber  fRöntet  unb  ^ranfen  bei 
©elegenheit  beS  »on  Äatl  gur  Unterftühnng  bet  Sache  bes 
3)apfteS  gu  unternehmenben  JRömergugeS,  über  bie  (Erneuerung 
beS  ÄaiferreichS  beraten  unb  biefe  Stage  enbgiltig  entfcheiben 
feilten4  °). 

3Rach  biefem  Jpauptergebuif?  ber  ISnwefenheit  üeo’S  am  ftän« 
fifchen  £ofe,  würbe  er,  mit  (Ehren  überhäuft,  entlaffen  unb  ihm 
gu  feiner  Sicherheit  ein  ©eleit  oon  ©rafen  unb  Sifdjöfen  mit* 
gegeben,  fo  bafc  er  ungefährbet  »or  JRont  anlangte  unb  am 
30.  9io»ember,  oon  ber  wieber  gu  feinen  ©unften  geftimmten 
23e»ölferung  feietlichft  empfangen,  feinen  (Eingug  in  bie  feftlich 
gefchmüdfte  Stabt  hatten  fonnte. 

Äarl  hatten  jeboch  noch  wichtige  JReichSgefchäfte  währenb 
eines  gangen  3ahte8  bieffeitS  bet  3llpen  gurücf;  befonbetS  hatte 
er  fein  (Hugenmerf  auf  bie  ^üftenbefeftigungen  gerichtet,  gu 
welchem  3wecfe  et  eine  3nfpeftionSreife  an  bie  ÜRotbfee  unter* 
nahm.  £>ie  fRücfretfe  aber  würbe  benufct,  um  mit  feinen  »er* 
trauten  biplomatifchen  (Rathgebern  noch  einmal  ade,  bie  be»or* 
ftehenbe  JRomfahrt  betreffenbe  fragen  in  ihren  (Eingelheiten  burch* 
gugehen.  SDaS  Dfterfeft  feierte  et  in  bet  Stbtei  St.  fRiquier, 
bei  feinem  Steunbe  3lngilbert,  bet  ihn  als  SBeirath  auf  ber  fReife 

(370) 


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19 


nad)  {Rem  begleiten  feilte  unb  fic^  bagu  bereit  erflärte.  Stlcuin 
jebocb,  ben  bet  Äönig  in  feiner  ISbtei  gu  5£our8  befudjte,  lernte 
bie  9Ritreife  unter  bem  Botwanbe  feines  hoben  Sllterö  unb 
baiiernbet  Äranflicbfeit  ab  unb  blieb  feft  bei  feinem  ©ntfchluh, 
trefj  ber  wieberbolten  auch  een  SRaing  ubd?  an  ihn  ergangenen 
Bitten  Äarl’8,  bet  ihm  enblidf  fc^cr^enb  »orwatf,  baff  nicht  bie 
angeführten  ©rünbe,  fonbern  bie  rufsgefchmärgten  SDädjet  oon 
£our8,  benen  er  bie  golbfcbimmernben  Bogen  {Rom0  eorgiebe, 
itjn  gum  IDabeimbleiben  beftimmten41).  3n  $our8  ftarb  am 
25.  3uni  800  guitgarbe,  Äarl’ö  ©emablin.  3)eö  ÄenigS  treuer 
8ebrer  unb  greunb  weihte  ibr  eine  ©rabfchrift,  bie  er  bem  fd)on 
auf  ber  {Romfabrt  begriffenen  giirften  nacbfanbte,  wobl  gugleid) 
mit  bem  fcbeu  früher  erwähnten  ©ebicbt,  in  welkem  er  burd) 
ben  3utuf,  ba§  ©ott  felbft  Äarl  gum  {Rector  beg  {Reiches  ein* 
gefegt  habe,  alle  noch  etwa  ootbanbencn  Befcenfen  niebergufcblagen 
fudjte.  {Rom,  bie  .fiauptftabt  ber  Seit,  ber  ©ipfel  ber  ^oc^ftcn 
©b«,  bie  ©djabfammer  ber  ^eiligen,  erwarte  ihn,  alö  ihren 
{Richter  unb  genfer,  baber  bitrfe  ficb  ber  äföuig  nidjt  bem  ihm 
geworbenen  {Rufe  bcS  ©djicffalS  cntgieben4  a). 

{Rad)bem  Äarl  fo  nod?  einmal  mit  ben  Bertrauten  {Rat^S 
gepflogen,  fdjrieb  er  nad)  SRaing  für  ben  SRonat  Sluguft  einen 
{Reichstag  auß,  auf  bem  bie  {Romfabrt  angefagt  unb  Slnbeutungen 
über  ben  £>auptgwecf  betfelben  gemacht  würben,  bamit  auf  ber 
beocrftebenben  {ReicbSoerfammlung  gu  {Rom  bie  fränfifdjen  ©rohen 
burch  baS  plöblidje  Sluftauchen  ber  Äaif  er  frage  nicht  überrafdjt 
unb  auS  gurdjt,  bah  mm  ber  ©cbwerpunft  beS  {Reichet!  non 
Aachen  nach  {Rom  oerlegt  werben  möchte,  in  ihren  ©ntfchliehun* 
gen  fchwanfenb  würben.  Äarl  bat  wohl  nie  baran  gebacht  feinen 
Sobnfif}  bauernb  in  {Rom  gu  nehmen;  beu  gtanfen  aber  muhte 
biefet  ©ebanfe  guerft  fommen,  alö  fie  oon  ber  SieberberfteUung 
beS  alten  {RömerreicbS  b^ten48)-  3m  September  nerfammelten 
ftch  bie  franfifchen  ©bien  mit  ihrem  ©efolge,  unb  gegen  ©nbe 
beS  {SRonatS  würbe  ber  3«g  angetreten.  JDetfelbe  ging  guerft 

2*  t»Tl) 


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20 


auf  {Raoeuna,  wo  ber  Äönig  fiebea  Sage  blieb  unb  mit  3ohannel, 
ben  ihm  eng  befreunbeten  ©r^bifd^of , einzelne  bal  Äaiferthum 
betteffenbe  fragen  eingetjenb  befpradj.  2lm  23.  Nooember  traf 

man  bei  bem  alten  Nomentum  ein,  wo  bet  9>apft,  ber  ©enat  nnb 

bie  ©eiftlidjfeit  ben  9>atriciu§  feierlichft  empfingen,  unb  8eo, 
nachbem  er  mit  bem  Könige  gefpeift  Ijatte,  biefem  in  einer  län- 
geren Unterrebung  über  bie  ©timmung  bet  ©tabt  unb  anbete 
wichtige  SDinge  Niittheilung  machte.  EDen  nädjften  Sag  cnblich 
erreichte  Äatl  in  feierlichem  ßuge  längs  bet  ©tabimauern  ^in« 
teitenb,  nad)bem  er  bie  miloif^e  ©rüde  Übertritten,  ©t. 
f)eter,  wo  ihn  ber  §)ap;t,  nom  ©lerul  umgeben,  erwartete  unb 

ihn  unter  heiligen  gobgefängen  in  bie  Äit<he  bei  2lpoftelfürften 

geleitete44). 

SBenige  Sage  nach  biejem  feftlic^en  Günguge,  am  1.  EDe* 
tember,  trat  ton  bie  ©erfammlung  unter  bem  Namen  einer 
©pnobe  in  ber  Safilifa  ©t.  $>etri  gufammen  EDet  Äönig  prä' 
fibirte.  Nachbem  er  bie  ©erfammelten  in  feierlicher  2lrt  ange» 
rebet,  ermahnte  er  fie  über  bie,  gegen  ben  fPapft  oorgebrachten 
Klagen  unb  Bnfchulbigungen  gu  berathen  unb  ihr  Urteil  gu 
fällen.  EDie  ©ifchöfe  weigerten  fich,  über  ben  $)apft,  ber  fie 
richte,  gu  ©eridjt  gn  fifcen,  über  ben  ©telJoertreter  ©^rifti,  bet 
ton  Niemanbem  gerichtet  werben  fönne.  EDurch  biel  oon  8eo 
mit  ben  ht£a  Äirdjenfürften  f<hon  »orher  befchloffene  EMuftreteu 
bet  ©eiftlidjfeit,  entwanb  bet  Nachfolger  bei  Ülpoftel!  auf  fluge 
SBeife  bem  Könige  unb  gufünftigen  Äaifer  bal  {Recht,  it)u  cot 
fein  Sribunal  gu  giehen.  ®r  erflärte  ft  bereit,  wie  eiuft  $)e* 
lagiul  (555—559),  ben  man  ber  Sheilnahme  an  bem  Sobe 
feine!  ©organgetl  ©igilinl  (540 — 555)  betulßigt  halt  burd? 
einen  {Reinigungleib  jebe  ©chulD  »on  fich  i[l  weifen;  bod)  foUte 
biejet  rein  perfönlte  ©ntfdjlu^  für  feinen  Nachfolger  feine  bin« 
benben  folgen  haben.  Äarl,  obwohl  »on  Seo’l  Unfdpulb  nicht 
tolifommen  übergeugt,  gab  bem  päpftlichen  Slntrage  feine  3u= 
ftimmung,  unb  fo  erjchien  am  23.  EDecember  ber  §)apft  auf  ber 


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21 


.Kangel  in  her  Äird-e  bc§  Apoftel?,  bie  (Snangelien  in  ber  .panb, 
bie  ^ctttijc  ^DreicinijjTcit  anrufenb,  um  eiblict?  gn  erhärten:  bafj 
et,  ?eo,  bet  IDberpriefter  bet  ^eiligen  römifchen  .Kirche,  non 
Utiemanbem  gerichtet,  ncd)  gegwungen,  fcnbern  auö  fteiem  3Biden 
in  910er  ©egenwart  not  ®ott  fid?  reinige,  bie  Verbrechen,  beren 
man  iljn  tefchulbige,  Weber  nerübt  nod)  angeotbnet  gu  haben4  s). 
hierauf  Iit§  fid?  bet  9>apft  neben  bem  Könige  nicbet,  worauf 
tiefer,  bie  fdjcn  früher  gum  2ote  nerurtheilten  Auflager  gut 
9ii<htftatte  ju  führen  befahl.  ©0$  £eo,  felbft  etft  einet  großen 
©efahr  entreunen,  unb  non  nicht  gang  flecfenlcfem  ©ewiffeu, 
fühlte  UJtitfeib  mit  ihnen  unb  bat  für  fie  bei  Karl,  ber  ihm  @e* 
hör  fdhenfenb,  fie  nach  ^ranfreich  in  bie  Verbannung  fdjicfte. 

Pachtern  biefe  nerwicfelte  Angelegenheit  hiermit  beenbet  war, 
füllte  nun  bie  jdjon  jo  lange  [djirebenbe  Kaiferfrage  enbgiltig 
gelöft  unb  bie  erhabene  Stellung,  welche  bet  .König  bet  ^tanfen 
„burdh  bie  fföadjt  bet  $hatfachen"  erlangt  h^tte,  andj  burch 
feine,  wie  er  wünfdjen  muffte,  freie,  »on  ben  fRömern  unb  gtan* 
fen  in  ©emeinfcbaft  mit  bem  Raffte  unb  ben  Vifdjöfen  nod» 
gogene  5Bal)t  gum  römifchen  Kaifet  eine  legale  Sanftion  ethal* 
ten.  ©ine  rechtliche  Vegrüntung  gut  Vornahme  tiefet  35oh 
gab  bie  ©eiftlichfeit  im  Flamen  beö  ^ßopfteS  mit  bet  ©tflätung: 
bafe,  ba  bet  faiferüche  9tame  mit  ber  $errf<haft  ber  3rene  et» 
lofchen  fei,  ein  neuer  3mperator  gewählt  werben  muffe,  unb  baff 
bie  Sahl  nur  auf  ten  mädtigften  .jpertfcher  ber  ^^riften^cit, 
ben  9>atriciu8  bet  jRömet  uuö  .König  bet  granfen  unb  2ango» 
barten  faden  fönne.  £ie  weltlichen  @ro§en  ftimmten  jubelub 
bei,  unb  fo  würbe  bie  feierliche  ©rljebuug  auf  bem  3Beihna<bt8» 
unb  9ienjahr$tag,  ben  25.  ^December  800  (1.  3anuar  801)  feft* 
gefegt* 6). 

Karl  erjdnen  an  tiefem  Sage  auf  SBitte  8eo'8  im  ©ewanbe 
beö  $>atriciu84  7)r  angethan  mit  bet  Sunifa,  bet  ©hlcmpö  nnb 
ben  feitenen  Santalen,  umgeben  non  bet  glangenbften  Vetjamm» 
lung  non  ©rafen  unb  Vifdböfen  in  bet  Vafilifa  beö  Apoftel» 

(«*) 


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22 


fürften.  5>et  $)apft  celebrirte  bag  $ochamt.  2) et  jfönig  fniete 
an  bem  ©rabe  beg  ^eiligen  betrug  unb  banfte  ©ott  inbrunftig 
für  bie  ihm  bisher  erwiefene  ©nabe.  [Darauf  erhob  er  fic^,  hörte 
fteijenb  bag  ©oangelium,  unb  nach  23eenbigung  beffelben  auf 
ben  Slltar  pfchreitenb,  wollte  er  bie  auf  bemfelbeit  liegenbe  Ärone 
faffen  unb  fidj  felbft  auf  bag  $aupt  bröcfen;  bod?  ba  ergreift, 
wie  ton  göttlicher  ©ingebung  getrieben,  ber  $)apft  bag  JDiabem 
unb  ton  ben  Stufen  beg  tflltarß  tot  ben  in  SSerehrung  beß 
^eiligen  bie  j?nie  beugenben  jfönig  fyintretenb,  todgieht  er  bie 
Krönung48),  ^arl  über  biefe  unerwartete  2hat  betroffeu,  fid) 
jeboch  ber  heilige«  Stätte,  an  ber  er  fich  befinbet,  erinnernb, 
lafjt  bie  fühne  Smpromfation  geliehen.  5)ie  Umftehenben,  nur 
ben  Stet  ber  Krönung  im  3luge,  jauchen,  wie  änaftafiug  berichtet, 
tom  heiligen  betrug  befeelt,  ber  feierlichen  £>anblung  gu,  bag 
Soll  fallt  in  ben  Subelruf  ein,  unb  taufenbftimmig  ertönt  brei* 
mal  ber  alte  römifche  3utuf:  „£>eil  Äarl,  bem  burd)  ©ott  ge« 
frönten  alletftömmften  unb  herrlichften,  bem  grofjen,  griebe  ftif« 
tenben  Äaifet,  geben  unb  Sieg!" 

9Rit  biefem  3«tuf  war  nun  eine  bet  widjtigften  2haten  in  bet 
@ef<hi<hte  ber  füienfdjheit  tolljogen,  — ber@runbftein  gelegt  gu  bem 
ruhmreichen  abenblänbifchen  Äaiferthum.  ©g  war  ein  neueg  3mpe* 
rium  begrünbet  worben,  bag  gwarbutch  bie@rinnerung  an  bag  unter« 
gegangene SBeltreich  in’g  geben  gerufen,  bo<h  mit  biefem  0Rid>tß  gemein 
hatte  alß  [Rom,  bie  ewige  Stabt,  welche  bet  ibeelle  SRittelpunft  beß 
[Reicheg  blieb,  währenb  ber  wirfliche  Schwerpunft  beffelben  bieg« 
feitg  ber  Silben  lag49).  „3)ag  eble  SBolf  ber  grauten"  fo  mein« 
ten  bie  fränfifdjen  ®rof>en  mit  CRecht,  ift,  nach  ©rhebuug  feineg 
Äönigg,  trüget  beä  Äaiferthumg  geworben,  unb  beibe,  granfen 
unb  3mperium  hoben  „eine  unauflögliche  ©he“  ftefc^Ioffett , ba* 
her  bie  granfen  „alg  fraget  ber  römifchen  5Racht  unb  [Rechte" 
fich  auch  i«  gewiffem  Sinne  alg  [Römer  betrachten  fönnten50). 

2)ag  33olf  jubelte  laut  über  bie  ©thebung  beß  Äönigg  unb 
$>airiciug.  3)em  neuen  3mperator  aber  mifchte  fich  *i«  trüber 

(37«) 


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23 


ÜJiifcton  in  bte  ^reube  übet  ba8  nat  fo  langem  Kampfe  enb» 
lid?  erlangte  jfaifetbiabem.  @r  hatte  im  33oUbemuf}tfein  feinet 
erhabenen  Stellung  ben  papft  al8  feinen  Untertanen  betrat» 
tenb,  wie  einft  nat  einem  3ahrtaufenb  ber  gtofje  Äotfe,  ber  fit 
ja  and)  9iatfolger  Äarl’8  be8  ©rofjen  nannte,  fit  felbft  bie 
Ärone,  fte  non  fJtiemanbem,  aufjer  non  ©ott  empfangenb,  auf 
ta8  $aupt  fejjen  woUeu.  2)iefen  berettigten  Söunft  eines  et» 
babenen  SelbftbewufjtfeinS  hotte  ber  eben  gebemütfyigte  £eo 
burtftaut  unb  mit  fein  beretnenbem  Starffinn  bie  ©eiegen* 
beit  erfannt,  um  ba8  burt  ih«  fo  erniebrigte  päpftlite  Änfeben 
miebet  gur  ©eltuug  gu  bringen.  2)a8  ÜJiittel  ber  3nfpiration 
bot  fit  oon  felbft,  unb  feine  geftiefte  '.Mnmenbung  am  2Beih» 
nattstage  fiterte  bem  Papftthum  einen  mittigen  Triumph,  ben 
aut  Äarl  nitt  unterteilte,  ber  oielleitt  weniger  im  ©efübl 
eines  gehäuften  GrbrgeigeS  als  im  propbetiften  $inblicf  auf  bie 
blutigen,  au8  biefer  päpftliten  3mprooifation  entfpringenben 
.Stampfe,  weite  oiele  3ahthunberte  mit  Steeden  unb  ©lenb  er» 
füllen  follten,  jenen  fo  oiel  gebeuteten  2lu8fprut  tat:  baf),  wenn 
et  bie  iflbfitt  be8  papfteS  hätte  oorauSfeben  fönnen,  er  trofc  be8 
hoben  gefttageS  nitt  in  bie  jtirte  gegangen  wäre41)- 

9tat  feiner  fHnfitt  ftanb  bem  Papft,  wie  e8  aut  im  alten 
S3unbe  bei  bet  ©rbebung  Saul’8  unb  SDaoib’8  gefteben,  nur  bie 
Salbung  ju,  wie  er  felbft  fte  oon  Stephan  empfangen,  oon 
£abrian  an  feinen  Söhnen  Pippin  unb  ifubwig  hatte  ooKaieben 
laffen,  unb  aut  an  bem  jtronungStage  für  feinen  älteften  Sohn 
jtarl,  bem  präfumtioen  Uheoncrben,  bet  gum  erften  SRale  feinen 
fBater  nat  9iom  begleitet  hatte,  oon  8eo  III.  oerlangt  bat41), 
obwohl  ba8  ©eftlett  bet  Pippiniben  für  alle  ©migfeit  burt 
Stephan  jur  ÄrönungSherrftaft  gefalbt  worben  war. 

2)ie  Ärone  aber,  ba8  Spmbol  erhabener  9tett8gemalt  burfte 
fein  priefter  barreiten,  bie  mufite  Der  £errftet  fit  felbft  auf 
baö  £aupt  fe£en,  jum  ^eiifen,  bafj  er  aufjer  ©ott,  fRiemanb 
über  fit  anerfenne.  3»ar  hatte  er,  um  bie  firtlite  $eier  nitt 

ms) 


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24 


gu  unterbredjeu,  bie  Ärönung  burd?  ben  $apft  ohne  5Biberfpruc£) 
gesehen  laffett,  gumal  8eo  gleich  barauf  butd)  bie  bem  neuen 
&uguftuS  (nach  bet  ton  Diocletian  eingeführten , ton  ben 
djriftliihen  Äaifern  acceptirten,  uttb  ton  ben  Zapften  ihnen  gegen» 
übet  befolgten  perfifdjen  Sitte)  bargebrachte  ^boration53),  gleich* 
fam  wie  int  bemüthigften  ©ehotfam  bie  Oberhoheit  beS  ÄaifetS 
anerfannte,  bodj  war  et  weit  entfernt  baton,  bie  ©onfequengen 
gelten  gu  laffen,  welche,  wie  et  mit  ftaatSmännifchet  33orau6fid?t 
fofott  etfannte,  baS  Oberhaupt  bet  Kirche  auS  biefet  auf  gött* 
liehe  Eingebung  gefchehene  Äronuug  gu  giehen  ftd}  beeilen  würbe. 
sBuch  muhte  er  fchon  an  feinem  ÄrönungStage  fehen,  wie  8eo 
in  bet  für  baS  ülofter  St.  fRiquier  auSgefteQten  llrfunbe  nicht 
gu  melten  tergah,  bah  er  auf  baS  ©eljeih  ©otteS  ä^arl  gum 
SluguftuS  gefrönt  habe,  bamit  ben  fommenben  ©efchlechtern  im 
©ebädjtnih  bleibe,  welches  erhabene  Ämt  bet  ^)apft  bei  bet  SBieber» 
auftichtuug  bcS  römifchen  ÄaiferreichS  befleibet  habe. 

2eo  III.  mufete  jebod}  noch  felbft  etfahren,  bah  Äarl  gegen« 
übet  auS  bet  ton  ihm  fo  fein  etfonneuen  3ufpiration  bet  Ärö* 
nung  fein  JRedjtStitel  für  baS  ^apftthum  begleiten  fei.  Der 
Äaifet  tetlangte  mit  bet  unnachfichiigften  Strenge,  währenb  ber 
breigehn  3ahre  feinet  faiferlidjen  Jperrjchaft,  bie  unbebingte  2fo* 
erfennung  feinet  Oberhoheit  in  geiftlichet,  wie  weltlicher  Se* 
giehung,  unb  gab  für  feine  unbejehränfte  StadJtooflfommenbeit 
ben  fchlagenbften  SeweiS,  als  er  gut  geftfefjung  ber  Otadjfolge 
im  SReid)  fc^ritt,  ohne  auch  nut  ton  biefem  wichtigen  ©reignih 
bem  Nachfolger  ^«tri  Nachricht  gufommen  gu  laffen.  Unb  wäre 
ftatt  beS  fchwächlichen  ton  33enebift  ton  tÄniane  geleiteten  ?ub* 
wig,  bet  bem  Nater  an  ©eift  unb  jftaft  fo  ähnliche,  tom  93olfe 
geliebte  unb  ton  ben  ©rohen  fchon  gum  Äönig  bet  granfen  unb 
römifchen  Äaifer  erwählte  Äarl  bem  groben  93egrünbet  bes 
abenblänbifdjen  .ftaiferthumS  in  bet  ^errfdsaft  gefolgt,  fo  würbe 
baS  ^)apftthum  tielleicht  nie  feine,  bem  Neidje  fo  terhängnifj* 
tolle  9Racht  unb  ©rohe  erreicht,  nie  bie  änerfennung  feines 

(»7«) 


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25 


butdjauS  unbegrünbeten  SnfptutbeS  auf  ©etleibung  ber  Äaifer» 
frone  erlangt  tyaben. 

Äarl  ber  ©rojje  b«tte  mit  f<bmergetfülltet  ©ruft  baS  tra» 
gifdje  ©erbängnifi,  meines  feinem  fo  mübeuotl  begrünbeten  äßelt« 
reiche  brobte,  oorauSgefebeu,  als  il)m  in  furger  Beit  gwei  ber 
bojfnungSooüften  ©öbne,  Pippin  (810)  unb  bet  »cn  ifjm  gärt» 
Hcbft  geliebte  Äarl  (811)  bur<b  ben  2ob  babingerafft  mürben. 
3u  gut  erfannte  et  bie  Unfäljigfeit  feines  lebten  legitimen  ©obneS 
gubwig,  ber,  nur  in  Sufjübungett  unb  Äloftergrünbungen  ©e* 
ftiebigung  fiubenb,  felbft  mit  bem  ©ebanfen  umgegangeu  mar, 
bie  üJlöncbSfutte  31t  nehmen,  woran  iljn  jebocb  feine  firdjUdjen 
©eratber  ge^inbert  Ratten  mit  bem  Hinweis,  baf)  er  3um  £eile 
ber  Äirtbe  bem  SReidje  erhalten  bleiben  muffe. 

fOtit  bem  greifen  Äaifer  füllten  auch  bie  $ranfen,  melier 
trüben  Bufunft  baS  Sfteidj  unter  gubroig  eutgegeuging,  unb  eS 
mar  nur  natürlitb,  baf)  ftcb  unter  geitung  beS  SbteS  oon  Gorbin, 
Sbelbarb,  unb  feines  ©ruberS,  beS  ©rafen  SBala,  eine  ^ofpartei 
bilbete,  bie  bem  ©aftarb  pippin’S,  bem  fräftigeu  Könige  bet 
gaugobarben,  ©ernbarb,  bie  3teicbSna<bfolge  fiebern  wollte,  unb 
bei  Jtarl  lange  3eit  für  ihre  Söünfdje  unb  'Jlbftdjten  gro&e  ©e* 
neigtbeit  fanb.  55od j beim  jfaifet,  natbbem  er  lange  mit  fid) 
gefämpft,  fiegte  enblidj  baS  ©atergefübl,  unb  fo  berief  er  im 
grübiabr  813  bie  »ornebmften  granfen,  ©eiftliebe  unb  SBeltlicbe, 
natb  Soeben  gu  einet  oertraulicben  ©eratbung,  um  ihnen  feinen 
©ntfd)lu§  mitgutbeilen,  ba§  ibm  mit  ihrer  3nftimmung  gubwig 
in  ber  Regierung  natbfolgen  {olle.  2>ie  ©erfammelten  billigten 
bie  SBabl  beS  ÄönigS  uon  Sguitanien,  ber  „um  bei  bem  ©ater 
feine  ©eforgnifj  3U  erregen"54)  tro£  beS  3utebenS  feinet  Utatb* 
gebet,  ohne  Sufforberung  uon  ©eiten  jfarl’S  nid)t  natb  *fla<beu 
batte  geben  wollen,  aber  gumeift  wobl  in  ber  ©orauSfidjt,  fitb 
oom  faifeTlicben  ^>ofe  fern  b'ftt,  bafj  ohne  feine  Snwefenb*it 
bie  ©eiftlidjfeit  für  ihn  erfolgreitber  witfen  werbe,  für  bie  ja 
fdjon  bet  brilige  'Paulinus  unb  Slcuin  ibn  jum  jfaifer  gewünfdbt 

(377) 


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26 


galten,  unb  bie  aud)  jefet  burdj  ©inbarb,  be8  J?aifeT8  bamaligen 
©ünftling,  erflaren  liefe : bafe  bie  jfirebe  unb  ©l)riftu8  felbft  Bubroig 
gum  9tad)folger  erforen  Ijabe5*). 

Äarl  liefe  nun,  al8  auf  biefe  SBeife  bie  ©rbfolge  feftgeftellt 
war,  feinen  ©ofen  nad)  s2la<ben  fommen,  um  ifen  fo  oiel  al8 
möglich  mit  ben  ©tunbfäfecn  feinet  Regierung  unb  ben  ^fUdjten 
be8  -^errfcberS  befannt  gu  machen,  unb  ibn  gu  unterroeifen,  roie 
et  leben,  wie  regieren,  roie  ba8  ©eid)  orbnen,  unb  e8  georbnet 
erhalten  foHe,  beoor  et  itjm  bie  feöc^fte  SSürbe  bet  (5l?riftenfeeit 
»erliefe  unb  ifen  al8  ©titfaifer  annafem. 

3(uf  ber  allgemeinen  fHeidjSoerfammlung , roeld)e  im  ©ep* 
tember  gujammentrat,  feiett  er,  naebbem  alle  anberen  willigen 
O'leicfeögeftfeäfte  erlebigt  waren,  mit  ben  nerfammelten  93ifcfeöfen, 
lebten  unb  ©rafen  unb  fränfifefeen  ©rofeen  eine  allgemeine  ©e* 
ratfeung  unb  fragte  fle  iKüe,  com  £ö<bften  bis  gum  ©eringften, 
ob  fie  mit  ib*n  einoetftanben  waren,  wenn  er  ben  faiferlidjen 
Flamen  auf  8ubwig,  feinen  ©ofen,  übertrüge,  ©ine  freubige 
Bewegung  entftanb  bei  biefer  ©röffnung,  unb  einftimmig  ant* 
»orteten  'JDe  mit  lautem  ©eifall:  „SDa8  gebubte  fiefe,  unb  bem 
gangen  ©olfe  gefiele  e8  fo;  e8  fei  ©otteS  ©ingebung."  3lm 
nä<bften,  biefer  ©erfammlutig  folgenben  ©onntag,  ben  16.  ©ep* 
tember  813iS),  erfefeien  nun  Äarl,  gefleibet  in  franfifdjem  geft» 
fd)mu(f,  im  golbburtbroirften  Äleibe,  in  reid)  mit  ©belfteinen  be* 
jefeten  ©tbufeen,  fein  ^>racfetfcfenjert  an  ber  ©eite,  ben  mit  gol- 
beuen  #afea  befeftigten  Äaifermantel  um  bie  ©djultern,  auf  ben 
Jtönig  oon  Aquitanien  fiefe  ftüfeenb,  in  bem  oon  ifem  erbauten 
©tarienmünfter.  SDlit  Abfi<bt  featte  er  bie  fränfifefee  Äleibung 
angetan,  um  gu  geigen,  bafe  er  bie  Äaiferroürbe  aI8  ein  ©efi$* 
tbum  bet  graulen  erroorbeu  habe«  unb  bafe  er  gang  unabhängig 
oon  fRom  unb  ben  [Römern,  als  Äaifet  unb  Äönig  bet  granfen, 
fein  fReidj  unbefümmert  um  ben  ^)apft  au8  eigener  ÜRad)toolI» 
femmenbeit  im  ©inoerftänbnife  mit  bem  ©olfe  feinem  ®ef<blecfete 
oererbe. 

(17») 


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27 


3n  feierlichem  ©rnfte  burd)  bie  ba8  DJtünfter  ffiüenbe  DieichS* 
cerfammlung  Ijinfdjreitenb,  ftieg  et  gum  ^ocpaltar  tynatx,  auf 
bem  bie,  für  ben  fünftigen  ^ettfc^er  beftimmte  gelbene  .frone 
niebergelegt  war,  unb  an  ben  ©tufen  nieberfnienb  lag  et  lange 
in  ftiQem  ©ebet,  um  ben  ©egen  ©otte8  fut  fich  unb  feinen 
Dlachfolger  unb  ba8  gefammte  DReict)  gu  erflehen.  Sftadjbem  ftch 
Seibe  erhoben,  wanbte  ftd)  bet  gteife  Surft  not  bet  lautlofen 
Serfammlung  bet  Sifchöfe  unb  ©bien  an  ßubwig  unb  ermahnte 
it?n,  not  Allem  ©oft,  ben  Allmächtigen,  gu  lieben  unb  gu  filter- 
ten, bie  Äirche  ©otteö  gu  regieren,  feinen  Stübern  unb  feinen 
©chweftern  eine  treue  ©tüjje  gu  fein,  ba8  Solf  gu  lieben  wie 
feine  ©öljne,  treue  unb  gotteSfürdjtige  !Diener  angufteüen,  welche 
bie  ungerechten  SBerfe  halten,  nur  gerecht  richteten  unb  fich  felbft 
alle  3eit  nor  ©ott  unb  allem  Sol!  untabethaft  geigten57).  9tacf}= 
bem  er  fo  in  furgen  309?«,  mit  ber  il)m  eigenen  ÜRajeftät  bet 
Diebe  bem  @ol)n  ein  Sifb  feiner  eigenen  DiegierungSgrunbfähe 
tcr  oerfammeltem  23olf  entworfen,  fragte  et  gubwig,  ob  er  fei- 
nen ^Befehlen  gehorfam  fein  wolle,  worauf  biefer  antwortete,  baff 
er  mit  Stcuben  gehorchen  unb  mit  ©otteS  pfeife  alle  Sorfdjrif* 
ten , welche  ihm  ber  S3ater  gegeben , treulich  beobachten  wolle. 
Dlun  befahl  ber  Jfaifer  bem  Äönig  non  Aquitanien,  bie  .frone 
mit  eigener  <£>anb  oon  bem  Altar  gu  nehmen  unb  fich  auf  ba8 
£aupt  gu  fe^en,  gur  ©rinnerung  aller  gehren,  bie  er  non  ihm 
empfangen.  Unter  bem  Subelruf  ber  SSerfammlung:  „68  lebe 

ber  Äaifer  gubwig!“  ooUgog  biefer  be8  Saterb  ©ebot.  ^Darauf 
würbe  ein  feierliches  Hochamt  gehalten,  nach  beffen  Seenbigung 
Äarl,  fich  auf  ben  jungen  .faifer  ftuhenb,  gefolgt  oon  feinem 
glängenben  £offtaate  in  ben  §)alaft  gurüeffehrte,  wo  ein  fröhliches 
©aftmahl  bie  feierliche  £aublung  befchlof}58). 

DJiit  biefem  Aft  erhabeufter  Äaifergewalt  hatte  Äatl  bem 
Zapfte  unb  ber  ^Jriefterfchaft  gegeigt,  baf)  er  feine  eigene,  burep 
geo  noflgogene  Ärönung  nicht  als  ben  AuSflufj  päpftlicher  DJtacht* 
»ollfommenheit  angefehen  wiffen  wollte.  £De8  SaterS  gehren 

(S7») 


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28 


Waren  audj  bei  bem  fonft  fo  frommen  unb  bet  ©eiftlicbfeit  er* 
gebenen  ©ohne  nidjt  gang  frudjtlo8  geblieben,  wie  ba8  Verfahren 
bemeift,  feine  5Regierung8jabre  nur  nad)  bet  non  ihm  gu  Slawen 
felbft  nollgogenen  Ärönung  31t  gablen. 

'Jlber  wagte  aud?  8eo  III.  nicht,  gegen  biefe  ben  3«>ecf 
feinet  mit  fo  fluger  '-Berechnung  am  2öeibnacht8tage  800  au8* 
geführten  Snfpiration  »ernichtenbe  ©bot  be8  non  ihm  fo  gefürch- 
teten f$ranfeufaifer8  3n  proteftiren , unb  aud)  nid)t  bei  8ubwig 
baran  31t  erinnern,  fo  wufjte  bod)  fein  Sßadjfolger  ©tepban  IV. 
auf  gleid)  fluge  SBeife  bn8  ron  Seo  gefteefte  Biel  3U  erreichen. 
@r  hfltte,  mie  fein  l'organger,  fofovt  nad)  feinet  am  22.  3uni 
816  ftattge^abten  Söa^l,  bie  ohne  faiferlidje  Suftimmung  gar» 
nicht  hätte  erfolgen  bürfen,  ©efanbte  an  Subwig  gefchieft,  ihm 
feine  Orbinatiou  an3U3eigen,  fowie,  baff  er  ba8  römifdjc  Sßolf 
bem  .ftaifer  höbe  $reue  fdjwören  taffen;  gugleidj  lieft  er  anfragen, 
ob  ber  .ftaifer  ihn  perfönlid)  empfangen  molle,  ba  er  wichtige 
SDinge  mit  ihm  3U  beraten  höbe59). 

©er  gürft  erteilte  fofort  feinem  9ieffen,  bem  ßangobarben* 
fönig  93evnbatb,  ben  Sefebl,  ben  $)apft  nach  SHbeimö  gu  geleiten, 
wobin  er  im  ©eptember  816  fleh  felbft  begab,  um  ©tepban 
würbig  3U  empfangen.  9118  ibm  bie  9lnfunft  beffelben  gemelbet 
würbe,  ritt  er  ibm  mit  faifetlicbem  ©efolge  entgegen  unb  fprang, 
fobalb  er  ben  heiligen  SOater  erbliche,  00m  $)ferbe,  bolf  ibm  ob* 
fteigen,  beugte  fid)  breimal  oor  il)m  3ur  ©rbe  unb  rief:  „®e* 
lobt  fei,  ber  ba  fomrnt  im  tarnen  be8  $errn,  ber  ^err  ift  ©ott, 
ber  un8  erleuchtet."  Söorauf  ber  $>apft  erwiberte:  „©elobt  fei 

unfet  .perr  ©ott,  ber  meinen  Äugen  gab  3U  feben  einen  gweiten 
Äönig  ©anib." 

9lm  nächften  ©ormtag,  ben  30.  Dctober,  hotte  nun  üubwig 
bie  bef!agen8wertbe  @cbroad)e,  fid)  unb  feine  ©emablin  Srmingarb 
nochmals  frönen  3U  laffen,  bieeburch  beä  '})apfte8  ÜReinung  be* 
ftatigenb,  baf)  burd)  feine,  ohne  päpftlidje  Äfflfteng  »ollgogene 
.Krönung  im  3abre  813,  bem  heiligen  ©tubte  ein  f<hwere8  Un» 

(JSO) 


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29 


recht  angetan  worben  fei.  2)iefen  einen  £au}>tjwecf  Ijatte 
Stephan  nur  im  tSuge  gehabt,  alb  er  feine  Steife  nach  graafreich 
antrat.  @r  bradjte  ju  ber  oou  ihm  beabfidjtigten  .Krönung 
„eine  golbene,  mit  ben  werthoollften  Cfbelfteiuen  gefdjmiicfte 
.Krone  »on  wuubetbarer  ©djönheit",  non  ber  et  oorgab,  bafj  fie 
ehemalß  Konftantin  bem  ©rcfien  gehört  l)abe60).  2)od)  wollte 
aud?  er,  wie  einft  ^abriau  .Karl  gegenüber,  nicht  cl)er  bie  faifer» 
liehe  SOtajeftät  burdj  feine  gottgefegnete  <£>anb  beftätigen,  beoor 
gubwig  nid^t  alle  non  feinen  SBorfatyren  außgeftellte  ©djenfuugß* 
uifunben  auerfannt  uub  burdj  neue  ncrmetyrt  hatte.  35er  fdjwache 
Äaifet  beeilte  fidj , biefem  Verlangen  auf  baß  23ereitwiHigfte 
nadjjufommen,  unb  baß  non  ihm  außgeftellte  ©cheufungßinftru« 
ment  bilbetc  fortan  bie  ©runblage  aller  non  ben  fpäteren 
Äaifern  geleifteten  ÄrönungSeibe.  Sticht  auf  bie  zweifelhaften 
©djenfungen  Äouftantin’8,  ^ippin’ß  unb  Äatl’fl  beriefeu  fich 
fortan  bie  3Ra<hfolger  beß  äpoftelfürften,  fonbetn  auf  bie  Urfunbe 
gubwig’ß  beß  frommen,  ber  ihnen  faft  ganj  Italien  alß  Patri- 
monium Petri  überlaffcn  hatte. 

(frft  nad)bem  biefer  »idjtigfte  $>unft  erlebigt  mar,  fchritt 
Stephan  i „froh  ber  eigenen  @hte  unb  über  $)etruß  ©efchenf", 
jur  feierlidjen  Krönung,  bei  welcher  er,  wie  einft  Stephan  II., 
für  bie  Sladjfemmen  beö  farolingifdjen  ©efchlechfß  beß  Slflmäcb- 
tigen  ©egen  erflehte,  auf  bafc  fie  bie  granfen  unb  baß  mäd)tige 
Stom  eben  fo  lange  beljerrfcben,  alß  ber  djriftliehe  Stame  auf 
ber  (Stbe  ertöne61). 

SDtit  biefer  pä)?ftlidjen  ©anction  ber  .Kaiferwürbe  würben 
erft  jene  Sluffmidje  in’ß  geben  gerufen , welche  bae  $)apftthum 
fpater  erhob,  baf)  eß  allein  bie  jtrone  beß  Sieidjeß  gu  oetleihen 
habe.  3)en  proteft , ben  .Karl  ber  ©rofce  gegen  bie  häpftlid^e 
Slnmafjung  im  33orauß  eingelegt  hatte  burd?  bie  Krönung  ju 
Slawen,  hob  ber  fdjwadje  gnbwig  butd}  ben  ÜBorgang  ju  Stheimß 
wieber  auf.  3mar  fal)  er  in  biefer  Krönung  wohl  nur  einen 

5lft  ber  ^ulbigung  beß  PapfteÖ , aber  für  bie  Bufunft  würbe 

(»81) 


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30 


biefe  ©djwäche  be8  Jlaifer8  »erfyingmf)»olI(  wie  er  e8  felbft 
nod)  bei  bert  ©mpörungen  feiner  ©ohne  fchmerglichft  erfahren 
foHte. 

3)a8  ©efdjlecht  beS  grofeen  Äarl  entartete  fdjneH.  ©d)en 
gothar,  obwohl  neu  feinem  Vater  in  Boiler  NeidrSoetfammlung 
gum  Nlitfaifer  angenommen,  folgte  ber  ©inlabuug  be8  $)apfte8 
$>afcfeaii8  nach  Nom,  um  am  ©rabe  beö  ^eiligen  $)etru8  bie 
.Krone  aus  ben  £änben  be8  ©tattfealtetS  ©^rifti  gu  empfangen. 
gothar'8  ©ohn  gubwig  Ieiftete  ben  erften  ÄrönungSeib  oor  ben 
filbernen  Pforten  ber  Vaftlifa  ©t.  9)etri  unb  empfing  bafür  bie 
feierliche  ©albung,  JErünung  unb  ©djwerbtumgürtung  als  König 
Bon  Stalien.  Äaifer  geworben,  mufete  biefer  auf  Stalien  allein 
befeferänfte  3mperator  e8  erleben,  bafe  ein  wortbrüchiger  gango* 
barbeufnrft  ihn  unb  feine  ©emahlin  fd)impflid)  gefangen  bi^t 
unb  ben  Nachfolger  Äarl’8  beS  ©rofeen  nur  gegen  einen  fchmacb* 
Bollen  @ib  au8  ber  J£>aft  entliefe,  ber  ihn  hinberte,  ben  unerhör* 
ten  ©djimpf  gu  rächen.  IDiefer  Urenfel  be8  grofeen  Karl  rühmte 
fich  fogar  ber  päpftlichen  ©albung  gegenüber  bem  ihn  fpöttifdj 
„Niga"  titulirenben  oftrömifchen  Kaifer,  unb  entwicfelte  mit  33e* 
rufung  auf  baö  alte  £eftament  ba8  bem  Zapfte  guftefeenbe  Necfet, 
nach  bem  SBiöen  ©otteS  einen  dürften  nerwetfen  unb  an  feiner 
©teile  einen  anberen  erheben  gu  fönnen.  Karl  bet  Kahle  war 
fchon  fo  weit  gefunfen,  bafe  et  fich  al®  VafaH  beS  Nachfolgers 
9>etri  belannte,  unb  nach  feinem  SEobe  fonnte  3ohaitn  VIII.  felbft 
barart  benfen,  einen  armfeiigen  fatolingifdjen  gehnSmann,  ben 
Abenteurer  S3ofo  oon  f})rooence,  ber  bie  SEochter  beS  Kaifet 
gubwigS  II.  auf  bie  freebfte  SBeife  gu  entführen  gewagt  hatte, 
auf  ben  SEhron  ber  alten  ©äfaren  gu  erheben. 

<Die  ©ntfrttlichung  in  bem  farolingifdjen  .fjaufe,  bie  fich  in 
bem  wilben  geben  gothafs  II.  am  wiberlichften  barftedt , gab 
ben  Zapften  bie  Ntacht  an  bie  £anb,  gegen  bie  Nadjfommen 
beS  VegrünberS  ber  faiferlidjen  SDpnaftie  mit  unerhörter  ©ering» 
fdjäfeung  unb  Verachtung  Borgugehen.  3)ie  fräftigen  ©eftalten 

(383) 


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31 


eine«  Äntlmann,  eine8  Slrtiulf  marf  ein  gtaufameS  ©cfchitf  auf 
ba8  Siechbett,  währenb  bem  geifte8fchwacben  .Sari  bem  ©icfen 
noch  einmal  ba8  ungeteilte  fReich  feines  UrabuS  gufiel. 

SDiefet  jdjnelle  Untergang  ber  Äarolinger  aOein  fd)uf  ben 
Zapften  bie  33afiS  gu  ber  non  ©tegot  YII.,  Sunoceng  III., 
©onifag  VIII.  erftrebten  ^ierarc^ifc^eu  Unberfalmonarchie.  Dhue 
5Rifolau8  II-,  ber  guerft  auf  bie  ©fcuboiftborifdjen  ©ecretalen 
ft<h  gu  berufen  wagte  unb  ohne  bie,  bie  faiierüdje  ^)errfd?aft 
fpftematifch  untergrabeube  SUjätigfeit  So^ann’S  VIII.  hätte 
©reget  VIL  nie  ben  Sag  »on  ©anoffa  erlebt.  SDiejet  gewal» 
tigfte  oder  Zapfte,  ber  „mit  ber  Äunft  be§  gewanbtcften  ©ema* 
gegen"  bie  reoolutionäre  ©eroegung  in  ben  nerfdjiebenften 
Staaten  gu  leiten  »erftanb,  rief  bie  Sadjfen  gur  Empörung  gegen 
Heinrich  IV.  auf  unter  Berufung  auf  Urfunben,  welche  con  Äarl 
^ettü^ren  füllten.  „3«  einer  <£>anbfd)rift  jfarl’8  be8  ©tofjen", 
fo  fchtetbt  er  im  3abre  1081,  „bie  im  $rchioc  gu  JRom  aufbe* 
wahrt  wirb,  fteht  gu  lefen,  bafj  genannter  Äaifer  alljährlich 
1200  ©funb  Silber  für  ben  ©ienft  be8  apoftolifd^eu  Stuhles 
an  brei  Drten  feines  SReic^eS  einfammelte,  nämlich  gu  2latf>en, 
gu  ©up  ©otrebame  (in  Slnjou)  unb  gu  Saint  @ille8  (in  &an* 
gueboc).  &ud)  braute  berfelbe  Äaifer  bem  heiligen  ©etruS,  nach» 
bem  er  Saufen  mit  beffen  £ülfe  erobert  biefe  ©rouing 

gum  SBethgefchenf  bar,  inbem  er  foldjergeftalt  ein  ©enfmal 
gugleich  feiner  SSnbacht  unb  ber  Freiheit  aufrichtete,  worüber 
bie  Saufen  ncd)  heute  f(hriftliche  Urfunben  beftfcen,  wie  e8  bie 
©erftänbigen  unter  ihnen  wohl  wiffen6*)." 

9iad)  biefer  Urfunbe  unb  bet  päpftHdjen  Auslegung  ber* 
felben,  hätte  ftch  Jt'aifer  gfarl  als  ©afaU  be8  heiligen  Stuhles 
befannt  unb  ©fröret63)  fonnte  nicht  unterlaffen,  im  ^tnblicf 
auf  ben  ©regorianifchen  ©rief  unb  ba8  ©erhalten  SBinfrieb’8 
gegenüber  bem  römifchen  Zapfte  mit  echt  ultramontaner  So* 
phiftif  ben  Satj  auSgufprechen:  ,,©ie  beutfche  Äirdje  unb  ba8 
beutfdje  IReich  ift  auf  ben  Reifen  ©etri  gegrünbet  worben,  unb 

(MJ) 


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32 


nur  mit  offenbarer  gelonie  fann  ein  JDeutfdjer  ben  Zapften  Streue 
»erjagen."  2lber  baS  Sateranarchi»  ift  reich  an  ähnlichen  3)ocu« 
menten,  an  jenen  jdjmacfy»ellen  gälfdjungen,  bie  für  irgenb  einen 
beftimmten  3wecf  fabricirt,  für  bie  @ef  Richte  beS  ÜJlittelalterS 
»cn  fo  »erbfinguifjo  oller  SBirfung  waren  unb  bereit  ftd)  bie 
(Surie  bis  auf  bie  jüngfte  3«t  jum  Unbeil  ber  Staaten  mit 
großer  ©eroanbtbeit  ju  bebienen  gemußt  \)ai. 

$>ippin’S  (Srbebung  unb  Äarl’S  beS  ©rofjeu  Äaiferfrönung 
waren  bie  erften  Stufen  ju  ber  b*erar(tytf$en  SlQgewalt  beS 
$>apfttbum§,  baS  im  8aufe  ber  Sabrbunberte  ben  Untergang  beS 
unter  feinen  9lufpicien  begrünbeten,  heiligen  tömifdjen  {Reiches 
beutfdber  Nation  beförberte  unb  in  unferer  3^it  mit  bem  lebten 
{Reft  feiner  Äräfte  burd)  ben  alterSfdjwadjen  SDlunb  beS  unfehlbar 
erflärten  §)iuS  IX.  ba§  nach  fdjweren  Kämpfen  neubegrünbete 
beutfche  {Reich  verfluchte  unb  $u  3ertrümmern  trachtete. 


(SM) 


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^rniirrhiutgrit. 


1)  Bergt  Aen.  VI.  582  f. 

2)  'Bergt  3anu8,  Der  i'apft  unb  ba8  Sencil.  tfcipjig  1869,  3.  87. 

3)  Bergt  5lbcl,  gorfcfyungen  j.  bcutfd?.  ©ejd?.  I.,  3.  532. 

4)  SDöflinger , Sag  Äaifertljuin  Äarl’8  teS  ©reffen.  üJlünd?.  I;. 
3al)rb.  1805,  <5.  338. 

5)  3affe,  Reg.  Font  No.  1 882,  p.  211. 

6)  Sbjim,  Äarl  ber  ©reffe.  Seutfdf.  Sluggabc.  ÜJJünfter  1868, 
©.  1Ö3. 

7)  3 ci ff e,  Bibliotliec.  rer.  gerni.  IV.  (Monum.  Carol.)  ep.  96, 

p.  280. 

8)  Soffst  Reg.  Pont.  No.  1902,  p.  214. 

9)  3dff4,  Biblioth.  rer.  gmn.  IV.,  ep  61,  p.  199  f. 

10)  5lbel,  Äarl  b.  ©roffe.  3aljrb.  ber  bcutüb.  ©efd). , 3.  200  f.; 
2lbel,  gorfdmngen  I.,  3.  495. 

11)  3affe,  Biblioth.  IV.,  ep.  53,  p.  177,  fefct  Hefen  Brief  in  8 

3nf>r  775 , Slbel,  unb  'Unbere  in’8  3al;r  777. 

12)  51  bei,  Sortf.  ©.  496;  Äarl  b.  ©r.  208  ff. 

13)  3offe,  Reg.  Pont,  p 208  ad  an n.  781.  '^cry.  M.  G.  Scr.  X. 
567;  XI.,  399.  SIbel,  Äarl  b.  @r.,  ©.  813,  Br.  2.  3n  ben  ?lnnalen 
Sinf)arbi  a.  781 : unxit  etiam  et  Hludovicum  ejus,  quibus  et  coronam 
imposuit.  Sieg  lefjterc  fann  jebodj  nicfjt  erwicfen  »erben.  Bergt  3Baig, 
33erf.»@cfrf>.  III.,  213,  214  n.  1,  220. 

14)  Bajrmann,  g)clitif  ber  'J)apfte,  I.,  ©.273;  Söffe,  Reg.  Pont, 
ad  ann.  781,  p.  208. 

15)  Bergt  Sugenl)eun,  ©efcb.  b.  beutfcb.  Bolfe8.  Bb.  I.,  ©.  400. 

16)  5lbel,  Sforfdjung.  I.,  3.  530  f. 

17)  ©inf).  o.  Ä.  c.  19  (3bler  I.,  ©.  78). 

18)  Alcuin  op.  ed.  Frob.  II  , p.  550;  ÜJligne,  Patrol.  98  (Ca- 
rol. opp.  II.)  cot  1350;  ©regorcbtuS,  ©rabmölet  ber  $)äpfte,  3.  25. 

XIV.  333.  <384) 


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34 


19)  Sperß,  M.  G Scr.  X.,  p.  454.  ffiaiß,  S8erf.»@efc§.  III.,  175'. 
5El;jim,  ©.  150,  159;  ©frcrer,  Äirtbeng.  III.,  2 ©.  666;  ©ugenljcim, 
a.  a.  £).  I.,  400  ff. 

20)  Sotlcti,  Collect.  Concil.  VII I.  1561;  SRemer  12,  17. 
©priidje  3,  7. 

21)  ©ugenl>eim,  a.  a.  Q.  I.,  ©.  401. 

22)  $)erß,  M.  G.  Scr.  I.,  182  f.  SBergl.  lieber  bie  33ebeutung 
ber  Ueberfenbung  beb  ©ctylüffelb  unb  beb  Scanners,  ©regoboriub,  ©ejd?. 
ber  ©tabt  üRorn,  II.,  ©.  508  f. 

23)  Saffe,  Cod.  Carol.  p.  356.  3(ud)  SBngilbert  trägt  er  auf, 
bcu  i'apft  an  einen  ebrenöotlen  SBanbel  ju  erinnern:  ammoneas  eum 
deligenter  de  omni  honestate  vitae  suae  et  pra-cipue  de  sanctorum 
obaervatione  canonum,  de  pio  sanctae  Dei  ecclesiae  gubernatione 
etc.  loc.  c.  p.  353. 

24)  2(lcuin,  opc.  I.  p.  882:  Catholicos  est  in  fide,  Rex  in 
potestate,  Pontifex  in  praedicatioue;  Judex  in  aequitate.  3n 
ep.  124,  p.  183  toirb  Äarl  angerebet:  Dilectissime  et  honorande 
Ecclesiarum  detenaor  et  rector! 

25)  Sllcuin,  1.  c.  p.  177;  Sffiaiß,  Sßerfgefd).  III.  ©.  192.  Stniu.  1. 

26)  Sülcuin,  1.  c.  II.,  220. 

27)  2)cllingcr,  a.  a.  O , @.  318;  ©enft.  ÜKanaffe  (M.  G.  II., 
743)  berietet,  baß  9eo  juerft  an  ben  oftrömifeßen  .pcf  fid)  gewannt  l)abc 
unb  alb  bieb  frudjtlcb  gemefen,  an  Äarl. 

28)  SJtjeopfjaneb,  Chronogr.  ed.  Bonn,  p.  305.  Hergl  bagegen 
21  bd,  Äarl  b.  ©roße,  ©.  318. 

20)  SB  bei,  Begebungen  L,  ©.  516. 

30)  Annal.  Laurissens.  maj.  M.  G.  I.,  174;  SBnnal.  ©inljarbt, 
M.  G.  I.,  175.  SBbel,  Äarl  b.  @r.,  512,  522  ff.  unb  öorenß,  ?eb. 
'lllcuin’b,  ©.  119. 

31)  21  bei,  a.  a.  £>•  510;  Seibniß,  Annal.  imp.  I.,  p 147  feßt 
bie  SBertreibung  ber  3>enctianer  in’b  3aßr  789. 

32)  ©b  mar  bicb  bab  ©ebiet,  toelcbeb  i'ippin,  Äarl'b  SRater,  D>apft 
©tepfyan  III.  nach  Unterwerfung  beb  Üongcbarbenfonigb  2t iftulf  jutn 
©cjißenf  gemacht  batte,  ©b  umfaßte  ben  ganjen  Äfiftenftrid)  füblid)  »cn 
ber  SpoJBlünbung  bis  natty  säncena  tjin,  ccnt  Üieno  unb  bem  Oificfen  beb 
SBppcnnin  im  SBeften  begrenzt. 

33)  üeibniß,  1.  c.,  ©ugenßeitn,  ©efeb.  b.  beutfefy.  SBolfcb  1.,  ©.  395. 

34)  Sfcllinger,  a.  a.  £).,  ©.  336  f. 

35)  STöflinger,  a.  a.  £).  341. 

36)  £öllinger,  a.  a.  £). 

37)  Stl;eopl)aneb,  Chronogr.  ed.  Bonn.  1.,  p.  737. 

(3S6) 


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35 


38)  ©ergl.  über  biefc  ©reigniffe  ©regorooiu«,  a.  a.  D II., 
©.  526;  Sßjim,  a a.  £>.,  ©.  276. 

39)  2)aß  Sllcuin  nicht  bcr  ©crfaffer  jeigt  Sorenß  in  Sllcuin’«  Vcl'cn ; 
waßrfcßeinlicß  ift  Slngilbert  ber  ©erfaffer.  ©ergl.  26attenbacß,  2).  ©fcßtSqu 
2.  Stuft.,  ©.  121  f.  $erß,  M.  G.  II.,  391—403. 

40)  SDolltnger,  a.  a.  £>.  343;  £eo,  ©orlefungen  über  bie  toutfcß. 
©efcß.  L,  510;  ©ugenßeim,  a.  a.  £>.  I.,  ©.  404. 

41)  Stlcuin,  opc.  ed.  frob.  ep.  LXXXI.  I.  p.  120;  ep.  XCIII. 
I p.  138. 

42)  Sllcuin,  ep.  90;  91  frob.  I.  p.  131  f.  ßinficßtlicß  bcr  CDebi* 
cation:  Ad  splendorem  imperialis  potentiae  (ep  103  frob.  1 , 153) 
gl.  Tölünger,  SÖRüncß.  ß 3aßrb.  18G5,  ©.  344;  ©ajnnann,  a.  a 0. 
I.,  313,  7. 

43)  Jßjim,  a.  a 0.  280;  J'cllinger,  a.  a.  0.  367. 

44)  ©reger,  a.  a.  0.  II,  538. 

45)  'Jlften  biefer  ©erfammlung  ftnb  nicht  auf  un«  gefommen;  nur 
bie  5Heinigung«formel , welche  |)apft  ?eo  fpracß,  ßat  ©aroniu«  au«  ben 
rßmifcßen  Streifen  mitgett;eitt.  £>efele,  ßonciliengefcß.  III.,  ©.  689. 

46)  ®öllinger,  a.  a 0.  347  ff. 

47)  Einbarb.  B.  Ä.  23:  „Peregrina  vero  indumenta,  quamvig 
pulcherrima,  respuebat,  nec  umquam  eis  indui  paticbatur,  cxcepto 
quod  Romae  semel,  Adriano  pontifiee  petente,  et  iteruni  Leone 
snccessore  ejus  supplicnnte,  longa  tunica  et  ehlainyde  amictus, 
calceis  quoque  Romano  more  formatis  induebatur.“ 

48)  ©o  ftetlt  bie  ßriSnungSßanblung  bar  SEßfim,  a.  a.  0.,  ©.  282; 
343.  $arl  ließ  ficß  in  feinem  gelehrten  Äreife  53aeib  nennen;  feilte  er 
ficß  biefc«  feine«  ©orbilbe«  nießt  erinnert  haben,  Bon  bem  c«  ßeißt: 
Paralipom.  I.  XX.  2:  David  regis  illorum  coronain  . . . illius 
detractam  capiti  suo  imposuit.  ©ergl.  21  bei,  ©tybel«  Beitfcßr.  1867. 

49)  ©icfel,  Acta  reg.  et.  imp  I.  p.  263  bemerft,  baß  bie  bei 
jeber  iTarftellung  Bon  &arl’«  Krönung  angeführte  ©Ieibulle  mit  bcr 
llmfcßrift:  Renovatio  imperii,  welche  al«  ©ewei«  ber  Bon  Äarl  bem 
©roßen  beabfichtigten  Erneuerung  be«  roeftrümifeßen  Speiche«  gebeutet 
würbe,  gar  nießt  biefer  3fiti  fenbern  ber  Äatf«  be«  JDicfen  angeßort. 

50)  2)ollinger,  a.  a.  0.  361 ; Ermold.  Nigell.  II.,  68. 

51)  Einh.  vit.  Kar.  c.  28. 

52)  Äarl  war  ber  ©oßn  $ilbegarb’8  unb  ber  Liebling  feine«  ©ater«, 
er  warb  772  geboren  unb  790  jum  Iftönige  Bon  ©euftrien  ernannt. 
Taß  er  ju  ©Jeißnacßten  800  jum  romifeßen  Äönig  gefalbt  worben,  ift 
nur  au«  bem  ©erießte  be«  Stnaftafiu« , einer  Stnfpielung  be«  groboarb 
unb  einem  ©riefe  'JHcuin’8,  ber  bem  jungen  Äünig  ßierju  ©lücf  wünfeßt, 

3*  (*»7) 


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36 


bcfannt.  Ep.  178  ed.  Frob.  I.  p.  240.  Vereng  Men  Stic.,  3.  240 
Kinh.  vit.  Kar.  ed.  Ideler  I.  p.  212.  ©ergl.  a.  a.  0.  3.  251. 

53)  ©ergl.  bie  eer}ügli(f>e  ©efpred^ung  ber  fo  eielfacp  bcbanbeltcn 
§rage  über  bie  ©cbeutung  ber  Liberation  bei  Soilinger,  a.  a.  O.  304  f. 

54)  Astronom,  vit.  Ludov.  c.  20. 

55)  Ermold.  Nigell.  I.,  569  ff.;  597  f.;  11,  31  ff. 

56)  Seibniß,  Ann.  itnp.  ad  ann.  813  I.  p.  290;  gunf,  üubwig 
ber  fromme,  bejeidjnet  ben  11.  September  als  ÄrönungStag. 

57)  SLfyegan  b.  Mon.  Germ  II.,  590. 

58)  Ermold.  Nigell.  II.,  76  f. 

59)  Sbegan,  c.  16  M.  G.  II.,  590 

60)  Sfycgan,  c.  17. 

61)  Erm.  Nigellus  II.,  441  ff. 

62)  Saffe,  Bibi.  rer.  Germ.  II.,  468.  Registr.  VIII.  23.  SBergl. 
3.  31  bei,  $a8  frönt.  fReid?  unter  Äarl  b.  ©roßen. 

63)  ©frörcr,  ©reger  VII.  ©b.  II.,  410. 


(»88 » 


Irurf  ren  <U«tr.  linjjfr  (ifc.  tfrtram)  in  Berlin,  17  i. 


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Heber  bas  <Solb. 


Xladt)  Borträgen,  gehalten  in  (Sobesberg  311m  Beften  einer 
fyöfjeren  Knabenfcfyule  unb  in  Bonn  jum  Beften  6es 
(Buftap=  2iboIpfj  * Bereins 


t>en 


S)rof.  ©.  oom  Uaty. 


ßetli»  SW.  1879. 

SBetlag  oon  <5  a 1 1 # a b e I. 

((.  iS.  tnbrrili’sitn  VnlogsbiidiliiiRbliiag.) 

33.  IBil&rlm  • sttafct  33. 


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35afl  9ted>t  ber  Ueberfefcung  in  frembe  Sprachen  wirb  ocrbefialten. 


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,3Jet  Slbmiral  ber  römifcfaen  glotte,  Gaju8  $)liniu8  ©ecunbuS 
ber  keltere  (geb.  23  n.  <$^r.) , welker  bei  ber  großen  ©ruption 
bes  SSefuB  im  3ubre  79  n.  ©br.  burdf  bie  erftitfenben  ©afe  fein 
geben  »erlor  (25.  2Iug.),  beginnt  ba8  33.  33 ucb  feiner  berühmten 
Historia  naturalis  mit  folgenben  ©orten:  „SD  fönnte  man  au8 
bem  geben  burd'auS  ba8  ©olb  oerbannen,  ben  „uerrucbten  ©olb» 
butft"  — wie  bie  bernorragenbften  ©dmftftelleT  fiel}  auSbrücften, 
— biefeö  ©olb,  wefdje8  »on  aQeu  ©uten  gefdjmäbt  unb  net» 
flu<bt  wirb,  unb  enibeit  würbe  gum  ffierberben  be8  menfdjlitben 
geben8.  ©in  fcbänblicbeS  Verbrechen  beging,  wer  guerft  einen 
golbenen  9ting  an  feinen  Singet  fteefte.  2)e8  gweiten  Verbrechens 
ma^te  fid}  berjenige  fdjufbig,  weichet  guerft  einen  golbenen  SDenar 
prägte." 

©in  «nberer  SKbmiral,  ber  eble  ©briftopb  ©olumbus  (f  1506), 
bem  e8  befdjieben  war,  wie  feinem  anberen  Sterblichen,  bie 
Slnfcfcauungen  unb  Äenntniffe,  ben  geiftigen  unb  materiellen 
Sefifj  bet  SORenfdjtjeit  auSgubebnen  unb  gu  bereichern , — ber 
glbniiral  6olumbu8  urteilte  weniger  b^t  über  ba8  ©olb,  benn 
er  fttjreibt:  „3)aS  ©olb  ift  ba8  Sllleroortrefflicbfte;  ©olb  ift  ein 
©djaj};  wer  biefen  befiel,  fann  aOe8,  wa8  er  auf  biefer  ©eit 
wünfdjt,  ftch  oerfebaffen  unb  — fo  fügt  ber  fromme  fDiann  bingu  — 
©eelen  bem  ^)avabiefe  gufübren." 

©a8  ift  ©abrbeit?  bürfen  wir  fragen,  wenn  bie  Urtbeile 
ber  auSgegeicbnetften  unb  beften  ©ienfeben  fo  oerfebiebenartig 
lauten,  ©ir  erfennett  fogleid},  bafe  bie  Vetwünfdjung  be6  fennt- 
nifereicben,  welterfabrenen  römifeben  2lbmiral8  ebenfo  weit  oon 

XIV.  324.  325.  j * (321) 


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4 


bet  ©aljrtyeit  abirrt  als  baß  lobprcifenbe  Urttyeil  beS  gto&en 
©euuefen,  welcher  an  bet  Hoffnung  fefil)ielt,  bajj  butd}  bie  gol» 
benen  ©djäfcc  feiner  neuen  ©eit  bie  ^eiligen  Drtc  ber  ©Triften« 
fyeit  auS  ben  £änben  ber  Ungläubigen  gu  gewinnen  wären.  — 
£ßren  wir  nodj  baS  Urteil  eines  3eitgeneffen  beS  täuguftuS 
übet  ben  SBertl)  beS  ©olbeS!  S5er  berühmte  ©ejdjidjtfdjreiber 
unb  ©eograplj  fDioboruS  ©iculuS,  welker  30  Satyre  bie  gange 
bem  9Utertt)um  befannte  ©ett  burdjreifte,  um  fixere  Stacbridjten 
über  gänber  unb  SBölfer  gu  jammeln,  fdjüefet  feine  ©djilberung 
bet  ©olbbergwerfe  am  äufjerften  @nbe  een  9£egt>pten,  „bort,  wo 
'Jetljiopien  unb  Stabten  an  einander  grengen",  mit  ben  ©orten: 
„burd)  otele  Arbeit  erhält  man  baS  ©elb;  feine  ©ewinnung  er« 
tjeifd)t  großen  g(ei§;  eS  wirb  fdjwer  bewahrt;  fein  ©cbraud)  ift 
gwifdpen  Sßergnügen  unb  ©djmerg  geteilt." 

liefern  merfwürbigen  SJtetall,  welches  feit  Saljrtaufenben 
gleid)  fel)t  gepriefen  unb  eerfludjt  wirb,  fotl  unfere  Sktradjtung 
gewibmet  fein.  — ©ie  eerfdjiebenartig  ift  bie  Stelle,  weldje  bie 
SDtetalle  in  ber  ©efdjidjte  ber  ÜJienfdjl)eit  fpielen!  2)aS  @ifen 
liefert  unS  bie  *}>fiugfdjaar,  ©erwerbt  unb  Äanone,  ©dienen« 
ftrang  unb  $elegrapljenbral)t , 3)amt>fmafd)ine  unb  Ufyrfeber. 
O^ne  Äenntnif)  beS  @ifen§  unb  feiner  iDarfteflung  fyätte  baS 
ffltenjdjengefdjledjt  bie  $öl)e  ber  ßultur  nidjt  erreicht , weldje  eS 
jefct  einnimmt.  @S  ift  baS  ©ifen  mit  unferem  gefammten  ©ultur» 
guftanbe  fo  innig  oerfettet,  baf)  wir  unS  baS  menftyidje  geben 
otjne  ©ifen  faum  nod)  oorfteDen  fonnen.  ©ie  baS  ©ifen  baS 
nüfcfidjfte,  fo  ift  baS©olb  beinahe  baS  nufclofeftc  een  allen  fDtetaflen. 
©ir  muffen  ber  33orfetjung  banfbar  fein,  baff  fie  unS  nid)t  ftatt 
beS  (SifenS  baS  ©olb  in  reicfylidjfter  f$üüe  gegeben,  benu  eS  würbe 
Daß  ©ifen  nid)t  erfetjen  fennen.  2)em  nufjlojeften  SDtetaU  ift  feit 
bem  fyotyen  Stltertljum  bie  Stelle  eines  ©ertljmtfferS  aller  menfdj* 
liefert  ©üter  gugefallen. 

(3  *3) 


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5 


Die  Äenntnifc  beg  ©olbeg  reicht  übet  alle  gefdjidjtliebe  fRadj* 
rid)t  tjinaug.  Dag  ©ert  felbft  bewahrt  bie  ©rinnerung,  ba§ 
fdjon  in  ben  frütyeften  Beiten  bieg  5Jietnü  mit  bet  ©onne,  bem 
erfyabenften  ©egenftanbe  beg  Unicetfum  in  Setbinbung  gebracht 
würbe.  Dag  l)ebtäiid)e  28ort  „Snhab“  bebeutet  tiämlid},  „com 
©onnenlidjt  bejebienen",  auch  bag  latcinifdje  „Aurum“  weift 
auf  bie  SBurjel  Or,  welche  „l'idjt"  bebeutet.  — Die  golbene 
©onne,  bie  golbene  Sugenb,  bie  golbene  Breiljeit:  biefe  unb 
äfynlidje  iMugbrücfe  beweifen,  baf?  wir  bag  ®d)6nfte  unb  ,£>err= 
licfyfte  nur  mit  bem  ©olbe  ,u  Dcrgleidjen  wiffen.  93cn  einem 
golbenen  3eitalter  alg  »on  einem  glücflidfen  3ugenbguftanbe  bet 
3Jienfd)ljeit  haben  bie  Dichter  aflet  Sölfet  gelungen: 

2Bo  jefct  nur,  wie  untere  ffieifen  fagen, 

(Seelenlos  ein  geuerbafl  ftcb  bretjt, 

Zenite  bamals  feinen  golbnen  fflagen 
^»elioS  in  ftitler  5Jiaje|'tät. 

Schöne  ©eit,  wo  bi  ft  Du?  febre  wieber 
gelbes  Slütfyenalter  ber  IRatur! 

3(tb  nur  in  bem  geenlanb  ber  lieber 
üebt  nodj  Deine  gclbne  Spur. 

2ld&,  niemalg  hat  eg  beftanben,  biefeg  golbene  Seitalter  bet 
Dichter!  fKit  bem  entbehrunggooflen  fteinernen  3eitalter  tritt 
bag  atme  gequälte  5Renfd)engefd>lecbt  in  bie  ftühefte  $>eriobe  bet 
©efchidjte  ein,  — nidjt  aber  mit  einem  golbenen.  Dod)  unger* 
ftöibat  wohnt  bie  Sorftellung  eineg  golbenen  3ugenbalterg  unfe* 
teg  ©efdilecbtg  in  ben  £ergen  ber  fBienfdjen.  — ©dbon  in  bet 
älteften  unb  ehrwürbigften  Uebetlieferung  wirb  beg  ©olbeg  ge* 
badjt.  Sei  ber  fÄufgählung  bet  »iet  ^auptwaffer,  weldje  ben 
©arten  ©ben  burd?fUe§en , lefen  wir:  „Dag  erfte  Reifet  ^ifott, 
bag  fließet  burch  bag  gange  8anb  ^jeuila  uub  bafelbft  ftnbet 
man  ©olb  uttb  bag  ©olb  biefeg  Sanbeg  ift  fßftlid)"  (I.  5Rof.  2). 

(S91) 


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6 


SEBerm  auf  eine  Döüig  fifere  ©efthnmung  »ebet  beS  £anbe§ 
^enila  nof  beS  ©tromeS  ?>ifon  möglif  erjfeint,  io  barf  man 
bof  annebmen,  ba§  jenes  mit  Äolf  iS,  bet  Strom  aber  ibentiff 
mit  bem  gelbreifen  ^)^aftS  ift,  naf  »elfem  bie  Argonauten 
ififften,  um  baS  golbene  ©lief}  gu  fyolen.  3n  ber  Sage  com 
golbenen  ©lief}  ba*  fif  eine  ©rinnerung  an  bie  ältefte  ®e»in« 
nung  beS  ©olbeS  auS  bem  ©anbe  ber  Bluffe  beimfrt.  ©8  giebt 
nof  jefct  ©egenben  ber  ©rbe,  mo  man  rauhaarige  gelle  in  bie 
©äfe  legt,  um  ba8  mit  bem  ©aube  fortgefffrte  ©olb  feftgu» 
galten. 

3n  jener  dlteften  Beit  ber  fPatriarf  en  ftnben  mir  nof  feine 
©raäbnung,  baf)  baS  ©olb  ©erwenbung  gefunben.  ©rft  in  bet 
3eit  Abra^amS  (1800  o.  ©br.)  wirb  beS  ©olbeS  als  eines  S03ert^= 
objefteS  gebaft.  @8  fteljt  nämlif  gef f rieben:  „Abrabam  mar 
febr  reif  an  ©ieb,  ©ilbet  unb  ©olb"  (I.  9Jtof.  13.  2).  2)a» 
malS  ffon  gab  eS  golbene  Armringe.  2Bir  lefen,  bafe  ©liefet 
Don  2)ama8fu8,  AbrabamS  |>au8oogt,  auSgefanbt  um  für  feines 
£errn  ©oljn  eine  ©raut  in  ©tefopotamien  gu  fufen,  bie  ff  öne 
SRebecca  finbet;  ba  „nahm  er  eine  golbene  ©pange,  bängete  ft* 
an  i^re  ©tim  unb  Armringe  an  fte  $änbe  — unb  gog  \)tx* 
not  ftlberne  unb  golbene  Äletuobe  nnb  gab  fie  fftebecca"  (I.  90to* 
feS  24). 

©on  ben  ©oIbffäf)en,  »elfe  gu  ©alomo’S  3«t  (1020—  980) 
naf  Serufalem  famen,  beriftet  baS  1.  ©uf  ber  Könige.  SDie 
Äßnigin  Dom  3Reif  Arabien,  »elfe  gefommen  »ar,  ©alomo 
„mit  Staffeln  gu  Detfufen,  Derebrte  bem  Äßnige  aufjer  Dielen 
©peceteien  unb  ©belfteinen  hnbertunbgmangig  ©entner  ©olb. 
SDagu  bie  ©fiffe  £iram’g,  bie  ©olb  auS  Dptyr  führten.“ 
(I.  Äon.  10).  SDie  ©olbmaffen,  »elfe  bie  SJteerffiffe  beS 
ÄßnigS  in  gabrten  Don  je  brei  Sagten  auS  Dpb»  brachten, 
häuften  fif  gu  3erufalem  in  f elf  er  äöeife  an,  baf}  er  „200  @f  ilbe 

(394) 


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7 


oom  beften  ©olbe  machen  liefe,  bagu  300  Startfchen  nom  beften 
©olb,  je  btei  $>funb  ©olb  gu  einet  Startfche."  35er  jfönig  be« 
wahrte  biefe  <Sd>äfee  „im  <£>auS  nom  SBalbe  Libanon".  „2ludj 
machte  ber  &ßnig  einen  grofcen  ©tulp  oon  ©Ifenbein  unb  übet» 
gog  U}n  mit  bem  ebelften  ©olb.  Sßwen  ftanben  an  ben  Sehnen. 
©olcheS  war  nie  gemalt  in  feinen  Äßnigreichen.  SlQe  ürinf* 
gefafee  beS  ÄßnigS  ©alomo  waren  golben  unb  alle  ©efäfee  im 
£aufe  nom  SBalbe  Libanon  waten  auch  lauter  ©olb.  35enu 
beS  ©Ubet8  artete  man  gu  ben  Beiten  ©alomoS  nichts."  (ib.) 
Heber  bie  Sage  non  Optjir,  welches  aufcet  ©olb  unb  ©ilbet  auch 
©Ifenbein,  Sljfen  unb  Pfauen  lieferte,  ift  oiel  geftritten  worben, 
unb  noch  immer  finb  bie  SSnfichten  getheilt,  ob  mir  baS  ©olb« 
lanb  ©alomo’S  am  3nbu$  ober  an  bet  afrifanifchen  Äüfte  gu 
fuchen  hflben.  SefctereS  ift  inbefc  burch  bie  neueren  ©rforjchungen 
wahrfcheinlith  geworben,  welche  im  heutigen  3ofala  unter  20° 
©.  23r.,  gegenüber  fötabagaScar , baS  alte  Dphi*  wiebererfennen 
liefeeu. 

ISIS  ©arbanapal  ftch  mit  bet  S3urg  oon  fftinioe  oerbrannte, 
fotl,  wie  iDioboruS  ergäbt,  auf  ber  33ranbftätte  eine  fo  unge* 
heure  ÜJienge  oon  ©olb  unb  Silber  gefunben  worben  fein,  öafe 
taufenb  Äameele  nßtljig  waren,  um  biefe  ©chä£e  nach  93abplon 
unb  ©gbatana  gu  bringen.  Ungeheure  ©chäjje  oon  ©olb  waren 
in  SBabplon  aufgehäuft.  4)erobot  ergäbt,  ,ba§  in  bem  Stempel 
bafelbft  „eine  gto|e  ftj}enbe  33ilbfäule  beS  BeuS  oon  ©olb  ftch 
bepnbe;  unb  baneben  ftefet  ein  grofcer  golbener  Stifch,  unb  ©tuhl 
unb  ©chemel  finb  auch  non  ©olb,  unb  wie  bie  (Sl^albäer  fagen, 
fo  ift  bieS  alles  achthunbert  $)funb  ©olbeS  werth.  Kufjerbalb 
beS  ÜempelS  ift  auch  ein  golbener  SSltar.  @8  war  auch  noch 
gu  jener  Beit  in  bem  ^»eiligthum  eine  Silbfäule,  12  ©Den  hoch, 
oon  gebiegenem  ©olb.  9lacb  betlelbigen  SBilbfäule  trachtete 
SDareioS,  ItpftaSpeS’  ©ohn,  boch  unterftanb  er  ftch  nicht,  fie  gu 

(Wb) 


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8 


nehmen;  JcrjreS  aber,  Daretoö  Sohn,  nahm  fte  weg  unb  lieb 
ben  §)riefter  hinrichten,  bet  ba  verbot,  bie  5Mlbfäule  von  ber 
©teile  gu  rücfen"  (I.  Sud),  183). 

Die  Quellen  bet  golbenen  @<häbe  33abulon8  unb  fftiniveä 
haben  wir  wahtfcheinlich  tu  Armenien  gu  fudjea.  @te  ftnb  fett 
vielen  3ahthunberten  vetftegt.  3ene  ®olbmaf|en  ber  Jlffvrfet 
unb  ©abplonier,  fowie  bie  ©cbäfce  be$  Ärßfuö,  mit  benen  biefer 
ftürft  — ftete  vergeblich  — bie  @unft  bcp:  @ottl)eit  von  Delphi 
gu  gewinnen  ftreble,  ja  faft  t'ämmtlichefi  @olb  ber  bamala  be* 
fanuten  Gerbe  ftrömte  nach  ?>erfepoli8,  ber  ,£>auptftabt  bet  verfi» 
fdjen  SBeltmonarchie,  gufammen.  Dem  großen  älejranbet  fiel  all’ 
bie8  Gsbelmetafl  gut  Seute.  SRach  bem  Jobe  befl  £elbenföuig0 
vertheilten  jene  taufenbe  von  Zentnern  @olb  fid)  unter  feine 
f^elbherren,  um  fpäter  — nach  bem  unveräuberten  ©ejefce  ber 
3ahrtaufenbe,  bah  ba8  @olb  ein  Attribut  ber  .^errfchaft  ift  — 
allmählith  i«  9?ow  gufammen  gu  ftromen. 

3m  ÜRufeum  gu  SBulaf  bei  (Jairo  bewunbert  man  ein  tyrn* 
licheö  ©olbgefcbmeibe  ber  dgpptifdjen  Königin  von  bet  weihen 
Ärone  2lah'.£>otep,  ein  SJtufterwerf  alter  ©olbfehmiebefunft,  beffen 
Sllter  auf  3600  3ahre  gefebä^t  wirb  (f.  6.  Suf),  bie  Sufunft 
be8  ©olbeö,  ©.  318).  Denn  auch  Siegppten  war  8ot  3ahr* 
tauienben  reich  an  @olb ; e8  flammte  au8  2lcthiopien  unb  anbe* 
reu  8änbetn  De8  oberen  9lil.  !flllj5h*li<h  weihete  ^haia0  8r°ie 
ÜJiengen  ®olbe8  ber  Gottheit  im  Stempel  gu  Stäben.  5Ramje8 
thronte  auf  einem  groben  golbeneu  ©tuhl,  wenn  er  33erathungen 
leitete.  33om  groben  ©efoftriS  wirb  un8  ergäbt,  ba§  er  ben 
Slethiopern,  nachbem  er  fie  unterworfen,  einen  Stribut  an  @olb 
auferlegt  h«be.  3u  biefen  langelebenben  Slethiopern,  von  benen 
£erobot  berichtet,  ba§  fie  bie  grßhten  unb  fdjöuften  unter  allen 
SJtenfchen  waren,  faubte  Äambpfeö  .ftunbfchafter  mit  ©ejdjenfen 
an  Den  ‘Äethioperfönig,  Darunter  eine  golDene  £>al8fette.  „31lö 

(SM) 


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9 


ber  aetfyioper  biefe  faij,  ladjte  er  in  ber  Meinung,  eö  fei  eine 
teffel  unb  fagte,  Bei  ifyncn  Ijätten  fie  gang  anbere  ftarfe  fteffeht. 
©r  führte  bann  bie  öotfdjafter  in  baö  @efängni|,  ba  waren 
alle  Beute  mit  golbenen  Äetten  gefeffelt.  Denn  @tg  ift  bei  bie» 
fen  'Äetlji opern  baö  fHderfeltenfte  unb  adertijeuerfte."  ($erobot  UI. 
22,  23.) 

SBatjrenb  in  biefen  Srgaljlungen  fceö  SJatcrö  ber  ©efdjidjte 
3öai)r|eit  unb  fDidjtung  ftd)  in  anmutiger  SEöeifc  mijdjen , be> 
fi|en  wir  burd)  ©toboruö  ©iculuö  (überf.  oon  ©trotl),  33udj  III., 
©ap.  X.;  ftranffurt  1782)  eine  genaue  unb  burdjauö  guoetläffige 
- ©djüberung  t>on  ben  ägwpiijdjen  ©olbbergroerfen  auf  ber  ©Tenge 
gegen  aetfyiobien.  „$>aö  ©olb  wirb  auö  Slbern  eineö  weilen 
ddarmorö  gewonnen,  roeldje  in  einem  fdiwargen  ©eftein  auffe|en. 
3)ie  Äonige  oon  aegppten  fdjirfen  in  bie  ©olbbergwerfc  bie 
Uebeltl?äter,  bie  .Kriegsgefangenen,  bod)  aud)  biejenigen,  welche 
burd)  33etläumbung  fälfdjlidj  angeflagt  ober  im  Bot«  in’ö  @e* 
fängnil  geworfen  würben,  gumeilen  allein,  — guweilen  mit  ifyret 
gangen  SSerwanbtfdjaft;  um  tfyeilö  bie  S3erurt|eilten  baburd)  gu 
beftrafen,  t|eilö  burdj  i|te  Arbeit  gro|e  ©infünfte  gu  gewinnen. 
SDie  baljiu  ©efdjidten,  beren  eine  gto|e  B«|l  ift,  ftnb  ade  in 
geffelu  unb  arbeiten  Sag  unb  fßadjt  ofjne  einige  ©rljolung, 
wobei  ifynen  ade  ©Gelegenheit,  gu  entfliehen,  forgfältig  abgefdjnitten 
ift;  benn  Söadjen  oon  auölänbijdjen  ©olbaten  flehen  babei,  fo» 
ba|  diiemanb  burd;  ©efpräch  ober  freuublidje  Unterhaltung  einen 
»on  bet  SBadje  oerfüljten  !ann.  ©aö  tjartefte  golbljaltige  ©efteiu 
brennen  fie  in  einem  gto|en  ^euer  auö.  2)en  mürbe  gemachten 
©teiu,  ber  nun  eine  weitere  33e|anblung  burd)  ©teinmei|el  gu* 
la|t,  bearbeiten  oiele  taufenb  elenbe  9öienfd)en.  ®ie  ftärfften 
unter  ben  gu  biefem  unglüdli^en  Beben  33erurt|eilten,  genauen 
mit  fpt|igen  eifernen  jammern  butd)  blo|e  iänftrengung  ihrer 
.Kräfte,  ohne  Äunft  gu  <£ntlfe  gu  nehmen,  ben  marmorartigen 

(SW) 


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10 


Reifen,  Sie  hauen  bie  Stollen  nicht  in  geraber  8inie,  fonberu 
nad?  ber  Diichtung,  reelle  bie  &bern  beß  blinfenben  SJlarmer* 
felfenß  nehmen.  SDtefe,  ba  fie  »egen  ber  Biegungen  unb  jfrüm* 
mungen  ber  Stollen  im  ginftern  fid?  befinben,  tragen  giftet, 
bie  ihnen  an  bet  Stirne  befeftigt  finb.  Sie  müffen  oft  nadj 
SDtafegabe  ber  S3efd^affen!?eit  bet  Reifen  bie  Stellung  itjreS  &ör» 
perß  oeränbern.  55ie  außgehauenen  Bruchftücfe  werfen  fie  auf 
ben  Boben.  SDiefe  Slrbeit  Derridjten  fie  unabläjfig  unter  hattet 
Begegnung  unb  Silagen  oon  ben  8lufjebern.  «Die  Änaben 
unter  17  Sauren  gelten  burd?  bie  Stollen  in  bie  auögeböljlten 
Reifen,  Ijolen  mühfam  bie  fleineu  Stüde  ber  gerfdjlagenen  Steine  * 
herauß  unb  legen  fte  aufeen  oot  ben  ©ingang  unter  freiem 
Fimmel.  SDie  unter  30  3at)re  Sllten  nehmen  eine  beftimmte 
Portion  biefer  Bru<hftücfe  unb  gerftofeen  fie  in  fteinernen  Dörfern 
mit  eifernen  Stßpfeln,  biß  bie  Stücfe  jo  flein  finb  wie  ©rbfen. 
Bon  biefen  befommen  bie  SBeiber  unb  alten  fBtäuner  bie  erbfen» 
gtofeen  Steine,  werfen  fie  in  bie  SJtüfelen,  beten  nieie  in  einer 
9ieil)e  ba  finb,  unb  ihrer  gwei  ober  btei  treten  an  eine  Äurbel 
unb  mahlen  bie  ihnen  gegebene  Portion  gu  SJte^l.  Unb  weil 
feiner  feinem  jfßrper  einige  pflege  erweifen  fann,  ned?  einige 
Äleiber  hat,  feine  Bißfee  gu  bebeefen,  fo  fann  fRiemanb  biefe 
©lenben  fefeen,  ofene  fie  ifereß  aufeerorbentlid)  jammerootlen  3u* 
ftanbeö  wegen  gu  bebauern.  SEÖeber  bet  Äranfe  nod)  ber  ©ebredj* 
liepe  noch  baß  fchmadje  SBeib  erhalten  bie  minbefte  fRacfeficht  ober 
fDtilberung,  fonbern  alle  werben  butefe  Schläge  gegwungen,  un« 
abläffig  gu  arbeiten,  biß  fie  bem  Unglücf  unterliegen  unb  in 
biefen  «Drangfalen  fterben.  So  erwarten  biefe  Unglücflichen  bei 
biefer  übermäfeig  harten  Strafe  mit  fehnlicherem  SBunfdje  ben 
$ob  alß  bie  gortfefeung  beß  Üebenß.  3)iefe  Bergwerfe  finb  uralt 
unb  ihre  ©inrid)tung  fchreibt  fiefe  fdjon  non  ben  alten  Äönigen 
her."  — 8luß  biefer  metfwürbigen  unb  erfrhütternben  Schilbe* 

(39») 


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11 


rung  ©icborug’  gewinnen  wir  bennod}  eine  tröftlictye  lieber* 
geugung,  baff  nämlitty  bie  SDienfc^tjeit  auf  bem  SBege  ber  <£>uma* 
nität  fcrrgefdwitten  ift. 

®iue8  bemerfen8werttyen  $u8fprud)8  beg  ^»erobct  muffen 
wir  tyier  erwähnen.  „'Die  ©nben  berSBelt",  fagt  er,  „tyaben  bie 
fdsönften  ©üter  gu  ityrem  Sltyeil  befommen.  ®ag  ©nbe  ber 
SBelt  nadty  Btorgen  ift  Snbien.  — SDafelbft  ift  unenblid?  uiel 
©olb,  bag  gum  ültyeil  gegraben,  gum  SItyeit  oon  ben  ftlüfjen 
tyeruntergefütyrt  wirb  (III.,  106)."  ©egen  fUtittag  hinunter  nacty 
Sonnenuntergang  gu  grengt  bag  ättyiopijctye  Banb,  am  ©nbe  ber 
’ SBelt.  ©affelbe  tyat  »iel  ©olb  unb  ungeheure  ©leptyanten" 
ib.  113).  „Ueber  bag  ©nbe  oou  ©uropa  gegen  Slbenb  !ann  idj 
nichts  mit  23eftimmityeit  fagen.  — — ©octy  tcmmt  bag  Btnn 
»on  bem  äufjerften  ©nbe  tyer  unb  au<ty  ber  Sernftein.  3m 
Sterben  »on  ©uropa  aber  ift  fetyr  »iel  ©olb,  bag  ift  gewifj. 
SHber  wie  eg  gewonnen  wirb,  bag  fann  idty  nictyt  fagen.  Sllfo 
f<tyeinen  bie  ©nben  ber  SBelt  bag  übrige  Banb  eingufctylietyeu  unb 
in  ficty  gu  enthalten,  wag  ung  bag  ©ctyßnfte  bäudjt  unb  für  ba8 
SBerttyüoElfte  gilt."  (ib.  116.)  ©iefe  SBorte  $erobct’g  fprectyen, 
itym  unbewußt,  eine  SBatyrtyeit  auß,  welche  im  Baufe  ber  Satyr* 
tyunberte  unb  Satyrtaufenbe  ftd)  immer  wieber  bewatyrtyeitet  tyat, 
bie  Etyatfadie  nämlicty,  baf)  bie  ©ebiete  reictyer  ©olbtyrobuftion 
ftetg  an  ber  ©reuge  ber  »on  ber  ©ultur  erreichten  unb  erforfetyten 
Bänber  liegen,  ©ie  erfte  ©abe,  weldtye  jungfräulictye  Bänber  bem 
nur  gu  oft  mit  wilber  ©ewalt  einbringenben  ©ulturmenfctyen 
barbieten,  ift  Dag  ©olb.  3ft  biefe  ©rnbte  eingcbractyt,  fo  wirb 
in  langfamer  Arbeit  ba8  Banb  bem  ©ienfte  beg  Slcfevbaneg  unb 
ber  ©ultur  gewonnen. 

©afj  »or  £erobot  aucty  bie  mittleren  ‘Hegionen  beg  ben 
©riectyen  befannten  ©rbfreifeg  grofje  ©olbmaffen  geliefert  tyaben, 
ift  ungmeifeltyaft  unb  wirb  burcty  ben  ungetyeuten  fHeictyttyum  beg 

(3#J) 


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12 


8pberf6nig8  ,fttöfu8  bewiefen.  2)iefe  ©chäfee,  welche  Dem  ’-Slter* 
thum  ald  ein  ergreifenbe8  ©eiipiel  be8  2Bccbfel8  menfcfelicben 
©lücfe6  galten,  ftammten  tlieil8  au8  ben  ©ergwetfen  bet  2anb* 
fcfeaft  £roa8,  theil8  au8  betn  ©anbe  be§  gluffeS  $)adolu8.  ©o 
ergiebt  fich,  bafe  fdjon  gu  ,£>erobot’8  3eit  bic  $)robuctiou8gebiete 
be8  ©olbe8  weiter  unb  weiter  f}inau8rücften.  2)ie  ©tfenntnife, 
bafe  ba8  (Mb  weientlich  ben  jungfräulichen  Sänbern  gehöre  unb 
mit  ber  Jperrfcfeajt  fcer  ÜRenfcben  balb  terfdjwinbe,  fonnte  ficfe 
aucf)  ben  ifllten  nid>t  entziehen,  wie  eine  fehr  merfwürbige  ©teile 
bei  $Miniu8  bezeugt.  ©on  einem  Äönig  ©fubopes  ton  Äold?i3 
berichtet  $)liniu8  nämlich,  bafe  er  feljr  tiel  ©olb  unb  ©übet 
gewonnen  habe,  weil  er  ba8  £anb  in  jungfräulichem  3wftaube 
erhalten  („quia  terram  virginem  nactua.“  Lib.  XXXIII., 
Cap.  3.) 

©on  großem  3ntereffe  ift  e8,  bie  ©efdnchte  beö  ©olbe8  im 
römifdjeu  JReidje  $u  »erfolgen  3n  ben  erften  Sahfhunberten 
war  fRom  arm  an  ©olb.  ÜRit  ©taunen  erblicften  bie  fRßmet 
ben  ©olbfchmucf  unb  bie  mit  ©olb  eingelegten  SBaffen  ber 
©allict.  3m  römifdjen  ©taatöfdja^e  waren  (388  t.  ®hr-)  jenc 
taufenb  $)funb  nicht  torfeanben,  um  ben  ^rieben  Su  etfaufen. 
25ie  §rauen  hßhtren  ©tanbe8  fügten  ihr  ©olb  bem  göfegelb 
hingu,  bamit  man  nicht  genötigt  wäre,  ba8  „heilige  ©olb"  bet 
Tempel  $u  berühren  (2itiu8  V.,  50).  &18  ipäter  bie  fRömet 
fiegteich  gegen  bic  ©allier  gefämpft,  legte  bet  ©iftator  Saju8 
©ulpiciuS  ton  ber  gallifchen  Beute  auf  bem  ©apitole  einen 
nicht  unbeträchtlichen  Älumpen  ©olbeß  al8  h«üigen  ©chafe  nieber, 
beu  et  mit  Cuaberfteinen  termauern  liefe,  356  o.  ©hr*  (ib.  VII., 
15).  9Rit  bet  ÄuSbebuung  ber  £errichaft  mehrten  fidh  auch  bie 
SRafjen  ton  ©belmetall,  welche  — wie  ba8  ©lut  uad)  bem 
$er$en  — in  bet  2Belthaupt|tabt  pjammenftrömten.  ©or  allem 
waren  e8  gwei  ©teigniffe,  welche  früher  ungeahnte  ©olbjchäfee 

(400) 


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13 


nad)  Sftom  führten,  Me  ©roberuug  ©panienß  nad)  bet  hiebet* 
roerfung  Äartl)ago’8  unb  bie  Unterwerfung  33orbetafienß  «ad)  bet 
3?efiegung  35iitl)ribat’ß  beß  ©rofjen  pon  $)ontuß. 

äöaß  nad)  bcr  ©ntbecfung  pon  Slmetifa  gefdjal),  ba§  auß 
ferne«,  neuerjdjlofjenen  Üänbern  beß  SBeftenß  eine  unetmefclidie 
©olbmenge  nad)  bem  JDften  fam,  t)ier  ben  SBertl)  faft  aller 
2)inge  nmgeftaltenb,  baß  tjatte  fid)  bereits  ein  5Ual  l1/*  3al)v= 
taufenb  früher  ereignet,  alß  bie  jpanijd)»Iufitanij<f)en  ©olbjdjäfce 
nad)  9iem  gelangten.  Stuf  20  000  ^funb  fdjätjt  $)Iiniuß  bie 
©olbmenge,  weldie  jät)rlid)  in  Stfturien,  ©allaecicn  unb  Sufitanien 
gewonnen  unb  nach  ber  ^auptftabt  gebradjt  würbe.  2lm  reidjften 
fei  Stfturien,  jo  oerfidjert  %>liniu0.  (Sine  folcbe  Stußbeute  habe 
in  oielen  Sahthuuberten  fein  aubereß  8anb  geliefert.  3)er  £ajo 
wirb  alß  einer  bcr  golbrcidiften  ftlüffe  neben  bem  $)p,  bem  thraci» 
jd;en  Jpebro,  bem  9>actoIuß  in  Snbien  unb  bem  ©angeß  genannt. 
(5ö  ift  wohl  bemerfenßwerth , baff  in  feinem  biefer  glüfjc  mit 
Slußnahme  beß  ©angeß  jefct  nod)  ©olb  gewonnen  wirb,  bafc  and) 
bie  $)robuftion  auß  bem  iejjtgeuanuten  ©trcm  für  ben  SBelt« 
perfehr  pon  burdjauß  feiner  öebeutung  ift. 

SDaß  jweite,  ber  oben  angebeuteten  ©reigniffe,  bie  Unter* 
werfung  Slfieuß,  führte  ben  Dteid)tt)um  altbevül)mter  ©olblänber 
nadb  9iom.  5)ie  ©olbmenge,  weldje  in  3al)rtaufenben  fid)  in 
weiten  Üänbergebieten  tljeitß  auß  bem  ©anbe  ber  §tüffe , tl)eilß 
aue  ben  Sßetgwerfen  pon  üroaß,  ©oldjiß,  Slrmenien  jc.  auf« 
gehäuft,  bewegte  fid)  nun  nad)  5Rom.  £>urd)  unerjättlid)en 
©olbburft  jeicbnete  fidj  por  Stilen  ber  jd)redflid)e  ©uHa  auß. 
SRithribat  lief?  ben  Tctnifdjen  ©ejanbten  fbiatcuß  Slquiliuß  er« 
greifen  unb  il)m  ju  Pergamon  in  unmenfdjlidjem  ©pott  über 
bie  römifd)c  ©olbgiet  gejd)moIjeneß  ©olb  in  ben  SRunb  gieren 
(Rex  Mithridates  Aquilio  duci  capto  aurum  in  os  infudit, 
Plinius  Nat.  Hist.  XXXT1T  , Cap  3.). 


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14 


Sßäfyrenb  jene  afiati  jcfcen  ©ebiete  alte  ©ulturlänber  bat« 
ftellten,  bereu  ©olblagerftätten  bereits  erfchöpft  ober  in  bet  ©r» 
fcßöpfung  begriffen  waren,  betraten  bie  {Römer  in  ber  ibetifdjen 
.fjalbinfel  ein  in  ©egug  auf  ©olbprobuftion  noch  faft  jungfräulicheß 
Banb,  beffen  Schöße  fie  nun  mit  größter  ©nergie  311  heben  be» 
gönnen.  {Reben  jener  ©chilberung  3)iobor’ß  über  bie  ägpptifchen 
©ergwerfe,  barf  aud)  bie  ©efcßreibung  ber  großartigen  fpanifcten 
©olbgruben  unb  ber  $rt  beß  9lbbaueß  hier  eine  Stelle  finbeu. 
£öchft  anftbaulid)  fc^ilbcrt  ^Miniuß  biefe  SBetfe,  „welche  bie 
Arbeiten  ber  ©igantcn  noch  übertreffen".  „9Jlan  h^hlt  33erge 

auß,  erblicft  wäbrenb  oieler  SRonate  ben  5£ag  nicht. 5Ran 

läßt  'Pfeiler  flehen,  welche  bie  25ecfe  tragen.  — Um  biefe  fpäter 
gum  @inftut3  3U  bringen  unb  ben  gan3en  ©erg  30  bewältigen 
gerftört  man  ben  Scheitel  ber  ©ewÖlbe,  Dom  leßten  beginnenb. 
2)aß  3eichen  3um  ©infturg  wirb  gegeben;  ber  auf  bem  ©ipfel 
beß  ©ergeß  befteDte  SBächter  terftebt  allein  baß  Seichen  unb  läßt 
burch  SBort  unb  ©etöfe  bie  Arbeiter  fcbneU  auß  ber  ©rube 
rufen,  inbcm  er  felbft  gleidbfaQß  flieht.  3)er  geborftene  ©erg 
rollt  weit  fort  mit  unglaublichem  jVtacben.  Siegreich  flauen 
bie  9Renfcbeu  auf  bie  Berftörung  bet  SBerfe  bet  {Ra  tut  (Spectant 
vietores  rumam  naturae).  SDaß  ©olb  3eigt  ftd}  ittbeß  noch 
nicht,  ©ine  anbere,  gleich  3to§e  ober  noch  gewaltigere  ’Irbeit 
ift  nun  3U  oollenben.  Slüffe  müffen,  um  bie  ©ergeßtrümmer  gu 
wafthen,  ^etbeigefü^tt  werben,  3nweilen  h«nbert  Steine  weit 
(20  bentfcße  5Reilen).  Corrugi  heißen  biefe  SBafferleitungen. 
Sie  müffen  ein  ftarfeß  ©efäöc  haben,  bamit  fie  burdj  ih« 
Strömen  eine  Slrbeitßfraft  barftellen.  3)eßhalb  wirb  baß  SBaffer 
Don  ben  ßöchften  fünften  herabgeleitet,  bamit  ber  ©ach  weh1 
ftür,t  alß  fließt.  Shal3ehänge  werben  burih  hohe  Slquäbncte 
oerbunben,  Seifen  burchbrocßen,  um  SBafferleitungen  auf3uneßmen. 
5)et  Ülrbeiter  hängt  an  Seilen  oor  ber  Sefßwanb  unb  erfcheint 

(402) 


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15 


auä  ber  Betne  wie  ein  ÜBogel.  2Bo  e$  einen  Stanbpunft  für 
SRenfcben  nicht  giebt,  ba  frfjafft  ber  SDienfcb  ein  Söett  für  (Ströme. 
9Jtan  führt  bie  Leitungen  burcfe  Ijarte  unb  wiberftanb8fäi)ige 
©efteiue  unb  »ermeibet  brüdjigeö  Krbreidj.  §lm  Urfprung  ber 
Seitungen  auf  ben  ©ipfeln  bet  33erge  werben  Seiche  au8gegraben, 
200  gu§  im  Duabrat,  10  Sufi  tief.  SDa0  Saffer  witb  geftaut 
unb  wenn  bie  Seiche  gcfüQt  finb,  bie  Sd)leufen  aufgejogen. 
9Jitt  feiger  (Gewalt  ftürjt  ber  33acb  babiu,  bafj  er  Reifen  mit 
ftd>  fortreifjt.  9iod)  eine  fernere  Arbeit  mufj  in  ber  Kbene  aue» 
geführt  werben,  '.Ableitungsgräben,  Agogae  genannt,  mit  allmäb» 
lieb  »erminbertem  ©efälle.  SRaufyeß,  bem  Sioämarin  äbnlidjeö 
Saubwerf  unb  Steifer,  werben  ^ineingelegt,  um  baö  ©olb  gurücf» 
ju^alten.  35ad  SBaffer  führt  bie  fchwebenben  Streite , bie  ju 
Schlamm  gert^eilten  SJergtrümmer  in’8  SReet.  So  bat  Spanien 
bem  Dcean  fefteß  Sanb  abgewonnen.  S>a8  burd)  fotc^e  bpbrau» 
lifebe  Strbeiten  (Arrugia)  gewonnene  ©olb  wirb  nicht  gefdjmolgen,' 
e8  ift  febon  rein  unb  gebiegen.  ©anje  Älumpen  ©olbeS,  über 
10  'pfunb  fdjwer,  werben  gefunben,  Palacrae  con  ben  ^ifpaniern, 
»on  Slnbeteu  Palacranae  genannt,  mätjrenb  bie  fleinen  ©olb» 
förner  Balux  ^ei§en.  25ie  StoSmarinftauben  werben  getroefnet 
unb  oerbrannt  unb  auf  feinblättrigen  SRafmftücfen  gewafdjen, 
bamit  ber  ©olbftaub  $u  33oben  fällt."  — SDiefe  merfwürbige 
Scbilberung  beö  ^Miniuö  beweift,  bafj  jdjon  oor  3Wei  Sabrtaufen* 
ben  bie  Störner  mit  ähnlichen  bpbraulijchen  Anlagen  bie  ©olb» 
lagerftätten  auSbeuteten,  wie  fie  jefct  in  grofjartigfter  SBeije  in 
Kalifornien  benufct  werben.  — 93ou  Jntereffe  für  ben  alten 
©olbreicbthum  ber  iberifeben  $albiufel  ift  wol)l  eine  3nfchrift, 
welche  fich  ju  Jbanha  JBel^a  im  öftlichen  Portugal  gefunben,  in 
welcher  ein  gewiffer  Situö  KlaubiuS  Stufuä  bem  Jupiter  Dpti» 
mu8  9Jtajrimu6  55anf  fagt  für  bie  !Äuffinbung  oon  120  ipfunb 
©olb.  33ergeblich  waren  alle  in  neuerer  3eit  gemachten  33er® 

(403) 


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16 


fucße,  bie  alten  itogerftätten  Spaniens  wiebet  in  Slbbau  ju 
nehmen.  Sie  Spanien,  fo  finb  auch  ankere  Steile  gurcpa’S 
längft  erfdjöpft.  S0?it  Ueberrafcßung  lefen  mir  bei  ^liniuS,  baß 
baS  jeßt  |'o  metaÜarme  SDalmatien  ju  9lero’S  3eit  ©olb  geliefert 
habe,  ilu  einzelnen  Stagen  grub  man  50  $)funb;  eS  lag  gang 
nahe  bet  Oberfläche,  unmittelbar  unter  bem  fRafen  (in  summo 
cespite).  Slud)  ©aUieu  mu|  in  bet  Süor^eit  reich  an  ©olb  ge* 
wefen  fein,  fRacß  Strabo  gewannen  bie  Stectofagen,  welche  im 
föblicßen  gtanfteich  non  SLotoffa  bis  ju  ben  ^ptenäen  wohnten, 
baS  ©olb  in  ihrem  eigenen  8anbe.  3eßt  liefert  gtanfreidß  feine 
nennenSwertße  5ftenge  ©olb.  So  »orbereitete  fich  im  weiten 
fRötnerreicß  eine  ©rfchßpfung  ber  8änber  an  ©olb. 

„3)ie  ©nben  bet  Seit  befißen  bie  fcßönften  ©fiter",  fo 
lauteten  bie  DerßeißungSooflen  Sorte  £erobot’S.  SDurcß  baS 
ganje  2lltertßum  uub  burch  baS  SDlittelalter  pflanjte  fich  biefelbe 
SBorfteHuug  fort.  3a,  eS  hatteu  ähnliche  3been  auch  t^rert  Stßeil 
an  ben  großartigen  Plänen  beS  ©olumbuS,  ben  Dften  auf  roeft» 
lichem  Sege  gu  erreichen.  SDen  äußerften  Dfteu  bilbete  nach 
ber  SBorfteHung  jenes  3ahrhunbertS  3ipangu  (Sapan),  »on  wel* 
djem  SDiartin  Söeßaim  fchreibt:  „©ipango,  bie  ebelft  unb  reichft 
3nful.  — Sn  bet  Snful  wecßft  fibertrefflich  »il  golbtS  :c." 
(^etcßel,  3eitaltev  ber  ©ntbecfungen,  S.  126).  Seit  im  Seften 
füllte  hingegen  liegen  bie  fabelhafte  Snfel  Slntiglia.  3m  3aßre 
1414  gelangte  ein  portugiefifcßeS  Schiff  in  bie  fRäße  biefer  Snfel, 
traf  bort  cßriftlicße  33erooßner  unb  entbecfte  ©olb  im  ©rbreicß. 
SDaS  golbreicße  Sipangu  war  baS  3*el  beS  ©olumbuS.  '<!tm 
12.  October  1492  lanbete  baS  fleine  ©efcßwaber  auf  ber  Snfel 
©uanaßani  ober  S.  Salnabor,  jeßt  SatlingS*3nfel.  Scßon  an 
biefem  erften  Stage  crblicften  bie  Spanier  mit  Sefriebigung  unb 
SSegierbe,  baß  bie  ©ingeborenen  ©olbftücfcßen  in  ber  burcßboßr* 
ten  SRajenwanb  trugen.  3e  weiter  nach  ßften  bie  Schiffe  famen, 

(404) 


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17 


um  fo  grßfjet  würben  bie  im  ©eftfce  bet  3«bianet  befinblidjen 
©olbförnet,  welche  bereitwiUigft  für  ©tagperlen  unb  getingen 
$anb  bingegeben  würben.  9118  ber  9lbmiral  nad)  ©ntbecfung 
ber  neuen  SSelt  feinen  feierlichen  ©ingug  in  ©eeitla  ^iclt,  wur* 
ben  Papageien  unb  ©olbflumpen  oor  ihm  Ijergetragen.  35ieg 
war  ber  Anfang  jener  3ahrhun*)erte  anbauernben  ©olbftrömun* 
gen,  welche  non  Slmetifa  über  ben  Dcean  nach  ©utopa  fid)  et» 
goffen.  Spielte  ichon  bei  bem  erften  gtofcen  ^rojefte  ber  ©olb* 
reichthum  ber  gu  eutbecfenben  Säubet  eine  wefentliche  SRotle,  fo 
würbe  nun  ©olbburft  bie  mächtige  Sriebfeber,  welche  bie  füllen 
Sonquiftaboren  oorwärtg  trieb.  UeberaU  fanben  fich  unerhörte 
URaffen  non  ©olb,  fowohl  anf  ben  Snfeln  ©uba,  #at)ti,  Samaica 
alg  auf  bem  geftlanbe  ©entralamerifa’g,  in  £onburag,  SRicaragua, 
©oftaricca,  ©eraguag.  35ag  „golbene  Gaftilien"  — fo  würbe 
bamalg  biefer  $lh£ii  ber  ©rbe  genannt,  ©o  uiel  beg  ©olbeg  in» 
befj  bie  ©roberer  bereite  erbeutet  Ratten,  — bie  fernen  nod)  un* 
entbecften  ©ebiete  beg  ©ontinentg  fthienen  ftetg  noch  größere 
©djäfce  gu  bergen.  3n  ber  SEtjat  übertraf  ber  ©olbreidjthum 
9)eru’b  bie  fühnften  ©rwartungen.  @g  waten  41  3ahr£  na<h 
ber  ©ntbecfung  9lmerifa’g  oerfloffen,  alg  ber  unglücf liehe  3nfa 
9ltahuallpa  in  feinem  ©efängnifj  gu  ©ajramarca  („groftftabt"), 
einem  3'wmer  oon  22  gufc  8änge  unb  17  git§  ©reite,  ein  3eid)en 
an  ber  SRauer  machte,  um  bie  -jpöhe  gu  begeichnen,  big  gu  wel* 
eher  er  ben  ©autn  mit  ©olb  füllen  wolle,  wenn  mau  ihm  bie 
Freiheit  fdjenfe.  35er  oerrathene  unb  gequälte  gürft  fagte,  „ba§ 
©olb  in  ©arren,  glatten  unb  ©efäfjen  foHe  fo  h£d)  aufgetljürmt 
werben,  wie  er  mit  ber  .£>anb  reidjen  föuite."  ©ilboten  gingen 
nach  allen  £h£il£»t  feines  weiten  ?Reid)eg.  Um  ben  gürften  gu 
befreien,  gaben  nicht  nur  bie  Untertanen,  fonbern  audj  bie  be« 
rühmten  ©onnentempel  oon  ©ugeo,  9>ad)acamac,  ^uaolag,  |>u a* 
machuco  ihre  golbenen  ©chätje  l)£r-  3n  biefen  Tempeln  bilbeten 

XIV.  324.  323.  2 (103) 


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18 


grofje  ©Reiben  oon  ©olb,  auf  welche  bie  aufgehenbe  ©onne  ihre 
(Strahlen  warf,  beit  Sötittelpunft  beS  (SultuB.  SDie  SBänbe  unb 
bie  SDecfen  waren  mit  ©olbplatten  befleibet.  3m  Stempel  gu 
Gugco  fafjeit  auf  ihren  gclbenen  Sthronen  bie  SKumien  ber 
Äönige,  ber  ©onnenfohne.  ©olbene  ©arten  (Huertas  de  oro), 
welche  mit  ben  ©onnentempeln  »etbunben  waten,  erwecften  bie 
hßchfte  SBcwunberung  ber  ©panier.  SDarin  ftanben  nadjgebilbet 
in  reinftem  ©olb  Säume  mit  8aub  unb  grüdjten,  Sögel  auf 
ben  Steigen  fifcenb.  SIS  befonberS  gelungen  wirb  bie  9tadh* 
bilbung  bet  SERaiSftauben  mit  ihren  Äolbeu  gerühmt.  (Such 
©alomo  liefe  fchon  gunt  ©chmucfe  beß  Tempels  Slumen  in  ©olb 
nachbilben.  1.  Äon.  7,  49).  SDodj  webet  bie  golbencn  ^flaugen, 
noch  bie  ©eräthe  unb  ©onnenbilber  retteten  bem  3nca  baS 
£eben.  — SIS  baS  in  ben  Rauben  ber  Snbiauer  beftnblidje  ©olb 
mit  Sift  ober  ©ewalt,  oft  unter  Snwenbung  ber  Stortur,  geraubt, 
brachte  ber  ©olbreicfethum  beS  ganbeS  ein  neues  Serberben  über 
fie.  Um  fie  gut  Srbeit  in  bSn  ©olbwäfchen  unb  = ©ruben  gu 
nerwenben,  würben  ade  3nbianer  für  unfrei  unb  gu  Änedjten 
bet  Sheifeen  erflärt.  ©ie  mußten  unter  fchweren  SBebrücfungen 
baS  ©olb  theilS  auS  beu  glüffen  wafchen,  theilS  auS  ben  ©an» 
gen  beS  ©ebirgeS  burdj  ©rubenbau  gewinnen.  SDet  fchweren 
Srbeit  ungewohnt  gogen  bie  Sermfteu  ben  freiwilligen  Stob  ber 
übermäßig  harten  Srbeit  oor.  „Glicht  bloS  gamilien,  fonbern 
gange  SDorfgemeinben  luben  fich  gu  gemeinfchaftlichcm  ©elbft* 
morb  ein"  (fPefcfeel,  Beitalter  ber  ©ntbecf  ungen,  @.  548).  ©c 
würbe  baS  golbveiche,  eiuft  bicht  beoölferte  £apti  menfchenleer. 

fftadjbem  baS  ^»oihlanb  ber  Snbeu  oon  ©cuabot,  ^)eru  unb 
Solioia  mit  feiuen  ©olbfdjäfeen  in  allgemeinen  Umtiffen  fchueH 
befannt  geworben,  entftanb  eine  ber  feltfamften  unb  gugleidj 
mächtigften  äßahnoorftelluugen,  welche,  SßfeS  unb  ©uteS  wirfenb 
in  ber  ©efc^id^te  ber  SJienfchheit  aufgetaucht  finb.  @8  war  baS 
<**) 


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19 


SBaljngebilbe  etne§  Glborabo.  Stele  Saufenbe  »on  Gentnern 
©olb  Ijatte  man  erbeutet  utib  ©panien  war  baö  an  GbelmetaK 
reidjfte  ganb  ber  SBelt  geworben.  £Dod)  bteS , fo  wähnte  man, 
fei  »erjdjwinbenb,  fei  nichts  im  Sergleidje  gu  ben  ©cfyäfjen, 
welche  im  3nnetn  ©übamerifa’S  »orljanbeu  feien.  JDort  läge, 
fo  glaubte  man  unerjdjütterlidj,  bie  £auptftabt  einer  neuen  3nca» 
SDpnaftie;  bie  ©tabt,  »om  ©ee  ^arime  umfloffen,  tyabe  auS 
©olbqitabern  erbaute  ÜJlauern.  Gine  Befdjreibung  unb  Äarte 
beS  SanbeS  unb  ber  golbeneit  ©tabt  9)?anoa  war  bereits  er* 
ftfyicnen.  2)ieS  erfeljnte  SDorabo  gu  erreichen,  würben  grojjattige 
Gypebitioiten  auSgerüftet,  welche  »om  ,£)od)lanbe  in  bie  unge« 
teuren  SBalbgebiete  beS  SBeftenS  tyinabftiegen,  o^ne  etwas  anbe* 
reS  gu  finbeu,  als  JRiefenftröme,  ©ümpfe  unb  unburcpbringlidje 
SBälber.  3>er  ©laube  an  baS  2)orabo,  weites  wäljrenb  beS 
16.  3al)r^unbertS  über  jeben  Bweifel  ergaben  fdjien , fanb  nodj 
bis  gu  Gnbe  beS  »origen  3al)rt}unbertS  überzeugte  Slufyänget, 
weldje  in  bie  ©uapana»SBälber  einbrangen,  um  baS  3'«l  ityrer 
Begierbett  gu  erreichen.  25ie  golbene  SRptlje  würbe  uom  gufje 
ber  SInben  immer  weiter  nadj  JDften  »erlegt;  fo  würbe  ber  fub» 
amerifanift^e  Gontinent  feiner  gangen  Breite  nat^  burdjwanbert, 
aber  bie  ©tabt  mit  ben  golbenen  Sölauern  würbe  nidjt  gefunbett. 

SDie  erwähnten  üänber  ber  neuen  SBelt,  bie  Antillen,  Gen* 
tral*2lmerifa,  Golumbien,  Gcuabor,  ^eru,  lieferten  — fo  fann 
man  annetjmeu  — ityre  ©olbmaffen  innerhalb  gweiet  3afyrfyun* 
berte  nadj  Guropa  ab.  ^Darauf  oerfiegten  bie  Quellen  biefer 
$)robuftion  ober  floffen  nur  in  äufjerft  geringer  üRettge.  GS 
traten  nun  mit  ifyren  ©djä^en  Brafilien  unb  bie  ^Matalänber 
tyercor.  3m  3al)re  1680  würbe  in  ber  $ro»ing  ÜJiinaS  ©eraeS 
baS  erfte  ©olb  aufgefuttben,  balb  barauf  folgte  bie  Gntbecfung 
beS  GbelmetaOS  in  ben  |)ro»ingcn  ©opag  unb  ÜJiatto  ©roffo. 
S?ludj  in  Braftlien  war  eS  unerfättlidjer  ©olbburft,  welker  bie 

2 * (W7) 


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20 


Sftenfdjen  oorwärtß  burch  pfablofe  2öilbniffe  unb  über  ©ümpfe 
trieb.  3>ie  3as*>  na$  ®0^  führte  3ut  f<hnetlen  3luffd)lte§uua 
bet  »eiten  8anbertäume  33rafilien8  unb  Uaplata'ß.  „3 m ©üben 
SBrafilienS, " fo  tt)eüt  ^>rofeff or  ©üf}  unß  mit,  „war  im  16.  3ai)r* 
fyunbert  auß  einer  Sermifchung  ber  erften  europäifchen  2tnfiebler 
mit  bet  ursprünglichen  SBeoölferung  ein  eigenthümlicheß  net* 
wegeneß  unb  außbauernbeß  ©efchledjt  non  SJtenjdjen  entftauben. 
©ic  nannten  fid}  ^auliften.  3h*  ^auptfa^lidjet  ©twerb  Scheint 
ursprünglich  ©flaoenhanbel  geweSen  ju  fein.  SBeitljiu  burdjreiften 
fte  gu  biefem  3®«tf  baß  3nnere  beß  Sanbeß  unb  fie  waren  eß, 
burd)  toeldje  guetft  ber  ©olbretchthum  beffelben  befannt  würbe. 
3n  fleinen  ©paaren  wagten  fie  eß,  burch  ben  tropifchen  Urwatb 
bis  §)eru  ju  bringen.  3afyltei$e  $>auliften,  hoch  auch  ©uropaer 
gogen  in  bie  SBilbnifj,  um  ©olb  gu  graben."  35a  brach  tobt» 
lieber  $afj  jwif^en  ihnen  auß.  @8  fam  3U  förmlichen  ©djlach» 
ten,  in  benen  bie  $)autiften  unterlagen.  3)er  SSobtenfluji,  Rio 
das  Mortes,  in  bet  ^roöing  SDiinaß  ©eraeß  bewahrt  bie  ©r» 
innerung  an  ein  grofjeß  ©emefcel,  welchem  eine  ©c^aar  non 
SPauliften  3um  Opfer  fiel.  fftamenlofe  33ebrängniffe  unb  ©efah* 
ten  hatten  biejenigen  ©paaren  3U  beftetjen , welche  baß  reiche 
©upaba,  ?)ro»in3  SJiatto  ©roffo,  auf  bem  ^araguap  3U  erreichen 
fttebten.  „3m  Sahre  1730  erschienen  bie  SBUben  mit  einer 
Blotte  non  80  ©anotß  auf  bem  Bluffe,  unb  noch  1733  würbe 
eine  auß  ©.  'Paulo  fomtnenbe  ©djaat  oon  50  23oten  mit  weiten 
SDienfdjen  oon  ihnen  angegriffen  unb  3crftört."  3)och  enblid) 
würbe  aud)  oon  jenen  im  Snnetn  beß  ©ontineutß  liegenbeit 
golbreichen  £änbern  bauernb  Sßefifc  genommen,  eine  Äriegßflotille 
hielt  bie  S3erbinbung  auf  bem  §)araguap  offen,  ©o  war  33ra* 
filien  wahrenb  beß  oorigen  3ahrhunbertß,  nach  ber  ©tfchöpfung 
ber  fpanifchen  Uänber,  baß  wichtigfte  golbprobucirenbe  ganb  ber 
©rbe.  3öie  grofj  ber  Sleidjthum  war,  erhellt  auß  ber  ühatfad)e, 

(408) 


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21 


bap  bic  portugiepfcbe  jfrone  allein  au8  ber  fProning  9Jtina8 
@era£8  als  Quinte  (‘/5  ber  9>robuftion)  im  3fthte  1754 
1708  Älgr.  ©olb  erhielt.  SlHmäblid)  »erpegten  auch  biefe  braP* 
lianifdjen  ©olbqueHen.  3n  unterem  3a^unbert  weift  baß 
Äaiferteicb  nur  wenige  reiche  ©olbgewinnungen  burd)  Söergbau 
(g.  S3.  Gongo  socco)  auf,  weldje  inbep  ppneÜ  wieber  auf  ein 
Minimum  perabfanfen. 

Söir  »etbanfen  21.  ».  £umbolbt  eiue  forgfältige  (Ermittlung 
ber  fDiaften  non  ©belmetaQ,  welche  2lmerifa  in  bem  3eitraum 
ton  1492—1803  geliefert  fyat.  S)ie  betreffeuben  Summen  — 
fidjetlid)  eher  gu  niebrig  als  gu  p°<h  gefcpapt  — betragen 
5858  SKiHionen  fReidbßmar!  an  ©olb  unb  18  932  fföitlioncn  fföarf 
an  Silber.  3ene  ©olbmenge  ftellt  ein  ©ewidp  bar  non  42  504 
©entuern  (ä  50  Ägr.),  baß  Silber  wiegt  2112  789  ©entner. 
©ine  noch  beutlicpere  üßorftellung  biefet  BJlaffen  non  ©belmetaH 
gewinnen  wir,  inbem  wir  bie  SSolumina  beregnen,  welche  Pe 
eiunepmen  würben.  3ene8  ©olb  bilbet,  als  gemogene  SRaffe 
gebaut,  109  ©ubifmeter;  ba8  Silber  10  061  ©ubifmeter. 

tDurcp  bie  Spat  beS  ©olumbuß  würben  biefe  ©cpape  er* 
fdpoPen  unb  ber  alten  Söelt  gugefüprt.  Sepien  fiel)  ba  niept 
gu  erfüllen  bie  SBepfagung  3cfaia3  (16,  17):  „3<h  will  ©olb 
anpatt  beS  @rge8,  Silber  anpatt  beS  ©ifenS  bringen",  unb 
(16,  20)  „S)eine  Sonne  wirb  niept  mehr  untergeben!"  güt 
ben  frommen  ©lauben  beS  ©olumbuß  wenigftenß  war  nur  eine 
äßeifjagung  in  ©rfüHung  gegangen,  wie  bie  SBorte  in  feinen 
$)rofecta8  beweifen:  „3dj  wieberpole  e8.  gum  ©elingen  be8  in» 
bifepen  Unternehmend  nüpten  mir  webet  Scpatfpnn  notp  BRatbe* 
matif,  noep  SBeltfarten,  e8  erfüllte  fiep  nur,  wa8  SefaiaS  »er* 
fünbet  ^atte."  SEBelcp’  ewig  benlwütbige  Sehre  erwüdjft  au8 
biefer  Xhatfache,  bap  fetbft  bet  ©eift  eines  ©olumbuS  einer  fol* 
d>en  Selbfttäufcpung  anheimpel! 

(W9) 


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22 


©egen  ©nbe  be8  »origen  unb  in  bcr  erften  Jpälfte  beS 
gegenwärtigen  3ahrhunbert8  weift  bie  ametifanifdje  ©olbprobuftion 
nur  geringe  ÜRengen  auf;  man  hätte  glauben  fönnen,  ber  weite 
Kontinent  fei  an  biefem  ©belmetall  erjchöpft.  9ioch  aber  gab 
eB  faft  unberührte  Sänbergebiete,  beren  ®olbfd)ähe  auSgubeuten 
ber  gweiten  Hälfte  unfereS  3abrhunbertS  »orbehalten  blieb.  &eb» 
ren  wir  irtbe§,  be»ot  wir  unfere  SMicfe  nach  ©alifornien  wenben, 
nochmals  nach  ©uropa,  nach  2>eutfchlanb  gurücf.  — SacituS 
fagt  im  5.  ©apitel  feiner  berühmten  Schrift  „De  Germania“ 
»on  unferen  Vorfahren:  „©olb  unb  Silber  ift  ihnen  oerfagt; 
ob  burd)  ©nabe  ober  3orn  ber  ©ottljeit,  will  ich  nicht  ent* 
fcheiben.  SDennod)  möchte  ich  behaupten,  bah  feine  Slber 
in  JDeutfchlanb  Silber  ober  ©olb  ergeuge.  3Denn  wer  hat  nach* 
gefugt?  Sein  33efih  unb  ©ebrauch  macht  ihnen  nicht  gar  »iel 
au8.  Sie  gehen  mehr  auf  bad  Silber  al8  auf  ba8  ©olb  au8, 
nicht  auö  Neigung,  fonbern  weil  bie  Silberftücfe  ihrer  3ahl  nach 
leichter  311m  33etfehr  gu  gebrauchen  finb  für  Seute,  welche  allerlei 
unb  geringe  25inge  laufen."  — 8ange  »or  SJacituS  würbe  inbeh 
fdjon  burd)  bie  $auri8fer,  einem  celtifchen  Stamme,  in  iRoticum 
(welches  »on  ben  tRömern  nicht  gu  ©etmanien  gerechnet  würbe) 
©olb  gegraben;  eS  finb  bie  eblen  Sagerftätten  »on  Dberfärnten 
unb  bem  angrengenben  Saigburger  8anbe.  55er  ©otbreicbthum 
$RoricumS  muhte  für  bie  fRömer  ein  befonberer  93eweggrunb 
fein,  ba8  guoot  freie  33olf  gu  unterwerfen,  15  ».  ©hr.  55ie 
reichen  ©olbgruben  gingen  in  ben  Sefifc  ber  tRömer  über,  ihre 
Uanbljaufer  erhoben  fid)  in  ben  fdjönen  2ha^^enen,  währenb 
bie  tjeimat^toS  geworbenen  UanbeSbewohner  in  bie  ©ebirge 
flohen.  ©8  erhob  ftd)  bie  93ergftabt  Seurnia  nahe  bem  3u* 
fammenfluh  ber  5JtöH  unb  25rau,  fie  blühte  bis  in  bie  ÜRitte 
be8  5.  3ahrhunbertS.  55a  brachen  »on  Often  het  bie  Slaoen 
ein,  römifche  Sprache  unb  ©ultur  »erfchwanb,  bie  ©ruben  wur* 

(410) 


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beit  oetlaffen.  ©twa  brei  3abrbunberte  beftanb  baS  carantanifcbe 
JReid)  bet  Slaoen,  bann  erfcbienen  bakifdje  93ölfet  unb  baS 
ganb  würbe  admäblid?  beutfdj.  [Run  würbe  audj  ber  SSergbau 
nad)  mebrbunbertjäbtiger  [Ruhe  wiebet  aufgenommen  unb  bie 
eblen  ©änge  bis  gu  ben  haften  ©ebirgSfämmen  »erfolgt. 
SBäbrenb  beS  15.  unb  16.  SabtbunberiS  erreichte  bie  oberfävnt» 
neriidje  ©olbgewinnung  iljre  ^ö^fte  SMütbe.  ÜDie  Slngabl  ber 
©ruben  ging  in  bie  Staufenbe.  3Der  Söertb  beS  jäbtlid)  pro* 
buchten  ©olbeS  betrug  in  ben  Sagten  1460-  1560  etwa 
15,800,000  dRatf,  eine  für  bie  bamaligen  Sertfyoetfyältniffe  ge* 
wifj  aufjerorbeutlid)  grofje  Summe.  Sie  übertrifft  faft  um  ba8 
Sßierfatbe  bie  jefcige  ©efammtprobuftion  »on  SDefterreic^'Ungaru. 
®er  SBetfad  ber  blübcnbeu  ©olbgtuben  »on  Zehnten  unb 
Saigburg  füllt  eines  ber  bunfelften  Slätter  ber  ©ejd}id)te.  „5)ei 
t'utber’S  [Reformation  ergriff  beinahe  gang  Äärnten  unb  Steier* 
marf,  bie  winbifdjen  SDrtfdjafte«  ausgenommen,  beffelben  Partei. 
SöefonberS  aber  waren  bie  ^Bergleute  als  SJldnner  »on  freier 
SDenfungSart  betfelben  iJe^te  gugetljan.  — ©nblid;  gelang  eS 
ber  fatbolifd)en  ©eiftlidjfeü,  oov  adelt  bem  SBifdjof  ©eorgiuS 
StobaeuS  oon  &toant,  SBerfaffet  ber  ©piftel  „De  resecandis 
funditus  Hacreticorum  reliquiis“  ben  ^>of  ba^in  gu  bringen, 
ba§  bie  Srucferifcbcn  SanbtagSoertrdge  aufgehoben  würben  unb 
gu  Anfang  beS  16.  3abrbunbert3  ein  ©bift  erf^ien,  »ermöge 
welkem  aden  ©oangelifcb»©efinnteu,  weldje  fid?  nid}t  binnen 
brei  dJionatSfriften  fatbolifd)  erfldtett  unb  bei  ihrem  orbentlüben 
Pfarrer  bie  Saframente  empfangen,  baS  8anb  gu  räumen  an» 
befohlen  worben".  2luf  biefen  SBefebl  refignirten  am  2.  3uni 
beffelben  SabreS  ade  SBeamten  gu  Steinfelb  auf  ihre  Stemter  unb 
wanberten  auS.  5Mafi  ©rlbecf,  Sergricbter  oon  ©aftein,  würbe 
1584  ber  eoangelifdjen  Religion  falber  auS  bem  Uanbe  Saigburg 
gejagt,  @t  würbe  SBergricbter  gu  Steinfelb  in  Ädrnten.  $Da 


24 


traf  ihn  auch  ^ter  ba§  neue  $)roffrihtion8etift.  „Gr  erflarte 
fidf  ben  fürgehaltenen  2lbfchieb  in  untertänigem  ©ehotfam 
bemüthiglid)  angunehmen  bereit,  bieweileu  et  non  feinet  »er 
55  Sagten  einmal  erfannten  unb  befannten  ^Religion  Stugfipur» 
gifdjer  Gonfeffton  mit  reinen  unoerfehrten  ©ewifjen  nicht  ab« 
weidien  fönne."  SDa  (efen  wir  eine  bemiitljigfte  33itte  gasreicher 
färntnerifdjer  ©ewerfe  au8  bem  £erbft  1600  an  ben  Berg« 
richtet  gu  ©teinfelb  um  eine  gütfpradje  bei  bem  Dberftberg* 
meifter,  „ba§  er  ihnen  bei  ben  lanbeöfürftlichen  Gommiffaren, 
bie  ihnen  bei  Berlietung  #ab’  unb  ©ut,  2eib  unb  8eben,  inner« 
halb  14  Stagen  aufjer  2anb  gu  gieljen  befohlen,  einen  längeren 
üermin  ermtrfen  möchte,  bamit  fie  nur  ben  fd)meten  Sinter  mit 
ihren  Seibern  unb  Keinen  Äinbern  nicht  auf  ba8  weite  gelb 
bürften."  ©attge  ©emeinben  nor  bie  fReligionlkommiffäre  ge« 
forbert,  erflärten  einmüthig : „twn  ber  9lug8putgifchen  Goufeffion 
nicht  abguweichen,  auch  mit  Berluft  non  8eib  unb  Sehen,  ®ut 
unb  Blut."  SDer  Sanbtagöabjchieb  nom  12.  gebruat  1604  brachte 
bie  fd)lief)!icbe  Gntfdjeibung  über  baö  ©chidfal  nicht  nur  ber 
Gnangelifchen,  fonbern  beb  gangen  färntnerifchen  Sanbeö.  SDet 
Bergbau  blieb  ohne  Arbeiter,  bie  ©ruben  verfielen,  neue  Bau* 
luftige  unb  Bergoerftänbige  waren  nicht  norhanben,  Betriebfam» 
feit  unb  Grwerb  oerfiegte,  bie  ^rooing  würbe  entoolfert.  „9lun 
ftehen  — fo  fdjreibt  1789  Garl  u.  $>loper,  bem  bie  obigen  £hat* 
fachen  entnommen  ftnb;  oergl.  6.  fRodjata  „3>ie  alten  Bergbaue 
auf  GbelmctaHe  in  JDberfärnthen"  in  3ahrb.  b.  f.  f.  ©eolog. 
JReidjöanftalt  1878  — brei  anjehnlidje  SRarftflecfen  alb:  (Stein* 
felb,  Ober* Bedach  unb  SDöHach  in  ©rofjfitchheim,  bie  ihre 
Gjrifteng  blo8  ben  Bergwetfen  gu  banfen  haben  unb  beren  maffioe 
Raufer  ben  fReichthutn  unb  Soljlftanb  ihrer  ehemaligen  Gigen« 
thümer  angeigen,  an  Snwohnern  leer,  bie  it^älev  in  benen  fie 

liegen,  unb  ihre  Bewohner,  bie  ihren  hauhtfächlidjen  Berbienft 

(112) 


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25 


ton  ©ergroerfen  gegen,  ftnb  aufjer  DtabrungS*  unb  GontributionS* 
ftanb  gefegt,  bie  ©ruben  auö  Eftaugel  bet  bauluftigen  ©ewerfen 
unb  Arbeitet  »etfaHen,  bie  3nbuftrie  gehemmt,  ber  ülcferbau  oer» 
minbert  unb  alles  bieS  ftnb  traurige  folgen  beS  unfeligen  Sana» 
tiSmuS  unb  Sntolerang,  bie  bem  .^ergogtbum  tarnten  eine 
SBunbe  »erfebten,  bie  noch  beut  3U  Sage  blutet."  ©o  leljrt 
bie  ©efcbicbte  ber  ©elbbergmerfe  oon  tarnten  unb  ©algburg 
(unb  baffelbe  gilt  für  ©eutf^tprol),  baff  3ntolerang  bie  blübenb» 
ften  Sänber  »ermüftet.  SDJdc^te  eine  weife  ^Regierung  beö  Äaifer» 
ftaatS  auS  ben  Reblern  unb  ©erbrechen  ber  ©ergangenbeit  Ier= 
nen  unb  mit  ftarfer  $anb  überall  bie  unbebingte  ftreibeit  unb 
©leicbberecbtigung  ber  religiöfen  ©efenntniffe  Dertbeibigen! 

©on  ben  gasreichen  ©olblagerftätten  ÄärntenS  ift  in  neuefter 
3ett  (1870)  eine  einzige  wieber  in  ©bbau  genommen  werben, 
bie  ©olbgeebe,  in  2740  SReter  DReereSböbe,  in  unmittelbarer  Dtäbe 
beS  SauernfammeS,  5 ©tunben  öftlid)  »on  ^eiligenblut.  5>aS 
©elbgecber  ©rnbenbauS  ift  bie  t)6d?fte  ©Bohnung  in  Defterreicb, 
»on  ©letfdjern  unb  fallen  Seifen  umgeben.  Ueber  brei  3abr* 
bunberte  gingen  an  biefem  .$auie  »orüber;  ungäblige  Lawinen 
ftürgten  über  baffelbe  hinweg;  alljährlich  rubt  eine  ©ebnee*  unb 
Sirnlaft  »on  5 SReter  (Dicfe  auf  bemfelben,  — unb  noeb  ift  eS 
»»blerbalten  unb  un»erfebrt.  (Der  Grtrag  biefer  ©rube  ift 
»ielleicbt  in  Solge  »on  Selbem  beim  ©etgbau  bis  jefjt  nur  ein 
äufjerft  geringer.  (Die  farntnerifdjen  ©olbgänge  ftreichen  über 
bie  b»be«  Säuern  bioüker  in’S  ©algburgifcbe  unb  haben  auch 
bier,  befonberS  im  16.  3abrb»nbert,  reiche  Grträge  geliefert 
(5  250  000  5Rarf  jährlich).  ©3er  bie  feböne  ©tabt  ©algburg 
befuebt  b«t,  bem  ift  gemifi  bie  prad^t  ber  fürftbiicbeflichen  ®e» 
baube  aufgefallen.  GS  mar  bie  jäbrlidie  Diente  ber  ergbifchöf* 
lieben  Äammer  auS  ben  Diaurifet  ©ruben,  welche  bie  Plittel  für 
jene  Prachtbauten  gewährte.  Gin  Sbeil  jener  ©ergmerfe  war 

(41S) 


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26 

im  Sefi|  reu  3acob  Bugger  (geb.  1459,  geft.  1525),  unb  eine 
bet  Duellen  beS  unermeßlichen  SRcichthumS  beä  fürftlidjen  £aufeS. 
3)et  berühmte  21jeo^>^taftu8  ^aracelfuS  mirfte  alö  gugget’fcher 
füttern ©hemi? et  gu  iJent.  ©leid)  ben  färntnerifchen  ©ruben 
liegen  aud)  bie  falgburgifdjen  in  fct)r  bebeutettbet  £01)*  unb  grnat 
bet  San  am  hoheJ*  ©olbberg  bei  SiautiS  in  2370  Weter,  bet 
Sau  am  fRathhauSberge  bei  ©aflein  in  2086  Weter.  Sluth  bieie 
©olblagerftätten  fd)einen  fd)on  in  »orrömifchet  3«it  bearbeitet 
morben  unb  nie  gang  gum  ©rliegen  gefommen  ju  fein.  Wan 
Wirb  nicht  feljt  fehlen,  menn  man  bie  jeßige  mittlere  3ahr^' 
geminnung  ©algburgS  an  ©olb  auf  8 Ägr.  im  SÖettlje 

»on  22,000  War?. 

SBährenb  biefe  alpinifchen  ©ologruben,  gum  menigftenS, 
aud)  jetjt  noch  tjoffuungöreirf)  finb,  bieten  Schmen  unb  bie  an« 
grengenben  fJänber  ein  le^rreid>c8  Seifpiel  etnftmalS  überaus 
teicber,  jejjt  faft  ganglid)  erfdiopftcr  fjagerftätten  bar.  Som  10. 
biö  gum  15.  3ahrhunbert  nahm  33öhmen  unter  ben  golbprobu« 
cirenben  Sänberu  ©utepa’S  ben  erften  fRang  ein.  SDaß  ©bei« 
metaU  mürbe  theilS  auS  bem  ©d)memmlanbe  ober  ©eifengebirge, 
theilS  bnrth  ©rubenbau  gemonnen.  5)et  alten  böhmifchen  ©olb« 
biftrifte  finb  eS  namentlich  groei;  gundchft  baS  ©ebiet  bet  ©agaoa. 
Zlatonosna  Säzava  (©olbführenbe  ®.)  nennen  bie  Söhnten 
jenen  größten  Nebenfluß  ber  Wolbau.  3u  biefem  centralen 
©elbgebiete  gehört  auch  bie  altberühmte  Sergftabt  ©ule,  beten 
©elbgruben,  nad)bem  man  bis  in  bie  neuefte  3«t  auf  Hoffnung 
gearbeitet,  jefjt  gänjlich  aufgelaffen  finb.  2)et  anbere  ©olb» 
biftrift  liegt  an  bet  oberen  Wolbau  bei  $)ifef.  ÜMefe  Stabt  ift 
eine  ©rünbung  ber  ©olbmdfcher,  mie  bet  fRatne  ,,©anb"  »et« 
räth;  Sohatp  ^)ifef,  „glücflichet  ©anb".  Son  Ijier  gießen  fid) 
bie  beutlichen  ©puren  alter  ©olbmäfchereien  im  Stßal  beS 
SBatamafluffeS  tjinauf  bis  Sergreichenftein  im  Söhmermalb,  eine 

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27 


Strerfe  ton  10  beutjdjen  ÜJieilen.  SDreißunbertjährige  ©idjen 
fielen  jeßt  auf  ben  Jpügeln,  welche  bie  ©olbwäfcßer  gurücfgelaffen 
haben.  3Bie  baß  ©olb  bet  ISlpen  gehört  aud)  baß  böhmifdje 
bet  älteften  ©ebirgßformation  an.  — Stucf)  SJiähten,  öfterreichifch 
unb  preußifcß  ©Rieften  haben  oormatß  oiel  ©olb  geliefert.  Se* 
fonbetß  reich  waren  bte  Sllluoionen  im  niäljrifcbeu  ©efenfe,  wo 
bie  tarnen  SDürrfeifen,  ©olbfeifen,  ©teinfeifen  an  ehemalige 
©olbwäfdjen  erinnern.  2Me  urfprüngliche  Sagerftätte  beS  ©olbeS 
biefer  Seifen  bilbeten  bie  ©änge  oon  3ucfmantel,  greiwalbau  u.  a. 
auf  bencn  im  13.,  14.  unb  15.  Sahrljunbert  ein  fchwunghafter 
Sergbau  umging.  Sille  bicfe  ©ruben  fowie  biejenigen  oon  ©olb« 
fronacb  im  Fichtelgebirge  unb  oon  ©teinßaiba  im  Üßütinger 
SBalb  finb  längft  eingeftellt. 

SRut  etn  europiiifcbeß  £anb  (toemt  mit  oon  ben  utalifdben, 
gum  größeren  $£heil  ber  ctfiatifdjen  ©eite  ungehörigen  SDiftriften 
abfeljen)  liefert  h^e  noch  eine  nennenßwertße  ©olbaußbeute, 
Ungarn.  SBo  bie  Sllpen  in  ber  ©egenb  oon  Söiett  unb  9>reß* 
bürg  ihr  @nbe  gegen  Utorboft  erreichen,  ba  groeigen  fid>  nom 
großen  euTopäiicßen  Sentralgebirgc  bie  .Karpathen  ab,  um  in 
einem  ungeheuren  Sogen  bie  8änbet  ber  ©tephaußfrone  gu  um* 
gütten.  2)et  öftlicße  SE^eil  beß  in  fo  großartiger  SBeife  umwall* 
ten  Äontgrei<b§  wirb  burch  -ein  breiteß,  reichgeglieberteß  ©ebirge, 
baß  fiebenbürgifdje  ©rggebirge,  oon  bem  übrigen  größeren  Steile 
abgefonbert.  2)ie  Snnenfeite  jeneß  großen  ©ebirgßringeß,  fo 
wie  jeneß,  Siebenbürgen  oom  eigentlichen  Ungarn  fcßeibenbe 
(Srggebitge  waren  in  einer  oergleidjßweife  fpäten  ©rbperiobe  ber 
©chauplaß  einer  gewaltigen  eruptioen,  gum  S^heil  oulfanifchen 
2>hätigfeit,  welche  ©ebirge  oon  25iorit,  2)iabaß  unb  oorgugßweife 
»on  Stracßpt  ergeitgte.  SDiefe  eruptioen  SJtaffen  begleiten,  in 
©ruppen  georbnet,  ben  großen  Äarpatßenting;  eß  finb  bie  ©e* 
birge  oon  @themniß*Äremniß,  ©perieß'Swfaj,  Äapnif*9tagt)banpa, 

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28 


oon  Serößpataf-Stagpag  u.  a.  SDiefe  ©ebirge  finb  eß,  meldje 
bie  ©angfpfteme  ber  eblen  ©rgformation  einfdjliefjen.  $lm  roid}* 
Hgften  als  ©olbbiftrifte  finb  bie  Umgebungen  ber  beiben  lejjt* 
genannten  Orte,  ja,  menn  irgenb  ein  ©ebiet  in  ©uropa  ben 
Warnen  ©Iborabo  oerbient,  fo  ift  eß  Sörößpataf  ober  Stoffta 
({Rottjbad?)  ber  ^Rumänen,  unfern  Slbrubbanpa  im  fiebenbürgifdjen 
©rggebirge.  SDieö  oon  ben  gliiffen  SJtaroß,  ©gantcß  unb  ben 
brei  Äoröö  umfloffene  Serglanb  möchte  mol)l  an  Steidjthum  unb 
5Rannid)faltigfeit  ber  geologifdjen  ©rfdjeinungen  oon  feinem 
anbern  Siftrift  ©uropa’ß  übertroffen  «erben.  SERitten  tjinburcb 
ftrömt  ber  ©elbfluf)  Slranpoß  ('Jranp,  ungarifd) : = ©olb).  Suß 
biefem  glufje  flammten  mot)l  ungmeifelljaft  bie  alteften  ©olbfuube 
ber  SDacier. 

Sied)  biß  in  bie  jüngfte  Beit  mürbe  im  Slranpoß  ©olb  ge* 
mafdien  oon  3igeunern,  ben  elenbeften  ber  Sanbeßberooljner, 
«eiche  burd)  einige  iiott)  ©olb  Befreiung  oom  SJtilitärbienft  fid? 
erfaufen  fonnten.  ©eitbem  bieß  3igeuner*$}rioilegium  aufge* 
hoben,  mirb  im  SStanooß  fein  ©olbfanb  mebr  gemafdjen.  — 3m 
traitßfploamfdjen  ©rggebirge  fdjeint  bie  Statur  fich  gefallen  gu 
haben,  bie  ©ebirge  in  einer  gang  ungewöhnlichen  Sfrt  gu  bilben, 
gu  formen,  gu  gruppireit.  2Baß  foll  man  mehr  bemunbern,  bie 
ungeheuren  Äalfflippen  unb  «thürme  mit  ben  milben  ©palten* 
thälern  im  Dften,  ober  bie  bafaltijdjen  SDetunaten,  welche  an 
baß  ©ilanb  ©taffa  erinnern  ober  bie  gemaltigen  Sergmaffioe 
Sulfan  unb  Äorabia?  Salb  finb  bie  £öhen  naeft  unb  milb, 
halb  mit  Urmälbern  bebeeft.  j£>ier  finb  bie  Ühaler  felftg  unb 
eingefdjloffen  oon  glängenben  ©limmetidjiefermdnben,  bort  fteHen 
fie  liebliche  malbumgebene  SBiefengrünbe  bar.  SDiefe  fdjönen 
SLf)51er  maren  eß,  welche  ben  dichter  SJtartin  ©pifj,  oom  gürften 
©abriel  Setten  an  bie  @djule  oon  Söeifcenburg  (Äatlßbutg) 

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29 


berufen,  1622,  ju  feinem  ©ebicht  „3latna  ober  non  bet  JRuhe  be8 
©emüthS"  begeifterten. 

$ter  fleußt  pur  lauter  @elb.  ©eringe  Säuern  wiffen 
2Jiit  3Bafcf;en  gut  Sejcbeib  unb  lejen  einen  ©anb, 

Der  aucf)  mit  feiner  Stärf  erobert  Seut’  unb  2anfc. 

$ier  pflegt  »ollauf  ju  tragen 

De«  (Srbreit^S  milber  ©<booß  bic  wunberbare  Stuipt, 

Die  mit  fo  grofjcr  Äunft  unb  Slrbcit  wirb  gefugt. 

Der  Sauljerr  biefer  3BcIt  bat  in  ben  tiefften  ©rünten 

Da«  alle«  angelegt,  auf  bafj  wir  mosten  finben, 

SEBa8  biefem  2 eben  nufct. 

Sei  3alatna  (©olbenmarft)  beginnt,  ftcb  8*3***  fRorbweft, 
SBeft  unb  Sübweft  anbbehnenb,  ba8  golbhaltige  ©ebirge.  Die 
©tuben  ber  näheren  Umgebung  non  3aiatna  finb  inbejj  meift 
3um  ©rliegen  gefommen,  woran  ber  grauenooHe  fRacenfampf 
gwifdjen  Rumänen  unb  Ungarn  im  Raffte  1849  einen  Jh«H  ber 
Schulb  trägt.  Steigt  man  aber  au8  bem  Jhfll  üon  3alatua 
hinüber  in  baSjenige  non  2lbrubbanpa,  welches  bem  SlranpoS 
fidf  juneigt,  fo  bieten  fid)  fogleid)  bie  erfreuten  3«d)en  eines 
im  ftlor  befinblidjen  SergbauS  bar.  Der  2ätm  ber  fPod)Werfe, 
beren  Stempel,  non  Söafferräbern  bewegt,  Jag  unb  9iad)t  ba8 
golbfüf)tenbe  ©eftein  ju  Staub  unb  Schlamm  jetmalmen,  et« 
füllt  ba8  Jl)al-  9Ran  3äl)lt  gegen  taufenb  ^odjwerfe;  faft  febeS 
SauernhauS  befifct  ein  fold?e8,  fobaff  beinahe  alle  Sewohnet 
tiefes  ungefähr  2 Quabrat  fDieilen  großen  Qtlberabo  an  ber  ©olb* 
gewinnung  mit  ©rubcnbau  unb  5Bafd?en  betheiligt  finb.  Söenig 
nörblid)  Slbrubbanpa  münbet  in  ba8  Jpauptthal  mit  oftweftlid)em 
Streichen  ba§  etwa  eine  5Reile  lange  Jljal  beS  fRothbad)S,  33al 
9ioffi  ober  Söröepataf,  fchoit  not  gwei  3at)rtau[enben  ber  ÜJiittel* 
punft  ber  bacifchen  ©olbgeminnung.  ätaurn  möchte  e8  in  ben 
üänbern  ber  Stephansfrone  ein  2t)al  8«ben,  fo  noll  fRegfam* 

(417) 


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30 


feit  unb  Ütjatigfeit  wie  Sörööpataf.  8äng8  beö  S^albacbeö 
reifen  ftf  bie  SBohnungen  faft  ohne  Unterbrechung. 

Staufenbe  oon  $)of  ftempeln,  burf  ba8  SBaffer  bewegt,  get» 
ftampfen  ba8  ©olbgeftein,  weif  eö  Bon  ben  ©ehängen  ber  Serge 
Bon  ^ferben  ^abgetragen  wirb.  ©rofjartig,  ernft  ift  ber  9lb= 
ffluf)  be8  SfalS  gegen  £>ft.  3wei  Serge  fallen  gumal  in’ä 
Stuge,  nicht  fowohl  burch  i^rc  ^>öhe  — benn  fie  werben  über- 
ragt Bon  einem  hinter  ihnen  auffteigenben  Sergfrang  — , alfi 
Bielmehr  burch  ihre  abffrecfenbe  gelblif  «braune  garbe  uub  ba§ 
fehlen  faft  Jeglicher  Segetaticn;  e8  ftnb  bie  |)orphbrberge 
Ggetatpe  unb  Äirnif,  beren  ©eftein  nach  bet  nolföthümlifen 
Sluffaffung  alö  ber  eigentliche  ©olbbringer  betrachtet  wirb.  ©ge- 
tane, rumäuiff,  bebeutet  eine  Surg  ober  geftung;  unb  in  ber 
2fat  ift  ber  ©ipfel  biefeS  Sergeö  burch  uralten  Sergbau  gu 
ruinenartigen  formen  auSgehauen.  SÖährenb  bie  alten  SDacier 
gut  3eit  ber  römijfen  .^errffaft  unb  ohne  3weifel  auch  ff  cn 
in  Bortömiffer  3eit  ben  ©getane  unb  ben  auf  ber  anberen 
Sfalfeite  gegenüber  liegenben  gelbreifen  Orlaberg  mit  gabi- 
reifen  ffön  gehauenen  uub  geglätteten  «Stollen  burffuhren 
unb  ihre  golbenen  Sf  äfje  hoben,  gehören  bie  ©ruben  beö  jfir« 
nifbetgS  einer  fpätern  3cit  an.  3)et  Äirntf  gilt  jet$t  für  ben 
golbreifften  §>unft  ber  Umgebung  non  SßröSpataf.  ©twa 
80  ©ruben  burf wühlen  naf  allen  Stiftungen  biefen  Serg,  in- 
tern fte  Jüuargaberu  folgen,  bie  bag  ©belmetatl  in  Segleitung 
Bon  ©ijenfieS  führen.  3?a8  ©efteiu  beS  um  300  SOteter  bie 
Sfalfoljle  überragenben  Äirnif  ift  ein  hofft  eigenthümlifer 
$>orphbr  bou  relatiß  jugenblifem  Sllter.  SDer  burf  bie  gange 
©efteinSmaffe  Berbreitete  ©ifenfieS  geht  aUmä^lif  in  3erjefjung 
über,  bähet  bie  gelblif  «braune  Färbung  ber  Reifen  unb  ber  röth* 
lif  e Dcferabfafj  beö  Saf  8 (Yörös=rcth,  patak  = Saf ).  3u  ben 
©ruben  befl  Äitnif  haben  ftf  bie  herrlif  ften  ©olbfrnftaOifationen 

«IS) 


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31 


gefunben.  2 )a8  ©olb  beö  Äirnif,  wie  überhaupt  baöjenige  non 
(BöröSpataf  ift  filberreich,  eS  ift  16*  bis  17  favdtig,  b.  h-  eS  ent* 
hält  in  24  ©ewichtStheilen  16—17  £h-  ©üb  unb  8—7  Z\). 
©Über.  SDiefer  ©überge^alt  fdjeint  eS  gu  fein,  welcher  bem 
©olbe  eine  befonbete  (Reigung  gut  Ärpftaßbilbung  nerleiht.  (Die 
Ärpflaflform  beS  ©olbeS  gehört  bem  regulären  ©pftein  an  unb 
geigt  meift  bie  Gombination  non  Süürfel  unb  Dftaeber.  ©eiten 
nur  überfteigt  bie  ©röße  bet  eingeluen  Ärpftaße  3 mm.  3uS 
biefen  einfachen  &rpftafl=3nbinibuen  baut  nun  bie  Silbnerin 
ßiatur  Ärpftaflgruppen  höherer  Drbnung  auf,  fogenannte  SwiflingS* 
gebilbe,  weldje  3U  bem  ©chönften  unb  ^>errlic^ften  gehören,  was 
bie  unotganifche  SBelt  uns  barbietet.  25a  erblitfen  wir  ©olb* 
platten  non  gierlichftem  fechSftrahligem  (Bau,  golbene  ©terne, 
9teß=  unb  SRafchenwetf  non  einer  Reinheit  beS  ©efügeb,  baß  ein 
Saie  funftnoße  @olbbrofat*3lrbeit  gu  erblitfen  glaubt,  ®d)öne 
gunbe  non  „gteigolb"  finb  gu  S3örö8pataf  feiten,  benn  im  »30* 
gemeinen  ift  baS  ©olb  im  ©ang  („^luft")  unb  feinem  Sieben* 
geftein  fo  fpätlich  unb  in  feinften  (Partifelchen  norhanben,  baß 
baS  bloße  Singe  nichts  banon  wahrnehmen  fann.  2)ie  jährlithe 
©olbprobuftion  beS  ©ebietS  non  (ßoröSpataMllbrubbanna  fann 
annähernb  auf  6—700  Äilo  gefd)äßt  werben  im  Sßerthe  non 
l‘/4  bis  l1/,  (SRiflionen  SDRarf,  ba  ein  Äilo  beS  filbetreithen 
©olbeS  etwa  1860  dRarf  werthet.  — Unter  ben  SDenfmäletn 
beS  SllterthumS  nerbienen  bie  bacif<h*römifchen  ©rubenbaue  non 
(BöröSpataf  ein  befonbereS  3ntereffe.  @8  finb  prachtnoße  glatt* 
wanbige,  höcßft  regelmäßige  ©tollen,  im  Duerfdjnitt  reftangulär, 
etwas  über  2 dReter  ^oct),  lVs  5Reter  breit,  Gigenthümlich  ift 
bei  biefen  antifen  ©tollen,  baß  bort,  wo  biefelben  ihre  (Richtung 
änbern  (was  nicht  in  einer  gebogenen,  fonbern  in  einer  gebreche* 
nen  Sinie  erfolgt),  ftetS  eine  redjtwinflig  oorfpringenbe  Äante 
gehauen  ift.  ^Deutlich  erfennt  man  nod)  bie  ©teilen,  wo  nor 

(41») 


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32 


ca.  18  Safyrtyunbetten  bie  SKiten  ihre  gampen  Ijinfe^ten,  währeub 
fie  mit  j$äuftel  unb  ©ijen  ben  ©puren  ber  ©olbabet  folgten, 
©rwägt  man,  bafj  biefe  SBetfe  otjne  Äenntnifc  ber  Suffoie,  opne 
9(nwenbung  non  Aulner  au8geführt  würben,  jo  mu§  man  jju* 
geftehen,  bajj  auch  auf  bent  ©ebiete  ber  ütedjnif  bie  geiftungen 
teö  SUtertljumö  be»unbern8»erth  finb.  3n  ben  tcmifdjen 
©rubenbauen  »on  SßrßSpataf  nnb  jmar  am  Sajboja=Serg  fan* 
ben  ftd)  jene  ^odjbetit^mten  38ach8tafeln , welche  in  ben 
SJtufeen  ju  Serlin  nnb  %)eft  aufbewahrt  »erben.  5)a8  bacifdje 
©olb  trug  oljne  3»eifel  jur  33lüt^e  ber  fProöiug  ©acien  »ejent« 
lid)  bei.  SDie  alte  bacifdje  ÄönigSftabt  ©armigegethuja  »arb  in 
bie  rßmijdje  ‘Uugufta  Ulpia  Sfctajana  umgemanbelt,  welche  noch 
jejjt  — in  einet  bet  fyerrlidjften  ©tabtelagen,  am  nörblidjen 
gufj  be8  2484  ÜReter  hohen  SRetpejat,  übetjchauenb  bie  »eite 
grudjtebene  be8  £afceger  J^alS  — mit  ihrem  Amphitheater, 
SJtojaifen  unb  »eiten  IRuinenfelbern  Seugnifj  giebt  »on  ehemaliger 
Fracht  unb  ©rßjje. 

Söäprenb  bie  eblen  gagerftätten  »on  Abrubbanpa,  SßrßSpataf 
unb  anbeten  fünften  be8  tran8fpl»anijchen  ©rjgebirgeS  ba8  ©olb 
in  gebiegenem  3uftc»nbe  führen,  baher  fte  auch  jehon  im  Alter* 
thum  befannt  waren,  umjdjliefeen  bie  Serge  »on  Sagpag  ein 
merfronrbigeS,  mit  Seüurgolb'Serbinbungen  erfüllte6  ©pftem  »on 
Älüften.  ©belmetaüe  nennen  »ir  befanntlich  jene,  »eiche  »er* 
möge  ihrer  geringen  Serroanbtjdjaft  gu  anberen  ©lementen  ber 
cjrpbirenben  ©inmitfung  ber  Atmofphäre  »iberftehen.  SBährenb 
bie  uneblen  SRetalle  ftetö  nur  in  chemijcher  Serbinbung  mit 
©auerftojf,  Schwefel  u.  j.  ».  auf  ihren  gagerftätten  fich  finben, 
fommen  bie  eblen  9)tetatle  »orherrfchenb  ober  faft  au8j<hlie§lich 
im  gebiegenen  3uftanbe  »or,  jo  »or  allem  ba8  ©olb.  Sur  mit 
einem  ©lement,  bem  Tellur,  finbet  fich  ©olb  »ererbt,  al8 
Sellurgolb,  Jetlurfilbergolb  u.  a.,  unb  bieje  eigentlichen  ©olbetje 

(420) 


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33 


finb  nur  auf  menige  fünfte  ber  ©rbe  befchränft.  3m  3ahre 
1774  entbecfte  ein. Sauer  im  fyotyen,  fuppenreichen,  malbbebecften 
©ebirge,  melcheS  2 ©eilen  nörblid)  Deoa  emporfteigt,  eine  2lber 
unidjeinbaren  fchmargen  ©rgeS,  melcheS  ft<h  als  eine  Setbinbung 
non  ©olb  unb  Silber  mit  einem  neuen  Cflement  etmieS.  Der 
berühmte  ©fyemifer  Älaprotfe  in  Serlin  erfannte  baffelbe  gucrft 
unb  nannte  eS  Seflurium.  3ener  gunb  beS  fchmargen  ©otbergeS 
war  einer  ber  folgenreichen;  bie  2Biffen  jehaft  mürbe  mit  einem 
©lement  unb  einer  neuen  &rt  non  Serbinbungen  bereichert. 
SBo  einft  Den  Urmalb  bebecfte  ungugänglidfe  ©cfjludjten,  ba  btei* 
tet  fidj  jefet,  ringsum  bie  fteileu  ©ehänge  malerifch  fehmücfenb 
ein  anfehnlidjet  Sergort  auS.  3ener  glüdlidje  ©rgfunb  Der* 
anlafete  bie  Segrünbung  eines  grofeartigen  SergmerfS,  melcheS 
ungefähr  3000  ©enfdjen  bie  Sebingungen  i^reß  Gebens  bietet 
unb  bem  ©taat  nod)  auf  ferne  3<»hre  einen  teilen  ©eminn  in 
3u8fid}t  fteöt  (im  3ai}re  1875  76  000  ©atf;  1876  104  000  ©f ; 
1877  94  000  ©atf).  Die  gefammte  jährliche  ©olbgeminnung 
bet  ungarifcfeen  8änber  repräfentirt  jefet  nur  einen  28erth  Don 
3 400  000  biß  4 300  000  ©atf.  Dtefe  Summe  übertrifft  trofe 
ihrer  ©eringfügigfeit  ben  SÖerth  ber  ©olbaußbeute  beS  gefamm* 
ten  übrigen  ©uropa,  menn  mit  oon  fRufelanb  abfehen. 

Unter  ben  golbfpülenben  glüffen  unb  Strömen  bet  ©rbe 
nimmt  unfet  SR^ein  eine,  burd)  baS  9Uter  ber  ©olbgeminnung, 
efyrmürbige  ©tefle  ein.  SereitS  feit  mehr  als  einem  3ahrtaufenb 
mirb  auS  bem  JRljeinfanb  ©olb  gemafdjen,  roie  burd)  Urfunben 
feftfteljt.  ©olbreid)  ift  namentlich  baS  Ufer  bei  $)l)ilipp8burg, 
3!/*  ©eilen  nörblid}  oon  ©atlßruhe.  Die  babifdje  ^Regierung 
liefe  not  ber  ©infüferung  ber  neuen  SReid}ßmünge  auS  bem  Söajd}- 
golbe  jährlich  etma  2000  Dufaten  prägen  mit  ber  2luff<hrift: 
1 Dufat  auS  IRheingolb.  #err  Daubree  in  ^aris  hat  berechnet, 
bafe  im  IRheinfanbe  gmifchen  Safel  unb  ©annheim  ©olb  im 

XIV.  334. 325.  3 (4SI) 


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34 


SBertbe  uon  minbeften«  170  SJtitlionen  graue«  ruht.  3)ocb  ift 
ber  ©ebalt  be«  ©anbe«  fo  au&erorbentlicb  gering,  baff  nur  an 
ben  günftigften  ©teilen  unb  gu  ßeiten  niebrigen  Jagelobn«  ge* 
waicben  wirb.  2)a8  ©olb  be«  Dbetrbein«  befitjt  bie  gorm  febr 
Heiner  231ätt<bm  unb  ©<büpp<ben,  beren  urfprünglicbe  Sagerftätte 
faum  mit  Sicherheit  angegeben  werben  fann.  Ülucb  unfet  rbei» 
nifdje«  ©ebiefergebirge  birgt  ©olblagerftätten.  2)ie  2)iemel  bei 
©tabtberge  ober  fötarSberg,  bie  ©ber  im  SBalbecffcben  ba&en 
©olb  geliefert.  fRodj  merfwütbiger  ift  e«  wobl,  bafj  einige  33äcbe 
be«  SOiofelgebiet«  ba«  ©belmetafi  nicht  a!8  feinfte  5fötndjen  unb 
331ätt<ben,  fonbern  in  größeren  klumpen,  mehrere  SDufaten  an 
SBertb,  geführt  b^f«»  fo  bet  ©olbbacb  im  .ftreife  ©ernfaftel. 
JDieier  fleine  Sadj,  roeldjer  bei  bem  3)orfe  9lnbel  gegenüber  ©ue« 

— bem  ©eburtäort  be«  berühmten  ©atbinal«  Rifolau«  ©utanu« 

— münbet,  bat  in  ben  Sabren  1804 — 1809  gehn  ©tücfdjen  ©olb 
»on  nerfebiebener  ©röfje  geliefert.  35iefelben  lagen  in  ben  ©djich* 
tenflüften  be«  SLljonfe^icferS  unb  ftammen  wabtfcbeinlich  au« 
Duarjgängen.  (girier  ähnlichen  i?agerftätte  muh  jener  anfebn* 
lidbe  ©olbflumpen  (43  mm.  lang,  20  mm.  bief,  ©ewidjt  66  ©v.) 
eutftammen,  welcher  im  3abre  1826  non  einem  fleinen  Änaben 
im  ©rofjbadj  bei  ©nfireb  an  ber  fDtofel,  eine  halbe  3Reile  unter« 
halb  traben,  gefuuben  würbe.  ^Dieter  ©olbflumpen  war  ber 
größte,  welcher  jemal«  auf  beutjeber  ©rbe  gefunben  würbe,  ©r 
ging  leibet  in  golge  eine«  im  ©erliner  mineralogifcben  SJtufeum 
auSgefübrten  ÜMebftabl«  Derloren.  Stile  einft  fo  gasreichen  golb* 
fübrenben  ^lIuDionen,  welche  ber  europäifebe  ©ontinent  oon 
Spanien  bi«  ©d^lefien  unb  oon  Suaden  bi«  ©alHen  befaf), 
finb  erfeböpft  ober  ber  ©rfcböpfung  nabe.  2)ie  Urfacbe  biefer 
©tjebeinung  liegt  barin,  bajj  ©utopa  oorberrfebenb  gänbet  alter 
©ultur  befij}t.  SBo  inbeb  in  entlegenen  ©ebieten  unfere«  @rb« 
tbeil«  jungfräuliche«  2anb  erfcbloffen  würbe,  ba  gelang  e«,  ein« 

(4SS) 


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35 


größere  ober  fleinere  ©olbembte  einzubringen.  5)ieß  zeigte  fidj, 
alö  SEelef  3)al)U,  ber  oerbienftüclle  ©rfotfcher  beß  ttörbltdjcn 
Norwegen,  ginmarfen  burchforfchte.  @r  fanb  bafclbft  unfein 
beö  injelreichen  @nare*©ee’ß  eine  auß  bem  normegifchen  in’ß 
tujfijche  ©ebiet  fich  erftrecfenbe  ©olballucion,  meld)e  tro§  ^odift 
ungünfiiger  flimatifcher  SBerhfiltniffe  eine  lohnenbe  Ausbeute  er» 
gab.  ftür  ben  Diftrift  Uleaborg,  welchem  ber  größere  Uljeil  jener 
norbifdjen  ©olbtagerftätte  angehört,  giebt  ©falfomßftj  in  ben 
Tableaux  statistiques  de  l’Industrie  des  Mines  en  Kussie,  bie 
im  Sabre  1876  gewonnene  ©olbmenge  auf  23  ruff.  fpfunb,  gleich 
9,43  Ägr.  an. 

SDie  SJlitte  biefeß  Sahrhunbertß,  metdje  auf  fo  cielen  @e» 
bieten  beö  nationalen  unb  politifdjen  gebenß,  ber  SBiffenfchaft 
unb  ber  Secbnif  bie  größten  'Jlenberungen  unb  gortfdjrittc  ge* 
bratbt  bfli(  bezeichnet  auch  in  ber  ©efdjidjte  beö  ©olbeö  eine  ber 
benfroürbigften  ©jobben,  ©eit  einem  3abrbunbert  mar  bie 
©olbprobuftion  ber  ©rbe  in  fteter  Abnahme  begriffen  unb  ju» 
lefct  auf  ein  SBiinimum  gefunfen.  !Da  erfolgte  faft  gleichzeitig 
bie  &uffd)lief|ung  groeicr  ©olblänber  (©alifcrnien  unb  baß  öftlid>e 
’Äuftralien),  beren  dieid^ttjürner  alle  früheren  ©ntbecf  ungen  in 
©chatten  ftellten.  25ie  ©eminnung  biefer  golbenen  ©djäfce 
mürbe  burch  eine  hohe  Slußbilbung  ber  Sedjni!  unterftüfct,  urb 
fo  gefchah  eö , bafj  bie  neu  erfdjloffenen  jungfräulidreu  1‘änber 
bie  in  Jpänben  ber  ÜJtenfdjen  befinbliche  ©olbmenge  in  einer 
Söeife  cermehrten,  meldje  jebe  ©olbzufuhr  früherer  Sahrhunberte 
meit  übertraf. 

©djon  zur  3eit , ba  ©alifornien  alß  ein  Sheil  SDiejcifo’fl 
unter  jpanijther  ^errfdiaft  ftaub,  maren  ben  Släteru  Sefuiten, 
roelche  bie  ÜJliffionen  leiteten,  ©olbfunbe  befannt  gemotben. 
fDiefelben  mürben  aber  oerheimlicht  auß  gurcht,  eß  möchten  burch 
ein  Sfefanntmerben  bie  ftieblichen  Buftänbe  beß  Üanbeß  eine 

3*  (423) 


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36 


Storung  erleiben.  Saft  gleid)3eitig  mit  ber  Sbtretung  beö  2anbe8  an 
bie  SBereinigten  Staaten  (2.  Sebtuar  1848)  warb  auf  bem  33efifc* 
t^um  beS  ©apitän  Sutter  am  Sacramento»Sluf)  ©olb  entbecft. 
Sutter,  geboren  ju  SBafel,  ein  9Hann  non  bo^er  3nte0igeng  unb 
trefflichftem , woblwoflenbftem  |>erjen(  Ijatte  fid)  nad)  mannid}* 
fachen  Scbicffalen  am  Sacramento  niebergelaffen  unb  als  £aupt 
ber  beu  Snfcblufl  an  bie  ^Bereinigten  Staaten  erftrebenben  ?)ar» 
tei  eine  entfc^eibenbe  fRofle  in  ber  neueren  ©efehiebte  beS  £anbe8 
gezielt.  SIS  er  einen  neuen  SBaffe^uflufj  für  feine  Sagemühle 
anlegte  unb  babei  bie  ftromenbe  Äraft  beS  SÖafferS  jur  gort* 
fcbwemmuug  bet  gu  entfernenben  ©rbe  benufcte,  famen  im  9tiun* 
fal  ©olbförner  3um  SBorfd^ein.  Stach  einem  SBierteljabr  waren 
bereits  3000  SJtenfcheu,  gum  großen  Stbeil  auS  Sonora,  Ijerbei- 
geeilt.  SBenige  SBiodjen,  nachbem  bie  3«tung  »on  S.  SranciSco 
bie  erfte  Stachvicht  »on  ber  ©ntbeefung  be8  ©olbeS  gebracht, 
mu|te  fie  ju  erfdjeinen  aufbören,  ba  bie  JRebaftion  unb  fämmt* 
liebe  Arbeiter  nach  ben  ©ruben  fid)  begeben  batten.  „$$on  aßen 
SBunbern  bet  ©efchitbte  bet  Se^tjeit,  berichtet  33at?atb  Slaplot, 
ift  ba8  2öach8tbum  non  S.  StanciSco  ba8  aujjerorbentlicbfte. 
©troaS  Sehnliches  fennt  man  nicht  unb  e8  wirb  ftd)  auch  nicht 
roieberbolen.  SIS  ich  »or  oiet  SDtonaten  (Suguft  1849)  lanbete, 
fanb  ich  jerftreute  3elte,  leinene  unb  ^ölgertte  Raufer  non  einem, 
leiten  non  3mei  Stocfwerfen.  SIS  ich  iefct  bie  Stabt  wieberfab, 
erblicfte  ich  Diele  Strafjen  mit  gutgebauten  Raufern,  angefüßt 
mit  einem  tbätigen  unb  unternebmenben  Sßolfe,  mit  aßen  3«<ben 
bleibenben  eommercießen  SBoblftanbeS.  3)amalS  mar  bie  Stabt 
auf  bie  Ärümmung  ber  23ucbt  unb  »om  Snferplafc  bi8  3um  gu§ 
ber  £ügel  befdbränft.  3efct  erftreeft  fte  ft<h  bi8  gu  ben  ©ipfeln 
biefer  #ügel,  »erfolgt  eine  weite  Strecfe  an  ber  jtüfte  unb 
ficb  burd)  eine  ©infattlung  3wifchen  mehreren  bügeln  bis  3um 

gotbeneu  Sb»te.  S5ie  5be»ölferung  war  »on  6000  auf  30,000 
(♦») 


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37 


angewacbfen"  (im  3aljre  1870  betrug  fte  150,000;  im  3ah*e  1875 
*250,000;  ju  <5nbe  1877  bereits  308,000).  3)et  £>rt  Sacra» 
mento,  am  ©influf}  beS  Diio  2lmeticano  in  ben  §!u§  gleid)eu 
SRamenS,  beftanb  im  21pril  1849  auS  nur  4 Raufern.  SBiS  jum 
Schlufee  beffelben  SaljreS  erhob  ftd)  bafelbft  eine  Stabt  mit 
regelmä§ig  angelegten  Straffen  unb  einer  SSeooIferung  Den 
10,000  Seelen. 

35te  Arbeit  ber  ©olbwäfchet  am  ®lofeIumne=gluf}e  in  jener 
erften  3e«t,  wirb  oon  einem  2lugengeugen  in  folgenber  fBeije 
gefchilbert.  ,,©a8  Sett  eines  trocfenen  glufjarmS  war  ^art  unb 
felftg,  lojer  Sanb  fanb  fid)  nur  gwifdjen  ben  felfigen  feilen. 
3)er  ganje  Dberflächenraum,  bet  ungefähr  1 >/*  £eftar  umfafjte, 
war  mit  großer  Arbeit  ganj  umgewühlt  unb  baS  ©olb  auS  ben 
3erflüftungen  beS  ©d^ieferS,  jo  weit  man  Ijatte  gelangen  föunen, 
gewonnen.  3?em  Unerfahrenen  fonnte  fein  ^)unft  weniger  Der« 
fptedjen,  als  bet  Dorliegenbe,  unb  bod)  erlangten  bie  ©olbgräber 
burdj  SBafchen  beS  auS  ben  Klüften  h^Dergefu^teu  SanbeS  eine 
reidjlidjc  SJienge  ©olb.  2)ie  einigen  2(rbeitSgeräthe  waren 
Schaufeln,  eine  Krajje  gum  SBegfdjaffen  bet  35ammetbe  unb 
flache  hölzerne  2röge  jum  SBetmafchen  beS  SanbeS.  ©in  ge» 
fdjicftet  Arbeiter  fyaüe  nach  mehreren  Minuten  ein  SDufcenb 
©olbfömer  rein  gewafchen.  3n  einem  Sage  gewann  eine  @efea» 
fdjaft  Den  gehn  Scannern  fedjS  $funb  beS  reinfteu  ©olbeS.  2118 
ich  guerft  bie  2lrbeiter  fah,  wie  fte  iu  ber  fengenben  Sonnen» 
hi^e  jdjwere  Steine  hoben,  mit  bet  Hälfte  ihres  .Körpers  im 
SBaffer  ftanben  unb  mit  ihren  Rauben  in  Sanb  unb  Stho« 
gruben,  festen  mit  bie  ©nthaltfamfeit  Dom  ©olbgrabeu  eine  ge» 
ringe  Stngenb  gu  fein ; als  aber  in  ben  SBafdjtrögen  bie  funfein« 
ben  ©olbförner  erfdjienen,  ba  hätte  ich  fogleich  bie  Schaufel  er» 
greifen  unb  an’S  Sörrf  gehen  mögen.  — @8  würbe  ein  in» 

tereffanteS  Stubium  für  ben  ^h*l°f°l,^en  fein,  bie  Derfchiebeueu 

(«»> 


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38 


VMrfungen  plöfjlichen  SteichwerbenS  bet  nericbiebenen  3«binibuen, 
befonberS  bet  betten  gu  beobachten,  beren  Beben  norher  unter 
Strmutfj  uttb  ©ntbeljrungen  nerfloffen.  35er  tieffte  Wcnfcheu* 
fenner  würbe  hier  manches  gelernt  ^aben,  welches  er  bei  aller 
Älugheit  unb  allem  ©charfftnn  früher  nicht  fannte.  — Unter  ben 
manchen,  in  ben  netf. inebenen  ©fluchten  »erteilten  ©clbgräbern 
traf  ich  Beute  non  ©rgiehung  unb  .ftenntniffen.  Wan  fonnte 
ben  ©tjarafter  ber  bort  arbeiteuben  Wenigen  Durchaus  ntd>t 
nach  ihrer  Äleibung  unb  fonftigen  äufceren  ©rfcheinung  beurtlsei* 
len.  ©in  rauher,  febmufciger,  fonnennerbrannter  ©eieil  mit  un= 
gefchorenem  ©art,  ber  auf  bem  ©oben  irgenb  einer  ftelefchlucht 
nach  BeibeSfräften  arbeitete,  fonnte  ein  ©rabuirter  einer  ber  erfteu 
Uninerfitäten  beö  3n*  ober  2lu8lanbe8,  fonnte  ein  Wann  non 
ben  feinften  Sitten  fein.  3<h  fanb  oiele  Wänner,  bie  nicht 
beffer  wie  bie  oerwetterten  SErapoer  unb  ^intertnälbler  auSiahen 
unb  ba8  Jahr  norher  IMergte,  Anwälte,  !Rid?ter  ober  ©chriftfteller 
waten.  35iefe  Verbreitung  ber  3nteQigeng  war  eö , bie  ben 
golbfud)enben©ejellf(haften,  ohnerachtet  ihres  barbarifchen  ^eufjeren 
unb  ihrer  rohen  BebenSmeife  eineDrbnung  unb  Sicherheit  gemährte, 
bie  auf  ben  erften  ©lief  wie  ein  Vluuber  erfchien.“  (©.SEaplor.) — 
Ungeheure  Waffen  non  ©belmetaQ  hat  bie  9latur  an  Der 
lang  auSgeftrecften  Söeftfüfte  beS  amerifaniiehen  ©ontinentS  niebet* 
gelegt.  ©8  beginnt  — foniel  befanut  — ber  5DRetaClreidjt^um 
im  nörblichen  SEheÜ  »cm  ©ritifch*©olumbien , gwifchen  bem  58 
unb  59°  ber  ©reite.  35ann  folgt  gwijdjen  55  unb  56°  ber 
©olbbiftrift  Dmineca;  gwei  ©tabe  {üblicher  liegt  ber  35iftrift 
non  ©ariboo,  in  welchem  1877  ein  lehr  reicher  ©ang  golbhaltigen 
DuargeS  entbeeft  würbe,  ©eine  Wäcbtigfeit  beträgt  6 — 12  We* 
ter,  im  Streichen  nerfolgt  auf  1 Weile;  1 SEonne  (=  20  ©tr.) 
©angquarg  enthielt  ©olb  im  SBerthe  non  164—369  ÜJlarf. 
S5od)  erft  in  ben  Vereinigten  Staaten  gewinnen  bie  ©olblager* 

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39 


ftätten  ißre  waßre  23ebeutung.  Kalifornien  befißt  eine  ebenfo 
einfache  als  großartige  Sobengeftaltung.  Kin  ßoßeS  Schnee* 
gebirge,  bie  Sierra  SReoaba,  im  Dften,  bereu  nörbliche  gortjeßung 
in  Oregon  unb  Söafßington  ben  Flamen  KaScabe  ßftountainS 
füßrt.  35iefet  großen  jfette  parallel  läuft  bae  Mfteugebirge 
Koaft  Stange.  ÜDie  ©eftaltung  Kaliforniens  wirb  wesentlich  be» 
bingt  burcß  baS  große  üängcntßal  gwifcßen  ben  genannten  ©e= 
birgen,  in  welchem  ber  Sacramento  gegen  Süb,  ber  S.  3oaquin 
gegen  Storb  fließen,  ^Bereinigt  burchbtecßen  fie  bie  Äüftenfette 
unb  münben  in  bie  58ai  oon  S.  Francisco.  2)er  ßoße  Äamm 
ber  Sierra  Steoaba  befteßt  oorßerrfchenb  auS  ©ranit,  wäßrenb 
frpftaQinifdje  unb  tjalbfrvftaüinifdje  Schiefer  bie  breiten  Slbßänge 
jufammenfeßen.  3n  biefen  Schiefern,  juweilen  auf  ber  ©renje 
gegen  ben  ©ranit  ftreicßen  oon  StßtSS.  nach  SSO.  bie  golb* 
füßrenben  Duarjgänge,  inbein  fie  an  Dielen  fünften  gleich 
SJtauern  auS  Den  walbigen  ©rünben  emporragen.  -Der  wicßtigfte 
biejer  ©äuge,  bet  SJtuttergang  OXRotßer«8obe),  ift  bei  einer 
jwifchen  5 unb  20  SDieter  wecßfeluben  SJiäcßtigfeit  120  Äilom. 
weit  ju  perfolgen,  ©egen  SRorb,  am  riefigen  SJtount  Sßafta, 
werben  bie  golbfüßrenben  ©änge  unb  iSlIuoionen  auf  weite 
Streifen  Don  bajaltifchen  üaoabecfen  überlagert.  Söeiterßin,  wo 
bie  llulfane  enben,  etjcßeincn  bie  ©olbgebirge  wieber.  2)aS 
große  gängentßal  oon  Kalifornien,  welches  fich  jwifchen  ber 
Siena  Steoaba  unb  ber  Koaft  Stange,  oom  SJtount  Sßafta  im 
SRorben  bis  gut  Sierra  be  S.  Stafael  im  Süben  auSbeßnt,  be* 
fißt  eine  ßäuge  oon  86  beutfchen  ÜJteilen  bei  einer  mittleren  33reite 
»on  10  Steilen.  Kin  großer  $ßetl  biefeS  ßenlicßen  $ßalS 
(nämlicß  baS  Sacrameuto*@ebiet)  liegt  oor  bem  ftaunenben 
SÖlicf  beS  Steijenben  auSgebreitet,  wenn  er  auf  bet  ^acififcßen 
üaßn  oom  ßoßen  Ä'amm  bet  Steoaba  ßerabfteigt.  3n  ber  jüngft* 
betroffenen  geologiicßen  Kpocße  (^Miocän)  war  jenes  weite  £ßal 

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40 


ein  Sinnenjee  ober  ein  ÜReetbufen,  burcfa  ft^male  SBorgebitge 
unb  eine  3nfelreibe  oom  ^oljen  SReere  getrennt.  ©in  parallel* 
gebübe  be0  pliocänen  ©olfS  oon  Alta  (California  Ijat  ficß  biß 
jur  ©egenmart  erhalten,  bet  fWeetbufen  oon  Kalifornien,  bie 
©orteS*See.  Die  3etftörung8probufte  bet  «Sierra  9Reoaba  unb 
namentlich  beö  golbreicßen  SdjiefergebietS  erfüllten  nun  mäßrenb 
beS  jüngften  ©rbentageS,  ber  aber  ungezählte  3ahrtaujenbe  um* 
fafete,  ben  meiten  oberfalifornifc^en  ©olf.  (Sine  ©anb»  unb  ©e* 
röQmaffe,  bereu  SJlächtigfeit  auf  330  SDReter,  beten  AuSbeßnung 
auf  800  biö  900  Duabrat*9Reilen  gu  fdjäßen,  mar  baS  ©rzeug* 
niß  bet  emig  unb  allerorten  tätigen  Denubation  ber  ©tbober* 
fläd^e.  ©ine  allgemeine  Hebung  beS  SanbeS  non  etma  200  Mietet 
brachte  jene  jugenblidien  ©ebilbe  mit  ihren  golbenen  Schüßen 
an’S  Tageslicht.  3n  jener  Beit  begann  eine  großartige  oulfanifche 
Tßätigfeit  in  bet  Sierra  SReoaba.  Der  riefige  23ulfan  Shafta 
(4267  SJteter)  thürmte  ficß  auf  unb  überftrömte  auSgebehnte 
gläcßen  bet  ©eröHmaffen  mit  8aoabecfen.  Sehnliche  Ströme, 
ju  8aoaplateauS  erftarrenb,  ergoffen  jtdh  oon  feßr  zahlreichen  $)un!* 
ten  bet  SReoaba.  Die  ©rofion  unb  TßolbÜbung  begann  oon 
SReuem  ißr  Spiel  unb  fo  entftanben  bie  cieloerzmeigten  Strom* 
rinnfale  beS  ©arramento  unb  beS  S.  Soaquin.  ©8  begann 
ein  Tßeil  bet  ©bene  (nörbltd)  beö  39°)  unb  bie  ©ebirgSthäler 
ftcß  mit  SBälbern  tn  langfamem  AufmucßS  z«  bebecfen,  meldje 
an  ©roßartigfeit  oielleicbt  jeglichen  SBalbmudjS  ber  ©tbe  übet* 
treffen  (bie  SSafßingtonia).  — Die  nimmer  rußenbe  ©tofton 
ßat  einen  großen  bet  golbbetgenben  ©eröD*  unb  Sanb» 

maffen  hi**trcizgefd^memmt.  Die  erhaltenen  JRefte  fteUen  im 
Allgemeinen  Tetraffen  unb  plateauähnliche  Serge  bar.  ©ine  be» 
beutungSeoDe  SRolle  fpielen  für  ben  ©olbgräbet  jene  Safalt*  unb 
gaoabecfen;  fie  breiten  ftd?  übet  ben  golbfüßrenben  loderen 
SDRaffen  auS,  fie  oor  ber  3erftörung  fdjüßenb.  So  entftehen  jene 

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41 


djarafterifttfdjen  tafelförmigen  Serge,  feeren  oberfte,  Ijorijontale 
2>ecfe  (15  bis  65  SJleter  mädjtig)  auS  bafaltifcfyer  üaoa  befielt; 
e6  finb  bie  roeitberufenen  $able  SDtountainS.  So  roerfeen  nun 
feie  »etfdjiebenen  ©olblagerftätten  Kaliforniens  unS  oerftänb* 
lid)  fein. 

©olbfüfyrenbe  Duarggänge  bilfeen  feie  urfprünglidje  8ager* 
ftätte  feeS  KbelmetaHS.  Sie  bilfeen  nacfy  c.  SRid)tfjofen,  welkem 
roir  eine  trefflidje  Scbüberung  bet  fPletaDprofeuftion  Kaliforniens 
— ^etermann’S  SOlitt^eilungen,  KrgängungStyeft  14  — oetfean» 
fen,  eine  fdjmale  3one  in  ber  ÜJlitte  beS  SSßeftabfaHS  ber  Sierra 
Slenaba  in  1000  bis  1650  ÜJteter  9Jleereöf}öt)e;  feaS  ©treiben  ift 
f>araQel  bemjenigeit  feeS  ©ebirgB  unb  ber  Äüfte.  3l?t  Komplet 
ift  einet  feer  auSgefeebnteften  unfe  regelma§igften  ©nnggüge  feer 
SBelt.  35ie  3al)l  ber  ©ange  ift  oft  in  fleinem  }Raume  auffer» 
orbentlid)  gtofj,  bann  roiefeer  finb  fie  fpatfamet  unfe  liegen  wei* 
ter  auSeinanfeet.  Son  großer  SSidjtigfeit  für  baS  Auftreten  ber 
©olbgänge  fr^cint  nadj  o.  IRidjttjofen  feaS  Sorfommen  eines 
KruptingefteinS  gu  fein  (35iorit,  Slpfyanit),  roeldjeS  IdngS  beS 
SBeftabljangS  bet  Sierra  feljr  gablreicbe  gangförmige  ®urdj> 
brüdje  in  feen  frpftatlinif^en  Schiefern  bilbet.  Siele  ber  reidjften 
©änge  treten  im  Kontaft  ber  Schiefer  unb  beS  KruptingefteinS 
auf.  35a  mehrere  golbfüfyrenbe  ©änge  in  unmittelbarer  9iä^e 
bet  teilen  ©erötl«  unb  Sdjottermaffen  auftreten,  fo  rourben  fie 
balb  aufgefunben  unb  bereits  gu  Anfang  ber  50er  Saljre  in  9lb» 
bau  genommen.  3ljte  ©efe^ic^te  giebt  ein  lefyrreidjeS  SUb  »on 
übertriebenen  Hoffnungen  unb  barauf  folgenber  Knttäufcpung. 
Silan  fanb  nalje  feem  SluBgetyenben  grof)e  üJtengen  ©olbtS  unb 
gab  fidj  bet  Uebergengung  fyin,  baf)  ber  gange  ©angraum  nadj 
ber  SSiefe  fyin  mit  maffioem  gebiegenem  ©olb  erfüllt  fein  müffe; 
man  roäljnte,  baS  ©olb  fei  butd)  »ulfanifdje  Jträfte  gefdjmolgen 
in  bie  ©angfpalte  inficirt  roorben.  Salb  aber  folgte  bie  Knt* 

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42 


täufdmng.  §aft  allgemein  geigte  fidj  eine  Slbnahme  beö  Stetig« 
thumß  nach  ber  $iefe.  3fud>  erroiefen  fid)  »tele  gagerftätten  nur 
0I8  fog.  {Reftergänge,  baß  ©belmetall  war  nur  an  einzelnen 
fünften,  welche  fchnell  abgebaut  waren,  concentrirt.  DRehrere 
ber  widjtigften  ©ruben,  g.  93.  bie  berühmte  @urefa={Diine  (welche 
wäfyrenb  i^reö  neunjährigen  Betriebs  ©olb  im  SBerthe  »on 
17  630000  DRarf  geliefert  hatte),  erreiditen  in  wenig  mehr  alö 
200  Bieter  baß  ©nbe  ber  23ereblungßgone  unb  würben  oerlaffen. 
©tödlicher  2Beife  giebt  eö  inbef)  manche  Äußnahmen  ber  gewöhn* 
liehen  {Regel  einer  {Berarmuitg  in  ber  ü£iefe,  ba  einige  ©änge 
einen  ftetß  gleichen  21  bei  in  ber  ü£iefe  ober  eine  gleichmäßige 
Söieberfeht  reicher  {Drittel  geigen.  {Die  ©olbgeroinnung  burch 
93ergbau  auf  ben  ©äugen  beträgt  etwa  >/ 4 biß  l/t  ber  ge= 
fammten  ©olbprobuftion  beß  £anbcß.  {Der  {Rütfgang  beß  cali« 
fornijthen  ©angbergbaueß  auf  ©olb  berechtigt  inbeß  nidd  gu 
ber  Annahme,  Daß  ber  ©olbbergbau  bort  feine  3ufunft  mehr 
habe.  {Rad)  »•  {Richthofen  finb  gerabe  biejenigen  ©äuge,  welche 
ben  regelmäßigftcn,  wenn  aud)  befcheibenen,  ©ewinn  oetfprechen, 
bißher  überfchen  ober  oernadilaffigt  worben.  @ß  finb  jene,  oor* 
gugßweife  mit  ©ifenfieß  erfüllten  ©äuge,  welche  bem  ‘Äuge  fein 
^reigolb  barbieten,  Dennoch  «bet  in  einer  Slonne  (1000  Ägt.) 
geförberten  ©anggefteinß  40-60  {Diarf  ©olb  enthalten. 

{Die  gweite,  für  bie  californifche  ^robuftion  weit  wichtigere 
©olblagerfiätte  bieten  bie  ©eröll*,  Schotter*  unb  Sanbablage* 
rungen  theilß  plioeänen,  theilß  noch  jüngeren  9llterö  bar.  SDiefe 
SBeije  beß  ©olbnorfommenß  begeichnet  man  auch  r»ot^l  mit  Dem 
{Ramen  bet  Seifen.  {Daß  93orfommen  beß  ©olbcß  im  Seifen* 
gebirge  giebt,  wie  feine  anbete  geologifche  SD^atfac^e,  unterer 
SBorfteUung  ben  DRaßftab  bei  Sd}ä$ung  ber  ©töße  unb  beß 
Umfangß  bet  JDenubation.  Smmerbar  nur  fpätlid;  finbet  fidj 
baß  ©olb  im  ©ange  unb  ODOenbß  neridjwinbet  feine  {Dienge  im 

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43 


Serglcicbe  mit  ber  ©ebirgßmaffe.  Um  fyunberte,  ja  um  tauienbc 
Don  SRetern  mürben  burd)  bcn  gerftörenben  ©influfj  Don  Suft 
unb  IBafjcr,  grojt  unb  Süärme  bie  ©ebirge  erniebrigt.  SDie 
3erftörungßprobufte  ber  Reifen  mürben  10,  ja  100  SReilen  fort* 
geführt,  nicht  fo  baß  ©olb  ber  gerftorten  ©äuge  Sei  feinem 
hoben  ©ewidrte  (19)  fonnte  eß  nur  doh  heftig  ftrömenbem  SBafjer 
unb  auf  ebener  glatter  Unterlage  fortgefübrt  werben.  So  fällt 
baß  ©olb  alßbalb  gu  Soben,  e§  entfernt  fid)  nidjt  meit  oon 
feiner  urfprünglicben  üagerftätte.  Sermöge  eineß  großen  natür* 
lidjen  Scblemmprogeffeß  eoncentrirt  fiel?  bemnad)  baß  ©olb  ber 
gerftorten  ©ebirge  in  ben  Schutt*  unb  ©eröllmaffen , bie  ihre 
2;tjäler  erfüllen  unb  itjren  gufj  umlagern.  Auch  oom  ©olbe  ber 
Seifen  gilt  — mic  uon  ber  Äofyle  — , bafj  baß  3Jtenfd)engefd)led)t 
bie  ©rnbte  unb  Arbeit  oieler  Babrtaufeube  einbringt,  eine  ©rnbte, 
welche  ftd)  nidjt  erneuern  !anu  in  ber  furgen  Spanne  Beit, 
roäbrenb  welcher  bie  ©rbe  unferm  ©efebteebte  gum  SBoljnort 
bient.  — 5£>ie  Seifen  (Placers)  werben  in  feidjle  (flat)  uub 
tiefe  (deep)  eingetbeilt.  3)ie  feidjten  Placers  gieren  fidj  längß 
ben  ftlu&läufen  f)in,  fie  geboren  bem  AQubium  an  unb  finb 
entftauben  burch  eineu  mieberbolteit  Sd>lemmprogef)  ber  älteren 
Ablagerungen.  Sei  ihrem  großen  Steicbtbum  unb  ber  leichten 
©eminnung  bilbeten  biefe  feichten  Placers  gunäcbft  baß  Arbeitß* 
felb  ber  ©olbgräber.  2)ie  geringe  ÜRäcbtigfeit  unb  Außbebnung 
tiefer  AUuoionen  bemirfte  inbe§  eine  jcbneUe  ©rfdwpfung.  Stur 
ben  arbeitfamen  unb  mit  fleiuem  Serbienft  gufriebenen  ©b'nefen 
ift  noch  eine  5Radjle*e  auf  tiefen  feid)ten  Placers  möglid),  melcbe 
ber  weifte  ©räber  alß  nicht  mehr  lobnenb  oerlaffen  bat.  d.  Sticht* 
bofen  betont,  bafj  bie  ebinefifebe  Seoölferung  allein  im  Stanbe  fei, 
bie  tbeilß  armen,  ttjeilö  fcblecbt  oermafebenen  AUuoionen  außgu* 
beuten.  Db«ß  bi?  übätigfeit  ber  ©binefen  mürbe  bie  Abnahme 
ber  9>vobuftion  noch  weit  bebeutenber  berbortreten.  Leiber  roirb 

(»i«) 


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44 


bet  SBertb  ber  chinefifdien  ©eoölferung  in  Kalifornien  nidjt  et* 
fannt.  „Stan  beeinträdjtigt  ben  (S^inefen,  wo  eS  nur  möglich  ift; 
man  Iä§t  iljn  gu  feinem  ©ewerbe  gu,  räumt  ihm  feine  bürger* 
litten  9ted)te  ein,  erlaubt  ihm  feinen  ©runbbejtf).  2)er  Ameri» 
fanet  mifcbanbelt  unb  jdjlägt  ben  Sbinefen  ungeftraft  auf  ben 
©tragen  oon  ©an  grauciSco,  beraubt  ifjn  im  üanbe,  morbet  ihn, 
ohne  baf)  man  baoon  Äenntnifj  nimmt."  — S)ie  tiefen  Placers 
umfaffen  jene  pliocänen,  meutere  ^unbert  mächtigen  ©eröQ« 
maffen,  welche  oieifad)  oon  oulfanifdjen  8aoa*  unb  Tujjbecfeu 
überlagert  unb  fcurcb  fteilmanfcige  Schluchten  gerfchnitten  unb 
gertbeüt  finb.  ©teile  Abfälle  umgeben  oft  ringsum  biefe  Terraffen» 
unb  Tafelberge,  beren  93aftö  bie  frpftallinifdjen  ©Riefet  bilben. 
3)ie  golbteidje  ©anbfchidjt,  ber  „pay  dirt",  finbet  ftdj  oorgugS' 
weife  im  Siegenben  bet  ©eröQmaffen  auf  ober  nabe  ben  ©d^ie* 
fern.  ©on  befonberer  ©ebeutung  für  baS  ©ortommen  beb  ®ol* 
beS  in  biefen  Ablagerungen  ift  ein  altes  Strombett,  welches  — 
jefct  oon  mastigen  ©ebimenten  erfüllt  unb  bebecft  — etwa 
12  Steilen  öftlicher  als  bie  glüffe  ©acramento  unb  ©.  Soaquin 
auf  einet  ©trecfe  oon  30  Steilen  oon  IDownieotüe  unb  ©urefa 
bis  Kolumbia  (10  Steilen  ßftlicb  ©tocfton)  gu  oerfolgen  ift. 
IDaS  ©ett  beS  alten  ©tromeS  wirb  burd)  bie  unebene  gläcbe 
ber  aufgeridjteten  ©tiefer  gebilbet,  welche  ootgugSweife  geeignet 
war,  baS  ©olb  feftgufyalten.  ©rft  feit  ber  Stitte  ber  50er  3aljre 
bat  man  begonnen,  biefe  älteren  golbfüljtenben  Ablagerungen  in 
gtö&erem  Stajjftabe  gu  bewältigen  unb  auSgubeuten.  2)ie  be* 
wunbernSwürbige  Tbatfraft  ber  Amerifanet  bat  gu  biejem  ßwecfe 
Arbeiten  auSgefübrt,  welche  bie  oben  nach  $)liniu3  gefcbitberten 
römifcben  Sßerfe  in  ©panien  weit  übertreffen.  @8  ftnb  bie  fo« 
genannten  bbbraulifchen  Arbeiten. 

Schon  wenige  3abte  nach  ber  ©ntbecfung  beS  ©olfceS  war 
Oer  grofje  JReichthum  ber  leicht  gu  bearbeitenben  ferchten  Placers, 

(438) 


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45 


ber  oberflächlichen  ABuDionen,  erfdhopft.  35aS  in  ben  BelSfpalten 
wühlenbe  ÜReffer,  bie  Schaufel  unb  ©pi^adfe,  ber  äöafdjtrog 
unb  bie  geneigten  fyoljernen  2Saf<htinnen  (Sluices)  Ratten  ihre 
Arbeit  get^an.  Auch  bie  Ausbeutung  ber  tiefen  Placers  war 
bis  ju  einem  fünfte  erfolgt,  an  welchem  bie  Äoften  ber  Arbeit 
buTdj  baS  gewonnene  ©olb  nicht  mehr  gebeeft  würben.  @8 
hanbelte  fid)  barum,  ©eröBmaffen  non  30  bis  70  SJleter  unb 
mehr  ÜRädjtigfeit  ju  entfernen  unb  bie  golbrcidje  (Bd}id)t  frei* 
julegen.  35a  fam  im  grüfyjafjr  1852  ein  ©olbgräber,  beffen 
9lame  leiber  Bergeffen  würbe,  auf  ben  eben  fo  finnreidjen  als 
einfachen  ©ebanfen,  einen  Söafferftrafyl  mit  grofjer  jfraft  gegen 
bie  ©eröB*  unb  Sanbmaffen  ju  fcbleubetn.  ©ine  Keine  SSaffer» 
leitung  würbe  am  ©eljünge  hin  bis  gegenüber  ber  ©eröHwanb 
geleitet,  auf  welche  ber  Angriff  gefaben  füllte,  ©ine  Sonne, 
17  9Reter  über  bem  AngriffSpunft  ftehenb,  nahm  baS  SBaffer 
auf,  weites  nun  mittelft  eines  16  ©tm.  weiten , mit  einem 
3 ©tm.  biefen  3innrol)r  enbenben  Schlauches  gegen  bie  ©erofle 
gefdjleubert  würbe.  AuS  tiefer  unfeheinbaren  „hübraulifdjen" 
Sorrichtung  erwuchfen  fdjneO  jene  riefigen  Anlagen,  mit  beren 
pfeife  Serge  non  ihren  ©runbfeften  weggewafchen  würben. 
SBelch’  ungeheurer  Sortfchritt  burdj  bie  „Hydraulic“  gefchah,  er» 
giebt  fidj  aus  folgenbem  33ergleidj.  Unter  SBorauSfejjung  eines 
Sagelol)nS  non  4 35oüarS  (a  4 9Rf.  15  $>f.)  betragen  bie  Äoften 
ber  Serwafchung  oon  einem  ©ubiK^arb  Sanb  (=  0,7635  ©ub.» 
SOleter): 

3Rit  ber  ©d>üffel  (Pan)  ....  83  ?Dtf. 

„ „ SBiege  (Rocker)  ....  20  „75  $)f. 

„ bem  langen  Äaften  (Long  Tom)  4 „ 15  „ 

„ „ hptottwliidjen  Apparat  . . — „ 20  „ 

35ie  ©olbgewinnung  in  ©alifornien  hängt  jejjt  cor  allem 
oon  ber  gur  Verfügung  ftehenbeu  Sßaffermenge  ab.  Oiegenreiche 

(433) 


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46 


Sahte  bringen  eine  reiche  ©olbernbte.  SDie  ©efammtlänge  ber 
für  bie  ijpbraulifcben  SBetfe  nötigen  ©anäle  betrug  im  Satyre 
1876  bereits  8270  Älm.,  b.  h-  baS  ^Doppelte  ber  gerablinigen  ©ntfer* 
nung  »on  9tew*$)orf  nad)  ©.  Francisco.  Salb  führen  fie  ba$ 
SBaffer  in  offener  Leitung  über  bie  ©ebirge  ober  an  ben  @e* 
hangen  bin,  balb  muffen  in  gefcbloffenen  Hquäbucten  SLtjciter  »on 
300  bis  400  OJteter  Sliefe  überfet^t  werben.  Huf$er  ben  ©analen, 
welche  baS  Söaffer  »on  ber  sJle»aba  tjerteiten,  muh  man  HbgugS- 
gräben  fiepen,  oft  »erbunben  mit  langen  ©tollen,  weldje  burcb 
ben  liegenben  ©chiefer  gebrodien  werben.  üJtan  arbeitet  jefct 
mit  Söafferftrablen,  welche  eine  üöaffermenge  »on  25—30  ©ub.* 
gufj  in  ber  Sefunbe  barftellen  unb  mit  einer  ©efcbwinbigfeit 
»on  45—50  SJteter  in  ber  ©efunbe  gegen  baS  ©eftein  gefcpleu- 
bert  werben.  3)ie  SBirfung  biefer  permanenten  SBaffergefchoffe 
ift  unbefdjreiblidj.  Jpören  wir  bie  Söorte  beS  ?)rof.  ©iliman: 
„'Huf  feine  anbere  Sieife  »eränbert  ber  ÜJtenfd)  fo  »oUftänbig 
baS  Hngeficpt  ber  ©rbe,  als  burch  biefe  tjpbraulijd)en  Arbeiten. 
Serge  fd)meljen  tjinmefl  unb  »erfdjwinben ; ihre  ÜJtaffe  wirb  in 
ben  tiefer  liegenben  glufethälern  auSgebreitet;  gan^e  Schäler  wer» 
ben  auSgefülIt  mit  reingewafchenem  ÄieS  unb  ©anb,  welche  auS 
ber  groben  gluth  juvucfbleiben.  Unterbeffen  fliehen  ber  Sacra* 
mento  unb  jeine  fltebenflüffe  wie  aud)  bet  @.  Soaquin  getrübt 
burch  rothen  Sehlamm.  Sn  ben  Strömen  entftetjen  Sanbbänfe, 
ja  fogar  ber  Sufen  »on  ©.  granciSco  wirb  mit  Serfanbung 
bebroht.  35ie  Serhceruitg,  welche  gurücfbleibt,  wenn  ber  ©runb 
»om  ©olbgräber  oerlaffen  wirb,  ift  unüerbefferlich  unb  er* 
fchütternb."  tReicpe  Sh^ünbe  unb  fruchtbare  ©efilbe  am  Suba 
unb  am  obern  ©acramento  finb  bereits  mit  einer  Scbuttbecfe 
überlagert  unb  unbewohnbar  geworben.  Stlie  fdjrecflich  biefe 
Serheerungeti  finb,  geht  auS  ber  SLI?atfac^e  hetoor,  bah  in  bem 
reichen  ÜDiftrift  ©olb  SRutt  unfern  ber  Station  IDutd)  glat  an 

(43 1) 


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47 


ber  Pacific  »Sahn  auf  Die  ©eroinnung  eiueö  ©ollarß  ©olb 
17,4  ©ub.=9Jiet.  tranßlocirten  ©djutteö  gerechnet  murbeu.  ©ie 
Ausbeute  »du  2 SJtillionen  ©oÖarß  crheifchte  bie  gortfchmemtnuug 
oon  34  800  000  Gub.«5)tet.  ©chutt,  mit  meinem  man  34,8  Duabr.» 
^lm.  1 fSJteter  hoch  bebecfen  förnte.  5Ran  fielet,  bafj  bie  ca!U 
fornifche  ©olbgeminnung  nicht  ebne  einen  bunflen  ©chatten  ift 
©in  erbitterter  noch  ungefchlichteter  Äampf  gmifdjen  Bergbau 
unb  ganbmirtbfchaft  entfprang  auß  jenen  Serbältniffen.  3ebe 
Partei  tcimpfte  mit  allen  ihr  gu  ©ebote  ftebenben  Mitteln,  um 
auf  bie  öffentliche  Meinung,  auf  bie  ©taatß*  unb  auf  bie 
Bunbeßbehötben  gu  roirfen.  Söähreitb  bie  ©rubenbefitjer  nlö 
Bermüfter  unb  Berberber  beß  Sanbeß  bargefteHt  mürben,  beren 
©reiben  balbmöglichft  ein  ©nbe  gemacht  roerbeit  mühte,  tonnten 
fte  ihrerfeitß  nachmeifen,  bah  eine  Slngahl  t>tnt  Bieberlaff  ungen 
nicht  fomohl  gu  lanbmirthfthaftlichen  3mecfen,  als  oielmeht  mit 
ber  Slbfidht,  hohe  ©ntfdjäbigungen  oon  ben  ©rubenbefi^ern  gu 
etpreffen,  gegrunbet  motbeu  feien-  ©eben  mit  — mogu  mir  in 
ber  ©hat  berechtigt  — non  biefeu  Berroüftungen  ab,  benen  gu 
fteuern  bie  ©efejjgebung  mit  aller  ©nergie  beftrebt  ift,  fo  läfet 
fich  nicht  leugnen,  bah  bie  ©ntbecfung  beß  ©olbeß  bem  £anbe 
©alifornien  unb  ben  Bereinigten  ©taaten  unenblid)  mehr  ©egen 
alß  ©djaben  gebracht  hat.  Biemalß  ift  ein  grofjeß  üanb  fo 
fchnell  ber  ©ultut  gemonnett  morben,  mie  ©alifornien,  melcbeß 
gu  Beginn  beß  3ahreß  1848  oon  15  000  meift  oon  Biehgudjt 
ftch  ernahtenben  SKenfchen  bemohnt  mürbe.  Bach  2 3ahren  mar 
bie  Beoölferung  auf  100  000  gemachten;  ber  ©enfuß  oon  1870 
ergab  560  000  ©eelen;  gu  ©nbe  1877  betrug  bie  3al)l  bereits 
938  000.  3n  30  3ahren  hat  fich  baß  £aub  mit  herrlichen  ©e> 
treibefluren  bebecft.  3n  ftolge  bet  ©ntbecfuug  beß  ©olbeß  mürbe 
©alifornien  baß  SBittelglieb  im  Berfehr  beß  öftlichen  '^merifa’ß 
uub  ©uropa’ß  mit  bem  öftlichen  iSfien  uub  ber  gangen  pacififchen 

(M5) 


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48 


SSelt.  ©er  ^>afen  »on  @.  Francisco,  baS  berühmte  golbene 
übßt,  ift  jetjt  einer  bet  Brennpunfte  beS  SBeltüerfebrS  unb  beS 
SBeltbanbelS.  SSäbrenb  jucor  nur  ©egelfchijfe  bie  unermeßlichen 
pacifijcben  fRäume  burcbjogen,  gelten  jeßt  bie  ©ampferlinien  »om 
Golden  Gate  auS  nach  Sapan  unb  <5t)ina , nach  91eu--6eelanb 
unb  Sluftralien.  2CGe  Snfeln  unb  lüften  beS  großen  DceanS 
»erben  in  ben  ©trom  frieblic^cn  BölfereerfebtS  {jineingejogen. 
SRenfchlicbe  ©i»Üifation  bat  ihre  ftarfen  äöurjeln  getrieben,  an 
Äüjten,  welche  $u  ©oof’S  3eiten  non  5Jienfc^en freffern  bewohnt 
würben.  3a,  (Kalifornien  ift  baS  fchtießenbe  ©lieb  in  bem  großen 
CRinge  bet  ©ulturlänber  geworben.  3[ud)  ©btna  «nb  Sopan 
»erharren  nicht  mehr  in  ber  früheren  3folirung.  ©aß  fte  hin« 
eingejogen  würben  in  ben  ©front  gemeinfamen  menfchlicben 
©ulturfortjchrittS,  beruht  wefentlich  auf  bem  ©mporblüben  ©ali» 
fornienS.  Schneller  als  man  ahnt,  jebreitet  wohl  bie  9Jienf<hbeit 
ihren  hoben  Stelen  entgegen.  Bielleicht  ift  bie  3eit  nicht  ferne, 
baß  jene  ^unberte  »on  SDiiöionen  reidjbegabter  SRenfdjen,  welche 
baS  öftliche  '3fien  unb  bie  3nfeln  bewohnen,  ben  gleichen  großen 
9)rin$ipien  ber  Bilbung  unb  Humanität  hnlbigen  werben,  ju 
welchen  bie  cbriftlicben  Bölfer  »erpflichtet  finb. 

©ie  ©olbprobuftion  Kaliforniens,  fowie  ihr  ©teigen  unb 
fallen,  ergiebt  jid)  auS  folgenben  3ahlen,  welche  ben  ©ejammt« 
werth  bet  SJuSfußr  in  SRiUionen  3Rarf  angeben.  Bereits  im 
Sabre  1848  betrug  bie  Ausfuhr  42;  fie  ftieg  außerorbentlich 
fchneD  unb  erreichte  1853  mit  273  ihr  5Rajtimum.  ©in  aß* 
mähliches  ©infen  tritt  ein;  1858  210;  1861  168;  1863  126; 
1871  84;  1872  80;  1873  75,5;  1876  71.  gegterere  3al)l  be* 
geichnet  baS  ÜJünimum,  welches  feit  bem  Sabre  1849—1876  bie 
©olbgewinnung  erreichte. 

SBir  bürfen  ben  fernen  SBeften  nicht  »erlaffen,  beoor  wir 
einen  Blicf  auf  ben  SDiftrift  SBafhoe  im  ©taate  fReoaba  gewor* 

(*36) 


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49 


fen  haben.  fRad)  obigen  Anbeutuugen  über  bie  golbenen  ©chäjje 
©alifornienö  fönnte  man  oieUeic^t  glauben,  baf)  neben  ihnen  bie 
eblen  8agerftätten  beS  centralen  fRorbamerifa  nur  oon  unter» 
georbnetem  3ntereffe  mären.  3n  ber  2.hat  tonn  tnan  ben  ©olb* 
lagerftätten  ©alifornienS  gleite  ober  ähnliche  ©cbäfce,  fei  eS  ter 
»ergangenen  Sat^hunberte,  jei  eS  bet  (Segenmart,  an  bie  ©eite 
ftellen.  fRirgenb  unb  niemals  aber  hat  man  einen  eblen  ©rj» 
gang  gefunben  oon  bem  fReidjthum  beS  ©oruftocf*®ang0.  An 
feinem  anbern  fünfte  ber  ©rbe  hat  bie  ihre  ©unft  unb  ©aben 
io  ungleich  auStljeilenbe  -Jiatur  eine  gleich  9™§e  SRenge  ooit 
©belmetaü  jufammengehäuft,  als  in  jener  erfüllten  ©palte  beS 
oberen  ©arfon»@ebietS,  meldje  ben  tarnen  bes  unglücflichen 
AbenteuererS  ©omftocf  für  alle  Beiten  mit  ber  ©efdjidjte  ber  eblen 
IDtetalle  oetbinben  mirb. 

©inige  ^eilige  beS  jüngfteu  £age$,  SRitglieber  jener  merf» 
mütbigen  politijch*religiöfen  ©efte,  melche  % ©taatSmejen  auf 
bem  ©runbfajj  auferbauten:  ©in  träger  üRenfch  fann  fein  ©hrift 
fein,  — einige  üRormenen  liefen  fidj  ^u  ©nbe  ber  40er  3aljte 
in  bem  unbemohnten  milben  5)iftrift  beS  oberen  ©arfon*§luffeS 
nieber.  ©ie  fanben  unb  muffen  ©olb.  33on  SBrigham  öoung 
in  bie  neugegrünbete  ©aljfeeftabt  berufen,  mußten  fie  ihr  ©olb 
ber  ©emeiube  übergeben,  ©S  biente  ^um  ©chmucf  beS  pracht* 
ooden,  auS  ©ranitquabern  erbauten  JempelS  ber  Great  Salt 
Lake  City.  — 3ahllofe  ©chaareit  jogen  mährenb  beö  folgenbeu 
3ahr^ehntß  bei  SBafhoe  oorüber  itad)  ©alifovnien,  ol}ue  bie  ©djä^e 
am  ©arfon  ju  ahnen,  ©rft  im  Satjre  1858  brachte  man  SBlörfe 
eines  bunflen  ©rjeS  nach  ©rafj  SSallep  in  Galifornien.  3Die 
©chmeljprobe  ergab  neben  ©olb  einen  reichen  ©ehalt  an  ®il» 
ber.  daraufhin  gegen  oon  ©alifornien  Abenteueret  nach  SBafhoe^ 
unter  ihnen  $enr»  ©omftocf,  ber  einen  großen  $heil  beS  noch' 
ihm  benannten  ©augeS  oon  bem  früheren  öeft^er  tOirginia  für 

XIV.  324.325.  4 (437> 


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50 


20  55ollarß  faufte.  Gomftocf  fe|te  inbe§  fein  ruhelofeß  SBanber* 
leben  fort,  nadjbem  er  feinen  ©angantheil  für  6000  Dollars 
»erfauft.  „^eute  — fo  fchreibt  o.  0tid)thofen  im  3a|re  1863 
— würben! 20  ÜKiüionen  SDollarö  ben  Slntheil  nicht  aufwiegen.“ 
Die  ©rgebuiffe  beß  6omftocf*23ergbaueß  flehen  ohne  ©leicheu 
ba,  wie  folgenbe  3ahlen  beweifen.  Der  ©ang  fchüttete  in  bem 
16jährigen  betrieb  1860—1875  ©belmetall  im  SBerth  non 
840  fUtillionen  fßtarf  unb  gwat  336  fötillicnen  föiarf  ©olb  unb 
504  fötillionen  fötarf  Silber.  Daß  3ah*  1876  ergab  eine  2luß* 
beute  non  71  530  000  fölarf  ©olb  unb  83  970  000  ÖRatf  ©Über. 
Die  ©olbprobuftion  beß  einzigen  ©omftocfgangß  übertrifft  um 
baß  13fa<he  bie  gefammte  $)robuftion  Defterreich*Ungarnß.  Bon 
bet  ©belmetallprobuftion  ber  weiten  golb«  unb  filberretdjen 
(Staaten  unb  Territorien  weftlidj  beß  gelfengebirgeß  erzeugt  jener 
einzige  ©ang  brei  Siebentel.  Der  unglüdfelige  (Somftocf  mu|te, 
wie  wenige  anbere  Sterbliche  ben  Berrath  beß  irbifdjeu  ©lücfß 
empfinben.  $hnungßloß  hatte  er  ungeheuere  Schätze  befeffen  unb  aus 
ber  cfpanb  gegeben.  Statt  ber  oerlorenen  neue  gu  juchen,  gog  er 
ruheloß  umher  nach  Dafota  nach  flteu  fötejcico.  Schwermuth 
unb  Bergweiflung  ergriff  ihn.  @r  ftarb  oon  eigener  £anb,  „elenb, 
fchmujjig,  unbetrauert,  unbemerft  unb  faft  ungefannt."  (©.  Sü§.) 

Der  ©omftocfgang  fe|t  unter  39°  20'  nörbl.  Breite,  5 fötei* 
len  öftlid)  beß  h°hen  Äammeß  ber  Sierra  flteoaba  auf,  baß 
Streichen  ift  9t.  gegen  £).— S.  gegen  SB.;  baß  fallen  ift  40 
biß  50')  gegen  Oft.  Die  fDteereßljöhe  beß  9lußgehenbeu  jchwanft 
gwifdjen  1900  unb  2100  föteter.  Die  befannte  Sänge  beß  ©an* 
geß  beträgt  6700  föteter.  Di e gefammte  ©angmä^tigfeit,  ein* 
begriffen  bie  ficfj  abgweigenben  Blätter  unb  Trümmer,  fdjwanft 
gwifdjen  20  unb  200  föteter.  Der  ©ang,  eine  mit  ©tgfchalen 
unb  »3onen,  mit  rothen  mb  weilen  Quargbilbungen,  mit  Thon* 
maffen  fowie  mit  gto|en  Schollen  beß  fJtebengefteinß  erfüllte  un= 

(4JS) 


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51 


geheuere  Spalte  liegt  auf  einet  ©efteinSgrenge,  nämlid)  zwilchen 
@penit,  welcher  bag  üiegenbe  unb  fPropplit  (einer  ©arietät  bed 
Srachptö),  reeller  baä  ^angenbe  bilbet.  35er  Spenit,  ein  alte* 
re8  ©ruptipgeftein,  bilbet,  im  äBeften  be8  ©angeö  emporragenb, 
ben  ÜWount  35aoibfon  (2385  Sieter),  ben  ©ulminationSpunft 
ber  weiten  Umgebung.  55ie  fpenitifcfee  ©efteinömaffe  fd^eint  ftd) 
nacp  ber  Stiefe  feilförmig  unter  bem  9>ropplit  au^ube^nen,  wel* 
eher  alö  eine  Diel  jüngere  üulfanifdje  ©ruptiomaffe  weithin  bie 
älteren  ©Übungen  übeifluthete.  35ie  eblen  ©angminetalien  pon 
Gomftocf  finb:  gebiegen  ©olb,  gebiegen  Silber,  Silberglanz, 
9iethgültig  u.  e.  a.  55iefe  eblen  Slineralien  finb  nicht  gleid)* 
mä&ig  im  ©angraum  »erteilt;  fie  bilben  oielmehr  ungeheuere 
linfenfötnüge,  aud>  wohl  mit  gijdjen  terglichene  ©rzförper, 
©onanjaö  genannt,  beten  bis  jejjt  etwa  zehn  größere  aufjer  Dielen 
fleineren  befannt  finb.  35ie  wicfatigfte  üon  allen  ift  bie  ©olb* 
$i(l*©onanza,  welche  bei  einer  ÜängenauSbehnung  non  335  Sie* 
ter  bis  in  eine  Sicfe  non  213  Sieter  Don  ber  Oberfläche  fid) 
perfolgen  lüfct  unb  innerhalb  10  3al)teu  ©belmetall  im  SBerthe 
pon  172  Millionen  Siarf  geliefert  hat-  S5ie  Stage:  wie  tiefe 
unerhörten  Schale  in  bie  Seljenfpalte  geführt  worben  finb,  lägt 
fid)  zwar  mit  Sicherheit  noch  nicht  beantworten;  bafc  aber  21)et* 
malquellen  babei  mitgewirft,  möchte  nicht  gu  bezweifeln  fein. 
9iod)  jetjt  fprubelt  au8  bet  SOiefe  ber  ©angfpalte  hetfeeS  SBaffer 
empor,  weldjeö  ben  Jpduern  bie  2lrbeit  erfdjwert.  — 35ie  ©nt* 
becfuug  beö  ©omftocf=@angö  war  e8  adeiit , weldie  bie  ©rfot* 
fchung  unb  ©efiebelung  be8  ©reat  ©afin  jwijchen  ber  Sierra 
Dieoaba  unb  ber  Söaljfatch  * Äette  bebingte.  35ie8  weite  ©ebiet, 
pon  nicht  geringerer  'Jluebehnung  wie  baö  beutfcfae  9ieid),  war 
bis  1858  (mit  äluönahme  be§  Siormonen*35iftrift8)  nur  nott 
fchweifenben  Snbianern  bewohnt,  währenb  fe^t  bie  weijje  ©e» 
Dotierung  100  000  weit  überfteigt.  Bwei  anfehnlidje  Stabte, 

4»  (IM) 


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52 


©olben  j£)id  unb  IBirginia  <5itp  würben  auf  bem  SÄußgebenben 
beß  ©angeß  felbft  erbaut ; mehrere  anbere  muffen  fdbnell  iu  ber 
Stacbbarjchaft  empor.  Der  ©omftocf  war  auch  bi*  93eranlaffung, 
bafe  baß  ©reat  33afin  nach  neuen  fcagerftatten  beß  ©belmetaUß 
unb  gwat  mit  gtücflicbem  ©rfolge  burebforfebt  würbe.  Die  un* 
terirbijehen  <St^ä^e  oon  Topabe  (^Suftin),  fHeefe  jRioer,  SEB^ite 
9>ine  u.  a.  £>.  finb  oon  ber  Statut  in  2Büftenlanbjchaften  niebet» 
gelegt;  bie  traurigften  SSüftenräume,  iu  benen  ©anbfläcfaen  mit 
außgebebnten  ©aljebenen  wechfeln.  Die  troefue,  licbterfüllte 
£uft  geftattet  bem  2luge  unbegrengte  §ernfichteu  übet  baß  öbe, 
naefte,  jeglicher  Vegetation  (mit  SÄußnabme  bet  ben  tobtendbnlicheu 
©baralter  bet  SEBüfte  noch  erhöben  ben  ©albeipflange)  entbehrenbe 
2anb.  Dieje  abflufjlofe  Söüfte  hat  eine  mittlere  SReereßhöbe  oon 
1200  Söteter;  in  ihrem  centralen  Steile  erhebt  fie  fi<h  biß 
1800  SJleter.  Durch  biefe  Söüfte  gieben  jebr  jablreiche,  norb» 
füblich  ftreichenbe,  fchmale  bch*  (biß  3000  SJieter)  gelßgebirge. 
ERocb  ju  Anfang  ber  Tertidreped)e  branbete,  oom  merifanifchen 
©olf  beraufflutbcnb,  ber  ^tlantijche  £>cean  am  öftücben  ©teil« 
abftura  ber  3Babfat<b»Äette , wäbrenb  in  jenem  paciftjchen  ©olf 
oon  2llta  ©alifornia  bie  golbreichen  SÄUuDionen  fidj  aufjubauen 
begannen.  — 

golgenbe  3ufammenftellung  bet  ©belmetadprobuftion  in  ben 
©taaten  unb  Territorien  weftlich  beß  ÜRiffouri  (welche  wir  bem 
@eneral=©uperintenbenieu  3no.  3-  33alentiner  oetbanfen)  wirb 
nicht  ohne  3nterefje  fein. 


©olb. 

©über. 

1870 

Doßatß  33  750  000. 

17  320  000. 

1871 

„ 34  398  000. 

19  286  000. 

1872 

„ 38  109  395. 

19  924  429. 

1873 

„ 39  206  558. 

27  483  302. 

1874 

„ 38  466  488. 

29  699  122. 

(«0) 


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53 


©olb  Silber 

1875  Dollars  39  968  194.  31  635  239. 

1876  „ 42  886  935.  39  292  922. 

1877  „ 44  880  223.  45  846109. 

Die  ©efammtbrobuftien  beibcr  ©belmetaHe  ift  bemnacb  »on 
51  auf  903/4  ÜJlillionen  geftiegen.  SBäijtenb  inbefe  im  Sahre 
1870  ba8  ©über  nur  ein  Drittel  ber  probucirten  SBert^e  bar* 
fteflte,  beträgt  e8  je$t  mehr  als  bie  £älfte. 

SBerfen  mir  nun  einen  2?licf  auf  bie  ©olblagerftätten 
2luftralien8,  jenes  munberbaten  Kontinents,  auf  melcbem  bie 
Kiuilifation  am  fpäteften  fefte  ©ifje  gefunben,  um  fobanit  in 
bcifriellofem  SÄuffcfamung  über  ben  Dften,  ©üben  unb  Söeften 
ftcb  auSjubefynen.  Sn  ber  $hat,  roelcbe  Bänbet  fönnten  fidh  au 
©chneüigfeit  ihrer,  auf  fefteften  ©runblagen  beruhenben,  Knt* 
mitflung,  Dergleichen  mit  ben  auftralifd'en  Kolonien,  j.  23.  mit 
ÜBictoria,  roeld)e8  auf  4160  Quabrat»5Reilen  im  Sah«  1836 
224  Seelen,  im  Sahte  1876  bercn  840  300  jäfjlte!  2lud?  in 
Shiftralien  (in  Sictoria,  5Reu=©üb*3Balc8  unb  DueenSlanb)  ift 
e8  bie  Kntbecfuug  beö  ©olbeS  gemefen,  welche  in  mcnigen  Sah1* 
zehnten  au8  unbewohnten  SBilbniffen  unb  ©teppenlänbern  mohl« 
georbnete  Staaten  gebilbet  hat. 

bereits  im  Sahte  1841  hatte  SB.  23.  Klarfe,  ein  ©eiftlidjer, 
in  ben  blauen  23ergen,  etma  20  teilen  non  ©pbneti  entfernt, 
©olb  gefunben  unb  <;war  fomohl  im  ©eifengebirge  al8  auch  im 
SJluttergeftein.  Söenige  Sahte  ipäter  fprach  ©ir  9Rob.  SDiutchifon 
bie  Ueberjeugung  au8,  ba§  ba8  gro§e  ©ebirge,  welches  bie  Oft* 
lüfte  2luftralien8  begleitet  — gleich  fcem  Ural  — golbreidje  Bager» 
ftätten  einfchliefjen  müffe.  Die  erfte  Kntbecfung  einer  reichen 
2lllumon  gefcfaah  1851  am  ©ummerbiH'glufc  (9feu*©üb  = 2BaleS) 
burch  einen  au8  Kalifornien  jurücffehrenben  ©olbgräbet  fRamenS 
.^atgraoeS.  Schnell  ftrömte  eine  gro&e  3alfl  »on  SRenfchen 

(441) 


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54 


borthin  unb  eß  würbe  bie  ©tabt  Cpbir  *m  OueBgebiet  beß 
fölacquarie  gegrünbet.  9toch  in.  bemfelben  ?abre  erfolgte  bie 
ISuffinbung  beö  ©olbeß  in  Victoria,  unb  gwar  namentlich  bei 
©nmpie  (20  5fteilen  norblid)  twn  33ri§bane),  bei  Biecfhampton 
im  S£l?al  beß  untern  $itgrop*ftluffeß,  bei  Btanenßwoob  am  Surbe* 
fin  unb  an  »ielen  anberen  Orten.  IDaß  auftraliidie  ©olb  finbet 
fi(f>  theilß  auf  urlprüngücher  hagerftätte,  theilß  im  ©eifengebirge. 
SDie  erfte  2trt  beß  Sorfomntenß  umfaßt  oorgugßweije  Ouarggänge, 
welche  in  ungeheurer  9lngahl  ben  filurifdjen  S£t>cufcfiiefer  (bie 
herrfchenbe  Formation  beß  nerblichen  Sictoria)  burcbfe^en.  2>och 
auch  in  ©ranit,  in  felfitifchem  fWrphpr,  in  ^orphprit,  in  biabaß» 
ähnlichen  ©efteinen  ber  i'erfdjiebenften  91rt  tritt  baß  ©db  auf 
unb  gwar  theilß  in  normal  gebauten  ©ängen,  theilß  in  ©ang» 
nefcen  ober  audj  alß  Imprägnation  beß  ©efteinß.  ©ehr  merf« 
würbig  ift  eine  befonbete  9trt  non  ©ängen,  welche  man  nad) 
ihrem  Sau  alß  leitetförmige  ©änge  begeichnen  fann.  3n  einem 
»ertical  ober  fteilftehenben  ©rünfteingang  erfcheinen  nämlich 
gasreiche,  nahe  hwrigontale,  etwafl  wellig  gebogene  Duargabern 
unb  frömmer,  welche  oon  befonberem  ©olbreichthum  finb.  ©in 
tppifcheß  Seifpiel  für  biefe  2Crt  beß  ffiorfommenß  bietet  WoodV 
point  in  Sictoria.  ©in  mächtiger  ©rünfteingang  ift  tyiex  gut 
©eite  unb  in  unmittelbarer  Serüfarung  eineß  altern  golbführenben 
Duarggangß  emporgeftiegen,  Sruchftücfe  beffelben  umhüllcnb. 
kleine  flad)Iinfenförmige  Onargfßrper,  reich  an  ©olb,  jef$en  im 
©rünftein  auf  unb  bebingen  ben  rngewohnliden  Bieicbibum  biefcr 
8agerftätte,  welche  bem  oberfilurifchen  Shmfchiefer  angehört. 
Heber  bie  räumliche  Sertbeilung  beß  ©olbeß  in  ben  ©ängen  finb 
in  Stuftralien  eiele  böchft  merfwürbige  ©rfahruugen  gefammmelt 
worben.  SDie  Seichaffenheit  beß  9iebengefteinß  fpielt  babei  eine 
»ergleichßweiie  untergeorbnete  fRolle,  »cn  gro§er  Sebeutung  finb 
inbefc  bie  wechfelnben  formen  ber  ©angfpalten,  bie  fich  halb  er» 

(44!) 


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weitern,  halb  fcfjließen,  hier  auSbauchen,  bort  einen  fcßarfen 
£acfen  bilben.  Ueberbaupt  ift  baS  ©olb  feßr  feiten  gleichmäßig 
in  ber  ganzen  ©rftrecfung  beö  ©angeS  »orbanben,  fonbetn  folgt, 
and)  wenn  bie  ©angfpalte  eine  gleichförmige  ©ntroicflung  be» 
fißt,  gewiffen  8inien  (Shoot  ober  Run  of  gold  ober  Cbimney 
ber  ©alifornier)  welche  fcbief  in  ber  ©angfläche  »erlaufen.  Senn 
ein  ©ang  non  einem  anbern  ein  gufcßarenbeS  2rumm  erhält, 
fo  bringt  biefeS  oft  großen  fReid)tl)um.  ®o  würbe  bem  ©olben» 
@rowm©ang  auf  ffieufeelanb  bureb  ein  Irumm  folcße  ©olbmenge 
gugefübrt,  baß  „man  ein  »icle  fßieter  langes  faft  teincS  ©olb. 
banb  »on  wecßfelnber  Streite  entblößt  fab"  (©.  Solff).  — IDie 
Babl  ber  ©olbgänge  AuftralienS  ift  faft  unermeßlich  groß,  jeben* 
falls  nicht  unter  10  Saufenb  gu  fchäßen;  »on  ißnen  freilid)  bie 
SRebrgabl  unter  ben  heutigen  SSebingungen  nicht  bauwürbig.  — 
Sie  in  (Kalifornien,  fo  entftammten  aud)  in  Auftralien  bie  erften 
©chäße  ben  AHu»ionen.  ®a  bie  gerftörenben  Äräfte  ftetS  ihre 
Sirfung  übten,  mußten  febon  in  ben  früßeften  3eiten  bie  pri* 
mären  ©olblagerftätten  gerftört  u»b  baS  ©belmetall  ben  Strümmer* 
maffen  gugefübrt  werben,  ©o  umjdjließen  bereits  bie  ©onglo* 
merate  ber  ©teinfcßlenformation  reiche  ÜNcngen  non  ©olb.  Bon 
größerer  S?ebeutnng  finb  inbeß  allein  bie  in  ber  Sertiär»  unb 
in  ber  recenten  ©poche  gebilbeten  Allunionen ; man  unterfcheibet 
folcße,  welche  bem  altern  ober  bem  jungem  ^liocän  unb  folcße, 
welche  ben  nod)  heute  fortfehreitenben  Salbungen  angeboren. 
SDie  plioeänen  Allunionen  erfdjeinen  tbeilS  als  Riegel,  eingeln 
ober  gereiht,  gu  ^lateauS  »erbunben,  tbeilS  als  Ausfüllung  alter 
ftlußläufe,  als  fog.  Deep  leads.  IDort  ift  eS  bie  Aufgabe  ber 
©clbgräber,  baS  alte  ©tromgerinne  tief  unten  auf  bem  Reifen* 
hoben  nach  ©urebgrabung  mächtiger  ®eröHfchid)ten  aufgufinben 
unb  gu  »erfolgen,  benn  in  bem  ehemaligen  Safferlauf,  welcher 
guweilen  eine  entgegengefeßte  ^Richtung  »erfolgte,  wie  bie  bod> 


56 


auf  ben  SlfluoionSmaffen  ftrömenben  heutigen  ©ewafjer,  finbet 
fic^  bet  größte  ©olbrei^tl)um.  Sind)  in  Sictoria  wiebetbolen 
fid),  wie  in  Salifornien,  bie  ©ecfen  »on  SBafalt,  welche  ficts  übet 
ben  golbfübrenben  '-SUuoionen  auSbreiten  unb  bieielben  cot  bet 
Serftörung  fdjü^ten.  fERan  burdjbricbt  in  folgen  gälten  bie  in 
toertifale  (Säulen  geglieberte  SBafaltbetfe  unb  gelangt  ju  ben  golb* 
reichen  Slnfdjwcmmungen.  Sllfl  ^Begleiter  befl  ©olbeä  im  Seifen» 
gebirge  finb  namentlich  folgenbe  2Rineralien  gu  nennen:  Ülmetbbft, 
Binnfteiu,  SRutil,  33roofit,  3kfon,  ©appbnr,  fRubin,  ©emantfpatb, 
Peonaft,  SepaS,  ©iamant.  ©er  ©olbgebalt  bet  tHDunionen 
ift  febr  oerfdjieben,  als  mittleren  ©ebalt  fann  man  etwa  2 gr 
©olb  auf  1 Jonne  üerwajcbener  ©anbe  annebmen.  3uweilen 
fteigt  iitbefj  bet  ©olbgebalt  aufjerorbentlich,  bis  15  unb  30  gr, 
ja  als  totale  Anhäufung  nod)  weit  b<%r-  35k  auftraliiehen 

©eifeit,  unb  namentlich  biejenigen  Siictoria’ö,  fteben  allen  anbern 
»oran  burch  bie  ©röfce  ber  ©olbflumpen  (füugget,  $)epite),  welche 
fie  geliefert  baben.  ©er  größte  jUumpen,  welcher  jemals  ben 
gierig  wüblenben  ©räbern  in  bie  jpänbe  fiel,  war  ber  SBelceme* 
9iugget,  gef.  1858,  60  m unter  ber  Srboberfläche  am  iBaferp* 
<£nll  bei  SBallatat  im  uörblichen  äMctoria.  ©ein  ©ewicht  betrug 
68,26  kg  (1  kg  geingolo  wertbet  2777,7  9Jtaif).  (Ss  folgen 
sJ)rcciouS=9iugget,  gef.  1871,  nur  4 in  unter  ber  ©rbeberfiäcbe  bei 
IBerlin  in  Sßictoria,  50,41  kg  jd}wer ; ber  SBiefount  (Santerburn 
gleichfalls  bei  S3erlin  in  nur  5 m Stete  gefunben  1870,  wog 
34,36  kg.  3lu<h  DueenSlaub  bat  mehrere  aufeerorbentlich  grojje 
91uggetß  geliefert  barunter  eineu  gu  ©pmpie  gefunbenen  im  ©e« 
Wichte  non  49,75  kg.  ©ie  Üluffinbung  joldjer  fRieienflumpen  bat 
auf  bie  allgemeine  Sabreßprobuction  beö  betreffenben  ©iftriftß 
feinen  merfbaren  ©infhifc,  fie  wirft  aber  mächtig  anregenb  auf 
bie  ©olbgräber.  9tiemalö  fanb  man  ©olbmaffen  uon  ähnlichem 
©emidjt  wie  baöjenige  biefer  9fugget8  auS  bem  ©eifengebirge 

I4M) 


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57 


auf  her  primitioen  Sagerftätte.  3ur  Grflärung  biefer  Sfcßatfache 
bürfen  wir  oieHeicht  annebmen,  baß  bie  oberen  Steile  ber  ©än» 
ge,  »eiche  bet  3erftörung  unterlagen,  golbreicber  ge»efen  unb  bas 
©olb  in  größeren  Älumpen  enthielten,  als  bie  ber  3ertrümmerung 
entgangenen  tiefem  ©angtbeile.  Vielleicht  ift  auch  jene  Slnficht 
nicht  ganz  gmnbloS,  »eiche  bie  großen  HluggetS  nicht  alö  ur* 
fprüngliche  ©ebilte,  ionbern  erft  burch  bie  ßctfeljung  ber  ©ang* 
Waffen  entftanben  anniwmt.  ©aS  auftraliiche  ©clb  fcmmt  nicht 
immer  in  unregelmäßig  umgrenzten  Körnern  oer;  eS  hübet  oiel« 
mehr  zuweilen  äußerft  gierliche  .ftroftallifatienen,  tbeilS  oon  regele 
mäßiger,  tbeilS  oon  oerzerrter  ©eftalt.  hierhin  gehört  baS  feg. 
Spinuenbeiugolb  oon  QueenSlanb.  ©aS  regelmäßig  frpftallifirte 
©olb  31uftralien?  ze*chnet  fich  gleich  bemjenigen  (Siebenbürgens 
burch  einen  hoben  Silbergebalt  (15  bis  40  p(5t.)  auS.  ©aS 
Silber  begünftigt  nämlich  bie  .fitpftadifation  beS  ©olbeS.  Unter 
ben  golbprebucirenben  Säubern  ftet)t  'Äuftralien  jeßt  obenan,  in’ 
bem  fein  jährliches  ©rzeugniß  auf  220  bis  240  fDtifliouen  HJtarf 
Zu  jetäßen  ift.  ©ie  ©efammtprebuction  SluftralienS  ergiebt  fich 
aus  folgenben  ©aten:  Victoria  erzeugte  bis  ©nbe  1877  ©olb 
im  SBcrthe  oon  4000,  ClueenSlanb  2117‘/s,  Hteu'3üb>SBaleS 
653  HJtillionen  SOtarf.  ©ie  Summe  biefer  SBertbe  (67701 2 
HJtiÜionen  ÜJiarf)  entspricht  einem  ©emichte  oon  2 457  532  kg 
unb  einem  Volumen  oon  126  cbm  ©olb.  — ©en  auftralifcher 
©olblänbern  bot  fich  aueb  Hleufeelanb  nngereibt  unb  zwar  mit 
einer  Probuction  im  Viert  he  oon  28  fDiiUionen  SOJarf  im  Sabre 
1875  (30  HJtiflionen  im  Sabre  1874).  Hluf  ber  Hlotbinfel  finb 
eS  »orzitgSmeife  primäre  Sagerftätten  (©äuge  in  jüngeren  ©mp« 
tipgefteinen,  feltener  in  älteren  Schiefern),  welche  baS  GbelmetnQ 
liefern,  »äbrenb  bie  probucticn  ber  Sübinfel  bauptiäcblicb  tem 
Seifengebirge  entftammt. 

Hieben  ben  Vereinigten  Staaten  unb  Sluftratim  ift  oon 

<«r.) 


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58 


wefentlicber  bebeutung  für  bie  heutige  ©olbprobuetion  nur  ba§ 
ruffifche  fReich  unb  groar  beffen  afiatifcbe  $älfte.  Slud)  ^ter 
betätigte  fid)  bie  Sbatfacbe,  bafi  jungfräuliche  gänber  golbene 
Schäle  bergen.  2)ie  SL!?äter  beö  Ural  würben  erft  gu  beginn 
biefeS  Snljrtjunbcttg  burd)forfd)t  unb  befiebelt;  fie  begannen  eine 
auffallenb  ftetige  ©olbernbte  gu  liefern.  5Rit  bcm  oierten  3a^t» 
gebnt  trat  Seftfibirien  als  golbprobueirenb  bertwr,  bann  Oft» 
fibirien,  beffen  unermeßlichen  Saubren  unb  ffialbgebirgen  beute 
ber  größere  Sbeil  ber  ruififdien  ©elbgirobuction  entflammt.  3>ie 
uralijcbe  ©olbgercinnung  bewegt  fid)  wie  biejenige  ber  bereinigten 
Staaten  unb  ÖluftralienS,  tbeilS  auf  primären,  tbeilS  auf  fefun* 
baren  frigerftätten.  Unter  ben  elfteren  ragt  berefowSf  norböft* 
lid)  .fiatbariuenburg  beeucr.  3>aS  ©runbgebirge  beftebt  in  jenem 
Sbeile  beö  Ural  auS  norbjüblid)  ftreid)enben,  fteil  aufgericfcteten 
Schichten  non  Salf»,  Gl)ont',  Sbcmfdnefer;  eS  wirb  burchbrochen 
noti  gablreidien  bis  20  fDieter  tnäd)tigen  (Sängen  eines  feinför* 
nigen  ©ranit  (arm  an  ^elbfpatb,  reich  an  (SifenfieS).  ?n  biefem 
©anggranit  fe£en  nun  Ölbern  non  golbfübrenbem  Duarg  auf, 
welche  ben  ©egenftanb  beS  ©olbbergbau’S  bilben.  Ölud)  bie  ©iftrifte 
neu  föiiaSf  unb  Sroißf,  gleichfalls  bem  afiatifcfcen  ©ebänge  beS 
großen  9JieribiangebirgeS  angeböienb,  bergen  golbfübtenbe  Duarg» 
ginge,  ben  gröberer  fSuSbebnung  unb  wichtiger  für  bie  $>ro* 
buftion  finb  bie  ©oibfeifen,  weld>e  fid)  reu  61°  bis  gum  52° 
n.  br.  auSbebnen,  faft  auSfcbließlich  auf  afiatijdier  Seite.  3)ie 
reichften  ©ebiete  finb  etwa  bie  folgenben:  ©oroblagobatSf,  SagilSf, 
biferef,  ÄiichtimSf,  ORiaSf,  Sroißf,  Äatid)fur,  enblid)  bie  Ser* 
riterien  ber  Safdjfircn,  Septjaren  unb  Äcfafen.  (Die  uralifd)en 
Seifen  befteben  nicht  fowoßl  auS  Sanb,  als  oielmebt  auS 
Schichten  hon  reinem  Sbon  ober  fanbigent  Sbon,  untermifcht 
mit  Steintrümmern.  (Die  SRäd)tigfeit  ber  golbbaltigen  ÖllluDi» 
cnen  beträgt  im  blittel  ’/,  bis  1 Bieter,  erreicht  im  fDlajrimum 

(«4«) 


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59 


4 SJteter,  ihre  horizontale  ‘äuöbehnung  f«±>r»anft  zwifchen  40,  200 
unb  400  ÜJteter,  feiten  erreicht  fie  mehr  als  1000  föleter  (wie 
biejenigen  non  Salbu!  am  Ui  bluffe).  3)ie  uralifchen  Seifen 
gehören  ben  fflufethälmt  an,  fie  haben  bemnad)  nur  eine  geringe 
Sreite,  meift  ^wifct'en  20  unb  40  Weter,  feiten  100  füteter. 
5)ie  gdbführcnben  Strafen  ruhen  nicht  unmittelbar  unter  ber 
Jpumuöf<hi<ht,  fonbern  werben  oon  unhaltigen  Show,  ©eröfl* 
unb  Sanbfd)ichten  überlagert.  Son  ber  5Jtäd)tigfeit  biefer  Sagen, 
melde  abgetragen  »erben  muffen,  hängt  — neben  bem  )Reidj= 
thum  ber  Seifen  — ber  ©ewinn  unb  bie  SJtöglichfeit  ber  ?Iu8* 
beutung  ab.  2?ie  üDicfe  ber  golbfreien  SUIuoionett  fcbwanft  meift 
jwifchen  V,  unb  4 Weter;  |ie  erreicht  20,  felbft  40  fDteter.  3n 
lehterem  »falle  fann  nur  ein  großer  IReicbthum  ber  unterlagern* 
ben  Seife  bie  Abtragung  ber  ftcrilen  fötaffen  ermöglichen.  2)ie 
golbführenben  9lUuoionen  ruhen  meift  unmittelbar  auf  bem 
©runbgebivge,  welches  in  jenen  Steilen  beö  Ural  auö  frpftaüi* 
nifchen  Schiefern,  ätalfftein  ober  Serpentin  befteht.  2)er  mittlere 
Wehalt  ber  uralifcben  Seifen  beträgt  1,3  gr  ©olb  in  einer 
Sonne  beS  nerwafdjenen  lERaterialö.  2)aö  uralifdre  ©olb  finbct 
fi<h  meift  nur  in  fehr  üeinen  .ftörnern  unb  Stättchen,  zuweilen 
inbe|  aud)  in  §)epiten  (Samorobof  im  SRufftfdjen  genannt.) 
SDet  größte  uralifche  ©olbflumpen  (zugleich  ber  größte  welcher 
jemals  in  ben  brci  ©rbtheilen  ber  £>fthemifphäte  entbecft  würbe) 
fanb  fid)  im  Sahre  1842  auf  ber  SBafäse  3arewc'2(lepnbrowfif 
bei  €GRiaSf.  Sein  ©ewicht  betrug  36  kg,  bie  Oberfläche  war  fehr 
uneben,  löcherig  mit  ©inbrücfen  welche  oon  Duarzfrnftallen  her« 
rühren.  3n  Oftfibirien  ift  baS  ©olb  bis  je|t  nur  im  Seifen* 
gebivge  befannt;  befonberö  reich  finb  bie  Sezirfe  am  obern 
unb  untern  Senifei,  ber  Dlefrninöfifd'e  Sezirf  zwilchen  ben  fflüffeH 
Clefma  unb  SBitim,  ber  DiertfchinSfifche  Sezirf  an  ber  A'ara, 
enblid)  baö  ^murlanb.  Äein  Sheil  2lfienö,  infcfern  et  jung* 

(447) 


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60 


frauliches  i*anb  birgt,  fcheiut  beß  ©olbeß  gang  gu  entbehren.  So 
haben  ficb  auch  in  jenen  Steilen  Jurfeftanß,  welche  bie  fRuffen 
not  wenig  Jagten  ihrem  weiten  Reiche  einnerleibten,  außgebehnte 
©olblagerftätten  gefunben,  nämlich  am  obern  SH,  unfern  Äultja 
fowie  im  Cueflgebiete  beß  Sir  3)arja  (Sajrarteß).  <58  finb 
üllhiBionen,  welche  auf  ©neijj  nnb  ©ranit  ruhen  unb  auß  fcl?r 
groben  ©eröDmaffen  befteben.  3lud>  Snnerafien  liefert  nod' 
fortwäbrenb  ©clb,  wie  wir  burch  ben  fühnen  fhfchewalßfi  er- 
fahren haben.  fRach  Sfalfowßfp  bat  fid)  bie  ruffifcbe  ©olbauß* 
beute  im  lebten  Sahrgehnt  annähernb  auf  gleicher  ^>öhe  erhalten, 
fie  betrug  im  Sabre  1876  33  646  kg.  ©ie  Bahl  bet  bearbeiteten 
©olblagcrftätten  war  in  jenem  Sabre  1130.  2)er  Schwerpunft 
ber  §>robuftion  liegt  jefjt  im  ßftlidjen  (Sibirien.  SDie  ©efammi» 
menge  beß  ©olbeß,  welche  in  fRufjlanb  non  1753  (bem  Speginn 
ber  firobuftion)  biß  1876  (inclufioe)  gewonnen  würbe,  beträgt 
1 099  703  kg.  3)ieje  Schäle  betragen  nicht  bie  Jpälfte  berjenigen, 
welche  ©aliforien  ober  Sluftralien  feit  bem  Sabre  1848  refp. 
1850  geliefert  haben.  2)ennoch  ift  bie  ruffijehe  ©olbprobuftioft 
für  ben  SBeltmarft  non  größter  SPebeutung  unb  wirb  fidc  not» 
außfichtlich  noch  lange  auf  gleicher  |)öbe  erhalten,  — eine  ftolge 
ber  ungeheueren  3lußbehnung  ber  fibirijehen  ©olballunionen, 
weld'e  gegen  ben  jftorben  unb  Dften  hin  nur  feljr  allmählich  er« 
fcfaloffen  werben  fönnen. 

fPon  gang  untergeorbneter  33ebeutung  für  bie  heutige  ©olb» 
gewinnung  ift  iSfrifa,  roelcheß,  wie  wir  erfuhreu,  ben  Pharaonen 
ihre  ©olbfdgäjje  lieferte,  ©ennoch  fehlt  eß  auch  in  jenem  fo 
lange  nerfchleierten  ©ontinent  nicht  an  ©olbbiftriften.  3tlß 
folche  finb  gu  nennen  baß  obere  glufegebiet  beß  Senegal  unb 
SDjoliba,  ein  ©ebiet  am  oberen  9til,  ferner  Sofala,  enblich 
Sranßnaal.  Sn  Unterem  Territorium  ift  baß  ©belmetaü  erft 

(448) 


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«1 


oor  wenigen  Sahren  (1871)  aufgefunben  worben;  eö  wirb  berg* 
mänuijeh  gewonnen  unfern  SJiarabaftab  (im  notblic^ert  3h«il  beß 
Sanbeß)  unb  auß  (Setfett  in  ben  „©alebonia  Fieibß"  unweit 
Sepbenburg.  .jpiev  fanb  fid;  aud)  eine  grefje  jpepite,  6680  gr 
fd)wet,  uon  lichter  Farbe  unb  eigentümlich  benbtitijdb'gacfiget 
Sefdjaffenheit.  — JDb  baß  innere  -Slfrifa'ß  nod'  unentbeefte 
©olblänber  birgt?  wer  fönnte  eß  mit  33eftimmtheit  Derneinen. 
Um  fo  eher  bürfen  wir  in  jenen  außgebebnten  Säubern  nod) 
ungehobeue  ©d)äj)e  Dermuthen,  ba  bie  Bewohner  gum  $heil  ben 
SÖerth  beß  gelben  ©belmetallß  nicht  gu  fennen  jeheinen,  wie  man 
auß  folgenber  SRittheilung  ©ameron’ß  erficht,  „3ilß  ich,"  fo 
ergäbt  er,  „bei  ^>ameb  ibn  Jpameb  war,  geigte  er  mir  eine  unge» 
fit)r  einen  Siter  halteubc  Äürbißflafche  ooH  ©olbfötner,  beten 
©röfce  oon  bet  ©pijje  eines  fleinen  Fingere  biß  gu  grobem 
Schrot  Dariirte.  @r  fagte,  feine  ©f lauen  hätten  biefe  Äötner 
in  Äatanga  beim  ©ntleeren  eines  SBafferlochß  gefunben  unb  fie 
ihm  mitgebracht,  in  ber  ÜJteinung,  fie  feien  als  Schrot  gu  ge» 
brauchen.  <Da  er  nicht  gewußt,  gu  waß  jold)e  fleine  ©tücfchen 
uuf}e  wären,  habe  er  fie  nicht  weiter  beachtet."  2)ie  ©ingebornen 
fennen  gwar  auch  baß  ©olb,  jetten  eß  aber  nicht,  weil  eß  fo 
weich  ift,  giehen  beßhalb  baß  „rothe  Äupfet"  bem  „weiten"  uor 
(33.  £.  ©ameron,  Guer  butd'  ülfrifa , £eipgig  1877,  II.  281). 
©o  befteht  in  jenem  fchioargen  SBelttljeil  noch  je|t  eine  ©tufe 
ber  menfchUchen  ©ntwicflung  fort,  welche  bei  ben  ©ulturoölfern 
vor  jeber  gefd)ichtlicbeu  Ueberlieferung  liegt. 

©ine  Umjchau  über  bie  Sagerftätten  beß  ©olbeß  hat  unß 
bie  aujjetotbeutlidje  SSeTbrcitung  biejeß  ©belmetaüe  gelehrt. 
Söegeichnenb  ift  aud),  bah  in  ben  eigentlichen  ©olbbiftriften  bie 
terfchiebenften  Formationen  Dom  ©belmetaß  burchbrungen  unb 
imprägnirt  finb.  ©o  finbet  fid)  im  ©ebiet  Don  23örößpataf 

(«9) 


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62 


©olb  im  jungem  Gruptipgeftein  beS  Äirnif,  tu  ben  febimentärcn 
©efteinen,  in  ben  alten  frpftaßinifd^en  Schiefern;  ade  Gifenfiefe 
jenes  SlertitotiumS  enthalten  eine  Spur  pon  ©olb,  ja  felbft 
foffile  .polier  finb  mit  feinen  ©olbförnern  erfüllt,  ©leid?  einem 
allgegenwärtigen  $au<h,  einer  äura,  burdjbringt  baS  ©olb  auf 
feinen  2agerftätten  bie  ocrfchiebenften  ©efteine.  läud)  nacpbem 
baS  Gbelmetall  in  bie  £anb  beS  ÜJlenfchen  übergegangen,  be* 
wafert  eS  biefen  Gharafter  ber  'Mgegenwart.  SDiit  bem  Gijen 
ift  eS  baS  oerbreitetfte  unter  ben  föietallen,  benn  Schwerlich  ift  in 
Guropa  ein  JpauS  ober  eine  $ütte  jo  arm,  bafe  nic^t  ein  Strahl 
pon  ©olb  barin  leuchtete.  Gin  pergolbeteS  jtreuj  ober 
Slmulet,  golbener  Srucf,  pergolbeter  Schnitt  auf  23ibel  ober  @e» 
betbuch  wirb  felbft  bei  großer  Ülruiuth  faum  irgenbwo  permifet. 

31$cr  fennt  nicht  bie  jcfeönen  SUorte  unjereS  Slrnbt:  „Ser 
©ott  bet  Gifen  madjfen  liefe,  ber  wollte  feine  &ne<hte!"  ©ewife 
auS  Gifen  unb  Stahl  macht  man  Schwerter,  ©ewehte  unb 
äfanonen,  Singe,  welche  oor^üglich  geeignet  ftnb,  grembherrfchaft 
ju  brechen  unb  ferne  311  halten,  ©ewife,  an  baS  Gifen  wirb 
immer  appellirt  werben  muffen,  wenn  bie  Freiheit  unb  Selbftän* 
bigfeit  ber  Stationen  in  ©efal)t,  hoch  auch  baS  ©olb  fchirmt 
unb  Schüfet  bie  Freiheit.  SaS  erfannte  jener  römifcfee  Siftator, 
welcher  oor  22  3ahrhunberten  auf  bem  Gapitol  einen  golbeneu 
Schafe  mit  Quaberfteinen  permauern  liefe,  isflndj  unfere  erleuchteten 
Staatsmänner  erfannten  im  ©olbe  eine  baS  Oteicfe  befdjüfeenbe 
SRadjt,  als  fte  60  ^Millionen  SOiarf  ©olb  im  3u!iuSthurm  3U 
Spanbau  nieberlegten.  SJlicfet  baS  Gifen  allein,  jonbern  auch 
baS  ©olb  im  3uliuSthurm  beicfeüfet  au  feinem  Steile  bas 
Söaterlaub. 

So  bewährt  fiel)  baS  ©olb  als  ein  grofeeS  ©ut  unb  eine 
grofee  SJlacht,  unb  nicht  ofene  ©runb  haben  feit  Sahrtaufenbeu 

(ISO) 


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bie  SRenjcben  nach  einem  jo  mächtigen  Schah  gerungen.  Hlucb 
bie  Sorte  bes  6olumbu8,  bah.  wer  bic8  aÜetBortrcffttcbfte  ©ut 
hefige,  Biele  Seelen  bem  $)atabieje  gufiihreu  fönne,  iprechen,  jo 
frembartig  fie  unö  auch  Hingen  mögen,  eine  unbeftreitbare  Saht* 
beit  au8,  wenn  fie  nur  richtig  gebeutet  werben.  Da8  ©olb  ge» 
wal)tt  5Jiittel  be8  Sohlthunß,  butd)  welche  niele  9)ieujcben  nicht 
nur  nor  materieller  SRottj,  jonbern  auch  hot  fittlichen  ©erahren 
bewahrt  unb  au8  brohenbem  Verberben  errettet  werbeu  fönnen. 
Sir  wollen  aljo  nicht  mit  ^Miniuß  bem  ©olbe  fluchen  als  ber 
Duelle  be8  menjchlichen  ©lenbS.  Äein  Ding,  fein  ©ejdjicf  ift 
an  fid)  gut  ober  böje;  unjet  (gebrauch,  unjete  Seije  gu  hunbeln 
unb  ju  leiben,  wenbet  aüe8  gum  ©Uten  ober  sum  Verberben. 
Die  Sahthunberte  bev  SSJtenjchengejchichte,  unb  jo  auch  ein  jeber 
Sag  geigt  uns  guten  unb  Berberblichen  (gebrauch  beo  ©belmetallS. 
— DaS  ©olb  fpielt  eine  wichtige  Stolle  in  bet  ©ejchichte  ber 
menjchlich«n  Vorftellungen.  3®ei  grofje  Sahnibeen  waren  es, 
gu  benen  ba8  ©olb  bie  Veranlaffung  bot,  bie  3bee  be8  ©Iborabo 
unb  bie  be8  großen  SDtagifterinm,  be8  Steins  bet  Seijen.  ©in 
BolleS  3ahrtaujeub  hiubutch  h^rj^te  ber  ©laube,  bah  «8  möglich 
jei,  uneble  SJtetaüe  in  ©olb  gu  oerwanbeln.  Die  jchaiffinnigften 
Äöpfe  haben  ein  lange8  fleifeigeö  SDtenjchenleben  geopfert,  beu 
Stein  ber  Seijen  gu  entbeefen,  burch  bejfen  Vermittlung  bie  er* 
hojfte  Umwanblung  gelingen  muhte.  Der  ©enius  bei  ÜDienjch5 
heit  hat  Bon  jeneu  beiben  SahnBorfteUungen  befreit.  Die 
«Stabt  mit  ben  golbenen  SDtauern  jucht  Viemanb  mehr;  an8  bet 
Süchemie  ift  bie  <5^emie  geworben,  bereu  Aufgabe  unb  Stele 
unenbUch  erhabener  finb  a!8  bie  geträumte  Umwaublung  bee 
VleiS  in  ©olb. 

So  fteht  bie  SOietrfch^eit,  ©ott  Hob,  nicht  flill,  fie  jehreitet 
fort  au8  Dunfel  gum  Hid}t,  oor  ihr  ber  Sag  unb  hinter  ihr  bie 

(«o 


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(>4 


9lad)t.  ©in  3rrtl)um,  ein  Söktjn  nad)  lern  anbern  fällt  batyn. 
2>eveinft  fommt  audj  bie  3«t  — oieOeic^t  ift  fie  nod)  fern, 
aber  fie  femmt  geroif)  — , irelcfye  eine  biitte  SöafynporfteQung 
äerftören  nutb,  bie  jejjt  nod)  bie  ©eiftev  unb  Jperjen  bet  SJlenfdjen 
gefangen  tyält,  jener  falfcfce  ©laube,  baf)  ba8  ©olb  ben  ©ienidjen 
gegeben  fei  gu  eigenem  2eben8genuf).  Söenn  bereinft  aud)  biejer 
Srrtfjum  oeifdjminbet,  bann  roirb  in  SBaljtljeit  bae  golbeue  Beit* 
alter  in  bie  ©rfdjeiuung  treten. 

3?onn,  im  SRcoember  1878. 


3ni)alt. 

'Pliuiuö.  teolumbuls.  ®iobcr.  ©ijen  unb  ©olb.  ©eibene«  3eitalter. 
©arten  Geben.  Slbrapam.  'Salomo.  £>ppir.  Sarbanapal.  Scbäfcc  9Jinioe« 
unb  söabplen«.  g^^arao  «Sefoftri«.  Slegpptiiipe  ©olbbergmerfe  ©.  1 — 10. 
2)ie  ©itben  ber  äHclt.  Ätojue.  ©olb  im  römijepen  tKcicp.  Jpeilige«  ©olb. 
(5.  Sulpiciu«.  Spaniftp’IufUanijtbe«  ©olb.  Untcrmerfang  'Äftend.  Sulla. 
SMitpribat.  'lUarfu«  Ülquiliu«.  äntife  ppbraulijepe  'Arbeiten.  3ipangu 
iHntiglia.  ©olbene«  Äaftilicn.  Sltapuatlpa.  2)orabo.  Söraftlien  S.  11 -20. 
SBeiffagung  ^efaia«.  Xacitu«.  Scurnia.  ©olbbergbau  in  Ifärnten.  SBlafl 
©rlbetf  mit  „reinem  unoerfeprtem  ©eroifjen.''  ©olbjccpner  ©rubenpau«. 
SRauri«.  $peopbraftu«  f}>aracelju8.  iöopmen.  fDtäbren.  Sdgefien. 
Ungarn.  Siebenbürg,  ©rjgebirgc.  OTartin  Opip.  SS5r54pataf  @.21— 30. 
iRömiicpc  I8uue.  leüurgolb  uon  'Jlagpag.  fRpein.  'Btofel.  Gfnare-See. 
Güalifernicn.  Sfaoarb  Xaplor’«  Scbilbcrung.  (ta(ifornif<be«  XPal.  ©olb« 

füprenbe  ©änge.  Stlluoien ©.  31— 40. 

glacpe  unb  tiefe  Seifen,  ©pinefen.  .fcpbraulifipe  Srbciten.  ^rof.  Siliman'S 
©(bilberung.  Sluffdnoung  Galifornien’«.  i'acijiftpc  Seit.  SBafpoe. 

£enrp  (Somftocf @.  41—50. 

6om(toif'©ang.  ©clb^ilMBonanja.  ©rcat  5fafin.  Üluftralien.  ©larfe. 
.Öargraec«.  primäre  tfagerftätten.  äüiioicn.  Deep  leads.  filugget'4. 
Dleufeelanb.  Jnuffrjdje«  tlteicp.  Sibirien.  äftifa  (jameren  bei  -öameb- 
ibu-i>ameb.  ©olb  im  3«lin«tpurm.  (Drei  SBapnoorftellungen  @.  51—64. 


(4M) 

Itu<f  een  tfttr.  Unjjcr  (Jb.  (jbnmm)  in  Berlin,  £cbcn«fctrgfttttajf  17  t. 


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(Sottfrieb  von  Bouillon, 


©on 


Dr.  3ulitt5  ^roboefr. 


ßerliti  SW.  1879. 
©erlag  »on  (Jarl  £>abel. 

(t.  <£.  ü.'ütnit|'iitii  TJitlajsbsditioiiblnng.) 

33.  -Straff  33. 


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Dai  SRcd>t  bet  Ufbetfefeung  in  ircmbe  Sptadsen  wtrb  ocrbebalten. 


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-Ulan  glaubt  faum,  wie  ijattnätfig  fid)  felbft  in  unfern 
beften  allgemeinen  ©efchichtöwerfen  alte  fabeln  behaupten,  bie 
längft  bei  ben  $iftorif  ern  allen  ©rcbit  verloren  hoben,  ja 
oft  ungweifelhaft  »iberlegt  pnb.  SSenn  fich  eine  foldje  alte 
fjabel  gut  ergabt,  ^at  fte  ein  unglaublich  geben  unb 
löfft  oerächtlicb  felbft  bie  vernid)tenbfte  äfritif  bet  ^iftotifd^en 
gorfdjung  von  fich  abprallen.  ^>at  fich  gat  ein  viele  3ahr* 
hunberte,  ein  über  ein  £albjahrtaufenb  altes  ©agengemebe  um 
bie  hiftorifdje  2hatfaä)e  gezogen,  bann  begegnet  jebe  ülufflärung 
»ohl  gor  bem  SBibetwiKeu  berjenigen,  bie  pietätövoll  bie  gute 
alte  3«t  nur  fcurd)  bieö  fDiebium  bet  ©age  felgen  unb  nicht 
aufgeflärt  »erben  »ollen. 

©ang  befonberö  hat  fi<h  au8  leicht  erfennbaten  ©tünben  bet 
jfreuggüge,  vornehmlich  be$  etften,  be8  Äreuggugeß  xnr’  tSoyijr, 
bie  ©age  bemächtigt.  SBunberbav,  überirbifch,  märchenhaft  er* 
jdjien  bie  gewaltige  Bewegung  fchon  bet  5R it »eit,  felbft  ben 
2Jlit»irfenben  babei:  wie  muhten  fich  biefe  ©igen  jehaften  erft  in 
bet  Sotge  fteigern!  .Seine  9)etfönli<hfett  wieberum  unter  ben 
Äreugfahretn  ift  von  bet  ©age  mehr  bevorgugt  worben  al8  ®ott> 
frieb  von  Sfouidon;  unb  ttoh  bet  nun  fchon  einige  fDecennien 
alten  iSufflärungen  eines  ©pbel  fteht  noch  l?cute  in  faft  allen 
mit  gu  ©eftcht  gefommenen  populären  ©ejchichtSwetfen,  ja  felbft 
in  foldjen,  bie  mehr  fein  »ollen,  bie  alte  falfd>c  Ürabition 
übet  ihn  gum  großen  üheile  unerfchüttert  feft.  «Darum  fei  eil  mir 

XIV.  326.  1*  (455) 


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4 


geftattet,  im  Agenten  ju  oerfuchen,  baS  gufammenjuftetteit,  waS 
übet  biefen  gelben  beS  erfteit  Äreu.cjugeS  burd)  bie  gßtfdjung 
beglaubigt  ober  wenigftenS  wahrfcheinlich  ift. 

SDa  eS  fld)  hierbei  »ornehmüch  um  bie  Stellung  ©ottfrieb’8 
im  Äteujljeete  unb  $um  Äteujjuge  hanbelt,  — feine  Sebeutung 
beruht  ja  eben  auf  ber  Stfyeilnafyme  an  biefem  3uge  — fo  totrb 
bicfer  felbft  etwas  genauer  non  mir  gefd)ilbert  werben  muffen. 
^Bezüglich  ber  33ergangenheit  unfereS  gelben  rot  bem  Äteu^uge 
muffen  wir  unS  über^au^t  fefjr  befdjeiben,  benn  nur  mangelhaft 
finb  wir  über  biefe  $)eriobe  unterrichtet,  unb  manche  Sücfe,  man« 
d)e8  ©unfel  bleibt  ba  für  unfere  ©rfenntnifc.  ©leid)  fein  ©e* 
burtSjaht  ift  nicht  genau  feftgufteßen.  ©er  jfranzofe  ÜJtonnicr 
giebt  — freilidb  ohne  fJiacbweiS  — 1060  als  baS  ungefähre  ©e« 
burtSjaht  ©ottfriebS  an,  unb  ungefähr  um  biefeä  Sah1  wirb, 
wie  wir  feheu  werben,  berfelbe  aderbingS  geboren  fein.  ©er 
©eburtSort  unfereS  gelben  ift  wahrfdjeinlid)  S3oulognc  sur  mer, 
wo  an  ber  Stelle  jeineä  »ermuthlichen  ©eburtSfd)toffeS  baS 
StabtljauS  mit  bem  hohen  ©locfenthurm  gebaut  worben  ift.  ©8 
ift  baffelbe  Sboulogne,  wo  1840  BouiS  Napoleon  gefangen  fafj. 

©ottfriebö  Slbftammung  war  bie  erlauchtefte:  fowohl  fein 
tßater  ©uftad?  o.  S3oulogue  al8  feine  SDtutter  3ba,  bie  Schwefter 
$ergog  ©ottfriebS  be8  33ucfeligen  oon  SRieberlothringen,  führten 
ibr  ©efchlecht  bis  auf  Äarl  ben  ©rohen  gurücf.  tMuS  biefer 
©he  waren  3 Söhne  h^norgegangen:  ©uftad),  ©ottfrieb  unb 
SJalbuin.  ©afj  bie  ©tjiehung  biefer  Söhne  eine  gute  unb  fehr 
religiöfe  gewefen,  fönnen  wir  auS  bem  ©harafter  ihrer  fDtutter 
Sba  fdjliefjen,  oon  weld)et  hothgebilbeten  unb  frommen  $rau 
wir  eine  gleichzeitige  8ebenSbefd)reibung  befi^en.  Sie  ftarb  im 
ätlofter  Söaaft  bei  SBoulogne,  nadibem  fie  ihren  berühmten  Sohn 
nod)  um  12  Sahre  überlebt  hatte,  ©er  Sßruber  biefer  fKutter, 
ber  fd)on  genannte  ^erjog  ©ottfrieb  ber  23ucfelige,  ber  treue 
(««) 


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5 


unb  mächtige  greunb  Jpeinric^ö  IV.,  welcher  mit  ber  befannten 
greunbitt  ©regorb  VII.,  bet  ©räfiit  «JNatbilbe  oon  SloSfana,  in 
finberlofet  (Sfye  lebte,  aboplirte  feinen  «Neffen,  unfern  ©ottfrieb. 
Pachtern  biefer  £>beim,  ein  oorgüglicber,  ^Dt^gebilbeter  gürfi, 
nach  einem  tbatenreicben  geben  1076  in  '.Antwerpen  meuchlings 
ermorbet  worben  war,  erbte  nufer  £elb  gunäbbft  treb  aüer  5Re» 
clamationen  ber  großen  ©räfin  'INatbilbe  beffen  bebeutenbe 
Slllobialbefitjungen,  barunter  baS  alte  ©tammfcblof}  ber  lotbring* 
{eben  £)ergöge:  Süouillon,  oon  welchem  er  feinen  «Namen  erhielt. 
£iergu  fügte  uod)  Äaifer  Heinrich  IV.  burd)  Söelebnung  bie 
«Dtarf  '.Antwerpen,  gab  aber  baß  ^ergogtbum  «Nieberlotbringen 
nicht  ©ottfrieb,  jonbern  feinem  eigenen  noch  unmünbigen  ©ohne 
Äonrab.  — @8  febeint  nun,  bafj  ©ottfrieb  in  biefer  3eit 
— 1076  — noch  febr  jung  war,  benn  er  lebt  noch  einflußlos 
unb  gurücfgegogeu  unb  bebarf  gegen  feine  mächtigen  «Nachbarn, 
bie  ihn,  eben  wobt  feiner  Sugenb  wegen,  bebrängen,  beS 
©cbufjeS  beö  Söifcbofö  Heinrich  oon  gütlich.  (Sinige  Sabre  bar» 
auf  aber  böten  wir  febon  oon  feinem  guten  lotbringifcben 
©d)werte:  fo  febeint  alfo  ein  ungefähres  9lltcr  oon  16  Sabre» 
für  1076  gang  annehmbar,  unb  wir  erhalten  fo  als  ungefährem 
©eburtSjabr  1060. 

33on  ©ottfriebs  weiterem  geben  bis  gum  33eginn  beS  Äteug* 
gugeS  fteht  nun  nod)  folgenbeS  SBenige  feft.  3u  mancherlei 
gehben  erwehrt  er  fich  tapfer  feiner  §einbe,  bie  fowohl  ber  faifer* 
lieben  als  antifaiferlicben  Partei  angeboren.  @o  nimmt  er  g.  2*. 
1082  ben  ©rafen  Stbeobor  non  glammeS,  einen  SBertrauten  beS 
JfaifetS,  in  einer  gebbe  gefangen  unb  hält  iß»  bis  gum  Stöbe 
in  4pafft.  3luf  ber  anberen  ©eite  ift  ©ottfrieb  befreunbet  mit 
bem  faiferlicb  gefinnten  SBifdjof  Heinrich  oon  Lüttich,  mit  beffen 
ebenfalls  faiferlicb  gefinntem  «Nachfolger  aber,  bem  Sifchof  £>bert, 
gerätb  et  in  ©heit,  als  biefer  ein  päpftlich  geftnnteS  Älofter  an* 

(♦ST) 


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6 


greift,  baS  ©ottfrieb  aus  Samilienrücffichten  fchüßen  ju  muffen 
glaubt.  Stuf  jebe  Art  befeßbet  fofort  unfer  £elb  ben  Taiferlich 
geformten  Sifdjof.  Slu§  jenem  .Klofter  felbft,  St.  Hubert,  haben 
mir  bie  gleichzeitigen  fftachrichten  über  biefe  Vorgänge.  Auch 
mit  ben  faiferlich  gefinnten  Pifcßöfen  non  Perbun  gerietb  ©ott» 
frieb  in  äfampf  wegen  ber  Perbunfdjen  ©rafenwftrbe.  58o  ift 
ba  bie  noch  ^cute  aller  Drten  gerühmte  Parteinahme  für  ben 
Äaifer?  SBir  jehen  hi«  ©ottfrieb,  unbefümmert  um  ben  großen 
politifcßcn  Söcltftreit,  ganz  aufgeben  in  feinen  Prioatangelegen* 
beiten:  weitere  ©eficßtSpunfte  liegen  ihm  fern.  SBer  feiue  3«' 
tereffen  fränft,  ift  fein  S«nb,  ob  Parteigänger  beS  ÄaiferS  ober 
papfteS:  beibe  fühlen  in  gleidjer  Sßeife  bie  Söucßt  feines  ritter- 
lichen Schwertes.  Pegüglicb  ©ottfriebS  Petbeiligung  an  ben 
Söelthänbeln  fteht  nur  ein 8 unbeftritten  feft:  feine  SLheilnahme 
an  Äaifet  Heinrichs  IRömerzuge  (1081—1084).  fRunmebr  bat 
fid)  unfer  ^elb  alletbing8  offen  ber  faiferlitßen  Partei  ange* 
fdjlojfen,  unb  1088  empfängt  er  bafür  Dom  Äaifer  ba8  ^ergog* 
tbum  IRieberlothringen.  Aber  Don  ba  ift  e8  noch  ein  gut  Stücf 
5Beg8  bis  zu  b«  Perberrlicbung  SBeberS:  „SBir  fennen  ihn 
fchon,  ben  Sahnenträger  be8  SReidjeS  mit  bem  breiten  lotßringi* 
fchen  «Schwerte,  ber  in  ben  .Kämpfen  gwifdjen  Heinrich  IV.  unb 
bem  ©egenfönige  SRubolf  ftetS  treu  3U  bem  rechtmäßigen  £errn 
gehalten  unb  ficß  in  IDeutfcßlanb  unb  3talien  burcß  £apferfeit 
unb  ^»elbenfinn  wie  burch  ©roßmutl),  Klugheit  unb  Seowmigfeit 
berDorgetßan  hatte."  Sion  biefer  Streue  unb  Auszeichnung 
wiffen  eben  bie  gleidjg eiligen  Duellen  nichts.  SSergeblith 
tuchen  wir  ben  fftamen  ©ottfriebS  d.  Bouillon  unter  ben  Ääm« 
pen  beS  unglütJIidjen  .KaiferS  im  Streite  mit  feinen  Seinben  im 
Oteidje,  etwa  neben  einem  Sriebrich  Don  Staufen,  ©in  foldjeS 
Schweigen  ber  Duellen  beweift  jebenfallS,  baß  ©ottfrieb  fein 
namhafter  faifetltcher  Parteigänger  gewefen  iß.  ©rft  eine 

(458) 


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ungefähr  auS  bem  3at?re  1144  ftammenbe  Sflachricht,  bte  aber 
in  lofaler  ©egiehung  nnferem  gelben  nahe  ftetjt  — ber  5Rönch 
fionng  auS  Süttich  giebt  fie  in  feiner  ©etbuner  ©ifchofSgefchichte 
— berietet,  ©ottfrieb  fei  mit  gegen  ben  ©egenfenig  unb  Schwa- 
ger Heinrichs,  JRubolf  »on  Schwaben,  gezogen.  @8  fragt  ficb 
nun , ob  — ©ottfriebS  ©etheiligung  am  Äampfe  Heinriche  IT. 
gegen  Oiubolf  1080  angenommen  — ba8  Schweigen  aller  an* 
beren  gleichzeitigen  Duellen  gu  erflären  wäre:  unb  unmöglich 
fcheint  mir  ba8  nicht.  Jfeine  biefer  Duellen  giebt  eine  genauere 
Slufgählung  ber  dürften,  bie  bamalS  mit  bem  Jtaifer  ausgewogen ; 
mehrere  nennt,  aber  nur  gelegentlich,  ohne  eine  oollftänbige  3luf* 
gählung  ber  mid)tigfien  Parteigänger  zu  beabfichtigen,  ©runo  in 
feinem  Sadjfepfriege.  SDiefer  ift  aber  nun  bezüglich  feiner  ©Jahr* 
heitSliebe  überhaupt  mehr  al8  »erbächtig  unb  ein  leibenfdjaftlicher 
©egner  Heinrichs  IV.  3h*n,  bem  Anhänger  be8  PapfteS,  wäre 
e8  zugutrauen,  bafc  er  bie  Üheiluahme  ©ottfriebS  an  bem  Äampfe 
gegen  SEubolf  fogat  abfichtlich  oerfchwiegen,  — übergeht  er  boch 
überhaupt  oft  bie  wichtigften  SDinge.  So  »iel  aber  fteht  jeben* 
falls  feft:  befonberS  h*r®or8ethou  ha*  ft<h  ©ottfrieb  al8 
fatfetlicher  Parteigänger  in  jenem  Äampfe  nicht,  fonft  wäre  ba8 
allgemeine  Schweigen  ber  Duellen  nicht  gu  »erftehen.  äud)  feine 
8eiftungen  auf  bem  JRömerguge  werben  »ielfach  überfc^ä^t.  2)afe 
g.  ©.  ©ottfrieb  als  bet  @rfte  bie  dauern  ber  ewigen  Stabt 
ftürmenb  betreteu  hoben  foU,  wie  Söeber  noch  ergählt,  ift  auS 
bem  einfachen  ©runbe  unrichtig,  weil  nach  ftcherem  Beugniffe 
bie  Seonina  butch  einige  fölailänber  überrumpelt  würbe,  bie 
übrigen  Stabttheile  aber  burch  ©ertrag  übergingen.  Such 
nicht  eine  ber  gleichzeitigen  Duellen  »inbicirt  ©ottfrieb  ein  ©er* 
bienft  bei  ©rgählung  biefer  ©innahme.  SlnbererfeitS  fönnen  wir 
aber  auch  ouS  ber  ©etleihung  beS  JpergogthumS  ©ieberlothringen 


8 


1088  feitenö  beb  Äaifetb  auf  bcffen  SBütbigung  ©ottfriebb  unb 
fein  Vertrauen  gu  ihm  fdjliehen. 

SBir  ftnb  nun  an  bem  fünfte  angelangt,  wo  ber  äufruf 
ttrbanb  II.  gut  ^Befreiung  beb  heiligen  |®rabeb  unfern  gelben 
aub  feinen  immerhin  befchränften  greifen  auf  eine  33atjn  hinaub» 
rijj,  bie  ihm  ^öc^fte  ©hre  unb  raffen  $ob  — unb  fchliehlich  in 
bet  ©efdjichte  unb  mehr  noch  in  ber  ©age  einen  heroorragenben, 
ehrennollen  ^)la^  für  immer  oerfchafft  hat.  ©he  mit  ihn  jeboch 
auf  biefer  meiter  begleiten,  merfen  mit  noch  einen  ©lief  auf  bie 
trabitioneüe , non  bet  ©age  oerflärte  ©efdhidjte  ©ottfriebb  bib 
l)iert)er.  @8  ift  begreiflich,  ba|  fpäter,  alb  ©ottfrieb  bab  in  ge= 
roiffet  Vegiehung  ^öchfte  erreicht,  beffen  ein  SOfenfct}  nach  bet 
bamaligen  Snjchauung  theilhaftig  merben  fonnte,.  biefem  non 
©ott  fo  ungeroöhnlich  begnabeten  SOlanne  eine  bementfprechenbe 
Vergangenheit  angebidjtet  mürbe.  @b  mar  nicht  anberb  benfbar, 
alb  bah  bet  Vefd)üher  beb  heutigen  ©tabeb  eine  fo  aller  irbifchen 
©hten  »olle  Jugenb  gehabt  hat«,  wie  fein  anbetet  ÜRenfch  auf 
©tben.  £öchftet  ritterlicher  (Ruhm,  .Kampfe  für  SBaifen  unb 
Jungfrauen,  treue  Eingabe  für  feinen  Kai]  er  fcbmücfen  fein 
geben.  (Sha^afteriftifch  genug  für  ben  h*ftorifchen  SEßerth  bie* 
fer  fpäteren  Uebetlieferung  ift  ber  Umftanb,  bah  betreffs  beb 
lebten  $)un!teb,  bet  nicht  in  aller  Slugen  ein  Vorgug  mar,  eine 
anbere,  antifaiferlich'papiftifche,  gebart  epiftirt,  melche  ©ottfrieb 
alb  petfönlichen  ©eguer  beb  gebannten  Äaifetb  mit  biefem  in 
Kampf  gerathen  unb  ben  Äaifet  natürlich  befiegen  läht.  ©in 
9>unft  nun  aub  biefer  fpäteren  Ueberlieferung  hflt  ft<h  ntit  be= 
fonberet  .partnaefigfeit  biö  heute  behauptet.  SDie  überhaupt 
gmeifelhafte  Sheilnahme  ©ottfriebb  am  Kampfe  gegen  fRubolf 
non  ©chmaben  fehmüefte  bie  ©age  noch  in  folgenber  Söeife  aub. 

9lm  Slbenbe  not  bet  berühmten  blutigen  ©ntfcheibungbfchlacht 
jmifchen  ^jeiurith  IV.  unb  Vubolf  am  15.  Dftober  1080  bei 

(MO) 


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9 


£ohen=9Jiölfen  an  ber  (Elfter  fragte  bet  Äaifet  feine  durften,  wer 
ber  SBürbigfte  fei,  am  anberen  Jage  baS  SfteichSpaniet  gu  tragen. 
2)a  warb  ©ottfrieb  non  Souilion  einftimmig  als  foldjer  be* 
jeidjnet.  Unb  berfelbe  bewies  in  ber  Schlacht,  baf?  bet  dürften 
Urteil  richtig  gewefen.  55enn  »or  bem  jtaifer  hergeljenb,  ftief) 
et  im  Kampfe  bem  ©egenfönig  ben  Schaft  feines  fPanierS  in 
bie  Stuft,  fo  ba£  berfelbe  am  folgenben  Jage  $u  UJterfeburg  an 
biefer  SBunbe  ftarb.  SDie  Jragweite  unb  jugleich  ber  Utfprutig 
biefer  2>arfteüung  ergiebt  fid),  wenu  man  fid>  oergegenrcärtigt, 
baf)  bet  Baß  StubolfS  bamalS  allgemein  als  ein  ©otieSgericbt 
aufgefafjt  würbe.  25em  grofjeu  ©regot  waren  nämlich  fo  un* 
günftige  fftadjtidjten  bezüglich  ber  Sage  feines  ©egnerS  ^>ein* 
rid)8  IV.  jugefommen,  bafj  er  eS  für  gegeben  hielt,  bei  bet  @t* 
neuetung  beS  SannftrahlS  gegen  Jpeinric^  IV.  eine  unfehlbare 
fProphejeihung  ju  riSfiren.  „3n  biefem  3ahte",  folt  er  gefagt 
haben,  „wirb  ber  falfche  .König  fterben".  9tun  lag  fein  eigener 
(Schilling  auf  ber  Sahre!  Stuwer  feiner  JobeSwunbe  hatte  er 
nodh  einen  £ieb  empfangen,  bet  iljm  bie  rechte  $anb,  bie 
©djwuthanb,  abgehauen,  unb  fterbenb  füll  er  an  feine  Umgebung 
nach  einer  Ueberlieferung  bie  2Borte  gerichtet  haben:  „2>a§  ift 
bie  £anb,  mit  ber  ich  meinem  £etrn  unb  Äönig  bie  Jreue  ge* 
jdjwoten  habe!"  J)ie  Sage  machte  alfo  ben  gelben  non  3eru* 
falem  felbft  jum  Sollttrecfer  biefeS  ©otteSurtheilS , beffen  3ln» 
benfen,  bie  in  jener  Schlacht  abgehaueue  £anb  fRubolfS  oon 
Schwaben,  in  fDIerfeburg  noch  heute  gu  jehen  ift.  fftatürlich  ift 
biefe  Jhat  ©ottfriebS  un  jweifelljaft  Sage,  benn  ein  fol* 
djeS  Baftum  hätte  non  ben  gleichseitigen  Duellen  bie  jurn  Jljeil 
fehr  ausführlich  ben  Ball  StubolfS  erjählen,  unmöglich  »er* 
fchwiegen  werben  fönnen. 

3ch  [prach  »othin  »»n  bem  Aufrufe  UrbanS  II.  als  bem 
entfeheibenben  3mpulfe  sum  Äreugsuge:  in  ben  gangbaren  ©e* 

(«» i 


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10 


fdjidjtSbüchetn  finben  mit  freilich  noch  bis  auf  ben  heutigen  Stag 
biefen  9tuhm  faft  burdjweg  bem  ©remiten  Bieter  »on  AmienS 
ninbicirt,  obgleich  btefcS  für  bie  wifjenfcbaftlicbe  ©efchichtSfor» 
fdjung  fchon  feit  lange  als  eine  evmiefene  $abel  gilt.  Allen 
gleid?geitigen  gerichtlichen  Aufgetchnungen  ift  Bieter  ein  unbe« 
beutenber  ganatiJer,  bet  erft  nach  bem  Aufrufe  beS  ^apfteS,  in 
€Rotbfranfrei<^  auf  einem  6fel  umljergiehenb,  ein  gudjtlofeS 
33auernheer  fammelt  unb  einen  bet  ungeotbneten  Vorläufer  beS 
Äreuggugeß  oeranlafjt.  SDie  fpäter  fiegreiche  bemofratifche  Stra* 
bition  bet  Äreuggüge  hat  bann  biefen  nur  burd)  feine  Segeifte* 
rung  ^ernortretenben  Ginfieblet  an  ©teile  Urban«  II.  gefegt,  bem 
allein  baS  SSerbienft  gebührt,  guerft  baS  SBort  auSgefptodjen  gu 
^aben,  auf  baS,  fo  gu  fagen,  fchon  bie  gange  «Situation  beS 
AbenblanbeS  gekannt  mar.  SDie  3bee  eines  ÄreuggugeS  tauchte 
fteilidj  nit^t  guetft  in  jener  Seit  auf:  fchon  bet  grofce  ©regor  VH. 
l)atte  im  3al)te  1074  33oranftalten  gu  einem  Äreugguge  getroffen, 
wobei  freilich  mel)t  bie  Unterwerfung  ber  gried)ifch*!atholifchen 
Äircbe  unb  ber  £ütfen  unter  bie  Allmacht  beß  fPapfteS  oor* 
fdjwebte.  Strategifch  unb  politifdj  berechnenb  war  ber  gtofce 
splan  ©regorS,  gang  mpftifch,  ohne  irbtfehe  3wecfe  ber  Urban®. 
SDamalS  fam  aber  ber  ?)Ian  wegen  beS  ÄampfeS  mit  Heinrich  IV., 
ber  alöbalb  beS  ^apfteS  jfrüfte  gang  in  Anfprud)  nahm,  nicht 
gut  Ausführung.  ©rft  Urban  II.  war  bei  gängigem  fDatnieber* 
liegen  ber  fatferlichen  fDIacht  in  ber  gage,  ben  großen  ©ebanfen, 
wie  aber  fchon  gejagt,  in  anberer  Auffaffung,  wiebev  aufgunehmen. 
3m  3ahre  1094  hatte  bte  päpftliche  3Racht  ihr  3beal  erreicht: 
ber  ©ehorfam  gegen  fRom  bübete  ben  SRittelpunft  beS  religißfen 
SewujjtfeinS.  5Bar  mau  hoch  fdjon  fo  weit  gegangen  gu  lehren, 
Ungehorfam  gegen  9tom  fei  in  jebem  f$aüe  Äe^erei  (3»o,  33if<hof 
non  ©hattreS),  auch  einem  lafterhaften  Zapfte  müffe  man  ooU« 
Jommen  ergeben  fein  (©rgbijehof  ©ebharb  non  ©algburg).  SBenn 
(«*) 


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11 

nun  fcbon  beäwegen  bie  SXufforberung  beS  $>apfte8  eine  gewaltige 
Sitfung  haben  mufjte,  jo  fam  noch  ^in^u,  ba§  bie  3bee  eines 
ÄreuggugeS  felbft  ben  giinftigften  ©oben  oorfatib.  Die  non  bem 
Älofter  ßlugnp  im  frangßfiicben  ©barolaiö  auSgegangene  weit* 
oeracbtenbe,  aScetifcbe  SJtpftif  batte  bamalö  bie  ganje  ($hrifteu* 
beit  bur(bbrungen.  ©on  biefer  fanatifd)  • fd)wärmerifd}en  Stieb* 
tung  jener  Seit  fßnnen  wir  unS  immer  nur  eine  ungenügenbe 
©erfteflung  machen;  benn  e§  über  jebreitet  3.  ©.  faft  unjet 
ftaffungSoetmßgen , wenn  wir  t^ren,  baf)  bet  Steliquien»  unb 
£eiligenbienft  jo  acut  geworben,  ba§  einft  bie  ©olfSmenge  einen 
abreijenbett  heiligen  5Dtann,  ben  l>eili»3eit  Stomualb,  ©tifter  beö 
(SamalbulenferorbenS , beSbalb  etfcblagen  wollte,  um  bie  ©tabt 
in  beu  fegenfpenbenben  ©efifc  feiner  ©ebeiite  3a  bringen.  ©0 
waren  begreiflicher  Seife  im  11.  Sahthunbert  bie  jebon  uralten 
Sanberungcn  gum  heiligen  @rabe  gu  nie  erlebtet  «£>ßbe  gejtiegen, 
benn  waS  fonnte  e8  für  eine  folcbe,  baS  .jpimmlifebe  mit  bem 
Stbifeben  oermengenbe  Steligiofität,  ^eiligeres  unb  ÄoftbarcreS 
geben  alö  eine  Sallfabrt  311  jenen  Dertern,  bie  beS  Jpetrn  8u§ 
felbft  betreten  unb  für  immer  geheiligt  hatte,  an  baS  ©rab  beS 
£errn,  baö  bie  Ijeiligften  Steliquien  umj<blo§'t  3lDe  SJtühfale 
unb  ©efabrett  einet  foldjen  Säuberung  febienen  für  ©hriftuS 
felbft  erbulbet,  fie  waren  bie  üerbienftlicbften  Äafteiungen.  DcS* 
halb  hielt  £>ergog  Stöbert  non  ber  Stormanbie  gar  oiel  auf  eine 
Fracht  Prügel,  bie  er  1035  auf  bet  Steife  311m  heiligen  8anbe 
empfangen.  6r  »erbot  feinen  ©egleitern  bafür  Stäche  gu  nehmen, 
inbem  er  jagte:  „Diefe  ©d?!äge  finb  mir  lieber  als  bie  befte 
©tabt  meines  ^ergogthumS."  Unb  nun  ftie§  biefe  SadfahrtS* 
fuebt  gerabe  auf  £inbetuiffe,  nun  würben  gerabe  bie  heiligen 
©tätten  gefebänbet!  3a  fdjon  würbe  bie  SJtacbt  ber  Ungläubigen 
fo  brohenb,  baf}  ber  grieebifebe  Äaifet  Alexius  wieberholte  Jpülfe» 

gefuebe  an  ben  ^aqaft  fanbte,  et  mßge  baS  ©hriftenthum  im 

(*->«) 


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12 


Driente  nicht  uöllig  gu  ©tunbe  gebeu  (affen.  — Aber  bie  ASce* 
tif  allein  tjdtte  bennodj  einen  folgen  3«g,  wie  ben  erften  Äreug* 
gug,  nicht  gn  ©ege  gebracht;  nod)  ein  wichtiges  Moment  fam 
bingn:  ber  burdj  bie  unruhigen  Normannen  in  gang  ©uropa 
perbreitele  ©eift  beS  Abenteuers,  beS  ÄriegS,  bet  im  Kriege  felbft 
feinen  3wecf  fiubet.  Dieie  beiben  ^Richtungen,  bie  AScetif  nnb 
baS  burcb  bie  Normannen  beförberte  abenteuerliche  .fpelbentbum, 
haben,  eng  oerbunben,  ben  ungeljeureu  ©rfolg  ber  Üreugprebigt 
UrbanS  II.  auf  bem  ©oncil  gu  ©lermont,  1095,  bewirft,  bort, 
wo  ber  fpätere  Srfjlacbtruf  ber  Äreugfaljrer  „®ott  will  eS", 
„Deus  le  volt“,  bie  ftürmifche,  begeifterte  Antwort  ber  galjllofen 
3ubörermenge  war,  bie  in  heiligen  3orn  unb  grettgeulofeS  ©nt* 
gücfen  gugleidj  gerietb,  als  bi«  auSgeiprocben  würbe,  waS  wie 
eine  Ahnung  in  allen  gelebt:  auSgugteben,  um  mit  ben  ©affen 
baS  ©rab  beS  ^»eilanbeS  feinen  geinben  gu  entreißen.  DaS  gtofje 
©ort  war  gefallen,  günbenb  wie  eilt  23lij$  in  gelabener  ÜRine. 
Unb  biefe  Segeifterung  erlofcb  nicht,  fie  erfüllte  oon  ©lermont 
auS  in  furger  3eit  alle  8änbet  beS  AbenblanbeS,  bi«  mehr,  bort 
weniger  Aufregung  bewirfenb,  am  wenigften  oerboltnifjmäfsig  in 
Deutfdjlanb:  bort  war  ja  ber  papft  gugleidj  bet  geinb  beS 
ÄaiferS,  bort  war  auch  am  meuigften  baö  Sormannentbum  gu 
©influjj  unb  ©eltung  gefommen.  SDer  erfte  Äreuggug  b“t  einen 
norwiegettb  romanifch=normannif(hen  ©Ijarafter.  — ©ir  über* 
geben  bie  näcbften  Aeujjerungen  ber  Segeifterung,  jene  gudjtlofen 
Siorläufer  beS  ^auptgugeS,  eine  Art  focialet  Bewegung  ber 
Armen,  bie  nur  9lotb  unb  Änechtjcbaft  oerliefjen  unb  ficb  ben 
Jpimmel  bafür  gu  erobern  gebachten.  Sie  fonuten  bie  Sollen* 
bung  ber  Lüftungen  nicht  abwarten:  einmal  oerfammelt,  würben 
fie  oon  ber  ’Jiotb  gegwuugen,  gleich  äu  marfchieren.  Die  meiften 
(3)  biefer  3»ge  famen  ja  nicht  bis  über  bie  beutfdj*uugarifibe 
©renge  hinaus,  «in  einziger  oon  ben  fünf  bis  in  bie  9Iä be 

(C64) 


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13 


9licaea«.  3ngmifd)en  war  aber  nun  aud)  bie  georbnetere  @r» 
Hebung  unb  JRüftung  fccö  !?Ibenblanbe8  fortgefdiritten.  2lber  aud) 
hier  mar  fein  einfyeillidiet  ^Man:  roie  ein  2?annerl)err  feine 
SRüftungen  »ollenbete,  brad)  er  auf,  bie  erften  fd)on  im  3J?ärg 
1096  unb  non  ba  eljne  Unterbrechung  ben  ©emmer  unb  £erbft 
hinburd).  Die  einen  gegen  burd)  Dalmatien,  anbete  burd' 
Ungarn,  anbere  über  bie  9llyen  nad)  Apulien,  um  »en  bort  nad) 
6piruß  übergufatyren,  beim  .fionftantinopel  mar  uon  bem  SJifdjof 
Slb^emar  ».  melier  bem  Flamen  nad)  al«  päpftlidjer  hegat 
bie  erfte  ©teile  beim  3uge  einna^m,  al«  allgemeiner  ©arnmel» 
pla£  begeidjnet  morben.  Die  Aufregung  mar  unermefslid):  ©täbte 
unb  hanbftrafjen  maren  neu  bemaffncteit  ©djaaren  erfüllt,  mer 
fid)  über  hanb  begab,  fam  au«  einem  jlriegSlager  in  ba«  an» 
bere.  — Uebrigenö  fd)Iof)  fid)  and)  an  biefen  grofjen,  georbneteren 
3ug  gud)tlofe«  ©efinbel  in  SOlenge  an,  ba«  unbemaffnet,  ungefähr 
10,000  jtepfe  ftarf,  bem  ,£>aHptl)eere  nadigog;  bei  ibm  aud)  ber 
Gsremit  i'eter.  Diefer  nahm  bei  bem  Slrof)  eine  ähnliche  ©teile 
mie  Bifdjof  Slbhemar  beim  jtreugheere  ein,  aber  lefjterem  mar 
ber  9Iad)trab  entfliehen  barin  »orau«,  bafj  er  einen  außge» 
fprodienen  militärifd)cn  ftüi)rer  ^atte,  ben  er  ftd)  felbft  ermäfjlt 
unb  ber  „Äöuig  Slafur"  genannt  mürbe.  Slleld)  ein  Seif  ber» 
felbe  regierte,  fann  man  fid)  ungefähr  uorfteOen,  menn  man  Ijört, 
bafe  bie  dürfen  il)m  nadjfagten,  bie  Stafuren  äfjen  nid)t«  lieber, 
als  ba«  gebratene  ftleifd)  ber  erfdjlagenen  fteinbe. 

Dafj  biefe  53emegung  unb  Aufregung,  bie  bem  Slnfruf 
Urban«  II.  felgte,  nun  unferen  gelben,  ben  ©oI)n  ber  frommen 
3ba , bei  feiner  ungmeifelljaft  ftarf  ausgeprägten  Uieligiefifät, 
»ollftänbig  ergriff,  ift  leidjt  begreiflich-  2Bol)l  m6glid),  baff  er, 
mie  berid)tet  mirb,  fdbon  früher  ben  SBunfd)  geäußert  l)attcr 
einmal  in  SBaffen  nad)  fPaläftina  gu  gieren.  £>b  er  aber  non 
»ornljerein  bie  ?lbfid)t  gehabt  l)at,  fein  gange«  heben  biefer  3bee 

«•SM 


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14 


gu  wibmen,  wirb  fefr  gweifelfaft  burd)  ba8  gafturn,  bafc  er  be» 
bufö  feiner  JRüftungen  fein  ©tammfdjlof)  an  ben  Bifdfof  »on 
güttid)  mit  bet  Bebiugung  nerpfänbete,  bafj  ihm  unb  brei  9tad)> 
folgern  ba8  @inlöfung8red)t  nerblieb. 

SJiitte  @ommer8,  ungefähr  im  Sluguft,  waten  ©ottfriebS 
Stüftungen  noKenbet  unb  erfolgte  fein  Slufbrud)  in  Begleitung 
feinet  Brüber  ©uftad)  unb  Balbuin,  BalbuiuS  ocn  ^jennegau 
unb  mancher  anberet  ©belen.  @r  b°tte  guerft  non  allen  bebeu* 
tenberen  gürften  feine  JRüftungen  »oUenbet,  unb  biefet  Umftanb 
fowofl,  mie  bie  Beräufjerung  feines  BefijjeS,  fprid)t  teutlid)  genug 
für  ben  ©ifer  unb  bie  Begeiferung  unfereS  £etgoge8.  Ueber 
bie  ©tärfe  feiueS  £eere8  finb  wir  nid)t  fidjer  unterrichtet:  ?lnna 
Äomnena , bie  5£od)ter  unb  Biograph**»  be8  bpgantinifd)en 
Äaiferg  iÄlejriuS,  giebt  70,000,  Dtaimunb  o.  9lgile8  bei  9lutiod)ia 
nod)  30,000  fJJtann  als  bie  ©tärfe  ber  ©ottfriebfefen  £eere8* 
abtl)cilung  an.  ©8  ^at  nun  überhaupt  feine  eigene  Bewanbtnifj 
mit  biefet  gangen  $eere8folge.  3ebet  Olitter,  felbft  jebet  anbere 
©olbat,  blieb  in  biefem  <£>eere  ohne  ©leidfen  nur  io  lange  als 
ihm  gefiel  bei  einem  ber  gürften  unb  id)lo§  fid)  nach  Belieben 
einer  anberen  ©djaar  an;  bie  gange  Bewegung  war  ja  ba8  SSlerf 
freier  ©nifd)lief)ung. 

SSJenn  wir  un8  bieje  ßmanglofigfeit  unb  bie  b^rrenben  @e. 
fahren  »ergegenwärtigen,  bann  muffen  wir  gefielen,  ba§  alle 
biefe  gaflreidjen  unb  gewaltigen  .£>eere8maffen , bie  fid)  1090 
nad)  bem  Oriente  wälgten,  bodf  uerloren  gewefen  wären,  wenn 
nid)t  etwas  SBaljre8  an  bem  gewefen,  wa8  bie  älteften  Berichte 
übet  ben  ÄTeuggug  fo  häufig  betonen:  CS^riftnS  ber  £ert  fei 
felbft  ber  güfrer  be8  3**ge8  gewefen.  ©leid)  bet  ältefte  unb 
befte  Berieft  beginnt  mit  biefer  £)inweifnng  auf  ©frifti  güfrer- 
febaft:  „§H8  bie  3ett  erfüllet  war,  bie  ©friftuS  im  ©oangelium 

geiefct,  inoem  er  fagte:  wer  mit  mir  fein  will,  nehme  fein  Äreug 

(M) 


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15 


auf  fid)  unb  folge  mit  nadj  — ba  entftanb  bie  grofce  Sewe* 
gung'1  u.  f.  w.  „©eit  bet  Sdböpfung  bet  SBelt,  feit  bem 
SDlpfterium  beö  ÄreugeS,"  fagt  bet  fWönd)  {Robert,  „gejdhah 
nichts,  biefem  3uge  gu  Dergleichen,  bet  ein  SBetf  ©otteS,  nicht 
bet  URenfchen  mar."  3el?o»al},  bet  ^eilige  ©eift,  bet  £eilanb 
werben  aller  Drten  getabegu  als  bie  gelbberten  be§  3ugeß  be* 
geidjnet.  Unb  in  bet  $£ljat:  maß  märe  au8  allen  biefen  ©paaren 
geworben,  ^ätte  nicht  jebem  ©ingelnen  baä  Silb  beö  ^eiligen 
©rabeö  oot  Singen  gefdjwebt  unb  ihn  gum  Stußharren  in  ben 
©efahten,  gu  ben  l)elben^afteften  Slnftrengungen , gur  Orbnung 
unb  gum  freiwilligen  ©ehotfam  ftetig  aufgefotbett?  55er  ®e* 
banfe  an  G^iiftuö  war  ba§  geiftige,  war  baß  eingige  23anb,  wel* 
cbe8  alle  biefe  buntgemifchten  Sollet  gufammenhielt  — unb  in 
biefem  ©inue  war  bet  Jfjetr  wirflid)  bet  gürtet  beß  3ugeß. 
gteilid)  wefentlid)  trug  nun  and?  ein  gweiteß  fDloment  gum  @e= 
lingen  bet  Unternehmung  bei.  ©ang  befonberß  günftig  fiel  bet 
Slufbtud)  bet  .Kteugfahter  tn  eine  3eit,  in  welket  bie  Serljält* 
niffe  im  Oriente  wenig  gu  fräftiger  Slbwehr  geeignet  waren. 
55aß  bßgantinifd)e  Seid)  wat  gefdjwadht  burd;  bie  Äämpfe  mit 
ben  Üitrfen,  unb  beten  Seid)  fetbft  hatte  foeben  1092  burdb  beit 
Stob  fBleleffdhahß  feine  ©inheit  unb  feinen  3ufawmenhang  net* 
loten  unb  war  in  einer  unaufhaltfamen  3«fefuung  begriffen,  in* 
bem  fidh  bie  eingelnen  Steile  felbftftänbig  malten  unb  gegeu* 
feitig  befel)beten.  55abei  würbe  ber  3ufammenhang  biefer  ein* 
gelnen  türfifdjen  ©mirate  in  Äleinafien  nielet  Orten  butd)  d)tift* 
lidje  Staaten  — armenijche  unb  griechiiche  — unterbrochen, 
unb  enblidj  wat  überhaupt  bie  iürfifche  ^errfdhaft  bort  noch  fo 
neuen  35atumß,  baf)  bie  Seoolferung,  audh  ber  türfifd)en  Sanber, 
Dotwiegenb  chriftlich  war.  Sur  in  ben  wichtigften  Stabten 
finb  tütfifdje  Sefafjungen:  auf  bem  platten  Sanbe  ift  feine  ©pur 
mufelmännifcber  Seoöllerung.  Secbnen  wir  h*ergu  nun  ncct? 

(467) 


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16 


bie  JRiualitat  biefer  afiatifdjen  Selbfcbufen  unb  ber  ägtjptifdhen 
??atimiben,  fo  ift  flar,  bafj  bie  Settjciltniffe  be8  SJtorgenlanbeS 
»tele  ©hancen  für  ba8  Äreugheet  boten,  freilich  bauernb  war 
nicht  auf  bie  Uneinigfeit  ber  SJtuhamebaner  gu  rechnen:  ber 
gemeinfamcn  ©efahr  gegenüber  rnufjte  fidh  ber  38lam  fhliefelidh, 
mie  audj  gefchah,  nach  SJtöglidbfeit  gut  SSbmeht  Bereinigen. 

©he  ich  nun  bie  JDarftethmg  be8  erften  ÄreuggugeS  felbfk 
oerfuche,  will  ich  mich  uormeg  über  bie  mid)  leitenben  @eftd?t8« 
fünfte  erflüren.  ©ine  nur  annäfyernb  ctfdjöpfenbe  3)arftellung 
biefeS  großen  £elbenguge8  gn  geben,  fann  nicht  in  meiner  3b= 
ficht  liegen.  SDennoch  müffen  mir  ftetS  ba8  ©äuge  im  Üluge 
haben,  menn  mir  ©ottfriebS  (Stellung  in  bemfelben  richtig  er« 
fennen  unb  mürbigen  moOen.  lieber  biefelbe  mitl  i<h  nun  gleich 
bemerfen,  bafj  fie  nach  ben  Berichten  ber  SHugengeugen  unb 
SRitmaDfahrer  ^ergog  ©ottfriebS  burchauS  nicht  bem  Silbe  ent« 
fpricht,  mie  e8  un8  gemöhnlich  entmorfen  mirb.  ©r  ift  nicht 
ber  Slgamemnon  be8  BugcS,  mie  ihn  Staffo  unb  Berber  begeich* 
nen,  er  erfdheint  nid?t  einmal  al8  ber  primus  inter  pures,  3Da« 
mit  ber  gefet  aber  felbft  über  ben  SBerth  biefer  Seugniffe  urteilen 
fann,  miH  ich  ihn  in  Äurgem  mit  biefen  SBallbtübetn,  beten 
Sendete  jeber  hiftorifdhen  SDarfteQung  be8  ÄreuggugeS  gu  ©vunbe 
liegen  müffen,  befannt  madjen.  3d)  uetbinbe  Damit  gugleid) 
noch  einen  anberen  3roecf.  ÜDiefe  Stimmen  reben  mitten  au8 
ber  großen  Semegung  felbft  gu  un8,  fie  geben  un8  oon  ber 
gangen  geiftigen  ©rregung  jener  Beit  ba8  getreuefte  S3ilb.  Se» 
fonberS  «harafteriftifche  Sleufjerungen  berfelben  glaube  ich  be8halb 
nicht  oerfd)meigen  gu  bürfen.  9lut  anf  biefem  SBege.  menn  mir 
bie  ba8  Äreugheer  beherrfchenben  Slnfchauungen,  menn  mir  feine 
3eit  »erftehen  lernen,  fonnen  mir  ein  richtiges  Silb  unfeveS 
gelben  geminnen,  ber  ber  entfehiebenfte  SSuSbrn cf  biefer  3eit  ift. 
©in  richtiges  Sagebud)  führte  fRaimunb  oon  2lgile8,  ein 

(168) 


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17 


tfletifet  oon  guter,  aber  ungebilbeter,  niebriget  Statur.  Sr  ge* 
hörte  jur  nächften  Umgebung  beb  ©rafen  fRaimunb  oon  Souloufe 
unb  beb  Sifcbofb  IHbhemar,  er  trug  felbft  bie  t)eÜiv\e  üauje  im 
Äampfe  gegen  Äerbuga.  — Sr  tft  frifd),  fel)t  naio  unb  begciftert 
für  ben  tjeiltgeu  3»ecf  beb  3uges,  aber  gugleid)  fanatiid)  unb 
rol).  33or  allem  ift  er  auch  ^rooengale  uub  eingenommen  für 
feine  ganbbteute  unb  ifjren  Führer  Otaimunb  oon  Stouloufe. 
33on  feiner  naben,  fanatifd)=rol)en  lärt  l)ier  ein  paar  cfyarafte* 
riftifdfe  ©eifpiele.  St  rotH  unb  eine  „herrliche"  $h°t  beb 
©rafen  con  Slouloufe  ergäben;  eb  ift  folgenbe.  ä$on  balmatini» 
fcfjen  ©lacen  t)<rtt  bebrängt,  läfft  berfelbe,  um  bie  übrigen  in 
©Freden  gu  je^en,  fec^S  ©efangenen  bie  klugen  aubreifcen  unö 
9tafen,  lärme  unb  Steine  abfchneiben.  „SÖei  ber  Sinnabme  con 
täntiodjieu",  er^ä^ft  er  ein  anbermal,  „ereignete  fid)  nach  fo 
langen  2)rangfalen  etroab  Ijöcbft  Singenehmeb  unb  Srgöfjlicheb: 
ein  türfifdjer  Steiterbaufen , mehr  alb  300  SJtann,  ftürgte,  con 
unb  heftig  »erfolgt,  in  einen  &bgrunb:  eine  gteube  3«  feben, 
fo  fetjr  mir  autb  bie  umgefommenen  $)ferbe  bebauerten."  Unb 
benfelben  SOtann  befeelt  bie  glübenbfte  Oieligiofttät!  ^immltfcbeb 
unb  3tbijd)eb,  Sbleb  unb  ©emeineb  liegen  in  ber  9Jlenfd)enbruft 
ja  überhaupt  nahe  bei  einanber:  aber  fo  unoerhüHt  erfcheint  bei* 
beb  neben  einanber  nur  im  SDtittelalter  unb  befonberb  in  ben 
Äteujjügen.  2Bit  »erben  fehen,  baff  auch  ber  fromme  ©ottfrieb 
felbft  gegen  befiegte  fteinbe  fein  Srbarmen  fannte. 

Sin  j»eiter  2agebud)»etfaffer  mar  Sulch®1  c.  Si)artreb,  auch 
ein  Älerifet,  ber  mit  bem  9iormannent)eere  30g,  beffen  JÄufjeid)* 
nungen  aber  burch  einen  bornirten  Suthufiabmub  unb  abenteuer* 
liehe  2öunbetgefd)id)ten  feljr  an  Süertt)  einbüfcen.  Sr  cerliert 
auch  bab  .fpauptheer  halb  aub  ben  iÄugen,  ba  er  fid)  bem  Srubet 
©ottfriebb,  Salbuin,  bei  feinem  3uge  gegen  Sbeffa  anfd)lief)t. 
Sticht  bab  äBidjtige,  jonbern  nur  feine  eigenen  Srlebniffe  »ill  et 

XIV.  3*6.  2 O69) 


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18 


aufgeicbnen.  5)er  bei  Söeitem  midjtigfte  Augengeuge  ift  ber  bem 
■Warnen  nacp  unbefannte  93erfaf[er  ber  gesta  Francorum,  ein 
gu»erläjfiger  23eoba<pter  »on  flarem  unb  ruhigem  Sölicf , ber 
immer  bab  Söefeutlidje , fomeit  er  eb  non  feinem  ©tanbpunfte 
aub  erfennen  fann,  im  Auge  bepält.  5)abei  ift  aucp  er  erfüllt 
»on  ber  allgemeinen  23egei|'terung  beb  3wgeb,  aber  opne  barura 
in  bliuben  (Entpufiabmub  unb  Aberglauben  gu  »erfaUen.  23on 
feiner  'Perfönlid^feit  miffen  mir  nur,  baf)  er,  ein  Witter,  mit 
23oemunb  aub  Amalfi  gog  unb  bei  beffen  ©(paar  bib  gur  23c- 
fiegung  Äerbugab  blieb,  ©päter  fcplop  er  fidj  einmal  Wobert 
»on  bet  Wovmanbie  unb  Waimunb  »on  Souloufe  an.  SDiefer 
Unbefannte  giebt  uns  nun  bas  treuefte  unb  un»erfälfcptefte  23ilb 
beb  «ftreuggugeb.  ©eine  cparafteriftij(pe  (Einleitung  paben  mir 
fcpou  oben  mitgetl>eilt,  für  feine  Ijiftorifdje  Unparteilidjfeit  jebotp 
bei  aQer  23egeifterung  geugen  ©teilen  mie  folgenbe:  „2Ber  fann 
bie  Ä'lugpeit,  beu  «fttiegbtupm , bie  Sapferfeit  ber  Sürfen  be= 
f<pteiben?  3<p  miß  bie  Söaprpeit  fagen,  bie  mir  Wiemanb  »er* 
mehren  foll:  mären  fie  feft  im  ©tauben  (Eprifti,  nie  patte  eb 
mastigere,  fräftigere,  »erftänbigere  Ärieger  gegeben."  ©tete  ift 
et  mapooll,  madjt  aucp  nicpt  grop  Dfüpmenb  »on  beu  erbulbeten 
SJefdbroerben  unb  Anftrengungen.  (Sr  füprt  bie  uacfteu  Spat* 
fatpen  an  unb  fagt  pöcpftenb:  „©clcpe  plagen  unb  Wotp  bul* 
beten  mir  um  (Eprifti  unb  beb  peiligen  ©rabeb  millen."  Aucp 
bab  3tbifcpe  meifj  er  nai»  neben  bem  Jpimmlifcpen  gu  fcpäpen, 
mie  ja  bie  Äreugfaprer  überpaupt,  bie  fiep  g.  23.,  alb  im  «Kampfe 
bei  SDorpläum  enblicp  bie  erfepute  «pülfe  eintrifft,  nacp  ipm  gu» 
rufen:  „8apt  unb  im  ©lauben  (Eprifti  tapfer  fämpfen,  mill’b 

©ott,  fo  müffeu  mir  alle  reicp  merben!" 

Wad)  ben  23ericpten  biefet  Augengeugen  nun  fann  fein 
Smeifel  baran  fein,  baf)  »on  einer  Süprerfcpaft  ©ottfriebb  nicpt 
gerebet  merbeu  fann.  3a  unfer  $elb  tritt  fogar  gegen  »erfdjie* 

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11) 


bene  anbeve  dürften  begüglid)  feines  OlnjehenS  unb  @tnfluffeö 
gurücf.  £>b  leglereS  ©erhältnifj  in  jenen  SDarfteHuiifle«  nun 
gang  genau  ber  SBirflicfcfeit  enlfpridjt,  fönnte  nach  meiner  Sin» 
fid?t  bod)  beSmegen  im  3toeifet  fommen,  roeil  jene  ©erichterftatter, 
nue  mit  gejel)en,  im  ©efolge  anbe  rer  dürften  befinblid),  biefen 
il)t  befonbete»  Sntereffe  guroenben  — eiu  Umftaub,  ber  non 
©pbel  gar  nicht  berücffidjtigt  morben  ift.  ©o  niel  aber  laffen 
biefe  Duellen  butch  it?re  Uebereinftimmung  immerhin  ungmeifel» 
haft  erfeunen,  bafj  brei  anbeve  Sürften  au  ©ebeutung  ©ottfrieb 
gernijj  gteicbfommen,  unb  einet  non  ihnen  eutfdjieben  mit  nie!« 
mehr  ©echt  als  ber  lothtingifche  Jpergog  ber  Sül)rer  beb  3uge0 
— menigftenö  in  feinet  erften  Jpalfte  — genannt  metben  fönnte. 
£a6  ift  ©oemunb  non  2arent,  ber  blaffe,  nerfehloffene  ©ohn 
Oiobert  ©uiecarbs,  ein  ^öd^ft  begabter,  burd)  unb  burch  niidj» 
terner  ÜJiann,  ehrgeizig,  rücffidjteloS  unb  nerjdilagen,  unb  ener* 
gifch  auf  ein  gang  beftimmteö  Siel  gerichtet.  ©on  religiöfem 
©nthufiaSmuS  merfen  mir  bei  ihm  nicht  niel,  unb  fchon  feine 
Seitgeuoffeu  glaubten  an  foldjen  nicht,  ©ein  ©egenftücf  ift 
ber  fchmärmerifd)  teligiöfe,  eigeitfinnige  unb  leibenfdjaftlidje  ©taf 
Oiaimunb  non  üoulouje,  ber  burd)  feinen  unruhigen  ©hl9e4 
unb  burd)  feinen  grcfcen  Dieid)thum  fich  aud)  mehr  alö  ©ottfrieb 
bemetflich  macht,  fo  bafe  bie  morgenlänbifchen  Duellen  faft  au6= 
fd)lief)lid)  non  ihm  berichten,  ©üblich  ift  ein  höchft  bebeutenbev 
OJienfd)  ber  jüngere  ©ruber  unferes  Jpelben,  ber  jd)on  burch 
jeinen  SBud)ö  übet  alles  ©olf  hetoorragenbe  ©albuin,  ein  uu* 
erfchrocfeuer  uub  unerfchütterlicher  SJiann,  gemanbt  unb  thätig, 
ber  fyätere  9iad)folger  ©ottfriebö  in  Serufalem  unb  ber  eigent« 
liebe  ©egrünbet  beö  OieidjeS.  ©omohl  er  mie  Oiaimunb  non 
Souloufe  mürben,  charafteriftijch  genug,  nou  iljten  ©emahlinneu 
auf  bem  Suge  begleitet,  unb  bie  ©albuinS,  ©obehilb  non  6ou* 

2 * (471) 


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•20 


djeb,  büfcte  iljren  fügten  ©ntfd)lufj  gu  9Dieraafd)  in  Äleinafien 
mit  betn  ü£obe. 

3n  Äonftantinopel  faf)  man  nid)t  ol)ne  ©orgen  bem  Jperan* 
rüden  ber  tateinifcben  ©paaren  entgegen.  5ftan  fagte,  eb  feien 
meijr  Pilger  alb  ©ferne  am  pimmel,  alb  ©anb  am  fDleere, 
man  argwöhnte  bei  einem  5ll)eile  ber  jtreugfaljrer,  befonberb  bei 
©oetnunb,  feinblicfye  Stbfid^ten  auf  Jfonftantinopel.  Sin  gleich- 
berechtigte ©unbebgenoffenfdjaft  fomofyl  alö  an  gewaltfamen 
SBiberftaub  war  bei  ber  eigenen  ©ctywadje  nidjt  gu  benfen,  aber 
ber  Äaifer  Sllepiub  war  ber  SDtann  bagu,  aud)  unter  ungünftigen 
©erljältniffen  feinen  ©ortljeil  gu  »erfolgen,  unb  feine  nüdjterne 
©efonnenljeit  fühlte  fid)  ber  ptyantaftifdjen  ©egeifterung  ber 
Pilger  gu  überlegen,  als  baff  er  nicht  »erfudjt  hätte,  burd) 
biplomatifdje  @ewanbU)eit,  felbft  oljne  £l)eilnat)me  am  jfreugguge, 
Slntfyeil  am  ©ewinn  gu  erlangen.  ©ie  »ergangene  ©röfje  feines 
SReidjeb  feilte  ifym  ben  üitel  für  bie  Stnfprüdje  geben,  bie  er 
gefonnen  war,  auf  bie  gu  erobernben  8änber,  fo  weit  biefe  einft 
unter  griedjifdjer  ,perrfd)aft  geftanben,  gu  ergeben.  — 2 )ab 
©lüd  führte  bem  Sllejriub  guerft  ben  ©ruber  beb  Äönigb  »on 
fftanfreidj,  .pugo  »on  ©ermanboib,  gu,  einen  eitlen,  imübet* 
legten  ©lenfdjen,  ben  ber  Äaifer  burd?  rafcheS  ©rfaffen  feiner 
fd?wad?en  ©eite  halb  gut  geiftung  beb  2el?nbeibeb  gu  bewegeu 
wufjte.  ©ang  anberen  SBiberftanb  ftellte  feinen  planen  unfer 
pergog  »on  2otl?ringen  entgegen,  ber  balb  barauf  anlangte  unb 
erflärte,  fein  eingiger  8et?nbl?err  fei  3efub  ©hrtftw8 » unb  nur 
biefem  benle  er  fortan  gu  bienen.  ©etfelbe  war  bie  ©onau 
beruntergegogen  bis  gut  ©reuge  Ungarnb,  wo  er  faft  ben  gangen 
©eptember  binburcty  burd?  ©ertjanblungen  über  ben  ©urd?gug 
burd?  Ungarn  aufgehalten  würbe,  (Snblid?  i'tbcrwanb  ©ottfrieb 
bie  ©d?wierigf  eiten  unb  gelangte  ol?ue  Äämpfe  an  bie  bulgariid?e, 
bann  an  bie  griechifche  ©rengc,  wo  er,  in  fRiffa,  »on  einer 

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21 


faiferlidren  ©efanbtfehaft  begrubt  lrutbe.  ®iefe  verfpracb  bie 
beftc  9lufuahtne  unb  93 erpflcgung. 

3n  aber  erfuhr  ©ottfrieb  von  ben  93orgängen 

in  bet  «^auptflabt  unb  füll  fid)  burd)  bie  9Jlif)ftimmung  übet 
£ugo8  93creitwifligfeit  bis  gur  ^Münberung  beö  8aubc3  haben 
hinreifjen  (affen.  91  m 23.  (Dezember  lagerte  fein  £eet  vor  Äon» 
ftantinopel.  Jp ier  fanb  eine  reiultatlofe  3ufaminenfimft  gwifcheu 
©ottfrieb  unb  £ugo  ftatt,  bann  erlebten  ein  93otictjafter  be§ 
ÄaiferS,  ber  ben  Jpevgog  gu  einer  verfßnlieben  Untervebung  nad) 
ber  ^auptftabt  einlub.  2)er  ^)erjeg,  gewarnt  not  ber  griediifcben 
Üreulofigfeit,  verweigerte  biefe.  ©vbet  glaubt  nun,  weil 
9lnna  Äcmitena  ficb  auf  ein  berartigeS  früheres  93erfpreehen 
©ottfriebS  beruft,  ©ettfrieb  habe  bei  biefer  Ablehnung  ber 
3ufammenfunft  bie  üeiftung  bcö  8ebn8eibe$  verfpreehen.  9lnna 
Äomneua  ift  aber  anerfanntermafjen  parteiifef)  unb  hat  oft  feljt 
unverbürgte  9iad^rid?ten , unb  ba8  monatelange  ©tehenbleiben 
ber  @aehe  auf  bemfelbeit  ©tanbpunfte  fdreint  mir  faum  ver» 
einbar  mit  folebem  93erfpredicn.  ©ewife  tjat  ©ottfrieb  betreffs 
biefer  ©ibeöforberuug  nur  auSweidjenbe,  nidjt  gerabegu  ab« 
fditagige  Antworten  gegeben,  bie  nun  9tnna  von  ihrem  ©tanb* 
fünfte  oljne  SöeitercS  als  93erfpreeben  begeiebnet.  3d)  glaube 
alle  weiteren  2batfad)en  fpredjen  für  biefe  Uluffaffung.  — 
3unacbft  begieht  ©ottfrieb  bie  vom  Äaifet  angebotenen  Guar« 
tiere  in  §)era:  bort  glaubte  9UejriuS  ba8  ^eer  gwifdien  93ethvfju8 
unb  bem  füieere  am  beften  gu  ifolireu.  9todwnal8  lehnte  babei 
ber  J^ergog  jebe  Unterrebung  ab.  Cfr  wünfehte  ohne  Ä'ampf  bie 
übrigen  dürften  erwarten  gu  fönnen,  benn  ben  getjnöeib  wirflich 
gu  leiften,  war  er,  wie  auS  9Wem  l>ert>orge^t  unb  au<h  @vbel 
glaubt,  burchauS  nidst  willens.  9We  weiteren  barauf  begüg= 
lieben  Unterhanblungen  be8  ÄaifetS  febeiterten  an  ©ottfriebS 
aueweiehenbem  Benehmen,  ©t  traue,  antwortete  er  nad)  9(nna, 

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22 


und?  nidjt  bem  jfaifer  fomeit,  um  eine  perfönlicbe  3ufammen* 
funft  gu  Tragen.  fDfonat  auf  SSRcnat  eerftrid)  fo,  ber  ©intet 
ging  gu  ©nbe,  oon  allen  ©eiten  näherten  ftrf>  bie  anberen 
@d?aaren  ber  ©aDfabrer,  barunter  ber  gefürchtete  33oSmunb,  unb 
alles  fdiien  für  SllepiuS  oerloren  — benned)  gewann  feine 
©dilauheit.  3unäd)jt  oerhinberte  er  jebe  ©ommunication  ©ott» 
friebS  mit  ben  herangiel)enben  ftübrern  ber  anberen  £>eere. 
93oemunb,  nid)t  mehr  oielc  fJJfärfche  entfernt,  wufete  niditS  oon 
©ottfrieb,  biefer  nichts  non  ber  nahen  ^)ülfc.  21  m 3.  9lpril 
1097,  am  ©rünbonnerftage,  entjcblofc  ftd)  nun  JKejriuS,  ©ewalt 
anguwenben,  fud)te  bie  Sotljringer  in  ^>era  eingufddiefjen  unb 
ohne  offene  ffelbfd)lad)t  bnreb  fortwährenbe  Angriffe  gu  unter* 
werfen.  9lber  an  ber  ©ntfcbloffenheit  beS  ,£>ergoge8  unb  an  bet 
©nergie  feines  gewanbten,  unerfebroefenen  S'ruberS  23albuin 
febeiterte  bet  ^)lan,  bie  ©infdjliefcung  mt&Iaug  nid>t  nur,  fonbern 
©ottfrieb  griff  iogar  bie  dauern  ber  dpau^tftabt  felbft  an,  frei* 
lid)  ohne  jebe  ShiSfieht  auf  ©rfolg.  3n  biefer  Sage  fam  gu 
2üepiu8  bie  9fad)rid?t,  ba&  3?oSmunb  feinem  Jp cere  oorauS  nad) 
Ü'onftantinopel  eile:  ©efahr  war  in  jebem  SBerguge.  Deshalb 
oetfud)te  SllejriuS  noch  einmal  ben  ©eg  ber  Unterhanblung  unb 
£ugo  fam  gum  gweiten  fWale  inS  lothringifdje  Säger,  würbe 
aber  oon  ©ottfrieb  auf  baS  9lbftojjenbft  e empfangen.  „Du,  eines 
ÄönigS  @ohn,  bift  ein  ©flaue  geworben  unb  willft  nun  mid» 
aud)  gum  ©flauen  madbeu?"  ©o  foll  er  ben  2lbgefanbten  nach 
2lnnaS  23erid)t  angefahren  haben.  fJJfit  aller  SBeftimmtheit  er* 
flärte  er,  wie  hier  felbft  9lnna  einräumt,  er  werbe  Weber  ben 
SehnSeib  leiften,  nod)  narb  SllepiuS  ©unftb  oor  ber  Slufunft  bet 
Uebrigen  nad)  Elften  überfein.  StleriuS  unternahm  hieraufhin 
am  ©harfreitage  mit  allen  Kräften  einen  91  u 8 fall  gegen  bie 
ftranfen.  — Die  Duellen  geben  nun  über  ben  2luSgang  biefeS 
ÄampfeS  wibetfpred)enbe  93erid?te.  ©pbel  oerwirft  hier  baS 

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23 


3eugnih  bet  ©eften,  bie  et  fonft  burcbang  alö  leitenbe,  befte 
Duelle  anetfennt,  unb  bte,  tute  bte  anberen,  ©ottfrieb  ben 
®ieg  gujprecben;  et  glaubt  bi”  ber  allgemein  als  jebr  ungu* 
»erläffig  befannten  9lnna,  bte  Slejrtuß  fiegen  läfjt  — allein 
au§  bem  ©rwtbe,  »eil  5 Jage  fyäter  ©ottfrieb  bie  ftorberung 
be8  ÄaiferS  erfüllte  unb,  ohne  9tad)ricbt  »du  3?oSmunb0  ?ln* 
näberung,  ben  SBajaDeneib  fcbwur.  3<b  glaube,  bah  trctj  biefeS 
Sluggangeg  ben  ©eften  auch  bi”  gu  folgen  ift,  ba§  gum  menig» 
ften  ber  Äampf  entfcbeibungblcö  blieb,  SBarum  feilen  »it  bi” 
allein  bem  fo  guoerläffigen  SHugengeugen,  bet  felbft  ben 
Jürfen  »olle  ©erecbtigfeit  gu  Jb”l  »erben  läfjt,  nid)t  glauben? 
5lUr  muffen  ficber  baö  fjftotio  ©ottfriebö  gu  bem  pletglicben 
Umftbwunge  »o  anberg  fucben.  3d)  bin  übergeugt,  bah  unie* 
reg  gelben  ©ntfcbluh  auö  folgenben  (Srwägungen  b”»orgegangen 
ift.  @t  batte  biöljer  gehofft,  burd)  feinen  gäben  SBiberftanb  ben 
Äaifer  gum  fltacbgeben  gwingen  gu  !önnen,  burd)  bie  £art>> 
nätfigfeit  aber,  mit  ber  SUejdug  auf  feiner  ftotberung  beftanb,  unb 
in  golge  beten  et  jejjt  fogar  bie  gemaltfamcn  Angriffe  ltidjt  ge» 
ftbeut  b«tte,  würbe  eg  ib»  beutlid),  bah  Sllejriug  bis  gum 
Steufserften  entfdjloffen  »at,  feine  Slbfidjt  burd)gufübten. 
3)a  muhte  fidj  ©ottfrieb  fragen,  welche  9tad)tbeile  auS  einem 
fetnbfeligen  SBerbältniffe  gu  beu  ©rieten,  bag  ja  auch  nach  einem 
©iege  ©ottfrieb«)  geblieben  fein  »ürbe,  für  bat)  gange  Unter» 
nehmen  erwadbfen  fonnten,  »ie  »iele  33ortbeile  bagegeu  ihre 
greunbfcbaft  brachte.  §üt  ©ottfrieb  muhten  aber  biefe  6r= 
»ägungen  entfcbeibenb  werben,  für  ihn,  für  ben  eS  fein  b»bete§ 
3iel  alg  bie  ^Befreiung  beS  ^erliegen  ©rabeg  gab.  ©elbft  gegen 
6 ^ r i ft c n gu  fämpfen  ftatt  gegen  Ungläubige,  muhte  ihm 
als  bem  Ijeiligcn  3»etfe  beg  3uge8  »iberftrebenb  etfcbeinen. 
3De§l)aIb  glaube  id>  bem  ^Berichte  Sllberte  »on  Slacben,  ©ottfrieb 
habe  gefagt,  et  fei  nicht  auggegegen  um  cbriftlicbe  fReicbe  gu 

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24 


ftürgen,  er  wolle,  womöglich  mit  beS  ÄaiferS  $ülfe,  d^riftltc^e 
SBaffen  gegen  Serufalem  tragen.  Sollte  er  fyier  feine  Äraft  im 
Kampfe  um  irbifche  ©hren  oergeuben  unb  erfchöpfen?  ©ewifc 
nur  als  ?$oIge  folget  ©rwägungen  ift  ber  plöfjlicbe  SBedjfel  in 
©ottfriebS  Verhalten  erflärlid;.  55em  ^eiligen  ©nbgweäfe  gu 
Siebe  beugte  er  feinen  ritterlichen  ©tolg,  würbe  er  SSaiall  beS 
griedjifcben  ÄaiferS.  ®aö  würbe  ihm  gewifj  nid^t  leidet,  aber 
etwas  leichter  hoch,  wenn  er  eS  als  Sieger  ober  nach  einem  un« 
entfcbiebenem  ©efechte,  freiwillig,  um  weiteres  Stutoergiefjen  gu 
nermeiben,  tljat. 

fDiit  bem  }o  non  ©ottfrieb  gewonnenen  Silbe  fteht  au* 
alles  Söeitere  im  beften  ©inflange.  Sogar  Soemunb  fteüte 
wiber  SllejriuS  ©rwarten  feinen  planen  burchauS  feinen  großen 
SBiberftanb  eutgegen,  weil  auch  er  ein  gutes  ©inoernehmeit  mit 
bem  Äaifer  für  fchlechterbingS  nothwenbig  h*elt.  Selb  ft  er 
hatte  fchon  oort)er  feinen  Leuten  befohlen,  fi*  im  chriftlichen 
Lanbe  in  ©chranfen  gu  h^ten,  gebühre  ben  pilgern  beS 
£etrn ! Stber  wenn  Soemunb  alles  aus  Sercchnung  beS  eigenen 
SortheilS  that  unb  ben  @ib  fchwor  in  ber  Slbfidp,  ihn  nicht 
gu  leiten,  fo  war  bagegen  ©ottfrieb  nun,  feinem  ©harafter 
gemaf}i  aufrichtig  auf  SüejriuS  ©eite,  bis  biefer  fpäter  bur* 
üüergeffen  aller  Serfptechungen  unb  burch  fei«  unehrliches  Se* 
nehmen  gegen  bie  SBadfahrer  beren  Sertrauen  unb  Sichtung  oer* 
fchergte.  ©eine  ©rgebenheit  geigte  bamalS  ©ottfrieb  bem  .ftaifer 
nornehmlich  bei  ben  Serhanblungen  mit  ben  fpater  eintreffenben 
dürften,  bei  benen  er  bem  Äaifet  burch  feinen  ©influfj  öfter 
n üblich  würbe.  SDafüt  würbe  er  felbft  auch  non  bem  Äaifet 
reiflich  befchenft  unb  auf  jebe  Slrt  auSgegeiihnet.  — Unter  bem 
Setfprechen,  binnen  Äurgem  perfönlich  ein  ^»eer  naihguführen 
unb  bie  Äreugfahrer  mit  Lebensmitteln  gu  unterftüfjen,  fah  nun 
SllejriuS  bie  Jpeere  nach  Slpen  fcheiben.  — SDort  muhte  ber  erfte 

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25 


Angriff  bem  Äilibfd)  3(rölan,  bem  ©mir  ocn  3conium,  gelten. 
68  war  6nbe  äpril  1097,  a!8  baß  Bereinigte  lotbringifd)e  unb 
italienische  Jpeer  oon  ©balcebon  nad)  dtifomebien  aufbrad),  wäl)* 
renb  äbbemar,  Utaimunb  unb  Bogmunb  noch  in  Äonftantinopel 
waren,  lederet  üornebmlitb,  um  bie  Betpflegung  ber  Pilger  mit 
bem  Äaifer  gu  orbnen.  3)ennocb  litt  baß  £eer,  baß  non  9tico* 
mebien  balb  nad)  9ticäa  aufbrad),  SEdangel  an  adern,  biß  Boe* 
munb  felbft  anlangte  nnb  ber  9iotl>  burd)  regelmäßige  änfubt 
con  tfebenßmitteln  äbbilfe  oerfcbaffte.  ©benfo  femmt  in  bie 
Belagerung  9licäaß  nad)  bem  einftimmigen  Beriete  ader  üueden 
erft  mit  bem  ©intreffen  Boßmunbß  bie  netbige  ©nergie.  2)iefe 
Belagerung,  Sowie  bie  Befieguug  beß  gum  ©ntfaße  Ijeraugetom» 
menen  Äilibjd)  ärßlanß  tonnen  wir  rafd)  übergebe»:  ©ottfrieb 
füdt  feine  ©tede  fowebl  bei  ber  Belagerung  als  in  ber  ©d)lad)t 
anß;  ein  Söeiteveß  bören  wir  nid)t  con  ibm.  8118  allmählich 
ade  ©paaren  in  il)re  ©tcduugcu  cor  Sdicäa  eingerücft  waren, 
gäßlte  baß  Jpecr  nach  einem  Briefe  Urbanß  II.  au  älejriuß 

300.000  SUann.  6ß  ift  bieß  bie  geringfte  ©d)äßung:  ber  ader» 
bingß  in  Solchen  ©adjen  unguoerläjfige  Saldier  giebt  fogar 

600.000  an.  Uebrigenß  ging  wegen  beß  SJlangelß  einee  einbeit* 
lieben  ^laneß  unb  Dbetbefel)lß  bie  Belagerung  and)  nad)  ber 
Befiegung  ätßlanß  red)t  langfam  oorwärtß  nnb  gelang  erft 
bann,  alß  gried)ifd)e  ^>ülfe  gefommen  war  äuf  ber  einen  ©eite 
mar  nämlid)  SRtcäa  bureb  ben  iogenannten  aßfanifd)cn  ©ee  gebeeft, 
beffen  SBeden  bamalß  nod)  bie  ©tabtmauer  befpülten.  äuf  biefem 
SBafferwege  batten  bie  Belagerten  fid)  bisher  ungebinbert  oer» 
prooiantirt.  5 )a  faben  ade  SBadfabret  gum  elften  dftale  baß 
Bortbeilbafte  beß  gried)ijcben  Bünbniffeß  flat  cor  äugen:  man 
bat  älejriuß  um  bie  nötigen  gabrgeuge,  unb  bieiet  ging  bereit* 
widig  barauf  ein.  SRun  erft  würbe  ber  SBiberftanb  ber  Belager* 
ten  gebrochen,  aber  baß  Die  f ul  tat  bet  Belagerung  war  für  bie 

(«7; 


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•2« 


Äreugfahrer  hoch  ein  fc^r  überrafchenbeö.  Sei  einem  auf  Ser* 
anlaffung  beö  griecbifchen  33efetjlö^aberö  allgemein  »crgenommenen 
©türm  gu  SPBaffer  unb  gu  Banbe,  liefe  plöfclicb  bie  Sefafeung 
»erabrebetermafeen  an  2 ©teilen  bie  ©riechen  in  bie  ©tabt;  fo» 
fort  waren  bie  Slfeere  wieber  gefcfefoffen,  unb  auf  ben  Stürmen 
wehten  bie  faiferltcheit  Bahnen.  ÜDie  unmittelbare  Uebergabe  an 
ben  Äaifer  war  ben  Selagerten,  al8  fte  fid)  einmal  ergeben 
mufeten,  alö  baS  Seffere  eTfchienen.  9Ran  fann  ftd)  ben  ©roll 
ber  überlifteten  Traufen  gegen  bie  falfdfen  ©riechen  benfen,  aber 
bennod)  trug  man  Sebenfen,  offen  ©ewalt  gu  gebrauten.  @r* 
flärlid)  wirb  eö  unö  aber  fein,  wenn  wir  nadb  folchem  Sotgange 
unferen  gelben  nicht  mehr  non  ber  alten  ^reunbfdfeaft  gegen 
9lleyiuS  erfüllt  feben:  bie  hänfen  hielteu  fid)  nun  ihrer  ©ibe 
auch  lebig,  nachbem  ber  Äaiier  hier  unb  fpäter  feine  Serfpredmn* 
gen  fo  fchlecht  erfüllte.  3nmt  »erfuchte  berfelbe,  bie  gange  ©aöfee 
mit  gewohntem  ©efcfeicfe  gu  nertheibigen  unb  gu  bemänteln,  unb 
befdfeenfte  fogar  dürften  unb  .fpeer  gur  ©ntfd?äbigung,  aber  ba8 
gegenfeitige  Sertrauen  war  bod)  feitbem  unwiberbringlid)  »er* 
loten.  ?lm  27.  3uni  »erliefe  baö  ©htiftenheer  baö  Bager  »or 
fJlicäa,  um  burch  ^h^gieit,  ©ilicien  unb  bie  ^äffe  be§ 
Slauruö  nach  ©»rien  gu  gelangen.  3ngwifd)ett  hatten  fidh 
bie  dürften  genügenb  über  bie  3uftänbe  ber  gu  burdfegiehenben 
Bänbet  unb  bie  Serhältniffe  beö  SDrienteß  überhaupt  informirt. 
@d)on  »or  ber  Uebergabe  Sicaaö  hfltte  man  2 fRitter  nach 
Äairo  nu  ber  ben  ©elbfcfjufeu  feinblichen  ^Regierung  »on  2legp»* 
teu  gefchidt,  ebenfo  gingen,  wahrfcheinlich  in  biefer  3eit,  ©efanbte 
gu  ben  armenifdjen  dürften.  3eigt  bieö  »on  Umficfet  uub  §)Ian, 
fo  fann  man  beibe  bagegen  nicht  auf  bem  uuit  beginnenben 
9Rarfd)e  finben.  9Ran  batte  fich  — unbeabficfetigt  wie  eö 
fcheint  — in  gwei  ^eereömaffen  getheilt,  unb  beibe  »erloren  bie 
Fühlung  unter  einanber.  Sei  ber  einen,  wo  Soemunb,  wenn 

(«78) 


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27 


aud)  nicht  förmlich  eingefetjt,  bcd)  nnbeftritten  ben  Oberbefehl 
batte,  befanb  ftcb  aud)  üanfreb,  fein  fetter,  bet,  wie  bet 
SBetfünber  feines  fRul)meS,  fRabulf  »on  (5aen,  fagt,  nach  .junget 
unb  fSnftrengung  »erlangte,  wie  anbere  fDfenfchen  nad)  Uebet» 
ftu§,  SBobHeben  unb  fRube,  ber  barnadc  bürftete,  nicht  »on  ficb 
gu  reben,  fonbern  »on  fid>  reben  gu  madien.  tiefer  ruhmeS* 
hungrige,  abenteucrburftige  £elb  war  wie  immer  unerm üblich 
bem  $ecre  weit  porauS  unb  brachte  guerft  bie  überrnfchenbe 
fRachrid't  »on  bem  SBieberanrüden  .ftilibfch  SIrelanS,  ber  nad) 
ben  geringften  Eingaben  ein  .fpeer  »on  150  000  9Rann  heran» 
führte.  ?lm  1.  ?nli  tarn  eS  bei  IDornläum  jur  Sd)lacht. 
Soemunb  hatte  bei  ber  gunächtt  angegriffenen  £ecreshälfte,  wie 
auS  allen  Ouellen  etfidrtlich,  auch  wähtenb  bet  Schlacht  bie 
Oberleitung  unb  Heit  mit  fDtühe  ben  Äampf  im  Stehen,  biß 
enblich  ber  braufenbe  fRuf  „©ott  will  eS"  bie  Ölnfunft  beS  beut» 
fchen  unb  frangöfifchen  .öeereS  »erfünbigte.  3?ei  biefer  anbern 
JpeereShälfte,  bie  gum  ©lüde  nicht  gu  weit  entfernt  geweicn  war, 
um  auf  bie  fflufforberung  2?oömunb8  gerabe  noch  im  fritiid?en 
fDtement  eingreiien  gn  fennen,  h^ren  wir  nichts  non  einem  Ober* 
befehle,  baS  Jpauptuerbienft  bei  ihr  fiel  aber  bem  '.IMichof  Slbhemar 
gu,  bem  eS  gelang,  bie  üürfen,  bie  nun  überhaupt  feinen  gäben 
SBiberftanb  mehr  leifteten,  im  IR ü den  gu  faffen.  S5en  fchwie» 
rigften  Stanb  bei  biefem  JpeereStbeile  fanb  nodi  ©ottfrieb,  beffen 
fRitterfchaft  einen  »on  ben  dürfen  befehlen  Riegel  nicht  gu  er* 
flimmen  »ermechte.  Grft  guletgt  wirb  mit  £ülfe  anberer  biefer 
SBiberftanb  gebrochen.  Äilibfch  'ÄrSlan  wagte  nach  biefer  fRiebet* 
läge  ben  ftranfen  nicht  mehr,  ben  fDurdtgug  ftreitig  gu  machen, 
fuehte  aber  ihren  ÜRarfd)  butdi  33erwüftung  beS  ftanbeS  unb 
bureh  möglichfte  Segfchaffung  ber  SebenSmittel  auS  ben  chril’t* 
liehen  Ortfchaften,  fo  t>iel  er  fonnte,  gu  erfchweren.  SfBie  eS  bei 
biefen  iterhältniffen  noch  möglich  würbe,  baS  grofee  £eer  gu 

(♦791 


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28 


»erregen,  ift  nicht  redjt  auS  beit  Quellen  erfichtlicf),  gewif)  h^te 
man  bod)  mehr  auf  bie  Äraft  beS  flanbeS  felbft  geregnet  als 
auf  mitgenommene  Vorrätige.  SSahrfcheiuIich  haben  bie  Slrmeniet 
Dielfach  jur  Verpflegung  beigetragen.  ©ehr  bebenfliche  9Roth 
litten  fidjet  bie  ßhviften  hier  noch  nid)t,  benn  wenn  auch  unfere 
Duellen  ooti  manuigfacheu  (Entbehrungen  erzählen,  fo  fehen  mir 
bod>  Don  ber  Sei benSherrlic^feit,  bie  fpätere  ©efdticbt* 
fdjreibet  nn§  porfiihren,  auf  biefem  2h«l«  beö  3«ge3  noch 
menig.  2uch  im  Uebrigen  gelangte  man  ohne  beionbere  ©d)wie* 
rigfeiten  nach  ben  armenifchen  Veftfjungen  in  (Eilicien,  wo  fich 
bie  Vepölfevung  überall  ber  dtriftlidjen  ©ad)c  anfd)lo&.  ^ptet 
trennte  fid)  — unweit  5Jleraafch  — ©ottfriebS  Vruber,  Valbuin, 
Don  bem  .pauptheere  unb  roanbte  fich  j«  ber  folgenreichen  (Eppe» 
bition  über  ben  (Euphrat  nach  (Ebeffa,  baS  er,  bis  er  ieinem 
Vruber  in  Seruialem  folgte,  behcrrfchen  foüte.  ©aS  übrige 
^)eet  marfchierte  uunmehr  auf  baS  fptifdje  31  n tio  d?ia.  — ©af) 
hier  ein  ernftlidjer  Sßiberftanb  ju  übcrmiiibcn  mar,  mußten  bie 
Äteujfahrcr,  aber  bafj  fie  h**r  ber  ©chauplatj  für  jahrelange 
Äämpfe  unb  fDtüben  erwartete,  baö  ahnte  gewife  feiner  pon 
ihnen.  fBlerfroürbig  genug  war  ber  (Emir  oon  3(ntioihia,  Vagi 
©ijan  — gerabe  wie  Äilibfch  3lrßlan  bei  ber  Ölnfunft  beS  Rxea$* 
heereS  oor  Vicäa  — abmefenb,  als  bie  chriftlidien  ©(haaren  ficb 
feinem  Reiche  näherten.  (ES  ftanben  ftda  nämlich  gerabe  bamalS 
bie  beibeit  Parteien  ©prienS:  bie  cS  mit  ben  fchiitifchen  §ati* 
mibett  unb  bie  eS  mit  ben  ©unniten  in  Vagbab  halten,  in 
offenem  Kampfe  gegenüber.  Vagi  ©ijan,  ber  auf  Seiten  bet 
3legppter  ftaub,  war  mit  ben  dürften  Don  3lleppo  unb  Serufalem 
auf  einem  Sucje  gegen  (Emeffa  begriffen,  als  et  Äuube  pon  bet 
herannahenben  @efaht  erhielt.  (Er  forberte  feine  Verbünbeten 
ju  einem  gemeinfamen  Angriffe  auf  bie  (Stjriften  auf,  aber  beibe 
lehnten  ohne  (Erfenntnifc  ber  gemeinfamen  ©efahr  biefeS  Ver» 

WW) 


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29 


langen  ab,  unb  ber  alte  ©mir  eilte  allein  mifjmuttyig  nach  Stu* 
tiodhien.  SRachbem  et  fyier  bie  Uebermacht  ber  geinbe  gefehen, 
machte  et  eine  eutfc^loffene  ©djwenfung  in  feiner  $)olitif.  5 Laß 
wellten  alle  ©treitigfeiten  mit  ben  ©unniten  jagen  gegenüber 
biejeu  ©(haaren  ber  ©Triften,  bie  £ob  unb  Vernichtung  brohten? 
©eine  Verbünbeten  wollten  ihm  uicht  helfen  — je  gab  et  fie 
preiä  unb  warf  fich  feinen  biS^eri^en  ©egnern  in  bie  Sirme: 
nad5  VagbAb,  fDcöful,  ©amaßfuß,  ja  nad}  ©meffa,  baß  er  eben 
noch  befriegen  wollte,  janbte  er  Voten  unb  forberte  |>ülfe  unb 
gemeinfamen  heiligen  Ärieg  gegen  bie  Ungläubigen,  ©abei  oer= 
gafj  er  webet  gu  werben,  waß  er  oon  Arabern  befommen  formte, 
noch  bie  ©tabt  jelbft  in  beften  Sßertheibigungßguftanb  gu  fe^en. 
©ie  d^riftlidjen  ©inwol)ner,  bie  ihm  cerbädjtig  waren,  mußten 
alle  Vorräthe  unb  ©d)äjje  heTauögeben  unb  würben  fogar  jum 
2heil  »erjagt,  nur  bie  SÖeiber  unb  Äinber  behielt  ber  ©mir  alß 
©eifein  gutücf.  Snbeß  hielten,  im  prächtigen,  unb  wohlangebau« 
ten  2hflle  beß  Drontcß  gelagert,  bie  ©hrifien  Äriegßrath,  ob 
man  nid)t  bie  oafprochene  gried)ijdhe  Jpülfe  unb  baß  grühjaht 
abwarten  feile,  ehe  man  ben  Singriff  eröffne.  ©cd)  braug  bie 
Meinung  berer  but(h,  bie  fofortigen  Angriff  nerlangteu.  ©ie 
SJiaferegeln  würben  hie^»  getroffen,  unb  ©ottfrieb  erhielt  mit 
feinen  Lothringern  bie  nötblichen  fDiauern  neben  ben  fProoencalen 
gut  Verennung  guertheilt.  Slber  baß  djriftliche  .peer  geigte  wenig 
Luft  gu  einer  energifdjeu  Velagerurtg:  bie  Umgegenb  war  burd) 
Slnfd}lu|  ber  eingeborenen  ©hriften  ben  Äreugfahrern  unterworfen, 
baß  fruchtbare  Lanb,  bie  Derhältnijjmäfnge  9tuhe  nadj  ben  fKär» 
fchen,  bieß  alleß  lub  gum  ©enuffe  nach  ben  ©trapagen  ein. 
Unb  fo  ergab  fich  baß  .peer  ber  äöaüfahrer  ber  Unthätigfeit 
unb  — fo  lange  bie  Vorräte  reichten  — ber  forglofefteu 
Ueppigfeit.  ©ine  folche  IReaction  nach  großen  Slnftrengungen 
ift  ja  in.  ber  menfdjlichen  jftatur  begrünbet,  aber  wir  müffen 

(481> 


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30 

unß  bod)  wunbern,  wenn  wir  bören,  bafe  biefe  fDiäuner,  bie  jum 
heiligen  .Stampfe  anßge3ogen  waren,  fogar  eine  grofje  Stn^abl 
ÜDirnen  bei  fid)  Ratten,  fo  baf}  enblid)  ber  S3ijdwf  Slbbemar  mit 
ben  ftrengften  ©trafeu  gegen  biefeß  Unwefen  »orgel)en  mufjte. 
Äeinem  ber  Bürften  jcbocb  fönneu  mir  auß  biefen  Buftänbeu 
einen  SJorwurf  tnad'en,  benn  gewi§  batte  feiner  bie  5)tadjtf  bie* 
fer  Bügellofigfeit  entgeget^ufteuern.  SJalb  — gegen  @nbe  5t 0» 
»ember  — mar  alles  uerprafjt,  unb  an  bie  ©teile  beß  lieber* 
fluffeß  trat  nun  bei  fdjledjter  SBitterung  bie  fdjrecflidjfte  Otetl): 
SMätter,  S3aumrinben  unb  baß  gleijd)  gefallener  ’JJferbe  unb 
Dtinber  mürben  nicht  ineljr  alß  9tabiuugßmittel  nerfd)inäl}t.  ®aju 
bracb  — mie  erflürlid)  — eine  töbtlidje  Qfpibemie  auß,  bie  ben 
fiebeuten  2^eil  beß  ganzen  .jpeercß  babinraffte  unb  auch  unieren 
gelben  auf  baß  Jilraufenlager  marf.  Statürlidj  benufcte  SJagi 
©ijan  bie  eutmutbigenbe  Bage  ber  (S^viften  unb  bebrängte  fie 
burcb  fortmäbrenbeu  fleiuen  jfrieg  nod)  mehr.  Unb  jcbsn  batte 
fein  Slufruf  feine  Süirfung  getban:  auch  feine  bißberigeu  Bembe 
nergaßeit  ben  alten  Jpa§  unb  ©treit  gegenüber  ber  gemeinfam 
bem  3ßlam  brobeufceu  öefabr,  unb  3t»ei  non  biejeu  mären  fd)on 
auf  bem  SBege,  ein  @ut)a§beer  beran3ubringen.  3nm  ©lücf  für 
bie  Btanfen  ftiefjeu  biefelbeu  aber  auf  33üemuub  unb  Dtobert 
»on  Blanberu,  bie  3u  SHequifitionen  außge3ogen  waren,  unb  mut* 
ben  burcb  bereu  tapferer»  Äampf  beftimmt,  ihre  Slbfid)t  gan3 
auf3ugeben.  ©üblich  ^alf  bie  Unterftüfcung  ber  ent^ufiaftifdjeu 
23e»ölferung  unb  ber  cilicifdjen  Bürfteu  unb  bie  Bufuty:  burcb 
bie  baß  SDtittelmeer  beberrfdjenbe  genuefijdjc  Blotte  meuigftenß 
auß  ber  bringenbjteu  9totb;  gugleicb  brachte  nun  baß  b^au* 
uabenbe  grüljja^r  beffere  SBitterung. 

Slucb  ber  ^)er3og  genaß  mieber  unb  3eigte  halb,  bafe  jein  ge* 
fürdjteter  Sinn  uidjtß  an  .Straft  uerloren  batte.  3u  ©t.  ©imeonß* 
bafen  unweit  Stntiodjia  lag  nämlicb  bie  genuefijcbe  B^tte  nur 
(*«) 


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31 


Anfer,  unb  oon  ihr  wollte  S3o6munb  Söerfmeifter  unb  3itnmet« 
leute  Idolen,  bie  man  bei  ber  Belagerung  perroenben  wollte.  Bei 
biefet  ©elegenheit  fam  es  nun  gu  einem  größeren  Stampfe,  ba 
bie  Surfen  auf  bie  aug  @t.  ©imeonahafen  3utücffehrenben  einen 
SlußfaÜ  machten.  2)ag  djriftlicbe  ^peer  eilte  aue  bem  Säger  gu 
jpülfe,  unb  eg  entjpann  fidj  ein  blutigee  ©emeljjel.  Alle  Duellen 
finb  nun  bei  beffen  ©d)ilberuug  beg  Sobea  poll  übet  ben  furcht* 
baren  ©<hlad)tenmuth  unjerea  Jpelben.  23acji  ©ijan  hatte  nam* 
lid),  um  ben  2)futl)  feiner  Sruppen  gu  erbosen,  bie  2hote  Au* 
tiod)ieng  fchliefjen  taffen : fo  war  bei  ber  flucht  balb  bie  gut 
©tabt  führenbe  Brücfe  oon  Slüchtenben  angefüUt,  unb  eg  ent* 
ftanb  ein  fc^recflidjee  ©ebränge,  fo  baff  niete  gertreten,  niele  in 
ben  glufj  geftürgt  wurbeu.  35er  jpergog,  an  ber  ©pijje  ber 
lottjrinigifd>en  Steiterei,  war  aber  fo  unwiberftehlid)  ootgebruugen, 
bafj  er  fdjcn  mit  ben  erften  gliic^traen  bie  Brücfe  erteilte  unb 
nun  erbarmungglog  unter  ber  fötaffe  wütbete.  ©in  wahret 

©djwabenftreid)  wirb  ba  oon  ihm  berichtet.  $Dtit  einem 

©chlage  füll  er  ben  fRumpf  eineg  Sütfen  getrennt  haben-  beffen 
untere  .pälfte  aber  oon  bem  'Pferbe  in  bie  ©tabt  getragen  fei: 
fo  feft,  fagt  ber  @tjronift,  habe  jener  Saugenid)tg  im  ©attel 
gefeffen.  Srofc  biefeg  ©iegeg  würbe  Antiochien  hoch  enblidh  nur 
burch  Betrath  ben  (Shriften  überliefert,  wobei  begeichneuö  ift,  baf) 
ber  Berräther,  ein  nicht  unbebeuteuber  ffliann,  fid)  an  Boemunb, 
als  ben  uermeintlicheu  Anführer  ber  ^raufen,  wanbte.  35iefer 
erflärte  nun  ben  dürften,  et  habe  ein  Mittel,  bie  ©tabt  ohne 
grofje  Anftrengung  eingunehmen,  boch  werbe  er  baffelbe  nur 
bann  gebrauchen,  wenn  man  ihm  ben  Befijj  Antiochieng  gu* 
fidjere.  ©rft  nach  wiebertjolten  Abweifungen,  nad’bem  fchon  ber 
Anmarfch  eineg  gewaltigen  (Sntjatghcereg  gemelbet  worben,  ginget} 
bie  dürften  auf  Boemunba  Anerbieten  ein,  ber  nun  bie  ange» 
fel)enften  dürften,  barunter  natürlich  ©ottfrieb,  in  bag  ©eheim* 

(483) 


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32 


nife  einweibte.  fftacfebem  bie  Sluöfübrung  beS  SBerratfeeS  gelun* 
gen,  traf  bie  unglücflicfee  ©tabt  ein  furchtbares  Sötutbab,  ba8 
fein  älter,  fein  ©efcfelecfet  oerfcfeonte.  ©elbft  bie  cferiftlidjen  din* 
wohnet  fcnnten  ficfe  häufig  nur  butcfe  änftimmung  geiftlicfeer 
Siebet  nor  bem  Slutburfte  bet  droberer  retten.  Unb  auf  JRaub 
nnb  fpiünberung  folgte  bann  wieber  bie  unbefonnenfte  S3et* 
fcbleubetuug  bet  wenigen  üßorrätfye,  bie  man  nocfe  oorgefunben. 
Särrn,  Subei  unb  geftlicfefeiten  erfüllten  bie  ©tabt,  nacfebem  bie 
cbriftlicfeen  dinwobner  ben  entfefelicfeen  5Jtobergeru<b  burcfe  notb* 
bütftige  Reinigung  batten  befeitigen  müffen.  SBeld)  ein  IBilb 
ber  3«d)tloftgfeit  ber  SERaffen,  bet  £>fenmacfet  bet  dürften  entrollt 
ficb  ba  not  unfeten  äugen,  jumal  wenn  wir  bebenfen,  bafe  man 
in  fünfter  Beit  ben  geinb  oor  ben  $bcre«  erwarten  mufete 
unb  nicfet  einmal  einen  ooOftänbigen  drfolg  erhielt  batte  — 
benn  bie  non  bem  ©ebne  5?agi  ©ijanö  oertbeibigte  ßitabeHe, 
gegen  weld)e  bie  ©tabt  offen  unb  ungefdjüfct  lag,  featten  bie 
dbriften  nicht  nehmen  fönnen!  Söelcfe  ein  freoleö,  oermegeneä 
©piel  batte  aber  aud)  ber  rü<fficfet8lofe  33o6munb  gezielt,  burdb 
beffen  dgoitSrnuö  bie  dinuabme  bis  auf  ben  aufeerften  SRoment 
»erfcfeoben  war!  IDenn  fcbon  am  brittcn  Jage  nach  ber  dr*- 
oberung,  am  6.  Suni,  erfdbien  oor  äntiodfeien  ba§  «Speer  faft  be8 
gefammten  SRorgenlanbeö,  unter  ber  gübrung  ÄerbugaÖ  oon 
2R6ful,  jener  noch  heute  bebeutenben  ^anbelöftabt  am  Tigris, 
in  beren  9täbe  bie  krümmer  oon  SRiniöe  liegen  unb  non  bet 
ber  Sftuffelin  feinen  Flamen  bat.  25ie  numerifcben  ängaben 
über  fein  £eer  fcbwanfen  gwifcfeen  300—  600,000  9Rann:  gewife 
überboten  biefe  £eere8mafjen  bie  oor  äntiocbien  unb  burcb  bie 
früheren  äkrlufte  febr  jufammengef^mol^enen  dbriftenfcbaaren 
bei  weitem,  aber  bie  gübrung  unb  dinigfeit  liefe  aud)  bei  ben 
SJtubamebanern  »iel  ju  wünfcben  übrig,  ©leid)  anfaugS  batte 
Äerbuga  ben  gefeler  gemacht,  3 SBocfeen  bi«bur$  ©ottfriebö 

(4M) 


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33 


Stoiber  (Balbuin  in  Ebeffa  gu  belagern,  ftatt  fofort  auf  Antiodjin 
gu  matfchieren,  woburdj  bie  Entfdjeibung  wahrfcheinlid?  eine  gang 
anbete  geworben  wäre.  (Balbuin  würbe  fo  in  Söafyrfyeit  ber 
(Retter  beö  ganzen  Äteuggugeö:  planmäßig  Ijielt  er  ba8  feinbliche 
£eet  feft,  wehrte  feine  'Angriffe  ab  unb  folgte  ihm  fogar  bei 
feinem  Abzüge  — freilich  nicht  ftarf  genug,  ben  9ERarfd)  bet 
Sütfen  ernftlid)  ju  erfchweren.  (Sine  Abtheilung  lothringifcher 
(Reiterei,  bie  gum  (RecognoGciren  gegen  ben  t)erannai)enben  $einb 
aubgefd)itft  mar,  würbe  guerft  »on  Äetbuga  oernichtet,  unb  mit 
beren  Verfolgung  gelangten  bie  Slütfen  not  Antiochien  an,  wo 
fie  fich  fofort  mit  ber  EitabeOe  in  Verbinbung  festen,  ÜRatür» 
lieh  war  nun  mit  einem  Schlage  aller  3ubel  ber  Ehriften  in 
Antiochien  gu  Enbe  — leiber  gu  fpät.  SDenn  eingefcbloffen  »on 
einem  überlegenen  fteinbe  unb  zugleich  innerhalb  ber  SRauetn 
non  bet  nahen  Eitabelle,  in  welche  Äerbuga  gleich  Verftürfungen 
geworfen,  fortwül)tenb  bebroht  unb  bebrängt,  fah  man  fich  nun 
ohne  alle  (RahrungSmittel  in  ber  fchlimmften  Sage.  Dennoch 
würben  bie  erften  ©türme  jferbugaö  mit  iolchem  fDiuthe  ab« 
gewiefen,  bafj  biefer  auf  eine  fofortige  forcirte  (Einnahme  »er« 
giftete  unb  befdjlofj,  burch  Abfchneiben  aller  9tahrung8mittel 
unb  unauSgefefcte  Anvgriffe  auö  bet  EUabeÜe  bie  granfen  all« 
mählich  SU  ermüben  unb  gut  Uebergabe  gu  gwingen.  3u  bem 
Swecfe  führte  er  baö  ^>eer  über  ben  Dronteä  gutücf  unb  »et* 
fchangte  fich  hott  mit  2BaU  unb  ©raben. 

©8  folgte  nun  eine  fchrecfliche  3«t  für  bie  Eingefdjloffenen. 
3n  wenigen  Sagen  waren  alle  Vorräte  erfchöpft:  @ra8,  Vaum« 
rinbe,  ba8  gebet  »on  (Riemen  unb  Sohlen  würbe  »ergehrt,  baö 
Aafi  gefallener  Shiere  war  eine  geefetfpeife,  um  bie  man  fich 
raufte.  Unb  bei  biefen  Entbehrungen  hatten  bie  (Belagerten  feinen 
Augenblicf  (Ruhe,  fonbern  mußten  täglich,  ftünblid)  fämpfen. 
Der  ^)ßhfhunft  adeö  £elbenthum§  unb  aller  Reiben  für  bie 

XIV.  326.  3 (465) 


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34 


jfreugfaljrer,  ein  Uebermafj  oon  ©leub,  ©efatjr  unb  iHnftrengung 
fällt  in  biefe  Sßodjen.  Salb  würben  bie  'Angriffe  aus  bet  (Sita- 
belle,  in  bie  jterbuga  immer  frifdje  Gruppen  warf,  fo  gefäfjtlid}, 
baß  man  bem  jperjog  non  ?otßringen  allein  bie  Sertßeibigung 
aller  übrigen  SBerfe  übertrug,  alle  anberen  ©treitfräfte  aber 
gegen  bie  Gitabelle,  wo  Scemunb  bie  Seele  bet  Sertljeibigung 
mar,  concentrirte.  .piet  mußte  jeter  mit  tBnfpanuung  aller  Äräfte 
ccm  fUiorgen  HS  jurn  tÄbenbe  fämpfen  unb  bann  in  ber  9tadjt 
oft  nod?  auf  SJacße  jiefjen.  @8  fam  cor,  erjagen  bie  ©eften, 
baß  mitten  im  ©ebränge  ein  gedienter  uncerfeßrt  aber  fraft= 
erfcfecpft  jufammenfanf.  Unter  folgen  Sertjältniffen  erreicht  aber 
enblidj  alle  menfdjlidje  Äraft  unb  ©netgie  ißr  ©nbe.  SBaS 
SBunber,  baß  balb  ciele  fid?  auS  bet  fyojfnungölofen  gage  ju 
retten  fugten?  3ebe  'Jiadjt  gingen  Sergweifelnbe  gu  ben  Sürten 
über,  anbere  fugten  in  l)eimlid?et  ftludjt  ißte  SKettung.  ©irid« 
läufer  mürben  fie  fpäter  fpöttifdj  genannt,  ba  fie  ftd?  an  ©triefen 
oon  ber  Üftauet  fyinabließen,  aber  ciele  namhafte  Diitter  cet* 
feßmäßten  biefen  2Beg  nid^t,  um  fidj  auS  einer  cerlorenen  ©adje 
3u  retten,  unb  felbft  ©tepljan  ccn  SloiS,  ber  ©djwager  .beS 
Königs  oon  ©nglanb,  entflog  auf  biefe  SBeife.  'Auf  ben  Seridjt 
bieje8  ©tepßanS  ßin , ber  übrigens  bis  ju  feiner  ©rfranfung  cot 
Antiochien  eine  gan^e  3eit  ßinbutcfy  mit  bemSovftfje  im  großen 
ÄriegSratße  bet  dürften  betraut  geroefen  unb  ein  burd)  feine 
$)erjönlidjfeit  feljr  einneßmenber  5J?enfdj  mar,  gab  aud?  ber 
Äaifet  SUejriuS  ben  ©ebanfen  auf,  bie  Selagerten  burd)  ein 
gried)ifd}e8  Jpeer  ju  <ntfeßen:  fo  fyejfnungSloS  Hang  feine  ©djil- 
betung.  üDie  Äunbe  oon  bem  ©djeitevn  tiefer  lebten  Hoffnung 
gelangte  merfmütbigetmeife  mit  SöinbeSeile  nad)  Slntiodjia  unb 
beS  'JfadjlS  hie§  cS  plößlidj:  alleS  fei  oerloren,  audj  bie  dürften 
wollten  fliehen.  3n  regellofet  gludst  ftürgte  bie  ÜÄenge  $u  ben 
2ljoien;  aber  jum  ©lüde  etveidjten  Slbljemar  unb  Soemunb 

(4(W) 


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35 


aßen  norau$  nod}  jeitig  bie  9lu8gänge  unb  brauten  ba8  »et» 
groeifelube  «peer  wieber  jum  ©leiben.  — 3n  biefer  hödjften  fRoth, 
wo  nad)  aßet  menfdlichen  ©eredjnung  bet  Untergang  gewifj, 
alte  irbifdje  .pülfe  unmöglich  fd}ien,  mufste  fid}  bie  Hoffnung 
bet  fo  übermenfchlid}  bebrängten  SSaßfahrer  mit  erneuter  3n* 
brunft  auf  bie  Jpütfe  bebjenigen  richten , in  beffen  tarnen  unb 
auf  beffen  ©eheifj  ja  biefer  gan^e  3ug  unternommen  war.  ©on 
aßeu  irbifd)en  ©ddacfen  gereinigt,  bie  ja  leibet  bie  urfprünglid) 
reinen  ÜJiotbe  biefer  Bewegung  fo  fetjr  »erbrängt  unb  »erbunfelt 
hatten,  brad)  nun  bie  geläuterte  glamme  ber  retigiöfen  ©egeifte» 
rung  mit  »erboppelter  ©ewalt  t)er»or.  3Har  eä  uidjt  unbenfbar, 
bafj  ber  .petr  feine  Ijeüicjcn  Streiter  im  Stid}e  lieft  unb  ben 
Ungläubigen  überlieferte?  ©alb  fteigerte  fid}  biefe  religiöse  @t= 
regung  31t  ©iftonen.  2>ie  ^»eiligen,  bie  3ungfrau  SOiaria,  ber 
jpert  felbft  erfd}ieu  ben  ©liefen  feiner  Ätieger,  wenn  fie  ermattet 
»on  junget,  Qrleub  unb  Slnftrengung  in  Schlummer  gefunfen 
waren,  unb  »ethiefc  ihnen  Sieg  unb  balbige  (Stlßfung.  3*oei 
folget  ©ifiotien  waren  non  befonberer  Sßirfung.  ^eter  ©ar= 
tljolomäuö  etflärte,  ber  heilige  tflnbreaö  fei  iljm  erft^ieneu  unb 
habe  ihm  bie  ^an^e  ge$eigt,  mit  welcher  3efu  2eib  am  Äreuje 
öurdjftodjen ; fie  fei  in  ber  ^eterfcfirche  »ergraben , in  ihrem 
©efi^e  werbe  man  afleS  (Slenbeä  lebig  werben!  3wölf  SJiann 
mußten  einen  ganjen  üag  lang  graben,  unb  beS  iilbenbä  enblieh 
würbe  natürlich  auch  bie  2an$e  gefunben.  (Sinem  anberen,  bem 
9)riefter  Stephan-  erfdjien  ber  Jpert  in  ber  SRarienfircbe,  als 
feine  ©efäl}tten  äße,  inbem  fie  weinenb  unb  flagenb  s))[almen 
fangen,  ermübet  eingefchlafen  waren,  unb  fprad):  „3d}  bin  e8, 
Ghriftu8,  wa8  fürd)tet  ihr  bie  Beinbe?  ©efel}tt  euch  ju  mit 
unb  geht  in  ben  Äampf,  fo  werbet  ihr  in  meinem  Flamen  fie» 
gen.“  ©egeiftert  eilte  biefer  DJtenid}  in  bie  Bürftenoerfammlung, 
erzählte  wa8  er  gefehert,  unb  etflärte,  er  wolle  fid}  oon  einem 

3*  f»8T) 


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36 


Sturme  ftürgen,  burd?  Seuet  fyinburdjfdjreiten:  unoerfehrt  werbe 
er  bleiben  gum  3eugniß,  baß  er  bie  SBaljrtyeit  gerebet  habe, 
gingen  ffen  non  ber  Begeiferung  fdjwuren  bie  Surften  fogleid) 
auf  Äreug  unb  ©oangelium,  fte  würben  niemals  eon  bem  Kampfe 
für  ba8  ^eilige  ©rab  ablaffen.  „So  lange  nod)  »iergig  Streiter 
mir  folgen,“  rief  Snnfreb,  „ftede  id)  ba8  Schwert  nicht  in  bie 
Scheibe."  Unermeßlicher  3ubel  »erbreitete  ftd)  burd)  bie  gange 
Stabt.  „Söahrlid),"  fagt  Sttbel,  „e8  ßat  etwas  §urd)tbareS,  ft<h 
biefe  SRenfcßen  gu  benfen,  fterbenb  »or  junger,  in  ©rmattung 
baßinfinfenb,  unb  boeß  ©ott  unb  feine  ^eiligen  cor  ben  leib» 
ließen  2tugen,  »ergweifelnb  in  einem  Äugenblicfe,  bann  mit  gott» 
begeiftertem  3ubel  in  ben  Äampf  ^tnaueftür^enb!"  Äurge  3eit 
nach  ber  eben  ergählten  Bifton  wählten  enblicß  bie  Sürften  einen 
Dberanfüßret  unb  gwar  Bofimunb  non  Tarent.  2luf  14  Sage 
befam  er  unbefdßrünfte  Bollmacßt,  um  eine  bureßgreifenbe  3)iS« 
ciplin  bestellen  unb  nach  ©rmeffen  ßattbeln  3«  fönnen.  Dem 
ftürmifchen  Berlangen  ber  9Renge  wiflfaßrenb  unb  ohne  3aubern 
bie  leßte  ÜRöglicßfeit  bet  fRettung  ergreifenb,  orbnete  nun 
Boemunb,  nachbem  er  burd)  bie  energifchften,  rücffichtSlofeften 
fölittel  3ucht  unb  Drbnung  wieOergejcßaifen  hatte,  er  ließ  g.  B. 
um  bie  Bergagten  auS  ihren  Berfteden  gu  treiben,  bie  Stabt 
angünben,  fo  baß  über  2000  Raufet  nieberbrannten  — ben  2lu8* 
gug  gegen  Äerbuga  an.  — 3öaS  für  ©eftalten  mitffen  baS  ge* 
wefen  fein,  bie  am  28.  3uni  1098  nach  Bodenbung  aller  Bot* 
fehrungen  anS  ben  Slßoren  SntiocßienS  gogen?  SBaten  boch 
felbft  bie  dürften  fo  ßeruntergefommen,  baß  g.  B.  ©raf  fRobevt 
»on  Slanbem  »or  Schwachheit  nicht  mehr  gu  §)ferbe  frßen  fonnte! 
3um  ©lüefe  war  auf  Seiten  ber  Seinbe  bie  Siege8gu»erfidjt  fo 
groß,  baß  man  gar  feine  Berfudße  machte,  ben  2tufmarfcß  ber 
Sranfen  gu  hebern.  2118  bem  gerabe  beim  Sdßachfpiete  fißenben 
Äetbuga  ba8  SSuSrüden  ber  ©haften  gemelbet  würbe,  fagte  er: 

(488) 


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„Safjt  fie  nur  alle  IterauSfommen,  bamit  fie  befto  gewiffer  »er» 
berben."  5lber  eS  fam  anberS.  35ie  gutgeleitete  unwiberftehliche, 
Bezweifelte  Sapferfeit  bet  GIjriften  einerfeitS,  bie  fehr  gelccferte 
©intradjt  be8  buntgemifepten  türfifepen  £eereS  anbererfeitS  be» 
rettete  bem  leiteten  eine  »otlftänbige  Slieberlage.  Unfer  ©ottfrieb 
tbat  wie  immer  im  .Kampfe  feine  »olle  Schul  fcigfeit,  aber 
3?oemunfcS  umfieptiger  güprung,  feiner  ©ewanbtpeit  unb  ©nt» 
fcploffenpeit  im  Kampfe  mar  »bne  Stage  ber  Sieg  in  erfter 
ginie  ju  »erbanfen.  3ulefct  brangen  beibe  gelben  jugleicp  mit 
ben  beiben  Sicherten  (»on  glanbern  unb  ber  Siormanbie)  in 
gefcploffener  £inie  unb  in  »ollem  SioffeSIaufe  »er  unb  warfen 
alles  »or  fid)  nieber. 

3dp  habe  biete  .Kämpfe  genauer  jcpilbern  ju  muffen 
geglaubt,  weil  in  ihnen  reept  beutlicp  bie  lleberlegenbeit  SBoemunbS 
gegen  ©ottfrieb  ^croortritt.  ^lufeet  burep  feine  ritterliche  un= 
geftüme  Sapferfeit  im  Kampfe  ragt  ©ottfrieb  nirgenbS  her* 
»or,  währenb  überall  SBoemuub  beutlid?  als  bie  «Seele  beS 
ganzen  £eereS  erfcheint;  er  »Tbnet  mit  ben  ©riechen  bie 
Sßerpflegung,  »or  Slicäa  bringt  fein  ©rfepeinen  erft  Sluf}  in 
baS  gange  Unternehmen,  bei  tTorpIäum  theilt  er  mit  JBifcpof 
Slbpemat  baS  ^auptoerbienft  beS  Sieges,  unb  ihm  giebt  bort 
baS  Vertrauen  ber  dürften  unb  bie  eigene  Ueberlegenheit 
ben  Oberbefehl;  33oetnunb  gelingt  eS  in  Sßerbinbung  mit 
JRobert  »on  glanbern  ben  erften  ©ntfapeerfuep  SntiocpienS  burd? 
bie  dürfen  glüeflid)  abguweifen,  er  holt  bie  genuefifchen  SBerf* 
meifter  unb  3immerleute  aus  SimeonSpafen,  et  bewirft  bie 
Uebergabe  SlntiocpienS ; S3oemunb  übernimmt  bann  bei  ber 
^Belagerung  KerbugaS  ben  fchwierigften  $>often  gegen  bie  Sita» 
belle,  »erhinbert  mit  Sbhemar  bie  ?jluc^t  beS  muthlofen  £eete3 
unb  rettet  enblicp  als  erwählter  Dberanführet  butch  ^terftellung 
bet  SDiSciplin  unb  wohlgeplanten  Singriff  baS  cpriftlicpe  ^teet  auS 

(489, 


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38 


ber  »ergweifeltften  Sage.  2Bo  bleibt  ba  £affoß  unb  Berber« 
Agamemnon  ? 

üftit  bem  Stege  über  Äerbuga  war  ber  ©rfolg  beß 
Äreuggugeß  im  ©reffen  entfliehen  — bentt  Scbreden  unb 
©ntfefjeu  ergriff  baß  gange  3Jforgenlanb  not  biefetn  £eere,  baß 
webet  junger  noch  Schwert  gu  fällen  »ermochte.  3unä<hft 
gwang  aber  bie  ©tfchöpfung  ber  Struppen  unb  SHaimunbß  SBiber* 
ftreben,  23e€munb  baß  oerfprochene  Antiochien  einguräumen,  bie 
dürften  bagu,  bem  £)eere  ben  gangen  nodj  übrigen  Sommer  gur 
©rholung  non  ben  Strapagen  gu  gönnen.  25iefe  3eit  ber  SJiuffe 
benujjte  ©oltfrieb  gu  einem  Sefucbe  feineß  SBrubetß  SBalbuin  in 
©beffa,  bann  gu  einer  wenig  erfolgreichen  Unternehmung  auf  baß 
©ebiet  »on  Aleppo.  3ngwijchen  wudhß,  befonberß  nachbem  eine 
wiebet  im  <£>eere  außgebrochene  ©pibemie  ben  ÜJtann  hinweg* 
gerafft,  beffett  SSirfeu  immer  auf  bie  ©intrad>t  ber  dürften  ge* 
rietet  gewefen  war,  ben  päpftlichen  Legaten  33ifchof  Abhemar, 
bie  Spaltung  über  ben  23efi^  Antiodjienß  im  ^>eere  immer 
mehr,  ©ottfrieb,  feinem  SEBorte  getreu  unb  bei  feiner  eblen 
9tatur  neibloß  gegen  ben  SRormannen,  trat  fofort,  wie  bie  meiften 
Anberen  auf  Soemunbß  Seite.  Natürlich  loderte  ein  folcher 
Streit  ber  dürften  auch  wieber  bie  ©inigfeit  unb  bie  25 iß* 
ciplin  beß  $eereß,  gumil  in  golge  biefeß  3wifteß  auch  ber 
Aufbruch  beß  3uge8  immermehr  hmaußgefcheben  würbe,  ©ß 
gab  ftürmiiehe  3ufammenrottungen  unb  brohenbe  Aufforberungen, 
enblich  nach  3erufalem  aufgubrechen,  aber  eß  ^attc  ftch  ein 
merfwürbigeß  Stoden  beß  ganjen  Unternehmenß  bemächtigt. 
Auch  nachbem  ber  33eftjj  Antiochienß  baburch  entfehieben  war, 
bah  ©oemunb  mit  ©ewalt  bie  ^rooengialen  anß  ber  Stabt  ge* 
worfen,  waren  bie  dürften  noch  immer  nicht  gum  SBeitermarfche 
fdjlüffig.  9iur  ber  unruhige  JRaimunb  non  Stouloufe  war  rührig. 
Sßadjbem  ihn  bei  ber  ©innahme  einer  anberen  Stabt  — beß 

(490) 


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39 


nach  entfefclicfcem  geiben  eroberten  SRaaraß  — beT  (chlaue  23oS* 
munb  wieber  um  alle  33ortheile  gebracht,  griff  er  gunächft  mit 
ber  .£>ülfe  Stöberte  »on  ber  Siermanbie  unb  Stanfrebß  unb  »et* 
ftarft  burcb  freiwilligen  Slnfchluf)  »ieler  anberet  Ätieger  bae 
trip  olitanif  che  Slrfaß  am  14.  Sebruar  1099  an.  Slm  1.  2Dtärg 
enblid)  brachen  auch  ©ottfrieb  unb  Stöbert  »on  ^lanbern  aue 
Stntiodjia  über  gaobicea  nacb  ©ibellum,  jüblicb  »on  Uripoliß 
gelegen,  auf,  unb  griffen  biefe  Stabt  an,  balb  aber  eilten  fie 
auf  bae  £ülfegefuch  bee  nicht  glücflichen  Staimunbe  biefem  nad) 
Slrfaß  gu  .£)ülfe.  Sille  ©elbanerbietungen  bee  @mirß  »on  Sri* 
poliß  für  bie  Stäumung  feines  ©ebieteß  würben  »on  fämmtlichen 
dürften  — natürlich  mit  Slußnahme  33oSmunbß,  ber  ja  in  Sin* 
tiochien  gitrücfgeblieben  — wie  fdjon  früher  »on  Staimunb  gutücf* 
gewiefen,  unb  ee  fcheint  baher  ohne  3weifel,  ba§  bamaie  ©ott* 
frieb  über  bie  Eroberung  »on  Sripoliß  mit  Siaimunb  noch  ein* 
»erftanben  war.  Slber  balb  bricht  auch  hier  Uneinigfeit  aue, 
inbem  Sanfreb,  entgegen  feinen  erft  fürglid)  eingegangenen  93er* 
Pachtungen,  aue  Staimunbe  ©ienften  in  bie  ® ottfriebS  über* 
tritt.  £ö<hft  watjrfc^einlid)  ba^e  bei  ber  gaugen  Sache  33o£ munb 
in  Slntiocfaien  wiebet  feine  £anb  im  Spiele,  ber  in  folcher  un* 
mittelbaren  Stühe  »on  Slntiochien  feine  -fjerrfchaft  feinee  alten 
Stioalen  auffommen  laffen  wollte.  Sanfreb  war  gewifc  »on 
»ornherein  nur  auf  93o6munbß  93eranlaffung  mit  Staimunb  ge* 
gegen  unb  nur  in  ber  Slbficht,  beffen  gangee  Unternehmen  gu 
»ereiteln.  Unfchwer  gelang  eß  ihm  nun,  fowohl  ©ottfrieb  alß 
Stöbert  »on  ftlanbern  gur  Dppofition  gegen  Staimunb  h»«wber* 
gugie^en.  2Bar  bod)  fd>on  früher  ©ottfrieb  entfdbieben  auf  Sei* 
ten  ber  Stormannen  gegen  Staimunb  gewefen,  unb  gang  beutlich 
lä|t  fidh  h‘w  auch  ein  beftimmteß  ültoti»  erfennen,  welcfceß  ben 
£ergog  gegen  Staimunb  Partei  gu  nehmen  beftimmte.  ©ottfrieb 
war  »oll  beß  feljnlichften  Söunfcheß,  »on  allen  biefen  £dnbeln 

(491) 


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40 


befreit  gu  werben,  bie  ftd)  in  feine  reinen  Greife  brängten  unb 
ihn  ^inberten,  ben  heiligen  ©nbgwecf  beö  ÄtiegeS  enblich  au§* 
gufühten.  Sollte  man  Ijier  wieber  monatelang  liegen,  um  9tai* 
munb  STri^oItö  erobern  gu  tjelfen?  25ie  antiraimunbfche  Partei 
erftärte  alfo:  biefe  nufjlofe  Selagerung  »etgögere  bie  ©tfüOung 
beö  ©elübbeö,  erft  fei  3erufalem  gu  befreien,  bann  fönne  man 
Sripoliö  mit  leichter  fütühe  gewinnen.  2>aö  gange  Solf,  bie 
s])roDen<?alen  felbft  nicht  ausgenommen,  unterftü^ten  biefe  SJlei» 
nung.  ISIS  bet  ©treit  fo  weit  gebieten,  erfchien  eine  ©eianbt* 
fdjaft  beö  griecbiicben  ft'aiferö  im  Säger  unb  »erfünbete,  Sllcjriuö 
gebenfe  gegen  3ohanniö  mit  einem  ^eere  in  Sprien  eingutreffen 
unb  bie  dürften  nach  3erufalem  gu  geleiten.  2>abei  führte  bie* 
felbe  fjcftige  Älagen  über  bie  Sefifjergreifung  Slntiochienö  burdj 
Soemunb.  Sofort  trat  natürlich  fRaimunb  auf  bie  faiferliche 
©eite  unb  »erlangte  Sluffdjub  beö  SBeitermarfcheÖ  bis  gut  9ht* 
funft  beö  gtiednfchen  $eereß,  aber  bie  Partei  ©ottfriebö  ent* 
gegnete,  ber  jfaifer  ^abe  fid)  ftetö  eibbrüdjig  gegen  bie  2öaQ* 
fairer  gegeigt,  er  werbe  auch  jefct  feine  Setfptedjungen  nicht 
pünftlidj  erfüllen:  „SSit  müffeit  eorwartö,  ®ott  felbft,  gu  beffen 
SDienft  wir  unfer  ©elübbe  abgelegt,  wirb  unfere  Sache  glücflich 
t}iuau§ führen."  @0  fatalen  bie  dürften  nach  0taimunb  »on 
^gileS.  Schließlich  brach  ein  Aufruhr  ber  ^rooenealen  felbft 
ben  Sßiberftanb  fRaimunbö.  3h*  ©ifer,  ihre  Segeifterung  war 
uidjt  mehr  gu  hallen:  fie  günbeten  ihre  3elte  an  unb  gogen 
ftürmifch  unb  ungeorbnet  »on  bannen.  3)aö  war  für  ©ottfrieb 
baö  3«<heu.  nun  auch  mit  ©netgie  ben  2lufbru<h  gu  betreiben. 
@t  billigte  offen  baö  Senehmen  bet  SEruppen,  ging  im  Saget 
umher  unb  ermahnte  bie  Seute,  an  ihrem  lobenöwerthen  ©nt-- 
fdhluffe  feftguhalten.  9iothgebrungen,  wenn  auch  gahrreTnitfchjcnb 
unb  mit  tiefem  ©roß  gegen  £ergog  ©ottfrieb  im  bergen,  mußte 
fich  Siaimunb  fügen:  am  13.  9Jlat  (1099)  brach  baö  £eer  »on 

(49») 


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41 


Arfa8  auf.  — 3ngwifcben  war  — nod)  wäbrenb  bie  SöaQbrüber 
in  Antiocbta  rafteten  — in  bem  ^eüiflcn  ganbe,  »obin  fld)  nun« 
mehr  ber  SDtarfd}  richtete,  eine  grojje  äkrdnbetung  Dor  fid)  ge* 
gangen.  2Der  Ä^altf  Don  Aegppten  hotte  nämlich  nach  bet 
fRieberlage  ber  ©elbfcbufen  bet  Antiodjia  feine  freunblidbe  föiiene, 
bie  er  bis  babin  ben  <5l>riften  gezeigt,  plöfclicb  geänbert.  @r 
glaubte,  nad?  folcben  Kämpfen  fönuten  beibe  Parteien  nicht 
mehr  gefährlich  fein,  liefe  bie  fränfifdien  ©ejanbten  in  Äetten 
werfen  unb  ben  ©elbfdjufen  Serufalem  unb  ^)aläftina  entreifceu. 
3)ann  fanbte  er  in  Segleitung  bet  wieber  freigegebenen  fränfi* 
fd>en  ©efanbten  öotjebafter  inß  djriftlicbe  8aget  Dor  Atfaö  mit 
bem  Anerbieten,  bie  ©briften  feilten  in  uubewaffneten  Raufen 
gu  2—300  SJtann  bie  be^ae  Stabt  ungefäbrbet  befudmt  — 
anberenfallö  aber  brobte  er  mit  feinem  gangen  3<?nie.  fRatür» 
lid}  waren  bie  ©efanbten  mit  grünblicber  Abfertigung  entlaffen 
»orben. 

33om  16.  9Jiai  bis  7.  3unt  würbe  nun  ohne  befonbere  ©e* 
fSbtbung  Dem  jtreugbeer  ber  SBeg  nad?  3erufalem  gurücfgelegt; 
anfänglich  gwifdjen  8ibanou  unb  bem  ÜReere  in  leicfet  gu  Der* 
tbeibigenbem  Sietrain,  in  §olge  beffen  baö  |>eer  aud)  mehrmals 
beS  fRacbtS  marfebierte,  um  befto  rafefeer  auS  ber  gefährlichen 
^)affage  gu  fommen.  ©ann  ging’S  ron  33erptu8  über  Sibon, 
SrjruS  unb  §)tolemai8,  wo  man  am  29.  5Rai  in  tiefem  Trieben 
$)fingften  feierte. 

3<b  mu&  bie*  bamn  erinnern,  bafj  wenn  wir  noch  immer 
furgweg  non  bem  „Äteugbeere“  fpredjert,  wir  nicht  oergeffen  bür* 
fen,  baff  eS  nicht  mehr  jenes  £eer  ift,  baS  oor  91ic5a  nach  ber 
geringften  Scbätgung  300,000  (Streiter  gäblte,  fonbetn  ber  auf 
nur  ca.  21,000  5Rann  gufammengefcbmolgene  fReft  biefeS  £eere8. 
SDer  ungeheure  Abgang  ift  nicht  nur  auf  bie  fBerlufte  burdj  bie 

(Schlachten,  Seuchen  unb  (Strapageu  gu  fefcen,  fonbetn  Diele  *})it* 

(«») 


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42 


ger  waren  uneingebenf  ißreS  ©elübbeö  in  9lntio<hia  unb  (Ebeffa 
geblieben  ober  gar,  burch  alle  bie  iibermenfchlichen  Reiben  phpfif<h 
unb  moralifd)  gebrochen,  wieber  nach  £aufe  3urücfgefeijrt.  28ar 
jo  bie  3&hl  gwav  fietit,  fo  war  bie  ©iegefyuoerfidjt  bagegen  in 
biefem  @Hte*SReft  nach  ben  glorreichen  ©iegen  befto  größer,  unb 
ber  ©chretfen  ber  lateinifdjen  Söaffen  ging  nor  bem  £elbenheere 
feer.  — 2öer  fönnte  nun  annäßernb  bie  ©efühle  jdjUbern,  bie 
biefe  ©(haaren,  bie  unferen  frommen  £ergog  erfüHten,  als  im 
SRarfche  über  fRamla  hinauf  man  nun  bem  3*ele  immer  näher 
fam,  baS  3 Saßre  »oü  allen  SeibS,  ©efaßren  unb  Slnftrengungen, 
wie  fie  nur  je  fDtenfchen  erb  ulbet,  unermüblich  erftrebt  worben 
war!  3n  bet  lebten  ©acht  war  bie  ©egeifterung,  bet  ftürmifc^e 
2)rang  nicht  mehr  31t  bänbigen;  eine  @d)aar  nach  ber  anberen 
fe^te  fich  in  ©ewegung,  oft  ohne  alle  Drbnuug,  manche  mit 
entblößten  ftüßen,  in  ber  Sülle  ^eifeefter  Slnbadjt,  bie  meiften  in 
eiligem  Saufe,  -um  jeben  £>rt,  jebe  ©urg  juerft  gu  gewinnen. 
(Enblich  lag  nur  noch  ein  ©ergriicfen  Bor  ihnen,  hinter  biefem 
3erufalem.  9JHt  bem  leßten  Ülthem  würbe  er  oon  ©(haar  auf 
©d)aar  erflommen,  unb  nun  lag  Bor  ben  ©liefen  beö  lebten 
ftünfgehntel  jener  300,000  Äreujfahrer  bie  ^eiltcve  ©tabt  mit 
ihren  Shürmen  unb  3i«nen.  3n  biefem  Slugenblicfe  war  gewiß 
alle  weltliche  Suft,  waren  alle  weltlichen  ©ebanfen  Berfcfawunben: 
alle  ftü^ten  auf  bie  Änie  unb  priefen  in  2h*änen  bie  ©nabe 
beS  £errn,  ber  fie  bis  hierhin  geleitet  l^atte.  SOfan  war  fo 
fiegeSgewiß  — troß  ber  hoppelten  Uebermacht  ber  ©ertßeibiger  — 
baß  man  fdjon  am  13.  3uni  oßne  alle  SlngriffSmittel  einen 
©türm  unternahm  — freilich  ohne  (Erfolg,  fo  baß  wan  nun» 
mehr  3U  geregelter  ©elagerung  fchtitt,  wieber  wefentlich  unter» 
ftüßt  »on  ber  nor  3ohpe  liegenben  genuefifchen  glotte,  9 ©chijfe 
im  ©an3en.  2)ann  würbe  noch,  unter  bem  $ohne  bet  ©arace* 

(4»*) 


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43 


nen,  eine  feierliche  $)rocejfion  um  Serufalem  big  auf  ben  Delberg 
gehalten.  Olber  man  nergafj  babei  nicht  bie  irbifcpen  Singe. 
(Schon  bamalS  fanb  eine  Scrathung  ber  dürften  ftatt,  wem  bie 
Ärone  be§  beiltgen  ©rabeS  ju  theil  werben  folle;  aber  ber 
ÄleruS,  ber  b*ngugegogen  würbe,  proteftirte:  man  muffe  ein 
geiftlicbeS  JDberljaupt  einiefceu,  bem  gebühre  3erufalem.  Sie 
2?erathung  blieb  ohne  fRefultat.  91  m 15.  3uli  enblich  !am  ber 
2ag,  an  bem  Serufalem  fallen  füllte.  fRachmittagS,  in  berfelben 
©tunbe,  wirb  erwähnt,  in  welcher  ©hriftuS  feine  ^affion  Bollen» 
bet,  ^tte  ©ottfrieb  feinen  Sthurm  hart  an  bie  flauer  heran» 
gebracht,  bie  ftallbrücfe  würbe  auSgeworfen  unb  ©ottfrieb  unb 
(Suftach  betraten  unter  ben  erften  bie  ÜRauern  bet  heiligen  ©tabt. 
©leichgeitig  war  am  ©tephanSthore  non  Sumfreb  unb  Robert 
non  ber  9?ormanbie  örefche  gelegt,  unb  enblich  erfchien  auch  ben 
$>roBen<?alen,  bie  anfangs  bie  ^inberniffe  nicht  bewältigen  fonn» 
ten  unb  eS  überhaupt  einmal  nicht  gern  ohne  SBunber  thaten, 
nom  Delberge  herunter  ein  [Ritter  in  leuchtenber  Lüftung,  mit 
bem  ©chübe  auf  Serufalem  htnbeutenb:  ba  gelang  auch  Don 
biefer  ©eite  ber  ©türm. 

©in  entfefclicheS  ©emetjel  folgte  nun  in  ben  ©trafjen  unb 
in  ben  Käufern.  JRaimunb  fagt:  „[Rebe  ich  bie  Wahrheit,  fo 
ftnbe  ich  feinen  ©lauben:  im  Stempel  ©alomoniS  reichte  baS 
33lut  bis  an  bie  Äniee  ber  fReiter  unb  an  baS  ©ebif)  ber 
$)ferbe."  S3on  ©ottfrieb  wirb  berichtet:  „Äeine  ^Münbetung 
fam  ihm  in  ben  ©inn,  er  ftrebte  nur,  im  SBlute  ber  ©aracenen 
bie  Söefcpimpfung  ber  heiligen  ©tabt  gu  rächen."  „Stanfreb  unb 
©ottfrieb,"  h«§t  eS  bei  einem  9lnberen,  „waren  bie  erften  in 
ber  ©tabt;  eS  ift  unglaublich,  wie  nie!  Slut  bie  beiben  an 
biefem  Stage  Bergoffen  haben."  Sem  SSlutbabe  folgte  bann  ein 
Staumel  beS  ©iegeS,  beS  ©ntgücfenS  unb  ber  tSnba^t  am  heiligen 


(♦95) 


c?  trr 

[7*  I VE  B SIT  7) 


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44 


©tabe.  Sm  23.  Suli  enblid?  fcbritten  bie  dürften  gut  2Bal)l 
eines  weltlichen  .£>errn  oon  Serufalem:  ihre;  2Bal)l  fiel  auf  9tai* 
munb  non  Slouloufe.  ©r  war  burch  fReichthum  uub  bie  ©tärfe 
feines  £eerc8  bet  fDlächtigfte  nnb,  nachbem  Sboemunb  in  Sn* 
tiochien  jutücfgeblieben,  feiner  Stellung  unb  feinem  unruhigen 
©hrgeige  nach  ber  Sebeuteubfte.  3)ennoch  bin  id)  geneigt,  gu 
glauben  — etinuern  wir  unS  bei  allgemeinen  Dppofition  ber 
dürften  unb  bcS  SBolfeS  not  StfaS  gegen  ii)u  — ba&,  ^ätte 
©ottfrieb  ben  ©hrgeig  ober  beffer  gefagt,  weniger  SBefdjeibentjeit 
befeffen,  eine  Gaubibatur  gegen  ihn  anguuehmen,  biefen  gleich 
bie  erfte  SBahl  getroffen  hätte.  ©ewijj  ift:  man  bot  tRaimunb 
guerft  bie  jtrone  an,  aber  er,  lagt  fein  ©efehidrtfehreiber  Dtai« 
munb  non  SgiieS,  er  manbte  fid)  ab:  niemals  werbe  et  an  bie« 
fet  ©tätte  eine  itbifdje  Ärone  tragen,  einem  anberen  aber,  wel* 
djer  fie  auf  ftd)  nehmen  wollte,  werbe  er  nicht  entgegen  fein, 
©eine  febwärmerifebe  grömmigfeit  mad)t  biefeS  fDtotio  nidit 
unwaljrfdjeinlicb , aber  er  aud)  nod)  anbere  gute  ©rünbe 
gur  Sblehnuog:  er  fannte  bie  SJienge  feiner  erbitterten  SBiber* 
facher  im  lireughccre  wohl,  er  hatte  felbft  an  feinen,  bet  DiS« 
ciplin  entwöhnten  ^vonenpalen  feinen  feften  £alt  mehr.  ©8 
wirb  auSbrücflich  begeugt,  ba&  man  gleich  bur<h  alle  erbenflichen 
böfen  SRachreben  feine  Söahl  gu  nereiteln  fud^te.  ©üblich  mochte 
ihn  nicht  befonberS  gelüften  nach  biefet  bornennollen  jfrone. 

Söir  werben  gleich  feljen,  wie  faft  unüberwinblich  fdjmierig 
bie  SBerhältniffe  in  §)alöftina  für  ©ottfrieb  waten.  9tad} 
{Jtaimuub’S  Ablehnung  fonnte  feine  grage  mehr  übet  bie  Sföatjl 
fein:  ber  ,£>ergog  non  Lothringen  würbe  gum  Sefdjühet  beS 
heiligen  ©rabeS  gewählt  unb  nahm  bie  2Bahl  an1)-  3)en 

1)  Stach  einigen  wenig  uerbürgten  Nachrichten  hätte  man  atlerbing« 

(*»«) 


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45 


Äönigfltitel  oermicb  man  nad)  bet  älteften  {Rad)rid>t  auf  ben 
frommen  SBunfdr  bet  {Ritter,  fpäter  unb  heute  legt  man  @ott* 
ftieb  ähnliche  SBorte  in  ben  Stunb,  wie  fie  {Raimunb  gefptodjen 
hatte:  er  wolle  nicht  ba  eine  irbifdje  .fttone  ^aben,  wo  bet 
£eilanb  eine  SDornenftone  getragen  habe. 

Saft  fd}eint  eS , al®  habe  {Raimunb  feine  ‘Ablehnung  balb 
bereut:  er  wollte  nämlich,  im  ©efifje  be®  ©aciböthurme® , be® 
fefteften  fünftes  ber  $auptftabt,  biefen  bem  neuen  {Regenten 
nicht  räumen  unb  fonnte  enblid)  nur  mit  Stühe  unb  burd)  £ift 
baju  bewogen  werben.  {Rachbem  auch  noch  ein  Patriarch  ge* 
mahlt  worben  war,  erhielt  man  nad)  einer  {Rut)e  oon  nur  weni* 
gen  Söedjen  fdjon  bie  {Rad)rid)t  non  neuen  {Rüftungen  ber 
Segppter,  al®  beten  ©ammelpunft  balb  Ulöfalon  ermittelt  würbe, 
©ie  ©tarfe  be§  feinblichen  ^eeveS,  bem  man  unoerjüglid)  ent* 
gegenrüefte,  wirb  auf  200—500,000  Siann  unb  batübet  au* 
gegeben,  unb  bet  Uebermuth  betreiben  fdjeint  groft  genug  gewefen 
ju  fein,  benn  Diele  führten  feiert  betten  unb  ©triefe  für  bie 
©efangenen  mit  fid).  Stögen  bie  3al)Ienangaben  aud)  über* 
trieben  fein,  gernif)  war  e®  ein  gewaltige®,  weit  überlegene®  Jpeer, 
bem  bie  nad?  ben  Ijödjften  Angaben  20,000  Stann  ftarfen  (Stiften 
in  jubelnbcr  ©egeifterung  entgegenjogen.  ©ie  eilten  in  bie 
®d)lad)t,  tjeifjt  eß,  wie  gum  ©djmau®  unb  jum  §efte ! „SBir 
badjten,"  meint  {Raimunb  oon  iflgile®,  „bie  S«tnbe  feien  furcht* 
fam  wie  bie  £irfd)e,  unfd?ulbig  wie  bie  gämmer,  benn  wir 
Wußten,  baff  bet  Jpetr  für  un®  ftritt."  9lm  14.  Sluguft  würbe 
ber  ungleiche  Äampf  bei  Slßfalon  gefdjlagen  unb  bie  feinblid?e 
Uebermad)t  glorreich  befiegt:  nicht  burd?  ftrategifdje  ©ewanbtheit, 
fonbern  einfach  burd?  bie  unmiberftehlid?e  ©egeifterung  unb 

Bor  ©ottfrieb  noch  ben  £>erjog  {Robert  oon  ber  Sotmanbie  bie  Ärone, 
aber  ohne  ©rfolg,  Angeboten. 

(«7) 


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46 


$apferfeit  bet  tjelbenmütljtgen  ©htiftenfchaar.  Aud?  übet  ben 
SJefifc  Abfalond  brach  nod)  einmal  jroifc^en  ©ottfrieb  unb  Nai* 
muitb  ein  (Streit  aud.  ©ie  ©efafcung  non  XUöfalon  beftaitb 
nämlich  aud  ben  ©elbfdjufen,  bie,  in  ägpptifchem  ©ienft,  bei  bet 
Eroberung  3erufalemd  Naimunb  ben  ©aoibdthurm  überliefert 
unb  non  ihm  bafüt  freien  Abgug  erbalten  Ratten:  fie  pflangten 
jefjt  bie  gelbgeichen  iljreö  fRetterö  in  Adfalou  auf,  unb  baburd) 
mar  uad)  ber  bamaligen  Äriegdfitte  allerbingd  bie  Stabt  in 
Naimuntd  öefi|  gegeben.  Aud)  bie  übrigen  dürften  roareu 
bedmegen  biedmal  auf  Naimunbd  ©eite,  aber  .^ergog  ©ottfrieb 
blieb  unerfd'ütterlid)  feft  unb  oerlangte  felbft  bie  ©tabt  in  23e« 
fifc  gu  nehmen,  gemifj  aud  bemfelben  ©runbe,  wie  33cemunb 
betreffd  2-tipolid:  er  wollte  einen  fo  mastigen  unb  oetfeinbeten 
ÜJiann  nid)t  in  feiner  Nachbarfd)aft  Ijaben.  Naimuub  gog  im 
Born  oon  bannen  — unb  bad  ©djlimmfte  war:  Adfalon  blieb 
ben  Aegpptern,  benn  aldbalb  ^atte  bie  33efafjung  oon  jenem 
©treite  Äunbe  unb  oerweigerte  bie  llebergabe.  Aud)  bie  anbe» 
reu  dürften  oerliefjen  nunmehr,  mit  einziger  Audnal)me  Sanfrebd, 
nadjbem  fie  oon  ©ottftieb  Abfdjieb  genommen,  bad  heilige  £anb 
unb  gogen  nadj  Norben.  ©er  eigentliche  äbreuggug  ift  hiermit 
beeubet.  5?Xucf>  unfere  guten  ©eroährdmänner  oerlaffen  und  ba» 
mit.  Sowohl  bie  Negietungdweife  ©ottfriebd  ald  ber  innere 
3uftanb  beb  Neid)ed  finb  und  burch  ben  ÜJlangel  beglaubigtet 
Nachrichten  feht  wenig  befannt.  Nur  fo  oiel  ift  erfichtlid), 
ba§  bet  bamalige  3uftanb  f>aläftina’d  wenig  erfreulich  «or: 
überall  fehen  wir  bie  fchrecflichfte  ©ntoolferung.  ©ie  ein* 
geborenen  ©hriften  waren  bei  Annäherung  bed  Äreugheered  gum 
größten  2heü  »on  ben  Ntuhamebanern  niebergemacht  worben, 
bie  ©aracenen  felbft  waren  umgefommen  ober  oertrieben,  bie 
gurücfbleibenben  granfen  aber  fel)t  gering  an  3al)l;  benn  bie 

(493) 


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47 


weitaus  meifteu  Ratten,  wie  SBilhelm  u.  JptuS  fagt,  nach  uoll* 
brachtet  SBaHfahrt  uub  ©rfüHung  ihveS  ©elübbeS  mehr  ©ehn* 
fudjt,  nach  £auje  jutücfjufe^ren,  als  fid?  in  bem  wenig  einlaben» 
ben  ’Paläftina  anguftebeln.  ©in  troftlofeS  33ilb  $eigt  unS  ber 
Anfang  beS  neuen  SJieidjeS.  öS  genügt  ju  jagen,  ba{}  mit  ©in* 
fd}luf)  ber  80  Witter  JanfrebS  im  ganzen  ganbe  faum  200 
JRitter  bei  ©ottfrieb  gutücfblieben,  baf)  im  3ahre  1101  nur  900 
SDRann  gufjuolf  oorhanben  jinb,  unb  feafj  ein  ©efetj  erlafjen 
würbe,  „baff,  wer  ein  uerlaffeneS  gehen  3aht  uub  Jag  im  3?e» 
fij}  gehabt  unb  in  bet  Jrübfal  auSgetjarrt  ^abe,  baffelbe  burd} 
Verjährung  erwerben  Ijaben  uub  gegen  jeben  'änfpruch  beS  bauen« 
gegangenen  früheren  ©igenthümerS  gefchüfit  jein  jode."  Seiden 
3uftanb  fejjt  baS  uorauS! 

Sir  befifcen  noch  ben  Vericht  eines  'Pilgers,  beS  ©nglänberS 
©eawulf,  ber  1102  unb  1103  in  ^aläftina  reifte  unb  überall 
nur  Jrümmer  unb  ©lenb  jah,  auch  jehr  über  bie  gefährliche 
Unficferheit  ber  -peerftrajjen  $u  Hagen  hat,  ba  überall  ©aracenen 
auf  ber  gauer  lägen.  Unb  bis  ju  biejer  3«l  waren  jeit  ©ott* 
ftiebS  Job  nur  gertjdjritte  gemacht  worben! 

©o  femtte  §ul<het  mit  9iecht  jagen:  „Sir  würben  oet* 

loren  gewejen  jein,  wenn  bie  uon  Slegppten,  'Petfien  ober  SOiejo« 

potamien  bamalS  einen  Angriff  gemacht  hätten!"  B«m  ©lücf 

war  ber  ©Freden,  ben  baS  Äreujheer  uerbreitet,  noch  3U  frijdj 

unb  läbmte  baS  ganje  SWorgenlanb.  Sa8  eS  bei  joldjen  3u» 

jtänben  bamit  auf  fidj  fyat,  ba|  ©ottfrieb  3um  ©efefcgebtt  uub 

Drganifator  ber  bürgerlid'en  Snflitutionen  in  feiner  einjährigen 

unfidjeren  tRegierungSjeit  gemacht  wirb,  ift  leicht  erjtdjtliih-  3>ie 

fogenannten  tSjftfen  neu  3erujalem,  bie  ©ammlung  aller  feuba» 

len  unb  bürgerlichen  SRedjte,  würben,  wie  fie  unS  uorliegen,  ca. 

150  3ahre  nach  ©ottjrieb’S  Job  gejdjtieben  uno  jinb  ein  Ver« 

(«!.) 


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48 


fu<b,  bie  tierloren  gegangenen  lettres  du  Sßpulcre,  bie  nielleitbt 
70—80  Sabre  nad)  ©ottfrieb  gefammelten  ©efejje,  möglic^ft  gu 
refiautiren.  ©ottfrieb  batte  wirfli<b  audj  in  feiner  unftdjeren 
Sage  anbere,  Sorgen,  unb  für  Srümmer  unb  menfdjenleere 
Stabte  beburfte  e8  feiner  großen  ©efeijgebung.  freilich  bat  ein 
ffrangofe,  SßRonnier,  in  ben  Sif$ung8beridjten  ber  frangofifeben 
Slfabemie  eom  Sabre  1873  in  ber  breiteften  Seife  ©ottfrieb  ala 
©efefjgebet  unb  großen  Drganifator  gefeiert,  et  legt  aber  babei 
eine  gänglicbe  3gnorang  begüglid)  ber  Äritif  ber  Quellen  an  ben 
Sag  unb  baut  fein  gangeS  ©ebäube  auf  ben  anerfannt  fagen* 
bafteften  fecunbdren  DueHeu  auf.  Sei  ibm  ift  nicht  nur  ©ott» 
frieb  ber  Rubrer  beS  3uge8 , fonbern  er  tbut  eigentlich  aQed 
allein,  „©r  oernidjtete",  ljei§t  e8  g.  S.,  „bie  felbfcbufifdjen 
Surfen  tbeilS,  tbeilS  warf  er  fie  in  bie  Steppen  SuranS  gurücf, 
non  wo  fie  nidjt  mel)t  nadj  Seiten  gurücffebrten",  (sic!)  er  ift 
ber  0tetter  ©utopa’8  unb  bet  gangen  ©fjriftenljeit.  „@t  ging 
nadf  Slfien,  um  baffelbe  auSgufübren,  wa8  fein  Sltjn,  Äarl  ÜJtar« 
teil  bei  ^oitierg  getban."  „3)a8  war  ©ottfrieb,"  fagt  er  enblid}, 
„ber  ala  3ei<ben  be8  Siege8  fein  Sännet  auf  ber  .ftuppel  be8 
Sempel8  entfaltete,  unb  biefeS  Sännet  — war  ein  frangöfi* 
fdje8  panier!"  35arum  alfo  fo  niel  ©eidjrei.  Sir  wollen 
^ertn  SKoitnier  ba8  SRecbt  nidjt  ftreitig  machen,  unfern  gelben 
al8  feinen  SanbSmann  gu  betrauten  — Soulogne  sar  mer  liegt 
hart  an  ber  frangßfifcb«germanif<ben  Spracbgrenge,  bodj  fo,  ba§ 
e8  nod?  gum  frangofifeben  ©ebiete  gu  rechnen  ift  — aber  wir 
muffen  un8  bodj  entfliehen  bagegen  nerwabren,  ba§  ba8  lotbrin* 
gifdje  panier  im  11.  Sabrbunbert  ein  frattgöftfdbeö  genannt  wirb! 
©ottfrieb  batte  burd)  feine  beutfebe  fOfutter  feinen  beutfeben  Sanb* 
beftfj  erworben  unb  war  burd)  ben  beutfeben  Äaifer  fpäter  gum 
$ergoge  non  Sotbringen  erbeben  worben.  3u  feinem  Äaifer 

(500) 


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ftanb  et  gegen  beit  Papft,  uttb  als  treuer  ©efolgSmann  war  er 
mit  bemfelben  nad)  Italien  uttb  in  9iom  eingegogen.  Ober  feil 
etwa  baS  lotljringifdje  Scanner  barum  ein  frartjöfifdjeS  fein,  weil 
biefeö  beutidje  Oleicf>Slanb  ein  halbes  Sahrtaufeub  fpüter  uns  non 
ben  ^rangofen  entriffen  worben  ift?  3n  baS  ©ebiet  bev  unfrei» 
willigen  Äontif  fdjeint  eS  aber  gu  gehören,  bafj  unS  SDeutfdjeu 
£eu  Pionnier  in  betfelbett  Arbeit  an  einer  anberen  ©teile  bei 
au  ben  paaren  ^erangejogener  ©elegenheit  bornirte  ^iftorifdje 
2ltrogang  norwirft! 

9lodi  eiue  ftreube  war  unferem  ©cttfrieb  befd)ieben  gu  er= 
leben.  31m  21.  SDecember  1099  langten  Bocmunb  uub  ©ott« 
friebö  Bruber,  Balbuin,  »on  ©beffa,  non  25,000  fDtatin  be= 
gleitet,  in  Serufalem  an,  um  enblidj  il)r  ©elübbe  perfönlicb  gu 
erfüllen,  unb  am  24.  SDecember  beS  lebten  SaljreS  im  11.  3al)r* 
hunbert  feierten  bie  brei  glorreicbften  gührer  beS  elften  Äreug» 
gugeS  gemeinfam  einen  erljebenben  SBeihnachtSabenb  in  Bethlehem 
felbft.  geibet  fam  aber  aud)  in  Begleitung  BoßmunbS  ber 
©rgbifchof  SDagobert,  ber  neue  Patriarch  non  Jerufalem,  ein 
fyerrfdffüdftiger  Sßriefter,  ber  halb  ©ottfrieb  mit  immer 
wadjfeuben  Sortierungen  brängte  unb  bei  bem  frommen  Jfjergoge 
nur  gu  wenig  Söiberftanb  fanb.  ©nblicb  ging  er  in  feinen  21  n* 
fprüdjen  fo  weit,  baf)  er  erflärte:  bie  ©tabt  3erufalem,  heilig 
unb  bem  Jperrn  geweift,  erforbete  einen  geiftlid)en,  feinen  weit» 
liehen  Dberhetru.  Unb  waljrlidj,  am  erften  Dftertag  1100  über« 
trug  ©ottfrieb  bie  ©tabt  Serufalem  feierlich  unb  offentlid)  bem 
Patriarchen,  fictt  felbft  aber  gelobte  er  als  ben  gehnSträger  beS 
heiligen  ©rabeS  unb  beS  Patriarchen.  Pur  ber  9Rie§braucf> 
bet  ©tabt  würbe  einftweilen  noch  bem  £ergog  norbehalten.  ©o 
war  ber  .£>etgog  uur  nodj  bet  gweite  fPann  beS  PeidjeS,  als  er 
am  18.  3uli  1100  »om  Stöbe  baljingerafft  würbe.  Ueber  bie 

XIV.  326.  4 (SOI) 


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50 


nabereu  Umftfinbe  ticfeg  StobeS  feijlt  un§  jebe  glaubwürbige 
9iad)tid}t.  ©efto  mehr  weifj  bic  Sage  barüber  gu  berichten. 
Weben  jener  ©rgüblung  oom  2BieberauSbrud)e  beg  Quartanfiebers 
geben  noch  bie  Ueberliefermtgen,  er  fei  burdj  beu  ©euufj  eines 
uergifteten  ©ranatapfelS  geftorben,  bann:  ein  türfifeber  ©mir, 
entließ  fegat  ber  Patriarch  ©agobert  felbft  ba^e  ibn  vergiftet, 
^eftattet  würbe  unfet  ^>elb  auf  bem  ©alourieitberge  neben  bein 
©rabe  beS  ©rlöferS. 

SB?aö  für  ein  33ilb  haben  wir  nun  een  ©ottfrieb  gewonnen? 
Cbne  3weifel  fönnen  wir  tiefe  SReligiofität  unb  glüngenbfte 
Witterlid)feit  für  bie  beibeit  ©rnnbgüge  feines  ©barafterS  erflären: 
ein  ?öwe  in  ber  Sdjladjt,  ein  ftinb  im  grieben.  ©in  alter 
©efdjicbtjcbi'eiber  fagt:  „@r  war  eben  fo  bemütl)ig  wie  tapfer, 
er  war  ein  heilig«  fDiöndj  im  jWcgSgewanbe,  wie  im  bergog* 
lidjen  Sdjmucfe."  „@r  hält“,  fagt  Spbel,  »unter  allen  Slufecb* 
tungen  ber  weltlichen  Seite  ben  geiftlidjen  ©^arafter  beö  3«ge8 
mehr  als  einer  ber  ©enoffen  feft:  ihm  ftebt  nur  baS  heilige 
©rab  »or  bem  9luge,  unb  »öllig  fremb  ift  ihm  jeber  ©ebanfe 
an  ^errfchaft  ober  2anberwerb."  Ohne  grage  ftebt  er  in  weit* 
lid)en  SDingen  gegen  manchen  feiner  ©enoffen  gurücf.  ©r  ift 
etwas  fchwerfäflig  gum  ©ntfdjluf)  unb  ermangelt  ber  Snitiatioe: 
nirgenbS  tritt  er  fübrenb  unb  geftaltenb  beroor.  Selbft  als  er, 
oon  Sebnfucht  nach  3erufalem  gegogen,  unwillig  über  bie  burd) 
Waimunb  entftebenben  SBergögerungen  ift,  bebarf  eS  noch  ber  9ln» 
regung  eines  Stanfreb  unb  beS  93olfSaufrubrS,  ehe  er  b^nbelnb 
eingreift.  Soemunb  ift  gewanbter,  genialer,  energifcher,  jRaimunb 
rühriger  unb  unternebmenber,  fein  23ruber  SJalbuin,  wettfichtiger 
unb  fd;öpfetifd)er,  aber  an  Sfauterfeit  beS  ©barafterS,  an  uner* 
fchütterlicher  fteftigfeit  in  ber  Widmung  auf  ben  heiligen  ©nb* 
gweef  beS  3«geS  fann  fich  feiner  »on  allen  mit  ©ottfrieb  meffen. 

(.WS) 


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■Ji ei  bl  o8  unterteilt  er  ftd)  bet  weltlichen  Rührung  S3o§ntunb8, 
aber  burdjauS  nidht  läfct  er  fidj  burä;  beffett  Ueberlegentyeit  auS 
feinet  eigentümlichen  33afyn  nur  einen  ©djritt  »erbrängen,  ®e« 
wifj  ein  ebler,  ein  ganger  ÜJtann! 

Die  fdjwärmerifd^religiöfe  fRidjtung  in  S3erbinbuug  mit 
bem  Stittert^um  erfannten  wir  als  bie  ©djopferin  beS  gangen 
ÄreuggugeS,  biefelbe  SBerbinbung  macht  ben  Gljarafter  ©ottfriebS 
auS:  beSwegen  ift  er,  wie  fein  anberer,  bet  redete  unb  wahre 
ßiepräfentant  jener  3f*t  unb  beS  ÄreuggugeS,  ja  ©ottfriebS 
©tyarafter  ift  ber  ebelfte  Susbrucf  feiner  großen  3«t.  Darum 
hat  auch  mit  nie  irrenbem  Safte  ihn  »or  aßen  anbereu  glängen* 
ben  gelben  beS  erften  ÄreuggugeS  bie  Sage  mit  ihrem  fünften 
Diabem  gefdhmücft. 


(503) 


£tu4  von  (JNkr  lUiH(t  (2b.  <Äiimm)  in  Vtrlin,  e(böiti«rjtrftrj|j«  IT«. 


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$08 


}it|ijfiologiftl)c  null  pfndjolBgifdjr  pommt 

in  ber 


©pn 


Dr.  $rrmann  (fljltyoflf, 

^tofefjot  ju  ^pcibelberg. 


ßrrlhi  SW.  1879. 
©erlag  »ott  6a tl  $abel. 

(£.  <f.  tnitrH|’iib>  JJfrlBßsbndjbanälnng-) 

83.  JSfI6«Im » ©traSt  33. 


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$aö  9ted)t  bet  Ueberfefcung  iit  freinbe  ©praßen  wirb  Dorbebalteu. 


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ie  gaPung  meinet  J^emafi  möge  meine  gefet  nicht  fürsten 
Iaffen , bap  ich  etwa  beabfidjtige,  pe  im  fRadjfolgenben  mit  ben 
haarfpaltenben  Etagen  ber  gautphppologie  gu  behelligen  obet  aud} 
pe  in  bie  ergtünbeten  obet  unetgrünbeten  liefen  bet  pfpdjolo* 
giften  ©prathbetradpung  tjinab$ufül}ten.  9Jieine  Abpdp  ift  nut 
bie,  ein  allgemeineres  Snterepe  für  gwei  methobifche  ©runbfäpe 
ber  mobernen  ©ptachwiPenfchaft  gu  erwecfen,  ©runbfäpe,  welken 
ihr  IRecht,  gerabegu  als  bie  oberpen  unb  widjtigften  leitenben 
fftormen  bet  gorfchung  gu  gelten,  erp  in  ben  lebten  3al)ten  nach 
unb  nach  unoerfümmert  gu  2;heil  3U  werben  begonnen  pat.  £Die 
gwei  ©runbfäpe  lauten: 

(SrftenS:  SDer  piporifche  gautwanbel  beS  formalen  Sprach* 
ftoffeS  »ollgiept  pch  innerhalb  berfelben  geitlichen  unb  örtlichen 
Segrengtheit  nadh  auSnah möloS  witfenben  ©efepen.  5Die8 
ift  bie  phpfiotogifche  ©eite  ber  fprachtichen  gormenbilbung 
unb  »umbilbung. 

3weitenS:  Sille  Unregelmäpigfeiten  ber  gautentwicflung 
pnb  nur  fcheinbar  joldfe.  ©ie  beruhen  nämlich  barauf,  bap  bie 
Sgirfungen  ber  phppologifdhen  ©efepe  gahlreiche  3)ur<hfreugungen 
unb  Aufhebungen  erfahren  oon  bem  pfnch  ologifdjen  Triebe, 
bePen  SSirfen  barin  befteht,  bap  ©prachformen,  im  Begriffe  ge-- 
fprodjen  gu  werben,  mittels  ber  SoeenaPociation  mit  ihnen  nahe 
Iiegenben  anbeten  ©ptachformen  in  unbewupte  Betbinbung  ge* 
bracht  unb  »on  biefen  lepteren  formal  beeinpupt  unb  lautlich 
umgeftaltet  werben. 

XIV.  327.  I*  (507) 


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4 


3d)  wöfyle  .ein  beutjdjeß  unb  ein  gtiedjijdljeß  Seifpiel,  um 
furg  baß  SBerljältnijj  biefet  beiben  ©runbjäfje  gu  einanber  flat 
gu  machen. 

©ermanijdjeß  h,  norbcrn  gutturaler  gricatinlaut  ch,  wie 
eß  befanntlid)  auß  inbcgermanifdjem  k burd)  bie  erfte  Sautner* 
fdjiebung  entftanben  war,  tyat  in  unjerer  heutigen  ©pradje  an* 
lautenb  unb  inlautenb  not  nadjfolgenben  SSocalen  ftanbig  nur 
nod)  ben  Sautwertt?  beß  ©pirituß  aßper.  $ber  im  3tußlaut 
bet  Sßorter  behauptet  berielbe  Saut  nod)  Ijeute  [einen  alten 
notieren  Söertl),  jo  bafj  mit  in  golge  beffen  hoch  gegenüber 
hoher,  höher,  höhe,  ferner  schmach  gegenüber  schmähen,  nach 
gegenüber  nahe,  näher  burdjauß  lautgefejjlid)  normal  fprecfyen. 
3n  ©emä&fyeit  beffelben  ©ejefceß  mu|  benn  aud)  auß  altfyodjbeut* 
feiern  unb  mittelbodjbeutjdjem  rüch  „hirsutus“  neuljod)beutfd} 
rauch  werben,  ba  gugteid}  alteß  ü in  au  übergebt.  SDieje  laut« 
gefe^lid)  gu  forbetnbe  gorm  beß  tS&jectinß  liegt  befanntlid)  nod) 
in  ber  ©pradje  Sutljerß,  bei  bem  ©fau  „rauch  non  ged"  ge» 
nannt  wirb,  alleinig  nor;  unfere  jefcige  ©prad)e  waljrt  i^Ten 
©ebraud)  wenigftenß  noch  in  bem  ©ompefitum  rauchwaaren. 
SEßenn  wir  nun  fonft  fyeute  rauh  jagen,  fo  barf  bieje  gorm 
feineßwegß  etwa  jo  angejeljen  werben,  alß  erleibe  fyier  einmal 
jeneß  Sautgefefc  eine  9lußnafyme.  23ielmel)r  ift  nufer  rauh  auf 
nidjtpfypftologijdjem,  auf  pfpd)ologifd)em  SBege  l)erbeigefül)rt,  in« 
bem  auf  bie  fogenannte  unflectirte  gorm,  baß  alte  rauch,  bei 
witfenber  3beenaffociation  bie  berfelben  ©ippe  angeljßrigen  gorrnen 
mit  glejtion,  rauher,  rauhe  u.  f.  w.,  bei  benen  h im  Snlaut 
ftanb  unb  lautgefejjlid)  gum  ©pirituß  aßper  nerflüd)tigt  war, 
©influfj  gewannen. 

3m  griedjjifdjen  wirb  nadj  befanntem  attifdjem  ©ontractionß* 
gejefee  ca  gu  t],  wie  in  ben  neutralen  ^Muralen  ytvrj,  ent],  vefrj 
auß  yivect  u.  f.  W.,  in  auß  eaQ  u.  a.  2Ritl)in  ift  Zuixpdi 
auß  Zioxyürea  bie  ftrict  lautgefefjlicfy  entftanbene  iflccufatioform 

(SOS) 


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5 


oon  ItaxQdrrjg.  3)ie  anbere  audj  ^iftcrifc^e  SRealitat  .genießenbe 
STccufatiöform  hoxQÖirjv  ift  aber  anberet  Vtrt : ein  fiautgefeß  Ijat 
fle  nid)t  ju  Stanbe  gebraut;  oielmeßt  ift  fte  fo  gebilbet,  baß  bie 
Sbeenaffeciation  bet  Spredjenben  taS  Ulomen  hoxQÜiriq  an  bie 
Kategorie  beret  wie  lllxißjdöqg  unb  aHet  nudj  bet  erften  2)e* 
dinaticn  gefyenben  unbewußt  ßeranrüdte. 

5J?an  pflegt  feiere  auf  pfpdjofogifcfjem  ©ege,  burd)  ten 
pfpdjifd^en  3fct  bet  3beenaffcriaticn  inS  35afein  gerufene  Sprach* 
formen  wie  nfjb.  rauh,  griedj.  -loxqctirjv  abweepfefnb  halb  als 
jjormübertragun  gen,  balb  als  ‘Jnalogiebilbungen,  enb* 
lidj  audj  mit  93erüdfid)tigung  beä  pfpdjologifdjen  ©ntftehungS* 
grunbeS  als  91 ffeciationSbilbungen  ju  bejeidjtten.  $>et 
UerminuS  „falfcbe  9lnalogicbilbung“  ift  »erwetflich,  weil  et 
mit  bet  Sadje  ein  «i<^t  ju  redjtfertigenbeS  ßbium  »erfnüpft; 
bem  bie  unbewußte  unb  teflejrionelofe  fprad)fdjöpferif<he  Sttjätig* 
feit  ift  naturgemäß  nicht  an  bie  burdj  fRcfieirim  unb  a poste- 
riori gewonnenen  ©rammatiferregeln  gebunben. 

93ei  bem  genannten  griedjifdjen  93eifpiele  Iwxqüttjv  giebt 
eS  3ebermann  ju,  baß  eS  unftattßaft  fein  würbe,  etwa  -tjv,  bie 
(Snbung,  auS  -ec  auf  lautlichem  ©ege  werben  ju  Taffen.  Schon 
bie  alte  ©rammati!  evfannte  in  foltern  formen  fo  ju  jagen 
©ntgleifungm,  nach  ihrem  JerminuS  „SJietaplaSmen".  SlnbetS 
bei  bem  beutfdjcn  33etfpiel.  @8  giebt  leibet  noch  ßeute  Sprach* 
forfcher,  welche  bereit  fein  würben,  ßiet  bie  'ünnaßme  ber  9lna» 
logiebilbung  oon  ber  £anb  3U  weifen  unb  liebet  ba8  Üautgefeß 
ju  beßnen,  etwa  fo:  „ju weilen  wirb  gevm.  h aud}  auelautenb 
gu  Spiritu8  aSper,  3.  93.  in  rauh".  Slnbere,  bie  e8  etwas  ge* 
nauet  nehmen,  brüden  fieß  wohl  fo  auS:  „germ.  h wirb  freilich 
auSlautenb  gefefcmaßig  3U  ch,  allein  in  rauh  ift  eS  auSnahm  8* 
weife  3U  Spiritus  aSper  geworben  mit  tRüdfidjt  auf  bie* 
felbe  ©ntwidlung  im  3nlaut,  in  rauher,  rauhe,  rauhen*. 
9Tudj  baS  ift  noch  unflattljaft.  55a8  phpflologifdje  @efe|  ßat 

(509) 


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6 


unter  allen  Umftänben  fernen  ungehemmten,  nicht  abirrenben 
Setlauf  gehabt.  5Bir  fehen  bteö  an  ber  thatfädjUcben  ©pifienj 
beS  rauch  im  alteren  Seuhochbeutfch;  wir  hätten  e8  aber  auch 
anjuetfennen , wenn  wir  nicht  fo  glüdlid)  waren,  baS  ältere 
rauch  ju  beft|en,  unb  wenn  innerhalb  bet  gefammten  neuhoch* 
beutfdjen  ©prachüberlieferung  nur  bie  Deraualogtfirte  ftorm  rauh 
nachweisbar  wäre. 


I. 

Unfer  erfter  @afj  „bie  Sautgefefce  wirfen  ausnahmslos"  ift, 
wie  ben  Sadjgenojfen  befannt,  in  ber  jüngften  Beit  mehrfach  als 
Sljriom  aufgeftellt  worben.  2)amit  er  allgemein  anerfannt  unb 
in  ber  fütethobe  befolgt  werbe,  wirb  man  forbevn:  Seweift  unS 
bie  {Richtigfeit  biefeS  eures  ©runbfafjeS!  2>aS  ift  bis  jefjt  aller» 
bingS  noch  nicht  gefchehen.  3<h  will  im  golgenben  »erfuchen, 
waS  fidj  nach  biefer  ©eite  hi«  tljun  lä^t. 

©inem  3nbuctionSbeweife  pflegt  man  &*i  entpiri» 
fehen  Sichtung  unferer  Beit  mit  Sedjt  am  meiften  ©lauben  ju 
fchenfen.  Äßnnte  man  barauf  hinweifen,  bah  ade  bisher  er* 
lannten  Sautgefefje  ber  Sprachen  eben  folget  2lrt  finb,  bafe  fie 
unS  in  auSuahmSlofeu  SBirfungen  entgegentreten,  nun,  fo  beftäube 
überhaupt  ein  Bweifel  nicht,  würbe  überhaupt  ein  SeweiS  non 
unS  nicht  geforbert  werben.  ©in  folget  SeweiS  aber  nach 
» ollftänbiger  3nbuction  läfct  fich  auS  fehr  naheliegenbem 
©runbe  für  unferen  ©runbfah  nicht  erbringen.  ÜRan  hat  erft 
feit  wenigen  3abren,  burdj  allerlei  barauf  führenbe  SBahmehmun» 
gen  beftärft,  »ollen  ©ruft  bamit  gemacht,  bie  formalen  Um« 
wanblungen  ber  Sprachen  barauf  hin  anjufehen,  bafc  fie,  forneit 
fie  rein  phpfiologifcijen  UtfptungeS  finb,  bie  folgen  ausnahmslos 
mirfenber  ©efefce  feien. 

9ln  ©teile  beS  fehlenben  »ollftänbigen  SnbuctionSbeweifeS 
für  unferen  ©ah  treten  mehrere  SBahtfcheinlichfeitSgrünbe. 

(SO«) 


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7 


{Diejenigen  (Sprachgebiete,  auf  welchen  man  guerft  bie  23e« 
obacptungen  einer  confequenteren  {Durchführung  bet  lautgefep« 
liehen  ©tfepeinungen  gemacht  hot  finb  bie  überhaupt  in  metpo» 
bifeper  ^inffebt  lehrreichften  mobernen  ©pracpentwicflungen. 
3n  allen  lebenben  33olf8munbarten  erfcheinen  bie  bem  {Diateft 
eigenen  gautgeftaltungen  jebeSmal  bei  weitem  confequenter  burep 
ben  ganzen  ©praepftoff  burcpgefüprt  unb  »on  ben  Angehörigen 
ber  ©praepgenoffenfepaft  bei  ihrem  (Sprechen  innegehalten,  als 
man  e8  »om  ©tubium  ber  älteren  tobten  Sprachen  per  erwarten 
feilte.  3ebe  echt  wiffenfchaftlich  angelegte  bialeftologifche  23  e» 
arbeitung  einer  mobernen  23olf8munbart  fann  hierfür  23eftäti« 
gungen  in  3Jtenge  liefern.  Aue  biefem  ©tunbe  ftnb  auch 
mit  ben  jüngeren  ©prachentwicflungen  fich  befchäftigenben 
©ptaepforfeper , wie  bie  tomanifepen,  getmamfepen , flaoifcpen 
©rammatifer,  bie  erften  gewefen,  welchen  ba8  23ewuptfein  oon 
ber  abfoluten  ©efepmäpigfeit  bet  Sautbewegung  fiep  aufbrängte. 
{Damit  ich  «in  23eifpiel  gebrauche:  wer  oermöchte  innerhalb  be8 
ganzen  heutigen  italienifcpen  unb  ftangößfepen  ©pracpftoffeS  auch 
nur  ein  ecpteS,  b.  i.  oolfStpümlicp  tomanifepeS  SBort  naepgu* 
weifen,  in  bem  fiep  altlateinifcpe  gutturale  k unb  g oor  ben 
23ocalen  e unb  i ber  Sßerwanbelung  in  palatale  Quetfcp*  be« 
giepung8meife  3if<plaute  (ital.  ts  b.  i.  tsch  unb  dz  b.  i.  dsch 
in  Cicerone,  genere,  frang.  s unb  z b.  i.  weiepeö  tönenbeS 
sch  in  Cic^ron,  genre)  entgegen  patten?  3n  bet  im  23olf8* 
munbe  tobten  lateinifepen  SJtutterfpracpe  bürfte  e8  fcpwer  fein, 
mit  leicptem  ©uepen  auf  eine  ober  einige  berartige  burepgreifenbe 
©efebmäpigfeiten  pinfidptlicp  bet  gantgeftaltung  gu  ft  open.  «Dicfe 
©cpwierigfeit  barf  aber  niept  gu  bem  oergweifelnben  ©epluffe 
»erleiten,  bap  im  Altlateinifcpen  unb  bei  feinet  ©ntwicflung  au8 
oorpiftorifepen  ©praepppafen  folcpe  burepgreifenbe  lautumgeftal* 
tenbe  ©efepe  niept  gewaltet  patten,  fftein,  eine  richtige  SJtetpobe 
läpt  fiep  non  bem  23elannten  unb  oot  Augen  giegenben  übet  ba8 

(Hl) 


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8 


% 

Unbetannte  unb  in  weitere  Setne  3urücfroeichenbe  belehren.  ©o 
wirb  auch  {jter  bie  Sotbetung  an  und  geftedt,  gu  glauben,  ba§ 
baö  an  ben  neueren  ©pradjentwicftungen  ©abrgunebmenbe  auch 
für  bie  älteren  ©pradjen  unb  ©pracbherioben  gilt.  Unb  btefe 
Sotberung  ift  fo  lange  nicht  abgumeifen,  alö  eö  nid)t  auö  ber 
Statut  bet  ©adje  mahrfcheinlid)  gemalt  werben  fann,  bafj  bie 
hbpftfdfe  S^ätigfeit  beö  5D?enfdjen  bei  bet  Aneignung,  9tepro* 
buction  unb  admäblidjen  formalen  Umbilbung  bet  oon  ben 
SBorfabren  ererbten  ©prache  in  oetfchodenen  3abrhunberten  eine 
wefentlidj  anbere  gewefen  fein  muffe  alö  in  ben  bet  ©egenmatt 
gu  liegenben  jüngeren  ©pradjperioben. 

aber  auch  baburdj  wäc^ft  bie  2Ba^tf<^einlit^feit  bet  unbe* 
bingten  ©eltung  beö  ©afceö  oon  ben  auönabmßloö  mirfenben 
gautgefe^en,  bafj  aud)  baö  Material  ber  alten  unö  nur  burd) 
bie  fdjnftlidje  aufgetchnung  überlieferten  ©praßen  feineöwegö  biö 
jefct  fidj  erfolgreich  gefiraubt  ^at  gegen  bie  praftife^e  Änmenb* 
batfeit  biefeö  ©runbfa^eö.  ©Ö  ift  in  neueret  unb  neueftet  3«t 
mehrfach  auf  baö  3$odfommenfte  gelungen,  auf  oerfdjiebenen  ©e» 
bieten  bet  älteren  inbogermanifchen  ©praßen  gauterfcheinungen 
alö  burdjauö  confequent  burdjgefühit  gu  etweifen,  oon  welken 
bie  ältere  oergleidjenbe  ©ptadjforfchung  eine  mehr  ober  weniger 
grofje  Söienge  oon  außnahmen  ftatuiren  gu  müffen  glaubte. 

©inmal  fonnte  bieö  gefdjehen  unb  ift  fo  gefdjeljen,  baf)  eö 
gelang,  bei  fortgefefcter  einbringlicbet  Sorfdjung  baö  ©alten 
mehrerer  ©efefce  nacbguweifen  in  Süden,  wo  man  biöhet  nut 
oon  ©inem  ©efefce  unb  mehrfachen  außnahmen  beffelben  wu§te. 
3ut  3duftration  biene  unö  ein  8eifpiel,  unb  gwat  eineö  bet 
fTappanteften. 

33or  nunmehr  etwa  brei  3ahren  etfchien  unter  bem  litel 
„@ine  auönahme  bet  erften  Uautoerfchiebung“  in  Äuhnö  3eü* 
fdjrift  für  oetgleichenbe  ©prachforfchung  XXIII  97  ff.  ein  auf» 
fa£  oon  Äatl  33  er  net,  weichet  ein  ©rgängungögefefe  gu  bem  oon 

(Mi) 


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9 


9taßf  unb  ©timm  gefunbenen  gennanifchen  2autner?<hiebungßge* 
fefce  braute.  2)iefe  Slbhanblung,  non  großer  Tragweite  für  bie 
gefammte  ?aut*  unb  gctmenle^te  bet  inbogermanijchen  ©praßen, 
machte  eß  unter  Anbetern  fonnenflar,  marum  in  unjeren  neu* 
hodjbeutfchen  SSßtern  vater,  mutter  inlautenbe  tenuiß  t,  nicht 
wie  in  bruder  bie  mefcia  d nach  fonft  burchweg  geltenber  9?e= 
gel,  einem  unb  bemfelben  urlprünglichen  t in  lat.  pater,  mater, 
frater  entricht.  35ie  älteTe  ©rammatif  »ermochte  ijier  nur  re* 
gellofe  flußnahmen  $u  fetjen  non  ber  jonft  burcbgetjenben  £aut* 
nerf^iebungßregel,  nad)  welcher  inbogermanifcheß  t fid)  $u  ger* 
manifchem  P (engl,  th),  barauf  weiterhin  ju  hochbeutfchem  d 
cet|d}oben  jetgt.  ®urch  ©ernet  weif)  man  jefct,  bafj  baß  ur* 
fprünglidje  t in  ben  Söörtern  für  „©ater,  üJiutter"  einet)  eitß 
baß  t in  lat.  pater,  mater,  unb  baßjenige  in  bem  2Borte  für 
„©rubet“  anbererjeitß,  baß  t in  lat.  frater,  im  festen  ©runbe 
ptjpftologifdj  bod)  nicht  ein  unb  berfelbe  gang  gleich  be|d)affene 
ober  unter  gleichen  ^tjpftclocjifei^en  ©ebingungen  fte^enbe  8aut 
war:  in  ber  ©ctonungßweife  ber  inbogermanifdjen  ©runblprache 
ging  bem  erfteren  t eine  tiefbetonte  Silbe,  bem  leiteten  t ber 
Rechten  beß  SSorteß  unmittelbar  oorauß,  wie  eß  in  fanßfrit. 
pitär-,  mätir-  gegenüber  bhrätar-  geblieben  ift.  Unb  ©erner 
hat  gegeigt,  bah  unb  wie  fid)  auß  biefet  urfprünglich  nerfdjie« 
benen  SJeeentlage  fehr  natürlich  tie  SDiffereng  beß  inlautenben 
35entalß  in  jenen  unfereu  ©erwanbtfchaftßwörten  bruder  unb 
Tater,  mutter  etflürt.  Stuf  bemfelben  lebten  ©runbe  beruht 
bie  ©erfchiebenheit  beß  ©onfonantißmuß  in  leiden,  schneiden 
unb  gelitten,  geschnitten;  ferner  biejenige  in  ziehen  mit  h unb 
gezogen  mit  g,  in  erkiesen  mit  s unb  erkoren  mit  r.  @ß 
hat  hier  alfo  nicht,  wie  man  lange  3eit  hinbutd)  glauben  fonnte, 
eine  unb  biefelbe  Urfache  nerfchtebene  SBirfungen  gehabt,  eß  h«t 
nicht  ein  Spradjlaut  unter  gang  gleichen  ©ebingungen  gweierlei 
©lege  bet  ©erwanblung  eingefchlagen;  fonbetn  wir  h°ben  oon 

(SU) 


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10 


Urfprung  an  »erfdjiebene  pßßftologifdje  Sorbebingungen,  unb 
biefe  haben  naturgemäß  »erfdjiebene  folgen. 

3)er  anbete  SBeg,  auf  bem  man  3U  bemfelben  3tele,  bie 
ejrcluftt>e  ©iltigfeit  ber  Sautgefeße  immer  flaret  fid)  ßeraußflellen 
311  feßen,  gelangte,  tft  eben  ber,  baß  man  einen  großen  Sfcfyeil 
ber  formalen  drfdjeinungen  im  ©pra<hftoff,  welchen  man  früher 
ebenfallß  als  bie  Söirfung  ber  ^pßologifdben  ©efeße  aufgufaffen 
gewohnt  war,  auf  pfßcholo  gifcße  Urfacßen  gurücfguführen 
lernte,  hierauf  nähet  eingugeljen  wirb  Aufgabe  beß  nacßfolgen* 
ben  Slßeileß  meiner  Slbßanblung  fein. 

3a,  eß  fanu  enblid)  aud)  golgenbeß  wohl  noch  alß  ein 
38aßrfd}einlid5feitßgrunb  für  bie  SRicßtigfeit  unfereß  ©aßeß  an« 
gefüßrt  »erben.  3)ie  befcßränfte  ©eltung  ber  8autgefeße  ift 
allgemein  anerfannt.  SJiinbefienß  eine  eingefdjränfte  ©eltung 
unfereß  ©aßeß  ift  eß  eben  weldje  überhaupt  bie  ©tunblage 
bilbet,  auf  ber  »on  Anfang  an  bie  ©ßradjwiffenfchaft  aufgebaut 
ift.  @ß  ift  gang  unleugbar,  baß  bie  ältere  »etgleicßenbe  ©ram« 
matif  nur  in  fo  weit,  alß  fie  nach  bemfelben  ©runbfaße  »on  ber 
©jcclufiöität  beß  SBirfenß  ber  Sautgefeße  unbewußt  »erfuhr,  gu 
IHufftellungen  gelangt  ift,  welche  allgemeinen  ©lauben  fanben 
unb  3U  finben  beanfprudjen  burfteu.  Sur  fo  weit  erftrecfte  fid) 
bie  ecßte  Söiffenfcßaftlichfeit  unb  wiffenfdjaftlicße  Sicherheit,  alß 
unferem  ©aße  ßraftifcße  Befolgung  auch  fcßon  »orßer  in  ber 
fßradh»iffenf(^aftlid?en  gcrfcßung,  wenngleich  unbewußt,  gu  Slßeil 
warb.  3)a,  an  bem  fünfte  begann  nachweißlich  immer  ber 
©treit  ber  Meinungen,  wo  unfer  ©aß  »on  irgenb  einer  ©eite 
praftifdh  »erleßt  gu  werben  anfing.  3eß  will  gum  3®e<f  beß 
befferen  Serftänbniffeß  wieberum  einige  Seifßiele  wählen. 

3m  ©tiedjifdjen  ift  nach  einem  allgemein  anerfannten  Saut» 
gefeße  urfprünglidjeß  iulautenbeß  j gwifcßen  Socalen  außgefallen. 
©in  -j-  war  nach  altem  inbogermanifcßen  Sraudje  baß  gut 
Silbung  benominati»er  (»on  ©ubftantioen  abgeleiteter)  Serba  we« 

(514) 


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11 


jenllidje  formale  Hilfsmittel;  imb  bie  griedifden  fogenannten 
Serba  contracta  wie  Tincua,  (piXeio,  öovlow  mären,  mie  fein 
einziger  ©pradjfotfc^er  bezweifelt,  urfprünglid  Serba  auf  -ajw, 
-ejw,  -ojw.  Sllfo  3.  S.  neiQctto  auS  *neiga-jw  >)  „einen  Serfud 
madjen"  fommt  mittels  biefer  j*bilbung  non  neiget  „Serfud, 
9)robe“,  dniikoto  „jum  $nedt  maden“,  ftto&oiü  „8otyn  geben“ 
auS  *öovkn-jw,  *fnoi>r>-yo  ebenfo  non  dovkog  „ftnedt,  ©flaue“, 
ftiodog  „8ol}n,  ©olb".  SBäfyrenb  allen  alfo  bieS  eine  gemeinjame 
fefte  SafiS  ift,  biffentirte  aud  fcitljer  fd^ou  jofort  eine  beträgt* 
lide  Snzatjt  non  ©rammatifern , wenn  eS  fid  irgenb  wer  bei* 
fommen  lief;,  aud  nod  in  einer  anberen  ©eftalt  baS  alte  SDeno* 
minatioa  bilbenbe  -j-  $wifden  Socaleti,  nämlid  als  griedUd  -C-, 
mieberfinben  unb  j.  S.  neigä^w  fo  gut  wie  neigävj  auf  eine 
©runbform  */i£«pajw,  alSSDenominatinum  non  beni Atomen  neiga, 
jurücffüljren  ju  wollen. 

©erfelbe  ftorfder,  ber  mit  Unrecht  bie  Slnfidt  non  bem 
Uebergange  beS  inlautenben  interoocalifdjen  -j-  in  gried). 
attfgefteüt  fyat  unb  bisher  baran  feftfyalt,  ba§  neiga^w  unb 
neigäw  formal  töüig  tbentifd  unb  oerfdiebene  Sffianbelungen 
einer  unb  betfelben  ©runbform  feien,  berfelbe  gorfdjer  (@.  (Sur* 
tiuS)  läfjt  fidt>  bann  wtebetum  feinerfeitS  mit  9iedjt  nidt  bie 
3bentificirung  beS  grie^ift^en  SBorteS  9sns  ,,©ott"  mit  lat. 
deas,  melde  anbere  ©pradjoergleidjet  aufred)t  galten,  gefallen. 
@t  Ijat  äfynlide,  b.  I).  im  $>rincip  gleic^geartete  ©rünbe  gegen 
biefe  Sergleidung,  mie  fie  Slnbere  gegen  feine  Dlnfidjt  über  baS 
t in  nsiga^u  geltenb  maden,  oor  allem  nämlid  ben,  ba|  auS 
nrfprünglider  SDentalmebia  inbog.  d = lat.  d auf  griedifdem 
Soben  nad  bort  fyerrfdenben  8autgefefcen  niemals  bie  (SSpirata 
9,  fonbern  immer  nur  d,  bie  SCRebia,  werbe. 

Ober,  um  aud  ein  »aterlänbifdeS  Seifpiel  ju  fejjen,  wenn 
feit  ben  Sagen  ber  gorfdungen  9iaSf8  unb  3 a f-  ©rimmS  über 
bie  germanifden  8autnerfdiebung8gefc^e  eine  neue  ©tpmologie 

(SIS) 


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12 


aufgefteOt  watb,  weldje  ein  beutjdjeS  SBort  mit  gtiechifcben  unb 
lateinischen  nervlich , habet  aber  Abweichungen  uon  bera  Äanon 
bet  feftgefteflten  burcfcgrcifcnben  @onfonantenent?pre<bungen  ftcb 
geftattete,  fo  ift  einer  folgen  (Stpmologte  ncn  wiffenfcbaftlicb  be» 
rufener  ©eite  niemals  ncQer,  unbebingter  unb  allfeitiger 
Seifall  gu  I^eil  geroerben,  mochte  fte  aud}  »on  ©eiten  ber  Se» 
beutung  ober  in  §iuftcbt  auf  bie  fonftigen  ?autner^5ltnijfe  nod) 
fo  jel)t  fich  empfehlen.  S?er  in  bet  grofjen  JReihe  mit  h-  an« 
lautenbet  echt  germanifeber  SBortcr,  wie  Kund,  hundert,  hora 
herz,  haupt,  hehlen,  holen  u.  f.  f.,  ftetS  bem  h-  ein  k-  (x-, 
c-)  im  ©liedüfdjen  unb  gateinifdfen  gegenüber  fte^en  fab  (e8  ent« 
fprechen  nämlich  in  bi-  fen  ©praßen  ber  9ieibe  nach  xvwv  canis 
„^)unb",  s-xarov  centum  „bnnbed",  cornu  „£orn“,  xa(jdtu 
cor(d)  „Jperg",  caput  „.ftaupt",  celare  „bcblen“,  xaXtw  caläre 
„rufen,  berbeibolen''),  bem  fträubte  ftch  aud)  biöher  f$en  fein 
wiffenfchaftlicheS  ©ewiffen,  (ateinifd)e  mit  h-  unb  griediifdje  mit 
©pirituS  a8per  beginnenbe  SBörter  für  uroerroanbt  einem  germa« 
nifd)en  mit  h-  anlautenben  Sporte  gu  leiten.  2)ie  3bentität  un» 
fereS  SerbumS  haben  mit  lat.  habere  ift  tro'jj  ber  großen  Ser« 
locfung  gu  ihrer  Anetfennung  noch  immer  eine  umftrittene  grage. 
An  bie  Uroerroanbtfdjaft  beibet  Serba  glaubt,  roäljrenb  aller» 
bingS  Anbeve  weniger  ffeptifd)  ftnb,  aud)  eine  Angabi  folget 
gotfdjer  nicht,  benen  bie  Sotbroenbigfeit,  in  ber  $becrie  ba8 
ebne  alle  ßrinfdjränfung  au8nabm8lofe  2Shfen  ber  gautgefefce 
anguerfennen,  gut  Beit  nod)  nicht  eicleucbtet. 

Alfo  nur  baSjenige,  wa8  fie  auf  bem  feften  Soben  bet 
[tricten  .panbbabung  ejrdufiDer  SSautgefefoe  gewonnen  batte,  nur 
ba8  behauptete  auch  f<bon  bie  ältere  oergteidjenbe  ©prad)forfcbung 
allein  al8  ein  Object  be8  ftcheren,  allen  3»eifel  au§fd)liefjenben,  bem 
f^lüpftigen  Seteicb  ber  fubjectioen  Sermutbungen  entrüdten  SBiffenS. 

3u  ben  inbuctioen  SeroeiSgrüuben,  bie  unferen  ©afe  roabr* 

fcbeintich  machen,  fommt  nun  enblicb  noch  ein  IDebuctionS» 

(»16) 


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13 


beweis.  @8  ergebt  fich  au8  bem  Siefen  bt8  fpradjlichen 
gautwanbelS  felbft,  baf)  fcic  ihn  beherrfchenben  ©efefce,  fo« 
weit  fte  phhfiologifdjet  3lrt  finb,  nott)wenbig  einheitlich  unb  auS« 
na^m6lo8  wirfenbe  fein  muffen. 

@8  borf  wohl  jefct  als  allgemein  gugeftanben  betrautet  wer* 
ben,  bafs  ber  8autwanfcel  fid)  burchauS  bem  ©prechenben 
unbewußt,  baljer  rein  medjanifd?  DoUzieht.  ©o  Semanb 
bie8  annoch  nicht  glauben  follte,  bem  liefje  fi<h  mit  Slaufenben 
ton  3?eifpielen  anfchaulid)  machen,  wie  ba8  Eintreten  bet  laut- 
lieben  Umwälzungen,  benen  bet  formale  ©prachftoff  burd)  bie 
3abtbun^ev*e  h*n  unterliegt,  bann  böllig  unbenlbar  wäie,  wenn 
irgeub  ein  SPewujjtfein  Don  bem  SBerthe  unb  ber  functionellen 
©eltung  ber  SBörter  unb  SBortformen  unb  einzelnen  SBortele* 
mente  bei  ihrem  ©ebraudje  in  bem  alltäglichen  IRebeauStaufch 
obwaltete.  Unzählige  gormzerftörungen,  bie  biftorifcb  ftattgefun* 
ben  ba6en,  ha^en  foldjen  ©prachftoff  betroffen,  ber  un8  reflecti* 
renben  ©rammatifern  al8  etwas  STbefentlicheS  zum  ßwede  teS 
IBebeutungSauSbrucfeS  erfdjeint.  GafuSformen  werben  beim  9lo* 
men  burd)  ba8  Spalten  ber  SluSlautSgefe^e  untenntlidj,  ipet* 
fonalenbungen,  bie  anfänglich  formal  gefdjieben  waren,  fallen 
beim  23etbum  burd)  bicfelbe  Urfadjc  {pater  unterfchiebSloS  zu« 
fammen,  unb  alles  baS  gef<hiet)t  nachweislich  fehr  häufig,  ohne 
bafj  bie  @prad)e  immer  einen  ©rfafc  für  baS  oerloren  ©ehenbe 
hat.  ©benfallS  auf  bem  tetbalen  ©ebiete  oerwifchcn  fid)  SenipuS« 
unb  ÜJlobuSunterfchiebe  in  golge  ber  lautgefefjlidjen  ©oolutionen, 
unb  baS  9lufhören  ber  fpntaftifdjen  ©ebrauchsbifferenzirung 
ift  minbeftenS  ebenfo  oft,  Dielleicht  üfter,  erft  eine  golge  beS 
formalen  BerfaöS  als  eine  Urfache  beffelbeu.  9Ule  Setzungen 
biefer  9lrt  würben  ohne  3weifel  unterbleiben,  wenn  bie  fptechen* 
ben  3nbiDibuen  beim  ©prechen  eine  ebenfolche  reflectircnbe  ©tel« 
lung  wie  wir  analpfirenben  ©rammatifer  zu  ben  Don  ihnen 
gebrauchten  ©prad)formen  einnähmen.  ÜJlan  hat  bi*  ©prad)» 

(517) 


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14 


formen  in  #injtd}t  auf  ihren  ©ebtaudj  unb  Berbraudj  öfter  mit 
ÜJlüngen  üerglichen.  ©ie  bet  eine  SJlünge  im  Jpanbel  unb 
©anbei  ©mpfangenbe  unb  ^uögebenbe  nicht  5Rü<fftd}t  gu  nehmen 
pflegt  auf  bie  (SonfetBirung  be§  ©eprägeS,  mie  ben  connentio* 
neQen  (SourSroerth  bet  3Rünge  bie  mehr  ober  minber  grobe  3Lb* 
nüfcung  beö  ©eprägeö  nicht  beinträchtigt,  fo  auch  bei  ben 
Sprachformen:  bet  in  bet  alltäglichen  {Rebe  fte  33erroenbenbe 
mitb  oon  feinet  bewußten  SRncfftd^t  auf  Schonung  unb  {Rein* 
ertjaltung  bet  Sautform  geleitet.  5)e8  ©rammatiferä  ift  e8,  mie 
beö  ^eralbifetö  bei  bet  ÜJlünje,  bem  formalen  ©epräge  feine 
be»u§te  ^ufmetfjamfeit  gu  jd)enfen. 

©otin,  fo  fragt  man  meiter,  h“t  benn  bie  auf  phhftologi* 
fchem  ©ege  gefdjehenbe  formale  Umbilbung  bet  Sprache,  menn 
fich  biefelbe  rein  mechanifch  unb  unabhängig  oon  allem  menfch* 
liehen  ©ollen  ober  fftichtroollen  BOÜgieht,  ihten  eigentlichen 
©runb? 

fDlan  hüt  «18  lefcte  SEtiebfeber  gut  „ 33ermitterung " bet 
Sprachlaute  eine  8rt  Bon  „vis  inertiae“  angefehen.  Bequem» 
lichte  it  foO  e8  bemitfen,  bah  bie  alten  reinen  gotmen  nach* 
läffiger  unb  bähet  allmählich  meniger  rein  unb  boH  hetBotge* 
bracht  metben.  3)ie  an  Stelle  bet  alten  Saute  fpäter  gefprodje» 
nen  fingeren  follen  bemgemäh  auch  ftetS  bie  minbet  enetgifchen, 
eine  geringere  Slnftrengung  ber  Spracborgane  etfotbernben 
fein.  S)ah  biefe  BetrachtungSmeife  eine  Ijödhft  unBollfommene, 
einfeitige,  ba8  ©efen  bet  Sache  burdjauS  nicht  etjdjöpfenbe  ift, 
läht  fich  leicht  geigen. 

Bequem  unb  meniget  bequem,  leichter  unb  fchmeret  au8* 
gufpredjen  — finb  an  fich  feljt  relatioe  Begriffe,  ©em  einen 
3nbioibuum  ober  S3olfe  ift  ein  beftimmter  Sprachlaut  ober  eine 
beftimmte  Berbinbung  Bon  Spradilauten  ^öd>ft  bequem  unb  ge» 
läufig,  unb  e8  läht  aubere  Saute  ober  Sautoerbinbungen  mit 
Seidjtigfeit  barin  übergehen.  ©inem  anberen  SnbioiCuum  ober 

(5»8) 


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15 


Slolfe  macht  h»nwieberum  betreibe  gaut,  biefelbe  gautmbinbung 
in  bet  2lu§fprache  bie  allergrößten  ©chwierigfeiten,  unb  eS  fub» 
ftituirt  uiuoiOfütlid)  SlnbeteS  au  bie  ©feile  jenes  ihm  nicht  ober 
feht  ferner  aussprechbaren.  SRadj  nuferen  Gegriffen  gilt  im 
allgemeinen  eine  jogenannte  SDtebia  als  leichter  unb  bequemer 
für  bie  auSSpradje  beun  eine  fogenannte  StenuiS.  Unb  bie  @r* 
fcheiimag,  baß  romanifdje  SSolfet  StenuiS  in  ÜJtebia,  namentlich 
im  3n(aut  in  »ocalifdjer  Umgebung,  oerwanbeln,  bie  ©panier 
g.  23.  colorado  anftott  lat.  coloratus,  bie  3taliener  luogo  an» 
ftatt  lat.  locus  fagen,  fcheiut  biefer  unjeter  23orfteüung  non  geistig» 
feit  unb  ©cpwierigfeit  bet  auSfpracbe  gu  entsprechen.  2lbet  bei 
unjeren  germanijchen  23oreltern  muß  gur  Beit  ihrer erften  8autoer  jchie» 
bung  wohl  gerabe  baS  Umgetehrte  bet  gaH  gewefen,  t,  k leidster 
als  d,  g fprechbat  gewefen  fein:  fte  oeränberten  ja  gerabe  baS 
d neu  lat.  edo,  griech-  edo^iat  in  baS  t oou  gotß.  ita,  nieber* 
beutfch  ete  „ich  effe",  baS  g non  lat.  ager,  gtiech-  aypog  in 
baS  k »on  goth-  akrs  „2lcfet“. 

9Jtit  bet  ausschließlichen  Bwrücfführung  beö  Sprachliche« 
Sautwanbelö  auf  ben  23equem!idjfeitötrieb  ift  eS  aljo  nichts; 
wenn  audj  immerhin  nicht  geleugnet  »erben  fann  noch  f°H,  baß 
baS  unbewußte  ©treben  nach  Ärafterfparniß  eine  große  DftcHe 
bei  ben  lautlichen  Umwanblungen  in  ber  Sprache  fpielt.  35er 
eigentliche  ©tunb  aber  für  ben  Sprachlichen  Sautwanbel  ift  in  etwas 
auberem  gu  fucheu. 

Söenn  gwei  eingelne  Snbiuibuen  A unb  B in  £inficht  auf 
bie  auSfptadje  eines  SprachlauteS  ober  genauer  auf  bie  gähig» 
feit  bagu  fidj  »erfchteben  oerhalten,  jo  wirb  eS  bem  unbefangen 
Urtheilenben  hoch  offenbar  am  ndchften  liegen,  biefe  (Srjcheinung 
auf  eine  S3erf^iebenheit  bet  ©pr  ach  Organe  gurücfguf  ähren, 
welche  bem  A etwas  ermöglicht,  was  B nicht  fertig  bringt,  ober 
umgefehrt.  @ang  ebenfo  muß  eS  gwifdjen  gwei  23ßlfetinbioibuen 
fein:  bringt  ein  23olf  ober  eine  SDRunbart  A einen  2aut  x nicht 

(519) 


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16 


ober  nur  mit  Dieter  SJiütje  ferner,  ben  baG  33olf  begiebungGweife 
bie  fföunbart  B bequem  auGfpridjt,  fo  ift  baran  ganj  gewiß 
bauptfacblicb  eine  »erfr^iebene  Sefcbaffenbeit  ber  ©pracborgane 
fdiulb.  35ie  S3er|(biebenbeit  ber  erganifdjen  93efäbigung  !ann 
natürlicb  burdß  Uebung  (worüber  fogleicb  mehr)  überwunben 
werben:  ba§  SobioiDuum  A erreicht  eG  bureb  Uebung,  baG  auG» 
fpreeben  31t  lernen,  waG  ibm  SlnfangG  ©cbwierigfeiten  machte,  non 
bem  93clfe  A erlernt  burdh  Uebung  ein  jeber  nach  unb  nach  bie 
ihm  5tnfang8  frembe  ©pracbe  beö  93clfeö  B. 

©an}  berfelbe  Umftanb,  93erf<biebenbeit  bet  ©pracborgane 
nämlich,  muh  aber  offenbar  auch  oerantwortlicb  gemacht  werben, 
wenn  bei  einem  unb  bemfelben  SSolfe  auf  gwei  Der» 
feßiebenen  fünften  feiner  ftorifeben  ©pradbent» 
wicTlung  fieß  baG  Derfcbiebene  33erßalten  in  ^inRcßt  auf  bie 
s3u8fpracbe  eines  SauteG  geigt.  23ir  gelangen  alfo  ^ier  gunücßfi 
311  bem  ©dbluffe:  eingetretene  SBerfcßiebenbeit,  b.  i.  einfach  93er* 
änberung  ber  ©pradjorgane  ift  im  allgemeinen  bie 
eigentliche  ltrfacße  be8  ^tftorifeben  8autroanbel8  ber 
@pr neben.  SBeiter  aber  ergiebt  ficb  barauG  für  unferen 
3wecf  ffolgenbeG. 

©inb  bie  ©pracborgane  eineG  3nbioibuumS  ober  eines 
S3ol!eG  einmal  unfähig,  be3iebungSweife  auf  irgenb  einer  be* 
ftimmten  ©tufe  ber  fpraeblicben  ©ntwicflung  unfähig  geworben, 
einen  beftimmten  8aut  x ßetDorgubringen  — eG  ßanbelt  ftdh 
mmer  nur  um  bie  unbewußte  ober  nicht  3um  33ewußt* 
fein  fommenbe  ^erootbringung,  benn  bewußt  bringen  wir 
ORancßeG  fertig,  waG  unG  im  unbewußten  3uftanbe  nicht  gelingt 
— , fo  bringt  baffelbe  Snbioibuum  ober  23olf  benfelben  ©praeß« 
laut  nicht  nur  in  einem  ein3elnen  Satte  nicht  ober  nicht  mehr 
heroor,  fonbern  eG  Dermag  ißn  unter  allen  gleichartigen  Umftän* 
ben  nicht  3U  fpreeben.  ©ehr  natürlich:  bie  Urfacße,  baS  einmal 
erfolgte  33eränbertfein  ber  ©pracborgane,  bauert  fort;  warum 

(S20) 


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17 


faßte  bie  SBirfung  nidji  überafl  bei  oorliegenber  gleicher  Urfadje 
biefelbe  fein? 

SBermag  ber  Olomane  in  einem  einzelnen  23orte  nid)t  tnefac 
baß  alte  lateinifcbe  k cor  e uub  i guttural  t^erDorjubringen,  jo 
entgeht  bei  fam  fein  eingigeß  k in  berfalben  ©teßung  cor  ben 
palatalen  2$ocalen  ber  9>alatalifirung  gu  ital.  ts,  frang.  s. 

äkrmanbelt  fiel?  in  einem  gaße  ober  in  einigen  gäflen  bie  Sluß* 
fpradje  beß  lateinifdjen  j im  grangoftfcben  gu  3 (roeicbem  tönenben 
sch),  in  jeter  g.  33.  auß  lat.  jactare,  in  juste  auß  lat.  justas,  fa 
muffen  nofamenbig  afle  in’ߧrangöfifd)e  übergegangenen  lateinifcben 
33orter  mit  j,  nämlid}  aud)  joindre  auß  lat.  jüngere,  joug  auß 
jugum,  jouer  auß  jocari  u.  f.  ro.,  »on  berfalben  ifautumroanbe* 
lung  betroffen  roerben. 

©elingt  eß  bem  ©riechen  uidjt  mehr,  ben  e^emalß  auß* 
lautenben  SDental  am  SBortenbe  im  Neutrum  ber  Pronomina 
to,  u/.io,  oerglicben  mit  lat.  is-tud,  aliud,  mit  gur  31  uß» 
ipradje  gu  bringen,  fo  ift  nidjt  gu  ermatten,  ba{j  fam  in  anbereu 
gäflen  bie  .peroorbringung  beß  gleichen  ifauteß  in  gleicher  SBort» 
fteßung  gerät!}:  eß  mu§  unabmenbbar  baßfelbe  ©ejefj  beß  3lbfaßß 
auch  ben  33ocatio  ©ingulariß  bentaler  9!eminalftämme,  mie 
7i al  auß  *riald  oon  nalg,  bie  3.  ©ing.  3mperf.  t'yeQs  auß 
*eq>eQ£T  = altinb.  abharat  (oergl.  lat.  -t  in  ferebat)  treffen. 

2Bat  eß  butd)  bie  9iatur  feiner  ©pradjorgane  bebingt, 
bafc  ber  Jpodjbeutfabe  nieberbeutjebeß  k aufeer  im  3lnlaut  gu 
ch  rnerben  lief},  fo  gefdjat)  biefe  SBanbelung  beß  k überaß,  unb 
in  feinem  ber  Söörter  dach,  suche,  ich,  sicher  u.  f.  m. 
fonnte  bet  in*  unb  außlautenbe  ©uttural  in  l)od}beutf(ber  Bunge 
auf  bem  alten  unoetidjobenen  ©tanbpunfte  oerbleiben.  Unb 
bringt  eß  mieberum  bie  S3ejrt)affenl}eit  unferer  Drgane  mit  fid}, 
bafj  mir  baffelbe  ch  je  nach  ben  oorl)ergebenben  33ocalen  oer= 
idjieben  außfared}en,  nad}  a in  dach,  sache  alß  fogenannten 
ach-,  nach  i in  ich,  sicher  alß  ich-8aut,  nad}  o,  u unb  e 

XIV.  327.  *■  2 (121; 


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18 


mieberum  etmaS  oerjchieben  gefärbt,  jo  jrnbet  feines  ber  oon  uns 
gesprochenen  ch  eine  ejrceptionetle  SRettung  oor  aßen  biefen  mannig* 
faltig  oariirten  9lffectionen. 

9Han  fann  gegen  unfete  ganje  bebuctioe  ^Beweisführung 
immer  nod)  ben  ©inroanb  geltenb  machen:  gut,  eS  ift  genau  jo 
roie  bu  barftetlft,  roenn  unb  jo  lange  als  e8  ftd)  nur  um  ein 
einzelnes  jpredjenbeS  3nbioibuum  ^anbelt;  aber  eine  ‘JDRunbart, 
jei  fle  aud)  oon  nod)  jo  bejchränftem,  localem  Umfange,  ift  Doch 
immer  »on  einem  (Somplej:  jprechenber  3nbioibuen  gebilbet;  ba 
fönnen  folglich  bie  ©prachorgane  ©injelner  ober  eines  S^ljcileö 
ber  bie  SDRunbart  bilfcenben  3nbioibuen  bie  ftähigfeit  ber  2lu8* 
fpracbe  bemalten,  welche  bem  anberen  Steile  abhanben  fommt; 
babutd)  entfielen  oetj^iebene  gautformen  au8  einer  unc  berfelben 
©runbfottn,  alle  auf  phbftologifchem  aßege;  später  fdjliehen 
fich  bie  ©rjeugniffe  be8  ©preebenö  bet  (Sinjelnen  ober  ber 
SBrud^tljeile  be8  SDialeftS  ^ut  Summe  ber  Den  SDialeft  auS* 
madjenben  SBortformen  gujammen;  jo  bietet  bann  ber  fonft 
einheitliche  3Dialeft  Doch  nicht  ba8  öilb  burdjauS  einheitlicher 
bauten  twieftung  bar. 

SDie  SDRöglichfeit,  bah  awijdjen  oerjd)iebenen  fPerfonen  inner* 
halb  berjelben  SDRunbart  wirflich  einige  Abweichung  in  ber  ßaut* 
entroicflung  beftehen  fann,  ift  nicht  in  Slbrebe  $u  fteClen.  SRament* 
lieh  fl<h  jwijdjen  bet  altern  nub  ber  jungem  ©eueration 
wohl  öfters  eine  jolche  SBerjchiebenheit  beobachten  laffen.  SöaS 
aber  afyuleugnen  ift,  baS  ift  zweierlei:  erftenS,  bah  berartige 
Abweichungen  jemals  mehr  als  hödjft  minimale  unb  in  enge  ©renjen 
eingejchlofjene  jein  fönnen;  jweitenS,  bah  fte  fidj  auf  lauget  benn 
eine  furje  IDauet  fijeiren  unb  neben  einanber  eine  jebe  ba8  gelb 
behaupten  fönnen. 

@8  liegt  junächft  in  ben  Umftänben  begrünbet,  welche  bie 
inbioibueHe  ©eftaltung  unb  allmählich  etfolgenbe  Umgeftal* 
tung  bet  ©prachorgane  bebingen,  bah  ftd?  &ei  ben  ©enoffen 

(SK) 


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19 


cinc§  unb  beffelben  ÜMaleftS,  wenn  wir  bie  ©renge  beS  ©ialeftS 
fo  enge  als  möglich,  wo  möglich  nicht  über  eine  eingige  «Stabt, 
ein  eingigeS  35orf  hinaus,  gieren,  ber  gautwanbel  ftetS  als  ein 
möglichft  einheitlicher  geigen  muff. 

3Bie  bie  ©eftaltung  allct  phbfifcpen  Organe  beS  ÜJ?euf<hen, 
fo  hängt  auch  bie  ©eftaltung  feiner  Sprachotgane  norgugSweife 
non  ben  flimatifchen  unb  ©ulturnerhältniffen  ab,  unter  benen  er 
lebt.  Obwohl  im  Allgemeinen  befannt  ift,  baff  g.  33.  baS  net* 
jdjiebene  Älima  ber  ©ebirge  unb  ber  ©benen  anberS  Zungen  unb 
SBruft  unb  Äeljlfopf  ber  33ergbewol)net,  anberS  biefelben  Organe 
bei  ben  33ewohnern  bet  SRieberungen  auSbilbet,  fo  ift  eS  hoch 
eine  bisher  in  ber  Spradjwiffenfchaft  noch  t?tel  gu  wenig  gewür» 
bigte  Shatfadje,  ba§  fid?  bei  gleichen  ober  ähnlichen  flimatifchen 
unb  ©ulturnerhältniffen  überaus  gleiche  ober  ähnliche  phonetifcbe 
Neigungen  ber  Sprache  ober  ber  SJlunbart  gu  geigen  pflegen. 
3<h  fann  mich  auf  eine  ausführliche  Söegrünbung  biefeS  Sa£eS 
burch  SBeifpiele  hier  leiber  nicht  einlaffeu.  3d)  will  beehalb  nur 
baran  erinnern , wie  g.  33.  am  jt'aufafuS  fogar  nicht  urnet* 
wanbte  benachbarte  33ölferfd}aften,  bie  inbogermanifchen  Armenier 
unb  Sranier  unb  bie  nichtinbogermanif^en  ©eorgier  unb 
anbete,  in  ber  ^auptfadje  faft  baS  nämliche  33ocal»  unb  ©on> 
jonantenfpftem  haben.  Snnerhalb  einet  unb  betfelben  Sprache 
herrfcht  ober  herrfchte  norbem,  wie  befonberS  bie  gotfcbungen 
bet  lebten  3ahre  auf  nerfchiebenen  ©ebieten  übergeugeub  ergeben 
haben,  faft  butdjweg  continuirlicher  Uebergang  gwifchen  ben 
eingelnen,  bie  ©efammlfpracpe  bilbenben  SDialeften;  g.  33.  im  ©er: 
manifchen  non  bem  Alemannifchen  bet  Alpen  bis  gu  bem  SRieber* 
fächftfchen  bet  9Rotb*  unb  Oftfeefüften.  ©S  ift  mit  faum  benf* 
bar,  ba§  mit  folget  ©ontinuität  bie  ©ontinuität  ber  flimatifchen 
Uebergänge  auf  bemfelben  fftaumgebiete  caufaliter  nichts  gu 
fchaffen  habe. 

AuS  folgen  ©rfcbeinungcn  wie  ben  genannten  wirb  eS  fchon 

I * (593) 


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20 


gu  einem  Steile  flat  fein,  u>ie  ooöenbg  unter  Söeroohnern  ©inet 
©tabt  ober  ©ineg  SDorfeg,  welche  alle  ©in  Ätima  beherbergt, 
ba§  33anb  einer  unb  berfelben  ©ultur  unb  gebengweife  umjd)liefet, 
fid)  idjroerlid)  anbere  alg  nur  fjöc^ft  minimale  unb  faum  graphifd) 
begeidjenbare  Unterjdjiebe  ber  £autentwicflung  ^erauöbilben  fönneu. 
(II  fommt  aber  nod)  ein  anbereö  Moment  in  Setradjt,  bag 
eielleidjt  nod?  mistiger  ift. 

©rofe  ift,  wie  man  weife,  bie  2Rad)t  beö  fftacfeabmungo* 
triebeg,  befonberg  beö  in  fortbauernber  Uebung  fid}  beliebigen* 
ben.  3d)  wähle  gum  SBergleic^e  bag  23eifpiel  non  bev  Äunft 
beg  ©djreibeng,  welche  wir  ade  befanntlid)  burd)  9iadjal>mung 
erlernen.  5)ie  Äinber  einer  unb  berfelben  5Bolfgfd)ule  pflegen 
fid)  unter  ber  Anleitung  eineg  unb  befjelbeu  Sefererö  leicfet  alle 
eine  unb  biefelbe  ^anbfcferift  augugeroöfeneu.  2Ran  hat  aud)  be* 
merft,  bafe  gange  ©egenben  unb  Groningen  bei  einer  unb  ber« 
ielbeu  ©eneration  einen  im  SBefentlic^en  gleichen  SDuctue  ber 
©cferiftgüge  geigeu.  55aS  wirb  feauptfäd)Ii(fe  roofel  baburd)  be* 
wirft,  bafe  eö  meift  ein  unb  baffelbe  ober  einige  wenige  ©cfeul* 
leferenSeminarien  finb,  welche  mit  ihren  Böglingen  alg  Seferera 
bie  nämliche  ©egenb  oetfotgen:  fo  fuljrt  fid)  alfo  faft  alleg  in 
ber  ©egenb  ©efdfriebene  auf  einige  wenige  SOiuftertppen  gurücf. 
SDie  beftänbige  9fad)al)mung  biefer  unb  bag  hingufommenbe 
gegenfeitige  Slbfefeen  ber  allgemeinen  ©cfereibeigenthümlichfeiten, 
bie  fidj  unwiüfürlid)  oom  ©inen  auf  ben  Zubern  »erpflaugen,  et* 
hält  fo  ben  allgemeinen  einheitlichen  Slppug  aufrecht  bei  aller 
inbioibueüen  SBefonberbeit  ber  ©ingelnen  in  ber  Jpaubfchrift. 
3a  uoch  mehr:  gange  eingelne  SSölfet  uuterfcheiben  ftd)  in  einet 
SBeife,  bafe  eg  für  fic  charafteriftifch  wirb,  burd)  ih*e  SCrt  gu 
fchreiben;  ein  einigermafeen  geübteg  Singe  nermag  ben  grangofen 
unb  ben  ©nglänber  unb  ben  35eutfd)en  aug  ihrer  £anbfd)rift 
herauögufennen. 

Um  wie  oiel  gröfeer,  wie  oiel  langjähriger,  unauggefefeter  unb 

(»24) 


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21 


intenftoer  ift  bie  Hebung  bcS  ©prechenlernenS  burdh  ^Nachahmung! 
Sobalb  bec  füRenfd?  a!8  Äinb  im  ©Iternhaufe  bie  erften  STnfänoie 
be8  Spred?en8  gemacht,  ift  et  t>on  ba  ab  fein  gangeS  geben 
lang  unbewußt  am  fetten  feinet  Sprache  nach  bem  SRufter 
Anbeter,  am  Ungleichen  feiner  SRebe«  unb  Au8fpracb8roeife  an  bte 
bet  SRümenfdien.  Jmmet  ähnlicher  wirb  bie  Sprache  be8  be’ran» 
wachfenben  &'inbe8  bet  ber  @ltern  unb  übrigen  $au8genoffen, 
immer  ppllfommenet  feine  gertigfeit,  bie  Spradjlaute  genau  ebenfo 
herporgubringeu , wie  e3  fte  pon  feinet  Umgebung  hört-  Unb 
berfelbe  fid>  hier  im  engeren  SRaume  ber  Pier  ^auöwänbc  bar» 
bietenbe,  unbewußte  Anglei<hung8preccf)  poHgieht  fi<h  täglich 
unb  ftünblid)  auch  gwifcljen  ben  etmadjfenen  Bewohnern  betfel* 
ben  Stabt  cber  beffelben  ©crfe8.  ©ie  Sprechweife  ber  (Singel* 
nen  finbet,  wo  fie  nur  ORiene  machen  fönnte,  ihre  eigenen  SBege 
gu  gehen,  fofort  unb  immerbar  ihren  ^Regulator  an  ber  ber 
übrigen  DrtSgenoffenfdja ft,  unb  fo  muffen  nethgebrungen  inner» 
halb  beffelben  SBeichbilbeS  ade  Bcrfchiebenheiten  bet  gautbilbung, 
beren  5Rögli«hfeit  wir  ja  bei  ber  SDtöglichfeit  inbipibuellcT  ©iffe- 
reng  ber  organif eben  Beanlagung  bet  Gringelnen  gulaffen  mußten 
in  ber  fJ>raj:i8  oetfehwinben  ober  wenigftenS  fid?  auf  ein  unmerf* 
bare?  Minimum  rebuciren 

AnberS  aber  ift  e8  fchon  mit  bet  Sprache  ber  mit  einem 
Orte  A nicht  3U  einet  communalen  unb  focialeu  (Einheit  per« 
bunbenen  nächften  ©rengortfehaften  B unb  C.  ©ie  Bewohner 
pon  B unb  pott  C fornmen  nicht  im  alltäglichen  unauSgefetjten 
SSerfehr  mit  benen  pon  A gufammen  ©aber  fönnen  ftd?  bei 
jenen  immerhin  fchon  fRüancirungen  unb  Abweichungen  oon 
bet  Sprache  ber  Drlfcfaaft  A nicht  nur  auöbilben,  fonbern  auch 
bauernb  feftfefcen.  5Bir  haben  e8  aber  bann  auch  nicht  mehr 
mit  einem  unb  bemfelben  ©ialefte  gu  thun,  fonbern  ftetjen  al8« 
balb  por  einer  ÜRehrheit  pon  gocalmunbarten : biefe  fönnen  unb 
bürfen  immerhin  eine  Berfehiebenbeit  ber  lautlichen  (Sntwtdlung 

<i») 


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22 


bet  ©pratbformen  geigen,  ja  geigen  biefelbe  in  burtbauS  natut* 
gemäßer  SBeife. 


II. 

SBirb  bet  ©ab  non  bem  auänabmfllofen  SBitfen  bet  8aut« 
gefefce  unbebingt  jugegeben,  fo  bebatf  bie  ^Berechtigung  bet 
gweiten  im  Eingänge  non  unö  auSgejpredjenen  gorberung,  baff 
man  Diel  mebt  unb  in  Diel  weiterem  Umfange  alö  früher  bie 
pfpcbologijcbe  SL^ätigfeit  bet 3beenaffociation  alö  ben  anbeten 
£auptgrunb  ber  formalen  ©pratboeränbetungen  anguerfennen 
Ijabe,  an  fic^  !aum  nodj  einer  ausführlichen  Segtünbung.  SBaS 
biefen  fPunft  anbetrifft,  fo  bürfte  ftatt  beffen  Dielmebr  bie  gtage 
^Beantwortung  ^etfd^en,  ob  benn  aud?  baS  gorftben  nad)  bet 
2lrt  nnb  SBeife  bet  pfptbologijcben  9lff octationöt^ätigf eit  beim 
Sprechen  fidj  ju  einet  n)i{fenfd;aftlid)en  9Jiett?obe  berangubilben 
geeignet  fei. 

£>ie  „3ufdlligf eiten  bet  Slnalogiebilbungen"  finb  fdjon  ein« 
mal  unlängft  non  einet  ©eite  als  fUtoment  geltenb  gemalt 
motben,  um  bie  93efttebungen  bet  mit  bem  Änalogieptincip 
operitenben  @pra<bforftber  $u  biScrebititen.  3n  ber 
bertjcbt  gegenüber  ber  unausweichlichen  ©ewalt,  mit  bet  bie 
pbbftologiftben  ©efe^e  bet  Sprache  auftreten,  einige  greibeit  bet 
Bewegung  bei  ber  affociirenben  ©precb«  unb  ©pracbumforraungS* 
tbatigfeit.  ©oweit  oon  greibeit  beö  SSiQenS  überhaupt  gerebet 
wetben  fann,  fommt  biefelbe  ^ier,  als  bei  einem  pfpdbiftben  Slfte, 
ju  ibret  ©eltung,  wie  ein  nabe  liegenbeS  Seifpiel  flat  machen 
möge. 

3>ie  bis  in  bie  inbogetmanijcbe  ©runbfpracbe  jutütfgebenbe 
uralte  Serfcbiebenbeit  bet  ISblautftufe  im  ©ingulat  unb  $)lural 
beS  3ubicatiDö  $)erfecti  bet  primären  Serba  bauert  auf  germa« 
niftbem  SBoben  bis  in  bie  mittelbotbbeutfcbe,  faft  fogat  bis  in  bie 
ältefte  neubo<bbeut[<be  Beit  b'nab  fort.  9lo<b  mittetbocbbeutfcb 

(5J6) 


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23 


t)ief)  eö  wir  stürben  gegenüber  ich  starb,  nod)  bei  Sutijet  ich 
beiss  neben  wir  bissen.  9leul)od)beutfd)  befielt  bieö  23erl)5lt« 
nifj  nur  noch  in  fel)t  wenigen  gäQen  fort,  j.  33.  in  ich  ward: 
wir  wurden,  ich  weiss  (alö  Perfeft  ber  ftorm  nad?,  fogenannteö 
Präteritopräfenö):  wir  wissen.  3m  übrigen  tjat  in  unferer 
heutigen  Sprache  ftormafforiation  ftattgefunben:  eö  hd&t  jef)t 
im  Plural  wir  starben,  nid^t  mehr  stürben,  nad)  OJtafjgabe  beö 
©ingularö;  umgcfehrt  im  Singular  ich  biss,  nid)t  mehr  beiss, 
nad)  bem  Plufter  beö  ^luralö.  SBorauf  beruht  eö  benn  nun, 
fo  fragt  man  leid)t,  bafj  Ijier  baö  eine  Ptal  bie  Analogie  beö 
©ingularö,  baö  anbere  Plal  bie  beö  piuralö  bie  obfiegenbe 
Äraft  ift?  2?ei  ich  biss  nad)  wir  bissen  jdjeint  allerbingö 
ein  ©runb  fid)  barjubieten:  ba  auf  neuhod)beutfd)er  ®prad?ftufe 
baö  alte  früher  ich  btze  lautenbe  ^Sräfene  burd)  lautgefe^lidje 
SDiphthongirung  beö  langen  i $u  ich  beisse  geworben,  fo  empfahl 
fid)  wohl  auö  biefem  ©runbe  ba8  '.flufgebeu  ber  formen  mit  bet 
‘Äblautftufe  ei  im  Präteritum  unb  bie  Änalogiebilbung  ich  biss 
nach  bem  Plural  beö  Präteritumö.  $bet  bet  bem  Präteritum 
oon  sterben  wirb  fid)  faum  mit  Sicherheit  etwa!  barübet  fagen 
laffen,  warum  bie  Sprache  behufö  einer  Uniformirung  ber  Prä* 
teritumöformen  cielmehr  ben  ©ingular  auf  ben  Plural  wirfeu 
liefe  unb  »on  ber  @infül)tung  eineö  ich  sturb  nach  wir  stürben 
Slbftanb  nahm,  ©benfo  wirb  in  jafelreicfeen  anberen  fällen  ber 
lüffodationöbilbnng  ber  ©prachforfcher  eine  Antwort  nicht  jur 
-fpanb  haben  auf  bie  gtage:  warum  gerabe  biefer  23erlauf  beö 
pjpdjifchen  Slfteö?  warum  muhte  bie  gorm  A bie  gorm  B beein* 
fluffen  unb  nidjt  umgefehrt? 

33ei  folcher  Freiheit  ber  Bewegung,  wie  fie  ber  ©pradje  in 
ihrer  ^ormaffotiirenben  Shätigfeit  offenbar  gufteht,  wirb,  fo  fdjeint 
eö,  ba0  ©tmitlelu  ber  butd)  gormaffodation  bewirften  Sprach« 
neränberungen  immerfort  mehr  ober  weniger  ben  ©hatafter  beö 
blofjen  Sfiathenö  unb  5£aftenS  behalten.  SDet  33orrourf  fcheint 

(i*7) 


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24 


nidit  gu  umgeben  gu  fein,  ba§  bet  baB  3ffociation8princip  fyanb» 
babenbe  ©pratbfotftber  gwat  ttscljl  SJiandjeö  burcb  einen  glütf* 
litben  ®riff  aufflären  möge,  in  33egug  auf  23iele8  aber  immer 
an  ben  „glauben  werbe  appelliren  muffen“. 

Um  bem  §orfdf?en  nad)  ben  fpradjlitben  fformübertragungen 
ben  (Sbotafter  einer  echten  SBiffenfcbaft  gu  »erleiben,  e8  übet  ben 
23etbacbt  eineB  planlofen  fRalbene  bitwu8gubeben,  wirb  bcr  23er* 
fu<b  gemacht  werben  muffen,  bie  bieberigen  mittele  ISnwenbung 
be8  SlnalogieprincipeB  bereite  gewonnenen  fieberen  (Srgebniffe 
ober  einen  genflgenb  großen  Stbeil  berfelben  gu  ffaffifitiren.  9tur 
fo  wirb  man  gu  feben  »ermögen,  wie,  b.  i.  ob  nadf  irgenb  einer 
ratio  unb  nach  weither,  ba8  ©alten  bet  flormaffociation  »or 

fi<b  gebt- 

3)aB  6intbeilung8princip  ber  gefammten  fptacblicben  Analogie* 
bilbungen  fann  offenbar  ein  mannigfatbeB  fein.  Seicht  fteljt  man 
inbeb,  bab  bie  3beenaffociation  immer  nur  foltbe  gwei  S)inge 
combinirt,  gwiftben  benen  icbon  »erber  ein  gewiffee  23anb,  ba6 
bet  ibeologifcbcn  (Kombination  ale  J^anbbabe  bienen  fann,  be* 
ftebt.  ©o  aud)  bei  ben  ©pratbformen.  ®ic  beeinfluffenbe  §orm 
A unb  bie  beeinflubte  B fteben  febon  »orber  notbwenbig  in 
einem  gewiffen  23erbältnif}  irgenb  weither  Srt  gu  einanber,  fonft 
»ermothte  eben  eine  (Sinwirfung  beB  A auf  B »ermittele  ber 
beim  fpradjlicben  ^er»crbringen  be8  B tbätigen  ^beenaffociation 
offenbar  ni<bt  ftattgufinben.  23on  b SBicbtigfeit 
nun  i ft , wie  fidj  ebenfalle  leidet  begreift,  bie  23eftimmung 
bet  Ärt  beB  gwiftben  beeinflufienber  unb  beein* 
flufjter  gorm  fdjon  guoor  obwaltenben  gegenfeitigen 
SJerbältniffeB.  3dj  glaube  nitbt  gu  irren,  wenn  idj  ber 
ÜJleinung  bin,  baff  eben  Ijterin  bet  oberfte  ©intbeilungegrunb 
für  eine  wijfenftbaftlitbe  Snorbnung  ber  fpratblitben  Analogie* 
bilbungen  gefunben  werben  mufj. 

Setratbten  wir  no<b  einmal  unfere  @ingang8  erwähnten 

tSJH) 


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25 


jtoet  SRnfterfäHe  oon  2lffociation8biIbung:  ni)b.  rauh  anftatt 
rauch  nach  rauher,  rauhe  u.  f.  ro.,  griecbifd»  -üixQcirrjv  an* 
ftatt  -coxockrj  nach  'A Ixißiadrjv  unb  ©enoffen.  @8  heftest 
in  beiben  §äHen  ein  alsbalb  fid^  fühlbar  madjenber  Unterfcbieb 
be8  ibeclogiidien  iBerfyältnifjeS  smifdjen  ber  SJtuftetform  unb  bet 
barnadj  umgebÜbeten  ftorm.  3«  bem  germanifcfyen  SBeifpiele 
fxnb  e8  anbete  formen  beffelben  3öorte8  ober  beffer 
beffelben  Stammes,  roeldje  auf  eine  $orm  i^tcr  Sippe 
nmgeftaltenb  einmitfen.  3?ei  bet  griedrifcben  SlffociatienSbilbung 
2ioxQacr]v  nad?  'Atxifiicedrjr,  ’ArQttdrjV  u.  f.'  f.  ift  ba8  nidrt 
bet  ^aO,  fonbetn  füt  bie  SReugeftaltung  einet  fiorm  roitb  bie 
entfptecfyenbe  föotm  eines  gan3  anberen  glejrionS* 
jpftemg  mafjgebenb. 

SDie  ©emeinfamfeit  be6  SEScrt  ft  offeS  ift  in  bem  germaniidjen 
$aQe  rauh  ba8  SHgens,  weld}e8  bie  3beenaffociation  mirffam 
merben  fä§t.  Somit  fönnen  mit  2lffociation  burd>  ftof flicke 
Ausgleichung  biejenige  nennen,  roeld?e  ftd?,  mie  hier,  jroifcben 
perfdjiebenen  formen  eines  unb  beffelben  SBorteS  obet  jmifdhen 
netfdjiebenen  au8  bet  gleiten  SBurgel  obet  bem  gleichen  Stamme 
abgeleiteten  SBortern  bezieht. 

9iict)t  ©emeinfamfeit  be8  Stoffes,  fonbern  ©leicbljeit  bet 
gunction  unb  Jöebeutung  bet  gorm  ift  eS,  melbbe  ben  Altgriedjen 
ein  ibeologifdjeS  93anb  um  unb  'Alxipiädijv,  beibe 

Aecufatioe,  ju  fdjlingen  ttieb,  bem  jufolge  bann  etftere  §orm 
fidj  lederet  3U  Siebe  in  Zioxqüttjv  ummaubelte.  2118  Affociation 
butd)  formale  2lu8gleid)ung  fann  man  bemnad?  biejenige  be* 
3eid;nen,  meld?e  3roifd?en  ben  entipredjenben  formen  oerfebiebener 
SSörtet  obet  3mijdjen  ben  entfpted)enben  ©Übungen  au6  per* 
fdjiebenen  SBurgeln  obet  Stämmen  ft dj  poügietyt.  *) 

Unter  biefe  3mei  Kategorien  laffen  ftdj  fdjon  eine  redjt 
gro§e  SJfenge  bet  fpradilid)en  AffociationSbilbungen  alsbalb  unter* 
bringen.  3$  Perfudje  bieie  Unterbringung  mit  einet  Anga^l  non 

(S»> 


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26 

©eifpielen,  welche  ich  nur  bem  neueren  .£)e<hbeutfcb(  ben  rotna* 
nifcben  ©praßen  unb  bem  Altgriecbifchen  entnehmen  will. 

©on  ben  au&er  rauh  bereits  im  ©orhergefjenben  ermähnten 
Watten  gehört  gu  ben  Affociationen  bur<h  ft  offline  Ausgleichung 
auch  bie  9ieubilbung  wir  starben  anftatt  stürben  im  $Mutal, 
fowie  ich  biss  anftatt  beiss  im  ©ingular  beS  fPräteritumS. 

Auf  bem  ©ebiete  beS  neuljochbeutfchen  Clemens  finb  non 
ganglid)  gleicher  Art  tote  rauh  bie  Wormen  schuh  unb  floh:  mljb. 
schuoch,  vlöch  folgen  bem  &wtgefefj  betreffs  beS  auSlautenben 
©utturalS  unb  erforbern  als  birefte  Sortierungen  schuch,  floch; 
schuh  nnb  floh  fiub  ftofflid)  angeglidjen  an  schuhes,  schuhe, 
an  flohes,  flöhe  mit  regelrechtem  h in  inlautenber  Stellung. 

©S  oermag  aber  auch,  wenn  nach  ben  8autgefefcen  eine 
2)iffereng  gwifchen  Auslaut  unb  Snlaut  eintritt,  im  ©egentheil 
bann  bie  im  AuSlaut  entfprungene  Bautgeftalt  obguftegen;  bieS 
ift  gefdjehen  bei  unferem  9tomen  wert.  ttttittelhocbbeutfch  htefi 
eS  im  9iominatio  unb  Accujatio  w’ert  mit  t,  aber  ber  ©eniti» 
lautete  werdes,  ber  IDatio  werde  mit  d,  wie  noch  ^eute  baS 
gu  berfelben  ©ippe  gehörige  würde  gang  normal  baS  alte  d bei* 
behält,  ©ei  wert  aber  hettfd)t  jefjt  in  ben  obliquen  ©afuS 
wertes,  werte  baS  t in  Wolge  bet  ftofflichen  Ausgleichung,  gu 
welcher  bie  enbungSlofe  Sonn  wert  bie  ©eranlaffung  gab. 

3)a8  alte  ^articip  oon  bem  ©erbum  gedeihen  mar  nicht 
gediehen,  fonbern  baS  jefct  gum  2lbjectio  erftarrte  gediegen,  unb 
gwar  hat  biefe  Worm  ihr  g anftatt  h nach  berfelben  alten  Uaut* 
reget,  nad)  welcher  eS  gezogen  oon  ziehen  Ijet^t  (eergl.  oben 
©.  9.  ).  SBährenb  nun  gediegen  heute  abfeitS  fteht  oon  bem 
©pftem  beS  ©erbumS  gedeihen,  ift  gu  biefem  ein  neues  $)articip 
geformt  worben,  bem  baS  h anftatt  g gugefallen  ift  auf  bem 
Aoege  ber  ftofflichen  Ausgleichung. 

©ei  ben  ftarfen  ©erben  wie  fliegen,  kriechen,  bieten, 
ziehen  herrfchte  früher  nach  altem  gautgefefc  in  einigen  Wormen 

CJ80) 


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27 


com  ^räjenBftamme  bet  ©iphih°n8  eu  anftatt  ie,  g.  33.  in  bet 
2.  unb  3.  $>etfon  ©ingulariS  3nbic.  ?)räf.  fleugst,  fleugt  nnb 
im  3mperatio  fleug.  Sprichwörtliche  SicbenBarten  unb  bie  ©pradje 
bet  §)oefie  bieten  noch  jcfct  häufiger  biefe  ollen  formen  bot; 
man  benfe  nur  an  „wa8  ba  fleugt  unb  kreucht",  an  Den  ©ejang* 
bud)8oer8  „zeuch  ein  gu  ©einen  %^oxenu  u.  bergl.  2Benn  jej)t 
in  gewöhnlicher  Siebe  fliegst,  fliegt,  flieg  gelten,  fo  bat  ftoffticbe 
Ausgleichung  biefen  an  Hai}!  wenigen  formen  baS  ie  ber  weitaus 
in  ber  SRehrgaljl  feienben  übrigen  mitgetl)eilt.  ©ie  23olf8jprache 
gebt  in  einigen  ©egenbcn  nod)  weiter,  inbem  fte  auch  bei  anberen 
ftarfeu  Serben  als  ben  ber  ermähnten  AblautSflaffe  angehörigen, 
bei  essen,  geben  unb  ähnlichen,  biejelbe  ftoffticbe  'Ausgleichung 
bejonberö  ber  3mperatioform  mit  bet  burd)  bie  meiften  formen 
be8  ^räjenSftammeS  hinburchgehenben  Bautgeftalt  ber  SBurgel 
oerjucht:  Smperatioe  wie  ess,  geb,  werf  anftatt  ber  älteren 
iss,  gib,  wirf  fennt  bie  ©cbriftjprache  noch  nicht,  aber  i*n  33olfS» 
munbe  trifft  man  fie  jcbon  häufiger  an. 

©leichfaQS  nod)  iöigenthum  ber  33u[gärfprache,  aber  auch 
jcbon  hier  unb  Da  in  bie  Siebe  ber  ©ebilbeten  fid)  bineinmageub 
ift  bie  ©uperlatioform  mehrst,  die  mehrsten  anftatt  meist,  die 
meisten:  mehrst,  bie  Sieubilbung,  ift  angebaut  an  ben  ©om* 
paratio  mehr,  bie  Ausgleichung  aber  auch  bier  eine  ftoffticbe. 

©ie  ©eclination  ber  italienifcben  Sprache  bietet  un8  unter 
anbeten  foIgenbeS  33eijpiel  ber  ftofflichen  Ausgleichung,  bautet 
bei  ©ubftantioen  ber  lateinijehen  gweiteu  ©eclination  ber  ©in* 
gulat  italienijch  auf  -co,  -go  au8,  jo  wirb  bei  ber  ^luralbilbung 
bagu  ein  boppelteS  Verfahren  beobachtet,  ©inmal  finben  wir  im 
Plural  -ci,  -gi  (b.  i.  auSjpradjIich  -tschi,  -dschi)  mit  bem  laut* 
gejefemäfjigen  Uebergange  ber  ©utturalen  in  Duetjchlaute  oor 
folgenbem  i:  amici  „Breunbe",  porci  „Schweine“,  asparagi 
„©pargeln"  oon  amico,  porco,  asparago.  ©obann  aber  er» 
jeheinen  auch  ^totale  jolcher  SB  Örter  auf  -chi  unb  -ghi  (ge* 

(Ml) 


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28 


fpredjeti  -ki,  -gi),  alfc  mit  aufgehobener  $>alatali|itung  (ge» 
quetfehter  Sluöfpracfce) : vichi  „enge  Waffen",  luoghi  „Derter“  non 
vico,  luogo.  ©inige  ©ubflantine  haben  beibe  formen  neben 
einanbet,  33.  finb  non  mendico  „23ettler"  mendici  unb  men- 
dichi,  non  sarcofago  ,,©arfophag"  sarcofagi  unb  sarcofaghi 
in  Webrauch-  füatürlich  ift  in  ben  33ilbmtgen  auf  -chi,  -gbi 
bie  IBerlefsung  beß  £autgefe£eß  nur  eine  fdjeinbare:  ber  unner* 
änberte  k-,  g-8aut  beß  ©ingularß  ift  auf  bie  $)luralform  über« 
tragen  worben.  Unb  eß  ift  intereffant,  tyex  baß  auch  bei  ben 
fprachlichen  Sieubilbungen  gcltenbe  aQgemeine  Siaturgefefc  ju 
beobachten:  wo  bie  Äraft  eine  geringere  ift,  ba  ift  entfpreebeub 
auch  bie  Sßirfung  berjelben  eine  weniger  Durchgreifenbe.  2Bo 
eine  bet  in  SRebe  ftehenben  ^Muralformen  beß  3talienifchen  weniger 
ber  ©inwitfung  beß  zugehörigen  Singularß  außgefefjt  war,  ba 
fehen  wir  bie  ftormübertragung  unterbleiben.  <gß  heifet  asparagi 
„Spatgeln",  nicht  asparaghi  offenbar  weil  non  biefem  SBorte 
ber  Singular  unnergleid)!ich  weniger  im  ©ebrauche  war  alß  bet 
Plural,  barum  feinen  foldjen  <5influ§  auf  bie  §orm  biefeß  gewinnen 
fonnte.  SDaffelbe  ift  ber  ©runb,  warum  auch  Greco  ben  Plural 
Greci  (nicht  neranalogifirt  Grechi)  hat:  man  fpridit  niel  häufiger 
non  ben  ©riechen,  alß  non  einem  ©riechen.  ^Dagegen  bei  bem 
9lbj eftin  greco  „griechifch"  fjetfet  eß  grechi;  hier  fonnte  wieberum 
bie  SJfacht  beß  ©ingularß  übet  ben  Plural  fich  ftärfer  erweifen, 
ba  non  einem  vino  greco  beifpielßweife  nicht  feltener  alß  non 
vini  grechi  bie  Siebe  ju  fein  brauchte.  33on  il  mago  „bet 
3auberet“  bilbet  man  alß  bie  gewöhnliche  ^lutalform  i maghi; 
aber  man  fagt  i tre  Re  Magi  „bie  heiligen  btet  Könige":  in 
lefcterem  ©ebrauche  ift  Magi  faft  jum  ©igennamen  geworben, 
bähet  bem  Singular  mago  gegenüber  felbftänbiger  unb  feinem 
fcrmumgeftaltenben  ©influffe  entrüeft. 

3n  bet  lateinifcfjen  93erbalfierien  befteht  befanntlich  nielfad? 

(SS2) 


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29 


eine  23erfduebenl)eit  ber  Betonung  jioijchen  fermen  eines  unb 
beffelben  (SonjugationSparabigmaS.  3-  55-  bei  am«,  ämas,  ämat, 
ämant  ift  bie  erfte  ober  3Bur$elfilbe  betont,  bei  amämus,  amätis 
aber  unb  bem  Snfinitio  amäre  rücft  ber  Slccent  auf  eine  BilbungS* 
filbe  fort.  Sa  nun  in  ben  romanifdjen  £ocbterfpracf)eu  betonte 
©üben  anberen  Sautgefefcen  unterließen  als  unbetonte,  fo  mu§te 
jenes  lateinifdje  iÄccentuationSoerljältnifs  in  nicht  wenigen  gälten 
Sifferen^en  ber  Sautform  bei  eiuem  unb  bemjelben  ÜempuS  ober 
SftoöuS  eines  unb  beffelben  Berbunts  $ur  golge  haben.  3m 
gtanjöfifdjen  entroitfelt  fid>  in  betonter  offener  (auf  Bocal  jd)lie§en* 
ber)  ©ilbe  auö  lat.  a oer  uacbfolgenbem  jftafal  (m,  n)  ai  (ogl. 
faim  auS  fames,  mainauö  manus,  pain  auS  panis);  in  unbetonter 
©ilbe  aber  bleibt  baS  a (ogl.  ami  anS  amicus).  Semnacf)  ent: 
ftanb  bei  bem  Berbum  amare  folgenbe  altfrangöfifche  (Konjugation: 
aim.  = amo, 
aimes  = ämas, 
aime(t)  = ämat, 
aiment  =•  ämant; 

aber 


amons  = amärnus 
amez  = amätis 


amer  - amäre. 

SÄuS  lateinijehem  furjem  e wirb  in  betonter  offener  ©ilbe  fran« 
jöfijdj  ie  (oergl.  liävre  aus  lepörem,  fievre  auS  febris,  bien  auS 
bene,  tient,  vient  auS  tenet,  venit  u.  f.  tu.),  außerhalb  ber 
Jonfilbe  aber  bleibt  e (oergl.  venir  auS  venire).  Satjer  con* 
jugirt  lat.  levare  im  9lltfranjöfifd)en  fein  §)räjenS  alfo  burd?: 
lieve  = levo, 
lieves  = lävas, 
lieve  = levat, 
lievent  = levant ; 

(5J3j 


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30 


aber 

levons  = lev&mus, 
levez  = levätis, 
lever  = levdre. 

SDiefc  33erfd)iebenformigfeit  erträgt  aber  bie  Sprache  auf  bie 
IDauer  nidjt,  unb  fo  tritt  ftoffltc^e  AuSgleidjung  ein.  3m 
sfteufrangöftfdjen  fiegt  bei  amare  bie  Sautform  mit  bem  93ccali§» 
muß  bet  betonten  Silbe:  nous  aimons,  vous  aimez,  3ufrn. 
aimer  ftnb  bie  Analogiebilbungen  nad)  ben  übrigen  formen. 
Umgefel)rt  bei  levare:  neufraug.  je,  il  leve,  tu  leves,  ils  levent 
l)aben  fid}  nad}  nous  levons,  vous  levez,  lever  gerietet. 

ÜRefyrfadje  ftofflidje  AuSgleidjung  ift  in  ber  italienüdjen 
Spradje  bei  bem  lateinifdjen  Serbum  ire  „geben“  norgegangen 
unb  bat  bie  gange  sj)^fiognomie  befjelben  non  @runb  au8  oer* 
änbert.  @8  giebt  bei  biefem  im  Stalienijdjen  befectiocn  23erbum 
gunädjft  formen,  bie  wie  bie  entfpredjenben  lateinifd;en  mit  i 
anlauten,  3.  50.  ire  3nfin.,  ite  „ibr  gebt"  unb  ito  „gegangen". 
SDaneben  fommen  gang  biefelben  formen  aud)  mit  bem  3ufafj 
g-  am  Anfänge  nor:  gire,  gite,  gito.  SJlit  biefem  g-  nun  unb 
feinem  Urfprunge  bat  e8  folgenbe  33ewanbnif).  3n  allen  ben- 
jenigeit  formen,  wo  im  Cateinifdjen  i ober  e bei  bem  SSerbum 
eo,  ire  anlautenb  oor  einem  SSocale  [tanb,  muffte  fid)  im  3ta» 
lieuifcben  barauS  gunäc^ft  j,  bann  wie  au8  jebem  j enblidj  dS 
(weidbeß  dsch),  gefdjrieben  gi  entwicfeln ; baljer  g.  58.  giamo 
„laf)t  un8  geben",  giate  „ibr  moget  gelten"  = lat.  eamus,  eatis, 
burd)  "jamus  "jatis,  *jamo  *jate  ^inburc^  (nergl.  gia  „fdjon“ 
au8  jam,  giacere  „liegen"  au8  jacere  u.  a.).  3»n  3mperfectum 
mußten  jo  gunäcbft  "g^va,  „id)"  unb  „er  ging"  au8  ü'bam, 
tfbat,  ’g^vano  au8  icbant  entfpringen,  aber  in  ber  erften  unb 
gweiteu  ^evfoit  be8  Plurals  giviimo,  givate  au8  iebiunus,  iebatis. 
IDenn  in  betonter  Silbe  bleibt  lateinijcfyeß  langes  e italienifd)  e 

(534) 


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31 


(Bergt.  cred^va  = credebam,  er4de,  merc/de  = herAtem, 
merc/dem  u.  a.);  aber  in  unbetonter  gebt  eß  wie  furgeß  e,  b.  b. 
»ortjer  gu  biefem  Berfürgt,  in  i über  (oergl.  bie  SHbnerbia  tardi, 
lungi  = lat.  tarde,  longe,  fptnr.  ragioni  =-ration6s,  mit  e Bor  bet 
Sonfilbe:  migliore,  midulla=meli<fcem,  medulla).5)  -iftun  gleiten 
ftd?  juerft  bie  Smperfectformen  * geva,  *gevano  unb  givarno, 
givatc  fo  auß,  ba§  giva,  givano  entfteben.  ^»ietnaib  enblid) 
fann  ftdb  baß  gefammte  SSerbum  mit  bem  girnifj,  fo  gu  jagen, 
beß  anlautenben  g Bor  i Übergaben,  fo  bafj  auch  jene  gire,  gite, 
gito  auftreten  neben  ben  Bon  SHterß  ber  allein  berechtigte«  ire, 
ite,  ito.  @8  fann  aber  umgefebrt  auch  nach  bem  SDJufter  eben 
biefer  leiteten  SBerluft  bcS  g in  ben  übrigen  formen  ftattfinben 
unb  fo  ein  neues  Smperfettum  iva,  ivämo,  iväte,  tvano  ge* 
bilbet  werben.  Unb  auf  biefe  SBeije  mag  nunmehr  in  italienif<bcn 
©rammatifen  getabegu  Bon  gwei  Serben,  ire  unb  gire,  gerebct 
werben4). 

3m  ©riecbifcben  finb  bie  ©tämme  ber  fRomina  nnki-g  unb 
n rjxv-s  i-  unb  u-©tämme.  demnach  erwartet  man  alß  reget» 
redete  formen  beß  55atinuß  fpturaliß,  beffen  ßafußfufflj:  -ot  ift, 
noh-at,  wie  eß  fa  im  3onijcben  auch  b«f)tt  unb  *?r rjxv-oi.  SDie 
gornten  nnleai  unb  nfat-ot  beruhen  auf  9ieubilbung  butdj 
ftofflicbe  91u0gleid)ung.  3m  ©enitio  fpturaliß  fteben  nö/.ivtv  unb 
ntjxecuf  für  *noiij-ojp,  * nrjxeS-wv,  bergen  formt  latent  baß 
ftammljafte  alte  -r-,  -v-  alß  fpäter  lautgefejjlicb  gwijdjen  Socaten 
außgefadeneß  -j-,  (b.  i.  v,  beutfcbeß  w).  Son  nnlswr, 

nrtxstov  unb  Bon  anberen  Gafuß  ber  Stet,  g.  35.  bem  fftom.  $lur. 
nö'Ueg,  nfattg  in  uncontrabirter  gorm,  außgebenb  fcbritt  ber 
uniformirenbe  Stieb  ber  ©pradje  gu  ben  SJffociationöbilbungen 
7in?.e-oi,  nrjt-ai,  alß  wenn  b*w  nölt-,  nijx6->  b.  i.  e-Stämme, 
gu  ©ruube  lägen. 

• 3Die  Slbjectioa  tivovg  unb  xQ''o°vg  nebft  ihre«  ©leiden  finb 

(■'351 


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32 


utuegelmä&ig  in  $>infi{bt  auf  itjre  Setonung.  SJlan  foüte  fie 
tecliniren : 

Sing.  9lom.  ivvnvg  au8  tvvoog, 

@en.  *evrov  au8  eivöov, 

Sat.  ^evvijj  au8  evvöit), 

Ütccuf.  ttvovv  au8  evroov  u.  f.  m. ; 

ferner 

Sing.  9iom.  *x(!vo°ug  au8  XQvaeng, 

@en.  xquoov  au8  xpuoi'on, 

3)at.  XQvotp  au6  XQvaitp, 

SJccuf.  *xQioovr  auS  XQl'at0V  u.  [• 

@8  Reifet  aber  befanntlid)  bei  erfterem  ei’vovg,  eivov,  elvy 
u.  f.  i».  mit  burcbgebenbem  täccent  auf  ber  erften  Silbe;  um« 
gefe^rt  bei  leßterem  xQva°^  X(fl’ao^>  XQva<P  u.  f.  m.,  ftänbig 
auf  - ber  Scblußftlbe  ber  contraßirten  formen  accentuirt.  äucb 
baa  ift  ftofflicße  täuSgleidjung.  Sei  ivvnvg  geben  bie  gcfeß« 
mäßig  auf  ber  erften  Silbe  betenteu  6afu8  fJiominatio  unb 
Jtccufatio  be8  Singulars  unb  SRominatio  be8  $>lural6  ben  &u8* 
j<blag;  bei  xpvaovg  »eichen  umgefeßrt  eben  biefe  (Safu8  bem 
»erfübreriftben  SDiufter  ber  übrigen  unb  ißrer  sMccentuation. 

3luf  bem  ©ebiete  be8  griedjifcben  SerbumS  mirb  311  einigen 
9)rafentia  mit  e al8  SBurjeloocal  ta8  ftarfe  perfect  burd)  ben 
tilblaut  o gebilbet.  wie  ztiQwpa , xixhnfa,  ösdoQxa  ju  tQtqxu, 
x/.e7iTM,  öt(>xnfiai ; bei  anberen  mie  nirrXexo,  ßißXiqa  bleibt, 
roie  man  fid?  metbanifcb  auSbrüdft,  ba8  £ »on  nXexio,  ßXtrzw 
befteßen.  3n  SSaßrlpeit  aber  unb  fpra^ßiftorifcß  fann  tywc  non 
einem  Seftebeubleiben  nid?t  bie  SRebe  fein.  2>ie  »erglei<benbe 
Spradbroiffcnfcbaft  [teilt  feft,  baß  nur  bie  erftere  SBeiie,  bie  ber 
s})erfectbilbung  mit  o-'Äblaut,  nom  ©riet^ifdjen  au8  bem  inbe; 
germanifeben  SDiuttererbe  betübergenommen  marb.  IDie  perfecta 

(536) 


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33 


it£nke%a,  ßißkecpa  empfingen  ben  f-Socal  burd)  einen  jüngern 
unb  fpegiell  griechifcben  SprachbilbungSaft;  et  warb  ihnen  »on 
ben  ©räfentien  gum  3»ecf  bet  ftofflidjen  Ausgleichung  auf* 
gebrungen,  benn  eine  functioneüe  Sefceutung  bat  bie  griechtfche 
<Sprad)e  bem  Serbalablaut  niibt  beigulegen  gewufjt,  wie  bie 
getmanifche. 

Soweit  glaube  ich  nun  meinen  8efern  binreichenb  an  Sei» 
fpielen  flar  gemacht  gu  baten,  waS  man  unter  Umgeftaltung  bet 
Spracbformen  burch  Affociation  mit  ftofflidjer  Ausgleichung  gu 
cerfteben  ba*-  ©lögen  fie  mit  nun  geftatten,  ein  ähnliches 
Silb  »on  bet  Affociation  mit  formaler  Ausgleichung  gu  ent» 
werfen. 

3u  ben  AffociationSbilbuugen  butdj  formale  Ausgleichung 
gebärt  cor  allem  baS  in  allen  (Sprachen  fe^t  bebeutenbe  heer 
bet  fogenannten  ©letaplaSmen,  heteroflifieu  u.  betgl.  (Sobalb 
ein  Konten  tbeilweife  ober  gang  in  eine  anbere  üDeclination,  ein 
Serbum  in  eine  anbere  Konjugation  als  bie  ihm  urfprünglich 
eigene  Übertritt,  baten  wir  eä  mit  biefer  Art  ber  Analogiebilbung 
gu  tbun.  SDurch  ben  Sprachgebrauch  fügt  es  fich  fo,  bah  einige 
burcb  3«bl  ober  häufigfeit  bet  Seifpiele  geläufige  unb  für  bie 
Unterfcbeibnng  ber  eingelnen  formen  ober  Ableitungen  <barafte» 
riftifche  SilbungSweifen  allmählich  bie  Dberbanb  über  anbere  in 
bet  genannten  £inßd)t  weniger  begünftigte  itjreö  (gleichen  ge* 
winnen.  3ene  erfteren,  als  bie  bie  Sprache  überwieg enb  be* 
betrfchenben  groben  Spfteme  gieben  alSbann  baS  Uebrige  in  ihren 
Sann  unb  geftalten  baS  urfprünglich  heterogene  burch  bie  ©lacht 
ber  Analogie  nach  unb  nach  i“  ihnen  (gleichförmigem. 

3m  hodjbeutfchen  foa^te  eS  bie  lautgelefcliche  Kntwicflung 
ber  Sprache  mit  fich,  bah  int  ©eniti»  beS  Singulare  »on  maS* 
culinen  Subftantioen  nur  bie  utfptünglichen  a-Stämme,  SBßrter 
wie  tag,  fisch,  wolf,  eine  beutlidie  ©nbung,  -es  ober  -s,  ret* 
teteu.  Kbemalige  nicht  a-Stämme  hatten  burd)  ba8  SBitfen  ber 

XIV.  327.  3 (537} 


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34 


Au0laut8gefefce  ihre  (SafuSenbung  im  ©enitio  SiugulariS  ein» 
gubüfjeu,  unb  jo  finb  noch  im  aRittelhochbeutfchen  bie  ©enitioe 
SingulariS,  oon  vater,  bruoder,  alten  r-Stämmen,  (*=  lat.  patr-, 
fratr-,  griech-  natQ-) , at8  des  vater,  des  bruoder  angutreffeu. 
3Rit  biejen  formen  ohne  -s  ^at  man  allein  bie  griedjifdje  Sil» 
bungSmeife  oon  naxQ-ög  gu  ibeutiftciren ; benn  ftüheteS  auSlauten* 
be8  -s  mar  in  ber  germanifchen  Sprachentmicflung,  gu  meldet 
unjet  ^ erbeut jcb  gehört,  lautgejejjmäjjig  abgefallen;  ba8  -s  non 
tages,  fisches,  wolfes  mar  nicht  ein  urfprünglid)  auSlauten* 
beS,  jonbern  bahntet  ftanb  noch  eine  Silbe,  roeldje  ber  Abfall 
betroffen  ^at.  3)ut<h  ihre  fRettung  einer  ©afuSenbung  -es,  -s 
aber  mirb  bie  Kategorie  bet  a-Stämme  hinfichtUch  bet  ©enitio* 
Siugulari8*Silbung  hinfort  bie  mafjgebenbe;  burd)  formale  AuS= 
gleidjung  mit  ihr  entfielen  auch  bei  vater,  bruoder  bie  jüngeren 
©enitioformen  vaters,  bruoders. 

£tnroieberum  in  einem  anberen  fünfte,  betreffs  ber  Silbung 
beS  Plurals,  finb  eS  nicht  bie  a-Stämme,  melche  im  ^ocbbeutfdjen 
bie  gemeine  Analogie  bet  ÜRaSculina  begrünben,  fonbern  oiel» 
me^r  bie  i-@tämme.  @8  finb  SBörter  mie  gast,  balg,  utfprüng« 
lidje  i-Stümme  gasti-  (=  lat.  hosti-  „grembling"),  balgi-,  beren 
Plural  in  bet  gorm  gäste,  bälge  an  bem  Umlaut,  bet  SBirlung 
eines  ehemals  in  ber  Schlufjfilbe  enthaltenen  i-8aute0,  ein 
©hatafterifticum  bet  §)lutalbilbung  geminnen.  Um  biefen  for« 
malen  Sßortljeil  auch  gu  erlangen,  entfalteten  fid)  bie  meiften  a- 
Stämme  auch  gut  Annahme  ber  Umlaut8form  im  Plural;  baher 
nunmehr  audj  wölfe,  vögel,  äeker,  nägel  oon  ben  urfprüng* 
li<hen  a-Stümmen  wolfa-,  fogla-,  akra-  (griech-  ==  ayQo-,  lat. 
agro-),  nagla-  gefagt  mirb.  aJUttelhodjbeutfdj  h*e6  e®  noch  ohne 
ben  Umlaut  g.  33.  die  vögele,  nagele.  3m  fReubodjbeutjchen 
flehen  bie  menigen  fidj  ber  allgemeinen  formalen  Ausgleichung 
entgiehenben  umlautSloS  gebliebenen  ^Murale  mie  tage,  arme, 
hunde  nunmehr  als  Ueberrefte,  bie  für  bie  fonft  entfehmunbene 

(SS») 


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35 


alte  33erfdjiebenl)eit  bet  ©tammflafjen  bis  auf  biefen  $£ag  jeugen, 
unb  oom  heutigen  ©tanbpunfte  als  Ausnahmen  oon  bet  Siegel  ba. 

ßwifdjen  fogenannter  ftarfet  unb  fchwacber  obet  n-5)eclina» 
tion  finbet  auch  mannigfache  formale  Ausgleichung  in  ben  neueren 
9>l)ofe«  beS  ©ermanijchen  ftatt.  2Die  (Sntfdheibung  im  Äampfe 
3®ifchen  beiben  SBÜbungSweifen  pflegt  noch  immerfort  feljr  bet* 
fd)ieben  auSjufatlen.  SBit  befliniren  heute  der  hahn,  des  hahns 
gegenüber  älterer  unb  noch  heute  nid^t  auSgeftorbener  SBeife 
der  hahn,  des  bahnen.  Gcbenfo  fiegt  in  nod?  nielen  anberen 
fällen  Me  ftarfe  ©eclination  über  bie  fdjwache,  3.  35.  auch  bei 
schwan,  mond,  stem,  herzog,  äuge,  beren  alte  ©ingulargenitioe 
schwanen,  monden,  Sternen,  herzogen,  äugen  ben  Sieubil« 
bungeu  schwanes  u.  f.  f.  gewichen  ftnb.  Umgefehrt  gewinnt 
aber  bie  fcbwadje  SDedination  ber  ftarfen  einen  $heil  iljreS  er» 
erbten  JerraiuS  ab,  wenu  bie  Affociation  burdj  formale  AuS« 
gleidjung  3.  58.  bie  neuen  58ilbungSweifen  der  hirte:  des  hirten, 
der  rabe:  des  raben  anftatt  ber  früheren  hirte:  hirtes,  raben: 
rabens  ^erbeifü^rt. 

£>ie  Sßortcempofition  termag  häufiger  bie  fonft  »erbrängten 
alten  (JafuSformen  3U  wahren  unb  ttjut  bieS  3. 58.  bei  schwanen- 
gesang, monden -schein  u.  a.  5Sber  nicht  weniger  ift  bie  SBort* 
3ufammenfe^ung  anbererfeitS  auch  ein  gelb,  auf  bem  fidf  bie 
affoeiatite  9ieubilbung  noch  weiter  oorwagt  als  fonft.  QrS  finbet 
fogar  bie  fonft  oetmiebene  formale  Ausgleichung  3Wifdjen  maS* 
culin- neutraler  unb  femininer  ITeclination  ftatt,  wenn  wir  im 
Sompofitiini  liebes-gram  unb  geburts-tag,  ferner  regelmäßig 
bei  allen  femininen  auf  -ung  unb  -schaft,  regierungs-rath,  ge- 
sellschafts-local  mit  bem  oon  ben  ÜJlaSculinen  unb  Neutren 
fommenben  @enitit=s  fpredjen. 

Sn  ber  germanifdjcn  (Sonjngation  heilen  fich  ebenfalls  noch 
heute  bie  3®ei  großen  klaffen  ber  fogenannten  ftarfen  ober  pri* 
mären  unb  ber  fchwachen  ober  abgeleiteten  5Berba  einanber  bie 

3*  (S39) 


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36 


5Bage  im  .Kampfe  um8  ©afein,  wenn  auch,  wie  befaunt,  im 
Allgemeinen  baS  3»n8l«in  bei  bet  formalen  auSgleicbuug  ftd) 
gu  ©unften  bet  fd)  wachen  S3erbalbilbung  ju  neigen  begonnen 
bat.  SDie  fdjwache  23erbalbilbung  \)at  wobl  Siege  unb  @r» 
oberungen  wie  bie  Präterita  bellte,  glimmte,  mahlte,  backte 
an  ©teile  bet  oeralteten  boll,  glomm,  muhl,  buk  (DaS  ^)articip 
$)räteriti  bet  leiteten  beiben  aud)  jefct  noch  ftetS  ftar!  gemahlen, 
gebacken)  gu  oergeicbnen.  @8  finb  ferner  fdjwad)  geworben: 
hehlte,  verhehlt  anftatt  ber  frfiberen  hal,  verholn  (üergl.  noch 
baS  abjectio  unverhohlen),  beSgleicben  beneidete,  beneidet,  wo» 
für  ebemalS  benitten  galt,  aber  eS  ftnb  bagegen  umgefcbrt 
aud)  früher  f<hwad)e  Serba  burdj  bie  formale  au8gleid)ung  gu 
ftarfen  geworben;  ich  frug  fommt  auf  neben  bem  älteren  ich 
fragte  (aber  im  ^articip  nodb  ftetS  fd)wad)  gefragt),  ich  pries, 
gepriesen  b0*  älteres  ich  preiste,  gepreist  fcbon  oöHig  oer« 
brängt.  2)ie  ©djriftjpracbe  fefct,  wie  bie  angeführten  23eifpiele 
buk  unb  backte,  fragte  unb  frug  bartbun,  nicht  immer  fogleid) 
einen  feften  SDamm  gegen  baS  ©d)wanfen  beS  Sprachgebrauches 
gwifdjen  alter  gorm  unb  auf  formaler  auSgleidjung  beruhenbet 
9leufd)öpfung.  aber  wie  außerhalb  bet  ©dbrift»  unb  Literatur* 
fpracbe  bie  auSgleidbungSoerfucbe  nod?  ungleich  häufiger  angetroffen 
werben,  baS  geigen  einmal  Silbungen  ber  SolfSbialefte,  wie  bie 
hier  gu  ganbe  im  fPfälgifdjen  üblichen  ?)atticipien  gelidde,  be- 
didde  ftatt  geläutet,  bedeutet  (oom  Snfinitie  pfälg.  laide,  be- 
daide,  wie  schraiwe,  paife,  graife  u.  a.  flingenb),  genösse 
ftatt  geniesst  unb  oiele  anbere  mehr,  baS  beweift  ferner  baS 
Beugnife  oon  23ilbungeu  beS  fdjergenben  SBolfSmunbeS,  wie  ge- 
schonken,  gemorken,  gewunken,  geschuinpfen  anftatt  ge- 
schenkt, gemerkt,  gewinkt,  geschimpft,  bafür  fann  enblich 
auch  bie  (Sigentbümlicbfeit  ber  ©prechweife  ber  Äinber  er« 
innert  werben,  eon  benen  oiele  gerabegu  aße  ftarfen  SSerba 
fcbwadb  flectieren  unb  g.  23.  ich  esste,  trinkte  fagen.  aßeS  bieä 

(MO) 


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37 


finb  momentan  nod)  ©pradjfeljler  unb  manche  bet  formen 
»erben  e8  »orau6fid^tIic^  immerbar  aud)  bleiben,  unb  ber  fprac^* 
meifternbe  ^urift  pflegt  gemeiniglidj  Derartige  (Dinge  al8 
©pradjfrüdjte  ber  Verirrung  nidjt  wenig  gu  perporrefeiren.  Slber 
bie  Ijiftorifdie  ©pradjwiffenfdjaft  »eift  audj  biefen  ©ebilbeu 
bcS  unbewußten,  nidjt  reflectirenben  »olfStßümlicßen  ©ptecpenS 
unb  <Sprat^fc^5pfeu8  itjre  gute  ^Berechtigung  gu,  inbem  fie  ben 
be8  piftorifdjen  ©inneS  baaren  ©pradjreiuiger  belehrt,  baß  fetjr 
»iele,  ja  bie  alletmeiften  nuferer  jeßt  fdjriftgemäß  geworbenen 
formen  anfänglich  auch  nichts  anbeteS  waren,  alö  ebenfoldje 
Sprachfehler  unb  Sßeritrungen  beS  auSgleidjeuben  pfpchologifdjen 
StriebeS,  bis  fte  ber  alles  Ijeiligenbe  UfuS  JprannuS  auf  eine 
höhere  JRangftufe  beS  (DafeinS  erhob. 

SBetfudje  ber  formalen  (SuSgleidjung  gwifdjen  ben  beiben 
großen  Kategorien  ber  ftatfen  unb  bet  fchwadjen  Serba  macht 
unfere  ©ptad)e  aud)  täglich  bei  ber  Smperatiobilbung.  Stan 
fagt  befanntlid)  im  Smperatio  ^eutjutage  gleich  fpradjridjtig 
bleib  unb  bleibe,  fahr  unb  fahre,  ferner  folge  unb  folg,  lerne 
unb  lern.  SEBofyer  tjier  bie  (Doppelformen?  (Den  ftarfen  Serben 
tarnen  nou  £aufe  aus  bie  formen  oßne  fdjließenbeS  e,  ben 
f<h»ad)en  aber  umgefeljrt  bie  mit  e gu.  3llfo  finb  bleib,  fahr 
eiuerfeitS  nnb  folge,  lerne  anbererfeitS  baS  ed)te  9llte.  ©egen« 
feitige  9lffociation8bilbung  ruft  als  jüngere  gotmen  bleibe 
unb  fahre  bort,  umgefe^rt  folg,  lern  auf  biefet  ©eite  in’S 
geben. 

(Die  tomanifepen  ©praßen  ^aben  bei  ihrer  (Konjugation 
einer  ^)articipbilbung  »eite  ?(u8bel)nung  gegeben,  welche  im 
gateinifd)en  nur  erft  in  fpärlidjen  Slnfängen  fid)  oertreten  geigt. 
(Die  gn  ben  ^räfentien  unb  ^erfecten  acuo  acui,  minuo  minui, 
tribuo  tribni  unb  wenigen  anberen  gehörigen  ^)articipien  auf 
-utus,  acutus,  minutus,  tributus,  finb  bie  Stuft  er  geworben  für 
eine  große  Stenge  »en  Seubilbungen;  iljten  ISuSgang  treffen 

(Ml) 


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38 


wir  in  bet  gorm  italien.  -uto,  franjöf.  -u  gerabeju  als  bie  Siegel 
an  bei  faft  allen  Serben  »ornehmlich  bet  tateiuifchen  jweiten 
unb  britien  (Konjugation  im  {Romaniken.  @o  bei  ital.  tenuto, 
franj.  tenu  „gehalten";  ital.  venuto,  franj.  venu  „gefommen"; 
ital.  dovutu,  franj.  du  „gemufft";  ital.  veduto,  franj.  vu„  gefeiten" ; 
ital.  avuto,  franj.  eu  „gehabt“ ; ital.  voluto,  franj.  voulu  „ge» 
woHt";  ital.  paruto,  franj.  paru  „gefdjienen";  ital.  venduto,  franj. 
vendu  „oevfauft" ; ital.  perduto,  franj.  perdu  „oerloren" ; ital. 
ricevuto,  franj.  re<?u  „erhalten";  ital.  vissuto,  franj.  v6cu  „ge* 
lebt";  ferner  franj.  rompu  „gebrochen";  vaincu  „gefiegt",  couru 
„gelaufen"  u.  f.  w.  Um  e8  gut  erfläten  ju  fönnen,  roie  fich  biefe 
Formation  oon  fo  geringem  Urfprunge  au8  fo  ungeheuer  au8* 
breitete,  ha*  man  wohl  bie  Annahme  einer  HJlittelftation  ju 
machen : ich  &en?e,  bof)  ft<h  nach  fDlafjgabe  beS  SerhältniffeS  bei 
ben  wenigen  latetnifdhen  ÜJiufterbilbungen  acutus  neben  acui, 
minutus  neben  minui,  tributus  neben  tribui  ba8  -utus  im  Sul» 
gdrlateinifchen  junächft  überall  ba  einfanb,  wo  bad  $)erfectum 
auf  -ui  oorhanben  war.  <5o  führten  alfo  ^auptfäc^tic^  bie  $er» 
fecta  wie  tenui,  debui,  habui,  recipui,  volui,  parui  bie  Serba 
teuere,  debere  u.  f.  w.  ju  ben  neuen  §)articipieu  oulgärlateinifd) 
tenutus,  debutus,  habutus,  reciputus,  volutus,  parutus.  21  u 
folcher  «Staffel  !lomm  bann  ba8  -utus  leicht  weiter  empor,  fo 
baff  e8  nachgerabe  auch  bei  fehlenbem  perfect  auf  -ui  in  2ln» 
wenbnng  fam,  beifpielSweife  bei  venutus  neben  bem  perfect  veni, 
bei  vixutus  (ital.  vissuto,  franj.  v^cu)  neben  vixi,  bei  vendutus 
neben  vendidi.  3)ie  alten  lateinifchen  ^Barticipien  haben  fith 
»or  biefem  SBuchern  be8  -utus  jum  5£heil(  fo  weit  fie  nicht  ganj 
auSftarben,  abfeitS  in  einen  2Bin!el  jurücfgejogeu , b.  h-  ftnb  in 
nicht  mehr  als  9)articipien  gefühlten  fftominalbilbungen  erftarrt; 
j.  S.  ital.  detta,  franj.  dette  §.  „©elbfdjnlb"  ift  = lat.  debita 
(nämlich  pecunia),  ital.  vendita,  franj.  vente  g.  „Setfauf"  = 
tat.  vendita. 

CMS) 


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39 


3n  bem  griechifchen  grammatifchen  Unterrichte  »erfeljlt  wohl 
fein  gelter,  ben  Schüler  auch  ft^ott  in  bet  Duarta  auf  ben 
ß^arafter  ber  formen  Iu>xQatrjv,  dr]ixoai)evi]v  als  ©tetaplaSmen 
aufmerffam  gu  machen.  55ber  bet  gehret  fönnte  unb  feilte 
meines  ©rachtenS  weitergehen  in  bem  gwecfbewufjten  Verfahren, 
bem  Schulet  für  bie  ©jrifteng  »on  metaplaftifchen  gormen,  b.  i. 
eben  baS  äSalten  bet  Slnalogiebilbung  in  bet  Sprache,  bie  Singen 
gu  offnen.  So  fönnte  g.  SB.  burchauS  erfptiehlich  bie  33ilbung 
beS  ©eniti»  SingulariS  bet  ÜRaSculina  wie  veaviag,  TtoXurjg 
anbetS  als  eS  meift  gefc^ie^t,  wenn  eS  überhaupt  gefehlt,  »et» 
ftänblidj  gemacht  werben:  veaviov,  noXimv  finb  nicht  etwa  auS 
veaviao,  noXixao , »on  ben  «.(Stämmen  veavid-,  noXixd- 
pluS  bet  ©enüioenbung  -o,  entftanben,  benn  auS  ao  wirb  nach 
attijeben  GontractionSgefehen  befanntlich  «w,  nicht  ov-  Slber  baS 
-ov  »on  veaviov,  noXixov  ift  eine  Sormübertragung  »on  bem 
gleichen  ©afuS  bet  fogenanuten  gweiten  SDeclination,  bet  bet  o. 
Stämme,  »on  Innov  auS  "tttio-o;  oo  wirb  ja  regeltest  im 
ättifdjen  gu  ov  contrahirt. 

©inem  benfenben  Schüler  ift  eS,  wie  ich  auS  eigener  ©r» 
fabrung  weih,  ein  SBebütfnif)  gu  wiffen,  warum  im 

©tiechifchen  Xiwv  Xeovx-og,  aber  im  gateinifchen  leo  leönis  unb 
nicht  leontis  beclinirt  wirb,  ©inem  folcheu  fage  bet  gehret, 
bah  bie  n»!Declinatiou  beS  gateinijepen  bie  ältere  fei,  bie  nt-üDecli» 
uation  beS  ©riecpifchen  bie  jüngere,  unurfprünglichere.  9Jiit  bem 
gateinifchen  ^armonirt  ja  hier  baS  ©ermanifche,  ahb.  lewo, 
©en.  lewin  = nhb.  löwe,  ©en.  löwen;  übetbieS  weift  baS 
©riechifche  jelbft  mit  bem  auS  Xewv  mooirten  (abgeleiteten) 
feminin  Xeaiva  „göwin"  auf  bie  urfprüngliche  iSbroefenheit  beS 
i im  Stamme  »on  Xewv  hin,  benn  Xeaiva  ift  auS  einem 
maSculinen  n-Stamme  abgeleitet  in  betfelben  SBeife,  wie  xixxaiva 
»on  xexxwv  xexxov-og  fommt.  2)ie  SDeclination  Xeovx-og, 
Xeovf-i  n.  f.  w.  fann  nur  entftanben  fein,  in  bem  bet  fRominatio 

(MS; 


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40 


©ingularid,  bet  im  ©tied)tfd)en  bet  n«  unb  nt-@tämmen  in 
betn  gemeinfamen  Sudgang  -tav  gufammenfiel,  bem  Somen  Set« 
anlaffung  gut  £eteroflifie,  gum  Sudweidjen  in  bie  glejrion  bet 
9>articipia  $)räfenti6  auf  -w»  unb  bet  SBßrter  wie  yepcov  gab. 
Slfo  auch  in  Uwv  unb  feinet  SDeflinatiou  gewagten  wit  einen 
Serfud)  bet  formalen  Sudgleidjung : bie  ©ptad)e  madft  ben  Se» 
ginn,  bie  3weU>eit  non  n-  unb  nt^Declinatlon  aufgubeben  unb 
SDeinberrftbaft  bet  Storni  bed  nt-|)arabigmad  cingufübreu. 

Suf  bem  ©ebtete  bed  griedjifc^en  Setbumd  Seifpiele  oon 
Sffociationdbilbungen,  weldje  bie  Senbeng  ber  formalen  Sud* 
gleidjung  befunben,  in  großer  Stenge  oorgufübren,  würbe  mir 
nid}t  fdjwet  fallen.  3dj  begnüge  mtc^  mit  bem  |)inweid  auf 
bad  ©ine,  wie  bie  beibeu  großen  oon  Slterd  fjet  neben  einanbet 
berge^enben  ©pfteme  ber  Serba  auf  -n  unb  auf  -m  ft<b  fort» 
wäfyrenb  gegenfeitig  gu  beeinfluffen  fudjen.  SDad  Stuftet  oon 
Ivo)  unb  ©enoffen  bewirft  in  bet  anberen  ©ruppe  bie  analogifdjen 
Steubilbungen  wie  dsixvvw  neben  älterem  deixw/u.  SBie  um* 
gefeiert  bet  ©ieg  unb  bie  SQeinberrfcbaft  aud)  gu  ©unften  bet 
Sonnen  auf  -jut  audfaden  fann,  geigen  befonbetd  bie  äolift^en 
©eftaltungen  bet  fogenannten  Setba  conttacta,  bie  für  rpiUu), 
öoxifiooj  äolifd)  etfcbeinenben  formen  <pü.t]fu,  doxifxwfu\  an 
bem  ©^araftcr  biefet  ald  fo  befdjaffenet  Steubilbungen  gweifeln 
beute  nur  noch  wenige  ©pradjforftbet,  oon  ben  bie  edjte  biftoriftbe 
SOtetbobe  befolgenben  fein  eingiget. 

Städ)tig  geigt  fidj  bet  Stieb  bet  formalen  Sudgleidjung 
auch  auf  bem  ©ebiete  bet  gtied)ifdjen  SBortbilbung  im  weiteren 
©inne.  SBie  bet  ÜDeutfdje  bei  liebee-gram,  geburts-tag  nad) 
bem  oben  ©efagten  geminina  an  bet  etfteu  ©teile  bet  SBort* 
compofttion  in  bet  SBeife  oon  Stadculinen  bebanbelt,  fo  geigt 
auch  bie  gtiedjifdje  ©ptacbe  eine  weitgebenbe  Stioetlirungdtenbeng 
bei  bet  ©eftaltung  bed  elften  ©liebed  nominaler  ©ompofita. 
©ebt  feiten  finb  ©ompofita  mit  femininen  ber  erften  ©eclination, 

(4M) 


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41 


welche  wie  ßovi.Tj-q>r>Qog,  n vlrj-önxog  ben  ©tamm  bcö  elften 
©liebeS  in  feinet  richtigen  Sonn  aufnehmen.  ©onft  fügen  fid? 
foldje  Seminiua  faft  burdjweg  bet  Analogie  bet  maSculinen  ober 
neutralen  ©tämme  auf  -o-,  fo  baf)  xipo-xQcaia , obgleich  »on 
tifiij  fommenb , benfelben  „©ompofition8Bocal“  -o-  aufweift, 
ben  ctQiazo-xQaxia  oon  aQtaxo-g  feinet  eigenen  Statut  gemäf), 
„organifch",  wie  man  nach  früherem  Staude  fich  auSbrücfte, 
befifct.  Aud)  confonantifche  ©tämme  befleiben  fid}  in  bet  ©om« 
pofition  mit  bemfelben  -n-  bet  o-©tämme,  baljer  naido-xQißt] c, 
naxQo-xxovog,  / ur/TQn-xtovog,  trotybem  baf)  bie  einfachen  9lo* 
mina  nicht  n naido-g,  6 nazpö-g  unb  nod)  weniger  17  firjTQo-g 
nad)  bet  gmeiten  25eclination  lauten. 

gür  bie  ©ompofttion  unb  SBortbilbung  mit  3a¥ro5ttern 
finb  e8  im  ©riechifchen  einzig  bie  brei  auf  -a  auSlautenben 
©arbinalia  enxa,  ivvia,  dexa , beten  gorm  bie  fRidjtfchnut  für 
bie  übrigen  abjugeben  pflegt:  neben  ben  auch  Borhanbenen  unb 
nach  ©rammatiferbegtiffen  eingig  regelrechten  nevxi-novg  unb 
oxxw-novg  befifet  bie  ©ptache  nevxa-nnvg,  nxxa-nnvg,  benen 
ba8  a in  bet  ©ompofttionSfuge  nur  burdf  bie  Analogie  oon 
enxä-Ttnvg,  öexü-novg  aufgebtungen  ift.  ©benfo  beruht  bie 
burchgehenbe  ©nbung  -äxig  bet  SKultipHcatioa  nevxaxig  „fünf« 
mal",  hl-axig  „fedjSmar,  oxtäxig  „achtmal"  u.  f.  w.,  nnU.axig 
„Bielmal,  oft“  eingig  auf  bet  SSerallgemeinerung  beS  AuSgangeS 
Bonj  snxaxig,  ivaxig,  dsxaxtg,  beun  bie  eigentliche  Sorm  be8 
3ahlaboetbialfuffipe8  war,  wie  bie  ©pradjoergleichung  batguthun 
Betmag,  -xig  unb  nicht  Bon  £aufe  au8  -axig. 

©0  Biel  übet  formale  Ausgleichung  als  ba8  wefeutliche 
bet  gweiten  $auptart  bet  fprad)lichen  AffociationSbilbungen  nach 
unfetet  ©iutheilung. 

@8  fann,  wie  leicht  gu  geigen  ift,  praftifch  bet  gall  eintreten, 
ba§  bie  ftoffliche  unb  bie  formale  Ausgleichung  ft<h  als  einanbet 

(MS; 


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42 


entgegen  wirfenbe  Triebe  erweifen.  So  führt,  um  nur  ein 
Seifpiel  gu  nehmen,  bie  formale  Ausgleichung  eine  ftofflidje  Set* 
fchiebenheit  herbei  in  einem  folgen  §aDe  wie  bei  ber  Plural* 
bilbung  burd}  Umlaut  im  .£)ochbeutfchen:  inbem  wölfe,  nägel 
formal  mit  bem  Plural  non  alten  i-  Stämmen  wie  gäste,  bälge 
ausgeglichen  baS  ö,  ä als  SButgeloocal  befommen,  entfernen  fie 
fich  ftofflich  oon  ihren  Singularformen  wolf,  nagel.  SbenfaHS 
baS  StTeben  nach  einem  umgelauteten  Plural  h<d  im  Pfälger 
SDialeft  an  einem  eigentümlichen  SRifwerftänbnif}  beS  Plurals 
die  fisch  „pisces"  feinen  AnfnüpfungSpunft  gefunben:  auS  bem 
Plural  die  fisch,  ben  et  mit  die  bisch,  die  fichs,  ben  pluralen 
gu  der  busch,  der  fuchs  in  ber  AuSfptache  ber  Pfalg,  auf  eine 
ginie  ftellte,  hat  fi<h  ber  pfälger  ben  Singular  der  fusch  ge* 
bilbet,  ftoffliche  Ser  f Rieben  heit  auch  hier  bei  ber  formalen  AuS* 
gleichung  gewinnenb. 

Aber  eS  fann  auch  — unb  baS  ift  für  unS  hier  wichtiger 
feftguftellen  — fich  ereignen,  ba§  beibe  gactoren  eiumüthig  mit 
einanbet  gu  bemfelben  3iele  ^imoirfcn.  ^Darnach  entfielt  eine 
britte  $auptart  ber  AffociationSbilbungen,  bie  ber  auf  ftofflich* 
formaler  Ausgleichung  betuhenben. 

Sebeutenb  mehr  bet  germanifchen  fchwachen  Serba  bilbeten 
norbem  unb  noch  *m  ÜKittelhochbeutfchen  ihr  Präteritum  burdh 
ben  fogenannten  IRücfumlaut,  b.  i.  in  ber  SBeife  wie  brannte 
oon  brennen,  kannte  oon  kennen,  sandte  oon  senden  u.  a. 
noch  t^eut  in  ©ebrauch  finb.  ©hemalS  h*t  c8  i-  33-  auch 
stallte  oon  stellen,  satzte  oon  setzen,  sankte  oon  senken, 
hankte  oon  henken,  schankte  oon  schenken,  hörte  oon  hören. 
2Benn  nun  bafür  in  heutiger  Sprache  bie  formen  stellte,  setzte, 
senkte  u.  f.  w.  eingetreten  finb,  fo  läfct  ftd)  jchwer  lagen:  hat 
hier  bie  Analogie  beS  PräfenS  unb  feiner  gorm  gewirft  ober  ift 
Da8  Serhältnifc  bei  anberen  fchwachen  Serben,  welche  oon  Anfang 
an  präfenS  unb  Präteritum  nicht  burch  bie  SBurgeloocalifation 

(J46) 


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43 


uuterfdjiebeu,  wie  sagen  sagte,  lieben  liebte  u.  afynl.,  rnaf)5 
gebenb  geworben?  3m  elfteren  galle  würbe  ftoffliche  Ausgleichung, 
im  Unteren  formale  »orliegen.  £Da8  Süchtige  wirb  aber  fein,  bah 
beibe  Urfachen  im  S3etein  ju  berjelben  SBitfung  geführt  haben. 
2>iefelbe  ftofflidpformale  Ausgleichung  fdjafft  fogar  mitunter  aus 
einem  einigen  SBerbum  in  ber  Wolge  beren  jwei : auS  bestellen 
mit  bem  alten  Präteritum  bestallte  unb  bem  Particip  bestallt 
entwicfelt  fidj  auf  bem  befchriebcnen  3Bege  einerfeitS  bestellen 
bestellte  bestellt,  anbererfeitS,  inbem  ber  SJocal  beS  Präteritums 
fi<b  »erallgemeinert,  bestallen  bestallte  bestallt.  Unfer  mich 
dünkt  als  PräfenS  gehörte  anfänglich  mit  mich  däuchte  als 
Präteritum,  eigentlich  einem  potentialen  Dptati»  (b.  i.  Gfonjuncti» 
ber  milberen  ober  jweifelnben  AuSjage  in  ber  Art  »on  ich  möchte, 
dürfte  u.  a.),  gu  einem  ©pfteme  jufammen.  3efct  fönnen  wir 
gu  mich  dünkt  ein  mich  dünkte  als  neues  Präteritum,  umge* 
fehrt  ju  mich  däuchte  ein  mich  däucht  alS  junges  PräfenS 
neueften  ©eprägeS  circulireu  laffen,  unb  nicht  einmal  bie  »er« 
fliehen  en  treidelte  S3ebeutung,  wie  fie  wenigftenS  bei  bestellen 
unb  bestallen  wahrgeuommen  wirb,  braucht  ft<h  tytx  gu  jeigen. 

SBenn  wir  oben  ©.  29  f.  baS  franjöfifche  aimons,  aimez, 
aimer  burdj  ftoffliche  Ausgleichung  beS  alten  amons,  amez, 
amer  mit  ben  formen  aim,  aimes,  aime,  aiment  entfielen  liefen, 
fo  muh  hinäugefügt  werben,  bah  auch  hier  formale  Ausgleichung 
mit  im  ©piele  fein  fann.  3>a  bei  manchen  Serben,  j.  23.  bei 
porter,  eine  23erfd}iebeuheit  bet  ©tammform  burd)  bie  »erfchiebene 
^Betonung  ber  einzelnen  formen  nicht  eutftanb,  fo  fann  baS  23or« 
bilb  biefer  bie  llniformirung  beS  PatabigmaS  »on  aimer,  lever 
mit  beförbert  haben. 

3m  ©riedjifchen  lauteten,  wie  bie  Sprachvergleichung  er* 
mittelt,  ber  Accufati»  ©ingularis  unb  ber  fRominati»  piuraliS 
beS  £unbenameu8  »orhiftorifch  einmal  nicht  xvv-a,  xvv-eg,  fonbern 
*xvov-a,  \xvnv-eg  »on  berfelben  ©tammform,  welche  bet 

(M7) 


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44 


sftominatio  xvwv  unb  ber  SSccatio  xvov  immerfort  wahrten. 
3nbem  nun  in  jenen  jtuei  GafuS  bie  formen  xvv-a,  xvv-ec, 
filier  griecfyijdje  dleubübungen,  eintraten,  fann  einmal  bie  Analogie 
ber  Stammform  in  ben  GafuS  ®eniti»  Sing.  xw-6g,  ©atio 
Sing,  xw-i,  ©enitiu  ?)lur.  xw-wv,  reelle  non  jeher  nur  xw- 
wat,  gewirft  hohen;  bann  hohen  mit  eS  natürlich  mit  ftofflidjer 
Ausgleichung  ju  tljun.  GS  ift  aber  auch  nicht  auSgefchloffen, 
bie  23eeinfluffung  burch  baS  ^arabigma  anberer  dlomina,  weldje 
bereits  früher  nicht  ober  nicht  mehr  einen  Unterfdjieb  ftarfer 
(lautlich  ungefchwächter)  unb  fdjroadjer  (lautlich  gefchroächtet) 
Stammform5)  malten,  angunehmen:  wenn  etwa  bei  nnvg 
fdjon  früher  gleichmäßig  nod-  in  allen  GafuS  gu  ©runbe  lag, 
fo  »ermochte  auch  baS  ein  Antrieb  für  baS  ^arabigma  non  xvwv 
gu  fein,  ftdj  einförmiger  fyinftdjtlicfy  ber  Stammform  gu  geftalten. 
Solche  Söirfung  aber  ber  ©eclination  oon  ;toc;s  ober  überhaupt 
anberer  dtomina  auf  bie  oon  xvwv  ift  unter  ben  Baden  ber 
formalen  Ausgleichung  gu  regiftriren. 

GS  leuchtet  auf  ©runb  biefer  Seifpiete  wohl  fofort  ein,  baß 
bie  Bade  ber  eereinten  ftofflichen  unb  fotmalen  Ausgleichung  oon 
norn  herein  immer  einen  gang  beftimmten  ober  richtiger  gang 
leicht  gu  beftimmenben  Gharafter  tragen.  ®S  liegt  bie  Sache 
ademal  fo,  baff  ein  bei  einem  Bormenfpfteme  oorhanbeneS  SB  er* 
hältniß  ber  ftofflichen  Gleichheit  burch  feine  Analogie  gu» 
rücfwirft  auf  ein  anbeteS  nebenliegenbeS  Borwenfpftem 
mit  bis  bahin  befteheuber  ftofflidjer  Ungleichheit.  ®»e 
ber  Kategorie  ber  ftofflichsformalen.AuSgleichungen  gufadenbe  ober 
mit  Sicherheit  guguweifenbe  3al}l  öon  ©pracherfcheinungen  mitb 
feiten  eine  fehr  große  fein  im  23erhältniß  gu  ben  Baden  ber  burch 
ftoffliche  ober  burch  formale  Ausgleichung  adein  fleh  öodgiehenben 
AffociationSbilbungen. 

innerhalb  beS  SereidjeS  ber  Bauplatten  ber  AffociationS* 
mitfung  wirb  man  weiterhin  Untergruppen  ftatuiren  fönnen. 

(M8J 


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45 


©ine  foldje  mögliche  Unterabteilung  ift,  um  nut  biefe  gu  et* 
mahnen,  bie  in  partielle  unb  totale  StuSgleic^un^.  ©ämmtlicpe 
bifi^et  angeführten  33eifpiele  waten  gätle  bet  totalen  Ausgleichung: 
bie  nadjgebilbete  gorm  machte  fidj  in  bem  fünfte  ber  fRadj*  ober 
fReubilbung  gang  unb  oößig  bet  als  ihr  SERufter  fuugirenben 
gleich-  3<b  erwähne,  um  baS  8ilb  gu  »eroollftänbigen,  batum 
noch  einen  Baß  ber  partiellen  Ausgleichung. 

A18  ein  Seifpiel  bet  partiellen  formalen  AuSgleidjuug 
biene  golgenbeS.  3n  gtiechifchen  ©rammatifen,  felbft  folgen, 
welche  eine  wiffenfchaftliche  Haltung  anftteben,  wirb  noch  heute 
unbebenflich  gelehrt,  bie  ©ontractionSregeln,  ba§  ta  attifch 
unb  oa  attifch  ta  (wie  in  *a iSna  aiöw  u.  a)  werbe,  erleibe 
eine  Ausnahme  im  {Reutrum  $)lurali8  folget  Abjectina  wie 
XQvaeog  XQvoovg,  änXnog  a/iXoig.  3)a  foü  alfo  gegen  bie 
{Regel  xQv0ia  ÖU  XQva<*  anftatt  gu  *xPvaV<  anXoa  gu  anXä 
anftatt  gu  *änXü  geworben  fein.  3)aS  {Richtige  ift  »ielmehr 
eingig  bieS,  waS  man  auch  bem  ©chüler  nicht  Befehlen  foOte: 
jene  gwei  gautgefefce  haben  hier  nicht  bie  minbefte  3nhibirung 
erfahren,  aber  eS  hat  fich  anftatt  beS  {ProbucteS  betfelben  in 
XQvoä,  anXä  ber  AuSgang  - a eingebrängt  nach  ber  Analogie 
aller  übrigen  {Romina  im  {RominatiwAccufatio  fPlut.;  nur  baS 
-a  als  ©nbung  fchien  bem  Sprachgefühl  für  baS  {Reutrum  fpiut. 
ein  genügenbeS  ©harafterifticum  gu  fein.  Aber  ein  Unterfdjieb 
beS  -a  in  XQv°ü > anXä  oon  bem  in  xaXä,  ayaiXä  u.  f.  W. 
befiehl  ja  bodj:  bort  ift  baS  -a  lang,  h*et  nicht.  fDieS  nun 
rührt  eben  baher,  bah  eS  bei  ber  Ausgleichung  ber  fchliejjenben 
©ilbe  mit  -t],  -fo  in  ben  lautgefejjlich  eutftanbenen  »erfdjollenen 
gormen  *anXw  wenigftenS  ihre  Quantität  gelteub  gu 

machen  gelang,  bewahrte  Quantität  neben  ceränberier  Qualität 
begeidjnen  hier  bie  formale  Ausgleichung  bem  ©tabe  nach  als  eine 
partielle. 

3Die  »orhergehenben  S3erfuche,  eine  fpftematifche  Anorbnung 

(W9J 


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46 


ber  auf  pfychologifcbem  SBege  etfolgenben  fpradjlichen  9ieubilbungen 
ju  ffijjieren,  litten  ben  3wecf,  wenigftenS  bie  SCRöglidjfdt  einer 
folgen  ju  geigen.  ®ie  ftnb  trofc  ihrer  Unoodftänbigfeit  hoffentlich 
bod)  geeignet,  erfenneu  ju  laffen,  wie  bie  Oftetbobe  ber  @r* 
forfdjung  ber  Slnalogiewitfungen  feineöwegS  auf  ein  blofje8  plan* 
lofe8  SRatfyen  unb  Umbertaften  ^inauSlauft.  3ft  erft  einmal  auf  ejc* 
actem  2Sege  feftgeftellt,  ba§  eine  ©prachform  bet  bie  Sprache 
beberrfchenben  gautgefefce  wegen  eine  Analogie»  ober  2lffociation8- 
bilbung  fein  muff  — unb  biefe  Seftftedung  mufj  immetbar  »or* 
bergeben  — , fo  wirb  fidj  in  ben  adermeiften  Süden  bem  Sorfcber 
ba8  SBeitete  unmittelbar  oon  felbft  ergeben,  b.  b-  e8  wirb  eineö 
langen  ©ucbenS  für ibn  febr feiten bebürfen,  nach  welchem  3Jtufter 
ober  welchen  SDtuftern  bie  ülnalogiebilbung  fidj  ooflgogen  habe. 

3$  geftatte  mir  jum  ©«bluffe  biefer  Unterfucbung  noch 
einige  jufammenfaffenbe  SBorte  öon  adgemeinetet  Senbenj. 

3ur  (Smpfeblung  ber  in  biefcm  Sßortrage  gef^ilberten 
metbobifchen  ©runbfäfce  ber  oon  anberen  unb  mir  »ertretenen 
fpradjwiffenfchaftlicben  JRidbtung  batf  junäcbft  ohne  Ueberbebung 
gefagt  werben:  ba8  33ertrauen  ju  ber  abfoluten  ©efefcmäfcigfeit 
bet  gautbewegung,  wie  e6  unfer  erfter  ©runbfafj  au8fprtcbt, 
ift  e8 , woburd)  bie  ©prachwifjenfchaft  bet  naturwiffenfchaftlicben 
(Soibenj  nabe  fommt , unb  woburd)  fte  in  SBegug  auf  Sicherheit 
ihrer  SRefultate  aden  anberen  biftorifchen  SSiffenfcbaften  fo  febr 
überlegen  ift. 

@8  barf  ferner  gefagt  werben,  bah  eine  aderfeitö  richtige 
Slbgrenjung  be8  9lntbeil8  ber  8eibe8«  unb  bet  ©eelenorgane  an 
bem  fprachlidjen  Sotmenbeftaube  unb  beffen  ©ntwtcflung,  biefe 
Slbgrenjung,  bie  wir  ja  »ot3ug8weife  erftreben,  immer  ein8  ber 
ergiebigften,  ja  not  ber  $anb  wohl  ba8  am  notbwenbigften  in 
Snwenbung  ju  bringenbe  SJlittel  ift,  um  bie  fdjon  fo  »ielfach 
cerbanbelte  Srage  nad)  bem  SBefen  ber  ©prachwiffenfdjaft  ihrer 
8ofung  beträchtlich  näher  ju  führen.  Die  befannte  Sroge  meine 

(550) 


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47 


idj,  ob  bie  ©pracbwiffenfchaft  gu  ben  Statut«  ober  ©eifte8wiffeu* 
fünften  gehört,  ober,  wie  fte  wohl  ric^ti^er  gefteOt  wirb,  inwie* 
fern  bie  äBiffenfdjaft  »on  ber  ©ptadje  SRaturwiffenfc^aft,  in* 
wiefern  fte  anbererfeitS  ©eifteSwiffenfdjaft  ift.  Denn  bajj  fie 
gum  guten  Sltjeile  eben  beibeS  gugleid)  ift,  ba8  fängt  ja  wohl 
gerabe  burd?  bie  Slefultate  ber  geute  »on  ber  „junggrammatifchen“ 
Stiftung  (wie  man  un8  getauft  bat)  an,  am  trefflidjften  bargetban 
gu  werben. 

Gnblich  b«be  ich  nod)  ben  einen  gang  befonberen  SBunfd), 
bajj  mir  folgenbe  Slbjtcht  gleicbfam  nebenbei  bei  meinen  »oran* 
gebenben  Darlegungen  gu  erreichen  gelungen  fein  möchte. 

©trictefte  Befolgung  ber  fpradjlichen  gautgefejje  unb  plan* 
mäßige  .fjaubbabung  be8  SlnalogieprincipS,  biefe  beiben  oberften 
methobifchen  ©tunbfäfce  bet  mobernen  ©pracbwiffenfchaft,  fcbeinen 
mir  gwei  Dinge  gu  fein,  welche  bei  nicht  wenigen  Gelegenheiten 
auch  bie  $>rajti8  be8  grammntifchen  Sprachunterrichts  auf  ben 
©pmnafien  unb  böbexett  Schulen  gang  wohl  gebrauten  fönnte. 
3dj  b°ffe  mich  nicht  gu  täufdjen,  wenn  id)  »orauSfetje,  bajj  meb* 
tere  meinet  gut  SOuftration  bet  tbeoretifchen  Sebauptungen  ge* 
brausten  SBeifpiele  barnadj  angetban  ftnb,  anfchaulich  gu  machen, 
wie  auch  ber  praftifcbe  Schulmann  beionberS  beim  griecbifdjen 
Unterrichte  »ielfach  in  bet  ©chule  bie  fchönfte  Gelegenheit  habe, 
echte  fprachwiffenf<haftli<he  ÜJietbobe  gu  üben,  felbft  ohne  ein  ei* 
geutlidjet  ©ptadjBergleicber  gu  fein  unb  in  ©pracboergleichetei  am 
ungeeigneten  Orte  gu  ejrtraoagiren.  Sei  bem  Darlegen  ber 
eingelfpradjUchen  gautgefe^e  unb  beim  Serfolgen  ,bcr  Sinologie* 
wirfungen  in  bet  fprachlidjen  Botmenbtibung  braucht  man  ja  febt 
häufig  übet  ben  SRabmen  ber  biftonfdjen  (Sntwicflung  ber  Gingel* 
fprache  gar  nicht  b<aau8gugreifen. 

5Benn  im  Uebrigen  meine  Sßorte  etwas  bagu  beitragen  fönnten, 
in  weiteren  Äreifen  ber  ©ebilbeten  bie  woblwoüenbe  3«neigung 
gur  ©pracbwiffenfcbaft  unb  fpracbwiffenfcbaftlichen  SfJtetbobe  gu 

<M») 


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48 


»ermefyten,  fo  würbe  id)  barin  ben  fct)önften  Bol)n  fiuben  für 
mein  — id)  weifj  nidjt  ob  immer  gelungenes  — ©emüfyeu, 
unter  einet  großen  SJienge  oon  SDfaterial  eine  geeignete  Auswahl 
ju  treffen,  um  cermittefS  beffelben  bem  Baien  einen  genügenben 
©inblie!  in  fadjroiffenfcbaftlidje  ^rincipieufragen  ju  gewähren 
unb  iljn  wo  möglich  fogar  ju  einem  Urteil  in  öenfelben  ju  be* 
fähigen. 


^.nmertuutgen. 

1)  3JIit  einem  * bejeidjnet  man  nach  allgemeinem  {pradjwiffenfebaft* 
licken  Srautbe  erfcbloffene  germen,  folc^e , bie  niebt  biftoriftb  belegt 
finb,  fonbern  nur  gemutbmajjt  ober  au8  irgenb  welchen  ©rünben  BorauS* 
gefegt  werben. 

2)  £Dte  ©intbeilung  ber  Slnalogiebilbungen  in  bie  jwei  Kategorien 
ber  .ftojflicben*  unb  ber  „formalen*  Ausgleichung  b«t  ju  ihrem  Urheber 
^aul  in  beffen  SSeitr.  j.  @ef<b-  b.  beutfeb-  ©pr  u.  Biter.  VI  7.  jf. 

3)  SSergl  Die},  ©ramm.  b.  roman.  ©pr.  I4  150,  173,  177. 

4)  De8  Die j'f eben  ©ramm.  b.  rom.  ©pr.  II4.  157  fragenb  auf* 
gefteflten  lat.  *deire  bebarf  e8  fomit  gar  nicht,  um  ital.  gire,  ebenfo 
wenig  be8  altlateinifcben  Smperfedd  ibam  ftatt  iebam,  um  ital.  iva 
neben  giva  ju  erflören. 

5)  3ur  Sßeranfebauliebung  be8  Unterf^iebeS  Bon  ftarler  unb 

febwacber  ©tammform  ift  am  lebrreiebften  im  ©rieebifeben  bie  Decli* 
nation  ber  ©Örter  wie  jr*njp:  ber  ©enitin  nurp-ot;,  ber  DatiB  na. rp-t 
finb  Bon  ber  fcpwaeben  ©tammform  na.rp-,  ber  AccufatiB  na.Tip-0.  aber 
unb  ber  'piuralneminatiB  Bon  ber  ftarfen  ©tammferm  narep- 

gebitbet. 


(552) 


CPnid  ton  «rtr.  Ungar  (tlj.  CBrimm)  in  Bttlin.  B&enttagerfti.  17  ». 


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5kr 

unb 

kr  Mtm  kr  <£«ft»r 

in  ber  ^eugett. 


35on 

Dr.  ®.  ÜUIjliss. 


ßrrliit  SW.  J879. 
©erlag  Don  ßarl  £>abel. 

(£.  #.  i'nötrtti’iitn  Ücrlng'ibm^ljaiiiliBng.) 

33.  Wit&flm.etrrt«  33. 


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2>as  Ueberfefcungöredjt  in  fmnbe  «ptadjen  rctrb  oorbeljalten. 


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<S9tr  cm  unb  Gultur!  Unb  abermals  ftefyt  ftnnenb  ber  gorftber 
am  DJieereSftranbe  unb  fie^t  bem  Spiele  bet  SBellen  gu,  bie 
Blutb  an  Blutb  ftdj  mit  bem  SlUoatcr  Cfeanofi  in  feierlicher 
Stube  »ermöblen!  Sang  bebnt  ficb  bet  3)ünenftranb,  foweit  ba8 
jcbweifenbe  Öluge  rubt,  unb  ^iutet  ibm  firecfen  ftch  fruchtbare 
©elänbe,  unb  blinfen  in  bet  Berne  bie  bßcbragenben  Stürme  reich 
geworbener  ©labte.  Blur  unb  ©labt  blübenb  gemalt  bat  fte 
ber  ©trom,  bet  fid)  febnt  nach  langem  Saufe  mit  ben  SBogen 
beS  DJteereS  feine  Stellen  gu  einen!  Sßeit  ftnb  feine  äSaffet  her* 
gezogen  oom  glängenben  5)om  ber  9Hpen,  ben  ber  DJtenfcb  ©ott= 
barb  nennt;  gefreut  bflt  fttb  ber  junge  Blufj  im  SJlngeficbte  ber 
trojjigen  Serge  feiner  $eimatb;  geläutert  bat  er  feine  Blutben 
im  blauen  Sobenfee  unb  gefprengt  bat  er  mit  JDonnergewalt 
bie  weiten  DJtaffen  beä  SuragebitgeS,  bie  ihn  b*ubern  wollten 
in  baß  weite  Übat  feine  fchäumenben  wirbelnben  SBellen  frei  gu 
ergiefjen.  Unb  bcfpült  bat  et  mit  nie  ermaitenbem  Bluffe  bie 
DJtauern  oon  ©trafcburg  unb  ©pcper,  non  SBormß  unb  DJtaing, 
bat  feinen  Snwobnern  getrieben  DJtüblen  unb  DJtafdjinen,  bflt 
liebreich  aufgenommen  alle  bie  Säcblein  unb  SBaffcrabern,  welche 
ihm  barboten  bie  bunfelen  äfämme  be8  Söaßfenwalbeß  unb  beß 
©cbwargwalbeä  blaujcb immer nbe  Äuppen. 

Unb  weiter  mu&te  fein  Sauf  ficb  mühen.  35ort  wo  bie  Dtabe 
ihm  gufenbet  bie  grünen  SBellen,  ba  mufjte  er  mit  DJtanneßtreb 
ficb  ben  SDurcbgang  erfämpfen  gu  ben  fübnginnigen  Surgen,  bie 
mit  blibenben  Benftern  einfimalß  auf  ihn  bernieberfaben  unb  bie 

XIV.  32».  1*  '(355) 


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4 


mauergeiualtigen  üfütme  3afr  funberte  lang  {Regelten  im  eini* 
gen  Strome  beS  93ater  JRfeinS.  Unb  bei  ©obleng  reicft  ifm 
bie  SRijrenfanb  bie  rebenumfrängte  83raut,  bie  jugenbfrifdfe  fDiofel, 
unb  mit  »ereinter  Äraft  fenben  fte  Äöln’8  SEBaaren  unb  Scannen 
finab  bem  ft<f  fentenben  Banbe  gu.  ©ocf  tnitbe  wirb  enblicf 
im  flachen  ©elänbe  ber  Strom  ber  muffeligen  Arbeit;  mit  be* 
fähiger  Sreite  treiben  be8  alternben  9lfenu8  ©ewaffer  bafin, 
unb  bie  Scf ne  fenbet  et  auS  unb  bie  ©nfel  im  Üieflanb  mit  ge= 
tfeilter  äfraft  gu  mirfen  unb  ftfaffen.  Unb  gur  Binfeu  unb  gur 
tRecften  gefen  ab  bie  »eräftelten  2lbern,  unb  bet  ©aal  reicft 
bie  breite  $anb  ber  5Jiaa8,  ber  Scftuefter  »om  Blrbennenwalbe, 
unb  bie  Scfelbe  fommt  au8  ben  ©aueu  ber  Söaflonen  mit  bem 
©efcfmifterpaar  ben  gemeinfamen  ©ang  angutreten  finein  in  bie 
Urflutf,  »elcfe  ben  ©rbfreiS  trägt.  ©er  alte  fRfein  aber  roenbet 
fi<f  feitroärtS;  et  bleibt  treu  feiner  Stiftung  im  3ugenbalter  unb 
in  bet  9Ranne8!raft  unb  nacf  9iorben  geigt  ber  Stern,  bem  er 
malig  »ergefenb  guftrebt!  — 

Unb  mie  be8  Strome8  ©ef(fi(fte  fo  aucf  ber  ©ang 
ber  ©ultur,  bie  ficf  entroicfelte  in  feinen  ©aueu  unb  bie  ifrer 
2Menbung  gugeft  in  ben  lefeten  Safrfunberten.  Bange  ßciten 
blieb  eingefcf (offen  ber  rotirenbe  Strom  ber  (Jioilifation  in  feinem 
33ette,  fomeit  e8  fi(f  ftrecft  »cm  reicfen  S3afel  bis  gum  nicft 
ärmeren  .töln.  5Sber  bie  nie  raftenbe  Slrbeit  bet  SReugeit  liefe 
enblicf  ben  eingefcfloffenen,  fegenSreicfen  glutfen  ber  cultureUen 
3been,  bie  ficf  an  be8  JRfeinS  ©eftaben  entroicfelt  falten,  ener» 
gifcfen  ©urcfgang!  üftit  ©emalt  brauften  bie  fier  lange  gurücf» 
gefallenen  ©eDanfen  finauS  gut  JRecften  unb  gut  Binfen  nacf 
9iorben  unb  nacf  ©üben,  unb  neues  Beben,  neue  .Kraft  ging 
ben  Banben  fftben  unb  brüben  gu  »on  ben  ©aueu  unb  ben 
SBienfcfen  am  SRfeine.  ©ocf  bem  BebenSfpenber,  ber  gu  »iel 
©nergie,  gu  »iel  bpnamifcfe  ©ewalt  »erbraucft,  geft  enblicf  ber 
erfaltenbe  Dbem  felbft  au3.  Scfioacf  unb  lafm  fiegt  fein  Beib 

(55«) 


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5 


babiit,  wabreub  jeine  .Kinber  wacbfen  unb  gebeiben;  et  wirb  bie 
33eute  fceö  näc^ften  9täuber8,  bet  frech  feine  ©lieber  gerbadft  unb 
fid)  brüftet  beS  IRaubee.  2tber  enbli<b  bringt  i^m  ©rlöfung, 
bem  jRbeinlanb  unb  bem  (Kulturftrom  in  jeinen  erfalteten  'übern 
ber  ©tern,  bem  er  ua<b  korben  gugeftrebt  ijt! 

9iad)  manchem  barten  ©trauf)  fdjlägt  fein  ©obu  im  Sterben 
beS  beutjdjen  Süaterlanbeb  bem  frechen  SBegelagerer  auf’8  £auf>t, 
ber  oerjucht  Ijat,  mit  feinem  oerpefieten  S3Iute  neues  geben  bem 
unter  feinen  ©djlägen  abfterbenben  Oi^einlanbe  aufgugiefjen,  unb 
frei  unb  einig  wirb  ba8  IRbeinlanb,  foweit  bie  beutjfbe  3unge 
flingt.  CReue  .Kraft  oerleibt  bie  Siebe  bet  Äinber  unb  ©nfel  ben 
fcbou  abgeftorbenen  ©auen,  unb  feine  (Kulturarbeit  bie  23erl 
binbnng  be8  fRorben'S  unb  ©üben’S  ©uropa’g  in  <£>anbe= 
unb  ©anbei,  in  Steen  unb  Sitten  wirb  ba8  JRbeinlanb  mit 
ftijcbem  5Rutl)e  in  33älbe  mietet  leiften,  fogut  wie  bie  ©olfeu, 
welche  ber  JRorbfee  entfteigen,  mit  neuem  ©egen  wieber  beleben 
bie  Quellen,  meidje  ihren  Utjptung  ^aben  am  ©ottbarb  unb 
am  gicbtelterge,  in  ben  graufengauen  unb  im  ©cbwabenlaube. 
©o  gut  ba8  ©ewäffer  ftetö  oon  fReuem  beginnt  ben  ewigen 
SReigcn,  fo  fieser  wirb  gu  neuem  Sebeu  ermaßen,  oon  feinen 
Äinbcrn  geftüfct,  bie  barnieteT  gelegene  .Kraft  bet  Oibeinlanbe, 
bie  gwei  3abrtaujeube  lang  bem  bergen  (Suropa’8  unb  ber  cul* 
tuteüen  ©eit  oermittelt  Ijat  bie  ©ebanfen  cioilijaterifdjer  unb 
reformatorifeber  Slbätigfeit.  Sa  ©trom  unb  (Kultur!  — 

©8  mar  ein  reiches,  buntes  geben,  welches  bie  jRb««lanbe 
im  15.  Sabv^unberte  ben  SDHtlebenben  barboten.  SDie  ©täbte 
am  SRljeiu  ftanben  auf  bem  -^ebepunft  ihrer  5Racbt.  $Die 

SRadjt  beS  ^uloerS,  bie  glübenben  ©efeboffe  au8  ben  galfonetten 
unb  gelbfdblangen,  bet  „faulen  ©retbe"  unb  „bet  groben  Siefe* 
oerbarben  ben  ^Raubrittern  im  JRbein*  unb  im  ©dbmabenlanbe, 
in  granfen  unb  in  ber  ©djweig  ihre  ©djlicbe  unb  ©dringen, 
welche  fie  früher  bem  ©äumerguge  unb  ber  ©agenreibe  gefteDt 

(SS7) 


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6 


hatten.  3u  ©trahburg  unb  gu  3ürich,  gu  Spepet  unb  gu  SBorm«, 
gu  Äöln  unb  gu  Söafel  lebte  ein  mannhafte«,  waffengeübte«  @e» 
fchlecbt,  Da«  gu  Sd)uf$  unb  Slruf}  Slaufenbe  non  waffenfähigen, 
wehrhaften  Männern  fteßen  fonnte.  SDe«  Sßolfe«  jbraft  in  ben 
Stabten  warb  geübt  in  feftlit^en  (Spielen.  53ei  ben  großen 
greifchiehen  in  ben  r^einifdjen  Stabten  warb  nadj  uralter  Sitte 
guerft  nach  bem  Vogel  auf  ber  Stange  mit  bet  Sfrmbruft  unb 
bem  Stahlbolgen  gegielt1)-  5>ie  praftifchen  Schweiger  fiub  Die 
erften,  welche  $)uloer  unb  ©lei  auch  bei  ben  3ielturniren  beoor* 
gugten.  Schon  1472  wirb  ba«  grofje  gretfchiehen  gu  3ürich  uut 
für  Vüchfen  auSgefchrieben.  £>ie  Söaffe  war  biö  gegen  1600 
ba«  glatte  Sftoljt  für  gwetlothige  Äugeln  mit  gerabem  ober  ftummem 
Schaft,  alle  3üge  — „hohlnäthige  SRofjre"  waren  netboten*). 

Vor  bem  Veginn  eine«  großen  geftfdjiehen«  war  ber  gange 
hohe  fRath  in  ^Bewegung.  3)a  muhte  non  5tath«wegen  ein 
ftäbtifdjer  Grebit  bewilligr  werben,  geftrebner  ober  „^ritfchmeifter" 
würben  befteüt  ober  gar  oetfcprieben,  auf  bem  Schiefjplan  witt» 
ben  bie  Schranfen  aufgeftedt,  Äaufbuben  würben  errichtet,  für 
Verbergen  geforgt,  ©efdfenfe  würben  auögewüljlt,  alle  3nnungen 
unb  ©ewerfe  famen  in  Slhätigfeit.  Unb  waren  bie  hohe»  ©äfte 
unb  bie  ehrbaren  SJlännet  non  ben  benachbarten  Stäbten  em» 
pfangen,  hatte  manch’  guter  Schuh  ba«  3iel  getroffen,  war  manch’ 
fdjlechter  SBifc  ben  ^ritfchmeiftern  gelungen,  fo  fdjritt  gum 
Schluffe  ein  feierlicher  3ug  oon  SRathö^erren,  nornehmeu  3ung* 
frauen  bet  Stabt,  Stabtpfeifern  unb  Slrabanteh  auf  ben  bunt» 
bewimpelten  geftplah-  SDort  würbe  nach  gehaltener  Stnrebe  ein 
Ärang  ben  Vertretern  einer  befreunbeten  Stabt  gereicht,  unb 
biefe  hatte  bie  Verpflichtung  ba«  nächfte  greifdjiehen  gu  halten, 
bamit  ba«  Ätänglein  nicht  oerweife3).  Spiel  unb  Slang  fchlofj 
bie  ftäbtifche  geierlid)feit,  bie«  wahre  Vürgerfeft,  ba«  dürften  unb 
Vauern,  Sübelrge  unb  Vürger  gu  frohem  Sireiben,  gu  @rnft  unD 
Schetg.  gu  Uebung  unb  Slnfprache  oereinigt  hatte.  £ier  würben 

(558) 


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7 


bie  alten  33ünbniffe  ueunerftärft,  t)tet  würben  neue  33etbinbungen 
angefnüpft!  ,£>ier  geigte  fich  ber  reiche  fPatrigier  im  ©ammt« 
gewanb  unb  ©uffenhofen,  ber  33auer  in  Gfamifol  unb  SBruftflecf, 
bet  Sürft  in  ^elg  unb  ©eibe,  ber  SJtßnch  in  jfutte  unb  jfapuge! 
Unb  ba8  33olf8feft  oerfchßnten  bie  anmutigen  3ungftauen  mit 
bem  fofett  gewunbenen  ©djleier  über  bem  Raupte  unb  ben  gül* 
benen  .fettlein  um  ben  weiten  £al8,  unb  bie  fraftftrpfjenbeu 
^Bauernmöbel  mit  ihren  fiatternben  SBänberhauben,  ihren  bunt» 
geftreiften  fRöcfen  unb  bem  fftägelefträufechen  am  fammtnen,  h»<h* 
gehenben  üJlteber!  - Unb  bagwifcben  wälfdje  ©aufler  unb  fah* 
tenbe  ©änger,  fdjnippifche  j?  ammcrgofen  unb  liebreigenbe  dürften» 
pagen;  ein  lebenflwarmeS  SSilD  non  bet  Äraft  ber  beutfdjen 
©täbte.  @8  war  bie  Seit,  non  bet  ein  beutfcher  3eitbu<hi<hreiber 
fagte:  „ba  ba8  ©terben,  bie  ©eifjelfahrt  unb  bie  3ubenf<hlacht 
ein  6nbe  hatte,  ho&  bie  SBelt  wieber  an  gu  leben  unb  fröhlich 
gu  fein."  Unb  getabe  biefer  ^ßljepunft  beä  Sieben 8 barg  in  fich 
ben  Äern  beö  33etfalle8,  unb  wähtenb  bie  ©täbte  am  9U)eiu 
fcboffen  unb  taugten  unb  bie  ©trafjburger  fidj  freueten  am  |)irie« 
brei,  ben  ihnen  bie  Bürit^er  noch  warm  im  5£opf  ben  SRhein 
herab  in  einer  gahrt  gebracht  hatten4)  ba  leuchtete  im  Dften  unb 
im  SSBeften  bie  fDtorgenrßthe  einer  neuen  3eit  auf,  beren  ©onne 
mitHave!  ba8  fDlittelalter  begrüßte  unb  einem  neuem  Seit  alter 
ben  SSiflfommgtuf}  bot. 

^ern  im  £)ften  am  33o§poru8  ba  hatte  gur  Beit  ber 
höchften  S3lüthe  bet  rheinischen  unb  hßd?&eutfchen  ©täbte  ber 
lefjte  ^aläologe  ben  #elbenfampf  mit  bem  jugenbfrifdjen  dürfen* 
flamme  gefämpft,  ber  uon  ba  an  3ahrh«nberte  lang  ber  ©chredfen 
JDfteuropa’8  blieb  unb  auf  bie  ©eftaltung  ber  politifdhen  33er» 
hältniffe  au  ber  SDonau  unb  am9lh£*n  0Dtt  tiefgehenbftem  6in» 
ftu§  warb.  9ioch  immer  war  ba8  gealterte  SJpgang  ber  reichfte 
©tapelplafc  ber  geiftigen  33ilbung8elemente  be8  ÜRittelalterö  ge« 
wefen.  -iRoch  ftrahlte  be8  ©onftatin  ©tabt  im  ©chmucfe  prächtiger 

<w») 


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8 


SDenfmäler,  noch  barg  e8  immer  eine  erftaunliche  SBijfenSfüfle, 
welche  bie  9iähe  be8  Orients  mit  bcn  getftigen,  nid^t  geringen 
©djafcen  ber  Araber  unb  Werfer  bereid^ert  batte4).  Unb  biefer 
ganje  ©ttom  geiftiger  ßtegfamfeit,  platonifcijer  Sbeen  unb  ber 
2öeiS^eit  befi  £>ften8  ergofj  fidj  mit  ben  geretteten  gried^tfdjcn 
©affifern,  bie  man  bort  bisher  meift  nur  bem  tarnen  nad)  ober 
nu8  Ueberfefjungen  gefannt  ^attc,  nach  bem  Söeften  auf  JpeS» 
perien8  banfbate  gluren.  ©n  glücfliche8  ©eichicf  woflte  e8,  bafc 
bamalS  getabe  bie  33uchbrucferfunft  nom  ßihein  au8  nach 
3talien  gelangt  war,  unb  Albu85ftanutiu8  lief)  ju  Senebig  1488 
in  feiner  berühmten  Sudjbrucferei  3um  erften  SDtale  28  griedjifdbe 
©affifer  mit  ber  3)rucferfcbwärje  unb  ben  fcetteru  bet  9)tainger 
Äünftler  nemelfältigen 6). 

ÜJtit  ben  griecbtfcben  ©affifern  unb  ben  fliid^tigen  SJtännern 
Bon  S^anj  30g  ein  in  3talien  bet  gan3e  ©trom  be8  Hellenis- 
mus. 9Kit  ihm  brang  bis  3U  ben  Ijöcbften  Greifen  ber  Hierarchie 
unb  in  bie  gelehrten  Äreife  ba8  alte  Heibenthum,  unb  unter 
bem  ßJtantel  beS  ©jriftenthumS  uerehrten  9)apft  unb  iSaie,  Äle« 
rifer  unb  $)rofefforen  bie  antife  Söelt,  bie  altclajftfche  Äunft, 
bie  geidjtlebigfeit  unb  ben  gormenfinn  beßenücbet  Anfdjauung. 
Unter  folchen  Anregungen  feierte  balb  unter  bem  23eifaU  ton 
Zapften  wie  ßlicolauS  V.,  Alejranber  VI.,  8eo  X.  in  Stalien  bie 
Äunft  unb  bie  SBiffenfchaft  ihre  h^c^ften  SJriumphe.  3ene 
feunen  mit  unter  bem  SRamen  ber  fRenaiffance  unb  wohlbefannt 
finb  bie  ÜReiftermerfe  Bon  geonarbo  ba  SJinci  unb  fRafael 
©angio,  Bon  2eon  Alberti  unb  ßRidjelangelo.  2)iegotm 
unb  ber  3nhalt  ber  heßenii^hen  Anfd)auungen  Bon  SÖahrheit  unb 
Äritif,  Bon  ^Religion  unb  ©laube  hieß  als  Humani8mn8 
feinen  fiegreidjen  Grhyug  in  bie  He^en  unb  ©inne  ber  Stalifer. 
SDie  erlauchten  ©eifter  bort  an  ben  Hochfchulen  Bon  Bologna 
unb  §loren3,  ein  gicino  unb  SBeffarion,  ein  ?)oggio  unb 
gaubino  3ogen  unter  bem  S3anner  platonischer  3been  3U  gelbe 

(560) 


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9 


gegen  bie  Serguicfung  beg  djriftlidjen  ©ogrna’ß  mit  ben  attfto* 
telifchen  Seiten,  gegen  baß  ©dju^opfthum,  wie  man  bie  ©djo» 
Iafttf  treffenb  genannt  hat 7). 

©d?on  not  bem  ©rwachen  beg  huroaniftifdjen  ©eifteß  Ratten 
in  ©eutfchlanb  unb  jmar  am  Niefcerthein  in  Jjpollanb  fiel?  etnjelne 
Stimmen  erhoben  gegen  bie  Broangßjade  beg  ©cholafticißmuß, 
beffen  Schnüre  bie  beutfdfen  Uninerfitäten  umfcblungen  hielt  unb 
in  beffen  winbbeuteligen  ©treitigfeiten  baß  SDiarf  bet  ©djrift* 
gelehrten  3U  Ä5ln  unb  £eibelberg,  31t  Safel  unb  ffreiburg,  ju 
Strier  unb  Tübingen,  3U  3Dtaing  unb  Sütjburg  im  14.  — 15.  Bahr* 
hunbert  fid?  ne^ehrt  hat8).  ©erwarb  be  ©roote  ober  latinifirt 
©eratbuß  mit  bem  Seinamen  Nlagnuß  hatte  31t  ©eoenter 
eine  hohc  ©chule  etrichtet,  welche  fid^  Äenutniffe  erwerben  foflte 
ebne  auf  bem  ©ieefenpferbe  bet  ©ißputationen  3U  reiten,  unb 
beren  Jbeilnel)mer  bie  SBibet  aiö  clafftfc^e  ©ittenlehrerin  lafen. 
Unter  feinem  Nachfolger  Siabewpn  aug  Utrecht  oerbreitete  fich 
biefe  Srüberfchaft  „nom  guten  SBillen"  ober  „nom  gemeinfamen 
geben“  — fratres  in  commune  viventes  — über  ben  gan3en 
Nieberrljein  unb  gan3  Norbbeutfdjlanb.  3luß  biefem  ©ollegium 
ging  bet  Setfafjer  beg  nach  bet  Bibel  gelefenften  Sucheg  h«roor: 
©homaß  oon  Äempen,  ber  Serfaffer  ber  in  Jpunberttaujenben 
non  ©jremplaten  in  allen  Sprachen  »erbreiteten  ©chrift:  de 
imitatione  Christi,  ©ein  eigener  ^rieftet  feilte  barnach  jeber 
werben,  unb  währenb  bie  hehre  beg  ^oOänberß  einerjeitß  baß 
SSnfehen  ber  3Ügellofen  ©eiftlidjfeit  untergrub,  oerlieh  fte  anberer* 
feitß  bet  auß  3talien  nach  ©eutfdilanb  unb  befouberß  in  baß 
Nheinlanb  gelangten  ^umaniflifdhen  Nidjtung  eine  wefentlich 
chriftliche  Safiß.  ©em  ©influffe  beß  SBerfdjeuß,  baß  auf  bem 
Souboirtifd)  ber  ©ame  Dom  ©tanbe  unb  in  ber  elenben  Äamrner 
armer  heute  noch  beute  3U  frühen  ift,  unb  baß  nicht  weniger  alß 
2000  Auflagen  erlebt  hat.  ift  eg  mit  3U  banfen,  bafe  ber  non 
£eßperien  überflutbenbe  ©trom  beß  ^umanißmuß  bei  ben  beut» 

(sei) 


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10 


fdjen  $elleniften  nic^t  gut  friuolen  ©laubenSloftgfeit  umfdjlug,  wie 
bei  ben  bol)en  ©eiftlicben  in  3talien,  bie  Anfang  beS  16.  3abtbun* 
bertS  gum  ©ntfejjen  bcS  puritanifcben  2luguftinermöncb8  au8  bem 
©adjfenlanbe  weltlicher  waren  al8  gürftenbiener  unb  Bangfnecbte9). 

2lm  Dberrijein  wirfte  für  bie  ©rijaltung  be8  djriftlidjen 
@inne8  im  ©eifte  bet  Dppofition  gegen  bie  93erborbenbeit  ber 
©eiftlicbfeit  nic^t  gum  minbeften  bie  feurige  Snnigfeit  unb 
ergreifenbe  28nl}ri)eit  eine«  ^rebigerS  wie  3obann  Jaulet, 
beffen  ©cbriften  1498  gu  ©trafeburg  guerft  gebrudt  würben. 
3m  ©eifte  biefeö  oberrbeinif<ben  SJlpftiferS  wirfte  fein  £anb6« 
mann,  nur  mit  fd)ätfetet  3unge,  3ob«nn  ©eilet,  genannt  »on 
Äa  if  er  8b  erg.  ©r  legte  feinen  in  berber  @prad)e  abgefa&ten 
9>rebigten  feineö  greunbeS  ©ebaftian  Srant’8  fliarrenfdjiff  gu 
©ruube,  ba8  jener  alemannifcbe  ©atirifer  mit  S8tfdj5fen  unb 
fWöncben  beoölfert  batte.  3m  felbigen  ©eifte  fpottete  Jbotna8 
füi  urner,  ein  WrangiSfanetmöncb  ooü  tntterböfer  ©priicbe,  gegen 
bie  entartete  Äircbc  im  33rei8gau  unb  im  ©unbgau,  unb  wobin 
fonft  ibn  fein  unfteter  Sebenäwanbel  führte 1 °). 

25ie5e  fUJöftifer  unb  ©atirifer  be8  0?brinlanbe8,  gu  «gwOanb 
unb  im  Sllifatenlanbe,  liefen  gwat  Uprer  oppofitioneüe  ©pratfre 
gegen  bie  ©ntartung  ber  Äirdje  »ollen  Sauf,  bod)  eerleugneten 
fie  bie  Äirtfce  nicht  fd^lec^t^in,  fonbern  machten  uur  §ront  gegen 
bie  ibr  anbaftenben  ©ebredjen.  äuf  alfo  »orbereiteten  33oben 
fam  bie  ©aat  be8  beutftben  £umani0mu8  unb  halb  ber 
beutfdjen  ^Reformation!  @6  war  eine  ßeit  Schwanger  ooH 
itnauSgegobrener  3been  unb  oppositioneller  Jbatenluft! 

SDie  gweite  Hälfte  beö  15.  3abtbunbert8  erftbeint  in  geiftiget 
©egiebung  für  ©eutfdjlab  als  eine  Uebergang8periobe  »om  ÜRittel» 
alter  gu  ben  3been  ber  SReugeit.  ßuerft  geigt  fidj  bie  Umwälgung 
in  ber  Literatur  unb  gwar  im  Greife  bet  gebilbeten  ÜRänner 
befonberS  an  ben  .£>ocbfcbulen  unb  in  ben  9ieid)8ftäbten  be8  SR^ei«* 
lanbeB.  3«  £eibelberg  am  ^ofe  be8  Äurfürften  fPbilipp  batte 

(MS) 


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11 


fid)  eine  Slreua  geiftig  fyocfyfteljenber  5ERänner  gefammelt,  in  beten 
Seelen  guerft  ber  ^rogef)  bet  ©ähruug  ber  neuen  ©ebanfen  not 
ftch  ging,  melche  baß  Stubium  ber  neu  entbecften  ©laffifer,  bie 
aue  Slalien  famen,  mit  fid?  brachte.  ©cn  $)rimuß  beß  SRufen* 
fifceß  gu  £)eibelberg,  bet  „feinen"  Stabt,  wie  fie  ein  Sohn  bet 
fRIjeinlanbe  auß  neuerer  3«l  betitelt,  oerehrte  man  in  Sodann 
non  ©albctg,  bem  Spröfcling  altrheiuifchen  91belgefd)le<htß, 
ber  nachher  ben  Sijchofßftuhl  gu  SSormß  gegiert  l?at.  Dbmohl 
im  ©ienfte  beß  Äurfürften  unb  beß  gVaijerß  5Raj:  gu  pljeren 
biplomatifchen  Senbungen  »ermanbt,  blieb  er  bod?  burchbrungen 
oon bereinig  jungen,  göttlichen 23egeifteruug,  bie  er  fid?  gcjdjöpft hatte 
auß  ©aftalia’ß  Duell  auf  heßperifd?em  Soben.  9Jtit  Oiubolph 
Slgricola,  bem  SBater  bev  beutfd?en  ^mmaniften,  bem  nertrauten 
greuub  8utl?et’ß  unb  5Jleland?thon’ß  nerbanb  il?n  unb  eiuen 
©ietrid?  non  $Mennin  gengu  £eibelberg  baß  23anb  ebfer  ^reunb* 
fd?aft.  ©er  liierte  im  greunbfd?aftßfrange  mar  ber  heitere  Sol?n 
beß  fDtainlanbeß,  ber  nom  .ftaifer  fDtajc  gefrönte  poeta  laureatus, 
ber  SRitter  unb  ©id?ter  ©onrab Gelte ö.  ©erachtete  mürbe  mit 
feinem  gewanbten  nieljeitigen  Sftion  gum  geiftigen  -£?cbel  ber 
gangen  t)umaniftijd?eu  S^^ätigteit  in  ©cutfd?lanb  unb  befonberß 
im  ^>fdlger  8anbe.  @r  rcarb  ber  ©rünber  unb  23orftel?er  ber 
fogenaunten  r^einif d>en  ©cf ellfdjaft,  einer  gelehrten  ©efetl« 
fd?aft,  beren  33unb  bie  Slugen  beß  jüngeren  ©efd?led?tß  ^inteufte 
auf  bie  SBeißljeit  unb  bie  SBerfe  ber  ©riechen  unb  IRömer,  auf 
^hilofophie  unb  iSlterthumßfunbe,  beren  SDiitglieber  römifche 
Sujdjriftenfteine  auffudhten  uub  alte  <£>anbfd?riflen  auß  ben  ülofter* 
bibliothefen  heraugogen,  meld?e  bie  ©laffifer  mit  faiferlidjen  $)riui* 
legien  ebirten  unb  an  ber^janb  nonSicero  unb  Duinctilian 
auf  bie  Feinheit  ihrer  Sprache  bebaut  maren. 

3u  Strasburg,  Schlcttftabt,  SBafel,  fPforgheim  wirften  ahn* 
liehe  ©efellfchaften  — Poeten  faulen  genannt  — mit  bcrfelben 
Jenbeng,  beren  9JtitgIiebjd?aft  oft  bie  ^requeng  oon  Jpod)fd)ulen 

(»63) 


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12 


übertraf.  Gnge  Segieljungen  einten  biefe  {R^einläaber  mit  ben 
gelehrten  £umaniften  gu  Nürnberg  unb  gu  ’^ugöburg.  SDort  roirfte 
ber  ©eograph  unb  ©(obuäoerfertiger  SBiübatb  ^itfheimer 
nnb  ber  ©chulmann  Heinrich  ©roninget,  hi**  ber  befannte 
intrigier  6 onrab  sPeutinger,  melier  bie&arte  be$  römifchen 
SReidjeö  entbecft  unb  fyeraitSgegeben  ^at11)  nnb  bet  gelehrte 
Somprebiger  3o^finne8  Jpa  ubfdbein,  latinifirt  Oecolampadius. 
Sie  Uuioerfität  felbft  gu  Jpeibelberg  blieb  nod)  fangen  in  beu 
Sanben  beö  ©cholafticiömuö,  unb  noch  immer  ftritten  fidj  l?ier 
9iominaliften  unb  9tealiften  in  ben  Surfen  unb  ben  fcehrfälen 
mit  Söorten  unb  ©djiügen  um  ben  Sorrang. 

Sine  weitere  Srefdfe  in  bie  Seftung  ber  Derfnödjerten  2^eo* 
logic  im  JUjeinlanb  (egten  burdf  ihre  SBirffamfeit  auf  theologifchem 
unb  philologijdjem  ©ebiete  gwei  weitere,  metfwürbige  9Jtänner, 
weldje  rheinifcbem  Soben  entftammen,  3ohann  Söeffel  non 
©reningen  unb  Soljann  JReuchlin  con  $)forgheim.  Sener  ein 
in  bie  jtünfte  ber  fcholaftifdjen  ©ialeftif  eingeweiljter  Geologe 
fämpfte  mit  itjreit  eigenen  SSaffeu  gegen  ben  ©<hlenbrian  be8 
©djolafticiömuS,  biefer  ein  oorgiiglichet  Äeuner  bet  griechifdfeu 
©prache  gog  biefe  guerft  in  ©eutfdjlanb  in  ben  Äreiö  ber 
afatemifdjen  8c^rti)ätigfeit  Ijerein  unb  war  mit  feinem  unioer* 
feden  SBiffen  ber  <£>auptoertreter  ber  universitas  literarum,  welche 
ber  eb(e  ©alberg  am  9lecfarftranbe  gu  grünben  fid>  bat)  3iet 
geftecft  fjatte.  Seibe  Sltänner  übten  burd)  ben  gasreichen  ÄreiS 
ihrer  ©dptler  einen  gewichtigen  Ginßufj  aut)  auf  bie  SilDung 
unb  bie  tMnfchanung  ihrer  3eit.  SBeffel’8  ©chule  lebte  im 
©tiden  fort  alö  Serläuferin  ber  reformatorifchen  (Bewegung; 
gu  (Reuchlin’8  ©chülern  gehören  (Könnet  wie  üJZelanchthon  unb 
Goban  £effe,  Ulrich  non  Jütten  unb  3acob  SBimphe« 
ling,  ©eifter,  welche  tief  in  baä  Käbetwerf  ihrer  ©poche  ein« 
gugreifen  ben  (Beruf  hatten 1 2).  Unb  balb  fodte  bie  literarifche 
Bewegung  baö  gefchiebene  gahrwaffet  afabemijcher  SUjötigfeit 

(5  64) 


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13 


netlaffen  nnb  auf  offener  SBüljne  SBeflen  fchlagen,  weldje  beö 
SSolfeÖ  3?ewu§tfein  unb  feine  St^atFraft  gewaltig  aufgurütteln 
im  ©tanbe  waren.  ©er  Sauerteig  beß  .£umauiemu8  Ijatte  in 
ben  ©eiftern  im  Stillen  gewieft;  auf  feiner  S3afie  feilte  in  23ä!bc 
burch  ba8  Sluftreten  be8  SDRen^eS  non  SBittenberg  ju  2Borm8 
bie  ftille  ©äljtung  anbere,  »ilbe  unb  gefährliche  23aljnen  ein» 
fchlagen ! 

2Ba8  non  Dr.  SJtartin  Butt)  er  in  feinen  SUjefen  bie  et 
an  bie  ber  ©tiftefirdhe  3U  SBittenberg  am  15.  JDfteber  1517 
angefdblagen  h^f  auegefprodjen,  mar:  bie  Verwahrung  be© 
beutfeheu  Völlegefühles  gegen  einen  gemeinen  .£>anbel,  ben  ber 
Slblafjfrämer  Siegel  mit  beß  (Seelenheil  nngefdjeut  trieb, 

ber  Hinweis  auf  bie  j^eilTraft  bee  ©rlöfere,  baS  wieberljaHte 
meit  unb  breit  im  beutidben  Oieic^e.  bei  ftürft  unb  Söauer,  bei 
©eiehrten  unb  Bürgern.  JDie  gan3e  Dppofition  gegen  bie  Ijicr» 
ardhifdjen  3nftitute,  gegen  beä  ^Sapfteß  $>rincipat,  gegen  SSerf* 
heiligfeit  unb  ^eiligenfult,  gegen  ©ölibat  unb  ©eremonienwefen 
hatte  bamit  ba§  SBort  ber  ©rlöfung  nom  Vanne  beß  3auberer8, 
bie  wichtige  3auberformel  ber  energifdjen  Stljat  gefunben.  2Rit 
ben  fchneibigen  glugfdjriften  bcS  fühnen  SÄuguftinermöndjce,  ber, 
ftammenb  au8  thüringifchem  Vaucrnblut,  feine  9?ü(ffid)t  311  nehmen 
hatte  gegen  ^öfifdjeß  SBejeu  unb  ^umaniftifd^en  ©eift  wie 
©raSmuS  non  9i  otterbam  unbVeatuC  0^ Ir e a n u ß , weldjc  nur 
intra  parietes  clerieorum  wirfen  fonnten,  „an  ben  djriftlichen 
Ülbel  beutfeher  Nation  non  beß  «hriftlichen  ©tanbee  Vefferung“ 
unb  „non  ber  babplonifchen  ©efangenfehaft  unb  ber  djriftlichen 
Freiheit"  war  baS  fdjwere  ©i8  beS  haften  geifteS  in  ©eutfdjlanb 
gebrochen.  9We  ©tänbe  fühlten  ficb  eine  in  ber  Vegeifterung 
bei  Anhörung  ber  Sinflagen  gegen  9iom,  in  bem  ^>affc  gegen 
wälfdhee  ^Ifaffenthum  unb  fird)lid)e  SJti&bräucbe.  Unb  babei 
waren  biefe  ©onnerworte  gefdjriebcn  nicht  im  Batein  ber  Äterifer, 
fonberu  in  ben  mit  foldher  Äraft  unb  gülle  nodj  ungehörten  Bauten 

(.'.65) 


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14 


bei  heutigen  SOlutterfpradbe.  See  5Jl6n<bletn8  ©adje  gegen  ben 
gu  Diom  gewann  im  romifcben  fReid?  mit  bei  ©dfnetlig* 
feit  einee  SranbeS  bei  ©turmwinb  eine  unetmejjlicbe  Popularität. 
9Jtan  erhoffte  Sefreiung  bet  Äiidje  oom  IRömertbum,  man  et= 
feinte  giei^eit  ber  Religion  unb  gugleicb  bie  ©rünbung  eines 
»on  Pfaffenberrfcbaft  befreiten  beutfcben  JReicbeS.  Sille  Slugen 
jaljen  auf  ben  ©nfel  9Ka;ttmilian’§,  ben  Äaifer  Äarl  V. 

Unb  ber  23ranb,  ber  gu  SBittenberg  unb  SöormS  aufgeflammt 
mar,  itjn  fd)ürten  bie  Sertreter  breier  ©tänbe  im  5Rb«nlanbe: 
9Utter,  ©eiftlidjer  unb  Sauer,  ba§  feine  flammenben  gunfen 
bi§  311m  Fimmel  lobten  unb  gang  Seutfd)laub  auf  Sabtbunbette 
baS  Siebt  ber  Slufflärung  »erliefen  warb13). 

Ser  Dritter  unb  ©cbriftfteller,  ber  $elb  beS  ©cbwerteS  unb 
beS  ©eifteS,  ber  unermüblidJe  Sorfämpfet  für  bie  DReidjbibee  unb 
bie  goSlöfung  beS  Seutftben  Den  JRom  unb  ben  Papiften,  ber 
^Bannerträger  ber  ©ebanfen,  bie  brei  Sabrbunberte  n ai)  iljm 
in  ben  bergen  ber  beutfdjen  Sugenb  nodj  aufglttben  feilten,  baS 
mar  ber  ©obn  r^einifdjev  ©rbe  — Ultid)  oon  Jütten,  ©e» 
boren  auf  ©djloj}  ©tedelberg  an  ber  Äingig,  etmudjö  er  in 
möndjiget  3«tbt  gu  Bulba,  ftubirtc  gu  Äöln,  am  ©ifce  ber  ©d?o* 
laftif  in  Seutfdjlanb,  bann  in  ©rfurt  mit  bem  lateinifebeu 
Sinter  ©oban  Jpeffe  unb  beenbete  gu  granffurt  a.  b.  Dber 
feine  ©tubien.  5RubeloS  trieb  eS  beit  gemanbten  ©cbriftfteUer, 
ber  mit  gleicher  ©djneibigfeit  gateiu  unb  Seutfdb  ban^babte,  in 
ben  beutf^en  ©auen  ttmber.  Sie  3bee  beS  ÄaifertbumS,  mie 
eS  Äaifet  fötaj:  unter  Anleitung  eines  anbeten  {R^einl5«ber8, 
beS  Äutfürften  Sertbolb  »on  #enneberg  auf  bem  fReidjS* 
tage  gu  SBormS  unb  ©onftang  mieber  butte  aufridjten  mollen, 
war  gu  ©runbe  gegangen  an  bem  PartifulariSmuS  ber  beutfcben 
Magnaten,  bie  gmar  gu  geben  nabmen,  aber  bem  Äaifer  feinen 
gebenSgebovjam  mehr  leifteten.  3u  SBormS  marb  1495  bie 
erfte  fReidjSfteuer  befdjloffen,  marb  ber  „ewige  gaubfriebe" 

(M6) 


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15 


oufgeriddet,  warb  ba8  fReikSfammergerikt  eingefefct,  beffen  Si£ 
f^jäter  2Befjlar  würbe,  warb  baS  SReik  gu  3w>e<fen  ber  IReikS* 
uerwaltung,  bet  {Reit^SredjtSpfleae  unb  ber  5Reik8»etkeibiguna 
in  getyn  greife  eingekeilt  worbert.  feurig  forberte  Äaifer  SRaj: 
gu  ©onftang  1507  gur  58ertl)eibigung  beö  IReikeS  gegen  bie 
übermütigen  SEBälfk««  unb  bie  intriguauten  grangmänner  auf, 
allein  auf  bem  fRümerguge  fam  2Raj:  nur  bis  Orient,  unb  con 
ba  blieben  gefdjieben  bie  ©efkitfe  55eutfklanb8  unb  StalienS. 
33enebig  fottte  für  feinen  ürojj  gegen  ben  ^aifer  gegüktigt  wer» 
ben,  allein  eS  blieb  beim  guten  Sßiflen.  2>a  fkleuberte  Jütten 
feine  glugfktift  exhortatio  ad  Maximilianum  in  bie  SBelt  unb 
forberte  ben  lebten  fRitter  auf,  an  bie  Spi£e  bet  ©priftenljeit  gu 
treten  unb  baS  JReik  gu  retten.  3u«t  gweiten  SRale  trat  pulten 
epokemakenb  auf  im  (Streite  ber  ©djolajtifer  mit  bem  £uma* 
niften  fReuklin.  SDamalS  warf  er  mit  einigen  gleikgeftnnten 
üRännern  feine  fatirifd)en  23ranbpfeile  als  epistolae  virorum  ob- 
scurorum  1516 — 1517  in  baS  feinblidje  Saget.  ©in  jubelnbeS 
©eläktet  riefen  bieje  im  berbften  SRönkStone  gefd)riebenen  ging* 
blattet  in  gang  SDeutfdjlanb  fyeroor,  unb  nikt  gum  wenigften 
oerfyalfen  fie  bem  ^umaniSmuS  gum  Siege  über  bie  5Röndj8* 
fippfkaft  3118  ber  wacfere  $)irff)eimet  ben  Sieg  be6  $umani8* 
mu8  mit  feiner  „Äpologie  JReuklin’8"  oollenbet  fyatte,  brak 
Jütten  in  bie  triumptprenben  Söorte  au8:  „2)a  kr  ©eutfken 
Ijabt  kr  ben  Sieg  6apnion’8  (JReuklin’8),  ben  kr  ben  3ai»en 
ber  fkänblikften  9ö2enfkcn,  ber  Üpeologiften  entriffet.  greut 

euk  benn  unb  flatfkt  in  bie  $änbe! @8  erftarfen  bie 

Äünfte,  e8  fräfHgen  fik  bie  SBiffenfkaften,  e8  erwaken  bie 
©eifter,  »erbanut  ift  bie  Barbarei.  S)er  ji'etfer  ift  gefprengt, 
bet  SBürfel  geworfen  (jacta  est  alea!  Jputten'8  Sßablfpruk), 
gurücfgeljen  fönnen  wir  nikt  meljr.  2>en  55unfelmännern  Ijabe 
ik  ben  Stritf  gereikt;  wir  finb  bie  Sieger!"14). 

2>ajj  einem  folken  9Jlann  wie  Jütten  Suker’8  Auftreten 

tMI) 


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16 


gu  SBermfl,  wo  biefen  nichts  weniger  alfl  bafl  ©chicffal  »on  ^>u§ 
erwartete,  ^o<6  begeiftern  muhte,  war  felbftoerfiänblich.  3n  rafl* 
lofer  Slhätigfeit  fdbrieb  er  glugfdbrift  auf  giugfdbrift,  entfenbete 
er  §)feil  auf  $feil  gegen  bie  beutfcben  Surften,  gegen  befl  ^apftefl 
©ewalt,  barunter  bie  berü^mtefte:  „Älag’  unb  Bermnhnung 
wibet  bie  ©ewalt  be8  {Papftefl".  Söie  berfSRöndb  au8  S^üringen 
fcbrieb  jefct  ber  {Ritter  Dom  {Rhein  in  ferniger,  beutfdher  @pradje. 
2luf  ber  ftolgen  Burg,  wo  bie  5Ral)e  an  bem  ^or^prfelfen  beö 
{PfäljerlanbeS  ficb  brid^t,  auf  ber  ©bernburg,  „bet  Jperberge 
bet  ©erechtigfeit",  ba  tagten  bamalfl  bie  eblen  ©eifter  im  beut* 
fdben  8anbe:  ein  Jütten  unb  ein  Sranj  Don  ©icfingen,  bet 
5Deminifanet  5Rartin  Bucer  unb  bet  IDomptebiget  Decolampabiufl. 
2Rit  ©ewalt  wollte  ber  {Pfälger  $aubegen,  ber  im  {Reiche  wohl» 
befannte  ©icfingen,  ber  auf  feiner  Burg  juerft  ben  ©ottefl* 
bienft  nadj  eoangelifcbem  {Ritufl  eingefiiljrt  ^atte,  bie  Surften* 
macht  Dernichten  unb  bie  {Reichfloerfaffung  umwanbeln  unb  ber 
{Reformation  gum  5)ur<hbrmhe  Der^elfen.  .^utten’A  feurigem  Bu« 
reben  joDte  efl  gelingen  bie  beutjdje  {Ritterjc^aft  unb  bie  beutfdjen 
©täbte  gu  einigem  Raubein  gu  oermßgen.  ©t  forberte  auf  „ba§ 
bie  gween  ©tänbe,  an  benen  bie  meljrer  SDRac^t  beutfdher  {Ration 
gelegen,  untereinanber  gut  Bereinigung  unb  gut  Steunbfdjaft 
fommen".  3m  #erbfte  1522  hatte  ber  ©icfingen  nach  Sanbau 
bie  rheinifche  {Ritterfcbaft  eingerufen.  5Me  Herren  Dom  .fireidhgau 
unb  bem  SBeftricb,  bem  Jpunbrücf  unb  bem  {Rahegau,  bem  SBafl* 
gau  unb  bet  Drtenau  untergeiebneten  am  10.  'Kuguft  bie  Urfunbe 
„brüberlicben  Berftänbniffefl"  unb  wählten  ben  Srang  gum  £aupte 
befl  Bunbcfl  ber  rheinifdjen  {Ritterfdhaft 1 5). 

©8  Ijaubeltc  ficb  offen  um  eine  möglidjfte  Ablehnung  frember 
©ericbtflbarfeit,  ©rhaltung  unb  Befeftigung  gegenfeitiger  frieb* 
lieber  Begiehung,  wechfelfeitigen  Beiftanb  in  Sehben.  9lber  im 
{Reiche  war  mit  {Recht  ber  ©laube  Derbreitet,  bie  Berbünbeten 
beabficbtigten  Der  Slllem  „bem  SBorte  ©ottefl  bie  Sihüren  gu 

(5«S) 


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17 


öffnen!"  Denn  auf  bie  ©bernburg  unb  ihre  23ewobner  waren 
bamalS  bie  äugen  aller  beutfdjen  ‘Patrioten  gerichtet;  fie  war 
unter  ©icfiugen’S  ©djug  bie  „nefte  SSurg  ©otteö",  non  ber 
Suther  fo  begeiftert  fang;  bort  ging  auö  unb  ein  Philipp 9tte* 
landet  hon,  ber  gamuluS  üuther’0,  ber  nur  aügu  milbe  9Reffe 
SReuchlin’0,  bet  Bon  feinen  ©djuleinrichtungen  genannte  praeceptor 
Germaniae.  @r  übermittelte  bem  gur  Dhflt  bröngenben  „gräng* 
djen"  bie  änfidjt  üuther’8  Bon  bem  bewaffneten  ©ingreifen. 
Der  aber  meinte:  „ein  ©hrift  ift  gang  UI,b  8at  e*n  PafpBuö, 

ber  nur  leibet,  ber  (Sljrift  mufc  fid)  ohne  ben  geringften  SBibet» 
ftanb  gu  serfuchen  gebulbig  brücfen  unb  fdjinben  laffeu".  äüein 
ber  Pfälger  fRitter  bachte  anberS,  al8  bet  fachfifche  33auernfohn. 
©i h°n  im  ©eptember  1522  fiel  ©icfingen  mit  ^eereömacht  ein 
in  ba8  ©ebiet  be8  Äurfürften  non  Syrier,  {Richarb  Bon  ©reifen* 
flau’8.  3n  biejem  wollte  et  einen  perfönlidjen  geinb  unb  gugleidj 
bie  geiftliche  unb  weltliche  gürftenmacht  mit  einem  ©chlage 
treffen.  3n  einer  änfprache  an  feine  Gruppen  erfldrte  et,  er 
göge  wiber  bie  geinbe  beä  ©BangeliumS,  bie  SBifdjßfe  unb  Pfaffen, 
günfmal  berannte  et  bie  SJlauern  ber  alten  äugufta  Dreoirorum, 
fünfmal  nutzte  er  gurücf ; ber  3ugug  feiner  S3erbünbeten  blieb 
aufl;  er  wich  nach  feiner  33efte  Sanbftuhl.  Dort  belagerten  ihn, 
ben  oerlaffenen  greiheitöfämpfer,  bie  oerbünbeten  gürfteit  non 
Drier,  bet  Pfalg  unb  Reffen  unb  et  fiel  „ber  legte  beutfdje  SRitter“ 
wütbig  im  ©terben  feinet  angeftrebten  3ioIe,  „nachbem  er  ©ott 
bem  £errn  in  feinem  bergen  gebeichtet".  93iele  Sieber  fangen 
oon  ihm  unb  Hangen  burch  gang  Deutfchlanb: 

„gianj  ©icfingen,  ba8  efcel  S3lut, 
ber  hat  gar  ciel  ber  Sanjfnecht  gut.' 

Die  Hoffnung  beS  SiolfeS  — bie  3«f»«ft  Deutfdjlaubö  — 
fie  war  gebroden  in  bem  oben  gelfengemache  gu  8anbftuhl,  unb 
gu  ©tabe  war  getragen  ber  ©ebanfe  mit  ber  religöfen  ©ewegung 
eine  politifche  gu  Betbinben,  ein  freies  S3olf  mit  freiem  ©eifte 

XIV.  338.  2 (563) 


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18 


in  5)eutjd)Ianb  ju  gewinnen.  93alb  foHtc  tbm  gum  S£obe  fein 
getreuer  ftteunb  Jütten  folgen.  2U6  ©eäebteter  »ar  er  oor  bet 
Äataftropfye  über  ben  fRtjein  in  bie  freie  Schweig  geflogen,  wo 
ihn  3®ingli  ju  3üttcb  freunblidj  aufnabm.  SDott  »erfaßte  et 
feine  lefcte  politische  ©treitfchrift  »gegen  bie  Scannen"  (in 
tyrannos),  gugleicb  bet  {Radjetuf  für  ben  tobten  gelben  »on 
ganbftubl.  3uf  ber  3njel  Ufnau  int  3üri<bet  ®ee  »erblich  am 
1.  September  1523  bet  tobeömübe  Äampfet  für  SBabrbeit,  9Red»t 
unb  gteibeit,  ben  gegen  gürftengewalt  unb  f)faffenmad5t 
im  bergen,  im  Körper  bie  »älfdje  Äranlbeit.  9Rit  ihm  fanf 
bet  lefcte  ©tetn  beS  politischen  unb  fird)li<ben  SReubauS  oon 
2)eutf<hlanb,  ben  auffübren  foUte  bie  beutfdje  3Rei<b8ritterfcbaft 1 *). 
©3  foflte  fobalb  nicht  mehr  bet  SBablfprucb  be$  ©itfingen  im 

9tb«n^al  ®on  9DRunb  gu  ÜJRunb  tönen: 

• 

SJtlein  ©ott  bie  (51jr, 

Uieb’  ben  gemeine  9lufc, 

SBefcbinn  bie  ©eraptigfeit. 

2Bar  ber  ©ebanfe  mit  bet  fircblidjen  gugleid}  eine  politifdje 
{Reformation  gu  »erbinben  auch  am  2Rittelrbein  gefcbeitert  an 
bet  ©egnerfdjaft  bet  durften  unb  bet  ©nergieloftgfeit  bet  beut» 
fdjen  SRitter,  fo  führte  biefe  3bee  an  ben  ^odbgeftaben  beS  9Rbeinfl, 
in  bet  freien  ©chweig,  ein  anberer  {Reformator  burd}:  Ulrich 
3wingli.  @t  ift  unftreitig  eine  ber  reinften  unb  ebelften  @e* 
ftalten  ber  {Refonnationögeit,  bet  mit  Jütten  unb  ©icfingen  ben 
3been  beö  gortfcbritteS  unb  beä  ^umaniömuS  im  heutigen  ©inne 
be8  SBorteS  am  näcbften  ftebt.  3lß  Seute^riefter  am  35ome  gu 
Süricb  mad}te  et  gleidjgeitig  mit  Luther  Dppofition  gegen  ben 
abla|ftam,  bet  in  bet  ©cpweig  nicht  »eniger  fdjänblich  als  im 
{Reich  betrieben  warb,  gegen  baö  ©eremonienwefen  unb  bafl  SBerf* 
heiligtbum.  ©<hon  1520  »erorbnete  in  einem  ©inne  bet  {Rath  gu 
3ürith : e8  füllte  nur  nach  bem  SBorte  ©otteß  bafelbft  geprebigt 
»erben  bütfen.  SDie  neue  8ebte  fanb  in  bet  freien  @dj»eig 

(S70) 


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19 


balb  33ctfaU  in  aHen  Scalern.  3u  SBafcI  fdbritt  bie  Äirdjen» 
fpaltung  uorwärtS  burdj  3obanne8  DecolampabiuS,  ben  bet 
©idfingen  »on  bet  ©bernburg  ^ier^et  gefonbt  batte,  in  ©<haff* 
Raufen  burcb  @ra8mu8  (Ritter,  in  ©laruS  burdb  53olentin  Sfdbubi, 
in  Sern  burcb  Sercbtbolb  fallet,  ben  greunb  SCRelandjt^on’ö. 

Swingti’S  Sehre  war  in  manchen  Segnungen,  jo  in  bet 
Saufe,  bem  Abenbmabl,  freier  geftaltet  wie  bie  Sutber’8,  unb  ba  bet 
Schweiger  (Reformator  gugleidlj  in  politifcber  Segiebung  jebet  3oH  ein 
(Republifaner  war,  fo  war  e8  unnermeiblidb,  baf}  e8  gwifcben  bem 
53  et  tretet  bet  ortbobojreren  unb  Cer  freiftnnigcren  Set)re  gum 
Sörudje  fommen  muffte.  (Der  ©djwarmgeift  jfarlftabt,  bet  Stifter 
ber  Silberfiütmerei,  be8  übertriebenen  53uritani8mu8  be8  ©otteS* 
bienfteS,  welker  mit  bem  communijiifdjen  SBüblet  £bon,®e 
SRünget  in  enget  53etbinbung  ftanb,  batte  burcb  Schmähungen 
gu  Sofel  gegen  bie  „fo  geiftlofe  wie  nicbtsbeufenbe  Sudbftabeu* 
tbeologie"  Sutber  gegen  fidb  aufgebracht  unb  gugleidb  enge  Se* 
giebungen  mit  ben  ®<bweiger  (Reformatoren  angefnüpft. 

Son  fo  eminentem  53ortbeil  nun  ber  Ausbreitung  unb  gefti* 
gung  ber  (Reformation  eine  ©inigung  ber  Sutberaner  im  (Reiche 
mit  ben  beutfdben  ©täbten  ber  ©cbweig  gewefen  wüte,  unb  ob* 
wobt  Sutber  felbft  mit  bet  oberrbeinifdben  ©tobt  ©trafjburg, 
bem  Sinbeglieb  gwifcben  (Rorb  unb  ©üb  »erbanbette,  wo  Sucer 
trotj  allen  £inberniffen  fräftig  für  ben  Sieg  ber  (Reformation 
wirfte,  fo  lam  e8  bo<b  bei  ben  beftebenben  innerlichen  ©egen* 
fäfcen  gwifdben  Sutber  unb  3»ingli  gu  feiner  ©inigung.  Sei 
ber  5Rarburget  (Disputation,  wo  Sutber  unb  3»ingli,  Sucer 
unb  Dftanber,  £>ecolampabiu8  unb  Sreng  erfcbienen  waren,  lieb 
e8  ber  3«loti8mu8  ber  Sutberaner  gu  einer  Serftünbigung  über 
be8  AbenbmableS  Seteutung  nidbt  fommen.  5Rit  (Recht  rief  bet 
®robiani8mu8  Sutber’8  bem  ©cbweiger  gu:  „3b*  b®&t  nicht  ben 
rechten  ©eift",  nemtich  nicht  ben  ber  Unbutbfamfeit  unb  bet 
Drtbobojrie.  §ür  Sabrbunberte  blieben  bie  (Reformirten  unb  bie 

2*  (571) 


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20 


Lutheraner  oon  einanber  gerieben,  unb  baö  auöeinanbergehen  braute 
Unheil  unb  23 lut  mit  ftd>  für  bie  $>rotefianten  beö  {Rorbenö  unb 
bie  {Reformirten  beö  ©übenö,  bejonterö  aber  für  bie  {Rheinlanbe, 
»o  bie  Surften  balb  ber,  balb  jener  ßefyte  hulbigteu  unb  bet 
SBedjfel  beö  ©laubenö  für  Surft  unb  Untertan  auf  ber  üageö* 
OTbnung  ftanb. 

3mingli  ftarb  wie  ©icfingen  auf  bem  Selbe  ber  (Sljre  ben 
#elbentob,  bodj  jetu  2öort  ging  nicht  unter,  eö  blüht  noch  heute 
auf  religiofem  unb  politischen  ©ebiete  bort,  »o  ber  {Rheinftrom 
oou  ben  ©djneegipfeln  bie  tofenben  SBaffet  erhält. 

3n  IDeutjchlanb  nahm  bie  Sahne  bet  nationalen  {Reform, 
»eiche  ber  #anb  beö  fterbeuben  {Ritterö  Dom  ©eift,  Ulrich  oon 
4>utten’ö  entjunfen  »ar,  ber  beutfdje  23auer  auf.  3u  ber 
mittelalterlichen  ©ntwicflung  ber  ©taube  »areu  groar  bie  ©täbte 
unb  befonbetö  bie  rheiuifchen  unb  fcbwäbijchen  »ohlhabenb  unb 
mächtig  geworben;  fte  fchüfcten  ihre  bicfen  {Stauern  unb  ihre 
jchneibigen  ©affen;  allein  ber  »ierte  ©taub  ber  33auetn  mar  »eit 
hinter  ihnen  gurücfgeblieben.  5Ran  hatte  ihnen  oon  ©eiten  beö 
Slbelö  unb  bet  \}o\)en  ©eiftlichfeit  bie  oerhrieften  Siechte  genom* 
men,  man  hatte  bie  ©emeiuben  ber  ©eiben  unb  beö  ©albeö 
beraubt,  man  hatte  bie  ©emeinfreien  bejonberö  in  ©übbeutfch* 
lanb  unb  am  {Rhein  genötigt  alö  geibgebing  unter  ben  „@chu$“ 
bet  hohen  Herren  gu  treten,  man  hatte  ben  „atmen  5Rann" 
mit  Stöhnen  unb  3ehuten  geplacft  »ie  baö  liebe  Sieh-  Sie 
hatten  fein  {Recht  unb  fein  ©ericht,  alö  baö  oon  ihrem  Jptannen 
ihnen  gufommenbe.  ©o  »ar  eö  gefommen,  bafj  fchon  cot  ben 
{Reformationen  einzelne  S3auernfchaften  mit  ©eroalt  gegen  ihre 
©emalthaber  aufgetreten  waren,  unb  bafe  bet  23unb  beö  „armen 
Äonrab“  (oon  „foan  {Roath"  = fein  {Rath)  in  ©chmaben  Sin* 
fang  beö  16.  Sahrhunbertö  üaufenbe  oon  Anhängern  bejafc. 
3?ie  S?e»egung  beö  „armen  Äonrab“  in  ©ürtemberg  »ar  1514 
oon  #erjog  Ulrich,  bem  23auernfchinber,  mit  Solter  unb  genfer* 
(»«) 


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21 


beil  unterbricht  worben.  Allein  bie  ©Sprung  im  {Recfar*  unb 
Dbmfyeintfyal  »erblieb  unter  ben  gebrühten  ©auern  unb  ben 
gefdjunbenen  Äleinftäbtern.  3u  bem  »orhanbenen  ©rennftoff  in 
ben  »Seelen  bet  geplagten  ©ewohner  beS  platten  SanbeS  treten 
bie  reformatorifdjen  3been  guther’S  unb  SwinflH’S  bagu.  SDie 
{Reformation  »erbreitete  in  ihrem  ©efolge  nicht  blo§  ben  @e* 
bauten  ber  religiöfen  Befreiung,  fonbern  erregte  auch  ben  SBunfdb 
nad)  Politiker  unb  fogialer  Umgeftaltung,  gumal  bort,  wo  {Rifi* 
ftänbe  aller  21 rt  bafüt  einen  fruchtbaren  ©oben  norbereitet  hatten 
Dh««  bie  {Reformation  wäre  eine  allgemeine  ©thebung, 
wie  fte  ber  ©auernfrieg  fat? , nicht  percorgebracht  worben,  aber 
bet  ©ruh  war  fcbon  »or  ber  {Reformation  »orhanben.  ©er 
©ebanfe,  baft  an  ber  SBiebergeburt  ber  beutfdjen  {Ration  bie  btei 
Stäube:  {Ritter,  {Bürger  unb  ©auer  »ereint  mitarbeiten  mü&ten 
gehörte  fchon  bem  ©eifte  .£mtteri8  an.  3n  Dbetfcljmaben  »om 
©obenfee  bis  gum  weftlichen  ©nbe  beS  ScbwatgwalbeS  hatte  beS 
fterbenben  {Ritters  9luge  bereits  baS  8anb»olf  in  ©ährung  ge* 
fehen;  er  felbft  hatte  agitatorische  ©erbinbungen  mit  bem  ge* 
meinen  {Rann  auf  bem  Sanbe  angefnüpft.  SöaS  er  nicht  weiter 
bauen  tonnte,  baS  »»[(brachten  {Rannet  wie  SBenbel  £iplet  non 
Nürnberg  am  {Recfar,  ShDma8  {Rünger  auS  Thüringen,  bie 
»erfannte  gcuerfcete,  ^ubmaier,  ber  Reformator  im  Sdjwarg* 
walbe.  ©on  ber  freien  Schweig  he*  wehte  bet  gewaltige  2Binb 
in  bie  Shalungen  beS  SchwargwalbeS,  wo  noch  auf  eigenem 
4jetm  freie  ©auern,  bie  {Radjfommen  bet  {Römetbegwinger,  bet 
Sllemannen  häuften.  3»  äöalbSljut,  im  Sanbe  bet  £auenfteiner, 
tönten  guerft  bie  Sturmglocten , welche  ben  gemeinen  {Rann  gu 
ben  SBajfen  riefen,  ihn  aufrüttelten  bie  alte  Schmach,  ben  ©faffen* 
unb  Sprannenbruh  abgufchütteln.  Unb  balb  fanb  ber  {Ruf  SBiber* 
hall  am  ©obenfee  unb  im  Sällgäu,  im  ©Ifafj  unb  in  ber  $falg, 
am  {Recfar  unb  am  {Rain,  an  ber  Sauber  unb  am  {Rhein.  3)ie 
©ewegung  war  oon  ©eginn  an  eine  bemotratif<h*religiöfe  mit 

(#73) 


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22 


bet  abfidjt  ben  jfaifer  an  bie  ©pi^e  be8  neuen  ©emeinmefenS 
gu  fteflen.  ®ie  moUten  nicht  mehr  bem  Slbel  geborgen,  fonbern 
nur  bem  Äaifet,  erflärten  bie  Säuern  in  bet  Umgegenb  non 
SBalbSbut,  alö  fie  im  3uli  1524  mit  einer  f<^t»ar3«rot^«  gelben 
JReid)8fabne  »oran  in  bie  ©tobt  gogen.  Sielfacb  ftanben  an  bet 
©pifce  bet  aufrübrerifcben  Sauernfcbaften  Pfarrer,  ^räbilanten 
genannt.  3bre  ,£>auptforberungen  fteHten  fie  als  „gmolf  Slrtifel“ 
gujammen,  unb  blibfdjnefl  fanb  bieS  SBtanifeft  beS  gemeinen 
3Ranne8  al8  glugfdjtift  Serbreitung  in  gang  SDeutfcblanb.  SDieS 
micbtigfte  Slttenftücf  bet  gangen  politifdjen  5Refotmation8geit,  net' 
fafjt  mabrfdjeinlicb  non  bem  Planer  ©^riftop^  ©Rappelet  in 
Lemmingen,  »erlangte  in  mit  ©teilen  au8  bet  b-  ©cbrift  be* 
legten  furgen  SBorten  bie  Slbfdjaffung  ber  Seibeigenfcbaft,  bie 
Sernicbtung  bet  auSfcpejjlidjen  Diente  be8  2lbel8  unb  bet  ©eift* 
liebfeit  auf  3agb  unb  gifdjfang,  IRücfgabe  ber  ©emeiubemalbuugen 
unb  ber  ©emeinbeläubereien,  Sefdjränfung  ber  großen  unb 
3ebnten,  Reform  be8  ©ericbtSmefenS,  SBabl  ber  ©eiftlic^en  butdj 
bie  ©emeinben.  ©8  finb  lautet  Verlangen,  melcbe  nach  bem 
35utd}brudje  bet  3been  SRouffeau’8  »om  contract  social  im  Ser» 
laufe  bet  frangöfifdjen  {Renolution  nach  3a^rl)unberten  auf  beutjcben 
Soben  realifirt  mürben.  3)ie  3ufammenfteBung  bet  gorberungen 
ber  Säuern  machte  felbft  auf  hohe  #dupter,  mie  Äurfürft  8ub» 
mig  non  bet  $)falg  ©inbruef;  er  fdjmanfte  in  feinen  Slnficbten 
unb  bat  auch  nachher  nur  mit  Süibetftreben,  als  bie  3lu8f(brei* 
tungen  bet  ©mpörten  gu  ftarf  mürben,  bie  Säuern  mit  ©eroalt 
niebergefcblagen.  2)er  Sauernfobn  Dr.  8utber  erfannte  bie  JRed)t* 
mäfjigfeit  mehrerer  gorberungen  beS  aufrübrerifcben  SolfeS  an 
unb  rietb  ben  gürften  5lnfang8  gu  einem  bifligen  Slbfommen. 
SBäre  ein  Ulrich  »on  Jütten  ober  ein  ©iefingen  jefct  an  bie 
©pifce  bet  tief  gebenben  Semegung,  bie  au<b  bie  ©tdbter  ergriff, 
getreten,  bie  beutfebe  ^Reformation  batte  am  ©nbe  febon  nor 

(574) 


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23 


Saljttjunberten  erreicht,  maß  unß  nadlet  Dom  Sgeften  \)tx  in 
anberer  gorm  halb  aufgenötbigt  würbe!17) 

3u  £eilbronn,  einer  ©tabt,  bie  man  jum  ©ifce  beß  fünftigen 
Sauetnreicheß  erfieft  ^atte,  fafj  bet  Sauernaußfcbufj,  2Benbel 
£ibler  an  ber  ©pifje,  unb  berietb  übet  ben  ©ntmurf  einet 
SReicbßoetfaffung.  3obanneß  ©djen:  nennt  fie  ein  wabteß 
SJieiftetftüd  ^ellfidjtiger,  gerechter  unb  patriotifcbet  ^olitif  für 
bie  bamaltge  3«t!  Stber  fcbon  b“tteu  »bie  ©chtecfenßmännet" 
unter  ben  SReDolutienären  burch  bie  Untbat  oon  SBeinßbetg  ben 
gangen  Slbel  unb  bie  dürften  im  {Reich  gegen  ficb  in  Söaffeu 
gerufen.  SDie  rabifate  Partei,  ben  {Ritter  glotian  @ei?et  non 
©eperßbetg  Dom  oberen  9Recfartl)ale  an  ber  ©pifce,  wollte  Ser« 
nicbtung  beö  3unfet*  unb  ^faffentbumß  unb  Slbfchaffung  ber 
•Rleinftaaterei.  ©8  ^anbelte  fid>  für  Ärummftab  unb  fronen 
um  einen  Äampf  auf  geben  unb  Stob!  Daß  blutige  JDfterfeft 
gu  2Seinßberg  entflammte  aud)  ben  3ßtn  gutber’ß,  ber  überbauet 
ber  fübbeutfcben  Bewegung  ber  ©eifter  gu  ferne  ftanb.  ©t 
brauchte  ©ewaltbabern  wie  Slnton  oon  gotbringen,  Ulrich  oon 
SBürtemberg  unb  tot  SSMern  bem  gelbbauptmann  beö  fdjwabifchen 
Sunbeß  Sttudjfefe  oon  SBalbenburg  nicht  zweimal  gugurufen: 
„man  fotl  fie  getfchmeifcen , würgen  unb  ftedjen,  heimlich  unb 
öffentlich,  wer  ba  fann,  wie  tolle  ^unbe".18)  5)ie  ganbßfnedjtß* 
banben  ber  dürften  unb  Sifdjöfe,  ihre  ^ellebatben  unb  galfonette 
würben  überall  balb  ^>err  übet  bie  oereingelten  Sauernbaufen. 
SRur  wenige  ©chaaren  ftanben  unter  ftiegßfunbiger  gübrung, 
wie  ber  „beOe“  $aufe  auß  bem  Dbenwalb  unter  ber  beß  ©ö£ 
oon  Setlidjingen  unb  bie  „fcbwarge  ©d)aat“  auß  ber  {Rotten« 
burger  ganbfchaft  unter  ber  geitung  beS  friegßtüchtigen  glorian 
©e^er.  2)aß  „etangelif^e  £eer"  brach  fi<h  bie  .Köpfe  au  ben 
SBRauern  ber  SRatienbutg,  ber  «£>ocbDefte  oon  SBürgburg,  beten 
reoolutionare  {Bürgerschaft  bie  Aufrührer  bortbin  gerufen  butte. 
2)ort  unb  bei  Königßbofen  Derbluteten  bie  fränfifchen  Säuern, 

<”3) 


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24 


bei  Söhlingen  tcfclug  bet  iru(bfe§  bie  Scfcmäbifcben  auffl  Jpau^t, 
bei  $febber8beim  in  ber  Dbeinebene  fanfen  bie  ^folget  unb 
©Ifafcer  cot  Äurfürft  gubmig  unb  bem  ©rgbifdjof  Did'arb  oon 
Üriet  auf  bie  blutige  ©rbe.  ©8  mar  ba6  Sauernbeet  „ein 
Diefenleib  in  5Baffen , aber  menig  brauchbare  ©lieber“.  8uf 
ben  ©chajfotten  unb  unter  ben  Dutbenfireichen  nerblutete  bamald 
bie  befte  Jfraft  be8  beutfdjen  SelfeS.  Jaufenbe  non  tüchtigen 
Sürgern  gingen  gu  ©runbe  burd)  bie  ©djlachten  unb  bie  #inricb* 
tungen,  burdjSledjtung  uub  Verbannung,  burcb  junger  unb  ©lenb. 
3»ar  im  CR^cinlanbe  mären  gasreiche  Surgen  gebrochen  morben 
unb  manch’  jflofter  niebergebrannt , aber  ben  Vorteil  baoen 
jogen  bie  dürften,  meldje  bie  .Rlefter  aufboben  unb  gu  ftaatlicben 
3»ecfen  benu^ten.  3n  biefet  Segiebung  aUerbingö  festen  bie 
dürften  fort,  ma8  bie  Säuern  angefangen  Ratten.  Unb  obmobl 
beö  ganzen  SeginnenS  ©ebanfe  gu  ©runbe  gegangen,  unb  für 
3abrbunberte  beö  rbeinifchen  Sauernoolfe8  Söiberftanbßfraft  ge* 
brechen  mar,  fo  b°Ue  ber  gemaltige  ©türm  bod)  einige  ©t* 
leidjterungen  mit  im  ©efolge  für  ben  „armen  fDiann".  ©o 
batte  Äurfürft  gubmig  V.  »on  bet  f)falg  nach  bem  ©iege  bei 
9}febber§beim  eine  Serfammlung  ber  ©bien  in  feinem  8anb  be* 
rufen,  bet  er  empfahl  jeben  aufreigenben  9lnla§  gu  meiben;  bie 
Sefchmerben  ber  Säuern  gegen  bie  öffentlich«  ©emalt  unb  bie 
Sitten  um  ©rleidjtetung  in  gtobnen,  3ebnten  u-  f-  »•  tollte  eine 
eigene  ©ommiffion  prüfen.  „2)er  freien  gehre  be8  reinen  ©nan* 
gelium8  foflte  aber  non  oben  fein  £>inbetnif}  in  ben  ffieg  gelegt 
metben" 1 »). 

2)ie  Deformation  ging  nach  bem  $obe  be8  greibeitöfämpferß 
Ulrich  »on  Jütten,  nach  bem  Diebergange  be8  ehrgeizigen 
©{(fingen  unb  nach  ber  Diebetlage  ber  beutf^en  Demofratie 
gmar  ihren  befannten  ©ang  meiter,  aber  e8  maren  im  ©to|en 
unb  ©ahgen  bie  gürften  unb  eingelne  freie  ©täbte,  melcbe  ben 
Deigen  ber  Deformation  fortfebten  unb  nicht  ba8  gang«  beutfehe 

(iU) 


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25 


33olf  ba8  bet  Seljte  »om  freien  ©»angeliunt  felbftbetou&t  guge- 
ftimmt  Ijdtte.  (Der  Äurftttft  Subteig  Y.  Wat  gu  unentfdjloffen 
um  am  (ReidjStage  gu  ©peper  1529  bie  (Rolle  gu  fielen,  weldje 
itjrn  ba8  ©efdjidf  nadj  bet  (Bebeutung  feiueä  Sanbeö  guwie8.*°) 
3teat  bie  tljeinlänbifdjcu  (Reid)8ft5bte:  ©ttafeburg,  (Rürnbetg, 
©oftnifc,  Sinban,  ^eübronn,  (Reutlingen,  äöeifjenburg  a./©., 
2Bin8fyeim  untergeidjneten  am  19.  Styril  „»ff  bem  ,£mf)"  ben 
(Proteft  gegen  ben  (Reid)8tag8abfcfyieb,  wonad)  fidj  bte  2lnt)äuger 
bet  neuen  Sefyre  bem  (Befdjluffe  bet  (IReljrfyeit  gu  fügen  galten, 
allein  »on  ben  tljeinifdfjen  »ielcn  dürften  toar  nur  einet  bei  bet 
füljnen  Stfyat:  (Philipp,  Sanbgtaf  »on  Reffen.11) 

Süäljrenb  am  £)berrl>ein  bie  reformatorifdje  (Bewegung  fo 
»iel»etfpred)enb  begonnen  ijatte  unb  ©ebaftian  Büglet  »on  feinen 
SanbSleuteu,  ben  ©trafjburgern,  fagen  fonnte  „fie  traten  nidfjt 
anberS,  als  ob  fie  »oll  Seufel  waten,  alfo  ijat  baß  ©»angelium 
in  iljnen  gerumpelt",  war  ba8  gange  (Refultat  beS  ^rogeffeö:  ein 
(Biertel  (Proteftanten  auf  bem  red)ten,  ein  (Drittel  auf  bem  linfen 
Ufer*2).  9lm  5Rittelrl)ein  war  e8  noä)  fdfylimmet;  gu  jföln 
fyatte  bet  ©rgbifdjof  Hermann  »on  SBieb  unb  fpäter  ©ebfyatb  II., 
Sfcrudjfefe  »ou  (Balbenburg,  »on  oben  tjerab  beu  ^)roteftanti8mu8 
begünftigt,  allein  et  fanb  feinen  ©ingang  in  bem  „tyiöigen  ©öden". 
(Die  wenigen  (Hnfyänget  bet  neuen  Seljte  mufjten  flüdjten  unb 
begtünbeten  gn  Ärefelb  unb  ©Ibetfelb  bie  Seinwanb*  unb  dudj* 
iubuftrie.  Slbgefdjrecft  modjte  bie  SBürget  »on  bet  neuen  Seljre 
Ijaben  bie  gatce  gu  SfRünftet,  bie  ftd^  halb  in  ein  Srauerfpiel 
»etwanbeln  feilte.  3»«  ©d?wcirmet  au8  ^>ollanb,  San  dRattljpß 
unb  San  (Bodfelfon  Ratten  bort  mittelft  bet  toUften  9)l)anta8men 
ftd>  bet  beutfdjen  Sijdfjofftabt  bemächtigt  unb  bie  rofyeften  £rau* 
meteien  be8  Äommuni8mu8  unb  bet  (Bielweibetei  bafelbft  eine 
3eit  lang  in  ©gene  gefegt.  9Rit  geuer  unb  ©djwert  rottete 
bie  (Reaftion  in  SBeftpfyalen  bie  wiebertäufetifdjen  Sbeen 

in  bet  golge  au8,  unb  bis  auf  ben  heutigen  Sag  blieb 

(177) 


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26 


im  alten  ©adjfenlanbe,  auf  ictljer  ©rbe,  ber  ÄattoHciSmuS  in 
intenftoer  SBeife  bie  tetrfdjenbe  anfdjauung**). 

Dietr  ©tfolg  ^atte  bie  Deformation  am  SRieberrfjein  in 
•ipollanb  aufeumeifen.  35ort  Ratten  bie  genannten  23 rüber  befl 
gemeinfamen  8eben8  ben  23olf8boben  gehörig  Berber  eit  et;  puppet 
oon  ©od)  unb  Dudjrait  Bon  SBefel  Ratten  bafeibft  fdten  Bor 
Butter  gegen  ba8  ^faffenregiment  geprebigt,  gegen  2Berfpeiligfeit 
geeifert  unb  ftct  auf  bie  auguftinifdje  8etre  berufen,  gutter’8 
©«triften  mürben  in  ben  getnerb«  unb  fyanbelötfyätigen  ©täbten 
ber  Dieberlanbe  mit  23egei[terung  gelefen.  2)ie  crften  9Qftärtprer 
ber  neuen  Eeljte,  'axoei  SSugufiinermöndte  £einrid)  23oe8  unb 
3otann  ©fdj  erlitten  ju  3lntmerpen  anno  1523  fyelbenmütfyig 
ben  geuertob;  8utter  befang  ifyren  glammentob  in  bem  Siebe: 
„ein  neueä  Sieb  mir  ^eben  an  u.  f.  m."  2lu8  biefer  ©aat 
fprof)  bet  neue  ©laube  in  ben  ©täbten  Slntmerpen  unb  Dotter» 
bam,  Srügge  unb  Slmflerbam  mädjtig  empor.  Unb  ob  bet 
ÄaifeT  Äarl  V.  in  feinen  ©tblanben  gemäfj  bem  2Botmfet  ©bift 
Uaufenbe  mit  ©ctmert  unb  ©djeiterljaufen  ^inrid^ten  medtte 
laffen,  mit  jäfyer  .Kraft  erhielt  fidt  brunten  in  ber  ©bene  bie 
neue  £epre  unb  fog  neues  23tut  au8  bem  gerotteten  ©rbreidj. 
23alb  flammte  aud)  t*er  9e8en  Üprannenmactt  ber  politifdje 
greiteitSfinn  empor,  ba8  muttentbrannte  23olf  ftürmte  Äirdjen 
23ilber  unb  Slltäre,  unb  nadj  jmölfjätrigem  Kampfe  totte  fidt 
ba8  2anb  an  ber  SDünbung  beS  DteinftromeS,  nadtfolgenb  ben 
23rübern  in  ber  ©dtmeifl,  frei  gemadtt  Born  ^)faffenttum  bet 
3efuiten  unb  ber  £enfer§terrfdtaft  fpanifcter  ftürftenfne<tte*4). 

Unb  biefer  burctgreifenbe  ©ieg  ber  Dppofttion  auf  firdj* 
lictem  unb  politif(ten  ©ebiete  in  ben  meit  fidt  betnenben,  bem 
SDeere  abgerungenen  Diebetlanben  mar  eng  oerfnüpft  mit  ber 
Beränberten  ©onfteUation  beö  #anbelS»  unb  33erfetr8äuge8,  mit 
bem  in  feiner  Didjtung  geänberten  ©trome  bet  ©ultur. 

Deben  bem  ,£>umani8mu0  unb  ber  Deformation  mar 

(S78) 


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27 


ba8  britte  gro&e  ©reignifj,  welches  epodjemachenb  wirfte  unb  bie 
neue  Beit  einleiten  foDte,  bie  ©ntbedfung  non  SNmerifa.  3n 
erfter  8inie  mar  jd)on  bet  ©ang  beS  SSetfetyrfi  geänbert  worben 
jum  fRadjtheil  ber  oberitalifdjen  ©täbte,  fowie  ber  (Zentren  im 
{Rhein*  unb  iDonauthale  burdj  bie  auffinbung  beS  @eewege8 
nach  Dftinbien  um  bie  ©übfpi^e  Slfrifa’S  is).  35er@trom  beS 
SßetfehreS  bewegte  fi<h  feitbem  allmählich  nicht  mehr  non  9torb* 
italien,  SSenebig  unb  ©enua  au8  nach  ben  reichen  3»nen  3nbien8, 
fonbern  !am  in  bie  £änbe  ber  fpanifchen,  portugiefifchen  unb  ferner* 
hin  ber  niebetlänbifdjen  ©eeftäbte.  5)ureh  bie  auffinbung  amerifa’8 
mit  feinet  jungfräulichen  ^)robuftenweIt  aber  ftrömte  neues 
geben  juncct  auf  bie  ibetifdje  £albinfel  uub  ben  SRorben  ©utopa’8» 
unb  balb  folgten  als  Slaufchmittel  bie  ©r^eugniffe  auS  £ollanb, 
granfreich  unb  ©nglanb  nach.  8ür  bie  iubifchen  ©ewitrje,  für 
©eibe  unb  ©efchmeibe,  für  bie  {Rohprobufte  SDRittel*  unb  5Rorb, 
amerifa’S,  9RetaUe  unb  garbhßljer,  balb  auch  3uderrohr  unb 
Kaffee  lieferten  Antwerpen  unb  ©ent,  Slmfterbom  unb  23rüggc 
SRaffen  »on  Such  unb  geinwaub,  gebet*  unb  ©laSroaareu, 
©pifcen  unb  Tapeten,  Sroncen  unb  anbere  ÜRanufacturen. 

Slber  nicht  nur  ber  birefte  <£>anbel  mit  ben  unaußgebeuieten 
tranöo^eanifchen  ©efilben  tief  iu  ben  SRieberlanben  einen  coloffalen 
©onfluj:  oon  {Reidhthum  unb  guj:u8  tyxvox,  auch  ber  3»»if<hen* 
hanbel,  bet  aömählig  gan$  in  bie  .£>änbe  ber  {Ricberlanbe  fam, 
führte  ben  nieberrheinifchen  ©täbten  immer  neue  Duellen  be8 
SSohlftanbeS  ju.  33enebig,  bie  ftolje  Königin  ber  Jpabria,  unb 
©enua,  bie  33ehcrrfcberiu  be8  ligurifchen  ÜReereS,  würben  im 
Verlaufe  be8  16.  unb  17.  3ai?T^unbert0  »on  ihrem  &hrcne  het’ 
abgeftofjen;  Sötftgge  unb  antwerpen  würben  bie  Königinnen  be8 
Sßelt»er!ehr8.  5Rit  bem  {Riebergange  ber  oberitalifchen  ^>anbel8* 
empörten  fan!  auch  in  tapibet  SBeife  bie  Sebeutung  ber  rhei» 
nifcheu  ©täbte.  2)er  gan$e  3»if<benhanbel  nicht  nur,  beu  bisher 
jwifchen  9iorb  unb  ©üb  ©trafjburg,  ©peper,  SBormß,  Köln  u.  a. 

(««) 


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28 


»ermittelt  Ratten,  glitt  mit  bem  »eränberten  3uge  ber  93erfebrS» 
mege  feinen  3ubabern  am  SR^eine  au8  ben  £änben,  auch  bie 
eigene  9)robuftion  »etlor  mit  bem  Slnffcbmung  ber  Snbnjttie  in 
ben  Dieberlanben  an  ©nergie  unb  Schwunghaft.  Äöln  »er* 
fanbte  je^t  faft  nur  noch  SBein  ben  Strom  hinab,  unb  eine  be» 
beutenbere  Dolle  als  3»if<benhlab  erhielt  fidf  nur  mehr  baS 
©ir-potium  am  ÜJtain,  granlfurt.  5ßon  SBeltftäbten  würben 
bie  rljetnifcben  Zentren  in  ben  nädjften  Sa^bunberten  gu 
SJinnenmärften  ^erabgebriieft , welche  ben  totalen  Sßerfeljr 
»ermittelten  unb  bie  Umgebung  mit  ihren  Snbuftrieartifeln  gu 
eetforgen  nur  23eruf  batten. 

SDagu  tarn  als  biubernbeS  Moment  bie  innere  Schwäche, 
welche  in  Böige  bet  anbauernben  Deformationswirren  ben  Schcof) 
bet  ©üvgerfchaft  übertam;  „bie  Butber,  bie  §)apft!"  war  ja  baS 
Belbgefchrei , welches  ein  Sabrbunbert  lang  gu  Stra&burg  unb 
jtölu,  gu  Branffurt  unb  SBormS  bie  ©emütber  in  Aufregung 
erbiell.  Bei  ber  war  auch  bet  Sufjere  Äitt,  welker  bisher  bie 
rbeinifchen  unb  übrigen  beutfehen  ^»anbelSftäbte  »erbunben  batte, 
bie  Stäbtebünbniffe  unb  bie  £anfa  bem  Sahne  bet  ©egner 
unb  innern  £>hvofition  erlegen.  SDaS  bünbifche  SBefen  ging  gu 
©runbe  im  Kampfe  gegen  baS  erftarfte  Büeftentbum,  beffen 
SJiacbt  bie  Safularifationen,  welche  in  Böige  ber  Deformation 
eintraten,  auf  eine  bominirenbe  £öbe  gebracht  warb.  5)er  rbei* 
nifebe  Stäbtebunb  war  im  Seginn  beS  14.  SabrbunbertS  gu 
einer  äbgweigung  beS  fchwäbifchen  geworben,  unb  beffen  ©lütbe 
brach  bie  Schlacht  bei  SDßffingen  1388  unb  ein  3abt  barauf  ber 
Banbfrieben  beS  SBeinlßnigS  SBengel,  bet  ben  23unb  als  „wtbet 
©ott,  baS  heilige  römifche  Deich  unb  baS  Decht  für  ewige  3eiten 
aufgehoben,  abgetban  unb  abgefagt"  erflärte56)-  ®ie  «£>anfa 
unb  ihre  Deugeftaltung,  wie  folche  gu  Bübec!  ber  23ürgermeifter 
SB  ul  len  Weber  auf  bemofratifcher  SßaftS  »erfucht  batte,  würbe 
burch  faiferliche  ©inmifebung  gu  Dichte  gemacht,  unb  ihr  lebtet 

(580) 


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29 


$elb  fiel  1537  als  Opfer  eines  blutgierigen  Surften  unb  eine« 
beteiligten  ^atrigierregimenteS.  ÜRit  ihm  fanf  auch  baS  Sanner 
ber  £anfa,  baS  Sa^unberte  laug  auf  allen  füteeren  geljerrfcbt 
hatte,  allmählich  fyiuab  in  ben  ©taub  beS  ©piefjbürgerthumS 
unb  ber  Sßerfnöcherung  * 7). 

2)ie  ©ultur,  bie  ihren  SluSgang  einft  non  ben  günftig  ge* 
legenen  JR^einlanben  genommen  hatte,  mar  überhaupt  mehr 
peripherifch  gemorben,  bie  frifdjen  Mochtet  überflügelten  bie  grau 
gemotbene  9Rutter.  $Da  lag  im  Stanfenlanbe  npag  ^teinob  beS 
9ieicbeS",  baS  an  CfRacht  unb  @hren  reiche  Nürnberg,  bie  alte 
SRoriS.  SBeit  ragte  eS  im  fRorbgan  empor  mit  feinem  gewaltigen 
3innenbau,  feinen  gum  ^immel  ftrebenben  SDomen,  feinen  ftolgen 
©iebcln,  unb  innen  regte  fid)  ein  thatfräftigeS,  freies,  in  aüen  ©emerben 
gemanbteS  SBolf.  £ier  feierte  bie  SRenaiffance  ihre  Triumphe 
auf  beutfdjem  Soben!  2Da  ermecfte  ber  93ilbfjauer  Slbam  Ärafft 
ben  tobten  ©tein  gum  geglieberten  geben,  ba  gof)  Bieter  23ifd^er 
mit  ^o^eitSooßer  ©chönheit  bie  gierlichen  23ilbungen  beS  @e* 
balbuSgrabeS,  ba  fr^nitt  93eit  ©tofj  auS  ©icheuflöfcen  liebliche 
©ngelSbilber,  l)ier  enblid)  geic^nete  bet  9Rann,  ber  norbifdje 
Äraft  mit  maljchet  Äunft  gu  binben  muffte,  ber  beutfdfe  SRichel 
Slngelo  feine  »on  ©eifteSgluth  burdjtränfte«  ©eftalten,  l)ier  fdjrieb 
er  feine  ©efefce  ber  menfdjlichen  ©eftalt  nieber,  bier  mßlbte  er 
bie  SUefentbürme  gum©<hufce  feiner  Heimat,  Wibrecht  2)ürer, 
ber  ^Reiftet  in  33erfinnli<hung  germanifchet  ©emüthStiefe  unb 
marliger  Sluffaffung.  S3on  ihm  foll  fein  greunb  nnb  3eügenoffe 
Sftafael  ©angio  geäußert  haben:  „©iefer  mürbe  unS  2l0e  übet» 
treffen,  menn  er,  mie  mir,  bie  Slorbilber  beS  SllteithumS  oot 
SHugen  gehabt!“*8)  3«  Nürnberg  en blich  fang  unb  fchufterte 
$anS  @ad}8,  ber  SReifterfänger  trefflicher  SReifter,  ber  fd)on  im 
3ahre  1523  baS  gob  ber  „SBittenberger  SRathtigaö"  oerfünbet 
hatte.  3a  fRürnbetg  tonnte  bamalS  in  bet  erften  #ülfte  beS 
16.  3ahrhunbertS  mit  Sftecht  als  beS  Reiches  geiftige  £auptftabt 

(S81) 


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30 


gelten,  unb  2tenea8  ©ploiuS  au8  ©iena,  ber  nacbherige  f)apft 
9)iu8  II.  ruft  bei  ihrem  Slnblicfe  auS:  „2Ber  ift  prächtiger,  als 
ba8  SJlünfter  be8  h-  ©ebalb  ober  be8  h-  2ourentiu8?  3Ba8  fefter 
unb  bertjcbenbet  al8  bie  König8burg?  SBiemel  Sürgerhäufer, 
ber  Könige  würbig,  ftnbeft  bu  bort!  Die  .Könige  ber  ©djotten 
rnö^ten  wünfdjen  fo  herrlich  3u  wohnen  al8  Nürnbergs  gewöhn* 
liehe  Sürger,  faft  alle  Kaufleute,  Künftler  unb  .panbwerfer!"  — 
2Merbing8  hätte  ber  enthufiaftifd)e  3taliener  70  3al)re  nachher 
ben  ©eiftlidjen  3U  ®t.  Sorenj  ba8  Slbenbmahl  mit  Srot  unb 
SBein  außtheilen  fehen,  faum  wäre  feine  8obrebe  fo  begeiftert 
geflungen.  @d)on  1324  war  ba8  neue  Äirchenthum  3U  5Ritrn* 
betg  »oDftänbig  unter  SDRelanchthon’S  iHegibe  eingeführt,  ber  ba» 
jelbft  au8  einem  2luguftinetfloftet  ein  erfteö  ©pmnaftum  etfdjuf!* 9) 

9loch  höheren  ©chwung  nahm  Kunft  unb  SBiffenfcbaft 
in  ben  fliieberlanben!  Dort  floffen  ja  im  16.  unb  17.  3ahr* 
hunbert  bie  SReichthümer  be8  Orients  unb  ber  neu  entbeeften 
©rbtheile  3ufammen;  bort  bienbete  beim  ©inguge  3U  Antwerpen 
jelbft  eines  SBeltherrfcherS  mübeS  3luge  bie  finnenberüdeube 
Fracht  unb  ber  lufttaumelnbe  Sieichthum.  flftafart’S  uufterbliche 
garben  hflben  ja  un8  ©pätgeborenen  ben  $Mnfel  eines  IRubenS 
erfeht,  ber  würbiger  folgen  0f?eij  nicht  hätte  auf  bie  Seinwanb 
jaubern  fönnen! 

Klaubern  würbe  bie  ©eburtSftätte  ber  mobernen  9Jlaler!unft 
im  korben30).  Die  ©ebrüber  ©pd  Ratten  e8  Anfangs  be8 
15.  3a^r^unbcrtö  oerftanben  bie  Malerei  »on  ber  fchematifchen 
Sehanblung  be8  SpgantimiSmuS  lo8gulöfen  unb  ihr  bie  9tatur 
3um  ©ubftrat  gegeben.  3n  ber  3«<hnung  war  ftreng  unb  ernft 
#an8  SDiemling,  ber  mit  liebenSwürbiger  ©mpftnbung  in  feinen 
meift  fachlichen  Silbern  einen  ^o^en  ©rab  uon  gebenSwahrheit 
unb  realiftifcher  SoQenbung  erreichte.  9luS  feiner  Schule  gingen 
bie  SSugSburger  9Jtartin  ©chongauer  unb  $an8  ^>olbein  hertwr. 
SStlein  erft  ba8  ©tubium  ber  Slntife,  bie  55nf<hauung  biefer  in 

(58») 


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31 


grei^eit  oollenbeten  Bßtttienwelt  braute  bie  »iebcrlänbtfc^e  fötaler» 
fdfyule  auf  eine  Ijöfyete  ©tufe  bet  SluSbilbung.  5ln  bet  @pifje  bet 
4>iftotien*9Raletet  fteljt  bet  fdjon  genannte  fPetet  $>aul  IRubenS 
auß  Slntmerpen,  abet  ju  Äöln  geboten.  Sr  ift  eine  bet  glcingenb* 
ften,  begabteften  unb  öielfeitigfteu  Srfdjeinungen  in  bet  Äunft* 
gefdjibijte.  SluSgegangen  non  bet  dtadbafymung  bet  33enetianet 
bilbete  et  fidj  halb  einen  eigenen  Staaten«  unb  gormenfteiö, 
beffen  SJlittelpunft  Ieibenfdjaftlid^e  Seaegung,  füfyne  Slfticnß* 
traft,  tiefe  Smpfinbung.  St  tief  ein  ©efdjledjt  oon  ©eftalten 
inß  5)afein,  baß  fid)  mit  überfd)»ellenbet  Äötperfraft  jebem  33er» 
langen  gemadjfen  geigt.  25amit  nerbinbet  ftdj  bei  iljm  „bet 
Ijinteifjenbe  3aubet  feineö  leud^tenben  frifdtjen  mit  breiten,  füfynen 
3Jteifterfttid)en  befyanbelten  Soloritß" , eine  lebhafte,  ftrmlidje 
33eljanblung  beS  gleifdjeß,  in  weldjem  man  baß  Slut  rollen  gu 
feljen  meint.  2)et  jfatljolicißmuß  mar  Ujm  nur  ^ormfadje,  baß 
betoeifen  feine  lirdjlidjen  Silber;  feine  3)atftetlungen  bagegen  auß 
bet  flaffifdjeu  SBelt  — fo  bie  ämagonenfdjladjt,  bet  trunfeue 
©ilen,  33enuß  auf  Sptljera  — finb  mit  tyobet  SBegeifterung  er» 
fafjt.  Unter  feinen  ©djületn  nimmt  2htton  »an  25 pdf  bie 
erfte  ©teile  ein.  ©ein  ©tpl  gefyt  in  mafjooHete,  eblere  ©cbön» 
fyeit  übet,  feine  JDarfteHungen  beljanbeln  mit  33orliebe  baß  pfp« 
dfjifdje  Sehen  unb  gelten  manchmal  übet  in  baß  ©ebiet  beß  ©enti* 
mentalen.  Sßäfyrenb  bie  Srabanter  mefyr  ber  f)ljantafie  ljulbigten, 
nehmen  bie  ^jollänber  bie  9latur  fidj  gum  33orbilbe.  3fyt  ÜRetftet 
ift5Rembranbtüan{Rijn.  Sercanbert  in  ber  Anatomie,  braute 
et  eß  gut  Sollenbung  in  ber  fRic^tigteit  ber  hinten,  bet  9ln»en= 
bung  bet  9>erfpeftioe,  in  bet  Sel)anblung  ber  Sidjteffecte.  St 
madfyte  bie  SJlaletei,  oljne  iljt  bie  Sbeale  gu  nehmen,  gut 
JDarftederin  menfd^lid^er  33erljältniffe  unb  Ijat  mit  SRubenß  unb 
JDüret  ben  meiften  Sinflufj  auf  bie  Sntmicflung  bet  batfteQenben 
Äunft  bis  auf  bie  ffteugeit  auSgeübt. 

Sine  eigene  Srfinbung  bet  Ijollänbifdjen  Äunft  ift  bie 

(583) 


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32 


©enre^iOtalerei,  bie  jo  recht  bem  SBefen  unb  ber  33etra<htungS« 
weife  ber  Weberlänber  eatfprid>t.  33reug^el  au8  Antwerpen  griff 
gu  ben  33auernf eenen,  Datib  Stenier  fdjilbert  33olf8fefte  unb  Strinf« 
gelage,  bie  aHerbingS  oft  in’S  Dritiale  auSarten.  Der  feefe  Junior 
unb  baS  ntagifdje  .geöbunlel  feffeln  in  ben  behaglichen  Dar« 
ftetlungen  SSbrian’S  tan  Dftabe,  Peter  SBouoermann  Bereinigt 
mit  ©lücf  ©enre  unb  ganbfehaft;  3«cob  JRuiSbael  wieberljolt  in 
feinen  ftimmungStotlen  fcanbjdjaftäbilbern  ben  germanifchen  9tatur* 
bienft:  man  fleht  ben  ©turmwinb  in  ben  ©ichen  rauften  unb 
hört  ben  33ad)  fchaumenb  übet  bie  .Klippen  ftürgen. 

Slber  nicht  nur  in  ber  SJlalerei  fam  ber  hohe  ©ulturgrab 
ber  9tieberlanber  gut  ©rfcheinung,  aud)  anbere  gelber  geugen 
ton  ihrer  lebenSfrüftigen  Sthätigleit 3 x). 

SBährenb  in  Deutfdjlanb  unter  bem  Drucfe  bleierner  SReaf» 
tion  ©ingen  unb  ©Sagen  oerftummt  war,  blühte  in  #oHanb  mit 
£oofb  unb  SSonbel  bie  Poefie  auf.  SBährenb  ferner  am  ÜRittel» 
rhein  in  ber  SBiffenfchaft  nur  eingelne  DiSciplinen,  wie  bie  ©eo« 
graphie  mit  ©ebaftian  fDlünfter  in  bie  iSrena  traten,  erwachte 
brunten,  wo  ber  ©trom  bem  SUleere  nahe,  auf  allen  ©ebieten 
beS  SEBiffenS  ein  reger  ©ifer,  ein  warmblütiges  ©tubium.  Den 
füblichen  ©ternenhimmel  befchrieben  ©mben  unb  £outmann, 
3acharia8  Sanfen  hat  mit  bem  Pttfroffop  bie  neue  SGBelt  beS 
Äleinften  etfunben,  £an8  fHpperSljei  fdjlofj  bagegen  mit  bem 
gernrohre  bie  SBunber  beS  ©ternenhimmelS  auf.  SlnbrS  SBefal, 
ton  SBöefel  ftammenb,  lieg  feine  corporis  humani  fabrica  1543 
gu  Safel  erfcheinen  unb  büfjte  feine  bahnbrechenben  anatomifchen 
SSerfuche  mit  ber  SBerurtheilung  gum  geuertobe.  3u  <£>«<»3  f<hliff 
am  Stage  ein  armer  3ube  SriDengläfer  unb  bei  ber  2ampe  ftubirte 
er  bie  Älaffifer,  eß  war  Saruch  ©piuoga,  ber  SLlorfämpfet 
beS  Pantheismus,  ber  an  bie  ©teile  beS  S3ibelgotte3  bie  blanle 
3bee  aufftetlte,  aber  bennoch  über  ben  Dualismus  ton  ©eift 
unb  SUtaterie,  .Kraft  unb  ©toff  nicht  hirwuSlommen  fonnte. 

(584) 


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33 


Söäfjrenb  fo  am  Stieberrbein  auf  aßen  ^bafen  beS  menfch» 
liefen  gebenS,  in  Religion  unb  fPoIitit,  in  Äunft  unb  SBiffen» 
fc^aft,  in  Hanbel  unb  Snbuftrie  ein  reidjgegliebertefl  geben  mäh* 
renb  beS  16.  unb  17.  Sa^unbettS  erblühte,  butte  ba$  übrig* 
Stbeinlanb  eine  total  »eränberte  Steßung  in  bet  europäifdjen 
©ulturgefcbichte  einnebmen  muffen. 

Stad)  bet  Stieberlage,  melche  [Rittertbum  unb  Sürgertbum 
in  Jütten  in  bem  Söauernaufftanb  erlitten  Ratten,  nahmen  bie 
Surften  baS  [ReformatiönSroerf  in  bie  £änbe.  2)et  @runb* 
gebanfe  mar  babei  bie  ©tdrfung  ihrer  eigenen  Stacht,  unb  balb 
mufjte  befjljalb  bie  centrifugale  [Richtung  ber  Surften  mit  bem 
Sutofratentbum  ber  Habsburger  JD^naftie  in  ©onfiift  fommen. 
SDie  beutfchen  Äaifer  Dom  £aufe  HabSbutg  toufcten,  je  mehr  bie 
einzelnen  üterritorialberren  in  ben  Stbeinlanben  Dom  gebender» 
banbe  fict)  loSgulöfen  fugten,  mit  befto  größerer  ©nergie  ben 
©chmerpunft  ihrer  SDRad^t  nad)  bem  £>ften  ber  35ouau  ju  terlegen. 
S3e3eicbnenb  bafüt  ift  bet  Ort  ber  [Reichstage.  Stoch  1532  matb 
ber  [Reichstag,  bet  ben  $)roteftanten  geitlidEjen  Stieben  gab,  ju 
Nürnberg  abgebalten;  bie  nacbften  für  bieSteibeü  ber  $)roteftanten 
angefefjten  [ReithSconcilien  fanben  im  SDonaulanbe  gu  Augsburg  unb 
gu  |5affau  Statt.  ©pe^et  fab  bie  lefcte  [ReicbSDetfammlung  1570 
in  feinen  Stauern;  non  ba  an  blieb  bet  [Reichstag  faft  ftänbig 
gu  [RegenSburg,  bi«  1663  biefer  UfuS  gut  Siegel  mürbe.  S)ie 
SBabl  unb  bie  Ärßnung  beS  römifchen  Jtaifeö  beutfd>cr  Station 
gu  Swuffurt  am  Stain  termocbte  nidbt  ber  $batfa^c  Abbruch 
gu  tbun,  bafj  baS  [Reichsregiment  an  bie  $>onau  graoitirt  marb, 
unb  baf)  bie  SR^cinlartbe  für  baS  unter  bem  ©influffe  ber  HabS* 
bürget  ftebenbe  [Reich  ihre  33ebeutung  Detloren  butten32). 

©ine  natürliche  Sot8e  bet  Verlegung  be8  ©chmerhunfteS  im 
[Reiche  nach  bem  £>ften  unb  gugieid)  ber  Uneinigfeit  ber  Herren 
am  [Rheine,  melche  bie  [Reformation  unb  noch  mehr  bie  fcfuitifche 
Steaftion  Deranlafjt  butten,  mar  baS  SBachStbum  beS  ©influffeS 

XIV.  3S8.  3 (585) 


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34 


bet  SSeftmadjt.  3e  becentraliftrtcr  bie  JR^etnlanbe  feit  SRitte 
be8  16.  3afyrf}unbert8  mürben,  befto  höher  flieg  bte  23ebeutuug 
unb  befto  mehr  roudjS  bie  SlngiehungSfraft  be8  geeinigten 
granfreich’8.  ®d}on  Äßnig  j£>eiuridj  II.  fonute  als  „fRetter  bet 
beutfdjen  greiheit"  ben  a3erfuc^  machen  STufttafienS  Äßnigthum 
unter  bem  £aufe  93aloi8  biß  an  ben  3ftyeinfttom  gu  ermeitern. 
Ratten  ihn  bamaI8  bie  mannhaften  Surgen  »on  ©tra&burg  im 
33unbe  mit  ben  ©chmeiger  ©tdbten  unb  bie  »on  ©pepet,  metche 
„nimmermehr,  nimmermehr  ä la  Messine“  (mie  in  5Refc)  riefen, 
nicht  an  bie  3innen  thret  9Rauerringe  »etmiefen,  bet  IRäubet  »on 
ÜRefs,  Stull  unb  93erbun,  „ber  ©tatthalter  beß  JReidheß",  mie  er 
fldj  nannte,  ^ätte  bamal8  fd}on  erteilt,  ma8  mit  gleicher  8ift, 
aber  noch  größerer  ©eroaltthat  fein  fRathfomme  2oui8  XTV.  bem 
9th«*»lanbe  angethan  hat*’)-  8Ba8  im  16.  3ahrhunbert  bem 
grangmann  nicht  glüefte,  bie  ^eftfe^ung  am  Hnfen  IRhetnufet, 
beffeu  Söebeutung  a!8  Sßerfehrßftra^e  in  SRitteleuropa  er  mohl 
erfannt  ^atte,  ba8  foQte  feiner  ©Flauheit  unb  ber  ßerriffenheit 
feiner  ©egnet  bem  Wtangofen  ba8  nächfte  Sahrhunbert  in  bie 
£anb  liefern. 

SDa8  alte  SBiberpartthum  groifdjen  bem  £aufe  5Baloi8»33ourbon 
unb  £ab8burg»a3rabant  mufete  bet  fdjlaue  ©arbinal  SRuhelieu, 
ber  Einiger  granfreithS,  mit  bem  SRantel  beß  33eiftaube8  gegen» 
übet  ben  fProteftanten  in  SDeutfdjlanb  gu  cerbecfen.  '218  ber 
SEBinterfßnig  gu  Sßhmen  feine  #aut  unb  bie  feiner  ^falger  gu 
SRarft  getragen  hatte,  al8  ber  ©chneefßnig  »erblutet  am  93oben 
lag,  ba  glaubte  ber  SBalfche  feine  ©tuube  gefommen.  5)ie  erfte 
rheinifthe  aRadjt,  ba8  Äurfürftenthum  »on  bet  $falg,  mar  »er» 
müftet  unb  »erbrannt  »on  ber  #anb  beß  ®paniet8,  geächtet 
meilte  fein  ebelbenfenber  $urft  grtebridj  V.  im  SluSlanbe,  bie 
Beit  mar  getommen  für  bie  2)ra<henfaat  ber  granfen.  JDie 
beutfdje  Äraft  33etnhatb’8  »on  Söeimar  muffte  bem  Gatbinal  ba8 
©infallthor  in  bie  SRheinlanbe  unb  bie  9)affage  gum  SDonau* 

(SSO) 


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35 


gebiete,  beß  ©lfa§  unb  ben  Sreißgau  erobern,  unb  bet  ©djmad}« 
contract  3U  SRünfter  beftätigte  bem  natürlichen  9teidjßfeinbe  feine 
©rrungenfchaften:  baß  Dberr^eint^al  3m:  ginfen  unb  fcie  ©in* 
faflpforten:  9>hilippßburg  unb  Sreifad}  3ur  Siebten34). 

Die  3eniffen^eit  Deutfd)lanbß,  bie  D^nmadjt  beß  SÜeit^eö, 
baß  @intnifd)ungßred}t  ber  grangofen  unb  ©djweben  liegt  bofu* 
meniiri  im  grieben  non  SBeftphalen  auf  grünem  Difdje.  SRodb 
h»i)er  war  bie  ©inbufse  auf  culturellem  ©ebiete,  weldje  befonberß 
bet  SBeften  unb  bie  9ti)einlanbe  im  30  jährigen  Äriege  erlitten 
haben. 

©ebaftian  SDiünfter  ^atte  in  feiner  Äoßmographie  SJlitte 
beß  16.  3al)t^unbettß  feine  £eimath,  bie  falj,  ben  SRittel* 
punft  ber  rljeinifthen  ©aue,  alfo  furg  befd&rieben: ss). 

„ÜRan  finbt  in  biefer  ganbfdjafft,  fo  bie  ^fal^  jefcunb  be* 
greifft,  maß  ben  ÜRenfdjen  311t  geibß  SRa^rnng  »nb  auffenthalt 
notlj  ift,  »nb  fonberlidj  umb  ^epbelberg;  aufjethalb  bem  ®e* 
birg  ift  baß  ©rbfreith  aufj  betmafjen  fruchtbar  »nb  an  ben 
Sergen,  in  ben  SUjäletn  »nb  auff  bet  ©bne.  2ln  ben  Sergen 
wachft  fonberlid^  guter  SEBein  »nb  Äeftenbäum,  bie  Später 
feinb  mit  mancherlei)  Dbftgärten  gejicret,  bie  ©bne  bringen 
mancherlei  Äornfrüdjt,  bie  3Bälb  »nn  bie  Serg  lauffen  »oH 
£irfcen  »nb  anber  wilben  St^ier". 

Unb  wie  warb  nach  ben  SBirten  unb  Drangfalen  beß  jfriegeß, 
ber  ein  SCRenf^enalter  wiithete,  baß  reiche  Sanb  am  {Rhein  ge* 
fdhänDet!  Der  blüfyenbe  ganbftrich,  bet  fit^  ben  SRecfar  entlang 
30g,  bie  ©aue  an  ber  Sergftrafje,  baß  üppige  ©elanbe  am  £art» 
gebirg,  bie  freunblidjen  ©täbtchen  unb  Dörfer  in  ber  ©bene 
»on  SBeifjenburg  biß  Sadjerach,  weld}’  trauriger  Slnblid!  Äroaten 
unb  ©panier,  bet  Schwebe  unb  bet  gtangoß,  greunbe  unb 
geinbe  Ratten  ^iet  gekauft,  alß  gelte  eß  ben  ©ultnrboben  3U  »et* 
nieten  unb  bie  grudjt  »on  3ahrhunberten  mit  einer  g»he  bem 
©rbboben  gleich  3U  madben.  Daß  gan3e  {Rheinthal  warb  eine 

3*  (53  T) 


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36 


©inöbe;  bie  gelbet  ftarrten  »on  IDtfleln  unb  Dornen,  bie  SBein* 
berge  waren  »on  ©eftrüpp  überzogen,  ftatt  auf  woblbabenbe  Ort* 
fünften  ftiefj  mau  auf  lebmgebaute  Jütten,  in  beneu  Slrmutb  unb 
@lenb,  oft  SRaub  unb  Verbrechen  häuften**).  Die  ftolge 
Vefte  £eibelberg,  mit  ihren  gegacften  3innen,  ipren  gierigen 
©Srten,  ihren  Söaff  er  fünften  unb  (Statuen  war  in  fo  trauriger 
Verfaffung,  bafj  bet  ©obn  griebricb’8  V.(  Äarl  Subwig,  als  er 
im  Oftober  1649  in  bie  IReftbeug  feinet  Väter  eingog,  nicht  ein» 
mal  eine  genügenbe  Unterfunft  für  fidj  ftnben  fonnte. 

Von  ben  500  000  Vewobnern,  welche  bie  Äurpfalg  im  Sabre 
1618  jaulte,  waren  1648  faum  nod?  48  000  »orbanben;  an 
manchem  Orte  batte  faum  einegamilie  ba8@lenb  langer  Sabre 
überbauert. 

3m  ^erjogtpum  SBirtemberg  gingen  pon  1634  — 1641 
345  000  Vewobnet  gu  ©raube;  baS  Sanb  jaulte  fieben  Sabre 
»or  bem  ©nbe  be8  grauenboßen  ÄriegeS  etwa  nur  noch  47  000 
©inwobner.  Vicht  weniger  als  8 ©täbte  unb  45  Dörfer,  im 
©angen  36  000  ©ebäube  waren  bort  »erbrannt.  SBä^renb  ba8 
Sdeid)  im  Saufe  be8  Krieges  »on  circa  16  SJliüionen  Vewobnern 
auf  etwa  4 UJtiHionen  berabgefunfen  war,  alfo  etwa  £ ber  Ve= 
»ölferang  »erloren  batte,  mußten  bie  9ibeinlanbe  mit  Subegriff 
ber  Vecfat*  unb  Vtaingegenben  faft  ber  ©inwobnergabl  »er* 
Irren  haben* 7).  Der  Söoblftanb,  bie  ©ulturfäbigfeit,  Äunft 
unb  Söiffenfchaft  waren  hier  auf  ein  ÜJicnfchenaltet  »ernidjtet. 
Selbftoerftänblicb  war  auch  ber  SBertb  be8  8anbe8  auf8  Sieffte 
gefunfen.  Vur  ein  Veifpiel  für  »tele:  gu  Viafjbacb,  einer  ber 
©emeinben  mit  bem  fru(btbarften  Voben,  gwifdjen  Dürfbeim  unb 
Veuftabt  warb  n ad)  bem  Kriege  ein  üftorgen  be8  beften  Sebm* 
felbeS  um  einen  Saib  Vrob  betgegeben!  *8).  Der  Staat  unb 
bie  Äircbe  gegen  »iele  ©emeinbegüter,  SBalbuugen  unb  SBeiben  als 
bertenlofeS  ©ut  na<b  bet  ScbrecfenSgeit  au  fitb,  als  gute  Veute. 
Da8  Volf  batte  afleS  Vertrauen  auf  ft<b  unb  auf  bie  3ufunft 

(SM) 


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37 


terloren,  eine  fcpufc«  unb  tecptlofe  $eerbe!  2lber  bie  Sage  beS 
3ammerS,  welche  bet  fRbeinlänbet  ©rimmelShaufen,  bet  ©chult« 
heifi  gu  {Renten  im  ©cijwargwalbe,  in  feinem  Simplicius  Sim- 
plicissimas  mit  }o  plaftifdjet  Slnfchaulichfeit  unb  pertraitähnlichet 
©dfür fe  gefcpilbert  hat s 9),  erhielten  balb  ihre  nod)  fchtecflicheten 
9la<hfolger!  — Der  breifjig  jährige  Ätieg  hatte  baS  Sanb  be* 
fonberS  am  Dbertijein  gum  ©chladjtfelb  ©uropa’S  gemacht,  mogu 
eS  feine  centrale  Sage,  feine  mistigen  ^äffe,  feine  reifen  unb 
unb  wohlßtuirten  ftäbtifc^en  (Sentren  in  erftet  Sinie  befähigen. 
Äaum  abet  mar  granfreidj  im  europäifcfeen  Kampfe  um  bie 
Hegemonie  auf  beutfchem  ©oben  als  SRitfieger  hetcorgegangen,  fo 
begann  fein  abfolutiftifd^er  unb  länbetgietiget  ^crtfc^er  bie  .ftanb 
nach  bet  ©renge  auSguftredfen,  welche  ihm  bie  gtofje  93erfehtS» 
paffage,  baS  frudhtbarfte  ©elänbe,  bie  fefteften  ©täbte  in  bie 
Saf^e  liefern  feilte.  Die  ©efdjichte  bet  tRhetntanbe  feit  bem 
erften  Dritttheit  beS  17.  3ahrhunbertS  bis  gum  6nbe  bet  napo* 
lecnifchen  ^ertfdjaft  befielt  im  3Befen  in  bet  grage:  wer  foH  im 
Siheinthal  baS  ©cepter  führen,  ber  Deutfdje  ober  ber  grangoje? 
©S  ift  bet  alte  ©treit  um  baS  Dominium,  ben  fdjon  ©äfar  unb 
Slrionift,  ©etmanicuS  unb  2lrminiuS,  ben  Slömet  unb  ©ermanen, 
§)apft  unb  Äaifer  um  ben  9i^etn  feit  gwei  3ahrtaufenben  ge« 
führt  haben.  Unb  bod)  mufcte  bie  ©unft  bet  Sage,  bet  Sauf 
ber  ©eitenflüffe  einem  geeinten  2lnwohnet  gut  Siechten  gum  93or* 
theil  gereichen;  nur  über  einen  gerfplitterten  ©egnet  fonute  bet 
Slömet,  bet  ©allier,  bet  granfe,  bet  grangmann  eine  Seit  lang 
£>ett  werben. 

55uS  ben  Siuineu  beS  SBohlftanbeS  net  1618  hatte  bet  fluge 
unb  politifche  Äatl  Subwig  im  befteu  Shetk  bet  Slheinlanbe,  in 
ber  Äurpfalg,  ein  aufblüpenbeS,  mäfjig  befteuerteS,  beoelferteS 
unb  fcpulbenfteieS  Sanb  gemacht.  Durch  Deffnung  eines  SlfpleS 
hatte  et  ©olonifteu  auS  bet  ©chweig  unb  aus  £oflanb,  auS 
granfreich  unb  ©nglanb  h^beigegogen ; butch  Seftätigung  bet 

(589) 


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38 


alten  (Redete  unb  (Berleibuug  neuer  9)riöilegien  hob  er  bie  ©täfcte; 
burd?  @chujc  unb  (Dulbung  »erfßbnte  er  bie  religißfen  ©egen* 
fäfce  in  feinen  Banben;  er  gab  bem  Fürftentbum  einen  geeigneten 
SRittelpunft  in  bem  anfblütjenben  gRannbeim,  nadjbem  fein  (Ber* 
fudj  3Borm8  gut  ©apitale  gu  machen,  an  ber  Unflugbeit  ber 
(Bürget  ber  alten,  brcuutergefommenen  (ReidjSftabt  gefcbeitert 
mar40).  2)a8  Banb  »ernarbte  bie  gefdjlagenen  Söunben, 

ba  fam  baS  3abr  1674,  unb  bamit  begann  bie  fdjredlidje  ^eriebe 
für  bie  ©aue  an  bet  Sergftrafje  unb  am  $artgebirg,  am  (Redfar 
unb  an  ber  (Rabe,  am  Sfl^eiu  unb  ÜRain,  in  benen  mit  frechem 
Uebermutbe  bie  frangöfifdjen  2R  orbbrenn  er  gwei  (Degennien  lang 
mit  Feuer  unb  Schwert  gehäuft  ba^eu-  91  He  (ReutralitätSoer« 
fidbetung  half  bem  wadfereu  Äurfürften  nichts  gegen  bie  (Ränfe* 
fucbt  unb  bie  (Brutalität  be8  „aOerchviftlicbjien"  jfßnigS  Bubwig’S 
„beS  ©rofeen“.  9118  in  ber  (Rorbpfalg  anno  1674  bie  gerben 
be8  ©eneral  Surenne  branbten,  fcbänbeten  unb  raubten,  unb 
ber  Äurfürft  tfatl  Bubwig  ficb  an  jeinen  SBetter  mit  öefchwerben 
wanbte,  ba  gab  ibm  ber  übermütbige  (Despot  gur  9lntwort:  „was 
benn  ein  Äurfürft  non  ber  (ßfalg  gegenüber  einem  Äßnig  non 
Frankreich  oermßge?"  9U8  bet  Äurfürft  aber  al8  beutfdjer  BanbeS* 
betr  banbeite  unb  offen  auf  beS  (Reiches  ©eite  trat,  ba  nahmen 
be8  ÄßnigS  ©olbaten  @ermer8beim  ein  unb  fchleiften  e8,  oet* 
beerten  ba8  gange  Dberamt,  ba8  in  feiner  (Rabe  lag,  häuften 
wie  £unnen  unb  Sartaren  an  ber  (Bergftrafje  unb  gaben  linfS 
unb  rechts  oom  (Rheine  bie  blubenben  ©täbtdben  ben  Flammen 
$rei841).  <Det  griebe  gu  (Rpmwegen  lieferte  bem  Freibeuter  gu 
Claris  gwei  weitere  Sb^e  non  (Deutfdjlanb  au8,  Rüningen  unb 
Fteiburg  im  33reiSgau.  (Balb  wufjte  er  auch  burdb  £>interlift 
unb  ben  Sßerratb  eines  beutfchen  Fürften  fich  in  ben  (Beftfc  ber 
(Bormauer  be8  beutf^en  (Reiches,  bet  freien  ©tabt  ©tra&burg,  gu 
fefeen.  9Rit  feinem  (Berlufte  war  ftrategifch  baS  gange  (Rbeinufet 
in  bie  ^jänbe  beS  UfurpatorS  geliefert.  Bujremburg  unb  Stier, 

(690) 


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39 


SBeifcenburg  unb  Oggersheim  mußten  balb  mitten  im  Rieben 
tranjöfifd^e  3Bappen  unb  SBefajjungen  aufnehmen.  Die  SReunionS» 
fammem  machten  mit  einem  SRechte,  baS  ijalb  bem  SacobiniSmuS, 
halb  bem  3efuitiSmu8  entlehnt  mar,  Slnfpruch  auf  alle  8anbeS» 
tijeile,  bie  einft  mit  ben  an  granfteid)  abgetretenen  ^rociujen 
näher  ober  entfernter  nerfnüpft  waren.  9DRan  forberte  bie  ©raf» 
fchaft  3*» eibrütfen  als  eine  ehemalige  Depenben3  beS  33iSthumS 
SDRefc,  nachbem  bie8  £anb  feit  einem  halben  3al)ttaufenb  unter 
felbftftdubigen  9Reich8fßrften  geftanben  mar!  Unb  ba8  SReich  fanbte 
33oten  auf  33oten  an  ben  wälfdjen  SRäuber,  unb  JCaifer  unb 
Äurfürft,  ißfalggraf  unb  ©djultheif}  brachten  ellenlange  33eweiS* 
fchriften  unb  umftänbliche  23efchwerbeaften  nach  9)ari8,  wo  mau 
ihnen  mit  £ohn  ober  mit  glatten  ®u8flüchten  antwortete. 

9iach  bem  SuSfterben  be8  @immern’j<hen  ÜJtannSftammeS  be8 
^aufe8  SöittelSbach'Äurpfalg  mit  Äurfürft  Äarl  1685  füllte  ber 
unfeltge  ©he*>u«^  1561  echtbeutfchen  Mochtet  Äatl  Subwig’S,  bet 
^faljgräfin  ©lifabeth  (S^arlotte  mit  bem  wälfchen  ©ecfen  ^hütyfc 
£et3og  non  Orleans  eine  noch  fchrecf liiere  Sranbfacfel  bem 
^>fälget  8anbe  an^ünben.  Obwohl  bie  $Pfal3gräfin  „nach  bem 
£erfommen  be8  pfälgifchert  ÄurhaufeS  aller  SRechte  auf  founeräne 
unb  SehenSgüter  non  SBater  unb  SDRutter  h«t"  entfagt  hatte» 
machte  bet  SRaubJönig  gubmig  XIV.  bennoch  nach  bem  Üobe 
ihres  S3tuberS  ©rbfcljaftSrechte  auf  bie  ^)falj  geltenb.  Die  35er* 
hanblungen  mit  bem  beutfdjen  SReidjStage  gingen  bem  Sauber* 
biebe  3U  langfam;  ba8  SBaffenglücf  beS  ÄaiferS  gegen  ben  auf« 
gehegten  ©rofjtürfen  machte  ihn  beforgt;  in  einem  SDRanifeft  oom 
24.  ©eptember  1688  mifchte  er  ftch  in  bie  Äöluifche  ©oabjutor* 
wähl  ein,  nerl^te  23apern  gegeu  Oefterreich  unb  erflärte  Deutfeh» 
lanbS  griebe  mit  bet  Üütfei  mache  feinerfeits  3um  Schuf}  beS 
eigenen  SanbeS  bie  33efef(ung  ber  beutfdfien  SBeftgre^e  noth* 
wenbig.  Die  Ufurpation  ber  $urpfal3  begann  nach  biefem  non 
SRaubluft  uub  Sefuitengeifte  biftirtem  Schriftftücfe.  Die  ^fäfyer 

Ji91) 


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40 


©tobte,  jomie  bie  fdjufclofen  9teidj8ftabte  SBormS,  ©peper,  ja 
felbft  Heilbronn  unb  SDtaing  wußten  Anfang  Ditobet  be8  3abre8 
frangöfifdje  ©arnifonen  aufnebmen.  Slm  ganzen  SR^citic  bis  gum 
SDtittellauf  oou  SDRain  unb  Stedar  würben  bie  gtangofen  ÜJleifter. 

Unb  als  nun  bie  proteftantifdjen  gänber  ©nglanb  unb  Hol* 
lanb  gur  Antwort  auf  ba8  6bi!t  Bon  StanteS  unb  ba8  beutfdje 
0teid)  gur  Antwort  auf  gubwig’8  SÖtanifeft  gum  Suube  gegen 
bie  übermütbige  SQtilitärgewalt  ber  ftangöfifdjen  SDRonartbie  gu* 
fammentraten,  ba  nahm  ber  „aUetcbtiftlidjfte  Äönig",  be8  Zapfte! 
erfter  ©obu  gut  Sanbitenracbe  gegen  bie  unfcbulbigeu  rbei* 
nifcben  (Stabte  unb  Drtfd)afteu  feine  erbärmlitbe  3uflucbt.  3n* 
ftifter  beS  SefebleS:  de  brüler  le  Palatinat  war  ber  ÄriegS« 
minifter  gounoir;  man  wollte  ba8  nach  beut  SlugSburget  Sünbnifj 
nerlorene  DrleanS’ftbe  ©rbtbeil  nur  al8  einen  wüften  Strümmer* 
baufeu  bem  geiube  überlaffen.  Anfang  3annar  1689  gogen  bie 
frangöfifcben  beerben  unter  ber  Slutbunbe  SDtelac  unb  SRontclaS 
Slnfübtung  auf  ba8  linfe  Sft^einufer.  Salb  loberten  gu  SDtanu* 
beim  unb  Heibelberg,  gu  2Borm8  unb  ©peper,  gu  9)forgbeim  unb 
Äreugnadj,  gu  granfentbal  unb  Syrier  bie  erbarmungSlofen 
glommen  auf;  wie  eine  Höllenbrut  wüteten  bie  organifirten 
SDtorbbreuner  im  gangen  Stbeinlanbe,  uou  bet  gauter  bis  gut 
SDtofel.  Silit  nielen  (Zentnern  Aulner  8 fprengten  bie  Sarbaten 
ben  Bielbewunberten  Sau  beS  @cbloffe8  gu  £eibelberg ; gu  ©pepet 
riffen  bie  äöütbericbe  au8  ben  ©ewölbeu  beS  SDomeS  bie  ©ebeine 
ber  alten  beutf^en  Äaifer  nnb  Könige  b etau8  unb  warfen  jte 
auf  ben  Singer,  „gleicbfam  als  ein  oerredteS  Sieb". 

SBo  jefct  am  Stbein  unb  an  bet  SJlofel,  an  bet  Stabe  unb 
am  Stedar  gwifbben  anmutbigem  ©rün  geraffene  $bürme  unb 
gebrodene  3iunen  gum  Himmel  tagen,  ba  bat  tu  neungig  oon 
bunbert  gäUen  ber  Satbar  au8  bem  SJeften  gebrannt  unb  ge« 
fprengt,  nerbeert  unb  nerwüftet.  Sin  1200  Drtfcbaften  gingen 

bamalS  gu  ©runbe,  wer  gäblt  bie  SDtenfdbenlcben,  bie  Betloren 
(&»») 


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41 


gingen  unb  bie  frönen,  welctye  bet  ^»unnenföntg  beS  17.  Satyr» 
tyunbertS  ben  Ueberlebenben  erpreßt  tyat?  — Nocty  tyat  gtanfteitty 
bafüt  non  ©eutfdjlanb  feine  Vergeltung  getroffen;  aber  ein  Satyr« 
tyunbert  fpäter  riffen  bie  eigenen  Unterttyanen  beö  ^falgoerwüfterS 
eigenen  getb  fammt  ben  ©ebeinen  feines  ©efctylectyteS  auS  ben 
©rüften  oon  St.  ©eniS  unb  warfen  fie  in  ben  Äotty.  1789 
unb  1793  fam  für  baS  ^>auS  Voutbon  bie  Vergeltung  für  baS, 
waö  gubwig  XIV.  1689  unb  1693  ben  Äaifetgröbern  ju  Spener 
angettyan  tyatte! 4*).  — 

©aS  Volf  im  Ntyeinlanb  tyatte  bie  innere  Äraft  oerloten 
irgenbwie  bet  ftemben  Snoafion  SBiberftanb  §u  leiften;  gebrottyen 
war  baS  ÜKatf  ber  Vürger  unb  Vauern  feit  bet  Nieberwerfung 
beS  VauernfriegeS  unb  feit  ben  Verwüftungen  beS  30iätyrigen 
Krieges,  Sdjlimmet  aber  nodj  als  ber  Vranb  ber  Stabte  unb 
bet  fRaucty  bet  ©örfer,  fctylimmer  als  bie  Verheerung  beS  Selbes 
unb  ber  Naub  beS  ©uteS  war  bie  ©ntnationalifirung  beS 
gangen  ganbeS,  welctye  mit  ber  politifctyen  Veinfluffung  oon  (Seiten 
granfreictyS  .jpanb  in  $anb  ging.  3n  fflaoifctyer  Nactyatymung 
beS  £ofe8  oon  VerfatUeS  unb  feiner  £errli<tyfeiten  wanbte  man 
ftcty  ab  oom  ^eimifttyen  unb  Nationalen  unb  äffte  in  SJtobe  unb 
©raityt,  in  Spradtye  unb  Sitte,  im  Ütyun  unb  gaffen  frangöfifdjet 
2lrt  nacty.  @8  war  bie  Seit  ber  SWongeperücfcn  unb  Änietyofen, 
ber  entblöfjenben  Äorfetten  unb  bet  ungetyeuren  Neiftötfe,  gugleid) 
bie  $>etiobe,  wo  mit  ber  franjöjlfctyen  gaeonirung  bet  Slbfolu* 
tiSmuS  in  jebet  gorm,  beffen  ^auptoertreter  gubmig  XIV.  mar, 
feinen  fiegreittyen  ©ingug  auf  beutfctyen  Voben  tyielt.  3JUt  bet 
übertriebenen  gürftengewalt,  ber  Veradtytung  oon  Vütget  unb 
Vauer,  bet  £errfctyaft  ber  Jpoffctyrangen  unb  Vebientenfeelen  fam 
gugleidty  oom  SBeften  tyetüber  ber  ©rutf  oornetymet  Vigotterie, 
bei  bem  neben  bem  gäetyet  baS  Vreoier  lag  unb  baS  Äreu3 
©tyrifti  auf  bem  tief  entblößten  Vufen  tying.  gerbet  ©otteS 
gingen  in  biefet  Verwalfttyung  rtyeinifctye  $öfe  ooran.4*)  ©et 

(591) 


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42 


futpfülgifdje  gu  £eibelberg  unb  bet  lanbgtäfli$‘tjefft<be  äu  Äaffel 
bilbeten  bie  SSermittlung  gtoifdjen  bem  gidjte  »on  {8erfaille8  unb 
bem  SDunfel  im  öftlidjen  {Reid).  jfein  Sßunber  war  e§,  wenn 
eg  in  bet  Äurpfalg  nad)  bet  »erbetblidjen  Älaufel  be8  9b  8 toi  cf  et 
griebenö  gu  einer  toasten  ©egenreformation  !am,  ba§  bie  3efuiten» 
güglinge  am  {Rfyein  faft  2000  ßrtfdjaften  in  ben  {Rljeinlanben 
gurütfbradjten  in  ben  aHeinfeligmadjenben  ©djoofj,  baf)  Äirdjen« 
guter  unb  Pfarreien  gu  ©unften  bet  IReaftion  eingegogen  aut* 
ben,  ba§  bie  firdjlid?e  4?terardjie  ben  »erlorenen  Soften  am  {Rfyein 
toiebet  gu  gewinnen  fdjien.  3n  biefet  5Rotfy  toat  eg  bet  neue 
©tern  im  Dften  be8  5Reidje§,  »on  bem  ben  bebrängten  ^rote» 
ftanten  ^ilfe  farn.  ^reufjen’S  Äönig  braute  e8  im  Tonern* 
bet  1705  burcfy  Slnbroljung  »on  ©egenmafjtegeln  baljin,  baf)  in 
bet  Äurnfalg  bie  fogenannte  {ReligiontSbeclaration  gu  ©tanbe 
fam,  weiche  bie  pfälgifdjen  Äir^enner^ältniffe  gefefclid)  regelte 
unb  bem  eingeriffenen  SlerroriSmuö  einen  {Riegel  »orfefcte.  SHIein 
gwat  bie  äufjerlidje  grei^eit  ber  {Religion  war  bamit  fyergefteUt, 
aber  ber  ©eift  b e 8 3efuiti8mu§  erhielt  fid)  am  $ofe  bet 
jhirpfalg  in  gleichet  9Rad)tfpl)5re  unb  {ein  ©influfj  wufjte  immer 
neue  .£jänbel  gtoifdjen  {Reformivten  unb  guttyeranero  angugetteln, 
beten  9lu8trag  ba8  gange  18.  3al)rl)unbert  erfüllte44). 

@o  fyatte  fid)  atlmä^lid^  in  ben  {Rfyeinlanben  aud)  bort,  wo 
bie  {Reformation  burdjgebrungen  gu  fein  Jd)ien,  in  bie  mafj* 
gebenben  Äteife,  in  baö  £ofleben,  in  bie  {Regierung  ber  ©eift 
fird)lidjer  {Reaftion  unb  pfäffd'djer  Sntolerang  eingcbrängt.  ©e* 
nufcfudjt  unb  58erfdjwenbung  auf  Äoften  ber  Untertanen  gingen 
bamit  £anb  in  £anb.  SMe  ©ürger  mufjten  einfdjneibenbe 
©teucrn  aller  Qlrt  gafylen,  bet  S3auer  über  ©ebüfyr  grofynbienfte 
leiften  unb  ben  Sireiber  madjen  bei  ben  {Patfotrejagben.  ©in 
un»erl)ältni§mä£)ige8  33eamtenl)eer,  ein  £aufe  abeliger  ©djmatofcet 
faugte  ba8  Sanb  au8.  2luf  100  ©eelen  fam  in  ber  Äurpfalg 
gu  Äatl  üfyeobot’f!  Seite«  ein  {Beamter;  bei  einer  ©inwotjnergaljl 

(594) 


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»on  runb  1 200  000  Ratten  bie  614  Duabratmeilen  nid)t  weniger 
ald  12  000  StaatSbiener  gu  ernähren.  SDaS  £eet  beftanb  tbat« 
fachlich  au8  Offizieren  ohne  Solbaten;  füllte  eine  $>arabe  ab» 
gehalten  werben,  borgten  fid}  bie  9tegiment8inbaber  bie  Solbaten 
auS  ben  fftadjbargarnifonen.  SDie  Seamten  würben  babei  nur 
nad)  ihrer  .fjofqualität  befahlt;  ber  geibfutjdjer  erhielt'  300,  ber 
aSiceletbfutfd^er  250  ©ulben,  wäbrenb  ftt^  ein  professor  philo- 
sophiae  mit  200  begnügen  muffte.  SUlerbingä  fehlte  eS  babei 
nicht  an  manchen  guten  Anregungen,  unb  bie  Äutpfalj  war  im 
JRfyeinlanbe  einer  ber  beftregierten  (Staaten.  So  entftanb  1755 
unter  ben  Aufpijien  beS  Staates  gu  granfentfyal  eine  feljr  be» 
beutenbe  ^orgeDanfabrif.  Üud}*,  Seiben*  unb  SBollenfabrifen 
reiften  baran;  jeit  1773  begann  man  mit  großen  ©elb« 
opfern  burd?  einen  Äanal  bie  Stabt  mit  bem  9tfyein  ju  »er« 
binben.  „SDamalS  johlte  bie  Stabt  gegen  30  gabrifen,  unb  oon 
ben  3302  ©inwobnern  gehörten  1200  bem  gabrifwefen  an" 
Äunft  unb  SBiffenjdjaft  warb  zwar  nad)  bem  SRufter  ber  fran* 
jßftfdjen  fBlouardjie  mehr  als  fcbmücfenbeS  Seiwerf  angefeben, 
als  um  ihrer  felbftwiden  gepflegt,  allein  ihr  Setrieb  übte  auä) 
manche  wohltätige  Shitfung  auS.  ÜJiit  ^injugie^ung  beS  ©traf)» 
bürget  ©efdjidjtfdjreiberS  Sd^öpflin  grünbete  Äarl  S^eobor  im 
Oftober  1763  bie  pfälzijdje  Afabemie  ber  SBiffenfcbaften.  SDie 
gelehrten  Ijiftorifdjen  unb  antiquarifdjen  SJionogtapbien  »on 
Äremer,  üarnep,  ©toDiuS,  Sd^öpjflin  hoben  Anfprucb  auf  bleiben« 
ben  SBerth;  fie  legten  ben  ©runb  gut  rheinischen  ©cfcbicbte  unb 
Archäologie.  3u  ÄaiferSlautern  entftanb  1769  eine  lanbwirtb* 
fdbaftlidje  ©efeUfd^aft,  welche  ber  Äurfürft  1770  als  „pbhfifalifcb5 
Sfonomifcbe  ©efellfcbaft"  betätigte.  3n  ihrer  praftifcben  SBir!« 
f amfeit  warb  biefe  für  bie  ganbwirtbfcbaft  am  9t^ein  »on  großer 
Sebeutung.  „SDie  beutfcbe  ©efellfcbaft"  gu  ÜJiannhetm  füllte  für 
nationale  Silbung  baS  Gentrum  werben.  SDie  Statuten  waren 
barum  ber  Acad&mie  fransaise  nacbgebilbet  unb  bie  Arbeiten 


44 


bet  ©efellfcbaft  ftub  oon  SBertb  für  bte  beutfc^e  Literatur.  Seffing 
unb  SBielanb,  Älopftotf  unb  Äaftner  waten  fföitglieber.  3Rit 
gleichem  fDläcenatentbum  warb  füt  bte  Äunft  «Sorge  getragen. 
Oteidje  Sammlungen  bou  ©ppgabgüffen  unb  Äu^ferftic^ea  befanben 
ficß  gu  üJiaunbeim,  bag  Äabinet  gu  Düffelborf  mit  feinen  Scßäßen 
an  „fftieberlänbern"  befaß  europäiftßen  SRuf.  Sludj  bte  btarna* 
tifdje  Äunft  fattb  eifrige  pflege;  1779  warb  gu  SDtann^eim  eine 
beutfcße  (Ration  alfcßaubübne  gegrüubet,  unb  unter  Scannern  wie 
Sfflanb  erhielt  bag  frangöfifd^e  Dperngetänbel  unb  bag  finnreigenbe 
©atlet  einen  gefnnben  ©egenfaß  in  beutfe^er  ^auömannflfoft  * 5). 
£at  bodj  Sfflanb  „bie  Säget"  im  ©ürf^eimet  Stßal  gebietet 
unb  guerft  gut  Aufführung  gebraut  am  $oftßeater  beö  dürften 
Bon  Seiuingen,  „beg  3ägerg  bou  ber  9)falg",  bag  gu  Dür!ßeim 
fid?  erßob,  big  bie  ganfaren  ber  fReuolutiongljorben  bie  fRecitationen 
übertönten  unb  bie  33ranbfacfel  warfen  in  ben  Sempel  ber  rtjcinift^en 
Üßalia.  „Die  (Räuber"  beg  „JRegimentgfelbfdjeererg"  Stellet,  bie 
$>roflamation  bet  Sturm«  unb  Drangperiobe  gingen  unter  großem 
Applaug  im  Sanuar  1782  gu  dRannßeim  über  bie  SÖretter.  Die 
3bee  gum  „giegfo"  fa^te  ber  ©rünber  unferer  neuen  National« 
literatur  in  ben  (Rßeinlanben,  wo  er  unftet  alg  glüdjtling  um» 
berirrte.  Die  ©ebaufen  barin  füllten  balb  in  bie  5Sirflid)feit 
überfeßt  werben  aber  oon  anberer  Seite  bet-  — 

Der  Unterbrütfung  beg  3nbioibuumg,  welche  ber  Degpotig* 
mug  beg  fTangöftfcßen  SRonardjen  big  gum  waßnwißigen : „ber 
Staat  bin  idj!"  getrieben  ^atte,  mußte  naturgemäß  einefReaf» 
tion  folgen.  Sie  fam  alg  fdjranfeulofer  greißeitgruf,  alg  ein 
2Butbf<btei  gegen  AbelgpriBÜegien  unb  ^riefterBorredjte,  alg  (Rache* 
alt  gegen  gürftengewalt  unb  Sßeamtenbrucf,  alg  Slugrottung  oon 
ätleinftaaterei  unb  ©roßmaungfucßt.  Die  ganfaren  oon  $)arig 
im  3«bte  1789  brauten  bie  ©rflärung  bet  SolfgfouBeränität 
unb  bet  ÜRcnfcßentechte,  unb  wie  ein  Sauffeuer  Berbreiteten  fitb 
bie  (ReBolutiong«@ebanfen,  bie  jebem  auf  bet  Bunge  lagen, 

(5»6> 


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45 


länge  bcS  Slheine8.  35a8  lange  mifchanbelte  33olf  warf  jubelnb 
bie  SMongepetücfen  ab  unb  tangte  mit  ber  3acobtnetmüf}e  um 
ben  neuerrichteten  Steiheit8baum,  ben  man  an  ©teile  beö  herr* 
fchaftlidjen  ©algenS  errichtet  ^atte4  s).  35ie  leibenfchaftUcpen 
SJtaffen  fauchgten  bltnb  einem  ®t.  3uft  unb  einem  ©ulogiuS 
©chneiber  jubelnb  gu,  unb  bie  Älubbiften  »ou  SJlainj  proflamirten 
unter  einem  Sorfter  ben  rheinifchen  greiftaat.  35er  ©eift  bet 
Jütten  unb  ber  §>räbifanten,  ber  ÜOtünjer  unb  ber  3?urgenftürmer 
feiert  wieber  gefommen,  aber  bie  SSefreier  au8  bem  Stanfenlanbe 
mufjten  balb  bet  33egeifterung  ben  falten  Söafferftrahl  folgen  ju 
laffen.  35urch  ben  Stieben  »on  guneöiHe  fam  Selgien  unb  ba8 
ganje  linfe  fRljeinufer  an  bie  fra^ßfifdje  Slepublif;  bie  1152 
Duabratmeilen  beö  fünften  8anbeS  im  3etfallenen  beutfchen 
(Reiche  würben  eingekeilt  in  bie  »ier  ^Departements,  (Roer,  ©aat, 
(Rhein  unb  SRofel,  35onnet8berg,  unb  bie  frangöftfcheit  Sommiffäre 
wufjten  nic^t  weniger  gu  faugen  unb  ju  branbjdjatjen  als  bie 
Slmtmänner  unb  ©erichtSherren.  2>a8  JR^cinlanb  war  befreit 
»on  bem  mittelalterlichen  SBuft,  allein  burch  frembe  £ilfe. 

Sinfen  commanbirten  bie  (Reurömer  ben  Untertanen,  jur  Siechten 
befahl  ber  Äorfe  ben  Surften,  bie  1806  jurn  (Rheinbunbe  gu* 
fammentreten  mufjten. 

©ine  neue  ©onne  war  blutroth  im  SBeften  ©uropa’8  auf» 
gegangen;  ihre  Strahlen  fielen  nach  krem  9luffteigen  am  $0= 
rigont  juerft  auf  bie  (Rheinlanbe;  unter  ihrem  Strahle  fchmol^en 
bie  Soufcal«  unb  Stohnred)te,  ba8  33eft!jaupt  unb  bie  leibeigen» 
fchaft,  fanfen  ÜRitren  unb  fronen  in  ben  ©taub,  fte  brachten  31cm 
SSeidjen  Pfaffen  unb  genfer.  3ber  e8  war  ein  frembeS  Sicht, 
ba8  aufgegangen  war!  35ie  Beit  war  wieber  gefommen,  wo  burch 
ber  35eutfchen  Schwäche  unb  Uneinigfeit,  wie  3U  beS  9luguftu8 
unb  bet  Smpcratoren  (ßerjobe,  »erloren  ging  ber  ©trom  unb  fein 
©ebiet,  ber  3U  »ermitteln  ben  53eruf  hat  3Wifdjen  (Rorb  unb  ©iib, 
gwifchen  Oft  unb  SBeft  in  ©uropa.  @ine8  neuen  SEprannen 

(S9T) 


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46 


Despotie  mu§te  ben  beutfd)en  SDtidjel  mit  §)eitfd)en}d)lageu  oom 
trunfenen  @djlaf  erwecfen;  aber  bet  SBeginn  unfereS  SaljrljunbertS 
falj  trauernb  bie  ©ermania  im  f^mar^en  ©ewanbe  unb  gebrochen 
im  €DRarf  ben  93ater  SRfyein  am  SBobeit  liegen.  — Dem  vae 
victis!  im  Söeften  antwortete  jum  SCrofte  oon  Dften  Ijer  ein: 
exoritur  quondam  nostris  ex  ossibus  ultor! 


(598) 


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47 


^nmerkuttgrit. 


1)  93gl-  Silber  ton  ®.  greptag:  aus  fcern  Saßrbunbert  her  JRefor- 
mation.  ©.  305. 

2)  Sgl.  a.  £>.  ©.  304  u.  ferner  ©.  306—328. 

3)  Sgl.  ba8  ßübftße  Stlb  in  ©cbert’S  ®ermania  ,ftäbtifd)e8  grei« 
fließen".  ©.  1 57. 

4)  lieber  ben  »armen  $irfebret,  »gl.  ©.  greptag  a.  £).  <3.  333 
— 335;  ber  Straßburger  gifcßart  ßat  befanntlidj  biefe  bama!8  epccße« 
madßenben  jwei  $irfebreimfen  »cn  1456  unb  1576  mit  föftlicßem,  ale- 
mannijcßem  .^umor  befcbrieben. 

5)  Ueber  bie  Sebeutung  »on  Spjanj  im  15.  Saßrlmnbert  »gl. 
gr.  »cn  4)etl»alb’«  (5ulturgefd)i<ßte,  2.  Sufi.  II.  Sb.  ©.  415  ff. 

6)  Sgl.  über  SlbuS  SlanutiuS,  ben  potenjirten  D.  ©panier  be8 
15.  3aßrßunbert8,  Smbrcije  Dibot:  Aide  Manuce  et  rhellenisme 
ä Venice.  1875.  SDie  Sucfcbrucferfunft  lam  »on  ÜJlainj  unb  ©traß* 
bürg,  Safel  unb  Nürnberg  au8  1462  nad)  Samberg,  1467  nad)  Otom, 
1469  nad)  Senebig  unb  üllailanb,  1472  na<ß  glorenj,  1476  natß  s))ari8, 
1473  nad;  ©panien  unb  ben  Siebertanben,  um  1480  nad)  (Snglanb, 
1472  nad)  Dfen,  1483  nad)  ©todßolm,  1488  na<ß  Sonftantinopel, 
1490  nad)  Äcpenßageu.  3n  circa  40  Saßren  ßatte  fttß  „bie  ftßroaqe 
Äunft*  »on  Slainj  au8  über  ganj  Suropa  »erbreitet  bi8  $u  ben  Ungarn 
utib  ben  dürfen  unb  ber  ultima  Thule  im  Sorben. 

7)  Ueber  ben  Humanismus  in  Stalien  »gl.  unter  anberen  SBerfen 
Hellwalb,  öulturgefcßicßte  2.  Sufi.  II.  Sb.  ©.  415—427,  Henne  am 
Ölßpn,  Äulturgefd)id)te  ber  neueren  Seit,  I.  Sb.  ©.  56 — 71. 

8)  SDie  beutfdjen  Unieerfttäten  im  Sßeinlanbe  würben  geftiftet: 

1386  Hcibelberg, 

1388  JMln, 

1402  SBürjburg, 

(SW) 


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48 


1454  5Erier, 

1456  greiburg  im  0rei8gau, 

1460  0afel, 

1477  SRainj, 

1477  Tübingen. 

9)  lieber  Storno«  »on  Äempen  ober  a Kempis  »gl.  $ienne  am 
SRfypn  a.  £>.  I.  0b.  ©.  75 — 76  unb  3o§.  ©<§err,  ®e{d)i(bte  beutfefcer 
ßultur  unb  ©itte.  ©.  351. 

10)  lieber  bie  oberttyeinife^en  5Jl»ftifer  unb  ©atirifer  biefer  3«it 
»gl.  in  Äürje : $au8ratfy,  bie  oberr§einifc§e  0e»6lferung  @.  27—28, 
0ilmar,  beutje^e  fftationalliteratur,  10.  Slufl.  ©.  274 — 277,  ©.  304 
—307. 

11)  lieber  bie  SEljdtigfeit  ber  $umaniften  ju  §eibelberg  unb  bie 
rljeinifefye  ©efellfeljaft  »gl.  £>äuffer,  @efcl)td)te  bet  rfyeinifdjen  fPfalj,  L 21). 
©.  427—439. 

12)  lieber  SBeffel  unb  iXeuc^lin  »gl  ^duffer  a.  £.,  I.  2§.,  ©. 
442  — 448,  $enne  am  IRfyjjn  a.  SO.,  I.  0b.  ©.  81 — 83,  ©etyerr 
a.  O.  ©.  258. 

13)  lieber  bie  SBirfung  »on  9ut^er’8  Auftreten  »gl.  ©cfyerr  a.  D. 
©.  267 — 270,  4>enne  am  SRfjpn  a.  £).  I.  0b.  ©.  109 — 116.  0e» 
fannt  ift  bie  ©age  »om  2raum  beS  Äurfürften  griebrief)  »on  ©actjfen 
»en  ber  geber  beS  ÜJlfndje«,  bie  fo  waebfc,  bafj  fte  »ou  SBittenberg  nact) 
iKom  an  bie  breifa^e  Ärone  be«  f)apfte8  reiche  unb  bieje  jum  SBanfen 
bringe.  3)ie  0olf8fage  fprid>t  bie  0ebeutung  unb  ben  ©inbruef  »on 
Hutljer’8  SEljat  einfach  unb  roal)r  au8. 

14)  liebet  ben  merfwfirbigen  geuergeift  Jütten  »gl.  Ä.  £>agen, 
jur  politifdjen  @efd)td>te  ©eutfdjlanfc«,  unb  ©djerr  a.  £>.  ©.  259 — 260, 
263 — 264 ; eine  $>robe  au8  ben  epiatolae  virorum  obecurorura  {.  a.  £). 
©.  406 — 407;  über  Jütten  »gL  nod)  ©djerr:  ©ermania  ©.  176—177 
unb  §enne  am  IRljpn.  I.  0b.  ©.  94—99,  119 — 123. 

15)  lieber  ben  IRittertag  »on  ?anbau  »gL  ©elbert,  ÜRagifter  Sodann 
0aber8  Sieben  unb  ©djriften,  ©.  50—54.  ®ie  Urfunbe  be8  „brüber. 
litten  0erftdnbniffe8"  fte^t  bei  ÜJlünd),  granj  »on  ©iefingen,  II.  0b. 
©.  188—193. 

16)  lieber  beS  ©iefingen  lefjte  feiten  »gl.  ©elbert  a.  £>.  ©.  58  —60, 
31.  0ecfer,  bie  $falj  unb  biefPfdljer,  ©.  639—643;  er  liegt  begraben 
in  ber  Äirefje  ju  ?anbftul>[;  bafelbft  t>atte  er  bie  erfle  proteftantifdje 
Pfarrei  gegrünbet.  9lodj  jefct  ftc^t  ber  SBeftridjcr  0auer  im  gewaltigen 
©turmwinb  feinen  ©eift,  ber  gleich  bem  SRobenftciner  unb  bem  ginben* 

(600) 


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49 


fcbmit  bei  nabenbein  Kriege  fich  böte»  taffe;  »gl.  baju  'Dlebliß,  gabrten 
bur<b  bie  'Pfalj,  ©.  13 — 18. 

17)  Ueber  Bwingli’ß  9 ehre  unb  Seben  »gl.  'Dicrifofer,  Utrid; 
3wingli  nach  ben  urfuitblicben  Quellen;  außerbem  »gl.  ©d)loffer’ß  29clt» 
gefehlte  IX.  33b.  ©.509  —511,  520  — 530,  £mme  am  9ü)pn  a.  O. 
I.  Sb.  ©.  123—130,  137 — 139,  247—149.  ©cßloffer  bezeichnet  üutber’ß 
3(nfid)t  alä  „bie  unfinnige  tfcbre  ben  ber  Ubiquität*  a.  D.  ©.  529. 
£>bne  3weifcl  bat  ber  ©tarrfinn  Luther’«  bem  (Srftarfen  beß  Haren,  re» 
formatorifc^en  ©efcanfenß  unenblid)  ge  trabet. 

18)  lieber  ben  Sauemaufftanb  bgl.  baß  cingeljenbe  Söilerf  ben 
SSJilbclni  Bimmennann,  . ©efc^id^te  beß  großen  Sauernfriegeß*;  er  bat 
bie  Quellen  eingeßenb  barin  gcroürbigt.  dußerbem  finb  richtige  Sbeen 
über  feine  Sebeutung  in  beffen  ©efebiebte  beö  beutfd>en  Solfeß,  III.  Sb. 
©.  191  — 236;  ogl.  ferner  ©chloffer’ß  IBeltgefc^ic^te  IX.  Sb.  @.-190 
bis  499,  Sdjerr,  Schichte  bcutfdjer  ßultur  unb  ©itte  ©.  271—274. 
Cbne  3»dfel  war  ber  Sauernaufftanb  in  feiner  innerlichen  3bee  ber 
Sorläufer  ber  frangöfifdjcn  9iebolution  auf  beutfebem  Soben! 

19)  ©o  unb  ähnlich  wütbet  gütiger  in  feiner  glugfebrift:  ,wiber 
bie  mörberifd;en  ubb  räubcrifd?en  Netten  ber  Säuern*,  ©d^err  nennt 
bieje  ©ebrift  ein  Pamphlet.  Ser  9)lann  mußte  eben  auf  jwei  Slchfelu 
tragen:  er  fonnte  bie  Surften  nidit  aufgeben,  olme  feine  Neformalien 
ju  gefährben. 

20)  Ueber  üubroigß  V.  Sorgeben  ju  ©unften  ber  Säuern  in  ber 
Äurpfalj  »gl.  $)äuffer,  ©efebiebte  ber  rbeinifeben  'Pfalj,  I.  Sb.  ©.  537 
bi«  538. 

21)  Ueber  ba«  fonberbare  Serbalten  be«  Äurfürften  »on  ber  'Pfalj 
wäbrenb  be«  ©peprer  Neidjßtageß  »gl.  ©elbert  a.  Q.  ©.  194 — 196; 
4>äuffer  bemerft  a.  O.  3.  542  er  hätte  nach  Ueberreicbung  ber  prote* 
ftation  bie  faiferliche  Diajeftät  »on  gemaltfamen  ©dritten  abgebalten. 
5£h«tfä(hli«h  füllte  fein  Nachfolger  griebrid)  II.  unter  Plelancbtbon’ß 
ilufpijien  bie  Deformation  feit  1545  in  ber  pfalj  ein,  ließ  bie  9Ji eff e 
beutfeh  lefcn,  baß  Jlbenbrnaßl  unter  beiberlei  ©eftalt  außtbeilen  unb  er- 
laubte ben  priefiern  bie  Gbe.  Ser  erftc  ©otteßbienft  nach  proteftanti» 
(d)cm  Dituß  warb  am  3.  Sanum  1546  ju  $eibelberg  abgebalten;  »gl. 
£äuffer  a.  Q.  ©.  601. 

22)  Sgl.  £)außrath,  bie  oberrbeinifcht  Seoßlferung  in  ber  ©efcbidjte. 
©.  28—31. 

23)  Ueber  baß  2Bibettäufertbum  ju  Plünfter  »gl.  $enne  atu 
Dl>mt  a.  Q.  I.  Sb.  ©.  141  — 146. 

XIV.  3*ö.  4 COOl) 


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50 


24)  lieber  bie  ©ntmicflung  ber  ^Reformation  in  ben  ©ieberlanben 
in  Äürje  »gl.  p.  Äurfc,  ijehrbud?  ber  Äirc^cngej^idjte,  § 140,  6,  § 158, 
1,  § 169,  6.  Surd)  bie  ©erbinbung  mit  granf  reich  — ®eufen  — unb 
ber  ©<hroei$  fam  fpäter  in  ben  ©ieberlanben  baß  reformirte  ©cfenntnifj 
jur  perrfchaft.  3)ie  freie  ©chweij,  baß  freie  $mllanb  begünftigten  bie 
humanere  ücljre  Bwingli’ß  unb  ©alpin’ß,  im  ftarreren  bcutfcben  ©orben 
unb  in  ©littelbeutfchlanb  hat  bie  ftrengere,  ortbobojre  ütnjdwuung  Vuther’ß 
bie  £)berhanb  gewonnen 

25)  Ueber  bie  Slenberungen  im  ©terfebrßwefen  nach  biefcn  großen 
(Intbecfungen  »gl.  ©üdjek,  C^efe^irfjte  beß  SBelthanbelß,  ©.  149 — 156, 
tpenne  am  a.  O.  II.  ©b.  © 64—66,  .petlroalb  a.  O.  II.  ©b. 
©.  477—478. 

26)  Heber  baß  (Snbe  beß  rbeinifchen  ©täbtebunbeß  ©litte  beß  15.  3ahr- 

hunbertß  »gl.  ©lenjel,  @ef<hichte  beß  rljeinifd>en  ©täbtebunbeß  im  13.  3abr* 
hunbert  ©.  66,  .penne  am  IKhpn,  allgemeine  (Sulturgefchichte  III. 
Sb.  ©.  269  — 270.  9!ad)  bem  gatle  Bon  ©tainj  1462  mar  baß 

©d;icffal  beß  rheinifd?ctt  ©täbtebunbeß  befiegelt;  »gl.  ©artholb,  ©ejchubte 
ber  bcutfcben  ©täbte,  IV.  Sl).  ©.  289—293. 

27)  Ueber  ©ullenwebcr’ß  IKeformibeen  Bgl.  ©cberr,  ©efchtchte  beut- 
jeher  (Sultur  unb  ©itte  ©.  284  unb  ©artbolb,  @efch.  Söullemoeber’ß 
in  Siaunter’ß  l>iftor.  Safd)enbuch  f.  1835  ©.  1—200;  in  Äür$e  »gl 
©artholb,  ökfcb-  b.  beutfchen  ©täbte,  IV.  SEI?-  5.360—371.  (Sr 
wollte  für  bie  panfa,  waß  Jütten  für  ben  Slbel  unb  ben  ©ürgerftanb 
beabfichtigtc:  eine  freie  beutfche  ©ation  auf  ©runb  beß  ©roteftantißmuß. 
Ueber  ben  ©erfall  ber  £>anfa  pgl.  ©artbolb’ß  ffierf,  IV.  Sh-  <*•  m.  ©t. 

28)  Ueber  ©ürnberg’ß  Äunftblütbe  Bgl.  .penne  am  ©h9n  a.  JD. 
I.  ©b.  ©.  638 — 541  unb  ©artholb,  @ef<h-  b-  beutfchen  ©täbte,  IV.  Sh- 
©.  323—324. 

29)  2)ie  iaudatio  Bon  ?leneaß  ©pluiuß  finbet  [ich  jum  Sl)eil  bei 
©artholb  a.  £).  IV.  Sl).  ©.  256.  ©och  hfu*e  bietet  ein  ©unbgang 
burch  ©ürnbcrgß  ©tragen  baß  befte  ©ilb  Bon  mittelalterlicher  profan- 
unb  Äird;enbaufunft.  S6al)re  Äleinobien  auß  biefer  ©eriobe  finb  Ber- 
einigt im  gennanijcbcn  ©iujeunt  bafelbft.  3ur  Slluftration  ©ürnberg’ß 
Bgl.  baß  ©ilb  Bon  gr.  Änab  in  ©d;err’ß  ©ermania  ©.241:  ,'Patrijier- 
hauß  in  ©ürnberg*. 

30)  Ueber  bie  nieberlänbifd>cn  ©lalerjchulen  unb  ihre  ©ebeutuug 
Bgl.  3Ö.  ?übfe,  GSrunbrifi  ber  Äunftgejchicbte  7.  Stuft.  ©.  286 — 305. 
pier  auch  ein  Stbfchnitt  über  bie  flanbrifcijen  Seppidje  u.  f.  w.  ©.  363 
—394 ; auperbent  $enne  am  ©hVn  a.  £>.  I.  ©b.  ©.  539  — 540, 
©.  549—555. 

(«o») 


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51 


31)  lieber  bet  9lieberlanbe  §ortfd;ritte  in  Äunft  unb  2ßiffcnfrfjaft 
u>äl;renb  biefer  periebe  ogl.  ^ellnwlb  a.  D-  II.  SB.  @.  483,  £>enne 
Slm  SKbpn  a O.  I.  33b.  @.  381,  38G,  397,  II.  33b.  ©.  309—309. 
— ©ebaftian  DJlünfter,  ber  Äi'Smoprapl;  beö  IG.  3al)rl'unbert«  war 
geb.  1489  ju  3ngell;eim  in  ber  Pfalj,  warb  1529  profeffor  ju  33afel 
unb  ftarb  1552  an  ber  peft.  ©eine  ÄoSmegrapl;ie  erfebien  ju  33ajel 
1541  mit  rcl;en  SIbbilbungen  unb  Äarten.  (§«  ift  ba«  erfte  Uniuerjal« 
lejifon  für  Q5eograpl;ie,  @efd;id;te,  9laturgefd)id;tc  unb  Stl;nclcgie,  weldje« 
bie  9ieujeit  l;eroorgebrad;t  l)at. 

32)  Die  beutfdjen  9ieid;6tage  unb  tyre  @cfd;id)te  »gl.  bei  Daniel, 
ftanbbutb  ber  beutfd;cn  IKeitb««  u.  ©taatenred?t«gefd;id;te,  II.  511;.  2 33b. 
©.  317—567.  II.  SEI;.  3.  33b.  ©.  1 — 209.  — 3u  Sranffurt  im  9iömev 
langen  bie  Silber  ber  bafelbft  gewählten  Äaijer;  ben  lebten  pia(j  nimmt 
Ä'aifer  ftranj  II.  ein. 

33)  lieber  $einrid>’8  II.  ©alten  in  ben  9il;einlanben  »gl.  S3artl;olb 
a.  £).  IV.  511;.  ©.  401 — 404.  S3ci  ber  »ergeblid;en  33elagerung  »du 
SDleb  1552  burd;  Äaifer  Äarl  V.  fang  man  im  beutfdjen  'Helfe:  ,bie 
SDiefie  unb  bie  fölagb,  l;at  bem  Äaifer  ben  SEanj  »erjagt".  (§«  liegt 
©timmung  barin. 

34)  Hgl.  über  bie  ©irfungen  be«  30  jährigen  Äriege«  auf  bie 
©tcflung  beb  !Heid;c«  ©djerr  a.  £).  ©.280 — 282;  beffelben  Hrf.’s  ©er» 
mania  ©.  236—238;  im 'Allgemeinen  »gl.  über  bie  präpenberang  gvanf« 
reid;«  feit  bem  16.  3af;rl;unbert  .frellwalb  a.  £>.  II.  33b.  ©.  516—520. 

35)  33ci  Piünfter  in  ber  2.  'Auflage  ber  ÄoSmograpl;ie  »cm  3- 
1628  ©.  1053. 

36)  Die  ©djilberung  ber  Äurpfalj  nad;  bem  30jäl;rigen  Äriege 
»gl.  bei  $>äuffer  a.  O.  II.  33b.  ©.  584;  ba«  £>eibelberger  ©djlojj  warb 
in  feinen  fünften  Steilen,  bem  £)ttc-^)einrid;«bau  unb  bem  griebridjfl« 
bau,  1556  - 1559  unb  1601  im  reinen  Dienaiffanceftiele  l;ergefteflt ; f bei 
8übfe  a.  £).  II.  33b.  ©.  126  u.  128,  fowie  §ig.  361. 

37)  lieber  bie  33e»elferung«abnal;me  in  Deutfdjanb  in  biefer  periobe 
»gl.  Hernie  am  DiljJjn  a.  D.  II.  33b.  ©.  6 — 7;  er  nimmt  an,  bafj 
Deutjdjlanb  wenigften«  */i  feiner  33e»elferung  »erloren  l;abe;  »gl.  ferner 
©d;err,  (Germania  ©.  237—238. 

38)  9tad;  einer  Plittljeilung  be«  t!el;rer«  3.  ©djneiber  ju  Piujjbad), 
au«  3lrd;i»alien  gefdjöpft. 

39)  ©rimmelfiljaufen  geb.  ju  ©elnljaufen  1625  fdjilberte  in  feinem 
©impliciu«  feine  eigenen  3lbenteuer  in  Deutjdjlanb,  granfreie^  unb  äKujj* 
lanb;  er  ftarb  1676.  Die  ©e^ilberung  ber  franjefifdjen  ©ittenjuftänbe 

(603; 


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52 


barin  IV.  Sßucb  3. — 6.  6ap.  finb  bemerfenSmertl; ; balb  fam  c«  audj  in 
2)eutfd)Ianb  äljnlid)! 

. 40)  SBfll-  über  bie  5£hätigfeit  Äarl  Submig’8,  be«  SBieberherftefler« 
ber  fcäuffer  a.  £>.  II.  33.  ©.  580-608,  642—687. 

41)  lieber  bie  folgen  be«  jmeiten  SHaubfriege«  für  bie  SHtyeinlanbe 
Dgl.  $äuffcr  a.  £>.  ©.  628 — 642. 

42)  lieber  bie  sßermüftungcn  in  ber  'Pfalj  unb  überhaupt  am  Dibein 
in  ben  3ahKn  1688—1690  ugl.  ^>auffer  a.  £>.  ©.  766 — 786;  £auä* 
ratty  a.  D.  S.  32 — 33;  über  bie  ißermüftung  ber  5Kci$4ftabt  ©peper 
Dgl.  Ä.  3Beifj,  ©efcfyidjte  ber  ©tabt  ©peper  ©.  84—92.  ©peper  unb 
SBorrn«,  üliannljeim  unb  4>eibelberg  mürben  buihftäblid)  in  ben  ©^reefenS« 
tagen  1689  Dom  ©rbboben  oertilgt;  in  ©peper  blieben  nur  bie  Üranb« 
mauern  beS  Some«  f teilen,  ju  $eibelberg  überftanb  bie  Herftörung  nur 
ba«  .£)au«  „pm  SHitter*.  lieber  bie  mannhafte  ^'faljgräfin  ©lifabetl' 
©harlotte  Dgl.  ben  ausführlichen  ©ffap  Don  £)äuf{er  a.  £>.  ©.  712 — 734. 
©ie  mürbe  bie  ©tifterin  ber  ÄonigSbpnaftie  ©rtean«. 

43)  lieber  ben  tonangebenben  ©influjj  5ranfreid/S  auf  cultureKem 
©ebiete  Dgl.  ©d?err’ö  ©ermania  ©.  275 — 276,  294;  £>ellmalb  a.  C. 
II.  iß.  ©.  516—525;  über  ben  frangöfifd^eit  $of  f.  £>enne  am  Oipmt 
D.  O.  II.  33.  ©.  92—117. 

44)  Heber  ben  3efuiti«mu8  in  ber  Äurpfalg  Dgl.  bie  ©arflellung 
Don  $äuffer  a.  £5.  II.  Iß.  ©.  786 — 843.  2)ie  Äirdjenljänbel  bauerten 
unter  3ol)ann  3Ui(l;elm  unb  $tarl  Philipp  bi«  SJiitte  be«  18.  3al?i'* 
tjunbert«  an. 

45)  lieber  bie  ^fäljer  3uftänbe  Dgl.  §äuffer  a.  0.  II  33.  ©.  905 
bi«  957,  befonber«  ©.  925—926,  930—941,  943—950,  955—956. 
©ine  treffenbe  Scbilberung  ber  3uftänbe  im  Äurfürftentbum  ’Pfalj  ©nbe 
be«  18.  3al)rtjunbert«  entrollt  6.  Srauenitaat  in  ber  'Uiagbeb.  3eitung 
50iai  1879. 

46)  33gl.  bie  furje  ©Ijarafteriftif  be«  §reil?eitstaumel8  bei  £>au«ratlj 
a.  D.  ©.  35 — 37 ; bie  Veibeigcnfd)aft  blieb  bi«  jur  tKebolution.  ©ine 
un«  »orliegenbe  fülanumiffion  Dom  24  Slpril  1780,  auSgcftellt  Dom  §ürit- 
bijdjof  ju  ©peper  für  eine  ©djultbeigentod^tcr  Don  ©be«ljeim  bei  ©ben« 
foben,  entläßt  biefe  bebingung«meife  au«  ber  ifeibeigcnfdjaft  jura  3mecfe 
ber  äkrtjeiratl)ung  mit  einem  'JJiüller  ju  3trjl;eim.  2)er  Slft  foftet  nid;t 
meniger  al«  322  §1.  38  fr. 


(*sm) 

Tturf  ton  flna»r  (*6.  UJrimni),  Bttlm,  ifdjönfbtrflrrftr.  II«. 


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i*ari'  von  JLinne 


<5e&äcfytnifjre&e 

bei  bet  %t\n  in  bet  Äßnigl.  9lfabemie  bet  SBiffenfdsaften 
am  10.  Januar  1878  in  ©tocffyolm 

gebalten  von 

betem  gegenwärtigen  ^>täfe§ 

illalmflen. 


ßerlin  SW.  1879. 

Sßetlag  non  (5  a r l Jg>  a b e I. 

(t.  iß.  t'n&tritrsttjr  Hitlnßsbndjbiniilting.) 

'13.  9S?irb«1m  > Strafe  33. 


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!Dad  8Red)t  bcr  Uebfrjefeung  in  frfmbe  Sprachen  tüicb  »crbtbaltcn. 


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uvarl  ginnaeuS  würbe  in  einem  einfachen  ^fartbaufe  in  ber 
ÄapeQanSmobnung  SRäöljult  am  13.  dJlai  — alten  ©tplS  — 1707 
geboren.  <Der  SBater  mar  9tilS  ginnaeuS  unb  bie  dftutter 
Äriftine  SBrobetfonia,  beten  Sßater  Pfarrer  in  ©tenbrobult 
gewejen  war.  9ta<b  bem  letztgenannten  .Ritcbfpiele  gog  im  fol* 
genben  3abtc  5Ril8  ginnaeuS,  wo  er  jefct  gum  Pfarrer  er» 
nannt  worben  war,  unb  bort  legte  er  balb  einen  größeren  ©arten, 
ben  fd?cnften  in  ber  gangen  ^roning,  an.  9^adE>  einigen  Sauren 
erhielt  ber  ©obn  Äatl  jeine  eigenen  ©artenbeete  gu  bejäen  unb 
gu  pflegen,  unb  bieje  Sbt^eilung  beS  ©artenS  würbe  „jfarl’8 
©arten"  genannt.  ©djon  im  Sllter  »on  fed)8  Safjren  batte  ber 
Heine  Änabe  bort  ein  ©jremplar  bon  SlUem  bem,  was  im  größeren 
©arten  beß  SBaterS  war,  fictj  aufgegogen. 

Sie  früher  Sfcournefort,  ber  größte  SBotauiler  be8  17. 
SabrbunbertS,  jo  war  auch  Äarl  ginnaeuS  für  baS  geiftlidbe 
5lmt  beftimmt  worben.  3m  3abre  1717  würbe  Äarl  in  ber 
Stioialftbule  in  23cj:iS  aufgenommen,  wo  er  als  $)flaugen!ennet 
bei  bem  fReftor  gannaeliuS,  ber  felbft  bie  3)flangeufunbe  liebte, 
fe^r  in  ©unften  ftanb.  5Bon  ^flangen  fpredjen  gu  büren,  ihre 
Flamen  unb  ©igenfcbaften  gu  lernen,  baS  war  fo  febr  bie  eingige 
Neigung  beS  Änaben,  baf)  alle  übrigen  ©tubieu  oerfäumt  würben. 
3m  3abre  1724  warb  er  inS  ©pmnafium  werfest;  aber  au<b  ba 

XIV.  329.  1 • (607) 


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4 


würben  bie  geiftlidjen  ©tubien  »erfäumt,  weldie  gu  bet  3^it  tie 
pauptfädjlidjfte  Aufgabe  be8  @pmnafium8  bilbeten.  ÜJiattyematif 
unb  ftubirte  er  gwar  mit  Vergnügen,  aber  bod)  immer 

uorgugäweife  93otanif;  unb  bie  Äametaben  nannten  ifyn  „ben 
fleinen  9?otanifer".  9118  ber  93ater  1726  nad)  -SBejriö  !am,  um 
nadj  ben  ©tubien  feines  @ofyne8  gu  fragen,  erflärten  bie  Seljrer, 
bafj  fie  auf  iljr  ©ewiffen  fidj  oerpfiicptet  füllten,  bem  93 ater  gu 
ratzen,  feinen  ©ofyn  in  bie  gefyre  bei  einem  Srfdjler  ober 
©djneiber  gu  geben,  weil  fie  übergeugt  feien,  bafj  er  „mit  ben 
5?nd}em  nid^tö  auSridjten  föirne".  ©et  Äummer  be8  33ater8 
über  biefe  ^iobSpoft  war  unbefdjreiblicß.  ©er  3ufaH  führte  iljn 
nun  gum  fProöhtgialargt  ©öfter  Siotljman,  ber  ein  guter 
ftreunb  beS  Steftor  gannaeliuS  war  unb  ber  butdj  biefen  bie 
Anlagen  be8  ©ol)ne8  fennen  gelernt  tjatte.  „SEBoljl  feien  bie 
gehret",  fagte  Siotljman  „im  SRedbte,  bafj  ber  Änabe  nie  9>re» 
biget  werben  fönne;  er  felbft  aber  fei  übergeugt,  bafj  ber  3unge 
mit  ber  3cit  ein  berühmter  fÄrgt  werbe,  ber  in  ber  3ufunft  eben 
fo  gut  wie  irgenb  ein  ^rebiger  fid)  gu  ernähren  »ermöge". 
©oftor  3totl)man  liefj  je£t  ben  jungen  8innaeu8  in  fein  #au§ 
eingiefyen  unb  unterridjtete  iljn  in  ben  erften  ©rünben  ber 
ftologie  unb  ber  93otanil  SBäfyrenb  feines  Ijiefigeu  2lufentl}nlt8 
ftubirte  ginn aeu8  bie  Slumen  nad}  ber  SJtetljobe  »on  Slourne« 
fort.  fRotljman  gab  itjm  aud)  $liniu8  ©djriften  über  Statur» 
gefdjidjte,  unb  jefct  würbe  bie  römifdje  ©pradje  bem  ginnaeuS 
ebenfo  lieb,  wie  bie  9Biffenfdjaft,  bie  er  ftdj  burd}  fie  aneignete, 
©ie  furge  unb  prunflofe  9lu8brucf8weife  be8  ^liniuS  übertrug 
ftdj  balb  auf  ben  Süngling  unb  gab  iljm  eine  gewiffe  ^ertigfeit, 
ftdj  fewofyl  in  ©d)rift  wie  in  Siebe  lateinifdfj  auSgubrücfen,  wa8 
iljm  in  ber  3ufunft  t>on  großem  Stufen  würbe. 

3nbeffen  al8  8innaeu8  1727  ba8  ©pmnafium  oerlaffen 

(608) 


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5 


unb  fidj  nach  bet  Slfabemie  begeben  füllte,  befam  et  »cm  fReftor 
be8  ©pmuafiumö  Ätof  ein  3eugnifj  folgerten  3nhält$:  „Sie 
bie  3ugenb  in  ben  Spulen  mit  fleinen  Säumen  in  einet  Saum* 
fdjule  oerglidhen  merbeu  fann,  wo  eö  guweilen,  obgleich  feiten, 
gefdjicljt,  baf)  junge  Säume  trofc  aßet  auf  ftc  oerwenbeten  Sorg* 
falt  nicht  gut  arten,  fonbern  in  »ilbe  «Stämme  augarten,  aber 
wenn  fie  fchliefjlid}  umgeje^t  unb  nerpflangt  »erben,  nerlaffen  fie 
i^te  »ilbe  2lrt,  »erben  ft^öne  Säume  unb  geben  angenehmes 
Dbft;  — fo  unb  in  feiner  anbern  &bfid}t  »irb  jefct  biefer  3üng* 
ling  gu  bet  2lfabemie  entlaffen,  wo  er  üielleicht  in  ein  foldjeg 
Jtlima  fommt,  bag  fein  3unehmen  im  Skchöthum  begünftigen 
»ütbe."  9Rit  biefem  »cnig  empfehlenben  Beuguiffe  reifte  8 in* 
naeuö  nach  8unb,  wo  er  Unterftüfcung  non  einem  Sermanbten, 
$>rofefjor  $umerug,  gu  gewinnen  hoffte.  Sei  feiner  Ülnfunft 
in  8unb  läuteten  ade  ©loden  bet  Stabt.  8innaeu8  fragte, 
weffen  Seerbigung  eS  fei  unb  erhielt  gur  Antwort,  baf?  ber  5)om* 
probft  £umeru§  beftattet  »erbe.  2)ieg  »ar  ein  fthweter  Schlag 
für  üinnaeug  unb  feitbem  fonnte  et  nie  ©lodenläuten  ertragen, 
©lüdlichctweife  traf  er  jefct  feinen  früheren  3nformator,  ©abriel 
4P öf,  unb  rourbe,  ohne  fein  unuertheilhafteg  abgaugggeugnif? 
oorgeigen  gu  brauchen,  alg  beffen  JDigcipel  bei  bet  Sfabemie  eiu* 
gefchrieben,  wo  er  balb  burch  feine  botaniichen  Äenntniffe  unb 
burch  feine  ©igenfchaft  ald  5Rebicin  Stubirenber  non  bem  ge* 
leljrten  9>rofeffor,  fpäter  ärftater,  Ä'ilian  StobaeuS,  in  beffen 
j£>aufe  er  auch  wohnte,  befdjüfct  würbe.  .£>ier  fah  et  gu  feiner 
großen  greube  eine  größere  Sammlung  non  Steinen,  Sögeln, 
Schnecfen  unb  gepreßten  ^flangen  unb  erhielt  ©elegenheit,  ftd? 
felbft  ein  Jperbarium  gu  fammeln  unb  bie  gefammelten  ^flangen 
mit  ben  Sefdjreibungen  »on  SEournefort  gu  Dergleichen.  55i<> 

flächte  burch  ftubirte  Üinnaeug;  unb  ba  St obaeug  non  feiner 

(60»; 


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6 


9Jiutter  aufmerffom  gemalt  worben  war,  bajjj  Siebt  bie  gange 
9ladjt  in  SinnaeuS’  3immet  brannte  unb  man  fürchtete,  bafj 
er  beim  Sicht  eingefdjlafen  märe,  jo  überrafdjte  ©tobaeuS  ihn 
eine  ^ladjt  unb  fanb  il?n  mit  ©tubien  befc^äftigt  unb  non  einer 
2Renge  ©ücbet  umgeben,  bie  berfelbe  einem  beuticben  SDlebicin* 
©tubirenben,  ber  auch  in  ©tobaeuS’  £aufe  wohnte  unb  bet 
freien  Butritt  gu  feiner  ©ibliothef  befafe,  entließen  l)atte.  !Äm 
folgenben  Sage  gab  ©tobaeuS  auch  bem  SinnaeuS  freien 
3utritt  gu  feinet  ©ibliothef,  unb  befc^ü^te  ihn  ferner  auf’S  ©efte 
lief?  fid)  »on  ihm  fogar  in  bet  eignen  gratis  Reifen  unb  oer» 
ipradj,  benfelben,  wenn  er  fo  fortfaijre  wie  et  augefangen  tjabe, 
gu  feinem  ©rben  eingufeßen.  2)effen  ungeachtet  ging  ber  junge 
SinnaeuS,  nach  einem  ©efud)  wäbrenb  beS  ©ommerS  in  ber 
£eimath,  im  £erbfte  1728  nach  ttpfala,  wo  „man  SJiebicin  unb 
©otanif  unter  ben  ^rofefforen  JRogberg  unb  SHubbecf  befjer 
ftubiren  fßnne,  unb  wo  aufcet  einer  ftattlichen  ©ibliothef  ein  be* 
fonberer  botanifcher  ©arten  unb  t»iele  Stipendia  regia  et  mag- 
natum  ftch  fänben,  woburch  ein  armer  3üngling  eorwärtS  fommen 
fönnte."  SinnaeuS  fet$te  h^  feine  SieblingSftubien  eifrig  fort 
hatte  aber  mit  großer  Slrmuth  gu  fämpfen  unb  litt  oft  ^Mangel 
am  9iothwenbigften.  (Sr  wünfd)te  fid)  jfe^t  gurüef  gu  ieinem 
©ßnnet  ©tobaeuS  in  Sunb  unb  bereute  tief,  ba£  er  ungehorfam 
non  ihm  fortgegangen  war.  (Sr  war  nach  ©erlauf  eines  3al}reS 
burch  bieS  SDlifjgefchicf  gegwungen,  ft<h  bagu  gu  entfd)liefjen,  auf 
bie  Slufforberung  beS  ©aterS  gu  £aufe  gu  fommen,  um  in  ben 
geiftlicben  ©tanb  eingutreten  gu  oerfuchen.  ©or  ber  Slbreife  ging 
er  bann  eines  SageS,  um  oon  bem  Qlfabemie* ©arten,  biefem 
(einem  irbifdjen  §)arabiefe,  iäbfchieb  gu  nehmen,  ©erabe  im 
©egriffe,  eine  feltene  eben  aufgefpreffene  ©lume  abgufchneiben, 

bie  et  als  eine  liebe  (Erinnerung  in  feiner  Äräuterfammlung  auf» 

(«10) 


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7 


bewahren  wollte,  würbe  er  oon  betn  SDomprobfte  £>.  ©elfiuö, 
bem  älteren,  angerebet,  welker  wäljrenb  ber  Unterhaltung  mit 
bem  jungen  unbefannten  Söianne  in  SBerwunberung  über  jeine 
Äenntuiffe  in  ber  SSotanif  unb  übet  feine  genaue  SDarfteüung 
oon  bem  Snhalte  be8  ©artenS  geriet!).  fftadjbem  6elfiu8  ben 
8innaeu8  näher  fennen  gelernt,  unb  nachbem  er  feine  biirftigen 
SBerhältniffe  erfahren  hatte,  lieh  « ih»  3“  fi<h  fommen,  um  in 
feinem  £aufe  gu  wohnen  unb  an  feinem  Stifche  gu  effen,  aud) 
gab  er  ihm  freien  Butritt  gu  feiner  oorgüglidjen  botanif(hen 
SBibliothef.  (Selfiuö  empfanb  täglich  mehr  unb  mehr  ©efaHen 
an  8innaeu8  unb  btefer  begann  jefjt  butd)  prioate  ©ollegien 
in  bie  üage  gu  fommen,  fid)  „Schuhe  nnb  anbere  ÄleibungS* 
ftücfe"  gu  »erfchaffen.  2innaeu8  fchrieb  jefct  in  golge  ber 
SDiSputation  »on  SBallin:  „de  nuptiis  arborum“  einige 
SBogen  über  ben  redeten  3ufammenhang  mit  „sexu  plantarum“, 
welche  Schrift  bem  D.  ©elfiuS  überliefert  würbe,  ber  baö 
SJianujfript  gum  fjDrofeffor  ber  SDtebicin  unb  SBotanif,  Dlof 
fRubbecf  bem  jüngeren,  fanbte.  Sflubbecf  würbe  jefct  bem  2in» 
naeuS  ein  ©önner,  nahm  ihn  gum  3uformator  für  feine  Söhne 
unb  gab  ihm  freien  Sutritt  gu  feinet  SBibliothef.  — 9118  bet 
bejahrte  £>lof  {Rubbecf  1730  oon  ber  SBerpflichtung,  allgemeine 
SBorlejuugen  gu  halten,  unter  33ebingung  fich  einen  SBifatiuS  gu 
cerfchaffen,  befreit  würbe  unb  ba  ber  SSbjuuft  5)reuft,  ber  guerft 
hiergu  au8erfehen  würbe,  bei  ber  Prüfung  oon  {Rubbecf  aber 
„nicht  ba§  gehörige  5Rafj  geigte“,  fo  würbe  2innaeu8  gerufen, 
oon  bet  gacultät  ejraminirt  unb  mit  9lprobation  angenommen, 
obgleich  $>tofeffor  fRogbetg  e8  für  gewagt  hielt  „einen  noch 
nicht  bteijährigen  Stubenten  gum  SDocent  gu  machen  unb  nod) 
mehr  ihm  öffentliche  93otlefungen  aufgutragen."  SBon  biefem 

Stage  an  fchien  bie  Sonne  befl  ©lücfeS  bem,8innaeu§  gu 

(611) 


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8 


lächeln.  3Rit  ©efdjicf  unb  mit  bem  Seifall  Met  ^ielt  et  bie 
ihm  anoertrauten  Sotlefungen  unb  bet  feinen  prioaten  bota« 
nifdjen  (Syfutfionen  ^atte  et  balb  einen  gtofcen  3ulauf  t»ou 
3)raftifanten,  woburch  feine  öfonomifche  Stellung  »erbeffert 
würbe. 

©urdj  bie  Sermittlung  bet  sperren  Stubbecf  unb  Dlof 
unb  AnbteaS  (SelfiuS  erteilte  ginnaeuS  e8,  auf  Äoften  bet 
Äßnigl.  ©ocietat  bet  2öiffenfdjaften  in  Upfala  eine  Steife  nach 
8applanb  3u  unternehmen.  @8  war  wäfyrenb  be8  grühlings  nnb 
be8  ©ommerS  1732,  bafc  et  biefe  in  fo  oielen  cfjinfichten  merf* 
würbige,  an  Abenteuern  reiche,  ja  bei  mehreren  (Gelegenheiten 
lebensgefährliche,  aber  jum  sJRufceu  ber  Sliffenfchaft  Doch  glücflich 
ooHenbetc  Steife  auö  führte. 

9 Rad)  ber  ftüdfehr  1733  h^i  fcinnaeuS  auch  ÄoQegien 
in  ber  9>robirtunft  not  einer  anfehnlichen  3al)l  »on  ©tubirenben 
unb  erwarb  ftch  hierbutch  SERittel  gu  feinem  Unterhalte.  Snbeffen 
würbe  im  3ahre  1734  burch  einen  Äangletbrief  oerorbnet,  bafc 
fein  ©eeeut  in  ber  ÜJiebicin  bei  ber  Afabemie  non  Upfala  gum 
„Abjuncten  in  Praejudice"  herbeigegogen  werben  bürfe,  woneben 
auch  »erboten  würbe,  folche  fPerfonen  öffentlich  lehren  gu  lafjen, 
bie  nicht  felbft  bie  gejefclichen  groben  ber  Lehrer  abgelegt  haben. 
2)urch  biefe  Serorbnung  würbe  giunaeuS  gezwungen,  auf  bie 
Sotlefungen  gu  »ergichten,  in  welchen  er  fich  bisher  oon  fo  gahU 
reichen  3uhörern  beehrt  gefehen,  bah  »tele  oon  Den  Aubitorien 
ber  ^rofefforen  leer  ftanben.  SDieö  war  ein  harter  ©chlag  für 
ihn,  bem  alfo  jebe  SBirfjamfeit  als  üehrer  bei  ber  Afabemie  be« 
raubt  würbe.  Jfurg  batnad}  erhielt  er  oon  fReuterholm,  bem 
Sanbeflhauptmamt  für  ülalefarlien,  ©elb  al8  Unterftüjjung  gu 
einer  Steife  in  bie  Sergwerfe  biefer  i'irooing.  Sei  bet  Stücffehr 
nach  ftalun  hielt  Stnnaeufl  Sotlefungen  in  ber  9)robirfunft 

(«IS) 


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9 


uni)  in  bet  SJiinetalogie  not  einer  großen  Slnjatjl  »on  Buljörern. 
SDurdj  biefe  SBorlefungen  unb  burdj  eine  nie tjt  unbebeutenfce 
prioate  mebicinifdje  $)rajci8  erhielt  er  fogar  ©elegenfyeit,  etwas 
©elb  gn  fammeln.  @r  befanb  fid?  Ijier  alfo  fefyr  wofyl,  fafy  aber 
felbft  ein,  „bafe  er  nie  auf  einen  grünen  3weig  fommen  würbe, 
wenn  et  nidjt  {Reifen  nad)  bem  2lu8Ianbe  madje  unb  JDcftor 
»erbe;  unb  baburdj  bie  Steilheit  erhalte  nadj  bet  {Rücffeljr  fid), 
wo  es  iljm  beliebte,  niebergulaffen".  3n  galuu  »erlübte  Sin« 
naeuS  fid^  mit  ber  Stehler  »ou  bem  ©tabtargte  fDlcraeuS 
unb  unternahm  anfangs  beb  SaljreS  1735  eine  {Reife  inS  2luS= 
lanb.  — 

3m  grüljling  !am  8 in naeuS  über  £elfingborg,  ^elfingör 
unb  Hamburg  nadj  SSmfterbam  in  «£)oQanb.  UeberaU  befalj  er 
©arten,  23lumeufammlungcn  unb  SRaturalieufabinette.  3m  9Ko» 
nat  3nni  nafym  er  ben  25ofter8grab  in  .fparbewp!  unb  gab  ben 
24.  3uni  1735  feine  ©rabualbiSputation  auS:  „Hypothesis 
nova  de  febrium  intermittentium  caussa“.  5£)er  be* 
rühmte  33  o erbaue  war  bamalS  ^rofeffor  bet  ÜHebicin  in  8epben. 
9iad)  biefer  Unioerfttät  ftrömten  bie  ©tubireuben  »on  allen  9k= 
tionen  unb  auep  8innaeuS  wünfdjte  biefen  auSgegeidjneten 
Beßrer  gu  fyören,  weSfyalb  er  fid)  entfd)loff  für  einige  3«t  leine 
{Rütfreife  aufgufdjieben,  obgleid)  feine  {Reifefaffe  fo  erfdjöpft  war, 
bafj  er  in  einer  SDadjftube  wohnen  unb  auf  bie  bürftigfte  2trt 
leben  muffte.  Snbefjen  erwarb  er  fid)  balb  greunbe  wie  SDoftor 
3.  %■  ©rono»,  ^rofeffor  »an  IRopen,  8awfon,  Ärarner, 
Sieberfüpn  unb  Snbete.  ©ronc»  »erlegte  jefct  auf  eigene 
Äoften  8innaeu§’  „Systema  naturae“,  weites  bamalS  nur 
14  goliofeiten  füllte,  aber  bod)  bie  ©runbelemente  gu  bem  gtof)« 
artigen  ©pftem  enthielt,  baS  fd)lief)lid)  butdj  feinen  gleiß  unb 

feine  Arbeit  in  einer  geerbneten  golge  ade  {Reitze  bet  91atur 

(61») 


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10 


umfaffen  foUte.  3n  einet  fpateren  Auflage  biefeö  SBerfeö  äufeerte 
ginnaeuß  in  bet  Sßortebe:  „3t  fafy  ben  ©Ratten  beö  fyßtften 
28efen8  cor  mit  ^erfcfjreiten  unb  idj  mürbe  Don  ©trfurtt  unb 
Semunberung  erfüllt.  3t  fuc^te  feine  ©puren  in  bem  ©anbe 
— meldje  jfraft,  melt^e  SBeiö^eit!  3t  fall  bie  Spiere  nur  burt 
bie  ©emätie  hefteten,  bie  ©emätfe  nur  butt  bie  leblofen  95ar» 
tifeln,  unb  biefe  roieber  bie  ©rbe  bitben.  3t  fal)  bie  ©onne 
unb  bie  ©tetne  oljne  3afyl  frei  in  bem  SRaume  ftmeben,  in  bet 
^>anb  gehalten  Don  bem  Sßefen  bet  SBefen,  bem  Zünftler  beö 
großen  SJteiftermerfe".  25er  furge  ©runbrifj  Don  ben  btei  Steifen 
bet  Statut,  melden  Sinnaeu§  in  bem  „Systema  naturae“ 
gegeben  fyatte,  erregte  bie  9lufmerfjamfeit  9111er.  Boerfjate 
felbft,  beffen  3eit  fo  in  9lnfprut  genommen  mar,  bo§  fogar 
Rietet  bet  ©rofje,  nat^bem  maß  erjagt  mirb,  mehrere  ©tunben 
auf  eine  Unterrebung  märten  mujjte,  münftte,  na  t bem  biefer 
©runbrifj  il)m  mitgetljeilt  mar,  ben  33etfafjet  auf  feinem  £anb« 
gute,  roo  fid) , in  geringer  ©ntfernung  Don  Sepben,  eine  tot* 
jüglite  Sammlung  epotifter  ©emätfe  befanb,  ju  fe^en. 

@r  faty,  prüfte  unb  beriet^  ben  SHnnaeub,  feine  Söof}« 
nung  in  £ollanb  aufguftlagen.  Unb  ba  Sinnaeuö  ermibette, 
bafj  mie  gern  er  aut  termeilen  mßtte,  iljn  bot  feine  büvftigen 
SBerljältniffe  jmängen,  ben  folgenben  2ag  nad)  ©tmeben  jurürf* 
äufeljren,  fo  gab  BoerljaDe  iljm  einen  (SmpfeblungSbrief  an 
Butmann,  ^)rofeffor  bet  Botanif  in  iÄmfterbam.  9iad)bem 
Butmann  ben  jungen  ©tmeben  fennen  gelernt  tjatte,  beauf« 
tragte  er  il)n  mit  ber  $ülfeleiftung  bei  einet  Beitreibung  feiner 
©ammlung  ton  ©emätfen  auö  ©eplon  unb  futte  iljn  3U  über« 
reben,  in  Sflmfterbam  ju  Detroeilen,  bot  ifym  eine  prächtige  Söolj» 
nung  mit  9lufroartung  unb  Äoft  bei  feinem  eigenen  Sifdje  an, 
mel^eä  Slnerbieten  iHnnaeuö  mit  25anf  aut  oorläufig  annaljm. 

(614) 


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11 


@ine$  2age$  fam  bet  reiche  Sürgermeifter  in  Amfterbam,  ©eorg 
©lifforb,  um  feinen  Argt  Soerhaoe  um  fRath  gu  fragen  unb 
erhielt  bann  folgenbe  Antwort:  „@S  fehlt  3h*ien  9li<ht8  gu  einem 
glücflichen  geben  als  ein  Argt,  bet  täglich  für  ©ie  forgen,  weil 
Sie  ^p^jodjonbtifc^  finb,  3h«  ©iät  beftimmen  unb  in  wichtigeren 
fällen  mich  um  SRath  fragen  fann.  3<h  fenne  einen  jungen 
Schweben,  ber  fleh  augenblicflich  in  Amfterbam  aufhält,  biefen 
empfehle  ich  3h*»eu  auf’S  SBefte.  @r  ift  aufjerbem  ein  oortrejf* 
lieber  Sotanifer  unb  fann  3h«n  ©arten  auf  .jpartefamp  orbnen". 
©ert  i^atte  ©lifforb,  ber  einer  non  ben  ©ireftoren  bet  Oft* 
inbifchen  Compagnie  war,  mit  grofeen  jfoften  unb  äufjerfter 
Fracht  einen  ©arten  angelegt,  ©ie  ©ewächie  aus  bem  füblichen 
©uropa,  auS  Afien,  Afrifa  unb  Ametifa  würben  bort  gebaut; 
unb  aufjerbem  befanben  fid)  bei  ^jartefamp  mehrere  Herbarien, 
eine  cor^üglic^e  botanifche  Sibliothef  unb  feltene  unb 

Sögel.  ©lifforb  folgte  bem  IRathe,  unb  ginnaeuö  fonnte  ein 
jo  guteö  Verbieten  nicht  abfchlagen.  „Alfo  bleibt  ginnaeuS 
bei  ©lifforb"  — fchreibt  ginnaeuS  jelbft  — „wo  et  wie 
ein  $)ring  leben  fann,  ben  größten  ©arten  unter  feiner  pflege 
erhalt,  alle  bie  $)flangen,  bie  im  ©arten  fehlen,  oerfdjreiben  unb 
alle  bie  Sucher,  bie  in  ber  Sibliothef  fehlen,  faufen  barf". 
ginnaeuö  ooOenbcte  fjier  feine  „Flora  Lapponica“,  bie  in 
Amfterbam  gebrueft  würbe.  SSährenb  beS  Aufenthalte  in  Jparte* 
famp  unternahm  er  eine  IReife  nach  ©nglanb  um  Glifforb’S 
©arten  mit  allerlei  norbamerifanifchen  ©ewäcbfen,  bie  mit  grofjem 
©rfolg  bei  goubon  gebaut  würben,  51t  oermehren.  An  ben  be* 
rühmten  fRaturforfcher  $an8  Sloane,  jpäter  Stifter  beS  Sri* 
tifh  SDlufeumS,  erhielt  er  oon  Soer ha oe  folgenben  fdjmeichelhaf* 
ten  ©mpfehlungSbrief:  „ginnaeuS,  ber  biefen  Srief  überbringt, 
ift  allein  würbig  Sie  gu  feben  unb  oon  3h«en  gefehen  gu  werben. 

(eis) 


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12 


S)er,  welcher  Sie  Seibe  gujammeu  fie^t,  ber  fdjaut  gmei  SRäuner, 
beffen  ©leidjen  bie  SBelt  faum  noch  befiel."  ginnaeuS,  bet 
fefyr  gemünfcht  hatte,  ©nglanb  gu  befugen,  gog  jefct  in  !urget 
Seit  großen  5Rujjen  non  bet  auf  Äoften  feines  ©önnerS  ©lif* 
forb  bahin  auSgeführten  fReife.  3)ie  reichen  Sammlungen  non 
Sloane  mie  auch  bie  ©arten  in  ©helfea  unb  ßjrforb  gaben 
ihm  reiche  ©elegenheit  gu  mehreren  neuen  Unterfuchuugen;  bort 
machte  et  auch  bie  ^erfonlidje  5Befanntfc^aft  mit  auSgegeichneten 
9taturforfd)cvn  »ie  SRiller,  ©allifon  unb  SilleniuS.  3a! 
SDilleni u8,  ber  im  Anfang  8innaeuö  falt  empfangen  batte 
mürbe  fpäter  jein  befter  greunb  unb  »er juchte  ihn  gu  Überreben 
„mit  ihm  gujammen  gu  leben  unb  gu  fterben".  SinnaeuS 
lehrte  jeboch  nach  |>ollanb  gurücf,  um  nach  SBoDlenbung  beffen, 
waö  er  burdj  bie  Pflicht  gegeu  feinen  2B»bltbäter  ©lifforb  als 
geforbert  anjah,  Schweben  roiebergujehen.  ÜRachbem  er  baS  #er> 
barium  georbnet  unb  Alles  in  ©lifforb’S  ©arten  miffenjdjaft* 
lid?  beftimmt  hatte,  arbeitete  er  „Musa  Cliffortiana“  unb 
„Hortus  Cliffortianus“  auS,  als  eine  SDanfeS* Abftattung 
an  feinen  ©önner. 

ginnaeuS  hatte  mähvenb  feines  Aufenthaltes  bei  ©lifforb 
aufjev  Flora  Lapponica  unter  mehreren  anbereu  Serien  auch 
„Genera  plantarum“  unb  „Critica  botanica“  »oOenbet. 
üDiefe  anhaltenbe  Arbeit  in  ber  nebeligen  fcuft  »on  £otlanb 
fdhraächte  EinnaeuS’  ©efunbheit  unb  er  feinte  [ich  nach  einem 
befferen  Älima,  „obgleich  er  in  all  bem  SBohlftanbe  lebte,  ben 
ein  Sterblicher  fidj  wunfthen  fann“.  Ungeachtet  aller  locfenbeu 
Anerbieten,  fomohl  »on  23oetha»e  als  »on  ©lifforb  tonnte 
SinnaeuS  boch  nicht  gum  SBleiben  »ermocht  merben,  jonbetn 
entjdjlofj  fich  nach  einem  furgen  23ejud?e  in  ^ranfreich  nach 
.jpaufe  gutüdgufehren.  3nbeffen  mollte  er  »on  feinen  greunbeu 

C«1C) 


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13 


unb  SBefannten  in  Senbeit  2lbfdbieb  nehmen  — wettet  2lbjdbieb8« 
befud)  feine  fRücfreife  tetgögern  liefjs.  2118  nämlidj  $)rofeffdr 
pan  fRopen  l)örte,  ba§  Sinn aeu 8 reifen  wollte,  bot  er  Ujm  aOe 
meglitben  93ortljeile,  wenn  er  nur  bleiben  unb  ifym  beljülflidj 
fein  wollte  ben  äfabetnifdten  ©arten  gu  orbnen  unb  „itjrn  feine 
Fundament«  botanica  bemonftriren  wollte".  SinnaeuS  weldjet 
eintolj,  bafj  feine  ^rtncipien  bierburcb  bei  einer  glängenben  2lfa* 
bemie  eingefübrt  werben  würben,  entfiel o§  jt<b  gu  Derweilen  unb 
entfdjulbigte  fid?  beißlifforb  bamit,  bafj  et  „biefeS  au8  feinem 
anbern  ©runb  tfyue,  al8  um  ftd>  unb  feinen  würbigen  ©lifforb 
gu  ebren.“ 

3m  9Rai  be8  3aljreS  1738  »erlief  SinnaeuS  Jpodanb  unb 
reifte  nadf)  $)ari8.  33on  tan  fRoten  Ijatte  er  einen  fdjmeidjel* 
Ratten  ©mbfefjlungSbrief  an  3uffieu,  ben  älteren,  ^tofeffot 
ber  Söotanif  in  ^Dari8.  IDiefer  S3rief  unb  ba8  ©eriidjt  non 
Sinnaeu8’  ©enie  unb  tfenntniffen,  weites  i^m  nadj  $)ari8 
DorauSgegangeit  war,  teranlafjten,  bafj  Sinnaeu8  in  bie  glän* 
genbften  ©efetlfcfyaften  non  gelehrten  ÜRännern  eingefütjrt  würbe. 
2>ie  beiben  23rüber  3uffieu  erwiefen  ifym  jebe  mögliche  2tuf» 
merffamfeit  unb  er  fonnte  ^ier  bie  großen  Herbarien  ton  SEour« 
nefort,  33aillant  unb  anberen  burdjforfdjen.  SDer  jüngere, 
S3ern^arb  be  3uffieu  führte  ifyn  nad?  Fontainebleau  unb 
anberen  ©teilen,  um  itym  bie  fcbönften  ©ewädjfe,  bie  fidj  in  ber 
Umgebung  ton  f)ari8  fanben,  gu  geigen.  33ei  einem  23efutb  in 
ber  Slfabemie  ber  SSiffenfdjaften  würbe  SinnaeuS  am  ©djluffe 
bet  3‘ifammenfunft  burcb  bie  5Radjrid)t,  bafj  er  gum  correfpon» 
birenben  5Ritgliebe  bet  Slfabemie  gewählt  worben  war,  über* 
rajdtt.  2lud)  Ijier  in  ^ari8  würben  itjm  grofjc  33ortf;eiIe  ange* 
boten,  wenn  er  bleiben  unb  Fmnjofe  »erben  wollte,  aber  „Ijöljere 
fReigung  geg  ifyn  nadj  feinem  S?sterlanbe“.  35ie  Siebe  gur  £ei* 

(6J7) 


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14 


math  unb  bie  Sehnfudjt,  feine  Staut  wieberguiehen,  beeilten  feine 
Siücfreife.  @t  fam  im  September  1738  nad)  Schweben  gurücf 
unb  nach  einem  furzen  Sefudje  bei  feinen  ©Itern  in  Stenbrohult, 
reifte  er  nach  galun,  wo  je£t  bie  Setlobung  mit  feiner  3u§er« 
wählten  gefeiert  würbe;  bann  begab  et  fleh  nad?  Stocfljolm,  um 
fein  ©IM  gu  »erfuchen.  Sr  badete  ft<h  bi«1  iefet  «1$  Sltjt  feinen 
Unterhalt  gu  erwerben;  ba  et  aber  Sillen  unbefannt  war  — 
fdjteibt  er  felbft  — wagte  Siiemanb,  fein  theureS  Beben  feinen 
.£>änben  anjunertrauen,  ja,  fogar  nicht  einmal  feinen  ^>unb,  fo 
baff  er  anfing  an  feinem  gortfommen  im  Banbe  gu  gweifeln. 
©cwohnt  im  2lu§lanbe  alö  Princeps  botanicorum  gefeiert 
gu  werben,  war  et  hier  gu  Jpaufe  — nach  feinem  eigenen  2lu8* 
brurfe  — „wie  ein  Älpmenoö,  non  ber  Unterwelt  gefommen, 
fo  ba§,  wenn  Binnaeuö  jej}t  nicht  »erliebt  gewefen,  et  un» 
feblbat  wieber  fortgereift  unb  Schweben  »erlaffen  b«kn  würbe." 

Salb  leuchtete  aber  ber  Stern  bet  Hoffnung  wieber  auf 
unb  nach  einigen  gelungenen  Suren  gewann  2innaeu8  1739 
ba§  Sertrauen  »on  mehreren  Äranfen,  würbe  mit  bem  gelehrten 
Äapitän  ÜJiartin  Sriewalb  befannt  unb  butch  ihn  mit  bem 
Saron  Slnbreaö  »on  köpfen,  fpäter  9teid)Sratt)  unb  ©raf, 
unb  mit  bem  Äommergienrath  3ona§  Sllftromer.  3m  Serein 
mit  bieten  Scannern  ftiftete  Binnaeuö  je£t  bie  üönigl.  9lfa* 
bemie  bet  SBiffenfchaften  in  Stodfholm,  bereu  erfte  3ufummen* 
funft  ben  2.  3uni  1739  gehalten  würbe,  wo  Sinnaeuö  burdb 
baö  Booö  beren  erfter  $>räfeö  warb.  @8  war  beim  Siieterlegen 
biefet  SBortführerfchaft,  ba§  Binnaeuö  bie  geiftreidhe  Siebe 
„Ueber  fERerfwürbigfeiten  bei  ben  Snfeften"  hielt,  welche  bie 
3uhörer  entgücfte  unb  allgemeine  Sewunberung  gewann.  SDurd? 
ben  BanbmarfchaQ,  ©raf  S.  ©.  Steffin,  welcher  fdhoti  lange 
burch  auölänbifdhe  3ournale  unb  eine  auögebehnte  auswärtige 

(«13) 


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15 


©otrefponbeng  mit  ten  ijetODna.-jenben  fDfännetn  in  anberen 
gänbern  b «8  ?innaeu8’  ©enie  unb  grofce  Berbienfte  in  @t» 
fabrung  gebraut  b^te,  würbe  beim  fRcidjStag  1739  ein  jäbr* 
lidjeß  £onotar  non  100  SDufaten  bem  8innaeu8  gugetbeilt, 
gegen  Berpflicbtung,  im  ©ommer  ßffentticb  auf  bem  Bittet* 
baufe  S3otanif  unb  im  SBinter  übet  ba8  SRiueralienfabinett  beö 
BetgfoHegium8  gu  lefen;  auch  erhielt  er  ben  Stitel  Ißniglidjer 
Botanicu8. 

JDaffelbe  3abt  1739  würbe  SinnaeuS  burch  bie  Bermitt* 
lung  be8  ©rafen  ©.  ©.  $effin  gum  iäbmiralitatäargt  in  ©tocf= 
bolm  ernannt.  3n  bem  Sagaretb  bet  glätte  befanben  fidj  tag* 
lieh  100  bt8  200  Äranfe  unb  bieö  gab  ihm  eine  norgüglicfce 
©elegenfyeit,  feine  mebicinifche  ©rfabrung  gu  erweitern.  @r 
toibmete  fid?  hier  nicht  allein  bem  Beobachten  bet  Jtranfbeiten, 
fonbern  machte  aud?  eifrige  Unterfucbungen  über  bie  SBirfungen 
ber  einfadjen  SHrgneimittel ; unb  ba  er  einfab  ba§  bie  patbologifcbe 
Sluatomie,  welche  gu  biefer  3«it  wenig  ftubirt  würbe,  non  ber 
größten  Söichtigfeit  für  bie  .peilfunft  fei,  fudjte  unb  erhielt  er 
@tlanbni§  auf  bem  .ffranfenbaufe  Öeicheneffnungen  angufteüen. 
Unter  ginnaeuS’  Berbienften  um  bie  Qrntwicflung  ber  fölebicin 
müffen  biefe  feine  Bemühungen  eine  wiffenfchaftlicbe  Unterfu* 
djung  ber  in  bem  menfehlichen  Äßrper  uadj  bem  £obe  eintretenben 
Betänberungen  eingufübreu,  hoch  gefd}ä&t  werben.  Ben  biefer 
3ett  an  bemerft  man  in  ber  fchwefcifdjen  Literatur  einen  siel 
gtߧeren  Beidjtbum  an  patbologif<b*anatomifcben  Beobachtungen 
unb  eine  weit  flarere  ©inficht  ber  Botbwenbigfeit,  ba6  ©euten 
bet  «Rtanfbeitefpmptome  auf  bie  jbenntnifi  ber  patbologifdben 
Beränberungen  be8  Organismus  gu  begrünben,  als  man  fte 
gu  jener  Seit  in  ber  reiferen  Literatur  Dieter  anberer  Uänber 
antrifft. 

(619) 


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16 


üinnaeuö’  SÄnfeben  al8  9lr5t  wud)8  jefct  een  Jag  gu  Jag 
unb  feine  ?>rairi8  nahm  in  gleichem  ©erbaltniffe  gu.  @r  felbft 
ergabt,  baff  er  gu  biefer  Beit  ebenfo  oiel  allein  cerbiente  wie 
bie  anberen  Sfergte  in  ©tocfbolm  gufammen;  beffenungeadjtet 
fefjnte  er  fiel)  beep  nach  feiner  3ugenbliebe,  ber  ©etanif,  welche 
jefct  bei  ihm  ben  cerfcpiebenaTtigen  ©efepäften  beb  praftifepen 
'Jtrgteö  patte  weidjen  ntüffen.  @r  fdjreibt  bamal8  in  einem 
©riefe  an  Roller:  „SBenn  id}  nach  Upfala  fäme,  würbe  id) 
bie  mebicinifcpe  9)raj:i8  aufgeben  unb  miep  nur  mit  ©otanif 
befepäftigen". 

8innaeu8  feierte  jept  feine  .gwepgeit  mit  feinet  ©erlebten, 
Sara  ©lifabetp  SJtorea  unb  „naep  biefer  Beit  fam  e8 
ipm  nie  niepr  in  ben  Sinn  non  ©cp  weben  »eggugiepen“. — 
3nbefien  würbe  er  burep  bie  ©ermittlung  non  Jeffin  gum  $)ro* 
feffot  ber  tpeoretifepen  unb  praftifdjen  SJiebicin  in  Upfala  im 
fDiai  1741  ernannt  unb  fing  im  .fterbfte  feine  ©orlefungen  über 
„Historia  morborum“  an.  3Rof4n,  welker  im  Borger» 
gepenben  3apte  gum  5)rcfeffct  ber  ©etanif  ernannt  worben  war, 
erhielt  1742  bie  Gfrlaubnifj  ber  ©ererbe  bie  ^rofeffur  mit  8in* 
naeu8  gu  taufepen,  „bamit  jebe  ffiiffenfcpaft  ipren  rechten  fDtann 
befommen  würbe".  3ept  patte  alfo  8innaeu8  ben  5öirfung8< 
freie,  in  weitem  Pt  burep  fein  @enie  unb  feine  Äenntniffe  am 
meiften  leiften  fonnte,  erhalten.  Sein  fRupm  unb  feine  (5pre 
iowie  bie  bev  Unieerfität  Upfala  cernieprte  fiep  täglicp.  9IQe  bie 
Schriften  au8  ber  9laturgefcpiepte,  bie  SinnaeuS  aUmäplig 
perauSgab,  aufgugäplen  unb  beren  3npalt  au8  einanber  gu  fepen, 
erlaubt  mir  nicht  bie  Beit  unb  ftebt  auep  nicht  in  meinen  Äraften. 
3cp  mu§  jeboep  ^tnjufüfgen,  ba§  obgleich  er  ftep  con  biefer  3«it 
an  pauptfäcblicp  ber  ©aturgefepiepte  wibmete,  er  boep  ftetS  mit 
ber  ©earbeitung  mebicinifcp=wiffenfcpaftli(per  fragen  befepäftigt 
(620) 


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17 


war.  3>urch  feine  @<pler  gab  et  eine  grofje  SJtenge  mebicinifcher 
Slbhanblungen  h^auS,  in  welken  wir  feine  mebicinifd?en  2ln« 
fisten  unb  gehren  fennen  lernen. 

35er  grofce  (finflufj,  ben  er  als  Sichrer  auf  bie  (Sntwicflung 
ber  ärgtlidjen  Bilbung  in  ©Sweben  auSübte,  !ann  nicht  hoch 
genug  gefä^t  werben,  unb  ich  hätte  gewännt,  ba§  bie  3eit 
mir  bie  gasreichen  Beweife,  bie  eS  für  bie  au§erorbentli<he  unb 
in  Meier  £inficht  erft  in  fpätefter  3«t  anerfannte  Bebeutung 
beS  SinnaeuS  für  fein  Baterlanb  giebt,  ausführlicher  mitgu« 
theilen  erlaubte.  35em  $>rofeffor  £>tto  $jelt,  welcher  gut 
Subelfeier  in  Upfala  »origeS  Jahr  „jfarl  non  Sinnö  als 
Wrgt"  in  ,£>elfingfer8  auSgab,  haben  wir  bie  gutwitflung  biefet 
Wrage  gu  »erbanfeu. 

BefonberS  SinnaeuS’  Berufungen  über  3)iätetif,  ober 
wa8  man  in  unferen  Jagen  bie  Sehre  ber  prieaten  ©efunbljeitS« 
pflege  nennen  würbe,  waren  ausgezeichnet  unb  ihrer  3eit  weit 
»orauS.  <5r  fdjreibt  felbft  an  fallet  1743:  „.fein  9)rofeffor 
in  Upfala  hat  feit  60  Jahren  mehr  3uhüret  als  ich  gehabt;  bie 
35iätetif  trage  ich  gang  unb  gar  nach  eigenen  Beobachtungen 
»er,  unb  wenn  e§  mir  »ergönnt  würbe,  meine  Slrbeit  gu  »er« 
öffentlichen,  fo  gweiffe  iCh  nicht  baran,  baf?  e8  Bielen  gu  9lufsen 
gereichen  unb  Beifall  gewinnen  würbe". 

SRäcbft  Boerha»e  hat  fltiemanb  in  mcbicirtifdjer  Jpinfic^t 
größeren  (Sinflufi  auf  SinnaeuS  aitSgeübt  als  ber  berühmte 
iSrgt  <Sau»ageS,  mit  weichem  SinnaeuS  währenb  mehrerer 
Jahre  peinig  forrefponMrte  unb  'Jlnfichten  auStaufChte.  Jm  @nbe 
beS  JahreS  1741  fdjreibt  SinnaeuS  an  ©aunageS:  „Jch 
ftubire  täglich  Jl)te  ^hppulogie;  ba  ich  aber  in  ber  ÜRathematif 
nicht  genug  bewanbert  bin,  fo  entgeht  mir  BieleS.  Bon  bem, 
wa8  ich  auffaffen  fann,  finbe  ich  mit  Bewunbetung,  wie  Sie 

XIV  3K>.  2 (f.2l) 


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18 


tief«  al§  Semattb  »ot  Spnen  in  bie  Söiffenfdpaft  eingubtingen 
nermocpt  paben."  2Dur<p  Saunage8  erhielt  ginnaeuS  Äennt« 
nt§  non  b«  Sepanblung  gewiff«  Äranfpeiten  mit  <Slcf tricität ; 
unb  au8  biefet  33«anlaffung  würben  in  Upfala  »erfcpiebene  33«» 
fudpe  üb«  bie  £eüfraft  ber  Gleftricität  angefteflt,  unb  auf  2ln= 
fudpung  ber  gafuttät  erfcpien  am  28.  'September  1752  eine  15* 
niglidpe  SSworbnung  weldpe  geftattet,  „bafe  ein  boppelteb  Sie* 
gi«ung8*@tipenbium  bemjenigen  Stubirenben  bet  SRebicin, 
welcp«  für  bie  &u8füptung  non  ©leftrifiroerfudjen  bei  Ätanfen 
angefteDt  wirb  unb  weldp«  bei  ben  33eoba(ptungen  felbft  gehörige 
Gontrolen  unb  Semerfuugen  gu  fammeln  weife,  gegeben  werben 
barf“.  Sebodp  «ft  jefet  in  ben  lefeten  30  3apren  ift  e8,  bafe  bie 
grofee  Stolle  ber  Gleftricität  bei  b«  Teilung  »on  Äranfpeiten 
fidp  geltenb  gemacht  pat. 

Stuf  ©runb  ber  Gtfaputng,  welcpe  et  butcp  feine  au8ge» 
bepnten  Steifen  im  ganbe,  wäprenb  welcher  er  aufeer  auf  nieleS 
tSnbere  feine  3[ufm«!|amfeit  aucp  auf  bie  pflege  ber  £au8tpi«e 
ridptete,  erworben  patte,  würbe  feine  tKeufeerung  über  fragen  in 
SBegug  auf  bie  Stpierargneifunbe  nidpt  feiten  non  ben  33epörben 
eingeforbert  unb  fein  ©utadpten  gröfetentpeil8  beftimmenb  für 
ba8  eingufcplagenbe  53«fapren.  Gr  fdprieb  audp  felbft  für  weit«e 
Seferfreife  einige  Sluffäfee  über  bie  Jtranfpeiten  b«  .pauetpiere; 
unb  man  fann  fagen,  bafe  burdp  bie  Äenntnife,  bie  er  nerbreitete, 
bie  Stotproenbigfeü  einer  befonberen  Unterricptßanftalt  für  biefe 
Hwecfe  mept  unb  mepr  flar  peroortrat.  G8  war  aucp  auf  feine 
Ölufforberuug  unb  auf  feinen  23orfcptag,  bafe  ber  po<pö«biente 
9>eter  pernqnift  b«  ©rünber  ber  Sdpwebiftpen  SSpietavgeneU 
funbe  würbe.  23on  biefet  Seit  an  begann  biefe  in  Sdpweben 
tpren  $)lafe  al8  ein  wicptigeS  ©lieb  ber  allgemeinen  unb  b« 

prinaten  pauSpaltnng  gut  Slnerfennung  gu  bringen. 

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19 


8inuaeu§  fyil  feine  Stnfidjten  unb  feine  ©rfahtung  in  bet 
Sttebicin  nidbt  in  trgenb  einem  mehr  umfaffenben  SBerfe  »er* 
öffentlich!,  fonbern  er  h<*t  fie  nur  not  einem  gasreichen  Äreife 
non  Schülern,  bie  er  um  ftd?  fammelte  unb  welche  fpäter  nach 
Anleitung  feiner  33orlefungen  eine  SRenge  wiffenfthaftlichet  ©e» 
genftänbe  bearbeiteten,  ausgesprochen.  Söofyl  Ijat  8innaeu8 
felbft  gwei  fpftcmatifdje  3tb^anblungen  in  SOiebicin  herauggegebeu, 
nämlich  Genera  morborum  unb  Clavis  inedicinae;  bie 
Äürge  aber,  bie  in  btejen  Arbeiten  ^errfdit,  geigt  beutlidj,  bafc 
fte  nur  gur  Unterlage  für  feine  mündlichen  auggegeidfneten  33or* 
trage  beftimmt  waren.  ©r  »erlangte,  baff  fo  wie  ber  §)fyt>ftfet 
feine  ©äffe  auf  Gjrperimente  ftüfct,  fo  auch  ber  9ltgt  feine  2ln» 
fisten  auf  33erfudhe  unb  ^Beobachtungen  grünben  muff.  SDutch 
^Bereinigung  ber  anatomifchen,  betanifdhen,  p>t?r>ftolocitfd?en,  dhe* 
ntifthen  unb  mechanifdjen  SBahrheiten  mit  ben  gefyrfätjen  ber 
ÜRebicin  ift  bie  rationelle  £eilfunbe  entftanben.  35er  rationelle 
Slrgt  muf  mehr  ein  ©fleftifer  fein,  alö  blinb  unb  einfeitig  ben 
Snfichten  einer  gewiffen  ©dhule  huldigen. 

©8  ift  höcbft  merfwütbig,  wie  8innaeu§  gu  biefer  3«l 
flinifdhe  ©tubien  für  bie  mebicinifche  Ausbildung  empfahl. 
„3n  Äranfenhänfetn",  e§,  „wo  mehrere  jtranfe  gepflegt 
werben,  fann  nicht  nur  bie  fRatur  ber  Äran?h«t  genau  beobachtet 
unb  befchrieben,  fonbern  auch  bie  Söirfung  ber  Argneimittel  er* 
forfcht,  nnb  wenn  ber  2ob  folgt,  bie  ©inroirfung  ber  jtranfheit 
auf  bie  Drgane  fichtbar  gemacht  werben". 

55ie  Beit  erlaubt  nicht,  baö  pathologifche  ©pftem  be8  8 in» 
naeug,  weicheg  er  in  feinen  „Genera  morborum“  bargefteQt 
hat,  burchgugetjen.  @8  war  überhaupt  eigenthümlich  für  8 in* 
naeuS’  ©enie,  mit  8ei<htigfeit  ba8  ©leichartige  unb  ba8  33er* 
fchiebenartige  in  ben  wechfelnben  Phänomenen  gu  unterfcheiben, 

2*  («23) 


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20 


wie  et  aud)  bie  TRannigfaltigfeit  bet  ©tfdjeinungen  unter  all» 
gemeinen  ©efichtfipunften  ju  orbnen  »erftanb.  3Die  bamalige 
fo  unüoQftänbige  Äenntnifc  »om  feineren  23aue  be8  fDteufchen» 
förpetö  unb  »or  SlUem  bie  mangelhafte  ©inficht  in  bie  S3ejie* 
hungeu  ber  Äranfheiten  ju  ben  anatomifdjen  SBeränberungen 
malten  bie  Slnwenbung  bet  t^eoretifd^en  begriffe  auf  bem  ©e= 
biet  ber  Erfahrung  unmöglich. 

5Die  Sletiologie  ober  bie  Äenntnifc  ber  Utfadjen  ber  Äranf* 
heiten,  welche  immer  eine  wichtige  fRofle  in  ber  SRebicin  gezielt 
hatte,  war  für  8innaeu8  »om  gröfeten  3ntereffe.  2lm  meiften 
bemerfenSmerth  in  biefer  £inficht  ift  feine  Jhect‘e  Bon  „exan- 
themata  viva“  ober  bie  Sßorfteflung,  ba§  anftedenbe  Äranf* 
heiten  »on  „fleinen  Jh‘eren"  unb  „lebenbigen  Urfadhen“  h^ucr» 
gerufen  werben  unb  auf  jenen  beruhen.  SBenn  wir  heute  be« 
benfen,  welche  grofje  5Roöe  mit  fRüdfid)t  auf  anftedenbe  .Rran!» 
heiten,  bie  Sehre  oou  $fianjen  = f)arajttett  in  bet  mebiciuif<hen 
gotfdjung  fpielt,  fo  fehen  wir,  wie  Sinnaeuä  fchon  ahnte,  wa§ 
bamalö  noch  nicht  bewiefen  werben  fonnte.  ©ehr  merfwürbtg 
ift  e§,  bah  er  gu  feiner  Seit  genaue  Äenntnifs  oon  bem  Äräfce» 
thiere,  Acarus  scabiei,  befafj,  beffen  @ifc  in  ber  £aut  ift 
unb  bie  Urfadhe  bet  Äräfce  bitbet;  getabe  biefelbe  Sehre,  welche 
fpäter  unb  nach  oielem  SBechfeln  erft  1834  burch  IRenucci  ooH* 
ftänbig  fonftatirt  würbe. 

3n  unften  Jagen  hören  wir  fowoljl  unter  bem  SBolfe  wie 
unter  ben  Sterben  fo  oft  oon  ©lutpfropfett,  Thrombosen, 
fpredjen  unb  bie  ©rfahrung  fpäterer  Seiten  hat  bargetljan,  ba§ 
9>erfouen,  welche  baran  leiben,  nicht  feiten  plöjjlidj  geftorben  finb, 
weil  fie  gegen  ben  SRatf)  be8  SÄrjteS  fich  nicht  ruhig  »erhalten 
hatten.  3n  biefer  J^inficht  hat  8innaeu§  eine  merfwütbige 
ISnficht  geäufjert,  nämlich  ba§  faferige  Slblagerungen  in  bie  ©e« 

(624) 


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21 


fä§e,  fogenante  „^olppen"  »on  ihrer  ursprünglichen  (Stelle 
loögerücft,  plöfclidhe  (Srfticfung  »erurfachen  fönnen,  wefihalb  Stube 
für  SSOe  ^Diejenigen,  He  baran  leiben,  nothwenbig  ift.  C?8 
mu§  bemerft  »erben,  bafj  eö  erft  in  ben  lefceu  25  Sauren 
gelungen  ift,  bie  Sehre  »on  Shtombofen  unb  (Smboli  gu 
entwideln. 

8iunaeu8  gab  1752  eine  abljanblung  IjerauS,  bie  tn’S 
grangöfifche  überfefct  würbe,  über  bie  Stothwenbigfeit  für  eine 
SPiutter,  felbft  ihre  Äinber  gu  näbren;  unb  er  äußert  „bafj  ohne 
gwingenbe  @rünbe  eine  ÜJiutter  fich  nie  bem  entgiehen  muff,  ihr 
Äinb  felbft  gu  ftiOrn" ; er  gefleht  aber  bocb  gu,  bafj  wirfliche 
.^inberniffe  in  biefer  $inficht  fidb  »orfinben  fönnen.  3n  33egug 
auf  Kimmen  bemerft  er,  bafc  bie  Söiildh  biefer  gtauengimmer 
burdj  bie  für  fte  unge»obnte  Sebenöweife  unb  burdj  baö  oft 
unbewegliche  geben,  wogu  fte  gezwungen  »erben,  nicht  feiten 
fdblecht  »irb,  unb  rath  beSljalb,  baff  eineSlmme  jeben  Sag  fid^ 
in  freier  8uft  bewegen  möge  — Sehren  welche  erft  weit  Später 
»on  ben  Sergten  »öllig  anerfannt  worben  finb. 

Sn  33egug  auf  bie  Setyanblung  beö  SBechfelfieberö , welche 
Äraufheit  SinnaeuS  fdhon  feit  feinen  jüngeren  3aljten  ftubirt 
unb  über  welche  feine  @rabualbi8}>utation  ^anbelte,  räth  8 in« 
naeuö,  aufjer  ßbinin,  Uebergiejjen  mit  faltem  SBaffer  nach  »or« 
bergeljenber  (Erwärmung,  eine  SBebanblung  welche  auch  erft  io 
lederen  Seiten  alä  fehr  wohlthuenb,  befonberö  um  StücffäOe  gu 
»erhüten,  anerfannt  worben  ift. 

Unter  ben  Urfadjen  ber  S<h»inbfucht  hebt  8innaeu8  an 
mehreren  Stellen  feiner  Schriften  baß  (Sinathmen  »on  feinen 
Stoffpartifeln  her»or,  unb  er  entnimmt  einen  fpredjeuben  33ewei§ 
für  biefe  feine  Erfahrung  »on  ben  Steinhauern  in  Orfa  ätirch* 
S>iel  in  SDalefarlien,  welche  in  großer  'Ängahl  unb  oft  »or  tem 

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22 


30ften  SebenSjabte  an  biefer  j?ranff)eit  ftarben.  Sluch  biefeS  ift 
et  ft  nabe  100  3abre  fpäter  allgemein  anerfanut. 

Schon  1742  finbet  ftd^  in  ben  Setbanblungen  bet  Slfabemie 
bet  SBiffenfchaften  ein  non  SinnaeuS  mitgetbeilter  galt  non 
Slp^afi,  »o  bet  Äranfe  wäbrenb  eines  falben  SabreS  „alle 
Subftantioa  cergeffen  hotte,  fo  bafj  et  fict)  nicht  eines  eingigen 
fltamenS,  ja,  fogat  fi<h  nicht  ber  9iamen  feinet  Äinber,  feinet 
gtau  ober  feines  eigenen,  noch  weniger  beffen  non  3emanb 
Slnberm  erinnern  fonnte.  Söenn  man  ihn  bat  nachgufagen,  ant* 
»ortete  er:  „Äann  nicht".  SBenn  er  Semanb  oon  feinen  2lmtS* 
genoffen  nennen  wollte,  geigte  et  auf  ben  SorlefungSfatalog,  wo 
beffen  3tame  ftanb." 

Unter  ben  mebicinifdjen  2öiffenf<haften  bearbeitete  8innaeuS 
eigentlich  bie  ^Ijarmafobpnamif,  ober  wie  ältere  Qlergte  fie  nannten, 
„Materia  medica“,  unb  bieS  gang  natürlich  beS  naben  Sujammen* 
Ranges  wegen,  in  welchem  bie  Sotanif  unb  bie  ^>Ijartnafognofie 
gu  einanber  fteben.  25ie  „Materia  medica“  beS  ginnaeuS 
würbe  oon  ben  Beitgenoffen  bo<b  gepriefen  unb  würbe  wäbrenb 
einer  langen  3leibe  oon  Sabren  ein  Sßorbüb  für  bie  Schrift* 
fteOer  über  biefen  Segen  ftanb.  ©r  fchreibt  in  Segug  hierauf 
an  feinen  greunb  äbrabam  Säe!  1739:  „3ch  hotte  beute  einen 
Srief  oon  SronotiuS  unb  tan  31  oben  unb  höbe  oon  ihnen 
mehr  Schmeicheleien  über  meiue  Materia  medica  erhalten,  als 
ich  jemals  ton  ber  gangen  SBelt  gu  erlangen  gehofft  hotte", 
fallet  nennt  biefe  Slrbeit  „Commodissimum  praelectionibus 
compendium  inter  optima  auctoris“. 

Dijne  auf  weitere  ÜJtittbeilungen  über  biefe  für  ihre  3eit 
merfwürbige  Arbeit  eingugehen,  fei  eS  mit  hoch  geftattet  gu  er» 
wähnen,  wie  fcinnaeuS,  ba  bie  ^ergte  auf  ihren  Stecepten  eine 

ÜJlenge  tetfehiebener  ÜJUttel  gufammenmifchten  — eine  ©ewohn» 
(686) 


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23 


heit,  bie  mähtenb  cieler  folgenben  SDecennten,  ja,  biß  unfre  Stage 
üblich  gemefen  ift  — mit  fräftiger  Stimme  cot  bie?em  5Rifs* 
brauche  (nämlich  cor  ben  gufammengefefjten  ftotmeln)  marnte 
unb  anrieth  lieber  einfache  Heilmittel  $u  gebrauchen  unb  nicht 
mehrere  gufammenjumifchen.  SDie  oon  Sinnaeuß  eingeführte 
Dichtung  bei  ber  SBearbeüung  bet  Materia  medica  mürbe  fyüter 
aufgenommen  unb  in  bet  nächften  3eit  con  mehreren  Skrfaffem, 
unter  Slnberen  ©lebitfch,  Spielmann,  Söiurrap  unb  93er« 
giuß  befolgt. 

Unter  ben  mebtcinifchen  9Siffenfchaften,  melche  Sinnaeuß 
mit  beionberm  Snterreffe  bearbeitete  unb  motin  er,  mie  fchoit 
ermähnt  ift,  93orlefungen  h'dt,  nahm  auch  bie  SDiätetif  einen 
$>lat3  ein.  9Jiit  Hülfe  feinet  jahlreichen,  fcbarffi tätigen  33eob« 
achtungen  ift  bie  praftifdje  3lnroenbung,  bie  er  ber  SDiätetif  ab* 
jugeminnen  cerftanb,  merfmürbig.  Seine  93orlefungen  hierüber 
cermehrten  baß  3ntereffe  baran  unb  jeugten  con  einer  Äenntnifc 
in  ber  Heüfncbe,  bie  fehr  benterfenßmerth  ift.  SDie  SDiätetif 
ober  bie  Sehre  con  ber  natürlichen  Sebenßmeife  beß  Sötenfchen, 
beruht  nach  bet  SSnficht  beß  Sinnaeuß  auf  fethß  Hauh^ebin» 
gungen,  nämlich  »fttfche  Suft,  ät'örperbemegungen,  Sdjlaf,  9tah* 
rungßmittel,  SMußleerungen  beß  Äörperß  unb  ©emüthßberoegungen." 
@r  ftellte  bie  Sehren  ber  SDiätetif  auf  bem  ©runbe  biefer  ad* 
gemeinen  Säfje  bar,  unb  fuchte  fie  auf  bem  ©ebiete  ber  Heil* 
lunbe  angumenben.  9Bit  h®ben  fchon  ermähnt,  baff  er  eifrigft 
auf  bie  Pflicht  bet  5Jtütter,  felbft  ihre  Äinber  gu  füllen,  brang. 
SDie  Sugenb  ermahnt  er,  mährenb  ber  Stubienjeit  fich  in  Äärper* 
bemegungen  311  üben,  unb  bie  SEBichtigfeit  beß  9lufentbalteß  in 
ber  freien  Suft  hebt  er  oft  hercor.  SDaß  93 orthei Ihafte  ber  ge* 
räumigen  9Bohnungen  unb  ber  frifchen  reinen  Suft  entmicfelt  er 
Har  unb  übergeugeub,  mie  auch  bie  ©efahr  3U  früh  in  neuge* 

(«*?) 


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24 


baute  Raufet  eingugieben  wegen  ihrer  geudjtigfeit  unb  umeineu 
guft.  ©benfo  geigt  et  bie  ©c^äblic^feit  bet  Seetbigungen  in 
ben  jtircben.  „^Derjenige,  bet  feiue  ©efunbbeit  bemalten  !wiU, 
nrnfe  bie  guft,  bie  er  atljmet,  nicht  weniger  forgfältig  alß  bie 
Sßabtung,  bie  et  geniest,  wählen."  ®t  warnt  bauet,  in  gu  nie 
brigen  3immern  gu  fcblafeu  ober  in  folget  guft  gu  uetweilen, 
bie  mit  Unremtid^Ieiten , »erfaulteu  Stoffen  unb  ftiüftefyenbem 
SBaffer  in  23erübrung  gefommen  ift.  35eu  öebötbeu  bet  Stabt 
fagt  et,  liegt  eS  ob,  barüber  gu  wachen,  bafe  alle  SHrt  Unrein* 
liebfeit  oon  ben  Stabten  genau  entfernt  wirb  u.  j.  w.  25 it 
fetten  hier  ©ebanfeit,  bie  erft  in  ben  aUerlefcten  Seiten  ©ebör 
gewounen  unb  in  bet  Sehre  uon  bet  ©efunbheitßpflege  ftcb  gel* 
tenb  gemacht  haben. 

23iel  mehr  fönnte  nodb  »on  ben  großen  SSerbieuften,  bie 
Sinnaeuß  um  bie  mebicinifcbe  2Biffenf<baft  unb  ben  Unter* 
riebt  in  unfrem  ganbe  ficb  erworben  bat,  gefagt  werben,  wie  et 
ben  ©ebraueb  »on  »erf<biebetien  Droguen  eingefübrt  nnb  wie  et 
bie  Sehre  »on  ben  ©iften  entwicfelt  I^at ; baß  ©rwäbnte  wirb 
aber  genügen,  um  gu  geigen,  wie  grofc  Sinnaeuß  auch  alß 
9lrgt  war. 

3)ie  fiöt)e  feiner  ©löfee  erreichte  Sinnaeuß  in  feiner  (Sigen* 
fdjaft  alß  >J)tofeffot  an  ber  Uniuerfität  Upfala.  Sein  Dtubm  alfl 
gehret  unb  23etfaffet  wud)ß  nicht  nur  Saht  für  3abt,  fonbern 
Jag  für  Jag.  2)ie  'Jlngabl  ber  Stubenten,  welche  »or  feinet 
Seit  gewöhnlich  biß  500  ftieg,  betrug.  1759  ba  ginne  9teftot 
war  1500.  $luß  'Rufjlanb,  Norwegen,  55änemarf,  ©nglaub, 
.£>oUanb,  Schweig,  ja,  fogat  auß  2lmerifa,  um  nicht  ginnlanb 
gu  nennen,  famen  junge  geute,  nm  feinen  Unterricht  gu  geuie&en. 
„35a  er  jebm  Sommer  botanifirte",  fdjreibt  et  felbft,  „hatte  et 

ein  paar  ^junbert  3»höter,  welche  Äräuter  unb  3nfeften  fam* 

(628) 


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25 


melten,  Beobachtungen  anfteUten,  Bögel  fdjoffen  unb  3>rotefoU 
führten.  Unb  nadjbem  fie  non  sIRorgen8  7 Ufyr  bis  9 Uhr 
Abenbß  jeben  SBlittwoch  unb  ©onnabenb  (Sjccurfionen  gemacht 
Ratten,  teerten  fie  mit  Blumen  auf  ben  .£)üten  gur  ©tabt  ju* 
rücf  unb  begleiteten  mit  Raufen  unb  SSalbhorn  ihren  Anführer 
gum  ©arten". 

SDtehrere  AuSgeichnungen,  fowohl  in  wie  aufjer  bem  Sanbe, 
famen  ginnaeuß  ju  S^etl.  (Sr  hatte  bie  Aufmerfjamfeit  unb 
Bewunbetung  non  gang  (Sutopa  gewecft.  Ser  jt'önig  »en 
Spanien  wollte  ihn  nach  SDtabrib  berufen,  bot  ihm  atligen 
©tanb,  2000  ^>iafter  in  ©eljalt  unb  fogar  freie  Ausübung  feiner 
Religion.  Sie  Äaiferin  Äatijarina  non  fRufclanb  machte  ihm 
bie  idjmeidjelljafteften  Anerbieten;  aber  er  ging  nicht  barauf  ein; 
feine  größte  Belohnung  war  oieOeid^t  ber  (SntfyufiaSmuS,  ben  er 
in  jeinet  .peimath  bei  feinen  (Schülern  heroortief.  3n  Böige 
biefer  ©abe  beö  i*innaeuß,  feilte  ©fixier  hiugureifjen,  erlangte 
©djweben  eine  jeltene  SOierfwürbigfeit  burch  bie  Steifen  junger 
gelehrter  SDlänner,  wie  noch  fein  fcanb  ein  ©leidjeß  gegeigt  l^at. 
Siefe  ©d)üler  beö  ÜinuaeuS  ober,  wie  er  felbft  fie  nannte,  feine 
Apoftel  gegen  auS  nach  allen  SBelttheilen,  um  bie  Statur  gu  ftu» 
btten  unb  beren  ©chä£e  heimguführen.  Alle  gelehrten  ©eieil* 
fchaften  wetteifetten,  ginnaeuö  unter  ihren  SÖlitgliebern  rechnen 
gu  bütfen.  Sie  Brangöfifche  Afabemie  ber  SBiffenfchaften,  wo 
bie  3al)l  ber  auswärtigen  SJlitglieber  nicht  acht  überfteigen  barf, 
ertheilte  bem  2inn6  biefe  Außgeichnung  1762;  unb  er  war  ber 
erfte  ©<bwebe,  ber  bamit  beehrt  würbe. 

Aber  aud)  in  feinem  Baterlanbe  würbe  fcinnaeuß  auf 
»ielfacbe  Sßeife  geehrt  unb  gefeiert.  3m  3ahre  1746  befchloffen 
»ier  ber  oornehmften  SDlaeceneit,  ben  fProfeffor  Sinnaeuß  mit 
einet  SDtebaiUe  außgugeidjnen,  bie  auf  ber  einen  ©eite  fein  S3ruft- 

(V/3) 


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26 


bilb,  auf  ber  anbern  folgenbe  3nf<brift  enthielt:  „Carolo 
Gustavo  Tessin  et  Immortalitati  effigiem  Caroli 
Linnaei,  CI.  Ekeblad,  And.  Höpken,  N.  Palmstierna 
et  C.  H£rleman  Die.  MDCCLVI“.  — SDiefe  3lu§geidjnung 
war  für  ginnaeuS  um  fo  wertvoller,  ba  fte  bet  fRadjwelt 
geigte,  wie  gro§  feine  SBerpflidbtung  gegen  beu  ©tafen  jfarl 
©uftao  Steffin^war,  welcher  feit  ginnaeuö’  Dlücffeljr  nad> 
bem  SBaterlanbe  fidj  als  beffen  ©ouner  erwiefen  ^atte.  ©raf 
Steffin  lief*  1758  eine  SRebaiDe  gu  S^ren  be8  ginnd  prägen. 
Stuf  ber  einen  Seite  mar  ba8  99tlbni§  beS  ginne,  auf  bet 
anbern  waren  bie  brei  {Reiche  bet  fRatur  bargeftellt;  übet  i^nen 
bie  Sonne  unb  mit  ber  Umfdjrift  „Illustrat“,  iäudj  auf  bell 
©rafen  Steffin  Anregung  beehrte  Äönig  Slbolpi)  fttebrif 
ben  ginnaeuS  1747  mit  bem  SEitel  eines  StrfiaterS.  3m  3Vre 
1753  würbe  giunaeuß  fRitter  beß  (furg  guoor  geftifteten) 
5Rorbftern=SDrben8  mit  bem  äßaljlfprudje:  „Famarn  extendere 
f actis“.  ©t  war  bet  ©rfte  oon  ben  fdjwebift^en  ©ele^rten, 
ber  biefe  SiuSgeidjnung  erhielt.  3m  3al)re  1757  warb  et  in 
ben  2lbelSftanb  erhoben  unb  nannte  fid)  »on  Sinn 6.  So* 
W0I5I  Äönig  2lbolf  f^rebrif  wie  bie  geiftreidje  Äönigin  guife 
Ulrife  erwiefen  ginne  ade  föniglidjen  ©naben.  SDie  ©e* 
fdjidjte  weif)  gu  ergaben,  mit  weldjer  föniglidjen  ©nabe  unb 
Slnerfennung  Äönig  ©ufta»  III.  ginn <5  unb  fein  Anbeuten 
beehrte. 

©8  war  jefjt  ba8  Zeitalter  ber  dRaecene.  Söie  gering,  wie 
Vffnung8lo8  bie  Stellung  beS  wiffenfc^aftli^en  3Ranne8  wä^renb 
ber  rauben  Beiten  ber  langen  »erarmenben  Kriege  gewefen  fein 
mufjte,  ift  leidjt  eingufe^en.  2Bot)l  würben  befonberS  in  ben 
geiftlidjen  Familien  — welchen  im  gangen  proteftantifcfyen  ©utopa 
bie  SMffenfdjaften  fo  oiele  iljrer  »orneljmften  3Ranner  gu  »er* 

(630, 


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27 


banfen  fyabtn  — fraftige  Naturen  ergogen,  welche  fic^  ber  fyctjeren 
©ilbung  wibmeten;  biefe  lehrten  fic^  aber  natürlich  am  meiften 
bet  gaufbaljn  gu,  welche  bie  .Kirche  ihnen  anbot.  Äein  SBunber 
alfo,  bafj  bei  ginnaeuS,  welket  fidj  nach  ferner  fRucffe^r  wie 
ein  unbefannter  gtembling  oorfam,  bet  im  ftemben  ganbe  ben 
freigebigen  ©chu£,  worunter  er  guerft  feine  .Kräfte  geprüft,  ^od) 
gu  ft^ä^en  gelernt  hatte,  bie  Uebergeugung  tief  wurgelte,  baf), 
wie  er  e8  einmal  auSbrücfte:  „ohne  SRaecene  bie  SSBiffenfchaften 
ebenfo  wenig  gefeimt  haben,  wie  ©amenförnet  ohne  ©onne". 
@8  war  ber  geiftreidje  Ä.  ©.  Jeffin,  ber  fein  eigentlicher 
SRaecen  würbe.  Heber  biefen  ungewöhnlichen  ÜJlann  mag  übrigens 
ba8  Urtheil  wie  e8  auch  fei  auSfatlen,  — mag  e8  immerhin  fein, 
bafs  ginnaeuS  ihm  eigentlich  eine  glängenbe  3'crbe  mehr  in 
ber  Fracht,  womit  et  fich  gu  umgeben  liebte,  war  — ba8  gtofje 
SOerbtenft  hat  et  jebenfallS  für  @<h weben,  beffen  größten  tarnen 
gerettet  gu  haben. 

5)a8  Slrdji»  auf  ©rifsbetg.  welches  bem  £>ber«$?ammerhertn 
greihett  6.  3.  ©oube  gehört,  oerwahrt  eine  ©ammlung  oon 
30  ©riefen  oon  ginne  an  Jeffin,  welche  nebft  manchem  3uge, 
ber  lebhaft  bie  ©itten  unb  Die  ©timmung  jener  3eit  begeidjnet, 
bie  innerliche  ©rgebenheit  ginnö’S  für  Jeff  in  in  baS  fdjönfte 
gicht  [teilt.  Da  bie  ©enu|ung  biefer  ©riefe  mit  gefäßigft  ge» 
ftattet  worben  ift,  fo  fann  ich  nicht  unterlaffen  einige  wenn 
auch  ft>T3e  SluSgüge  auS  benfelben  mitgutheilen,  befonberS  ba  ihr 
Snljalt  bisher  nur  hödjft  Söenigen  befannt  geworben  ift.  Diefe 
©riefe  berühren  theilS  ©ärtnerfunft,  theilS  feltfame  fRaturgegen* 
ftänbe,  theilS  bie  SBirffamfeit  ginnö'S  als  gehrer  unb  gor« 
fcher.  9Ran  fielet  ihn,  wie  er  eine  ©elbbewifligung  für  eine 
[Reife  nach  bem  ©ap  feinem  ©chüler  Äöhler  gu  oerfchaffeu  fucht. 
@t  ergäbt  ben  gottgang  feiner  Arbeiten,  Darunter  einer,  bie  nie 

(«31) 


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28 


herau8gegeben  mürbe,  ein  „Lexikon  historiae  naturalis“,  meldjed 
Bon  einem  BruffetS  in  granfreich  befteHt  mar.  8innö  fdjreibt 
in  Begug  barauf:  „(Sin  jfnoten  bleibt  mit  aber  noch,  nämlich 
ba8  Berbot  be8  Äönigl.  ©angelleüGoIIegium’,  meines  bie  ©träfe 
non  1000  2i)alern  Silbermünge  bem  Betfaffer  anbrohet,  melcber 
feine  SRubimateria  in8  5Su8lanb  gu  jd)icfen  magt,  um  nobilitirt 
ober  Boit  auSmärtigen  Buchbtucfern  gebrucft  gu  metben;  ich 
fürchte  bie  Strafe,  noch  mebr  aber,  al8  BerbotSbrecher  uerut« 
t^eilt  gu  metben".  3«  einem  Briefe  au8  bem  3ahte  1757 
fommt  golgenbeS  oor:  „Seine  9ftajeftät  ernannte  mich  am  @nbe 
be8  lebten  9teich8tag8  mit  einem  entt'e^lt^en  Raufen  Bon  $lnbe* 
ren  gum  ©belmann".  SBie  befannt  ift,  mufjien  bamalS  bie 
©rnenuungen  ben  Stänben  be8  fReidjeS  gur  ©enehmigung 
Borgelegt  metben.  SGRit  berechtigtem  Stolge  fügt  beSljalb 
Sinnö  hing«:  „SBenn  ich  mit  mehreren  Ruberen  gufammen  Ber» 
motfen  merbe,  Berieft  e8  nidjt  meinen  @hrfleig;  menn  ich  aber 
gufammen  mit  SBenigen  Bermorfen  merbe,  fo  mirb  c8  mehr 
fühlbar." 

£5er  ha«Mä<hliche,  immer  mieberfehrenbe  ©egeuftanb  in 
ben  Briefen  ift  bie  unoergänglicbe,  marme  2lnhängli<bfeit 
2innö’8.  2)et  erfte  Brief  ift  Born  11.  9tyril  1740  batirt,  gu 
einer  3eit  al8  Steffin  fdjmebifdiet  ©efaubter  in  fPariS  mar. 
@r  lautet  fo:  „3n  bem  2Bohlftanbe,  morin  ©ott  unb  ©raf 
Sleffin  mich  Derfe^t  haben,  lebe  ich  fel)t  gufrieben  unb  reichlich. 
Borigen  Sommer  unb  £erbft  la8  ich  öffentlich  bie  Botanif; 
im  SBinter  unb  jefjt  noch  fahre  ich  fort  in  ber  fKineralogie  über 
bie  Steinfammlung  be8  BergcoQegiumS  mit  300  3«höretn  °^er 
mit  fo  Bielen,  mie  5£riemalb’8  3immer  auf  bem  SRitterhaufe 
faum  aufnehmen  fann;  ich  h«Ne  nie  Bermuthet,  meber  bafj  fo 
Biele  Bon  meinen  SanbSleuten  bafür  Beigung  h«öen  mürben, 

(«32) 


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29 


notb  ba§  idj  ihnen  ein  fcldjeß  erroünfcbteS  Sßergnügen,  wie  fie 
fi<b  eS  merfen  laffen,  hätte  oerfcbaffen  fcnnen". 

„So  oiel  wie  früher  alle  meine  ©ebanfen  auf  Historiam 
naturalem  rieten  gu  fönnen,  batan  oerbinbert  mich  freilich 
Praxis  medica,  für  welche  ber  gnäbige  HerT  ©raf  mir  ©m* 
Pfeilungen  gegeben  iat;  bocb  iabe  idj  einen  $raftat  beenbet,  um 
ibn  biefen  Sommer  in  ^ollanb  brucfen  gu  laffen  unb  einen 
gweiten,  welcher  balb  in  Stodbolm  fertig  gebrucft  fein  wirb,  ber 
ben  Flamen  meines  großen  SDtaecenS  noch  preifen  wirb,  wenn 
toit  oerftummen."  (©8  war  bie  gweite  Auflage  oon  „Systema 
naturae“.) 

„Sille  treuen  Schweben  preifen  ben  ^odjwoilgeborenen  ^>ertn 
©rafen;  unb  ich  mufj  eS  bod)  am  meiften.  2)et  Hett  ©taf 
nahm  mich,  peregrinum  in  patria,  ohne  ©mpfeblung  oon 
©önnern,  ohne  mein  eigenes  23erbienft  auf;  fe^te  mich  an  feinen 
eignen  Stifdj  gwifdjen  bie  Sßornebmften  im  JReit^e;  gab  mir 
SBo^nung  in  feinem  eigenen  Calais ; empfahl  mich  bei  beu 
Höchften  im  ganbe,  oerfdjaffte  mit  jährliches  ©eljalt  unb  eine 
©brenftetle,  bamit  ich  im  ^ranfenbaufe  bie  .Kraft  ber  Heilmittel 
prüfen  unb  fte  für  bie  SluSerwablten  befchreiben  fönue.  3d; 
babe  alfo  unoerfennbar  ©ott  unb  bem  ©rafen  Seffin  all  mein 
©lücf  gu  oerbanfen." 

SJian  fielet,  eS  ift  oiel  oon  ber  fyocbgeftimmten  Slrtigfeit, 
bie  in  bem  bamaligen  S3riefftile  üblich  war;  was  aber  ebenfc 
ungewöhnlich  bamalS  wie  jefjt  erfcbeint,  baS  ift  in  allen  folgenben 
Briefen  gu  feben,  nämlich  wie  £innö  mit  berfetben  Slnbäng; 
liebfeit,  mit  berfelben  2>anfbarfeit  bemfelbem  SJtanne,  na<bbem 
biefer  gefallen  unb  oergeffen  ift,  wie  gut  3eit,  ba  er  auf  ber 
Höbe  feines  ©lücfeS  ftanb,  ergeben  bleibt  unb  wie  8innd  bann 
ebenfo  freimüt^ig  feine  93erbinblichfeit  auSfprid)t;  eS  fann  bem 

(6S3) 


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30 


aufmerffamen  £efet  fogar  nicht  entgegen,  wenn  et  »ielleicht  auch 
nicht  bie  ungleichen  5)aten  bet  Sahn  beß  Seffin  fennt,  bah 
bie  eigentümlich  lebhaften,  nicht  feiten  ftarfen  Außbrücfe  non 
33ricf  gu  Sötief  wechfeln  unb  anjubeuten  fcheinen,  wann  etwas 
»ergeht. 

Mehrere  biefet  Briefe  finb  ffteujahrßwünfche.  3«  einem 
folgen  »om  1.  3annuar  1749  »erfichert  £inn4,  bah  „berfelbe 
Jperr,  bet  meine  ©lücffeligfeit  in  biefet  SBelt  gefchaffen  hat»  mit 
feinem  ©tue!  obet  Unglücf  mit  folche  $ieube  ober  folche  Stauet 
beb  ^erjenß  »erutfadJen  muh,  wie  fte  nut  ein  gärtltcbeß  Äinb 
am  Sdjicffnle  feines  halben  SSaterß  nehmen  fann,  unb  biefeß  fo 
lange,  wie  ©ott  mit  hier  in  bet  2Belt  gu  leben  geftattet". 

Seffin  ftanb  gu  biefet  Seit  fdjon  in  gekanntem  Verhält* 
niffe  gu  bem  ^»ofe. 

3n  einem  folgenben  Stiefe  auß  bem  3ahre  1751  heiftt  eß: 
2) et  allmächtige  ©ott  fchenfe  6uter  ©pcellcug  fo  »iele  glücfliche 
Sage,  wie  ©ure  ©jrceßeug  mit  glücfliche  Stunben  gegeben  haben, 
nnb  führe  ©ure  ©jccelleng,  wie  et  eß  fchon  lange  gethan  hat, 
butch  eine  bßfe  SSelt  unb  gwifchen  bie  unbanfbatften  33üfewi<hter 
binburch,  fo  bah  fein  eingigeß  £aat  au  bet  theuren  §)erfon  ©uret 
©pceHeng  berührt  wirb".  2>amalß  watSeffin  fchon  in  offenem 
Streit  mit  bet  ^ofpartei. 

®ß  war  aber  nicht  für  fid?  allein,  bah  8inn4  banfbat  war. 
3m  September  beffelben  3ahreß  fchteibt  et:  „©otteß  Aümadht 
erhalte  ©ure  GpceDeng,  welche  fo  »iel  wahre  Söiffenfchaft  in  un* 
ferem  fReidse  erweeft  unb  fo  belebt  haben,  bah  fte  wähtenb  bet 
Beit  ©urer  ©xceQeng  wohl  anwurgeln  fönnen,  unb  wir  alfo  bet 
Frucht  »erfid)ert  werben.“ 

3n  bem  ffteujahrßbriefe  »on  1752  fagt  er:  „Sa  ich  beim 
Söedifel  beß  3ahre§  meine  Abrechnung  abfchliefte,  etfcheiut  mir 

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31 


toiebet  baS  grofje  «Kapital,  mit  welchem  id)  mid)  bei  ©ott  unb 
bei  (Suter  (SjrceHeng  Derfdjulbet  finbe. 

(Suret  (Sjrcefleng  jdjulbe  id): 

1)  ben  (Srebit,  ben  id)  butcb  (Sure  (Srcelleng  bei  ber  Station 
1738  erhielt. 

2)  Die  2tbmiralität8*2lnftellung  butd)  bie  (Smpfeblung  (Suter 
(SjcceHeng  bei  bent  Slbmital  Slnfarcrona  1739. 

3)  Die  ^leufion  t>on  100  Ducateu  jäbtlid)  burd)  ben  Sin» 
trag  (Suret  (SjrceDeng  beim  9teid)8tage  1739. 

4)  Die  ^rofeffur  iu  Upfala,  Don  ber  id)  jefct  lebe,  burd) 
ben  Sbrief  (Suter  (SjrceOeng  au8  fpariö  an  ©eine  (Sjrcelleng 
ben  ©rafen  Ä.  ©pllenbotg  1740. 

5)  Eitel  unb  SBürbe  Don  2lrfiater  bei  ©einer  «£>od)feligen 
fDtajeftät  im  3al)te  1747. 

6)  Die  ©nabe,  bie  id)  bei  3b*cn  jefcigen  SJtajeftäten  im 
3al)te  1750  gehabt  ^abe. 

Summe:  2lüe  bie  ©unftbegeugungen,  weldje  id)  dou  meiner 
Dbrigfeit  unb  meinem  SSaterlanbe  erhalten,  unb  all  ben  SSortijeil, 
ben  id)  hier  in  ber  Söelt  gehabt  h“be,  unb  ebne  welchen  id) 
beinahe  „naeft  wie  eine  Stabei"  gewefen  wäre".  (St  brüeft  weitet 
feine  Seforgnif)  für  ben  Saß  aus,  baf)  Eeffin  „allen  ©laug, 
alle  Roheit  unb  SJtacbt  nieberlegett  unb  in  einem  ruhigen  «fpafen 
antern  werbe".  „Die  Staturfunbe,  bie  2öiffenfd)aft,  welche  ©ott 
felbft  gu  ber  ooruebrnften  bee  SJienfdjen  gemad)t  b^t,  in  welcher 
er  feine  SüeiSbeit  unb  93tad)t  ben  ©(erblichen  b“(  geigen  wollen, 
welche  lürglid)  Don  (Surer  (Sgceßeng  bulbteid)  aufgenommen  unb 
bem  ©cputje  bet  SJtajeftäten  empfohlen  worben  ift,  würbe  ohne 
9lmme  ber  lÄuägebtung  anheimfanen"1 

2118  Eeffin  aber  1754  in  Doßfommener  Unguabe  war, 
beifit  e8  im  SBriefe  Dom  21  Februar : „Sure  (Sjrceßeng  mit  meiner 

(625) 


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32 


unterbänden  Antwort  gu  beläftigen,  habe  »<b  nid^t  ©agen  bürfett, 
»ort  ber  allgemeinen  ©onfternation  niebergebrüdEt,  »eld?e  biß  gu 
ben  ^irtenfinbern  gebrungen  ift.  ©oft  Bergeibe  bem  Diebe, 
welcher  eß  ©agt,  [icb  an  bem  flarften  Siebte  feftgufc^e«,  bei  ©el* 
djem  2We  gu  {eben  haben;  er  ©itb  aud)  guerft  ©eggeBuj)t,  bann 
fdjeint  eß  noch  fiaret". 

3n  einem  ©tiefe  Bom  28.  9iooember  1755  lieft  man: 
„iRiemanb  ift  fe  mitbe,  Sßiemanb  fo  beftänbig  ©ie  ©ure  ©jrcel* 
leng",  unb  im  SReujabtßbviefe  1757  fdjreibt  Sinncf:  „um  bie 
non  @urer  ©jrcetleng  mir  eraiefene  bobe  ©nabe  niemalß  gu  oer* 
geffen,  habe  icb  öon  bem  28.  3unt  1739  an  nie  unterlaßen, 
©enn  id)  meinem  ©otte  für  baß  ©ffen  Danf  gefagt  habe,  ibn 
immer  gu  bitten,  ben  ©rafen  Deffin  gu  fegnen.  Dieß,  ©eldjeß 
groifdjen  meinem  ©otte  unb  meiner  (Seele  geheim  gewefen  ift, 

ermähne  id)  nur  gelegentlich". „3dj  muh  mich  alß 

einen  feljr  nad)läjftgen  SJienfdjen  befennen,  welcher  täglich  fehlt; 
habe  id)  aber  jemalß  abfidjtlidj  et©a§  getlian,  gebrochen  ober 
gebadjt,  »eldbeß  ©urer  ©jrcetleng  unangenehm  ober  fdjäblidj  fein 
fönnte;  habe  id)  jemalß  gum  SRacbtbeile  ©urer  ©jrceHeng  f^redben 
hören  unb  bauen  nicht  jdjmergenben  Sntbeil  genommen,  fo 
forbere  id)  ben  aOwiffenben  unb  allmächtigen  ©ott  auf,  bah  et 
mid)  unb  bie  füieinigen  alß  bie  fd)äblid)ften  ©inmohner  ber 
©rbe  außrotten  möge.  &Re  anberen  fehler  fönnen  mir  an* 
haften;  gegen  ©ute  ©jrcetleng  aber  habe  ich  unb  ©erbe  eine  un* 
beflecfte  Seele  haben,  ©ielleidbt  habe  i<h  offenbergig  gebrochen, 
»enn  Slnbere  fdb»iegen".  @ß  war  in  biefem  3al)Te,  bah  2 eff  in 
feine  Stelle  alß  ©ouoerneur  beß  Ätonpringen  niebcrlegte;  unb 
baffelbe  3al)r  wibmete  8inn4  bem  SLeffin  bie  10.  Auflage 
Bom  „Systema  naturae“  in  nod)  ausführlicheren,  noch  wärmeren 
Slußbrücfen  alß  früher. 

;636) 


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33 


SDen  8.  ftebiuar  1757  fd)teibt  Sinne:  „6utc  6rcelleng 
con  böjer  SBelt  unb  ungläubiger  Arbeit  niebergebrücft  gu 
leben,  bat  mid)  oft  gegrämt;  id>  habe  aber  aud)  bie  ©tärfften 
Derjcbminoen  jcben,  wäbrenb  bie  ©d)u>äd)eren  auegebalten  haben". 

B3d)  bin  je|t  tamit  befdjäftigt,  meine  ©arcinaS  gu  |am= 
mein,  bamit  id)  bereit  fei,  wenn  eö  gilt;  id>  geid)tte  Ölließ  auf, 
maß  (Sott  meinen  klugen  b»er  in  ber  SBelt  i^at  fetyen  laffen, 
bamit  id)  baren  in  bem  Buche  berid)ten  !ann,  meld)eß  gum 
10.  SOial  »er  ber  gangen  Süolt  6urer  ISjrceüeng  mein  unge* 
beucbelteß  (Slaubenebefenntnif)  barlegen  trieb".  3m  ©ommer 
batte  fid'  Seif  in  nad)  Ölferö  auf  baß  Sanb  gurüefgegogen. 
Sinne  mar  bann  bort  eingelaben  unb  |d)reibt  im  3uni  1757: 
„3d?  b°bc  6uet  6jrceHeng  gu  bem  glücflidjen  Saubleben  gu  gta* 
tuliren,  welcbeß  einen  eijdmpfteu  jtörper  erfrifd)t  unb  ein  ent* 
fräfteteö  (Semütb  erquieft  3ebeß  9Dial,  wenn  6ute  6)tceUeng 
aufß  Saub  gefommen  finb,  habe  id)  (Sure  6jrcelleng  ron  neuem 
fid?  erholen  leben,  wie  ein  Sorbeer  im  ©ommer  ron  feinem 
jd)wülen  2Binterl?aufe  in  bie  frifdjc  Suft  ncefe^t.  (Sott  gebe, 
bah  6ure  ©jeeOeng  3bren  (Sebanfen  ein  wenig  9iube  gönnen 

wollten,  bafj  {olcbe  nicht,  immer  gelaunt,  gulefct  bredjen". 

„Berboppelt  wirb  meine  ©ebnfucht  nad)  bet  3eit,  ba  id)  baß 
(Slütf  haben  werbe,  (Sure  6rcelleng  frei  ron  Äummer  auf  bem 
fcfaöneu  ölferö,  wie  in  einem  irbiieben  $)arabiefe  gu  jeben".  — 

„3m  nädsften  ÜDionat  3uli,  ba  ich  auß  bem  afabemi|d)eu 

3oche  befreit  werbe,  wirb,  wenn  (Sott  mir  Seben  uub  (Sejunbbeit 
bewahrt,  bieß  (Slücf  mein  erfter  unb  größter  SBunld)  fein.  SBenn 
id)  bann  ben  Äammctbenn  SDe  öeer  unb  beffen  ^rau  mit* 
bringen  fann,  worum  id)  mid)  bemühen  werbe,  wäre  ee  gut. 
(@6  war  ber  berühmte  6ntomolog  5)e  (Scer,  welchen  Siun4 
alß  fReifegejeUjcbafter  gu  erhalten  hoffte.)  SJenn  uidjt,  fo  rer* 

XIV.  379.  3 («37) 


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34 


fuche  id)  allein  ben  2Beg  bahin  gu  finbeu";  unb  weitet  in  bem» 
ielben  Stiefe:  „SDteine  Lebensbahn  ift  beinahe  ausgelaufen;  mein 
©lücf  ift  e§  gewefen,  wäljrenb  bet  3eit  in  Schweben,  ba  ©ure 
@ycelleu3  beffen  3ügel  gelten,  gu  leben.  3<h  habe  baS  ©lücf 
gehabt,  ein  Reiner  ©atelleS  gu  einem  fo  ftrahlenben  ©ibuS  gu 
fein,  uub  habe  non  ©utet  ©rcelleng  all  mein  geringes  Sidjt  er- 
halten". 

3n  bem  SReujaljrSbriefe  non  1758,  worin  Linnö  wieberum 
fein  SDebet  airfgä^lt , fchliefst  er  feinen  23rief  mit  folgenben 
SSorten:  „211S  ©egengabe  habe  id)  nichts  anberS  als  ein  reines, 
banfbareS,  unbeflecfteS  .£erg,  welches  id)  fd^on  längft  gang  unb 
gar  ©urer  ©jcceHeng  gewibmet  habe,  unb  ©ott  taffe  eS  feinen 
®d)lag  an  bem  Stage  mehr  fdjtagen,  ba  ich  bie  ©nabe,  bie 
©ott  unb  mein  Steffin  mir  erwiefen,  nergeffe". 

3n  bem  fReujahrSbriefe  non  1761,  als  bie  ©onne  beS  Sief f in 
mehr  unb  mehr  gu  finfen  aufing,  ift  Sinn  £ ebenfo  innig  unb 
banfbar,  wie  jemals  früher  unb  fährt  aud)  ebenfo  in  ben  fol« 
genben  3ahren  fort. 

3n  bem  SReujahrSbriefe  non  1763  fdjteibt  et:  „SSenu  je» 
malS  ein  Sterblicher  unbefchäbigt  über  bie  größten  SReere  in 
ben  fd?werften  ©türmen  gefegelt  hat,  fo  haben  baS  gewif)  ©ure 
©jrceDeng  gethan.  SDie  .£>anb  beS  Sillmächtigen,  weld>e  bie  ©ei- 
nigen führt,  hat  auch  ©ure  ©jxelleng  fich  eines  ruhigen  £afen8 
mit  wohlbehaltenem  ©d)iff  unb  ©nt  erfreuen  laffen,  wo  ©ure 
©jrceHeng  unter  3h«m  Feigenbäume  fijjen , ben  feltfamen  Sauf 
biefer  Söelt  betrauten  unb  ben  unenbüchen  ©ott  greifen  fönnen, 
welcher  ©nrer  ©jrcelleng  Rarere  ‘Äugen,  als  jemanb  Stnberem  in 
bet  SBelt,  gegeben  hat  um  feine  5Rad)t  unb  SBeiSheit  gu  er« 
fchanen". 

3m  SBriefe  nom  27.  SDecember  1768  beantwortet  Ltnn4 

(638) 


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35 


ble  ^Benachrichtigung  Don  bem  barten  <Sdjlaflc,  welcher  ben 
Steffin  burd)  ben  Stob  feiner  fo  liebenSwiitbigen , einft  jo  be= 
wunberten  ©attin  getroffen  batte»  uuter  Slnberem  mit  ben  SB  er« 
ten:  „Den  ©cbmerg  ©urer  ©jrcelleng  fann  mein  ©ebanfe  itidjt 
ohne  blutenbeS  ^>erj  anfebauen.  ©8  ift  mir,  als  fäbe  ich  ©ure 
©jxeUeng,  mit  ©ilberbaaten  gefrönt,  in  ben  fonft  fo  b“bf<ben 
3immern  auf  Stferß,  bie  jefct  Don  einem  biebten  Srauernebel 
»erbunfelt  finb,  bin  unb  bet  geben,  nnb  bort  Hagen: 

„Non  quae  soletur, 

Non  quae  labentia  tarde  tempora 
Narrando  fallat  amica  adest.“ 

(Stiebt  mehr  ift  bie  ffteunbin,  welche  trßftet  unb  welche  mit 
Unterrebung  bie  langfam  ftiefjenbe  Seit  Dertreibt.) 

©r  trßftet  weiter  feinen  SDiaecen  mit  beglichen  unb  wur« 
bigen  Söorten.  Diejer  Sörief  ift  btt  lefjte  an  Steffin  felbft  in 
ber  Sammlung.  @8  folgt  barauf  ein  anbeter  Dom  26.  3anuar 
1770  an  ben  bamaligen  $ofintenbanten,  greiberrn  grebrif 
Sparte,  ben  ßrben  beß  Steffin;  barin  wirb  mit  tiefer  Stauer 
bie  ^Benachrichtigung  oon  beffen  Sobe  beantwortet.  ©8  beifit 
in  bem  Briefe:  „9118  mein  Bater  unb  meiue  5Jtutter  ftarbeu, 
rübrte  e8  mid)  nicht  fo  febr  als  wenn  ©eine  ©jrcellenj  ftarb. 

3cb  weif;  gewifi,  baf)  icb  ben  febwargen  9teib  feinen  tbeuren 
fftamen  niemals  habe  nennen  böten,  ohne  bafj  e8  mich  in’8  in*  . 
nerfte  Jperg  gefdjnitten  I^at;  id)  biu  babei  gewib  niemals  ftill 
gewefen,  fonbern  habe  oft  cum  perieulo  gefprodjen.  SBann 
wirb  bie  glücf liebe  3eü  wieber  bdmmern,  bafi  baS  SBaterlanb 
eineu  ©einer  ©jrcefleng  ©leieren  wiebet  befommt". 

Die  30  Briefe  umfaffen  bie  3eit  Don  1740  gu  1768.  ©ie 
fangen  mit  S eff  in  als  ©cbwebenS  glängeitbem  ©efanbten  bei 
bem  mäcbtigften  £ofe  Don  ©uropa  an,  unb  fcbliefien  mit  feinem 

3*  (63»; 


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36 


Stöbe  in  Slrmutb  unb  ©ergeffenbeit;  fte  fangen  mit  bem  noch 
in  bet  £eimatb  unbefannten  unb  überfeinen  8iune  an,  al8 
er  bie  jweite  Auflage  feines  „Systcma  naturae“  auSgiebt,  unb 
in  bem  lebten  ift  et  ber  ©eltberübmte,  welcher  bie  lef)te  £anb 
an  ein  unfterblicheS  ffierf  legt.  9luf  ber  einen  (Seite  ift  e§  ber 
©eltmann,  ber  Staatsmann,  wenn  man  fo  will,  welcher  in  bem 
©türm  ber  ©reigniffe  auf  bet  JDberfläcbe  »ergebt,  auf  ber  am 
beten  ift  e8  ber  fRaturforfcher,  welcher  rut)ig,  bewufft  unb  ftcher 
eine  neue  unb  mächtige  9lber  in  ben  tiefen  unn>iberftet)lid)en 
©trom  ber  Äultur  ^cremteitet.  ©on  ber  ©irffamfeit  beS  ©inen 
ift  bie  $rudjt  gweifelbaft  ober  fd)on  »erniebtet,  wabrenb  er  felbft 
lebt;  »on  ber  fceö  Slubern  ift  fie  ein  mächtiger  Antrieb,  welcher 
feine  ©inwirfung  auf  3al)tbunberte  auöübt,  unb  welcher 
willig  unb  banfbar  »on  ben  ©oruebmften  anerfannt  wirb: 
„2luf?et  ©bafefpeare  unb  ©pino^a",  fagt  ©oetbe,  „bat 
Meinet  »on  ben  Verdorbenen  auf  mid)  eine  feiere  ©irfuug  alö 
8inn^  auSgeübt"  • 

SDie  3«t,  welche  biefe  ©riefe  umfaffen,  ift  zugleich  bie 
grofje  3eit  beS  8inn£  als  fProfeffor  in  Uf>iala.  @8  gebührt 
nicht  mir,  ibn  als  fRaturbiftorifer  ju  fchilbern;  — eS  ift  auch 
nicht  »on  fRötben;  — wir  wiffen  ja  ade,  waS  baS  ©apital, 
weites  er  fdjuf  unb  einfetjte,  gu  ber  menf^lichen  ©ilbung  bei» 
getragen  b«t.  ©in  Seber  weih  wie  e8  jeben  Stag  wachft. 

©iner  oon  unfren  »ornebmften  fRaturforfdjern  fagt:  ,,©enn 
ber  ©chwebe  nach  fremben,  entfernten  8änbern  ift, 

»on  aüem  ©diwebifcben,  ber  9tame  8inne  baS  lefcte  wa0  ihn 
»erläßt". 

3ft  baS  rühmliche  Slnbenfen  be8  großen  SRanneS  in  fo 
weiten  Greifen  lebenbig,  fo  ^iemt  eö  fich,  bah  *8  nod)  *)fyex, 

(MO) 


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37 


nodi  fräftiget  bei  bem  SSolfe,  au8  welchem  et  hetnorging,  leben» 
big  ift. 

3Ba$  id?  mit  l)ier  »orjutragen  etlaubt  habe,  b<*t  nur  Sln= 
fpruch  auf  baö  3ntereffe  be§  SlugenblicfeS;  mit  hoffen  aber,  bafj 
bie  Beit  nicht  fern  ift,  ba  fein  Söüb 1 ) in  SBronje  wütbiger  non 
bem  größten  Sohne  SchwebcnS  j»i  neuen  Sahrhunbetten  jprecheu 
wirb,  wähtenb  ber  Frühling  in  Fracht  unb  bet  Sommer  in 
geftfcbmucf  3ahr  nach  3aht  feinen  unfterblidjen  tRuhm  feiern 
werben. 


(«0 


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38 


3Uunerhuug. 


1)  2)ie  .Hönigl.  Slfabemie  bet  3ßiffenfd?aften  erlief  am  5.  äpril 
1872  bie  folgenbe  ©inlabung  jur  ©rrichtung  eines 
2)cnfmal8  für  Äarl  non  Sinne: 

,91(8  bie  Ä'önigl.  9(fatemie  ber  SBiffenf  (haften  im  Satire  1849  ba8 
Schwebifcbc  SBolf  ju  einem  Scnfmal  für  ben  bamalS  fürjlich  ^in^e^an- 
genen  Scrjeliuä  beijutragen  aufforberte,  entftanb  auch  bie  »frage,  ju 
gleicher  3eit  ein  Stantbilb  ju  ©hren  be8  Sinne,  ,be8  Üater«  ber  9ta- 
turgef  (pichte*,  gu  errichten,  beffen  für  jeben  Schweben  tpeurer  9tame 
noch  ^“te  auch  in  ben  entfernteren  ©egenben,  wohin  eurcpäifchc  Gioi. 
lifation  getrungen  ift,  lebt  unb  in  höherem  ©lange  ftrahlt,  Je  weiter 
eine  wahre  fWaturforjchung  ihre  mächtige  SBirfung  auSübt. 

©ie  SSerhältniffe  geftatteten  c8  bamal«  nicht,  biefen  ©ebanfen  ju 
nerwirflichen.  2)a  aber  in  fecb«  Salden  ber  hunbertfte  &obeStag  be8 
Sinne  eintrifft,  fo  l>at  bie  9l!abemie  ben  Seitpunft  für  angemeffen  ge. 
halten,  jept  auf  biefen  Sorfchlag  jurücf jufommen ; unb  beähalb  wenbet 
fie  fuh  an  ba8  fchwebifche  3iolf  mit  ber  9lujforberung,  bureb  Bereinigte 
Äräfte  baju  beijutragen,  baß  ju  bem  genannten  Sage,  bem  10.  3anuar 
1878  bie  Sfronje-Statue  bc8  Sinne  auf  einem  öffentlichen  s)Maße  in 
Schweben®  $auptftabt  errichtet  werben  möchte,  um  in  fünftigen  Seiten 
bauen  3eugniß  abjulcgcn,  wie  Schweben  feine  SBerbinblichleiten  gegen 
feine  großen  'JJiänncr  anerfennt  unb  il)r  Slnbenfen  bewahrt,  unb  um 
fünftige  ©efcplechter  ju  ermahnen  bureb  geiftige  Saaten  ba«  SJaterlanb 
ju  ehren  unb  ba8  Sicht  ber  3Babrl>cit  über  bie  2öelt  ju  verbreiten  * . 

©ine  bamalS  entworfene  ungefähre  Äoftenberecbnung  für  ein  ein- 
fache« unb  nicht  große«  Stanbhilb  lieg  eine  Summe  non  45  000  Äronen 
erfcrberlich  crfcheincn,  welche  Summe  am  Schluff  be«  3c»hreS  1877  auch 
beinahe  gcfammclt  war.  SBährenb  ber  3eit  aber  unb  im  Sufammen* 
hange  mit  her  grage,  wo  bie  Statue  ihren  $>lap  ha^cn  feilte,  würben 
reichere  (beitrüge  angeboten  ju  bem  3wecfe  ein  größere«  uub  f<hönerc« 

(64Ü) 


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39 


Stanbbilb  $u  errichten  unb  bie  $auptftatue  mit  oier  altegorijdjen  gi* 
guren,  bie  Sinneifcben  ©iffenf  chatten:  ©otanif,  3^cIogie,  SEJiincralogie 
unb  OTebicin  barfteflenb,  ju  umgeben.  SDaju  Ratten  in  bet  $auptftabt 
|)rieate  bie  Summe  non  30  000  Äronen  gezeichnet  unb  aujjerbem  net« 
pflichtete  lief;  bie  Stabt»©erwaltung  non  Stocfholm,  für  bati  pMebeftal 
unb  für  bie  Aufhellung  be«  Stanbbilbe«  bie  ju  25  000  Äronen  bered)» 
neten  Au«gaben  jn  tragen. 

2Die  Äonigl.  Afabemie  ber  ©iffenfehaften  nahm  mit  IDanf  bie« 
Anerbieten  an,  obgleich  babei  bie  Abjtcht,  bie  Statue  bi«  jum  10.  3a» 
nuar  1878  fertig  ju  erhalten,  nicht  erreicht  werben  fonnte. 

Auf  biefe  SBeife  fann  ber  ®elbbetrag,  welcher  gegenwärtig  für  ben 
jjwecf  ber  Statue  bi«ponibel  ift,  auf  100  000  Äronen  gefcbäfct  werben, 
welche  Summe  für  ba«  betreffenbe  gro§ere  unb  fchönere  Stanbbilb  al« 
hinreichenb  angefehen  wirb 

§ür  ba«  Siobelliren  ber  Statue  nach  bem  neuen  'plan  ift  ber  ©ilb» 
hauer,  ber  $)tofeffor  gritfjiof  Äfellberg  gewonnen,  beffen  Arbeit 
fchon  fo  Weit  fortgefchritten  ift,  bafj  bie  Sertigftellung  be«  IDenfmal« 
frfjon  im  Saufe  be«  näcbftfommenben  Satyre«  1879  erwartet  werben  barf. 


(64.1) 


Druif  een  #tfcr.  Ungtr  ($6.  ®lrimm)  in  Vttlin,  6djontfcerfltrfti.  17  ». 


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Äntfer  irieönri)  I.  öarlmroJTit’s 

£ob  imb  ©rob. 

©on 

$)rof.  Sepp  in  SJiüntfyen. 


fierütt  SW.  1879. 

SJetlag  non  (5  a r l £ a b e I. 

(C.  i0.  L'ütrriti'jtfet  JJtrlngshnttjhonblunB.) 

33.  'ÜJtlfetlm  ■ strafe«  33. 


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2)00  fRedjt  ber  Iteberfefeung  tn  frembe  Sprachen  bleibt  oorbebattcn. 


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(Scbelling  fpracb  oft  non  bet  gSttlidjen  Sronie  in  bet  ©efdjidjte. 

3ft  e8  nid)t  eine  foldje,  wenn  bet  SBeltbeglücfer  Napoleon,  wie 
bet  alte  @aturn,  auf  bie  äufjerfte  Bnfel  im  SSeltmeer  3um  langen 
©d)lafe  »erbannt  war,  freilid)  otjne  bafj  feine  5Bieberfel)t  ba8 
golbene  3«talter  jurücfbtadjte!  5Sber  baS  bütfen  wir  un8  met« 
fen:  unmfebenS  fiidjt  fid)  in  bie  ©efdjidbte  etwas  $>oefie  ein, 
benn  bie  9-Mjantafie  will  audj  ju  IRedxte  fommen;  ja  bie  9latio« 
nen  fügten  in  bet  tiefften  ©tniebrigung  ifyve  Beftiebigung  in 
©ebanfen  bet  Borwelt:  feine  Äritif  tebet  iljnen  bie8  au8.  ©e* 
fyeimnifwoller  foOte  ber  grofjte  ©ibeline  $riebrid>  Barbatoffa  im 
SJlorgenlanbe  »etfdjwinben,  unb  feine  ©ebeine  eben  ba  il)r  ©rab 
finben,  wo  einft  bie  be8  tprifdjen  £erafle8  ruhten,  fo  baff  bie 
^)t>önigier  mit  talismanifcber  Berefyrtfng  'Partifel  in  bie  Kolonie 
nad)  bem  ^eiligen  @abe8  mitnatymen.  2Sie  fie  ftanbbaft  3Jtel« 
fart8  Sluferfteljung  erwarteten,  fo  fnüpfte  bie  beutfdje  Station  an 
bie  erfeljnte  SSiebcrfefyr  be8  JRotf)batt8,  ber  unwitlfürlid)  an  bie 
©teile  be8  rotbärtigen  3)onnergotte8  einrncfte,  bie  ©rwartung 
bet  SReugeftaltung  be8  i)ieid)e8  in  alter  5Radjt  unb  ^errlic^feit. 

£>ie  5Seltgefdjid)te  ift  ein  göttlidje§  ©ebicfyt,  wenigften8  in» 
fofern,  als  bet  9timbu8  früherer  ©ottwefen  mit  bet  Bett  um 
ba8  <£>aupt  immer  neuer  fyiftorifdjer  Könige  unb  £eroen  ftd) 
legt  unb  ber  ©agenfreiS  fie  nerflärt,  wie  im  abenblidjen  @on* 
nenfdjein  bie  liebte  2Bolfe  bie  Ijodjften  Berggipfel  umfdjwebt. 

$arl  bet  ©rojje  ift  biefer  8potljeofe  teilhaftig  geworben,  in« 
bem  bie  SOßptfye  Ujn  ben  erften  Äreujjug  oollfü^ren  unb  bie 
Ärone  auf  bem  Delberge  nieberlegen  läfet:  aber  Ijöljere  Watte 
fotlen  it)n  nädjtlit  »on  Serufalem  ober  ©onftantinopel  im  ©türm 
burd)  bie  Söfte  bis  oot  ben  Äaiferpalaft  in  Slawen  getragen 

1*  (647) 

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XXV.  330. 


4 


haben.  Um  jo  weniger  tonnte  33arbarofja  ber  SBerherrlidjnng 
entgegen,  ba  er  wirtlich  bie  Äreugfahrt  angetreten  unb  butch  ben 
glorreichen  Sieg  bei  3fonium,  17.  ÜRai  1190,  ben  Orient  eT* 
{füttert  tjatte,  bod}  mitten  in  feinem  £elbenlaufe  ge^eimnifenoU 
non  ber  SBeltbühne  abgetreten  war.  ^>ier  nerfdjlingt  ftd?  ber 
abenbldnbifdje  fReligionßtreiß  förmlich  mit  bem  morgenldnbifdjen, 
benn  ba  ift  eß  ber  2Rehbi,  auf  beffen  ©rfcheinung  nic^t  blofe  bet 
©rufe  gartet,  wie  bet  3nber  auf  ben  geinten  Sloatar  ober  baß 
lefcte  £erabfteigen  unb  bie  3ncarnation  beß  ©otteß  Sifcfcnu. 
©er  ©liaß  folle  wieberfommen,  fo  erwartete  man  in  ben  Sagen 
(Jfyrifti:  im  gelbe  non  £ababremmon  ober  ORegibbo  werbe  et 
bie  geinbe  ©otteß  biß  gut  SSerni^tung  fdjlagen,  aber  felber  ben 
Sob  finben. 

©ieß  bilbet  ben  3nfyaU  bet  iSpotalppfe  aller  Stationen, 
©liaß  ift  ber  ^immelßgott,  ber  auf  bem  Marmel  feinen  Shton 
nebft  Drafel  Ijatte  unb  mit  feurigen  fRoffen  im  ©onnerwagen 
burch  baß  girmament  fahrt.  3n  ©fdjobat  not  bem  fRorboft* 
tfyore  non  ©amaßfuß  wallfahrtet  man  gum  ©tabe  beß  mit  gött* 
lidjem  ©lorienfchein  umjtrahlten  Propheten-  ©benfo  hflbe  id} 
fein  ©rabroelp  bei  Sarepta  betreten,  ©ie  Samatiter  nennen 
ihn  £attafd)eb,  baß  ift  = Stifcbbi , ben  3utücfführer,  fReftau» 
tatet  unb  JReftitutor,  unb  laffen  ficp’ß  nidjt  nehmen,  bafe  ber 
netloren  gegangeue  SS^eil  ihteß  SSolteß  einft  nom  ©nbe  ber  SBelt 
heimtommen  werbe.  6ß  ift  ber  allgemeine  33ölfermeffiaß,  bet 
einen  neuen  Fimmel  unb  eine  neue  ©tbe  f<haffen  foU. 

©er  erfte  fReichßgtünbet  fifct  in  bet  3bee  beß  SJolfeß  auf 
golbenem  Stuhl  in  ber  ©ruft  gu  9ladhen,  baß  blanfe  Schwert 
nor  fich  unb  feben  ’Jlugenblicf  gum  SBeltgerichte  bereit:  feine 
©ebeine  ruhen  inbe§  im  ©ome.  jfatl  ber  ©rofce  ift  aber  aud) 
in  töergeßtiefe  eingegangen  unb  wirb  im  entfdjeibeuben  ORoment 
heroortreten,  um  unter  bem  2lbb  ilbe  ber  ©i'dje  Sggbrafil  ben 
gro&en  Sag  herbeiguführen.  3n  feine  gufcftapfcn  ift  im  »Rational» 
glauben  Satbaroffa  getreten;  aber  .wdhreub  Heinrich  bet  Söwe 
mit  feinem  SBappenthier  auf  bem  3nubermantel  ftatt  ber  SBolfen 

l«S) 


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be8  Rimmels  ben  ©eifterweg  burcf)  bie  fhifte  non  3oppe’8  ©tranbe 
bie  jut  8utg  in  SBraunfdjweig  3urücflegte,  weilt  Äaifer  ERot^bart 
noch  immer  im  Offen.  IBerflärt  butcfy  bie  ^)oefie  ftehen  bie 
grofjen  SJlänner  bet  Vergangenheit  im  VoIfSgebädbtnifc.  SBa8 
unterem  nüchternen  profaifdhen  Verftanbe  als  märchenhaft  unb 
pbantaftifdb  oorfommt,  h®t  feine  politifche  Vebeutung.  fJJlan 
mufj  auf  bie  3>hantafie  bet  ÜBölfer  wirfen,  um  ihnen  31t  impo* 
niten  unb  fle  leichter  3U  regieren.  ©er  religiofe  ©laube  erhält 
^Rationen  jugenblich  unb  wirft  wie  eine  fRaturfraft. 

©ie  3bee  ent3Ünbet  bie  ^eilige  Vegeifterung  unb  fpielt  in  allen 
fRationalfämpfen  wie  5Religion8friegen  bie  erfte  SRolIe.  Sludj  bie 
Äreu33Üge  finb,  wenn  man  will,  bet  Traumwelt  unb  frommen 
Kontemplation  entfprungen,  haben  aber  bodj  eine  feljr  realiftifcbe 
©runblage.  ©et  38eg  um  3lftifa  herum  nad)  3nbieit  war  noch 
nicht  gefunben,  Slmerifa  unb  3tuftralien  nicht  entbedft:  wobin 
feilte  Kuropa  ben  Ueberfcbuf)  feinet  Veoölferung,  ober  nodb  beffet 
gefagt,  feine  nadbgeborenen  ^rinjen  unb  Stifter  entfenben,  bie 
auch  befifjen  unb  regieren  wollten?  ©eilten  neue  Kolonien  unb 
.£>anbel§unternehmungen  gebeiben,  fo  beburfte  e8  be§  SRücfgriffeS 
unb  ritterlichen  Stngriffö  auf  bie  Urbeimatb  ber  URenfchheit.  ©ie 
Äreu3fabrten  mögen  un8  bei  oeränberten  Verhältniffen  fabelhaft 
abenteuerlich  »otfommen,  bamalS  waren  fte  eine  europäifcbe 
SRachtfrage  unb  haben  sugleidb  bie  SBogenbranbung  ber  gum 
38lam  belehrten  faufaftfdjen  ©tämme  auf  3ahtbunberte  jurücf« 
geftaut.  3Ba8  ift  heute  Venebig  gegen  ©rieft,  wa8  ©enua  gegen 
SRarfeille,  »on  $Hfa  unb  Slmalft  nicht  3U  reben!  ^ber  im  SRittel* 
alter  fpielt  ein  gutes  ©tücf  italienifcher  ©efchicbte  fich  an  ben 
Äüften  oon  ©ptien  unb  3egppten,  im  jonifcben,  ägäif^en  unb 
fdbwarjen  föteere  ab.  ©ie  £anbel8flotten  ermöglidhten  auch  allein 
bie  Äreusfahrten,  bie  Kroberung  unb  lange  Seljauptung  ber 
afiatifchen  ©eeftäbte,  unb  wer  oertheibigte  bis  gulefct  noch  Kon« 
ftantinopel  gegen  bie  Stürfen?  Sreche  ber  trocfene  ^»iftorifer 
hoch  lieber  ben  ©tab  über  Vonaparte’S  §e l b 3 u 3 nach  2le» 

(64#) 


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gppten  unb  Sptien,  ba8  ihn  noch  ben  Sultan  el  Äebir  nennt, 
ruie  übet  feinen  ^eerjng  gegen  fütoSfau. 

9ßur  mit  foldjen  Unternehmen  barf  Vatbatoffa’8  £eet» 
fahrt  »erglühen  merben;  beftanb  hoch  gugleich  bie  Slbftcht,  felbft 
im  Oriente  8ehen8l)ftrfchaften  gu  grünben.  [Reich  unb  jfitcfje 
ftanben  auf  ber  ,£>öhe  ihrer  9Jla<ht,  unb  e8  beburfte  »ohl  be8 
religißfen  SnthufiaSmuS,  foOte  bet  Äaifet  fich  eon  [RegenSbtirg 
au8  an  bie  Spifce  eon  lOOOOO  au8etlefeuen  Ätiegcrn  [teilen. 
Der  ©ejchichtfchteiber  barf  nicht  ben  ÜRafjftab  bet  Seit  ber 
©ifenbahnen  an  bie  $)etiobe  ber  3?reuggüge  legen,  foubetn  mu§ 
gerechter  SBeife  bie  Vergangenheit  nach  ben  batnalS  maltenben 
3been  beurtheilen.  SDie  @h*e  bet  ©hnftenheit  ftanb  auf  bem 
Spiele,  für  beren  Schirmherr  ber  Äaifet  galt,  3erufalem,  ba8 
©ottfrteb  oon  Vouiüon  am  15.  3uli  1099  erftürmt  hatte,  fiel 
in  Sultan  Salabin’8  #anb,  am  2.  Dflobet  1187  gegen  bie 
Lateiner  butcp  ba8  8agaru8thor  im  Serben  au8,  um  ft<h  gefan* 
gen  gu  geben  ober  loSgufaufen.  9lm  18.  Dftober  traf  bie  Un» 
glücföbotfchaft  in  [Rom  ein;  gmei  Jage  barauf  mar  Ißapfi 
Urban  III.  eine  Eeicpe. 

sjlach  ber  Schlacht  bei  -£>ittin  am  4.  3uli  fiel  in  furger 
Srift  fPaläftina  in  bie  £anb  Salabin’8,  an  100  000  ©haften 
geriethen  in  mu8limifche  ©efangenfdjaft  unb  mürben  militärifch 
nach  £pru8  (Sur)  abgeführt,  mo  ihre  iÄuSlieferung  gegen  5Hb* 
gäbe  ber  SBaffen,  [Reffe  unb  Schale  »er  fich  ging  (Sonntag, 
27.  3uli).  Dahin  mar  &ume8  (@raf  SRaimunb  »en  Jtipoli8) 
nach  jener  [Riebetlage  geflüchtet:  ihn  löfte  ber  ÜJiarft8  (Äonrab)  ab, 
ber  allein  ben  ÜJtuth  aufrecht  hielt.  Die  Stabt  mar  ber  Sammel* 
plah  aller  gerfprengten  granfeit  (Srcng)  unb  mürbe  burch  ®rä« 
ben  unb  Verfangungen  »erftärft. 

üonrab  »on  ÜRontferrat  räumte  1187  ben  (Joloniften  au8 
St.  ©ille8,  fWontpellier,  SRarfeille  unb  Varcelona  ben  feg. 
grünen  ^alaft  in  Jpru8  ein;  fie  bilbeten  bie  procen^alifche 
©ommune.  Schon  nor  feiner  Slnfunft  nahmen  bie  ©enuefer 
unb  $>ifanet  fich  eifrigft  ber  Stabteertheibigung  an,  oon  geift« 

(6S0) 


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7 


lieben  unb  weltlichen  Obern  beö  heil.  8anbeS  angefpornt  unb  ge* 
hoben  burcb  bie  ber  hier  fi<b  fammelnben  ftranfen,  ja  bie 
§>ifanet  wagten  wäbrenb  ber  Belagerung  fogat  eine  Unter* 
nebmung  gegen  9tffa*)-  9lm  1.  9loo.  rütftc  ©alabin  oon  &ub§ 
gegen  ©ut  auS,  traf  am  13.  oor  ber  ©tobt  ein  unb  lagerte  erft 
neben  einem  glüfjcben,  9Ra8  ei  9lin,  um  nach  brei  Stagen  auf 
einen  naben  Berg,  nadj  Seil  dRafdjuf,  übergufiebeln.  ©cbou  am 
25.  begann  ber  allgemeine  ©türm:  feine  ©ebne  EERalif  el  Slfbal 
unb  el  3ab<f/  fein  Bruber  üftalef  el  2lbel,  ber  gröberer  oon 
Böt  ©ibelin,  unb  fein  9Reffe  Stafiebbin  führten  bie  ©djaaren 
perfönltcb  an.  ‘Mein  ÜJlarfgraf  Äonrab  oon  SRontferrat 
ermannte  ficb,  bieS  lefcte  Bodwerf  gu  galten,  unb  fdjlug  bie 
©türmenben  gurücf,  ja  gewann  in  ber  ©ploefteroigilie  beim 
SSuSfad  gu  SBaffer  unb  gu  2anb  fogat  bie  Dbetbanb. 

@<bon  am  9.  3uli  toar  9lffa  (3ean  b’Slcte),  baS  Bod* 
wer!  ©prieuS,  butd)  Uebertumpelung  ohne  ©djwertftreid^  ge* 
faden,  ©eine  SBiebereroberung  foftete  einen  gangen  Äreuggug 
mit  einer  bal&™  üRidion  abenblänbifcben  ÄriegSoolfS,  iubem 
faum  ber  gebnte  3Jlann  baoon  fam,  auch  fielen  180000  ©atacenen. 

©uibo  oon  Sufignan,  bet  Urbeber  jener  Unglüdfcbladjt, 
wodte,  auS  ber  ©efangenfebaft  erloft,  im  3uni  1188  in  StpruS 
eingieben,  aber  bet  fERarfgraf  oergieb  ihm  feinen  ftafl  nicht  unb 
hielt  ihn  unb  Staufenbe  oon  pilgern  ein  3abt  lang  auSgefcbloffen, 
bis  berfelbe  nach  einem  fiegteidjen  ©efed)t  an  ber  8eonteSbrüc!e, 

5.  3uli,  mit  700  SRittern  unb  9000  ftufjgängetn  am  27.  Üluguft 
1189  gur  Belagerung  oon  2lffa  eintraf. 

3n  ©ut,  f^reibt3bn  al  Slttr  (©.20),  wohl  nach  3ma  beb  bin, 
batte  fid)  admäblidj  bie  3ab!  ber  ^ranfen,  namentlich  feit  ©ala* 
bin  ihnen  auS  ©täbten  unb  Burgen  freien  ibgug  gewährte, 
aufjerorbeutlicb  oermebrt;  ihre  DReicbtbümer  fonnten  in  oielen 
3abren  nicht  aufgegebrt  werben.  3Jicndbc,  ^rieftet  unb  oiele 
ihrer  Boraebmen  unb  fRitter  fleibeten  fid?  febtoarg  unb  gingen 
in  Stauer  wegen  beS  oerlorenen  BeftbeS  oon  Bait  ul  mufabbaS 
(3erufalem).  2>er  Patriarch  oon  ÄubS  burcbeilte  ade  ganbe 

(«51) 

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8 


ber  granfen,  um  Gruppen  gu  werben  unb  bie  SBelt  aufguregen, 
bamit  Serufalem  befreit  werbe.  «Sie  [teilten  ben  SReffiaS  wei» 
nenb  auf  einem  Silbe  neben  einem  atabifdjen  Spanne  bat,  bet 
it)n  ftblug,  unb  fpracfyen : „@o  fteht  e8  um  ©hrtftuS,  ihn  fchlägt 
SRuhammeb,  ber  Prophet  ber  SRuSlime,  er  oerwunbet  unb  tobtet 
ihm"  55ieS  oerfe^lte  feine  SBirfung  nicht,  wer  nicht  felbft  auS« 
rücfte,  ftellte  feinen  Gsrfafcmann  ober  gab  @elb  nach  Sebatf. 
@ine  ÜRutter  teraufierte  ihr  $au3,  um  mit  bem  (SrlöS  ihren 
einzigen  ©obn  auSgurüften ....  SRachbem  fie  bis  @ut  ge« 
fommen,  wogte  bie  CQlenge  bin  unb  bet,  unb  ba  man  gut  See 
Sorrätbe  unb  ÄriegSbebarf  in  ÜRaffe  bet^eifübrte,  würbe  bie 
©tabt  nach  3nnen  unb  äujjen  gu  enge.  55er  äuSmarfch  nach 
äffa  erfolgte  am  8.  fRagab  (22.  äug.  1189),  bie  änfunft  um 
SRitte  be8  ÜRonatS. 

9tie  war  ein  ftattlicbereS  Äteugheet  im  9Rorgenlanbe  auf« 
getreten,  als  baS  neue,  faiferlidj  beutfc^e.  ©alabebbin  a8©a« 
juti  Dergeidjnet:  „5)er  Äönig  bet  fDeutfdjen,  ber  £ochmüthigfle 
unb  Unertraglichfte,  fprach  bie  guoerftchtliche  Hoffnung  au8,  bie 
Äirche  in  ÄubS  wiebet  in  feine  ©ewalt  gu  bringen.  Äeine 
frühere  Sebrängnifj  fommt  bet  jefjigen  gleich,  helfet  e8  bei 
Smabebbin  1189.  55er  Äabi  5)iabebbin  ging  als  würbiget 
Sote  beS  ©ultanS  an  ben  £of  eon  Sagbab  ab,  um  £ülfSmittel 
gu  erlangen.  S5ie  SRenge,  gahlloS  wie  ber  ©anb  am  ÜReete, 
nahm  bie  Äirche  Äumfima  („beS  UnrathS",  für  Äiärna,  „ber 
äuferftehung"  in  3erufalem)  gum  Biele.  3fer  SRarfch  bis  Äon« 
ftantinifa  bauerte  mehrere  SRonate.  55er  Äönig  oon  fRum  gab 
unS  butch  ©^reiben  oon  ihrem  änrüdEen  Äunbe.  Ungeachtet 
bet  Serlufte  war  eS  bodj  ein  ©ewoge  wie  baS  SBogen  oon  fteben 
SReeten." 

3faaf  ängeluS,  ber  im  Süubnif)  mit  ©alabin  ftanb,  be« 
tonte  gugleidj,  bah  baS  Sreitaggebet  in  bet  üRofdfee  gu  Äonftan» 
tinopel  oon  ben  bortigen  SRuSlimen  abgehalten  werbe,  entfchul» 
bigte  fich  wegen  beS  unaufhaltfamen  55urchmarfche8  beS  beutfdjen 
ÄaifcrS,  wie  Diel  Unglücf  er  felbft  erfahren,  unb  ba§  biefet  gewife 

(642) 


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9 


fein  Lanb  nicht  mehr  erreichen,  nie  wieber  rücffehren  werbe. 

@8  waten  bie  ^eereStrümmer  unter  ftürmifcher  gührung 
beS  9icthbart8,  welche  am  17.  9Jiai  1190  bie  ©djladjt  bei 
3fonium  (Äunta)  fchlugen.  3ßorwätt8  ging  e8  auf  ben  2Begen 
LUejcanber’8  be 8 ©rofjen.  Sßon  bet  SSnrg  ©ibilia  in  Lpfao» 
nien  fam  bet  ^Befehlshaber  bem  Smperator  ehrfurchtSooH  ent* 
gegen  — eine  bet  lebten  Qrfjren. 

3bn  al*8lttr,  bet  -fpiftorifer,  geb.  in  ©agira  1160,  geft. 
in  OJtoful  1233,  erflcirt:  „SSäre  nicht  burch  2Wah’8  gnäbige  gü* 
gung  bet  SDialef  el  Sllamän  geftotben  in  bem  Slugenblicfe,  al8 
er  ben  ©infaö  in  ©prien  bewerfftelligen  wollte,  fo  ^ätte  man  in 
späteren  Jagen  non  ©prien  unb  2(egppten  fagen  fonnen:  £iet 
herrfchten  einft  bie  9DRu8lime."  ©ubail  (93pblo8),  ©ibon, 

(Säfarca,  iÄtfuf  unb  3oppe,  ja  felbft  bie  SRömermauetn  non  Libe- 
rias wollte  ©alabin  ben  2)eutf<hen  ootweg  bereits  gerftören. 

2fuf  nach  3erufalem!  war  bie  ©timmung  bet  ©ieget.  SDaS 
beutfdje  £eer  raftete  in  graSreicher  ©egenb  am  Slbfyang  be8  @e* 
bitgeS,  bi8  nach  gwei  Jagen  SRangel  an  Lebensrnittel  e8  fort» 
trieb,  ©ofort  galt  e8  ben  ©alef  obet@pbnu8  (©alpcabnuS) 
in  ©ilicien  gu  erreichen,  beffen  eiSfalteS  SBaffer  fonberbar 
non  Slergten  gegen  ©icht  nerorbnet  warb,  obwohl  ein  Jrunf 
barauS  einft  bem  welterobevnben  5Kaceboniet  beinahe  baS  Leben 
gefoftet  hätte.  ber  fteinernen  33tücfe  waren  Legaten  beS 
ÄönigS  Leo  II.  non  Armenien  eingetroffen,  mit  welken 
fich  griebrich  übet  bie  weiteren  ©chwierigfeiten  be8  SBotmarfcheS 
berieth , er  aber  ihre  SKittheilungen  geheim.)  golgenben 
JageS  nun  ftieg  man  baS  ©ebirge  unter  ungeheuren  33ef<hwerben 
hinan:  SRitter  unb  Knappen  trugen  niele  ihrer  franfen  unb  er* 
fdjopften  ültitfämpen  auf  33etten  unb  Sßahren  nach  ber  ^>öhe  an 
fchwinbelnben  9lbgtünben  unb  SSilbbächen  norüber.  9luf  bet 
©übfeite  be8  33ergguge8  ruhten  fte  auf  einer  glur,  inbefj  ber 
Äaifer,  ben  9>a§  gu  umgehen,  eilig  an’8  Ufer  h”l°bgeftiegen 
war  unb  gegen  ben  SBitlen  ber  ©einen  fich  bem  Strome  an* 

»erbaute,  beffen  SBogen  il)n  fortriffen  (öinifauh  3tin.  Diic.  1, 14). 

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5fta<b  anberer  SBerfion  war  iljm  baß  Ueberfeijen  gelungen  unb 
et  hatte  jenfeitß  baß  9Rahl  eingenommen,  aber  oon  Jpifje  erfdjöpft, 
gu  haben  gewagt,  wobei  er  plöfclidj  entfräftet  unb  gum  Job« 
erfdflafft  war.  @ß  war  Sonntag,  ben  10.  3uni. 

$Daß  5Betf,  weldjeß  bie  gortfeüung  oon  SBtl^elm  oon 
5£pruß  bilbet,  L’estoir  de  Eracles  Empereor  *),  berichtet: 
„3wei  armenifche  ©bie,  bie  Srfibet  ©onftang  unb  SBalbuin  oon 
©amarbaiß  famen  gum  SJtarfdjall  ber  ©eutjdjen  im  Auftrag 
ihreß  ^»ernt  gioon  (geon),  bem  Äaifet  bie  2Bege  unb  ^äfje 
burd)  Armenien  gu  weifen.  2) a ber  3«3  an  ber  23rMe  fid} 
ftopfte,  fpracben  fie,  man  fönne  auch  burdj  ben  Bluff  paffiren. 
Sofort  ftieg  gebric  gu  Oiof;,  unb  mit  ihm  fein  Soljn,  ber 
Schwabenhergog.  SDie  ©aoaliere  aber  fpracben:  Sir,  wir  wollen 
oor  (Sud)  hinüber  unb  ©ucb  bie  $)affage  geigen.  ©r  ^ie§  fie 
mit  feinem  Sohne,  bem  $ergog,  oorangeben.  9llß  fie  nun  jen* 
feitä  fidj  umwanbten,  fallen  fie,  wie  ber  Äaifer  ftc£>  in  ba8 
SBaffer  Ijinablie^,  einen  fRitter  oor  unb  hinter  fid?,  ba  fie  aber 
inmitten  ber  Strömung  famen,  überftürgte  fidj  baß  9te§,  baß 
er  ritt,  unb  et  fiel  in  ben  Bluff.  3?urd)  bie  außgeftanbene  ^»i$e 
unb  nunmehrige  SKkfferfälte  eerlot  er  bie  Äraft,  fidj  gu  fselfen, 
bie  Slbern  feines  Äörperß  öffneten  fi<b,  ?o  bafj  er  ertranf.  Seine 
geute  waren  fo  beftürgt,  baf;  fie  fid)  nicht  gu  rathen  mufften, 
wie  fie  ihren  Jperru  wieber  gu  geben  bringen  fönten.  5Der  STob 
beß  groffmacbtigen  .£>errn  war  ein  fernerer  S3erluft  für  bie 
©hriftenheit,  er  erfolgte  1190  am  4.  iKuguft,  einem  Sonntag. 
9Ran  gog  ben  geib  auß  bem  glufje  unb  balfamirte  ihn  gut  35e» 
gräbni§,  fo  wie  eß  bem  jfaifer  giemt,  trug  ihn  nach  ber  Stabt 
9lntiod)ia  unb  beerbigte  ihn  in  ber  £ir<be  St.  $>eter  an  bet 
linfen  Seite  beß  ©ho*8  neben  ber  Sepultur  beß  ©ifdjofß 
©obert  (ilbbcmat)  oon  §)ui.  IRedjterbanb  ift  ber  ^latj,  wo  man 
bie  gange  beß  ßonginuß  auffanb." 

91  bu  Sdfama,  ber  Gomoilatcr,  erftattet  im  Such  ber 
„Sbeiben  ©arten",  S.  156,  Bericht:  „55er  Bürft  oon  Armenien, 
gafun  ibn  3ftifan  ibn  gaün,  trat  in  93otmäfäigfeit,  übernahm 

(65*) 


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11 


bie  gübrung  be8  3uge8  unb  genofj  ©aftfreunbfdjaft  mit  Unter» 
halt.  3n  2arfu8  erholten  fie  ficb  einige  3cit.  Der  heutige 
ifönig  wünfdte  im  glufje  ju  baben,  um  ben  6d?mufc  ju  ent» 
fernen,  alö  eine  Äranfbeit  üjn  befiel  unb  er  inS  £öüenfeuer 
ftürjte.  ^ud>  biefj  e8,  bafj,  als  an  einer  ©teile  beim  Uebergang 
bie  ©eilen  feine  OJiannen  mit  fortriffen,  er  eine  anbere  gurtb 
auSwäblte,  um  ben  übrigen  oorjugeben.  ^>ier  magte  fid)  bet 
Äonig  ni(bt  ohne  5Befcrgni§  hinein,  al8  ein  ©afferfebwaü  ibn 
mit  fortrifj  gegen  einen  Saum,  fein  ^jaupt  febwer  oerlrfcenb. 

SJtan  jpg  ben  faum  nod)  Sltbmenben  au8  bem  ©affer,  unb  ÜRalif 
(ber  Teufel  an  ber  ^pilenpforte)  brachte  ben  füialif  al  Sllamäu 
mit  gamilie  unb  ©epäcf  in  bie  ^öDe." 

„SlQab  bf§te  ben  beutfdben  2pramten  unb  bebanbelte  ibn 
gerabe  fo  wie  ben^>barao  beim  (Srtrinfen  im  ©eltfiuf},  wo 
ber  ©eg  jur  Verbrennung  in’8  einige  geuer  fübrt",  fdjrieb  ©a» 
labin  an  ben  ©mir  al  üiSfabfilär  am  30.  ©ept.  1190,  wie  2lbu 
©djama  nod?  ©eite  171  f.  nadjträgt.  Unb  bem  Äßnige  non 

ÜRagreb  (3afub  ibn  3uffuf,  Veberrfder  non  SDlareffo)  tbat  er 

burdj  ein  ©djreiben  ju  wiffen:  „2118  ber  beutfebe  Jiönig  mit  feinem 
nerfiuebten  £eere  nad  ©djam  (©orien)  fam  unb  fie  mahnten, 
un8  auß  bem  ganbe  ju  nerfagen,  fdjicften  mit  bie  ©olbaten  be8 

SRorbenS  gegen  fie . . . ©ein  Vater  war  ein  oerfiud)ter  Sitter, 

ber  fein  £>eer  in’8  ©efängnif)  ©igln  (eine  Slbtbeilung  ber  ^)6lle) 
führte.  Veim  Uebetfebcn  riffen  ibu  bie  ©affer  fort  unb  fo 
fanb  er  ben  Job.  68  blieb  ihm  nod?  ein  ©obn,  ber  lefjte  Sin» 
führet  ber  gefdjlagenen  fDienge:  oietieidt  b°t  er  ben  ©eeweg 
na<b  Slffa  norgegogen  au8  gurdt  oor  bem  ganbwege.  ©ären 
unfere  ütruppen  ihm  bei  Slntafta  gunorgefommen,  fo  wäre  er, 
ftatt  im  glufee,  im  fDleere  ber  muSlimijdjen  ©dbwerter  unter» 
gegangen." 

2lbu  ©dama  fährt  wie  oben  ©.  156  fort:  „©ein  ©ol)n 
folgte  ihm  unb  e8  b'*&(  bafj  bie  Sftufterung  ber  Äricger  noch 
übet  40  000  Leiter  unb  gu&gäuger  ergab.  Von  ber  Umgebung 
feinet  Vaters  war  ein  SLbeil  ju  ©unften  feines  Vruber8  ge» 

(655) 

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12 


ftimmt.  3b n Saün  hatte  ftch  non  ihm  cerabfc^tcbet.  3n  brei 
Sfbtheilungen  matfdjirten  fie  gegen  Slntafia,  iubef)  bie  Äranfheit 
ihnen  fefyr  jufefcte.  Sie  ÜJlehtjahl  ging  auf  Stöde  geftüfct, 
anbcre  ritten  auf  ©fein,  ohne  baS  Sanb  ju  fennen,  weites  fie 
paffirten.  Angenehm  »at  bet  5ßeg  burch  baß  ^»alebiner  Sanb. 
9118  ber  £err  Bon  SCntafla  ju  ihnen  fam,  fdjaarten  fie  fidf  um 
iffn;  ber  Äönig  bat  ihn,  ju  erlauben,  baff  et  in  bortiger  93urg 
fein  ©elb  unb  ©epäd  nieberlege.  2luch  erhielt  er  SebenSmittet 
gegen  ©elb  für  fi<h  unb  feine  Ätieger,  unb  ba  er  fpäter  nicht 
mehr  aurüdfehtte,  bemächtigte  fid)  ber  $rin$  Bon  9lntafta  ber 
Sachen.  Sie  baoon  famen,  nahmen  ben  2Beg  über  JatabuluS 
(JripoliS),  ©abala  unb  Sabifija  (Saobicea)  in  großer  ©ile.  Sie 
©efafeungen  ber  unterwegs  gelegenen  Orte  Berringerten  burd) 
SluSfälle  ihre  Sah*-  3JIH  bem  Könige  bet  Seutfdjen  trafen 
überhaupt  im  Saget  Bon  2lffa  nur  taufenb  Streiter,  unb  biefe 
in  uotlftänbigfter  ©rfdjopfung  ein:  h‘«  «tagen  fie  nad?  einiget 
Seit  ben  Oieifeftrapajen."  2(18  Saturn  für  ba8  ©nbe  ber  9Jtüh* 
fale  wirb  ber  12.  SuMjiggat  586  (10.  3uni  1191)  angegeben. 

„2(uf  bem  fDiarfche  gen  2lntafia",  n>itI3bn  al  91  tir  S.  31 
»iffeu,  „lagerten  fie  fich  an  einem  gluffe,  unb  ber  Äönig  flieg 
hinab,  um  $u  baben.  ©t  ertranl  hi«  an  einet  Stelle,  roo  ba8 
SBaffer  nicht  bis  jur  SDftitte  eines  ÜOlanneS  reichte.  9Wah  h°tte 
an  feiner  SöoS^eit  genug,  ©in  Sohn,  ber  ihn  begleitete,  über» 
nahm  al8  9la<hfolget  ben  Oberbefehl  unb  führte  bie  Jtuppen 
nach  ’Antafia.  SJtanche  hatten  gern  ben  SRüdjug  angetreten, 
Sintere  lieber  ben  ©ruber  al8  Äönig  gefehen,  unb  lehrten  ^ettn. 
Sie  .£>eerfchau  ergab  noch  40  000  9Jiann,  aber  fPeft  unb  Job 
Betfolgten  fie  unb  bei  ber  änfunft  in  Slntafta  fahen  fie  auS,  als 
ob  fie  ben  ©räbern  entftiegen." 

3mab  bemerft  nod),  bafj  ber  jbönig  («perjog!),  ob  bet  ftar» 
fen  ©erlufte  auf  ber  Sanbreife  beftür^t,  ben  Seeweg  cingefdflagen 
unb  mit  höchftenS  taufenb  ÄtiegSfähigen  taS  3iel  «reicht  h®b<- 
©ebrochenen  .iperaenS  unb  machtlos  wiber  2BiHen  trat  et  unter 
ben  übrigen  granfen  jurüd,  fein  9Rame  oetlot  an  Snfehen,  fein 

(65C) 


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13 


©ommanbo  war  gu  nid>te,  halb  barauf  ftarb  er,  nadjbem  er  fid) 
unglücflid)  genug  gefüllt. 

©alabin  war  gut  unterrid)tet,  wenn  aud)  3lbu  ©d)ama 
©.  177  ben  ©ultan  nur  im  Traume  aufforbern  läfjt:  „©djreibe 
eine  ©iegeSbotfdjaft  über  ben  beutfdjen  tfönig.  2lQat)  fyat  ben 
SJtalif  ei  2Uamän  feiner  5Wad)t  beraubt,  benn  mit  200  000  Strei- 
tern ift  er  ausgewogen  unb  l)at  nun  weniger  als  5000  ÜJtann 
unter  fid).  Stm  22.  SDul»l)iggat  ging  ber  ÄönigSfoljn  unb  ein 
©raf  5?aniat  (5öaliat»5MoiS)  mit  2ob  ab.  Äonb  ^)ari  (©onte 
£enri)  erfranlte  unb  täglid)  ftarben  100  bis  200  Oranten  im 
?ager.  Ueber  baS  SBerfdjeiben  beS  beutfd^en  jüjnigSfcl)neS  em» 
pfanben  bie  grenbfc^  ben  größten  ©djmerg,  fie  günbeten  ein  ge- 
waltiges geuer  an,  Derbrannten  aber  babei  fämmtlidje  Belte  mit 
allem  Snljalt,  fo  baf)  nur  brei  für  bie  fSUtfnaljme  ber  ©olbaten 
fielen  blieben.  SDie  SDiuölime  erbeuteten  einen  SJtantel  mit  per- 
len unb  Jeftbaren  Änöpfen  befefct,  ber  gu  ben  ©ewänbern  beS 
SJialif  al  2Uamän  gehört  l)aben  foü." 

©efteljeu  wir  unS  bie  bittere  3Bal)rl)eit:  Don  bem  ftattlid)» 
ften  Äreugtyeere,  t>aS  nc(fy  auSgegegen,  fanben  fid)  bei  ber  Sin* 
funft  in  fPaläftina  nur  fünf  fProcent  gufammen,  bie  anberen 
waren  tobt  ober  gerftreut,  etwelche  wol)l  aud)  gefangen.  Slud) 
oijne  fidj  mit  einem  £eete  ju  fd)leppen,  ift  in  ber  ©lutl)  ber 
fprifdjen  ©onne  faum  DorwärtS  gu  fomnien:  wer  fonnte  fid)  aud) 

Dertjetjlen,  baff  bet  fiebgigjä^rige  ©reis  lebenb  oon  biefem  Buge 
nie  mel)t  gurücffefyren  werbe,  fonbern  unerwartet  baS  Opfer  beS 
giebevS  ober  ©onnenftidjeS,  ber  SDpfenterie  ober  $)eft  werben 
muffte,  wenn  it)m  nid)t  mit  unb  ol)ne  33ab  bie  Äraft  auSging 
unb  il)n  bet  ©djlag  traf.  SDie  SDeutfdjen  Ijatten  gleid)  beim 
SluSgug  $tiebrid)S  bie  Hoffnung  aufgegeben,  baff  er  wieber  gurücf» 
lehren  werbe,  fdjreibt  ber  Slnnalift  Don  IReinfjarbSbrunn  @.  45. 

SDie  ©rfyebung  eines  neuen  Äaifergefd)ted)teS,  baS  bie  Söege 
ber  $ofyenftaufen  wanbeit,  unb  beren  iöurg  ^o^engoUern  im  SDefu« 
matenlanbe,  genannt  00m  ©onneubetge  mons  solorius,  nur  einen 
5£agritt  oom  ©taufen  abliegt,  gab  bem  großen  ©eifte  beS  Steigs» 

(657) 

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14 


fangletS  ein,  um  bem  SSolfSglauben  an  bie  SSiebertehr  beS  alten 
ÄaiierS  gerecht  31t  werben,  womöglich  IBarbarojja’S  ©ebeine  au§ 
bem  ÜJiorgenlanbe  gurücfbtingen  gu  laffen  — gewi§  gur  heil* 
fameten  Sefriebigung  ber  Nation,  alö  wemt  $l)ier8  ben  £eich* 
nam  9tapoleon’8  non  ®t.  Helena  nach  ber  ©eineftabt  fchaffen 
liefj,  um  — unwillfütlich  ben  ©eift  ber  JReoolution  unb  ben 
JfriegSbämon  neuerbingS  ^etaufjubefc^wören.  Der  hierzu  8b' 
georbnete  mit  gwei  jüngeren  ^Begleitern  bat  bie  altberübmte  23aftltfa 
»on  StnruS,  ben  Ärön u ngSmünfter  ber  lebten  Äreug* 
fönige  aufgebecft,  aber  bie  gemauerte  ©rabftätte  leer  gefunben. 

©enug  baff  fie  nun  non  breiunbbreifjig  bemolirten  Raufern  unb  nom 
©(butte  ber  3ahrt)unbeite  befreit,  ben  9lugen  bet  Üteifenben  offen 
liegt.  ÜRan  nergleid)e  bie  ©rgebniffe  in  bem  ftreng  wtffenjchaft* 
lieh  gehaltenen  SSerfe:  „Heerfahrt  nadj  DpruS  gur  8u8grabung 
ber  Äatbebrale  mit  öarbaroffa'S  ©ebein",  1879.  3ngwif<hen  ift 
ber  SJie^enfcbaftfiberidjt  übet  bie  mit  nebft  meinem  ©ohne  33ern» 
batb  unter  ©ontrole  (?)  beS  jöngftcn  Sribertcianifd^en  .fjiftoriferS 
annertraute  ©jrpebition  oon  unnorbereiteter  ©eite  — auf  mehr 
eifersüchtigen  als  berechtigten  unb  b«Maten  SBiberjpruch  ge* 
ftofjen.  SSBurbe  ©atbatoffa  in  SpruS  beigefe^t*?  unb  wenn:  ift 
bie  auSgegrabene  foloffale  Äircbenruine  fein  ©rabbom?  2Bie  ich 
gelegentlich  ber  Skfprechung  meines  23ud>eS  in  frangöfifchen 
SBlattern  erfahre,  gucft  man  bort  faft  nornehm  bie  Achteln,  eine 
©rgängung  ber  IReifeforfchungen  Gsrnft  Sftenan’S  in  9>hööi3ien 
für  überflüffig  erachtenb.  2Bem  fommt  bie  @h*e  3U  ftattcrt,  ba 
— wie  fieben  ©täbte  um  bie  ©eburt  $omet’§  ftritten,  fo  nicht 
weniger  um  bie  ©rabftätte  fjriebricb  I.,  beS  jRothbart,  u.  3. 
©elenfe,  SatfuS,  Qlntafije  ober  Slntiodjia,  ©iS  ober  fDtohfueftia, 
bie  £auptftabt  geo’S,  bann  @ur,  b.  i.  5£pruS,  8ffa  ober  $)tole* 
maiS  unb  enblich  — ©heiter!  2Bir  folgen  barum  bem  Äreug* 
gnge  ©chritt  für  ©chritt,  inbem  bie  ©djlachthaufen  ber  Deutfchen 
unter  Rührung  beS  faiferlichen  ©ohneS,  ^tergog  griebrich’S  oon 
Schwaben,  bie  geid^c  beS  großen  lobten  mit  fich  führten. 

Die  über  ben  entfestigen  SBerluft  niebergefchlagene  .jpeet» 

(658) 

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15 


fchaar  gelangte  nach  StarfuS,  wo  Äönig  £eo  fte  freunblidj  auf* 
nahm  unb  man  bie  ©ingeweibe  beS  ÄaiferS  ceremoniöS  beifefjte. 
(58  wirb  in  bet  ©ophienfirdje  gefächen  fein,  in  welker 
£eo  II.  am  6.  3anuat  1198  im  Seifein  aller  feiner  SBütben* 
träger  burdb  ben  (Jr^bift^of  Äontab  tion  SBfn^burg  jum  Äönige 
oon  Armenien  gehont  unb  bem  tReidhe  lehenSpflichtig  würbe.  3n 
SRamiftra  erfranfte  griebrid},  empfing  jeboch  ben  Sefudf  bc8 
ÄathotifoS.  Slm  19.  3nni  fam  ber  ^>ergog  in  ©t.  ©imeonS* 
hafen,  am  21.  in3lntiodhia  an.  £ier  erfuhren  bie  armenifdhen 
©efaubten  ba8  Ableben  be8  ÄaifevS  mit  ©d^retfen;  erft  am 
26.  3«ni  fam  bie  Sotfdjaft  im  2ager  ©alabin’8  oor  5lffa  an. 
fRadb  all  ben  ©tragen,  au8geftanbener  #i£e,  £ungerleiben  uub 
SDurft  fugten  bie  ÄricgSmannen  in  ber  ,£)auptftabt  ©OrienS  @r* 
holung;  aber  ber  lang  ungewohnte,  oieüeidjt  ju  retdjlie^e  @enu§ 
an  ©Reifen,  befonberS  fruchten,  braute  eine  ©eud^e  3um  3lu8= 
bruch  unb  bie  $>eft  oerfolgte  bie  krümmer  beö  Ämt3heere8.  5)ie 
Siichofe  oon  Söürjburg  uub  fJReifjen,  ber  SRarfgraf  oon  Sabcn, 
ber  Surggraf  oon  5Ragbeburg,  bie  ©rafen  oon  JpeUanb,  datier» 
munbe,  SBalbenberg  unb  ber  Sogt  $riebridh  oon  Serg  würben 
ihr  £>pfer. 

3ngwifdheu  erfolgte  in  ber  nod?  au8  ber  erften  3«t  ber 
©hriftenheit  ftammenben  ?ßeter§firdt>e  Slntioctjia  feitlidh  00m 
Hochaltar  eine  Seftattung  „nach  beutfdhem  Sraudhe", 
bie  unglaublich  fdjiene,  wäre  fie  uidht  burdj  mehrfache  gleich* 
jeitige  Sorfommniffe  erhärtet.  3Die  £hatfa<h«n  finb  fultur* 
hiftorifdh  wichtig  unb  gugleich  in’8  ältefte  9teligion6gebiet  ein* 
fchlägig,  fo  bafj  wir  mit  beren  SluSfühtung  für  bie  Äeuntnifj 
bet  germanifchen  wie  hcllenifd^en  Soweit  einen  wefentlidhen  Sei« 
trag  liefern.  5Ran  l)öre!  3118  £er3og  S®  elf  VII.  am  12.  ©ept. 
1167  nach  ©rftürmung  be8  8eoninif^en  ©tabttheilS  oon  fRom 
a!6  eine8  ber  lebten  JDpfer  ber  oon  ba  geholten  Ißeft  in  ©tena 
oerftorben  war,  würbe  fein  00m  gleifdje  gelöfteö  ©ebein  übet 
bie  Serge  nach  ©teingaben  3ur  {Ruhe  gebraut.  SDiefelbe  Se* 

(6S9) 


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16 


hanbluug  erlitten  bamalS  bie  Seichen  be§  fReidjfifanjterö  {Reinalb, 
Gfrgbifd}of6  »on  Äeln,  «nb  SDaniel’ö,  SifchofS  »on  $>rag. 

3u  £eiligfreug  im  (Stift  bei  SBien  liegt  ber  auf  bem  Hreug* 
gug  in  ©prien,  ungewifj  wo?  »erftorbene  £>ergog  griebridh 
»on  D efterrcid)  im  Hapitelhaufe  begraben.  3m  »origen  3abr* 
hunbett  fanb  ÜRarquatb  Herrgott  in  biefer  ©ruft  eine  Keine 
jfifte,  ungefüllt  mit  ©ebeinen.  ftriebrid)  mar  1198  more  teu- 
tonico  beftattet  worben.  {Rad)  ber  urfun  blich  »erbrieften  Hifte 
mit  33arbaroffa’$  £aupt  unb  ©felett  gu  fudien,  mad>te  id?  bie 
weite  Steife,  Ijatte  aber  nid)!  baS  „^errgottöglücf". 

Submig  ber  SRilbe,  Sanbgraf  »on  Stljüringen,  hatte 
feine  $ahrt  »on  Srinbifi  nach  Stpruö  gurüdfgelegt,  wo  ihn  Hon* 
rab  »on  SRontferrat  aI8  Setter  mit  allen  (Sfyren  empfing.  5Radj 
»ergroeifelter  Selagerung  »on  ä^arou  (3ean  b’ücre)  lieh  er,  auf 
ben  Stob  erfdjöpft,  fidj  gu  ©(piff  bringen,  ftarb  aber  noch  auf 
bem  ÜReere  ben  16.  DK.  1190,  be»or  fie  Gppern  erreichten,  unb 
erfuhr  auf  ber  3nfel  ba8  ©djicffal  ber  äuSroeibung  ber  ©ebärme 
fowie  ber  Stu8fod;ung  in  ber  Pfanne,  worauf  gleifd)  unb  fDiarf 
in  einem  Hirdjlein  »on  ©ppern  beftattet  würben.  SOtit  welken 
©efahren  unb  SDifdjfalen  aber  bie  ©ebeine  beS  dürften  burd)  bie 
ungeheuerlichen  ©türme  beS  SD^ecreö  an  bie  Ufer  »on  Senebig 
gebraut  würben,  haben  bie  3eitgcnoffen  abergläubifd)  genug 
aufgenommen,  ©o  arg  galt  nämlich  bie  Sluflehnung  beS 
{föeeteö  wiber  bie  unnatürliche  3umuthung  Seichen  übergujehen, 
bah  ©djiffafiele,  welche  bie  Jförper  »on  Siebten  mit  fich  führen, 
bie  brohenbfte  SBogenbebränguifj  außguftehen  hatten.  Da  nun 
gut  Äenntnih  ber  ©chiffer  gelangte,  e8  fei  bie  förderliche  Reli- 
quie beS  dürften  auf  ihr  ^ahrgeug  gebracht  worben  — man 
hatte  gleich  bei  ber  (Sinfd}iffung  ben  gahrlohu  begahlt!  — bran» 
gen  fie  hartrmefig  mit  bet  gorberung  in  feine  ©efährten,  bie 
©ebeine  in  bet  Stiefe  beS  9Jieere8  gu  begraben,  um  nicht  bie 
{Rettung  ber  Sebenben  in  aller  Skife  gu  gefährben.  {Rur  ba* 
burch,  bah  bie  trauernben  Segleiter  jener  ©ebeine  ©elb  »er* 

fprachen,  begegneten  fie  fluger  SBeife  ben  brohenben  Anläufen 

(660) 


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17 


ber  ©djiffSleute  unb  vereitelten  beren  malitiöfen  Sefchluf}  wenig* 
ftenS  für  ben  3tugenblitf.  $18  aber  bie  ©efahr  brohenber  würbe 
unb  vor  bem  ©umult  ber  ©türme  bie  SSellen  aufbrauften, 
wieberholten  bie  ©djtffer  bie  vorigen  Klagen  unb  festen  mit 
brohenben  Söorten  ben  äßäcfctern  wegen  Ueberbotbwerfung  ber 
Änocbenrefte  gu,  fo  bafj  biefe@teine  im  ©arg  verfdjloffen,  als  wären 
eS  iljreS  dürften  ©ebeine,  unb  biefen  unter  SBeljeflagen  bet 
rafenben  @ee  preiSgaben.  @o  brauten  fie  unter  bem  ©djufee 
bet  gütigen  Sorfehung,  fchiffbrüdjig  unb  nur  bis  jum  {»alben 
8eib  umgürtet,  mit  vieler  fRoth  bie  ©ebeine  beß  befagten  dürften 
an’S  ©eftabe  von  Senebig,  unb  langten  bamit  am  24.  ©egember 
in  SRepnerSborn  ober  {ReinharbSbrunn  an,  um  ihn  in  ber  Äirdje 
bei  ben  ©räbern  feiner  Sätet  etyrerbietigft  beigufehen. 

Eanbgraf  Bubwig,  ©emaljlber  Ijeil.  ©lifabeth,  erfuhr 
baffelbe  ©chicffal.  3m  Segrijf,  ftd)  nach  bem  gelobten  Sanbe 
eingufchiffen,  ergriff  ihn  baS  lieber  unb  raffte  ihn  ber  Job  Ijin« 
weg,  14.  ©ept.  1227,  nadbbem  ihm  ber  Patriarch  von  3«rufalem 
noch  bi?  le£te  JDelung  erteilte,  ©arauf  beerbigte  man  ihn  gwar, 
als  aber  im  folgenben  3afyre  bie  mit  ihm  auSgegogenen  t^ürin* 
giften  ©bien  von  ber  Pilgerfahrt  nach  Serufalem  gurücffehrten, 

„gruben  fie  ihn  wieber  auS  unb  enthäuteten  ben  Äörper  nach 
forgfältigem  $uSfochen,  worauf  bie  ©ebeine  fchneeweij)  erfc^ienen. 

2Ran  vetjd)lofj  fte  in  einem  äufjerft  fauberen  ©darein,  tranSportirte 
fte  auf  bem  IRücfen  eines  BaftthiereS  unb  fefcte  fie  unterwegs 
jebe  Sacht  in  einer  Äirdje  bei,  wo  ununterbrochen  Stgilien  ftatt* 
fanben.  3«  Samberg  würbe  ber  Bug  vom  Pontifer  (Sifdjof)  unb 
gangen  ©leruS  unter  ©locfengeläute  empfangen,  ber  ©arg  auf» 
gefd)lojfen  unb  bie  ©ebeitte  ber  bahin  geeilten  troftlofen  SBittwe 
©lifabeth  gegeigt;  bie  Purpurbecfe  um  ben  ©djreir.  verblieb  ber 
Äathebrale.  ©nblich  fefcte  man  unter  feierlichem  ©epränge  bie 
©ebeine  im  Senebiftinerftift  gu  fRepnerSborn  bei.  ($nn.  {Reinl). 

©.  260  ff.) 

©ben  baS  war  baS  BooS  beS  grofceu  Sarbaroffa.  ©nglifche 
wie  italienifche,  beutfche  unb  arabifche  Autoren  geben  barüber 

2 (66t) 

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XIV.  330. 


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gleichseitig  allen  nur  erttnmfdjten  äuffchluf).  tteber  leinen  Äteug* 
gug  ejriftiren  fo  Diele  ©efchichtSquetlen,  wie  über  ben  brüten.  3n 
Eonbon  unb  Djrfotb  fchlummert  noch  manches  banbfcbriftlicbe 
SHaterial,  unb  baS  fraugöftfche  ©taatSarchio  bewahrt  nicht  nur 
3mabebbin  ooUftänbig,  fonbern  auch  bie  arabife^e  £anb» 
ft^rift  einefl  ägpptifcfjen  Sij^ofS  übet  bie  Äreugfaljrten.  3n  2)a* 
maSfuS  bejrnbet  fich  eine  noch  gar  nicht  berührte  ^auptquelle 
auS  jener  3eü,  baS  SBerf  oon  3bn  al*2fäfir  in  fünfuubgwan* 
gig  großen  golio»33änben,  ein  Unicum,  wooon  bie  33iogtaphie 
©alabin’S  allein  einen  ganzen  33anb  auSmadjt,  unb  lange  &a» 
$itel  über  al  9Ralif  al  2lamän,  unferen  „beutfchen  Äßnig*  han“ 
beln.  2)aS  Original  ift  SBafüf,  b.  h-  9Rof<heegut,  unb  barunt 
unoeräufjerlich.  2>er  Sßerfaffer  lebte  in  IDamaSfuS  unb  ftanb 
ben  ©reigniffen  gang  nahe.  SEßien  befifct  ein  gehnbänbigeS  @e* 
fdjichlSmerf  oon  3bn  gurat3),  leibet  unpunftirt  unb  fchwer 
lesbar,  wieber  ein  Unicum  mit  reichem  Snljalt  übet  bie  tilget» 
fahrten  ber  2lbenbläuter.  ©ben  erhalte  ich  bie  ÜJlittheilung  auS 
SßatiS  oon  9JI.  SBarbier  be  SJiegnarb,  ba§  auf  Anregung 
hin  bie  bortige  Bibüothef  1200  granfen  für  bie  nötigen  2b* 
fchriften  auSgeworfen  habe. 

3uoörberft  fchreibt  33inifauf,  welcher  als  Äoplan  ben 
Jtönig  {Richatb  gßwenherg  in  biefem  jfteuggug  begleitete,  Itin. 
Ric.  1,  56:  „5Rau  fchmücfte  ben  Äörpet  beS  ÄaiferS  mit  fönig* 
lichem  9>runf,  um  ihn  nach  2ntiochia  gu  bringen.  Dort  ent* 
fernten  fie  nach  mannigfachem  2uSfochen  bie  Änocben  oom 
gleifche,  unb  gwat  ruht  baS  gleifd)  in  ber  Kirche  beS  2hoftelftbeS, 
bie  ©ebeine  aber  führten  fie  gut  See  nach  &btuS,  SBiQenS  fie  nach 
3etufalem  gu  übertragen."  5Rit  felbftänbigem  ©riffel  oergeichuet 
33 eucbif t oon  §)eterborough  ©hton-  1170—1199,  566: 

„3)er  gange  Äörper  warb  in  Stücfe  gerfchnitten,  baS  gleijch  ge» 
focht,  bie  ©ebeine  herauSgegogen,  gleifch  unb  ©ehitn  in  2ntiocfaia 
beftattet,  baS  ©felett  aber  bis  SlpruS  mitgenommen 
unb  hier  bei  gefegt."  SDie  übereinftimmenbe  Nachricht  ent» 
nehmen  wir  JRoger  oon  .jpooeben,  2nnal.  2ngl.  359,  bei 

(663) 


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SaBile  Scriptor.  rer.  anglic.,  <&.  65:  „©ingeweibe,  ©ebtnt  unb 
gleifcb  fohlen  fie  in  Sikffer  ab  unb  beftatteten  fie  in  bet  Stabt 
Sintiocbia,  nachbem  fie  bie  Änodjen  bason  entfernt."  £iergu 
fommt  5(bt  JRabulf  non  <5ogge#^aIef  Cbron.  terr.  s.  um  1228. 
SBitfyelm  Bon  9tewborougb  (Hist.  Ang.  — 1197)  compilirt 
II,  37:  „9iad)  Bielem  Suefocben  trennte  man  bie  .Rnodjen  nom 
gleifcbe  unb  brachte  bie  gleifcbtbeile  in  ber  jtirdje  beö  Sipofiel» 
fifeeS  gut  Stube,  bie  ©ebeine  aber  führten  fie  auf  bem 
ÜJteere  b i 8 3;pru8,  3B i I lenö,  fie  nad)  3etufalem  gu 
tranSferiren".  2)ie  englifrben  Autoren  finb  batübet  ohne 
SluSnabme  einig. 

@Ieid)nabe  fte^t  bem  ©reigniffe  bet  33ifd)of  Sicarb  ncn 
©rernona  (f  1215),  welcher  Chron.  cod.  Estens.  S.  612  für 
bie  23eifefcung  in  2pruS  arcae  tumulo  eintritt.  SebenfaQS  auö 
beften  Duellen  fdjöpfte  baS  gleite  3ewsni&  SlnbteaS  25au* 
boto,  beffeu  Starne  am  $>ortalbogen  beö  ^eil.  ©rabmünfterS  in 
Stein  genauen  ift,  + 1354.  Seine  Slnnalen  S.  314  (ÜKuratori 
XII)  ^aben  baS  ©ewicbt  eines  autljentifcben  ^Berichtes.  Slun 
folgt  Buallart  mit  feinet  $ilgerf<hrift4),  1587,  bie  auf  giem* 
lieh  richtigen  ©tfunbigungen  beruht,  bemt  an  Drt  unb  Stelle 
fab  man  bamatS  Bor  Schutt  unb  Krümmern  nichts  mehr  Bon 
©räbern.  3n  feine  gufjftapfen  tritt  ein  anberer  .poQänber, 
©otooicuS,  Itiner.  Hier.  S.  121,  welcher  auSbrücHid}  ber 
Äatbebrale  ober  Äitche  teS  bl-  ©rabeS  erwähnt,  worin  Drige» 
neS  unb  bie  ©ebeine  Sarbaroffa’S  ruhen  feilen." 

Dr.  Äootwpf  auS  Utrecht  erf unbete,  in  Schriften  wohl 
belejen,  fich  münblich  genau,  wagte  aber  auS  gurcht  Bor  ben 
Arabern  nicht  Born  Schiffe  gu  fteigen.  @r  fab  Bor  fich  am 
linfen  ^afentburm  noch  gehn  foloffale  ÜJlarmotfäulen  in  gleiten 
Slbftänben,  ebenjo  bie  Stabttbürme.  Sille  SJiauern  aber  über* 
ragten  bie  überaus  bohr«  SBänbe  ber  Äatbebralruine,  worin 
SUmetich  im  j? önigSornat  feine  ^odjgeitSfeier  begangen 
haben  foD.  ©igentlich  beftanben  nach  bet  Seite  ber  Dftpforte 
gwei  Tempel,  ber  größere  unter  bem  2;  Hel  beS  heil-  ©rabeö, 

2*  (MSJ 


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bet  Heinere  ©t.  3obann  gemeint.  3m  größeren  lag  bet 
jtörper  beö  großen  Dtigeneö  beftattet  neben  bem  ^oc^altat, 
außetbem  bi eß  eö,  baß  an  bemfetben  Orte  bie  ©ebeine  beö  er* 
truufenen  Äaiferö  Btiebricb  I.  ißie  [Rufyeftatt  gefunfcen.  9io<b  faß 
man  »or  bem  Dfttbore  eine  £apelle,  wo  bie  (tcropbönijifcbe) 
Brau  (S^tiftum  anrief;  ben  ©tein,  worauf  er  faß,  galten  bie 
33enetianer  1124  nach  bem  SRatfuöbom  ^eimgebrad^t.  Studj 
SDanbolo  gebenft  biefeS  ©teineö,  fowie  beö  Ijiet  batüber  er* 
richteten  ©aloatorfitdjleinä.  Unfer  Sieifenbe  fab  bie  räubetifdjen 
©tranbbewobner  ohne  Unterjcbieb  beö  ©efcbled)teö  haben  unb  iu 
ben  JRuinenlödjetn  ficb  bergen,  wie  er  meinte  ju  JDrgieu.  fftut 
ein  maurifebeö  Bifcberboot  lief  in  ben  teeren  ^>afen  ein:  oieUeicbt 
trägt  non  folgen  Sefucben  ber  fog.  9Hgierif<be  Sb^tm  am  ©üb» 
ranbe  ber  ©tabt  feinen  Flamen.  ©omit  nennt  et  bie  Sobanniö* 
firtbe  — im  noch  erhaltenen  ©pitalbau,  unb  ©t.  ©aloator, 
exigaum  saceUum  — am  ©tabtbrunnen. 

©cbon  «£>ieronpmuö  macht  ep.  ad  Pammachium  geltenb, 
ber  atejranbrinifcbe  Äitcbenlebret  fei  in  Stpruö  beftattet;  bamalö 
beftanb  nur  bie  SDtetropolitanfircbe,  bie  großartige  Safilifa,  welche 
93if«bof  ?>aulinuö,  noch  nor  ber  Gonftantinifcben  Üteugfitcbe  unb 
Slnaftafiö  gu  3erufalem  erbaut,  unb  Gufebiuö,  ber&irdjenbiftorifer, 
erngeweibt  ^atte,  bie  Goncilöfitcbe  ber  illrianer.  Gugefippnö 
1155  unb  3obanneö  oon  SBürgburg  1165  wieberbolen  alö  ^)il» 
ger  unb  33efd,'teiber  beö  beü-  8anbeö:  Tyrus  Origenem  celat 
tumulatum.  ISutb  2Bilbelmoon5£pruö,  ber  ©ejcbi(btfd)reiber 
bet  Äteugguge,  legt  1184  feine  Autorität  bafür  ein,  XIII,  1: 
„Stpruö  bewahrt  noch  ben  Körper  beö  Dtigeneö,  wie  man 
fitb  bureb  ben  Slugenfcbein  übergeugen  !ann."  ©taf  33urcbarb 
non  SJiagbebutg,  genannt  de  monte  Sion,  orientirt  unö  noch 
1283  gang  beftimmt  bureb  bie  91otig:  „Dtigeneö  b«t  bafelbft  iu 
ber  Äircbe  beö  heil-  ©rabeö  feine  9iubeftätte,  »on  einer  fDtauer 
eingefaßt;  ich  ba&e  a»  Ort  unb  ©teile  bie  3nfcbtift  gefeben 
(cajus  titulum  ibidem  vidi).  SD  Ott  f in  b aueß  ©äuleu  con 
(««) 


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ORarmot  unb  anberem  ©eftein  non  einet  ©tofje,  bie 
Srftaunen  er»e<ft.“ 

@t  meint  bie  tieftgen  Solennen  bet  Äatfyebtale,  bie  lüngft 
bie  3ufmerffamfeit  bet  fReifenben  erregten,  »ollenbS  jefjt,  wo  id) 
fte  freilegeu  liefe.  3el)nlid)e  fommen  in  $pru8  nic^t  »ieber  not. 

31{o  bie  nod)  heute  »on  ben  ©inwof)nem  fogenannte  Äatfee» 
btale  erhielt  nad)  bem  Umbau  »äfyrenb  ber  ,$etrfd)aft  bet  8a» 
teinet  ben  Xitel  jum  ^ etl.  ©tabe,  »eil  bet  6rjbifd)of  Sanoni* 
fu8  8.  sepulcri  in  Scrufalem  »ar.  55ort  hatte  Äaifet  (Souftantin 
guerft  bie  33aftlifa  be8  ^eil.  ÄreujeS  unb  bie  3uferftef)ung8rotunbe 
übet  bem  heil.  ©rabe  gegrünbet,  unb  bort  ftanben  in  bet  ÄapeUe 
unter  ©olgat^a  bie  ©arfopbage  ber  ftanfifd?en  .tönige,  bis  1244 
bie  Sbateümier  unter  |>ujamebbin  ®atfa*6han  baS 
,$eilanb8grab  abermals  »erwüfteten  unb  bie  ©ebeine  ©ottfrieb’8 
»on  Souilion,  betSalbuine  unb  3malridje  herauSriffen,  im  3ugujt 
1244.  $ie  ängabe  Sutdjatb’S  ift  an  £)rt  unb  ©teile  gar  nidjt 
mifejuoerftehen,  unb  SotooicuS  gerabe  barum  mistig,  »eil  et 
DrigeneS  unb  Sarbaroffa  in  betfelben  Äirdje  ilpr  ©rab  ftnben 
läfet,  »o  bie  brei  riefigen  ©aulen  non  SRoiengranit  baS  £aupt» 
portal,  bie  hetrlidjen  ©ienitfolonnen  in  j»ei  SReil)cn  bie  ©eiten» 
fdjiffe  ftüfeten.  Son  ben  Syriern,  bie  fold)e  Saften  auf  Slöfeen 
ober  ©djijfen  oom  fRillanbe  ^etbeif^afften  unb  biß  Saalbecf 
fcbleppten,  lernten  bie  fRömer  ben  JranSport  ber  Dbelißfen  auf 
fRiefenfaferjeugen. 

3ud)  bie  italienischen  ^iftorifer  galten  an  bet  Seifefeung 
Sarbaroffa’S  in  ber  ^atl?ebrale  »on  2pru§  feft.  5)ie  (J^rouil 
beS  $)aolino  bi  ^)ieto,  worauf  fidj  ber  »ol)l  erfahrene 
5)aläftinapilger  ÜJiariti  1765  beruft,  lafet  Sarbaroffa  in  ber 
„gotfyifdjen"  ^auplfirche  ju  ©ur  fein  ©rab  eintfyun:  bet  unter» 
fdjeibenbe  3u8brucf  für  Saftlifa,  bp$antinifd)e,  romanifche  unb 
germanifche  SBaufunft  ftanb  bnmalS  nod)  nic^t  feft,  auch  bei  unS 
bis  nad)  Sefftng  unb  ©oet^e  nid)t. 

Sbrafo  fPater  3lbefonfo  bi  8uigi  ober  ber  »erbiente 
®efd)id)t8fotfcber  8.  8.  Brebiani,  ber  1784  $)lan  unb  $)ro» 

(e«s) 

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gramm  311t  ©rünbung  ber  Academia  Crusca  in  gloren3  unter 
©rofche^og  geopolb  entwarf.  25et  ©uatbian  be$  §rau3i8fauer» 
^ofpigeS  in  @ur  Iam  gerne  3U  ben  Ausgrabungen  unb  gab  un8 
nach  bet  SBiffenfdjaft  feines  DrbenS  baS  SBort,  ijier  fei 
Satbaroffa  begraben.  5Ran  wei§  ja,  baf)  bet  ©rbenSftifter 
gtanjiöcuS  non  Affifi  fdjon  1219  perfönlidj  feine  ©rüber 
in  SIfa  etngeführt  hatte.  ©on  fParteiintereffe,  bie  SUjatfadje  3a 
falfchen  unb  ben  Sendet  3U  Berfehren,  !ann  bei  aß  ben  ©hroniften 
feine  Siebe  fein.  ^ödjftenS  fann  man  non  ben  fyalbwegö  bittet* 
gitenben  JDeutfchen  fagen,  baff  fte  baS  treue  Abbilb  beS  Berun» 
glfidten  Jtreu33ugeS  unb  bet  Auflöfung  ber  S^eilne^mer  ge* 
währen. 

Ansbert,  bet  mit  im  3«ge  war,  ober  bie  ßfterreidjifdje 
Cuefle,  ©.  73,  begleitet  bie  üeidje  beS  ÄaiferS  nur  bis  Antiochta. 
©benfo  ßRagnuS  tton  {ReicherSberg,  f 1195,  Ann.  R.  516, 
unb  bet  Annalift  Bon  ©t.  Slafieu  (Contin.  322).  üDie 
Annales  Egmundani  auS  bet  Abtei  3U  ©gmonb  in  £oßanb 
(9)er$,  Mon.  Germ.  XVI,  470)  melben:  „{Rachbem  ber  römifche 
Äaifet  auf  eine  elenbe  StobeSart  Berblidjen,  würbe  fein  Ä'örper 
auSgcweibet,  wegen  bet  Söeite  ber  {Reife  fleißig  mit  ©al3  ein* 
gerieben,  auf  eine  Tragbahre  gelegt  unb  unter  bem  3ammet  beS 
feeres  nach  Antiodjia  gebracht,  fobann  in  bet  93aftlifa  bcö  heil. 
9>etru§  im  ©ingang  beS  ©IjoreS  mit  ber  würbigften  ©hrerbietung 
beftattet."  SDie  Annalen  »on  ©teberburg  bei  SBolfenbüftel 
Bon  1000 — 1195  (autore  Gerhardo,  f 1209),  ©.  223,  bann  bie 
tton  ßJiarbach,  welche  in  erfter  {Reihe  bis  3um  3ahre  1262 
reichen,  165,  unb  jene  Bon  {ReinharbSbrunn,  @.  516, 
bieten  benfelben  3nhalt.  aber  ©raf  SSilbranb  Bon  £>lben* 
bürg  fah  felber  1211  baS  faiferlidje  ©rabmal  311  Antiodjia 
unb  erfuhr  für  gewif),  baff  baffelbe  nur  bie  SBeichthcile 
einfchliefje.  @r  fchreibt  wörtlich  peregr.  XIV,  17:  „3n  biefet 
Äirche  wirb  bie  Äatljebra  bcö  heil.  {PetruS  ge3eigt.  ©benba  ruht 
auch  im  ßRarmorfatg  baS  Bleifd)  b e ß IfaiferS  grieb* 

rieh,  feligen  ©ebdchtniffeS."  3ur  ©rgdngung  aber  i>erfl<^ctt 

(66«) 


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23 


nod)  ein  heutiger  3a^tbudjf^reibeT  beö  XIII.  SabtbunbertG,  ber 
SSerfaffec  ber  Geata  epiacop.  Halberstad.  (Mon.  Germ.  XXIII, 

110):  „Äaifet  griebtidj  ift  in  SpruS  begraben,  in  bet 
3ofyanne8fircbe."  SBarum  er  bieje  nennt,  teer  weif)  e8?  t»ieOeid?t 
fannte  er  eben  nur  bie  eine  mit  Flamen,  ober  eö  finbet  eine  93er« 

»edjölung  ftatt,  wie  mit  gleidj  (eben  »erben. 

Senaten  wir  bie  franjßfifdjen  DnellfdjTiften,  fo 
läfet  bie  fogenannte  Oefdjidjte  be8  Äaiferö  JperafliuS,  bie  altefte 
unb  befte,  nod)  im  fDtorgenlanbe  gefd)tiebene,  berfommen, 
bet  Äaii'er  fei  $u  ®t.  ^eter  in  Slntioc^ia  linterbanb  im  <5^or 
neben  bem  23ifd)of  (IHbbemat)  non  $)up  begraben  worben.  — 

SEßir  fßnnen  beifügen,  ba§  in  ber  Sßorbatle  berjelben  äfirebe  1112 
and?  ber  ritterliche  ütanfreb  3ur  ©rabeärube  eingegangen  war. 

3n  all  biefen  SRadjrichten  liegt  Weber  ein  birefter,  noch  inbirefter 
Söiberfptucb,  fonbern  bie  nur  wenig  lücfenbaften  Aufzeichnungen 
ergänjen  fid}  babin:  e$  fanb  eine  breifache  93 ei f e^ e ftatt: 
einmal  ber  ©ingeweibe  in  ber  93aterftabt  be$  b«1-  fPauluö  ju 
Jarfuö,  unb  »on  -£>erz,  ©ebirn  unb  ben  jerftücften  Äörper* 
tbeilen  in  Antiocbia;  fobann  führten  fie  bie  ©ebeine  mit  bem 
Raupte  (!)  in  einer  bühnen  Äifte  bis  $pru8  mit,  um  fie  hier 
prooiforiid)  beijufe^en,  in  bet  Meinung,  fie  fpäter  nach  3eru» 
falem  ju  bringen,  ©ine  ©opbienfircbe,  ®t.  ^eterSbom  unb 
Äreuj-  unb  ©rabfatbebrale  tbeilen  ficb  in  feine  fterblicben  Ueber* 
refte.  3)ie  nambafteften  atmenifd)en  Duellen  (Rec.  armen. 

403,  478)  fpreeben  roobl  »on  bet  Segröbnifj  in  Antafta,  boeb 
giebt  SBartan  an,  ber  Äaifer  fei  in  ber  benachbarten  ^»auptftabt 
©iS  (fötopfueftia)  beftattet  worben  — inbem  er  ben  Flamen  ©ur 
»iellei^t  falfdb  gelefen.  ©efdjab  bie  ©epultur  in  äntiodjia  mit 
bem  ganjen  Üeibe,  fo  b^tte  eä  feiner  3«ftücfelung  unb  Ablöfung 
be$  SleifdfeS  »on  ben  ©ebeinen  beburft. 

Sion  ©flmunajar,  bem  Äonig  ber  ©ibonier,  ber  entfernt 
auf  bem  ©cblacbtfelb  gefallen,  brauten  feine  ©etreuen  nur  ben 
Äopf  nach  Äabt  al*9Ruluf,  bet  föniglidjen  ©ruft,  auch  SRogaret 
Apollo,  genannt  »on  bem  auf  bem  ,£>ügel  geftanbenen  93aalö- 

<667> 

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tempet  nor  bem  Sübtßore  bet  «Stabt,  non  roo  bet  alte  2)u» 
rigßello  uacfy  Sdjäßen  grabenb  am  19.  3anuar  1855  glücflidj 
ben  Sarfepßag  erhoben  Ijat.  2)ie8  ßieß  nach  plföttijifdjer  SBeife 
ben  in  bet  Sternbe  ©ebliebenen  bet  feinen  älätern  begraben.  3n 
altbeutf<beu  ©räbern  finbet  man  nid)t  feiten  Sdjäbel,  roeldje 
nadjträglidj  uon  gamiliengliebetn  mit  in  Cie  ©rube  genommen 
würben.  So  erßob  füngft  Dlfar  graal  in  ber  ©ailburgftraße 
ju  Stuttgart  aul  einet  Sllemannengruft  bal  ifolirte  Haupt  einel 
Äriegerl,  bem  burd)  einen  furchtbaren  Sdjroerttjieb  bal  Dcciput 
roeggehaucn  mar,  neben  bem  Sfelett  einet  offenbaren  ©reiftn, 
»ielleidjt  feinet  trauernben  Butter  ober  äüittroe. 

SDie  befdjriebene  altljeibnifd)  beutle  Sitte  für  bie  H«m* 
füßrung  etroa  in  fernem  8anbe  gebliebener  dürften,  beten  Jpitn* 
fcßaale  häufig  ber  Sieger  jum  Srinfbecher  oerroaubte,  fam  gerabe 
in  ber  3eit  ber  Äreujjüge  ftarf  in  ’ilnmenbung. 

‘518  33atbarei  mußte  e$  bem  ©olumbul  unb  ben  nachfol* 
genben  Gonquiftaboren  ootfommen,  roeun  fie  in  ben  Jpüttcn  ber 
3nbianer  5Dlenfd)enfnod)eu  aufgeßangen  fanben:  fie  badjteu  nur 
an  jfaraiben,  Äaribana  ober  jfanibaleu  (beibel  ift  ©in  Söort). 
©beufo  entfejjlid}  bünft  el  uni,  toenn  bie  d)inefijd;en  Äuli’l  in 
©alifornien  noch  heute  bal  ^leifd^  oon  ben  ünochen  i^rer  uer» 
ftorbenen  Sötüber  fdjaben,  um  bie  lobten  in  bie  Ijeimiidje  ©rbe 
gut  üöegräbnifs  ju  fenben.  (©in  Söilb  biefel  Verfaßten!  braute 
füngft  bie  Ueipg.  3lluftr.  3eitung,  1875,  S.  480).  aber  folcße 
33atbaren  toaten  einft  auch  nnfere  SSorfaljien,  unb  bie  Uebung 
cererbte  fid)  geraöe  bei  ben  Häuptlingen,  ba  fie  ficß  auf  ÜJlumi* 
fiten  nicht  oerftanben.  ©nblicß  braute  *})apft  Bonifaj  VIII. 
im  Anfang  bei  XIV.  SaßrßunDerll  fraft  ßoßenprieftetlicßett 
Verbote!  bal  wüfte  jp^onimen  in  Abgang.  SDod>  befteßt  noch 
an  gürftenßöfeu  Die  Sitte,  Heti  unb  Gingeroeibe  com  Körper 
gu  trennen,  fo  im  Haufe  H^lburg,  roie  in  23apern,  roo  Dal 
Hetj  bei  IJanbelßenn  regelmäßig  in  bem  oom  apoftel  ber  23a» 
fuoaren^St.  Siupert,  gegrünbeten,  acßtecfigen  &ircßlein  gu  'Ält» 
1668) 


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25 


otttng  beigefefct  wirb,  wie  baS  $erg  fccS  erften  Sarbaroffa  int 
urfprünglidjen  £)ftogon  St.  ^>etet’8  gu  ^ntiodjia  rutjt. 

©rft  ©nbe  SluguftS  brach  ^rtefcridj  »on  Schwaben  mit 
ben  ©ebeinen  be8  33ater8  »on  bet  bergumgürteten  fprifdjen 
#aupfftabt  auf  unb  »erfolgte  mit  ben  Krümmern  te8  beutfdjen 
^>eere§  ben  Üanbweg  über  gaobtcea  obet  Satafia.  Äonrab  »on 
SJiontferrat,  ber  £elb  be8  JageS,  feitbem  er  Salabin  gleicbjeitig 
gut  See  unb  gu  ganb  gurücfqeworfeu,  fam  brei  Jageritte  »on 
JpruS  bis  JripoliS  entgegen,  wo  bet  £ergog  am  3.  September 
eingetroffen.  £ier  gingen  fie  gu  Schiff,  hoch  gwang  bcr  Seefturm 
fie  gur  Umfe^r;  erft  nadj  einigen  Jagen  festen  fie  tie  gahrt 
fort  unb  lanbeten  in  JpruS,  wo  ©raf  Stbolf  »on  ,£jolftein 
bie  Hoffnung  auf  einen  glücflicbeu  iäuSgang  aufgab  unb  fyeim» 
fehrte.  33ereit8  jammerten  bie  granfen:  „SUlal)  ift  mächtiger 
al8  ber  ©hriftengctt!"  unb  »on  ben  dauern  »on  9lffa  eridjoQ 
unter  9>ljantafie,  b.  h-  ©pmbel*  unb  §)aufcnfd)Iagr  beim  erften 
©intreffen  ber  9fad?tid;t  »om  Sdjidfal  te6  ÜJlalif  al  Sllamän 
ber  ^ö^nenbe  9iuf  ber  „Ungläubigen"  nach  bem  ©hriftenlager: 
„©uer  .König  ift  ertrunfen!"  SSerne^men  wir  nun  gleicbgeitig 
arabifche  Berichte,  fo  melbet  Soljaebbin  ibu  Sd)ebbab,  ber 
9Me8  miterlebte  unb  1234  mit  neuugig  Sauren  ftarb,  im  ?eben 
SalabinS  c.  69.  „©er  .König  ber  3lamanen  hat  im  falten 
glufc  bei  JarjuS  fein  ©nbe  gefunben,  worauf  mau  iljn  in  ©ffig 
auSfocfjte,  ba8  ©ebein  in  eine  Äifte  (in  loculum)  padte  unb 
gum  JranSport  in  bie  Ijeilige  Stabt  beftimmte."  JpruS  war 
ba8  burd)  ben  Jpelbenmuth  be8  SJiaTfgrafen  Äonrab  gerettete 
33ollwetf  be8  fReidjeS,  e8  galt  bereits  für  uneinnehmbar,  ©aljiu 
mochte  man  Sd)äjje  in  Sicherheit  bringen,  unb  ein  folcper  war 
gewifc  bie  Äaifcrreliquie. 

©er  ©ichter  ber  gereimten  Äreugfahtt  be8  Sanbgrafen  8ub* 
wig  »on  Jhüringen  (2luSg.  ».  b.  .£>agen)  läfct  gur  Serherrlidsung 
feines  gelben  ben  .Kaifer  griebrich  1190  im  ?aget  »or  $)tole* 

maiS  erfdjeinen  unb  aud)  SalabinS  SBater  2l»ub  »on  ben  Jobten 

66») 


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26 


erwecft  werben.  Slber  fo  früh  auch  bie  ©age  fid)  SBatbareffa’S 
bewältigt,  inbetn  fie  ben  Äaifer  fogar  lebenbig  in  bie  ®efan* 
genfchaft  ©alabiu’8  fallen  unb  nach  Sabplon  (bei  Äairo)  ab* 
führen  läfjt,  ^alte  ich  bocf)  nicht  bafür,  baff  bet  ©hronift  non 
SBeingarten  fdjen  beeiuflufft  ift,  fonbetn  feine  Angabe,  ba* 
£eet  habe  benfelben  bis  not  Sllfon  mitgenommen,  wa8  bet  änna* 
lijt  be8  ©djmeijerfloftetG  ©ngelberg  nadjfchreibt,  ift  eine  muffige 
33orau$fefcung  ferne  »cm  ©cbauplatj,  wie  ber  'JJiönch  oon  ©t.  Sla* 
fien  eS  falfd)  auffafft  mit  bet  Angabe:  ©ingeweibe  unb  Bleifdj 
habe  man  bei  SEarfuS,  bie  Änedjen  in  SCntiodjia  beftattet. 

2)er  ©chroabenherjog  gtiebtid?,  »on  €DRalif  al  3al?it  unb  al 
9)iu3jafat  auf  bet  Sanbfeite  genecft,  ging  mit  feinem  bis  auf 
fömmerliebe  fRefte  gufamniengefchmolgenen  .£>eere  nad)  ca.  brei» 
wöchentlichem  Aufenthalt  in  SEpruS  unter  ©egel  unb  lanbete  am 
7.  Dftober  AbenbS  im  Saget  »ct  Alfa,  wo  et  als  naher  Set* 
wanbtet  beS  ÜRatfgrafen  für  einen  $einb  beS  ÄönigS  ©uibo 
galt  unb  bie  SBdlfchen  gegen  fid?  Ijatte.  2)ie  arabifdjen  ©hro* 
niften  nennen  ihn  wie  feinen  Sätet  Sftalif  el  Alamän.  SBcldfe 
9tiebergefd)lagenheit,  welken  SEobeSfdjrecf  hätte  ber  Sorweiö  bet 
©ebeine  beS  groffen  SEobten  im  ©hriftenheere  Ijeroorgetufen,  wie 
alle  SSunben  »on  neuem  aufreiffen  unb  faft  unglüdbringenb  er* 
fdjeinen  muffen ! SDer  Eintritt  beö  Schirmherr»  bet  ©hriften« 
heit  war  baö  Serhängnifj  biefeS  Jireu^ugeS:  feilte  bie  Äataftrophe 
burc^t  Sorführung  feinet  8eid;enrefte  ben  greunben  etft  recht  an* 
fraulich  unb  einbringlid)  gemacht,  bagegen  ber  3ubel  befl  barübet 
triumphirenben  $einbe8  auf’S  ,§öcbfte  gefteigett  werben?  Um  nur 
©in  Seifpiel  anjufühtert  theilt  Soljagbbin©.  129  mit:  „©in 
angelegener  0f?itter  war  »er  Affa  in  ©efangenfehaft  gerätsen, 
bie  grauten  fuchten  ihn  mit  ©elb  loSgufaufen.  55a  man  ihnen 
ben  Seidjnam  auslieferte,  erhoben  fie  eine  grofje  unb  anhaltenbe 
SBeheflage.  ©o  oft  ihr  Auge  auf  bem  Seichnam  ruhte,  warfen 
fie  fidi  mit  bem  Angefid>t  jur  ©rbe,  ftreuten  ©taub  auf  ben 
iüopf  unb  e8  befiel  fie  ein  Ärampf:  baS  ©ehdmnifj  feiner  £et» 
funft  bewahrten  fie  aber  angftlich."  9iod)  einmal  fei  eS  gefagt: 

(670; 


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27 


»cid)’  unfäglidje  {Riebergefcblagenhcit  tjdtte  bie  Sorfühtung  betrat» 
fetleidje  »erurjachen  muffen.  Sö  »ar  pfpdjologifd)  unthunlid)! 

Unter  ben  Slugen  beö  jungen  £ol)enftaufen  entftanb  im 
Säger  »or  $)tolemai8  gur  pflege  ber  Äranfen  ber  beutfdje 

Dt  ben,  welker  balb  aud)  in  Jpruö  Sefijj  erwarb.  Slber  nid)t 

» _ 

* Mo|  SRänner  »ibmeten  fid)  bem  SDienfte  ber  Sarmhergigfeit, 
fonbern  auch  5)amen.  fSbu@d)ama  rnelbet*):  „SRitte  Dftober 
1189  lanbeten  auf  einmal  300  löbliche  grauen  ber  granfcn  auf 
einem  ©d)iff  in  Slffa,  roefdje  »on  ben  Snfeln  fommenb,  fid)  bem 
gottgefälligen  SBetfe  ber  SBartung  SIrmer  unb  SBerlaffener  wib* 
meten.  @ie  mußten  bie  Serwunbeten  auf  ben  ©chlad)tfelbern 
* auffudjen“.  3)ann  Reifet  eö  »eitet:  „3)ie  SRamlufen  »id)en  »or 
ihnen  erfüllt  »on  Siebe  (ober  @l)rfurd)t)  gurütf,  ot)ne  fid)  ba* 
burd)  gebemütl)igt  gu  fühlen,  ba  ihnen  baö  Siebeöthor  »erfdjfoffen 
blieb.  Sei  ben  greng  (granfen)  gilt  bie  Sh^fistoi  für  ben, 
ber  fte  auöfjalten  !ann,  als  feine  ©djanbe!  (Sine  nai»e  Seiner* 

Jung  beS  Orientalen).  3m  Jpeere  ber  geinbe  gab  e8  aber  aud) 
fonftige  Söeiber  gu  {Rofc  mit  ganger  unb  Sifenhelme,  welche  nach 
ÜRännerweife  fämpften,  fte  ftürgten  an  ihrer  ©eite  fid)  itt’d  ©e* 
wühl,  nur  bie  ©djmucfjachen  an  ben  güfcen  eerricthen  baö  SEBeib. 

Slm  ©chlachttage  fanben  wir  manche  ftarfe  ?Otatvone,  bie,  ben 
{Reitern  ähnlich,  nur  hwabmatlenbe  Äleibet  trug;  ber  2hat* 
beftanb  ergab  ftd)  erft,  wenn  man  fte  plünberte  unb  entfleibete. 

Sllte  SBeibet  gab  eö  in  SRenge,  weldce  bie  ORenge  anfeuerten; 
fte  faxten,  ba8  Äreuj  wolle  ben  Slnfampf  unb  baö  Serfd)»inben 
ber  3flfamiten;  baö  ©rab  beö  SRefftaö  muffe  ihnen  entriffen 
werben."  ©olche  SBalfpren,  welche  bie  Seiber  ber  (gefallenen 
»om  SBahlplafje  aufhoben,  felber  mitftritten  unb  unö  an  bie 
ÜTiegöjungfranen  ber  Simbern  unb  Teutonen  erinnern,  fornmen 
|<hon  1147  im  gweiten  Äreugguge  bet  2)eutjd)en  unb  grangofen 
»or.  — 

Sor  Sinbrud)  ber  SBinterftürme  (Snbe  {Rooember  1190)  fegel* 
ten  bie  granfen  »orforglich  jutücf  nach  ©ur  unb  legten  fid)  tge* 

»or  Sinter.  {Rach  ber  Saubung  jfönig  {Richarb’ö  »on  Snglanb, 

(«7i; 

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28 


23.  ÜJlat  1191,  entwich  ber  3Ratfl8  nach  ©ur  int  Sorgefübl, 
baf)  e8  mit  feiner  Jperrfchaft  halb  ju  Gnbe  gelje.  28it  erfahren 
nicht,  ob  man  batyin  wäbrenb  ber  Selagerung  Grfraufte  ja 
©djijfe  ftberfitbrte. 

9iun  nämlich  brach  nicht  nur  unter  ben  Selagerern  bie  ^>eft 
ober  eine  fcorbutartige  ®eu<he  au8,  fonbetn  raffte  au d)  ben  ebtea 

erg o {j  gticbricb  fcbon  am  20.  3anuat  babin.  SBäre,  wie 
ein  $iftorifer  „nach  ber  neuen  SJtetbobe"  fid)  einfallen  lä§t,  bie 
8abe  mit  Satbaroffa’8  ©ebein  bei  oQ  ber  Serwirruug  ohne 
©ang  unb  Klang  im  8agerfanbe  »erfdjarrt  worben,  fo  ^ätte 
man  au8  Pietät  ben  ©obn  bod?  neben  bem  Sätet  betten  muffen. 
SluSbrucflid)  berieten  bie  2lnnalen  uon  IReinbarbSbrunn,  44, 
50,  54,  man  b«be  ben  Kaiferfobn  mit  ber  Sabre  be8  SRitterS 
Slbalbert  ton  ^iltenburg  jufammen  in  Gin  ©rab  oerfenft. 
(Eiusdem  tumbae  loculos  sortitus).  2)ie  Gesta  episc.  Haiberst. 
110  ergangen,  er  fei  nachträglich  erhoben  worben,  um  bei  ben 
SDeuifcbbetren  ein  wftrbigee  Scgräbnife  ju  finben. 

Konrab,  ber  ©iegeSbrib  uon  SpruS,  war  uon  Anfang  an 
bie  ©eelC  bet  Selagerer  »or  SIFfa,  wo  bie  burch  Selfenfprengung 
erhielte  (nßrblidje)  Anfuhr  für  bie  tyrifcben  ©chijfe  ber  Jpafen 
be8  Sftarfgrafen  ljte§.  Gr  ^atte  bie  nächften  ^nfprüdje  an 
ba8  lateinifche  Königreich  mit  ber  £anb  ber  Glifabetb,  Sechter 
5Hmalri<h’8  II.,  erworben,  bereu  ©cbwefter  ©ibptla  a!8  ©attin 
@uibo’8  oon  ßufignan  ben  3wiefpalt  in’8  8anb  gebracht.  3)a8 
3abr  barauf  würbe  ber  eiferne  Äon  rab  uon  3Rontf  errat, 
nacbbem  ihn  fein  ritterlicher  ©egner  ©alabin  bereits  als  König 
oon  3ctttfalem  anertannt  tjattc,  in  einer  engen  ©affe  überfallen 
unb  unter  bem  JRufe  „£>u  foHft  webet  fütavfgraf  noch  König 
fein",  niebergeftofeen. 

„?lm  28.  Slpril  1192  würbe  in  @ur  ber  5Rarft8,  SlUab 
oetfluche  ibn",  erfchlagen,  fo  melbet  91  bu  ©chama  ©.  196. 
„3wei  Siänner  famen  jut  ©tobt  unb  nahmen  ben  Gbriftenglau« 
ben  an,  befucbten  oielfad)  bie  Kirche,  ^rieftet  unb  SRöndje  ge« 
wannen  fie  lieb,  auch  her  fDiarfi‘8  fab  fte  gern.  "JMö^lich  griffen 

(672) 


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29 


fie  ihn  an  unb  tßbteten  ihn;  fie  würben  nethaftet  unb  hmgerid)» 
tet,  man  erfuhr,  bah  fie  ÜSffaffinen  waren.  Äonb  £ari  (.£>ein* 
rid)  non  Champagne)  Ijeiratljete  feine  SBittwe  (5.  ?Dtai)."  3mab« 
ebbin  fd)reibt:  „SDer  5DiaxflS  genoh  bie  ©aftfreunbfchaft  be8 
BifchofS  unb  hatte  feine  5ll)nung  bbh  einem  Unglücf,  mad)te 
nach  bet  5Ral)lzeit  ein  <Spicl  unb  bann  einen  Spazierritt  — als 
jene  beiben  SfJiätmet  ihn  mit  ÜJieffern  angriffen  unb  nerwunbeten. 

6inet  banon  floh  in  bie  Jt'ird)e,  wohin  ber  5Rarfl8,  al6  er  fid) 

Bermunbet  fal),  fid)  tragen  lief).  Äaum  hatte  it)n  bcrt  ber  eine 
SJißrber  erblicft,  al8  er  ijerbeifpringt  unb  il)m  neue  SJlefferftidje 
beibringt,  ©rgtirfen,  werben  fie  als  fötitglieber  ber  iSmaelitifchen 
SDrbenöbrüberfc^aft  erfannt.  Berl)ött,  wer  fie  jum  ÜJtorbe  ge» 
buugen,  erwiberten  fie:  ber  englifd)e  Äßnig." 

„Bei  ber  Eroberung  Slffa’8  hatte  bet  9J?arffö,  ein  umfid)tiger 
unb  tapferer  fföann,  ber  in  aß  biefen  Ätiegen  feinen  ©influfj 
geltenb  machte,  SWah’S  glud)  über  il)n!  Bon  ©eite  be8  englifdjen 
ätönigS  einen  £teubrud)  erfahren  unb  war  au8  beffen  €Rä^e  nad) 
feinet  ©tabt  @ur  geflüchtet."  ©o  3bn  al  3Hfr,  ©.  46;  trof)bem 
fährt  er  ©.  51  fort:  „Slm  13.  IRabbia  II  biefeS  3al)re8  würbe 
bet  SJtarflS,  2Wah  ocrflucäje  ihn!  £err  in  ©ur,  einer  ber  arg* 
ften  Teufel  ber  granfen,  umgebrad)t.  ©alabin  hatte  nämlich  ba8 
£aupt  ber  SSmaelier,  ©inän,  aufgeforbert,  ben  englifchen  .König 
unb  ben  ÜJtarftS  umbringen  ju  laffen  unb  bafür  10  000  3)inar8 
auSgefeht.  (Srfterem  fonnte  man  nicht  beifommen,  auch  trieft 
©inan  e8  nicht  für  augezeigt,  bamit  ber  ©ultan  nicht  Bon  ben 
granfen  befreit  würbe,  ©elbgiet  lieh  ihn  ber  Gtrmorbung  be8 
9Karf!8  juftimmen,  bähet  fchicfte  er  zwei  SKänner  in  ÜJtönd)8» 
gewanb,  welche  in  ©ur  fed)8  Sölonate  ein  frommes  2eben  führ* 
ten,  fo  bah  bet  SRarfiS  ihnen  Bertrauen  fchenfte.  9tad)  einiger 
Seit  lub  bet  Bifdjof  ben  SKarftS  z«t  Üafel,  an  ber  er  fid)  mit 
©pei8  unb  Slranf  gütlich  that.  ^Darnach  fielen  beibe  Uebeltl)äter 
über  ihn  her  «nb  brachten  ihm  fchwere  SBunben  bei  u.  f.  w. 

Beibe  würben  h*Hfl*rt^tet."  3mmethin  eutfanbte  bie  SKörber 
ber  SSlte  nom  Berg. 

C«7S) 

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30 


Sofort  lefen  wir  im  Itiner.  Ricardi  340:  „Äonrab  mürbe 
unter  lautem  2Bel)flagen  apud  hospitaie  begraben,  ^»terju  ftimmen 
bie  Gesta  episc.  Haiberst.  140  mit  ber  Angabe  ber  3ol)aune8* 
fitere  — e8  ift  ba8  3ol)annitetfpital  gemeint,  wa8  mit  für  tintig 
galten,  »ätyrenb  Annal.  Egmund.  470  bie  jbreugfttd)e  alö  @rab» 
ftätte  aufgeiebnen.7)  grüner  nennen  bie  Gesta  irrig  bie  3o» 
l)anni8fird)e  al8  23egräbnifeort  33atbatoffa’8 ; bie  Duellen  ftnb  fyiet 
cntfdjeibenb,  beren  Slufjcbreibung  nod)  im  Orient  erfolgte. 

drft  bet  britte  äfönig  be8  lateinifdjen  [Reiches  Setufalem 
Salbuin  II.,  batte  fid)  1124  ber  Stabt  unb  geftung  Strjrud  mit 
SSei^ülfe  ber  Senetianer  bemächtigt,  nadjbem  ber  Singriff  nom 
11.  gebruar  bis  27.  3uni  währte.  3m  föniglidben  ^alafte,  beu 
un8  befannten  Sieben  Stürmen,  »erlieb  er  jofort  1125  ben 
Äanonifern  be8  f)eil.  ©rabeS  ba8  „Älöfterlein“  (Jafale  SDetina,  ober 
al  ©airratn,  2)eir  [Rama,  „|)öbenfloftet“,  oberhalb  ber  grofjen 
Duelle,  TODDcn  bie  SBafferleitung8)  auSgebt,  mit  allem  ganbbeftfc 
unb  3uoentar  gu  bleibenbent  (Sigentbum.  $iergu  fommt  1141 
nod)  bie  Sletlei^ung  be8  ©artenS  aufjer  ber  Stabtmauer,  womit 
be8  nod)  ^eute  blfi^enben  S3oftan  gum  erften  2Jiale  ©twäbnuug 
gefd^ie^t,  wo  ich  unb  33ernbarb  öfter  gufprachen. 

ütjruS  war  ein  reiches  93i8tbum,  wie  Söilbranb  »on  Dlbeu* 
bürg  1212  fdjreibt.  $)apft  3unoceng  H.  (1130—1144)  traf 
eine  neue  iDiögejanorbnung,  trennte  bie  5Retropolitan» 
fitd)e  2.pru8  »om  Matriarchat  Sinti odbia,  unb  nerleibte 
fie3erufalem  ein.  @8  gef  djal)  unter  6rgb.  guldjer  1135, 
weither  als  [Rachfolget  SBilbelm'S  1145  felbet  ben  Stuhl  in  ber 
SDaoibSftabt  beftieg  unb  unter  S3albuin  III.  am  15.  3uli  1149 
ben  [Reubau  ber  ©rabfirche  einweibte.  &u8  folgern  Slnlaffe 
fanb  wofyl  au  d?  bet  Umbau  ber  alten  Säulenbafilifa  in 
ÜtjruS  ftatt,  inbem  man  burd)  Slnfajg  oon  brei  Slbfiben  bie 
Äatbebrale  uach  ÜRorgen  orientirte,  wäbreub  ursprünglich  ber 
Slltar  weftlid)  ftanb.  SDiefe  [Reftauration  ift  auffaHenb  nirgenbS 
beutfunbet,  meHeidjt  weil  fie  bem  SSaumeifter  wenig  (5^re  machte. 
68  würbe  nämlich  ba8  lombarbifdbe  Spftem  ber  SDecfen* 

(674) 


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31 


Wölbung  tute  in  ben  fpätromanifchen  Kathebralen  auch  hi« 
angetrant;  ba  aber  feine  ©erftärfung  ber  Säulen,  bie  eigentlich 
nur  auf  bie  ©eitenmauern  unb  ben  ^of^erneti  9>lafonb  berechnet 
waren,  auch  feine  Umwanblung  in  Pfeiler  ftattfanb,  jo 
war  ber  3ufammenbruch  nur  e®£  Srage  ber  nadjften  3£it-  2)«* 
bei  würbe  bie  SRetropole  auf  ben  Sitel  Kteuj*  unb  ©rab* 
fit  che  umgetauft. 

Solche  ©rabfirchen  ftanben  aufcet  ^aläftina  in  Sörinbifi, 
©arletta,  „in  IKonte  fPetegtino“  bei  Stoja  in  bet  ©ampagna, 
welche  als  ©efigungen  ber  h«f-  ©rabfitche  in  3erujalem  1144 
unter  ^>apft  ©öleftin  II.  aufgeführt  finb,  wie  bie  gleichen  Sitel8 
in  2lffa  bahin  gehörte  ober  h®ig  war.  3n  ihr  würbe  ber 
burch  einen  ©turg  au8  bem  fünfter  »erunglüdte  Heinrich  oon 
©hampagne  alö  Süularfürft  beö  lateinifchen  Königreichs  2lu* 
fangS  September  1197  begraben  unb  lag  ba  bis  gut  Stabt* 
erftörmung  burch  Sultan  ©halil  Slfdjraf,  worauf  ba8  grauen* 
hafte  ©hriftengemefcel  nebft  ©raub  unb  3erftörung  erfolgte,  fDiitte 
9Kai  1291.  @o  lange  war  bet  ®om  gu  @ur  in  ©hriftenhanb. 

©rgbifchof  SBUhelm  hatte  fich  1129  burch  Abtretung  ber 
9Rarienfitd)e  in  SpruS  an  bie  Kanonifer  be8  heü-  ©rabeS, 
feine  fDiitbrüber,  oerbient  gemacht;  als  3««g£a  unterfchrieben  fich 
bie  Kanonifer  oou  ÜpruS:  $>etru8,  ©alteriuS,  3ohanne8  unb 
#ugo,  bagu  alle  ©ifdjöfe  be8  gelobteu  8anbe8  unb  König  ©al* 
buin  II.  3)tei  weitete  Verleihungen  erfolgten  burch  ©rgbifchof 
Petrus  1161,  1162  unb  1163,  lefctere  untergebnen  ©ualter, 
2)efan  ber  Kirche  oon  SprttS,  äBilhelm,  ©rgbiafon,  Slimo,  bet 
©antor,  Siainalb,  ©d)agmeiftet;  9ftatheu8  unb  Dbo,  ^hüiph, 
äBilhelm  unb  ©irarb  al8  Kanonifer.  Sie  ruhen  in  ber  Käthe* 
brale,  wo  ich  noch  in  ben  legten  Sagen  im  ^auptfchiff  hinter 
bem  Kreugbalfen  auf  ©erippe  ftiejs,  bie  mit  filberburchwirften 
©ewänbern  ba  lagen;  id)  lief!  fie  unangetaftet  unb  nahm  nur 
eine  ©orbüre  mit  ben  jchwatgangelaufeuen  SJietaDfäben  h«au8. 

©ei  ber  geitweiligen  Slbtretung  be8  SJiarienfirchleinö,  ba8 
wir  jpäter  in  ber  £anb  bet  SDeutfchen  finben,  wirb  mit  Vad}* 

(675) 


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32 


brucf  heroorgeljoben : Gß  gefdjieljt  bteö  „unter  Vorbehalt  ber 
SÖürbe  unjeter  5Jlutterfirdbe,  welche  bet  erfte  ©itj  Don 
SJ: p r u 8 war".  2)aß  ©bnftcnt^um  in  Stpruß  ftammt  auß  bet 
9lpoftelgeit  unb  non  ber  Snwefenljeit  beß  heil.  ^auluß,  unb  feit 
bem  3ahte  196  bejaf}  bie  ©eeftabt  eigene  93ifd)6fe.  SDet  ÜJletro» 
politanbom  woQte  al8  bet  uriprungliche  bifdjcflidie  ©tuljl  auf 
gewifje  ß^rentecbte  nicpt  Dergid)ten. 

SDet  non  Vcnebig  gum  fprifchen  93aüo  befteUte  ©iorgio 
SJlarfigli  begegnet  1243  bie  ergbifdjßflidje  Äitcbe  gum  ^eili* 
gen  Äreuge  (sanctae  crucis  archiepiscopatus  Tyri),  wie  biefelbe 
anberwärtß  gum  tjeil.  ©rabe  genannt  ift.  3n  ihr  lief)  Äönig 
Slmalticb  am  29.  Üluguft  1167  fid)  mit  bet  gtiedjifdjen  f)rin» 
geffin  SSaria  trauen,  worauf  ber  nachmalige  ©efdjichtfchreiber 
ber  Äreugjüge,  SBilljelm,  bie  SBürbe  eines  Grgbiafonß  erhielt. 
Gbenba  empfing  Slmalrich  11.  1198  in  ©egenwart  beS  dürften 
Vchemunb  dou  iHntiocpia  bie  jfrone,  unb  3fabeHa,  Softer  ber 
Gomnenin  50laria  gut  Gemahlin  (De  Mas  Latrie  II,  146). 

9Rad;bem  bie  ©tabt  am  27.  3uni  1124  in  bie  £anb  ber 
gtanfen  gefallen,  nimmt  be  Vogu£  gleich  baß  nächfte  3ahr  für 
ben  Umbau  bet  Äatbebrale  in  Slnfptuch-  Üpruß  würbe  ber  ©i£ 
einet  fränüfdjen  ©raffc^aft  unb  hatte  a!6  firchliche  SRetro* 
pole  ?)^onigien8  bteigeljn  ®uffraganbifd)öfe  unter  fi$. 
grüner  hatte  fie  alß  Gencilfaal  bet  31  ri  au  et  ben  jtitdjen» 
gefdjichtfchteiber  Gufebiuß,  ben  gut  Verantwortung  oorgelabenen 
iÄthanafiuß  in  ihren  Säumen  gejehen,  jefct  amtirte  tjiet  Sil^elm, 
ber  $iftorifer  ber  Äteuggüge.  Von  einem  neuen  Aufbau  ift  ur» 
Junblidj  nirgenb  bie  Sebe;  bieß  führt  felbfloerftänblidj  barauf, 
bafj  bie  Ghtiften  bie  Vafilifa  beß  ^aulinuß  wieber  begogen.  3Ber 
in  aller  SBelt  baut  benn  einen  SJlüufter  mit  fehleren  Gewölben 
»on  oorn  herein  auf  ©äulen? 

Vermuten  liefje  fidj,  bafc  in  ben  jt'riegßfäljrlid)feiten  baß  ljeil. 
Jiteug  Don  3erufalem  einmal  gerbet  gebraut  warb,  geft  fteht, 
bajj  Grgbijcfjof  ^eter  Don  Übruß  biefeß  3)aUjbium  in  ber 
glorreichen  ©c^lac^t  bei  ber  Sömerbrücfe  am  Sußfluf)  beß  3or* 

(«76) 


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33 


ban  au8  bem  ®ee  ©ennefaret  ben  15.  3uli  1158  als  ©iegeS» 
panier  Borantrug.  Äönig  ©albuin  III.  überwanb  f)iet  bie  .peer* 
fcbaaren  SRurcbbinö,  unb  Born  bamaligen  Sagerplajä  rührt  noch 
beute  bet  fftame  ©efafin  el  granbfdji,  bie  SJiagagine  ber  ^tan* 
fen,  fyer.  ©er  fränfifcbe  üRetrepolit  fPetruS  führte  ben  .pirten* 
ftab  Ben  1154  bis  1163  unb  war  gugleicb  ÄanonifuS  bet  ^ei(. 
©rabfirche  gu  Serufalem. 

©a8  Äteu3  ift  feit  unterer  SluSgrabung  am  '^oftament  bet 
f üblichen  ©borfaule  eingebauen  gu  feljen.  gälten  wir  ben  ffteu* 
bau  mit  gegebenen  ÜRauern  unb  fernerer  SBölbung  fomit  nach 
SDRitte  be§  XII.  3abrbunbert8  ju  feßen,  fo  ftanb  biefe  2Irc^i- 
teftur  wenig  übet  Biergig  3a^re.  ©djon  am  29.  3uni  1170 
rüttelte  ein  ©rbbeben  einige  $eftung8tbürme  jufammen,  bod)  am 
20.  ÜJtai  1202  warf  ein  noch  furchtbarerer,  Bon  ©©2B.  au8* 
gebenber  ©toß  bie  neue  Äreug*  unb  ©tabfitdje  übet  ben  Raufen, 
fo  baß  bie  ©aulen  bei  ©errüefung  bet  ©afen  alle  nach  füblidjiet 
(Richtung  fielen.  ©a8  nieberftürgenbe  ©ewölbe  mit  bem  freuj* 
tragenben  8amme  al3  ©<^lu§ftein,  beefte  bie  ©täber  be8  ßtigeneS 
wie  ©arbaroffa’8  ein,  febon  im  jwölften  3al}te  nach  beffen  ©ei* 
feßung,  nur  bet  ©bezogen  hielt  fi<b*  warb  aber  butd)  bie  für 
StibertaS  unb  ©afeb  fo  Betberblidje  ©rberfdbütterung  1837  nach* 
trSglidb  bet^fl®wotfen.  ©en  gefammten,  ftellenweife  bis  13  £uß 
hoch  liegenben  ©dbutt  lief}  idf)  burd)  meine  @cbaar  Bon  Slrbei» 
tem,  beten  3&bl  guleßt  über  150  flieg,  binnen  Biet  2Bo<ben  au8 
bem  Äirdbenraume  feßaffen. 

2lber  wo  bleibt  bie  weltberühmte  ©afilifa  be8  ^)au» 
linuS  wäljrenb  bet  mubammebanifeben  err f dt?a ft, 

welche  Bon  bet  erften  ©tabteroberung  bureb  bie  trabet  538  bis 
1124,  Bolle  486  %a\)ie  bauerte?  ©ufebiuS,  ber  Äirdbenbiftorifer, 
bet  nach  bem  Bietjäbrigen  ©au  313—316  bie  ©inweibeprebigt 
hielt,  wibmet  ibt  einen  $anegprifu8  unb  nennt  fie  bie  erfte, 
größte  unb  bcrrlidbfte  in  gang  ^Ijönijtett.  ©ie  9Jlu8lime  wan> 
beiten  fie  felbflBerftänblid)  in  eine  großartige  3Rof<bee  um.  SBel* 
d)e8  ©djicffal  fie  erfahren,  barüber  werben  hoffentlich  arabifdje 

XIV.  330.  3 (617) 


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34 


Duellen  noch  9luff<blufj  gebe«.  (Sinnig  ben  Flamen  ^aben  wir 
erfunbet,  bet  juerft  burd)  unfere  ©jrpebition  jur  Äenntnif)  ©uropa’8 
!am,  uub  biefer  bietet  mir  ben  Scblüffel,  »orerft  felber  auf  bie 
grage  $u  antworten. 

SJtanarab  Reifet  im  ÜJiunbe  non  Dtal)  unb  gern  ber  Drt, 
wo  wir  ba8  Sterrain  um  23arbaroffa’8  ©rab  auSljoben.  Stuf  bie 
©inbeimifeben  ^or^enb,  erflärte  jelbft  ber  beutfehe  ©eneralconful 
baB  SBort  mit  Drt  be8  Siebtes,  pbönig.  Ma  unb  ner,  Feuchte. 
SBaS  liegt  näher,  als  ben  Dtamen  nod?  com  einftigen  ,£>erafle8» 
ternpel  ijerjuleiten,  weidbet  an  ber  ©teile  gefianben?  3d}  erlaube 
mit  babei  ben  Söorbebalt,  bafj  93Relfart  rnd^t  Stabtgott9,  fonbern 
eher  ©rbgott,  SanbeSgott  bezeichne.  3)er  ©otteSname  febrt  in 
.fjamilfar  unb  Sanft  SJtedjlar,  SDtelcbior,  wieber,  wo  »on  Stabt 
unb  8anb  nicht  bie  Diebe.  Äönig  be8  8idjte8  biefe  ber  ©ott 
»on  Sur. 

Unb  bodb  ift  DJtanärab  fein  jufammengefefcteS  Sßort,  fon» 
bern  eine  SBerbalfotm  »on  nur,  leuchten,  wie  ber  fiebenarmige 
Seudjter  im  Stempel  SDRenoral)  Reifet.  SDagu  ftimmt  im  Status 
constr.  DJiinaret  bet  Stburm,  wo  Sonnnenauf»  unb  Untergang 
auSgerufen,  audb  ber  ©intritt  be8  DieulidjteS  beobachtet  warb. 

Unter  bem  Kalifen  al  SBalib  würben  am  SDfdjamiffi  el 
Äebit,  ber  großen  äftofebee  ju  SDamaSfuS,  bie  erften  Söiinarete 
»on  Steinlagen  in  luftige  $öbe  aufgebaut,  bie  Siorbilber  bet 
äUeften  unb  ^ödjftcn  Jtircbenttiürme.  91  ber  feine  Spur  ftubet 
fidb  »on  einem  feieren , etwa  bem  SDtarfuStburm  in  Sßenebig 
ähnlichen  öauwerf,  bafj  bie  9)?anarab  ba»on  ben  Diamen  führen 
füllte.  Äeine  SJlofcbee  ohne  ©ebetStburm  unb  wäre  er  »on^)o4, 
»on  wo  ber  SDiuebbin  feinen  SRuf  ju  ben  fünf  StageSjeiten  er» 
fdjaQen  läfjt.  Stber  wahrfcheiulid)  war  an  bie  alte  SBaftlifa  be8 
9>aulinu8,  bie  nur  wenig  übet  300  3abre  bem 
»erblieb,  ein,  nur  für  einen  Stpliten  berechnetes  Stbürmcben  an» 
gebaut,  wie  ich  «och  1845  über  ©inet  Säule  be8  3upitertempel8 
in  9ltben  traf,  ba8  in  feiner  SMenbung  als  Sängenfu&maf)  bie 

StageSjahl  be8  3ahteö  enthielt;  ebeufo  auf  Dlfroforinth- 
(«8) 


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35 


Stuffallenb  erfährt  Sütanäral)  aud?  bei  ben  h^tnifchen  Autoren 
bie  lanbläuftge  ©rflärung  „Bichtort*  ober  wo  man  Sicht  an* 
günbet,  unb  im  weiteren  Sinne  „©ebetrufSpIatj",  gleich  niedine. 
©er  9lame  5)tinäret  mürbe  guerft  bem  (Phar°8  iu  älejranbria 
beigelegt,  bet  als  Seud)tthurm  bei  affen  arabischen  ÄoSmo* 
graphen  «'wen  eignen  2lbfd}nitt  hat-  3alfut  enthält  leibet  non 
ber  SJianärah  gar  nichts.  (Sine  neue  ©ntbeefung  ift  eS  immer* 
hin,  baf)  SoftrateS  non  (SniboS  mit  (einem  in  gothifdjer  Borm 
auS  mächtigem  Siered  au(fteigenben,  im  9lchtecf  fich  nerjüngenben 
unb  mit  einem  {Runbthurm  in  ber  £ohe  non  354  f$u&  ab* 
fchliefcenben  ^>^anat , beffen  £idjt  auf  hnnbert  Seemeilen  weit 
leuchtete,  273  b.  (Sh-  unter  ^h^a^eh^D®  ben  elften  8nfto§  gum 
Sau  Bon  ÜJiinäreten  unb  djriftltdjen  ©hörnten  gab. 

2BaS  fragen  mir  erft  nach  bem  SJtinfiret!  ©ie  9Jlu8lime 
gercannen  bie  Äathebrale  beS  (PaulinuS  im  3ahte  ber  Stabt’ 
einnahme,  fie  tauften  baS  (Prachtgebäube  auf  äguptifdjen  Säulen 
in  SDianärah  um,  unb  erhielten  biefelbe  in  ©tanb  bis  fie  1124 
©pruS  an  Salbuin  Berieten,  a!(o  faft  fünf  3ahrhunberte.  9fta* 
näral)  lautet  ber  ©itel  beS  WetropolitanbomeS  nach  feiner  erften 
Ummanblung  in  eine  munberhertliche  SJlofchee,  bie  8 euchtenbe 
mie  bie  Bon  Sultan  ©ori  el  ©aib  981  gegrünbete  el  Sgralj 
in  $airo  bie  ©längenbe,  el  Sachra  in  Serufalem  bie  Bern 
Seifen,  unb  el  2lf(a  bie  IHeuperfte.  ffichlan!  einer  ber  Bielen 
nomina  instrumenti  et  loci,  mie  fie  bie  Slraber  gebrauchen. 

©ie  SRifche  im  (Sljot  h*uter  bem  Hochaltar  fam  mir  immer 
fo  flein  für  bie  ergbifchöflidje  Äathebra  nor.  (Sine  foldje 
Äathebralntfche  befteht  mohl  in  ber  ^agia  Sophia  gu  Spgang, 
fie  reichen  aber  in  bet  üHrchiteftur  nicht  bis  gut  ßeit  ber  .fi'reug* 
güge.  3e^t  wirb  mir  flar,  ba|  eS  bie  Äibla  gut  ©ebetSrichtung 
ift,  welche  bie  fDiuhammebaner  nach  ber  Stabteinnahme  1291  in 
ber  mittlern  2lpft8  anbrachten,  genau  in  ber  $orm  eines  oblongen 
Äegelburchf^utttS,  wie  fie  auch  in  ber  altdjriftlichen  gelfenhtppel 
nachgehauen  ift.  ©ie  SRauten  am  Seben  unb  um  ben  Sogen 
ber  jtibla  in  ©tmiS  ftnb  alfo  muSltmifd?.  3»eimal  biente  bie 

3*  (679) 


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36 


tprifd>e  Jbathebrale  gut  fBiofdjee.  Siebet  int  SBefi^e  bet  ©ee* 
feftung  eigneten  bie  Slcgppter  fidf>  bie  mittlerweile  mit  einem 
breifadjen  Effor  cerfeheue  #auptfirche  abermals  an  unb  fonuten 
nicht  uml)in,  bie  9tijdje  bireft  nad)  SDften  im  fDtittelchor  ju  et» 
öffnen,  bei  einem  SReubau  Ratten  fie  biefelbe  [üblicher  angebracht. 
2)ie  beiben  Sreppenthürme  rechts  unb  linfS  »om  C5ljcre  mußten 
bie  ©teile  ber  fölinärete  oertreten.  SBRir  fällt  babei  bie  Semer» 
fung  beS  älteften  SOlanneS  non  SpruS,  Ijabfdji  Äetaim,  ein , ber 
nach  @ut  fam,  als  erft  breije^n  Raufer  ftanben:  er  fagte,  wenn 
man  bie  SEhurmtreppen  (retjjtg  ntie  ijnfg  ccm  .ftirdjenchor)  bis 
gur  ^»öl)e  hinangeftiegen,  habe  ftch  gar  SluSblicf  bis  Epp  er  n 
eröffnet.  2)ie  Umftehcnben  famen  feinem  Eebäcptntff  gu  ^>ülfe 
unb  [teilten  1874  burch  bie  Erinnerung  an  fo  unb  fo  Diele  ^afdfa 
fein  Sitter  auf  112  Saffre  feft.  SDte  SDletuali,  welche  heute  bie 
halbe  Einwohnerfchaft  bilbeten,  bauten  aber  unter  ©cheidj 
ganger  fidf  guerft  1766  an. 

3bn  Eubair  fchreibt:  „2)et  .£>afen  Don  ©ur  ift  in  jeber 
£inficht  bem  non  Slffa  oorgugiehen.  Säffrenb  unfereS  SlufenthaltS 
in@ur  (1185)befuchten  wir  eine  ben  URuSlimen  Derbliebene 
ÜRofdjee  unb  einer  bet  ©djeiche  ©ur’S  ttjeilte  unS  mit,  bie 
©tabt  fei  im  3ahre  518  (27.  3uni  1124)  genommen  worben, 
Slffa  aber  gwangig  3ahre  früher  burch  junger  gefallen,  fo 
baff  bie  Einwohner  mit  ihren  gamilien  unb  Äinbern  in  ber 
J^auptmofchee  fleh  oerjammelten , um  fich  gegenfeitig  gu 
morben,  waS  3 Hat)  abwenbete  (Eoetgen’S  Seitr.  278,  280)." 
3bn  Eubair  betont:  „Sei  ©ur  am  ganbthore  befinbet  ftch 
eine  gute  fiieffenbe  SHuetle,  bie  fi<h  über  ©tufen  hiuab  ergiefft, 
Srunnen  unb  laufenbeS  Saffer  giebt  eS  bort  in  SJJlenge,  febeS 
£au8  ift  bamit  nerforgt." 

ES  iff  fchwer  gu  fagen,  wann  bie  Äibla  in  ber  HJtanürah 
nad)  ber  ©tabtgerftörung  eröffnet  würbe?  lieber  breihunbert 
Saffre  bis  auf  ben  brufifchen  Etoffemir  gaeffrebbin  erfahren  wir 
nur  Don  geborftenen  Sogen  unb  9Jiauertrümmern.  Erft  ber 
Sieberaufbau  ber  Raufer  führte  gum  Sau  ber  heutigen  weft* 

C6M) 


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37 


liehen  Äuhpelmofchee  mit  bem  Slfyum  beS  ©ebetruferB.  23er 
9tame  ÜJtanärah  ift  aljo  auB  [langer  Sergejfenheit  gerettet  unb 
in  bie  2Berfe  über  9tr<hiteftur  einjutragen.  SBahrfcheinlich  fyatte 
bie  alte  Söafiüfa  wäfjrenb  ber  ©aracenenherrfdhaft  ihr  Gebern* 
bad)  eingebüfct,  »ie  unb  wogu  follte  man  eB  erfef)en‘?  ©tehen 
bie  primiticen  SDioft^een  gu  SERebina  unb  SDleffa  mie  el  Slmru  in 
Stltfairo  nicht  auch  bachloB?  ^Dagegen  »erfudf)ten  eB  bie  Ghriften 
nach  bem  SBiebergewinn  ber  Äathebrale  mit  einem  fdhwer* 
fülligen  ©ewölbe,  baB  im  |>au|>tfd)iffe  unb  ben  ©eitenhallen, 
fowie  im  jheujbalfen  fdhon  gwßlf  3aljre  nach  Satbaroffa’B  Sei* 
fefjung  tjerabftürjte.  2)ie ' brei  ^ortalfäulen  »on  agpptifdtjem 
IRofengranit  fcheinen  wegen  ihrer  Schwere  ungerüeft  am  lieber* 
gang  gum  Guerfchiffe  fortgeftanben  gu  fyaben,  bis  ber  Grbftofj 
audj  fie  ju  Soben  ftürgte,  wobei  eben  bie  beiben  herdförmigen 
2)oppelfaulen  beB  £auptthorc6  ftumpf  würben,  eine  britte  ihren 
fRücfgrat  brad).  2)urch  Serfdjleppung  ^aben  fie  jum  St^eil 
ihren  ©tanbort  geänbert. 11 ) 

Söer  flimmerte  ficf>  nad)  .ftonrab’S  »on  ÜRontferrat  £ob 
um  bie  ©ebeine  beB  ©ibelinenfaiferS ? SRiemanb,  feilten  wir 
meinen,  wenn  nicht  bie  anwejenben  23eutfdhherren.  3enet 
JITPIX02,  beffen  SDenfftein  bet  frangöfifdje  Gonful  23urighetlo 
im  Gtyan  non  ©ibon  uns  abtrat,  ift  wohl  berfelbe  SLtjeoborid^ 

»on  ©arepta,  welcher  1195  bem  beutfehen  Drben  ju  5£pru8,  wo 
fie  baB  SRarienfirchlein  befaßen,  fein  ^>auB  $um  Sefitjd  ein* 
räumte,  fftiebrich  II.  läfct  ben  Drben  »on  jeinem  ©rofjoater 
herrühren,  alfo  »on  ben  Ihranfenwärtern  währenb  beS  ÄreujjugeB 
unter  Rührung  beB  alten  Sarbaroffa.  3ebeufaü8  wollte  er  ben 
Sohannitern  unb  Scmpletn  eine  beutjehe  fRitterfdjaft  an  bie 
©eite  fefjen.  «Hm  wenigften  gleichgütig  burfte  ber  »on  allen 
■»Rationen  gefeiertfte  fSRonatdj  unter  ber  h»henftaufif<hen  Familie 
ben  Äaifern  Heinrich  VI.  uub  iPhWph  fein,  welchen  alB  ©öhnen 
unb  fRachfolgeru  Sarbaroffa’B  bie  Ghre  feineB  $aufe6  oblag: 
unb  man  wahrte  fie! 

Äennte  noch  ein  Sebenfen  über  §riebti<h’B  I.  ©rab  in 

(681) 

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38 


©pruS  obwalten,  fo  übethebi  un8  Stnabebbin,  ©alabin'S 
Äangler  unb  SluSferttgrr  militärischer  ©epefdjen,  bem  ade  amt» 
lid)en  Slftenftiicfe  gu  ©ebote  ftanben,  jeben  ßmeifelS.  ©chilbert 
er  bodj  aud)  ben  grauenhaften  9Cnblitf  beS  ©chladjtfelbeS  oon 
£ittin. 

©en  ©ert  bietet  2lbu  ©d)ama,  ber  „©olmetfd)  ber  ©ra» 
bition“ , helfen  Urahn  ‘Äbubefr  als  3mam  am  gelfenbom  in 
ÄubS  beim  (Einbringen  ber  fronten  erfragen  warb.  (Sr  fpielt 
©.  203  guoörberft  auf  bie  geinb}d?aft  beS  üRarfiS,  beö  ©uf 
(geopolb  non  ©eftemich)  unb  beö  ÄaiferS  (Heinrich  "VI.)  gegen 
Äcnig  SRidjarb  non  (Snglanb  an,  unb  fährt  ©.  233  fort,  wie 
bie  Sfegppter  unter  ©alabinS  ©ohn  SDialif  al  Slbil  im  dJlonat  ©a* 
wal  593  (17.  3ug. — 15.  ©ept.  1197)  3affa  in  ©türm  nahmen, 
2Ule§,  wa8  geben  hatte,  auSmorbeten  unb  bie  ©tabt  plünberten 
unb  gerftörten,  ja  bie  ©aufteine  in’S  5Reer  warfen.  3n  ber 
ßitabefle  halten  fi<h  öiergig  fränfifche  SRitter,  welche,  um  ber 
©efangenfdjaft  gu  entgehen,  fid>  in  bie  Ärrd^e  guriufgogen  unb 
gegenfeitig  mit  bem  ©djwerte  töbteten.  ©aS  (Srftaunen  ber 
SDtuSlime,  welche  bie  ©hür  erbrachen,  war  grefe.  ©ie  ©otfchaft 
non  biefem  Unglücf  erging  Schriftlich  an  ben  beutfdjen  Äenig 
welcher  gugleidj  £ert  oon  ©igilien  (©ifillija)  war,  mit  ber 
bringenben  ©itte  gu  fomnten  unb  bem  weiter  motioirten 
2(petl  an  feine  Pietät:  „©ie  ©ebeine  feiueS  ©aterS 
ruhten  bis  gut  ©tunbe  in  ©ur  in  einem  ©arge  in 
fdjön  oergierter  ©eibenhüüe,  unb  fähen  bet  ©efreiung 
auS  bet  ©efaugenfdjaft  entgegen.  '2ber  er  fönne  nur  in  ©eit 
ul  mulfabaS  (^>auS  beS  <£>eiligthumS , b.  h-  Serufalem)  beftattet 
werben,  wenn  eS  in  unferer  £anb  fei."  (©oergenS  Slrab. 
Duell.  ©.  188.  219.  ff),  ©ie  fRacbricht  wirb  ©arbatoffa’S  ©ohn, 
Heinrich  VI.  fdjwerlich  mehr  erreicht  haben ; benn  wäljrenb  er 
Selber  bem  fogenannteu  beutfchen  Äreugguge  nachfolgen  wollte, 
raffte  am  28.  ©ept.  in  SUleffina  ber  ©ob  iljn  hinweg,  ©ie 

granfen  belagerten  ©ibnin  oom  28.  SRoo.  1197  bis  3.  gebruar 
(68*) 


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39 


1198,  gwei  SRonate  unb  Reben  Sage,  btö  Re  auf  bCe  9ladjric^t 
Bom  2obe  bcö  beutfdjen  ÄönigS  abgogen. 

Unter  Rührung  be8  ifReichSfanglerS  Sifcbof  Äontab  oon 
SBürgburg  eröffneten  nämlich  1197  bieDeutfdjen  einen  neuen 
Äreuggug,  unb  fdjlugen  ©alabin’8  Srubet  dRalel  al  9lbel  im 
helbenmüthigen  «Streit  Bor  StpruS  empRnblid}  auf’8  #aupt. 

(Ramentlich  (egte  ber  ©raf  ©chaumburg  ben  ©mir  Slffama  oon 
Söairut  in  ben  ©taub  an  berfelben  Srüdfe  übet  ben  Äaftmije, 
wo  wahrenb  ber  oiermonatlidjen,  fruchtlofen  Selagetung  oon 
$pru8  buTdj  Äonig  Salbuin  I.  an  ber  ©pifce  oon  Behntaufen* 
ben  eine  oorgefchobene  Gruppe  oon  fecpgig  (Rittern  unb 
Rebenhunbert  ^uRfnechten  um  URitte  ÜRarg  1112  im  ÄafteH 
(5Belp  Äa8mi)  beim  furdjtbarften  Äatnpf  gegen  ba8  ©rfatjheer 
Üoghtefin'8  oon  DamaSfuS  faft  fammtlich  oerbluteten.  Die 
(RacJjridjt  oon  Äaifer  Jpeintich’8  Job  machte  bie  beutfehe  Äreuj» 
fahrt  rücfgängig,  ohne  bafj  wir  babei  oon  einet  SBadfa^rt  gn 
Satbaroffa'8  ©rab  (joten. 

-§iet  ift  oiel  beutfdjeS  23lut  gesoffen,  unb  ber  über  bem 
©ingang  gum  einftigen  ©rabmal  be8  ÄabmuS  in  ©tein  ge» 
meifjelte  ÄelcR  bat  für  un8  gleite  Sebeutung,  wie  für  bie  5Ru8« 
lime.  35er  SRamlufenfultan  Sarfuf  wühlte  nämlich  Käs  el 
fatuwwa,  ben  „Äel<h  be8  JRitterthumS"  gum  erblichen  ^>au8» 

Wappen,  wotau8  ein  $runf  bie  ©teile  be8  (Ritterfchlag'8  Bettrat, 
fein  ©ofyn  SSRelif  al  ORanfut  brachte  ihn  1405  aud)  am  Sab 
eit  (Raufara  ober  DfcReirun  an  bet  ßmajaben»2Rof<hee  in 
DamaSfuS  an.  Den  ©hriften  mag  er  al8  ÄelcR  be8  9Rärtprthum8 
gelten  ob  aQ  be8  SluteS,  ba8  fie  in  ben  Äreuggügen,  in8befonbere 
bie  DeutfcRen  auf  bem  britten  Äreugguge  uub  gerabe  Riet  Mm 
Sorwerf  oon  Spru8,  nergofjen. 

Der  glufj  Äafimije  unb  ber  biblifdje  Äabumim  finb  notR* 
wcnbig  ein  unb  betfelbe,  unb  bafj  ber  heilige  ÄaSmt  gerabe  in 
InruS  fein  SBelp  Rat,  ift  für  ÄabmuS  entfdjeibenb.  Son  ©anft 
ÜRafcpuf  baneben  läfjt  ficR  nicht  beftimmt  fagen,  ob  er  eine  $)et» 
fon  ift,  wie  in  ©t.  SRedjlar  ber  alte  ÜRelfart  fortlebt.  ?luch  bie 

(6*3; 

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40 


in  atter  SSelt  oerbreitete  Sarbata,  auf  beren  geft  bie  Jt>rier 
ein  Slbonißgärtchen  ^errichteten , fyat  auf  mpthologifcbeß  9tlter 
Slnfpruch  unb  nertritt  hier  Ulftarte.  33ebeutfam  entbedfte  ©hnon 
ber  SOiagier  in  einem  greubenljaufe  feine  Helena  alß  oerirrte 
SBeltfeele,  um  fie  loßgefauft  unb  heOfehenb  gum  {Reiche  beß 
Sidjteß  gurücfguführen.  5Bon  ^ier  auß  Ijat  ber  {Rame  £aßmi 
fich  übrigens  im  3ßlam  »ererbt,  wie  jene  ber  {Patriarchen,  unb 
3bn  al  Sltir  führt  allein  über  achtzig  ÜRdnnet  biftorifd}  auf,  bie 
ihn  trugen.  2Bahrf<heinli<h  rührt  bie  le^te  {Reftauration  »on 
©ultan  33arfuf  lier,  unb  ift  nicht  an  ben  ebenfo  angebrachten 
fonftigen  Äeldh  bei  griechifcfjen  Äirdhen  gu  benfen. 

3n  ber  tprifchen  Ä'athebrale  weihte  SMjdjof  Äonrab  »on 
£alberftabt,  ber  mit  gu  ben  SBählern  Äaifet  {Salbuin’ß  »on 
ßonftantinopel  gdl)lt  uub  am  7.  Oftober  1204  ba  lanbete,  tn 
Slbmefenbeit  beß  ©rgbifdjofß  ben  neuen  33ifdhof  con  ©ibon,  uub 
befümmerte  fich  »m  ben  Söieberaufbau  ber  fJRauern,  welche  beim 
©tbbeben  ccllftänbig  eingeftürgt  waren  (SMbranb  170).  Sllß 
SBobltbater  bet  ©tabt  geptiefen,  ging  er  am  29.  fJRdrg  1205  in 
Slffa  gu  ©dhiff  nach  33enebig. 

Ob  biefer  Äonrab  auch  etwaß  für  bie  eingeftürgte  ^jaupt* 
finhe  gethan,  ift  nicht  augegeben.  2luSführliche  ßrwdhnung 
finbet,  welche  {Reliquien  er  nad)  Jpaufe  gebraut  unb  wie  er 
biefelben  nach  ber  eben  erfolgten  ©rünbung  beß  lateinifdhen 
Äaijertbumß  auß  ßonftantinopel  1205  unbegabt  mitnal)m. 
Sibcr  für  {Reliquien  wie  Söarbaroffa’ß  geib  h&Uo  bie  Seit  we* 
niger  ©inn,  wdhrenb  auch  ben  3lbt  SDtartin  »on  $)äriß  unb 
Heinrich  »on  Ulmen  ber  bamalß  fdhwerwieqente  SSorwntf  beß 
2>iebftal)lß  heiliger  ©ebeine  trifft.  (9iöl)rid)t  II.  14.  219  f.  229). 

ßß  erregt  gerechten  Unmutl),  wie  bie  leichtgläubigen  Äreug« 
fahret  gange  «Kapitalien  auf  ben  Stnfauf  falfcher  Äuochen  »on 
ben  ülltären  in  ßonftantinopel  oerwanbten,  um  bamit  bie  Äirchen 
beß  Slbenblanbeß  gu  eutweihen,  wie  bie  jüngft  enbltch  gefchloffe* 
nen  römifchen  Äatafomben  biefelben  »erbdchtigen  Jobtengebeine 
lieferten.  {Ridjarb  SJowenherg  galjlte  im  gelobten  Sanbe  oiet 

(«84) 


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41 


©efäffe  boD  ^Reliquien  mit  32000  Spaantinern  furj  Bor  feinet 
Slbreife  1192.  Söerth  haben  bagegen  bie  metallenen  ©erätfee 
ju  ©ultuSjmecfen,  welche  hauptfächlich  bie  fDomfchäfee  in  fDiaing, 

Äöln,  Syrier,  8imburg,  Samberg  bilbeu  unb  au8  ber  ©ieben* 
hügelftabt  am  SoSporuS  flammen,  Born  golbenen  Spjan^.  SBie 
gerne  gäben  mir  aU  biefe  jfnocheu  pfeubonpmer  Jpeiliger  für 
Sarbaroffa’8  £aupt! 

2öir  empfinben  hier  eine  ^iftorif^e  8ücfe,  bie  ber  Ä'reujjug 
be8  6nfel8,  gtiebrich’8  II.,  ber  fiep  lange  genug  befann,  nidjt 
ausfüllt.  SDiefer  gweite  Sarbaroffa  lanbete  in  Sairut,  ©ibon, 

©arepta  unb  Jpru8,  unb  erfdfien  am  7.  ©ept.  1128  in  SJffa. 

3jabella,  bie  Grbtochter  beS  JitularfönigS  non  Serufalem, 

3ohaun  »an  Srienne  unb  ber  Solantpa,  nahm  in  ber  peil-  ©rab» 
fitcpe  ju  Ölffa  ben  überfanbten  SerlobungSring  be8  äfaiferS  in 
©mpfang  unb  liefe  fidj  auf  ben  Sefepl  ipreß  Sater8  burd)  ben 
Patriarchen  non  Serufalem  in  ber  Äatfeebrale  oou  Jpruß 
gut  Königin  b e § CR  ei  dj  eö  frönen.  1225.  2lbel  unb  ÄleruS 
pulbigten  ifer  unb  oeranftalteten  15  Jage  lang  grcfee  Mtli<b* 
feiten,  bei  benen  Journiere,  ©elage  unb  ^eerfcpau  abtoedjfelten. 

Segleitet  Bon  Salian  III.  oon  ©ibon,  ©rjbifcpof  ©imon  oon 
Jpruß  unb  oielen  SBürbeträgern  Bevliefe  fie  ©prien  unb  lanbete 
im  Dftober  gu  Srinbifi,  mo  am  9.  ÜRoüember  bie  feierliche  Ser» 
rnäfetung  erfolgte. 

5)iejfreuj*  unb  ©rabfircpegu  Jpruß blieb  feit  1167 Ärönungß* 
fatfeebrale:  noch  «pugo  uon  ©ppern  empfing  am  24.  ©ept. 

1269  hier  bie  ©albung.  2)et  ©ibeline  au8  bem  Slbenblanbe 
Berfuchte  e8  mit  frieblidjer  ©roberung.  ©alabin’ß  ©nfel  al  Äamil 
hatte  ben  ©mir  gadjrebbin  1226  au  ihn  gefanbt  unb  ihm  bie 
{Rücfgabe  aller  nach  ber  ©flacht  Bon  £ittin  gemachten  ©robe* 
rungen  gugefagt.  8ag  er  bod)  felbft  mit  bem  älteren  Stüber 
al  ÜRuagam,  ©ultan  Bon  IDamaSfuß,  in  $epbe  unb  brang  beß* 
halb  in  ben  Äaifer  »egen  Sefdileunigung  ber  Ueberfahrt. 

3n  gimafol  l>atte  bet  fDtarfdjaß  Bilangieti  nebft  ben  fvjrifdjen 
SRagnaten  ben  Äaifet  bei  feiner  ?anbung  auf  ©ppern  am 

(685) 

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42 


21.  3uli  1228  empfangen;  bie  3nfel  felbft  bilbete  feit  1196  ein 
Sehen  bed  SReicheS.  SRad)  bet  Sanbung  in  SITfa  fd)lug  bet  Äaifer 
bet  SDeutfdjen  auf  bem  £ügel  Bon  SRicorbane,  ijalbmegS  2(ffa 
unb  Äaipha,  wie  früher  SRichatb  Sowenig  Saget;  e8  ift  Stell 
jtarbanp  an  ben  Quellen  be8  33elu8,  bem  @ee  ©enbeoia  bei 
PliniuS,  bet  nun  Berfumpft  ift.  ^»iet  Berfagten  bie  ©ro&meifter 
bet  Templer  unb  3oh«nniter  im  Flamen  be8  Patriarchen  ©erolb 
bem  am  29.  ©epf.  1227  päpftlidj  ©ebaunten  ben  ©ehorfam. 
SDatauf  30g  et  31t  Sanb  nach  3«ffa- 

3Ba8  mit  liegen,  ©iegen  unb  Unterliegen,  mit  ©ttömen 
Bergoffenen  33lute8  in  ben  Äreu33Ügen  unter  bem  Aufgebot  be8 
chriftlichen  SlbenblanbeS  fdjwet  erteilt  war,  gelang  ber  faifer* 
litten  ©taatSfunft  ohne  SBeitereS.  gtieblich  erreichte  griebridj 
am  1.  gebtuat  1229  bie  Abtretung  Bon  Serufalem,  S3ett)lei)em, 
SRamla,  Spbba,  Stibnin,  SDRontfort,  ba8  halb  in  bet  ©tarfenburg 
eine  iDeutfchorbenSBefte  auf  ^eimifc^em  ©tunbe  3um  9Racpbilb 
erhielt,  bann  fRajaret  unb  3lffa  mit  3ehn  an  ber  ©trafje  liegen* 
ben  fünften  unb  bie  freie  pilgerftrafje  al8  föniglichen  33efi§ 
3ugeftanben.  311  ^amil  befielt  £ebron,  9Rablu8  unb  Liberias 
für  fich-  2lm  17.  5Jlär3,  ©onnabenb,  überreichte  ©chamSebbin, 
ber  Äabi  oon  SRabluS  bem  Äaifer  bie  ©djlüffel  ber  hl-  ©tabt, 
unb  biefet  betrat  Boll  greube  bie  ©rabfitdje  ©^rifti,  bie  SDeutfchen 
ftimmten  ©djladjtlieber  an  unb  beleuchteten  bie  Käufer,  ©onn» 
tag8  fetjte  bet  £ohenftaufe  fid)  in  bet  3luferftehung8firche,  fpä» 
teren  ÜJionarchen  3itm  SJorbilbe,  bie  Ärone  auf8  £aupt,  fie  oom 
Slltare  nehmenb  3ut  @hr«  be8  ewigen  ÄönigS,  wobei  bet  SDeutfd)* 
meifter  Hermann  Bon  ©al^a  bie  Urfunbe  oerlaS.  ©o  gefrönt 
30g  er  nach  bem  Palafte  Iw  befreunbeten  3ol)anniter.  Slbet 
noch  beffelben  S£age8  belegte  bet  ÜJietropolit  Bon  ©afarea  bie 
heiligen  ©tätten  mit  bem  3nterbift,  natürlich  im  Auftrag 
be8  Patriarchen  ©eorg,  unb  noch  Bor  3lbenb8  fprengte  bet 
^aifer,  bet  eben  ade  DtbenSljeere  feinen  befehlen  unter* 
thänig  etflüren  wollte,  Bon  SRiemanb  gegrüßt,  3um  3affathore 

hinaus. 

(686; 


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43 


©eoor  griebrtd)  am  1.  9Jtai  oon  2lffa  jur  $eimfeht  31t 
Schiffe  ging,  ^atte  et  bem  {Ritter  ©alian  oon  Sibon  bie  .put 
beS  SdjloffeS  (bet  Siebentbiirme)  3U  JpruS  übertragen.  3118 
Statthalter  SprienS,  weites  ein  SReid^Ste^en  bitben  füllte,  lief} 
et  feinen  ÜJiatf^att  SRt d^ar b gtlangiert  gurücf.  SHm  14.  ü)tai 
1874  hc^  i<h  bet  fDfanärah,  ID03U  bie  heutigen  Syrier 
noch  aufcer  ber  ÄaUjebrale  baS  SBeicbbilb  am  Drte  bet 
©rüber  regnen,  eine  glatte  mit  bet  Snfdjrift:  Marescalcus  auf. 

Riccardus  de  principatu  marescalcus  Filangerius  Dom  not* 
mannifdjen  ©efchlechte  ber  filii  angerii  fommt  bei  fRiecarbo  ba 
San  ©ermano  1225  oor.  (Sr  wirb  in  ben  ©enealogten  be8 
.paufeS  noch  1240  a(8  faiferlidjer  Statthalter  aufgefühtt,  fein 
©ruber  Sotario  aber  1243  in  JptuS  anmefenb  genannt.  3m 
felben  3ahte  fammelte  bet  oenetianifche  ©ailo  SJtarfilio  ©iorgio 
unter  einem  guelftfchen  Dogen  im  Flamen  bet  Königin  Sllijc  oon 
(Sppetn  bie  Sarone  beS  {Reid^eö  3um  .Kampf  mibet  bie  gibelinifdje 
Partei,  bie  Stabt  mürbe  mit  cpülfe  bet  ©euetianet  erobert  unb 
felbft  bie  ©urg  ergab  fidj  nad)  28 tägiger  ©egenmehr,  (über 
Philipp  »an  SRontfort  fefcte  fich  1243—1269  als  perr  oon 
JpruS  feft,  uettvieb  bie  bisher  oerbünbeten  ©enetianet  auS  ihrem 
Guartier  unb  begünftigte  bafür  bie  SDRarfeider  mit  Freiheiten. 

(Sbenfo  bie  ©enuefen,  melche  nach  breijahrigem  (Selonialftieg 
1258  im  Seegefecht  not  JpruS  gegen  ben  oenetianifchen  3lbmiral 
Sorengo  Jiepolo  ihr  Slbmiralfchiff  nebft  brei  ©aleeren  einbü|ten, 
fomie  ihren  Jhurm  in  ISffa,  unb  nach  einer  3meiten  ©ieberlage 
ba  ihre  ©ieberlaffung  aufgaben  unb  mit  ihrem  Gonful  nach 
JpruS  üfcermanberten.  Sur  blieb  nun  «pauptftapelplatj  bet 
©enuefen  auch  unter  bem  Sohne  3ohnnn  oon  üftontfort, 
bis  1277  ©enebig  fein  Stabtbrittheil  3urücferhielt  unb  SRontfort 
baö  Sanct  fütarfuSfirchlein  mit  Jhurm  fomie  bie  3er* 
ftörte  Kaufmanns  löge  auf  eigene  Äoften  mieber  in  Stanb  fe^te. 

©Sittlich  fließen  mir  noch  in  ben  lebten  Jagen  in  ber  linfen 
SlpftS  bet  Äathebrale,  mo  auch  noch  ein  9lltar  3um  ©orfdjein 
fam,  auf  bie  befterfjaltene  ©rabtafel  eines  ebenfalls  normannifdjen 

(687) 

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44 


©aoalierß  Dom  Safyre  1266,  Messire  Barthelme  Chayn,  bet 
aud)  bei  SRarfigli  alß  »enetianifttjer  gehenttäger  Barth,  de  Chaym 
auftritt.  ©in  23aiQi  Don  Gaen  unb  bie  eigene  ÜBaiOage  bafelbft 
!ommt  nod)  lange  genug  Dor.  SBie  bod)  bet  3ufaH  fpielt : biefe 
©eeftabt  im  fernen  SBeflen  ift  pi)3ni3ifdje  ©rünbung,  eine  alte 
Äabmußftabt,  wörtlid)  Jtabuma  ober  Äabmea,  unb  no<h  lange 
Jfal^im,  jtathum,  Äat^em  unb  Äal)em  geheimen.  @o  !am  bet 
fRilter  Don  ber  tprifdjen  Äolonialftabt  felbet  alö  Äolonift  nad* 
bem  alten  Soruß  3)ie  Äirdhhöfe  finb  oft  bie  SReliquienbe^altet 
ardfiteftenifdjer  Sempelfragniente,  unb  wie  oft  burdjwanbelte  id> 
bie  an  bie  ©übfeite  bet  Äatlfebrale  ftofjenben  ÜRetualigräber, 
weldje  nad)  einem  ©tjftem  Dom  ebelften  weiten  SRarmor  brei« 
ftufig  aufgebabrt  leibet  feine  3nfdjrift  mtdj  erfennen  liegen. 

5Rod)  giebt  eß  im  glbenblanbe  gamilien  ©alabin  unb  ©ata<?in, 
weldje  mit  bem  Flamen  bie  ©rinnerung  an  bie  S^eilna^me  ihrer 
©erfahren  an  ben  Äreu^jügen  beutfunben.  ©ielleicbt  weift  baß 
©efdfledft  üRatiara  eine  Beziehung  auf  Spruß  nadj;  baß 
eben,  am  27.  3uni  1879,  bem  Dberften  gujian  ÜRanaro  in 
33at$ano  bei  5Railanb  geftiftete  fRationalbenfmal  bringt  midj  auf 
ben  ©ebanfen. 

2tld  wir  juerft  am  ©i$e  bet  einftigen  Königin  beß  fBleeteß 
eintrafen,  befrug  ich  bie  Slelteften  ber  ©tabt  um  ihr  ©orroiffeu. 
©ie  waren  einig:  bie  Äatljebrale  fei  über  bem  geidtnam 
eineß  ©ifd)  ofß  unb  eineß  Äönigß  erbaut.  9llfo  wiebet 
Driunoß  unb  gerbrif,  Drigeneß  unb  gtiebtidj  nebeneiuanber, 
nur  faxten  fie  bie  ©rabftätten  alß  Slnlajj  jum  Äirdhen* 
bau  auf!  Unb  nun  h<f&  eß,  bie  ©teinijütten  einet  ganjen  Drt» 
fd)aft  innerhalb  ber  SRanaral)  ginauöfdjaffett,  um  auf  ben  ©runb 
ju  fommen.  SBäbrenb  bie  mit  ber  $)acififation  beß  gibanon 
betrauten  granjofen  1861  neun  ÜRonate  in  ©ut  lagen,  h°tte 
©rnft  fRenan  fidj  jwei  fölonatc  unb  gwangig  Sage  in  Sptuß 
Derweilt,  auch  ba  unb  bort  in  ben  ©runb  gegraben,  ba  bie 
faiferlidje  ^Regierung  ihm  Rimbert  gegionäre  aur  ©erfügung 
ftellte,  aber  in  bet  $atl)ebrale  wenigftenß  ni^tß  gefunben,  et  war 
(688) 


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45 


baför  anberwfirtß  um  fo  ftnbiger.  SBeiter  braute  id)  tjerauß, 
bafj  in  bet  ^älfte  3eit  feit  meinet  elften  2tnroefenl)eit  (1845) 
bet  SBali  con  Damaßfuß  augenfdjeinlid)  nad)  fRenan’ß  Söeifpiet 
ben  Agenten  bcö  ganal,  ÜRidjel  Sara  gefjeifeen  Ijatte:  „grabet!" 
Diefet  nafym  ben  fDtaurermeifter  gu  Jpülfe,  uitb  fie  ftiefjen  im 
testen  ©eitenfdjiffe  auf  gwei  ©arge.  Da  fein  gunb  non  ©olb 
bie  Arbeit  lohnte,  liegen  fie  bie  ©adje  liegen:  bie  ©arfopljage 
müßten  ncdj  im  Söoben  ftecfen,  Ijief)  eß.  @o  Heg  id)  benn  gwei 
Älafter  tief  ben  fyier  giemlid}  loderen  Urbau  abbeben,  unb  flieg 
auf  ein  ©teinbeden  oou  blenbenbem  Slabafter,  ben  Dauftrog 
ber  erften  t ft en , baß  ältefterljaltene  Saptifterium 
gum  Unterlaufen  ber  Täuflinge.  Darüber  lagen  con  ^aufteinen 
fdjarfgejdfnitteue  ©urten  unb  ftarf  profilirte  fRippen,  fowie  ber 
adjtcdige  ©djlufjftein  ber  Dauffapelle  auß  ber  Äreugriltergeit 
bie  Stuf merf famfeit  erregte.  51  n beiben  ßnben  beß  bie  jtreugform 
einbaltenben  93edenß  führen  btei  (Stufen  fyinab.  ämerifanifdje 
{Reifenbe,  weldje  unter  güfytung  beß  ?)rof.  ©trong  com  tfyeolo» 
giften  Seminar  in  9Rabifon  bie  Sußgrabungeu  in  Sugenfdjein 
nahmen,  begriffen  ben  SBertlj  ber  gunbe  wofyl,  unb  balb  nad) 
bet  $eimfeljt  lief  ein  ©djreiben  con  9Rt.  ^at fielt)  in  fRew* 
Dorf  ein,  iljm  bie  con  meinem  ©oljne  aufgenommene  Beic^nung 
für  fein  fertigeß  53ud?  über  d^riftlicgc  2?aptifterien  gu  cerabfolgen. 

Daß  alfo  war,  ber  gange  nach  abgefdjäfjt,  bet  erfte  im 
©<butt  cerborgene  cermeinte  ©atfepljag!  aber  o ber  öarbatei! 
ber  SDfaurermeifter  Ijatte  mit  fernerem  Jammer  (martello)  ©tüde 
abgejefylagen,  benn  biefeß  SBolf  lägt  fidj’ö  nidjt  nehmen,  bafj  in 
folgen  monumentalen  ©teinen  unb  „gegoffeuen"  Säulen  (9Raßbub) 
©olb  cetfdjloffen  fei,  unb  wir,  funbig  bie  3nfd)riften  gu  lefen, 
nur  gu  iljnen  fämen,  um  barauß  gu  erfahren,  wo  bie  granfeu, 
einft  ©ebieter  beß  ganbeß,  bei  intern  Ülbguge  Ujre  ©djäfce  cer« 
borgen  Ratten.  5Bo  fanb  fid)  ber  anbere  ©arg?  3d)  begriff 
nun  bie  SBerlegenljeit,  womit  bie  Ijöflid)  gefragten  mit  ber  2lnt* 
wort  gögerten.  ©leid)  in  ben  erften  Dagen  meiner  SSnfunft  warb 
td)  im  SRadjbarljofe  an  bet  Dreppe  antife  ©arfopfyagplanfeu  mit 

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46 


bem  CSRebufenfopf  unb  BeftonS  tragenbe  (Renten  gewahr,  oon 
herrlicher  grtedjifdjet  Arbeit.  ©er  Araber  lief)  fie  mit  für  blanfeS 
©olb  ab,  mir  aber  war  nod)  mistiger,  als  ber  flajfijcbe  SBertb, 
inne  3U  »erben,  woher  biefe  SJiarmorffulpturen  ftammten?  91a» 
türlid).auS  ber  Äatbebrale!  aber  eS  fam  ^erauS,  bafj  bie  beiben 
©tücfe  oom  3»eiten,  ebenfalls  jetfcblageneu  ©arfopbag  berührten 
in  Böige  ber  Derbängnifjoollen  ^Nachgrabung  non  1860,  bie  nicht 
ffulpirten  Streite  »aren  einfadb  oermauert  ober  ju  Stufen  Der* 
»anbt.  ©ieS  fonnte  nur  ber  benfmürbige  ©arg  beS  in  ÜpvuS 
al8  ©onfeffor  mit  Job  abgegangenen  gefeierten  jbird)enlebrerS 
JDrigeneS,  jenes  Abälarb  ber  alten  &ird)e  fein:  im  XIII.  3abt* 
bunbert  fab  man  noch  ben  Slitel  an  ber  SBanb.  ©er  fo  in 
beiben  ^»aupttbeilen  erhaltene  benf»iitbige  ©atfopbag  »urbe 
mit  ben  übrigen  tbeilS  auSgegrabenen,  tbeilS  Don  mir  ange* 
Tauften  Antiquitäten,  worunter  ein  Unicum:  bet  ertrunfene 
unb  als  ©eniuS  gut  £ßbe  entfebwebenbe  OJteliferteS, 
in  fünfzehn  Giften  $u  ©ebiffe  nad)  Berlin  gebracht,  »0  9>tof. 
fPipcr,  ber  ©onferDator  beS  djriftlicben  SJtufeumS  bie  ©rTlärung 
abgab,  ihr  SEBertb  beefe  allein  bie  Äoften  bet  ©jrpebition. 

ÜBo  aber  finbet  fi<h  noch  ein  SKeft  Dom  ©tabe  SarbatoffaS? 
3d)  erwartete  einen  ©atfopbag  auf  üier  ©äulenfüfjen,  wie  ber 
(in  meinem  $aläftina*2Berf  I,  377,  jweite  Aufl.  483  abgebilbete) 
©ottfrieb’S  non  IBouillon  unb  feiner  Slachfolget,  woraus  bie 
©bareSmict  im  Auguft  1244  beim  ©räuel  ber  SSerwüftung  in 
ber  beiligen  ©rabeSfirche  bie  ©ebeine  riffen  unb  Derbrannten, 
wie  fie  auch  baS  £eilanbSgrab  — nicht  gum  erftenmal!  — jer* 
fiorten.  ©ie  ©arfopbage  in  ber  AbamSfapelle  unb  bis  ju  bem 
einen  beS^alb  Dermauerten  ^ortalflugel  betauS  erhielten  fich  noch 
bis  ju  bem  33ranbe  am  12.  Dft.  1808,  worauf  ber  faiferlidje 
Sölaurermeifter  ©alfa  ©omnenoS  Don  fDlitrdene  fie  Danbalifch 
gerftorte,  ben  ©ott  Derbamme,  obwohl  er  in  bet  ©rabfapelle  bei 
ber  fReftauration  im  SJloSfowiterftbl  1810  feinen  Manien  auf 
einen  ©enfftein  granirte,  bamit  ©briftuS  bei  ber  Auferwecfung 
ber  lobten  ben  $Pfuf«het  nicht  überfebe.  — @S  folgte  inbefj  an* 

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47 


ber8.  ©amftag  ben  30.  ÜJtai  !am  bei  ber  Slbraumung  beS 
lebten  Schutthaufens  im  Itnfen  Duerbalfen  weftlid)  »om  ©a« 
friftei*(5ingang  ein  feltfamer  SJtauerfaften  in  93orfchein,  ber  ab* 
folut  feine  liturgifdhe  33ebeutung  ^aben  fann;  man  betraute 
biejen  prooiforifchen  Slufbau  nur!  nahegu  ein  Quabrat  non 
fünfthalb  gu|  nach  aufjen,  mit  bet  Deffnung  »on  »ome,  unb 
ba  bie  ©argplatte  fehlte,  famen  bie  fftägel  an  ber  3nnenwanb 
in  Sicht.  5Ba8  war  baS?  @in  auSgewadbfener  üftann  fonnte 
hier  nicht  ruhen,  wohl  aber  — bie  Äifte  mit  ben  ©ebeinen  bei* 
gefegt  fein,  wo»on  ©ohaebbin  fdhteibt.  SBie  fam  fonft  biefer 
improoifirte  SRauerfaften  in  bie  Äatljebrale?  .£ier  alfo  ruhte 
bo8  Änodjengerüfte  Söatbaroffa’S  gegenüber  bem  ©arg  De8  Dri* 
gene8  — unter  einem  SDadje  fonnte  man  feit  bem  ßinfturg  beS 
JDecfengewölbeS  unb  bem  Safte  bet  ©äulen  ber  jtatfjebrale  nicht 
mehr  fagen.  Steunb  SRö^ric^t  ijat  gut  äufjetn:  einen  abfolut 
gwingenben  ©runb,  baf)  ^ier  ber  Äaifet  ruhte,  giebt  e8  nicht. 

9lud^  ber  juribifdje  {Ritter  fann  gu  100  33eweifen  noch  ben  101. 

»erlangen,  bem  ©efammtmaterial  unb  ber  ÜJioral  auSroeichen, 
unb  bie  ßentnerfdjweTe  eines  |)rogeffe8  an  ein  £aar,  einen 
©pinnwebfaben  ober  Strohhalm  Rängen,  um  eine  entgegengefefcte 
©ntfdheibung  gu  treffen;  wer  aber  Slboofatenfün fte  au8* 
fdjliefft  unb  bie  SEotalanfchanung  ftch  wahrt,  wirb  mir  beiftimmen. 

äßet  beantwortet  bie  Stage,  wohin  bie  ©ebeine  SBarbatoffa’S, 

»on  Skter  unb  ©ohn  famen?  Söutben  fie  wie  bie  bet  Äteug* 
fönige  gu  3erufalem  ^etauSgeriffen,  als  nad)  ber  unter  furcht* 
barem  ©emefcel  erfolgten  ©rftürmung  »on  Slffa  am  18.  5Rai 
1291  bie  ©Triften  »on  SEpruS  nod?  beffelben  ÖlbenbS  unb  in  ber 
9fad)t  mit  ihren  £abfeligfeiten  gu  Skiffe  gingen  unb  ohne 
SBiberftanb  flüchteten,  worauf  ©ultan  ÜRelef  el  Slfd^raf  mit  feinen 
Slegpptern  unb  2)ama8cenern  bie  ©tabt  gänglich  geiftörte ! ©inb 
fte  mit  bet  Äatpebrate  in  ©taub  gerf  allen?  was  fragen  wir  noch 
lange,  ift  hoch  Kanaan  ein  8anb,  wo  oft  bie  atfdje  eines  gangen 
SBolfeS  eine  eingige  $alme  nährt?  Unb  bodj  fönnen  wir  an 
biefe  23etnadhläffigung  »on  ©eite  ber  Stanfen  nidht  glauben,  fo 

(691) 

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48 


wenig  wie  an  baß  SRorfchwerben  unb  bie  balbige  Suflßfung  bet 
oom  gteifcbe  gelßften  Änodjen.  5Sogu  Ratten  fte  mit  einet  Pietät, 
wie  bie  Äinber  3ßraelß  beim  Sußgug  auß  Segppten  bie  ©ebeine 
3ofeph$  in  einet  eigenen  Babe  neben  bent  Bunbeßgelte  mit* 
geführt,  alß  um  fie  nach  Serufalem  ju  bringen  — ober  bet  Jpet* 
matb  wiebergugeben? 

SBit  haben  nur  (Sine  fRachricht,  baff  bet  in  fDleffina  mit 
Job  abgegangene  Äaifet  Heinrich  YI.  (BieQeidjt  nach  Sauren?) 
über  bie  Slpen  gebracht  würbe:  trans  Alpes  portatus  est;  aber 
im  2>om  ber  (Salier  liegt  et  nicht.  ©ine  Äunbe  bringt  benn 
auch  übet  bie  3ranölation  beß  alten  Barbaroffa  gu  unß,  inbem 
ber  Shr°nift  beß  Älofterß  Bauterßbetg  (eineß  beutfchen  ©lermont) 
bei  £alle  1190  (Germ.  sp.  51.  A)  fchreibt:  „6t  würbe  non 
ben  Äriegßleuten  in  bie  Stabt  Seleph  getragen,  wo  fie  feine 
(Singeweibe  beftatteten;  ber  Äßtpet  würbe  fobann  nach  ‘Sntiochia 
gefchafft  unb  außgefotten  unb  baß  gleifd)  in  betfelben  Stabt  bet 
6tbe  übergeben,,  bie  ©ebeine  enblid)  nach  @f>eher  gurücfbe» 
fßrbert  unb  eingefargt".  6ß  gefchah  wohl  oor  bem  ©infturg 
ber  Äathebrale  1202,  unb  beoot  Sffiilbtanb  oon  Dlbenburg  alß 
Sbgefanbter  beß  SBelfen  Dtto  IV.  auf  ber  {Reife  burd)  «Serien 
1211  3ptuß  berührte,  wenigftenß  fchreibt  et  h^  »am  ©rabe  beß 
{tauschen  Äaiferß  ntchtß  mehr.  Bringt  man  in  Snfchlag,  baff  bie 
Reliquien  beß  Äaiferß  wie  üftartyrfnochen  nacf)3mab* 
ebbin  in  ©olbfticferei  unb  Seibenhemb  gefafft  waren 
unb  fo  auß  bet  Äathebrale  Bon  Syruß  nach  bem  SDom  ber 
Salier  am  StR^etne  Betbracht  würben,  wie  leicht  fßnnen  fie  mit 
bem  Beibe  eieß  ^eiligen  Betwechfelt,  noch  in  einet  Sa* 
Triftei,  wo  nicht  auf  einem  Sitar  außgefteHt  fein!  SDer  (S^ronift 
de  monte  sereno  foH  Äontab  geheimen  haben,  er  Bezeichnet 
ebenfo  gang  allein  fpartenfitdjen  im  bayerifchen  ^odjlanbe  alß 
ben  Drt,  biß  wohin  unfer  Batbatoffa  auß  3talien  h^außlam, 
um  nom  Bayetljergog  Heinrich  bem  Böwen  bie  IReichßhitfe  gegen 
bie  SBalfchen  in  Snfpruch  gu  nehmen. 

2)er  Sranßyort  gut  See  wie  gu  Banb  ^atte  immerhin 

(«92) 


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49 


Schwierig! eiten;  unfere  SRittheilung  übet  bie  Ueberfutjr  bet  ©e» 
beine  beS  Äreugrittere  ganbgrafen  gubtoig  oon  Shnringen  oon 
Gppern  »eg  macht  bteö  anfc^autt<^.  Shemiftoflee  ©ebeine 
»utben  burd?  Sreunbe  oon  ÜRagnefia,  »o  er  in  Verbannung 
ftarb,  heimlich  nach  SUtifa  gurütfgebracht,  ba  e8  öffentlich  nicht 
gefächen  Durfte,  wie  ©otneline  fRepoe  fchreibt.  2)ie[e  .peimlich* 
feit  »ar  auch  angegeigt,  falle  bet  com  hoppelten  Vannfttabl 
getroffene  Jfaifet  Sriebrich  II.  bae  jfnodjengerüft  bee  großen 
Slbnen  gu  Schiffe  nehmen  hief):  gilt  boch  ben  Seefahrern  bie 
heute  bet  Sraneport  einer  Reiche  für  fturmerregenb. 

S3ef<baut  man  ft<h  ben  ÜRauerfaften,  »ie  er  nad)  oollen  700 
3abten  ungerftört,  ungetbrocheu  noch  bie  ©ifenftifte  im  3nnetn 
haftenb  geigt,  fo  macht  bie6  allerbinge  ben  ©iubrucf  ber  forg* 
faltigen  ^erauenahme  bet  barin  aufbewahrten  gäbe.  2Bir  fielen 
merfwütbig  auf  bem  23  oben  ber  SJlelfartinfel,  benn  gleich  baneben 
einige  Schritte  rechte  tieft  ftch  im  SRaturfeie  eine  nod)  eßenhoch 
mit  SSaffer  erfüllte  Kammer,  ein  Äanalgemölbe  »on  oiergehn 
fPif  gange,  acht  Vreite  unb  »ier  £öhe  aue,  bae  gewif}  gum 
©antharue  ober  SReinigungebrunnen  im  Vorplafc  ber  23afilifa 
bee  fpaulitiue  gehörte.  3) er  Duerbalfen  ber  Äirche  mit  bem 
bteifachen  @hor  nimmt  biefen  fRaurn  ein,  nachbem  nicht  mehr 
»ie  in  ber  erften  3eit  ber  ^riefter  9lngefichte  ba  ©emeinbe 
celebrirte,  fonberu  iht  ben  {Rücfen  gufehrte  unb  gegen  Dften  ge= 

»anbt  bie  Verfammlung  hinter  fich  h«tte.  2)urch  biefe  S3er* 
fefcung  bee  SSltare  ift  auch  ber  alte  Saufbrunnen  auf  ber  rechten 
ftatt  linfen  Seite. 

2Ber  »eifc,  ob  bie  erfte  23afilifa  mit  ihren  prächtigen 
ägpptijchen  Säulen  nicht  getabe  bie  Stelle  bee  ßJtelfartheilig* 
thume  ober  tprifchen  $erafleetempele  einnahm,  an  welchen 
Karthago  ben  Sehnt  ablieferte.  So  noch  in  ^jannibal’e  Sagen, 
ber  hier  lanbete  unb  feine  Sd)ä£e  in  Säulen  gofj,  »ie  ee  fchon 
bamaie  ^ie^.  @t  galt  bereite  für  ben  älteften  Sempel,  benn 
£erobot  erfuhr  oon  ben  *J>rieftern,  bah  er  2300  3al)te  oor  feiner 
Seit,  b.  t.  2750  o.  @h-r  gegrünbet  »orben.  23on  ben  Seifen  im 

XIV.  330.  4 (693) 

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50 


SReere  Ijat  ©ut  ben  Flamen,  bal  bie  ©rieten  in  j£pru8  übet* 
festen,  unb  Don  l)ier  ift  bie  Benennung  ©uropa’l  aulgegangen: 
e!  ift  bal  gaub  bei  ©tebol  ober  Sonnenuntergänge!,  ©teb 
heißt  nämlich  Stbenb.  SBon  hie*  mürbe  ein  £t)eil  bet  Reliquien 
bei  ©ottel  nach  ©abel  überführt,  bal  biefelbe  Sage  h<*t  unb 
einet  mit  fdjmaten  SBaufce  an  bet  Urfunbe  hängenbeu  'Petfchaft 
gleicht.  ^emponiui  9Rela  III,  6 fchreibt:  „2)aß  bu  bie  hei* 
lige  (Äabel)  ßeißeft,  rührt  oon  feinen  bort  beigejefcten 
(Gebeinen".  ©abel  mar  aber  auch  ©abit  genannt,  roeü  el, 
mit  bem  iRofenfaben  umhegt,  ein  unzugängliche!  $aram  befaß, 
©ein  ©ott  feiert  all  £u«gabarn  in  bet  celtibcrifdjen  äBelt  feine 
Sfuferftetjung.  35ie  phönigifche  ©ultur  fteht  bem  ©hriftenthum 
Dielfach  nähet  all  bal  3ubenthum;  menigftenl  fennt  fDldjel  feinen 
geftorbenen,  im  ©rabe  tubenben  unb  auferftaubenen  ©ott,  autb 
feine  älltarreliquien.  S3om  £eraflelgrab  in  £prul  aber  galt, 
mal  Sudan  oom  äftartetempel  gu  ©pblol  melbet:  „@rft  begeben 
fie  bie  üJipftetien  bei  »Äbonil  fäbrlicb  mit  lautet  SSehflagen, 
bann  opfern  fte  ii)m  all  einem  lobten,  bei  folgenben  Sage! 
aber  jagen  fte,  er  fei  miebet  lebeubig  gemorben  unb  fchitfen  ibn 
gen  £immel".  2)al  §eft  bet  Üluferroecfung  ging  aber  in  'Phi* 
ni$ien  nicht  ju  Öfter«,  fonbern  in  bet  fünften  Sageijeit  tot 
fidb-  SBit  ergäben  bie®,  um  bie  ©ebeutjamfeit  bei  Ortei  flat 
gu  machen,  mo  Satbaroffa  fein  ©rab  gefunben.  3n  Jptul 
fann  man  IBorftubien  zur  biblifcben  ©eniftl  machen,  benn  hier 
ift  ppgmalion  bet  SfRenjchenbilbner  gebürtig,  hier  Slthama!  bet 
SRann  bet  Äabmultochtet  3no  tjeimifc^,  bie  ihren  ©ohn  üReli» 
fette!  in  ben  fiebenben  Äeffel  marf  unb  inl  ÜReer  ftür^te.  iSion, 
meldje  bie  erften  33aumfrüchte  foftete,  heißt  bie  ©emahlin  bei 
ttjrijchen  ptotogonol  — &bam  Äabmon.  SDie  ©noftifer  faßten 
ben  Utmenfchen  Stbamal  mannroeiblich  auf,  mie  bie  33ibel 
not  bet  Trennung  bet  SRippe  ben  Dtbam.  ienophon  bietet 
nach  Pliniul  VII,  49.  Siemerfung  im  Periplul  bie  Ueber« 
liefetung,  bet  3nfelfönig  Don  Sptul  ^abe  600,  fein  ©ohn  800 
3ahre  gelebt. 

(SSW) 


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51 


©o  urweltlid)  ift  Ijier  2tHe8.  5)em  beutfdien  Äaifer  tpat 
man  an,  waB  non  ben  alten  ©öttern  erjagt  wirb.  ®iobor 
melbet,  III,  162:  „9tod)  gel)t  bie  (Sage  non  einer  britten  ©eburt 
beB  üDionpfoB,  ben  bie  Grbenföhne  gerfleifcbt  unb  gelobt, 
üDemeter  aber,  inbem  fte  bie  ©lieber  wieber  gufammenfefcte,  non 
neuem  geboren  habe".  35et  ©ott  non  9lpfa  fyiefc  banon  3^9* 
reuö,  „ber  Setftürfte*.  @o  ift  eB  bie  Sgpptifdje  3fi8,  welche 
bie  ißartifel  beS  non  SEnphon  unb  feinen  ©efellen  jerhadten 
?srohnleicbnam8  ihteB  DfiriB  fammelte  unb  bae  fef)lenbe 
©lieb  mit  $el}  ergängte.  ©benfo  »arb  ber  ©otteBfohn  ^)oru8 
üJtaneroS  in  ^artifel  jerfleifdit  unb  fein  Seib  gum  ©ebäd)tnif)mahl 
berumgereid)t  ('JMutarcb  38. 17).  SEpro,  bie  ©tabttocbter,  fonft  $e> 
rafleB  (HJielfartB)  ©eliebte  genannt,  hat  non  ©retheuB  (Äreta  ift  ©o» 

Ionie)  ben  Stefon  gum  ©pröfjling,  welchen  ÜJiebea,  ba  er  ein 
©rei8,  in  ben  breifüfcigen  ßauberfeffel  geworfen,  bie  aud) 
ihren  eigenen  ©emaljl  3afon  gur  SBerjüitgung  fd)lad)tet  unb 
focht,  bagu  ihren  33ruber  SHbfprtoB  gerftiicft.  Sud)  ^eliaB  SEöd)ter 
fod)en  ihren  Später  gur  SBiebetbelebung,  aber  fötebea,  bie  Reiterin, 
lafjt  ihn  unerwecft 1 2). 

©rfaffen  wir  ben  anthropologifdjen  Moment,  fo  wirb  nur 
non  ©öttern  unb  Halbgöttern  ergafylt,  wa8  mit  ben 
5Renfcben,  gulefgt  nod)  mit  Sarbaroffa  gefdiah,  inbem 
man  ihre  Änod)en  ale  SPebingung  ber  Sluferftehung  nom  net* 
weSlid)en  ftletfd)e  gefonbert.  H*er  fehl*  blofj  nod)  ^et  2runf  auö 
ber  ©tirnfcpaale,  wie  ber  Slttabeg  Soghtefin  au8  bem  ©e^irn* 
becfen  be8  nach  einem  unglücflicben  Treffen  bei  2ibevia8  1108 
non  ibm  erfdilagenen  ffteffen  Äönig  33albuin’B  I.  feinen  ©miren 
Sein  frebengte.  2)a8  war  aud)  beutfcbe  ^g>elbenfittc,  unb  man» 
cbeB  ©ranium  in  ©afrifteien,  worauB  man  bem  Sßolfe  @t.  3o« 
banneB  ©egen  bot  unb  bietet,  mag  bafyer  ftammen.  $ber  non 
bem  nach  ©peper  tranBportirten  gtofjen  ©taufer  ift  nach  bem 
©ergeidmiffe  ber  im  $>om  ruhenben  Äaifer  feine  ©pur,  aud) 
wie  23ifd)of  Haneberg  mich  wieber^olt  fdmftlicb  nerficherte,  nicht 
eine  leife  Ueberlieferung,  obwohl  leine  ©emahlin  SPeatrip  bort 

4 * (695) 

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52 


rußt.  ©in  glüdlicßer  3ufaß  fönnte  bod^  auf  bie  ©ebeine  führen, 
ba  flc  hoffentlich  noch  ejcifttten;  {ebenfalls  wiffen  mir  in  golge 
biefet  Uuterfudßungen  jeßt  meßr  al8  bisher  »on  bem  merlwüt* 
bigen  @d)icffal  bet  Äaiferleidhe.  Sludh  ben  Hellenen  ging  eS 
nicht  beffet.  Ohne  $)elop8  Schulter  fonnte  SEroja  nicht  et* 
obett  werben  (fo  alt  ift  bet  fReliquienglaube).  f>biloftet  foU  fie 
»on  bort  jurücffyolen,  fdljeitert  jeboch  bei  ©uböa,  worauf  ein 
giftet  »on  ©retria,  SDamarmenoS,  fte  in  fein  fReß  bringt  unb 
an  SDelpbi  gurüdfteOt.  Slber  auch  ?>ifa  im  ^eloponneS  rühmte 
[ich  be8  f)aHabiumS  ber  Schultet  be8  |>ero8  in  eherner  Sabe 
gum  SBahrgeidjen,  wenigftenS  »or  §)aufania8  3eit. 

Deutfdßlanb  ftetjt  bei  bem  SBerfuehe,  bie  ©rabftätte  be8 
großen  ÄaifetS  gu  ©ßren  3U  bringen,  ja  wo  möglich  fteh  feiner 
©ebeine  gu  »erfidßern,  nicht  allein,  ©in  Suftrum  nach  bem  Sin* 
tritt  unferer  ©jrpebition  ift  ein  frangöfifcher  Sngenieut  inSEuuiS 
eingetroffen,  »on  ÜJtonf.  ßaoigerte,  bem  ©rgbifdhof  »on  Sllgiet 
entfenbet,  um  ben  33au  eines  £oSpitalS  unb  fWiffionShaufeS 
auf  bem  gubwigSßügel  gu  leiten,  in  beffen  fRäße  unfer  feliger 
greunb  |>anebetg  gu  ^)orto  Carina  beim  alten  Karthago,  ber 
SEJochterftabt  »on  £pruS,  eine  beutfdße  Slnftalt  geftiftet  hatte,  aber 
bei  ber  Ungunft  ber  33erßciltniffe  unb  bem  ÜRißtrauen  ber  Araber 
t»ieber  abgog,  SBidenS  fie  nach  ©onftantinopel , eoentueü,  wenn 
ihn  ber  5Eob  nidht  »»eggerafft  hätte,  nach  SEptuS  ober  9)anea8 
gu  »erlegen.  £>et  ^ügel,  auf  »»el<hcm  8ubwig  IX.,  bet#ei* 
lige,  als  leßter  föniglidher  Äreugritter  am  25.  Sluguft  1270 
»erfcßieben,  würbe  am  8.  Sluguft  1830  »on  puffern  23ep  an 
ÄönigÄarlX.  »on  granfreicß  abgetreten,  8oui8  Philippe 
ließ  1841  bafelbft  feinem  Slßn  eine  Äapeüe  errichten  unb  beffen 
fföarmorftatue  barin  aufftellen.  ®(eidh»iel,  ob  ber  ißunft  bie 
Jartßagifcße  SBptfa  ober  äfropoliS  ift  ober  nicht,  »erfolgt  bet 
SRetropoIit  ben  8ieblingögebanfen , bie  unfeheinbare  Äapeüe 
burdh  einen  monumentalen  SDom  gu  erfeßen,  unb  nach  frei* 
willigem  3ufammenfchuß  eines  ^heilS  bet  ©elbmittel  1877  »om 
33ep  perjönlich  ben  günftigen  ©efdßeib  3U  erholen. 

(696) 


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53 


©egenwartig  »eiferen  ein  paar  italienifdje  grangisfanet  ba 
lateinifdje  ,£>ofpig  in  StnruS,  wadfere  fDiänner,  bie  bem 
SBclfc  gugleidj  ärgneien  fpenben.  {RidjtS  wate  letaler,  als  in 
bet  SRanärah  im  linfen  ©hDt  ben  am  läugften  beftanbenen  Slltar 
wiebet  aufguricpten,  nnb,  fei  e8  burch  einen  beutfcpen  ?)ater,  ba8 
Slnbenfen  ©arbaroffa’S  burch  ein  Libera  unb  De  profundis, 

{Requiem  obet  Jobtenamt  5(ngefi<ht8  feinet  ölten  ©rabftdtte  er« 
neuem  unb  fortfeiern  gu  laffen.  35er  Orient  hält  für  heilige 
Pflicht,  bie  ©rdber  großer  Könige,  ber  Patriarchen  unb  Pro* 
pheten  gu  erbauen,  unb  gu  ben  ©rabtempeln  unb  SföelpS  gu 
pilgern;  auch  35aoib  gilt  für  einen  {Rebp,  unb  ©atbaroffa  ift 
unfer  Prophet.  5Rahe  liegt  e8  fürwahr,  bafcbaSbeutfcheSReich 
fidh  ba8  Serrain  ber  SJionärah  abtreten  laffe!  @8  ift 
für  unfere  Station  ein  ^etltijcr  ©oben,  unb  im  ©runbe 
hoben  wir  fchon  bie  .Jpanb  batouf  gelegt,  inbem  all  bie  3n« 
fafcen  auSgefauft  unb  bie  ©inbauten  im  fRatnen  oon  jtaifer  unb 
{Reich  bemolirt  worben  jtnb. 

3«h  fptc^e  \)\et  bem  wacfern  beutfcpen  ©encralfenful  $he* 
oborSBeber  in  ©airut  unb  unferem  ©eBollmädhtigten  am  ^ofe 
be8  ÄaiferS  uon  5Raroffo,  meinem  alten  greunbe  unb  ©önner 
au8  ber  Beit  meines  erften  Aufenthaltes  in  Serufalem  1846,  für 
ben  geleifteten  ©ciftanb  öffentlich  ben  SDanf  au8.  {Reben  ihm 
hat  ber  auf  bie  Araber  in  unb  um  SfcpruS  über  mächtiges  3ln= 
feilen  gebietenden  ©ffcnbi  Suffuf  ibn  SRamluf  un8  fräftigen 
@c hufj  nerliehen.  @t  ift  ber  ©nfel  be8  helbenmüthigen  Sürlen* 
agaS  bei  der  ©ertheibigung  3ean  b’Acre’ö  gegen  ©onaparte 
unter  ISchmeb  Pafcha,  beffer  befannt  unter  bem  {Ramen  SD  f dse^* 
gar,  ber  ©djlächter,  welcher  einft  bei  einem  ©olbatentumult  ben 
©djulbigften  in  ©tücfe  hQ“en  unb  im  SRenagefeffel  -gcfoc^t 
©tücf  für  ©tücf  fammt  ber  ©rühe  durch  bie  Aufrührer  gut 
©träfe  freffen  lieh  — bis  auf  bie  Änochen?  — 3<h  ha&c  auch 
als  ©ielgereifter  eine  ©olbatennatur  unb  meine  feften  ©lieber, 
aber  nie  eine  ftarfere  Sauft  gefühlt,  als  fo  oft  3uffuf  tflga  gu 
unS  in  bie  ÜJianärah  Tarn,  ben  gortfdjritt  beS  SBerfeS  gu  be= 

(«97) 

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54 


fdmueit,  bie  SRed^te  auf  bie  33ruft  legte,  unb  bann  gu  Sippe  unb 
©tirn  fuhr,  um  bie  Steinzeit  feiner  ©eftnnung,  bie  SBaljrfyeit 
feiner  SBorte,  unb  bie  {Reblidjfeit  feiner  ©ebanfen,  fpmbolifth 
auSgubrütfen,  unb  wenn  id>  bann  ihm  bie  ^>anb  brüdte. 

iBbgefe^en  non  allen  fjiftorifdjcn  Erinnerungen  befijjt  $piu8 
noch  feinen  fibonifdjen  ^>afen,  unb  nadjbem  bie  Uelegrapheii* 
ftaticn  tefteljt,  wirb  auch  bie  Slnlänbc  für  bie  SDampf  boote 
halb  bngufommen  unb  ein  Heiner  ©tapelplaf}  für  jlauffartei* 
fdjfffe  nidfjt  auSbleiben.  ©d)on  fdjwirrt  bie  Slbtretung  oon 
9!leyanbrette  an  Englanb  nadi  beffen  39eftfcnahme  oon  Eppern 
burd)  bie  guft,  unb  wirb,  wa?  nid?t  auSbleiben  fann,  non  bort 
mit  britifdhem  ©elbe  bie  33ah n burdh  bie  SBüfte  an  ben  Eu* 
pl)rat  geführt,  fo  bürften  bie  ©eeftäbte  an  ber  fprifdhen  .Stufte 
unzweifelhaft  mehr  geben  befommen.  ES  fcbeint  ber  beut* 
fcben  Station  wütbig,  b i e § Äaifergrab  nicht  mehr  au? 
ben  31  u gen  gu  o edieren.  SRöglid},  bafs  mit  nädjfter  3eit 
eine  Eolonic  an  bcm  fParabiefeSbrnnnen  be?  o Ijen liebed 
4,  15,  nun  {Ra8  el  3tin,  fid?  anpflangt,  wie  bie  beutfdjen 
£err.pelcbriften  oorljaben. 

2)ie  ÜRanürah  wirb  einen  würbigen  öefif?  bilben,  wie  ba8  1869 
burd)  ben  mächtigen  Ärenpringen  beö  heutigen  3R eid^eö 
angetretene  Jpofpital  ber  Johanniter  in  Jerujalem.  Johannes 
oon  SBinterthur  fafet  bie  Hoffnung  aller  üDeutfcbgefinnten  ba* 
maliger  Beit  in  bie  SBorte  eotl  religiöfer  SBeihe:  „kommen 
wirb  unfer  £eitanb,  ^riebrid),  in  gewaltiger  SRajeftät  unb  bie 
oerrettete  Äirdjc  reformiren.  Er  wirb  fommen,  benn  er  mu| 
fommen,  unb  wäre  fein  ge i b iu  taufenb  (Stüde  ger* 
fd)nitten,  ja  wäre  er  gu  IBfdje  oerbrannt;  benn  e8  ift  im  {Ratlje 
©otteS  alfo  befdbloffen.  Sßenn  er  9llle8  oellbracbt,  wirb  er  mit 
großer  9Rad)t  über  ta§  SOteer  giehen  unb  auf  bem  Oelberg  ba? 
{Reith  nieberlegen."  So  ber  SRinorit,  bagit  ber  Springer  Ehre* 
nift:  „2Ran  mepnet  wol,  ba8  oor  bem  jüngften  tage  epn  mecb* 
tiger  SteiGger  ber  Ehriftenljeit  werben  fülle,  ber  frebe  machen 
fülle  enter  ben  fürften,  onb  bann  full  oon  üm  epne  meerfahrt 

(6$ü) 


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55 


»erben,  onoe  ber  fülle  baö  fyeiligegtab  gewonnen,  onb  ben  nene 
»an  grefceridf  nmbe  frebiS  willen,  ben  fyer  machet,  op  fycr  nid)t 
a4o  getueffet  ift." 

„9tidjt  nur  DtigeneS,  fonbetn  aud)  griebrid}  Bar* 
baroffa  liegen  in  ber  Itatljebrale  üonJpruä  begraben", 
fdjreibt  fPococfe  1738,  na$bem  er  bie  grofie  Äirdjrnruine  mit 
brei  Skiffen  ge]d)ilbert,  bie  in  .palbcitfel  auälaufen.  Suf  bet 
$Rorbfeite  falj  man  ned)  Strümmer  beä  et$b.  ^atafteS.  3a  et 
lä§t  ben  Äaifet  »egen  ber  ^ladjbarfdjaft  ber  ©rabftatte  im  glufjc 
©abmp,  ben  bie  bReifenben  gemeiniglid)  ©aftmir  fyiefjen,  umfom* 
men,  inbem  er  com  »Pferbe  fiel  unb  burd)  bie  Schwere  feiner 
■©affen  unterfitnf.  9lad)  bem  lebten  großen  ©rbbeben  in  2pru8 
am  9leuja^r8tage  1837  oerbreitete  fid)  in  ganj  Sprien  baö  @e» 
rüdjt  — .pett  ©eneralfonful  3Beber  ift  mein  3euge  unb  er* 
ftattete  felbft  bem  IRcicbSfangler^mte  Bericht:  babei  fei  Äaifet 
Barbatoffaä  golbene  Ärone  auS  bem  Beben  ber  5Jta* 
närafy  in  Borfdjein  gefommen!  Seltne  Sagen  entfpringett 
au8  bem  3nftinfte  bet  Böller,  fo  oft  ein  ©enbepunft  bet  Beiten, 
eine  neue  Periobe  in  bet  ©eltgejdjichte  eintritt.  — 


^mnrrHnugen. 

1)  £>epb  @efd).  beö  €i»antet)flnbeld  I,  343.  353.  36!*.  f.  338. 

2)  Recueil  des  Historiens  des  Croisades.  II.  Par.  1859  137.  ©oer* 

gend  'Urab.  Ouellenbeitr.  SBerl.  1879.  I,  13 1.  136  f.  139.  155.  1 59.  ‘3  70. 

S']  S3gt.  ßibliotheque  des  croisades  par  Michaud-Reinaud  IV.  489.  499. 

4) .  Viaggio  di  Gerus.  1587  ©.  315:  I corpi  dei  quali  (martirizzati) 
ui  riposono,  et  parimente  quello  del  gran  dottore  Origene,  posto  nel  muro 
dietro  l’altar  grande  della  Chiesa,  chiaroata  il  S.  Sepolc.  L’lmp.  Federicoi, 
che  mori  nell’  ispeditioue  della  terra  s.  similinenti  ui  e sepelito.  Sie 
Xetailangabe  ift  ben  'Jtotuen  über  2ltitiod)ia  nadjaebilbet;  ber  '.Hutor  be» 
mäntelt  bantit,  baß  itjm  bte  eigene  'llnfdjauuttg  fefjlt. 

5)  Stelle  Auteurs  occidenteaux  des  Recueil  des  historiens  des  croi- 
sades.  1859.  III.  — L'estoire  d'Kraclcs  beiß!  ber  Ütel  ju_föl)ren  bes 
3erufületii’6robererd  .^eradiub.  Xen  3"l)olt  btlbet  bie  Wefd)id)te  bed 
heil,  t'anbes  in  attfran^öfifdier  Spradje,  alb  SSeriafier  finb  mehrere,  jeben* 
falls  in  Sprien  anfäffige,  fränfifdje  Diitter  anjufehen.  Xie  puelle  entgalt 
biele  fjödn't  roertljDolle  Angaben,  namentlich  in  Bejug  auf  bte  fränftfd)* 
fprifepen  !üerl)ältttiffe. 

6)  Ar-raudatain,  „bie  beibett  Glärten"  3.  148.  1 8 1 . 185.  Gioergend 
129.  144.  146.  — 7)  SRöhrid)t  jttr  <J5eid)id)te  ber  Äreujjüge  II.  225. 

8)  Conductus  aquarum.  Roziere  Cartul.  ©.  4.  25.  56. 

9)  Roziere  Cartul.  ©.  25.  31  138—230.  3d)  berichtige  fofort  ben 

folofialert  3rrtl)Um  3.  140:  Concedimus  eis  ecclesiam  beate  Marie,  qua 

(099) 

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5G 


Tvri  prima  fuit  sedes,  salva  nosire  matricis  ecclesie  dignitate.  2) er 
Btabonnenbienft  rüßrt  erft  aus  bem  VI.  gaßrß.  (wenn  mir  oon  Bteledjet 
IBelifanta,  ber  ßeibnifcßen  £immelsg6ttin  aller  Runter  abfeßeti).  Sie 
äflforte:  que  Tyn  prima  fuit  sedes  gehören  an  ben  Scßluß!  Sie  giliale 
fonnte  bocß  nie  matrix,  unb  $aulinus«!8au  nidjt  itaiß  Btaria  Reißen. 

10)  Sluö  jwei  je  jtoeifßlbiaen  SBörtern  befteßenb  müßte  ber  pßönijifcße 
föigennante  minbeftens  brciooralig  gefprocßen  roerbett;  für  melekkiret  ift 
felbft  bie  Bunftion  unrichtig. 

11)  Bolnet)  berid)tet,  Seife  nad)  Sqrien  II,  159:  „SaS  merfwür- 
bigfte  ©ebaube  oon  Sur  ift  ein  altes  ©ernäner  int  Süboftwinfel.  (£$ 
mar  eine  djriftlidje  Äirdje,  maßrfcßeiitlid)  oon  ben  Äreuafaßreru  erbaut, 
inbeß  ift  nur  ber  ßßor  noch  übrig.  Dtaße  babei  liegen  unter  einer  ffllaffe 
oon  Steintrümmern  jtoei  fcßüne  Säulen  mit  einem  breifad) eit  guß- 
geftell  oon  rotljem  (Granit,  beffen  ©attung  in  Stjrien  ganj  unbefannt 
ift.  Sfche^ar,  ber  alle  llmlanbe  ausplüiiberte  um  feine  fDlofdjee  in 
Slffa  ju  fcßmftcfen,  toollte  and)  biefe  fortfcßaffen  l affen,  feine  Sngenieure 
aber  fotmten  fie  nidjt  einmal  beroegen.  ^unbert  Sdjritte  ootn  ißor  ift 
ein  eingeiaUener  ißurm  mit  15  bis  16  (fuß  tiefen  Sruitnen,  bas  SBaffer 
hält  jwei  biö  brei  guß  unb  ift  baS  befte  an  ber  gangen  Äfifte.  3nt 
September  benterft  man  bie  fottbcrbare  (Srfcßeinung , baß  es  fidj  trübt 
uttb  einige  Jage  rötßlidjett  Jßon  abfeßt.  Sann  feiern  bie  Ginwoßner 
ein  großes  gett,  befucßen  in  Blaffen  beit  iüruttnen  nnb  gießen  einen 
(Sinter  Seetoaffer  ßinein,  bas  nad)  ißrer  Bleinuttg  bie  Äraft  Ijat,  baS 
Cuelltoaffer  toieber  flar  unb  ßell  ju  uiadjeit." 

1?)  Stießt  flaffifd)  oorgetragen,  aber  in  'Dtärdjeti  lebt  ber  beutfcße 
(Glaube  an  bie  Sluferfteßung  aus  ben  erßaltenen  Änochenreften.  So 
fdjneibet  im  Bruber  duftig  St.  Bieter  an  Sonar’S  Stelle  alle  ©lieber 
beS  Jobten  loS,  wirft  fie  in  einen  Äodjfeffcl,  bis  alles  gleifd)  oon  ben 
.tlnodjen  gefallen,  nimmt  bas  toeiße  ©ebein  IjerauS,  breitet  es  über  eine 
Jafel  uub  reißt  ©lieb  an  ©lieb.  Stuf  fotßanen  breimaligen  Stuf:  „Jobter 
fteß  auf!"  erljebt  fidj  ber  ©eftorbene  jung  uitb  fcßön.  3m  giidjeroogel 
erßebt  oon  brei  3u,tgiranen  bie  jüngfte  bie  jerftüdten  ©lieber  ißrer 
beiben  Scßweftern  aus  bem  sölutfeffel,  legt  Äopf,  Sinne,  Stumpf  unb 
SBeiit  in  natürlicher  Orbnung,  unb  fie  fcßließen  fidj  xu  neuem  lieben  an- 
einattber.  3"1  'Btärcßeii  oom  Biadiaubelbaunt  fummelt  Blarlenicßen,  nacß- 
bent  bie  böfe  Stiefmutter  Brüberdjeu  gefchlacßet,  gefodjt,  uub  bem  Sater 
riitn  (fffen  oorgeießt  Ijat,  bie  Änocßen  alle  unb  oergräbt  fie  im  feibenen 
Jucß  unter  bem  Bladjanbelbaum,  worauf  baS  Brübercßen  unter  Sonnet 
unb  23liß  wieber  erfteßt.  JrenloS  oerleumbet  wirb  bie  fd)üitc  £nlb, 
Äönig  Offa's  II.  ©emaßlin  in  ben  BSalb  ßinauSgefüßrt  unb  ißre  Änäblein 
getöbtet;  aber  ein  SBalbbruber  fügt  bie  jerftreuteit  ©lieber  jufammen 
unb  belebt  fie  mit  bem  Heießen  beS  ÄreujeS  (Jßors  Jammer),  Siefelbe 
löebeutung  ßat  bas  erbleidjte  ©erippe  im  BJärdjeu  ber  Ungarn  (wo  ©ifen* 
laciS  Scßulterbein  oerlorett  geßt),  bei  ißolen  unb  SKauadien,  wie  im 
fiunifcßen  üpos  Äalewala  ber  .yelb  Semminfainen  im  Sobteureidje  Suo- 
nela  uingefommen,  gerftücft  unb  in  ben  Jobteitfluß  geworfen,  aber  oon 
ber  Btutter  aufgefifcßt  wirb,  weldje  ben  Soßti  wieber  gufammenfeßt, 
Äuodjen  an  ilnochen,  ©lieb  an  ©lieb,  unb  er  lebt  wieber  auf.  (Btann- 
ßarbt  ©erman.  'Dhjtß.  63  f.)  — Sie  fRabbiueu  taffen  auS  bem  unoerweS- 
Iid)en  Jüeiudjen  kJ u 6 im  tRücfgrate  bei  ber  Üluferfteßung  bes  Jobten  ben 
^etb  beS  Btenfcßen  neu  aufgebaut  werben.  Jalkut  chadasch  fol.  1 42,  l. 
5Hus  ißm  wirb  woßl  and)  3ödfoa  gebilbet  feilt!  ^leußerft  inerfwürbig  ift 
bie  Borausfeßung  ber  (Jngelberger  Slnnaten:  „35a  würbe  ber  kJeib  ^beö 
ÄaiferS  auf  einer  Jragbaßre)  natß  'Untiocßia  gebradjt,  unb  baS  Scßul- 
terbein nebft  einer  Stippe  jngleicß  mit  ben  (5 ingeweiben (Y)  bafelbft 
ber  (frbe  übergeben." 


(700) 


Drud  »ca  ®«br.  llnjcr  (Sß.  (Stimm;  in  Ctrlin,  £(tän»bftßfr)tr.  17«. 


S/imbeinhölile 


Hasenmuscheln 


Kedbeinhöhle 


obere  Hachcnhohle 


Gaumensegel 


rechte  Mandel 


mutige 
Kehldeckel 
Stimm  bänder 


Kehlkopf kuorpel 


Luftröhre 

Speiseröhre 


ÜHircfyfcfjnitt  in  ber  SDlittellime  beö  mettfdjlidjcit  Äopfeö  unb  £ialfeö 
(ved)tc  .ftälfte). 


K 


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menfcpcfte 


Mmm-  uttb  5vradj-©C0an. 


'gTorhrctcj, 

gehalten  am  23.  gebruat  1878  im  gvauenbilbungß*  herein  ju 
granffurt  a.  9K. 


»cn 


Dr.  Jllrtj  firfsgttt, 

Slrjt  für  Setlfotfs  SRa^cn*  unb  Dtafen»  Äranfc  bafelbfl. 


9)iit  14  .^otjfdjmtten. 


ßcrlin  SW.  1879. 

23er  lag  uon  6a  tl  £>abcl. 

(«f.  «ff.  l'übmtj’sd)!  UfrlagsbadjtjaaiilLing.) 

33.  ©ilfcdoi . Strafe  33. 


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3)aä  Medjt  ber  Ucbcrjcfcung  tn  frcmbe  ©pracbcn  mitb  corbefyalten. 


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^2Jie  Sprache  ift  etwaß  fo  SBidtigcß  im  mcnfdjli^cn 
£eben,  baß  eß  fidß  »ol?l  »erlernt,  wenn  man,  »enigftenß  im 
Allgemeinen,  biejenigen  Organe,  welche  Stimme  unb  Sprache 
entfielen  taffen,  fennt,  fowie  mit  ihren  Serridj  tungen  unb  ben 
Sebtngungen  bet  SEon*  unb  gautbilbung  einigermaßen  uertraut 
ift.  3dß  »iH  ^ier  »erfudjen,  in  mßglidhfter  Äürje  fowoljl  ben 
Sau  unb  bie  Serricfytungen  beß  menfchtichen  Stimm*  unb 
Sprach orgaueg,  fo»ie  auch  Sßefen  unb  Sübung  bet  Stimme 
unb  Spraye  Kar  ju  machen. 

SDaß  Stimm*  unb  Sprach*  organ  feßt  ft<h  3ufammen  auß 
bem  Keßlfopfe,  als  bem  SORunbftödfe,  auß  bet  8uftrößre,  als  betn 
SBinbroßre,  unb  auö  ber  (Rachen*,  SRunb*  unb  fttafen^ßßle,  als 
bem  Anfaßroßre.  SRunbftüdE  unb  Söiitbroljr  bringen  bie  ©tim* 
me,  unb  beibe  Dereint  mit  bem  Anfaßrohre  bie  Sprache  ßeruor. 
SBir  Dergleichen  bie  unferer  Setraehtung  unterteilten  Organe  am 
beften  mit  einer  Orgel;  nur  ift  unfet  Stimmorgan  »eit  Doll* 
f ommener  als  biefe : benn  »it  bringen  auf  einer  einzigen  pfeife, 
bem  Keßlfopfe,  alle  jene  oetfdjiebeuen  SEonhßßen  unb  Klangfarben 
hetoor,  welche  bie  Orgel  nur  mittels  ißrer  gasreichen  pfeifen 
jum  Streit  3U  erzeugen  im  Stanbe  ift.  hierbei  muß  jeboch  feft* 
gehalten  werben,  baß  ber  Sergleich  unfereß  ©timmorganeß  mit 
einer  Orgel  ein  leineßwegß  praegnanter  ift:  man  Dergleidjt  eben 
in  ber  Serlegenßeit,  ganj  (Paffenbeß  nicht  ßnben  ju  fßnnen,  Un» 
crflärteß  mit  bem  am  meiften  ähnlich  Srfcheitenben,  um  fo  gurn 
»enigften  ein  einigermaßen  richtiges  Serftänbniß  3U  et3ielen. 

XIV.  831.  (705) 


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6 


33et>or  wir  nun  beit  Äetylfepf  felbft  betrachten,  ift  eS  Dottbeil* 
h®ft,  gunächft  baS  2öinbtol)t  mit  beit  Zungen,  fobann  baS  9fn* 
fafjrobr  in  feinen  eingelnen  Steifen  in  .ftiirge  gu  befpredjen.  — 
©a8  SBinbroljr  ober  bie  guftröfyre  tft  ein  im  33orberljalfe  unb 
in  bem  oberften  Sbeile  ber  Sruftböb^  gelegenes  elaftifdjeS  Stofyr, 
beffen  hintere  SBanb  ber  Speiferol)te  eng  anliegt  unb  wie  biefe 
auS  einer  befynbaten  unb  gufammengiebuugSfäbigett,  mit  ÜJtuSfel* 
fafern  rerfe^enen  £aut  befteljt.  ©er  übrige  Scheit  ber  Luftröhre, 
alfo  bie  Seitenwänbe  unb  bie  Sorberwanb  ift  gum  größten  Sbeile 
fnorplidjer  Statur,  fo  gwar,  bafj  borigontal  fid)  auf  eiuaitber 
reifyenbe  fdbmale  Knorpel ftreifen,  welctje  eine  grofje  (Slafticität  be* 
fifjen,  non  mit  9Jtu8felfafern  burdjfefjten  £autftreifen  non  ein* 
anber  getrennt  werben.  Sniterlidj  ift  bie  Luftröhre,  wie  Äet)!* 
fopf,  fftafe,  9Jtuubl)6l)le,  Zungen  mit  einer  @d)leimbaut  über* 
gegen,  beren  Sdjleimbrüfengebalt  ein  geudjtbleiben  ber  glädje 
ergielt.  5Die  gortfefjung  ber  8uftrefyre  ftnb  bie  2uftrö^renäfte, 
welche  immer  feiner  werbenb,  fdjliefjlid)  il)ren  (Snbpunrt  in  ben 
fogenannten  8utigenbläScben  finbett.  ©er  gange  butcb  biefe  Ser* 
äftlung  ber  ?uftrö(jre  entftanbene  Körper  ftnb  bie  beiben  8uugeit, 
welche  als  8uftreferooir  bem  SBinbro^re  bie  gut  ^ternorbringung 
ber  Stimme  notfjige  8uft  gufü^ven.  — @be  wir  nun  in  ber 
anatomifdjen  Sefdjreibung  weiter  geben,  möchte  i<b  nod)  etwas 
eingebenber  bett  S3ergleich  mit  ber  Drgel  auSfü^ren.  Um  einer 
Drgel  Sone  entlüden  gu  fönnett,  mu§  oor  üttlem  bnrdb  Steten 
beS  SlafebalgeS,  weiter  im  SDtenfdjen  burdj  bie  8ungen  bar* 
geftetlt  wirb,  bet  fogenannten  Sßinblabe  — einem  ijermetifd) 
gefdjloffenen  SRaume  — 8uft  gugefü^rt  werben,  ©abutdb  nun, 
bafj  burd)  baS  9lufgieben  ber  9tegifter  unb  baS  9Heberbtüdfen 
ber  Saften  entfpredjenbe  klappen  ber  SBinblabe  geöffnet  werben, 
ftromt  bie  bort  angefammelte  8uft  in  bie  betreffenben  pfeifen 
unb  bringt  hier  bie  gugeberigen  Sone  Ijernor.  ©ang  ähnlich 
erhält  eS  fid?  beim  SKenfdjen.  Bnbem  wir  burd)  Bufammengietjung 
unferer  $tbemmu$feln,  inSbefonbere  CeS  BwerdjfelleS,  ben  Stuft® 

(706) 


* 


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7 

forb  verengern,  unb  baburdj  bie  Sungett  gufammenpreffett,  treiben 
wir  8uft  au§  bern  ©lafebalge,  ben  Zungen,  in  ba8  SBinbrohr, 
bie  Suftrßljre,  an  berem  oberen  ©nbe  ber  Suftftrom  in  ben  Kehl» 
fopf  unb  an  bie  ©timmbänber,  unfere  einige  pfeife,  gelangt. 
3nbem  wir  ferner  burd)  unfemt  SBiHen  auf  bie  SReroen  unb  9)Ru8’ 
fein  be8  KehlfopfeS  unb  be8  AnfafjrohrcS  einwirfen  unb  fo  biefc 
ftimm*  unb  fpradjergeugcnben  Drgane  in  »erfdjiebene  ©paunungs* 
juftänbe  unb  Stellungen  ju  eiuanber  bringen,  erzeugen  wir 
Jone  »on  oerfcbiebener  ^>o^e,  ©tärfe  unb  Klangfarbe,  fowieleine 
fBtenge  eigenthümlicher  ©eräufche. 

SRadj  biefet  fleinen  Abfdjweifung  feljren  wir  wieber  gut 
Anatomie  unfereS  ©egenftanbeS  gurücf.  2)a8  Anfafcrohr,  beftefjenb 
au8  bet  JRadjen«,  SJtunb*  unb  9Rafenhöhle , ftctlt  einen  untegel* 
mäßigen,  aber  beiberfcitS  fpmmettifchen,  mitoielfad)en23orfprüngen, 
Jrennuttg8wänben  unb  Abteilungen  oerfeljeneit  ^o^lraum  bar. 
Sie  JKatenp^le  ober  ber  ©djlunb  »erläuft  ber  »orberen  §läd?e 
ber  SBirbelfäule  entlang  unb  fetjt  fid)  hinter  bern  Kehlfopfe  in 
bie  ©peiferohre  fort.  SDie  SOtunb*  unb  9^afent?öl>le  gehenf  »on 
ber  SRathenphfe  in  berem  oberen  Jljeile  faft  fenfrcdjt  nach  oorne 
ab.  $)iefe  beiben  fohlen  finb  burd)  eine  Ijorigontale  fnödierne 
SBattb,  ben  Ijarten  ©aumen,  in  ihrem  oorberen  Abfchnitte  oon 
einanber  getrennt,  fo  baf)  bie  SRafenhöhle  übet  ber  9Jiunbt)öhle 
liegt.  9tach  hinten  ftehen  fie  burdf  bie  9iachenhöhle  mit  einanber 
in  93etbinbung,  inb'em  ber  Abfchlufj  nur  butd)  ein  bewegliches 
^autftücf,  ben  weiten  ©aumen,  in  beffen  fDtitte  ba8  3apfchen 
frei  her  unterhängt,  bewirft  wirb,  fobalb  bie  tu  biefem  fogenannten 
©aumenfegel  etngelagerten  9Ru8feln  »on  ©eiten  be8  SReroen« 
fpftemS  bie  erforbetliche  Anregung  erhalten.  33ei  erfchlaffter 
SDRuöfulatur  be8  ©aumenfegelS  hängt  biefeS  gerabe  herab  unb 
berührt  bie  3unge;  e8  bilbet  aisbann  bie  hintere  SBanb  ber 
SDRunbfjöhfe  «nb  ben  Abfchluft  biefet  gegen  bie  SRachenhöhle- 
Seitlich  grängt  ba8  ©aumenfegel  an  bie  beiben  ÜJtanbeln.  SBefent* 
liehe  Jheile  ber  SDRunbljohle  finb  noch  bie  3unge,  bie  3üh«e,  bie 

(701) 


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8 


Sangen  unb  beren  ben  Munb  bilbenben  Slänber,  bie  Sippen.  — 
2)ie  üftafenhohle  wirb  burdh  eine  {entrechte,  non  Born  nach  hinten 
giehenbe  Sanb  in  gwei  Hälften  geteilt.  SBeiberfeitö  finben  fidb 
brei  Mufdheln,  bie  untere,  mittlere  unb  obere.  SDie  fftafenböhle 
fowie  bie  hinter  il)r  liegenbe  unb  bort  audj  mit  ihr  in  33er» 
binbung  ftehenbe  fRadhenhöhle  reifen  bt8  gut  unteren  Sdhabel* 
flache. 

9ladh  biefen  SluBeinanbetfehungen  wirb  man  ohne  SeitereS 
finben,  bafj  bie  9iad)enlj6l)le  ober  ber  Sdjlunb  ber  gemeinfame 
Seg  für  bie  ein*  unb  au8geat()mete  Suft,  fowie  für  ©peifen 
unb  ©etränfe  fein  mu§.  $m  unteren  ©nbe  ber  fRadjenhöhfe 
t^eiit  ficb  bet  Seg,  inbem  ber  Borbere  ftane  Schlauch  ber  Suft, 
unb  ber  hinter  biefem  gelegene,  wäfyteub  bet  ©d)lingpaufe  Bon 
Borne  nach  hinten  gnfammengebrüdfte,  ber  Nahrung  gum  JDurcb« 
tritte  bient.  — Serfen  wir,  beBor  wir  weiter  gehen,  nod> 
einen  33Hcf  auf  ba8  fo  mannigfach  geftaltete  Slnfafjrobt  gurücf, 
fo  treten  unS  fofort  bie  gafylreidjen  ^emmniffe,  welche  bie  im 
Äehlfopf  entftanbenen  £6ne  auf  ihrem  Sege  gur  Säufeenwelt 
pafftren  muffen,  Bot  Singen.  Sag  Sunber  alfo,  wenn  bie 
menfdblidje  Stimme  als  folc^e  in  ihrer  urfprünglidjen  Feinheit 
nicht  an  unfer  £>hr  treten  !ann!  Senu^t  bet  Menfd)  unter  3u» 
hülfenahme  ber  gugehorigen  MuSfuIatur  bie  Bielen  ^inbernijfe 
be8  Slnfa^rohreS  nad)  einem  gewiffen  Spftem,  fo  bilbet  ftdj  ber 
Äehlfopfton,  bie  Stimme,  gut  Spraye  um. ' 2)a  gibt  e8  33o!ale 
unb  Äonfonanten;  ba  gibt  e8  ©aumen»,  Sippen»,  Sungenlaute 
unb  betgleidjen.  Sluf  alle  biefe  werben  wir  fpäter  ausführlicher 
gn  fprechen  tommen. 

33etrachten  wir  un8  nunmehr  ba8  ^auptorgan,  ben  Äehl« 
topf.  JDetfelbe  liegt  in  ber  Mittellinie  be8  33orberhalfe8,  bicht 
unterhalb  be8  UnterfieferS;  beim  Sptedhen,  Singen  unb  Schlingen 
tann  et  in  ausgiebiger  Seife  gehoben  unb  gefenft  werben;  and) 
ift  eine  feitlidje  33erfchiebung  in  giemlidh  bebeutenbem  ©rabe 
möglidh,  woburdj  ändere  ©ewaltthätigleiten  leicht  an  ihm  ab« 

(708) 


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9 


gleiten.  S3ei  Scannern  tritt  er  oft  äufsevft  beuilid)  am  £alfe 
tjeroor,  tote  überhaupt  ber  Äehlfopf  be8  9Jtanne8  f djärf ere  Um« 
riffe  befifct,  als  bet  toetbli^e;  am  meiften  fpringt  bie  oorbere 
.Kante,  b.  i.  bie  2Jtittellinie , vor;  btefen  SBorfprung  h«t  man 
SlbamSapfet  genannt,  — ein  eigentümlicher  9iame,  toie  e8  ihrer 


Kehldeckel 


WRicujkiorpU 

LuftTöhe/c1 

jtttlbtituie 


fftflur  1.') 

Sie  Äcfjlfopffnorpet  unb  oberen  Stinge  ber  8uftröljre  oon  born,  burd) 
©anbtnajje  oerbunben. 


noch  niele  au8  ben  Äinberjahten  bet  Sföeb^iu  in  biefer  gibt. 
2) et  Äehlfopf  ift  non  mancherlei  3Beid)theilen  umlagert,  nach 
beten  (Entfernung  man  ihn  be§  Genaueren  unterfuchen  tann: 
nach  unten  hängt  er  mit  bem  oberen  (Enbe  ber  Luftröhre  burch 

(709) 


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10 


ein  ftarfeS  elafttjdjeö  23anb  gufammen;  et  befielt  im  SBefentlidjen 
au8  fünf  mit  einanber  betoeglidj  oerbunbenen  .Knorpeln  Bon 
fe&t  Betriebener  ©röfjc,  gorm  unb  23eftimmung.  ©eine  ©eftalt 
ift  eine  jtoat  unregelmäßige,  aber  beiberfeitS  fpmmetrifdje;  feine 
untere  Deffnung  ift  runblid}  unb  Heiner  als  feine  obere,  tneldje 


Sigur  2. 

Äeljtfopf  ooji  (jiuten  gtfetjen,  uadj  Gmfernimg  bet  SDtuöfelu,  mit  ben 
Änorpetn  uitb  Säubern. 

fftnfecfig  erfdjeint.  Da 8 ganje  .Knorpelgerüfte  ift  mit  SDluSfulatur, 
locferem  3eHgewebe  unb  ©djleimljaut  befleibet  unb  erhält  ßiet» 
butdj  bie  ©eftalt  eines  Jurten  5iol)re8.  3n  feinem  oberen  9lb* 
fdjnitte,  gerabe  Bon  feiner  uovberen  SDlittellinie  auSgefyenb,  oer* 
laufen  beiberfeitS  nad)  hinten  3»ei  ©eiueb  8 falten,  welche  ftaffel* 
weife  übereinanber  liegen,  unb  non  beuen  ba8  obere  ?)aar  meljr 

(7101 


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11 


fauliger,  baä  untere  meljr  {einiger  Statut  ift;  ba8  lefjtere  ift  ba8 
eigentliche  Stimmbanbpaar,  wetdje8  jut  (S^eugung  bet  Stimme 
von  weientlidjem  ©influfje  ift. 

3)a8  ganje  ©erüft  bei  ,£et)lfopfe8  wirb  vom  fRingfnorpet 
getragen,  bet  au8  biefer  Urfadje  autfy  bec  ©runbfnorpel  genannt 


Kehldeckel-- 

falsches  Stimm  band 
Tasche 


Knorpel- 


<513111-  3. 

Hai  Äefjlfopfmuere  von  Ijuiteii  gefeljen.  ®ie  t)intere  Staub  iu  bev  ®tittel= 
littie  burdjfdjirittett  uttb  beibe  Steile  auSeiitanbergetegt. 

wirb.  6t  fyat  ofyne  viel  ^)^antafte  bie  gorm  eines  ©iegelringeö 
unb  fifct  unmittelbar  bem  oberften  Änorpelljalbting  bet  üuftiöljre 
auf. 

JDet  gröfjte  Änor^el  be8  ÄeljlfopfeS  ift  bet  ©cljilbfnotpel. 

@t  ftellt  eine  grofje  längliche,  beibetfeitß  gleidjmäfjig  gefdjweifte, 
in  bet  ©litte  gefniefte  glatte  bat,  weldje  an  ihren  vier  ©den 

(tu) 

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I 


12 


je  einen  runblicpen  3npfen  Ijat,  berat  beibe  untere  bie  ©elenf* 
»etbinbung  mit  bem  Slingfnorpel  bewerfjtelligen;  bie  beiben 
oberen  «erben  burd)  banbartige  (Stränge  mit  bem  unmittelbar 
oberhalb  beS  ÄeljtfepfeS  gelegenen , fyufeifcnförmigen  3nngenbeine 
oetbunben. 


Siffnr  4. 

SMngfnotpel;  a oort  üorne,  b üoit  hinten. 


Sigut  5. 

Sdjilbfnorpel;  öon  üorne. 


£)et  widjtigfte  Änorpel  beö  ÄeljlfopfeS  ift  bet  ©iefjbeden» 
fnotpel,  welket  paarig  »ortyanben  ift.  35ie  alten  Anatomen 
fyaben  biefem  Änorpelpaare  jenen  feltfamen  fRamen  gegeben, 
weil  efl  iljnen  bei  an  einanber  gelegten  3nnenfläd}en  bem 
©djnabel  einet  ©iefjbedenfaraffe,  eines  ^jenfelfrngeS,  äfynlidj  ju 
fein  festen.  SDer  einzelne  Änorpel  fyat  bie  ©eftalt  einer  brei* 
fettigen  9)pramibe  mit  abgebogener  ©pifee,  welche,  wenn  bet 

(71J) 


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13 


Äefylfopf  fid)  im  meufflidjen  Äörpet  beflnbet , nad)  rücfwärtfl 
jeigt.  — Sluf  bet  ©pi§e  ft$t  bet  ©antorini’ff  e Änorpel  auf.  — 
2)er  ©iefjbecfenfnorpel  Ijat  jwei  Soitfäfce,  beten  einer  nadj  oorne, 
bereu  auberet  nad)  aujjen  unb  hinten  weift.  ©r  ift  mittels 
©eien!,  welches  non  feinet  concaoen  SBafiS  mit  bem  oberen 
Stanbe  bet  Hinteren  £älfte,  bet  glatte,  beö  StingfnorpelS  gebilbet 
wirb,  mit  biefent  äufjerft  beweglid)  oerbunben. 

2) et  fünfte  Änorpel  beS  Äef)IfopfeS  ift  wieber  unpaarig; 
eS  ift  bet  Äeljltecfel,  meldet  in  bet  23udjt,  bie  beim  Sufanimen» 

b 


Sigur  6. 

3ted)ter  öiefjbecfertfitorpel.  a oon  tunen  unb  hinten;  b oon  oorne  aufjen. 

treffen  bet  beiberfeitigen  glatten  beS  ©d)ilbfnorpel«  in  beffen  ÜRitte 
gebilbet  wirb  f angeljeftet  ift.  SBenn  man  ben  Äeljlfopf  aufjett 
betaftet  unb  auf  bem  SlbamSapfel  nad}  aufwärts  gleitet,  fo  trifft 
bet  taftenbe  Singet  unwidfütllf  in  einen  ©palt;  biefet  ift  bie 
Sln^eftungSfteHe  beS  ÄefylbecfefS,  melier  in  gwei  auf  einanbet 
fenfredjten  Stiftungen  gewölbt  unb  oon  oorne  n ad)  hinten  be= 
weglidj  ift.  6t  legt  fid)  beim  ©flingen  mit  bem  Hinteren 
Steile  bet  3uuge  gemeinfam  auf  bie  obere  Deffnung  beS  Äel)l= 
lopfeS,  inbem  biefer  wcftenb  beS  @dj linfacteS,  wie  Sebet  an  fid) 
felbft  beobaf  ten  !ann,  nad)  oorne  unb  aufwärts  fidj  bewegt.  — 
2)aburdj  bafj  bet  Sungengrunb  beim  ©djlingen  fidj  auf  ben 
Äel)l!opfeingang  legt,  refp.  ber  J?el)lfopf  ftdj  unter  ben  3ungen* 
grunb  herauf  fd)iebt,  oetmag  wäljrenb  beS  ©djlingenS  baS  ©enoffene 

(J13) 


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U 


auch  bann  nicht  in  ben  Äehlfopf  eingubringen,  wenn  bet  Äefyl* 
bccfet  fehlt  ober  »erlernt  gegangen  ift.  SDlan  hat  lange  geglaubt, 
bem  Äeljlbetfel  fade  währenb  beß  ©Chlingacteß  bie  Hauptrolle 
beim  Sßerfdjluffe  beß  Äeljlfopfeß  gu;  boc^  fyaben  bie  neueren 
Uuterfudjungen  biefe  bem  Sungengrunbe  gugewiefcu.  9lu<h  ift 
man  ba  unb  bort  bet  SSnfidjt,  ber  S3crfdjlu§  fceß  Äehlfopfeß  beim 
Schlingen  »erbe  gum  großen  Stfyeil  burd)  ben  ©d)lufj  ber  ©timm» 
rijje  mit  bewirft;  man  Ijat  bteß  barauß  f fliehen  wollen,  ba§ 
bei  ©timmbanblähmungen,  wenn  bie©tintntbänber  ntdbt  gefdjloffen 
werben  fönnen,  häufig  ©peifett  in  bie  Suftröljre  gelaugten.  Crß 
ift  biefet  ©Chluh  aber  beßwegen  woljl  nicht  gerechtfertigt,  weil 
man  bei  (Srfranfungen  beö  Äehlfopfeß  überhaupt  mit  großer 
5öahrf<heinlid>feit  annchmen  barf,  bah  biefem  Organe  auch  baß 
richtige  Stnpaffungßgefühl  »erloren  gegangen  ift,  ober  auch  bie 
anberen  beim  ©düingacte  in  S5etradit  fommenben  Organe  bei 
Grfranfung  beß  eineu  felbft  mit  ergriffen  finb.  S^atfadfe  ift 
aber,  bah  beim  ©ehlingacte  unter  normalen  33erhältniffen  bie 
Bunge  ftcf>  fo  über  ben  Äehlfopf  lagert,  bah  fein  Eingang  be- 
, beeft  ift.  JDieß  fann  man  feljr  leicht  mit  bem  eigenen  Sinket 
nachweifen:  man  ift  nidjt  im  ©taube,  ben  in  ben  {Rachen 
geführten  ginger  ohne  9lnwenbung  non  ©ewalt  auch  in  ben 
Äehlfopf  gleiten  gu  laffen.5) 

S3etradjten  wir  jef$t  bie  im  Äeljlfopfe  außgefpannten  beibeu 
fogenannten  ©timmbänberpaare.  3«h  bemerfte  fchon  oben,  bah 
baß  obere  $)aar  — bie  fallen  ©timmbänber,  auch  SEafchenbänber 
genannt  — mehr  häutiger  üftatur  feien.  35iefelben  haben  mit 
ber  ©timme  birect  nidjtß  gu  thun.  JDaß  unterhalb  biefer  gelegene 
Jöänberpaar  l>at  ein  fehnigeß,  weifjglängenbeß  Sußfehen;  in  ihm 
haben  wir  bie  eigentlichen  ©timmbänber  »or  unß.  3wif«hen 
biefen  unb  ben  SEafChenbäubern  befinbet  fiCh  jeberfeitß  eine  23ucf)t, 
welche  alß  bie  SOiorgagni’fChe  SEafdje  begeidjnet  wirb.  üDie  beiben 
Sänberpaare  entfpringen  oorne  in  ber  SRittellinie  beß  Äehlfopfeß 
»om  ©Chilbfnorpel  nahe  beffen  Gcinfdjnitteß , alfo  an  feiner 

(TU) 


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15 


jfnicfungßfante,  bic,  wie  Mannt,  bem  Slbamßapfel  cntfpricht. 
$Die  Stafdjenbänber  nehmen  il>ren  9fußgangß$unft  etwas  weitet 
nach  eben  unb  aufjen,  alß  bie  wahren  ©timmbänber;  hinten 
treten  beibe  $)aare  an  bie  ©ie^tccfcn*  cber  ©teQfnovpel  t )cran 
unb  jwar  an  beren  n ad)  »orne  geridjteten  gortfä^e,  bie  ^genannten 
©timmfortfäfje;  bie  Slafdjenbänber  wieberum  etwaß  über  nnb  nach 


Sigur  7. 

2>a$  im  Äefjifopffpicgel  gefdjene  23ilt>  beö  Ä'eljlfopfeä  beim  Siulauten. 


Sigur  8. 

®asfeibe  beim  (Sinailjmtn. 


aufjen  toon  bem  Slnfajje  ber  wahren  ©timmbänber.  IDaburch 
bafj  biefe  lederen  fowohl  norne  alß  hinteu  in  ihren  9lnfafjpunften 
einanber  naher  liegen  alß  bie  Safchenbänber,  ift  fofort  erfichtlid), 
baff,  wenn  bei  ber  erforberlicheu  9Dtußfelthätigfeit  bie  ©timm« 
bänber  fidj  bewegen,  wenn  bie  wahren  ©timmbänber  behufß  bet 
ber  Swnbilbung  fidj  berühren,  bie  Safdjenbänber  immer  nod) 
einen  merflichen  Slbftanb  »ou  einanber  aufweifen  muffen. 
Söährenb  baß  Stafdjenbanb  nun  ein  mit  nur  geringer  $Dtuefu= 
latur  oetfehener  ©chleimhautwulft  ift,  enthält  baß  wahre  ©timm= 

(711) 


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16 


baub  einen  anfebnlidjen  fßtuSfel,  welcher  bet  bet  ©timmbilbung 
oon  erheblichem  Sntereffe  ift.  SDie  wahren  ©timmbänber  feigen 
auf  bern  JDurcbfchnitte  ungefähr  bie  fjorm  eines  SDretedö.  SBäb» 
tenb  ihre  obere  glätte  als  ^origontat  im  Berbältniffe  gut  fenf» 
recht  gebauten  ÄeblfopfSwanbung  angefeben  werben  fann,  ift 
beten  untere  glädje  eine  febr  abfcijüffige,  fo  gwat,  bah  biefelbe 
ohne  befonberen  SÜbfafc  in  bie  fenfrecbt  abfaHenbe  SBanb  beS 
unteren  ÄeblfopfabfcbnitteS  übergebt. 

Beim  gewöhnlichen  Slt^men  liegen  bie  ©timmbänber  mehr 
ober  weniger  an  ber  SEÖanb  beS  ÄeblfopfeS;  fie  ftnb  erfdblafft; 
fte  bewegen  fich  nur  in  gang  geringen  SDimenftonen,  am  beut« 
Haften  beim  ISuSatbmen,  wobei  fte  pdf  einanber  etwas  nähern, 
©ollen  Jöne  im  menfcblicben  Äeblfopfe  beroorgetufen  werben, 
fo  muffen  ausgiebigere  Bewegungen  ftattftnben.  ^)iergu  ift  bie 
2lrt  ihrer  Slnbeftung  befonberS  bienlicb.  9öir  wiffen  bereits, 
baff  ber  ©iefjbeden«  ober  ©teüfnorpel  auf  einer  fugeligen  @e* 
lenffläche  beS  9iing!notpelS  auffifct  unb  fo  eine  febr  freie  Beweg» 
liebfeit  ihm  eigen  ift.  5Da  für  gewöhnlich  bie  ©timmbänber  ftd) 
nicht  berühren,  fo  fönnen  aud)  bie  ©timmfortfä^e  ber  ©teil» 
fnorpel,  ba  au  biefe  bie  ©timmbänber  angebeftet  finb,  ftcb  nicht 
berühren.  3e  nathbem  nun  bie  jt'ebtopftnuSfeln  in  oetfcbiebe» 
nem  @rabe  unb  in  »erfcbiebener  3ufammenfteQung  einwirfen, 
werben  Jöne  ber  »erfdfiebenften  8trt  ber&or8e&rac^-  55® 
gewöhnlichem  3u8atbmen  fchon  eine  leichte  Bewegung  ber  ©timm» 
bänber  ftatt  ba*,  f°  3»ar,  bah  bet  gwifdjeu  ihnen  gelegene 
JRaum  — bie  fogenannte  ©timmri^e  — ft<h  etwas  »erengt,  fo 
muh  beim  ^»eroorbringeu  oon  Jöncn  bie  ©timmn^e  ftcb  noch 
mehr  »erengern;  biefelbe  wirb  naljegu  gänglich  gefchloffen;  ftnbet 
»ollfommener  ©<hluh  ftatt,  fo  fautt  in  biefem  Slugenblicf  ein 
Jon  nicht  entftehen,  ba  in  folchem  galle  ein  gum  Jöneu  notb* 
wenbiger  Waftor,  baS  IDutchftrömen  oon  8uft  burdj  bie  ©timm» 
ri^e,  nicht  oorhattben  ift.  3e  bö^er  mau  beim  ©ingeu  in  ber 
©cala  fteigt,  befto  mehr  werben  bie  ©timmbänber  oon  beu  ent» 

(716) 


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17 


fprechenben  fDtubfeln  in  bie  Sänge  gezogen  unb  gefpannt.  ©ei 
beit  galfdttönen  erteilen  bie  ©timmbänber  bie  gröffte  ©pamtung, 
unb  zwar  bejonberb  in  bet  Sänge.  ©ingt  man  eine  ©caia,  fo 
fteigt  bet  Äehlfopf  mit  bet  .Jpöhe  beb  üoneb  im  Jpalfe  empor. 
@b  mitten  hierbei  bie  äufeeten  Äehlfopfmubfeln  unb  biefe  bringen 
but<h  ihre  3ufammenziehung  gleichzeitig  eine  entfprechenbe  ©er» 
änbetung  bet  Äetjifopffnorpcl  zu  einanber  heruor  unb  unterftüfcen 
fo  bie  SSirfung  ber  inneren  .ft'ehlfopfmubfeln.  SDenfen  mit  baran,, 
bafe  bie  ©timmbänber  Dom  Slbambapfel,  aljo  ber  SÖiittellinie  beb 
Äehlfopfeb,  ,‘getabe  nach  rücfroärtb  ziehen.  Söirb  ein  Sion  an« 
gefchlagen,  fo  fpamten  fich,  mie  mir  fchon  miffen,  bie  ©timm» 
bänbet  oor  2tUem  ihrer  Sänge  nach;  eb  muh  atfo  ber  oon  oorn  nach 
hinten  gebadete  SDurchmeffet  beb  Äetjltopfeb  fid)  oerlängern,  unb 
bieb  beroirfen  bie  inneren  Äehlfopfmubteln  fchon;  je  höhet  aber 
ber  Sion  mitb,  um  fo  länger  muh  ber  SDutchmeffer  beb  Äehlfopfeb 
metben,  unb  hier  treten  fdjUehlich  bie  äußeren  Äehlfopfmubfeln 
immer  mehr  in  SEhätigfeit,  inbem  fie  ben  Äehlfopf  h*ben  unb 
gleichzeitig  in  golge  ihrer  eigentümlichen  Sage  unb  Slnheftung 
bie  beiben  ©eiten  beb  Äehltopfeb  zufammenbrücfen,  alfo  ben  hier 
in  Setradjt  fommenben  SDutchmeffer  tergröhern,  moburch  bie 
Shätigfeit  ber  eigentlichen  üehlfopfmubfeln  nicht  unerheblich 
unterftü^t  mirb.  3m  giftelregifter  mitten  alle  hierher  gehörigen 
fSJiubfeln  mit;  bähet  eb  auch  leichter  ift,  mit  giftelftimme  laute 
Slöne  zu  fingen,  alb  mit  ©ruftftimme.  3m  Sruftregifter  mitten 
nämlich  uur  einzelne  ©fubfeln  unb  zwar  cornehmlich  ber  eigent» 
liehe  ©timmbanbmubfel;  alle  anberen  treten  in  ben  ^»intergrunb, 
ba  ber  Äetjltopf  bei  ©rufttönen  feine  normale  runbliche  gotm 
behalten  muh-  SDarnach  ift  eb  tlar,  bah  ftaftDoöe  ©rufitöne 
meit  gröbere  Uebung  unb  änftrengung  bebingen,  alb  galfetttöne, 
ba  bei  lejjteren  ja  teine  3folirung  bet  SMrfungeu  einzelner 
SRubfeln  nothmenbig  ift. 

SBab  ich  iw  Se^teren  aubeinanber  gefegt  \)a.he,  betrifft 
bie  mähren  ©timmbänber,  alfo  bab  untere  ©aat.  ü)lit 

XIV.  331.  2 (717) 


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18 


9te<fft  fann  man  mid)  nun  fragen:  maß  foQen  bie  falfdjen 
©timmbänber,  was  fyat  eS  mit  fcev  gwifdfyen  bem  magren  unb 
falfdjen  ©timmbanbe  gelegenen  fötorgagni’fdjen  £afd)e  für  eine 
Bewanbtnif)?  SDiefe  Brägen  ftnb  ferner  gu  beantworten;  man 
fjat  fdjon  alle  möglidjen  ©eutungen  oevfudjt.  35urdj  Unter* 
fudjuug  mit  bem  Äetylfopfjpiegel  fann  man  fouftatiren,  baff  beim 
Slnfdjlagen  eines  SEoneS  baS  falfc^e  ©timmbanb  fidj  feft  auf 
baS  waljre  legt,  unb  um  fo  fefter,  je  ftärfer  unb  fyöljer  bet  fyer* 
»orgebradjte  Ston  ift.  @8  wirb  alfo  beim  Singen  bie  ÜKorgag« 
ni’jdje  Üafdje  jebenfaöS  gefd)loffen,  ja  wal)rfd)eiulid)  »ollfommen 
auSgeglidjen,  unb  fann  biefelbe  alfo  feinen  Stefonaugraum  ab» 
geben,  weldjeS  le&tere  oielfältig  behauptet  worben  ift.  ©ie  bürfte 
»ielmefyr  ben  ©timmbänbern  bei  iljren  auSgebeljnten  Bewegungen 
baS  ÜJtaterial  gut  Blä^enauSbe^nuug  bet  erfteren  Ijerge6en. 
©inb  bie  ©timmbänber  gefpannt,  fo  ftrtb  bie  SBänbe  ber  Üafdje 
»erbraust;  legen  ftdj  bie  ©timmbänber  gegen  bie  feitlicfye  SBanb 
be$  ÄefylfopfeS,  fo  entfteljt  beiberjeitS  bie  SHorgagni’fdje  £afd)e. 
SDie  falfdjen  ©timmbänber  treten  in  etelen  Bälleu  für  bie  wahren 
©timmbänber  ein.  Bei  gäljmung  beS  einen  wahren  ©timm* 
banbeS  fann  Ijäuftg  bennodj  beuilidj,  wenn  audj  etwas  raufy, 
gefprodjen  werben,  weil  baS  falfdje  ©timmbanb  ber  franfen 
©eite  bie  {Rolle  beS  erfranften  wahren  ©timmbanbeS  übernimmt. 
SDaS  @leid?e  finbet  oft  ftatt,  wenn  ein  ©timmbanb  butdj  @e* 
fdjwüre  ober  äljnlidje  ^roceffe  gu  ©runbe  gegangen  ift.  Börner 
bürften  bie  falfdjen  ©timmbänber  beim  SSnfdjlagen  oon  Baifett« 
tönen  erfyeblidj  mitwirfen,  inbem  fte  burd)  fefteS  Slufliegen  auf 
ben  jefyr  oerbünnten  wahren  ©timmbänbern  biefe  leiteten  gegen 
ben  ftarfen,  »on  ben  fcungen  nad)  oben  btingenben  guftftrom 
gu  ftüjjen,  audj  einen  Stfyeil  ber  ©timmbanbbreite  fdfjwiugungS» 
unfähig  gu  madjen  fc^einen.*) 

3d)  Ijabe  fdjon  »orljin  angebeutet,  baff  bet  Äeljlfopf 
äufterlid)  aud)  »on  5RuSfelu  umlagert  ift,  bie  beim  Sltljmen, 

©predjen,  ©ingen  oon  gtofjet  SBidjtigfeit  finb.  ©ie  »erbinben 

<n*) 


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19 


ben  Äefylfopf  nad)  unten  mit  bem  Sruftbein,  nach  oben  mit 
bem  Zungenbein,  refp.  bem  Äepfe.  Aufjet  biefen  an  bem  Äel)l* 
fopfe  felbft  angehefteten  9Jlu8feln  gibt  eS  noch  anbere  ^>al8- 
muöfeln,  bie  ben  elfteren  %il3  um»  theilS  überlagern.  Sebecft 
»on  allen  biefen  SJiuöfeln  liegt  bem  {Ringfnotpel  unb  bem  oberen 
J^eile  bet  Suftröhre  »orne  unb  auf  allen  beiben  ©eiten  bie 
©djilbbrüfe  auf.  ©ie  beftefyt  auS  gwei  ©eiten*  unb  einem 
©littellappen.  Seim  weiblichen  ©efchledjte  ift  biefe  JDrüfe  im 
Allgemeinen  gtöfjer  al$  beim  männlichen  unb  oergröfcert  fid) 
ungemein,  in  welchem  3uftanbe  fie  Äropf  genannt  wirb  unb 
nicht  feiten  Anlajj  3U  ernftlichen  Sefchwerben  beim  Athmen  gibt. 
55a  fommt  e8  manchmal  »or,  ba§  Semanb  über  Athemnoth 
flogt  unb  bieö  Uebel  allem  Anbeten,  nur  nicht  feinem  oielleicht 
faum  bemerfbarett  Äropfe  jur  Saft  legt.  55ie8  erfcheint  um  fo 
etflärlicher , als  fid)  häufig  bie  ©djilbbrüfe  nad)  unten  1)*«» 
gwifdjen  Sruftbein  unb  Buftröhre  cergröf)ert  unb  in  biefem  @ng* 
paffe  bie  leitete  gufammenbrücft;  in  foldjem  gälte  ift  beim 
bloßen  «^infeben  ber  Äropf  fchwer  3U  erfennen  unb  auch  bie 
©itelfeit  fpielt  nicht  einmal  bie  Angeberin.  SDerartige  Ärßpfe 
werben  aber  meift  leicht  befeitigt,  währenb  anbere,  fehr  in’8  Auge 
fadenbe  oft  eine  äufserft  langwierige,  manchmal  fogar  refultat» 
lofe  Seljanblung  mit  fich  bringen. 

9iad)bem  nunmehr  im  Allgemeinen  ein  Ueberblicf  über 
bie  anatomifdjen  unb  functioneOen  33erl)ältniffe  beS  menfchlichen 
©timm»  unb  @prad)=organe8  gegeben  ift,  werbe  ich,  beoor  wir 
3U  bem  3Weiten  Steile  unfereö  £l)ema8  fd)reiten,  einige  er» 
länternbe  Semerfungen  gum  Atf)mung§med)ani8mu8  geben.  SBenn 
berfelbe  un8  h*K  aud)  weniger  feinem  eigentlichen  Bwecfe 
nach  intereffirt,  fo  ift  e8  boch  3um  leichteren  Serftänbniffe 
unferer  Aufgabe  bienlich,  ein  SöenigeS  barübet  3U  fprecheu. 
SDurd)  bie  Atmung  wirb  bie  Suft  in  ben  Bungen  beftänbig 
erneuert  refp.  ben  lefjteren  ber  ©auerftoff  ber  atmofphärifdjen 
Buft  ftetig  3ugefül>rt,  um  ba8  bei  feinem  ÄteiSlauf  burch 

2*  (H9) 


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20 


ben  Äörper  mit  itoßlenfäure  überlabene  ©lut  oon  bietet  ju 
befreien  unb  ißm  ben  jum  8eben  nothwenbigeu  ©auerjtoff 
»iebet  einzuoetleiben.  3>ie  8ungen  finb  in  ber  ©tußhöhle  her« 
metifcß  eingejdhloffen  unb  füllen  biefe  neben  anbeten  6inge»eiben 
ootlfommen  au$.  SDieS  fommt  batjer , baß  ber  atmofphärifche 
guftbrucf,  »eldb«  burcp  SERunb,  sJla)e,  &et)lfopf,  Suftrßhre  unb 
beten  fernfte  2lefte  auf  ber  3nuenfläd)e  ber  8unge,  b.  h-  ber 
8ungenblä$dhen,  al$  ©nborganen  ber  8uftrößrenäftchen  laftet,  tote 
8ungen  fo  lange  auöbehut,  bi«  iljre  äußere  Oberfläche  fich 
überall  ben  ©ruftranbuugen  enge  angefdjmiegt  Ijat.  @o  ejrifttrt 
in  ber  ©rufthßhl«  fein  leerer  9iaum;  aud)  bilbet  ft<h  bafelbft 
beim  SUhmen  feiner ; fobalb  fid)  nämlich  bie  23ruft^ö^Ic  außbehnt, 
alfo  ber  bie  ändere  guitgenoberflädje  belaftenbe  ©ruftforb  ftdj 
»on  biefer  entfernen  will,  fo  bebnt  naturgemäß  bie  noch  unter 
bemfelben  IDrucf  fteßenbe,  in  ben  Zungen  befmblidje  atmofpßä* 
rifcße  8uft  jene  leßteren  fo  lange  au«,  al«  bie  ©elaftung  ißrer 
äußeren  gläbße  abnimmt.  @o  erflärt  ficf)  alfo  ba«  ©inftrömen 
non  8uft  in  bie  Zungen  auf  meehanifcßem  3Bege:  bie  8uft  wirb, 
»ie  beim  ^umpwerfe,  eingefogen.  Seim  äuSatßmen  ber  8uft 
oerengt  fidß  bet  ©ruftforb,  »oburcß  ein  SDrucf  auf  bie  jungen 
unb  bie  in  biefer  enthaltene  8uft  auögeübt  wirb,  welch’  leßtere 
al«bann  butcß  bie  Suftrößre  entweicht.  Bur  ©ilbung  ber  ©timme 
unb  Sprache  ift,  »ie  wir  fpäter  feßen  »erben,  bie  SluöatßmungS* 
pßafe  »on  größter  SBicßtigfeit. 

©eoor  wir  nunmehr  Sluffdjluß  über  ba§  SBefen  unb  bie 
©ilbung  ber  menfcßlichen  Stimme  unb  Spraye  zu  erlangen  fucßen, 
muß  ich  ben  8efer  noch  mit  ben  Mitteln  befannt  machen,  mit 
welchen  man  im  ©tanbe  ift,  ben  Äeßlfopf  be«  lebenben  fDienfcßen 
unferem  iJluge  zugänglich  gu  machen.  S)a  e8  oon  ber  5Runb* 
höhle  zu  unferem  ©timmorgane  feinen  gerabeu  ©kg  gibt,  biefer 
an  ber  lauteren  Diadjenwanb  oielmehr  redjtwinflig  nach  unten 
»erläuft,  fo  ift  e«  ohne  3uhülfenahme  oon  Snftrumenten  uumög* 
lieh,  ba8  Jt'ehlfopf«3nnere  »ährenb  be«  Sebeue  zu  erforschen. 

(730) 


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‘21 


ftigur  ll. 

Haltung  ber  Bunge  unb  (Sinffitjrung  be$ 
Äeljlfopffpiegele. 


(7*1) 


ftigur  9. 

2ln  ber  Stirnbinbe  befeftigter  JReflcctor. 


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22 


2)iefer  SJlangel  ift  wohl  ftetS  gefüllt,  unb  fpeciell  in  unfetem 
Sabrhunbert  finb  mannigfache  35erfuche  gur  Söfung  biefer  grage 
gemacht  worben.  SDie  erften  fteOte  1827  Vabington  an;  ihm 
folgten  anbere;  boch  fcpeiterten  alle  an  ben  mancherlei  Schwierig* 
feiten,  bie  ficb  entgegenftellfen.  ©rft  1854  gelang  eS  bcm  ©efang* 
lehrer  ©arcia  in  Sonbon  mittels  eines  fleinen,  in  ben  fRachen 
eingefübrten  Spiegels  bie  ©timmbänber  gu  fefjcn.  @r  benutzte 
feinen  Spiegel  aber  nur  gu  33erfuchen  über  Stimmbilbung,  nicht 
aber  auch  3ur  ©rfennung  unb  Teilung  non  ©tfranfungen  be§ 
StimmorganeS.  2) er  Umftanb,  bah  ber  Ä’ehlfepffpiegel  nicht 
non  einem  Slrgte  erfuitben  würbe,  mag  wo  1)1  am  meiften  bagu 
beigetragen  hoben,  bah  betfelbe  gunäcbft  gar  nicht  befannt,  am 
wenigften  aber  gebfthrenb  gewürbigt  würbe,  ©laubte  hoch  felbft 
Slürcf,  ber  1857  in  SBien  auf  feiner  Älinif  mit  einem  non  ihm 
felbft  fonftruirten  Äehlfopffpiegel  bie  erften  Verfuche  gut  (Sr* 
fennung  ber  Äehlfopffranfheiten  machte,  nicht  an  bie  33ebeutung 
feiner  (Svfinbung.  ©rft  ©germaef,  bamalS  in  f)rag,  ber  non  ben 
Verfugen  Srtrcf’S  gehört  unb  non  biefem  einen  Äehlfopffpiegel 
fich  entliehen  hotte,  machte  auf  bie  ungeheure  Tragweite  ber 
(Srfinbung  aufmetffam.  @t  führte  auch  bie  fünftlidje  Veleudj* 
tung  ein,  wäljrenb  3:ürcf  unb  ©arcia  fidh  nur  beS  Sonnenlichtes 
gu  bebieuen  wuhten.  ©r  machte  alfo  bie  Äehlfepfuntetfud^ung 
non  ben  SBitterungSeinftüffen  nollfommen  unabhängig,  ein  35er* 
bienft,  welchem  bie  tafche  Verbreitung  unb  33erwenbung  ber  ©r* 
finbung  3um  groben  Shcile  gugefdjrieben  werben  muh-' 

SBaS  nun  bie  Unterfuchung  felbft  anlangt,  fo  finb  bagu  nur 
ein  Sicht  unb  gwet  Spiegel  erforberlich-  2)et  gröbere  Spiegel 
(§ig.  9.)  ift  hehl  gefc^liffen  unb  bient  gum  Sluffangen  beS  StcpteS 
ber  Sampe;  ber  fleinere  Spiegel  (gig.  10.)  hot  baS  Äeljlfopf* 
innere  wiebergufpiegeln,  nachbem  baffelbe  oorher  erleuchtet  ift. 
2)ieS  wirb  erreicht,  inbem  man  auf  ben  in  ben  Oiachen  einge.- 
führten  fleinen  Spiegel  — ben  fogenannten  Äehlfopffpiegel  baS 
mit  bem  groben  Spiegel  aufgefangene  Sicht  fallen  labt.  3Der  fleine 

(TM) 


6“ 


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23 


Spiegel,  »eldjet  in  ber  SRitte  bet  dinieren  Diadpenwanb  unterhalb 
beß  ääpfcpenß  in  einem  SBinfel  non  etwa  45°  mit  feiner  Spiegel- 
fläche nad)  uorne  unb  unten  geneigt  ift,  wirft  baß  empfangene 
Sicpt,  entipreepenb  betn  ©efepe  ber  Straplenbrecpung  nadp  unten 
auf  ben  Äeplfcpf  unb  erleuchtet  pierburep  benfelben.  3m  gleidpen 
Slugenblicfe  fpiegelt  fiep  bet  Äeplfopf  in  bem  fleineu  Spiegel 
(Siepe  gig.  11.)  unb  unfer  Singe  ift  alßbann  im  Staube,  in 
biefem  ben  elfteren  gu  beobadptat.  JDer  grofje  Spiegel  ober  Sie* 
flcctcr  mup  pietbei  mcglidbft  nape  bem  beebaeptenben  Sluge  an* 
gebracht  fein;  meift  befefligt  man  ipn  auf  ber  Stirne. 

So  ift  man  alfo  mitteiß  eines  fepr  cinfacpen  STpparateS 
im  Stonte,  Kopien,  bte  3aprpunberte  lang  erft  naep  bem  Uobe 
in  Slugentepein  genommen  »erben  fonnten,  jefjt  wäprenb  beß 
?ebenß  fdwn  gu  betraepten  unb  bort  lofaliftrte  Äranfpeiten  ju 
erfennen  unb  ärgtlid)  gu  bepanbeln.  — Stuf  äpnlicpem  SSege, 
»ie  ben  jleplfopf  unb  bie  Suftröpre,  unterfuept  man  auep  bie 
SRafenpöple  non  pinten,  inbem  man  ben  gur  23efi<ptigung  beß 
Äeplfepfeß  in  ben  9iad)en  eingefüprten  Spiegel  fo  umfeprt,  baff 
feine  Spiegelflädie  ftatt  naep  oerne  unten  naep  norne  oben  ge* 
rieptet  ift. 

SSenn  »ir  unß  nunmepr  gum  Srennpunfte  unfereß  peutigen 
Spemnß  »enben,  fo  tritt  gunäepft  bie  grage  an  unß  peran: 
SBaß  ift  Stimme?  SRan  nerflept  unter  ipr  ge»öpnliep  ben  Sluß* 
bruef  unb  3npalt  bet  klänge,  bie  ein  mit  normalen  Organen 
netfepener  SRenfep  pernorjubringen  nermag.  SDtefe  unter  Sei* 
hülfe  beß  SBinbropreß  im  ÜRunbftücfe,  bem  Üeblfopfe,  entftanbene 
Stimme  wirb  im  anjapropre  gut  Spraepe.  ©enau  genommen 
fennen  wir  alfo  niemalß  bie  Stimme  eineß  SReniepen,  ba  biefe, 
epe  fie  gu  unferem  Opre  bringt,  baß  Slnfapropr  paffiren  mu|, 
alfo  gur  Spraepe  wirb,  ©ine  abfolute  ©tenge  gwifepen  Stimme 
unb  Spraepe  »erwögen  wir  baper  gar  niept  feftgufepeu.  SBir 
»ernepmen  eben  bie  im  Äeplfopf  entftepenben  üöne  niept  alß 
&öne,  fonbern  alß  Älänge,  b.  p.  alß  SBofale  ober  Sofalflange. 

' (7W) 


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24 


35a  nun  biefe  lefcteren  fd)on  ein  ©lement  bet  Spraye  finb,  fo 
ift  eine  fdjarfe  ©renge  gwifdjen  ©timme  unb  Sprache  unmöglich- 

3ur  Jonergeugung  ift  eS  nothwenbig,  ba§  bie  ©timmbänber, 
bie  beim  gewöhnlichen  athmen,  wie  befannt  mehr  ober  min* 
ber  ben  feitlidjen  Äehltopfroanbungen  anliegen,  fic^  einanbet 
beträchtlich  nähern  unb  gugleid)  in  ©pannung  nerfejjt  werben, 
©inen  gweiten  gactor  gur  ©rgeugung  eines  Joneö  ftnben  wir  barin, 
bafj  bie  im  SBinbrohre,  alfo  bet  Luftröhre,  bepnbliche  8nft  unter 
erhöhten  SDtucf  burd)  forcirte  auöathmung  bei  nahegu  gejchloffe* 
net  ©timmrifce  gefefct  wirb.  Ob  nun  bie  bierbutdj  in  ©djwin* 
gungen  nerfefcten  ©timmbänber,  ober  ob  bie  fdjmingenbe  8uft* 
faule  beS  SBinbrehreS,  ober  ob  beibe,  ©timmbänber  unb  guft* 
faule,  gemeinfam  ben  Sion  entfielen  laffen,  ift  bis  jefjt  noch  nicht 
etwiefen.  3umei[t  wirb  angenommen,  baf?  bie  an  bie  gefpannten 
©timmbänber  anpraDenbe  £uft  in  töuenbe  Schwingungen  »er- 
lebt werbe.  35ie  anbere  Stnftcht,  baff  baS  eigentlich  Jönenbe  im 
Äefylfopfe  bie  ©timmbänber  allein  feien,  fyat  in  unferet  3«it  nur 
wenige  Bertreter  mehr.  35aljingegen  ift  man  neueftend  geneigt, 
beibe  Slnfidjten  gu  oereinen,  fo  gwar,  baf)  beibe  gactoren  gleichen 
antheil  am  Jonen  hätten.  3ur  ©tüf)e  biefer  Behauptung  wirb 
geltenb  gemacht,  baf)  beim  Söeglaffeu  ober  Beränbern  aud?  nur 
eines  ber  beiben  gaetoren  immer  erhebliche  Unterfchiebe  in  ben 
Älängen  wahrgunehmen  feien.  5)iefe  gange  &rage  pafft  auch, 
begreiflich,  auf  bie  3wngeninftrumcnte  überhaupt,  bereu  Jheorie 
ton  ben  ÜJteiften  gwat  als  feftftehenb  betrachtet,  in  neuerer 
3eit  hoch  in  3»eifel  gegogen  worben  ift. 

Söenben  wir  unö  nunmehr  auf  einige  Slugenblicfe  ben  Be* 
bingungen  ber  Jonbilbung  gu.  35er  Jon  ift  bie  einfachfte  gorm 
beS  ©chadeö.  55er  ©chall  ift  jebe  Bewegung,  bie  oon  einem 
normalen  Ohre  gehört  wirb,  folgen  folche  Bewegungen  in 
gleiten  3»if<h«nüutnen  Unb  gwar  in  ber  ©efunbe  wenigftend 
16  auf  einanber,  fo  pernehmen  wir  einen  Älang.  ©inen  Jon 
netnehmen  wir,  wenn  ein  elaftifdjer  Körper  in  penbelartige 

(7«) 


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25 


Schwingungen  gerate,  welche  bie  umgebenbe  8uft  ftofetoeife  in 
Bewegung  fejjt,  nnb  wenn  btefc  ©töfje  fo  rafd)  auf  einanbet 
folgen,  ba§  baS  £>ht  bie  eingeln  nidjt  mehr  wafjrnehmen  Tann. 
2Sitb  biefe  einfache  ©cbroingungSform  ceräntert,  fo  treten  Sieben» 
töne  auf.  Stegen  biefe  mit  bem  primären  Sion  in  fyarmonifdjem 
SBerljältniffe,  fo  entftel)t  auS  bem  einfachen  Eon  ein  Klang. 

SDie  Ba^l  bet  Schwingungen  eines  tongebenben  Körpers  in 
einer  gewiffen  Beit  beftimmt  feine  Eonhöf)e;  unb  biefe  l)ängt 
ton  bet  ifänge  beS  fdjwingenben  Körpers  ab  unb  fiept  gu  biefet 
in  umgefeprtem  Serpältniffe:  alfo,  je  länger  eine  ©aite,  befto 
tiefer  ber  Eon.  ferner  bängt  fie  ab  ton  bem  ©rabe  ber  ©pan« 
nung:  je  ftraffer  bie  Spannung,  befto  fyöljet  ber  Eon.  ©rittenS 
wirb  bie  £öf}e  beS  EoneS  beftimmt  burdj  bie  SDicfe  ober  ben 
Duerfdjnitt  beS  fcpwingenben  Körpers : je  bicfer  bie  ©aite,  befto 
tiefer  bet  Sion.  33iertenS  ift  ber  ©rab  ber  SDicptigfeit  beS  fcpwin* 
genben  Körpers  mafjgebenb:  je  bitter  bie  ©aite,  befto  popet  ber 
Eon.  SDie  ©timmbänber  beS  mcnfcpUcpen  KeplfopfeS  geben  bem» 
nacp  einen  um  fo  pöperen  Eon,  je  fiirget  fie  überhaupt  finb 
ober  je  mept  fie  gefpannt  werben.  SBegen  bet  geringeren  8änge 
bet  ©timmbänber  finb  im  Allgemeinen  bei  grauen  unb  Kinbetn 
bie  Eöne  pöpet  als  bei  ÜJiännern. 

SDie  ©tärfe  eines  EoneS  bängt  ton  ber  AuSbepnung  ber 
Schwingungen,  feine  ©röjje  ton  bet  fDtaffe  beS  fcpwitigenben 
5JtaterialS  ab.  SDie  Klangfarbe  ift  burcb  bie  2lrt  beS  fchwingen« 
ben  SftaterialS,  butcp  bie  $otm  bet  ©cbwingungen  bebingt. 
fRetne  Eöne  paben  feine  Klangfarbe,  ba  fie  burdj  einfache  ober, 
hoppelte  'Penbelfcpwingungen  cntftepen;  fie  fönnen  nur  an  Stimm« 
gabeln  mit  abgeftimmten  fRefonangropten  pettorgetufen  werben. 

©in  gut  entwicfelteS  unb  auSgebilbeteS  jugenblicpeS  ©timm* 
organ  tetmag  brei  Dftauen  unb  mehr  gu  umfaffen.  fRacp  ber 
©töfie  befl  KeplfopfeS,  inSbefonbere  nach  ber  ©eftalt  bet  ©timm« 
bänber  unterfcpeibet  man  bie  menfcplicben  Stimmen  in  niet 
Stimmlagen:  Sopran,  Alt,  Eenor  unb  SSap.  3eber  ©timm« 

(*») 


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26 


umfang  fann  fi<ß  auS  groei  bis  brei  auf  einanber  folgenbe  refp.  iu 
eiuanber  greifenbe  JReißen  ober  ütegifter  »on  Slönett  gufantmen» 
feßen;  biefelben  ßaben  gewiffe  Serftßiebenßeiten  beS  Klanges. 
Klangfarben  ober  timbres  oetmag  ein  ©äuget  innerhalb  feines 
©timmumfangeS  minbeftettS  gwei  gum  SluSbrucf  gu  bringen; 
biefelben  finb  burtß  Serlängeruttg  ober  Serfürgerung  beS  5tnfaß* 
roßreS  bebingt.  Sei  ber  menfcßlicßen  ©timme  unterfcßeibet  man 
»ier  Slonregifter:  1.  baS  Stuft»,  2.  baS  galfettregifter,  3.  ben 
baö  erftere  nad)  unten  fort'eßeuben  ©troßbaß  ober  baS  ©cßnarr» 
regifter  unb  4.  ba§  an  baS  galfett  nacß  oben  fidj  anftßließenbe 
Kopfregifter. 

SDie  Slöne  beS  SruftregifterS  ßaben  eine  getoiffe  Klangfülle 
unb  werben  mit  ooDem  ifltßem  ßeroorgebracßt.  ©ie  finben  in 
ber  gangen  Sruft  einen  9teionangraum,  ber  ißnen  ihre  gftöe 
unb  ©röße  »erleißt.  SDie  naturgemäße  ©pracße  beS  ÜJtanneS 
bewegt  fi<ß  innerhalb  beS  SruftregifterS.  SBiK  man  ßößere 
Sone  ßeroorbringen,  fo  muß  man  gum  galfett»  ober  giftelregifter 
greifen;  botß  befißen  foldße  weniger  Klang,  ©tärfe  unb  güHe. 
©o  wenig  uns  bie  galfetttöne  beS  ÜJtanneS  anmutßen,  fo  feßr 
finben  wir  ©efatlen  an  benen  ber  grauen,  ©ie  finb  weit  wollet 
unb  fd>öner  als  beim  üJtanne  unb  werben  faft  auSfcßließlicß  gut 
©pracße  benußt.  Söie  baS  Sruftregifter  ber  grauen  um  eine 
Dftawe  ßößet  beginnt  als  bei  ÜRäunern,  fo  reießt  aueß  ißt  giftel* 
regifter  eine  Dftaoe  ßößet  ßinauf,  beginnt  aber  giemlicß  auf  bet» 
felben  $öße  wie  beim  ÜJtamte.  Sei  ben  ©troßbaßtönen,  welcße 
fieß  an  ben  normal  tiefften  Sion  beS  SruftregifterS  anfeßließen, 
empfinbet  baS  Dßr  eine  merflicße  Qtbnaßme  beS  Klanges,  ber 
©röße  unb  ber  ©tärfe,  bis  fie  feßließließ  nur  meßr  als  ©etäufcß 
angefproeßen  werben  fönnen.  Son  ben  £önen  beS  KopfregifterS, 
weites  gunäcßft  als  gortfeßung  beS  weibli(ßen  galfettS  betraeßtet 
werben  muß,  läßt  fttß  baS  ©leieße  fagen,  wie  »om  ©troßbaß. 
Seim  ÜJtanne  ift  baS  Kopfregifter  bei  SBeitem  weniger  umfang» 
teieß,  als  bei  grauen,  bei  welcßen  eS  bementfprecßenb  aueß  ßößere 

(7M) 


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27 


Sebeutung  fyat.  Seim  SJtanne  werben  auch  einige  gwifchen 
Sruft«  unb  gatfettregifter  gelegene,  fünftlich  geübte  £öne,  Äopf* 
töne  genannt-,  fie  finb  größer  unb  »oller  alö  bie  be§  Saljcttö. 

Sie  im  Äehlfopfe  entfteljenben  Sone  fönnen  fic^  »ermöge 
ber  Sauart  unfercS  Stimm«  unb  Sprad)  organeS  fo* 
wohl  nach  unten  in’ö  SBinbrohr,  bie  Luftröhre,  alö 
nad)  oben  in’8  Slnfajjrohr,  Sladjen*,  Söiunb«  unb  Siafeuhöhle 
fortpflanjen,  woburd)  bie  fogenannte  Siefonanj  entfielt.  33ei  ben 
Srufttönen  ift  bie  Stimmte  entfpredienb  beu  Schwingungen 
ber  Stimmbänber  abwedj'elnb  gefcbloffen  unb  lcid)t  geöffnet:  in 
ffolge  beffen  finbet  ber  Srufttcn  währcnb  bcö  Scbluffe§  ber 
Stimmbänber  in  ber  8uftröl)re  unb  in  ben  Zungen  einen  Sie* 
fonanjraum,  woburch  fie,  wie  bereits  befannt,  eine  befonbere 
Sülle  unb  ©röfje  erlangen.  Sei  ben  Salfetttönen  fdjlie^t 
fidj  bie  Stimmrijje  nie  gauj;  fie  flafft  immer  etwas,  in  Böige 
welchen  Umftanbeg  biefe  2öne  nidjt  nad)  unten  tefoniren  fönneu, 
ba  ja  bie  i?uft  beftanbig  entweid)t;  biefe  aber  finben  ihren  Sie* 
fonan^raum  im  9!nfafcn>hre:  fie  fd)einen  nidjt  auö  ber  Sruft, 
fonbern  auö  bem  Äopfe  ju  fotnmen.  Sa§  weiblidje  Balfettre» 
gifter  fcheint  tiefen  Sebingungen  nicht  3U  unterliegen;  wenigftenS 
finbet  innerhalb  beffelben  ein  annähernber  Sd)luf}  ber  Stimm* 
bänber  ftatt,  fo  bafj  bie  8uft  nicht  beftanbig  nach  oben  entweiht, 
»ielmeht  bie  Luftröhre  unter  erhöhten  Srucf  jefjt  unb  fo  jur 
Siefonang  geeigneter  macht. 

Ser  (Sinflufj,  welchen  baö  Iflnfafcrohr  auf  ben  im  Äehlfopf 
entftanbenen  Son  auäübt,  ift  ein  mannigfaltiger,  entfprechenb  ber 
Sauart  beS  erfteren,  bie  (Singangö  erläutert  würbe.  Sehufö 
©intheilung  ber  innerhalb  beS  &nfafcrohre§  entftehenben  Sprach« 
laute  unterfcheibet  man:  1.  Sen  Siachenraum,  2.  ben  Siafen* 
rachenraum,  ber  über  erfteren  liegt  unb  burch  ba8  bewegliche 
©aumenfegel  »on  biefem  abgefd)loffen  werben  fann,  3.  bie 
Sölunbhöhle  unb  4.  ben  ÜJlunblippenraum.  Sie  SJiunbhöhle 
reicht  »otne  bis  an  bie  ©dhnribegähne;  unb  ber  SRunbUppenraum 

(727) 


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28 


liegt  jwiichen  ben  3äi?nen  einet»  unb  ben  Sippen  fotoie  bet  33acfen= 
wanb  anbercrfeitß.  3um  fRafentacbenranm  gehört  auch  bie 
fRafenhhle  mit  ihren  fftebenhöhlen , welche  alß  9iefonanjräuine 
bienen,  Selbftöerftanblich  fann  ba«  fHnfafjroht  in  feinen  55i* 
menfionen  bei  ber  ihm  in  teigem  SDtafje  augehörenben  fBlußfula* 
tur,  bei  bet  greibeweglichfeit  bet  Bunge . ber  fcippen  nnb  bet 
Saugeuwaub  in  mannigfacher  Seife  »eränbert  werben.  $ie 
fjffolge  banon  ift,  ba§  bie  bem  Äehlfopfe  entftrömeuben  2Jne 
ebenfo  cielfachen  3J?obificationen  unterworfen  werben  fönnen. 
£ierburd)  entfielen  bie  terfchiebenen  Sprad)laute,  bie  allen 
©praßen  gemeinfdbaftlid)  finb.  Senn  auch  in  feiner  Sprache 
alle  Spracblaute,  welche  ber  SRenfch  ^ernotbringen  fann,  gefun* 
ben  werten,  fo  ift  bodj  jeber  normal  befchaffene  fPtenfd)  f<*h* g, 
fammtlicbe  £aute,  bie  in  ben  »erfchiebenen  Sprachen  angewenbet 
wetben,  burd?  Uebung  $u  erlernen;  benn  bie  Organe,  welche  jur 
3?ilbung  berfelben  bienen,  finb  bei  allen  fDfenfchen  gleich- 

5Ran  unterfdjeibet  bie  Sprachlaute  in  5kfale  ober  Selbft* 
lauter  unb  in  Äonfonanten  ober  ÜJlitlauter.  @ine  befonbere 
Stelle  nimmt  ba§  H ein.  Sei  ihm  fteht  baö  2lnfaf$rotyr,  fowie 
bie  Stimmrijje  weit  offen.  ÜDie  fftafe  ift  burch  mögliche  Jpe* 
bung  beö  ©aumenfegelö  eon  ber  SRunbhöhle  abgefperrt.  wirb 
foniel  8uft  alö  möglich  außgebaudjt  unb  jwar  mit  einem  gewiffen 
Sto§e,  fo  bafc  bie  aubgehaudhte  guft  auf  ihrem  Sege  burd)  ba8 
9lnfaf}rohr  fid?  allenthalben  an  biejen  Sänbeu  reibt  unb  fo  mehr 
ober  weniger  beutlidje  ©etäufdje  erzeugt.  SDie  ©riechen  unter» 
fdjieben  einen  rauhen  unb  einen  weichen  £au<h;  ber  erftere  ift 
baö  foeben  befchriebene  H,  bei  welchem  alfo  bie  Stimmrifce 
weit  geöffnet  ift.  2>er  weiche  £auch,  refp.  beffen  3«<hen  würbe 
non  ben  ©riechen  jebem  ein  Sott  beginnenben  SBofale  norauö« 
gefegt,  infofern  nicht  ein  harter  £au<h  gehört  werben  feilte.  2)et 
erftere  entfteht,  inbem  iu  folgern  galle  »or  ber  fSuefpradje  be« 
betreffenben  fßofale§  bie  Stimmrihe  auf  einen  ÜJloment  ge* 
fdjloffen  wirb.  Sd}lie|t  man  bie  Stimmn^e  nicht,  fo  tönt  ber* 

(7Jf) 


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29 


felbe  SBofal  nicht  mit  präcifem  Anfa£e,  fonbetn  eö  gebt  ihm  ein 
me^r  ober  weniger  beutlid^er  £auch  oorauö,  bet  fogenannte 
barte  H*baud).  3Ran  fann  fid?  baoon  leicht  überzeugen,  wenn 
man  beutlich  unb  bintereiuanber  „Abenb"  unb  „haben",  „Alp" 
unb  „halb"  auöfpticbt. 

©öd  ein  33ofal  entfteben,  fo  mufj  bet  9Runb  mehr  ober 
weniger  weit  geöffnet  unb  baö  ©aumenfegel  höbet  ober  tiefer 
an  bie  hintere  {Rachenwanb  angebrücft  werben,  wobutcb  bie 
{Rafenböble  gegen  ben  Suftftrom  abgefperrt  wirb  unb  bet  im 
üeblfopfe  gebübete  Son  bie  dJlunbböble  unb  ben  SRunb  paffirt. 
Sei  bet  Silbung  ber  SSofale  fommen  am  meiften  bie  3ungen» 
beweguugen,  wie  SBor*  unb  {Rücfwärtöfchiebung , Hebung,  3Böl* 
bung,  Aufrichtung,  ©enfung  unb  Abflachung  ber  3unge,  ferner 
auch  Setlängermtg  unb  SSetfürjerung  ber  {ERunbjpaltc  in  betracht. 
25ie  ©teüung  beö  Äeblfopfeö  richtet  fich  im  SBefentlichen  nach 
berjenigen  beö  3nngenrüdfen8  unb  noch  mehr  beö  3«ngengtunbe8. 
Sei  u unb  o fteht  er  am  tiefften,  bei  a befinbet  er  fich  in 
mittlerer  Stellung,  unb  bei  ä,  e,  i fteigt  er  am  höchften.  35er 
mitflingenbe  {Raum  beö  Anfafctobreö  ift  am  größten,  am  weiteften 
bei  ä ; ihm  folgen  abwärts  a,  ö,  o,  e,  u,  ü,  i.  25ie  Sänge  beö  An« 
fafcrobreö  ift  am  bebeutenbfteu  bei  ü unb  u,  woran  fich  ö,  o,  a, 
ä,  e,  i fchliefjen.  25ie  dJUutbf palte  ift  am  breiteften  bei  a;  biejem 
folgen  ä,  o,  ö,  u,  ü,  e,  i.  35ie  {Kunböffnung  ift  am  größten 
bei  a,  bann  ä,  e,  i,  ö,  o,  ü,  u. 

3<h  h«öe  hiermit  begreiflich  3n  machen  gefucht,  wie  ein  So» 
fal  entftebt;  fein  SBejen  aber  haöe  ich  noch  näher  gu  erflären. 
3)affeU>e  hängt  mit  bem  Söefen  ber  .Klangfarbe  ober  beö  Tim- 
bres jufammen,  unb  erft  #elmbol§  ift  eö  gelungen,  Aufflärung 
hierüber  <$u  fchaffen.  „T)ie  Sofale  finb  oerfchiebene  .Klangfarben 
ber  ©timme,  beroorgebracht  burch  bie  {Refonanj  bet  für  beftimmte 
Stouböben  abgeftimmten  ÜRunb»  unb  {Rachenhöhle."  35en!en  wir 
unö  eine  hohle  {JRefftngfugel  oon  beftimmter  ©röfje,  burch  eine 
Deffuung  ber  äußeren  Suft  jugängig.  {Rehmen  wir  eine  Stimm« 

(7MJ 


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30 


gabel  unb  fdjlagen  biefelbe  an,  fo  ^ören  wir  nur  einen  gang 
fdjwachen  Jon.  galten  wir  aber  bie  angefdjlagene  Stimmgabel 
oor  bie  ßeffnung  bet  ^o^len  3Refftngfugel  unb  ^cren  wir  alß* 
bann  ben  Eon  feljr  beutlid? , alfo  »erftdrft , fo  wiffcn  wir,  baff 
bie  ^o^lfugel  auf  bcn  Stimmgabelton  abgeftimmt  ift,  b.  h-  ber 
£ohltaum  ber  Äugel  befrist  eine  folche  Stußbeljnung,  ba§  bie  in 
ihm  enthaltene  £uft  oon  einem  beftimmten  Eene  in  OJiitfcbwin» 
gungen  oerfefct  werben  fann  unb  alßbann  ben  primären  Eon  ber 
Stimmgabel  oerftärft.  ferner  folgert  fidj  hietauß,  ba§  luftljal» 
tige  ^ohlräume  oon  beftimmter  ©rö§e  für  beftimmte  Ebne  ab* 
geftimmt  unb  biefe  im  geeigneten  $aUe  su  oerftctrfen  in  bet 
Sage  finb.  3 5aß  SERaterial  ber  SBanbungen  fold^er  .gwhlräume 
fommt  nicht  in  {Betracht;  eß  finb  oielmehr  wefentlich  gornt  unb 
©rohe  beß  ^»ohlraumeß  im  ü8erl)cütuiffe  ju  beffen  Deffuungen 
bie  beftimmenben  gactoren.  25a  nun  ber  SRenfct)  oermöge  feiner 
SORußfulatur  im  Staube  ift,  feinet  ÜRunbhöble  unb  feinem 
sjJlunbe  bie  oerfchiebenften  formen  unb  Sußbehnungen  gu  geben, 
fo  leuchtet  eß  ohne  SBeitereß  ein,  bafj  bie  SKunbhöhle  auf  bie 
oerfcbiebenfieW  Eene  abgeftimmt  ift,  tefp.  werben  fann. 

Seim  3lußfptechen  ber  einzelnen  Sofale  nimmt  fowohl 
3Runb=  unb  {Rachenhöhle,  wie  auch  SRunbfpalte  für  feben  ein* 
jelnen  Sofal  immer  biefelbe  §orm  unb  Slußbehnung  an;  baher 
fommt  eß  auch,  ba|  für  jeben  Sofal  ber  ©igeuton  ber  9Runb* 
höhle  ftetß  ein  anberer  aber  fonftanter  ift.  Sei  bet  glüfterfprache 
entftehen  bie  Sofale  burch  SÄnblafen  ber  auf  bie  eiitgelnen  So* 
fale  abgeftimmten  SRunbhöhle,  unb  ber  hietbutd}  erwecfte  ©igen» 
ton  berfelben  mifcht  fich  ben  ©eräufchen,  welche  bie  glüfterftimme 
erjeugt,  bei.  33ir  fönnen,  wenn  wir  bie  einzelnen]  Sofale 
flüftern,  beten  oerfchiebene  aber  fonftante  Eonhöhen  wahrnehmen. 
2>ie  ©igentöne  finb  fowohl  bei  ©twachfenen  wie  Äinbern  für 
bie  einseinen  Sofale  gleich,  fobalb  nicht  oerfchiebene  SDialecte  ge* 
fprochen  werben;  bie  lefcteren  oeranbetn  bie  Eonhöhen  fehr 
bebentenb. 

(*30) 


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31 


@8  ift  befannt,  bah  bei  ber  teilten  Sßofalbilbung  bie  jftajeithöhle 
burdj  ba§  ©aumenjegel  »on  ber  SDiunb*  SRat^etiljöijle  abgejtlo|jeu 
wirb,  ©eftieht  bie§  abfittlit  ober  unabfittlit  nictjt,  jo  ftromt 
aut  Suft  burd)  bieje;  l)ierburd>  gerätb  bie  in  ber  jftajenl)öi)le 
enthaltene  2uft  in  9Ritjt»ingungen  unb  eS  entfteht  fo  bet 
eigentümliche  jftafenton.  get)lt  baS  ©aumenjeget,  ober  ift  eS 
nicht  noHfommen,  ober  auch  gelähmt,  jo  ift  bie  cSpradje  beftän® 
big  eine  näfelnbe. 

Söir  fommen  uunmehr  gu  ber  großen  ©ruppe  ber  ©onfo* 
nanten.  „©in  ©onjonant  ift  ein  im  Slnfahrohre  ibe§  menfts 
liehen  ©timmorganS  erzeugtes,  balb  mit,  halb  ohne  jfehlfopfton 
beftehenbeS  ©eraujt,  31t  befjen  Buftanbefommen  erforberlit  ift, 
bah  minbeftenS  gwei  einanber  gegenüberftehenbe  Speile  beS  !Hn* 
jahrohreS  fo  fich  gegeneinanber  bewegen,  bah  fie  fit  entweber 
auf  einen  SBtoment  oöüig  berühren  unb  fo  ben  9Runb!anal  gäng* 
lieh  oetjchliehen,  ober  both  bis  gut  SÖUbung  einer  ©täHrijje  »er» 
engen,  in  »eichet  bann  baS  ben  ©pratlaut  ober  baS  hörbare 
©pratgeiten  bilbenbe  ©eräuft  entfteht."  SDie  reinen  ©onfo* 
nanten  entftehen  ohne  SBeihülfe  ber  tßnenben  ©timmbänber;  bie 
anbeten,  »eite  biefeS  ©lementeS  in  ber  lauten  ©prate  nitt 
entbehren  fonnen,  ftnb  2,  5R,  91,  % 9t  (ng),  SB,  bisweilen  aut 
© (j),  @,  @tr  33-  25ot  ift  bei  biefen  nitt  bet  ^ehlfopfton 
baS  SBejentlite,  fonbern  ftetä  ba8  im  SHnjahtohre  gebilbete  ©e« 
rauft- 

3m  ©angen  teilt  man  bie  ©onjonanten  entfpretenb  ihrem 
©ntftehungSorte  ein  in  brei  fogenannte  SärtifulationSgebiete  (gig. 
12).  2)a8  erfte  umfaht  ben  3ungengrunb,  ben  hinteren  £heil 
beS  Irrten  ©aumenS,  ba8  ©aumenjegel  unb  bie  SRatenhShte. 
25aS  3»eite  ftlicht  fit  bem  erften  nat  oorne  an  unb  begreift 
bemnat  ben  »orberen  Slheil  beS  hätten  ©aumenS,  ben  Bungen* 
rüden  mit  bet  ©pitje  unb  enbigt  an  ber  £interfläte  ber  35hne. 
IDaS  britte  enblit  wirb  begrengt  non  ben  SBorberfläten  bet 
©tneibegähne  unb  ben  SBiunblippen. 

(731) 


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32 


3hter  @ntftehungö»eife  und)  man  bie  (Sonfonanten  in 
fünf  Familien  ein,  unb  g»ar  1.  in  ©toft*  ober  23erfcblu§laute. 
SDiejelben  entfielen,  wenn  baö  ©aumenfegel  gehoben,  alfo  bie 
SRafen^ö^le  gegen  bie  Söiunb  * fftacbenböhle  abgefd^Ioffen  »irb. 
2Bir  unterfdjeiben  brei  Wirten  £,  8.  9>'  laute,  für  jebeö  Ülrtifu« 


Sifliir  12. 

©<f)eTna  ber  3 Urtifulationb-  foroie  beb  L>@ebieteb. 

lationBgebiet  eine  31  rt.  3ebe  3(tt  enthält  einen  aeidjen  unb  einen 
harten  8aut.  3)ie  erfteren  g,  b,  b,  unterf Reiben  ftd)  »on  ben 
leiteten,  f,  t,  p,  baburch,  bafc  bort  bie  Stimme  mitflingt,  mäh3 
renb  hi«*  bet  gan$e  ©prathlaut  in  bem  flappenben  @eräuf<h  be= 
fleht,  »eld)eß  in  bem  änfatjrohre  gebübet  »irb.  @8  mürbe  un8 
ju  »eit  führen,  audj  über  ben  Nahmen  unfereS  33ortrage8  h*Hauö* 

(7*2) 


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33 


geljen,  wollte  id?  bie  oerfcbiebenen  Unterabteilungen  bet  33er* 
(djlu{jloute  (owie  ber  übrigen  im  golgenbett  nod)  befpredjen* 
ben  ©onfonanten  auSfüljren  unb  erläutern.  9tur  (ei  es  nod) 
geftattet,  ben  foeben  gegebenen  Unterfdjieb  awifdjen  weiten 
unb  garten  33erfd)luf}lauten  an  einem  Seifpiele  flar  ju  machen. 
25enn  man  fönute  mir  lagen,  ba§  beim  StuSfpredjen  (owofyl 


jl 

Sto§-  ober 

B 

D 

C 

,| 

58erfd)lu&’Saute 

P 

| 

r 

K 

SRetb>  ob.  33laS- 

W 

Z (fron  z.) 

J 

(l 

geräufd)- Saute 

F 

s 

CI1 

]| 

L * gaute 

1 

i' 

i| 

Scfjnarr--  ober 

R (br) 

R 

R 

‘1 

ti 

ii 

il  Bitter  ■ Saute 

II 

I 

fRafen- Saute 
ob.  fRefonanten 

M 

N 

N(ng) 

! i! 

III. 

II. 

i. 

StrtifulattonS* 

® e b i e t. 

i’ 

ginur  13. 

(SBftentattfdje  Säbelte  ber  fünf  Äonfonanten . gamilten. 


»on  ba  wie  pa  bie  ©timme  gehört  werbe.  3ebod>  wollen  wir 
einmal  barauf  achten,  weif  großer  Unterfdjteb  $u  Sage  tritt, 
(obalb  ba  unb  pa  möglidjft  (djarf  unb  genau  auägefprodjen  wirb. 
33ei  ba  tjören  wir  bie  ©timme  bereite  einen  Slugenblicf  früher, 
beoor  ber  ©d)lu|  ber  Sippen  burdjbrodjen  wirb  unb  baö  a an* 
lautet,  ©preßen  mir  hingegen  pa  au8,  fo  fiuben  wir  otyne 
SBeitereß,  ba|  erft  mit  beni  IRofale  a bie  ©timme  mitflingt. 

XIV.  331.  3 <Vii> 


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34 


3)ie  gweite  gamilie  bet  Gonfonanten  ift  bie  bet  fReib*  ober 
Slaßgeraufdjlaute.  SJielelben  entfielen,  fobalb  in  beit  Bet* 
fdjiebenen  Stttifulationögebieten  bet  Serfdjlufj  fein  Boüfommenet 
ift,  fo  baff  nur  eine  Verengerung  beS  9(nfafcrol)te§  an  bet  betreffen * 
ben  ©teile  eintritt  unb  Ijierburd)  eine  IReibung  bet  8uft  bie  gotge 
ift.  9lucb  bie  {Reibungslaute  fann  man  in  »ei<be  ober  tönenbe 
unb  in  batte  ober  tonlofe  eintbeilen.  3m  erften  2lriifulation8* 
gebiete  finben  »it  j unb  <b*gaute,  im  gweiten  ba8  frangöfifcbe  g 
unb  ba8  weid}e  f (in  SRofe)  unb  ba8  fdjarfe  8 (in  Stoff),  im 
britten  ba8  » unb  ba8  f. 

2)ie  britte  gamilie  umfaßt  bie  8*£aute  (gig.12  unb  13).  ©ie 
fteljen  gwifcben  ben  {Reibungslauten  unb  bet  folgenben  gamilie, 
ben  3itterlauten.  3n  bie  btei  SlrtifulationSgebiete  laffen  fte  fid) 
audj  nicht  eintbeilen,  »eil  fie  nicbt  »ie  bie  übrigen  in  bet  ÜRittel* 
linie  ber  SKunbradjenljöfyle,  fonbern  beibetfeiS  an  bem  ©eiten* 
ranbe  ber  3u«i0«umtte  gebilbet  »erben.  3)ie  S*gaute  entfteben 
baburdb,  bafe  bei  abgefdjloffener  {Rafenradbenböble  butcb  Snftem* 
men  beS  Sorbeten  SE^cilcS  ber  3unge  gegen  bie  ©djneibegäbne 
unb  ben  garten  ©aumen  bet  ©eitenränber  bet  3«nge  gegen  bie 
Botberen  Sacfgäbne  bet  ORunbfanal  fo  abgefdbloffen  wirb,  bajj 
nur  neben  ben  Hinteren  Sacfengäbnen  gu  beiben  ©eiten  ber 
3unge  eine  JDeffnung  bleibt,  burcb  welche  bie  Suft  nach  Borne 
gut  ÜRunböffnung  gelangt.  Sei  ihnen  ift  baS  {Dtittonen  bet 
©timmbänbet  eine  Sebingung  ihres  gautwerbenS. 

35ie  Bierte  gamilie  umfafft  bie  ©ebnart*  ober  3iNerlaute. 
IDiefelben  entfteben  baburcb,  bafj  bem  guftftrome  leicht  bewegliche 
Jbeile  beS  2lujatjrobre8  entgegengefteHt  »erben,  fo  baf)  biefelben 
mebt  ober  minber  ergittetn  unb  in  ©cbwingungen  getatben. 
Sei  ihnen  bebarf  eS  gum  gautwetben  be§  5Ritt6nen8  ber  ©tim* 
me.  35er  bem  erften  SlrtifulationSgebiete  entiprecbenbe  3»tber* 
laut  ift  jenes  8t,  »elcheS  entftebt,  inbem  ba8  ©aumenfegel,  inS* 
befonbere  aber  baS  3Sbf<hen  burcb  ben  guftftrom  in  heftige 
©<b»ingungen  gerätb-  3)aS  8t  beS  gweiten  SlrtifulatfonSgebieteS 

(7S4) 


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35 


ift  ba8  gemöbulidje  unb  entftetjt  burd)  ©djmingungen  be8  oot« 
beren  Uljetleö  bcr  3unge,  inSbefonbere  beten  ©pifce-  $Der  3ittet« 
laut  beä  britten  SrtifulationSgebieteS  wirb  bet  feinem  Äulturoolfe 
gu  ©pracbgmetfen  »ermenbet;  e8  mirb  burdj  ©tattern  ber  Sippen 
gebilbet  unb  finbet  mobl  bie  bäufigfte  Stnmenbung  »on  ©eiten 
ber  Äntidjer,  wenn  fie  iljre  ^)ferbe  gurn  ©teben  bringen  mol« 
len  (br). 

25ie  fünfte  Familie  enthalt  bie  fRafenlaute  ober  fRef  onanien. 
Diefelben  unterfdjeiben  ftd)  non  aßen  übrigen  ©onfonanten 
roefentlidj  baburd),  baf)  bei  ihnen  ba8  ©aumenfegel  ^erab^ängt, 
alfo  bie  9iafenbeble  bem  non  unten  tjeranfbringenben  Suftftrome 
offen  ftebt.  2)er  fRafenlaut  be8  erften  2trtifulation8gebiete8  ift 
ba8  Hintere  n ; e8  entfpricbt  bem  mit  gmei  Sudjftaben  geftbriebenen 
u*Saute  in  ben  SBßrtern:  ©ang,  .Klang,  3mang.  23ei  biefem 
Saute  legt  fid)  ber  Hintere  J^eil  ber  3u«ge  mehr  ober  minber 
bod)  unb  feft  an  ba8  ©aumenfegel.  Der  fRefonant  be8  gmeiten 
SÄrtifulationögebieteä  ift  ba8  gemobnlidje  n unb  entfteljt,  menn 
bei  gegen  bie  oberen  33orbergäbne  gebrangter  3«wge  bie  Suft 
»on  unten  b^  burdb  bie  fRafenboble  ftrömt.  3m  britten  2lrti* 
fulation8gebiete  finben  mir  ba8  3R,  meld)e8  bei  getroffenen 
Sippen  entftebt,  fo  gmat  baf$  bie  in  bie  nad)  au§en  gefcbloffene 
SRunbböble  eingetretenen  ©djadmeden  nad)  bem  SRat^en  bin  gu* 
rüdgemorfen  merben  unb  bann  ben  in  bie  SRafen^otjIe  bringenben 
Suftftrom  »erftarfen. 

Der  gufammengetefcten  ©onfonanten  fönnen  mir  ^cute  nur 
meljr  in  Äütge  gebenfen.  ©8  ift  fef)t  fermer  gu  fagen,  ma8  man 
unter  einem  gufammengefefsten  ©onfonanten  gu  »erfteben  b“t- 
Um  bicS  flat  gu  machen,  beburften  mit  »ieler  SBorte  unb  langer 
3eit.  SBir  fönnen  aud)  füglicb  über  bie  Definition  be8  gufam» 
mengefefjten  ©onfonanten  ohne  9tacbtbeil  binweggeben  unb  moden 
nur  feben,  mie  er  gu  ©tanbe  fommt.  ©8  gefd)iebt  bieö,  menn 
gleicbgeitig  ober  febr  tafd)  auf  einanbet  bie  eingelnen  übeife 
SfafatjrobreS  für  gmei  ober  mehrere  ©onfonanten  eingeftedt  merben. 

(734) 


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36 


(£0  erübrigt  noch  ber  Sotlftänbigfeit  falber,  ber  Serbinbung 
ber  totale  mit  Äoufonanten  gu  Silben  Gfrwäbnung  gu  tbun; 
fie  fanu  auf  gweifadje  SBeife  not  ficb  gelten.  (Sntweber  beginnt 
bie  feilbe  mit  einem  Sofale,  welchem  ein  einfacher  ober  gufam» 
mengefefjter  (Sonfonant  folgt,  ober  ein  foldjer  macht  ben  Anfang 
mit  barauf  folgenbem  Sofale.  SBenn  bie  Silbe  mit  einem  So« 
fale  anlautet,  fo  ift  baö  Slnfa^robr  weiter  geöffnet,  alfl  bei  ben 
barauf  folgenben  (Sonfonanten;  beginnen  lefctere  eine  Silbe,  fo 
finbet  baä  Umgefebrte  ftatt.  Sei  ben  Sofalen  ift  ber  fcuftbrucf 
auf  bie  Stuft»  unb  Saudjorgane  ein  geringerer  bem  ©rabe  nadj, 
aber  ein  auögebebnterer  alö  bei  ber  Sonfonantenbilbung. 

@0  ginge  über  baS  Bwecfmäfeige  hinaus , wollte  id}  nodj 
ausführlicher  über  bie  Silbenbilbung  fpred)en,  wollte  id)  über» 
baupt  alle  hier  etnfd^lägigen  Stagen  auch  nur  fürgeftenS  erörtern. 
3<b  glaube,  ba{j  ba0  bieder  ©efagte  einen  befriebigenben 
©inblicf  in  ba0  menfdjlicbe  Stimm«  unb  Sprachorgan  im  M» 
gemeinen  bot  tbuen  laffen,  aud)  bie  Segtiffe  oon  bem  SSefen 
unb  ber  Silbung  ber  menfchlicben  Stimme  unb  Spraye  einiger» 
mafjen  geförbert  bot. 


3Utmcrhmtgcn. 

1)  ®ie  einzelnen  giguren  ftnfc  ben  SBerfen  »on  üufcbfa,  ÜRerfel 
unb  ©toerf  entnommen. 

2)  Sergl.  auch  be«  SSeifafferS  ©ctjrift  ,Ue6er  ben  ^uften",  granf- 
furt  a.  SR.  1879. 

3)  Sergl.  bie  oben  angelegene  ©d)rift. 


(T8fi) 

Truif  ven  Unjtr  (Sl).  #nmm)  in  Vrrtin,  fcdicntbfr^trfirafe»  17 1. 


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3)<is  kr  %nm 

in  k«lturi)trd)iii)tlifl|rt  unb  aflftdifdjrr  ßtiic|ung. 


23on 


Dr.  ÜIoj  Sdja^ler. 


«erlitt  SW.  1879. 

33  erlag  »ott  Garl  $abel. 

(<C.  <t.  tuhrritj’*cjjt  Brrlagibact]{jaaälmig.) 

38.  ■ errafit  33. 


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35a*  JHfdjt  bcr  Ueberftfcunfl  in  ftcmbe  ©ptadjcn  »irb  eorbebalten. 


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(Einleitung* 


*£t>enn  mau  im  gewöbnliten  geben  üott  „3tonie“  fpritt,  fo 
»erfleht  man  meift  nur  barunter  eine  gewiffe  §orm  beö  2lu8» 
btuefs,  welche  im  Sefentliten  fid^  baburt  fenngeitnet,  ba|  ba8 
©egenteil  t>on  bem  gejagt  wirb,  wa8  gemeint  ift;  fei  e8 
ba§  bet  Stebenbe  bie  '.äbftcbt  h®b  mifjoetftanben  gn  werben,  aljo 
über  feine  wahre  SJteinung  gu  tauften,  jei  e§,  ba§  et  babei  bad 
tid)fige  SSerftanbnife  feinet  wirfliten  SKeinung  oorauSfebt.  3m 
elfteren  §alle  begiebt  ftt  jebot  bie  3tbfidjt  beö  SJiifterftänbniffeS 
nur  auf  benjenigen,  gegen  melden  bie  3tonie  fit  richtet,  nitt 
aber  auf  bie  unbeteiligten  3ubö*et.  3m  ©egeutbeil  gewinnt 
bie  3tonie  etft  baburt  eine  ©pijje,  bafj  bie  gelteren  burt  bie  £ü  Eie 
bet  3tonie  binbureb  bie  wabte  ÜJteinung,  nämlicb  ba8  ©egen» 
teil  non  bem  ©efagten,  erfennen,  wobutt  bet  SBetroffene, 
welcher  baö  ©efagte  ahnungslos  für  aufrittig  hält,  ihnen  later» 
Ut,  gewiffermafjen  als  ein  leittgläubiget  5Dumm!opf,  erfteint. 
3m  gweiten  jfalle,  nämlit  wenn  bet  ironift  Siebenbe  nitt  bie 
Äbfitt  gu  tauften  f^at,  fonbetn  ba8  Serftänbnif)  feinet  wahren 
SEReinung  ootauSfejjt  — eine  fform,  bie  im  gewöbnliteu  geben, 
fowohl  im  ©ruft  al8  im  ©terg,  eine  »iel  gröbere  Stolle  fpielt, 
al8  man  fit  beffen  bewußt  ift,  g.  tö.  in  f ölten  gang  ttioialen 
SBenbungcn  wie:  „ba8  ift  eine  ftöne  ©eftitte!"  unb  taufenb 
anbeten  ähnliten,  bie  fofort  »on  3ebem  im  gegeutheiligen  ©intie 


XIV.  332.  333. 


(T39J 


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4 


»erftauben  »erben  — , fyat  bie  3ronie  bie  33ebeutung  entwebet 
beö  inbireften  Jabelö,  »enn  namlidj  ein  genfer  ober  ein  Vergeben 
gelobt,  ober  auch  be8  8obe$,  wenn  ein  tüdjtigeS  5Ber!,  eine  »er« 
bieuftlidje  £aublung,  ©igenfdjaft  u.  f.f. — unb  gwat  gerabe  inSDem, 
»a8  fie  auögeicpnet  — in  fdjergfyaft  freunblitper  SBeife  getabelt 
wirb,  ©ieö  ©ebiet  beö  ironifdjen  33erpalten8  Ijat  einen  fe^t 
weiten  Umfang,  ba  eö  »on  bem  (Syrern  beö  liebenSwürbigfteu 
SßoljlwoflenS  (im  itonifcpen  Jabel)  bis  gum  ftpneibenbften  £ol}n 
(im  ironifdjen  8obe)  eine  unenblidje  fReilje  »on  SKobififationen 
umfaßt. 

©leidjwoijl  bilben  alle  biefe  formen  bet  3ronie,  weil  fie 
lebiglidj  eine  jubjefti»*perfönlidje  33ebeutung  Ijaben,  nidjt 
ben  ©egenftanb  unfetet  Unterfudjung  unb  finb  pier  aud&  nur  er« 
wäfynt,  um  fie  auäbrüdflid)  »on  betfelben  au8gufd)lie|en.  9lnr 
biejenige  Seite  ber  fubjeftioen  3ronie,  welche  einen  äftljetifdjen 
unb  beS^alb  unter  bem  Schein  perfcnlidjer  Bonn  »erborgenen 
allgemeinen  SBertty  befifct,  fann  für  un8  in  Brage  fommen, 
obann  aber  baS  gro|e,  fulturgefdj  id^tlid)  Ijödjft  bebeutfame  ©e« 
biet  bet  objeftioen  3tonie,  welche  guweilen  felber  mit  ironifcfyet 
5Rebenbebeutung  al8  „3tonie  beö  ©djitffalS"  begeidjnct  gu  werben 
pflegt,  b.  I).  ba8  ©lement  bet  3tonie  alfl  negati»  tr ei- 
ben be  Ävaft  beö  fulturgefdfyidj  tlidjen  ©ntwicfelungö« 
ptoceffeö. 

Seoor  wir  aber  biefe  beiben  Sorten  ber  3ronie,  bie  wir 
futg  als  „fulturgefdjicptlicpe"  unb  als  „äftfyetifdje  3ronie"  be* 
geidjnen  fönnen,  näpet  in’8  'Äuge  faffen,  ift  e8  — um  ben  Ijiet 
leicht  eintretenben  ÜRifjoerftaubniffen  »orgubeugen  — notpweubig, 
un8  gunäcpft  über  ba8  SBefen  ber  3tonie  überhaupt,  fowie  über 
ben  Umfang  iljreS  ©efammtgebietö  gu  orientiren. 

Syrern  utfprünglidjen  Söortfiun  nad?  bebeutet  3ronie  (»om 
griedjifcf)  el'pco ) bloö  ba8  „fReben  mit  einer  beftimmten,  nur 

(7*0) 


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5 


feem  {Rebenben  befaunten  5£enbeng".  Snbern  nun  auf  festeren 
§)unft,  nämlich  auf  ben  nerborgenen  3wecf  beö  fRebenß,  bet 
£auptaccent  gelegt  wirb  unb  eß  für  baß  Verbergen  einet  geheimen 
Slbftcht  fein  beffereß  flRittel  giebt,  alß  ben  ©djein  angunehmen, 
bafj  man  gerabe  baß  ©egentheil  ober  wenigftenß  etwaß  non  betn 
SBeabfichtigten  gangi33et}cbiebeneß  begwetfe,  fo  liegt  bie  33ebeutung 
bet  „Srouie"  alß  einet  33  er  ft  eil  ung  beß  fRebenben  fefyr  nahe. 
JDte  ältefte  befannte  gorm  folcher  Sßetftellung  ift  bie  bet  „fofra» 
tifehen  3ronte",  welche  barin  befielt,  ben  ©tbein  angunehmen, 
alß  ob  ber  fRebenbe  über  eine  bem  gewöhnten  33ewuf)tfein  ge» 
läufige  ©ache  nidjtß  SBeftimmteß  wiffe  unb  ben  Sßunfcb  hege, 
fidj  barübet  bei  ben  „©achnerftänbigen"  Stat^ß  gu  erholen;  ba« 
butch  erhält  biefe  9lrt  ber  Stonie  bie  gotm  ber  Stage.  JDafj 
©ofrateß  unter  biejem  ©ehein  beß  ©idiunterri^tenwollenß  bie 
tiefere  p^ifofop^ifd^e  9lbft<ht  nerbarg,  bie  „©achoerftänbigen" 
burdj  ftetigeß  SSBeiterfragen  fchliefelid)  gu  3Biberfprü<hen  mit  fid? 
felbft  unb  baburd)  gu  bem  ©ingeftänbnif*  3U  bringen,  bafj  fie 
felber  nidjtß  wüßten,  ja  baf}  nielmehr  baß  ©egentheil  non  2)em  wahr 
fei,  waß  fie  bißh«r  bafür  gehalten:  biefe  fdjon  ben  fubftangieUen 
Snhalt  bet  Sronie  betührenbe  Uenbeng  fann  crft  fpfiter  in  33e« 
tracht  gegogen  werben,  ba  wir  eß  hier  »werft  nur  mit  ihrer 
formalen  33ebeutung  3U  tljun  haben. 

Slriftoteleß  charafterifirt  ben  „3tonifet"  alß  ©egenfah  gum 
„fRenommiften"  (älagonifoß) , inbem  er  in  bie  richtige  SRitte 
gwifdjen  33eiben  benjenigen  h*«f*ent,  ber  „einfach  bie  SBahr* 
heit"  rebet.  3«  ber  Sthat  entftetlen  beibe,  ber  Stonifer  wie  bet 
gtofjfpred&erifche  Stuf fchneiber , bie  SBahrheit,  aber  auß  entgegen* 
gefegten  ©rünben  unb  nach  netfchiebener  fRidjtung  hi«-  SDiefer 
©egenfafc  wirb  am  prägnanteren  burch  bie  beiben  lateinifchen 
Slußbrücfe  dissimnlare  unb  eimulare  gefenngeichnet,  inbem  näm» 
lieh  erfterer  unferm  beutfehen  „nerheimlichen,  nethehleu",  ber 

fMl) 


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6 


gmeite  unferm  „heucheln,  übertreiben"  entfprid)t.  Unfere  SibeS« 
formel,  ba§  ber  ©djnjßrcnbe  „nichts  als  bie  SBahrheit  unb  bie 
gange  SBahrheit"  gu  fagen  gelobe,  richtet  fid)  baljet  mit  großer 
Sorficht  gegen  beibe  formen  ber  Unwahrheit.  3«  bet  $hat  ift 
ber  oon  bem  alten  ©tagiriten  aufgefteüte  ©egenfafj,  felbft  in  ber 
form  beS  äußerlichen  Verhaltens,  fchlagenb*  ber  fRenommift,  al8 
gro&fptedjetifdjer  Bügner,  ift  oorlaut,  lärmenb,  eitel,  phantaftifch, 
unoorfichtig  abfprechenb;  ber  3tonifer  bagegen  geigt  fid)  wort» 
farg,  fdjeinbar  fid)  unterorbnenb,  aber  aufmerffam  auf  jebe  Vlöjje, 
gurüdhaltenb  im  StuSbrud  feiner  Smpfinbung,  feine  ©eberben 
be^errfdienb. 

Sing  ber  nnrfjamften  SRotioe  für  bie  fomifche  SBirfung 
unb  non  wahrhaft  braftifdjem  Sffeft  ift  bafyer  ber  Äampf  gwijchen 
ben  Vertretern  biefer  beiben  Sjrtreme,  gwijchen  ‘-bem  3ronifer 
unb  bem  SRenommiften.  Um  bie  SBirfung  beS  jd)lief)lid)en  SRe» 
fultatS  gu  oerftärfen,  nimmt  ber  Srftere,  ber  ©reßjprecherei  beS 
Betteten  gegenüber,  anfangs  ben  ©cbein  gutmütiger  ©laubig« 
feit  an,  um  ihn  — wie  $)ring  -£>einrid)  ben  eblen  SRitter  galftajf 
bei  ber  Srgüljlung  beS  ÄampfeS  mit  ben  (Steifleinen  — fic^ 
möglidjft  tief  in  feinen  Bügen  perftriden  gu  taffen,  bis  fchließlid), 
nad)  Slufbedung  bet  Sattheit,  bie  Unoerfdämtljeit  beS  ©roß» 
pral)lerS  in  fläglid)e  Vefdjämung  umfdjlägt;  eine  Vejd)ämung, 
welcher  fic^  freilich  folftajf  burd)  neue  lügenhafte  SBenbungtn 
ober  burd)  bonhommiftifd)e  Vertufcßung  gu  entgiehen  fud)t. 

UebrigenS  haftet  ber  3ronie  ebenfowohl  wie  ber  fRenommage 
eine  oerborgene  Buft  an  ber  SSäufchung,  eine  ©djabenfreube 
über  bie  gutmütige  Vornirtheit  beS  ©etäufdjten,  ja  unter  Um» 
ftänben  etwas  SefuitifdjeS  an.  £)enn  baS  „3efuitifd)e"  *)  beruht 
theilS  in  ber  beabfidjttgteu  £äufd)ung,  baß  ber  SRebeube  gwar 
bem  SB  ortlaut  na<b  bie  SBahrheit  fagt  aber  gugleidj  mit  bem 
Sorte  eine  Vebeutung  oerbinbet,  welche  baS  ©egentheil  oon 

(142) 


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7 


SDem  enthalt,  waß  bet  Slnbere  barunter  »erftehen  foQ,  theilß 
barin,  bah  et  nicht  bie  ganjc  SBahrheit  fagt,  fouberu  getabe 
baß  SBefentlicheJoerfchweigt,  woburd)  jugleich  baß  Unwefentliche 
eine:Bebeutung  erhält,  ;welche  oielmeht  bie  SBahrheit  in  Un» 
Wahrheit  netfeijten  mu§.  Befjtereß  ift  namentlich  ber  ©harafter 
beß  ©ophibmuß,  jeneß  antifen  3efuitißmuß,  gegen  ben  ©ofrateß 
mit  feinet  pofititen  Stonie  anfämpfte. 

SBenn  bie  fofratifdhe  Stonie  l)ier  alß  „pofitiB"  bejeidjnet 
»itb,  fo  liegt  bie  Berechtigung  bagu  in  bem  Umftanbe,  bah  fie 
fich  eben  babutch  »on  bem  negatioen  Verhalten  beß  ©ophißmuß 
untetfcheibet,  bah  fie  nicht  wie  bet  leitete  auf  Betfehrung  bet 
SBahrheit  in  Unwahrheit,  fonbetn  oielmehr  getabe  auf  (Sutbecfung 
bet  SBahrheit,  b.  h-  auf  -ßeraußfchälung  beß  wahren  Äernß  auß 
bet  ihn  tetbergenben  |>üUe  bet  fonoentionellen  Borurtheile  auß» 
geht.  5)ie  SJtethobe  ift  in  beiben  fällen  eine  itonifche,  b.  h- 
formell  negatioe,  aber  fofern  bie  fofratifdje  Stonie  ihre  negatioe 
©pifce  gegen  etwaß  an  ftch  Siegatioeß  — fei  biefeß  nun  Bot* 
uttheil  ober  ©o^tötnuß  — rietet,  muh  baß  Siefultat,  bem 
fubftanjieüen  3wecf  gemäh,  nothwenbig  ein  pofttioeß  fein,  b.  h- 
bie  3tonie  wirb  burd)  bie  3erftorung  beß  negatioen  ®<heinß 
felber  pofttiö. 

JDiefe  2)oppelfeitigfeit  bet  Stonie,  bah  fie  froh  ihrer  nega» 
tioen  gorm,  b.  h-  alß  BerfteHung  beß  itonifchen  ©ubjeftß,  hoch 
ihrem  lebten  3wecf  nach  butchauß  pofitio  fein  unb  fo  ber  fub- 
ftansieUen  SBahrheit  aufrichtig  bienen  fann,  ift  nicht  nur  afthe* 
tifch,  fonbetn  auch  fulturgefchichtlich  oon  weittragenbfter  Be-- 
beutung:  wir  werben  fehen,  bah  bie  3tonie  — welche  ftd)  ge» 
fchi<htli<h  wie  inbioibuell  überhaupt  immer  erft  bann  entwicfelt, 
wenn  bie  gebiegene  (Sinljeit  beß  Bolfß«  ober  Snbioibualbewuht* 
feinß  auß  ber  Unmittelbarfeit  beß  ®mpfinbenß  emporgerüttelt 
unb  butch  ben  jerfehenben  öinfluh  beß  refleftirenben  Berftanbeß 

(HS) 


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8 


in  eine  3wiej}>attigfeit  beS  3)afeinS  getrieben  wirb  — »om  älter» 
tljum  bi§  auf  bie  ©egenwart  eine  [Reihe  non  SBanblungen 
burch  läuft,  welche  fid}  fämmtlich  auf  ben  ©egenfafc  einefi  pofi* 
tioen  unb  negatioen  SnhaltS  als  eigentlichen  3»lS  beS  ironifd?en 
Verhaltens  gurücffühten  laffen.  Sßir  lönnen  beö^alb  bet  Äürge 
falber,  in  £>infiCht  auf  beu  fubftanjieHen  3*»edf , biefen  ©egen* 
fab  als  ben  ber  pofitioen  unb  ber  negatinen  3tonie  be* 
getanen. 

Snbeffen  ift,  wie  fchon  bemertt,  baS  Sßefen  ber  Sronie  mit 
biefem  ©egenfaß,  ba  er  immerhin  innerhalb  bet  fubjeftioen 
Sph“re  oerbleibt,  noch  feineSmegS  erfchöpft.  25ie  Stonie  fann 
nämlich  nicht  bloß  als  theoretifcheS  Verhalten  eines  ironifcben 
SubjeftS  gegemibet  einer  bornirten  Stellung  aufgefaßt  »erben, 
fonbern  auch  objeftio  als  bie  praftifdje  äuflöfung  eines  ge* 
gebenen  VerhältniffeS  burch  feine  eigene  Äonfequenjen,  inbem 
bie  naturgemäße  gortbilbung  beffelben  als  SBibctfpruCh  gegen  bie 
in  ihm  gu  tealifirenbe  3bee  fith  ermeift.  3m  ©roßen  unb 
©angeu  fann  biefer  ^rogeß  als  bie  3ronie  ber  ©efchiChte 
bezeichnet  »erben,  fofern  fi(h  in  ihm  baS  3beal  bet  allgemein* 
menfChlichcu  ©ntwicfelung  burd)  eine  unabfehbare  [Reihe  oon 
hiftorifCh  aufeinanber  folgenben  Stufen  gu  tealifiren  ftrebt. 

äuch  in  biefer  gaffung  ber  3ronie  läßt  fiCh  eine  negatioe 
unb  eine  pofitioe  Seite  unterfcheiben.  £Die  erfte  liegt  barin, 
baß  jebe  gefChiChtliChe  ©poche  als  ein  noth»enbiger»eife  einfeitigeS 
unb  befchränfteS  Streben  nach  [Realisation  bet  3bee  erfCheint, 
»elcheS  burCh  feine  eigenen  IRefultate  »iberlegt  »irb;  bie  pofitioe 
grünbet  fiCh  auf  baS  erftchtlich  ironifche  Sethalten  beS  „SB eit« 
geiftcS"  gegen  bie  [Repräsentanten  jenes  ibealen  StrebenS,  b.  h- 
gegen  bie  hiftotifCßen  gelben.  SßaS  biefe  nämlich  »öden,  ift 
ZunäChft,  ihnen  felbft  meift  unbewußt,  nicht  bie  fRealifation  bet 
Sbee  — unb  barin  liegt  ißte  Sdjulb  — fonbern  ißt  eigenes 

0*4) 


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9 


heroifdjeS  3ntereffe:  fRuhm  @^re,  5Ra<ht,  ^»errfchaft;  unb  wenn 
fie  btefi  3ntereffe  unter  bem  panier  eines  ibealen,  b.  h-  auf  bie 
{Realifation  ber  3bee  gerichteten  ©trebenS  gu  »erfolgen  behaupten, 
fo  reben  fte  wahrer,  alS  fie  felber  glauben.  35enn  eben  hierin 
befteht  bie  Sronie  ihres  ©djictfalS,  bafc  ihre  Seibenfchaften , an 
benen  fie  als  an  ihrer  ©chulb  untergehen,  in  ber  $hat  füt  beu 
SBeltgeift  bie  wahren  £ebel  gut  ©erwirflichung  feiner  weltge« 
fthithtlidjen  3wecfe  abgeben.  ©inb  biefe  feine  ßwecfe,  welche 
aber  nach  einer  gang  anberen  fRidhtung  h*n  liege»  als  bie 
Slbficbten  ber  ihm  bienenben  gelben,  erreicht,  fo  werben  bie 
lefcteren  cntweber  wie  ©afar  unb  SBallenftein  ermorbet,  ober 
wie  Napoleon  auf  eine  wüfte  3nfel  »erbannt,  wenn  fie  fi<h 
nicht  felber,  wie  ÄarlV.  in  eine  melancholifche  ©infamfeit 
gurüdgiehen  ober  wenigftenS  wie  2U  er  an  ber  in  ihrer  3ugenb 
fterben.  ©raufarn  aber  erfd^eint  biefe  3ronie,  wenn  eS  fidj 
Wirtlich  einmal  um  ein  »on  ber  3bee  wahrhaft  erfülltes  3nbi»i» 
buum  hanbelt;  gewöhnlich  übernimmt  bann  bie  fRaticn  felbft,  ber 
eS  angehört,  bie  ironifdje  SRotlc  beS  SBeltgeifteS,  inbem  fte  eS 
gum  Sohn  opferfreubiget  Eingebung  entweber  wie  9t  r i ft  i b e 8 
ben  „©erechten"  oftracirt  ober  wie  ©ofrateS  ben  ©iftbed^cr 
trinfen  ober  wie  ©olumbuS  in  betten  »erfdjmachten  läfjt. 

2öenn  bie  im  SBeltprogef)  liegenbe  3ronie  ber  ©efchichte, 
bie  wir  furg  als  „fulturgefchichtliche  3ronie"  begegnen  tonnen, 
burchauS  ber  objettiuen  gorm  biefeS  ©egriffS  angehört,  fo  par» 
ticipirt  bie  „äfthetifdjc  3ronie",  b.  h-  ber  ironifd>e  3nhalt  in 
$orm  fünftlerifcher  9lnf^auung  fowohl  an  ber  objectioen  wie  an 
ber  fubjefticen  gorm,  an  ber  festeren  feboch  nur  infofern,  als 
bauon,  wie  fchon  ©ingaugS  bemertt  würbe,  bie  rein  perfönliche 
©egieljung  auSgufchliefcen  ift,  fo  baf)  fte  wefentlich  allgemein* 
menfcbliche  ©ebeutung  behält.  2)enn  felbft  ba,  wo  eS  fich,  wie 
in  ber  „©atire"  unb  in  ber  „jtarrifatur"  fcheinbar  um  beftimmte 

(T4i) 


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10 


§)etfönlichfeiten  fymbelt,  ^aben  bicfe  gormen  bo<h  nur  infoweit 
äftbetifchen  SBerth,  alß  biefe  $>etf6nlichfeiten  alß  typijcbe  Sie» 
präfentanten  ganger  Älaffen,  aljo  in  ihrer  aflgemeinen  etlichen 
23ebeutung,  aufgefafjt  werben.  S)aß  „IßaßquiU"  tyat,  weil  eß  nur 
bet  petfönlichen  ©atire  bient,  eben  beöljalb  Temen  böseren  äft^e» 
tifchen  Sßertb-  — 

5)er  ©runb  nun,  warum  bie  äftbetijdje  3tonie  an  bet  ob» 
jeftioen  fowohl  wie  an  bet  fub  jeftioen  §orm  participirt , liegt 
barin,  bafc  bie  funftletifche  Slnfdjauung  felbet  fowot)l  objefti», 
b.  b-  bem  S3olfßgeift  einet  beftimmten  $)eriobe  fulturgefchichtlichet 
©ntwicfelung  immanent  unb  unbewußt  witlfam,  alß  auch  fab> 
jeftio,  b.  b-  in  bet  fonfreten  gorm  fünftlerifcher  9>robuction  auf» 
tritt.  SDiefe  leitete  ha*  felbftöerftänblid)  ihre  Quelle  in  be» 
ftimmten  3nbioibualitäten,  bie  burdj  itjve  ©chöpfuugen  bie  bem 
Sßolfßgeifte  immanente  äfthetifche  Sffieltaufchauung  in  lebenbigen 
©eftaltungen  tealifiren.  3u  biefem  ©inne  fann  man  g.  33. 
jagen,  ba&  ^>^ibiaö  ben  ©riechen  U)t  „Supiteribeal",  Siaphael 
ben  romanifcben  Siölfern  bet  JRenaiffance  U)r  „fÖlabonnenibeal* 
gefcbaffen,  inbem  fie  bie  in  biefcn  336lfern  unbewußt  lebenben 
SHnfcbauungen  gu  fonfreten  ©eftaltungen  erbeben. 

2)ie  objeftioe  gorm  bet  äftbetifdjen  Stouie  ift,  wie  leicht 
begreiflich,  »en  bet  fulturgefchichtlichen  33etradjtung  jcbwet  gu 
trennen,  weil  fie  einen  wesentlichen  2he»t  bet  fulturgefchichtlichen 
©ntwicfelung  fclbft  bilbet;  ebenfo  fchwierig  ift  aber  anbererfeitg 
bie  Trennung  bet  fubjeftioen  j$orm  berfelben  oon  ihrer  objeftioen, 
weil  lefjtere  ja  ben  wefentlichen  3nhalt  bet  erfteren  bilbet  unb 
wenigftenß  butch  fie  notbwenbig  bebingt  ift.  ©ß  wirb  bähet 
bei  bet  fulturgefchichtlichen  SSetrachtung  nicht  gu  umgehen  fein, 
auch  cmf  biejenigen  funftgefchichtlichen  ©rfcheinungen,  namentlich 
im  33eteich  bet  $>oefte,  aufmetffam  gu  macheu,  in  benen  baß 
©lement  bet  3tonie  gut  ©eltung  gebracht  eTfcheint.  Uebtigenß 

(746) 


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11 


fann  tyter  fogleicb  bemetft  werben,  baff  fid)  bie  fünftlerijcbe  Ser« 
wertljung  itonijcbet  3been  nidjt  blofj  auf  bie  $>oefie  befdjräött, 
fonbern  baf}  aüe  .fünfte  gu  »erjcbiebenen  3eiten  mehr  ober  weniger 
baran  üfyeil  nehmen,  wo»on  am  ©cblufj  einige  ©eijpiele  ge* 
geben  werben  foBen. 

1.  Qie  hnlt«rgefdiid)tlid)C  öebcutung  Iler  3tonie. 

SBenn  einer  ber  größten  SDenfet  bet  SReugeit  bie  SB  eit  ge» 
f dudjte  alb  ben  „gortjcbritt  in  bem  ©ewufetjein  ber  greibeit" 
befinirt,  fo  foll  bamit  — gleichgültig,  ob  man  babei  an  politijcbe 
ober  fittlidje  ober  an  geiftige  Freiheit  im  SlUgemeiuen  benft  — 
gunäcbft  nur  aubgejprocben  werben,  baf}  bie  aBgemeine  tnenfcb» 
liebe  ©ntroitfelung  überhaupt  auf  ein  ibealeb  Biel  ficb  richtet, 
weiter  aber,  ba  biefer  gortjcbritt  ein  unenblicber,  jebe  ©tufe 
in  bemjelben  alfo  gugleid)  mit  relatioer  Unfreiheit  behaftet  ift, 
bieb,  bah  bab  3beal  ficb  burebaub  ironijeb  gu  ber  SBirflicbfeit 
»erhält.  Söie  febon  oben  bemetft  würbe,  erfebeint  nämlich  jebe 
9>bafe  ber  gejd)icbtlicben  ©ntwicfelung,  wenn  man  jeben  eingelnen 
gortjcbritt  an  bem  3beal  mijjt,  alb  bie  objeftiu*itonifc^e  SBiber* 
legung  ber  3bee,  welche  in  ber  ihr  ootaufgehenben  gut  ©erwirf« 
Hebung  gelangte;  ironijd)  beshalb,  weil  an  bie  unbebingte  Söahr» 
heit  unb  abjolute  ©eltung  jener  3bee  jo  lange  geglaubt  worben 
war,  bib  ihre  SBiberlegung,  b.  h-  &er  fRadjweib  ihrer  ©ejdjränft» 
beit,  oft  genug  mit  bem  BRärtprerblute  ihrer  ©laubigen,  in  bab 
eherne  33ud>  bet  ©ejcbidjte  gejebrieben  würbe.  3lbct  bie  neue 
3bee,  bie  triumphireube  ©iegerin  übet  baß  alb  bornirt  erfaunte 
Sllte,  »erfättt  übet  furg  ober  lang  berjelben  3ronie  beb  ©cbicffalb, 
unb  eb  geigt  ficb  jcbliefelicb,  ba§  in  bem  unaufhaltfamen  f ultut* 
procef)  nach  ber  einen  ©eite  hin  überhaupt  ber  ironijebe  ©inn 
liegt,  bafj  eb  nid)tb  gefteb  unb  Unwanbelbareb  in  ber  SBelt  giebt, 
ba§  nicht  nur  bie  ^Realitäten  beb  2)ajeinb  in  ihren  wecbfelnben 
gormen,  fonbern  auch  bie  fie  etgeugenben  unb  begeiftigenben 

(7«) 


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12 


3been  unb  folglich  mit  ihnen  bie  einanber  ablöfenben  Sbeate  bet 
SJienfchheit  fortwährenber  33ernicbtung  unterwerfen  finb. 

£>enn  was  hilft  eS,  ftdj  bamit  tröften  gu  wollen,  bafe  bei 
biefem  fonfequenten  SBerwefungSprocefe,  ben  man  (,©efdjid?te  bet 
SJienfchbcit"  nennt,  aus  jebem  gu  ©taub  gerfallenben  SebenSfreife 
fid}  ber  Äeim  gu  einet  ^ö^eren  ©p^äre  geiftigen  Gebens  entfaltet, 
wenn  baS  le£te  Biel  in  ber  Unenblidjfeit  Hegt,  b.  1).  unerreichbar  ift? 

Unb  wenn  nur  wenigftenS  fold)e  SBanblung  ftetS  auch  wirf* 
lieh  eine  SJietamorphofe  bet  weltgefchichtlichen  fPfpche  gu  einem 
höheren  Sehen  wäre;  aber  bie  Sronie  Hegt  in  höherem  ©rabe 
auch  barin,  bafj  ftatt  beS  gu  etwarteuben  ©chmetterlingS  ftch  oft 
genug  blof)  ein  efler  SBurm  auS  ber  Satue  ^erauSfdhält,  bet 
unfern  Stbfdjeu  ober  unfet  ©elä<hter  erregt;  unb  groar  finb  eS, 
um  biefe  3ronie  noch  weiter  gu  potengiren,  meift  gerabe  bie 
ebelften  unb  höchften  3been,  welche  ber  gerfejjcnben  jfraft  beS 
wetthiftorifchen  SatumS  am  meiften  auSgcfefct  gu  fein  fcheinen. 
SBelche  SBanblungen  hat  nicht  beifpielSweife  bie  reine  unb  ihrem 
S3eruf  nach  weltbeherTfchenbe  Sehre  beS  icealen  33egrünberS  beS 
©hrffi««thwm8  Saufe  ber  3ahthunberte  erfahren  muffen!  ÜJian 
erinnere  fich  ber  SDRiÜionen,  welche  feit  faft  gwei  3ahttaufenben 
für  baS  ^rincip  bet  „felbfifuchtSlofen  ÜHenfcheuliebe"  auf  gahl» 
lofen  ©cbladdfelbern  bluten,  auf  ben  Sutobafe’S  ber  fpanifchen 
Snquifition  oerfohlen,  in  ben  ÜJtetjeleien  bet  ^Bartholomäusnächte 
ad  majorem  dei  gloriam  ftch  gerfleifchen  laffen  mußten!  SOian 
benfe  aufeerbem  an  bie  Stiefe  jener  taufenbjährigen  fRadjt  rohet 
^Barbarei,  Welche  auf  ben  ftrahlenben  ©lang  ber  antifen  Äultur* 
blüthe  in  Äunft  unb  SSiffenfchaft  folgte,  unb  man  wirb  eS 
nicht  mehr  fo  uuerflärlich  finben,  wenn  — non  ber  frioolen 
SBeltanfchauung  beS  UJlateriatiSmuS  abgefehen  — felbft  tiefere 
JDenfet  in  ber  SBeltgefchichte  nichts  SlnbereS  fehen  als  ein  gu» 
fammenhangSlofeS  ©piel  beS  blinben  unb  unoernünftigen  BufaQfl. 

(748) 


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13 


Dennoch  giebt  e8  gegenüber  foldjer  pefftmiftifc^ett  SBeltan» 
fdjauung,  bie  nur  $u  leidet  au8  ber  Grtfenntnife  rejultirt,  baß  tu 
bet  weltgejdjichtlidhen  (Sntwicfelung  fein  feftcö  ©efefc  ftetigen 
gortjdhrittS  ejriftirt,  eine  gorm  ber  ^Betrachtung,  welche  — obwohl 
felber  mit  bet  3tonie  »erwanbt  — boch  bie  Duelle  tieffter  SScrfo^» 
nung  in  [ich  birgt ; eine  Duelle,  au8  bet  oon  jeher  bie  cbelften  Qjeifter 
ben  üethetranf  troftuoUer  ^Beruhigung  geköpft  habe»:  biefi  ift 
bet  echte  ,£>umot,  ber  allein  im  ©tanbe  ift,  bie  Unnahbarfeit 
ber  uitenbHchen  3bee  mit  ber  Sejdjränftheit  beö  enblidjen  3nbi» 
»ibuumS  ju  »ermitteln.  5Dic8  beS  Näheren  nachzuweijen,  ift  hier 
inbefe  noch  nicht  ber  Sugenblicf  gefommen;  junachft  ha^cn  wir, 
»on  bem  oben  gefennjeidweten  ®eficht8pnuft  auö,  einen  furzen 
fRücfblic!  auf  bie  ^auptfäc^lidhftexi  (Sntwicfelungöftabien  jene8 
9)roceffe8,  ben  man  unter  bem  SJitel  „SBeltgejchicfcte"  ju  begreifen 
pflegt,  3U  werfen,  ehe  auf  ben  dharafteriftifchen  3nf)alt  ber  ein= 
jelnen  großen  @po<hen  eingegangen  werben  fann. 

1818  baS  eigentliche  ^rincip  ber  weltgej^ichtlidhen  @nt» 
wicfeluug,  b.  h-  «18  ba8  wahrhafte  58ewegung8gejefc  be8  ge» 
fammten  |)roceffe8  ift,  wie  tytx  jogieich  in  gorm  einer  &hefe  be« 
hauptet  werben  fann,  jener  tiefe  SBibetfprudj  jwijchen  bem 
Sbeal  unb  ber  SBirflichfeit  ju  betrachten,  ber  oben  al8 
„Sronie  ber  @efchi<hte“  bezeichnet  würbe. 

©<hon  in  ber  altbiblijchen  ÜJlpthe  »om  „©ünbenfatl"  fpridjt 
fich  ba8  ^)riucip  biejeS  Sewegung8gefefce8  auf  ebenfo  unbefangene 
wie  braftifche  SBeije  au8.  Da8  $)arabie8,  al8  bie8  lofaliftrtc 
©pmbol  ber  noch  ungeftörten,  unmittelbaren  Einheit  be8  @eifte8 
mit  bet  Sftatur,  enthielt  befanntlich  neben  bem  „Saum  be8  gebenS" 
auch  ben  „SBaum  ber  @rfenntui§“.  3n  bem  göttlichen  Setbot, 
»on  ben  fruchten  be8  legieren  zu  effen,  liegt  aber  felber  fdjon 
bie  inbirefte  Sufforberung  baju,  b.  h-  bie  Seftimmung,  baß  bie 
Einheit  be8  ©eifted  mit  ber  SRatur,  in  golge  einer  ©dhulb,  burdj 

(74») 


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14 


©rfenntnifj  aufgehoben  unb  fo  bet  Anfang  be8  $>roceffe8,  b.  b. 
bet  crfte  Stritt  auf  bem  unendlichen  Sßege  gut  Freiheit , ge* 
macht  »erben  foüe.  SBäte  bie8  nicht  feie  Slbficht  ©otted  ober, 
was  baffelbe  befagt,  nicht  bie  göttliche  ©eftimmung  be8  SJtenfchen 
gewefen,  fo  hätte  ja  bet  ©rfenntnihbaum  gat  nicht  gepflangt  gu 
»etben  brauchen.  5)ie  «Schlange,  als  «Symbol  bet  Unenblidjfeit 
be8  ^roceffeS,  erfcbeint  nun  felbet  aI8  biefe  »erforderte  Sronie, 
ba§  ba8  göttliche  ©eichen!  bet  Freiheit  be8  ©eifteS  immer  nur 
al8  abftrafte8  3beal,  al8  Ie£te8  gu  erfttebenbefl  3iel,  niemals 
aber  als  »olle  58ahrheit  in  ber  SBirfli^feit  gu  erfaffen  fei,  fo  baß 
fte  im  ©runbe  alfo  immer  al8  ihr  ©egentbeil,  als  Unfreiheit,  ftch 
tealifiren  muffe,  ©leidjroohl  ift  ohne  3»eifel  bieS  unenbliche 
«Streben  nach  Freiheit  »on  unenblich  hühctem  SBerth  ale  jene 
ungeftörte  ftabile  ©inljeit  mit  bet  9tatur,  in  »eichet  ba8  2-h^ 
fich  glüdflich  fühlt,  ohne  freilich  banon  gu  »iffen;  unb  man  fann 
baher  ba8  Feigenblatt,  womit  21bam  unb  @»a,  als  bet  ©lifj  bet 
©rfenntnih  in  fte  eingefchlagen  war.  ftch  nothbürftig  befleibeten, 
nicht  nur  als  baöSpmbol  be8  erwachten  fittlichen  ©efühlS  betrachten, 
fonbern  auch  «18  ba8  etfte  ©latt  in  bem  gtofeen  Folianten  bet 
menfchlichen  Äulturgefchichte,  »ot  9lHem  aber  als  ben  erften 
FreiheitSbrief  unb  als  ba8  @hten«3>idlom  füt  bie  ©efähigung, 
in  aller  Äunft  unb  SBiffenfchaft  nach  ben  hödjften  3ielen  gu 
ftreben.  ©8  fcheint  inbefc,  als  ob  biefe  9lu8jtcht  füt  ©ott,  ba  e8 
freilich  gu  fpät  war,  etwas  überrafdjenb  gewefen  fei,  benn  fonft 
würbe  et  nicht,  mit  einem  Slnflug  be8  ffteibeS  bet  antifen  ©ötter, 
ben  ©ngeln,  wie  bie  ©ibel  ergabt,  gugerufen  haben:  „«Siehe, 
nun  pnb  fie  geworben  wie  unfet  ©inet  — unb  wiffen,  wa8 
gut  unb  böfe."  3Bäre  biefe  biblifche  35atfieQung  be8  $>roeeffe8 
nicht  fo  gweifeDoS  nai»  unb  ernfthaft  gugleidj  gemeint,  fo  möchte 
man  bet  biefen  Sßorten  Sehooa’8  felbet  faft  an  fjtonie  benfen. 
SDafüt  mufe  et  fich  aber  gefallen  laffen,  bah  ihm  fpätet  bet  Teufel, 

(7iO) 


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15 


tote  un8  beffe«  neufter  großer  (S^ronift  wahrheitsgetreu  mittheilt, 
übet  bie  ©mancipation  be8  SDtanfdbengeifteS  »on  bet  €Rat«tetnl>eit 
baS  ironifdje  Äompliment  madjt: 

Sin  wenig  fceffer  ttfirb’  et  leben, 

§ätt’ft  Du  if>m  nid;t  ben  ©c^ein  be8  ^)immel8liibt8  gegeben; 

©r  ntnnt’8  Vernunft  unb  braud)t’8  allein, 

Stur  ttjierifcber  al8  jebeS  SLljtet  }U  jein. 

Denn  bte  ©mancipation  ttoit  bet  Statur  — gum  3rofdE  bet 
33er»itflicbung  beS  3beal6  geiftiger  f?reü>eit  — Ijat  ihre  eigne 
3ronie  betritt,  bajj  trotj  9Wem  bet  ©eift  mit  bet  Statut  behaftet 
bleibt,  jo  ba§  jene  SSermirflichung  nut  als  ein  unabfehbarer  Äarnpf, 
als  ein  unenblidjeS  Streben  banad)  erfdjeint.  Diefer  .ftampf  ijt 
eben  baS  erhabne  Drama  bet  2Heltgefchichte,  beffen  einjelne  9lfte 
burdj  bie  grabweife  fid)  gu  ©unften  beS  ©eifteS  ceränbernbe 
Stellung  bet  beiben  fämpfenben  SJtädjte  begeidjnet  »erben. 

©tfter  Slf t:  £>rientaliSmu8;  Uebetgewalt  bet  Statur,  gigan* 
tifdjeS  Gingen  beS  ©eifteS  mit  bem  Stoff,  wetbnnbcn  mit  bem 
bumpfen  Sdjmerggefüht  feinet  relativen  Dl)nmad}t.  — 

3»eiter2lft:  |>etleni8mu8;  ©tringen  eines  ©leichgewidjtä 
gegen  ben  Stojf,  Statut  unb  ©eift  in  fdjeinbaret  33etfö^nung, 
#eiterfeit  beS  fit^  nunmehr  gleid'beredjtigt  fühlenben  ©eifteS, 
SEBelt  bet  Schönheit.  — 

Dritter  iS  ft:  SDtittelolterlidheS  ©hriftenthum ; ©rhebung 
beS  ©eifteS  übet  bie  Statut  im  9>rincip  gefegt,  in  SBirflidjfeit 
aber  nur  in  bem  negativen  Sinne  einer  abftraften  23erinnetHdiung 
einetjeitS  unb  einer  ebenfo  abftraften  Serienfertigung  bet  getftigen 
grei^eit  anbtetfeitS,  bähet  »erbunben  mit  einet  auS  biejem  SDRife* 
»erftänbnijj  erzeugten,  rohen  93erän§etli(bung  bet  religiöfen  ©mpfin* 
bung  unb  thatfäd)licben  barbarifdjen  Unfreiheit.  — 

33 i et t er  31  ft:  SDtaberne  3eit;  bet  ©eift  beftnnt  ftd)  auf 
baS  in’S  ©egent^eil  »erfehrte  ^rincip  bet  Freiheit  beS  SubjeftS 

(751) 


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16 


unb  [ud>t  in  ber  ^Reformation  unb  bet  äftbetifdjen  SBibergebutt 
(fRenaiffance)  bie  gormen  feiner  ©flaoetei  Den  ftd)  abgufto&en. 
SDiefer  jfampf  führt  3unäd)ft  auf  ber  einen  ©eite  ju  friooler 
gormlofigfeit  überhaupt,  auf  ber  anbern  gu  einet  abftraften  IReaction 
bagegen.  3n  bet  franjöfijdjen  JReoolution  planen  biefe  ©egen» 
fäfje  aufeinanber,  ohne  baf)  eS,  ba  bie  Äonjequenjen  beö  $)rincip8 
nicht  in  rein  ibealem  ©inne  gejogen  »erben,  ju  einem  enb» 
gültigen,  pofitioen  SRejultat  fame.  35er  Äampf  bauett  baber 
fort  unb  breitet  fid}  übet  ade  ©paaren  beS  praftifcben  Sebenö 
aus.  &ber  baß  öewufjtfein  über  feine  33ebeutung  unb  fein  3icl 
ift  butdj  baS  Siebt  ber  neueren  ^^ilofop^ie  ju  tjö^erer  Älarbeit 
gelangt.  — 

SDiefe  $auptafte,  in  benen  ficb  bis  jefct  bie  weltgefehidjtlicbe 
Stragöbie  abgefpielt  bat,  gliebern  ficb  weiter  gu  befonberen  ©eenen, 
in  benen  bie  oetfebiebenen  ©ba rattere,  b.  b-  bie  gegenjäfjlicb  be» 
ftimmten  SBolfSgeifter  unb  beten  IRepräfentanten,  bie  weltgejebicbt« 
Heben  Snbioibuen,  in  Stction  treten  unb  baburd)  bie  $anblung 
fortfpinnen.  35ieS  b*€r  iw  Detail  gu  betrauten,  fann  ebenfo 
wenig  unfere  Aufgabe  fein,  als  eine  2$ermutbung  barübet  ju 
wagen,  welche  weiteren  Ufte  Heb  in  ber  3ufunft  no<b  an  bie  ge» 
f<bilberten  anfebtiefjen  bürften.  Söettadjten  wir  baber  jene  £aupt» 
epodjen  ihrem  eigentlichen  SBefen  nach  nähet. 

SDie  als  unlösbar  ftd)  etweifenbe  SBerbinbung  beS  ©eifteS 
mit  bet  Statut  nimmt  gleichwohl,  iw  Saufe  bet  ©ntwicflung, 
eine  fteHg  wcdjfelnbe  gorm  an,  b.  b-  baS  SSerbältnif)  ber  dlatne 
jum  ©eift  ift  einer  ftetigen  ÜJiobiftfation  unterworfen;  einet 
ÜJiobifitation,  bie  fid)  als  Äampf  jwifeben  beiben  ebarafterifirt. 
3n  ^inftdbt  auf  baS  3U  errcicbenbe  3iel  erfebeint  bie  diatur  als 
baS  negatioe  ©lement  unb,  ba  fte  jwar  befämpft,  be^w.  3U  einet 
relatioen  Unterwerfung  gebracht,  aber  nie  Döllig  befiegt  werben 
fann,  als  bie  ironifdje  dRacbt  gegen  baS  unenblicbe  düngen  beS 

(7SS) 


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17 


©eifteö  nach  Sefteiuug.  Sie  ift  baß  Stoffliche,  bte  materielle 
Schroete,  bie  eiferne  Äugel,  bie  bet  ©eift  in  feinem  irbifchen 
©efängnifc  mit  fid^  fdjleppen  mu§  unb  bie  ihn  felbft  am  Ar- 
beiten hebert.  SDenn  baß  Schlaraffenleben  beß  $>arabiefeß  ift 
ju  ©nbe;  Abam  muh  „arbeiten",  nicht  nur  um  ju  leben,  fonbern 
auch  um  eine  Familie  ^u  grönbeivu.  f.  f.  93oQenbß  in  bet  erften 
$>eriobe  bet  Uebermächtigfeit  ber  Statur,  im  JDrientalißmuß, 
prägt  fich  biefe  iremfdje  Stellung  bet  Statur  gegen  ben  ©eift 
ju  berbfter  ©eftaltung  auß:  im  S taat  alß  abfoluter  SDeßpotißmuß, 
b.  h-  alß  bie  3rouie  gegen  baß  allgemein  menfchliche  Stecht  per» 
fonlichet  Freiheit,  in  ber  Äunft  alß  $inaußfchroeifen  bet  $)hantafie 
in’ß  Äolofjale,  Ungeheuerliche,  grahenhafte,  b.  h-  a!S  3tcnie  gegen 
baß  ©efefc  ber  Schönheit,  in  ber  Steligion  einerfeitß  alß  bie 
Angft  »or  bet  blinben  SÖtacbt  bet  anthropomorphifirten  Statur- 
gemalt in  ben  ©öttern,  anbrerfeitß  alß  peffimiftifche  üHefignation 
(g.  33.  im  bubbbaiftif<hcn  Atheißmuß),  b.  h-  alß  3ronic  gegen 
bie  im  ^Srtncit>  gefefjte  ® ottätjnlidhf ett , in  ber  Sittlichfeit 
»otlenbß  alß  batbarifche  Selbftjucht  unb  ©raufamfeit,  b.  h-  alß 
3ronie  gegen  bie  SBitlenßfreiheit  beß  Snbioibuumß. 

3m  SDrientalißmuß  fann  übrigenß  bie  3ronie,  ber  in  ihm 
noch  hertfdjenben  Untercrbnung  beß  ©eifteß  unter  bie  Statur 
halber,  nur  in  biefer  ihrer  objeftioen  gornt  etfcfceinen;  jut  Sub- 
jeftioität  fehlt  ihm  eben  bie  höhere  Freiheit,  bie  Selbftänbigfeit 
beß  Selbftberouhtjeinß,  melche  ber  ©eift  erft  in  ber  Antife  er- 
reicht. £Der  Orientale  bemegt  fidf  baher  meift  in  Staturertremen; 
er  ift  phlegmatifch  ober  tigerhaft  leibenfdjaftlich,  in  feinen  33or- 
ftellungen  gigantifch-groteßf  ober  bijarr-fleinlich  n.  f.  f. , unb  ade 
biefe  ©egenjäfje  finb  in  bem  ©tunbton  einet  bumpfen  33er- 
innetlichung  geftimmt,  ber  oft  — mie  bei  ben  Aegpptern  unb 
3nbern  — ben  ©fjatafter  einer  tiefen  ÜJielancpolie  an  ftch  trägt. 
Auf  biefem  Stanbpunft  ift  mohl  Stefignation  unb  Selbftquäleret 

XIV.  33S.  SJl.  2 (7SS) 


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18 


in  aßen  formen,  aber  feine  3ronie  möglich;  benn  biefe  ift  nur 
$robuft  ber  fReflejrion,  lefctere  aber  »ieber  nur  alö  33eftnnung 
beß  33erftanbeß  auf  ficb>  feibft  unb  feinen  Suftaub  benfbar.  £iert>on 
aber  ift  in  bem  norantifen  Drientalißmuß  gar  nid^t,  unb  auch 
in  ber  antifen  Sßelt  nicht  eher  bie  JRebe,  a(ß  nach  bem  33rudh 
ihrer  ©inheit  mit  ber  fftatur,  91  ber  ber  ungeheure  gortfdjritt 
»um  Orientalißmuß  gum  ^eßenißmuß  ift  ber,  ba§  baß  CRSthfel, 
»aß  in  jenem  bet  SJienfch  fiep  felber  »ar,  non  biefem  gelßft 
»urbe:  eß  ift  baß  fRäthfel  jener  geheim  nifwoßen  ägDptifcpen 
Sphinj:,  Me,  alß  eß  non  Oebipuß  errathen  »ar,  fiep  für  immer 
in  bcn  9lbgrunb  ftürgte.  — 

2)ie  antife  Söelt  ift  baß  Sünglingßalter  ber  SRenfcpheit; 
in  ihr  fcpauen  wir  mit  ftaunenber  Stützung  jene  wunberbare 
93erföpnung  beß  ©eifteß  mit  ber  Statur,  jene  ^armonifc^e  93er* 
fcpmelgung  beiber  Elemente  gu  einem  heiteren  Dieid)  ber  Schönheit 
an,  »eiche  — »ie  aud)  im  ©ingelleben  beß  SRenfcpen  bie  3ugenb 
— nur  einmal  unb  auf  furge  3eit  i^rc  herrliche  S3lütpe  ent- 
faltet iSber  biefe  furge  93lütpegeit  feibft  pat  nach  rücf*  unb  not» 
»ärtß  Uebergangßftabien:  eine  norbereitenbe  ©poche  oerfcplofjenen, 
herben  Änoßpenbafeinß  — biefe  bilbet  ben  3ufammenhang  mit 
bem  Drientalißmuß  — unb  eine  ©poche  biffoluter  ©ntblätterung 
unb  profaifcper  ©rnüchterung  — hier  fnüpft  fich  baß  aßet 
poetifdjen  3ßufionen  baare  SRömettpum,  bie  lebenbige  3>ronie  auf 
bie  3bealität  beß  ^eßenißmuß,  an,  biß  an  ihm,  alß  cß  an  feiner 
eignen  Korruption  erfticfte,  bie  ©efcpicpte  feibft  bie  3ronie  übt, 
ba§  eß  ben  JDünger  für  eine  oöflig  neue  Söeltgeftaltung  abgeben 
mujj.  So  anmutbenb  nun  auch  ein  33licf  auf  jene  herrliche 
Schöpfung  beß  SBeltgeifteß , bie  petifleifche  3eit  ber  flafftfcpen 
äntife,  »äre,  fo  haben  »ir  bocp,  um  unferm  2hma  gerecht  gu 
werben,  unfere  9lufmerEfamfeit  oorgugßweife  auf  jene  Uebergangß* 
ftufen  am  9lnfang  unb  ©nbe  berfelben  gu  richten. 

(764) 


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19 


©ang  abgefeben  »on  bem  fytftorifdj  nachweisbaren  3ufantmen» 
bang  bet  antifen  mit  ber  orientalift^en  SBelt,  treten  unS  in  ibt 
eine  {Reibe  oon  {beeilen  {ßorftellungen  entgegen,  welche  nur  au8 
folget  iBerbinbung  erflärt  werben  fönnen;  gunädjft  bie  3bee  be$ 
gatumS,  als  einer  blinben  unb  abfoluten  üRacbt  gegen  bie  freie 
Selbftbeftimmung,  einer  5Racbt,  ber  felbft  bie  unterblieben  ©öfter 
unterworfen  waren.  SDie  fpticbwörtlicbe  „SBlinbbeit  beS  gatumS" 
ift  aber  nur  ber  fpmbolijcbe  Stuöbrucf  für  bie  Unbegreiflicbfeit 
feines  SBaltenS,  obgleich  bie  SBorfteOung  non  feiner  Unabwenb« 
barfeit  fidj  nidbt  feiten  mit  ber  2U)nung  einer  in  ibm  ficb  auS* 
fptedjenben  bötjeren  (ibeeden)  {Rotbwenbigfeit  uerbinbet.  {Der 
5Di<bter  brüeft  bie8  febr  begeitbnenb  baburdj  auS,  baf?  er  e8 
fibilbert  al8 

, fca«  grofje  gigantifbe  «Scbidfal, 

SSeldjeS  ben  ÜRenf^en  erbebt,  wenn  e8  ben  SRenftben  gemalmt. * 

{Dennoch  entflicht  biefe  SBorftetlung  nicht  gang  bet  antifen  2ln« 
febauung;  richtiger  (im  antifen  Sinne)  mühte  e8  oielmebr  (bureb 
UmfteQung  ber  beiben  S£b«le  b«8  Pentameters)  ^et§en: 

„SöelcbeS  ben  9Jtenfcb«n  gemalmt,  wenn  ti  ben  HJienfcf'en  erbebt.* 
Unb  fo  gefa§t,  liegt  bie  im  {Begriff  be8  ftatumS  auögebrücfte 
3ronie  bet  ©ef<bi<hte  flar  gu  Stage. 

{Die  praftifebe  gotrn  beS  gatumS  als  einer  unerflätlicben  uitb 
unabwenbbaren  ÜRacbt  offenbart  fidj  in  ber  mpftifeben  Drganifation 
beS  DrafelS,  beffen  boppelfinuig  progo^etifeben  2luSjprü<be  oft 
einen  burcbauS  ironifeben  ©barafter  ba&en-  s^l8  ÄröfuS  in  {Delphi 
begüglicb  feines  gelbgugeS  gegen  ©pruS  anfragte,  erhielt  er  bie 
Antwort:  „SBenn  SDu  über  ben  ^»alpS  gehft,  wirft  SDu  ein  gtofceS 
{Reich  gerftören."  ©rfreut  über  biefen  glücfoetbei&enben  {Befdjeib, 
hanbelte  er  banacb  unb  gerftörte  in  bet  Sthat  ein  gto&eS  {Reich, 
aber  — eS  war  fein  eigenes,  benn  et  würbe  con  ©pruS  ge« 

2 * (7») 


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20 


fd)Iagen  unb  gefangen.  @8  ift  bieS  einet  bet  Dielen  SBeläge  für 
ben  antifen  ©ophiSmuS:  ba8  Oralei  fpradj  bie  5Bat)rheit,  aber 
e8  war  nicht  bie  gange  SBahrheit,  unb  fo  fdjlug  bet  unmittelbare 
©inn  in  fein  ©egentheil  um,  b.  h-  et  war  eben  itonifd)  gemeint. 
2lm  braftiidjften  geigt  ftch  bie  3ronie  be8  OrafelS  in  ber  9Jh)t^e 
Dom  OebipuS.  ©einem  SBater  gaioS,  Äonig  Don  J^eben,  bet 
fich  eineä  unnatürlichen  8after8  fdjulbig  gemacht,  würbe  Dom 
Otafel  Derboten,  fich  311  Derheirathen,  mit  ber  25rohung,  bafc  im 
ftall  beS  UngehotfamS  bet  auö  bet  @he  tjerüorgeljenbe  ©ohn  ihn 
etfchlagen  unb  feine  eigene  SJintter  ^eirat^en  werbe,  SaioS  h et» 
rathet  trofcöem  bie  Sofafte,  OebipuS  wirb  geboten  unb  Don  feinen 
unnatürlichen  Sltetn  butch  tfluSfefcung  bem  Stöbe  geweiht.  ©r 
wirb  inbe§  gerettet,  nach  Korinth  gebracht  unb  bort  als  ©ohn 
beS  ^olpboS  erlogen.  2118  er  jebo<h  erfährt,  baf)  fPolpboS  nicht 
fein  S3ater  fei,  wenbet  er  fich  an  ba8  Orafel,  um  feine  $erfunft 
gu  erfahren,  ©tatt  beffen  erhält  er  Don  biefem  bie  SBatnung, 
„et  folle  fich  »otfehen,  bah  er  nicht  feinen  33ater  erfdjlage  unb 
feine  SJiutter  heiwthe".  3n  ber  SBorauSfefcuug,  bah  biefe  fid)  in 
Äorinth  befinben,  wanbert  et  au8,  trifft  auf  ber  ©reuge  Don 
Theben  auf  einen  fDiann,  bet  ihn  beleibigt,  unb  erfchlägt  ihn 
— e8  ift  SaioS.  Unwiffenb  beffen  lommt  et  nach  Sieben  un& 
heirathet  bort  bie  3olafte.  — ©0  wirb  gerabe  bie  StuSfefcung 
be8  ÄinbeS  für  8aio3  bie  Urfache,  baff  ftd)  ba8  ©efhicf  an  ihm 
erfüllt,  unb  ebenio  führt  bie  2lu8wanbetung  be8  OebipuS  gerabe 
gu  bem  2lu8gang,  ben  er  baburch  oermeiben  will.  JDaS  ift  bie 
Sronie  in  ber  gangen  fataliftiichen  ©ntwicflung.  OebipuS  ift  an 
fich  fdjuibloS,  benn  einen  Seinb  gu  etfchlagen,  galt  bem  antifen 
Sßewuhtfein  als  fein  Verbrechen;  nur  bah  eS  gerabe  fein  Vater 
war  — aber  eben  hierin  war  er  unwiffenb  — macht  bie  Sthat 
gu  einer  im  antifen  ©inne  gu  fühnenben  ©thulb.  OebipuS  ift 
auch  hievon  fo  übergeugt,  bah  er,  um  fich  3U  beftrafen,  fich  &ie 

C756) 


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8ugen  auBfticht.  SDiefe  ©elbftbefttafung  etfdjeint  bähet  unferm 
mobetnen  ©efüfjl  in  gar  feinem  SBerhciltnifj  gu  bet  2;hat,  b« 
man  Ijßdjfteiie  Uebereilung  »orwerfen  faun,  gu  fielen,  unb  bod> 
ift  gerabe  biefe  fatatiftifc^e  Stonie  beB  ©efctjicffl  bet  eigentliche 
©runbcharafter  bet  antifen  Stragßbie. 

hierin  erfennen  mit  gugleid?  bie  ©renge  bet  antifen  ©itt« 
liebfeit:  ba  bet  ©eift  gwar  nicht  mehr,  wie  im  ßrientaliflmuB, 
ber  SRaturmad)t  unterworfen  ift,  jonbern  ibr  gleichberechtigt  gegen« 
übet  fteljt,  bod)  aber  an  fte  gebunben  bleibt,  fo  erhält  baB  ©djicffal, 
ttofc  feinet  tieferen  etbifcben  SBebeutung,  bie  gorm  einet  bunflen 
fRaturmacbt,  bie  alB  fReib  ber  ©ßttet  porgeftellt  wirb,  weichet  ftd) 
oorgugSweife  gegen  bie  ©tßfce  unb  ben  ©lang  bet  ^eroifd^m  ®e* 
fehlerer  richtet  unb  bie  tücfifcbe  5Racbt  beB  bßfen  3ufaUB  benufst, 
um  fte  in  ©djulb  gu  ftürgen  unb  biefe  ©djulb  bis  in’B  britte 
unb  eierte  ©lieb  fortwucbern  gu  (affen.  60  erfc^eint  baB  antife 
©cbicfial  furchtbar  unb  erregt  ©raujen  burdj  ben  ungelßften 
SBibetfptucb,  bafj  e§  halb  alB  fittlidjefi  ©efefc,  halb  ale  blinbed, 
gegen  bie  Freiheit  beB  ©eifteß  bafeerfönteB  SRahitwalten  erjd)eint 
SDet  „9leib  bet  ©ßttet"  fdjwebt,  gleich  einem  SDamofleßfcbwerbt, 
füt  baB  heßenifcbe  Sewufjtjein  über  jebem  @lücflid)en.  5>ahet 
bie  unferm  mobernen  ©efüljl  faft  fomifcb  etfcbeütenbe  gludjt  beB 
gteunbefi  beB  ^olpfrateS,  alB  biefem  bet  ben  ©ßttetn  geopferte 
fRing  gutücfgebracbt  wirb;  benu  er  etfeunt  barin  bie  unoetfßhu* 
liebe  Slbfidjt  ber  ©ßttet,  ben  $)olpfrate8  gu  terbetben.  Such  in 
ber  rübrenben  ©rgählung  bet  3ünglinge  ©leobiB  unb  93pton  — 
beten  SJJutter , auB  $teube  übet  bie  @btfurd}t,  welche  ihr  »on 
ihren  Äinbetn  gegollt  würbe,  gu  ben  ©ßtteru  gebetet,  bafj  fte 
ihnen  baB  bem  ÜJtenfchen  ©rfprie§li<bfte  gu  $b«l  werben  (affen 
mßchten  — fpricht  fich  jene  tragifche  3tonie  auf  braftifdje  SSeife 
auB;  benn  .frerobot  ergäbt,  baf)  nach  jenem  ©ebet  bet  SRutter 
bie  Sünglinge  in  bem  Stempel  eingefchlafen  unb  nicht  wiebet  et« 


22 


wadjt  feien,  wobutch  bie  ©ottheit  habe  anbeulen  wollen,  ba|  bera 
SRenfdjen  ju  ftetben  erfptiefjlichet  fei,  als  ju  leben:  eine  gegen 
bie  SRutter  offenbar  itonifd)  genutete  ©ewäljtung  ihrer  Sitte. 

9tn  biefet  ©teile  tritt  bie  fc^on  oben  angebeutete  Sorberung 
an  unS  fyeran,  einen  ©eiteublicf  auf  baS  objeftio*ä|thetifche  SBor* 
fteHungSgebiet  ber  Slntife  ju  werfen';  unb  wir  fönnen  uns  ter* 
felben  um  fo  weniger  entziehen,  als  fa  baS  gefammte  ^eüenif^e 
©eifteSleben,  namentlich  baS  teligiöfe  unb  ethifdje,  mit  fünft* 
letifdjet  9lnf<hauung  gleichfam  burchtränft  ift:  alle  religiöfen  unb 
ethifdjeu  3been  geftalten  ftd)  mit  einem  Söorte  bei  ben  Hellenen 
ju  fonfreten  ©chönheitSgeftaltungen  unb  finb  mit  biefen  fo  innig 
oetbunben,  in  ihnen  gewiffetmafcen  fo  oollftänbig  aufgegangen, 
bafj  fie  ohne  biefelben  gar  nicht  oerftänblich  finb.  Snbefj  t^anbelt  eB 
ffdj  eben  nur  um  bie  objeftioen,  b.  h-  aus  bem  SBolfSgeift  felber 
gebornen  äfthetifdhen  Sorftellungen ; bie  fubjeftioen  Sormen  werben 
fpäter  in  Setracht  3U  gieren  fein. 

SDie  antife  SBelt  ftcClt  in  ihrer  SBahrheit,  wie  bemerft,  baS 
heitere  fReid)  einer  jeitweiligen  Serföhnung  beS  ©eifteS  mit 
ber  Statur  bar,  b.  h-  fie  ift  baS  SReich  ber  Schönheit  als  jenes 
nur  einmal  erreichten  JRuhepunfteS  in  bem  Äampf  bet  beiben 
©femente,  in  welchem  ber  ©eift  fid)  ju  einer  ber  Statut  eben» 
bürtigen,  ihr  an  Äraft  »ollfommen  gewachfenen  SOtacht  empor* 
gearbeitet  hatte.  ®enn  ©chßnheit  ift  eben  wefentlich  ooHfommene 
Harmonie  oon  ©eift  unb  Statur,  oßHige  ©leichberechtigung  oon 
3fnhalt  unb  §orm,  ©inheit  oon  3bee  unb  ©eftaltung.  — allein, 
wenn  biefe  Serföhnung  baS  SBefen  ber  antifen  SBelt  auSmacht, 
fo  ift  fie  eine  foldje  in  Söirflichfeit  bo<h  nur  waljrenb  jener 
furjen  ftulminationSepoche  beS  ^eQeniSmuS,  welche  jwifchen  ben 
9)erferfriegen  unb  ber  f)ertfleifchen  Beit  liegt:  oor*  unb  nachher 
b.  h-  in  ber  UebergangSepocpe  00m  DrientaliSmuS  jum  $eHeni8mu8 
einerfeitS  unb  oon  biefem  jur  alejcanbrinifch*rßmi{<hen  Äultur» 

(158) 


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23 


epocpe  anbrerfeitS  ftnben  »ir  bie  antife  3Seltanf<hauung  nicht 
minbet  in  einen  tiefen  3»iefpalt  ber  SÖorfteQungen  oerfenft,  bie 
in  ihrer  äußerlichen  ©eftaltung  ein  unoerfennbateS  ©epräge  be8 
häßlichen,  ber  SSergerrung,  be8  SDämonifchen  fogar  an  fid)  tragen. 

SBie  »ir  in  ber  orientalifchen  .fhinftanfchauung  bicfeö  9Jtoment 
be8  häßlichen  al8  Uebermiegen  be8  finnliiij  Statuthaften  beob* 
arteten,  fo  finben  wir  e8  in  jener  erften  Uebergang8epoche  nicht 
minber  als  jben  3nhalt  ber  älteften  religiö8=ethifdjen  jfunftnor» 
fteCfungen  ber  Hellenen.  ©<hon  in  ber  Stfyeogonie  begegnen  un8 
bie  älteften  ©ötteroorftellungen  in  foloffalen  SDimenfionen , au8 
benen  fidj  ber  Äampf  ber  neuen,  m endlicher  »orgeftedten  ©ötter 
mit  ben  „©igonten",  ,$titanen"  u.  f.  f.  ent»idtelt.  SIbet  ba8 
©roteSfe,  ttyierifdfy  33ergerrte  behauptet  auch  fpäter  noch  fein  Stecht. 
ÜDie  „Spflopen",  „Kentauren",  „Sirenen",  „©rajen",  „8amien", 
„©mpuien",  „^atppen",  „(J^iraären“,  „©ilene“,  „©atprn", 
„§aune"  unb  ähnliche,  gegen  bie  reine  Schönheit  be8  gtiechifchen 
3beal8  ironifd)  ficß  oer^altenben  ©eftalten  »erben  gwar  burdfy 
bie  reinere  Slnfdjauung  als  ©efdjöpfe  einet  niebereu  Sphäre  er« 
fannt,  nichts  beftomeniger  aber  mit  hinüber  genommen  in  ba8 
heitere  Steidß  ber  echten  Schönheit.  3a,  felbft  ba8  ©raufige  fehlt 
in  biefem  Steigen  nicht,  »ie  bie  „©tinnpen"  bemeifen  unb  be» 
fonberS  bie  „SJtebufe".  3n  ber  ÜJtebufe,  bet  eingig  fterblichen 
Mochtet  bet  „©orgo",  bereu  $aupt  bie  friegetifche  ©ßttin  be8 
©ebanfenS,  Athene,  abgefdjlagen,  bilbeten  bie  ©riechen  bie  3Jor« 
fteüung  be8  S£obe8fchrecfen8  aHmältch  gu  einet  burdjauS  ebelen 
Borm  furchtbar»  erhabener  Schönheit  au8.  SJtan  fann  in  ber 
JDarfteQung  be8  SJtebufenhaupteS  recht  beutlich  ben  gortfchritt 
bet  heöenifdjen  2lnfcbauung  com  bloß  ©raufigen  gum  ©rhabenen 
etfenuen:  guerft  »ar  e8  blofi  ein  oergerrteS  3;ht«geft<ht,  bann 
eine  5Ra8fe  mit  blßfenber  3«nge,  enblich  ein  ntenjchlicheS  ©efid^t; 
aber  »eich’  mächtiges  <£>aupt,  3eu8ähnlich  in  ©tim  unb  Äinu, 

(759) 


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24 


bie  tollen  Sippen  wie  im  Stobegframpf  ergitternb,  bie  großen 
Slugen  wie  im  SBaßnftnn  roUenb;  nur  bie  mit  flattern  burcß* 
fiocßtenen  Socfen  erinnerten  nod)  an  bie  fTÜßere  ©Übung.  @o  war 
eg  entfeßlid)  angufcßauen  unb  bocß  ton  übermenfdjlid)*gewaltiger 
©djönßeit.  £Die  ebelfte,  b.  ß.  milbefte  ©eftaltung  beg  fföebufen* 
ibealg  ßaben  mir  in  ber  fog.  „©onbaniniftßen  fKebufe*  3U  er* 
Tennen,  einem  bet  ßötßften  Striumpße  ber  ßellenifcßen  ©fulptur 
tn  ber  äftßetifdjen  Verarbeitung  beb  £äßli<ßen  jum  furcßtbar  @t» 
ßabenen:  fie  fteHt  bte  3tonie  beg  üobegfampfeg  gegen  ben  ^eiteren 
Sebenggenuß,  aber  audj  beg  ©efpenftigen,  um  nicßt  gu  lagen 
©eifterßaften,  gegen  bag  rein  ©eifttge  bat.  2)enn  alle  jene,  meßr 
ober  weniger  bem  ©ereitß  beg  bloß  ©aturgewaliigen  angeßörenben, 
b.  ß.  gegen  bag  ©eiftige  — fei  eg  in  ber  gorm  beg  roßen  ©atur* 
genujfeg,  wie  bei  ben  ©ilenen,  ©atirn,  Raunen  u.  f.  f.,  fei  eg 
tn  bet  gorrn  beg  feinbfelig  ©Öfen,  wie  bei  ben  £>arppen,  ©ßimären, 
Sirenen  u.  f.  f.  — ftdß  negatit  oerßaltenben  fPßantafte*©d)öpfungen 
erhalten  ißre  jfraft  unb  ©ebeutung  aug  bem  £iaßltcßen,  alg  bem 
itontfcßen  ©egenjaß  gu  bem  burcß  ben  ©etft  befeelten  ©djönen. 
©ie  werben  baßer  befämpft  unb  befiegt;  bag  griecßifcße  $eroen* 
Sllter  wibmet  ftcß  biefer  Aufgabe,  um  ben  ©oben  gu  ebnen  für 
ben  Stafbau  beg  9tei(ßeg  ber  reinen  ©tßönßeit.  3ßre  ©ot» 
fteüungeu  erßalten  ftcß  gwar  aucß  fpater,  wie  bemerft,  aber  bocß 
nur  in  bem  ©inne  ton  fDlärcßen,  mit  beten  ©eftalten  bie  jugenb» 
ließe  ^ßantafie  fptelt.  JDieg  geßt  fcßon  baraug  ßetoor,  baß  bte 
Sronie,  welcße  in  bem  gangen  Äreife  biefer  .fcaßlicßfeitggeftaltungcn 
nicßt  gu  terfennen  ift,  baburcß  ißre  objeftioe  ©ebeutung  terliert, 
baß  fte  einen  fomifcßen  ©eigefcßmae!  erßcilt.  Snbem  bie  ibeale 
©mpfinbung  felbft  ftcß  ironifcß  gegen  biefe  gefpenftigen  @e» 
ftaltungen  gu  oerßalten  beginnt,  terlieren  biefe  ißre  objeftite 
(Realität  für  bie  ©orfteDung  unb  werben  gu  bloßen  f>ßantafie* 

760) 


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25 


bilbern  einer  fatirtfdjen  Saune  ^erabqcje^t,  b.  h-  alö  religiös* 
etbifdje  SRächte  übermunben. 

IDiefen  fomifdjen  Qfymrfter,  bet  aber  in  £inficht  be$ 
itonifchen  ©ubjeftö  burchauS  naioer,  gleidjfam  inftinftioer  jRatur 
ift,  geigen  gang  unnerfennbat  foldje  ©eftatteu  wie  bet  „9>an", 
bie  „©ilene",  „©atirn",  „Saune",  felbft  bie  „©pflepen"  u.  f.  f., 
bereu  33er^ältnt§  gu  bem  trontfdjcn  ©ubjeft  burchauö  baS  ®e» 
präge  eine«  objeFti»en$umot8  trägt.  Söir  jagen  be8  „objeftioen" 
$umorg;  benn  im  fubjeftioen,  alfo  bemühten  ©inne  mar  bet 
$umor  bet  antifen  SBelt  überhaupt  unbefanut.  SDie  Sitten, 
namentlich  in  bet  ©pätblüthe  bet  bellemfcben  Äuttut,  befaßen 
bie  ©atire,  bie  fPerfifflage,  bie  fParobie,  bie  Srioolitüt  — tautet 
Sonnen  bet  3tonie  — aber  Feinen  $umor.  SDenn  gu  bicjem 
gehört,  meil  er  mefentlid)  poftti»*fubftangiellen  Snljallg  ift,  bafj 
baS  3nbi»ibuum  nicht  nur  fähig  fei,  bie  innere  fRothmenbigfeit 
be8  SBeltproceffeg  ftd)  gum  23eroufctfein  gu  bringen,  jonbern  auch 
übet  bie  partifulare  Sefchranftheit  l}ittau@  fid)  auf  einen  ©tanb» 
punft  gu  erheben,  auf  roeldjem  eg  ftd)  felbet  alg  fraget  beö  un* 
enblicheu  fProceffcg  begreift:  bie  ©rfenntnifs  biefeg  ibealen 
3tel8  fc^t  eg  thatfächtich  in  beu  theoretifchen  SBefth  beffetben  unb 
»erleiht  ihm  bamit  bie  Äraft,  fich  gegen  bie  ©nblichfeit  unb 
©itelfeit  aller  ©ingelbeftrebungen,  auch  feiner  eignen,  ironifd)  gu 
»erhalten.  3lber  meil  folcheg  Verhalten  eben  bie  ©rfenntnifj  beg 
Sbealg  unb  bie  tieffte  Siebe  gu  bemfelben  gut  SBorauSfefgung  hat, 
fo  fchmingt  ftd)  bag  ironifche  ©ubjeft  gleidjgeittg  gu  einet  burchaug 
felbftfuchtgfreien  unb  reinen  ^Betrachtung  bet  meltgefchichtlid?eu 
Semegung  auf,  b.  h-  bag  ironifche  ©ubjeft  mitb  im  tieferen 
SBortfinne  humoriftif d). 

SDet  £umor  nun  in  biefem  fubjeftioen  ©inne  mar  bet 
antifen  3Beltanf<hauung  noch  etmaS  SrembeS,  ba  ihr  bie  SRofh* 
menbigfeit  be8  ^roceffeS  noch  nicht  al8  pofiti»e  Sronie  beg  3beal8 

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26 


gegen  alle  Sßirflitfeit  gum  Sewufjtfein  gefommen  war.  Objefti» 
bagegen  fann  ba«  Verhalten  be«  antifen  ©ubjeft«  gegenüber  jener 
fomift^gefpenftigen  ©eftalten  aQerbtngö  al«  ^umoriftif<b  auf» 
gefajjt  werben.  3a,  biefet  feinet  eigenen  SBabrfjeit  gleichfam  uu* 
bewu&te  $umor  wenbet  fit  fogar  gegen  bie  ibealen  ©öttet  felbft; 
et  läfet  ben  ^Donnergott,  ben  „erhabenen  93ater  ber  ©ötter",  unt 
feinen  befttänft«menftliten  ©elüften  genug  gu  thun,  bie  ©e« 
ftaüen  »on  SEtjieren,  be«  ©twan«,  be«  ©tier«  u.  f.  f.  annehmen 
unb  binbet  bae  »erforderte  3beal  bet  ©tönheit,  bie  ©öttin  ber 
Siebe,  an  einen  grämlichen,  Ijinfenben  ©robfehmieb.  Unau«» 
löftüt  erfchant  baber  ba«  ironifte  Qielädjter  ber  »erfammelten 
©ötter,  al«  £ephäfte«  ihnen  ba«  ©taufpiel  be«  gefangenen 
8iebe«paar«,  äphrobite  unb  Sire«,  in  einem  ftätjlernen  9iejj  »er» 
ftrieft,  geigt;  wobei  es  bem  unbetbeiligten  Sefer  übetlaffen  bleiben 
mag,  gu  beurteilen,  ob  nicht  ein  gut  ©tücf  biefeö  ©eiächtet« 
boch  auch  auf  Äoften  beö  fi<h  felbft  bamit  ironifiretiben  antifen 
£ahnrep«  gu  rechnen  fei. 

9lbet  in  biefet  Umwenbung  ber  ironifchen  ©pifje,  biefem 
Ueberfptingen  ber  3tonie  »on  ber  SRaturfeite  auf  bie  ©eite  be« 
©eifteö,  geigt  fit  bereit«  eine  Befreiung  be«  Unteren  au«  bet 
Änecbtftaft  ber  erfteren,  unb  bamit  öffnet  fi<b  ein  Slbgrunb  bet 
beHenifdjen  SBeltanftauung  gegen  bie  orientalifche,  mit  ber  fte 
bi«  bahin  not  behaftet  war. 

Söenben  wir  un«  je^t  über  bie  23lüthegeit  fort  gu  bem  gweiten 
Uebergang«ftabium  bet  antifen  Söeltanftauung,  weite«  un«  ba« 
tragifte  ©taufpiel  be«  inneren  3erfehung«proceffe«  jener  ge» 
biegenen  ©iuheit  be«  heDeniften  5Bolf«bewu|tfein«,  ben  tiefen 
S3rut  in  bem  hannonifteu  Seben  ber  ©tönheit,  »or  9lugen 
führt,  ©rft  jefjt  tritt,  wie  bemerft,  al«  Äonfequeng  ber  fit  ent» 
wicfelnben  fReflepion  be«  ©eifte«  auf  fit  felbft,  alfo  al«  fRefultai 
einet  »erftänbigen  3tätigfeit,  bie  fubjeftioe  §erm  ber  3tonie 

(762) 


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27 


neben  ber  objeftiten  auf,  unb  gwar  in  allen  ihren  Segnungen: 
inbioibueB  bei  ben  Sophiften  unb  ©ofrateS,  äfthetifch  in  bet 
eblen  gorm  bet  antifen  SEragöbte,  unb  noch  mehr  in  ber  bis  gum 
beifcenben  ©arfaßmuS  unb  ber  fchärfflen  Satire  gugeipijjten 
3tonie  bet  Äomöbie  be§  2lriftop^arte8,  bis  fte  in  ben  Satiren 
beS  gucian  »oBenbS  baS  ©epräge  ftiüolct  SEraoeftirung  aller 
pofiticen  3beale,  namentlich  beS  ganzen  ©ötterolpmps,  annahm. 

©8  mögen  h*er  au8  ber  unetfchöpflichen  ftunbgtube  »on  Sei» 
fpieleu  nur  einige  wenige,  barum  bejonberS  intereffante  het00t* 
geheben  werben,  weil  ftd?  an  ihnen  bie  Vebeutung  bet  antifen 
3tonie  in  ihren  »eTfdjiebenen  ©eftalten  geigt.  ©inS  ber  eminen« 
teften  ift  baß  geben,  bie  öffentliche  SEhätigfeit  unb  ber  SEob  be8 
©ofrateS;  eminent  auch  baburch,  ba§  h*et  erften  5Knle  ber 
Vegriff  ber  Sronie,  al8  biefer  beftimmten  SBeife  eines  negatioen 
Verhaltens  beS  ©ubjeftS,  außbrücflich  auch  burch  baS  beftimmte 
SBort  bezeichnet  wirb:  bie  „fofratifche  Sronie"  ift  fo  gu  fagen  gu 
einem  populären  SEppuS  für  eine  gewiffe  humane  Spanier  gewor« 
ben,  bet  SL^or^cit  einen  ©piegel  »orguhalten  unb  bie  aufgeblafene 
©itelfeit  ad  absurdum  gu  führen.  Sbet  bieS  ift  nur  bie  eine 
unb  burchauS  nicht  wefentlichfte  ©eite  in  ber  ironifchen  Stellung 
beS  ©ofrateS,  ba  biefe  BJlanier  eben  nur  bie  gorm  feines  Ver« 
haltenS  betrifft.  Vielmehr  breitet  fich  in  bem  gangen  gegenfeitigen 
Verhältnis,  in  welchem  ©ofrateS  unb  baS  l^eQenifc^e  VolfSbe» 
wuf)tfein  gu  einanber  ftanben,  bet  wahre  3nhalt  biefer  Sronie  auS. 

©ofrateS  ift  non  einem  gewiffen  ©tanbpunft  moberner  Suf» 
flaterei  auS,  ber  befonberS  burch  bie  ?)opulatphilofophie  beS 
»origen  3ahrhunbertS  in  Sufnahme  gefommen,  als  ein  3beal 
allgemein  menfehlicher  ©röfce,  ja  getabegu  — auch  ber  Sehnlich» 
feit  beS  ©chidfalS  halber  — als  ein  antifer  ©i^fluS  geptiefen 
worben.  Sber  fo  erhaben  unb  plaftifch  in  fich  »oBenbet  fein 
©harafter  »or  unfern  Sagen  fteht,  fo  wirb  burch  folgert  Vet* 

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28 


gleich  hoch  bet  Scbmerpunft  feinet  wahrhaft  toeltbiftorifchen  S3e* 
beutung  netrücft.  Sofrateß  war  g.  33.  nichts  weniger  alß  ein 
fRigorift  im  Sinne  ÜRoieß=9Renbelßfohn’fcher  ÜRoralphilofophie. 
fRidjt  in  bet  fRefignation  auf  ben  ©euuß  bet  gteuben  bet  SBelt 
auö  ©rünben  einet  bem  antifen  ©eift  ganglid)  ftcmben  ÜRoral* 
priiberie  fudjte  er  feine  ©tärfe,  fonbern  in  bet  ©rhaltung  bet 
Unabljängigfeit  beß  ©eifteö  auch  innerhalb  bcß  ©euuffeß.  SDiefe 
Freiheit  unb  Selbftänbigfeit  beß  ©harafterS,  bie  felbft  baS 
Temperament,  refp.  bie  eigene  fRaturfeite  in  bet  ©etnalt  behält, 
ift  etmaö  niel  £öhete§  alß  bet  ©ehorfam  tot  bem  fategorifchen 
Smperatin  befl  föioralgefefce«,  unb  in  biefet  ©eifteöfrei^eit  beruht 
baß  eigentliche  SQJefen  bet  fofratifchen  ^ebenßphilofophie.  Stber 
in  bet  ©rringung  biefet  ©eifteöfreiljeit  liegt  anbererfeitß , baß 
Sofrateß  ftch  gegen  bie  unbefangene  ©inheit  beß  antüen  ©cifteS 
mit  ber  fRatur  felbet  negatin  oerhalten  mußte;  unb  biefet  SBrudj 
mit  bet  ©ebiegenbeit  beß  antifen  fcebenö  führte  notljwenbig  gur 
3etftöruug  bet  etlichen  Unmittelbarfeit,  bet  immanenten  Sitt* 
licßfeit  beß  33olfßbewußtfeinß  gu  ©unften  einet  refleftirten 
ORotal.  SDenn  bie  SRoral  ift  eben  bie  Säuflöfung  bet  gleichfam 
inftinftioen  9Rad)t  ber  ihrer  felbft  unbewußten  ftttlicheu  ©mpftn» 
buug  Durch  ©rhebung  ihreß  3nt)altß  in  baß  refleftitenbe  0ewußt« 
fein.  2)ie  antife  Sittlichfeit,  baß  ©ttyoß,  felbft  im  Sinne  oon 
©ewoßnbeit  unb  Sitte,  war  national,  allgemein,  ©emüthßfache; 
bie  fotratifcbe  ÜRoralität  gehört  bagegen,  ba  fie  Sllleß  bet  $rü» 
fung  beß  inbioibueHen  SSerftanbeß  unterwirft,  bem  3nbi»ibuum 
an;  bie  nationale  ©ewißßeit  ihrer  felbft  hört  auf,  Sdjwerpunft 
beß  £anbelnfl  gu  fein,  um  biefen  in  baß  Söiffen,  tefp.  in  baß 
©ewiffen  be8  Subjeftß  gu  oerlegen.  3nbem  nun  Sofrateß 
biefen  Stanbpunft  fubjeftioer  ©eifteßfreUjeit  gegen  jene,  übrigens 
ohnehin  fcijon  in  bet  3etfeßung  begriffene  ©inheit  beß  ethifchen 
JBolfßbewußtfeinß  geltenb  machte,  mußte  er  notßwenDig  auch  alle 

(T64j 


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in  bemfelben  wurgelnben  SßorfteBungen,  namentlich  ben  ©lauben 
an  bie  ©ötterwelt,  jerftören.  ©ofrateö  woBte  entfd}iet>en  nur 
ba8  ©ute  unb  SEBaljte,  aber  et  woflte  e8  als  Bewufjtfein  beS 
@ubjeft8,  b.  h-  als  bewujjteS  ©ejefj  für  ba8  £anbeln  be8  3nbi* 
nibuumS,  unb  bamit  tpb  et  bte  fubftangiefle  23afiö  beö  antifen 
Sebenö  überhaupt  auf.  — 3n  biefem  ©heben  aBein  liegt  fcbon 
bet  ©tunb  feiueö  ironifcben  Verhaltens,  beffen  gangeS  ©etjeirn* 
nih  batin  beftebt,  bah  er,  mit  Sünglingen  unb  Söiännetn  jebeS 
Berufs  auf  bem  fDiarfte  unb  in  ben  SGöerf ftätten  in  ein  ©ejpräch 
fid)  einlaffenb,  fdjeinbat  unbefangene  Stagen  übet  (Dinge  that, 
bie  ihnen  geläufig  waren,  als  ob  et  fidj  unterrichten  wofle,  unb 
bann,  »on  Srage  Zu  Stage  fortfchmtenb,  fie  ju  Behauptungen 
nnb  Suseftänbniflcn  braute,  bie  ihren  früher  auSgefprochenen 
Slnfichten  wiberfprad)en,  fo  baß  baö  JRefultat  (wie  in  Diele«  pla* 
tonijchen  (Dialogen)  ein  burchauS  negatioeS  war:  nämlich  bte 
oöflige  ©elbftgerfterung  beS  bisherigen  SntjaltS  beö  naioen  33olf8* 
bewuhtfeinS.  — iMBetbingö  bejah  biefe  ironifche  SDiethobe  auch 
eine  wefentlid)  pofitioe  ©eite,  thcilS  in  ihrer  Slnwenbung  auf 
bie  felbet  negatioe  (Dialeftif  ber  ©ophiften,  theilS  auch  iß  bireftem 
©inne;  welch’  Untere  Sotm  er  in  f (herzhaftem  Hinweis  auf  feine 
SRutter,  bie  Hebamme  war,  als  ob  er  fie  oon  ihr  geerbt,  feine 
,$ebammenfunft"  nannte,  b.  h-  bie  Äunft,  bie  in  3ebem  fchlum* 
mernben  ©ebanfen  ber  SBahrl)eit  an’ö  Sicht  gß  jtctjen.  Stber  eS 
muh  boch  auSbrücflich  wieberholt  werben,  bah  felbft  bieö  SBecfen 
beö  BewuhtfeinS  burch  9tefle!tiren  auf  feinen  3nhalt  iuiofern 
boch  einen  negatiuen  ©hatafter  hatte,  als  barin  baö  9)rincip  ber 
Sütflöfung  beS  antifen  ©tljoS  lag;  unb  fo  ift  nicht  abzuleugnen, 
bah  ©ofrateö  burch  feine  .^ebammenfunft  wefentlich  bazu  bei* 
trug,  bie  fd)öne  Söelt  beö  antifen  SebenS  unb  ber  religioS'fünft* 
lerifchen  Slnfchauung  z«  gerftöten,  ober,  wie  feine  änfläger  e8 
auSbrücften,  ,bie  Sugenb  gu  oetführen  unb  bie  ©öttergu  leugnen". 


30 


£dlt  man  bieä  feft  unb  beurteilt  man  btefcS  gange,  auf  bic 
3erftörung  ber  naiten  (Einheit  beS  antifen  Bebens  gerichtete 
Streben  beS  ©ofrateS  tom  ©taubpunft  Cer  Stntife  felber  au8  — 
unb  baS  ift  für  bie  richtige  SBürbigung  feiner  Serurtheilung 
nothmenbig  — fo  faun  man  nicht  fagen,  bafc  biefe  butcbauS 
ungerecht  mar.  5)a8  l>etlenifcf>e  SolfShemufjtfein,  obmohl  bereits 
angefreffeu  uon  bem  ÄtebS  bet  (Sntfittlichung,  fühlte  inftinftio, 
baf;  eS  ihm  mit  bet  fofratifcheu  3ronie  an’S  Beben  ging,  ©ein 
großer  3«tgeuoffe  3triftcphane8  hat  biefe  negative  ©eite  bet 
fofratifchen  ^Mjilofop^te  febr  roohl  erfannt  unb  in  ben  „SBolfen" 
hart  gegeißelt,  freilich  ebenfo  fehr  auch  bie  Serberbtheit,  in  bie 
baß  atbenifdje  SOolf  bereits  »erfunfen  mar.  SBeiter  muff  auch 
bei  feinem  ?>rocefe  gmifchen  ber  ©djulbigerflärung  unb  ber  33er* 
ortheilung  gum  Stöbe  unterfchieben  merben.  3ene  begog  ftd}  bloff 
auf  bie  fünfte  ber  änflage,  biefe  auf  baS  fernere  Sethalten  beS 
©ofrateS  bei  feinet  Sertheibigung.  2)enn  nicht  nur,  bafc  er 
btefelbe  Söeife  beS  SroniftrenS,  mie  auf  bem  fDtarfte,  auch  gegen 
feine  Sftichter  anmanbte,  um  fte  in  äBiberfprüche  gu  termicfeln, 
fonbem  er  fpradj  auch,  als  ihm  — nach  &em  athenifchen  ©efefc, 
baS  bem  3ln  gef  tagten  eine  ©elbftfchafcung  ber  ©träfe  geftattete  — 
bie  betreffenbe  Stage  torgelegt  mürbe,  melier  ©träfe  er  fidf  für 
fdjulbig  erachte,  mit  hohn»oller  3tonte  eS  auS,  et  habe  terbient, 
auf  ©taatSfoften  im  $)ptaneum  erhalten  gu  merben,  als  @iner, 
ber  ftdh  um  baS  Saterlanb  mohl  terbient  gemacht.  @o  fam  ber 
Antrag  auf  StobeSftrafe  feitenS  feiner  2lnfläger  gut  @eltung. 
SlllerbingS  fonnte  ©ofrateS  nicht  anberS  haubeln,  benn  burch 
eine  Seftimmung  auch  ber  geriugften  ©träfe  hätte  et  baS  ton 
ihm  burch  fein  gangeS  mafellofeS  Beben  unb  feine  nur  ber  SBahr* 
heit  gemibmete  öffentliche  SBirffamfeit  tertretene  ^rinct?  auf* 
gegeben,  hierin  liegt  bie  fataliftifdje  3tonie  unb  baS  echt  £ta* 
gifche  feines  ©efdjicfS,  mit  bem  mir  auf  baS  Snnigfte  fpmpathi* 

(76«) 


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31 


fiten  fönnen,  ohne  bie  innere  Utotproenbigfeit  beffelben  in|9lbrebe 
ftellen  gu  bütfen.  JDa§  bie  3ltpenet  fpäter,  auß  Dieue  über  ben 
2ob  beß  roaprpaft  großen  fffianneß,  feine  Slnfläget  uerbannten, 
woburcp  fiep  autp  an  biefen  baß  Saturn  ber  gangen  Stragöbie  ooQ* 
gog,  war  nur  eine  infonfequente  ©cpwäcpe  unb  gugleicp  ein  Be» 
weiß,  bafj  bie  JReflejcion  autp  im  Bolfe  bereitß  ben  et^ifd^en 
©runb  feineß  nationalen  8ebenß  angefreffen  patte. 

2öir  werben  f pater,  bei  bet  Betrachtung  ber  äftpetifcpen 
3ronie,  fepen,  wie  biefe  ©elbftgerftörung  beß  antifen  ©tpoß  fiep 
nur  aflgubalb  biß  gum  ©jctrem  peffimiftifcper  grioolität  (g.  33. 
im  Sudan)  fteigerte,  biß  fte  im  römijdjeu  itaifertpum  einen 
fruchtbaren  33oben  für  einen  aller  Sbealität  baaren  praftifpen 
SJtaterialißmuß  fanb. 

3)aß  fRßmertpum,  auf  welcpeß  wir  noch  einen  Jürgen  fRücf» 
blicf  gu  werfen  habe«»  erfcpeint  überhaupt  nach  ber  ©eite  beß 
5>^antafie=  unb  ©emütpßlebenß  alß  eine  3tonie  auf  bie  antife 
©cpönheitßwelt.  @ß  bebarf  nur  eineß  SBlicfeß  auf  bie  ©efcbicpte 
wie  auf  baß  $>rioatleben,  auf  ^unft  wie  auf  bie  SBiffenfcpaft 
bei  ben  fRomern,  befonbetß  in  ben  lebten  Saprpunberten  Bor  bem 
töKigen  Untergange  beß  Stltertpumß,  um  taufenbfacpe  33eläge  für 
biefe  Behauptung  gu  finben.  2Baß  ipre  religiöjen  Borftellungen 
betrifft,  fo  finb  ipre  ©öfter  feine  auß  ber  eigenen  ©mpftnbung 
gefcpöpfte  Originale;  fonbern  ber  gange  römifche  Olpmp  ftellt 
fiep  (ebiglich  alß  ein  auß  ben  büftern  ©eftalten  beß  etrußfifcpen 
Äultuß  unb  ben  heiteren  ©ebilben  Der  peQenijcben  ©öttetwelt  nur 
äußerlich  oerbunbenet  Älompler  religiöfer  itppen  bar,  welche  im 
tiefften  ©runbe  nur  in  iprer  Begiepung  gum  ©taate  eine  SBapt* 
peit  befifcen.  35aburcp  wirb  notpwenbig  bet  ©laube  gum  9lber* 
glauben:  bie  poetifcp*religiöfe  ©timmung  oerpärtet  fiep  gu  pro» 
faifepet  Äultußpflicpt,  unb  bie  ppantafieooUe  Sebenbigfeit  beß 
peQenifcpen  ©ötteribealß  Berflücptigt  fiep  in  froftig-aflegorifepe 

(767) 


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32 


Sebeutjamfeit.  SDenn  ba  bie  alten  {Religionen  eine  eminent 
totale  ©ebeutung  Ratten,  fo  muffte  burd)  bie  ©erpflangung  ihrer 
üppen  auf  einen  ftemben  ©oben  — unb  bie  {Römer  fugten 
nicht  blofj  etrurifdje  unb  Ijetlenifdje,  fonbern  auch  Sgpptifcbe,  ja 
ade  ©ottbeiten  ber  eroberten  l'änber  bei  fidj  gu  afflimatifiren, 
in  ber  SReinung,  babutd)  gugleid?  beren  ftaatlicbe  Slb^ängigfeit 
gu  befiegeln  — bieS  römifcbe  f)antbeen  gu  einem  blofjcn  Äon* 
glomerat  oon  ©pmbolen  ber  Söeltberrfcbaft  oerfnöcbern.  Slbge» 
feben  oon  bem  auf  abergläubifd)et  gurd)t  berubenben  ÄultuS 
befaßen  unb  oerebrten  bie  {Römer  ihre  ©ötter  rote  ein  ©emälbe» 
fammler  bie  SBetfe  berühmter  3Reifter,  bie  auS  ber  lebeubigen 
©djöpfungSfraft  eines  ihm  unoerftönblicben  ftemben  ©eniuS  ent* 
fprungen  finb.  SluS  berfelben  Duelle  ftammte  aud)  ihre  Äunft 
unb  bie  ©ud)t,  auS  allen  Räubern,  namentlich  .peüaS,  üaufenbe 
oon  Äunftroerfen  nadj  {Rom  gu  fcbleppen.  {Rur  in  bet  iätdji* 
teftur,  biefer  auf  bet  fünftlerifcben  ©erwertbung  rein  praftifcber 
3roecfe  berubenben  Äunft,  geigen  fte  ficb  original,  in  alten  anbern 
erbeben  fte  fid)  tautn  gu  einet  tjo^eren  ©tufe  als  gu  bet  einet 
mebt  ober  weniger  froftigen  {Radjabmung  ber  ©riechen. 

3Ba8  ihre  SCBiffenfc^aft  betrifft,  fo  baben  fic  fitb  nur  in 
einem  eingigen  ©ebiet  — unb  getabe  bie§  gehört  bem  nüchternen 
©erftanbe  an  — in  bet  SutiSptubeng  auSgegeidjnet;  in  alten 
anberen  ©ebieten,  namentlich  aber  in  bem  bet  f>bil0iop(fe,  waten 
fte  nichts  als  pebantifebe  unb  einfeitige  {Racbtreter  bet  ©rieeben. 
3n  bet  ÄriegS*  unb  ©taatstunft,  foroie  in  bet  ©erebfamfeit,  alfo 
in  alten  roefentUcb  oerftänbigen  ©pbären,  waten  fie  ÜReifter,  in 
alten  übrigen  ftümperbafte  Äopiften  unb  ©arbaten.  ©ei  bet 
©ettaebtung  bet  äftbetifdjen  Sronie,  wo  wir  noch  einmal  auf 
bie  {Römer  gutücffommen  muffen,  wirb  ficb  bieä  noch  entiebiebeuer 
betauSfteden.  ©eben  wir  jejjt  gum  ÜRittelalter  über. 

SBoran  bie  antife  ®d)önbeit$welt  j<beiterte,  nämlich  an  bem 

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33 


unabweisbaren  ©ränge  beS  ©eifteö  nach  Serfelbftftänbigung  feiner 
felbft  als  freier  Subjeftiuität:  bauen  gebt  baS  Gbriftentljum  als 
feinem  ©runbfmncip  auS;  unb  wenn  eS  fidj  bort  als  feinfifelige 
9Rad}t  gegen  bie  baraonifdje  S3etföbnung  beS  ©eifteS  mit  ber 
üRatur  erwies,  fo  bilbet  eS  \)\ex  im  ©egentbeil  ben  fruchtbaren 
Ä'eim  für  eine  höhere  @tufe  ber  ©ntwicflung  im  gefchicbtlicbeu 
$>roceh-  ©amit  aber  wirb  eine  ungeheure  Äluft  jwifchen  bem 
Sütertbum  unb  bem  SRittelalter  aufgetiffen  unb  eine  uölHge  Um» 
februng  aOet  SBerbältniffe  beS  geiftigen  ©afeinS  beruorgebracbt. 
©iefe  Umfebrung,  welche  wir  in  ihren  ^auptformen  etwas  nabe 
betrachten  muffen,  uerleibt  junäcbft  bem  ©eift  beS  9RittelalterS 
eine  wefentüch  ironifcbe  Stellung  gegen  ben  ©eift  ber  Slntife, 
Weiter  aber  wenbet  ficb  biefe  3ronie,  ba  baS  ^rincip  mit  bem 
ihm  unabäguaten  SRittel  feiner  JRealifation , bem  germanifcben 
SSarbaventbum,  in  tiefen  SBiberfpruch  gerätb»  gegen  ben  mittel» 
alterlicfcen  ©eift  felbft,  unb  bie  33erwitflichung  bet  3bee  fchlägt 
in  ihr  uoDfommeneS  ©egentbeil  um.  ©aber  baS  ©epräge  bum» 
pfeu  ScbmergcS  unb  tiefer  Dual,  welche  baS  geiftige  geben  beS 
SöiittelalterS  cbaracfterifirt  uub  ihm  eine  gewiffe  Ulebnlicbfeit  mit 
bem  DrientaliSmuS  uerleibt.  3«  ber  ©b“t  entfpringt  biefer 
Schmerj  auS  berfelben  Duelle,  nämlich  auS  ber  ©ifferenj  beS 
©eifteS  unb  bet  IRatur;  nur  bah  im  DrientaliSmuS  eS  ber  ©eift 
ift,  welcher  unter  bem  ©rucf  beS  Stoffes  leibet,  währen b im 
IKittelalter  bie  fRatur,  b.  b-  bie  Sinulicbfeit,  ficb  gegen  bie 
SBernichtung  burch  ben  ©eift  fträubt.  3n>ifcben  SBeiben  ftebt  bie 
ruhige  unb  heitere  Schönheit  beS  antifen  gebenS. 

©ie  lÄuflöfung  ber  gebiegenen  ©inbeit  uon  fRatur  unb  ©eift 
in  ber  Slntife,  welche  im  SRittelalter  als  fdjatfer  ©ualiSmuS  beS 
33emu|tfeinS,  nämlich  als  ber  bewufjte  SBiberfprucb  eines  bieS* 
feitigen  (blofj  natürlichen)  unb  eines  jenfeitigen  (bloh  jgeiftigen) 
©afeinS  beS  flRenfcben  erfcheint,  muhte  notbwenbig  ju  einer 

XIV.  Bt  383  . 3 (76») 


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34 


Unterbrücfung  alles  2)effen  führen,  was  mit  bet  fftatur,  b.  h- 
bcr  finnlichen  SBelt,  gufammenhängt.  ÜDie  SRatütlic^feit  beS  55a» 
fetnS,  meines  bem  ^eOenijcbeu  geben  jenen  wunbetbaren  ©h<** 
rafter  göttlicher  .jpeiterfeit  oerlieh,  bie  allen  Schmerg  alö  etwas 
HnfchöneS  empfanb  unb  oon  fich  abftiefj,  foU  nun  ihrerfeitö,  als 
ein  Schlechtes  gegen  ben  ©eift,  abgeftofjen  unb  oernidjtet  werben. 
S)amit  wirb  aber  baS  S3ebürfni§  beS  Schönen  felbft  als  „fleifch* 
liehe  Steigung"  unterbrüeft  unb  an  feine  Stelle  baS  Sebürfnifs 
beS  „^eiligen"  gefegt.  ÜRit  feinem  @efüf)l  für  biefe  Äoniequenj 
erflärt  baher  auch  Vifchet  in  feiner  Sefthetif,  bafe  „baS  3beal 
beS  SJtittelalterS  in  einem  gewiffen  Sinne  nahe  an  bie  ISufftel* 
lung  beS  ironifchen  ©efefceö  trete:  baS  ^»äfeliche  ift  fchön";  rich= 
tiger  aber  muhte  et  umgefehrt  fagen:  für  baS  fütittelalter  wirb 
baS  Schöne  felbft  gu  einem  Mählichen,  nämlich  Sünbhaften,  weil  eS 
ber  Sinnlichfeit  eine  ©leidjberechtigung  gegen  baö  ©eiftige  gewährt. 
55aS  fUtittelalter  ift  baher  unäfthetifdj,  infofern  ihm  baS  Schöne, 
biefe  Ijarmonifdhe  SDurehbringung  oon  Sinnlichfeit  unb  ©eift, 
überhaupt  nicht  mehr  als  Kriterium  für  bie  fünftlerifehe  ©rfchei» 
nung  gilt;  aber  ba  in  ihm  ber  Schwerpunft  ber  SBttfung  nach 
ber  Seite  beS  ©eifteö  hin  oerrüeft,  b.  h-  bem  finnlichen  ©ebiet 
entgegen  ift,  fo  oerwanbelt  fich  anbererfeitS  feine  Schönheit, 
gegenüber  bet  Veräußerlichung  beS  Schönen  in  ber  antifen  ©e* 
ftaltung,  in  eine  innerliche. 

SDieö  Streben  nach  Verinnerlichung  enthält  aljo,  auf  Seite 
ber  Slnfchauung,  eine  Verfemung  ber  fihönen  ©eftaltung  in 
oergogene,  bürftige,  unharm onif che,  furg  häßliche  formen,  mithin 
einen  fcheinbaren  9iücff<hritt  gut  oricntalifdjen  Vetgerrung  — auf 
Seite  beS  ©eifteö  bagegen  eine  ©rßebung  ber  wefentUch  förpet* 
liehen  Schönheit  ber  Slntife  gum  fpecififch  geiftigen  SluSbrucf 
innerlicher  Seelenfchönheit.  2>ieS  ift  bie  wefentlich  pofitioe  Seite 
beö  mittelalterlichen  3bealS,  butch  welche  fich  bie  mittelalterliche 

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35 


Äunftanthauung,  trofj  aller  SSergerrung  im  Sleufjern,  bod)  gut 
orientalifc^en  Äunftanfhauung  in  einen  noh  f djärferen  ©egen« 
fajg  fteQt  olö  gur  antifen. 

©iefe  beiben  ©eiten  bet  mittelalterlichen  Äunftanfhauung, 
»eihe  übrigenö,  roie  mit  fefyen  roerben,  ebenfo  fehl  eine  etfyifdje 
unb  (ulturgefchiehili<he  ®ie  eine  äft^etifcbe  53ebeutung  ^aben, 
mußten  beö^alb  fyier  ftrenget  »on  etnanbet  gefhieben  metben, 
meil  bie  in  ifynen  gegen  bad  ^tincip  fih  entmicfclnbe  Stonie  an 
biefet  SBerfchiebenfyeit  heilnimmt  unb  o^ne  biefe  Unterfdjeibung 
nicht  gu  »elfteren  märe.  Raffen  mir  gunadjft  bie  eine,  pofitioe, 
©eite  in'ö  Äuge. 

©aö  antife  3beal  geht  nollftänbig  in  bie  fdjöne  Äörpetform 
b.  ty.  in  bie  plaftiihe  ©eftaltung  auf,  eö  geigt  SlUeö  auf  ber 
©djaale,  road  eö  an  ibeeßem  Snfyalt  befifct;  baö  mittelalterliche 
3beat  giefyt  bie  in  hm  gä^renbe  ©mpfinbung  bagegen  oon  bet 
Oberfläche  nah  3nnen  gurücf,  fo  baf$  bie  £üQe  etroaö  Sieben» 
fachliche^ , ja  Jpinbetliheö  ift.  ©o  erfheint  biefe  Snnetlihfeit 
alö  3nnigfeit  beö  ©mpfinbenö,  nicht  b!o§  in  ber  ilunft,  fon« 
betn  aud)  auf  ben  anberen  ©ebieten  beö  ©eifteö,  auf  bem  bet 
JReligionin  bet^orm  bet  Änbaht,  bet23ergücfung  unbBerfnirfhung, 
bet  Äöfefe  überhaupt ; auf  bem  beö  öffentlichen  8ebenö  alö  rittet« 
lidje  S^re,  ©reue,  gatte  8iebe;  auf  bem  beö  §)ti»atlebenö  alö 
gemütvolle  £äuölihfeit  beö  garailieuljeerbeö,  ©ittfamfeit  ic. 
Stile  biefe  Segtijfe  finb  bem  Ältethum  in  biefet  fpecififhen  S3e« 
beutung  gänglih  fremb.  ©teilt  man  nun  non  biejem  ©efidjtö« 
punft  and  bie  ©eftaltungen  ber  antifen  ©hüuljeitSroelt  benen 
bet  mittelalterlichen  Änfhnuung  gegenüber,  fo  tritt  bei  ber  erfteren 
fogleih  ber  ÜJlangel  gn  Sage,  bafj  hnen  baö  SDRoment  folhet 
Snnetlihfeit,  b.  lj.  bet  3nnigfeit  bet  ©mpfinbung,  fehlt,  ©ie 
VÜenifhen  ©etter  finb  herjloS,  fall,  roie  bet  5Ji  atmor,  in  melhem 
fie  gebilbet  finb,  unb  beihalb  laffen  fie  unö  auh  falt,  fo  fel)t 

3*  17T1) 


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36 


aud)  untere  änfdauung  burdj  bie  6dj8nbeit  bet  gorm  dftbetifcb 
befriebigt  wirb.  ©in  „Apollo",  eine  „JBenuS"  ift  als  ^laftifc^e 
©efammtrorm  fdjön;  fein  J^eil  bat  &or  bem  anbern  einen  SSorgug; 
in  ber  maletijcben  35arftetlung  beS  B@bttftu8“,  ber  „SJtabonna“ 
ift  e8  porgugSmeife  bet  .Ropf  unb  in  biefem  wiebet  ba8  3(uge, 
al8  „Spiegel  bet  (Seele" , worin  fidj  bie  äftbetifebe  SBirfung  fon* 
centtirt.  3n  bet  ©licflofigfeit  bet  antifen  ©ottergeftalt  brüeft 
fidb  nid)t  blofj,  wie  man  gemeint  bat,  bie  ©rbebnng  übet  be* 
fcbrSnfte  f)erfdnlid>feit,  foubem  ebenfo  febr  ber  ÜJtangel  an  Seelen» 
baftigfeit  au8.  SRic^tS  befto  weniger  tritt,  tom  äftbetijcben  @efi<btÄ» 
punft  au8,  bet  fein  Uebetwiegen  be8  geiftigen  übet  ba8  finnlidje 
Element  gelten  lä&t,  bie  ©iffereng  in  bet  formalen  ©rfdjeinung 
be8  mittelalterlichen  3beal8  al8  ©inbtuef  befl  ^äfelitben  gu  Sage, 
nnb  wie  febr  wir,  hob  »Her  Setjertung  bet  ©eftalten  in  bet 
Schilber  ung  gröblicher  ÜJtättprerfcenen  unb  in  bet  ©arftellung 
bet  mageren,  edigen  nnb  in  jeber  SBeife  unfdjßnen  #eiltgenge» 
jtalten  be8  SJtittelalterS,  ton  bem  oft  wunbetbaren  SHuSbrud  tiefftet 
3nnigfeit  unb  ©mpfinbnng  gerührt  werben,  e8  bleibt  immetbin 
ba8  ironifdje  SRefultat  befteben,  ba&  biefe  gange  mittelalterliche 
SBelt  eine  SBelt  be8  ©lenbS,  ber  finn  liehen  ©rtßbtung,  bet  Sich* 
Selbft»3erjieif<bung  ift. 

£ier  berühren  wir  nun  beu  ^)unft,  wo  bie  negatioe  Seite 
be8  mittelalterlichen  3beal8  gut  ©eltung  fommt. 

©er  ©eift  foU  übet  bie  Statur  betrieben  unb  frei  werben  — 
bteS  mar  ba8  ^tincip.  äbet  inbem  biefe  Aufgabe  einem  in 
tiefftet  Stobbeit  fteefenben  Sarbaten  tbum,  ba8  noch  nicht  einmal 
wie  bie  Hellenen  gu  einet  ©leicbfteHu  ng  be8  ©eifteS  mit  bet 
Statut  gelangt  war,  anoertraut  würbe , fo  geftaltete  fi<b  bie  ge« 
fotbette  '.Befreiung  fofort  gu  bet  mif}  »etftdnblicben  SluSeinanber» 
reifjung  eines  finnlidjen  ©ieffeits  unb  eines  geiftigen  3enfeit8, 
unb  ba8  ^)rincip,  welches  — wenn  überhaupt  einen  — nur  ben 

(772) 


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37 


Sinn  tjaben  fonnte,  baß  im  SRenfehen  f elbft  bet  ©eift  übet 
bie  Statut  hercfdjm  fotle,  würbe  in  bie  ungeheuerliche  gorberung 
»erbaflhornifirt,  baß  bet  bteffeitige  fDlenfch  als  finnlicße  unb 
fd^led^te  ©jrifteng  gu  ©unften  einet  nach  bem  $£obe  gu  ermartenben 
jenfeitigen  geiftigen  ©jrifteng  oernichtet  werben  muffe. 

2>ie8  ift  bie  furchtbare  3tonie,  wel^e  in  bet  einfeitigen  Äon* 
fequeng  ber  tbriftlidjen  3bee  gu  Sage  trat  unb  aus  welcher  alle 
jene  entfeßlichen  ©atbareien  gu  etfläreu  ftnb,  welche  bis  auf  ben 
heutigen  SLag  in  bet  ©efeßiehte  be8  ©htiftenthumS  bem  ©oangelium 
ber  fittlicfcen  Freiheit  unb  aUumfaffeuben  Siebe  in’8  ©efidjt 
fchlagen.  Slber  hiermit  nicht  genug:  ba8  ©eiftige,  obfehon  in  ein 
abftrafteß  3enfeit8  hbpßftafitt,  beburfte  immerhin  auch  innerhalb 
be8  ©ieffeitS  einer  gleichfam  fqmbolifchen  Vertretung;  bie  rohe 
©innlicßfeit  be8  Vatbaren  allein  genügte  nicht,  um  folche  .fcppofta» 
fitung  feftguhalten ; e8  war  eine  Vermittlung  gwifchen  bem 
SDteffeitß  unb  3enfeit8  erforberlich;  }o  oerwanbelte  fich  ba8  ©einige 
in  ba8  ©eiftlicße,  b.  h-  e8  trat  eine  bieffeitige  ^onopolifirung 
be8  ©eifteS  ein,  welche  bie  3ronie  gegen  ba8  ^rincip  bet  all* 
gemein  menfchlichen  Vefreiung  be8  ©eifteS  ooHenbete.  3n  bem 
©egenjaß  be8  ©eiftlichen  unb  be8  Baien,  in  welchem  jener  allein 
aHe8  SBiffen  oon  ©ott,  alle  ©eheimuiffe  beß  3enfeit8  für  fich 
referoirt  unb  fich  baburch  als  „©eelforger"  unb  „©ewiffenSrath", 
b.  h-  gum  Vermalter  unb  Vormunb  ber  Saienfeele  erhebt,  tritt 
bie  3ronie  gegen  ba8  ?)rincip,  auf  ©eite  be8  Baien,  ptaftifd)  einer* 
feitS  al8  abfolute  ©ntfagung  auf  geiftige  ©elbftftdnbigfeit  über» 
haupt,  anbrerfeitS  in  bet  „Slnbacht"  als  abfolute  Veräußerlichung 
jenes  unmittelbaren  SinheitBgefühlS  mit  bem  al8  3eufeit8  ge» 
festen  ©eifte  auf:  ber  ÄultuS  wirb  fo  feßr  gu  einem  abftraften 
gormelraefen,  baß  er  gerabegu  als  totale  ©ntgeiftigung,  als  birefte 
3ronie  auf  ben  etßifchen  3nhalt  ber  grömmigfeit,  erfcheint.  Von 
bem  geiftlofen,  weil  rein  medjanifchen  lateinifchen  3Rofenfrang*9lb» 

(771) 


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38 


leiern , wöbet  bet  fromme  Üalienifcbe  Sanbit  an  feinen  näcbften 
ÜJtorb  benfen  fann,  für  ben  er  meOetc^t  fd&on  »orber  abfolution 
empfangen  bat,  biß  gu  ber  mecbanifcbeu  ©rfinbung  ber  cbiuefijcben 
©ebetfltrommel  ift  nur  ein  Heiner  Schritt. 

aber  biefe  jebet  Sernunft  wiberfprechenbe  Serfebrung  beB 
principe  in  fein  ironifdiefl  ©egentbeü  rächt  ficb  nun  auch  an 
ben  ©eifteBpädjtern  felbft.  @8  liegt  in  ber  9iatur  folgen  SerufB, 
bafc  bem  SSräger  beffelben,  im  ©egenfajj  gu  bem  oielfadi  mit  bem 
3rbifd)en  unb  SBeltlicben  »erwachfenen  8aien,  beffen  Seelenbeil 
gu  »erwalten  ibm  obliegt,  ein  befonberer  SflimbuB  »on  3en* 
fettigfeit  beiwohnen  mufi;  er  bat  babet  für  ficb  nicht  nur  nichts 
mit  ben  weltlichen  Sntereffen  gu  tbun,  fonbern  muf)  fie  auch  auB* 
brücflicb  auB  feinem  geben  uerbannen:  fo  fefjt  er  ficb,  bet 
£eiligfeit  halber,  but<b  bie©elübbe  ber  „armutb",  ber  „Äeufd)» 
beit"  unb  beB  „©eborfamB"  außerhalb  ber  ftttlicben  SDrbnung  ber 
©efeQfcbaft  heraus,  inbem  er  bie  brei  ©runbpfeiler,  auf  benen 
biefelbe  ruht,  für  ft<b  gerftört;  burcb  baS  erfte  ©etübbe  entfagt 
er  bem  ©igentbum,  burdb  baB  gweite  bergamilie,  butcb  baB 
brüte  ber  petfönltcben  greibeit.  aber  nicht  nur,  baf$  er  fte 
für  fitb  gerftört,  fonbern  er  fe^t  fie  baburcb  auch  für  bie  33or* 
ftellung  beB  8aien  gu  etmaB  Unbeiligem,  ber  göttlichen  Sefttmmung 
beS  IJJtenfchen  Unwürbigem,  ober  boch  minbeftenB  3nbifferentem 
herab.  IDieB  ift  bie  tiefe  Unftttlichfeit,  welche  im  SBeten  beB 
ÜJlönchBtbumB  liegt  unb  felbft  bann  liegen  würbe,  wenn  baffelbe 
in  feiner  gci^ichtlichen  ©eftaltung  »oUfommen  bem  Segriff  ent* 
fprochen  hätte.  2)a§  bieB  nun,  wie  befannt,  nicht  ber  gall  war, 
bafc  »ielmebr  ^abfu^t,  ©rbfchaftflfchleicherei,  Slnbäufung  un* 
geheurer  fReichtbnmer,  ©ntfaltung  eines  unerhörten  ©langes  — 
alB  3ronieauf  baB  „armutbBgelübbe"  — , bafjUnjucbt,  Schlemmerei 
unb  fcbeublicbe  Setbrechen  aller  9lrt  — alB  Sronie  auf  baB  „©nt* 
baltfamfeitBgelübte“  — , bah  geiftlitber  |>ochmutb  unb  blutigfte 

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39 


©eifteSbeSpotie  — als  3tonie  auf  baS  „©ebotfamSgelübbe"  — 
pd)  als  bie  praftitcpen  JRefultate  biefer  wiberpnnigen  Verfebrung 
beS  fPrincipä  erweifen  mußten:  baS  tft  bet  bet  wie  ein 

giftiger  9Rebel  übet  bem  ganjen  geben  beS  HDRittelalterS  auS» 
gebteitet  ift  uub  melier  auch  heute  noch  baS  flare  ©onnenlicbt 
bet  geiftigen  greibeit  nut  erft  in  oereinjelten  tSufblipen  burtfj* 
feinen  läpt. 

Hieben  bem  HJioncbtbum  gab  eS  abet  im  HJiittefalter  noch 
eine  gweüe  gorm,  in  meldet  baS  Vebütfnip  nach  Vermittlung 
mit  bet  als  SeufeitS  gefegten  3bealwelt  pd)  oerwirflicbte,  abet  pe 
bilbet  infofern  einen  ©egenfaf)  gegen  baS  HRcncbtbum,  als  biefe 
Vetroirflicbung  feine  geiftlidje,  auS  bem  religiöfen  Vebürfnip  ent* 
fpringente  annimmt,  fonbern  oielmebt  weltlichen  ß^atafterS  ift: 
baS  JRittertbum.  Slber  wie  bie  geiftlidjen  3beale  bet  Slrmutb, 
Äeufcbbeit  unb  beS  ©eborfamS  beim  5Ren^t!)um,  fo  fdjlugeu 
auch  bie  weltlichen  3beale  bet  „@l)te",  „gtebe"  unb  „Streue“, 
weil  p e nicht  minbet  als  jene  einet  wahrhaft  fittlichen  ©runblage 
entbehrten,  nut  ju  balb  beim  JRittertbum  in  ihr  ©egentbeil  um; 
ja  man  famt  fagen,  bap  Pe  Söanb  an  Sßanb  mit  ihren  ©egen* 
fäpen  wohnten  unb  p<b  mit  fRobbeit,  frecher  SSMOfür , ^»interlift 
unb  batbatifchet  ©taufamfeit  fepr  wohl  vertrugen.  Darin  liegt 
bie  Stonie  biefer  auS  Demfelben  ©runbirrtbum  wie  bei  bet  geift* 
liehen,  bet  $eiligfeit,  entfprungenen  Sbealität.  Ulm  frappanteften 
Jeigt  ftd)  biefer  äöiberfpruch  in  jener  gtoteSfen  Verbinbung  beS 
mönchifchen  unb  ritterlicheu  ©lements,  wie  pe  fich  in  bet  rohen 
9>bantaftif  ber  Äteugjüge,  biefer  gtoteSfen  3ronie  auf  bie  geipige 
^Befreiung,  barfteHt.  DaS  ©tab  ©b*iftii  eine  tobte,  leete  £ülfe 
alfo,  ein  entgeiftigleS  ©tuet  @rbe,  füllte  wiebererobert  werben: 
baS  „^eilige  ganb"  butfte  nicht  in  ben  $änben  bet  Ungläubigen 
bleiben.  Daß  fepeint  nun  gunäcbft  ein  febr  erhabner  ©ebanfe, 
unb  et  war  bod)  nichts  weitet  als  ein  foloftaler  3rttbum  beS 

(775 


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40 


au8  jeinet  Berti jjen^eit  binauß  nad?  einet  tealen  Sergegenwärtigung 
beß  ibeolen  3enfeitß  fid^  fehnenben  ©emütbß.  9Rit  allen  Äräften 
flrebte  bet  au8  feinet  3ufammengehörig!eit  mit  bet  SRatur  l>er« 
außgeriffene  ©eift  in  fi<b  wieberguftnben,  aber  et  »erwethfelfe 
bie  b!o§  äußerliche,  lofale  ©jrifteng  be8  geschichtlichen  ©ottmenfchen 
mit  bet  geiftigen  ©egenwättigfeit  unb  fud)te  im  ©taube,  »aß 
ihm  längft  in  eine  SBelt  jmfeitß  bet  «Sterne  entrüdt  worben  war. 
5)ie  Äteuggugßprebiger  Ratten  ftd)  an  ba8  SBort  erinnern  joDen, 
ba8  an  bcmjelben  ©tabe  bereits  ben  Sängern,  bie  ben  8eib 
©^rifti  fugten,  gugetufen  würbe:  „2Saß  fud>t  ihr  ben  fcebenbigen 
bei  ben  lobten;  et  ijt  nicht  ^ict,  et  ifi  auferftanben.“  — SDerfelbe 
Srrtbum,  b.  h-  biejelbe  Sronie  auf  bie  ©inbeit  beß  Srbifchen  unb 
©eiftigen,  fpricht  ftch  in  Dielen  anberen  ©tjcbeinungen  beß  SJlittel» 
alterß,  g.  S.  im  SBunberglauben  unb  in  bet  ^Reliquien» 
»etehrung  auß:  biejeß  3ei<be«.  biefeS  Stücf  Knochen,  biefcr 
feßen  Studj  ober  roftiger  jRagel  — abgejebeu  »on  bem  Settug, 
bet  bamit  getrieben  würbe  — foH  alß  unmittelbare  ©egenwart 
eineß  ©eiftigen  gelten;  baß  reine  §)rincip  beß  getifdjbienfteß. 

Unb  welche  ÜJlittel  — um  gum  SRittertbum  gutücfgufebten  — 
würben  für  jene  gabrt  nach  bem  ^eiligen  ©tabe  in  Sewegung 
gefegt!  9Ran  fing  gunächft,  gut  Sorbereitung,  im  eigenen  fcanbe 
bamit  an,  »iele  Saufenbe  »on  Suben  abgufdjladjten  ober  bodj 
auöguplünbern,  bann  tucfte  bet  berühmte  Äreugeßptebiger,  ^)etet 
»on  Slmienß,  mit  einem  Raufen  gufammengelaufenen  ©efinbelß 
butd)  Ungarn , wäbrenb  überall  geraubt , geplünbert  unb 
anbete  angenehme  3erftörungen  betrieben  würben,  biß  einige 
wenige  — bie  übrigen  würben  »on  ben  erbitterten  Ungarn  tobt 
gefdjlagen  — nach  Äonftantinopel  gelangten,  bie  bann  auf  bem 
SDRarfte  alß  Sfla»en  »erlauft  würben;  eine  Sronie  beß  Sdjicffalß, 
bie  fte  »oQIommen  »erbient  hatten.  Später  haben  fid)  bann  bie 
dürften  bet  Sad?e  angenommen  unb  großartige  SRittergüge  »er» 

076) 


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41 


anftattet.  iftodj  triefenb  Born  Slute  bet  gemorbeten  ©inmobner 
SerufalemB,  marfen  fldj  bie  frommen  SBaDfabrer  an  bem  enblidj 
eroberten  ©rabe  nieber , um  inbrünftige  SDanfgebete  für  biefen 
Segen  gum  Fimmel  gu  rieten.  Unb  ma8  mar  oon  aDem  bem 
foloffalen  SBlutBergiefjen  ba8  SRefultat?  ba§  ba8  ^eilige  ©rab 
fdjliefjlicb  mieber  in  bie  $änbe  bet  Ungläubigen  gelangte;  bodj 
nein,  aud)  etmaB  ?)ofttioe8  mürbe  erreicht:  gange  Sdjiffßlabungeit 
ton  ^eiliger  ©rbe  mürben  nad)  ©uropa  gerafft.  ©8  ift  !anm 
möglid),  firfc  eine  blutigere  3ronie  auf  ben  Söaljnftnn  gu  benfen, 
au8  bem  biefe,  mit  geringen  Unterbredjungen , »olle  gmeifyunbert 
Saläre  banernben  ©Sfapaben  entfprungen  maren. 

Set  SBa^nfinn  in  biefet  93erfetyrung  be8  bem  ©briftentbum 
gu  ©runbe  liegenben  9>rinrip8  ber  ©rbebung  be8  ©eifteö  übet 
bie  fRatur  liegt  nun  fdjltefjlid),  aud?  für  ba6  befd?ränftcfte  23e* 
mufctfein,  fobalb  biefeS  einigermaafeen  gut  SBefinnung  fommt,  fo 
flar  am  Sage,  baf)  biefeS  notbmenbig  felbft  in  eine  ironift^c 
Stellung  bagegen  gebrängt  mirb.  ©8  macht  ftd)  habet  febou 
früh  — fobalb  bie  $Rad?t  ber  SaTbarei  in  ®tma8  ber  SRorgen* 
bämmerung  einer  gemiffen  Sßilbung  gu  meinen  begann  — ba8 
Sebürfnffj  im  Solfe  geltenb,  Satire  an  ben  itjm  eingeimpften 
üDogmen  gu  üben:  bie  burleßfen  Sraoeftirungen  bet  $)affion8» 
fpiele  baUen  nod>  eine  gemiffe,  uaiofomifebe  Sebeutung;  halb 
aber  entmicfelte  ftdj  bie  Satire  in  entfebieben  oppofitioneller  gorm. 
Schon  »or  bet  [Reformation  erft^ienen,  unterftüfit  bur<b  bie  neu» 
erfunbene  Äunft  be8  fcetternbruefe,  in  93etbinbung  mit  bem  noch 
älteren  -£>olgfd)uitt,  gablreidje  Pamphlete,  morin  ba8  ^abfttbum, 
bie  9Rönd)8*  unb  fRonnenmirtbfcbaft,  bie  2lbla|fräraerei  unb  bet 
SRi&braucb  bet  DbreBk*id)te  beifjeubfter  Söeife  Berböbnt  unb 
an  ben  pranget  bet  Ceffentiidjfeit  geftedt  mürben.  So  feben 
mit  auch  b»er>  am  @«be  be8  5Rittelalter8  — getabe  mie  gut  3eit 
be8  abfterbenben  2lltertbum8  — bie  SReflejrion  be8  ermacbenben 

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42 


Sewufjtfeind  fiep  in  ironifcper  SBeife  gu  ben  Äonfequengen  bed 
mipuerftanbenen  $)rincipd  feines  eigenen,  fubftangiellen  gebend» 
inpaltd  »erhallen,  unb  gwat  gefcpiept  bied  auch  pier  wie  bort  in 
gotm  ber  Satire.  aber  biefe  Satire  befcpränfte  fid)  nicpt  auf 
eine  poetifcpe  3tonifirung  ber  oben  gefcpilberten  formen,  bed 
?>abfttpumd,  bed  fDtöncptpumd  u.  f.  f.,  fonbern  bad  ©efüpl,  aud 
bem  biefe  3ronie  entfprang,  reagirte  auch  gegen  bad  Sewuptfein 
felbft  unb  erfüllte  ed  mit  ber  tiefen  ©mpfinbung  oon  bem  ©lenb 
bed  JDafeind  überhaupt,  aud  biefer  ©mpfinbung  allein  finb  jene 
metfwürbigcn  Srfdieinungen  gu  erflären,  welcbe,  wie  bie  beliebten 
ÜPbtentangbarftellungen , eine  bem  fHRittelalter  eigentpümlidpe, 
butcpaud  peffimiftif<p=ironifcpe  SBeltanfcpauung  bofumentiren.  3n 
biefen  „Slobtentängen"  — namentlich  wie  fte  fpäter  burdp  ben 
genialen  ^jolbein  fünftlerijcp  oerwertpet  würben  — waltet  ein 
Jpumor,  ber,  weil  feine  Äomif  aud  bet  ©rfenntnip  bet  Sämmer* 
licpfeit  aller  irbifdjeu  3>racpt  unb  jgjerrlidjfeit  ftammt,  gerabegu 
©raufen  erregt. 

Söenn  fiep  bie  in  ben  Sobtentäugen  unb  anbern  ähnlichen 
©rtepeinungen  burledfer  art  ojfenbarenbe  Sileltanfcpauung  ald  eine 
peffimiftifcp’ironifcbe  eparafterifitt,  fo  fuepte  ber  niebergefcrücfte 
unb  um  feine  ©afetndfreuben  betrogene  ©eift  auch  auf  optimiftifcp» 
ironifepe  SBeife,  burep  eine  abwerfung  aller  ipu  brüefenben  geffeln, 
gu  einem  wenn  auch  nur  geitmeiligen  ©enup  bet  Selbftbefreiung 
gu  gelangen.  SDapin  gehörten  bie  ftaftnacptd*  unb  ©arneoald* 
EoDpeiten,  beten  3tonie  batin  liegt,  bap  ald  ©egenfap  gu  bet 
in  ben  gaften  beabfieptigten  ©ntiagung  auf  irbifepe  ©enüffe  gut 
gäuterung  unb  Heiligung  ber  ©eele,  bad  fromme  ©ubjeft  einen 
Sßorratp  ftnnlicper  ^reuben  in  möglicpftem  Uebermap  »orroeg 
nimmt,  barin  bem  Jpamfter  gleicpenb,  wenn  er  für  ben  SBinter 
fammelt.  3nbem  ipm  aber  oon  biefen  Sreuben  nieptd  ^ofitioed, 
fonbern  nur  bie  ©rinnetung  bleibt,  fo  fpringt  auep  pier  bie  3ronie 

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43 


auf  bie  anbere  ©eite  über,  inbem  biefe  Erinnerung  bie  bem 
Eenuh  folgenbe  Entfagung  nur  um  fo  fühlbarer  macht  uub  bie 
gaftengeit  gu  einer  9lrt  geiftigen  jfahenjammerß  ftempelt.  iSehn« 
liebe  Etfcheinungen,  bie  alle  auß  berfelben  Duelle  flammen,  nämlid) 
auß  bem  untilgbaren  ©ebürfnifj  nach  ©elbftbefreiung  beß  Eeifteß, 
treten  auch  in  ber  SBolfßliteratur  auf,  wie  bie  gum  Sh*M  poffen» 
hafhironifchen  Etgählungen  „Sill  Eulenfpiegel",  £homaS  9Rurner’ß 
„©chelmengunft",  ©ebaftian  öraubt’ß  „fRartenfchiff",  bie  ©inn* 
fpriidje  unb  Allegorien  non  £anß  @ad?ß  uub  niete  anbere  ä^n* 
lieber  Art. 

Bur  bewußten  unb  tenbengiöfen  ©atire  geftaltetc  fid)  inbeft 
bie  biß  babin  bod)  nod)  ihreß  Erunbeß  wie  il)reß  Bielß  meift  un* 
bewußte  unb  barum  harmlofe  Sronie  erft  in  ber  {Rcformationß* 
beroegung,  mit  welcher  eine  neue  $)hafe  in  bem  Äampfe  beß 
Eeifteß  um  feine  greiheit  beginnt:  bie  moberne  Beit. 

©aß  Entmieflungßprincib  ber  mobernen  Söelt  liegt  bereits 
in  bem  ber  {Reformation  unb  ber  {Renaiffance  gleichmähig  gu 
Erunbe  liegenben  Eebanfen  ber  {Reftitution  ber  ©elbftbeftimmung 
beß  Eeifteß.  „{Reformation"  unb  „{Renaiffance"  finb  nur  gwei 
©eiten,  nämlich  jene  bie  etl)ifd?e,  biefe  bie  äftbetifdje,  berfelben 
{Bewegung:  bet  Eeift  befinnt  fid?  enblid)  nadi  ber  langen,  fchmad)* 
nollen  ©flaneret,  in  ber  et  unter  bem  ©ruef  ber  Äitche  jdjmadjtete, 
auf  fid)  felbft  unb  feine  eigentliche  Seftimmung,  frei  gu  werben 
in  fid',  unb  t>etfud)t , biefe  Ueffeln  abguwerfen;  in  ber  {Refor* 
mation  baburd),  baf)  baß  ©ubjeft  wieber  in  fein  urjprünglid)eß 
{Recht  bet  fittlid'en  ©elbftbeftimmung  eingelegt  wirb,  intern  baß 
eigne  Eewiffen  als  bie  höchfte  richterliche  Bnftang  über  ben  3n* 
halt  beß  religißfen  Bemüht  jiiußreftituirt  wirb;  in  bet  {Renaiffance 
baburch,  ba§  bie  fünftlerifche  Anfdjauung  fid)  oon  bet  firchlichen 
Srabition  emancipirt  unb  gum  Bemuhtfein  barüber  fommt,  bah 
baß  wahre  3‘d  aller  Äunft  nid)t  bie  $eiligfeit,  fonbern  bie 

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44 


Schönheit  {ei.  Auf  baS  eigentliche  SSefen  biefet  SBiebergeburt 
tann  infcefj  h^  ebenfo  wenig  wie  auf  bie  noch  niel  eutfchiebener 
auftretenbe  SDppofition  gegen  bie  ©eifteSfflanerei,  bie  fiep  in  bet 
Literatur  funbgab,  eingegangen  werben;  wir  werben  bei  8e» 
Pachtung  ber  äfthetifchen  3ronie  noch  auf  beibe  gurücffommen. 

2 5a8  Streben  nach  Selbftbefreiung  beS  ©eifteS  — ein  9)rincip, 
baS  fcpon  im  Urcpriftenthum  gefegt  war  — bleibt  inbefc  auch 
jefct,  wenigftenS  nach  ber  einen,  nämlich  teligiöfen,  unb  bamit  in 
Sufammenhang  auch  nad^  bet  )>oItttf(^  * foctalcu  Seite  tjin,  in 
gweifather  Segiepung  ein  befdjränfteS  unb  einfeitigeS:  eS  wagt 
Weber  bie  lebten  Äonfequengen  {eines  9>rincip8  gu  giepen,  {onbetn 
bleibt  nod?  im  gormelroefen  unb  Aberglauben  befangen,  noch 
burchbringt  eS  bie  gange,  tultioirte  ÜJtenfchheit.  2>ieje  ®e» 
fchränftheit  unb  ^)artilularität  bringt  in  baS  SBewu&tfein  bet 
europäijchen  Äulturoölfer  eine  tiefe  Spaltung,  welche  gu  nach  ft  3« 
einem  t>ielj&t)rigen,  erbitterten  Kriege  bet  tatholifchen  unb  proteftan* 
tifchen  3Jiächte  führt,  biß  butdj  ©rfcpöpfung  eine  Art  Ausgleichung, 
aber  feineSwegS  eine  SSerfopnung  ber  ©egenfäfoe  erfolgt,  bie  auch 
heute  noch  in  berfelben  Schroffheit  einauber  gegenüberftehen.  3ene 
nach  bem  30jährigen  Kriege  eintretenbe  ©rfcplaffung  geigt  ft<h 
gunäcpft  als  eine  (Spocpe  ber  @ntü<hterung  unb  Snbiffereng,  welche 
fd)lief)lich  — in  nothwenbiger  Äonfequeng  — befonberS  auf  bet 
tatholifchen  Seite,  ba  eS  fi<h  hiet  oorgugSweife  um  bie  äu&ere 
gorm  hanbelte,  gum  StepticiSmuS  unb  gut  grinolität  führte; 
gwet  gormen  bet  negatiüen  3ronie  gegen  bie  3bealität  beS  StrebenS, 
bie  fid)  als  bie  theoretifche  unb  praftifche  Seite  berfelben  Sache 
barfteUen:  bie  ^eriobe  beS  fRofofo  unb  beS  SopfthumS. 

@ewöhnli<h  pflegt  man  biefe  gormen  nur  in  äfthetifcper 
SJebeutung  gu  nerftehen.  Allein  baS  3opfthum  unb  ber  $et* 
rücfenftpl  hatten  auch  eine  wefentlidj  fociale  unb  ftttliche  S3e» 
beutung.  Denn  ihr  SSefen  ift  überhaupt  Söerfehrung  aller  natur» 

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45 


gemäßen  93erhältniffe  in  ißt  ©egentheil.  SBie  burdf  ben  3opf 
unb  bie  Perrüde  ba8  in  natürlichem  goefenwurf  feßöne  menfeß* 
liehe  £auptßaar  in  einen  burch  bie  jfonoentionalitfit  ber  3Robe 
geforberten  fünftlicßen  IRegelgwang  gepreßt  ober  gang  »erborgen 
würbe,  fo  etfeßien  bie  gefammte  SBeltanfcßauung  burch  eine  bem 
wahren  ©Uten*  unb  ScßönheitSgefeß  »öllig  wiberfpreeßenbe 
SBidfür  unterjocht.  £ätte  biefe  SBidfür  nur  ba8  ©epräge  einer 
SRobelaune  gehabt,  fo  wäre  fie  als  9luSbrncf  bet  93ergweiflung 
an  bem  gortfeßritt  bet  ethifchen  wie  äfthetifchen  SBeltanfcßauung 
mehr  beS  93ebauetn8  al8  ber  93eracßtung  werth  gewefen;  aber 
in  biefem  SBaßnfinn  war  leibet  ÜRetßobe.  .jpanb  in  ^>anb  mit 
bem  tief  entsittlichten  3uftanbe  beS  polüifchen  unb  focialen  8eben8, 
beffen  fRicßtSwürbigleit  fich  an  ben  $ßfen,  namentlich  an  bem 
gtanfreicßS,  foncentrirte  unb  oon  biejen  Zentren  fteß  allmählich 
nach  ber  Peripherie  auSbreitete,  big  baS  ©ift  auch  baS  gefunbe 
SMut  ber  Nationen  gu  gerfeßen  begann,  ging  auch  bie  93er» 
fälfchung  beö  gefunben  ethifchen  unb  äfthetifchen  ©efüßlS.  SBie 
man  eS  als  hödjfteö  „3beal"  ber  ©artenfunft  betrachtete,  bie 
malerif<h*natürli(he  Untegelmäßigfeit  in  bet  frönen  ©tuppirung 
beS  93aumfchlag8  gu  architeltonifch*langweiliger  ©pmmetrie  gu. 
guftußen,  fo  bah  ein  Strauch  nicht  mehr  als  folchet  erfcheinen 
burfte,  fonbern  in  bie  ©eftalt  eines  PilgeS  ober  einer  Ppramibe 
ober  gar  eines  beliebigen  Stetes  gegwängt  würbe  — , wie  man 
in  ber  Slrcßiteftut  bie  naturgemäße  SBeftimmung  ber  geraben  unb 
gebogenen  8inte  abficßtltch  umfehrte,  fo  baß,  wie  fchon  bie  ge» 
wunbenen  Säulen  be8  3efuitenftplS  unb  bie  gange  93erfünftelung 
ber  eblen  fRenaiffance  in  ben  99arocfftpl  beweifen,  ba,  wo  ber 
S3licf,  bem  architeftonifchen  ©efeß  ber  Schwere  gemäß,  {Ruhe  unb 
geftigfeit  »erlangte,  getabe  bie  gefeßwungene , wo  et  geießtigfeit 
unb  fchwung hafte  ^Bewegung  forberte,  bie  gerabe  fcinie  angewanbt 
würbe:  fo  waltete  in  allen  ©ebieten  beS  £eben8  bie  bewußte  unb 

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barum  frioole  Umfehruug  in’S  Unwahre  unb  Unnatürliche  ob. 
2)a  Statut  unb  Äunft  in  gemiffem  ©inne  ©egenfäfce  bilben,  fo 
glaubte  man  baöSbeal  überall  in  bem  möglichft  Daturroibrigen 
ju  finben : inbaltöooQe  Daicetät  mürbe  in  Äofetterie,  eble  ©mpfinb» 
famfeit  in  gefünftelte  Sentimentalität,  bie  {wrmlofigfeit  beö  un* 
befangenen  fRatutmenfchen  in  gleifsnerifche  Sbpüenhaftigfeit,  echte 
Slragif  in  ^o^leß  9>atho8,  furj,  aüeö  ©ubftanjiefle  in  lügenhaften 
unb  leeren  ©<hein  uerfehrt,  in  meldiem  nur  bie  felbftgefäüige 
©itelfeit  be8  frioolen  ©ubjefte  33eftanb  SDa|  neben  biefer 

Heuchelei  eineß  ibealen  ©djeinß  einerfeitß  bie  offen  eingeftanbene 
Senbeuj  fchamlofer  Frechheit  unb  fittlid^er  SSerfommenheit  in  bem 
$afdjen  nach  (Erregung  gemeiner  ©innlidjfeit  fid)  breit  machte, 
anbrerfeitß  eine  fpeic^elledferifdje  Äunft  fid)  — ironifdjet  Söeife  — 
fogar  bcr  ebleu  unb  feufchcn  Elntife  alß  fo^^iftifc^eu  33ocroanbe8 
für  eine  leberne  unb  froftige  EtOegoriftTung  teß  EtöfolutiömuS  be» 
biente,  !ann  bann  meiter  nid)t  SJSunber  nehmen. 

&ragt  man  aber  nach  bem  tieferen  ©runbe  biefer  tiefen 
Äorruption,  fo  ift  ju  fagen,  bafj  auch  h*et  ber  Mangel  an  grei» 
heit  nach  jeber  Dichtung  hi»  eß  war,  nämlich  eben  ber  Elbfolu* 
tißmuß  bet  fich  felbft  oergötternben  ©elbftherrfchaft,  meliher  jeben 
geiftigen  Eluffchroung,  jebe  (Erhebung  gur  Söahrheit  unb  Dücffeht 
gut  fJiatur  unmöglid)  machte.  Elber  ber  ©eift  fann  folche  ©nt» 
mürbigung  auf  bie  Sänge  nicht  ertragen;  eß  giebt  überall  eine 
©reu je , jenfeitß  beten  er,  gefnechtet  unb  entmürbigt  mie  er  ift, 
fich  wiebet  auf  fich  »»b  feine  göttliche  SSeftimmung  befinnt  unb 
fo,  burd)  9ioth  unb  3ammer  gereinigt,  feine  ©pannfraft  miebet» 
finbet,  um  entfünbigt  burch  eine  SSluttaufe  bie  fchmachooüen 
Ueffeln  Der  Süge  unb  Unfreiheit  abjumerfen.  31  uf  bem  politifd)* 
focialen  ©ebiet  gefchal)  bieß,  nachbem  — gerabe  mie  oor  ber 
Deformation  in  ben  einzelnen  fatirifchen  Eingriffen  gegen  bie 
religiöfe  ©eifteßfnedjtung  — fdjon  manche  Vorläufer  ben  nahen* 

<782) 


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47 


beit  Umffwung  »erfünbet,  wie  bie  Gtncpflopäbiften , Siouffeau, 
SBoltaire^u.  f.  f.  in  ber  frangöfiffen  SReoolution,  bie  wie 
ein  weltgeff  if  tlif  er  Dtfan  über  bie  entfittlif  te  SJtenif  Ijeit  ba* 
fyet  rafie  unb  ffrecflif  freie  23al)n  für  bie  ©elbfterpebung  beb 
gur  $refeit  wiebetgeborenen  ©eifteb  ffuf;  auf  bem  wiffenffaft» 
litten  ©ebiet  war  eb  bie  Äantijf  e $>l)iloiopf)ie,  auf  bem 
fünftleriffen  bie  SBin  cfelmann  = 8ejfing’ffe  Äritif,  eine  nift 
minber  tief  eingreifenbe,  wenn  auf  ungewaltfame  Steooluiion, 
Welfe  ber  23ergerrung  unb  gügenfjaftigfeit  beb  Äunjigeff  madb 
ein  @nbe  maf  te.  Unb  alb  ber  33lifc  biefeb  regenerirenben  ®e* 
banfenb  in  bie  oerbumpfte  unb  gewitterffwüle  Sltmofpljare  ein« 
ff  lug  unb  ein  greKeb  üif  t in  b ab  gur  ©elbftparobie  ber  ibealen 
SBeftimmung  beb  ©eifteb  »erfeljrte  Sewufctfein  beb  18.  3<ft» 
Ijunbertb  einff  lug,  ba  eröffnete  ftf , wie  mit  einem  ©f  läge,  eine 
freie,  flare  äubfift  unb  aub  bem  neubefrufteten  33oben  beb 
geiftigen  Sebenb  fprofeten  plöfjlif  in  überqueöenber  Äraft  eine 
Steife  wunbetnollet  ©ewäffe  empor,  ber  bid)te  Söalb  unferer 
großen  nationalen  25if  ter. 

Ueber  ben  weiteren  Fortgang  beb  bittet  bab  (Element  ber 
Sronie  in  ftetb  neue  Stiftungen  getriebenen  SBeltproceffeb  müffen 
wir  unb  Ijiet  auf  furge  Jänbeutungeu  bejdjränfen.  9)tan  erfennt 
in  ber  mäanbriffen  Sitfgacflinie  ber  gejfiftlifen  ^Bewegung 
immer  baffelbe  ©efetj,  ba§,  wegen  bet  ungenügenben  unb  ein» 
feitigen  SBerwirflif  ung  ber  alb  3tel  ber  Bewegung  gefegten  3bee, 
bie  .Ronfequengen  beb  ©trebenb  ftetb  in  fr  ©egenfeil  nmjd)lagen. 
3n  betreiben  SBeife,  wie  ftf  aub  bem  Urf riftenfum , bab  bie 
3bee  ber  allgemein  - menfflifen  grefeit  unb  btübetlifen  Siebe 
alb  iPrindp  aufftellte,  bie  furftbarfte  ©eiftebfflaoerei  unb  ber 
büfterfte  Sieligiouf  afj  entwicfelte,  fo  führte  bie  frangöfiff  e Sie* 
»olution,  weife  ebenfallb  „grefeit,  ©leiffyeit  unb  SBrüberlif  feit" 
auf  f te  gafyne  ff  rieb,  nif  t nur  gu  ben  ff  eufff  ften  33erbref  en, 

{7*3) 


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48 


fonbern  aud)  gu  einer  ©eifteStprannei  unb  einem  ganatiSmuS  be$ 
^affeö,  bet  iljre  eigenen  33ertreter,  non  ben  ©ironbipen  bis  auf 
IRobeSpierre  herab,  jelbft  oetfchlang.  Siegt  hierin  fcpon  eine 
Sronie  beS  ©djicffalS,  fo  ooDenbete  pch  biefelbe  gegen  bie  gange 
Sbealität  bet  revolutionären  Bewegung  baburdj,  bap  fte  im 
Äonfulat  unb  im  Äaiferteich  unterging,  beffen  3beal  einet  euro* 
päifcpen  ©efammtmonarchie  bann  felber  auf  bem  unfruchtbaren 
gelfen  £elena’8  »on  feinem  ironifdjen  ©efcpicf  ereilt  würbe.  Unb 
waS  war  ba8  pofitioe  JRefultat  aller  biefet  riefenhaften  unb 
SRiHionen  oon  SRenfdjen  oevnichteuben  Äämpfe?  IDie  JReftau* 
ration,  b.  h-  bie  angebliche  restitutio  in  integrum.  5lbet  bap 
biefer  Status  quo  ante  nur  ein  ©djein  war,  bewies  eine  neue 
fReoolution,  bie  oon  1830,  welche  iprerfeitS  — wie  bie  oon  1789 
butch  ba8  9Rapoleoaif<he  Äaiferreich  — burch  ba8  intriguante, 
fleinfrämetifcpe  fonftitutionelle  Äonigthum  SouiS  Philipp’#  um 
ihre  grüßte  betrogen  würbe.  58bet  auch  Souis  Philipp  mupte 
— gwar  nicht  auf  eine  wüfte  3«fel,  ba  et  fein  £ero8  war, 
fonbern  al8  ^h^fter  mit  feinem  fRegeufchirm  — auf  bie  SBanbet* 
fchaft  gehen,  ald  bie  gebruarteoolution  loSbrach,  welche  ben  fleinen 
SReffen  be8  großen  äDnfelS  guetp  auf  ben  $)räpbentenftuhl  unb 
fchlieplich  auch  »ieber  auf  ben  Sthron  erhob,  bis  auch  et  fein 
Helena  in  ©hislepurft  fanb,  nacpbem  bie  ©itelfeit  ber  frangöpfchen 
©loite  bei  Seban,  ähnlich  wie  früher  bie  ©itelfeit  unb  grioolität 
beS  militairifchen  ©pigonenthumS  griebrich’S  II.  bei  3ena  — 
ihre  ironifcpe  Sßiberlegung  gefunben  hotte.  — 3ena  erinnert  unS 
an  bie  tiefe  ©tniebtigung  beS  beutfchen  33olf8,  aus  welcher  Pep 
baffelbe  butch  bie  au8  bem  ©ntpupaSmuS  für  bie  3bee  ber 
beutfchen  ©inheit  unb  Freiheit  geborene  freiwillige  Sluttaufe  bet 
greiheitSfriege  emporraffte,  um  — al8  Sronie  auf  biefen  ©nthu* 
paSmuS  — oertrauenb  auf  bie  3ufagen  einer  freien  SBerfaPung, 
welche  ber  SRoth  entprept  waren,  in  golge  bet  SBiener  Äonferengen 

(7M) 


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49 


unb  ber  Äarlßbaber  S3efd^lüffe  in  neue  ©eifteßfeffeln  ßefd^laßen  jn 
»erben,  biß  benn  fchlieftlich  trojj  5Raa&tegelungen  ber  fog.  „be* 
magogifchen  Umtriebe",  trotj  beß  eifernen  Drucfß,  ben  man  auf 
bie  Freiheit  ber  miffenfchafilicben  8e^re  »ie  auf  bie  religißfe  unb 
politifche  Uebe^eugung  außübte,  baß  ©efäfj  bet  beutfdjen  ©ebulb 
einmal  wirflicb  überlicf.  Unb  wenn  aud)  balb  barauf  »ieber, 
in  golge  beß  OJiangelß  an  richtigem  Berftänbniff  fowohl  über 
bie  3irie  »ie  ber  einpf^lagenben  SBege,  um  biejelben  311  er* 
reichen,  bie  fReaction  nach  1848  ihr  £auyt  »ieber  erhob,  fo  roar 
bod)  für  bie  Bufunft  ein  neueß  unb  nicht  mehr  umguftü^enbeß 
9)rincip  gefegt:  ber  ‘Jlbfolutißmuß  war  für  bie  Äulturoßlfer  im 
engeren  ©inne  auf  immer  unb  in  jeber  gorm  eine  Unmöglichleü 
geworben.  Der  ©ieg,  ben  Deutfdjlanb  in  neuefter  Bett  fiber 
granfreich  errungen,  hotte  beßhalb  auch  für  Deutfdjlanb  bießmal 
eine  pofitioe  Solge:  bie  ©inbeit  beß  nationalen  Bewufjtfeinß  unb 
bie  burd)  bie  feftbegrünbete  fDiacbtfteUung  erreichte  ©elbftachtung 
beß  beutfdjen  ©eifteß. 

SBirb  ber  SBeltgeift  aud)  ^iegegen  »ieber  feine  ironifdje 
9Rad)t  außüben?  Daß  ift  gang  ge»ifj,  fobalb  bie  5Roth»enbig!eit 
einet  weiteren  ©ntwicfelung  gegebeu  ift  — unb  folche  ÜRothwenbig* 
leit  wirb  im  SBellproceft  feiner  eigenften  Statur  nach  immer  nach 
einer  gewiffen  Beit  eintreten.  Db  roir,  baß  lebenbe  ©ejdjlecht, 
biefe  neue  ^>l>afe  ber  gefchichüichen  3ronie  noch  erleben  — »er 
mag  bieß  fageit? 

2öir  jcbliefjen  hiermit  bie  Betrachtung  bet  fulturgefdjicht* 
licken  Bebeutung  ber  Bronie,  um  und  nunmehr  gut  Betrachtung 
bet  fubjeftioen  gormeu  bet  äfthetifcheu  3ronie  3U  roeuben,  oon 
bet  »ir  in  objefttoer  Begietjuug  bei  ber  fulturgefdjicbtlichen  Be* 
trachtung  beß  SBeltyroceffeß  bereitß  mehrfache  ?leu|etungen  3U  beob* 
achten  ©elegenheit  hotten. 

1 

XIV.  932.  333.  4 (785) 


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50 


II.  Sie  iifUjeti frfjr  firbetttattg  bet  3ronie. 

33enufcen  wir  biefen  Sluhepunft,  um  gunächft  eine  furge  lieber* 
fiept  über  ben  bifferenten  3npalt  ber  hauptfächlicpften  biefer 
formen  »oranguicpicfen , epe  wir  bieS  ©ebiet  inj  einigen  £aupt« 
punften  feiner  gefcpithtlitpen  ©ntwicflung  gu  betrauten  »et* 
fucpen. 

3u  etfier  8inic  ift  auf  leine  auch  in  etbifcpet  Vebeutung 
bebeutung8»oDe  Steigerung  beS  in  ber  3ronie  überbaupt  auSge* 
brücften  negatioen  Verhaltens  beS  ironifcpen  SubjeftS  aufmerf* 
fam  gu  machen,  bie  in  bem  Älimaj:  beS  ©arfaftifb^en,  Sa» 
tiri'cpen  unb  grioolen  liegt.  Vei  ben  erfteren  beiben  fann 
eS  bem  ironifcpen  Subjeft  als  lebten  3wecf  — wenn  »ieQeidtf 
auch  nur  fcbeinbat  — um  etwas  $)oftti»e8,  nämlicb  um  baS 
3beale,  gu  tbun  fein;  unb  fie  unterfdjeiben  fiep  nur  barin,  bafj 
ber  „SarfaSmuS"  ftcb  fleflen  ein  ©ingelneS  ricptet,  wäbrenb  bie 
„Satire"  ihre  SBaffe  gegen  ein  fiep  geglieberteS  ©ange  führt, 
um  eS  in  allen  feinen  feilen  gu  »etnicbten.  2)ie  „Brioolität“ 
bagegen  nimmt  nicbt  einmal  ben  Schein  an,  als  ob  il}r  bie  ibeale 
SBaptpeit  ßwecf  fei;  im  ©egentbeil  beruht  ihr  rein  negatioeS 
Sßefen  in  bet  hopnooOeu  Verleugnung  allet  3bealität.  Sie 
finbet  ein  felbftjücptigeS  Vepagen  barin,  alles  „©tpabene  in  ben 
Staub  gu  gieben",  alle  ebelen  ©mpfinbungen  als  Selbftbetrug 
ober  als  bewufjte  8ttge  ber  materiellen  Segier  pingufteöen.  Sie 
erfcbeint  bahcr  als  innerfter  Jtern  aller  jener  ©eftaltungen,  welche 
auf  ber  VerauSfefjung  biefeS  IDogmaS  beruhen,  aber  ihre  fcblimmfte, 
»erdcbtlicbfte  fjorm  erhält  fie  bann,  wenn  fie  unter  bem  peuch* 
lerifcpen  Schein  einer  aufrichtig  ebeln  ©efinnung  lebiglid}  auf 
Vefriebigung  finnlichen  ©enuffeS  auSgeht.  ©S  ift  bieS  überhaupt 
baS  Äenngeicpen  beS  praftifcpen  ÜJtaterialiSmuS,  gleicpoiel  ob 
fich  berfelbe  in  offener  Schamlofigfeit  gu  jenem  SDogma  befennt 
unb  in  mephiftophelifcher  SBeife  an  allen  Regungen  beS  ®efüljl8r 

(786) 


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51 


an  febem  enthufiaftifdjen  ©treben  beö  ©eifteö  bie  burd)  bie  5Ra» 
türlidjfeit  unferö  ©afeinö  nothmenbig  bamit  »erfnüpfte  ©Ratten« 
feite  egoiftifd)er  ©innlidjfeit,  alö  fei  biefe  baö  »efentlidje  unb 
hinftcbtlid)  bet  9Jtoti»irung  einzig  roirfiame  ÜKoment,  mit  innerer 
©enugtfyuung  gefliffentlidh  hrroorhebt  — ober  ob  er  feine  frioole 
©efinnung  alö  baö  {Refultat  philofophifther  Uebergeugung  bargu» 
ftellen  unb  bie  lulturfeinblidjen  Äonfequengen  betfelben  mit  bem 
erborgten  glittet  einet  fophiftifdjen  ©d)einlogif  auöguftaffiren 
fid)  bemüht.  — Sber  aud)  ber  tljeoretifdje  ÜRaterialiömuö, 
obfdjon  auf  lmffenfdjaftlicber  33afi§  beruhenb  unb  barum 
»on  ebleret  Statur,  !ann  fid)  bod)  nicht  gänglidj  bem  ©tanb« 
punft  ber  grioolität  entgiehen,  weil  auch  er  auf  ©runb  feinet 
rein  mechaniftifchen  (Srflärungöroeife  beö  gefammten  SBeltorganiö* 
muö  alle  ©elbftänbigfeit  ibealer  3i»ecfmä§igfeit  leugnet  unb 
alö  einjige  Uriad?e  aller  ©ntwitflung  baö  burdjauö  gufäHige  ©piel 
gttedloö  bewegter  9ltome  behauptet1).  Sille  grioolität  ift  baher 
wefentlid)  ffeptifä),  unb  gwat  nicht  blofc  in  religöfem,  fonbetn 
in  bem  gang  allgemeinen  ethifdjen  ©inn  einer  iHbleugnung  allet 
unb  jeber  nicht  materiellen  fölottoe  im  SBereic^  beö  ©efüfylö*  unb 
©eifteölebenö.  2118  objeftioe  (ärfcheinung  werben  mit  fie  bähet 
hauptsächlich  in  allen  jenen  gefdjidjtlidjen  Sporen  auftreten 
fehen,  welche  alö  SHuögangöpijafen  einer  großen  3«t  bie  Äot* 
ruption  unb  SBerbetbnif)  berfelben  »or  ihrem  Untergange  in  gleich* 
fam  naioer  ©djamlofigfeit  gut  ©cfjau  tragen  ; fo  in  ber  römifchen 
Äaifergeit  »or  ber  £)errfd)aft  beö  ©hriftenthumö  unb  in  granfreid) 
»or  bet  großen  fReoolution. 

Unter  ben  anberweitigen  gormen  ber  Stonie  beruhen,  ihrer 
$enbeng  nach,  bie  ^etfifflage  unb  baö  'Uaöquill  auf  bet 
grtoolität;  fie  »erhalten  ftdj  ungefähr  gueinanbet  wie  ber  ,,©at* 
faömuö"  gur  „©atire" , b.  h-  bie  erftere  ift  auf  ein  Qjingelneö,  baö 
ledere  auf  ein  ©angeö,  alö  beftimmt  abgegrengteö  Dbjeft,  ges 

4*  (787) 


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52 


richtet.  ©ie  gehören  bereitö  bet  literarifchen  gorm  an,  ebenfo 
— aber  in  höherem,  äftbetifd)  berechtigtem  Sinne  — bie  ^atobie 
unb  bie  £rat>eftie.]  SDiefe  beftcheu  beibe  in  bet  ironifchen  9lach» 
bilbung^eineS  gegebenen  ©toffS  ju  bem  Bwecf,  benfelben  lädjet* 
lid}  $u  machen;  fte  unterfcheiben  ftdj  aber  batin,  bafj  bie  „^atobie* 
bie  gorm  beS  93orbilbe8  beibetjalt,  nm  barin  einen  biefem  analogen, 
fomifchen  Inhalt  als  3ronie  auf  ben  @rnft  beß  Originals  einju« 
fchlieften,  wähtenb  bie  „Slraoeftie  “ ben  3nl)alt  beS  93orbilbeß  bei» 
behält,  um  ihn  bur<h  ©infchliefjung  in  eine  trioiahfomifche  torm  ju 
ironiftren.  Beifpiel  bet  erfteren  ift  bie  „Batrachompomathie" 
(&tof<hmäufefrieg)  als  3ronie  gegen  bie  honierifche  3ltaS,  BeifpieC 
ber  zweiten  bie  „Heneibe"  non  Blumauet  als  3tonifuung  beS 
Birgil’fchen  ©poS.  Beibe  flnb  im  ©runbe  harmlos  (ober  fönnen 
eS  hoch  fein)  unb  haben  feiueSwegß  ben  3wecf,  mit  ihrer  3toni« 
firung  bie  ibeale  Bebeutung  ihrer  Botbilbet  jerftören  ju  wollen. 
9lm  meiften  auSgefefjt  ftnb  ihrer  fomifchen  fBiacht  baS  falfche  ^athoS 
unb  bie  beflamatorifche  ©efpreijtheit.  UebrigenS  ift  wohl  bie 
Üraoeftie,  weil  fte  nur  auf  formale  Äomif  außgebt,  nicht  aber 
bie  9)arobie  auf  SSorbilber  im  ©inne  »on  bereits  bidjterifch  ge* 
ftalteten  Originalen  befchränft;  fonbetn  baS  Borbilb  unb  Objeft 
bet  3ronifirung  fann  ^ter  auch  bem  wirtlichen  geben  entnommen 
werben,  wie  z-  B.  ber  „Donquidjote"  »on  ©ercanteS  eine  $aro» 
bttung  beS  fich  felbft  überlebt  habenben  JRitterthumS  ift. 

Sllß  bilbliche  f)arobie  fann  man  bie  jfarrifatur  bezeichnen, 
aber  auch  bie  in  bet  erjät)lenben  fParobie  auftretenben  ©eftalten, 
fofern  ftch  eben  bie  3tonie  gegen  fte  richtet,  erfcheinen  für  bie 
Borftellung  felber  als  jtarrifaturen  ber  gefchichtlichen  SSorbilber. 
2>enn  baS  SBefen  ber  „Äartifatur"  befteht  nicht,  wie^egel  meint, 
in  einer  „©haraftiftrung  beS  .glichen",  fonbern  umgefehrt  in 
einer  SSerhäfjlichung  beS  <$^araf  teriftifc^en,  nämlich  in  ber  ironifch 
gemeinten  Uebertreibung  eines  SDtomentS,  baS  als  folcheS  nicht 

(788) 


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53 


fdjon  tjäfeltcb,  fonbern  nur  auffallenb  unb  baburcb  für  baS  bamit 
behaftete  Dbjeft  ober  Snbioibumn  cbarafteriftijcb  ift.  (Srfcheint 
Semanb  g.  33.  burcb  eine  etwas  grobe  9iafe  auffallenb,  bie  an 
ftd)  woblgebilbet  fein  !ann,  unb  biefe  fSuffäOigfeit  wirb  bis  in’S 
jfoloffale  übertrieben,  jo  erfdjeint  biefe  Uebertreibung  fomifdj. 
hierin  beruht  bie  SBirfung  ber  formalen  JJarrifatur.  SBeiter^in 
»erftebt  man  bann  auch  unter  Jtarrifatur  bie  ironifebe  lieber» 
treibung  non  geiftigen  (Sigentbümlich feiten,  wenn  fie  burd)  ib« 
(Sinfeitigfeit  ber  3ronie  einen  SngriffSpunft  barbieten.  @o  war 
bet  2triftopbanifd}e  ©ofrateS  eine  Äarrifatur  beS  wirflidjen,  unb 
bie  Äomif  liegt  bter  gerabe  in  ber  äu&erlicben  äebnlicbfeit,  um 
ben  inneren  SBibetjprudj  um  jo  auffälliger  gu  machen.  (Sin 
©eijpiel  geiftiger  Äarrifatur  auS  neuerer  3eit  ift  baS  befannte 
S3ilb  21b-  ©djröbterS  „bie  trauernten  Sobgerbet",  beffen  Sronie 
ficb  gegen  bie  epibemijcb  geworbene  Sentimentalität  bet  alt=büffel* 
borfet  IRomantif  in  ben  „Srauetnben  3uben",  „Strauernben 
«RönigSpaaren*  u.  f.  f.  wenbete,  eine  9üd)tung,  welcher  mit  jener 
Äarrifirung  plßfelicb  ein  (Snbe  gemacht  würbe.  — 

ferner  !ann  noch  baS  (Spigtamm,  als  praftifebe  gorm 
fatirifdjer  3ronie  erwähnt  werben,  obfebon  baffelbe  im  ISlter» 
tbume  feineSwegS  biefe  33ebeutung  batte.  Sßielmebr  nerftanb  man 
barunter  furge  unb  pointenoofle  Snfchriften,  wie  fie  auf  Slempeln, 
öffentlichen  ©ebäuben,  ©rabmäletn  u.  f.  f.  angebracht  gu  werben 
pflegten,  Später  ©innfprücbe  in  poetijeber  ftorm,  welche  furge 
SebenSregeln,  auch  wohl  nur  launige  ober  melanchelifche  (Sinfäöe 
unb  bergl.  enthielten.  3lbet  fchen  bei  ben  SRomern,  g.  33.  in  ben 
(Spigrammen  beS  SJlartial,  erhielt  biefe  gorm  einen  norwaltenb 
fatirifchen  (Sbarafter.  — 35ie  bö<bfte  unb  ebelfte  jform  ber  3tonie 
enblich  ift  ber  £umor.  SBäbrenb  alle  anberen  formen  bie  tiefe 
JDiffereng  gwifdjen  bem  3beal  unb  ber  SBirflicbfeit  befteben  laffen, 
fei  eS  baf)  fte  ficb  auf  ©eite  beS  3bealS  gegen  bie  fcplecbte  SBirl* 

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54 


liebfeit  ftetlen,  wie  bie  Satire,  ober  umgefefert  auf  Seite  bet 
SBitflicbfeit  gegen  ba8  3beal,  wie  bie  ftrioolität,  fo  ift  jmar  ber 
£umor  auch  mit  bem  S<bweT3  jener  JDxjferenj  erfüllt,  aber  in* 
bem  ber  #umorift  ficb  xtic^t  nur  bie  innere  Sßotbwenbigfeit  beS 
unenblicfeeu  ^toceffeS,  ber  ja  auf  jener  2>iffereu3  berufet,  jurn 
©ewufetfein  bringt,  fonbern  auch  über  bie  partifuläre  ©efcferänft« 
beit  hinaus  fi(b  felber  auf  einen  ibealen  Stanbtpunft  erbebt  unb 
als  Präger  be8  ?>roceffe8  weife,  gelingt  e8  ifem,  in  ficfe  felber  bie 
Unnabbarfeit  be8  Sbeald  mit  ber  ©efcfetänftfeeit  be6  SnbioibuutnS 
ju  Detföbnen.  Söenn  biefe  ©eTfßfenung  ben  Scfemer3  bet  fRicfetig* 
feit  be8  inbiuibuellen  35ajeiu8  nicht  auSfdjUefet , fo  ift  biefer 
S(bmet3  bocfe  nur  ein  fßeflejr  ber  in  bem  Söeltprocefe  felbft  au8« 
gebrütften  Sebnfucbt  nach  ©oUenbung,  beren  3«l  aber  in  bet 
UnenbHcfefeit  tievjt.  Slber  bie  ©rfenutnife  biefeS  3«elö  fefet  ben 
$umoriften  tfeatfäcfelicb  in  ben  tbeoretifcfeen  ©eftfe  beffelben  unb 
perleibt  ibm  bamit  bie  Äraft,  ficb  gegen  bie  ©nblicfefeit  unb 
©itelfeit  aller  @in3elbeftrebungen , aucfe  feinet  eigenen,  ironifcfe 
3U  »erbalten.  SBeil  nun  folcbeS  ©erhalten  bie  wahrhafte  (Srfennt* 
nife  be8  3beal8  unb  bamit  bie  tieffte  Siebe  gu  bemfelben  3ut  93er* 
au8fefeung  bat,  fo  fcfewingt  fid>  ba8  ironifcfee  Subjeft  gu  einer 
burcbauS  felbftfucbt8lofen,  reinen  unb  heiteren  ^Betrachtung  ber 
weltgefcfeicfetliiben  ©ewegung  auf,  b.  fe.  ba8  ironifdje  Subjeft 
wirb  im  tieferen  SSortfinne  bumoriftifcb.  @in6  bet  glängenbften 
unb  ebelften  ©eifpiele  be8  echten  $umoriften  gewährt  un8  3ean 
$aul. 

fftacfe  biefen  erflätenben  Slbfcfeweifungen  geben  wir  nun  3ut 
gefcbicbtlicben  ©etracfetung  biefer  »erfcbiebenen  fubjeftio«äftbetifcben 
formen  ber  3tonie  über,  wo»on  wir  »om  aitertfeum  bi8  auf  bie 
©egenwart  nicht  minber  gasreiche  ©eifpiele  antreffen  werben,  al8 
»on  ben  bereits  in  ber  »oraufgebenben  fulturgefcfeicfetliifeen  Se» 
trachtung  erwähnten  objeftio«äjtbetifcfeen  formen,  bie  mit  jenen 

(790) 


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55 


meift  £anb  in  £anb  gehen.  — 3uüörbcrft  tft,  wooon  wir  ben 
©runb  bereite  Eingänge  angabeu,  gu  bemetfen,  baß  bem  Orienta» 
liemub,  fo  reich  er  an  objeftio«äflhetif(hen  formen  ber  Sronie 
tft,  bodj  ebenfo  wie  bem  Haf fliehen  SUterthum  bie  gu  beffen 
Äulminatioueepoche  bie  fubjeftioe  Borm  ber  3rouie  burdjaue 
fremb  mar.  <5rft  mit  bem  Erwachen  beö  refleftirenben  SBewußt« 
feine,  b.  i j.  in  ber  fofratifchen  Seit,  erf^eint  bie  Stonie  ale  aflhe» 
tifeheß  unb  et^rfdjeö  Verhalten  bee  ©ubjefte. 

SBerfen  wir  gunäehft  einen  ©lief  auf  bie  fitnftlerifdje  Ser» 
Werbung  ber  Strome  in  ber  Sfntife,  fo  bietet  inebefonbete  bae 
©ebiet  bet  $)oefie  unb  namentlich  bee  JDramaß  einen  außerorbent« 
lieh  reichen  ©toff  bar.  ©oroohl  bie  Jragöbie  wie  bie  Äomöbie 
enthält  ein  wefentlid)  ironifchee  (Element,  bae  immer  auf  ber 
JDijfereng  bee  Sbealß  gegen  bie  SBirflicßfeit  beruht.  Sn  ber 
erfteren  ift  ee  bae  Saturn,  meldjee  fleh  ironifch  gegen  ben  gelben 
»erhält  unb  ihn  bem  Untergange  guführt,  in  ber  Äomöbie  ift  ee 
bie  ibeale  SBahrljeit  felbft,  an  ber  bie  Vertreter  ber  fehleren 
SBirftichfeit  gemeffeu  unb  lächerlich  gemacht  werben.  fDie  erfte 
gorm  fönnten  wir,  ba  fle  eben  mit  ber  fchon  bestochenen  ob« 
jjefttoen  gorm  bee  gatume  gufammenfaOt,  bei  ©eite  laffen  unb 
nur  an  bie  großartigen  ©chöpfungen  bee  äefchplue,  ©ophofleß 
unb  <5utipibe6  erinnern,  wenn  nicht  bie  auffatlenbe  ©rfcheinuug 
gu  erwähnen  wäre,  baß  nach  “item  ©ebrauch  am  gefte  ber  großen 
ÜDionpflen  nach  ben  brei  üblichen,  eine  Ätilogie  bilbenben  £ra* 
göbien,  ale  fomifchee  35ef|ert  gleichfam,  ein  fogenanntee  „©atir= 
brama"  auegeführt  würbe  (Sß  ift  fehr  gu  bebaueru,  baß  mit 
Sluenahme  einee  eingigen  folgen  ©tücfe,  ber  „©pflope"  »ou 
©uripibeß,  nidjte  weiter  erhalten  ift.  ©ooiel  fleht  inbeß  feft, 
baß  bae  ©atprbrama  fdneemege  ale  mit  ber  Äomöbie  ibentifdj 
gu  betrachten  ift,  fonbern  baß  ee  »ielmehr  eine  Serwanbtfchaft 
mit  bet  ürag&bte  geigt  SBenu  man  fleh  erinnert,  baß  bie  Stra* 

(791) 


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56 


gobie  utfpriinglicb  burdbauS  feine  ^anblung  mit  traurigem  9lu8« 
gange  barftellte,  jonbern  einfach  eine  ^eroifc^e  SJtytfye,  befonberS 
au8  bem  ©agenfreife  be8  33acdbo8,  bem  gu  @^ten  ja  ihre  Stuf* 
fü^rung  oeranftaltet  würbe,  bebanbelte  (man  leitet  baber  auch 
Sragobie  Den  tragos,  33ocf,  ab,  womit  bie  bocfgfüfcigen  Begleiter 
be8  £Diont>fo8  gemeint  waren,  aljo  wörtlich  „SöocfSgefang“;  eine 
S3ebeutung,  bie  ber  be8  @atirbrama8  febt  oerwanbt  ift),  jo  er« 
fdjeint  biefeS  poffenbafte  Slubängfel  an  bie  tragijdbe  Trilogie, 
wobureb  gleidjfam  bie  ernfte  fJJiptbe  unb  ba8  tragifebe  fPatboS 
bet  leiteten  parobirt  würbe,  al8  eine  Weitere  ©elbftironifirung  oon 
ed^t  fomifcher  SBitfung.  6troa8  2tel)nlid?e8  finben  wir  in  ben 
SRartenfpielen  ber  §)a)fion8bramen  be8  ÜJiittelalterS.  2)er  Stoff 
be8  ©atirbramaS  würbe  beöbalb  niemals,  wie  bei  bet  Äomöbie, 
au8  bem  unmittelbaren  Stoff  geitgenöffifeber  23erfebrtbeiten, 
fonbern,  wie  bei  ber  Stagöbie  felbft,  au8  bet  (Sföttermptbe  unb 
#eroenfage  entnommen,  bie  ja  an  folgen  objeftio  ironifdjen  ®e* 
ftalten,  wie  wir  faljen,  feineSroegS  arm  waren.  3)ie  Qtyöxt 
würben  bureb  ©ilene  unb  ©atirn  gebilbet,  habet  bet  fRame.  @8 
batte  nur  gang  furge  3)auer  unb  eine  febt  einfache  Sabel,  ba  bet 
Bwecf  nicht  war,  ben  ernften  ßinbruef  ber  ihr  oorauSgebenben 
Sragöbie  gu  ftören,  fonbern  lebiglicb  ben  einet  fdjlie&licben  808» 
fpannung  ber  tragifeben  Söirfung  bureb  barml°f«  @rbeiterung 
ber  Buffbauer.  3n  bem  genannten  „@bflop8"  befebränft  ficb 
bie  Sabel  barauf,  baf)  ©ilen  unb  feine  ©öbne,  bie  ©atirn, 
welche  burdb  ade  5Reere  ben  non  Giraten  geraubten  33acd)u8 
fueben,  an  ber  jtcilifcben  Äüfte  gefebeitert  unb  in  bie  £änbe 
$>olppbem8  gefallen  finb,  ber  fie  gu  feinen  ©cbaafmelfern  macht. 
UfpffeS  fommt  bagu  unb  nerbinbet  ftcb  mit  ben  ©atirn,  bie  ihn  aber 
bureb  «b«  Scig^cit  im  ©tid)  taffen.  Sfcrofcbem  gelingt  e8  ibm, 
ben  ©pflopen  gu  blenben  unb  bie  ©atirn  gu  befreien,  mit  beneu 
er  ficb  benn  ftbltefjUcb  einfdjifft.  — 3Ran  fiebt,  ba{}  ba8  @ange 

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57 


»iel  gu  harmlos  mar,  um  ben  bebeutenben  ©inbrucf  bet  ernften 
Eragöbie  mefentlidh  abgufdjmächen.  SftidjtS  befto  weniger  liegt  in 
bet  £fyatfad)e  felbft,  baf)  bie  Trilogien  mit  bem  ©atirbrama 
abgefdjloffen  mürben,  ein  pfpdjologifch  bebeutfamer  Bug.  nämlich 
bie  Einbeulung  auf  baS  Sebütfnifj  einer  fubjeftioen  Befreiung 
»on  bem  2)rucf,  ben  baS  ernfte  $Drama  ftetS  auf  baS  ©emütl) 
bet  3ufd)uuer  auSübte.  «Solche  ^Befreiung  rcirb  aber,  opne  bie 
SafiS  ber  poetifdjen  SBirfung  gänglich  aufgupeben,  eben  am 
beften  burcp  eine  ^armlofe  Sronifirung  be§  ©rnfteS  erreicht. 
Eicrin  fdjeint  mir  bie  mapre  Sebeutung  beS  alten  ©atirbramaS 
gu  liegen. 

UebrigenS  mag,  namentlich  als  baS  ©atirbrama  feit  @o= 
ppofleS  als  9iad)fpiel  ber  Etagöbien  »on  bet  Sühne  oerfcpmanb, 
bieS  mopl  Slnlafc  gu  einer  befonberen  Umgeftaltung  beffelben 
gur  ^omobie  gegeben  haben.  SDie  Umgeftaltung  betraf  bann 
mopl  gunäcpft  ben  Snpalt,  ber  nicht  mehr  ber  5Jlptpe,  fonbern 
ber  ©egenmart  entnommen  mürbe,  fobann  aber  auch  bie  gotm, 
bie  fich  aufcerorbentlich  reich  entmicfelte.  3lm  »ollenbetften  geigt 
fich  biefe  ©eftaltung  ber  fomijehen  3ronie  in  ber  ariftoppa* 
nifchen  üomöbie. 

StriftoppaneS  ift  trojj  feiner  oft  betben  ©päfce  unb  poffen« 
haften  ©cftaltungen  nichts  meniger  als  ein  friooler  ©pahmadpet. 
ffior  feiner  jatirifchen  ©eifcel  ift  allerbingS  nichts  ficher,  maS  bem 
antifen  ©efüpl  als  el)tmürbig  unb  heilig  galt:  bie  ©tfepe  unb 
bie  gange  ©taatSoerfaffung,  bie  ©ötter  unb  E^oen  nicht  minber 
mie  bie  in  ben  Sotbetgtunb  tretenben  geitgenöffifepen  3nbioibuen 
mürben  oon  ihm  bucpftäblicp  auf  ber  Sühne  an  ben  pranget 
gefteQt  unb  bem  ©elädjter  beS  SolfS  preisgegeben.  ©ofrateS 
felbft,  bet  boch  auf  anberem  SSege  nad)  bemfelben  3iel  ftrebte, 
entging  feinem  patobitenben  Uebermuth  nicht;  aber,  mie  fttiebrich 
ber  ©ro§e  ein  fPaSquiü  auf  ihn  niebriger  hängen  lieh,  bamit  eS 

(TM) 


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58 


bequemer  gelefen  »erben  fönne,  fo  ^atte  ©ofrateS,  wohl  »ifjenb, 
baß  er  bamit  allein  ber  gegen  ißu  gerichteten  ©atire  bie  ©pi$e 
abbrethen  fönnte,  ben  SEJiut^,  felbet  bei  bet  Aufführung  ber 
„SSolfen"  gugegen  gu  fein,  ja  jogar,  ber  93erglei<hung  mit  ber 
ihn  traneftirenben  ÜJtaSfe  halber,  aufguftel)en.  — Über  wa8  per* 
ftfflirte  benn  im  ©runbe  Ariftopbau^  AnbereS  als  bie  »erfebrten 
©eftaltungen,  bie  aus  bet  urfhtünglidjen  ©inbeit  be8  gebiegenen 
fittlid?en  SebenS  bet  Athener  berauSgetreten  »aren:  bet  alte 
©ötterglaube  war  bereits  im  SBetjdjwinben,  bie  ©taatSnerfaffung 
unb  bie  @efeße  burd}  feile  Seftecblidjfett  unter»üblt;  bie  Saftet* 
baftigfeit  bet  Beit  hatte  in  etfcbrecfenber  Söeife  gugenommen:  fo 
fpiegelte  et  ben  Athenern  in  feinen  parobifdjen  ©eftalten  nur  bie 
gange  3erfabrenbeit  unb  ©ntwürbigung  ibreS  eignen  SebenS 
»ieber,  inbem  er  ficb  bagegen  itoniftb  »erhielt.  3m  tieferen 
©runbe  aber  »at  e8  ibm  bitterer  ©rnft  mit  feiner  Uebergeugung  — 
bie8  ift  bie  ed^t  ibeale  ©eite  feiner  Äomif  — unb  bie  tiefere 
Sronie  berfelben  liegt  fcf)Iießli<b  noch  barin,  baß  er  bie  Athener 
über  feine  fomifcben  Figuren,  bie  bod?  lebiglitb  ©atiren  auf  fie 
ielber  »aren,  gum  Sachen,  b.  b-  gut  unbewußten  ©elbftoerlachung 
braute.  2BaS  feine  $)erfifflitung  be8  ©ofrateS  betrifft,  bie  man 
ißm  mehrfach  »erbaut  bat,  fo  liegt  aud?  b'erin  eine  gewiffe  ibeale 
^Berechtigung,  fofern  ficb  barin  ba8  SJewußtfein  offenbart,  baß 
©ofrateS  butcß  fein,  wenn  auch  auf  bie  ffiahrßeit  gerichtetes 
©treben,  bod)  im  ©runbe  ben  BetfeßungSprogeß  beS  antifen 
SebeuS  befcßleuntgte  unb  burd)  baS  einfeitige  ©eltenbmacbeu  ber 
fubjeftioen  ©eifteSfreißeit  in  ftorm  nerftänbigen  SRefieftirenS  einen 
fDtangel  an  SJewußtfein  übet  bie  notbwenbigen  folgen  baoon  an 
ben  Jag  legte.  SDicfer  $)unft  ift  eS,  welcher  bem  AriftohbaneS  ein 
Stecht  gur  3ronifirung  biefeS  ©trebenS  oetleiben  mußte.  <Daß 
er  bieS  Stecht  über  baS  üJtaaß  auSbeutete,  barf  man  ißm  als 
fomifchem  33olf8bicbter  nicht  gu  b°<b  anrecbnen.  @S  ift  aber 

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59 


wefentlid)  barauf  ©emicbt  gu  legen,  baß  3Jriftop^ance  feineSwegS 
bamit  bie  9M)ilofopl)ie  als  foldje  ironiftren  will,  fonbern  lebiglich 
bie  an  ft<h  unphilofophifcße,  weil  bloß  negatioe  ©cßeinphilofophie, 
wie  fte  ftd^  in  ber  35ialeftif  ber  ©ophiften  batfteMe,  unb  ein 
fold)'  negatioeS,  fophiftifcßeS  (Element  lag,  wie  wir  fahcn,  auch 
in  ber  jofratifchen  Stonie.  5)a3  3etrbilb,  welches  er  oom 
©ofrateS  machte,  war  fretltd^  feljr  übertrieben;  aber  eben  beShalb, 
weil  3eber  ja  ben  wirflichen  ©ofrateS  als  ebeln  (Eharafter  fannte, 
liegt  nichts  ^ämifdjeö , fonbern  nur  tyarmloS  ÄomifcljeS  barin, 
wenn  et  feinen  ©ofrateS  auf  bet  ^)alaftra  einen  SRantel  fteljlen 
unb  ftdj , um  bem  Slettjer  nähet  gu  fein,  in  feinet  ©tubirftube 
in  einem  jfäfeforbe  bis  an  bie  SDecfe  gießen  läßt  u.  f.  f.  SDaß 
fein  ©ofrateS  außerbem  feine  ©chüler  an  ber  fRafe  herumführt, 
ben  glohfpruug  berechnet  unb  baS  Ungerabe  als  ©erabe  beweifen 
will,  enthält  fdjon  eine  Diel  bireftere  ©atire  auf  bie  jofratifche 
JDialeftif. 

[Reben  ben  formen  beö  regelmäßigen  SDramaS  gab  eS,  in 
bet  nachperifleifchen  Seit,  noch  nerfd)iebenartige  Reffen,  [Kimen 
genannt,  welche  in  einer  2lrt  improoifirten  SDialogS  beftanben  unb 
»on  ^offenreißern  bei  beu  ©aftmäßlern  unb  auf  öffentlichen 
flößen  aufgeführt  würben,  ©pater  würben  fie  auch  auf’ö  $healet 
gebracht;  auch  bie  [Römer  nahmen  fie  auf.  ©ie  haben  jeboch 
für  unS  fein  befonbereS  Sutereffe,  ba  fie  fich,  wie  eS  fcheint,  auf 
bloße  Äarrifirung  beftimmter  ^)eriönlichfeiten  unb  (Entfaltung 
grober  ©päße  befdjränften , ohne  einen  tieferen  äfthetifcßen  ober 
etlichen  3wecf. 

3n  3eiten  um  ftdj  greifenber  Korruption,  wenn  alle  früher 
als  unantaftbar,  heilig  unb  fcft  geltenben  SBorfteHungen  unb  93er» 
hättniffe  iu’S  ©chwanfen  fommen  unb  ber  taumelnbe  ©eift  nitgenb 
mehr  einen  £alt  finbet,  muß  nothwenbig  baS  allgemeine  JDafeiuS» 
gefühl  entweber  in  93ergweiflung  gerathen,  ober,  wenn  ber  ©eift 

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60 


noch  ftarf  genug  ift,  feine  fubjefti»e  Freiheit  unb  33efonnenhett 
gu  bewahren,  ben  3weifel  an  ädern  gum  principiellen  ©fepticiSmuS 
auebilben,  bet  allen  3bealen  mit  ftioolem  £ol)n  in’S  ©eficht 
ladjt-  ©in  33eijpiel  folget  antifen  grioolität  ift  bet  im  gweiten 
Sabrbunbert  nach  ©hr.  lebenbe  Äunftrebnet  Sudan.  „Äunft* 
rebner"  ift  Ijier  ttid^t  etwa  als  ein  SRebner  über  Äunft,  waS  wir 
beute  Sleft^etifer  ueuneu,  gu  »erftehen,  fonbern  als  ein  Zünftler 
ober  genauer  Sirtuofe  im  {Reben,  b.  h-  als  ein  3Rann,  ber  nidyt 
nur  über  äQeS  geiftreid)  gu  jpredjen  oerftanb,  fonbern  auch  but<h 
bie  {Rebe  felbft  baS  3öiberfiunigfte  plauftbel  gu  machen  im  ©tanbe 
war.  iJIber  bod)  nicht  blofj  auS  ©rünben  felbftgefäfliger  ©itelfeit 
»erfuhr  Sudan  fo,  fonbern  auS  innerem  33eruf  gut  ©atire,  für 
welche  ihm  bie  bamaligen  Suftänbe  einen  nur  allgu  reichen  ©toff 
barboten;  ja  er  »erfdjonte  fid?  felbet:  nicht  unb  »erfaßte  g.  33. 
eine  ©chrift,  in  bet  et  bie  »on  ihm  ebenfalls  geübte  jfunftrebnerei 
in  ihrer  gaugen  Nichtigfeit  unb  Sügenhaftigfeit  barfteHte.  Namentlich 
aber  richtete  er  bie  fcharfen  Pfeile  feiner  ©atire  auf  alle  fub* 
ftangieden  ©eftaltungen  beS  antifen  SebenS,  »ot  ädern  gegen  bie 
gelammte  ©öfter»  unb  ^eroenwelt  — £>omer  g.  33.  mar  ihm 
ein  »olfSoerberbenber  Sügner  — , gegen  bie  9)h*l°fDhhen . bie 
(Rhetoren,  bie  ^iftorifer;  fobann  gegen  bie  2lu8artungen  in  ber 
©lgieljung  unb  geiftigen  Nerbilbung  überhaupt  u.  f.  f.  Um  eine 
SSorftedung  »on  feinet  unS  fdjon  gang  mobetn  anmuthenben 
2Beife  beS  3tonifireu8  gu  geben,  mag  hi«  «ne  ©teile  auS  ber 
SBotrebe  gu  feinen  „wahren  ©ef<hi<hten"  angeführt  werben.  Nachbem 
er  barüber  feine  33crwunbetung  auSgebrücft,  bah  bie  ÜRenfchen 
ftd)  je  hatten  eiubilben  fönnen,  bah  on  ben  ©rgählungen  (beS 
^omet  u.  21.)  auch  nur  ein  wahres  äßort  fei,  erflärt  er,  bah  « 
gwat  auch  nichts  SliahreS  gu  ergaben  höbe,  aber  er  fei  wenigftenS 
aufrichtig  genug  eingugefteben,  bah  er  lüge.  SDaS  fei  wenigftenS 
eine  3Bat)rbeit;  bann  fchlieht  er  mit  ben  SBorten:  „3<h  erfläre 

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61 


alfo  feierlich,  baf)  id)  Don  SDingen  fdjreibe,  bie  id)  Weber  felbft 
gelegen,  noch  Don  Zubern  gehört  habe  unb  bie  ebenfo  wenig 
witflid)  als  je  möglich  finb.  5Run  glaube  fle,  wer  guft  bat!"» 
unb  nun  beginnt  et,  bie  9luffd)neibereien  ber  fReijenben  unb  ®e« 
lehrten  burd}  lächerliche  Uebertreibung  gu  perfiffliren.  3n  feinem 
„Jragifchen  3euö",  welcher  bie  grage  über  bie  (gjriftenj  ber 
©ötter  behanbelt,  läfjt  er  BeuS  ein«  allgemeine  ©ötterDerfammlung 
berufen,  weil  bie  Opfer,  welche  bie  SRenfcben  ben  ©öttern  brachten, 
burd)  bie  fteigenbe  Slufflärung  [ich  bebenflid)  Derminbert  haben. 
tSud)  bie  batbarifchen  ©ötter  finb  eingelaben,  weil  bieS  hoch  eine 
allgemeine  gebensfrage  fei;  ja  biefe  erhalten  fogar,  ba  alle  nach 
ber  Itoftbarfeit  beS  fJRaterialS  ihrer  Silbfaulen  rangirt  werben, 
ben  Vorrang,  fo  baf)  bie  golbenen  unb  filbernen  23arbarengötter 
ben  Sorfif)  über  bie  marmornen  unb  erzenen  ^eHenengötter  er» 
halten.  fRad)  biefer  ironifchen  SMSpofition  werben  nun  Der« 
fchiebene  $>läne  gemacht,  unb  in  ber  SDiSfujfion  barüber  beefen 
bie  ©ötter  gegenfeitig  felbet  bie  jchwacben  «Seiten  ihrer  ©ött» 
Uchfeit  auf  u.  f.  f.  tDurd)  biefe  gange  Sluffaffung,  welche  in 
ihrem  tiefften  ©runbe  auf  bet  SBorauSfejjung  ber  gäd)erlid)feit 
ber  gangen  ©ötterwirthfehaft  beruht , gieljt  fid)  eine  fchneibenbe 
3ronie  hinburch,  bie,  Dom  ©efiditSpunft  ber  Slntife  auS,  burdjauS 
baS  ©epräge  bet  ftriDolität  beftjjt.  35enn  bie  grioolität,  alö  rein 
negatine  3ronie,  hat,  wie  gefagt,  nicht,  gleid)  ber  pofitioen,  bie 
ibeale  SBahrheit  gur  SBorauSfefjung , in  welcher  bie  gefinnungö« 
Dolle  Satire  bie  ©infeitigfeit  unb  SBerfchrobenheit  fich  fpiegeln 
läfjt,  um  batin  ihr  eigenes  ßerrbilb  gu  erblicfen,  fonbern  e$ 
epiftirt  für  fie  überhaupt  nichts  als  SBergerrung,  güge  unb  Schein, 
unb  fie  finbet  nur  ihr  Vergnügen  baran,  ben  Schleier  ber 
^eudjelei,  unter  ben  biefe  fid)  nach  ihrer  Snficht  oerfteefen,  herab» 
gureifjen. 

5)iefer  Bug  bet  trioolität  prägt  fich,  nach  ber  3erftörung 

(787) 


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62 


bet  gebiegeneu  ©inbeit  be8  antifen  8eben8,  in  allen  »eiteren 
©ntwicflungSformen  beS  ISltertbumS,  fowobl  in  etlicher  wie 
fiftbetifcher  93ejieljung,  au8.  3Ba8  bi*  {Römer  betrifft,  fo  haben 
wir  in  #inficht  ihrer  objeftinen  8eben8geftaltungen  bereits  eben 
eine  furge  ©barafteriftif  oon  beren  3nbalt  gegeben ; aber  and)  in 
fubjeftiwüftbetifcher  ,£inficbt  tragen  ihre  ^robuctionen  burchauS 
ba8  ©eptage  einer  ©ntibealifirung,  worin  an  ftd)  fchen  ein 
ironifcheS  SRoment  gegen  bie  antife  3bealroelt  liegt;  einer  ©nt* 
ibealifirung,  welche  gwar  »on  ben  ebleren  ©eiftern,  wie  5öirgil, 
,£>otag,  ©enefa  u.  8t.  gefühlt  wirb,  beren  eruüchternbem  ©influfj 
fie  aber  hoch  ft<h  nicht  entziehen  fönnen,  wenn  fte  ihn  auch  unter 
einer  beni  antifen  ©eifte  felbft  gang  fvemben  Sentimentalität  gu 
»erbergen  fuchen.  2)enn  gerate  in  biefer  fentimentalen  gärbung 
fpricht  ftch  bie  geheime  ©tfenntnif)  beö  SßerlufteS  jener  fubftan gietlen 
Sbealität  auS,  welche  bie  Slntife  in  ihrer  {Reinheit  unb  Unge» 
brochenheit  charafterifirte.  ©leichwohl  ift  e8  non  Sntereffe,  biefe 
©ntibealifirung  ihrem  SBefen  nach  «“her  in’8  Stuge  gu  faffen. 

@8  ftnb  baran  gwei  fehr  »erfchiebene  ©eiten  gu  untetfdjeiben. 
©inerfeitS  nämlich  erfebeint  ba8  aftbetifche  ©ubjeft,  betauSgcriffen 
wie  e8  ift  au8  ber  fonfreten  unb  lebenbigen  ©inbeit  mit  beT 
{Ratur,  in  ficb  refleftirt  unb  über  ficb  unb  feine  Stellung  gut 
Säulen  weit  refleftireub,  wa8  ihm,  wie  wir  an  $otag  unb  befonberS 
an  ben  3bhllenbi(htern  fchen,  eben  jenen  faft  mobetn  fentimentalen 
Stnftridj  »erleibt;  anbererfeitS  nerbichtet  fi<h  bie  ©ubjeftimtat  in 
ihren  leibenfcbaftlichen  {Regungen  gu  einer  ebenfalls  refleftirten, 
unb  baburth  raffinirten  8üfternbeit,  welche,  — im  ©egenfafc  gn 
bet  unbefangenen  ©innlicbfeit  ber  eblen  Slntife  — burchauS  friool 
ift.  9Rit  beiben  ©eiten  ift,  immer  au8  ber  {Reflexion  ftammenb, 
eine  Ülbficbtlicbfeit  unb  Äünftelei  »erbunben,  bie  felbft  bem  bw* 
»orragenben  Talent  ben  ©tempel  be8  ©emaefaten  unb  groftigen 
aufbrüeft.  5)a|  fich  f<hliefjli<b  batau8  für  ben  ©eift  baS  23e* 

<?9S) 


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63 


bürfnifc  entwicfelt,  gu  bem  flauen  Sn^alt  überhaupt,  al8  einem 
an  ftdj  unwahren,  eine  itonifche  ©tellung  gu  nehmen,  ift  eigentlich 
felbftnerftänblich;  bafj  abet  gerabe  in  biefer  negatioen  SBenbung 
bie  römifchen' SDichter  ihr  SBefteö  leiften  unb  am  wenigften  al8 
blo§e  {Rachahmet  erlernen,  währenb  ba8  ernfte  SDrama  ben  aller» 
niebrigften  ©tanbpunft  einnahm  unb  nur  heöenifcpe  SRpthen  be« 
banbeite,  bie8  liefert  auf’8  {Reue  ben  23ewei8  ihrer  ursprünglichen 
9)oefielofigfeit:  bie  tömifdjen  ©atirifer,  (Spigrammatifer  unb 
Äomöbienbicpter  beft^en  baber  allein,  ebenfo  mie  bie  2lrcbiteften 
in  ber  bilbenben  $unft,  eine  gewiffe  Originalität.  SSenigftenö 
gilt  bie8  non  ihrer  Röteren  2lu8bilbung,  benn  ihr  Urfprung  bafirt 
aÜetbingS  tbeil8  auf  etrurifcben  Elementen,  wie  bie  „geScenninen" 
unb  „Stteltaneen",  welche  in  improoifirten  SJBi^eleien  unb  bialogi» 
firten  Reffen  beftanben,  bie  bei  öffentlichen  2Jolfefeften  probucirt 
würben,  tbeil8  auf  gried)ifcben  Slrabitionen,  wieg.  23.  bie,Romöbien 
be8  ^MautuS  unb  Slereng  al8  {Rachbilbungen  {Dtenanbrifcper  ©tücfe 
gu  betrachten  finb.  @8  bilbeten  ficb  fogar,  ähnlich  wie  ber 
moberne  £an8wurft  unb  ähnliche  Figuren,  beftimmte  Sippen  au8, 
g.  33.  ber  5Raccu8,  ber  prieilegirte  {Rart  in  ben  23olf8ftücfen, 
bet  ^appuS  ober  33ucco,  eine  sflrt  politifcher  Äarifatur,  unb 
ähnliche  mehr. 

Da8  ÜJi  ittelalt  er  fennt  — aus  ©rüuben,  bie  früher  be« 
rcitS  angegeben  würben  — ebenfowenig  wie  ber  oorantife  Orienta» 
liSmus  bie  fubjeltine  $otm  ber  Sronie.  @rft  gegen  6nbe  be8 
15.  3ahrhunbert8 , b.  h-  mit  bein  Seginn  ber  reformatorifchen 
23ewegung  in  Äunft,  Söiffenfchaft  unb  {Religion,  begann  fith  bie» 
felbegu  entwideln.  Sß}a8  bieÄunftreformation  ober  bie  „{Renaiffance“ 
betrifft,  fo  ift  biefe  „SBiebergeburt“  nicht  als  ein  Butücfgteifen 
auf  bie  Slntife,  im  ©inne  einer  SBieberherfteHuug  ber  biefer 
eigeuthiimlichen  formen  gu  faffen  — bie8  wäre  fctjon  be8halb 
unmöglich  gewefen,  weil  ba8  maletifche  ©chönheitöibeal  ber  cprift* 

(iv») 


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64 


lidjen  Äunft  eine  fpecifxft^  anbete  SBebeutung  hat  ali  bai  plaftifche 
Sdjöhnbeitiibeal  bet  antifen  — fonbern  nur  in  bem  Siune,  bafj  • 
jefjt,  am  ©nbe  bei  SKittelalteri,  überhaupt  bie  ©djöuljeit  ftatt 
bet  fircblicben  Jrabition  bie  roefentlidje  SBebingung  bei  Äunft» 
fdjaffeni  würbe.  SBJenn  baljer  bie  ätunft  nodj  imtnet  bie  ©egen* 
ftänbe  beb  SDogmai  als  SRotioe  bchanbelt,  fo  finb  biefe  für  bie 
äft^etifd>e  Sluffaffung  webet  bte  -fpauptfache,  noch  bleibt  fic  bat* 
auf  befdjränft,  fonberu  fie  bemächtigt  fid)  allmählich  bei  gan* 
gen  äfreifei  allgemein  * menfdjlicher  SDlotiue , felbft  bet  antifen 
SRtjthe  uub  bet  irbifchen  Statut:  bai  ©ente  unb  bie  üanbfdjaft, 
bie  profane  £iftorie  unb  bai  (Stillleben  finb  fo  ali  äjthetifd}* 
ironifche  Söiberlegungen  bei  mittelalterlichen  SDogmai  oon  bet 
•DiiferabilitätbeiSDieffeiti  unb  bem  ©lenb  beiSDafeini  gu  betrachten. 

©ntfdjiebener,  weil  nod)  bewußter,  ftellt  fich  bie  giteratur 
in  ironijche  ßppofition  gegen  bie  in  bet  Kirche  geübte  ©eiftei* 
herrfchaft.  3»«  ber  älteften  SDofumente  tiefer  Särt  finb  ber  aui 
bem  3ahre  1472  ^errü^renbe  „©ntchrift",  ber,  ali  eine  Satire 
auf  bai  i^abftthum , eine  SLraneftie  ber  ^affionigefchichte  ent* 
hält,  unb  bai  1470  erfdjienene  Defensorium  inviolatae  virgini- 
tatis  beatae  Mariae  virginis,  eine  offenbar  ironifd)  gemeinte,  gang 
materiell  gslj^tioloflifd^e  '.Sbljanblung  über  bie  unbeflecfte  ©tnpfäng* 
nifj,  worin  bie  SBeweife  für  beten  natürliche  SOlöglichfeit  theili 
aui  bet  antifen  ÜJipthologie , theili  aui  ber  9taturgef<hichte  ber 
ftifche  entnommen  worben!  — Slufeetbem  mag  \)iet  noch  beiläufig 
an  bie  Ungaht  fatirifcher  SBetfe  erinnert  werben,  welche  fdson  in 
ben  erften  3ahren  ber  ^Reformation  überall  auftauchten,  an  bie 
epistolae  obscurorum  virorum , mit  beuen  ber  eble  SReuchlin 
unb  feine  ©enoffen  in  groteifem  Äüdhcnlatein  bie  SDummheit, 
SBoiljeit  unb  gieberlichfeit  ber  ÜRönche  branbmarften,  an  bie 
Satiren  bei  ©raimui,  befonberi  aber  au  bie  geiftooHen  ^)am* 

phlete  unb  ^arobien  bei  genialen  gif djart,  g.  SB.  „ber  Sienen* 

(800) 


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65 


fotb  beS  Ijeiligen  rötnifcben  StnmenjdjwatmeS",  „Slfler  ^raftif 
©rofemutter“,  „3efuitenljütlein" , „oon  @.  fDomiuici,  befl 
fPrebigermöndjS,  uub  ©.  §rangi8ci  SöarfüfcerS  artigem  geben 
unb  großen  ©teweln",  „bet  2?arfüf)er  ©eften»  unb  Äuttenftreit* 
«.  a.  nt.  23ei  ^ifdjart,  ber  leiber  gu  wenig  befannt  unb  nod) 
weniger  anerfannt  ift  — er  ift  einet  ber  glängenbften  ©lerne  am 
#immel  ber  beutfdjen  giteratur,  welche  it)m  aud)  Ijinftditlid)  ber 
®prad)bilbung  aufcerorbentlid)  »iel  gu  banfen  Ijat  — fdjiOert  bie 
Sterne  in  allen  fRüancen,  non  ber  garteften  3lnfpielung  biß  gu 
einem  in  ber  $Dtm  faft  frioolen  (JpniemuS,  bem  aber  niemals 
ber  -£>intergrunb  einer  tiefen  ftttlidjen  Uebergeugung  unb  waljr* 
haften  Sbealität  mangelt.  fDenn  erfämpft  immer  für  2)a8,  wa$ 
wir  eben  als  $>rincip  ber  d?riftlidjen  ffikltanfcfyauung  erfflnnten, 
für  bie  @eifte$freif)eit  in  faft  allen  fRidjtungen,  namentlich  für 
ben  ProteftantiSmuS  gegen  bie  Sefuiten,  für  edjte  ©ittlidjfeit 
gegen  {jeudtelnbe  gremmelet  unb  jette  3lrt  non  fßerfetjrtljeit  unb 
fflidjtSmürbigfeit  ber  Seil-  fDabei  befifjt  er  eine  umfaffenbe, 
burd)  bie  fSntife  geläuterte  33ilbung,  eine  tiefe  ©innigfeit  beS 
©emütfyö,  wahre  änbaebt  (wie  feine  frommen  geiftliden  gieber 
beweifen)  unb  mannhafte  ^urdjtlofigfeit  in  bet  33erfedjtuug  feinet 
Uebergeugung.  @r  fafjt  ben  proteftanttömuS  im  ftrengften  SBort* 
ftnne  auf,  nämlid)  als  einen  Proteft  gegen  alle  auS  ber  Siet» 
fe^rung  beS  djriftlidjen  PrincigtS  tn  fein  ©egentljefl  fliefjenben 
•ftonfequengen. 

Sutereffant  ift  ber  Unterfcbieb  feiner  ©atirif  oon  ber  fei* 
neS  großen  fatljDlifd)en  3eitgcnoffen  (SeroanteS,  beffen  „2)on 
Duidjote",  a(S  2raoeftirung  beS  burd)  bie  ©rfinbung  beS  PuU 
»erS  unb  bie  (Sutwicflung  beS  Poligeiftaats  bem  Untergang  an» 
heim  gefallenen  SflitterthumS , nur  beSfyalb  eine  ^ö^ere  epoche* 
matfyenbe  33ebeutung  als  gifdjart’S  SBerfe  gewonnen  Ijat,  weil 
er  burdt  feine  mehr  obfeftie-fünftlerifde  gorm  fidb  bem  populären 

XIV.  33».  333.  5 (801) 


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66 


©efdjmacf  leistet  angupaffen  oermodjte.  ©et  eble  Witter  »on 
Ja  Qflandja  ift  nid)t  eigentlich  nertüdft,  obfdjon  et  bem  Urtfyeil 
beS  gefunben  3ReufdjenoetftanbeS  fo  gu  Ijanbeln  fcpeint;  er  Ijat 
nur,  wie  man  gu  fagen  pflegt,  einen  Sparten  gu  oiel,  unb  bie» 
fet  Sparten  ift  in  feinen  &opf  fyiueingefommen  butcf)  bie  Set» 
tiefung  in  bie  pljantaftifdjen  Säuberungen  beS  SRittertljumS, 
weldjeS  gu  feinet  3«t  bereits  eine  abgetane  SSBelt  war.  könnte 
man  bie  SorauSfefcung  gelten  laffen,  ba§  bie  Sebingungen  feinet 
$)fyantafiewelt  nod)  in  bet  Ssirflidjfeit  epiftirten  — unb  für  iljn 
epiftiren  fie  eben  — , fo  erf<fyeint  fein  ©enfen  unb  $anbeln  nicht 
nur  gang  oernüuftig,  fonbern  fogat  h^chft  ebel,  ja  ergaben.  ©afi 
bie  SSirflichfeit  biefet  SorauSfetjung  nicht  entfpricht : btefer  tronifdje 
SBibetfpruch  beS  3beal6  mit  bet  SBitflidjfeit  brücft  ifynen  allein 
ben  Stempel  beS  SBafynfinnS  auf.  liefet  SBiberfprudj  ift  bie 
Duelle,  aus  bet  ÖetnanteS  einen  aufjerorbentlicfyen  jReidUbum 
»on  fomifdjen  Situationen  fdjöpft;  unb,  ba  bie  28irflid}feit  felbet 
baS  3beal  als  ein  bornirteS,  b.  fy.  als  einen  3ttt^um  wibetlegt 
tyat,  fo  wirb  bie  gigut  beS  „fRitterS  oon  bet  traurigen  ©eftall* 
felbft  gu  einet  Äarrifatur  beS  JRittertljumS.  ©ie  Reinheit  beS 
immanenten  SBifjeS  unb  bie  Seudjtfraft  beS  objettioen,  mit  einem 
leifen  melandjolijdjen  Anflug  unS  anmutljenben  Juniors,  ben 
©ernanteS  in  biefem  merfwürbigen  Sudje  ent micfel t,  womit 
et  beiläufig  gefagt,  ben  fRoman  im  ftrengen  SBortfinne  überhaupt 
erft  geraffen  l)at,  ift  um  fo  intcnfioer  unb  pacfenber,  als  bet 
SDichtet  bie  fünftlerifdje  (Sntfyaltfamfeit  befifct,  nie  fubjeftio  gu 
wetten:  et  ergäbt  mit  eodfcmmenem  'Jnfdjein  oon  ©rnft  bie 
Saaten  feines  gelben  gerabe  fo,  als  ob  bie  realen  Sebiugungen 
für  jein  ^anbeln  in  »oder  ©eltungsfraft  epiftitten,  als  ob  bie 
SBinbmüfjle  nur  fDtaSfe,  in  SBafyrfyeit  aber  ein  feinblidjer  fRiefe, 
baS  Satbierbecfen  nur  ein  maSfirter  SRitterfyelm  wäre  u.  f.  f.; 

unb  eben  biefet  ocrfteQte  örnft  oerleiht  bet  3ronie  eine  unwibet* 

(«02) 


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67 


jieljltdj-fomijdje  SBirtung&fraft,  währenb  wir  und  jugleich  einet 
aufrichtigen  ühfilnahme  fü*  ben  tapferen  SRitter  nicht  enthalten 
formen.  25a$  ©egenbilb  25ou  Quichote‘8  hübet , al8  SSertreter 
ber  nüchternen  SBirflichfeit,  fein  tölpelhafter  Änappe  ©ancho 
^anfa,  ber,  felbet  eine  niebrig*fomifche  ^ignr,  unö  immer  wie* 
ber  an  ben  3Öuftoni8mu8  bed  fRitterS,  ihn  parobirenb,  erinnert. 

3n  tiefer  inhaltöooHen  unb  boppelfeitigen  ©eftalt  poten$irt 
ficht  nun  bie  3tonie  bed  fünftlerifchen  ©ubjeftS,  ald  erhoben  ju 
einem  ©tanbpunft  freier  Umfchau  über  ben  SBechfel  aller  ©t» 
icheinung,  ju  ber  gorm  bc8.£)umorg,  welche  fich  in  biefer©in» 
fachheit  unfercö  2Biffen8  juerft  in  ©eroanteä  offenbart.  3n 
ihm  bricht  bie  tenbenjiöfe  ©pifce  ber  Satire  ab  unb  bie  33itter» 
feit  bed  ironifchen  tSewufctfeinö  milbert  fich  ju  einem  halb  h«* 
teren,  halb  melancholifchen  Säbeln  über  bie  ©itelfeit  alles  irbi» 
fiten  Treibens.  3tber  baS  Sä?cfeu  beö^umorö  bleibt  feineSwegö 
ein  fo  einfaches;  je  nach  ber  JRichtung  bed  33licfS,  ben  et  auf  bir 
SSeltbeweguug  richtet,  fpringen  facettenartig  fehr  »erfchiebene 
©eiten  an  ihm  hevoor,  beren  jebe  eine  anbere  Strahlenbrechung 
bed  ironifchen  EichtfunfenS  repräfentirt.  ^Derjenige,  welcher  unS 
ben  größten  fReidjthum  an  humorifttfchen  ©eftalten  batbietet,  ift 
©hafeSpeare. 

25er  Uebergang  »on  ©eroanteS  gu  ©hafeSpeate  bilbet 
— weniger  in  jeitltc^er  ©egiehung,  a(d  in  Jptnficht  auf  bie  33et 
fihiebenheit  ber  Jöeltanfchauung  — ein  Sprung,  bet  atlerbingä 
burch  eine  fReihe  »on  UebergangSformen  »ermittelt  wirb.  25ahin 
gehören  ber  bürgerlich’fomij^e  JRoman  ©nglanbä  ald  3ronie 
auf  bie  ^rüberie  ber  Stugenbmufter,  bie  berb  naiuraliftifdjen 
fRomane  ?ielbing8,  bie  an’8  wüft*5riuole  ftreifenben  ©rgäljlun* 
gen©molIetS,  enblich,  ald  ©ha  feäpe  are  am  neideten  ftehenb, 
bie  bereits  entfdjieben  humoriftif<h:fentimentalen  fRomane  ©olb» 
fmith’S  unb  ©terne’S.  Jpier  treffen  wir  alfo  auf  ein  neueä 

5*  (803) 


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68 


©lemeut,  baS  atlerbingS,  wie  fd)on  bemerft,  leife  im  Don  Oui» 
chote  anflingt,  nämlich  auf  jene  Die  moberne  ffieltanfdjauung 
roefentlich  umgeftaltenbe  §orm  ber  fubjeftioen  ©mpfinbung,  welche 
man  mit  bem  fRamen  bet  „©mpfinbfamfeit"  bezeichnet  unb  bie 
fpäter  in  baS  ©jctrem  einet  »eidlichen  fRührfeligfeit  unb  ©rnpftn» 
belei  (Sentimentalität)  auSartete.  Söaß  ShafeSpeare  betrifft, 
fo  fdjepft  et  gerabe  auß  bet  unenblich  zarten  gcinfühligfeit,  bie 
ihm  bie  ©mpfinbfamfeit  feines  fRatureflS  Berlieh,  im  herein  mit 
einet  wahrhaft  wunberbaven  Qbjeftioität  bet  ©eftaltungßfraft, 
bie  Älatheit  unb  Sicherheit  beS  SlicfS  für  alle  SOerhaltniffe  unb 
©eftalten  ber  lebenSnollen  Söelt,  aber  auch  für  alle  SBiberfprüche 
in  bem  ©etreibe  ber  einanber  burchflechtenben  Sntereffen.  ©t 
begreift  SltleS  unb  barum  Beleiht  er  9WeS,  unb  fo  erhebt  er  fid}, 
inbcm  et  3ebeS  innerhalb  einer  geroiffcn  ©venze  gelten  läfjt,  über 
biefe  ©renzen  hiuauS  zu  einem  Stanbvunft  wahrhaft  freier  $n* 
fchauung:  bieS  ift  bie  ©runbbebingung  feines  £umor8. 

©8  fann  h*er  felbftoerftanblich  nicht  erwartet  werben,  bah 
wir  bie  ohnehin  jebem  ©ebilbeten  befannten  ©eftalten,  in  benen 
ber  Shafefpeare’fche  £urttor  fi<h  oerförpert  zeigt,  ihrem  inneren, 
fo  fehr  oerfchiebenen  ^SBefen  nad)  fämmtlich  zu  djarafterifiren 
Berfuchen;  wir  muffen  unS  bamit  begnügen,  barauf  hiuzuweifen, 
ba§,  Bon  bem  an  bie  ©tenze  beS  $riBolen  ftreifenben  £umor 
„galftaffS",  biefeS  unfterblichen  $ppu8  ftdj  felbft  ironifirenber 
fRichtSwürbigfeit,  bis  zu  bem  tragifdjen  .pumoT  „|)amlet8"  hw* 
auf,  feine  Dramen  unS  eine  Steibe  fein  nüancirter  formen  ber 
3ronie  barbieten,  wie  fle  in  nollenbeterer  ©eftaltung  faum  benf* 
bar  ftnb.  *Ramentlid)  brüeft  fid)  in  feinen  Starren,  biefen  5Beifen 
in  ber  fomifchen  2Ra8fe,  eine  $üQe  unb  Äraft  ber  Sroniftrung 
gegen  bie  unbewußte  ^hor^ett  unb  ©efchränftheit  beS  auf  feine 
S3erftänbig!eit  fid)  fteifenben  Subjetts  auS,  bie  neben  ber  fomi* 
fdjen  SBirfung  oft,  wie  im  „gear",  wahrhaft  erfchütternb  wirft. 

(804) 


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69 


Kur  in  gweien  feinet  ©tücfe  lüfct  et  ftd>  gu  einet  bie  göttlidje 
ftreiljeit  feines  $umorS  befdjtänfenben  .^erbigfeit  fatitifdiet  SBelt» 
anfdjauung  fyetabftnfen,  nämlid)  im  „Simon  non  Sitten"  unb 
in  „SrocluS  unb  ©reffiba",  biefet,  falls  baS  ©tütf  ed?t  ift,  für 
©fyafefpeate  faft  unbegreiflichen  Sraoeftirung  bet  t)eQenifd)en 
äntife.  (2lu<h  bet  „SituS  SnbronifuS“  gehört  in  gewiffem  Sinne 
bagu.)  3BaS  feinen  „galftaff“  betrifft,  fo  mag  hier  bie  unfetö 
SBiffenS  nod)  nid)t  aufgefteflte  33ermutl)ung  95lafc  finben,  bafc  eS 
öielleidjt  nidjt  gang  gufällig  ift,  wenn  ber  luftige  bitte  Kitter  in 
allen  ©ingelpeiten  eineu  üoQen  Äontraft  gegen  ben  „Kitter  öon 
bet  traurigen  ©eftalt"  bilbet;  unb  gwar  nid)t  nur  in  ber  äußeren 
©rfdjeinung  als  biefe  feifte  ftleifd)maffe  gegen  bie  bürre  Srotfen» 
t)eit  3)onquid)ote8  gehalten,  fonbern  aud)  in  geiftiger  33e*iel)ung: 
biefer  ift  ein  bieberer,  butdjauS  reblidjer,  wenn  auch  »etfcprobenet 
3bealift,  ber  in  einet  Seit,  ba  baS  Kittertljum  nid)t  mel)t  ejriftirte, 
eS  in  feiner  urfptünglid)en  Sattheit  gu  reprobuciten  unternahm, 
galftaff  bagegen,  wenn  wir  bie  il)n  eerflärenbe  l)umotiftifd)e  £ütle 
»on  il)m  abftreifen,  ift,  nod)  innerhalb  berKittergeit  ejriftirenb,  wenig 
mel)t  als  ein  materialiftifdjer  8ump,  ein  gewiffenlofer  Sdjwinblet, 
ein  beuteljdjneitenber  ^oltron,  ein  Sdjletpmet  unb  Kenommift 
— beibe  alfo  ^auifaturen  beS  KittertljumS  unb  bod)  ben  fd)tei* 
enbften  ©egenfaf)  gu  einanber  bilbenb.  SBir  überlaffen  eS  ben 
Stjatefpeareologen,  bie  grage,  ob  biefem  fontraftirenben  Parade* 
liSmuS  irgenb  eine  biftorifd)  nachweisbare  3ntention  beS  3>idjter8 
gu  ©runbe  gelegen  hake.  gu  entfdjeiben. 

Slber  aud)  neben  ben  bramatifdjen  ©eftalten,  gu  benen  ftd) 
bet  Shafefpeare’fd)e  $umor  »erförpert,  ift  ber  SDidjter  unet« 
fdjöpflidj  an  itonifdjen  Söenbungen  unb  Situationen.  9Ran 
erinnere  fid)  beifpielSweife  an  bie  3tonie  bet  Antworten  bei  bet 
©pifobe  bet  Ääftcfcenrät^fel  („Kaufmann  non  SSenebig"),  an  bie 
petfiffiirenbe  SSMeberljolung  ber  SBorte  Shplodfs  burd)  ©ratiano» 

(805) 


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70 


al8  9>ortia  ihn  aufforbert,  fein  9>funb  Sletfdj  gu  nehmen,  aber 
fein  ©lut  gu  nergiefjen:  „©eit,  ein  wahrer  IDaniel,  nicht  3ube?", 
an  bie  fdjmetg*  unb  gugleidj  b°^n»<?lle  3ronie,  mit  welcher  $ring 
Heinrich,  als  ^>oinS  auf  feine  grage,  was  er  wohl  benfen  würbe, 
wenn  er  im  £inblicf  auf  bie  Jfranfbeit  feines  ©aterS  weinte, 
antwortet:  „3<b  toürbe  bicb  für  ben  pringliftften  Heuchler  baltcn", 
erwiebert:  „©o  würbe  3ebermann  benfen,  unb  bu  bift  ein  gefeg* 
neter  Änedjt,  baf)  bu  benfft,  waS  3ebermann  benft.  deines 
®tenf<ben  ©ebanfen  galten  ftd)  beffer  auf  ber  grofsen  ^eerftrafje 
als  bie  betnen“  u.  f.  f.  — , an  bie  fentimentale  Ironie,  mit 
welcher  Hamlet  ben  3)orif’fd;en  ©d’ätel  apoftrepbirt  unb  an  bie 
bittere  3ronie,  womit  er  bie  fdjnelle  ^teiratb  feiner  Butter  nach 
feines  SSaterS  Slobe  erflürt:  „Defonomie,  Defonomie;  bie  IRefte 
beS  8eid)enfcbmaufeS  feilten  bie  falte  Äüdje  für  bie  $ocbgeitS* 
tafel  liefern!“;  an  bie  perfifflirenbe  3ronie,  mit  welcher  (in 
„Äßnig  3obann")  ber  übermütbige  ©aftarb  ftaulconbribge  ben 
feigen  unb  treulofen  ^ergog  non  Deftreid)  maltraitirt.  ©onftange 
wirft  Sefjterem  feinen  SBanfelmutb  »or: 

4>aft  gefroren, 

3ch  foUe  beinen  Sternen  nur  certrauen ; unb  jefct 
Srittft  fclber  bu  ju  meinen  fteinben  über? 

2)u  tragft  ein  ?6wenfeU?  $fui,  wirf  e8  ab 
Unb  häng’  ein  Äalbfefl  um  bie  f daneben  ©lieber! 

£>efterr.:  £>a!  fpräch’  ein  ÜJlann  bie  SBorte  nur  ju  mirl 
©aftarb:  Unb  häng’  ein  ÄalbfeÜ  um  bie  fdjnfben  ©lieber! 

Oefterr.:  ©ei  beinern  8eben,  Schürfe,  wag’«  ju  jagen! 

©aftarb:  Unb  häng’  ein  ÄalbfeH  um  bie  {daneben  ©liebet! 

9Jtit  biefem  SRefrain  begleitet  nun  ^anlconbtibge  jebe  weitere 
9eu§erung  beS  #ergog$,  bis  er  ihn  enblich  gum  ®d)weigen  bringt: 

Defterr.J  ^Sr1,  ÄSnig  Philipp,  auf  ben  Garbinal  — 

©aftarb:  Unb  häng’  ein  halbfett  um  bie  fchnöben  ©lieber! 

(806) 


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71 


Orfteti.:  @ut,  ©djurF,  ich  ftedfe  deinen  ©pott  je$t  ein, 

©eil  . . 

Saftarb:  (Sure  £ofen  »eit  genug  baju;  u.  f.  f. 

mad)t  aud?  nadlet  bie  praftifdhe  Stnroenbung  oon  feiner 
fronte,  inbem  et  in  bem  batauf  folgenden  Äampfe  bem  £ergog 
ben  Siopf  abfdjlägt,  aber  ihn  bann  nicht  mehr  oerhöljnt. 

25er  SSuSbtudf  „£umor“  im  Sinne  biefet  $orm  ber  Ironie 
ift  englifdjen  UrfprungS;  Shafefpeare  fanb  ihn  bereits  not,  gab 
bem  1 31* orte  aber  felbft  noch  feine  tiefere  S3ebeutung.  5Ran 
erinnere  fid>  an  bie  biefen  auSbrncf  fetter  perftfflirenbe  9ln* 
wenbung,  welche  .Korporal  9lpm  unb  $)iftol,  biefer  „brüllende  Teufel 
auS  ber  alten  Äumöbie",  baoon  macht.  üttan  bejeicbnete  anfüng» 
lieh  bamit  — auf  ©rund  ber  bamaligen  phpfiologijdben  ©rflä* 
rung,  weldje  bie  5£emperamentSanlage  auf  bie  flüffigen  ©lemente 
in  ber  leiblichen  Äonftitution  gurüdfführte  — bie  baburdj  beftimmte 
•Steigung  gu  einer,  im  englifdien  ©Ijarafter  überhaupt  liegenben 
franfhaften  gaunenljaftigfeit.  Senn  33ifd)er  eS  aber  einen  „glücf* 
liefen  Sufatl''  nennt,  „ber  baS  Sott  fo  befeftigt  hat<\  weil  cö 
„an  bie  geiftige  glüffigfeit  beS  Äcmif^en,  worin  alles  gefte  fidj 
auflöft,  erinnere“,  fo  »ergibt  er,  ba§  gerabe  ber  Sluflöfutcg  alles 
heften  gegenüber  ber  .£>umor  felbet  baS  fefte  SJiaaf}  bleibt,  wo* 
mit  bie  Sanbelbarfeit  ber  pfiffigen  Sirflidhfeit  gemeffen  wirb. 
UebtigenS  fyat  baS  lateinifdje  Sott  (humor),  welches  glüffigfeit 
bebeutet,  ben  Slccent  auf  bet  erften  Silbe;  bie  ©rflarung  fdjeint 
alfo  faum  genfigenb.  Sie  bem  fein  mag:  Shafefpeare  befijjt 
bie  Sache,  tefp.  ben  3nl?alt  beffen,  was  wir  tyüti  „Jpumot" 
nennen,  im  tiefften  Sinne,  wägend  baS  Sort  felbft  erft  durch 
5£i etf  unb  Schlegel,  bie  eigentlichen  Sieberentbedfer  biefeS  gu 
ihrer  3«*t  faft  oetgeffenen  ©eniuS,  gut  ©ejeichnung  jenes  3n* 
haltS  in  ©ebraud?  fam. 

3m  ©egenfafc  gum  „KlafficiSmuS“  ber  Äntife  pflegt  bie 

C807) 


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< 


72 


burch  ©Ijafefpeare  oertretene  ^Richtung  bet  9)oefte  als  IRoman* 
ticiSmuS  begegnet  gu  werben.  Sofern  barunter  nur  baö  biefe 
{Richtung  d^arafteriftrenbe , wefentlidj  moberne  Gilement  bet 
entbftnbungbooHen  Stimmung  beS  in  fich  felbft  refleftirteu  Sub* 
jeftö  oerftanben  wirb,  !ann  ber  2luSbrucf  für  S^afe|t>eate  ©ültig* 
feit  ^aben;  aber  »on  SDem,  was  man  fpäter  als  JRomanticiSmuS 
begeicßnete,  non  jenem  ungefunben  ©emifd)  ^o^ler  Sentimenta« 
lität  unb  eitler  Schwärmerei  in’S  Blaue  hinein  ift  et  burchauB 
frei.  2)ct  Uebergang  non  ber  gcfunben  unb  fraftnoBen  fRomantif 
ShafefpeareB  gu  ben  fpäteren  fchwäcßlicben  äuSwüchfen  berfelben  ift 
jeboch  feineSwegS  ein  fdjroffer.  ßunächft  ift  anguetfennen,  baß  bet 
JRomantiSmuS  beS  18.  Saßrhunberts  ftd)  als  pofitioe  fReaction 
gegen  ben  ftinolen  SfepticiSmuS  ber  3opfjeit  unb  weiter  im 
engften  SKnfcßluß  an  bie  gortbilbuug  bet  geitgenöffifcßen 
fophie  (Äant  — gicßte  — ScheBing)  entwidfelte.  £ier  tritt  nun 
— gerabe  wie  bei  SofrateS  — bet  SluBbrucf  „3ronie"  als  be» 
wußteS  Bemalten  beS  romantifchen  SubjeftS  auf:  bie  ($rf<heinung 
ber  romantifchen  3ronie  ift  eine  fo  ho<h  intereffante  unb 
burch  ihren  (Einfluß  auf  bie  Bilbung  beS  mobernen  BeroußtfeinS 
fo  bebeutungSoofle,  baß  wir  fte  ihrem  Urfprung  unb  SBefen  nach 
etwas  nähet  in’S  9luge  faffen  muffen. 

3)ie  erfte  bebeutenbe  gorm  ber  romantifchen  Stonie  erfcheint 
in  3ean  sJ)aul,  als  bem  Bertteter  beS  fentimentalen  ^jumorS, 
tepräfentirt.  3eau  $)aul  erhielt  eine  ftarfe  Anregung  non  #ippel( 
bet  feinerfeitS  wieber  burch  bie  Üecture  Sterne’S  in  feiner  Dichtung 
als  ^umorift  beeinflußt  war.  Bon  Nippel,  ben  man  ben 
mobernen  SSbraßam  a Santa  (Elata  nennen  fönnte,  hut  et 
auch  bie  oft  an’S  Barocfe  ftreifenbe  manieritte  ©efudßtheit  bet 
Sprache  angenommen,  obgleich  er  im  3nhalte  eine  ungleich 
größere  Sliefe,  namentlich  nach  Seite  bet  ©emütßsinuigfeit  unb 
bet  bitßterijchen  ©mpftnbung,  befißt.  Slber  biefe  ©emüthSinnig« 

(909) 


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73 


feit  fenn3eid}net  fid},  ba  fte  nicht  mehr  unbefangen  unb  nato  ift, 
fonbern,  als  mit  bet  {Reflexion  in  fid?  behaftet,  fentimental  et» 
fdbeint,  sugleid)  baburdj,  bafj  fte  fi<h  ihrer  bewufct  ift.  3ean 
$>aul  ift  nicht  bloß  humoriftifdh,  fonbern  et  will  eS  auch  fein,  et 
macht  gewiffermaafjen  ein  ÜRetier  barauS.  @8  ift  daher  erflärlid), 
ba§  et  baS  ©ebürfnifc  füllte,  bieß  fein  ©ebiet  fogat  wiffenfdhaft* 
lieh  gu  ergtünben  unb  fo  t)at  et  benn  in  feinet  „33otfchule  bet 
fBeft^etif"  eine  ?>atap^rafe  be§  .£)umorS  unb  bet  mit  ihm  net« 
wandten  formen  ber  Sronie  gegeben,  welche  uns  bie  SDRft^e  et= 
leichtert,  ben  fpecififd&eu  ©fjaraftet  feines  Humors  gu  fchilbern. 
6t  befinirt  ihn,  im  ©egenfajj  gu  bem  blo§  Äomifcfyen,  als  „eiu 
auf  baS  Unenblidfje  angewandtes  (SnblüheS",  was  eigentlich  um* 
gefel)rt  fein  müjjte,  ba  bie  Unenblidjfeit,  nämlich  baS  Sewufjtfein 
ber  3bee,  »ieluieht  im  Subjeft  liegt,  welches  mit  biefem  fötaafje 
baS  ©ndlicbe,  bie  wirflidie  Seit  unb  bie  auS  ihrer  Snblidhfeit 
entfpringenben  Siberfpricche,  mifjt.  ©pater  Bergleicht  er  ben 
£umor  mit  bem  „IBogel  3Retop8,  welcher  gwar  bem  Fimmel  ben 
©dhwang  jufehrt,  aber  bod)  in  biefer  fRichtung  in  ben  Fimmel 
auffliegt-  SDiefet  ©aufler  trinft,  auf  bem  Äopfe  tangenb,  ben 
SReftat  hinaufwärtS  . . . „@o  entfielt  jenes  Sachen,  worin 
noch  ein  ©chmerg  unb  eine  ©röf?e  ift."  SDieß  mag  genügen, 
um  gu  3eigen,  bafj  jene  ©ebrodjenheit  beS  romantifchen  ©ubjefts, 
bie  auS  bem  ©efnhl  beS  Siberfprud)8  gwifchen  ber  unendlichen 
3bee  unb  ber  endlichen  Seit  entfpringt,  fich  bei  3ean  ?)aul  als 
abfoluteS  ©rfüötfein  mit  bem  fubftan^iellen  ©ehalt  bet  3bee  et* 
weift  unb  bähet  auch  in  bem  2lu8drucf  berfetben,  als  humoiiftifdhe 
Seltanfdwuung,  butdhauS  pofitiö  unb  energifdh  etfeheiut. 

#iegu  fteht  nun  bie  ihrer  ßeit  hochbetühmte  „3ronie" 
©cblegel’S  in  einem  eigentümlichen  ©egenfafc.  3uf  ben  3«* 
fammenhang  ber  ©chlegel’fdhen  fRomantif  mit  bem  fubjefticen 
3bealiSmuS  $ichte’$,  als  beffen  negatioe  Äonfequeng  fte  erfcheint, 

(809) 


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74 


fönnen  wir  Ijier  nur  anbeutungGweife  eingeben,  obfdjon  fie  bann 
ihre  tiefere  Segrünbung  finbet.  2)er  fubjeftioe  ÄriticiGmuG  Äant’S 
»erbichtete  fi<h  in  3ean  $)aul  — fowie  nach  anberer  ©eite  fei« 
in  SBilbelm  non  $umbolbt  unb  ©filier  — $u  einer  jwar 
ebenfalls  prägnant  fubjeftioen  unb  felbftbewufeten,  aber  bod)  felbft« 
fmhtGlofen  Originalität  beG  SlnfchauenG;  ber  fubjeftioe  SbealiGmu« 
f^idjte’ö,  b.  fe.  bag  §)rincip  beG  abfoluten  SfbtfeumG,  fpifet  ftd) 
bagegen  in  ©cfelegcl  $u  einer  ©elbftbewufetbeit  $u,  in  melier 
baG  fütoment  beG  aügemein>fBlen}<hlichen  auG  bem  3d)tfeum  di* 
minirt  unb  an  ©teile  beffelben  bie  3« fäll  igfeit  partifularer 
3 ebb  eit,  b.  b-  beö  geiftigen  ©goiGmuG,  gefegt  würbe.  Set 
gid?te  ift  eG  nicht  bieG  ober  jenes  ©elbftbewufetfein,  fonbern  baG 
©elbftbewufetfein,  alG  biefe  Äraft  beß  ©eifteG  überhaupt,  worin 
fein  §)rincip  wurzelt:  eG  ift  bie  iw  fBtenfcben  ftd)  wiffenbe  3bee, 
waG  er  als  baG  abfolute  fefet;  bei  ©djleget,  in  welkem  baG  geift* 
»olle  ©ubjeft  alG  einzelne  ©jriftenj  mit  bem  ?lnfprutfe  an  abfolute 
Sebeutung  unb  allgemeingültigfeit  auftritt,  ift  eG  lebiglid)  ber 
bie  3bee  wiffenbe  SJtenfcb,  ber  nun  alG  abfoluter  SJtaafeftab  gilt. 
Slucfe  baG  ©ingelfte  unb  Sföillfürlicfefte,  waG  ber  SDtenfd?  unb 
namentlich  ber  „©chlegel"  genannte  SJienfd)  weife,  ift  nunmehr 
abfolut  berechtigt.  — ©§  ^anbelt  ftd)  nun  weiter  nur  noch  barum, 
biefe  abfolute  33ered)tigung  beG  ©ubjeftG  burd)  fRadiweiS  ber  ifer 
gegenüberftefeenben  Sornirtbeit  gu  beftätigen.  6G  ift  beGbalb  bie 
fortwäbrenbe  Semüfeung  ©cfelegel’G,  überall  in  ber  ©egenwart 
Sefcbrünftbett,  Serfebrtbeit  unb  Unfäfeigfeit  3U  entbeefen.  ©in 
wivffameG  SDtittel  bagu  ift  bie  Sergleübung  ber  ©egenwart  mit 
bet  Sergangenfeeit;  benn  biefe  ift  unfd)üblicfe,  man  fann  fie  ohne 
fRadjtbeil  für  ftd)  ibealifiren,  weil  man  barüber  bittauG  ift.  ©o 
mufe  ftd)  benn  nicht  nur  bie  9lntife,  fonbern  auch  bie  SBeiGfeeit 
bet  3nbet  unb  baG  fatbolifd)e  5Rittelalter  bagn  gebrauchen  laffen, 
nad)  SefinDen  ben  ibealen  üJtaafeftab  für  bie  9tid)tGwürbtgfeit 

(S 10) 


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75 


ber  geitgenöfftfchen  33eftrebungen  abgugeben.  S)ic8  i[t  ble  inljalt* 
lid^e  ©eite  ber  ©djlegel’jchen  9iemantif;  bie  anbere,  formale, 
gewährt  bie  birefte  Äritif,  bie  nothwenbiger  Seife  negatio  ift: 
fte  nerwenbet  bag  Epigramm  ftatt  ber  ernftljaften  Prüfung,  bie 
fchonungglofe  ©atire  ftatt  ber  Erörterung  ber  $>rincipien,  bie 
£>erfifflage  ftatt  ber  ruhigen  Sibcrlegung.  33a  febod>  ba8  auf 
fein  33efferwiffen  eitle  ©ubjeft  fid>  nicht  burcb  heibenfchaftlichfeit 
fompromittiren  barf,  weit  eg  ftd>  fonft  alb  innerlich  interejfirt 
nerrathen  würbe,  fo  nimmt  bie  Äritif  bie  SJliene  fcheinbarer 
Äälte  an,  unter  welcher  ftdj  ber  ,£)ochmuth  nerftecfen  fann,  b.  h- 
bie  Äritif  wirb  ironifch. 

Sir  haben  in  bet  obigen  Sharafteriftif  gunädjft  ^riebrich 
©djlegel,  al8  ben  geiftnollen  S3ertreter  bet  romantifcben  Ironie, 
im  9luge  gehabt;  bodj  bürfen  wir  feinen  33tuber  Silbe  Iw  nicht 
gang  unberücfficbtigt  taffen.  Um  eine  SBorfteUung  non  beffen 
Seife  beS  ÄritifirenS  gu  geben,  wollen  wir  eine  ©teile  aug  feinet 
JRecenfion  bet  berliner  Äunftaugfteflung  oom  3ahre  1802  citiren, 
bie  non  Anfang  big  gu  Sitbe  ironifch  gehalten  ift.  Er  ift  näm« 
lid?  ber  Snfidjt,  bie  gange  'JluSftetlung  fei  fo  mifetabel,  bah  man, 
um  überhaupt  einen  Erunb  bafür  gu  finben,  gu  ^ppottjefen  feine 
Buflucht  nehmen  muffe.  „Sine  foldje"  — fährt  er  fort  — „war 
g 33-,  ba§  bie  Sfabemie  nach  ihrer  Seigljeit  eine  fdjerghafte 
Prüfung  beb  öffentlichen  ©efdjmacfg  habe  anftellen  wollen,  wie 
fd^Iec^t  ein  jfunftwerf  wohl  fein  bürfte,  ehe  bag  ?)ublifum  eg 
merlt.  33a  wäre  e8  beim  fehr  lobenömürbig,  bah  felbft  5öor* 
flehet  unb  8eljret  gu  biefet  ergöhlithen  Unteihaltung  bie  ^)änbe 
geboten  haben  u.  f.  f.  ÜJtan  fönne  aber  nod)  eine  gweite  $ppo« 
thefe  gu  £ülfe  nehmen,  bie  auf  bem  Erunbfaf)  ber  Stolerang 
beruhe,  bah  allen  Äünftlern  non  $>rofeffion  erlaubt  fein  foUe,  fo 
fehlest  gu  malen,  wie  fle  wollen,  ohne  bah  fie  begtjalb  aufhören, 

für  redjtfchaffene  unb  waefere  8eute  gu  gelten.  Unb  um  bieg  gu 

(811) 


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76 


»etanfdjaulidjen,  fyaben  fidj  nidjt  wenige  »on  ben  ^rofefforen, 
Settern  uttb  Stitgliebern  bet  Slfabemte  geopfert.  @8  ift,  als  ob 
fie  bamit  ifyren  talcntlofen  unb  auf  jebe  5Srt  untauglichen  ©d)ü* 
lern  guriefen:  2a|t  Den  Stutl)  nid?t  ftufeu!  ©ei)t,  fo  arbeiten 
wir  unb  finb  bennodj  gefdjafcte  uub  nüfjlid)e  Sürger  beß  ©taatß 
unb  finb  bennod)  gu  »nb  Söütben  gelangt"!  — Unb  waß 

fteDt  er  on  tie  ©pifce  biefer  9Jteifter  ter  Stittelmäfeigfeit?  2)ie 
Arbeiten  beß  Steifterß  bet  herrlichen  Sietenftatue,  ©ottfrieb 
»on  ©djabow!  Söir  wären  begierig,  waß  freute  bie  Äünftler 
über  folcbe  2lrt  gu  fritifiren  fagen  würben.  Äe^ren  wir  jefct  gu 
griebrid)  guriicf,  bet  benn  bod)  »iel  tiefer  unb  umfaffenber  ift. 

Sei  il)m  gewinnt  bie  3ronie  nodj  eine  anbete  §otm,  welche 
mit  bem  im  9iomantifdjen  liegenben  ©lement  beß  ©entimentalen 
»erfnüpft  ift.  SDiefe  3*onie  reagirt  nämlich,  »on  aufien  in  fidj 
gutüdfeljrenb,  gegen  baß  ©ubfeft  felbft,  baß  fid)  nun,  ba  fie  ft<h 
auf  feinen  fubftangieQen  Snfjalt  ftüjjt,  felbet  leer  unb  »etlaffen 
fühlt.  SDiefe  Seere  ergeugt  baß  Verlangen  nad?  ©rfütltfeiu,  baß 
aber  bei  ber  inhaltßlofen  ©ehnfudjt  fielen  bleibt,  bie  unbeftimmt, 
weil  gieHoß,  in’ß  wefenloß  Unenbliche  fid)  auöbreitet,  ohne  auf 
etwaß  Äonfreteß  gu  treffen.  $ierauß  entfielt  jene  romantifche 
©d)wümetei  in’ß  Slaue  unb,  in  ©nnangelung  »on  Sefferem, 
einerfeitß  in’ß  jpmbolijd)  außftaffirte©innli(^e(„8ucinbe"),anberer» 
feitß  in’ß  phantaftifch'Ueberfinnlicfce  hinein,  ©tatt  beß  ©eifteß 
fielet  fo  baß  romantifche  ©ubfeft  ©eifter,  eß  wirb  geipenfterfüdjtig, 
mpftifdj,  wunbet«  unb  monbfüdjtig;  nach  bet  ©eite  ber  Äunft 
erfdjeint  baß  ^oetifdje  baljer  in  ber  ftorm  beß  ?>!jantaftif djeu, 
baß  ©djene  in  ber  beß  3ntereffanten,  baß  ©rhabene  in  ber 
beß  ©ejpreigten,  unb  nur  baß  gadwrlidjc  bemalt  fein  wa^reß 
Söejen,  aber  — fofetn  eß  nur  negati»en  3nl)alt  ^at  — nicht  in 
ber  gorm  fubftangieQer  Äomif,  fonbern  in  ber  beß  »er nieten» 

ben  Söifceß  unb  »eradjtenber  3ronie.  3ene  ©eite  bet  roman* 

(812) 


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tifd?en  3ronie,  bic  Dotfjin  alä  bie  ©ehnfudjt  nadj  bem  SBunber« 
baren  unb  ©efpenftertjaften  begeidjuet  würbe,  ift  bann  non  $ off* 
mann  unb  meiter,  im  fpeciftfdh  romantifdjen  ©inne,  non  8ren» 
tano,  Slrnim  u.  3.,  fomie  Don  ber  altbüjfelborfer  SJialerfdmle 
fünftlerifd)  oermerthet  morbeu. 

9Die  Detfdhiebenen  formen  ber  3ronie  bei  unfern  großen 
Älaffifern  aufgufudjen,  mürbe  unS  gu  meit  führen:  gerbet, 
SBielanb,  felbft  ©filier  (g.  8.  in  ben  Genien)  gaben  ihren 
poetifdhen  ©ebanfen  häufig  eine  ironifdhe  ©enbung,  bi8  ©oetlje 
fte  in  iljrer  reinen  9iegatiöität  al8  geinb  aQeS  3bealen  in  feinem 
„fDtephifto"  nerförperte.  ©er  Teufel,  ein  $)robuft  ber  mittel» 
alterlid)en  ^^antafie,  al«  ©pmbol  bet  au8  ber  8brei§ung  beö 
SDieffeit«  Dom  3enfeit8  nothroenbig  entfpringenben  ©ehnfudjt  nadh 
einer  SBerföfynung,  bie  aber  al8  Verführung  gum  Vöfen  torge» 
ftetit  mutte,  erhält  bei  ©oethe  einerfeit«  bie  tiefere  Vebeutung 
ber  abfoluten  3tonie  gegen  alle  3bealität  menfdjlichett  ©heben«, 
alö  eine«  Dergeblidjen  unb  refultatlofen  5lingen8  nad)  ©ahrheit, 
anbererfeit«  aber  and)  ben  ed) t philo  fophifdjen  ©inn,  ba&  ba8 
fftegatioe  für  bie  ©ntmicflung  be8  geiftigen  Beben«  überhaupt  ein 
nothmenbige«  Moment  fei;  e8  ift,  mie  ©ott  felbft  anerkennt, 

....  ein  SE^eit  öon  jener  Äraft, 

SDie  ftetö  ba8  23ßfe  toill  unb  ftetS  ba8  ©ute  f (hofft. 

hierin  liegt  gugleid)  für  bie  ljumoriftifdje  ©eltanfdhauung  ein 
DetföhnenbeS  ©Iement.  ©enn  freilid)  ©ott  bei  ©elegenheit  feine« 
Bmiegefpräc^S  mit  bem  Teufel  bemerft,  ba|  „Don  allen  ©eiftern, 
bie  oerneinen,  it)m  ber  ©djalf  am  menigften  gur  8aft  fei",  fo 
fann  bie«  Don  bem  abfoluten  ©tanbpunft  ibealer  ©ichfelbftgleidj» 
heit  roohl  begreiflich  erfdjeinen,  für  ba8  in  bem  tiefen  ßwiefpalt 
be8  ©eifte«  mit  bet  SRatur  fid)  abarbeitenbe  Söienfchenbafein  erhält 
aber  biefe  ©djalfheit  ben  tragifdjen  Veigefdhmaif  einer  ben  Jtampf 

(813) 


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78 


felbft  beljohnlächelnben  33oSheit.  So  reprcifeutirt  ber  Jeufel,  al8 
33ater  ber  2üge,  bie  ironifche  Jrinität  beS  .glichen  gegen  ba8 
Schöne,  beö  33öfen  gegen  baS  ©ute,  be8  galfdfen  gegen  bie  SBahr* 
heit:  bie  abfclute  ^Regatioitdt. 

3n  ähnlichem  SSerhaltnifj,  wie  3ean  ^)aul  gu  jfant  unb 
Spiegel  gu  fo  fteljt  nun  — eine  weitere  ftorm  — bie 

Sronie  Solger’8  gum  5)}pftici8mu8  ScheUing’8;  unb  wie  Spiegel 
au8  bent  tief  etilen  ©runte  beS  felbftiudjtSlofen  gichte’fchen 
SubjeftioiemuS  heraus  gu  ber  Äonfequeng  einet  faft  frioolen 
©elbftoergßtterung  bei  geiftreichen  SubjeftS  gelangte,  fo  ergebt 
fid)  Solger  auS  bem  mpftijdjen  ©runbe  beS  objeftioen  3bealifl» 
mu8  Schelliug’S  gu  einer,  auch  einen  ©egenfafc  gu  ber  negativen 
3ronie  Sdjlegel’8  bilbenben,  tra giften  Söeltanfchauung.  ©r  hat 
beSljalb  — befonberS  brüeft  fich  tieS  in  feinem  „Srmin"  au8  — 
in  bem  ^ewufetfein  ber  tieferen  Raffung  beö  SegriffS,  bie  Jen* 
beng,  foldje  tfuSbrücfe,  wie  „2öih",  „Betrachtung“,  „3ronte"  in 
einer  Bebeutuug  gu  nehmen,  bie  oon  bem  gewöhnlichen  Sprach» 
gebrauch  gang  abmeicheub  ftnb,  uub  meint,  2)aS,  wa8  man  bi8» 
her  barunter  oerftanben  habe,  fei  nur  „ Schein  wifj“  unb  „Schein* 
irenie",  bie  nichts  werth  feien.  Um  e8  furg  gu  machen,  fo  ift 
gunädjft  batauf  ^tnguroeifen , ba§  Seiger  — auch  bieö  ift  ein 
©egenfaf)  gegen  Schlegel  — bie  3ronte  bnrdjauS  nicht  praftifdj 
übt,  inbem  er  nichts  weniger  als  ironifch  ift,  fonbern  nur  al8 
Siefthetifer  ihren  Begriff  gu  beftimmen  fud)t.  ©t  fleht  fie  barin, 
ba§  „ba8  Schöne  burch  feinen  inneren  SBibetfpruch",  ber  au8 
ber  unlösbaren  Berbinbung  mit  bem  3Birflichen,  als  ©emeinem, 
fiammt,  „mit  ber  gangen  übrigen  ©tfcheinung  oor  ©ott"  (b.  h- 
»or  bet  abfoluten  3bee)  „in  9lichtigfeit  oerfinft  . . . biefe  fftich« 
tigfeit  ber  3bee,  als  baS  wahrhafte  8008  beS  Schönen  auf  bet 
©rbe,  ift  aber  jugleich  mit  einem  höheren  3«ftanbe  bet  Berewi* 

gung  oerbunben  . . . unb  baburch  entfteht  bie  übetfchwengli^e 
(81« 


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79 


©eiigfeit,  bie  mit  bet  SBefymutf)  unb  butd)  fie  bei  folgern  2ln* 
bticf  burdj  unfere  ©eele  ftrömt“.  abgelegen  oon  bet  mpftifd)» 
theofephiftben  §orm  biefet  Sorftellung  wirb  in  bem  ©ajje  alfo 
im  ©runbe  bodj  bie  3tonie  nur  als  biefe  (Strebung  bet  fd)önen 
©rfcbeinung,  bie  aber  gugleicb  33eruicbtung  ibter  fRealität  ift,  in 
bie  3enfeitig!eit  beS  3beaI8  auSgejprocben;  ein  SSibeifprud},  bet 
fitb  fixt  ©olger  gu  bet  fünftlerifdjen  ^)^antafie  auflöft:  „bie 
menichlicbe  ©Köpfung  als  fftachfdjöpfung  ©otteS  ift  bie  Äunft". 
üJtit  biefen  Söorten  fdjliefjt  et  biefe  ©rörtetung,  bie  alfo  gang 
mit  bem  ÜRefultat  ber  ©beding’ fdjen  S^eotie,  gegen  bie  et  fid) 
äu§erlid}  cppofitionell  oertjätt,  übereinftimmt. 

Grnblid}  haben  mit  noch  eine  gönn  ber  3ronie  namhaft  gu 
machen,  welche  fidh  — wieberum  als  ©egenfaj}  gegen  ©olger, 
wie  bie  beS  leiteten  gegen  ©Riegel  — an  bea  abfoluten  3bea» 
liSmuS  -.ftegel’S,  als  negatioe  Äonfequeng  feinet  Diateftif,  an* 
fchliefjt:  bie  3ronie  «£>eine’S  nnb  bet  SBeltfchmerg  be$ 
jungen  Deutfchlanb  überhaupt.  Denn  inbem  $eget  als 
baS  allgemeine  ©efefj  aHet  8eben$entwicflung  ba$  im  begriff 
beö  ^>tcceffeö  felbft  liegenbe  9>rincip  beS  SöibetfpruchS  auffteHte, 
hatte  er  gugleicb  bamit  bie  Definition  bet  reeltgefdjicbtlidjen  3tonie 
gegeben.  DaS  fRätbfel  beS  fortbauernben  UebetfpringenS  jebet 
©eftaltungSform  bet  3bee  in  iljr  ©egentheil  war  bamit  gelßft, 
aber  auch  baS  Vertrauen  an  ein  in  biefem  ewigen  SBedjfel  blei» 
benbeS  ©ubftangieOeB  uetnid^tet.  — 3n  ^>eine  fetjen  wir  bähet 
ben  ®elbftüerni<htung$proge§  bet  Slomantif  fid)  ooDgiehen.  ©in* 
gelne  ©pmpiome  baoon  haben  fid?  bereits  früher  gegeigt:  geht  man 
bis  gu  ihrer  erften  Quelle  gurücf,  fo  erfennt  man,  bafj  fdjon  im 
©oetbe’tdjen  Sauft  bet  Slnftofj  bagu  gegeben  ift:  cS  ift  ba$  oiet* 
fach  gemifcbraud)te  unb  fcbliefclicb  lät^etlic^  gemachte  2öort  „Bet* 
riffenheit",  welches  Sluffdjlufj  übet  biefe  ißerbinbung  giebt.  tflbet 
in  ©oethe  felbft  wirb  fie,  weit  et  übet  ihr  fteht,  butch  freie 

(81») 


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80 


Dbjeftioirung(,,$auft'')projicirtunbäfthetif<h  bewältigt;  in  Spron 
(„ültanfreb')  bagegen  ftnbet  foldje  Befreiung  beß  äfthetiidjen 
©ubjeftß  nid)t  ftatt ; hier  wirb  fie  nicht  gum  äphetifchen  Objeft 
herabgefejp,  fonbetn  eß  ift  bet  *Dict>ter  jelbft,  welcher  ficb  alß 
gerrifteneß  ©ubjeft  in  jeinem  SBerfe  abfpiegelt.  3uglei<h  aber 
Ißft  er  pdj  burd)  baffelbe  bodj  auch  wieber  »on  fid}  loß  unb  ent- 
leert ftdj  gut  ironifchen  3nbiffereng:  baß  äfthetifdje  ©ubjeft,  alß 
Präget  beß  SBeltjchmergeß,  wirb  blajirt. 

35ieß  ift  auch  ber  (Sljnrafter  ber  ^eine’fchen  3ronie.  3m 
tiefften  ©runbe  entfchieben  fentimental  oeranlagt,  aber  pan  frauf» 
haft  nercöfer  geinfühligfeit  für  jeben  ©c^ein  eineß  fBerbachteß, 
alß  ob  et  barin  alß  3nbioibuum  aufgehe,  pürgt  er  pd?  — ficket 
in  bem  »orgefapten  33efcblup  ber  jdpieplichen  3erftörung  — in 
ben  ocöen  ©trom  romantifcher  ©mppubuug,  um  pe  bann  mit 
einem  Änatlejfeft  in’ß  ©egentheil  umfchlagen  gu  laffen.  SDiefc 
©elbftgerpeijchung  beß  fentimentalen  ©ubjeftß,  worin  bet  ©enup 
ben  tiefften  ©djmerg  unb  ber  ©d^merg  ben  eigentlichen  ©enup 
gum  3nhalt  hat,  führt  aber  notljwenbig  entweber  gunt  ©elbp» 
morb,  alß  bet  eingig  möglichen  etlichen  fcöfung  beß  3n?iefpalta, 
ober  gut  eitlen  ©elbftbefpiegelung , b.  h-  gut  gripolität,  neben 
welcher,  in  oerhältnipmäpig  befonnenen  ©tunben,  ein  gereifter 
©algenhumor  nebenher  läuft. 

3n  biefem  ©elbftoernicbtungSprogep,  ber  alß  ©elbftironifirung 
beß  romantifchen  ©ubjeftß  erfcheiut,  hat  bann  bie  3ronie  ber 
Sftomantif  unb  biefe  überhaupt,  nadjbem  pe  alle  ©tufen  ihrer 
©ntwicftung  burdftaufen,  ihr  @nbe  erreicht.  Der  SBeltjchmerg 
beß  fPef  firniß  muß  beruht  baher  auf  einet  anbern  ©tunblage, 
nämlich  auf  bet  p^ilofop^ift^en  ©rfenntnip  ber  ©rünbe,  auß 
benen  baß  ©lenb  beß  fDafeinß  alß  nothwenbig  pdj  entwidelt,  unb 
wenn  bet  moberne  9MPmift  lftn  unb  wieber  — namentlich  in 

ben  poetifcpen  Serwerthungen  feineß  sPrincipß  — ben  $on  ber 

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81 


Stonie  anfdjlägt,  wie  bei  .pieronpmuS  8orm,  fo  ift  et  bodj 
weit  Bon  ber  ©itelfeit  entfernt,  ftdj  in  biefer  gorm  ju  einer  fub* 
feftinen  ©rpabenheit  aufjufpreijen,  gefcpweige  benn  eine  gefin» 
nungölofe  unb  inhaltsleere  griBolität  gu  ajfeftiren. 


3fnf)ang: 

Hie  3ronie  in  beu  oerfdjirbeimt  äänlleu. 

Jpegel  fagt  Bon  ber  fPhilofophie  einer  3«t  itgenbwo,  fie 
fei  ber  Sn^alt  biefer  Seit  felbft,  in  ©ebanfen  gefafjt.  3>em 
entfpredjenb  fennte  man  Bon  ber  Ä'unft  einet  Beit  fagen,  fie 
faffe  ben  3nhalt  berfelben  in  Slnfdjaungen;  genauer  au8» 
gebrüeft:  bie  Äunft  fei  bie  fonfrete  DbjeftiBirung  bc8  geiftigen 
3uhalt8  einet  3eit  in  bet  gotm  bet  2lnfchauung.  .pierauS  er» 
giebt  fi<h  fdbon  mit  Utothwenbigfeit,  bafj,  wenn  fi<h  in  btefem  3eit» 
3nljalt  ein  SBiberfprucb  $mifthen  3bee  unb  SBirflidjfeit  entwicfelt 
— unb  biefer  2Biberfpru<h  ift  e8  ja  allein,  weither  eine  3eit 
über  ftd)  felbft  hinaus  treibt  unb  burdj  ben  93ru<h  mit  ber  in 
ihr  erftrebten,  aber  als  ungenügenb  erfannten  3bee  in  eine  neue 
©ntmicflungSphafe  brängt  — , bie  Äunft  nid?!  nur  barau  parti» 
cipiren,  fonbetn  fid)  gerabe  in  ihr  biefer  ironifche  Umfdjlag  be8 
SeitibealS  in  fein  negattoeS  ©egenbilb  auf  fonfretefte  SBeife 
auSprägen  wirb.  SSeläge  für  bieS  itonifdje  Verhalten  beS  3eit» 
geifteS  innerhalb  bet  Betriebenen  sptjafen  ber  fulturgefdjic^tlidben 
©ntwidlung,  unb  jwat  in  ber  gotm  äfthetifdjer  Slnfdjauung, 
haben  wir  in  ben  aphoriftifdben  Semetfungen  ber  beiben  paupt» 
abfepnitte  unfter  'Hetradjtung  japlteich  gegeben,  unb  e8  bebürfte 
beSpalb  feines  33eweijeS  mehr,  bafj  bie  Äunft  überhaupt,  ihrem 
ffikfen  nach,  neben  anberweitigen  <Datfteßung8fovmen,  au<b  bet 
gorm  ber  3ronie  alö  fföittelS  ber  ©arfteßung  fähig  fei.  SBir 

XIV.  332.  333.  6 (»17J 


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82 


fjaben  j.  33.  gefefyen,  ba|  bet  eigentliche  £ebel  in  ber  äftetiften 
Shrlung  fowoljl  bet  Sragöbie  wie  bet  Äomöbie  in  bet  ironiften 
SteDuug  liegt,  welche  bort  bie  Subftanaialitat  bet  borntrten 
SBitflic^feU  gegen  bte  3bee,  *l}iet  bie  ftttlite  2Ratt  bet  3bee 
gegen  bie  bornirte  unb  felbftfu^tSnolle  3Birflid)feit  einnimmt. 

©ine  anbere  grage  aber  ift  bie,  innerhalb  weiter  ©teuren 
fit  bie  einzelnen  Äünfte  — biefen  SluSbrudf  im  engeren  Sinne 
»etftanben  — an  biefer  33etn>etttyung  bet  3touie  für  Bie  afteti- 
fte  Sßitfung  ju  beteiligen  netmögen,  b.  I).  in  meldet  befonbeten 
SBeife  fit  jebe  tfunft  ihrer  fpecififten  fRatut  nah  "bet  gorm 
bet  3tonie  ju  bebienen  im  Stanbe  ift.  Um  bieje  grage  gtünb» 
lit  gu  erörtern,  wäre  c8  freilich  erforberlit,  gunot  ba8  bejonbete 
SBefen  bet  einjelnen  fünfte  au8  bem  33egriff  bet  Äunft  felbjt 
IjetauS  ju  entwitfeln.  2>ie8  würbe  un8  jeboch  »on  unfern  2tema 
alljumeit  entfernen,  unb  fo  muffen  mir  un8  benn  aut  w biefer 
33ejieljung  auf  einige  allgemeine  ‘Jnbeutungen  beftränfen.  Boj 
nätft  ift  nun  leicht  ehxjufeljen,  baff  ftd)  bie  Äünfte,  ba  fie  fit 
überhaupt  auf  bie  Stafdjctuung  bejieljen,  burd)  bie  Bormen  bet 
leiteten,  [IRaum  unb  Bett,  in  [einen  einfachen  ©egenfajj  gefteüt 
werben,  weiter  furj  al8  ©tuppe  „ber  Äünfte  bet  fRaumanftauung* 
unb  als  ©tuppe  „bet  fünfte  ber  Beitanftauung" , genauer  bet 
fimultanen  unb  bet  fucccffinen  'Jlnftauung,  bejeitnet  wer- 
ben fann.  3ur  erfteren  ©tuppe  geböten  bie  auSftliefelit  auf 
ba8  £>tgan  be8  9luge8  fit  bejiefyenben  fünfte:  2lrtiteftur, 
§)laftif,  fötaletei,  gut  ^weiten  bie  auf  9luge  unb  £%  ftt 
begie^enben:  SDRufif,  SJtimif  unb  ^>oef i e (benn  nitt  nur 
ba8  Dljr,  fonbetn  aut  ba8  'Äuge  'fl  einer  fucceffteen  'Änftauung 
fähig)-  ferner  erfennt  man  bei  näherer  Stufung  bet  einzelnen 
©liebet  jebet  ©tuppe  eine  beftimmte  3ietanberung  in  bem  ®e» 
witt8»etSltni|  ber  beiben  für  jebe  Äunftbarftellung  nott)Wen» 

bigen  ÜJtomente  be8  ibellen  3nljalt8  unb  be8  ©eftaltungS* 

(818) 


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83 


materialS.  3n  bet  SSrcbiteftur  3.  35.  ift  offenbar  bie  Schwere 
unb  bet  Umfang  beS  SJtaterialS  in  unoerbältnipmäpigem  Uebet» 
gewicht  gegen  bie  baburdj  netpnnlichten  3been,  in  ber  ^Maftif 
finbet  bereits,  obfchon  noch  baS  ÜJtaterial  baffelbe  ift  (Stein, 
5RetaD  u.  bgl.)  butch  bie  Segrengung  beffelben  auf  einen  ge» 
ringeren  Umfang  bei  gleichzeitiger  Vertiefung  beS  ibeeOen  ©ebaltS, 
eine  gewiffe  Ausgleichung  gwifihen  beiben  Momenten  ftatt,  bis 
in  ber  ÜJlalerei  baS  ©ewicht  beS  5Raterial8  (garbe,  8einwanb) 
gu  einem  Minimum  fdjwinbet,  wäbrenb  umgefebrt  bie  bargufteßcn» 
ben  3been  an  9tei<htbum,  STiefe  unb  Subftangialität  pcp  bis  gn 
einem  entfdjiebenen  Uebergewicht  über  bie  S3ebeutung  be8  ÜJtate» 
tia!8  erbeben.  SDetfelbe  gortfchritt  finbet  auch  auf  Seiten  bet 
Äünfte  ber  fucceffioen  Anfchauung  ftatt,  unb  gwar  in  ber  Art, 
bap  fiep  gnaifcben  beiben  fReiben  ein  gang  beftimmter  fJaratleliSmuS 
offenbart,  meiner  nur  butcp  bie  Verfcbiebenbeit  ber  AnfcpauugS» 
formen  — bort  beS  räumlichen  Veieinanbet  ober  bet  IRube,  hier 
be8  zeitlichen  Vacheiitaubet  ober  ber  33emegung  — nicht  gu  »ölliget 
©leicpbeit  ber  SBirfung  gelangt.  3n  biefem  Sinne  fann  man 
mit  Schlegel  bie  Slrch itef tu r a!8  eine  „geftorne  fDiufif,  ober 
umgefebrt  bie  >JDlufif  als  eine  „in  Blup  gebrachte  Arcbiteftonif“, 
bie  ^laftif  als  eine  „erftarrte  fDiimif"  ober  umgefebrt  bie 
SDiimif  als  eine  „bemegte$>laftif" (genauer  >]Maftif  ber  Bewegung) 
bie  SJtalerei  als  eine  „ ftjrirte  'Poefte"  ober  umgefebrt  bie  $)oe* 
fie,  nach  bem  Vorgang  beS  alten  SimonibeS,  als  „eine  rebenbe 
(b.  b-  fuccefftt)  Pch  entwicfelnbe)  5Ralerei“  bezeichnen 3). 

betrachtet  man  ferner  — unb  bieS  führt  unS  näher  gu  ber 
oben  aufgeworfenen  Brage  über  bie  oerfchiebene  33etbeiligung  ber 
einzelnen  fünfte  an  bet  ironifcben  3)arpetIung&form  — bie  bei» 
ben  9fteiben  unter  bem  ©epdjtSpunfte  ber  ibeeden  Subftangialität, 
fo  leuchtet  ein,  bap  gerabe  bei  ben  Äünften,  wo  ein  Ueberwiegcn 

beS  ftofflid)en  35atfteflungSmaterial8  ftattpnbet,  auch  am  weiften 

6*  (81») 


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84 


»ob  einer  folgen  (ideellen  Subftang)  abfttaljirt  wirb,  unb  ba& 
mithin  bie  ben  Anfang  bet  beiben  Steifen  bilbenben  fünfte, 
bie  Slrdjiteftur  unb  bie  SDiufif  nämlid},  bie  abftrafteften,  bie 
baö  ©nbe  bilbenben  bagegen:  bie  SRaletei  unb  bie  9)oefie,  bie 
ibeell  fonfreteften  fein  muffen,  wäljrenb  $>laftif  unb  ÜJiimif 
gwifd&en  biefen  ©yttemen  bie  SJiitte  bilben.  33ei  ben  fünften 
ber  erften  ©ruppe  bürfte  bie8  otjne  3Beitereö  einleudjtenb  fein, 
aber  audj  bei  benen  bet  gweiten,  b.  in  bem  gottgang  »on 
bet  ÜJiuftf  gut  SJtimif  unb  »on  biefet  gut  $)oefte,  ift  bet  gort« 
fdiititt  »om  Sbftrafteu  gum  jfonfreten  im  2lu8brucf  bet  3bee 
un»etfennbar.  25ie  ÜJtufif  g.  33.  »etmag  nur  gang  allgemeine 
Seelenregungen,  wie  greube,  3orn,  Sdjmetg,  Seljnfud)t  u.  f.  f., 
aber  nidjt  fpecielle  ©mpftnbungen,  wie  Siebe,  ©iferfwfyt  u.  f.  f. 
auSgubrüdfen,  wa8  fdjon  ber  SJlimif  möglich  ift;  am  aflerwenig« 
ften  »etmag  fte  ben  beftimmten  Sn^alt  ber  greube,  be8  Sdjmerge« 
u.  f.  f.  gu  »etfinnlicfyen.  9lm  fonfreteften  Ijinftdljtlicb  bet  lüet* 
ftnnlidfjung  eines  ibeeQen  3nl)alt8  ftellt  ftdj  allerdings  bet  poetifcfje 
ÄuSbrucf  bat,  weil  et  ba8  SJtittel  be8  SBotteö  al8  2)atftellung8» 
form  »om  ©ebanfen  befi^t. 

liefet  im  SBeten  bet  Äünfte  felbft  begtünbeten  2)iffetengen 
falber  nimmt  nuu  bie  ironifdje  gotm  auch  eine  gang  »et* 
fdjiebene  Stellung  in  bet  funftlerifdfyen  IDatfteHung  ein,  b.  fy.  fxe 
wirb,  ba  fte  wefentlid?  fonfteter  Statur  ift,  am  wenigften 
ftuben  iu  benjenigen  ^fünften,  welche,  wie  bie  Slrdfiteftut  unb 
fütufif,  einen  meljt  abftraften  ©Ijarafter  geigen,  metjr  fdjon  auf 
bet  gweiten,  foufreteren  Stufe,  weldje  burdj  bie  i'laftif  unb 
bie  SJtimif  begeidjnet  wirb,  am  meiften  aber  auf  ber  Ijödjften 
unb  fonfreteften,  b.  Ij.  im  ©ebiet  ber  ÜJialeret  unb  ^oefte. 

SBenn  Ijiet  »on  irenifdjen  Äunftformen  bie  SRebe  ift,  fo 
bütfen  baruntet  felbft»erftänblicfy  nid?t  foldje  ©eftaltungen  »er* 

ftanben  werben,  welche,  wie  bet  3efuitenftpl  unb  ßopfftpl,  al8 

(8*0) 


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85 


8u8witdbfe  einer  im  3erfebung8proceff  begriffenen  äftbetifcben 
(fntwicflungöpbafe , ftdb  felber  al8  objeftioüronijcbe  formen 
gum  ibeeüen  3nbalt  ber  .Runft  »erhalten;  eine  Slrt  unbewußter 
äftbetifcber  ©elbftironie,  roeldje  fidb,  ba  fie  auf  etfyiifyfultur» 
gejdjicbtlidber  SBafiS  beruht,  b.  b-  alle  Serbältniffe  beö  nerbotbenen 
ÄultutlebenS  berührt,  fogat  in  ben  ^fünften  3 weiten  unb  brüten 
JRangeö  erfennen  läßt,  3.  33.  wenn  ber  ©artenfunft  ber  3opf» 
ftplperiobe  e8  befonberS  gefdbmacfüoö  erfcbien,  bie  Slnmutb  bet 
freien  Statur  3U  Bedungen,  inbem  man  bie  ©ebufcbe,  ©träumet 
unb  Säume  in  arcbiteftonifd)  fteife  formen  (^pramiben,  £>be* 
liefen  u.  f.  f.)  3Wängte  ober  gar  in  Stfyiergeftaltungen  (Slepbanten, 
Pfauen  u.  bgl.)  Berfdbnitt.  — ©onbern  b'er  fann  lebiglidj  Bon 
benjenigen  äffbetijdb'berecbtigten  formen  ber  3ronie  bie  ffiebe 
fein,  in  benen  biefeS  üftittel  in  bewußter  SBeife  gum  Sluöbrudf 
fubftangieller  3been  angewanbt  wirb,  b.  b-  Bon  ben  fubjeftin* 
ironifcben  formen  in  ben  oerfcßiebenen  fünften. 

SSBaS  gunäcbft  bie  Slrdjiteftur,  alö  bie  erfte,  ibeenärmfte 
nnb  batjer  abftraftefte  in  ber  Steife  ber  fogenannten  bilbenben, 
b.  b-  auf  bie  räumliche  (fimultane)  Slnfcßauung  fidb  begiebenben 
fünfte,  betrifft,  fo  finben  wir  ©puren  foldjer  fubjeftioen  Sronie 
guerft  in  berjenigen  Saufunft,  welche  als  bie  arc^iteftonifc^e  Ser* 
förperung  beö  mittelalterlichen  3beal8  gu  betrachten  ift,  in  bet 
gotbifcben  nämlich;  ©puren,  welche  offenbar  auf  baffelbe  33e* 
bürfniß  einer  he*tere»  33erf&bnung  mit  bem  als  fünbbaft  per* 
boneöcirten  2)iej|eit8  gurücfgufübren  pnb  wie  bie  gleichzeitigen 
„Sorten*  unb  gaftnachtefpiele " unb  bie  „Straneftten  bet 
?la)fion§gefdbidbte":  e§  finb  jene  abfidbtlichen  ,£>äßli<bfeit8* 

btlbungen,  jene  ^Dachtraufen*  unb  SBaff erfpeier,  £auf« 
fteiuträger  unb  ©äulenfnaufe  in  §orm  non  großen  nnb 
SDtadjenleibern,  welche  gum  Stßeil  al8  ornamentale  Serfleibungen 
ber  gemeinen  3wedfe  be8  33au8  fungiren,  gum  Stheil  aber  auch 

(«*«> 


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86 


als  ard)itettonif<h*befotatit)e  ©liebetungen,  aber  mit  entbieten 
bumoriftiid)*fatirifcbeT  SRebenbebeutung,  bienen.  Sie  ftnb  wefent* 
lieh  plaftifd)er  SRatur,  aber  gerabe  b^tn  fpricht  fid)  bie  ab* 
flrafte  Segiebung  gum  tonftruttioen  ©ebanten  beä  SauwetfS 
beutlid)  auS,  wabrenb  in  ber  §>laftif  als  felbftänbiger  £unfi, 
foldje  fatirifdjen  Segnungen  ftd)  nicht  bloS  äuffetlid)  anbaften, 
fonbetn  Die  ©efammtform  felber  beftimmen,  b.  b-  nicht  bloff 
ornamentale,  fonbetn  lonftruftioe  Sebeutuug  ba^en-  Ohnehin 
bat  bet  fünftlerifche  Statt  ber  alten  Saumeifter  überall  bafür 
geforgt,  biefen  farrifatnrartigen  Silbungen  ftetS  einen  unter* 
georbneten,  ja  oerftedften  fpiaff  anguweifen,  inbem  fie  biejelben 
entroeber  äuffetlid)  an  architeftoni|(h  bebeutungSlofen  SteDen,  wie 
bie  SBaffetfpeier,  anbrachten,  ober,  wenn  im  Snnern,  nur  ba,  wo 
fie  mit  bem  erhabenen  3®edf  beS  Sauwerts  nicht  in  offenen 
Sßiberfprud)  treten  tonnten,  fonbetn  nur  gleichfam  oerftoblen 
mit  fdbaltbafter  3tonie  gegen  bie  ^eiligleit  beS  ber  42nbad)t  ge* 
wibmeten  SRaumeS  berootlugen  mochten. 

Obgleich  wir  bie  objeftioeu  Sormen  bet  3ronie  auS  bert 
oben  angeführten  ©rünben  au8fd)lieffen  mufften,  fo  tonnen  wir 
bod)  nicht  urnffin,  eine  jolcbe  gotm  im  Sereich  ber  ^rchiteftur 
gu  erwähnen,  weil  fie  ficb  nicht,  wie  bie  oorbin  angeführten 
©eftaltungen,  nur  auf  bie  ornamentale  Seite  bezieht,  fonbetn 
fi<h  auch  wefentlich  gegen  baS  fonftruftioe  ©lement  berfelben  gu 
richten  fcheint.  3n  ber  Stljat  hanbelt  eS  fid)  aber  babei  gar 
nicht  um  eine  befonbere  architettonifche  ©eftaltung,  fonbetn  bie 
3tonie,  weide  ftd)  barin  auSfpricbt,  wenbet  fich  oielmebr  gegen 
bie  Sergänglidjfeit  biefet  Äunft  überhaupt,  fowie  beS  non  iffr 
eingefchloffenen  ÜebenStreifeS:  wir  meinen  bie  9R  ui  ne.  SDie 
SRuine,  als  3ronie  auf  bie  Schönheit  unb  ©roffartigteit  beS 
monumentalen  SauwertS  — beun  biefe  ©temcnte  bilben  bie  Sor* 
bebingungen  beS  äftbetifch*itonifchen  ©inbructS  einet  0tuiue  — 

(8Sii) 


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87 


erwectt  in  bem  ©efchauet  nothwenbig  bie  ©mpftnbung  bet  2Behs 
muth,  namentlich  trenn  bie  9?efte  noch  eine,  wenn  aud?  lüden* 
hafte  ©otftellung  »on  bet  ehemaligen  Fracht  unb  £etrlid)teit 
bcö  ©aug  gewahren;  biefe  SBehmuth  ha*  aber  ih1*  Quelle  lebig» 
lieh  in  bem  @efühl,  bafc  bag  35ktf,  unb  trenn  eg  3ahrhunberte 
übeibaueite,  bo<h  fehliefclich  bet  9iatutma<ht  anheimgefallen  ift, 
einer  ÜRacht,  beten  unetfchöpflidje  Sebenöftaft,  wie  fie  fich  nicht 
nut  in  bet  3erftörung,  bie  bet  „3ahn  ber  3«t"  an  bem  SBeref 
augübte,  fonbetn  auch  in  bet  Uebetwucherung  mit  ftifchet  ©ege» 
tation  offenbart,  mit  tragifchrironifcher  ©Htfung  gegen  bie  @nb« 
lichfeit  alle8  menfchlichen  ©chaffeng  an  bag  ©emüth  anflingt. 
Slbet  getabe  in  biefet  Uebetmacht  bet  Statut  über  bie  Äunft  liegt 
guglcich  bet  afthettfdje  (Sinbrncf,  ben  bie  {Ruine  macht,  wenn 
auch  biefet  ©inbrucf  nicht  mehr,  fei  eg  ein  architeftonifch*  fei  eg 
ein  ptaftif«h>äfthetif<het,  fonbetn  ein  malerifchet  ift.  35euu  bie 
©egeidjnung  beg  „fpittoregfen",  welche  für  bie  fdjöne  SBitfung 
einet  {Ruine  gebraucht  wirb,  befagt  eben  nidjtg  Slnbereg,  alg  ba§ 
bag  ©auwetf  nunmehr  gur  fRatur,  b.  h-  gut  malerifchen  Staffage 
bet  8anbfchaft  gehört. 

3n  bet  $>laftif,  alg  biefet  im  eminenten  ©inne  ibealen 
$unft,  tonnen  foldje  tamfaturartigen  ©Übungen,  worin  ftdj  bie 
Sronie  gegen  bie  ©ornirtheit  unb  ÜUjorheit  beg  wirtlichen  8ebeng 
augjpricht,  nut  eine  feljt  untergeorbnete  Stellung  einnehmen. 

3wat  bringt  fie  h^r,  wie  bemertt,  in  bie  fonfttuftioe  ®e* 
fammtgeftaltung  felbet  ein,  wäljrenb  fie  in  bet  '?lrd)iteftut  nut 
alg  beforatioeg  (Element  auftritt,  aber  bet  bet  3tonie  überhaupt 
anhafteube  ©hataftet  ber  {Refleftivtheit,  b.  h-  bie  ©erftanbigteit 
bet  ironifchen  ©egiehungen  wibetfpri<ht  jener  naioen  Unmittel* 
barteit  unb  etnften  3bealität,  welche  bag  eigentliche  SBefen  bet 
^Maftif  augmadjt.  « güt  bie  jubjeftin*äfthctifche  3ronie  bietet  ba* 
her  bie  $)laftif  wenig  ©pielraum,  wie  beun  in  ben  ©lüthe* 

(823) 


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88 


epodjen  biejet  jfunft  in  bet  Ühat  feine  ©put  fic^  baoon  finbet 
unb  bie  £enbeng  gut  plaftifdjen  Äarrifatur  crft  bann  auftrüt, 
menn  in  ben  3eiten  beS  Serfallß  bie  SReflejrion  unb  int  Setfolge 
bamit  bie  raffinirte  grioolität  ©runb  unb  ©oben  geminnt. 
©elbftoerftänblich  muffen  mir  babei  oon  allen  jenen  objeftio« 
ironifcpen  ©Übungen,  roelche,  mie  bie  antifen  ©atirn,  ©ilene  u. 
f.  f.,  unmittelbar  auß  bem  etlichen  ©orftellungßfreife  beß  fultur* 
gerichtlichen  8ebenß  felbft  betootgiugen,  abfeljen,  ebenfo  non 
foldjen  plaftifchen  SBetfen,  meld)e  als  ©er  finn  Hebungen  oon  ©eenen 
tragijeben  ober  fomiidien  Snhaltß,  bem  ©ebiet  ber  SDidjtung  ent« 
nommen  mürben,  mie  „bie  Sliobibengruppe",  ber  „gaofoon",  ber 
„non  9lmor  gebänbigte  ©entaur“,  bie  gabireichen  bacdjifchen 
fReliefß  u.  91.  m. 

SBeffen  äftbeHicbe  ©mpfinbung  übrigens  meber  gänglid)  un» 
gebilbet  notb  nerbilöet  ift,  ber  mirb  fich  ohnehin  ben  farrifatur» 
arttgen  ober  aud)  nur  in’ß  fomifthe  ©enre  emfchlagenben  SBetfen 
ber  Plaftif  gegenüber  beß  ©efüblß  nicht  ermehren  fönnen,  ba| 
fte  an  ftd)  bem  ibealen  ©harafter  ber  $)laftif  niept  homogen  ftnb; 
mögen  eß  bodj  felbft  bie  mobernen  ©ilbpauer,  melcpe  fiep  in 
folcpen  SDarfteHungeu  gefallen,  meil  ber  menig  äftpeHfch  gebilbete 
©eift  unferß  ^ublifumfl  barau  ein  brutaleß  ©efallen  finbet,  nur 
in  oereingelten  fällen,  berartige  ©eftalten  in  einem  größeren 
SRaafjftabe  außgufüpten,  b.  p.  in  einem  folcpen,  melebet  allein  ber 
hohen  unb  eblen  ©attung  ber  §Maftif  gufommt;  oielmehr  be* 
gnügen  fte  fiep  — auß  richtigem  3nftinft  für  bie  ibeelle  .Klein* 
heit  biefer  ©ppäre  gegenüber  ber  Roheit  beß  plaftifdjen  Sbealß 
— bamit,  fie  in  miniaturartiger  ©röfce  bargufteHen,  montit  fie 
»on  felbft  auf  baß  Stioeau  ber  „Slippfadjen“  unb  bamit  gu  blo§ 
formell  beforatioer  ©ebeutung  herabfinfen.  — Stoch  ftärfer  unb 
gerabegu  abftopenb  mirfen  gemiffe  ©Übungen,  bie  mir  nur  beß* 

halb  ijiet  bei  bet  ^laftif  ermähnen,  meil  fiep  fonft  fein  ^piafc 

(8«) 


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89 


für  fte  ftnbet:  nämlich  bie  §>robucte  ber  SBadjSfigurenfabinette 
unb  bie  Automaten.  3nbem  bie  erfteren  ber  reinen  plaftifdjen 
gorm,  bie  l)iet  übrigens  gar  nicht  auf  ©eftaltung  einer  3bee, 
fonbern  lebiglidj  auf  mßglichft  ireue  9laiurfopirung  SSnfpruch 
macht,  nidbt  nur  burch  fRaturfärbuitg  bie  SBirfungSfraft  ma« 
tcrietler  gebenbigfeit  ^injufügen,  fonbern  biefe  nod)  burch  reale 
33efleibung,  natürliche  £aare  u.  f.  f.  in  gang  unfünftlerifcher 
Seife  gu  »erftärfen  Suchen,  »ährenb  bie  gweiten  fogar  burd) 
wirtliche,  bet  fftatur  nachgeahmte  ^Bewegung  eine  auf  trugerifdjen 
Schein  berechnete  3Hufion  organischen  8ebenS  hernotrufen  »ollen, 
fo  entfteht  eine  SBirfung,  bie  mehr  ben  (Sharafter  beö  ©efpenfti* 
gen  als  ben  be8  fünftlerifch  Schönen  h«t  unb,  ftatt  äfthetifch 
»ohlthuenb  gu  fein,  »ielmeht  äfthetifchen  9lbfd?eu  gur  gotge  hat. 
Daburd)  aber  ftellen  fich  biefer  3rt  §)robuctionen  felber  als  flagrante 
Satiren  auf  bie  echte  Äunftmirfung  bar,  unb  oerbienen,  fofern 
■fte  oft  unter  SSufwanb  nieler  9Rühe  unb  Äoften  her3ef*cElt  gu 
»erben  pflegen,  allenfalls  bie  SBegeicpnuug  non  Jfunftftücfen, 
aber  fidjetlich  nicht  bie  »on  Äunftroerfen. 

'3m  umfangreithften  ift  baS  @ebiet,  welches  bie  3ronie  auf 
bet  lebten  Stufe  ber  bilbenben  fünfte,  in  ber  UJialeret,  ein* 
nimmt;  nicht  nur  weil  biefe  überhaupt  über  bie  größte  fBfannig* 
faltigfeit  an  3been  gebietet,  fonbern  weil  fie  bur<h  ihre  DarftellungS' 
mittel,  namentlich  baS  Kolorit,  bie  realfte  SBirfuugSfraft  befiftf. 
5Die  ÜJialerei  befdjränft  fiep  baher  nicht,  wie  bie  fPlaftif,  auf  bie 
gleidhfam  geitlofe  unb  baher  immerhin  noch  abftrafte  Sphäre  ber 
3bealität,  fonbern  wenbct  fich  an  bie  Realität  beS  Gebens  felbft, 
an  baS  geitliche  Dafein  ber  Dinge,  um  bie  barin  enthaltenen  3been 
in  einer  biefer  Britlichfeit  entfprccpenben  gorm  gur  DarfteQung 
gu  bringen.  Der  ÜHenfch  in  feiner  gefchicptlichen  (Spfteng  — 
leiteten  3u8brucf  [omohl  im  allgemeineu  wie  im  inbioibuellen 
Sinne  genommen  — ba8  tyrn  in  feiner  gitfälligen  Bewegung 

C8SS) 


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90 


unb  cparalteriftifcpen  Stpätigfeit,  bie  fRatur  in  iprer  angenblicf« 
liefen  ©timmung:  baS  ftnb  bic  ibeellen  Dbjefte  bet  üRaleret. 
hierin  liegt  aber  guglei<p  bie  größere  8etcptigfeit  einet  itonifdjea 
©etradptungSweife  com  malerifdpen  ©efidjtSpunfte  auS.  Denn 
eS  ift  eben  bie  3ufalUafeit  unb  ©ergänglicpfeit  ber  geitlicpen 
©jifteng,  weldpe,  weil  fte  an  ftep  etwas  fRegatioeS  enthält,  gut 
Stonifitung  ber  barin  fi(p  offenbareren  3been  antreibt. 

@8  ift  bereits  ein  ©eifpiel  felget  3tonifitung.  „ 3>ie  trau* 
emben  8opgetber“  non  2lb.  ©tpröbter,  angeführt,  welcpe  fidj 
alö  maleriftpe  fParobirung  gegen  bie  iprer  3eit  podjgepriefene 
altbüffelborfer  {Romantif  riipteten.  ©ielfatp  werben  autp  tronifdje 
SRotioe,  welche  bereits  burep  bie  §>oefie  »erwertpet  ftnb,  auf  baS 
©ebiet  ber  SJialerei  übertragen,  boep  paben  folcpe  mept  nur  einen 
iUuftratioen  SBertp,  weil  ipnen  bie  Originalität  ber  malerifcpen 
Äonceptiou  mangelt,  wie  bie  „©eenen  auS  Don  Quidpote"  oon 
©epröbter  unb  auS  ber  „3obftabe"  »on  .£>af enfleoer.  3» 
biefen  DarfteGungen  pat  bie  3ronie  ben  ©parafter  beS  fomifcp« 
©atirifipen.  3u®eilen  »erbinbet  fi(p  bamit  ein  GRoment  beS 
‘Megorifcpeu,  wie  in  ber  Spierfabel,  wooon  als  ein  aDferbingS 
auep  nur  iHuftratioeS  ©eifpiel  bie  meifterpaften  unb  eept  ironi« 
fepen  Äompofitionen  Äaulbaöp’S  gurn  ©oetpe’ftpen  „JReinefe 
ftucpS"  angefüprt  werben  mögen.  Stllegorifcp  erfipeinen  foltpe 
tronifepen  SERetamorppofen,  weit  fiep  unter  ber  SpiermaSfe  eine 
fatirifepe  ©cpiloerung  bes  entfprecpenbeu  menf(plicpen  £anbeln8 
unb  DenfenS  »erfteeft. 

2lbet  biefe  2lrt  ber  ironifttenben  Allegorien  ift  feineSwegS  auf 
baS  Spietreiip  bef(präuft.  ©ranboille  pat,  neben  feinen  male« 
rifepeu  ©atiren:  „SReicp  ber  SRarionetten"  unb  „(Sine  anbere 
Sßelt  »on  ?>liniu8  bem  Süngften",  in  feinen  „©elebteu  ©turnen" 
gegeigt,  weldjen  fReicptpum  an  geiftoollen  ©egiepungen  bie  poeti* 

fepe  Äarrifirung  ber  fPflangenwett  gu  liefern  oermag.  Ueberpaupt 

(826) 


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91 


bietet  für  bie  5Ralerei  ober  3eSnung,  allgemein  gefprochen : für 
bie  glädjenbarftellung,  bie  Äarrifatur  ein  oiel  Ijomogeneteö 
unb  barum  banfbarereö  ®ebiet  bar  als  für  bie  plaftifche  2)ar* 
ftellung,  unb  groar  nicht  nur  in  bem  früher  angebeuteten  ©inne 
einet  ^otengirung  be8  (J^aratteriftifd)en  in’8  £dfjlicbe,  fonbern 
auch  in  bem  böseren  einer  gebanfennollen  Uebertragung  oen 
formen  einet  ^ebenSf^^äre  auf  eine  anbere,  gum  3»«f  poetifdjer 
©atire.  IDiefet  inbireften  unb  barum  gerabe  anmutigen  3ro* 
nifitung  gegenüber  nimmt  nun  bie  birefte  malerifcbe  ©atire  eine 
gewiffermaffen  entsaftete  ©teüung  ein:  b^1  ift  befonberS 
bet  pointenreicbe  ©aoatni,  welcher  freilich  in  ben  meiften  fällen 
bei  feinen  Äarrifatureu  mehr  Söertb  auf  bie  ironifc^e  Sßijjpointe 
alt!  auf  ben  bamit  oetbunbeuen  fubftangietbbumoriftifihen  ©ebalt 
legt,  ©cbon  bie  SBabl  feiner  SRetioe  weift  barauf  bi«:  e®  ftnb 
©eenen  au§  bem  nieberen  33olf8leben  unb  au§  bev  ©rijetten» 
wirtbfebaft,  bie  SLotlbeiten  ber  SKaöfenbäHe,  baö  ^Raffinement  ber 
bemoralifirten  mobernen  ©efellfcbaft,  namentlich  ber  jeunesse 
dor4e  beS  forrumpirten  ftangöfifeben  ©alonlebenö  u.  f.  f.,  jeneö 
©emifdj  oon  eleganter  güberlichfeit,  ajfeftirter  331afirtbeit  unb 
frioeler  Sieben 8 roürbigfeit,  bie  öaoarni  mit  fc^arfer  (Sbarafteri'tif 
jwar,  aber  nicht  ohne  geheimes  ffioblgefallen  an  bem  pricfelnöen 
{Reig  folcher  biffoluten  drifteng,  perfifflitt.  — ferner  finb  auch 
bie  JDarfteDungen  ber  gasreichen  iduftrirten  Sßi^blätter  bierbet 
gu  rechnen,  beten  Bronie  fid)  meift  mit  einer  politifcb'focialen 
Ülenben3  oerbinbet.  — 

Söenn  bie  lefctere  §orm  ber  illuftvatioen  Äarrifatur,  eben 
ihrer  gegen  bie  äftbetif^e  SBirfung  inbifferenten  Senbeng  ba^er» 
bereits  jenfeitS  bet  ©renge  ber  malerifchen  Sronie  ftebt,  fo  macht 
fie  wenigfteuS  feinen  befonbern  Slnfptucb  auf  Äunftwertb-  klimmt 
biefe  Slenbeng  aber  mit  folcher  9>rdtenfion,  wie  bei  ben  £ogartb’* 
Sen  Äompofitionen  („©ie  ^»eiratb  nach  ber  5Robe",  „9lu8  bem 

(827; 


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92 


geben  einer  Sublerin"  u-  f.  f.),  toHenbS  eine  fpecififcb  morali* 
firenbe  Söenbung,  wobei  bie  gefammte  Kempofttion  ftch  lebiglidj 
als  etn  Konglomerat  ton  lauter  tenbenjiöfen  Schiebungen  bat» 
fteUt,  fo  hört  mit  ber  objeftiten  Unbefangenheit  bet  5öirfung 
auch  ba8  äftbetifche  Sntereffe  als  folcheS  auf  unb  ber  malerifdje 
3nbalt  finft  auf  ba8  {Riteau  eine8  poefielofen  moraliflrenben  ' 
{Rebu8  betab,  bei  welchem  (aufjer  etwa  in  technischer  Sejiebung) 
pon  fünftlerifchem  SBertb  überhaupt  nicht  mehr  bie  {Rebe  ift. 
Solche  Kompofittonen  (ober  genauer:  Kombinationen)  gewinnen 
baber  burch  SlranSpofition  in  bie  profaifche  Söorterftärung  erft 
ihre  wahre  Sebeutung,  wie  benn  bie  gichtenbetg’fcben  Kom» 
mentare  $u  £ogartb  in  ber  £bat  nicht  nur  intereffanter,  fonbern 
aud}  geiftooOer  erfcheinen  als  bie  Driginalfompofitionen  felber, 
weil  b*er  ba8  SRittel,  worin  bet  reflerionSmä&ige  Snbalt  jum 
®u8brudt  gelangt,  nämlich  ba8  SBort,  an  fid)  eine  bem  reflefti* 
renben  (Denfen  bo*«o8enere  ^otm  SBenn  baber  bie  @ng* 
länbet  fo  Diel  SBefenS  ton  -£>ogattb  als  „großem  Äünftler"  machen, 
fo  beweifen  fte  — wenn  biefe  Sejeicbnuug  fich  auf  mehr  als  auf 
bie  tecbnifcbe  ÜReiftcrfchaft  beheben  foü  — bamit  nur,  ba§  ihnen 
für  ba8  wahre  SBefen  ber  malerifchen  (unb  überhaupt  äfthetifchen) 
SBirfung  eines  KunftwerfS  ba8  Serftänbnifc  abgeht. 

©ine  binfithtlid?  be8  fombinatorifcben  (ftatt  fompofitioueCen) 
6h^after8  terwanbte  {Richtung  b^  2B.  »•  Kaulbacb  in  feinen 
fpmbolifch=h*fi0Tif<h«n  SDarftefl ungen  eingefchlagen , beuen  eben* 
falls  biefeS  refUrionemäfcige  SBefen  anhaftet.  SDiefelben  nehmen 
— wie  in  ben  ftreSfen  an  ber  Slu&enfeite  ber  SRünchener  ^)ina* 
fothef  — huweilen  eine  auSbrücflid}  fatirifche  Söenbung,  wogegen, 
abgefehen  ton  anberen  ©rünbeu  (3.  S.  ber  monumentalen  Se* 
ftimmung  beS  ©ebäubeS,  welche  folcher  fleinlichen  Sroniftrung 
ber  mobernen  Kunftgefchicbte  wiberfpricht),  berfelbe  ©inwanb  wie 

gegen  bie  ^»ogarth’fthen  Kompofttionen  erhoben  werben  fann. 

(828) 


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93 


Slber  aud?  wo  — wie  in  beu  großen  Sanbgemälben  beb  ürep« 
penhaufeö  im  Neuen  Nlufeum  gu  Serlin  — fotche  fatirifdje 
Steitbeng  nicht  oothanben  ift,  fonbern  bet  monumentale  @ha‘ 
rafter  in  bem  ©rnft  beb  bargefteflten  Snhaltß  gewahrt  fdjeint, 
bleibt  ber  Siberfprudh  gwifchen  bem  Jombiuatorifchen,  b.  h-  butcb» 
aub  ber  Neflejrion  entftammenben  ©epräge  ber  Äompofitionen  unb 
ber  malerifdjen  SBirtung , welche  ergielt  werben  fotl,  befte^en. 
Sie  anberb  — b.  h-  äfthetifdj  beftiebigenb  — erscheinen  bagegen 
bie  nur  grau  in  ©tan  (b.  h-  fatblob)  be^anbelten  arabebfenartig 
»erfd)lungenen  Äompofitionen  beb  ftch  übet  ben  ,£>auptbilbetn 
hingiehenben  griebbanbeb,  worin  bie  Seltgefdjichte  in  hMmoriftifdj* 
fatirifcher  Seife  iQuftrirt  wirb!  SEeft^etif dj  befriebigenb  nur 
barum,  weil  in  i^neu  ber  leiste  ^umoriftif^e  Inhalt  unb  bab 
SKittel  bet  IDarfteElung  — gleichfam  ein  iduftratioeb  Slawen* 
relief  — einanbet  ooUfommen  berfen.  3n  Naturfarben  gemalt 
würben  fie  ned?  unerträglicher  fein  alb  bie  ^auptbilber. 

©eben  wir  nunmehr  gu  ben  fünften  bet  gweiten  ,|paupt* 
gruppe  über. 

Diefelbe  Steigerung  in  bem  Umfang  unb  ber  Stiefe  bet 
itonift^en  iäubbrucfbfäljigfeit  wie  in  bem  Fortgang  non  bet  2lrd}i« 
teftur  gut  $>laftif  unb  oon  biefer  gur  Nialerei  ftnben  wir  nun 
auch  in  ben  brei  Äünften  biefer  gweiten,  auf  bie  fuccefftoe  Sn* 
fdjauung  begogenen  ©ruppe:  ber  SJiufif,  ber  SDiimif  unb  ber 
%>  o e f i e.  Saö  gunädjft  bie  SOtufif , alb  biefe  in  rhptbmifchen 
Sohlflaug  oerwanbeite  Bewegung  ber  empfinbenben  Seele, 
betrifft,  fo  geigt  fidj  il)re  Skrwanbtfdjaft  mit  ber  ihr  parallelen 
Äuuft  ber  anbeven  ©ruppe,  bet  arduteftur  nämlich,  fd)on  batin, 
bafj  fie  iljrer  abftraften  Natur  falber  unfähig  ift,  bie  Stonie  alö 
fonftruftioe  auSbrucfßform  gut  ©eltung  gu  bringen,  fonbetn  fid? 
bamit  begnügen  mufj,  biefelbe  alö  äußerlichen  Sibetfpruch  gegen 
ben  ©mpfinbungöinhalt  in  bloß  beforatioer  Seife  gu  oerwerthen. 


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94 


Sie  in  ber  SÄrdjitefiur  bie  poffenbaften  ftrafeen  alg  ironijche 
SDeforation  beg  ernftbaften,  begw.  heiligen  3®ecf8  beg  ©ebäubeg 
fungiren,  fo  fönten  in  brr  SERuftf  poffenbafte  Sorte,  ireldje  mit 
einet  ernften  SRelobie  uerbunben  »erben,  ober  umgefebrt:  Sorte 
ernftbaften,  begw.  traurigen  3nbalt8  in  SBerbinbung  mit  5JMo« 
bien  heiterer  9tatur,  fold^en  ironifd)en  Siberfprucb  ^eroorbringen. 
3u  beiben  9lrtcn  ber  3ronifirung  liefern  bie  gasreichen  93änfel* 
fangetlieber  braftifc^e  33elage.  5Denn  bie  Äomif  beg  ©änfel» 
fängerliebeg  beftefjt  eben  in  bem  Äontraft  ber  parobirenben  Änit* 
teloerfe  mit  bet  Ptelobie,  inbem  fRaubfcenen  unb  „Ptoritbaten* 
in  luftigem,  @djnurren  unb  tjeitere  Siebet  in  traurigem  fRbSfl* 
mug  Borgetragen  »erben.  3uweilen  haben  foldje  Parobien  einen 
ec^t  fünftlerifdjen  ©barafter,  »ie  beifpielßweife  bie  prächtige,  Bon 
melobifd)em  patbog  übergueDenbe  Äempofition  gu  bem  fcijon  in 
ber  poetifdjen  gorrn  ircnifdj  gemeinten  Siebe  „3(18  fftoab  au8 
bem  Äaften  trat".  (Sud)  bie  Parobie  auf  bie  romantifdje  33al* 
labcn-35i^tung  gehören  ^ier^cr ; in  ihnen  liegt  bie  Sronie  nicht 
nur  in  ber  monotonen  Sieberfeolung  bet  Sorte,  fonbern  auch 
in  ihrer  93erbinbung  mit  bem  fontraftirenben  mufifalifdjen 
mu§,  g.  33.  in  ber  aug  bem  biofeen  fRefrain  „©bewarb  unb  Äuni* 
gunbe,  Äunigunbe  unb  ©bewarb"  beftebeuben  SaUabenparobie. 
«u<b  Biele  Stubentenlieber  fallen  in  biefe  Äategorie. 

^Dergleichen  mufifalifche  33urlegfen  ftellen  ftdfe  inbcfe,  ifereg 
butdjaug  batmlofen  unb  anfprutbßlofen  ©barafterg  »egen,  Bon 
Born  herein  aufeerbalb  einer  ernftbaften  fritifc^en  Sütbigung. 
SlnbernfaCfg  würben  fie  entfchieben  gu  Berwerfen  fein,  weil  bet 
bann  liegenbe  Siberfprucft  gwifdjen  3n^alt  unb  gorm,  worauf 
allein  bie  fomifdje  Sirfung  beruht,  bag  eigentliche  Sefen  bet 
ÜRuftf,  a(8  tJlugbrucf  feelifthet  ©mpfinbung,  Böllig  Bernidfetet.  ©8 
ift  ba^er  fdjon  alg  ein  Piifebraucb,  ber  nabe  an  grioolität  ftreift, 
gu  betrachten,  wenn  gewiffe  Salgerfomponiften  ihren  beteten 

(SJO) 


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95 


Üangmelobien  giemlidj  lange  Sntrobuctionen  Berau8gufd)i<fen  pfle- 
gen, beren  abfid)t!id)  fdjwermütpge  Älängc  unb  getragenes  Slempo 
burdjaub  ben  (finbruef  maepn,  als  ob  c8  fid^  um  eine  Spm» 
Päonie  ernften  Stpl8  pnbele,  um,  wenn  bie  (üfmpfinbung  bet 
Huptet  nadj  biefet  (Seile  pn  geftimmt  ift,  plöfclid)  in  ben  ftöp 
lidjen  SÖaljettaft  umgufdjlagen.  gi  tool  nennen  mit  foldje  ÜJlanier, 
weil  barin  lebiglid)  bie  Intention  liegt,  burd)  ben  raffinitten 
Äentraft  mit  bem  noraufgepnben  ftimmungSBotlen  (Srnft  bet 
gleidsfam  ibealen  (5inleitung8melobie  bie  rein  materielle  Üuft  am 
Slang  fünftlidj  nod)  gu  fteigern.  — SBööig  gut  frioolen  fParobie 
ftnft  aber  bie  fßlufif  prab  in  jener,  guerft  non  Offenbar 
angebapten  JRidjtung  bet  Operettenfabrifation,  wooon  nament» 
lidj  bet  „DrppuS"  — obfdpn  nod)  bei  weitem  ba8  ortginalfte 
unb  fubftangiedfte  SBetf  Offenbad)’8  — , „SDte  fd^öne  |>elena* 
unb  niele  anbere  5Rad)werfe  bie  33etage  liefern.  Um  inbejj  nid)t 
ungeredjt  gu  fein,  wollen  wir  gern  gugeftepn,  ba§  bet  „Orppud" 
— abgefeljen  non  bet  fipn  im  SSorttept  entpltenen  Satire  auf 
bie  antife  ©öttermelt,  weldje  übrigens  oiel  feinet  unb  bann  äftp» 
tifd)  wirfungöBoHer  ptte  bepnbelt  wetbeu  muffen  — guweilen 
aud)  in  ed)t  fünftlerifdjer  unb  burd)  feinen  33eigefd)ma(f  rnüfter 
griBolität  Berunreinigter  §orm  bie  mufifalifdje  Sronie  in  3ln» 
wenbung  bringt;  g.  33.  in  bem  in  feiner  2lrt  wirflidj  flafftfcpn 
„£ittenliebe"  unb  aud)  in  ber  an  bie  33änfelfängermanier  ctin» 
nernben  „3Irie  be8  ^ringen  non  Ärfabien". 

SBena  wir  biefet  frisolen  SRptung  bet  mobernen  Operetten» 
mufif  gegenüber  nod)  an  etngelne  ironifdje  Slnflänge  in  ben 
3Setfen  bet  großen  fDleifter  etinnern,  fo  gefd)iep  bieö  nur,  um 
auf  ben  'Sbgtunb  pnguweifen,  ber  gwifcpn  ecktet  Äunft  unb 
gemeiner  Slftetfunft  liegt.  Solche  Slnflänge,  bie  aber  felbfloer» 
ftünblid)  ipe  Bolle  öftptifdje  33ered)tigung  burd)  bie  objeftin» 
fünftlerifcp  Intention  be8  3nplt8  erplten,  finben  wir  g.  33.  in 

(831) 


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9 « 


bern  meifterhaften  SanitfcharewfBlarfch  in  ben  „IRuinen  mm 
SSthen"  büh  3?eetho»en,  i«  bcm  „Stpthentang“  ia  ©lutf’S 
,3pb<0enie",  ja  jum  $heil  auch  in  bet  bämonifch'buvleSfea 
Sdjlufjpaffage  ber  \flrie  SamielS  im  „greifchüfj",  fowie  in  bem 
teigenben  SReeitatio  ber  ©rgählung  ^enndiens  u.  f.  f. 

Slber  alle  bieje  auf  ironifdje  33erwerthung  beS  muftfalifchen 
SluSbrucfS  tenbircnben  formen  begtünben  fid^  bod)  mebt  ober 
weniger  immer  auf  baS  33erhältnifj  ber  iBRelobie  jum  2Bort* 
inbalt,  unb  eS  mu§  wieberholt  werben,  bafj  an  ft<h  bie  reine 
SBRuftf  ebenfowenig  wie  bie  reine  $r<hiteftur  ber  3roniftrung  fähig 
ift,  man  müfjte  benn  gewiffe  mufifaltfdje  äletgerrungen,  ähnlich 
wie  bie  erwähnten  architeftonifchen  53erjerrungen  im  Bopfftpl 
u.  f.  f.,  bahin  regnen,  welche  aber  in  beiben  ©ebieten  nichts  als 
mufifalifdje  (bejw.  architeftonifcbe)  Äarrifaturen  im  ebjeftinen 
Siune  beS  SöertS,  b.  h-  unbeabftchtigte  (Satiren  auf  baS  wahre 
SBefen  ber  SDRufif  (be$w.  ber  Strdjiteftur)  finb.  2)et  ©runb  beS 
SJiangelS  an  gähigfeit,  in  fubjefttoer  SBeife  ju  ironifiren,  liegt 
— fowohl  für  bie  SRufit  wie  für  bie  ‘Ärdjiteftur  — eben  barin, 
ba§  bie  Sronie  eines  beftimmten  DbjeftS  bebarf,  auf  welches  fle 
ju  refleftiren  nermag,  um  fich  bagegen,  feines  norauSgefefjten 
negatinen  3nhaltS  halber,  fritifch  ju  »erhalten.  2) et  ÜJiufif  wirb 
aber  erft  burdj  baS  untergelegte  2Bort  ein  beftimmteS  (fonfreteS) 
Dbjeft  gegeben  (ebenfo  wie  ber  'Urcbiteftur  butch  ben  objeftioen 
3wed  beS  ©ebäubeS);  an  ftdj  bleibt  fte  »öllig  innerhalb  ber 
Sphäre  ber  Unbeftimmtheit,  nämlich  innerhalb  ber  Sphäre  ber 
gan$  allgemeinen  (abftraften)  ©mpfinbung,  unb  bamit  gebricht 
ber  reinen  SOiufi!  baS  nothroenbige  Subftrat  für  bie  gorm  beS 
tranifchen  SuSbrucfS. 

Söenn  wir  bähet  oben  con  „ironifchen  '-Änf  längen“  ia  ben 
SBerfen  ber  großen  ÜReifter  fprachen,  fo  fcheint  gwar  bei  einigen 
berfelben,  bie  bet  reiuen  (wortlofen)  ÜJiufif  angeboren,  ebenfalls 

(»32) 


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97 


foldj  fonfreteS  Subftrat  gu  fehlen;  man  barf  habet  aber  nidjt 
»etgeffeu,  baft  ftatt  beffea  bie  gange  £anbluug  ben  erforbet* 
licken  fonfreien  .pintergrunb  biibet  unb  bafj  mithin  bie  ja  auch 
ben  3nbalt  beö  SBortS  bilbenbe  ÜBorfte  lluug,  »eldje  baS  eigent* 
liebe  Subftrat  für  bie  3touie  abgiebt,  ebenfalls  »orljanben  ift, 
wenn  fie  aud)  nie^t  in  ber  $orm  beä  SöorteS  auSgebrücft  ift. 
sJJlit  33orfteflnngen  bat  aber  bie  SDlufif  ebenfo  wenig  wie  mit 
.fjanblungen  bireft  gu  tbun4);  fie  finb  iljr  alfo  etwas  grembeS, 
unb  batin  liegt  bie  sJÖiöglicbfeit  eines  SBibetfpru<bS  bamit,  folg» 
lieb  au<b  bie  einer  ironiieben  (Stellung  bagegen. 

SDie  ÜJUmif  ftebt  nun,  ihrer  fonfreteren  9tatur  halber,  in 
tiefer  iöegiebung  gegen  bie  ’Ulufif  ebenfo  im  Gottheit,  wie  bie 
9>taftif  gegen  bie  Ölrd;iteftur,  nub  felbft  gegenüber  ihrer  parallelen 
Stbroefterfunft,  ber  ^Maftif,  enthält  fie  ein  SJloment,  baS  ihr  einen 
gröberen  fReitbthuin  an  irenifeben  UluSbrucfSfetmen  gewährt,  ttäm» 
lieb  baS  SDioment  bet  Bewegung,  woburdj  fie  fitb  eben  fpeci« 
fiftb  non  ihr  unterfduibet.  3)enn  in  bet  Bewegung,  b.  h-  in 
bem  fuccefftuen  2ÜJe<bfet  oerfebiebenet  mimifeber  »ÄuSbrucfSfotmen, 
liegt  bie  'Biöglicbfeit  beS  UebergangS  einer  Sotm  in  eine  anbete, 
ihr  wiberfpredjente,  fie  auflöfenbe,  unb  bamit  bie  ftäbigfeit  beS 
3tonifirer.S.  — 3)et  SJiufif  gegenüber  erfdjeint  bie  Söiimif  aber 
baburdj  fonfreter,  bafj  fie  im  Stanbe  ift,  ben  befonberen  3nhalt 
ber  (jmpfinbung  fowohl  bem  SDiotio  als  ber  actionellen  @nt* 
wicflung  uadj  butcb  bie  ©eberbe  unb  bie  ©eftifulation  gu  oerfinn* 
lieben.  Sie  erhalt  baburd)  einen  wefentlicb  bramatifdjen  Sb“’ 
rafter,  inbem  fie  — aud)  ohne  -pülfe  beS  SBortS  — boeb  in  ent» 
jdjiebener  SBeife  beftimmte  SJorfteHungen  unb  .panblungen  aus* 
gubrüefen  »ermag.  Sdjon  bet  ebarafter^oHe  SEang,  wie  et  als 
plaftifd)  wecbfelnber  SluSbtucf  bet  inneren  (Seelenbewegung,  mit 
weither  beftimmte  aScrfteOungen  oerfnüpft  finb,  in  ben  oerftbieben» 
artigen  Slationaltängen,  befonberS  bei  Den  oon  bet  nioeüirenben 

XIV.  333.  333.  7 (831) 


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98 


Kultur  noch  nicpt  überfitnifjften  23ölfern  erfdjeint , gebietet  über 
gasreiche  itonifche  SORotioe,  gröfctentpeilS  iu  fomifcher  gotm.  3)afc 
bie  alte  Pantomime,  bie  iljrer  Statut  nach  »efentlid)  auf  3tnpto* 
otfation  innerhalb  eines  burd)  bie  Jrabiticu  geheiligten  StahmenS 
beruht,  bie  ©atire  in  allen  Stüancen  anwenbet,  barf  als  befannt 
eorauSgefefjt  »erben.  SDie  heutige  33aflett(Sn$eTei  ift  freilich  nur 
eine  traurige  ©elbftironifirung  beS  im  Stange  liegenben  beben» 
tungö=  unb  amnuthSootlen  SthbthmuS  unb  »erhält  fich  gut  SDtimif 
alö  echter  Äunft  ungefähr  fo  wie  bie  JDffcnbach’fche  (Sancanmuftf 
(womit  fte  ftch  bähet  auch  gern  oerbinbet)  gu  23eethooen’f<her 
ober  SDtogart’fdjer  ©pmpboniemuftf.  — 2lu<h  gewiff«  ^tobuc» 
tionen  bet  2lfrobatif  unb  ©omnaftif  gehören  gum  Stheil  in  baS 
©ebiet  ber  mimifchen  3tonie,  g.  23.  bie  (Soolutionen  bet  ©ro* 
teSfreiter  im  SitfuS,  bie  unter  bem  ©chein,  als  »eilten  fie  Steit» 
untenicht  nehmen,  fich  al'ftchtlicp  in  poffenhaftet  SBeife  ungefchieft 
unb  ängftlich  ftellen,  bis  fie  fchltefclich  bie  gemagteften  Äunft* 
ftücfe  probuciren,  unb  ähnliche  ©rfepeinungen. 

2Sa8  enblich  bie  ^ oef ic,  bie  lefcte  in  ber  Steihe  bet  auf 
bie  fucceffioe  Snfchauung  fich  begiehenben  Äünfte  unb  bie  hoffte 
§orm  fünftlerifcter  JDarfteUung  überhaupt,  betrifft,  fo  fann  hi« 
nur  oon  ihrem  93erhältnif)  gu  ihrer  ber  erften  $auptgruppe  an» 
gehörigen  parallelen  ®ch»efterfunft,  ber  SDtalerei,  bie  9tebe  fein, 
ba  fte  bereits  früher,  bei  23efprecpung  ber  literarifchen  3ronie,  in 
Setracht  gegogen  »urbe.  2)er  SDtalerei  gegenüber  befinbet  fie 
fich  nun  ebenfalls,  ähnlich  wie  bie  SDtimif  ber  ^laftif  gegenüber, 
bebeutenb  im  33ortheil  unb  g»at  hauptfädhlich  butch  bie  fuccefftoe 
Statur  ihrer  SDarftellung,  »eiche  ihr  nicht  nur  überhaupt  einen 
unenblich  größeren  9tei<hthum  an  fonfreten  33orftellungen  gewährt, 
fonbern  auch  ben  SBecpfel  biefer  23orfteDungen  felbft,  worin  bie 
SOtöglicpfeit  eines  SBißerfpruchS  unb  bamit  bie  ber  3ronifirung 
gegeben  ift.  2lber  auch  non  biefem  burch  bie  fuccefftoe  Statur 

(834) 


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99 


bet  poettfchen  Darftetlung  gewährten  33ortbeü  abgefeljen,  befinbet 
ftch  bie  oefie  fchon  burd)  ihren  fonfreteren  ©^arafter  fo»ohl  bet 
5Jtaletei  »ie  auch  bet  fBlimif,  ja  allen  Äünften  gegenüber  in  einet 
»iel  günftigeren  Stellung.  Denn  eS  giebt  für  ben  äuSbtutf  oon 
Sbeen,  für  bie  fünftlerifd^e  ©eftaltung  eines  ibeellen  SnljaltS 
fein  fonfretereS  DarfteQungSmittel  alb  bie  Sprache.  SlUetbingb 
ift  in  unfetm  gaHe  »obl  gu  unterfdjeiben  gmifchen  berjenigen 
gorm  bet  3tonie,  »eld}e  bet  §)oefie  nidbt  als  folget,  fonbetn 
bem  fprachlichen  ©ebanfen*  unb  (SmpfiHbungSauSbtucf  überbauet, 
alfo  auch  bet  ^rofa,  gugänglid)  ift.  Selben  »ir  non  biefet  lederen 
allgemeinen  33ebeutung  bet  fptachlichen  Sronie  ab,  um  fpecieU 
uut  bie  poetijche  3ronie  in’S  Sluge  gu  faffen,  fo  »erben  »it 
biefelbe  auf  ben  ©egenfafc  bet  fomifdjen  unb  tragifchen 
3t  o nie  gu  befdjränfen  haben,  »obei  eS  gang  gleichgültig  ift,  ob 
bie  gorm  betfelben,  äußerlich  betrachtet,  eine  projaifche  ober  poetifdje 
ift,  b.  h-  ob  fte  in  freiet  ober  gebunbenet  IRebe  gum  SuSbrncI 
fommt.  £at  hoch  fchon  bet  alte  SHriftoteleS  batauf  aufraetffam 
gemacht,  bafj  eS  ebenfowohl  oerfiftcirte  §)roja  als  $)oefle  ohne 
metrifche  gorm  gebe. 

2Sit  haben  jenen  ©egenfajj  fchon  früher  in  beiläufiger 
SSeife  ermähnt  unb  müffen  hier,  gum  Schluß,  noch  einmal  batauf 
gurücffommen,  »eil  barin  für  bie  hödjfle  ©attung  bet  fPoefie, 
für  baS  Drama  nämlich,  ein  »efentlicheS  Sßeftiminungsmoment 
liegt,  äöirb  nämlich  bie  Stonie  gang  allgemein  als  bet  un* 
enbliche  SBibetfptuch  g»if(hen  3bee  unb  SBitfdchfeit  gefaxt,  fo 
fommt  eS  füt  ben  obigen  ©egenfajj  nut  batauf  an,  auf  »elcheS 
bet  beiben  gegenfählichen  Momente,  3bee  ober  SBirfichfeit,  in 
£inficbt  bet  äfthetifchen  38irfli<hfeit  ber  Accent  gelegt  »itb.  3»n 
Äomijdjen  ift  eS  bie  ©nblidjfeit  beS  bie  bornirte  SBitflidhfeit 
»ertretenben  SubjeftS,  welche  im  Sßibetftanbe  gegen  bie  Uneab* 
Hchfeit  ber  3bee  als  felbftfüchtige  Sefcbränftheit  blöfcgelegt  unb 

7*  (835) 


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100 


beim  Unterließen  ber  (enteren  burd)  Radien  oernichtet  teirb.  @8 
macht  babei  feinen  Unterfchieb,  ob  biefe  6nbli<hfeit  ft<h  nur  in 
ber  unfchulbigeren  gorm  anfpruchßDoUeT  Dummheit  ober  in  ber 
etljifch  gugefchärften  gorm  intriguanter  SBoö^cit  unb  fcheinheiligeu 
grioolitat  äufcert;  nur  für  bie  fomifcbe  SBitfung  mad)t  bieß  in» 
fofern  einen  Unterfd^ieb,  alß  im  leiteten  galle  baß  ben  «Sieg  ber 
3bee  über  bie  fchledjte  Söirflichfeit  feietnbe  Aachen  eine  ftttlich 
größere  ©enugthuung  gemährt,  bie  nid^t  ohne  ben  Seigefchmacf 
einet  berechtigten  ©djabenfreube  ift.  3m  Dragifcben  ift  eß  nun 
gmar  ebenfaQß  bie  (Snblichfeit  beß  ©ubjeftß,  »orin  ber  ©runb 
für  ben  Untergang  beß  gelben  liegt;  aber  biefer  felbft  tritt  bi« 
nicht,  »ie  in  ber  jfomobie,  alß  Vertreter  ber  fdjlechten  SBirflich» 
feit  im  Äampfe  gegen  bie  fittlidbe  QJiacht  ber  3bee,  fonbern  um* 
gefebrt  feiner  3ntention  nach  alß  Sertreter  ber  3bee  im  Äampfe 
gegen  bie  befchränfte  Söirftidjfeit  unb  beten  jubftangieUen  SDRädbte 
auf.  hierin  fbbeint  nun  gunäcbft  eine  baß  ©efühl  tief  oerlefcenbe 
Ungerechtigfeit  beß  ©djicffalß  gu  liegen,  eine  beifjenbe  Sronie 
auf  j'ebeß  ibeale  ©treben.  3Qein  ,eß  finb  babei  ber 

ffiirflicbfeit  gm  ei  ©eiten  gu  unterfdjeiben.  Daß  gefd)id)tlicbe 
Dafein,  b.  b-  bie  2Sirflid)feit  ber  thatfächlidjen  SBerljältnrffe,  ha* 
gmar  einerfeitß  bie  33efchränftbeit  an  fidj,  bafj  eß  ft<h  erbalten 
unb,  im  2Biber|prud)  mit  bem  ©efefc  ber  ©ntmicflung,  bie  ge* 
»orbene  gorm  beß  fiebenß  fauftant  bemalen  miü;  gegen  biefen 
©tabilißmuß  tritt  nun  ber  helb,  alß  Qtepräjentant  beß  iöeeOen 
gortfcbrittß,  in  berechtigtem  Äampf.  Slnbrerjeitß  aber  finb  mit 
mit  jenem  Dafein  bie  gotmen  ber  ©itte  unb  fubftangieQen  3«* 
ftanblicbfrit  alß  ^ofttio  berechtigte  ©lemente  oerbunben,  ja  felbft 
in  ber  Silltäglichleit  beß  hergebrachten  liegt  für  bie  ©mpfinbung 
etmaß  ß^rtoürbige8;  gegen  biefeß  Qjlement  [teilt  fich  nun  ber 
helb  nothmenbigermeife  ebenfaQß  in  JOppofition  unb  nerfäUt 
bamit  bereitß  einer,  menn  auch  noch  geringen  ©chulb.  3®eitenß 

(836) 


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101 


aber  ift  aud)  an  bem  gelben  felbft  neben  feinet  ibealen  ©eite 
eine  feljr  reale  ^erncrju^eben,  nämlich  bie  in  jebem  fubjeftioen 
|)atboS  ber  Beibenfdjaft  liegenbe  SBefcbränftbeit,  bie  fid}  als  3tr» 
tljum  in  ber  Seurtbeilung  ber  realen  Sßerljältntffe,  als  Uebet* 
eilung  im  $anbeln,  als  33ergreifen  in  ben  Mitteln,  audj  als 
perfönlicbe  (Jfjarafterfeljler  wie  (Sbrgeig,  Siubmfucbt  u.  f.  f.  offen« 
baren.  IDiefe  beiben  ©eiten,  b.  b-  bie  in  gewiffet  Begebung 
berechtigte  $)ofttion  ber  SBirflidjfeit  unb  bie  (äiufettigfeit  beS 
gelben  felbft,  bilben  nun  gufammen  bie  Älippe,  an  welcher  baS 
ibeale  ©treben  beö  gelben,  weil  eS  mit  fich  felbft  in  SBiber« 
fprud)  gerätb,  {^eitert,  unb  ba  es  ganj  in  biefem  Kampfe  auf« 
ge^t,  feine  Gcjriftenj  überhaupt  jerfchellt.  Aber  wenn  er  als 
eingelne  (Spfteng  an  biefem  SBiberfprudj  gu  ©runbe  gebt,  fo  wirb 
bocb  bie  3bee,  gu  beren  Vertreter  er  fidj  aufwatf,  burdj  feinen 
.Kampf  felbft  über  ibn  bi«au8  fdjliefjlich  gum  ©iege  geleitet. 
SDafj  er  felber  non  ben  drückten  beffelben  nichts  meljr  geniefjt: 
barin  liegt  bie  Ironie  feines  tragifdjen  ©efcbitfS;  baf*  er  in  bet 
llebergeugung  non  bet  fltotbwenbigfeit  beS  enblicben  ©iegeS  bet 
3bee,  ben  er  nicht  mehr  erfthaut,  untergebt:  barin  liegt  anbrer« 
feitS  bie  SBerföbnung,  b.  b-  bie  äftbetifcbe  SBirfung,  welche  feiner 
echten  Sragobie  fehlen  barf. 

35ie  Grrfenntnifj  biefer  inneren  »erföbnungSDotlen  Slotb» 
wenbigfeit,  bie  fi<h  ebenfo  auch  in  bet  groben  Slragifomßbie  beS 
weltgeschichtlichen  ^roceffeö  offenbart,  führt  ben  benfenben  @eift 
allein  gu  jener  häuften  unb  fittlich  wie  äftbetifch  berechtigtften 
Sorm  bet  3ronie,  welche  wir  früher  als  bie  bBm°tiftif<be 
SB eltanfdjauung  begegnet  haben,  in  welcher  allein  bie  SBiber« 
fprüdje  beS  Bebens  gu  einer  halb  beiden,  hn[b  webmütbtgen 
Ausgleichung  gelangen. 


(837) 


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Anmerkungen. 


')  3u  Seite  6.  2Mefer  SluSbrucf  enthält,  feinem  urfprünglichen 
SBortftnn  nach,  felbet  eine  3ronie  gegen  feine  eigentliche  Sebeutung,  wenn 
man  fleh  babei  an  bie  lautete  2üal)rt)aftigfeit  beS  ©faraftere  3<fu,  ßon 
beffen  9iamen  bie  3efuiten  ben  irrigen  ableiten,  erinnert. 

a)  3«  ©•  51.  3n  meiner  Ülbljantlung  „liebet  materialiftij^e  unb 
ibealiftifcbe  3Beltanfd)auung"  im  113  $eft  ber  „Seutfcben  3eit»  unb 
(Streitfragen"  habe  ich  biefe  Stellung  beS  ttjeDretifctjen  ÜJtaterialiamuS 
näher  ju  cntwicteln  uerf  liegt. 

3)  3«  0.  83.  9tur  auS  bem  Umftanb,  bag  man  bi6l;er  bie  ÜKimif  — 
l’ermuthlicl)  ihrer  in  Vergleich  mit  bet  DJiufif  unb  ber  ^oefte  fet;r  unter» 
georbneten  SluSbilbung  halber  — nicht  in  ba6  Snftem  ber  fünfte  im 
engeren  Sinne  aufgenommen  Ijat  (obfcgon  bereite  ber  alte  SlriftoteleB  ben 
,S£an$*  ale  bewegte  piaflif  unb  bamit  ale  echte  Äunft  begegnete),  fo  bag  nur 
bie  anbern  fünf  Äünfte  ale  echte  fünfte  gelten  füllten,  erflärt  ee  ftd),  ba§ 
man  ba6  non  mir  aufgeftetlte  allein  naturgemäße  ©ntheilungSgcfeg  »er* 
fannt  hat.  Selbft  unfer  bebeutenbfter  9lefthetifer,  93i  feger,  quält  fleh, 
im  Slnfcglufj  an  feinen  9Jieifter  >$>egel,  mit  einer  SDreitgeilung  ab,  inbem 
er  bie  brei  bilbenben  Äünfie  (Slrcbiteftur,  fMaftif,  QJialerei)  auf  bae  Sluge, 
ale  Organ  ber  .bilbenben  sP^anta|lc‘’,  bie  SCRuftf  auf  bae  Dl;r,  als 
Organ  ber  .empfinbenben  pl>antafie *,  unb  bie  poefie  .auf  bie  ganje, 
ibeetlgefegte  Sinnlicbfeit',  als  Organ  ber  , bid^tenben  fPhantafie*  bezogen 
wiffen  will,  gür  bie  SSiberlegung  biefer  fefjon  burth  il;re  ©efebraubtbeit 
fich  niept  empfehlenben  <Sintl>cilung  ift  hier  nicht  ber  Ort:  nur  beiläufig 
mag  auf  baS  Unlogifche  in  ber  Äcorbination  ber  brei  Momente:  ,3luge*, 
.Ohr*  unb  .gefammte  ibecll  gefegte  Sinnlichfeit*  aufmerffam  gemacht 
werben.  SDenn  entweber  finb  in  bem  britten  fERoment:  .gefammte  ibeetl 
gefegte  Sinnlichfeit*  5luge  unb  Ohr,  als  bie  beiben  höchften,  mefentlicg 
geiftigen  StlnfchauungS»  unb  SSorftellungSorgane,  bereite  mit  einbegriffen 

(838) 


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103 


uiib  bann  fcnnen  fit  nkfyt  mehr  bie  Kriterien  für  befonbere  Äunftforraen 
abgeben,  fonbern  c«  fönnte  überhaupt  nur  ein«  Äunft,  bte  poefte,  ejriftiwn 

— ober  jene«  britte  Ploment  hübet  neben  Singe  unb  £)Ijr  ein  befonbere« 
£>rgan  ber  ©innlicbfeit,  bann  hätten  ledere  beiben  überhaupt  feine 
ibeelle  Söebeutung:  eine  SHternatioe,  bie  nach  beiben  ©eiten  einen  SBiber« 
fprucp  enthält.  (Sbenfo  »erhält  e«  ftcb  mit  bem  Unterschiebe  ber  „hüben- 
ben*,  „empftnbenben*  unb  „bichtenben  Phantafie.*  Sluch  fyier  ift  non 
einer  loglfcbrn  Äcorbination  feine  Siebe. 

3Ba«  aber  ben  Mangel  an  3lu«bilbung  ber  Ptimif  al«  Äunft  betrifft 

— ein  Ptangel,  ber,  ti'ie  gefagt,  allein  ber  ©runb  ift,  bafj  man  fte  nicht 
ätoijdjen  SOin’lf  unb  Poefie  al«  gleichberechtigte  Äunftgattung  einjureifyen 
wagte  — fo  erflärt  ftch  berfelbe  einfach  au«  bem  Umftanbe,  bag  man 
Sowohl  für  bie  Plufif  wie  für  bie  Poefie  ein  Ptittel  erfunben  hat,  bie 
in  ber  3eit  Borüberfliegenben  Probuctionen  berfelben  — bur<h  bie  Steten- 
unb  bie  IBuchftabenfchrift  — ju  fijriren;  wa«  für  bie  Plimif  bi«her 
trog  aller,  fchon  früher  angefteflter  Skr  juche  niept  gelungen  ift.  „-Dem 
Ultimen  picht  bie  Stammelt  feine  Äränje",  biefer  ©ag  gilt  baber  nicht  blo§ 
für  bie  ©cpaufpielfunft,  bie  fiep  neben  ber  muftfalifpjen  (recitatorifchen) 
auch  bet  mimifchen  JDarfteflungämittel  bebient,  fonbern  auch  für  bie  ntinti» 
fche  Darfteflung  im  engeren  ©inne  al«  bewegte  plaftif  (5.  SB.  im  ®ha* 
raftertanj).  Slllein  man  überlege  hoch  einmal,  auf  welchem  ©tanbpunft 
unfre  Poefie  unb  SÖJufif  ftepen  würben,  wenn  fte  jener  §ij:irung«mittel 
ebenfaH«  entbehrten;  b.  h-  wenn  wir  Bon  ben  äöerfen  eine«  ©oppette«, 
homer,  ©pafefpeare,  ©oetpe  u.  f.  f.,  eine«  ^topbn,  Seetbooen,  Picjart 
u.  f.  f.  nicht«  weiter  wägten  al«  etwa  bie  Siamen  ihrer  5?erfaffer!  SMren 
nicht  Plufif  unb  Poefie,  bei  gleichem  Plangel  an  tfijrirung  ihrer  pro- 
buctionen,  in  ber  gleichen  tfage  wie  bie  Ptimif,  nämlich  ftch  auf  bie  3m- 
proBifation,  bezüglich  auf  bie  Xrabition  befchränfen  ju  muffen?  SDiit 
anbern  Störten:  würben  wir,  wie  Bon  ber  echten  Ptimif  nur  noch  bie 
Slationaltänje  unb  Pantomimen  übrig  geblieben  ftnb,  Bon  ber  Plufif  unb 
ber  poefie  mehr  hefigen  al«  3$oIf«melobien  unb  SJolffilieber?  Unb  enb- 
lieh:  wenn  e«  auch  richtig  ift,  bah  bie  legieren  beiben  Äünfte  burch  jenen 
SSorthetl  ber  §ijrirung«möglichfeit  in  ihrer  (Sntwicflung  fich  weit  über 
bte  Ptimif  erheben  fonnten,  barf  bie«  für  bie  äfthetifche  äBiffenfcpaft  ein 
©runb  fein,  um  ba«  echt  fünftlerijche  SBefeu  ber  Pltrnif  ju  oerfennen 
unb  fte  barum  überhaupt  au«  ber  Steige  ber  fünfte  §u  ftreichen?  3J?an 
fege  anbrerfeit«  3.  33.  ben  Sali,  bag  Bon  ber  gefammten  antifen  Plajtif 

— biefer  parallelen  ©ehwefterfunft  ber  Plintif  — feine  ©pur  übrig 

(839) 


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104 


geblieben  wäre  (wa«  leicht  l;ätte  gegeben  fönnen),  unb  frage  ftch  bann, 
reelle  JRidjtung  oljne  Jene  SBotbilber  bie  moberne  piaftif  genommen  haben 
fönnte? 

*)  3u  ©.97.  hierin  liegt  auch  berörunb  baoon,  ba§  bie  reineSRuftf — 
worauf  |4»on  öfter  oon  anbrer  ©eite  h«  aufmertfam  gemalt  worben 
ift  — nichts  Unfittliche«  barguftetlen  »ermag;  benn  auch  ‘n  bera  23e*  ' 

griff  ber  Unftttlichfeit  liegt  ein  2Biberfpru<h  gegen  eine  beftimmte  3Sor« 
ftellung,  fle  beruht  alfo  felber  auf  einer  93orftellung.  Vermöchte  bie 
SÖJuftf  ohne  pfeife  ber  üJtimif  ober  ber  Sprache  tBorftettungen  auäju» 
brüefen  (ftatt,  wie  e«  thatfächlich  ber  galt  ift,  nur  (Srapfinbungen),  bann 
wäre  fie  auch  unfittlicher  unb  ironifdjer  SluSbrucfäformen  fähig. 


(MO) 

3)tu<f  een  Bffcr.  Unjtt  (V).  Qtrimm)  in  Btrlin,  e^ömrtttättfttaSt  17«. 


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?i(  X>a(0<>bcfftcme. 


93on 


Dr.  filctfdb 

in  ©örltfc. 


fl  erlin  SW.  1879. 

93 e r I a g von  ßarl  £>abel. 

(£.  iS.  tnbniti’iitir  Bfttaoibnitijjiinblmig.) 

31.  ffiilbttm-StiaS«  33. 


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®o8  SRecfjt  ber  Uebetießung  in  frembe  Sprachen  bleibt  oorbetjalten. 


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*lu8  ber  Steife  ber  ©belfteinc  Ijat  man  eine  ©ruppe  ab* 
gefonbert  unb  mit  bem  tarnen  bet  £albebelfteine  belegt,  nicht 
allein,  wie  bieö  aQerbingS  häufig  behauptet  wirb,  weil  fie  bie 
©igenfdjaften,  welche  ben  eigentlichen  ©belfteinen  ihren  2Bertlj 
geben,  £ürte,  ©lanj,  lebhafte  gatbe  ober  EDurc^fid^tigfeit,  in 
geringerem  @rabe  befifcen  — , fonbern  in  Dielen  Ratten  allein 
beS^alb,  weil  fie  fo  häufig  in  ber  Sftatnr  oorfommen,  baff  fie, 
»erglidjen  mit  bem  fwfyen  greife  bet  feltenen  ©belfteine,  faft 
wertlos  ftnb. 

@o  Ijaben  3.  58.  bie  gasreichen  #albebelfteine  ber  Duarg* 
familie  ben  7 ten  Jpärtegrab  unb  übertreffen  hierin  ben  foftbaren 
StürfiS  unb  ©belopal,  bie  nur  ben  6 ten  £5rtegrab  befitjen;  fo 
wetteifern  ber  Ärpftatlquarg  (Sergfrpftall)  an  3Durcbfi<htigfeit, 
ber  Slmethpftquarg , ber  5£opa8quatg  (335!)mtf«^er  SopaS),  ber 
£paginthquarg  u.  St.  an  ©urchfichtigfeit  unb  lebhafter  garbe 
mit  ihren  foftbaren  9iamen8Dettern  au8  ber  Dieilje  ber  ©bei* 
fteine  Iten  unb  2ten  langes,  unb  einer  ber  angeführten,  ber 
Slmethnftquarg,  liefert  burd>  feine  ©efdjichte  ben  ftriften  SBeweiS, 
bafs  nicht  immer  bie  ©igenfdjaften,  fonbern  oft  nur  bie  häufig* 
feit  beö  S3orfommen8  ben  Unterfc^ieb  gwifcfjen  ©belftein  unb 

XIV.  SM.  , . (M3) 


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4 


•Dalbebelftein  bebingen.  (Denn  bet  Slmethtyft  galt  im  Sllterthura 
unb  SJHttelalter  für  einen  feßr  foftbaren  ©belftein  fo  lange,  biß 
et  in  neueret  Beit,  befonberß  in  33  raftlten , in  foldjen  ÜKaffen 
gefunben  würbe,  baß  ftd»  fern  SBertß  naturgemäß  fo  ßerab« 
minberte,  baß  et  unter  bie  3aßl  bet  ^jalbebelfteine  »erießt  würbe, 
unb  eß  ift  gang  unzweifelhaft,  baß  baffelbe  mit  anbern  ©bei» 
fteinen  lten  unb  2ten  Sangeß  gefcßeßen  würbe,  fobalb  fie  ir* 
genbwo  maffenßaft  gefunben  würben. 

2lu(ß  barin  fteßen  bie  ^»albebelfteine  nicht  hinter  ben  eigent» 
lieben  ©belfteinen  jurücf,  baß  ihre  nähere  (Betrachtung  beö 
Sntereffanten  mancherlei  bietet,  ©efeßiehte  unb  Sage  befdbäftigen 
ftdj  mit  manchem  »on  ihnen,  unb  zu  ben  heute  noch  faum  er» 
reichten  fünftlerifdjen  (Darfteflungen,  bie  baß  flaffifdje  Sllterthum 
in  ©emmen  unb  Äameen  unß  überliefert  hat,  haben  oorzugß» 
weife  bie  .£albebetfteine  baß  Material  geliefert. 

SDie  weitauß  größte  3aßl  ber  £albebelfteine  nun  finb 
Sarietäten  eineß  unb  beff eiben  Stineralß,  beß  Duatzeß,  ber, 
ein  wahrer  Sroteuß  beß  fölineralreid^ß , in  ben  oerfeßiebenften 
färben  unb  (Durch  ft  eßtigfeitßgraben  unb  unter  ben  oerfeßiebenften 
Flamen  auftritt;  ba  nun  biefe  Samen  Dielfach  oon  auberen  ©bei» 
fteinen  betfelben  garbe  entlehnt  würben,  unb  beßßalb  Ser* 
wecßfelungen  feßmer  z«  Dermeiben  finb,  fo  will  ich  Derfucßen, 
biejenigen  Sarietäten  beßDuarzeß,  bei  benen  biefe Serwecbfelungen 
am  leicßteften  oorfommen,  unter  folcßen  (Bezeichnungen  uor« 
Zufuhren,  baß  in  benfelben  fowohl  iljre  3ufammengehörigfeit  alß 
Duarze,  alß  auch  iß«  äußere  (Sehnlichfeit  mit  ihren  foftbaren 
SamenßDettern  guglet«^  angebeutet  ift. 

(Der  Same  Du arz  ftammt  auß  bem  SSittelalfer  unb  ift  ein 
ben  (Bergleuten  entlehnter  SÄußbrucf.  lieber  feine  ©ntfteßung  ift 
man  nicht  ganz  einig,  benn  wäßrenb  ©inige  anneßmen,  baß  er 
auß  ©ewarg,  Don  ber  oft  warzenförmigen  Dberfläcbe  biefefl 
SSineralß,  entftanben  fei,  halten  eß  Slnbere  für  wahrfcheinlich, 

(M4) 


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5 


baf(  Quärge  fociel  wie  3®erge  bebeute,  eine  Sautnerfchiebung, 
bie  wir  auch  fonft  bet  quer  unb  awerch  in  ben  Söorlen  Quetfacf, 

Bwercbiacf  u.  j.  w.  buben,  unb  ba§  bie  Bergleute  beß  fötittel» 
alterd,  bie  ja  gerne  überall  ©nomen  unb  3®erge  faben,  bie 
häufig  grofe  unb  fcbon  außgebilbeten  Är^ftaOe  Bwergc  ober 
Quärje  nannten. 

SDiefeß  Mineral  nun,  beräQuarj,  befte^t  auß  reiner  Ätefel« 
fäure  (Si)  unb  ift  eineß  ber  am  bäufigften  auf  ber  ©rbe  not» 
fommenben  ÜJtineralien;  et  bilbet  fowobl  für  fid)  mächtige 
Reifen  unb  ©änge,  alß  auch  in  Berbinbung  mit  anberen  föline» 
ralien  bie  größten  ©ebirge,  3.  B.  ben  ©ranit,  unb  ba  er  feiner 
bebeutenben  jgjärte  »egen  eine  grofje  JDauerbarfeit  b“t  unb  auch 
allen  djemijdjen  3etjcbungen  aufß  £artnäcfigfte  wiberftebt,  fo 
tritt  et  auch  in  ben  jüngeren  gormationen  ber  ©rbe  muffen» 
baft  auf,  in  mächtigen  ©(bitten  alß  Äieß  unb  ©anb,  Ueberreftett 
frübeter  ©ebirge,  bie  j»ar  burdj  jabrtaufenblange  Jbätigfeit 
bet  glutben  zerrieben,  aber  nitbt  aufgeloft  werben  tonnten. 

SDiefer  groben  ©iberftanbßfähigteit  ift  eß  auch  aujuftbteiben, 
bafc  ber  Quarz  fo  häufig  in  ber  gorm  fogenannter  Jeufelßfteine 
ober  Jeufelßmauern  nortommt.  SDie  ©ebirgßf  chidjt , in  ber  ein 
mächtiger  Quarzgang  biß  jur  Oberfläche  reichte,  fchwanb  allmählich 
im  Saufe  ungezählter  3abrtaufenbe  unter  bem  ©ingufj  ber 
Verwitterung.  5)er  Quarzgang  aber  wiberftanb  berfelben  unb 
ragte  enblidj  alß  ifolirter  mächtiger  gclß  über  bie  ©bene  bernor, 
unb  baß  Volf,  baß  ftcb  baß  ifolirte  Vorfommen  nicht  ertlären 
fonnte,  tief  ben  Jeufel  zu  .£>ülfe.  — 

©a  auch  ber  geuerfiein  eine  ber  zahlreichen  Varietäten  beß 
Quareß  ift,  fo  repräfentirt  bieß  SüHncral  fo  recht  eigentlich  bie 
ältefte  ©ioilifationßftufe  beß  SERenfcbengefchlecbtß,  benn  er  ift 
baß  $auptmaterial , auß  bem  bie  SRenfcben  zu  ber  Beit,  alß  fie 
noch  nicht  bie  Bearbeitung  ber  ÜRetalle  fannten,  ihre  äSaffen  oer» 
fertigten,  Söleffer  unb  ©ägen,  ©peet«  unb  $)feilfpifeen ; unb  alß 

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6 


bann  im  Verlaufe  bet  Sabrtaufenbe  bie  DatfteKung  be8  ©tableS 
gelang,  war  et  manches  Saljrbunbett  lang  ba8  #auptmittel,  ba8 
geuet  gu  ergeugen,  «nb  bi8  not  einem  9Renf<benalter  noch  ent» 
fdjieb  et  bie  ©cblacbteu,  inbem  et  als  glintenftein  ba8  wefent* 
liebe  ©tud  am  <Sd^>lof|e  bet  $anb*  geuer»28affen  mar. 

2)er  Duarg  ftpftatlifirt  im  hexagonalen  ©pftem,  unb  gwar 
geigen  ftch  bie  jbrpftatle  meift  als  fed^Sfeitige  ©äulen,  mit  fecbS* 
feitiget  ^pramibe  gugefpifct.  ©ein  fpegififd^eS  ©ewicht  ift 
2,6 — 2,7.  Äein  anbereS  SRinetal  bringt  e8  gu  fo  Joloffalen 
JftpftaQen,  benn  fie  fommen  nit^t  feiten  in  ©äulen  not,  bie 
ein  {Dieter  lang  unb  16 — 18  cm  bitf  ftnb ; ja  in  DRabagaSfat 
bat  man  fogat  {RiefenftpftaHe  non  einem  {Dieter  S5uchmeffet 
gefunben. 

SJon  ben  frpftallifirten  33arietäten  betrachten  mit  gunä<bft 
ben  reinften, 

1.  benÄrpftallquarg,  gewöhnlich  23ergfrpftaH  genannt.  @r 
ift,  tneil  et  au8  reiner  Äiefelfäure  ebne  alle  fätbenben  23 ei» 
mifehungen  beftebt,  ndlfommen  fatbloö  wafferbeö,  burefefic^tig, 
boeb  enthält  et  fowobl  wie  bie  anberen,  fpäter  gu  nennenben 
frpftaHifitten  Du  arge,  nicht  feiten  @inf<hlüffe  non  anbern  5Diine» 
talien  (©blorit,  2l8beft,  {Rutil,  ©ebwefelfieS,  ©olb,  ©trablftein), 
bie,  häufig  als  baarförmige  Ärpftalle  in  ber  buTd^fte^ttgen  Duatg» 
maffe  eingebettet,  bann  ben  ©teinen  ben  tarnen  $aarfteine 
geben.  33efonber8  fd)ön  feben  foldje  ^tpftaHquatge  au8,  wenn  fie 
grüne  ©trablfteine  enthalten,  inbem  fte  bann  gang  (Siöftüdfen 
gleichen,  in  benen  ©raöbalme  eingefroren  finb.  3n  ber  SLbat 
hielten  bie  ©riechen  unb  {Römer  ben  Ärpftatlquarg  für  wirflicbeS 
6i8,  weSbalb  fie  ihm  auch  ben  Flamen  xQvoTallog  (Krystallos), 
@i8,  gaben,  unb  glaubten,  weil  et  »orgugSweife  au8  ben  fdjnee* 
bebeeften  ©ebitgen  ber  ©djweig  gu  ihnen  gelangte,  baf?  bie  lang* 
bauernbe  unb  bodjgrabige  Äälte,  ber  bie8  6t8  bort  au8gefefct 
gewefen,  bewirfe,  bah  «8  bie  gäbigfeit  »erloren  habe,  wiebet 

( 84«) 


L 


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7 


aufjutljauen.  3)ennocb  trauten  fie  bem  ftrieben  niemals  gang; 
benn  obwohl  fte  foloffalc  ©ummen  für  ©efäfje  auS  Ärpftall* 
quarg  begablten,  fo  rietljen  fte  bo<h,  biefe  feiner  großen  äBärme 
auSgufefcen.  3ut  Äaiferjeit  mürbe  mit  $rinfgefä§en  auS  Ärpftafl« 
quarg  in  IRom  ein  großer  8uru0  getrieben;  eS  mitb  unS  uon 
folgen  berietet,  für  bie  Jaufenbe  »on  nach  unferm 

©elbe  bejaht  mürben,  unb  9tero  mufjte,  als  et  ben  33erluft 
feiner  £errfcbaft  erfuhr,  feine  empfinblicbere  SRac^e  an  bet 
unbanfbaten  Seit  gu  nehmen,  als  b afc  er  feine  toftbaren  ÄrnftalU 
gefäfje  jerfcfelug. 

68  ift  mobl  erflätlidj,  baf)  ein  fo  üetfcbmenbetifch  üppiges 
Seitalter  fo  gro|e  ©ummen  für  foldje  Ärpftaügefäfee  be jaulte, 
benn  bie  Jperftellung  berfelben  au0  biefem  fDiineral  ift  ja  auch 
beute  nedj  mit  großen  ©chmierigfeiten  unb  langmieriger  Arbeit 
»erbunben,  unb  eS  ift  nicht  gu  leugnen,  baf?  bie  abfolute  Warb* 
lofigfeit  unb  2)urchficbtigfeit  für  ein  2tinfgefäf?  eine  feljr  fchü|* 
bare  ©igenfcbaft  ift;  bie  ©laSfabrifaticn  aber  mar  bamalS  noch 
nicht  fo  meit,  um  ein  »ötlig  farblofeS  ÄrpftaHglaS  ^erguftellen. 

SDafj  man  auch  ©iegelfteine  unb  anbere  ©djmucffachen  auS 
Ärnftallquarj  herfteHte,  »erftebt  fid?  oon  felbft,  aber  auch  bie 
altrömifcbe  3Webigin  bebiente  fidj  feiner  als  inneres  &rgneimittel, 
unb  bie  6birurgie  benufcte  Äugeln  aus  ÄrnftaUquarg  als  ©renn* 
gläfer,  um  Sunben  bamit  auSgubrennen. 

SLrofcbem  ber  ÄrpftaUquarg  faft  in  allen  £anbern  norfommt, 
merben  grofje  unb  fdjöne  ÄrpftaDe  boch  immer  noch  b°d?  bcja^lt, 
ba  fie  nicht  febr  ^äufig  finb  unb  oft  nur  mit  großer  ÜJlübe 
unb  ©efabr  gemonnen  merben.  @ie  fleiben  gemßbnli<h  fohlen 
aus,  bie  ficb  im  3nnern  bet  Reifen  finben  unb  beren  ©ot« 
banbenfein  bie  ÄrpftaBfucher  in  bet  ©dbroeij  burd)  ben  bohl«* 
5£on  ermitteln,  ber  beim  Slnflopfen  auf  bie  gelSmanb  entftebt, 
menn  eine  folche  Höhlung  (Ärpftallfeller  genannt)  nid)t  gu  meit 
hinter  ber  angeflopften  ©teile  liegt.  SDiefe  2)rufen  müffen  bann 

(847) 


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8 


frft  burcp  mübfame  Sprengarbeiten  geöffnet  »erben,  unb  ba  fie 
oft  an  recpt  unwegfamen  ©teilen  »orfommen,  jo  ftnb  bie  Arbeiter 
häufig  gegwungen,  fiep  an  ©eilen  petabgulaffen  unb  }o  mit 
Lebensgefahr  ihre  fcpwierige  Arbeit  gn  »errichten. 

&uf  URabagaöfar  »erben  gtofje  Blöcfe  beS  reinften  ÄrpfiaH* 
quargeS  in  großer  3opl  gefunben,  jo  bah  »an  fie  bagu  benupt 
hat,  -Jlormalmetermahe  heraus  gu  arbeiten.  3u»eikn  fommt  eS 
»or,  bafe  ein  ©prang  im  ärpftallquarg  gerabe  fo  günftig  liegt, 
bah  baS  burchfaDenbe  Licht  bie  Snterferengfarben  geigt  unb  ba* 
burch  lebhafte  ^Regenbogenfarben  entftehen.  9Ran  nennt  folche 
©teine  fRegenb  ogenq  uarg  unb  »erarbeitet  fie  gu  pübfcpen 
Bijouterien. 

2.  3Die  g»eite  Barietät  beS  frpftallifirten  DuargeS  ift  ber 
IRaucpquarg,  gewöhnlich  JRaucptopaS  genannt,  »on  mehr  ober 
weniger  intenfioer  IRaucpfarbe,  bie  bis  gum  tiefen  ©chwarg  gehen 
fann,  fo  bah  bie  ©teine  ihre  IDurcpficbtigfeit  einbüjjen.  2)er 
fätbenbe  (Stoff  fcheint  eine  flüchtige  organifche  ©ubftang  gu 
fein,  unb  bie  gatbe  »eränbert  fich  bei  »orfieptigem  ©lüpen. 
5Äucp  biefe  Barietät  wirb  gu  allerlei  Bijouterien,  $)etfcpaften, 
©cpalen  unb  ©epmueffaepen  »erarbeitet. 

3.  SDet  SlopaSquarg,  gewöhnlich  böhwifcher  SEopaS,  auch 
Gitrin  genannt,  ift  burepfteptig,  weingelb,  oft  mit  fepönem  ©olb» 
fepimmer,  unb  wirb  »ielfacp  gu  ©epmueffaepen  »erarbeitet,  bie 
jenen  auS  bem  eblen  $opaö  fept  apnlicp  fepen.  Slm  päufigften 
wirb  er  auS  Brafilien  eingefüprt,  boep  fommen  auch  *n  ^bpmen  unb 
©cplefien  fchöne  JopaSquarge  »or.  Bon  bem  eigentlichen  3-opaS 
unterfepeibet  er  fiep  burep  geringere  ^>ärte  unb  geringeres  ©ewiept 
auep  hot  ber  eble  SEopaS  mepr  geuet  unb  fepöneren  ©lang. 

4.  SDet  «fjpagintpquarg,  auep  fpanijepet  SEopaS  ober 
Jppagintp  »on  Äompoftetla  genannt,  wirb  in  ©panien  gefunben 
unb  pat  bie  fepöne  OJlabeirafarbe  beS  eblen  ^pagintp.  @r  eignet 
fiep  »orgüglicp  gu  Siegelfteinen  unb  ©epmuefjaepen,  bie  oft 

(H») 


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9 


einen  gang  brillanten  (gffctt  machen.  6g  fdjeint,  ba§  bicfe 
SBarietät  beg  Ouargeg  neuetbingg  burd?  ©lühen  gewiffcr  Smethpft* 
quarge  ^ergefteUt  wirb,  wenigfteng  fommen  in  neuerer  3«it 
.fipaginthquarge  im  ^anbel  unter  bem  Sftamen  gebrannte  §tme* 
t^rjfte  »or. 

5.  SDet  iXmethbftquarg  ober  2lmethhft.  6t  ift  ein  Duarg 
»on  frönet,  »ioletter  garbe,  ber,  befonberg  wenn  bie  garbe 
recht  intenfio  ift,  immer  nod?  häufig  gu  beliebten  Schmucffachen 
»erarbeitet  wirb.  5Die  Sllten  fdjrieben  ihm  bie  .Kraft  gu,  ben» 
jenigen,  bet  ihn  trug,  »or  Ürunfenfyeit  gu  fdjü^en,  unb  nannten 
ihn  bähet  mit  bem  griedjifchen  Slawen  ämethhft  (gu  beutfch:  ntr^t 
trunfen).  ©r  würbe  big  auf  bie  neuere  3eit  gu  ben  wagten 
©belfteinen  geregnet,  unb  bie  Sitten  hielten  it)n  fogar  für  einen 
ber  aUerfoftbarften,  inbem  fie  it)n  bem  Saphä  gleich  fchäfcten. 
Seit  aber  ©tafilien  ihn  gu  Saufenben  »on  Sentnern  einfütjrt, 
ift  er  faft  werthlog  geworben  unb  wirb  nun  gu  ben  -£>alb* 
ebelfteinen  gegählt.  SJtan  nimmt  gewöhnlich  an,  baf)  et  einet 
geringen  33eintiichung  »on  ÜJiangan  feine  »iolette  garbe  »er» 
banft,  bie  fidj  beim  ©lühen  »ollftänbig  »eränbert. 

Uebrigeng  muh  man  ftetg  im  Üluge  behalten,  baf)  mit  bem 
5Ramen  2lmethhft  gwei  gang  »erichiebene  (Steine  begeiebnet 
werben,  bie  an  SBerth  febr  »erfd)ieben  finb,  ein  Unterfchieb,  ber 
häufig  felbft  »on  ben  Juwelieren  überfehen  wirb.  61  giebt  näm* 
lieh  neben  unferm  »iolctten  Quarg,  5tmetl)9ftquarg,  auch  einen 
»ioletten  jt'orunb1)  (alfo  SÄmethhft'-Äorunb),  ber  auch  gum 
Unterfchiebe  »om  Slmethhftquarge  orientalif eher  Slmetbhft 
genannt  wirb.  5Än  garbe  ift  berfelbe  bei  SEagegtidjt  bem  ämethhft» 
quarg  »oflfommen  ähnlich,  hoch  tritt  ein  lebhafter  Unterfdjieb 
fofort  her»or,  wenn  man  beibe  Steine  Slbenbg  bei  8idjt  betrachtet. 
SDet  Slmethvftquarg  »evliert  nämlich  bei  Sicht  aufjerorbentlich;  felbft 
bie  fchönen  tiefbunfeloioletten  Stüde  erfcheinen  bläh  unb  faft 
.grau,  wähtenb  ber  3lmethhftforunb  an  garbe  nicht  »erliert,  fein 

CM») 


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10 


Violett  nielmehr  in  ein  !eud)tenbe8  JRothniolett  übergebt.  9lufjet« 
bem  übertrifft  er  ben  9lmethpftquarg  auch  um  gwei  (Stufen  ber 
.^ärtefcala  (9)  unb  ftebt  im  greife  etwa  achtmal  fo  hod},  wie 
ber  ISmethttflquarg.  SBiH  man  alfo  Slmethpftforunb  faufen, 
fo  nerfäume  man  nicht,  ihn  oother  bei  Sid^t  3U  fehcn,  unb  hüte 
fid},  einen  folgen  ©chmucf  etwa  burd?  9lmethpftquarg  gu  ner» 
noDftänbigen,  wa§  nur  bei  StageSlidjt  nicht  auffallen  wirb,  bei 
9lbenbbeleu<htung  aber  feljr  fehlest  auöfehen  würbe.  — 

9ludj  non  bem  unburchfichtigen,  bem  gemeinen  Ouatg, 
werben  einige  Varietäten  gu  ben  #albebelfteinen  gerechnet. 

1.  ©er  SRofenquarg,  ber  feine  mehr  ober  weniger  lebhafte 
rofenrothe  Barbe  nach  ©nigen  einer  Seimifchung  non  Vitumen 
(©bharg),  nach  9lnberen  bem  SSitan  nerbanft.  6r  wirb,  wenn 
ferne  Barbe  recht  fdjön  ift,  gu  ©chmucffachen  nerarbeitet. 

2.  ©aöDuargfahenauge  ift  ein  nerfchieben  gefärbter 
Duatg,  ber  im  Snnern  gasreiche  parallel  gelagerte,  feibenglän* 
genbe  Slmianth*  (Slöbeft*)  Safern  enthält,  bie  bem  halbburchfidj« 
tigen  ©tein  befonberS  bei  ^Bewegung  einen  ähnlichen  gidjtreflejc 
geben,  wie  ihn  ba8  9luge  ber  Äatjen  geigt.  ©amit  bieö  beffet 
hernortrit,  mujj  er  an  feinet  Oberfläche  gewölbt  (mufchlig)  ge« 
fchliffen  werben. 

3.  ©er  (prafem  (nQaaiog,  lauchgrün)  ift  ein  Duarg,  ber, 
innig  mit  ©trahlftein  burdfwachfen , biefem  feine  fdjöne  grüne 
Barbe  nerbanft.  © führt  im  £anbel  ben  Flamen  ©matagb« 
mutter,  weil  man  früher  glaubte,  bafe  et  ba8  SOluttergeftein  beö 
©maragb  fei.  © wirb  nielfach  gu  ^übfchen  ©chmucffachen 
nerfchliffen,  bie  aber  bie  üble  ©genfdjaft  haben,  baff  ihre  an 
fich  fchöne  lauchgrüne  Barbe  beim  fragen  leicht  matt  unb 
flecfig  wirb. 

4.  ©er  91  nanturin,  ein  gelber  ober  tödlicher  Duarg,  ber 
in  feiner  gangen  ©laffe  fleine  Sprünge  ober  auch  ©limmerfchüpp* 
chen  enthält,  bie  wie  ungählige  golbene  fünfte  burchfchimniroi* 

(8S0) 


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11 


5Jlan  finbet  ihn  jwar  an  nicht  wenig  gunborten,  boch  finb  fd)ßne 
föpemplare  nicht  häufig.  3n  33enebig  ahmt  man  ihn  bntdj  einen 
©laSflufc,  ber  im  3nnern  Heine  Äupferfrpftafle  enthält,  nach,  unb 
biefer  fünftliche  Sloanturin  fieht  uiel  brillanter  aus,  als  ber  na» 
tätliche,  bem  er  jebod)  an  .fpärte  nachfteljt.  9)ian  hält  baß  23er* 
fahren  in  SBenebig  geheim,  bodj  hatte  auch  bie  Sofephinenhütte 
auf  ber  SBienet  ffieltauSftellung  fehr  fronen  funftlichen  Sloanturin 
außgefieQt. 

5.  ÜDer  3a8pi8  ift  ein  feuetfteinartiger  Guarg,  bet  aber 
burd)  »erfdjiebene  fERetaQorpbe,  »orgugSroeife  ©ifen,  oetfdhieben» 
artig  unb  oft  auf8  Sebhaftefte  gefärbt  ift.  35er  (Stein  fomrnt 
fdjon  im  2.  Such  2Roje8  oor,  unter  bem  tarnen  Sajchphe  als 
einer  ber  12  ©belfteine,  mit  benen  ber  Sdjilb  be8  |>obenpriefter8 
gefdhmücft  war.  6r  tritt  in  allen  möglichen  lebhaften  garben, 
auch  geftreift  auf,  unb  wirb  gu  allerlei  ^Bijouterien  »erarbeitet. 
35er  gried)tfd?e  55id)ter  DnomafritoS  (500  u.  ©Ijr.)  fpridjt  fd}on 
»on  bem  frü^Iingfarbenen  3a8pi8,  an  welchem  fich  ba8  £erg 
ber  Unterblieben  erfreue,  wenn  man  beim  SDpferbringen  biejen 
Stein  bei  fid)  trage.  „3h»  »erben  bie  Söolfen  feine  trocfenen 
gelber  befeuerten  unb  Segen  fpenben.“ 

dine  3.  ©ruppe  ber  Jpalbebelfteine  au8  ber  Quatgfamilie 
fa§t  man  unter  bem  tarnen 

dhalcebone  gufammen  unb  »erfteljt  barunter  biejenigen 
Duarjuarietaten,  welche  au8  einer  bitten,  trübburchfdheinenben 
SHaffe  mit  fein  fplitterigem  Srudje  beftehen,  ein  eigcnthümlich 
fanfteS  9lu8feben,  unb  oft  feböne  wenn  auch  matte  garbe  haben. 
Sie  finb  balbburdhficbtig  unb  unburdhfichtig,  haben  nur  geringen 
©lang  unb  enthalten  immer  etwas  Sthonerbe  unb  ®ifen.  Sie 
beftehen  au8  einem  innigen  ©emenge  amorpher  unb  ftpftaUini* 
fdhet  j¥iefeterbe  unb  finb  mehr  ober  weniger  porös,  weshalb  fte 
fidh  leicht  fünftlidj  färben  laffen. 

£Die  dhalcebone  würben  oielfad)  Bon  ben  Sitten  gu  gefdhnit» 

(8Slj 


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12 


tenen  ©teilten  benufet:  gu  ©cmmen,  wenn  feer  ©egenftanb  Der* 
tieft  in  ben  ©tein  gegraben  war,  um  als  ©iegelftein  gu  bienen,  gu 
6 am  een,  wenn  er  übet  ber  Fläche  beS  ©teineS  ergaben  hereortrat; 
unb  gang  befonberS  beliebt  waren  gu  biefem  3»ecfe  folche  ©teine, 
bie  auö  minbcftenS  gwei  eerfdjieben  gefärbten  ©Richten  beftatt* 
ben,  inbem  fidj  bann  ber  ergaben  ober  certieft  gefdjnittene  ©e= 
genftanb  ocn  bem  anberS  gefärbten  ^intergrunbe  um  fo  beut» 
liehet  abhob.  ©cl$e  ©teine  mit  eerfdjieben  gefärbten  ©djidjten 
nannten  fie  Dni;jc,  ein  5Rame  ber  aud)  ^eute  noch  gebräudjlid) 
ift,  unb  mit  bem  man  ben  ©attungSnamen  beS  ©teineS 
cerbinbet,  g.  33.  ©halrebonpj:,  ©arbonpr,  Äarneolonpjr  :c. 
SDer  9tame  £>np)c  femrnt  auS  bem  ©riedjifchen  unb  bebeutet 
Fingernagel,  unb  bie  griec^ifdjen  £>id}tet  fnüpfeit  an  ihn  bie 
fPtytlje,  bafe  bie  Csnojre  bie  cerfteinerten  Fingernägel  ber  33enuS 
feien,  bie  ihr  Slmor  mit  ber  ©pifee  eines  Pfeiles  befd^nitten 
habe,  biefe  wären  in  ben  SnbuS  gefallen  unb  bort,  con  ben 
Margen  gefammelt,  in  SDnpjre  cerwanbelt  worben.  — 23ei  ber 
aufeerorbentlid)  tyoljen  ©tufe,  auf  ber  bie  5£ed)nif  bei  ben  3llten 
ftanb,  fünftlerifO  cotlenbete  Betonungen  in  ©tein  gu  fOneiben, 
ift  eS  erflärlid),  bafe  biefe  JDnpjre,  baS  becorgugte  fDiaterial  für 
folche  Äunftwerle,  fo  beliebt  waren,  bafe  man  fie  fdjon  gu  §)li= 
niuS’  3eiten  auS  ©laSflüffen  fünftlid)  nachahmte.  — 3uch  fold)e 
Dnpje  würben  gefd)i(ft  oerwenbet,  bie  brei  farbige  ©cbichten 
Ratten,  inbem  man  bie  eine  Farbe  für  ben  .pintergrunb,  bie 
gweite  für  bie  FleifOpartien,  bie  britte  für  bie  ©ewanbung  bet 
Figuren  benufete. 

9ÜS  SBarietäten  beS  gemeinen  ©fyalcebon  unterfepeibet 
man  ben  ©Ijalccbonpjr,  wenn  graue  unb  weifee  ©dachten 
abweepfetn,  ben  fRegenbogenchalcebon,  wenn  er  gegen  baS 
Sicht  gehalten  irifirt,  ben  9>unftchalcebon  ober  ©teppa**8« 
ftein  gu  ©pten  &eS  burep  ^feilfcpüffe  getöbteten  heiligen  ©teppan, 
wenn  er  weife  ift  unb  blutrotpe  Fledfen  hat,  ben  Solfencpal« 

(858) 


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13 


c e b ott  ber  auf  fyellgtauem  ©runbe  bunfle  wolfenartige  ©teilen 
geigt,  ben -fjalbfarneol  ober  ©erad?at,  wenn  et  gelb  i ft,  unb 
ben  SJioffaftein  ober  9K ooeadjat.  gelterer  ift  ein  ©Ijalcebon, 
auf  bem  fid}  fdjtoarge,  rotlje  ober  btaune  moo8artige  Betonungen 
finben,  bie  man  früher  wirflid)  für  pflanglidjen  UrfprungS  Ijtelt, 
bie  aber  »cm  BnfUttationen  »on  SRanganojcpb  Iserrüpren.  ©ie 
werben  »ielfaO  füuftlid}  nadjgealjmt,  befonbetS  in  Dberftetn, 
wo  man  überhaupt  bie  Gtyalcebone  jeijt  in  aßen  «arben  färbt.  — 

Sieben  bem  gemeinen  ©Ijalcebon  unterfdjeibet  man  al8  3 wette 
9tr t ben  eblen  ober  rottyen  ©balcebon,  gewöfynliO  Karneol  ge« 
nannt.  ©eine  garbe  ift  blutrot^,  burdj  ©elblidjrotfy  in8  Vlafj» 
to%  übergefsenb,  unb  man  unterfdjeibet  wieberum  je  nad)  ber 
garbennuance  »erfdjiebene  Varietäten  be8  Äarneot.  Die  blutroten 
nennt  man  männliche,  bie  blajjrotljen  weiblidje  Äarneole. 
©ie  pomeranjenfarbigen  werben  ©arbet  genannt,  unb  wedj« 
fein  weifje  ©l)alcebonjd)iOten  mit  ben  farbigen,  wa8  beim  Äarneol 
ijäuftg  »orfommt,  fo  tritt  ber  fd)on  oben  erwähnte  Vame  Dnpjc 
3U  bem  Vamen  bc8  ©teineS  tyingu,  bet  bie  befonbere  garbe  be« 
geiOnet,  alfo  Äarneolonuj:,  wenn  rotfye  unb  weifje  ©djiOten, 
©arbonpr,  wenn  gelbe  unb  weifje  ©djidjten  abwcdjfeln.  ©te 
berüljmteften  ©emnien  unb  ©ameen  be8  2Utertl}um8,  bie  als  bie 
foftbarften  ©djätje  nocp  l)eute  in  ben  SRufeen  unferer  ^>aupt« 
ftäbte  aufbewafyrt  werben,  finb  in  foldjc  Karneole  gefOnitten 
unb  ber  befte  Vewei8,  wie  Ijod)  bie  Sdteu  biefe  ©teine  fdjäfjteu 
ift  ber,  ba§  $liniu0  berichtet  (37,  2),  ba§  bet  berühmte  {Ring 
be8  ^olpfratcS,  burdj  beffen  Opfer  er  fid>  »om  fReibe  ber  ©ötter 
über  fein  ju  gtofjcS  ©lücf  lo0  ju  faufen  gebaute,  feinen  Vkrtfj 
einem  ©arbonnp  oerbanfte. 

©ie  britte  2ltt  ber  ©tjalcebonc  ift  ber  grüne,  »on  bem 
man  brei  Varietäten  unterfdjeibet , ben  ©IjrpfopraS,  ben 
heliotrop  unb  ba8  $)la8ma. 

©er  6fyrpfopta8  ift  bie  helle,  apfelgrüne  Varietät,  gu 

(8M) 


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14 


ötingfteinen  unb  anberen  ©chmucfiachen  ein  fetyt  beliebter  ©tein, 
ber  auch  »egen  feines  nic^t  häufigen  SSorfommene  in  giemlid) 
hohem  greife  fteht.  ©eine  fdjöne  h£H8rwne  Barbe  oerbanft  er 
einet  SBeiniift^ung  oon  fRicfeloppb,  woher  eö  auch  fommt,  baff 
bie  ffarbe  »erblafft,  wenn  ber  (Shrpfoprae  längere  3«t  ber 
trocfenen  SBärme  auSgefe^t  wirb,  g.  SB.  beim  Siegeln,  ober 
wenn  er  lange  in  ber  ©onne  liegt.  (Sr  gewinnt  aber  bie  frü- 
here lebhafte  Färbung  wieber,  wenn  man  ihn  in  feuchte  (Srbe 
legt,  ober  in  einer  erwärmten  Sluflofung  »on  falpeterfaurem 
9iicfelorpb  eine  Beit  lang  liegen  läfjt. 

(Sin  .pauptfunbort  beS  (Sljrpfoprae  war  früher  im  Serpentin» 
felß  bei  Äofemifj  in  ©trieften,  hoch  ift  biefet  Bunbort  jefjt  gang 
auegebeutet. 

Unter  heliotrop  »erftetjt  man  bie  bunfelgtüne  93arietät, 
bie  mit  rothen  fünften  oetfehen  ift,  unb  bie  aufjerorbentlich 
häufig  gu  ©iegelfteinen  benufjt  wirb. 

2)ie  britte  Varietät,  bae  $)laema,  unterfcheibet  fich  oon 
bem  nötigen  burch  ihre  weh1  gtaegrüne  Barbe,  unb  baburch, 
bah  fte  mehr  burdjfcheinenb  ift.  2)ae  §>laöma  war  lange  3«it 
nur  burdp  antife  ©emmen  aue  ben  9tuinen  Siomö  befannt,  hoch 
hat  man  ee  in  neuerer  Seit  an  oerfchiebenen  Drten  wiebet 
entbeeft. 

23it  fommen  nun  gu  einem  atlbefannten  unb  jehr  beliebten 
.£>albebelftein,  bem  Slchat,  ber  eigentlich  feine  mineralogifche 
(Einheit  barftellt,  fonbern  aue  einer  mehr  ober  weniger  großen 
3ahl  ber  foeben  betrachteten  SJlineralien,  (Sljalcebonen,  3a8pi8 
unb  anberen  Duargarten  fchichtenweife  gufammengefcfct  ift.  3e 
naepbem  nun  biefe  oerfchiebenen  Dnargoarietäten  Streifen, 
Blöden,  fünfte  ober  3^icl)ttungcn  ber  oerfchiebenften  9lrt  bilben, 
unterfcheibet  man  IBanbadjat,  geftungeachat,  SRegenbogenachat, 
SSolfena^at,  Strümmerachat,  ^unftachat,  ©tcrnachat  u.  f.  w. 

SDer  91  chat  fommt  oorgugöweife  in  mehr  ober  weniger 

(844) 


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15 


fugelfßrmigen  ©tütfen,  ben  fogcnannten  2tcbatmanbeln  oor,  bie 
ftd^  in  einer  plutonifdjen  gelöart,  bem  ^ORelapljvr  ober  td)wargen 
9)orpbpt  ftnben.  3^re  (äntftebungöart  ift  geologifcb  feljr  inter» 
effant.  SDer  3Relapbbt  ift  in  einer  feijr  frühen  $)eriobe  ber 
©rbgefdjidjte,  jnr  3eit  ber  ©teinloblenbilbung  unb  be§  3e<b* 
fteineä  in  feurigflüffigem  3uftanbe  auö  bem  (Stbinnern  ferner» 
gebroden,  nnb  bei  bem  allmählichen  @rftarren  unb  (Srfalten  bet 
teigförmigen  Ijeifjen  OJlaffe  bilbeten  ficb  int  3nnern  betfelben 
bureb  auffteigenbe  2)ampfblafen  manbelförmige  $obltäume  auö. 
©pater  alb  bie  fDiaffe  längft  erbartet  war,  aber  immer  nod) 
eine  b<>be  $emparatur  tjattc,  löften  bie,  biefelbe  burebfiefetnben 
fftegenwäffer  einen  j£beÜ  bet  ÜJlelapbpr  enthaltenen  Wiefel» 
fäute  auf  unb  festen  fte,  wenn  flc  auf  ihrem  Söege  in  bie 
^oblraume  famen,  in  concentrifcben  ©dachten  an  bcn  SBänben 
berfelben  ab.  @o  füllten  fich  manche  biefer  fDtanbeln  ganj  unb 
gar,  wäbrenb  anbere  nod)  im  3«nern  einen  ,£>oblraum  enthal* 
ten.  grübet  fanb  im  gürftentbum  ©irfenfelb  in  ben  bortigen 
ÜKelapbptgebirgen  ein  nollftänbiger  ©ergbau  auf  biefe  Ädjat* 
manbeln  ftatt,  benn  bie  Slcbatfcbteiferei  ift  bort  »or$ug8weife  in 
ben  ©täbten  Db erftein  unb  3bat  feit  bem  16.  3abtbunbert 
in  ©lütbe.  3n  ber  Umgegenb  biefer  beibeit  nur  eine  halbe 
SJieile  »on  einanber  entfernten  ©täbten  befinben  fi<b  an  ber 
oberen  9iabe  unb  beren  jablreidjen  ÜRebenflübcben  in  allen 
Ibälern  jabllofe  ©cbleifmüblen,  in  benen  allen  bie  Slcbatfcblew 
ferei  betrieben  wirb.  9lHe  werben  burdb  SBafferfraft  getrieben 
unb  e8  befinben  ficb  an  jeber  SBelle  neben  einanber  mehrere 
grobe,  {entrecht  ftebenbe  ©djleiffteine,  an  benen  bie  Schleifer, 
auf  einem  trogartig  auSgeboblten  £oljgeftelle  liegenb,  bie  gübe 
gegen  fPflöcte  geftemmt,  bie  im  gubboben  befeftigt  finb,  bie 
Sldjate  anbrüefen  unb  burd)  gefcbicfteS  Umwenben  bie  beabfidj* 
tigten  gormen  erzielen,  ©eit  etwa  50  3abten  «ahm  bie  £>ber« 
fteiner  Sld^atinbuftrie  einen  bebeutenben  SÄuff^wung,  alb  man 

(855) 


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16 


bbrt  baS  Verfahren  lernten  lernte,  bie  natürlichen  gatben  bet 
©teine  burd?  fünftlidje  S3et)anblung  wefentlidj  51t  »eridjönern. 
SDie  alten  Sftömer,  benen  ja  lebhaft  gefärbte  Dnttre  für  aufjer* 
orbentlich  werth»oll  galten,  fannten  bieö  Verfahren  bereits,  wie 
f|)liniu8  berichtet,  inbem  er  ergäbt,  bafj  bie  garben  ber  Steine 
fchöner  würben,  wenn  man  fte  in  «£>onig  legt.  SDian  hielt  biefe 
Stelle  lange  für  eines  ber  gahUofen  SJlärdjen,  bie  ftd?  bei 
fPliniuS  finben,  bis  fich  nun  hetauSfteDte,  bah  PiniuS  nur  bie 
erfte  £älfte  beS  Verfahrens  befdjrieben  hat.  SDic  eerfchiebenen 
Schichten  in  ben  ?ld?atmanbeln  haben  nämlich  einen  feljr  »erfchiebe* 
nen  ©rab  non  fPorofttät,  fo  bafj,  wenn  man  fte  in  »erbünntem 
^>onig  längere  Seit  liegen  läfjt,  einige  Schichten  »iel,  anbere 
wenig  ober  nichts  non  biefem  Stoffe  auffattgen. 

£ä§t  man  barauf  Schwefelfäure  in  berjelben  Sri  auf  bie 
Schichten  einwirfen,  fo  entftehen  bie  lebhafteften  gärbungen,  in« 
bem  einige  Schichten  fchwarg,  anbere  lebhaft  braun  werben,  bie 
fich  bann  non  ben  wenig  »oröfen,  weil  bleibenben  fcharf  abgretigen. 
@S  fcheint,  fcafj  fich  bieS  Verfahren  bei  ben  tönüfthen  Stein* 
fchneibern  als  ^>anbwerfSgeheimni§  non  Sahrhunbert  gu  3ahr* 
hunbert  »ererbt  h°t,  unb  eS  war  lange  aufgefatlen,  bafj  bie 
römifchen  Steinfchneiber,  bie  ihre  Steine  in  JDberftein  laufen 
famen,  »iel  fchöner  gefärbte  (Sameen  unb  ©emmen  »erfauften, 
als  man  im  Vitlenfelb’fchen  fant>.  Von  einem  folgen  römifchen 
Steinfdhneiber  erfuhr  ein  Dberfteiner  baS  Verfahren,  unb  ob* 
gleich  biefer  eS  guerft  auch  geheim  hielt/  würbe  eS  boch  balb 
befannt  unb  nun  gang  allgemein  angewenbet.  ^ietburch  ge* 
wannen  bie  gabrifate  fo  aufcerorbentlich  an  Schönheit,  bafj  ihr 
Slbjafj  fich  erheblich  fteigerte  unb  Dberfteiner  $änbler  mit  ihren 
geföhliffenen  Achaten  fogar  bis  Sübamerila  lamen.  SDort  ent* 
bedien  biefclben  unerfdjöpfliche  SJtaffen  »on  Slchatmanbeln, 
beren  ©ewinnung  »iel  leichter  war,  als  ber  müljfame  Vergbau 
in  bem  harten  9Jtela|?hPr  ber  £etmath,  »»eil  in  Sübamerila 

(85fi) 


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17 


baS  Vhtttergefiein  »erwittert  war,  bie  afatmanbel«  aber,  bet 
Verwitterung  wibeTftebenb,  ftd)  in  großen  3Rengen  in  bet  lode» 
ren  @tbe  fanben.  Von  nun  an  würben  bie  9lf  atmanbeln  ja 
Saufenben  »on  (Jentnern  auö  8merifa  naf  Dberftein  eiugefübrt, 
unb  bet  Vergbau  im  9Jlelapb»t  bat  faft  ganj  aufgebört.  Uebtigenß 
ift  ba8  oben  angeführte  Verfahren,  mit  £onig  unb  ©fwefel* 
taute  ju  färben,  nicht  ba8  einjige,  unb  fowohl  in  fJtom  al8  in 
JDberftcin  werben  noch  anbete  Viethoben  als  befonbere  £aab« 
werfSgebeimnifce  geübt.  — 

3>ie  lefjte  ©ruppe  ber  #albebelfteine  au8  ber  Familie  be8 
Dtiarje8  finb  bie  Dpale.  ©ie  finb  unfrpftalliniff,  haben 
muffeligen  Vruch,  $arjglanj  unb  enthalten  alle  einen  jiemlif 
hohen  fProjenfaf?  non  SBaffer,  ber  jwiff  en  3 unb  12  p@t.  ff  wanft, 
©aber  ift  ihr  ©ewif  t auf  geringer,  a(8  ba8  ber  anberen  Duarje 
(2,1),  unb  bie  Starte  entfprif  t nur  ber  6.  «Stufe  ber  ^ärtefcala, 
ift  alfo  um  eine  ganje  ©tufe  geringer,  al8  bie  ber  anberen  Ouatje. 
©ie  Cpale  finben  ftf  »orjugSweife  in  »ulfaniff  en  ©efteine«, 
unb  man  ficht  fie  al8  eine  allmählif  burf  au8trodnen  erhärtete 
Äiefelgallerte  an.  3n  Äalitauge  finb  fie  »oHfommen  lö8lif. 
©inige  ©teine  biefer  ©ruppe  jeifnen  ftf  burf  wunbetnoDe 
Farben  auö,  unb  ber  eine  berfelben,  ber  eble  Opal,  muffte  feinet 
Seltenheit  unb  feineß  hohen  $reife8  wegen  ffon  früher  oon 
un8  unter  ben  wahren  ©belfteinen  aufgeführt  werben,  obwohl 
er  in  mineralogiffer  £infif t felbftoerftänblif  in  biefe  ©ruppe 
gehört. 

.Raum  weniger  ff  ön  al8  ber  eble  Opal  ift 

1.  «Der  geueropal.  @r  ift  bpacintbrotb  unb  fpielt  oft 
ftar!  in’8  ffeuergelbe.  Vefonber8  ffßne  ©tüde  irifiren  an  ben 
lichteren  ©teilen  farminrof  unb  apfelgtün  unb  biefe  ©tüde 
geben  auSgejeifnete  ©f  mudfteine  ab,  benen  man  am  »ortheil» 
bafteften  ben  muffeligen  ©fnitt  giebt.  ©ein  ^auptfunbort 
ift  ju  Villa  fecca  bei  3intapan  in  Vlepifo,  wo  er  in  einem 

XIV.  354.  2 (847) 


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18 


tradjptifdjen  Srümmergeftein  Dorfommt,  unb  fdjön  irifitenbe 
<StMe  »erben  fefyt  tjo$  bejaht. 

2.  25er  gemeine  Opal  unterfd^eibet  ftd)  nur  baburd} 
oon  bem  eblen  Opal,  bafj  tljm  fcab  biefen  aubgeitbnenbe  jdjöne 
^arbenfpiel  feljlt.  Uebrigenb  lommt  et  in  ben  oerfcbiebenften 
färben  »or,  unb  man  unterfdjeibet  banadj  alb  Varietäten  ben 
weiten,  5Jli opal,  ben  gelben,  SBadjbopat,  ben  apfelgrünen, 
Ptabopal,  ber  ftd)  »ie  ber  ©ljrpf  oprab  bei  Äofemifj  in  ©djlefie« 
ftnbet.  Sftofenrottje  Opale  merben  ir  SReljun  unb  Duincp  gefunben. 

3.  Söeniger  burdjfidjtig,  wie  bie  bieder  genannten  Opale,  ift 
bet  Jpalbopal,  ber  nur  an  ben  Äanten  burdjfdjeinenb  ift  @8 
fommen  aud)  non  iljm  fdjön  gefärbte  Varietäten  Bor,  häufig 
bilbet  er  baö  Verfteinerungbmittel  foffiler  £olgarten  unb  ^ei|t 
bann  ^olgopal.! 

4.  25et  ^)pbropl)an  ift  eine  intereffante  Varietät  be8 
Opal8.  @r  geidjnet  fid)  baburd)  au8,  bafj  et  fe^r  leidet  feinen 
Sßafferge^alt  abgiebt,  baburd)  unburd^fid^tig  wirb  unb  garbe 
unb  ©lang  oerliert,  biefe  ©igenfdbaften  aber  fc^neü  wieber  er* 
langt,  jcbalb  man  il)n  in  SSaffer  taudjt  3um  ©djmucfftein 
eignet  er  ftd)  unter  biefen  Umftänben  nidjt,  bod}  wirb  er  feiner 
<Seltenljeit  wegen  V4?  begabt,  ba  er  in  Oftinbien  al8  9lmulet 
getragen  wirb. 

5.  (Sbenio  ift  ber  jtafdjelong , audty  Perlmutter opal 
ober  jfalntücfen  opal,  giemlidj  felteu.  @r  enthält  etwas  weniger 
SBaffcr  alb  bie  anberen  Opale  unb  fd)fine  ©tütfe  werben  gn 
wertvollen  ©djniutfftcinen  Derfäliffen. 

6.  25utd)  einen  fef)r  V&en  ©ifengeljaft  ift  ber  3abpopal 
ober  Opaljabpib  auögegeid^net.  @r  ift  unburdjfict)tig,  gelb, 
braun  biß  rotl)  unb  ift  in  ber  Sürfei  bcfonberb  gu  2)old?=  unb 
©äbelgriffeit  beliebt. 

7 9118  le^te  9lrt  beb  Opalb,  miewofyl  er  ni<bt  alb  'Sdjmucf» 
ftein  benufjt  wirb,  fütjre  V nod?  bettölabopal  ober  ^palitty 

(8S8) 


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19 


an,  ber  als  uoHfommen  burchfichtige,  glasartige  9Raffe  in  pielen 
plutonifcheu  gelSarten  oorfommt. 

Die  bisher  betrachteten  £albebelfteine  bejtanben  ade  wcfent» 
lieh  auS  Äiefelfäure  unb  gehörten  jur  Familie  beS  SQuarjeS. 
SBir  fommen  nun  ju  einigen,  bie  ber  gamilie  beS  gelbfpatijS 
angehören.  — 

Der  gelbfpatb  ift  ein  Mineral,  welches  auS  einer  Ver* 
binbung  oen  fiefelfaurer  $he«erbe  unb  fiefelfaurem  Stali  befielt, 
unb  #ärte  6 hat  (unb  ein  ipec.  ©eroicht  non  2,53  — 2,58). 
Sluth  biefeS  SJlineral  ift  ein  wesentlicher  Vcftanbtheil  ber  all» 
perbreiteten  gelSart,  beS  ©ranitS,  ber  ein  ©emenge  au$  Ouarj, 
Sclbfpath  unb  ©Ummer  ift.  ©in  befonbereS  Sntereffe  fnüpft  fich 
an  ben  geibipath  baburdj,  bah  er*  wenn  et  perwittert,  gu 
fP or jeltanerbe  wirb.  SBährenb  ber  gemeine  ^elbipath  in  un=> 
burchficljtigen  ÄrpftaHen  jiemiith  häufig  ift,  werben  nur  wenige 
feinet  selteneren  Varietäten  ju  ben  ^albebelfteinen  gerechnet 
unb  jwar  ^unächft: 

1.  Der  SÄbulat  ober  eble  gelbfpath , bet  fidj  bur<h  eine 
poDfommene  Durchfidjtigfeit  unb  fchönen  ©lanj  auS^eichnet. 
Slber  auch  Bon  'hm  werben  nur  jwei  Varietäten  als  ©belfteine 
gum  ©chmucf  benu^t,  ber  ©onnenftein  unb  bet  SOtonbftein. 
@8  finb  bieS  iSbulare,  bie  ftch  oorjugSweife  in  ©eplon  unb  in 
ben  ©djweijeralpen  finben,  bie  einen  mogenben  8ichtfchein  in 
ber  Diefe  3eigen,  ber  bejonberS  herbortrit,  wenn  ber  ©tein 
mufchlig  geidjliffen  ift.  3ft  biefet  wogenbe  2ichtfd?ein  röthlich, 
fo  heifeen  biefe  Steine  ©onnenfteine,  ift  er  bläulich,  fo  werben 
fie  föionbfteine  genannt.  Schöne  berartige  ©jremplare  werben 
hoch  befahlt  unb  machen  einen  auSgejeidjneten  ©ffeft,  befonberS 
wenn  fte  mit  fleinen  Diamanten  eingefaßt  werben. 

Die  jweite  2lrt  bcS  SelbfpathS  ift  ber  21  m a<$  onenftein, 
ein  ftelbfpath,  ber  fid)  burch  feine  lebhafte  grüne  garbe  auS* 
jeichnet.  ©ein  fftame  fomint  batjer , bah  wan  ihn  juerft  am 

2*  (859) 


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20 


Amagonenftrom  entbedte,  bo<b  fanb  man  ihn  fpäter  audj  am 
Simenfee  in  fRufjlanb.  ©eine  garbe  rührt  Bon  Äupferofljb  bei- 
Aud)  ber  nädjfte  #albebelftein,  berüabrabor,  tft  ein  felb» 
fpatbartigefl  fUHnerat,  ba#  aber  in  feiner  «bemiftben  3ufammen* 
fefjung  ftatt  befl  Äalifl  Äall  unb  Patron  enthält.  Aud)  ber 
fcabtabor  ift  ein  mefentlidjer  ©emeng  tfyeil  einiget  ©ebirgflarten, 
unb  geidjnet  fi<b  bur<b  einen  munberfcbönen  garbenfdjillet  aufl, 
ber  grofce  Aebnlidjfeit  bat  mit  bem  garbenfpiel  ber  Augen  in 
ben  Gebern  befl  $fauenfdjmeife8.  ©r  mürbe  guerft  im  Sa^re 
1775  non  ben  fDtiffionären  ber  beutftben  33rübergemeinbe  auf 
ber  ®t.  sJ)aulflinfel  an  ber  gabraborfüfte  entbedt,  mo  er  ftdj  in 
großen  ©tüden  alfl  ©efdjiebe  finbet,  mie  audj  an  ber  norbameri* 
fanifcben  Äüfte  Bon  gabrabor.  ©pdter  mürbe  er  aud>  in 
Cftuftlanb  gefunben.  Anfangs  mürbe  er  mit  bem  labraborifirenben 
gelbfpatb  Berroecbfelt,  aber  burdj  bie  Unterteilungen  von  Älap« 
rotb  unb  ©uftau  5Rofe  ift  er  megen  feinet  jfalfbaltigfeit  alfl 
eigentbfimli^efl  SJHneral  feftgeftellt. 

©in  bei  ben  Sitten  fefyr  bodj  gefärbter  ©tein  ift  ber  8a für» 
ftein.  @t  fommt  aufcerorbentlicb  fetten  aud)  fr^ftaOiflrt  Bor, 
unb  gmar  im  tefferalen  ©Aftern  alfl  Sfi^ombenbobefaeber,  gemöbn« 
lieb  aber  ift  er  berb.  ©eine  garbe  ift  ein  brddjtigefl  JDunfelblau, 
bafl  Bon  ibm  ben  fftamen  gafurblau  bat.  ©eiten  ift  er  gang 
tein,  gemöbnlitb  geigt  er  b«De  glede  unb  Abetn,  unb  febr  häufig 
golbgelbe  fünfte,  bie,  aufl  ©djmefelfiefl  beftebenb,  ibm  gmar 
ein  febr  febönefl  Anfeben  geben,  ft(b  aber  letdftt  gerfefien  unb 
ben  fdjönen  ©tein  bann  nerungieren. 

3)ie  3abl  ber  in  ibm  enthaltenen  SBeftanbtbeile  ift  eine 
grofje  unb  feine  ebemifebe  3ofammenfebung  febr  fomplight 
grübet  mürbe  er  allein  gur  Anfertigung  ber  ftbönen  fWalerfarbe 
befl  Ultramarin  Bermenbet,  bie  aufl  bem  feingefcblemmten  ftloer 

befl  Safurfteinfl  beftanb.  5Da  biefe  garbe  jefjt  Biel  billiger  fünftlicb 
(860) 


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21 


bergeftellt  wirb,  fo  ift  fowobl  bie  garbe,  al«  and)  bet  gafurfteiu 
bebeutenb  billiget  geworben. 

(Sin  fdjöner  grünet,  jefct  fe^r  beliebtet  unb  aud)  ben  9Ute» 
fdjon  befannter  ©tein  ift  bet  Sötaladjit.  @t  befielt  au« 
loblenjaurem  Äupferoj^b  mit  SBaffet.  9118  5Rinetal  ift  et  leine«* 
weg«  feiten,  woljl  aber  finb  ©tücfe,  bie  gu  ©<bmucf  »erarbeitet 
werben  tonnen,  nidjt  häufig.  3n  gro|en  SMaffen  wirb  et  im 
Ural  gefunben,  unb  eß  Ijat  ftd)  in  Utufelanb  eine  f6rmlt(^e 
9)tala<bitinbuftrie  entwiclelt.  SMe  großen  ^tadjtflüde  au8  9Ka* 
ladjit,  Sßaien  unb  Sifdjplatten,  befteben  nid)t  etwa  au8  einem 
©tücfe  biefeS  ©teineö,  fonbern  finb  nur  mit  bünnen  ©cbicbten 
beffelben  belegt,  ba  et  fid)  feinet  geringen  £ätle  wegen 
(3,5 — 4)  in  bünne  glatten  getfägen  lä§t,  bie  bann  gang  wie 
bie  goutniere  bet  beffeten  $>olgarten  »erwenbet  werben.  (Sine 
befonbere  Äunftfertigfeit  geigen  bie  rujftfdjen  Jennifer  barin, 
ba§  fie  grofee  glasen  mit  »Wen  tleinen  SJtalacbitftücfen  fo 
jauber  fournieren,  baf)  man  nid)t  im  ©tanbe  ift,  bie  gugen  gu 
etfennen.  — 

(Sine  ähnliche  tflnwenbung,  wie  bet  SBRaladjit,  bat  bet  burcb 
feine  fdjöne  rotbe  garbe  außgegeicbnete  SJtanganliefel  ober 
JRbobonit,  beffen  9tame  oon  bem  griedjifcben  28ort  qoöov 
(rhodon),  bie  Uiofe,  Ijerfcmmt. 

(Sr  beftefyt  au«  einet  SBerbinbung  ber  Äiefelfäure  mit 
SDtangan  unb  Äalf,  unb  wo  er  wie  bei  Äatbarinenburg  in  gtöfje* 
ten  SDiaffen  oorfommt,  wirb  er  gu  ©tbalen,  glatten  unb  »er* 
fd)iebenen  Äuftwerfen  »erarbeitet.  SBerübmt  ift  bie  fcbone  gtofje 
Söafe  au8  SRb°^on^>  bie  bet  Äaifet  »on  JRufelanb  bem  cflettei* 
<biftben  Äaifer  fd?enfte  unb  bie  1873  auf  bet  SBiener  SBelt» 
außftellung  gerechte«  9lufieben  erregte. 

£Die  ^>ärte  be«  SRbobonit  ift  5—5,5  unb  habet  läfet  er  fub 
iticbt  fo  leid)t  bearbeiten,  wie  bet  SDtaladjit. 

Unter  @agat  ober  3et  »erftebt  man  im  engeren  ©inne 

(Ml) 


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22 


eine  gut  SSraunfohle  geljßrige  9>fd»fot)le,  feie  mit  ©Tbljatg 
burchbrungen,  pechfchwarg,  glängenb  unb  fo  wenig  fprßbe  ift, 
bafc  fie  ftd?  fdjneiben , feilen  unb  brtdjfeln  läfjt  unb  eine  fchöne 
Politur  annimmt.  35a  jebod?  aud)  bie  ber  Steinfohle  angehß= 
rige  Äännelfo^le,  bie  ber  eben  genannten  in  allen  ©igenfchaften 
feljt  ä^nlid?  ift,  in  ©nglanb  gleichfalls  gu  Schmucffadjen  Der. 
arbeitet  wirb,  fo  wirb  auch  biefe  im  weiteren  Sinne  mit  gu 
bem  ©agat  ober  Set  geregnet.  Such  biefer  £albcbelftein  war 
bereite  ben  Sllten  befannt.  35ie  aufserorbentlidje  fceidjtigfeit, 
bie  tiefe  Schwärge,  ber  fchßne  ©lang  empfahlen  biefen  Stoff 
fcbon  lange  als  SEtauerfchmucf,  unb  im  35epartement  be  l’Slube 
in  Sangueboc  hat  fith  feit  Saljr^unberten  eine  fct)r  auSgebehnte 
Snbuftrie  barin  entwicfelt,  bie  aber  feit  Safyrgetjnten  bebeutenb 
abgenommen  hflt.  SetjtereS  fönute  auffallenb  erfd>einen,  weil 
feit  einigen  3ahren  wohl  fein  Stein  bei  ber  35amenmelt  fo  be. 
liebt  ift,  als  ber  Set,  unb  nicht  blof?  als  Sdjmucf,  fonbern  auch 
als  Änöpfe  unb  Schnallen  in  grabegu  foloffalen  Nlaffen  Der« 
wenbet  wirb.  35ie  ©rflärung  liegt  barin,  ba§  faft  alle  biefe 
Slrtifel,  bie  jefjt  gu  fo  billigem  greife  als  Set  Derfauft  werben, 
Nachahmungen  finb,  theilS  auS  ©laß,  t^eilS  auS  Hartgummi, 
theilS  auS  noch  anberen  Stoffen.  35ie  auS  ©laS  beftehenben 
Set.  Nachahmungen  unterfcheiDen  fid)  Don  bem  echten  Set  burch 
Diel  grofjere  Schwere,  bie  auS  Hartgummi  baburch,  baf)  bie 
tiefichwarge  $arbe  beim  ©ebraud)  nicht  fo  bauerhaft  ift, 
fonbern  in  ein  fa^leS  ©raufdjwarg  ubergeht,  freilich  finb  bie 
Schmucffachen  auS  wirtlicher  .ffohle  fehr  Diel  tljeurer,  als  bie 
fpottbilligen  Nachahmungen. 

911S  lebten  in  bet  Neihe  ber  ^aibebelfteine  führe  ich  nun  ben 

©ernftein  Dor,  unb  ba  berfelbc  fowohl  in  naturwiffen« 
fchaftlicher,  als  auch  in  fulturgefchichtlichcr  ^>infid?t  wichtiger  unb 
angiehenber  ift,  als  irgenb  ein  anberer,  fo  fei  eS  mir  erlaubt, 
etwaö  genauer  auf  ihn  eingugehen. 

(MS) 


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23 


SBcnn  man  ben  Sernftein  auch  pereingelt  an  ben  per» 
fdjiebenften  fünften  bet  (Srbe  unb  in  perfcbiebenen  geologifcbe« 
©(hinten  angetroffen  bat,  fo  ift  bodj  b^ute  noch,  wie  oor  Saßt* 
taufenben,  bie  Äüfte  bet  Dftfee  bie  eigentliche  ^>eimatb,  bet 
weitaus  etgiebigfte  ftunbort  befjelbett. 

3>ie  Oftfee  ift  gwat  ein  33innenmeet,  unb  bat  alö  foldjeS 
feine  @bbe  unb  ftlutb,  fte  weitst  fowohl  in  ihrer  geograpbif<hen 
Slußbebnung  als  im  ©alggebalte  ber  fRorbfee,  auch  finb  ihre 
SBelten  weniger  b^tb  unb  fürger  al8  auf  ben  größeren  ©teeren, 
bennod)  beruht  e8  auf  Unfenntniß  biefeß  ÜJieereö,  wenn  eß,  wie 
häufig,  mit  einer  gewiffen  ©eringfcbäßung  bebanbelt  wirb. 

2>er  äftbetifche  ©inbrucf  ber  Oftfee  ift  fogar  in  mancher 
JBegiebung  ein  befriebigenbeter,  alö  ber  ber  meiften  anbeten 
©teere. 

@o  macht  ftd?  g.  33.  ein  anbereö  SDieer  gur  (Sbbegeit,  mit  ben  • 
(Sümpfen  unb  Tümpeln,  bie  eö  bann  umgeben,  burchauS  nicht 
feßön,  bie  Oftfee  erfdjeint  immer  uferootl,  unb  wäbrenb  fte  bei 
©onnenfehein  unb  SÖJinbftitle  ungmeifelbaft  pon  allen  norbifdten 
©teeren  baö  lieblichfte  ift,  wirb  auch  fie  in  ftürmifcher  33e» 
wegung  fo  großartig,  bah  bie  SBerfe  eines  h«mifchen  SDic^terd 
bfefeö  ©teer  treffenb  fdjilbern: 

„herrlich,  trenn’«  im  ©onnenglanje,  unermeßlich  liegt  unb  fctjtoeigt, 
„Schöner,  trenn  im  trilben  Janje  SBeH’  auf  ©eile  fchaumenb  fteigt. 

©tir  war  e8  pergönnt,  alö  Jfnabe  wieberbolt  bie  ©ommet« 
ferien  am  Dftfeeftranbe  gugubringen,  unb  ba  wirb  mir  ber 
33ernftein,  beffen  golbglängenbe  ©tücfchen  mit  immer  neuem 
Jubel  begrüßt  würben,  wenn  wir  fie,  befonberö  häufig  nach 
ftürmifchen  Jagen,  gwifeßen  ben  glatten  ©efeßieben  unb  bem 
Seetang  am  ©tranbe  fanben,  ftetö  eine  fonnige  3ugenberinne* 
rung  bleiben. 

(863) 


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24 


ttnb  eine  ähnliche  Stoße  faiett  bet  Sernftein  in  bet  Äinbheit 
bei  ßRenfchengefchlechtl,  in  ben  Anfängen  bet  Gefcbichte.| 

3 )a  bringen  pljönicifdje  ÜHänner  bal  Gleftron,  ben 
©onnenftein,  ben  93ölfern,  bie  bal  Sftittelmeer  umwohnen,  aul 
fabelhafter  gerne,  oom  fönbe  bet  SBelt  all  gröfcte  Äoftbarfeit; 
trab  wähtenb  fich  bie  frönen  Griechinnen  mit  iijm  fchmücfen, 
unb  bie  SDit^ter  biefel  begabteften  aller  23ölfet  oon  ihm  fabeln, 
bafc  bie  glängenben  @ teufe  oerfteinerte  Spänen  foldjer  Heroinen 
feien,  bie  non  ben  Göttern  mit  tragifchem  Gejchicfe  ^etmqefuc^t 
würben,  entbeeften  gtiedhifebe  ?>h^0l0P^en  fa  ihm  jene  'm  ®»eufte 
bet  SBtenfchheit  heute  fo  gewaltige  vljpfifaltic^e  Äraft  nnb  nennen 
fte  nach  i^m  bie  Gleftrigität.  — 

SDet  erfte,  bet  ben  Sernftein  erwähnt,  ift  «pomer  (950  o.  Ght.). 
— SDtan  Z®aT  in  neuerer  Seit  bezweifeln  wollen,  ob  .poraer 
mit  bem  SBorte  Gleftron  ben  Sernftein,  unb  nicht  oielmehr  eine 
SRetafllegiruug  aul  Golb  unb  ©Uber  (4:1)  gemeint  höbe; 
ich  glaube  mit  Unrecht;  — ba§  bie  urjprünglicbe  SSebeutung  bei 
SBortel  Gleftron  ber  23ernftein  war,  ift  unbeftritten,  bie  zweite 
SJebeutung  ber  ÜJletaßlegirung  tritt  uni  etft  bei  §>aujanial  unb 
9)liniu8,  alfo  faft  ein  3ahrtaujenb  jpäter  entgegen,  unb  el  ift 
wohl  fetjr  wahtjcheinlich , ba§  man  etft  eine  geraume  3eit  nach 
bem  33efanntwerben  bei  Serufteinl  barauf  oerfiel,  eine  ihn  in 
ber  garbe  nachahmcnbe  ßJietafllegirung  mit  bemjelben  Stamen 
Zu  bezeichnen.  2)te  Seit  aber,  in  welcher  ber  ©ernftein  ben 
Griechen  befannt  würbe,  bürfte  gwifchen  bie  ^Dichtung  ber  3Ual 
unb  bet  Dbpffee  faßen.  3n  ber  Dbbffee  erwähnt  Jpomer  ihn 
btei  mal,  in  ber  3tial  gar  nicht,  unb  biel  fpricht  ftarf  bafür, 
bah  et  ihn  noch  nicht  fannte,  all  er  bie  Slial  bichtete  (bereu 
frühere  (Sntftehung  auch  ohnehin  aßgemein  angenommen  wirb), 
ba  bei  feiner  Steigung,  glängenbe  Äoftbarfeiten  aulführlich  Zu 
fchilbern,  er  ihn  wohl  fo  wenig  in  ber  3lial  übergangen  haben 
würbe,  wie  in  ber  Dbpffee. 

(864) 


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25 


Sa  bie  gasreichen  ©teilen  bet  3liaß,  in  benen  alleß  auf* 
gestylt  wirb,  waß  eß  bamalß  an  töoftbarfeiten  gab:  fei  eß  bei 
bet  ©djilberung  beö  ©djmudeß  bet  ©öttinnen,  fei  eß,  ba§  ein 
überwunbenet  j£>elb  bent  Uebetwinbet  bie  ©chäfce  aufjäljlt,  bie 
et  erhalten  foDe,  wenn  er  bem  Ueberwunbenen  baß  geben  jchenft, 
ober  bei  Aufgählung  bet  Äojtbatf eiten,  bie  Agamemnon  bem 
erzürnten  Achilleuß  alß  ©ühne,  ober  bie  $>riamuß  bemfelben 
alö  göjegelb  für  ben  geidjnam  feineß  ©oljneß  £eftot  bietet, 
ober  ber  greife,  bie  StdjiO  für  bie  SBettfämpfe  bei  beß  ^atrolluß 
Stobtenfeier  außfefjt  — alle  biefe  unb  oiele  ähnliche  ©teilen 
beweijen,  bah  £omet  bamalß  ©belfteine  im  Allgemeinen  unb 
auch  ben  23ernftein  noch  nicht  fannte.*) 

©eit  jpomerß  Seit  blieb  nun  ber  SBemftein  wäf)tenb  beß 
gangen  Alterthumß  einer  ber  fyo<bgejcbä|teften  ©belfteine,  grie* 
chifcbe  unb  römifd'e  SDidjter  greifen  ihn,  unb  bejonberß  feiert 
ihn  ber  tömijdje  SDidjter  ©tartial,  bet  oorgugßweife  ben  im 
SJetnjiein  oft  eingefdjloffenen  Snieften  mehrere  ^übfdje  6pi« 
gTamme  njibmet.  Alß  ©eifpiel  biene  folgenbeß: 

2)ie  Söiene  im  Sernftein. 

@anj  im  ©ernfteintropfen  »erborgen  erblidfft  bu  bie  SBiene 
Deutlich,  al«  büßte  ring«  eigener  $onig  fte  ein. 

SBürbigen  gobn  trug  ttobl  fte  baeon  für  baß  geben  »oll  Arbeit, 
©lauben  möcfjt  icb,  baß  fo  felber  fie  fterben  gewollt! 

33on  9lero  wirb  unß  berichtet,  bah  er  einen  römifchen 
fRitter  in  bie  ,£>eimath  beß  33ernfteinß  fchidte,  um  grofje  föiaffen 
beß  foftbaren  ©teineß  gu  holen,  bie  bei  einem  ber  Diiefenfefte, 
bie  ber  Ä'aifet  bem  römifchen  SBolfe  gab,  gum  ©chmud  oets 
wanbt  würben. 

@ß  fcheint,  bafe  bamalß  ber  ^ernftetn  auf  oiet  biß  fünf 
»erfdjiebenen  SBegen  oon  ber  Sßorbfüfte  Deutfchlanbß  an  bie 
Äüfte  beß  aJtittelmeereß  gelangte,  nämlich  t^eilß  »on  bet  SSeft* 
füfte  ©chleßwig*^)olfteinß  unb  ben  frieftfehen  Sufeln,  an  benen 

(86S) 


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26 


auch  teute  noch  ©ernftein  uorfommt  (alfo  9torbfee*©ernftein) 
auf  bem  Seewege  butdj  Me  SJteerenge  Bon  ©tbrattar  (wohl 
bet  ättefte , Bon  ben  pönijiern  eingefdjlagene  5Beg),  ttjeitS  Bon 
bemfelben  ^unborte  übet  Sanb  nach  Piafftlia,  bem  heutigen  ÜRat* 
feille,  unb  auf  einem  fRebenwege  übet  bie  Alpen  nach  bem  Po,, 
ferner  Bern  Samlanbe  t^eiCS  übet  bie  ©egenb  beS  tätigen 
Prefjburg  nad)  bem  abriatifdjen  SReere,  tljeilö  ben  kregel  auf* 
warte  unb  ben  IDniepr  abwärts  nach  bem  PontuS  ©upmuS,  bem 
heutigen  fchmar^en  9Reere. 

3ahlreicbe  SRün^enfunbe  im  ©aterlanbe  beS  ©ernfteiue# 
beweifen  noch  ^eutc  ben  damaligen  regen  ^anbef8»erfebt , unb 
fo  ift  ber  ©ernftein  bet  erfte  ©ermittlet  geworben  jwifdjen  ber 
boten  ©ioilifation  ber  fübeuropätfchen  ©ölfer  unb  ben  norblicten 
©arbaren  an  ben  Äüften  bet  Dftfee. 

Auch  übet  baS  Söefen  beS  ©ernfteinS  hatten  bie  alten 
fRömet  unb  ©tiefen  fdton  fetr  richtige  Anfichten,  inbem  fie 
itn  für  ein  ©aumhar$  erflärten,  unb  wenn  auch  bie  meiften 
ben  ©aum,  eon  bem  er  flamme,  für  bie  Schwarzpappel  hielten, 
fo  nimmt  doch  fdben  piiniuS  ganj  richtig  an,  bah  et  in  baS 
gidjtengefcblecbt  gehöre.  fRur  in  einem  fünfte  irrten  fie,  in« 
bem  fte  annabmen,  bah  ber  fragliche  Saum  noch  3U  ihrer  3eit 
in  fernen  Sanben  wachfe,  unb  biefer  Srrthum  ift  natürlich,  ba 
ja  bie  ©inficht,  bah  eS  frühere  ©rbperiofcen  mit  eigenem  Pflanzen* 
unb  üh^leben  gab,  Bon  bem  nichts  weiter  erhalten  blieb,  als 
waS  fich  in  fpäteren  ©rbichichten  fonferoirte,  erft  bie  geige  oet* 
hältnihmähig  neuer  ©ntbeefungen  ift. 

31  ber  bann  folgten  anderthalb  Sahrtaufenbe,  bie  nicht  nur 
feinen  gortfebritt  in  ber  ©rfenntnif?  ber  SRatur  im  allgemeinen 
unb  unfereS  ©ernfteinS  inSbefonbere  machten,  fonbern  biefe,  wie 
fo  manche  andere  SBahrheit,  bie  baS  Alterthum  erfannt  hatte, 
mit  bem  Schutte  ber  Unwiffenbeit  unb  beS  Aberglaubens  be» 

bedften,  unb  felbft  bie  Anfichten  ber  gelehrten  fRaturfotfchev  beS 

(806) 


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27 


16.  unb  17.  SaljrfyunbcTtß  geigelt  einen  foloffalen  fRücfjchritt 
gegen  bie  richtige  (Srfenntnifs  ber  Sllten. 

@rft  im  »origen  Sabrbunbert  bricht  ftd?  bie  richtige  änfidjt 
non  ber  foffilen  ^arjnatut  be8  SernfteinS  allmählich  SBa^n. 
©eitbem  bat  unfere  jfenntniff  ber  Dlatur  beffelben  tafd)e  $ort* 
fdiritte  gematzt,  unb  groat  »orgugSroeife  burd)  bie  Arbeiten  non 
®d)t»eigger  1819,  Sodann  6l)tiftian  iStjcfe  unb  Dr.  35e» 
renbt  in  SDangig,  bann  feit  1845  burd)  bie  bebeutenben  Arbeiten 
beö  $)rofeffot  ©öppert  in  33reölau  unb  enblid)  burdj  ^rofeffor 
3abba<b  in  jfenigbberg. 

©d)on  früher  bei  Gelegenheit  be8  ßcf>igramm8  non  ÜJiartial 
führte  ich  an,  ba§  ber  Sbernftein  häufig  fogenannte  @injcblüffe 
enthalte,  unb  bteie  (Sinjcblüffe  haben  «8  beit  oben  genannten 
Slatuvfovfd'ern  möglicb  gemacht,  ein  jehr  beutlichcß  Slilb  be8 
JBernfteinwalbeß  gu  geid'iien. 

3>et  SSernftein  floh  alß  ein  mehr  ober  weniger  bünnflüjfigeS 
£arg  auß  ben  SBurgeln,  ben  3roeigen  unb  ber  JRinbc  feines 
3?aume8,  unb  jchlof)  Ijänftg  Snfeften  unb  Steile  beb  SBalbeß, 
bie  ber  23inb  binfübrte,  SMiitben  unb  SBlättchen,  auch  ©tiide 
»on  ber  JRinbe  ober  ©amen  ein. 

S?a8  bünnflüjfige  £arg  umgab  biefelben  ooHfommen,  er* 
härtete,  unb  erhielt  fo  biefe  garten  tbierijehen  unb  pflanglidjen 
Hheile  in  einer  SBcllfi'mmenbeit,  bie  e8  heute  nod)  möglid)  macht 
an  SDiinnfcbliffen  bie  feinfte  ©truftur  berjelben  unter  bem  5Ri* 
frojfope  gu  erfennen.  fftatürlich  fonferoirte  er  aud?  Steige  unb 
fRinbenftücfe  be8  0aume8,  au8  bem  er  gefloffen,  unb  fo  war 
e8  benn  möglich,  ben  33ernfteinbaum  felbft  feftguftellen,  fo  wie 
auch  über  bie  33äume  unb  fPflangen,  bie  im  S3ernfteinwalbe 
fonft  noch  tnuchfen,  unb  bie  Snfefteu,  bie  ihn  belebten,  eine 
foldje  SJienge  ton  öingelheiten  gu  ermitteln,  baff  fid)  au8  ben* 
felben  ein  giemlich  »ollftänbigeS  SMlb  jener  um  ^Millionen  3ahre 
entlegenen  3eit  herfleQei1  Itch- 

(»67) 


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28 


@o  würbe  beim  ermittelt,  baf)  bie  ©emfteinbäume  gut 
Stertiärgelt  wachfenbe,  mit  unfern  gidjten  nahe  Derwanbte  (Joniferen 
waren,  beren  einer  ©ßppert  ben  9iamen  ©ernfteinfichte, Pinites 
guccmifer,  gegeben  fyat.  Slufcet  biefer  ©ernfteinfichte  gab  eß  im 
©ernfteinwalbe  noch  gegen  30  Slrten  anbeter  giften  unb  Samten, 
20  ©ppteffen  unb  S^ujaarten,  Don  benen  bie  eine  mit  unferm 
heutigen  iiebenßbaum  (Thuja  occidentalis)  DÖflig  übereinftimmt 
unb  in  jenem  ©albe  am  häuftgften  gewachfen  gu  fein  fdjeint; 
ferner  eine  ©irfe,  eine  (Stle,  eine  .fiainbucbe,  groei  ©udjen, 
fieben  (Sichen,  brei  ©eiben,  eine  jfaftanie,  eine  Sltagie  unb 
einen  ^ampljerbaum,  fobann  aufeet  gasreichen  Slrten  Don  tilgen, 
gledjten,  üebermoofen  unb  &mbmoofen,  eine  iStge,  ein  garren« 
traut,  unfere  ^jeibelbeere,  unjete  gonicera,  eine  ©erwanbte 
unfereß  Äaprifoliumß,  unb  gahlreidje  anbere  £ai  betrauter  unb 
©albpflangen,  bie  gum  Shf^  DDn  ben  heutigen  nicht  gu  unter« 
fdjeiDen  finb,  mit  einem  ©orte  eine  ©albflora,  wie  fie  heut* 
noch  ähnlich  im  nörblicben  Slmerifa  gefunben  wirb. 

greitich  untetfdjeibet  fidj  bie  glora  beß  Sernfteinwalbeß  auch 
wiebet  in  Dielen  fünften  Don  ber  heutigen  glora  beß  nßrblichen 
Slmerifa,  fo  unter  SInberm  auch  in  einem  für  unß  gang  wefent* 
liehen  fünfte:  eß  wirb  bort  fein  ©aum  gefunben,  ber  ftd)  im 
^>argreid?thum  nur  annähernb  mit  ber  ©ernfteinfichte  meffen 
tonnte. 

|>ierin  fteht  nur  ein  ©aum  bet  SetMgeit  ber  ©ernfteinfichte 
nahe,  biei  n SReujeelanb  wachfenbe  Dammara  australis,  Don  ber 
baß  SDammavharg  fommt. 

SMe  3abl  her  Shierarten  aber,  bie  biß  jefjt  im  ©ernftein 
gefunben  unb  wiffenfchaftlich  beftimmt  finb,  unb  bie  fidj  gufammen« 
fe£t  auß  gliegen,  Slmeifen,  Käfern,  «Schmetterlingen,  Spinnen, 
Saufenbfüfjen  unb  (Sruftaceen,  beläuft  fteh  bereitß  auf  über 
taufenb  Sitten  unb  wirb  jebenfaltß  noch  bebeutenb  oermehrt 
werben. 

(M8) 


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29 


©el}en  wir  nun  ju  ben  tfagerungSoerhältniffen  über,  in 
benen  bet  8ernftein  heute  im  ©amlanbe  gefwtben  wirb. 

@t  fommt  bort  junächft  in  ben  Sraunfe^len  füljrenben 
Schichten  not,  aber  hoch  nur  fpärlich  unb  nefterweife,  fo  ba§ 
feine  Ausbeutung  in  biefen  Schichten  nicht  lohnenb  ift;  bie 
eigentliche  8 ernfteinfdjidbt  ift  bie  fogeng, nute  „blaue 
6tbe",  welche  unter  ben  8raunfohlen  führenben  Schichten  in 
einer  SRächtigfeit  oon  4—20  gu§  liegt  unb  auS  einem  grün* 
lieh  grau  gefärbten  Königen  ©anbe  mit  häufigen  filberglänjen« 
ben  weifcen  ©chüppchenbefteht.  SBenn  biefe  ganj  djarafteriftifdje 
Schicht  bet  „blauen  @rbe*  bei  8 o^roerfu^en  gefunben  wirb, 
fo  ift  man  ftdjet,  im  eigentlichen  SReidje  beS  8ernfteinS  $u  fein, 
fie  ift  überall,  wo  man  fte  noch  auffanb,  fo  reich,  bafc  jebet 
Äubiffufc  berfelben  Vtr  — ^ ?)funb  beS  werthoollen  ©teineS  enthält. 
Soeben  faßte  ich,  bafc  Die  Barbe  bet  blauen  @rbe  grünlich 
grau  fei,  unb  in  bet  $£hat  wirb  niemanb,  bet  bie  groben  ber» 
felben  in  einet  ©ammlung  fte^t,  begreifen,  wie  fie  ju  bem  Sßamen 
bet  blauen  6rbe  fommt. 

Unb  bennoch  ftebt  fte  an  Ort  unb  ©teile,  wo  ich  ft*  im 
Sahte  1860  in  bet  8entfteingräberei  ©affau  im  ©amlanbe  fah, 
blau  auS. 

m ift  bieS  ein  optifcheS  Phänomen,  baS  ich  nicht  «tflären 
fann,  unb  baS  tjödjft  übertafchenb  ift. 

8ieHeidjt  liegt  eS  in  bem  ©egenfafce  ber  gelblich  weiten 
©anbfchichten,  bie  batüber  liegen,  oieHeidjt  fpielt  ber  JRefler 
»on  Fimmel  unb  9Reer  eine  fRofle  babei. 

Jhatfache  ift  eS,  bafj  ich  i«  wieberholten  SRalen  groben 
auS  ber  auch  auf-  mich  ben  ©inbtucf  einer  bläulichen  ©deicht 
machenden  drbe  nahm,  unb  fie  auS  ber  Schachtel  wiebet  fort» 
fchüttete,  weil  ich,  fobalb  ich  ft*  in  berfelben  hatte,  immer  wie» 
bet  glaubte,  jufäHig  eine  ©teile  bet  Schicht  getroffen  gu  haben, 

bie  bie  charafteriftifche  Barbe  nicht  geigte,  bis  mir  bie  Slhatfache 

(86») 


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30 


feftftanb,  baß  bie  „blaue  6rbe,"  nur  wo  fie  als  mäeßtige  Scßicßt 
anfteßt,  bläulich  erfeßeint,  in  groben  aber  grünlichgrau  auSfießt. 
SDiefe  „blaue  Gfrbe"  nun  liegt  im  H13B.  beel  Samlanbeö  faft 
überall  ungefähr  100  $uß  unter  bet  ©rboberfläcßc  unb  wirb 
tßeilö  bureß  Stagebau,  tßeilö,  wie  jeßt  in  ^)almnic!en,  bergmännifeß 
auggebeutet. 

2Bo  bie  ©ernfteingräberei  im  Stageban  betrieben  nrirb,  wie 
früher  3.  ©.  in  Saffau,  ba  werben  bie  oberen  Scßicßtcn  ber 
fteilen,  faft  fenfreeßt  gum  Hlleete  abfaCfenben  100  big  150  ftuß 
bo^en  SDünen  abgegraben,  big  bie  Schießt  ber  blauen  @tbe 
»oUftänbig  entblößt  ift.  SDiefe  wirb  bann  in  regelmäßigen  fleinen 
Serraffen  oon  8 Boß  ^>ötje  bureß  eine  Hleiße  langfam  rürfwärta 
feßreitenber  Hlrbeiter  mit  fleinen  hölzernen  Spaten  3otl  für  3ett 
abgeftoeßen;  wäßrenb  bie  oor  ißnen  fteßenben  Stuffeßer  bie  auf  biefe 
SBeife  an’8  Sicßt  fommenben  ©ernfteinftüefe  in  Säcfen  fammeltt 

SDie  Scßwierigfeit  biefer  HJletßobe  liegt  im  anbringenben 
SBaffer,  welcßef*,  ba  bie  blaue  Schießt  faft  immer  tiefer  liegt, 
alö  ber  Seefpiegel,  oft  bureß  bie  9>ump*  unb  ©cßöpfoorricß* 
tungen  nießt  entfernt  werben  fonnte.  SDennocß  würbe  bet  Stage* 
bau  früher  beoorjugt,  weil  man  nicht  perftanb,  bie  3lu8$imme* 
rung  fo  eingurießten , baß  ber  locfere  feine  ©anb  buteß  biefelbc 
abgeßalten  würbe.  SDieg  ift  jeßt  gelungen,  unb  baö  ©ernftein* 
bergwetf  ju  §)almnicfen  liefert  ganj  enorme  (Erträge.  @8  wirb 
ßier  bie  ganje  HJlaffe  ber  blauen  Gerbe  ju  Stage  geförbert  unb 
bie  gewaltige  Hßaffermaffe,  welcße  bureß  SDampfmafcbinen  au8 
bet  StSiefe  geßoben  wirb,  gleich  baju  oerwenbet,  bie  blaue  @rbe 
bureß  ein  Sßftcm  oon  6 Hießen  gu  fcßlemmen,  oon  benen  jebeS 
folgenbe  engere  HJlafeßen  ßat,  al8  ba8  ootßetgeßenbe. 

3lm  Scßluße  ber  sptocebur  ift  bie  gefammte  Gerbmaffe  bureß 
bie  Hieße  gewajeßen,  wäßrenb  bie  barin  enthaltenen  ©ernftein» 
ftücfe  gleich  in  6 oetjeßiebenen  ©roßen  fortirt  in  ben  einzelnen 
Hießen  liegen. 

(870) 


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31 


9tatiirltd)  erftrecft  fir  bie  5Bernfleinfd)id}t  aud)  weit  unter 
bem  WeereSboben  fort,  wirb  ^ier  leicht  burd?  bie  ftürmifc^cn 
Segen  aufgewühlt  unb  baher  ber  ©ernftein,  bet  nur  wenig 
fdjwerev  ift,  al§  ba8  ÜJicerwaffet,  oon  ben  Sellen  an  ben  Stranb 
geworfen 

früher  begnügte  man  fidj,  ihn  bem  ÜJiceve  bmr  Sröpfen 
mit  Käfremefien  ab^ugewinnen,  jefjt  gefc^ieht  bieg  theil8  bunt) 
©aggermafdjinen,  wie  in  ©cbwarjort,  theilg  burd)  Maurerarbeit, 
wie  in  ''Palmnicfen. 

SDie  auf  biefe  Seife  gewonnenen  ©ernfteinmaffen  finb  ganj 
ungeheuer,  im  3af)re  1876  allein  in  ber  $>ro»ing  $>reuhen 
2700  Gtr.  unb  bennod ) ift  bei  ber  fron  jefct  feftgefteüten  enot* 
men  ^läd?enau8behnung  ber  blauen  (Jrbe  nicht  ju  befürchten, 
bah  in  abfehbarer  Beit  ber  Cfrtrag  beg  ©ernjteing  fich  oermin* 
bem  wirb.  Ulun  enthalt  jwar  bie  blaue  @rbe  neben  ihrem 
©ernftein  aur  |>oljrefte,  aber  boch  nur  in  fo  geringer  Wenge, 
bafe  man  unmitlfürlid)  bie  «tage  aufwivft:  So  ift  ber  ©ern» 
fteinwalb  geblieben,  wo  finb  bie  mächtigen  Stämme  h*nge» 
fommen,  bie  biefe  ungeheure  Wenge  oon  .£>atj  lieferten,  wo 
finben  fid)  wenigftenS  bie  mächtigen  foffilen  Kohlenlager,  bie 
fich  boeb  wenige  gufi  über  ber  blauen  (Srbe  in  ben  Sraunfohlen« 
chichten  erhalten  haben? 

@8  ift  bieg  nor  eine  bet  ungelöften  tRäthfelfragen,  bie  ber 
©ernftein  bem  forfrenben  Wenfrengeifte  feit  nunmehr  3000  ^ 
3ahren  aufgiebt,  unb  bie  in  ber  oerfriebenfteu  Seife,  aber  big» 
her  nirt  genügenb  beantwortet  worben  ift.  SDie  6inen  nehmen 
an,  ber  ©ernftein  fei  an  ber  Stelle,  an  ber  er  entftanb,  liegen 
geblieben,  bie  Stämme  beö  ©ernfteinwalbeg  aber  feien  bunh 
Weereefluthen  fortgefr»emmt.  Slnbere  wollen  umgefehrt  eg  für 
wahrfreinlir  halten,  bah  ber  ©ernftein  gar  nirt  an  feinem 
feigen  guttborte  entftanben,  fonbern  burr  bie  gluthen  anges  ' 
frwemmt  fei.  3r  fann  beibe  3nfirten  nirt  für  wahvfr^nlir 

(871) 


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32 


galten,  unb  wenn  ich  mir  erlauben  barf,  bie  meinige  au8gu» 
fpredjen,  fo  ift  e8  folgenbe. 

Vefanntlich  hot  ber  ©auerftoff  ber  ^tmofp^äre  eine  fehr 
! ftarfe  Verwanbtfchaft  gu  bem  ^o^Ienftoff  be8  .fjolgeS,  eine  $th«t» 
fache,  bie  wir  täglich  beim  Verbrennen  beleihen  fehen,  ba  ja 
I biefer  Verbrennung8proge§  nur  bann  befielt,  baff  fid^  auf  leb» 
hafte  SBeife  unb  unter  geitererf^einung  ber  ©auerjtoff  bet  ätmo* 

1 fp^äre  mit  bem  Kohlenftoffe  be8  .fjolgee  gu  Kohlenfäure  uet* 
binbet.  Kann  nun  ber  atmofphärifche  ©auerftoff  in  genügenbet 
SJtenge  an  ben  Kohlenftoff  hetantreten,  »je  bei  einem  im  freien 
angegünbeten  ?euer,  fo  erfolgt  eine  »otlftänbige  Verbrennung, 
welche  bie  Seftanbtljeile  be8  jpolgeS  fammt  unb  fonberS  in  ga8* 

1 förmiger  ©eftalt  in  bie  SJtmofphäre  überführt,  unb  nur  bie 
i Ijöc&ft  unbebeutenbe  Slfcbe  gurücfläfet;  wirb  bem  ©auerftoffe  abet 
bet  3utritt  im  gaufe  be8  Verbtennung8proge§e8  abgefperrt,  wie 
bei  ben  Kohlenmeilern,  fo  bleibt  ein  ftarfer  Südftanb  non 
Kohlenftoff,  bie  Kohle,  gurütf,  ein  ^rogeji,  ben  wir  unnoll* 
fommene  Verbrennung  ober  Verfolgung  nennen.  Veibe  f)ro» 
3effe  nun,  bie  »ollfommene  wie  bie  unnoDfommene  Verbrennung 

1 

' finben  auch  bei  bem  .fjolge  ftatt,  weites  unter  bet  Oberfläche 
ber  ©rbe  liegt,  nur  ba§  fte  hier  oiel  langfamer  unb  ohne  $euer» 
erfcheinung  uor  ftdj  gehen,  e8  »olljieht  fich  h*er  ber  9>roge§  ftatt 
in  ©tunben  in  Saljrgehnten  unb  3ahthunberten.  2)en  Veweifl 
für  biefe  Vorgänge  liefern  un8  oiele  Kirchhöfe,  in  benen  man 
oft  fchon  nach  wenig  3ahrgehntett  bei  angeftellten  Vathgrabungen 
feine  ©pur  bet  hölgernen  ©arge  mehr  wieberftnbet,  wie  bie« 
3.  V.  auf  bem  S£rinitati8firchhof  3U  SDreSben  bet  Wall  ift. 

SBerben  nun  SBälber  burch  ©anbfchichten  überbecft,  fo  »cd* 
3ieht  fich  biefer  Iangfame  VerbtennungSprojef?  fo  lange,  bi« 
etwa  barauf  folgenbe  ©chichten,  bie  ben  Bntritt  be8  ©auerftoffS 
hemmen,  ihn  unterbrechen. 

©8  fcheint  mir  ungweifelhaft  gu  fein,  bafj  bie  PoQftänbige 

C87») 


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33 


unterirbifche  Verbrennung  bie  Kegel,  unb  bie  unuoUftänbige 
(bie  Verfehlung)  bie  Sluönahme  ift,  benn  fonft  müßten  mit  bie! 
Kefte  ber  foloffalen  Vlalbungen,  bie  ja  p jeber  3eü  in  ben 
leßten  ©rbperioben  bie  (Srboberfläcße  bebedten,  überall  in  unge* 
heuten  Kohlenlagern  finben,  währenb  biefelben  bod),  »erglichen 
mit  ben  SSalbmaffen,  welche  nur  feit  lOOOOO  3ah«n  entftanben, 
jehr  unbebeutenb  finb.  Huch  ift  eß  mehr  »ie  wahrfcheinlicß, 
baß  biefet  langfame  ^ro^eß  baö  ^>arj  ber  Vernfteinfichte  all*  / 
mählich  fo  weit  umänberte,  bah  eö  baburch  erft  p Vernftein 
würbe,  baö  Reifet,  biejenigen  chemifchen  unb  ^pftfalijc^en  ©gen* 
jehaften  erhielt,  bie  ben  Vernftein  non  bem  heutigen  Vaumhatj 
unterfcheiben. 

1 \ 

£>er  Vernfteinwalb  ftanb  alfo  bort,  wo  fich  heute  noch  ber  . 
Vernftein  finbet . in  ber  blauen  @tbe  unb  füllte  fte  im  Üaufe  \ 
ber  Sahrtaufenbe  Schicht  für  Schicht  mit  Vernftein;  er  würbe 
mit  Sanbfchichten  überbeeft,  fei  eö  weil  ber  Voben  fich  fenfte,  j 
ober  weil  ber  Seefßiegel  ftieg,  baö  <£>olj  oerbanb  fich  mit  bem  < 
Sauerftoff  ber  ^uft  unb  oerflüchtigte  fich,  unb  nur  bie  spärlichen 
Kefte,  bie  burdj  bie  Umhüllung  beö  Vernfteinö  gejehüßt  waren, 
finb  unferer  3eit  erhalten  werben. 

Vier  bie  gleichmäßige  (Srfülluttg  ber  blauen  @rbe  mit  Vern* 
ftein  fieht  unb  bie  mele  Dnabratmcilcn  große  Sluöbehnung  ber* 
felben  in’ß  iäuge  faßt,  ber  fann  wohl  nicht  barait  gweifeln,  baß  / 
ber  Vernftein  h«er  auf  feineT  urftminglichcn  gagerftätte  liegt  unb 
nicht  bloß  pfällig  h'ueingefpült  würbe,  baß  aber  bie  Stämme  . 
eon  ÜJleereöfluthen  fortgefpült  würben,  erjdjeint  nicht  glaublich,  I 
weil  biefelben  ftlutßen  woßl  auch  ben  Vernftein  felbft  mitge* 
nommen  haben  würben. 

SDie  auö  bem  Vleere  ftammenben  Verfeinerungen  aber,  bte 
fich  nicht  grabe  häufig  in  ber  blauen  @rbe  finben,  fonnten  feßr 
woßl  butch  Sturmfluthen,  welche  bann  unb  wann  Seeeinbrüche 
unb  Ueberfchwemmungen  in  ben  an  ber  Küfte  waeßfenben  Vern» 
fteinwälbern  cerurfadfen,  in  biefelbe  gelangen,  unb  beweifen 

UV.  314.  3 (873) 


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34 


baher  nichts  gegen  unfere  Annahme.  3n  bie  über  ber  Sern* 
ftetnfdjidjt  lagernben  jüngeren  tertiär*  unb  ©ilumaljdjidjten,  in 
benen  fid?  ber  Sernftein  unregelmäßig,  nefterroeife  finbet,  in 
biefe  Schichten  ift  er  aud  ber  blauen  (ärbe  hineingefpült,  gerabe 
jo,  wie  man  ihn  in  ben  Sanbjchichten,  bie  burch  bie  £hätigfeit 
bed  SDieereß  jeßt  gebilbet  werben,  gleichfalls  nad)  3al)rtaujenben 
nefterweife  fiuben  würbe,  wenn  il)n  nicht  bie  SDienfchen  jo  jorg. 
faltig  auffammelten. 

$Die  oerhältnifimäßig  fpätlichen  Sernfteinfunbe  in  alteren 
Schichten  bagegen,  g.  S.  im  ©ppd  gu  Seegeberg  ober  in  einem 
bet  jfreibe  gugerechneten  Sanbftein  bei  Hemberg  in  ©aligien 
beweijen,  baß  ber  Sernfteinbaum  in  biejen  früheren  gormattoneu 
fdjon  feine  Vorläufer  gehabt  l)at.; 

35er  beutjche  lltame  Sernftein  fommt  »on  bem  plattbeutjdjen 
SBorte  börnen,  h0(hbeutfch  brennen,  Reifet  alfo  fooiel  wie 
Srennftein,  weil  er  befanntlich,  an  eine  glamme  gehalten,  fich 
entgünbet  unb  angenehm  riechenbe  35ämpfe  entwicfelt,  wedhalb 
bie  werthlofen  fleinen  Stüde  unb  Abfälle  oielfath  gum  Tauchern 
gebraucht  werben,  foweit  fte  nicht  gur  ©eroinnung  ber  werth* 
»ollen  Sernfteinfäure  ober  beß  fe^r  gefehlten  Sernfteinladed 
bienen. 

25ie  großen  Stüde  liefern  bad  SDtaterial  gu  ben  }d)önen 
Schmudfacßen,  bie  heute  noch  wie  oor  3000  3ahren  wegen  ihrer 
leuchtenden  garbe  unb  ihre«  fd)önen  ©langed  jo  hoch  im  SBerthc 
gehalten  werben. 

35ie  Searbeitung  bed  Sernfteind  ift  eine  oerhältnißmäßig 
leichte,  ba  bie  $ätte  beffelben  nur  2 biß  2,5  ift,  et  fich  aljo 
leicht  burch  93ieffer,  Säge  unb  geile  bearbeiten  unb  mit  treibe 
politen  läßt. 

Seine  garbe  ijt  fehr  Derfd)ieben  unb  geht  Dom  unburch* 
ftdjtigen  &reibeweiß  burch  alle  ©rabe  ber  35urchfichtigfeit  unb 
alle  Stufen  oon  gelb  unb  braunroth. 

35ie  5)lobe  h<*t  gu  oerfchiebenen  Seiten  beim  Sernftein  fehr 

(874) 


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35 


gewechfelt,  beim  währenb  bie  iHömer  bie  braunroten  ©tüde, 
bie  fie  nach  ber  garbe  Hjreö  feurigen  SBeinb  Falerner  nannten, 
für  bie  werthoollften  gelten,  werben  l)eute  bie  wenig  burd)* 
fufetigen  weingelben  fogenanntcn  fumftfarbigen  (Äumft  wirb 
in  ber  SDangiget  ©egenb  ber  2öei§foljl  genannt)  am  Ijödjften 
begahlt.  Ueberhaupt  ift  ber  SBerth  beb  Sernftcinb  feit  bem 
SUtertijume  fe^r  h*runl*T8e0an8*nf  unb  wenn  er  bamalb  bem 
©elbe  gleich  gehalten  würbe,  fo  muffen  eb  tjeute  fdjon  fetjr 
fdjöne  ©tüde  fein,  wenn  fie  ben  SBerth  beb  ©ilberb  erreichen 
feilen  (15  ©ramm  1 üfyalet). 

freilich  wirb  eine  Slrt  Sernftein  auch  heute  noch  fe  tjocij 
begahlt  wie  bab  ©olb  unb  noch  i)öl)et,  bab  ift  ber  auf  ber 
3nfel  ©icilien  gefunbene  Sernftein.  JDerfelbe  geiebnet  fid)  burdj 
eerf^iebene  garbeneigenthümlicbfeiten  eor  bem  norßifcben  Sern* 
ftein  aub,  inbem  ficb  unter  feinen  ©tütfen  fo  leudjtenb  hpacinth« 
rothe  finben,  wie  fenft  nirgenbb,  aufjerbem  aber  haben  »iele 
©tüde  bie  merfwürbige  ©igenfehaft  ber  gluorebceng,  b.  h- 
fie  geigen  bei  auffadenbem  üfcageblidjt  eine  gang  anbere  garbe 
alb  bei  burchfaUenbem.  ©o  erfdjeinen  rötliche  ©tüde  bei  auf* 
fallenbem  Sageblichte  mit  grünem  unb  weingelbe  mit  bläulichem 
©dummer.  — 3ft  bie  3ahl  ber  Drte  auf  ©icilien,  wo  fid) 
biefer  aubgegeidjnete  Sernftein  finbet,  auch  greff,  io  ift  er  bod) 
überall  fo  feiten,  bafj  ftd?  baraub  fein  h*>her  ?)reib  hinlänglich 
etflärt;  fo  finbet  er  fich  bei  5Jlibtretta,  fRicolofia,  ^)etra* 
lia,  ©aftrogiooanni  unb  gang  befonberb  bei  ßatania,  bei 
legterem  Drte  in  ben  Slnfpülungen  beb  gluffeb  ©imeto.  Sludi 
bei  ben  anberen  genannten  Drtcn  finbet  er  fich  iw  SHIuoium, 
offenbar  aber  auf  fecunbäret  üagerftätte,  inbem  er  hö<hft  wahr* 
fcheinlid?  aub  feiner  urfprüitglicben  ifagerftätte,  ben  auf  ©icilien 
fehr  oerbreiteteii  Äalfen  unb  fDlergeln  ber  Sertiärgeit  h«au8 
gefpült  würbe. 

©b  fcheint,  ba&  bie  Sitten  ben  ficilianifchen  Sernftein  nicht 
fannten,  wenigftenb  erwähnt  feiner  ihrer  ©chriftftefler,  baf;  auf 

3*  f87S 


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36 


biefer  3fnfcl  ein  Stein  gefunbeu  würbe,  ben  man  für  biefe©era; 
iteinart  galten  föunte;  bie  erften  fidjcrn  unb  guoerläffige* 
fßachrichten  über  ihn  Ijaben  wir  erft  in  neuerer  3«t. 

@in  orangefarbiger  ©ernftein  finbet  fidj,  aber  auch 
feiten,  bei  Bologna,  unb  in  Rumänien  fommt  ber  fogenannte 
fdjwatge  ©ernftein  bor,  oon  bem  ich  eine  fehr  fdjöne  2lu8= 
Wahl  i 3.  1873  auf  ber  SBiener  SBeltauöfteüung  falj.  &tofc 
feiner  bunfeln,  bem  Kolophonium  ähnlichen  garbe,  geigt  auch  er 
bie  eigentümliche  IDurdjfichtigfeit  unfetö  ©ernfteins. 

©ei  ber  ©erarbeitung  gu  ©chmucf  macht  unfer  norbifcher 
©ernfteiu  bie  fünfte  SBitfung,  wenn  oerfchiebenfarbige  Stücfe 
gwecfmä&ig  gufammengefteUt  werben,  fo  baf)  eine  gatbe  bie 
anbere  ^ebt,  g.  ©.  mattgelber  unb  hpacinthrother,  unb  in  biefer 
$infi<ht  würben  fich  noch  biel  fetjönere  ffiitfungen  ergielen  taffen, 
wenn  man  ihn  auch  mit  anbern  Stoffen,  wie  (Slfcnbein,  3et 
ober  @benholg  paffenb  oerbänbe. 


Anmerkungen. 

1)  ©.  $eft  277  biefer  Sammlung:  2)ie  Sbdfteine.  S.  21  u.  ff 

2)  «Die  einigen  2 (gleicblautcnben)  Stellen,  bie  Bon  (Einigen  als 
©emeig  angeführt  »erben,  tag  ferner  auch  anbere  (Sbelfteine  al«  ben 
©ernftein  tannte,  beweifeu  m.  (£.  eher  baS  ©egentheil.  (Sr  flieht  einem 

foftbaren  Ohrgehänge  fowohl  in  ber  3liaS  wie  in  ber  Obpffce 
bie  ©eiroorte;  rply’kyvct  /mopoevra,  (trigleua,  moroenta).  2)aS 
le^te  SSort  fann,  weil  eS  nirgenbS  weiter  norfommt,  nicht  gut 
enträthfelt  werben,  eS  bürfte  bähet  wohl  baS  ©erat ben  ftefetn, 
mit  tpaffow  ber  alten  SErabition  gu  folgen  unb  eS  mit , funft. 
B oll"  gu  überfein;  triglena  aber  heigt  „breifad)  glängenb" 
unb  bie  $9pothefe  bürfte  fehr  nahe  liegen,  bieS  einfach  auf  bie  uns  burep 
griechifche  'Dtüngen  überlieferte  fehr  alte  §orm  ber  Ohrgehänge  gu  be- 
gehen, bie  eine  breieefige  glatte  mit  brei  Ohrgtocfen  barftellt. 


(87«) 

Htuif  oen  CSebe.  Hnger  (11).  (Brlmui)  in  Berlin,  ed)onrb<rg«rjtr.  17  a 


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J.j.'f  *1  WU*  1 » 1»*T 


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Graphische  Darstellung  einer  Vitalitätstabelle 


lieber 


iUöljr|'d)emltfl)kcit5rcd)nun0. 


Bortrag,  gehalten  im  2efe»  Bereit!  gu  Jatnowi^ 
am  17.  gebruar  1879 

Don 

Dr.  ß.  (Geifert  l)einter, 

93etgfd)ul-2)irector  in  Sarnoroifc. 


®lit  einer  littjograptjirten  2afet: 

@rapftffd)c  ®arftcUu»fl  einer  ÜHtalitätetabeQe. 


£ erlitt  SW.  1879. 

B erlag  »ort  6a  tl  £abel. 

(t.  tf.  t'stmt)'id)i  Hrrtagsbaitibanillnag.^ 

31.  33. 


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35aö  SKed)t  bcr  Ueberfefcuitg  in  frernbe  ©pradjeu  bleibt  oorbeljalten. 


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„iUCan  biete  bem  ©lücfe  bie  Hanb!“  lauten  bie  ftdj  oft 
wieberbolenfcen  fcocfungen  gur  Beteiligung  an  Lotterien  unb 
anbeten  ©lücffpielen,  unb  üaufenbe  laffen  fid}  burdj  berartige 
Slufforberungen  »erleben,  bie  ©elegeneit  3um  SBagnifi  gu  be* 
nufcen,  ohne  baff  fie  fid)  genügenb  flat  mailen,  ob  bie  SluSfichten 
eines  ©ewinneS  unb  ber  ©enuf;  bet  mit  bem  (Spiel  »etbunbenen 
Aufregung  ben  ©infaf*  lo^nt.  Sebet  hofft,  baff  ihm  bie  ©lücfS« 
gßttiu  günftig  fein  werbe,  SlUeS  harrt  mit  banger  (Erwartung 
ihrer  ©penben,  um  bann  in  ben  überwiegenb  meiften  gäüen  in 
ben  Hoffnungen  getäujcht  gu  »erben. 

©8  ift  wahr,  ohne  SStohl»  ohne  33iHigfeit  »erteilt  ber 
glMice  3ufaQ  feine  ©aben;  aber  fodte  betfelbe  jeber  Kegel 
fpotten  unb  eS  nicht  möglich  fein,  »enigftenS  einen  ©djluf)  über 
baS  2lngemeffene  beS  ©infames  in  einem  befannten  ©piele  gu 
gewinnen? 

Um  biefe  gtage  gu  beantworten  unb  um  überhaupt  be- 
ftimmte  iänhaltßpunfte  für  bie  Beurteilung  bet  bei  ©Iücf fpielen 
auftretenben  9Jloglid)f eiten  gu  gewinnen,  wollen  wir  »on  ber 
Betrachtung  eines  fee  einfachen  unb  in  gang  ©eutfdjlanb  be= 
fannteu  SottofpielS  auSgehen.  3n  »ielen  STBirtljS^äufcrn  finb  bic 

XIV.  SS5.  1*  (819) 


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4 


mit  Sübfrüdjten,  ©onfect  unb  begleichen  banbelnben  ^auftrer 
eine  befannte  @rf Meinung. *^3>ief eiben  fudjen  gumeift  ihre  SBaare 
nicht  burcb  bireften  SBerfauf,  fonbern  burcb  ein  ©lücffpiel  in  bie 
$anbe  ber  ©äfte  gu  bringen.  2)et  £aufirer  brauet  gu  ,bem» 
felben  90  8ottofteine  mit  ben  laufenben  SRummern  oon  1 bis  90, 
»eiche,  nach  ber  9Jrt  beö  oerabrebeten  Spiels,  blinblingS  oom 
Spielet  gegogen  »erben.  SDaS  einfac^fte  «Spiel  ift  „gerab  ober 
ungerab",  welches  wohl  allgemein  atS  eine  ©rinnetung  ber 
Sd)ulgeit  befanut  ift.  3)er  Spieler  entfdjeibet  fid)  not  bem 
Sieben  etwa  für  „gerab".  Stimmt  bie  gegogene  9lummer  bi«* 
mit  überein,  ift  biefe  alfo  eine  gerabe  3«bi,  |o  ba*  et  gewonnen, 
im  entgegengefefcten  gatte  oerloren.  Unter  ben  90  Hummern 
ftnb  eben  fo  oiele  gerabe,  »ie  ungerabe  3«^en,  babet  bie  9tu8» 
fisten  auf  ©ewinn  unb  ©erluft  einanber  gleich-  SBurbe  alfo 
um  einen  ©rofdjen  gezielt,  fo  hätte  .^änbier  bem  gewinnen» 
ben  Spieler  SBaare  im  SBert^e  oon  einem  ©rofdjen  gu  über» 
geben.  5)a  er  aber  ben  ©elbeiufafc  beS  Spielers  in  allen  gäHen 
eingie^t,  bat  er  fowo^I  für  biefen,  wie  [für  ben  ©ewinn,  alfo 
im  ©angen  für  gwei  ©rofchen  bem  glüdlicben  ©ewinuet  SBaate 
auSgubänbigen. 

©twaS  oerwicfelter  ift  ein  gweiteS,  oon  |>aufirern  oielfad) 
geübtes  Spiel,  ©ei  biefem  werben  auS  ben  oorbanbenen  90  Sfotm* 
mern  brei  blinblingS  gegogen;  ift  bie  Summe  ber  gegogenen 
brei  üftummern  fleiner  als  100,  fo  ba*  bet  Spieler  gewonnen, 
ift  fte  gleich  ober  gröber  als  100,  oerloren.  ©ine  nicht  gang 
einfache  Rechnung,  bie  b*«  natürlich,  wie  jebe  matbematifche 
©ntwicflung,  übergangen  wirb,  geigt,  bah  man  bie  3ab*en  Bon 
1 bis  90  genau  24  952  mal  gu  je  breien  fo  gufammenftellen 
fann,  bah  bie  Summe  ber  combinirten  Hummern  fleiner  als 
100  ift.  9tun  laffen  ftd)  90  Hummern  überhaupt  117  480mal 

gu  je  breien  gufammenfaffen,  unb  [baber  giebt  eS  117  480  weniger 

(880) 


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5 


24  952,  ober  92  528  (Kombinationen,  für  welche  bie  ©unime  bet 
brei  jebeSmal  jufammengeftellten  Hummern  gleich  oberfgtöfcet 
als  100  ift.  -n  (Soll  nun  ba8  gefdjilberte  Hajarbfpiel  als  reell 
gelten,  mufj  ber  ©eminn  großer  al8  ber  (Kinfafc  fein,  unb  jmat 
tnufe  ficb  oer^alten:] 

©eminn  ju  ©infafc,  mie  92  528  : 24  952.  25a8  33er^dltni§ 
bet  lebten  ßafelen  ift  faft  genau  3^:1,  ober  angenäbert  3|:1. 
•Demnach  mu§  bet  ©eminn  3J  mal  fo  b°<h  wie  ber  @infa$ 
fein,  ober,  ba  bet  Jpaufiret  auch  hier  ben  ©elbeinfafc  be8  ©pieletS, 
gewöhnlich  25  Pfennige,  ftet8  einjiebt,  e8  muf  ber  ©ewinnet 
für  ben  ©infajj  unb  ben  ©eminn,  alfo  im  ©anjen  für  ba8  4|fadje 
be8  ©infames  Söaare  erbalten.  ©emöbnlich  giebt  bet  Haufttcr 
bem  ©pieler  fogar  angeblich  ba8  ^fünffache  an  2Baare.  2)a8 
gefdbilberte  ©piel  erfebeint  b*etna^  al$  ein  burd)au8  reelles, 
beffen  23eranftalter  fogar,  wenn  er  nicht  auf  feinen  SSerbienft 
an  ber  auSgetbeilten  2Baare  rechnen  fönnte,  mit  ©ebaben  at« 
beiten  mürbe.  2lu8  ber  geführten  Ueberlegung  ergiebt  fid)  aber 
auch,  mie  unmabrfcbeinlicb  e8  ift,  bei  biefem  ©piele  auf  ben 
erften  3«8  3«  geroinnen,  unb  follte  ftcb  baber  bie  bei  OJiancbem 
fo  beliebte  ©rjäblung  oom  „glücflicben  erften  3wg"  b“up8CT 
mieberbolen,  fo  barf  im  JDurdjfcbnitt  als  ftebet  angenommen 
merben,  bafj  bei  fünffacher  SBieberbolung  jener  glücfliche  3ufaH 
nur  einmal  eingetroffen  fei  unb  fich  Biermal  mobl  im  SBunfcbe 
be8  ©ptelerS,  nicht  aber  im  33ef<bluffe  be8  tüctifchen  ©efehiefd 
gefunben  habe.  — 

3n  Borftebenber  ^Betrachtung  über  bie  Hoffnungen,  meldbe 
ein  3ug  bei  ben  gefchilberten  Bottofpielen  bietet,  finb  bereits  bie 
©runblagen  einer  SBetrachtungSmeife  Bermertbet,  melche  bei  33e* 
urtbetlung  aller  SL^atfadben  ihre  33ermenbung  finbet,  bie  febeinbat 
gar  feinen  ©efefcen  gehorchen,  beren  SBefen  alfo  burch  bie  Boü* 

ftänbige  'SBiUfüt  bebingt,  nur  oom  3ufaH  abhängig  gu  feiu 

(8*1) 


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6 


fdjeint;  ober  bereit  ©efefce  un8  bodj  gut  Beit  nod)  gu  unbefannt 
finb,  um  baö  SBefen  ber  ©rfdjeinung,  wenn  aud)  nur  angenähert, 
butd)  bie  gorm  einet  mathematischen  ^bljängigfeit  augbrücfen  gu 
fßnnen.  3ur  erften  2trt  bet  ©rfcheinungen,  bereu  $)tincip  alfo 
ber  3ufaH,  bte  abfolute  Unregelmäf)ig?eit,  au8mad)t,  gehören 
alle  reinen  £agatbfpiele,  unb  bie  bei  biefen  oorfommenben 
Sfößglichfeiten  waren  eö  auch,  welche  ben  erften  Slnftojg  gu  ber 
matljematifchen  Se^anblung  betfelben  gaben.  SDiefe  Unteriuchung 
ber  bei  gufaüigen  ©reigniffen  benfbaren  fDtßglichfeiten  h°t  ft<^ 
in  überrafdjenb  furget  3eit  gu  ber  für  baö  5Berfi<herung$wefen, 
bie  @tatiftif  mtb  bie  SRaturwiffenfcbaft  fo  wichtigen  unb  nod) 
immer  an  SBebeutung  gunehmenben  Safyrfdjeinlidjfeitflredjuung 
entwidfelt.  9tur  biefe  Sßa^rf^einlicbfeilSrec^nung  ijat  bie  SBtlbung 
unb  ©rljaltung  non  ©efellfchaften  gur  Hebend  unb  geuet*5Ber» 
fidjerung  möglich  gemalt;  fie  bilbet  bie  ©tunblage  für  eine 
nupringenbe  SSnwenbung  ber  Statiftif,  unb  ihr  allein  »erbanfen 
wir  rtidjt  nur  bie  fo  weit  getriebene  ©enauigfeit  bei  unferen 
pnfüalifd^en,  befonbetS  bei  aftronomifchen  SJteffungen,  fonbern 
fie  ijat  auch  im  lejgten  3al)rgehnt  ein  ÜJiittel  geboten,  um  in 
geheime  unb  oerwicfelte  ©rfcheinungen  ber  Äörperwelt  eingubringen. 
©elbft  ohne  mathematifche  Jfemttniffe,  welche  aflerbingS  bie 
weitere  Stuöbilbung  biefet  SBtffenfcbaft  in  fep  bebeutenbem 
ÜJtafje  in  Slnfprud)  nimmt,  gewähren' bie  einfachen  unb  3ebem 
faßlichen  ©runbleljren  betfelben  einen  @<hlüffel  gum  Sßerftänbnift 
vieler  beachtenswerten  Vorgänge  im  praftifdjen  unb  wiffen» 
fdjaftlichen  Heben. 

3)a8  SOerbienft,  ben  erften  Sfoftofc  gut  9lu«bilbung  bet 
SBahrfcheinlichfeitörechnung  gegeben  gu  haben,  gebührt  bem  §ran* 
gofen  33 la if e ^afical,  jenem  berühmten Hiteraten  be8  fiebgepten 
3appnbert8,  beffen  S3erbienfte  bie  Jpologie,  bie  ?>pfif  unD 

aRatpmatif  bereicherten.  35ie  theologifche  Hiteratur  »erbanft 

(882) 


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7 


iljm  ble  9>ro»ingial*Brtefe  gegen  bie  3efuitenr  ein  föteifterwert 
frangöfifchet  fProfa,  welkes  mit  ben  befannten,  120  Saljre  f^äter 
erftheinenben  ©treitf Triften  geffing’S  gegen2@öfce  nicht  nur 
oielfadh  im  3nijalt,  fonbern  auch  in  ber  Borgüglichfeit  ber  gönn 
u'nb  bet  fatprifcpen  Schärfe  bet  ^olemil  übeteinftimmt.  3n  bet 
^nfi!  lehrte  er  baS  Barometer  gu  #öhenmeffungen  unb  meteoro» 
Iogifdjen  Beobachtungen  benu^en.  SBeitauS  am  bebeutenbften 
finb  aber  feine  Gcntwicflungen  in  bet  SRathematif,  unb  bet  oon 
ihm  laufgeftellte  unb  nach  bem  gotfcher  benannte  $)a8cal’fche 
Üehrfat}  befifjt  für  bie  neuere  ©eometrie  gleite  Söichtigteit,  wie 
fie  für  bie  älteren  Streite  beS  mathematifchen  SEBiffenS  bet  pptha« 
goräifdje  Befjtfafc  beanfprudjt.  SDiefet  geiftige  $eroS  geriet^  im 
Sommer  1654,  als  et  eben  30  3ahre  3äljlte,  in  bie  £änbe 
eines  fübenteuererS,  beS  <$^et>alter’8  be  9Jt4r4,  weither  fich  als 
Spielet  einen  berüchtigten  tarnen  gefthaffen  hatte,  25ie  golgen 
biefeS  BerfehrS  mochten  für  fPaScal  Beranlaffung  bieten,  übet 
bie  »etfthiebenen  fDtöglidbfeiten  im  SMrfelfpiet  nadjgubenfen. 
Pascal  theilte  bie  hierüber  geführten  Unterfuchungen  feinem  be= 
rühmten  ©oHegen  germat  mit.  SDiefer,  bei  feinen  Seitgenoffen 
hauptfächlich  als  SDidjter  unb  $>arlamentSrebner  befannt,  behauptet 
in  ber  ©efdjichte  ber  ÜERathematif  ebenfalls  einen  ehrenooHen 
9>lat};  unb  wie  ber  ^aScal’fdje  @afj  für  geometrifthe  Unter* 
fudfungen,  bilben  bie  germat’fthen  Säfce  für  gahlentheoretifche 
ßntwicflungen  eine  ©runblage. 

3n  biefem,  gwifchen  germat  unb  Pascal  geführten  Brief* 
wethfel  würben  bereits,  mit  »ollem  Beroufctfein  non  ber  Bebeutung 
beS  ber  ^Rechnung  unterworfenen  ©ebiets,  fompltcirte  Aufgaben 
ber  SEßahrftheinlithfeitSrechnung  gelöft.  SBir  erfahren,  ba§  bie 
äußere  Beranlaffung,  welthe  $>a  Seal  gut  fDtittheilung  an  germat 
trieb,  ein  Streit  beS  erftern  mit  feinem  ©enoffen  be  5Röt4  war. 
Beibe  würben  oon  einem  nicht  »oDenbeten  Spiele  abberufen, 

(W3) 


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8 


unb  ba  bie  Sluöftd^ten,  baS  ©piel  ficgreid^  gu  beenben,  »et« 
fdjieben  waren,  erhob  ftd)  bie  Stage,  wie  bet  ©infafc  gu  l^eilen 
fei.  Dem  ß^enalier  wollte  baS  richtige,  »on  $)a8cal  Ijetgeleitete 
Slefultat  nicht  einleucbten,  unb  $)adcal  berietet  hierüber  1654 
an  Setmat:  „3dj  ^abe  feine  3eit,  Sfynen  bie  Böfung  einer 
©djwierigfeit  gu  überfenben,  über  welche  Vetr  be  ©4t  4 febt 
erftaunt  war;  benn  et  ift  ein  geiftreicher  ©ann,  aber  fein  ©athe* 
matifer.  Daß  ift,  wie  @te  wiffen,  ein  grojjet  Seglet".  Unb 
als  Setmat  fpüter  Böfungcn  mittheilte,  welche  fPaScal  bereits 
gefunben  ^atte,  fcbtieb  biefer : „3$  Zweifle  jefct  nicht  mehr,  baf 
ich  auf  richtigem  SBege  bin,  nacbbem  id)  mich  in  fo  metfwütbiger 
Uebereinftimmung  mit  3h«en  beftube.  3$  fehe  wohl,  bie  SBafyr» 
beit  ift  biefelbe  iu  Douloufe  wie  in  fPariS". 

Der  gwifdjen  $)a8cal  unb  Settnat  geführte  Sriefwechfel 
würbe  erft  1679  veröffentlicht.  Doch  war  bereits  lange  norhet 
Äunbe  über  bie  non  ihnen  geführten  Unterfudjungen  gu  §a<h= 
genoffen  gebrungen,  unb  h*«bur<h  .angeregt,  veröffentlichte  bet 
befonberS  als  f}>hbfifet  berühmte  ^ollanbet  ©hriftian  VutjghenS , 
bem  wir  bie  ^enbeluht  unb  bie  verbefferte  ©inrtchtung  bet 
2aj^enuhren  oerbanfen,  im  3ahre  1657  eine  ^h^crie  ber  SBürfel* 
fpiele.  3n  biefer  Arbeit  würben  gum  erften  ©ale  bie  Vau})t* 
fäfce  ber  SBahrfcheinlicbfeitSrechnung  in  elementarer  SBeife  ent* 
wicfelt.  3h*n  folgte  1666  ber  befannte  ^bÜofobh  Sarud)  ©pinoga. 
©ine  non  eiuem  Sreunbe  geftellte  Aufgabe  bot  ihm  Gelegenheit, 
bie  ©runbfäfce  ber  neuen  SBiffenfchaft  in  fchorfer,  fachgemäßer 
SEBeife  aufgufteHen. 

Um  biefe  ©runbprincipien  bureb  ein  möglichft  einfaches 
Slaifonnement  gu  entwicfeln  — »on  einet  ftrengen  Verleitung 
fann  hi«  nicht  bie  Siebe  fein  — betrachten  wir  bie  mit  einem 
einzigen  SBürfel  möglichen  2Bürfe.  Derfelbe  fann  nach  bem 
SButfe  bie  fedjS  Derfdjiebenen  ßahkn  1,  2,  3,  4,  5,  6 geigen. 

(884) 


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9 


£abe  id)  jebod)  notier  gewettet,  bafj  bet  Sürfel  eine  beftimmte 
3ai?l,  etwa  4,  geige,  fo  ift  füt  baö  ©ewinnen  meinet  Sette  nut 
eine  ßRöglidjfeit  »orfyanben,  nämlidj  eben  bie,  4 gu  werfen,  afle 
anbeten  fünf  Büße  finb  ungünftig.  5Ran  fagt  nun,  bie  matt)e= 
matifd)e  Safyrjd^einlidjfeit,  meine  Sette  gu  gewinnen,  fei 
©et  3ä^Iet  biefeS  SBrutfeeS,  1,  giebt  bie  3afyl  bet  mit  günftigen, 
bet  Sßenner,  6,  bie  3al)l  aller  notljanbenen  5Röglid)feiten.  Unb 
hiermit  gewinnen  wir  bie  grunblegenbe  ©rflärung  bet  Satyr» 
f<tyeinli(tyfeit8vc(tynung : 

©ie  Satyrfdtyeinlidtyfeit  eines  ©reigniffeS  wirb  burcb  einen 
S3rud>  auflgebrücft,  beffen  3ät>ler  burcty  bie  bem  erwarteten  @t* 
eignifj  günftigen  Baße,  unb  beffen  fRenner  burdty  bie  Summe 
aßer  übertyaupt  benfbaten,  fowetyl  günftigen  wie  ungünftigen 
Büße,  gel'ilbet  wirb;  norauflgefebt,  bafj  Feine  Urfat^e  befannt 
ift,  welttye  baS  ©intreten  einer  SRöglictyfeit  gegen  eine  anbere 
begünftigt. 

©ie  mattyematifdtye  Satyrfdtyeinlittyfeit,  aus  ben  neungig 
fRummern  beö  »ortyiu  erwähnten  SübfructyttyänblerS  eine  gerabe 
gu  gietyen,  ift  tyietnaity  ober  ©enn  90  »evfdjiebene  Sßum* 
metn  fonneu  überhaupt  gezogen  werben,  unb  oon  biefen  90  3ügen 
finb  45  bem  erwarteten  ©reignifs,  auf  eine  gerabe  9?ummer  gu 
treffen,  günftig.  fRacty  berfelben  Sctylufcweife  ergiebt  ftd?  für 
bie  Satyrjttyeinlitbfeit,  ans  ben  erwähnten  90  fRummern  brei  gu 
gieren,  beten  Summe  unter  100  ift,  mit  IRücffidtyt  auf  bie  früher 
»orgefütyrten  3<*tyl«n  rfffM  ob«  natye  iV  ®‘e  Satytfdjein» 
Hdjfeit,  welche  uns  bisher  nur  einen  unbeftimmten  Hinweis  auf 
ben  ©rab  unfereS  etfatyrungS»  ober  netgungflgemäfjen  SB«5 
traueuß  barfteßte,  brücft  fid)  alfo  jetyt  in  beftimmten  3atylen 
au8,  weldtye  eine  Jöergleidtyung  ber  Satyrfctyeinlittyfeit  unter  »er» 
fdtyiebenen  Umftänben  erlauben,  ©ie  äufcerften  ©rabe  biefer 
mattyematifctyen  Satyr  jdjeinlidtyfeit  finb  0 unb  1.  9iufl  bebeutet, 

(885) 


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10 


baf)  ba8  erwartete  ©reigniff  gar  nicht  auftreten  tann,  ©infl,  baff 
jeber  mögliche  gaO  bem  ©intreffen  bcö  erwarteten  ©teiguiffe« 
günftig  ift.  ©in8  brücft  alfo  bie  ungweifelbafte  ©eroiffbeit  aus. 

Um  ben  biöfyer  erläuterten  Segriff  prafttfd)  Berwertben  gu 
tonnen,  ift  eine  ©rgängung  beffelben  notljtg.  Äebren  wir  gu 
bem  Borbin  gebrausten  Seifpiele  beö  ©pielö  mit  einem  Söürfel 
gurücf.  3 ft)  batte  gewettet,  4 gu  werfen.  SDie  38al)tfcbeinlt(bfeit 
hierfür  ift  ■$,  bagegen  biejenige,  nidst  4 gu  werfen,  £.  Soll  alfo 
baS  geführte  Spiel  reell  fein,  fo  muff  ber  Bon  mit  gu  erwartenbe 
©eroinn  fünfmal  fo  gro§,  wie  ber  ©iufaf}  fein.  JOber  BeraU* 
gemeinert:  3ft  bei  einem  cpagarbfpiel  gwijcben  gwei  Spielern 
bie  ©abrfcheinlichfeit  beä  ©ewinnenS  eine  Berfdjiebene,  fo  müffen 
bet  reellem  Spiel  auch  bie  erwarteten  ©ewittne  nach  bem  Set* 
bältnifj  ber  2\}al)rfcbeinlicbfeiten  berart  Betfdjieben  fein,  baß  bet 
grßffern  Söaljrfc^einlidjfeit  ber  tleinere  ©ewtnu  entfpridjt.  fDiefe 
Ueberlegung,  in  matbematifche  gorm  gefleibet,  liefert  bie  S3e* 
bingung,  baf)  bie  auS  ber  2Babrfd)einli<bfeit  beö  ©ewinnenS  unb 
bem  ©ewinn  felbft  gebilbeten  sProbufte  für  beibe  Spieler  ein* 
anbet  gleich  feien.  25ie  SSMffenfc^aft  bat  biefe  $)robufte  mit 
bem  2Iu8bruct  „matbematifche  ©rwartung"  begeitbnet.  IDabet 
fann  bie  eben  bergeleitete  Sebingung  auSgefprochen  werben: 

„Sei  reellen  ©lücffpielen  finb  bie  matbematifcben  ©rwar* 
tungen  ber  Spieler  einanber  gleifb". 

SDie  wenigen,  bisher  aufgefunbenen  ©rflärungen  unb  ©runb* 
fätge  befähigen  unS,  gut  Unterfuchung  be8  in  unferm  Staate 
Berbreiteten  ©lücffpielS  gu  fcbreiten,  beffen  launtfcbe  ©rgebniffe 
minbeftenS  einmal  in  febem  Sabre  bie  gange  SeBölfetung  in 
Aufregung  Berfe^eu,  beffen  Sftefultate  Bon  21  It  unb  3ung,  ©rofj 
unb  Älein  mit  gleicher  Spannung  erwartet  werben.  SBir  werben 
bie  Serwenbbarfeit  ber  bergeleiteten  ©äfje  burch  eine  Seurtbeilung 

ber  $>reuf)ifcben  Jflaffenlotterie  erweifen. 

(88«) 


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11 


35ie  ^reujjifdje  Älaffetil ctterte  beftebt  nad)  ihrem  je^igen 
$>lane  auS  80  000  ©tammloofen  unb  15  000,  gu  ben  ©emirmen 
ber  gmeiten,  britten  unb  eierten  Älaffe  auSgugebenben  ffreiloofen, 
melcbe  bis  gu  ihrer  ÜluGgabe  für  ^Rechnung  bet  ?otteriefaffe  mir* 
fpielen,  mit  43000  in  oier  JElaffen  mtbeilten  ©eminnen.  ©iefet 
nach  bem  IJMane  mitgetbeilte  SBortlaut  mirb  butdj  bie  folgenbe 
©thilberung  einer  Biegung  oerftänblidser  merben. 

Sor  ber  3<fbHng  bet  erften  Jflaffe  merben  bie  fRummern 
fämmtlicber  95  000  8oofe  in  eine,  bie  Bah1*«  fämmtlicber  4000  ©e* 
minne,  melcbe  bei  biefer  erften  Biegung  nach  bem  feftftebenben 
flaue  ber  Lotterie  berauSfommen  muffen,  in  eine  anbere  Jombola 
gelegt.  35ie  3al)l  eines  jeben  8oofeS  ober  ©eminnS  befxnbet  fid) 
in  einer  fleinen  unburebfiebtigen  jfabfel.  SDie  Jombolen  finb 
leidet  bemeglidje  Jf>ol?trt>!inbct  auS  ®la$,  oielleicbt  fm  breit, 
1 m im  SDurdjmeffer.  SDie  3iebung  finbet  öffentlich  ftatt.  58er 
jebet  Jombola,  melcbe  auf  erböten  ©ftrnben  aufgefteOt  finb, 
ftebt  ein  Böflling  beS  berliner  ffiaifenbaufeS,  meld)em  baS  3ieben 
ber  Hummern  aufgetragen  ift.  Sebet  äbnabe  nimmt  aus  feiner 
Jombola  eine  fRummer;  berjenige,  melcber  bie  8oo8nummer  ge* 
gogen,  übergiebt  biefe  einem  ^Beamten,  ©ine  .Klingel  gebietet 
©title,  unb  ber  Beamte  ruft  bie  gegogene  fRummer  mit  lauter 
©timme  auS.  2)ann  nimmt  et  bie  nom  gmeiten  Knaben  ge* 
gogene  ©ercinnnummer,  melcbe  ebenfalls  laut  »ertfinbet  mirb. 
3ft  bet  gegogene  ©eminn  nicht  ber  fleinftmöglidje,  merben  Soofe 
unb  ©eminnnummer  gmeimal  auSgetufen.  5Rad}bem  100  9tum* 
mern  gezogen  finb,  merben  bie  Jombolen  ftnrf  gebrebt  unb  b ier« 
bnrd)  ihr  3nbalt  burebeinanbet  gefcbüttelt. 

3ebeS  2oo8,  meldjeS  gegogen  mirb,  geminnt  alfo;  bie  gurücf* 
gebliebenen,  nicht  gegogenen  2oofe  bilben  bie  Mieten.  5Bon  ben 
95000  Eoofen,  bereu  fRummern  fich  in  ber  einen  Jombola  be* 
finben,  gelangten  jebodi  nur  80000,  unb  gmar  bureb  S3erfauf, 

(887) 


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12 


in  bie  .£>änbe  beS  $)ublifumS;  bie  überigen  15  000  Soofe,  welche 
aber  ebenfalls  mitfpielen,  »erben  »on  bet  ©enetal*£otterie*3)irec* 
tion  gu  ißren  ©unften  gurücfbebalten.  SDer  auf  eine  biefer 
15  000  Hummern  bei  bet  Siebung  bet  erften  Älaffe  fallenbe 
©ewinn  fließt  alfo  in  bie  Äaffe  beS  Unternehmens.  Sei  jebem 
in  baS  ^hiblifum  fallenben  ©ewinne  »irb  bem  ©ewinnet  eines 
bet  nicht  gegogenen,  btß^cr  non  bet  ©irection  gezielten  2oofe 
als  greilooS  für  bie  folgenben  Älaffen  auSgebänbigt.  SDie 
bet  im  fPublifum  »orbanbenen  8oofe  bleibt  alfo  nadf  bet  3iebunfl 
ungeänbert,  gleich  80000;  unb  bie  SDitedion  befißt,  ba  fo»obl 
mit  jebem  in  baS  'fPublifum,  »ie  mit  jebem  gu  ibten  ©unften 
fallenben  ©eminne  ibt  eines  bet  bis  babin  gezielten  Soofe  ent* 
gogen  »irb,  nur  noch  15  000  weniger  4000  ober  11000  Soofe, 
welche  in  bet  folgenben  gweiten  Älaffe  gu  ihren  ©unften  mit* 
fielen. 

2)er  ©ang  bet  folgenben  3iebungen  ift  jettf  leicht  erfichtlich. 
9Kit  jebet  jflaffe  minbert  fich  bie  3«bl  Bon  Lotterie* 
SDitedion  gu  ihren  ©unften  gezielten  ?oo)e  um  bie  3abl  bet 
in  biefet  Älaffe  gegogenen  ©ewinne,  »äbrenb  in  ben  ^jänben 
beS  9>ublifumS  beftänbig  80  000  ?oofe  bleiben.  SDa  mit  2lb* 
fchluh  ber  britten  klaffe  inSgefammt  15  000  ©ewinne  gegogen, 
alfo  auch  15  000  greiloofe  »edbeilt  würben,  ift  bie  SDitedion  bei 
ben  ©ewinnen  bet  eierten  .Klaffe  nicht  mehr  betbeiligt. 

Suchen  wir,  wie  groß  bei  ben  oerfchiebenen  3«bungen  bie 
matbematifche  Sföabtjcheinlichfeit  eines  ©ewinnS  unb  bie  matbe* 
matifche  ©rwartung,  gu  welcher  bet  Sefiß  eines  2oofeS  berechtigt, 
ift.  Sei  ber  erften  3»ebung  beftßt  baS  ^)ublifum  80000,  bet 
Staat  15  000  2oofe;  unb  ba  fich  bie  ©ewinne  im  SWgemeinen 
gleichmäßig  nach  ber  3«^t  bet  8ooje  toettl)eilen,  fallen  »on  ben 
möglichen  4000  ©ewinnen  3369  auf  baS  ^ublüum.  SDie  SBabt* 
fcheinlichfeit,  baß  ein  SooS  gewinnt,  ift  ci)ei  0,042.  SDie 

(SU) 


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13 


gefammte  ©umme  bet  für  bie  erfte  Älaffe  auögeworfenen  @e» 
winne  beträgt  etwa  314  400  SDtatf,  welche  fidj  jwifdjen  ©taat 
unb  9>ublifnm  nach  bem  SSerhältniffe  bet  gezielten  2oofe  theilt. 
Hiernach  fällt  auf  baß  $)ublifum  eine  ©ewinnfumme  non  etwa 
264  900  ÜBtarf;  bet  im  ÜJlittel  ju  erwartenbe  ©ewinn  beträgt 
alfo  WtfoV  EDtultiplicirt  man  biefen  mittlern  ©ewinn 

mit  bet  eben  berechneten  SSahrjcheinlichfeit  beffelben,  jo  ergiebt 
fich  als  SBerth  bet  mathematijchen  ©rwartung  für  bie  3iehu,*g 
bet  etften  .Klaffe  ^teujjijchet  Lotterie  3 SDRatf  31  §)fg.  3)ie8 
wäre  bet  reelle  SSetth  eineß  üoofeß,  welches  nur  bie  üheilnahme 
an  bet  erften  Jilaffe  gejtatten  wftrbe. 

3n  genau  gleichet  Sffieife  wirb  bie  Rechnung  für  bie  folgen« 
ben  Siebungen  geführt.  2tuf  bie  zweite  Älaffe  fallen  5000  ®e« 
winne  mit  einet  ©ewinnjumme  oon  nahe  556  200  SJlatf,  auf 
bie  britte  .Klaffe  6000  ©ewinne  mit  945  900  SDtarf.  Söei  bet 
werten  Klaffe,  bem  ©Iborabo  aller  ©pieler,  betheiligen  fid)  nur 
bie  80  000  8oofe  beß  ^ublifumß  an  28  000  ©ewinnen,  welche 
jtdh  in  folgenbet  SBeife  oertheilen:  23  630  ©ewinne  betragen 
210  jKatf,  2000  ©ewinne  300  5Rarf,  998  ©ewinne  600  ÜKatf, 
710  ©ewinne  1500  5Jtatf,  577  ©ewinne  3000  9Jlarf,  45  ©ewinne 
6000  SEftarf,  24  ©ewinne  15  000  9)larf,  8 ©ewinne  30  000  fötarf. 
©nblich  finb  noch  8 Hauptgewinne  oon  je  45  000,  60  000,  75  000, 
90  000,  120  000,  150  000,  300  000  unb  450000  Üttarf. 


3n  bet  folgenben  Heinen  Tabelle  finb  bie  mathematifchcn 
SBahtjcheinlichfeiten  unb  ©rwattungen  für  bie  »etfehiebenen 
Klaffen  ber  ^reufjijchen  8ottetie  jufammengeftetlt. 


Klaffe 

I. 

1 

II. 

III. 

IV. 

SBabrlCbeinltchffit 

0,042 

0,055 

0,07 

0,35 

(Sncartung  . . . 

3,31  SDtf 

6,24  SDtf. 

11,00  Vtt. 

138,96  3Jlf. 

(889) 


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14 


9Rit  »ollem  Stecht  mirb  alfo  »om  ^ublifum  bie  Biegung 
bet  »ierten  Rlaffe  als  bie  mafegebenbl  betrachtet.  9tid)t  ohne 
Sntereffe  ift  eS,  bie  äüahrf<heiulich!eit  gu  »erfolgen,  ;toeld)e  fich 
für  ein  8oo8  an  ben  »erfchiebenen  Stagen  bei  bet  3i«hun8  »ierter 
Älaffe  bietet.  SDa  täglich  2000  Stummem  gezogen  »erben, 
nimmt  biefe  3«hung  14  Stage  in  Ötnfpruch-  SDie  fßaljrfdjeitt* 
liebfeit  beS  ©eminnenS  für  ein  8ooS  beträgt  am  erften  Stage 
alfo  etma  unb  ftnft  beftänbig,  bis  biefelbe  für  ben  lebten  5£ag 
auf  ben  neunten  S£h*il»  alfo  auf  5V,  gefallen  ift.  äSber  biefe 
SBafyrjcbeinlidjfeit  allein  beftimmt  ben  äBerth  eines  in  ben  lebten 
Stagen  gu  »erfaufenben  SoofeS  nicht.  Um  biefen  gu  finben,  ift 
bie  mathematifcbe  ©rmartung,  gu  melier  baß  S008  ben  Sn^abet 
berechtigt,  alfo  bie  ©röfce  ber  noch  nicht  gegogenen  ©eminne,  gu 
berücfftcbtigen,  mie  and)  baS  ben  £anbel  mit  Üotterieloofen  trei* 
benbe  fPnblifum  richtig  ahnt. 

SDcr  SBerth  eines  gangen  SoofeS,  melcbeS  fich  an  fämmtlichen 
klaffen  betheiligt,  beftimmt  fich  burch  bie  Summe  ber  mathe* 
matifdhen  Gcrroartungen  in  ben  »erfchiebenen  Älaffcn.  .'SDutcb 
2lbbition  ber  in  ber  Stabetle  hi«fü*  angegebenen  Söerthe  finbet 
fich  153  9DRarf  51  $)fg.  SDer  sJ)rei8  beS  £oofeS  ift,  ein* 

fchliefelich  ber  ©cbteibgebühren,  160  SORarf,  alfo  mit  bem  ge* 
funbenen  reellen  SBerthe  faft  übereinftimmenb.  SDer  ©eminn 
beS  ©taateS  rebucirt  ftch  bemnach  auf  bie  »om  ©eminner  ein* 
gegogenen  ^)rogente;  »on  febem  ©eminn  finb  an  ben  ©oßectenr 
2 $>©t.,  an  bie  .Raffe  ber  @eneraMJotterie*SDirection  13f  p6t.  gu 
gahlen.  hiernach  ftellt  fich  bie  fPreuf}if<he  Lotterie  »om  ©tanb* 
fünfte  bet  SSahrfcheinlicbfeitSiecbnung  aus  als  ein  burcbauS 
reelles  Unternehmen  bar.  SDie  ermähnte  Abgabe  an  ©taat  unb 
Gollecteur  trägt  ben  ©haftet  einer  in  ben  meiften  fällen  »ohl 
gern  gegahlten  ©teuer.  £)b  eS  gerechtfertigt  ift,  bah  ber  ©taat 
SSeranftalter  eines  berartigen  ©lücffpielS  »irb,  ift  eine  grage, 

(WO) 


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15 


bie  atlerbingd  nod)  Don  anberen  ©efichtdpunften,  ald  bemfenigen 
bet  Sterilität  be8  geführten  ©pield,  beurteilt  werben  muh,  ficb 
aber  in  einem  Sortrage  übet  bie  fPringipien  ber  Sahrfdjein* 
lichfeitdrechnung  nicht  entfcheiben  läfjt.  — 

3m  Sorftehenben  würbe  bie  grage  gefteHt,  mit  welcher 
Sahrfcheinlichfeit  ein  einjigeö  beftimmted  ©reignih  erwartet 
werben  fann.  Sei  Dielen  Vorgängen  lautet  bie  grage  jeboch 
etwad  Derwicfelter,  nämlich,  mit  welcher  Sahrfcheinlichfeit  man 
bem  ©intreffen  irgenb  eined  ©reigniffcd  bei  einer  gewiffen  Ültt  Don 
©Meinungen  entgegenjehen  barf.  (Sin  Seifpiel  witb  bie  Aufgabe 
beutlidjer  machen.  9Jtit  welcher  Sahrfcheinlichfeit  barf  ich  h°ffen, 
mit  einem  Sürfel  eine  bet  3ahlen  1 ober  2 gu  werfen  ? Offenbar 
ftnb  unter  ben  6 überhaupt  möglichen  Surfen  2 meinem  Sor* 
haben  günftig,  unb  baher  bie  gefugte  Sahrfcheinlichfeit  f.  9tun 
ift  | = i + i,  alfo  bie  Sahrfcheinlichfeit,  1 ober  2 gu  erhalten, 
gleid)  ber  Summe  ber  Sahrfd)einlichfeitcit,  welched  jebeß  biefer 
©reigniffe  für  [ich  bietet.  2)ie  Setallgemeinerung  beß  in  biefern 
{Refultate  liegenben  ©afceö  ift  flat.  Som  bisher  ©efagten  wohl 
gu  unterjcheiben  ift  bie  ©rohe  ber  Sahrfcheinlichfeit,  welche  für 
bad  gleicbgeitige  Auftreten  mehrerer  ©reigniffe  gilt.  Sie 
grofj  ift  bie  Sahrfcheinlichfeit,  baf)  bei  einem  ©piel  mit  gwei 
Sürfeln  ein  beftimmter  Sürfel  eine  2,  ber  anbere  eine  3 geige? 
3»ei  Sürfel  fönnen  gu  36  Derfchiebenen  gäHen,  gu  36  Der* 
fchiebenen  ©ombinationen  ber  Bahlen  1 biß  6 (Snlafj  geben. 
SDer  Surf  (2,  3)  fann  nur  auf  eine  eingige  2lrt  gebilbet  werben, 
unb  bähet  ift  feine  Sahrfcheinlichfeit  SDie  Sal)tfcheinlich* 
leit,  bah  ber  erfte  Sürfel  eine  2 geige,  ift  bah  ber  gweite 
eine  3 gebe,  ebenfalld  unb  ba  gleich  i-b  erlennt  man, 
bah  bie  Sahrfcheinlichfeit  für  baß  gleichgeitige  ©intreten  ber 
beiben  Sürfe  bad  ^robuft  ber  Sahtfcheinlithfeüen  für  bie  eingelneu 
Sürfe  ift.  2)ad  hier  geführte  Slaifonnement  Iaht  fidj  allgemein 

(891) 


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16 


burdifüijren  imb  liefert  folgenben  ^auptfafj  ber  SBahtfchein» 
lichfeitSrechnung:  Die  SBahtfcheinlichfeit  für  ba8  gteid^geitige 
Auftreten  mehrerer  ©reigniffe  wirb  erhalten,  inbem  man  bie 
SBahrjcheinlidjfeiten  bet  eingelnen  (Sreigniffe  mit  einanbet  multi* 
plicirt. 

Auf  ben  bis  jefct  aufgeftellten  ©ätjen  beruht  baS  gange 
@pftem  bet  SBahrfcheinlidifeitSrechnuug.  Dütfeu  aber  biefe  rein 
tl)eeretifd)en  ©rörterungeu,  welche  ohne  SRütffidjt  auf  bie  @r* 
gebniffe  ttjatfächlicher  Vorgänge  geführt  würben  unb  nur  auf 
ber  bod)  widfürlidjen  (ärflärung  bet  mathematifchen  S33a^rf<^ein» 
lidjfeit  beruhen,  ben  Anfpruch  erheben,  bei  wirtlichen  Vorfällen 
berüdftchtigt  gu  werben?  Sei  ber  Unterfuchung  über  bie  $)reuhifcbe 
Lotterie  würbe  aHerbingS,  DieHeidjt  etwas  ooreilig,  bie  3uftimmung 
hierfür  in  Anfpruch  genommen,  treten  wir  jefct  biefer  wichtigen 
grage,  ob  wir  hoffen  bürfen,  bah  «ne  theoretifch  berechnete 
SBahtfcheinlichfeit  fich  bei  ber  wirfltchen  Ausführung  ber  6r* 
fcheinungen  wiebetfinbe,  näher. 

Die  SBahrfdjeinlichfeit,  mit  einem  SBütfel  eine  beftimmte 
3ahl,  etwa  eine  1,  gu  werfen,  ift  Darf  nun  bei  einem 
@piel  mit  einem  richtig  gearbeiteten  SBürfel  erwartet  werben, 
bah  ber  fechfte  Streit  aller  SBürfe  eine  1 geige? 

@8  fteht  Sebent  bie  ÜHöglichfeit  gu  ©ebote,  biefe  §rage 
burch  ben  Serfuch  gu  löfen,  unb  eS  wirb  fi<h  im  Allgemeinen 
feine  Uebereinftimmung  gwifchen  jener  gorbetung  unb  bem  prafti* 
fchen  ©rgebnih  geigen.  3a,  wir  fönnen  eine  folche  nach  unferen 
93orauSfehungen  gar  nicht  erwarten.  Denn  würbe  ftetS  genau 
ber  fechfte  $h«l  ber  SBürfe  eine  1 bringen,  fo  hätten  wir  einen 
gefehmähigen  Sorgang  unb  nicht  ein  butdj  rein  gufäHige  Se« 
bingungen  h*N>0*geruf3ne8  Gfreignif)  »or  unS.  Aber  bie  5Ri<ht* 
übereinftimmung  gwifchen  Rechnung  unb  Seobadjtung  wirb  um 
fo  mehr  fchwinbeu,  alfo  bie  3ah!  ber  geworfenen  1 fich  bem 

(892) 


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17 


fechften  Steile  ber  überhaupt  oorgefommenen  SEBurfe  um  io  mehr 
nähbrn,  je  gröfjer  bie  3atjl  bet  SBüife  wirb.  Unb  hierin  liegt 
berjenige  ®ajj  ber  Söabrf<heinli<hfeit8rechnung,  welcher  bie  Sin* 
wenbung  berfelben  für  ba8  praftifche  lieben  fiebert,  nämlich : ©ie 
mit  £ülfe  bet  mathematifcben  SBahtjcheinljchfelt  berechnete  3«hl 
für  bie  fDtöglicbfeit  eines  ©teigniffeß  ftimmt  um  fo  mehr  mit 
bem  ©rgebni§  bet  3Birflid}feit  überein,  je  größer  bie  3al?l  bet 
^Beobachtungen  wirb. 

©iefet  wichtige  @afj  läfjt  fid)  fowobl  burch  tl>eoretifcfoe 
Unterjuchungen,  mie  burch  bie  praftiiche  Beobachtung  erweifen. 
SÄufgefteOt  würbe  er  burch  3acob  SBernoulli,  ber  erfie  in  ber 
©ejchichte  auftretenbe  SJlathematifer  be8  berühmten  ©efehrten* 
gefchleditS  bet  SBetnoulli'8  in  SBafel,  welches  ber  SBelt  fieben 
berühmte  fTOathematifer  fehcnfte,  in  welchem  über  3wei  Saht* 
hunberte  htoburd)  ber  ©euiuS  ber  SSiffenfdjaft  heiwifch  war. 
©er  Stammvater  Safob  SBernoulli  würbe  burch  ben  Stob 
an  ber  SBcHenbung  feines  grunblegenben  SBerfS  über  Sßahrjchein* 
lichleitSrecbnung,  ba8  ben  obigen  ©ah  Verleitete,  getjinbert.  9taeh 
feinem  eigenen  ©eftänbnif}  h3*  er  ftd>  20  Sahte  mit  bet  ^>er* 
leitung  biefeS  @at3e§  befaßt,  ©och  erft  8 Sahre  nach  feinem 
Stöbe,  1713,  würbe  burch  feinen  flleffen  S^icclauS  SBernoulli 
ba8  berühmte  2£erf,  bem  er  jeiu  lieben  gewibmet  hatte,  bie 
Ars  conjectandi,  bie  Äunft  beö  BermuthenS,  bem  ©ruef  über* 
geben. 

Sn  bem  Bernoulli'icben  Safte  fpricht  fich  ba§  ©efe£ 
be8  3>ifaH8  au8;  nicht  in  einjelnen  ober  wenigen  BäHen,  nur 
in  ber  fötafje,  im  ©urdjfchnitt  einer  großen  3ahl  von  Beob* 
achtungen  tritt  baffelbe  auf.  SDeßljalb  hat  ber  Sftatbematifer 
^oijfon  baffelbe  auch  alö  ba8  ©efeft  ber  großen  3ablcn  be* 
zeichnet,  ©in  auffallenbeä,  intereffanteS  SBeijpiel  für  bie  SBe= 
ftätigung  biefeS  ©eiejjee  burch  bie  ©rfahrung  lieferte  ©aufj, 

XIV.  535.  2 (695) 


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18 


welkem  bie  2lu0bilbung  bei  2Babrf<heinli<hfeitßrechnung  über* 
baupt  oiel  Derbanft.  3«  ©öttingen,  wo  ©aufe  Don  1807  biß 
gu  feinem  1855  erfolgten  $£obe  ber  Sternwarte  oorftanb,  bfltte 
berfelbe  lange  Seit  bie  ©ewobnbeit,  allabenblicb  mit  benfelben  brei 
greunben  gu  fielen  unb  notirte  einige  3«bre  binburd}, 
wie  Diele  äffe  jeber  5E^cil«e^mer  in  ben  Detfdjiebenen  Spielen 
batte.  9iatb  einer  dou  ©antot  wiebergegebenen  fDlittbeilung 
geigte  fidj,  baft  nabegu  übereinftünmenb  oft  ein  3eber  dou  ihnen 
fein,  ein,  gwei,  brei  unb  Dier  äffe  erbalten  batte  unb  biefe  ein» 
gelnen  ängablen  auch  baß  Don  ber  2Babrfcbeinli<bfett0recbnung 
Dorgcftbriebene  Serbältnifj  boten. 

Siöbet  würbe  angenommen,  bie  SBabrfcbeinlicbfeit  eineö 
©reigniffeö  laffe  fid)  ftetö  tbeoretijcb  Dorber,  wie  man  fagt, 
a priori,  beftimmen.  Sei  .fpagarbjpielen  wirb  bieö  in  ber  £b<rt 
häufig  ber  galt  fein;  aber  eß  ift  bo<b  faum  glaublid;,  baff  bie 
im  ^ublifum  verbreiteten  unb  meift  richtigen  ännabmen  über 
bie  ©bancen  eines  ©liicffpielß  auf  bein  SJege  tbeoretifeber  ©r» 
örterungen  gefunben  feien.  üüenn  gum  Seiipicl  ber  bei  Seginn 
beß  Sortragß  eingefübrte  £aufirer  bei  feinem  Spiele  „brei 
■»Hummern  unter  bunbert"  ben  nabe  richtigen  Sa£  anwenbet, 
bem  gewinnenben  Spieler  baß  Sietfache  beß  ©infujjeß  gu  oer» 
gelten,  fo  ift  er  bietgu  nicht  burd?  Rechnung,  foubern  burch  @r» 
fabrung  ober  Ueberlieferung  geführt  worben,  ©ß  ba*  fi<b  eben 
burch  aufcerorbentlich  Diele  Serfuche  gegeigt,  bafj  im  ©urchfchnitt 
unter  5 Spielen  bet  Spieler  oiermal  verliert,  ©ine  Saht» 
fcheinlichfeit,  welche  fid?  in  biefet  SBeife  erft  nachträglich  burch 
baß  ©rgebnifj  gabireicher  Serfuche  ergiebt,  beifit  3Sabrf<beinli<b» 
feit  a posteriori.  3«  ib*er  Seftimmung  hat  man  bie  ängabl 
bet  bem  betrachteten  ©reignifj  günftigen  Sorfommniffe  burch  bie 
©efammtgabl  ber  Serjuche  gu  tljeilen.  JDicfe  SBabrfcbeinlicbfeit 
a posteriori  wirb  bei  ber  Ucberficht  aller  folgen  Sorgänge 

(8»4) 


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19 


« 

benutzt,  welche  ju  jo  Dielen  ÜJtöglichfeiten  Stnlag  geben  ober 
bereit  ©rgeugung  311  wenig  befannt  ift,  als  baß  bie  [Rechnung 
bie  Silbung  ber  einjelnen  ÜJlßglicfjfeiten  netfolgen  fönnte.  ©elbft» 
Derftänblid)  ftimmt  bei  allen  Vorgängen,  beten  5ßal)rfcheinlichfeit 
theoretijch,  aljo  a priori  aufgefteflt  werben  fanu,  wie  j.  23.  bei 
SBütfelfpielen  ober  ber  ^reußifchen  £Iaffen=8otterie,  biefe  23ahr= 
jcheiulichfeit  mit  ber  burd)  gasreiche  Berfuche  ober  23eobad)tungen 
a posteriori  gefuübenen  überein.  3n  bieder  Uebereinftimmung 
liegt  eben  bie  23ebeutung  beS  oon  23etnou  Ui  aufgefteHten 
. ©atjeS  über  baS  ©efefc  ber  großen  Saniert. 

3ft  einmal  in  irgenb  einer  SBeife,  alfo  entweber  burd) 
[Rechnung  ober  23eobad)tuug,  bie  Söa^ri^einli^feit  eines  6r« 
eiguiffeö  ermittelt,  fo  läßt  fid),  ielbflDerftänblich  immer  unter  bet 
23ead)tung  beS  23ernoulli’ichen  ©aßeS,  baß  bie  ©rgebniffe 
ber  2öal)tfcheinlichfeit8rechnung  nur  für  bie  ÜRaffe  bet  ©reiguiffe, 
nicht  für  ben  einzelnen  §aU  ©eltung  Ijaben,  biefe  Söahrfchein« 
lidjfeit  bei  weiteret  SBiebetljolung  beS  betreffenben  ©teigniffeS 
Derwertijen.  2luf  biefem  23erfaljren  beruht  bie  wiffenfdjaftlidje 
©tatiftif,  inebefonbere  bie  23eDÖIferung8ftatiftif  unb  baS  23er= 
ficbetungSwefen. 

2Bir  fabelt  hiermit  ein  ©ebiet  betreten,  beffen  23ebeutung 
für  unfete  heutigen  fokalen  Berhältuiffe  unermeßlich  ift.  Söoljl 
nur  [ehr  2Benige  werben  fid)  unter  ben  ©ebilbeten  unfereS  23olfeS 
befinben,  welche  nicht  in  böhetm  ober  geringem  9Raße  bei  einer 
23erficherung  betheiligt  finb.  Daher  möge  bie  ©runblage  bet 
SebenSoerficherungen,  bie  23e»ölferung8ftatiftif,  h*”  eine  ^ut3e 
©rwähnung  finbeu. 

Der  23egtünber  einer  wiffenfdjaftlichen  23ehanblung  bet 
23eDÖlferung8ftatiftif  ift  ©bmunb  vpallep,  ^auptfächlid^  burch 
bie  oon  ißm  juerft  gelehrte  Berechnung  einer  Äometeubahn  be= 
!annt.  Derfelbe  [teilte  1693  bie  erfte  Bitalitdtötabelle  auf, 

2*  (894) 


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20 


» 

b.  b-  bie  erfte  Tabelle,  aub  beten  3®bl€n  man  ©bluffe  auf  bie 
SBabrfcbeinli<bfeit  gieren  fonnte,  ba§  in  einem  gewiffen  Silier 
ftebenbe  9)erfonen  noib  eine  angegebene  SReitje  oou  Sagten  am 
lieben  bleiben,  fallet?  Ijatte  bie  gum  ©nt  würfe  feinet  Tabellen 
nötigen  Safylenangaben  ben  JRcgiftern  bet  Stabt  23teblau  ent* 
nommen.  3m  golgenben  »erbe  bie  SluffteQung  einet  foldjeu 
Tabelle  angebeutet,  wobei  wir  bie  in  SBirflidjfeit  allerbingb 
feiten,  gu  ^allep’d  3eit  aber  für  öreblau  tfalje  geltenbe  2ln» 
nabme  julaffen,  ba§  bet  öeoölferungbguftanb  eine  lange  SReilje 
»ou  Sagten  unoeränberlicb  fei,  alfo  bie  feftbleibenbe  3«bl  bet 
jatyrlid)  ftattfinbenben  ©eburteu  mit  betjenigen  bet  JobebfäUe 
übereinftimme.  £>en  folgenben  Susfübtungen  ift  eine  wirflidje, 
nach  Öeobadjtungen  im  .Sfönigreidi  Saufen  aufgeftellte  SiitalitätS* 
tabeile  gu  @runbe  gelegt,  welche  butd)  eine  3eid)nung  gtapbifcb 
- wiebergugcben  oerfudjt  wutbe. 

©b  feien  alfo  in  einer  abgefcbloffenen  33et>ölferungbgruppe 
wäbrenb  eineb  jeben  Sabreb  100  000  Äinbet  geboren  wotben, 
unb  nach  ben  3»fammenftellungen  bet  Stanbebämter  im  Haufe 
bicfeS  Sabreb  53  965  Äinber  im  Sitter  unter  10  Salven  geftorben, 
fo  ftnb  100  000  - 53  965  = 46  035  Äinbcr  unter  100  000  @e* 
butten  ootl)anben,  welche  bab  10.  Hebenbjabr  erreichen.  SDem= 
nadb  ergiebt  ficfo,  wenn  wir  ben  18 ernoulli’fiben  Sa£  über 
bab  33etbältni§  bet  großen  3f»bteu  anwenben,  alß  SBertb  bet 
SBabrfdbeinlitbfeit,  bafj  ein  jtinb  bet  oon  unö  beobachteten  öeoolfe» 
tungögruppe  fein  10.  Sebenbfabr  gurücflege,  tVoVoV»  ober,  biefe 
3abl  alö  2)ecimalbrudb  gejdjrieben,  0,46035.  gerner  finbe  fitb 
burdj  ftatiftifcbe  3ufammenftellungen,  baff  56  682  ‘perfonen  unter 
20  3abren  im  Saufe  beb  Sabteb  aubgefdjieben  feien;  fo  befteben 
unter  100000  ©eburten  100000  - 56682  = 43318,  weld^e  bab 
20.  Hebenbjabr  gurücftegten,  aller&iugö  immer  unter  3Babrun3 
ber  erwähnten  öoraubfetjung,  .baff  wäbtenb  ber  lefetoevfloffenen 

(896) 


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21 


20  3atyre  bet  SeoölferungGjuftanb  burdbauG  ftationär  blieb, 
©ie  Sßatyrfctyeinlictyfeit,  ba|  ein  9teugeborner  fein  20.  Satyr  et» 
teidtye,  ift  aljo  0,43318.  ©ie  3atyl  bet  not  beginn  beG  30.  SebenG» 
jatyteG  ©eftorbenen  finbe  ficty  gleich  60978,  fo  haben  100000  — 
60978  = 39022  Seelen  untet  100000  ©eburten  ityt  30.  3atyt 
angetreten,  unb  bemnacty  ergiebt  ficty  atG  Sßertty  bet  SBatyrjctyein« 
lictyfeit,  bat;  ein  fltengebcrner  minbeftenG  30  3atyre  alt  werbe, 
0,39022.  3«  gleicher  SBeife  lätyt  ficty  bie  Tabelle,  welctye  bei 
unG  nacty  einem  SnternaQ  »on  10  gu  10  3atyren  weiterfetyreitet, 
fortietyen  unb  hiermit  bie  SBatyrfctyeinlictyfeit  beftimmen,  ba§  ein 
flleugeborner  ein  beftimmteG  ©ecennium,  alfo  ein  Slltet  non  10, 
20,  30  Satyren  u.  f.  w.  erreiche.  ©octy  greift  bie  SÄnwenb* 
barfeit  ttnferer  Tabelle  hierüber  noch  weit  tyinauG.  ©G  tyatte 
ficty  gefunden,  non  100  000  ©ebutten  überleben  46035  ityr  10. 
43318  ityr  20.,  39022  ityt  30.  SebenGfatyr  u.  f.  w.  23on  46035 
fPerfonen,  welctye  ityr  10.  SebenGjatyr  erreictyt  tyaben,  gelangen 
bemnacty  43318  über  bie  Schwelle  beG  20.,  39022  über  bie  beG 
30.  3atyreG;  unb  bemnacty  ift  bie  SBatyrfctyeinlictyfeit , ba§  eine 
10  jährige  $>erfon  nacty  10  3atyren  nodty  lebe,  ||JJ|  = 0,94098; 
unb  bie  SBatyrfctyeinlictyfeit,  ba§  eine  10  jätyrige  fPerfon  nadty  20 
3dtyren  noch  lebe,  IHH  - 0,84766.  -SDiit  ,$ülfe  unferer  Stabelle 
läfjt  ficty  alfo  allgemein  bie  SBatyrfctyeinlictyfeit  feftftetlen,  welctye 
bafür  an^unetymen  ift,  baty  eine  in  einem  beftimmten  ©ecennium 
beG  älterG  ftetyenbe  ^erfott  nacty  sSblauf  einer  gewiffen  Slnjatyl 
non  ©ecennien  nocty  lebe. 

©ie  nereinfactyenben  SBebingungen,  welche  wir  bei  93erfoIgung 
unfercG  SbeengangG  ju  ©tunbe  legten,  fallen  bei  Slufftellung  ber 
in  bem  praftifeben  geben  ^u  oerwerttyenben  Stabellen  fort,  ©ie  . 
3atyl  ber  ©eburten  unb  JobeGfälle,  überhaupt  bie  S3eoölferung  . 
eineG  ganbeG  witb  nie  für  längere  3*it  ungeänbert  bleiben, 
ferner  bürfen  bie  Tabellen  nictyt  für  ein  3ntemtl  oon  10  gu  10 
. («»o 


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22 


Sauren,  fonbern  muffen  oon  Satyr  $u  Satyr  fortfetyreiten.  Auch 
otyne  in  mattyematifctye  Unterfudtyungen  einjugetyen,  wirb  man 
motyl  erfennen,  ba|  alle  auf  bie  SebenSbauer  bezüglichen  @r» 
gebniffe  um  fo  genauer  berücfjtchtigt  werben  fennen,  je  häufigere 
unb  genauere  Aufteilungen  man  non  bem  BeoölfcrungSzuftanb 
in  einem  beftimmten  3eitmomente  tyat.  Dem  Bebürfnifje  biefet 
Aufteilungen  bienen  bie  großen  SSolf Sjätylungen ; unb  bie  fRectynung 
fann  um  fo  junerläffigere  {Refultate  auS  ityren  ©rgebniffen  auf  bie 
SBatyrfctyeinlictyfeit  ber  gebenSbauer  mactyen,  je  tyäufiger  ftdty  biefe 
BolfSjätylungen  wiebertyolen,  je  gröfjere  ÜRaffen  fie  umfaffen,  unb 
je  mehr  genaue  Angaben  eS  ermöglichen,  biefe  ÜRaffen  in  ©ruppen 
gleidtyen  Alters,  gleichen  ©efctylectytS,  gleicher  Befchäftigung  unb 
gleicher  gcbenSweife  3U  zerlegen.  Sebe  neue  BolfSzätylung  bilbet 
eine  §)robe  für  unfere  BitalitätStabellen ; was  bie  Beobachtung 
eines  BenuS*  Durchgangs  für  nnjere  Äenntniffe  bet  3atylen» 
»ertyältniffe  im  @onnenfpftem,  bebeutet  eine  BolfSzätylung  für 
bie  ©tatiftif. 

ÜRit  .fjülfe  ber  BitalitätStabellen  werben  bie  ^Rechnungen 
bet  gebenSoert<tyerung8=©efeflfctyaften  auSgefütyrt  unb  intereffante 
fragen  über  bie  SBatyrfctyeinlictyfeit  gewiffer  gebcnSuertyältniffe 
beantwortet.  Sm  ftolgenben  möge  wenigftenS  ejne  Borfteflung 
übet  biefe  Anmenbungen  bet  SBatyrfctyeinlictyfeitSrectynung  gemeeft 
werben.  Bei  einem  (Styepaat  fei  ber  ÜRann  40,  bie  grau  35  Satyte 
alt,  fo  beträgt  nacty  bet  bei  unfeter  Betrachtung  benujjten  Bi« 
talitätStabelle  bie  SBatyrfctyeinlictyfeit,  bafj  ber  ÜRann  nocty  10  Satyre 
lebe,  0,83,  bafj  bie  grau  nacty  biefer  3eit  noch  am  geben  fei, 
0,87.  5Bir  werfen  folgenbe  fragen  auf: 

1)  SBie  gtofc  ift  bie  SBatyrfctyeinlictyfeit,  ba§  Beibe  nocty 
10  Satyte  leben,  alfo  bie  @tye  nocty  10  Satyre  bauere? 

Da  jwri  Gnreigniffe  gleichzeitig  ftattfinben,  nämlicty  ÜRann 
unb  Brau  fid,  beibe  nocty  nacty  10  Satyren  beS  DafeinS  freuen 

(898) 


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23 


follen,  ift  bie  gefugte  Söabrfcbeinlichfeit  ba8  fProbnft  au8  ben 
SBahrfcbeinlichfeitenbet  einzelnen  Gfreigniffe,  alfo  0,83-0,87  = 0,72. 

2)  38ie  grof)  ift  bie  SBabrfcheinlidjfeit,  bafc  bie  Orb«  nad) 
10  Sohren  burd)  ben  Job  getrennt,  alfo  wenigftenS  einer  bet 
©begatten  au8  bem  geben  gefd)ieben  fei? 

©ntweber  befielt  bie  ©be  nad)  10  3abren,  »bet  fie  bat 
geenbet.  £)ie  Summe  au8  ben  3Babrfd)einli<hfeiten  für  biefe 
beißen  ©reigniffe  ift  baber,  ba  eines  berfdben  {ebenfalls  ein* 
getreten  ift,  bie  ©ewifcbeit.  1;  unb  bemnad)  bie  SBabrfcbeinlid)* 
feit,  ba§  bie  ©b<  aufgebört  habe,  1 — 0,72  = 0,28. 

3)  3öie  grofs  ift  bie  SBabrfcbeinlichfeit,  baf}  nad)  10-3ab«n 
ber  9Jiann,  ober  bie  ftrau,  ober  beibe,  alfo  jcbenfalfö  einer  bet 
<äbe3attten  noch  lebe? 

2>ie  3Babrfd)einlid)feit,  baß  nad)  10  3ab«n  ber  ÜJtann  ge* 
ftorben,  beträgt  1 —0,83  = 0,17,  biejenige,  ba§  nad)  biefet  3«t 
bie  ftrau  tobt  fei,  1—0,87  = 0,13;  unb  bemnad)  bie  SBabr* 
fd)einlid)feit,  ba§  beibe  @beSatten  nad)  10  Sabren  aus  bem 
geben  gefchieben  feien,  0,17-0,13  = 0,022.  $ierau8  folgt  für 
bie  3Babrfd)einlid)feit,  ba§  nid)t  je  bet  bet  beiben  ©blatten 
nad)  10  Sabten  geftorben,  fonbern  minbeftenS  nod)  einer  bet* 
felben  am  geben  fei,  in  gleitet  SBeife  wie  bei  ber  gweüen  grage 
1 — 0,022  = 0,978.  SDemnad)  batf  man,  felbftoerftänblich  unter 
beT  BorauSfefcung  eines  normalen  3«tlauf8,  faft  al8  gewif)  an* 
nehmen,  bafj  bie  Jiinber  nad)  10  3at)ten  nid)t  ebne  jebe  elterliche 
Stüfce  feien.  — 

3n  biefen  Betrachtungen  würben  für  bie  Bebanblung  ber 
räthfelbafteften,  unaufgeflärteften  aller  ©tfcheinungen  biefelben 
©efe^e  nerwanbt,  wie  fie  bie  3Sabrfd)einlichfeit  für  nur  nom 
3ufall  beben  jebte  BorfäDe,  3.  93.  für  ba8  SBütfelfpiel,  aufftedt. 
3ft  man  aber  wirflich  berechtigt,  geben  unb  Job  eines  fDienfdjen 
in  gleicher  SBcife  als  einen  rein  jufädigen  Botgang  aufaufafjen, 

(899) 


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24 


wie  baS  fallen  einet  beftimmten  Stummer  im  Sürfelfpiel?  — 
SDie  SDauer  eines  Gebens  ift  burd)  bie  (Sonftitution , baS 
SLemperament,  bie  LebenSmeife,  burd)  ben  Staub  bet  allgemeinen 
©efittung  beftimmt.  3ebe  biefet  Qfinwitfungen  ift  jebodj  feine 
foldje,  baf?  fid)  hieraus  mit  fdjarfet  Sicherheit  baS  SUter  eines 
SnbioibuumS  beftimmen  liehe.  3)enn  in  jenen  tarnen  greifen 
mit  eine  Unzahl  Don  Urfachen,  theils  befannter,  meiftentheilS 
jebod?  unbefannter  Statur  gufammen,  welche  in  einer  für  unS 
unaufgeflärten  ober  hoch  mathematifch  nicht  barftellbaren  Seife 
baS  Lebensalter  bebingen.  9lQe  biefe,  auf  eine  beftimmte  sPerfon 
wirfenben  (Sinflüffe  finb  in  ihrer  3ntenfitat  unb  ber  2lrt  ihres 
äuftretenS  jum  groben  Slheile  burd)  baS  älter,  welches  biefe 
Werfen  fcbon  erreicht  hat,  beftimmt;  baS  Lebensalter,  welches 
eine  beftimmte  fPetjon  erreichen  wirb,  ober  auch  bie  Beantwortung 
bet  grage,  0b  &ieje  ^etfon  nad)  einer  beftimmten  Steihe  non 
Sahren  noch  leben  wirb,  hängt  alfo  im  ädgemeincn,  aud)  in  ftreng 
mathemathijchem  Sinne,  Dom  älter,  welches  biefe  <perfon  glücflid) 
erreicht  Ijat,  ab.  Senn  nun  bie  äunahme  erlaubt  ift,  bah  alle 
übetigen  (äinwirfungen  als  rein  jufäDige  auftreten,  fid)  alfo  fein 
Beweis  bafür  erbringen  laffe,  bah  biefe  Urfachen  auf  bie  Ber« 
längerung  ober  Betfütgung  beS  LebeuS  übet  ober  unter  ein 
mittleres  Bläh  in  ungleicbmäfjiget  Seife  mtrfen,  fo  ftnb  wir 
aHerbingS  berechtigt,  bie  Sahrfcheinlichfeitövechnung  bei  fragen 
über  bie  LebenSbauer  in  ber  gefdhehenen  Seife  anjuwenben. 
Stellen  mir  baS  ©efagte  burd?  ein  Beijpiel  flar.  2)ie  Summe, 
welche  brei  auS  ben  Stummem  1 bis  90  blinbliugS  gezogene 
Bahlen  ergeben,  hängt  hauptfäd)lid)  ab  »on  ber  ängahl  ber  (5om* 
binationen,  in  welcher  fich  biefe  Summe  burd?  bie  äbbition  je 
breier  Bahlen  oon  1 bis  90  bilben  Iaht,  äuhetbem  mirfen  noch 
tiele  anbere,  äuherft  nerwicfelte  Urfachen,  welche  in  ber  änorb* 
uung  ber  90  Stummem  unb  in  ber  perfönlidjen  ©iSpofition  beS 

(3oo; 


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25 


Spielerß  liegen,  mit.  35a  aber  biefe  lebten  Urfacpen  alle  alß  rein 
gufätlige  auftreten,  alfo  fein  ©runb  befannt  ift,  nacp  weither 
biefelben  einen  3^8  oorgugßmeife  begünftigen  ober  außfchüe&en 
füllten,  bürfen  mir  auf  baß  gefcpilberte  Spiel  bie  @efet$e  bet 
SBahrfcheinlicpfeit  anwenben.  35aß  ©leicpe  gilt  für  baß  gebenß» 
alter  beß  SJlenfcpen.  3 ft  bei  jebem  ÜJtenfcpen  baß  fcpon  erreicpte 
Sllter  ber  pauptfaftor,  nad)  welchem  fiep  bie  fernere  hebenßfäbig- 
feit  ridjtet , unb  treten  alle  übetigen  ©inmirfungen  alß  rein  gu» 
fällige  auf,  bie  eben  fowopl  in  günftigem  wie  in  ungunftigem 
Sinne  mirfen  fönnen,  fo  paben  wir  baß  gleite  JRecpt  gut  Sin« 
.wenbung  ber  SBahrfcpeinlichfeitßrechnung,  wie  bei  bem  erwähnten 
Spiel  „brei  Ulummem  unter  100";  nur  bafj  wir  bie  3Bal)t* 
fcpeinlicpfeiten  nicpt  wie  bei  biefem  ©lücffpiel  burd?  tpeoretifcpe 
Betrachtungen  a priori,  fonbern  burcp  Beobachtungen  a posteriori 
beftimmen.  ©benfo  lä§t  fiep  bie  entfepeibenbe  $rage,  ob  in  ber 
Spat  alle  ©inflüffe  mit  Sußnapme  beß  erreichten  SllterS  alß  rein 
gufäQige  aufgufaffen  feien,  nicht  burcp  jpeculattoe  Betrachtungen, 
fonbern  nur  burcp  bie  Uebereinftimmung  bet  mit  Jpnlfe  bet 
SBaprfcheinlichfeitßrecpnung  erhaltenen  Siefultate  mit  fpäteren 
Beobachtungen  ermeifen. 

35iefe  Beobachtungen  finb  feit  etwa  150  3ahren  mit  pülfe 
ber  3ahlen,  welche  bie  Beoölferungßftatiftif  cioilifirter  fcänber  ge» 
währt,  für  bitfe  angefteflt  worben  unb  haben  gegeigt,  bafj  bei 
cinilifirten  Böllern  in  ber  Spat  alle  ©inflüffe  mit  Maßnahme 
beß  erreichten  Sllterß  unb  beßjenigen  ©influffeß,  welcher  fiep  butep 
bie  fortfdjreiteube  .pope  ber  Gimlijation  ergiebt,  alß  gufällige 
aufgefapt  werben  müffen.  35utcp  bie  Senbetung  ber  hebenßmeife 
unb  bie  Sorge  für  ffteinlicpfeit,  melcpe  bie  fortfepreitenbe  ©e» 
fittung  bebingt,  wirb  bie  üebenßbauer  ber  uerfepiebenen  iSlterß* 
flaffen  etwaß  geänbert;  ba  aber  biefet  biß  jept  noep  nicht  genau 

erfannte  ©influf)  ein  geringer,  uub  aufcerbem  fiep  berfelbe  bei 

(»01) 


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26 


ben  Staffen  mit  nach  längerer  3eit  merflich  änbern  fann,  batf  ber« 
felbe  nernachlaffigt  unb  bie  2eben8bauer  bei  ^Betrachtung  grofeer 
SenölferungSgruppen  als  ftunction  ber  3Bahri<heinIichfeit  an» 
gefeljcn  werben.  22ie  fehr  ftdj  bei  ber  Sergleichung  umfaffen» 
bet  Staffen  bie  äBirfungen  ber  Snbinibualität  auSgleichen  unb 
wie  gerechtfertigt  eS  ift,  in  »ielcn  menfchlichen  £anblungen  @t= 
fcheinungen  ju  erblicfen,  welche  fith  nach  ben  ©efefcen  bet 
SSahrfcheinlicfafeitSlehre  pclljiebeu,  geigt  bie  überrafcheube  Segel» 
mäfjigfeit,  welche  utt8  in  normalen  Beiten  bie  ©riminalftatifti!  im 
©efüge  bet  3! erbrechen  nad)  21  rt  betfelben,  nad)  3llter  unb  ©efcblecht 
bet  ühäter  nachweift,  eine  Segelmäfsigfeit,  welche  ben  berühmten 
©tatiftifer  33elgien8,  Duetelet,  gu  bem  2lii8fpruche  neranlafete: 
„©8  giebt  ein  S3ubget,  welches  mit  erfchütternber  Segelmäfcigleit 
gezahlt  wirb,  bie8  ift  ba8  Subget  be8  ©efängniffeS,  ber  ©aleere 
nnb  be8  Schaff  ote!" 

©iefer  9Iu8fpruch  ift  aHerbingS  mit  gtofjer  Sorftcht  aufgn* 
nehmen.  S)enn  nicht  nur  bebarf  jebe  Slnwenbung  ber  SSBahr» 
fcheiulichfeitSrechnung  auf  ba8  ©efeOfchaftSleben  be8  Stenfchen 
ber  beftänbigen  ©ontrole  burch  bie  ©rfabrung,  woburch  fid)  fchon 
oft  eine  behauptete  Segelmäfjcgfeit  a!8  Säufchuug  etwieS;  fonbern 
nor  tflllem  hat  man  bie  non  rohem  Stateriali8mu8  nerfochtene 
Steinung  gurücfguweifen,  aI8  ob  bie  3abl  bet  SDiebftähle,  bet 
Storbe  unb  anberet  Setbrechen,  welche  nach  biefen  ©tgebniffen  ber 
©tatiftif  auf  eine  33eoölferung8gruppe  faden,  bie  golge  eines  über 
SlUe  henfchenben  unabänberlichen  ^atumS  fei,  Welches  fich  unberührt 
non  menfchüchem  SBtrfen  unb  Äönnen  noQgiehe,  biejenige  ©igenfdjaft 
bet  menfchlichen  Satur,  welche  man  bie  Bteiijeit  beS  SBiUenS 
nennt,  aufhebenb.  Sur  ba8  ift  gu  folgern,  bafs  im  Mgemeiuen 
auch  bet  2BiHe  beS  Stenfchen  feine  ©ntfdjlüffe  nicht  unabhängig 
non  äußeren,  auf  ihn  einwitfenben  Umftänben  fa|t.  5Der  3BiHe 
beö  Stenfchen  erfcheint  faft  nie,  unb  am  wenigften  bei  für  fein 

(902) 


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27 


©efdjicf  wichtigen  (äreigniffen,  als  reine  2Bil!für,  bie , loflgelöft 
non  ber  Außenwelt,  ohne  Otücfftd^t  auf  biefe  fein  SBitfen  be* 
ftimmt.  3)ie  häufigere  Söiebetholung  foldjen  2BiHen8  fenngeidjnet 
ben  2Bal)nfinn.  S)er  fogenannte  freie  SBitfen  be8  normalen 
SJtenfcben  tritt  nielmebr  nur  als  bie  Vefugniß  auf,  gwiidjen  »et« 
itbiebencn  SfRöglichfeiten  eine  SBaßl  gu  treffen.  SJtöglidj  finb 
niele  SBablen,  aber  bebfyalb  ift  nicht  für  jebe  berfelben  gleite  SSaljr« 
fdseinlichfeit  norbanben.  SDiefe  wirb  burch  bie  mehr  ober  weniger 
fcfcarfe  Abwägung  aller  für  unb  wiber  einen  (fntfdjluß  fprcchen« 
ben  folgen,  bureb  ©ewoßnheit  unb  äußere  Veeinfluffung  beftimmt 
unb  fomit  bie  a^t f d^ein tid>fcit,  einen  ober  ben  anbern  S3ei<hluß 
gu  raffen,  eine  fet?r  »erichiebene.  Söenn  wir  baljer  fötaffen  ber 
©efelljcbaft  betrauten,  bie  groß  genug  finb,  um  in  benfelben  alle 
fDtöglidjfeiten,  welche  auf  bie  Raffung  eines  VefchluffeS  wirfen 
fönuen,  nielfacb  angutreffen,  bürfen  wir  un§  niebt  wunbern, 
wenn  baö  (Jrgebniß  im  ©roßen  unb  langen  ben  Vebingungen 
ber  Syabrfdjeinliebfeitßlebre  entfpricht.  äöenn  Bemanb  6000mal 
mit  einem  ri<btigen  SBürfel  wirft,  wirb  er  jebe  ber  Ballen  1 bis 
6 etwa  1000  mal  erhalten.  !?lu8  biefet  fRegelmäßigfeit  eines  nur 
ben  ©efeßen  ber  SBatjtfcheinlicbfeit  unterliegenben  Spiels  folgt 
jeboeb  nicht,  baß  bet  Spielet  falfd? , fonbern  umgefebrt,  baß  er 
richtig  gefpielt  habe;  unb  in  gleicher  SSeife  folgt  auü  ber  feftenDuote, 
weldie  bie  ©eburt,  ba§  Verbrechen,  ber  Job,  furg,  fo  »iele  ©r* 
fcheinungen  im  9Dienjd?cnleben  geigen,  fein  falicheS  Spiel,  b.  h- 
hier  bab  Spalten  eine«  für  ben  SJienfdien  unabänbetlidjen,  »orher 
beftimmenben  $aium8,  fonbern  umgefehrt  baS  Spiel  beS  Bufallö, 
bie  SJiöglichfeit  ber  freien  SBaf)I,  welche  aüerbingS  burd)  äußere 
Verhältniffe,  befonberS  burd)  bie  Buftänbe  innerhalb  ber  menfeh* 
liehen  ©efeüfchaft,  beeinflußt  unb  hietburd)  gu  einet  mehr  ober 
minber  wahrfcheinlichen  gemacht  wirb. 

SSie  aber,  wenn  bei  6000  SBürfen  nicht  jebe  3<*hl  etwa 

(903) 


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lOOOmal  Auftreten,  wenn  eine  ftatiftiftße  $£ßatfad)e  aucß  bet  ©e» 
tracßtung  großer  Waffen  feine  beftimmte  fRegelmäßigfeü  geigen 
fotfte?  fallen  bei  einem  SBürfelftjiel  bie  uerfdßiebenen  Hummern 
— immer  eine  feßt  große  3aßl  »on  SBütfen  »orauSgefeßt  — nidjt 
gleid)  oft,  fonbetn  ein  ober  mehrere  3aßlett  in  weit  überwiegen» 
bem  Waße,  fo  fließen  wir,  ber  SBürfel  fei  falfd),  b.  ß.  außer 
bem  3ufaQ  wirft  bie  8age  be8  ©cßwerpunfte8  gefeßraäßig  auf 
bie  erjtßeinenben  SRummetn  ein.  Unter  gewiffen  33orau8feßungen, 
wenn  un8  g.  33.  bie  ©eftalt  beß  SBütfelä  genau  berannt  ift,  wirb 
e8  fogar  möglitß,  au8  bet  3ufammenfteUung  ber  in  nerfdßiebenet 
9tagaßl  erfcßeinenben  fftummern  auf  bie  8age  be8  ©cßwerpunftS 
im  Sßürfel  311  fdjließen,  alfo  biejenige  Urfatße,  weltße  bie  9(b» 
Weisung  »on  ben  ©ejeßen  ber  Söaßrfdßeinlicßfeit  bewirft,  gu  er* 
grünben.  SDie  Uebertragung  auf  ftatiftifcße  3ufammeufteüungen 
ergiebt  ftd)  fofort.  2So  bie  ftatiftifcße  ©onberung  bet  ©tfcßei* 
nungen  feine  feften,  fonbern  wecßjelnbe  3aßlen  liefert,  wirb  bie 
©tfcßeinung  nicßt  nur  buttb  gufädige,  fonbern  aucß  burcß  gejeß« 
mäßig  auftretenbe  ©ritnbe  beftimmt,  beren  ftUrfungen  in  bet 
Waffenbeobacßtung  ficßtbar  werben.  Unb  wie  ficß  oorßin  bie 
Aufgabe  ftedte,  ben  ©cßwerpunft  beß  SBürfelS  gu  finben,  tritt 
jeßt  bie  ftorberung  auf,  au8  bem  ftatiftifcßen  Waterial  jene  ficß 
in  ber  Waffe  nicßt  nerlierenbe  Utfacße  gu  ermitteln. 

$Die  SBerwenbung  bet  SBaßrjcßeinlicßfeitSrecßnung  gut  göfung 
berartiger  Aufgaben  wirb  bereits  burcß  bie  beiben  älteften  Ser* 
noulli’8 -angebeutet;  bocß  erft  bem  ©enie  beß  8aßlace  gelang 
eß,  bie  Jpülfßmittel  ber  fRecßnung  gnr  ^Bewältigung  folget  fragen 
auSgubilben.  ©ine  ber  intereff antefteu  Sßfungen,  welcße  8aplace 
burcß  bie  9tnwenbung  bet  äöiffenicßaft  beß  gefunben  Wenfcßeit* 
»erftanbeS  — wie  er  bie  äöaßrfcßeinlicßfeitdrecßnung  nennt  — 
auf  berartige  Aufgaben  erßielt,  werbe  im  golgenben  mitgetßeitt. 

bereits  feit  etwa  einem  fjaßrßuubert  ift  ben  ©tatiftifern 

(S04) 


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29 


belannt,  baß  meßr  Knaben  wie  SDiäbdjen  geboren  werben,  golge» 
rungen  über  baö  Uebetwiegen  eines  ©efd)led)t8  bürfen  an  biefc 
5£ßatfadje  nid)t  angefnüpft  werben,  ba  Änaben  unb  fBiäbdjen  in 
terjdjiebenen  ©egenben  ber  ©terblicßfeit  in  fetjr  oerfdjiebenem 
©tabe  au8gefe$t  finb.  ©aö  Uebetwiegen  ber  Änabengeburten 
finbct  jebocb  allgemein  ftatt ; fo  werben  im  beutfdjen  SReidje  auf 
100  8)iäbd)en  etwa  106  Äuaben  geboren,  gaplace,  welcher 
biefeö  Serßältniß  gu  beginn  beö  Salftßunbertö  für  granfreid) 
auffudjte,  fanb,  baß  für  alle  üDepartementö,  bie  genaue  ©eburtö* 
liften  liefern  fonnten,  fidpbie  ©eburteu  ber  beibeu  ©efdjledjter 
wie  22:21  oerfyielten.  ©ine  2lu8naßme  bilbete  nur  9)ariö,  für 
welche  ©tabt  ftd)  ein  öerljältniß  25 : 24  ootfanb.  2)er  Unter« 
fdjieb  ber  beiben  33ert)ältniffe  fdjien  betn  forgfanten  fDiatljematifet 
groß  genug,  um  ber  Urfadje  beöjelben  nadjgufpüten.  S5urdj 
eine  gefcßicfte  Siedfnung  fanb  berfelbe,  baß  man  mit  einer  SBaljt» 
fcfyeinlidjfeit  gleidj  |f|,  alfo  mit  natyegu  uoller  ©ewißfyeit,  be« 
Raupten  fönne,  biefe  Slbweidjung  ber  33erl>ältniffe  finbe  in  feinem 
3ufaÖ,  fonbern  in  einer  gefeßmäßig  witfenben  Urjadje  tljre  S$e» 
grünbung.  @8  gelang  ißm,  biefe  Urfadje  gu  ermitteln.  £Die 
bem  ginbeltjaufe  in  ^ariö  gugefüßrten  Äinbet  riefen  für  Claris 
bie  aufgefallene  äuönaßme  Ijeroor.  3n  biefeö  würben  audj 
£inber  aufgenommen,  welche  außerhalb  ber  ©tabt  geboren  waren, 
unb  gwar,  wie  bie  Giften  ber  tUnftalt  geigten,  gumeift  Söläbcßen. 
^ierburdt  würbe  bei  ©inredjnung  ber  ginbelfinber  ein  abweüßen« 
beö  ©eburtÖDerßältniß  ßeroorgerufen.  3118  bie  giubeltinber  auö 
bet  Sledjnung  fortgelaffen  würben,  ergab  fid)  für  §)ari8  baSfelbe 
33erljältniß , wie  für  bie  überigen  SDepartementö. 

©ewiß  lodt  biefeö  söeifpiel  beö  berüßmteu  ÜJiatljematiferd, 
weldjer  bie  fdjeinbare  3luönaßme  bei  einer  ftatiftifdjen  Siegel  burd) 
eine  regelmäßig  wirten  De  Urfadje  ertlärte,  bagu  an,  aurfj  auf  anberen 
©ebieten  ber  ©tatiftif  ba8  ©leidje  gu  »erfudjen.  SBo^l  wäre  eö 

cm 


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30 


g.  53.  hochbebeutfam,  in  biefer  SBeife  einen  beftimmten,  butch  Sagten* 
angaben  als  unanfechtbar  ^ingefleDten  ©runb  für  bie  entfefclidje 
Steigerung  bet  Verbrechen  gegen  geben  unb  ©icherheit  in  ben 
lefcten  Sauren,  welche  baS  53eben!en  aller  Patrioten  hernorruft, 
aufftellen  gn  fönnen.  2lber  jebet  53etfuch,  in  biejet  SBeife  5luf* 
flärung  über  Erfdjeinungen  ber  ©efeUfchaft  gu  gewinnen,  bebatf 
bet  äufjerften  93orfid)t.  Äeine  Eticheinung  ift  fyier  mit  genügen* 
bet  Sicherheit  ttjeoretifd)  tjerleitbar , jebe  VorauSfejjung,  jebe 
Sinnahme  wirb  nur  burd)  bie  ^Beobachtung  gewonnen,  35ahet 
bebarf  auch  jebeö  9fechnungSrefultat  be8  nachträglichen  VeweifeS 
butch  bie  praftifdje  Erfahrung.  Slber  bie  bisherigen  Erfahrungen 
ber  ©tatiftif  finb  nicht  nur  räumlich  wie  geitlich  im  5Bergleict> 
gut  üftaffe  bet  unS  berührenben  Erfdjeinungen  gering,  fonbern 
fie  erftrecfen  fich  auch  meift  auf  fdjwer  übetiehbare  ©ombinationen 
ber  ben  SJtenfdjen  beeinfluffenben  Verhältniffe.  2>aS  Mittel, 
burch  welches  bie  SRaturwiffenfchaft  gut  iölüttje  gelangte,  baS 
Experiment,  ift  bem  ©tatiftifer  »erjagt,  ba  jeber  mit  ÜRafjen 
angeftellte  Verfuch,  wenn  er  überhaupt  möglich  ift,  fchwere  ®e* 
fahren  birgt.  2)ahet  ift  er  gegwungen,  fi<h  an  bie  Ergebniffe 
gu  halten»  welche  bie  Erfdjeinungen  ber  ungerichteten,  in  fo 
nerwicfeltem  3ufammenhang  ftehenben  wirflid)en  ©efelljchaft  bieten. 
Er  fteljt  ihren  S3ewegungen  gegenüber  wie  ein  ^hhftfer,  bem  bie 
einfachen  ©efejje  ber  glüjfigfeiten  unb  ©afe  unbefannt  wären, 
nerwicfelten  meteorologifchen  $)rogeffen.  <Daher  ift  bie  SluSbeute, 
welche  bie  3Sahrjdje«nlid}feit8rechnung  bisher  gut  Slufflärung 
gefeHfchaftlidjer  unb  fpegieQ  wirttjfchaftlicher  ©treitfragen  liefern 
fonute,  gering,  wie  bie  iparteifämpfe  ber  ©egenwart,  bie  noch 
immer  nicht  geflärten  Slnfichten  über  fdjeinbar  fo  einfache  wirtl)* 
fchaftliche  gingen,  wie  über  greihanbel  unb  ©chuhgoU,  geigen. 
Stber  eine  wiffenfchaftliche  ©tatiftif  ift  hoch  ber  eiugige  gaben, 
welcher  uns,  allerbingS  nur  bei  53eachtung  ber  größten  Vorficht, 

(906) 


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31 


in  biefem  gabprinth  oerworrener  Qtnfic^teu  unb  ©vfd’einuugen 
gurecht  leiten  fann.  — 

@ref}er,  wie  auf  bem  ©ebiete  ber  Statiftif  finb  bie  Sriumptye, 
welche  unfere  tRedjnung  bei  bet  Slnwenbung  auf  bie  Statur* 
wiiienfchaften  errungen  hat-  3)urch  ihre  Benufjung  erreichen  bie 
Beobachtungen  einen  ©rab  ber  ©enauigfeit,  welcher  uns  nicht 
nur  über  bie  Unoollfommenheit  unfever  Sinnesorgane  hinweghebt, 
fonbern  jogat  in  manchen  «allen  erlaubt,  bie  Ungenauigfeit 
berfelben  burch  3«hl  nab  3Rah  feftguftetlen.  3m  3ahre  1809 
ueröffentlichte  ©auf?,  ber  gürft  ber  ÜRathematifer,  wie  er  wegen 
beS  SReicpthumS  feiner  Arbeiten  auf  fo  oielen  mathemathifchen 
©ebieten,  wegen  ber  Schärfe  feiner  Beweife  unb  wegen  ber  än» 
wenbungen,  welche  feine  p^pfxfalifc^cn  Arbeiten  im  praftifchen 
geben  fanben,  genannt  würbe,  in  feinem  unterblieben  SBerfe 
Theoria  motus  corporum  coelestium  (BewegungStl)eorie  ber 
.piinmelsförpet)  eine  SRettjobe,  burch  Becoielfältigung  ber  Beeb* 
achtungen  bie  Schärfe  ber  ÜReffung  3U  erhöhen.  Sehnliche  Söeen, 
wenn  auch  in  ber  Bcllftänbigfeit  wie  ©auf},  behanbelten 
gegenbre  unb  ga place  um  etwa  biefelbe  Beit.  2)et  Bwec! 
unb  baß  '])rincip  ber  oon  biefen  gorfchern  oerwenbeten  SRethobe 
fann  burch  ein  einfaches  Beifpiel  gezeigt  werben.  SDie  gänge 
einer  ©treefe  foU  burch  birefte  SReffung  ermittelt  werben;  man 
beruhigt  fid)  jeboch  nicht  mit  einer  einmaligen  ÜReffung,  fonbern 
biefe  wirb  niermal  unter  Stufweubung  ftetS  gleichet  Sorgfalt  unb 
mit  benfelben  ober  hoch,  foweit  wir  ju  urteilen  oermögen,  gleich 
genauen  Apparaten  wieberljolt.  SDie  fRefuliate  biefer  ÜReffungen 
feien : 

12,342  xu,  12,351  m,  12,346  m,  12,349  m; 
fo  wirb  man,  felbft  wenn  man  mit  feiner  ^heor*e  ber  gehler = 
auSgleidning  befannt  ift,  als  wahrfcheinlichfteS  «Rejultat  biefev 
ÜReffungen  bas  arithmetijehe  ÜRittel  ber  oiet  Beobachtungen,  alfo 

(907) 


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32 


12,342  + 12,351  + 12,346  + 12,349 
4 


= 12,347  m fegen.  SDiefeS 


alte  Betfabren,  welches  ein  gewiffet  maibematifchet  3nftinft  jeben 
9>raftifer  bei  berariigen  5Reffungen  anwenben  läßt,  erfahrt  in 
bet  non  ©auf}  entwicfelten  ÜRetßobe  feine  ©rflärung  unb  @r» 
Weiterung  anf  fdjmietigere  Probleme  ber  Beobachtung.  Äeiue 
ÜReffung,  welcher  9lrt  fte  auch  fei,  ift  abfolut  genau;  bie  fie  be» 
einfluffenben  fehler  fegen  fidj  au§  ben  oerfd)iebenaTtigften  Ur* 
fachen  jufammen.  $£bfitö  liegen  fie  in  gewiffen  Keinen  ©on* 
ftructionSfeblern  felbft  ber  beftgebauten  3n[trumente,  tbeilS  in 
äußeren,  ber  bireften  {Rechnung  nicht  zugänglichen,  meift  meteo* 
rologifchen  Borgängen,  tbeilS  in  Unoollfommenbeiten  ober  mo> 
mentanen  Trübungen  unferer  Sinne.  ©ine  Trennung  biefer 
. oerfcbiebenartigen  geblerqueßen  ift  faft  niemals  möglich;  um 
ihren  ©influß  bennodj  aus  ben  Beobachtungen  auSjufcßeiben, 
»enbet  bie  Stbeorie  foIgenbeS  Berfabren  an:  {Dian  benft  ficb 
jebe  Beobachtung  non  zwar  febt  fleinen,  abet  außerorbentlich 
oielen  Störungen  beeinflußt,  welche  eben  fo  gut  nach  ber  einen, 
wie  nach  ber  anbeten  {Richtung  einwirfen,  ober,  wie  bie  matbe» 
matifdbe  SluSbrucfSmeife  fagt,  abfolut  gleich,  aber  halb  pofiti», 
balb  negatio  auftreten  fönnen.  3ebet  bei  ber  SReffung  ficb 
»«flieh  einftellenbe  gebier  entftebt  nach  biefer  ©runbaunabme 
burch  eine  ©ombination  jener  pofitiuen  unb  negatioen  gebiet; 
nach  ber  2lrt  biefer  ©ombinatiouen  »erben  baber  oetfchieben 
große  gebier  in  oetfchiebener  Sab1  auftreten  muffen.  {Rehmen 
»it  an,  baß  bei  jeber  ÜReffung  100  ©runbfehler  auftreten,  beten 
jebet  bie  abfolute  ©töße  f habe  unb  baS  ÜReffungSrefultat  balb 
oergrößern,  balb  oerfleinern  fßnne.  {Die  größte  Ueberichreitung 
beS  richtigen  {RefnltatS,  bei  welchem  alle  gebier  nach  gleicher 
pofitiner  {Richtung  zufammenwirfen  muffen,  ift  lOOf.  fDiefer 
gebier  fann  nach  unferer  $beDlle  nur  einmal  oorfommen.  SDer 

(908) 


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33 


näehft  «Heinere  mögliche  geilet  ift  98  f.  @r  entfielt,  wenn  99 
unferer  elementaren  gebier  f alg  pofttio,  einer  berfelben  alg  negativ 
auftreten ; unb  ba  jeber  bet  100  elementaren  geiler  als  negatio 
auftreten  fann,  wenn  wir  ba8  SBalten  beg  abfolutcn  3ufallg  bei 
ber  Silbung  unferer  geljler  ooraugfefcen  , fann  bet  gebier  98  f 
in  100  nerfchiebenen  Söeifen  gebilbet  werben.  35emnad)  ift  bie 
2Babtfd)eintid)feit  für  bag  Auftreten  beg  geblerS  98f  100  mal 
fo  groft  wie  bie,  baf)  ftd)  bet  geiler  lOOf  »orfinbe.  SDernädjft* 
fleinere  genfer  ift  96  f,  burd)  98  pofitioe  unb  2 negatioe  ©runb» 
feljler  gebilbet.  ©ine  einfache  9ied)nung  ergiebt,  baf)  biefer 
geiler  in  4 950  oerfdjiebenen  SBeifen  entfteljen  fann.  SBir  er* 
fennen  )<hon,  baf)  nach  unferer  SL^eorie  bet  geblerbilbung  fid) 
für  bas  Auftreten  ber  »erfd)iebenen  gebier  oerfd)iebene,  burd)  bie 
3ied)nung  beftimmbare  3Babrfd)einlid)feiten  ergeben  unb  fid)  ba* 
bet,  bie  Uebereinftimmung  unferer  Slbeorie  mit  bet  ©rfabrung 
oorauggefejjt , in  einer  grofjern  3<>bl  ÜDR  Beobachtungen  jeber 
gebier  in  einer  ganj  beftimmten  Anzahl  »orfinbcn  mufe.  35a  fid) 
alfo  bie  Abweichungen  ber  gefunbencn  Beobad)tungSrefultate  Dom 
wirflicb  tintigen  SBertbe  nad)  einem  beftimmten  ©ejefce  gruppi* 
ren,  wirb  eö  burd)  Beachtung  biefeö  ©ruppirungggefeheg  aud) 
möglich,  ben  richtigen  ober  oielmebr,  ba  wir  immer  nur  mit 
9Jtöglid)feiteit  unb  2ßabrjdjeinlid)feiten,  nie  mit  ©ewipbeiten  ope* 
riren,  ben  wabrfd)einlid)ften  SBertb  ber  gefugten  ©röfje  auS 
ben  feblerbaften  Beobachtungen  ju  fiuben.  35ie  ©ntwicflung  bet 
Oieebnung  füljrt  auf  bie  Bebingung,  baf)  biejenige  ©röfje  bie 
wabrfcbeinlidjfte  fei ,*  für  welche  bie  Summe  auS  ben  Duabraten 
bet  Abweichungen  gwifeben  ihr  unb  ben  einzelnen  Beobachtungen, 
alfo  bie  Summe  ber  gel)lerquabrate,  möglid)ft  Hein  fei.  35iefer 
golgerung  Derbanft  bag  Berfabren  feinen  Oiatnen  alg  „Oft  etbobe 
ber  fleinften  Ouabrate".  S)ag  ^rinjip  beS  aritbmetifcbeu 
9)iittelS,  wie  eg  Dorbin  an  bem  Beifpiele  einet  gängenmeffung 

XIV.  335.  3 (»US) 


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34 


erläutert  würbe,  jtedt  ftdj  als  eiue  einfache  Folgerung  unterer 
2^eorie  bar;  uub  umgefebrt  wirb  e8 , wie  ©au § nadfgewiefen 
hat,  möglich,  bie  gange  S^eorie  über  bie  33ert^eilung  ber  geilet 
aufgubauen,  wenn  ber  ©ebraud)  be8  arithmetifdjen  SRittelS  al8 
richtig  gugeftanben  wirb. 

SDiefe  auf  rein  abftraften  3been  aufgebaute  Sljeorie  über 
bie  ©ntftet)ung  unb  Sertbeitung  ber  geiler  barf  natürlich  erft, 
wenn  ihre  33raud)barfeit  tu  auSreich  enbern  9Jta§e  burdj  Vergleich 
ihrer  Stefultate  mit  benen  bet  ^Beobachtung  beftätigt  wirb,  beu 
ÜJieffungen  ber  fPrajriS  gu  ©runbe  gelegt  werben.  SDiefe  $>robe 
ift  nun  für  neuere,  wie  ältere  SBeo  bachtungen  Dielfach  in  forg» 
famfter  SBeife  aufigefüljrt  worben.  @o  h“t  g.  58.  ber  befannte 
Uftronom  SBeffel  470  ^Beobachtungen  eines  Sternortfi,  welche 
»on  SBrable^  gu  Anfang  beö  ad)tgehnten  Sahrijunbett,  alfo  cor 
mehr  al8  150  fahren,  auSgeführt  würben,  einer  Prüfung  unter» 
gogen.  2)et  SBergleich  gwifcheu  St^eorie  unb  ©tfaljrung  fteQte 
fich  wie  folgt: 


gebier  in  '/«>  2Sinfelfecunben 
jtoifdjen: 

atnjabl  nach 

ber 

Sporte 

ber 

Erfahrung 

o unb  i 

95 

94 

1 „ 2 

89 

88 

2,3 

78 

78 

3,4 

64 

58 

4,5 

50 

51 

5,6 

36 

36 

6,7 

24 

26 

7,8 

15 

14 

8,3 

9 

10 

9 , 10 

5 

7 

über  io 

5 

8 

Summe  ber  Seobadftungen 

470 

470 

(910) 


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35 


SDic  in  biejem,  wie  in  jo  manchem  anbern  ©eifpiel  gefunbene 
Uebereinftimmung  barf  nicht  nur  als  bie  fdjönfte  ©eftätigung 
ber  burd)  bie  S^eorie  ber  fleinften  Duabrate  erhaltenen  iRejultate, 
jonbern  überhaupt  als  ein  ©eweiS  für  bie  SRichtigfeit  ber  in  ber 
SöahrfcheinlichfeitSrechnuug  benufcten  ^ringipien  betrautet  wetbeu 
50tit  $ülfe  biejer  9Reth»be,  welche  ^au)>tfä^Itcb  auf  aftro» 
nomifche  ©eobadjtungen  angewenbet  wirb,  erteilten  bie  ©e* 
ftimmungen  für  bie  ©eweg ungen  ber  ©eftirne  einen  aufcerorbent* 
lid^en  ©rab  bet  Schärfe.  SBenn  eS  ber  Sßiffenjchaft  eines 
Ab  am  3 unb  8e»errier’S  möglich  geworben  ift,  aus  ben  geringen 
Störungen,  welche  ber  planet  UranuS  geigte,  aus  ben  geringen 
Abweichungen,  um  welche  er  fid)  bei  feinem  gaufe  non  bet  be* 
rechneten  ©ahn  entfernte,  mehrere  beftimmenbe  (Elemente  eines 
bis  bahin  non  feinem  Sterblichen  beachteten  Planeten  gu  ent* 
becfen  unb  ber  ©eobachtung  ben  JDrt  am  £immel  angugeben, 
wo  ftch  baS  bis  bahin  nur  geiftig  erfannte  ©eftirn  auch  bem 
förderlichen  Auge  geigte,  wenn  eS  bem  SRenjchen  gelungen  ift, 
in  biejer  Umfaffung  ben  ©ebanfen  bet  Schöpfung  gu  erfennen, 
hat  er  bev  Anwenbung  ber  SBahrfcheinlichfettSrechnung  nicht  gum 
SRinbeften  biejen  (Erfolg  gu  banfen.  3a,  bieje  9Retl)obe  ber 
©eobachtung  macht  eS  unS  jogar  burd)  fRücfichlüffe  auf  bie  IRatur 
ber  auftretenben  fehler  möglich,  (Erfahrungen  übet  bie  SBirfungS* 
weife  unferer  Sinne  gu  ermitteln,  liniere  Theorie  lehrt,  bie 
Abweichungen,  welche  fich  in  ben  ©eobachtungSfehlern  auSjprechen, 
nach  ber  ©röfce  ihrer  Bahlenwerthe  in  gemifje  ©ruppen  getlegen. 
??allö  biefe  ©ruppen  bebeutenb  non  bet  burd)  bie  $the<me  bet 
SBahtfcheinlidjfeit  geforberten  AuSbehnung  abweichen,  liegt  ein 
Angeidjen  oor,  bah  aufcer  gufälligen  ©inflüfjen  fich  anbere,  welche 
nach  beftimmter  5Regel  wirfen,  geltenb  machen.  3n  ber  gweiten 
^alfte  beS  »origen  3ahrhunbertS  mu|te  ein  Ajftftent  ber  Stern; 
warte  gu  ©reenwid)  entlaffen  werben,  weil  berjelbe  jo  bebeutenbe 

3*  (911) 


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36 


33eoba<htung8fehler  beging,  bafj  feine  33erwenbung  ungeeignet 
etfd)ien.  SBenige  3ahrieh*»te  fpäter  würbe  in  biefetn  SSorfomm* 
nifj  nur  eine  befonberS  auffällige  33eftätigung  jener,  in  ber 
Drganijation  eines  jeben  ^Beobachters  begrün  beten  Urfac^e  gu 
fehlerhaften  ^Beobachtungen  erfannt,  welche  ^eute  bei  aßen  feine* 
ren  Unterfuchungeu  als  bie  perfönlichc  ©leidjung  beS  93eob* 
adhterS  SJerücfftchtigung  finbet.  Unter  biefer  perfönlidjen  ©leidjuug 
»erfleht  man  biejenige  Abweichung  in  ber  S£l)ätigfeit  ber  ©inneS* 
organe  bei  »erfdjiebenen  $)erfonen,  infolge  bereu  fie  gur  Auf* 
faffung  beffelben  ©reigniffeS  burd)  ©eficf)t  unb  ©eher  »erfdjiebene 
3eit  braiuhen.  S3on  gwei  ^Beobachtern,  bie  unter  gleidhen  Um* 
ftänben  ben  Durchgang  eines  ©ternS  burdj  baS  gabenfreug  eines 
Fernrohrs  beobadhten,  bemerft  ber  eine  biefeu  fötement  inbegug 
auf  ben  ©d)lag  einer  $)enbeluhr  etwas  früher  als  ber  anbere. 
©iefer  Unterfchieb  in  ben  S3ewu§tfeinS*6mpfinbungen  ber  beiben 
Beobachter  hetfjt  ihre  perfönlidhe  ©leidjung.  2)icfelbc  bleibt  bei 
gwei  geübten  Beobachtern  giemlid)  fonftant,  fann  aber  bis  gu 
einer  halben  ©eeunbe  fteigen.  Sn  enger  Berbinbung  mit  ihr 
fleht  bie  fogenannte  phbftologif^e  3«*t,  weldhe  bie  Beitbauer  an* 
giebt,  bie  gwifdjen  einem  äufjern  ©inbruef  unb  einer  hierburd) 
fo  fchneß  wie  möglich  »eraniafcteu  Action  »erfliefjt  unb  beren 
Beftimmung  in  neuefter  3eit  ber  ©egenftanb  zahlreicher,  intet* 
effanter  Berfuche  geworben  ift.  @o  h«i  baS  in  bet  Aftronomie 
gefammelte  unb  mittelft  ber  SBahrfcheinlichfeitSrechnung  georbnete 
SDtaterial  ber  BeobachtungSfehler  einen  Anlafc  gur  ©ntbeefung 
unb  Ausbeute  williger  phhftolcgifdher  üljatfachen  gegeben.  3e 
gasreicher  berartige  Seblerbeobachtungen  oorliegen  unb  auf  je 
weitere  3eitr5umc  fich  biefelben  für  baS  eingeine  3nbieibuum 
»erteilen,  befto  eher  bürfen  wir  taffen,  oudj  nn  ihnen  ©efe&* 
mfifcigfeiten  gu  entbeefen,  welche  »ielleidht  eine  fpätere  ©eneration 
gur  charalteriftifchen  SBerthfchüfcung  für  bie  fachliche  Jüdjtigfeit 

C91S) 


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37 


beS  Beobachters  oermenbet.  3)ie  com  einzelnen  3nbiöibuutn  in 
ber  ©ejellfcbaft  unb  bet  ber  Beobachtung  gemachten  gehler  bilben 
beffett  fpegielle  ©tatiftif. 

Slbcr  bie  2Bahrfcheinli<hfeit8rechnung  hat  unS  nicht  nur  be*  ' 
fäljigt,  ein  fdjarf  gefidjtetcö  BeobadbtungSmatcrial  gtt  ermetben 
unb  an  biefem  bie  SRichtigfeit  ber  »on  unS  nufgeftellten  fRatur* 
gefefce  gu  prüfen;  fonbern  in  ben  testen  3crt)^e^nten  ift  fte  felbft 
alö  SDeuterin  ber  ©rfcheinungen  aufgetreten  unb  hat  eine  ^tngaljl 
bis  bahtn  unoermitielter  ©efefje  als  BJirfungen  berfelben  Urfadsen 
erflärt.  $n  ber  bpnamifchen  Slheotie  bet  ©afe  lehrt  bie  SSahr» 
fcheinlich!eitSred)nung,  alle  unS  befannten  ©efefce  ber  ©afe  auS 
betten  beS  abfoluten  3ufallS  3H  ermitteln. 

3Die  erften  Anfänge  biefer  &h«mie  rcidjen  merfmürbiger 
SBeije  bis  auf  bte  Seit  ber  Begtünbung  ber  3Bal}rfcheinlichfeit8« 
rechnung  gttrücf.  3tt  ber  gmeiten  Hälfte  beS  fiebgehnten  3ahr* 
hunbeTtS  hatten  bie  gorfcherBople  unb  URariotte  bas  ©efetj 
entbeeft,  nach  meldtem  gujammcngebrücfte  ober  auSgebehnte,  auf 
einen  fleinetu  ober  gröfcern  {Raum  gebrachte  Suft  ben  $)rucf 
auf  bie  SBänbe  beS  fte  einfdjliefjenben  ©cfäfjeS  ättbert.  ÜDaS 
{Refultat  biefer  Bcrfuche  liefert  ein  überrafdjenb  einfaches,  unter 
bem  {Ramen  URariette’S  befannteS  ©efetj:  2)ev  IDrucf  ber  8uft 
ober  überhaupt  eines  beliebigen  ©afeS  änbert  fidj  im  umge« 
fehrten  Berhältniffe,  wie  baS  oott  ihr  eingenommene  Bolumen, 
oorauSgcie^t,  bah  hie  Ücmperatur  beS  ©afeS  ftets  biefelbe  bleibe. 
IDaniel  Beruoulli,  ein  {Reffe  beS  bereits  ermähnten  BerfafferS 
ber  Ars  conjectandi,  tüchtig  als  fflrgt,  berühmt  als  {fRathematifer, 
fuchte  in  feiner  im  3al)re  1758  erjehienenen  ^nbrobpnamit 
biefeS  merfmürbige  ©ejefe  Cer  gasförmigen  Körper  burd)  3n= 
nähme  über  ihre  atomiftifdje  ©onftitution  gu  ertlären.  3)enn 
baS  im  5Ra ri ottc’fdjen  ©efe^  auSgebrürfte  Berhalten  ber  gaS* 
förmigen  Körper,  nad)  meld)em  bieje  einen  non  ihrem  ©igen* 

(9IJ) 


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38 


guftanbc  abhängigen  5)rucf  auf  bie  fte  umfchliefjenben  SBänbe 
üben,  ift  gewifj  ein  ^öd?ft  eigenthümlicheg;  eg  tritt  bieg  noch 
beutlidjer  heroor,  wenn  man  an  bie  ©igenfdjaften  ber  feften  unb 
* flüfftgen  Äörper  benft,  »eiche  auf  ben  erften  ©lief  nidjtö  Analoges 
geigen.  Unferer  ©eneration  ift  burch  bie  Dielfachen  Slnmenbun* 
gen  bc8  OKariotte’fdjen  ©efefjeg,  burch  ben  ©ebrauch,  welche 
baö  praftifche  Üebeu  non  ben  ©igenfdjaften-  ber  oerfebiebenften 
©afe  macht,  baß  ©cfühl  ber  ©erwunberung  über  bie  merf* 
»ürbigen  ©rfcheinungen  ber  gagförmigen  Äörper  fehr  geminbert. 
3u  3eiten  3)aniel  ©ernoulli’g  aber,  wo  nur  wenige  ©afe  be* 
farut  waren  unb  man  eben  begonnen  hatte/  ihre  eigtuthümlichen 
©igenfdjaften  gu  ftubiren,  trab  bieg  ©efühl  in  »oller  ©tärfe  auf 
unb  brängte  gu  Annahmen,  welche  bag  Slbweidjen  im  ©erhalten 
ber  ©afe  »on  bem  bet  feften  unb  flüffigen  Äörper  erflärlidj 
machen  follten. 

©riechifche  hatten  bereits  eine  3tnfid?t  augge* 

bilbet,  welche  bie  ©igenfdjaften,  ©iuwirfungen  unb  »ilenberungen 
eineg  jeben  Äörperg  aug  ber  Annahme  herguleiten  f uchte,  bet 
Körper  fei  feine  ftetige  SJtaffe,  fonbern  beftehe  aug  fehr  fleinen, 
burch  3wifchenräume  getrennten  S£^eitd)en.  SDiefe  Teilchen, 
Sltome  genannt,  finb  feiner  SMenbetung  mehr  fähig,  fonbern  nur 
ber  ©emegung  unterworfen;  unb  alle  ©rfcheinungen  ber  Körper« 
Welt  beruhen  nach  biefet  fttnftdjt  auf  SOtiidjungen  unb  Drtgoer» 
änberungen  ber  ültome.  3Die  fiih  entmicfelnbe  fftaturwiffenfdjaft  hat 
biefe  ^jppotljefe  nicht  nur  guläffig,  fonbern  für  bie  ©rflärung  ungäfj* 
Iiger,  befonberg  djemifdjer  ©rfcheinungen  unentbehrlich  gefnnben. 
9lur  feften  ftdj  nach  ben  SSuffdjlüffeu  bet  ©Ijemie  bie  meiften  ©tojfe 
nicht  birect  außeinfachen Atomen,  fonbern  aug  gefeftmäfjig  gebilbeten 
Sltomgtuppen  gufammen,  fo  bafc  bie  fftatur  eineg  jforperg  weniger 
burch  bie  in  ihm  enthaltenen  ätome,  wie  burch  bie  oou  biefen  ge* 
bilbeten  ätomgruppen  bebingt  wirb,  ©ine  folche  'Ätomgruppe  Ijei&t 

(»i«) 


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39 


fJRolefül;  fo  lange  ein  Äötpet  in  feinet  chemifchen  3ufammenfet3ung 
ungeönbert  bleibt,  befielst  et  auS  benfelben  ÜRolefülen.  Daniel 
Sernoulli  nahm  nun  an,  baff  bie  ein  @a6  bilbenben  fleinften 
^eilc^en,  alio,  wie  bie  heutige  Siffenfchaft  fagt,  bie  baffelbe 
gufammenfefjenben  9Rolefüle  ohne  jcben  ©influfj  .auf  einanber 
feien  unb  jebeS  ÜJiolefül  eine  beftimmte  Bewegung  Ijabe.  Sei 
biefet  Sewegnng  ber  fDiolefüle,  welche  nut  ben  ©efefjen  beS 
3ufaDS  unterworfen  fein  foO,  in  welcher  alfo  jebe  SewegungS*  • 
ridjtung  gleich  oft  fid)  oorfinben  ioQ,  roetben  in  febem  äugen» 
blicfe  gewiffe  fBiolefüle  gegeneinanbet,  anbete  an  bie  3Banb  beS 
umfchliefjeuben  ©efcifjeS  prallen.  SDiefe  in  ihrer  Bewegung  ge» 
ftörten  fBlolefüle  foflen  fid)  bei  bern  Stofe  wie  poUfommen  clafti» 
fche  jförper  perhalten,  alfo  nach  ben  ©efefeen  über  elaftifche 
Äörper  gurücfgeworfen  werben.  9Ran  benfe  fid),  fagt  Sernoulli, 
ein  cplinbtifcheS,  fenfredjt  ftefeenbeS  ©efäfe  unb  barin  einen  be* 
weglichen  Stempel,  auf  welchem  ein  ©ewicfet  liegt.  Die  ^>öf)lung 
möge  änfeerft  fteine  Äerperchen  enthalten,  welche  fi<h  mit  gtofeet 
©efchwinbigfeit  nach  offen  ^Richtungen  hin  bewegen.  Dann 
würben  biefe  Äörperchen,  welche  infolge  ihres  unaufhörlichen 
änpraOenS  ben  Stempel  tragen,  ein  ©aS  barftellen.  3e  gtofeet 
bie  3ahl  ber  in  einer  beftimmten  3*it  ben  Stempel  treffenben 
Körper  ift,  befto  gröfeer  wirb  baS  ©cwidjt  fein,  welches  non  ben« 
felbeu  fchwebenb  erhalten  wirb.  Sirb  alfo  bie  Höhlung  beS  ©e« 
fäfeeS  nach  irgenb  einem  Serhältnife  oerringert,  mit  anberen 
Sorten,  baS  Solutuen  beS  ©afeS  perfleinert,  fo  wirb  bie  3al)l 
ber  ben  Stempel  treffenben  Stöfee  in  gleichem  Serhältnife  per« 
gröfeert,  bemnach  ein  in  gleichem  Serhältnife  oergrßfeerteS  ©ewicht 
getragen.  Somit  gelangt  Sernoulli  ju  einer  fcharfen  @t!lä* 
ruttg  beS  ihm  anfgefaHenen  ©efefeeS. 

SDiefe  fdjatffinnige  ^pppothefe  blieb  über  ein  Sahrfeunbert 
unbeachtet.  Die  Siffenfcfeaft  war  befd)äftigt,  ben  immer  mehr 

(915) 


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40 


anftgwellenben  Stoff  über  baS  Sergalten  bei  ©afe  butdg  genaue 
Serfudje  ju  fisten.  SDaS  merfroürbige,  ebenfadS  burcg  ein 
äugerft  einfacgeS,  allgemein  geltenbeß  ©efeg  barftedbare  23er» 
galten  ber  ©afe  gegen  bie  ©inflüffe  bet  2Bärme,  neue  Sluffcglüffe, 
welcge  man  übet  baS  Sejen  bet  SBärme  gewann,  liegen  enblicg 
ben  SBunjcg  wiebet  aufleben,  bie  oerfcgiebenen,  burcg  i^te  ©in* 
facggeit  fo  merfwürbigen  ©efege,  welcge  baS  Setgalten  bet  ©afe 
bei  Ulenberungen  beS  S5rucf$,  beö  SolumenS  unb  bet  Semperatur 
regeln,  aus  einem  9>ringipe  gerguleiten.  2)iefe8  $)rinjip  war  in 
Sernoulli’S  änficgten  über  bie  ©onftitution  ber  ©afe  bereits 
gegeben.  $Die  Säge  ber  SSBärmelegre  nßtgigen  gur  Slufftedung, 
uicgt  ber  <£>ppotgefe,  fonbern  beS  weglbegrünbeten  SageS,  bag 
jene  Slenbetung  im  3uftanbe  cineö  ÄßrperS,  welche  unjer  ©efügl 
als  eine  £emperatur*@rgßgung  begeicgnet,  mit  einet  Setgrßgerung 
ber  SBirfungSfägigfeit  ober,  wie  ber  tecgmfcge  9lußbrucf  lautet, 
bet  lebenbigen  Äraft  ber  fleinften  Slgeile  beS  ÄßrpetS,  bet  5Rolefüle, 
ibentijcg  fei.  Serbinbet  man  biefen  uttjweifelgaft  tintigen  ©ag 
mit  ber  Set  noulli’fcgen  £ppotgefe  über  baS  SSefen  bev  ©aß* 
form,  fo  wirb  eS  mßglicg,  alle  biSget  für  bie  ©afe  aufgefunbenen 
©äge  mit  £ülfe  ber  SBagrfcgeinlicgfeitSrecgnung,  ber  ©efege  bet 
grogen  3^len,  welcge  baS  Spiel  ber  in  igrer  Sewegung  nur 
bem  3ufad  unterworfenen  ÜJiolelüle  regeln,  gerguleitcn.  Sefon« 
betß  beutfcge  gorfdjer,  61 au fiuS  in  Sonn  unb  füieper  in 
SreSlau,  gaben  ficg  burcg  bie  ISuSbilbung  biejer  bpnamifcgen 
Slgeorie  ber  ©afe  goge  Serbienfte  erworben.  £Die  Setracgtnng 
gat  ficg  jebocg  nicgt  barauf  befcgränft,  bie  befannten  ©efege  als 
Folgerungen  eines  ^rin^ips  gerguleiten,  fonbern  bie  burcg  bie 
matgematifcge  9lnalpfe  gewonnenen  Folgerungen  erfcgloffcn,  ber 
experimentellen  ©rfagrung  »oranetlenb,  neue  ©ebiete  ber  Unter» 
fucgung,  welcge  biSger  in  allen  Fäden  baS  Stefultat  ber  {Recgnung 

beftätigte.  2)ie  Serfucge  über  ben  SteibungSwiberftanb,  welken 

<»16) 


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41 


ein  ©a8  ber  ©ewegung  eines  anberen  entgegenfegt,  übet  baS 
gegenfeitige  SDurdjbringen,  bie  Abforption  ber  ®afe,  über  baS  ©er» 
mögen  ber  ©afe,  eine  $em}>eratur*©rhöhung  weiter  gu  leiten,  finb 
tgeilS  burdb  bie  bpnamifcge  Siheorie  getoorgerufen  worben,  tgeilS 
erhielten  fie  burdi  biefe  erft  größere  ©ebeutung.  Selbft  bie  geringen 
Abweichungen  gwifegen  Sheorie  uub  ©rfagrung,  welche  überigenS  fo 
augerorbeutlich  flein  finb,  ba|  eS  bet  mit  ber  peinlicgften  Sorg* 
falt  auflgefübrten  ©erfuche  beburfte,  um  biefe  Abweichungen  feftgu* 
fteden,  fönnen  jene  $beDm  nicht  erfchüttern.  SBie  bie  Grntberfung 
ber  ftarbengerftremtug  3unachft  als  ein  ©egenfag  gut  SSetlen* 
theorie  beS  8icgt8  aufgefagt  würbe,  heute  übet  bei  bet  weitern 
AuSbilbung  berfelben  eine  ihrer  ©runbftügen  geworben  ift;  wie 
fid)  auS  ben  geringen  «Störungen,  welche  bie  Planeten  bei  bem 
Umlaufe  um  bie  Sonne  geigen  unb  bie  gunächft  bem  fftewton’» 
fegen  ©efeg  gu  wiberfpredjen  fcheinen,  bie  fiegerften  ©ewetfe 
für  baffelbe  unb  gahlreiche  JpülfSmittel  gut  ©rfenntnig  unfcreS 
IBeltfpftemS  ergeben,  fo  finb  auch  bie  äugerft  geringen  Ab» 
weiebungen  oon  ben  ^orberungen  ber  St^eoric,  welche  bie  ©afe 
geigen,  beftimmt,  ber  SJ;h«orie  größere  AuSbilbung  unb  ©egrün* 
bung,  unferer  .fteuntnig  über  bie  9iatur  ber  eingelnen  ©afe 
grögere  Ausdehnung  gu  oerleihen.  5)ie  bisherigen  fRefultate  fegen 
oorauS,  bag  bie  eingelnen  SDtoletüle  beS  ©afeS  feinen  ©influg 
auf  einanber  auSüben,  eine  Anficht,  welche  nur  für  eine  unenbliche 
©erbünnung  bet  ©afe,  alfo  für  einen  idealen  Suftanb,  richtig 
fein  fann.  2>ie  gu  unferen  ©erfudjen  gu  ©ebote  ftegenben  ©afe 
finb  biefem  ibealen  3uftanbe  wogl  nage  gerüeft,  aber  boch  noch 
ju  weit  non  ihm  entfernt,  als  bag  fidh  nicht  bie  gegenfeitige 
Sirfung  ber  föiolefüle  in  fleineu  Abweidhungen  fönnte  bemerfbar 
machen.  Sie  finb  3wijcgengliebet  einer  Äette,  beten  Anfangs» 
glieb  ber  flüffige  ober  fefte,  bereu  ©nbglieb  bet  ibeal»ga8förmige 
3uftanb  ift,  eine  Anficht,  welche  bureg  bie  con  ©ailletet  in 

UV.  Ui.  3**  (917) 


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42 


f>ati8  mtb  $>ictetin  ©enf  erreichte  Uebcrfüljrung  beS  SauerftoffS 
SBafferftoffö  unb  StidEftoffö  in  ben  flüffigen  unb  feften  Slggtegat* 
guftanb  eine  weitete  experimentelle  93egtünbmtggefunbenfyat.  2)odj 
teid^t  unfere  Theorie  Ijeute  fdjon  au$,  um  un8  ein  burd)  mot)l* 
begriinbete  3<d)l<nwertf}e  unterftü^teö  SSilb  »on  bet  SBirffamfeit 
bet  SJtolefüle  bei  ben  widjtigften  ©agarten  ju  »erraffen.  £iet= 
nadj  bewegen  fidi  bie  einzelnen  5Jtolefüle  mit  au§erorbentlid) 
großer  ©efdjwinbigfeit;  bennodj  ift  in  golge  bet  feljt  fyofyen 
bet  fortwätyrenb  einttetenben  Stö&e  jwifdjen  ben  SJtolc* 
fülen  bet  3Beg,  welken  ein  SJtolefül  jwifdjen  jwei  fic^ 
folgenben  Stößen  gurücflegt,  im  ©urdjfcfynitt  aufcerorbentlid)  flein. 
Um  eine  Stnjdjauung  tjietüber  ju  gewinnen,  fügten  wit  ben 
mittletn  äBeg  ein,  b.  I}.  benjenigen  2Beg,  welket,  »on  bet  ©e* 
fammtja^l  bet  SMefüle  jurüdgelegt,  biejelbe  SBegfumme  Uefett, 
wie  bie  Summe  bet  »on  ben  einjelnen  fDtolefülcn  wirHid)  ge* 
machten  SBege.  3)ie  folgenbe  Tabelle  liefert  bie  »on  ©laufiuS 
für  einige  ©aöarten  beredpneten,  füt  eine  Temperatur  »on  0° 
unb  760  mm  Sarometerftanb  geltenben  3aplen: 


@a« 

UJJittlere 
@ei<J)ttinbigfcit 
in  Steter: 

Stittlcrer 
ffieg  in 

7>*oo  StiHimeter. 

5Dnr<pf<pnitt«;ial)l  für 
bie  ©tß|c  eine«  Stc 
lefüt«  pro  ©ectmbe 
in  StiQioncn. 

Snft 

485 

86 

5,7 

©auerftoff 

461 

89 

5,2 

©ttdftojf  . 

492 

84 

5,9 

Söaiferjloff 

• 1844 

160 

11,5 

©in  ©rftaunen  übet  bie  gtofje  3«pl  bet  Stöfje  obet,  wa8 
baffelbe  wate,  übet  bie  Äleinpeü  be8  jwifdjcn  jwei  Stöfeen  eines 
ÜOßcle!ül§  liegenben  mittletn  SßegeS  wäre  niept  geredptfertigt. 
(»18) 


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48 


©ic  beftätigen  eben  nur  bie  alte  (Erfahrung,  bafc  bie* 

jenigen  Sftaum«  uitb  3eitgrö&en,  welche  fich  gur  ©intheilung 
unfeter  ©ewuf3tjeinS=©mt)finbungen  als  geeignet  erweifen,  31t 
SRauni«  unb  3eitgro§en  auf  mannen  anberen  ©ebieten  bcr  Statut 
in  feinem  einfachen  Verhältniffe  ftehcn.  UebcrigenS  ift  bei  S3e= 
ttachtung  bet  mitgetheilten  Tabelle  nicht  gu  Betgeffen,  bafc  ihre 
Angaben  nur  ©urchtdjnittStcfultate  barfteflen.  91ach  bem  ©r* 
gebnifc  bei-  ffiahrfcheinlichfcitSrechnung  legen  nur  etwa  37  p©t. 
bet  9Jiolefüle  ben  mittlern  2öeg  wirtlich  gurücf.  ©tma  19  p©t. 
machen  einen  gröfcern  5Beg,  währenb  44  p©t.  bcr  9Jtelelülc 
bereits  not  ©nrchmeffung  beS  mittlern  SBegS  in  bie  SBirfungS* 
fphöre  anberet  9Jtolefüle  gerathen  unb  hierburch  in  ihret  Se« 
wegung  abgelenft  werben.  — 

©er  2lu8flug  in  baS  ©ebiet  ber  SSahrfcbeinlichfeitSrechnung 
ift  beenbet,  ber  Sriumhhgug,  welker  unS  bie  ©rgebniffe  mathe* 
matifdjen  ©djarffinnS  »orführte,  gefchloffen.  3Rit  ©tolg  bütfen 
wir  auf  baS  SJlaterial,  welches  metrfc^lic^eö  Söiffen  innerhalb 
weniger  Sahrhunberte  auS  fdjeinbar  fo  geringem  Anfang  fd)uf, 
gurücfblicfen.  9ladjbem  bie  SSBahrfdjeinlichfeitSrechnung  burch  bie 
Betrachtung  ber  gewöhnlichen  ©lücffpiele  ihre  ©runbfäfce  ge* 
Wonnen  unb  h'etbur<h  felbft  baS  ^rioiale  jum  ©egenftanbe 
wiffenfchaftlicher  gotfchnng  gemacht  hatte,  mei§  fie  biefe  ©runb* 
fd^e  anguwenben,  um  in  ber  ©tatiftif  ber  menfchlichen  ©efcll* 
fd?aft,  in  ber  Verfolgung  ber  ©eobachtungSfehler  bem  Snbiuibuum, 
in  bet  bnnamifcben  Sh£Dr*e  bet  ©afe  ber  Materie  ihre  ©efefje 
abgulaufdjen.  ©ie  Sluffaffung,  welche  wir  Bon  ben  9taturgeicfjen 
hegen,  beginnt  infolge  ber  '.Äuffchlüffe,  welche  bie  SBahrfcheinlid)* 
fcitSrechnung  über  baS  SBefen  bet  gasförmigen  Äötper  Berfchaffte, 
eine  anbere  3U  werben.  3n  bem  ©tgebni§  ber  VorfteHungcn, 
welche  bie  heutige  9)hbfif  über  bie  ©afe  gu  hegen  — mit  bütfen 
fagen,  gegwungen  ift,  erfcheint  gum  erften  9Jiale  ein  9iatur» 

(919) 


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44 


gefefj  nidjt  als  eine  feftftetjenbe,  aber  nad)  bet  ÄuSbehnung 
unferet  ©rfeuntnif}  gruublofc,  nicht  ^erguleitenbe  [Regel,  fonbern 
als  ba$  SRatürltd^^Söa^rfdjetnlic^e  unb  baljer  auch,  mit  fRücfftcht 
auf  bie  unenbliche  ber  @ragel»irfungen  gwifchen  ben  2Ro« 
lefütcn,  al8  baS  eingig  SRögliche.  5DaS  [Raturgefefc  tritt  nic^t 
als  ein  itnabänberlidjeS  gatum,  fonbern  als  bie  ftatiftifr^e  [Regel 
einer  9tng4t)l  eon  ©ingelereigniffen  ein.  2öer  fann  ^eute  ahnen, 
gu  melden  (Jrgebniffen  burd)  bie  »eitere  Verfolgung  biefeS  ©c* 
banfcnS  bie  [Raturmiffenfchaft  geführt  wirb?  ©ine  [Reihe  neuer 
gorfd)ungen  wirb  mit  biefen  Betrachtungen  hewufbefch»oren, 
bercn  lefcteS  3*el  »ieUcir^t  ber  Beweis  beS  @afceS  fein  wirb: 

„3)aS  ÜRögliche  ift  baS  Voth»enbige." 


(950) 

Xrui  een  ®ffcr.  Dnger  (2t'  ©nmm)  in  8<rlfn,  ©d?ün»f«tg«fu.  17* 


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(Sffdlidjtf  kt  Penagftien 

unb 

öer  300I0  gifdjr  it  (ß it r t c tt. 


58  on 


Dr.  med.  fflilljelm  Stridur 

in  JJranffurt  a.  3Ä. 


fiedi»  SW.  1879. 

23  e r l a g coit  Sari  £ a b e l. 

(£.  16.  l'Dbtritj’sdit  Btrligsbüi^lianbliing.) 

33.  fSilfetlm  • Strafe«  33. 


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®aö  SNedjt  bev  Ueberfefcung  in  frembe  Sprayen  mtrb  oorbefjalten. 


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joologifdjen  ©arten  btben  ihren  Kamen  »on  bem  gonbonet 
3nftitut  erhalten.  Sie  ftnb  in  ihrer  einfadjften  gorm  eine  bet 
älteftcn  Grfcbeinungen  ber  (Sulturgefe^idjte  unb  fommen  fcbon  bei 
ben  6l)inefen,  3nbern,  ©riechen,  Römern  unb  ben  SJleficanern 
not  ber  fpanifdben  (Eroberung  not.  SBäfyrenb  fie  urfprünglicb 
eine  Stnfammlung  ein^eimifc^er  Spiere,  wie  bei  ben  Körnern 
gut  Betforgung  foftbaret  tafeln  waren,  bei  ben  ©fyinefen, 
Kiericanern  unb  bis  jur  Keu$eit  bem  ©lanj  ber  fürfttic^en  ^>öfe 
unb  ber  Guriofität  bienten,  bat  bie  Keujeit  fie  weiter  entwicfelt 
unb  ^oberen  3wetfen  bienftbar  gemalt.  Ginmal  ^at  man  ge* 
fmfjt,  wa8  natürlich  nur  in  einem  mäßigen  Älima  tbunlid)  ift, 
aller  Boten  jufammenjubringen  unb  nad)  ihren  geben#* 
nerbältniffen  ju  Unterbalten,  fobann  bat  man  ben  3®ecf  bet 
Beobachtung  ihrer  gebenSuerbältniffe  unb  bie  Slcclimati* 
fation  in  ben  Borbergrunb  gefteöt.  geibet  ergab  ftd)  aufjet  ben 
bisher  erwähnten  3»ecfen  noch  ein  weitetet:  Beiträge  $u  liefern 
3ut  Grforfcbung  ber  bisher  faft  unbefannten  Äranfbeiten  bet 
frei  lebenben  £btere,  jumal  in  ber  Stiftung  bet  SBitterungS» 
einflüffe,  ba  in  anberem  Älima  bie  Kacbabmung  bet  normalen 
SebenSbebingungen  immer  nur  eine  unooDfommene  fein  fann. 
Unglöcflicbermeife  finb  gerabe  bie  tbeuerften  unb  beim  publicum 
beliebteften  SE^iere,  bie  antbtopoiben  3lffen,  jugleic^  bie  empfinb» 

XIV.  336.  1*  (923) 


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4 


lidjften  gegen  bie  ©inbrüdfe  mtfereS  Älimag.  35a8  in  btcfer 
.fjinfidjt  erhielte  wiffenfc^aftli^e  Sölaterial  ljat  bet  oerbienftoolle 
©irector  beS  goologifdjen  ©artenS  gu  granffurt,  Dr.  med.  veter. 
9)iat  ©djmibt,  gufammengefteHt  in  feiner  „Soologifdjen  Älinif" 
Berlin  1870—72. 

©en  tHbfdjnitt  gwifdjen  ben  alten,  bem  ©lang  unb  bet 
Uieugierbe  be8  £ofe8,  unb  ben  neuen,  bet  Siffenfdjaft  bienenben 
3oologifdjen  ©arten  tonnen  wir  woljl  in  bie  Segrünbung  beS 
Jardin  des  plantes  in  f)ati8  (patentirt  1626,  errichtet  1636) 
fefjen,  ober  oieQeidjt  nodj  richtiger  in  beffen  füeorganifation 
(1794),  wo  bie  eigentlich  fpftem  atifd^e  wiffenfdjaftlidje  Slug- 
nutjung  beffelben  im  größten  SDtafeftab  begann,  wenngleich 
beffen  ©inridjtung  mehr  bie  einer  SOlenagerie  war,  unb  ber 
weite  SRaum,  welchen  man  heute  mit  S^edjt  ben  ühieten  5U  9e' 
währe«  fudjt,  erft  in  bem  Sonbonet  goologifdjen  ©arten  im 
Regent’s  Park  gegeben  war.  3m  3ufammenljang  mit  ber 
Sorliebe  für  naturwiffenfdhaftliche  ©tubien  beim  großen  publicum 
feit  bem  ©rfdjeinen  »on  3llej:anbet  o.  ,£>umbolbt’8  &o8mo8 
unb  ben  baran  anfnüpfenben  Streitfragen  trat  nach  Sieber* 
herftetlung  be8  eutopäifdjen  ftriebenS  feit  1856  eine  lebhafte 
©rünbunggtljätigteit  in  biefem  &ache  ein.  3n  ©eutjdjlanb  würben 
fefjt  guerft  goologifche  ©arten  al8  2lctien*Unternehmungeu 
gegrünbet.  ©ie  SMütljegeit  bet  goologifchen  ©arten  fällt  etwa 
in  bte  3ahre  1862  bi8  1865,  wie  au8  bet  am  ©djluh  biefer 
ISbljanblung  gegebenen  dhronologifdhen  Ueberficht  heT^orge^t. 

©ie  bamal8  in  ©eutfdjlanb  unb  bem  öftiichen  ©uropa  ge» 
planten  Unternehmungen  gerfaUen  in  oier  Älaffen: 

1.  in  foldje,  welche  gu  ©tanbe  tarnen  unb  noch  fortbeftehen; 

2.  in  foldje,  weldje  gwar  gu  ©tanbe  tarnen,  aber  nach  furgern 
23eftetjen  wieber  eingegangen  finb; 

3.  in  foldje,  welche  in  befdjränfter  Seife  in’8  Sehen  traten, 
fo  bafj  fie  wefentlich  auf  cinljeimifche  Sfcljierc,  jebenfallS 

(3*4) 


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5 


mit  au8fd)Iu§)  ber  foftfptcligen  {Raubtiere,  ihr  Stugen» 
merf  richteten; 

4.  in  folche,  welche  über  baS  ©rünbungSftabium  überhaupt 
nicht  hinaus  gelangten,  wie  benn  fdjon  1862  oon  ber 
©rünbung  joologijcher  ©öden  in  8eipjig,  Königsberg 
JRiga  unb  Sremen  bie  Siebe  war,  welche  heute  (6nbe 
1879)  nicht  netwitflicht  ift  (3-  @.  3,  2.) 

55enn  ein  goologifcher  ©aden  ift  ein  überaus  ToftfpieltgeS 
Snftitut.  3118  Unternehmen,  welches  ftdj  burch  feine  eigenen 
©innahmen  erhalten  füll,  ift  eS  nur  möglich  in  einet  großen 
reichen  «Stabt  mit  wohlhabenber,  bichtbewohnter  Umgebung  unb 
gasreichem  ^rembennerfehr.  Söodheilhaft  ift  auch,  wenn  bie 
«Stabt  birede  Seeöetbinbung  h^r  °ber  'wenigftenS  jaljlreiche, 
auswärts  wohnenbe  patriotifche  SBürger,  burch  beren  ©efchenfe 
bie  ungeheuren  Koften  für  bie  ©Bibentljaltung  beS  Üh<etbeftanbe8 
Berminbert  werben. 

25ab,  wenn  man  auf  eine  grobe  SBoQftänbigfeit  beS  St^icr 
»orrathS  3lnfpruch  machen  will,  ber  ©arten  nicht  in  einem 
erceffi»  het§en  ober  falten  Klima  liegen  batf,  Berfteljt  fid)  oon 
felbft.  Such  bie  niebrige  Sage  am  glufj  muh  Betntieben  werben, 
weil  eine  Ueberfchwemmung , wie  ber  goologijchc  ©arten  in 
Köln  ju  feinem  9lad)tl)eil  erfahren  hat»  ben  3:l)ierbeftanb  oer* 
nieten , bie  ©ebäube  unb  Anlagen  fthwer  befähigen  fann. 
31  m 11.  SJlärj  1876  um  3 Uhr  SJtorgenS  brang  baS  Sihein* 
waffet  plöfclich  in  ben  ©arten  unb  gerftörte  bie  in  SSorauSjtcht 
biefeS  ©reigniffeS  errichteten  Schubbämme.  Sei  StageSanbruch 
ftanben  18  SJtergen  unter  SBaffer,  welches  in  einzelnen  Ühie» 
behältern  bie  ^öhe  oon  4 §ub  erreichte,  ©in  grober  21^1 
bet  SRauboögel  crtranf,  unb  wenn  mit  grober  3lnftrengung  bei 
bet  nerhältnibmabig  furzen  3)auer  ber  Uebetfchwemmung  auch 
bie  foftbarften  $h'ere  ßerettet  werben  fonntcn,  fo  begijfede  fidj 

(M4) 


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6 


bet  burch  ©lementarcreigniffe  Ijetbeigefü^rte  ©d}aben  immerhin 
auf  etwa  6000  «Biarf.  (3-  ©.  18,  306.) 

@in  goologifcher  ©arten  ift  ein  fetjr  compltcirteS,  fdjmierigeS 
Unternehmen.  SBelche  SJiüfye  bereitet,  um  nur  ©ingelneS  gu 
erwähnen,  bie  2lu8wahl  gefunben  §utter8,  bie  Bewahrung  bet 
Schiere  »or  fröhlichen  2Bitterung8einflüffen,  bie  Sefchnffung  gu* 
terlöffiger,  ruhiger  SBdrter,  — benn  eine  ausgiebige  (Jontrole 
ift  ja  nicht  möglich,  — unb  bennoch  taffen  epibemifcb  auftretcnbe 
Ätanf^eiten  ber  unb  33erbauung8organe,  beten  Urjadjen 

man  noch  nid^t  genfigenb  fennt,  nicht  feiten  ben  gangen  Beftanb 
einer  ^ietflaffe  fort,  ©o  trat  in  ber  3cit  Dom  13.  — 16.  Sanuat 
1877  im  goologifdjen  ©arten  gu  granffurt  plöjjlicb  eine  foldje 
BKenge  oon  ©rfranfungSfdllen  bei  ben  Spieren  auf,  wie  bied 
feit  Sefteljen  beffelben  (1858)  nodj  nicht  beobachtet  worben  mar. 
@8  war  ein  epibemifd)er  Äatarrh,  ähnlich  bet  ©tippe  beim 
SERenfdjen,  ber  halb  mehr  bie  Schleimhäute  bet  '3thmung8organe, 
halb  mehr  bie  ber  SerbauungSwerfgeuge  ergriff,  unb  einen 
großen  SEljeit  ber  SSieberfäuer  unb  ber  SRaubthiere  befiel.  Sei 
entfprecheitber  pflege  genafen  bie  Patienten  balb  wieber,  nur 
bie  fünf  9lilgau»8lntilopen  oermochten  fich  nicht  gu  erholen, 
fonbetn  gingen  trojj  aller  angewen beten  Sorgfalt  gu  ©tunbe. 
(3-  ©•  18,  181.) 

9luf  ber  anbern  ©eite  fallen  bie  unberechenbaren  Faunen 
unb  Borberungcn  be8  $)ublifum8  unb  bie  Ungunft  be8  SBetterS 
befonberS  bei  folgen  ©arten  in’8  ©ewicht,  welche  feinen  ©tocf 
Don  Ulbonnenten  beftjjeu,  fonbern  allein  auf  ba8  6intritt8gelb 
angewiefen  finb.  33a  fßnnen  fdjon  ein  paar  tegnerifdje  ©ommer» 
fonntage  ein  3)eficit  hrrbeiführeu. 

Um  bem  $>ublifum  9teue8  gu  bieten,  hfll  *>wn  neuetbingl 
mit  (Erfolg  mehrfach  begonnen,  ©eewaff eraquarien  mit 
goologifdjen  ©arten  gu  oerbinben.  3h“  Anlage  auch  ^lä^en, 

CM«) 


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7 


welche  entfernt  »on  bet  SReeredfüfte  liefen , ift  erleichtert  butd) 
bie  Qrrfinbung,  fiyiftliched  Seewaffer  gu  bereiten.  (3.  ©.  18,  349.) 

25ie  Anlage  unb  bad  ©ebeiben  goologifdjer  ©ärten  fteht  in 
engem  3ufammenhang  mit  ber  Siebe  unb  bem  Berftänbnif), 
weldjed  ein  Bolf  ber  $^ieq>flege  entgegenbringt.  Unter  ben 
cioilifirten  Nationen  bilben  in  btefer  £inficht  Grnglänber  unb 
Staltener  bie  beiben  äu&erften  ©egenfaf}e:  3)ie  Grnglänber,  welche 
immer  auf  3u<ht  ber  $>fetbe,  fRinbet,  gähnet  u.  f.  w.  foldje 
(Sorgfalt  mwenbeten , wo  jeber  9>ar!  feinen  Söilbftanb,  jebe 
größere  Stabt  ihr  Slquarium  fyat,  — unb  bie  Staliener,  welche 
bie  ärgften  St^ierquäler  ftnb  unb  felbft  bie  Singoögel  aud» 
rotten. 

Grrnft  Stiefel  in  Berlin  Ijat  bieö  J^ema  mit  Unpartei* 
lidjfeit  unb  ©rünblic^feit  erörtert.  (St^ierleben  unb  Tierpflege 
in  3talien.  Oieifebemerfungen  aud  3talien  1873.  3-  ©• 

15, 167.)  Gfd  tye i§t  ba  (S.  71):  „SDie  Sage  bet  T*e*e  *«  Stalien 
ift  im  ©rofcen  unb  ©angen  eine  recht  bebauetlidje  unb  bie  Silier« 
fdjufjoereine  Ijaben  Ijiet  noch  ein  unenblidjed  gelb  ber  SL^ätigteit. 
9tur  glaube  man  nicht,  in  SRadjaljmung  bet  fremben  ©efefj* 
gebung  mit  Verboten  unb  Strafen  eine  burchgreifenbe  93er= 
änberung  etwirfen  gu  fönnen.  ÜJtan  greife  bad  Hebel  an  bet 
SBurgel  an  unb  oerbreite  in  ben  Schulen  eine  »emünftige  9tatur 
lehre."  — gerner  (S.  134):  „3n  gloreng  ift  ber  Berfuch,  einen 
goologifchen  ©arten  eingurichten , an  ber  3nboleng  flägtich  ge» 
fcheitert.  3n  5£urin,  alfo  an  ber  Stelle,  wo  für  Beobachtung, 
pflege  unb  3uth*  het  T‘ere  oerhältnifimäjjig  noch  bad  regfte 
3ntereffe  Ijcrrfc^t,  hat  man,  wie  mir  oon  glaubwürbigfter  Seite 
»erfidjert  worben  ift,  einen  großen  ©lephanten,  ein  ^radjtthier, 
weil  fein  gutter  gu  theuer  festen , einfach  oergiftet."  ©nblidj 
(S.  187):  „&18  ©arbinal  SlntoneUi  oor  einigen  3af)ten  gebeten 
würbe,  ein  ©efefc  gegen  bie  Ttoquäleref  gu  geben  ober  hoch 
burch  ©eiftliche  gegen  bie  Barbarei  wirfen  gu  laffen,  erwiberte 

(9*7) 


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8 


et:  „son  bestie!“  (©8  ftnb  ja  nur  Spiere!)  5Ba8  et  geftattete, 
war  bie  ©inridfytung  einer  Äaffe,  woraus  bie  ju  töbenben  ?)ferbe 
gefüttert  würben,  ba  fte  früher  im  $of  bet  SlbbedEerei  Bot  junget 
ben  ßal!  non  ben  SBänben  abnagten." 

©ije  wir  auf’S  ©injelne  eingetyen,  woQen  wir  bemetlen,  bafj 
bet  Serfaffet  ben  Jardin  des  plantes  in  ^ariS  1841,  1852  unb 
1876,  ben  joologifdjen  ©arten  in  2)reSben  1864,  ben  in  Äßln 
1871,  ben  in  ^annouer  1875,  ben  Jardin  d'Acclimatation  im 
S3oi8  be  Soulogne  1876  befugt  Ijat  unb  ben  granffurter  joo* 
logtfdjen  ©arten  feit  feiner  ©rünbung  auf’S  ©enauefte  fennt. 
®ie  non  ber  joologifdjen  ©efeOfdjaft  auSgefyenbe  3eitfdjrift: 
„35er  joologtfdje  ©arten"  unter  bet  fucceffiüen  Leitung  non 
SEßeinlanb,  33ru<b  unb  SRoU , weldje  mit  9luSnafyme  beS  Ber* 
griffenen  erften  SafyrgangS  nodj  noflftünbig  ju  fyaben  ift,  ent» 
halt  bie  noQftänbigften  Sftadjridjten  über  bie  fDlenagerien,  joolo» 
giften  ©arten  unb  Aquarien  aller  Sänber.  2Bir  tyaben  fte 
burdijweg  mit  „3-  ©."  citirt.  5Da  tro|j  jal)lreid}er  Stufforberungen 
mandje  ©arten  nod)  nie  eine  ffltittfynlung  an  bteö  Gentralorgan 
eingefanbt  ijaben,  fo  mar  bet  33erfaffer  für  biefe  auf  bie  $ftad&« 
rieten  angewiefen,  roeldbe  ^>ett  9>ljilipp  Seopolb  SRartin  ira 
brttten  Üfyeil  feines  !8ud)eS:  „SDie  ^)rajti8  ber  fftaturgefdjicbte" 
(SBeimar  1878)  gegeben  fyat.  ©affelbe  wirb  citirt. 

2Bir  gefyen  nunmehr  gut  gefcfyidjtlidben  5)arfteüung 
über,  lieber  bie  joologifdfyen  ©arten  ber  Sfjinefen  Ijat  Dr. 
jur.  et  med.,  fowie  aud?  licent.  theol.  SBictor  Slnbreae  in 
Sranffurt  berietet.  (3-  ®.  3,  178.)  SDaS  ^eilige  S3ud)  ber 
Sieber  @d)i*ftng  erwähnt  bereits  einen  folgen  ©arten,  welken 
ber  SSlijnfyerr  ber  5tfd)eu»2)t)naftie,  3öen«2Bang  (1150  n.  &jt.) 
anlegen  lief)  unb  welchem  er  ben  Flamen  „$)arf  bet  SnteDigenj“ 
beilegte.  6r  beftanb  nodj  um  bie  ÜJlitte  beS  Bierten  SaljrljunbertS 
B.  ©Ijr.  unb  enthielt  ©äugetijiere,  33ögel,  @di)ilbf  röten  unb 
Stfdje.  griebrid}  SRüdert  überfefct  baS  betreffenbe  ©ebidjt 

(OT8) 


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9 


(<Sd)t*Äing,  cfeineftfcheß  giebetbucb,  gefammelt  pon  ©onfuciuß, 
bem  SDeuticfeen  angeeignet  pon  g.  9R.,  ältona  1833,  S.  282) 
folgenbetmafeen: 

1.  Der  mädjt’ge  giirft  2Sen*2Bang 
3m  SBalbgebeg  i?in*2Jo 

Siebt  an  öergniigt  unb  froh 
Der  gähnten  Siebe  @ang, 

Die  nitbt  ber  SJlenfcben  IKnblitf  freuen 
Unb  fitb  gufatnmen  jpielenb  freuen, 

SBeifeglangenb  ficb  burcb’ß  2Balbgebüf<b  gerftreuen. 

2.  3m  5öalbgel;eg  Sin-ffto 

Den  mäfbt'gen  Surften  2Ben*9Bang 
greut  mancbc3  SBoßelS  Sang, 

Der  firr  unb  fecf  nicht  flob; 

Sie  picfen  in  bem  Saubgebäum 
Die  Äcrner,  bie  er  Iäffet  ftreuen, 

Unb  »ollen  jingenb  ihren  Danf  erneuen. 

3.  Der  mä^t’ge  Surft  SBen-ffiang 
3m  SBalbgeljeg  8in«So, 

8nt  äbcnb  gebt  er  fo 
Dem  SBeiber  froh  entlang, 

2Bo  in  ben  rotl;beglängten  Släuen 
Sieb  golbne  gijebe  jpieienb  freuen, 
ffiie  im  fPalaft  ber  $ofjtaat  feiner  Dreuen. 

33on  gelähmten  (Slephanten  in  (S^fna  berichtet  ber  2Didfeter 
8i*tai«pe,  welcher  unter  bet  Dbong«Dpnaftie  (618 — 905  n.  Sh*-) 
lebte. 

SDer  8öroengwinger  beß  JEönigö  Darinß  ift  auß  bem  33uch 
JDaniel  befannt.  SBenn  eß  richtig  ift,  bafe  älejanber  ber 
©rohe  feinem  Seferer  Slriftoteleß  pon  feinen  afktifd)en  gelb» 
jügen  ade  Dhiete  fenben  liefe,  welche  biefet  gut  ©earbeitung 
feiner  Slaturgefchicfete  beburfte,  fo  wäre  bieß  baß  erfte  ©eifpiel 

(9M) 


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10 


eineg  goologifdjen  ©artenS  gu  wiffenfdjaftlidjen  3mccfen.  2>ie 
9tömer  bagegen  gelten  in  ihren  ©Iiratien  unb  gifdjteichen  bie 
Spiere  mehr  gum  ©ebraud}  bei  ihren  fd^welgcrifc^en  ©tahlen. 
(3.  1,  193). 

2>te  Haltung  ber  Siaubt^iere  gu  Äampfftnelen  gehört  ebenfo 
menig  hierher,  als  bie  Slbridjtung  ber  Glep^anten  gu  friegerifdjen 
Smecfen.  (3.  ©•  19,  381).  ÜRontcguma,  ber  lefctc  agteftfdje 
£errf<her  in  ÜRejrico,  f^atte  in  einem  feiner  gufthäufer  eine 
SJtenagerie,  eine  lange  Steife  non  Söafferbehaltern,  SBogelhäufern 
unb  Ääfigen  mit  roifben  Spieren.  35ie  93ogeIhäufer  enthielten 
gefieberte  33emohner  auS  allen  ^heilen  beö  fReidjeS,  »om  riefigen 
9lnben«2(bler  unb  ©eier  bis  gum  ©oltbvi.  gut  bie  SRauboögel 
bienten  500  Truthähne  täglich  gut  Nahrung.  SDie  SBafferoögel 
mürben  in  gehn  groben,  fifd^reic^cn  ftinftlidjen  Reichen,  mit 
fubem  ober  Salgmaffer  gefüllt,  baS  burd?  Sd)leuben  gu*  unb  ab» 
floh,  unterhalten.  9luch  Schlangen  unb  ©ibechfen  mürben  ge« 
halten,  lieber  300  SBarter  maren  angeftellt,  melche  unter  9lnberra 
auch  bie  gebern  gu  fammeln  Ratten , melche  bie  ÜBögel  oerloren 
unb  melche  ben  agtefifchen  gebcrfünftlern  einen  SL^etf  beS  gu 
ihrer  SRofaif  benötigten  Materials  lieferten.  Schon  fUtonte» 
guma’S  ©erfahren  Ratten  folche  SRenagerien  unterhalten;  auch 
in  ben  benachbarten  Staaten  f ollen  ähnliche  ©inrich  tungen  be» 
ftanben  hoben.  (3.  ©•  6,  74). 

©in  meitereS  9Roti»  gur  Haltung  oon  S^ieten  mar  bereu 
$etlig!eit.  So  bie  ber  meiben  ©lernten  in  Siam,  9>egu 
unb  91  oa.  35et  5>eutfche  ©ottharb  9Irt  »on  JDangig,  roelchet 
in  hoßänbifdhen  ÄriegSbienften  in  Siam  ftch  aufhielt,  ergäbt, 
bah  1562  gmei  meifce  ©lephanten,  im  SBefifj  beS  ÄönigS  oon 
Siam,  einen  Ätieg  beS  Königs  oon  9>egu  gegen  Siam  oet« 
aniahten.  JDiefer  bot  nämlich,  meil  in  $)egu  ber  meifje  ©lephaoi 
ein  heiliges  $hiet  ®ar,  bie  grölen  ©elbfummen,  um  beibe  gu 
erhalten,  unb  als  biefeS  abgefdjlagen  mürbe,  fiel  er  in  Siam  ein, 

(930) 


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11 


eroberte  bie  ,£>auptftabt  unb  führte  bie  ©lepbanten  mit  © c* 
malt  fort. 

3ur  3«t  Sobocufl  ©dmuten’ß  (1636)  mürben  in  bem  britten 
Äönigßpalafi  ber  $auptftabt  oon  ©iam  6000  gabme  ©lepbanten 
gehalten,  unter  benen  ©(Routen  ben  meinen  alö  eine  9Jietf* 
mürfcigfeit  nennt.  3u  @.  Äämpfet’ß  3«it  (1690)  mufste  ber 
gö^rer  bet  Äonigßelepbanten  ftetß  ein  9>ung  oon  ©eblüt  fein. 
9118  ©ramfurb  unb  Dr.  ginlapfen  in  ©{am  maven  (1822)  unb 
bie  9lubieng  beim  Äönig  in  Sangfof  oorüber  mar,  gehörte  e8 
gut  ©tifette,  bie  $remben  nun  auch  gum  fPalaft  ber  roeifjen 
©lepbanten  gu  führen,  bie  auch  bamal8  noch  einen  SBertlj  Ratten, 
ba§  fie  nicht  mit  ©elb  gu  begabien  maren.  3n  allen  bubbbifti* 
fd)en  fjänbern,  in  melden  bie  ©eelenmanberung  gilt,  finb  bie 
meinen  (Slep^anten  oerebrt  al8  ^etltge  SLljiere,  in  melcbe  bie 
©eelen  großer  föniglicber  Verfahren  übetgegangen  finb.  Süet 
einen  folcben  aufftntct,  mirb  glängenb  belohnt.  1822  maren 
fedjß  meifje  ©lepbanten  im  ÄönigSftatle,  mehr  al8  je  guoor,  roa8 
al8  ein  feljr  gutes  3eid>en  angefeben  mürbe.  2)a8  3$olf  nennt 
bie  meinen  ©lepbanten  „Könige",  unb  bie  Äonige  oon  ©iam 
reiten  ni<bt  auf  benfelben,  roeil  ber  ©lepbant  eine  ebenfo  gtofje 
SKajeftät  fein  fönne,  al8  bet  jpenfdjer  felbft- 

3eber  bet  meinen  ©lepbanten  in  93angfof  hatte  einen 
eigenen  ©tat!  unb  gehn  SSärter  gur  ©ebienung;  ihre  ©toftgäbne 
maren  mit  .©olbringen  umgeben,  ibr  Äopf  mar  mit  einem  ©olb* 
nefc,  ibr  fRücfen  mit  einem  ©ammetfiffen  bebccft.  5Dtefe  @le» 
Pbanten  ftnb  9Hbtno8.  3n  ben  ©lepbantenftäQen  merben  aud> 
9llbino« 9lffen  gebalten,  melcbe  bie  ©lepbanten  not  jlraufbeiten 
bemabren  foOen.  (3-  ©•  19,  382). 

9lucb  meifje  ^>f etoe  galten  gunaebft  in  Qlfien  für  befonberß 
heilig.  9118  Xerjceß  an  ben  ©trpmen  fam,  [pachteten  bie 
SRagier  btefem  ©trom  metjje  fPferbe  ($erobot  7, 113).  9lucb 
ber  ©onne  meifje,  als  bureb  ihre  §arbe  bem  2i«btgott  gemeibte 

(931) 


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12 


3>ferbe  311  opfern,  biefe  ircmijcfye  ßulturjttte  unb  teligiöfe 
ißbantafie,  ftnbet  fidj  ^tn  unb  mieber  in  ©riedjenlanb,  felbft  in 
3talien.  Äaftor  unb  ^oHuy,  bic  beiben  gidjtgötter,  reiten  auf 
fdjneemeifjen  $>ferben.  6amillu§  30g  nad?  bet  (Einnahme  93eji’8 
in  einem  mit  meinen  hoffen  befpannten  SBagen  triumpbirenb 
in  bie  ©tabt  ein,  ma8  oon  ben  3ei*ije«offen  als  ein  Uebetgriff 
be8  5Jienfd)en  in  ba8  fRec^t  unb  bie  |>errlid)feit  beS  ©onnen» 
unb  .£>immel8gotte8  gerügt  mürbe.  (95.  £ebn,  (Eulturpflanjen 
unb  £au8tbiere.  2.  8lufL  Berlin  1874,  ©.  44  ff.). 

3)ie  Söienfcpen  beö  mefteuropäifcben  SJUttetalterß  lebten 
abgejc^loffeu  iu  Älöftern,  Burgen  nnb  befeftigten  ©täbten; 
Steifen  mar  mütyfam  unb  gefährlich,  fo  gingen  fte  ihrer  übiet* 
liebe  nadj,  inbem  fie  in  ihrer  Stäbe  eigene  Stäume  für  bie 
Sb'ere  einrid^tcten.  ©cpon  im  geboten  Sabrbunbcrt  unterhielt 
ba8  Älofter  gu  ©t.  ©allen  einen  „Sminger"  mit  „allerlei  milb 
©etbier  unb  ©eoögel,"  Bären,  3)ad)fe,  ©teinbocfe , ÜJturmel* 
tljiere , Steuer,  ©ilberfafanen , mie  foldjeS  t^eils  in  ben  nahen 
Sllpen  Raufte,  tbeilS  als  ©efdjenf  frember  ©äfte  bem  Älofter 
»erebrt  mar.  3n  ben  ©räben  ber  SteidjSftäbte  unb  Herren» 
ftblöffer  mürben  £bie*gärten  angelegt,  meift  mit  ,$irf<ben  befefct, 
fo  in  Sranffurt  1399,  ©olotburn  1448,  ftriebberg  1489,  3üricb, 
Sucetn  ic.  (3-  ©•  8,  62). 

3n  bem  jfranlfurter  |)irfcbgraben  befanben  fiep  1400  nur 
3mei  ©tücf,  ein  ^irfdj  unb  eine  «£rinbin,  meldpe  leitete  bet  3ube 
©ottfdjalc!  oon  Äteugnacb  bem  Statbe  gejdjenft  batte.  ©djen 
1408  aber  batte  man  für  ba8  befannte  „|)irf^effenw,  meines  ber 
Statb  jährlich  einmal  l^ielt,  bie  2Bal)l  gmifeben  mehreren  .£)irfcben 
in  jenem  ©raben,  unb  1444  gab  e8  beren  fo  eiele,  bafj  ber 
Statb  ben  £errn  oon  galfenftein  unb  ©ppftein  bie  erbetene  (Er* 
laubnifj  erteilen  fennte,  burdj  ihren  3äger  einen  ^itfdj  für 
ihren  übiergarten  gu  SJtüngenberg  einfangen  3U  laffen.  3n 
1556  fdjeint  ba8  Slufgieben  oon  $itf<hen  im  ^irfdjgtaben  ab* 

CM2) 


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13 


gefdjafft  worben  $n  fein.  (®.  8.  Kriegf:  granffurter  Sürget» 
3»ifte  unb  3uftänbe  im  IBUttelalter.  granffurt  1862,  ©.  275). 

©djcn  in  ber  ÜJiitte  beS  iecbSjehnten  3aijtljunbert8  (1551) 
jal)  gelij:  glatter  6 23ären  im  ©tabtgraben  3U  33ern.  gut 
baS  fpätere  ©Uttelalter  unb  ba8  fech8$ehnte  3«^tl)uubert  h«t 
3oljanne8  SBoigt  (geb.  1786  im  ©teiningenfcben , f 1863  in 
Königsberg)  neben  feinem  großen  SBerfe:  ©efe^td^te  ©reufceuS 
(9  3?äpbe.  Königsberg  1827  — 39)  unS  ein  farbenreiches  33üb 
non  ber  Thierpflege  an  beutfdjen  £öfen  entworfen.  (o.  ©autner, 
^ifterijcheS  Tafdjenbud)  I.  1830,  ©.  195.  VI.  1835,  ©.  291). 

$Die  9ieftbenä  beS  ^ocbmeiftcrS  beS  beutfdjen  DrbenS  jn 
©iarienburg  ^atte  auch  einen  Thiergarten,  worin  fid)  beS 
©leifterS  ©tenagerie  befanb.  -£rier  würben  nidjt  nur  ^irfdje, 
Siehe  unb  anbereS  fleineS  Sßilb  unterhalten,  fonbern  auch  ein 
göroe,  ben  bet  ©leifter  1408  gefdjenft  befam,  erhielt  ba  feinen 
3winger.  SDort  ftanben  fünf  auSgejeichnet  grojje  Suerodjfen, 
oon  welchen  ihm  Dier  ber  ©rofjfürft  SEBitolb  Don  gitthauen  als 
©efchenf  überfanbt  hatte.  ©tan  unterhielt  hier  ferner  ©ieerfühe 
unb  ©teerochfen  (?),  mehrere  SBären  in  einem  feften  3winger  unb 
Derfchiebeue  3lffengattungen.  Sion  biefen  lefcteren  nahm  bet 
^odjmeifter  auch  manchmal  jurn  3eitDertreib  einige  mit  in  feine 
SBohnung,  wo  fie  juweilen  auch  allerlei  Unfug  trieben,  wie  fie 
benu  einmal  in  beS  ©teifterS  Kapelle  geriethen  unb  bort  bie  au= 
gemalten  ^eiligen  auf  eine  jämmerliche  SSeife  ^erbrachen  unb 
befubelten.  Sie  in  bem  hedjmeifterlichen  Thiergarten  bei  bem 
einige  teilen  Den  ©tarienburg  entfernten  DrbenShaufe  ©tuhm, 
welcher  noch  ton  größerem  Umfang  gewefen  ju  fein  fdjeint,  fo 
waren  auch  hiw  befonbere  £irfchhüter  unb  Thierl)irten  angeftellt. 
(Sinen  Tl)eil  biefeS  Thiergartens  nahm  ein  fleiner  $atf  ein, 
welcher  ber  Kaninchengarten  l)ief),  weil  hier  ber  ©leifter  eine 
grofce  ©tenge  Don  Kaninchen  hielt,  bie  in  einem  mitten  in  biefern 
§>arf  errichteten  33erg  ihr  £ager  hatten.  Ueberljaupt  fanben 

(933; 


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14 


mehrere  £ochmeifter  on  ber  pflege  unb  Unterhaltung  biefer 
nieblichen  ©hiete  ein  gang  befonbereS  Vergnügen,  weshalb  man 
fre  auch  auf  ihren  Steifen  nicht  feiten  mit  .Kaninchen  für  ben 
©hiergarten  befdjenfte. 

3m  fedjSgehnten  3al)r^unbert,  wo  ein  ©hiergatten  gum 
fürftlichen  Vergnügen  gehörte,  wanbten  fid)  bie  dürften,  um 
mit  fremben  St-^ieren  prunfen  gu  fönnen,  norgugSweife  an  bie 
Seherrfcher  non  Preisen,  bie  $ochmeifter,  fpäter  bie  £ergöge. 
©chon  .1518  lieh  fid?  ber  Jfurfürft  3oad)im  I.  »on  Sranben* 
bürg  Bern  ^odjmeifter  in  Preufjen  einen  äuerodjfen  gufenben, 
um  ihn  a!8  felteneS  ©djauftücf  in  feinen  SE^iergarten  aufguneljmen; 
gu  gleichem  3i»ecfe  fanbte  nachmals  ber  £ergog  Bon  Preufjen 
bem  .Könige  Bon  ©änemarf  einige  foldje  2luer  gu.  ®n  ben 
^»ergog  Sllbrecht  wanbte  ftd)  auch  ber  ©taf  SBolfgang  b.  ©bet* 
ftein  um  ein  Paar  ©lenbe  für  fein  „©hiergärtlein,  bafür  ihm 
fdjon  Bon  föniglidjen,  furfürftlichen  unb  fürftlichen  Potentaten 
Bon  allerlei  SBilbpret  bie  gnäbigfte  Seförbetung  gefcheheit  fei." 
SDer  ©rghergog  gerbinanb  Bon  JDefterreich,  ©otjn  beö  KaiferS 
gerbinanb  I.r  bat  1558  ben  <£>ergog  bou  Preufjen  für  feinen 
©hiergarten  gu  Prag  um  etliche  Paare  mit  ber  Stoffe  unb  er* 
bot  fi<h  gu  ©egenbienften.  ©er  .fpergog  fcheint  bamalS  biefe 
Sitte  erfüllt  gu  haben,  1566  waren  aber  bie  wilben  Pferbe  in 
Preufjen  bereits  fo  feiten  geworben,  baff  ber  £etgog  eine  aber- 
malige Sitte  beS  (SrgbergogS  nicht  mehr  erfüllen  fonnte,  bagegen 
bat  berfelbe  „um  fedjS  junge  Sluerödjflein,  barunter  gwei  ©tierle 
unb  Bier  .Kälber."  Sei  beni  3uftanb  ber  Söege  unb  bet  ©tanS* 
tjortmittel  jener  3eit  ift  eS  nur  gu  natürlich,  bah  ein  großer 
©heil  l>er  jung  eingefangenen  ©lenthiere,  Üluerodjfen  u.  f.  w.  nicht 
lebenb  ben  £>rt  feinet  Seftimmung  erreichten.  Soigt  h&t  Klagen 
beS  Pfalggrafen  £>tto  Heinrich  (1533)  unb  Bon  £etgog  SBilhelm 
Bon  Saiern  (1541)  aufgegeidjnet,  bah  bie  ihm  gugefanbten  ©hiere 
auf  ber  greife  Betenbet  feien.  Um  fo  metfwürbiger  ift  bah  ein 

‘934) 


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15 


großer  prächtiger  2lueroch§  glücflich  bis  nadj  Sötaing  in  ben 
Sthiergarten  bcS  Äurfürften  ©rgbifchofS  Sllbrecht  (1514—1545) 
gelangte.  — Äaifet  griebrid)  II.  war  ber  ©rfte,  welcher,  feine 
freunbfd)aftlid)ett  S3erhältniffe  gu  morgenlanbifchen  ,£ertf<hern 
benufeenb,  frerabe  Stetere  bel)ufS  naturwiffenjdjaftlicher  gmedfe 
fommen  liefe.  ®r  bejafe  Bornen,  £iger,  Beoparben,  Kamele, 
©iraffen  jc.  @r  üeranftaltete  muh  33ioifectionen.  (%.  t.  [Raumer, 
©efcfeichte  bet  ^)o^enfta«fen  III.  571,  1824). 

Sluch  in  ben  [Rieberlanben  ift  bie  Anlage  non  ©t)ier» 
gärten  feljr  alt  (3-  ©.  5,  368).  3n  „beS  ©rafen  $aag“  gab 
eS  im  tiergehnten  3ahthunbert  ein  galfenljauS,  ^ȟhnerhanS, 
£unbe»  unb  BßwenhauS.  Stach  33üren  unb  ein  ©romebar  »erben 
genannt;  bie  Sßwen  würben  nteifl  mit  Scfeaffleifch  gefüttert, 
©ie  £etgßge  ton  ©elbetn  hielten  fich  wilbe  3;^ierc  in  3ftofenbal, 
©ran  unb  SRpmwegen ; eS  gab  befonbere  Bßroenwüdjter,  Papageien» 
SEReifter,  Bnlfoniere  unb  ©eflügeUSBächter.  ©er  galfonier  £)tto 
genofe  eine  ?)enfion  non  12  ^funben,  ein  anbter  9lamen6  glorenS 
hatte  ein  ©infommen  non  10  fPfunben  unb  bagu  4 $)funb  2la8» 
gelb;  Sfebranb  „ton  ben  .£mnbcnw  hatte  «nfeet  feinen  Kleibern 
18  f)funbe  unb  4 Schillinge  :c.  3n  gehn  SRonaten,  ton  Dctober 
1398  bis  3uli  1399,  würben  in  (Rofenbal  allein  260  Schafe 
für  bie  Bßwen  gefdjlachtet,  aber  auch  200  SBßlfe  Würben  in  ben 
Iefeten  fünf  SRonaten  beS  SaljreS  1384  gu  gleichem  Swecfe  ba» 
felbft  niebergema<ht.  ©er  Bßwenwüchter  ^ouwelsfen  begog 
1664  täglich  3®“  ©roten  (etwa  10  Pfennige)  ©efealt. 

©ie  Stabt  ämfterbam  hielt  ftd}  ebenfalls  Bßwen  unb  er» 
hielt  im  3«hre  1477  gwei  auS  Spanien,  1483  gwei  aus  Portugal 
ton  Äaufleuten  gum  ©efdjenf.  ©inige  3al)re  fpäter  terfchenfte 
ber  [Rath  fünf  ober  fccfeS  Bornen  an  bie  Stabt  BübecJ;  auch 
©ent  befafe  eine  Bßwenjammlung.  9lud)  ber  Papagei,  für 
beffen  SSerbreitung  in  ©uropa  bie  Steife  ton  SIlopS  ©aba  SRofto 
nach  bem  Senegal  unb  ©ambia  epochemadjenb  war,  war  gu 

(9JS) 


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16 


folgen  ©efttyenfen  beliebt.  1458  oetetyrte  ber  JRatty  boh  9iurn* 
tyerg  bem  ©rgbifdjof  Bon  ÜJiaing  einen  Papagei  unb  fanbte 
itym  benfelben  nacty  9lfttyaffenbutg.  Der  ©ittttty  war  um  25  fL 
Bon  9lnton  paumgartner  gefauft;  bie  Sergolbung  be8  §aufe8 
fam  auf  7 ©ulben;  ber  SBote,  bet  ben  Sogei  trug,  erhielt 
1 ©ulben;  bag  Stucty  um  ba8  Sogeltyaug  toftete  9 (Schilling 
4 geller;  ba8  §a§,  in  welttyeS  ba8  4)au8  gefteflt  würbe,  4 ©ttyil» 
ling  8 geller,  unb  ber  Sutyrlotyn  8 ©ttyifling  2 Jpeller , fo  ba§ 
bie  gange  ©enbung  auf  50  Pf.,  1 ©ctyiOing,  11  gellet  gu  fielen 
fam.  1460  Bereite  bet  9latty  aucty  ber  Äönigin  Bon  93  olj* 
men  einen  ©itticty,  ben  man  gleictyfatlg  um  25  fl.  Bon  9t.  Paum» 
gartner  faufte  unb  ber  mit  allem  3ubetyör  auf  65  Pf.,  1 ©ttyil- 
ing,  11  geller  gu  flehen  fam  (3-  ©.  14,  267). 

SBann  ber  ©leptyant  guerft  natty  Deutfctytanb  fam,  ift  notty 
nid^t  genügenö  aufgeflärt.  ©ewötynlitty  wirb  1551  al8  ba8  Satyr 
angegeben;  am  2.  Sanuat  biefeö  3atyte8  tyabe  bet  erfte  ©leptyant, 
ber  burcty  Deutfttylanb  gog,  in  einem  ©afttyofe  gu  33 tijren  (9Wg. 
3tg.  5.  Sug.  1875.  33.)  übemactytet,  welttyeg  notty  fetyt  „gum 
©leptyanten"  tyeityt  unb  in  bem  ber  ©leptyant  bilblitty  bargefteHt 
ift.  ©ang  ifolirt  finb  9t.  Bon  Ber8net’8  Angabe  in  feiner 
©tytonif  Bon  granffurt  (I,  429),  baty  1443  auf  ber  granffurter 
SJteffe  ein  ©leptyant  gegeigt  worben  fei  (3.  ©•  16,  467),  unb 
bie  be8  ©anonieug  ©ttyurg  (1572),  wonacty  bie8  1480  gefctyetyen 
fei.  53ereit8  1343  fommt  in  ©trafjburg,  1404  in  ^ranffurt  ein 
^au8  gum  ©leptyanten  Bor.  fRatty  gi^inger’8  (©ityunggberittyte 
ber  SSiener  Slfabemie  ber  SBiffenfctyaften  X,  311)  9lngaben,  mit 
welttyen  obige  nittyt  gang  ftimmen,  tyatte  ÜRajcimilian  II.  einen 
männlidjen  afiatifctyen  ©leptyanten,  ben  erften,  welttyer  lebenb  natty 
SDeutfitylanb  fam,  1551  au8  Spanien  mitgebrattyt,  im  SJlärg  1552 
fam  er  nacty  SBien,  wo  er  im  Baufe  beS  Ptonatg  9(ptil  ben  93e= 
wotynern  gut  ©ttyau  geftetlt  würbe.  Sei  bem  ©ingug,  welttyen 
SJiarimilian  am  7.  5Jiai  1552  al8  Äönig  Bon  Sotymen  in  SBien 

(9W) 


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17 


hielt,  foU  biefet  ©lehh“nt  mitgeführt  morben  fein,  ©t  rourbe 
bann  in  bie  Menagerie  gu  ©berSborf  aufgenommen. 

93on  ben  fürfilic^en  Menagerien  jener  Beit  ift  unS  ©enauereS 
befannt  übet  bie  faft  gleichgeitig  gegrünbeten  öfterretdjifchen 
unb  fächfifchen. 

9tach  Bifcinger  (SBiener  ©ihungSberichte  X,  300)  mürbe 
bie  ältefte  Menagerie  beS  faiferlidjen  $ofeS  gu  ©berSborf,  (füb= 
öftlid)  oon  SBien)  burch  Maximilian,  Äaifer  gerbinanb’S 1.  älteften 
6oljn,  ca.  1552  gegrünbet;  fie  mürbe  noch  oon  Äaifet  SRubolf  II. 
(1552 — 1612)  anfeJjnlid?  mit  fremben  gieren  bereichert,  jcheint 
aber  unter  ben  nadjfolgeuben  Regenten  miebet  eingegangen  gu 
fein.  3Die  gmeitältefte  Menagerie,  bie  gu  IReugebäu,  mürbe 
ebenfalls  oon  Maximilian  innerhalb  beS  oon  ihm  gmifcben  1564 
unb  1576  angelegten  üuftjchloffeS  gegrünbet.  Äaifer  {Rubolf  II., 
melcher  ben  33au  biefeS  ©djloffeS  1587  ocUenbete,  h°t  biefe 
Menagerie  burch  ben  '.Hnfauf  vieler  fremben  SE^iere  oermehrt, 
£eopolb  I.  erroeiterte  fie  abermals  unb  feilte  fie  in  gmei  3lb* 
theilungen:  bie  ber  milben  unb  bie  ber  ftieblichen  SE^iere.  Unter 
Seepolb  I.  hat  fi<h  hi”  aud)  baS  ©reignifc  gugettagen,  meines 
.burch  C5^amtffo’S  ©ebidjt:  „Die  fcömenbraut"  allgemein  befannt 
gemorben  ift.  2)aS  ©djlofj  tReugebäu  mürbe  1704  burch  bie 
ungarifcheit  jRebellen  oermüftet  unb  bie  Menagerie  vernichtet. 
Unter  Äarl  VI.  mürbe  fie  mieber  IjergefteUt  unb  1738  burch  bie 
Uörnen  auS  ber  Menagerie  beS  ^ringen  ©ugen  oermehrt,  melche 
ber  Äaifer  nach  bem  1736  erfolgten  SEobe  beffelben  angefauft 
hatte.  fReifsenbe  SEhiere  blieben  auch  noch  nach  ber  1752  erfolgten 
©rrichtung  bet  ©djönbrunner  Menagerie  gu  fReugebciu;  erft 
1781  mürbe  bie  lefjtere  aufgehoben.  (iBergeichnifj  ber  in  IReuge* 
bau  gehaltenen  SEhiete  bei  gi^inger  a.  a.  D.,  @.  317—319. 
25a8  @<hlo&  fReugebau  im  3«ftanb  oon  1649  abgebilbet  in 
M.  3eiller,  SEopogr.  Sluftr.)  2)ie  britte  Menagerie,  melche  ber 
öfterr.=faijerl.  £of  ber  Beitfolgc  nach  bejah,  war  bie  oorn  bringen 

XIV.  S3«.  2 (»37) 


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18 


(äugen  1716  im  ©eloebere  angelegte  ÜRenagerie.  SDie  in  bet« 
felben  gehaltenen  SLljicre  fint  non  ginget  (a.  a.  D.  322 — 334) 
auf  geführt;  hetoorguheben  ift  befonberö  ein  weifcföpfiger  ©eier 
(Gyps  fulva),  melier  fid?  fthon  um  ba8  3aht  1 706.  mithin  gehn 
Sahre  not  ©rrichtung  ber  (äugen’fdjcn  ttRenagerie,  im  ©eloebere 
befanb,  unb  !urg  oor  1824  ftarb,  nad)bem  er  117  3ahre  in  ber 
©efangenfdjaft  gelebt  hotte.  £>ie  S<hidfale  biefer  SRenagerie 
nad?  bem  1736  erfolgten  üobe  be8  ^ringen  (äugen  finb  fd)on 
oben  erwähnt  worben. 

SBeuiget  oollftänbig  ftnb  bie  *Ra<hri«hten  über  bie  furfürfUid}« 
fä<hfif<hen  unb  föuigli(h»polnifchen  SRenagerien  in  JDteSben, 
weldie  idj  nach  ^afche’ö  bipIomatifd)er  ©efdjidjte  oon  3)re8ben 
(1817)  w 3-  ©•  19/  244  gufammengeftettt  habe,  jfurfürft  Slugufit  I. 
(reg.  1553 — 1586),  ber  fo  oiele  Sammlungen  in  25re8ben  ftif* 
tete,  hot  au<h  gu  biefer  ben  ©runb  gelegt.  1554,  alfo  ein  Saht 
na<h  feinem  ^Regierungsantritt  unb  gwei  3ahre,  nadjbem  Äaifer 
SRaj:  II.  bie  SRenagerie  gu  ©beröborf  bei  SBien  gegrünbet,  befahl 
Sluguft,  baö  fdjon  oon  feinem  ©ruber  SRorijj  angeorbnete  2hot= 
hau?  ber  ©rücfe  gu  befdjleunigen  unb  eine  Söwengtube  bann  gu 
erbauen.  1558  war  auf  bem  Stblofchof  ein  Äampf  jagen,  grg 
weldhem  man  auch  bie  86wen  oon  bet  (älbbrücfe  holen  liefe;  1612 
würbe  ein  neues  üöwenhauS  am  Stall  (am  üReumarft,  wo  bi8 
gut  ©rbauung  be8  neuen  ©aleriegebäubeS  bie  ©emälbegaletie 
unb  baö  hiftorifdhe  SRufeum  fid>  befanben)  erbaut  unb  bie  ©rüden* 
löwen  barein  gebraut.  SDieö  8öwenhau8  war  oom  Sdjlo&fetter 
au8  gugänglith-  2lu8  bem  ©critfet  be8  ©nglänberS  Dr.  med. 
©bwarb  ©rown  über  feine  1668 — 1673  butch  fRiebetlanb, 
SDeutfdjlanb,  ^»Ungarn  :c.  :c.  gemalte  Steife  (fRürnbetg  1686, 
S.  286)  etfehen  wir,  baf?  unter  bem  Äurfürften  3ohoun  ©eorg  II. 
(reg.  1656—1680)  neben  ber  im  ©omplej:  beö  5RefibengfchIoffe8 
auf  bem  linfen  (älbufer  gelegenen  göroengrube  fi(h  auf  bem  reihten 
Ufer  noch  eine  gweite  ttRenagerie  im  jogenannten  SagbhauS  be* 
(»»») 


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19 


fanb,  Tod  Säten,  Söölfe,  güchfe  k.  gehalten  würben.  Unter  bem 
Äurfürften  Stuguft  II.  (als  £önig  Bon  $olen  9toguft  I.)  »utben 
am  27.  Dct.  1722  bie  @d)lofi*  ober  @tatl*Böwen  nach  ÜReuftabt 
in  ba§  ooüenbete  SägerhauS  gebracht.  S)ie  je&t  hier  Bereinigte 
ÜRenagerie  3U  nerme^ren,  fanbte  ber  j?önig*Äurfürft  1731  unter 
ber  Leitung  be$  $rof.  Dr.  med.  3ohann  Graft  ^ebenftreit 
(1703—1757)  eine  wiffenfchaftliche  Grpebition  nach  Sftica,  über 
reelle  $u  Betgleichen  ift:  Gine  fächfifdje  Gjrpebition  nach  SSfrica 
1731  ff.,  tom  SRinifterialrath  Dr.  Äarl  Bon  SB e ber,  SDirector 
beö  ^auptftaatSarchineS,  im  9trdjiB  für  bie  fächf.  @ej<hichte  1865, 
III.  1—50.  .£>ebenftreit§  Serichte  finb  abgebrucft  in  3oh- Ser* 
noulli’8  Sammlung  furjer  [Reifebefchreibungen,  Serlin  1783, 
Sanb  9—12,  wonach  ich  a.  a.  £).  eine  furze  Ueberficht  gegeben  habe. 

Ueber  bie  9Jienagetien,  reelle  bie  fyeffifdjen  Banbgrafen  in 
ber  91  ue  bei  Gaffet  unb  auf  bem  Äatlöberg  (2Bei§enfteiü, 
hinter  bem  heutigen  Dctogorr  übet  3Bilhetm8höhe)  unterhielten, 
habe  ich  SRittheilungen  au8  bem  Gnbe  beb  fiebjehnten  unb  9ln= 
fang  beö  achtzehnten  3ahr^un^ctI®  (3-  3-  SBinfelmann,  Sefchrei* 
bung  Bon  Reffen  1697.  3-  &■  16,  73.  3ach.  Uffenbach; 

[Reifen  1753.  3-  @.  12,  252)  gemacht,  »eiche  in  bie  [Regie* 
rungfljeit  beS  Banbgrafen  Äarl  (reg.  1673 — 1730)  falten.  * 

SDie  [Rachrichten  be§  [Ritters  Solanb  über  bie  ÜRenagerie 
bei  ^otSbam  anS  bem  Saht  1702  hat  @.  griebel  (3.  ©.  16, 
434)  mitgetheilt. 

[Racb  ben  SRadjrichten,  welche  baS  Söerf:  London  and-  its 
environs  (Bonbon  1761.  6,  156)  Bon  ber  alten  ÜRenagerie  im 
So  wer  giebt,  war  barnalS  bie  Böwenfammlung  befonberS  reich, 
boch  gab  eS  auch  £iger,  2eoparben,  Chanen,  9tffen,  unb  unter  ben 
Sogein  einen  ©olbabler,  »eichet  bereits  90  §al)re  in  ber  @e* 
fangenfdjaft  lebte. 

SDer  3eitfoIge  nad)  haben  wir  jejjt  bie  Bierte  unb  zugleich 
auch  jüngfle  ÜRenagerie  beS  öfterreichi!<h*faiferli(hen  $ofe$  zu 

2*.  (939) 


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20 


Schßnbrunn  gu  ermähnen  (§i^iu g er,  a.  a.  £).,  S.  334).  Sie 
würbe  1752  burcf)  Äaifer  grang  L uub  Äaifetin  SRatia  £herefia 
in  bern  weftlichen  Streit  beä  Schlo  § gartenb  nach  bem  CDRufter  ber 
SJtenagerie  beS  bringen  @ugen  uon  Sauopen  butdj  ben  auö 
$otIanb  berufenen  £of  gär  tuet  Stbrian  oan  ©tecfbonen  angelegt. 
Stoch  in  bemfelben  3al)re  würben  fämmtlidje  in  ber  faif.  SRena» 
gerie  im  Seluebere  befinblich  gemefenen  $b*ere  unb  bi«  wenig01 
frieblidjett  ^tete,  welche  fich  in  ber  faiferlichen  SRenagerie  gu 
Steugebäu  befanben,  ba^in  gebraut  unb  eine  Slngabl  mitunter 
feht  feltener  Siliere  in  ©ngtanb  unb  $oQanb  angefauft.  3nt 
Auftrag  be8  Äaiferö  machte  Sticolauö  3acquin  con  1754—59 
eine  Steife  nach  SßeftinDien  unb  Sübamerifa,  um  ^flangen  für 
ben  botanifchen  ©arten  uub  SEtjiere  für  bie  SRenagerie  gu  fam= 
mein.  2)a§  fatferlidje  ^aat  nahm  folcheä  3ntereffe  an  feiner 
SRenagerie,  bafc  e8  fich  1759  — 60  in  beten  SRittelpunft  einen 
achtecfigen  Saal  erbauen  lief},  au8  beffen  ^üren  unb  genftern 
man  bie  Spiere  beobachten  fonnte.  ^>ier  pflegten  ber  Äaifet  unb 
bie  Äaiferin  währenb  ber  Somm  etsStefibeng  in  Schßnbtunn  bie 
SRorgenftunben  gugubtingen.  3n  bem  Saal  felbft  waren  öiele 
ber  felteaften  J^iere  au  bie  SBinbe  gemalt. 

j Stad}  bem  Stegierungäantrit  t Äaifer  3ofep^e  II.  1781  würbe 
bie  [faif.  SRenagerie  gu  St  eugebäu  gänglid}  aufgegeben  unb  bie 
bafelbft  -nod)  befrablidjen  teiftenbeu } Stetere  nach  ©cfwnbrunn  ge» 
bracht.  äud}  Äaifer  3oieph  1 ueranftaltete  gwei  wiffenfchaftliche 
Steifen  gut  Hebung  feiner  j SRenagerie;  bie  erfte,  1783—1785, 
nach  Storbamerifa  unb  jDjttnbien,  bie  groeite'  1787—1788,  nach 
Sübaftifa,  33le  De  fcaace  uaö  Sourbon.  3n  ben  folgenben 
3ahren  würbe  unter  Äaifer j gran  g II.  bie  SRenagerie  uon  Sehen» 
bruan  gwar  umgebaut,  auch  bu*<h  Slnfauf  uon  h^umgiehenben 
SRenagetien  (1799,  1824  unb  1826)  unb  burch  einen  £i}eil  bet 
uon  ber  öfterreichifchenjSjrpebition  nach  Srafilien  unter  SRifan, 
Statterer,  ^>o^l  unb  Sdjott  1819—21  ^eimgebrac^ten  Statur» 

(340)  . 


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21 


fdjäfce  bereichert,  im  ©an^en  !am  fie  aber  bod)  ^etab  butd)  bie 
ÄriegSereigniffe,  befonberS  feit  1809,  unb  burd)  bie  iäbgweigung 
äweier  Snftitute,  Bon  benen  fogleid)  bie  {Rebe  fein  wirb.  ©in 
SHdjtblid  in  bet  ©efdjidjte  bet  Schönbrunner  SJlenagerie  war 
1828  bie  Slnfunft  bet  ©iraff  e,  welche  DJtehemet  Slli  bem  SBienet 
-£jof  3um  ©efchenf  gemacht  hatte-  3Ran  wie  bie  im  3al)t 
3UBor  nach  fPariS  geriefte  ©iraffe  eine  Umwälzung  in  ber  SJlobe 
bernorgebracpt  hatte,  ivie  e8  ©iraffeftifuren,  «Äämme,  *9>iano« 
ferte’8  n.  f.  w.  gab.  Sehnliches  Sluffe^en  mu§  bie  ©iraffe  in 
SBien  Beranlafjt  haben,  ba  e8  übet  fie  eine  ganje,  Bon  ginget 
(a.  a.  £>.,  S.  309)  Berjeichnete  Stteratur  gab.  Seiber  fiarb  bie 
©iraffe  fdjon  im  fotgenben  3a^re  an  Änodjenftafe  am  ©eien!« 
fopf  beiber  ^interfdjenfel,  nacpbem  fie  10  5Ronate  unb  13  Jage 
in  ber  SRenagerie  gehalten  worben  war.  Die  beiben  abgeneigten 
3nftitute,  oon  welken  oben  bie  Diebe  war,  waren:  a)  bie  3Re» 
nagetie  im  f.  f.  ^ofnaturalien*  ©abinet,  gegrünbet  1800  jum 
3wecf  ber  ^Beobachtung  fleinerer,  meift  inlänbifdjet  J^iere,  welche 
in  folge  be8  33ombarbement8  Bon  SBien  am  31.  £>ct.  1848  burch 
SSranb  nernidjtet  würbe,  unb  b)  bie  SRenagerie  im  !.  f.  Hofburg« 
garten  gu  SBien,  1805  errietet,  1835  aufgehoben.  Den  SSeftanb 
beiber  Sammlungen  hat  fifjinget  (a.  a.  £>.,  S.  628 — 667  unb 
S.  669  -708)  Bezeichnet. 

Unter  Äaifer  ferbinanb  L würbe  bie  Schönbrunner  2Re« 
nagetie  burd)  Umbauten  unb  burch  Snfäufe  au8  f|>riBat=9Renage* 
rien  (1837,  1846)  erweitert  unb  wiffenfdjaftlich  nujjbar  gemacht 
burch*  Snljeftung  Bon  Jafeln  mit  bem  wiffenfchaftlicpen  CRamen 
unb  bem  SSaterlanb  bet  Jh^e. 

©benfo  würbe  bie  Snftalt  unter  jtaifer  franj  3ofcph  Bet’ 
beffert  burch  -^erftellung  einet  Dieihe  Bon  (Ställen  für  Sumpf* 
Bögel  ber  wärmeren  3one  unb  burch  ©tbauung  zweier  Schlangen« 
Ijäufer.  Den  Stanb  ber  DRenagerie  bi8  jum  3ahre  1853  hat 
fifcinger  (a.  a.  £>.,  S.  344—403)  in  wiffenf<haftli<her  SBeife 

(Wl) 


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22 


bargeftellt;  gasreiche  Rotigen  übet  bie  jäteten  ©reigniffe  pnben 
fid?  in  bet  3eitfcprift:  ©et  goologifdje  ©arten.  Rachrichten  non 
Sifcinger  übet  bie  ^Bereicherungen  burd)  St^eobor  oonJpeuglin 
nnb  bie  Rocaraerpebition  finben  Pd)  in  ben  ©ifeungöberidjten 
1855,  58b.  17,  6.  242  nnb  1861,  23b.  42,  ©.  382. 


SBir  haben  au8  bem  ©ingangS  biefeö  23ortrage8-  angeführten 
©runbe  (©.  4)  ben  Jardin  des  plantes  in  9>ari8  nicht  in  bet  hifto* 
rifchen  Reihenfolge  aufgefühvt  nnb  geben  hier  feine  ©eidjichte  im 
3ufaramenhang.  ©ie  beiben  ßeibärgte  ßubwig’fl  XIII,  £4rouarb 
unb  @up  be  la  53rojje  würben  oon  bem  Äönig  ermächtigt,  in 
feinem  Ramen  ein  £au8  unb  24  fRorgen  ganbeS  in  bet  5Bor» 
ftabt  @t.  SSictor  gu  taufen,  um  einen  botauifchen  ©arten  für 
ÜRebicinalgewächfe  anlegen  gu  tonnen.  ©a8  ©bict  mit  ben  spet* 
fonalernennungen  erfolgte  am  15.  Rtai  1635.  Rach  mancherlei 
©dpcffalen  bet  Slnftalt  erwarb  fich  ©harleö  gtanpoiö  ©ufap 
(geh.  1698,  feit  1732  Sntenbant  be8  Jardin  des  plantes,  geft. 
1739),  aud)  auf  bem  ©ebiet  ber  Raturtunbe  gebilbet,  unter 
gubwig  XV.  baS  33erbienft,  bie  Suftalt  neu  gu  beleben;  et  fdjenfte 
bet  Snftalt  auch  feine  eigenen  Sammlungen,  unb  oetanlapte, 
bafj  ©raf  23uffou  fein  Rachfolget  in  beten  Leitung  würbe.  3n 
biefer  3eit  entfaltete  ber  Jardin  des  plantes  feine  fdjönfte  23lüthe; 
Sßuffon  mit  ©aubenton  unb  S3ernarb  be  3ufpeu,  benen  ftch  fpätet 
Sntoine  gaurent  be  3ufpeu,  Rouelle,  ftoutctop,  ßacoiper,  5Bin8» 
low,  portal  :c.  jc.  anfchloffen,  malten  ihn  biö  gut  frangopfcben 
Reoolution  gut  erften  wiffenfchaftlichen  Snpalt  ber  2öelt. 4 Sm 
33orabenb  ber  Reoolution  ftarb  SBuffon  (f  16.  Sprit  1788.) 
©urdj  33efcblu§  ber  conftituirenben  SBerfammlung  würbe  1790 
bet  Jardin  des  plantes  au«  ber  ÜBetwaltung  beä  ÄonigÖ  auf  bie 
©taatStaPe  übernommen,  unb  burch  ©onoentöbefchlup  com 
23.  3nni  1792  baö  ÜJtufeum  ber  Raturgefdjicbte  unb  bie  23iblio» 
thef  gegtünbet,  welche  fdjon  am  7.  ©eptember  1794  eröffnet 

(942) 


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23 


werben  tonnten.  Auf  ©rögoire’8  Bericht  würben  jährlich 
150  000  grancg  gut  Unterhaltung  ber  Anftalt  bewilligt,  ©leid)« 
geitig  würbe  bie  oon  Bubraig  XIV.  gegrünbete,  non  feinen  2Rad)= 
folgern  oermehrte  föniglidje  ÜJlenagerie  oon  Berfaitleg  h*erhet 
übergefiebelt.  ©chon  feit  1792  hotte  eö  fid)  barum  gehanbelt, 
ber  bur<h  Slbfdjaffung  be8  ÄönigthumS  (21.  ©ept.  1792)  hercen« 
Io$  geworbenen  Betfaifler  SJtenagerie  burdh  ben  Arcbiteften  9Dlo= 
linoö  eine  neue  Unterfunft  gu  fchaffen.  @8  war  ba8  Berbienft 
oon  Betnarbin  be  ©t.  ^ierre,  bafc  bie  S^htere  erhalten  unb  in 
ben  Jardin  des  plantes  oerpflangt  würben,  wo  fte  balb  fo  popu» 
lär  würben,  baf;  bie  ©ammlung  burdj  ©efchenfe  fi<h  rafth  oer« 
mehrte.  1797  würbe  ©affal  nach  Afrifa  gefehlt,  um  f“r 
bie  Anftalt  gu  erwerben.  Unter  bem  ©onjulat  erreichte  bie  reot= 
ganifirte  Anftalt  tafch  ihre  gweite  Blüthe.  ©in  fo  bebeutenber 
©elehrter  wie  ©haptal  förberte  al8  UJtinifter  bie  innere  wie  äufjete 
£hötigfeit  beö  Jardin  des  plantes,  beren  ewiges  35eu!mal  bie 
Annales  (20  Quartbänbe,  1802 — 13)  unb  Memoires  (20  Quart» 
bänbe,  1815—30),  Nouv.  annales  (14  Quartbänbe,  1832—35) 
unb  Archives  (10  Quartbänbe,  1840  — 58)  du  Museum 
d’histoire  naturelle  geworben  finb. 

Auch  tag  gro§e  ffierf  oon  ©uoier:  Histoire  naturelle  des 
mammiferes  oetbanft  feine  ©ntftehung  wefentlich  ber  SJlenagerie. 
1802  würbe  bet  ©arten  bebeutenb  nach  ©übmeften  erweitert  unb 
ba§  ©chweigerthal  (valide  suisse)  angelegt. 

Allmählich  würbe  auch  ber  ftinangnoth  ber  Anftalt  gefteuerf. 
©.  ©uoier,  welcher  feit  1795  bem  Jardin  des  plantes  a!8 
Behrer  ber  oergleichenben  Anatomie  angehörte,  hotte  noch  im 
3ahr  1800  an  %>rof-  Hermann  in  ©trafcburg  gefchrieben,  ba§ 
bie  Beamten  am  Jardin  des  plantes  gwölf  SDtonate  rücfftänbigen 
©ehalt  gu  forbern  hotten.  (G.  L.  Duvernoy,  notice  hi- 
storique  sur  les  ouvrages  et  la  vie  de  M.  G.  Cuvier.  Paris 
1833.  ©.  130.)  ©uoierö  Borlefungen  trugen  gang  befonberS  bagu 

(94JJ 


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24 


bei,  ben  Siubm  bet  änftalt  gu  beben.  2>u»ernop  (a.  a.  £).,  S.  73) 
fagt:  „(Seine  SBotlefungen  über  öergleidjenbe  Anatomie  gogen  in 
einem  grofcen  .fjörfaal  eine  überaus  gasreiche  Bu^oretf^aft  an. 
2We  mären  gefeffelt  burcb  bie  fiare  ^Darlegung  ber  ©efetje  ber  Or* 
ganifation,  welche  er  mit  moblflingenber,  allgemein  »erftdnblicher 
Stimme  machte.  Sein  einfacher,  beutlicher  JBortrag  war  et= 
läutert  buvch  Präparate  auS  bem  fölufeum  bet  »ergleichenben 
Unatomie  unb  bnrch  Sfiggen,  welche  er  mit  ber  gre§ten  Sicher* 
beit  unb  ©efchicflichfeit  geichnete,  ohne  feinen  freien  33ortrag  gu 
unterbrechen." 

3BaS  bie  Literatur  bet  Sftenagerie  betrifft,  fo  erfchien  1861 
baS  fPracbtmerf  in  ©rofjfolio  [mit  fchwargen  unb  colorirten 
Äupfern:  La  m4nagerie  du  musöe  national  d'histoire  naturelle 
etc.  par  les  citoyens  Lacepede  et  Cuvier.  Avec  des  figures 
peintes  d’apres  nalure  par  le  cit»  Mardchal  et  grav^es  par  le 
cit.  Miger.  (»ergl.  Duvemoy,  a.  a.  D.  S.  159.)  (ES  ba* 
eine  lefenSwertbe  biftorifche  (Einleitung  »on  Lacdp&de,  in  welker 
bie  5Jienagctien  nach  ihrem  BtüedC  iu  »ier  Älaffen  eingetbeilt 
finb,  unb  ift  befonberS  wichtig  baburch,  bajj  non  »ielen  Spieren 
bie  erften  getreuen  (Hbbilbungen  nach  bem  lebenben  ©remplar 
gegeben  finb.  1817  erfcbien  eine  neue  (ÄuSgabe  ba»on  in  gwei 
JDftaobänben,  welche  mit  58  Äupfertafeln  »erfeben  unb  auf  ben 
Stanb  »on  1817  ergdngt  ift.  25en  Stanb  non  1821  gibt 
3.  <£>•  99t  oller  in  feinem  Suche:  ^ariS  unb  feine  Seroobner. 
(©otl)a  1823  S.  210—216.)  Sebeutenben  ButtathS  erhielt  bie 
SOicnagetie  burch  fUiebemet  9lli,  ^>afd?a  »on  'tlegppten.  (Sr  fanbte 
einen  afrifanifcben  (Slepbanten,  arabifdje  $)ferbe,  Antilopen  ac 
unb  enblicb  eine  »om  Statthalter  »on  Senaat  eingefanbte  ©iraffe, 
welche,  jung  gefangen,  »on  ben  Arabern  jener  ©egenb  mit 
Äameelmilch  aufgegogen  worben  war.  fftad)  einem  breimonatlichen 
Stufentbalt  in  Äairo  würbe  fie  auf  ben  9ftil  nach  Stlepanbrien 
gebracht  unb  in  Segleitung  »on  brei  gu  ihrer  (Ernährung  be* 

(9*4) 


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25 


fiimmten  Äiifyen  nad)  SDRarfeille  Berfdjijft,  wo  fte  am  14  9lo» 
Bember  1826  lanbete.  Sie  mar  bie  erftc  ©iraffe,  mel$e  je  ben 
frangefiidjen  ©oben  betreten  t)atte;  ein  groeiteS,  Born  $)afd)a  bem 
.König  Bon  ©nglanb  3um  ©efdjenf  beftimmteö  ©remplar,  ftarb 
auf  ber  Steife  in  SOtalta. 

!Die  frangöftfcbe  ©iraffe  mar  bamalö  22  üllonate  alt;  fte 
mürbe  in  SRarfeifle  überrointcrt  unb  »erlief  bie  Stabt  am 
20  SDtai  1827  3U  $ujr,  am  5 3uni  traf  fte  in  89 on  ein  unb 
mürbe  bann  in  fieinen  £agereijen  nad)  §)nri8  tranSportirt. 

2Da8  grcfje  2luffeljen,  meldjeö  bieS  Stiper  erregte,  gab  ft<^ 
hmb  in  einer  SDtenge  Bon  miffenfdjaftlidjen  Slbljanblmtgen,  reelle 
jefjt  in  frangöfifdjen  3«tfd)riften  erfdjienen. 

SBir  ermähnen  Bon  bieten : im  elften  ©anb  ber  Annales  des 
Sciences  naturelles  (1827)  bie  Arbeiten  non  Geoffroy  .Saint- 
Hilaire  unb  Mongez,  in  Memoires  du  museum  d’hist.  nat.  XIY. 
bie  ©eobacfytungen  non  Salge  imäljrenb.  ifyreS  Aufenthaltes  in 
SJiarfeille,  enblid)  bie  auf  ein  anbereS,  1844  in  Souloufe  uer* 
ftorbeneS  ©remplar  begiigliche  fcfyr  umfaffcnbe  unb  aud)  Ijifiorifd} 
mistige  Abljanblung  Bon  3dp  unb  SaBocat  in  ben  M<Sm.  de 
la  soc.  d’hist.  naturelle  de  Strasb.  III.  (groriep’8  Stetigen 
9tr.  599.  Auguft  1830.)  ©in  gmeiteS  nad)  8onbott  beftimmteS 
©rcniplar  traf  im  Auguft  1827,  anbcrtljalb  3aljre  alt,  fcafelbft 
ein,  Bcrenbete  aber  fdjon  im  Dftobcr  1829  ebenfalls  an  ©elenf* 
franfljeit  maljrfcf)  ein  lief),  meil  e8  in  Afrifa  aur  mcite  Strecfen 
gelnebelt  auf  bem  JRitrfen  Bon  Äameelen  tranöportirt  morben  mar. 

2)en  Stanb  be8  Jardin  des  plantes  Bon  1849  gibt  baö 
Söerf  mon  ©SquireS  unb  Söetl.:  SDer  Jardin  des  plantes 
unb  feine  Sammlungen.  (Stuttgart  1849),  ben  Bon  1861  ein 
9teifeberid)t  boh  Dr.  Söeinlanb  (3.  ©.  3,  21.).3 

3n  ber  neueften  Seit  (3*  ©■  19,220)  hat  unter  ber  guten 
pflege  be8  £errn  ^)uet,  früher  Unterbireftor  be8  goologifc^en 
©artenS  in  ©ruffei,  jetjt  Snfpeftor  beö  Jardin  des  plantes,  biefl 

(9*5) 


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26 


3nftitut  ein  gang  anbereS  Slnfefyen  befommen.  2)ie  ©ehege  unb 
Ääftge  finb  hübfdj  unb  reinlich,  bie  Siliere  {eben  gut  au8  unb 
bte  natürlichen  golgen  finb,  bafe  man  bort  auch  juchtet. 

5)er  erftejoologifche  ©arten  im  eigentlichen  ©inne 
be8  2Borte8,  unb  gmar  ber  erfte  in  ©nglanb  nicht  nur,  fonbern 
in  ©uropa  überhaupt,  mar  ber  beö  Earl  of  Derby  in  j?nom8* 
lep,  bie  fogenannte  Knowsley  Menagerie  (3.  ©.  3,  71).  lieber 
biefelbe  erfchien  ba8  nur  gut  Sßert^eilung , uid^t  für  beit  23uch» 
hanbel  beftimmtc  $)rachtmetf  itt  ©rofcfolio:  Gleanings  from  the 
Menagerie  and  aviary  at  Knowsley  Hall.  Hooped  quadrupeds. 
ÄnomSlep  1830  mit  59  gemalten  ober  in  garben  gebrudten 
tafeln,  gegeidmet  unb  lithogtaphiri  »on  58.  £arofin8,  unb  Uloten 
non  8otb  SDerbp,  herausgegeben  »on  3ohn  6bmarb  ©re».  2118 
biefe  ÜJlenagerie  beim  Sobe  be8  Earl  of  Derby  aufgelöft  mürbe, 
bilbete  fie  ben  ©runbftocf  be8  Regentspark.  — 3m  3ahre  1825 
bilbcte  fich  bie  Zoological  Society  auf  'Anregung  be8  bamaligen 
9>räfibenten  ber  Royal  Society,  be8  $>hpfifer8  ©ir  £umphrep 
4Daop(fl829)  unb  be8.@eographen@ir©tamfotbiRaffle8  (fl826). 

3n  bem  Aufrufe,  ben  biefe  berühmten  9laturforjd)er  bamal8 
an  ba8  brittifche  $)ublifum  erliefen,  finben  mir  gmei  fünfte  al8 
bie  mähren  3*»ecfe  ber  ©efeDfchaft  heroorgehoben:  nämlich  1., 
Stiftung  etne8  umfaffenben  Ü)hifeum8  für  auSgeftopfte  Stetere, 
unb  2.,  bie  33egrünbung  ber  großen  ftehenben  ÜJlenagerte, 
in  melcher  man  befonberS  folche  frembe  ©äugethiere,  33ögel  unb 
gij<he  holten follte,  melcpe  mßglicpermeife  gegähmt  merben 
fonnten. 

2)ie  3bee  fanb  2lnflang;  fchon  1829  begabten  allein 
bie  UJlitglieber  ber  ©cfeflfchaft  an  Beiträgen  bie  Summe  oon 
1650  £.  9Jlan  miethete  ein  gro§e8  ©tücf  £anb  in  bem  Regent’s 
Park  unb  brachte  unter  bem  9lamen  Zoological  Gardens  bie 
Menagerie  im  greien  unb  in  Käufern  unter,  $ier  alfo  finben 
mir  gum  eiftenmal  ben  Flamen  „ 3oologi}chet  ©arten“.  5Rit 

<M6J 


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27  , 

[Recht  fagt  @.  2:.  Sennett  in  Der  Sorrebe  gu  beni  SBerfe:  The 
gardens  and  menagerie  of  the  zoolog.  soc.  delineated  (2  Sänbe, 
gonbon  1830):  „3)ie  ©rricbtung  ber  goologifdjen  ©cfeQfdjaft 
bilbet  einen  3lbfdjnitt  in  bet  ©efchicbte  bet  SBiffenfcßaften  in 
©nglanb."  1838  mar  bet  ©arten  jdjon  non  übet  1000  oerfcbiebenen 
2lrten  »on  ©äuqethieren  unb  Sögeln  beoölfert;  bie  ©efellfdjaft 
jaulte  3011  SRitglieber,  beten  jeteS  einen  3al)fe8beitag  non  3 £ - 
unb  ein  ©intrittSgelb  non  5 i‘  be^aljlte.  9tid)tabonnenten  be* 
galten  1 Sh.  füt  ben  Sefucb;  auS  Dtefer  Quelle  gingen  6000  £ 
ein.  2)ie  ©efammteinnahme  betrug  bamalS  icbon  15  000  £ unb 
hat  ficb  jeßt  itodj  bebeutenb  oetme^rt.  ©eit  1849  würben 
auch  [Reptilien  aufgenommen,  bencn  jcßt  ein  großes  ,£>auS  ge* 
wibmet  ift,  unb  feit  1852  würben  bie  ©üß*  unb  ©eewaffet* 
aquarien  in  großartigerem  BRaßftabe  im  ©arten  angeführt. 

(B-  ©•  3,  71.)  Ueber  bie  fcortfdjritte  erfdjeint  in  Bwifdjenrdumen 
ein  93erid>t  in  $orm  eineö  Katalogs  ber  hier  gehaltenen  2b>ere, 
ber  leßte  1879  im  Umfang  von  faft  600  ©eiten. 

2Bit  früher  fd)on  (©.  13)  ber  2h*«bPeile  tn  ben 

[Rieberlanben  wdhtenb  beS  14.  unb  15.  3ahrb»”bertß  gebaut 
(3-  ©•  5,.  368).  Sei  biefer  [Richtung  beS  SolfScharafterS-  war 
eS  teidjt,  burd)  bie  lebhafte  Schiffahrt  aus  ben  ^oQänbtfd^eu 
Kolonien  in  Iflfien,  Ulfrifa  unb  Slmetifa  Stbie«  ^eT^ci^ufc^affen. 
IDiefer  ©elegenheit  haben  wir  eS  uieBe'icbt  gu  oevbanfen,  wenn 
bie  ©aoerp  (f  1639),  Sreugel  u.  f.  w.  SDarfieüungen,  wie  bie  beS 
^arabiefeS,  PeS  DrpßeuS,  mit  2-hieten  auSftatteten,  welche  ebenfo 
uaturtreu  behanbelt  finb,  wie  bie  gleidjgeitigen  3taliener  biefelbeu 
fdhematifth  behanbelten.  ©in  [RhinoceroS,  baS  3000  ^)funb  wog, 
fam  1741  auS  Sengalen  nach  2lmfterbam. 

SSäffrenb  beS  17.  SabthunbertS  beftanb  in  Qlmfterbam  als 
beliebte  SolfSbeluftigung  bie  Verberge  „gum  blauen  3an"  mit 
einet  anfehnlichen  fDienagetie.  ©ie  ging  1784  ein. 

3m  ©djloffe  8oo  beim  #aag  befaß  ber  ©rbftatthalter 

(M7) 


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28 


SRaturalienfammlungen  uttb  ÜRenagetien.  5)et  SDireftor  betbet, 
Slrn.  Voebmar,  gab  »on  1766  — 1784  in  ^oUänbijcber  Sprache 
31  Vefchreibungen  metfmürbiger,  aub  ben  .Kolonien  hierher» 
gebrachter  2btere  beraub  unb  begleitete  fte  mit  Slbbilbungen.  Von 
JRenfner  inb  granjöfifcpe  überfe^t,  erschienen  biefclben  311  2(mfter* 
bam  gejammelt  »on  1767  —1787  unb  bann  nod)  einmal 
* hoDänbifch  1804.  SRad?  bet  Vertreibung  beb  Srbftatthalterb 
burch  bie  franjöfifc^c  Snoafion  (3anuar  1795)  mürben  1797  bie 
in  2oo  nod?  übrigen  Sll)iere  nach  9>atib  gebraut  unb  bem 
Jardin  des  Plantes  einoevleibt. 

(3-  2.  8. 4P  o u e I,  Histoire  des  deux  Ophaus.  Fol. 

9>arib  1803  ©.  22). 

SRut  breije^rt  URonate  bauerte  bie  9Renagerie,  meldje  .König 
8ubmig  aub  bem  £aufe  Vonaparte  1809  unter  ber  flufftcht  oon 
Vrolif  bem  älteren  unb  SReinmarbt  errichtete;  nach  ®uflöfung 
beb  Äönigreichb  ,§oIIanb  mürbe  pe  am  17  3uli  1810  oerfteigert 
3manjtg  3at)re  nach  SSieberherfteöung  beb  Äcnigreichb  unter 
bem  ,£aufe  Dranien  1835  regte  ber  Vuchhanbler  ®.  g.  SBefter* 
mann  bei  ber  Regierung  bie  Errichtung  eineb  goologifchen  ©artenb 
in  Shnfterbam  an  nach  bem  OTufter  beb  gonboner,  gunächft  ohne 
Erfolg;  erft,  nacbbem  1838  fich  bie  ©efeUfchaft  Natura  artis 
magistra  gebilbet  hatte  (meldje  feit  1852  ben  Vamcn  „.König» 
licpe  3Dologifd)e  ©efellfchaft"  fül)rt  unb  feit  1847  eine  miffen« 
fchaftliche  3eitfcptift:  „Verträge  3ur  Ühierfunbe"  beraub* 
gibt)  fonnte  ein  ©runbftücf  erroorben  unb  ber  ©arten  eröffnet 
merbbn.  1840  mürbe  bie  berühmte  can  2lfen’fche  5Renagerie 
angefauft  unb  1841  SBeftermann  gum  ©ireftor  gemählt. 

©eitbern  ift  biefer  erfte  goologifche  ©arten  beb  Eontinentb 
in  beftänbigem  ©ebenen  unb  gortfepreiten  geblieben. 

. Ehe  mir  jur  Vetracbtung  beb  erften  goologifchen  ©artenb 
in  3Deutfd)lanb  übergehen,  haben  «ir  noch  bet  ephemeren 
Stuttgarter  SRenagerie  3U  ermähnen,  beren  Entftehen  erft 

CM8) 


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29 


in’8  neunzehnte  3al)rbunbert  faßt.  (3  ®.  16,  96.)  5Det  erfte 
Äönig  ocn  äöürttemberg,  Btiebricb,  befahl  1812  ein  feniglicbeö 
ganbgut  mit  8uftbau8  in  bem  foqenannten  ©tßcfacb  jwifcben 
(Stuttgart  unb  S3erg , wo  idjon  früher  Siliere  gehalten  werben 
waren,  ju  einer  Menagerie  einjuridjten.  3)ie  ©ebäube  waren 
1814  Bcßenbet.  35ie  fDienagerie  enthielt  54  äffen,  3 ©lepbanten, 
einen  $apir,  einen  üeoparben,  5 33ären,  eine  9iilgau  = äntilope, 
5 Ä'ameele,  ein  8ama,  ein  3$icenja,  8 3«bu8,  6 93üffel,  2 Duagga, 
2 Söiber , 3 Äangurul),  2 (Mrtelttjiere,  @eper,  äbler>  ©trauten, 
40  Papageien  :c.  jc.  äm  30  JCftober  1816  ftarb  Äßnig  griebricb, 
unb  gleich  nadj^er  befahl  fein  ©ol)n  unb  fliacbfolger,  Äönig 
SBilbeim,  wohl  unter  bem  ©inbrucT  ber  in  geige  be$  SJlifj» 
waebfeä  im  8anbe  berrfebenben  9iotb,  ben  33etfauf  ber  Menagerie 
welcher  im  9leeember  1816  begann  unb  ©nbe  1818  Bcßenbet 
war.  ©in$elne  Jljiere  faufte  ber  Jfönig  Bon  23apern  unb  ber 
©rofeberjog  Bon  23aben.  töefonberä  intereffant  war  baä  ©cbicffal 
beö  großen  ©lepbanten,  welket  um  ben  sJ>ret8  Bon  3300  §1.  an 
ben  fDienageriebcfiger  ©arniet  in  Berlin  Berfauft  würbe.  äl8 
berfelbe  mit  bet  übrigen  -Bienagerie  am  15.  SDtär^  auf  einem 
Äiiftenfafyrer  gu  Sßenefcig  eingefdjijft  werben  foßte,  weigerte  er  ftdj, 
bie  ©injehiffungöbrüefe  $u  überfebreiten,  welche  unter  feiner  Saft 
naebgab.  5)a8  roieberbolte  SBorentbalten  beö  a!8  üctffpeife  ihm 
gegeigten  gatterd  erbitterte  ba8  aufgeregte  Sb*«*  f°  fe^r , baff 
eö  ben  ÜBärter  ©amiflo  JRofa  mit  bem  JRüffel  erfaßte,  3U  ©oben 
fcbleuberte  unb  bureb  Sertreten  mit  ben  güffen  auf  ber  ©teße 
töbete;  gunäcbft  plünberte  ber  ©lepbant  einige  Dbftbuben.  9lun 
würbe  Militär  requirirt,  welches  eine  glintenfatBe  auf  ibn  ab» 
feuerte.  35a8  $£b‘er  flüchtete  jef)t  in  eine  enge  ©aefgaffe,  erbrach 
bort  bie  Jb“r  ei«60  $aufe8  unb  oerfuebte  bie  kreppe  tjinaüf  ju» 
fteigen,  welche  aber  unter  ihm  jufantmenbracb.  SBeitere  zahlreiche 
©ewebrfebüffe  machten,  baff  er  wie  tobt  jufammenftürjte;  halb  aber 
ftanb  er  wieber  auf,  brach  bie  ftarfe  Sfcb1"«  ber  Kirche  ©an 

* # (M9) 


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30 


Shtiomo  |an  bet  fRina  bet  ©tfeiaooni  auf  unb  bilbete  fidfe  im 
Snnern  burcfe  eine  Wenge  gufammengetragener  Setftüfele  eine 
?lrt  58erid)angmtg.  ©nblicfe  würbe  et  burcfe  eine  in  bie  Wauer 
gebrodene  ©djicfefcfearte  mit  £ülfe  eines  ÄanonenfcfeuffeS  am 
16.  Wärg  erlegt.  SDie  jfanonenfugel  blieb  in  bem  grofeen  jfßrper 
ftecfen,  bet  nacfe  bem  Stöbe  4622  Pfunb  wog.  SDa8  ©feiet  unb 
bie  |)aut  famen  in  bie  Sammlung  nacfe  Pabua. 

2Bir  fommen  nun  gu  ber  33etracfetung  beö  goologifdfeen 
©arten?  itf  SB  er  litt,  beö  erftcn  in  SDeutfcfelanb.  (ÜRartin  @.  29). 
©eine  Vorgänger  waren  ber  1725  gegrünbcte  Sägerfeof  mit 
?luerocfefen,  ©Icfecn,  23ären,  IRobbeu,  Ralfen  :c.  ic.  unb  bie 
Wettagetie  auf  ber  Pfaueninfel  bei  PotSbam  mit  9lffen, 
ÄängurufeS,  Sama,  93ärcn,  2Bölfen,  wilben  ©cfeweinen,  33ibern, 
Ubiern  :e.  jc. 

SDie  Anlage  beS  goologijtfeen  ©arten?  in  ber  gafanerie  bei 
©fearlottenburg  ift  einer  5(nregung  beS  prof.  Dr.  Sicfetenftetn 
gu  »erbanfen.  SDerfelbe  oerfafete  im  Ufaguft  1840  ben  plan 
für  einen  goologifefeen  ©arten  unb  feilte  ifen  Sllejranber  »on 
^umbolbt  mit,  weldjer  erft  im  9lo«ember  ©elegenfeeit  fanb,  beit» 
felben  bem  Äönig  oorgulegen.  35er  Äönig  erliefe  JTabinetSbefe^l 
Dom  31.  Sanuar  1841,  in  weitem  er  gut  JluSfüferung  biefeS 
Planes  gufagte:  1.  bie  Abtretung  ber  ^afanerie  bei  ©fearlotten» 
bürg,  2.  eine  Untcrftüfeung  au§  ©taatSmitteln , 3.  ben  gröfeten 
Streit  beö  SSfeierbeftaitbeS  non  ber  Pfaueninfel,  407  an  ber  Bafel. 

2luf  biefe  günftige  Antwort  fonntc  Sicfetenftein  eine  @e= 
feflfcfeaft  bilben.  SDurcfe  ©rlafe  Dom  8.  September  1841  würbe 
bie  ©taatsfeülfe  bafein  »räcifirt,  bafe  54000^  auf  fünf  Safere 
unoerginSlicfe,  non  ba  an  gu  3 p(5i.  DerginSlicfe  ber  ©efeHfdfeaft 
bargeliefeen  würben.  SDiefe  Summe  würbe  fpäter  auf  75  000  Jt 
erfeßfet. 

SDie  ©inriefetung  beö  ©artenS  gefefeafe  unter  Leitung  beö 

(950) 


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31 


©eneralbireftorb  üennö,  bie  ^crftellung  bet  ©ebäube  burcb 
^rof.  Stracf  unb  Baurath  (Santian.  Am  1.  Auguft  1844  fonnte 
ber  ©arten  eröffnet  werben,  gichlenftein  ftarb  am  2.  September 
1857.  Bon  nun  an  trat  eine  lange  Beit  ber  Stagnation  ein, 
biß  mit  ber  Uebemafyme  ber  5)ireftion  buvch  Dr.  Bobinub,  ben 
bisherigen  Leiter  beb  ©artenb  gn  äföln,  im  Oftober  1869  eine 
neue  Blüthe  eintrat  (3.  ©.  12,  219).  25er  $i)ierbeftanb  war 
(Snbe  1870  auf  mehr  alb  250  Säugetiere  unb  über  760  Bögel 
geftiegen,  gufatmnen  305  Arten  oertretenb,  in  einem  SBertlje  oon 
etwa  162  000  JL 

fRadjbem  jdjon  feit  einer  SReilje  »on  3«hren  bie  3bee  eineb 
goologifchen  ©artenb  in  granffurt  aufgetaucht  war,  etfehien 
fte  enblich  alb  ein  fefter  ?)lan  unb  (Sntfchlufs  gegen  bie  SDiitie 
beb  3ahreb  1857,  aubgetjenb  oon  ad^t  Herren  alb  prooiforijehem 
(Somite.  25nrd)  Befchlufj  beb  Senatb  Dom  8.  Oftober  1857 
würben  bie  Den  biefein  ©omitö  entworfenen  Statuten  genehmigt. 
25arin  würbe  ooiläufig  bab  .Kapital  ber  ©eieUjchaft  auf  50000  gL 
feftgefe|t,  geteilt  in  200  Aftien  gu  250  gl.,  welche  nicht  Der* 
3inblid)  ftnb,  fonbern  ftatutengemäfj  amortifirt  werben.  Aftionäre 
unb  ihre  gamilien  fönnen  unentgeltlich  bie  Anftalt  befugen.  — 
9(l§  2ofal  würbe  ber  etwa  14  fötorgen  grofje  geerfe’fche  ©arten 
an  ber  Bodenljeimet  ganbftrafje  in  Aubftcht  genommen  unb  für 
10  3abtc  gemiett)et.  25ie  erfte  ©eneraluerjammlung  würbe  auf 
ben  7 SOfärj  1858  anberaumt.  3n  berfelben  würbe  bet  befinitioe 
Borftanb  gewählt  unb  ber  Befchlufc  gefafjt,  bab  Aftienfapital  gu 
Derboppeln.  Bereitb  oor  ber  (Sröffuung  beb  ©artenb,  welche  am 
8.  Auguft  1858  erfolgte,  waren  fämmtlichc  Aftien  begeben. 

25ie  3nhl  Abonnenten  betrug  (Snbe  1858:  1052,  1859: 
1382,  baoon  1058  gamilien  unb  324  (Singeine.  Am  1.  Otto* 
ber  1859  würbe  ber  Dr.  med.  veter.  9ERap  Schmibt  gum 
25ireftor  bes  ©artenb  ernannt,  welker  noch  i«fct  biefe  Stellung 
befleibet.  25agu  würbe  gut  Bertretung  ber  wiffenfctjaftlichen 

C951) 


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32 


Seite  ber  fünftalt  ein  miffenfchaftlither  ©efretär  in  ber  fPerfon 
beß  Dr.  35a»ib  griebr.  SBeinlanb  ernannt,  meldet  baß  Organ 
beß  ©artenß  rebigiren  unb  goologifthe  Verträge  galten  foHte. 
JDiefeß  Organ,  „5Det  joologifdje  ©arten",  trat  am  1.  Oftober 
1859  in’ß  Sehen  unb  ift  oon  Dr.  SBeinlanb  biß  jum  ©nbe 
beß  J3al)reß  1863  geleitet  motben.  1864  übernahm  $)rof.  23  euch, 
1866  Dr.  fRoll  bie  Eeitung. 

Dr.  SBeinlanb  »erlief  1863  granffurt.  ©eine  ©teile  ift 
nicht  miebet  befefct  morben.  3h*e  ©retrung  mar  ein  ©yperiment, 
gegrünbet  auf  bie  Zunahme  größerer  ©mpfänglictjfeit  beß  ^)ubli* 
fumß  für  bie  miffenfchaftliche  Aufgabe  beß  ©artenß,  alß  fid)  fpäter 
IjeraußgefteUt  h«t. 

3u  materieller  .fnnfidjt  blühte  ber  ©arten  auf;  batb  fonnten 
{Raubtiere,  meldje  anfangß  auß  oerfdjiebenen  ©rünben  auß* 
gefd)loffen  maren,  angefdjafft  merben.  5)er  ^rofpeft  hatte  bar* 
über  gefügt:  „2)ie  meiften  milben  unb  fUifdjfreffenben  SE^iere 
foBten  auß  einem  joologifdjen  ©arten  außgefchloffen  fein.  3)a 
nämlidj  biefelben  nicht  anberß  alß  in  Ääfigen  gehalten  merben 
fönnen,  fo  gehören  fie  mehr  in  baß  53ereid)  oon  BRenagetien.  5>iefe 
J^iere  intereffiren  um  fo  meniger,  alß  fie,  gemö^nlidi  lidjtfcfyeu, 
fidj  bei  Sage  »erfrieren,  fdjlafen,  unb  nur  SRadjtß  ihre  unruhigen 
SBanberungen  beginnen.  2lud)  ^aben  fie  ben  fftadjtljeil,  bafj  fie 
meiftenß  bie  ©erudjßneroen  unangenehm  berühren." 

5Der  Haltung  »on  fRaubthieren  fonnte  man  fich  um  fo 
meniger  entziehen,  alß  biefelben  oon  außmärtß  roohuenbeti  granf* 
futtern  alß  ©efchenfe  angeboten  mürben,  ©ine  im  3ahte  1866 
in  golge  ber  friegerifchen  unb  pdittfd}en  ©teigniffe  eingetretene 
Ätifiß  ging  halb  oorüber. 

3ujmif(hen  trat  bie  s))la^ftage  in  ben  33orbergrunb.  SDie 
goologif^e  ©efelljdjaft  hatte  ben  ©arten  an  ber  23ocfenheimer 
Sanbftrafce  auf  10  3al)re,  aljo  biß  1868,  für  5000  gl.  jährlichen 
$achteß  gemiethet,  baß  BRiethßoerhältnijj  mar  biß  ©nbe  1873 

(952) 


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33 


cerlängert  »erben.  2)ie  ftäbttfd^en  Seßorben  überließen  (3-  ©. 
13,351,  15,123)  ber  ©efellfdßaft  gut  ©rünbung  eines  neuen 
goologifdjen  ©artenS  bie  im  Dften  bet  ©tabt  gelegene  $fingft« 
»eibe  auf  99  3aßre  padjtweife,  ebenfo  mehrere  um  bie  Summe 
con  78,000  gl.  noeß  angufaufenbe  ©runbftüdfe  ebenbafelbft  gur 
©rrießtung  bet  Cefonomiegebäube,  unter  bet  Sebiugung,  baß 
bie  ©efellfcßaft  für  bie  ißt  überladenen  37  fBtorgeu  8anb  eine 
$ad)t  con  10  gl.  pro  fDtorgen  gaßle,  welcße  ißt  aber  für  bie 
erften  geßn  3aßte  nadjgufeßen  fei,  unb  baß  alles  3n»entar  nadj 
99  3aßren  bet  ©tabt  anßeimfafle.  ©rft  naeß  bem  granffurter 
grieben  com  10.  9Hai  1871  fonnte  bieö  ^rojeft  cerwirflidßt 
»erben.  Slm  16.  3uli  1872  fanb  eine  öffentlidje  SBetfammlung 
ftatt,  in  »elcßer  bie  ©ntfdßeibung  gefaßt  »urbe,  gur  Anlage  eines 
neuen  goologifdjen  ©artenS  bie  $)fingftroeibe  gu  »äßlen.  ©8 
conftituirte  fieß  fofort  bie  „fltcue  goologiftbe  ©efeUfc^aft"  mit 
500,000  gl.  Kapital,  bie  alte  ©efellftßaft  trat  mit  ißren  Slftioen 
unb  ^afftcen  in  biefelbe  ein  unb  ber  Vertrag  mit  ber  ©tabt 
»urbe  collgogen. 

©tßon  am  3.  SJtdrg  1873  fonnte  ber  erfte  ©patenftiiß  ge« 
feßeßen,  am  24.  fDldrg  ber  erfte  Saum  geprangt  »erben.  3>er 
Umgug,  welcßer  bie  Sßiete  con  neuen  pfpdßologifcßeu  ©eiten  in 
feßr  intereffanter  Seife  geigte,  ift  com  SDireftor  ©tßmibt  (3- ®- 
15,  175)  iu  angießenber  IDarfteUung  gefeßübevt.  SefonberS 
merfȟrbig  war  bie  am  18.  gebruar  1874  unb  in  ber  barauf 
folgenben  Ulacßt  be»irfte  Ueberftcbelung  beS  ©lepßanten  (3-  ©. 
15,  283).  2lm  31.  ©egember  1873  betrug  bie  3 aßl  ber  üßiere 
1108  in  260  Slrten;  ißr  Sertß  bezifferte  fieß  auf  46,360  fl. 
(3- @.  15,340).  93om  8.  Sluguft  1858  bis  31.  IDegember  1873 
ßatten  in  ben  IRäumen  beS  alten  ©artenS  1,276004  ^»erfonen 
cerfeßrt  (3- ©•  15,  347). 

2lm  29.  fötärg  1874  fonnte  ber  neue  ©arten  eröffnet  »er« 
ben,  botß  corläufig  oßne  iSquarium  unb  befinitioeS  ©efellfeßaftS* 

XIV.  J3G.  3 (MS) 


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34 


tjauS  (3.  ©.  16,  267).  ©a8  leitete  mürbe  am  16.  ©egembet 
1876,  bag  Aquarium  am  16.  Suli  1877  (3.  @.  18,  345)  er« 
öffnet. 

©er  neue  ©arten  ift  in  ben  Jahrgängen  16  unb  17  bet 
eft  genannten  3eitfdjrift  »on  ©ireftor  ©ebrnibt  unter  Seigabe 
»on  planen  auöfü^rltd?  befebtieben. 

Sit  baten  bet  bet  ^Bearbeitung  »otliegenber  ©djrift  ben 
©runbfafc  »erfolgt,  mit  befonberer  SBegiebung  auf  ©eutfdjlanb, 
bie  goologifdjen  ©arten  fo  gu  bebanbeln,  ba§  mit  nur  je  einen 
Übertreter  eines  üßringipS  ausführlich  befpredjen,  alfo  ben  Jardin 
des  plantes  megen  feiner  Sicbtigfeit  für  bie  3o»I»gie  unter 
©.  6u»ier,  bie  Zoological  gardens  al8  ben  erften  ohne 
3nitiati»e  be8  Staate 8 entftanbenen,  ben  3ool»8'f«b«n  ©arten  gu 
Serlin  al8  ben  erften  in  ©eutfdjlanb,  ben  gu  granlfurt  als  ben 
erften  auf  bem  Sege  ber  2lttienau8gabe  in  ©eutfdjlanb  gegrün« 
beten.  Sollten  wir  in  biefer  Seife  alle  fpäter  nachgefolgten  in 
ihrer  ©ntmicfelung  befdjreiben,  fo  mürbe  mobl  SRiemanb  un8 
©anf  miffen.  Sir  gieben  baber  »or,  bie  üßermeifung  auf  bie 
Duellen  über  bie  ©ingeibeiten  bet  am  ©chluffe  gu  gebenben 
(bronologifdjen  Ueberficht  ber  ülleuagerien  unb  ©arten  beigugeben 
unb  baten  fd^lie§Iich,  a!8  ein  neues  |)ringip  »ertretenb,  noch  ben 
Jardin  d’acclimatation  gu  $ari8  näher  gu  betrachten. 

@be  mit  bieg  aber  tbun,  haben  mir  übet  einen  ber  menigen 
gelungenen  üBerfu^e  »on  ÜScclimatifation  gu  berichten,  meldje  in 
ben  ©a8cine  bi  ©an  JRoffote  in  ben  ÜJlaremmen,  eine  ©tunbe 
»on  $)ifa  gegen  bie  ©ee  bi«  entfernt,  einer  »on  ben  ÜDlebiceern 
gegrünbeten  Ianbe8bertlichen3Reierei  mit  frönen  ^)inienmalbungen, 
gu  ©tanbe  gefommen  ift  (3.  ©.  15, 103;  16,  36).  ©8  ift  biw 
ba8  ©romebar  bomefticirt.  9DRan  fennt  nicht  genau  ba8  Sah» 
ber  erften  ©infübrung  biefer  SJ.b*eTC-  Sabtfdjeinlicb  gefebab  «8 
unter  bet  ^Regierung  be8  S3eförberer8  bet  SRaturmiffenfcbaften, 
be8  ©rofjbergogg  gerbinanb  II.  »on  ©ogcana  (1621 — 1670). 

(9M) 


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35 


S)ie  erfte  ?Rad)tid)t,  welche  wir  übet  iljr  Sorfean benfein  in  biefem 
ganbe  befifeen,  ift  auS  bem  3<tre  1690,  woraus  Ijeroorgetjt,  bafe 
urfprünglit  fetö  ^Jaate  biefet  Spiere  au8  StuniS  eingefüljrt,  ba« 
rnalS  aber  fdjon  auf  fed)8  SRännten  unb  ein  eingigeS  SBeibdjen 
tebucirt  waten.  SDer  ®rofel)ergog  gtanj  II.  au0  bem  ^»aufe 
ßotljringcn  liefe  1738  unb  1739  wiebet  fieben  {Paare  auS  StuniS 
einfüferen;  bie  3al)l  ber  Stfeiere  beiberiei  ©efdjlecfetö  featte  bis 
1784  fit  auf  170,  biö  1789  auf  196  gefteigett.  SDie  im 
3al)re  1739  eingefüljrten  Stfeiere  fofteteu  jebeS  biö  ßioorno 
440  StcS-  fRad)  einet  {Rotig  uon  1692  waren  bamalS  btei 
Stunifier  gut  pflege  bet  Spiere  angeftelit. 

{Rat  ben  {Ratritten,  weite  bet  ehemalige  fdjtoebifdje  ©onful 
inßioorno,  Dr.  3acob  ©raberg»on.£>emfö,  inben  Nouvelles 
annales  des  voyages  ({(Rärg  1840)  mitgetfyeilt  tyat,  lebteu  bie 
Spiere  bamalS  frei  auf  einem  {Raum  non  etwa  gwangig  italieni* 
ften  SReilen  Umfang,  welket  auf  ben  »iet  ©eiten  oom  @et$io, 
Arno,  bem  ÜReet  unb  einer  ©tacfetwanb  eingefafet  war;  berittene 
SBädjtet  muftetten  ftc  SRorgenS  unb  AbenbS.  ©ie  waren  in 
bie  btei  Abteilungen  bet  3uttfMen,  ber  Süden  unb  ber  Arbeite* 
tljiere  eingeteilt.  Alle  ftroärmten  frei  unter  in  bet  ©egenb, 
welche  fo  niel  Aefenlitfeit  mit  bet  non  StuniS  Ijat,  unb  näferten 
fit  felbft  ben  gröfeten  Steil  beö  3<tre8.  {Rur  bie  3uttftuten 
würben  turge  3eit  bot  bem  SButf  ((5nbe  SDegember)  in  Jpütten 
mitetgebratt  unb  mit  trocfenem  £eu  gefüttert.  {Rat  bem 
SButf  würbe  bie  {Kutter  mit  iferem  Sungen  in  einen  eigenen 
©tall  gebratt.  25a  baS  3unge  erft  nat  groei  bis  brei  Stagen 
fit  auf  ben  Seinen  erhalten  fann  unb  bie  {Kutter  fit  nie 
niebetbücft,  um  bemfelben  baS  ©äugen  gu  erleittern,  fo  featte 
bet  ©artet  bie  Aufgabe,  baS  3unge  auf  feinen  Arm  gu  nehmen 
unb  bem  @uter  gu  näljern,  biö  nat  groei  bis  btei  Stagen  baS 
füllen  felbft  biefe  Seroegung  maten  tonnte.  Aber  erft  nat 
gwci  bis  brei  {Konnten  liefe  man  bie  {Kutter  mit  bem  3ungen 

3*  (»») 


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36 


allein  in  bem  burd)  feine  SBafferläufe  gefährlichen  Jetrain  herum* 
ftreifen.  Die  SBeibchen  »erben  trächtig  bis  gum  Sitter  non 
21  3atjren;  manche  Dtomebare  erreichten  hier  $in  Älter  non 
30  3ahren.  5Rit  bem  Älter  non  2£  3af?ren  mürben  bie  fötännchen 
eon  ben  SBeibdjen  getrennt  unb  bis  gum  Älter  oon  4 Sauren 
auf  befonberen  Söeiben  gehalten.  Dann  mürben  fie  ben  ÄrbeitS* 
Dromebaren  gugettjeilt  unb  junächft  gegähmt,  inbem  fte  gmei 
SJionate  an  bie  Ärippe  gebunbett,  gefuttert  unb  gereinigt  unb 
baburd)  allmählich  an  baS  3ufammenfein  mit  SJtenfchen  gemöhnt 
mürben.  SBaren  fie  fo  mett  gegähmt,  fo  mürben  fte  mit  alten 
Dromebaren,  meldje  ihren  Jragfattel  aufgefchnaßt  hatten,  hinaus* 
geführt  unb  butch  SBärter  baju  angehalteu,  nach  bem  fDtufter 
beS  alten,  ftd)  niebergufnieett  unb  ben  Sattel  gu  tragen,  beffen 
Saft  allmählich  »ermehrt  mürbe. 

Die  ÄrbeitSfameele  mürben  t>om  fftooember  bis  ÄnfangS 
5Rai  im  Stall  gehalten,  bie  übrige  3eit  meibeten  fie  frei.  Sie 
trinfen  nur  einmal  im  Jag,  nur  bie  trächtigen  SBeibthen  haben 
ein  größeres  Sebürfnif)  nadj  Oietränf,  baher  für  biefelben  SBaffet* 
gefäffe  bereit  geftellt  merben.  Die  ÄrbeitSfameele  maten  hödjft 
nüfjlidj  bei  ber  Sebauung  ber  auSgebehnten  Domäne,  ba  fie  nur 
bie  Hälfte  ber  fltabrung  beburften  unb  bie  hoppelte  Ärbeit  oet* 
richteten,  mie  fßfetbe,  meldje  aufjetbem  bei  ber  megelofen  33e* 
fchaffenheit  beö  0obenS  bei  San  JRoffore  nur  mettig  oermenbbat 
gemefen  mären.  Sie  tranSportirten  mit  größter  Seichtigfeit  23au= 
materialien  unb  SBirthfdjaftSgegenftänbe  in  bet  Ärt,  ba&  btei 
gufammengefoppelte  Jhiere  ®on  einem  Jreiber  geleitet  mürben. 
ÄnfangS  1840  belief  fidj  bie  3abl  ber  Äameele  in  San  iKoffore 
auf  171,  nämlich  1 3ud)tbengft,  66  ÄrbeitSbromebare,  58  3ud)t* 
ftuten,  39  füllen  unb  7 Säuglinge,  gufammen  91  männliche  unb 
80  meiblidje  Jtjiere. 

3n  ^ariS  bilbete  ftch  1854  auf  Änregung  bes  «jperrn 
©eofftop  St.  £ilaire,  DireftorS  beS  Jardia  des  plantes, 

(95«) 


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37 


eine  9lrriimatifation8gefelIicbaft,  welche  ihr  SuOetin  lierauSgibt. 
©iefelbe  ftellte  fidj  gur  Aufgabe,  neue  SL^icr»  unb  Sflangenarten 
in  ©uropa  eingufübren.  $Su8  ihr  ging  eine  gweüe  ©efeßfdjaft 
beroor:  Sociötd  du  Jardin  d’acclimatation,  welche  ein  21  fiten» 
Kapital  non  einet  föiiflion  Francs  in  Slftien  uon  4000  f$rc8. 
aufbracbte  unb  non  bet  ©tobt  'Paris  auf  40  3al)te  20  ^eciaten 
(etwa  95  SJlotgen)  2anb  im  Soi8  be  Soulogne  gegen  eine 
Siente  non  jährlich  1000  $rc8.  eingeräumt  erhielt.  (5Jtartin, 
a.  a.  D.  ©.  88). 

2>ie  Anlage  beS  ©artenS  begann  1858;  am  9.  OctDber  1860 
fonnte  ber  ©arten  eröffnet  werben.  5)et  ©arten  ift  gang  in  ber 
SJrt  ber  mobernen  goologifdjen  ©arten  angelegt.  ißarfartig  grofje 
SBiefen  wed)feln  mit  Saumgruppen  unb  Keinen  Rainen,  ©legant 
gegeicbnete  SSege  unb  gufjpfabc  burdjgieben  ba8  bewegte  üerrain 
unb  Sache,  SBafferfälle  unb  Üeidie  beleben  bie  2anbjcbaft.  2)ie 
©rohe  be8  £errain8  erlaubt  e8,  bah  neben  gabllofen  guhgängern 
auch  Me  ©quipagen  unb  Leiter  fidj  nach  ©orjoart  bariu  bewegen. 
(3.©.  1,  180;  2, 108). 

5Öa8  bie  cingelnen  3weige  ber  !?lcclimatifation8tbätigfeit  be« 
trifft,  fo  baten  wir  unS  hier  nur  mit  bem  neuen  ©arten  gu  be* 
fcpäftigen,  wie  et  nad)  ben  3erftörungen  burd?  bie  ©ommune 
Wiebet  aufgelebt  ift.  @8  ift  nicht  gu  leugnen,  bah  feitbem  im 
3ntereffe  feineö  ftnanciellen  ©ebeibenS  bie  Serwaltung  be8 
©artenS  bem  ©efchmacf  be§  tßublifumS  manches  3ugeftänbnih 
bat  machen  muffen,  welches  bem  eigentlichen  3®ecfe  be8  ©artenS 
fvemb  war  (9J?artin  €>.  90). 

3)ie  beutfche  Selagerung  batte  nach  einem  Sriefe  be8  Direc« 
tor8  »cm  20.  ftebr.  1871,  (3.  ©.  12,  127)  bie  Anlagen  nur  wenig 
befd?äbigt,  aber  ein  großer  2beil  ber  Sammlungen  mufjte  ner» 
gehrt  werben.  3»ei  afrifanifche  ©lepbanten,  »ier  ©lanb»l8nti* 
lopen,  gwei  Äameele,  ade  ^irfche,  bie  fRilgau  :c.  jc.  würben  bie 
Seute  be8  SdtepgerS.  ^Dagegen  nernichtete  bie  #errfcbaft  ber  ©om* 

(MT) 


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38 


niune  faft  »etlftänbig  bie  grucht  »ieljäbriger  Slnftreugung 
(3.  ©.  14,  387;  16,  65). 

3ut  ©ntfchäbigung  bewilligte  bie  ©tabt  ^ati8  180  000&rc8.f 
bte  2lcclimatifation8gefelIfcbaft  legte  noch  35  000  %tc8.  baju, 
verfcbiebene  goologifcbe  ©arten  fcbenften  Sibiere  unb  balb  mar 
ber  garten  frönet  al8  je  juoor.  SBefonberS  beachtenswert  ift 
ba8  nabe  bem  ©ingang  gelegene  $)almenbau8,  fobann  bie  ebenba 
bepnblitbe  Magnanerie  eine  3ud?tauftalt  für  ©eibenraupen  ver» 
ftbiebener  51  rt  (Bombyx  mori,  Bombyx  cynthia,  Attacus  Pemyi), 
ba8  Slffenbanö,  wo  interefjante  3ü<btung8»erfucbe  gelungeu  ftnb, 
bie  ©telgvögel,  ©traufee,  SalegallaS,  gafanen,  ^>itbner  unb  Sau* 
ben.  9luf  weiten  Diafenplä^en  tummeln  ficfe  ©cfeafe  unb  3iegen. 
3)er  fogenannte  „grofee  ©taU"  enthält  jmei  afrifauifdje  @le* 
pfeanten,  welche  ber  Äönig  von  Italien  al8  ©rjafc  für  bie  wäfe* 
renb  bet  Belagerung  verehrten  gejchenft  ^at,  ferner  Äameele, 
3ebra8  unb  3«bu8.  ©in  anbrer  benachbarter  ©taU  enthält  eine 
intereffante  ©oOection  von  30  §>oup8  au8  ben  franjofifchen  $ai* 
ben  (Landes),  au8  ©panien,  ©cbottlanb,  38lanb,  3ava  unb 
©iam.  5We  biefe  Sbiete  fielen  gur  Belüftigung,  bejm.  8oco* 
motion  be8  fPublifum8  gut  Verfügung.  @8  werben  nämlich  in 
bem  naben  üiobf  Äarten  auSgegeben,  welche  jum  Oieiten  unb 
Saferen  mit  ben  genannten  S£:^ieren  berechtigen,  unb  nicht  nur 
©lepfeanten,  Äameele  unb  ?)ferbe  tragen  ihre  ©ättel,  jonbern  ©fei, 
3ebra  unb  felbft  ber  ©traufe  giefeen  ihre  Süagen,  in  welchen  man 
ben  ©arten  burchfabren  fann.  flticfet  gerabe  bebeutenb  ift  ba8 
tÄquarium,  bagegen  ift  Ijöc^ft  merfmürbig  bie  Sammlung  aller 
Jpunberaffen  (3.  ©•  16,  67),  bie  SBaffervogel,  welche  ben  ©raben 
unb  Seich  in  ber  ganzen  £änge  be8  ©artenS  beoölfern,  unb  bie 
5lnjlalt  für  Sftäftung  von  ©eflügel. 

@8  unterliegt  wohl  feinem  3»eifel,  baff  bie  folgenreichfte 
5lcclimatifation  bie  ©infübrung  be8  ÄameelS  in  Sluftralien 

(958) 


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39 


War,  inbem  baburd)  3uerft  feie  ©rforfcbunt;  beß  Snnern  bicfeS 
trocfenen  SBelttßeilß  ermöglidjt  würbe. 

©er  ©ebanfe,  baß  Itameel  bei  ©ntbecfungßreifen  in  SSuftra* 
lien  ait3uwenben,  fdjeint  juerft  in  ber  Sonboner  geograpßifdjen 
©efeflfdßaft  außgefprocßen  worben  gu  fein,  benn  @ir  fRobericf 
©lurdjifon  erwähnte  in  feiner  ^räfibialabreffe  »on  1844 
(Journal  of  the  R.  geograph.  soc.  vol.  XIV,  pag.  CII.): 
„91nbre  wieber  fagen  mit  unfrem  Vlitglicb  9Jlr.  ©oroen,  baß 
eine  »oOftänbige  ©rferfäsung  beß  3«nern  non  Sluftralien  nie  ju 
©tanbe  fonimen  wirb,  beoor  wir  Äameele  auß  unferen  öftlidßen 
Sefißungen  baßin  einfüßren  unb  bamit  bie  große,  burcß  ben 
SBaffevmangel  bebingte  ©djwierigfeit  überwinben'*.  @<ßon 
einige  3aßre  fpäter  finben  wir  biefen  ©cbanfen  »erwirflidjt, 
benn  £>err  ^orrocfß  führte  1846  bei  feiner  ©ppebition  nadj  ©üb* 
auftralten  ein  Äameel  mit  ficß;  in  größerem  üJiaßftab  würben 
biefe  Stbiere  aber  erft  1860  bei  ber  unter  gütyrung  non  Surfe 
außgefcßicften  ©rpebition  non  Melbourne  nacß  bem  ©elf  non 
©arpentaria  angewenbet.  ©ie  fRegietung  ber  ©olonie  Victoria 
b^ttc  mit  bem  2tufwanb  non  5000  ?)funb  ©terling  25  jfameele 
nebft  3 inbifeßen  SBärtern  burcß  |>errn  8anbe0ß  auß  3nbien 
betbeifebaffen  Iaffen.  1861  benußte  SKacfinla»  bei  feiner  ©jepe* 
bition  Jur  2luffutßung  Vutfe’ß  einige  3U  biefem  3t»ecf  »on  SDiel* 
bourne  nacß  Stbelaibe  übergefüßrte  Äamele  auß  ber  »on  £anbellß 
importirten  3«ßl-  3n  großartiger  SBeife  naßm  ft<b  ettbltrb 
Sßomaß  ©Iber,  einer  ber  reiebften  ©runbbefißer  in  ®üb*2luftra» 
lien,  ber  ©aeße  an;  er  feßiefte  1866  $errn  ©tuefe»  nacß  3nbien, 
um  Äameele  3U  laufen;  124  würben  in  .turratfeßi  eingefeßifft, 
wooen  121  in  Sluftralien  glüefließ  lanbeten.  ©in  ©ußenb  afri* 
fanifeßer  Treiber  fam  mit  ißuen.  ©ie  auftralifcße  Vegetation 
eignet  ficß  »ortreffHcß  für  bie  jfameele.  3ßre  .£>öße  unb  ißt 
langer  $alß  geftattet  ißnen,  baß  £aub  in  einer  ©ntfernung  oom 
Voben  abjuweiben,  wo  ^ferbe  unb  JRinber  bei  weitem  nicht  bin« 

(9J9) 


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40 


aufreichen  fönnen.  Sie  nertragen  jebeS  ©rünfutter  unb  freien, 
foniel  bcfannt,  Bon  allen  SBaumarten  beS  8anbe$.  3h*  anberer 
SBorjug:  bas>  SBaffer  lange  entbehren  gu  fonnen,  lä§t  fidj  burdj 
Uebung  bebeutenb  fteigern.  (Sin  nid?t  an  SBaffermangel  gewöhntes 
jfameel  geht  nicht  fparfam  mit  feinem  Süorrath  um  unb  roitb 
balb  traurig,  bahingegen  ein  anbereS,  an  (Sntbehrung  gewöhntes, 
Sage  lang  marfcbirt,  ohne  ju  leiben. 

SDaS  junge  Äameet  ftet)t  mit  gehn  3ahren  in  bet  33lüthe 
feinet  .traft,  etwa  wie  ein  oierjährigeS  ^ferb,  unb  bleibt  noch 
30  3«fyte  in  arbeitsfähigem  3uftanb.  33ei  ihrer  Slbricbtung  ift 
bie  Jpauptfadje,  bie  Shtere  mit  ©ebulb  unb  wreunblüfcfeit  gu 
behanbeln.  35ie  Soloniflen  muffen  fid>  baS  beim  Dchfengefpann 
übliche  ©djteien  unb  ?>eitft^en  abgewöhnen.  @|n  burdj  50lif}» 
hanblung  in  5Buth  BerfejjteS  dfameel  ift  ein  furchtbarer  ©egner. 
@8  fa&t  ben  fUtenfcfyen  mit  ben  3ähnen  ober  wirft  U}n  butdj 
einen  ©tofj  nieber  unb  zermalmt  ben  Körper  teS  fteinbeS,  inbem 
eS  fid)  mit  ben  Änien  auf  ihn  ftürgt.  SDie  ©dhwierigfeiten  i^ter 
Slnwenbung  finb  oerfchieben.  Einmal,  bajj  fie  ihrer  Unabhängig» 
feit  bewu&t,  nicht  hetbenweife  beifammen  bleiben,  fonbern  um» 
hetwanbern,  baher  ©ehege  für  fie  nöthig  finb;  fobann,  ba§  ficb 
Dchfen  unb  befonberS  ^>ferbc  fehr  fchwer  an  äfameele  gewöhnen, 
unb  enblich,  ba§  jfameele  manchmal  butdj  ben  ©enufj  giftiger 
Äräuter,  befonberS  beS  Gyrostemon  ramalosus,  evfranfeu. 

SDie  ßeiftungSfähigfeit  bet  Bon  (Slber  au$  Äanbafjar  ein» 
geführten  ßaftfameele  ift  aufcerorbentlidj.  6ie  haben  fchon  mit 
je  600  $funb  SöoHe  beloben  täglich  17—18  engl.  9RI.  gurftef* 
gelegt  unb  babei  4—5  Sage  ©urft  gelitten.  (Sin  Äameel  trug 
eiuen  Afghanen  mit  ber  *J)oft  in  einet  2Bod)e  350  engl.  9JM. 
weit;  ©tuefep  ritt  80  engl.  3JM.  in  einem  Sage.  ®ie  fReit» 
fameele  (ans  föiefton)  fönnen  in  einer  ©tunbe  7 — 8 engl.  9RI. 
gurüefiegen.  — liebet  ben  SlcclimatifationSgarten  gu  @h»äi*eh  »» 
. SHegppten  (bei  Äairo)  ift  gu  Bergleichen  3*  ©•  XIV,  426  unb 

(960) 


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41 


bie  in  Sien  erfdjeinenbe  3«tf<brift:  „<Die  -£>eimat“  1879, 
Str.  40  ff.  — Sag  bie  Aquarien  in  ben  goologifdfen  ©arten 
nur  tbeilmeife  »ermögen:  2)a8Stubium  ber  fcebenS  gemobn» 
ijeiten  ber  Saj'fer tbiete  gu  ermöglichen,  gu  roiffeuidjaftlit^en 
Arbeiten  baö  Material  bergugeben,  ba8  Ijat  bie  goologifcbe 
Station  gu  Neapel  geleiftet,  welche  Dr.  Anton  SDobrn  mit 
SDiübe  unb  Dpfetn  in8  £eben  gerufen  ^at.  Sie  fyat  fi<b  in 
erfreulicher  Seife  entmicfelt.  3n  bem  erften,  1871  gebrueften 
Programm,  melcbeg  bie  3bee  be8  gangen  Unternehmens  barlegte, 
mar  bie  Aufteilung  oon  »iet  ArbeitStiftben  in  AuSficbt  genom» 
men,  roeldje  fremben  Scologen  gur  Verfügung  gu  fteQen  mären; 
biefe  ftiegen  in  menig  Sagten  auf  24  Snfdje.  23ereit8  im  erften 
23etrieb8jabr  1874/75  Ijaben  36  Staturforjcber  in  ben  Sabora* 
torien  bet  goologifeben  Station  Stubien  an  Seetbiereu  oorge» 
nommen:  aufjer  15  ©eutfeben  je  5 ©nglänber,  JpoDänber  unb 
Stoffen,  4 Staliener,  2 Defterreicber.  Aber  aud)  nach  aufjen 
erftreeft  fid)  bie  Sirf jamfeit  bet  Station;  fie  fenbet  ben  au8mät= 
tigen  Unioerfitäten,  üaboratorieu,  ÜRufeen  unb  fPrioatfammlungen 
Seetbietc  in  foldjer  ©onfetoirung,  mie  oon  ben  Auftraggebern 
oerlangt  mirb.  Stur  fo  ift  eS  bem  ©eleljrten  im  geftlanb  mög* 
lid?,  fid?  SRaterial  oon  Seetbiereu  gu  oerfebaffen,  meldjeß  für 
miftojfopifcbe  Unterfutbuug  noch  tauglich  ift.  (^)reu§ifcbe  3abr* 
bücber,  33b.  35.  3eitfcbr.  f.  miffenfdjaftl.  3ool.,  33b.  25.)  Auch 
bie  33ibliotbef,  beren  lebtet  Jfatalog  1879  erjebien,  ift  fc^on  be* 
beutenb  unb  eine  befonbre  görberung  ber  hier  arbeitenben  3ootoäen- 
2)a8  33ebütfnifj  bet  an  3<>b*  unb  AuSbebnung  gunebmenben 
goologifeben  ©arten  muffte  auch  ben  £bieTbanbel  in  ben altflaffi- 
fdjen  Stätten  Dftafrifa’8  fötbem  unb  orgauifiren.  Stäbere  ?Diit- 
tbeilungen  über  biefen  ©egenftanb  ftnben  fid?:  3-  ©•  HI,  70. 
XY1I,  113,  229.  2)ie  ^auptftabt  biefeS  $anbel8  ift  Sonbon, 
aber  ein  beutfefjer  Jpäubler,  Jtarl  3amra^  au8  Hamburg,  b&t 
bort  einft  bie  erfte  Stolle  gefptelt.  2>ie  beiben  größten  beutjeben 

XIV.  336.  3**  (»61) 


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42 


3tyetf)änfiler  fittb  ^ageuberf  unb  Steife  (aus  bem  ^amtooerfcben) 
in  Hamburg,  ©ie  ocrforgeu  liiert  nur  bie  europäijeben,  fonbern 
aud)  bic  amerifanifdjen  ü^iergärten.  .^agenbetf  inSbefoitbere 
bat  fidj  burd)  [eine  in  gablreidjen  ©täbten  gut  ©d)au  gepeilten 
„ibiwfarananen"  allgemein  befannt  gemacht.  5Die  jefcige  £aupt= 
begugSquelte  für  aftifanifdje  Siliere  ift  bie  ägpbtifcbe  f))roöing 
£afa.  ©er  ©uegfanal  bat  ben  93egug  bet  Üb^re  feb*  erleidjtert. 
^agenbec!  bat  [eine  Agenten  in  ©ueg  unb  ©battum.  ©le* 
bbant,  ber  an  £)rt  ltub  ©teile  80—400  SJtf.  foftet,  fommt  in 
(Europa  auf  3-0  000  €Oif. , eine  ©iraffe  ftatt  80—200  auf 
2—3000,  eia  StbinoccroS  ftatt  160 — 400  auf  6 — 12  000,  ein 
junger  üöwe  ftatt  8 — 20  auf  600 — 2400  9Jtf. 

3)a§  nadjftebenbe  tbronologifdje  SBergeicbnifj  fann  nur  für 
bie  neueren  unb  eingelne  ber  älteren  Snftitute  auf  ©enauigfeit 
Slnfprutb  madjen.  ©iefe  wichtige  ©eite  ber  @ulturge[d)icbte  ift 
bisbet  fo  grengenloö  oernacfcläffigt  worben,  baff  eö  mir  oon  »ielen 
felbft  ber  größeren  älteren  Slnftalten  «id^t  möglich  war,  baS  3abr 
ber  ©rünbung  unb  ber  etwaigen  Aufhebung  gu  ermitteln,  unb 
baff  ich  mich  beöbalb  begnügen  muffte,  bie  ungefähre  Beit  au* 
3ugeben: 

©beräborf  1552.  — Steugebäu  ca.  1570,  ootlftänbig 
aufgehoben  1781.  — ©reöben  1554.  — ©an  Stoff ote,  ca. 
SJtitte  beS  17.  Sabrb-  — äJerfailleS  ca.  1666.  — Äaffel, 
©nbe  beö  17.  Sabtb-  — 9>otöbam,  Slnfang  beS  18.  Sabtb-  — 
Jöeloebere  (Söieit)  1716—1736.  — ©d)önbrunn  1752.  — 
$>atiö  G-  des  pL)  1794.  — Stuttgart  1812—1816.  — 
Sonbon  1828.  — ©ublin  1830(3.  ©.XIX,  272).  — 31  nt. 
fterbam  1838.  (3-  ©.  V,  318.  IX,  375.  XIII,  330.  OJt.  12.) 
— Antwerpen  1843.  (3.  ©.  XIV,  312.  ÜJt.  22.)  - SJerlin 
1844.  - Stfiffel  1851,  (3.  ©.  XIV,  214.  9Jt.  42)  1876  in 
ftäbtifdjen  SBepb  übergegangen.  — ©ent  1851.  — SRatfeille 
1854  eröffnet,  1869  an  bie  soci4t4  d’accümatation  übergegangen. 

(362) 


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43 


(3.  ®.  IT,  59.  160,  m,  15,  X,  382,  XVIII,  323.)  — 9Jta, 
bri D 1857.  (3.  ©.  VI,  381.)  - Kotterbam  1857  (3.©.  IX, 
307.  9J1.  91.)  — 9Jlelbourne  (Sliifftalten)  1857.  — granf* 
futt  a.  9R.,  Socfenlj.  ganbftv.  1858,  »erlegt  1874.  — Äopeu* 
tragen  1858.  (3.  ®.  III,  238,  XI,  54,  XII,  19.)  — Äöln 
1860.  (9)1.  43.)  — sPari$,  j.  d’acclim.  im  Bois  de  Boulogne. 
(3.  ©.  I,  180,  III,  45,  X,  314.  m.  88.)  - 2)re8ben  1861. 
(3-  ©.  I,  120.  134.  182,  V,  416,  VIII,  341,  X,  120,  XII, 
247,  XV,  86.  3R.  48.)  — £a  ag  1863.  (3.  ©.  III,  233,  XI,  323.) 

— Hamburg  1863.  (3-  ®.  IV,  94,  VIII,  460,  XII,  92.)  — 
Sölten  1863,  eingegangen  1866.  (3.  @.  III,  207.  218,  IV,  94, 
VII,  464.)  — 9Jlünd)en  1863,  eingegangen  1866.  (3-  ©• 
IV,  45,  VI,  184.)  — SRoefau  1864.  (3-  ©•  IV,  44,  XV,  438.) 

— Steel  au  1865.  (3.  @.  IV,  257,  XVI,  136.  ÜR.  41.)  — 
#anno»et  1865.  (3-  ©.  VIII,  415,  XII,  247.  9R.  71.)  — 
£arl8rut)e  1866.  (3.  @.  VII,  180.  ®i.  72.)  — $ejit)  1866. 
(3-  ©•  XVIU,  336.)  — Slumenau,  ^ro».  @t.  Katharina, 
Srafilien  1870.  (3.  ©.  XIII,  16.)  — >}>l}ilabelpl)ia  1874. 
(3.  ©•  XV,  375.)  - granffurt  a.  9R.  (f.  1858),  ^ftngft* 
rceibe  1874.  — Safel  1874.  (3.  XII,  351,  XV,  86, 
XIX,  121.)  - ©incinnatt  1875.  (3.  ©.  XVI,  411,  XVII,  67.) 

— fünfter  1875.  (ÜR.  81.)  — ©alcutta  1875.  (3.  ©• 
XVII,  70).  — 5)üjfelbcrf  1876.  (SK.  52.) 


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