Sammlung gemeinverständlicher
wissenschaftlicher Vorträge
Franz von Holtzendorff, Rudolf Ludwig Karl Virchow
fWym
k&aWBi
läSsi
Sammlnng
<^emeint>erftänblicf>er
toiffcnfc^aftlt^er $ortriige,
berausgegeben oott
Hub. üird)otti unb «fr. u. tjoUjettborff.
XIV. 3me.
ß erlitt SW. 1879.
2? erlaß ton Sari $ a b e l.
(fi. ®- füilftiVfAt Bftfago&sManiifang).
33 9Bil&»lm.-etra&f 8t.
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n{plts*S!er£ricjni$s ber XIV. üerie.
$<fl
etitr
313/314. Äludbobn, Blticber
1-72
315/316. IJiQflenfle^er, lieber bie Jbiere ber lieffee . .
73—136
317.
o. f'olfcenborff, 3otm «’öonmrb unb bie 'JSeftfperre
gegen (Snbe bes adjt^efjnten 3abrbunbert8 . .
137—176
318.
Stanfe, Anfänge ber Äunft. Slntbropologifcbe Bei*
träge jur ©efdjicbte bes Ornaments ....
177-208
319.
Äaifer, Äaulbacb’s BilberfreiS ber SBeltaefcbiAte 209-240
320.
5Heefe, lieber bie Statur ber ftle<f|ten. ÜJtii 10 in
ben lept gebrucften ©oljtfcbnitten
241 288
321.
£olle, ®ie JJrometbeuSfage mit befonberet Betüd*
ficbtigung if)rer Bearbeitung burcb Slefcbploä .
289-320
322.
©emper, lieber bie Aufgabe ber mobemen J|ier=
geogtapbie
321 352
323.
SBJiniler, ®ie Ärönung Äarl’8 beS ®ro|en (tum
Stomifcben flaifer
353-388
324/325. oom Statb, lieber baä ©olb
389-462
326.
ftroboefe, ©ottfrieb non Bouillon
453-504
327.
Oftboff, DaS pbpfiologif<be unb pfpdiologifcbe SJio*
ment in ber fpracblicben ftotmenbilbung . . .
605 552
328.
SJtebliö, 2)er Stbein unb ber ©trom bet Gultur
in ber Steuaeit
553—604
329.
SJtalmft^n, flarl non tiinne
605—644
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IV
■Mt fftitt
330. ©epp, flaifet gtiebtidfr I. Sarbotoffa’g 2ob unb
fflrab
645 -700
331.
St e8 gen, 35aS menfthliche Stimme unb Spradj=
Crgan. Mit 14 ©olzfdinitten
701—736
332/333. Scbaäler, SDaS SReicb bet Ironie in fulturgefd)icht=
lieber unb äftbetifcher Beziehung
737 - 840
334.
Äleefelb, 2)ie ©albebelfteine
841 876
335.
©eifenbeiiner, lieber §2ahrfcheinlichf?it8technung
877 920
336.
Stricfer, ©efebiebte bet Menagerien unb bet
Zoologifthen ©arten
921-964
3<h bitte zu beamten, baß bie Seiten ber ■‘pef te eine hoppelte ’JJa=
ginirung hoben: oben bie Seitenzahl bes einzelnen ©efteS, unten —
unb zroar cingeflaminert — bie fortlaufenbe Seitenzahl bes Sahrgangets.
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Sßon
flerlin SW. 1879.
Verlag »ott (Jarl £abel.
(£. i fl. tübmti’sdit ÜtrlagsbmtitiatiM'Mg.)
33. SBilbelm-etraSe 33.
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!Dfl« Siecht bft Ueberftfcung in frembe Sprachen ®itb ßorbebalten.
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*u>er e8 wagt, an bemSage bet beutfdjen tReithStagSroahlen1)
bie Slufmerffamfett für einen wiffenfchaftiidjen Bottrag in Sin*
fprud) gu nehmen, wirb ftd? be8 BebenfenS nidEjt errrebren lönnen,
ob nid^t ba8 lebhafte politifclje Bntereffe, ba8 un8 alle befyerrfdjt,
Jene Sammlung bed ©eifteS auSfcljliefjen möchte, bie auf Seiten,
bet £öret ebenfowenig fehlen fotl »ie auf ber be8 {RebnetS.
S<$ gebe mid) inbefj ber Hoffnung ^in, ba§ gerabe ber ©egen*
ftanb, um beffen SDarftellung e8 fid^ in biefer Stunbe Ijanbelt,
mit ber politifd)en unb nationalen Bebeutung beö Sage8 in
»orgüglidjer Seife gufammenftimmt. SDemt menn heute unfer
gefammteS Bolf, gu einem nadj aufjen mastigen, nach innen
mit freiheitlichen Siebten wot)l au8geft arteten JReitbe Bereinigt,
Bon ben Silben bis gut Oftfee bie SBaljlen für ein beutfd^eS
Parlament BoHgieljen fonnte, fo Berbanlen wir biefeS nicht
allein ben erfolgreichen Slnftrengungen ber ©egenwart unb nicht
allein ben gro|en Btännern, welche heute bie führet unferer
fRation in äfrieg unb ^rieben ftnb, fonbetn bie nationalen ©üter,
beten wir un8 gegenwärtig erfreuen, ftnb gum guten Steile ba8
SBetf unferer Bätet, Bor allem jener ftarfmüttjigen Patrioten,
Welche in bet Beit ber ©rniebrigung 2)eutfchlanb8 für bie
Sieberaufriihtung unb in ben Sagen bet ©rljebung für bie
Befreiung be8 BaterlanbeS mit begeifterter Eingebung gefämpft
XIV. 313. 314. 1* (3)
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4
haben. 2Ber aber fönnte unter ben Kämpfern jener großen Seit
an Sfcfyatenglanj unb ©barafterftärfe mit bem ruhmreichen SJianne
fidj meffen, beffen Silbnifj, cou Naucb’S SKeiftertjanb mobedirt,
biefem ©aale beute gut 3tetbe bient? SBar e8 bodj cor allen
anberen gelben Slüdjet, roeld^er in bem §reibeit8friege bie
Surften unb Sßölfet gum ©iege fortrifs, nicht als ein glücflidjer
Heerführer im gewöhnlichen ©inne beS SBortS, fonbern als ein
nationaler HeroS, in welchem fich bie t)öd}ften friegerift^en
Stugenben mit ber glübenbften 58aterlanb8liebe unb ber cotfS-
tbümlichften ©eftnnung oerbanben.
Snbem ich e8 unternehme, oon einem in fo Ijobem ©rabe
populären gelben, beffen SUjaten unb beffen eigenartige fPetfön»
liebfeit ben weiteften Greifen unfereS 33olfe8 »ertraut geworben,
oor einer gebilbeten 3u^orerfc^aft gu teben, entbehre ich be8
SBort^eilS, oiel beß bleuen bieten gu fönnen; ich werbe mich oiel*
mehr genügen laffen muffen, meift an allgemein SöefannteS gn
erinnern unb nur ba8 ©ine unb Subete in neuer ^Beleuchtung
gu geigen ober burd) d^arafteriftif^e 3üge gu oeroodftänbigen.
3u biefem 3wecfe fönnen un8 literarifdEje Hülfömittel bienen,
bie %e ©ntftebung ber jüngften 3eit oerbanfen: oor adern bie
eigent)5nbigen an feine ©emablin gerichteten Söriefe SMücbet’S
au8 ben Jahren 1813 — 1815, welche ein in hoben militärifdjen
©bren ftehenber Sßerwanbter beß gelben, ber Herr ©eneral»
lieuteuaut oon ©olomb, fürglidj mit einen fachgemäßen ©ommentar
herau8gegeben hat- ®iefe Sritfe lehren un8 SMütber in an=
giehenber SBeife oon feiner rein meufcblidjen ©eite fennen unb
bieten auch gelegentlich furge militärifcb’politifcbe Nachrichten.
gür bie früheren Jahre entbehren wir einer fo frönen unb
bequemen Srieffammlung; aber abgefehen oon bem, wa8 ältere
Biographen, oon Skrnhagen bis ©cberr, an eigenhänbigen ©cbrift»
ftücfen Slüdjer’S ihren Arbeiten einoerleibt hüten, finten fich
wcrthnode ^Beiträge gur SebenSgefdjicbte unfereS gelben in nam»
haften Shetfeu, welche anbeten äfriegS* unb Staatsmännern au8
(«)
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5
bet Beit bet ©rniebrigung unb bet SBiebergeburt 9>reu|en8 unb
JDeutfdhlanbS — ich nenne nut ©neifenau’S geben »on fPerf} —
gewibmet finb. *) @8 bürfte fid) ba^et ber 23erfudh wohl lohnen
mit Senujjung beö in ben lebten 3ahten neu gewonnenen
SJiaterialS Slüdher’S 23 erhalten währenb bet UnglücfSjahre 1806
btS 1812 nicht tninbet a!8 bie nadjfolgenben StuhmeStage jum
©egenftanbe einer gebrängten ©chilberung ju matten.
©ebharb geberedht b. 23lüdjer wutbe am 16. SDecember 1742
ju SRoftocf geboren, ©ein Sßater , ein ehemaliger Süttmeifter in
hefftfdjeu $Dienften, ^atte bort feinen SBohnftfi genommen, unb
in ber Stabt, nicht auf bem gaube, Berlebte ber junge 23lü<het
ben größten 5thril feinet Änabenjahre unb groat unter einfachen,
feineSwegS glänjenben 23erhältniffen. £Die@ltern hatten mit befchei»
benen ÜJiitteln für 7 ©ohne unb 2 SSödjter 3 n forgeu. ©ebljatb gebe«
recht, ber jüngfte ©ol)H, warb 3um ganbwirth beftimmt, unb
fdjien fdjon au8 biefem ©runbe einen gelehrten Unterricht ent*
behten ju fönnen. 3nbe| ift bie weitoerbreitete 5Jieinung, al8
ob SBlüdjer nur nothbürftig, gleich einem SDotffinbe, lefen, fchreiben
unb rechnen gelernt hatte unb über bie ©lemente be8 23olf8«
Unterrichts nicht hinauSgefommen wäre, burdhauS nicht richtig.
SUlerbingS hat unfer^elb in feiner 3ugenb e8 nicht bis 3ur Sertraut*
heit mit ber Orthographie gebracht, unb ift wäprenb feines langen
geben8 immer in Äonflift mit ben Siegeln ber beutfchen ©ram*
matif geblieben; aber 23lücher hat boch auch, n>a8 man oft genug
überfehen, als Änabe im gateinifchen Unterricht genoffen, wie
er felbft gelegentlich erwähnt unb wie e8 auch bie lateinifchen 2tu8»
brücfe beweifen, bereu et fidh, wenn auch in $orm Bon .jpufaten»
latein, bis in fein 2llter nid)* ungern bebient hat. ©ewanbter unb
tüchtiger freilich als auf ben 33änfen ber ©tabtfchule bewies
(*)
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6
ficfy bet muntere, ja milbe .ffnabe in allen SeibeSübungen,
unb mit bet ftäfylernen Äörperfraft entroicfette fici^ ein ftifcher,
feefet OJtuth unb ein fefter, entf ^[offener ©inn.
UebrigenS oerbanfte SÖIüd^er bem (Elternhaufe, fo menig
mit auch »on bemfelbeu miffen, nod) anbete merthoode SDlit«
gaben für baS geben; not allem ein ftrengeS, unmanbelbareS
@hr' «Kb ^Pflichtgefühl, rücfhaltlofe SBahrheitSliebe, ed)t menfehen»
fteunblichen ©inn unb ein frommes, frö^lie^eS ,£)erg. 3dj fage
aud) ein frommes £erg. SDeun trofc adeS Unbäubigen unb
3ügellofen in SBort unb «Sitte, trofc beS SBetternS unb gludjenS,
in bem fidj Städter fo oft gefiel, mar er eine aufrichtig religiöfe
Statur. ©ein langjähriger Seibar^t SieSfe begeugt oon bem
gelbherrn, bafj er nie ohne fein ©ebetbud) mar unb bafj er,
mie SJiorgenS unb SlbenbS, fo auch oor unb nach ber ©c^Iac^t
nicht gu beten oergafj. Unb ift eö etmaS anbeteS als ber un*
gefuchte SluSbrud feines bemüthigen, frommen ©imteS, menn
bet oiel gefeierte Heerführer begeifterte gobfprüche mit ben
SBorten gurücfroeift: „2BaS ift’S, baS ihr rühmt: eS mar meine
Sßermegenheit, ©neifenau’S 23efonuenheit unb beS großen ©ctteS
Sarmhergigfeit."
S3on anberen großen unb guten SJtännern miffen mir, bafj.
fie beu beften SUjeil ihres fittlichen SBerthS, bafj fie bie SBilbung
oon Herg unb ©emüth oor adern einer cblen SJiutter ©erbauten,
©odte eS fidj mit SBlüc^cr nicht ebenfo ©erhalten? 3luf oer*
ebelnbe meiblidje ©inflüffe im (Elternhaufe beutet eS auch hi«» menn
ber berbc, äußerlich rauhe ÄtiegSmaun immer gebilbeten grauen
gegenüber einen 3artfinu unb einen SEaft an ben $£ag gelegt
hat, mie ihn nur eine gute häusliche ©rgiehung bei angebornem
gciugefühlgu geben oermag.
2Rit 14 3ahr£n marb Slüdjer nebft einem älteren 23ruber,
mie man fagt gur (Erleichterung beS elterlichen Haushalts, öu
einem ber gamilie oer jehmägerten ©utSbefifcer nach fRügcn gefanbt,
mo bie jugenblidje Unbänbigleit fich nod) ungehinbeter als im
(«)
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7
Saterhaufe öuheru burfte, unb neben SB alb unb glur ba8
fdjauntenbe SOReer nnb bie wilbromantifche Äüfte ©elegenheit
gu ben fünften SBagniffen boten. (Roch galt bie lanbwirth»
fdjaftliche SEIjütigfeit als bte SerufSbefchäftigung unfere« gelben,
unb non wiffenfchaftlichem Unterricht war in (Rügen tieüeicht
noch weniger al« in ber medlenburgifchen ^eimath bie (Rebe.
(Da trat Slücf>er, 16 3ahte alt, plßfjHch in ben ÄriegSbienft.
©in fchwebifcbeS .fpufarenregiment — benn bte 3nfel (Rügen
gehörte baraalS noch ben @djweben — übte' einen fo unwiberfteh»
licken 3auber auf ihn, bah er trofc ber (Hbmahnung ton Schweflet
unb ©<hwager ftdj anwetben lieh unb als 3unfer eintrat.
SDie fdjwebifchen Sruppen hatten bie unangenehme Aufgabe,
int fiebenjährigen Kriege gegen griebrieh ben ©rohen 311 fämpfen;
fie terloten barüber ben (Reft ber Megerifthen (Ächtung, ben fte
au8 befferen Setten gerettet, ©chon au§ biefem ©runbe fonttte
man eS als ein ©litcf für Slüchet betrachten, bah « auf bem
Sorhofien einer gelbwache, als er in jugenblidjem Uebermuthe
bie gegenüberftehenben geinbe unaufhörlich neefte unb terhßhnte,
mit bem f)fetbe ftürjenb , ton einem pteufjifchen ^ufareu ge*
fangen genommen unb gum Dberften ton Selling geführt
würbe.
SDiefer treffitd^e , ton bem grobem Könige hochgeachtete
jDffigter hatte feine greube an bem fchßnen muthtollen Süngling
unb trug ihm an, in fein (Regiment eingutreten. Slücher wieS
bieS (Änerbieten nur fo lange 3utücf, als er nicht beS fchwebifdfen
galjneneibeS entbunbeu war, unb blieb in ber Umgebung beS
SDberften , bis e8 biefem, ber eine fteigenbe Sßorliebe für ihn
fahte, gelang, ton bem fthwebifdjen gelbhetrn bett Slbfd^ieb be§
©efangenen 3U etwirfen.
©0 fonnte unfer £elb als ©ontet in SeQing’8 .fmfaren»
regiment eintreten, unb bamit begann für ihn bie fchßnfte Seit
feines 8eben$, feine Slütljegeit, wie er fie im (Älter gern nannte.
„(Der mir untergehli«he Selling war ein wahrer Sater
(»
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8
gegen mtdj unb liebte mich fo unbegrengt, bafj e8 fdjon batt
fommen mufjte, burdE} muntere Sugenbftreidje tyn gum Unwillen
gu reigen."
Salb gum ßffigiet beförbert, madbte Slüd^er a!8 SSEbjutaut
be8 Oberften bie bcfte ©dbule burcb unb blieb auch in bet 5Rä^e
feines ©onnerS, al8 biefer gum ©eneral erhoben würbe. 23on
Äuneräborf biß gteiberg nahm er an wandten ©(blockten unb
©efedbten beß 7 jährigen ÄriegeS St^eil unb ttyat ftd^ wieberbolt
burcb fedfen 5Kutb unb raf<be ©ntfcblojfenbeit fyeröor. aber all»
gubcreit, bei bem geringften Slnlaf; ben 3)egen gu gieren, »ergafj
fid) ber leidfjt aufbraufenbe ^ufarenlieutenant einmal fo weit,
baf) er fogar feinen ©eneral gnm 3)ueH ^erauSfotbern wollte.
33lüd)er würbe gu einer anberen ©cbwabron »erfefct, fanb inbefj
in feinem neuen ÜRajor fPobfcbarlp einen »orgüglidben gebrmeifter
im ©olbatenbanbwerf, fo baf} er fidj ibm fein geben bmbutdfj gu
35 auf o er pflic^t et füllte.
Stiebt fo nüjjlidb »erbrachte Slücbet bie gtieben8jabre, welche
auf ben 7 jährigen Ärieg folgten. 35a er für feinen ungeftümen
Üljatenbrang im 3)ienfte feine Sefriebigung fanb, für wiffen«
fd^aftlid^e ©tubien aber bie SSorbilbung unb in ben pommerifdjen
Duartieren au<b bie Anregung fehlte, fo trieb er e8 wie bie
meiften feiner ©tanbe8genoffen. @r tangte, jagte, tranf unb
ftnelte, ^ofirte ben grauen unb oerübte allerlei luftige ©treidle.
©lüdfUcber SEBeife aber bat ba8 au8gelaffene, oft wüfte ©atnifon*
leben be8 »origen 3abrbunbert8 Weber feinen ftabU)arten Äörper,
noch bie @d)neU traft be8 ©eifteS, noch eublicb |)erg unb ©ernütb
gefdf)äbigt.
würbe bie militarif^e gaufbabn unfereS gelben
in unliebfamer SBeife unterbrochen. 6r ftanb im Sabre 1770
al8 ©tabSrittmeifter an ber polnifdjen ©renge, alß ibm auf Sn«
trag beß @eneral8 »on Boffow, ber an Selling’ 8 ©teile getreten
War, aber bem fedfen unb gewaltbatigen Slücber nicht woblwoöte,
ein £etr »on SägerSfelb im Ufoancement »orgegogen würbe.
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9
SMüdjer, in feinem fefyr empfinblichen (S^tgefüijl oerlefct, fdjimpfte
über bie ungerechtfertigte Surucffefsung unb bat ben jfönig
griebrich in nadjftehenben furzen SBorten um feine ©ntlaffung:
„©et oon 3ager8felb, ber fein anbeteS üßerbienft hot, als ber
Sohn beS SRarfgrafen oon Schwebt gu fein, ift mir oorgegogen;
ich bitte @». ÜRajeftät um meinen Slbfchieb.“ ©er Äönig,
welcher webet ben Rittmeifter oerüeren, noch ftd) oon ihm ©rofc
bieten laffen wollte, referibirte in feinet Söeife, Slücher fofle fo
lange in 33erhafi gefegt werben, biß er fi<h eines SBeffeten be»
pnne. ©a aber ber jefct ooflenbS f erlebte Rittmeifter nach
neunmonatlicher $aft noch auf feinen Sbfehieb beharrte, würbe ihm
betfelbe burch folgenbe Drbre bewilligt: „©er Rittmeifter Sölüd^cr
ift auS bem ©ienfte entlaßen unb fann fidh gum Steufel fcheeren."
So gab Blücher eine Laufbahn preis, an ber et bod? mit
gan3er Seele bing. 6r war mittellos unb bagu cerlobt, ©a
cetlieh ber fächfifche Oberft oon SRehling, ©eneralpächter einet
polnifchen .£>ertf<höft, ihm mit ber ^>anb feiner Mochtet ein £anb*
gut in Unterpacht, ©anf feines unoergleid)lich praftifdjen Sinnes
unb ©anf ber Suthoft unb SluSbauer, womit er bem neuen
Berufe fi<h wibmete, wirthf duftete Blücher fo oortreffiieb , ba§
‘er nach einigen Salden con feinen Grfpatniffen ein @ut in
Sommern faufen fonnte. $ier erwarb er fidh gerabe3u ben Ruf
eines SRufterwirtheS, unb feine StanbeSgenoffen ehrten ihn
burch bie SSaljl 3um RitterjcbaftS* ober Sanbrathe. Slucp $rieb*
ridh ber ©rofje, welchem Blüchct’S auSge3eichnete Stiftungen in
ber 8anbwirthfchaft nicht entgingen, wanbte bem ©utSbefifcer unb
Sanbrathe bie ©unft wieber 3U, bie et bem hörigen Rittmeifter
ent3ogen, unb war ihm fogar mit ©elboorfchüffen unb ©elb*
gefepenfen gut Berbefferuug feines ©utS behülflicp. ©agegen
weigerte fiep ber Äönig ungeachtet aller btingenben ®efud?e
Blücpet’S, ihn wieber als Offner angufteHen. Rapegu 15 3apre
fah fich ber feurige 9Rann oon bem Berufe, für ben er wie nur
wenig Slnbere geboren war, unerbittlich auSgefchloffen.
c»)
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10
Stiles häusliche ©lücf, bie Siebe ber ©attin unb baS frö^Iid^e
©ebeifjen einer ^a^lreidjen Jfinberfchaar boten trofj beß innigen
gamilienfinneS, bet ifym eigen war, auf bie Dauer feinen ©rfafj.
Hnbefriebigt griff SMüdjer mieber gum Spiele, fcem er eine Steife
ocn Sagten gang entfagt haben fotl, nnb begann überhaupt ein
ungeregeltes geben, biß ihm enblidj, gmei Saljre gunor, ehe er
feine ©emahlin burth ben $ob »erlor, baS Slbleben griebrich’S beS
©rofien bie SluSficht auf bie {Rücffehr gum SDiilitärbienft eroffnete.
3m Sahre 1787 mürbe 23lüchec mieber in bem fdjmargen (je£t
ridjtiger rothen) ^pufarenregimente angeftellt unb gmat als 5Rajor,
um halb gum Dberftlieutenant unb fdjon im Sahre 1790 gum
SDberften unb {Befehlshaber beS {Regiments gu aoanciren. @r
lebte nun mieber gang als Solbat, tüchtig im Sienft unb frifth
unb muthig bem Slugenblicf ^ingegeben. £>b er »iel ober meuig
©elb hatte — oft fehlte eS gang baran — beeinträchtigte feine
frohe Saune faum; er oerftanb bcffet gu entbehren als gu ge»
niefjen, unb maS baS ©lücf in fühnem Spiele ihm etrca gu*
manbte, mürbe meift raf<h oerthan.
©rft in ben Salden 1793 unb 1794 bot ftd} für SSlücher
bie lang erfehnte ©elegenljeit gu größeren friegerifdjen 2haten.
SSn ber Spifce feines {Regiments nahm er meift in bcr SBorffut
ber oereiuigten öfterretrfjifdv^reu^ifcben £eere an ben ^elbgügen
gegen baS reoolutionäre Sranfreich, aufangS in ben {Rieberlanben,
bann am JDberthein 2heü. UeberaD aber that er ftd), mähtenb
ber Ärieg für bie IBetbünbeten im ©angen nicht glängenb »erlief,
burdj feinen entfcbloffenen SRuth, feinen fräftigen SBillen unb
feine unübertreffliche ^pufarenlift het»»r.
SBie er felbft UobeSfurcht nicht fannte — oft genug fefjte
er baS eigene Seben faft toOfühn auf baS Spiel — , fo gemohnte
er auch feine Seute, für bie er übrigens väterlich forgte unb
über rcelche er alles oft mit einem fräftigen SBifcmort »ermochte,
»n febe ©efaljr; aber feiten ober nie verleitete ihn fein »ermegenet
ÜRuth unb fein SSertrauen auf baS ©lücf, bie Serantmortung
(»«)
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beö gübterS auä bem 2Iuge ju laffen. ©eine fübnen Jpufateu*
ftreic^e waten f^iau beregnet unb wutben mit größter Sorftcbt
auSgefübrt. 2Rebr als einmal fügte bet fyelbenmütljige Sdeitet»
obtift , ben her Äönig am 4. 3uni 1794 jum ©enetalmajot
etnannte, bem geinte empfintlicbe Serlufte ju; fo jeidjnete et
ftdj in bem ©efedjt 3U SJtoorlautern burd} eine glüngenbe
6aca0erie«9tttaque auS, unb ebenfo bebeefte et ficb bei Äirrweiler
(in bet wo et ben ©eneral SDefaij: gurücffcblug, unb bei
ÄaifetSlautetn mit 5RuI)m. Sei Äirrweiler etbeutete Slüdjer
6 Äanonen nebft Sagen unb ^fetben unb machte 500 @e»
fangene.
Uebet feine &t)aten unb ©rlebniffe in beu gelbgügen Don
1793 unb 1794 führte Sinket jEagebüdjer, bie fpäter, butd^
feinen abjutanten ©rafen ©ol£ unb ben ÄtiegSratb SRibbentrop
beatbeitet, etfebienen finb.
Slütbet l)at immer Sertb auf biefe Aufzeichnungen gelegt
unb bie 8ebren unb Seifpiele, bie fie enthalten, noch oft im
Alter empfohlen. 3ene Tagebücher finb auch nicht allein febr
anfcbaulicb unb lebenbig gefdjtieben, fonbetn enthalten nach bem
Urteil ©adboerftänbiget füt ben 9>arteigängerfrieg, für ben Sor*
poftentienft bet ©aoalletie, füt UebetfäQe unb anbeteS manches
noch beute ©ültige.
@8 war nicht Slüdjer’S ©djulb, wenn bie oerbünbeten
ß[terteicbifd)>pteu§ifcbcn £eere SDanf bet metbobifeben Strategie
bet Oberfelbberten unb ber wadbfenben 3toirtTadjt bet aufeinanbet
eifetfücbtigen unb mifjtrauifdben ©abinete fid) fdjliefjlicb übet ben
Schein jurüdfjieben mußten. Slücber febtte, als butdj ben Safelet
grieben 1795 ^reufjen, nid)t obne DefteneicbS ÜJiitfdbulb, bem
geweinfamen Kriege gegen granfteicb entfagte, mit bem SRubnt
eines neuen 3'ftben, eine8 Lieblings bei £eete8 unb beS Sol!e8
gntürf.
(St etbielt füt bie näcbften 3abte ein Gommanbo innerhalb bet
burc b ben gtieben gesogenen SDemarfationSlinie in fRiebetbeutfcb«
m)
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12
lanb. 3n Aurid) oermählte er ftdj mit gräulein Amalie Bon
©olomb, einer Todjter beS bortigen Äammerpräfibenten, weldje
fid) nid)t allem burd? ©djönheit unb ^er^enggüte, fonbern audj
burdj geiftige Sebeutung aulaeidjnete. Amalie Bon ©olomb
Wat 30 Safyre jünger all ihr ©emahl, ber jebodj auc^ all günfjiger
nod) eine wahrhaft glängenbe ©tfcbeinung barbot. 23hi^er mar
befanntlid) ein fc^öner {Diaun, jd}lanf unb grofj; bie hohe» breite
©tim , bie ftar! gefrümmte SRafe, bie blijjenben blauen Augen
gaben audj {einer äußeren ©rfdjeinung bal ©epräge bei gelben.
Kühnheit unb unerfchütterlidje {Ruhe, Älarheit bei ©eiftel unb
Seftigfeit bei SBiQenl {praßen fic^ in {einen 3«gen aul; in
{einen SRunbwinfeln aber lag, nacb Arnbt’l Aulbrucf, 33er{(^mi^t*
heit unb Jpufarenlift.
2Bat el ju Berwunbem, wenn 33lüdf)er nicht allein ber
Liebling ber grauen war, {onbern bie ^erjen AUet gewann, mit
benen er nerfefyrte? ©elbft unter {o {^wietigen 33erhältniffen,
wie fte iljn im 3a^re 1802 in SBeftphalen erwarteten, all er
SJtünfter für {Preufjen in Sefijj nahm unb bort all ©ou»
Bemeur ber ©tabt unb ihre! ©ebietl für bie nädjften Sa^re
fein Duartier auffcblug , erfreute et ftd) einer feltenen fPopuIari»
tat auch in bürgerlichen greifen. ©I waren griebenljahre für
bie preufjifdje Armee, unb SBlüd^er fanb Seit, feiner geibenfdjaft
für bal ©piel, bem er im gelbe ftetl entfagte, nad^ugehen.
4>äufig fah man ihn in bem 2?abe ^prmont, bal er im ©ommer
oft befudjte, um bie hmhften ©ummen {fielen. ©I war, wie
wenn {einem feurigen Temperament fühnel SBagen ein Söebürf»
nifj gewefen wäre.
{Daneben uetlor er inbefs bie SßeltBerhältniffe ebenfo wenig
wie bie Angelegenheiten feinel militäri{djen SSerufl aul bem
Auge. 3e£t juerft tritt feine {ßerfönlidjfeit aud) im politifdjen
geben ber {Ration henwr. ©t wirb ber entfd^iebenfte ©egnet
bet Bon <£>augwi{} Bertretenen fd^wac^Iicfjen griebenlpolitif; er
hafjt ÜRapoleon unb erfenut bie fteigenbe ©efa^r, bie Bon ber
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ftangöfidjen Uebermacht broht. öffen unb herb warnt et cot
jefcem Sünbnifj mit bem Solbatenfaifer, unb .feit bem 3ahre
1805 wirb et neben $ring 2oui8 gerbinanb unb ©enerat
{Rüt^el einer ber geiftigen gührer ber ^rieg^artei tm preufiijcben
£eere.
Slücher jubelte auf, als enblich im Jperbfte be8 genannten
3abre§ bie Slrmee mobil gemacht unb bie Hoffnung erwecft
würbe, bafj griebrid) SBilhelm III. im Sunbe mit Sllejcanbet
non fRufjlanb bem öfterrei^tfdben Äaifer in bem an ber 3)onau
eröffnet em großen Äampfe gu ,£>ülfe fommen werbe. 5818 bann
aber nach ^augwifc’ übelberufener EJtiffion $)reufjen ba8 brohenb
erhobene Schwert wieber in bie Scheibe ftecfte, rcahrenb Öfter»
reich einen nachteiligen Trieben einging, fRufjlanb feine
Struppen gurüdgog unb bie fübweftbeutfdjen dürften enblidj auf’8
engfte an Elapoleon fich aitfchloffen, ba war Sßlüc^er nicht ber
lefcte unter ben gasreichen Patrioten, welche ooE UnwiEen unb
3orn aufbrauften. Salb fdjimpfte er auf bie üJiinifter, bie ane
Schmach oerfchulbet, halb begeifterte er fid) für „bie göttliche
.Königin" 8uife, für bie er aflein noch in ben Äampf giehen
möchte, halb wanbte er fich mit einem freien unb fräftigen SBorte,
wie e8 nur ihm erlaubt war, an ben König felbft.
griebrid} SBilhelm entfchlofi fid} enblich im Spätfommer be8
3ahre8 1806, al8 neue SDemütt)igungen, £erau8forbetungen unb
Sntriguen Elapoleon’8 ihm !aum eine anbere 2Bal)l liehen, gum
Kriege. Slber bie Umftänbe waren nunmehr einem Kampfe ber
ifolirten preuhijdjen CCRadjt gegen ba8 ftangöfiche SBeltreid) fo
ungünftig wie möglich, aud) »erfannte ber befonnene, tn mili«
tärifchen 3)ingen fel)t einfidjtige König nicht bie tiefen Sd}5ben,
an benen feine 2ltmee franfte unb bie er oor bem 5Hu8bruche
be8 Krieges gu befeitigen gewünfdjt hätte.
Slücher bagegen fieht froh in bie 3ufunft. 6t fürchtet
bie grangofen nicht, fonbern fann ooE 9Euth unb KampfeSluft
faum ben Stag be8 2oSbrud}8 erwarten; er wiE inbefj, wie et
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bem Äönig »erflc^ett, nichts ttebereilteS unternehmen unb fich tatest
ton gu großer Segierbe htnreifeen taffen. S3on ben geinben aber
ift er überzeugt, bafs fte, wie et bem ©enetal IKüd^el fdjreibt,
ihr ©rab noch bieöfcitö beS Scheines ftnben unb ben herüber»
fommenben angenehme dtachricht wie ton (Rofcbach bringen
»erben.
SDiefe Siegeshoffnung würbe jeboch f<hon tief genug herab
geftimmt, ehe SMüd&er mit feinem @orp8 ton SBeftphalen nach
Thüringen aufbra(h. ©t fah noch immer ben lähmenben ©in»
flufc ber SJtänner beS ©abinetS fortbauern unb ade Shatfraft
hemmen. „®ott, rtie weit ift eS mit unS gelommen!" ruft er in
einem ©riefe an fRüdjel auS. @r hofft nur noch ©ute§, wenn
ber Äönig fi<h in bie ÜJtitte ber Ärteger begiebt. JDann »erbe
er täglich anbere föteinuugen hören, als fie ihm biß jej}t „ton
einet boshaften Slotte ton gaulthieren" torgetragen werben, unb
feine Stnficbt werbe fidj anbern, wenn et fich ton lauter ent»
fehloffenen 9Jtenf<hen umgeben fetje unb ben allgemeinen Ha§
lennen lerne, bet bie SJBenigen treffe, welche ihn bisher täufchten
unb betrogen.
§riebri(h SSilhelm begab fich gut Slrmee; aber beS ÄönigS
beffere (Sin ficht fonnte »eher bie ^lanloftgfeit unb bie SBerfehrt«
heiten befeitigeu, bie in bem Hauptquartiere beS alterSf djwachen
HergogS ton 33raunf<hweig h«rrf<hten, noch bie ^ebanterie unb
Schwerfälligfeit, welche ben gangen SJiechaniSmuS beS pteufjifchen
Heeres fenngeichneten. SBie gang anberS auf feinblidjer Seite,
Wo ber geniale Sdjlaehtenfaifer in ber gütle feiner Äraft, um*
geben ton ben außgegeichnetften ©eneralen, an bet Spifge fieg*
gewohnter Struppen ftanb!
9ln bem fdjicf’alSfchweren 14. IDctcber, in ber üDoppel*
fdjladht non 3ena unb Suerftäbt, führte ©lüd^er bei bem leiteten
Orte bie SScantgarbe bet Hauhtarmee. (Sr machte mit ber
©ataDetie einen glücfHdjcn Angriff, würbe aber burch feinbliche
(SarreeS in feinem SB erbringen aufgehatten. 3n ber Hif?« keS
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(Gefecbtfi würbe ihm baß ^ferb unter bem Seibe erfchoffen; er
muffte mit bet Oieiterei gurücfweichen. 2Rittlerweile warb ber
höchftfommanbirenbe Jpergog »on Vraunfchweig ferner »erwunbet,
eß fehlte an jebem einheitlichen Sefefyl unb bie planlos in ben
Äampf geführten Struppen erlitten harte Verlufte. 3118 bann
bie 9)teu§en, inbem fie ba8 Dorf ^affen^aufen räumten, non
einer fraugöfifchen Dioifton umgangen würben, ^offte Vlüdher
nod) butd) einen Angriff mit ben lebten 9iefer»e*($a»allerie»3lb«
Teilungen bet Schlacht eine günftige SBenbung gu geben ; allein
bie fdjon erbetene (Genehmigung be8 Äönigß würbe ihm
»erjagt unb ber fRücfgug anbefohlen. Da an bemfelben Jage
bie £ohenlohe’fd)e Slrmee bei 3ena gänglid) gefchlagen war unb
bie »on borther gliehenben gu ben bei 3luerftäbt bcftegten Struppen
ftiefjen, artete bet {Rücfgug auch biefer halb in tegellofe glud)t au8.
33lüd)er war einer ber wenigen höhnen Dfftgiere, welche,
auch aa(^ ber Äataftrophe beß 14. Dctoberß, ba ber gange Kammer
bet preufcifchen ßtiegßfühtung gu Stage trat, ben Äopf nicht »er»
loten. (Sr befehligte, al8 unter ^ohenloheß Leitung bie £aupt»
maffe ber gesprengten 3lrmee auf Umwegen ftd) über bie dlbe
rettete, bie Sirrieregarbe, gerieth aber in bie peinlichfte Sage,
nachbem felbft Hohenlohe mit 10,000 fDtann bei $)renglow bie
SBaffen geftrecft hatte. Slücher fab fi<b mit 10,000 fölann
burch bie »ietfache Uebermacht gweier frangöfichet fölarfchätle ge«
fähtbet, welche ihm ben 2Beg nach ber Ober »erlegten unb gleich»
geitig Diücfen unb glanfe bebrohten. 3118 er bann noch weitete
gerftreute #eeteßrefte an ftch gog unb bi8 in’8 OJlecflenburgifche
»orbrang, jaubte Napoleon nodh ein britteß Gforpß gu feiner
Verfolgung auß, fo bafj ihm auch bet Söeg nach SRoftocf abge*
fchnitten würbe. 9lun wanbte fi<h SMücher unter immer erneuten
heftigen (Gefechten nach Sübecf in ber Hoffnung, hiet auf englifchen
gahrgeugeu nach Dftpreu|en fidf eingufchiffen. Snbem er aber
mit feinen abgehefcten Struppen bie alte ^anfeftabt erreichte, fah
er bie geittbe bicht auf feinen gerfen. Die fPreuffen fchlugen
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fi<h noch in ben Straften SübecfS auf’S Jiapferfte, bis fie fid^
sei bei Uebermadht auf fyolfteinifdje0 ©ebiet nach {Ratfau gu*
tücfgiehen mufften. Sin ein Gattinnen »at nicht mehr gu beulen:
SMüdjer muhte nothgebrungen capituliren; et that eS mit fernerem
bergen unb nicht ohne feiner Unterfdjrift bie JBemerfung beigu»
fefcen, baff er nur auS gänglicpem SRangel an Stob unb SRu«
nition bie SBaffen geftrecft. Gr burfte auf ©htentsort nach Ham-
burg gehen.
SBährenb Sölüdjer als einet bet SBenigen, »eiche in ben
Jagen bet Schmale unb ©rbärmlichfeit ihre 23appenf<hilbe rein
unb macfelloS halten, bie preuffifche SBaffenehte rettete, Ȋlgten
ficfc bie feinblichen HeereSmaffeu , ba eS feine preuffifche Slrmee
mehr gab unb felbft bie ftärfften Seftungen burch incalibe
Gommanbanten fopfloS unb feig bem Sieger überliefert »urben,
ungehinbert bis gut SDber, ja bis an bie SBeichfel. 5>ie fßniglidje
gatnilie muhte in bem öftlidhften Jhe'le bet ÜRonarthie, in
Königsberg, bann in SRemel eine 3uflucht fuöbeu. 55a erft
nahte bie erjehnte ruffifche Hülfe. 55er fReft ber preuhifchett
Jruppen, oon bem tapfern ©eneral ?eftocq geführt, fchlofj fid)
ben SSerbünbeten an, unb burch glücflidje Kämpfe »urbe bie
Hoffnung begrünbet, bah mit ber ^)ülfe ber fRuffen noch immer
ein leiblicher Triebe errungen »erben möchte. 3n ber Schlacht
bei 95reuhifcbsGi>lau, »e Seftocq mit feinen 6000 SRanu SSunber
ber Japferfeit »errichtete , erlitt fRapoleon fc fch»ete 23erlufte,
bah er trofc feiner SiegeSberichte bem Könige bie qpanb gu einem
günftigen ^rieben bot, wenn et [ich ocn feinem S3unbeSgenoffen,
bem Kaifer SUejcanber, loSfagen »erbe. 35iefe Bumuthung wieä
griebrich SBühelm gurücf unb ber Krieg nahm feinen gortgaug.
S3lücher »ar ingwifchen gegen ben ftangöfifchen ORarfchall
SSictor auSgewedhfelt »erben, nachbem et feit ber Sbreife uon
Hamburg 14 Jage in fRapcleon’S Hauptquartier gugebracht hatte.
„55er groheSRann,“ fo berichtet er über ben frangöfifchen Kaifer,
„hat fich eine gange Stunbe gang allein mit mich unterhalten;
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er hatte oiel 5Rühe mich alles serftcinblich gu machen, ba ich
bet Sprache nid^t mäklig bin, liefe fidj aber nicht abhalten, e8
mid) begreiflich 31t machen, bafe er grieben »eilte."
3(8 Vlüdjer bann nach Vartenftein fam unb bcn Äßnig
entfcfeloffen fafe, ben Ärieg fort3u jefeen, blicfte er froh in bie
Bufnnft, unb 3»ar unt jo mehr, als er nach bem Sturge beS
SJtinifterS ^augwife feinen greunb ^»arbenberg an ber Spifee
bet ©efdjäfte unb gugleidfe in Vefifee be8 uubegrengten Sßertrauen8
beS ÄaiferS Aleranber fafe. Schon »agte er 3U hoffen, bafe
auch bet 3U Anfang be8 3afere8 in Ungnaben entladene greifeerr
nen (Stein, in welchem ba8 fdjarfe Auge beS Solbaten ben
Staatsmann ber Bufunft erblicfte, alSbalb non bem Äönig gu*'
tücfgerufen würbe. @r bejchwot ben auf feiner eäterlicfeen 33urg
in fRaffau weilenben gteihertn, boch ja 3U fommen, fobalb er
gerufen werbe. „Sinb wir bann »ereint, fo feilen un8 bie noch
übrigen an ©eift unb geib franfen gaultfeiere leinen Schritt
Jetrain mefet ftreitig machen.“
(Der tapfere ©eneral, »on bem Äönige mit bem fchwargen
AbleroTben auSgegeidfenct, würbe auSerfefeen, mit einer neu au8*
gerüfteten Struppenfcfcaar im Verein mit ben Schweben im
SRücfen ber gran3ofen in Sommern gu fämpfen. Vtücher felbft
hatte ben Vorfdjlag gu bem Unternehmen gemacht, unb Äeiner
wäre gut Ausführung beS planes geeigneter gewefen. 3(8 er bann
in 3?önig§berg mit ben Vorbereitungen für bie ©rpebition, een
ber man ©tofee8 erwartete, befchäftigt war, würbe er häufig non
ber Königin, welche bafelbft norübergehenb wieber weilte, em*
pfangen. Sie gnife ben fühnen, patriotifchen ^riegSmann, fo
»ereilte Vlüdjer auf’8 Sieffte feine hochfinnige Königin. Sie liefe
ihn, wenn in ihrem Keinen Abenbgirfel @harh‘e gegupft mürbe,
gern non feinen jüngften ÄtiegSerlcbniffen ergählen, wa8 Vlütfeer
mit jugenblichem geuer unb nicht ohne bie 3uoet ficht tfeat, fünf»
tig grefeere ©rfolge gu ergielen. Senn babei auch ihm »on ber
Königin ein Stüdfdhen geinwanb gereicht würbe, bamit er
XIV. 313. 314. 2 CU)
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©parpie barauß gupfe, fo pflegte et eß uubemerft in feie «Säbel*
tafele gu fteifen. guife, ipn einmal batübet ertappenb, geipt
ipn läipelnb bet Unterfdjlagung. SMücpet etflärt eß für eine
Äriegßlift unb bittet um bie ©nabe, feine Station ©parpie gu
£aufe gupfen gu bürfen, »aß ipm unter bet S3ebingung promp*
tefter Ablieferung geftattet »irb.
fRacpbem ein ©orpß non 7000 SJtann außgerüftet unb mit
©nglanb »ie mit ©(pweben ein Uebeteinfommen getroffen »at,
fegelte SBlüt3^er am 31. Sföai 1807 auß Villau na<p bet 3nfel
!Rügen ab. ©er f<p»ebif<pe jfenig aber, »eichet fitp bie Ober*
leitung außbebungett, patte, etje bie 9>reupeu anfamen, eine
längere SEBaffenrupe mit ben grangofen gefdjloffen, fo bap fiep
Slüdjer gu einer ipm gtünblidj nerpapten Untpätigfeit nerut*
tpeilt fap.
SSäptenb fo bie foftbaren Sage ungenüpt nerftriepen, erfüll«
ten fiep rafcp bie ©efepiefe bet preupifepen SRonarepie. 33ergebenß
patte mau um feben fpreiß Defterreicpß Beitritt gu bem preupifep»
tufftfdpen 5ßunbe gu erlangen gefuept. ©ann »utben bei grieb»
lanb bie feplecpt gefüprten {Ruffen entfepeibenb gefeplagen, unb bet
Bat Alejranber war, trop ber bem 33erbünbeten im Angefiept
bet ©atben wieberpolt gelobten Sreue, bereit, mit fRapoleon
grieben unb grewtbfcpaft gu fcpliepen. ©o fap fiep ber oer*
laffene gtiebriep SSilpelm auf bie ©nabe beß übermütpigen
©iegerß angewiefen, weleper, »eher butdf bie popelt, noep burtp
bie Spränen ber unglüefliepen Königin gerüprt, baß fReept beß
©tärferen rücffieptßloß außbeutete.
SB er wüpte niept, wie unfägliep bemütpigenb unb bitter
bie 33eftimmungen beß Silpter griebenß für $)reupen waten?
SBurbe bem Äönige boep, inbem ipm fRapoleon bie eine Hälfte
beß ©taatßgebieteß entrip, bie anbere nur gelaffen alß ein Beug»
nip bet Aeptnng, bie ber frangofifepe Äaifet gegen ben Baren
pege, wäprenb au<p Diuplanb fi<p mit einem ©tücf beß net»
ftümmelten ^Ireupen nergröperte. 33oHenbß nerberblidj »at enb*
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Jidb bie übereilt abgefdjloffene Gonoention, bie (Räumung ^IreufjenS
toon beit frangöfifdbcn Gruppen betreffend; denn dtefer Vertrag
machte ben abgug ber feindlichen .£>eere »on B^lungen abhängig,
bie bet Sieger bis in’S Unerme&lidbe gu ftcigem entfd^Ioffeit war.
fortan war baS gertrümmerte, webrlofe $)reufjen gang in bie
«£>änbe (Rapoleon’S gegeben, in beffen Velieben eS ftanb, bem oer*
bauten Staate, fobalb er wollte, eiu Gnbe gu madbeit. (Rur bie
IRücffidjt auf (Rufclanb fonnte i(?n noch abbalten, ben lebten
Stritt gu t^un unb baS £au8 ber £obengodern gu entbronen.
2lber bie Sage ber (Rotb unb ber Sdbmadb, bie über ben
Staat griebridb’S beS Grofjen gefommen, begegnen gugleid) ben
beginn ber Siebergeburt (PreufjenS unb ber Vorbereitung gut
(Rettung beS GefammtoaterlanbeS. SERit bem (Ramen beS grei*
berrn »on Stein uot adern ift bie Griuuetung au bie Sieber*
aufricptung ^)reu|enö oerfnüpft. GS beburfte beS fd^öpfetifd^en
GeifteS, ber ftttlidjeu -£>obeit unb ber bewuubernSwertben Sbat*
raft biefeS großen (JRanneS, um bem gertrümmerten, »om geinbe
fdjwet bebrängteit Staate unter ben benfbat fdjwierigften Ver*
bdltniffen neue Grundlagen beS GebeibenS in gufunftSreicben
(Reformen gu geben. 3$ erinnere nur an bie Vauernemangipatiou,
an bie anbabnwtg ber Gewerbefreibeit für Stabt unb 8anb, an
bie bebeutungSoode Stabteorbnung, (Reformen, bie gum Sbeil
freilidb fdbon in ber oorbergeljenben 3eit geplant unb »orberettet
worben waren, gu bereu ^Durchführung aber erft bie (Rotblage
beS Staats unb Steiu’S gewaltiger Geift ben fräftigeu 3«npulS
gaben.
aber nicht adein um eine neue politifdbe Drganifation
banbeite eS fidb, fonbern eben fo bringenb, ja nodb bringenber, er*
fdbicn bie Umgeftaltung beS «jpeetroefenS, bie Sebrbaftmacbung
beS VolTS, wofür im Sinne Stein’S Scbamborft, bet eigentliche
Schöpfer ber neuen ^eereSorganifation, mit Gneifenau unb
anbern tbätig war unb nidbt am wenigften griebridb Stlbelm III.
felbft »erftdnbnifjoode unb eifrige Sbe^»abmc aH ben &a3 *e3*e>
2* 09)
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©djarntjorft unb ©neifcnau, bcibe mit 33lüdbet befreunbet,
gehörten eben fo wenig wie biefet unb bet greifen: »on ©fein
non ©eburt bern ©taate an, in beffen SDienft fte fid? mit blei»
benbem £Rubm bebeeften, wie benn aud) a0e »ier bei »oflfter
Eingebung an ^reu&en in bem, wa8 fie witften, baö SBefte be8
gangen beutfdjen SBolfeS im Sluge Ratten.
©ineö bannooerjd)en Pächters ©obn batte bet ebenfo befrei»
bene alö geniale ©dbarnborft, ben man bet beutfdjen greibeit
SBaffenfdbmieb genannt bat, wäbtenb bet griebenSgeh im preu»
feigen SDienfte fldj nut atlmälig ©eltung »erfebaffen Ißnnen.
©tft in ben Stagen bet 3Rotb letnte bet Äßnig ben unüergleicf)*
lieben SBertb beS SRanueS fennen, meldbet mit fo »iel Ein-
gebung unb ©elbftloftgfeit ibm unb bem ©taate biente.
Unb ähnlich »erhielt e8 ficb mit Sribbato »on ©neifenau,
beffen Flamen mit 33lü<bet’$ JRubmeötbaten oon bet Äajjbacb biß
SBatetloo ungertrennlicb »erbunben ift. 2118 ©obn eineg ebe»
maligen ofterreiebifeben DffigierS gu ©djilba in Stbüringen ge»
boten, batte et al8 Änabe geitmeife bie ©änfe gehütet, biä et
in SBütgburg im £aufe beö mütterlichen ©rofwaterö beffete
Stage »erlebte unb bann bie Unioetfttät ©rfutt begog, um ficb
matbematbifdben ©tubien gu wibtnen. 2lbet halb trieb ben lebenß»
mutbigen Süngling bie 9?otb, in 2ln8badbi|dbe ÄtiegSbienfie gu
rieten; et fab als junget Dffigier 2lmetifa unb fanb enblidb in
bet bewunbetten 2ltmee griebricb’8 II. 2lufnabme. Slacbbem
©neifenau in preufjifcben ©arnifonen feine beften Sabre in
untergeorbnetet ©tellung »erbradbt batte, fam enblidb bie Bett,
wo bie groben militärifdben ©oben, bie umfaffenbe 23ilbung
unb bie b°b® patriotifebe ©efinuung beS 9Jianne8 ihren SBertb
erhielten. @r batte bie Stäben beö preufeifdjen EeereS früher
als 2htbere burdbfebaut; et fab, als bet gelbgug »on 1806 be»
gann, audb bie gebier, welche bie Leitung beging; aber als jpaupt»
mann fonnte er nicht ratben, fonbetn nut f echten wie ein tapferer
©olbat, um bann fliebenb ba8 ©chladbtfelb oon Sena gu »et»
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laffen. „ÜDa8 waren ©räuel, taufenbmal lieber fterben, atö ba8
wieber erleben!" rief er f pater in Erinnerung an bie gludjt au8.
Erft in ben Unglücf8tagen fdjlug ©neifenau’8 ©tunbe. 2118
Eommanbant non Eolberg, wohin ihn griebridh SBilljelm fanbte,
fteüte ber gelben müßige SJtann, unterflögt »on SRettelbecf unb
einer brauen 33ürgerf<haft, in ben Jagen ber ©djanbe unb
ber Schmach ein leudjtenbeS Seifpiel friegerifcher Jüchtigfeit unb
patriotifcher ©eftnnung auf, unb würbe bann auf ©djarnljorft’S
JBorfdjlag nebft ©rolman, 33open unb SHnberen in bie SERüitär*
organtfation8*Eommiffion ju einer epcdjemac^enben J^dtigfeit
berufen.
SMüdjer warb nicht SDRitglieb biefer Eomtniffion; er hätte
baju auch fdjwerlich gepaßt. 3h«1 würbe bagegen nach bem
^rieben ba8 Eommaubo über bie Jruppen in Sommern übertragen;
aber bennoch nahm er an ber Umgeftaltung ber 2lrmce lebhaften
Slntheil. SDie Sbeen, non benen jene SER (inner au8gingen, befeelten
auch ihn u«b er beftarfte fie in benfelben.
2118 ber Äönig am 28. 3uli 1807 ben glorreichen 33er<
theibiger non Eolberg an fein befdjeibeneS ^oflager nach SDRemel
in ben fernften SSinfel ber SDRonardjie berief, fdjtieb 23lü<her bem
uon ihm hochuerehrten SERanne:
„@ehen ©ie hin» »on meinen beften SBünfchen begleitet.
3(h ah«be( wogu ©ie beftimmt finb, unb freue mich barüber;
grüben ©ie meinen greunb ©charnhorft unb fagen ihm, bah ich
e8 ihm an’8 Jperg lege, nor eine SRationalarmee ju forgen.
5Diefe8 ift nicht fo fcbwierig, wie man benft; »om ßollmab muh
man abgehen, niemanb in ber SBelt mufj ercimirt fein, unb e8
mu§ gut ©chaube gereichen, wer nicht gebient hat, e8 fei benn,
bah ihm förpetlidje ©ebrechen baran Ijinbern. — Unfere unüfjen
fPebanterien mag ber ©olbat ganj »ergeffen. 5Die 2ltmee muh
in ©ioiponS getheilt werben, bie 3)i»ifion non allen ©orten
Jruppen componirt fein unb im Jperbft miteinanber manboeriren.
(«)
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2)a ^aben Sie mein ©laubenSbefenntnifj, geben Sie eS an
Sdjarnfyorft, unb fdjreiben Sie mi d) beifce 3b« Meinung."
5Da§ eS gelte, auf ber ©tunblage ber allgemeinen SBefyr*
Pflicht ein nationales $eer 31t fcbaffen, but^brungen »on allen
eblen, tüchtigen unb gebilbeten Elementen, in biefer ttebergeugung
begegnete fidj 33lüdE>er mit Sdjarnborft unb beffen patriotifdben
SRitarbeitern, fo mie mit bem leitenben StaatSmanne Stein, be*
als lefjteS 3id bei feinem reformatorifcben SBirfen bie 93orbe*
teitung beS SSolfeS für einen balbigen UnabbängigfeitSfampf im
Singe fyatte.
©neifenau aber ging in feinem CSifer fo weit, bafj et nicht
allein eine militärifdje ©^iebung ber 3ugenb ootfchlug, fonbern
bie burd) ben Ärieg sertrümmerte Solbatenfaffe ganj befeitigt
Unb burcb ein friegerifd) gefaultes SBolfSbeer, brei mal fo grofj
wie baS bisherige, erfeijt wiffen wollte.
#eute werben wir eS als ein ©löef betrauten, ba§ ber
©ebanfe, baS fteljenbe £eer burd) bie ÜBlilig §u »etbrängett, bei
Stiebridj 28ilf)elm feinen Slnflang fanb; wir werben audj ben
Äönig triebt tabeln, baf$ er nid>t fogleicfe baS $>rincip ber aflge»
meinen SBebrpflicbt 3ur SluSf übrung gu bringen fudjte: galt eS
bodj sunädjft mit fpätlicben SORitteln bie gefallene Slrmee wieber
aufgurichten, gefäubert »on allen 3Weifefbaften Elementen, ge*
fault, auSgerüftet unb geführt nach neuen ©runbfätjen.
Sßäbrenb mit bem jfonige bie beften SRänner ihrer Beit in
ber angebeuteten SBeife an ber ^Regeneration beS Staates arbei*
teten, ftanb il)nen nicht allein in ben Slnbängetn beS altpreufjifchen
3unfertbum8, in ben 33orurtbeilS»oUen, ©igennüfcigen unb fragen
eine mächtige Partei entgegen, fonbern noch fdjlimmere Sorge
bereitete bie SiHfüt beS fremben UnterbrncferS.
3n ber f<hen erwähnten ©onoention »om 12. 3nli 1807
batte fRapoIeon bie allmälige fRäumung ber bem Röntge 3uritcf»
3ugebenben 8ättber abhängig gemalt oon ber 3al)Iu«3 ober
Sidjerftettung ber ÄriegScontribution , bereit £5lje noch gu be*
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redjnen war. Mit SSiHfür würbe bie gorberung in bie <£>öi}e
gestaubt, bie 3«i bet ©ccupation in’8 Ungewiffe »erlängert unb
ingwiften ben Untertanen bie lejjte Jpabe abgepre&t. fRic^t
weniger als eine MiHiarbe |at Napoleon in ben 3afjren 1807
bis 1812 auS bem Ijalbirten $>reufjeH mit feinen 5 Millionen
»erarmter SBemo^ner gezogen.
2SaS half eS, wenn baS föniglidje 3)ulbetpaar, bet ^lid^te,
tedjtfd)af|«tte Monardj unb feine hoä) finnige Suife jebem fPrunfe
entfagten, Sdjniucf nnb SEafelgefr^irr gu Silber fdjlugen unb
fparfamer als fprioatleutc Rauften: gegenüber ben Summen,
welche bie Habgier ber Unterbrücfer oerfdjlang, bebenteten jene
Dpfer wenig. 3m Dctober 1807 würben bie ©ontributionS»
forberungen auf 154 Miö. firirt. Vergebens fudjte man mit
0tu§(anb8 Unterftüjjung mafjigenb auf ben Sieger gu witfen;
cergebenS warb ber ebel gefinnte fpring SBilhelm als Unterl)änbler
nadj Claris gefanbt; SRapclecn’S trügerifte ^olitif gog bie Unter»
hanblungen in bie gange bis gum Sommer 1808, unb bis ba*
hin lebten nicht »iergig, fonbetn mehr als hunbertfünfgig Saufettb
grangofen auf preufjifchem ©ebiete unb auf fPreufjenS Äoften.
2)a winfte aus ber gerne bie Möglichfeit, burch ein füfyneS
SBagnifj bie geffeln, womit ber Swingherr ©uropa’S baS oer»
ftümmelte fpreufjen gebunben hielt, fprengen gu fßnnen. 2)em
freoetaften Spiel, welches Napoleon mit ber gamilie ber S3our»
bonen in Spanien trieb, war bie oiel bewunberte ©rbebmtg beS
fpaniften SßolfS gegen bie grembherrfchaft gefolgt, konnte
nicht aut in 9)reu&en, in gang fftorbbeutfchlanb ber ©ebanfe
nationaler Selbftfyülfe günben? ©nglanb, fceffen Gruppen fd&on
auf ber ppreuäifchen $albinfel gegen bie grangofen fochten,
werbe, fo fonnte man Ijoffen, eS nicht an |ntlfe fehlen laffen.
tDefterreid) rüftete in aller Stille mit meiern ©ifer. ^reufjen
aber fonnte IDanf ber Stütigfeit beS Äönigö unb feiner unoer»
gleicplittn Mitarbeiter eine wol)lgefdjnlte Slrmee oon 50,000
Mann aufftellen, wäljrenb Napoleon ben größten Steil feiner
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Gruppen auS IDeutfchlanb gieren mufete, um bic 3nfurrectiou in
«Spanien gu bewältigen. 3Bie, wenn nun $)reufeen im 3lnfcfelufe
an ßefterreich ben legten entfdjeibenben $ampf begann unb bie
(Erbitterung, bie in gang {Rorbbeutfcfelanb ^erxfd^te, gur {Rettung
be8 33aterlanbeS beniigte?
So wollten bie Scanner entfc^loffeuer Slfeat, Stein, Scham*
feorft, ©neifenau unb nicht am weuigften unfer SÖIüd^er. (Entgegen
ftanben bie Slengftlicfeeu imbgurdfetfamen mit bengrangofenfreunben.
2)er Äönig gögerte, {Rufelanb feielt ifeu gurücf; auch Deftevreich
gauberte uub liefe ficfe einicfeücfetern non Napoleon, welker gu
(Erfurt feinen S3uub mit Äaifer Sllepanber nur enger fcfelofe. $Da
blieb $)reufeen faum nocfe eine 2BafeI, SllS Napoleon, burch einen
aufgefangenen 23rief Stein’ S über beffen kleine belehrt, gürnte
unb brofete, ratificirte grtebrich SSBilfeelm ben unglücflichen {Pa*
rifer Vertrag, ber bem Sanbe unevjdjwinglicfee Dpfer auferlegte,
baS preufeifefee £>cer auf 42,000 5Rann befdjranfte unb gur
Stellung einer ^ulfSmadjt in granfteichS Kriegen cerpflicfetete.
Stein erfeielt feine (Sntlaffung unb Napoleon erliefe Don Spanien
auS baS berüchtigte S5ehet, baS ben grofeen Patrioten als geinb
gtanfreicfeS unb beS {RfeeinbunbeS ächtete unb ifen gwang, arm
unb feeimatfeloS nach Defterreidfe gu flüchten.
Scharnfeorft unb ©tteifeuau gu ftürgen, gelang ben ©egnern
Steinß nicht; fte arbeiteten, waferenb bie politifchen {Reformen
ftoeften, in ber Stille weiter an ber SBefetfeaftmachung beS
Staats, fo weit eS ofene offene {Beilegung beS ^arifer 58er*
itagS gefefeefeen fonnte.
2luch Slücfeer befielt ben £>betbefefel in Sommern unb be«
nügte feine Stellung, ben friegetifefeen ©eift bet Gruppen gu
ftäfeten, neues ©efchüfe unb SBaffen aller Srt gufammen gu
bringen unD auch auf bie bürgerlichen greife ermutfeigenb gu
mitten. Dfene ÜRitglieb jenes StugenbbunbeS gu fein, welcher ben
«£>afe gegen bie frembe Unterbrücfung unb ben (Eifer für baS
23aterlanb nährte, arbeitete er auf baffelbe 3iel fein, wäbrenb er
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in bem fc^toierigcn 33erl)ältniffe gu ben fiaitgoftfcfeen Gruppen,
bie fferen abgug in jebet Söcife »ergogerten, trofe feines Un»
geftümS eS nid)t au Älugfeeit unb SJtäfeigung fehlen liefe.
sJiut eine langwierige fcfemergljafte Äranffeeit, bie mit Unter«
bredjungen faft 9 SJionate antjielt, hemmte »ielfadj feine Stetig«
feit, fe bafe ihm gut Unterftüfeuug in ben bienftlidjen ©efcbäften
bet Dbcvft »on 33ülow beigegeben würbe. aber wäfetenb ber
Äörper litt, blieben ©eift unb ©emiitfe ftarf wie immer.
,,©w. ©jrcelleng Sörief , “ fdjrieb ifem ®d?arnh»rft im Sluguft
1808, „Ijat mir unbeidjreiblicbe greube gemalt. 9Ule fagen unb
fchreiben unb id) fefee eS aus Sferem eigenen ©cfereiben, bafe bet
©cift nicht gelitten. ®ie ftnb unfer anfüi}ter unb £elb unb
müfeten @ie auch auf ber ©änfte twr« unb nad?getragen werben,
nur mit 3feneit ift ©utfdjloffenfeeit unb ©lüd“
aber im Herbfte beS 3ahre8, als taS Hauptquartier »on
Treptow nad) ©targarb »erlegt war, »erfd)limmette ftd? baß
Reiben iBlüdjer’S unb gugleich bemächtigte fid? feiner eine tiefe
Hppochonbrie mit allerlei feltfamen ©inbilbungcn. ailerbingS
ftellt ftd) »on bem, waS übet bie außbtiid)e ferner aufgeregten
©inbilbungSfraft ergäbt wirb, manches als gabel heraus, aber
SLfjatfad^e ift, bafe SJlüdjer’ß 5>l;antape, burd) ©djlaflefigfeit uub
ftarfen Äaffeegenufe in rufeelofen Mächten auf’S HSchfte erregt,
wunberlid)e ©rfcheinungen falj unb ficfe »er allem bamit befc^&f=
iigte, wie eS in ber SBelt fünftig fommen muffe. Siicfets aber
ftaub ifem fefter, alö bafe er beruf eit fei, mit HeereSmacfet ben
frangöfifefeen 3«tperator gu ftürgen unb baß SBaterlanb gu befreien,
„fftapoleoit mufe herunter," hörie man ifen fagen, „unb idj werbe
fd)t?n geifert; ehe baß gefdfeehen, will ich nicht fterben.i ©r mufe
herunter."
SBJaS man bamalS alö franffeafte ©inbilbungett beS alten
SfcoQfopfS »erlabte, fotltc ficfe in ber golge alö bie fDianifeftation
eines tief inneren, nach Saaten ringenben HelbcnbewufetfeinS
erweifen.
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3m grühling 1809 gelangte Slüdjer »ieber in ben Bollen
33efi£ feiner ©efunbheit, unb mit ber förderlichen SRüftigfeit
fehrte aud} bet angeborne f$rohftnn jurütf unb jmar um fo mehr,
al8 fid) bie SluSfidbt eröffnete, ba§ eS halb 3um Kampfe mit
bem Unterbrücfer fommen »erbe. Sin feinen ehemaligen Slbju*
tauten, ben ©rafen Bon ber ©olt}, fchrieb 33lüd}er am 4. Styril
unter Slnberm:
»3ht SBricf Born 17. hat midj bie lebhaftefte greube gewährt.
Sie finb unb bleiben mir über aUeS »erth n. f. w. ©olfs, ich
lebe hier unbefdjreiblid} froh- 35ie Hemmern tragen mich uf^änben,
täglich erhalte ich neue Seweife Bon greunbfdjaft unb 3u»
neigung; meine Kinber finb alle bei mich." „33on meiner un
glücflichen Kranfljeit bin ich fo geheilt, ba§ ich »eit gefunbet
bin, als ich nie war" :c. „UebrigenS geht wiebet alles nach af*
ter SBeife; beS SJiorgenS treibe ich meine ©efdjäfte unb bann
geniefee ich unter greunbe baS geben; Karte biege ich nach alter
SBeife; — um mich habe ich lauter gute fDienfchen." — „Uebri»
genS bin ich in einiger §el}be mit ben $etrn in Königsberg.
9tad} meine uuglüdliche Kranfheit haben bie ^>enn fich beitem»
men laffen, mich für einen halben 3nBaliben 3U betrauten,
aber ich hele fie jeijt betau unb habe beit König gefdjrieben, wo
er meine SDienfte nicht gebrauchte, mich meinen Slbfdjieb 3U geben,
ich wiffe 33rob 3U finben unb Betlangte nid)tS; aber ber fKonard}
behanbelt mid) in alter SBeife unb bie anbern . . . werbe id)
fchon bienen. — 3efct mein ffreunb, heifct eS bei mich ?<bcn: bie
Slugen uf, benn id) erwarte alle Sage Beinbe in meine SRadjbar»
fchaft; 3U ihrem ©mpfang, wer fie auch finb, halte id} mich be»
reit, unb hßnble gan3 nad) meiner Ueber3eugung, ba ich gan3
ohne Snftruftion bin, inbeffen bin id} baS lefjte gewohnt." . . .
3US SBIücher, froh in bie 3ufunft fchauenb, baS leitete fdjrieb,
lagen bie 35inge in ©uropa unb befonberS in £>eutfdjlanb an*
berS als ein halbes 3al}r 3Uüor. IDamalS hatte SDefterreid) Bor
ben SDrohungen fftapolecn’S unb bem engen ©inBernehmen §tanf»
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reid)S mit 9tu§lanb feine friegerifchen Slbficbten »ertagt. Sefjt
im Slpril 1809 war bet Krieg an bet Donau im »ollen ©ange,
unb wenn aud) JRufjlanb nod) bei bem frangöfifcben öünbnifj
bebaute, fo rieten bod) in Serlin felbft bie sJlad)folget ©tein’B,
bie feinen anberen $u8weg auS ben fie umlagernben Schwierig»
feiten fafjen, baff fid) bet König füt ben ©intritt in ben .Kampf
an DefterreicbS ©eite rüften möge. 2lber fonnte baS gefnebelte
9)reufjen ohne fRücfbalt an fRufjlanb, in bet Jpoffnung auf ©ng»
lanbö fetne £ülfe ben Kampf auf geben unb Job im 33unbe
mit jenem öefterreidj wagen, baS »ieüeidjt, wie im Sabre 1805,
nad) bet etften gtofjen SRiebetfage SBaffenftiflftanb unb grieben
mit IRapoloeon fdjlofj unb ^reujjen fchufjleS bet fRadje beS
©orfen preis gab? Der König, welcher fid> junor über bie lebten
Slbftdjten JRufjlanbS »ergewiffern wollte, gögerte mit bem wag*
nifjnoflen ©ntfchluf}, lief) eS aber gefcbehen, bafs im Stillen alle
33orbereitungen füt ben Krieg getroffen unb bie ©ontributionS»
gablungen an granfteid) eingeftellt würben. 5Rur eines öfter»
reidjifcben Sieges fdjien eS ju bebürfen, bamit ber Krieg in
fRorbbeutfchlanb loSbrädje. 2Ber befc^reibt bie Spannung jener
Jage? Die ©rljebung Dörnberg’S in Reffen, ber eigenmächtige
3bmarfch beS SchiH’fchen ©otpS auS Serlin, ber 3ug be8 $er»
jogS »on 23raunf<bweig unb in ben Jiroler 2llpen bet ^»elbenfampf
beS Jpirten»olfS — baS alles h'eU bie ©emüther in Slthem.
3war mufjte ber König baS »erwegene ©chid’fdje Unternehmen,
baS ihn rorjeitig compromittirte, »erurtheilen unb ftrafen; als
aber bie furchtbare ©djlacbt bei SlSpetn jRapoleon'S ©iegeSjug
£alt gebot, feinen aud) füt fj)reufjen ber ©intritt in bie Slftion
gefommen.
Keiner Ijatte biefe leibenfchaftlicher erfehnen föitnen, als
33lücher. ©r hatte fd)cn auf eigene £anb tärtilleriepferbe ange*
fdjafft unb bafür »on bem Könige, ber burd) ©djill’S »erwegene
Jhat mifjtrauifd) geworben, einen unangenehmen Sßtief erhalten.
Daher bat er um feine ©ntlaffung.
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„®tatt beffcn hat man mich," fd^reibt et einem greunbe
„gum ©eneral bet ©aoaflerie ernannt! 3<h ljabe ihm (bem jiönige)
babei gebanft, aber auch gerabe habet gejagt, bet ©eneral bet
©aoalletie mürbe nie anberß benfen uub ^anbeln alß bet ©eneral*
lieutenant, unb memt ich nicht mehr im Söefij} fcineö 3utrauenß
märe, hätte bieß feinen SBerth für mich- 9loch miß idj eine
Heine Stift geben; crbnet eß fich bann nicht, fommen mir nicht
gu einem ©ntfchluh, fo gehe ich unb »ermenbe meine Kräfte,
bie ich noch hflbe, gum heften meineß bebrängten beutfchen
ffiaterlanbeß. Strage Seffeln, mer ba min, ich nicht-"
IHlß bann bie erfte fRachricht »on bem ofterrei<hif<hen ©iege
bei Slßpern gu it)m brang, beeilte er fich, bem Äßnig bargulegen,
bah bie frangoftfche Slrmee bem 9iuin entgegeugehe. ©r bittet
auf baß SDringenfte, ihn mit einem ©orpß über bie @Ibe gehen
gu lajfen, um |>annoDer, Reffen, SBeftphalen gum Äampfe für
bie Unabhängigfeit gu entflammen. ©r glaubt mit feinem Aopf
für ben ©rfolg bürgen gu fcnnen.
„Slllergnäbigfter Äonig, gemähten @ie bie SBitte eines in
3h*«n ®ienft grau gemorbenen SKanneß, bet fo ehrlich wie er
3h«en ton bergen ergeben ift, ber bereit ift, fid) für ©ie auf«
guopfern, unb beffen heifjefter SBunfd) barin befteht, feine lebten
8ebenßtage für ©ie unb 3h*e SfKadtt nämlich gu uermenben. —
Siubet mein 58orfchlag nicht ben alkrhöchften 23eifaÖ, nun fo
habe ich mein ,£erg erleichtert uttb mein Slbfdjeu, frembe Ueffeln
gu tragen, bargethan. 3ch bin frei geboren unb muh au<h f°
fterben." —
33Iüdher’ß Söitte mürbe nicht gemährt, »ielmehr 3$orforge ge*
troffen, bah nicht baß Reifee S81nt ben Sllten 3U unbefonnenem
$anbeln fortreihe. 3h® freilich empörte ber ©ebanfe, bah nian
argmöhnen möchte, er fönnte auf eigene Sauft, ähnlich mie ©d>iü,
operiren unb bie 3nfurreftion fRorbbeutjchlanbß beginnen; fo
lange er in beß Äßnigß ©ienften ift, barf 9tiemanb an feinem
©ehorfam gmeifeln. SDagegen ift er entfchloffen, ohne ben 3nter*
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effcxt 9}reuf}en8 ungetreu gn »erben, ben preu§ifd?en ©ienft für
eine 3eit lang gu rcrlaffen, fo fc£>r»er eö ihm auch wirb, non
einer 2lrmee gu fcbeiben, in ber er fünfzig 3abre gugebracpt, unb non
einem $errn, ben er liebt unb für ben er fid) taufenbmal opfern
mßdjte. „Slbet bei adern biefen unb bei ©ott im Fimmel," er
ertrügt feine Äränfung mef)r. 3noalibenfommanbant will er
nic^t metjr fein , »ifl nicht feine 3cit in Untbätigfeit »er*
träumen, wäbrenb anbere btaoe bentfdjie SRännet „not bie $8e»
freiung ihres beutfe^en SJaterlanbeS fämpfen." „3ch bQhe bem
Staat adeS geopfert unb nerlaffe ihn, wie man ufj ber Söelt
fdjeibet, baS l^et§t arm unb blofc; aber mein SJiutfy ift unbe*
grengt; wobin idj gebe, wirb ein berubigenbeS Sewu&tfein unb
eine 5Renge SRebHcber mich begleiten. ©tüfjen Sie — bet SSrief
ift an ©neifenau gerichtet — Sd)arnborft uub treibt not mit
bie gute Sache." — „.Könnt 3br beibe €ä bringen, ba$
ich nach -Königsberg entboten werbe, fo ift oieleS gewonnen; ich
fpreche mit bem $errn ehrerbietig, aber auch offen unb freimütbig,
unb bie niebrig, fdjwad) unb fdslecht ©efinnten foden fchon
fchwetgen, wenn ich b« hin."
33lüdjer würbe nicht nach -£>ofe befdjieben; er erhielt auch
ben erbetenen 'übfchieb nicht, wohl aber ein fe^r gnäbigeS
Schreiben, worin ber König bie UnauSfübrbarfeü feiner friege»
rifchen §>läne mit bem öfterreichifch^ranjöfifcheu SBaffenftidftanb,
ber halb nach ber unglücflichen Sd)lad)t bei SBagram abgefchloffen
worben, begriinbete. freilich fdjien mit biefem SSaffenftiflftanb
ber [Ringfampf an ber 5)onau gwifdjen SRapoleon unb ©efterreich
noch nicht beenbet gu fein, unb jetjt batte auch Sriebridj Söilbelm
trcfc ber ‘Äbmahnung SRufjlanbS, tre£ ber SBergögerung bet »er*
,beifsenen englifd)en ganbung in fRerbbeutfcblanb fid) entfchloffen
bem Kaifer grang feine -£mlfe angubieten, wenn ©efterreid) fich
ftarf genug geige, ben -Krieg mit ©tfolg wiebet aufgunehmen, unb
gugleidj gewidt wäre, feinem 33erbünbeten bie SBieberethebung
gum fRcutge einer ©rofcmacht gugufichern. Slber waS im ©e»
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Reimen $evr Bon Änefebecf in Defterreich fab unb hätte, formte
fPreufsen unmöglich ermutbigen, auf bie ©efaljr ty«, jelbft
untergugeben , jejjt leßgufd?lagen, unb halb machte ber trirfltcbe
Olbfchluf) be8 SBiener griebenß allen gewagten planen ein (Snbe.
9Iur SJlücbct'ß 0?atb war auch jefjt noch: „gu benSBaffen!“
ba ein cbrenooller Üob beffet fei, als bie ©flaBerei. (Sr fielet
Borauß, ba{j Napoleon für bie (SinfteUung ber (Sontributionß»
gablungen unb bie Ujm nicht Berborgen gebliebene SSorbereitung
gum Kriege 9ta<he nehmen werbe ; et will baljer, ba§ ber Äönig
bie ©icbetbeitßmänner, bie ibn wie gaultbiere umgeben, gum
Sleufel jage unb ft<b mit feiner 9lrmee unb feinem S3olfe Bereinige
unb bie gange beutfd?e Station aufrufe, um ben naterlänbifchen
©oben gu nertbcibigeu.
2Ber bie bamalige SBeltlage fenut, wirb faum batübev in
Sweifel fein, bafj, wenn griebricb SBilbelm III. uatb SBlüdber’ß
fo brtngenbem Slatbe gebanbelt, fPreufjen unb mit ibm SDeutfch«
lanb für lange, Bietleidbt für immer gu ©vunbe gegangen wäre.
2Bir bürfen fogar gweifeln, ob einige SKonate früher 9>reufjen
im 33unbe mit Defterreich ben frangöfifcben Smperator l?ätte
überwältigen fönnen. $at eß bodj 4 3abre fpäter nach bem
©otteßgericht Bon 1812 trot) bet rufftfdjen £ülfe ber furcbtbarften
Slnftreugungen beburft, um baß napoleonifdje SBeltreiä) gu ger*
trümmern. Sber tro^bem macht eß bem bergen Slüdjcr’ß alle
wenn er bem Könige guruft: SBir haben nidjtß mehr
gu Betlieren; ein ebtenBollet £ob aber ift beffet alß ein gebtaub»
maTfteß Beben! „(Sw. fgl. SOtaj. fönnten nodj ftch, bie fönigliche
gamilie unb baß Banb retten, wenn ®ie unß bie SBaffen in bie
<£>anb geben. 9Jiit Biel geringeren Mitteln wiberftanb 'einft
griebricb ber ©ro§e ber Unterjochung." — „@aug £Deutfd^laubr
beffen greibeit am leisten gaben Bon (Sw. fgl. Sötaj. gebalten
wirb, fann unb wirb mit unß gemeinidjaftlidbe @ad}e machen.
SBaß fönnten, waß wollten wir nicht tbun, wenn unfer Jbönig
nur fich unfer annehmen unb mit unß fämpfen unb lieber ben
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£ob alä ©cbmadj tbeilen wollte." geibige IRatbgeber, fa^rt er
fort, fudjten ben natürlichen SRutb unb bie ©ntfdjloffenbeit feines
grenzenlos geliebten 3Ronarchen burd) Kleinmütbigfeit unb »er*
feljrte Siebe, baS Sanb zu fronen, irre zu leiten. „Jpabeu ©ro.
!gl. 2Raj. bie einzige ©nabe, meine fufjfäUige Sitte ju böte« unb
fie fo zu nehmen, wie ich fte freimütbig als ein beutfdjer SRann
3b«en zu Süfcen lege. 4>aben @w. 5Raj. bie ©nabe, mich bie
©ewäbrung burdj ben Ueberbringet wiffen zu laffen." 9iur
einen ©trabl »on Hoffnung, flebt er fcbliefjlid), wöge ber König
ibm geben. „SBarum foüten wir unS benn geringer als bie
©panier unb Stiroler achten. 3Bir haben größere ^ülfSmittel
als fie. SBenn wir unfern £>erb zu »ertbeibigen wiffen, fo wer*
ben wir wertb fein, fortzubauern. Unwertb ber gortbauer werben
Wir untergeben."
SBaS Slucper bangen .^ergenS »orauSfab, ift zwar uidbt
»oflftänbig eingetreten, aber bejammernSwertb würbe bie Sage
3>reuhenS in ben Sabren 1810 bis 1812 in hohem ÜRafje.
Napoleon, genau »on allem unterrichtet, waS in Königsberg ge*
plant unb gefprodjen worben, fcbitfte ficb an, abzurechnen für
bie Unruhe, bie ihm baS Verhalten fPreufjenS wäbrenb beS öfter*
teichifdben Krieges »erurfacbt hatte* unb iSleranbet »on JRufjIanb
gewährte nur geringe Hoffnung, ben König gegen bie [Radwege*
banfen beS frangöftfchen KaiferS f (hüben zu !önuen ober zu
wollen. Napoleon »erlangte in barfcbem S£one, bah ^reufien
gable, was eS ihm fchulbe, fei baS nötbige ©elb nicht »orbanben,
fo fönne ber König in «Domänen unb ganb zahlen. ®r »erlangte
ferner bie [Rücffebr ber föniglichen Samilie nach S erlin, offenbar um
fie beffer in feiner ©ewalt zu haben. „SBenn ber König nicht
nach Serlin geben will, fo gebe ich “a<b Berlin," erflärte er bem
preufjifchen Slbgefanbten. 2lm 23. «December 1809 30g ber
£of in Serlin ein, mit bem ferner geprüften gürftenpaare
auch bie beiben älteften ©ohne, ber Kronprinz unb $rinz SBil*
heim, unfer Kaifer, beibe als ©arbeoffigier mit ihrem [Regiment.
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Digitiz
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aber webet fcie rühtenbeu ©eweife ber anbänglidbfeit unb SBer*
ehrung, noch ber ©lang ber GringugSfeier fonnten bie bangen
ahnungen nerfcheuchen, bie baS ©emüth bet leibenben Königin
ängftigten. SDie ©tinnerung an baS (Sc^tcffal bet fpanifdjen,
non SRapoleon entthronten ©utbonen trat it)t immer brohenbet
Bor bie Seele. Sie erlebte noch, ba| Napoleon für bie rütf-
fiänbige Kontribution bie ißroning ©Rieften begehrte, unb ba|
fogar bie rathlojen fDlinifter, bie unfähigen Ulachfotger Stein’S,
biefe neue ©erftümmlung fPreufjenS befürworteten. ©alb barauf
ftarb fie, bie fttHe fromme ©ulberin, bie Schufjgßttin ihres
©oltS. glatte fie auch in ben fdljicffalfchweren Stagen ihren ©e»
mahl nicht gu fühnen Qjnif d)lüffen beftimmen fßnnen, io be*
ruhten bodj bie Hoffnungen ber Patrioten gum guten Stheil auf
ihr. audh ©lüdhet war um eine Hoffnung ärmer geworben,
als er am 22. 3uli 1810 bie ©adjricht non bem Stöbe ber non
ihm io hochverehrten gürftin erhielt, fdhrieb er an feinen oer»
tTanten ^reunb ben bamaligen IRittmeifter ©ifenhart:
„Siebet ©ifenljatt. 3<h hin Bom ©lifj getroffen. SDet Stolg
ber SEßeiber ift Bon ber ©rbe gefdhieben; fie muff Bor unS gu
gut gewefeit fein. — Schreiben Sie midh ja , alter ffreunb , ich
bebarf aufmunterung unb Unterhaltung. @8 ift bodj nnmßglidh,
ba£ einen Staat fo Biel aufeinanbet folgenbeS Unglücf treffen !ann
als ben unfrigen. UebtigenS gebe bet Himmel, ba§ fidh alles, waS
3h* fester ©rief enthält, beftätigt; in meiner jefjigen Stimmung
ift mich nichts lieber, als bafj ich erfahre, bie SBelt brenne an
allen Biet Snben."
2)afc halb, recht halb ber allgemeine ©ranb, wonach ben
Helben oerlangte, aufflammen unb bet Speftafel, wie er ftd?
auSbrüdfte, loSgehen werbe, in biefet Hoffnung würbe Slüdhet
im 3ahre 1811 beftärft, als baS freunbfchaftliche ©erhältnifj
aiejcanber’S gu gtanfreidh, woburdh bie wieberholte SDemüthigung
JDefterreichS unb bie 3wang8lage ^reufjenS nerfdjulbet worben
war, in Spannung überging unb Napoleon in unerfättlidhem
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Sorget je ben ©ntfdjlufe fafjte, bie Streitfräfte fctneS 28eltreid)8
ju einem JRiefenfampfe gegen ben Äolof) be8 9lorben8 aufju*
bieten.
S5a fdjien aud; IPreufjenS Sdjicffal fid) enbgültig entfdjeiben
ju muffen. Stuf bet ^eerfha§e gegen IRufflanb gelegen, münzte
fRapoleon baß ganb mit allen feinen friegerifcben ^ülfömitteln
ju unbebingter Verfügung ju tyaben. 55ie 9lü<!fid)t auf 3Ru§*
lanb, »eldje bem Staate bisher ben Dieft feiner Selb ftänbigf eit
gewahrt, war nun befeitigt: fpreufjen mufjte fid) unterwerfen ober
mit ben SBaffen in bet ^anb ben Äampf ber IBetjmeiflung
fämpfen. SBenn e§ auf ber £aut brenne, trßftete fid) 23lüd)er,
bann lefyre bie 9lotl) fyanbeln. Slbcr fonute $>reufjen, auf allen
Seiten, non Süben unb SBeften, non Jpamburg, SDanjig unb
fPolen l)er mit erbrücfenber Uebermad)t bebrofyt, bie eigenen
Heftungen in frangöjtfdfen £änben, in ber $l)at aud) nur mit
ber geringften Slußfic^t auf ©rfelg ben Äampf beginnen, wenn
fRufelanb nid)t fofort mit ftarfer STruppenmacbt e8 betfte?
Sllejanber wollte inbef; ben Angriff 9fapoleon’8 innerhalb ber
©renjen feiueö 9ieid)8 erwarten unb gab ju erfennen, bafj er
9>reufjen feinem Sdjicffale überlaffen werbe.
9Jlod)ten aud) jefjt nod? bie ju allem entfdjloffenen fölänner,
wie Sd)arut)orft , ©neifenau unb nidbt am wenigften Sßlüdjer,
meinen, bafj ber £ob beffer als bie äfnedjtidjaft wäre: $riebtid)
SBilljelm, ganj non ftanjofifdjer ©ewalt umflammert unb jebcn
5£ag ber ©efangenualjme burd) bie frangofifdjen Gruppen gewärtig,
fonnte in bem SBewufjtfein ber 33erantwortHd)feit für fein £au8
unb fein Sßolf nid)t, wie ber einjelne Solbat, ben 2obe8!amnf
ber Unterwerfung norjiefyen; er untergeidmete not^gebrmtgen
ben Vertrag, ber il)n jur .fmlfeleifiung gegen JRuflanb ner*
pflidjtete, ben 2)urd)matfd) bet napofeonifd)en ^eere geftattete,
benfelben SBerpflegung jufidjerte unb bie franjöfiidjen Stuften
in ben preufjifdfen Heftungen nerme^rte.
9iun freien e8 feine Hoffnung für bie Patrioten mel)r ju
XIV. 313. 314. 3 (33)
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geben. SDen ÜReiften entfanf bet SRutfe unb nur bie 23eften
wagten nod} an eine Brunft beß gefallenen 33aterlanbeS gu
glauben. SBaferenb gafelteidje ^oljere Df fixiere ben Elbfdjieb
nahmen, um unter englifdjen, tufftfdjen ober fpautfd&en §atynen
gegen ÜRafoleon gu lämpfeu, eilte ber Steigert non Stein nad)
Petersburg, um mit feinem feurigen Reifte Elleranber’S meiere
Seele gu auSbauernbem SSiberftanbe gu ftärfen unb »on {Rufelanb
au3 für bie fünftige ^Befreiung 33eutfd)lanb8 gu mitfen. tHudj
Sdjarnfeorft nnb ©neifenau Ijatte bet .König als ben graugofen
»erbädjtig aus feiner 5Räl)e entfernen muffen. Sdjarnljorft
freilidj blieb audfe in feiner 3utüdgegogentyeit gu 23etltn bie
Seele beß preu^lfc^en ^eermefenS unb in ©neifenauS £anb
legte ber .König bie lefete Hoffnung auf bereinftige {Rettung, in*
bem er iljm geheime Aufträge für eine S3etbinbung befreunbeter
3J2äd^te gegen ben gemeinfamen geinb erteilte.
Unb 33lü$er enbtidj? SBaS ift auS iljm in jenen bunflen
Sagen geworben? S$on im ^erbfte beß Saures 1811, nod)
»or bem Elbfdjluffe beß UnterwerfungSantragS Ijatte ber .König
ifyn auf fRapoleon’3 Einbringen beß (SommanboS in Pommern
entheben muffen. 9tad) SBerlin berufen erhielt SMüdjet, ba aud)
bort unter ben Slugen ber ftrangofen feines SBleibenS nidjt mar,
bie SBeifung, auS SRüdffidjt auf ben JDrang bet Umftänbe fidj
einen anberen Elufentfyalt gu wählen, bis bie SSertyiltniffe ge*
ftatten mürben, iljn mieber in Sljätigfeit gu fefeen.
33lüd)et begab ftd? nad) Sdjlefien, wo ifem »on bem Könige
ein ©ut in ber SRälje »on -[Reifee gefdjenft mürbe. S3on feinet
Stimmung geugen bie bitteren 2Borte, bie er an ©neifenau
richtete: „?Radj ber unglüdlidjen Sdjladjt fcfytieb griebtid} H:
aUeS ift »erloren, nur bie ©fyre nidjt; jefet fdjreibt man: alles
ift »erloren unb bie ($l)re aud)." Oft liefe er fid) wäferenb
feiner unfreiwilligen SRufee in Sdjweibnife, nodj öfter in 23reS*
lau fefeen, unb überall machte er feinem Sdfjmerge übet beS
SBaterlanbeS tiefen gatl, fo wie feinem glüfeenben 3orne über
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tag feige SDiplomatenoclf, »oDenbö aber feinem milben unbän*
higen Jpaffe gegen „bie Saframentßmälfchen" unb ben „Sdjmere*
uothöferl" non Sonaparte 8uft. Slber butd) all fein SBettern
unb glühen, bem ängftlidje beutfdje Seelen fd^eu auß bem SBege
gingen, fo wie burdj bie feltfamen 2lu8brü<he einer franfhaft
gereijten (Sinbilbungöfraft, bie iijn SJlanchen als tyalboerrücft er*
jdjeineu liefen, Hang auch je£t noch bie ungerftorbaTe Hoffnung
auf ben Sturg ber frangöftfchen 3wingl)errf(^aft hinburd). Unb
nic^t lange mehr feilte e§ »ähren, fo fah ntan ben greifen, oft
nerfanuten Oiecfen an ber Spifce öeutfeher unb frember £eere
Striumpbe erringen, mie fie feinem gelbhetrn glangenber befchieben
mären, ben Struppen bes fSiarfdjaH SBormärtß, bem beutfehen
25olfe bet Söefreier.
3m grüi)ling beö 3abteä 1812 brachen bie napoleonifchcn
ürieggfehaaren, grangofen, 3taliener, Spanier, fRieberlänbet,
SDeutidje unb^olen, nachfftufjlanb auf, eine halbe ÜJtillion9Ötenfchen.
9lad;bem ber Äaifet gum lebten ÜJlale in SDteßben bie beutfe^ett
dürften um fich gefammelt hatte, übernahm er felbft bie gühtung
beö ^auptheereS, baö über SBilna in ber Sdidjtung nach ÜJioöfau
oerbtar.g, mährenb baö nörbliche glügelheer mit 20,000 $)reufjen
nach ber SDüna unb ba8 fübliche mit ben £)fterreichern nach SSdh9s
nien fidj bemegte. „9fa<h ein ober gmei Schlachten biu ich *»
fau, unb ber üaijer liegt oor mir auf ben Änieen." 2lm 14.
September hatte 91apcleon alletbingS, menn auch nadh furcht*
baten 33erluften, bie h- ©tobt beö alten fRufjlanb erreicht; aber
SKoßfau ging in glommen auf unb brachte ben erfehnten gtieben
uicht, mährenb ber frangöfifche Äaifer oon falfdhen Hoffnungen
fid} fo lange ^in^alten liefe , ba§ auch ohne bie Sdjrecfniffe beS
beifpiedoS harten SBinterö bet SRücfgug ber großen fflrmee ge*
3* (»)
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fäfycbet gewefeu wäre. 2)ie fürchterliche .Kälte unb bie unauö»
gefegte Sßerfolgung burd) bie [Rufyen »oüenbeten ba§ ©chidfal fceö
ftolgeften £eeteä, ba§ bie SBelt gefeljen. SBährenb bie lebten
£aujenbe, welche t>on ber ,£>auptarmee übrig geblieben, in meilen»
langen gcfpenfterhaften Bügen, abgeriffen, in Sumpen gewicfelt,
auf bet fdjneebebecften , mit Seichen unb Krümmern aller 5Ätt
gefüllten ©trafje fid) nach bem SRiemett hiufd)leppten, eilte 9Ra»
poleon auf einen 23auernf<hlitten uotauS nach 5Barf<hau. 2lm
14. IDecembet fah man ihn ohne £eer in ®re$ben; am 17.
brachte ber SJRoniteur ba6 berüchtigte Bulletin: „SDie gtofse 2ltmee
tobt, bet Äaifer gefunb, fo gefunb wie je."
3n IDeutfchlaub, wo man über ben Sßerlauf beö gelbgugS
2Bod)en*, ja SKouate lang nichts »etnommen, brachte bie jfunbe
»on bem furchtbaren ©otteSgericht, baS tyei ben menfchlichen
$odjmuth getroffen, bie tieffte ^Bewegung ber ©emüther h«twr-
„2)er ^)err hat il)n gefchlagen," ging eS oou -ERunb ju 9Jtunb.
„3e$t ober nie!" würbe bie Sofung aller beret, bie Jahre lang
»ergebend nach ber Slbfdjüttlung beS .frangöfifcheu 3od)S fid) ge»
fehnt hatten.
Unb hoch war eine ©rhebung ©eutfdjlanbS aud) jefct noch
mit aufjerovbentlichen (Schwierigfeiten unb ©efahrert oerbunbeu.
2luf bie ruffifchen Gruppen, bie nicht feljt oiel weniger als bie
ftanjofifchen gelitten, war ootläufig faum 311 rechnen, auch wenn
man fid) bet Hoffnung htngab, bafj fie nicht an ber ©renge ^>a!t
machen ober im gaH ber gortfehung fceö .Krieges nicht nach
©robetungen auf Soften 2>eutjd)lan&§ traditen würben. 25a»
gegen ftanben bieSfeitS beS !RhetneS nodj anfehnliche frangöfifdje
$eereStheile , bie gelungen an ber ©Ibe, Ober, 2öeid)fel waren
in feinblichen Rauben, unb au$ granfreidj unb ben feft mit ihm
»erbünbeten Sanben fonnte SRapoleon, welcher in §)ariS mit
fieberhafter ©ile neue Lüftungen betrieb, binnen furgem f<hlag»
fertige Slrmeen auf ben .Kampfplafj führen.
2lm wenigften burfte ber preu&iidje .König »orgeitig bie
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©ebanfen be8 SlbfaHS »errathen, womit et fid^ trug. Sange »er
bem SBefanntwerben bet ruffifd^eu Katajtrophe hatte er fid) unter
£arbenberg'§ Seitung mit Defterteid} in’ß Ginoernehmen gefegt
für ben galt einer ben gtangofen ungünftigen Sßenbung beS
Ätiegeß. 3etjt trachtete er »ollenbS mit Kaifer gtang unb beffen
SJiinifter SKetternich fidj gu »erftänbigen unb gugleid) über Stuf;*
laubs Slbfichten in’8 Klare gu fommen. D^ne ^>ülfe non ber
einen Seite unb ebne Sicherheit nach ber anberen burfte ber
.König feine feinblidje Haltung anneljmeu.
!Da war eS, wie man weif), ein preufjifcher ©eneral, ber
ben .Knoten jetfyieb unb baS Stab in’8 Stollen braute, ©eneral
§)orf, welker unter ÜJtacbonalb ba8 preufjifdje ^)ütf8^eet befehligte
unb ben Slütfgug ber frangöfifdjen Slrmee beefte, hatte mit
fd^arfem Singe ■ erfannt, baff ba8 Sdjicffal ^)reu|en8 unb 2)eutf<h=
lanbS in jenen fritifchen Sagen in feiner £anb ruhte. Kämpfte
et mit feinen unoerfehrten Stufen weiter auf frangöfifcher Seite,
fo fonnten mit .£ülfe non SBerftärfungeu au8 SBatfcijau unb
Königsberg bie Stoffen an ber oftpreufjifchen ©reuge feftgehalten
Werben, biß Stapoleon mit einer neuen Slrmee auf bem Kampf»
plajje erfdhien. Srat aber §)otf gu ben Stoffen über ober ftellte
et nur fein GorpS neutral, fo gab e8 bort feinen <£>alt mehr für
bie §rangofen unb Dftpreufcen würbe frei. Stad? fernerem inneren
Kampfe, »on Söerlin ohne Snftruftion, that ber waefere ©eneral
ben rettenben Stritt unb fd^lo^ mit ben Stoffen bie SteutralitätS*
Gonoention »on Sauroggen ab.
ÜDet König, in Berlin noch »on frangöfifchet ©ewalt um»
geben unb burch föorf’S Gigenmädjiigfeit oor ber Seit bloßgefteHt,
fonnte nicht wohl anber8 al8 Slbfefcung unb Kriegsgericht »et*
fügen. Slber bie Stoffen liefen biefe Drbre nicht an ben ©eneral
gelangen, unb »on Königsberg, wo bie ruffifeben Sruppen unb
nicht am wenigften ?torf mit lautem Subei als Stetter begrübt
würben, ging fofort jene l^errlid^e Grhebung beS S3olfe8 aus,
bie fidj unaufhaltfam nach Sommern, Sd^Iefien unb ben SJiarfen
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fortpflangte imb gulefct aud? ben oorfiditigen Äonig unb feine
Staatsmänner fortrifj.
3BaS in jenen Jagen Ijodigefpannter Qfrwatfung, fo lange
Sriebrid) SBilbetm III. noch nicht baS erlofenbe Sott gefprodjen,.
Slüdiet’S beutfdjeS Solbatenberg empfunben, Iä§t ber SBrief et»
ratzen, ben er am 5. Januar 1813 an Scbarnhcrft rid^tete:
„9Jti<b judtS in allen finget, ben fäbel gu ergreiffen.
Senn eS iefct nidf Sr. 9Rajeftät nuferes fonigS unb aller übrigen
beutfdjen fürften unb ber ganzen Nation fürnebmen ift, afieS
fcfceßm grangofengeug mittiamt bem Sonaparte unb all feinem
ganzen fSnfyanfl) com beutfdjen hoben weggucertiflgen; fo fcbeint
ßftich, baS fein beutfcper man SRe^r beS beutfchen nabmenö »ehrt
fepe. Sefcto ifjt wiberum bie 3«tt 3« buhn, wah ich fcbon
anno 9 angeratten, nehmlig bie ganfje nation gu ben Saffett
aufguruffen, unb wenn bie fürften nicht wollen unb ficb bem
enttgegen fefcen, fte famt bem Sonaparte wegh 3U jabgen.
SDenn nid) nur freuten allein, fonbern baS ganjje beutfcbe catter»
lanb muff wiberum £erauff gebraut unb bie nation hetgefteßth
werben." s) — Unb am 10. gebruar, als ber ätönig ficb fcbon
nach SreSlau begeben, auch bereits gnr Stellung con freiwilligen
Sägern aufgeforbert hatte unb entfdjloffen war, felbft ohne
Defterreicb mit tRufelanb allein ben Ärieg gn beginnen, lieh
93lüd?er, welcher noch immer con ber griebenSIiebe ber jRatbgeber
beS ÄönigS ^örtc, fid) in folgenber Seife oernehmen:
„3<b fan alleweile nich füll fifcen unb nid; bie gene gufeamen
Seiten, wan eh Sich um bah Satterlanbt unb bie fretjhcit
^anbeßn buht, gafft baS laufje* unb ich . . . 3eugb »<>n benen
©iplomahtifer gu Sillen teuffein farcn; warum feil nid) alles
Muffigen unb loh auf bie frangofsen wie bah ^epUige bonner»
weither. 2)ie ben Äönig cohr fchlagen noch lenger 3U gauhbern
unb mit bem Sonapartte friben gu galten, ftnb ferrä^ter an
ihn unb bah gantje beuttfehe caterlanbt unb beh thotfchiehenS«
wert- 2>enn betweiß wihr hihT f<hwa33en bufjn an Statt bie
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Station auff unb in (lig ju rujfeu, ^aben bie ^ranjofen jeutt
unb ©elägenhept iren binft unb Armch wiber tyt unb ein $u
fRichtten unb bafjnim, fo fag 3dj: marfch unb auff unb mitt
ben begen ben feinbt inn bie ribben."
Da nmtbe enblich am 16. ÜJiärj bet Ätieg au granfreidj
erflätt; am 17. ecfd^ien ba8 ©efef* über bie ©Übung bet Üanb»
weht unD gleichseitig bet berühmte Aufruf „An mein ©elf."
©innen fur^em glich fl^nj §)reuf)eu einem grofjem Jpeerlager unb
»on allen Älaffen, reich unb atm, jung unb alt, mürben au8
»otljter, reinjter ©egeifterung gerabeju unglaubliche Opfer ge»
bracht. SRidjt allein bet Äonig fah, wie jeht er bie aikhtfraft
unb bie OpferwiQigfeit be8 ©elf8 3al)te lang fleinmüthig unter*
fcbätjt hfltte: wa8 jefct gejchal), bat bie Ermattungen auch bet
Äühnften übertroffen. @8 war in ben 3ah*en be6 Drucf8 unb
bet ©chmacb ein neuer, naterlänbijcher unb tief fittlidjer ©eift
über ba8 ©olf gefommnn, unb roa8 bie ©djarnhorft, ©neifenau,
Elaufewif} an militärifchen Einrichtungen gefdjaffen, gab jefjt
ben Nahmen ab, in Dem man bie ftiegerijehe ©olf8fraft fammeln
unb bie ^jeere ber grciljeitöfricge au8rüften fonnte.
3Ber aber füllten bie gelbhetten fein# gür bie fd^lcfifdjeu
Gruppen, cerftärft butch ein tufftfeheä (Sorp8 unter SBinfcingerobe,
würbe ©lüchet torgefchlagen, roährenb bie ©egnev feine tolle
unb rüdfichtölüfe ^ujarennatur, fein fyotyü Alter — er jahlte
70 3at}re — unb feine oft franfhaften Eiubilbungen wibet ihn
geltenb machten. Da war eö ©charnhorft, Der am nathbrücf»
lichften für ben oft ©erfannten eintrat. 2118 er ju ©re8lau in
biefer Angelegenheit jurn fönigl. Calais in ©egleüung ©opeu8
ging, 'äußerte auch biefer ©eforgnifs wegen ©lücher’8 franfhaft
erregten ©emüthSguftanbeS. „Er l)at ja einen EIeph“*»ten im
Seibe. " „„Unb wenn er taufenD Elepbanten im Üeibe hätte, ec
mu§ bie Armee führen.“"
Der Äönig willigte ein. ©lü<her jelbft h°üe e8 nicht
anberS erwartet unb fchon in feiner SBeife fräftig gegen jene
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Sleugftlichett gebounert, welche ihn oom £eerbefehl fern galten
wollten. SORau feile ihm nur 30,000 ÜJiann geben, bamit wolle
et Stapolcon uub alle feine grangofen auS 2)eutfchlanb hinaus*
jagen, er fefce feinen Äopf batan.
@o leidet feilte unferem gelben baS SBerf bet Befreiung
bes SjaterlanbcS nicht werben. 23iS gut @lbe freilich btang er
an ber Spifie feines GorpS, ohne auf ernftlidjen SEBiberftanb gu
fielen, iu furzet Beit »er; er rief bie ©inwohner ©achfenS auf,
in ©emcinfdjaft mit ben fPreufjen bie gähne beS läufftanbeS
gegen bie fremben Unterbrüder gu ergeben uub baS Berhafjte Sech
abguwerfen , wät)renb einzelne Abteilungen beS »erbünbeten
<£>eeteS, barunter ein eon SSlüdjer’ö älteftem ©ohne grang glücf*
lieh geführtes ^ufarenregiment, bis tief nach £h“tingen hinein,
ja bis gum Charge fchwärmten. 3ngwifchen aber eilte SRapoleon
mit 120,000 ü)iann beu SBerbünbeten butd) gtanfen unb Shü‘
ringeu entgegen unb fam am 1. SORai biß in bie fftähe Bon
ßeipgig. Bwar hotte fich 53lücher’S GerpS btei Sage gucor mit
ber ruffif<h»preufsifchen £auptarmee, über welche bet ruffifche
©eueral SBittgeuftein ben Oberbefehl führte, Bereinigt: gleichwohl
gälpten bie SBerbünbeten nicht mehr als 85,000 SKann. SDenuoch
gingen fie am 2. SJiai bei ©rofjgötfchen gum Angriff oor, Bet*
mochten aber trojj ber hclbeumüthigften Anftrengnngen beu ©ieg
nicht gu erringen, fonbern mußten, nadhbem fte bem geinbe
fehr emppnbliche SBcrlufte gugefügt hotten, in ber SRadp baS
©chladjtfelb räumen, ©ie thaten eS in ftrammer Orbuuung
unb ohne ein ©efchüfc ober eine gähne gu oerlieren.
Am wenigfteu hot 33lü<her eS bei ©rofjgörfchen an ftür*
raifcher Sapferfeit fehlen laffen. 3n bet ©eite nerwunbet, lieh
er fich einen leichten 33etbanb anlegen, um fich oon neuem in
beu Äampf gu begeben, unb 0Rad}tS in ber JDunfelheit machte
er beu 33erfu<h, bie grangofen auS ihren 23i»ouacS burd) einen
GaoaHerieübeifall gu Bettreiben. 25aS ©dpcffal hotte anberS
entfdjieben unb auf} er ber 9iieberlage hotten bie SSerbünbeten
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alSbalb nocf eine« anbeten gtefeen Serluft gu beflagen, nänilicf
ben £ob beö in bet ©cflacft gefäftlicf oermunbeten Scfarnforft,
bet non Slücfer mit Diecft einet netlotenen Scflacft gleicp ge»
adelet mutbe.
hinter bet ©Ibe, bei Saucen, ftedten ficf bie SHuffen unb
fPreufeen non neuem gum .Kampfe, meniget in bet Hoffnung, ben
geinb nitbergumerfen, als um ifm ben Soben fo lange roie
möglicf ftteüig gu machen unb feine Ausbreitung, namentlicf
nacf Serlin fin, gu finbern. ©rft nacf gmeitagiget @cf lacf t, in
Weiter Slücfer, im ßentrum bet Serbünbeten, ben feftigften
Anprall bet §einte ausgefallen, mutte ungebrocfenen 9JlutfeS
unb in befter Drbnung bet JRücfgug übet ©ßtlife unb |)apnau
in bet {Ricftung auf Biegnife angetreten. Sei ^>apnau befcflofe
Slücfer ben ^rangofen einen ^interfalt gu legen unb baS
Baurifton’jcfe ©otps burcf einen plßfelicfen ©anallerieangtiff feitn*
gufucfen. 25er füfne ©treidj gelang unb finterliefe in Slücfet
SeitlebenS bie ©rinnetung an eine glängenbe SBajfentfat, auf
bie et mit nicft geringerer Sefticbigung als auf eine gemonnene
©cflacft blicfte.
Sen Biegnife gog fidf baS ruffifcf»pteufeifcfe ^)eer nacf
©cfmeibnife fin, um bie Serbinbung mit Defterreicf, auf beffen
Alliance man foffte, gu unterfalten. 3n bet ©rmartung, Defter.
reicf für ficf geminnen unb ingmifcfen bie rufftfcfen SRcfetoen
unb preufeifcfen Banbroeften ferangiefen gu fßrtnen, mitligten
bie Serbtmbeten in einen SBaffenftiUftanb ein, beu fDletteruicf gu
auSficftSlofen ftriebenSoerfaublungen benüfete. 25enn fllapoleon’S
€>tolg fträubte ficf gegen jebeS, aucf baS biüigfte Bugeflänbnife
unb liefe es liebet gefcfefen, bafe aucf ©eftetteicfS Söaffen ficf
mit benen bet Setbütibeten Bereinigten.
Slücfer, roelcfem fcfon bet Abfcflufe beS SBaffenftiUftanbeS
mibermättig genug gemefen, fürcftete nicft allein mit ben gleicf*
gefimtten ÜJlännetn bet Armee, fonbern mit betn grßfeeren Pfeile
beS non friegetifcfem ©eifte befeelten SolfeS nicftS fo fefr als
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einen faulen Stieben. "Dagegen hätte et e8 gern babin gebracht, bafj
bie preujjifdjen Sirupen, wie bie rufftfchen, für ftd^ Ijanbelten;
bann glaubte er mit feinem Äopfe für ben guten ©rfolg bürgen
gu fennen. „Slber in gemeinfchaft gebt ei nic^t gui)t,- unfete
aOirte oerlangen gu oibl non un8, wibr haben bafj mögliche ge*
leiftet, aber bie ruffifdjen ©arben unb fo and? ihre fchwebre
(SaraUerie werben wie im fdjafefaften uf bemalt t, webrenb bie
unfrigen fich uff opffern."
3118 ber £elb fo f tagte, ahnte er nod) nid}t, bafj et gum
Oberbefehlshaber einer großen au8 einem preufjifd^en unb gwei
rufftfchen ©orp8 befte^enben Slrmee beftimmt war, bet fogen»
nannten fd^leftfd^en Slrmee, bie ihre Stellung gwifchen ber bol)*
mifdjen ober Hauptarmee unb bem Dlorbbeete ^aben feilte,
greilid) hatte man i« bem großen Hauptquartier ber Slücher»
fd)en Slrmee, bie an Struppengabl geringer als bie beiben anberen
|>eere8maffen war, nidjt eine entfdjeibenbe IRolle gugebacht unb
ben ungeftümen Sinn beS Belbtjerrn baburch gu gügeln gemeint,
bafj man ihn in feinen ^Bewegungen non benen bet Hauptarmee
abhängig machte unb ihm nur bei fieberet SluSfid^t beS ©elingenS
eine Schlacht angunebmen erlaubte. 9118 SBlüdjet fic^ aber
fträubte, bie Äünfte eine8 gabiu8 ©unctntor gu üben unb lieber
auf ben Oberbefehl oerg lebten wollte, würbe ibm unter ber H>anb
norgeftellt, bafj ein gelbberr, welker nafjegu ljunbert Saufenb
5J?ann commanbire, boeb immer eine gewiffe Selbftänbigfeit
unb ©elegenl)eit gum Schlagen habe.
UebrigenS war 33löd^er’S Stellung, auch abgefeben non ber
©infebtänfung, bie er burdj ba8 grofce Hauptquartier erfuhr,
fdjwierig genug. 9?on ben ihm untergebenen rufftfchen GorpS»
fübrern machte ihm ber eiferfüchtige gangeron ba8 geben fauer;
auch bet tapfere ?)orf, welcher ba8 preuffifdse ©orp8 mit Slubm
führte, bereitete bem gelbberrn burd) fein eigenfinnige? , ner*
biffeneS SBefen niel 9lctb- 9iur bie fraftnoflc, gang ber grojjen
Sache binftegebene 9latur S3lü(her’8 nermochte biefe Schwierig»
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feiten glücflicfe ju übetwinben, unb nicfet minber oerftanb er eg,
bie SJlaffe beg £eereg, Stuffen wie |5reufeen, mit feiner Siegeg*
guoerfidfet 311 erfüllen unb audfe bie SBioerwiüigen, inbem er
i^nen fein „SBorwartg, Äinber, oerwärtg* jurief, mit fidj fort«
gureifeen. SBenn ber greife |>clb auf feurigem Stofe in männlitfe
ftfeöner Haltung, mit feinem offenen, trofe ber 70 Safere blüfeenben
SlntUfe, mit feiner feervlicfe gewölbten feeitern Stirn, bcn grofeen,
feeüen, füfen blifeenben 8ugen, ber mäifetigen äbletnafe unb bem
fcfeelmifdfe gutmütfeigen Sädjeln um ben SJiunb buttfe bie Steifeen
fprengte, feine Slugeu feie unb bortfein blifeen liefe, feier ein Sdfeevg*,
bort ein .Kraftwort, im StotfefaU aucfe «ne 2>onnerfaloe non
glüdjen augfanbte: immer wirfte fein ©rfcfeeinen unroiberftefelidfe,
electrifirenb.
liefet sum wenigften enblicfe lag bie Sürgfdfeaft fünftiger
Siege in bem unoergletöfelitfeen ®eneralftab£<feef, weldjet an
Stfearnfeorft’g Stelle getreten mar, in bem feoefegebilbeten unb
ftfemungoollen ©neifenau. „Sßun ift ©neifenau uodfe ba," fagte
Jölüdfer nach bem tiefbetrauerten SEobe beg ©rfteren; „gefet ber
au<fe ab, fo folge idj lebenbig ober tobt."
Sn ©neifenau füllte 33lü<feer bie ©rgängung finben, bie
ifen 3um gröfeten gelbfeerrn ber oerbünbeten £eere madfete. 25a
ber geniale $5rafttfer beg ©cfelacfetfelbeg ber frieggmiffenfcfeaftlicfeen
SBilbung fo fefer entbeferte, bafe er niifet einmal mit einer Jtarte
umgugefeen mufete, fo mufete für ifen ein ©eneralftabgcfeef, welcher
bie oielfeitigften Äenntniffe mit befottnenem 2)enfen terbanb unb
für bie füfenften kleine bie umfiefetigfien 2>igbofttionen entwarf,
non feödfeftem SBertfee fein. @r feat benn audfe feinen oertrauten
©efeülfen, baufbar unb befdfeeiben, oft alg bag benfenbe £aupt,
ft<fe felbft alg ben aitgfüferenben Slrm begeidfenet, wäferenb ©neifenau
in eblet Selbftnerläugnung nie fragte, wie niel non ben Sorbeern,
bie er um bie Sdjläfe beg gefeierten gelbfeerrn winben fealf,
eigentlid) ifem gefeore. SBeibe wufeten fiefe unauflöglid) nerbunben
in begeifterter Eingabe an bie gtofee naterlänbifcfee Satfee.
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ßlotfe el)e bie erfefente lefete ©tunbe beß SBaffenftißftanbß
gefommen, liefe SSlüdjer, ba bie Stanjofen in bet neutralen
Sone JRequifttionen erhoben, feine Gaoaßerie gegen ben §einb
»orgefeen, erhielt aber non ben (Sommiffarcn bet SBerbünbeten
bie SBeifung, feine Sruppen ^urütf^urufen. ©a erflarte et futj
unb bünbig bem pteufeifdjen ©ommiffariuß: „bie SRatteupoffen
bet ©iplcmatüer unb baß Mieten furnieren muffen nun einmal
ein ©nbe feaben. 3<fe werbe ben Sact ofene SRoten fcfelagen."
SDRtt bem 17. $uguft begannen bie ©efeefete ber fdjlefiftben
Sltmee. „3n biefem SÄugenblicfe, feferieb Blühet mit Sleiftift
feinet ©entafeUn, feabe iefe bie grancofen betbe auffgefeauen; fte
feaben 2000 ßJiann oetloferen unb 6Äanonen nebft 300 (§>ferben?),
auefe manche gefangen. 3$ bin gefunb unb ©efereibe biefeß
unter toten unb lebenbigen." Unb wieber melbet er am
19. Üluguft unter Sobten unb gebenbigen, bafe er mehrere fran*
göfifd^e ©orpß in bie gludfet gefcfelagen: „3cfe matfefeire fogleidj
ab, um ben f$einb 3U Boßgen."
©ß waren bie heftigen ©efeefete am ©ober, um bie eß fidj
feier feanbelt. 23lü<feet featte baß linfe Ufer beß glufjeß occupirt
unb liefe am 21. $uguft bei Söwenberg auf baß reefete Ufer
hinüber recognoßciren. ©utefe feinen feden SBormarfcfe reifte er
Sßafeoleon, ber bei ©reßbeu ftanb, fttfe felbft gegen ifen ju wenben.
®ber 33lü<feer wiefe jebem 33etfu<fee, ifen jur ©efelacfet ju bewegen,
auß, gufrieben, Sage lang ben Äaifer feintet fi«fe feergujiefeen.
„3tfe bin gefunb unb fefet oergniigt, bafe i(fe bem gtofeen man
eine nafee angebrefet feabe, er foß wüttenbt fein, bafe et miefe
niefet 3ur ©efeladjt feat bringen fönnen.“
3nbefe featte Slüefeer'ß 5lrmee bei bem fRfufjuge emfefinblicfee
SSerlufte erlitten, u. a. bei 9>lagwifc, wo bie fcfelefifcfee Sanbwefer
ifere erfte Söluttaufe beftanb (fo bafe bet ffrenge 2)orf fic falu-
tiren liefe, alß fte auß bem ©efeefet ^urücfFefette) unb noefe mefer
bei ©olbberg, wo bie Sferbunbeten fogar gegen 4000 SDiann
»etloren.
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©o cerluftreid;e fRücfgugSgefechte fcmtlen bie ©timmung
in bet Slrmee nicht ^eben. ?)orf murrte unb fd)alt, baf$ man
bie Struppen nidjt beffer jd)ene, unb ber ruffifche ©eneral gange»
ren geigte fich »otlenbS unbotmafeig. ©8 mar 3«t, butch einen
glüngenben ©rfolg bie ©orpSführer wie bie Struppen fefter an
ben Oberbefehlshaber gu fnüpfen. SDagu fotltc fid) bie gihiftigfte
©elegenheit bieten, al8 Napoleon, um 2>re8ben gegen bie böh»
mifdje 3trmee gu becfen, au8 ©djlefien gurücfeilte unb \)kx ben
Oberbefehl über naljegu 100,000 5Rann bem SDtarfdjall ÜRacbo«
nalb übergab. 9U8 biefer gegen bie Sßerbünbeten oerging, fam
e8 am 20. Sünguft gu ber ©c^Iadjt an ber Ka^bad). @8 war
ftürmifd^cö Stegenwetter, bie ©ebirgSpäffe hoch atigefchwollen,
ber SBoben für Steiterei unb ©efdjüfc faft ungangbar, a(8 fl)orf
unb ©acfen in einem überwältigenben Anprall ben §eiub eotl»
ftanbig gerfprengten unb niete Staufenfce ben fteilen SBergranb
bet Kafcbad) unb ber wüthenben SRei§c hinabftürgten. SDer
glangenbe ©ieg würbe mit geringen Opfern erfaßten unb burd)
bie raftloS fortgefefcte SSerfotgung bie SRacbenalb’fcbe Ülrmee faft
uernicbtet.
„£eute," fo melbete 23lüd)er „in ÖiH unb mühbe unb matt"
feiner ©emaljlin, „heute wahr ber tag, ben ich fo fehnlich fle*
wünjcht h°fo; wir ha^cn ben geinb »eilig gefdjlagen, »iCe
©anonen erobert unb gefangene gemagt; morgen benfe ich noch
»iCte gefangene gu machen, ba ich ben geinb mit meiner ganzen
©aoalletie oetooDge. @8 war ben ganfceu tag ein Stegen, fo
bah ich nicht einen trocfenen SBiffen behillte."
SÄm fpäten 3tbenb be8 glorreichen Stage8 finben wir bie
gelben 33lüdjer, ©neifenau unb ihre nächften ©ehülfen auf bem
©ute 33red)tel8hof bei einem ©iege8mat)le. 3n einem weiten ge»
wölbten ©aale war eine lange 2afel aufgefdjlagen, auf ber grofje
irbene ©chüffetn bampften. ©ie enthielten ftifd) au8 bem
S3oben gegrabene unb in SSaffer abgelebte Kartoffeln, gu benen
nic^t einmal ©atg befdjafft werben fonnte. ©in ^auptmann,
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bet an betn unteren Gnbe bet Stafel ^lafc genommen, falj un*
ruhig um fid). 931üd)et merft eS unb fragt, maS et fuche. Unb
als et fyßrt, baff jener SDfftgiet nach Saig »erlangt, ruft bet
gelbljerr auS: „Gr ift moljl je ein Geurmanb, et miß fegat
Saig freffen.* So bie Jpclben »on 1813.
SDafc Slüdhet’S 8ob feit bem Stage an ber Äafcbadh non
allen Sippen tönte, braucht faum gejagt gu roerbeu. SDie »et*
bünbeten 9J?onatdjen überjanbten ihm mit fchmeidjelhaften 3 u*
fünften bie Ijöd^fteu SDrben. ,,3d} mei§ mahrlich nicht mehr,
i»o t)in ich ade freufjer unb DrbenS Mengen foO."
fJtapoleon aber erlitt in jenen Stagen nod) anbete faum
minbet fernere 23erlufte. 3»ar ^atte er bie bö^mifdje Slrmee
»or SDreSben gefdjlagen, aber baS GorpS beS General SBanbamme,
baS bie SBerbünbeten »erfolgte, mürbe bei Äulm »ernic^tet, unb
nadjbem fdjon bie pren&ifdjen Generale Stauengien unb Sülom
»on bet Sflorbatmee, ohne 3»t^un, ja gegen ben SBiüen beS
/Oberbefehlshabers SBernabotte, ben SRarfdjaH Dubinot in bet
JRälje »on Setlin bei Gropeeren gurüefgemotfen , festen bie
Äolbenjdjlage ber 33ülom’f<hen Struppen bem ÜJlatf^aß 9lep,
bem beften ber napoleonifdhen Generale , bei SDennemifc fo
grünblich gu, baff er bie JRefte feiner Slrmee faum nodj gu Jam*
mein »ermocfyte.
£err Napoleon, meinte ©lüdfjet fd)on am 4. September,
merbe nun mohl gu paaren getrieben merben. SlßetbingS »er«
modjte er jene ftarfen Sßerlufte nidjt mehr gang gu erfejjen unb
bie Sßerbün beten befamen nach unb nach eine entfdjeibenbe Ueber*
macht, bie fte Anfangs, auch nach DefterreidhS Beitritt, nicht
gehabt. 3Lber ber gto§e Schlachtenmeifter gab baS Spiel noch
feineSmegS »erloren. SBieber manbte er fidj mit feiner £aupt*
armee gegen SBlüthet unb tljat alles, um ihn gu einer Schlacht
3u bringen. SDa er aber gmeimal fo ftarf mar als bie fdjlefifdhe
Slrmee, midh SMüchet ihm fo lange aus, bis er »iebet gurüdf»
ging; bann brängte et ihm nach, um „ihn t»arm gu halten.“
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3Jber fo fetjr aud} bic friegetifd)en <5Teigutffc unferen ?telb*
herrn in anfprud} neunten, fo »ergeht bod} fein 3:ag, wo er nicht
theilnahmüofl ber ©einen gebäd}te. „aber meine gute fERahle,"
fdjreibt er ber ©attiu am 15. September au8 Herrnhut, „bu
btft »erftimmt unb mifcoergnügt, bafc macht mid} f ummer, weg
mit bie griBeu, eS wirb afleS gufyt werben, ber JpirneB geigt
fid} uns fo ^eitter . . . nod} ^eute marfcbire id? nach S3auj}en unb
in wenigen tagen nur ©reSben, ober id? gehe über bie Grlbe
gwifcben Üorgau unb 3)reffen." „Hier in ^errnijut, fährt er fort,
bin id) 3 tage, nie in meinen leben fyabe id} beffet quartier ge«
fjabt; ad} eS ftnb »ortrefflige leute bie Ijcrrnfyuter, fte haben mich
uff tauben getragen unb »ergoffen trähuen, ba id} fte »erlaffe,
auch id) unb meine ganfje Umgebung mögten weinen."
SU« 23Iüdber fdjon baran backte , über bie ©Ibe gu gehen,
»erlangte baS grofje Hauptquartier, bafc er mit ben fd}lefifd)en
Gruppen bie armee in 33öl)tnen »erftärfe. SDiefem fonberbaren
anftmteu trat er jebed} im ükrein mit ©neifenau energifcb unb
mit triftigen ©rünben entgegen unb fefjte eS »ielmeljr burd},
bafc ihm bie @tlaubni§ gu einer SBewegung gegeben würbe, bie
unbeftritten baS ©djicffal beS ftelbgugeS entfdneben hat-
Biad)bem ©eneval Senningfen mit 70,000 rufftfchen 9iefer»en
an bie ©teile ber fchleftfchen armee gerüdt war, -fchwenfte
33lüd)et nad} fflorben ab, um ftd) mit bem ftets gaubernbett
unb gwetbeutigen Äronpringen »on @d)weben (93ernabotte) gu
»ereinigen, biefen mit fid) über bie @lbe gu giehen unb »on bort
fid} in Biapoleon’S dürfen gu werfen, währenb ©chwargenberg
mit ber bd^tnifd^en Slrmee über baS ©rggebirge in ©adjfen ein«
bringen unb fo ben ©egner »on ©üben faffen foBte. 3n ber
erften Hälfte beß Dctoberfl »oBgogen ftd} bie entfdjeibenben «Be»
wegungen. 5)urd} baS mörberifd}e ©efecbt bei SBartemberg, wo
baS tapfere llorf’fche (JorpS fo grimmig ftritt, würbe ber Ueber«
gang übet bie (Slbe gewonnen; öernabotte, fo oft er auch oet*
fudjte gurücfguweichen, würbe burd} 33lücbet’S ßnergie unb Älug»
(«>
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48
heit allem Sßiberftreben gum $ro£ feftgeljaltcn unb im ©aal»
tljale fortgcgogen, währenb gu gleicher Beit auch ©chwargenberg
fict> bet frangofifchen Sluffteflung näherte.
33ei Seidig Ijatte 5Raf>oleon noch nahegu 190,000 9Rann
in günftiger ©teflung gwifchen ben feinblichen feeren Bereinigt.
35a begann am 16. Dctober bie gtofje 33ölferf(hla<ht, bie am
18. ober richtiger erft am 19. mit bet (Srftürmung Sei^igö
unb ber §fud)t fRaf>oleon’8 enbete. @8 war eine fReihe großer
unb blutiger ©(flachten auf engem fRaume, wobei wiebet bie
fd)lefifd)e SSrmee uitb inSbefonbete Dorfs preu§ifd)e§ 6orp8 ficf
»or anbeten heroorthat; fo namentlich am 16. bei ÜRöcfern, wo
SRarmontS Slrmee in einem blutigen fRingfampfe aufgetieben
würbe; fo am 18. October bei bem 3)orfe ©cfönfelb, ba8
S3lüdE>er bureb bie ßluffen wieberholt mit Stobeßoeracbtung ftürmen
liefe, unb fo cnblich am 19. bei bet (Eroberung 8e4>gig8, al8 baß
^aflifdje $hot «ft nach fürchterlichem Kampfe unter BIücher’8
nnb ©neifenau’8 perfönlicfer Leitung genommen würbe.
9118 bann bet greife gelbhert in bie eroberte ©tobt einritt
unb, auf bem föiarfte abgeftiegen, bie »erbünbeten 9Ronat<hen
begrüßte, umarmte unb füfjte ihn bet Äaifet aiejranber unb
nannte il;n „ben Befreier 2>eutf<hlanb8." „Such ber Äaifer
»on Dcfterreid) , fdjreibt Blücher, überhäufte mich mit 8 ob unb
mein Äönig banfte mich mit Spänen in ben Singen." folgen»
ben 2ag8 warb er »on feinem banfbaren Könige gum ©eneral»
felbmatfchall ernannt, wa8 bie #eere nach bem Borgange ber
{Ruffen in ßRarfcfaß BorwärtS »erwanbelten.
„2Rit bie otbenS, fchreibt ber »iel ©eehrte, weih ich midj
nun fein fRaft mehr, ich bin wie ein aßt futtfeh Derb behängen,
aber ber gebanfe lohnt mich über aßeS, bah ich berjenige wahr,
ber ben übermühtigen tihrannen bemütigte."
Braune ich no$ äu fagert, bah Bcn «un aIt SMücfjer’S 5Rame
ber gefeiertfte in ©eutfcflanb war? 35er waefere Slrnbt hat ber
Begeiferung »ieler Slaufenbe einen getreuen 2lu8brucf geliehen,
C48)
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inbem et baö Sieb »om „gelbmatfchall" fang, ber „in fliegenbem
@au0 fc fteubig rettet fein muttjigeS ^Bferb, fo fchneibig fdjttinget
fein blijjenbeö ©d)wert."
„D fcfjaut, wie ihm leuchten bie 'Jlugen fo flar!
D fchaut, wie ihm wallet fein f^neewet^e« £>aar!
©o frifd> t'lül)t fein Üllter wie greifenber SBein,
©rum fann er Bemalter bcfl ©cbladtfelbeS fein.
3) er 9Jlann ift er gewefen, ba alle« ccrfanf,
©er mutlng auf gen £>immel ben ©egen nodi fdjwang.
Sa ft^wur er beim Sifen gar jornig unb l;art,
©cn 2iSälftfcen $u weifen bic prcufjijdic 2lrt.
©en Schwur hat er gehalten. 9tt§ Äriegäruf erflang,
$ei, Wie ber greife Süngling in ben ©attel fid) fcbwang!
©a ift cr’0 gewefen, ber Äe^raus gemacht,
ÜJtit eifernem fflefen ba§ Sanb rein gemacht.*
ÜKit bet Seipgiget (£d)lad)t, bet größten, um mit Sinket
gu reben, „bie nie uf ber erbe ftattgefunben hat," mar bie 33e»
freiung 25eutf<hlanb§ im wesentlichen noDenbet. Söenigftenä gab
e§ für fRapoleon unb bie krümmer feiner gelfcarmee bieSfeitö
be8 SRheineS feinen £alt mehr, unb ber 9Rarfchall Borwärtö mar
e8 por allen, weither bie 33etfolgung fo eifrig wie möglich
betrieb.
„9tun ift baö grofje unternehmen geenbigt, fdjrieb et am
3. Sftooembet 1813 au8 ©iefjen; bie gtangofen finb genjjlith üb«
ben 9lein gejagt; 8 tage hinter einanber habe ich ftetS mein
quartier be§ abenbö ba genommen, wo eä Napoleon oetlaffen,
unb ftetö uf ber fellben ftelle gefchlaffen. (St hat ben größten
theiQ feiner Ültmeh »erlohren, befonberö feine attellerie, unb wenn
nicht groffe gehler begangen wehren, fo wehre er felbft mit allen
oertohren gewefen."
Blücher ftanb am fRhein unb hoffte, wie er am 11. ffto*
XIV. 313. 314. 4 (4»)
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Bembet au8 SUtenfirdjen bet ©emaljlin melbete, balb ben ftolgert
@ttom gu pafftren. „©en erften briff, ben tdb bidj fdfereibe,
will idfe Bom icnfeitigen uffer ©atiren. 5Ba8 fagft bu nun, bu
ungläubige, id) feoffe, bidj nod) au8 $>ari8 gu ©dbretben unb
©djöne fadfeen gu fcfeidfen."
Slber bie ©htge gingen, ©auf ber metfeobifdjen .Rtieg»
füferung, bie ba8 grofee Hauptquartier uotfdfetieb, unb ©an! bet
griebenSliebe, »ooon ba8 öfterreidfeifdje ©abinet befeerrfdjt war,
nidfet jo tajdj, wie fein ftürmifdjer ©ifer Berlangte. SMüdfeer,
mit ber „nerbammten Heftung SJtaing" Biel befcfeäftigt, mufete
Sotten lang in Höcfefl liegen unb war bann wenigftenS frei},
bafe bie großen Herren, bie ifen jo fefer „genirten," ftd) entfernten
unb er ba8 Steidfe allein befielt. Stu r besagte e8 ifem nidfet, bafe
er wiebet „eine gange He£c bringen“ um ftdfe Wegen feilten
©nblidfe fonnte um bie erfte ©tunbe be8 neuen 3a^re8 bet
Stfeeinübergang ftattfinben. 33oH gtenbe fdferieb 33lü<feer am
Sfbenb be8 1. Sanuat 1814 au8 33adfearadfe: („©er früfee neu»
jaferSmorgen Wafer Bor micfe erfreulig, ba icfe ben ©tollen Stein
^ajjirte, bie uff et ertöfenten not greubengefdferep, unb meine
brauen Gruppen Empfingen mich mit Subei.“ „©et leferm Bon
meine braßen ©ameratten ift fo gtofe, bafe icfe micfe Berbergen
mufe, bamit aHe8 gut Stufee fomt; bie ienfeitigen beutfcfeen be»
wohnet (Empfangen un8 mit greubenträfenen."
Slm 17. Sanuat war 33lüdfeer tn Stanep, „ein8 bet fdfeönften
©tätte Bon granfteidfe*. „SRorgen marfdfeiere icfe uf ©ufen unb jo
immer weiter nacfe fPari8. SSenn alles gefet, wie e8 gefen füll
unb mufe, fo wirb in furzet geit ber gtibe ooDgogen."
©en 1. unb 2. gebruat ftiefe ber SötarfcfeaU bei ötienue
gum erften fötale unmittelbar mit feinem grofeen ©egnet gufammen
unb erfodfet über ifen einen glängenben ©ieg. „©er grofee
©dfelag ift gefcfeefeen, " fdfereibt er am 2. Stage, „©eftern traf
icfe mit ben faifer uapoleon gufamett; ber Ä’aifet f.Bon Stufe»
lanb unb unfer .Röntg !amen an, wie bie Sattalie ihren Anfang
(SO)
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51
nahm; beibe monateben übergaben mid) alles, unb bliben gu
©tfyauer be8 fampff’S. Um 1 Ufyt griff id) ju mittag ben §einb
an; bic Sditacbt bauerte bis in bie fRadft unb erft um 10 U^r
batte id? ben .fteifer napoleon auf) allen feinen ftetlungen »er«
triben, 60 Äanonen unb über 3000 gefangene ftOen in meine
fyenbe. 2>ie 3abD ber toten ift fefyr gro§; benn bie erbitterung
batte ben ^o^ften grab erreidjtt. JDu fannft benfen, wie »iel
banf id) uon bie monarcben einernbtete. Sllejranber brücfte midj
bie £anb unb fagte: 93iüd)er, Ijeutte haben fie bie frone uf alle
Sfyre fige gefegt, bie ÜJtenfctjen werben ihnen ©egnen. 3d) wahr
bis gum ^infinfen ermattet unb fcbliff 5 ftunben ohne uf ju
wadjett. ^»eutte früh muffte id) meinen gegner nodj einmal an*
greiffen unb oöllig oertreiben."
SBlüdber’S großer Sieg unb fein perfßnlidjeS ©intreten für
bie Sortfetjung beS ÄtiegeS brängten einmal wieber in bem fürft*
lidjen Hauptquartier bie ^tiebeuSgebanfen 3utücf; übel bagegen
War, baf) bie faum Bereinigten Jpeere fi<b wieber trennten.
SSlüdjer matf dritte bur<b bie ©bene ber ©Campagne. „3Bo idj
jefjt bin, wäebft bet befte ©bampagner in gan3 granfteidb; er
wirb biet oom ©eneral unb »on 9)adffnedbt getrunfen, mid) be*
fommt er aud) giemlidb gut." 2lber beS Krieges ift ber gelbbert
überbrüffig unb febnt fidj nach tRube.
93a!b famen fcblimme SLage. 3m SLljetl ber SRarne würben
SSlücber’S gu weit auSeinanber ge3ogene Sruppen »on Napoleon,
ben Sdjwa^enberg’S tÄrmee nidbt befdbäftigte, unüerfebenS an*
gegriffen; fie erlitten (14. Februar) grofee SOerlufte, unb bn um
biefelbe Beit bie grangofen aud) an anberen Stellen glücflidje
©efeäjte lieferten, fo würbe im großen Hauptquartiere 31t SropeS
ber Stiücfgug nadb 93at für 9lube beidjloffen unb uon angftlidjen
Seelen fogar f<f)on bie tRetirabe bis an ben tRbein in StuSfidjt
genommen. SebenfallS lag baS ©nb3iel beS ÄriegS, bie 93er«
nid)tung beS napoleonifcben HeereS, wieber in weiter fferne.
2)a war eS wiebet 93lü<ber, welker mit feiner gewaltigen
4* (51)
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52
(Energie ben 2(u8fd)lag jum ©uten gab. (5r baMe feit feinem
©intritt in ffranfteid), aud) l)ierin gan3 mit ©neifenau über*
einftimmenb, unentwegt Paris atö baS Biel beS Selbjugß feft*
gebalten. „SBibr gubt gefinnten wollen <Sd)lagen, fd)rieb et
cot bem Kampfe bei Sötienne an SBincfe, aber bie ©iplomati*
quer fabelt bunbert anbere Projecte; fotl bie Sadje guljt fübt
bie Plenfcbbeit »erben, fo muffen »ir nach Paris. ©obrt
fönnen untere Pionardjcn einen gubten frieben fddiefjen, id) barf
fagen SDictiren. ©er Jiran bn* öBe Jpauptftäbte befudst, ge«
plünbert unb beftoblen: »ibt »eilen unS fo waS niept frbulbig
madjen, aber unjere @bre forfcert baß 23ergeltungSred)t , il)m in
feinem nefte gu befugen." 3efct evwirfte fid> 5Müd?er burdj ben
ßberften ©rolman bie ©rlaubnif), ba§ er, oerftärft bureb gwei
SlrmeeforpS, allein bie Dffenfioe auf Paris fortfefcten burfte.
3»ar würbe bie genehmigte £>rbre ein paar Jage barauf »iebet
gutücf genommen, aber im fd)lefifd)en Hauptquartiere ignorirte
man ben ffiiebetruf unb 30g balb audj bie ©ebwargenbergifebe
ärmee ftd) nadj. ©aS gab bem Ätiege bie lefgte entfdjeibenbe
SBenbung.
üNm 7. Ptärg lieferte 5ölüd)er bem Äaifer bei ©vaonne eine
blutige ©cblarbt, bie 3»at unentfdjieben blieb, Napoleon aber
bie empfinblicbften Serlufte 3U3og. SRcd) fernerer litt bie fran»
göfifebe 2lrmee 3»ei Jage fpater bei 8aon, unb nur 33liubet’S
Äranfbeit unb bie baburd) tjerbeigefüljrte Unficberbeit in ber
Leitung, ba ©neifenau im ©efübl feiner 23erantmortlicbfeit gegen
feine Patur 3U wenig wagte, Ijinberten hier einen ooHftänbigen
©ieg.
©a nerfudjte Napoleon bei SlrciS für Stube fein ©Ittcf gegen
©d) Wasenberg, unb aud) bort abgewiefen, warf er fid? auf bie
SfiücfgugSlinie ber »erbünbeten Heere, ol)ne bafc ftd) biefe »on
bem Ptarfdje auf Paris abbalten liefen. 3n blutigen ©efed)ten
mürben bie Piarfdjütle Ptarmont unb Ptortier, weldje bie Strafte
natb ber ^»auptftabt beefen füllten, geworfen; am Ptorgen beS
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30. Ntcirg ftanben 33lü<het unb ©chwargcnberg Bor ben ÜJtauern
Bott fParig unb crftritten, jener im Norben, biejer im SDften ber
©tabt, ben lebten ©ieg. 3918 3 Uhr Nachmittage bauerte bet
Äampf; bann trat SaffenftiUftanb ein, aI8 gerabe 33lüchet’8
$eer ben ÜJtontmartre ftürmte. 2)er f^etb^err liefe noch 90 ®e*
fcfeüfee auf bie befeenfctjenbe ^ö^e hinauf bringen, um, wenn
ee fein müfete, bie frangöfifche .^auptftabt gu befdjiefeen.
ÜJMt bem Abfdilufe ber (Kapitulation um SRitternacht mar
ber tfeatenreiche ftelbgug, bet an ber Ober begonnen, gu @nbe.
RMücber, beffen ^elbennatur, unterftüfet Bon ber beifpiellofen
Süchtigfett feinet Armee, gumeift ba8 ©elingen beö ftelbgugg
herbeigefufert hatte, fonnte fidj beö glängenben Gfrfolgeg in ber
gütle beb erften SlugenfclidfeS nicht recht freuen, ©eit 8aon war
er franf, Born giebet gefchwächt unb Bon heftigem Augenleiben
heimgefucht. 3for ^>ari8 hatte er nur au8 bem Sagen hetau8,
Bor ben Augen ben ©chirm eineg gtünfeibeuen SDamenhuteg,
feine befehle geben fonnen.
Stofebem wollte et am Sage be8 feierlichen (Singugg ber
Berbünbeten Stuppen nicht fehlen. ÜJian fah ihn am
frühen SJtorgen beö 31. 3!Rärg in noHem Staate, ben grünen
©chirm unter bem ©eneralgljut, unb eg gelang nur mit ffJtühe
ihn gu bewegen, bafe et auf bem KDtontmartre bleibe.
21m 2. April legte er ben Cberbefehl nieber unb nahm
feinen Aufenthalt in $)ari8, wo et erft nach Sechen Bon feinem
Augenleiben geheilt würbe.
Auch ohne biefe Jfranfheit würbe 33lüd)er nach feinet gangen
Art auf bie fttiebengoerhanblungen in ’Patig fchwerlich (Sinflufe
auggeübt haben. @8 fehlte ihm bagu Bor allem an ftaatg*
männifchet SBilbung. (Sr felbft fdjeint biefen SGRangel nicht Ber*
fannt gu haben. Sn biefem ©inne möchte ich eine merfwürbige
$ergengergiefeung ©lüdjet’g aug bem frangöfifchen ^elbguge beuten.
Ale nämlich ber SelbmarfchaO eineg Abenbg gemüthlich mit
feinen Sifchgenoffen plauberte, h^fte man ifen plo^lich nachbenf*
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lidf fagen: ©neifenau, wenn idj wa8 gelernt hätte, waS hätte
ba nid)! aus mir werben fonnen. s3ber ich feabe alles eerfäumt,
wa8 id) hätte lernen joden.
gadjenb erwieberte ber ©eneralftabSdjef: „SßaS Ratten 6w.
@jr. benn noch mehr werben woUen, als ©ie jefet wirflid) finb?
©ie haben ben ^öc^fteu Soften im ©taate ja fdjon erreicht,
©er gelbberr liefe fidj nicht irre machen, jonbern fuhr fort: 3«
meiner Sugenb ^abe icfe mich um gar nichts gefümmert, anftatt
ju ftubieren, habe id) gezielt, getrunfen, mit ben SöeibSleuteu
mid) abgegeben, getanjt unb fonft luftige ©treidje oerübt. 3)a=
ber fomrnt eS benn, bafe id) jefet nid}t8 weife. 3a, fonft wäre
icfe ein anberer Äerl geworben, baS fönnt 3fer glauben; auS mir
batte waS werben fönnett!" —
9Jlan fönnte meinen, Slitcfeer habe etwa an ben SDtangel
ftiegSwiffenfcfeaftlicfeer ©tubien gebadjt? 38er ba weife, bafe er
an tfeeoretifcfeen Äenntniffen feinter betn jüngften ©eneralftabS»
Offizier 3urücfftanb, wirb geneigt fein 3U glauben, bafe er ben
SRangel an friegSwiffenfcbaftlicber SBilbung tief empfunben haben
muffe. länbererfeitS aber ift bunberfältig bezeugt, bafe ber geniale
9>raftifer mit feinem iäblerblitf, feinem burcfebtingenben ©cbarf«
finn unb feiner raffen ©ntfcfeloffenfeeit oon ber Slfeeorie ber
ÄriegSfunft fefer gering badete, bafe er ©cfelacfetenpläne unb
dRarfcferouten ju entwerfen rubig feinem ©eneralftabe iiberliefe:
ibm genügte baS Söewufetfein, bafe es im entfd)eibenben Momente
bocb auf feine giiferung anfoinme.
Sejeicbnenb ift in biefer ^»inficfet bic (S^üfeluug eines
Slngenjeugen über SBlütfeer’S 33erfealten am ÜSorabenb ber ©cfelacfet
oon Seipiig ober richtiger oon SDiöcfepn. SBäferenb unter SluS*
breitung ber ©pecialfarten oon ben unter ibm commanbirenben
@eneraleu ber ©djlac^tplan befprod)en wirb, fifet iMüdier in
einem anberett 3iniwer beim Äanjler jJtiemeper auf bem ©opfea
unb raucbt unter jutraulicfeen ©ejpräcfeeu rufeig feilte pfeife,
ftidoerguügt wie im Scfeoofee bes griebenS. 311S 3ene fertig
(M)
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finb, fagt er: „9tun, ifyr .jperrn ©chriftgelebrten, waß habt 3hr
©uteß außgehecft?" SEBie er gugetyort, erwiebert er, „baß mag
woljl baß Steckte jein, aber ich !ann non bem allen nidjtß
braunen, wenn ich mit meinen Sungeitß auf baß ©djlachtfelb
fomme, werbe ich fc^on fehen, maß ju tljun ift. 9tun £etr
(Sanjler, noch eine pfeife!"
©in folcher sBiann wufjte, »aß et ot)ne theoretijche Äcnnt-
niffe werth »ar, unb räumte feinem tSnberen ben Vorrang im
gelbe ein.
Dagegen batte er immer non neuem Urjadje, über bie
i<b»äd)lid}e Haltung ber preufjifchen ©taatßmäuner ju Hagen,
unb oft genug muffte itju bie ©ehnfucht überfommen, ben
faexxn Diplomaten et»aß oon feinem ftarfen juoerfi^tlidjen
©eifte einflöfjen ju fönuen.
SJian rueife, »ie fel>r gerabe in Variß eine beffere Vertretung
ber preufjifchen unb ber beutfehen Sntereffen 3U wünfehen ge«
»efen »äre. Deutfchlanb »urbe für bie beifpiellofen Opfer
fehlest belohnt unb auß unberechtigter, ja fträflidjer ÜRilbe gegen
granfreid) nicht einmal mit fdjüfcenben ©renjen »erfehen. Vlüdjer
warnte wohl, eß mögen bie gebe« ber ^errn Diplomaten nicht
wieber Derberben, waß bie Schwerter erworben; aber babei
blieb eß.
©obalb Vlüchet’ß ©efunbheit bergeftellt war, würbe er, ohne
bie bringenbe ©inlabung beß sPrinjregenten, mit ben Votentaten
nach Bonbon 311 fommen, abgereift fein, um wieber 3U ben
©einen gurücf gu lehren. SBie oft hatte er fich »ährenb beß gelb*
3ugeß nach feiner ©emahlin gefehnt, unb wie unbefthteibfich un»
ruhig war er, wenn er feine V riefe erhielt. 9tun brannte ihm
in Variß collenbß „ber ©oben unter ben güfjen."
SBir werben unß baher baß müfcige 8eben, baß ber .£>elb
im Valaiß fRopal bei Urunf unb ©piel geführt haben foD, nicht
all3ufröhlich benfen. Dafe Vlücher fich bem langentbehrtem Spiele
wieber 3uwanbte, ift begreiflich; bafj er aber h«nbert SEaufenbe
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etngebüfjt hatte, nid)t mäht. sÄud> hielt er im Jtinfen ftcti fehr
mäf)i0 unb begnügte fid) mit fdjnjachem Äaffee unb Jhee ober
aud) mit Warmbier. ©en fParifern mar er ein ©egenftanb be»
teunbernber Sfteugier, hie unb ba auch beß Slttfto^eS ; fo, menn er
an einem fyei&en Jage ohne Umftanbe im ©afthaufe ben fRocf
außgog. (Die Gfnglänber bagegen, bie gasreich nad? fPariß !amen,
bemunberten bieö mie manches ©erbe an bem ruhmoollen Jg>eer«
fütjrcr, ber ben langen Äampf ©rohbritannienß gegen ^ranfretch’ß
Uebermacbt gu einem für fie fo oortijeilfyaften ©nbe geführt hatte.
„@ß finb hier mehr als 100 ©nglänbet angefommen, bloß
um mich gu fehen unb fennen gu lernen. — ©eftern ift ber
berühmte gorb Wellington ^ier angefommen unb ich bin auf
btei Jage gu ihm gebeten." — 3eber neue ©rief melbet oon neuen
!Äuögeid)nungen. „©er Äönig oon ftraufteid) (8ubmig XVIIT.)
hat mich öffentlich gebanft, bafs ich anfänglich bie utfadje fei,
bah er feinen trohn roiber beftiegen. — ©ie (Stabt Bonbon
hat midj einen @hren ©egen oerehrt, ben ich ba ©mpfangen merbe.
©er ©egen, ben ich »om Äaifer Sälejcanber erhallte, ift oom
hiefigen 3ubeliet uf 20,000 Jhaler Jajrirt. 9lun fommt noch
fo ein ©äbeü auß Petersburg, maß Jcuffel fofl ich mit alle
3uoelene Waffen."
Slm menigften moHte ftriebrich Wilhelm mit feinem fönig*
liehen ©anfe gurücfbleiben. @r erhob ©lücber gum Surften oon
Wahlftabt unb fieberte ihm eine ©otation in liegenben ©üteru
gu. @ß gefdjah tagß oor ber Ueberfahrt nach ©nglanb. ©rft
non hieraus fdjtieb Sßlücher barüber feiner nun fürftlichen
©attin.
„Sflun muh ich bich befannt machen, bah tro§ allen mtber*
ftreben mid) ber fönig ben morgen, mie mihr nach ©ngelanb
gingen, gum dürften ernannte, mit bem namen gürft Slücher
»on ber Wahlftabt; meine @öt}ne finb ©tafen 33lüdjer oon
Wahlftabt. ©ah §ürftenthum erhallte ich in ©chlefien, aHmo
ein flofter mar, bah Wahlftabt helfjt- S^ac^ meinem tobe erljelft
(«)
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bu uf leben8$eit eine fPenfion, baff ©u al8 gürftin leben
tauft." ,,©ie Dotierung tuljt oiehH cot mid? unb id) genifje
im oorauh bie greube, euch ade, bie mich lib unb wehrt finb,
in glücflige oerfaffung nach meinen leben ju wiffen."
©dbon in Soulogne erfuhr Slücber groben be8 beifpiel=
lofen Sntbufia6muS, womit bie Snglänber ju feiner Stfcbeinung
emporblicften. „©eftern, fchtieb er am 3. 3uni , b«be ich mit
bem ^)@rgog non jtlarenfe uf baö Sinien ©cbiff 3mprenabel (ba8
bie bobfn Säfte 3 Sage fpäter nad) ©ooet fütjren feilte) gegeffen ;
noch bin id) taub non allen Äanonenbonnet, unb bep nab ge=
ftört oon alle Qrbtenbejeugungen. 2öen baf) fo foljtt gebt, fo
werbe i<b in Sngelanb »errüeft. 3n lonbon foll i(b mit SleuffelS
gewalb beim §>rinh {Regenten logiren ; id) werbe aber fudjen, ba*
non loh jufommen."
„©ie Sngellänber tarnen t?ir , fepreibt er weiter au8 Sou»
logne, ju punberten um mich 3u feljcn, unb feben muff id) bie
banb geben unb bie ©amen machen mid) förmlich bie (Sour.
@8 ift baö nerrifebfte Solf, wa6 id) fenne. 3<h bringe einen
©egen unb einen ©äbell mit, woran cor 40,000 Spoto 3u»
welen befinblig. ©ie ©tabt 8onbon pot mid) gleichfalls einen
©egen gefepenft. 3dj bin in bie Sloub8 ju 8onbon ohne Sallo*
tage aufgenommen worben unb in ©dbottlanb bat man mich ju
Sbenbutg jurn Spren mit gltb bet gelehrten gefcllfdjaft Sreirt.
SEBen id) nicht tobl werbe, fo ift e8 ein wunber."
@8 follte noch gan$ anber8 fommen, fobalb Blücher ju
©onet ben britifeben Boben betrat. {Riebt allein, bah man ibn
am Ufer mit bem ungeftümften greubengefdjrei empfing, fonbern
et würbe im eigentlichen ©iune nom Solle gehoben unb getragen.
3eber wollte ihn berühren, ja 3ebet etwa8 non ihm jum 3tn»
benten hoben. Sr muhte jule^t ben Ueberrocf pteiSgeben , ben
bie jubringlicpen Beredet in gehen $ettiffen. Unb bie geftjung*
frauen ©oner8 gingen in ihrer fdhwärmetifchen Begeiferung fo
weit, ba§ fie ben gelben nicht paffiren liehen, ohne $änbebrucf
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ober nod) liebet ot)ue jfufe. ©ebulbig liefe bet ebrroürbige ©reis
bie 3ubringlichen gewähren. SllS Slnbere aber, bie ihn oot
feinem Quartier feierlich begrtifeten, gar nach einet Socfe beS
angebeteten gelben begehrten, nahm et lätfeelnb feine Äopfbe*
becfung ab unb fagte: „@S thut mir leib, bafe i<h in biefet ,£>in»
ficfet fo arm bin. 33etrac^tcn ©ie felbft meinen ©Reitel, nicht
njafer? SBenn ich jebem biefet fchenen .Jtinber auch nur ein
einjigeS £>ar geben rooüte, fo mufete ich auS ©nglanb fahl non
bannen gehen."
©ergebenS fuchte ©lücfeer gleich ben beiben Jpetrfchern in»
cognito nach Bonbon gu fommen. ©eine eigenthümliche ®t»
fcfeeinung uettieth ihn bet horrenben SRenge unb fo mufete er
bis nach Soubon unb feier erft eoDenbS ben gangen -©türm beS
©olfSjubelö auSfealten. ©och hören mir ihn felbft:
„SibeS mafeldjen," fchrieb er auS Sonbon ben 6. 3uni, „geftern
bin ich in ©ngelanb gelanbet, aber ich begreijfe nicht, bafe ich
noch lebe; bafe ©olf feat mich hepnafee gerriffcn; mau h“t mich
bie $>ferbe aufegefpannt unb mich getragen ; fo bin ich nach Sen»
bon gefommen. SSiber meinen willen bin ich »er ben ^Regenten
fein ©chlofe gebrad)t, oon ihm ben JRegenten bin ich ©mpfangen,
wie ich eS uid}t befchteiben fann. 6r hinf mich am bunfel*
blauen banbe fein 'Portrait, roafe feht SHeich mit ©rillianten be»
fefet »ahr, um ben ^alfe unb fagte: ©lauben fie, bafe ©ie feinen
treuem greunb uf ©rben haben wie mich- 3d) logire bei ifem."
„©ein ©ruber (SRajor oon ©olomb) ift bei mich unb grüfet.
©r ift Senge oon allen behm, roafe mit mich »ergeht. ©aS
©olf trägt mich uf henben. 3<h batff mich nicht feljen laffen,
fo machen fie ein ©efchrep unb find gleich 10,000 gufammen.
3n nionbirung batf ich gar nicht erfcheinen. SRun lebe roohl,
ich fann nicht mehr fchreiben, benn ich bin oöllig betäubt."
„©ein ©ruber," helfet eS in einem lefeten ©riefe, Dom
12. 3uni, „hat mich »etfprochen, ©ich aöeS iu fchreiben roafe mit
mich »ergeht; ich fann ©ich «bet oerfidjern, bafe eS gleichfam
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unbefchreiblig ift. 5Den wo icf? nic^t beftenbig »on wachen unb
begleitern umgeben bin, fo »erbe id? jerriffcn. SBen ich fahre,
fpant man mich bie $)erbe au§ unb gibt mich; id) werbe un*
menfchlidj non 3 ÜJfaljler werbe id) gugleidj gemahlen."
3Bie wett Stüber baoon entfernt war, §u übertreiben, lernen
wir unter anberm auS bet (Srgätjlung feineö Seibargteö ibieäte,
ber berichtet, ba&, fobalb ber gürft aufftanb, eö festen, a!8 ob
aQe üJlalet Sonbenä ihr Atelier in feiner ©tube aufgefchlagen
l)ätten, unb bie ©tuhe mit ©taffeleien fo befe£t war, baf) er
nic^t geben tonnte, ©etfelbe 23erichterftatter erjäljlt noch folgenbeS:
5Ruf)te ber SBagen, wenn 33l«d)et auSfuhr, jufäHig halten, fo
würben bie SBagenthüren aufgemacht, unb bat! S3olf ging in
einem Buge burch beit SBagen, brüefte unb fdjüttelte ihm mit
einem Blücher for ever bie. ^>anb uno rief aisbann fein Hep
Hep Hurra! 55ie reichften unb erften Bürger, felbft Sorb'S,
bejablten bie ©ienerjehaft im £otel, wo ber gürft wohnte, um,
alö 3)iener nertleibet, bem gürften beim grühftücf aufwarten
3u bürfen.
SBir hörten auS SMücher’S Sötiefe, baf} fein ©djwager ber
gürftin bie Bonbonet Krlebniffe ju befchreiben oerfprocheu. Ko»
lomb aber befennt in einem mir gütiger SBeife in Kopie mit*
geteiltem ©chreiben bie Unmöglichfeit, feiner ©chwefter einen
S3egriff oon ben Khtenbejeugungen, bie man SMücher erweife,
ju geben, ©o lange Knglanb ejriftire, hflbe etwas ähnliches
nicht ftatt gefunben. „£)ie jdjönften SBeiber machen ihm förmlich
bie Kur unb er befommt Äüffe wie ©anb am SDteere; ju ^fetbe,
/u SBagen unb ju gufee machen fie förmlich genfterparabe unb
taffen fidj t>om ^)öbel beinahe erbrüefen, nur um ihm bie Jpanb
3U reichen. — SBo er fid) fehen läj}t, geht ber Bärm gleich loö
unb man nimmt oom Äaifer unb Äönig gar wenig Slotiä, wenn
er ba ift."
„2)aS alles ift nun red)t hübfeh, wenn eö nur feine ©efunb*
heit auöhalt. Steinen Sag fommt er oor 3 bis 4 Uhr ju Jpaufe,
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um 7 Uhr gebt bet Scirm mieber lo8! deinen Stugenblicf fRube:
Sifttcn, Ü)iner8, ©oupetS, @pa gierfabrten , afleö treibt eines
ba8 anbere, unb id) begreife nid)t, wenn er nod) auf ben Seinen
ift. Söenn e8 nod) eine SBeile fo fortgebt, muff er franf »erben,
er fann e8 nidjt auebalten."
9lber Slöcber ^ielt e§ nod) met 3Sod)en lang au8, mäbrenb
meldjer Bett Sefte an gefte, SluSflüge an StuSftüge fid) reiften.
Unter anberem befudjte bie fürftlid)e ©efeflfdjaft bie llnioerfttät
Djrforb, »o Slüdjer befatmtlid^ gum S^renboftor ber juriftifdjen
gafultat erhoben mürbe — unter unermefjlid)em 3ubel ber ©tu»
bentenfdjaft. Stufet fanb bie @ad)e mit 5Red)t etmaä fpafibaft
unb fagte mit treffenbem ©djerg: „5Run, menn idj 3)oftor merben
fofl, fo muffen fie ben ©ncifenau menigftenS gum Stpot^eFer
madjen, benn mir gmei gehören einmal gufammen." — UebrigenS
»erlief ihm auch ßambribge bie ©oftormürbe. —
fRidjt ebne banfbate SRübrung über aß’ bie Siebe, bie man
ifym ermiefen, reifte Slüdber am 11. 3uli enblid) non Sonbon
mieber nach 35ooer ab. „|)ätte id) nidjt SBeib, noch Ätnber, fo
mürbe id) bieö glütflidfe Sanb nidjt mieber oerlaffen/ fagte er
einer britifdjen ©ejeßfd)aft. 3n SDeutfdjlanb angefommen aber
»erfidjerte er, baff er lieber nod) einen gelbgug mitmadjen, als
auf fo(d)e 3lrt mieber nach Sonbon geben rooße.
2lud) auf oaterlanbifcbem Soben fehlte eö felbftnerftanblid)
an begeifterten Jpulbigungen nicht , bie gmat einen meniget ftür«
miftben , aber befto b^idjeren @l)arafter trugen. „3n jeber
©tabt,“ erjaljlt ber geibargt Slüd)er’8, „ja faft in jebem 3)orfe
mürbe ber ?fürft auf’8 b^lidjfte begrübt unb oon ben fd)önften
9Rabd)en mit Slumen gefcbmüdt, fo baf? ber SBagen oft fo noß
Bon Slurnen mar, bafj fein fRaum gum ©ifcen übrig blieb unb
auf ber ©renge burd? £inau8merfen bet gu ermartenben Se*
frängung $Ha|s gemalt merben muffte. 2)ie an ibn gehaltenen
{Reben ermieberte S3lüd?er gemöbnlid) in ernftem reltgiöfen
©inne, inbem er ben ©auf non ftd) auf ©ott lenfte, ber ihn
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jum 3i>erfyeug ertöten, baS 8anb »on bem Ratten ©rucfe 31t
befreien.
®ei)r häufig bot fid) 39lüd?et in iberlin, wo er mit glän*
3tnben (ä^ren aufgenommen würbe, ©elegenheit, öffentlich ober
in größerer 33etfammlung 3U reben. 2)ann bewährte fid) fo
recht bas SBovt, bah baS <£er3 ben JRebner mad)t unb nicht bie
Äunft. 2)er rauhe ÄtiegSmann, ohne febe flaffifche Sßilbung
wuf)te in warmem Jone ohne alle tüorbereitung mit hinreihen*
bet (Gewalt 3U teben. 3U0 eifriger Anhänger ber Freimaurer,
bereu hnmane Jenben3en feiner ©efinnung fo oöQig entsprachen,
hielt er in ber Soge „3u ben brei SBelttugeln" manchen auS*
führlidjen SSortrag. 33e!annt ift namentlich eine lange Diebe,
worin er unter anberem auf bie fDiänner hinraieS, bie ihm tljätig
oorgearbeitet unb geholfen; nachtem er oiel 311m Bobe feines
Freunbeö unb SEBaffengefährten ©neifenau geiproeben, gebachte
et mit JRührung beS frül) »ollenbeten ©djarnborft unb fdjlofc
mit Der ergreifenben Slnrebe an ben iBerewigten felbft: SÖift 35u
gegenwärtig, ©eift meines greunbeS, mein <£d)arnhorft, bann
fei 2)u felber Beuge, bah i<h ohne 35id) nichts würfe oofl*
bracht l)nben.
Dlod? betannter ift baö grohe nnb fd)öne Short, womit et
einmal einen begeifterten £cbtebner ungebulbig unterbrach unb
baS id) fchon einmal erwähnt: „2BaS ift’S, baS ihr rühmt? (SS
war meine 23erwegenheit, ©neifenau'S 2?efonnenheit unb beS
groben ©otteS Sarmhe^igfeit.“
ÜDiefe neiblofe, freubige Slnerfennung fremben SBerbienfteS
gehört 3U ben hmlichften 3ügen in 33lü<het’S (S^aratterbilbe,
unb oieDeicht ohne 33eifpiel ift baS innige, nie geftörte gteunb*
fcbaftSoerhältnih, bah ben Oberbefehlshaber mit feinem ©eneral*
ftabSchef oetbanb. ÜRan weih, bah SSlüchet einmal bei fröhlichem
ÜJiahle baS SRäthfel löfte, wie man feinen eignen Äopf füffen
!öune, inbem er aufftanb, 3U ©neifenau hinging unb ihn mit
het3licher Umarmung fühte. SDiefe feltene SBerbinbung eines
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genialen ÄopfeS mit bem Ijelbenljafteften 2lrme follte ftc^ noch
einmal in einem ru^mcotlen gelbguge bewähren.
@h« noch bet gtofce dürften» unb 2)iplomaten=(Songrefs gu
2Bien bie ©euotbnung ber eurepäifdbcn ©erhältniffe Dollenbete,
unternahm e8 Napoleon, inbem er tyeimüdj non (Slba entwich
unb an bet Äüfte granfreidhS Ianbete, ben Sl^ron bet ©ourbonen
plöjjlich gu ftürgen unb baß ein 3abr guoor niebergeworfene
Äaiferthum wieber aufgurichten. ©eil Staunen unb Schrecfen
fab bie 3Belt bem unerhörten Sdfaufpiele gu, wie ein gangeS
©elf, baß Heer Doran, non bem Könige abftcl unb bem Ufurpa*
tot hwlbigte. 35ie aßiirten ©Rächte inbefs »ergaben ben 3»®iefpalt,
bet fidj in 2Bien unter ihnen erhoben unb ben ©apoleon auö»
gunüfcen »ahnte. 25en gum $beil noch auf bem fRücfmarfche
begriffenen Heerfdhaaten würbe Halt gebeten unb ein allgemeiner
Jhrieg gegen ©apoleon befchloffen.
35a§ bet greife ©lüchet bie preufjifchen Gruppen führte,
Derftanb fidf für bießmal Don felbft. (Sr hart* auf bie etfte
Äunbe Den ©apoleon'ß Snuafion in granfreich feinen fehlten
©ürgerroef abgelegt unb fich in Dollet ©eneralßunifcrm unter
ben ginben bem ihm gujauchenben ©elfe gegeigt. 21 m 10. Slpril
1815 reifte et Den ©erlin ab, um über (Sein unb (Sachen nach
güttidb gu eilen, »o er in feinem Hauptquartier bie Sammlung
eines Heere8 BDn 120,000 ©Rann erwartete. ©Wellington trat
in ©riifiel an bie ©pi£e non 100,000 ©Rann, bie auß @ng*
länbern, ©ieterlänbern unb Hannooeranern beftanben.
©lücher war auf bem SBege nadb güttidb nicht in ber
frohen Stimmung, worin er gu SReujaht 1814 ben (Rheinftrem
überfdhritten. (Sr fürchtete für baß geben ieineß älteften Sohneß
grang, welcher in bem Dorljergebenben gelbguge fich mit Oiithm
bebeeft hatte unb nun an ben geigen einer Äepfwunbe l)infiechte.
(DaS ©ilb beß Oranten fcpwebte bem gärtlidien ©ater immer
Der (Sugen. 3m Uebrigen glaubte et 2lnfangß nicht, bafj eß für
bießmal im gelbe Diel gu tbun gäbe; nur bie gänber würben
(6S)
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wiebet »erfyeert unb nerwüftet werben. ,,.£ibt fte^t aüeS," fdjreibt
et auö ©oblenj, ^ fünften blut^e unb ba$ wettet ift un*
nergleidblid); id) werbe aller ehrten mit jubeü uf genommen
unb bie Struppen freuen ftd) mich wiber ju febn; wehre id)
fummerfrep, fo fßnnte id) mid) glücflid? greifen, aber id) genieße
feinen froen angenblidf."
SEroftlidjere 9tad)rid)ten über ba§ ©cpicffat feines geliebten
©obneS Ijoben bie Stimmung beS greifen gelbbertu, sugleid)
aud) bet Iflnblicf ber wohl gerüfteten SJrmee unb bie 2lu8fid)t,
ba§ e8 enblid) su entfcbeibenben ©dtlagen gegen ben Stobfeinb
fommen werbe. „3u jeit non ^ögftenS 10 tagen," fdjreibt er am
3. 3uni au8 9lamut, „wirb bie büdfe wohl lofj gehn unb wityt
nach gtanfreid) ^ineinge^n. Sonaparte greift un8 nicht an, ba
»or fönnten wibt ^ier nodj ein 3afyr ftebn, feine angelegenbeiten
ftebn fo SBriOant nid^t. 23 or einige tage bin id) in Staffel ben
ben fönig ber nieberlanbe unb ben ^)©rsog SBeüington gewefen,
man but mid) febr gubt aufgenommen unb SBeüington ^at mid)
6000 man ber f djßnften ©anaüetie gezeigt, id) fte^e l)ir mit
130,000 man §)reuf)en, bie im fd)önften ftanbe finb unb wo
mit id) mid) getraue SEnniff, SEripolifj, unb StOgier su erobern,
wenn e8 nubr nicht fo weit wel)te unb man überS waffet muffte."
SDaf) ütapoleon nicht angreifen werbe, war ein Srrtljum.
6t butte ficb nicht umfonft entfd)loffen, fidb mit ber Hauptmacht
Slüdbet unb Wellington, in benen er gefährlichere geinbe fab,
al§ in ben oom Ober» unb fUiittelrbein »orbredjenben JDefter»
reid)ern unb SRuffen, fidb entgegen su werfen, ©r näherte fidb
ber ©atnbre unb flieh uw 15. 3uni mit ben $)reu§en sufammen,
bie er su fcblugen gebaute, ehe fid) 33lüd)et mit SBeüington net»
einigt hätte. ,,3d) bred)e," fd)tieb Slüdjet, als et non bem
erften Angriff auf feine Sorpofien hotte, „ich breche fogleid) uf
unb rücfe meinen gegnet entgegen, mit greuben wiU ich bie
©d)lad)t annebmen."
golgenben SEag8 fanb bie @d)lacbt bei Bignp, weftlich »on
(RS)
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fllamur, ftatt. 3 )a baS preufeifdhe @orp8 unter Sülow aus
9JHfcoerftänbm§ noch nicht hetangegogen unb Wellington, felbft
bei DuatrebraS Bon bem fBlarfchall SRet) angegriffen, nicht in
bet Sage war, bie Besprochene ^)ülfe ju bringen, fo ftanb
Slüdher am 16. 3uni nur mit 83,000 Sötann bem ftärferen
Seinbe gegenüber. Sou ÜJtittag 2 Uhr bis in bie 9Rad)t bauerte
bet blutige Äampf. 9lm Ijartnärfiflfteu würbe um Signp ge*
ftritten, wo grof)e SDRaffen Sufeoolfs unb 200 ©efdhüfce auf
beibeu ©eiten um ben §)reis beS StageS rangen. SMücher felbft
befeuerte bie Struppen, inbem er ben Stiirmenben fein „üinber
BorwärtS!" jurief. „Wir muffen waS getrau haben, ehe bie
©nglänbet fommen." Slbet bie ©nglänber famcn nicht unb
Sülow’S ©orpS ebenfo wenig, ©egen Slbenb würbe bie preu»
Bifcpe ^ufftellung gwiidhen Signp unb ©t. 2imanb burchbrochen.
35ergebenS warf ftd? 33lücher an bet ©pifje ber JReiterei in bem
gefübrlicfjften Slugenblidfe ben feinblidjen Äütaffieren entgegen;
bie preufnfcfae ©anallerie warb nach bebeuteuben SSertuften ju«
rücfgewotfen; ba würbe SBlüchet’S §>fevb butcb einen Schuft
tobtlid) üerwunbet, eS flüchte in ftarfem Saufe nach conoulfiBifchen
Sprüngen jitfammen, unb ber Selbmarfdjall lag betäubt halb
unter bemfelben. SRufjtg lie& ber Slbjutant fRoftifc, inbem et
mit gezogenem ©egen fid) ueben ben fo fchwer gefährbeten Selb»
hettn ftellte, bie wilbe 3agb Borüberjiehen; bie feinblichen
Äütaffiere, noch einmal gurücfgeworfen, fprengten wieber norbei,
ohne in bem hereiubredbcnbeu Itlbenbbunfel beS ©aliegenben ju
achten, unb mit .£mlfe preufjifdhet Ulanen gelang eS, Slüdber
unter bem fPferbe herootjUjiehen unb Bor bem wteber Borbringenben
Seinbe in Sicherheit ju bringen.
©ie Schlacht war nerloren, 12,000 tobte unb oerwunbete
9)reufjen bebecften baS Selb. 3nbeff Berfolgte SRapoleon, beffen
Struppen ben Sieg Iheuer erfauft hatten, bie Ueberwunbenen
nicht; et glaubte, fte würben oftwärtS in ber Oiichtung auf
SRamur jurüdgehen unb fo für ben folgenbenben Stag bie 6ng=
64)
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länber ihm allein überlaffen. 9lber ©neifenau, welker an beS
Bermifcten ^elbljerrn ©teile ben fRüdfgug leitete, befahl bie norb»
weftiiche fRidjtung auf SBawre eingufdjlagen, um ben ©nglänbern
nabe gu fommen. 9tur fo fonnie am 18. Suni auf bem ©chlacbt*
felbe uon BeDalliance nad) ber Bereinigung Blüchet’S mit
SßeHington bie Slrmee Bapoleon’S üernidjtet unb ein raffet 9lu8=
gang be§ gelb^ugö berbeigefübrt werben.
Sngwifdjen batte ber treue Slbjutant Boftifj feinen .pertn
in bem SDunfel ber Bacht mit Bieter fJJlübe nach einem naben
SDorfe gebracht, wo ibm in einer Bauernbütte auf einem ©trob»
lager linbernbe Umfcbldge gemacht unb ÜJtilch gur ©rquicfung
gereicht würbe. 35ie Befähigungen, bie Blücher erlitten, waren
gwar nicht bebenflich, aber fcbmcrgbaft; benn bie gange redete
©eite beö ÄörpetS war ftarf gequetfcbt; aber .Kopf unb .petg
waren fo frifch wie nur immer. SBir habe« ©d^lägc gefriegt,
fagte er gu bem eintretenben ©neifenau, wir müffen eS wieber
gut machen. Sud? bie Sruppen, bie fdjon am 17. wieber ge»
orbnet unb gefecbtSfäbig baftanben, wufjte er mit fernbaften
2B orten angufeuern: „Sch werbe ©ud) wieber norwärtS gegen
ben geinb führen, wir werben ihn fchlagen; benn wir müffen."
©ben fo muthnoU fdjreibt er an bemfelben Sage (17. Suni)
feiner ©emahlin; nur ber Uebermacht Berbanfe Bapoleon ben
tbeuer erfauften ©ieg; tiefere er noch einige folget ©chlachten,
fo fei er mit feiner Slrmee fertig. „Schlagen werben wir un8
nun öfters, bis wir wiebet in fPariS finb.“ 9luS feinem ©turge
macht er nid)t Biel; bafj er biefen Sag gum grofjen Sh«l auf
bem ©opija gubringt, nerfdjweigt er gang.
Sngwifchen liefe Wellington, welcher nach bem ©efedjt non
DuatrebraS fidfe mit feiner 9lrmee norbwärtS nach 9Ront @t.
Sean in ber IRidbtuug auf Btüffel gegogcn, fragen, ob Blücher
ihm für ben folgenben Sag (18. Suni) mit 2 9lrmeecorp8 pfeife
leiften werbe. SRicfet mit 2 ©orpS, fonbern mit ber gangen
Ülrmee, erwieberte Blücher, werbe ec fommen, jeboefe nur unter
XIV. 313. SU- 6 (65)
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ber ©ebingung, bah, wenn an jenem Jage ber franjßfifcbe 'iln«
griff unterbleibe, am 19. bie Dffenfine gegen {Rapoleon ergriffen
werbe. ©o würben für ben folgenben Jag alle Jruppen übet
SEBanre nach ber englicben 3lufftetlung b'n birigirt unb nur eiu
6orp0 mit ber ©eftimmung, ben SRarfcb ju becfen, jurücfgelaflen.
©lüdier felbft befanb ficb noch am SJiorgen be§ 18. 3uni
in jdjtimmem Suftanbe. 6t hatte heftige ©eimergen an ber
gangen ©eite, bie ber >Quetfcbung außgefcbt gewefen war. Sein
Beibarjt wollte ibn mit ©pirituä wafcben. „{Rein ©oftor," fagte
ber gelbberr, „bewte mag eö ben alten Änotben gleich fein, ob fie
balfamirt ober nicht balfamirt in bie (Swigfeit geben; gebt eä aber
beute gut, wie itb b^ffe. fo »ollen wir un0 balb alle in 'Paris
wafcben unb baben." @o ftieg ber £elb ju 5])fetbe unb bamit
waren bie ©cbmerjen netfdjwunben.
3tber welche 3lnftrengungen ftanben ibm unb ben ©einigen
benot! ©on ftarfem {Regen burcbnä§t, feilten gufwolf, {Reiterei
unb ©efchüjj auf gang burchweichtem ©oben, übet angefchwollene
©äcbe, bureb SBalb unb ©ebüjcb mehrere teilen weit mit
mßglicbfter {Rafcbbeit oorwärtS getrieben werben, um bie ent»
jebeibenbe ©tunbe nicht ju »erfäumen. „©orwärtö, Äinber, not»
wärtö!" feuerte er bie (Srmübeten an. „Äinber, fcbeltet mir
ben {Regen nicht; baS ift ja unfer alter tHIIiirter non ber Äa^badb;
ba fparen wir bem Äßnig wieber oiel $)uloet." Ueberall, wo
ein £inbernih ficb erhob, trieb et mit Wort unb ©lief ju be*
fcbleunigter @ile an. „(Sä beifet wohl: eö gebt nicht, eä muh
geben, Äinber, wir müffen oorwärtö!" 3cb habe eä ja meinem
©ruber Wellington oerfprochen. gpört ihr wohl? 3b* wollt hoch
nicht, bafe i<b wortbrüchig werbe?"
Gcnblicb war ©lücber nach 4 Uhr SJiittagö an ber ©pilje
be8 ©ülow’fcben Sotp0 in bie {Rabe be0 ©djladjtfelbeß Borge«
btungen. (Sr lieh angreifen, ohne bie Slnfunft ber übrigen Jruppen
ab ju warten. 60 war bie böcbfte Seit, benn Wellington, nach
ftunbenlangem Kampfe febwer bebrängt, beburfte bringenb ber
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Unterftüfcunfl. ©djon gä^ttcn btc Siebten unb Vermunbeten bet
englijcb'bannoüer’fcben *2trmee nach Dielen Staufenben, unb nur
noch mit größter Slnftrengung miberftanb bag englifdbe ©entrum
ben rouebtigen Unfällen bet geinbe. Vun aber mufjte Napoleon
einen Stbeil bet Struppen gegen bag juerft anfommeitbe preufjifdje
©orps nermenben, unb fpäter brang ein gmeiteg ©orpg ben @ng*
länbern jur ©eite in bie ©d?lad)tlinie ein. Da fonnte SeHington
ben Vefebl ju allgemeinem Votrücfen geben. SBlücber erftürmte
bie .fmben non 8a ^ap ©ainte. 9lacb längerem IRingen mar bie
frangöfifebe sfltmee ooDftänbig gefcblagcn, ja oerniebtet. SBeüington
unb Vlüdjer fonnteu fid) alg ©ieger begrüben. Durch bie
energijdje Verfolgung aber festen bie 9>reufjen, ba SeUington’g
£eer ju oiel gelitten balle» bem gemeinfam errungenen ©iege bie
Jbrone auf. Denn bie Verfolgung, bie ©neifenau mit bem 2luf=
geböte „beS lebten Rauchs non VJenfdjen unb ^ferben" leitete,
mar fo ungeftüm, baf} bie Stefte ber gefcblagenen SStmee jeben
^)alt oerloren unb Vapoleon felbft, faft miHcnlog, in bem roilben
©etiimmel nom ©dbladjtfelbe fortgeriffen mürbe, ©ein Sagen,
<£mt, Degen unb anbere reiche Veute fiel preufjifcben ^üfelieten
in bie £änbe. @r batte ftd) auf’g Pferb gemorfen unb mar
fliebenb entfommeit, man mufjte nicht, mobin.
Sufrieben fonnte Vlücber nod? am äibenb beg benfmürbigen
Stageg feiner ©cmablin febreiben: „SBafj ich oerfproeben, habe ich
gebalteu; ben 16ten mürbe id> gelungen ber gemallb gu meidren,
ben 18ten habe ich in Verbinbung meines Vruberg SBeHington
Vapoleon bafj gabraufj ju madjen, mo er b»n gefom, meif) fein
menfeh. ©eine armeb ift »öQig en de Routt, feine atteüerie ift
in unfern benben, feine orben, bie er felbft getragen, finb mid)
foeben gebracht, fie ftnb in einen feiner magen genom. 8af) biefe
3cißen bet Princefe ©barlotte unb ber fönigl. Familie befannt
madjeu, auch ber princefj S^erbinanb unb DiabjimiH." — Unb
am SJforgen beö folgenben Stageg berichtete er an jfnefebeef:
„fölein greunb. Die ©d}önfte ©dftlfgt ift gefcfelagen. Der
OP TI. t 5* ^\\ f®7)
(üStTtKITT) Di
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herligfte ©ieg ift erfochten. SaS Setaflie wirb etpoBgen, ich
benfe bie Sonaparte’fche ©efdjichte ift nun wohl für lang wibet
gu enbe. 8a Seflaliance ben 19. früh. 3<h fann nicht mehr
fdjteiben, ben ich gittere an äße glieber. Sie anftrengung wahr
gu grofj."
318 fülajor ©olomb bem gelbljerrn im Saufe be8 SagS eine
SRelbung gu machen ^atte, traf er ihn gu SBagen. Sa fe£te
33lüd?er iRapoleon’S jput auf, nahm beffen Segen an bie ©eite
unb fagte: „SBie gefaß id) ihm fo?"
^>ut unb Segen beö ÄaiferS fanbte 33lü<her bem jbßnige;
„fein Perfpedio, woburd) er un8 am @d?lad)ttage beferen," ge*
badete er gu bemalten, ben SSagen aber, ber freilich befcbäbigt
war, feinet ©emahlin gn fchicfen.
SBeber ba8 eigene JRuhebebutfnifj, noch bie ©rfcbßpfung ber
Gruppen, noch endlich bie iRücfficht auf bie gahlreichen Heftungen
im nörblichen ftraufreich hielten Slüdjer ab, feinen Plarfch in
bem feinblichen Sande gu befchleunigen, um ben ©ieg ooflftänbig
auSgunüfjen. „Ptan fagt," fcpreibt er am 22 ten 3uui, „Napoleon
woße bie Srümmer feind .£)@re8 bei Saon fammeln, e8 foß mich
wenig fummer machen, bringen bie Pariiet ben thronen nicht
um, bi8 ich nach Paris fomme, fo bringe ich bie Patifer um,
e§ ift ein mahl ein ©ibbtüchigeS Soflf." — „©uljte nacht, fo enbet
ber Srief, ich muh fehlen, füffe beine umgebuug unb afle
brauen Setliner."
SRapoleon, welcher ohne 3rmee nach gurüdfeilte, appeflirte
an beit Patriotismus ber jfammer. Siefe aber fchwieg. 3Jlit
äbfehung bebroht, banfte bann ber Äaifer ab gu ©unften feines
©otjneS ßtapoleon III. Sngwifdhen bildete fleh eine propiforifepe
Regierung. Seputirte gingen gu ben perbünbeten Pionarchen
nach bem ©Ifafj ab; eine anbere ^Deputation begab fich gu Slüdhet
unb SBeßington. Ser lefjtere, ben preufjen nuchtücfenb, war nicht
abgeneigt, auf halbem SBege ^>alt gu machen nnb auf bie ©in*
nabrne oon Paris gu Pergichten. Blücher aber wieS bie Sepu*
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69
tation furgweg ab. 6r war am 26. Sunt non ©ariS nur nodj
12 fKeilen entfernt, bie er auch balb gurüdfgulegen hoffe.
„©onaparte," Reifet eS in einem ©tiefe non jenem Jage,
„ift abgefefct unb will nadj america geh». Sd) ^abe fftoftijj heute
nach Eaou gefdhicft unb »on bie ©eputirte ©onaparte fein tobt
ober feine auSlifferung, bie Übergabe aller geftungen an ber Samber
unb bet ßJiafj »erlangt, biefeS wehre bie (Sonbition, unber welche
ich mit ihnen unterfjanbeln wollte. SDem »hn er ad)t mardhire
id? noch ^eutte grab uf 5>ari8; iäj werbe bafj <$ifen fd)miben weiß
e8 wafyrm ift, ben ich wiß not ben herbft gu ^aufee fein."
SBenn ©onaparte ihm auSgeliefert wirb, fdjeint ihm in ber
Jfyat baß Älügfte, ihn tobt fdjiefjen gu laffen. „68 gefehlt bie
9Öienfd$eit baburd? ein ®ienft." 3n ben nächften Jagen machte
er ben ©erfud), burd) ben SJtajor ßolomb ben enttrohnten Äaifer,
al8 biefer hoffnungslos in 2Dtalmaifon weilte, abfangen gu laffen.
31 ber bie ©rücfe war abgebrannt unb bet ©ebroljte erreichte bie
frangefifche Äüfte.
fßidht ohne neue ©erlufte etgwang enblidh ©lüdher am 3. Suli
bie Uebergabe non s})ari8, in bet Hoffnung, baf) bie fo eben »et*
lorenen 3000 Üftann bie lebten in biefem Kriege feien; benn er
habe ba8 Sötorben fatt.
„fPariS ift mein," fonnte et am 4. Suli melben. „2)aS
frangöfifthe militair matdjirt hinter ber loire unb bie ©tabt wirb
mich übergeben. 5Die unbef^reiblidhe ©ra»oure unb beqfpihllofe
auf) bauet nebft meinen ©ifernen wißen »etbanfe idj aße8. 31 n
»orfteßungen unb lamentiren über entfreftung ber leutte hat eS
nicht gefehlt, aber ich wahr taub unb wufjte auf* erfahrung, bafj
man bie grüßte eines figeS nur burd) un auf) gefegtes »etcoflgen
recht benufcen mu|. 3d) fan bid) heulte nicht mehr fdjreiben
ich 6in gu fehr befdjefftigt unb gu matt. SDtad)’ bifen ©tijf gleich
in ©erlin befannt. ©ott feu gebanft, IDafj bluth »etgiffen wirb
ufhören."
©lüdher trat in bem »oflberedjtigten ©efüt)le beS ©iegerS
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auf. (Die $)arifet mit ber Laft bet (Kinquartierung gu »etfchonen,
fiel ihm nid^t ein; er fei nicht gefonnen, 5>atig eine Laft gu erfroren,
welche 23 erlitt non Seiten bet granjofen gu etbulben gehabt habe.
@r forgte »ielmeljt bafür, bafj aug ben §)arifer fötufeen alleg
bag 3utücfgenommen mutbe, mag bie Stangofen früher ben SBe=
fiegten geraubt, ferner legte et eine (Kontribution oon 100 SEJtiQ.
auf; et mollte fogat bie Stücfe oon 3ena fprengen, unb menn
eg „SJtugje Jadetanb" nicht gefiele, fo möchte er ftd) normet
barauf fefcen. (Die Berftörung mutbe »erlittet burdi bie 2lnfunft
ber fDtonarcheu, welche aud) bet frangöfifchen ^auptftabt bie
(Kontribution erliefen. Sölüt^er mollte baljer fogleidj bag (Kommanbo
nieberlegen unb mutbe nur burch bie bringen ben Sitten beg
Königg baoon gurücfgebracht. SBieber fehlte eg an tjotyn 2lug*
geidjnungen nicht; aug (Knglanb fam ber 23ath*Drben, „eine
(Diftingtion, bie noch feinen aufdenbct 3U t^eiH geroorben," unb
»on feinem Könige ein bejoubetg gefertigter, großer golbener
Stern, morauf in ber fdiitte ein eifetneg Kreug. „2lber ma§
belffen müh ade erben, l)et,en mir einen gurten oor ung ocr*
theidhaften griben, bet mehre mich liber."
Sein ÜJtifjmuth mud)g mit jeber Stunbe; er fürchtete,
25,000 fölann aufgeopfett gu hoben, ohne baf) eg ung irgenb
einen dlujgen brächte. (Dafj er gu benen gehörte, roeläje (Slfafj
unb Lothringen forbetten, oerftebt fich oon felbft.
„3<h bitte nur aderunterthänigft, “ fo hotte Slücher fdjon
6 Jage nach ber Schlacht »on SBaterloo an ben König gefchrieben,
„bie (Diblomatifer bahin angumeifen, baf) fie nicht miebet bag
»erlieren, mag ber Solbat mit feinem Slute errungen hot. (Dieier
2lugenbli<f ift bet eingige unb le£te, um (Deutfdjlanb gegen
Stanfteidf gu fichern."
(Da nicht nach feinem Setlangen gefdjah , f)ielt Slücher ben
^rieben nur oon furger (Dauer. „2lbet ba§ muh midf nun gleich
oihl fein; ich werbe nicht mehr mit frigen, ben id> habe eg jatt, ba
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mibr jo wenig oortbeille non unfre Slnfirengung unS gu erfreuen
haben."
6t jagte baS ^ejjtcre nicht in ©egiebung auf jeine eigene
9>erfon; benn et warb burdb bie ^reigebigfeit be§ Königs reichlich
bebaut. @r batte 3 Heine Dörfer in ©cblefieu gum ©ejebenf
erhalten unb jetjr anjebnliche ©elbjummen waren ihm nod) gu»
gebaut. Die lederen lernte et ab für ficb wie für feine
Kameraben. Kämen freilich auS gtanfreicb gro§e ©ontributionS*
fummen, jo fei baS etwas anbereS. „'Über preufjifcheS ©elb
nehmen wir nicht an; bie Nation bat genug getban." „Jgjätte
man mid) ben miOen gelajfen, jo brächten wUjr 25 milion tabler
nach häufle, bie armeb b*tte 2 monat gebalb als bouceur, unb
bie gange armeb würbe neu gefleibet; aber jo ift alles oerborben
unb bie jfrangofen fommen abermablS gubt weg."
9lm 31. Dctober rief enblidb ©lücher ber 2lrmee fein lejjteä
gebewobl gu. ‘Auf bem Söege nach ©erlin aber würbe er fo
leibenb, ba§ er in ftranffurta. 9)f. unb an anberen Orten Soeben
lang ftiü liegen bleiben mufjte. Da waren benn auch bie gabt«
lofen JDoationen, womit man ihn beimiuchte, für ibn nur eine 8aft.
@r lebte nach ber Stücffebr oon bem lebten glorreicbeu jjrelb*
guge noch 4 Bahre, balb in länblidjer Burücfgegogenbeit in ©chleficn,
auf bem ©ute Ktiblowifj, balb in ©erlin. £ier jpielte er
wieber mit alter Seibenfcbaft unb achtete beS ©elbeS nicht. «£>äuftg
befud)te er gut ©tärfung feiner ©efunbbeit KarlSbab unb mar
auch bier ber ©egenftaub begeifterter £ulbigungen. @r erlebte
audb noch bie ftreube, bie mecflenburgifcbe ^eimatb wieber gu
jeben, unb jelbft Hamburg, wo er einft als Kriegsgefangener ge*
lebt, beherbergte noch einmal ben ruhmreichen ©aft.
9Jlit ben preufjtjcben (Staatsmännern blieb ©lücher auf
jdblechtem ftufje. Da§ man in ©erlin bem ©eifte, bet im 3abre 1813
bie $trmee oon Sieg gu ©ieg geführt, gu mißtrauen anfing unb
baS ben ^reibeitSfämpfern ^eilige gu oerlenuen unb gu oer*
leugnen begaun, fonnte am wenigften ©lücher oergeihen. @r
Oi)
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batte ein (freies Saterlanb aufridften Reifen wollen, nid)t einen
reactiouären ^olijeiftaat. 93iS an fein @nbe blieb et ein warmer,
beObenlenber Patriot, ein ebrlidjer, offner unb ganzer fBianu.
©o ^at SMüdjet gelebt bis gum 12. «September 1819. 6r
ftarb auf feinem fdjleftfdfen ©ute Äriblowifc.
Unter ben gasreichen ©enfmälern, bie bem gelben errietet
würben, trägt baS {Reftocfer eine futge 3nf<brift oon ©oetbe, mit
beffen ©orten wir fdjliefjen:
3n Darren unb jbtieg,
3n ©turg unb ©ieg
S3ewuf)t unb grofj,
©o rif} er unS oom teinbe loS.
^nmcrhimgen.
1) SS war am 10. Januar 1877, als ber crfte ber beiben bi«
»erbunbenen SSorträgc im cf?emifrf>en ^crfaale gu OJlimtben jum Seften
ber »on bcm 2$olfSbilbung8Berein gegrfinbcten grauenarbeitsfcbule ge*
halten würbe.
2) ©aS mittlerweile erfc^ienenc fleißige unb BerbienftBoUe ©er! beS
£ernt SlrcbioatS Dr. 3- SB igger: gelbmarftball füürft 33lücber uon
©ablftatt (Schwerin 1878) bat mir SScranlaffnng ju einjclnen 23er*
befferungen gegeben, ebne ba§ i<b in irgenb einem wefentlidjcn Buge baS
2)ilb ju änbern brauchte.
3) 3cb oerfuebe Bon bi« an SBlücber’S eigene ©orte in feiner regel»
lofen Scbreibwcife wieber gu geben.
(72)
$iu<f sen Wtfcr. Unget (Z\f. ®rintm) in Berlin, ©<ipönefcetgetjira$t 17*.
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Heber
6ie Cfyiere 6er Cieffee.
©on
Dr. IJ. 3Uej. ßagenftedjtt,
$>rof. in ^etbelbtrfl.
ßerlin SW. 1879.
©erlag »on (Jarl £ a b e I.
(it. iß. tnbmtj'sitit BnloBitmdiioabliiiiJ.)
33. Süilljelm • fetrcifif 33.
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25aö ERec^t ber Ueberfefcmtg in frernbe ©praßen roirb oorbeljaüen.
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UirleS »etralHflt Irtt, bet ÜRenftb bleibt
MS (Btvattigfit ! Siebe er ((breitet über gruufea
WecrcS • «bflrunb , trenn <S rer SStttb ictänrat,
auf trüber ffittUn betrcgiem ii fab bin !
€opbbcle< Hntijone, über.
vlid)t aQein bet Steig tiefüerbecften@eheimniffen unb bereifet,
mit männlicher Äraft ben gewaltigen ©lementen bis in bie festen
©chlupfwinfel ^ert gu werben, treibt, gu erforfeben, wan in ben
liefen bet @ee lebe, in welche fein 8id?tftrafyl fällt, in welken
feine i'flanje grünt, in welken nach erftem ©rmeffen ein un»
geheurer SDrucf allen erganifhe ©efdjehen barnieberhält unb für
welche in immer gleich einf altem SBaffet bie Beit für Sag unb
3uhr feinen Söedjfel bringt.
Vielmehr erfteht in ber SBiffenfchaft »on ber SkrtheÜung
ber Spiere im SJieere ein wichtigen ©apitel ber Shiergeogtaphie
unb »erfpricht, ba in ihm ttofc großen ÜJtaf)ftabn bie 33egiehungen
fich Berhältnifjmäfjig einfach geftalten, ein @ (bluffet für bie ®rb»
gefehlte gu werben.
SBenn wir anfänglich bewunbern, wie auf ©tben ein 3eg*
liehen gu feinet Umgebung paffe, mit feinen ^ülfnmitteln ©e»
beihen ftnbe, bann im SBunbet ban Unerläßliche erfennen, fließen
wir mit bet ©inficht, en fei ein Sitten erflärenbet ©runb für
©igenfepaften unb SSotfommen ber Shiete in ben bermaligen
SBechfelbegiehungen ber Drganifatton unb ber Umftänbe nicht ge«
geben. Stachbarfdjaft unb gleiten Älirna machen nicht gleich;
93erwanbten lebt unter oetfehiebenen Umftänben, anneinanber ge»
riffen; »erfepiebene klaffen, Drbnungen unb ©attungen mifchen
XIV. 315. 316. 1 * (75)
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pch in einem ©ebiete gut geglieberten gauna. 2Ba8 in feinet
©igenheit als befonberer, eingerichteter @chöpfung8bejirf erfdjeint,
ift ©nbergebnifj non Verfärbungen in Slljiereigenf^aften unb
lerritorialgeftattung. 3m ÜBerben unb Verbreiten behauptet bet
©tamm feine Äraft gegen ben Swang örtlicher Slnpaffung. 6t
pnbet ftch ab mit bet 6tbgefd)id?te, weldje leife obet ftürmifch
feine SBo^nfi^e mit ©unft obet Ungnnft berührt, erweitert unb
einengt. Viemal8 mürbe, wa8 bie Umftänbe »erboten; aber, wa8
werben tonne, beftimmte ftch burd) ba8, waS normet war. 3öa8
lebt, ift ein ©ofument für bie ®efchi<hte( wie für bie ©igen»
fdjapen eines ©rbtljeilS.
SDie Paläontologie bat früher unb in reicherem fötale al8
bie geographifche Verbreitung Sicht übet vergangene ©rbepodjen
verbreitet. 3hr ©chwerpunlt liegt in bem auf ÜReereSgtunb ab=
gelagerten fDtateriale. ©ort »orgüglich umgaben Viebetfchläge
fchüfjenb bie organifdjen JRefte, traten mit ihnen in Verbinbung
unb SluStaufdj unb pdjerten bie Vemahrung minbeftenS ber ©e»
ftalten im Vilbe be8 SufammenlebenS für unberechenbare Triften,
©eethiere geftatten, bie beiben JpülfSmittel bet ©rbgefchidpte, geo»
graphifche Verbreitung unb geologifdhe golge ju tombiniren.
©ie erfte metbobifdje gorfchung über bie bermalige Ver*
breüung ber 5£b*ere in bet @ee, bie von ©bwarb §orbe8,
fchlofj ftch entfpredjenb biefer inneren Verbinbung auch in bet
Seit eng an bie Arbeiten von Spell unb ©e8hape8, welche
bie Sehre ©uoier’8 unb Vrogniart’8 von einer Veihe felb»
Pänbiger unb voQftänbig gefchiebener ©<höpfungen ftürjten burdh
ben VachweiS be8 UeberlebenS fchalentragenber VtoQuSfen au8
ber SEertiär^eit, unb an bie ©teile ber ©rbummälgungen unb
©ünbPuthen bie 6ontinuität ber organifchen ©djöpfung festen,
©ie alte ©dhule hatte nicht feiten, gumal bei ben giften beS
Monte Bolca im Vincentinifchen, welche ihres ©leichen eher im
inbifcpen al8 im mittellanbifchen Vteere ju pnben fdhienen, ben
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5
©ebanfen gehabt, waS foffil fei unb beutlic^ nicht mehr bei un8
lebe, möge noch in unerforfcbten 8änbern unb üKeereStiefen
ejdftiren. Suoiet fcbnitt furg ab: ifym war eine fojfile Art
eine »erlorene. A18 8 9 eil erwies, e8 gebe Weber eine einfache
Schöpfung noch eine gerftücfelte, oielmebr eine fontinuitlidje
©ntwicflung, belebte ftd) ber alte ©ebanfe wieber. 9Kan batte
eine SDlenge rezenter europäifchet Skalen ftimmenb mit fofftlen,
am meiften mit beneu be8 Monte Pelegrino unb non Ficarazzi
bei Palermo. Ob ficb ba8 burdj ticflebenbe nermebren laffe, ent*
fdfloß ficb SorbeS, mit bem Schiffe SBeacon im ägäifcben
5Jieere gu etfotfcben.
S)ie 9iaturwiffenf<baft batte bi8 ty*biu für 2iefjeefenntniß
con ben färglidjen ©aben geehrt, welche bei anbeten Arbeiten
abfielen. 3)ie gewerbliche Ausbeutung unb Unterfucbung be8
üJteereS hielt ficb naturgemäß nabe ben lüften; in bet blauen See
achtete bet Schiffer nur be8 3Binbe8 unb bet ©eftirne; et übet*
ließ e8 bet fPbantafie, bie Siefe gu benölfern. SDie Schwamm»
taudjer, welche fdjcn gu ariftotelifcber Beit ein nach Sangmethoben
unb SBaarenfenutniß gut organifirteS ©ewetbe batten, gingen
nur in 15 %. x), bie ^>erlfifdjer mit ihrer in ^iftotifc^ nicht
beftimmbaret Beit mit anbereu ©ulturgeidjen con Afien nach
SJtittelamerifa übertragenen Snbuftrie nur in 6 — 8
Aufternfifcher, welche in 20 %. arbeiten unb Äorallenfifcbet,
welche an 3fdjia, fBMotfa, Algier unb ben @ap*oetben felbft
bis 50 unb 100 geben, batten nach ber 33taucbbarfeit ihrer*
©eräthe SJiandjeS liefern fßnnen. SDiefe finb bie ©runblagen
ber heutigen Sieffeefangwetfgeuge. S)a8 ©cßleppneß (dredge),
ober bie äfurre, entlehnte bet SDäne JD. $. föiüller um OJiitte
be8 notigen SabtbunbertS non ben Aufterufifcbern, welche nermuth*
lieb fdjon in ber ©teingeit mit ißm bie Raufen »on Auffetn unb
£etgmuf<beln gufammen brachten. £ieffif<bneße (trawl) werben
in mancherlei ©eftalt benußt. Da8 befcbwerte Äreug, mit
crn
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6
welchem bie Äoraflenfifcher bem ÜJteer feinen ©dhmucf entreißen
unb welches be fjacage SDuthierS für ©runbfifchetei auf fei*
flgem 33 oben brauchbarer fanb als baS 9tef}, wirb gut phönigi*
fdjen Beit faum anbetS auSgefehen haben. Urwüdhftge Bang”
mafdjinen, 33ambu8gerüfte unb deinen mit Singeln bringen an
ben Alwinen unb Sapan noch heute gewiffe «Seltenheiten beffer
aus mafjigen liefen als bie beftburdjbathten ber großen ©je*
pebitionen. Slber nur eingelne ©lüde erfchienen ben Bif ehern
beS Aufhebens wertl). SDtan erhielt »on ihnen einen Purpur»
ober einen 9Jtelonenigel, einen ©eebefen, an Sapan unb 6ebü einen
Äiefelfchwamm, aber fein 33ilb beS tiefen SBafferS. Sin norbi*
fdjen Äüften föbert man SDorfch, Äabelfau, ©chellftfch (©abib*
fifdhe) mit Slngelfchnuten auf 33änfen, in Untiefen »on 10 bis
50 %. »u<h mußten bie Bifdjer, bafj an ©rönlanb, wie im
SRittelmeer früher jener gamilie gefeilte ©renabievfifthe mit
groben, hartfpijjigen ©«huppen, auS ber ©attung Macrurus
Bloch , Lepidoleprtis Rieso jejät ©tamm ber Bamilie bet
Macruriden , in Siefen non 600 — 1200 %. leben. Sn 500 B*
legen bie ^ortugiefen bei ©etubal bie Singeln für (Jentro*
phoruS*h«ie, welche am fRanbe beS atlantif«hen SiefbecfenS
bis SJlabeira in mehreren Slrten, bann an SBeftinbien unb ben
SOloluffen »otfommen.
SBereingelte gdQe oon befonberem Sntereffe gab eS wohl
auch- 2)er 3üte Slbriaang gog um fölitte beS »origen Saht”
hunbertS unter 79° 91. an ©rönlanb auS 1416 ' mit ber goth»
eine gwei überrafdjenbe $)flangenthiere auf h»h«u ©tamme mit
einem 33üf«hel »on gwölf gigantifdjen fPolppen nach Slrt beret
bet geberforaHen, mit je acht langen gefrangten Slvmen, Umbellu-
laria grönlandica L. *) SDaS eine, 4' 5" h»«h- Würbe oon
SJtpliuS, baS anbete »on ©lliS als ein 8ilienftral)ler befdjrie=
ben. ©ie gingen fpdter »erloren; bie Slrt würbe 1874 auf ber
©ppebition ber 3ngegerb unb ©lab an wiebergefunben unb
(«)
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»on ginbafl betrieben. Um gleiche 3eit wie jene mürbe ber
erfte Vertreter bet bis bafin für gänjlicf auSgeftorben erachteten
©chinobermeuotbnung ber gilienfttafler, Pentacrinus asterias L
ein ftieberftern mit Äeldj auf bofem Stiele, beffen ©lieber man äfn»
lief foffil als Srocfiten fannte, an ©uba gefangen uttb e8 folgten
ifm fpatfatne ©Template »erwanbter 21 rten. 3 oh« {Rofc brachte
1818 bei 2luffu<fung ber norbweftlichen ^Durchfahrt jenfeitS be8
9)olarfreife8 in Bancafterfunb aus 800 unb 1000 ?i. SBürmer
unb eine Seefternform, welche wegen Steilung ber 2Irme unb
Verwirrung »on beten Sleften SRebufenhaupt genannt, allein in
ben feifeen inbifefen ÜJieeren itjres ©leichen fanb: Euryale ober
Astrophyton Linckii M. T.
3118 3ame8 ©larf {Rofc 1841 auf ber {Reife jur ©tfor»
fefung be8 SübpolS bei ©oulman’8 3nfel in Süb*Viftorialanb,
nahe ben au8 ewigem ©ife auffteigenben Vulfanen ©rebuS unb
Stertor au8 270 — 300 g. in lebenben JtoraDen, Streuen
(mooöartig, flächig ober gezweigt, mit fleinen ©ehäuien Kolonien
jufammenfefcenb, in einem ftüfletfranj fich entfaltenb; fPolpioa
ber ©nglänbet), SBütmetn, Scfnecfen, Ätebjen bie erfte »olle
9>robe einer Stieffeefauna erhielt, fanb et barunter folcfe, welche
man bis bahin für ben hofen {Rorben eigenthümlich fielt,
namentlich Arcturus Baffini Sabine , einen 3lffelfreb8 (fsopode)
»on ungemüfnlichet ©röfe, welcher feine fpatfamen 3ungen, nach»
betn fie baö ©i »erlaffen, forgfam mit fi<h trägt. 2) er 3Seg
für bie Vetbinbung »on §)ol ju ?>ol fefien {Rofj gegeben, ba
SBaffer »on etwa + 4° 3) fief unter 50 — 60° S. in allen
Schichten gegen ben 2tequator unb ben $>ol in ber Stiefe finbe,
bort »on warmem äBaffet, julefjt in 1200 %. ÜJtäcftigleit, hier
»on falterem überlagert.
2)a8 halte man etwa an Jhatfacfen unb SE^eotieen, al8
1843 gotbeS bet britifefen {Ratnrforfchemrfammlung ju ©orf
feinen Veridjt erftattete.
(7»)
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gorbeS Ijatte wirflidj tertiäre ORufdjeln lebenb gefunben,
tfyeilS fo, ba§ fie lebenb häufig, fofftl feiten waren, tljeilS um»
geteert. SBaS bereu ffiertljeilung betraf, fo unterfdjieb er adjt
Siefengonen. Die oberfte bis gu 2 g. fei bie reichte. Den
folgenben eine immer größere tertifale 9fu8bel)nung gutl)etlenb,
fanb er oon bet oierten mit 30 g. abwärts bie Sewdjner nadfj
9lrten unb Snbittbuen fpärlidjer unb in ber lejjten, Don 105 g.
ab, nur 8 (Scfyaltfyier arten. 3n 300 g. fdjien ein lebenSlofer
abgrunb gu beginnen. Diefe abpffu8»Sl)eotie fjat, wie wir
jefct erfennen, Ujre ©runblage gum Sljeil in einer 93efonbertjeit
beS gangen SDlittelmeereS, inbem baffelbe burd) geringe 2luS»
Weitung unb auStiefung ber ©trajjje oon (Gibraltar ton ben
falten ©runbftrömen unb ben burcfy biefe gewährten @aSwed)fel
unb 3nful}r ton Spieren auSgefdjloffen ift, gum Sfyeü woljl im
tulfanifdjen ©oben jenes befonberen 23ecfenS. DiefeS burfte
nidjt generalifirt werben. @rüne ©eepflangen, aigen, gingen
bis 55, Äalfalgen bis 105 g. 3n ben oberen fRegionen über»
wogen füblidje, in ben tiefen nörblidje Spiere. Siefenlinien et*
fdjienen ton äljnlidjer Sebeutung für Sljietberbreitung wie
SBreitengrabe. Die arten Ratten beftimmte Siefen für baS
SRajctmum bet 3nbiDibueu, bie (Gattungen für baS ber arten,
#ergmufd)eln, Cardium, mit 6 bei 36 - 43, Äanunmufdjeln,
Pecten, mit 11 bei 105—145 g., babei bie eingelnen ungleiche
oertifale auSbetynwtg ober Siefeufraft, batljpmetrifcbe @ner*
gie. Sßerfdjwiubenbe würben oft, in fRepräfentation, burd)
äljnlidje erfefct. S3on ÜRufdjeln unb ©djnedfen ging je eine burd}
alle, 3 butdb 7, 9 burdj 6, 17 burd) 5, 38 burdj 4 3on«t.
93on ben leiteten war Don ben butd) mefyr 3onen gefyenben
$ gugleid} atlantifd); bie bat^metrifdje (Energie bebingte bie
geogtapfyifdje auSbreitung. Da SSeränberungen im 9Reete8grunb
in geologifdjen (äpodjen Ijtetnad) ben arten fernerer ober leidster
bie CSpifteng abfdjneiben, fdjloffen b’ardjiac unb ffierneuil,
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9
ba§ geogtapbifcbe Verbreitung unb batbpmetrifcbe Energie auch
geologifcbe Sanglebigteit bebingeit unb baB eine unb anbere »or«
güglicb tiefwobuenben jufomme. 3n Umfebrung erregen geolo»
gifcb langlebige bie Vermutung, ber Stieffce angebört ju haben.
2)ut(b bie totalen Slbpffaloerbältniffe war bie 2;beotie auf
einen ju tleinen üftafjftab angelegt. ©twaS würbe butcb Stuften
gebeffert, welcher in Vollenbung ber Siaturgefcbicbte ber euto*
paifd)en üfteere nach ^orbe§ frübem Stöbe bie 3onen auf nier
befdbräntte. @8 wirb n unlieb fein, ben (Sbarafter jolcber ju
febilbern.
©ine ©tranbjone tommt in ben fBieeren, welche wecbfelnbe
Seiten haben, gur noHen SluSbilbung, am ft driften, wo £öbe bet
glutbwefle unb gorm bet Äüfte auSgebebnte ©bbeftrdnbe febaffen.
Stuf biefen muffen bie Vewobner ftarfen Singriffen begegnen.
Sie behelfen fid> geitweife mit feilten Tümpeln, brüden fid) an
ben §el8, oerfrieeben fi<b, fdjlie^en bie Schalen unb ertragen
bann SBärme unb ©inbunften beS SBafferS, Sroft unb Siegen.
SDagegen erwedt baS jjicbt reiches gtüneS ^flanjenleben, eS loctt
junge SEbiere aufwärts. SBo bie Vranbung bie Äüfte trifft,
jüfce SBaffer fälligen begegnen, giebt eS zertrümmerte organifebe
©ubftanj in netfebiebenen Vebürfniffen unb dbräften angemeffener
Slrt. 3eber auffprifcenbe tropfen tommt als ein Vab »oll
©auerftoffS nieber. 25aS 9Reet bringt Siabrung ben geöffneten
SJldulern, eS atbmet für feine Äinbet. Unglaubliche SJiengen
junget Vrut werben bet tollenben Stelle anoertraut ober
InoSpen an ben SDiüttern 5Die Verfcbiebenbeit beS ©runbeS,
ber Verlauf ber Äüften dnbert wenig, bet ©barafter im ©rogen
behauptet ficb- SRtjriaben non ©eepoden (Valaniben, drripebifebe
b. i. fabenfüfjige, angewaebfene bartjcbalige Ärebfe) bebeefen bie
Steine; Vrpojoen infruftiren ben SEang; ©tranbfebneden leden
ben grünen Veleg ber Reifen ; ber oon ber ftlutb jurüd gebliebene
SluSwutf raftbeit oon ©pringfrebfen (Slmpbipoben); SBürmer unb
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SDiufcfyeln Heben @d)de unb Satt an ober graben in ©anb,
spfafytroerf unb ©tein. Ufcrftabben becfen ftd> unter ben
©teinen, um Ütac^tö ben ©tranb abjufutjjen. 2rifd?e, bet glutlf
anf^mtmmenb, fallen bei ©bbe in {Reufen unb $anglöd)er.
SDer wei^enben SBetle folgen {Rebelfralje, SDlooe, ©tranbelfter,
©abelf^näbler, {Regenpfeifer unb ©anbläufer unb finben reit^=
gebecfte Stafel.
SDieSone ber Sanbalgen, ber Saminarien, bis gu 15 S-,
ftete oon Söaffer bebedft, ift boc^ burdjauS bem Sirte $ugängig.
@ie tyat nic^t Sort^eil unb fRacbt^eil ber Sranbuug. 5Ran
muff hier felbft tdjaffen. £Die Slftion ertjß^t fir, intedeftueHe
unb geftaltlic^e ©igenfraften wedeln in ewigem {Ringen, in
Siebe unb j?ampf. färben fielen eine grof)e Stolle; 33iele8
fcE»eint barof, ba§ 3Reifte geniest eines fdjüfjenben ©ewanbeö,
einer Serfleibung. 3»ifren Ältppen unb ginblingfteinen, über*
warfen oon breiten 3ofteren unb traufen Uloen, fielen grüne
©c^Ietmfifdje unb Sippfifdje, an ben Stangen penbeln feltjam
ftarre ©eepferbd^en unb langftbnaujige, faft burdjfidjtige @ee*
nabeln. 3ierlir gleiten bunte {Racftfdjnecfen unb ©trubelwürmer
jjoifdjen bem ©eegtaS. ©rüne ©arneelen fjufdjen fudbenb bar*
übet mit langen ©liebem; auf froftaHfyeöem ober miir meinem
Seibe mit jartem Siolet, {Rofenrotp, ©elb unb Drange befdjrie*
bene friefeen frei bunty bie §lut. .£>ier f^rcimmen gatjlreir
pelagifre Spiere, bei gebämpftem Sterte emporfteigenb, ©opepoben*
frebfe, Flügel* unb Äielfdjnecfen, ©alpen unb Quallen, $um
Streit im SBec^fel beö SebenS am ©runbe aufgeworfen, nur jur
{Reife abgelöft, Ijier auc^ bie Satoen oon gieren, wel^e er*
warfen auf bem ©runbe fifjen ober wanbern- 3luS ©galten
leurten bie Äronen ber ©eenelfen (2Htinien), flierlir« gebetbufr*
fragen ber {Roptenwürmer. 21uf ©riamm unb ©anb furen
©eeigel (©riniben) unb ©eewaljen (^olotpurien) {Raprung;
mit rotten gloribeenalgen wetteifert ber frarlarene ©eeftern.
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3m ©djlamm fyalb oerftedt wanbcrn Sötufcheln, fangen an
Älippen, liegen alö jierliche unb bunte 33enu8, £ellina, ©onajt
auf bem ©anbe, bie tobten ©dealen ber SBctle gebenb jum
©djmud beö ©tranbeö. Ätäftige Sftaubfchneden bohren beren
©djalen an. 3m 35oben niften ©runbeln, lauern ©eeaale,
ftachliche ©forpänen. Rümmer unb feitlich wanbernbe Safdjen»
frebfe galten ben ©runb rein, felbft gefätyrbet oon Grafen, beren
SHrme baö Ergriffene nicht taffen, ©er EremitfrebS, oorn bunt
gemalt, birgt ben unfeheinbaren, wehrlofen Hinterleib ängftlid) im
entlehnten ©djnedenhauä. £>hne bie 8tt aufjulöfen, bringen bie
äußeren Umftdnbe, unter bcuen halb bieö, balb baS nüßt, große
fjftannigfaltigfeit ju ©tanbe. Erft mit größeren ©iffeTenjen ber
geographifchen Sage, mehr nach ben ©ergangenen geologifchen
©efcßiden wedjfeln tärten unb ©altungen. ©tärfer fällt bie
lofale 33obenbefchaffenheit inä ©ewicht; ©chlamm, ©anb, Stl>on,
gel8 haben bejonbete SBeroohner. 3m fpegieOen ©ebiete oer»
theilen ftd) bie ein3elnen nach ber Sebenöweife, eergefellfchaften
fich nach Sebütfniß, gehen mit einanber unb bei einanber in
Süohnung unb Äoft. SEBie baö Sieht bie garben hetauöforbert,
fo geftattet ba$ ftillere SBaffet jierlichen ©chalfchmud unb ftatt»
licheö 2Sach§thum. E8 entfaltet fich ber fReichthum, mit welchem
bie Uunft ba8 9Reer umfleibet, bie »olle Dtepräfentanj be8
Sebenß, bie ©efonberheit ber Djeane. SBo in h«%« fDteeren
in biefe 3one 9tiff bilbenbe ÄoraUen eintreten, felbft S3änfe oon
belebten IBIumen, überholen oon ^orjeflan« unb jfegelfchneden,
oon ©eeigeln, ©ternen unb wunberlidjen Ärabben, befeßt mit
©ponbpluö* unb Ebamas2Ruf<beln, in ben ©palten Ehätobon*
fifche fpielenb, eins ba8 anbere an Suntßeit überbietenb unb
übermucßernb, fann mit ihr faum bie Fracht tropifcper Sanb*
fchaft wetteifern, in welcher umranfte großblumige Jßäume oon
herrlichen Schmetterlingen unb ebelfteinglänjenben SBögeln um*
fchwätmt werben.
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fRaito SleRnlicRfeit ber Wirten unb biologifd) ift eß anguneR*
tncn, baR bie Äüftenfauna fid) auß ber gaminariengone refrutirt
Rabe. SBte man Sluftern gut SBerfenbung übt, inbem man Re
in SluiRbetfen beß SBafferß entbehren unb bie ©dRalen ^djlie^en
läRt, gwingt bie *Ratur bie Ediere, welcRe am dReereßfpiegel RdR
anfiebeln, ficR in bie 33erRältniffe gu fcRiden. 2Bo etwa Umftänbe
eine gitoralfauna oernicRteten unb an einem neuen ganbe »ul»
JanifcRen Urfprungß würbe, 9Rangelß Uebertragung non anftRlie*
Renben Äüften, in ber gaminariengone SRaterial für eine neue
gitoralfauna gut SSetfügung fteRen. ©inigeß fönnte Dom ®ÜR*
waffet unb 33racfwaffer entnommen werben, beffen SBewoRner,
felbft mariner äbfunft, Rpperlitoral, S3erbinbung unb ^d^igfeit
beß IRücftrtttß nid?t immer aufgegeben Raben.
2118 britte 3mie rechnete bi8 gu 50 §. Stuften bie ber
Äorallinen ober Äalfalgcn, welcRe an ©teile beß fparlidj ge»
worbenen grünen ^flangenlebenß treten, naäRbem baß gidRt, weldjeß
nacR SBetfucRen Don Sctel im ©enfer ©ee in 50 §. ©über*
dRlotür nicRt angreift, feine SRacRt Derloren. SDiefe liefen werben
nicRt meRr Don ben ftärfften SBeflen, nur Don jenen Ieifen
©trömen bewegt, welcRe ben ©alggeRalt außgleicRen unb falteß
SBaffer gum ©runbe füRren. 3)a autR baß geben bet f<Rwim*
menben eingedigen ißflangen, SDiatomeen, Dom gidRte abRSngt,
!ann Riet tRierifcRe ©jriftcu; webet bireft nocR inbireft auf ^Rangen»
wucRß begrünbet werben, ©inige StRiere mögen auß biefer 3one
in RöRere auffteigenb fRaRtung Rnben, anbere, Rd) fenfenb, in
iRr gut S3eute faden; im Uebtigen muR bie ©tufenleiter tRieri*
f<Ren gebenß ficR auf uieberfinfenber ober mit bem ©runbftrom
gugejdRwemmter tobtet organiftRet ©ubftang aufbauen. ©<Rlatnm=
freffet, Sobtengräber, gumpenfammler bilben bie Unterlage. fRiebrig
organiRrt unb trage, dou ben ©inf ftoffen lebenb, näRren fie unb iRre
S3rut ©tariere, RöRer Drganifirte. 3)atin liegt nicRt genug ©pe*
jipftReß, um nidjt ben RöReren ÜRietflaffen mit ©iufcRluR bet
(84)
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13
gtfdje, wenn au# oerarmt, ben 9lufen#alt mögli# ju !af|cn.
©elbft SBale fu#en in biefet Bone fRafyrung. Korallen, üeber»
forallen (SUcoonariben), ©eefebern (fPennatuliben) unb @#wämme
erwarten, an bie ©teile gebunben, wa8 #nen bef#eert werbe,
unb nerbreiten fi# in biefer 3one au# in fältere Sßreiten;
©ta#e#äuter (<5#inobermen), Bon ben ©eeigeln Borjügli# jart«
fta#Iige ©patangen, Ben ben ©eefternen bie 6#langenfterne
(£#!}iuriben) mit gefpenftig greifenben Firmen, gal)lrei#e ®ee*
walken (£olo#urien), fu#en langfam f#lei#eub ben @#Iamm,
ober fletternb pflan^enartig aufgewa#fene Jl)iete ab. Unter ben
ftieläugigen Ärebjen finb e8 Borgügli# SDreiecfftabben, wel#e
umfyerftelaenb bie ©tra&enpol^ei üben, non ben fifjaugigen bie
feljlfüfjigen (gämobipoben) fammt ben anf#lie|enben fPpfno«
goniben unb Slffelfrebfe, 3fopoben, meift uom ©#Iamme f#muf}ig.
3Jtuf#eln finb no# gemein, bur#fut#en ben ©#lamm, bauen
©änfe, Heben fi# an, bohren in -Korallen, ©#wämme unb
gel8, laffen fi# umwa#fen, liegen unglei#f#alig auf ber ©eite:
Lüftern, ^erg«, geil*, 33ögel#enmuf#eln unb 2*ibafnen. 2)em
©anbe unb .Riefe pafet ft# f#iefaugig bie ©#oUe an; 9to#e
unb ^>ai lauern mit ft)ärli#em £>berli#te gere#tem 2luge.
SJtangel an fangen unb 93erlangfamung beö ©a8au8tauf#e8
minbern ben ©auerftoff, wel#er enbli# in 300 g. non 33,7 %
auf ein ÜJtinimum non 11,4 % fällt. SBerminberte 3(#mung
bebingt IangfamereS 2Ba#8tt)um, ©pätreife, bef#ränfte gru#t-
barfeit unb, in nur f#einbatem ©egenfafce, für Einige bebeu*
tenbe ©rofie. SERan erfennt, bafc in ber 93ef#ränfung biefe 3one
in einigen fünften mit ber literalen übereinftimmt, in anberen
abwei#t. 3ebenfaQ8 fann man au# t)ier bie gauna au8 ber
gatninariengone ableiten.
SDie ©efonberljeiten ber ÄoralUnengone fteigern fi# in bet
ber Sieffeeforallen Bon 50 %. abwärts. 9ta# gewi#nli#en
Begriffen lt#tlo8, wirb biefe Jiefe Bon Slag unb 9ta#t, ©ommet
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unb äBiuter, fRegen unb ©onnenfdjein nur in terfpateten unb
ausgeglichenen Strömungen beeinflußt. Slbgefehen ton bem ftetS
fteigenben, aber, je großer bie fcbon erreichte Siefe, um fo lang»
famer fid) multipli^iteuben ©rucfe, ift fte ßorijontal unb nertifal
weithin ibentifd). 2)ie 33ebingungen finb uniterfal, bie 33e*
wohnet meift feffil. Schwämme, jforalleu, {Rö^rcnroiirmcr,
Srpojoen entgehen ber 5Berf<hlammung, inbem fie ©erüfte, ©e»
häufe, Sthirrfolonieen auS ftdh heraus aufbauen. 3»ifchen ihnen
befeftigen fid) Äammmufcteln unb lÄrmmufcheln (S3rad)iopoben),
in alten ©pochen fahr äahlreid), jeßt fparfam. ©djinobermen
fehlen nicht, aber bie Älaffen bet echten 9Jtollu8fen, SSürmer,
Ärebfe engen fich ein. SBäßrenb ©chlammfreffer reichlich »er*
treten finb, befcßränft fich bie 3Belt, welche fid) auf biefen auf»
baut. SDie ^ülfSmittel höherer Drganifation nerlieren an 23e*
beutung.
Bür bie Stiefen, welche man bis bahin berücffidjtigte, ift
auch biefe ©intheilung 3U fomplicirt. OJtan thut wohl, 100 §.,
baS ©ebiet lebenber, gefärbter flanken ^ufammenjufaffen als
ein für ben ©tranb unb bie größere 5£iefe bet fDlobiftfation
fähiges unb ihm entgegenjuftetlen, was über jene 2iefe hinaus*
geht. SDiefeS, wie fjorel meint, bireft auS bem Litoralen ab*
juleiten, ift nicht juläfftg.
@8 ergab fid) alSbalb, baß $orbeS’ Seßre ton ber bathb*
metrifchen ^Distribution mobißjirt werben müffe unb bie tom
lebenSlofen SlbpffuS irrig fei. fDtan fann babei in ben folgen*
ben Uieffeeunterfucbungen eine torbereitenbe fPetiobe ton 25 Sabren
ton einer beS leßten SDejennium unterfd) eiben.
3n ber erften waren eS torgüglid) ©fanbinatier, welche in
einem für 2iefe unb SluSbehnung bet untersuchten norbifcßen
SJteere befcßränften Umfange fehr ©ingehenbeS leifteten. Sotän
faß, baß baS bathpmetrifche Bentrum einer 3lrt in terfcßiebenen
Steilen ungleich liege, notbifd)e 9lrten füblid) tiefer gingen.
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2öa8 an ginnlanb litoral unb in 20 g. lebte, fauf bei ©othen*
bürg in 11 unb 80 g. @8 war ba8, etwa 9io§ abgerechnet,
bet erfte SlachweiS einer Verbreitung ber Spiere mit einer falten
©runbwafferfchicht in beftimmten Sahnen gwifcpen bet Oberfläche
polarer ÜJleere unb ben äquatorialen liefen, welche in ber Siegel
»erftanbeu wirb al8 eine Ausbreitung »on ©eethieren mehr
polarer ^perfunft, bei welcher aber, wie e8 mir fcheint, ebenfo»
wohl an bie Verbreitung »on Arten, welche ficfa in wärmeren
SfJleeten in ben fühlen, fauerftoffreichen unb bewegten ©runb
gezogen haben, gegen ben (Strom nach ben $>olen hin gu beulen
ift. £o»ön »ermochte in ben ffanbina»if<hen föleeren eine lebend*
loje $iefe nidjt gu finben. W. @ar8, welcher »om Pfarramt
gut Boologie übertrat, jepr gu beren Stufen, ftellte in einer
Sleibe »on 3abren unb gafften au8 250—425 g. 427 Arten
gufammen, welche gu etwa £ ben klaffen über bet einfacpften
bet fProtogoen unb mit je etwa |>unbett ben hohen ber echten
SJlolluSfen unb Ärebfe angehörten. 3)ie eigentlich« SEieffeefauna
beginnt nach ihm jpärlich in 100 g. unb nimmt mit fteigeuber
SEiefe an 3nbi»ibuen gu. SKan erfennt, bah auth biefeS örtlich
begrünbet, abhängig ift »on ber SEiefe, in welcher ber, neue uub
günftigere Vebingungen btingenbe, ein wenig ber Vranbüng gu
»ergleichenbe ©runbftrom eintritt. @8 fehlten nicht ©poche
macpenbe formen, ©in ftililienftrabler, Rhizocrinus loffotemis,
welchen ®. O. ©arS 1864 an ben gojfoben fanb, »ermittelt
gwiichen ben befannten, fich »om ©tamme ablöfenben, fcbwim*
menben unb gleich Dphiuriben fletternben gieberfternen ©omatula
ober Antebon unb bem iPentacrinuS ber Antillen. 3)ie Aenbe»
rungen, welche feit ber Äreibegeit bem geftlanb unb oberen
SBafferfchichten gänglich neue gormen gegeben, fchienen übet bie
SEiefen be8 norbatlantifchen Ogean8 feine SRacht gehabt gu haben,
©oobfit, ein ©efährte granflin’8, brachte 1845 au8 bem
©iSmeer ber 5)a»i8ftra|e au8 300 g. Ärebfe, SJioHuSfen, ©chi*
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nobermen. 55ucb ba8 ÜJtittelmeer gab IDofumente, welche e8
gorbeS oerfagt b<*tte. 3)a8 &abel gwifeben (Sagliari unb 33ona
bradj 1858 in 1200 g. an einet ©teile, an welker bem Abfall
non ©arbinien gn einer Sieffeerinne nicht ^Rechnung getragen
war. 3n Dem aufgefyolten ©tuet liebten ÄcraQen, 55uftern,
.Ramm* unb geilmufcbeln, CRöbtenwürmet, 5H8gibien, 9Roo8»
t^iereben, btngen Jtreifel* unb ^urpurjebneefen. 5Rinbeften8 eine
Äotalle tarn au8 größter Jiefe. 1860 brachte bie ©cblamm*
fangmafebine bet 33ullbogg4) au8 1260 gaben an bieüeine ge<
flammert 13 ©djlangenfterne, ben 5Ragen doO Qkunbfdjlamm.
1864 enblid) gab 58arboga be 33ocage 9tacbri<bt non einem
£iefelgitterfd)»amm einer bis babin auSfcblie&licb japanejtfdj
eradjteten ©attung Hyalonema limtanicum, in ben £aifif<btief«
grünben ber ©etubalbai.
Si8 futg gunot batte mau, bie jpatfamen ©tfiefe ber ÜRufeen
mifjoerftänblicb im ©pfteme einteibenb, angenommen, regente
©ebtoämme bilbeten nie Äiefelnefje unb ba8 5Rat'cbenwerf becher-
förmiger ÜBentrifulitenfcbwämme bet Äreibe unb be8 ©rünfanbS
Don 5Rorb«@nglanb fei auf ©cbwammbornfafent ober Rallfafern
gu begieben. ©ben h“tte 5R. ©cbulfje ben in einen @<bopf
Don .Riefelfäben auSgebenben, gum SEbeil »on ber §)alptboaforalle
ummaebienen japanifeben geberbufcbfdjwamm, Hyalonema Sie-
boldii Gray unb ben, wie auö ©pi^en gewebten ©ieftfannen*
febwamm non ©ebu in ben ^)btHbb‘nen< t)ie JRegabera, Alcyon-
cellum Quoy u. Gaimard, Euplectella aspergillum Owen, al8
geberbufebfebwamme Detbunben unb Söpnille übomfon fte
mit bem antiöifcben Dactylocalyx con ©tutepburp al8 ©la8*
jebwämme, SBitrea, bezeichnet. SDiefe, ber ©«blüffel ber Sentrifu*
liten, oermebrten fi<b in ben Sieffeeforfdjungen fo, baf? ÜJtarfball
1878 ihrer 37 unb mit 55. 58. SReper 7 weitere gufamnten*
ftetlen tonnte, alle, foweit befannt, au8 100—700 g. @8 ergab
fid? nicht bie 33erwacbfung, fonbetn bie fedjSftrablige ober brei*
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adßfige gorm bet fabeln, wenn aud) öfter in Vetfümmerung unb
fähiger 3tuöldngnng non iflcßjen, atö cßarafteriftifdjee ÜDterfmal,
fo baß fie £>. ©cßmibt gefcßidt alö ^epactinelliben gufammen»
faßte, welche ©d)wammorbnung jeltiam bie norbijcße 2ieffee
mit feisteren ©ewäffern tropifdjer Söieete unb ber Äreibegeit
»erfnüpft.
©ine aubere Kategorie non niebrigen JDrgantämen, weldje
aus pelagifcß icßwtmmenbem 8eben unb ©terben jaßlloje Ütümmer
jum fDteeregboben ßinabfenbet, griff non 1854 in bie SJtaterie
ber £ieffeeforf<ßung ftar! ein unb leitete junädjft in eine »er»
feßrte ©aßn.
9Jtil ben gut Prüfung be8 atlantijdßen ©runbeS »erbefferten
©onben fam au8 über 1000 %. gleicßtnäßig grauweißer ©djlamrn
mit gaßlteitßen ©<ßalen »on jpolotßalamien. Stailep geigte bie
Verbreitung be8 ©cßlammeS joltßet Jürt im ganzen atlantifdßen
Djean. SDiefe ©cßalen finb fällig, werben IjergefteEU »on öfter
gtünlidjer, gelblicßer ober orangefarbiger, nicßt 3rDen barfteüenber,
fitß in formöeränberlicßen gäben auSftrecfenber eiweißiger Ur«
jubftang (9>rotopla8ma) unb ßaben jenen 9tamen, weil meift in
Kammern getßeilt,* weltße, bei ßößeren »on ©tüßwänben burtß»
jeßt, ftetö mit ^)oren burtßlöcßert finb, woßet ber anbere 9tame
bet Klaffe, goraminiferen. Sener ©cßlamm enthielt am ßäufig»
ften bie etwa 1 mm große, bereite in ber Kreibe bemerfte
Globigerina bulloides d’O. mit jaßlreicßen fpiralig »erbunbenen,
in ber Steiße an ©röße juneßmenben, gegen einanber abgeplatte«
ten, jonft fuglig gewölbten .Kammern unb erßielt banatß ben
9tamen be8 ©lobigerinenfcßlamm8. ©parfamer fanb ficß Orbu-
lina univerm d'O., welcße, gunäcßft einfatß fugelig, bod) gumeilen
tnnerlitß 3—4 fleine Kammern birgt, Pulrinulina mit 5 — 6
f<ßeibenfötmig georbneten Kammern, in wärmeren fDteeren bie
größere P. Menardii d'O., in fälteren P. Micheliana, etwa8
freifelförmig unb mit peripßerijcß meßr auSgebeßnten, fonijtß
XIV. 315. 316. 2 (89)
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bortretenben Kammern, ©inige Sape fymburdb fat} man biefe
$)olpthalamien atä bie charafteriftifchen 23eroohner beö Sieffee*
grunbeö an. Dl)ne 3i»eifel leben mancherlei 'Polpthalamien auf
bem ©runbe, anbere aber mürben, non 3. SRüller ab, non Dielen
©eiehrten fdjmimmenb gefunben. Sie tauchen gerne am Sage
unter, roeßhalb SRajorDwen fie ©olpmbitae nannte. 9Rurrap
hat foldje in oetfchiebenen Siefen bis 150 g. nachgewiefen unb
bie ©haHengereFpebition unb !ä. Stgaffig ha&eu sc^eigt, baff
bie auf bem ©runbe gefunbenen Schalen gar fein 33itb ber
lebenben Shiere geben, ©lobigerina, Dtbulina unb anbere finb
im pelagifchen Schwimmen mit feinen Stacheln befleibet, beten
fcä nge ben Smtchmeffer ber Schale mehrfach Übertrip, unb an
welchen blaftg auöquetlenbe $)rotoplaömamaf{e fich fabig aufl*
giep; ber Kern ift prachttcH fdharlachroth. Solche Stacheln
haben auch bie in Drbulina terborgenen .Kammern, ©arpenter
freilich möchte bie Meinung nicht gang aufgeben, ba§ @1 obige*
rinen, nachbem fie fchwimmenb 12— 16 Kammern hergefteHt, auf*
hören gu wachfen, fich mit einer äußeren Kalflage, einem {Rubi*
mente Ijö^cter Sdhalenbilbung umfleiben, lebenb nieberfinfen,
um fich bann S“ Dermehreu, ba junge in gtöfjeret SRenge über
bem ©runbe fchwärmten. 2)a| einige fPolptbalamien in großen
Siefen leben, bemeifen Sanb tammelnbe, welche in 2435 g. ftch
neben ©lobigetinen unb Drbulinen allein finben, glafige Kriftel*
larien, beten bicfe Schale baö Schwimmen unwahrfcheinlich
macht, porgeflanähnliche 33iloculina unb Sriloculina unb Sin*
fittung fanbiger unb fchaliger au Schalen, Steine u. f. w.
55er Sieffeefthlamm birgt ferner fieflige Schalen Don 25ia=
tomeen, eingefligen $>flängchen in gönn Don Scheiben, Schiff*
cheu, Spinbein, Stäbchen, oereingeit ober als ©liebet, gruftula,
dou Ketten, mit burd) ©elb Derbedftem fPflangengrün, mifroffo«
pifchet ©töfje, einige, wie ©htenberg geigte, in uniDerfeHet
33erbreitung unb, wie SReabe erfannte, in gleichen Sitten bie
C90)
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Sluftern beb Äimmeribgethen uub heutige näßrenb. Sie 3one
i^reß Sebenb ift burcß bab Sic^t beftimmt, in bie SEiefe gelangen
fie nur atß geilen.
(Sin britter protiftifcher Seftanbtßeil beß ©chlammeb wirb
geliefert oon JRabiolarien. Siefe fyaben gleich ben $)olnthalamien
Betanberlidje gabenfüße, aber fie untetfcßeiben ftcß burch eine
Geniralfapfel unb peri^tjerifd^e 9lefter gelber BeDe«- 3h* ©feiet
ift Äiefel, entweber ©eßäufe, jierlid) gegittert, gleich Reimen,
fPagoben, ©djitmen, Äugeln, ober IRabeln unb ©täbe, gegen
einanbet in regelmäßigen Figuren geftüßt, fpangenartig mit
Heineren belegt unb netbunben, ©cßneefrpftallen gleich, alß
habe bie organifcße l'eiftung fid) tom anorganifdjen 3>»ange nid)t
lobgemacht. 3n norbifdjen 5Reeren fparfam, erlangen fie bie
größte (Sntwitflung bei ßoßem jpejißfdjen @ewid)t beb SBafferb
im fübroeftlidjen ftiHen SDjean unb malapijdjen 3lrd)ipel. 3m
SJiittelmeer ift ber 9teid)tl)um, melden $äcfel bei SReffiua nach*
wieb, im nörblichen ligurifdjen Jßeile feßr Berringert. ©ie fiub
aubfdjließlid) fdjwimmenb. 9Ran ßat fie in bet Siefe, foroeit
bab ©treifneß gefenft wirb, in immer neueu ‘.Arten, unb, ba in
ben fRieberfdjlägen nod) weitere Wirten fid) finben, fdjeinen aud)
gan$ große Siefen befonbere fRabioIarien $u ßaben.
(Sine Drbnung 3wifdjen ben SRabiolarien unb ^olptßalamien
bilben bie (Sßatlengeriben in etwa 30 (Arten mit einfachen Äiefel*
geßäufen, ppramibal, fugclig, linfenförmig, thränenfläjchchenattig,
gierlid) ornamentirt, oft mit ©tacfjeln unb $ortfäßen, mit einet
Oeffnung überragt Bon einer Bippe, in ber weiten ©ubftanj
mit einem ober mehreren förnigen Äernen unb bunfelbraunet
forniger SDtaffe. ©ie fchwimmen aubfd)ließlid) in einiger Siefe.
(Sine §orm, Calcaromma calcarea W. T. nom ftillen OReere
ift Bon ©porenräbdjenähnlid^en Äalff5rpetd)en fruftenartig übet«
gegen. .Ob fie biefe nur fammelt, ob bie GhaDerigeriben äu 550,1
fRabiolarien alb (Sntwicflungbftufen, ob fo bie Orbulinen 3u ben
2 * (9D
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©lobulinen gehören, ob man aOeS baS nicht beffer für einfadjfte
^flangen als für Stbiere halte, baS gu unterfudjen ift b»et nicht
am ^lafje.
(Ein fünfter mifroffopifcher Slntheil beS SieffeejchlammS
würbe guerft oon 5Balli<h unb oon S5apman aus liefen non
1000 §. unb me^t gebracht in bem blofjen Sluge amorph, freibe»
artig, puloetig erjcheinenben, gefeuchteten $alfförperd)en, theilS
oereingetten tunben (Erbjenfteinchen, (Eoccolithen, ober Stäbchen,
JRhabbolithen, theilS aus jenen gufammengeballten (Eoccofphaereu
ober mit btefen befehlen polpebrifchen unb fugligen 5th«bbo»
fphaeren, zugleich ein £>auptbeftanbtheil ber Schreibefreibe unb
fcheinbar im Sieffeefchlamm gufammengehalten oon einer fchlei»
migen Subftang.
-gjujrlep unb Jpäcfel, obwohl lejjterer Organismen fannte,
welche in pelagijchem geben, Siabiolarien ähnlich, foldje fefte
Sh eile enthielten, nahmen biefelben für wahrfchcinlich mit bem
Schleime gufammengehörig, biejen, welcher (Eiweifjreaftionen gu
geben fchien, für ben niebrigften lebenben, fotmoeräuberlichen,
geftaltlofen, unbegrengten, gleich bem foffllen Eozoon banfbilben*
ben ^)rotopla8maleib, bie erfte Stufe ber im SRenfchen gipfeln»
ben organijdjen fReUje in ber Sieffee, ben Bathybius Häckelii
Huzcley. SRadjbem Karting 1872 gegeigt hatte, ba§ ben
(Eoccolithen gleiche Hörnchen entftehen, wenn man in (Eiroeifj
©hlorfalf langjam auf ^ottafdje einwirfen läpt, bat33ud}anan
gefunben, ba§, wenn man oiel Ullfohol gu Seewaffer fe^t, ein
feinflocfiger, amorph nnb gelatinös bleibeuber ©ipSniebetfchlag
entfteht, welcher ähnlich bem (Eiroeifj ftch burch Soblöjung unb
Jfarmiu färbt. 9thabbolithen aber unb (Eoccolithen rühren nach
ben (Erfahrungen auf bet (Ehaflenger gänglich het aus ber 9lr*
matur fchwimmenber Organismen, eietleidjt oon ifllgennatur,
welche man ftetS im Dberflädjenneh unb im ÜJfagea ber
Oberpächenthiere ftnbet, unb oon welchen einige, in ftrenger
C»2J
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21
Drbnung befejjt mit jfeulen ober Suba»artigen Sehern, überaus
gietlicb ftnb.
Snbem bie fämmtlichen erwähnten mifroffopifchen Orga-
nismen in feljr großen SJtengen tobt gleich einem Stegen gum
©runbe finfen, liefern fie otganifche Subftang, Äalf, Äiefelfäure,
©ifen unb anbere ©eftanbtheile, beren bie Sieffeebewohner gu
ihrem Aufbau bebürfen, unb bilben ben 33oben, auf welchem
biefe ficb augufiebeln haben. 2>aS SJotfommnife jener ift,
obwohl fie nicht auf bem ©runbe leben, majjgebenb für beffen
Stuöfehen unb baS 0eben auf ihm. 3nbem Stabiolarien in allen
Siefen leben, fteigt ihre 3«hl mit ber Siefe ber ÜJleere, aber, für
bie ©pifteng SBärmc oerlangenb, fehlen fie unb Sthabbolithen ben
fälteren Streiten. 9Jtan finbet fie nicht bei ben garoet unb fie
werben oon ber irijchen jtüfte burch einen fchmalen 2lrm einet
arftifchen Strömung 60 — 80 SJteilen5) fern gehalten. SBarme
unb tiefe SJteere muffen auS biefem ©runbe im Schlamm relatio
oiele JRabiolatien haben. 2)iefe8 fteigenb, inbem bie^)olpthalamien,
Welche oon mehreren hunbert gaben ab zahlreich finb, oon 1000 g.
ab ben ©harafter regieren unb in 2250 g. in großer Feinheit
oorfommen, unb anbere jtalffchalen in 2300— 2500 g. eerfchwin»
ben, wie baS S^immo guerft in ber GelebeSfee bemerfte. UJtan
fieht jene gunächft nodj oeränbert, gelblich, in Stücfdjen getfaHen,
©occolitljen oon ben SRänbern h*r angefrefjen, Schalen oon
glügelfchnecfen, ^teropoben, oerfärbt, gemach fehlen üalffchalen
gänglid), ber Äalfgehalt beS Schlammes minbert ftd? unb fchwin»
bet, bie weifclidje gärbung ('©lobigerina«ooge) macht einer grauen
(®rep=ooge), banad) einet gelbtothen (Sieb clap) 9Ma£. 3)ie
Untetfuchung geigt, baff biefe SluSfüflungßmaffe ber Sieffeetröge
Silifat oon rotbem ©ifenojrpb unb Shonerbe ift, gang gewöhn»
lieh mit 33eimijchung oon fDtangan, welches guweilen jehwarg
färbt ober fich in ÄnoDen fammelt, feltener um otganifche Körper,
einen ^aiftfchgabn, eine Schwammnabel, öfter um Simftein»
<9«
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ftüdcben ober, wie ©ümbet meint, nur burd) baö ©grübeln
untermeerifdjer Duellen. 9Jlan fonnte fldj im atlantifdjen Dgean
an einigen Steden täujdjen, inbem aucl) bie Äiefelgebilbe,
©djwammnabeln, JRabioIarien, ©iatomeenfcpalen beim Hebet»
gange beö grauen ©runbeö in ben rotten fehlten, aber im ftiHen
SKeere fanben ftd) gwifdjen Äarolinen unb gabronen in 4575 g.
JRabiolatien in foldjet SJtenge unb 5Rein^eit, bafj man baö
Slabiolarienjdjlamm nennen fonnte, etwa wie ifyn fofftle
Ätefelgure non 33atbaboö unb ©altanifetta in Sizilien geigen.
SDer rotfye ober gelbe Sljon, welker auö ben gerfaUenben Äalf«
fd^alen fyeroorgetjt, an beffen 33ilbung aucf) ©ruptingefteine Sin«
tljeil nehmen, feljlt nie gänglid? groifd)en ben JRabiolarien. SBenn
bie dftifdjung ber auf ben ©runb nieberfaHenben ©dpalen unb
©erüfte pelagifcpet SE^iere unb ipre relatine SBebeutung für bie
©ebimente im ©äugen guerft bebingt wirb burd) baö SBorfommen
nadj SBärme unb Stiefe beö füleereö, nad) ©ntfernung non ben
Äüften, welche Schlamm, Äoratlenfanb, ©eröB, 8anen auö«
fd)ütten, fo wirb ©rljaltung unb befinitine ^Relation beftimmt
burdj bie fpegielle fDleereöauötiefung. SDie SLiefe, in weldper bie
Äalffdjalen fdjwinben, ift nid)t abfolut ibentifd) unb man fann fie
auö bet gatbe beö ©runbfdjlammö fdjliefjen. ^orcupine faub
beu grauen ©djlamm am ©ingang beö SJtittelmeerö in 580 g. ;
©fyallenger an bet Sagomünbung bei ©ap ©Öpidjel in 470 g.,
füblid) ©. Sincent in 1 J 50, jüblicb ^jalifaj: überall non 1200 g.
ab, am ©ap in 1250, an ben Söermubaö in 1375, in $ beö SBegö
non bort nadj ©anbp £oof bei 9lew »$}orf in 1700 g. äuf
9lboenture*banf an Sluniö lagen in 30 — 250 g. neben anbeten
Äalffdjalcn aud) polptljalamifdje, aber in 1700 g. nörblid) Sföalta
unb in 1753 füblid) ©prafuö gab eö nur lebenölofen gelben
£l)ongrunb. ©üblid) nom ©ap beidjränfen ftd) bie fdjwimmen»
ben ^otptljalamien auf einjig Globigerina buUoides unb mal)«
tenb anf 40° 16' ©. ber ©rnnb in 1900 g. auöfdfjliefjlidl) mit
(94)
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©lobigerinen, SDrbulinen, ^ulotnultnen nebft ©tacbeln unb
©Aalen »on fRabiolarien unb ©Awämmen bebecft iftr auA bei
Äerguelen in geringer Sfciefe ©Awammnabeht, Stotalia unb
anbere ^olpthalamten geigt, maAen leitete fübliA »on 50°,
gängüA ben Diatomeen ^Mafc. Die Ijotje 33reite begiinftigt burA
auö ©iS ftammenbeS ©üjjwaffer unb ben ©ietranSport einen
UebetfAnl »on Diatomeen; boA maAt bie Slufftnbung »on 53
arftifAen Foraminiferen bei ber ©jrpebition unter 9tare$ jen=
feitö 77° 15', worunter Globigerina bullende«, wenn auA rer*
fümmert, unb »on weiteten 35 jenfeitS 65° an ber Äüfte »on
Norwegen, an ben ^unbeinfeln unb in ber 93affing8bai wahr*
?AeinltA, ba§ e& im antarfüAen ©teere niAt nur Umftänbe,
welAe baö fieben, fonbern anA folAe gebe, welAe bie Stuf»
bewahrung ber ©olothalamien in ber Sieffee einfAranfen. 2luA
befielt auf ber ^gulhaSbanf in 90 — 150 F- ber grünliAe ©anb
faft gang au8 Foraminiferen, wenngleiA ©lobigerina, Dtbulina,
|>ul»inulina, wie pelagifA, fparfam finb. Die 33alorou8
fanb bie ©lobigetinen, ben ©runbAarafter beftimmenb, in ber
3Da»iSftra§e, an ©rönlanb, gegen 3tlanb in 57° 50' 9t. bei
1860 in 56° 11' bei 1450 unb bei 690. 60 giebt Steden,
in welAen ©lobigetinen fLA tiefer behaupten, al8 gewöhnliA,
mfelartig auf bem Stabiolariengrunbe gwifAen Hawaii unb Saiti
in 2600 F-, gahlreiA in 2675 unb eingeln in 2850 F- im @olf»
ftrom nahe ben 33ermuba8, unb in 2650 gugleiA mit Drbulinen,
gröberen Foraminiferen, ©ehörfteinen »on FÜAen unb ©tero*
pobenfAalen. 2Bie e8 fAeint, fehlt ber ©lobigerinenfAlamm,
wie im ©Httelmeer, fo in bet 2lrafuta8 « ©ee unb im nörbliAen
ftiHen Dgean.
Da leiAte ©Suren ben Äalf wegnehmen, fann man lanm
gweifeln, bafs bie Jtohlenfäure im ©eewaffer unter bem burA bie
Siefe bebingten Drudt ben .Ralf löfe, bie niAt faltigen Stheile
gnrücflaffenb, au8 welAen ba8 ©tangan »on einigen »etwefenben
(9b)
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Äßtpern gefällt wirb, unb fo bet djaraftetifttfc^e ©tuub bet
Siefen oon me^r alß 2400 %. entfiele. Die gßfung in gern*
geren Siefen fann abfyängen con ftärferer 2lnfammlung con
Äo^lenfäute in abgefdjloffenen Sedfen unb in bet 9täf>e oulfa*
ntfdjer £eetbe, wa8 in einigen bet genannten ftäOe nafye liegt.
Sluf folgern ©tunbe fßnnen SBürmer unb ^olptfyalamien
gHt ©ilbnng t>on JRßljren au8 ftrembförpern ftd) nidjt mefyr faltiger
©djalen unb fabeln Bebienen. Die 23erwenbung non Äalf im
eigenen Aufbau organifdjer Äßrper ifi nict)t auSgefdjloffen, abet
fparfam ; 5EJiufd>eltt bleiben Hem, ÄoraHen finb getbredblidj, 9>o*
logoen büben gatte Bweige, @ct)inobermen tteten unter SBefdfyrän*
Jung bet jfalfylatten in ungewßljnlidjer $orm auf; wo ©fyitin
ftcf> mit bem Äalfe gu ©dealen oetbinbet, übetwiegt eß unb be*
bedft biefen fcfaü^enb. S3ei ber SBidjtigfett fefter Äalft^eile für
«Seetljiete bebingt bie Äalfarmutlj bet Sieffee eine effeftioe 2kt=
attnung bet Stjierwelt, wenn audj nicfyt fo gtofj, alß eß »egen
3erftßtung ber SRefte auf bem fogenanuten 5Rangangrunb fdjetnt
3fn Settacbtung bet otganifdjen pelagifdjen ÜJlieberfdjläge
unb iljreß nacfjljetigeu üBerfyaltenS übet bie ^etiobe bet Unter*
fudjungen, in meldet »ir un8 gunäd&fi bewegen, Ijinauß gegangen,
wollen wir beifügen, baff an jenen bie fpteropobenfdmetfen,
bejonfcetß ©leobota, Diacria, ©aoolinia, £oa!ea, ©refeiß, Srißtera
einen nid^t unbebeutenben 2lntl)eil nehmen unb einige SJiale
auffielen, fo in bet fftätye ber Antillen unb im mejrifanifdjen
SJieetbufen, wo 21. 21 gaff tg fte in 860 %. meljr al8 bie Hälfte
beß ©Iobigerinenfdjtammeß bilbenb fanb, bafj oon echten ©djuedfen
»orgüglidj bie SMaufdjnecfe 3antljina unb »on Äielfdjnecfen,
£eteropoben, 2ltalanta in Settadjt fommt, bafj man »on
giften ©efjßtfieine unb £aiftfdjgäl)ne, auch oon lebenb bi8 ba*
Ijin nidjt befannten ©attungen oon SSalen nidjt feiten baß @e*
fyßrbein, Sßmßanum, unb an geeigneten ©teilen allerlei Änocfjen
»on ©itenen ftnbet. 2ln bet ©iweifjlieferung für ben Siefgtunb
(»«)
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fönnen auf unbeffalte pelagiffe Organismen Slntbeil nehmen,
©alpen, Ouaüen, ffallofe ©f necfen, Stoctilufen unb bie itynen
äbnlifen fpinbelförmigen ^procpften.
Son 1868 an Ijaben fid? ©jrpebitionen gebtängt, »jeldje bte
©ee nach »erffiebenen Stiftungen, S£iefe, Strömung, Temperatur
©f were, ©aSgetjalt, f emiff et Sefcbaffenbeit, Sobennatur, Tl)ier*
unb §)flangenmelt unb auf beten SRelation mefobiff unter«
fuften. SBit »ermögen beute bie ©rgebniffe ttod) nift »oll gu
würbigen. Söenn wir in biefem beffränften Staunte ben liefern
einige <£>auptfaf en »ertragen, werben wir mit ben etwas ftemben
goologiffen ©ingelnbeiten immer Staffift beanf prüfen muffen.
SDic ffwebiffen ©jrpebitionen im bofawrbiffen SHeere
gingen in faft aQjäljrlifem TurnuS »otan. ©ngliffe begannen
1868 unter ©arpentet unb 2Bp»ille Tbomfon mit ber
fiigbtning an ben garöer, festen fif in 1869 unb 1870 mit
bet ^orcupine fort unter ben ©enannten unb ©wpn 3ef»
ftepS auf bem alten Storbgrunbe, weftlif unb füblif Stlanb
bis gut Steile »on Sreft, längs Portugal unb bis Sötalta unb
gipfelten naf bamit erlangten trefflif en Sorftubien in ber <5 b a l*
lengerfabrt »on 1872 — 76, ber größten »on allen, »orauS«
fiftlif auf für einige Sufunft, unter wiffenff aftlif er Leitung
»on 9Bp»ille Tfyomfon unb energiffer goologiff et SJiitarbeit
»on SDtofelp, SRurrap unb beS genialen unb liebenSwürbigen
IDeutffen ». SBillemoeS ©ubm, weifen baS ©eff icf in ben
Tiefgrunb, ben gu erforff en er unermüblif tbätig war, nabe
bem ©nbe ber Steife gut ewigen Stube bettete. 2)iefe ©jrpebition
ging längs Portugal unb ©ibraltar gu ben ©anarien, freugte bte
beiben Tiefbecfen unb baS 3wiffenplateau beS norbatlantiffen
DgeanS gegen bie Antillen, ging übet ©. TbomaS unb bie Ser«
mubaS naf ©anbp £oof unb ^»alifajr unb gurüd übet bie Ser»
mubaS naf ben Slgoren unb ©ap»Serben, gum äequatot
längs Slfrifa gegen @ap SRefurabo, freugte wiebet baS Plateau
(»r>
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26
beö atlantifdjen Dgeanß unb btc weftlidje SRinne gwifdjen S.
9)aul’8 $el8 unb ^ernanbo bo 9Rorenl)a, lief ©al)ia an, wanbte
fid) mit Umgebung beS für ba8 ©steppen wenig geeigneten übet
3000 %. tiefen ®tunbe8 nad) Eriftan b’2lcunl)a unb butdjfdjnitt
gum 6ap bet guten Hoffnung ein britteS SJtal bie Atlantis.
Ueber baö fo »erbrachte 3af)t liegt bet ©eridjt »on SBpoille
SE t? 0 m f d n cor. SDaö @d)iff lief bann in beeren ©leiten Söia*
rion’8, (Sbwarb’8 unb Groget’8 3nfeln, Äerguelen’Slanb unb
£eatb'8 ober SDiacbenalb’S 3nfel, mit iüblidjftet Station untet
65" 42' ©., SERelboutne unb Spbnep an, ging nach 9Reu«©ee»
lanb , übet Sibfdji, Äermabef unb 9ieu»^>ebtiben gut Eorreßfttafje,
bet Sltafuta», (SelebeS* unb *Blinboro«See; im britten 3al)re non
.£>ongfong in baö ©leer an§etl)alb ber nad) 9leu*
©utnea, nad? 3apan, übet bie gtöfcte, bet oon bet Euflcarota
gemeffenen äljnlidje SEiefe oon 4475 gu ben Sanbwid),
fd)täg bntd> ba§ ftiHe ©Reer nach SEaiti, nad) 3uan gernanbeg
unb ©alpataifo, um burd) ben ®olf oon §)ena$ unb, im 3anuat
1876, bie ©RagfyeUaenftrafje gu ben 8alf(anb8«3nfeln in ben
atlautifdjen Dgean gurüdfgufeljren, ©ßontcoibeo angufaufen, ftd)
nodjmalS gegen Eriftan b’Slcunlja gu wenben unb jene« ©leer,
jejjt übet ®8cenfton bis gegen Sierra leone auf bem 13—14® SB.
unb bann übet S. ©incent unb bie Slgoren in einem weftlidjen
Sogen nad) (5ap ©igo gu butdjfdjneiben, baß ©lateau oon
etwa 1400 weld)e8 in jenen 3nfeln gipfelt, beffen 9lbl)änge
unb ben öftlidjen Eiefgtunb bet 9lorb* Atlantis bis in 2935 §•
mufternb.
2)en ©eteinigten Staaten oerbanfen wit bie Äenntnifc beö
©aljamameereß unb mepifanifcben ©teerbufenß. ©tan tjatte normet
bie 8otl)proben gwifdjen bet Äüfte unb bem Slufjenranbe be8
©olfftromß mit 8 — 9000 Hummern auß Eiefen biß 1500 g.
genommen, jebod) in ben Keinen Sdjlammportionen aufjet fjora«
minifeten unb SDiatomeen nichts Söefentlidjeß gefunben. Stimp*
<*>)
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fort hatte an bet Äüfte 9Reu*@ng!anbS gefchleppt, ©raf 8. F-
9>ourtaleS in einem wegen gelben FieberS abgebrochenen Betr
fucfje mit bem Dampfet ©oroin in 100—270 F- eine ntc^t
minbet reiche Shierwelt als in feierten SSaffern gefunben, höhere
Ätebie, 9lnneliben, 9ftubbwürmet (Gephyrei), SRofluSfen, ffta*
biaten unb Foraminiferen, jebod) in 350 %. nur krümmet oen
Äoraüen unb Schwämmen. Darauf nahmberfelbe 1868 mit bem
Dampfer 33 ib b eine SReihe Querfchnitte in bet Fforibaftrafje,
bem TOcholaS» unb bem SantarewÄanale gwifchen bem Feft«
tanb, Guba unb ben Bahamas bis 517 F- 3lrt bet gweiten
Fahrt beS Schiffs 1869 betheiligte ft<h 8. SÄggaffig unb führte
1871 mit ^ourtaUS unb Steinbachner bie fahler non
Bofton über BarbaboS unb üftagbeflaeuftrahe nach S. Francisco,
wobei bie SÄuSbehnung beS fPourtaleSplateau bis BarbaboS, bie
grc|e Berbreitung charactcriftifcher Jieffeearten nadjgewiefen, aber
in Bkftamcrifa wenig gefunben würbe.
©ben erhalten wir Borberichte übet ©tgebniffe einer ©p
pebition, auf welcher 1878 91. Slgaffig mit bet Blafe ben ©olf
nötblich JöefPGuba gegen Sanb Äep, bie SwrtugaS, baS Stlacran
3Riff, bie 9Ju!atanbanf unb bie SRiffiffippimünbitng mit größten
liefen üon 850, 1323 unb 1920 F- unterfuchte. — $>ourtal4S
fanb bie Oiifffauna wenig in bie Jiefe uerbreitet, fo bah ihr eine
3»ne fpärlichen 8eben8 auf gertrümmerten ÜRufchelfchalen unb .So*
raHenfanb bis in 90 F- folgte. 3n einer gweiten bis 300 F-
änberten biefe krümmer, »on Serpulenwürmern gu ©ehäufen
»erlittet, in ben 3*»ifchenräumen burc^ fPolpthalamien gefüOt nnb
butdj SRudiporenfalfalgen geglättet, ihten ©harafter unb bargen
gwifchen fich Beweife reichen ShierlebenS. 8. 9lgaffig nannte
bieS baS ?)ourtaleSplateau. Dafc jenfeitS bet tiefe ©lobigerinen*
grunb arm war, wenn auch mit Bertretern aller SLtjterflaffen bis
gu ben F«f<hen, ft^ien ihm »on bet Statut beS BobenS abhängig,
©in FelSgrunb werbe auch in 1000 F- reiches 8eben hflhen.
99)
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SBirHicb tyrt 91. 9tgaf|iä fpäter ben ©lobigetinengrunb bort
ebenfo reich gefunden alö bie ©ballenger. 8. 9(gajft3 hielt
habet bie heutige Begrenzung ber ©ontinente unb SReere, etwa
mit Belaffung ber 200 g. Binie für ©cbwanfungen, urfptüng«
lieb, bie ©ontinente mit geftbaltung ber allgemeinen Umriffe aß«
mählich gehoben, bie fflleere auögetieft. Sn ber Uebereinftim»
mung ber Slieffeetfyiere beiberfeüs »on Manama erhoffte er dafür
Beweife unb Belege für bie ©orrelation ber ©omplifation be§
Saug, ber {Reihenfolge in bet 3eit, ©ntwicflungSgefchicbte unb
geogtapbifcben ^Distribution. ©inigeS baoon ^at fid) erfüllt;
SRancbeS lenft ben ©ebanfen in anbere Bahnen.
3Bir bürfen nicht oerjchweigen, bafj über bie näcbften @t*
gebniffe hinaus bie Unterfudbungen , welche bie Gomtnijfion für
bie ©tforjdjung beutidber QReere 1871 unb 1872 mit bem 9hnfo
9>ommetania auSfübrte, but<h ©raftbeit unb geeignete {Die*
tboben ma&gebenb waren unb bafe baS englifche ©<hiff ©becr’
water, baS ametifanifcbe StuScarora unb bie beutfcbe ©or*
nette ©ajelle durch ©onbirungen unb ©chleppen einige ber bei
ben genannten gabrten gelaffenen dürfen auSjufüflen, anbrerfeitS
gewonnene ©rgebniffe gu beftätigen in ber Sage waren.
<Die Untetfudjungen an Üaufenben einzelner ©teilen fteßen
in Uebereinftimmung ber ©rgebniffe in weit auö einanber lie«
genben Siegionen gewiffe ©runbjüge für baS S£iefjeeleben fejt.
SDie noßfommene 9luSeinanberlegung nach ben Bedingungen ber
örtlichen Umftänbe, ber ©ommunifationen, bet geologifchen Ser*
gangenbeit mu§ bet 3ufunft übetlaffen bleiben.
2)aS Beben in SBaffermaffen, in welche man bie ©ebirge ber
©rbe terfenfen fann, ohne fte ju füflen unb auS weiten an ben
tiefften ©teßen nur wenige oon beren böc^ften ©ipfeln betragen
würben, gliebert fich nach zwei Sichtungen, ©in £beü fehltest fitb au
baS oberflächliche Beben, ber anbete an baS am ©runde. ©ie
©onbetung ift nicht fdjarf, ba, wafl wanbett, meift auch fchwimmt
(100)
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utib fpäter aufgeworfene Sintere fchwimmenbe 3ugenbformen
hoben; fte bringt jebod) mit fid), bafe eine ber Oberfläche nabe
3one unb eine am ©runbe einer 3n>ifc^enfc^idjt unenblid) über»
legen finb an Styerreicbtbum. 3n ber $auptfache hoben wir
hier ju tbun mit bem, wag am ©runbe fid) aufhält; für folcheg
machen bie ©efonberheiten ber Stieffee ficb geltenb, wäbrenb pc=
lagifcheg Seben über wenig tiefem ©runbe gang ober bodj faft
gan3 feinen ©hofftet behält unb in SRiebetfchlägen ftd) fo am
©oben geltenb macht, wie über febr tiefem.
SBir »erftet)en, ba§, je gröber bie üiefe ift, um fo weniger
SBanbetung am ©runbe unb ©chwimmen einem 2htoe ober
feiner ©tut anbere gebengbebingungen alg big babin ertragene
gewähren fönnen. SÖeitbin giebt eg feine merflichen 3Berfc^ie»
benbeiten. (Sin ben (Smbrponen gewöhnlich terlieheneg ?Dtab
ton ©ubftang unb Seiftunggfähigfeit oermag nicht, fie aug ben
groben liefen jur Oberfläche ju bringen. (Die ©eränberung ber
Umftänbe in (Drucf, Sicht, ©agmifd)ung, welche habet ertragen
werben müfcte, würbe bag 9Jla§, weicheg in ber Saminarienjone
gilt, weit überfdjreiten. ©o werben nach bem ©ejetje ber nüf}*
liehen ©igenfehaften bie SBanberungen in SBeite unb £öt}e be»
fchränft, feffile unb träge formen überwiegen. 3n auggebebnter
©leichartigfeit ber Umftänbe erhalten bie geeigneten Sitten grobe
geogtapbifebe ©erbreitung. Smmerbin wirfen örtliche Umftänbe
ähnlich wie in ber grünen Sone- £unberte oon SJleilen weit
bebingen Slmajonag, Orinocco, ©ambia, fBtifftifippi unb ©angeg
burd) ben ftlubfchlamm auch in grober Üiefe bie Slrt ber ©e*
wohnet; Äeraüenriffe umgeben fid) mit einem mafjgebenben
Äalfbtei, tulfanifche 3nfeln mit Säten, fchmelgenbe polare ©let*
fdjer mit füf)erem SBaffer. 3Bo ton geftlänbern gegebene ©e«
bingungen nicht regieren entfeheiben für bag ©runbleben, bie Slrt
ber peiagifchen ©ewohner, bie SHöglidjfeit ton beren ©rhaltung
auf bem ©runbe, bie ©runbftröme, welche falteg SBaffet, noch
(101)
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viel metyt uon antarftifcpen alß non arftifchen Legionen, gegen
unb über ben Aequator führen. 3Baß in fo geftaltete »Eiefe pa&t,
ift »ie foßmopolitifch, jo langlebig. ginben fid) geologifd} alte
gönnen in »erhältnifjmäfcig geringen liefen, fo muffen bie be»
treffenben SHeeteßbecfen alö alte angefehen »erben. Auß (Jon*
futreng beß ©ffelteß geologischer SSorgeit mit bem j ewiger Um»
ftänbe unb SBege erflart ftd) ber Sßiberfpruch, bafc polar ober»
flächlicpe unb antite gormen ficb in ber SEiefiee d erbreiten unb
hoch eingelne »arme Slegionen, Antillen, Sapan, ^>^tlip>p>ineu,
ÜJtoluHen, gibfc^i, Auftralien unb in et»a baß !anarijd}=portu*
giefif^e 33ecfen Vertreter alter geologifdjer Betten in relati»
feilten ©rünben beherbergen, Äiefelgitterjch»ämme, fPentafrine,
fcimulußfrebfe, 9lautilußfd)necfen, Srigoniamufdjeln, (Seratobußhaie.
Auß bem Allgemeinen erfennt man für geologifche 33er»
»enbung, bafc mehr, alß man biß baljin annal)m, außgebehnte
©dachten beftimmt »erben burch auß fch»immenbem 2eben nieber»
faüenbe JDrganißmen unb burch bie 9Dlöglich!eit non bereu 6on»
fetoirung nach £iefe unb anberen SJlotioen. (Sharalteriftifdbe
8ager grober 9tummulit«polpthalamien , Sammluugen mifro»
ffopijdjer jtalf» unb Äiefelfchalen in ber Äreibe, reine s})olp»
epftinenbetten, ÜJJaffen non (Suomphaluß» unb 33cOerophonfchalen,
»eiche ^eteropoben angehört gu haben Scheinen, unb non ^)te*
ropoben »ollen jefjt not Schlüffen auf geologifche 3eit auf ben
6h«ra!ter ber fDleere, in welchen fte fich bilbeten, oerwertliet »et»
ben. 33ieücicht erfennen »ir einft, bajj 5Rcereß»erfla<hung @e»
fchöpfe mit Äalf in Sfeletten, Stüfcen, Schalen an Stelle foldjer
mit Äiefel, Ghttin, gibroin unb Änorpel fetjte.
SBerfen »ir nun einen 33lid auf baß, »aß auß ben Der*
fchiebenen SEhietflaffen alß auß größten »liefen, alß unioerfell, alß
abfonberlich, alß bisher ©etrennteß »ermittelnb, alß mit befon»
bereu SEieffeeeigenfdjaften netfehen, norgugßmeife Sntercffe erregt.
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Set unb anbeten in offenem SBaffer fcbwim*
menben Rieten faun, wenn fte mit ©runbnefcen gefangen werben,
in Stage gefteÜt werben, ob fie in coli er Siefe gelebt tyabeu. ÜJian
entnimmt SDtotioe bafür auS ©iifcerfolg beS SangS in 3*®ifdjen-
jd>id)ten, auS foSmopolitifdjer Verbreitung, auS geringer Sdjwimm»
fraft unb SRobifüation in ben (Sinnesorganen. Süt bie non bet
Gfyallenget bei Sapan, in befjen fliätje einige Sifdje bis auS
2800 %. fommen, gefammelten Srten giebt ©untrer6) bie Sunb*
tiefe nid)t. 9Jian fann »ermutigen, ibafj 2 (JentroptyoruSljaie,
1 5Ro$e, 2 SebafteS, 2 SDiacruruS unb 2 (JorpptjaenoibeS, oon
welken einet audj p^ilippinifd?, 1 33atljptriffa , 1 StelopuS,
1 |)alofauruS auS ber ^>äring8familie, 1 (Jongromuraena, 2 @p»
napfyobranctjuS, Sale, oon melden S. batkybiu« fit i) auch jwi»
fcben (Sap unb Kerguelen unb im fyoljen notbpa^iftfcbeu SOfeerc
finbet, unb Nettaxtoma parvtceps G., beffen nädjfter Verwanbter
im 5GRittelmeer lebt, auS großen Siefen ftammen. Sei (Jap
Sincent in Portugal fing man Coryphaenoides serratux
Loru-e, eine ©tabeiraform bet Söiafruribenfamilie in 600 %.
SejonberS gro§e Sugen unb Vorfommcn mit (JeratiaS unb 9Ke*
lanoceteS, gopljioibfifdjen ober SJieerteufeln mit fc^wadjen, Ijüpfenb
bewegenben Stoffen, ftimmten für Itoben auf bem ©runb. 2)aju
famen Mora mediterranea, eine 5Rabeira=@abibf orm , unb in
1950 S- Macrurux atlanticus Lowe unb Halosaurus Owenii
Johnson, and} fDlabeiraformen, im @an$en ben bet 9iinne ent»
fpredjenfcen ßufammenljag portugiefifdjer Sieffauna mit Söfabetra
beftätigenb, aber aud) ben mit bem bei gleicher Steile um ben fyalben
©rbumfang getrennten Sapan in fcSmopolitifd)en ober tepräfen*
tirenben Srten. Sür bie ©ternoptpd)iben , eine abweidjenbe Sa*
milie ber spijpfoftomen, Siföe mit Suftgang an bet @d?wimra*
blafe, weldje mit einet Srt auS 2575 S- gwifdjen SetmubaS unb
Sporen unb im ©anjen in 5—6 Srten mit bet Srawl famen, fo*
woljl SternoptpdjuS als GljauliobuS bei Sifjabon auS 100, an
(10»)
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ben $)t)ilippinen au8 1050 begtoeifelte ». SSillemoeS Suhm
weniger aI8 Shom fou bie Sieffeenatur. Snbem fte in 2—3“
großen 6jtemplaten, wie aucf fleine pelagtfdje ftlunbet, welche
noch fpmmetrifch finb7), 9Racht8 oberflächlich fchwimmen, batf
man benfen, bafc biefe Bifdje balb oben, halb unten finb, mit
ftarfer bathpmetrifcher Energie, in bet 3ugenb mehr als fpäter.
68 wäre möglich, ba§ bie gleichfalls hochpelagifchen burchfichtigen
SBurmftfche, ^elmicftbpben mit Siefgtunbaalen ähnlich in 33er«
binbung flehen. $Die Sternoptpchiben, fchuppenloS, metaHifch
fdjiQernb, gto§jahnig unb grofjföpfig, leuchten wie «Sterne non
einer CReihe phoSphorefcirenbet Blecfen, welche bie gufammenge«
hörigen ebenfowoljl in grofcet Siefe, als Machte oberflächlich JU»
fammenbringen, auch, oon anberen Shieren für fleine 33eute an«
gefehen, als 8ocfung bienlich werben fönnen. Solche Blecfen,
befonberS 36 an ben Äiemenbecff)autftrahlen beS 6houliobu$,
mit Iichtbrechenbem Äörper, metallglän^enbem #intergrunb unb
befonberen fReroen nerfeljen, würben auch für fRebeuaugen er*
flärt. 55er neränberte SDrucf, wahrfcheinlich bie grofe 6jrcitation
ber 9Ru8feln läfct Sternoptpchiben, etwa wie eine SSlinbfchleichc,
in Stücfe gebrochen an bie Oberfläche fomrnen, wie baS auch
mit Dphiurtben nnb au8 geringerer SEiefe Spnapten gewöhnlich
ift. 2Rit ÜRafruriben unb Sternoptpchiben oergefeHfchaften fi<h
Scopeliben, gleichfalls leudhtenbe fRaubftfche, unb e8 famen non
ben brei Familien gtofje 3Rengeu au8 500 %. bei ben üReangiS»
Snfeln, füblich ber ^Mjili^jpinen. 3luf ben ,£>palonemagrünben
fangen bie japaneftfchen ^ifcher ©abibcn. SlCleS baS finb php«
foftome Sifche, welche, wie tn feierten ©ewäffern, Seichen unb
Bluffen mit SBelfen, Äarpfen, Stolen, Salmen, fo in ber Sieffee
mit ben gebachten Bamilien auftreten. SDer Schwimmblafeugang,
welcher im Seicftwaffer geftattet, ben Schwanfungen beS SuftbrucfS
gerecht ju werben, fcheint in höherem ÜJtafce in ben fRioeauoerän«
berungen im tiefem fEReere auSgenutjt ju werben. 68 giebt in bet
(IM)
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Sieffee auch reine ©runbflfche an® bengamilien bet ©cblaugenflfch«,
JDpiflbiben unb ber Seufel®» ober grofdjftfdje, ^ebiculaten ober
So^ioiben, beren nädfefte 33erwanbte im feierten ©dflamme wüh«
len, ober, mie Aniennarius marmoratus Le*mn, in weiter 33 et«
breitung unb grofjer 33eränberlidjfeit im treibenbeit Sange niften,
ober mie §röfche auf bem ©bbeftranbe hülfen. Sn ben beiben au*
JDberfläcben unb ©tunbflfchen abguleitenben £>auptgruppen giebt e*
blinbe Strien, Jpnops Murrayi Günther , mit flarfen Sruftfloffen,
im atlantifdjen Dgean auö 1600 unb 1900 3., bei ben äruinfeln
au* 2150 B-, feine äugen, aber auf bem ©cheitel be§ flauen
ÄopfeS eine ooate ©teile mit burdjfidjtiger Oberhaut unb ?ed)§»
ecKgen jc^malen Säutc^en auf filbernem ©runbe. Ceratias ura-
noscopm Murray, ein jchwärglicher ffophwibflfd? au® 2400 %.
gwifcheu ÜJiabeira unb Srafitien, mit engen äthem Öffnungen
unter ben 33ruftfloffen, fleinen fouifd)en tDornen ftatt ©chuppen unb
mit unbebeutenben gloffen, hat gang Heine ^ot^fte^enbe äugen.
33ieUeicht läfjt ficb hier ber ©ebanfe oon ©aoallari anmenben,
melier bei unterirbifchen unb nächtlichen Spieren SBerth auf
SBa^me^mungen oou über ba® SRcth ^inauöge^enben SBärme«
ftralflen legt, welche bei großer 3SelIenläuge flattere SBredjung
Bedangen unb biefe in fleinen äugen mit gtojjen Sünfen flnben.
©olche äugen finb bochgrabig fnrgfichtig. 3n ber Sorre8ftrafle
fing man unter anbevn abenteuerlichen einen §ifd), weichet, er«
machten blinb, jung unter biefer £aut äugenpunfte geigte. 3ener
Uopbioibe unb ein bei ben ätü au® 360 g. gebrachter, etwa ber
©attung JDneitobe®, haben ben fogenannten ängelfltabl auf bem
&opfe fo entroicfelt, bafl man ihn betrauten barf al® ein ©inne®»
organ, welche® bic in Siefjeefchlamm nerfteeften §ijcbe Bon
ännäberung einer 3?eute benachrichtigt.
SJian barf annehmen, baff 3)taeruriben ben 5)orfchen ahn*
lieh DDn Ärebjen, SRufdjelu, ffiürmcrn, oielfach tobt nieberfatlen»
ben, leben, ©ternoptpehiben unb ©fopeliben jung oberflächlich
XIV. 315. 316. 3 (105)
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»on pela giften Spieren, fpäter ftarf einanber »ertilgen. 8opbioib*
ftfdj? frefjen glunbet unb anbete $tfd)c unb Ärebfe. ^rifd? ent«
leerte Vtägen würben wichtige Siufft^löffe geben unb bie $iicbe
als Stieffeeraritätenfammler nußbar machen. 91uf ben .ppalo*
nentagrünbeu giebt e8 Verpj: unb ©cotpaena unb in 50 nach
SBillemoeS einen §ifcb bet blinben fPbpboftowengattung Slm*
blpopfiS, A. Hermannianus (?), welcher, auf bet ©djnauge unb
am Äinn mit ffteroenorganen in ©rübchenform »erfeben, bie
nächften Verwanbten in afiatifcßen Vracfwaffern unb ben Äen*
tufp^öljlen bat. (Jinic^e Sitten einer ©attung mit flachem lan*
gern Äopfe im mepifanifdfen ©olf fchienen 91. Slgaffij bie »er*
fümmerten Stegen burch empfinblicbe fähige Verlängerungen »on
Äorperlänge an Vruft unb ©chwan^floffen 311 erfeßen. <Dte
Äontrafte fteben beieinanbet. SEßenn foloffale Vergrößerung ber
Stegen »etgeblich ift, behilft man fidj ganj ohne fte; was auf tiefftem
©runbe lebt, fommt auch iw oberftäcblichften unb im ©üßwaffer
fort, gür Die Sieffeeljaie, falls fie Ärebfe »erfdbmäben, giebt e§
bemnach gifcße genug 93eute. 9te<h bet merfwürbig »er*
mittelnbe Änorpelfifch ©bimaera , affenftfch, fommt auS großen
liefen; feine großen Slugen, ber lange fabige @chwan3, ber ge*
3äbnte Siücfenftrabl machen ihn äußerlich fammfcbuppigen Via*
fturiben ähnlich- 9lu8 einer ber großen liefen beS mejrifanifchen
©olfeS mit etwa 1900 g. erhielt 91. Slgaffij einen, wie eS fcheint,
»erwanbten, noch nicht benannten augenlofen Jhtorpelfifch mit
gigantifcßem runbem .Kopfe »on Äaulquappengeftalt. SlmphiojruS
lebt wie bei unS, fo auch in Sluftralien im feierten SBaffer.
Alrcbfe machen in antarftifchen haben Breiten etwa 20 °/tt
bet Spiere tiefer als 1000 g. auS. Von ftieläugigen Via«
laf oftra fen lieben bie furgfehwänjigen Krabben mehr mäßigeüiefe.
SDie Vermutbung, welche fich auf bie SebenSweife unb »iel*
leicht auf baS Vorfommen ber »iele guß fpannenben Macro-
cheira Kämpfen de Haan auf ben £palomenagrünben 3apan8
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begrünbete, bah 2>reiecffrabben am meiften geeignet feien, in grofje
Siefen gu gehen, ^at nicht getäufcht. Stuf bem gloribarijf finb
fffiajiben, bie Ärebfe gtie^if^et 9Dtüngen, gasreich, unb gaben eine
Slngahl neuer (Gattungen unb Strten non fPhromaja, ^>ifa, Scora,
©uprognatha, Slmathia, StnomalopuS, gambruS, SoIenolambruS
auS über 100 Stuf bem burd) ben -Riefetgittetfdjmamm ,$ol»
tenia cbarafterifirten ©runbe oerbreiten fid) Dorynchus Thomsoni
unb Amathia Carpenteri N., lefctere au 8 bem SDiittelmeer fpegi»
fifcb erachteter ©attung, oon ber fRorbfpi^e ber cfpebriben, Butt
of the Lews, big ©ibraltar. @rofje ftacblidje Stenorhrmchiben
ftnben fich auf ben ©uplecteDagrünben bei ©ebü; an SJtarion
gab eS in 310 $. fc^ön rofenrottje, grohe, ftarf beftachelte $ifa,
wäfjrenb bem Slachwaffer hoher antarftifcher Breiten furgfchwän*
gige Ärebfe fehlen. StuS großer Siefe fam bei ben §)hiHpP'nen
bie BoeJ'SHgcnbform einer blinben ftacbligen jfrabbe. Bon
Bieredfrabben geigten in englifdjen S3teeren aus 80 — 808 %.
Gonoplax rhomboide« Fabiiciu», eine ÜJtittelmeerart, unb ber
norwegifche Geryon tridens Kroyer bie Begegnung oberflächlich
getrennter. Bon ten ©riphiben Pilvmnu» granvlimanvs St.,
oon ben $)ortuniben gwei Slrten BathtynecteS unb Achelous
spinicaiyus St. fotnmen an ^loriba auS mehr als 100 %. Bon
ben n otcpobifchen Ärebfen nimmt bafelbft bie Seufoftbe Li-
thodia cadaverosa St. noch *n 40 g. täufchenb bie SGRasfe tobter
abgeriebener Schalen ober ÄoraUftüde an. 9lm wunberbarften
oerhält fid? bie fDorihpibe Ethusa granulata N., welche bei Ba*
lentia an ber irifeben Sübweftfüfte in 110—370 g. noch be*
wegliche aber blinbe Stugenftiele h“t biefe in 442—705 %. norb*
wärtS unbeweglich, genähert, gröber, fo bah Ite an Stelle eines
fdjwinbenben ftarfen mittleren Stachels ber Scbnaugenfpifce füb=
lieber 3nbioibuen treten.
Bon langfehwängigen Ärebfen fanb fich eine Keine gangufte
mit fehr furg geftielten Slugeu an ben BermubaS in 7(X), an
3* (io?;
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ben Ärü in 80 B-; SbacuS erfchien nicht tiefet als 100. 2)ie
©alatheiben lieben bieStiefjee, fie famen prächtig roth aus grofjen
liefen an ben Sibfdji. SJlit betn ftangöfifch'atlantif<hen Äabel
auS 300 %. aufgebrachte lebten mehrere Sage unb fchienen lidht*
fcheu. SJtuniba auS 530 B- auf bem ©lobigeriuenfchlamm im
wärmeren Strome an Batöer, ^ebriben unb norwegijcher üRinne
war gleichfalls fcharlachroth unb halt« grofce fupfri^ glängenbe
Äugen. SBie bie Äugen jcheinen bemnadh, fo lange noch eine
fdjwache Beleuchtung bleibt, auch bie Barben mit erhöhter 3n»
tenfität aufgutreten. SenigftenS bie ,£>pa!onemagrünbe haben
©remitfrebfe in Schnecfenhäujern, welchen, wie guwcilen im
Söiittelmeer Schwämme, fo bie ^alptheaforaQeu ben Äalf ent*
giehen.
©arneelfrebfe finben fidj gewöhnlich in Siefieenefjen, aber
gleich Bilden etwas zweifelhaft für <!perlunft. ©in ‘Palaemon
gehört gu ben gemeiuften Scl}maro$ern in (Juplecteüa. 2)er
tieffte Sdjleppgug im atlantifchen Dgean in 36° 30' 9t. auS
2650 gwifchen Sanbp £oo! unb BermubaS ergab eine, einer
nahe bem (Jap auS 2550 mehrere, einer ab (Jap SDtefurabo im
©uineaftrom auS 2500 neun grofee fchatlachfarbige ©arneelen,
welche fechS Ärten oertraten, barunter 9>enaeuS. 3®i|'chen 9)iin»
banao unb 9teu=@uinea waren folche gang gewöhnlich unb min»
beftenS eine Ärt ibentifch bei Bal)ia unb ben (Jroget’S. ÄlpheuS
fnm im ^>^üip>p>menmeer auS 1070 B- ©in ^)enaeuS auS610B.
bei Äantaou in ben BibfdjiS hat, gut Unterjtüfjung ber Buhlet»
((huppen, bie ©et&eln gweier Äaufüfje unb eines BruftfufjeS gu
unten behaarten glatten, einem Bafll’chitm umgewanbelt. 55er
mäfsig tiefe SelSgrunb bei 9teu*Seelanb wimmelt oon @at*
neelen.
3n 460 B- auf ©lobigerinengtunb bei Sombrero unb in
bet SOtitte gwifchen bort unb Berto in 1900 B- fanb bie 6h al«
lenger Ärebfe mit oerfümmerten Äugenftielen 8), eietlei<ht
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bem fofftlcn Grrpon nahe, etwa« an bie 8angujte etinnernb, gu»
weift bem glu§freb8 ähnlich, Wälemoesia leptodactyla W. S.
12 cm lang, mit 15,5 cm langen, feinen oorbeten ©cheeten nnb
©efefcung atlet fünf ©ruftfufjpaare mit ©feeren, unb W. cruci-
fera W. S. mit nur cier ©cbeerenpaaren. ©ine britte 9lrt, W.
euthria, fam an ben ^Mjiltypinen au$ 1070 g. unb fehr jahlreid)
bei Äermabef unb ben gib)d}i8, eine ber atlantifdjen wahrfchein*
lieh ibentifdje au§ 968 an bet ©aut oon £)ufatan, wäljrenb bie
©attung in bet antatftifcben Sieffee fel)lt. 25ie gamilie bet
2lftagiben bereicherte an bet etft genannten ©teile fetnet ein
blinber Astacus zalevcus W. S., 11 cm lang, burd) ©inengung
ber ©djwangwurgel an grabenbe Shalaffinen etinnernb, nut mit
btei fPaat ©dieeren, baeon bie rechte etfte faft jo lang als bet
2eib, lang, fpifc unb fein gegähnt, bem 9tadjen eines ©aoial
gleich, gang geeignet ©tetneptndbibenfifdje unb bergleidjen tobt*
lieh iu faffen. 9lud) feiere hat baö 5Reer gwifdjen ^lufatan unb
ben SettugaS in 1920 g. 5Diefe 2lugenlofigfeit tommt bem in
ben © cbeeren wenig fchlanfen Astacus (Catnbarus) pellucidus
TeUkampf bet Äentufp * ÜRammutljthßh^ gleichfalls gu. ÜDie
^ummerform 9te^hroh8 fam an äuftralien auö 275 g., an
ben ©ermubaS au§ 700 grofj mit oerfümmertem ©ehfelbe auf
feht oerfürgten Sugenftielen, eine porgellanweifje 91 rt oon 9ieu»
©eelanb au8 275 g.
3)ie burd? ©pärlichfeit ber 9ltten bei in ^auptjadjen auf*
fällig mannigfaltigem ©au fid) al8 eine wahtfdjeinliä) alte ga*
milie bofumentitenben jpaltfüfjigen äfrebfe, ©chigohoben, ahn«
liehen 8eben8, wie bie ©arneeten, ift in gro§en Siefen gahl*
reich. 8lu8 2200 unb 1000 g. gwifchen ©etmubaS unb Slgoren,
in 1920 gwijchen SortugaS unb $)ufatanbanf, in 800 an ben
9lrü würben fdjarlachrethe Gnatophausia gigas, zoea unb gra-
cilis W. S. gefunben, bie größte 21 rt über 14 cm lang, befou*
betö burch ben langen gejagten ©<hnabelfortfa$ ben $)alaemon«
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©arneelen , aber burdj unooQfommene ©ebecfung bei
Äiemen, fufcäfynlicfje Söe^affeuljeit oon fteben Sruftfufpaaren,
©efdjränfung ber Äiefetfüfje auf ein $>aar nicht jenen, fonbern
ben Uophogaftriben gujutedjnen, non anberen ©chijopoben burch
Abhebung beö ^anjerß non fünf tfyorafalen Segmenten »er*
jchicten, baburd) unb in Teilung beö lebten Schwanjgliebeö an
bie in ben Segment3ahlen abweichende Siebalia etinnernb, welche
felbft in berfeiben 2lrt wie im SJiittelmeer an Äerguelcn in 150 g.
»orlommt. 5)ie ©nathopl)aufien haben, mie jonft fd^opobijche
Ätebfe, Shtgen unb ©ehörorgane an ©ruft, Schwang, ©einen
tragen, ©jrtraaugen an ben Unterüefern beö jweiten ^)aareÖ; fte
fönnen, waß fie freffen, genau anfefyen. 3« ber jelben ©ruppe
geht Chalaraapis anguifer W. S. non ben trDpijdjen Siegionen
beibet großen ÜJieere biö in antarftifdje, an ber ©ißbatriöre er=
jefct burd) Ch. alata. ©in britter Sd^opobe mit lofem Siücfen*
d)ilb hat auf Slugenftielen ftatt normaler SHugen gro§e, teilet*
förmige glatten ohne Spur eineß Sehapparatß, Petalophthal-
mu« armiger W. S., in ben Sropen beibet SJieere, mit SJiänn*
(ben außgejeichnet burch ©erbicfung ber Buhler unb ber oorberen
©liebmafjen, an ber ©ißgränje in 1950 %. burd) ben großen
P. inermvs W. S. ohne bieje ©tjdjlecbtöbifferen^ erlebt. 2>ie
©uphaufiben, welche jene Sdjilbabbebung nicht haben, finb burd)
befonberß grofje Wirten oertreten; Euphausia ximplex W. S. ent*
behrt ber Siebenaugen, beten bie oberflächliche E. superba fedjß
$)aare an ber ©ruft hat. ©in ©eifcelfrebß, ÜJinfiö, weither bei
©rojet’ß unb Äerguelen biö 170 %. im S<hlamm lebt, hat bin*
menähuliche ©eftalt ber äugenftiele unb leere ©bitinplatten wie
9>ctalophthalmuß. So finb deutlich Sdjijopoben, im SBefent*
li(hen pelagifch, in ftarfer bathpmetrifcher ©nergie auch biß in
licbtlofe liefen ihr geben au fuhren mehrfach eingerichtet unb
eine ©ruppe mit augenähnlichen ©inrichtungen ungewöhnlicher
Slrt unb Bulle oerliert anbere SOiale bie Slugen.
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35ie gwifdjen ftieläugigeu unb fifcäugigen malafoftraten
Ärebfen oermittelnbe Orbnung ber Gumaceeu ift in grö&eten
Siefen nidjt feiten, ©gängige treten mit fonberbaren formen
reid)Ii^ auf. Unter ben sämpbi.poben geic^net fid) burdj ©röfje
mit über 10 cm Cystoaoma Neptuni Gut rin Meneville auö in
1096 %. bei Gap ©. SSincent, 1500 bei ©. $)aul’8 Reifen, audf
an ben Slru. 2)er Äopf biefeS gang burd)fidjtigen meift in 50
bi$ 100 g. fdjwimmenben, wenig Gier füljrenben ÄrebfeS iftjfaft
fo groj} atö bie fieben fRumpffegmente gufammen unb wirb oben
gänglid) oon ben Sugen eingenommen. 3)abei haben, rnaä
jtrebfen äufjerft feiten unb bei $)fyronima bem Söeibe allein gu*
fommt, beibe ©efdjledjter nur ein gübletpaar. £)en Gammarus
loricatus beö t)ot)en SRorbenä oertritt bei $earbinfel eine ä^n«
lidje ftadjlidje 8rt. Gin lämphipobe, beffen Äopf in einen äugen*
lofen Büffel auSgegogen ift, lebt bei Äetguelen in 40—120 §.,
ein gigantifdjer nalje Spljtmebia in 1600 g. gwifdjen biefen unb
ben Groget’3, eine .^pperibe oon 7 cm nur mit rotten §>ig»
mentflecfen ftatt ber Säugen in großen Siefen ber ’ärüfee. Sämphi*
poben in großer 3«bl fa«b 9iorbenjf jolb mit bem $)töoen
1875 im norbifdjen Giömeer. SDen arftifdjen ©trom begleiten
norbifdje Slrten wie Eusirus cuspidatus Kroyer , welche man auf
©rönlanb bejdjränft hielt, in englifdje ÜJteere. Gin bei ben
üEReangiöinfeln auf Gomatula in 500 g. fdjmarofjenber, in ben
SJtagenfacf eingegrabener sämphipobe ^atte gleich feinen sieben*
parafiten bie fdjwarg* unb mei&gefcpetfte garbe beö SBohnthierö
angenommen.
SDie oon SSmphipoben gu Säffeln oermittelnben Slnifopoben,
bie für ben ©djwang oertümmerten Saemobipoben fammt ben
ipnen anguhängenben $)pcnogoniben unb bie Sfopoben felbft be*
gegnen fi<h mit ben befprodjenen in auögegeidjneter unb reifer
Vertretung in ber Sieffee, in ben flaueren SBaffern beiber sPole,
auf ben ^tpoalonema* unb GuplefteHa=grünben. Von ben Sänifo*
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poben geben ©djeerenaffeht, Üanai8, mit bi§ 17 mm ©röfee unb
ben europäifd)en nabefiebenbe, im {ERänod)en grofjföpfige 9lnceu8
bübenbe $)raniga antarftifd) in bie Üiefe. an Christmas har-
boor auf Kerguelen in 150 wo £anai8, ftatt wie 91 ff ein bie
©ier unter 23ruftplatten ju tragen, fie gleich ©opepobenfrebfen in
©äcfen mitfübrt. 3Son gaemobipoben wirb Caprella npino-
mnma N. im falten ©trome an ©cf)Ottlanb in 2 — 300 & meb=
rere Boü grof? unb fdjreitet wie ein ©efpenft mit ftabförmigem
8eib unb ©reifflauen über Slieffeefdjmämme. {Rpmpbon fpannt
an ©bwarb’8 unb ©roget’8 Snfeln in 1600 %. 2', N. aby worum
N. in ben arftifdben ÜReeren 30 cm. 5Rit bem fraugöfifcben
Äabel famen ©apreQen unb $)pfnogoniben au8 300 ff. lebeub,
fehlten in 480. ©rofje 9>pfnogoniben f^at auch le 4)aoe=33anf.
JBon ben Sfopoben geigt nicht weniger als 9lrcturu8 eine gewaU
tige ©töfje bie antarftifd) bominitenbe, auf 62° @. in 1795, an
{Suftralien in 410 %. gefunbene, ootberr(d)enb im $lad)waffet
lebenbe Serolü Bromleyana , . fobalb fie in ber liefe lebt, unb
erinnert burdj bie 9lbfonberung gweier feitlidjen {Regionen oon
ber mittleren burd) 8äng8furcben an 5£rilobitenfrebfe ältefter geo«
logifcber Formation. 93on ben giftbläufen ift Aega spongiopkila
gemeinfter Sifcbgenoffe ber ©upleftefla; bie 2" lange A. naeuta
N. au8 2—300 g. an ©diottlanb 15§t oermutben, bafj mehr
berartige 33egiebungen gu ©cbwämmen befteben; 91. 9lgafftg
fanb einen naben S3erwanbten gar oon 11" 8dnge unb 3" ©reite
in 1900 %. an Dufatanbanf. ©ine augenlofe Sfopobenfamilie,
SRunopfiben, burd) ©reifbanb ben ©d)eerenaffeln, butcb 3b*
fcbnürung einiger Segmente gegen ben ibopf oon ben folgenben
bem 3nceu8 nabe, ftnbet ftd) wie an {Norwegen lebenb, fo in
gto§er antarftifdjer SSerbreitung oon @bwarb’8*3nfeln bi8 gur
{Rotbfpifce {Reu*©eelanb8. Sie unb @etoU8 würben audb bei
ben 3goren unb flernambuco, aber nicht au ben ffibfd)i gefunben,
wo 3rcturu8 nicht fehlte.
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gür bie antifen 8 i m u l u 8 f r e b f e hat fid? wohl bet beftimmtere
SeweiS bet Ärebßnatut in ben Dielen niebeten mit einigen fyöijeten
gemeinfamen fogenannten ^aupliuSlatoen, aber für bie $)ljilip*
pinenform feine größere '.Ausbreitung nad) SBeite ober SEiefe er-
geben. Sou Cftracoben fanb ftdb ton@bwarb8» unb ©rojet’8=
Snfeln biö SReufeelanb eine mit 1,5 cm fefjr ungewöhnlich grofje
©ppribina.
Son ©opepob.en wimmeln atleSJteere. ÜBon cittipebifchen
Ärebfen famen au8 2850 g. an bet norblidjen ©tenje be8 weft«
litten bet norbatlantijcben SEiefbedfen auf 9JtanganfnoDen aufge»
wachfen unb au8 2800 gmifdben 3apan unb ben ©anbwidb
6 cm grofje weibliche ScalpeUum regiutn W. T., in bet Slrt be8
SBachSthumS berjenigen@djalftü<fe, welche man ©cuta nennt, an fof«
ftle Sitten anfdjliefienb, ben Äalf burd? bicfe Dberhaut fdbüjjenb,
je 5— 9 5Rännd)en, 2 mm lang, fadfattig unb mit au8 bem ©p-
pri8*8atDenftanbe erhaltenen .ftaftantennen, unter bem Sftanbe bet
©cuta ttagenb. Sluf ben Dphiutibeu au8 500 g. an ben
SJieangiS fafjeu gleichfalls ©ktipebien unb auf ©tadjeln bet üEief-
feeigel fPhormofoma folcbe bet ©attungen 8epa8 unb SllepaS. 3n
©efetljcbaft tielet anbeter SEbiere famen fie au8 2500 g. nahe
bem Slequatcr in ber Sltlantie jwijcpen Slfrifa unb ©. $)aul’8
gelfen.
3öci(f»tt)icrc. Unter ben Ätafeu, ©ephalopoben, hatfRau»
tilu8 eine ziemliche bathpmetrifcbe ©nergie. Sei ben gibfdhi im
glachwaffer gemein, würbe er bei SDtatufa in 310 g. gefangen.
9{u8 360 g. fam eine einzige ©pirula mit bem SEb'ete bei Sauba
neita im Slrtiarcbipel, wahricbeiulicp au8gefpieen oon einem 5Ra-
ctutuS. goffile Gepbolopobenformen haben feine neuen Settreter
butdh bie SEieffee erhalten, ©epiola fam auf le £ate Sanf au8
83 g.; an ben 9Reangi8 au8 500 g. ©irroteuthid, welker, ba8
falte SBaffet liebenb, antarftifch in8 glachwaffer geht
©chnedfen, ©aStropoba, unb edhte ÜRufdjeln, gamelli*
(US)
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brandjia, geben im ‘Allgemeinen nicht febr erheblich in bie Sfciefe.
SB eit neibreitet fitib einzelne, Heine, meift »erfrüppelte Sitten.
3n 860 g. gwifchen <5ap Slntomo auf (Juba unb ©anb Äep
fanb 91. Slgaffij eine ungewöhnlich grofce 3<»bl, auch auöge*
fucht fdjöne, aber nur Don geringer @rö§e9). SDie an @ct)ino*
betmen fdjmatofcenben ©tpliferfchnecfen farnen an .polotburien,
gmifdjen ÜJtentesibeo nnb Dem (5ap auö 2650 g.; Schlamm»
muffeln bet (Gattungen 8eba, 3tca nnb Sitnopfiö lebenbig in
gelblichen! ©lobigerinenfchlamm bet atlantifdjen 2iefe auö 2740
unb nebft gernrobtfchnecfen, Solarium, auö 1900, einzelne frifd>e
Stoicufafchalen mit cjpaifijchgäbnen, nielleicbt alö gifchepcremeuter
auö 2435, ^erlfdjnecfen, SDlargarita, an Kerguelen auö 1260 unb
1675, eine grofje Solutafcbnecfe in bet ©übfee auö 1600 g. unb
ein gtofjet 3a>cifc^ater nabe 8ima auö bet S£tefe beiDet großer
5Jieere. Teneriffa gab auö 600 g. ‘Jleita, gionfta, geba, 8i«
mopfiö, IDentalium, bie fJKeangtÖinfeln auö 500 Sulla unb
Slnomia, baö roatmgrunbige Slrübecfen auö 1075 .ffäferfcbnecfen,
(Jbiton, unb ©chüffelfcbnecfen, Patella, welche fonft mehr feierten
SBaffetn angeböten. 93on ÄetmaDel biö gibfebi ftnb Area
pectuncoloides unb Limopsis borealis in 200 — 1000 g. gemein.
Äammmujdjeltt fdjmarojjen in (SuplefteHa wie Pecten vitreus
Chemnitz in ^oltenia. 8e .Space Sanf ift in 83 g. reich an gufuö,
Succinum, Stopbon, Slolbia, Slftarte unb 9ltca. pecten, fpteuro*
tomafchnecfen, ©t^ljonten unb (Snemibienfchnecfen gaben bem
fPourtaleÖplateau baö 9tnfeljen ber mefojoifchen 3ura=epocbe unb
älterer. 5>ie SieffeemotluGfen non gatßet biö ©panien ftnb nach
@mpn Sefftepö faft ade norbifct>. Srucbftücfe, welche bie
Schweben 1868 non bet ©djnecfe @uma unb ^oc^norbifdhe«
Slftatten auö 2600 g. brachten, finb faum Seweife beö 8ebenö an
folchet ©teile. Seltene bocbnorbifche, wie Buccinopsis striata J.
unb Latvrus albus J., fommen an (Snglanb gufammen mit fgnari»
fchen unb mebitetranetf^en, wie Tellina compressa Brocchi unb
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Verticordia costata Philippi , elftere rote Fusus Sarsii J. unb
Cerithium granomm Word audj fofftl, leitete bis 3apan, unb
mit mcjrifauiicbcn, roie Pleuronectia lucida. färben fehlen nicpt.
©raun unb grün geftreift ift bie SJiiefjmufcbel Dacrydium «-
treum, in 2435 %. au8 ©djwammnabeln , goraminifeten unb
(Soccolitfyen ein ©eljüufe jufammeufphtnenb, lebhaft orangefarbig
bie £ima bet Sliefiee. Slugen jeidmen grabe bie bie iicfe lieben*
ben Beeten au6, jugleid) ein Sinnesorgan unb, roie (äbelfteindjen
glanjenb, ein ©cfjmutf, $u fel)en unb gelegen ju roerben, festen
audj nid)t einem ffufuS auS 1027, nod) einer fPleurotoma auS
2098 %. SDie »on £ria8 bis Äreibe wichtigen auftralifdjen Sri*
goniamufdjeln fanben fid) an (Sap ?)orf, ©pbnep, fPort Sacffon,
StaGmanien nic^t tiefer als 35
®rad)iopoben fommen »erein^elt in ber Siotb* unb ©üb»
atlantiS auS über 1500 %. ©ie bebütfen bet ©teine, GoraQen
unb bgl. $ur »Jlnijeftung. 5Jlan finbet fte »ertreten butd) Terebra-
tula cranium uub T. septata an ben Dulfauifcbeu ©erötlen bet
§arßer, unb unter äljnlidjen Sebingungen an Jpearb’S unb Gro*
get’S Snfeln. JDeftlid? ber ^Ijilippinen fommen fie auS 2000—
2475 bei Guba Terebratula cubemis P. unb Tere ratulina
Caületi Grosse auS 270, mehrere Cistella auö 200 — 250, Wald-
heimia ßoridana P. au8 110 — 200, bei Teneriffa Megerlea
truncata auS 10 3m ©äugen fefyr oerbreitet, finb fie nad) Strten
unb Snbioibuen nic^t fefyr galjlreid). Stieffee an oulfanifcpen
gänbern bürfte in alten Gpodjen itjrer Gntfaltung günftig ge*
roefen fein. 8ingula fam übrigens im ©djlamm non Gebü, bem
geologijdjen alten gladjbecfen, in ÜJiaffen oor.
törtjogoen finben fi<^ bei 3apan bis 3125 in fonft
fterilen Legionen oon 2000—3000 g. mit befonberS fdjßnen S3icel*
laria unb ©alicornaria. SDie in bet Siegel oergroeigten formen
ftreden bie 3»t>cige; bie ©tiele ber gum fangen benufcten 23ogel*
fßpfdjen, ISmcularia, unb ©eifjeln, SSibracula, ftnb befonberS lang.
ai«
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3)aS fiel auf bei einer Slrt auS 2500 g. ab (5ap fERefutabo unb
bei einer au8 2175 g. in bet SRorbatlantiS maßen bie ©fiele bet
Stoicularien 4— 5 mm. garciminariaäßnlidje Ralfen ftd) SORangelS
©runbeS gum Stufroadjfen bafelbft in 1900 unb 1950 g. mit
23etanferung im ©cßlamm. gepraliaäfynlidbe nabmen bie gietlidje
©fulpfut mit in über 2000 g. 5Bor allen reigenb mar Nar&ria
cyathus Wr. T. aus 1525 g. bei 6ap @. 33incent unb roeiter in
1950 auf einem fonifdjen burdjftd)tigen ©fiele, gleidj bem eines
©tengelglafeS, 6 cm ljod^r mit gierlicßem äfrang gafylreidjer freier,
langer gäben, jeber mit gereiften fPolppengellen, fdjeinbar frinoib*
artig unb IDictponema ber fambrifdjen Seit äßnlidj.
Stfiönteltßiere. ©ine fußßoße ©pntljia mit erbfengroßem
^»irnganglion fanb fiep öftlic^ ber $)l)ilippinen unb in 55 g. in
ber fDiagßellaenfttaße; Soltenien maren nir^t feiten in mäßigen
Siefen.
äöiirmer. Sßon SSorftenmürmern, Slnueliben, fommen
fRöbren bilbenbe gotmen in ben allergrößten Siefen Der, mo gu»
meilen nichts al8 fie Ijerauffam eine Slmmodjaribe, fDlptiodjele,
12 cm lang, mit nur 17 — 20 Segmenten unb ofyne Äopffiemen
au8 2975 im altantifdjen JDgean, bei ben gtbjdji au6 2900,
gmifcben 3apan unb ©anbmid) au8 3125, leere non Söürraern
auS fleinen ^olptßalamienfcbalen gebilbete fRöfyren tiafye ben
S3ermubaS auS 2650, im Schlamm grabenbe auS 1875 unb
2800 füböftlidj 3apan. 3n 2500 g. ab ©ap SDiefurabo gab eS
neben folgen eine Ülrt mit SRütfenfiemen unb langen meifjen, in
©elenfen geglieberten Sorften, non bem atlantifdjen Plateau auS
1525 g. eine ©upljrofpne. 3n ben norbifdßra ÜJieeren, oorgüglid)
ber fPorcupineauSbeute famen fte auS 2435 unb 1443 g. 3n
Siefen uon meßr als 300 g. »ermißte 6l)lerS non allen non
SJlalmgrön für biefe ßlaffe aufgeftetlten gamilien nur gmei
ftranbbemobnenbe , bie Seiet laufen unb ^ermelliben, unb ßatte
fieben Sitten in einem 3uge aus 1380 g. @8 gab auS jenen
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©ppebitionen nur Syllis abiasicola Ehlers, weldje nid)t weniger
tief alö 1000 g. »orfam, unb nur einige, welche 500 %. alß
fDlinimum ju »erlangen tienen; bie bathpmetrite ©nergie ber
©injelnen ift fehr grofc. ©on 52 8trten, welche 500 %. über«
fc^ritten, tienen für jefct nur 10 nid)t in ber ^unbertfafcenlinie
»orflufommen, bathpphil ju fein. 5 )a marine SBürmer nid)t auf
frijc^e fPftonjenfoft angewiefen finb, fällt eine Sdjranfe ber ©er«
breitung weg. ©o finb aud) bie ©efonberheiten geringer unb
bie aufjerorbentlte ©rö&e ber Strten anberer Älaffen fcmmt nid)t
»or, wenn gleich non ©rube betriebene Äerguelenformen nid^t
gerabe flein finb. Farben fehlen ben SLieffeeformen in ber ©egel
nicht, bie $rten tiefer alß 500 finb jeboch meift äugen«
loß, auch wenn nahe ©erwanbte tSugen haben. 2)ie Temperatur
beß ©runbwafferß hat biefelbe ©ebeutuug wie für ©erbreitung
an ben Äüften unb ber arftijdje ß^arafter herrfcht cor. ©ei
ben §ibfd)i fehlten feiten Ctpbrobitajeen, ©bjeriben, ©Ipmenibeen;
ähnlidj war bie Sußbeute bei ©nofima; le #a»e ©anf halte in
83 §. reiflich Slphrobite, Dnuphiß, ©abetla. ©ine äphrobitagee
tmarofjt in ©upleftetia; folche an Gomatula fügten jtcf) in
gatbenanpaffung.
©on ben SJiubbwürmern, ©ephprei, geigen einige eine grofie
©erbreitung, Halicryplus spinulosus von Siebold »on ©rönlanb
unb ©pi^betgen biß gut Oftfee, Chaetoderma nitidulum Loven
»on 15 §. an ©djwebenß SBeftfüfte in bie Tieftinne, in 664
an ©chottlanb unb in 390 in ber Gulebra*§)affage. ©inige Slrten
übernehmen bie ©ermittlung jwifdjen befannten, wellte fdjarf
getrennt tienen, 8eioberma »on ‘Uni auß 1945 %. gwifchen
Tbalaffema unb ©chiutuß, inbem eß ben Elfter bem ©orberenbe
genähert hat unb bed) beß SRüffelß entbehrt, jwiten ©ipuncu*
üben unb ^riapnliben. ©ternaßpiß fam an 5ieu«©ee(anb auß
700— 1100 3m ©angen gehören bie ©ephpreen antarltifd)
bem festeren SBaffer an.
(UT)
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S)ie bis batyin nur an Gomatula parafitifcb befannten,
für iljre ©tellung etwas ftrittigen SJtpgoftomiben Ijaben
fid) nicht allein an jeuen in raeift mäßigen liefen, wie
bei £alifar fo im SRoluffenmeer, fonbern in neuen ©attungen
mit grofjen 9lrten, gefeflig eingefapfelt an ^entacrinuS in 500 g.
unb an anberen 9)entafriniben SSatl)Bcrinu8 unb ^pocrinuö in
1375 g. gefunben.
SBie biefeö ©cbmarcfjerleben gebt aud) baö ber Siunbaiirmer,
sJiematoben mit in grofje Siefen. ©ie Sieffeegarneelen im
©uineaftrom unb an @. $)aul’S gel§ in 2500 g. waren non
großen ©crbiuSartigen SRematcbenlareen infigirt unb freie buufle
9tematoben fanben ftcb im Sieffeefcblamm bis 1950 g.
©in abgeriffeneS ©tue! au8 2500 g. ab Gap 9Jie|urabo
geigte, bafj bie burd) ibr Äiemenftabwerf auSgegeichnete ©attnng
S5alanogloffuS in ber Sliefe eine aufserorbentlid) grcfje ärt ba*-
^olpgorbiuS fanb fid? bei Sapan.
Stachelhäuter (<gd) in ob er men) ftnb bis in bie SEiefe non
1000 gaben reich unb mannigfaltig unb beftimmen bauptfäcblid) ben
©barafter. 3n ben antarftifcben Siefen non mehr atS 1000 g. finb
fie nod) etwa8 reidjUcbct als Ärcbfe, weniger ftarf ift bie Ser*
retung in gang grofjen Siefen. Sie geben bie größte Sereidje*
rung für Suffaffung bet Älaffe unb ftarfe Serbinbung mit net*
gangenen geologifcben ©pochen. ©ie anatomifcbe UnteTfudjung
mag entleiben, ob eine äußere Annäherung merfwürbig vom
©ewöbuli<ben abmeidbenber regulärer unb irregulärer ©eeigel
auch eine beftimmte innere Serbinbung biefer Älaffe mit ber bet
©eewalgen bebeute.
SUie (Seeigel ftd? böufen fonnen, geigte ein Bug, welcher
non bem Plateau bei bem ©betlanb’S 2000 ©tue! Echtnus nor-
vegicus Düben u. Koren brachte. Cidaris papiüata Lenke, an
ben englifchen jfrlften äufjerft feiten, erwieä fich in 250— 500 g.
als biegemeinfte Art. ©ieSiefenßerbreitung regiert bie geograpbifche.
018)
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2)ie an engliidien Äüftc« wenig tief lebenben Echinus Flemingn,
esculentus, Psammechinus miliaris , Echinocyamua angulatu 8,
Amphidetus cordatv s unb S patangv* purjntreus , unb tuelleicbt
alö Siefform S. Raschi, f dienen gunädjft fpegififd) celtifcb; au8
v mittleren Siefen Cidaris papillata , Echinus elegans, norcegicus,
rarispina, Btissopsis lyrifera , Tripylus fragilis waren audj al8
ffanbinaoifch befannt, bie 93arietät gu C. papillata C. hystrix,
bie wahrfcheinlid) bamit 311 oerbfnbenbe 6'. ajfinis, E. melo ,
To xop neuste* breoispinosus , Pmmmechinus microtuberculatva
unb Schizaster canali/erus and) an Portugal unb im SJlittel*
meer. 5Die in abpffalen Porocidaris purpurata, Phormosoma
placenta, ('alveria hystrix unb fmestrata , Ncolampas rostella-
tus, Pourtalesia Jeffreisii unb phiale bei ber pi'rcupineejrpebition
nertreten gefunbenen neuen ©attungen famen gugleid) oom ^>our*
tatesplateau. Stber bie ©baUenger fanb auch in 425 %. bei
9l8cenfion unb in 1000 bei Srfftan b’Slcunfya E. Flemingii,
welcher alfo mit bem Plateau gebt, unb C. hystrix in 460 %.
bei Sombrero. ©cbinocpamuS, welcher bie 3ugenbform 3U ameri«
fanifcben Stolcnoclppu8 barfteüt, fc^eint mit E. angulatu s nur
einen »erirrten .Kümmerling oon ben 2lntitlen mit bem ©olf»
ftrom aubgefenbet gu haben.
2)ie fpecififd)en Sieffeeecbiniben fdjliefeen fid> an bie Äreibe»
3eit. $>orcuptne braute unter 59° 46' 9i. au8 445 bie gro§e
Jaminrotbe Ccdveria hystrix W. T., welche ftatt ber ftarren Seeigel»
fapfel bie einjelnen glatten weich oerbunben hat, badjgiegelartig
fleh beefenb, in ben fü&chenreidben 00m fölunb gum Scheitel, in
ben füfjchenlofen in umgefebrter Drbnung, fo bafj ber 3gel plofc»
lieh wie ein ^fannefudjen gufammenftnft, bagu befonbere Heine
Blättchen für je gwei §)aare oon güjjdjen unb bie güfjchenplatten
»on ben füfe^enlofen überragt, »erinnevlicht. ©ine anbere 9lrt,
C. fenestrata, fanb fief? an ©chottlanb, Srlanb unb Portugal,
©ine britte Sorm, auch biegfatn, hoch mit nur wenig fi<h beefen*
tu»)
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ben glatten bört wegen ber 9lbfd)wää)ung bet (Sljaraftere bet
Bü&djenplattenreiljen auf bet SRunbfeite einer befouberen ©attung
au unb würbe con SSoobwarb auf Äteibefoffile bezogen: Phor-
motoma placenta ((foyitög = Äotb). JDiefe finben ifjre nädjften
SBetroanbten in ber Echinothuria ßo>Hs bet Äteibe, Ratten biö
baljin eine Sßettretung in bet lebeuben ©djöpfung nicfyt unb fon=
ftituiten bie gamilie bet ©djinotijuriben. ^Ijormofoma fam and)
mit P. urantts VT. T. au8 1525 %. bei 6ap ©. Vincent, au8
ben ©uplefteQagrünben con Gebü, Phormosama hoplucantha
W. T. con ©noftma, wo ba8 japanifdje £palonema geftjdjt
wirb, au8 565—770, weitet auf bem 2öege nad) ben ©anbwidj
aud 1875—3125 fr, an Stuftralien in 410 fr @8 wie8 biefe
le^te Slrt nad), baff eigentfynmlidj fdjaufelförmige ©nben bet
©tadjeln bet SJtunbregion gum ©djlammumroüfylen bienen, bamit
bie ungewöijnlitie Befeftigung bet fDiunbgone unb bie ftarfen
©tad)elmu8Eeln , cielleid)t, im 9lu8tauf$, bie SSeroeglidjfeit bet
fonftigen Äapfel erläuternb. Pourtalesia miranda A. Agassiz ,
an froriba gefunben, certritt bie com Unteroolitl) biö gut
Äreibe befannte, für auSgeftorben erachtete frimilie bet 2tnand)p*
tiben unter ben irregulären 3g ein. 55ie ©djale ift niebrig, fd)mal
geftrecft, läuft hinten in eine Strt unter bem öfter abgefefcten
©d)wange8 au8. SDrei 8üf)d)enreil)en oon ootn gum fRücfen treten
rafd^ apifal com SDlunbe mit eiet ®efd)led)t8öffuungen unb bet
SBtabreporenplatte gu einem ootberen ©djeitel gufammen, wäljrenb
bie beiben anbeten central nad) hinten laufen, eine ®d)leife bil*
ben unb rücfroärte nal)e bem Öfter einen Hinteren ©Reitel«
punft erteilen, melier con bem corbeten burd) eine befon«
bete ipiattengruppe getrennt ift. 5)iefe ©attung finbet fid) aud)
an ©djottlanb in 2800 fr gwifeben 3apan unb ben ©anbwid),
in 345 an ©nofima, in 7—1100 an bet Dftfüfte con 9teu»
©eelanb, in 1600 an ©bwatb’8 unb ©roget’8 Snfeln. @8 fdjliefjt
fid) an Alceste bellidij'era W. T. bei ©anbß ^joof au8 1700 fr,
(12U)
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mit Hinterem ©cbeitel, in einer, faft ben gangen Stiicfcn ein»
nefymenben ©enfung bie porbeTen giifjdjenbabnen bergenb, treidle
gmei JRei^en an ber ©pi£e mit großen Don Äalfplatten geftüfjten
Scheiben blumenartig enbenbet güfce tragen, «nb Aerope rostrata
PT. T. au8 1240 auf bem, wie bei ^ourtalefia, com Slfter
nad} porn mit 5JtflbenpDrenpIatte unb uier ©enitalöjfnungen ab»
gerücften ©cbeitel mit 8 — 10 feljr gro|en plumpen SRßfyrenfüfcen
ber potbereu Sahnen unb großen Sentafeln am fobügen SRunbe.
3n 2650 g. gegen bie 3?ermuba8 bin fanb ficb, 3 cm gro§, bie
ber gemeinen Ananckyte» ovata ber Ä reibe febr nabe Calymene
relicta W. T. mit gtrei ©Reiteln unb nur gtpei ©enitalöffnungeu,
n>abrf<beinli<b ibentifc^ 20 cm grofj aud) pon Sriftan b’Slcunfyj.
Uebereinftimmenbe Slnancbptiben ^aben 3nan gernanbeg unb
93aIparaifo; SUcefte finbet ftd) aud} bei SJfonteoibeo in 1900 g.f
bei 9leufdjottlanb, ©omera»3njel, 9ieu=@eelanb, 3apan. iSnbere
©attungen petbinben fid) mit Snfulafter unb SDlicrafter ber Äreibe,
9>aleopneufteS au 8 100 g. bei SöarbaboS eng mit bem foffilen
afteroftoma au8 duba; 9leolampa8 fietjt fdjon ben heutigen
Spatangen ähnlicher. $)ie meiften abnormen formen finb mehr
antarftifd) ale arftifdj. Sud? bie ©aleniaben, mit einet übet»
gärigen ©djeitelplatte, eine früher bet treibe au8fd)lief)licb gu»
geteilte, nun aud) mit Salenia terticuria Tate in auftralijcbem
©iccan gefunbeue gamilie regulärer 3gel finb in <S. varispina
A. nidjt allein an gloriba unb in 390 g. in ber du»
lebtapaffage, fonbern aud) in 15*25 g. an dap @. S3incent, in
1800 ab dap Sltefurabo, in 1425 bei Sriftan b’^cunb« lebenb
gefunben. ©ine Sammlung pon Sieffeetgeln gleißt meljt ber
jfreibegeit als ber gauna geringer Siefen europäifdjer SJleere.
antarftifd) fommt bei dcbiniben wie bei anberen dcbinobermen
befonbere Srutpflege not. Goniocidarie canaliculata Ag. beiratjrt
unter ©tadjclgruppen nabe ben ©enitalöffnungen, Cidarü nutrix
W. T. am 9Jtunbe bie ©mbrponen, bis fie, einige ÜJtidimetet
XIV. 315. 316. 4 (131)
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gtof), ©eftalt unb eigene ©dbufjmittel DoHenbet haben. Sei He-
miaster Philippi Gray an ben galflanb’8 unb .Kerguelen bilben
bie eiet feitlidjen gü|(^enplattentei^en, in bie btumenförmige
gigut be8 SHücfenö eingebrüeft, mit oerlängerten unb nerbünnten
Slattdjen Üafdjen, in melden bie großen ©iet bureb ©tadeln
gebeeft liegen.
SBenn ba8 holothurienattige 5Su8fehen bie §)ourtaleften unb
bie Siegfamleit bie ©aloerien unb ^Jjotmofomen ben ©eeroaljen,
^olothurien, nähert, fo fommt bem ein wenig Psolas ephip-
pifer W. T. doh £earb’8 3nfel auö 75 g. butd) bie ftarfeu Ser*
falfungen be8 9tüden8 unb Drbnung pilgartiger glatten gu einet
Srutbecfe entgegen. 2)od) finbet man in bet Üiefe, au8 welken
ba8 Sdjleppnefc fte befonberS leicht beraufbringt, bie £olotl)urien
Jalfarm, felbft füt bie ©tücfe beö 2Runbring8, geleeartig, tl)eil8
glaöattig heß mit butchfdjeinenben unb nidjt unwal)rfd)einlid)
leuc^tenben ©ingeweiben, ttjeilö gefärbt. &ing8 unb quer mit
Äatmoifinbänbetn !am eine au8 1900 %. auf bet ?)nfatanbanf.
©ine fdjon niolette 2lrt, wie jene nahe ^)fclu8, füblid? ©. Sin*
cent hatte bei enger 2eibe8l)öfyle auf bem biefen gelatinöfen Jftitcfen
garte Äiemenblätter in Setbinbung mit einem Stmbulafralgefäfj.
3n ben antarftifdjen liefen gab e8 bei 2600 bei ©ap 93te*
furabo in 2500 oiele «^olothurien. 3n 2 — 300 %. fanb frei? an
©djottlanb bie garte Echinocucumis typica Sars, einmal audj
P«olm aquamatus Koren in fetjr großer 3a^l. §üfjd)enlofe ©au*
bina fanb man in 7 — 1100 an Dftneufeelanb. Sefonbere
Srutpflege hatte ein $)[olu8 an ^earb’8 3nfel unter ber gelobe*
nen 3tücfeni)aut. 3n Stanginfeln Don Macrocystis pyrifera lebenb
mit fe^r gtofjen baumartigen Slentafeln oerfehen, trug bie burdb»
fi^tige Cladodactyle crocea Lesson an jeber IRücfenfufjreibe etwa
ein SDufcenb 3unge, welche auch gro^e Slentafef, aber bi8 gut
@rö§e oon 4 cm fümmerlicbe @o^lenfü§e Ratten, ©ine Heine
©hirobota nahe 3afon’8 3nfel an 5Raghellaen g eignete ftd? burdb
(IM)
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3aljl unb ©röjfe bet fRäbtpen in ber $aut au8. £Die Subftaug,
welche eine 10" lange ©eleebolottjurie au8 1975 %. bet Süb*
fee unb anbere purpurn färbte, gabfBiojelep faft genau baffelbe
Spectrum roie ber garbftoff ber 2lntebon.
©ee ft er ne finben ftef) in allen mäßigen Siefen, bie 1853
non SfbSbjörnfen entbeefte ©rifinga Don Sabrabot bis in bie
antarftif^en SDfeere überall in 400— 3000 g. SDutcb ©djlanf*
beit unb Sänge bet an ber SBurjel eingeidjnürten breigebn 2lrme
unb ©nge be8 |>D^lraumö ben Dpfyiuriben genähert, unter ben
©eeftenten am nädjften bem Solaater pappoaua Forbea , fxnbet
B. coronata Sara ber SRorwegifdsen Äüfte nad) fRorben unb SBeften
©rjat} unb ©efeDftbaft in ber glatten B. endecacnemos Absbjörnsen,
beibe pradpooH farmin, in Drange unb ©djarladb fpielenb, ba8
ganje €Re^ erleudjtenb, eine Gloria maris. £Die 3roeite 2lrt fdbeint
gemßljnli^er. ©riftngen famen in 2350 g. bei iÄScenfton, in
390 in ber ©ulebra=^affage, in 1525 in ber fftorbatlantiS, in
1250 an 97eu*®(f}ottlanb , an Kerguelen unb Jpeatb’S Jnfel bi8
in 62° ©., gmii^cn 91pi unb ©ap 5)orfin 2440, bei ben 5Jleangi8
in 2000 unb mefyt, in 2600 auf bem 23eg dou Japan nad) ben
©anbn>id>. SDie Derbreitetfte Sieffeegattung ift .£>pmenafter,
beffen Slrme burdj eine 3arte SJfcmbran mit rippenartigen Stäben
Detbunben fiitb, rei<b farminroib bei ©igo in 1125 g., mit H.
pellucidus in 5000 g. bei ©cbottlanb, in allen Steilen be8
großen DceauS dou 400—2500 Siefe, mit H. nobilis W. T. in
1800 g. bei Sfuftralien, bei ©nofima in 565 unb 770, bei ben
©leangiS 3ufeln in 1070. 3n ben feljr tief lebenben gehören
bann Straftet, ber abfonbetli^e ©orcellauafter au8 2350 g. nabe
Slgcenfton, melier fidj burd) lange Stapeln längs be8 5Rü<fen8
jebeS 3rm8 auSjeidjnet. fföeljrere ^aben befonbere ©rutpflege;
Leptychaater Kerguelenaia O. Smith bewahrt bie Jungen jicifcpen
ben fäulenförmigen ©afen bet Stifteten, $)a;rillen, feiuer (Rücfen*
baut, bis fie in ben Slrmeden auSfriecpen; Hymenaater nobilia
4* (123;
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unb ähnlich pterafter haben am ©djeitelpol fünf gro&e 33rut«
Happen, ein falflanbifdjer Slfteracantbion bilbet eine Srutbe»
»abranftalt burd) ©infdjlagen bei 2lrme übet ben Pt unb »ie
im Serben Echinaater Sarsii M. T. . 8uibia, Slftrogonium,
äftropeden, bet leudjtenb rot^e Boteafter finb fämmtlid) in ber
üieffee gefunben. £Dte ^>ofttion in 62° @. mar in 1800 g. reich
an großen ©eefternen.
©urpaliben fanben ftdj an $earb’8 Bnfel, Kerguelen, ©abia,
am SiuSgang bet 5Jtagbellaenftra§e bei ©ap ©itgin mit Scheibe
Bon 3—4". — 3?ie Dpljiuriben gehören ju ben Berbreitetften
©ewobnern bet SEieffee, unter anberen bie ©attungenDpfjiomufium,
»riebe ihren Flamen nach ben mofaifartig feftgefügten Äalfplatten
hat unb bei 0. eburneum Bon gloriba am meiften Berbient, unb
Stmphiura. S5ie ebiienifibe ISmpbinre ift non einer arftif^en nicht
3U unterfdjeiben. Ophioceramü lanuarii nerbreitet ftd) oon Jßeft*
inbien bis Patagonien, Ophiomusium Lymani oon fßormegen
bis füblid) ©ap ©inceut in 1090, bei PemScbottlanb in 1250 g.,
in 1000 g. bei Striftan b’&cunba; eine 2lrt fanb fi(b an ben
©ermubaS in 2650 g.; OpbiopboliS bilbet bie ^auptfpeife ber
.Kabeljaue. Ophioglyphe bullata ftnbet fid) in 2350 g. bei
Stöcenfion , eine 9(rt in 2650 g. bei ben ©etmubaS. Sind) bie
antarftifdjen Dpbiutiben haben für gebenbgebären unb ^Brutpflege
neue Späten gebracht. (Sine Dpbiacantpa non ben galflanb’8 ift
lebenbgebärenb ; Ophioglypha hexactis E. Smith (vivipara W.
T.) non Äerguelen mit 6—9 Firmen, trägt ihre Bungen auf bem
SRücfen mit fid). SDiefe ftärfere ©rutpflege antarftifeber ©ebino*
bermen »itb auf bie für ©cbmärmen bet 8aroeu iu ©iS unb
©iSfcbmelje ungünftigen Serhältniffe bezogen »erben bürfen.
©on ben £aar* ober gieberfternen, ben ©tinoiben finb bie
im .peranroaebfen jeitig abgelöften ©omatula ober SIntebon in
grofjer Pienge an 9torb»tSmerifa, 51 g. bei ^alifay, 1250 g.
bei 9leufd;ottlanb, bei ©. Pauls gelfen, jablreid) in 7 — 20 g. bei
(124)
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33ahia, an ©ronlanb, an ©chottlanb unb ^Norwegen, im ÜJiitteU
meet, bei ben 9Jleangi8, bei Gnofima in 565—770, weiter ab
ton 3apan auch in 2800, an Gap $orf in 8 — 12 fr gefuuben;
e8 giebt aber barunter minbeftene einige tetfdjiebene Sitten.
{RhijocrinuS, jwifchen Slntebon unb bem 23ourgeticrinu8 ber Äteibe
ober bem 93elemnocrinu8 ton 3owa oermittelnb, welcher ftdt> auch
erroacbfen mit ben 9ianfen im ©flamme feftflammert, in fd^tanf
aufgeworfenen in gütlichen ^rrnen entfalteten SBäumchen, war
anfänglich nur in R. loffolemü Sars au8 bet 5Rorbatlanti8 be»
fannt. fPourtaleS braute bagu ben größeren Rh. Rausonii
ton froriba, welchen bie £afjler an 33arbabo8 in 80 — 120 fr in
einigen Gjremplaren wieberfa nb, welche 10 — 12 ©tunben lebten.
91. Ägaffig bflMe bei ©anb ^ep auf frl8grunb ba8 9ie^ fo toll
9U)igocrinen , a(8 fei e8 burd) einen SBalb ton ihnen gegangen.
JDie erfte 2lrt finbet fidj auch in bet Gulebra=|)affage in 625 fr,
gabireich bei ©anbp £oof in 1350, in 400 bei Portugal unb
gwifcben @. 'JJiiguel unb ©. SDRaria in ben Slgoren, auch ange»
bohrt ton ©tplifer, in 1000 bei Jriftan b’2Jcunha. 3®ifd}en
Slntebon unb IR^ijccTinud oermittelt für ben Stamm ein wenig
ber garte Bathycrinus gracilvs W. T., guerft in 2435 8. in ber
33ai ton 93i8faja gefunben. B. Äldrichianus W. T. fam ab
Gap 9Refutabo au8 1500 fr, mit 20 — 25 cm hoppelt fo ho<h
alö gutor. Gben bort fanb ftch bem paläogoifehen ^MatpcrinuS
nahe Hyocrinm bethelliamus W. T. mit einem Äelcpe ton 6 cm
auf einem ©tammftücf ton 17 cm, beffen für je, feft gefügte
©cheibcpen ben §)entacrinu8 näher ftehen, bie gleiche ©attung bei ben
Grogetö in 1375 fr, bei ben 2Jteangi8 in 2325 fr 3« ben be»
fannten großen ülrten biefer ©attung felbft, ber felteneren P.
atterias L. unb ber etwa8 häufigeren P. Müllen (Jerstedt au8
bem UntiDenmeer, fanb an Portugal 3efftep8 1870 in 1095 fr
ben fleineten, am ©tiele auch ranfentragenben P. Wyville-
Thomsoni J. unb in 400 fr bie Ghallenget ben nahe ftehenben
<1M>
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54
P. Maclearanu8 W. T. purpurfarbige grofje Peutafrinen |d)ei=
neu lofal befdiränft, bodj in liefen non 3—500 g. gemeiner,
als man bacpte. ©ie fiub jahlreich in 100 g. auf ben 6uplef«
teüagtünben »on 6ebü, an ben Äermabefinfeln in 630—650, an
ben Äepinfeln in 126, an ben ÜReangiS in 500, an Sanglao unb
©iquijor in ben Philippinen in 375 g. Unzählige ©tielglieber
nnb Slrme bebecfen ben ©runb nörblid} non 6uba. 10) Der ftieltofe
Holopus Rangii d’O ., melier burd) einen gtfdjer an 23arbabo8 an
ber angel gefangen mürbe, ift auch in einigen meiteren ©tücfen
»orgefommen. 6in 2Rr. SBertram auf ben SöermubaS bejah
ein nahefteljenbeS Snbioibuum non f" 8änge unb ein junges
fam au8 2 — 300 g. in bie .£>änbe non a. agaffij. Diefe
lebenben armlilieu bilben nunmehr eine anfehnlidje, manuigfal*
tige {Reihe. Plan fieht mit Segietbe ber 3«it entgegen, mo bie
Slnatomie non ihnen allen gemacht fein mirb. Da8, ma8 feit
^unbeTttaufenben »on Sahten nergangen fdjien, lebt mieber auf
©i$tMtmnpolt)pen. Da am (Schlepptau brei neue arten
non ©chmimmpolnpen, ©iphonophoren, Rkizophysa conifera S.,
R. inermis S. unb Bathyplnjssa S. abyssorum häufig, babei regel»
mäfeig im abftanb »on 12—1500 g. con beffen Anfang hingen,
fich aber nie in biö ju 200 g. cerfenften SDberftöcbennehen fingen,
glaubt n. ©tu ber, bah felbige in gebachter Siefe fchmimmen.
CutaDen unb ^iolppcn. au ^»pbroibpolppcn gab bie
Pourtal48ejrpebition unter 71 arten 64 neue, befonberS viele pln«
mularien, non melcben jmei, mie audh Sertularella Gayi, ibentifch
mit europaifchen arten. ©ech8 arten famen au8 Siefen »on
mehr al8 300, gmölf au8 mehr als 200 g. L'ladocarpus para-
düea Al. erreicht 14“, einem »ergmeigten geberbufch ähnlich,
Aglaophenia rigida Al. 9", mehrere anbete arten 6—8". 68
fommen bis in nicht unbebeutenbe Siefen, 90 g. unb mehr,
gpmnoblafte gormen not, bei melden menigftenS bie Ptöglichfeit
onrhanben ift, bah bi« tiic^t mit Äapfeln umhüllten ©ejdjlechtS*
C1Ü6)
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55
fncSpen als ßuallen frei werben. SBeber in hob«* Sreiten fei}«
len bie .^pbroibpolppen , nod} in großen liefen. Eydrall-
mania falcata get)t an (5uropa Don 5 — 542, Thuiaria articulata
oon 50 — 632 Sertucellaria polyzoniae Bon ber glutbgrenge
biö 374 g. 3»ei £l}uiaria famen au8 SBaffer unter 0° au8 640,
eine 8afo€a au8 345 g., ©tepbanocppbuS auf 2BaIfnodjen ab
Sabia au8 2275. (58 gab ihrer in 1525 g. auf bem atlantifd}en
Plateau. 33ei ber ^orcupinefabrt fam ein fpäter oetloreneS au8
2435 g. £Die Ärone ift ber rotb unb gelbe, ber ©attung (5orp*
morpba nabe 9Jtonocaulu8, 2 m bod}, mit Äeld} unb Sentafel«
frang Bon 40 cm au8 1850 unb 2900 g. im SRotbpa^ifxfc^en
SJteer. ©ine oftomiben quälte ©afftopeia fanb ftch im
gijcbnej} au8 2040 g. füblid} OKontenibeo unb nod} einmal.
Söeifje lebrige Slftinien famen ab 3apan au8 565 g, gu«
weilen gro|e au8 gröfter Siefe, ab 3apau au8 2050, 2800 unb
3125; fdjeibenförmige SDiSfofomen au8 1315 g. bei 3uan ger«
nanbeg. @8 gab Biele Slftinien auf ben ©uplefteüagrünben. (Die
(5ingeweibe ber weiten Sieffeeaftinie finb mit bemfeben rotben
garbftoff, ^olpperptbrtn, gefärbt wie ©eratotrochuäpolppen.
fDieÄorallen ber Sieffee leben in ber Siegel colonienweife
auf gel8grunb unb finb meift folitäre Surbinoltben. gaft alle
©attungen greifen in bie Sertiärgeit, manche weiter. 33on
42 Sitten ber §)orcupine batte feine bie geßigeu äußeren Auflage*
rnugen, wie fie bie fRifffotaUen gröberer üJteere oerfitten ;
9 jener Slrten finb gugleid} pliocän, eine miocän, eine gehört ber
Äreibe an unb fünf finb älteren ©pochen oerwanbt. 3b 80 —
120 g. finb bie gabireichen Sitten bei ©atbaboS ben tertiären
©uropa’8 uiel ähnlicher al8 benen Bon SBeftinbien, fo baf* 40
©attungen, 22 tiefe, 18 litorale, meift Sftipilbuer, übereinftimmen.
35ie Sieffeefauna ©uropa'8 fchob fid} weftwärts unb erhielt fleh,
al8 bie 3öeftinbien8 gröfetent^eilS unterging. fRur 10 ©attungen
erreichen nad} SRofelep 1000, Bier 1500g.; über 1600 unb burd}
a*7)
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56
ade Jiefen bou 30—2900 geljt nur Fungia symmetrica P. 2Bie
•in ber Strafje Don Sloriba in 350 — 450, finbet fte fi^ in bet
•iRorbatlantiS unb in ber SübatlautiS mit 60 ©rab SDiftang, im
nörblidjeti ^)ajifi{^en Sföeer in 2850 %. mie im f üblichen unb
an ben SJloluffen, gebeizt auf jebet SJobenart, auf ÄotaDfchlamm,
auf ©[obigerinen, wenn aud) zerbrechlich bünn auf [Diatomeen unb
rotbem Jhon, jmiftben ÜHabraciS, in Jemperaturen Bon 1—20°,
fam auö 2300 %. mit reifen ©ietn. ©inige bet einfachen ju»
fammengebtücften ^labedum finben ftd) gleichfalls tief, F. laänia-
tvm in 400 §. an ben gatoet, F. dütinctum an Portugal, F.
alabastrum M. in 1000 %. ab SRiguel, F. apertum M. , F.
angulare M. in 1250 lefctereS auSnahmSweife nad) ber 3<chl
fünf georbnet mit 40 Scheibewänben , anbete oberflächliche auf
ben ausgezeichneten ©rünben ber 9trü unb Bon ©ebü. 2tuch Ber*
wifcheu ben gewöhnlichen 58 au bie Stplafteriben , welche alle
Scheibewänbe gleich unb, wie SarS an 58Dopota entbecfte, bie
Jentafel nicht auf, fonbern jwifchen jenen hoben, in mehreren
Sitten non Stplafter in ber weftinbifchen $rotinz, an Sluftralien,
Snbien, Jriftan b’Slcunha, in Cryptohelia pudica Milne- Ed-
wards, beren ÜKunb Bon einer Äelcpfeite fchilbartig überbedft ift, in
9teu*@uinea unb in 1525 g. an S. Jh°mfl3. Buwetlen fommen
im atlantifchen ÜJleere ©eratotrochuS Bor, bis bahin auSf<hlief)li«h
tertiär erachtet, mit ftarfen SRippen unb burd) bie gtö§ere SluS*
bilbung ber SBäube ber zwei erften Orbnungen wie gehörnt, C.
nobiUs M. lebenb aus 1000 %. in ben Sporen, beörotpe Jen*
tafel entfaltenb auf bla§nelfenfarbenet Scheibe mit frepprothem
dJtunbranb, blafjblauem Sanbc unb gelbrothen unb hellgrauen
Streifen gwifchen ben S3afen jener, unb C. diadema M. auS 675 %.
bei ©ap Slgoftinh0 bei $)etnambuco. Siel weiter zurücf in Silur,
3)eton unb Äoble greift, bafaltartig bie ^olppen zufammen*
brängenb, gaBoftteS, welchen ä. Slgaffiz bei ©uba auf ber 8inie
ton 292 — 850 %. fanb. 3u SJlenge bebecfen bie fleinen Madracis
(IM)
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asp&rula unb hellena ftfdjreidje Untiefen bet 33ermuba8. 3n
europäiid)en unb ftemben föteeren ift in bet Siefe am gemeinften
©arpopfyptlia. C. boreali# Fleming, bi8 in 705 %. an 3rlanb
unb 1250 an ben SermubaS, ift foffil in ©icilien. Sopboljelia
unb Slmpfyipelia lieben madige liefen.
Seber* unb SRinbenfcraQen, ©eebefen unb ©eefebern, alcpo=
natifcpe ^olppen ftnb in ben füllen 9Jleere8 tiefen non 500 —
1000 & reid) nertreten, befonbetS SPlopfea unb ^)rimnoa. 3n ben
größten Siefen fanb fid^ überall itgenb eine SSrt non UmbeHularia,
U. grönlandica L., in metyr als 2000 %. gtrifeben (Jap Sincent unb
SRabeira, eine im ©olf non ÜJtejrico au8 1568 $., eine meftli^
dpi au8 2440 bei ©nofima in 565 unb 770, ab oon
3apan in 2050, neunmal in 12 — 2600 %. im antarftifdjen
SfRee r, felbft unter 62° jwifdjen ©ljetlanb’8 unb 38lanb in
400 %. 8ila»pt}o6pl)orefcirenbe ©orgoniben waten an Gap
fßincent in 600 %. gafylteicf) unb erteilten 2' @rö§e. ©ine tobte
3ftbee non 2" SDutdjmeffet napm auf bem atlantifdjen $>lateau
in 1525 g. an iljrer Dberflacpe Stjeil an bet fdjwärjlidjen ÜJtan»
ganfärbung. $>ennatuliben non 2—3' famen nalje bem 8a $)lata
au8 600 ber enorm großen norwegijdjen Funiculina. ftn-
marchica ähnliche jwijdjen 3apan unb ben ©anbroid}. 3ucp
©ornularia erreicht in Siefen bis ju 3125 %. mehrere 3oß ftatt
einiger Linien Sänge. 2) aß Seudjten ber ÜJfopfeen, SBitgulatien,
UmbeUularien fonnte ipeftral unter judjt werben. ©8 gab bei ben
erften Sidjt oon B — F, bei ben 3 weiten oon a— E, bei ben britten
non D— b. $Da8 geübten fteigerte fid> futj bei 3ufafc füfjen
SBafferS.
©djtoämnte. $eyatinelliben(ngl. @. 18), welche bie gor«
men ber Äreibe unb paläojoifdjet Seiten jutücfrufen , »etgefefl»
fünften fid) jafylreid) mit ^entahinen , Äreibeigeln, tertiären
Äoraüen im atlantifdjen SDjean, an Portugal unb SBrafLHeu in
(1*9)
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58
etwa 1000 g.f ju einem metfwürbigen gaunalbilb. 2lphtocaHifte8,
ba8 SenuSfßrbchen, bie citronenförmigen Seeneft et £oltenia mit
fünfftrahligen fabeln unb JRoffeDa, garrea, GuplefteHa, ^pa«
lonema finb fosmopolitifch, faft immer mit Stielen ober mit
Satten non Äiefelnabeln fiep bie Stellung im Schlamme fidjernb.
Jfjpalonema in 1240 g. im atlantifdjen £>jean, in etwa 1900 im
mejrifanifcben ©elf unb in 1525 bei S. SEl)oma8 mit bem mefyt
eiförmigen H. toteres W. T., in 525 bei Gap Sincent unb in
500 bei ben Butts of the Lews mit II. Iwritanicum B., l>atte
meift bie umtleibenbe ^alntboaferaQe, an jungen Gpemplaren
beginnenb, aber nicpt in 2800 g. ab 3ap»nr ttofc 4" ©rßfje.
©8 fommt, wie an Sapan in feisteren ©rünben, nicpt opne
Zahlreiche Sieffeegefellfdjaft mitjubtingen. Bwifcpen Äermabef unb
ben gibfdji fanb man eine SRabel bacon, ftärfet al8 eine Strid»
nabel. GuplefteHa fam mit bet faft fußlangen, fcplanf, bettet»
artigen E. suberea W. T. gleichfalls au8 bet ausgezeichneten
portugiefifcb‘fanarifcben IRinne, cielfach jwifchen QJtontecibeo unb
bem Gap, eine bet Subena oerwanbte gro|e ärt oon Sepia
#onba unb fenft an Guba au8 gtofjer Eiefe. Sei ben Äep*infeln
waten ^palonema, £oltenia, SlpprocallifteS bereits in 129 g.
reichlich; bie Sieffee jwifchcn Äetmabef unb gibfchi wimmelt non
ihnen. 2) et Holtenia Carpenteri W. T. non ben Butts of the
Lews in 500 — 1000 g. entfpricbt SRoffeHa an ben Kerguelen.
2>ie Steine beS falten atftijchen SiefftromS finb häufig Don bet
halbfugligen Tisiphonia agarici/ormis W. T. infruftirt. 3) et
autarftifdje ©runb ift con Äiefelnabeln bebecft. 2>en Jppalonemen
nähert fleh ba8 auf bem norbatlantifchen Plateau in 1525 g.,
in ähnlicher SEiefe im mepifanifepen ©olf, in 630 g. bei ben
Äermabef gefunbene, wie ein Sappen genetfehwamm geftaltete,
tahmgelbe ober nelfentothe Poliopogon amadou W. T. mit
Süfcheln großer Äiefelfäben im Schlamme oeranfert. £Die bet
(MO)
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59
@arfobefubftan$ Angehörige $arbe würbe an ber 8uft lebhafter.
3n bem mortelartigen, lebenöatmeu Äoraübret an ber ©renje ber
SermubaSriffe in 1690 fanb bie G^aDenget plumpen (Sfyam*
pagnergläfern ähnliche Lefroyella decora W. T. @8 fehlt bemnacp
ben Stereiben nicht an jierlidjflemÄrpftaDgefdjirr. Stad? ben ©itter*
fdjwämmen finb anbereÄiejfelfcbwämme, befonbetö ©ßperiaben,
8itbiftiben, ©eobiben bie häufigeren SSewobner bet Siefen non
500—1000 %. unb »iele ber gefunbenen Slabeln gehören ihnen
an; .£otni cbwämme lieben mehr bie 3one ber ÄoraUinen, bie
.Rallf cbwämme bie liiorale, wobei aud) fie antarltifcb auffällig
grofj werben lönnen SDie Äiefelfdjwämme, felbfi gefüllt mit
©lobigerinen, nähren auf fid? unb in fid> eine Heine SBelt non
fDtufdjeln, Ärebfen, Slmpbiuren unb SBütmetn.
Uriniere. Uebet biefe ift ba3 2Si<htigfte oben gefagt ®ie
fammelnben, fd)on im iüfjen SSaffer, bann in einiger 2Jleere8tiefe,
oon ©. £>. Sat$ in 450 §. an Norwegen gefunbenen IR^o*
poben haben, wie Stör man geigte, aud? in ber ©efdjränfung,
welche grofete Siefen ihnen für ba8 SJtaterial auferlegen, gtofje
arc^iteftonift^e ©efchicHicbleit unb Sorgfalt. Sieben Sitten
haben eine jebe ihre befonbere Sht, Sbeilchen aufyufucben, orga*
nifdje unb anorgatiijcbe t? erfdjiebener Statur juredjt ju legen unb
ju »erlitten. Strt unb Se^anblung ber Söaufteine, grober unb
ftaubartiger Duar^fanb, gefärbte Äörnet, meift oon SJtangan,
Heine unb gtofje Scbwammnabeln, ©lobigeiinenfcbalen, Äoffo*
litten, SJtufchelftücfcben, ^ier ichatf fortirt, bort jierlid) gemifcht,
halb fparfam, balb reichlich »erlittet, balb geglättet, balb in
Stuftica raub, unb bie Äammetbübung laffen ben ©elebrten bie
©attungen Spiroculina, 33al»ulina, Slftrorbija, 8ituola, Stotel*
lina, Stbabbammina, Stortbofpbaera , £>ifflugia , ©pclammina,
SJlatfipella, Sedjnitella, ißilulina, Srodjammina, Stobofaria unter*
fdjeiben unb führen ibn mit Nodomria Schlichtii Reuss in »er*
(131)
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60
gangeite geologifche Beiten; ben Saien aber matten fte ftaunen,
wie in tieffter ©erlafjenfyeit bet Ojeane nid)t allein höhere J^iete
mit bunter Färbung, gieriger ©eftalt, 8id?tglanj ihr SDafein gu
f ermüden roiffen, fonbern auch niebetfte ©ubftang 25ienlicl)e8 mit
bie ©inne Slnfprechenbem »erbinbet:
Utile cum dulci.
3uli 1878.
^nnterkuttgeti.
1) %. bebeutet Sahen, gewöhnliche« ©affertiefmafj, 2500=14572 m
2) ©nige öfter »orfommenbe Slawen »on SdjriftfteUern , welche
einer STtjierart ben Stamen gegeben haben , ftnb gemäß ber ©ewohnheit
abgefärjt unb bebeuten: A.: 9tleje. Stgaffij; Ai: Süman; J.: ©w^ns
Sefftep«; L.: Sinne; M.: SJtofele»; M. T.: 3J?üUer unb Srofchel: N.:
Storman; d’O.: b’ßrfcignp ; P.: ©Durtale«; S.: ©tui>er; St: ©timpfon;
W. S. : ». SBiUemoe« ©uhm ; W. T. : 2Bß»iHe ihemfcjn.
3) 2)te Semperaturbeftimmungen finb nach ®elp«8.
4) 3Bir führen englifche unb ameritanifche ©chiffe nad) ber ©e*
Wohnheit jener Sänber al« weiblich-
5) ©teilen finb überall ©eemeilen.
6) Stach ben neuerlichen ©eröffentlichungen »on ©ünther tragen
wir folgenbe Sipe »on 61 neuen Sieffee-Sifcfcarten, al« auf ber ©hnHenger-
©epebition gefunben nach- Sie Sifte beweift bie ftarfe ©ertretung be«
ftimmtcr Samilien in ber Sieffee unb maebt bei beren ©efonberl)eiten e«
gang ft eher, baß man e« in ber gang überwiegenben SJtehrheit mit echten
Sfeffeebewohnera ju thun h“be. ©nige Slrten machen »ieHetcht ©ilbung
neuer Samilien nöthig.
-Stnorpetfifche.
Scyllium canescens 400 S- ©üb Stmerica, ©übweftfüfle.
Slcanthobterifche .Rnochenfifche ohne ©chwimmblafengang.
Bathydraco antarcticus 1260 S- $earb 3.; Srachinibe, ohne
©chwimmblafe.
Cottus bathybius 565 %. 3a»an.
(iss)
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61
ÄnD<$enfif(§e mit ©t^mimmblafengang.
1 Setarches Fidjiensis 215 §. gibfdji; au§er am Äcpf mit »in«
jigen Spcloibft^uppen, Äiemenbecfel, SB er«
ficmenbecfel [unb äugenfyöblcorberranb
bewaffnet.
Antimora rostrata
Haloporphyrus australu
Melamirm gracilis
Lotella marginala
Srrembo Messieri
Bathynectet laticeps
„ compressus
„ gracilus
Typhlonus natu«
Aphyonut gelatinosus
Acanthonu« armatus
Bathygadus cottoide«
(ftnbibtn.
600—1375 g. jmifcfy. 9iio $>latamünbung,
(5ap, Äerguclen.
55—70 g. 9Jlagl;ellaenftra{je.
1975 g. antarftifcb, tieffd?»arj.
120 — 345 g. ©üb ämerifa, ©übweftfüfte.
(PpßibHbrn.
345 g. SJlibble 3-, 9Jtejfterftraße.
2500 g. DJtittelatlanti«; fleine äugen.
1075-2500 g. 91. ©uinea ; fcfyr fleine äugen.
1400 g. 91. ©uinea.
2150 — 2440 g. 91.0. äuftralien; äugen
nidjt fiebtbar.
1400 g. äuftralien, 91. Guinea; bur^fic^tig.
1075 g. 91. ©uinea; fleine äugen.
520 — 700 g. 9t. ©uinea, Äermabef; ob
ju (Songrogabinen gehörig?
Macrurut longiro/itris
„ holotrachys
„ fasciatut
Coryphaenoidet rudis
„ aequalis
„ cramceps
„ microlepis
„ Murrayi
„ serrulatus
„ filicauda
„ variaöUis
„ a/finü
„ carinatut
fflammben.
500 g. 91. ©eelanb; große äugen.
600 g. 'platamünbung; große äugen.
120 — 245 g. ämer. ©übweftfüfte; febr
große äugen.
5C0 — 650 g. 9lörbl. o. Äertnobef, ©title«
9Jteer.
600 g. Portugal.
520 — 650 g. 916rbl Jtermabef ; fleine äugen.
215 g. gibfdji; große äugen.
1100 g. 91. ©eelanb.
700 g. 91. ©eelanb.
1800 — 2650 äntarftifö, beibe Äüften ©üb«
ämerifa’«; äugen ungewöhnlich Flein.
135 — 2425 äntarftifd}, Äerguelen, 3- Sfr«
nanbej, ©title« ÜJleer; äugen flein.
1900 g. f)latamünbung.
500 g. $>rince ©bwarb’« 3nfel.
OM )
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62
Echiostoma microdon
„ micripnus
Malacogtms mdicus
Bathyophia ferox
Bathymurua ferox
„ mollig
Chlorophthalmug nigripennis
„ gracilis
Bathypterois longißlis
„ longipes
„ quadrifilis
„ longicauda
Scopelus antarcticus
„ mizolepis
„ crassiceps
„ tnacrostoma
„ microps
Ipnops Murrayi
Stomiatiöen.
2440 g. Sluftral. jctymarj, 2 Seudjtorgane
unter ben äugen.
2150 g. äuftral., förcarj, Seucfjtergane
über bem £)berfiefer , berfümmerten
äugen äßnlid).
500 g. «Stilles ÜJteer.
2750 g. 9t. 9£tlantiS , etwa« fl. äugen,
l'eucßtorgane über Dberfiefcrmitte, Heine
Ueudjtflccfen längs SBau^feiten, äußcn»
ftratjl ber 33au$fleffe nnb ©<$tt>anj.
Scopetitien.
1100 g. 9t. ©eclanb.
1875—2365 g. jüböftücf? ?)ebbo.
120 g. Jaoofelbbai; große äugen.
1100 — 1425 g. S. SltlantiS, 3- gentanbej,
9t. ©eclanb.
520—630 g. Äerraabef 3-; Heine äugen.
2650 g. Oftfüfte non ©übamerifa
770 g. 33rafilfüfte.
2550 g. ÜJtittlereS unb fübL Stilles ÜJteer.
1075 g. äntarctifcß; große äugen.
800 g. 9t. ©uinca; feßr Heine äugen.
675 — 1500 g, ätlant. u. äntarct.; fcßroarj,
flcine äugen.
2425 g. Stilles ÜJieer ; Heine äugen.
1375 g. 3®il’cßen Sap unb Äcrguelen ;
Heine äugen.
1600 — 1900 g. ©übatlantiS ; auf fpatel*
form, ©djnauje tkudjt* ober ©eßorgan.
äteruoptijdjiben.
Gonogtoma elongatum 800 g. ©iibl. 0. 9t. (Guinea.
„ gracile 345 — 2425 g. ©üböftl. ü. 3apan.
„ microdon 500— 2900 g. ©tifteS ÜJteer.
Salmoniden.
Bathylagm antarcticus 1950 g. äntarctifd»; feßr große äugen.
„ atianticus 2040 g. ©üb ätlant.; feßr große äugen;
laid>en oieQeicpt in antarctifdjen ©üß*
toaffern.
(U4)
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63
äUptbofanrilten?
Alepocepaalut niger 1 400 §. ülörbl. Bon Sluftraüen ; &opf groß.
ffaplotpHonibtn ?
Platytroctes apus 1500 8- ÜJiitt. Sltlnntiß; jiemL große Slugen.
Bathytroctes microlepis 1090 8- G. ©. ÜJincent, fepr große Slugen.
„ rostratus 675 8. 'pernambuco.
Xenodermichthys nodulosm 345 3.£)ebbo, fcpwarj; ftatt mit ©puppen,
nur mit rubimentären ©ebilben in ber
■£>aut.
Ifalofanrihen.
1090—1375 8- Sltlantiß, jwijcpen Gap u.
Äerguelen.
2750 %. ÜJiitt. Sltlanti« ; beibc mit großen
©puppen in ber Seitenlinie.
ffluroentbtn.
2500 g. ÜJiitt. Atlant 8.
1500 — 1800 8- ©tid. üJlecr, Stntarctijcp ;
Äorper furj, Singen fc^r flein, nähert
fid? Ueptoceppaluß.
7) Sa bie oon ©teenftrup unb ÜJlalnt über bie fpmmetrif^en
Swgenbjuftänfce fpüter ajpmmetriftber ©Rollen gemalten Angaben im
Prinjipe auch Bon 31. 91 gaff ij beftätigt »erben, ift bie 9lnnapme
Bon SßpBill e-Ibomfon, baß bie pelagifcpen fleincn fpmmetrifcpen
8crmen nickst ju fpüter ajpmmetrifcpen gehörten, niipt gerabe ftarf geftüpt,
8) SBie ©pence SBate fo eben jeigt, irrte ÜBillemoeß in ber
Sinnahme, baß biefer ©ruppe bie Singen fehlten, fte hat fte an unge*
toöhnli<htti ©teilen unb unbeweglich. Sie mit 4 paaren ©epeerenfüßen
ftnb jepon Bon geller alß Polpcpeleß beschrieben , bie mit 5 bilben bie
©attungen Pentacpeleß unb SBillemoefia. 33ei Polpcpeleß unb penta*
tpeleß liegen bie Slugen in ©ruhen beö Slücfenpanjerß fo, baß fte an
ben oorberen ©eiteneefen Borragen, bei ÜBideraoefta an ber Sßorberftäcpe
ber ©tim. Sie Gpadenger f^nfc 3 Polncpeleßarten , barunter P. Hellen
biß in 1070 8- an 91. ©uinea, 6 pentacpeleß, barunter P. obscurus
biß 1070 8. an ül. ©uinea, Willemoesia leptodactyla in 1900 3-
an 3uan 3fmanbej unb in ber Ülorbatlantiß , ade auf ©lobigerinen*
ftplamm. ÜBäprenb ber Slugenftiel ber ermachfenen minimal ift, pat ber
Jugenblitpe 3oeaftanb große, beutlicp geftielte Slugen. Sie SJerfümmerung
fepiebt ©pence SBate auf baß ©raben im ©anbe, niept auf bie Siefe,
ba P. Helleri biß 120 8- fommt, bagegen eine neue Grangonibengattung,
(135)
Halosaurus macrochir
ros trat us
N emichthys infam
Cyema atrum
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64
©palaScarig, trog tiefen 2Bopnfiße8 fepr große ’Jlugen pat. ©ie ©empe«
ratur ber SBopnfiße für bie tffiiHemoefien feptoanfte gwijipen + 1°8 unb
- 6°. Tormann pat bann aber in grage geftetlt, ob niept pentacpeleS
«nb tHiiUemoefia ©efcplecptfiformen (toopl Plänntpen?) ju PelpcpeleS
feien, glaubt auep niept, baß 2Uppeu8 grabe unb palt ben Sau Bon
SBiKemoefia für ©iymimmen fprecpenb, bleibt enblicp babei, baß bie
Sßerroanbtfcpaft mit ftlurijcpen unb jurafitfepen (Srpon fepr nape fei.
9) ©all pat feitbem einen Borläufigen Sericpt über bie Bon ber
Slafe unb ber Söibfc gefummelten 5J!ot(ubfen erftattet. Unter benen au8
200 — 1920 g. waren einige weit Perbreitete, Pleuronectia lucida J.,
Limopsis arca, bie Biefleiipt ju ber foffilen ©refflepa gepßrige Lyonsia
bella, Euciroa elegantissima au8 ber meift foffilen Serticorbiagruppe.
©iefer al8 500 g. fommen bie ©attungen gimepfiS, 3lrca, Sljrimea, ©oul«
bta, pleuronectia, geba, SRucula, goonfia, pleurotoina, ßaHioftoma,
©rocpuS, Ptinolia, ©entalium, tiefer als 1000 g. Lyonsia bella,
(1920 g.) gimopftS, Slrca, geba, ©oulbia, ÜJlinolia. ©iefe Ausbeute
pat burcpauS feine weftamerifanifepen 3üge; wenn man ba8 früper für
eine bou PonntaleS bei gloriba «gefunbene $alioti8 glaubte, fo fepeint e8
fiep babei mepr um eine Sepnlicpfeit mit afrifanifepen gepanbeit ju paben.
10) 3n gortfeßung ber Unterfutpungen mit ber Slafe erpielt SapU
tain ©igSbee im 2lpril 1878 bei bem 5Rorroleu<pttpurm nape £abanna
aus 177 g. jwangig Bollfommene ©remplate bet beiben angegebenen
PentacrinuSarten, wobei 91. Slgaffij geneigt ift, ben ftplanfercn
P. Mülleri mit entfernteren 2lrrntoirbeln für bie Sugenbform ju bem
ftämmigeren P. asterias ju palten, ©ie ©piere famen lebenb perauf
unb ließen fiep im ©Swaffer ©tunben lang lebenb erpalten, obwopl fie
Ieicpt bie Äßpfe pängen unb abfallen ließen, ©ie jarteren waren gelb,
bie größeren purpurn ober weiß, fie bewegten bie 2lrme einzeln, ©«bei
gab e8 japlreitpe Srucpftütfe.
flH)
T>rntf non ®tir. Unfltr (?&. Biimm) in Bnltn, £$ön*fctroerftrallt 17 ».
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3of?n £)ou?arb
un6
b i e Peftfpcrrc
gegen <£n6e 6es adjtjefjnten 3afjrljun6erts.
8on
sfronj »o« Ijolfcfnborff.
fiwliu SW. IS?^.
93 erlag von @arl a b c I.
(€. <8. tnbmti’id]» Hrrlogibni^tioaillnng.)
33. Sfiilbflm.ett.i6t 33.
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t
3>a$ 9tcd)t ber Ueberfeöunfl in frernbf Sprachen wirb oorbetjalten.
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*£I?ie»iel bet ©ngldnbet Sohn ^omatb »ot einem Saht»
hunbert gethan fyat, um baS gooS bet ©efangenen unb bie @tn«
richtung bet ©trafanftalteu ju «erbeffern, welken Anfpruch et et»
heben barf, als 33egtünber bet ©efängnifjreform gepriefen jtt
werben, ift allen ^Denjenigen befannt, bie bet ©efcpichte bet ©traf«
tedhtSpfiege einige Aufmetffamfeit gugewenbet haben.
SBeniget allgemein befannt ift, welche SSerbienfte betfelbe
ÜJiann um bie 33erbeffetung bet öffentlichen Äranfenpflege ftdj
erwarb, inbem er wieberhdentlich bie europäifehen ©taaten unter
bamalS fchwierigen 33erhaltniffen butd; wanbette, Äranfenhdufer
unb j^ofpitälet untetfuchte, tief eingetiffene ©traben bet 33er»
wattung aufbedfte, ben ©tünben bet fPeftfeuche nadhforfchte unb,
unter Aufopferung feincö eigenen SebenS, jur befferen 3?ehanblung
ober Teilung feldher beitrug, bie »en allen ©eiten gemieben unb
geflogen waren. SDbgleicp Jporoatb fein Arjt uon SBeruf war,
fo hatte et bod) in feinet 3e»t auf bie ©rfenntnifj mancher Äranf»
heitSurfact>en uub bie AbfteHung bet in bet öffentlichen Ätanf»
heitSpfiege eingetiffenen fBtifcbtöuche ebenfo erfolgreich eingewirft,
wie in neuerer ßeit, wdljrenb beö ÄrimfriegeS, 50ii§ 9lightingale.
©leid) ihr bewies er, bafc eS juweilen gut ift, nicht alles »et»
trauenSuoH ber 33erantwortIichfeit folchet gachmdnner ju übet«
taffen, bie entweber alS SBerwaltungSbeamte burefj bie 33otliebe
. XIV. SIT. 1 * (139)
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4
für beftehenbe 3»ftänbe befangen gemalt würben ober im ibealen
Streben nach reiner, wiffenfchaftlicher ©rfenntnif) bie praftifcheu
Aufgaben unb ©ebürfniffe ihrer eignen 3eit mit gleichgültigen
©liefen betrachten.
Sich mit ber öffentlichen Äranfenpflege unb ben Urfachen
bet Seuchen ju befdjäftigen , war £owarb fdjon baburch »er»
aniaht worben, bah et »or^ugämeife in ben englifchen ©efäng»
niffen einen <£>eerb jenes furchtbaren „.Reif erfiebetS" gefunben
hatte, baS jeitweife bie (gefangenen felbet weniger gefährbete, als
Diejenigen, bie »orübergehenb mit ihnen in ©erühtung traten.
@t h«lte bie Urfathen folcher 6rfd)einungen erflärt, bie bet 9lbet*
glaube auf übernatürliche Sßunber gurücffühvte unb eS burch feine
^Beobachtungen auhet 3®eifel gefegt, bah bie fchwatgen äffifen
non Djrforb im 3al)te 1577, bei welchen »on ben betheiligten
^Richtern unb 3nf<houern plöfclid) 300 ©etfonen burch ein töbt*
HcheS Riebet bahingerajft würben, wäljrenb bie abjuurtheilenben
©erbrechet »erfchont geblieben waren, alfl ein in ©eftalt beS Äetfer*
fiebetS »olljogenet SRacheact ber @efüngnih»erwahtlofuug an^u»
fehen waren. ®8 ift natürlich, bah ^owarb’S © efanntfehaft
mit ben Urfachen unb ©rfdjeinungen beS ÄetferfieberS, non bem
et metfwütbiger SBeife trojj feines jahrelang fortgefehten ©erfehrS
mit (gefangenen »erfchont blieb, feine Dheilnahme auch für anbere
Seuchen, inSbefonbere bie ©eft, erweefte.
©och eine anberweitige ©ejiehung beftanb bamalS jwifd)en
Strafanftalten unb ©efthäufern. SBie man fagen fonnte, baff
ein fehr grober 2heil ber englifchen Unterf uchungSgefangenen
um bie ©litte beS »origen SaljrhunbertS nach unferen heutigen
©egriffen in eine Äranfenanftalt gehören würben, fo lüfjt ftch auch
behaupten, bah bamalS in bet ©tehrjahl ber europaifd)en Staaten
©eftfranfe ober ber ©eft oerbächtige ©erfonen, gleich fdjroeren ©er»
brechern, eingeferfert würben. Der ©eftrafung burch ein grau»
(140)
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fameS S3erbäcbtigung8gefefe oerfiel oft Derjenige, gegen beneine
leichte SBermutbung bei 9lnftecfung8gefabr oorlag.
SlngeficbtS bet 9Jtaf)tegeln, gu benen bie Dbrigfeiten cor
gweibunbert Sauren, bur# t^örid^ten ©djrecf ober überwältigenbe
8ur#t nerantafjt waren, fd^ien bereit« batnaie bie grage be»
redjtigt, ob bie §)eft bei ungebinbertem SBalteu an einigen
Orten fo niete Opfer geforbert haben würbe, wie ihr burdj net*
febrte UbfperrungSgebote gleicbfam gugetrieben worben finb.
SBar in ben Stnorbnnngen, bie ein t)oc^tt>cifer ©ürgenneiftet
unb jDtagiftrat non 8onben im Sabre 1665 gut Abwehr bet $)eft
nerfüubet batte, etwa« anbereS gu feben, al8 eine Sßerutlbeilung
einfach nerbädjtiger ^etfonen gut greibeitSberaubung ober gor
StobeSftrafe? J)
Diefen Stnorbnungen gn $olge, war jebeS .JjauS, non bem
aus eine Snftecfung gu befürchten war, mit feinen Sewobnern
fofort oöllig abgufpetren. Die $bure warb mit einem rotben
Äreuge begeichuet, unter bem in lateinifdjet Sprache bie SB orte
ftanben: „.£>ert, erbarme bi# unfer!" @ine SBacbe forgte $ag
unb fftadjt bafür, baf) fRiemanb, mit tSuönabme bet ©birurgen
ober Slergte, Äranfentoärter, Snfpeftoren au8» ober einging. $He8
bie8 bauerte in notier Strenge einen gangen 9Jtonat btaburdj,
bi8 bie banon betroffene gamilie entweber auSgeftorben ober ge»
nefen war.
Den SSerbatbt bet Uebertreibung ift gewif) nicht gerechtfertigt,
wenn ber englifdje Strgt üfteab1) über bie SBirfung fol#er 9Jla|»
regeln berichtete:
„Darf man fi<b na# atlebem wunbern, wenn folcbe unnet«
nünftigen S3efeble Älagen b^notriefen unb bie S3ewobner bur#
bie wiber ftc nerbängte ©efänguifeffrafe in Schaden gefegt würben?
Daher fam e8, bah man aöeö tbat, um bie bereits norbanbene
Äranfbeit moglidjft lange gu nerbergen, wa« ni#t wenig gu beren
(Ul)
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»eiteret 23erbreitung beitrug. 3ur äujjerften 33 ergmeiflung ge»
trieben, braten einige, um bet Stotb gu entgegen, gemaltjam au8
ben Pforten b««u8; anbere ftürgten fidj auS ben genftern, be»
ftac^en ober ermorbeten bie aufgefteüten 2Ba<h tpoften, um gu ent*
lommen. 33ei Sßadjtgeiten traf man foldje Ungtü «fUd^e, tyet unb
bort berumirrenb, beten gräfjlicheS ©efchrei ©ntfefcen, 33etg»eiflung
ober ©eifteSfranfbeit oerrietb, fei eS, bafj fie oom Siebet über*
»ältigt »aren, fei eö, bafj ihnen ber Anblicf tobtet greunbe unb
Angehöriger Scbtecfen eingeflöfd batte-"
©in gtofceS ffierf »at eS, baS .fjoroatb in Angriff nahm,
aiö er, ohne oon ^Regierungen ober (Staatsmännern unterftüfct
gu fein, bem bamalS noch ftebenben Seinbe ber Süb*@uropäifcben
Staaten entgegenging, um ©ntftebungSgrünbe, Urfac^en , 33et*
breitungSroeife, Abmebrmittel unb jpeüung bet |)eft an ben gu*
meift baoon beimgefudften Orten Tennen gu lernen.
Sieben ben Seweggtünben echter üRenfchen liebe, oon benen
-£>omatb beberrfc^t blieb, bis er in bet Ausübung feines SöerufS
als Äranfenpfleget einer anftecfenben .ftranfbeü im 3anuar 1790
gu ©berfon in JRufclanb auf feiner testen SotfcbungSreife erlag,
»aren eS aber auch bebeutenbe mirtbfchaftlicbe 3ntereffen, bie
burcb baS häufige Auftreten bet |)eft gefäbrbet »urben. 3)ie
Äriege beS ÜJiittelalterS batten baS ©leid) gereicht beS 33olfSbauS*
baltS unb ben ruhigen ©ntreidlungSgang ber Äultur roeniger
gefcbabigt, als bie gelegentlich einbredjenben 33erȟftungen bet
|)eft, in benen bet Aberglaube früherer 3abrbunberte eine £eim*
fuihung beS göttlichen, mit füllet ©tgebung gu tragenben, reiber*
ftanbSloS bingunebmeuben 3orneS erblicf te.
AIS fidj feit bem 16. 3abtbunbert ber Seebanbel gu immer
höherem Auffdjwunge erhob, waren eS gumeift bie feefabrenben
Stationen, bie jenen häufig mieberfebtenben Seuchen nicht nur
ihren Tribut an SRenfchenleben , fonbern auch «ne gleichfam
(»«)
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7
bleibenbe SBtanbfefcahung in ©eftalt btücfenbet Sßermögenöoetlufte
unb läftiger 23etfehr8hemmungen flu enteilten Ratten. 2lQe jene
53eranftaltungen, bie feit bem @nbe beb 15. 3ai)tljunbert8, flut
Abwehr ber f)eft in ben #äfen be8 mittellänbijchen SKeeteb ge*
troffen würben, »«gegenwärtigen nur einen oft erfolglofen Änmpf
jwifchen faufmännifdjer ©ewinnfucbt, bie fid) unerträglichen Ueffeln
ju entgehen jucht, unb ber burd) 3ahrhunberte überlieferten
■SdjrecfenSljerrfdjaft bet ©eud)e.
2>er ^>ljüant^rofl5 £owarb hatte mit richtigem SMicf bie 33e*
beutung auch ber wirthfchaftlidjen 3ntereffen erfanntj bie bie
Unterbrücfung ber ^eft in fi<h |d)loh. 3ener eigenthümliche, baö
gefammte SBolf butdjbringenbe £anbel8geift, ber ein SJierfmal De8
englifchen ©tammeS ift, nerräth fid) auch bei ihm, inbem £owatb
nirgenbö nerfäumte, barauf aufmerfjam flu machen, welchen ©elb*
oortheil (Snglanb au8 jwecfmähig gewählten SJiafjtegelu gegen
bie SBerbreitung ber jPeft fliehen fönnte.
5Diefen ©efid)t8punft benujjenb, bemühte er fich, nachfluweijen,
bah ©nglanb felbft burch ®ulbung be8 nicht flu überwachenben
3wifd)enhanbel8 ber ^oQänber mit orientalifchen ©taaten im
hohen fötale bie ©infchleppung bet f)eft nach ©nglanb befßtbere,
bah bie #erftellung eine8 geeigneten „SajarethS" an ber englifchen
Äüfte in S3etbinbung mit ber SJegünftigung be8 bitef ten £anbel8
mit ber Seoante ben englifchen ^anbelsintereffen 33orfd)ub leiften
würbe; ferner, bah bie $)arlament8afte au8 bem 26. 9iegierung8*
jahre ©eorg’8 n. fd)äblid) fei, wonach in ©nglanb unb Srlanb
feine ber ^nftecfung fähigen SBaaten ohne ©efunbheitöpah gelanbet
werben burften, wofern bie betreffenben $anbel8artifel nicht in
au8länbifd)en ^efthäufern in SJialta, Stncona, SBenebig, 5Reffiua,
fcioorno unb ©enua ober 9Jlarfeitle hinreichenb gelüftet worben
waten. @t fleigte, wie ed fam, bah im achten 3ahtflehnt be8
o origen 3ahthunbert8 ber leoantinifdje Jpanbel an ben öftlichen
(l*S)
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8
©epaben bcö mittellänbtfchen SReereö P«h ju brei Biertein in ben
<£>änben griechifcher Käufer befanb mtb ©nglanb , wa« ben
Begug bet Baumwolle au« türftfchen ©ebieten anbelangte, gänglich
non ben #oHänbern gängig geblieben war. ©r erinnerte baran,
bafc non ben adjtjefyntaufenb ©äcfen Baumwolle, bie batnalfl
non englifdjeu gabrifen netarbeitet würben, jwei ^Drittel burch
hoöänbifdje, fraujoPfche ober italienifdje Raufet in ©nglanb ein*
geführt würben, bie ©efunbljeit ber ©nglänber alfo in ben .ftänben
f re mb er Nationen bewahrt lag. SDie wirt^aftlii^en unbljanbelä*
politifdjen 9k<htheile gwedfwibrig eingerichteter Duarantaine=Än*
ftalten an ber ^anb bet ©rfahrung unb auf ©runb forgfältig
eingefammelter 9Rach richten bärget l)an gu ^aben , bürfte al8 ein
Söerbienft £omarb’8 nicht gänglidj gu überfeinen fein, obwohl
baffelbe burch ben menf<hh«tli<hen SBertt) feinet Bemühungen
weitaus überprahlt wirb.
3n ber „Befchreibung bet h“Kptf ächlichften euro*
häifdjen fPephäufer" (8agaretl)e), bie ^>owarb wenige 3aljre
not feinem 5£obe, alö fein le$jte$ SBerf, 1789 hwauSgab, bepfcen
wir eine Berichterpattung , bie auch noch geeignet bleibt,
bem ärjtlichen ©ach»erftänbigen werthnolle SBinfe gu liefern über
eine ©euche, beren nähere Beobadhtung, währenb be8 lebten
fBtenfdjenalterö, nergleichungtweife nur wenigen europäifchen
Äergten »ergönnt war.
SBir etfahren aufl ihr ben ©tanb ber £>inge, ber Änpdjten
unb Meinungen, ber »ichtigpen ©treitfragen unb ßweifel, wie
Pdf berfelbe gegen baß @nbe beö »origen SahrhunbertS in ben
Äugen eine« gewiffenljapen, forgfältigen unb unbebingt norur*
theilfifreien Beobachters barpeUte. SBeit banon entfernt, auf bie
UReinung einzelner, fogenannter Autoritäten, gu fchwören, ha^e
£owarb auf feinen Steifen in granfreich, 3talien, ©riechen»
lanb unb in ber 5£ür!ei planmäßig bie Stimmen ber betufenpen
a«)
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9
©achoerftdnbigen unb Setzte nach einheitlichem $)laue gefammelt,
um ben witflid) oorhanbenen Shljatbeftanb, nach 3rt eines richtet*
liehen SBethörS, foweit feftfteHen gu laffen, al8 ihm bet eigene
ISugenfcbem nicht oergönnt war, ober fein eigene« Uttheil ihn im
©tidj (affen muhte.
fftach 9trt bet neuetbingS auch in SDeutfdjlanb angewenbeten,
amtlichen UnterfuchungSmetboben hfltte er eine tNngahl foldjer
fragen aufgefteüt, bie ihm als bie wid)tigften erfchieuen. 3)a
fdjon bie $rt bet gragefteQuug für ben ©tanbpunft bet bamaligen
©efunbheitSpflege begeichneub fein fann, ift e8 gerechtfertigt, biefelbe
»»örtlich mitgutheilen.
@rften8: SEBitb bie ^)eft h«ofig ^urch petfönliche SBetüIjrung
(©ontact) mit bem Traufen oerbreitet ?
SweitenS: Äann bie |)eft oon felbft auf natürlichem SBege
entftehen? (b. h- abgefehen oon ber ©infchleppung?)
25 ritten 8: Stuf melche ©ntfernung loitb bie ben $)eftfranfen
utngebenbe 2uft oergiftet? 3n welchem ©rabe !ann bet
©ebraud) oergifteter ÄleibungSftücfe ober bie Berührung
pefttragenber ©egenftänbe bie Äranfheit heroorbringen?
Vierten«: 3üel<he8 finb bie 3ahre8geiten, gu benen ftch bie ^)eft
oorgugSweife geigt, unb welche Beit oergeht gwifdjen ber
Slnftecfung unb bem 2lu8btu<h ber Äranfheit?
günften«: SBelcheS finb bie erften ©pmpiome ber $)eft? S3e*
ftehen fie nicht häufig io ©rüfenfehweflungen in bet
Slchfelhöhle ober bet Seiftengegenb?
®ed)ften8: 3ft e8 wirflich wahr, bah groei oerfd^iebene §>eft*
fieber mit beinahe gleichen Symptomen oorhanben finb?
2)a8 eine mit (Recht M^>eft" genannt unb auf gewiffe
©ntfernungen butch bie Buft, ohne förperliche Berührung
übertragbar, währenb ba8 anbere, ba8 man gleichfalls
feht gut „contagiöS" nennen fönnte, fich nur butch
(14»)
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10
SBerügrung ober minbeftenS nur burcg allernäcgfte Sin«
nügerung an angeftecfte ^etfonen ober inftcirte ©acgen
mitt geilt?
Siebentens: SBeldfag ift bie 58eganblung8tteife ttagrenb ber
erften 9>eriobe, unb reelle 33eganblung ift in ben fort»
gefcgrittenen ©tabien anguttenben? SBaS itcig man
©icgereS über ben ©ebtaucg ton ©gina, ton ©erpentaria,
ton Söeiu, ton Dpium, ton ©inatgmung reiner 2uft
unb falten üBäbern?
Siegten 8: SBenn bie $)eft in einem ganbe l^errfdjt, fdjreiben als«
bann bie Slergte ben ^Befallenen eine fraftige ©rnägrung
ober ©ntgiegung ton 5Rafaung8mitteln tor? äkrorbnen
fie auch Slrgneien an folcge, bie noch nidjt angeftecft ftnb?
SReuntenS: ©inb bie ©enefenben neuen Unfällen bet $)eft au8»
gefegt? (ober für eine gemiffe Beit gefertigt?)
Begnteng: SSelcgeg ift baö SSergältnig ber StbeSfäUe unb
welcgeS ift bie gettögnlicge 3«tbauer in bem ÄranfgeitS»
terlaufc?
©ilfteng: SBelcfag finb bie SRittcl, bie *})eft gu terginbern, ba8
weitere gortfegreiten ber Slnftecfung aufgugalteu unb bie
inficirten £>rtc ton bem gerftörenben ©ifte itieber gu
reinigen?
Slug ben Antworten, bie^omarb oon aefa Slergten an ben
bamalg wiegtigften Äranfenanftalten ton ÜRarfeille, 8itorno,
SER a Ita, SBenebig, 5£rieft unb ©mptna einfammelte, s) ergtebt
fi<g, ba£ faft in allen ©tücfen bie $)efifrage im achten 3agrgegnt
be8 torigen 3afagunbert8, trog ber Ueberlieferung ton oielen
9)tenid)enaltern, göcgftenS benfelben fPuuft erreicht gatte, bie bie
in tgren ÜRitteln unb 9Jletgoben fortgefegrittene SUiffenftgaft gin«
fi(gtli(g bet ©goleta, »ägrenb be8 19. 3agrgunbert6, bereits
in ben erften 3agrgegnten unfereS 3agrgunbert8 erreichte.
(14«)
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11
Leiber Reifet ba$ aber: 3D iefelben Streitfragen in 33c«
gietjung auf bie $rt bet (Sntftehung unb Verbreitung ber Seuche,
biefelbe Unb ef au ntffa ft mit ben SJlitteln ihrer wirffamen
Befämpfung unb Teilung, biefelbe Unflarijeit übet baS eigent«
lif e SBefen bet Äranfheit, bie man als Blutoergiftung erfannt batte.
3m ©rofcen unb ©äugen fann bieS Stefultat Stiemanb
SBunbet nehmen. (Srwägt man »ielmeht ben ungeheuren Slbftanb
in bem allgemeinen (SntwicfelungSftanbe bet heutigen 3eit, bie
Vetbefferung bet SBerfgeuge, mit benen bie neuere Vaturwiffen*
ffaft beobachtet, bie größere 3iffet bet gleichzeitig gemiffe Äranf*
heitSerff einungen beobachtenben ©af uerftänbigen, bie ®f nelligfeit
in bem SluStauff ber Wahrnehmungen, unb bie ffärfere Äritif
Zweifelhafter Beobachtungen, bie SluSbeljnung eines bie alte unb
neue ©eit itmfpannenben BeobaftungSgebieteS, baS 3Saf8tl)um
ber Jpeitfunbe nad) beinahe allen Stiftungen, bie (Sntftehung neuer
3weige ber Staturwiffenff aft, fo fann man ff roetlid) umhin, ben
©farffinn mancher ©afoerftünbiger gu bewunbern, bie £owarb
gegenüber Slnfiften auSfprafen, bie man burfauS mobern gu
nennen oerfuf t ift.
(Sin roefentüf er flbftanb jener 3eit im Vergleich jur heutigen
©eufenlehre mar allerbingS baburf bebingt, bah, in (Sr*
mangelung berjenigen BeobaftungSmethoben, über weife heut
gu Jage bie Vtebicin gut geftfteflung ber naf weiSbaren Äranf»
heitSgebilbe an ben Reifen »erfügt, £owarb’S 3eitgenoffen nof
aufcet ©tanb fein müffen, genau gu beftimmen, woburf fif bie
bamals jogenannte aftifaniff e ober ägpptiffe Beulenpeft
oon gewiffen anberen töbtlif »erlaufenben SJtalariaficbern unter*
ffieb, ob eS mehtere „5lrten" oon f)eft naf bem @rabe bet
Böflartigfeit gebe, wie fif bie $)eft gu gewiffen, in manferlei
JDingen äljnlif en, ÄranfheitSmerfmalen beS glecfenf ptjuS »erhalte
unb anbereS mehr.4)
(H7)
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©etabe biefe Umftanbe einet oft unftdjer gebliebenen ©t»
fennung bet witflid? ootliegenben .ftranfljeit, muffen erwogen
werben, wenn man jtdj barübet Stedijenfdjaft ablegt, warum nadj
ben »on ^»owarb mitgetljeilten Siffem bie SJtortalitätBöerljält»
niffe in »erfdjiebenen 3«tyetioben nid)t nur mehrerer fjinterein»
anbet auftretenbet ©eudjen, fonbern fogar einer unb berfelben
@eud)e fo weit non einanber abweidjen. s)
©bettfo erflärt fic^ barauS, wenigftenB tljeilroeife, bafj baS
^eiloerfafyren »ielmeljr burdj 3ufäHige örtliche Ueberlieferungeu
als butdj flare ^rincipien beftimmt warb. @8 fdjeint, ba§ non
nerftanbigereu Siebten neben ber gratis bet bamalS nur feiten in
ifyret Sietwerflidjfeü begriffenen Slberlaffe«) in ber Öeljanblung bet
|>eft bie Analogie bet tppljSfen gieber Bielfad} befolgt würbe:
baljet als Siegel bie Slnwenbung allgemein befannter SDiittel gut
JÖefämpfung ber gieberglut (antipfjlogifttfdje ©etjanblung),
ober bie 33erabreid)uug fäulnifjwibtiger (Srjneien (fog. anti*
feptifdje 33eljanblung) neben djitutgifdjen- ©ingriffen, jur S3e»
fdjleunigung ber (Siterung in ben 9>e[tbeulen ober gut ©ntfernung
ber etwa auftretenben Äarbunfeln.
Jpowarb felbft fdjlof} fid}, wie naA bem fReidjtfmm feiner
in Äerfern gefammelten ©tfafyrungen nidjt anberS ju erwarten
war, Denjenigen an, bie auf ^erftellung reiner 8uft in ber Um»
gebung beS Traufen, auf IßefAaffung eines guten SLtinfwafferS,
unb angemeffene ©rnäljrungSweife größeres ©ewidjt legten als
auf 33erabrcid)ung beftimmter Slrjneien, unter benen 33re<f>» unb
SlbfüljrungSmittel etflärlidjer Söeife bie erfte Stolle fpietten. @d)on
bie gro&e Slnja^t ber bamalS in SBorfdjlag gebrauten (Ärgneien
lä|t einen ungünftigen ©djlufj auf bie SBirffamfeit jebet einzelnen
ju; itjre 8ifte erinnert uns nur ju lebhaft an bie Slnpreifung aller
jener ©etränfe, bie bei bem erften Auftreten ber (Spolera in ben
heutigen SageSbldttern feil geboten werben. 9iid)t wenige bet
(i«)
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13
con bewarb befragten Sterjte legten bem in ftatfen Dofen Der«
abreidjten ©^tnin befonbere Bebeutung bei unb biefeS SRebicament
bürfte wofyl baS einige fein, baS ber neueren ÜRebicin in einzelnen
9>eftf5llen ein übrigens befd>eibene3 Bertrauen einflö&en würbe.
Gtinen fonberbaren ©inbrucf fyinterläfjt eS aud), wenn bewarb
burd) einen ©adwerftünbigen erfährt, ba| baS religiöfe Befenntnif}
ber ©rfranften hier unb ba auf bie 2lrt ber Behaublung einen
Clinfluh übte; eine !£l)atfad?e, in ber man bie lebten (Srinnerungen
an jene Beiten etfennen mag, in benen bet ©eiftlidje ben Söeruf
beß ahrjteS als ben feinigen in Slnfprucb nahm. ©obalb ein
<5l)ri ft erfranfte, fagt Betboni, ifct er (Saoiar, Änoblauch
unb ©chweinefleifd), triuft Branntwein, @ffrg unb anbete, ähnliche
glüjfigfeiten, um bie ©ntwicfelung ber $)eftbeulen, beren $uf«
treten als ein gutes Beiden genommen würbe, möglidjft ju be»
fßrbern. 3 )ie Araber unb dürfen im Orient Ijanbelten wahr»
jdjeinlid) Dernünftiger, wenn fie jur ÜRild) ober jit jc^weifetreibenben
SRitteln iljre 3ufiud?t nahmen, jene „c^riftlid^e tSrjnei" Der»
fdjmäfyten unb übrigens ber (Smpfehlungen ber älteften arabifd)en
Slerjte gebauten, benen ju golge baS ^auptaugenmer! auf frifdje
2uft unb reines SSaffet gerietet werben feilte. 3n Äairo
nahmen bie ÜRuhamebanet gar feine ©etränfe, fonbern Opium,
unb begnügten fid) mit ber Slnwenbung beS glühenben ©ifenS
jut Beßrung bet $)eftbeulen. 9lud) bie 3uben befolgten iljre
eigene {Regel. 3n Äonftantinopel unb ©mprna pflegten fte
©tronenlimonabe ju nehmen, tranfen juweilen ihren eigenen
Urin unb enthielten fidj ftreng bet gleifcpfoft.
üßidjtiger als bie ©rinnerung an bie meiftentheilS oolHg
planlofeu ^eilungSterjudje bet alten 3eit ift bie Beachtung bet
Antworten auf ^owarb’S erfte, bie anftedenbe Äraft ber $)eft
bejüglidje, grage.
©ammtlidje ©utachten ftimmen barin überein, bah bie ©euebe
(149)
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14
entweber nur burd) unmittelbare förderliche Berührung bet 9>eft*
franfen, ober außerbem burd) (Einathmung bet fte in nächfter
SRähe umgebenben guft übertragen »erbe. 3m Qjingelnen aber
geigen ftd) bereits bie Streitfragen, bie in ber terfd)iebenartigen
Beftimmung beö Begriff« ber „9lnftec!ung" ihren ©runb ^aben,
giemlid) beutlid?. (Einige fcßließen bie 8uft als Sträger beö ^)eft*
gifteS ans, anbere legen bet förperlicßeu Berührung nur eine
untergeorbnete 93ebeutung bei. $o»arb felbft fteUt bie (Ein*
atßmung ber ben •R'ranfen in nächfter $Rähe umgebenben ober
ton inficirten ©egenftänben auSgeßenben ©iftluft unter ben
Begriff „(Eontagium“. 3m Uebrigen tjielt er auf ©runb feinet
eigenen (Erfahrung, troß ber gegenteiligen Berftcßerungen Slnberer,
bie förderliche Berufung ber Äranlen mit ben Ringern ober
ber ^>anb für ungefährlich. 9lud) ^«it er bafür, baß baS ?)eft«
gift nur auf geringe (Entfernungen ton bet 8uft terweßt »erben
fbntte. ®e»iß ift, baß er auf feinen ^Reifen in ^enftantinopel
unb Smprna niemals baS geringfte Bebenfen trug, in bie ge»
fürd/tetften, felbft ton Slergten gemiebenen, fpefthößten ^>ülfe
bringenb ßinabpfteigen , ben |)ul8 unb bie 3u**8e ^eftfranfer
gu unterfucßen unb für Steinigung bet Ätanfengimmer Sorge gu
tragen, ol)ne babei eine anbere BorficßtSmaßregel gu beobachten,
als bie richtige SBaßrnehmung ber Söinbricßtung, unter welcher
et fich ben (Erfranften näljerte.
ÜRit (Sntfchiebenheit mißbilligte et jebodß bie tßeilä ober»
fläcßlichen, tßeilä leichtfertigen Berficßerungen ^Derjenigen, bie ba
behauptet hatten, baß ftaatlicße fPrätentiomaßregeln gegen bie
Berbreitung Der 9>eft, »egen angeblich geringer Söirffamfeit ber*
felben, entbehrlich fein ȟrbcn.
9118 tßatfächlich feftgeftellt fonnte nach ba SReinung feinet
3eitgenoffen bieS gelten: bie orientaiifche $eft, auf eutopäifcßem
Boben nirgenCS entfpringenb , manbert tßeil« auf bem Seewege
(ISO)
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be8 mittellänbifcben fföeeteS, tbeild butd) ©ublanb unb ^)oleu
in bie weftlicbet gelegenen Staaten ©uropa’S ein. £%te ben
©organg ber Ueberttagung »on einem Snbinibuum auf baS an*
bete genauer ju fennen, ift als erwiefen angunebmen, ba§ bad
$>eftgift, beffen ®ef5^rlid^feit $u gewiffen Jahreszeiten , wie bei
ftrenger SBinterfälte unb in bewegter guft geringer ift , als in
feudjtwarmer ftiOer 8uft, aber lange Beit binburcb eine 3Rit»
tbeilungSfäbigfeh unter geeigneten Umftänben bewahrt, audb.an
gefunbbleibenben ^erfonen unb gewiffen ©egenftänben be8 £an«=
belSoetfebrS fyaftet, ferner oornebmlidb an folgen Drtlidjfeiten
Ausbreitung gewinnt, in benen eine »erwaijrlefte, arme ©eoölfe*
rung unter (Sntbeljrungen leben mu§. 8) Die Ausbreitung ber 'peft
fönne babet burd) geeignete ©orbeugungSmittel oon Seiten be8
Staates unb butcb jwecfmäf}ige8 ©erhalten bet bebrobten ©e*
»ölfetung »erringert werben.
gür bie Aufgabe be3 Staates unb ber gefefcli<ben ©runb*
lagen bet öffentlichen ©efunbbeitSpflege mubte bamal8 wie beute
eine berartige ^eftfteüung au<b als but<bauS binteicbenber ©e*
ftimmungSgrunb gelten. £>bet follte bet Staat tbeilnabmloS
bem ^ortfdjreiten einet Seuche, beren Äeime im ©erlebt nev*
fehlest werben, fo lange zufdjouen, bi8 eS ber eyalten wiffen*
fdbaftlidjen gorfdmng gelungen fein wirb, ben Hergang ober bie
©erbreitung in allen ©injelbeiten zweifellos naebzuweifen? Jpo*
warb b“t niemals bezweifelt, bab bie StaatSregierungen nicht
bloS auf bet ©runblage matbematifcb fieberet ©eweife bin bad ©or«
banbenfein gewiffer übatfacben ober UrfätbUcbfeiten angunebmen
haben, fonbern in weit häufigeren fallen auf ©tfabrungSangaben,
auf SBabrfebeinliebfeiten unb ftarle ©ermutbungen ihre $anblungen
einriebten muffen, wenn eS auf bie Abwehr fo grober, ben ©olfs*
beftanb bebrobenben ©efabren anfommt, wie fie bie ^>eft in ftch
f (bliebt. AuS biefem ©tunbe erfannte er auch bei aller Unparteili<bfeit
<i»t>
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16
bie ©rünbe berjenigen niemal« an, welche, ben oorwiegenb miafl*
matifdjen ßßatafter befl ^5eftgifte8 behaupten^ au« (Rücfftdbten
bet fiuangiellen Sparfamfeit Don bet @inri<htung ftrenget Sb-
fperrung8anftalten abriet ben.
JDie gelegentliche Unwitffamfeit mancher auf Slbfperrung
be8 oerbachtigen 5Betfe^r8 abgielenber ©inrichtungen oermod)te
#o warb nicht Don beten @ntbehrlichfeit gu übergeugen, Dielmeht
erblidfte et batin nnt eine Sufforberung mehr, übet Derbefferte
unb wirffamere SRaßregeln nadjgubenfen. 7)
Unter ben ffieranftaltungen gut abweht bet 5>eft ftanben gu
feinet Bett in erfter 8inie bie 93orf<briften übet Sperre butdj
Duarantaine, benen bet gefammte 23erfehr mit bem ©e*
biete bet Sürfei unterworfen blieb, inbem ba8 Spftem bet ©e*
funbheit8paffe unb 23erbächtigfeit8patente 8) eine Unter*
fdjeibung begtünbete, bet gemäß bie einzelnen Schiffe unb beten
Labung bei ihrer Slufunft in ben $afen bet feefahtenben Staaten
gu beljanbeln waten. 3)ie hettf^enbe Annahme war in ©emüß*
heit alter Ueberliefetungen biefe: bah tm Luftraum bet 'peftfeim
feine anftecfung8gefahr fpäteftenß nach Ablauf Den Diergig ober
gweiunbDiergig Sagen Derliere. ^erfonal bet Scbiff8mannf<haft,
^)affagiere unb aDe mit ihnen in Serüßrung gefommenen $er*
fonen blieben baher meiftentheilS Diergig ober gweiunbDiergig
Sage lang, beoor fte lanben butften, in gewiffen eigens gu biefem
3wecf h^ü^tthteten, Dom 23 erlebt thunlichft entlegenen unb nach
ihrer Dertlichfeit leicht gu übetwachenben ©ebäulichfeiten einet
gefunbheitöpoligeilichen Unterfu<hung8haft unterworfen,
©leichgeitig waren bie baton bettoffenen Schiffe, beren öabung
nicht Dßßig unoerfänglidj erfchien, bet ©utfracßtung unterworfen,
wobei gewiffe SBaaren einer regelmäßigen Lüftung untergogen
werben mußten.
^)owatb begeicßnete unter ben ton ihm befuchten Ouaran*
C 152)
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17-
taineanftalten unb Peftljäufern, biejeuigen »onfHoorno, bie im
3ai)re 1778 errichtet »erben »aren, als bie beften unb pecf*
mäiigften. SDerfelbe ffürft beS lott)ringiid)en Jperrid)et^auje8f
bet 1786 in SEoScana perft bie SEebeSftrafe abpfdjaffen ben
SJtutlj befa§, ijaite aud? bafüt ©orge getragen, »er (Srlaft ber
1785 etfcfyienenen „©efunbtyeitSoerorbnungen" (Ordini
di Sanitn) ben ©taub ber bamaligen är^tlir^en ©rfatjrungen burd)
einen in bie 8 e »ante entfenbeten 8trjt genauer feftfteflen p
laffeti. *
©on SlltetS tjer erfreuten fidj jebod) bie ©icberfyeitSanftalten
ber Slepublif ©enebig beS größten ÜlnfefyenS. üDiefe »aren eS,
benen Ijäufigfte fftacfyalptung p SEijeil »utbe. Sitte Srfabrung
eon brei 3afyrfpnberten ftanb ilpeu barnalS pr ©eite, ©eit
bem Stfd?einen ber dürfen in Sonftantinopel Ratten bie ©ene»
tianer in Ärieg unb ^rieben bie mannigfacbften ©erufjrungen
mit ipnen gehabt. 9iodj im fiebjetjnten 3a^ri)nnbert »ar ber
lenantiniidje ^janbel ber Slepublif blütjenb. Die ©orforge gegen
bie Peft gehörte baljet p ben »i&tigften Staatsangelegenheiten,
benen eine ftänbige Slufmerffamfeit gu wibmeti »ar.
Um fid) bamit befannt p machen, patte ftdj <£>owarb auf
feiner gtofjen orientalifdpen gorfdtungSreiie eines fonbetbaten
©erfahren 8 bebient. St patte fitp in ©mtjrna an ©orb eines
für »erbädjtig erflärten ÄauffaprteifdpiffeS begeben, in ber Stb»
fidpt, bei feiner ‘Unfunfi in ©enebig bem barnalS oorgeicpriebcnen
©erfahren unterworfen p werben.
Sinige ©teilen auS ^»oroarb’S ©djtlbetung, bie überaus
anfcpaulid) ift, mögen pier eineu plap finben:
„fRadpbem unfer @d)iff burtp ein gootfenboot an ben geeig»
neten Slnfetplap geleitet worben »ar, fap icp einen »om Sefunb«
peitSamte entfenbeten ©oten beim ©dpiffS capitata eiutreffen.
3lm folgenben SEage !am ein ©ote in einer ©onbel. um micp in
XIV. 317. 2 (133)
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18
baö neue gagarett) gu führen. 9Ran führte mid) mit meinem
©epäd in einem Äafyn, bet butdj ein $£au non gehn gufc 8änge
mit einem anbern Sote oerbunben war, in bem ftd} fedfö IRubetet
befanben; alö idj am äuöfchiffungöplafce angelangt »ar, lofte man
baö $au loö unb mein Äaljn matb mit bem @nbe einet Stange
gegen baö Ufet gehoben, wo mit eine fPetfon entgegenfam unb
mit melbete, bafj fic amtlichen 23efel)l erhalten habe, mit alö
SEBäc^tct gu bienen."
„©obalb mem IReijegepäd auögefchtfft toat, !am mit ein
höherer SBeamtet entgegen unb geigte mit mein Quartier, baö
auö einem jetjt unreinlichen ßimmet ohne ©tühl, Seit obet 2;ifch,
aber oon Ungegiefet wimmelnb, beftanb. 3d? oerroenbete ben
gangen 5£ag unb ben nädjften Vormittag übet eine $)erfon, um
mein 3i»nmet auöguwafdjen, abet biefe SBorfidjtömafjregel genügte
nicht, um ben üblen ©etud) gu beteiligen unb mit bie &opf*
fdjmetgen gu erfparen, »on benen id) ftetö gu leiben fyatte, wenn
id) bie ^efthäufer unb einige ^ofpitäler bet ütürfei betuchte.
Genanntes £agareth ift oorgugöroeife füt bie dürfen beftimmt,
ober füt ©olbaten unb ORannfchaften folget gafyrgeuge, bie bie
^>eft an Sotb Ratten. 3n einer biefet JRäumlichfeiten befanb
fid> bie 33efaf$ung eines ©djiffeö auö JRagufa, baö auö Ancona
unb trieft fortgetrieben motben toat."
„9Rein Sßä^ter f triefte feinen 23ericht über meinen ©efunb»
heitöguftanb ein unb auf 23etroenbung unfereß ©otifulö matb id}
in baö alte gagareth übergeführt, baö bet Stabt näher gelegen
ift. SDa id) füt beffen 23 or fielet einen ©mpfefylungöbrief com
ftangöfifc^en 23otfc^after in (Sonftautinopel befa§, ^atte id) ge»
hofft, eine angenehme Söohnung gu erhalten, abet id) fanb mid>
in meinen ©tmattungen geläutet. 2)ie JRäumc, bie man mit
antoieö, beftanben in einem oberen unb unteren Simmer, beibe
nid)t weniger unerträglich unb ftinfenb alö mein'erfteö Quartier.
(154)
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3d> gog eS Bot in bem niebeten 3immer auf bem mit 5Dtauer*
fteinen gepflafterten ©oben faft ganjlid? com äßaffet umgeben,
meine Sdjlaffteöe gu nehmen. fRad) Ablauf Bon iedjS Jagen
lief) mid) bet 93orftel)er jebodj in ein erträglidjereS, auß Bier
Simmern beftetjenbeö, Duariier Berfefjen; baffelbe Ijatte eine fef)r
etfrifdjenbe 2lu8fid)t, aber bie {Räume waren nid)t meublirt, fie
waren oielmefyr unfauber unb ebenfo nngefunb, wie bie fd)limmften
©äle in ben aHerfdjledjteften ^ofpitälero. 2)ie SBänbe meines
3immer8 waren nieDeid)t feit einem falben 3af)ttyunbert nidjt
gewaidjen, fie waren Bon SlnftecfungSftoff gefättigt. 3dj lief) fie
mehrmals mit Äalfwaffer abwafdjen, um ben ©eftant gu Ber»
treiben, mit bem fie erfüllt waren. 2tHe8 bieö jebod) war Ber«
gebenS. 3d? Berlot ben Stypetit unb fdjlof) barauS, bafj idj in
©efaljr war, ein langfam gefyrenbeS £agatetl}fiebet gu erwerben.
3dj Berlangte, baf) mein 3immet mit ungelofdjtem Äalf unb
SBaffer abgewajdjen werben mödjte. heftige S3orurt^eile ftanben
meinem {Bedangen entgegen. ©8 gelang mir jebo<b mit
£ülfe beS englifdjen ©onfulS, ber mir ben erforberlidjen Äalf
Berfdjaffle, gum 3iele gu gelangen. &lSbalb würbe mein 3immet
fo feljr aufgefrifd?t unb bie 8uft fo }el)t gereinigt, baf) idj wiebet
meinen {RadjmittagStljee nehmen unb bie fRadjt fdjlafen fonnte.
Slm anbern Jage waren bie 3Rauetu bereits oöüig auSgetrodfnet
unb getudjloS unb nad) Verlauf einiget weitetet Jage fyatte id)
meine ©efunbljeit wieberetlangt. 5Rit Slufwenbung einer feljr
geringen (Summe unb gum ©rftaunen bet übrigen gagaretljbe*
wohnet gewann id) für midi? unb meine {Radjfolget ein ange*
netymeS unb gefunbeS 3immer an ©teile eines unteinlidjen unb
fel>r anftedungSgefätjrlidfen."
„IBot ben Jtyüren ber beiben großen 3immet faf) man in
©tein gemeißelt bie 3«g« bcö ^eiligen ©ebaftian, beS ^eiligen
SRarcuS unb beS ^eiligen {RodsuS, bie als ©dntfcpatrone folget
2 * (1JS)
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gagarethhäufer gelten, Wriihet »erbrachte man bie non ber 9)eft
ergriffenen Stabtfranfen in biefe 3immer gum 3®ecf eine« »ietgig
tägigen Aufenthalts unb liefe biefe für biefelbe Seitbauer in einem
anberen Sintmet »eilen, beoor man ihnen einen ©efunbheitSpah
öerabfolgte.“
„3)ie 5Rehrgahl ber fünfter in biefen Simmern unb in
einigen älteren ^efthäufern finb gegenwärtig mit Siegeln net»
mauert, woburch bargethan wirb, bafj im oorigen Sahrhunbert
bie Aergte bie Söidjtigfeit ber gufterneuerung unb beS freien
guftgugeS in ben Ätanfengimtnern wobl gefannt haben, ©ine
nöllig oerfchiebene 9Jtetl)obe ift feitbem Bon ben Aergten ange*
nommen worben. @8 fe^cint jebocfe, als ob wir gegenwärtig gu
ber älteren, »eit aus gefunberen ^)rajriö gutücffehren foUten.
SGßahrftheinlidh fannte man in älterer Seit auch nicht bie gegen»
wärtig gangbaren fchlimmenSSorurtheile gegen bie Söaichungen oon
franfen ^erfonen ober oerunreinigter 3i»nmet. SDentt gerabe tn
ben alten fPeftt)äufern bemerfte ich, ba| größere Aufmerffamfeit
auf bie ^erbeifdhaffung reichlichen SBaffergufluffeS »erwenbet
würbe al8 in ber fDiebrgahl ber ^ofentäler, bie feit funfgig
Sahten erbaut worben ftnb."
UebrigenS war baS Verfahren für bie Abhaltung ber Duaran*
taine in allen ©ingelbeiten burch genaue 33orf<hriften geregelt
unb burch ©trafgefejje gefiebert, beren Uebertretung in gewiffen
Wällen burch bie SEobeSftrafe geahnbet werben feilte, ©eregelt
war baS Anmelbeoerfahten für einlaufenbe Schiffe gum Stwecfe
ber Prüfung ber Borhanbenen ©efunbheitSattefte, ohne fRücfficht
worauf übrigens in 93enebig alle aus türfifdfeeu ©ebietStheilen
ober anbern ihnen benachbarten <£>äfen einlaufenben Schiffe einet
Quarantaine unterworfen würben. & eregelt war bie Uebetwachung
ber Sagarethe burch ben SBorftanb, ber in eigener Verton bei
@onnen«Auf« unb Untergang fämmtliche £hwmi gu eröffnen
(158)
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ober $u fdjtiefeen i^atte unb, mit einem langen Stabe in ber ^>anb,
bie Anuübtung uerbädjtiget $>erj onen fi<b abguwebren l;atte, wenn
er nicht felbft ber Duarantaine »erfaßen wollte. ©eregelt war baß
©ebübrenwefen bet Sßäcbter, bie non ©taatöwegen bejaht waren,
jur SSermeibung jeglicher Uebernortbeilung Anbeter; geregelt
ber 93erfel?r ber Abgefperrten mit beftimmt bejeidjneten SOiarfe»
tenbern, bie Uebenßmittel juführten unb ityre Äörbe an langen
Stangen ben 'Abnehmern überlieferten unb bie SBegablung erft
bann in (Empfang nehmen burften, wenn bie ©elbftücfe notier
in Söeinefftg eingetaucbt worben waren; geregelt baß 2?eerbi»
gungßwefen unb jebeß irgenbwie benfbare 33orfommnif}, »or allen
anbern Dingen aber bie ©eljanblung bet Sä?iffßlabungen.
Söie baß Seefriegßredjt beß ftebgebnten 3a^unbertß eine
Oieilje »on ^anbelßartüeln unter bem Ditel ber Äontrebanbe
auß bem 33erfebt ber Neutralen mit ben Ätiegfüfyrenben gewalt»
fam ju oerbrängeu jrnfyte, fo fyatte eine tnifjtrauijdje ©efunb«
beitßpolijei aud) ben Vertrieb oerbädjtiger Artifel in ber Annahme
ber ^eftgefäbrlidjfeit auf baß Aeufjerfte eingefdjränft, wobei an«
erfannt werben mag, bafj eß, »om Stanbpunft ber »enetianifdjen
£anbe!ßpolitif auß betrachtet, immerhin lobenßwertb etfdjien, wenn
bie faufmänuifeben ©rwerbßintereffen feem Sdjub »on £eben unb
©efunbheit gtunbfablidh untergeerbnet würben.
Daß Verfahren in ber Seljanblung ber Sßaaren grünbete
fict> auf eine erfabtungßmüfeig angenommene größere aber ge*
ringere ©efabrlitbfeit in ber 33erf<bleppung bet ^>eft unb beftaub
bemgemaf) entweber in einet längere 3eit btobureb fortgefegten
Lüftung unb Umladung, ober in einfacher Lagerung unter 93en»
tilation ber 8ageträume.
Die (Erfahrungen ber neueften Seit lebten, ba§ mau biefen
Hebetlieferungen in allen $auptpunften getreu blieb, wo eß fi<b
um bie Abwehr ber fPeft hobelte.
(ist;
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22
2118 fySdjft gefährlich galten bemgemäf): SB olle, bie au8
ihrer SBerpacfung gänzlich ^erauSjune^men unb in Raufen ocn
höchftenS »iet gufj aufoufdjidjten war, um täglich jweimal um»
gerüttelt unb Bon intern Pajje entfernt p »erben, ©eibe,
Gebern, roheSaumwolle, jtameelhaare, gilj, ^)elj»erf,
Sud) unb Beinwanb, fo»ie aBe in eine berartige UmhüBung
Berpacften ©egenftänbe, mit 2tu8naijme etroa ber Btofinen unb
Äorinthen, beten theilweife 23erbunftung, wie man bamalS glaubte,
als eine 2lrt ber fDeSinfeftion »irfte. 2118 in boljem Waffe Ber*
bächtig galten aud) SEabaf, obwohl einige 2lerjte auch ibn p
Ben 2lbw ermitteln gegen bie $)eft regneten unb bafl 5Rau<hen
bringenb anempfahlen, $^ier^äute, SBachS, Schwämme unb
Äerjen, mit 3?üdfid)t auf ben barin enthaltenen 33aumwoflen»
bo<ht. greigegeben waren im unBerpaCften 3uftanbe nur @e»
treibe, ©alj, Betnfaamen, Sämereien, SBein, BJiarmor, Mineralien,
Barbftoffe, #olj, (Elfenbein, ©anb unb einige anbere Slrtifel.
<£)owar b’8 Urt^eil über bie Benetianifdjen (Einrichtungen,
bie er unter |)tei8gebung feines Bebens erforfdjt hatte, lautet im
©ro^en unb ©anjen entfdjieben ungünftig. (Et fagt barübet:
„25ie SBetorbnungen, bie in ben Benetianif(hen SQuarantaine*
anftalten beobachtet werben foBen, finb weife unb gut. ©egen*
»artig aber finbet man in faft aßen 2tnftalten ber ©efunbheitS»
pflege, bie ich ©elegenhett p beobachten hfltte, fo »tel Stach»
läffigfeit in bet 2lu8führuug jener SßorfC^riften, foniel SSeftech«
lichfeit unter ben leitenben fPetfonen, bah bie Duarantaine bei*
nahe nufcloS geworben ift unb bie Bajarethe p nichts iÄnberm
bienliCh finb, als pr Befolbung Bon SSeamten unb Dienftuntaug»
liCher ^erfonen.“
93ieBeicht lautet biefeS Urtheil noch 3U milbe. Stad) ber
Sefchteibung, bie bewarb felbft Bon feinen Benetianifchen Äranfen»
jimmern gegeben hat, würbe man ihn faum tabeln fönnen, wenn
148)
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er behauptet hätte, bah man bie Duarantaineanftalten bet ba»
maligen 3eit SBrutnefter anftecfenber ftranfh eiten mit betreiben
Siechte nennen fonnte, mit bem er jelber bie englifchen ©efäng»
nifje feiner Beit alß Schulen beß Verbrechens unb ber 33etbetbnih
gefchilbert hotte.
Von befonberet Vebeutung erfcheint baß über Venebig ge-
fällte Verbammungßurtheil auß smei ©tünben. ©inmal mar in
Vegiehung auf bie in Vetracht fommenben D ertlichfeiten feine
Seeftabt geogtaphifth fo fehr beeorgugt, mie bie gagunenftabt,
bie ihre Duarantaineanftalten in ber ©ntfernung mehrerer ita»
Uenifchet SReilen auf leicht ju übermadjenben 3nfeln eingerichtet
unb aufeetbem noch mit h°he« dauern abgefchloffen hotte, fo
bah jebe Uebertretung ber beftehenben Vorschriften beffer contro*
lirt metben fonnte, alß anberßmo.
Sobann bejah SBenebig eine ©inridjtung, bie noch hfut
ju Sage bie Aufmerffamfeit aller berjenigen oerbient, bie ber
öffentlichen ©efunbheitßpflege ihre 31 ufmetff amfeit jumenben.
©rmägt man, bah SBenebig nach feiner S3erfaffuug eine gleich»
{am centrale Stellung einnahm im Vergleich ju feinen feftlänbi»
fchen Vefifjungen, bie fid) einet gröberen Selbftänbigfeit in
ihrer SBermaltung erfreuten, fo märe fogar bie Anbeutung erlaubt,
bah gujammengefebte Staaten nach bem SDinfter bet neueren
Vunbeßftaaten Anlafj hoben fönnten, mit ber ©efchichte biefer
©inrichtnng fleh oertraut ju machen.
SBährenb einer ungemöhnlich heftigen ^eftepiDemie mar um
bie SRitte beß 15. 3ahrhunberß in 33enebig butd) Defret beß
Senats ein ©efunbheitßrath gefchaffen unb in feinet 3uftän»
bigfeit nach unb nach weiter außgebilbet motben, fo bah feine
SBerfaffung in allen ihren ©injelheiten oielen Veridjterftattern
muftergültig erfcheinen. SDiefe SBehörbe mar mit allen mefents
liehen Attributen ber ooD^iehenben ©emalt außgeftattet, fie hotte
T'Tt?
fcrUYt?.
(is»)
S • >"
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in bürgerlichen fProceffeu unb in ©traffachen eine weitgehenbe
fachliche unb perfönlidje 3uftänbigfeit uub warb non ben an*
gefehenften, reidjften, unbefted)Hd)ften, erfahrenden Bürgern bet
dtepublif alö ein ©hrenamt unb eine IDurchgangSftetle gu höheren
©taatSämtern verwaltet. ©eleitet war ba3 ©oüegium burch brei
alljä^rlid^ vom ©taat erwählte ©ommiffatien. SJiit unb neben
ihnen amtiren jvuei Jpülfflbeamte unb gwei außerorbentliche Gom*
niiffatten, welche (entere bie $)rotocolle au 93orb ber einlaufenben
©c^iffc führen, außetbem in fchwierigen unb jchleunigen gälten
fofert einfdjteitcn fonnten. Senn bie fieben gut S3ehörbe gehörigen
fPetjonen »erfammelt finb, bilbcn fie einen orbuungSmäßig be*
festen ©eridjtöhof, ber in allen Angelegenheiten ber öffentlichen
©efunbhcitspflege urteilt.
Alle 93erorbmmgen, bie nicht etwa ber gefefcgebenben ©e=
Walt ber diepubliE »orbehalteu finb, gehen non bem ©ejunbljeitö«
rath auö. ©r befifct ein fubalterneö, vom ©taat befolbcteö $er*
fonal von Schreibern, bie gleidjfam bat! fadjverftänbige ©lement
barftellcn, baher auf Sebenögeit ober auf bie 2)auer guten 93er»
halten e ernannt werben, 3?eigegeben ift ihm ferner als ©ecretär
ein redjtfwcrftdubiger 9loiar uub ein fiöfalijchct Abvofat, legerer
»ortoiegenb für bie Unterfuchung ber bem ©taate gufemmenben
©trafgcfäUc unb 33ußen. 2)ie $>tioten, b. h- bie 23orfteher
ber Äranfenl)aufer, finb bem ©efunbljcitSrath untergeben, beä*
gleichen bie über bag ©tabtgebiet verbreiteten Auffichtfibeamten
ber öffentlichen ©efmcbheitttyflege, bie ben SBerfauf ber SebenS»
mittel, bat! SDtarftwefen unb anbereS mehr gu überwachen,
auch regelmäßig über alle 3Bal>rnehmungen gu berieten haben,
bie bie öffentlid)e ©efunbheitbpfiege irgenbwie angehen. 2)affelbe
ißerfonal hat auch nuf ba8 SBettlerwefen gu achten, infofern
au8 33erwahrlofung in ben ärmften unb bebürftigfte n
©Richten anftecfenbe Äranfheiten entftehen ober be»
a«0)
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25
fßrbert werben fßnnen; e$ führt genaue ©terberegifter mit
ber Verrichtung, bei allen ploßlich oorfommenben, Ijinftdjtlid? ber
Urfadje oerbächtigen, 2wbe8füflen forgfältige ffiachfcrfdjungen an*
gufteßen, gu welkem 3»ecfe bem ©efunbljeitörath ein Slrgt unb
unb ein 6^irurgu8 befonberö beigegeben finb. Außerhalb ber
©tabt Venebig beftanb in jeber größeren ©tabt be$ »enetianifchen
haubgebietß, beren £anbel einigermaßen Vebeutung befaß, eine
nach benfelben ©efidjtbpunften eingerichtete ©efunbßeitSbetyerbe,
bie mit folgen $)erfonen befeßt fein mußte, beren Unabhängig»
feit außer Bweifel ftanb, weil fie an ^anbelSgefdjaften perfßnlid}
nitßt beseitigt fein burften, unb aus ftäbtifdjen ÜRitteln feine
Vefolbung empfingen. Sille biefe localen Vehßrben waren bem
©efunbljeitörathe ber ©tabt Venebig untergeben.
Äuffaflenb batf e8 genannt werben, baß in biefer ©intid}*
tung ber ocnetianifdieu {Republicf mandjetlei ©runbgebanfen
frühzeitig oerwirflicht würben, bie bie neuere ©taatSwiffenfchaft
nicht feiten al8 englifche Vorbüber betrachtet hat. Snßbefonbere
ift babei eigentümlich, baß man an ber ©piße einer fo macht*
ooßen Veßßrbe ben ©ebanfen ber ehrenamtlichen ©elbftoerwal*
tung in ber SBeife oerwirflichte, baß man baS fadjberftänbige,
tedwifdj* berufsmäßige unb befclbete Veamtenperfonal in eine
untergebene ©teßung verfeßte, wie bie8 noch heu*e vielfach in
ber englifcßen ©raffchaftßoerwaltung üblich ift, bagegen bie ooße
Verantwortlichfeit ber oberen Leitung nur folgen SJiännern oer*
traute, bie buvcß ißte bürgalidje ©teßung, burdj Unbefangen*
heit unb bie SBeite eines politifch gereiften Vlicfeä bie Vürg*
feßaften barjubieten fdjienen, baß fie fich in ber Verfolgung ihrer
3wecfe frei halten würben »on jeber ©infeitigfeit, bie manchen
Fachmännern eigen ift, inbem fie wiffenfchaftliche Theorien, ob«1
perfßnlidje Slnficßten als Staatsangelegenheiten behanbeln, fobalb
ihnen bie SOiacht beS SlmteS gegeben wirb.
(>*D
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2lu dj anbermärtS ^atte bie $)eftnoth bagu gebrängt, ©efunb»
hettSbebörbeu mit auherorbentlichen 2Jiac^tDoQfDmmenbeiten gu
Raffen. Sobalb bie Seuche erlofchen mar, pflegte man aber bie
Sehren bet Vergangenheit nur gu leidet gu oetgeffen. SSahrfchein»
Iid) mar eS auch baS oenetianifche ÜJlufter, baS 9Jteab cot«
fchmebte, als et 1720 feine berühmte »ielfadf aufgelegte, noch
1801 ins grangöfifcbe überfefcte Schrift auf Veranlaffung be$
englifchen Parlaments abfafjte. (St rechnet gu ben mirlfamften
33 orbebingungen erfolgreicher Vefämpfung bet Peft bie (Sinti ch*
tung eines ©ef unbheitSratheS nach bem ©runbfafce bet Unter»
otbnung örtlicher Vehörben unter eine hödjfte JfteichSfteHe. (Sr
fagt barüber golgenbeS:
„Sch glaube, baff man in atlererftet Sinie einen ©efunb»
heitSrath bilben muh, gufammengefeht auS ben höchften ©taatS*
beamten, auS ftäbtifchen Seifigem unb groei ober btei älergten;
biefem JRathe märe auSreichenbe SDRachtooUfommenheit gu ge»
mähren, um mit SMUigfeit unb ©erechtigfeit bie oon ihm auS»
gegangenen Vefehle oollftrecfen gu laffen. 2)ie Dbfotge für recht»
geitige (Srfennung ber in feber Pfarrei auftretenben (Srfranfungen
mü§te fernerhin nicht alten unmiffenben SSeibern, mie bisher,
überlaffen bleiben, fonbetn Männern oon erprobter Buoerläffig»
feit unb ©ef^idlichfeit. 3hre Pflicht märe, bie Äranfen gu be*
fudjen, unb fobalb fte irgenb melcheS ungemöhnliche ÄranfheitS»
geilen bemerfen, namentlich in gällen blaffer glecfen, oon (Eiter-
beulen ober Äarbunfeln, fofort bem ©efunbheitSrath Vericht gu
erftatten, melcher aisbann Slergte abfenben mirb, um oerbächtige
Seichen gu prüfen, unb bie nahe belegenen Käufer gu befugen,
namentlich in gällen, in benen bie Snfaffen unoermögenb finb,
meil hier bie Peft am leichteften entfteht. Söenn auf ©runb
ihres Söeric^teS baS Vorhanbenfein non peft anerfannt ift, muh
man fofort bie (Sntfernung bet angeftecften gamüie auorbnen
ei«)
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unb ben SSerfeht bet ©efunben mit ben jfranfen abfd}neiben.-
Srofc beö SeftehenB einet mit mirffamet 93Rad}t»otlfoinmen»
feit auSgerüfteten ©efunbheitsbehötbe unb trofc bet günftigen
geographifdjen S3etl}ältniffe ^atte $omatb bie ^eftfperre in
33enebig bur<hau8 unmirffam ober getabeju gefährlich gefunben.
2)et angenfdjeinlid)e SSetfaU, in bem bie 3tepublif feit 2Jienfd)en-
altern bahinfiechte, ^atte offenbar ade iijre ©intid}tungen er-
griffen. ©in befted^lic^eö S3eamtentl)um fe^te bie befteljenben
Siegeln einfach aufjer Singen, bewarb felbft überzeugte fid},
inbem er ©elbgefchenfe »erabreichte, bafj ba8 Verbot, ©elboor»
theile anjune^men, nicht mehr beamtet mürbe.
@8 märe begreiflich gemefen, menn^omarb, ber ber feften
Sfafidjt mar, b afc ba8 ?)eftgift nic^t burd) förpetlid)e ^Berührung
»on ben £autporen aufgenommen, fonbern nur burd} ©inimpfung
ober ©inattjmung übertragen roerben fönne nnb überbieS fogat
bie Seiten ber SSerpefteten nad) eingetretener ©rftarrung für
gefahrlos hielt, 9lngefid)t8 ber in 23enebtg gemachten ©tfahrungen,
3u einem ©egner ber SDuarantaineanftalten gemorben märe.
@r mar inbeffen ju gemiffentjaft, um fid} ben leichtfertigen 'Schluß-
folgerungen betfenigen anjufd)lief)en, bie in allen fallen eine
Ciuarantaine nur au8 bem ©runbe für unentbehrlich hieben»
meil ein abfoluter ©d)ufc oermittelft betfelben nicht erreicht
motben mar. 3« ftarfen 2B orten ftrafte er biefenigen, bie au8
©rünben ber ©parfamfeit ober in bet leichtfertigen SBeftreitung
bet Uebertragbarfeit ber $)eft baju riethen, »on 9Jta§regeln ber
©perre abjufehen unb e8 ben ©injelnen anheimjugeben, fich burd}
ein paffenbeS ©erhalten, burch ben ©enufc »on gutem Söein,
burd} 5Raud}tabal, burch Slufheiterung il)re8 ©emüthS, burch
rechtzeitige glud)t ober anbete, bamalB empfohlene, drittel in
Sicherheit ju bringen. 35ie grofje ÜKeht^ahl bet ärztlichen ©ad)»
»erftänbigen ftanb ju,£>omarb’g Seiten unter bem ©inbrucf bet
(IM)
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©reigniffe, fcie ftd^ 3U Anfang be8 18.' 3ahihunbert8 in 9Jiar*
feüle zugetragen hatteu unb ju beweifen fd)ienen, wa8 einerfeit®
bie 23erabfäumung oon SBorfidjtSmafjregeln auf ©eiten bet 2?e=
hövbe Detfdfulben, anbererfeitö bie Stnroenbung einet, wenn audj
»erfpäteten, ©perre nüfcen fann.
$owarb war alfo barauf bebaut, unter 2lnerfennung bet
Sßothwenbigfeit, bie ©infdjleppung ber fPeft »on ©taatSwegen
ju »et^inbern ober bod? 3U erfcf)roeten, feine 33orfchläge beu 23e«
bürfniffen feiuet Seit unb ben üBerhältniffen feine® 93aterlanbe8
anzupaffen.
©eine 58orfd)läge, bie ficb auf bie ©inridjtung eine8 $>eft»
la3aret^8 an bet englifdjen ©übfufte beziehen, haben heute unter
»öllig ceränberten Umftänben nur nod) ein feht untergeorbneteS
3ntereffe. SJian t^ut ,£>owarb fein Unrecht, wenn man fie in
bet .£>auptfadhe »eraltet nennt. fftiemanb würbe heute baran
benfen, ben non ihm entworfenen ^lan anzuempfehlen. 3mmer»
hin aber netbienen manche non ihm gegebenen SBinfe boch be»
achtet ju werben.
2tn ©teile bet hergebrachten Beitbauer bet Quarantaine
empfahl et beten Sbfütjung gerabe au8 beni ©efichtSpunfte
bet ftrengeren, thatfräftigeren iDurdjfü^rung. ©benfo war oon
ihm nid)t8 anbere8 zu erwarten, al8 bafj et in ben iflnftalten
ber Slbfperrung bie üoüften 23ütgf<haften ber ©efnnbheitSpflege
butchgefühtt wiffen wollte, um ben ©ingelnen nor bemfelben
©djicffal ber ©rfranfurtg zu bewahren, bem et felbet mit ge«
nauet Sßoth in SSenebig entronnen war.
£owarb felbft fyat fidjerlid) gefüllt, ba§, fchriftfteüerijcb ge«
nommen, feine Arbeit nid}t »otlftänbig war unb einer ©rgängung
beburfte. Sieben feinem unbezähmbaren Triebe, bet ©lenfchheil
»üblich 31t fein, mag et auch ba8 33ebütfni§ weiterer Qlufflärung
empfunden Ijaben, at® et ficb 3U feiner lebten grofjen, ruffifdjen
(1«4)
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{Reife anfcfjicfte, »on ber er nicht wiebet ^eimfe^ten füllte. —
©eine Darftellung ber ©übeuropäifdfen gagaretb*@inricbtungen
bebanbelte, nach ber {Ratur ber »on ihm burchforjcbten gänber,
nur bie bequemere, überftdjtlidjere unb einfachere §orm ber@ee*
fperte in ben .pafenftäbten.
©inige betfelben hotten fidh bie Aufgabe wefentlid) baburdb
erleichtert, bafj fte inficirte ober ftarf »erbäebtige ©ebiffe über«
haupt nicht lanben liefen, fonbern bei »erfuebter Annäherung
einfach »erjagten.
Ungleich febwieriget, als gur @ee, ift bie .panbbabung ber
Duarantainenorfchriften im {Binnen»etfebr ober an ganbgrengen.
Deflerreid) unb IRufjlanb befanben ficb, ihrem türfiiehem Machbar
gegenüber, in einer wesentlich anbern Sage, als SOenebig unb
fogar ÜRarfetlle, wo alle frangöfifeben Smporte au8 ber geoante
ausnahmslos unb unter AuSfcbluf) bet atlantifcben Jpäfen gu lanben
»aren. Ueber bie »orauSficbtlicbe SBirffamfeit bet ganbfperre
Auffläruug burdj einen fo geroiffenhaften ^orfeber wie .po warb
gu erlangen, wäre »on befonberer SSicbtigfeit gewefen, gumal
gerabe auf biefem ©ebiete bie {Beobachtungen mangelten, wähtenb
begüglid) ber Ouarantainemafjregeln in ©üb*©uropa eine {Reihe
»on werth»oKen Verarbeiten »orgugSweife bureb Stalien unb
gtanfreicb geliefert worben war.
©ine gweite, auf bie Vefämpfung ber $)eft begüglidje ,paupt»
frage wäre biefe gewefen: SBenn bie einmal bem auSlänbifcben
panbelSoerfebt gegenüber gehanbhabte ©perre umgangen war,
ober au8 irgenb einem ©runbe bie ißeft bie ganbeSgräuge übet»
febritten hot — welche weiteten ÜJtafcregeln ber Abwehr finb al8=
bann gu ergreifen? ©inb biefelben üRafjregeln ber ©perre »on
ört gu Drt, »on Söeg gu 2Beq, »on ©tabt gu ©tabt, »on .pauS
gu ,pauS einfach gu wieberbolen? SBelcbe Unterfcbiebe ergeben ficb
hier au8 bet alSbann eintretenben Veroielfältigung bet Aufgabe?
(16S)
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SBie oerljcUt fidj bet SBitfungSfreiS bet ©taatSgewalt gu bet«
jentgen bet ©emetnbe? SBelche ©dbranfen eigeben fidj füt bie
©efunbheitSpoligei auS ben Siebten beS Staatsbürgers, auS bem
©onflifte jwifdjen ben SBohlfahrtSgwerfen bet ©efeUfdhaft unb
ben anerfannten Siechten bet ©ingelnen?
S5a& biefe Stagen nicht bloß für bte 9Jiitteleurohäifchen
SBinnenftaaten , fonbern fchledE)thin bte wichtigeren ftnb im 33er«
gleich ju bet ©eefperte, fonnte £owarb nicht überfehen. @t
wat ftd? barübet ooUfommen flat bafj eine Anempfehlung bet
jDuaraniaine gegen baS AuSlanb niemals gleicijbebeutenb fein
fonnte mit einem 33erfpredhen ooflfommenet Sicherheit gegen bie
fPeft, unb bafj bet gaH einet unwitffam gebliebenen SerfehrS*
fperte nothwenbig oorauegefe^en werben mufj.
9iur wenige Anbeutungen laffen in -£>owarb’S ©dhtift übet
bie 8agarethe barauf fchliefcen, bafj et in bet £auptfa<he mit ben
einstigen Kat^fdjlügen einoetftanben war, bie fechSjig Saljre
früher »on feinem üaubSmann 5Di eab ertljeilt worben waten,
©in SJiann, bet baS ©ift beS moralifdhen ©ontagiumS in ben
englifdjen ©raffchaftSgefängniffen etfannt unb bie Sebeutung bet
Abjonberung bet ©efangenen »on ihresgleichen richtig gewürbigt
hatte, fonnte unmöglich ber t^öridjten ÜJleinung ljulbigen, ba§ man
nach bem Auftreten eines ^eftfalleS in ben ©täbten bie Jhanfen
nebft ihren Angehörigen, in ihren SBohnungen glei<hfam ju oer»
nageln habe, um bie Sntenfität beS ©ifteS ju fteigern unb bie
©ejunben butdh Anwenbung non ©ewalt in fünftlich gefdhaffenen
^)efthöhlen umfommen gu laffen. Schon auS ©tiinben achter
fDienfchenliebe fonnte £owarb feine wefentlidh anbere Meinung
haben, al8 5Jieab, bet ba lehrte: „3)a8 natürliche Siecht beS
SJienjchen, fi<h einer SebenSgefaht burd) gludht ju entziehen, barf
butdh ben ©taat, burdj ©infpettung in Beiten ber $)eft, nidht »et«
nidhtet werben. AlSbalb nach gemelbeter ©rfraufuug finb bie
<166)
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Ärcmfen nicht in ihren Raufern gu beiaffen, fonbern fofort in
paffenb eingerichtete Sänftalten gut Teilung gu bringen. Bhte
£au8genoffen finb außerhalb bei Stabte ober ÜDörfet in gut
»entilirten Bellen untergubringen unb bort, abgefonbert com SBerfetjr
mit uncerbächtigen $)etfonen, eine Beit lang gu beobachten. Bebe
£ärte gegen bie bet ^)eft eerbächtigen sPerfonen fteigert nur bie
©efahr Der Verheimlichung, »ähtenb auf redjtgeitige ©ntbecfung
bet etften gälle SlUeS anfommt. 2)ie ®ebrauch8»©egenftänbe(
ÄleibungSftücfe u. f. w., bie mit ^eftftanfen in Verühtung jtanben,
finb am beften butdj geuet gu Gereichten. Um bet ^abfudjt, bie
folche SDinge gern aufbewahrt, »irffam gu begegnen, empfiehlt
fich ©ntfdjäbigung auS öffentlichen SRitteln für bie obrigfeitliche
Vernichtung peftgeführlichen Vricateigenthumö. kleinere Drt»
fchaften foHen im »eiteren Umfreife abgefperrt , eingelne ©e*
höfte, in benen ^)eftfäHe corfommen, niebergebrannt »erben.
Unter feinen Umftänben batf bie Seuche in enge Väumlichfeiten
gewaltfam eingefchloffen »erben."
Vergleichen »it nnfere heutigen Äulturguftänbe mit ben»
jenigen, bie gu $o»arb’S Beiten gegen ©nbe beS nötigen
BahrhunbertS corhanben waren, um gu ermitteln, welche 9tath»
fchläge unb ©rfahtungen früherer 3eiten gut Vefämpfung ber
9>eft für un8 brauchbar, welche anbern als ceraltet gurücfgu*
weifen finb, fo lafjt fich »ic^t oerfennen, bah in wichtigen fünften
bie uns umgebenben Verhältniffe ganglid? ceranbert worben finb.
Bmmethin aber haben wir, in ©rmangelung guteichenbet @t»
fahrungen innerhalb beS heut lebenben ©efchlechts, alle Vetan«
laffung, bie befferen, auf bie ®ef<hi<hte bet ^eft begüglichen
Schriften, gu benen ^owarb’S Slrtifel gu rechnen fein bürfte,
aufmerffam gu butchforfchen unb ihren Bnhalt mit ben Veo»
baäjtungen gu cergleichen, bie bie neuere SBiffenfdjaft übet an»
bete Seuchen, inSbefonbere über ben JcphuS unb bie ©h»lera
- (»t)
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angujlelfen bemüht war. 2Ba8 inSbefonbere bie ©^oleta anbe«
langt, beren Urfprunggftätie gleichfalls bem Drient angehört,
fo ergiebt fic^ ber 9trt ber Berfchlcppung unb Uebet«
tragung non Drt gu £5rt eine {Reilje faum abguweifenber 2lna*
logien.
SDie hauptfächlichften Schwierig! eiten, bie einet 9lad}afymung
ber alten ^eftfperre gegenwärtig im SSege gu fielen fdjeinen,
bürften in folgenben Umftäuben geboten fein:
2)et ^jaubelöoerfehr gwifdjeu ben abenblänbifchen Staaten
unb ber orientalifcjjen SBelt unb bie Bewegungen beö f»erfonen*
gug§ »on £)ften nad) SBcften unb umgefeljtt ^at eine sjluöbeh«
nung gewonnen, bie jeber Begleichung mit bem ootigen 3aljr=
hunbert fpottet. 3n8befonbete muß auch bie £erfteHung be«
alten |>anbel8weg8 nach Dftinbien oermittelft ber SDurdtjfted^uug
ber Üanbenge oon Sueg babei »eranfdjlagt werben. 2tn Stelle
ber alten Segelfd)irfe, bie nad) längerer Seefahrt wenigftenö
gwifcben mittellänbifchen $äfeu unb norbifcben £anbd$plößen
einige Bermutßungen bet Unoerbächtigfeit für fid) Ratten, finb
fd)itell laufenbe SDampfer getreten, bie au gasreichen ätuijdjen«
ftationen ü)te ^affagite wed)feln. fRußlanb, ein faum gu übet«
fdjauenbeö BetbinbungSglieb gwifdjen Slbenb« unb SJlotgenlanb,
hat feine ©rengen nid)t nur gegen SBeft'Europa oorgefdwben,
fonbern fidjaudj, wa8 nod) bebeutfamer ift, ben alten ©rengftätten
ber $)eft in 9lfien burd) feine Eroberungen fort unb fort ange«
nährt. SDte Bebeutung feines $anbel8, ber auf großartigen
Schienenwegen, gwijd)en ben Ufern ber 9}ewa unb ber 2Beid)fel
einerfeitß unb ben ©eftaben beS j<hw argen ÜJteereö unb ben tranö»
faufafifdjen Bedungen bahinrollt, fteigert bie ©efährlidjfeit ber
Uanbwege für s))eft unb Eßolera oorgugöweife im ,£>inbltcf auf
2)eutfd)lanb unb £>efterreid). Unfere mittleren unb größeren
Stabte, bie Sammelpunfte einer nicht nur gasreichen, fonbern
(ISS)
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33
jum grofjen Sljeil leiber ! auch batbenben unb nothleibenben 33e*
oölferung, haben eine Auflbehnung gewonnen, bie eine Anwenbuiig
bet alten $)eftfperre auf grofce ©innenftäbte unbenfbar erfdjeinen
laffen rnufi. 3Rit bet Anhäufung einer ungeheuren ©eoölfetungb»
jiffet in ben mobernen 3nbuftrieftäbten bat meiftentheilb bie 33effe=
tung bet ©ohnungboerhältniffe, bet öffentlichen ^Reinigung
unb bet 33olfbernährung feinebwegb gleichen ©chritt gehalten
unb eb möchte in ben ‘Augen mancher SBeobac^ter ber Bweifel
wohl berechtigt erfcheinen, ob in beu nieberen 33eDöIfetungb»
fchichten mancher ©uropäijeher 3nbuftrieftäbte, befonbetb ju
3eiten ungewöhnlicher wirtschaftlicher fRoth , bie wötberifdjc
Äraft ber $eft nicht großer fein möchte, alb in orientalischen
Jpafenftäbteu.
Auf ber anbern ©eite ftehen aber auch *><e erheblichen ©egen»
anjeigen, bie unb oor übertriebener ^urc^t »amen.
(Sb ift unmöglich, bafj bie fPeft gegenwärtig weite ©treefen
ganbeb burchroanbert, ehe fie bemerft unb erfannt wirb, ©eil
fie fiel? oon ihren ehemaligen Schleichwegen gu ben größeren
93erfehrbftrafeen ^im»enbet, unterliegt fie, überall wo fie be»
troffen wirb, ber ©ahrjcheinlichfeit fofortiger (Sntbedfung. Ob»
wohl fie unb fchneller erreichen fann, alb ehemalb, finb wir ben*
noch beffer barauf oorbereitet, fie in gebührenber ©eije abju*
wehren, ober, wo b ab unmöglich fein follte, einjufdjränfen unb
3U befämpfen. S3eoor ber ©üterjug, ber cerpeftete ©aaren
fortfcbleppt, in einen (Sifenbahnljof einläuft, ift ihm ein tele»
graph'f<her Sunfe ooraubgeeilt, ber bab ©rgebnif} forgfäliiger
©tfunbigungen übermittelt, ©ang ©nropa fteht unter ber ^)o*
lijeiaufftcht einer Alleb beobachtenben treffe, bie auch bab ent*
fernte ©erficht bezeichnet unb ju fofortigen Aufflärungboerfuchen
anregt. ©elbft fäumige ‘.Regierungen ftehen unter bem ©influfs
ber öffentlichen Meinung, bie ©chu^ für geben unb ©efunbheit
XIV. »17. 3 (1S9)
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34
gebieterifd) »erlangt, ©efteigert ift baS ©efüfel ber Verant*
wortlichfeit in bern ©eamtenthum gegenüber ben ftaatSbürgerlichen
fRedjten. Stach gleidjmäfeiggehaubhabten Metfeoben beobachtet bie
moberne Statnrwiffenfchart in aQen ätulturftaaten bie gleiten
Vorfommniffe. Sfteue ©efidjtSpunfte fittb für bie Veurtljeilung
ber VolfSfeucfeeu gewonnen. Die Vobenoerhältniffe menfchlicher
©ofenftätten, bie man oor hunbert Sauren noch unbeachtet liefe,
finb in ihrer SBebeutung gewürbigt unb als ein Factor ber ©e*
fuubheitSpflege erfannt. Dur dj baS Mifrojfßp« baß bie fleinften
Dinge taufenbfad} oergröfeert unb bie djemifche [Retorte, welche
Stoffe ^erlegt, ift gwar über ben Urfprung ber VolfSfeuchen noch
nichts entfchieben, aber mancher Stttfeum jerftreut, ber ju fehler»
haften Maferegeln ber [Regierung ben Anlafe bot. SBenn auch
nicht auSgerottet unb immer noch erheblich, ift wenigftenS in ben
mittleren Schichten unfeTer Venölferung jener Aberglaube oer»
ringert, ber ber 9)eft SBorfcfeub leiftete. Selbft baS SBad)Sthum
ber poiitifchen Freiheiten ift nicht ju unterfcfeäfeen. konnten bie
abfoluten Monarchen auf bem ©ontinente ©uropaS oor hunbert
3ahren, ohne irgenbweldje Scheu oor moralifcher Verantwort*
lichfeit, fchnefler befretiren, rücffichtStofer befehlen unb wiflfürlid}
ftrafen, fo oermochten fie boch weniger butchgufefeen, als bie
Staatsmänner eines freien ©emeinwejenS, beren Mafenahmen
fadwerftänbig norbereitet, forgfältiger erwogen unb non bet frei*
willigen Unterftüfeung gemeinfinniger VenßlferungSfchichten nach»
haltiger gefräftigt finb. Die ungeheuren Machtmittel, bie in
©eftalt unfeter ftefeenben Armeen aufgefammelt finb unb in einem
ÄriegSfaUe baS menjchliche lleben »ermßge ber Verfeinerung ihrer
3erftörungSmittel mit maffenhafter Vernichtung bebrofeen, fönnten
möglidherweife $u Anftalten ber MenSrettung umgewanbelt werben,
wenn fie ber heranrüefenben Seuche als Sperre entgegengefteHt
werben. Mit ihrer planmäfeigen Vetwenbung föunten Mafe*
(1TO)
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regeln bet 2lbfpertung, bie früher an ißrer UnauSführbarfeit
fd^eiterten, gegen ben gu 8anbe anbringenben SBerfeßr unter Hör*
auSfeßung ihrer fftüßlicbfeit burchgefeßt unb erjwungen werten.
§ln ©teile ber ^>a^ierbl of ab e, bie gegen bie $)eft früherhin
erflärt würbe, liege fidj ein wirffamer 33elagerung8juftanb hanb*
haben.
9iicht ju überfeinen ift, baß bie $)eft fich immer mehr unb
mehr au8 ben Äüftenßläßen beS türfifdnen ©ebietS in entlegene
©tätten beS innetn ÄleinaftenB jurüdgegogen h®i- ©elbft bie
geinbe ber Slürfei, bie ihren Untergang »erfünben, müffen an*
erfennen, baß feit ,£)owarb8 3«ten bet S3orrath an menfchlidjer
.Kultur in , Segneten, ©riecbenlanb, Horberafien geftiegen ift.
SBäre eS witflich wahr, waS man »or hundert Sohren allgemein
glaubte, baß bet 33aumwoKeuhanbel »orjugSiueife ber 2räger beS
§)eftqifte8 gewefen fei, fo würbe bie Verlegung ber haußtfäch’
lidjften ^Bezugsquellen ber SBaumwoUe nach fftorbamerifa unb
SDftinbien als ein günftigeS Slnjeidien gebeutet werben fßnnen.
5Bon befonberer SBichtigfeit ift aber eines, waS £owarb ju
feinet Seit nicht beachtet hat, weil er eS noch nicht beachten
fonnte: 2)ie gänzlich eeränberte SSebeutung ber nölfer»
rechtlichen Schiebungen in ber heutigen ©taatenwclt.
Sßor hunbert Saßren hawbclte jeber ©taat, wenn er fich burdi
Sperre unb JDuarantaine gegen baS fRaßen bet ^>eft ju wehren
trachtete, nicht nur auSfcßHeßlid) in feinem eigenen Sntereffe,
fonbetn auch mit bem immerhin befeßränftern gjtajj feiner eigenen
Sötittel. SöaS anbetc ©taaten beabfichtigten ober erreichten,
blieb unbeachtet. ®aßer bie Bertßeilung ungleichmäßig unb
ungleichseitig wirfenber Kräfte. £eute bagegen finb fämmtlidie
©taaten (Europas ron bem SBewußtfein gemeinfamet Sntereffen
unb gemeinfamer ©efaßren auf bem (Gebiete ber ©efunbßeitS*
pflege unb in bem Kampfe gegen bie .großen HolfSfeudien ebenfo
y* cm>
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fet>r butcpbrungen, wie üon bet Ungnlänglicpfeit eines »erein*
gelten ©orgepenS gegen einen geinb, bet nicpt mehr biefen ober
jenen Staat, fonbetn bie Sötenfcpheit unb bie SBelt bebropt.
©erabe bie ©ntroicfelung beS mobernen ^anbelSoerfeprS pat biefe
Uebergeugung gum 35utcpbruch gebraut. So entftanb bie neue
Aufgabe auf bem ©oben bet gütigen ©efittung: 3)ie Stuß»
rottung bet ©polera als eine gemeinsame Angelegenheit ber
Äulturftaaten mit gemeinfameu ©titteln gu betreiben. Snbem
bie 3Beft*©uropäifcpen Staaten gemeinfam nach »otangegange*
nem ©inoerftäubnifj gleicpgeitig hobeln unb entfett offen
gur rechtzeitigen ©etpängung einet £anbelSSperrc gegen foldje
Staaten fd>teiten, in beten ©ebiet bie ?>eft aufgetreten ift, ftepern
fie fiep einen ber 9Jlenf<h^eit bienlicpen ©iufluf) auf Regierungen,
bie auä ©igenfinn, Unfenntnifj, ©equemlirpfeit ober Seichtfinn
mit ber SDutcpfühtuug entfepeibenber ©tafjregeln gögern möchten.
SDie ©töglicptect, bie cot punbert iahten fehlte, ift heute ge*
boten : SDie ©uropäifepen StaatSregierungen finb befähigt, ihren
gemeinfamen ©influfj an ben außereuropäischen UrfprungS*
ftätten bet ©polera unb $)eft in nadjbtöcfli^et Söeife fühlbar
gu machen unb bie allmäplige Ausrottung jener Seuchen angu*
bahnen, inbem man begreift, bah 3« aHermeift bie SBanber«
jeucheu an ben ursprünglichen Stätten ihres regelmäßigere Ur*
Sprungs gu befämpfen finb.
SöelcpeS aber mürbe eorauSficptlicp baS ©erhalten ber heu*
tigen ©efellScpaft fein, wenn eS troß oder ©orficptSmaßregeln
nicht gelänge, bie $)eft »on ben ©rängen ber »eftlichen ©uro*
päifcpen Staaten fernguhalten? SBürben mir oon Reuem burch
Schrec! gelähmt werben unb baburep ben einbtingenben Söiber*
Sacher ©orjehub leiften, wie eS in früheren 3aptpunberten gefepah?
SBürben fiep Buept unb Sitte löfen, wie in ben 3eiten beS breißig*
jährigen ÄriegeS? SBürb? bie ©taffe ber gureptfamen burep
(»7»)
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fopflofe gludjt A0e8 in SSerwirtnng ftürgen? SBütbe bet Saumei
bet ©enufejudjt, bie iljre ,£>enfergmablgeit mit Sobesfurcfyt paart,
im Sünbnifs mit feiger 33ergmeiflung bie Dbetbanb gewinnen“?
Ober finb bie moralifdjen Sefifjtbümer bet ©egenwart, finb
Aufopferung, ÜJtenfdbenliebe, ©emeinfinn, ©elbftoerleugnung, in
bemfelben SJtafee geworfen, wie bet SSorratb unferet wiffen*
ft^afüidjen .ftenntniffe?
3 dj wünfc^te, biefe &tage bejahen gu fönnen, aber idj muf)
fie unentfdjieben taffen. 9ftid)t gu leugnen ift jebodj, bafj bie
©efabtlidjfeit ber $)eft nicht bloä abbängt non ber Söetbetblidj*
feit %e8 im ©unfein fcbleicbenben ©ifteö, fonberu aud) oon bem
SJMnbermaf) fittlidjer ©igenfdjaften, bie in ben ßljarafter bet
SBöttet wurgeln. §eig^eit, SBetgwetflnng, ©igennufc unb ©enuf)=
fud)t finb bie fiebern 2)unbe8genoffen bet ©eudfe unb oetoiel»
faltigen bie Äeime be8 Sobeö.
j£>tet geigt fidj bie SSedjfelmirfung aller menfdjlidjen gebenS*
cetl)dltniffe. ©em oft betonten SBorte, ba8 eine „gefunbe ©eele
im gefunben geibe" terbeifet, ftebt wenigftenö im .£>inblicf auf
bie großen SBanberfeucben alö ©egenfafc oon gleicher ©tärfe aud)
bie SBabrbeit gegenüber: „(Sine gefunbe ©eele, auögerüftet
mit ben Sugenben bet ©elb ftbeb ertfd)ung, mit bet
Äraft ber ©ntfagung, f ätjig gut Aufopferung beö
©igennu^eg auf bem Altar bet 951 enf d>e nliebe , oet bürgt
bie 58al)rfcbeinlicbf eit ber ©ef unbbaltung beö geibe8.
©ie gefunbe ©eele ift öaumeifter beö gefunben geibeö!
Jpowatb mar nid)t ber erfte, ber in 3eiten ber ^)eft ba8
eigene geben an bie IRettung feiner SRitmenfdjen gefegt bat. ©urd)
ba8 ©unfel einet ber trübften Beitperiobeu ftrablt ber 91a me beö
(SarbinalS Söoromeo. Aber man batf nicht oergeffen, ba§ ber
befebeibene 33rite, ebne burdj firc^lidje ©elübbe gebunben, ebne
oon fDtoticen menfd)licber @brfu$t getrieben gu fein, loSgelöft
(113)
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38
»ort aßet ©enoffenfdjaftlichfeit gleidjftrebenber Ntenfdjen, lebiglich
auf ftdj felbft ftefyenb, frei oon jener Pflicht beS ©erufeS, bie bem
2lmte beS ©eiftlicbcn uub SlrgteS in Seiten bet fyedjften 9lott) gur
Sierbe gereift, hetauSgetreteu ift aus bem ©anne beS SBohllcbeuS,
au8 ben (Stätten bet ©efunbheit, auS bem Äreife bet gteunbc,
au8 bem ©enuffe »erbienten unb wohlerworbenen SRuljmeö, au8
bem Stammen be8 eignen ©aterlanbeS, um in weitefter gerne, gu
Seiten bet fPeft, Ungläubigen unb dürfen Jpütfe gu bringen.
3n einem anberen, als bem mittelalterlichen Sinne, fam et
al8 Äreugfahter in ba8 SCßotgenlanb. ©t trug ba8 Äteug be8
gtiebenS, unb in feinet ^erfon offenbarte fidj wahrhaft ber ©eift
einer neuen, über bie Sdjranfen bet Nationalität unb ber mittet
elterlichen Kirche erhabenen Ntenfdjenliebe. @r ift bamit einer
ber Propheten jene8 rothen ÄteugeS geworben, ba8 in .ftrieg8=
geiten ben oerwunbeten geinb aufrid)tet unb heilt, eines Symbols,
ba8 möglicherweife auch in SuFunft eine ebenfo greife Aufgabe
3lngefi<ht8 oerheerenber Sßanberfeuchen finben Fönnte, wenn e8
barauf anfommt, 25iejenigen rechtgeitig gu fammeln, bie furchtlos
unb entfchloffen, wo anbere Kräfte fehlen unb oetfagen, bem ^)eft*
hauche entgegengehen unb bamit auf’S Neue beweifen, was jpo«
warb bewiefen hot, bah bie 3>eft in ber ©egen wart Feines jener
apoFalphtifdjen Ungeheuer ift, beuen bie »ergagenbe 9Neuf<hheit
fich hänbetingenb gu unterwerfen hftt, fonbern ein geinb, ber
burch Flare Ueberleguug, reebtgeitige ©erficht, tapfern Ntuth unb
hingebenbe Ntenfchenliebe aue bem gelbe gefchlagen werben fann.
3Uimrrhungrn.
1) Directions for the eure of the plague by tbe College of
Physicians and Orders by tbe Lord Mayor and Aldermeu of
London, 1665.
(174)
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2) Sott SRicharb SUleab, bem Seibargt ©eorg I. unb SSerfaffer
einer noch ju Anfang tiefe® SahrljunbcrtS ^gefdbäfeten Abbanblung über
bie ^)eft, berietet fein franjrftfcber Ueberfeßer St^eobcre gierte
SB er t in nach englifcber Quelle eine Anefbote, bie ib>reS culturgefcbicht*
liefen Sntereffe« wegen, hier erwähnt werben tnag.
6in greunb »on SUleab batte 1722 im Unterlaufe bie Äönigliche
SRegierung fc heftig angegriffen, baff er unter ber Anfcbulbigung bc« föoeb*
»erratf« im SDlarj fce8 folgenben Sabre« in ben lewer gefegt würbe.
(Einige Seit nachher warb ein SUlitglieb be« SUiinifterium« fran? unb ließ
Dr. SUleab rufen, um oon ihm bemäntelt ju werben. Der füniglicbe
Skibarjt erflärte, baß er beftimmt Teilung »erfpreebe, aber fein @la«
2Baffer »erabrcicben würbe, besor bafl ihm befreunbete Unterbau«mitglieb
au« bem Stowet entlaffen fei. 35a bie Äranfbeit be« SUlinifter« ftch »er*
ftblimmerte unb ber Ä5nig erfuebt würbe, in bie greilaffung ju willigen,
erfüllte fub bie »on SUleab gefteflte SBcbingung, unb btefer feilte ben
SDlinifter. Am Abenb ber greilaffung überreichte SUleab feinem gteunbe
5000 ©tüneen an ärjtlicbem Honorar, bie er für bie SBel)anbluug be«
Patienten feine« eingefperrt gewefenen (Sollegen in ber 3wifcbenjeit be*
jogen hatte. —
3) 3>ie Warnen bet beteiligten Aerjte waren: SRapmonb, Arjt,
unb 2)e«moulien«, ©btrurg, beibe gu SUlarfeifle, ©io»anelli »on
Üi»omc, Stbep non SUlalta, SUloranbi ju SBenebig, SSerboni ju Strieft,
ein nicht naher bejeidmeter jübifc^er Argt ju Smprna unb gra guigi
bi ^)aoia, $>rior bc« fDofpital« »on ©t. Antonio, ebenbafelbft.
4) Dr. SUloranbi , ber in SBenebig jebenfaU« ©elcgenbeit gu häufigeren
Beobachtungen batte, »erfteberte bewarb, baß e« gwei Arten »on 5>eft
»on ähnlichem (Sbarafter gebe, bie eine »on guft»erberbniß berrührenb,
theile fidj auf alle (Entfernungen mit, bie anbere wirfe nur burch
Sontact ober febr nabe Annäherung an SPerfonen. 5)ie erften nenne man
,,'Peftfieber", bie gweite „AnftccfungSfieber*. SDarau« gebt ber»or,
baß er alle SUlalariafieber gur ,f)eft" im weiteren Sinne regnete. Berber
finben wir bei £>omarb ebenfowenig wie bei anberen geitgenäjftfebtn
©chriftftellern, genauere SUlittheilungcn barüber, wie ftch bie fog. ägpptifcbe
$>eft in gewiffen ©egenben nach <btem Auftreten ju enbemifdjen SUlalaria«
fiebern »erhielt. SUl o ranbi fcheint jebenfaU« ba« SBenecianifche fog. Lagunen»
lieber gut f)eft im weiteften Sinne gerechnet gu haben.
5) 3)ie Angaben, bie £>owarb erhielt, waren fehr »erfchieben. 3iebt
man aber ben 3Surchf<hnitt , fo ergeben ftch etwa gwei (Drittel 5tobe«fätIe
im SBerljältniß gu ben (Erfranfungen, wafi ber 61) olera ungefähr gleich*
(IT&)
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foinmen bürftc. Bie^t man bie oft unjwecfmäfjige BebanblungSweife
ber bamaligen Bett (?« häufige Vlutenziebungcn!) in iöctracbt, fo jcbeint
beute {ebenfalls fein ®runb oorbanben , bie Peft ineijr $u fürsten, als
ifyre afiatifcfje Soncurrentin.
6) 2luf (Srfurf)en teS rufftfdjen £wfe3 lieg ber ®ejunbbeitSratb non
Venebig eine £)eilmetbebe burd) ben primaarjt ©iambaStian Paitoni
1784 auSarbeitcn, wcoon ^owarb einen 9luSjug lieferte. paitoni
fagt, bajj äberläffe unb äbfiibrungSmittel unjuläffig feien;
alle ÜJlittel, njeldjc ben Äräftejuftanb beS Ätanfen ju beben geeignet feien,
gelten ibm aiS gut, alle gegentbeilig wirfenben fehlest. 3m erften
Stabium feien Schweiß treibenbe Büttel nü^lid^. 21 IS günftigeS Beiden
faßt er bafl Auftreten ber Bubonen, ftnb biefe mifjfatbig (liuib) ober
fdjwarj, jauchig, ober warfen fie fcbnctl, fo ftebt eS fcblimm. (Sin noch
fdjIcc^tereS 3eicben ift 2lntbra;r. gaft immer tßbtlid) ift ber Verlauf, wenn
Petunien ftcb geigen ober aber (Durchfall unb .^ämorrbagien eintreten.
3u cerwunbern ift, baß biefer oielfad) mobem »erfabrenbe 2lr$t nicht
ber äbffiblungSbäber jur Befiimpfung beS gieberS ober ber permanenten
üufterncuerung gebenft, obwohl er Ventilation als S<hu|jmittel gegen (Sr«
franfungen empfiehlt.
7) lieber ben SBitterungSeinflufj berichtet ^powarb eine beglaubigte
Beobachtung aus bem (Dorf Spam bei SEibeSmell in (DerbpSbire, wohin
1665 bie peft aus Sonbon burch ein paquet mit BefleibungSftoffen ge=
langt war. 3m September 1665 jtarben 6, im Dctober 22, im Bo«
»einber 5, im (Dejentber 7. 3m Sanuar 1666 3, gebruar 5, Blärj 23,
äpril 12, ÜJlai 5, 3uui 20, 3uli 53, Sluguft 78, September 24,
Dctobcr 17, Bocember 1. Leiber ift bei bewarb bie ©efammtjiffer
ber Sinwobner unb ber Srfranften neben ber Ba^l ber StobeSfäHe nicht
Bezeichnet.
8) (Die Serminclogie ber granjofen unb 3taliener unterfchieb patente
brüte unb patente nette.
SS waren bie«: Ptarf eitle, wo er bie prajciS ber (Durcbraucberungen
IobenSwertl) fanb, ©enua, Sioonto, Beapel, Blalta, 3ante,' Sntprna,
Venebig. Von biejen gab er furje Beitreibungen, äußer ben befchriebenen,
fab $) owa rb noch anberen Qurantaincanftalten, an benen er nichts er«
mäbnungSwertb fanb.
(»«)
Drurf oen ö(br. Uiigir (XI). Wnmui; in ©etlin, S^inctngrrfb. 17*.
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Anfänge 6er Kunft.
^Inthropologtfd^e Beiträge jur (ßefcfycfjte
6es ©rrtarrtents.
Sorttag gehalten im Äunftgewerbe» 33erein in ÜJlüitcfyen
ben 28. 3anuat 1879
cen
^tcfeffer Dr. 3ol)amtE5 ttitnhc
in Diünd'en.
3 i >\
fitdi» SW. 1879.
SSerlag ton (Sari £ a b e l.
(C. if. rSbciti’sd’r X)iri«gaba4i|ianbW!ig.)
33. WinCim • EtraS* 33.
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2 )ni SRccfot bei Ueberfeßung in frtmbe Sprayen wirb corbebalten.
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5teu§erlich geringfügig, unfdjeinbat, für baß 33erftänbni§ ber
allgemeinen Äulturentroicfelung ber 3Jlenf<hheit aber hochbebeutfam
ift baß Sßatertal, welcheß ben ©egenftanb ber fotgenben SBe»
fprechungen bitbet.
2)aß möchte ich Dotaußföhicfen: ich fpreche nicht alß Äunft»
fenuet, fonbern alß Anthropologe — hoch über Materien, in
welchen fich Strd^äologie unb Anthropologie bireft bie Hanb reichen.
SBenn ftd) auch bie moberne Anthropologie oorwiegenb ber 6t»
forfchung bet förperlichen 6igenf<haften beß ÜJienfd)en wibmet,
fo hat fie boch nicht barauf oerjichtet, auch ©tunblagen bet
geiftigen 6ntwic!elung ber Sftenfchheit, bie ©runbphänomene beß
gefeflfcbaftlidjen 8ebenß nnb gwar »or adern jene, welche fich in
wirtlichen Dtaturobjecten, wie Utahrungßmittel, SBohnung, ©eräth,
SBaffen, ©chmuc! barftetten, in ben .Kreiß ihrer ©tubien gu
jiehen. SDaburd) tritt bie Anthropologie in birecte 93erbinbung
mit Äulturgefchiöhte unb Archäologie. Aber währenb bieje beiben
25ißciplinen gerabe in ber IDarftedung ber haften SMüthen beß
menfchlichen ©eifteß ihre Hauptaufgabe juchen rnüffen, befchäftigt
Reh bie Anthropologie mit ben „Anfängen ber Kultur unb
Äunft", wie wir biefelben theilß bei ben einem 9laturgu[tanbe
näher fteljenben SBöltern unb IRaffen noch heute beobachten, an»
bererfeitß auß ben Kulturreften reconftruiren fönnen, welche unß
bie älteften SSewohner unfeteß Sontinentß binterlaffen haben.
SRamentlich auß ber lederen Oteihe beabfichtige ich 3h«en heute
©inigeß »orgulegen.
XIV. 318. 1* (179)
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4
ÄeineSwecjS feiten fonbern feht gasreich ftnben fid) überall
in (Sutopa bie Objecte bet ar<häologif<h*anthropologifchen gor*
fdjung. 2Sir ftnben bie SRefte uralter Slnfiebelungen unb 33er«
feljrSmege, (SultuSftätten nnb 33efeftigungen. (Sin eigenartiger
längftDerfdjellener Slcferbau ha* an Bielen Orten feine ©puren
als fogenannte „^odjäcfer" bem 33oben feit 3al)rtaufehben un«
nertilgbar aufgebrüdt.
fRadj laufenben jaulen aud) in unferen ©egenben bie ur*
alten 39egräbnifjftätten in #ügeln nnb ©räberfelbern, wo nad)
altheibnifcher Sitte neben ben Leichnamen SBaffen unb Schmucf
ber fUlänner unb SBeiber mit ben Urnen unb ben ©eräthen beS
täglichen ©ebraudjS niebergelegt würben. 91 uS bev 3u!ammen»
ftellung all’ ber bis je^t befannt geworbenen (Singelfunbe gelingt
eS fdjon, ein reichfatbigeS Silb ber (Sulturentwidelung bet euro»
päifdjen 33orgeit ju entwerfen.
SBäljrenb in früherer Beit namentlich bie heibnifchen ©rab«
ftätten als bie wichtigen Duellen ber anthropologifcb-archäolo»
gifdjen gorfdjung galten, eröffneten fid) in neuerer unb neuefter
Beit gunbftellen, welche ein übetrafcbenb oiel reicheres unb weit
BollftänbigereS SRaterial lieferten. 3dj meine bie SRuinen jener
alten 3Bohnplä£e, welche auS bem Schlamm unb Schutt ber
Sahrtauienbe wiebet anSgegraben würben, auS benen unS, ähnlich
wie auS ben wiebeterfchloffenen 2lfd)enhügeln beS 33efuo, ber
Bolle fReig beS täglichen Lebens auS grauer 33orgeit entgegen»
leuchtet.
SDie confetoitenbe .Kraft ber trocfenen Bulfanifdjen lÄfdje,
welche unS bie Äunftjchäfje Bon ^»erfulanum unb Pompeji fo
wunberbar frifch erhalten hat, wirb in unferen gunbfteflen erfefct
burch bie bie gäulnif) unb Orpbation ^tttbcmbc SBirlung torf»
ähnlichen Schlammes unb witflichen SOorfeö in Seen unb 9Roor»
ftrecfen. 3n ben fohlen unferet .Kalfgebirge finbet ficf) nicht
feiten eine bie gerftörenben (Sinroirfungen ber atmofphäte ab»
haltenbe Sdjufjbecfe Bon SEropfftein ober SEuffftein über bie
(180)
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5
Sfteftc alter SBohnpläjje gebreitet. ÜÜSäfyrenb auf bem flauen
8anbe bie ©puren ber alten Söopnftätten, ihrem meift Dergäng*
liehen Plateriale: $olg unb 8ehm, entfprecpenb, faft »oDfommeu
Derfdjwunben finb, finben wir an ben genannten fchüfcenben
Drten ihre 9tefte oft noch in einem gerabegu ftaunenerwedenben
©rhaltungSguftanbe.
@8 ift hier nicht meine Aufgabe, 3h»en im ©ingelnen bie
©efchichte ber gunbe torgufüpren, benen wir ben neuen Huf*
fdjwung ber anthropolcgifch^arcbäologijchen gorfdjung. Derbanten.
©ie erinnern fich noch ®He baran, wie lebhaft ba8 allgemeine
Sntereffe erwecft würbe, bureh bie erfte Sluffcnbung bet fRuineu
jener metfwürbigen in bie ©een hirteingebauten »orgefdjichtlicben
SBohnftatten, bet 'Pfahlbauten unb ber ihnen ähnlichen Slnfiebe»
lungen, welche namentlich in bie föhcfeen ber ©djwcig reiche
©chä^e !ulturgefd?ichtlichen SDRaterialS lieferten.
fabelt jd}on bie Pfahlbaufunbe un8 einen ©inblid in eine
auffteigenbe ©ulturentwidelung in grauer SSorgeit eröffnet, fo ftnb
boch oom anthropologifchen ©tanbpunfte aus bie gunbe alter
SBohnpläfje in ben fohlen noch bebeutfamer, ba wir ben lejj*
teren ein noch oiel ^o^ereS Filter ald ben ^>^albauten gufprechen
muffen.
SBährenb wir in ben Pfahlbauten, auch tn jenen, beren 33e*
wohner nur SBaffen uub ©eräthe au8 ©tein, Knochen unb Jporn
beugten, beutliche SBeweife eines alten &derbau8 finben: bie
©etreibeförner (©erfte) unb bie flachen ^anbrnüplfteine, um ein
roheä Plehl gu bereiten, ja bie nerfohlten 9tefte be8 barauS ge*
badenen, bem weftphälifchen Pumpernidel ähnelnben Pfahlbauem*
brobe8 felbft; währenb in jener Periobe ber Weinbau feljr Der*
breitet war, wie un8 bie in Piaffe gefunbenen ©amen, bie
©pinnwirtel unb ©piubeln, bie SBebegewidjte ic., bann gaben,
©tride, fließe unb bie ©ewebe oerfchiebener 3lrt unb Secpmf be*
weijeag währenb un8 tm JlUgemeinen au8 ben SReften bet Pfahl*
bauten Jehon eine gewiffe höhere ©ultureutwidelung entgegentritt,
a»t;
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6
au8 mannigfachen ©eräthen unb Söpfereireften, auö beit Änod)en
ber gasreichen gepachteten .fcauöthiere — beuten bie Rejte bet
älteften SSewohnung burdj ben Rtenfchen in ben ^öfylen auf
»iel unentwicfeltere 8ebenöBerhältniffe. SBir haben hier bie Ueber«
bleibfel eine« Bon 3agb unb gifdjfang lebenben 5ßolFeö Bot unö,
welchem bet Acferbau unb bie Sßiehgucht unbefannt waren, unb
bei benen ftch bie Äunft, ©efchirre auö plaftifcher @tbe gu formen
unb gu brennen, feineöwegö fchon alö ein allgemeines 33e»
bürfnifj eitfwicfelt hatte. 3n einigen bet Jpöhlen, unb gwat ge»
tabe in jenen, welche fonft bie auffälligften §unbe geliefert haben,
füllten fich nach bem freilich noch beftrittenen 3eugnifj ber ©nt*
becfer feine Sopff «herben unter ben übrigen Beugen einer alten
SBewohnung gefunben haben. SBenn fich biefer negatioe Sefunb
bei forgfältiger Beachtung neuer Ausgrabungen beftätigeu füllte,
fo fteht ihm boch fchon jefct ber pofitioe Rachweiö gegenüber,
welcher oon ben norurtheilöfreieften ©eologen unb Anthropologen,
ich nenne nur ben Ramen 0. gtaaö, geführt würbe, unb welche
unter ben älteften heften in ben einfhnalö bewohnten fohlen
auch ©eichirrtrümmer oon gebranntem Sh°n aufgefunben haben.
Auch in ber Bon #ertn ßittel in ©emeinfchaft mit £>. graaö
auögebeuteten Räuberhöhle bei Regenöburg, in ben fohlen ber
fränfifdjen <S«hweig, beren Auögrabungöergebniffe ich mit aßet
(Sorgfalt unterfudjen fonnte, finb auö ältefter Beit Sopff «herben
mit aßer Seftimmtheit nadjgewiefen.
5Do«h ergeben auch unfere für bie Töpferei in jenen alten
Sagen bejahenben jfttnbe, baf) wir hier an ber ©renge ber ©t»
ftnbung ber feramifchen Äunft fteben.
jfeineöwegö fcbliefjen bie Anthropologen fchon befchalb
auf baö höhere Alter ber ^»öhlenbewohnung gegenüber ben $)faS*
bauten, weil in erfteren ftd? unentwicfeltere, rohere Gulturoer»
hältniffe geigen; bie 2ßiffenf«haft h«t bafür Boßfommen pofitiBe
Seweife.
Unter ben gasreichen Shierfnochen, welche auö ben Sunb»
(MS)
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7
fdjidhten bet Pfahlbauten gehoben würben, finben fidh nur bie
{Refte »on gieren, welche entwebet noch jefjt in ben betreffenben
©egenben leben, ober noch 3» 3 eit bott gelebt haben.
ÄnbetS »erhält e8 fidh wit ben jhcochenreften in benjenigen fohlen
welche in ältefter 3«t »om ÜJienfchen bewohnt würben.
sieben ben Knochen »on Sieh, Hirfdh, SSilbfdhwein jc. finben
fidh foldje »on $hi«en, weldhe bei bem heu^gen ©tunb be«
Älima8 an ben Sun horten nicht mehr fleh gu halten » erwögen.
Sw berühmteften ift unter biefen ^htcren *>a8 Sftenthipx, welche«,
Wie bie gasreichen {Refte, bie e8 Snterlaffen, beweifen, einft nicht
nur in unteren ©egenben unb in bet ©djweig, fonbern auch tm
füblichen Stanfreidh h^benweije gelebt hat unb eine Hauhtjagb«
beute bet alten ^&^Ienbeti>o^ner auSmadhte. ©eine Knochen,
namentlidh fein ©eweih würben mit befonbeter Vorliebe »on ben
Höhlenbewohnern gu ©eräthen, SBaffen unb SBetlgeugen »erat*
beitet. 3n ber pfahlbaugeit fehen wir bagegen namentlich ben
©belhirfdh, feine Knochen unb fein ©eweih an bie ©teile beö
{RenthierS getreten.
2>ie alten IRenthierjäger lebten fonadh in Seiten, in welchen
fidh baS Älima burdh einen hodhnotbifchen Sharafter noch wefent«
lieh nicht nur »on bem heutigen, fonbern auch »on bem au8 ben
älteften Uebetlieferungen für unfete ©egenben htftorifdh befannten
flimatijehen SSerhältniffen unterfdEjieb.
3ebenfall8, wenn wir auch feinen StahaltSpunft haben, um
bie feitbem »ergangenen 3ahthunberte gu gählen, reicht bie 33«»
Wohnung ber ^>ö^lcn, reichen bie Sunbe einer au8 ihrem 23 oben
gehobenen hrimitiöen ©ultut in graue Seitfernen gurüc! unb
geben un8 ©elegenheit bie Gulturentwidfelung unferer 23otfaI)ren
gleichfam an ihrer SBiege gu belaufchen.
SfBie unentwidfelt muffen wir un8 ba8 geben ber alten Uten»
thierjäger benfen, wenn ihnen wirflidh gelegentlich Jogar gu bet
hrimitioften 3ßetfeinetung be8 üftahleS bie erfte SBorbebingung :
(1*3)
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8
bet Äocptopf fehlte"? Aber piet tritt unß eineß bet auffaüenbften
Probleme bet Ifnlturfortcpung entgegen.
Sieben ben SBajfeu unb ©erätpen, namentlich auß gefcplagenem
geuerftein gefertigt, welche wir ben älteften Sunbfdjic^teit bet fohlen
entnehmen, ftnben wir auch ga^Ireid^e Stüde »on bearbeiteten
Änodpen unb ©eweip, namentlich, wie ich fcpon erwähnte, com
Stentpier. Auß biefem fefteu SBlateriale würben Solche unb
SReff ergriffe, Pfriemen unb Siabeln, ©dpabinftrumente, Pfeile
unb Jparpuneufpihen u. 91. gefcpnifst, welche in gorm unb Secpml
ben oon ©ßfimo’ß üor bem SBerfepr mit cioilifirten Stationen
allgemein, aber auch noch heute, gebrauchten SBaffen unb @e»
räthen in auffälliger SBeife ähnlich fehen.
Unter ben ©tüden beß bearbeiteten Stentpiergeweipß finben
fi<h im ^öplenfcputte nun aber auch jene wahren Äunftob*
jede, welche in neuefter 3eit unter ben Anthropologen fo grofceß
Auffepen gemacht hüben. @ß jtnb in Stenthiergeweipftüdc ein»
geriete jum Sipeil wirflicp lebenßnoHe Beicpnungen, meift SL^iere
aber auch SRenfdjen barftelleub, ober auß Stentpiergeweipftüden
gefcpnipte Shiernacpbilbungen.
Siefe Sarfteöungen finb Beugen einer gewiffen Gfntwide*
lung beß ähmftfinnß, einer gteube am Staturfcpönen, welche ft<h
hiß 3U einer ihren Bwed in fiep felbft tragenben Stacpbilbung
beffelben erheben.
An ber Anfangßgtenje bet europäischen Äultur fepen wir
hier Beiftungen auftreten, welche fich in gewiffer Sejiepung,
wenigftenß in ber gäpigfeit objeettoer Staturnadjbilbung, ber
STecpnif einer späteren weit höher entwidelten ^)eriobe überlegen
geigt, auß welcher unß bie prachtooHen SBaffen auß 33ronje,
©djmud auß SSronge unb ©olb ic. erpalten finb, beten Drna»
»entirung faft außicpliepcp auß Binienfompofitionen geome*
ttifeper Art beftept.
Sie erften Kopien =§unbe biefer Art würben oon ben be»
fannten antpropologifcpen gorfepern (Spriftp unb Bartet im jüb«
(IM)
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lidjen gtanfreidj, in bet ©orbogne gemacht. 3k bie Äalfgebirge
jener malerifd) frönen ©egenb haben Reh bte Ströme tiefe
Schäler mit t entrecht gegen üppige SBtefeti flächen abfallenbe gelS*
»änbe eingetiffen, in reelcben fich jablreiche größere unb Heinere
fohlen, ©rotten unb ftelSnifcben oorfinben. 3lHe biefe natür»
lidjen Schutjörter waren, wie bie ffunbe eTweifen, in fehr alter
Beit oon 9Renfchen bewohnt. 35em cenferoatioen (Sinne ber
SDlenfdhheit entbricht e8, ba§ HS in bie heutigen Sage herein in
jener ©egenb bie SSenüfcung natürlicher uub fünftlicher Reifen*
höhlen ©ebrauch geblieben ift. ©anje Belfenwänbe fieht man
bort mit geufter unb SEhüröjfnungen betecft, welche in fünftlich
auBgebauene, manchmal ftocfwerfartig über einanberliegenbe Äam*
mern unb größere IRäume führen. SDiefe fünftlidjen gelSwoh*
nungen bienten in früheren unruhigen 3eiten ber umliegenbett
Seoölfetung al8 geflöhte 3uflucht8ftätten in ^einbeägefahr unb
werbeu theilweife noch heutigen SEageS namentlidh als SorrathS*
räume benäht. 3u neuefter 3eit würben burd) $ertn lehret
5Rerf in ber ©egenb beS 33obenfeeS jwifdjen ©onftang unb
Schaffhaujen in einer £öhle, bem Äefflerloch bei SEapiugen, fdjon
auf jchweijerifchem SBoben, ähnliche gunbe gemacht. 2)a8
Äeffletloch ift eine nur wenig tiefe oon natürlichen Pfeilern ge*
jtüf$te Seifengrotte, ähnlich jenen fleinen fohlen, welche in ber
fDorbogne bie reich fte Ausbeute geliefert haben. 9luch hier finben
wir noch in ber 9iähe jaljlreicbe fünft liehe gelSwohnungen in
bie {entrecht gegen ben See abfaQenben Sanbfteinwänbe (bei
Ueberlingen) eingearbeitet, welche baS 33 cif als „^eibenlöcher"
benennt. —
©eftatten Sie mir, bah idj Shnen junächft bie widjtigften
Objecte, welche oon biefer frühreifen Äunftentwicfelung bet eure*
päifdjen Uroölfer 3engnih geben, in aller .Stürze jfijjire.
2lu8 ben fehlen ber 25otbogne beft^en wir 3eid?nungen
oon §ifchen in ein cplinbrücheS Stüd fRenihiergemeih graoirt.
3luf bem Schaufel ftüd eines SRenthierhcrnS 3eigt fi<h bie einge*
(i»>
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tiefte Seicfenung oon .topf unb ©ruft eineä ©teinbod öfynlidjen
Sljiere8. Stuf einem anbeten ©eweiljfiüd feljen wir eine ©ruppe
ton Sftentfyieren. 51m beadjtend werteten. ba fie mit einigen
bet in fföpfenä non Sdjliemann gefunbenen Sle^nlic^feit geigt
erfdjeint mit eine ©ruppe, welche au8 gwei $)ferbeföpfen unb
einer nacften tnenfdjlidjen gigut befielt neben einem faft fdjlangen»
artig fid^ niebetbeugenben 23aum ; offenbar ift nad) bet JRidjtung
bet burdj ©tridje angegebenen Sefte eine gicijte ober Sanne ge*
meint. 3)et 33aum ift bet fRaumbefdjränfung wegen in biefer
fonbetbaren Sage bargeftedt. Sn iljn jdjlie&t fidj ein Spftem
fenfredjter unb ijorigontaler Stridje an, weldje eine Srt oon
gledjtwerf etwa eine Hurbe bargufteüen fd^ einen.
Sufjer biefen unb einigen anberen in iljrer Sedjtljeit aber
weniger fielet oerbürgten ©raoitungen fanb fidj audj ein wa^ted
plaftifd)e8 SBetf au8 JRengeweilj gefdjnitten. @8 ift ein 2)old}»
griff, ein fyirfdjäljnlicljee Sljier barfteQenb. 9Rit ftaunenerweefenber
©ejdjicflidjfeit unb ©efdjmadf Ijai e8 bet alte Jtünftlet oetftanben,
bie Stellung be8 S^iere8 bem befd)tänften IRaume angupaffen.
©tplifirt unb bodt) lebenSooQ beugt ba8 SM« ba8 ©eweilj auf
ben £aI8 gurücf; wäljrenb bie 33orberläufe unter bie 39ruft ge*
gogen finb, fireden fidj bie Hinterbeine ber fnßdjernen Älinge
entlang. SBenn auch giemlid) rofy in ber SuSfüljrung fennte
biefeö metfwürbige Stücf nod) tjeute einem modernen Äiinftler
al8 SDiobeH bienen.
fRidjt weniger reic^ waren bie gunbe im Äefflerlodj.
Unter ben auf JRentljietgeweil) eingraoirten Sapinget*3etd)=
nungen ift am beriifymteften ba8 weibenbe IRentljier, beffen fRatur*
waM^eit unb fixere Stridjfüljrung faum oon einer ber 2>or*
bogner Segnungen erreicht wirb. ©8 ift ba8 um fo meljr gu
bewunbern, weil ba8 SRaterial, auf welkem fidj bie 3«djnung
finbet, Ijatt, ba8 gur ©inrifcuug bienende 3nftrument, waljrfd&ein*
lid) ein fpifcer geuerftein, rofy unb ungefüge erfdjeint. 35afj e8
trofcbem mßglid) ift, derartige ©raoitungen in feften Änodjen mit
(186)
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einem ©teininftrumentberguftellen, fyat aber .perr©unbafet ©taf
SBurmbranb bemiefen, meiner not unferen Singen mit einem im
Äeffterlocb gefunbenen Beuerfteinfplitier auf fxifc^eu Änodjea ein
moblgelungeneS Slbbilb biefeö grafenben StentbierS in relati»
furger Seit ^crftedcn fonnte. Stuf gmei anberen Stentbierftangen,
melcbe, [wie bie erftere, ©riffe »on größeren Snftrumenten ge»
mejen gu fein fcheinen, geigen ;fich 3etcbnungen non Serben,
»on benen namentlich ber »orgeftrecfte Äopf beS einen Statur*
beobacbtung befunbet.
©ine anbere, rohere Seic^nuug eines 9>ferbe* ober Stcntbiet»
foftfeS finben mir auf bem ©tiff eines 35ol<he8 auS Stengemeib*
Stoch bie rohe Umtifjgeicfnung eines fpringenben JpirfdjeS miß
ich noch ermähnen.
3n bem jfefflerlocb haben fidj gmei eigentliche ©chnifjereien
auS Stentbierborn gefunben. SDaS eine baS ©tücf eines .panb»
griffS einen ©tierfopf barfteüenb, ift baS berühmte Dbject, meines
als Äopf beS SJtofcbuSocbfen begeicbnet gu merben pflegt. Stuf
ben SJtofcbuSochfen, bet wie baS Stentbiet beute nur noch im
bßcbften Sterben lebt, mäbtenb fein früheres Sßorfommen im
S^beintbal auf baS ©idjerfte conftatirt erfdbeint, bat man bei bet
fraglichen ©culptur batum geratben, meil bei bem SJtofcbuSochfen
mie auf biefer SDarfteöung bie Körner locfenartig an bem ©chäbel
betabgebogen finb. SDie .pötner richten bei bem SJtofcbuSochfen
guerft ihre ©oncanität nach »orne, menben ficb aber fcbliefjlicb
mit ihrer ©piige mieber nach hauten. SDiefe djarafteriftifefje lejjte
StüdmärtSbiegung bet ferner mürbe ber alte Jtünftler, bem eS
fo febr um Slaturmahrheit gu tbun mar, bah et fogar bie .paare
beS BellS barguftellen fuchte, gemife nicht »ergeffen haben, menn
er mirflich einen SJtofcbuSochfen hätte bilben moUen. SJtir fcheint
als genügenber ©runb für bie SlbmärtSbiegung ber .pörner bie
notbmenbige Slnpaffung an bie Borm beS gemäblteu ©emeib»
ftücfeS unb bann ber 3®ecf, einen banblithen ©tiff gu bilben,
an melchem »orftebenbe fpifie ber 3«brecblichfeit unb ber
: (wo
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Unbequemlicbfeit »egen 311 vermeiben waren. 3<b !ann in bem
primitiven Äunftwerfe nur eine freiftplifirte Nadjbilbung eines
©tierfopfeS erfennen, weniger formgefdjicft aber im $)rincip ber
Nacfcbilbung beS .fpirfcbeS mit bem gurücfgelegten ©eweih auS
ber SDorbogne verwanbt.
(Sine gweite ©Onifcerei, weldje wohl aud? einft baS ©riff*
enbe eines ÜJiefferS gierte, geigt eine metfwütbige Doppelbar«
fteflung. 93on ber einen ©eite erfennen wir ein wohlauSge*
führtet, giemltcb langgeftrecfteS $) f et bef opferen; von ber anberen
©eite erfdjeint baS Äöpfcben eineg $afen mit langen ebenfalls
wie bie ferner beS ©tierfopfS, um baS 3tbbred)en gu vermeiben,
gut ©eite gelegten Obren.
SDaS finb bie widjtigften jener vielbefprocbenen Seweife bet
älteften Äunftentwicfelung ber europäischen Utmeufchen.
2Bir fönnen ihnen einen relativ b°cbentwicfelien ©inn für
Naturbeobacbtung nicht abfpredjen; wir muffen fie, wenn aud) als
primitive, boeb als wahre Äunfttoerfe gelten laffen.
9Nan glaubte wohl anfänglich, bie gange grage nach bem
SBefen btefer nicht recht in baS ©pftem paffenben §unbe baburch
auS ber SBelt fOaffen gu Tonnen, bafj man bie ©ebtbeit ber
gunbgegenftänbe leugnete. @8 ift richtig, bafj, naebbem biefe
wichtigen §unbe gemacht waren, in bebauerlicbct SBeife auch ge»
fälfdjte Nachahmungen probuctrt unb verlauft würben, unb ich
rechne eS unter bie wefentlidjen SSerbienfte unfereS 8. 8inben*
febmit, für gwei nacbträglid) probueirte Objecte ben Nachweis
bet gälfdjung geführt gu h“ben. Nach «gen«, gewiffenhafter
Prüfung ber ©egenftänbe felbft ba* ftO aber meine Nteinung
bahin feftgeftellt, bafj wenigftenS bie eben befproebenen Äunftwerfe
feine gälfebungen finb, fonbern als reale Objecte betrachtet werben
muffen, mit welchen wir bei ber Neccnftruction ber alten Gultut
©uropa’S ftetS werben gu rechnen hoben. 30 vermag audj in
ber Slnetfennung ber ©chtheit biefer Betonungen unb ©Onifcereien
feine principieQe ©chwierigfeit gu erfennen.
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Die Darfteßungen fi«b bocp meift, — waß auch manche ©e=
lehrten barüber in bem erften (Srftaunen übet bie unerwarteten
(äfrgebniffe ber Ausgrabung UeberjcpwengiicheS getagt haben mögen
— recpt nai» unb erbeben fiep wenig ober nicht über bie befannten
Abhebungen »on SRaturobjecten . wie fie wilbe Sölfet in aßen
Steilen ber @rbe machen ober gemacht ba^cn- 3öir (epen bei
ben uucioiliftrten Waffen ebenfo wie bei unferen .finbern, ba§ baß
Setftänbnip für Dlacpahmung non Diaturobjecten bem Serftänbnift
für ginienornamentif in geometrijchen unb ^>^antaftiid}en fötuftern
»oraußgept ober fiep roenigftenß i'cpon gleichzeitig mit bem leiteten
entwidelt.
tSue ben zahlreichen Seroeifen, welche unb bie Cftpnograppie
liefert, bafc uncioilifirte Sölfer, auch ohne Äenntnifj bet fDietaße,
einen relativ hoch entwicfelten Äunftfinn zeigen fönnen, greife ich als
Seifpiet bie Üunft ber (Sßfimoß perauß. Die ©ßfimo leben unter
äpnlicpen äußeren £ebenßbebingungen wie bie alten <£6plenjäget
©uropa’ß in einem falten Älirna »orwiegenb »on gifcpfang unb
ber 3agb beb Dient hier b, unb fie »erftepen eä wie jene, 3ei<p*
nungen in Jrt'nocbeu unb Sreibpolztäfelcpen, fowie ©tpnihereien
in Sein unb .porn außzufüpten. ©it 3opn gubbotf »er*
öffentliche eine Anzapl »on @ßfimo»3eichnungen (®ta»irungen)
auf jfnocpen, welche ©eenen auß ber 3agb unb bem gtjepfange,
baß ©tißleben im .paufe, Spiele ber Äinber u. 91. m. barfteßen.
£err ^rofeffor 6 der zeigte bei bem beutjepen Autprop otogen*
Songrefj zu ßonftanz @ßfimo>3eicpnungen auf SEreibljoljtäfeldjen
graoirt, welche etwa btefelben ©egenftaube bepanbeln. Namentlich
eparafteriftifep fiub bie Darfteßungen »on gifepen unb »om @iö*
baren. 9luf ben gubbod’fcpen 9lbbilbungen ftub bie Nentpiere
beffer gelungen; eines betjelben entfpriept in Ausführung unb
©teflung beß .Körpers unb ber Seine auffaßenb jenem auß ber
Spätlinge* -pople.
Die ©cpnipereien auß Änocpen fteßen bei ben ©ßfimoß
wie bei ben eutopaifepen Urmenfcpen bie päufrgften 3agbtpiere
(189)
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bar, alfo bort ben ©eeljunb, ben dißbären. 2luch 5Jienf<hen finben
ftch gelegentlich auf bicfe SBeife bargefteöt. @eljr cpatafteriftifcb
fcheint eß mir für eine primitine ©efd)macfßrichtung, ba§ ftc^
unter ben dßfimofchnitjereien auch folche SDoppelbarfteHungen finben
wie baß SUjatunger $Pferbe«.£)afenföpfchen: dißbär uub ©eehunb,
3Wei gufammenhängenbe üftenfchenbüften.
Sei ben dßfimoß ift ebenfo wenig, alß wir baß »on unferen
älteften Verfahren toraußfefjen bürfen, bie gteube an ber Äunft
getragen non einer allgemeinen Verfeinerung beß Sebenß. Äane,
ber »ielfach Gelegenheit hatte, biefeß Voll 3U beobachten, liefert
baß Verjeidhnih beß Sncentarß einet oon ihm befichtigten dßfimo*
£ütte.
„dine ©djale auß ©eehunbßfell, gum ©ammein unb 9luf-
bewahreu beß SBafferß; baß Schulterblatt eineß SBalroffeß, welcheß
alß gatnpe biente, ein flacher ©tein, um biefelbe ju ftüfjen; ein
3Weiter, großer, bünner, platter ©tein, um ben fchmetyenben ©chnee
barauf 31t legen; eine ganjenfpifie mit einem langen Vanbe auß
SBalrojjfchnur; ein Äleibergehänge unb bie Äleibungßftücfe ber
8eute felbft umfaffen bie gefammten irbifchen ©fiter biefer armen
gamilie." Slbet trofc biefer Slrmuth fehlt ihnen auch nicht im
SWgemeinen ein ©inn für Vetfdjönerung beß Sebenß. 3hte Suft
an Äörperfraft unb ©ewanbtheit beweifenbem Spiel, an diujel*
unb dhorgefnng, an STrommelmufif unb 5£anj fpridjt für bie
lebhafte, fimtliche dmpfinbung biefeß Volfeß, welche ber ftarrenbe
Vorben nicht 3U be3Wingen oermochte. ^arrp’ß ©chilbetung
eineß Sbenbß in einer dßfimohfitte beweift unß, bah mit aQet
Vefchranfung beß unß am nöthigften etfcheinenben gebenßcomfortß
fich bod) eine gewiffe #ohe beß Sebenßgenuffeß unb ber gebenß«
freube, bie ©runbbebingung jeber Äunftentwicf elung, »erbinben fann.
dr er3ählt: 2Bir hotten nur einige SJtale ©elegenheit, ihre
(ber dßfimo) ©aftfreunbfchaft auf bie fProbe 3U fteHen, unb hotten
babei allen ©tunb, 3ufrieben 3U fein. 55ie beften ©peifen unb
bie befte SBohnftätte, bie fie hatten, ftanben unß 3U SDienften, unb
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bie 9lrt ihrer Slufmerffamfett äußerte ftcf> in einer SBeije, wie fte
©aftfreunbfchaft unb eine gute ©tgieh ung Borgufchreiben ^jficgctr.
SBit »erben bie guBotfommenbe greunblichleit, mit ber unS bie
grauen anboten, unS unjere Äleiber auSgubefjetn unb gu tTodnen,
uujere ©orräthe gu fod)en unb unS ©d)nee gum Drinfen gu
fdhmelgen, nic^t fo leidet Bergeffen, unb jprechen ihnen bähet unjere
©ewunberung unb Achtung unBethohlen aus. 2118 ihr ©ajt Ber»
lebte ich nicht nur einen behaglichen , fonbern auch einen genufj»
teilen 2lbenb. Denn als bie grauen arbeiteten unb fangen, bie
SRänner fdjweigenb ihre Ülngelfchnüte auSbefferten , bie Äinber
cor ber 2^ür jpielten unb ber Dopf über ber glamme einer hell«
leucfytenben £ampe brobelte, Bergafj man eine 3«t lang, bafj bie8
©ilb eines häuslich glüdlichen ©tiMebenS in einer ©Sfimohütte
Bor fich ging."
©ine ähnliche ©emütfyüdjfeit , ein ähnlich hoch entwicfelter
©inn für bie fleinen 8ebenSfreuben mag wohl auch in ben arm»
liehen ^öhlenwoijnungen unjerer ©orältern geijerrfdjt haben, in
benen jt<h, wie in ben ©Sfimohütten, auf biefer ©runblage ber
©inn für ba8 fRaturfchöne unb bie gäfyigfeit, bafjelbe nachgu*
ahmen, entwideln fennte.
2 )ie 8uft, jtch gu jehmüden, bie greube an leuc^tenben garbeu,
rüden gasreiche gunbe in bieje alten Seiten gurüd. 5Dian hat
glängenbe Söhne größerer unb fleineter ü^iere an ben ©nben
fünjtlich burdjboljrt gefunben, um als ®d)mud theilmeije »ie
perlen gu £alSfetten Bereinigt, getragen gu werben, bann Sftötfyel,
bet wohl gut ©emalung ber #aut biente unb gar nicht feiten
fdjßu gefärbte ÄrpftaHe, namentlich Don glufjfpath, bei welken
bie fünftliche Durchbohrung lehrt, baf) fie als gefchä^ter ©djmud«
gegenftanb gebient haben müjfen. ©ine gewiffe Äenntnif) in ben
©efleibungSfünften, fönnen wir unjeren ^ohlenmenfchen nicht ab»
jprechen. DaS beweijen bie gasreich gefunbenen Änochennabeln
mit SDehr, welche ben Bon ben ©SfimoS gut Jperftellung ihrer
Äleiber benüfcten fabeln Bollfommen gleichen.
(c*t)
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16
II.
3ln ben oorhin gcldjilberten £ßhlenfunftwerfen au8 bet
©cpweig unb ©übfranfreich fällt bejonbetß ihr unoermitteltcr
©taub auf mitten gwifchen beu SReften einet in Ijcc^ftet Be»
fdjränfung lebenben 3agerbe»ßlfetung. $Die ^ö^lenfnnft etfcbeint
auf ben erften Blicf ebne 3ufammenhang unb Begtünbung in
»oraußgehenben Äunftübungen fettig au8 bem SJienfcbengeift,
heroorgebrochen, wie bie gewappnete ^allaö au8 bem Raupte
be8 ©ßtteroaterS. Ober follte e8 unß bod) gelingen, noch bie
©puren einet früheren ober gleicbjeitigen Jtunftübung, bie 91 n=
geigen einet Stufenleiter in bet urfprünglicben Äunftentwicfelung
ber ^»oblenbewobner nadhjuweifen?
ÜJteiner ÜJteinung nach ift baß ber Saß unb gwat finb cS
bie tejrtile unb bie fetamijebe Äunft, welche bie erften ©tunb»
formeu unb $>rincipien ber Drnamentirung unb fünjtlerifcben
9lu8fchmücfung lieferten.
3unädjft mu§ feftgefteHt werben, bafe feine8weg8 bie ©ta*
»irungen unb bie, SRaturobjefte barfteüenben, ®d)niheteien ben
einzigen 9Rad)wei8 eines relati» auögebilbeten Äunftgefcbmacfß
nnferet Höhlenbewohner erbringen. 2Ran hat in ©übftanfreid)
ebenfo wie in ber Ühapinger ^ö^lc SBaffen unb SBerfjeuge au8
©lein, Änoepen unb Horn gefunben, welche nicht nur in ihrer
äußeren Sormgeftaltuug fonbern burch wahre Drnamente, lebiglich
jum ©d)mu(f angebracht, 3eugnif) non primitiven Äunftbeftre*
Bungen ablegen.
fftamentlich bie Sunbe be8 JtefflerlochS unb ber benachbarten
greubenthaler*£öhle, welche felbft feine Shientachbilbungen ge»
liefert hat, habe ich einem genaueren ©tubium unterworfen unb
e8 fcheint mir au8 ber Betrachtung ber bort gefunbenen Objecte
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mit aller ©idberbeit ein 3ufammenbang mit langft geübter
Äunfttedmif ^etnorjuge^en.
SÖRerfwürbiger 2öeife l)aben fiel» , waß ein Söeweiä ihrer
wenn baß SBort erlaubt ift, ©leidjjeitfgfeit ift, in bet J^auinger«
unb in bet ??reubenthaler».£)öble je ein eigentbümlicbeß ^algbein*
übnlitbeß 3nftrument gefunben mit uoUfommen gleicher Oma*
mentirung. 2)ie)e ©ewetbftüde finb mit einem giemlid) rohen
fBieffer gefebni^t mtb geglättet, man erfennt nod) beutlidh bie gu»
fälligen ©inriffe, welche burd? ©charten beß @cbuib»3nffntmentß
auf ber fonft geglätteten fläche bethorgebradrt würben. Bur
Süngenaxe beß 3nftrumentß finb — gwei am 9Ranbe, eine in
bet 5Ritte — fParatleluertiefungen in ben Änod)en eingefdbabt,
burd) weldse junädbft gwei, — einige Sinien breite — parallel»
leiften gebilbet würben; inbem man nun weitet in febiefer SRidj»
tung fParaüelfurdjen in fummetriidjem Ülbftanb in biefe bemor*
fpringenben Seiften einrifcte, entftanb ein erbabeneß auß fleinen
IRauten gebilbeteß an ein einfacbeß ftlecbtwerf etinnernbeß Orna*
ment, bem ein gewiffer ©efebmaef nicht abgebrochen werben fann.
9tn höbet entwicfelte, auß ber textilen Äunft entnommene Oma»
ment*?0totm erinnern bie fdbtcf ober feufredit gut Sängenaxe
herlaufenben %'araHellinien an einer anß SRenbom gearbeiteten
<Specrfpt^c unb an einigen anberen griffartigen 3nftrumenten.
©in ©cbabmeifcl auß JRengeweib geigt in einer rinnenartigen
Vertiefung ein „©trief ornament," unb bie ©pifje eineß Jporn^frie»
menß ift im ©angen in ber ©eftalt eineß gufammengebrebten
©triefeß mobellirt. 2)afe wir eß hier wirflid) mit abfitlid) ge»
wählten, ber textilen Sedmif entnommenen Ornamenten gu tbun
haben, beweift am ftdserften eine gröbere ^arpune ebenfallß auß
SRentbiergeweib gefebnifct. 3b«* etwaß gerbrecblicb erfebeinenben
SBibetbafen finb, glcicbfam um ihnen für baß »Änfeben mehr
SBiberftanbßfähigfeit unb Jpalt gu geben, burd) ein regelmä&igeß
Vanboraament an ben ©dfaft, mit bem fie in Sßabxbeit auß
einem ©tücfe gefertigt finb, gebunben.1)
XIV. 318. 2 (19$
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8tofcerorbentlich flat treten unS bie ©tunbbtincibien
bet Drnamentirung auS bet Unterfuchung bet älteften feta»
mifdjen Öiefte auS bet fRenthiergeit entgegen. 9lu8 ben Dtna<
menten bet fRentbiergemeibftücfe unb bet batauS gefertigten 3n«
ftrumeute etfannten wir fo eben mit unabhängiger @et»ifeljeit, bajj
SKotine ber textilen Sechnif als Ornamente, lebiglid) gum ©cbmucf,
einem ©chönheüSbebürfnih eutfprechenb, bei ben Höhlenbewohnern
33etwenbung fanben. ©8 entflicht baS »odfommen ben geift*
»öden SluSeinanbetfefcungen ©emher’S*) übet bie ©ejchichte unb
bie öntftebung be8 Ornaments. 23efanntlich leitet ©erntet auch
biete bet Ornameute bet Jteramif »ie bet SDietantedjnif unb
Skufunft au8 berfelben OueQe ab. 9lbet ber 3ufammenhang
gunachft beS feramijchen unb textilen Ornaments ift feuteSwegS,
»ie ©erntet anguucbmen fdjeint, ein rein ibealer, meift fo ent»
fianbeu, ba{j mau bie als gejcbmacfoüll unb idjön empfunbenen
£iniencompojttionen bet glechtwerfe unb ©efpinnfte auf bie burdj
anbere Stechnif Ijergeftellten ©egenftäube, um ihnen eine fünft»
lerifche ©eftaltung gu geben, übertrug. 3wifchen tejrtiler Äunft
uub Äeramif befteht ein BoUfommen birefter 3ufn'«nienbaug.
Süt bie Äetamif bemeijen baS getabe jene roheften ©cberben
unb krümmer, melche frühere §orfcher moty oft als wertlos bei
©eite gu werfen pflegten.
IDie SLöpf e unb ©efchirre, welche wir in ben älteften,
menfchliche Äulturrefte führenben ©chicen ber fohlen finben,
ftnb gum ülheil roh, fdjwer, zweifelsohne nicht mit tßerwenbung
bet 5)reh)<heibe gemacht. JDann finben wir anbere in ©eftaltung
unb 33ehanblung beS ShonS viel noßfommenere ©efäfee, welch«
gum 2heÜ an gräco»italifche formen anflingen. ^namentlich
an leiteten finben wir häufig Ornamentitung mit einem fpi^en
Snftrument in bie plaftifche 2)1 affe eingerifct ober mit einem
anbern auSgeftochen ober eingebrücft
^Betrachten wir uuS gunächft bie Ornamente bet älteften
Sopfereigegenftänbe, welche auS bet 3ufammenfteßung geraber
(194)
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Sinien entfielen. SBit feljen ba enger ober werter gofteQte ^)a*
raßebginien über ben ©efäßbaudj fenfredjt nad) abwärts ober
benfelben (felfener) borigontal umfreifenb ßinlaufen. 25ann finben
wir biefe beiben fcinienfyfteme mit einanber combinirt entweber
in ber §(rt. baß baS fenfredjt nach abwärts taufenbe £inienfnftem
non -^oriugontallinien ebenfaßs unter einanber parallel aber in .
giemlid? weitem 9(bftanb f entrecht burdjfdjnitten wirb, Jpabett
wir hierin fdjon ben einfad)en StttpuS eines giedjtwerfg auSge*
fprotfcen, fo erfcßeint betreibe noch beutlidier unb origineßev,
wenn bie beiben gintenfefteme beS Ornaments fid) fdjiefroinflig
burcßfreugen. SDiefeS uralte, ftdj ftetS wieberljclenbe Ornament
ber ©efdjitre umflicht gleidjfam baS gerbredjlidße ©efäß mit einet
ibealen fdjüßenben, teftiler Ä'unft entftammenben .jpüße, weldje
tyrn für ben ?lnblicf eine gewiffe gefteigerte ^eftigleit erteilet,
äijnlid) wie jenes einfache Söanbornament auf ber in ber üßatj«
iuger £bt)le gefunbenen aus SfteHtßierßorn gefdßnißten Harpunen»
fpiße, wo bie gebredjliO erfcßeinenben SBiberßafen burdj baS
Ornament an ben ©tßaft bet ©pitje feftgebunben fdjeinen. Slbet
biefer Bujammen^ang beS Ornaments mit bem burd) baffelbe
gefdjmüdften ©egenftanbc ift in beiben Mafien gunädßft fein auS
reinem @d>cnl)eit8bebürfniß ßeroorgefyenber, ibealer.
Unter biefett roßeften, auS einer Stßonmaffe, in welche fleine
Ouargftücfdßen giemlid) regelmäßig eingefnetet finb, ßergefteflten
altertßümlidjen ©efäßreften auS ben oon mir unterfudjten <£)ößlen«
fnnben auS ber fränfifdjen ©cßweig (Oberfranfen, Bauern) geigt
eine große Slngaßl eigentßümlidße ffinienornamente, weldje an jene
ebenerwäl)nten fünftlfd) mit griffelfetmigen Bnftrumenten einge»
tieften Betonungen auf feiner gearbeiteten ®efd)irren erinnern.
Sie befteßen auS meift giemlid) fcßmalen, feierten $urdßen, weldße
entweber iu einfacher 8inienrid)tung annäßernb paraflel fenfredßt
ober (seltener) ßorigontal ober inbem fie fid) im teeßien SBinfel
ober fdßiefwinflig burißfreugen, um beu ©efäßbaueß taufen. 35iefe
©eidßirre finb fämmtlidß oßne SBerwenbung ber Slöpferfdßeibe ßer*
2» (195)
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gcfteOt, oon bebeutenber aber unregelmäßiger SSanbbicfe innen
butcß baS ©rennen im fRaucßfeuer („Schmauchen") tfeffcßwatg
gefärbt, bagegen außen auffaüenb er SBeife »on ber rotßen garbc
beö gebrannten JßoneS. Diefe fcßmäleren ober breiteren Streifen
unb ©intiefungen auf ber äußeren Oberfläche ber ©efchirre taffen
. feinen ßweifel barüber, baß ße burcb ©inbrücfe oon©räfetn
ober ©infen entftanben feien. Sie bilben ben Ab»
brucf eines engen glecßtroerfs auS ©raS ober ©infen.
SDie glecßtricßtungen ßnb tßeilS fenfrecßt, tßeilS ßorigontal, fo
baß ßd? bie ©raSabbrücfe fenfrecßt freu gen, tßeilS fliehen fte fief>
fdjiefwinflig in einanbet. 2)er gange Abbrucf beS ©eflecbtS, bie
Abbrücfe ber ©räfcr, ber ©infen, be§ Schilfs finb oielfacß fo
DoHfommen beutlidj unb fcßarf erhalten, baß man bie einzelnen
Stippen unb ©eroen bet ©raSblätter nod? gu gäßlen oermag.
An einigen Scherben ift übetbieS ber ©erlauf biefer ©inbrücfe
fo regelmäßig, baß mau leßtere »on ben fünftlicß eingetieften
Linien« ober Strichornamenten auf ben feineren, mit bet Dreß»
fcßeibe gefertigten ©efäßen faum gu untetfdjeiben oermag.
@o läßt ßdj benn auS biefen (Sinbtücfen mit aßet Süßer«
ßeit bie alte ftabrifationSroeife ber ©efcßitre nadjweifen.
3dj ßnbe, baß ße in ber SBeife ßergeftellt würben, baß
ein meift auS ©raS ober ©infen bicßt geflochtenes ©efcßitr«
mobell innen mit plaßifcßem $ßon auSgefleibet unb bie innere
glädße beS fo ßergeßeHten ©efäßeS bann geglättet würbe. 2>aS
©efdjitr trocfnete in biefer gledjtßülle unb beßielt , nach bem
leisten ©rennen, welches im offenen Staudjfeuer gefcßaß, nicht
nur im Allgemeinen bie $orm be§ gledbtmobeHS bei, fonbern
geigte nun auch, nadßbem feine leichte -fmUe gu Afdje oerwanbelt
war, auf bet oot bem Stauch beS Feuers gefcßüßt gewefenen unb
baßer rotßen Außenfeite ben Abbrucf beS ©eßecßtS, feiner, wenn
man ©raS bagu oerwenbet ßatte, gröber unb breiter, wenn baS
Soofmobeß auS ©infen ober Schilf, ober, waS für einige oon
096)
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wir unterste gtof)e ©ejcbtrre gugutrejfen fdjeint, aut) feinen
<£>clgfpänen gufammengeflocbten obet gebunben war.
JDiejelbe SReHjobe bet Jperfteßuug grober £öpfereewaare geigt
fi<b »eit oerbreitet.
tSu&er iu ben Jpöblen in Dbetftanfen faub ich bie gleiten
Sibbrüde einer glecfytform auf gasreichen ©efchirrtrümmern, welche
Don Jperrn (Sie ff in auS bet Jpöljle bei SSreitenwien in ber bap*
rifchen Cberpfalg auSgegrabeu würben.3) 33orgüg(icb anSgeprägt
geigen ftdj biefelben glecptornamente auf 2opff darben auS einet
btdbiftorifcben SSnfiebelung bet jüngeren ©teingeit (oorwiegenb
gef^Iiffene ©teinwajfen unb ^>itf(bbotninfttumente) bei SJtagpa*
rab in Ungarn, welche i(b bcr ©üte beS Jperrn &. 33ibliotbef»
fefretär iS. ^artmann in ÜDtünchen terbanfe.
L Jpödjft »abrfrbeinlicb würben babei nod) anbere tjiedeidjt
»on ber Statut bireft gegebene terbrennlicbe Sfcopffetmen in
gleitet SEBeife wie bie gletbtfotmen benüfct. ©inige Strihnmer
großer ©efcbirte biejet 5Srt, welche fonft genau baS gleite 33er*
halten wie bie in glechtformen gebrannten geigen — ihre Slufjen»
fläche ift ebenfalls rotb bie 3nnenflä<he bagegen Dom Stauchfeuer
beS SranbeS gejchwärgt — finb nämlich äußerlich mit gang un*
regelmäßigen Staubigfeiten befeßt, gwifdjen welchen ficb b'et unb
ba eingelne iSbbrücfe ton 33infen obet ©Täfern nachweifen laffen.
2>ie auö itgenb einer organischen ©ubftang beftebenbe gern, in
Welcher biefe ©efchitre bergefteflt würben, muh baber auf ihrer
3nnenfläcbe raub unb uneben alfo wohl faum eine wahre Riecht*
form gewefen fein.
Sticht nur in ©uropa auch in anbeten äöelttbeilen ift bie
gleiche SJtetbobe bet üopffabrifation unb bamit bie gleiche ©nt*
ftebung beS älteften, urjprünglicbfteu, folgerechten 2PpfornamentS,
welches in aßen SBeltgenenben eine auffaflenbe 9lebnli<hfeit geigt,
nachgewiejen.
SDaS, »aS ©ir 3ob« gubbocf in feinem berühmten SBerfe:
bie torgefchicbtliche Beit4) über bie primitioe ©efcbirrfabrifation
(197J
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22
bei fefcigen SBilben berietet, erinnert gum Sl^eil an unjere Be*
obachtungen, gum Sl^eil beutet eg and) nod) anbere SBege
bet ©tfinbung her Töpferei an: „©apitain ©oof fah in Una«
lafcpfa, »o bie Stö^ferfunft nicht befannt mar, ©efäfce aug einem
flauen (Stein mit tönernen Seitenwdnben, bie eine entfernte
Slehnlichfeit mit einer Stuftaufform batten", gubbocf bemerft
bagu: „SBir erhalten tjierburc^ meCteid^t einen begriff oon ben
erften Anfängen ber Töpferei. ^>atte man erft ben tRanb beg
fteineruen ©efäfjeg aug $hon ^ergcftetlt, fo lag ber ©ebaute
nahe, ba| aud) ber Bobeu aug bemfelbeu Stoff gemacht unb ber
Stein auf btefe SBeife burch ein gwecfmäfiigereg ORaterial erfefct
»erben tonne." Slud) bei unferen ©efäfjen würbe, wie roit
nachher fe^en »erben, ber Jpalg unb SRanb beg ©efafceg in ahn*
lieber SBeife aug freier £anb geformt. 9ioch mehr nahem fid)
aber unferem alterthümlichen Verfahren bet Töpferei bie folgenben:
„Die ©ingebotenen am unteren SDlurrap fodjen ihr ©ffen
in einer ©rboertief ung , bie fie mit Slhon betteiben; auch über*
giehen fie gu anberen 3»ecfen wohl Äürbigfchalen unb
hötgerue ©efäfce mit^ho«. bamit biefelben bie £ifce gu er*
tragen oermögen, ©g »erben ung auf btefe SBeife, fcbliefjt
Subboct, brei SBege angebeutet, »eiche bie ©rfinbung ber Töpferei
herbeigeführt habe« tonnen."
Voflfommen mit unferen Beobachtungen aug ©uropa ftimmt
überein, »ag .Sperr ©. JKau über bie 2hongefä§e bet norb=
amerifanifchen Snbianer berichtet:5)
„©ine ber oon ben 3nbianern bei ber Verfertigung größerer
Jöpfereiwaare angemanbten ÜJiethoben beftanb barin, bah fie
Äörbe oon ber ©töfce unb ©eftalt, bie fie ben ©efäfjen geben
wollten, aug Binfen ober SBeiben flochten, nnb inwenbig
mit einer Dh°nlaäe »an ber erforberlidjen SD i cf e be»
f lei beten. Die Äörbe »nrben burch bag Brennen gerftört unb
hinterliehen auf ber Stufcenfeite ber ©efdfje ©inbrüefe, welche bem
(19»)
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23
.Rorbgeflechte entfptadjen unb gewiff ermaßen bie »Stelle abfichtlith
angebrachter 33ergierungen »«traten. SJtit biefem Sktfahren waren
bie Töpfer am <5ahofia»(5reef ebenfalls befannt, benn einige ber
»on mir gefnnbenen krümmer ihrer itbenen Saare laffen bie
erwähnten ©inbrücfe wahrnehmen. ©er ©^on ber auf biefe
SBeife hetgefteUten ©efäße ift mitSanb (ober ge»
ftoßenem ©eftein »on quatgiger tSefchaffenheit) ge«
mengt; er ift gut gebrannt unb (and) innen? 3. IR.) »ou gelb*
liebem ober rötfylidjem auSfeßen, welkes bloß ber SSirfung be6
teuere gugufeßreiben ift, ba bei ber erwähnten särt bet ^jerfteUung
ber garbeuübergug gang fehlt.“
SÄucß bie afiatifeßen unb afritanijehen Ureölfet jeßeinen biefer
URetßobe ber Äeramif fich bebient gu haben. Semper biibet in
feinem mehrfach erwähnten SBerfe Opfergefchine ber alten afta»
tifeßeu (Sulturrölfer unb bet (Egppter ab, welche nicht nur bie
©eftalt, fonbern auch ba8 wohlauSgefüßtie äußere Ornament eines
ÄotbeS geigen unb wir wiffen, wie fich bie urälteften ©ewohn«
heiten unb ©ebtäueße überall »or 2Wem im religiöfen ©ultu8
erhalten haben.
©ie ©efeßirre ber IReger ©entralafrifaS, wie bet alten
japanifeßen SRufcßeleffer geigen gang analoge, fünftlicß ^cr^eftellte
Ornamente ber glecßtfonn, wie wir fie an unjereu alten ©efeßin«
reften fortgefchrittenev Slecßnif al8 (Erinnerung an bie einft geübte
primiti»e feramifeße URetßobe finben.
Stuf ber gangen weiten @tbe bei ben burch faft unermeßliche
Säume getrennten Siölletn ber »erfchiebenften Soffen ift aljo ber
ursprüngliche 3uiammenl;ang ber glecßtoraamente mit ben Oma*
menten ber Äeramif ber, baß ein rechtes ©efchirr, nach ber
utiprünglicßen SPcßuif ßergefteflt, biefe Ornamente als 91 u8*
btuef beS ptimiti»en teeßnifeßen Verfahrens felbft au
fich tragen mußte, ©et confer»ati»e Scßönfheitöfinn bet SRenfcß*
heit behielt bann biefe einft unfreiwilligen Verfcßönetungen ber
(199)
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Slufcenfläche ber ©efchirre bei, ald fchon län^ft eine neue Dechnif
aufgcfommen war.
Die Dßpferjcheibe bringt befanntlich aud) eine IReihe felbft*
ftänbiger Ornamente, bie ebenfalls bem tecfynijdjen Verfahren
entflammen, (jctnor. Doch wäre eS falfdj, gu glauben, bafj bie
regelmäßigen .£>origontalliuien, welche gum Sl^eil ornamental ba§
moberne ©ejdjirt umtreifen, lebiglid) ftch auf bie Ölnwenbung bet
Döpferfcheibe jurüdfityten laffen. SBie gejagt, ftammt in ber
Äeramif baS .porigontalbaub gwifchen feufrechten Linien birect
»ou ber gledjtformtecbnif nnb ich ^abe 33eifpiele, wo an flauen
©ejchirren bie gledjtridjtung wenn nicht gang, jo bod) jaft auS*
jdjlicßlich, in ber ^origontalen »erläuft. '.Sud) noch einige anbere,
bet Slöpferfcheibe »orauSgehenbe tec^nijc^e feramtfchc Verfahren
bebingeu .jporigontalftreifung. Sieben bet gle^tjorm würbe aud)
baS SluSbrücfen bcS ©ejcbinö burch einen fugelformigen ©tein
geübt, ben mau in bet burd} ihn gebilbeteu Sopfhöhle bre*
henb bewegte, mit unb ohne gleichgeüige 93erwenbung einer
äußeren jejten gorm. @iu anbereS ber ©rfinbung ber Dreh*
fcheibe noch mel)t fid) annäherndes 2] erfahren ift baS läuSbtehen
fchüffelförmiger ©efäßbäuche mitteljt eines ©aßeS fdjeibenföt*
miget Drucfformen »on »etf^iebenet ©röße. hierbei bilbeten
fid? namentlich nad) innen leidet »orfpringenbe Jporigontallmien,
Welche fid? ben durch bie Drehfdjeibe ergeugten feljr ähnlich et«
Weifen fönnen.
SBas den ‘Anthropologen hiebei am meiften interefftrt, ift
baS intellectuelle ^priuctp ber Drnamentation:
Das alte ftp lg er e d^t e feramifche Ornament ift ber
in ben Linien »etebelte AuSbrucf bet primiti»en ga«
brifationStechnif.
DaS Ornament geht fonadj fd^on in jener uralten Beit, mit
weichet wir unS hier bejchäftigen, inteflectued aus bem principe
hernor, welches ©empet fo flat heroorhebt, auS bem principe:
aus ber Sioth — ober wie ©emper ha^ fpaßenb für einige
(200)
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tejrtile Ornamente bemerft — au8 bet 9kth — eine Stugenb
gu machen.
3dj fann hier nicht in ba8 nähere SDetail ber un8 fid^ auf*
brängenben fragen einireten, nur ba8 geftatten «Sie mir nodj gu
bemetfen, baf) audi) ber gmifdjen JpalS unb ©efäfcbaud) Uegenbe,
mcift mit einem „S trief mufter" ornamentirte Siingmulft, melier
faum einem ber älteften bauchigen @ef<hirre mit »erengertem
£alfe fehlt, au8 ber primitioen gabrifationStechnif fidj mit 9loth*
menbigfeit ergiebt. ÜReift mürbe bie glecbtfora nur für ben
©efäfsbaud) felbft ^ergefteOt. üRadjbem fie mit 5tijon auSgefleibet
unb biejet innen geglättet mar, mürbe ber engere meift fenfred^t
auffteigenbe Jpal8 »oflfommen au8 freier £anb mobellirt. @8
mufcte, um bie Slnfafjfteüe gu »erftärfen, hier eine Verbidung
angemenbet merben, meldje man, fie bem gledjtmobeH anpaffenb,
als gledjtring ornamentirte. Analog, menn aud) mieber anber8
motioirt, entmidelt fidj aud) ber fRingmulft gmifchen gladjboben
unb anfteigenber ©efäfjmanb au8 primitioen tedjnifcben ©rünben
nämlid) butd) SDrud gegen bie Unterlage, menn ba8 ©efchirt
o^ne eine fefte gorm ^ergeftellt mürbe.
SDiefeS : „au8 ber Sftotb eine Sugenb machen," fährt in ber
älteften Äeramif ned) gu einet anberen 5Jtethobe ber Ornamen*
tation :
Siegelmä&ig, eutht>thmM<h fid) mieberholenbe.
Unregelmäftigfeiten nnb gehler ber technifchen £>er*
ftellung merben gum Ornament:
5)ie alte Töpferei »erfuhr hier bei ber ©tfinbung biefet Slrt
»on Ornament, mie ein Äinb, melche8, nachbetn e8 »on feinem
»ieredigen Sebfudjen eine ©de abgebiffen unb beffen gorm ba*
burch in feinen Stugen »erungiert hat, nun bur«h Stbbeifjen aud) bet
übrigen (5 den feinem Symmetrie» unb SchönheitSbebürfnij) ©enüge
thut. ©in gufäniger gingeteinbrud in bie noch plaftifd) formbare
2opfmanb erfdjeint al8 gehler, menn aber fold)e runbliche f(hüffel*
förmige ©inbrüde ober mohl auch rinnenartige Vertiefungen in regel*
(*>!)
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mäßigem iÄbftanb oon einanber etwa ftangförmig ben ©efäfjbauch
umfreifen, fo ^aben wir ein gefdjmacfüofles Ornament. SDie
älteften ©ejc^irtc geigen biefe Ringer brucfornamente in oerfchie«
benet Äuöbilbung. fötanche folc^e gingereiubrücfe ftnb einfach
runbi^üff eiförmig, bei anberen tommt eine neue 3terbe bingu,
inbem auch noch ein 2lbbrutf befl gingetnagelranbeö beliebt würbe.
Sßei anbeten Stopfen ift mit ber SSreite beS gingetnagelö ber
J^on jiach aufwärts gebrücft, babutd} entfielt eine feidjte läng»
liehe Vertiefung oben oon einem tunblit^eu, gleidjjam bachfötmig
ootfptingenben St^onwölftcben gefrönt.
6« oerfte^t fid? oon felbft, baß an ©teile bet ginger unb
gingernägel auch anbere eben gur £anb liegenbe mehr ober we*
niget paffenbe ©egenftdnbe gut $erfteQung folget SDrucfoma*
mente Verwenbung fanben, nad}bem nur einmal biefeö Dtna*
mentirungSprincip gefunben unb beliebt geworben war.
8lm bäufigften würben oon ben Höhlenbewohnern bie Oma«
mente mit Holgftäbchen eingebrücft ober auögeftochen. @in gort»
fdjritt tritt baburd} auf, baf) fRöhrchen — g. S3. Schilf ober
fRöbrenfuocben größerer Vögel — gum Sinbrücfen oerwenbet
würben, fo entfielt ein gej^madooüeö oertiefteö Siingornament,
auö beffen Sföitte bie plaftifdje SRaffe ftch perlenartig ergebt.
Unter ben sJ)fahtbaufcherben g. V. beö Starnberger See’8 ftnben
wir f<$on wahre Stempel gur ^erfteUung biefet SDrucfornamente
benäht. 68 finb ba8 bie mit Linien ornamentirten üöpfe oon
ftarfen Vrongenabeln, wie feiere auch als Haatfchmucf in jener
Seit taufenbfättig im ©ebraudje waren. Unter bem jtopf geigen
oiele biefer Vabeln ben eigentlichen fftabeljchaft mit einer oet»
tieften Spirallinie umgeben. läuch biefe Spirallinien würben oiel»
fach auf ben ©efchirren abgebrüeft. *) ÜReift umfreifen,
idjief gegen bie Hel)enrichtung geftellt, betätige Spital«
einbrüefe bie größte Ausbauchung be8 ©efäfceS. 3n bet gorm
fchliefet fich biefeS Ornament bireft an bie alten längftbeliebten
glechtornamente: ben glechtring, ben Stricf an.
(Vui)
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Sßie wunberbar conjetoati» bet Äunftgejcbmacf bet Sftenjd)*
beit ift, leben wir nicht nur an unjetet beftänbigen SBiebetbolnng
bet beliebten flajftjcheu Draamentalmottoe. Söenn ©ie an bem
BerfaufSlocalc eines SÜöpfetö »orübergeben unb fid) bie mobernften
OrnamentationSformen bet für ben täglichen ©ebtaud) be»
jümmtenöefchitre betrachten, jo jtimmen biejelbenbei uuSbetfUtebr»
gahl nach noch ooUfommen mit biejem älteften DrnameutationSge»
fchmacf uberein. gledjtroetf, welches mit jeinen einfachften orna»
mentalen 9Jtoti»en bie ©efäfje im ©angen nmgiebt, bie ©pital*
motioe noch in bet alten Stellung, bie gingereinbtücfe, ttjeilö bei
toheret SBaate, roie eS jcheint, wirfHd) noch nach bet Urmetbobe
bet Jpöblenmenj^en bergefteüt, ober eS ift bet ginget erfefct butch
Sftöbrenftempel ober anbete ©tempelformen.
Unjet mebetneS populär* Üopfotnament jomobl gemaltes als
reliefartig eingetiefteb ift — abgefeben oon geroifjen 2lnflängen
an flajfifcbe Drnamentation — noch ibe ntijch mit bem äl»
teften nachweisbaren Drnament, welches, wie mit jaben,
gtöf>tenibeilS aus bet Benützung bet glechtraobelle bei bet Töpferei
betootging. 3)ie Sbbtücfe beS glechtwetfeS jcheinen übrigens gum
Sheil auch bei bet ©onception bet elften 3bee anbetet Bergie*
tungen burd) ©in» unb Slbbrücfe mitgejpieli gu haben, g. 33. bei
jenem cbarafteriftijcben Drnament butch Spiraleinbrüde mit
Brongenabeln, baS fich bis ^eute — in ben gotmen etmaS oet*
gtö§ett — erhalten bat. —
3<h eile gum ©cblu&.
3n bet engften Begebung gu bet tettilen Äunft unb gut
Äetamif ftebt in ben älteften 3eiten bet ©ulturentmidelung ©u»
ropa’S auch bie Baut uuft SDie auS Steigen unb heften gwijchen
pfählen geflochtenen Jpürbenwänbe mürben entmebet nur innen,
fo bah baS glecbtmetf äußerlich ftc^tbar blieb, ober oon beiben
©eiten mit i*eb»n belegt. 3)a8 technijche Betfabren bei bet jpet»
fteQung eines ^»aujeS unb eines ÜepfeS ift aljo ptiucipiell ooll*
fommen baS gleiche unb mit fönnen unS nicht munbetn, menn
(201)
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auch bie SDrnamentirungSmeife fidj auf beiben, in bet golge fo
weit augeinanbergehenben ©ebieten, als im principe oermanbt
erweift. SEBir haben 9lefte alter SBohnungen gefunben — burd)
Sranb ^art geworbene nnb nun ebenfo wie bie Üopffcherben faft
unoer wüftlicbe Sehmflumpen. Sie laffen auf baö 25eutlid)fte,
wie bie oben ermähnten alten Sopffdjerben, nur natürlich weit
gröber, bie (Einbrücfe beS glechtwerfeS, weld)eö il)neu einft alS
.palt biente, erfennen.
2luS unferen Betrachtungen ergiebt fid), bafj wir unS bie
alten Höhlenbewohner beS mittleren unb weftlid)en ©uropa’S nicht
mehr als jene faurn oom affen fich unterfcheibenben 5Bilben
benten bürfen, wie fie unS non einigen Sorfämpfetu einer fpecu*
latioen mobernen fRaturphilofophie gefdhilbert würben. 3hre an'
geftaunte primitice Äunftentwicfelung ftch t feines»
wegö nollfommen unmotiöirt ba, fie geigt fich unS
getragen burch (Erfahrungen unb gortfdjritte in ben
tejetüen unb feramifchen fünften, ben beiben SJiutter»
fünften aller Drnamentif. —
SEBir fühlen unS angeheimelt, wenn wir fern non ber He**
math bie SDRätchen unb @ef<hid)ten ergäben hüten, benen wir
als Äinbet am SBintecabenb laufd)ten. Sei je£t weit fich unter*
fchcibenben Sölfern beweift unS bte ©emeinfamfeü beS Sefi|eS
alter Sagen unb ÜJiären bie Urgemeinfchaft ber SlutSabftammung.
Sollte eS mit beu alten (Erinnerungen ber Äunftübung an*
berS fein? Sötüffen wir nicht gwifchen unS unb ben alten Höhlen*
bewohnetn unb fRenthierjägern, beten primitine Äulturrefte wir
auS bem Schutt ber Sahrtaujenbe auSgrabeu, beten SDrnamen*
tirungSformen wir aber heute noch alS eine je$t unnerftanbene
Urabition treu fefthalten unb bewahren, ein Sanb geiftiger ja
oieHeicfjt leiblicher Serwanbtfchaft nermuthen?
Schrecfen Sie nicht ohne eine nähere Prüfung »or bem
©ebanfen an eine JDeScenbeng, an eine leibliche Serwanbtfchaft
mit ben alten Jpähfeubewohnern .un-icf gßenn wir non bem
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Solumen bcö @€^irn8 einen 9Rücfid)lufj auf bie geiftigen 9tn»
lagen beS SRenfcßen »nagen bürfen, fo haben wir bis jeßt feine
Urfacße, bem alten in ben fohlen DberfranfenS ^aufenben ©e»
fcßlecht hierin einen niebrigett fRang einjuräumen.
Sei ben babnbrecheubcn Unterjuchungen, welche ju @nbe
beS oorigen 3abrbunbert8, namentlich non ©Sper, Stifcßmann,
©olbfuß >n ben großartigen fofftlienteicßen ^ößlen angeftellt
würben, welche ©betfraufen jum fÄuSgangSpunft bet wiffenfehaft»
ließen ^oblenfoifcbung in ©utopcf gemacht haben, würbe unter
ben fReften fofftler Spiere neben anberen SRenfcßenfnocßen auch
ein wohlerhaltener ©cßäbel gefunben. SBir hielten benfelben lange
für oerloten. 3eßt berichtet unS ^err SSopb ©awfinS,7) baß
% berfelbe, wie fo manches anbere, unerfeßlicße wiffenfcßaftliche
ORaterial, in’S 2lu8lanb oerfcbacbert würbe, ©er Schübel beftnbet
ftch im SRufeum ju Djrforb, woßin ißn Sucflanb brachte, welcher
1816 bie fränfifchen ^ößlen befuchte unb burch bie hört ge»
wonnenen ©rfaßrungen angeregt, bet Segrünber ber wiffenfehaft*
lieben ^öblenforfcßung für ©nglanb würbe. Sopb ©awfinS
gibt eine Sefcbreibung biefeS für bie baperifche Urgeichichte h°*h*
wichtigen ©cßäbelS. 8 ) ©S ift ein richtiger, boßet öracßpcebbale,
oon einer ©cßäbelfotm, wie ich fte noch heute unter ber 33e-
oßlferung jener unb bet angtengenbeu altbanerifeben ©egenben
(3. 33. SRicßelfelb bei Sluerbach) auSgefprocßen gefunben habe,
©ein Umfang ift 547 mm. fRacß meinen gaßlreicßen (über 1000)
Seftimmungen beS ©cßäbeiumfangeS an ähnlich geftalteten braeßb»
cepbalen ©djäbeln, beträgt ber mittlere ©chäbelumfang unferer
heutigen baoerifdjen ffanbbeeölfetung nur 515 mm. Unfer fohlen»
fchäbel überragt fonach mit 547 mm biefeS 5Rittel nicht nnbe*
trächtlicß. ©in ©chäbelumfang oon 547 mm entflicht, nach
meinen ÜReffungen, einem ©cßäbelinnentaum , b. ß. «ipirnoolum,
oon 1720 ccm,9) b. b- wie haben hier einen ©<ßäbel mit
einer marimalen $irnau8bilbung 00t unS. ©en mittleren
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©d)öbelinhalt fanb icb für moberne Samern (8anbbeo6lferung)
jm 1419, SUelcfer für „©acbfen" jogat nur ju 1374 ccm.
SEBir fto{jen hier auf jenes 5Berhaltni§, auf welches Jpetr
93irchow bet ber Betrachtung bet ^fahlbaufcbäbel in feiner »iel*
berufenen fjtebe bei ber 50. SRaturforfchernerfammlung 1877 ju
fDlündjen aufmerffnm gemacht hat. ©oweit bie bisherigen gunbe
ein Urtheil geffatten, fteht bte ©ehirnauSbilbung in jenen
uralten oorhiftorifdjen gerieben nicht etwa unter bet mittleren
©ehirnauSbilbung ber gegenwärtigen Bewohner betfelben@egenben,
fonbetn überragt biefelbe mehrfach.
3Bir brauchten unS alfo nicht ju fdjämen, auch wenn wir
unß als bie bireften fRachfommen beS ©ailenreuther Sroplcbtjteu
befennen müßten.
Ueberhaupt Bereinigen fielt ja in bet neueren 3«t fo manche
©rgebniffe bet ejeaden gorfchung, welche unS bie europäischen
ttrmenfchen nicht mehr als antochtljone SBilbe erfcheinen laffeu,
fonbern als ©inwanbeter, welche Kultur* unb jbunfterinnerungen
in bie neuen unwirtlichen ©i£e auS ««er glücfHcheren Urheimath
mitgebradjt haben.
2Ju<h bie prähiftorifche Äeramif fteuert ihr ©cherftein bei,
um biefen wichtigen SRachroeiS fefter ju begrünben. Unb jwar
finb eS getabe jene fdjeinbat roheften ©efchirrtrümmer, welche ben
Beweis erbringen, bah ftd) bie 5£Spfer jener weit entlegenen
Seiten, fe mangelhaft ihre ohne bie Hilfsmittel bet Urheimath
augefertigten ©efdjirre auch fein mögen, bodj att eine relatin
hochentwicfelte Äunft bet Töpferei erinnerten unb bereu
allgemeinfte $rabition bewahrten. 35aS beweift bie mehr
ober weniger forgfältige aber unzweifelhaft abfichtliche ©in*
mifdhung ooit „Duarjftücfchen" (unb anberen fleinen ©efteinS*
fragmenten) in beu »ermenbeten 8ehnt, bie feineSwegS, wie mau
bisher allgemein meinte, ber fäuSbrucf befonberS roher HerfteDungS*
Weife ift, fonbern mit ber Ülbficht gefdiah, bie 2»pfe bureb biefe
(206)
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offenbar auf lange norauSgebenbet ©tfabrung begrünbete Stetbobe
wtniger leidet getbtedjlicb gu madjen.
Jpore« wir, »a8 ein flafftfdjer 3euge, ©• Semper in feinem
gtunblegenben SSetfe, „S)er Stil", 1 °) batübet »on bem mobernfteu
Staubpuuft bet Äetamif au8 bemerlt:
„Puffer bet ^Mafticität ift al8 ©runbeigenfcffaft aller feramiicben
Stoffe erforbetlid) iffre Homogenität. muff unterf «hieben
werben gwijdjen ber Homogenität b er Üffeile unb ber Staffen»
Homogenität. 35ie erftere ift nid>t immer notbwenbig, ja meiftenS
ftbäblid», fo baff man fie mit H*lfe ber entfettenben Stoffe unb
(Sämente (Gbamotten), bie man ber ^»afte beimifcfft, abficbtlicb
»ermeibet. JDiefe grobförnigen, oft frembartigen, feuer*
beftänbigen 23eimifd)ungen ber Safte beben bie Homogenität
ber leffteren auf, aber in fontinuirlidjer SBeife unb gleicffmäffig;
e8 entfteffen SRuffepunfte in ber Stoffe, bie bie Bcrbredjlicfcfeit
berfelben nach ihrem Srenuen unb bie ©efafft beö Springens,
fei e8 fcurcb 2,emperat»rmedbfel ober burdj 0d?ocf, nerminbern,
»eil bie gröberen ©lemente, bie in ber Stoffe oertffetlt finb, bie
regelmäffigen Schwingungen unterbrechen, welche ben begxunenben
3tiff fortpfiangen, inbem fie ftrafflenförmig bie Stoffe burd)fibem.
3ene gröberen 33eftanbtl)eile oertreien beuielben SDienft wie bie
86djer, bie man in Spiegelfdjeiben am ©nbe eines iftifjeä bohrt,
um iffn gu »erbinbern, weiter gu geben.“
£Die feinfte moberne Äeramif bebient ficff aljo beffelben StittelS,
wie jene oorgejcbicbtlicben europäifcffen „Söilben".
So eröffnen un8 benn fcbltefflitb unfere blutigen ©etracb»
tungen ben ©inblicf in einen ungeahnt weiten ©eftcbtöfreiä.
Sie fcheinen nach berfelben 9tidjtung gu beuten wie bie nicht
bocb genug gu fcbaffenben gunbe unfereS Sd)liemann8 in bem
uralten Gulturboben Stroja’8 unb in ben Hetoengräbern be8 gelb:
reichen StpleneS. Sie beweifen im Bufammenbalt mit ben bi8
jefft au8 weitgerftreuten ffcunborten »orliegenben antbropologifch*
arcbäologütben ©rgebniffen nicht allein einen gejdjicbtlicben 3«,
(M)
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fammenbaug in ber äftcften ßulturenttticflung aQet europätfcben
Söttet arifd^er (Sprache, fie f erlagen auch Me Srücfe hinüber
au8 (Europa gu ben altberübmten ©tätten afiatifeber (Sultur.
Anmerkungen.
1) Sericbt ber VII. allg. Serfammlung ber beutf^en antbrop. @e-
fetlf^aft in ©onftanj. ©. 117 unb 164, §ig. 11. ipier auch bie Ab.
bilbungen ber übrigen erwähnten Objecte.
2) ©. ©emper. (Der ©HL Sb. I. ©. 79 jc. Sb. II. ©. 34,
35 jc. jc.
3) (Sleffin. (Die £>6f)le bei Sritannien in ber Cberfalj. Au8*
lanb. 1878. 91 r. 15. ©. 290 ff.
4) Sb. II. ©. 195 (1874).
5) Arduo für Anthropologie. Sb. III. 1686. ©. 23.
6) Seiträge $ur Anthropologie unb Urgefdii^te SapernS. Sb. I
©. 59, SDafel XIII. 9t r. 39 u. 40. (Die entfprechenben Sronjenabeln.
Safel VII. 9tr. 131, 286, 405.
7) (Die Wählen unb bie Urbewohner Europa«. 1876 überfefct non
Dr. ©pengel. ©. 192, Anm. 1.
8) a. a. O. 162 unb 189. Sänge 172 mm, Sreite 140, £>fllie
140, Umfang 547, Sängenbreiteninbejc 81,4.
9) Seiträge jur Anthropologie unb Urgefdji<bte SapemB. Sb. II.
©.59. 58.
10) a. a. £>. Sb. II. ©. 122.
(308)
Srai ven Webt. Unjit (ib. Urimnt, in Berlin, ©djönebetfltrftt. IT a.
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Ifaulbacfy’s
Bilberfreis ber ttMtgefcfytcfyte.
Don
öirtor fiaifer.
ßcrlin SW. 1879.
33 e t l a g cott (5 a r l $ ab t 1.
(C. <0. KUtrit|'sii|i Bulmjshnrtitiniiiilnng.)
33. ‘ffiilijtlm • Strafe 33.
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5Da« SRedjt btr Ueberftfcung in fctrnbe ©ptadjcn roitb oorbeJjaUcn.
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!^m 3aljre 1845 erhielt Äaulbadj »ob fjtiebridi SBilbelm IV. ben
Auftrag, baS SreppenbauS beS bamalS im 23au begriffenen ÜJieuen
*Dtufeum§ in 23erlin mit SBanbgemälben auSgufdfmwfen. ©djon
gehn 3a^te notier batte et ben Garton gur ^unuenfd^la^t ent*
werfen unb bernad? bie 3etftörung »on 3etufalem in Del gemalt.
SBeibe @<böpfungen feilten nun in bet preufjtfcben £auptftabt
a!$ ©lieber eines SilbercpfluS wieberijolt werben, worin bie
;£>auptmomente ber SSeltgefdjtcbte maletifd) bargefteHt würben.
•fUulbadj beenbigte i. 3- 1865 fein gtofjeS SBetf, baS wäljrenb
brei Sa^rge^nten fetneS unermüblid^en ©t^affenS bie ^auptauf»
gäbe feines 8eben§ geworben war.
I.
2>urdj biefe monumentale Gompofttion nafym er mit bem
SJteifter bet heutigen ffreScomaferei, mit GotneliuS um fo melft
ben SBettfampf auf, als er, auS beffen ©dfule beröotgegangen,
bereits bureb feine £unnenid)Iacbt ftdt> mit ibm entgweit unb eine
felbftänbige 33abn betreten batte. 2) er ©egenfaj) ber beiben SReifter
trat nun in ber fünftleriftben SebanblungSweife febatf beroor,
weil jene Sflrbeit beS jüngern mit ben beiben auSgefübrten $aupt*
werfen beS altern 9JialerS ben gleiten ©egenftanb gemein Isatte-
3>nn was GorneliuS in ber ©Ipptotbef unb gubmigSfirdje gu
SKündjen gefonbert, aber nid)t getrennt, bebanbelt batte, bie Se*
beutung beS SUtertbumS unb ber djriftlidben 3eit, »ereinigte Äaul*
bacb an gwei ficb gegenüber ftebenben ©anbftadjen im 3nnern
jenes ©ebäubeS, welches Äunftergeugniffe ber »erfdfiebenften hülfet
unb Seiten anfbewabrt.
XIV. 319. 1* f^ll)
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33ctbe Äünftler fielen ferner auf ber gleichen $öhe beS Beit»
bewufjtfeinS ober auf bem ©oben ber beutfchen Stuffläruug , bie
in ben ©ebieten bet bilbenben Äunft unb bet Poefie, »on Söincfel*
mann unb geffing begrünbet, in Sfjomalbfeit unb ©oethe ihren
^öljepunft fanb. 3)aS ©ilbwerf £f)or»a(bfen’8 oon ber ©r*
Raffung beS ÜJienfchen butd) ^>aOa8 unb Prometheus war »on
©orneliuS als ber »oDenbete 2lu8btu<f beö antifen ©eifteS fowoi)[
als auch ber menfd>lt$en ©ernunft überhaupt anerfannt unb im
SJtittelpunfte feiner großen ©ompofition in ber ©Ipptotfyef nad)»
geahmt worben. QJiit bemfelben ©ilbe eröffnet Äaulbadj ben
grieS feines ©emälbecpftuS in ©etlin. sieben bet göttlichen ©er*
nunft »eranf^aulicpt er bann auch ba8 ftnnliche ©egehren beS
3Jtenf<hen nad) ©enufj unb ©ewinn, feine niebern Stiebe bet
gortpftonjung unb ©tnährung. Stuf ber ©eite beS Prometheus
fdjliefjt er übet ber aQegorifchen gigut bet ©age an jenes erfte
gwei anbere ©ilbdjen auS bem orientalifchen unb römifdjen Sagen*
gebiete an. 5luS jwei oom ägpptifdjen ©torch geöffneten ©lern
treten bie beiben ©efchledjter hetoor, auf ©lumenfelchen ent»
fproffen, jubelt fich baS Pärchen ber ©aturtinber ju, fchon eilt
bie Schlange herbei unb bietet bet tleinen @oa ben Stpfel beS
ParabiefeS an unb ber SSffe begrübt ben leichtbethörten Slbarn.
!fln ber ©ruft ber SBölfin [nährt fich b<*S ©rüberpaar 3ftomuluS
unb iRemuS. SDiefe SDarfteQung bet »ernünftig«finnli<hen SJtenfdjen*
natur ift ber Anfang beS herrlichen SltabeSfenfriefeS , ber, an
beiben Söänben fortlaufenb, bie SSeltgefd)ichte als ein humoriftifcheS
Äinbetfpiel behanbelt unb ben barunter befinbtichen ^auptbilbern
gut ©rflätung unb ©rgängung bient. 25en Schluß aber bilbet
©oethe, ber als ein Äönig'inmitten oon gerbet unb £umbolbt
thront, ©or fich h“t er ben gauft aufgefdjlagen, an jeiner ©eite
hulbigt ihm linfS ber ©rjengel, rechts SDiephiftopheleS. „@8 liegt
ein tiefet Sinn im finbifdhen ©piel"i — fchon im Anfang beS
griefeS hat e§ fich bewährt: bort war baS finnreiche ©ilb ber
(S12)
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5
Ijeüenifdjen (gopfytofyne bcr Anfang beS linbifchen ©pieleS, womit
bie autife ©ntwitfelung beginnt, unb ben abfchlufj ber mobernen
©ntroicleluugSreihe bitbet hier ©oethe mit ber menfchlichen greiheit
feines DenfenS unb gühlenS in ber ©litte gwifchen bem
mepfyifitopljelifdjen ©igen willen ober bem ©eifte, ber nur »erneint,
unb ber ©reatur ber göttlichen ©nabe, bem ©ngel, toeldjer bie
Serie beö @d}öhfer8 nur bewunbert, aber fie nicht begreift. 3n
berfelben ©litte gwifchen ben ©ytremen fteUt ©orneliuS ben
©lenfchen bar in feinen 3<i<huungen gu ©oetlje’S Sauft , unb
gmar mit ber mistigen Unterfcheibuug einer pelagianifdjen unb
auguftinifchen Stidjtung1): baS augnftinifche ©retchen wirb »om
©ngel gerettet, ber ©elagianet ffauft »om Steufel fortgefdjlehpt —
biefelbe Unterfdheibung, bie auch bem SieblingSwerle beS ©orneliuS,
ber Seltfchöpfung unb bem Seitgerichte, gu ©runbe liegt.
©oetlje’S §auft ift alfo ber gemeinf<haftli<he auSgangSpunlt »on
©orneliuS unb Äaulbach-
allein fdjon in biefem VeriihrungSpunlte geigt fich auch &et
©harafterunterfchieb ber beiben ©leifter: Äa ulbach ift gang unb
gar mobern, ©orneliuS aber hat bie Surgeln feiner geiftigen
Vilbung in ber Vergangenheit nicht minber als in ber ©egen«
wart. 2)a8 Sllterthum fdjaut er im Sichte beS öfchpleifchen ©eifteS,
baS djriftliche ©littelalter in SDante’8 göttlicher Äomöbie, unb
baS allen 3eiten ©emäfje »ereinbart er mit bet VilbungSform
ber heutigen 3eit, welche ©oethe gefchaffen hat. ©orneliuS fchrieb
an ©oethe, als er ihm feine gebergeichnungen gum gauft gufanbte,
um ihm feine Siebe unb Vewunberung auSgufprechen : „SDie
Sirfungen einer gleichgeitigen Äunft ftnb bie größten unb
lebenbigften, unb gange Voller, ja gange 3eitalter werben »on
ben Setfen eines eingelnen großen ©lenken begeiftert." 3ebo<h
bemerft auch ©orneliuS, baf} „bie Serie einer grofjen Ver«
gaugenheit unS mastig in bie bamalige 2)enl« unb ©mpfinbungS«
weife hineingiehen". ©oethe felbft ertannte noch ein anbereS
(S13j
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Element in jenen 3eid)nungen als feinen gauft, inbem ec barüber
urtheilte: ©orneliuS ^abe gu feinem gauft — etwas fjingugefiigt.
5Öie in Segug auf bie 3eitbilbung unb ben ©egenftanb
fd^eint ebenfalls in bet 2lrt bet Sehanblung Äaulbad) mit
ßotneliuS übereingufttmmen. SSiie fönnte auch ein ÜRann »on
©eift, bet auS ber £anb eines ©ornelius bie fünftlerifche SBeilje
empfing, »on bet ©ebanfeumalerei biefeS SOteiftetS abtrünnig
wevben! ©erabe Äaulbach’S SBerfe müffen eS felbft bem ober*
flä(f)lid;en Sefdjauer flat machen, ba§ bie echte Äunft noch etwas
anbreS ift als eine ülugenrceibe, ba§ »ielmeht in ihr bie haften
3been beS SeitalterS ausgeprägt finb; auch in bem gewöhnlichen
Äopfe werben fie eine Slhnung »on ber „fönigüchen" Stellung
erwecfen, welche Schiller ben Äünftlern mit ben Sorten anweifi :
Sie ftehen auf ber SJtenfchhett Jpöhen. Unb bo<h ift ein grofjer
Unterfchieb gwifdjen ber ©ebanfenmalerei beS ©ornelius unb ber
3bealität Äaulbach’S*). S)ort ift ber ©ebanfe getragen »on einer
<harafter»ollen ©efinnung, »on ihr empfängt er jene ©nergie,
welche bie Uebetliefetung beS SJllterthumS unb ÜJUttelalterS fo gut
als bie SilbungSfotm ber ©egenwart burdjbringt unb frei ge*
ftaltet, ohne bah er P< jerfe^t ober in ihr fi«h gerfplittert, »iel*
mehr in jebem ©ebanfenfplitter beS ©ornelius ift ber gange föiann.
©oethe erfannte bie gebiegene jfraft beS ?CRanneS fdjon auS
feinen gauftbilbern, ba er feine 3lrt als „eine alterthümlich*tapferea
fenngeichuet. ©ornelius nannte fich einen ÜJtarfchall ber beutfchen
ftunft, als er am @rercietplaf5e in Serlin feine Sohnung begog,
unb fich felbft als $)eter ©ornelius ftellt er unter bem Silbe beS
biblifcheu JpauptmannS ©orneliuS bar, welcher nach bet ©rgählung
ber iHpoftelgefchichte gwar £elm, Schwert unb Sdhilb, nicht aber
feinen tapfern Sinn ablegt, als er »om ©ngel gum Stpoftel 9>etruS
gerufen wirb. Sßicht biefe gefunbe garbe ber ©ntfchliefeung hat
ber ©ebanfe bei Äaulbacf), fonbern bie angefränfelte Släffe eines
fophiftifch'getfefjeuben 9täfonnementS. Äaulbach ift ber fDtaler bet
(«4)
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ISufflärung, welche mit ber IBergangenbeit bricht, bie Ueberlieferung
»erneint.
ÖHcbt wie bie ©oetbegeftalt im 8lrabe8fenfriefe fte^t JtauU
bad) feft auf bem Sieben ber menfcbücben greibeit gwifeben ©ngef
unb ©atan, fonbern im ®<bwanfen gwifeben ben ©jetremen trägt
leicht feine megjbiftopbelifdbe Statur ben ©ieg bauen. fRidbt ben
Äaulbadj fönnten wir ba^er an bie ©teile ©oetbe’8 in feinem
fHrabeSfenfriefe rüden: an feiner ©eite wäre ber ©rgengel eine
f)ot)le (5l)arafterma8fe, unb nur ÜRep^iftoptjeteÖ böte eine reelle
SSegiebung bar. SBofyl aber fönnten wir bort ben ©orneliuS mit
feinem gauft ber ©oetbegeftalt fubftituiren; benn wie ber Dichter
be6 gauft ^at ber fötaler ber ©typtotbef unb SubwigSfircbe ben
antifen unb mobernen ©et ft in ficb »erarbeitet unb nimmt je$t,
wie eä ber ^tftorifer SRiebu^r »orber »erfünbete, unter ben beutfdjen
fötalem biefelbe ©teile ein, bie ©oetfje unter ben beutfdjen Dichtern.
Doch müßten bann neben ©orneliuS jene beiben ©jtreme bie
3>läf5e »ertaufd^en: „2) er dbriftlidbe fötaler* würbe nicht wie ©oet^e
fein rechtes £% bem pelagiauifdben fötepl)iftopl}ele8, fonbern bem
©ngel leiben, ber ibn gum Slpoftel ^)etru8 befdjieb. Denn »on
biefer ©eite her »ernabm ©orneliuS „baS @twa8", baS ©oetbe
in feinem gauft nidbt ^at, ba8 ibm aber ©orneliuS jufügte4* -
Dante bat biefeS @twa8 in bem ©afje auSgef proeben : Die
©ettbeit felbft fann nicht bem fötenfeben »ergeben, e8 fei benn,
bafj er Reue empfinbe unb 33ufjje tbue; mit anbern SB orten: ©8
giebt feine Siebe ohne ©eredbtigfeit. DiefeS @twa8 ift ein
$au»tgebanfe be8 Sauft »on ©otneliuS unb ber ©runbgebanfe
feines #aupt* unb SieblingSwerfeS in ber SubwigSfirdbe geworben 3).
Dem ©orneliu8 gegenüber ift Äaulbad) ber gange fötepbifto»
»beleS, b. b- ein »erneinenbet ©eift, feboeb „ber ©dbalf, ben man
ftetS witlfommen beifit" — ba wo er am ^lafce ift. fötit feiner
mepbiftopbelifdben ©optjiftxl »erfnüpft ficb Äaulbacb'8 glangenbfte
©igenfebaft, fein SBifc. ®r ift bie wahre fpuISaber feiner ©enialüät,
(MS)
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8
womit et an ben genialsten unter ben JDidjtern bei aiterthuml,
an Slriftophanel hinaufreid)t. 3Rit iijm tljeilt et aud} im fchatfen
©egen ja jj gu Sorneliul bie unvergleichliche ©ragie, bie einen fo
eruften aber gleich genialen ©eift wie Platon gut SBewunberung
hinrifj. gteüich fehlt ihm bie charafterooDeßnergie bei Slriftophanel,
in biefet ^infidjt gleißt et bem SDic^ter bet fföafchinengötter,
©uripibel, welken Slriftop^cmed all ben 33erberber bet ttagifchen
Äunft gebtanbmarft unb bet fittlichen ©ebiegenheit bei 33aterl
bet Sltagöbie, Stefchplol entgegengefefct hat. ganb „bet tapfere"
©otneliul feinen ©eiftelBerwanbten an bem greiheitlfämpfer Bon
OJiatathon unb ©alamil, fo ift bem Äaulbadj bie jophiftifche
£altungllofigfeit gemeinfam mit jenem 3)i<hter bet ^eriflcifd^e«
Slufflärung. 33eibe, bet 35id)ter ber antifen unb bet SRalet bet
mobernen Slufflärung, finb gleich ergriffen Bon bem Sauerteig
bet {Repejrion unb gelähmt in ihrer Ära ft ber fünftletifchen ©e*
ftaltung: alte SOorgüge bei wiffenfchaftlichen gortjchrittel ihrer
3eit terwanbeln fidj bei ihnen in eben fo niele ÜKängel ihtel
fünftlerifchen ©chaffenl. „Schmucfeuripibeiich" hat tÄriftophanel
alle Äünftelei genannt, welche, um bem filmen 3)emol oon Slthen
gu gefallen, bie eble ©infalt ber echten Äunft preilgab unb bie
Schöpfet bei Schönen in bet Äurgweil Schöpfet oerfehrte. SÖenn
übet Gorneliul behauptet worben ift, er habe uur für bie
Slriftofratie bet 23ilbung gemalt, fo hat Äaulbach auch f“r ben
SDeniol bet heutigen Silbung unb felbft für ben unreinen ®e=
fchmacf einel Berbilbeten 3eitalterl reichlich geforgt: für bie ge»
lehrten ©enatter, bie gern benamen, für bie feine 2Belt, bie an
feinem garbenglang ohne ben gatbenfchmelg, an feiner immer ge*
lecften aber nicht immer correcten 3ei<hnung, an ben prächtigen
©ewänbern unb bem theatralifchen fPomp fid) erfreut, ja fogat
für bie ©öfcenbiener bei gleifdjel, bie an üppigem gormenreige
ftdj laben, allein tro§ aHebem, wie ©oethe an ©uripibel ben
gefchmeibtgeu, ben Berfchiebenartigften Aufgaben fleh anpaffenben
(sie)
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©eift gepriefen unb in biefet Hinfidbt iljn fogat bem SÄefdjploS
unb SopbofleS »orgegogen bat4), muffen mir e8 au Äaulbadb
anerfennen, bafj er nicht allein ben Faunen fceS $£age8 unb bet
SJtobe gebulbigt, fonbern, abfebenb oon ber tecbnifdben Seljanblung
bet gormen unb gatben, auSbtücflicb 5) in bie güHe unb geinbeit
bet geiftigen Ee^nif, ber Gompofition, ben Skwerpunft fetneS
fünftlerifdben StrebenS gelegt fyat.
n.
3n Äaulbadb’8 Söeltgefd^ic^te biefe fünftletifcbe ©inbeit bet
Gompofition in bem 9teid^t^um unb bet Gigentfyümlidjfeit feinet
£)arftellung8mittel gu erfennen, ift unfete Aufgabe. Unfete
SJtetljobe ift e8, bie fagenbafte unb biftorifdje Uebetlieferung bet
Unterfucbung gu ©tunbe gu legen, um an ben Slbmeidbungen oon
berfelben bie eigenen 3been be8 ÄünftlerS gu etforfdjen. 55enn
eine SHuftration bet Ueberlieferung bürfen mit in Äaulbadj’8
2Beltgefct)i(bte nidbt ermatten, bat er bod} »» feinem SMlberfreife
ben allegorifdjen ©eftalten ber Sage unb ©efdjidbte bie $)oefie
unb bie Sßiffenfdbaft al8 bie ©lütter ber Slufflärung gegenüber*
gefteHt, unb batf er audb mit allem Siedete ba8 »olle ©laf? ber
Jünftlerifcben greibeit anipted)ert.
<Die ©lieberung be8 ©angen folgt bem ©efejje ber Symmetrie
ober, nad) einem SluSbrucfe ©oetbe’8, ber JDialrifiS, nadb Hegel
bet fkledjten bialeftifdben 3meibeit. 2)ie fübcftlidje SUanbflädbe
be8 StreppenbaufeS, bie auf ber linfen Seite be8 Haupteingange8
liegt, »eranfdjaulidbt ba8 SUtertbum, bie gegenüberliegenbe Sßanb
bie Sleugeit ober ba8 SDRittelalter unb bie neuere Beit. Bebe bet
beiben SBänbe ift in gmei Hauptfiguren unb brei HaubtWber fo
eingekeilt, bafj jene gmifdjen ben lefctern fidj beftuben unb burdb
ihre Ioloffale ©rofje übet bie giguren bet Hawptbilber becoorragen.
Sie ftetlen abmedbfelnb ben ©rünbet eines auguftinifken ©otteS*
ftaateS unb eines pelagianifdfjen SSeltftaateS bar. 8in!8 auf ber
(8t7j
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Seile be8 SllterthumS ftnb e8 9Jlofe8, bet Stiftet bet jübifdjen
®otte8herrf<haft, unb Solen, ber ©efefcgebet äthenS, al8 be8
2Jlittelf)unfte8 bet antifen Slufflärung uic^t blo8 für ba8 nationale
#etlenenthum fonbern and? für ben alejtanbrimfdj * romifdjen
JpeQeni8mu8; rechts inmitten bet mobetnen ©ntwicfelungSteihe
bet Stiftet be8 ^eiligen römifchen SReidjeS, Äarl b. ®r., unb
griebrich b. ©r. al8 ©rünber bet etften nationabbeutfchen ©tofj*
macht, ba8 gemeinfame 3beal bet beutfdjen ölufflatung, eines
Seffing, Schiller unb ©eethe. ?ln jebe biefet oiet |>aut)lfiguten
fd)lie|t ft<h ein £auptbilb, an Solon bie SBIütt)e ©riechenlanbS,
an fDlofeS bie Betftörung »on 3erufa!em, an Äarl b. ©r. bie
Äreugfahter, unb an ^tiebridj b. ©r. ba8 SieformationSgeitalter.
3ebe8 bet beiben sPaare wirb burd) ein erfteS £auptbilb einge*
leitet, welches bie anbern biftorifdj begtünbet, ba8 erfte unb
mittelbar auch ba8 nachfolgenbe 9>aat burch bie 5Bölfetf<heibung
ober ben £hutm Ju Sabel, ba8 gweite burd) bie 33ölfermanberung
ober bie £unnenfd)lacht.
S3on SSilb gu 23Hb, oon SBanb gu SfBanb »erfolgt bet
hiftorifche Sortf^ritt bie Stiftung »on bet Sinfen gut Siechten.
3Diefe!be Stiftung geigt fich in bet materifchen Beleuchtung.
Allein im lebten £auptbilbe unb an bet lebten Jpauptfigur finben
mir einen gwar wenig in bie Slugen fallenben aber feht wichtigen
Unterfchieb. ,£>ier wirb auf einmal ba8 Sicht »on bet rechten
Seite genommen. Betmöge bet fpmbolifirenben Slrt Äaulbach’8
ift bie8 nicht ohne Sebeutung, fonbern weift auf eine tiefet
liegenbe 3ntention be6 ÄünftlerS h*n- @° wenig im etften
^»auptbilbe bet mobetnen ©ntwicfelung , in bet ^mnnenfdjlacht,
ber Untetfchieb gmiichen bem wunberbaten Sichte, ba8 »om üreuge
auSftrahlt, unb bem natürlichen SageSlidjte, ba8 hinter bem
(Soloffeum hwabfinft, al8 bebeutungöIoS etfcbeinen fann, eben fo
wenig batf jener Sidjtwechfel im lebten ^auptbilbe bet iffieltge»
fchichte al8 gufäüig angefehen werben. Bielmehr wie bott ba8
PW
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natürliche liefet ben Untergang beS clafftfchen 9llterthum8 fpmbolifch
auSbrücft, fo bebeutet hier ba8 2id)t, welches baö fReformationS*
bilb erhellt, unb auf bet feef emporgeworfenen Stirn be8 großen
griebridj fi<h fammelt, ba8 Sicht ber ©egenwart unb 3ufuuft:
e8 bricht mit bem Sichte bet Vergangenheit, ber hiftorifchen Ueber»
lieferung. SÖährenb in ben fünf anbern $auptbilbem be8 hiftorifchen
GpfluS eine gewiffe 3leu§erlichteit ber 3eitanfcbauung überall
burchfcblägt, unb Äaulbach’8 biafritifche fRatur einen breiten (Spiel*
raum h°t, wirb hier oorjugeweife bie SpnfrifiS in ©lauben,
SBiffen unb Äönnen bargeftellt, b. h- bie Durchbringung be8
Innern unb Puffern, be6 3bealen unb SRealen, be8 auguftinifchen
unb pelagianifchen ©eifteS. Sleufjerlid) betrachtet , fonbert fidh
alfo bie ganje (Sempofttion in 3wei gleiche Hälften, bie antife
unb bie moberne 3ett, wooon febe an8 brei ^auptbilbern befteht;
innerlich trennt fte fi<h aber in jwei hörhft ungleiche ^alften, bie
burch ihren 3beengehalt allein fidj ba8 Gleichgewicht haMen, baS
ailterthum unb SRittelalter einerfeitS, unb bie neuere 3eit, unb
bie erfte Jpälfte befteht au8 fünf ^jauptbilbern, bie anbere aber
an8 einem einzigen. 3ene merfwürbige ©rfdjeinung be8 Sicht*
wehfelS bebingt bemnach im 6p!(u8 ber SBeltgefchichte bie wichtige
Uuterfcheibung einer innerlichen ober efoterifhen oon ber äufjet*
liehen ober eroterifdjen ©lieberuitg be8 ©anjen unb beweift, wie
in ber ©ompofition ber einzelnen Silber, fo auch im ©runbplane
Äaulbadj’8 fDtangel an fünftlerifcher Durdjbringung oon 3nnerem
unb Sleuherem, oon ©ebanfenform unb Bormgebanfe®).
Denfelben Unterfchieb erfennett wir in ber ©intljeilung einet
jeben ber beiben SEßanbe. gut bie epoterifche Slnfchauung ftnb
tinfs bie Slüthe ©rtechenlanbS, rechts bie Äreujfahrer ba8 SRittel»
glieb jwijchen beiben (Sptremen; für ba8 efoterifche Serftänbnifj
aber finb fie eben fo wenig bie SRittelpunfte ber ßompofition,
als im Silbe oon ber Sßlferfcheibung bie Figuren be8 üRittel*
grunbeS unb bie mittlere ©ruppe be6 SorbergrunbeS bieje Se*
(»19)
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beutung fyaben, fonbern, wie in jenem Hauptbilbe, baS ade anbem
einleitet unb begriinbet, bie SHngelpunfte bet (Jompofitiou offenbar
in bie beiben ©jrtreme gelegt finb, nämlidj in ben 25ualiSmuS bet
auguftinifdjen ©emitengruppe unb bet pelagianifdjen ©ruppe bet
3apfietiten, fo finb biefe fdjeinbaren SRittelgliebet beS CSpfluä
eigentlich nur bie SlnfangSgliebet eines fpmmetrifdjen Slerljält*
niffeS, wooon linfö bie Serftßrung »on 3erufalem baS tein
augufHnifdje, rechts baS JReformationSbilb baS auguftinifdj*
pelagianifdje ©djlu&glieb bübet, während umgefetyrt baS etfte 2ln»
fangSglieb bie pelagianijdje, baS gweüe bie auguftinifdje SRidjtung
»ertritt. SMefe oier Hauptbilber folgen paarweife ben beiben
paaren ber auguftinifdjen unb pelagianifdjen ©taatengrünber,
SOlofeS unb ©olon, Äarl unb gtiebridj b. ©r.; unb biefe »iet
Hauptfiguren finb audj für bie ejroterifdje wie für bie efoterifdje
S3etrad)tung ber fpmmetrifdfje 5Rittelpun!t ber gangen (5om*
pofition.
Ueber ben Hauptfiguren finb bie gu iljten Häuptern fdf?we«
benben ©eftalten gleichfalls paartteife georbnet: 3ft8 uub Slpljrobite
müffen abwärts gu SJtofeS nnb ©olon, Stalien unb SDeutjdjlanb
gu $atl b. ©r. unb gtiebrid) b. ©r. begogen werben, fie finb
beren abftracte fProjectionSbilber T). 2>ie allegorifdjen 9>aare bet
©age unb ©efdfyidfyte, ber 3ßiffenfd)aft unb ^)oefte finb aufwärts
mit bem SlrabeSfenfriefe gu oetbinben: SDie ©age mit bet SDar*
fteduug ber nernünftig finnlichen Sföenfdjennatur im Anfänge beS
griefeS, bie ©efdjidjte mit ben brei ©chicffalSgotthciten am @nbe
ber antifen ©ntwidelung, welche gemäfj ber bie fyiftorifdje Strabition
»erneinenben ©runbanfid^t beS ÄfinftlerS, fofem fie bem ©djtrffale
ober bem Untergänge »erfüllen, ber ©efcfyicfyte anljeimgefaKen ift,
ferner bie SBiffenfdjaft, auS beren ©djoofje bet ©eniuS ber 9luf*
flärung mit ben tjeWobernben gadfeln emporfd^webt, mit bet 5)ar»
fteHung bet mobernen ©rfinbungen, beS SteleffepS, beS eleftro«
magnetifdjen Slelegrap^en unb ber ©ifenba^nen, enblich bie 9>oefie
(WO)
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im greife bet ©rajien mit bem @^(u|bilbd)en oon bet bidjterifchen
aufflörung in ©oethe’8 gauft.
3wifd)en biefen ©nbpitnften bet beiben SSänbe breitet fich
in gmei ununterbrochenen [Reihen ber arabe8fenfrie8 au8 unb
folgt genau jener bualiftif^en ©liebetung befj ©anjen in ben
barunter befinblid^en Hauptbilbem unb Hauptfiguren. @r fteHt
eine wellenförmige ©ewegung bar: gleich ber wogenben See heben
unb fenfen fich gwei fchöugefchroungene Linien bet arabeSfe über
jebem Hauptgliebe, unb am ©nbe beffelben prallen ihre SBinbungen
gegen bie nadjfolgenbe 8inie unb gipfeln mit ihr wie gwei fchaum*
gefrönte SBeflen in einem ^)aat einanbet gugefehrter ftinbetge»
ftalten. SDiefen enggebunbenen SRhpthmuS ber arabe8fenlinien
behenfcht Äaulbach mit ber freiften ©enialität: ihr Söeßenfpiel
macht er gum SSummelplafje „be8 finbifchen Spieles", worin ber
©rnft ber SBeltgefdjichte fich fpiegelt. SDiefe freien Äinber feinet
9)hantafle ftnb t>on feiner irbifchen Schwere gebrücft, fie fufcen
nicht auf ber feften, wohlgegrünbeten ©rbe, elfenartig au8 Sicht
unb 8uft gewebt, ftüfcen fie fich auf bie ©lütter unb ©lüthen,
huf eben burch bie [Ranfen unb Bweige ber SÄrabeBfe. 3« ihn«H
gefeiten fich »erwanbte Äinber ber fRatur, bie Ühwre be8 SGBalbeS
unb ber Suft, unb mifchen fich i» b<*8 he*i«te ©pW* 5)en «tb-
geborenen 2Renf<hen ahmen fie bie hatmlofen Äünfte be8 griebenS
nach, aber auch 3Rorb unb Stob, ©ütgetfrieg unb Unterjochung
fie fpielen bie SBiMürhertfcbaft ber orientalifchen ©efpoten, bie
fünfte unb bie SBiffenfchaft ber Hellenen, bie weltbegwingenbe
SDiacht ber [Römer, unb am ©nbe treten bie furdjtbaren @dhicffalS-
göttinnen auf, bie unerbittlich aße8 Schöne unb ©rohe ber antifen
SBelt bem Untergange weihen. SDo<h fann e8 wohl ben muntern
Äinbern fein rechter ©rnft fein mit ber STobtengrübertoHe ber
ate, fRemefiB unb ananfe, bie ber Äünftter ihnen gugetheilt h«i,
balb werben fie bie Saft ber tragifchen ©ermummung abwerfen
(«0
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unb in einem onbern ecbt*ariftopbanifd)en SSolfenfufufS^eim ein
neue« ©piel beginnen.
©djon fährt im 3uge ber 33ölfetwanbeter bie germanifdje
£au8ftau unb ergäbt , ben ©pinnrecfen in bet £anb, Äinber»
unb ^»auflmätdben ober bie Jbierfabel »on ben {Raufen be8
{Reinefe ©ie bat tor ihren mit bem gudfilpelg überbecften
Ä arten ein paar fablföpftge ^Ijilologen gefpannt, bie übet ben
Untergang be8 clajfifcben ältertljumö »erlagen unb gleid) ben
propbetijdjen Stoffen beö 2ld}iIIeu§, bie intern £etrn unb bem
©riedjennolfe Stob unb U3erbetben weiffagten, bet mobernen Söelt
ein äbnlicbtö ©cbicffal netfünben. Unb in bet Jbat, wie e8 bie
Solgegeit lehrt, Ijat fie grofeeö Unheil unb Ungemadf gu etbulben,
©atan wirft ben ©amen bet 3wietracbt unter bie neubefefyrten
SBölfet, auf ba§ fie beim nädjften Gtrwacben fidj auf Job unb
geben betämpfen, weil fie je§t nicht wiffen, ob fie auf ben
£omoufio8 ober ben ,$omoiufio8 getauft worben finb. 2)ie mittel«
alterlicben ©otteäftreiter muffen, baö Äreug in bet ^>anb, auf
lahmem @jel übet ben £etlefpont fefjen unb mit ßinem ©cbwaben*
ftteidje ©aragenenleibet mitten entgweifpalten; fpifjfiubige ©tbola«
ftifet muffen mit feinen .fränbdjen auö ben {Rofenblfittern be8
Äotan eine ©Ute nach bet anbern betauSgieben; inmitten bet
6ngel, bie ba§ ^eilige ®rab bemalen, mu| bie Sffife oon
3erufalem errietet, Äaifet unb .Könige muffen mit bem Sann»
ftrafyle getroffen, Äefcet oetbammt unb Jpeyen »erbrannt werben.
Allein nad) allen ben langen geiben, bie al4 ein bunfleS 9?er*
bängnil baö itn Srobnbienft feufgenbe ^bilologeupaar fc^eint
betaufbefdjworen gu haben, bricht enblidj ber neue Jag an: bie
©onne bet beutfdjen Stufflarung bat ibn ^eraufgefü^rt , unb bet
mobetn«romantif<b« ®eift »ermäblt fidj in ©oetbe’ö Sauft mit
bet wieberetwecften Slutife.
2)iefet Strabeefenfriefl ift bie .Krone »on jtaulbacb’S SBett«
geliebte, eine ?>etle ber Äuitft, welche nur btefet SReifter bilben
(Ml)
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fonnte. ©ein frei fptubelnbet SBife jcfelägt Ijiet alle £6ne Bon
bet feinftett 3tonte bis gur fdjneibenben ©atire an, oljue in biefent
luftigen SBetfe bet ^feantafte burd? frioolen ©pott baS geinge*
fühl gu Detlefen. 3n bem reigenben Äinberfpiele löfen fid) audj
bie Jpärten BOti .ftaulbacb's gebenSanfdjauung in SBofelflaug auf.
@8 ift felbft eine echte ©djöpfung bet $)oefie, bie am ©cbluffe
im fReigentange bet ©ragien erfcbeint, unb gugleidj bie reife tfrucfet
jenes IRaturftubiumS , baS, wie eS bet Äünftler felbft in ben
BteSfen an bet neuen fpinafotbef gu SRmtchm geftanben ^at, in
5Rom ihn bie clafftfd^cn 3?enfmälet bet SBorgeit Berfennen unb
Bergeffen, in bet lebenbigeit ©egenmatt aber ben tangenben Söiuget*
paaren non Sllbano baS tieffte ©ebeimnife feinet Äunft ablauftheu
unb bie anmutig gefdjmungene Sinie unb bie ©uifeptbmie bet
öemegung mit 58uge unb jpanb etfaffen liefe. .£>ier, nicfet bort,
mo et nach manchem ungeitigen ©cfeevge gu gutem obet jcfelimmem
Snbe in feinem eigenen Silbniffe feernortritt, fönnen mit uns
Borftetlen, als träte Äaulbatfe’S feine, gefdjmeibige ©rfcheinung
gleicbfam in einet ariftopbanifefeen ^atabafe unS gegenüber, als
mürbe er ben 9>elgmantel auSeinanber f plagen, fdjalfbaft Bor fid)
bin lädjeln unb gegen bie Sefchauer leicht ftefe netneigen — mie
ein ©tbaufpielet, bet, feines (Erfolges gemife, am ©dfelufe bet
Äomöbie fidfe anfdjicEt ihnen guguflüftern: Älatfä|t in bie #ättbe,
plaudite spectatores!
in.
23om ©«berge menben mit unS gum Stufte beS gefcbidbtlicbett
ßebenS, beffen mächtigen ^ulSfdjlag mit in ben fedj& <£>aupt«
bilbern mabmebmen, unb bebienen unS ba, mo eS nötbig fein
mitb, „beS tiefen ©inneS," bet in jenem Knbifdjen ©piele liegt,
als eines „fotilaufenben GommentaiS,“ meldjen eigentlich bet
Äünftler im gtiefe unS barbieten moQte. 3)a8 erfte, gtunblegenbe
^auptbüb, bie SSßlfetfcheibung , ftellt ebenfo ben feimftäftigen
(22*)
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Anfang beS hiftorifchen 2ebenS bet ÜJtenfchheit bar, wie eS felbft
»on bet fchöpferifchen greube angehaucht ift, mit »eichet bet
Äünftler bie Hauptaufgabe feines 8eben8 begann. 2Bie in
feinem anbettt Silbe beS ©ptluS burdjbringen ft<b hier 3bee unb
iSuSbrucf ju einet lebenbigen ©efammtwirfung, uertnüpfen ftd)
bie einzelnen (Gruppen in einer unb betfelben Hanblung unb
bieten unter ftdj anfchauliche, nicht bloS ibeetle Sejiehungen unb
Uebergänge bat. H^r ift bet ©toff bet Ueberlieferung mit
fünftleriftper greiheit geftaltet, nicht aber wiUfürlid) entfteHt
ebet fopljiftifdj »erbtest. Siblifch ift bie ©intheilung bet 9Ra<h»
fommenfcbaft 9toat)’S in ©emiteu, Ham*ten unb 3aphetiten, bie
©ewaltherrfchaft 9Rimrob’S in Sabel unb bie Berftreuung bet
Sölfer beim Shurmbau. SDie Serbinbung unb SDRotiüirung biefet
btei Momente aber ift beS ÄünftlerS eigenes SBetf.
3n bet mofaiftpen ©rjählung erfd^eint bie babplonifdje
©pratpcetwirtung als ein göttlicher 9Rathf<hlu§, ber gegen ben
©igenwiDen ber in ungeteilter Äraft bimmelanftrebenben gjtenfch«
beit gerietet ift. ©iehe, fpricht bet Herr, als er bie ben Sabel*
tljutm bauenben 2Jtenf<henfinber gewahrt, eS ift einerlei Solf
unb einerlei ©pracpe unter ihnen allen; fte werben nicht ablaffen
»on allem, waS fie »orgenommen haben ju thun. SRach ber
©onceptton ÄaulbafS ift 3»at bie Söffetfdjeibung gleichfalls ein
göttliches ©trafgericht, baS jebodj nicht ben ftrebfamen ©eift beS
Söienfchengefdble^tS fonbern ben tprannifdjen Uebermuth eines
©injelnen trifft, gür bie SDRenfchheit ift bie Sölferfcheibung nicht
ein ©trafübel fonbern — bie Sölferbefreiung, b. h- ber erfte
Slthemjug in ber 8uft ber greiheit, womit bet erfte $)ulSfchlag
ihres gefch«htlichen SDafeinS beginnt. 5Die nach treu 9tacen ge»
fchiebenen Sölfer ergreifen Sefifj oon ber weiten Gerbe, welche
ihnen bet ©djöpfer jum SBohnfifce unb jum ©djauplafce ihres
©trebenS beftimmt hat. SRach ihrer ©igenart gestalten unb
gliebern fie ihr SDafein unb SSirfen, grünben ftdj ihren Herb
(224)
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unb fr Saierlanb, fte $empel unb Elitäre, um in »ergebenen
3ungen unb formen ben ©inen ©ott 311 Bereiten, bet fie au8
bem ©öjjenbienfte beö Scannen befreite.
3n Krümmern liegen im ÜJiittelgrunbe beö 33il beö auf ben
untern ^erraffen beb SabelthurmeS bie ©efcenbilbet, bie Stimrob
fif an ber ©eite feines 5tfyrone$ errietet l^atte. Son feiner
nadjften Umgebung, ben Höflingen Berlaffen, wirb er bie 3«l*
ffeibe iljreS ©potteS, ba er ber ©egenftanb frer fflauiffen
gurft gu fein aufgehört h®t. ®r, non bem bie Sibel .fagt: er
begann ein gewaltiger ^errfdjet 3U fein auf ©eben, ift ber otjn»
mäftigfte auf ©rben, fobalb ber ©ine .jperr beS JpimmelS unb
ber ©rbe naht. £>ie Sßlfer empfinben biefe Stcfe: fie trennen
fif ebenfo Bon bem Slprannen, tnie biefer fid) Bon bem ©inen
©otte getrennt batte, al8 er felbft fif göttlicher ©bren nermafj.
9lber auch unter einanber trennen fidj bie auö ber ©flaoerei be»
freiten Sßlfer in bie brei .£>auptftcimme beß @em, «jrjam unb
3apl)et, ber ©öbne Stoah’8: im Sorbergrunbe tnenben fid) bie
brei ,£>auptgruppen ber ©emitcn, .fpamiten unb Saphetiten nad)
Betfcbiebenen Stiftungen.
1. ©te SJtittelgruppe fteöt bie ^amiten bar. auf ihrem
©tammoater ruht ber Bäterlife gluf: Setfluft fei £am, ein
Änedjt bet jtnefte fei er feinen Srübern! 3« ber SRitte gwiff en
ben beiben Sruberftämmen gieren bie £amiten Bon Sabel fort,
aber bie befreienbe ipanb beö ©inen ©otteS erfennen fie wicht.
JDaS Sranbmal ber Änef teSgefinnung, be8 craffen aberglaubenö
unb ber brutalen ©innliffeit, ber ^jinterlift unb $ücfe auf ber
lidjtffeuen ©tirne tragenb, Berlaffen fie ben ©ßfcen Stimrob, um
ihrem ©ßfjcnpriefter gu folgen. 6r ift ber 3fpu8 beö bitmpfeften
aberglaubenö. auf bem tnilben Süffel reitcnb, prefjt er ben
ffeufelifen, Bierfepfigen getiff an bie Sruft; ben SRantel über
bie ©tim gegogen, mit ftierem Slicf, fprift er bie finulofe
3auberformel. 3« biefem Steifer pafjt ber hafelife Süffel: et
xiv. 3t». 2 ms)
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trägt Amulette unb JaliSmane am #otn, auS bem ftruppigen
©tirnhaar glofjen mit unheimlicher ©luth bie jornwüthigen äugen
heroor. ÜJtit gurdjt unb Sangen neigt fid) baS Jpamiten^Utäbcben
»or bcm 3aubetfprud)e beö Schamanen unb brücft ben ©aum
beS priefterlid)en ©ewanbeS an bie wulfKgen Rippen, glühenbe
©innlidjfett prägt fich in ben üppigen formen i^re« ÄörpetS
aus. hinter ihr h<* f «bleibt bie fupplerifche älte, mit Borge*
ftrecftem ärme lüftet bie ßigeunerbejre baS über ben Äopf ge-
zogene ütud) unb fchaut oerftohlen nach bem fdjönen Saphetiten*
3üngling auS. äuf bet anbern ©eite beS Süffels fchreitet ber
bamitifcbe Ärieger; an biefer ©eftalt »ollenbet jebet 3u8 baS ©e»
präge räuberijdber 5£ücfe: ber f d?leic^enbe ©cbritt unb bie lauernbe
Haltung, bie ^etRitid^ geballte Sauft unb ber gum btnterliftigen
®to& erhobene ©piefe , bet fd?eue Slicf unb baö Derfchmitfte
Uächeht, fogar bie oereinjelt wie an bet ©djnauje beS Staub*
thiereö htroorftarrenben £aare bet Dberlippe. SJtit fanatiidjem
©rimme fletfcht hinter ihm ber frauflhaarige SJtohr bie 3ähne
unb flutet ben frommen ©emiten*Änaben.
Die zigeunerhafte ^amitenbanbe, bie ihren Srübetn flucht,
trägt felbft ben »äterlichen Slud): @te werben fein bie ^uedjte
ber Unechte ihren Srübern. ©ie ha&en nidft baö freie Dafein
ber menfthlichen ©ultur: ihnen gehört nur bie thierifche ©egen wart,
fie haben feine menfchliche 3ufunft, feine Seftimmung. SEBohl
haben fie ihre fcagerftätten, aber eine Heimat unb ein Saterlanb
werben fie nitgenbS finben, wohl nähren fie ft<h unb pflangen fi<h
fort, aber fie werben nie ben ^flug führen unb ben Met be»
ftellen, fie werben nicht burch intelligente Arbeit ihre Steilheit fleh
erwerben, nicht $anbel unb ©ewerbe treiben, nicht SBiffenfchaft
unb Äünfte pflegen, ©ie bilben nur eine Sanbe, niemals einen
©taat unb eine Äirche. 3wat haben fie Steligion, aber finb
nicht religiös; benn baS Sanb, baS ©ott mit ihnen oerfnüpft,
ift nicht SBürbe fonbern ÜJtadft, unb baS Sanb, baS fie mit
<W6)
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bet ©ottheit »er eint, ift nicht ©hrfurdit fonbern gurdjt: jdjlagen
werben fte ihren gettfch, wenn ftc ihn nicht mehr fürchten,
ihn wegwerfen wenn er nicht ihren Segierben bient, aber ber
neue ©egenftanb ihrer Religion wirb fein anbereb ©öttliche
fein fonbern nur — ein anbeter getifch. Der Aberglaube befreit
unb etjieht nicht bie 5Jtenf<hen, er lenft fte nie auf bie Sahn
ber ©efdjichte unb ©ultur. Die ungefchichtliche Jpamitenhorbe
fteht alfo im fchatfen ©egenfaße fowohl ju ber geschichtlichen
gruppe bet Sapßetiten ober titrier alb auch 8“ ben »orgefchicht*
liehen ©emiten.
2. Den ©tamm ber ©emiten geftaltet bet Äünftler ju einem
frönen Silbe beb patriarchalifchen griebenb. Auch hier folgt er
bib ju einem genau beftimmten fünfte ber Ueberlieferung.
Abraham ift ber ©rbe beb »äterltchen ©egenb, ben Soaß feinem
erftgebornen ©ohne ©em erteilte. @t hat in ber Sibel ben
zwiefachen ©harafter eineb ©tamm»aterb unb pohepriefterb, ober
er heißt: „Der Sater »ieler Sölfet unb aller ©laubigen". Un»
mittelbar »erfehrt er mit bem ©inen ©otte 3eßo»a, ftiftet mit
ihm einen Sunb unb ein3eichen biefeb Sunbeb, woburch alle manu»
liehen 9iad)fommen unb alle OJtänner im Solfe 3ftael bem ©inen
©otte geweiht werben. Die grauen aber finb ben ÜRännem
unterthan alb ihren Herren. Abraham oerläugnet fogar feine
rechtmäßige ©attiu. Allein auch auf ihr ruht ber ©egen beb
Sehooa, benn et »erlünbet ihrem ßJianne: unenblich wie bet
©terne 3®hl fei her ©ame Abraham’b. Äaulbad) entwicfelt in
feiner abrahamitifchen ©ruppe beibe ©runbgüge ber biblifihen
Ueberlieferung: Abraham, ben Sater aller ©laubigen unb ben
Sater »ieler Sölfer. Der femitifche Patriarch ift bie einzige
©eftalt beb Silbeb, welche glaubenbDolI aufblicft unb, nicht er»
fdjrecft butch bie bab ©trafgericht »oßgiehenben ©ngel, ben ©inen
»Slferbefretenben ©ott »on Angeftcfjt ju Angefidjt febaut: ber auf
ben SBolfen uieberfabtenbe 3eho»a ift bie Sifion Abraham’b. A18
2* (*27)
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©tammegfürfi unb £oheptiefter fifct et auf bem SBagen bet aug»
wanbernben «Semiten, gu ihm brängt fidj bie männliche 3ugenb
be8 ©tammeä. ©egnenb breitet et bie SRedjte übet feinen ©ol)n,
bet ben Söagen lenft, bie ginfe übet jwei anbte Sö^ne beg
©tammeg, bie not ben Setwünfdhungen beg ^amitif<^en Slegerg
an bie Stuft beg Patriarchen fließen. Sieben bem 3Sagen f^reiten
bie grauen eintet, ben SBaubetftab in bet $anb( ooran eine
SRutter beg ©tammeg, ftolg auf ben teilen Äinbetfegen , für
melden fie bag ganb bet Serheifjung ju gewinnen hofft- 3»«i
ftnaben, bie fte auf ben breiten dürfen bet cot ben abraijamitifdjen
SBagen gekannten Bugsiere gefegt hat, laben fidj an bet füfeen
8rud)t bet Siebe, bie ihr Sthnoater 9loah pflangte, bag jüngfte
Äinb fttecft barnadh oetlangenb bie $änbchen aug bem ton bet
ÜJlutter getragenen Äorbe herab.
3u biefem patriarchalifdhen ©tillleben gehören auch bie
Spiere, bie alg ^augt^iere beg ÜJtenfdjen goog feilen. 3« bem
Wüben Süffel beg hamitifdhen Sauberpriefterg bilben ben pafjenben
Sontraft nicht blog |bie gaumen ©tiere am SBagen beg Patriarchen
nebft bet .ft ul), welcher an bet ©eite bet abrafyamitifdjen Plutter
bag .ftälblein ihr gutter Dom Plaule abäfet; fonbern nod) Diel
mehr bie ^etbe bet frommen ©dfaafe fpiegelt bag pattiardjalifdje
geben bet ÜJtenfchen ab. 9Rit bem Sewufjtfein beg @tammeg=
oberljaupteg trägt bet SBibbet feinen ftattlidjen .ftopffchmucf unb
überragt feine ipeetbe, bet fruchtbare ©tamm bet frommen gämmer
brängt fich um il)n her, unb neben bem hamitifchen fRäubet bucft
fich bag garte gämmchen ebenfo unter ben geib bet blöcfenben
SRutter, wie bie 9tbrahamiten*jtnaben oot bem wilben SRohren
in biefegnenbenSÄrme beg Patriarchen fließen. IDieferparalleligmug
gwifdjen bem SL^tet* unb 3Renf<henlebeu tritt hier nicht ftßrenb
aug bem Gharafter ber (gruppe tjeraug, fonbern DoHenbet bag
liebliche Silb beg pattiatchalifchen füatutlebeng.
25er ©tamm 9lbtaham’8 ha* nicht bie locfere gorm ber
(228)
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£amitenbanbe, er ift eine gef ^offene gamiliengenoffenfd^aft , er
hat eine 3ufunft: in t^m ift gunächft bie abger unbete gorm beß
mofaifchen ©taateß »orgebilbet. 2Uß SBanberhirten »etlaffen bie
IHbrahamiten baß ©tromlanb gwifdjen Stigriß unb ©uphrat unb
gieren weftwärtß in bie ftromlofen unb waibereichen ©teppen»
flächen beß £auran. @<hon erreichen bie ©bräer bie ©ebirgßau
9>aläftina. ^iex wachfen fte unb »ermehren fid) unter bem »ater«
lieben ©egen bet Patriarchen Sbraham, 3faaf unb Safob, aber
bie £>irtenftämme 3frael finben noch nicht ihre ^eimath* in
Paläftina: um ihren Kornbebarf eingutaujehen, giehen bie groölf
©ohne 3afob’ß weiter nach SBefteu in baß reiche tSegppten unb
treten in ben grohnbienft ber Pharaonen- 3n ber ©chule ber
Reiben werben jejjt bie gwölf ifraelitifdjen ©tämme baß 93 o IC
Sfrael: ba erwäcbft ihm ber grojje Piann feiner ©efdjichte, ber
ihm feine 3ufunft unb Seftimmung, bie erfehnte c^eimath unb
baß Staterlanb gibt, unb auf ben eß hiuwiebetum 3ahrhunberte
nachher entftanbene ©inrichtungen feines 93olfS= unb ©taatß»
lebenß, feine gange nationale 3nbi»ibualität gurncEführt, um biefen
bie Autorität ber göttlichen Offenbarung unb jenem ben ©lang
beß fRationalhelben gu fichetn. SDenn wie ber Patriad) Abraham
»erfehrt ber ©efefcgebet Ptofeß auf bem ©inai unmittelbar mit
bem ©inen ©otte, unb wie jener nut für feine männlichen 9iad}*
fommen mit 3ebo»a einen 5Bunb ftiftet, fo finb im mofaifchen
©taate aQe Piänner „baß unmittelbare ©igenthum ober ber
Älernß beß 3eho»a, ein priefterlic^ Königreich unb ein heiligeß
ä?olf." «uch ber ©runb unb ©eben in Paläftina ift ^eiliges
8anb, baß ©igenthum beß 3eho»a, unb bie Sfraeliten finb nur
feine Pächter; baljer fie ihren ©runbbefifc nicht auf immer »er«
laufen bürfen unb bem 3et)o»a ober ben ©tammeßgenoffen beß
Propheten »om ©inai, ben 8e»iten, alß einen Padjtginß »om
©rtrag ihrer ©rnten ben 3ehnten entrichten müffen. ©er tfl cf erbau
ift alfo bie töafiß unb baß SBeroufjtfein ber unmittelbaren äter«
(*89)
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einigung beß 33olfeß Sfrael mit bem ©inen jftationalgotte 3eb<?o<«
ift bie Seele beß mofaifchen Staateß.
.ftaulbacb’ß Semiten «©tuppe ift in biefer gwiefachen 33e*
giehung ber Prototyp beß mofaifchen fRatur* unb ©otteßftaateß.
SDcr 2lcferbau wirb butd) baß ©efpann ber gabmcn Stiere uot»
gebilbet, bie cinft ben Pflug gieren werben, wie fte jefct bem
außwanbernben Patriarchen bienen. SDet SBetnbau ift butcb bie
Strauben angebeutet, welche bie Knaben auf bie Sßanberfaijrt
in baß gelobte Sanb mitnebmen. SDie abrabamitifche ^außfrau
wirb im mofaifchen Staate einen feften $erb unb eine ftetige
Ramilienfitte grünben, unb am Spinnrocfen, ben fte jefct im
Äorbe trägt, für bieÄleibung ber ^amiliengenoffen forgen; hoch
wirb fte ihrem ©atten nicht minbet untertban jein, fonbern non
ibm alß einem priefterlicben £errn gefauft werben, unb bet jtauf»
preiß ungefähr gleich gro§ fein wie ber eineß leibeigenen jfned)teß.
©nblid), wfe jejjt bie £änbe beß Patriarchen ben göttlichen Segen
über SQlänner, SBeiber unb Äinber, übet bie gerben ber (Rinber
unb Schaafe außbreiten, wirb auch bie mofaifche ©otteßberrfchaft
baß gange 33olfß» unb Staatßleben, fogar bie £auß* unb Stafel»
orbnung ber 3uben biß in’ß ©ingelfte unb Äleinfte regeln unb
bebertfd)en.
2llß ein patriarchalifcber ©otteßftaat trat baß jübiiehe 3?olf
auf ben Schauplafc ber ©efcbichte, machte aber auf biefer Sahn
nur ben erften Schritt ober einen Anfang, ohne ihn gum Bert*
gang unb ©nbe weitergubilben, weil eß fein gangeß SDafein auf
ben unbebingten 3wfa™«nenbang mit ber ©ottbeit grünbete.
©ott ift ber unceränberlich gute ober ootlfommene ©eift, bet
SRenfcb aber ift »erbefferlich ober perfectibel nur babureb, ba§ er
»etänberlich ift. SBirb bie unwanbelbare SBütbe ber ©ottbeit
unmittelbar bem menfcblichen Streben aufgeprägt, fo ift biejem
bie eigene SBürbe, bie perfectibilität ober ©ulturfäbigfeit ge»
raubt: eß wirb tnpifch gleich ben ©attungßtppen ber organijehen
(230)
B.
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23
t
9Jatur. 3n allen ©ulturgebieten mürbe oon ben 3uben ein
Anfang gemalt, aber buttfe bie religiöfe Autorität ber gortftferitt
gehemmt. SDer Atferbau fonnte im mofaiicfeen Staate nicfet frei
ficfe entmicfeln, »eil aflefi ©runbeigentfeum gleitfefam ein ÜJiajorat
bet ©ottbeit mar, eben fo menig $anbel unb ©emerbe, meil nur
bet ^atbtginß erlaubt, baß unentbehrliche SDRittel beß menfcfelicfeen
SSerfeferß aber gut Unfrucfetbarfeit »erbammt mar. 3)er ibeale
Auffcfemung beß fünftleriftfeen unb miffenfcfeaftlichen ©eifteö mar
in einem SBolfe gelahmt, baß ben patriarcfealijthen Autoritätß»
glauben Abrafeam’ß alß bie Slütfee beß menitfelicben Gebens fcfeäfete
unb bie SDarfteflung ber ©ottbeit im Silbe oerbammte. Selbft
in ber Religion ift eine tppift^e Scbranfe, bie erft com ©briften9
tbum burdfebrocben marb. 3n feiner ©otteßibee erreichte eß gmat
bie bÄdjfte Sßernunftform , melcfee bte »ottbrifllidjen ©ulturoölfer
anftrebten; aber in ber Anficfet übet bie Stellung beß ÜJtenicfeen
jur ©ottbeit mar eß ebento befangen burtfe ben abrabamitifcben
Autoritätsglauben, mie in ben anbern ©ebieten beß ©ulturlebenß.
3?er Autorität gab eß ben unbefcbränften Sortang »ot bet
Sernunft, mäbrenb natb ber auguftinifcfe«(feriftlicfeen gefere jene
nur ber 3eit natb baß erfte fein batf, in SBaferfeeit aber bie
Priorität ber SBernunft gebührt. Sein particulariftifcfeer Stolg
mar eß, nicht bloß baß 33olf, fonbern ber Änecfet ©otteß gu
beifeen: eß mar nidjt ber Änecfet feiner Srüber mie bie #amiten,
aber ber Änecfet feineß fJiationalgotteß, für beffen SDienft eß fitb
unbebingt opferte. SDurcfe biefen fnechtiftben §)articularißmuß ift
eß mäbrenb ber mefer alß taufenb Safere feiner nationalen ©yifteug
ebenfo ftationär*tppif<h gemorben, mie bie SRaturtppen, an benen
mir feeute nicht bie geringfte Seränberung mafernebmen, menn
mir fie mit bem SBeigenforn unb ben ©ranatäpfeln, ben SDatteln
unb Celgmeigen oergleicfeen, roelcbe in ben oieltaufenbjäferigen
©rabftätten Aegoptenß unb in ber oulcaniftfeen Afcbe oon Pompeji
außgegraben mürben. 5öie ber Utfprung biefer organiicfeen Sippen
C*M)
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nidjt burd) eine ftetige (gntwitfelung , fonbern burd) Umprägung
erflärt wirb8), fo tft baß ©ijriftentfjum nur burd) Umprägung
beß ftarren jitbifdjeit Üppuß bie SßoQenbung beß mofaifdjen ©e*
fejjeß geworben. @8 felbft aber ift alß ein ©runbelement ber
mobetnen ©ultur itid)t wie bie patriardfalifdjen fftaturformen be8
Dricntß ©egenftanb einet naturgcfdüdjtlidjen Umprägung fonbern
einer meiifcpcngefdjidjtlidjen ©ntwitfelung. <Der jübifdjc Slppuß
im engem Sinne beß SöorieS, b. lj. bie Stabilität ber mofaifdjen
SEljeofratie ift alfo Weber ba8 u tt = qefdjiefctlic^e 55afein ber wilben
$amitenl)orbe nod) ba8 gefd)id)tlid}e geben bet eigentlidjen ©ultur»
oölfer, fonbern er ift oon n i cb t » gef d)i d) tl ic^er Ülrt; ober, fofetn
er gum Gft)riftcntl)um umgeprägt worben ift, bie 3uben aber nid)t
felbft bie fraget beffelben geworben finb, fonbern eß nur auf
bie gefd)id?tlidjen $>ölfer befonberß ber germanifdjen iRace über«
liefert ljaben, nimmt er eine oor*gefd)id)tlid)e Stellung gu ber
edjt=menfd)lidjeu (Sultur ein.
Äaulbads'ß abral)amiten*©rnppe ift alfo ber s})rototnp beß
oorgefdjidjtlidjen SEppuß ber 3uben, wä^renb ber nidjfcgefdjidjtlidje
©tjarafter ber fpegififd)*orientalifd)en Sßßlfer, wie bet $inbu unb
&egppter, ®ffpter unb Werfer, nid?t in ben .pauptbilbern, ionbern
nur in ben 2trabe8fen*fpilaftern gut ©arftellung fommt. Allein
ift fie bieß bloß für bie ijraelitifdjen Semiten? 35ie Araber ge*
fyoren gu berfelbett SRace, unb im fünften ^pauptbilbe unb in bem
entfpredjcnben Steile beß gtiefeß unb ber ^>ilafter erfdjeint ber
3ßiam ober bie arabifdpe SEtyeoftatie im Äampfe mit ben djrift«
licken ©otteßftreitern. Sollte uid)t aud) fie in ber Semiten«
©nippe tfyren fPrototpp finben?
fRadj bet Uebetlieferung ber Söibel unb beß jtoran ift
abra^am „berSater uieler SBölfer" «ic^t nur für bie ifraelitifdjen,
fonbern aud) für bie ifmaelitifdjen Semiten, bie 'Ätaber: ba fie
oon 3fmael, bem erftgebomen Soljne abratyam’ß ftammen, fommt
tljnen fogat baß Sorrent ber ©rftgeburt gu, worauf bie orienta«
(3S2)
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25
Itfcben Statur» unb ©ottebftaaten gegrünbet finb. fftach ber 2?ibel
»ethetfjf 3e^oca auch bem SBüftenfohne 3fmael ungählbare 9ladi«
fommen. 3m ©inne beb 3elam ift Abraham gleichfatlb „ber
IBater aller ©laubigen", b. h- bet rechtgläubigen ÜJtoflimen. 'Audi
nach bem Äoran ift er ber unmittelbare SSertraute beb £errn,
bet Setehrer beb ©inen ©otteb, „aufjer bem fein ©ott ift, ohne
beffen SBiHen Äeinev bei ihm »ermitteln fann," wie ber 2bton*
»erb aubfagt. äbraham ift alfo nad) bet 2lnftd)t beb Propheten
»on fffteffa weber 3ube noch @hrift( fonbern bet erfte ortl>obo,re
SJioflim. 23iS gu biefem fünfte fleht Äaulbadi’b Slbrahamiten*
©ruppe im ©inflang mit ber Uebetliefcrung beb Äoran unb ber
Sibel; felbft bie Untetorbnung bet grauen ftimmt mit ber ara*
bilden $>olpgamie übetein.
9lbet »on hie* an »erfolgt feine ©arftellung eine anbere
0iid)tung. 2)ie Srud)tbarfeit unb ©innenfreube, bie in bet
abrahamitifchen £aubfrau unb ben Trauben effenben Üinbern
»eranfchaulicht ift, bleibt in ben ©dnanfen beb patriarcbalijcben
gamiliengefühlö unb einer nai»en ©innliddeit, fie ift nicht jene
glühenbe ©innenluft ber rechtgläubigen SRoflimen, bie gur 2obebluft
wirb, weil tm heiligen ätampf unb SLob bie frommen bab
»Parabiebgu erwerben hofften, wo nach bcräßerheiffung^tohammeb’b,
fie auf golbburchwirften fPolftern, unter bornenlofcm üotob unb
bichten Sananenbäumen bei immer fliefsenbem Söaffer lagern,
unfterbliche 3ünglinge ihnen 23ed>et SSJeineS, ber ben (Seift nicht
trübt, barreid^en, unb nie alternbe 3ungftauen, bie |)urib, ihr
fcohn fein feilten (56. ©ure). ferner fjat Ä’aulbad) jeben 3ug
ber biblifdjen unb arabifdjen Uebcrlieferung, ber bab patriarchalifch»
friebliche ©epräge ber ©ruppe hätte »erroifchen ober flöten fönnen,
mit gleicher ©orgfalt »ermieben. 3)er trabitioneOe ©egenfafj ber
©attinnen äbtaham’b, «£>agar unb ©atah, unb ihrer ©ohne,
3faaf unb 3fmael, ferner ber Sogenidmhe in ber SBüfte, wie
3fmael in ber 93ibel genannt wirb, finb in Äautbach’b ©ruppe
{23»)
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nicht $u erfennen. ©ein Slbraffam ift aucff nidjt baS tppiftffe
SORufterbilb für jene ftiegerifcffen ©laubenSboten beS 38lam, bie
für beit ©inen ©ott Slllaff baS ©cffwert ergriffen, im raffen
Siegesläufe ®fien unb Slfrifa burdjgogen unb ben $albmonb in’§
Her$ beS cfcriftlicffen ©uropa trugen. SDiefer arabifcfce FanatiS«
muS ber fPropagauba ffat in ber ©emiten»@ruppe ebenfowenig
einen 2luSbrucf gefunben als fein ©egenfaff, ber fpecififcff jübtfcffe
Fanatismus ber ftaffinität ober beS geibenS für bie 0fteinljeit
beS nationalen SeffooabienfteS: jenen ffat Äaulbacff nur im FrieS
nnb ben $>ilaftern, biefen erft neben bet Hauptfigur beS SJtofeS
in zwei fnieenben ©eftalten beutlicff auSgepräpt.
SBeffer fommt e§ nun, baff bet Äünftler in bet Slbraffa*
miten*@ruppe biefe fdbarf gezogene ©renjlinie feftgeffalten unb
in ber ©eftalt beS crientalifcffen Stomabenfürften „ben 33ater
Bieter SBclfer" offne bie orienialicffe ©inniidjfeit, „ben Skater
aller ©laubigen" offne ben femitifcffeu Fanatismus ber Straber
unb ber Suben oeranfcffaulicfft ffat? Offenbar ffat et bieS nicfft
aus bet UebeTlieferung, meber aus ber Sibel notff bem j?oran
gefdböpft, fcnbern auS ber eigenen gebenSanfcffauung, bie et wie
GorneliuS mit ©oetffe tffeilt, als bem oon beiben anerfannteu
Haupte ber teutfdien ifluffldrung: Äaulbacff’S §lbraffamiten*@ruppe
ift rein anguftinifcff.
3. ©ben fo rein pelagiani icff ift bie gegen ftberfteffenbe ©ruppe
ber ^apffetiten ober ber inbogermaitifcben Stare. Stur fie fcfflägt
entfdiieben bie Sticfftnng oon ber Sinfen jut Stecfften ein unb
betritt juerft ben 2Beg ber gefcfficfftlicffen ©ntwicfelung, ber in
ber Steiffenfolge ber Hauptbilber burcff biefe Stiftung bezeichnet
ift, fie allein Berrätff aucff feine ©pur einer teligiöfen lieber»
liefernng unb ber Steligion, fonbern lebiglidff ©elbftoertrauen unb
BorroärtSftrebenbeS Äraftgefüffl. SDaburcff unterfdjeibet fie ficff
auffaüenb oon ben gläubigen ©emiten roie oon ber abergläubifdien
Hamitenbanbe. ©lieft bort ber ^atriarcff in frommer ©emutff
(.234 J
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jjum allmächtigen empor, fo wirft tjier ber getmantfcbe ©eleit«*
berr, auf rafhem i'ferbe batwneilenb, noch einen rubig ftoljen
©lief hinüber auf beu ohnmächtigen $£prannen fRimrob. ©eniefjt
jener at« ©nabe unb Segen ber ©ottbeit bie Sülle unb Srucbt*
barfeit ber SRatur, ben Stieben unb ba« ©lücf be8 gamilien*
leben«, ben Sfieicbtbum feinet beerben unb Seinberge, baö
Sacbötbum feines Stamme«, fo fämpft biefer mit ber SRatur
unb erwirbt ficb ben UebenSbebarf mit ber .Straft feine« atme«:
mit ben Speeten, bie et in ber Uinfen trägt, bat er ben Söwen
unb ben ^)autber erlegt, um mit ihrem Seil ben eigenen unb
feine« fRoffe« 8etb ju beefen, ben .^elmfcbmucl bflt er wie fein
©eleitägenoffe bem wilben Ut unb ©ber geraubt. ©r ift alfo
ber ritterliche Säger, aber nicht ein tRimrob, jener „gewaltige
Säger oor bem $errn", ben mir übet bem Sabeltburm im
ÄinbeTfpiele be« Siiefe« auf bem IRücfen eine« SRenjcpen reiten
feben. @t ift fein orientalifdjer JDefpot fonbern, al« ber ©rfte
im freien 23etein ritterlicher ©enoffen, ift er ein germanifdber
Sürft unb gleicht bem Dboafer unb jenen „germanifeben Saffen«
brübern", bie ber Zünftler im Srie« über ber ,£mnnenfcblacbt
ebenfo mit SSbietfeHen befleibet unb mit betfelben natürlichen
£elm§ier, bem germanifeben äbgeicben be« Ur» unb ©berfopfe«,
gefchmücft bat- teilet baö eble Stbier, ba« bie 9iatur für ben
freien 9Rann gefebaffen gu haben febeint: ba« ftolje fRofj bäumt
ficb gegen bie SBiDfüt, aber ber funbigen £anb unb bem
fräftigen Scbenfelbrucfe be« Weiter« gehorcht eS willig unb fromm,
unb ift bann am fünften, wenn bie unbänbige fRaturfraft oon
bet menfeblicben Äunft, non ber 3ntelligeng unb bem Sillen
be« SRanne« gegügelt ift. ÜRacb einem arabifeben Spricbworte
ift bie {Reitfunft bie Schule bet Staatfifunft: ba« eble %>ferb
läfjt ficb reiten, aber nicht auf ficb reiten, ebenfo ber SDefpot
will auf ben SRenfhen reiten, ber Staatsmann aber — gügelt
unb lenft bie 9Renfd?en nah ben ©eietjen ihrer eigenen fRatur.
(*»i)
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28
2)er ritterliche beutfdje gürit {ft, wie fein ©egeuftücf bet
fcmittfdjc Patriarch, eine tppifche Jpauptgeftalt, nicht in bem @inne,
ba§ er gleich bem 3auberpriefiet ber $amiten bloß bie @egen*
wart abbilbet, fonbern fo, bafj er aud) bie 3ufunft norbilbet:
gleich bem Patriarchen hat er eine 3«funft, ja mit feinem »or»
wcirtöftrebenben Piutlje erobert er ftch bie Bufunft, unb fo fieser
unb fühn er fein Pferb auf bie 33aljn beö hiftorifdjen gortfdjriteö
lenft, ift er and? ber prototppifche Plann ber 3ufunft ober beö
nadjfolgenbeu gefchidjtlichcn gebenö. 3efjt ift et freilich nur ber
ritterliche 3ägerömann, ber fein fRofj ju tummeln unb mit ber
wilben Patur ju Jämpfen »erfteht, aber, hat et einmal baö ganb
feiner Seftimmung, fein S3aterlanb fidj erworben, wirb er ebenfo*
wenig alö et hier bloß auf bem Pfetbe reitet, fonbern baö
Pferb ju reiten »erfteht, bann auf ben Pienfdjen reiten, wie ber
©ewaltherrfdjer Pimrob im Äinberfpiel beö griejeG erfcheint,
fonbern et wirb fein SBolf jügeln unb lenfen nach ber ©efe^mäfiigfeit
bet eigenen SBolfönafur. $Der beutfdje Peiterömann cor bem 3?a*
belthurm wirb alfo ber Staatsmann bet beutfdjen Nation fein.
38er ift biefet ftolje 23orfämpfet unb Pegent bee beutfehen
33o!fe$? SBeldjer Ptann ber Bunfunft obet ber ©efchichte ift in
ihm ebenfo tppifd) oorgebilbet, wie in ber 9lbrahamiten*Ö!)ruppe
ber mofaifdje Q&otteöftaat? 3ft eö Dbcafet? SBohl würbe er, gleich
bem #erulerfftrften im Slrabeöfenfriefe fühn feine «panb auö*
ftreefen nach her großen wuchtigen Ärone beö römifchen PeidseS,
unter beten Saft ber fleine Pomuluö äuguftuluö feufjt unb
weint. 3lber würbe er fie antiquiren unb ber fBergeffenheit an*
heimfallen laffen ober neben fids einen Pioalen bulben, wie jener
^»erulcrfürft? 3Mö ber Ptann ber 3ufunft würbe er auf bie eigene
Stirn fie btücfen. ©ber würbe fte ber pelagianifche SReiter auö
bet ^ianb ber römifchen .pieratdiie empfangen, wie bet granfen*
fönig Äarl b. @t.‘? — ober fogar, wie ber Schwabenherjog
griebtidj 23arbaroffa, um benfelben gehn ftdj jum 25ienfte eineö
cm)
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29
pöpftlitpen {Reitfnecpteß erniebriegen unb bann feinen Unwillen
im Äpffpäufet ober Unterßberge »erjcplafen? — 35et Scpalf
Äaulbad) patte wäprenb faft gwangig 3&pten alle SBelt mpftiftgirt,
ba et fie hoffen unb glauben machte, et werbe feinen Silberfreie
bet SBeltgefdjicpte mit bem fcplafenben 3ufunftßfaifer bet beutftpen
Sage frönen unb ben JRotpbart alß bie letzte Hauptfigur Äavf
b. @r. gut Seite fteUen. <$t überrafepte 3)eutftplanb i. 3. 1864,
a(8 er gulept ber erwarteten ©eftalt beß römijepen Äaiferß grieb*
titp beß ©rften bie perrlitpe ©tfepeinung beß nationalen fPteupen«
fönigß griebricp’ß beß 3weiten, bem Helben ber beutftpen Sage
ben Halben bet beutfepen Slufflärung unterftpob.
griebritp b. ®t., ber ötünbet beß pelagianifcpen SBeltftaateß,
wo jebet naeb feinet ga^on felig werben füllte, fiept allein unter
ben niet Hauptfiguren ber Staatengrünber in bem ooüen Siebte
ber Sufuuft, weltpeß oon bet {Recpten gut Sinfen perabfällt. ©r
ift alfo ber ippifcp »orgebilbete fBtann ber beutftpen 3ufunft,
wäprenb ipm auf ber gegenüberftepenben SBanb ber ©tünber beß
auguftinifepen ©otteßftaateß 5Rofeß entfpriept unb in ber Semiten*
©ruppc burtp ben ^atriarepen Slbrapam oorgebilbet wirb. 2Bie
fein ^rototpp in ber Sappetiten »Wtuppe ber Strömung beß
geftpicptlicpen Sebenß folgt, ebenfo entfepieben wenbet griebritp
b. ®r. fein iäntlifc unb bie gange ©eftalt bem neuen Sage gu.
9luf feinem SSptone fipt ber rittetlitpe Äönig fo frei unb fiepet
alß jener fürftlitpe {Reiter auf feinem Sftoffe , unb ber oberfte
©tunbfap feinet antimaccpiaoellifcben Staatßlepre: „SlQeß für baß
ÜBclf, nieptß burep baß Solf“ pat eine gamilienäpnlitpfeit — mit
ber {Reitfunft alß einer Scpule ber Staatßfunft. So ftolg alß
jener baß Söwenfell trägt, fo föniglicp fleibet biefen bet H«melin,
fampfbereit ftüpt er bie {Recpte auf ben ÜJegen, unb aüe Spann*
fraft beß ©eifteß unb Äörperß fammelt fiep in feinem Ulblerbticfe,
ber im Sonnenftpein ber 3«?unft bie ©elegenpeit erfpäpt, um
burep eine raftpe Spat baß 3auberwort ber beutftpen 3ufunft
(237}
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30
gu erfüllen: fcöge baß Schwert S5eutf<hlanbfi in meiner £anb,
bann feilte in ber SBelt fein Jtanonenfdju| abgefeuert werben
wiber meinen SBiüen. SDiefeß 2Bort beß großen Hohengollera
ift feine »erflungene Sage, eß lebt in jebem 9)reufjenhergen, eß
ift bet Bauberfcblüffel, ber bie Pforte bet beutfd^en 3«funft
öffnet. ©djcn in einer 3«i<hnung »• 3- 1852 lä|t Äaulbad)
ben 3werg »em Unterßberg mit bem 3auberfd)lüffel an ber
Äaifergruft t orbei f (breiten unb außbrutfßooU mit bem Seigefinger
gen Himmel weifen, gleich alß wolle er bie baoorftehenben Äinbet
bet ©egenwart bebeuten: SBaß fudjt it>r ben Üebenbigen bei ben
Siebten! SSitb einmal ber lebenbige ©eift beß großen griebrich
aufftehen unb ben gcgücften SDegen wiber ben ©rbfeinb ber
preuf}ifd?en ©rofimacht ergeben, bann wirb baß beutfdje 33olf bie
erfe^nte ©in^eit unb ©röfce erreicht ftnben ; freilich wirb eß fid)
bagu bequemen muffen, nad) ber ritterlichen ©taatßfunft beß
’itntimachianell regiert gu werben. 55ann wirb aber bie fampf»
gerftftete ©ermania nidtt mehr gleich bet abftracten gigur, bie
gu Raupten beß großen 9)reu§enfönigß fdjwebt , bem gidjte beß
neuen Slageß ^albweg ben SRücfen feeren unb über SSüchern
grübeln, nicht mehr baß IReichßfchmett in ber ©d)eibe roften
unb adjtloß bie fReid^ßfrone fich »om Raupte ^erabgleiten laffen.
©ie wirb gleich bem großen griebrich bie ©tim emporrichten
unb bem vollen £id)te ber 3ufunft juwenben, ben grünen ültantel,
ber jefjt wie leere Hoffnungen ihre SRechte einhüllt, wirb fie ab*
werfen unb im lichten ©tahlgewanbe heroorfchreiten, bie unirucbt*
bare ©rübelei ablegen unb ben 34 köpfen beß SJunbeßtageß, bie
gu ihren güfeen ftnnloß burcheinanbet fchreien, ©chweigen ge-
bieten, bie Ärone beß „einigen ©eutfchlanb", bie jefct unter bem
SRuneuftab ber „©age" am SBoben liegt, wirb fie aufheben unb
baß blanfe {Reicbßfchmert foweit außftrecfen,
$11« bie beutle 3“wge Ringt
Unb ©ott im Himmel lieber fingt.»)
(M8)
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31
£aben wir ben SJtann bet ©efchichte, ten ©tammoatet
bet mobetnen tSuftärung in Äaulbatb’8 inbegermaniichet göltet*
gruppe etfannt, io wirb auch ber 3üngling bet ©ejchtcbte, bet
$)rototpp bet antifen Slufflärung nicht ferne fein. Die heüenifche
Silbung oertritt bie ewige Sugenb in bet ©efchidjte, unb in bet
heßenifchen Äunft ift SJpollon ihr ooQenbeteS sSbbilb. Salb wirb
Äpotl alö gpmnaftifch gebildeter Grphebe, alS unbefleibetev jura
3üngling hetanreifenber Änabe mit gel’cheiteltem Jpaar, ba§ längö
bet ©tim jurüdgeftrichen , in leisten Torfen übet ben Staden
maßt unb burdj bie ©tephane jufammengehalten ;witb, balb auch
im reifen SünglingSalter al8 ÄatlinifoS, als bet jdjöne ©ieget
im eblen Äampfe abgebilbet, wie im oaticanifchen Apollo, Daun
fällt nut bet leiste jtrieggmautel, bie (5^lamp§ über ben Stüden
herab uub auf ben auägeftredten Ülrm, welket gemäfc ber altern,
bem Äautbacb bamalS (1847) oorliegenben (Srtlärung ben Sogen
trägt; übet bet rechten ©pultet bängt ber unbebecfte Äöcbet an
bem Sanbe, baö fcbräg um bie Stuft ft<h fdjlingt. ©eine hielte
oenätb 3om unb ©tolj gegen ben l>d^lid>en Drachen |>pthon,
ben et fiegreich befämpft. Der ©lieberbau ift fchlanf unb b od}»
fttebenb, bie Sewegung rafd) unb elaftiidj, bie Aörperfotmen
gomnaftijch auögearbeitet unb fein anjcbwetlenb. JflUe biefe Büge
beS ©pheben unb be3 ÄaOinifoS Slpoflon finben fid), wenn auch
mit fünftlerifcbet Freiheit in ben eigentümlichen Bujammenbang
ber ©ruppe oerwebt, in bet j weiten $auptgeftatt bet 3apbctiten
»eteinigt, in bem frönen 3üngling, bet bie SJtähne beö fchnellen
^äfetbeS ergreift unb, mit ihm in bie Söette laufenb, oon Sabel
weg unb bem 3iele feines gefcpicbtlichen ©trebenö, bem beflenifcben
Satetlanbe entgegeneilt. SJtit bem Pfeile , bet in feinem
Äöcher, unb bem Sogen, bet in feiner ^>anb ruht, ba* bet fern»
tteffenbe 3äger ben Sogei in ber Suft erreicht unb mit bem
©iege^eidjeu, bet zierlichen gebet feine Soden gefdjmüdt. 3otnig
jucfen bie Stauen unb ftolj häufeln ftdj bie Sippen, ba fein
(*J9)
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32
gro§eö fcunfleß 2luge ben päfclicpen SDradfeit — bie 3*Seuitcr^eJ:e
trifft. 3)ie feingejcproungenett fnappangegogenen Linien feineö
Äcrperö contraftiren mit beit finnlic£> flrojjtnben formen ber
Jpamitenbirne.
©iefer eble unb fdjöne apoUino ift ber Prototyp ber pelle-
nifcpen «Ralofagatpie , wie fein älterer SBruber, ber germaniftpe
fReiterSmann, ber Urahne ber beutfcpen aufflärung.
Seibe jufammen ftnb bie inbogermaniftpen $)rototppen beö
pelagianifcpen, wie ber Patriarch abrapam ber femitifdje Stamm-
»ater be8 auguftinifdjen ©eifteS.
Unb baS ganje ©Üb »on ber SSölferfcpeibuug bebeutet ba8
auSemaubergepen ober bie ©iafrifiö beö auguftinifcp-pelagiamfchen
SOienfdjengeifteö in ber 9Beltgefd)id)te.
3Vnmcrkimgrn.
1) Uefcer bie Unterftbeibung einer auguftinifcpen unb pelaginifcpen
iKidjtung in ©oetpeftpen ©icptungen Bergt. 8. ©icfebrecpt, ©amarib.
3aprg. 1861. ©. 53 ff.
2) ©er 23erf. erlaubt ftd> , auf feinen 23ortrag: ßorneliu« unb
Äautbacp in ihren 8iebling8ircrfcn, 23afel 1877, ©. 40, ju tertneifen.
3) a. £>. ©. 48.
4) ©otfrieb Hermann berichtet nach einer Itnterrebung mit
©oetbe in ber (Einleitung ju feiner StuCgabe ber $efabe be« 6uriptbe8
B. 3- 1831: Euripidis versatile et diveraissimis argumentis aptum
iugenium memini ante multos annos Goethium in sermone quo-
dam, quum ego Aeschylum et Sophoclem anteferrem, multa cum
laude praedicare.
5) 'Jtacp einem ©efpratp beß SSerf. mit Äaulbacp 1862. 23ergl.
DrmcS, 'Peter »on 6orneliu8. Uebcrf. B. Äertbenn 1866.
6) SSergl. b. 23err. Sßortrag : 6orneliu8 unb Äaulbacp in ihren
8iebling6t»erfen. 23afel 1877.
7) 21. a. £>. ©. 44. Jlnmerfung.
8) SSergl. über bie Begetabilifcpen Sippen: $eer, bic Urwelt ber
©cpweij. 3urich 1865. 15 6a».; über bie animalifepen Sippen: 23 i*
f rf> of f , bie ilcrfcpiebenfieit in ber ©cpäbelbilbung be« ©oriÜa, 6pimpanfe
unb Drang-Utang. 2Jlüncpcn 1867.
9) ©iefer 25ortrag ift bereits am 22. gebruar 1866 gepalten worben;
baper panbett er in ber gortn bcS 3ufünftigen »on bem, wa8 jefet in
©eutfeptanb erreiept worben ift.
(240)
ITrurf een <#efrr. Un^er (Ify. (Sirimm) in Ccrlin, «c^üneftcr^eTftrafie 17».
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Heber
bie Tfotur ber 5lecfyten.
9iadj einem SB ertrag in ber (Manger ^tiilomat^ie
(3Jiai 1878)
Don
Dr. M. ■RtrlS,
Btoftjfor ttr Sctantt.
mit |0 in ben ffert gebrachen ftoljfdjnitten.
ßtrli» SW. 1879.
33 e r I a g »on (Sari $abel.
(C. <£. i'nbnili'sdjt Brtlaosbudjlianbltrj. )
33. Silbtlm. £tra&t 33.
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2)ai !H?<bt Uft Uebtrfcfeung in frmbe $prct<ben »irb Dcrbfbalten.
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Stuf bic Statut bet gleiten fyai bie botanifd^e gorfdbung
bet gwei lebten Sahrgeljnte überrofdhenbeS £i<ht geworfen. ®ie
gewonnenen Sluffchlüffe finb heute beratt gefistet unb bie <£>aupt*
fragen foweit ertebigt, um eine Behnnblung auch not sftidhtfadj*
leuten gu nertragen. 2)a§ fte eine fold&e in »ollem 9Jio§e Der*
bienen, wirb bet freunblidje ßefer balb gugeben.
2ßa8 bie Botanifer gleiten, Lichenes, nennen, baS finb
niebete ipflangenformen non gumeift fo dharafteriftifdjem ©e*
präge, bafj aud) bcm 8aienauge ihre (Sigenart fi<h aufbrängt. Uten
ben grünen gartblätterigen URoofen finb fie burdh ben SJiangel
bet Blätter fdjarf gefonbeti; auch bie moosgrüne gdrbung fehlt
ihnen. 9lbet audh mit ben übrigen nieberen frpptogamifdhen
fangen, ben tilgen unb Sllgen, lä§t ihre burdhauS eigenthüm-
lidhe üradht eine Berwedbfelung nur auSnahmSweife gu.
3n giemlichem gormenreidhthum unb oft ungeheuerer 2ln=
gahl ber am gleichen £)rt bereinigten ©tßtfchen ber gleichen 9trt
übergiehen bie gledhten gelfen, ©teinblöcfe unb 5Rauern, Baum*
tinben, Bretter unb Balten, Sföalb* unb £aibeboben mit buntem
gwerghaftem 9)flangenwuch0. Balb theilen fie ben gleichen ©taub*
ort mit aJioofen unb tilgen, feltener mit einigen tilgen unb
Blüthenpflangen, balb liefern fie ben eingigen §)flangenfchmucf
jonft terfchmähter fahler unb bürtet ©teilen. 3hre ftattlidhften
XIV. 3». 1*
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4
formen lieben bte geudpigfeit beö 2öalbboben8 unb »erwidern*
bet Saumtinben. 3lber felbft att ben JDrteu, wo bet ewige
©djnee bet Hochgebirge unb Polarlänber jebcn emppnblicbeten
PPanjenwncbS jurüdbrängt, ba friften nod) 2id)enen U)r aujprudj*
lofeS unb $ähe8 geben. Unb wo im glüfyenbeti ©onnenbranb
jebe8 anbete ppänjcben »erborrenb abpirbt, leiften gierten
nod) fräftigen, nachhaltigen SBiberftanb: pe ttocfnen ju pul*
»eriptbaren Äruften gufammen, bie au8 monatelangem Schein*
tob jebe Sefeudpuug gu langfamem üTOadjßtpum immer wiebet
aufwedt. Hille erfteuen pdj längerer gebenßbauer, als iijrc
jwergpaften SDiafce meift o ermutigen laPen.
SDie am reid)pen außgeftalteten gledpen pnb alljeitig »et«
dpelte unb »erjweigte ptaut^äpnlid^e ©tödchen, »on ihrer Unter*
läge aufprebenb ober fyetabljcingenb: ® trauchflecpten. 3U8 bie
»ornehmfte gehört gu biefen bie jebem £od)Walbwanberet wohl*
befannte Sartfledjte (Usnea barbata gig. 1. A.). 3l)te reich»
befranpen grauen ©träuchlein pattem ba al8 fuplauge 2Rähnen an
»erwetterten gärdjen, bort feinen pe in üppigem 2Bucpern gu ^>uu*
berten unb aber ^unberteu gange Säume gu erpiden. 3« i^nen
gefelleu pd) Tleiuete gotmen in fcproarjem unb grauem, gelbem unb
graugrünem ©ewanb. Stuf fanbigem Söalbbeben, unter liefern,
Preiselbeeren unb ^aibefraut, breiten pdj gange SBeftanbe ber
bellgrauen, gemeibartig »ergweigten 9iennthierflecSte(Cladoma
rangiferina) au8. 3m alten SReichßwalb gwifdjen ©dangen
unb Nürnberg trifft man leidet ©treden, auf benen überhaupt
nur bie StennthierPechte wädjft. ©ie geben im kleinen ein Silb
ber auSgebcffnten norbifdjen gle<bten«^>aibe, in beren 3ufammen=
fefcung neben ber fRenntljierPechte eine aubere ©trauchPechte,
Cetraria islandica, eine Hauptrolle fpielt. SDiefe leitete, al8 Hlrg*
neimittel irrthümlid) „ißlänbif d)e8 3Jioo8" genannt, gebort
(2«4>
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5
aud) in unteren ®ebirg8gegenben ju beu anietjnlicfiften (5rb*
lid?enen.
formen mit banbattigen flauen Steigen bilben ben lieber»
gang gum 3£t)pu8 bet Baubf leckten, ©iefe breiten ihren
Äßtper mit reidbtjerjnjeigtem, oft emporgefräufeltem JRanb auf
3iflur i.
A. Usnea barbata, bic Bartflechte (nat. k'iv.). B. Sticta pulmonacea, bie
Sungenflectjte, oon ber Unterfette gefaben (nat. ®r.). a Stpotbecien ober
grücbte. / $>aftfd)eibe, womit bie Bartflechte auf ber Diinbe eines
BaunteS angetoachfen ift. (SlnS 3ad)0, ^ebrb. b. Bot.)
ihrer Unterlage au8. Sei ganj ungeftßrter SluSbilbung fofat*
benähnlidj gefaltete, fteiflfßrmige ©treiben mit geferbtem 3Ranb,
bilben fie bei gebrängterem Sotfommen unregelmäßig 3tmfdjen
cinanbergreifenbe budjtige Bappen. Unter ihnen ift bie Bungen*
flechte (Sticta pulmonacea), al8 „BungentnooS" früher arjnei*
(WJ)
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6
gebräuchlich, wof)l bie ftattlidhfte. (§ig. l.B.) 3hte oielfad} auö*
gegacften, leberbraunen, unterfeite weiß gea betten, gtubig t>er=
tieften 9>flängchen fiub auf moofigem SÖergwalbboben bei un8
nicht feiten. 2lm meiften oerbreitet, auffällig uub befannt aber ift
wohl bie golbgelbe SBanbflechte (Physcia parietina), gu beten
Slnfiebelung ccm reichlich nährenben fRinbenftücf bis gum ftaub*
bebecften eifernen ©itter fein Stanbort gu fd)led)t erfdjeint.
SRit Strauch* unb gaubflechten fämpfen an SRinben unb
Steinen ftegreich um ben ^laß bie Äruftenflechten in bunter
5Renge. 3nuig mit iljter Unterlage cerfdjm eigen, oft in biefelbe
eingefenft, auß Steinen nur bureß Sluflofung beß ©efteine mit»
telft Säuren befreibar, erfdjeinen fie bem uubewaffneten 9luge
halb alä wingige Schuppen unb tüfteln, halb als förnige, tiffig
njargige, reich gefelberte prüften »on fdjwarger, grauer, brauner,
oft auch brennenb rother unb gelber Färbung, welche ber Sonnen»
glang fteigert. 3h*e befcheibenften formen fehen auf Solenhofer
Äalfplatten aue wie »om £auch entftanbene 8le<fthen mit net»
wifchten Umriffen. SJorlautere, wie bie ganblartenflecßte,
(Rlxizocarpon geographicum) , übergiehen naefte ©efteinSflädt^en
an £od)gipfelu, ober SteinblScfe auf SLrümmerhalben gleichmäßig
mit hellfarbiger Trufte. SSom gufengipfel bcS 33ohmerroalbe8
leuchtet bie gelbe fRhtgocarponbecfe feines 2tummerfege!8 weit*
hinauß inS gaub.
5£>ie älteren Sßotanifer machten gwifthen ben als gleiten
eben gefenngeidjneten ?)fIangenformen unb ben ÜRoofen noch
feinen Unterfchieb. Daher auch h«u*e no^ 33olf8namen wie
gungenmeoe. ieiänbifchee 5Roo8, für gungenflechte, ißlänbi*
.246)
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7
fdje gleite. ©rft Journefort bilbete au8 biefen ©ewächfen
eine befonbete ^flangenflaffe Lichenes, bie et ben Älaffen ber
Algae (SUgen) unb Fungi ($)ilge) an bie @eite fteBte (1694).
©eitler hat ftd? gunachft bie äu^etlid^e jfenntnifj, Unter*
fcheibung unb ©laffification bet ftledjtenformen breit entwicfelt.
Slu8 ben oerhältni&mäjjig wenig gabireichen Jnpen, beten SB et»
fdjiebenbeit fchon bem flüchtigen unbewaffneten Sluge einleuchtet,
finb allmählich an 5000 übet bie gange ©rbe oertheilte Sitten in
gabireichen (Gattungen unterfcbieben unb befdjTicben worben.
Uebet taufenb banon fommen auf SDentfdjlanb unb bie Schweig.
Slber eine fruchtbarere ©rforfcbung be8 inneren Baues, bet §ort*
Pflanzung, ber 2eben8eigentbümlid)feiten ber flechten überbauet
ift erft feit wenigen 3abrgebnten angebahnt unb burchgeführt.
2öa8 biefe gorfchung non auerfannten Sluffchlüffen gunachft gu
Jag förberte, ba8 fchienen unnetföbnliche SBiberfprüche unb un»
lösbare fRätbfel. Unfere Aufgabe ift, gu geigen, wie bie SBiber»
fprüche gum SluSgleicb, bie JRätbfel gut göfung allmählich ge»
langt finb.
Betrachten wir guetft bie ©lieberung be8 flechten*
förperS im ©angen. ©in Blid auf Sigur 1 läfjt auf bem
BegetationSförper, gager ober $b“Uu8 ber flechten
bie fruchte ober Slpothecien (a) unterfcheiben. ©8 finb
tellerförmige ©ebilbe, bei ber Bartflechte auf 3»eigenben fitjenb,
unb ringsum gierlich bewimpert, bei ber gungenflechte auf ber
Unterfeite beS JbaHu8 ranbftänbig.
2>et JhaHuS felBft bilbet aufcet feinen »ielgeftaltigen 3 »ei*
gen £aftorgane, welche ihm bie fehlenben Söutgeln erfefcen.
Bei ©trauchflechten einfache #a ft f Reiben ($ig. 1 f.) am ©runbe
beS £auptftämmchen8; bei gaubflechten £aftfafern ober 9tb‘*
ginen ($ig. 5r.), bie in8 ©ubftrat lofe einbringen. Sin
(347)
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8
Äruftenflechten entgeht bie 2lrt ihrer Serbin bung mit bet Unter*
läge flüchtiger Setrachtung. ©ie fönnen unnerfehtt nicht ab*
gehoben »erben.
@8 gilt nun, bie gorthflangungSorgane ber flechten
eingehenb gu unterfuchen. Sor 9tdem bie fruchte ober 21p o»
thecien. 3hr äußerer Sau ift mannigfaltiger, al8 nach ben
gwei iibereinftimmenben Dppen gig. 1 gu »ermuthen fcheint. Die
©jrtremefinb: obetflächlicb-betDottretenbe, auffällig gefärbte, centi*
meterbreite, flache Scheiben eincrfeitö (nacftfrüchtige, gpmno*
catpe flechten); anbererfeit8 in ben DhaßuS eingefenfte, mi*
froffopifch Heine, fugeltge ober flafcfjenformige Höhlungen, oon
welken man hödjftenS bie enge SJiünbung äußerlich wahrnimmt
(bebecftfrüchtige, angiocarpe flechten), ©ewiffen Äruften*
flechten haben ihre ftrichförmigen, im Birf^cf gegogenen fruchte,
bunfeln ©chriftgügeu auf h^Den Saumtinben gleidjenb, ben
Samen ©chriftflechten (©raphibeen) eingetragen.
So nerfdhiebenartig ihr äußeres Änfeljen, fo übereinftimmenb
ift in ben widjtigften fünften ber innere Sau all biefer
glechtenfrüdjte. gig. 2 unb 3, einer nacftfrüchtigen ©traudjflethte
entnommen, mögen hierüber 2lu8funft geben.
©in mitten burch ben £eQet unb beffen Stiel geführter
SängSfchnitt geigt bei h ba8 £pmenium, in welchem bie mi*
ftoffopifch Keinen ©amen ober ©hören ber glechtenfrucht
entftehen. Da8 .£>pmenium ruht auf einer bejonbeten, als ©ubhb*
menialfchicht y begeichneten ©ewebelage. Den Uebergang gum
2;haßu8 bilbet bet au8 loderem SJiatf (m) unb bichter JRinbe
(r) beftehenbe ©tiel. Die Sinbe formt über bem £pmemum
einen ootfpringenben {Raub (t), welcher an bet jungen grucht
eine gefdjloffene, erft fpdter aufbrechenbe SBölbung barfteUt. ©in*
(S«)
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9
gefenfte grüdjte angiocarper gleiten ftub uom ©emebe b ti
SfyjHuG ofyne »eitere ©onberung unmittelbar umgeben. —
©tariere milrojfopifcfye Sergröfjerung läfjt un8 in ben fei»
nern Sau bet grudjt tiefer einbringen. (Big. 3.) äöit er*
fennen an ^jpmenium (h), ©ubbbmenialfcbicbt (y) unb SJlarf
(m) folgenbe Ginjelnfyeiten :
ftigur 2.
3enfred)ter 2)urd)id)nitt bcö gtjmitocarbeit 9iuotl)ecium$ oott Auaptycbia
ciliaris, SOnial »ergr. ; h .ötjmenimn, y 2ubl)i)inenialfct)id)t. 2>acl Uebrige
gehört nidjt eigentiid) ytm 'ilpotbecinm, fonbern juin SfjalluögetDebe.
m SDtarf, r 9tinbe, bie bei t einen 9tanb über bem £i)mettium oorftülpt.
g ©onibien (oergl. 3. 19 u. f.). (iiitfl 3ad)$, Vefyrb- b. ©ot.)', ,
Saä SRarf (m) ift auö reicbnerjmeigten, nefcförmig net»
bunbenen Bäben ftljartig bet floaten, beten 3t»if<3?enräume luft*
erfüllt finb. Die ©ubijpmenialidjidjt (y) befielt au8 bitter
ü er fügten, jmifdjentaumlofen Bäben, meldje baö QJteffer meift an»
gefdjnitten ober burdjgefdjnitten bat. 3m $pmeuium felbft fou*
beru fidj bie non ©ub^menialfübeu unmittelbar entfpringenben,
(J4»)
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10
ftigur 3.
Sin Iljeil ber oorigeu gigur (550 mal uergröftert). m Warffdjic^t,
V Subf)i)tnenialfd)id)t, p $arapl)t)fen beö .fcpmeniuntb, beren Spieen ge-
bräunt fittb. 5>üjioifd)en bie Sporenfdjläudje in uerfdiiebenen iKeife-
graben. 3Jon 1 — 4 auieinanberfolgenbe ßuftänbe ber Sporenentroitfelung.
Dab ißrotoplaötna, »eitlem bie Sporen eingelagert finb, burd) (Sin-
trocfnung ber 3Ied)te oor ber $räparation jufammcngejogeu.
(Ülub Sad)b, Uetjrb. b. 33ot.)
«JO)
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faft parallelen jaljlreidjen 9tebenfäben ober Patapfypfen (p)
boo beo feulenformigen, famen* ober fporenerseugenben Sdjläu»
<bcn (9tfci).
2)ie ©porenfdjläuc^e finb für uns bic .pauptfadje. Syrern
©au, üjret Gsntwidelung, iljrer ©ebeutung muffen wir befonberS
nadjgefjen.
SDiefelben finben ftd) in fdjlaudjreidjeren grüd^teu bidjt neben»
einanber auf allen möglichen ÜReifegraben. 3>r reife Sdjlaud)
fülprt in ber Siegel 8, fjier fpinbelförmige unb jraeifädjetige
Sporen. (&ig. 3. 4.) 3)er jugenblicfye bagegen ift eine »iel
fleinete, feulenformige 3cOe, »on eiweißhaltigem waffetreid}em
Sdjleim, Protoplasma, nodj gleichmäßig erfüllt. 6r wirb länget
unb biefer, fdjiebt fid) jwifdjen ben paraphpfen »or, unb foubert
alSbann fein »ermefyrteä Protoplasma, in bem gleichseitig adjt
junge 3eDdjen als Anlagen ber Sporen auftreten. fRodj befielt
bie junge Spore auS einem Ijautlofen ProtoplaSmaflümpchen.
Äur3 barauf fdjeibet biefeö auf feinet SDberflädjc eine 3etlftoff*
hülle ab (9ig 3. i.). hierauf fasert fiep bie Spore (§ig. 3. 2.).
©iS jur Sfteife wachfen bie Sporen nod) etwas, Raufen Gfiweiß*
unb gettDorrätfye in ihren Fächern auf unb »erbiden if)te fcfjließ*
lief) in bet dufferen Sdjid^t ftd) bräuneube Beßwanb. (j$ig. 3. 3. 4.)
gut biefen ganzen, als freie 3ellenbilbung befannten
3ellenbilbung8preceß im SlfcuS, beffen Gfrgebniß bie Sporen
barfteHen, ift gegenüber ben meiften anbeten 3eßenbilbnng8»or«
gängen bejeithnenb, baß bie Sporen im Protoplasma
beS 9lfcuS freifebwebenb angelegt werben unb reifen.
lieber bie nächfte ©eftimmung ber Sporen giebt ein
leidjt anjuftellenber ©erfud) 2luffc^lu§. Plan bringt eine troefene
glec^tenfrudjt, »on einem bünnen ©laSpIättchen lofe überbedt,
in einen feuchten 9taum. @twa auf einet Uhrfdjale in eine
(»51)
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mit feuchtem gliefjpapier auSgefletbetc Untertafle, über welche
eine ebenfo auögefleibete Reine ©laäglocfe geftülpt wirb.
SRacb wenigen ©tunben, oft fdjou in fürgetet grift, geigt bie
mifroffopijdje Prüfung beö ©laöplättdjenS bie meift gafflreicb
aufgeworfenen ©poren iu acfflgähligen ©ruppen. SDiefelben
ftnb burd} ben feitlidjen SDrucf ber gequollenen ^arapljpfen auf
bie Stfci berauSgebrängt unb fogar mit einet gewiflen ©ewalt
emporgefdfleubert worben, ©ie fliegen leicht auf 1 cm ©nt*
fernung. ©8 genügt nun, bie fporenbejäete ©lafplatte, cor
©taub unb ©dtflmmel geid?üfjt, in feuchter Suft wäljrenb einer
SRei^c non Jagen gu »erwarten. 2U8balb beginnen bie ©poren
gu fei men. ©ie queQen, fie fdjteben an beiben ^oleu burdb
eine Deffnung in ihrer äufjeren braunen SBanb ben ron ber
inneren farblofen SBanbfdjidjt bebecften 3nl)alt wargenförmig
herauf. $Die Sttarge ftrecft fidj gum bünnen gaben, biefer »er»
längert ftd), gliebert ftd> burcfy Duerroänbe unb »ergweigt ftd} (»ergl.
gig. 6 A, s = ©pore, h =Äeimfaben). Sielfammetige ©poren
ergeugen eine entfpredflenb gtöfjere Slngabl »on Äeimfüben (gig.
9. 10.), ebenfo eiugelne fepr grofle einfammerige gleiten*
fporen.
Unter ben begegneten Umftänben wadflen bie Äeimfaben,
meift giemlidj langfam, fo lang, bi8 bie lebten 33orrätbe bet
©poren an intern SBad^gt^um bienlitpen Söauftoffen erfdböpft
flnb. S)abei treten häufig bie »etfdjicbenen gabengweige unter*
einanber in unförmige 23etbinbung. ©djon Julafne erhielt
(1851) in biefer SBeife auf eingelnen größeren gleiten*
fporen reicpmafcbige -Jtefce »on Äeimfaben. 2)o<h ift
unter lebiglid) biefen Sebingungen unb fogar, wenn bie*
felben burd) ^»ingutreten folget minetalifdjen fRäljrftoffe,
wie fte ben fraglichen gleiten fonft genügen, erweitert unb net*
(MS)
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beffcrt werben, bie ©rgiebung einer djarafteriftifdjen
jungen ^lecbtenpflange auS ben ^eimfäben ber Spore
allein begeidjuenber SBeife niemals gelungen.
SBir miiffen bie gange mistige grage nad) ber ffleubilbung
eines 3i*^tenftoc!eS auS ben glechtenfporen für einen Slugen»
blicf oertagen, um noch einem groeiten roefentlicben gortpflan»
gungSorgaue ber gleiten, bem ©permogonium mit feinen ©per*
matien, unfere Slnfmerffamfeit gu wibmen.
SDie ©permogonien finb aud) in ihren größten
f)öd?ft unfdjeinbare ©ebilbe, balb feljr garte ©impevn am SttjaHuS,
balb toingige ©argen, beten Körper gröjjtcntbeilS in ben $baHu3
eingefenft ift. Sie finb beSfyalb audj Diel fpäter befannt gewor*
ben als bie SBpotbecien. £>ie Äenntnif) ihrer allgemeinen Ser»
breitung unb ihres feineren SaueS oerbanfen mir toiebet SEulaSne.
Sem innern Sau ber ©permogonien nur fooiel: fie
ergeugen in iljrer Höhlung maffenbaft febr Keine runblidje,
ober längliche, furg ftäbcbenfßrmige 3eHd)en, ©permat ien,
burd) Slbgliebetung an befonbcren garten fabenförmigen SErägern.
Sefeudjtet quellen bie gaHertumbüDten ©perinatien alS ein mingi»
geS ©cbleimtrßpfcben auS bem ©permogoniumbalfe heraus. Unter
biejenigen Sebingungen gebracht, bei melden bie ©poren feinten,
geigen bie ©permatien feine weitere Seränbetung. 9luS ihrer oft
erprobten ÄeimungSunfäbigfeit ift bie Sermutbung, fie mßcb*
ten männliche ©efchlechtSgellen fein, welche an irgenb einer
©teile be§ GtntroicfelungSgangeS ber ©poren ober ©porenfrüchte
biefe gu befruchten beftimmt feien, feit SE ulaSne immer wieber
abgeleitet worben. 2>en tbatfädjlichen SeweiS inbeffen, bafj unb
wie bie ©permatien ein fabenf örmigcS Qimpfängnifjorgan
ber febt jugeublidjen ^rucbtanlage wirflid) befruchten,
bat erft oor gwei 3abren ©tabl geliefert.
<»53>
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3n bem SOiafje nun, als bie gefilterten gejd)ledbtlid)en
BoripflangungSorgane bet gledjten gufammen mit ben analogen
Organen toer ^ilge nadj ©au, (Sntmidelung unb gunftiou er*
fannt mürben, ift bie bis ins (Singeine ooDftänbige Ueberein«
ftünmung biefer 33etl)ältniffe bei ben flechten einerseits, ben
fogenaunten ©djlaudjpilgen ober ÜlfcDmuceten (non benen
5Rord)eln, Srüffeln, 23ed)erpilge befannte SRepräfentanten finb)
anbererfeitS an ben Sag getreten, ©ie ©leidjmerti)igfeit ber
butd) freie 3ellenbilbuug in ben ©djläudjen erzeugten ©poren ber
Bledjten nnb bet SIScompceten gab fdjon 1850 ©djleiben ©er«
anlaffung, bie ©chlaudjpilge non ben übrigen ^ilgabtheilungen,
meldfje feine ©djlaudjfporen erzeugen, abgufrennen, unb furgmeg
mit ben 'gfedjten in ein unb Mefelbe Älaffe gu Stellen.
Unb SllleS, rcaS frühere unb Spätere gorfdjungen über (Sntftehung,
SuSfdjleuberung unb Äetmung bet ©poren, bann über bie ent*
fprecbenben Vorgänge im ©permogonium unb über bie ÄeimungS*
unfähigfeit ber ©permatien, giriert über ben Ijier nicht einge^en*
ber gu behanbelnben SBorgang ber Befristung Selbft unb bie fi<h
anreihente (Sntmitfeluug ber gefdjlechtlid) erzeugten jungen Studjt
barget^an hoben, baS Sinb für $led)ten unb für ©djlauch*
pilge burd)auS ibentifdbe Vorgänge.
Sludj im SpecieKeren ©au ber ©permogonien unb ber Stpo*
t^ecien geht bie Uebereinftimmung, gmifchen beftimmten gleiten
unb beftimmten Slfcompceteu in alle (Singelheiten. ©en nacft*
früdjtigen Bleuten entsprechen 2l|compceten mit offener, teilet* ober
fdhüffel* ober j^eibenförmiget gruc^t (©ifcomncet en, @djei*
ben pilge). ©en bebetftfrüdjtigen gleiten bagegen ©djlaudj*
pilge mit margenförmiger, eingefenfter grudjt (Jfernpilge,
5)prenomnceten).
BefonbereS ©emidjt ift enblid) auf bie Einheit beS aua*
(SM)
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tomifdjen ©lementarorga ne8 gu legen, auä bem alle biefe
gleiten* unb 9)ilg*gortpflangung8organe entfielen. 2)a8 ift bie
9>ilg* ober glecbtenfafer, aud? al8 .£>ppbe, gaben, furgweg
begegnet.
IDie .^njpbe, fß »ie fie al8 Jt'eimfaben ber Spore entfpringt,
tote fie »ergweigt unb nerflocbten Sperniegonien unb Ölpotbecien
aufbaut, ift burdj gang beftimmte, bei tilgen unb gleiten
übereinftimmenbe ©igenfdjaflen gefenngeidjnet, unb »on ben
anatomifdjen ©lementen ber Öligen, üHoofe unb bohren @e*
roädjfe burdjauS unterschieben. SBir müffen auf biefen bo<b*
wichtigen i'unft fpäter ausführlich gurüeffommen.
Somit wäre benn, wenn man nur bie JDrgane ber
gefdjledjtliäjen gortpflangung bervicf jidjtigt, bie üb*
liehe Sonberung »on glecbten unb Scblaudjpilgen,
begw. gleiten unb tilgen überhaupt, in gwei »er*
fdjiebene $)flangenf laffen ni <ht gerechtfertigt. Ölber
biefe Trennung ftüfct f ich gunädjft auf bie oben fdjon
gef <hi l b erte ©igenart be8 »cgetati»en glecbten förper 8.
JDagu fömmt weiter, baff ein feljr großer Slbfit ber
glecbten auf Stanborten gebeiht, welche feine anbere,
als mineralifebe Nahrung gewähren, wäbtenb bie $)ilge
aller Drbnungen auf organifebe Uläbrftoffe notb*
wenbig angewiefen finb.
Um nun biefe »öflige $)ilgäbnlicbfeit bet glecbten begüg*
U<h ber gefcblecbtlicben gortpflangung unb baneben ihr
gängltcb abweidhenbeS Verhalten hinfübtlicb ihrer 8eben8*
weife unb Fracht 3U begreifen, müffen wir bie erfeböpfenbe
mifroffopifche Unterfucbung be8 5Begetation8förper8 bet
glecbten gu {Rathe giehen.
gigur 4 giebt einen 8äng8» unb einen Duerfcbnitt burdj ben
(«»)
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S^attufl einet ©tiaudf>fledjte unb gwar bet oben befprodjenen
Sartfletbte. (gig. 4.)
SD ai ©ewebe fonbett fid) in Stinbe (r) unb SJtarf (m).
SDurdj ba8 ORatf jieljt in unferem befonbeten gatte nodj ein
58artfled)te. A Vängsfcfjnitt eines ßroeigenbeS, H Cueri^nitt eineö älte-
ren ©tämmdjenS, bas bei »a einen Seitenjmeig trägt. 300 mal oergr.
Sctjeitel bes ßweigenbeä oben, r :Xinbe, m 'JOtarfgefledjt , x ajiler gafer-
ftrang, g ©onibienfdjidjt (oergl. ©. 19 u. f.). (2lns ®ad)e, tfetjrb. b. 33ot.)
ajciler ©trang (x). SDiefer beftefyt au8 parallel ftreidjeuben gäben,
bag 9Ratf auä lodet oerfiljten, bie Otinbe wieber au8 bid)t
»erflodjtenen. Sind) bie bidjtefte 9tinbe fann burd) jetfafernbe
IReagentien in il)te urfprunglidjen gaben roieber jerlegt werben.
(JS€)
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93ergleicheu wir mit gig. 4. ben SDunhfdjnitt eines 8aub»
fled)tenthaDuS, 3. SB. gig. 5. »on bet 8ungenfle<hte, fo treten unS
eigentlich nur foldje Abänberungen beS SßaueS entgegen, toeld^c
mit ber Ausbreitung beS £haHu8 auf e'net Unterlage im 3u*
giflur 5.
Sungenfledjte. äQuerfcfjnttt beS XbaQuS, 500 mal oergr. o SRinbe ber
Cber>, u bie ber Unterfeite, r 5Rf)i,)incii ober $aftfafent, welche ber SKittbe
entfpringen; m 9Rarffd)id)t, bereit gäben tljeilö im Särtgö-, tfjeilö im
JQuerfd)nitt ju fefjen flitb ; g bie ©ouibiett, grnppemoeife oou ©allertfjüHen
umfdjloffen (ocrgl. 19 u. f.). (3htö <3ad)ä, 2ef)rb. b. 33ot.)
fammenhang ftefyen. Oben eine bittere Diinbe (o), bann locfereS
ÜJtarf (m), hierauf meift eine ausgeprägte untere Diinbe (u),
auS weither bie .^jaftfafern ober als gabenftränge ober
OP TnP
i'usivsn:i'
c
OTT
iimt
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18
einzelne gäben inS ©ubflrat gehen. (Einfachere gönnen ent«
beeren bte untere Orinbe, ebenfo bie weiften ÄruftenfleAten, bereu
unterfertige gäben einzeln fo tief in ber Unterlage ftdj oerbreiten,
baf} man, wie fdjon erwähnt, ben 2^aQu0 uu&erlefct nicht ab«
heben fann.
Sei allen gönnen beS gtechtenthatluS geht baß, übrigens
feljt langfam fortfdjreitenbe, SßachSthum nur Bon beu gaben«
fpifcen an 3»eigenben unb SRänbern aug. (Die älteren, ein*
wärtS gelegenen Sl^eife haben ihr 2Badj8tt)um beenbigt.
2lu<h bie tljalluSbauenben gäben gleichen ben ana«
tomifchen (Elementen b e 8 fPilgthalluS, ben ^ypljen
ober 9>ilgfafetn. SBir muffen biefe noch eingehenbet fenn«
geidhnen, als oben fdjon gefcheheu. (SS finb »ielgeftaltige
gäben, feiten einfadj, meift »erzeigt (oergl. gig. 5 bei m),
in ihrer engeren ober weiteten Höhlung mit farblofem fProto*
plaSma Berfehen. Seber gaben wädjft nur au feinet ©pi^e unb
grengt fchrittweife feinen SuwadjS burt^ eine immer quer fte«
henbe ©djeibewanb ab. (Durch mannigfache, locfere unb engere
Serfledjtung, Serfilgung unb Serfdjmelgung ber fouft
Bon einanber unabhängigen gäben entfielen bie »erfc^iebencn ©e*
webe beS gledjten* wie beS fPilgförperS. (Dagegen fommen bie
©ewebe aller anberen ^flaugen burdh Bielfach wieberljolte, all*
feitSwenbige, innere gädjerung eingelnev 9)tuttergeHen gu
©taube, ©nblich unterfd^eibet pch bie 3eHwanb bet $)ilg* unb
glechtenhpph« meift ft off lieh Bon ben 3eQwänben ber übrigen
©ewädjfe burch abweichcnbeS Verhalten gegen gewiffe chemifche
IReagentien, inSbefonbere gegen 3ob.
©oweit gleicht alfo auch b®8 ShalluSgewebe ber
glechten bem ©ewebe ber eigentlichen $>üge.
Schon ein flüchtiger SlicE auf unfete bereits befprodheneu
(3M)
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19
S-halluSburdifdjnitte B»3- 4 unb 5 Iet>ri aber, ba£ bic ^ophe«
unb baS ihnen entftammenbe Bilggewebe nicht baS eingige
auatomifdje Glement bcS Bl ed) tentljalluS auSmadjen.
Swifdien ben -£j»phen liegen anberSgefärbte, grüne ober
gtünlidse Bellen (g) nun gang anberer 2lrt. ©iefe fehlen
ben tilgen. Sie finb in nnferen Slbbilbungen burd} Scbtaf*
firung bernorgeljoben.
@5 giebt 3tpci »erfc^iebene 2rjpen für bie Sertheilung
biefer grünen (Elemente im gtec^tenförpcr.
Sei ber grofjen fTRehrgahl ber Bled)tenformen befdjränfen
fid) bie grünen Elemente auf beftimmte Sagen fceS ^tjphen*
ftfjee unb bebingen fo eine S$id)tung beS BledjtenihalluS
in grüne unb nidjtgrüne Sagen: gefdjichtete ober Ijetero»
niete gleiten, ©ie grünen ©dncfiten finb ausnahmslos ber be*
listeten Oberflädje genähert, unb flimmern an burdbfeudjteten
Bledjtenförpern merflidj burd?. So liegen fie bet ber Strauch*
flehte Big. 4. fogleidj unter ber fRinbe (bei g), baS 5Rar! ringsum
einfdjliefjenb. (Sbeufo an bem frudjttragenben SLhaHuSgroeige
Big. 2. Sei Saub* unb Äruftenfled)fen bagegen, mit auS»
gefprodjenen Sicht* unb feftgeljefteten Sdfattenfeiten, liegen bie
grünen Bellen nur unter bet oberen fJiinbe (Big- 5. g.) (SJtandje
ifruftenflechten befielen gett>iffertnafjen auS einen Schirme »on
4j»hl?en, unter beffen €CRitte grüne 3eHen beifammen liegen, mäh*
tenb ber fortttadjfenbe fRanb beö ShaHufl betfelben entbehrt.)
Slbttjeidjenb »erhalt fid) eine ÜRtnbergahl uon weniger reich
auSgeftalteten niebtiger ftehenben Bledjtengattungen. 3h*e grünen
Elemente gehen unterfchiebSloS bur(h ben gangen ShatluS,
fo bah jeber mtfroffohifthe ©urd}i<hnitt ^hbhen unb grüne Gfle*
mente in gleichmäßiger SRifdjung aufmeift: Ungefdjichtete,
homöomere Bledjten.
2* (J59)
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33on if)nen ift fdjwerlid) irgenb eine gern audj in 8aienfreifen
allgemein befannt, obgleich fie auf (Srbboben unb ©teinen, jumal
in Äalfbergeit, jafylreidj unb mannigfaltig auftreten. 3ber fie
bilben bei trocfcner SBitterung nur mifjfarbige, unfdjeiubare
fprobe prüften unb Ueberjüge, weld)e in biefem 3uftante ju>
weilen febe ?yfcti^tenäljnU eit »erläugnen. auffällig werben fie
erft uadj ftarfen Slegengüffen. 3)ann bilbet il)r aufgeguoDener
Äerper blaugtftne ober braungrünc, fefte ober jitternbe ©dsleim*
ftöcfc^en , feiten ftraudjartig »erjweigt, öfter laubflecfytenäfynlid)
gelappt, gefröSartig gefurzt, förnig u. f. f.
3Die gallertartige Duetlung3fäl)igleit ber 3eHenwänbe iljrer
grünen Elemente Ijat biefen Siedeten ben beieidjnenben Flamen
©atlertfledjten eingetragen. (SBergl. gig. 7 unb 9, Collema, unb
gig. 8 bie gan^ eigenartige Ephebe.)
3m 3nneren bet grüßte unb ©permogonien fehlen bei
faft allen gledjten bie grünen 3eR«t. 9?ur foweit ba8 Slfyallufl*
gewebe bie gritdjte trägt unb umfyütlt, pflegen bie grünen 3eDen
»orjubringen. (gig. 2 g.)
Sie wiffenjdjaftlidje ©ntbecfung bet grünen Elemente unb
iljrer oerfdjiebenen Shtorbnung im SlfjalluS gehört SBallrotl)
(1825.) 6r nannte fie@onibien, SBrutjellen, weil er iljnen
eine Söcftimmung gut ungefdjlecljtlidjeu gortpflangung ber gleiten
3ufd)rieb. SBie weit fid) bei biefer 2lnfd}auung SBaljrljeit nnb
3rrtl)um mengten, foH fpäter bavgetljan wetben. 33on anberer
©eite ift jut SBerineibung »on SDlifjoerftänbniffen uorgefdjlagcn
worben, bie grünen 3eHen mit JRücffidjt auf ifyre djarafteriftifdje
gärbung als (J^romibien 3U begeidmeu.
5)ie@onibien finb grün ober gtünlidj. S)a8 fyeifjt: fie ent*
galten einen garbftoff, weidet mit bem Blattgrün, bem ($ lj 1 0 r 0*
pljpll ber grünen $)flanjen überhaupt ibentifd) ift, entweber für
(260)
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fidj allein, ober begleitet non einem jt» eiten garbftoff »on
»erfchiebener Nuance um blau unb braun. 2Der jweite garb*
ftoff ift ibentifdj mit bem ^^pcctbrom, einem garbftoff, ber
in Verbinbung mit ©blorophbfl bie blaugvüne bis braungrüne gär*
bung gasreicher uieberer Slgenformen bebingt. SBeun mau ben
©onibien ihr 6ljlcro^9Q burdj Sllfohol gelöft ent^ie^t f fo bleibt
ber etwa »orhanbene 3weite garbftoff unoeranbert juröd 3n
golgenbem feil bet Äürge falber nur non grünen, b. h- blofj
Blattgrün füljrenben, unb »on blaugtünen ©onibien getyredjen
werben, b. h- foldjen, welche neben bem Blattgrün noch fPhb*
cochtom enthalten.
5Daö Blattgrün ober ©blorophbH »ft nadjgewiefenermafjen baö
Organ, weldjeS bie Vegetation befähigt, ju affimiliren, b. h-
Äohlenjäurc 3U gerfehen unb aus beren Äohlenfloff unb ben @le*
menten beS SBafferS unter Beteiligung gewiffer ffltineralftoffe
organifche ^flangenfubftang 3U er3eugen. 2)ie ©onibien finb
alfo, phbf idogifch genommen, bie SHffimilationSor*
gane ber gleiten, welchen fie beu gleichen JDienft leiften, wie
bie gaubblätter ben Bäumen. 9lu<b fterben im glechtenthaQuS bie
alten ©onibien ab unb werben »on ihren jüngeren 9facbfommen
^pftologifc^ abgelöft, wie am Baume bie Blätter. SEBeil bie
SljfimilationSfunctiou ber ©onibien an ben ©intritt con 8icht»
ftrahlen in biefelben gefnüpft ift, liegen bie ©onibien überall auf
ben 8i(btfeiteu beö SL^aQud. UebrigenS ift biefe 2l{fimilatien8*
function für bie ©onibien guerft »on grieS (1831) flat auSge*
fprochen worben.
SDie ©yifteng bet ©onibien im anatomifchen Aufbau, unb
bie hrerburth bebingte Qlffimilationßfä^igfcit ber gleiten
reifet gwifchen biefen unb ben eigentlichen ^>if 3 en eine
(S61)
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22
Älufl, mie fel}t auch bei beiben baß ^i^engeaebe, einfchlU&lich
bet gefdjledjtltdjea gortpflanjung, ibeutifdje (Dinge fein mögen.
(Die gledjten mären alfo oorläufig ©chlauchpilge mit grünen
Slffimilatienßorganen. 2Bie finb biefe feibft gebaut? 5Bie ent*
fielen fte, meldje (Sntmidelung machen fie burd) ? ©efyen fie auß
ben £pphen hetcor, ober bie Jppphen auß ihnen? 5Diit bet 33eant*
mortung tiefer fragen mitb baß 9täthfel beß glechtenlebenß
geiöft.
33ecor mit auf bie baljin führeuten einzelnen ©dritte
bet botanifdjen gorfdjung eintreten, mag bie Söfuug feibft noran»
gefd}icft fein, mie fie jefct non ben juftanbigen SBotanifern allgemein
angenommen ift. (Die glechtengonibien finb öligen, ©ie
leben in bet Sl edji e uereinigt mit ©djlauchpiljen.
(Dtefe gebenßgemeinfdjaft umfafct ©tnaljrung, 2 Badjß*
t^um, ©eftaltbilbung unb gortpflanjuug beibet @e«
noffen.
SERit einigen bet »erfdjicbenartigften unb alß glechlengonibien
am ijäufigften corfommenben 'Älgenfotmen molfen mit unß gc*
nauer befannt machen. (Diefelben finb in gig. 6. jufammen mit
SD^eilett beß ^pp^engemcbeß bargeftetlt. 2Bir moHen fie aber
uorerft alß frei lebenbe tilgen, unabhängig non ihrem 23or*
fommen in ben gleiten beobachten.
Sebermann fennt bie puloerigen graßgrünen SSnflüge, meld)e
an (Bäumen, Brettern unb SOiauern, befonberß auf bereu emig
feuchter SRorbfeite, nie fehlen. (Sine abgefdjabte $vobe unterß
EORifroffep gebracht löft fich in unzählbare tnifroffepifd) fleine
runblidje Stilen unb 3eüenftöcfe auf; biefe leiteten gehen auß
ben einfachen ßeHen burch miebcrholte allfeitßmenbige üheilung
hetoor. (Durch bie Bnfuht frifd^en SBaffetß angeregt fann ber
SeKeninhalt in jahlteidje Portionen verfallen, melche bie Bfüe
(*62)
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23
oetiaffen unb, mit felbftänbiger 33eroegli<$feit burd) äBimpern
auSgeftattet, al0 ©djmätmjellen im SBaffer fidj fyerumtreiben.
3»t fRufye gefommen formen unb teilen fid) bie «Sdjwärm.
gigut 6.
3Jerfcf)tebene äeifpiete oon Stigen, roeldje ale gied)tengonibien oorfommen
(nad) Sornet, ftarf oergröjjert). A £ppfjeu, g ©onibien. A Äeintenbe
Spore * ber SBaitbfledjte, beren £eimfcf)iaud) fiel) auf bet Sllge Cystococcus
feftfe^t. B (£in gaben ber 9Uge Scytonema oon j£)i)p^eit ber gleite
Stereocaulon umfponnen. C bem iljaüub ber öaüertfledjte
Physma: in eine ber ©aliertalge Noatoc bringt ein 3toeig ber
.fcpptje ein. D 9tnd bem SStjalluö einer anberen ©aUertflecfjte, Synalissa.
$ie ©onibien finb gleich ber ©atlertaige Gloeocapsa. E iluö bem Kjalluö
ber Straud)fled)te Cladonia. Cystococcus- ©onibien oon £t)pf)en nm-
fponnen. (3luä ©acfjä, iJetjrb. b. Sot.)
(M3)
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geflchen n>ie ihre ©Iterngeßen. SDa8 ift in ber ^auptfache ber
«infame 8eben8lauf bet nieberen 9ßgen auS ber fPalmellaceen«
familie, öott benen toir bie ©attungen Cy9tococcus, Pleuroeoccus,
Protococcus »egen ihres häufigen 33orfommen§ al8 ©onibien bet
meiften unb oerbreitetften ©traud)*, £aub* unb Prüften flechten
wenigftenS nennen muffen, ©iehe gig. 6 A. unb E.
5Die ©aßert flechten führen blaugrüne ober braungrüne
(phbcodjromhaliige) ©onibien au8 bet Sbtheilung ber ©altert«
algen. 33on biefen erfreut fich bie ftatttidjfte, Nostoc, mieber
be8 23e!anntfein8 in »eiteren Greifen. Sie häufig trifft man,
nach ftarfen {Regengüffen, mitten anf bem Sege lofe herum‘
Hegenb, laichäl^nliche, braungrüne, fchlüpfrige ©chlehnmaffen: ba8
ift unfer Nostoc. Urocfen gut unfcfieinbar bünnen, faltigen ^>aut
jufammcngefdjrumpft, entging et unfrer Slufmerffamfeit. 23om
{Regen burcijttänft unb gequollen, liegt er auf einmal not un8,
al8 märe er mit bem {Regen »om £immet gefallen. 2>a8 ift
ber ftattlichfte feines @tamme8; feine fleinften {Oermanbten bilben
©aflerffügelchen, nicht größer a(8 ©tecfnabelfcpfe.
Serbrüeft unter ba8 50iifroffop gebracht enthält bie üRoftoc«
flatterte galjllofe herlfd)nuräbnlicbe grünliche Beßenreihen (gig. 6 C),
gutoeilen rofenfrangartig üon grßfjeren ©liebem unterbrochen,
©ie »achfen unb oermehren fich burch fortgefefcte Daerthcilung
ihrer Bellen. 3)ie BeBmembranen erzeugen bie mächtige ©aßert«
hülle. Senn biefe gerfliefst, fo treten einzelne gäben al8 33rut*
fnßfh<hen heraus.
Nostoc erfdjeint als ©onibienbßbner u. 8. bei ber ©aßert*
flechtengattung Collema Unfere gigur 6 geigt bei B eine auch
in einer ©trauchflechte als ©onibium oorfommenbe »eitere ©at*
tung ber {Roftocaceenfamitie, Scytonema; bie Beßenreihe nur
oon einer bünnen ©aßertfeheibe umhüßt.
OM)
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5Me fRoftocaceenfamilie tft burdj bie Slnorbnung bet
Bellen in Keinen auSgegeidjnet. ©ine anbere ©ruppe blaugrünet
©atlertalgen, bie Bamilie ber ©broococcaceen, geigt feine
reibenweife Ülnorbnung ihrer meift burd? aüfeitSroenbige Steilung
ftd) »etmebrenben 3etlen. SDagegen ftnb ©ingelngeflen wie
BeOenftöcfe in gefcbidjtete ©allertbüllen eingefd)ad)telt. 33eifpiel
bie gonibienbilbenbe ©attung Gloeocapsa Big 6 D.
©fl ift nad) SBallrot^’ö ©ntbedung ber ©onibien geraume
Beit »ergangen, ehe bie epocbemadjenbe Stuffaffung »on ber
Stlgennatur ber ©onibien auftrat, fidj 33abn brach unb
fcbliefclicb allgemeine 3uftimmung erwarb. Sie ift aud) nicht
aub einem Raupte entfprungen. Slebnlidje Sermutbungen finb
ba unb bort feit 3a^rgel)nten aufgetaudjt unb wieber unter*
gegangen, »bne gu flarer entliehener Brageftelluna unb au8*
gebebnter metbobifdjer 33eantwortung ber §rage geführt gu
haben. —
3n eingelnen, gerftreuten Ballen, welche meift ben weniger
eigenartig ausgeprägten ungerichteten Bledjtenformen an*
gehören, inSbefonbere bei mandien ©aller! flehten unb Ephebe
ift nämlich bie tlebereinftimmung beS SöaueS ber grünen ©le*
mente mit gang bejtimmtcn freilebenben Sllgenfcrmen f» un»et*
fennbat, baf) fie feiner befferen mifroffopifchen SluSrüftung ent*
gelten fonnte.
5Ran benfe g. 33. auS bem BlechtentbaOuS twn Ephebe
(Big- ^0 alle £ppben (h) weg, fo bleibt ein ©tücfchen ber
©allettalge Sirosiphon mit fämmtlicben ©ingelnbeiten beS
fertigen SBaueS, welche überhaupt befannt finb: ein Bweig,
au8 gablteidjen ba^aatalen ©toefroerfen aufgebaut, ba8 cberfte
unb jüngfte (gs) eine Belle, au8 beren Duertbeilung bem Bweige
neue ©todwerfe guwadjfen. 2)ie Unteren fächern fid? balb in
(MS)
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bec Ouerridjtung. SD er gange ©foef von einer ©aöertmembran
umgeben, bie 3eHeninhalte blaugrün gefärbt.
©benfo ift, wenn man von ben Jpp^ijen abfieht, in bet mi«
froffopifdjen ©tructur jwifchen einem Slljanuäftütf^en ber ©aDert*
flehte Collema (Big. 7) unh einem folgen ber ©all erfolge
Nostoc fein Unterfdjieb. (SSergl. Bigut 9.) ^>erlfd>nur-
burchgogene ©chleimmaffen i)ier unb bort. SDie Sßetlfchnüre
rofenftangäbnlich aus großen unb fleinen ©liebent jufammen*
gereift. 2HIe Bärbungen unb djetmfdjen fReactionen gleich-
rum ift auch feit Anfang tcS Sahrhunbertö bie ©aQertaige
Bigur 7.
(Sine öaUcrtflerfjte, Collema pulposum (roenig uergr.); bte fteinen Dünge
längere unb ältere Brächte. ('3(n ö Sa cf) 3, VeljrO. b. 'öot.)
Nostoc immer ivieber einmal für einen unfruchtbaren Buftanb ber
apotheciumtragenben ©allertflechte Collema angefehen »erben.
Manche (Sollemen finb auch äu&erltch von fRoftocftöcfchen nur
baun ju unterfdjeiben, wenn fte Brächte tragen.
©nblich tvar an einigen Äruflenfle^ten (Schrift flechten)
bie Slehnlichfeit ber ©onibien mit auf Baumtinben häufig frei
lebenben Öligen ber ©attung Chroolepas bemerft, unb fogat
jufäßig bie Bilbung algenartiger ©chwärmgeHen auä biefen
©onibien gefehen worben, beren Beobachtung ein bebeutfamer
(Hi)
fe-
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gingerjeig für bie ^Igenä^nlidtfeit bei ©onibten felbft feilt
mu§ie.
aber einmal fehlte allen blefen ©ingelnbeoba^tungen bei
Ieitenbe ©ebanfe. @obann galten bie l)iet erwähnten niebeten
gleiten mit fdjled^teibinflS nnuetfennbatet $lgenal)nlid)feit ifyre
3
ßigur 8.
(üinBrorig be^Ibaüttä bcrgtecfite Epbebe, burd) äQueÜungStnittcl burd)*
fid)tig gemacht; 50 mal »ergr. ys Sdjeitctiftte beä Broeigeü. y ©onl»
bien. A .^gptjen. a (seitenaft. (Äuö Sacfjg, tfetjrb, b. SQot.)
wr>
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©onibien etyer für abweidjenbe formen, »on benen au8 ein
©cblufj auf Ijfym gleiten nicht gelte.
(5rft ©djto enbener’0 metbobifd)e anatomifdje Uuterjud}un*
gen, über bie meiften glecbtengruppen burd) ein 3abrjel)nt (1858
bi8 1868) auSgebetynt, brauten ben©ebanfen 3ur Sieife, baf) ade
gledjtengonibien mit beftimmten Sllgentppen roirflid) ibentifd?
feien. 3Bie weit non anberer ©eite in ©djwenbenetä @e»
banlengang mafjgebenb eingegriffen worben, fod atöbalb jut
©pradje fommen.
(50 gewährt »ielfacbe0 3ntcreffe, ©d)wenbener’8 SBege
gu »erfolgen. 9(nfang8 ein befd;ränfte§ 9lu§geben auf bie fertige
anatomif dje SE^atfadöc. (5t »erarbeitet trocfene ältere glcdjten»
ejremplare, prüft bie Slnorbnung ber ©onibien unb gäben im 2M»
gemeinen, bann ben Aufbau ber ^»^p^engetoebc beö £baßu§ in
allen (Singelbeiten. (5r unterfudjt ferner bie äußere ©eftalt unb
ben inneren 23au ber ©onibien, unb ftedt bie anatomifdje unb
VbBfwlogijdje Uebereinftimmung ber beiben ©onibienfarbftoffe
mit ben enffprecpenben Sllgenfarbftoffen feft, fowie bie bead)ten0«
wert^e S3etfrfjiebenl>eit ber 3obreaction bei ber ©onibiengellwanb
unb ber pilgäbnlidjen gatenmembran. 9lu0 ber ^Beobachtung
einfacher unb mehrfach geteilter ©onibien unb au0einanberfallen*
ber ©onibiengruppett fcbliefjt er auf SBadj&tljum unb SSermeb*
rung ber ©onibien im $banu8 unb giebt bie für bte eingelnen
©onibienformen <barafteriftifdjen Siegeln binfid)tlicb ber Slufein*
anberfolge unb Sücptung ihrer 3«Htheilungen. 2lu8 bet nid^t
feiten beobachteten SBerbinbung »on ©onibieu unb ,£>ppben
folgert er „ba0 allgemeine ©efefc, baf) bie ©oni*
bien burd? teitlidje0 2lu0mad)fen ber gafergellen ent»
ft eljen." ©ein »orfidjtiger, jurücfbaltenber ©tanbpunft b*n*
ftdbtlicb ber 9ügenä^nlidjfeit ber ©onibien ergiebt ftd? am beften
(868)
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auö folgenbem ©tat. „Die ©onibien ftimmen in manch« 93e*
gietjung unb namentlich auch mit SRiicffidjt auf bie SermehrungS*
weife fo auffallenb mit ben nieberen 8llgen überein, bafj man
gerabegu fagen fann, bie Statut ijabe l)ier ein ©tuet Sllgenleben
gum gweiten ÜJial jut ©rfcheinung gebraut. 3)ie blaugrünen
©onibien entfpredjen ben ©jroococaceen unb Stoftocaceen, bie
gelbgrünen ben ^almeDaceen." 2)ie ©onibien finb ihm, furj
gefagt, ben flechten eigene, an ben npphen entflehenbe
Organe oon unoerftänblicher Sllgenäbnlicbfeit.
®ie elfte Steife »on @chwenbener’8 einfehlägigen Ser*
Sffentlidjungen fchliefjt 1863. Äurg Darauf brachte be Satt)’ 8
„iDtorpholbgie unb 9%fiologie ber ^ilge, gierten jc. 1866"
in bie ©rforfeijung bet ^ledjtenfrage neuen 3ug.
35 e Sari) fufjt im S^l^atfäc^lid^en ber gledjtenanatomie ju*
meift auf ©d)Wenbenet’8 flaffifdjen Unterfuehungen. 9J6er er
gebt bet ©onibienfrage fd^ävfer 3n 8eibe, iubem er in allen ben*
jenigen fallen, wo bie oolle anatomifdje Uebereinftimmung
3Wif<hen gewiffen gledjtengouibien unb gewiffen frei*
lebenben SJlgen unoerfennbat »orlag, bie 3bentitat
beiber SDinge, nidjt bie bl o§ e 9lel)nlithfeit entfdjieben
betont, ©obaib aber einmal für beftimmte ©onibien ihre
SUgeneigenfchaft gugegeben wirb, fo muft bie Hauptfrage be»
antwortet werben, welches bie Segieljnngen biefer ©onibien*
algen 3U ben ^ilgtheilen ber entfpredjenben flechten finb.
Sllfo forbert be Sarp weiter: „©ntweber bie fraglichen
flechten finb bie oolltommenen, frud)ttragenben 3u*
ftanbe ber fraglichen tilgen, welche au8 ber Steihe
felbftänbiger ^)f langenformen gn ft reichen finb. Ober
bie Iefjteren finb tppifd)e SUgen, welche bie Worm ge»
wiffer gleiten annehnten, baburch bafj parafitifchc
f!«9)
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9( f cjDiftt)c eten in f tc einbringen, in unb mit ihnen
warfen unb ihre gäben an ben grünen BpHc« öfters
befeftigen.*
2)iefe $lternatine ift baß erlöfenbe Söort für bie gleiten*
frage geworben. üJian hat fyinfid)tlid) berfelben be 33atp groei
33 or würfe gemalt. Einmal bie Unbefangenheit, mit welker ihre
beiben 5Jiögli<hfeiten als geroifferma&en gleidj wahrftheinlicb be*
banbeit ftnb. 9lbet 9tiemanb ber 3. 33. nur bie unmittelbar
noraußgebenben 9lußeinanberfej}utigen be 33arp’ß über Ephebe
nergleicht, wirb baran gweifeht, bah bie Annahme eineß IRfcomp*
ceten*9)aTafitißmuß bemjenigen gorfdjer am nächften lag, ber
währenb beß »oraußgegangeuen Sobrgebnteß bie Biologie ber
parafttifchen fPilge eigentlich begrünbet hatte.
Sobamt bie aengftlidjfeit, mit weither bie gange gragefteOung
auf bie ©aüertflecbten unb Ephebe, mit nathbrücflitbem 9luß*
fchluh ber typildjen heteTomeren gleiten, befchränft würbe. 9lbet
biefe 3Borfi(ht floh auß ber SUoraußfehung, bah bie 911 gen*
eigenfdjaft ber ©onibien biefer gleiten noch lang nicht er*
wiefen fei. JDie fofortige 9lußbehuung bet 9Uternatinc
auf bie anberen gleiten nerftanb fith non felbft, fo*
balb bei irgenb einet bie tälgeneigenfcba ft ihrer ©0*
nibien auher 3»eifel geftellt würbe. (93ergl. be 33arp
in 33otan. 3tg. 1868, 198.) Unb auf berartige fJladjweifungen
werben nun gorfdjungen non nerfdjiebenen (Seiten mit gleich*
geitigem ©ifer gerithtet.
©in Schritt non weittragenbem ©rfolge war bie balb bat*
auf (1868) non gaminfjiu unb 93atanehfp unb gugleith non
Sfcigfohn gemalte ©ntbecfung, bah feb* nerfdjiebene ©onibien
höherer gleiten, auß bem glethtcnnerbanbe befreit, gu felbft*
ftanbiger ©ntwidelung alß ippifthe woblbefannte
(*T0)
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aigenformen gebracht werbeu fonnen. SBenn man bünne
8le«htenthallußf<hnitie in SBaffet uutergetaudjt halt, fo fterben all*
mählich bie £pphen ab, »nb b*e ua<h Eigenart üppig fid? »ermehren*
ben ©onibien treten tyeTauö. ©er wicptigfte ©ewinn im ©in*
jelnen war bie genau »erfolgte Schwär mjellenbilbung ber
lugeligen grünen ©onibien nuferer »erbreitetften 2aub* unb
Straucpflechten nad) §(rt ber aigengattung Cystococeus.
SDicfe Sorget beuteten ihre ©ntbecfung im Sinne ber erften
Süternatine be Sarp’ß, inbem fie bie freilebenben ©onibien*
algen, wie f. 3- SSallroth, für Blecptenbrut , als befonbere
loßgelßfte Organe ber &!cdjten erflärten.
©ie aigennatur ^a^lreidjer ©onibienformen, unb jwat ber »er*
fdjiebenftenBledjtengattungen unb aigentppen, ftanb nun aufjer allem
3weifel. Slber nod) fehlte für »iele befonbere ©onibienformen ber
91adjwei8 ihrer aigeneigenfchaft überhaupt; anbere 3bentitätßna<h»
meifungen waren noch unooQftänbig. Snßbefonbere aber würben jur
enbgültigen ©ntfdjeibung ber nunmehr auf alle gleiten auöbeljn*
baren be S8arp’fchen aiternati»e genügenbe aufflürungen über
baß gegenfeitige Verhalten »on ©onibien unb ^pp^eu »ollftanbig
»ermifet. aileß Sntereffe »ereinigte fid) bemnad) auf jwei brennenbe
fragen: ©ntfte^en wirffich, wie man noch eben annahm, bie
©onibien an ben £pphen ttofj ihrer aigengleid^eit? Unb waß
wirb auß ben nach Saminfcin’ß unb anberet art ju freiem
Seben außerhalb bet gleite gebrauten ©onibien weiter?
3um ^weiten 9Ral betrat nun Sdjwenbener ben äfampf*
plafc, jeitlich unb fachlich unabhängig »on SBarane^fp, &a»
min hin unb 3fcig John. Uub je^t gab bie 3Weite JReihe feinet
arbeiten (1868 unb 1869 crfdjienen) ben außfdjlag.
Scpwenbeuer hatte in ben lebten Sahren »iele ©onibien*
formen meift anatomifch weiter erforfdjt. Gr war ferner an
<*n>
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jungen gledjtenftMdjen ben Beziehungen jWtfcfyen ©onibien unb
gäben genauer nachgegangen.
©emgemäh betont er nun gum erften 5Jlale in einem auf
ber fdjffieigetifcfjen 9iaturforfchet*33erfammlung im Jperbft 1867
gehaltenen 33ortrag:
1. ©ie 3bentität zahlreicher fchatf charafterifirter ©oni*
bienformen mit ben entfyrechenben Öligen.
2. ©en Umftanb, bah nochfftiemanb, auch et felbft nicht,
©onibien au8 ^)phhen ha&« hetoorgehen fehen.
©ie fertig oft beobachtete 33erbinbung beibet fönne auch
burch nachträgliche 33etfchmel3ung bet »other ge»
trennten ©ebilbe ju @tanbe fommen. ©ah biefe nach*
trägliche 33etfchmefzung in einzelnen Bällen witflich ftatt*
finben muffe, wirb eingehenb nachgewiefen.
3. ©a8 beobachtete ©inbringen oon %>ilzfäbeu in gonibien»
bilbenbe Öligen, fowie bie Umfpinnung folcher al8 ©in*
leitung zur ©rzeugung junger glechtenftocfchen.
Ölu8 biefen neuen S^Vatfac^en in SBerbinbung mit ben alten
©rfahrungen über bie ftoffliche 33er jdjiebenbeit ber #h*
^hcn» unb © onibienmembran, über bie qu alität
ber gortpflauzungSorgane neben ber bisher erfahre»
nen Unmöglichfeit, einen Blechtenfporenfeim für fich
allein zur neuen Blechte hrranzuziehen, wäljrenb fich
$)ilze aller Ölbtheilungen auf entfonechenbem 9?ährboben au8
ihren Sporen erziehen laffen, Sdjwenbener nunmehr
bie allgemeine Boigerung:
©onibien unb $hpheu fiub als ölige unb $>ilz
Zwei burdjauS oerfchiebene ©ewächfe. 33on ben ©o*
nibien werben ebenfowenig £ppheu, als »on biefen
©onibien hetoorgebracijt. 3ht gegenfeitigeS 33erhalten
(278)
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33
begreift fid) nur unter ber SotauBfebung b e8 $arafiti8mu8
be8 ^>Ü3eS auf ber 2llge. SDie »on gamin^in unb ®e*
noffen wiebet aufgenommene erfte 2Uternati»e be SaTb'8,
wonach bie freilebenben ©onibienalgen nur abgel öfte gleiten*
organe mären, ift unmöglich. @ie fällt fdjon not ber einen
SL^atfac^e, bajj in benjenigen SUgenfamilien, welche einzelne flechten*
©onibienformen liefern, jablreiche fchritiweife abgeftufte parallel*
gattungen ber ©onibienalgen »orbanben ftnb, welche nur
im freilebenben 3»ftanb, aber nie in einer gledjte gefunben
merben. ©ie muff ferner jurücftreten »or ber fftachweifung, bafj
©onibien nicht an |>bbfyen entfielen, wohl aber mit ben in
Sllgenftöcfcben cingebrungenen $bbhen nachträglich ftd) »etfchmeljen.
©ine auch burch ihre §orm feffelnbe, mit SHbbilbungen reich
belegte ©efammtbarfteOung ber h«»orgehobenen ©äfee unb $£bat»
fachen befehlet ©cbwenbener’8 benfmütbigeS Auftreten.
35iefe8 mecfte ben 3öiberfpruch »on j weierlei ©egnern. ©in*
mal bet fammelnben, befchteibenben, claffififitenben gidjenologen
unb gledjtenliebhaber, welche fich ebenfowenig ihr befonbereB SReich
rauben, alB ihre ganj eigenartigen SieblingBbflänjchen um bie
©hre ber Snbtoibualität betrügen laffen wollten. Sweitenä ber»
jenigen Sotanifer, welche jwat bie SUgeneigenfdjaft ber ©onibien
freubig anerfannten, bagegen für beren Schiebungen 3U bem
$»bhengewebe etfchöpfenbere unb jwingenbete SRadjweife »er-
langten. Son biefet ©eite machte man ©djwenbenet bie faft
auBfcbliefjliche Folgerung au8 bet Anatomie fertiger 3uftänbe jum
Sotwutf unb bie »erbältnifjmäfjige Sernachläfftgung genauer,
ootlftänbiger, entwicfelungSgefdjichtlicber unb not^igenfatlS erben*
menteller SRa^weifungen barüber, wie Sllgen* unb ^iljtljeil bet
flechte jufammen treten unb jufammen fid) »erhalten, ©in flafft*
f<he8 Seifbiel biefer burchauS anregenben Äritif fteDt Sornet,
XIV. WO. 3 (373)
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unter «Den SRadßfolgern ©äßwejibener’ä berjenige, bet in
©cßwenbenet’6 ©inne mit am erfolgreichen t^ätig gewefen
ift. ,25ie Sbentität ber ©onibien unb aigen bartßun, ba8 ift
bet erfte $)unlt, aber nicht entjdjeibenb. SDie ftd) entgegenfteßen=
ben Meinungen ber Herren Baminßin unb Vataneßfp unb be&
£etrn ©cßtoenbener, welche glet(^mä§tg bie 3bentität gugeben,
beweifen baö genügenb. 66 ift außerbem unerläßlich gu geigen,
baß bie Vegießungen bet .popße genau biejenigen finb, welche
bie $arajiti6mu8*2;ßeorie »orauäfeßt unb baß fie anber6 nicht
begriffen werben fönnten."
SDen anforberungen feinet eigenen Äritif ift nun Vorne t
jelbft burch »ielfeitige unb treffliche gotfcßungen gerecht gewor*
ben. (1873.)
6r beßnt guvörberft bie Vad} weife über bie aigeneigen*
fdjaft ber ©onibien auf 60 glecßtengattungen in fauberfter
JDurdßfüßrung aud. ©ein £auptoerbienft aber befteßt barin, baß
er in ba8 Verßältniß gwifcßen ©onibien unb .frppßen fcßärfet
unb tiefer einbringt, al6 alle feine Vorgänger. 6r beweift, baß
•frppßen unb ©onibien gwar in ißrer ©ntwicfelung überall »on
einanber unabhängig ftnb, in ißrer 8eben6weife aber vielfach
ineinanbergreifen. SDie Verüßtung, begw. ba6 ©inbringen ber
.pppßen in bie ©onibien förbert beibe im SBacßStßum. 9iur
bie §)arafttentßeorie macßt biefe Sßatfacßen erflärlicß. (Vergleiche
bie Vornet entnommenen ©onibien*abbilbungen gig. 6.)
SBäßrenb Vornet fo bie Vegießungen gwifcßen ©onibien
unb «frppßen befriebigenb aufflärte, ßatte auch SBoronin ben
9lacßwei8 erbracht, baß bie einmal freigeworbenen, ©cßwärmgeUen
ergeugenben ^almellaceengonibien gewöhnlicher gaubflecßten ißr
aigenleben fortfüßren unb niemalö ÜJiieue macßen, etwa gu
glecßten wieber auöguwacßfen.
(»74)
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35
Selter alß bie bisher entwicfelte unanfechtbare £6fung ber
Slechtenfrage auf anatomifchem SBege ftub bie ©eftrebungen, burch
©rgiebung eineß Slethtentballuß auß feinen mutb*
ma&lichen ©omponenten, Slechtenpiljfpore unb@oni«
bienalge, ben experimentellen fRadjweiß für bie 5)oppefnatur
ber glechten ju liefern. SBegen ber 8ücfenbaftigfeit bet früheren
^Beobachtungen über bie Äeimung ber Slechtenfporen, unb weil
äufcerften Soßeß immer noch bie Snnabme erlaubt festen , ba§
bie Äeimfäben, wenn man fie weit genug brächte, fchliefclich @o*
nibien erzeugten, ift gerabe biefer fpntbetifdje ©eweiß »on ben
oerfchiebenften ©egnetn ber neuen Sle<htentbeorie nathbrücflich
»erlangt worben.
55er erfte berartige ©erfuch (1871) geigt, bafe man auß
toUfommen ^ppljeuretne« ©töcfchen ber ©adertalge Nostoc
burch Sußfaat »on ©poren ber ©aUert flechte Collema auf ober
neben benfelben einen $baHuß erziehen fann, ber oom ©ollema«
glechtenthaHuß nicht ju unterfcheiben ift. 55ie ©porenfeimfäben
gehen theilß in bie ÜJtinevalnöbrftoffe liefernbe Umgebung, theilß
auf unb in ben ©adertalgenftocf, ben fte reichoerjweigt burch«
wachfen. Bulefct wächft ein Slbeil ber .£>9pben a^8 Si^igineu
auß bem geworbenen Slechtenthafluß wiebet herauß (Sig. 9). ©iß
jur Sr««htbilbung würbe bie ©ultur nicht gebracht.
5)ie ©pntbefe »on Collema ha^ ben ©rfolg, manche
©egner ber neuen Uebre wenigftenß bfaftdjUiih ber ©aßertflechten
ju überführen. SDiefelben ©egner aber griffen nun auf einen
möglichen funbamentalen Unterfchieb jwifchen ben ©aHertflechten
unb ben echten Siedeten surücf, ju beffen ©efeitigung fte neue
fpntbetifd)e ©eweife an brieromeren Siechten forberten.
3bwm ©erlangen ift alßbalb »on $£reub unb ©ornet
(Sig. 6 A.) foweit entbrochen worben, alß biefe gorfd^er bie
2 * (Wi)
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fttßur 9.
Hjatlub ber ©aflertalge Nostoc (SRanbpartie beb fngeligen Älgenftürfdjeub)
360 mal uergr. 35ie ©aderte Doll blaugtfiner Serlidjnüre mit einzelnen
größeren ©liebem. Sluf unb neben ber tilge feinten fedjb Sporen * ber
©atlertflect)te Collema. Sfjre Äeintfiben gelten bei hh aub entfpreeftenben
SlnidjtoelJttngen in bie tilge, me [die fie ytm ^lerfjtenttjaUud umgeftalten. Sei
u> ic treten einzelne £>t)pf)en beö erzeugten ürled)tentl)aUub alb .'Xbijinen
toieber beraub. (3lub beb Serf. 'Sbbanblg. „lieber bie ©ntftetjung ber
ftledjte Collema ic. „IDtonatbber. b. Serl. 'Äfab. 187 J.)
(««)
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37
Anlegung ber Spotenfeimfäben einiger gaubflechten an bie grünen
©pftococcu Stellen unb bie tßeilwei je Umfpinnung ber leiteten
erwiefen. SSeiter fonnten $reub unb ©ornet ihre Slußfaaten
nicht führen.
SBaß bet ben erften ©erfuchen noch fehlfchlng, baß h<*t nun
fürglich Stahl in glängenber SSBeife cofleubet : bie ©rgiehung
fruchttragender beterotnerer ftled)tenftöcfchen burd) Bufammentreten
ihrer Sporen unb ©onibien. ©r giebt eine ooUftänbige fpn*
thetifche @ntwicfelungßgej<hi<hte non ber feimenben
biß gur reifenben Spore.
@8 ift ein '2tmtßgebeimniß ber Bledßtenfunbigen, baß einige
feltene glechtenformen im ,£>pmenium, gwifchen ben Slfcen unb
$)araphpfen eingebettet, regelmäßig ©onibien enthalten, foge*
nannte $pmenialgonibien. 3u ihnen gehört bie flehte, auf
8ößboben wacpfenbe gaubflecßte, Endocarpon pusillum, mit
welcher Stahl ejperimeutirt.
3)ie £pmenialgonibien biefer gledjte ftammeu oon beu gut
Sllgengattung Pleurococcus gehörenbeu SlhaHuSgonibien ab. Sie
gelangen bei ber im £b«Hn8 eingeleiteten ©ilbung ber 0rudßt*
anlagen gwifchen bie grudjtbppben. 3n ber heranreifenben Frucht
thetlen fie fieh gwar wie im SEhnßwö felbft, ba fie aber gwifchen
je gwei ^h^lnnflen weniger ftarf warfen als im SEhnOnö» 1°
finb ihre 3eDen fchließlid) 3 — 4 mal fleinet als biejenigen ber
^hQUnögonibien.
3h« Sage i*n «frpntenium bringt e8 mit fid}, baß fie gleich*
geitig mit ben paarweiß im Slfcuß gereiften Sporen unfehlbar
au8ge!d)leubert werben. 3ebe außfliegenbe Spore befömmt
20 — 40 .^pmenialgonibien alß fDiitgift. 5)a8 ift ber $aupt*
oorthfil beß leicht gu wieberholenben ©ulturoerfucheS.
8dßt man bie Sporen auf ©laßplättchen feimen, fo wachten
c*”)
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38
auö ben jaljlreidjen Sporenfadjern aQfeitig Äeimfäben IjetauS.
©in $l)eil bauen fa&t unb umfpinnt bie nadjften ©onibien, ein
anbeter Slljeil »äd)ft auS, um Stl^menbienft ju leiften. (§ig. 10.)
<Die umwadjfenen ©outbien »erben alSbalb größer, leb»
Ijafter grün, mit einem SBort träftiger. 2)afj fie biefeö
bet Umfpinnung burd) bie $ppl)en oerbanfen, jeigt baS l'cfyatf
(Spore s Dem Endocarpon pusillom, puifcfjeit .^pmenialgonibien geformt,
h .fctipfjen, g ©onibien. 2)ie bppfjenumfpomtenen ©onibien üon ben niäjt
iimfpottnenen burd) betrad)tüd)ere ©röfte auffällig oerietjieben. 320 mal
oergr. (Shrä (Statjt, Beiträge pir ChrtroidetungSgefd).
b. gledjten, .§eft II. 1877.)
unterfd)iebeue ©erhalten berjeuigeu ©onibien, welche »on Äeim«
fäben unberührt bleiben. ®tefe ©onibien bleiben fleinet unb
feilen fid) juweilen nad) einem etwas abweidjenben SupuS.
Sluf ©laSplatteu, o^ne entfpreebenbe mineralijdie Dtäljrftoffe,
fterben bie umfponnenen ©onibienfyaufen mit ben Sporen ab, wie
(ST8)
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39
gu erwarten war. 2t uf bem lehmigen ©oben hingegen
cultinirt, welken bi e Bleute fonft bewohnt, wadjfen
fie gum »ollfommenen ©nbocarpontljallug Ijeran,
»eichet nadj 4—6 2Bod)en ©permogonien, nad) ebenfo*
nieten ÜJlonaten ©poren tragt.
©tafyl 1} at nidjt allein ba8 erftrebte Hauptergebnis feiner
©pnttjefe gewonnen, fonbern gugleid) in ben H9memd8°m*rien
eine für bie fidjere SBeiterentwitfelung ber ©porenfeime ungemein
witffame Slnpaffung fennen gelehrt. StuSerbem aber geigt er,
baS einegweitegledjte, weldjeam natürlidjen ©tanbort bem Hpntenial»
gonibienbefitjer Endocarpon ein treuer fftadjbar gu fein pflegt, aber
felbft feine Hbme»Mlgenibien ^(e auggefdjleuberten @onU
bien beö Endocarpon ofyne Umftänbe gleichfalls in ©efdjlag
nimmt.
Thelidium minutulum ift eine 3werg= gleite mit giemlicp
unregelmäSigem, non Endocarpon fefyr abweidjenbem ©au: ein
gafernefc, ba unb bort grüßte tragenb, an anbern ©teilen ©o*
nibiennefter umflammcrnb. 5)ie grüßte nenatljen ©erwanbtfd)aft
mit Endocarpon. ©knn nun Endocarpon unb Thelidium neben
einanber ihre grüdte reifen, fo werben audj ihre ©poren gufammen
auggefdjleubert. H9mej1'a^8on^ien ber erften Siebte unb ©poren
non beiben gleiten fommen bunt burd) einanber gn liegen. 2>a
ergreifen unb umfpinnen bie ©porenfcimfäben non Thelidium
bie im Ueberflufj auggeworfenen H9men’al80n^*en Don Endo-
carpon. Unter bem <$influ§ tiefer Hpphe** erfahren bie
Kolonien ber ©nboearponalge eine anbere innere Änorbnung, alg
bei ber Umfpinnung burdj ©nbecarponhpphen-
fDlit einem SSort: ÜluSer ber lang erfehnten nolt*
ftänbigen ©pntljefe einer h*teroroereu gleite geigt
©taljl experimentell, wie ein unb biefelbe Eigenart
(*I9)
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40
nicht bloSoon gn> ei gattun g<b unb familienocrfd)iebenen
Fledjtenpilgen als ©onibium benüßt, fonbetn and)
hinfidjtlid; ber SÄnorbnung ihrer 3eHeitcolonteen oon
jebem bet beiben in anberer SEBetf e beeinflußt wirb.
SDamit fällt and) bet leßte 3weifel, toeldjer gegen bie neue
ßehre »on ber SRatur bet gledjten non irgenb einer ©eite nod)
hätte erhoben werben fönnen.
3>ie ^let^ten finb erlöft. ÜJian Ijatte fie butd) lange Saßte
in bet 3rre umhergetrieben. 5öa8 ihnen fein (Sifer unb fein
©igenfinn bet fammelnbeu, bejdjveibenben fofiematiid)en 8id)eno«
logen oerjcßaffen fonnte, baS haben ihnen bie »erfdjmähtcn bio*
logifdjen 2?otanifer enblidj nadigewiefen, ein §eimatb6red>t. ©in
unanfechtbares J|peimathSred)t bei ben anbern äfcompceten, obn
benen (ich ihte hei*f<henben ^>ilge lange »er ber 23raunfohlen$eit
abgejweigt haben, um bem Sllgenoolf nad^ugehen. 3cßt hamn
fie nur nod) ihres Söirtor ©(heffel.
SBir haben bisher bie in ben lebten Sah^ehnten roflgogene
©ntnncfelung ber maßgebeubften Ölufflärungen übet bie ßebenS»
gejchidjte bet Flecßteu fdjrittmeife oerfolgt. SDarum erfc^eint eS
nicht überflüffig, eine Ueberfic^t beS bermaligen ©tanbeS bet
Frage in jufammenfafjenben ©aßen h‘« angufchließen.
1. 3ebe flechte befteht auS gn>ei gut ßebenSgemeinfcßaft innig
»etbunbenen netfeßiebenen Organismen. SDanon ift ber eine ftetS
tin 9)ilä ans bet Sljcomncetenreihe, bet anbere eine ‘Alge. SDiefe
ßebenSgemeinfchaft läßt beibe ©eroächfe wie ein eingigeS 3n*
bioibuum erfeßeinen. ©ie erftreeft fid? auf Ernährung, SBocßS»
thum, ©eftaltbilbung unb Fortpflanzung.
(«80)
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2. Die glechtenpilze finb 'äfcompceten (Schlauchpilz«) theilS
ber Difcompceten« (©cheibenpilz*) t^eilS ber Pprenomnceten»
(Äernpilz«) ©ruppe. 3l?re Serwanbten wohnen tl)eilS
als ©chmatoher auf lebenben Organismen, ttyeilS anf
m ben »erfchiebenfteu tobten orgnnifdjen ©loffen. SDie gleiten»
pilZe felbft aber tommen anberS als im glechtenüerbanbe nicht »ot.
3. SDie glechtenalgen gehören »erfd)iebeneu nieberen SUgen«
familien an. SDie grünen am fyüujrgften ben gamilien: pal«
mellaceen, ©hroolepibeen, auSnahmSweife ©onfer»aceen, ©oleochae«
teen. Die blaugrünen »or SlOem ben gamilien: ©hroococcaceen
uub Softocaceen, feltener ben fRioulatieen, ©irofiphoneen, ©cpto*
nemeen. Siele ihrer allernächften Serwanbteu ber gleiten ga=
milie finb nie im gledjtenuerbanbe beobachtet. Diefe bewohnen
ebenfo wie bie freilebenben glechtenalgen felbft, meiftenS gefellig,
feuchte, nicht bleibenb überfdjmemmte ©tanborte: Baumriuben,
Bretter unb Salten, ©teine, gelfen uub Stauern, Dachziegel,
©rbboben.
4. ©8 giebt »iel mehr »etfd?iebene Sitten oon glechtenpitzen,
als gonibienbilbenbe Sllgenarten. Stamme gledjtenalgen treten mit
nur wenigen, anbere mit zahlreichen glecptenpilzarten unbÖattungen
in benglechtenoerbanb ein. ©ine beftimmte SUgenform ift in 13©at«
tungen jum Dheü wenig unter fidj »erwanbter glechten anatomifch
beobachtet. 3n einem gaüe ift bie Serbinbung zweier ziemlich »er«
fchiebenenglechtenpilzgattungen mit einet unb berfelbenSÜgcnfpecieS
erperimenteQ bewiefen. 3n bet JRegel aber bevorzugen unter fich »er«
wanbte glechtenpilge auch »“he »erwanbte Sllgenformen. Die
Serhältuifie liegen hie» gang ebenfo, wie bei echt parafitifchen
Beziehungen fonft im Pflanzenreiche.
SlnSnahmSweife baut ftch ein unb berfelbe gledjtenftocf mit
mehreren beftimmten Sügenformen charafteriftifch auf.
(**D
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5. £Die 3nnigfeit bet 8eben6gemeinfchaft fpricht ftd? bei
fömmtlichen gleiten gunächft barin au8, ba| beren üfyaUuö
ungefdjlechtliche gortpfiangungSorgane ober ÄnoSpen ergeugt
(©orebien), welche im einfachen gaHe eine pilgfaben»
umfponnene Sllgengelle barfteOen, jebenfallö aber immer uom •
9>ilg« unb uom Sllgentheil ber gleite gemeinfam aufgebaut finb.
SBallroth überfah an ihnen ben ^ilgtheil, unb ibentificirte fie
furgweg mit ben ©onibien. SDiefe ©orebien werben gumal bei
feuchter ffiitterung in ungeheuren 9Rengen erzeugt. SBenn fie
maffenhaft aus bem S^haDuS austreten, fo »erleihen fie beffen
Dbetfläche ein puloerig«beftäubte8 Slu8fel)en. ffiom glechtenförper
Io8gelöft, bur<h SBinb unb JRegen weitergetragen, geben fie gur
Entftehung ber an $lechtenftanborten fo überaus häufigen grünen
unb grünlichen Sinflüge 23eranlaffung. ©ie wachfen meift gu
neuen gle<htenftö(f<hen heran, fönnen aber au«h bei anhaltenber
9täffe ihre Sligen gu felbftänbigem geben entlaffen. (2)af) Sin«
flüge »on gang bem gleichen oberflächlichen Sinfehen auch au8
reinen Silgeuaufiebelungen beftehen fönnen, braucht !aum befon»
berS betont gu werben.)
6. Sin ber ©rgeugung unb bem Slufbau ber gefchlechtli^en
gortpfiangungSorgane, ©permogonien unb §rüdjte (STpothecien) ift
au8fchlie§lidh ber glechtcnpÜg betheiligt. ©eine ©poretifeimfäben
fönnen aber nur unter ber 33ebingung gu giedjtenftöcfchen heran«
wachfen, bah fie bie ihnen eutfprecheuben glechtenalgen antreffen.
7. 2Bie häufig bie 9teubitbung »on glechtenftöcfchen au8
©porenfeimen unb freien Siigen in ber SRatur wirflich ftattfinbet,
barüber fehlen bie Erfahrungen. 3m ©äugen fcheint bie 93et«
mehrung ber ©töcfchen burdj ©orebienbilbung weitaus gu über«
wiegen. Siuch fruchten manche ftarf forebienbilbenbe Siebten
äufierft feiten. Siber ba überhaupt bei feuchter SBitterung Sporen
fJ8i)
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genug an Drte auSgefdjleubert werben, wo ihnen bie entfpreehen*
ben Algen reichlich ju ©ebote ftehen, fo tft häufige ffteubilbung
non $lechtenpflänj<hen purch ßufammentreten non Spotenfeim»
fäben unb Algen wenigftenS nicht unwahtfd)einlich. ©inige
Slechtenformen befißen überbieb in ber ©rgeugung non £pmenial*
gonibien eine ©inrichtung, welche jum Aufbau neuer Snbinibuen
auS Sporen unb Algen auSbriuflich fic^erub beitragen muß.
8. £infi<htlich beS ©infiuffeS, welchen ber 'Algen* unb ber
^ilgtheil auf bie ©eftaltbilbung bet gledjte auSüben, fommen,
non noQftänbiger SSeherrfchung ber ©eftalt feitenS ber h9Phen'
burchwadjfenen Alge, bis gu auSfdjließlicher Abhängigfeit ber
©ejtalt nom algenumfpinnenben $>ilg, fo ziemlich alle Abftufun»
gen not.
2)ie Alge beftimmt für fid> allein bie ©eftaltnerpältuiffe bei
©phebe, bie -£>pphe fogar in bie unabhängig non ihr auS*
wachfenben Seiten^weige (§ig. 8a.) erft nachwächft. Sie bleibt
ber maßgebenbere $heil noch bei nielen ©allertflechten, bei welchen
bie $pphenburchwachfung juweilen feine unb weift nur unterge*
orbnete Umrißänberungen im ©efolge hat> f° baß bie flechte
fraufer, reichlappiger erfcpeint als bie hpphenre*ne ^Uge. (Aepn»
liehe ©tfdjeinungen finb an manchen ed)t parafitijehen ^iljen,
u. a. SRoftpilgen befannt, welche beim IDutchwachfen ganzer Aefte
unbSweigeber 2Sirthpffon$entheilS beten ©eftalt, tljeilS ©roße, gorm
unb Dichtung ber SBlätter abätibern. SoAecidium elatinum, welches
Stannenjweige in fog. ^»eyenbefen umwanbelt, Aecidium Euphor-
biae, welches bie befallenen STriebe ber SöolfSmilch gleichmäßig
entfteQt u. f. f.)
^Dagegen beherrscht ber $ilg bie §ormbilbung bei allen
Äruftenfleehten, 8aub* unb Strauch flechten, wo SBachSthum unb
SBergweigung nur non ihm auSgeht, unb bie Algen bem Verhalten
(*»3)
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be8 .fmpljengeroebeS, baS aut an ÜJtaffe weitaus überwiegt, gebulbig
folgen. @8 giebt bei Ärufteufletten einzelne gormen, in beren
jugenblitben not algenlofen S^alluS bie ISlgenjeUen eh^eln nat*
träglit erft einmanbern.
9. §%fiologift ift bie glet tengemein jdjaft not allen ba«
butt gefennjeitnet, baff bie ®lge für fit unb il}ten 'pilj afft»
limirt. 35er glettenpilj fann bemnadj ofjne bie $llge nid^t
leben.
10. 3lbet aut bet 9>ilj leiftet fein ©tücf Srbeit für bie (Srnäfy*
rung beiber ©enoffen. 3e natbem et bie £>berflädje ganj obet
tfyeilweife einnimmt, forgt et auSfdjliefslidj obet mitbeteiligt für
bie fSufnafyme bet unorganiften rofyen 9lä^tftoffe, Äoljlenfäute,
SBaffer, SÖUneralbeftanbt^eile unb bet SttljmungSluft. 3a, er
oermag fRäfyrftoffquellen aufjuftliefeen, welche bet 3Hge allein unju*
gänglid) ftnb: ob et nun feine Steinen tief in oerwitterabe
Saumrinben naprungSfutenb entfenbet, obet ob et mit bet fauern
äuSfteibung feinet #ppfyen 2öd)er in8 ©eftein frifct.
hieraus etgiebt fit, bafc bie &lge, obgleit fie be8 gletten*
oetbanbeS nitt bebarf unb im glettenoerbanbe it)re greitjeit
fammt iljrer gortpflanjung aufgiebt, iljre S)ienfte in bet ftletten*
gemeinftaft bot feineSwegS unentgeltlit leiftet. 2)ie Serbin»
bung mit bem 95ilje förbert fogat in oielen Bällen natweiSlit
ba8 SöatSt^um ber 3Uge. 'Äufeetbem ift bet ©tufc, bie ©tc*
nung, weite ber quattiergebenbe $)ilj bet 9llge, feinem arbeite«
tiittigen ©aft unb ©enoffen gewahrt, befonberS bei potent»
witfelten Kletten ganj unoetfennbat.
11. 35ie glettengemeinftaft ift bemnat fein teineS ©t*na»
tofoeroetfyiltnifj, bei weitem bet ©tmarofjer feinen SBirtl) in
gleitem SJtafje beeinträchtigt unb ftäbigt, als er felbft gebeizt.
Sur ganj wenige ©aflertfletten eutiprete« annäbernb biefem
(264)
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galle. 2)ie ausgeprägte glechtengemeinfchaft ift »ielmebr eine
SBirthfchaftS» unb SebenSgemeinfchaft, auf einet northeil*
haften 2lrbeit8theilung beruhenb, welche in gewiffer £inficht
beibe ©enoffen ftärfer macht, al8 fie unoereinigt gemefen wären.
2)a8 gilt inSbefonbere ^inftd>tlid^ bet SlnftebelungSfähigfeit bet
gleiten auf noch unoerroittertem ©eftein, bem gegenüber bie
SÜge allein ebenfo machtlos erfcheint, wie bet §>il$ für fich allein
wäre.
12.<Siet)t man fich, junächftim llflan^enteichc, nadh bemglecpten*
oetbanb gleichen ober ähnlichen SebenSgemeinfchaften um, fo trifft
man auf feine unmittelbar »erwanbte ©rfcheinungi ©ine ent*
ferntere Slehnlidjfeit jeigen bie ©pmbiofen, um einen non be Sarp
auf ber Äaffeler 9laturforf^er»erfammlung eingeführten 3lu@brucf
ju gebrauchen, oon einigen fftoftocaceen mit gewiffen Üebermoofen,
SBaffetfarnen unb etlichen Silüthenf) flanken. 3n allen biefen
gällen Ijatibelt eS fid> um Sllgencolonieen; welche im ©ewebe
ihrer SSMrthe eingewanbert fich ftuben. Salb ift ihre 'Änwefen*
heit jufäüig, fie fönnen ebenfo gut fehlen (üebermoofe, ©pcaS*
wurzeln); halb ift ein beftimmte8 Dtgan auf bie Aufnahme ber
2llge auSbtücflich eingerichtet, unb non ber 2llge regelmäßig unb
ausnahmslos auch bezogen (ISgolla). 33ie Slnwefenheit ber Sllge
bebingt hier wie bort erhebliche ober geringfügige Slbänberungen
an ben SBachSthumSrichtungen. — Soweit fittb biefe Sombiofen
ber glechtenfpmbiofe analog. SDie SSerhältniffe ihrer ©rnährung,
gormbilbung unb gortpflanjung bagegen laffen fich wit ben ent»
jprechenben ©tfcheinungen im glechtenleben nicht Dergleichen.
(*»)
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Citrratur.
be ©arp, ÜHctp|)cIcgie unb 'P^pclogie bet pilge, gleiten jc. jc. 1866.
». Ärempelfyuber, ©ejcbichte unb Literatur ber Sicfymologie. 1867
bis 1872.
«n liefen beiben Drten bie altert Literatur.
©aranefcfp, Beitrag gur Äenntnif; beS jelbftänbigen Gebens ber gleiten»
gonibien. 1868. Safjrb. f. wiff. ©ot. VII.
be ©arp, SDie ©rfdjeinung ber Spmbiofe 1879.
Bor net, Recherches s. 1. Gonidies des Lichens. Annales d.
Sciences nat. V. Ser. Bot. t. 17. 1873 unb t. 19. 1874.
gamintjin unb ©aranefcfp, 3»r ©ntu>icftlung6gefdji($te ber ©onibien
unb 3oofpDrenbtlbung ber gleiten. So tan. 3tg. 1868. 9lr. 11.
gran!, ©iolog. ©erljältniffe beS S^aHuS einiger Äruftenflecbten. Gol) n,
©eitr. g. Siel. b. pflanjen. ©b. II. 1876.
S^igfcljn, Gultur ber ©laucogcnibien nun “peltigera. ©ot. 3tg.
1868. ?Rr. 12.
jlnp, Ueber ßiepina. Sifcb. b. ©ef. ©aturf. greunbe g. ©erlin. 1874.
5Ree§, Ueber bie ©ntfteljung ber gleite Collema glaucescens. 2JlonatSb.
©erl «fab. 1871.
©4>»enbener, Unterjucbungen übet ben gledjtentbaHuS. 3n ©ägeli,
©eitr. g. reiffenfdj. ©otanif, .£>cft II. III. IV. 1860 — 68.
— lieber ©pljebe. gtora 1863.
— (Die «Igentppen ber gledjtengcnibien. 1869.
— (Irötterungen gur ©enibienfrage. glora 1872.
— 25ie g (echten als parafiten ber «Igen. ©ortrag in ber ©afeler
©aturforfdf. ©efeUjcbaft 1873.
(SM)
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47
©ta^I, ©citxäge jur (gnhmdelungfigff^idit« her gleiten. 1877.
Straeburger, Uebei Ägotla 1873.
SEreub, ^id^nenculhit, Sotan. 3tg. 1873.
Tulasne, Mem. p. s. ä l’histoire des Lichens. Annales d. Sciences
nat. III. Ser. Bot. t. 17. 1852.
SBinter, Ueb« bie (Gattung ©pfjärcmpljale unb SBerw. 3a§rb. für
»iff. ©ot. X. 1876.
Woronin, Recherches 8. 1. Gonidies du Lichen Parmelia pul-
rerulenta. Annales d. sc. nat. V. Ser. Bot. t. 16. 1872.
(S87)
Imd scn (Tffcr. tlnjtt (2$. Q)rimm) in Bfrlin , gicsttnäcrtuii 17«.
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£ie
^romeffteusfctcje
mit befoitberex 33erücfftd)tigung
Ujwr Abarbeitung burd) 3Ufdjqlo$.
Vertrag, gehalten im nnfjeni<baftHd)en SSereine ju ©djmerin
am 15. SDecember 1877
oen
(Earl IJollc,
©tjmnafialbireftor in 2Baren.
ßerlm SW. 1879.
33erlag ton (Sari £abel.
(C. iS. i'uiwilj’sitJ' UrtionsbtHljhonblnrip. )
33. 9BU0<ttn • ©trat» 33.
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35ac SKec^t ber Ueberfefcung in ftembe Sprachen rotrb oorbebalten.
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2)et rübmlicbft befamrte 33etfaffer bet ©nglifdjen ©efd&idjte ber
©riecfeen, ©rote, jagt im 1. Sanbe feines unnergleicblidjen SBetfeS:
„S5ie meiften, wenn nidjt alle ^Rationen haben SRptljen gehabt,
aber feine Nation, ausgenommen bie ©rieten, tjaben i^nen
unfterbticfjenfReig unbadgemeineS3nteteffemitgetbeilt." £)eu©runb
banon haben wir in bet eigentümlich mpthiften mtb poetifdjcn
Anlage beS ©riec^onoolfS gu fuchen. 3n feinet dRptbologie,
fagt Söeldfet in feinet ©ötterlehre, non bet ^oefte oetfdjiebener
3eitaltet finben mit bie urfytün glichen Slnfdjauungen ber ©öfter,
$eroen unb dRenfdfenwelt fo gebiegen unb ftilgetedjt, fo fräftig
unb gart auglcid^, fo plaftifd) unb flat an’S 8i<ht geftedt unb
bo<h fo »oll ©efyeimnifj unb in bet Sliefe fdilummernben ©efühlS,
fo felbftönbig geraffen, fo Ijatmonifdj unb bis gut nod*
fommenften @thönl)eit fortgebilbet, gugleid) fo nerftänblidj unb
tteffenb umgebilbet non genialer unb oft bet mutfywiHigft über»
fprubelnben 8aune, wie bei ben ©riechen. ©8 war in bet
2l)at ein grofceS SBerf unb nicht nur ba8 müfjige ©Raffen
phantaftifcher Poeten, ba8 grofje SebenSwerf eine8 fo rcic^ be*
gabten SBolfeS, wie e8 bie Hellenen waren, in feftge^altener
2lnf<hauung butch ade äBedjfel bet Seiten tyinburdj bie au8 einet
3bee ^etnorgeffttungenen tteffenben ©runbgüge eines jeben per»
fönlidjen ©ötterdjarafterS, fowohl nach bet ©eite ber dRenfchen»
wett als nach ber bet 5Ratut hin, fo ftreng unb ftetig gu wahren
unb gugleich bo<h gu immer lebenSoodetem SluSbtucf unb fefterem
3neinanbergteifen ader Süge auSgnbilben unb mit fprecfyeuben
XIV. 321. 1* (291)
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33ejiehungen ju bereichern. @8 gehörte baju grofcet ©rnft, ber
bie SBiUfüt tänbelnber ^^antafie fern holt, unb bod) mieber
baneben eine eigentümliche Anlage für $orm, Schönheit unb
©rajie, bie ber $)bantafie al8 Helferin nicht entbehren fönnen.
©o lonnte e8 auch mir gefächen, baff ber ©laube an bie
©ötter, bie munbetbare 3Uufton ihrer (Realität nicht blc8 3atjr*
hunberte lang aufrecht erhalten mürbe, fonberu einen fo hohen
Slufftbmung nahm, bafj alle Bmeige menf<hli<ber Gultur, bie gu
ihm in Segieljung ftanben, eine #öhe bet 33olIenbung erreichten,
bie un8 noch jefjt mit ftaunenber ©emunberung an ihren nie
erreichten Serien emporbliden läfet.
Unb aQe8 im geben ber .fjeQenen, alles, ma8 ihr @eniu8
fdjuf, hin0 ouf’8 engfte mit ihrem @ultu8, mit ihrer (Religion
gufammen. (Rur burch ihre (Berbinbung mit ben he‘tiüften
SRpthen ift ihre geftaltenreiche (Poefte im SSolte ju bem großen
Slnfehen gelangt, ba8 bie Dichter immer auf’8 neue gu ihren
unterblieben Serien begeifterte. SßieleS felbft, mag un8 nicht
mehr mpthifch in ben antifen Dichtungen erfcheiut, fonbern rein
poetifd), hfltte für bie Hellenen lebenbige Sefenheit; fie maren
gemöhnt, non ben freunblichen, halben Schöpfungen ihrer ?>hantafte
überall im geben unfiebtbar umgeben $u fein. Darum hotte
auch bie (poefte über fie eine unenbliche ©emalt, eine größere,
als über anbete (Böller. ®o fonnte in ihrer SERitte ein £omet
erflehen, über ben bet ftolje StuSfpruch gethan ift:
, gange fann bie 9tatur unb als fie geraffen,
(Ruhete fie unb fpraep: ©inen .fromeroS ber Seit!"
©o nur maren e8 auch bie Hellenen, in beren ©chofce bie
tragifche §)oefie ihre erften herrlichen .Seime entfaltete unb jene
großen Dichter hcr»orbrac!bte, bie noch ftetS als (Dtufter bet
bramatifchen Sunft gelten. (Rennt fi<h bodj üflefchploe felbft eineu
Bögling ber Demeter, ©inb auch bie bauenben unb bilbenben
(*«)
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5
Äünfte t>on dufteren Umftdnben abhängiger als alle Äunft ber
Siebe unb Dielung, als alle gertfdjritte bet ©iffenfchaft, auf
bie ber Staat ja nur mittelbar einwirfen formte, unb bebürfen
fie, um etwas ©rofjcS gu Stanbe gu bringen, folget Mittel, wie
fte nur ber Staat gewähren fann, unb gmar ein Staat, fo
blütjenb unb reich, »ie ätljen in feiner lebenSooOften ©poche,
fo finb bodj gerabe fte fo innig in allen ihren ©etfen mit bet
Süötbologie unb bem ©ultuS eerroachfen, bafj fte ohne ihr unbenfbar
finb. ©ober haben alle jene Äünftler gu ihren Schöpfungen
ihre ©eftalten genommen, woher anberS als auS bem Steife bet
frönen ©ötterwelt? Unb woher ftammen jene ÜKarmortempel,
gu bencn in he*^fler Anbetung bie ©riechen aus allen ©auen
wallfahtteten, unb beten krümmet noch mit ihren fdjlaufen
Säulen unb bilberrcichen ©iebelu jebeS Sluge entwürfe«, woher
als auS bem GultuS ber ©ötter unb Heroen, beren ©laube
Solf unb jfünftler befeelte? 3ene hetrltdjen ©öttergeftalten ber
Hellenen, wie fie 3ahrtaujenbe in ewiger 3ugenb gelebt haben,
finb unS noch jef}t baS fDiaft alles Schönen unb Snmuthigeu.
Unb weiter fagen wir wohl uicht gu »tel, Kenn wir behaupten,
bafj ber ÜJtothologie auch alle jene ernften ©ebanfen über baS
©ßttliche, baS Siechte, baS ©ble unb ©eife unb alle jene tieferen
(Smpfinbungeu ihren Urfprung oerbanfen, bie ohne ein prieftet»
lidheS ©ewanb mit priefterlicben ©orten unb Silbern in bet
griechischen ^>^ifofop^ie hcrö°ttreten.
SDech eS mürbe unS gu weit oon bem, waS wir beabfichtigen,
ablenfen, wollten wir noch weiter in bie ©eheimniffe beS
griechifdjen SJipthoS unb feines ungerttennbaren 3ufammenhaug8
mit bem gangen i*eben unb IDidjten beS ^elleneubolfs eingu*
bringen juchen. 3ene 5Jipthen an unb für fich haben im Baufe
bet 3eitnt noch feineSwegS ihre Sebeutung unb Äraft »erloren
unb üben nicht nur auf ben gelehrten ^orfcher, ber fich ein»
t»3;
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6
gebenbet mit ihnen bejdjäftigt unb in bie oielen ©eftalten unb
unb Silber wiebet einen lebenöoollen 3ufa»™enbang gu bringen
fudjt, fenbern auf jeben, beffen ©inn nicht gang am geben unb
©etriebe ber ©egenwatt unb be« Sageölätmö bängt, einen
unenblichen 5Reig au8. SSie wir als Äinber ftitl unb fdjauernb
ben HJtäbrehen bet .fjeimatb laufdbten, bie un§ bie Butter am
Äamin in ben ©ämmerftunben nicht oft genug erzählen fonnte,
fo leihen wir je§t gern jenen großen ©agen unfet Otjr, bie
gange Söller bewegten unb in ihrer tiefen ©ebeutung unb
SBabrbeit bis auf unfere 3eit hetabreichen. 3)a8 ift ja eben baS
©rohe unb ©ebeutungSooHe be§ fDtptboS, wie ihn ein gange«
Sol! gefebaffen, bah feine propbetifche Söahrheit weiter reicht, alö
bem ©ewufjtfein beö ©chaffenben felbft offenbar ift. ©er SDftptben»
fdjöpfung liegt eine über ba8 ©ewufjtfein hinauögehenbe ähnung
gu ©runbe, welche im oerfcbloffrnen Welche trägt, wa§ günftige
©onnenblicfe allmählich mehr unb mehr entfalten. ©8 liegt
ferner in ber Satur be8 5Jtptbo8, ber ja eben ber SluSbrucf
einer religiöfen 3bee ift, bah er, wie atleS ©pmbolifche, oet»
fchiebenen SebenSbebürfniffen genügt, fo fern fie auß bemfelben
Jteim heroorgehen, bah et oerfdjicbene Slnffaffungen guläfjt, welche,
ohne gu einet ©inbeit gu »etfchmelgen, fidj boch nicht gegeufeitig
au8f<hliehen, »on beneu feine ihn gang erfchöpft, inbem für
anbere 3nbioibualitäten bie fDiögliehfeit offen bleiben muh, an
berfelben Duelle mit gleicher ©efriebigung gu fchöpfen. ©aber
ift’8 benn auch möglich, bah felbft übet ben ©efichtSfreiS beS
9flterthum8 hinaus bie Stagweite eine« alten SJlptboß reichen
fann, weil fcbliehlicb in le^ter 3nftang boch allet! fReligiöfe auf
benfelben ©runbibeen unb ©runbbebürfniffen ruht, bie einet
©ntwicfelung fähig finb, welche bte ©rengen eiueö burd? wefent*
liehe ©igenthümlichfeiten oon anberen gefchiebenen 9ieligion8-
gebietS überfchreitet.
(»94)
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7
3UIe8 ©efagte gilt »on feinem uns aus bem grietpiftpen alter*
tpum pinterlaffenen SRptpoS mepr als oon ber ^rometpeuSfage,
beten 33ebeutung unb {Bepanbluug burtp ben größten Ütagifer
ber Hellenen, aefcpploS, in biefen 3etlen öorjufüpren mir
oergönnt. fein mag. SJtir ift bie ©cpwierigfeit ber Aufgabe
wopl bewufft, unb iip bitte im »orauS um gütige SRac^fic^t,
wenn i(p in bem engen {Rahmen baS nidft erf<pöpfenb be*
panbeln fann, woran @eleprte 3abte beS 8eben8 gearbeitet
haben-
S3e»ot i<p ben 3npalt ber Slefcppleifcpen Stragobie »ot*
führe, will i(p uns in furzen 3Ü8en bie ©age felbft, wie
fie unS üon #eftob unb anberen ©cbriftfteQern erjaplt ift, in’S
©ebäcptnifj gurücfrufen. Söir müffen jurüdgepen auf bie ©nt*
ftehungSgefdjidpte ber SfBclt unb ber ©öfter überhaupt, wie
fie $efiob, ber bßotif<pe ©änger, in feiner SL^eogonie unS liefert.
{Ratp ihm entftanb im Anfang baS ©paoS, ein leeret, unermefj*
lieber {Raum, barauf ©aia, bie ©rbe, £attaro8, ber Sbgtunb
unter bet ©rbe, unb ©toS, bie alles oetbinbenbe Siebe, ©aia
brachte UranoS, ben £immel, bie ©ebirge unb {PontoS, baS
SReet hetoor, unb mit UranoS »erbunben, bie Titanen, beten
füngfter ÄronoS ift, bie ©pflopen, jene wilben, einäugigen Unge*
heuer, unb bie ^efatonepeiren, hunbertarmige, fd^recflid^e {Riefen.
2)a jebodp UranoS, über bie gurdptbarfeit feinet Äinber etfepredt,
fie in ben Tartaros warf, ba§ fie nie an baS Sid^t ber ©onne
fämen, fo berebete bie gürnenbe SRutter ben ÄronoS, feinen
S3ater UranoS gu flütjen. 3)aS gelang, unb mit jfrouoS beginnt
bie jweite ©ßttergeneration ober bie 3«it, in ber fiep bie neuent*
ftanbenen SRaturfrafte unb ©ewalten in {Ruhe auSbreiteten unb
entfalteten. SDod j audp ÄronoS, unter bem bie 5Renf<pen ipr
golbeneS 3ettalter patten, »ermodpte ber Aufgabe ber SBelt*
regierung nidpt ooO ju genügen.
<» 5)
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8
3ßm ßatte bie Sitanht JRßeia mehrere Kinber geboten, bie
bet Vater fofort nacß ißret ©eburt, um non ißnen nidjt feiner
#errfdjaft beraubt gu »erben, oerfdjlnugen ßatte. 9tur 3euS
Würbe non bet SRutter, bie bem ÄronoS bafüt einen in SBinbeln
gewidfelten Stein gereicht ßatte, gerettet. $818 er im Verborgenen
auf Kreta ßerangewacßfen war, unternahm et gegen ben Vater
jenen großartigen .Krieg, bei bem bie gange ©otterweit fid) in
gwei Parteien fpaltete: gum 3«u8 [tauben jebodj bie meiften unb
beften ber ©otter, alle ßößeren .£>immel8gewalten, gum KtonoS
bie wilben Titanen. 9tur ^rometßeuS, ber non feiner weif=
fagenben SRutter, ber Jitanin StßemiS, ben 9lu8gang be8 Kampfes
erfaßten, ftßieb fid) non feinen Vrübern, ging gum 3euS über
unb ftanb ißm mit feinem Augen SRatße gut Seite. SDet furdßt*
bare Streit fcßwanfte lange ßin unb ßer, bis 3e«8 gu feiner
£ülfe bie im Tartaros gefeffelteu (Spflopen, bie ißm gewaltige
SBaffen, ben 2)onnet unb Vliß, brauten, unb bie «ßefatondjeiren
an’S Sidßt gog. 9lun würben non ben Sergen DlpmpoS unb
£>tßrpS Reifen ßerüber unb ßinüber gefcßleubert, unb 3eu8 fußt
mit bem fracßenben Vlißftraßl unter bie Titanen, baß Fimmel
unb ©tbe erfcßrecfltcß erbebten, unb Eanb unb SBalb ringS in
geuet aufloberten. ©nblidj errang er ben Sieg; bie Stitanen
werben in bie ginfterniß beS SartaroS ßinabgef(ßleubert, unb
e8 beginnt bad britte 3eitalter, in weldßem ni<ßt meßr bie roßen,
ungebänbigten Vaturmäcßte ßertfcßen, fonbern Drbnung unb
©efeß walten unb ©tbe unb £immel fidj erneuen fotlen.
5>arum eertßeilt 3euS guerft unter ba8 @ef<ßle<ßt bet
olpmpifcßen ©ötter bie Remter bet SBeltregierung, für ftd) felbft
beßält er ba8 Königtßum übet ade, ba et ben Kampf burd)
feine Leitung gewonnen. SBie faß eS aber mit ben ÜJtenfdjen
auS? Unb weldje Stellung neßmen bie neuen ©ötter gu
ißnen ein?
<*!*)
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9
SDte Sagen »on bet ©utftehung beß PtenfchengefcblecbtS
waren in .£ella8 »erfdjieben; bie »erbreitetfte nennt fie wie bie
©ötter ©ohne ber ÜJtutter @rbe unb Iäfct ©ötter unb SRenfcheu
anfangs in feliget ©emeinfchaft mit einanbet leben. ©aS war
baS unS »on £efiob unb nad) ihm auch »on festeren ©idjtern
mit Vorliebe gefchilberte golbene 3eitalier, eine 3«t ungetrübten
©lücfeS, ewiger 8iebe unb ewigen SidjtS. £Die SJlenfchen waren
ba frei non allen Sorgen, »on .Rümmer unb SBhihfal, fte lebten
in einem parabiefe blühenber Sugenb unb lachenber £eiterfeit.
©ie ©tbe gab ihnen mühelos unb reidjHd} alle ©üter unb ©aben,;
fic waren reich an gerben, lieb ben ©ßttern, unb ewiger Triebe
waltete unter ihnen. ©er Stob fam ihnen wie ein fanfter
Schlummer, unb becfte fie bie ©tbe, fo würben fte ju guten
©enien, bie unfichtbar ihre Srüber umfcbwebten unb fd^ü^ten.
©odj bie SDlenfdhheit »erfcf)lechterte fich »on Stufe jn Stufe unb
fiel am (Snbe in jenen traurig*unglücf[eligen 3»ftanb, in bem
Prometheus fie antraf, als 3e»S ben 2hr®n Cer ©ötter einnahm.
Sehenb fahen fie umfönft, hörenb hörten fie nicht, üraum*(
geftalten gleich frifteten fie fümmerlich ein langes, bangeS ©afein.
Sie fannten nicht bie Äunft fich ans Stein ober $olj SBohnungen
ju f Raffen; in bunflen fohlen wohnten fie unter ber Qrrbe,
nicht »om Strahle ber Sonne erwärmt, beweglichen 2lmeifen
»ergleidhbar. Äein fidjereS 3ei<hen Ratten fie für ben falten
SBinter, für ben blühenben Frühling unb ben früchtereichen
£erbft; ohne Sinn unb plan trieben fie alles, ein Sag »erging
ihnen gwecfloS wie bet anbere. ©a erbarmte fich Prometheus beS ge=
funfenen ©efcbledjtS. @r lehrte fie ben SSuf» unb SRiebergang
ber ©eftirne unb etfanb ihnen 3abl unb Schrift, ©ie Shiere
fpannte et guerft in’S 3od), bafj fie ber Pienfdjen Arbeiten »er»
richteten, unb führte ihnen am 3«gel baS fftcfc ju, ben Schmucf
beS ftolgen fReichthumS. 9luf bem Pleere lehrte er fie fRuber
CS»7)
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10
unb ©egel gebrauefeen; er geigte ifenen bie ÜJlifefeung milber
Heilmittel, bafe fte nidfet mehr in iferem @lenb bafeinfieefeten unb
beutete ifenen 33orgeidben unb S£räume, ben glug ber 33ßgel unb
bie ©ingeweibe ber Dpfertfetere. 3n bet ©rbe aber beeile er
ihnen bie unenbliefeen ©efeäfee non ©rg, ©ifen, ©über unb ©olb
auf; futg alle Äünfte empfingen fte »on ifem( unb in allen
Sequemliefeleiten beß Gebens war er ifet gefermeifter.
©o fanb 3eu8 baß ©efefeledfet ber 2Renf<feen alß ein f»robuct
beß 9>tometfeeuß »or. 3«erft wollte et eß als gu gefafetliefe gang
»erniefeten; boefe ba fidj jeinet ber alte Sreunb non neuem annafem,
liefe fiefe bet ©ßtterfßnig bewegen, forberte jebocfe für ben ©cfeufe,
ben et ifenen angebeifecu laffcn wolle, bie SBereferung aDer olom*
pifefeen ©öfter. 9)ian fam wie gu einem ©ericfetßtage in
SDiefone gufammen, um feierlich übet bie gegenseitigen Pflichten
unb SRec^te gu »erfeanbeln. ^rometfeeuß tratalß StnwaltberOJlenfefeen
auf; boefe feine allgugrofee 5Renfdjen!iebe unb fluge 8ift, wie
attefe ber alte Üitanengrotl gegen bie neuen ©ßtter oerleiteten
ifen, ben 3euß gu betrügen. 3um erften Opfer fefelacfetete er
einen ©tier, barg baß Sleifefe unb bie ©ingeweibe in bie Haut,
auf bie er ben SJiagen, baß fefeledfetefte ©tüdf, legte, bie gtßfeete
tfnoefeenmaffe aber umfeüllte er mit weifeem Seit. Dbgleiefe bet
aüwiffenbe 3euß ben betrug burdfejefeaute unb bittet im bergen
grollte, wäfelte er boefe bie Änoefeen; aber um fiefe gu räefeen,
entgog er ben SUleufdfeen baß ^euer, biefe lefete JBebingung aller
menfdfeliefeen ©ultut im weiteften Umfange. 2)ocfe $>rometfeeuß, ben
feine Älugfeeit nie im ©tiefe liefe, entwanbte bie offen ben QKenfefeen
oorentfealtene ©abe feeim liefe in einet Serulftaube »om Dlpmpoß
unb braefete fte triumpfeirenb ben ©terbliefeen. 3«u8 3orn war
grofe, alß er bie erften Stammen in ben SBofenungen bet ÜRenfefeen
leuefeten fafe, unb fein ©ntfefelufe ftanb feft, ifenen tn’ß £auß ein
unoertilgbareß Uebel gu fenben, an bem fie nodfe bagu ifere Suft
(2S»)
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11
haben feilten, ©ein Sohn, ber funftreichc .£>ephaifto8, bilbete
au§ ©rbe ein SDRenfd^enbtlb, bem er Stimme unb Äraft bet
anberen Ptenfchen »erlief, 3Bud)8 aber unb SIntlif} glitten bem
Silbe ber unfterblidjen ©öttinnen. 2lthena unterwies bie fyolbe
Sungfrau gu allerlei funftreichen 5Ber!en, Slpljrcbite fehmüefte
ihr fdjöueS £>aupt mit unwiberftehlicher Slnmutl) unb lielj ihrem
fchmadjtenben Sluge jenen feuchten ©lang, ber ihr felber eigen
war, £erme8 aber legte in ihre Sruft fchmeicbelnbe SDemuth
unb ein nerfchlageneS ©emüth- ©hariten unb Jporen umgürteten
fie mit funlelnbem ©efchmeibe unb buftigen ^Tangen, fo ba&
eS eine 8uft für ©ötter unb Ptenfchen war, fie angufchauen,
unb bie ©ötter nannten fie als bie non allen Sefchenfte Pan»
bora. 3n fdjimmernben ©ewänbern fam biefe griedjifche ©na
auf bie ©rbe in'S £auS beS ©pimetheuS, beS uachbebächtigen,
äberbegehrlichenSruberSbeS Prometheus. ©ieferljatteoergebenSben
Sruber gewarnt, oom BeuS eine ©abe angunehmen; ©pimetljeuS
merfte aber baS Unglücf erft, als eS ba unb gu fpät war. ©r nahm
bie liebliche 3ungfrau gaftlid) auf; f obalb fie aber in feinem
$anfe war, fdjlug fie »om gaffe, baS fie mit fid? trug, ben
üDecfel gurücf, unb heraus flatterten alle Sorgen unb Uebel, bie
fi<b rafd) nun über 8anb unb ÜJteer auSbreiteten unb ben
9Jtenf<ben feitbem quälen, bafs er ihnen nid>t mehr entgehen
fann: Jbranfheiten inen bei Pacht unb S£ag umher, heimlich unb
fchweigenb, bßfe gieber fd^leidjen über bie ©rbe, ber 5tob beflügelt
feinen ©djritt. Unb felbft baS eingige im gaffe verborgene ®ut,
bie Hoffnung, bie im Reiben tröftet unb bem thränenben 9luge
bet Bufunft glücflidie Silber ncrhalt, felbft fie blieb, als Pan»
bora ben SDedfel rafdh wieber gufdjlug, am JRanbe hangen unb
würbe ben atmen Sterblichen nicht doO gu Slheil.
35en Prometheus aber hiefe 3euS burch ^jebhaiftoS in bet ein»
famften©egenb beSÄaufafoS an einen gelfenfchmieben unb ihm burch
(SW)
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12
feinen Sibler bie immer neu wadjfenbe gebet langfam auö^acfen.
©rtöft feilte er erft bann »erben, wenn jemanb freiwillig für
if)n ben Slob erlitte. $118 fein ^Befreiet erfd^ien ^»erafleö; auf
feinem SSege ju beit ^eSperiben, beren golbeue ülepfel er Idolen
wollte, fam et am Äaufafoö Darüber, erlegte »eil ©tbarmenS
ben Slblet unb fteOte für Prometheus ben ©entauren ©biron,
ber für ihn ben Job erlitt. Prometheus aber feljrte al3 23eratber
unb Prophet ber ©etter auf ben Dltjmp jurücf.
Plan wirb auö bem furjen $lbrifj bet ©age, ben ich
foeben gegeben, bereits erfannt Ijaben, welche b°be SBicbtigfeit
fie in bem gefammten ÜHptbenfrcife beö ©tiecbenDolfS einnimmt,
©iebt fie bodj eben bie Antwort auf bie gragen, bie ber Ptenfcb
fid) non jeher aufgewerfen \)al, auf bie grage nach ber ©nt*
ftebuug ber SBelt unb ber Ptenfcben, nach bem 93er^ältui§ ber
über aOeß waltenben ©ottbeit ju ben ©efdjöpfen, nach bem
Urfprung be§ Uebelö unb mancbem anberen. ©aber ift gerabe
biefe Sage, in bie fid? fo wirtfam bie ©eftalt be8 Prometheus
»erflod'ten, aufe innigfte mit ber ©runbibee ber nerfcbiebenften
{Religionen unb felbft beö ©briftentbumS nerwanbt. ©o ift eS
benn aud? gefommen, bafj fie bie auf bie neueften 3«iten für
©elebrte wie für Siebter ihre SBebeutung bewahrt bat, unb bafj
beibe au§ ibr bie »erfebiebenften Seutungeu ju fchöpfen »erwögen.
3d? erinnere nur an ©alberon, 33»?ron, ©bellep, £etber unb
©oetbe; befonbere an be6 le^tern jilage be6 Prometheus :
„tbebede beinen <£>immel, 3«u8, mit SBolfenbunft, unb
übe bem .Knaben gleich, ber Sifteln föpft, an ©idjen Sieb unb
©ergeeböben. Ptuf)t mir meine ©rbe botb laffen fteben unb
meine $ütte, bie bu nicht gebaut, unb meinen £erb, um beffen
©lut bu mich beneibeft."
Sie Fragmente, bie wir oom ©oetbe’fcben Prometheus be»
fijjeu, gehören ja in ben j?rei8 jener beiben nur im gauft au§»
CSOO)
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13
geführten ©ntwürfe, bie fi<b baS titanenhafte Streben unb gingen
beS 5Renfd)en gum 93orwutf malten, unb an benen ber SDit^ter
oon Sugenb an mit befonberer Vorliebe gearbeitet; ebenfo wenig
wie ber Prometheus ift ber SDtabemet unb ber ewige 3ube gut
SluSführung gefommen.
Doch wir befijjen, wie ich fd^on »orbin angebeutet, auS betn
Sitterthum eine bithterifche 33ebanblung ber prometbeuSfage,
bie leiber »erftümmelt, aber auch fo noch großartig unb unüber-
trefflich i^ön ift, unb bie nach ihrer gangen Anlage bent SJtptboS
eine überaus tiefe unb eigentümliche Deutung giebt, ich meine
bie äragöbie beS SlefcbhloS, ben man mit Stecht ben größten
Dichter unb Theologen ber JpeDenen genannt bot. 3Bie bie
anbern tragifcben Dichter, geftaltete auch er bie Sage gu einer
Jtilogie, b. h- gu einem gufammenbängenben ©angen non brei $ra*
göbien, beren erfte ben geuerraub, bie gweite bie Seffelung, bie
britte bie Sefteiung beS Prometheus barfteüte. Stur bie mittlere
ift uns »otlftänbig erhalten.
Die erfte Scene tserfe^t uns fofort auf ben Schauplatz beS
DramaS, in bie fcptbifcbe SSüfte, an ben ÄaufafuS t>oU fcbnuet«
lieber ©infamfeit. SBilbe fahle gelfen ftarren unS entgegen;
feines Ptenfcben §ufc fefaeint je biefe ©egenb betreten gu hoben.
Da er jehaden Stritte, laute Stufe : nier ©eftalten erfcheinen, Prometheus
non ^>ephoiftoS unb feinen Dienern, gfratoS unb SMa geleitet. Sie
fommen, ben ©ötterfreöler an ben fteilften unb öbeften Reifen
gu fchmieben. Prometheus bleibt tro£ aller Qualen, bie et bei bet
geffelung erbulben muf}, ruhig; fein flagenbeS 9Bort, fein Schrei,
fein Seufget beS ScbmetgeS entringt fich feinet gequälten 33ruft.
Selbft ber horte ©ott ber Sdjmiebe wirb non ÜJiitleib bewegt:
er jammert unb »erwünfebt feine jfunft, Stroft fpenbcnb rebet er
ben Prometheus an. Doch ber »erharrt in finfterem Schweigen; butcb
(301)
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feine SJfarter wirb fein 5£rofc gebeugt; felbft im ^ßdbften 2Bef)
miß et biefen toben ©eftalten feinen ©cbmerg nidft geigen; bet
©tolg in ibm beberrfdjt jebeS anbete ©efübl.
6t ft als er allein ift, btidjt wilb ber ©türm bet ©efüble
betoor. Slber baS ift fein weibifdjeS Sommern : nein, et ruft bie
ibn umgebenbe fRatur gut 3eugi« beS Unrechts an, baS er oom
©ötterfönige etbulben mufj. 3wat fie^t er ein, baff er baS
unoetmeiblicbe ©efdjicf nicht wenben fann, bafc er fidj in ©ebulb
fügen mu§, ba bie ©ewalt ber ÜRotb unbegwingbat ift; both
fcbweigen fann et nicht: muff et bod) biefe $ein bafur etbulben,
bafj er ben 9Renf<hen fo fteunblidj geholfen unb ihnen ba«
geben erft lebenSwertb gemalt ^at. ©o bewegt er fidj gwifcben
wilbem $£rof} gegen 3euS unb gebulbiger Rügung in baS ©efdjicf,
bem nicht gu entrinnen ift.
33a nabt fidj ihm bie ©cbaat bet Sfteereötßdjter. 9to<b
niemanb bat fein 8eib gefe^en; bet ©tolge, er fann e8 nic^t ertragen,
baff ifyn jemanb fo fcbntäblicb bulben fielet; er wünfcbt fidf in
ben tiefften StartaroS, auf ewig gefeffelt, nur baff fein ©ott,
fein SRenfch ihn erblicft unb feiner ©cfymadj fpottet. 3(18 aber
bie Dfeaniben tbränenben 3(uge8 ihn beflagen unb ooQ SRitleib
ihren Unwillen über be8 3e»S’ Ungerechtigfeit offen gu etfennen
geben, ba erwacht auch in Prometheus Stuft wieber ba8 alte ©efübl
be8 3otn8- ffurdjtbare SBotte fdjleubert er gegen ben ©ötterfönig:
„fRocb ^abe auch ich ihn, ben ^ö^eren, in meinet ©ewalt; einft
wirb er nodf meinet bebürfen. aber ich ratfye il)m nic^t ebet,
als bis er mich befreit unb für bie ©cbmacb, bie et mir an»
getfjan, reifliche ©ü^ne gegafylt bat." ©r ift fitb feiner ©bmadjt
auch einmal gang bewufft, unb bie gurdft ber SReermäbcben,
et möchte noch mehr be8 3«u8 unerbittlichen ©inn beleibigen
unb fo nie ein 6nbe feine« UnglücfS finben, fann ibn nicht
bewegen, feine SBorte gu milbern; im ©egentbeil, er fährt fort,
(SO»)
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15
ben 3eu8 gu befdjulbigen unb gu ptophegeien, einft würbe er fich
ihm noch weichhetgig unb reumütig geigen.
3a, als bie Dfeaniben ihn enblid) bitten, ben ©tunb feiner
©träfe gu ergäben, wirft er bem 3euS graujatne llnbanfbarfeit
not; ourd) ihn nur fei et ber ©ötter Äönig. 3118 er aber fort*
fahrt unb berietet, wie er ben QJienfcheu auf alle SBeife geholfen,
ba erfennen bie Sungfrauen bodj auch fein Unrecht, unb ihr
SERitleib beginnt gu wetten; Prometheus aber wirb gegen fieauchfalt,
unb im ^ödjften ©tolge ruft er auS: „9Rit $leif), mit gleifj ^ab’
id) gefehlt; ich leugn’ eS nicht." £Do<^ im ©efüfyl beS übet*
»ältigenben ©chmergeS fügt et Ijingu: „55odh foldje Dualen
Ijab’ id) nid}t nerbient." Unb im 33ebürfnifj frommer £h«ilnahme
ruft er bie fdjon forteilenben 3ungfrauen wieber herbei, fein
8eib gu oetnehmen unb mit ihm gu bulben. ©o gewinnt et
fie, bie eingigen SBefen in biefer furchtbaren ©inöbe, bie ihm
eine eble, hergliche Slheilnahme erweifen.
55odj fie bleiben nicht allein bei Prometheus; DfeanoS felber
fommt, um bem ©efeffelten feinen ©dhmerg gu geigen. 9tun glaubt
et aber wieber alles PlitleibS entbehren gu fönnen; jebem gleich*
geftellten ©otte gegenüber erwacht in ihm ber alte ©tolg, bie
felbftbewufcte, wenn auch unterliegenbe Äraft. SJiifjtrauifch glaubt
et in bem SReergott nur einen gleidjgiltigen, müfeigen 33efdhauer
feiner Dualen gu fehen, unb »erjdhmäht febe Fürbitte beim 3euS,
bie er ihm anbietet, biß fich beibe faft im 3otn wieber non
einanber trennen, unb DfeanoS ben Prometheus als einen unoer*
beff erlichen, trofcigen gretler nerlä§t.
2Run nerfinft Prometheus in Sträume, in benen er feinen
©dhmerg oerbeijjt unb fein 8eib in fich Mit; aus feinen brütenben
©ebanfen werft ihn erft ber theilnehmenbe ©efang ber Pläbdhen,
bie ihm unter Spänen milbe StrofteSworte fpenben unb jebem
©efühle ihres weichen $ergenS &uSbrurf leihen. 55a fann auch
(Jos)
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Prometheus fich nicht mehr halten; er will fte, bie einzig wah t mit ihm
leiben, nicht burdj neue SBorte übet baS Unrecht unb ben Unbanf
bet neuen ©öltet erzürnen, nein, gang will er fte füt fic^ ge*
»innen. Drum ergäbt er ihnen, waS et alles füt bie armen
«Sterblichen getrau. Der ©hot »irb gerührt unb bemitleibet ben
Prometheus con neuem. 3US et bann aber fortführt 311 erjagen, roieer
bie Plenfchen guerft bie ^jeilfunbe unb alle SSrten ber SUahtfage*
funft gelehrt, »ie er fte angeleitet höbe, ben ©öttern gu opfern
unb ihren SEBiQen gu erfotfchen, ja wie er ihnen auch ben Schofj
ber ©rbe geöffnet unb bamit alle ©olb* unb Silberfcpähe ge«
geben habe, ba begreifen bie 3uttgftauen, ba§ bet Unglücfliche
in feinet Plenfchenliebe gu »eit gegangen unb mahnen ihn, füt
fidj felbft gu forgen; nur fo würbe er feiner geffeln frei unb
einft nicht minbet gewaltig als 3eu8 felbft hetrfdjen. Doch ftatt,
ba§ Prometheus burdh biefePtahnung beruhigt wirb, erwacht nur in
ihm mit ber@rinnerung an feine Äraft baS Selbftgefüljl noch mehr,
©r beutet ein ©eheimnifc an, baS er beftfct: „Die 9ioth»enbigfeit,
bie non ben brei Pargen unb bem eingebenfen ©hot ber ffurien
regiert wirb, beftimmt jebem fein S00S, unb biefcm wirb auch
3euS nicht entgehen. Die frommen Ptäbchen aber, bie nur
einen ©lief in baS Seben ber ©ötter unb Ptenfchen gethan unb
trea*gehorfam ftetS beS 3euS Dbgewalt geetrt haben, erbtiefen
in beS Prometheus' SSiorten nur freoelhaften Uebermuth unb
unheiligen Sinn. So fingen fie betenb, fühnenb, trauernb, mahnenb
unb ftrafenb baS fchöne Uieb:
„Stimmet möge ßeuö, ber SMbehetrfcher, an meinem Sinne
feine Jt'raft erproben — 9Ro<h möge ich felbft je laffig fein mit
heiligen Opfern ben ©Ottern gu nahen, fromm an beS SBaterS
DfeanoS raftlofem Strom; SRimmer mir freute betSDRunb, baS
fei feft mir unb fcpwinbe nun unb nimmer! — Selig baS S00S,
wenn ich fHO — Dürfte fernhin leben bet freubigen Hoffnung,
(304)
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9Hein ©emüth gu »eiben in jenniger guft; SDod) fafct mid} ein
©rauen, »ie ich SDich fo in unausstehlichen Dualen etbrücft
mu| bulben feben, ©eil bu nach eignem fRath, ionber Burd)t
ddt 3eu§ bie SJienfdjen gu t^h etjrft , o Prometheus! — ©ie
Den Sieb nerlaffen ift beine Siebe? ©prich, »o finbeft 35u
Stettung? ©ei ben Äinbern ber (Srbe? 2>u faheft bamalS nie^t
bie Derfümmerte, blebe Dhnma$t, bie übet beT ©{erblichen
blinbeö ©eit^ledjt »ie ein 9lefe geworfen ! SRiemalS »irb oon
menfchlicbet Araft 3«u8 ewigem (Rathfchlufe Dergegtiffen! — 25a8
etfenn’ idj in beiner unenblidjen ©d^merienölaft, Prometheus!
©ie fo anberS erfchallt jefct bieS mein Sieb, als jenes, baS
herüber Den ©uret Jpodjgeit flang, ba SDu in ladjenber Suft, im
bräutlichen litten ©hmuc! freubig bie Bteubige ^eimfü!?rteft,
•fpefione, unjete ©<h»efter!" —
25ie $anblung ift hiermit auf bie Ijod^fte ©pijie geführt,
unb fpamtenb erwartet ber £6rer eine Söfung. ©ollen bie 3ung*
frauen, bießingigen, bei benen Prometheus wahreSPtitleibgefunben,
unb benen fid? fein £erg tre^ alles ©tolgeS offen erfhlcffen hat,
gehen unb ben Unglücflichen allein laffen? Das fönnen fie nicht.
Unb hoch bütfen fie, bie Brommen, bie bes 3eu6’ ©iOen unb
©efehle fo heilig halten, bei bem übermüthigen Breoler nicht auS«
harren, ©oll piometheuS auf ihren@efang etwas erwibern unb ftdb
gu rechtfertigen Derfuchen? DaS fann er nicht, ba bie Dfeaniben
fchon jefct in feine ©orte SDlifjtrauen fefien, unb er fie nur noch
mehr erbittern würbe. Unb boch mufe et fie gurücfbehalten: er
bebarf ber Uheilnahme, wie ftolg auch fein £erg ift unb fid)
felbft alles, Sroft unb 9iath unb ^>ü!fe, fein mochte, ©tolg
unb SDemuth, gottlidje Araft unb menfchlicheS ©ebürfen wechfeln
je$t mächtig unb ftürmenb in feinet ©ruft. C mcd)te bcch ein
gütiges ©efdjicf biefe 3®e«f*l loferr unb burd) bie 2hat ben
XIV. 320. 2 (SM)
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ÜReermäbdien geigen, bah fie feinem Unwürdigen ihr ©itleib
gejchenft Ijaben.
Äaum ift bet ©eiang oerflungen, faum fann bet 3ujcbauer
biefe Setradjtung anfteHen, jo fiürml unerwartet in wilber Haft
eine jehone, aber wunberlich entftedte 3ungftau auf bie ©eene.
6ß ift bie in eine Äuh oerwanbelte 3c, bie Jodetet beß atgioi*
fdjen itönigß Snadjoß. 3euß mar non ihrer Schönheit geblenbet
unb verfolgte bie SBißerftrebenbe mit feinet Siebe, biß bie Un*
gliicftidje burdj bie eiferjüehtige £ere in eine Jtuh cerwanbelt,
unb il)t bet taufenbäugige 2lrgoß alß ©achter beigegeben würbe.
SDen fjatte nun gwar 3eu8 burd) feinen SDiener Hermcß tobten
laffen, aber 3o felbft würbe in wtlbem ©ahnftnn butefj Sänber
unb 2Reere gettieben unb fonnte feine ?)tui)e finben. &uf ihren
Srrfahrten fommt fie eben jejät in bie unwirtliche (äinöbe beß
.ftaufajoß; alß fie bott ben gefeffelten $)tometheu0 etblidft, oermag
fie in ihrem ©rftaunen nur außgurufen: „©o bin id)? wo bin idb?
unb wer bift 3Du, bet in Beljenfeffeln com ©türm ber Cual
Umbraufte?" 2)a paeft fie wiebet ber wilbe ©ahnfiuu, in bem
fie bie entfejäüdhfteu Silber unb ihren furchtbaren ©achter fiebt.
unb betenb unb fludhenb flel)t fie: „©aß h“be id) gethan,
o 3e«ß» bah 3)u jo fürchterlich mich quälft? D Iah mid? com
i^euer oergehrt werben, Iah bie @rbe mich oerfchlingeu, gieb mich
ben Ungethümen beß üfteeteß gum §raj}; nur laf) mich nicht
leben! ©rhöre mich!" —
Sief ergriffen hat bet (5hot ber Dfeaniben ihr gugeljert
unb erfährt com si>rometheuß ihren 9tamen unb ihr ©chicfial. 3o
wunbert ficb über biefe Äenntnih, unb wenn fie auch auß
©chamgefühl bie Siebe bee 3euß nicht erwähnt, jo gefleht fie
hoch äu- bah Here’ß ©roll fie fo uneitblid) quäle, unb ihr ©atte
bieß Unrecht gejdjehen laffe. SDen jprometheuß aber bittet fie, fich iht
gu offenbaren, ihr ein Heilmittel gegen ihr Seib gu jagen uub
(30«)
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tl)t gu fünben, weldj’ neue Dualen fie nodj erwarten. 25a mu|
fPrometljeuä it)t gefteljen, ba§ aud) er auf 3eu8’ 39efef)l fo fdfmäfylidj
gefeffelt unb gepeinigt wirb, weigert iljt aber, um bei ben
Sungfrauen nic^t von neuem anguftofjen, unb weil er erft eben
feine gange SeibenSgefd^idjte ergäbt l)at, biefe gu wieberijolen.
2ludj will er, obgleich er bie ßufwnft flat »or^erfie^t, bet
unglücflicben 3o, um il)t gerfchlagencö Jperg ntcf}t uod) mehr gu
ängftigen, nid)t fagen, weld)’ lange Srrfaljtten il)t nod) beoor»
ftefyen; bod) ba fie immer auf’ 8 neue in ihn brängt, erflärt et
ftdj endlich bereit.
2)a8 |>erg ber Dfeaniben ift unterbeffen wahrhaft auf bie
Folter gefpannt : fte fehen bab UnglücFöweib nur ftc^ unb Fonnen
nicht begreifen, wa§ bie garte, fchone Sungfrau fo ©djlimmeß
»erbrochen, baff fie f o leiben muff. ©prad? Prometheus wahr, unb ift
wit!lid)3eu8 and) i^rSBerberber? ©o oereinigt benn Prometheus mit
iljrer SBitte bie feine unb forbert bie 3o auf, in bem ©tgählen
ihrer ©efchidjte unb in ben üfyränen bet t^eilne^menben ÜJtäbchen
felbft SEroft unb SBergeffen ihres SeibS 3U Jucken.
9tun beginnt 3o, bie SBeltcrfahrene, welche bie Suft unb
mehr noch ba$ Seib bet Siebe gefoftet, bie 33ilber ber ©rinne*
rung aufgurollen, wie 3euS fie liebgewonnen unb in nächtlichen
SEraumgeftalten mit leifen, locfenben SBorten fich in ihr ,£>erg ge*
ftohlen. „£> jfinb, tjabe er gu ihr gefprgdjen, weife beb höchften
^errfc^erö aller fDienfchen unb ©öttcr Siebe nicht guriicf; hinaus
Fomm’ in bie tiefe, ftille SBiefenau, bortljin, wo beS 33ater8 beerben
weiben, baf) oon feinet ©ehnfucpt beS ©otteS SSuge ruhen mag."
3)er gange Söerid^t ber 3ß wirft furchtbar ergreifenb auf baS
unbefangene, fromme ©emiith ber Dfeaniben. „SBehe, weht,
rufen fie aitS, entfefjlich! Jpätte id) boch nimmer geglaubt, baff
foldje meinen ©ebanfcn ftembe SReben nod) in mein Dfyr bringen
2 * <301)
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würben, ©leine Seele wirb falt; — o Sd}icf|al, Schief jal, id)
f^aubte tief gufammen beim' Slnblicf beS goofeS ber 3o!
Sehr ruhig erwiebert Prometheus : 25u flagft gu früh, fpare
IDeine Sfngft, bie SDu baS SBeitere erft eernemmen, unb ba bie
©täbdjen, bie fid} !aum ein größere» Ungtücf benfen fönnen, ihn
bitten, weiter gu berieten, ba and? bem Ungliuflidjen eS füfj fei
fein geib oorher gu wiffen, fo fängt et gu ihr gewenbet an, ben
erften Stfyeil ber abenteuerlichen 3rrfahrt gn jdjilbern, bie itjr nod?
beeorfteht; an bie ftaunenben ©täbdjeu aber richtet er bann bie
grage: „Scheint eu d} nun ber Äönig ber ©ötter ein ©eroalt*
fyerrfdjer gu fein?"
So fann nur in lauteS Klagen auSbtedjen: „3ft mir baS
geben nod) ©ewinn? SBarum ftürge id) mid) nid)t auf ber
Stelle »cm fteilften Reifen unb mad)e ein Grnbe meiner Dual?
Sterben ift ja beffer als täglid) neues geib." £)od) Prometheus
tröffet fie mit feiner Sage, iijm ift ja nid)t einmal bet Stob als
©rlöfung Pergönnt. „Sieh, fagt er, idj ^abe fein anbereö 3»el
meiner Dual, als beö 3euS Sturg non feinem 2^rone." Unb
fo ift er wiebei bei bem ©eheimnif) angelangt, baS fdjon oorher
bie Dfeaniben fo jeljt gu wiffen begehrten, baS er aber tief in
feinet S3ruft oerfdjliefjen gu muffen erflärt. 93iS gur geeigneten
3eit. 2>ie6 ©eljeimnif) ift fein eingiger £roft; baoon fprid)t er
brum aud) am liebfteu unb fei eS aud) nur in felbft geljeimuifj*
ttoÜen SB orten, ift eS bod) baS, waS ihm feine Äraft unb ge»
mifferma&en feine Ueberlegenheit fogar über ben Äßnig ber
Uranionen füllen läfct. „3«u§, fo fährt er fort, wirb fid) felbft
ftürgen burd) ^lanlofe 9lathfd)läge. @r wirb eine |>od)geit
fdjliefeen, bie er nod} oerwünfd)en foH, benu ber ©attin $inb
wirb mächtiger fein als ber äSater.“ 21 uf bie B*age ber 3o, ob
benn 3''uS biefem Unglürf nicht gu entgegen oermöge, entgegnet
^romet^euS: „©immer wirb er il}m entrinnen, nie eher als bis
(308,
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id) auS biefen ^effeltt gelöft bin. £iergu mu§ aber ein @pto&
con ©ir erfdjeinen; et wirb in ©einem ©efdj!ed)t bet bteigehute
fein." ©ie ffteugier bet So wirb burd) bicö Drafef fehr erregt;
fPrometheuS lä§t ihr aber nur bie SBahl, ob fie ein ?Dlehrere§
con biefem il)ren fpäten fRachfommen obet baS @nbe iljrct Srr*
fahrt gu hören wünfdje; läfjt fid) aber bod) fdjliefdkh burd) bie
Sitte ber fdjeinbar nun gang wiebergetoonnenen ©feaniben be*
ftimmen, beibeS git berieten. So aber roirb barauf oon mitbem
SBahnfinn ergriffen unb ftfirmt unter lautem 2üehgefdjrei con
bannen.
3lberma(6 finb $)romett)eu8 unb bie Sungfrauen allein,
©er S£itan fchweigt im ©efiil)l feineS S£riumptje8. 3lber fo fel)t
audj bie ©fearibcn baS ©efdjicf ber fdjulblofen 3o ergriffen
unb fo gern fie bem ©ulber ein Süort ber erneuerten S^eilna^me
unb ber ©Uligung feines 3orn3 gegen 3eu? fagen mosten, fo
wagen fie bod) nicht ben genfer ^immelö unb bet @rbe offen
eines Unrechts gu geiljen. ©er ©efang, ben fie anftimmen, enbet:
B©o$ wie beS 3e«S fRathfdilägm id) gu entrinnen cermag, fann
ich nicht faffen."
©a fann fPrometheuS nicht länger an fid) ha^en> enblid)
muffen bod) bie 5Räbd)en cotlfommen oon feiner Unfd)ulb unb
bem grecel ber ©ötter überzeugt fein; nur bie gurret fann fte
hinbern, fid? offen gu erfläven. ©rum miß er auch biefe lefcte
Surdjt noch bannen unb betont immer con neuem, wie aud)
3euS einft con feinem Jljrone geftürgt werben wirb, unb wie
nur er ihn retten fonne.
,,©u prophegeift unb fc^mä^ft ben 3eu3 ««9 Uebermutl) —
3<h rebe, u>aS ba tcirb gefc^e^eu, unb ich wünfth eS auch —
Unb herrfchen folt ein anbrer jemals übet 3«uS? —
SRoch härteres wirb als biefeS ihm ju bulben fein —
Unb ohne gurcht toagft ©u 3U fprechen folcheS SSBort? —
(309)
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3BaS foH tcf) fürsten, ein Unsterblicher wie? —
Sloch härtere Dual als biefe fchafft tieüeitfct er ©ir —
6r ntög ei t^un: auf alles bin ich jeßt gefaßt.
SSber auch jefct oermögen bie SDfeaniben gnrdjt cot bem
©ötterfönige nicht gu überwinben; fie ahnen einen noch heftigeren
nnb furchtbareren Äampf, bet gwifeben beiben auSbredfen wirb,
unb fönnen nicht entfeheiben, auf welche Seite fid? baS Siecht
neigt. 'ÄuS biefer Stimmung h^auS fpredjen fie baS fromme
SBort: ©et SBeife beugt ftd) oor ber 'Jbrafteia Piadjt b. h- »or
bet SJiadjt bet unentrinnbaren SiemeftS, ber ©öttin. bie alle
Spaten mit ©lücf lohnt ober mit Unglücf ftraft.
©e8 tief gefränften Prometheus 3om wallt aber jefjt auch
gegen bie Sungfrauen auf, unb bitter erwibert er ihrem weifen
Spruche bie SB orte:
„So bete benn unb frömmle; fniee ftets Bor bem,
©eS bie ©emalt ift; mir gilt 3euS fo eiet als nichts.
@r Walte, fchaffe, betriebe biefe furge 3eit
5Racb feiner 8uft; fein ^Regiment ift halb am 3 iol-
@inen wetteren SuSbrucp ber ©efühle hemmt bas plöfslidje
©rfepeinen beS ©ötterboten £erme8. ©amit beginnt ber le£te
8kt beS erfchütternben ©rauerfpiele:
3euß, ber bie Sieben beS Prometheus gehört, h°t ben
.fummelSboten entfanbt, um über jene räthfelpafte .fpoepgeit, bie
Prometheus anbeutete, SiäpereS gu erfu.iben. ©er 33ote tritt
gang mit bem feefen Stolge, bem Uebermuthe eines ©iencrS auf,
ber burch bie Sebeutfamfeit feines §mn gewöhnt, eigne £ulbi*
gungen gu empfangen, biefe uon jebem erwartet. Piit £opn unb
Schimpf ben Prometheus anrebenb, »erlaugt er, äugen bildlich unb
unumwunben folle ber ©itan, um ihm nicht hoppelte üJiüpe beS
SBegS gu oerurfaepen, erflären, burch welchen @hrbunb fiep 3eu8
etnft ben Untergang bereiten werbe, ©erabe fo ptahletifch unb
felbftoertraucnb, erwiebert Prometheus, rebeft ©u, wie man »on
(HO)
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23
einem SDienet bet ©ötter erwarten batf. SSud) jte, bie neuen
Siegenten, fyerrjdjen ia fo unoerftänbig, als foQte ihrem £immelS=
fdjlcffe nie trauet unb 8eib naben. Unb bod) habe idj fdjon
2 ,£>ertf<her non biefem Sfytone ftürgen feben; ben britten fdjneQften
unb ichimdflichften ftall werbe id) and) halb erleben. 35u aber
gebe nur benfelben 3Beg beim, ben £Du gefommen bift; ber
@ötter acht’ idb nicht, unb erfahren mhrft 25u non mir aud)
feinen 2)eut."
2luf folgen 2on war Doch £>ermeS, ber biö jefct nie einen
SBiberfurud) gegen 3euS’ Befehle weber oon einem ©otte nod)
non einem Sterblichen erfahren hotte, nicht gefaxt, »ielmehr hotte
er ben ©efeffelttn ganj gebeugt unb ju all unb jebem bereit ju
finben geglaubt. 2BaS nun beginnen? 3euS wifl unter allen
Umftanben jenes ©ebeimnih erfahren. .jpetmeS geht brum auS
ber Stolle beS übermütbigen IDienerS in bie beS gefdimeibigen
£ofmannS über. @r erinnert ben Prometheus fanft, wie gerabe
folcber Uebermuth, wte er ihn eben gezeigt, ihm biefe jammer»
Boüe üage oerfd)afft höbe. ÜJtit beS $ermeS ^erablaffung wädjft
aber nur baS Selbftgefüljl beS Titanen: „SBiffe, fpricht er, all’
mein 8eib möcht’ id) gegen 2)ein ©ieneramt nicht »ertaufcben;
liebet bem Reifen hier »iß id) bienen als beS 3euS getreuer
Bote fein. So übermütl)ig muh man bie Uebermütbigen be*
hanbeln. Unb futj, ich fag1 eS runb heraus : bie ©ötter alle
trifft mein £af), bie fd)änblicb mir für Söobltbat BöfeS tl)un."
J^ermeS fiebt ein, bah er mit feinet ÜJtilbe ebenfo wenig wie
mit feiner «gjärte auSrichtet, brum giebt er bem ©efpräcbe eine
neue SBenbung. 6r meint, Prometheus fei förderlich wie ge-
mütlich ftanf ; et müffe nor SWem noch 9Jlä§igung lernen. 2>od)
Prometheus: „hält’ ich j« mafeigen mich nod) n^t gelernt, wie
fdräch’ id) wohl mit S)ir, bem jtned)t?" 3a als £ermeS ihm
»orwirft, bah er ihn wie ein unmünbig Äinb oethöhne, bricht
(311)
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24
bet Jüan ungeftüm, alß wolle et bem 93eten ben 3Äunb »er*
fiegeln, in bie ©orte auß: „9ticßt für ein Äinb, um »ieleß un*
»erftanbiger nocß muß ich ©id) galten, wenn ©u micß außgu*
fotfdjen benfft. DReiu, feine SRartet giebt eß, feine Äunft, womit
micß 3«uß bewegen wirb, ißm biefeS funb gu tßun, beoor er mi<ß
»on btcfer Ueffeln ©cßmacß erlöft. ©rum mag et fdileubern
{eines feurigen 93lißeß Straßl, in weiten ©cßneeftutmß’Unge»
wittern, im ©onnerßaU ber unterirb’ftßen Siefe »erwirrenb mifdjeit
baß 2III. 9ticßtß bejfen wirb mich beugen, je gu fagen ißm, burcß
wen ibm feineß Äönigtbumß SBerluft brobt. 9ticßtfl nüßt ber
©ortftßwall; tauben Ob«« ^rcbtäft ©u. ©ieß laß ©it nimmer
träumen, baß i<ß mich »or 3euß’ ©efcblüffen bang in beüifler
Surcßt crniebrige, baß icß ibn anfießen foHte, ben IBerßaßteften,
bie ^)änbe weibifcß gum @ebete emporgeftrecft, auß biefen SJanben
mi<b gu löfen. Sßimmermeßr!"
3eßt bot ^ermeß alleß oerfudjt; umfonft! 9tun barf et
feinen ‘Änftanb nehmen, ben lebten Sßeil feineß SSuftragß, ber
für ben $aH beß ©tißlingenß beftimmt war, außgufübren. (5t
»erfünbet alfo mit allem ©cßeine falter SHuße bem ^rometßeuß
bie noch furchtbarere ©träfe, bie ibm be»orfteßt: „SJiit SBliß unb
©onnet wirb bet ^immltfc^c Äönig, beffen ©u fpotteft, ben
gelfen, an ben bu gefeffelt bift, fpalten unb bicß in bie unenb*
lidfften liefen fcßleubetn. jpier wirft ©u, »om ©unfel umgeben,
eine lange 3cit »erborgen liegen, ©ann wirft ©u wiebet an’ß
Siebt fteigen, unb ein gefräßiger, ftetß hungriger Slbler wirb baß
Bleifcß beineß Seibeß in ©tücfe reißen, jeben Sag auch ungelaben
fommenb unb an ©einem Seben geßtenb. ©olcße Dualen mußt
©u aber fo lange erbulben, biß ein @ott für ©icß büßen unb
ftatt ©einet in ben Sartaroß fteigen will. @laube mit aber
nur: bieß ift feine ©ießtung unb ^taßlerei; beß 3euß sJ0tunb
pflegt nichts (Siteleß gu reben. Ueberlege unb bebenfe: einft
Ol*)
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mödjteft Du wohl nicht Deine ©elbftübetbebung für beffer als
guten SRatfy galten."
Der ©bor bet 5Keermäbd)en, bcr bet ber ©djilberung fold)er
Dualen erfchtitft, ermähnt ben Prometheus, ben SBorteu beS
$ermeS ©ebör gu fcbenfen unb einen guten SRattj nimmer gu
neradjten. „§olg ibm; bem 5Bei)en bringt e8 ©cbanbe, wenn
er fehlt." SBenn aber je, fo ift Prometheus jefjt feft entfd)loffcn,
aHe8 übet fid? ergeben gu laffen. 3nt ^5d>ften ©folge entgegnet
er: ,,©o werbe benn nun aud) auf mid) gefd)leubert beS fdjnei*
benben Blihftrab'.S flamme, bie 8uft Bom Donnetgefrad) burd)»
toft unb bet ÜJtad)t milbgucfenber 23lif}e, unb bie Siefen ber
©rbe Bom ©runb aufwüblenb bet ©türm Unb bet Brau»
bungSfcbwaH bet mogenben ©ee, ©r tbütme ftdj t)od) gu bet bimm*
lifd?en Bal)n bet ©eftirne hinauf: unb gunt finftetn ©cblunbe
be8 SartaroS metb’ hinunter mein 2eib Bom ©trnbel gerafft ber
®d)icffal8mad}t; SRiemalS bod) fann et mid) tobten!"
©tbeben mit nicht, wenn mir biefe SBorte l}ören‘? Der
©bor tbut eS; bod) ^ermeö ergreift ein anbereS ©efübl. ©eine
©timmung wirb SButb unb fteigert fid) biö gur Baferei, ba ibm,
bem ©otte, alle ^Mäne gefdjeitert finb, ba et, ber Diener, bie
Befehle feines £errn nitbt bat erfüllen fönnen. 9lun forbert
et noch bie Dteaniben auf, oor bem SuSbrud) beS oernicbtenben
Unwetters fid) gu entfernen. Dod) fie oergeffen ihres ©efd)led)t8,
ibtet Schwäche; iefjt in ber böd)ften Botl) empfinben fteaud) mit
Prometheus baS bö^bfte, baS eingige Plitleib. „5öie fanuftDu
gu uneblet Sbai» entgegnen fie bem fermes, uns aufforbern?
9Jtit ihm, mit ihm will id) bulben, waS ba fommt. Den Bet-
rätet lernt id) baffen, unb Berratb Reifet bie peft, welche not
allen ich nerabfd)eue."
Prometheus, bet auS bem £immel ©eftofjene, bet oon ben
©öttetn ©eflobene batf fleh rühmen einen treuen 3eugen feiueS
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26
UnglüdS gefunben gu haben, meldjet felbft nicht SÄnftanb nimmt
an feinem Untergange theilgunehmcn. ©och Prometheus trium«
Beuö mufe fiegen unb fiegt and?. 9to<h einen Slugenblid
ichmebt ber gegüdte SMifj, fdjrocigt bet ^aöenbe ©onner; ba ver«
nehmen mir auS beS Prometheus Ptunbe felbft, mie ber 33oben
fchmanft, bie S3li^c gudeu, bie ©onner tollen, unb im milben
Aufruhr aller ©lemente Fimmel unb ©rbe bei feinem Sturze
erbeben. Slber fein 9Jtunb mirb noch nicht gefchloffen; laut ruft
er auS: „£) Plutter ©rbe, bu heilige; o Stettjer, beS allburch»
bringenben fcichteS 33orn, o feljt, melch’ bitter Unrecht idj et«
bulbe!"
©aS ift in furger @figge ber Inhalt ber un8 noch er«
haltenen Jragöbie ber 9lefchpleifchen Trilogie. 3m Slugenblide
freilich, mo mir biefe lebensvollen ©eftalten beS ©ichterS oor
unferen 2lugen hobeln fehen, liegt unS ja ber ©ebanfe fern,
feine Perfonen 3U abftraden Segriffen abflären gu moUen, fo
fern, bafe mir gang in Slnhören unb iSnfchaun vetfunfen ftnb.
©och mit fRecbt bemexft ©ropfeit gu feiner Ueberfefcung unferer
5£ragöbie: „2Bir muffen unb bitrfen von bet 33ebeutung jener
Sage unb ihrer Petfonen fprecben, ba bie erfte Biegung beS 33e»
mujjtjeinS in jebem SBolfe als ein factum fich geftaltet, baS von
©efdjlecht gu ©efchledjt überliefert bem gläubigen ©emüth bie
geheimnisvollen Anfänge alles geiftigen ScbenS offenbart. 3eber
ber heiligen fftamen medt ein beftimmteS 93itb, beftimmte ©e«
fühle unb eine ©rfenntnif}, bie unmittelbarer unb batum mächtiger
mirft alS bie OKetaptjpfif ihres BufammenhangS. ©rft menn
mit unS in biefen Äreiß unmittelbarer Slnfchauungen h*neingu»
benfen vermögen, metben mit baS SBerf beS ©ichterS nachem»
pfinben fönnen."
©ie ©eutungen aber ber Sage finb um fo verfdjicbener, je
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27
fühlbarer unb auffatlenber einem jeben auf ben erflen 33Iicf ber @on*
traft ju fein fcheint, in bem ber ©idjter fid) ju ber {Religion feineß
SBolfeß jeißt, ober aber bic grofje S3erfebrtijeit, bie in biefer 9ie®
ligion felbft liegt. 3ebem fdjeint 9>romctheuß baß aUerfdjreienbfte
Unrecht ju erbnlben. 5luf feiner ©eite erblicfen mit aUeß, maß
fd)ön, ebel nnb grofc, unjeter Siebe unb Söemunberung mertl) ift,
auf ber beö ©egnerß nur blinben {Reib fteinliche £errfchfucht,
beßpotifdjen ©igettfinn, eigen finnige ©cbmäcbe unb fchmache Un»
banfbarfeit, bie fid) biß jur ©raufamfeit fteigert. Unb fo
fchilbett, fragen mir, Slefchploß ben Äönig ber ©etter? 9Jtan h<*t
behaupten roollen, ber ©iebter h“be abfidjtlid) burdi biefe Slra*
gobie ber {Religion feines 33clfeß opponiren unb mie fpätere ^*1°’
fopben ben alten ©lauben an bie ©etter eTfdjüttern mollen.
©odi man bebenft nid) t, bafc bie Beilen bamalß uod) nid)t ba
maren, alß 2lcfd?v>loß bidjtete, unb »ergibt, meid)’ frommer ©id^ter
ber Saubßmann »en ©leufiß mar. ©i>tteßfurd)t mar ber £>bem
ieineß Sebeuß; 3euß ihm ber, meldet aQeß ©örtliche in ftd? net*
eint unb ber tiefften ©hrfurd)t unb Anbetung bet ÜDtenfdjen merth
ift. 5?on ihm fingt er:
„Beuß, ,f)err unb ©ott! ©ein Sßefen ju erfennen
3ft nufer ©eift ju ft^roat^ !
unfere Sippen alfo ©i<f> benennen,
SBie’ß ©ir geziemen mag!
Sßobin auch unfere Stugen bliefen,
ffiobin mir bie ©ebanten fcf)icfen,
9Bir finben ©eineßgleidjen nicht.
Söei ©ir allein, menn unf’re £er$en
©rliegen unter Sorg unb Schmerlen,
©teht unferer Hoffnung 3nuerfuht."
Unb an einer anberen ©teile betet er;
,,©u $err ber £errn, ©eligfter ©u bet ©eligen, Slüer ®c*
(JIS)
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28
Walt ©cwaltigfter, 3eu6 in feem Jpimmfl broben, ^6r unS,
o ethör’ unS gnäbig."
2lu8 bemfelben ©runbe ift aud) eine jweite Deutung ju
»erwcrfen, bie man bem ^efdjt>loö untergelegt hat. 'Wau fagt,
et habe in feiner Dragöbie nicht eine religiöfe, fonbern nur eine
fittlicbe Sienben3 oerfolgen wollen: er habe unS in Prometheus
baS eble 33etfpiel männlicher Staubbaftigfeit im ©rbulbcn eines
um>et)ä}u!beten, burd? tprannifdje SEßillfür auferlegten 2eiben8 b*“8e«
fteüt. Ober man gebt noch einen «Schritt weiter unb behauptet:
bet Broec! beS Aefchpleifcben DramaS ift baS Streben be§ Ptenfchen«
geifteS bargufteQen , ber ftcb feines eigenen SBiOenS bewußt ge*
worben ift, fi<b felbft fühlt unb über bie ©cbranfen beS @nb*
liehen unb ber Abhängigfeit non einem Roheren SBiQen h*Kau§*
greift, ber im Vewufjtfein feiner Freiheit ben SDiuth faf)t, ftcb
©ott gleid^uftellen , mit ihm 31t rechten, ja fid) gegen ihn $u
empören.
So oergleicht man benn ben Prometheus mit bem biblifdjen
j£>iob , mit SifpphoS ober bem ©oethe’fchen gauft. Das war
wohl unferem ©oethe erlaubt, bet bie ©eftalten beS 9Jiptl)oS $u
Spmbolen eines burdjauS mobernen VewnfctfeinS gemacht unb
in allegotijcber SSeife mit frembartigen ÜJlpthen oerfnüpft bat.
Doch gut Ausführung foldjer 3been hätte nie ein tragifcher
Dichter ber Hellenen wagen bütfen, ben 3eu8 ju oerwenben,
unb am allerwenigften hätte eS ber fromme AefdjploS gethan.
2Bir müffen, um bieS jutücfjumeifen, oor allem bebenfen,
baff, wie bie ^Religion ber ©riechen eine Äunftreligion, fo alle
ihre Äunft nur religiöfe jfunft war, b. h* fie *»at bie Vermittlerin,
burch welche bie Religion im Volfe belebt würbe unb auf @e>
mütf) unb ©efinnung beffelben einwirfte. Unb gerabe AefdjploS
war, wie febet acht tragifche Dichter, ein 8ehrer unb priefter
beS VolfS ; in ber Seit beS beginnenben 3weifel8 fuchte er gerabe
(jis)
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29
feie neuerliche [Religion, bie ba8 SBolf fo lange glücflich unb ftat!
gemacht, gu fluten unb bie SSiberfprüche gwifdjen göttlichem unb
menjdjlidjem ©efefc aufguflciren. konnte boch auch bei beu Hellenen
fein «Dichter ©eltung gewinnen, ber fidj etwa bloö burd) Talent,
9>t)antafie unb Äunftfertigfeit gur ^)oefie berufen fühlte; eG be»
burfte oielmehr neben einer inneren ©urchbilbung oon £erg unb
SUerftanb einer tiefen unb jumfaffenben Äenntuih aller gefcpicht»
liehen unb religiöfen Ueberliefcrung, einer flaren ©inficht in
göttliche unb menfchliche ÜDinge.
28ir muffen unS aljo nach einer anberen «Deutung umfehen.
«Da ift oor allem gu berücffidjtigen , bah ber Prometheus, roie
mit ihn eben fennen gelernt hoben, nur ein SSruchftucf ift. SBir
»erlaffen Prometheus, auf ben ^echften ©ipfel beS 3®iefpaltS
mit 3euö angelangt, unb wiffen nicht, ob unb wie bie Prophegei*
ungen einer ©tlöfung in ©rfüöung gehen werben. «Diefe @r*
löfung ober »ielmeljr Serföhnung beS Prometheus mit 3eu8
muh ber ©ichter noch bargeftellt hoben: eS gejchah im fog. ge«
löften ^rometheu®. Unb gwar muhte batin eine gange, oolle
unb wirtliche 2}erföhnung gegeben fein, b. h- eine fold)e, welche
auS ber Slnerfennung ber Sßahrljeit unb beö 0^ed)teS heroorgeht,
woburch bie frühere ©ntgmeiung in ihrem ©runbe, ber IBer«
fennung beS SBahren unb Siechten, aufgehoben unb greunbfchaft
an bie ©teile bet fteinbfcpaft gefegt wirb. SDenn ©egner »er*
föhnen fich nur bann wahrhaft, wenn fte feinen ©roU in bet
©eele mehr hegen unb einjehen, bah ber £aber, mit bem fte
fich anfeinbeten, eine Verirrung, ein Unrecht war.
«Der ©ötterftreit unb feine Söfung ift als bie eigentliche
Aufgabe für bie ©ompofttion unfereS iDichterS gu betrachten.
«Der ©age »on ber fucceffioen ©ntftehung ber Söeltorbnung,
bie wir »erhin anbeuteten, liegt aber eine 3bee gu ©runbe, bie
fi<h alS eine religiöfe auf baS äkrhaltnih beS fDienfcben gu einer
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30
höheren SBelt bezieht, unb ba ber mit 3eu8 fampfeube Prometheus
bet SBo^ltijäter beö PJenfchengefchlechtS ift, ba et um ber ÜRenfdjen
willen ftreitet unb leibet, wirb bicfe SBejiehung nur um io enger.
Snbem nun 9tef<hploS bie 3bee beS ÜRpthoS in feinem Sewufct«
fein fortbilbenb auSprägte, fonnte eS feine Slbfidjt nicht fein,
bie fRichtigfeit beS auf ftdj felbft gefrästen fDfenfchengefchlechtS
nachguwcifen, eben fo wenig aber bie ©cttheit bem fBtenfchen*
geifte gegenüber herabjufefien. «Seibeö mufcte oielmehr nermittelt
werben: ein 3wiefpalt ift burd? Schulb bei ber Parteien, bet
©ötter unb ber Pfenfcheu, gegeben, unb bie 8öfung biefeö 3wie*
fpaltS ift eben ber Sntjalt beS gelöften Prometheus.
3?aS frühere geben ber Pienfchen war ein niebereS, thierifcheS
5)afein, ohne Sntelligenj unb Sittlichfeit, webet non höheren
SBefen noch non eigener ©inficht geleitet, nur oom bumpfen,
bewufjtlofen Triebe beherrfcht. 35ieS ©efdjlecht will 3eu6 ner*
nichten; Prometheus rettet eS. ©r ift aber nicht gufrieben bamit,
eS nur gerettet ju haben; er geht in feinem SBiberftanbe gegen
3eu8 weiter, ©eine fSienfcheuliebe bleibt nicht bie rechte unb
mafjooHe; fie wirb ju einer einfeitigen 23egünftigung unb Öe*
fötbernng beffen, was baS weniger ©bie im ÜJieufchen ift ober,
wie wir eS auch auSbrücfen formen, beS bloS Stbifchen, beS ber
©ottljeit niiht befreunbeten, nicht burch grömmigfeit unb Siebe
an fie gefnüpften Plenfchen. Allerlei nortreffliche ©aben halte
Prometheus ben 9Jtenfdjen gegeben ; aber eS fehlte baS Sittliche,
unb bieS Sittliche ift eben ein SBetf ber ©ötter, baS Prometheus
nicht »erleiden fonnte. £Der prometheiiche Plenfch ift her ©ott*
heit entfrembet, unb fo ift Prometheus felbft ein 33ilb ber oon
ihm gebilbeten Ptenfchen: in Äampf unb 9toth auSharrenb, im
Selbftbewufctfein ftolg, in erfiuberifchem 35cnfen unermüblich,
raftloS üormäriSftrebeub ; aber auch 8U Unbefonnenheit unb bünfel«
haftet Ueberhebung geneigt; unb eS taugt boch nur einzig bie
(319)
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31
SSeiStjeit, Die oom 3euS ftammt, nur bie Älugljcit, He auf ©itt*
lic^feit beruht.
Öluf bet aubeten ©eite befifet boch aber bet ÜJtenich bie höchften
©eifleSgaben unb Anlagen gu aOem ,£)ohen uub ©ebenen; er
befifet auch baS, waS aufeer bem ©efüfele ber ©ottheit bag Jieffte
in ifem ift , freien Söiflen unb fRecfetSgefübl. 35ie 9latur aber
bet menfd)lid)en greifeeit aller, Vernunft unb ©ered)tigfeit waren
ber alten fRaturreligion unb ben Titanen gang fremb, unb 3euS
erfdjeint ung eben, nadhbem er bie .perrfcfeaft gewonnen, noch
gang auf bet «Stufe bet biofeen [Raturgottfeeit, wie bie alten
©ötter, bie er »om Üfyrone »erbrangt ^at; er ift eine SDlacfet,
mit ber ber ÜRenfd), wenn er gum ©elbftbewufetfein fommt; notb»
wenbig in ©onflict gerätsen mufe. ©eine ^errf^aft ift noch
eine »oüfommene üpranniS, in ber [Riemanb frei ift> alg er
l'elbft, eine £ertf<baft ofene öerantwortlicbfeit , nur täügewalt
übenb. Prometheus aber ift ber ©ofen bet 3:ijemi§, bet ©öttin
ber ©erecfetigfeit, unb iomit alö bie JRecfetSorbnung ber ©cwalt
gegenübergeftellt, unb biefe fRecfetSorbnung forberte einem 35e8po*
tiSmuS gegenüber, bafe nicht nur ungerechte uub leiben*
fcbaftlicfee Jpanblungen, wie bie §effelung be8 Prometheus,
eingeln ober feiten »orfommen, fonbetn bafe überhaupt feine
möglich fei ober bet ©runbfafe bcö fRecfetS febet iHuSnahme
entgegenftehe.
35iefer ßonflict, ber in unfere Slragöbie fid^tbar IjerDortritt,
wirb im gelöften Prometheus ausgeglichen. 3euÖ weife Teilung
für ÖiUeö : er lenft beS ÜRenfdjen ©eele gur äkfonnenfeeit unb
läfet ifem bie geiben gur gehre werben; er felbft erfennt aber
auch, bafe Freiheit in bie SBeltorbnung übertragen werben, unb
Dafe fein [Regiment fein ungerechtes begpotifdfeeS fein mufe. SBollte
er länger in feiner beSpotifcben ©ewalt trofeen, fo erfolgt ber
»on Prometheus propfeegeite ©turg. 2lber auch Prometheus ift
(31»)
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32
jeneß uranfänglidjen, non ber gefitteten ÜJtenjdjfyeit überwunbenen
.jjabetß mfibe. @r wirb befreit burd) .^erafleß, jenen größten
^>ercS ber ©rieten, jenen ©ettmenfdjen »cü grofjer üfyaten unb
nod) größerer Reiben , ber frei ift burd) feinen brüdenben ®e*
borfam, burd) freiwillige Änedt)tfd)aft fdjulbtein. 3n iljm tritt
ben ÜJtenfdjen bie Slnfdjauung ber gottbefreunbeten unb eben
beßljalb wafyrfyaft freien unb ftarfen 3Jienfd)l)eit »or bie Stugen;
als ©otterfcljn aber trug et jene Äraft in fidj, bie gu allem
©bien unb £ol)en netljig, ba ber Sölenfd) otyne göttliche ^>ilfe
nidljtS oellbriugen fann; er ift ber 13. ©prof) auö bcm @efd)led)te
ber 3o. 2?ic Urwelt ift gang nun abgetan; eine neue SEöelt*
orbnung tritt ins geben, $)rometl)euß, ber fluge ©ol)n bet ge*
redjten Sttjemiß, weilt alß 33eratfyer im Steife ber ©öfter ewig
bem gur ©eite, unb ftatt beß ©ofyneß, ber bem 3«uß gum
Iterberben gewejen, gebirt SEtjetiß ben l)etrlid)en ^eliben.Sldjifleuß,
baß unfterblidje S3orbilb »on ^»ellaß.
©o ber ORptljoö, wie ©ropfen feine furge 23etrad)tung
f djliefjt; feine proptyetifcbe SBaljrbeit reid)t weiter, als bem 93e*
wuf)tjein beß 35id)terß felbft offenbar ift. ©olcpe 9>ropt)egeiungen
eineß SBolfß befunben ein ©efül)l beß inneren Sebürfniffeß unb
üBerlangenß, baß, weil eß ba ift, befriebigt werben mu§. Unb
alß baß tyeflenifcfye geben fid) allfiegenb unb freubetaumelnb übet
bie gänber beß JDrientß außgebreitet, fid) mit bet SBeißljeit
Slegpptenß unb ben SBunbern 3nbieuß, mit 3el)ot>al)bienft unb
9Jiitraßmpfterien oermiid)t tyatte, alß übet bem neuen, gätjrenben
©Ijaoß >Jtad)t unb ©rabeßftiÖe angftooll lagerte, ba ging ein
tjeüer ©tern im ÜJtorgenlanbe auf unb leuchtete über ber Ätippe,
unb eß- jaud)gten bie bimmlifdjen .fjeetjdjaaren.
(WO)
Trutf een ©ebr. Unger (ib- ©rimni) in Qtrlin, © J.'önebfrgeiftra£< 17 a.
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l(daj W jlnfgalnj
bet
@in int geograpfjifdjen herein gu faanffnrt a/9Ä. im
Dctober 1878 gehaltener SSortrag
»pn
(t. Semper.
«erlin SW. 1S79.
38 erlag »cn (Sari £ a b e l.
(C. i S. I'nbtrit)'s4i! 5uiQgsbnitiljonbliing.)
33. »Strafe 33.
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5S)aö 9ied)t ber Ueberfefeung in irembe Sprachen roirb bprbeönlttn.
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;£)er mitunter gehörte 9tußfprud), eß fei bie ©efcbichtß*
fotfd)ung bot^ eigentlich nur eine 5Ra turiuiff enf dja ft , hat ebenfo
oft fehr euergifchen SBtberfpruch erfahren. 3<b »iß hie* nicht
unterfuchen, ob mit 9ted)t; wohl aber bin ich geneigt, biefen
©afe gerabeju umgufehren unb auf einen Stljeil unterer mobernen
sRaturwiffenfdhaft, nämlich auf bie fogenanute 9iaturgefchicbte
an$uwenben. @djon bieö SBort felbft beutet bie Dichtung meiner
©ebanfen an: foll ein einzelner 3®etg ber 9taturgefchichte SBiffen*
jehaft werben, fo muh er ©efchichte unb jtnar ©efdjichte im
wahren, beften Sinne beß SBorteß jein.
ÜJtan macht freilich oft genug ber 3oologie wie ber SSotanif
ben Seewurf ober einen Sorwutf bavauß, bah fi< eben ©e*
fchichte fei unb fomit auch nicht SSBiffenfdjaft im ©inne bet
SKathemati! etwa ober ber 9>hpfif. 3)iejenigen, welche ihn er»
heben, bebenfen nur ©ineß nicht: bah eß fein ben gorfcher
trejfenber Sotwurf ift, wenn ihm bie ^Begrenztheit beß ©egen*
ftanbeß feiner gotfehung ober bie geringe ©umme febon ftcher*
gefteflter Sehtfä^e Borgehalten wirb. 5)enn bie SEBiffenfc^aft Ber*
änbert ihren (Sharafter in feiner SÖeije proportional mit ber
©umme ber non il)t fchon erfannten ©efe^e; wefentlich ift für
fte eben nur, bah in ih* baß ©treben nach ©rfenntnih jur Boden
Setljätigung fomme. üDieß aber gefchieht unb fann gefchehen
in ber ©efchichte fo gut, wie in ber 9>hbfif: bie 3eiten ftttb
längft norüber, ba ftcb unfere moberne ©efcbicbtßlehre noch nicht
XIV. 322. ' 1 * (328)
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4
erweitert hatte gu einer ©efchichtewiffenfchaft baburch, bah bie
@efchicht§forfchung in ber geitlidjen 33erfnüpfung gefcbidjtlicher
ifyatfadjen einen ©aufalgufammenhang aufgufinben eerfudjte unb
nachguweifen »ermochte. SDaS aber ift ja gerabe baS Sßefen
wirflich wiffenfchaftlicher ftorfdjung, bah eine beftimmte enblidje
@rfcheinung auf bie beftänbig wirffamen Urfachen, meld>e jene
perüorriefen, mit 3mang gurftcfgeführt wirb.
2BiH man alfo ber heutigen 9iaturgefchichte einen 2$otwurf
barauS machen, baff fie ©efcbichte fei, fo wäre er bod) nur bann
ein foldjer, wenn jene in bem »eralteten Sinne ber früheren
©efchidjte rein djronologifch georbneter S£l?atfad?eu beljanbelt
würbe; unb eS läfst fi<h aQerbingS nicht läugnen, bah eS nod)
nicht gar lange her ift, ba Soologie wie 33otanif biejen Jabel
mehr ober weniger oerbienten. Sluffpeicherung non Seobachtun«
gen ohne Sßerftänbnih betfelben gu fuchen war lange 3eit bie
f)arole für beibe. Slber eS fann auch mit ooUftem Otechte ge*
fagt werben, bah mit unb burch üDatwin biefe JRegiftratur un*
begriffener unb fdjeinbar unbegreiflicher Jljatfachen fid) baS ehrenbe
3eiwort rafch erobert hat, eine ed)t wiffenichaftliche üftaturge*
idjid)te gu fein. 2)enn baS SBefen ihrer ^orfchung befteht jefjt
unb gang auSfdjliehlich barin, bie beobachteten Jhatjadjen nicht
bloß ergählenb aneinanbergureihen, fonbern auch gu etflären, b. b-
Urfachen ihres üDafeinS aufgufuchen unb bie ©efe^e ber SBirfung
biefer bebingenben Urfachen feftgufteflen. So betrachtet bie
Soologie bie Summe aller Jhierformen als etwas (beworbenes
itnb fie bemüht fid) bieS ©emorbene begreifen gu lehren. SERan
fann barüber ftreiten, ob eS wirflich burd) bie ^Darwin’fdje
Jheorie fdjon gelungen fei, eine fidlere unb für bie 5ftehrgahl
Der ftäUe genügenbe (Srflärung gu geben; baS aber fann feineS*
falls beftritten werben, bah fie allein eS gewefen ift, welche bie
ftreng wiffenfchaftliche Aufgabe ber 3oologic bahin formulirt
hat: 35ie ©ntftehung ber uneublid) oielgeftalteten formen ber
(324)
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5
5£t>iere auf bebingenbe Utfachen, bie naturnothwenbig witfen
mufften, gutücfguführen.
Unb in biefem ©inne ift bie 3oologie eine ©efchichtßroiffeu*
fdjaft, ba fie oerjucht burd) geflftellung beß gefchichtlichen Serbenß
ber jefct lebenben 2hietfortnen bie Utfad)en aufgubecfen, welche
biefe allmählich unb nothwenbig werben liefen. 35aß ©pftem bet
3ooIogie ift nut bet mehr ober minbet gelungene ISußbrucf für
unjere .Renntnifj unb unfer Verftänbniff , bie mit non biefem
Serben gewonnen haben unb jo mit JRedjt eigentlich ein ®e=
jchichtßfhftem.
Saß aber für bag gange ©ebiet einer burch iljren 3nt)alt
in fid) abgefchloffenen Siffenjchaft gilt, mu§ nothwenbig auch
Geltung haben für einzelne SEtjeÜe betfelben.
@0 giebt nun aber einen iflbfehuitt unferer 3oologie, welcher
fich in ber Slljat big in bie nenefte Seit ^inetn biefer gorberung
wifjenjchaftlich, b. h- gefd)id)tlich gu nerfahren, faft ooQftänbig
entgogen l)at: eß ift bie $htetgeographie. Sie hat bißher ale ihre
üornehmfte ober gar alß ihre eingigfte Slufgabe bie angefehen,
bie Ehatiathen, wie fie bet jefcige Verbreitungßguftaub bet leben»
ben ÜEhiere bietet, aufgufuchen unb gu fchilbetn. Senn fie babei
gu fogenannten ©ejefjen ber Shictnerbreitung fam, fo enthielten
biefe faft außnahmßlog nichts aubeTeg, alg wiUfürlich in größere
©tuppen gufammeugefa&te ©ingelheiten fold?ec Shatfachen bet
Verbreitung. Von einem auggebilbeten Vetflänbnif} betfelben ift
feine ©put gu ftuben unb nur äufjetfl feiten ftnb bie Verfuche,
ein folcheß gu gewinnen.
SDiefet Slußfpruch möchte nielleicht fDiandjem alg gu tjart
erfcheinen. 3u feinet fKechtferiigung wiD ich furg auf bae
neuefte Seif übet Shietgeographie hinweifen: bag Vuch »on
Sallace. @ß ift meineg Siffeng biefeg Serf bag erfte,
weldicg fich Hat bie Aufgabe fteüt, ben im Stugenblicf herrfchen»
ben 3«ftanb in ber Verbreitung bet Shiete auf frühere gurücf*
guführen unb bie Urfachen aufgnbecfen, welche aug feuern älteren
(»»>
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6
Baftanb ben jefcigen jüngeren mit fftotbmenbigfeit l^ettorge^en
liehen. Stber obgleich SBallace mit gemobnter Klarheit biefe
Aufgabe feinem Suche »oranfteüt, fo trägt er in ber praftifdjen
üDurchfübtung feines ©ebanfenS bod? mieber ber alten SJtobe fo
ftarf [Rechnung, baff bie Kapitel, meiere nach ber alten unb
fchledjten 5Retbobe rein e^ronologifc^er Slneinanberteibung bie
@rbe in beftimmte Sbiercegionen unb bie Slbietwelt in geogra»
pl)ifdje Kategorien tbeilen, meitauS ben größten Slbfcbnitt beS
SucheS einnebmen, mäbrenb biejenigen, melcbe unS einen ©in*
blitf in bie ©efdjichte beö ©ntftebenS biefer [Regionen geftatten,
faum ben achten Sb*ü beS ©angen auSmachen.1) Slber i<b bin
weit bauon entfernt, in biefe SBorte einen Sabel für SBallace
legen gu moOen; benn i<b bin überzeugt, bah er fo meitgebenbe
3«rüdfbaltung nicht geübt haben mürbe, menn ibm nicht burcb
bie Umftänbe eine foldje auferlegt morben märe.
9Jtan mirb aber fragen, marum benn mit [Recht eine foldje
Burücfbaltung geübt mürbe, ba man boch längft erfannt, baf$ fie
miffenfcbaftlicb nicht ftattbaft fei? SDie Slntmort ift nicht ferner
ju geben.
@be eS möglich ift, bie Urfachen einer ©rfdjeinung gu er*
forfchen, muh man biefe felbft grünblich fennen. SBir fonnten
unS feine Sbcorie oom SBefen beS Siebtes bilben, fo lange mir
baS Sicht in feinen Derjdjiebenen ©rfdjeinungen nicht ober nur
ungenügeub etforfdjt batten. SBenn eS gilt, mie in bet Sb*e*‘
grograpbie, bie @eie|e feftgufteUen , meldje bie ©ntftebung ber,
ber 3«t nach aufeinauberfolgenben formen geregelt haben, fo
müffen mir gunächft hoch biefe Slufeinanbetfolge felbft erft richtig
erfannt haben. Unb obgleich nun ein 3®eig unfeTer Boologie
als Paläontologie fchon fett langer 3eit neben jener ein*
bergebt, bat er unS bod) im ©runbe noch immer feine ©efchichte
ber Sbieemelt in bem oben begegneten ©inne geliefert. SBir
erfahren groar burch bie ÜBerfteinerungSfunbe, bah in ber Kohlen*
petiobe biefe Sbi«e. in ber Kreibe jene anberen gelebt haben;
<*M)
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reit lernen non ihr, ba& bie SDintenfifclje im 3ura bie grßftte
9Rannigfaltigfeit ihrer formen aufweiien ober ba|j einzelne jefct
lebenbe Styietformen, wie bie ©laSfchwämme, bie ©ntenmufdjeln
unter ben Srachiopoben , in wefentlich gleicher ©eftalt fdjon gu
ben älteften 3e*ten ber öilbung unfetet ©rbrinbe ejriftirten.
3lber wir erfahren nicht, wie fo bie eine biefer früheren gaunen
als anfangöguftanb ober gleichfam alö ©rnbrpo einer jäteten
augefptochen werben fßnnte. 3Sir erhalten nur bie chronologifche
aufgählung bet nerf^iebenen Raunen, welche überhaupt einmal
auf bem ©tbboben ejrtftirt haben, ohne bafs wir einfefyen lernten,
ob unb warum bie eine bie golge bet anberen früheren fein
muffte.*)
S)ie Urfadjen, welche biefem unbeftiebigenben 3uftanb gu
©tunbe liegen, fiub mannigfaltig genug unb eine aufgählung
bet widjtigften wirb unö bagu oerfyelfen, bie ber mobetnen J^ier*
geographie geftetlten Aufgaben gu formuliren unb bamit bem
eigentlichen ©egenftanb unfern Uuterfuchung nahe gu treten.
3n erfter ginie ift h^borguheben, ba| unfere Äenntnifj oou
ber ©efd^i^te ber St^icrtoelt, fo wie fie fi<h wirflich abgefpielt
hat, immer fehr lüefenhaft bleiben muh; benn bie bei weitem
größte 3al)l früheren 2hiere ift fputlofl oerfchwunben. ©nnft
ber Umftäube wirb wohl in eingelneu fallen ein reiches fföaterial
unb mitunter felbft ein gang ooKftänbigeS bet gorfchung an bie
£anb geben, wie bieS beifpielöweife jefct in amerifa gefchehen
ift. £Die SDRenge bet in ben lefeten 3ah«n au8 ben ©üffwaffer*
fchichten bet gelfengebitge gu Sage gefßrberten gönnen ift
grabegu überwältigenb unb ihre aJiannigfaltigfeit erftaunlich im
hochften ©rabe; Shietgruppen, wie g. 33. 33ßgel unb SReptilien,
ober gifche unb amphtbien, ja felbft ©äugethtere unb fReptilien
werben bur<h neu entbeefte 3wifchenformen in fo überrafchenber
SBeife mit einanber oerbunben, bah feber IDarwinianer feine
fühnften Hoffnungen weit übertroffen fieht. SBaä aber biefen
SRefultatew ber amerifanifchen gorfcher, wie ÜRarfh, Seibp unb
(l*7>
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8
©ope, fo gang befonberen äßerth »erteilt, tft weniger biefer {Reif*
furn an neuen unb intereffanten ärten, als ntelmeljr bie butf
fie ermßglif te 5)arfteQung ber ©ntwicfelung einzelner ©ruppen.
SDaS befanntefte 93eifpiel, non bem jebet gewiß ff on gehört
haben wirb, ift bet burf !9Rarfh gelieferte {RafweiS, „baß
bie tertiären ^fetbe Slmerifa’S in gang lüdfenlofer {Reihe aller
benfbaren UebergangSftufen ^inüberfu^ren gu öiefufigen pfetbe*
artigen gieren unb gweitenS, waS faft nof wiftiger ift, baß
alle biefe »erff iebenen ©tufen bet §)ferbe mit einem, bann mit
anberfalb, mit gwei, gwei unb einhalb, breieinhalb, oiet Jpufen
in ber tyier gegebenen {Reihenfolge ff if tenweife unb regelmäßig
übereinanberliegen, wie eS ber galt fein mußte, wenn fif burf
aßmäßlidje {Rebuction eines nielßufigen gußeS langfam unb ohne
©prung ein ehfufiget gebilbet haben füllte. SDlanferlei aua*
tomiff e $hatfaf en beuteten bereits auf eine folf e ©ntwicfelung
beS $>ferbehufS auS bem §uße eines mefufigen SfiereS ßin;
eine glängenbere Seftätigung ber {Riftigfeit biefer feoretiff
gewonnenen Uebergeugung fonnte in ber 2ßat gar nif t gegeben
werben, als bieS burf ÜRatfh’S ©ntbecfungen gef f ah- 3f
barf auf wohl, ohne inbiScret gu fein, hiwjufügen, baß if nach
breitägiger SOtufterung ber überreifen ©ammlungen biefeS eifrigen
unb äußerft gewiffenhafteu §orff erS bie Uebergeugung gewonnen
habe, baß biefem einen SSeifpiel feßr balb nof anbete unb »ieW
leift nof weit wichtigere folgen werben. SBenn irgenbwo bet
wie mir ff eint etwas übermäßig ftrengen gorberung, eS müßten
alle oon ber tljeoretiff en Soologie poftulirten UebergangSformen
erft wirflif gefunben werben, ehe man fie gu beachten brauchte,
in ber 2ßat einmal in auffälligem unb ben ©egnern bet 25atwin*
ff en £heorie ben 23oben entgießenben SBeife genügt werben foU,
fo wirb bieS guerft unb oieHeif t überhaupt in großartigem 3Raß*
ftabe nur iu 'imerifa gef f eben.*)
SÄbet troßbem muß baS liefen bet uerfteinerten ©effiftS*
(3*8)
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utfunben immer ©tütfmerf bleiben; benn bie SOlehrgaljl aller
J^iere unb mahrfSeittliS gerabe bie mistigeren maren überhaupt,
ba fte harter Steile in ihrem Äörper entbehrten, gar nid}t »er«
fteinerungbfähig. Sie fönnen baher auS nie gefunben roerben.
2) er einen gotberung alfo, bie an bie £htctüeoäraVhte hetantritt,
fann, mie mir feiert, nur in fefyr ungenügenbem fölafje entfproSen
metben; mie bebeutungöooll aber bieje unb butS bie 9fatur felbft
auferlegte $3efStänfung ift mirb am beften burS bie (Erörterung
etneß Sßeijpieleb gegeigt metben fönnen.
2Jfan ftreitet fid> jefct DielfaS unb mit ungemöhnliSet SBärme
um bie grage, mo bie ©inbeglieber gmifSen ben fÖtenfSen unb
ben näSftnermanbten äBirbelthieren gu fttc^en feien unb eb fc^eint
faft, alb ob man häufig Per Meinung fei, in bicfer grage märe
ein ©cfftein beb IDarminiömuS getroffen. £\jne nun bie Sßidjtig»
feit betfelben leugnen gu mollen, bie fie aber mol)l ^viuptfäc^lid?
beShalb für unb hat, meil mir unb mit allen unferen ©SwäSen
butS fte rauh berührt fühlen, mufj iS boS behaupten, baf) es
3ol)lteiSe anbete gragen auf bem ©ebiete ber 3oologie giebt,
roelSe für bie (Sntmicfelung unferer miffenfSaftliSen SlnfSauungen
meit mistiger finb; nur treten mir fDleufSen bei ihrer 3)iSfujfion
aQetbingb ein menig in ben #intergrunb. ©o ift beifpiclsmeife
bie grage itadj ben SBermanbtfSaftbbegiehungen ber SBirbelthiete
unb ber mirbeflofen oiel bebeutungSoofler, meil bie bisher gmifSen
beiben ©ruppen beftanbene Äluft gang unnergleiSliS »tel »eitet
ift, alb bie gmifSen ÜJienfS unb älffen ober anbeten ©äuge»
Steren .jpier aber läjjt unb ber rein gefSiStliSe 3»eig unferer
Boologie gang im ©tiS; wir bürfen niSt ermatten, jemals bie
nerfteinerten üßorfahreu ber SBirbeithiere mit ©iSerheit aufgu»
finben, inbem mir in ben ©SiSten bet (Erbe mühlen; eine
3) emonftrirung berfelben ift einfaS unmögliS-
2)ie ©Swierigfeit ober theilmeife UnmogliSfeit bet «per*
fteQung beb thiergefSiStliSen UrfunbettbuSeb legt bähet ber
(3*9)
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Übiergeogtapbie eine Sefdjränfung auf, ber fie nie gang wirb
-Sperr »erben fßnnen ; aber mit um fo größerem fRadjbrud oerlangt
fie baljer aber auch, bafj bie Paläontologie fid) beftrebe jenes Ur*
funbenbu<b jo oollftänbig als möglid) gu machen, bamit bie auf
anberen nnb etwas fdjwietigeren SBegen ber §orj<bung gewonnenen
©rgebniffe burd? bie bereits oßKig gelefenen -Kapitel jenes Sucres
in ftrengfter SBeife geprüft werben fönnten.
©efe^t aber, eS wäre mßglid), waS eS inbeffen nicht ift,
burdj 9lufwüblen aller @rbf<bicbten eine gang genaue Slufgäljlung
aller einfcblägigen SUjatfadjen gu gewinnen unb alfo baS paläon*
tologifdje 33ud} abfolut oollftänbig gu machen: fo würben wir
borf) immer noch febt leidet einem Srrtbum beim^efen beffelben
anSgefejjt fein.
2)iefer 3rrtbum beftänbe batin, baff man oieOeitbt glauben
mochte, jebe gauna einer liegenben ©rbfdjidjt fei ohne
weiteres, bloS weil fie einer anberen überlagere, als eine SBeiter*
entwicfelung ber gunädjft unter ipr liegenben aufgufaffen. ©ie
fönnte bieS fein, brauchte eS aber nicht. (Sin parabojreS Sei*
fpiel wirb bieö beutlidj machen. ©efetjt, man hätte in ber obe*
ren @<^ic^te eines 2anbe8 ©äugetbiere neben Sögeln, Reptilien
unb gifepen gefnnben, wäbrenb jene erften in bet gunäcbft bar*
unter liegenben fehlten: fo würbe bie j$rage ftcb auf werfen, ob
jene ©äuger auS einer ber brei anbeten £biergruppen b^001*
gegangen feien ober auS gweien ober allen breien gleicpgeitig; eS
entftünbe ferner auch bie §tage, ob fie nicht etwa iSnfömmlinge
auS einer anbern (Region feien, fobaf) jene jüngere $auna ein
9Kif<bling8probuct, aber burcbauS feine regelmäßige SBeiterbilbung
ber älteren gauna beffelben SanbeS wäre. SDie ©ntfdjeibung
übet biefe fragen wäre nie oon ber Paläontologie gu geben,
man wäre oielmebr genötigt, fi<b an bie ibeoretifebe ßootoäie
gu wenben, um oon ihr SluSfunft barübet gu erhalten, auS wel»
(bet ber brei ©ruppen ber $ijcbe, (Reptilien ober Sögel bie
(*30)
L
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Säuget entftetjen formten. 25ie 9lbftammung bet ©äugethiere
Bon ben gifdjen würbe hödjft wahrfdjeinlid) entfliehen nerneiut
werben: für bie Bon ben 33ßgeln f^ätte ftd? wo^l bie fERehrgahl
ber gorfcber nodj Bor Äußern entfliehen, wähtenb jefct bie ?ln»
fi<ht fid? ein gewiffeS Siecht gu erwerben beginnt, welche in ben
^Reptilien bie gemeinjamen Vorfahren ber ©äuget unb ber
SSögel erblicft. @benfo würbe nur bie fpftematifdje 3oelogie im
©taube fein, bie in ber oberen ©djidjt.gefunbenen Säugetiere
als ftembe ©inbringlinge oon aufcen h®r 311 etfennen, inbem fie
geigte, bafj biefe nach ihren fpftematijchen ©haraftereu gar nicht
non ben unter il)neu liegeuben ^Reptilien batten heroorgehen fßnnen.
5SuS btefem abfidjtlic^ etwas fdjroff gewählten SBeifptel geht
heroor, bafj wir felbft im günftigften gaOe, Wfnn nämlich baS
paläontologifche Urfunbenbuch BoHfommen wäre, bod) immer bie
j^ftematifdje 3oo!ogie gu IRathe gu giehen hatten, um über bie
genetijcben 33egiehungen bet aufeinanberfolgenben gaunen oöllig
flar gu werben: eine gotberung, welche oon ber neueften fPaläon*
tologie im ooUften 5Raafje anerfanut wirb. 3lbet eS muff babei
hoch auch wieber horoorgehoben werben, baf) unfere ©pftematif
weit baoon entfernt ift, ben hohen ®rab oon inbuctioer Sicher«
heit gu beftfcen, ben fie haben müfete, wenn fie ohne Ä'ritif als
untrügliche Stichtfchnur feilte benufct werben fßnnen. 3n biefet
S?cgiehung ift baß Borbin fo lobenb erwähnte 58ud? »on SSatlace
fehr weit hinter ben gorberungen ber 3«it gurücfgeblieben, benn
eS bafirt Biele feiner golgerungen auf fpftematifd^e 9tnfd)auungen,
welche oon ben 3oologen als noch controoerS behanbelt werben,
ober, wie g. 58. bei ben ganbfchnerfen auf ©tjfteme, bie längft
burch neuere Unterfuchungen als oßUig falfd) nachgeAiefen wor«
ben fttib.
GrS fteKt fich alfo als gweite non ber ^^iergeogra^j^ie gu
bead)tenbe gorberung bie hin : bafe fie gur SBegrütibung ihrer 9ln»
fisten nicht fritifloS bie herrfdjenben Stnfichten bet fpftematifchen
Soologie Berwenbe. ©erabe fo gut, wie bie mobetnen ^aläon*
(«D
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tolocjcn fid? mehr unb mehr gu 3oologen umbilben unb, wie baß
jüngft in glängenbfter SBeife burd) Sittel bei Unterfucbung bet
foffilen Schwämme gefdbab, aud) bie rein tyftematifdjen fragen
berücfficbtigeu muffen, ebenfowobl werben bie 3;l5iergeogra<j^en
genötigt fein, mehr alö bißber gefdjafy, bie S3erwanbtfcbaftß*
begieljungen ber für fie wichtigen Spiere in töetracbt gu giebeit.
SMre nun jene erfte IBoraußfejjung »on ber SBoflftdnbigfeit
beß paläontologifcben öudjeß je gu erfüllen unb hätten wir
gweitenß auch fdjon einen uötlig fieberen @inblicf in bie realen
S3erwanbtfd)aftSoerljdltniffe aller 2^b'ere gewonnen unb wäre jo»
mit baß goologifebe ©pftem »cllfommen, fobajj feiner leichten
nnb fieberen Slnwenbung gar feine ©cbwierigfeiten im äBege
ftünben: fo würben wir boeb immer nod) nicht ben nnß gang
gufrieben fteüenben Qrinblicf in bie Sßorgduge ber gejdjicbtticbeu
(Sntwicfelung unferer S^ierroelt gewonnen babeu.
SSMr batten bann aUerbingß gwei feljr bebeutenbe ©ebritte
»orwävtß getban; beim bie Slneinanberreibung ber gejcbidjtlicben
Stb^tjacben wäre noDfommen unb wir wären im ©tanbe, mit
Sicherheit baß Slußeinauber »on bem gang gnfdlligen ffteben«
einanber gu trennen. Slber biefe britte Borberung bliebe babei
gang unb gar unerfüllt: auß bet fo feftgeftellten ©efdjicbtSlebre
auch eine ©ejebiebtöwiffenfebaft gu machen. SDenn bie Urfahen
jener »on unß erfanuten äkrfnüpfung »erfebiebenet gaunen ober
ihrer ßntftebung auß einanber wären babei gdnglicb unerforfdjt
geblieben. SÖJir haben fomit brittenß jejjt noch gu unterfudjen,
waß bet Sbiergeographie notb tbut, bamit fie ber weiteten Pflicht
gu genügen »ermßge unb ficb gleidjgeitig ber SÖiffeuidbaft ber
3oologie alß würbiger £be'l berfelben anfcbliefee.
Baffen wir gu biefem Söebufe baß »orbin angeführte
Seijpiel bet amerifanifeben Pferbe etwaß näher in’ß sÄuge.
S53ir batten auß ben Stbatfadjen ber fpftematijcben 3oologie mit
jRecbt gefolgert, bah ein einbufigeß Pferb nur burch Umbilbung
auß einem oielbufigen St^ier entfteben fonnte unb bie Paläon»
(3»)
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tologie fyatte un8 ben beweis geliefert, baf? bie tbeoretifcb ge»
forberten Ueberganggftufen genau in foldjet aufeinanbetfolge gu
finben feien, wie jene fpftematifebe .^ppotbefe biee »erlangte.
Sber barmt ift nod) feine antwort gegeben auf bie ^rage, welche
fpedeHen Utfadjen benn ben früheren »iel^uftgen Vorfahr jener
echten fPfetbe zwangen, ftdj in einen @infyufer umjubilben.
SDie antwort, welche bie SDatwin’fcbe 2l)eorie auf biefe
f^rage geben würbe, lautet etwa fo: bie unbegrenzte Variabilität
bet »ielfyufigen Vorfahren unterer $>ferbe mu§te eine anjaljl
»erfdjieben Drganifirter formen erzeugen, unter benen eine au8=
wähl ftattfanb; biefe au@wal)I würbe beftimmt burd) ben Vor»
tbeil, welker biefer ober jener art burd) ihre eigentümliche unb
abweicbenbe JDrganifation erwuchs im Äampfe um bie (Spiftenz.
9iun läfet fid) bei ber fjebenöweife ber ©tag freffenben pferbe*
artigen 2b'ere Md?* erfennen, bafj in bet fRebuction bet $ufen
ein gewiffet Vorteil liegen muffte, ba bet hochbeinigen unb rafdj
laufenben Stieren bie ©djneHigfeit wädjft mit ber abnorme
ber 3<>b* unb Oberfläche bet ben Voben berübtenben <Stüjj»
punfte. IDiefe Vetrad)tung aber führt unö, wie wir feben, be»
reitö mitten in Verbältniffe btMettt, »on benen wir big babiu
feine 9iotiz genommen bitten. 9tur bureb bie SBcdifelbezicbungen
ZWifcben ber gebenSweife unb ber »ariabeln ©rganifation jener
$)ferbe einerfeitft unb ben äußeren ©jriftenzbebingungen anberer»
feit« fonute eine auöwabl in beftimmter fRidjtung »ermittelt
werben unb eS müffen babet biefe getreten ebenfo gut als urfäd)»
liebe Vebingungen für ba8 ©ntfteben neuer arten ober Varie»
täten angefeben werben, wie bie allgemeine Senbenz bet 5£biere
ZU »ariiren. Um aber entfebeiben zu fönnen, inwieweit jener
außwäblenbe (ober gar umänbetnbe) Sinflufj jolcber SebenS»
bebingungen b'«r eine beftimmte tRicbtung ber ©ntroicflung feft»
gebalten ober gefteigert, bort eine anbete »erminbert ober gar
abgefebnitten haben mag, bebürfen wir einer tief einbringenben
Äenntnif) »on ber SSirffamfeit jener Qfriftenzbebinguugen unb
(333)
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it>rer ©djwanfungen auf fctc »etfdjiebenen Sfcfyierarten. Sllfo aud>
bic Äenntnifj btefcr pfypfiologifdjen 33egiet)ungen bet Spiere gut
Slufcenwelt, bieS Sott in feinet aögemeinften 33ebcutung ge»
nommen, ift notfywenbig, um ein flateS Vetftänbnifj gu gewinnen
oon jenen Vorgängen, welche bei bet Umwanblung einet Slrt
in bie anbete ftattgefunben Ijaben; benn crft bie pljpftologifdje
fRotfywenbigfeit folget Veränberungen madjt unS biefe aud) be»
gteiflidj. Unb gu bemfelben Siefultat fornmen wir immer, mögen
nun eingelne Slrten nur unb ©ruppen ober felbft ooQftänbige
Raunen auf bie Votljwenbigfeit bet uon iljneu eingefdjlagenen
(SntwirflungSridjtuug geprüft werben: webet bet burd) bie $)aläon«
tologie gu iiefetnbe 9iad)wei3 aller ober gatjlreidjer UebergangS»
formen, nod) t^re t^eoretifdje Votfywenbigfeit wären ofyne jene
allgemeinfte 9%fiologie bet tljierifdjen Organismen im ©tanbe,
unS einen wiffenfdjaftlid) guftieben fteflenben ©inblid in bie
Vorgänge gu gewähren, wie ftc bei bet Umbilbung einet §auna
in eine aubete nottymenbig ftattgefunben fyaben muffen.
fftod) eine anbete Vetradjtung fiitjrt unS auf baffelbe 3*€l tjin.
2)ie ©arwin’fdje Sijeotie ftellt als Slpiom Ijin, ba§ alle
Ediere »ariabel feien unb ba§ biefe Variabilität oft unbegrengt
ober ridjtungSloS fei. ®o lange eS galt, wie e8 wofyl uotgugS»
weife SDatwin’S Slbfidjt war, bet alten Stnfidjt »on bet Umwanb«
lung bet Wirten Slnetfennung unb Veadjtung gu oetfdjajfen, war
eä fidjetlid) fyinreicfjenb unter geftljalten bet beiben Slpiome bet
(5tblid)feit unb Variabilität gu geigen, wie unter ben um iljre
(fpifteng fämpfeuben Sitten eine burd) VüfjHdjfeit ober ®d)äb*
lidjfeit ifyrer Drganifation ergeugte SluSwatyl eintreten mufcte.
9hm biefe 9lnfid)t fid) längft Slnetfennung oerfdjafft ijat, batf
e8 nidjt länget oerfdjwiegen bleiben, baf) beibe Ätäfte ober @igen*
fdjaften tljietifdjet Organifation nidjt einfach als Slpiome gu be*
Ijanbeln finb. ©o wie wir bieget unS gewöhnt tjaben, bie @tb»
lidtfeit unb Variabilität gu benufcen, mögen fie woljl in eingelnen
gällen gang beredjtigften SDienft tljun; nichts befto weniger [teilen
<»M)
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fte unö gmei gro§e Stagegeidjen Ijin, auf melche mit bieder jebe
cjracte Sntmort fchulbig geblieben finb. 68 ift aud) nidjt meine
Slbficht, ^iet einen SBetfudj gu einer folgen Sntmort gu unter»
nehmen; benn ba ich überzeugt bin, ba{j mebet bie $angenefe
SDarmin’84) bie 6rbli<hfcit erficht, noch auch bie 23atia»
bilitdt bur<h adeS, maS batübet aud) fchoit gefagt unb gebrucft
mürben fein mag, siel flarer gemorben ift, fo erschiene eg mit
ald 5Bermef|enheit, moKte ich fyiet. einen 93erfud^ gut göjung jener
SRdthfel magen.
^Dagegen ift e8 mohl meine Slbficht, furg gu et«
örtern, melden SBeg mit einf plagen fönnten, roenn e8 unfere
Aufgabe mdre, bie eine biefet fragen einer Söfung entgegen gu
führen, 2Beld)e8 finb bie Utfadjen bet Sßariabilitdt? ©o lautet
biefe Stage. Sät un8 als Staturfotfcher fann e8 nur einen 2Beg
geben, bet un8 babei fidjet gu führen »ermöchte: ben bet
^Beobachtung. SBit fragen alfo meiter: 2Bie unb mobutch ent«
flehen in bet Statur bei 33erdnberungen ihrer £>tga«
nifation?
©o meit mit bi8 jefct fehen maven in biefet SBegiehung brei
$)uncte au8eiuanber gu h0^»; bi« Umdnberung einer ©pecieS
fönnte einmal SRefultat einer ^^bribation, gmeitenS butdj
bitecte 6inmirfung bet duneren, fich »etdnbernben Umgebung
bet $h*ere entftanben unb brittenS eine §olge gang aQgemeinet
6ntmicflung8gefefce fein.
68 ift Idngft ben $)flangengüchtetn befannt, ba{j bie $t)bri»
bation ein gang o ortreff lidjeS gjtittel ift, bie 6onftang bet
6haraftere einer Slrt gu brechen unb neue SBarietaten gu et»
geugen; man meif} ferner, bah auch in ber freien Statut bet«
artige burd) ^pbribation entftanbene neue Sormen gefunben
merben unb e8 ift gerabegu erftaunlidj, melche SJtannichfaltigfeit
in ©eftalt unb Sätbung auf fotdje SBeife bei fangen etgielt
metben fann. SSiel meniget plaftifdj fcheinen bie Spiere gu fein;
man ift fogar oft fo meit gegangen, bie SJtöglichfeit ber ^pbri«
(»»)
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bation bei JJfyieten gänzlich ju leugnen. 3nbef) ftdberlttfc mit
Unrecht: unb id) möchte bezweifeln, ob bet bet täglich ftd? meh*
tenben 3at)l gelungener ^nbribationSnerfuche zwtfdjen oft recht
fef?r oerfchiebenen SEhieren bie SEBibettac^er bet Darwinschen
!Ebeorie auch jefjt n od) bie 93ehauptung aufrecht erhalten möch*
ten, eine ^mbribation fei bei Stireren nicht nachzuweifen. @o*
»iel inbeffen muh unb !ann zugegeben wetben, bah bie burd)
Äteujung bei $bf«en b”öwflerufene Variabilität bei weitem
nicht fo auSgiebig ift, wie bei Pflanzen. 3« ben meiften Odilen
entftebt babei eine 9Rif<hung bet elterlichen ©baraftere, wie z- 93.
bei ben befannten ©chmetterlingSbtybriben gwifchen bem £inben=
unb bem ^appelfchwärmer. ERut feiten treten gang neue formen
auf, wie bei einem Äafabubhbriben, ber in ben ^arfanlagen
eines 5Dir. Vujrton in ©nglanb in freier ERatur entftanben war;
bie Eltern batten einen weiten ober rothen f?eberbuf<h, ih«
©pröhlinge aber orangerothe. 3a, eS fcheint faft, als ob gerabe
bie ,£bbriben, welche mitunter in freier ERatur auftreten,
eine t>iel gröbere 9>lafticität erhielten, als bie bur<h unS mit
^auSthieren ober in unferen goologifchen ©arten angefiebelten
SEhieten erzielten EJRiichlinge. IRIS Veifpiel folcher in ber SRatur
entftehenben ^ipbriben nenne ich bie gahlreidjen Varietäten
unferer ©übwafferfifche, fpeciell ber SBeibfifche, welche fo mannidj*
faltig in ©eftalt ftnb, ba§ ber 93eftimmer foldter 3»if<henformen
oft in bie bitterfte Verlegenheit gerdtl), wenn er entfdjeiben foll,
ob er biefe ober jene EHrt cot ficfa habe. 3ch berufe mich babei
auf bie Autorität unfereS oerbienftooflen 3oologen »• ©iebolb,
welcher nicht anfteht eine Slngahl folcher ERacen gerabezu alb ^>n»
briben z»if«he« ganz oerfcbiebenen Ärten zu bezeichnen.
Die fomit nicht länger beftreitbare EJRöglichfeit, bah auch
bei SEhieren burch ^bribaticn neue formen entftünben ober,
waS baffelbe ift, bah bie ©halftere ber alten ©peäeS oerdnbert
würben, ftellt fomit jeber tbiergeograpbif&en Unterfuchung bie
Aufgabe, nachzuforfchen ob nicht Unterfchiebe, benen man geneigt
(33H)
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ift einen hoben SSertb gut Unterfcheibnng gtoeiet Raunen beiga*
legen, oieHeicbt bloS auf ^Rechnung einet, burcb .fwbribatton er*
geugten Veränberung alter formen gu fcbieben feien.
©8 liegt auf bet ^anb, bah eS oft fcbwer ober gang unmog*
lieb fein mu§, betattige eben als möglich bingefteHte Vegiebungen
gwifchen bet #pbribation unb ben d^arafteriftifdjen gormen einer
gauna aufgubecfen, fo lange wir bie ©efetje bet $pbribaüon gu
gutem Steile Don ben für bie fangen genommenen ©rfabrungen
entnehmen muffen. Um inbeffen gu geigen, bah auch fo fdjon
mit einigem ©runbe gemiffe eigentümliche gäHe geograpbil^er
Verbreitung ber $biere auf bie ^pbribation als auf eine utfäch*
Hebe Vebtngung für baS äufücnbefemmen jener Verbreitung
gurücfgefübrt werben fönnen, will ich b*« einen fdjon Don SBaOace
biScuürten gall nochmals befpredjen.
©8 ift bie gauna 3nbienS, wie ber binterinbifeben 3nfetn
febr reich an gablteicben ütrten ber i ebenen ©djmetterlingSgattung
9>apilio, welche hier in SDeutfdjlanb nur einige Vertreter, nämlich
ben befaunten ©egelfalter unb ben ©djwalbenfcbwang befifct-
Unter jenen inDifdjen ift eine 9trt, Pap. Pammon, auSgegeidjnet
baburdj, bafe baS SRänndjen gweierlei oerfchiebene gormen geigt,
wäbrenb baS SBeibdjen immer nur in einer febr wenig rariiren*
ben ©eftalt auftritt. SDiefe SpecieS ^at eine ungemein weite
Verbreitung; fie ift auf bem geftlanbe fowobl, wie auf allen
binterinbifeben Snfeln gefunben worben unb fte fommt gleichfalls
auf Dielen 3nfeln beS füllen DceanS uor. 3)er baubtfäcblicbfte
Unterfdbieb gwifchen ben beiben gönnen beS fUtänndjenS befielt
barin, bah bie eine an ben ^interflügeln einen ähnlichen
Schwang trägt, wie unfer ©chwalbenfchwang, wäbrenb bie anbere
ohne foldjen Slnbang ift. Stuherbem aber finben ficb noch Unter*
fefaiebe in ber gätbung. 3n Vegug auf biefe bat nun SBaQace
guerft b«>wtgeboben, bah biefe gärbungen Dariiren je nach ben
gunborten unb ferner, bah bie gefdjwängte gorm immer eine
gärbung bat, wie fie berjenigen anberet unb gwar gang Der=
XIV. m. 2 (373)
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fdjiebenet gefdjwängter 2lrten betfelben ©attung ungemein ähn-
lich ift, bie gerabe an bemfelben gunbort lebt. 6r h«t bteö alö
einen gad »on SRimictp (fRadjäffung) auf gefaxt, aber wie icb
glaube mit Unrecht. @8 laffen fiep nämlich gar feine Begiepungen
gwifdjen ber 8eben8weife biefer (Sjremplare unb ben fte »or ihren @e*
fcpwiftetn auegeidjnenben ©igenfdjaften auffinben, burch welche
itgenb ein fRufcen gegeben würbe; ohne einen foldjen aber ift
«8 nicht geftattet, ade gufädigen Slehnlidjfeiteu in gorm unb
gätbung gwifdjen gwei Slhierarten als gäde »on dRimicrp gu
begeidjnen. IRun finb aber bie Stefjnlichfeiten , wie fte an »er*
fdjiebenen Orten gwifdjen ben gezwängten $)ammon*2Rännchen
unb ben ihnen ähnlichen 9)apilio«9lrten beftehen, gu auffadenb,
um nicht boch bie Slnfidjt gu erweden, ba& gwifdjen beiben
wirflich Begieljungen, aber freilich nicht folche ber SRimicT», ftatt*
gefunben. 35a fdjeint mir benn bie Annahme wohl gemacht
werben gu bürfen, bafc biefe '«Sehnlidjfeiten burch ^bribation
gwifdjen gwei »erfdjiebenen iMrten entftanben fein fßnnten. 35iefe
Sßermuthung wirb feljr »erftärft burch bie SUjatfadje, welche ich
felbft beobachtet habe unb bie fpäter burch Äubarp beftätigt
würbe, bah auf ben $)alau»3nfeln tm ©tiden Ocean nur bie un*
gefdhwängte gorm beS $ammon*9Ränndjen8 »orfommt unb gu*
gleich auch “De jene anberen SMrten betfelben ©attung fehlen,
mit benen Mammon burch ^>pbribation bie gefchwängte Slbart
an anberen Orten ergeugen fann. fRatürlidj ift bie8 nur eine
$ppothefe, bereu fRidjtigfeit burch ba8 ©rperiment gu prüfen an
Ort unb ©teile nicht gerabe feljr fdjwierig fein bürfte.
dtodj ein anberer gatl mag hier erwähnt werben. 35ie
8anbfdjnecfenfauna »on 5Reu*(5alebonien ift »ot 31 dem burch eine
eigentümliche Untergattung »on BulimuS begeidjnet. 35ie
dRannidjfaltigfeit ihrer Slrten ift gang erftaunlidj; fortwährenb
werben neue befdjtieben. Bon einer fcharfen Slbgrengung gwifchen
ihnen ift inbeffen nicht bie (Rebe: fie gehen ade in einanber
über. 35iefe Statfadje hat ein neuerer Beobachter, welcher biefe
OB8)
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Schnecfen an Ort unb «Stelle fennen gelernt Ijat, baburdj ju
erflären nerfudht, ba| et btc Uebetgänge gwijchen ben gut unter»
fdjeibbaren Wirten als echte burdh |>^bribation entftaubene SBaftarbe
auf fa|te, eine Sinnahme, toelc^e feljt grofje 3Baljrf$einlidjfeit
für fic| |at. Seiber fehlen inbeffen auch in biefem gaHe alle
©tperimente.
Slber fo lange wir, wie in ben beiben hier angeführten 23ei*
jpielen, feine fidlere Gcrflärung für bie beobachteten (Stfcheinungen
gewinnen fönnen, ftehen fich bie überhaupt möglichen .fjppothefen
als burehauS gleichberechtigt gegenüber; unb bie Stage, ob bie
angeführten unb eine ÜJtenge anberer ähnlicher ^Beobachtungen
nicht burdj bie SBirffamfeit ber £pbribation ju erflären fein
möchten, mu| bähet unbebingt aufgeworfen werben, wenn man
fich nic|t im Suchen nach ben Urfadhen jener ©rfdbeinungen Ber-
itten will.
«praftifdh hat bieje Srage atlerbingS für ben Slugenblicf
feinen großen Söerth; benn wir wiffen bis je|t noch f° oufjer*
orbentlich wenig non bet Tragweite unb bem 33orfommen ber
^pbribation bei Spieren, ba| eine allgemeine unb fidjere Sin»
wenbung non ©efefceu bet lujbribation ebenfowenig möglich ift,
wie eine SluffteHung folchet. Slber um fo nadhbrüdflicher tritt
gerabe beStjalb bie Sorberung an unS heran, biefe SSerfudhe mehr,
als bisher gefdhah, unb in ipftematifetjer SBeife anguftellen unb
babei namentlich auch jolche SL^icre mit heran ju jiehen, welche,
wie oiele wirbellofe, gwar feine 3“9thiere für joologifche ©ärten
finb, noch werben fönnen, tro|bem aber für eine ftreng wiffen»
fchaftlidhe 33e|anblung ber SEhietgeographte eine ebenfo gro|e
Sebeutuug befifcen, wie bie SBirbelthiere, mit benen man bisher
faft au8fchlie|li<h in biefer {Richtung ejrperimentirt h®t.
SDie jweite Urfadhe, welche eine SBeränberung bisher conftan-
ter (Jhoraftere bewirten fönnte, fotlte, wie ich behauptete, in beit
änderen Sriftenjbebingungen ju fuchen fein.
3«h ftetle mich bamit faum in @egenfa| $u Darwin, wohl
2* (339)
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aber 31t feinen fftadhfolgern; benn biefe befireiten oft auf ba8
©ntfdjiebenfte, bafj birecte ©inwirfungen ber äußeren Umgebung
ben minbeften ©influß üben fönnten auf bie 33eränberlichfeit ber
Sitten ober fie befdjränfen it)n bod) auf ein Minimum, ©e*
leugnet wirb babei oon ihnen nicht, baß 3. 8. SBärme ober
Äälte, bie Quantität ober Dualität ber fftafyrung, ©alggeljalt
be8 SBaffetS unb fein 9ieidjti)um an ©auerftoff ober Sohlen*
fäure, bie Schwere, ber Slggregatguftanb, fur3 'Me8, roaS irgenb*
wie mit Spieren in birecte Berührung fommt, auch auf biefc
einen entfdjiebenen unb mitunter recht weitgehenben ©influß 3n
äußern oetmag. 3ber e8 foll ftd? berfelbe gunäcßft ober über«
fyaupt nur in einet SluSwaßl gwifcßen ben »erfcßiebenen, fenen
©inflüffen auSgefeßten gieren, äußern fönnen; unb wo er
etwa in befdjränftet 2Beife aud) umgeftaltenb auf bie 2eben8*
weife unb bie Drganifation ber Spiere 3U witfen im ©tanbe
fei, ba foQte et bod) nie fo weit gelten fönnen, baß babutd) bie
ttmbilbung einer Slrt in bie anbete gewährleist würbe. IDenn
e8 gilt al8 au§gemad)t, b aß ade, burd) bie birecte ©inwirfung
ber äußeren 8eben8umftänbe neu et3eugten @igenfd)aften immer
wiebet »etloren gehen, f obalb bie, bie Beränbetung bebingenben
Umftänbe ^inwegfaDen. ©ine 3. 8. burd) 9tal)rung8mangel er*
3eugte fleine äbart würbe h^nad) augenblidflid) wieber groß
werben müffen, fobalb bie bebingenbe Urfadje, alfo ber ÜJiangel
an gureicßenber flla^rung, aufgehoben wäre.
fftun ift e8 aber eine bisher nicht genügenb gewürbigte Stt)«*’
fadhe, baß mit bem jfleinbleiben gewiffer Snbioibuen aud) immer
mehr ober weniger ftarfe Beränberungen ein3elner ihrer Drgane
#anb in £anb gehen. ©0 habe ich &• 33. burd) faft groeijäljrige
©tperimente gefunbcn, baß unfere gewöhnliche SBafferaffel (Asel-
las aquaticus) fehr flein bleibt, wenn man fie unter fonft gün*
fügen 8ebingungen in einem hermetifd) »erfcßlofienem ©lafe güdb*
tet; unb e8 ift mir gelungen, ohne Deffnen be8 ©lafcS in faft
groei 3al)ren 4 ober 5 ©enerationen 311 ergielen, non benen bie
(340)
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lepte ftd} Dutd) Feinheit ihrer 3nbioibuen au8geid}nete. äupet*
bem aber unterjdjieben fid? biefe oon ben im freien gefangenen
©yemplaren berjelbeu ‘Jlrt gang auperorbcntlicb in bet Sebaarung
bet Seine fowobl, ald aud) in ben telatioen ©röpenoerbältniflen
bet oetjcbiebenen Jförperregionen. @8 gebt batauä tyexvot, bap
bie Serminberung bet ©ejammtgröpe, wie pe burd) ben (Sinflup
folget 3ücptung tyetüotgerufen witb, pd) nicht gleicpmäpig übet
alle JÜörperabjcbnitte nertbeilt, benn fonft müpten bie Heineren
Seine bet 2tbart aud? biejelbe 3a^ bet Sorpen unb in bet
gleiten Stellung gu einanbet b‘iben, Die pe bei ben oöllig au8*
gewannen einnebmen; bicö ift aber nicht bet gaU. So ift
beutlidj erfidjtlic^, bap eine unb biejelbe Urfadje in ungleicher
SBeife auf bie oerfchiebenen SL^etle befleißen St^icreö wirft. Slber
alle biefe jo Durch bie birecte ©inwitfung bet äuperen t'ebenfi*
umftänbe betnorgerufenen oerjebiebenartigen ©igentbümlicbfeiten
j ollen, fo fagt man, wieber fputloS oerjehwinben, fobalb bie be»
bingenben SJtomente xii^t mehr ootbanben wären.
@8 ift nun, wie idj gleich bemetfen wiü, iu bob*m ©rabe
wabtjcbeinlicb, bap bieS richtig ift. 2lbet e8 läpt fich mit Stecht
begweifeln, ob bauen auch immer bie richtige iSuwenbung ge*
macht worben fei; benn e8 folgt au8 ber eben gugegebenen ST^at*
jache noch Durchaus nicht, bap nicht bod) Seränberungen conftant
gemacht werben fönnten, welche ihren Utfprung ben birect wir«
fenben äuperen £eben8bebingungen oerbauften. @8 gehörte bagu
eben nur, bap bie bewirfenben Utjachen felbft conftant blieben,
©in Seijpiel aus meiner eigenen ©tfabrung wirb feigen, wie
bie8 möglich fein Dürfte.
SBäbrenb meiner langjährigen Steifen in ben Tropen bet
öftlidjen jpemifpbäre b°be ich gang befonbetS bie i*eben8weije
ber ÄoraHeti unb gwar not Slllem bie bet Stiffbauenben in’8
&uge gefapt. 25abei machte ich benn bi« Semetfung, bap bie
Stiffforallen nur bann fenfrecht in bie £öbe wachfen, wenn pe
oon einem giemlich parfen Strom tangirenb getroffen werben,
(Ml)
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ober alSbalb bie Slenbeng aunehmen, ficß nad? allen Sichtungen
hin aufljubreiten, fowie fchwacße ober unregelmäßige Ströme
horizontal über fie ßinftreichen. fDiefe ©eobacßtung erflärt ein
bisher unoerftanbeneS ©erhalten in bet geographt'chru ©etbrei*
tung ber Sijffotallen. Söir roiffen, baß fie ausnahmslos SBarm*
waffertßiere finb unb baß fte bie heueren fSeere, wie baS
Sotße, ganz befonberS lieben. Sätßfethaft fdjien eS nur, baß
gerabe im allerheißeften fSeere alle Siffe ohne Ausnahme fehlen,
obgleich ÄoraHenarten in ihm norfommcn, welche ben Siffbauen»
ben SpecieS ungemein naße ftehen: im ©olf non Manama,
©efieht man ftch nun eine Stromfarte beS Stillen £)ceanS unb
erinnert man [ich meiner oorhin mitgetheilten ©eobachtung, fo
wirb baS Sätßfel mit einem SJlale leicht gelöft: eS fönnen bie
ÄoraOen bort nor Manama feine Siffe erzeugen, weil einmal
bie Strömungen bovt ganz außerorbentlich wechfelnb finb unb
weil fie zweitens, ftatt jene ÄoraDen tangirenb zu treffen, nach
allen Sichtungen Iß« horizontal über fie wegfließen. Statt in
bie |>öhe zu wadjfen, breiten bie ÄoraKen fich nun nach allen
Sichtungen hin gleichmäßig aus unb baS ©ntftehen eines echten
SiffeS auf bem fanft anfteigenben Ufer beS fBleerbufenS non
Manama wirb fomit ' »erßinbert werben müffen. ©Mt wiffen
ferner, baß ber SfthmuS »on Manama fdjon feit feßt langet
3eit ben Stlantifcßen Dcean oom Stillen trennt unb eS ift baßer
feßr waßrfcßeinlich, baß auch bie Strömungen, wie fte jeßt im
Stillen fSeere laufen, f<hon feit unbenflicßen 3riten, eben feit
Aufrichtung jener ©arriere zwifcßen ben beiben fDieeren, genau
in ber gleichen SBeife bort gewirft hüben mögen; bie beftimmte
gorm, welche burcß biefe Ströme im fSeerbufen oon Manama
ben bort lebenbenben ÄoraQen aufgezwungen wirb, werben fie
alfo auch genau fo lange gehabt haben müffen, wie bie Ströme
beS ÜReeteS in bet ißnen jeßt eigentümlichen Stärfe unb Sich*
tung beftanben haben. Diefe §)eriobe ift aber ficherlich eine
feßr langbauernbe, bis tief in bie tertiäre ©poche zurücfreichenbe
(MiJ
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geweien unb mdhrenb biefer gatten langen 9>eriobe mar bie
Gonftang ber bort lebenben Äotaflenformen fchon allein burch
bie Gonftang ber, ihre SBacbßthumßrichtung beftimmenben duneren
Ginfiüffe fidjergeftellt. SDie anwenbung auf anbere ähnliche
ftälle ift leicht. ^Iß^ltdje unb rafch oorübetgehenbe ©d)wan»
fungen in ben Gjdftengbebingungen werben fefyr mabtfcheinlicb
feine irgenbwte erhebliche unb conftant bleibenbe umformenbe
Ginwirfung auf bie ©eftalien ber Shie™ unb ifa« Cirgane ge«
habt haben fßnnen; wenn aber jene ©djwanfungen nur gang
allmählich Bot fidj gingen, fogenannte iäculare waren, jo wer»
ben fie für unjer SSahmehmungßBermßgen Berfchwinben, burch
ungemeffene Beiten ffabuTch bie gleiche conftante Ginwirfung
auf bie Bon ihnen betroffenen Jhiere außüben fßnnen. 35ie Gon»
ftang beß Ginfluffeß bebingt auch bie ©tetigfeit bet burch ihn
herBotgerufenen S3erdnberung.
^ierauß ergiebt fid) aber biefelbe gorbetung, bie wir oben
fchon aufgefteQt haben: foQ bie ^hietgeographie witflich gu einet
erfennenben unb nicht bloß etgählenben abtheilung ber 3eoiog»e
werben, fo hat fie unbebingt bie SBechfelbegiehungen gwifchen
ben 2h*eren unb ihren Gjriftengbebingungen gu erforfchen; benn
nur burch bie Itenntnifc biefer fßerhdltniffe wirb fie im ©tanbe
fein gu beftimmeu, welche Sfaränberungen in einet ftauna auf
fRedjnung beß duneren Ginfluffeß ober ber ©tammBermanbtfchaft
gwifchen ben Spieren biefer Raunen gu fefjen wären, aber auch
hier wieber begegnen wir berfelben ©djranfe, bie fich unß Bor»
hin fchon entgegenftedte: eine wirflidje Bergleichenbe allgemeine
^hhftologie ober eine Biologie ber Slhiere ift nicht norhanben
unb mir beginnen feht gu unferem fRachtheile erft jefct einige
©eiten biefeß 93ucheß aufgufdfagen. 35er ndchften 3«t bringenbfte
aufgabe ift eß, eine folche gu fdjaffen.
8Bir haben enblich brittenß noch bie fERßglichfeit beß SBitfenß
allgemeiner Gntwicflungßgefefce gu bestechen, auch bieß erör-
tern wir am heften an einem ©eifpiel. 9fad) unfetet annahme
(343)
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flammen feie mit 4 ©liebmaßen oerfehenen SBirbelthiere ab oon
witbellofen, welche entroeber gar feine ober eine feljr nie! größere
3ai}l folget äußeren Anhänge be6 &örperS gehabt haben müffen;
mit fennen fein eingigeS roirbellofeS Ztyiet, welches 4 Seine be»
fißt, burdj beten birecte Umbilbung biejenigen bet 2Birbeltl)iere
Ratten hertwrgehen fönnen. 2Ba8 aber tft bet ©runb, baß
getabe bie 3aljl 4 in bet ©laffe bet SBirbeltßiere fo ftreng feft-
gehalten wirb? @8 ift unmöglich einen p^ßologift^ oerftänb«
liehen Süßen für biefe 3al)l aufgußnben; fein ©runb ift erficht«
lieh, matum nicht auch SBirbelthiere mit 6 ober mit 8 Seinen
fich Ratten erhalten fönnen; ja bie Schlangen haben befanntlictj
in ihren hnnberten oon Sippen ebenfo oiele SeroegungSotgaue,
bie aber freilich in feiner SBeife burd? Umbilbung au8 ben
4 Seinen ber übrigen SBirbelthiere heroorgegangen fein fennen.
^Derartige ©haraftere nun, welchen mit feinen beftimmten Süßen
ober ©ebraudj gugufdjreiben im ©tanbe ftnb, unb bie troßbem
oft eine feljr hche SBtt^tigfeit für bie Seftimmung ber Set*
roanbtfdjaftSbegiehungen ber Spiere beftßen, werben mort)hologifche
genannt, im ©egenfaß gu jenen anbeten phhftologifdjen , beren
Süßen eoibent ift. 3n unierem Seifbiel mar bie Siergaßl bet
SBirbelthierfüße ein foldjer morphelogifther ©harafter. 35a mir
nun nicht im Stanbe ftnb ober roenigftenS jeßt noch nicht, alle
fddje morbhologifchen ©haraftere gu etfläten unb mir anberet*
feit8 nicht beftreiten fönnen; baß an fie häufig bie SBeiterbilbung
ei*e8 üppuS gebunben ift, fo ift man oft bagu gefommen, in
ihnen ben SeroeiS für ein unerfannteS, immanentes ©ntmicflungS«
gefeß gu fehen. 3<h perfönlidj muß nun freilich befennen, baß
ich nicht recht an bie ©jrifteng folcher unerflärlicßen ©halftere
glauben fann unb baß ich bie Meinung hege, ihre Unerflärlieh*
feit läge oielmehr in unfeter ungutei chenben ©rfenntniß begrün«
bet1). 35a e8 nun aber einmal ÜJlobe in ber 3«>otogic
ober oielmehr bei ben ©egnern bet mobernen 3oologie geworben
ift, bie SKöglichfeit ber ©jrifteng alles beffen 3U leugnen, maS
(344^
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ihnen nic^t birect unter bie &ugen gebracht werben fann, fo
will id) ^ier gugeben, baß man in bem ©orbanbenfein foldjer
morpbotogifchen ß^araftere wenigftenS einftweilen einen ©eweis
für ba8 ©Jirfen unerfannter, eupbemiftifd} fogenannter allgemeiner
(SntwicflungSgefeße fetjen mag. !äber auch biefe ©onfequeng,
übertragen auf baö hier in’ 8 äuge gefaxte ©ebiet ber
geograpbie, ftcllt biefer abermals bie gleiche gorberung, bie wir
fdjon fo oft gehört haben: bie Dielleidjt bod? oorbanbenen pbhfto*
logifcben SSecbfelbegiebungen jwijdjen biefen morpbologifchen
(Sbarafteren unb ben 8eben8bebingungen il)ret fraget au^ujudjen.
(Denn nur burcb bie Annahme, baß fte im ©runbe bocb nidbt eigent»
lieb morpbologi|<be feien. fonbern einen phpftologifcßen ©runb ju
ihrer ©jriftenj hätten , werben wir babin gelangen fönnen , mit
(Sicherheit ju entfeheiben, ob berartige allgemeine ©ntwicflungS*
gefeße mit beftimmt gerichteter Senbenj bet Umbilbung beftanben
haben muffen ober nicht. (Die nicht ju leugnenbe $bat»
fache, bah wir einftweilen ben ßlußen bet ©iergabl für bie
©eine ber SBirbcltbiere noch nicht einfeben, beweift noch nicht,
baß ein folcher nicht bennoeb beftanben haben fanne unb ich
möchte meinerfeit8 auf’8 ©nergifchfte gegen ben Jpecbmutb pro»
teftiren, ber mit barin ju liegen fdjeint, baß man bie Möglich*
feit einer gujriebenftellenben ©rflarung beSwegen leugnet, weil
gerabe un6 eine folche gu geben noch nicht gelungen fei.
2Bit jeben alfo, bafj bie brei Kategorien oon ©inflüffen,
»eiche oereint ober für fich allein eine ©eränberung ber tbierifchen
formen bewirft habe« fönnen, gleichmäßig auf baffelbe IRejultat
binfübren: um $u entfeheiben, ob fte alle gufammen ober welche
allein gemirft haben bei ber Umbilbung einet gauna in bie
anbere, ftnb bie biologifchen ©ejiebungen aller Spiere 3« ißten
Umgebungen auf’8 ©orgfältigfte gu unterfuchen ; ohne ein genaues
©tubiurn bet aDgemeinften oetgleichenbeu 'Pbpfiologie werben
wir nie im ©tanbe fein, bie 3:bierneDSTaP>bie wirtlich wiffen»
fchaftlich, b. b- gefchichtlich ju bebanbeln. (Damit ftnb benn aber
(MM
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aud) bie »etjchiebenen 9^id}tungert genau bezeichnet, welche ju
t?etf eigen bie Aufgabe ber mobernen S&hiergeographie ift, wenn
anberG fte fi<h auö bem ergählenben JfinbheitGftabium Ijet«
au§ auf gteidje $öhe mit ben anberen Steilen bet 3<wlogie
emporfchwingen unb wie biefe bie entbeeften S^atfa^en »erflehen
lernen will.
3<h will nun baG gewonnene fRefultat zum ©chlufj
nod) in einige furje Säfce jufammenfaffen. SBir erfannten alG
exfte SBebingung für eine miffenfdjaftlidje ©eographie bet Üfjiete
eine möglidift .forgfältige ^erftellung aller foffilen gaunen, ba
bieje ai8 KntwicflungGftabieu beö jejjigen SBerbreitungGguftanbeG
aufjufaffen finb. 2)iefe Aufgabe übernimmt bie Paläontologie,
unb jemehr fie ftd) batan gewönnen wirb, bie gefdjidjtlidje 9luf-
faffung in ihre Unterfudjungen hinein gu tragen, um fo leiebter
wirb eG aud) werben, bie jetzigen Saunen auf bie früheren jurücf*
Zuführen. Slber um 5£äufd)uugen z» oermeiben, welche burd)
eine 33etfcnnung ber natürlichen SSerwanbtfdjaftGoerhättniffe ber
oerfteinerteu Sitten fefjr leicht entftehen fönnen, bebürfen wir
eineG ftdter erfannten natürlichen ©pftemG ber Soolcgie. SDiefeG
©apitel bilbet ben Snljalt beG morphologifchen SlbfchnitteG bet
3oologie unb eG wirb augenblicflich mit einem folchen Kifer unb
mit fo gutem Ktfolg baran gearbeitet, bah wir hoffen bürfen, in
nicht aBgulanger griff ein, wenn auch nicht gang ooDfommeneG, fo
boch gcuügenbeG ©pffem aufgeffeQt gu fehen, weldjeö in feinen
©runbjügen auch oon bet fpäteren gorfeffung alG baG ©pffem
anerfannt werben wirb. Um aber bie Utfadjen aufjubeden,
welche bie auf folche Söeife flar erfannte KntmidlungGgefchichte
ber auf einanber folgenben gaunen nothwenbig beftimmten unb
feine anbere juliefcen, ift eG brittenG nöthig, bie Beziehungen
aller jefct lebenben SUffere zu ihrer Umgebung gu unterfuchen
unb eine allgemeine »ergletdjenbe Ph9Pol°g'e aufzubauen; benn
nut butd) bieje fönnen wir wirflich in ben ©tanb gefejff werben,
einen theoretifd)en (ginblid in jene Vorgänge ju gewinnen, butch
(SM)
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27
welche gunächft bie einzelnen formen auf ben brei oben begeich*
neten SBegen »eTanbert unb gugleidj bie früheren Raunen
in bie fpäteren übergeführt werben mußten.
4pier nun liegt ein gange8 grofce§ gelb betgorfchung offen,
hoch faft unbebaut gu güfjen, ber Arbeiter Ijauenb, welche ben
jungfräulichen Beben urbar gu machen oerftünben. SBem eS bet*
einft gufaQen wirb? SBir wiffen c8 nicht. 3Die Slngeichen mehren
fich gwar, alö rufteten fith bie Vertreter ber reinen Sodogie. eg
gu erobern, anbererfeitS aber fdjeinen auch bie [Phpftologeti ntc^t
abgeneigt, e§ gu betreten, »Sollte fich in ber S^at gwiicheu
biefen beiben ©ruppen oon gorfebern, bie fiih big in bie neuefte
3eit hinein faft feinbfelig gegeuüberftanben, ein Äampf um jene
neutrale 3one erheben, fo bürfteu bie ©rfteren leicht ben Äürgeten
giehen. 25enn ber Vottheil ber befferen Vorbereitung, wie bet
reicheren £ülf8mittel gur Bearbeitung einfehlägiger gragen mittelft
te8 GfrperimentS ftünbe gweifelloö ben f)hhM0ge*i gu ©ebote.
3Benn auch meine perfönlichen Neigungen, ober wenn wir wollen,
meine 3ntereffen fich mehr auf bie ©eite bet 3oologen [teilten,
fo würbe ich hoch unter allen Umftänben bie Eroberung biejeS
©ebieieö auch burch bie 9)l)9fiologen mit ber größten greube be*
grüfjen; benn ber ©ewinn ihrer gorfchungen fäme hoch auch
wieber ber fpftematifchen 3oologie fowohl, al8 auch ihrem
geographif(h«n Steige gu ©ute. Unb bann erft würben bet
$biergeogtaphie bie au8reidjenhen [Kittel an bie $anb gegeben
werben, bamit fie würbe, wag [ie fein foU: eine wifjenfdjaftüche
©efthichte ber oerfchiebenen gaunen unfeter ©rbe je^t unb in
früheren gerieben ihrer ©ntftehung
(Ul)
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28
^nmcrkuutjen.
1) Set Sefcpreibung ber für bie einzelnen SEpierregionen cparafte«
riftifc^en formen fügt SBallace jmar nicht feiten allgemeine ^Betrachtungen
über bie .perfunft biefer lederen an; aber btefe (Erörterungen bringen
faum unter bie JDberflücpe ein unb fte leiben an bem einen für bie
©peculation biefcö Sorfctcrß fo f eh t bejeicbncnben Blangel: ?ll(c« , auch
bie complicirteften Verpältniffe, burcp fogenannte einfache ^rincipien er«
Haren ju wollen auch ber auSbcpnung na<p treten biefe, ben einzelnen
(Eapiteln angepängtcn (Erörterungen fet;r jurücf, jo bag fte mich in feiner
SBeife »eranlaffen fönnen, ben im Icjct gebrauchten SluSbrucf ju oeränbern
ober einjufcpränfen.
2) 3« neuefter 3eit haben fiep allerbingS in erfreulicfjfter SBeife
bie arbeiten gemehrt, welche ber hier geforberten SEenbenj l^utbigen.
Srüper fchon hat man wieberholt barauf pingewiefen, bag bie oerjebiebe«
nen Saunen, wie fte in ben aufeinanberfolgenben ©(pichten ber (Erbe $u
finben ftnb, jientlicp genau ber fpftematifepen Reihenfolge ber einjelnen
SEpiergruppen entfpreepen; ber bebeutenbfte Vertreter biefer Slnficpt war
Slgaffij. 2lber biefer fowopl, wie fo mancher Slnbere, fügten folcpe Sein«
eiben; nur alö ein ©ptnbol auf, niept aber alö Slnbeutung ober Seroei«
bafür, bag fiep alle Saunen nun auep in biefer Reihenfolge birect au««
einanber entwicfelt paben möchten. (Eä genügt, in biefer Sejiepung ju
bewerten, bag agafftj bis in bie neuefte 3eit hinein ein energifeper
©egnet ber SJarwin’fipen SEpeorie fowopl, wie ber alten Vlnficpt oon ber
realen ©tammoerwanbtjcpaft oder SEh*erc ®at unb biß an fein Sehen«*
enbe geblieben ift Unter ben neueften arbeiten, fo in benen Rütimeper’8,
Äomalenöfi’«, 3ittel’ö, äBagner'ö tc. finben fup mciften« nur (Erörterungen
über einjelne lEpiergruppen, unl> 1° wieptig tiefe arbeiten auep fein
mögen, fo liefern fte un« boep nur Srucpftücfe $u berjenigen ©efepiepte,
welcpe geftatten mürbe, bie jept auf unferer (Erbe oon ben SEpiergeograppen
feftgeftellten Regionen al8 legte (Entwicflungöppafen früherer, ebenfo atlge«
meiner 3uftänbe ber Verbreitung nacpjuweifcn. am weiften näpert fup
bem pier im äuge gehaltenen Sbeal noep bie Unterfucpung Rütimeper'«
über bie perfunft ber SEpierwelt ber ©eproeij.
3) (Ebenfo wieptig in Sejug auf bie S^ge ber abftammung ber
©äugetpiere fepeinen bie fofftlen Reptilien afrifa’ß werben ju foüen, bie
un« jept pauptfäcplicp bnrep bie Sefcpreibungcn Ricparb Owen’« befannt
gemaept werben.
(3«)
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29
4) 25ie Spatfape, baß alle ©igenfpaften , wie fie im MenSlaufe
eine« SnbiBibuumS napeinanber ober jugleip miteinanber auftreten, ben
fRapfommen mehr ober weniger unBeränbert unb erblich übertragen wer»
ben, obgleich biefe auSnaptnSlcS als ganj einfache Bellen opne jegliche
©pur ber fpäter auftretenben Organe ipr lieben beginnen, würbe bisher
al« unlösbare« Siätpfel betrautet. Oarwin’S ^angenefi« fupt biefe ©r»
jtpeinung ju erflären in folgcnber SBeife: fte nimmt an, baß alle lebenben
Speile eine« Organismus beftänbig fleinfte .Reime abgeben feilten, welpe
ben Slnftoß jur öilbung neuer Organismen geben fönnten, wenn fie in
berfelben pronologifpen unb topegrappifpen Dieipenfclge aufeinanber*
ftießen, in ber fie auSgeftreut würben. 55iefe .Reime feilten ftp ferner
burp gegenfeitige 2tnjiepung an beftimmten ©teilen anpäufen fönnen,
io im ©i unb in ben ©amenförperpen. Unb fo würbe in bem au«
bem ©i fiep entwicfclnben Organismus bie IHeipenfolge im Auftreten ber
einjclncn Organe non Bornperein beftimmt fein burp bie Slfnnität jener
Aeimpen, ba biefe fiel; nur in berfelben IHeipenfoIge unter glcipjeitiger
JluSbilbung ju Organen »erbinben fönnten, wie bie war, in weither fie
fiep bei bem fiep entwicfclnben mütterlitpen Spier abgelöft patten. ©anj
abgefepen banoit, baß bieS im ©runbe nitpt eine .fbppotpcfe ift, fonbern
meprere, unb baß wir feine einzige Spatfape aus ber ©ntwicflung ber
Spiere fennen, welcpe für fte fpräcpe, ift fie autp nitpt einmal im ©tanbe,
eine IReipe Bon 5?ererbungSerfpeinungen ju erflären, weltpe offenbar er»
flärt fein mufften, epe eine folcpe $ppotpefe als biScutirbar bejeidmet
werben bürfte. 2)apin gehört j. 33. bie Vererbung ber ©cftblccptS*
unterfepiebe burd) biefelbe ÜJiutter; biefe aber pat botp nur eine 9lrt ber
©ntwicflung burtpgemaept unb jene fupponirten Aeiimpcn fönnen foniit
autp nur in einer eittjigen Dieipcnfolge ftp abgelöft unb im ©i abge-
lagert paben, b. p. alfo: alle Dlacpfomincn eine« 3lkibpen« müßten natp
jener .pppotbefe aud) wieber nur SSkibcpen werben fönnen. ©benfo wenig
fmb bie ©rftpeinungen beS ©enerationSwecpfclS ober ber ^artpenogeneftS
ber fflienen unb SEBefpen burd? fte nerftänblip ju mapen.
©in anberer Slerfud), bie ©rbliepfeit ju erflären, betitelt „3)ie
flerigeneftS ber fHaftibule ober bie 3Mlenjeugung ber tfebenStpeilpen*
foH pier nur als Suriofum erwäpnt werben; einer emftbaften SBibet»
Iegung bebarf berfclbe nipt. ©r ftept ungefäpr auf berfelben 93aftS,
wie bie Speorie beffelben IkrfafferS Bon ber regelmäßigen ülufeinanber»
folge geclcgifper ^erioben mit jablreüprn Spieren unb ganj opne folpe,
fobaß auf ben tpierreipen 'J>erm ein tpierlofer ülntipernt, auf bie Aople
eine 9(ntifcpfe opne Sbiere unb fo weiter regelmäßig gefolgt fein füllte.
©6 ift baS Bon ipm fo meifterpaft cultiBirte ©ebiet ber naturwiffen»
fdaaftlipen ^pantaften.
(349)
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30
5) ©S fei mir geftattet, einen hierauf bejüglitpen Saß au« einem
©riefe IDarmin’S an mitp pier mßrtlicß mitjutpeilen. (Sr fcpreibt mir
unter tem 10. ©ecember b. 3- 1878 golgenbeS:
„3Die '.flnficpt mancher Slutoren, baß ben Organismen eine angeborene
unb plfßlitß auftretenbe (spontaneous) Senbenj jur ©ariation innemebne,
fcßeint mir ooflftänbig unhaltbar ju fein. ©pperimente, bie itp in meiner
, Cross and Self-Fertilization* gegeben Ijabc, überjeugtenfmicb noch Biel»
niepr, als id; eS fo fdjnn mar, non ber Unritptigfeit biefcr 'S n fiept. 3d?
mödjte auch neep einige 2Bortc ßinjufügen, um ju betonen, baß man im
ßßipften ©rabe Bcificptig fein füllte, epe man bepauptet, baß irgenb eine
©igenfepaft ober (Sparafter opne Sebeutung fei unb baper auep nid't
burtp natürliche 3ucptmaßl gemennen ober »eränbert morben fein fönne.
SllS baS ©mp über ben Urfprung ber Slrten juerft erftpien, füprte ©ronn
meprere folcper gälle an, »on benen itp 4 im Slugcnblicf gemärtig pabe.
©rftlicb bie ©efeße ber fippflotajrie ; aber es ift jeßt burep ©tptoenbener
gegeigt merben, baß biefe eine golge beS ©ebrängtfeinS ber jungen Äno*
fpen bei ibrer (Sntftepung finb, maS Bon offenbarer Pppftologiftper ©ebeu»
tung für bie $>flanjc ift. 3»eitenS bie (Sinferbungen am Sdanbe ber
©Iätter; aber jReincfe bat gegeigt , baß fie bie golge ber 'Snmefenpeit
Bon Prüfen in ben gatij jungen Slättern finb, beren Secret maßrftpein»
li(p bie ©Iätter beftpüßt, ba bie fDrüfen jpäter Berftpminben. ^Drittens
bie üerfepiebene ©rßße beS äußeren OpreS in ber ©attung ber föiäufe ;
ba mir aber jeßt unffen , baß fie als feine Saftorgane bienen, fo fann
eS niept ©unber nepmen, fie bei Srten mit oerfepiebenen ©emopnpeiten
ungleitp ftarf auSgebilbet ju finben. ©iertenS bie Berf epiebene gange beS
StßmanjeS in bemfelben ©enuS; aber ein $err, ber folcpe Spiere in
©efangenftpaft palt unb nitptS non ©ronn erfapren patte, feprieb mir
Bor einigen 3apren, baß er überjeugt fei, ber ©d;manj müffe bei biefen
Spieren mäprenb beS ©rabenS unb ©obren« Bon 9lußen fein burep ©e»
ftimmung ber einjupaltenben SKicptung.*
Die pier burtp Sarmin gegebene gifte berartiger morppologifcpen
©ßaraftere, bie noep Bor Äußern unerflärlitp, b. p. opne ©cbeutung für
baS 2eben iprer Sräger ju fein feßienen, burtp neuere Unterfutpungen
aber iprer Unerflärlicßfeit beraubt unb bamit ju pßpftologiftßen Sparaf*
teren mürben, ließe fiep leicht bebeutenb Bermeßren. 3)i eS pier $u tpun,
erftpeint mir überflüfftg, ba eS genügt, gegeigt ju paben, baß in Bielen
gälten bie ©ejeitpnung eines ©parafterS als eines morppologifcpen, b. p.
nußlofen, lebiglicp ißren ©runb in unferer unjurcitpenben Äenntniß Born
geben ber Organismen pat.
©in einjigeS ©eifpiel aus meiner eigenen ©rfaßrung mitt itp in»
befjen botp pier notp mittpeilen, ba eS menig befannt fein bürfte. ÜJtan
(SM)
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31
»ei§, baß feie ^autjcpuppen ber IReptilien in fepr mannigfaltiger äöeiie
gejiert ftnb burd) allerlei Reiften, IKippen , ©tadeln unb ähnliche 'Bor*
fprünge, bie man bisher al8 Ornamente ber 4>aut biefer liiere auf*
gefaßt bat ©ne pppftologifcpe Sebeutung berf eiben mar bi«l;er ganjlti)
unbefannt unb man mürbe fte iicpcrlicb bem entfprecpenb unter bie mor»
Phologifcpen Gparaftere eingereityt haben. @8 bat ftd> nun aber burd)
bie Unterfud)ungen non (Sartier berau«geftellt, baß fte, menn aud) in
ihrer auSgcbilbeten ©eftalt nur feiten non irgenb melier Bebeutung,
bod) bie JRefte »on Bilbungen ftnb, welche bie aHerpöcpfte Bebeutung für
ba8 geben ber Spiere haben. 31De Oieptilien müffen ftd) häuten, bie
meiften tpun bie« baburep, baß fie bie alte, unbrauchbar geworbene £>aut
auf einmal abftreifen; anbere, wie bie ©beepfen fetalen fie in oerfepieben
großen geßen ab. Bei allen Sauriern, wie ©chlangen nun, welche bis*
her barauf unterfucht worben flnb, wirb bie Häutung eingeleitet burd)
bie SluSbilbung einer mitten in ben ©chichten ber ©pibermtd liegenben
gage feiner elaftifcher ^>ärd)en ober ©tackeln , welche non Gartier als
•£>äutung8paare bejeichnet würben, ba fte baju bienen, bie alte abju*
ftoßenbe £>aut ju locfern unb fo bem Spiere ben, wie man weiß, fehr
befchwerlichen projeß ber Häutung ju erleichtern unb Bor^ubereiten.
4>aben biefe $äutung8paare ihren Oienft gethan, fo oerfcpmefyen fte in
ben meiften gälten ju jenen, bie ©cpuppon jierenben Borfprüngen, bie
non ba an ohne alle Bebeutung ju jein fepetnen. 3n anberen gäden
bleiben fie als ein uerjepieben fcid)teS fpaarfleib beftehen, wie 3. B. bei
einer im fußen SBafjer ber l;interinbifc^en Snfeln lebenben ©chlange
(Chersydrus granulatus), bei noch anberen wieber treten fte mit SEaft*
orgatten in Berbinbung, wie 3. B. berartige feine Safthaare bei allen
©bechfen gut entwicfelt an ben gippenfcpilbern an.^utreffen ftnb. Bei ben
©eefotiben bilben fte enblicp außerorbentlich ftarf entwicfelte Bürften an
ber Unterfeite ber breiten Sehen; ber inecpanifcpen 2ßirf jamfeit biefer
geßteren Berbanfen jene ©beepfen ihre befannte gäpigfeit, an fenfrechten
glatten SBänben empor* ober an ben SDecfen ber 3intmer mit größter
©ejepwinbigfeit entlang 3U laufen. Oie leßterwäpnten Bilbungen haben
fomit, wie man fieht, einen gan3 auSgefprccpenen Dlußen für ba6 Spier;
aber biefe fowopl, wie bie p^ftologifc^ gan3 unwichtigen ©culpturen auf
ben Schuppen ber Schlangen unb ©beepfen entftehen burd) Umbilbung
ber bei allen in gleicher ffieife auftretenten 4)äutung6paare, welcpe al«
eminent wichtige Organe im geben biefer Spiere auf3ufaffen ftnb. 9Jian
weiß, baß Biele ©drangen wäprenb ber oft Sage lang tauemben Hu-
tung 3U ©runbe gehen; bie Urfacpen baoon ftnb unbefannt. Stber e8
barf al« Bermuthung auSgefprocpen werben, baß eine niept genügenbe
äuSbilbung jener JpäutungSpaare unb in golge baoon eine niept 3u*
(351)
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32
reicbenbe Sccferung ber alten -'paut mit eine ber Urfacben fein mag,
weltbe ba6 ©eiingen ber Operation $u »er^inbern vermögen. Sin inbuc*
tioer 33cwei8 für bie IRicbtigfeit ber luer »orgetragenen Sinfupt, bie juerft
non Sortier aufgeftetlt würbe, fdjeint mir barin ju liegen, bafj au<b
bei bem glufjfrebS gan; ähnliche $äutung8baare, wie bei ben ^Reptilien,
unter bem alten abjuftreifenben fPanjer betjufft Socferung beffelben gebil.
bet werben; auch bei biefen gieren werben fte in feine Seiften umgt*
wanbeit, welche man mit SRedjt als bebeufungSlofe Ornamente auffafjt.
3>ie Sntbecfung biefer wid)tigen SO^atfaefce »erbanfen Wir ©raun.
©(^einbar ganj uner!lärlid>e ©erljältniffe in jwei ganj weit non
einanber abftefjenben ^iergruppen fmb fomit burtf) bie Unterfut^ungen
»on ©raun unb Sortier auf einen ganj ibentiftben Vorgang ale Urfac^e
jurücf geführt, beffen SSidjtigfeit für ba8 Sehen ber betreff enben Spiere
auf ber £>anb liegt. 34 bin überzeugt, ba§ bei forgfältigerer Unter-
fuebung berartiger morpbologifcben Sfiaraftere unf »or 3tllem iljrer Snt-
ftefmngSweife bie Srflärung berfelben nach Oarwin’ftfjen ^rincipien oft
genug leicht gelingen bürfte. 2>ie Unmöglicf)feit aber alle je(jt fc^on ju
erflären, ift ebenfowenig ein Argument gegen bie gewonnene Srflärung
ber anberen §älle, wie bie Sbatfacfye, bafj bei Soniferen Sblorop^pH im
SDunfeln entftebt, ben 9tadj»ei8 entfräften fann, bafj bei allen übrigen
blattgrünen ^flanjen ba6 ShloropbpU nur im Sichte gebilbet wirb.
(35»)
SDrutt ucn Wffcr. Ungfr (4$. ®Timm) in ©erltn, €><$5neb<TjjerftT. 17 «.
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2)te
järönung Iuris bes drohen
511m Hömifcfyen Kaifer.
93on
Dr. ^rttjur Ätmhler.
«
ßtrliit SW. 1879.
Serlag uon (Jarl £abel.
(€. 10. tiibrriti'sttit Xln!oj|ibs4||iinilnng.)
33. ®Ub«!m.®lra6« 33.
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,2Da$ JKed)t bet Ueberfe^ung in ftembe ©praßen tcirb ootbeijatten.
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Ü-Jie römifdje Äaiferwitrbe fonnte, ba ba8 $)apftthum im
weftlidjcn ©utopa gu einet bebeutenben politifchen ÜJlacht gelangt
wat, nur auf bem SBege bi|>lDmatift^er Untethanblungen mit
bem junadjft babei beteiligten fRachfolget be8 2lpoftel8 butch ben
$önig bet ftranfen erworben werben; unb bafe biefer in ben
ftaatlichen SBer^ältniffett begtünbete unb baher natürlichfte 5Beg
non (Seiten bet ftäpfte fpater geleugnet unb bie .Krönung al8
eine £l)at göttlicher Snfpiration bargefteüt würbe, fo bafj bie
SScrlei^uttg bet höchften SBiwbe bet abenblänbifchen C5^riftcn^cit
ein non ©ott ben (StellBettreter ©hrifti BetlieheneS 93orre<ht fein
feilte, war bie Cuetle jener unheilvollen .Kämpfe gwifdjen .Kaifer*
lhum unb ^Sapftthum, welche ©utopa währenb beS gangen
fJJHttelalterS erfchittterten unb ben ©runb legten 31t bet ftaatlichen
Senüttung unb O^nntac^t, in bet 3talien unb 5)eutf<hlanb big
in bie neuefte Bett hinein gefangen lagen.
ÜDafj bie SBieberherftellung be8 abenblänbifchen «KaiferreidjS
nicht Bon bem 3ufaU einer Snfpiration abhing, belegt bie ©e»
fchichte ber 3<»hthunbette, welche bie 3eit Bon bet ©ntthronung
be8 fRomuluS 2luguftulu8 biß gut .Krönung Äatl’8 be8 ©rofjen
auSfüllen, burd? unwiberlegliche 3eugniffe. 3a, wenn bie ©rinne»
rung an ba8 alte 3tnperium mit bem Auftreten Dboafer’8 unb
bem ©turge be8 wefttömifchen .KaiferS ben nachfolgenben ©e»
fchleehtern BoQftänbig entfdjwunben gewefen wäre, fo hätte, wie
butch electtifchen ©trahl getroffen, ba8 begrabene SBeftreich butd>
XIV. 323. 1* (3»)
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4
Me Snfpiration geo8 III. triebet erwedft werben fönnen. Slbet
ba8 weftrömifdje fReicfe lebte in ber ©rinnerung fort, unb bie
©runbibee ber rßmifcfeen Söeltmonarcfeie, bafe 9?om ber SRittel*
puntt aded inteOeftuetlen unb ftaatlt^en gebenS, bie ©entralfonne
be8 J?o8mo8 fei, »on bet überall gidjt unb geben auSgeftrafelt
werbe, welche bie Sftepublif guerft erfaßt unb bie Äaifer big gur
SBotlenbung entwicfelt Ratten, überbauerte nidjt nur ben ©turg
ber alten Sfßelt, fonbern befeerrfdjte bie fyiftorifdj’politifdjeit i?ln«
fdfauungen be8 gangen ÜJiittelalterö. SBeber bie Snoafton ber 58ar*
baren, nod) ber Untergang be8 weftlic^en 9teid)e8, nod) bießtynmadjt
ber 33pgantiner unb bie ©rünbung ber @otben= unb gongobarben«
fönigreicfee fonnte bie ©rimterung an ba8 alte 3mperium oetnicfeten.
©ie ©tabt be8 9lomulu8, an bie fid) gunädfeft bie 3bee »on bet
einftmaligen ©rßfee ber 3Beltmonard)ie fnüpfte, ftanb feocfe unb
ergaben ba, trofe ber furchtbaren ©türme, bie ba8 93ot*
bringen ber S3atbaten über fie gebraut; fie gehörte nicht bem
9Jtifrofo8mo8 e^ljemerer ©taaten, fonbern bem ?Dtafrofe8mo§
eine8 bie gange Söelt umfaffenben ÄaiferreicheS an. ©en SRu^m,
bie fd^önfte unb glängenbfte ©tabt ber ©rbe gu fein, Ijatte fie
gwar an Sfteutom, iljre üppige Jod^ter, abgetreten, aber in
ber ibeetlen SBelt lebte fie fort in alter Jpotjeit. ©ie 3bee hatte
fie wieber »erjüngt nnb fie nochmals gum ÄrpftallifationSpnnft
einet neuen, fid; auf ben Srümmern ber alten, erbebenben
?Dlonard)ie, gur SJtetropole eines neuen 3mperium gemacht, ba8,
ben propbetifdben 3utuf Sergil’S bewahrheitenb1), ben ftolgen
©innfprud) feinet 3mperatoren fcpuf: „Roma caput mundi regit
orbis frena rotundi.“
©ie politifAe SBicfetigfeit ber ©tabt war e§, wie ber
28. ©anon be8 cfealcebonifchen ©onci(8 (45t) offen auSfpticht,
welche SRom ben Sorrang unter ben übrigen fPatriarchenfifeen
bnrd) bie »erjammelten 93äter guerfennen liefe2), unb biejet 33or.
rang, ben e8 in ber Jt'irche genofe, war e8 wieber, ber gur
ÜReugeftaltung beS Smperium führte. ©o in ficb bie ©rbfdjaft
(356)
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5
bet alten fDtonarchie mit bem neuen lieben, ba8 ber ©ifc beS
SadjfolgerS beö Slpeftelfürften fyertjcrrief, »ereinenb, blieb fie bet
fERagnet, meldet alle «Kräfte ber neuen, fid) auS bem Sölfer»
wanberungScbaoS allmählich entwicfelnben Staaten unwiberftehlich
augog. Sei bem SilbungSprogeffe aber, nicht feiten in bet @e*
fa^r, non ihm nicht »erwanbten ©fementen »ernidjtet gu wer*
beu, fab fi<h enblich baS neue Oberhaupt bet ©tabt, ©hrifü
©tetlBertreter, genötigt, fich nach .£>ülfe umgujehen.
55a ber natürliche ®cbuf), welcher nach Spgang wieS, nicht
gewährt würbe, fo blieb bem römifchen Sifdbof nichts übrig,
als ben mäcbtigften dürften ber abenblänbifdjen Shriftenheit um
Seiftanb unb Oiettung angugehen, unb fo führte ihn fein 2Beg
in'S gtanfenlanb, gum mächtigen ©ohn beS Äarl SDlarteH, ber
fchon einmal not bem muhamtbauifchen Ülnfturm baS 9tbenblaub
gerettet h«tte. Pippin, ber gewaltige 9RajorbomuS, »oll ©eh«*
jucht de jure gu befitjen, waS er fchon de facto fein eigen
nannte, erflärte fidj um ben fPreiS bet Ä'ßnigSfrone gur 3nter*
»ention bereit; benn tyex fiel chriftliche grömmigfeit unb weit»
liehet Sortheil auf baS ©lücflichfte gufammen. Sou nun an
fehen wir 9Rom an baS neue Oieich ber ?>ihhiniben gefettet;
gwar »erfuchte eS wieberholt, biefe geffeln gu löfen, aber bte
SRacht ber Serhältniffe jehmiebete fie nur noch fefter unb unauf*
löslich gufammen.
55ie $>ähfte fämpften lange gegen bie ftd) ihnen ftetS mehr
unb mehr offenbarenbe Sothweubigfeit an, in bem allmählich »orn
5>atriciet gum Äaifer ber IRömer emporftrebeuben Äönig ber
ffranfen ihren founeränen ©ebieter anerfennen gu müffen; benn
fie wollten nicht bie Hoffnung aufgeben, gwijchen ©riechen unb
ffranfen laoirenb, auf JRom ftd> ftüfcenb, auS ben 2)onationen
9>ihpin’$ unb Äatl’S ein jouneräneS SBeltfürftenthum für bie
Äirdhe grünben gu fönnen. 9lbet baS unabläfftge 5)tängen bet
gangobarben nach bem Sefifc bet ©tabt bet Stpoftel, bie Uu*
fähigfeit ber Spgantiuer, gu helfen, unb enblich nach Entthronung
(MT)
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6
befl ÜDeflbetiuö baö fräftige, alle ©cfelitfee unb 3ntriguen beö
9>apfte8 burtfeftfeauenbe unb »ereitelnbe Sluftreten Äarl’8 liefe bem
fftatfefolger fPetri feine SBafel mefer übrig: er mufete jttfe non
Ofttom trennen unb bem granfen fitfe gang in bie Sinne werfen.
Söäferenb feiner breiunbgwangigjäferigen Regierung fonnte
$abrian I. trofe ber ununterbrotfeenen $ülfe unb greigebigfeit
beö gtanfenfßnigö nidjt gu bem entfifeeibenben ©tferitt gebratfet
werben, fitfe non Bögang loögufagen; er blieb in gweibeutiger
Berbinbung mit ben ©rietfeen, bis enblitfe Jtarl furg oot bem
Jobe beö $)apfteö fitfe genötigt fafe( biefen gurn offenen Brutfe
mit Oftrom gu brängen3), inbem er ifen bei ©elcgenfeeit bet
©treüigfeiten wegen ber BÜberoereferung , weltfee bie oon ber
Äaifetin 3rene im 3afere 787 gu fRicaea »erfammelte ©onobe
feetoorgerufen featte, aufforberte, ben Äaifet Ä'onftantin VI. 9)or*
pfeprogenituö, weltfeen Äarl fowie bie jfaifetin SRutter in einem
»on Stlcuin oerfafeten fJRanifefte, baö bet granffurter ©pnobe
»on 794 oorauöging, alö „auö $ocfemutfe wafenwifeig geworben“
begeitfenete, bet $ärefte ftfeulbig gu erflären. £abrian follte auf
biefe SBeife gum Brutfee mit ben Oftrömern getrieben werben,
um gang ben Sntereffen beö Äönigö bienftbar gu fein, bet ben
Bilberftreit feauptfätfelitfe beöfealb aufgenommen featte, weit er
feierbei „ein SRittel gefunben gu feaben glaubte, baö ifem geftattete,
baö Äaifertfeum für erlebigt gu erflären unb für ficfe in Slnfptutfe
gu nefemen"4). JDer römiftfee Bifcfeof gerietfe in bie peinlitfefte
^age; benn et featte eben ber Bicaeaniftfeen ©fenobe wegen an
3rene unb Äonftantin in ben ftfemeicfeelfeafteften Sluöbrücfen ge»
ftferieben, bie Äaiferin mit Helena unb ^ultfeeria »erglitfeec,
ben Äaifer mit Äonftantin bem ©rofeen, unb ifem gugletcfe ©ieg
über feine geinbe propfeegeit, wenn er im Orient, wie Äarl im
Occibent, reitfelitfe ©otb, ©Über unb $)ro»tngen bem heiligen
$etruö ftfeenfe4). JDiefer Brief featte bie (Einleitung gu einem
Bünbniffe mit bem oftrömiftfeen 3mperator6) — wofei gegen
ben Äöntg ber gtanfen, weltfeet allgulange mit ber Befriebiguug
(348)
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7
bet unetfättlidjen ünfprüche ^abrian’fl gogerte — fein fotlen, ba©
für ben $apft bie eerhängnifwollften folgen hätte nach gieren
fönnen, wenn Jbonftantin barauf eingegangen wäre; benn Äatl
würbe leinen üugenblidf gegögert haben, ben binterliftigen ©teil*
oertreter ß^rifti abgufefcen, wie e© auch ber Äönig JDffa oon
ÜJiercia in ©orfdljlag gebraut haben foü 7 ).
£abrian antwortete auäweicbenb auf Äarl'© ©erlangen. 6t
fucfyt erft bie com Könige in betn erwähnten üftanifefte oeröffent*
lichten Ünfichten über ben ©ilberbienft gu wibetlegen unb fährt
bann gum ©chlufc übetgehenb fort, ba§ et au© furcht, bet
Äaifer möge faramt feinem .£>ofe in ben Srrthum gurüdfallen,
noch nicht auf bie üften ber ©pnobe geantwortet habe. ®r
habe ihn aber an bie Stücfgabe bet Äonftantin’fchen ©chenfungen
gemahnt, worauf ihm noch nicht geantwortet fei, baher „finb
fie", fährt er fort, „un0 gegenüber in einer hoppelten ®<hulb
geblieben, unb je|t erft oon einem Srrthum gutütfgefommen
(nämlich bet ©ilbergerftorung). 3Bir werben fie befchalb noch*
mal© ermahnen, un© gu gehörten, unb thun fte ba© nicht, fo
werben wir ben Jfaifer, wenn 6w. ©ortrefflid)feit e0 genehmigt,
wegen feine© ©eharten© in bem gw eiten Srrthum für einen
äfefcer etflären8).“ Ülfo ber gweite 3trthum, ba© ©orenthalten
ber jfonftantin’fdjen ©chenfung, ba0 war bie fefcetifche ©chulb
be0 bpgantinifchen Äaifet©, welche ihn bem Zapfte bet Jpärefte
oerbächtig machte. SDiefet ©tief, am 6nbe feinet ^Regierung
gefchrieben, wirft ba0 befte ©chlaglidht auf bie ©eftrebungen
^abrian’0; unerfättlich im Korbern, unerfchöpflich im 3nterpre*
tiren ber ©chenfung0urfunben, war et währenb be0 langen ©e*
fifce© be© päpftlichen ©tuhle© unermübltch gewefen, alle nur
benfbaren SJtittel in ©ewegung gu fefcen, um „bem ^eiligen
©etru©" ein fouoetäne© gürftenthum gu fjtnterlaffen. 6r hatte
Jtatl’© Übfichten unb SBüniche burchfchaut unb war Anfang©
nicht abgeneigt, auf biefelben eingugehen. Über er oerlangte
bafüt bie unbebingte üu©fühtung ber oon Pippin 754 gu jfirfep
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8
auSgefteßteu, non Äarl, bet (einet etften ‘Jnwefenbeit in (Rom
774 erweiterten, (owie anbeter im 8ateranard)in beftnblichet
©d^enfungöutfnnben unb bie (Snerfennung (einet uubefdjrcinften
©berljobeit in ben it)ro abgutretenben Gebieten. @r präcifirt
(eine $otbetungen giemlid) genau in einem, wabtfcbeiulicb bem
3abre 778 Angehörigen Briefe unb fügt nadj Slufgäbluug ber
ihm guftebenben Groningen uub (Stabte b«ngu, ba§ etft bann,
wenn ÄatI 9lHe8, wa8 Äonftantin, bie 9>attidet unb anbete
©ottielige ge(cbenft, gurücferftattet unb auf biefe 3Bci(e bie bei'
lige Äittbe ©otte8 erbost habe, bie Sölfet, welche bieS böreu,
aultufen werben: @8 ift ein neuer Äaifer ®otte8, ein dbriftlichfter
Äonftantin erftanben. Unb niibt eher wirb ber 2lpoftelfürft not
bem Sifce be§ -£>öchften für Äarl’8 SBobtergeben, langeg geben
unb (eine 6tbßbun8. fowie für bi® SRajeftüt feine«) bu«b ©ott
geftärften (Reiches bie ©nabe be8 iSQmäcbtigen ergeben, beoor
ber jfönig nicht bem (eligen ^etruS unb bem ^)apft bie ^atti*
monien ungefcbmälert gurüdfgegeben habe*).
2)afj (o mafjlofe 3tn(prüd)e, gu benen #abrian nur burtb
ba8 (Bedangen Äatl’8 nad) bem faiferlicben SDiabem ermutbigt
würbe, beim Äönige bie böcbfte SRifjbilligung finbeu mußten,
ift natürlich- Söie batte er auf Borberungen etngeben fönuen,
beten (Erfüllung (eine eigene SRacbt in 3talien iüuforifch gemacht
haben würbe? ©8 war (eben früher gwifdjen Sdben, bie an»
fänglidj in ben freunb(d)aftlichften Segnungen gu einanber
ftemben, eine bebenfliche Spannung eingetreten, fo bah Äarl,
al8 et im Sabre 776 gegen (RetgaufuS non Briaul gu Belbe ge»
gogen war, nach ber Schlacht non Sretifo 3talien terliefj, ohne
ten 9>apft, tro^ ber inftänbigften Sitten beffelben (Rom gu b<»
(uchen, gefeben gu haben. 9Ran war bamalS einem Sruche febt
nabe;10) benn ber Jtönig war bei ber änwefenbeit päpftlich«
©efanbten an (einem £>ofe hinter gewiffe Sutriguen ber(elben ge»
fommen unb bidt baber 9lnaftafiu8, ben päpftlicben Äammer»
hertn, wegen frechen ©ebabrenS unb (einen Segleiter, ben 8ongo»
(MO)
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9
barben ©otbiftib wegen Verleitung fßniglkher Notare gur Ur!uu*
benfälfdjuug gefangen bei fid? gurücf, worüber .£>abrian in beit
heftigfteu Born geriet!}, ohne jebod? Äar! gut Slenbetung feiner
SJlafjregel bewegen gu fßnnen11). 3>a aber beiben gleich oiel an
einem guten ©inoerftänbnif} lag, fo fudjte man ben brohenben
3»iefpalt mßglichft gu »etmeiben unb ben bebenflid) werbenbcn
Antagonismus auSgugleichen. 33er fonft eifrige Vriefwechfel ge*
riet!) aber in’8 Stodfen, unb ber jfßnig unterbrach fein @d?wei*
gen nur, wenn er nßthig fanb, ernfte Mahnungen nach 9Rom
ergehen gu laffen1*).
©rft im Sah« 781 war bie fDiifjftimmung fo weit gehoben,
bafc Jfatl mit feiner ©emahlin £ilbegarb unb ben ©ßhuen
Subwig unb Äatlmaun, ben füngft ©eboreuen, gum gweiten 9)tal
nad? Sflom !am unb bet $)apft in guDotfommenbfter SBeife fich
beeilte an Äarlmann, ben et gleich nach feiner ©eburt gu taufen
gewünfcht hatte, aber burd) beß Königs fühle ©rwiberung auf
ben auSgefprochenen SÖunfd? baoon abgehalten würbe, nochmals
bie Staufhanblung ootgunehmen unb ihn Pippin gu nennen. 3«
gleicher Beit falbte er beibe ©ohne, fiubwig gum Äßnig oon
Aquitanien unb Pippin gum ftßnig ber gangobarben. Diefe
©albung war im ©runbe genommen unnöthig, ba Stephan II.
fpippin ben Äurgen unb feine gange gamilie gefalbt l^atte unter
bet an bie ftänfifchen ©rohen ergangenen SDroljung beS Bnter*
bict8 unb ber ©pcommunifatiou, wenn fie je anbere Jtßnige, als
au8 ben 8enben ber ^ippiniben entfproffen, wählen würben;
benn bieS ©efchlecht fei burd? göttliche ©nabe gu biefer ©thßhung
gewürbigt, bie gugleich auf Bürbitte bet ^eiligen Apoftel ihren
SBicar auSerfehen habe, bamit et eS burch feine £anb beftätige
unb weihe1*). Äarl hatte bähet bie Salbung wohl nicht oet*
langt, aber ba ber ^apft fid? bagu erbot, fo war er bamit ein*
»erftanbeu; £abrian jeboch war erfreut, fich bem Äßnig gegen*
■über burch eine $anblung ergeben geigen gu fßnnen, bie fein
eigenes Anfeljen in ben Augen ber fJRit* unb fRadjwelt erhßh«n
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10
muhte. 55ie bieSmalige Begegnung mit bem fränfifchen
fd)er hatte ber 5>apft ebenfalls gehörig auSjubeuten »erlauben,
unb bie ihm non Äarl gemachten ©oncefftonen bewogen ben
fonft fo oorfidjtigen Stachfolger 9>elrt, oom 1. 55ecembet 781
ab in feinen Urfunben nicht mehr nach ben 3ah*en beS griedji*
fd^en ÄaiferS, fonbent nad) benen feines ^outificatS gu gäljlen1 *).
3?iefeS gute ©incernehmen Seiber war aber nicht »on tan*
ger SDauet unb bie fDtihoerftänbniffe «ermehrten fid) als ber
.König 788 burd) bie Sefiegung beS 'ilbeldjUt in ben Seftfj Se*
neoents gefommen war, auf weldjeS fowie auf £uScien ber 'J)apft
Snfprüdje erhob. SDiefex fam nämlich, je unoerhohlener Jtarl’S
©ehufucht nach ber Äaiferftone ju $age trat, burch fortgefefjteS
©tubium ber ooit bemfelben beftätigten fpippin’fd)en @d)enfungS»
urfunbe nach unb nach 3« immer neuen Siefultaten1 J), bie ber
.König ber granfen feboch als für ihn unannehmbar jurücfweifen
mufete, unb fo jiet)t fid) feit bem genannten 3ohre burd) ben
Sriefwed)fel Seiber baS tieffte SRihtrauen beS 5)apfteS gegen
Karl1 ), unb felbft auf bem geiftlichen ©ebiet, baS fte fonft
immer im ©inoerftänbnif) gefunben hatte, nämlich bei ben fdjon
oben berührten ©pnobab Angelegenheiten, trat ein bebenf lieber
©egenfap herüor» ber erft burd) ben am 25. ©ecember 795 ein»
tretenben S£ob |)abrian’8 gelöft würbe.
Karl oergoh Sinnen, als er bie Slad)rid)t oon bem Ab*
fcheiben beS fPapfteS erhielt17); benn biefer war ja 3euge aöer
feinet Kämpfe unb Triumph« gewefen, hatte ftdj ihrer mit ihm
gefreut unb war währenb feiner faft oiertelhunbertfährigen fRegie»
rung treulich bemüht gewefen, baS Sieich ©h^fti 3« erweitern.
3n ©rinnerung ihrer oereinten fegenSreichen SBirffamfeit oergah
ber ebelmüthige granfe, waS fie einft getrennt, unb fo lieh et
burd) Alcuin, ber ja aud) bem Zapfte nahe geftanben hatte, eine
ehteneoHe ®rabfd)tift oerfaffen, bie et bem ©efdjiebenen auf fein
©rab am Altar beS heiligen 8eo in ber Saftlica beS Apoftel»
fürften weihte18).
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11
2)a§ ,£abtian um Äatl’ä Streben nacf> bet Äaifetfrone ge*
wu§t, ijt jweifellod, wenn aud) feine fpeciellen fftadjrichtcn barüber
oorliegen, mit Sludnahme ber beS SBil^etm non ÜJfalmedburp,
meldet berichtet, baff |>abrian bem Äönige bie Ärone wieberholt
angeboten l)abeis).
2)ed papfted 23etlangen nach einem großen unabhängigen
founeränen Sürftenthum nutzte aber alle Untertjanblungen fchei»
lern lafjen. ^Htlenfatlö hätte [ich jwifchen 23eiben noch eine 23er»
ftänbigung übet bie Äaifetfrage erzielen Iaffen, wenn ber Sranfeu*
fönig nid)t batauf beftanben hätte, in ben firchlichen 2lugelegen»
beiten, wie in ben weltlichen rex et rector ju fein. Jpiergegen
fämpfte £abrian nun mit aOer ihm eigenen Energie an unb
fübn ruft et bem Äßntge gu: „Non plus sapere, quam oportet
sapere sed sapere ad sobrietaten“50). 35afj ftd) Äarl aber
in biefem fünfte burchaud unnachgiebig jeigte unb allen ihm
gebotenen 23erlodungen mit ftefttgfeit wiberftanb, befunbet ieinen
genialen unb ftaatdmännifchen 23Hd auf’d ©länjenbfte unb ade
Schmeidjeleien, gedungen unb fünfte £abrian’d liehen ihn
biefe, in ber 9latur ber 2?erhältniffe tief begrünbete SSahrheit
nicht oerfennen, unb oermochten ihn nicht barüber ju täufdjen,
bah, wenn überhaupt, nur ein feiner Souneränetät burchaud
unterliegenbet Statthalter (Sbtifti bahin gebracht werben fönne,
ihm bie Äaiferfrone auf’d .paupt fehen11). @d fämpfte hie*
Priueip gegen Princip, baher benn bie Äaifetfrage fo lange un«
erlebigt bleiben mufete, biß ber gefügigere geo III. jur Siara ge»
langte.
2)iefer, ber ben Stuhl Petri butch Simonie erlangt, wohl
wiffenb, welche ftarfe gattet er in ben 23erwanbten beö oerftor»
benen ^Bapfteö gegen ftch habe, unterwarf fidj bem Äönig bet
granfen, bet ihm allein Schuh unb tßeiftanb gewähren fonnte,
bebingungdlod. 21 m Sage nach bem gpinfeheiben £abtian’d, am
26. IDecember 795 erwählt, fchidte et fofort ©efanbte an Ä'atl,
bie mit bem 2teueib bed papfted jugleidj bie 3ei<hen ber Ober»
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hoheit beS ^atriciuS übet (Rom unb ben Slpoftelfifc, baS Saunet
bet ©tabt unb bie ©djlüffel »cm ©rabe (Petri in bie £änbe
be8 ÄönigS nieberlegen mußten*5).
g«it biefet freimintgen Unterorbnung beS Zapfte« untet bie
weltliche ^erijd^aft mar baS bebeutenbfte Jpinbernifj begüglidj bet
©rhebung Jfarl’S befeitigt. 2>en Äönig binbet nicht mehr bie
©nergie nnb polüifcbe ©emanbtheit .frabrian’S; et fühlte ftd)
Seo gegenüber als ©ounerän, unb in biefem S£one lauten benn
aud) bie S3 riefe, welche er bem ©telbertreter (S^rifti fenbet.
®lei<h in bem SÄntroortfchreiben auf öeo’ß Slngeige feinet äBafyl
weift er biefem feljr beftimmt bie ©renge feinet Sefugniffe an;
et h«be nur für baS ©lücf bet Söajfen, bie ber Äönig gum
Schuf} ber Äirdje führe, gu beten unb ficfj in ber Sefolgung ber
canones eiueS frommen gottgefälligen SöanbelS gu befleifeigen.
„Un6 giemt ei,“ fo fc^rcibt er, „unter Seiftanb beS göttlichen
SBillenS, bie heilige Äircbe ©hrifti gegen ben Slnfall ber Reiben
unb bie Sermüftuug ber Ungläubigen überall mit ben Söaffen
»on Slufeen gu oertheibigen unb im 3nnern burd) Slnerfennung
beS fatholifchen ©laubenS gu befeftigen. Such giemt eS, heiligfter
Skter mit gu ©ott erhobenen jpänbeu, gleich SRofe, unfere gelb*
güge gu unterftüf}en"*3). Äarl ift aljo defensor et rector
ecclesiae, bet Stopft nur episcopus, ber allein bie Söaffen beS
©ebetS gu führen berufen ift. SJlit wahrhaft faiferlidjer SRacht»
nollfommenheit hotte h*erm*t ber ^>atriciuö ber (Römer bem
(Pontifey (DlayimuS ein fehr befdjeibeneS, wenn auch um 1°
fegenSreichereS gelb ber Jh^tigfeit gugewiefen. £abrian gegen*
übet hotte er ftetS fämpfen müfjen um auch ttlö öenfet bet
Äirche wirfen gu fönnen, feinem (Rachfolget gegenüber trat er
aber oon Anfang an als unumfdjränfter £errfeher auf, ber burch
fein SRachtgebot jeben Söiberfpruch abfdjneibet. ©8 war hiermit
ein ähnlidjeS Serhöltuift wieber ^ergefteQt, wie eS einft unter
ben alten römifchen Säfateu beftanben hotte, bem ja ebenfalls
ber £>berpriefter unterworfen war.
UM)
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3n biefet Sluffaffuwg feinet ÜJladjtfpfyäre würbe Äarl oon
feinem treuen gehret unb greunb Sllcuin auf ba8 Eifrigfte unter*
ftüfjt, ber ihn wieberholt Schirm unb Schuf} bet Jfitche unb
ihren Steterer, „ben Dberpriefter bet c^riftlit^en gehre“ nennt8 *),
auf bie Erhabenheit feiner Stellung h^ weift, bie über alle an*
beten Gewalten herno nage, unb bet ben Äenig ungweibeutig als
non ©ott gur hofften SBürbe etforen hinfteßt. 3n einem 799
an jfarl gerichteten ©riefe begeichnet er brei hödjfte ©ewalten,
non benen bie erfte ber $>apft, bie gweite ber Äaifer in Dftrom,
bie brüte, aber bebeutenbfte ber Äönig inne habe, burch welche er auf
Slnorbnuitg Ehtifti gum Seichter be8 djriftlichen SBolfeS eingefefct
fei unb burch bie et weit über bie anberen SBütben heennerage,
„ba er butd) SBeiSheit heDet ftrahle unb burch ©erehrungS»
würbigfeit feiner ^Regierung erhabener baftehe als jene; auf
ihm allein beruhe ba8 gu ©oben hingefunfene ^eil bet Äirche;“
bähet benn non ihm, wie e8 in einem fpäteren ©riefe he‘§h
feber butdj bie gehren be8 ewigen geben8 erfreut h«imfebress).
21 18 Äatl auf ber entfcheibenbeu Sternfahrt begriffen, fenbet ihm
ber gutücfbleibenbe SUcuin einen poetifchen 3«tuf nach, in bem
er au8ff«hrt, ba§ Slom ben dürften al8 genfer be8 SteichS unb
fPatron erwarte, it>n ben $önig, ben fRector, bie Beerbe bet
Äirdje, bamit er, al8 ^errfcljet be8 EtbfreifeS, in ber (Stabt ^>ert
unb Stiebtet fei, um bie ©ebrängten gu erheben unb bte lieber»
müthigen gu oernichten, auf bah Äirche unb (Staat in Eintracht
unb Triebe regiert werbe, unb eine beerbe unb ein Jpirt, ein
©eift unb ein ©laube fei86). SUcuin bet, wie fid} au8 biefen
©eifen flar eTfenneu lä§t, auch in ber jfaiferfrage ©ertrauter
feine8 groben SdjitlerS war, erfannte fogleich bie ©ebeutuug,
welche ber 9)apftwecbfel für jfatl haben muhte unb Suchte biefeu
butch immer erneuten Hinweis auf bie Erhabenheit feinet Stellung
gu bem entfcheibenbeu Stritt gu ermuthigen.
35o<h beoor ber Äönig ben enbgiltigen Entfchfuh faffen
fonnte, hatte er fein unb be8 §)apfte8 ©erhciltnih gu ben ©riechen
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reiflich in 33eb«d)t gu gieren; benn h<« hobelte eS fich, gwar
entfcbteben, bo<h »orftchtig gu SBerfe gu flehen, ba ber SRad^fofger
$)etri nod) nicht gang auS bet SBetbtnbung mit 33hgang getreten
mar, $abrian »ielntehr ftd) ftetS als Untertan beö oftromifchen
ÄaiferS betrachtet unb felbft noch 8eo III. politifdje 93egiehungeu
mit SDftrom unterhalten h®tte*7).
3ur Bett feinefi erften Auftretens in 3talien, befonberS nach
ber ©ntthronung beS DefiberiuS unb ber freunbf<haftU<hen mit
bem ^apft angefnüpften Uuterhanblungen h“tte Äarl fleh wohl
mit ber Hoffnung getragen, bei feinen Äaiferplänen bie ©rieten
nicht fonberltch in SRedjnung bringen gu muffen; fpäter aber, als
fid} baS innige 93erhältnih gu ^abrian immer mehr loderte, fam
man ihm non SSpgang guoorfommenb entgegen, inbem 3rene
währenb feines Aufenthaltes in Italien 781 burch ©efanbte für
ihren ©ohn. ben Äaifet, um bie #aub »on JRotrubiS, beS ÄönigS
ältefter Tochter, anhielt, wobnrch bie hö<hfte SBahrfcheinlichfeit
norhanben war, mittelft »erwanbtfchaftlichen ©influffeS in frieb*
lieber AuSeinanberfefjuug mit ben Dftrömern baS faiferliche SDiabem
erlangen gu fönnen*8).
©rft als et gum britten ÜJtal , wegen ber burch bie SRacb«
fommen beS entthronten SangobarbenfßnigS im Serein mit ben
©riechen angefteflten 93etf<hwßrungen unb geinbfeligfeiten im
3c*hte 786 nach Stalien gog, erlangte er befonberS bei ben Unter»
baublungen mit Arid)i8, welcher ft<h , nadjbem ihm fein .£>ergog*
thum 33ene»ent garantirt worben, ohne ©chwertftreich unterwarf,
einen tieferen ©iublicf in bie »erwictelten SBerhältniffe Unter»
unb fÖiittelitalienS, ber ihn belehrte, bah nur bie SBaffen gwifdjen
ihm unb ben 93hgantinern entfeheiben fßnnten. fötit furgem
©ntfdjluf} gerrih er barauf baS 33anb, welches ihn noch an
Äonftantinopel hätte feffeln föunen unb erflörte ben ihm »on
ber Äaiferin » föiutter gefehlten ©efanbten, ba§ er bie 91er»
lobung feiner Tochter mit bem Äaifet Äonftantin für aufgehoben
betrachte*9).
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Stene nach bet unumfcbränlten ^ettfd^aft begierig unb
fürchten b burd) eine frättfifdje Schwiegertochter in ihrem ©influh
gehemmt gu »erben, nahm mit greuben ben ihr bingewotfeuen
£anbfd)uh auf unb gwang nun, gum £ohn gegen ben granfen«
Innig, ben jungen macfjtlofen Äaifer eine gemeine Armenierin,
SJiaria non Annia, gu Ijcirathew , welche er jebocb halb »ieber
oerftieh, um fid) mit einem ^toffraulein Slheobate, gu oerbinben,
bie er gugleidj gut Äaiferin ftoneu liefe.
SDer .Kampf »urbe in Unteritalien non Seiten 3rene’ 8 burd? ben
in ©emeinfchaft mit bem $)atriciu8 SEh«oboruS non Sicilien unter«
nommenen ©infafl beö Abelcbi8, Schwager? be? am 26. Auguft 787
»erftorbenen Arides, in’8 Benenentinijcbe begonneu, ber jebod) im
£erbfte 788 mit einem entfdjeibenben Sieg beö gegen ben SBiflen beS
9)apfte8 »ieber in fein ^>ergogthum eingefetjten ©rimoalb unb
.Karl’8 gelbhertn 5Binoghifu8, .£)ergog8 non Spoleto, unb einet
ooBftänbigen 9iieber(age bet ©rieten abge»iefen würbe*0).
SDiefer plßfcUcbe UeberfaB muffte bem gtanlenlöntg bie
Uebergeugung aufbtängen, baff, »enn fein Streben nach ber
Äaifetfrone ein erfolgreiche? fein, unb ba8 bisher ©rreidjte nicht
burd} einen glücflicben Angriff ber Spgantiner auf’8 Spiel ge«
fefct werben foBte, er nothgebruugen aBe oetfügbaren Kräfte gu»
fammennehmen muffe, um bie Dftrömer gang au8 Stalien gu
oetbrangen unb fie befonber? non ihren 33erbinbungen mit bem
abriatifchen BKeere abgufchneiben ; benn mit bem Sßefife biefeS
SDteereS »at auch bie -£>errfcbaft über Unter» unb ÜDiittelitalien
gefiebert, ©egen bie 33enetianer, bie ben ©djlüffel gut Abtia
befaßen, war Äatl fc^on im 3ahre 785S1) burd) bie auf feinen
S3efehl oon ^abrian pünftlichft ooBgogene AuSweifung ihrer
.Kaufleute au8 bem ©jcarchat unb ber ^entapoliS*2) wegen ner»
botenen Silanen* unb ©unudjenbanbels, gumeift jebocb ihrer
gtiedjifcben Spmpathien wegen, feinblid) aufgetreten; bo<b lonnte
et an einen birecten Angriff auf bie fcagunenftabt nicht benlen.
©rft muhte et 8iburien, ba8 fid? ihm 789 unterwarf, SDahnatien
(3«T)
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unb Sftrien, bie gegen ©nbe be8 3ahthnnbert8 bet ftünfifchen
^Monarchie einoerleibt würben, in Gefifc genommen unb bie ftdje
sUieerbeberrfdEjeriu ting8 bur<h ftänfifche ©toberungen eingefchloffen
haben, ehe fie ihn als ihren ©ebieter anerfannte unb ihm tjul-
bigte (805), obwohl et bamalS fdjon mit ben ©tiefen Trieben
gefdjloffen ^attess) (803).
©eit SBeginn bet geinbfeligfeiten mit SDftrom brnngte „bie
ganje »telfad^ »erwicfelte Sage ben gtanfenföntg nad) bet jfaifcr«
frone ju greifen"*4). 2lbet el)e et ben entfcheibenben Stritt
thun fonnte, fam ihm in feinet Äaiferpolitif ein ©reignifc 3U
ftatten , weites plöfcltch feine Jaftif in bem Angriffe gegen bie
©tiefen änberte.
•Die l)ertl(^füd)tige Stene ^atte ihren ©obn, ben Äaijet
Äonftantin geblenbet (796), nom üfyten geftofjen unb ftch bie
Herrfchaft angentafjt. 3«w erften ÜJlal in bet @efdjid)te regiert
ein Söeib ba8 weltbeherrfchenbe SRömerreich, unb biefe unerhörte
S£hat tief überall bie Ijßdjfte ©ntrüftung ^ernor, 3umal nach
römifchen fRecht bie ^Regierung nie einem SBeibe übertragen wer-
ben fonnte35). SDiefe hochwichtige Gegebenheit traf gleichseitig
mit bem SEcbe Habrian’8 jufammen. 9RU einem ©d)lage hatte
ftch bie Sachlage geänbert unb oot Äatl eröffnete ftch bte »er*
lotfenbe 2lu8ftcbt, nicht nut Gehertfchet SBeftromd fonbern 3m»
geratet be8 alten römifchen 2Beltreich8 3U werben, unb fo galt
e8, eine ©ombination 3U finben, welche bie an biefen 3wif<henfatl
gefnüpften Hoffnungen 3ur SBahrheit werben liefj. Seicht fanb
ftch ein ÜRittel, Äarl al8 fRacbfoIger be8 im Saljre 796 geftorbe*
nen Äonftantin VI. auf ben $hron ber 6üfaren 3U erheben,
unb bet gtanfenfßnig 3ögerte nicht, fleh beffen 3U bebienen, in«
bem er feit bem 3ahte 798 mit ber jfaiferin but<h ©efanbt«
fdjaften in Unterhanblungen trat, beten @nb3wecf eine eheliche
Gerbinbung 3Wifchen ihm unb Stene fein follte36). Allein nach
weiteren 3wei 3abrc« tiefen ih« bebeutenbe, feine ©egenwart er*
heifdjenbe Unruhen nach SRom unb, bie fchwebenben Unterhanb*
(368)
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hingen mit 3rene für ben Slugenblicf abbredjenb, ergriff er ba8
nabeliegenbe ©ute, ohne babei ba8 entferntere Beffere auS ben
Singen gu terheren; benn nad) ber Äaiferfrönung nal)m er bie
Babinbung mit bet jMfetin wieber auf, aber ber unerwartete
©turg bet SDeSpotin tereiteltc bie weitfeljenben kleine beö granfen*
faifetß3 7).
SDcr 9(ufrul}r, welcher bamalö in Stern auögebrodjen war,
galt 8eo III., ber ihu burd) fein mahlojeö Bertolten gegen
bie Berwanbteti beö terftorbenen $>apfte8 protocirt hatte. @r
warb bei einem $>rocejfion8ritt nad) ber gaurentiuöfird)e am
25. Slpril 799 ton gebungenen Bewaffneten überfallen, terwun*
bet unb fo arg gugerichtet, baf) fid) baö ©crüdjt terbreitete,
man habe ben fPapft geblenbet unb ihm bie 3«nge auögeriffen.
SDtan jdjleppte ihn in’ö Älofter bet ^eiligen ©pltefter unb
©tepljanuö; bod) würbe et »en hier Stadjtö ^eimlic^ uad) bem
Älofter be©'" heiligen (Sraömuö gebracht, auS bem er mit £mlfe
eineö päpftlid)en Ißalaftbeamten über bie Stauer nad} ber Bafi*
lifa ©t. 9>etri entfam. ©in neuer Bolföaufftaub brad) leö, ben
jebod? ber non ©poleto ^erbei^ceÜte SBineghifuö mit bewaffneter
«£)anb bämpfte unb jo i*eo auö ben Rauben feiner Reiniger be*
freite* 8).
Äarl, oon biefer reoelutiouären Bewegung fofort benadj*
ridjtigt, jdjicfte jogieich ben @rjbifd)of ton Aöln unb ben ©rafen
Slbcariuö nach 3talien, um ben 9>apft, ber fid) in Begleitung
beö Slbteö SBirunbuö ton ©tablo nach ©poleto begeben hatte,
fowie ben wäljrenb bet römifchen Borgänge in ber ©tabt be*
finblich gewefenen Sltno ton ©algburg, ben innnigfteu greunb
Stlcuinß, nach Saberborn jit begleiten, wo ber Äönig gerabe
^>of hielt. Stit ihm erfchien bafelbft ein ©efolge ton 203 Bifdjcfen,
©eiftlid}en unb weltlidjen ©rohen, welche bie bejd}werlid}e Steife
über bie Sllpen nicht gejdjeut hatten, um ben fo fdjwet befdiul*
bigten Stadjfolger $>etri tor bem Satriciuö ju rechtfertigen,
geierlidhft ton Äarl mit allen ihm gebül}renben @hr*n empfan*
XIV. 323. 2 (362j
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gen, wie unS ein unbefannter äugengeuge in einem trefflichen
©ebichte ausführlich fdjilbert3 9) , blieb bet 9>apft wäbreub beS
ganzen Sommers ©aft beS §tanfenfönig8, unb nachdem er bie*
fern über bie tömifchen Unruhen ^Bericht erftattet unb fich gegen
bie »ibet ihn butch ©efanbte unb eine Slnflagefchrift ber 31 uf»
ftänbifchen bei bem Äönige erhobenen 33erbä<htigungen »ertljeibtgt
hatte, ergab fich oon felbft bei ben Gonferengen über bie Siebet*
herfteflung bet fRuhe unb Drbnung in IRom auch bie ^Berührung
ber für beibe üheile wid)tigften grage non ber Uleubegrünbung
beS Smpetium.
35aS IRefultat ber ^abetbornet Unterhanblungen war bie
(Einberufung einer JReichSoerfammlung nach JRom, in ber bie
weltlichen unb geglichen ©tofjen ber fRöntet unb ^ranfen bei
©elegenheit beS »on Äatl gur Unterftühnng bet Sache bes
3)apfteS gu unternehmenben JRömergugeS, über bie (Erneuerung
beS ÄaiferreichS beraten unb biefe Stage enbgiltig entfcheiben
feilten4 °).
3Rach biefem Jpauptergebuif? ber ISnwefenheit üeo’S am ftän«
fifchen £ofe, würbe er, mit (Ehren überhäuft, entlaffen unb ihm
gu feiner Sicherheit ein ©eleit oon ©rafen unb Sifdjöfen mit*
gegeben, fo bafc er ungefährbet »or JRont anlangte unb am
30. 9io»ember, oon ber wieber gu feinen ©unften geftimmten
23e»ölferung feietlichft empfangen, feinen (Eingug in bie feftlich
gefchmüdfte Stabt hatten fonnte.
Äarl hatten jeboch noch wichtige JReichSgefchäfte währenb
eines gangen 3ahte8 bieffeitS bet 3llpen gurücf; befonbetS hatte
er fein (Hugenmerf auf bie ^üftenbefeftigungen gerichtet, gu
welchem 3wecfe et eine 3nfpeftionSreife an bie ÜRotbfee unter*
nahm. £>ie fRücfretfe aber würbe benufct, um mit feinen »er*
trauten biplomatifchen (Rathgebern noch einmal ade, bie be»or*
ftehenbe JRomfahrt betreffenbe fragen in ihren (Eingelheiten burch*
gugehen. SDaS Dfterfeft feierte et in bet Stbtei St. fRiquier,
bei feinem Steunbe 3lngilbert, bet ihn als SBeirath auf ber fReife
(370)
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nad) {Rem begleiten feilte unb fic^ bagu bereit erflärte. Stlcuin
jebocb, ben bet Äönig in feiner ISbtei gu 5£our8 befudjte, lernte
bie 9Ritreife unter bem Botwanbe feines hoben Sllterö unb
baiiernbet Äranflicbfeit ab unb blieb feft bei feinem ©ntfchluh,
trefj ber wieberbolten auch een SRaing ubd? an ihn ergangenen
Bitten Äarl’8, bet ihm enblidf fc^cr^enb »orwatf, baff nicht bie
angeführten ©rünbe, fonbern bie rufsgefchmärgten SDädjet oon
£our8, benen er bie golbfcbimmernben Bogen {Rom0 eorgiebe,
itjn gum IDabeimbleiben beftimmten41). 3n $our8 ftarb am
25. 3uni 800 guitgarbe, Äarl’ö ©emablin. 3)eö ÄenigS treuer
8ebrer unb greunb weihte ibr eine ©rabfchrift, bie er bem fd)on
auf ber {Romfabrt begriffenen giirften nacbfanbte, wobl gugleid)
mit bem fcbeu früher erwähnten ©ebicbt, in welkem er burd)
ben 3utuf, ba§ ©ott felbft Äarl gum {Rector beg {Reiches ein*
gefegt habe, alle noch etwa ootbanbencn Befcenfen niebergufcblagen
fudjte. {Rom, bie .fiauptftabt ber Seit, ber ©ipfel ber ^oc^ftcn
©b«, bie ©djabfammer ber ^eiligen, erwarte ihn, alö ihren
{Richter unb genfer, baber bitrfe ficb ber äföuig nidjt bem ihm
geworbenen {Rufe bcS ©djicffalS cntgieben4 a).
{Rad)bem Äarl fo nod? einmal mit ben Bertrauten {Rat^S
gepflogen, fdjrieb er nad) SRaing für ben SRonat Sluguft einen
{Reichstag auß, auf bem bie {Romfabrt angefagt unb Slnbeutungen
über ben £>auptgwecf betfelben gemacht würben, bamit auf ber
beocrftebenben {ReicbSoerfammlung gu {Rom bie fränfifdjen ©rohen
burch baS plöblidje Sluftauchen ber Äaif er frage nicht überrafdjt
unb auS gurdjt, bah mm ber ©cbwerpunft beS {Reichet! non
Aachen nach {Rom oerlegt werben möchte, in ihren ©ntfchliehun*
gen fchwanfenb würben. Äarl bat wohl nie baran gebacht feinen
Sobnfif} bauernb in {Rom gu nehmen; beu gtanfen aber muhte
biefet ©ebanfe guerft fommen, alö fie oon ber SieberberfteUung
beS alten {RömerreicbS b^ten48)- 3m September nerfammelten
ftch bie franfifchen ©bien mit ihrem ©efolge, unb gegen ©nbe
beS {SRonatS würbe ber 3«g angetreten. JDetfelbe ging guerft
2* t»Tl)
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auf {Raoeuna, wo ber Äönig fiebea Sage blieb unb mit 3ohannel,
ben ihm eng befreunbeten ©r^bifd^of , einzelne bal Äaiferthum
betteffenbe fragen eingetjenb befpradj. 2lm 23. Nooember traf
man bei bem alten Nomentum ein, wo bet 9>apft, ber ©enat nnb
bie ©eiftlidjfeit ben 9>atriciu§ feierlichft empfingen, unb 8eo,
nachbem er mit bem Könige gefpeift Ijatte, biefem in einer län-
geren Unterrebung über bie ©timmung bet ©tabt unb anbete
wichtige SDinge Niittheilung machte. EDen nädjften Sag cnblich
erreichte Äatl in feierlichem ßuge längs bet ©tabimauern ^in«
teitenb, nad)bem er bie miloif^e ©rüde Übertritten, ©t.
f)eter, wo ihn ber §)ap;t, nom ©lerul umgeben, erwartete unb
ihn unter heiligen gobgefängen in bie Äit<he bei 2lpoftelfürften
geleitete44).
SBenige Sage nach biejem feftlic^en Günguge, am 1. EDe*
tember, trat ton bie ©erfammlung unter bem Namen einer
©pnobe in ber Safilifa ©t. $>etri gufammen EDet Äönig prä'
fibirte. Nachbem er bie ©erfammelten in feierlicher 2lrt ange»
rebet, ermahnte er fie über bie, gegen ben fPapft oorgebrachten
Klagen unb Bnfchulbigungen gu berathen unb ihr Urteil gu
fällen. EDie ©ifchöfe weigerten fich, über ben $)apft, ber fie
richte, gu ©eridjt gn fifcen, über ben ©telJoertreter ©^rifti, bet
ton Niemanbem gerichtet werben fönne. EDurch biel oon 8eo
mit ben ht£a Äirdjenfürften f<hon »orher befchloffene EMuftreteu
bet ©eiftlidjfeit, entwanb bet Nachfolger bei Ülpoftel! auf fluge
SBeife bem Könige unb gufünftigen Äaifer bal {Recht, it)u cot
fein Sribunal gu giehen. ®r erflärte ft bereit, wie eiuft $)e*
lagiul (555—559), ben man ber Sheilnahme an bem Sobe
feine! ©organgetl ©igilinl (540 — 555) betulßigt halt burd?
einen {Reinigungleib jebe ©chulD »on fich i[l weifen; bod) foUte
biejet rein perfönlte ©ntfdjlu^ für feinen Nachfolger feine bin«
benben folgen haben. Äarl, obwohl »on Seo’l Unfdpulb nicht
tolifommen übergeugt, gab bem päpftlichen Slntrage feine 3u=
ftimmung, unb fo erjchien am 23. EDecember ber §)apft auf ber
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.Kangel in her Äird-e bc§ Apoftel?, bie (Snangelien in ber .panb,
bie ^ctttijc ^DreicinijjTcit anrufenb, um eiblict? gn erhärten: bafj
et, ?eo, bet IDberpriefter bet ^eiligen römifchen .Kirche, non
Utiemanbem gerichtet, ncd) gegwungen, fcnbern auö fteiem 3Biden
in 910er ©egenwart not ®ott fid? reinige, bie Verbrechen, beren
man iljn tefchulbige, Weber nerübt nod) angeotbnet gu haben4 s).
hierauf Iit§ fid? bet 9>apft neben bem Könige nicbet, worauf
tiefer, bie fdjcn früher gum 2ote nerurtheilten Auflager gut
9ii<htftatte ju führen befahl. ©0$ £eo, felbft etft einet großen
©efahr entreunen, unb non nicht gang flecfenlcfem ©ewiffeu,
fühlte UJtitfeib mit ihnen unb bat für fie bei Karl, ber ihm @e*
hör fdhenfenb, fie nach ^ranfreich in bie Verbannung fdjicfte.
Pachtern biefe nerwicfelte Angelegenheit hiermit beenbet war,
füllte nun bie jdjon jo lange [djirebenbe Kaiferfrage enbgiltig
gelöft unb bie erhabene Stellung, welche bet .König bet ^tanfen
„burdh bie fföadjt bet $hatfachen" erlangt h^tte, andj burch
feine, wie er wünfdjen muffte, freie, »on ben fRömern unb gtan*
fen in ©emeinfcbaft mit bem Raffte unb ben Vifdjöfen nod»
gogene 5Bal)t gum römifchen Kaifet eine legale Sanftion ethal*
ten. ©ine rechtliche Vegrüntung gut Vornahme tiefet 35oh
gab bie ©eiftlichfeit im Flamen beö ^ßopfteS mit bet ©tflätung:
bafe, ba bet faiferüche 9tame mit ber $errf<haft ber 3rene et»
lofchen fei, ein neuer 3mperator gewählt werben muffe, unb baff
bie Sahl nur auf ten mädtigften .jpertfcher ber ^^riften^cit,
ben 9>atriciu8 bet jRömet uuö .König bet granfen unb 2ango»
barten faden fönne. £ie weltlichen @ro§en ftimmten jubelub
bei, unb fo würbe bie feierliche ©rljebuug auf bem 3Beihna<bt8»
unb 9ienjahr$tag, ben 25. ^December 800 (1. 3anuar 801) feft*
gefegt* 6).
Karl erjdnen an tiefem Sage auf SBitte 8eo'8 im ©ewanbe
beö $>atriciu84 7)r angethan mit bet Sunifa, bet ©hlcmpö nnb
ben feitenen Santalen, umgeben non bet glangenbften Vetjamm»
lung non ©rafen unb Vifdböfen in bet Vafilifa beö Apoftel»
(«*)
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fürften. 5>et $)apft celebrirte bag $ochamt. 2) et jfönig fniete
an bem ©rabe beg ^eiligen betrug unb banfte ©ott inbrunftig
für bie ihm bisher erwiefene ©nabe. [Darauf erhob er fic^, hörte
fteijenb bag ©oangelium, unb nach 23eenbigung beffelben auf
ben Slltar pfchreitenb, wollte er bie auf bemfelbeit liegenbe Ärone
faffen unb fidj felbft auf bag $aupt bröcfen; bod? ba ergreift,
wie ton göttlicher ©ingebung getrieben, ber $)apft bag JDiabem
unb ton ben Stufen beg tflltarß tot ben in SSerehrung beß
^eiligen bie j?nie beugenben jfönig fyintretenb, todgieht er bie
Krönung48), ^arl über biefe unerwartete 2hat betroffeu, fid)
jeboch ber heilige« Stätte, an ber er fich befinbet, erinnernb,
lafjt bie fühne Smpromfation geliehen. 5)ie Umftehenben, nur
ben Stet ber Krönung im 3luge, jauchen, wie änaftafiug berichtet,
tom heiligen betrug befeelt, ber feierlichen £>anblung gu, bag
Soll fallt in ben Subelruf ein, unb taufenbftimmig ertönt brei*
mal ber alte römifche 3utuf: „£>eil Äarl, bem burd) ©ott ge«
frönten alletftömmften unb herrlichften, bem grofjen, griebe ftif«
tenben Äaifet, geben unb Sieg!"
9Rit biefem 3«tuf war nun eine bet widjtigften 2haten in bet
@ef<hi<hte ber füienfdjheit tolljogen, — ber@runbftein gelegt gu bem
ruhmreichen abenblänbifchen Äaiferthum. ©g war ein neueg 3mpe*
rium begrünbet worben, bag gwarbutch bie@rinnerung an bag unter«
gegangene SBeltreich in’g geben gerufen, bo<h mit biefem 0Rid>tß gemein
hatte alß [Rom, bie ewige Stabt, welche bet ibeelle SRittelpunft beß
[Reicheg blieb, währenb ber wirfliche Schwerpunft beffelben bieg«
feitg ber Silben lag49). „3)ag eble SBolf ber grauten" fo mein«
ten bie fränfifdjen ®rof>en mit CRecht, ift, nach ©rhebuug feineg
Äönigg, trüget beä Äaiferthumg geworben, unb beibe, granfen
unb 3mperium hoben „eine unauflögliche ©he“ ftefc^Ioffett , ba*
her bie granfen „alg fraget ber römifchen 5Racht unb [Rechte"
fich auch i« gewiffem Sinne alg [Römer betrachten fönnten50).
2)ag 33olf jubelte laut über bie ©thebung beß Äönigg unb
$>airiciug. 3)em neuen 3mperator aber mifchte fich *i« trüber
(37«)
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ÜJiifcton in bte ^reube übet ba8 nat fo langem Kampfe enb»
lid? erlangte jfaifetbiabem. @r hatte im 33oUbemuf}tfein feinet
erhabenen Stellung ben papft al8 feinen Untertanen betrat»
tenb, wie einft nat einem 3ahrtaufenb ber gtofje Äotfe, ber fit
ja and) 9iatfolger Äarl’8 be8 ©rofjen nannte, fit felbft bie
Ärone, fte non fJtiemanbem, aufjer non ©ott empfangenb, auf
ta8 $aupt fejjen woUeu. 2)iefen berettigten Söunft eines et»
babenen SelbftbewufjtfeinS hotte ber eben gebemütfyigte £eo
burtftaut unb mit fein beretnenbem Starffinn bie ©eiegen*
beit erfannt, um ba8 burt ih« fo erniebrigte päpftlite Änfeben
miebet gur ©eltuug gu bringen. 2)a8 ÜJiittel ber 3nfpiration
bot fit oon felbft, unb feine geftiefte '.Mnmenbung am 2Beih»
nattstage fiterte bem Papftthum einen mittigen Triumph, ben
aut Äarl nitt unterteilte, ber oielleitt weniger im ©efübl
eines gehäuften GrbrgeigeS als im propbetiften $inblicf auf bie
blutigen, au8 biefer päpftliten 3mprooifation entfpringenben
.Stampfe, weite oiele 3ahthunberte mit Steeden unb ©lenb er»
füllen follten, jenen fo oiel gebeuteten 2lu8fprut tat: baf), wenn
et bie iflbfitt be8 papfteS hätte oorauSfeben fönnen, er trofc be8
hoben gefttageS nitt in bie jtirte gegangen wäre41)-
9tat feiner fHnfitt ftanb bem Papft, wie e8 aut im alten
S3unbe bei bet ©rbebung Saul’8 unb SDaoib’8 gefteben, nur bie
Salbung ju, wie er felbft fte oon Stephan empfangen, oon
£abrian an feinen Söhnen Pippin unb ifubwig hatte ooKaieben
laffen, unb aut an bem jtronungStage für feinen älteften Sohn
jtarl, bem präfumtioen Uheoncrben, bet gum erften SRale feinen
fBater nat 9iom begleitet hatte, oon 8eo III. oerlangt bat41),
obwohl ba8 ©eftlett bet Pippiniben für alle ©migfeit burt
Stephan jur ÄrönungSherrftaft gefalbt worben war.
2)ie Ärone aber, ba8 Spmbol erhabener 9tett8gemalt burfte
fein priefter barreiten, bie mufite Der £errftet fit felbft auf
baö £aupt fe£en, jum ^eiifen, bafj er aufjer ©ott, fRiemanb
über fit anerfenne. 3»ar hatte er, um bie firtlite $eier nitt
ms)
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gu unterbredjeu, bie Ärönung burd? ben $apft ohne 5Biberfpruc£)
gesehen laffett, gumal 8eo gleich barauf butd) bie bem neuen
&uguftuS (nach bet ton Diocletian eingeführten , ton ben
djriftliihen Äaifern acceptirten, uttb ton ben Zapften ihnen gegen»
übet befolgten perfifdjen Sitte) bargebrachte ^boration53), gleich*
fam wie int bemüthigften ©ehotfam bie Oberhoheit beS ÄaifetS
anerfannte, bodj war et weit entfernt baton, bie ©onfequengen
gelten gu laffen, welche, wie et mit ftaatSmännifchet 33orau6fid?t
fofott etfannte, baS Oberhaupt bet Kirche auS biefet auf gött*
liehe Eingebung gefchehene Äronuug gu giehen ftd} beeilen würbe.
sBuch muhte er fchon an feinem ÄrönungStage fehen, wie 8eo
in bet für baS ülofter St. fRiquier auSgefteQten llrfunbe nicht
gu melten tergah, bah er auf baS ©eljeih ©otteS ä^arl gum
SluguftuS gefrönt habe, bamit ben fommenben ©efchlechtern im
©ebädjtnih bleibe, welches erhabene Ämt bet ^)apft bei bet SBieber»
auftichtuug bcS römifchen ÄaiferreichS befleibet habe.
2eo III. mufete jebod} noch felbft etfahren, bah Äarl gegen«
übet auS bet ton ihm fo fein etfonneuen 3ufpiration bet Ärö*
nung fein JRedjtStitel für baS ^apftthum begleiten fei. Der
Äaifet tetlangte mit bet unnachfichiigften Strenge, währenb ber
breigehn 3ahre feinet faiferlidjen Jperrjchaft, bie unbebingte 2fo*
erfennung feinet Oberhoheit in geiftlichet, wie weltlicher Se*
giehung, unb gab für feine unbejehränfte StadJtooflfommenbeit
ben fchlagenbften SeweiS, als er gut geftfefjung ber Otadjfolge
im SReid) fc^ritt, ohne auch nut ton biefem wichtigen ©reignih
bem Nachfolger ^«tri Nachricht gufommen gu laffen. Unb wäre
ftatt beS fchwächlichen ton 33enebift ton tÄniane geleiteten ?ub*
wig, bet bem Nater an ©eift unb jftaft fo ähnliche, tom 93olfe
geliebte unb ton ben ©rohen fchon gum Äönig bet granfen unb
römifchen Äaifer erwählte Äarl bem groben 93egrünbet bes
abenblänbifdjen .ftaiferthumS in bet ^errfdsaft gefolgt, fo würbe
baS ^)apftthum tielleicht nie feine, bem Neidje fo terhängnifj*
tolle 9Racht unb ©rohe erreicht, nie bie änerfennung feines
(»7«)
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butdjauS unbegrünbeten SnfptutbeS auf ©etleibung ber Äaifer»
frone erlangt tyaben.
Äarl ber ©rojje b«tte mit f<bmergetfülltet ©ruft baS tra»
gifdje ©erbängnifi, meines feinem fo mübeuotl begrünbeten äßelt«
reiche brobte, oorauSgefebeu, als il)m in furger Beit gwei ber
bojfnungSooüften ©öbne, Pippin (810) unb bet »cn ifjm gärt»
Hcbft geliebte Äarl (811) bur<b ben 2ob babingerafft mürben.
3u gut erfannte et bie Unfäljigfeit feines lebten legitimen ©obneS
gubwig, ber, nur in Sufjübungett unb Äloftergrünbungen ©e*
ftiebigung fiubenb, felbft mit bem ©ebanfen umgegangeu mar,
bie üJlöncbSfutte 31t nehmen, woran iljn jebocb feine firdjUdjen
©eratber ge^inbert Ratten mit bem Hinweis, baf) er 3um £eile
ber Äirtbe bem SReidje erhalten bleiben muffe.
fOtit bem greifen Äaifer füllten auch bie $ranfen, melier
trüben Bufunft baS Sfteidj unter gubroig eutgegeuging, unb eS
mar nur natürlitb, baf) ftcb unter geitung beS SbteS oon Gorbin,
Sbelbarb, unb feines ©ruberS, beS ©rafen SBala, eine ^ofpartei
bilbete, bie bem ©aftarb pippin’S, bem fräftigeu Könige bet
gaugobarben, ©ernbarb, bie 3teicbSna<bfolge fiebern wollte, unb
bei Jtarl lange 3eit für ihre Söünfdje unb 'Jlbftdjten gro&e ©e*
neigtbeit fanb. 55od j beim jfaifet, natbbem er lange mit fid)
gefämpft, fiegte enblidj baS ©atergefübl, unb fo berief er im
grübiabr 813 bie »ornebmften granfen, ©eiftliebe unb SBeltlicbe,
natb Soeben gu einet oertraulicben ©eratbung, um ihnen feinen
©ntfd)lu§ mitgutbeilen, ba§ ibm mit ihrer 3nftimmung gubwig
in ber Regierung natbfolgen {olle. 2>ie ©erfammelten billigten
bie SBabl beS ÄönigS uon Sguitanien, ber „um bei bem ©ater
feine ©eforgnifj 3U erregen"54) tro£ beS 3utebenS feinet Utatb*
gebet, ohne Sufforberung uon ©eiten jfarl’S nid)t natb *fla<beu
batte geben wollen, aber gumeift wobl in ber ©orauSfidjt, fitb
oom faifeTlicben ^>ofe fern b'ftt, bafj ohne feine Snwefenb*it
bie ©eiftlidjfeit für ihn erfolgreitber witfen werbe, für bie ja
fdjon bet brilige 'Paulinus unb Slcuin ibn jum jfaifer gewünfdbt
(377)
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galten, unb bie aud) jefet burdj ©inbarb, be8 J?aifeT8 bamaligen
©ünftling, erflaren liefe : bafe bie jfirebe unb ©l)riftu8 felbft Bubroig
gum 9tad)folger erforen Ijabe5*).
Äarl liefe nun, al8 auf biefe SBeife bie ©rbfolge feftgeftellt
war, feinen ©ofen nad) s2la<ben fommen, um ifen fo oiel al8
möglich mit ben ©tunbfäfecn feinet Regierung unb ben ^fUdjten
be8 -^errfcberS befannt gu machen, unb ibn gu unterroeifen, roie
et leben, wie regieren, roie ba8 ©eid) orbnen, unb e8 georbnet
erhalten foHe, beoor et itjm bie feöc^fte SSürbe bet (5l?riftenfeeit
»erliefe unb ifen al8 ©titfaifer annafem.
3(uf ber allgemeinen fHeidjSoerfammlung , roeld)e im ©ep*
tember gujammentrat, feiett er, naebbem alle anberen willigen
O'leicfeögeftfeäfte erlebigt waren, mit ben nerfammelten 93ifcfeöfen,
lebten unb ©rafen unb fränfifefeen ©rofeen eine allgemeine ©e*
ratfeung unb fragte fle iKüe, com £ö<bften bis gum ©eringften,
ob fie mit ib*n einoetftanben waren, wenn er ben faiferlidjen
Flamen auf 8ubwig, feinen ©ofen, übertrüge, ©ine freubige
Bewegung entftanb bei biefer ©röffnung, unb einftimmig ant*
»orteten 'JDe mit lautem ©eifall: „SDa8 gebubte fiefe, unb bem
gangen ©olfe gefiele e8 fo; e8 fei ©otteS ©ingebung." 3lm
nä<bften, biefer ©erfammlutig folgenben ©onntag, ben 16. ©ep*
tember 813iS), erfefeien nun Äarl, gefleibet in franfifdjem geft»
fd)mu(f, im golbburtbroirften Äleibe, in reid) mit ©belfteinen be*
jefeten ©tbufeen, fein ^>racfetfcfenjert an ber ©eite, ben mit gol-
beuen #afea befeftigten Äaifermantel um bie ©djultern, auf ben
Jtönig oon Aquitanien fiefe ftüfeenb, in bem oon ifem erbauten
©tarienmünfter. SDlit Abfi<bt featte er bie fränfifefee Äleibung
angetan, um gu geigen, bafe er bie Äaiferroürbe aI8 ein ©efi$*
tbum bet graulen erroorbeu habe« unb bafe er gang unabhängig
oon fRom unb ben [Römern, als Äaifet unb Äönig bet granfen,
fein fReidj unbefümmert um ben ^)apft au8 eigener ÜRad)toolI»
femmenbeit im ©inoerftänbnife mit bem ©olfe feinem ®ef<blecfete
oererbe.
(17»)
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3n feierlichem ©rnfte burd) bie ba8 DJtünfter ffiüenbe DieichS*
cerfammlung Ijinfdjreitenb, ftieg et gum ^ocpaltar tynatx, auf
bem bie, für ben fünftigen ^ettfc^er beftimmte gelbene .frone
niebergelegt war, unb an ben ©tufen nieberfnienb lag et lange
in ftiQem ©ebet, um ben ©egen ©otte8 fut fich unb feinen
Dlachfolger unb ba8 gefammte DReict) gu erflehen. Sftadjbem ftch
Seibe erhoben, wanbte ftd) bet gteife Surft not bet lautlofen
Serfammlung bet Sifchöfe unb ©bien an ßubwig unb ermahnte
it?n, not Allem ©oft, ben Allmächtigen, gu lieben unb gu filter-
ten, bie Äirche ©otteö gu regieren, feinen Stübern unb feinen
©chweftern eine treue ©tüjje gu fein, ba8 Solf gu lieben wie
feine ©öljne, treue unb gotteSfürdjtige !Diener angufteüen, welche
bie ungerechten SBerfe halten, nur gerecht richteten unb fich felbft
alle 3eit nor ©ott unb allem Sol! untabethaft geigten57). 9tacf}=
bem er fo in furgen 309?«, mit ber il)m eigenen ÜRajeftät bet
Diebe bem @ol)n ein Sifb feiner eigenen DiegierungSgrunbfähe
tcr oerfammeltem 23olf entworfen, fragte et gubwig, ob er fei-
nen ^Befehlen gehorfam fein wolle, worauf biefer antwortete, baff
er mit Stcuben gehorchen unb mit ©otteS pfeife alle Sorfdjrif*
ten , welche ihm ber S3ater gegeben , treulich beobachten wolle.
Dlun befahl ber Jfaifer bem Äönig non Aquitanien, bie .frone
mit eigener <£>anb oon bem Altar gu nehmen unb fich auf ba8
£aupt gu fe^en, gur ©rinnerung aller gehren, bie er non ihm
empfangen. Unter bem Subelruf ber SSerfammlung: „68 lebe
ber Äaifer gubwig!“ ooUgog biefer be8 Saterb ©ebot. ^Darauf
würbe ein feierliches Hochamt gehalten, nach beffen Seenbigung
Äarl, fich auf ben jungen .faifer ftuhenb, gefolgt oon feinem
glängenben £offtaate in ben §)alaft gurüeffehrte, wo ein fröhliches
©aftmahl bie feierliche £aublung befchlof}58).
DJiit biefem Aft erhabeufter Äaifergewalt hatte Äatl bem
Zapfte unb ber ^Jriefterfchaft gegeigt, baf) er feine eigene, burep
geo noflgogene Ärönung nicht als ben AuSflufj päpftlicher DJtacht*
»ollfommenheit angefehen wiffen wollte. £De8 SaterS gehren
(S7»)
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Waren audj bei bem fonft fo frommen unb bet ©eiftlicbfeit er*
gebenen ©ohne nidjt gang frudjtlo8 geblieben, wie ba8 Verfahren
bemeift, feine 5Regierung8jabre nur nad) bet non ihm gu Slawen
felbft nollgogenen Ärönung 31t gablen.
'Jlber wagte aud? 8eo III. nicht, gegen biefe ben 3«>ecf
feinet mit fo fluger '-Berechnung am 2öeibnacht8tage 800 au8*
geführten Snfpiration »ernichtenbe ©bot be8 non ihm fo gefürch-
teten f$ranfeufaifer8 3n proteftiren , unb aud) nid)t bei 8ubwig
baran 31t erinnern, fo wufjte bod) fein Sßadjfolger ©tepban IV.
auf gleid) fluge SBeife bn8 ron Seo gefteefte Biel 3U erreichen.
@r hfltte, mie fein l'organger, fofovt nad) feinet am 22. 3uni
816 ftattge^abten Söa^l, bie ohne faiferlidje Suftimmung gar»
nicht hätte erfolgen bürfen, ©efanbte an Subwig gefchieft, ihm
feine Orbinatiou an3U3eigen, fowie, baff er ba8 römifdjc Sßolf
bem .ftaifer höbe $reue fdjwören taffen; gugleidj lieft er anfragen,
ob ber .ftaifer ihn perfönlid) empfangen molle, ba er wichtige
SDinge mit ihm 3U beraten höbe59).
©er gürft erteilte fofort feinem 9ieffen, bem ßangobarben*
fönig 93evnbatb, ben Sefebl, ben $)apft nach SHbeimö gu geleiten,
wobin er im ©eptember 816 fleh felbft begab, um ©tepban
würbig 3U empfangen. 9118 ibm bie 9lnfunft beffelben gemelbet
würbe, ritt er ibm mit faifetlicbem ©efolge entgegen unb fprang,
fobalb er ben heiligen SOater erbliche, 00m $)ferbe, bolf ibm ob*
fteigen, beugte fid) breimal oor il)m 3ur ©rbe unb rief: „®e*
lobt fei, ber ba fomrnt im tarnen be8 $errn, ber ^err ift ©ott,
ber un8 erleuchtet." Söorauf ber $>apft erwiberte: „©elobt fei
unfet .perr ©ott, ber meinen Äugen gab 3U feben einen gweiten
Äönig ©anib."
9lm nächften ©ormtag, ben 30. Dctober, hotte nun üubwig
bie bef!agen8wertbe @cbroad)e, fid) unb feine ©emablin Srmingarb
nochmals frönen 3U laffen, bieeburch beä '})apfte8 ÜReinung be*
ftatigenb, baf) burd) feine, ohne päpftlidje Äfflfteng »ollgogene
.Krönung im 3abre 813, bem heiligen ©tubte ein f<hwere8 Un»
(JSO)
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recht angetan worben fei. 2)iefen einen £au}>tjwecf Ijatte
Stephan nur im tSuge gehabt, alb er feine Steife nach graafreich
antrat. @r bradjte ju ber oou ihm beabfidjtigten .Krönung
„eine golbene, mit ben werthoollften Cfbelfteiuen gefdjmiicfte
.Krone »on wuubetbarer ©djönheit", non ber et oorgab, bafj fie
ehemalß Konftantin bem ©rcfien gehört l)abe60). 2)od) wollte
aud? er, wie einft ^abriau .Karl gegenüber, nicht cl)er bie faifer»
liehe SOtajeftät burdj feine gottgefegnete <£>anb beftätigen, beoor
gubwig nid^t alle non feinen SBorfatyren außgeftellte ©djenfuugß*
uifunben auerfannt uub burdj neue ncrmetyrt hatte. 35er fdjwache
Äaifet beeilte fidj , biefem Verlangen auf baß 23ereitwiHigfte
nadjjufommen, unb baß non ihm außgeftellte ©cheufungßinftru«
ment bilbetc fortan bie ©runblage aller non ben fpäteren
Äaifern geleifteten ÄrönungSeibe. Sticht auf bie zweifelhaften
©djenfungen Äouftantin’8, ^ippin’ß unb Äatl’fl beriefeu fich
fortan bie 3Ra<hfolger beß äpoftelfürften, fonbetn auf bie Urfunbe
gubwig’ß beß frommen, ber ihnen faft ganj Italien alß Patri-
monium Petri überlaffcn hatte.
(frft nad)bem biefer »idjtigfte $>unft erlebigt mar, fchritt
Stephan i „froh ber eigenen @hte unb über $)etruß ©efchenf",
jur feierlidjen Krönung, bei welcher er, wie einft Stephan II.,
für bie Sladjfemmen beö farolingifdjen ©efchlechfß beß Slflmäcb-
tigen ©egen erflehte, auf bafc fie bie granfen unb baß mäd)tige
Stom eben fo lange beljerrfcben, alß ber djriftliehe Stame auf
ber (Stbe ertöne61).
SDtit biefer pä)?ftlidjen ©anction ber .Kaiferwürbe würben
erft jene Sluffmidje in’ß geben gerufen , welche bae $)apftthum
fpater erhob, baf) eß allein bie jtrone beß Sieidjeß gu oetleihen
habe. 3)en proteft , ben .Karl ber ©rofce gegen bie häpftlid^e
Slnmafjung im 33orauß eingelegt hatte burd? bie Krönung ju
Slawen, hob ber fdjwadje gnbwig butd} ben ÜBorgang ju Stheimß
wieber auf. 3mar fal) er in biefer Krönung wohl nur einen
5lft ber ^ulbigung beß PapfteÖ , aber für bie Bufunft würbe
(»81)
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biefe ©djwäche be8 Jlaifer8 »erfyingmf)»olI( wie er e8 felbft
nod) bei bert ©mpörungen feiner ©ohne fchmerglichft erfahren
foHte.
3)a8 ©efdjlecht beS grofeen Äarl entartete fdjneH. ©d)en
gothar, obwohl neu feinem Vater in Boiler NeidrSoetfammlung
gum Nlitfaifer angenommen, folgte ber ©inlabuug be8 $)apfte8
$>afcfeaii8 nach Nom, um am ©rabe beö ^eiligen $)etru8 bie
.Krone aus ben £änben be8 ©tattfealtetS ©^rifti gu empfangen.
gothar'8 ©ohn gubwig Ieiftete ben erften ÄrönungSeib oor ben
filbernen Pforten ber Vaftlifa ©t. 9)etri unb empfing bafür bie
feierliche ©albung, JErünung unb ©djwerbtumgürtung als König
Bon Stalien. Äaifer geworben, mufete biefer auf Stalien allein
befeferänfte 3mperator e8 erleben, bafe ein wortbrüchiger gango*
barbeufnrft ihn unb feine ©emahlin fd)impflid) gefangen bi^t
unb ben Nachfolger Äarl’8 beS ©rofeen nur gegen einen fchmacb*
Bollen @ib au8 ber J£>aft entliefe, ber ihn hinberte, ben unerhör*
ten ©djimpf gu rächen. IDiefer Urenfel be8 grofeen Karl rühmte
fich fogar ber päpftlichen ©albung gegenüber bem ihn fpöttifdj
„Niga" titulirenben oftrömifchen Kaifer, unb entwicfelte mit 33e*
rufung auf baö alte £eftament ba8 bem Zapfte guftefeenbe Necfet,
nach bem SBiöen ©otteS einen dürften nerwetfen unb an feiner
©teile einen anberen erheben gu fönnen. Karl bet Kahle war
fchon fo weit gefunfen, bafe et fich al® VafaH beS Nachfolgers
9>etri belannte, unb nach feinem SEobe fonnte 3ohaitn VIII. felbft
barart benfen, einen armfeiigen fatolingifdjen gehnSmann, ben
Abenteurer S3ofo oon f})rooence, ber bie SEochter beS Kaifet
gubwigS II. auf bie freebfte SBeife gu entführen gewagt hatte,
auf ben SEhron ber alten ©äfaren gu erheben.
<Die ©ntfrttlichung in bem farolingifdjen .fjaufe, bie fich in
bem wilben geben gothafs II. am wiberlichften barftedt , gab
ben Zapften bie Ntacht an bie £anb, gegen bie Nadjfommen
beS VegrünberS ber faiferlidjen SDpnaftie mit unerhörter ©ering»
fdjäfeung unb Verachtung Borgugehen. 3)ie fräftigen ©eftalten
(383)
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eine« Äntlmann, eine8 Slrtiulf marf ein gtaufameS ©cfchitf auf
ba8 Siechbett, währenb bem geifte8fchwacben .Sari bem ©icfen
noch einmal ba8 ungeteilte fReich feines UrabuS gufiel.
SDiefet jdjnelle Untergang ber Äarolinger aOein fd)uf ben
Zapften bie 33afiS gu ber non ©tegot YII., Sunoceng III.,
©onifag VIII. erftrebten ^ierarc^ifc^eu Unberfalmonarchie. Dhue
5Rifolau8 II-, ber guerft auf bie ©fcuboiftborifdjen ©ecretalen
ft<h gu berufen wagte unb ohne bie, bie faiierüdje ^)errfd?aft
fpftematifch untergrabeube SUjätigfeit So^ann’S VIII. hätte
©reget VIL nie ben Sag »on ©anoffa erlebt. SDiejet gewal»
tigfte oder Zapfte, ber „mit ber Äunft be§ gewanbtcften ©ema*
gegen" bie reoolutionäre ©eroegung in ben nerfdjiebenften
Staaten gu leiten »erftanb, rief bie Sadjfen gur Empörung gegen
Heinrich IV. auf unter Berufung auf Urfunben, welche con Äarl
^ettü^ren füllten. „3« einer <£>anbfd)rift jfarl’8 be8 ©tofjen",
fo fchtetbt er im 3abre 1081, „bie im $rchioc gu JRom aufbe*
wahrt wirb, fteht gu lefen, bafj genannter Äaifer alljährlich
1200 ©funb Silber für ben ©ienft be8 apoftolifd^eu Stuhles
an brei Drten feines SReic^eS einfammelte, nämlich gu 2latf>en,
gu ©up ©otrebame (in Slnjou) unb gu Saint @ille8 (in &an*
gueboc). &ud) braute berfelbe Äaifer bem heiligen ©etruS, nach»
bem er Saufen mit beffen £ülfe erobert biefe ©rouing
gum SBethgefchenf bar, inbem er foldjergeftalt ein ©enfmal
gugleich feiner SSnbacht unb ber Freiheit aufrichtete, worüber
bie Saufen ncd) heute f(hriftliche Urfunben beftfcen, wie e8 bie
©erftänbigen unter ihnen wohl wiffen6*)."
9iad) biefer Urfunbe unb bet päpftHdjen Auslegung ber*
felben, hätte ftch Jt'aifer gfarl als ©afaU be8 heiligen Stuhles
befannt unb ©fröret63) fonnte nicht unterlaffen, im ^tnblicf
auf ben ©regorianifchen ©rief unb ba8 ©erhalten SBinfrieb’8
gegenüber bem römifchen Zapfte mit echt ultramontaner So*
phiftif ben Satj auSgufprechen: ,,©ie beutfche Äirdje unb ba8
beutfdje IReich ift auf ben Reifen ©etri gegrünbet worben, unb
(MJ)
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nur mit offenbarer gelonie fann ein JDeutfdjer ben Zapften Streue
»erjagen." 2lber baS Sateranarchi» ift reich an ähnlichen 3)ocu«
menten, an jenen jdjmacfy»ellen gälfdjungen, bie für irgenb einen
beftimmten 3wecf fabricirt, für bie @ef Richte beS ÜJlittelalterS
»cn fo »erbfinguifjo oller SBirfung waren unb bereit ftd) bie
(Surie bis auf bie jüngfte 3«t jum Unbeil ber Staaten mit
großer ©eroanbtbeit ju bebienen gemußt \)ai.
$>ippin’S (Srbebung unb Äarl’S beS ©rofjeu Äaiferfrönung
waren bie erften Stufen ju ber b*erar(tytf$en SlQgewalt beS
$>apfttbum§, baS im 8aufe ber Sabrbunberte ben Untergang beS
unter feinen 9lufpicien begrünbeten, heiligen tömifdjen {Reiches
beutfdber Nation beförberte unb in unferer 3^it mit bem lebten
{Reft feiner Äräfte burd) ben alterSfdjwadjen SDlunb beS unfehlbar
erflärten §)iuS IX. ba§ nach fdjweren Kämpfen neubegrünbete
beutfche {Reich verfluchte unb $u 3ertrümmern trachtete.
(SM)
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^rniirrhiutgrit.
1) Bergt Aen. VI. 582 f.
2) 'Bergt 3anu8, Der i'apft unb ba8 Sencil. tfcipjig 1869, 3. 87.
3) Bergt 5lbcl, gorfcfyungen j. bcutfd?. ©ejd?. I., 3. 532.
4) SDöflinger , Sag Äaifertljuin Äarl’8 teS ©reffen. üJlünd?. I;.
3al)rb. 1805, <5. 338.
5) 3affe, Reg. Font No. 1 882, p. 211.
6) Sbjim, Äarl ber ©reffe. Seutfdf. Sluggabc. ÜJJünfter 1868,
©. 1Ö3.
7) 3 ci ff e, Bibliotliec. rer. gerni. IV. (Monum. Carol.) ep. 96,
p. 280.
8) Soffst Reg. Pont. No. 1902, p. 214.
9) 3dff4, Biblioth. rer. gmn. IV., ep 61, p. 199 f.
10) 5lbel, Äarl b. ©roffe. 3aljrb. ber bcutüb. ©efd). , 3. 200 f.;
2lbel, gorfdmngen I., 3. 495.
11) 3affe, Biblioth. IV., ep. 53, p. 177, fefct Hefen Brief in 8
3nf>r 775 , Slbel, unb 'Unbere in’8 3al;r 777.
12) 51 bei, Sortf. ©. 496; Äarl b. ©r. 208 ff.
13) 3offe, Reg. Pont, p 208 ad an n. 781. '^cry. M. G. Scr. X.
567; XI., 399. SIbel, Äarl b. @r., ©. 813, Br. 2. 3n ben ?lnnalen
Sinf)arbi a. 781 : unxit etiam et Hludovicum ejus, quibus et coronam
imposuit. Sieg lefjterc fann jebodj nicfjt erwicfen »erben. Bergt 3Baig,
33erf.»@cfrf>. III., 213, 214 n. 1, 220.
14) Bajrmann, g)clitif ber 'J)apfte, I., ©.273; Söffe, Reg. Pont,
ad ann. 781, p. 208.
15) Bergt Sugenl)eun, ©efcb. b. beutfcb. Bolfe8. Bb. I., ©. 400.
16) 5lbel, Sforfdjung. I., 3. 530 f.
17) ©inf). o. Ä. c. 19 (3bler I., ©. 78).
18) Alcuin op. ed. Frob. II , p. 550; ÜJligne, Patrol. 98 (Ca-
rol. opp. II.) cot 1350; ©regorcbtuS, ©rabmölet ber $)äpfte, 3. 25.
XIV. 333. <384)
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19) Sperß, M. G Scr. X., p. 454. ffiaiß, S8erf.»@efc§. III., 175'.
5El;jim, ©. 150, 159; ©frcrer, Äirtbeng. III., 2 ©. 666; ©ugenljcim,
a. a. £). I., 400 ff.
20) Sotlcti, Collect. Concil. VII I. 1561; SRemer 12, 17.
©priidje 3, 7.
21) ©ugenl>eim, a. a. Q. I., ©. 401.
22) $)erß, M. G. Scr. I., 182 f. SBergl. lieber bie 33ebeutung
ber Ueberfenbung beb ©ctylüffelb unb beb Scanners, ©regoboriub, ©ejd?.
ber ©tabt üRorn, II., ©. 508 f.
23) Saffe, Cod. Carol. p. 356. 3(ud) SBngilbert trägt er auf,
bcu i'apft an einen ebrenöotlen SBanbel ju erinnern: ammoneas eum
deligenter de omni honestate vitae suae et pra-cipue de sanctorum
obaervatione canonum, de pio sanctae Dei ecclesiae gubernatione
etc. loc. c. p. 353.
24) 2(lcuin, opc. I. p. 882: Catholicos est in fide, Rex in
potestate, Pontifex in praedicatioue; Judex in aequitate. 3n
ep. 124, p. 183 toirb Äarl angerebet: Dilectissime et honorande
Ecclesiarum detenaor et rector!
25) Sllcuin, 1. c. p. 177; Sffiaiß, Sßerfgefd). III. ©. 192. Stniu. 1.
26) Sülcuin, 1. c. II., 220.
27) 2)cllingcr, a. a. O , @. 318; ©enft. ÜKanaffe (M. G. II.,
743) berietet, baß 9eo juerft an ben oftrömifeßen .pcf fid) gewannt l)abc
unb alb bieb frudjtlcb gemefen, an Äarl.
28) SJtjeopfjaneb, Chronogr. ed. Bonn, p. 305. Hergl bagegen
21 bd, Äarl b. ©roße, ©. 318.
20) SB bei, Begebungen L, ©. 516.
30) Annal. Laurissens. maj. M. G. I., 174; SBnnal. ©inljarbt,
M. G. I., 175. SBbel, Äarl b. @r., 512, 522 ff. unb öorenß, ?eb.
'lllcuin’b, ©. 119.
31) 21 bei, a. a. £>• 510; Seibniß, Annal. imp. I., p 147 feßt
bie SBertreibung ber 3>enctianer in’b 3aßr 789.
32) ©b mar bicb bab ©ebiet, toelcbeb i'ippin, Äarl'b SRater, D>apft
©tepfyan III. nach Unterwerfung beb Üongcbarbenfonigb 2t iftulf jutn
©cjißenf gemacht batte, ©b umfaßte ben ganjen Äfiftenftrid) füblid) »cn
ber SpoJBlünbung bis natty säncena tjin, ccnt Üieno unb bem Oificfen beb
SBppcnnin im SBeften begrenzt.
33) üeibniß, 1. c., ©ugenßeitn, ©efeb. b. beutfefy. SBolfcb 1., ©. 395.
34) Sfcllinger, a. a. £)., ©. 336 f.
35) STöflinger, a. a. £). 341.
36) £öllinger, a. a. £).
37) Stl;eopl)aneb, Chronogr. ed. Bonn. 1., p. 737.
(3S6)
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38) ©ergl. über biefc ©reigniffe ©regorooiu«, a. a. D II.,
©. 526; Sßjim, a a. £>., ©. 276.
39) 2)aß Sllcuin nicht bcr ©crfaffer jeigt Sorenß in Sllcuin’« Vcl'cn ;
waßrfcßeinlicß ift Slngilbert ber ©erfaffer. ©ergl. 26attenbacß, 2). ©fcßtSqu
2. Stuft., ©. 121 f. $erß, M. G. II., 391—403.
40) SDolltnger, a. a. £>. 343; £eo, ©orlefungen über bie toutfcß.
©efcß. L, 510; ©ugenßeim, a. a. £>. I., ©. 404.
41) Stlcuin, opc. ed. frob. ep. LXXXI. I. p. 120; ep. XCIII.
I p. 138.
42) Sllcuin, ep. 90; 91 frob. I. p. 131 f. ßinficßtlicß bcr CDebi*
cation: Ad splendorem imperialis potentiae (ep 103 frob. 1 , 153)
gl. Tölünger, SÖRüncß. ß 3aßrb. 18G5, ©. 344; ©ajnnann, a. a 0.
I., 313, 7.
43) Jßjim, a. a 0. 280; J'cllinger, a. a. 0. 367.
44) ©reger, a. a. 0. II, 538.
45) 'Jlften biefer ©erfammlung ftnb nicht auf un« gefommen; nur
bie 5Heinigung«formel , welche |)apft ?eo fpracß, ßat ©aroniu« au« ben
rßmifcßen Streifen mitgett;eitt. £>efele, ßonciliengefcß. III., ©. 689.
46) ®öllinger, a. a 0. 347 ff.
47) Einbarb. B. Ä. 23: „Peregrina vero indumenta, quamvig
pulcherrima, respuebat, nec umquam eis indui paticbatur, cxcepto
quod Romae semel, Adriano pontifiee petente, et iteruni Leone
snccessore ejus supplicnnte, longa tunica et ehlainyde amictus,
calceis quoque Romano more formatis induebatur.“
48) ©o ftetlt bie ßriSnungSßanblung bar SEßfim, a. a. 0., ©. 282;
343. $arl ließ ficß in feinem gelehrten Äreife 53aeib nennen; feilte er
ficß biefc« feine« ©orbilbe« nießt erinnert haben, Bon bem c« ßeißt:
Paralipom. I. XX. 2: David regis illorum coronain . . . illius
detractam capiti suo imposuit. ©ergl. 21 bei, ©tybel« Beitfcßr. 1867.
49) ©icfel, Acta reg. et. imp I. p. 263 bemerft, baß bie bei
jeber iTarftellung Bon &arl’« Krönung angeführte ©Ieibulle mit bcr
llmfcßrift: Renovatio imperii, welche al« ©ewei« ber Bon Äarl bem
©roßen beabfichtigten Erneuerung be« roeftrümifeßen Speiche« gebeutet
würbe, gar nießt biefer 3fiti fenbern ber Äatf« be« JDicfen angeßort.
50) 2)ollinger, a. a. 0. 361 ; Ermold. Nigell. II., 68.
51) Einh. vit. Kar. c. 28.
52) Äarl war ber ©oßn $ilbegarb’8 unb ber Liebling feine« ©ater«,
er warb 772 geboren unb 790 jum Iftönige Bon ©euftrien ernannt.
Taß er ju ©Jeißnacßten 800 jum romifeßen Äönig gefalbt worben, ift
nur au« bem ©erießte be« Stnaftafiu« , einer Stnfpielung be« groboarb
unb einem ©riefe 'JHcuin’8, ber bem jungen Äünig ßierju ©lücf wünfeßt,
3* (*»7)
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bcfannt. Ep. 178 ed. Frob. I. p. 240. Vereng Men Stic., 3. 240
Kinh. vit. Kar. ed. Ideler I. p. 212. ©ergl. a. a. 0. 3. 251.
53) ©ergl. bie eer}ügli(f>e ©efpred^ung ber fo eielfacp bcbanbeltcn
§rage über bie ©cbeutung ber Liberation bei Soilinger, a. a. O. 304 f.
54) Astronom, vit. Ludov. c. 20.
55) Ermold. Nigell. I., 569 ff.; 597 f.; 11, 31 ff.
56) Seibniß, Ann. itnp. ad ann. 813 I. p. 290; gunf, üubwig
ber fromme, bejeidjnet ben 11. September als ÄrönungStag.
57) SLfyegan b. Mon. Germ II., 590.
58) Ermold. Nigell. II., 76 f.
59) Sbegan, c. 16 M. G. II., 590
60) Sfycgan, c. 17.
61) Erm. Nigellus II., 441 ff.
62) Saffe, Bibi. rer. Germ. II., 468. Registr. VIII. 23. SBergl.
3. 31 bei, $a8 frönt. fReid? unter Äarl b. ©roßen.
63) ©frörcr, ©reger VII. ©b. II., 410.
(»88 »
Irurf ren <U«tr. linjjfr (ifc. tfrtram) in Berlin, 17 i.
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Heber bas <Solb.
Xladt) Borträgen, gehalten in (Sobesberg 311m Beften einer
fyöfjeren Knabenfcfyule unb in Bonn jum Beften 6es
(Buftap= 2iboIpfj * Bereins
t>en
S)rof. ©. oom Uaty.
ßetli» SW. 1879.
SBetlag oon <5 a 1 1 # a b e I.
((. iS. tnbrrili’sitn VnlogsbiidiliiiRbliiag.)
33. IBil&rlm • sttafct 33.
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35afl 9ted>t ber Ueberfefcung in frembe Sprachen wirb ocrbefialten.
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,3Jet Slbmiral ber römifcfaen glotte, Gaju8 $)liniu8 ©ecunbuS
ber keltere (geb. 23 n. <$^r.) , welker bei ber großen ©ruption
bes SSefuB im 3ubre 79 n. ©br. burdf bie erftitfenben ©afe fein
geben »erlor (25. 2Iug.), beginnt ba8 33. 33 ucb feiner berühmten
Historia naturalis mit folgenben ©orten: „SD fönnte man au8
bem geben burd'auS ba8 ©olb oerbannen, ben „uerrucbten ©olb»
butft" — wie bie bernorragenbften ©dmftftelleT fiel} auSbrücften,
— biefeö ©olb, wefdje8 »on aQeu ©uten gefdjmäbt unb net»
flu<bt wirb, unb enibeit würbe gum ffierberben be8 menfdjlitben
geben8. ©in fcbänblicbeS Verbrechen beging, wer guerft einen
golbenen 9ting an feinen Singet fteefte. 2)e8 gweiten Verbrechens
ma^te fid} berjenige fdjufbig, weichet guerft einen golbenen SDenar
prägte."
©in «nberer SKbmiral, ber eble ©briftopb ©olumbus (f 1506),
bem e8 befdjieben war, wie feinem anberen Sterblichen, bie
Slnfcfcauungen unb Äenntniffe, ben geiftigen unb materiellen
Sefifj bet SORenfdjtjeit auSgubebnen unb gu bereichern , — ber
glbniiral 6olumbu8 urteilte weniger b^t über ba8 ©olb, benn
er fttjreibt: „3)aS ©olb ift ba8 Sllleroortrefflicbfte; ©olb ift ein
©djaj}; wer biefen befiel, fann aOe8, wa8 er auf biefer ©eit
wünfdjt, ftch oerfebaffen unb — fo fügt ber fromme fDiann bingu —
©eelen bem ^)avabiefe gufübren."
©a8 ift ©abrbeit? bürfen wir fragen, wenn bie Urtbeile
ber auSgegeicbnetften unb beften ©ienfeben fo oerfebiebenartig
lauten, ©ir erfennett fogleid}, bafe bie Vetwünfdjung be6 fennt-
nifereicben, welterfabrenen römifeben 2lbmiral8 ebenfo weit oon
XIV. 324. 325. j * (321)
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bet ©aljrtyeit abirrt als baß lobprcifenbe Urttyeil beS gto&en
©euuefen, welcher an bet Hoffnung fefil)ielt, bajj butd} bie gol»
benen ©djäfcc feiner neuen ©eit bie ^eiligen Drtc ber ©Triften«
fyeit auS ben £änben ber Ungläubigen gu gewinnen wären. —
£ßren wir nodj baS Urteil eines 3eitgeneffen beS täuguftuS
übet ben SBertl) beS ©olbeS! S5er berühmte ©ejdjidjtfdjreiber
unb ©eograplj fDioboruS ©iculuS, welker 30 Satyre bie gange
bem 9Utertt)um befannte ©ett burdjreifte, um fixere Stacbridjten
über gänber unb SBölfer gu jammeln, fdjüefet feine ©djilberung
bet ©olbbergwerfe am äufjerften @nbe een 9£egt>pten, „bort, wo
'Jetljiopien unb Stabten an einander grengen", mit ben ©orten:
„burd) otele Arbeit erhält man baS ©elb; feine ©ewinnung er«
tjeifd)t großen g(ei§; eS wirb fdjwer bewahrt; fein ©cbraud) ift
gwifdpen Sßergnügen unb ©djmerg geteilt."
liefern merfwürbigen SJtetall, welches feit Saljrtaufenben
gleid) fel)t gepriefen unb eerfludjt wirb, fotl unfere Sktradjtung
gewibmet fein. — ©ie eerfdjiebenartig ift bie Stelle, weldje bie
SDtetalle in ber ©efdjidjte ber ÜJienfdjl)eit fpielen! 2)aS @ifen
liefert unS bie *}>fiugfdjaar, ©erwerbt unb Äanone, ©dienen«
ftrang unb $elegrapljenbral)t , 3)amt>fmafd)ine unb Ufyrfeber.
O^ne Äenntnif) beS @ifen§ unb feiner iDarfteflung fyätte baS
ffltenjdjengefdjledjt bie $öl)e ber ßultur nidjt erreicht , weldje eS
jefct einnimmt. @S ift baS ©ifen mit unferem gefammten ©ultur»
guftanbe fo innig oerfettet, baf) wir unS baS menftyidje geben
otjne ©ifen faum nod) oorfteDen fonnen. ©ie baS ©ifen baS
nüfcfidjfte, fo ift baS©olb beinahe baS nufclofeftc een allen fDtetaflen.
©ir muffen ber 33orfetjung banfbar fein, baff fie unS nid)t ftatt
beS (SifenS baS ©olb in reicfylidjfter f$üüe gegeben, benu eS würbe
Daß ©ifen nid)t erfetjen fennen. 2)em nufjlojeften SDtetaU ift feit
bem fyotyen Stltertljum bie Stelle eines ©ertljmtfferS aller menfdj*
liefert ©üter gugefallen.
(3 *3)
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Die Äenntnifc beg ©olbeg reicht übet alle gefdjidjtliebe fRadj*
rid)t tjinaug. Dag ©ert felbft bewahrt bie ©rinnerung, ba§
fdjon in ben frütyeften Beiten bieg 5Jietnü mit bet ©onne, bem
erfyabenften ©egenftanbe beg Unicetfum in Setbinbung gebracht
würbe. Dag l)ebtäiid)e 28ort „Snhab“ bebeutet tiämlid}, „com
©onnenlidjt bejebienen", auch bag latcinifdje „Aurum“ weift
auf bie SBurjel Or, welche „l'idjt" bebeutet. — Die golbene
©onne, bie golbene Sugenb, bie golbene Breiljeit: biefe unb
äfynlidje iMugbrücfe beweifen, baf? wir bag ®d)6nfte unb ,£>err=
licfyfte nur mit bem ©olbe ,u Dcrgleidjen wiffen. 93cn einem
golbenen 3eitalter alg »on einem glücflidfen 3ugenbguftanbe bet
3Jienfd)ljeit haben bie Dichter aflet Sölfet gelungen:
2Bo jefct nur, wie untere ffieifen fagen,
(Seelenlos ein geuerbafl ftcb bretjt,
Zenite bamals feinen golbnen fflagen
^»elioS in ftitler 5Jiaje|'tät.
Schöne ©eit, wo bi ft Du? febre wieber
gelbes Slütfyenalter ber IRatur!
3(tb nur in bem geenlanb ber lieber
üebt nodj Deine gclbne Spur.
2ld&, niemalg hat eg beftanben, biefeg golbene Seitalter bet
Dichter! fKit bem entbehrunggooflen fteinernen 3eitalter tritt
bag atme gequälte 5Renfd)engefd>lecbt in bie ftühefte $>eriobe bet
©efchidjte ein, — nidjt aber mit einem golbenen. Dod) unger*
ftöibat wohnt bie Sorftellung eineg golbenen 3ugenbalterg unfe*
teg ©efdilecbtg in ben £ergen ber fBienfdjen. — ©dbon in bet
älteften unb ehrwürbigften Uebetlieferung wirb beg ©olbeg ge*
badjt. Sei ber fÄufgählung bet »iet ^auptwaffer, weldje ben
©arten ©ben burd?fUe§en , lefen wir: „Dag erfte Reifet ^ifott,
bag fließet burch bag gange 8anb ^jeuila uub bafelbft ftnbet
man ©olb uttb bag ©olb biefeg Sanbeg ift fßftlid)" (I. 5Rof. 2).
(S91)
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SEBerm auf eine Döüig fifere ©efthnmung »ebet beS £anbe§
^enila nof beS ©tromeS ?>ifon möglif erjfeint, io barf man
bof annebmen, ba§ jenes mit Äolf iS, bet Strom aber ibentiff
mit bem gelbreifen ^)^aftS ift, naf »elfem bie Argonauten
ififften, um baS golbene ©lief} gu fyolen. 3n ber Sage com
golbenen ©lief} ba* fif eine ©rinnerung an bie ältefte ®e»in«
nung beS ©olbeS auS bem ©anbe ber Bluffe beimfrt. ©8 giebt
nof jefct ©egenben ber ©rbe, mo man rauhaarige gelle in bie
©äfe legt, um ba8 mit bem ©aube fortgefffrte ©olb feftgu»
galten.
3n jener dlteften Beit ber fPatriarf en ftnben mir nof feine
©raäbnung, baf) baS ©olb ©erwenbung gefunben. ©rft in bet
3eit Abra^amS (1800 o. ©br.) wirb beS ©olbeS als eines S03ert^=
objefteS gebaft. @8 fteljt nämlif gef f rieben: „Abrabam mar
febr reif an ©ieb, ©ilbet unb ©olb" (I. 9Jtof. 13. 2). 2)a»
malS ffon gab eS golbene Armringe. 2Bir lefen, bafe ©liefet
Don 2)ama8fu8, AbrabamS |>au8oogt, auSgefanbt um für feines
£errn ©oljn eine ©raut in ©tefopotamien gu fufen, bie ff öne
SRebecca finbet; ba „nahm er eine golbene ©pange, bängete ft*
an i^re ©tim unb Armringe an fte $änbe — unb gog \)tx*
not ftlberne unb golbene Äletuobe nnb gab fie fftebecca" (I. 90to*
feS 24).
©on ben ©oIbffäf)en, »elfe gu ©alomo’S 3«t (1020— 980)
naf Serufalem famen, beriftet baS 1. ©uf ber Könige. SDie
Äßnigin Dom 3Reif Arabien, »elfe gefommen »ar, ©alomo
„mit Staffeln gu Detfufen, Derebrte bem Äßnige aufjer Dielen
©peceteien unb ©belfteinen hnbertunbgmangig ©entner ©olb.
SDagu bie ©fiffe £iram’g, bie ©olb auS Dptyr führten.“
(I. Äon. 10). SDie ©olbmaffen, »elfe bie SJteerffiffe beS
ÄßnigS in gabrten Don je brei Sagten auS Dpb» brachten,
häuften fif gu 3erufalem in f elf er äöeife an, baf} er „200 @f ilbe
(394)
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oom beften ©olbe machen liefe, bagu 300 Startfchen nom beften
©olb, je btei $>funb ©olb gu einet Startfche." 35er jfönig be«
wahrte biefe <Sd>äfee „im <£>auS nom SBalbe Libanon". „2ludj
machte ber &ßnig einen grofcen ©tulp oon ©Ifenbein unb übet»
gog U}n mit bem ebelften ©olb. Sßwen ftanben an ben Sehnen.
©olcheS war nie gemalt in feinen Äßnigreichen. SlQe ürinf*
gefafee beS ÄßnigS ©alomo waren golben unb alle ©efäfee im
£aufe nom SBalbe Libanon waten auch lauter ©olb. 35enu
beS ©Ubet8 artete man gu ben Beiten ©alomoS nichts." (ib.)
Heber bie Sage non Optjir, welches aufcet ©olb unb ©ilbet auch
©Ifenbein, Sljfen unb Pfauen lieferte, ift oiel geftritten worben,
unb noch immer finb bie SSnfichten getheilt, ob mir baS ©olb«
lanb ©alomo’S am 3nbu$ ober an bet afrifanifchen Äüfte gu
fuchen hflben. SefctereS ift inbefc burch bie neueren ©rforjchungen
wahrfcheinlith geworben, welche im heutigen 3ofala unter 20°
©. 23r., gegenüber fötabagaScar , baS alte Dphi* wiebererfennen
liefeeu.
ISIS ©arbanapal ftch mit bet S3urg oon fftinioe oerbrannte,
fotl, wie iDioboruS ergäbt, auf ber 33ranbftätte eine fo unge*
heure ÜJienge oon ©olb unb Silber gefunben worben fein, öafe
taufenb Äameele nßtljig waren, um biefe ©chä£e nach 93abplon
unb ©gbatana gu bringen. Ungeheure ©chäjje oon ©olb waren
in SBabplon aufgehäuft. 4)erobot ergäbt, ,ba§ in bem Stempel
bafelbft „eine gto|e ftj}enbe 33ilbfäule beS BeuS oon ©olb ftch
bepnbe; unb baneben ftefet ein grofcer golbener Stifch, unb ©tuhl
unb ©chemel finb auch non ©olb, unb wie bie (Sl^albäer fagen,
fo ift bieS alles achthunbert $)funb ©olbeS werth. Kufjerbalb
beS ÜempelS ift auch ein golbener SSltar. @8 war auch noch
gu jener Beit in bem ^»eiligthum eine Silbfäule, 12 ©Den hoch,
oon gebiegenem ©olb. 9lacb betlelbigen SBilbfäule trachtete
SDareioS, ItpftaSpeS’ ©ohn, boch unterftanb er ftch nicht, fie gu
(Wb)
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nehmen; JcrjreS aber, Daretoö Sohn, nahm fte weg unb lieb
ben §)riefter hinrichten, bet ba verbot, bie 5Mlbfäule von ber
©teile gu rücfen" (I. Sud), 183).
Die Quellen bet golbenen @<häbe 33abulon8 unb fftiniveä
haben wir wahtfcheinlich tu Armenien gu fudjea. @te ftnb fett
vielen 3ahthunberten vetftegt. 3ene ®olbmaf|en ber Jlffvrfet
unb ©abplonier, fowie bie ©cbäfce be$ Ärßfuö, mit benen biefer
ftürft — ftete vergeblich — bie @unft bcp: @ottl)eit von Delphi
gu gewinnen ftreble, ja faft t'ämmtlichefi @olb ber bamala be*
fanuten Gerbe ftrömte nach ?>erfepoli8, ber ,£>auptftabt bet verfi»
fdjen SBeltmonarchie, gufammen. Dem großen älejranbet fiel all’
bie8 Gsbelmetafl gut Seute. SRach bem Jobe befl £elbenföuig0
vertheilten jene taufenbe von Zentnern @olb fid) unter feine
f^elbherren, um fpäter — nach bem unveräuberten ©ejefce ber
3ahrtaufenbe, bah ba8 @olb ein Attribut ber .^errfchaft ift —
allmählith i« 9?ow gufammen gu ftromen.
3m ÜRufeum gu SBulaf bei (Jairo bewunbert man ein tyrn*
licheö ©olbgefcbmeibe ber dgpptifdjen Königin von bet weihen
Ärone 2lah'.£>otep, ein SJtufterwerf alter ©olbfehmiebefunft, beffen
Sllter auf 3600 3ahre gefebä^t wirb (f. 6. Suf), bie Sufunft
be8 ©olbeö, ©. 318). Denn auch Siegppten war 8ot 3ahr*
tauienben reich an @olb ; e8 flammte au8 2lcthiopien unb anbe*
reu 8änbetn De8 oberen 9lil. !flllj5h*li<h weihete ^haia0 8r°ie
ÜJiengen ®olbe8 ber Gottheit im Stempel gu Stäben. 5Ramje8
thronte auf einem groben golbeneu ©tuhl, wenn er 33erathungen
leitete. 33om groben ©efoftriS wirb un8 ergäbt, ba§ er ben
Slethiopern, nachbem er fie unterworfen, einen Stribut an @olb
auferlegt h«be. 3u biefen langelebenben Slethiopern, von benen
£erobot berichtet, ba§ fie bie grßhten unb fdjöuften unter allen
SJtenfchen waren, faubte Äambpfeö .ftunbfchafter mit ©ejdjenfen
an Den ‘Äethioperfönig, Darunter eine golDene £>al8fette. „31lö
(SM)
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ber aetfyioper biefe faij, ladjte er in ber Meinung, eö fei eine
teffel unb fagte, Bei ifyncn Ijätten fie gang anbere ftarfe fteffeht.
©r führte bann bie öotfdjafter in baö @efängni|, ba waren
alle Beute mit golbenen Äetten gefeffelt. Denn @tg ift bei bie»
fen 'Äetlji opern baö fHderfeltenfte unb adertijeuerfte." ($erobot UI.
22, 23.)
SBatjrenb in biefen Srgaljlungen fceö SJatcrö ber ©efdjidjte
3öai)r|eit unb fDidjtung ftd) in anmutiger SEöeifc mijdjen , be>
fi|en wir burd) ©toboruö ©iculuö (überf. oon ©trotl), 33udj III.,
©ap. X.; ftranffurt 1782) eine genaue unb burdjauö guoetläffige
- ©djüberung t>on ben ägwpiijdjen ©olbbergroerfen auf ber ©Tenge
gegen aetfyiobien. „$>aö ©olb wirb auö Slbern eineö weilen
ddarmorö gewonnen, roeldje in einem fdiwargen ©eftein auffe|en.
3)ie Äonige oon aegppten fdjirfen in bie ©olbbergwerfc bie
Uebeltl?äter, bie .Kriegsgefangenen, bod) aud) biejenigen, welche
burd) 33etläumbung fälfdjlidj angeflagt ober im Bot« in’ö @e*
fängnil geworfen würben, gumeilen allein, — guweilen mit ifyret
gangen SSerwanbtfdjaft; um tfyeilö bie S3erurt|eilten baburd) gu
beftrafen, t|eilö burdj i|te Arbeit gro|e ©infünfte gu gewinnen.
SDie baljiu ©efdjidten, beren eine gto|e B«|l ift, ftnb ade in
geffelu unb arbeiten Sag unb fßadjt ofjne einige ©rljolung,
wobei ifynen ade ©Gelegenheit, gu entfliehen, forgfältig abgefdjnitten
ift; benn Söadjen oon auölänbijdjen ©olbaten flehen babei, fo»
ba| diiemanb burd; ©efpräch ober freuublidje Unterhaltung einen
»on bet SBadje oerfüljten !ann. ©aö tjartefte golbljaltige ©efteiu
brennen fie in einem gto|en ^euer auö. 2)en mürbe gemachten
©teiu, ber nun eine weitere 33e|anblung burd) ©teinmei|el gu*
la|t, bearbeiten oiele taufenb elenbe 9öienfd)en. ®ie ftärfften
unter ben gu biefem unglüdli^en Beben 33erurt|eilten, genauen
mit fpt|igen eifernen jammern butd) blo|e iänftrengung ihrer
.Kräfte, ohne Äunft gu <£ntlfe gu nehmen, ben marmorartigen
(SW)
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Reifen, Sie hauen bie Stollen nicht in geraber 8inie, fonberu
nad? ber Diichtung, reelle bie &bern beß blinfenben SJlarmer*
felfenß nehmen. SDtefe, ba fie »egen ber Biegungen unb jfrüm*
mungen ber Stollen im ginftern fid? befinben, tragen giftet,
bie ihnen an bet Stirne befeftigt finb. Sie müffen oft nadj
SDtafegabe ber S3efd^affen!?eit bet Reifen bie Stellung itjreS &ör»
perß oeränbern. 55ie außgehauenen Bruchftücfe werfen fie auf
ben Boben. SDiefe Slrbeit Derridjten fie unabläjfig unter hattet
Begegnung unb Silagen oon ben 8lufjebern. «Die Änaben
unter 17 Sauren gelten burd? bie Stollen in bie auögeböljlten
Reifen, Ijolen mühfam bie fleineu Stüde ber gerfdjlagenen Steine *
herauß unb legen fte aufeen oot ben ©ingang unter freiem
Fimmel. SDie unter 30 3at)re Sllten nehmen eine beftimmte
Portion biefer Bru<hftücfe unb gerftofeen fie in fteinernen Dörfern
mit eifernen Stßpfeln, biß bie Stücfe jo flein finb wie ©rbfen.
Bon biefen befommen bie SBeiber unb alten fBtäuner bie erbfen»
gtofeen Steine, werfen fie in bie SJtüfelen, beten nieie in einer
9ieil)e ba finb, unb ihrer gwei ober btei treten an eine Äurbel
unb mahlen bie ihnen gegebene Portion gu SJte^l. Unb weil
feiner feinem jfßrper einige pflege erweifen fann, ned? einige
Äleiber hat, feine Bißfee gu bebeefen, fo fann fRiemanb biefe
©lenben fefeen, ofene fie ifereß aufeerorbentlid) jammerootlen 3u*
ftanbeö wegen gu bebauern. SEÖeber bet Äranfe nod) ber ©ebredj*
liepe noch baß fchmadje SBeib erhalten bie minbefte fRacfeficht ober
fDtilberung, fonbern alle werben butefe Schläge gegwungen, un«
abläffig gu arbeiten, biß fie bem Unglücf unterliegen unb in
biefen «Drangfalen fterben. So erwarten biefe Unglücflichen bei
biefer übermäfeig harten Strafe mit fehnlicherem SBunfdje ben
$ob alß bie gortfefeung beß Üebenß. 3)iefe Bergwerfe finb uralt
unb ihre ©inrid)tung fchreibt fiefe fdjon non ben alten Äönigen
her." — 8luß biefer metfwürbigen unb erfrhütternben Schilbe*
(39»)
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rung ©icborug’ gewinnen wir bennod} eine tröftlictye lieber*
geugung, baff nämlitty bie SDienfc^tjeit auf bem SBege ber <£>uma*
nität fcrrgefdwitten ift.
®iue8 bemerfen8werttyen $u8fprud)8 beg ^»erobct muffen
wir tyier erwähnen. „'Die ©nben berSBelt", fagt er, „tyaben bie
fdsönften ©üter gu ityrem Sltyeil befommen. ®ag ©nbe ber
SBelt nadty Btorgen ift Snbien. — SDafelbft ift unenblid? uiel
©olb, bag gum ültyeil gegraben, gum SItyeit oon ben ftlüfjen
tyeruntergefütyrt wirb (III., 106)." ©egen fUtittag hinunter nacty
Sonnenuntergang gu grengt bag ättyiopijctye Banb, am ©nbe ber
’ SBelt. ©affelbe tyat »iel ©olb unb ungeheure ©leptyanten"
ib. 113). „Ueber bag ©nbe oou ©uropa gegen Slbenb !ann idj
nichts mit 23eftimmityeit fagen. — — ©octy tcmmt bag Btnn
»on bem äufjerften ©nbe tyer unb au<ty ber Sernftein. 3m
Sterben »on ©uropa aber ift fetyr »iel ©olb, bag ift gewifj.
SHber wie eg gewonnen wirb, bag fann idty nictyt fagen. Sllfo
f<tyeinen bie ©nben ber SBelt bag übrige Banb eingufctylietyeu unb
in ficty gu enthalten, wag ung bag ©ctyßnfte bäudjt unb für ba8
SBerttyüoElfte gilt." (ib. 116.) ©iefe SBorte $erobct’g fprectyen,
itym unbewußt, eine SBatyrtyeit auß, welche im Baufe ber Satyr*
tyunberte unb Satyrtaufenbe ftd) immer wieber bewatyrtyeitet tyat,
bie Etyatfadie nämlicty, baf) bie ©ebiete reictyer ©olbtyrobuftion
ftetg an ber ©reuge ber »on ber ©ultur erreichten unb erforfetyten
Bänber liegen, ©ie erfte ©abe, weldtye jungfräulictye Bänber bem
nur gu oft mit wilber ©ewalt einbringenben ©ulturmenfctyen
barbieten, ift Dag ©olb. 3ft biefe ©rnbte eingcbractyt, fo wirb
in langfamer Arbeit ba8 Banb bem ©ienfte beg Slcfevbaneg unb
ber ©ultur gewonnen.
©afj »or £erobot aucty bie mittleren ‘Hegionen beg ben
©riectyen befannten ©rbfreifeg grofje ©olbmaffen geliefert tyaben,
ift ungmeifeltyaft unb wirb burcty ben ungetyeuten fHeictyttyum beg
(3#J)
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8pberf6nig8 ,fttöfu8 bewiefen. 2)iefe ©chäfee, welche Dem ’-Slter*
thum ald ein ergreifenbe8 ©eiipiel be8 2Bccbfel8 menfcfelicben
©lücfe6 galten, ftammten tlieil8 au8 ben ©ergwetfen bet 2anb*
fcfeaft £roa8, theil8 au8 betn ©anbe be§ gluffeS $)adolu8. ©o
ergiebt fich, bafe fdjon gu ,£>erobot’8 3eit bic $)robuctiou8gebiete
be8 ©olbe8 weiter unb weiter f}inau8rücften. 2)ie ©tfenntnife,
bafe ba8 (Mb weientlich ben jungfräulichen Sänbern gehöre unb
mit ber Jperrfcfeajt fcer ÜRenfcben balb terfdjwinbe, fonnte ficfe
aucf) ben ifllten nid>t entziehen, wie eine fehr merfwürbige ©teile
bei $Miniu8 bezeugt. ©on einem Äönig ©fubopes ton Äold?i3
berichtet $)liniu8 nämlich, bafe er feljr tiel ©olb unb ©übet
gewonnen habe, weil er ba8 £anb in jungfräulichem 3wftaube
erhalten („quia terram virginem nactua.“ Lib. XXXIII.,
Cap. 3.)
©on großem 3ntereffe ift e8, bie ©efdnchte beö ©olbe8 im
römifdjeu JReidje $u »erfolgen 3n ben erften Sahfhunberten
war fRom arm an ©olb. ÜRit ©taunen erblicften bie fRßmet
ben ©olbfchmucf unb bie mit ©olb eingelegten SBaffen ber
©allict. 3m römifdjen ©taatöfdja^e waren (388 t. ®hr-) jenc
taufenb $)funb nicht torfeanben, um ben ^rieben Su etfaufen.
25ie §rauen hßhtren ©tanbe8 fügten ihr ©olb bem göfegelb
hingu, bamit man nicht genötigt wäre, ba8 „heilige ©olb" bet
Tempel $u berühren (2itiu8 V., 50). &18 ipäter bie fRömet
fiegteich gegen bic ©allier gefämpft, legte bet ©iftator Saju8
©ulpiciuS ton ber gallifchen Beute auf bem ©apitole einen
nicht unbeträchtlichen Älumpen ©olbeß al8 h«üigen ©chafe nieber,
beu et mit Cuaberfteinen termauern liefe, 356 o. ©hr* (ib. VII.,
15). 9Rit bet ÄuSbebuung ber £errichaft mehrten fidh auch bie
SRafjen ton ©belmetall, welche — wie ba8 ©lut uad) bem
$er$en — in bet 2Belthaupt|tabt pjammenftrömten. ©or allem
waren e8 gwei ©teigniffe, welche früher ungeahnte ©olbjchäfee
(400)
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nad) Sftom führten, Me ©roberuug ©panienß nad) bet hiebet*
roerfung Äartl)ago’8 unb bie Unterwerfung 33orbetafienß «ad) bet
3?efiegung 35iitl)ribat’ß beß ©rofjen pon $)ontuß.
äöaß nad) bcr ©ntbecfung pon Slmetifa gefdjal), ba§ auß
ferne«, neuerjdjlofjenen Üänbern beß SBeftenß eine unetmefclidie
©olbmenge nad) bem JDften fam, t)ier ben SBertl) faft aller
2)inge nmgeftaltenb, baß tjatte fid) bereits ein 5Ual l1/* 3al)v=
taufenb früher ereignet, alß bie jpanijd)»Iufitanij<f)en ©olbjdjäfce
nad) 9iem gelangten. Stuf 20 000 ^funb fdjätjt $)Iiniuß bie
©olbmenge, weldie jät)rlid) in Stfturien, ©allaecicn unb Sufitanien
gewonnen unb nach ber ^auptftabt gebradjt würbe. 2lm reidjften
fei Stfturien, jo oerfidjert %>liniu0. (Sine folcbe Stußbeute habe
in oielen Sahthuuberten fein aubereß 8anb geliefert. 3)er £ajo
wirb alß einer bcr golbrcidiften ftlüffe neben bem $)p, bem thraci»
jd;en Jpebro, bem 9>actoIuß in Snbien unb bem ©angeß genannt.
(5ö ift wohl bemerfenßwerth , baff in feinem biefer glüfjc mit
Slußnahme beß ©angeß jefct nod) ©olb gewonnen wirb, bafc and)
bie $)robuftion auß bem iejjtgeuanuten ©trcm für ben SBelt«
perfehr pon burdjauß feiner öebeutung ift.
SDaß jweite, ber oben angebeuteten ©reigniffe, bie Unter*
werfung Slfieuß, führte ben Dteid)tt)um altbevül)mter ©olblänber
nadb 9iom. 5)ie ©olbmenge, weldje in 3al)rtaufenben fid) in
weiten Üänbergebieten tljeitß auß bem ©anbe ber §tüffe , tl)eilß
aue ben Sßetgwerfen pon üroaß, ©oldjiß, Slrmenien jc. auf«
gehäuft, bewegte fid) nun nad) 5Rom. £>urd) unerjättlid)en
©olbburft jeicbnete fidj por Stilen ber jd)redflid)e ©uHa auß.
SRithribat lief? ben Tctnifdjen ©ejanbten fbiatcuß Slquiliuß er«
greifen unb il)m ju Pergamon in unmenfdjlidjem ©pott über
bie römifd)c ©olbgiet gejd)moIjeneß ©olb in ben SRunb gieren
(Rex Mithridates Aquilio duci capto aurum in os infudit,
Plinius Nat. Hist. XXXT1T , Cap 3.).
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Sßäfyrenb jene afiati jcfcen ©ebiete alte ©ulturlänber bat«
ftellten, bereu ©olblagerftätten bereits erfchöpft ober in bet ©r»
fcßöpfung begriffen waren, betraten bie {Römer in ber ibetifdjen
.fjalbinfel ein in ©egug auf ©olbprobuftion noch faft jungfräulicheß
Banb, beffen Schöße fie nun mit größter ©nergie 311 heben be»
gönnen. {Reben jener ©chilberung 3)iobor’ß über bie ägpptifchen
©ergwerfe, barf aud) bie ©efcßreibung ber großartigen fpanifcten
©olbgruben unb ber $rt beß 9lbbaueß hier eine Stelle finbeu.
£öchft anftbaulid) fc^ilbcrt ^Miniuß biefe SBetfe, „welche bie
Arbeiten ber ©igantcn noch übertreffen". „9Jlan h^hlt 33erge
auß, erblicft wäbrenb oieler SRonate ben 5£ag nicht. 5Ran
läßt 'Pfeiler flehen, welche bie 25ecfe tragen. — Um biefe fpäter
gum @inftut3 3U bringen unb ben gan3en ©erg 30 bewältigen
gerftört man ben Scheitel ber ©ewÖlbe, Dom leßten beginnenb.
2)aß 3eichen 3um ©infturg wirb gegeben; ber auf bem ©ipfel
beß ©ergeß befteDte SBächter terftebt allein baß Seichen unb läßt
burch SBort unb ©etöfe bie Arbeiter fcbneU auß ber ©rube
rufen, inbcm er felbft gleidbfaQß flieht. 3)er geborftene ©erg
rollt weit fort mit unglaublichem jVtacben. Siegreich flauen
bie 9Renfcbeu auf bie Berftörung bet SBerfe bet {Ra tut (Spectant
vietores rumam naturae). SDaß ©olb 3eigt ftd} ittbeß noch
nicht, ©ine anbere, gleich 3to§e ober noch gewaltigere ’Irbeit
ift nun 3U oollenben. Slüffe müffen, um bie ©ergeßtrümmer gu
wafthen, ^etbeigefü^tt werben, 3nweilen h«nbert Steine weit
(20 bentfcße 5Reilen). Corrugi heißen biefe SBafferleitungen.
Sie müffen ein ftarfeß ©efäöc haben, bamit fie burdj ih«
Strömen eine Slrbeitßfraft barftellen. 3)eßhalb wirb baß SBaffer
Don ben ßöchften fünften herabgeleitet, bamit ber ©ach weh1
ftür,t alß fließt. Shal3ehänge werben burih hohe Slquäbncte
oerbunben, Seifen burchbrocßen, um SBafferleitungen auf3uneßmen.
5)et Ülrbeiter hängt an Seilen oor ber Sefßwanb unb erfcheint
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auä ber Betne wie ein ÜBogel. 2Bo e$ einen Stanbpunft für
SRenfcben nicht giebt, ba frfjafft ber SDienfcb ein Söett für (Ströme.
9Jtan führt bie Leitungen burcfe Ijarte unb wiberftanb8fäi)ige
©efteiue unb »ermeibet brüdjigeö Krbreidj. §lm Urfprung ber
Seitungen auf ben ©ipfeln bet 33erge werben Seiche au8gegraben,
200 gu§ im Duabrat, 10 Sufi tief. SDa0 Saffer witb geftaut
unb wenn bie Seiche gcfüQt finb, bie Sd)leufen aufgejogen.
9Jitt feiger (Gewalt ftürjt ber 33acb babiu, bafj er Reifen mit
ftd> fortreifjt. 9iod) eine fernere Arbeit mufj in ber Kbene aue»
geführt werben, '.Ableitungsgräben, Agogae genannt, mit allmäb»
lieb »erminbertem ©efälle. SRaufyeß, bem Sioämarin äbnlidjeö
Saubwerf unb Steifer, werben ^ineingelegt, um baö ©olb gurücf»
ju^alten. 35ad SBaffer führt bie fchwebenben Streite , bie ju
Schlamm gert^eilten SJergtrümmer in’8 SReet. So bat Spanien
bem Dcean fefteß Sanb abgewonnen. S>a8 burd) fotc^e bpbrau»
lifebe Strbeiten (Arrugia) gewonnene ©olb wirb nicht gefdjmolgen,'
e8 ift febon rein unb gebiegen. ©anje Älumpen ©olbeS, über
10 'pfunb fdjwer, werben gefunben, Palacrae con ben ^ifpaniern,
»on Slnbeteu Palacranae genannt, mätjrenb bie fleinen ©olb»
förner Balux ^ei§en. 25ie StoSmarinftauben werben getroefnet
unb oerbrannt unb auf feinblättrigen SRafmftücfen gewafdjen,
bamit ber ©olbftaub $u 33oben fällt." — SDiefe merfwürbige
Scbilberung beö ^Miniuö beweift, bafj jdjon oor 3Wei Sabrtaufen*
ben bie Störner mit ähnlichen bpbraulijchen Anlagen bie ©olb»
lagerftätten auSbeuteten, wie fie jefct in grofjartigfter SBeije in
Kalifornien benufct werben. — 93ou Jntereffe für ben alten
©olbreicbthum ber iberifeben $albiufel ift wol)l eine 3nfchrift,
welche fich ju Jbanha JBel^a im öftlichen Portugal gefunben, in
welcher ein gewiffer Situö KlaubiuS Stufuä bem Jupiter Dpti»
mu8 9Jtajrimu6 55anf fagt für bie !Äuffinbung oon 120 ipfunb
©olb. 33ergeblich waren alle in neuerer 3eit gemachten 33er®
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fucße, bie alten itogerftätten Spaniens wiebet in Slbbau ju
nehmen. Sie Spanien, fo finb auch ankere Steile gurcpa’S
längft erfdjöpft. S0?it Ueberrafcßung lefen mir bei ^liniuS, baß
baS jeßt |'o metaÜarme SDalmatien ju 9lero’S 3eit ©olb geliefert
habe, ilu einzelnen Stagen grub man 50 $)funb; eS lag gang
nahe bet Oberfläche, unmittelbar unter bem fRafen (in summo
cespite). Slud) ©aUieu mu| in bet Süor^eit reich an ©olb ge*
wefen fein, fRacß Strabo gewannen bie Stectofagen, welche im
föblicßen gtanfteich non SLotoffa bis ju ben ^ptenäen wohnten,
baS ©olb in ihrem eigenen 8anbe. 3eßt liefert gtanfreidß feine
nennenSwertße 5ftenge ©olb. So »orbereitete fich im weiten
fRötnerreicß eine ©rfchßpfung ber 8änber an ©olb.
„3)ie ©nben bet Seit befißen bie fcßönften ©fiter", fo
lauteten bie DerßeißungSooflen Sorte £erobot’S. SDurcß baS
ganje 2lltertßum uub burch baS SDlittelalter pflanjte fich biefelbe
SBorfteHuug fort. 3a, eS hatteu ähnliche 3been auch t^rert Stßeil
an ben großartigen Plänen beS ©olumbuS, ben Dften auf roeft»
lichem Sege gu erreichen. SDen äußerften Dfteu bilbete nach
ber SBorfteHung jenes 3ahrhunbertS 3ipangu (Sapan), »on wel*
djem SDiartin Söeßaim fchreibt: „©ipango, bie ebelft unb reichft
3nful. — Sn bet Snful wecßft fibertrefflich »il golbtS :c."
(^etcßel, 3eitaltev ber ©ntbecfungen, S. 126). Seit im Seften
füllte hingegen liegen bie fabelhafte Snfel Slntiglia. 3m 3aßre
1414 gelangte ein portugiefifcßeS Schiff in bie fRäße biefer Snfel,
traf bort cßriftlicße 33erooßner unb entbecfte ©olb im ©rbreicß.
SDaS golbreicße Sipangu war baS 3*el beS ©olumbuS. '<!tm
12. October 1492 lanbete baS fleine ©efcßwaber auf ber Snfel
©uanaßani ober S. Salnabor, jeßt SatlingS*3nfel. Scßon an
biefem erften Stage crblicften bie Spanier mit Sefriebigung unb
SSegierbe, baß bie ©ingeborenen ©olbftücfcßen in ber burcßboßr*
ten SRajenwanb trugen. 3e weiter nach ßften bie Schiffe famen,
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um fo grßfjet würben bie im ©eftfce bet 3«bianet befinblidjen
©olbförnet, welche bereitwiUigft für ©tagperlen unb getingen
$anb bingegeben würben. 9118 ber 9lbmiral nad) ©ntbecfung
ber neuen SSelt feinen feierlichen ©ingug in ©eeitla ^iclt, wur*
ben Papageien unb ©olbflumpen oor ihm Ijergetragen. 35ieg
war ber Anfang jener 3ahrhun*)erte anbauernben ©olbftrömun*
gen, welche non Slmetifa über ben Dcean nach ©utopa fid) et»
goffen. Spielte ichon bei bem erften gtofcen ^rojefte ber ©olb*
reichthum ber gu eutbecfenben Säubet eine wefentliche SRotle, fo
würbe nun ©olbburft bie mächtige Sriebfeber, welche bie füllen
Sonquiftaboren oorwärtg trieb. UeberaU fanben fich unerhörte
URaffen non ©olb, fowohl anf ben Snfeln ©uba, #at)ti, Samaica
alg auf bem geftlanbe ©entralamerifa’g, in £onburag, SRicaragua,
©oftaricca, ©eraguag. 35ag „golbene Gaftilien" — fo würbe
bamalg biefer $lh£ii ber ©rbe genannt, ©o uiel beg ©olbeg in»
befj bie ©roberer bereite erbeutet Ratten, — bie fernen nod) un*
entbecften ©ebiete beg ©ontinentg fthienen ftetg noch größere
©djäfce gu bergen. 3n ber SEtjat übertraf ber ©olbreidjthum
9)eru’b bie fühnften ©rwartungen. @g waten 41 3ahr£ na<h
ber ©ntbecfung 9lmerifa’g oerfloffen, alg ber unglücf liehe 3nfa
9ltahuallpa in feinem ©efängnifj gu ©ajramarca („groftftabt"),
einem 3'wmer oon 22 gufc 8änge unb 17 git§ ©reite, ein 3eid)en
an ber SRauer machte, um bie -jpöhe gu begeichnen, big gu wel*
eher er ben ©autn mit ©olb füllen wolle, wenn mau ihm bie
Freiheit fdjenfe. 35er oerrathene unb gequälte gürft fagte, „ba§
©olb in ©arren, glatten unb ©efäfjen foHe fo h£d) aufgetljürmt
werben, wie er mit ber .£>anb reidjen föuite." ©ilboten gingen
nach allen £h£il£»t feines weiten ?Reid)eg. Um ben gürften gu
befreien, gaben nicht nur bie Untertanen, fonbern audj bie be«
rühmten ©onnentempel oon ©ugeo, 9>ad)acamac, ^uaolag, |>u a*
machuco ihre golbenen ©chätje l)£r- 3n biefen Tempeln bilbeten
XIV. 324. 323. 2 (103)
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grofje ©Reiben oon ©olb, auf welche bie aufgehenbe ©onne ihre
(Strahlen warf, beit Sötittelpunft beS (SultuB. SDie SBänbe unb
bie SDecfen waren mit ©olbplatten befleibet. 3m Stempel gu
Gugco fafjeit auf ihren gclbenen Sthronen bie SKumien ber
Äönige, ber ©onnenfohne. ©olbene ©arten (Huertas de oro),
welche mit ben ©onnentempeln »etbunben waten, erwecften bie
hßchfte SBcwunberung ber ©panier. SDarin ftanben nadjgebilbet
in reinftem ©olb Säume mit 8aub unb grüdjten, Sögel auf
ben Steigen fifcenb. SIS befonberS gelungen wirb bie 9tadh*
bilbung bet SERaiSftauben mit ihren Äolbeu gerühmt. (Such
©alomo liefe fchon gunt ©chmucfe beß Tempels Slumen in ©olb
nachbilben. 1. Äon. 7, 49). SDodj webet bie golbencn ^flaugen,
noch bie ©eräthe unb ©onnenbilber retteten bem 3nca baS
£eben. — SIS baS in ben Rauben ber Snbiauer beftnblidje ©olb
mit Sift ober ©ewalt, oft unter Snwenbung ber Stortur, geraubt,
brachte ber ©olbreicfethum beS ganbeS ein neues Serberben über
fie. Um fie gut Srbeit in bSn ©olbwäfchen unb = ©ruben gu
nerwenben, würben ade 3nbianer für unfrei unb gu Änedjten
bet Sheifeen erflärt. ©ie mußten unter fchweren SBebrücfungen
baS ©olb theilS auS beu glüffen wafchen, theilS auS ben ©an»
gen beS ©ebirgeS burdj ©rubenbau gewinnen. SDet fchweren
Srbeit ungewohnt gogen bie Sermfteu ben freiwilligen Stob ber
übermäßig harten Srbeit oor. „Glicht bloS gamilien, fonbern
gange SDorfgemeinben luben fich gu gemeinfchaftlichcm ©elbft*
morb ein" (fPefcfeel, Beitalter ber ©ntbecf ungen, @. 548). ©c
würbe baS golbveiche, eiuft bicht beoölferte £apti menfchenleer.
fftadjbem baS ^»oihlanb ber Snbeu oon ©cuabot, ^)eru unb
Solioia mit feiuen ©olbfdjäfeen in allgemeinen Umtiffen fchueH
befannt geworben, entftanb eine ber feltfamften unb gugleidj
mächtigften äßahnoorftelluugen, welche, SßfeS unb ©uteS wirfenb
in ber ©efc^id^te ber SJienfchheit aufgetaucht finb. @8 war baS
<**)
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SBaljngebilbe etne§ Glborabo. Stele Saufenbe »on Gentnern
©olb Ijatte man erbeutet utib ©panien war baö an GbelmetaK
reidjfte ganb ber SBelt geworben. £Dod) bteS , fo wähnte man,
fei »erjdjwinbenb, fei nichts im Sergleidje gu ben ©cfyäfjen,
welche im 3nnetn ©übamerifa’S »orljanbeu feien. JDort läge,
fo glaubte man unerjdjütterlidj, bie £auptftabt einer neuen 3nca»
SDpnaftie; bie ©tabt, »om ©ee ^arime umfloffen, tyabe auS
©olbqitabern erbaute ÜJlauern. Gine Befdjreibung unb Äarte
beS SanbeS unb ber golbeneit ©tabt 9)?anoa war bereits er*
ftfyicnen. 2)ieS erfeljnte SDorabo gu erreichen, würben grojjattige
Gypebitioiten auSgerüftet, welche »om ,£)od)lanbe in bie unge«
teuren SBalbgebiete beS SBeftenS tyinabftiegen, o^ne etwas anbe*
reS gu finbeu, als JRiefenftröme, ©ümpfe unb unburcpbringlidje
SBälber. 3>er ©laube an baS 2)orabo, weites wäljrenb beS
16. 3al)r^unbertS über jeben Bweifel ergaben fdjien , fanb nodj
bis gu Gnbe beS »origen 3al)rt}unbertS überzeugte Slufyänget,
weldje in bie ©uapana»SBälber einbrangen, um baS 3'«l ityrer
Begierbett gu erreichen. 25ie golbene SRptlje würbe uom gufje
ber SInben immer weiter nadj JDften »erlegt; fo würbe ber fub»
amerifanift^e Gontinent feiner gangen Breite nat^ burdjwanbert,
aber bie ©tabt mit ben golbenen Sölauern würbe nidjt gefunbett.
SDie erwähnten üänber ber neuen SBelt, bie Antillen, Gen*
tral*2lmerifa, Golumbien, Gcuabor, ^eru, lieferten — fo fann
man annetjmeu — ityre ©olbmaffen innerhalb gweiet 3afyrfyun*
berte nadj Guropa ab. ^Darauf oerfiegten bie Quellen biefer
$)robuftion ober floffen nur in äufjerft geringer üRettge. GS
traten nun mit ifyren ©djä^en Brafilien unb bie ^Matalänber
tyercor. 3m 3al)re 1680 würbe in ber $ro»ing ÜJiinaS ©eraeS
baS erfte ©olb aufgefuttben, balb barauf folgte bie Gntbecfung
beS GbelmetaOS in ben |)ro»ingcn ©opag unb ÜJiatto ©roffo.
S?ludj in Braftlien war eS unerfättlidjer ©olbburft, welker bie
2 * (W7)
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Sftenfdjen oorwärtß burch pfablofe 2öilbniffe unb über ©ümpfe
trieb. 3>ie 3as*> na$ ®0^ führte 3ut f<hnetlen 3luffd)lte§uua
bet »eiten 8anbertäume 33rafilien8 unb Uaplata'ß. „3 m ©üben
SBrafilienS, " fo tt)eüt ^>rofeff or ©üf} unß mit, „war im 16. 3ai)r*
fyunbert auß einer Sermifchung ber erften europäifchen 2tnfiebler
mit bet ursprünglichen SBeoölferung ein eigenthümlicheß net*
wegeneß unb außbauernbeß ©efchledjt non SJtenjdjen entftauben.
©ic nannten fid} ^auliften. 3h* ^auptfa^lidjet ©twerb Scheint
ursprünglich ©flaoenhanbel geweSen ju fein. SBeitljiu burdjreiften
fte gu biefem 3®«tf baß 3nnere beß Sanbeß unb fie waren eß,
burd) toeldje guetft ber ©olbretchthum beffelben befannt würbe.
3n fleinen ©paaren wagten fie eß, burch ben tropifchen Urwatb
bis §)eru ju bringen. 3afyltei$e $>auliften, hoch auch ©uropaer
gogen in bie SBilbnifj, um ©olb gu graben." 35a brach tobt»
lieber $afj jwif^en ihnen auß. @8 fam 3U förmlichen ©djlach»
ten, in benen bie $)autiften unterlagen. 3)er SSobtenfluji, Rio
das Mortes, in bet ^roöing SDiinaß ©eraeß bewahrt bie ©r»
innerung an ein grofjeß ©emefcel, welchem eine ©c^aar non
SPauliften 3um Opfer fiel. fftamenlofe 33ebrängniffe unb ©efah*
ten hatten biejenigen ©paaren 3U beftetjen , welche baß reiche
©upaba, ?)ro»in3 SJiatto ©roffo, auf bem ^araguap 3U erreichen
fttebten. „3m Sahre 1730 erschienen bie SBUben mit einer
Blotte non 80 ©anotß auf bem Bluffe, unb noch 1733 würbe
eine auß ©. 'Paulo fomtnenbe ©djaat oon 50 23oten mit weiten
SDienfdjen oon ihnen angegriffen unb 3crftört." 3)och enblid)
würbe aud) oon jenen im Snnetn beß ©ontineutß liegenbeit
golbreichen £änbern bauernb Sßefifc genommen, eine Äriegßflotille
hielt bie S3erbinbung auf bem §)araguap offen, ©o war 33ra*
filien wahrenb beß oorigen 3ahrhunbertß, nach ber ©tfchöpfung
ber fpanifchen Uänber, baß wichtigfte golbprobucirenbe ganb ber
©rbe. 3öie grofj ber Sleidjthum war, erhellt auß ber ühatfad)e,
(408)
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bap bic portugiepfcbe jfrone allein au8 ber fProning 9Jtina8
@era£8 als Quinte (‘/5 ber 9>robuftion) im 3fthte 1754
1708 Älgr. ©olb erhielt. SlHmäblid) »erpegten auch biefe braP*
lianifdjen ©olbqueHen. 3n unterem 3a^unbert weift baß
Äaiferteicb nur wenige reiche ©olbgewinnungen burd) Söergbau
(g. S3. Gongo socco) auf, weldje inbep ppneÜ wieber auf ein
Minimum perabfanfen.
Söir »etbanfen 21. ». £umbolbt eiue forgfältige (Ermittlung
ber fDiaften non ©belmetaQ, welche 2lmerifa in bem 3eitraum
ton 1492—1803 geliefert fyat. S)ie betreffeuben Summen —
fidjetlid) eher gu niebrig als gu p°<h gefcpapt — betragen
5858 SKiHionen fReidbßmar! an ©olb unb 18 932 fföitlioncn fföarf
an Silber. 3ene ©olbmenge ftellt ein ©ewidp bar non 42 504
©entuern (ä 50 Ägr.), baß Silber wiegt 2112 789 ©entner.
©ine noch beutlicpere üßorftellung biefet BJlaffen non ©belmetaH
gewinnen wir, inbem wir bie SSolumina beregnen, welche Pe
eiunepmen würben. 3ene8 ©olb bilbet, als gemogene SRaffe
gebaut, 109 ©ubifmeter; ba8 Silber 10 061 ©ubifmeter.
tDurcp bie Spat beS ©olumbuß würben biefe ©cpape er*
fdpoPen unb ber alten Söelt gugefüprt. Sepien fiel) ba niept
gu erfüllen bie SBepfagung 3cfaia3 (16, 17): „3<h will ©olb
anpatt beS @rge8, Silber anpatt beS ©ifenS bringen", unb
(16, 20) „S)eine Sonne wirb niept mehr untergeben!" güt
ben frommen ©lauben beS ©olumbuß wenigftenß war nur eine
äßeifjagung in ©rfüHung gegangen, wie bie SBorte in feinen
$)rofecta8 beweifen: „3dj wieberpole e8. gum ©elingen be8 in»
bifepen Unternehmend nüpten mir webet Scpatfpnn notp BRatbe*
matif, noep SBeltfarten, e8 erfüllte fiep nur, wa8 SefaiaS »er*
fünbet ^atte." SEBelcp’ ewig benlwütbige Sehre erwüdjft au8
biefer Xhatfache, bap fetbft bet ©eift eines ©olumbuS einer fol*
d>en Selbfttäufcpung anheimpel!
(W9)
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©egen ©nbe be8 »origen unb in bcr erften Jpälfte beS
gegenwärtigen 3ahrhunbert8 weift bie ametifanifdje ©olbprobuftion
nur geringe ÜRengen auf; man hätte glauben fönnen, ber weite
Kontinent fei an biefem ©belmetall erjchöpft. 9ioch aber gab
eB faft unberührte Sänbergebiete, beren ®olbfd)ähe auSgubeuten
ber gweiten Hälfte unfereS 3abrhunbertS »orbehalten blieb. &eb»
ren wir irtbe§, be»ot wir unfere SMicfe nach ©alifornien wenben,
nochmals nach ©uropa, nach 2>eutfchlanb gurücf. — SacituS
fagt im 5. ©apitel feiner berühmten Schrift „De Germania“
»on unferen Vorfahren: „©olb unb Silber ift ihnen oerfagt;
ob burd) ©nabe ober 3orn ber ©ottljeit, will ich nicht ent*
fcheiben. SDennod) möchte ich behaupten, bah feine Slber
in JDeutfchlanb Silber ober ©olb ergeuge. 3Denn wer hat nach*
gefugt? Sein 33efih unb ©ebrauch macht ihnen nicht gar »iel
au8. Sie gehen mehr auf bad Silber al8 auf ba8 ©olb au8,
nicht auö Neigung, fonbern weil bie Silberftücfe ihrer 3ahl nach
leichter 311m 33etfehr gu gebrauchen finb für Seute, welche allerlei
unb geringe 25inge laufen." — 8ange »or SJacituS würbe inbeh
fdjon burd) bie $auri8fer, einem celtifchen Stamme, in iRoticum
(welches »on ben tRömern nicht gu ©etmanien gerechnet würbe)
©olb gegraben; eS finb bie eblen Sagerftätten »on Dberfärnten
unb bem angrengenben Saigburger 8anbe. 55er ©otbreicbthum
$RoricumS muhte für bie fRömer ein befonberer 93eweggrunb
fein, ba8 guoot freie 33olf gu unterwerfen, 15 ». ©hr. 55ie
reichen ©olbgruben gingen in ben Sefifc ber tRömer über, ihre
Uanbljaufer erhoben fid) in ben fdjönen 2ha^^enen, währenb
bie tjeimat^toS geworbenen UanbeSbewohner in bie ©ebirge
flohen. ©8 erhob ftd) bie 93ergftabt Seurnia nahe bem 3u*
fammenfluh ber 5JtöH unb 25rau, fie blühte bis in bie ÜRitte
be8 5. 3ahrhunbertS. 55a brachen »on Often het bie Slaoen
ein, römifche Sprache unb ©ultur »erfchwanb, bie ©ruben wur*
(410)
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beit oetlaffen. ©twa brei 3abrbunberte beftanb baS carantanifcbe
JReid) bet Slaoen, bann erfcbienen bakifdje 93ölfet unb baS
ganb würbe admäblid? beutfdj. [Run würbe audj ber SSergbau
nad) mebrbunbertjäbtiger [Ruhe wiebet aufgenommen unb bie
eblen ©änge bis gu ben haften ©ebirgSfämmen »erfolgt.
SBäbrenb beS 15. unb 16. SabtbunberiS erreichte bie oberfävnt»
neriidje ©olbgewinnung iljre ^ö^fte SMütbe. ÜDie Slngabl ber
©ruben ging in bie Staufenbe. 3Der Söertb beS jäbtlid) pro*
buchten ©olbeS betrug in ben Sagten 1460- 1560 etwa
15,800,000 dRatf, eine für bie bamaligen Sertfyoetfyältniffe ge*
wifj aufjerorbeutlid) grofje Summe. Sie übertrifft faft um ba8
Sßierfatbe bie jefcige ©efammtprobuftion »on SDefterreic^'Ungaru.
®er SBetfad ber blübcnbeu ©olbgtuben »on Zehnten unb
Saigburg füllt eines ber bunfelften Slätter ber ©ejd}id)te. „5)ei
t'utber’S [Reformation ergriff beinahe gang Äärnten unb Steier*
marf, bie winbifdjen SDrtfdjafte« ausgenommen, beffelben Partei.
SöefonberS aber waren bie ^Bergleute als SJldnner »on freier
SDenfungSart betfelben iJe^te gugetljan. — ©nblid; gelang eS
ber fatbolifd)en ©eiftlidjfeü, oov adelt bem SBifdjof ©eorgiuS
StobaeuS oon &toant, SBerfaffet ber ©piftel „De resecandis
funditus Hacreticorum reliquiis“ ben ^>of ba^in gu bringen,
ba§ bie Srucferifcbcn SanbtagSoertrdge aufgehoben würben unb
gu Anfang beS 16. 3abrbunbert3 ein ©bift erf^ien, »ermöge
welkem aden ©oangelifcb»©efinnteu, weldje fid? nid}t binnen
brei dJionatSfriften fatbolifd) erfldtett unb bei ihrem orbentlüben
Pfarrer bie Saframente empfangen, baS 8anb gu räumen an»
befohlen worben". 2luf biefen SBefebl refignirten am 2. 3uni
beffelben SabreS ade SBeamten gu Steinfelb auf ihre Stemter unb
wanberten auS. 5Mafi ©rlbecf, Sergricbter oon ©aftein, würbe
1584 ber eoangelifdjen Religion falber auS bem Uanbe Saigburg
gejagt, @t würbe SBergricbter gu Steinfelb in Ädrnten. $Da
24
traf ihn auch ^ter ba§ neue $)roffrihtion8etift. „Gr erflarte
fidf ben fürgehaltenen 2lbfchieb in untertänigem ©ehotfam
bemüthiglid) angunehmen bereit, bieweileu et non feinet »er
55 Sagten einmal erfannten unb befannten ^Religion Stugfipur»
gifdjer Gonfeffton mit reinen unoerfehrten ©ewifjen nicht ab«
weidien fönne." SDa (efen wir eine bemiitljigfte 33itte gasreicher
färntnerifdjer ©ewerfe au8 bem £erbft 1600 an ben Berg«
richtet gu ©teinfelb um eine gütfpradje bei bem Dberftberg*
meifter, „ba§ er ihnen bei ben lanbeöfürftlichen Gommiffaren,
bie ihnen bei Berlietung #ab’ unb ©ut, 2eib unb 8eben, inner«
halb 14 Stagen aufjer 2anb gu gieljen befohlen, einen längeren
üermin ermtrfen möchte, bamit fie nur ben fd)meten Sinter mit
ihren Seibern unb Keinen Äinbern nicht auf ba8 weite gelb
bürften." ©attge ©emeinben nor bie fReligionlkommiffäre ge«
forbert, erflärten einmüthig : „twn ber 9lug8putgifchen Goufeffion
nicht abguweichen, auch mit Berluft non 8eib unb Sehen, ®ut
unb Blut." SDer Sanbtagöabjchieb nom 12. gebruat 1604 brachte
bie fd)lief)!icbe Gntfdjeibung über baö ©chidfal nicht nur ber
Gnangelifchen, fonbern beb gangen färntnerifchen Sanbeö. SDet
Bergbau blieb ohne Arbeiter, bie ©ruben verfielen, neue Bau*
luftige unb Bergoerftänbige waren nicht norhanben, Betriebfam»
feit unb Grwerb oerfiegte, bie ^rooing würbe entoolfert. „9lun
ftehen — fo fdjreibt 1789 Garl u. $>loper, bem bie obigen £hat*
fachen entnommen ftnb; oergl. 6. fRodjata „3>ie alten Bergbaue
auf GbelmctaHe in JDberfärnthen" in 3ahrb. b. f. f. ©eolog.
JReidjöanftalt 1878 — brei anjehnlidje SRarftflecfen alb: (Stein*
felb, Ober* Bedach unb SDöHach in ©rofjfitchheim, bie ihre
Gjrifteng blo8 ben Bergwetfen gu banfen haben unb beren maffioe
Raufer ben fReichthutn unb Soljlftanb ihrer ehemaligen Gigen«
thümer angeigen, an Snwohnern leer, bie it^älev in benen fie
liegen, unb ihre Bewohner, bie ihren hauhtfächlidjen Berbienft
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ton ©ergroerfen gegen, ftnb aufjer DtabrungS* unb GontributionS*
ftanb gefegt, bie ©ruben auö Eftaugel bet bauluftigen ©ewerfen
unb Arbeitet »etfaHen, bie 3nbuftrie gehemmt, ber ülcferbau oer»
minbert unb alles bieS ftnb traurige folgen beS unfeligen Sana»
tiSmuS unb Sntolerang, bie bem .^ergogtbum tarnten eine
SBunbe »erfebten, bie noch beut 3U Sage blutet." ©o leljrt
bie ©efcbicbte ber ©elbbergmerfe oon tarnten unb ©algburg
(unb baffelbe gilt für ©eutf^tprol), baff 3ntolerang bie blübenb»
ften Sänber »ermüftet. SDJdc^te eine weife ^Regierung beö Äaifer»
ftaatS auS ben Reblern unb ©erbrechen ber ©ergangenbeit Ier=
nen unb mit ftarfer $anb überall bie unbebingte ftreibeit unb
©leicbberecbtigung ber religiöfen ©efenntniffe Dertbeibigen!
©on ben gasreichen ©olblagerftätten ÄärntenS ift in neuefter
3ett (1870) eine einzige wieber in ©bbau genommen werben,
bie ©olbgeebe, in 2740 SReter DReereSböbe, in unmittelbarer Dtäbe
beS SauernfammeS, 5 ©tunben öftlid) »on ^eiligenblut. 5>aS
©elbgecber ©rnbenbauS ift bie t)6d?fte ©Bohnung in Defterreicb,
»on ©letfdjern unb fallen Seifen umgeben. Ueber brei 3abr*
bunberte gingen an biefem .$auie »orüber; ungäblige Lawinen
ftürgten über baffelbe hinweg; alljährlich rubt eine ©ebnee* unb
Sirnlaft »on 5 SReter (Dicfe auf bemfelben, — unb noeb ift eS
»»blerbalten unb un»erfebrt. (Der Grtrag biefer ©rube ift
»ielleicbt in Solge »on Selbem beim ©etgbau bis jefjt nur ein
äufjerft geringer. (Die farntnerifdjen ©olbgänge ftreichen über
bie b»be« Säuern bioüker in’S ©algburgifcbe unb haben auch
bier, befonberS im 16. 3abrb»nbert, reiche Grträge geliefert
(5 250 000 5Rarf jährlich). ©3er bie feböne ©tabt ©algburg
befuebt b«t, bem ift gemifi bie prad^t ber fürftbiicbeflichen ®e»
baube aufgefallen. GS mar bie jäbrlidie Diente ber ergbifchöf*
lieben Äammer auS ben Diaurifet ©ruben, welche bie Plittel für
jene Prachtbauten gewährte. Gin Sbeil jener ©ergmerfe war
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im Sefi| reu 3acob Bugger (geb. 1459, geft. 1525), unb eine
bet Duellen beS unermeßlichen SRcichthumS beä fürftlidjen £aufeS.
3)et berühmte 21jeo^>^taftu8 ^aracelfuS mirfte alö gugget’fcher
füttern ©hemi? et gu iJent. ©leid) ben färntnerifchen ©ruben
liegen aud) bie falgburgifdjen in fct)r bebeutettbet £01)* unb grnat
bet San am hoheJ* ©olbberg bei SiautiS in 2370 Weter, bet
Sau am fRathhauSberge bei ©aflein in 2086 Weter. Sluth bieie
©olblagerftätten fd)einen fd)on in »orrömifchet 3«it bearbeitet
morben unb nie gang gum ©rliegen gefommen ju fein. Wan
Wirb nicht feljt fehlen, menn man bie jeßige mittlere 3ahr^'
geminnung ©algburgS an ©olb auf 8 Ägr. im SÖettlje
»on 22,000 War?.
SBährenb biefe alpinifchen ©ologruben, gum menigftenS,
aud) jetjt noch tjoffuungöreirf) finb, bieten Schmen unb bie an«
grengenben fJänber ein le^rreid>c8 Seifpiel etnftmalS überaus
teicber, jejjt faft ganglid) erfdiopftcr fjagerftätten bar. Som 10.
biö gum 15. 3ahrhunbert nahm 33öhmen unter ben golbprobu«
cirenben Sänberu ©utepa’S ben erften fRang ein. SDaß ©bei«
metaU mürbe theilS auS bem ©d)memmlanbe ober ©eifengebirge,
theilS bnrth ©rubenbau gemonnen. 5)et alten böhmifchen ©olb«
biftrifte finb eS namentlich groei; gundchft baS ©ebiet bet ©agaoa.
Zlatonosna Säzava (©olbführenbe ®.) nennen bie Söhnten
jenen größten Nebenfluß ber Wolbau. 3u biefem centralen
©elbgebiete gehört auch bie altberühmte Sergftabt ©ule, beten
©elbgruben, nad)bem man bis in bie neuefte 3«t auf Hoffnung
gearbeitet, jefjt gänjlich aufgelaffen finb. 2)et anbere ©olb»
biftrift liegt an bet oberen Wolbau bei $)ifef. ÜMefe Stabt ift
eine ©rünbung ber ©olbmdfcher, mie bet fRatne ,,©anb" »et«
räth; Sohatp ^)ifef, „glücflichet ©anb". Son Ijier gießen fid)
bie beutlichen ©puren alter ©olbmäfchereien im Stßal beS
SBatamafluffeS tjinauf bis Sergreichenftein im Söhmermalb, eine
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Strerfe ton 10 beutjdjen ÜJieilen. SDreißunbertjährige ©idjen
fielen jeßt auf ben Jpügeln, welche bie ©olbwäfcßer gurücfgelaffen
haben. 3Bie baß ©olb bet ISlpen gehört aud) baß böhmifdje
bet älteften ©ebirgßformation an. — Stucf) SJiähten, öfterreichifch
unb preußifcß ©Rieften haben oormatß oiel ©olb geliefert. Se*
fonbetß reich waren bte Sllluoionen im niäljrifcbeu ©efenfe, wo
bie tarnen SDürrfeifen, ©olbfeifen, ©teinfeifen an ehemalige
©olbwäfdjen erinnern. 2Me urfprüngliche Sagerftätte beS ©olbeS
biefer Seifen bilbeten bie ©änge oon 3ucfmantel, greiwalbau u. a.
auf bencn im 13., 14. unb 15. Sahrljunbert ein fchwunghafter
Sergbau umging. Sille bicfe ©ruben fowie biejenigen oon ©olb«
fronacb im Fichtelgebirge unb oon ©teinßaiba im Üßütinger
SBalb finb längft eingeftellt.
SRut etn europiiifcbeß £anb (toemt mit oon ben utalifdben,
gum größeren $£heil ber ctfiatifdjen ©eite ungehörigen SDiftriften
abfeljen) liefert h^e noch eine nennenßwertße ©olbaußbeute,
Ungarn. SBo bie Sllpen in ber ©egenb oon Söiett unb 9>reß*
bürg ihr @nbe gegen Utorboft erreichen, ba groeigen fid> nom
großen euTopäiicßen Sentralgebirgc bie .Karpathen ab, um in
einem ungeheuren Sogen bie 8änbet ber ©tephaußfrone gu um*
gütten. 2)et öftlicße SE^eil beß in fo großartiger SBeife umwall*
ten Äontgrei<b§ wirb burch -ein breiteß, reichgeglieberteß ©ebirge,
baß fiebenbürgifdje ©rggebirge, oon bem übrigen größeren Steile
abgefonbert. 2)ie Snnenfeite jeneß großen ©ebirgßringeß, fo
wie jeneß, Siebenbürgen oom eigentlichen Ungarn fcßeibenbe
(Srggebitge waren in einer oergleidjßweife fpäten ©rbperiobe ber
©chauplaß einer gewaltigen eruptioen, gum S^heil oulfanifchen
2>hätigfeit, welche ©ebirge oon 25iorit, 2)iabaß unb oorgugßweife
»on Stracßpt ergeitgte. SDiefe eruptioen SJtaffen begleiten, in
©ruppen georbnet, ben großen Äarpatßenting; eß finb bie ©e*
birge oon @themniß*Äremniß, ©perieß'Swfaj, Äapnif*9tagt)banpa,
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oon Serößpataf-Stagpag u. a. SDiefe ©ebirge finb eß, meldje
bie ©angfpfteme ber eblen ©rgformation einfdjliefjen. $lm roid}*
Hgften als ©olbbiftrifte finb bie Umgebungen ber beiben lejjt*
genannten Orte, ja, menn irgenb ein ©ebiet in ©uropa ben
Warnen ©Iborabo oerbient, fo ift eß Sörößpataf ober Stoffta
({Rottjbad?) ber ^Rumänen, unfern Slbrubbanpa im fiebenbürgifdjen
©rggebirge. SDieö oon ben gliiffen SJtaroß, ©gantcß unb ben
brei Äoröö umfloffene Serglanb möchte mol)l an Steidjthum unb
5Rannid)faltigfeit ber geologifdjen ©rfdjeinungen oon feinem
anbern Siftrift ©uropa’ß übertroffen «erben. SERitten tjinburcb
ftrömt ber ©elbfluf) Slranpoß ('Jranp, ungarifd) : = ©olb). Suß
biefem glufje flammten mot)l ungmeifelljaft bie alteften ©olbfuube
ber SDacier.
Sied) biß in bie jüngfte Beit mürbe im Slranpoß ©olb ge*
mafdien oon 3igeunern, ben elenbeften ber Sanbeßberooljner,
«eiche burd) einige iiott) ©olb Befreiung oom SJtilitärbienft fid?
erfaufen fonnten. ©eitbem bieß 3igeuner*$}rioilegium aufge*
hoben, mirb im SStanooß fein ©olbfanb mebr gemafdjen. — 3m
traitßfploamfdjen ©rggebirge fdjeint bie Statur fich gefallen gu
haben, bie ©ebirge in einer gang ungewöhnlichen Sfrt gu bilben,
gu formen, gu gruppireit. 2Baß foll man mehr bemunbern, bie
ungeheuren Äalfflippen unb «thürme mit ben milben ©palten*
thälern im Dften, ober bie bafaltijdjen SDetunaten, welche an
baß ©ilanb ©taffa erinnern ober bie gemaltigen Sergmaffioe
Sulfan unb Äorabia? Salb finb bie £öhen naeft unb milb,
halb mit Urmälbern bebeeft. j£>ier finb bie Ühaler felftg unb
eingefdjloffen oon glängenben ©limmetidjiefermdnben, bort fteHen
fie liebliche malbumgebene SBiefengrünbe bar. SDiefe fdjönen
SLf)51er maren eß, welche ben dichter SJtartin ©pifj, oom gürften
©abriel Setten an bie @djule oon Söeifcenburg (Äatlßbutg)
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berufen, 1622, ju feinem ©ebicht „3latna ober non bet JRuhe be8
©emüthS" begeifterten.
$ter fleußt pur lauter @elb. ©eringe Säuern wiffen
2Jiit 3Bafcf;en gut Sejcbeib unb lejen einen ©anb,
Der aucf) mit feiner Stärf erobert Seut’ unb 2anfc.
$ier pflegt »ollauf ju tragen
De« (Srbreit^S milber ©<booß bic wunberbare Stuipt,
Die mit fo grofjcr Äunft unb Slrbcit wirb gefugt.
Der Sauljerr biefer 3BcIt bat in ben tiefften ©rünten
Da« alle« angelegt, auf bafj wir mosten finben,
SEBa8 biefem 2 eben nufct.
Sei 3alatna (©olbenmarft) beginnt, ftcb 8*3*** fRorbweft,
SBeft unb Sübweft anbbehnenb, ba8 golbhaltige ©ebirge. Die
©tuben ber näheren Umgebung non 3aiatna finb inbejj meift
3um ©rliegen gefommen, woran ber grauenooHe fRacenfampf
gwifdjen Rumänen unb Ungarn im Raffte 1849 einen Jh«H ber
Schulb trägt. Steigt man aber au8 bem Jhfll üon 3alatua
hinüber in baSjenige non 2lbrubbanpa, welches bem SlranpoS
fidf juneigt, fo bieten fid) fogleid) bie erfreuten 3«d)en eines
im ftlor befinblidjen SergbauS bar. Der 2ätm ber fPod)Werfe,
beren Stempel, non Söafferräbern bewegt, Jag unb 9iad)t ba8
golbfüf)tenbe ©eftein ju Staub unb Schlamm jetmalmen, et«
füllt ba8 Jl)al- 9Ran 3äl)lt gegen taufenb ^odjwerfe; faft febeS
SauernhauS befifct ein fold?e8, fobaff beinahe alle Sewohnet
tiefes ungefähr 2 Quabrat fDieilen großen Qtlberabo an ber ©olb*
gewinnung mit ©rubcnbau unb 5Bafd?en betheiligt finb. Söenig
nörblid) Slbrubbanpa münbet in ba8 Jpauptthal mit oftweftlid)em
Streichen ba§ etwa eine 5Reile lange Jljal beS fRothbad)S, 33al
9ioffi ober Söröepataf, fchoit not gwei 3at)rtau[enben ber ÜJiittel*
punft ber bacifchen ©olbgeminnung. ätaurn möchte e8 in ben
üänbern ber Stephansfrone ein 2t)al 8«ben, fo noll fRegfam*
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feit unb Ütjatigfeit wie Sörööpataf. 8äng8 beö S^albacbeö
reifen ftf bie SBohnungen faft ohne Unterbrechung.
Staufenbe oon $)of ftempeln, burf ba8 SBaffer bewegt, get»
ftampfen ba8 ©olbgeftein, weif eö Bon ben ©ehängen ber Serge
Bon ^ferben ^abgetragen wirb. ©rofjartig, ernft ift ber 9lb=
ffluf) be8 SfalS gegen £>ft. 3wei Serge fallen gumal in’ä
Stuge, nicht fowohl burch i^rc ^>öhe — benn fie werben über-
ragt Bon einem hinter ihnen auffteigenben Sergfrang — , alfi
Bielmehr burch ihre abffrecfenbe gelblif «braune garbe uub ba§
fehlen faft Jeglicher Segetaticn; e8 ftnb bie |)orphbrberge
Ggetatpe unb Äirnif, beren ©eftein nach bet nolföthümlifen
Sluffaffung alö ber eigentliche ©olbbringer betrachtet wirb. ©ge-
tane, rumäuiff, bebeutet eine Surg ober geftung; unb in ber
2fat ift ber ©ipfel biefeS Sergeö burch uralten Sergbau gu
ruinenartigen formen auSgehauen. SÖährenb bie alten SDacier
gut 3eit ber römijfen .^errffaft unb ohne 3weifel auch ff cn
in Bortömiffer 3eit ben ©getane unb ben auf ber anberen
Sfalfeite gegenüber liegenben gelbreifen Orlaberg mit gabi-
reifen ffön gehauenen uub geglätteten «Stollen burffuhren
unb ihre golbenen Sf äfje hoben, gehören bie ©ruben beö jfir«
nifbetgS einer fpätern 3cit an. 3)et Äirntf gilt jet$t für ben
golbreifften §>unft ber Umgebung non SßröSpataf. ©twa
80 ©ruben burf wühlen naf allen Stiftungen biefen Serg, in-
tern fte Jüuargaberu folgen, bie bag ©belmetatl in Segleitung
Bon ©ijenfieS führen. 3?a8 ©efteiu beS um 300 SOteter bie
Sfalfoljle überragenben Äirnif ift ein hofft eigenthümlifer
$>orphbr bou relatiß jugenblifem Sllter. SDer burf bie gange
©efteinSmaffe Berbreitete ©ifenfieS geht aUmä^lif in 3erjefjung
über, bähet bie gelblif «braune Färbung ber Reifen unb ber röth*
lif e Dcferabfafj beö Saf 8 (Yörös=rcth, patak = Saf ). 3u ben
©ruben befl Äitnif haben ftf bie herrlif ften ©olbfrnftaOifationen
«IS)
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gefunben. 2 )a8 ©olb beö Äirnif, wie überhaupt baöjenige non
(BöröSpataf ift filberreich, eS ift 16* bis 17 favdtig, b. h- eS ent*
hält in 24 ©ewichtStheilen 16—17 £h- ©üb unb 8—7 Z\).
©Über. SDiefer ©überge^alt fdjeint eS gu fein, welcher bem
©olbe eine befonbete (Reigung gut Ärpftaßbilbung nerleiht. (Die
Ärpflaflform beS ©olbeS gehört bem regulären ©pftein an unb
geigt meift bie Gombination non Süürfel unb Dftaeber. ©eiten
nur überfteigt bie ©röße bet eingeluen Ärpftaße 3 mm. 3uS
biefen einfachen &rpftafl=3nbinibuen baut nun bie Silbnerin
ßiatur Ärpftaflgruppen höherer Drbnung auf, fogenannte SwiflingS*
gebilbe, weldje 3U bem ©chönften unb ^>errlic^ften gehören, was
bie unotganifche SBelt uns barbietet. 25a erblitfen wir ©olb*
platten non gierlichftem fechSftrahligem (Bau, golbene ©terne,
9teß= unb SRafchenwetf non einer Reinheit beS ©efügeb, baß ein
Saie funftnoße @olbbrofat*3lrbeit gu erblitfen glaubt, ®d)öne
gunbe non „gteigolb" finb gu S3örö8pataf feiten, benn im »30*
gemeinen ift baS ©olb im ©ang („^luft") unb feinem Sieben*
geftein fo fpätlich unb in feinften (Partifelchen norhanben, baß
baS bloße Singe nichts banon wahrnehmen fann. 2)ie jährlithe
©olbprobuftion beS ©ebietS non (ßoröSpataMllbrubbanna fann
annähernb auf 6—700 Äilo gefd)äßt werben im Sßerthe non
l‘/4 bis l1/, (SRiflionen SDRarf, ba ein Äilo beS filbetreithen
©olbeS etwa 1860 dRarf werthet. — Unter ben SDenfmäletn
beS SllterthumS nerbienen bie bacif<h*römifchen ©rubenbaue non
(BöröSpataf ein befonbereS 3ntereffe. @8 finb prachtnoße glatt*
wanbige, höcßft regelmäßige ©tollen, im Duerfdjnitt reftangulär,
etwas über 2 dReter ^oct), lVs 5Reter breit, Gigenthümlich ift
bei biefen antifen ©tollen, baß bort, wo biefelben ihre (Richtung
änbern (was nicht in einer gebogenen, fonbern in einer gebreche*
nen Sinie erfolgt), ftetS eine redjtwinflig oorfpringenbe Äante
gehauen ift. ^Deutlich erfennt man nod) bie ©teilen, wo nor
(41»)
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ca. 18 Safyrtyunbetten bie SKiten ihre gampen Ijinfe^ten, währeub
fie mit j$äuftel unb ©ijen ben ©puren ber ©olbabet folgten,
©rwägt man, bafj biefe SBetfe otjne Äenntnifc ber Suffoie, opne
9(nwenbung non Aulner au8geführt würben, jo mu§ man jju*
geftehen, bajj auch auf bent ©ebiete ber ütedjnif bie geiftungen
teö SUtertljumö be»unbern8»erth finb. 3n ben tcmifdjen
©rubenbauen »on SßrßSpataf nnb jmar am Sajboja=Serg fan*
ben ftd) jene ^odjbetit^mten 38ach8tafeln , welche in ben
SJtufeen ju Serlin nnb %)eft aufbewahrt »erben. 5)a8 bacifdje
©olb trug oljne 3»eifel jur 33lüt^e ber fProöiug ©acien »ejent«
lid) bei. SDie alte bacifdje ÄönigSftabt ©armigegethuja »arb in
bie rßmijdje ‘Uugufta Ulpia Sfctajana umgemanbelt, welche noch
jejjt — in einet bet fyerrlidjften ©tabtelagen, am nörblidjen
gufj be8 2484 ÜReter hohen SRetpejat, übetjchauenb bie »eite
grudjtebene be8 £afceger J^alS — mit ihrem Amphitheater,
SJtojaifen unb »eiten IRuinenfelbern Seugnifj giebt »on ehemaliger
Fracht unb ©rßjje.
Söäprenb bie eblen gagerftätten »on Abrubbanpa, SßrßSpataf
unb anbeten fünften be8 tran8fpl»anijchen ©rjgebirgeS ba8 ©olb
in gebiegenem 3uftc»nbe führen, baher fte auch jehon im Alter*
thum befannt waren, umjdjliefeen bie Serge »on Sagpag ein
merfronrbigeS, mit Seüurgolb'Serbinbungen erfüllte6 ©pftem »on
Älüften. ©belmetaüe nennen »ir befanntlich jene, »eiche »er*
möge ihrer geringen Serroanbtjdjaft gu anberen ©lementen ber
cjrpbirenben ©inmitfung ber Atmofphäre »iberftehen. SBährenb
bie uneblen SRetalle ftetö nur in chemijcher Serbinbung mit
©auerftojf, Schwefel u. j. ». auf ihren gagerftätten fich finben,
fommen bie eblen 9)tetatle »orherrfchenb ober faft au8j<hlie§lich
im gebiegenen 3uftanbe »or, jo »or allem ba8 ©olb. Sur mit
einem ©lement, bem Tellur, finbet fich ©olb »ererbt, al8
Sellurgolb, Jetlurfilbergolb u. a., unb bieje eigentlichen ©olbetje
(420)
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finb nur auf menige fünfte ber ©rbe befchränft. 3m 3ahre
1774 entbecfte ein. Sauer im fyotyen, fuppenreichen, malbbebecften
©ebirge, melcheS 2 ©eilen nörblid) Deoa emporfteigt, eine 2lber
unidjeinbaren fchmargen ©rgeS, melcheS ft<h als eine Setbinbung
non ©olb unb Silber mit einem neuen Cflement etmieS. Der
berühmte ©fyemifer Älaprotfe in Serlin erfannte baffelbe gucrft
unb nannte eS Seflurium. 3ener gunb beS fchmargen ©otbergeS
war einer ber folgenreichen; bie 2Biffen jehaft mürbe mit einem
©lement unb einer neuen &rt non Serbinbungen bereichert.
SBo einft Den Urmalb bebecfte ungugänglidfe ©cfjludjten, ba btei*
tet fidj jefet, ringsum bie fteileu ©ehänge malerifch fehmücfenb
ein anfehnlidjet Sergort auS. 3ener glüdlidje ©rgfunb Der*
anlafete bie Segrünbung eines grofeartigen SergmerfS, melcheS
ungefähr 3000 ©enfdjen bie Sebingungen i^reß Gebens bietet
unb bem ©taat nod) auf ferne 3<»hre einen teilen ©eminn in
3u8fid}t fteöt (im 3ai}re 1875 76 000 ©atf; 1876 104 000 ©f ;
1877 94 000 ©atf). Die gefammte jährliche ©olbgeminnung
bet ungarifcfeen 8änber repräfentirt jefet nur einen 28erth Don
3 400 000 biß 4 300 000 ©atf. Dtefe Summe übertrifft trofe
ihrer ©eringfügigfeit ben SÖerth ber ©olbaußbeute beS gefamm*
ten übrigen ©uropa, menn mit oon fRufelanb abfehen.
Unter ben golbfpülenben glüffen unb Strömen bet ©rbe
nimmt unfet SR^ein eine, burd) baS 9Uter ber ©olbgeminnung,
efyrmürbige ©tefle ein. SereitS feit mehr als einem 3ahrtaufenb
mirb auS bem JRljeinfanb ©olb gemafdjen, roie burd) Urfunben
feftfteljt. ©olbreid) ift namentlich baS Ufer bei $)l)ilipp8burg,
3!/* ©eilen nörblid} oon ©atlßruhe. Die babifdje ^Regierung
liefe not ber ©infüferung ber neuen SReid}ßmünge auS bem Söajd}-
golbe jährlich etma 2000 Dufaten prägen mit ber 2luff<hrift:
1 Dufat auS IRheingolb. #err Daubree in ^aris hat berechnet,
bafe im IRheinfanbe gmifchen Safel unb ©annheim ©olb im
XIV. 334. 325. 3 (4SI)
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SBertbe uon minbeften« 170 SJtitlionen graue« ruht. 3)ocb ift
ber ©ebalt be« ©anbe« fo au&erorbentlicb gering, baff nur an
ben günftigften ©teilen unb gu ßeiten niebrigen Jagelobn« ge*
waicben wirb. 2)a8 ©olb be« Dbetrbein« befitjt bie gorm febr
Heiner 231ätt<bm unb ©<büpp<ben, beren urfprünglicbe Sagerftätte
faum mit Sicherheit angegeben werben fann. Ülucb unfet rbei»
nifdje« ©ebiefergebirge birgt ©olblagerftätten. 2)ie 2)iemel bei
©tabtberge ober fötarSberg, bie ©ber im SBalbecffcben ba&en
©olb geliefert. fRodj merfwütbiger ift e« wobl, bafj einige 33äcbe
be« SOiofelgebiet« ba« ©belmetafi nicht a!8 feinfte 5fötndjen unb
331ätt<ben, fonbern in größeren klumpen, mehrere SDufaten an
SBertb, geführt b^f«» fo bet ©olbbacb im .ftreife ©ernfaftel.
JDieier fleine Sadj, roeldjer bei bem 3)orfe 9lnbel gegenüber ©ue«
— bem ©eburtäort be« berühmten ©atbinal« Rifolau« ©utanu«
— münbet, bat in ben Sabren 1804 — 1809 gehn ©tücfdjen ©olb
»on nerfebiebener ©röfje geliefert. 35iefelben lagen in ben ©djich*
tenflüften be« SLljonfe^icferS unb ftammen wabtfcbeinlich au«
Duarjgängen. (girier ähnlichen i?agerftätte muh jener anfebn*
lidbe ©olbflumpen (43 mm. lang, 20 mm. bief, ©ewidjt 66 ©v.)
eutftammen, welcher im 3abre 1826 non einem fleinen Änaben
im ©rofjbadj bei ©nfireb an ber fDtofel, eine halbe 3Reile unter«
halb traben, gefuuben würbe. ^Dieter ©olbflumpen war ber
größte, welcher jemal« auf beutjeber ©rbe gefunben würbe, ©r
ging leibet in golge eine« im ©erliner mineralogifcben SJtufeum
auSgefübrten ÜMebftabl« Derloren. Stile einft fo gasreichen golb*
fübrenben ^lIuDionen, welche ber europäifebe ©ontinent oon
Spanien bi« ©d^lefien unb oon Suaden bi« ©alHen befaf),
finb erfeböpft ober ber ©rfcböpfung nabe. 2)ie Urfacbe biefer
©tjebeinung liegt barin, bajj ©utopa oorberrfebenb gänbet alter
©ultur befij}t. SBo inbeb in entlegenen ©ebieten unfere« @rb«
tbeil« jungfräuliche« 2anb erfcbloffen würbe, ba gelang e«, ein«
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größere ober fleinere ©olbembte einzubringen. 5)ieß zeigte fidj,
alö SEelef 3)al)U, ber oerbienftüclle ©rfotfcher beß ttörbltdjcn
Norwegen, ginmarfen burchforfchte. @r fanb bafclbft unfein
beö injelreichen @nare*©ee’ß eine auß bem normegifchen in’ß
tujfijche ©ebiet fich erftrecfenbe ©olballucion, meld)e tro§ ^odift
ungünfiiger flimatifcher SBerhfiltniffe eine lohnenbe Ausbeute er»
gab. ftür ben Diftrift Uleaborg, welchem ber größere Uljeil jener
norbifdjen ©olbtagerftätte angehört, giebt ©falfomßftj in ben
Tableaux statistiques de l’Industrie des Mines en Kussie, bie
im Sabre 1876 gewonnene ©olbmenge auf 23 ruff. fpfunb, gleich
9,43 Ägr. an.
SDie SJlitte biefeß Sahrhunbertß, metdje auf fo cielen @e»
bieten beö nationalen unb politifdjen gebenß, ber SBiffenfchaft
unb ber Secbnif bie größten 'Jlenberungen unb gortfdjrittc ge*
bratbt bfli( bezeichnet auch in ber ©efdjidjte beö ©olbeö eine ber
benfroürbigften ©jobben, ©eit einem 3abrbunbert mar bie
©olbprobuftion ber ©rbe in fteter Abnahme begriffen unb ju»
lefct auf ein SBiinimum gefunfen. !Da erfolgte faft gleichzeitig
bie &uffd)lief|ung groeicr ©olblänber (©alifcrnien unb baß öftlid>e
’Äuftralien), beren dieid^ttjürner alle früheren ©ntbecf ungen in
©chatten ftellten. 25ie ©eminnung biefer golbenen ©djäfce
mürbe burch eine hohe Slußbilbung ber Sedjni! unterftüfct, urb
fo gefchah eö , bafj bie neu erfdjloffenen jungfräulidreu 1‘änber
bie in Jpänben ber ÜJtenfdjen befinbliche ©olbmenge in einer
Söeife cermehrten, meldje jebe ©olbzufuhr früherer Sahrhunberte
meit übertraf.
©djon zur 3eit , ba ©alifornien alß ein Sheil SDiejcifo’fl
unter jpanijther ^errfdiaft ftaub, maren ben Släteru Sefuiten,
roelche bie ÜJliffionen leiteten, ©olbfunbe befannt gemotben.
fDiefelben mürben aber oerheimlicht auß gurcht, eß möchten burch
ein Sfefanntmerben bie ftieblichen Buftänbe beß Üanbeß eine
3* (423)
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Storung erleiben. Saft gleid)3eitig mit ber Sbtretung beö 2anbe8 an
bie SBereinigten Staaten (2. Sebtuar 1848) warb auf bem 33efifc*
t^um beS ©apitän Sutter am Sacramento»Sluf) ©olb entbecft.
Sutter, geboren ju SBafel, ein 9Hann non bo^er 3nte0igeng unb
trefflichftem , woblwoflenbftem |>erjen( Ijatte fid) nad) mannid}*
fachen Scbicffalen am Sacramento niebergelaffen unb als £aupt
ber beu Snfcblufl an bie ^Bereinigten Staaten erftrebenben ?)ar»
tei eine entfc^eibenbe fRofle in ber neueren ©efehiebte beS £anbe8
gezielt. SIS er einen neuen SBaffe^uflufj für feine Sagemühle
anlegte unb babei bie ftromenbe Äraft beS SÖafferS jur gort*
fcbwemmuug bet gu entfernenben ©rbe benufcte, famen im 9tiun*
fal ©olbförner 3um SBorfd^ein. Stach einem SBierteljabr waren
bereits 3000 SJtenfcheu, gum großen Stbeil auS Sonora, Ijerbei-
geeilt. SBenige SBiodjen, nachbem bie 3«tung »on S. SranciSco
bie erfte Stachvicht »on ber ©ntbeefung be8 ©olbeS gebracht,
mu|te fie ju erfdjeinen aufbören, ba bie JRebaftion unb fämmt*
liebe Arbeiter nach ben ©ruben fid) begeben batten. „$$on aßen
SBunbern bet ©efchitbte bet Se^tjeit, berichtet 33at?atb Slaplot,
ift ba8 2öach8tbum non S. StanciSco ba8 aujjerorbentlicbfte.
©troaS Sehnliches fennt man nicht unb e8 wirb ftd) auch nicht
roieberbolen. SIS ich »or oiet SDtonaten (Suguft 1849) lanbete,
fanb ich jerftreute 3elte, leinene unb ^ölgertte Raufer non einem,
leiten non 3mei Stocfwerfen. SIS ich iefct bie Stabt wieberfab,
erblicfte ich Diele Strafjen mit gutgebauten Raufern, angefüßt
mit einem tbätigen unb unternebmenben Sßolfe, mit aßen 3«<ben
bleibenben eommercießen SBoblftanbeS. 3)amalS mar bie Stabt
auf bie Ärümmung ber 23ucbt unb »om Snferplafc bi8 3um gu§
ber £ügel befdbränft. 3efct erftreeft fte ft<h bi8 gu ben ©ipfeln
biefer #ügel, »erfolgt eine weite Strecfe an ber jtüfte unb
ficb burd) eine ©infattlung 3wifchen mehreren bügeln bis 3um
gotbeneu Sb»te. S5ie 5be»ölferung war »on 6000 auf 30,000
(♦»)
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angewacbfen" (im 3aljre 1870 betrug fte 150,000; im 3ah*e 1875
*250,000; ju <5nbe 1877 bereits 308,000). 3)et £>rt Sacra»
mento, am ©influf} beS Diio 2lmeticano in ben §!u§ gleid)eu
SRamenS, beftanb im 21pril 1849 auS nur 4 Raufern. SBiS jum
Schlufee beffelben SaljreS erhob ftd) bafelbft eine Stabt mit
regelmä§ig angelegten Straffen unb einer SSeooIferung Den
10,000 Seelen.
35te Arbeit ber ©olbwäfchet am ®lofeIumne=gluf}e in jener
erften 3e«t, wirb oon einem 2lugengeugen in folgenber fBeije
gefchilbert. ,,©a8 Sett eines trocfenen glufjarmS war ^art unb
felftg, lojer Sanb fanb fid) nur gwifdjen ben felfigen feilen.
3)er ganje Dberflächenraum, bet ungefähr 1 >/* £eftar umfafjte,
war mit großer Arbeit ganj umgewühlt unb baS ©olb auS ben
3erflüftungen beS ©d^ieferS, jo weit man Ijatte gelangen föunen,
gewonnen. 3?em Unerfahrenen fonnte fein ^)unft weniger Der«
fptedjen, als bet Dorliegenbe, unb bod) erlangten bie ©olbgräber
burdj SBafchen beS auS ben Klüften h^Dergefu^teu SanbeS eine
reidjlidjc SJienge ©olb. 2)ie einigen 2(rbeitSgeräthe waren
Schaufeln, eine Krajje gum SBegfdjaffen bet 35ammetbe unb
flache hölzerne 2röge jum SBetmafchen beS SanbeS. ©in ge»
fdjicftet Arbeiter fyaüe nach mehreren Minuten ein SDufcenb
©olbfömer rein gewafchen. 3n einem Sage gewann eine @efea»
fdjaft Den gehn Scannern fedjS $funb beS reinfteu ©olbeS. 2118
ich guerft bie 2lrbeiter fah, wie fte iu ber fengenben Sonnen»
hi^e jdjwere Steine hoben, mit bet Hälfte ihres .Körpers im
SBaffer ftanben unb mit ihren Rauben in Sanb unb Stho«
gruben, festen mit bie ©nthaltfamfeit Dom ©olbgrabeu eine ge»
ringe Stngenb gu fein ; als aber in ben SBafdjtrögen bie funfein«
ben ©olbförner erfdjienen, ba hätte ich fogleich bie Schaufel er»
greifen unb an’S Sörrf gehen mögen. — @8 würbe ein in»
tereffanteS Stubium für ben ^h*l°f°l,^en fein, bie Derfchiebeueu
(«»>
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VMrfungen plöfjlichen SteichwerbenS bet nericbiebenen 3«binibuen,
befonberS bet betten gu beobachten, beren Beben norher unter
Strmutfj uttb ©ntbeljrungen nerfloffen. 35er tieffte Wcnfcheu*
fenner würbe hier manches gelernt ^aben, welches er bei aller
Älugheit unb allem ©charfftnn früher nicht fannte. — Unter ben
manchen, in ben netf. inebenen ©fluchten »erteilten ©clbgräbern
traf ich Beute non ©rgiehung unb .ftenntniffen. Wan fonnte
ben ©tjarafter ber bort arbeiteuben Wenigen Durchaus ntd>t
nach ihrer Äleibung unb fonftigen äufceren ©rfcheinung beurtlsei*
len. ©in rauher, febmufciger, fonnennerbrannter ©eieil mit un=
gefchorenem ©art, ber auf bem ©oben irgenb einer ftelefchlucht
nach BeibeSfräften arbeitete, fonnte ein ©rabuirter einer ber erfteu
Uninerfitäten beö 3n* ober 2lu8lanbe8, fonnte ein Wann non
ben feinften Sitten fein. 3<h fanb oiele Wänner, bie nicht
beffer wie bie oerwetterten SErapoer unb ^intertnälbler auSiahen
unb ba8 Jahr norher IMergte, Anwälte, !Rid?ter ober ©chriftfteller
waten. 35iefe Verbreitung ber 3nteQigeng war eö , bie ben
golbfud)enben©ejellf(haften, ohnerachtet ihres barbarifchen ^eufjeren
unb ihrer rohen BebenSmeife eineDrbnung unb Sicherheit gemährte,
bie auf ben erften ©lief wie ein Vluuber erfchien.“ (©.SEaplor.) —
Ungeheure Waffen non ©belmetaQ hat bie 9latur an Der
lang auSgeftrecften Söeftfüfte beS amerifaniiehen ©ontinentS niebet*
gelegt. ©8 beginnt — foniel befanut — ber 5DRetaClreidjt^um
im nörblichen SEheÜ »cm ©ritifch*©olumbien , gwifchen bem 58
unb 59° ber ©reite. 35ann folgt gwijdjen 55 unb 56° ber
©olbbiftrift Dmineca; gwei ©tabe {üblicher liegt ber 35iftrift
non ©ariboo, in welchem 1877 ein lehr reicher ©ang golbhaltigen
DuargeS entbeeft würbe, ©eine Wäcbtigfeit beträgt 6 — 12 We*
ter, im Streichen nerfolgt auf 1 Weile; 1 SEonne (= 20 ©tr.)
©angquarg enthielt ©olb im SBerthe non 164—369 ÜJlarf.
S5od) erft in ben Vereinigten Staaten gewinnen bie ©olblager*
(4M)
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ftätten ißre waßre 23ebeutung. Kalifornien befißt eine ebenfo
einfache als großartige Sobengeftaltung. Kin ßoßeS Schnee*
gebirge, bie Sierra SReoaba, im Dften, bereu nörbliche gortjeßung
in Oregon unb Söafßington ben Flamen KaScabe ßftountainS
füßrt. 35iefet großen jfette parallel läuft bae Mfteugebirge
Koaft Stange. ÜDie ©eftaltung Kaliforniens wirb wesentlich be»
bingt burcß baS große üängcntßal gwifcßen ben genannten ©e=
birgen, in welchem ber Sacramento gegen Süb, ber S. 3oaquin
gegen Storb fließen, ^Bereinigt burchbtecßen fie bie Äüftenfette
unb münben in bie 58ai oon S. Francisco. 2)er ßoße Äamm
ber Sierra Steoaba befteßt oorßerrfchenb auS ©ranit, wäßrenb
frpftaQinifdje unb tjalbfrvftaüinifdje Schiefer bie breiten Slbßänge
jufammenfeßen. 3n biefen Schiefern, juweilen auf ber ©renje
gegen ben ©ranit ftreicßen oon StßtSS. nach SSO. bie golb*
füßrenben Duarjgänge, inbein fie an Dielen fünften gleich
SJtauern auS Den walbigen ©rünben emporragen. -Der wicßtigfte
biejer ©äuge, bet SJtuttergang OXRotßer«8obe), ift bei einer
jwifchen 5 unb 20 SDieter wecßfeluben SJiäcßtigfeit 120 Äilom.
weit ju perfolgen, ©egen SRorb, am riefigen SJtount Sßafta,
werben bie golbfüßrenben ©änge unb iSlIuoionen auf weite
Streifen Don bajaltifchen üaoabecfen überlagert. Söeiterßin, wo
bie llulfane enben, etjcßeincn bie ©olbgebirge wieber. 2)aS
große gängentßal oon Kalifornien, welches fich jwifchen ber
Siena Steoaba unb ber Koaft Stange, oom SJtount Sßafta im
SRorben bis gut Sierra be S. Stafael im Süben auSbeßnt, be*
fißt eine ßäuge oon 86 beutfchen ÜJteilen bei einer mittleren 33reite
»on 10 Steilen. Kin großer $ßetl biefeS ßenlicßen $ßalS
(nämlicß baS Sacrameuto*@ebiet) liegt oor bem ftaunenben
SÖlicf beS Steijenben auSgebreitet, wenn er auf bet ^acififcßen
üaßn oom ßoßen Ä'amm bet Steoaba ßerabfteigt. 3n ber jüngft*
betroffenen geologiicßen Kpocße (^Miocän) war jenes weite £ßal
(127)
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ein Sinnenjee ober ein ÜReetbufen, burcfa ft^male SBorgebitge
unb eine 3nfelreibe oom ^oljen SReere getrennt. ©in parallel*
gebübe be0 pliocänen ©olfS oon Alta (California Ijat ficß biß
jur ©egenmart erhalten, bet fWeetbufen oon Kalifornien, bie
©orteS*See. Die 3etftörung8probufte bet «Sierra 9Reoaba unb
namentlich beö golbreicßen SdjiefergebietS erfüllten nun mäßrenb
beS jüngften ©rbentageS, ber aber ungezählte 3ahrtaujenbe um*
fafete, ben meiten oberfalifornifc^en ©olf. (Sine ©anb» unb ©e*
röQmaffe, bereu SJlächtigfeit auf 330 SDReter, beten AuSbeßnung
auf 800 biö 900 Duabrat*9Reilen gu fdjäßen, mar baS ©rzeug*
niß bet emig unb allerorten tätigen Denubation ber ©tbober*
fläd^e. ©ine allgemeine Hebung beS SanbeS non etma 200 Mietet
brachte jene jugenblidien ©ebilbe mit ihren golbenen Schüßen
an’S Tageslicht. 3n jener Beit begann eine großartige oulfanifche
Tßätigfeit in bet Sierra SReoaba. Der riefige 23ulfan Shafta
(4267 SJteter) thürmte ficß auf unb überftrömte auSgebehnte
gläcßen bet ©eröHmaffen mit 8aoabecfen. Sehnliche Ströme,
ju 8aoaplateauS erftarrenb, ergoffen jtdh oon feßr zahlreichen $)un!*
ten bet SReoaba. Die ©rofion unb TßolbÜbung begann oon
SReuem ißr Spiel unb fo entftanben bie cieloerzmeigten Strom*
rinnfale beS ©arramento unb beS S. Soaquin. ©8 begann
ein Tßeil bet ©bene (nörbltd) beö 39°) unb bie ©ebirgSthäler
ftcß mit SBälbern tn langfamem AufmucßS z« bebecfen, meldje
an ©roßartigfeit oielleicbt jeglichen SBalbmudjS ber ©tbe übet*
treffen (bie SSafßingtonia). — Die nimmer rußenbe ©tofton
ßat einen großen bet golbbetgenben ©eröD* unb Sanb»
maffen hi**trcizgefd^memmt. Die erhaltenen JRefte fteUen im
Allgemeinen Tetraffen unb plateauähnliche Serge bar. ©ine be»
beutungSeoDe SRolle fpielen für ben ©olbgräbet jene Safalt* unb
gaoabecfen; fie breiten ftd? übet ben golbfüßrenben loderen
SDRaffen auS, fie oor ber 3erftörung fdjüßenb. So entftehen jene
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djarafterifttfdjen tafelförmigen Serge, feeren oberfte, Ijorijontale
2>ecfe (15 bis 65 SJleter mädjtig) auS bafaltifcfyer üaoa befielt;
e6 finb bie roeitberufenen $able SDtountainS. So roerfeen nun
feie »etfdjiebenen ©olblagerftätten Kaliforniens unS oerftänb*
lid) fein.
©olbfüfyrenbe Duarggänge bilfeen feie urfprünglidje 8ager*
ftätte feeS KbelmetaHS. Sie bilfeen nacfy c. SRid)tfjofen, welkem
roir eine trefflidje Scbüberung bet fPletaDprofeuftion Kaliforniens
— ^etermann’S SOlitt^eilungen, KrgängungStyeft 14 — oetfean»
fen, eine fdjmale 3one in ber ÜJlitte beS SSßeftabfaHS ber Sierra
Slenaba in 1000 bis 1650 ÜJteter 9Jleereöf}öt)e; feaS ©treiben ift
f>araQel bemjenigeit feeS ©ebirgB unb ber Äüfte. 3l?t Komplet
ift einet feer auSgefeebnteften unfe regelma§igften ©nnggüge feer
SBelt. 35ie 3al)l ber ©ange ift oft in fleinem }Raume auffer»
orbentlid) gtofj, bann roiefeer finb fie fpatfamet unfe liegen wei*
ter auSeinanfeet. Son großer SSidjtigfeit für baS Auftreten ber
©olbgänge fr^cint nadj o. IRidjttjofen feaS Sorfommen eines
KruptingefteinS gu fein (35iorit, Slpfyanit), roeldjeS IdngS beS
SBeftabljangS bet Sierra feljr gablreicbe gangförmige ®urdj>
brüdje in feen frpftatlinif^en Schiefern bilbet. Siele ber reidjften
©änge treten im Kontaft ber Schiefer unb beS KruptingefteinS
auf. 35a mehrere golbfüfyrenbe ©änge in unmittelbarer 9iä^e
bet teilen ©erötl« unb Sdjottermaffen auftreten, fo rourben fie
balb aufgefunben unb bereits gu Anfang ber 50er Saljre in 9lb»
bau genommen. 3ljte ©efe^ic^te giebt ein lefyrreidjeS SUb »on
übertriebenen Hoffnungen unb barauf folgenber Knttäufcpung.
Silan fanb nalje feem SluBgetyenben grof)e üJtengen ©olbtS unb
gab fidj bet Uebergengung fyin, baf) ber gange ©angraum nadj
ber SSiefe fyin mit maffioem gebiegenem ©olb erfüllt fein müffe;
man roäljnte, baS ©olb fei butd) »ulfanifdje Jträfte gefdjmolgen
in bie ©angfpalte inficirt roorben. Salb aber folgte bie Knt*
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täufdmng. §aft allgemein geigte fidj eine Slbnahme beö Stetig«
thumß nach ber $iefe. 3fud> erroiefen fid) »tele gagerftätten nur
0I8 fog. {Reftergänge, baß ©belmetall war nur an einzelnen
fünften, welche fchnell abgebaut waren, concentrirt. DRehrere
ber widjtigften ©ruben, g. 93. bie berühmte @urefa={Diine (welche
wäfyrenb i^reö neunjährigen Betriebs ©olb im SBerthe »on
17 630000 DRarf geliefert hatte), erreiditen in wenig mehr alö
200 Bieter baß ©nbe ber 23ereblungßgone unb würben oerlaffen.
©tödlicher 2Beife giebt eö inbef) manche Äußnahmen ber gewöhn*
liehen {Regel einer {Berarmuitg in ber ü£iefe, ba einige ©änge
einen ftetß gleichen 21 bei in ber ü£iefe ober eine gleichmäßige
Söieberfeht reicher {Drittel geigen. {Die ©olbgeroinnung burch
93ergbau auf ben ©äugen beträgt etwa >/ 4 biß l/t ber ge=
fammten ©olbprobuftion beß £anbcß. {Der {Rütfgang beß cali«
fornijthen ©angbergbaueß auf ©olb berechtigt inbeß nidd gu
ber Annahme, Daß ber ©olbbergbau bort feine 3ufunft mehr
habe. {Rad) »• {Richthofen finb gerabe biejenigen ©äuge, welche
ben regelmäßigftcn, wenn aud) befcheibenen, ©ewinn oetfprechen,
bißher überfchen ober oernadilaffigt worben. @ß finb jene, oor*
gugßweife mit ©ifenfieß erfüllten ©äuge, welche bem ‘Äuge fein
^reigolb barbieten, Dennoch «bet in einer Slonne (1000 Ägt.)
geförberten ©anggefteinß 40-60 {Diarf ©olb enthalten.
{Die gweite, für bie californifche ^robuftion weit wichtigere
©olblagerfiätte bieten bie ©eröll*, Schotter* unb Sanbablage*
rungen theilß plioeänen, theilß noch jüngeren 9llterö bar. SDiefe
SBeije beß ©olbnorfommenß begeichnet man auch r»ot^l mit Dem
{Ramen bet Seifen. {Daß 93orfommen beß ©olbcß im Seifen*
gebirge giebt, wie feine anbete geologifche SD^atfac^e, unterer
SBorfteUung ben DRaßftab bei Sd}ä$ung ber ©töße unb beß
Umfangß bet JDenubation. Smmerbar nur fpätlid; finbet fidj
baß ©olb im ©ange unb ODOenbß neridjwinbet feine {Dienge im
(430)
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Serglcicbe mit ber ©ebirgßmaffe. Um fyunberte, ja um tauienbc
Don SRetern mürben burd) bcn gerftörenben ©influfj Don Suft
unb IBafjcr, grojt unb Süärme bie ©ebirge erniebrigt. SDie
3erftörungßprobufte ber Reifen mürben 10, ja 100 SReilen fort*
geführt, nicht fo baß ©olb ber gerftorten ©äuge Sei feinem
hoben ©ewidrte (19) fonnte eß nur doh heftig ftrömenbem SBafjer
unb auf ebener glatter Unterlage fortgefübrt werben. So fällt
baß ©olb alßbalb gu Soben, e§ entfernt fid) nidjt meit oon
feiner urfprünglicben üagerftätte. Sermöge eineß großen natür*
lidjen Scblemmprogeffeß eoncentrirt fiel? bemnad) baß ©olb ber
gerftorten ©ebirge in ben Schutt* unb ©eröllmaffen , bie ihre
2;tjäler erfüllen unb itjren gufj umlagern. Auch oom ©olbe ber
Seifen gilt — mic uon ber Äofyle — , bafj baß 3Jtenfd)engefd)led)t
bie ©rnbte unb Arbeit oieler Babrtaufeube einbringt, eine ©rnbte,
welche ftd) nidjt erneuern !anu in ber furgen Spanne Beit,
roäbrenb welcher bie ©rbe unferm ©efebteebte gum SBoljnort
bient. — 5£>ie Seifen (Placers) werben in feidjle (flat) uub
tiefe (deep) eingetbeilt. 3)ie feidjten Placers gieren fidj längß
ben ftlu&läufen f)in, fie geboren bem AQubium an unb finb
entftauben burch eineu mieberbolteit Sd>lemmprogef) ber älteren
Ablagerungen. Sei ihrem großen Steicbtbum unb ber leichten
©eminnung bilbeten biefe feichten Placers gunäcbft baß Arbeitß*
felb ber ©olbgräber. 2)ie geringe ÜRäcbtigfeit unb Außbebnung
tiefer AUuoionen bemirfte inbe§ eine jcbneUe ©rfdwpfung. Stur
ben arbeitfamen unb mit fleiuem Serbienft gufriebenen ©b'nefen
ift noch eine 5Radjle*e auf tiefen feid)ten Placers möglid), melcbe
ber weifte ©räber alß nicht mehr lobnenb oerlaffen bat. d. Sticht*
bofen betont, bafj bie ebinefifebe Seoölferung allein im Stanbe fei,
bie tbeilß armen, ttjeilö fcblecbt oermafebenen AUuoionen außgu*
beuten. Db«ß bi? übätigfeit ber ©binefen mürbe bie Abnahme
ber 9>vobuftion noch weit bebeutenber berbortreten. Leiber roirb
(»i«)
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bet SBertb ber chinefifdien ©eoölferung in Kalifornien nidjt et*
fannt. „Stan beeinträdjtigt ben (S^inefen, wo eS nur möglich ift;
man Iä§t iljn gu feinem ©ewerbe gu, räumt ihm feine bürger*
litten 9ted)te ein, erlaubt ihm feinen ©runbbejtf). 2)er Ameri»
fanet mifcbanbelt unb jdjlägt ben Sbinefen ungeftraft auf ben
©tragen oon ©an grauciSco, beraubt ifjn im üanbe, morbet ihn,
ohne baf) man baoon Äenntnifj nimmt." — S)ie tiefen Placers
umfaffen jene pliocänen, meutere ^unbert mächtigen ©eröQ«
maffen, welche oieifad) oon oulfanifdjen 8aoa* unb Tujjbecfeu
überlagert unb fcurcb fteilmanfcige Schluchten gerfchnitten unb
gertbeüt finb. ©teile Abfälle umgeben oft ringsum biefe Terraffen»
unb Tafelberge, beren 93aftö bie frpftallinifdjen ©Riefet bilben.
3)ie golbteidje ©anbfchidjt, ber „pay dirt", finbet ftdj oorgugS'
weife im Siegenben bet ©eröQmaffen auf ober nabe ben ©d^ie*
fern. ©on befonberer ©ebeutung für baS ©ortommen beb ®ol*
beS in biefen Ablagerungen ift ein altes Strombett, welches —
jefct oon mastigen ©ebimenten erfüllt unb bebecft — etwa
12 Steilen öftlicher als bie glüffe ©acramento unb ©. Soaquin
auf einet ©trecfe oon 30 Steilen oon IDownieotüe unb ©urefa
bis Kolumbia (10 Steilen ßftlicb ©tocfton) gu oerfolgen ift.
IDaS ©ett beS alten ©tromeS wirb burd) bie unebene gläcbe
ber aufgeridjteten ©tiefer gebilbet, welche ootgugSweife geeignet
war, baS ©olb feftgufyalten. ©rft feit ber Stitte ber 50er 3aljre
bat man begonnen, biefe älteren golbfüljtenben Ablagerungen in
gtö&erem Stajjftabe gu bewältigen unb auSgubeuten. 2)ie be*
wunbernSwürbige Tbatfraft ber Amerifanet bat gu biejem ßwecfe
Arbeiten auSgefübrt, welche bie oben nach $)liniu3 gefcbitberten
römifcben Sßerfe in ©panien weit übertreffen. @8 ftnb bie fo«
genannten bbbraulifchen Arbeiten.
Schon wenige 3abte nach ber ©ntbecfung beS ©olfceS war
Oer grofje JReichthum ber leicht gu bearbeitenben ferchten Placers,
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ber oberflächlichen ABuDionen, erfdhopft. 35aS in ben BelSfpalten
wühlenbe ÜReffer, bie Schaufel unb ©pi^adfe, ber äöafdjtrog
unb bie geneigten fyoljernen 2Saf<htinnen (Sluices) Ratten ihre
Arbeit get^an. Auch bie Ausbeutung ber tiefen Placers war
bis ju einem fünfte erfolgt, an welchem bie Äoften ber Arbeit
buTdj baS gewonnene ©olb nicht mehr gebeeft würben. @8
hanbelte fid) barum, ©eröBmaffen non 30 bis 70 SJleter unb
mehr ÜRädjtigfeit ju entfernen unb bie golbrcidje (Bd}id)t frei*
julegen. 35a fam im grüfyjafjr 1852 ein ©olbgräber, beffen
9lame leiber Bergeffen würbe, auf ben eben fo finnreidjen als
einfachen ©ebanfen, einen Söafferftrafyl mit grofjer jfraft gegen
bie ©eröB* unb Sanbmaffen ju fcbleubetn. ©ine Keine SSaffer»
leitung würbe am ©eljünge hin bis gegenüber ber ©eröHwanb
geleitet, auf welche ber Angriff gefaben füllte, ©ine Sonne,
17 9Reter über bem AngriffSpunft ftehenb, nahm baS SBaffer
auf, weites nun mittelft eines 16 ©tm. weiten , mit einem
3 ©tm. biefen 3innrol)r enbenben Schlauches gegen bie ©erofle
gefdjleubert würbe. AuS tiefer unfeheinbaren „hübraulifdjen"
Sorrichtung erwuchfen fdjneO jene riefigen Anlagen, mit beren
pfeife Serge non ihren ©runbfeften weggewafchen würben.
SBelch’ ungeheurer Sortfchritt burdj bie „Hydraulic“ gefchah, er»
giebt fidj aus folgenbem 33ergleidj. Unter SBorauSfejjung eines
Sagelol)nS non 4 35oüarS (a 4 9Rf. 15 $>f.) betragen bie Äoften
ber Serwafchung oon einem ©ubiK^arb Sanb (= 0,7635 ©ub.»
SOleter):
3Rit ber ©d>üffel (Pan) .... 83 ?Dtf.
„ „ SBiege (Rocker) .... 20 „75 $)f.
„ bem langen Äaften (Long Tom) 4 „ 15 „
„ „ hptottwliidjen Apparat . . — „ 20 „
35ie ©olbgewinnung in ©alifornien hängt jejjt cor allem
oon ber gur Verfügung ftehenbeu Sßaffermenge ab. Oiegenreiche
(433)
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Sahte bringen eine reiche ©olbernbte. SDie ©efammtlänge ber
für bie ijpbraulifcben SBetfe nötigen ©anäle betrug im Satyre
1876 bereits 8270 Älm., b. h- baS ^Doppelte ber gerablinigen ©ntfer*
nung »on 9tew*$)orf nad) ©. Francisco. Salb führen fie ba$
SBaffer in offener Leitung über bie ©ebirge ober an ben @e*
hangen bin, balb muffen in gefcbloffenen Hquäbucten SLtjciter »on
300 bis 400 OJteter Sliefe überfet^t werben. Huf$er ben ©analen,
welche baS Söaffer »on ber sJle»aba tjerteiten, muh man HbgugS-
gräben fiepen, oft »erbunben mit langen ©tollen, weldje burcb
ben liegenben ©chiefer gebrodien werben. üJtan arbeitet jefct
mit Söafferftrablen, welche eine üöaffermenge »on 25—30 ©ub.*
gufj in ber Sefunbe barftellen unb mit einer ©efcbwinbigfeit
»on 45—50 SJteter in ber ©efunbe gegen baS ©eftein gefcpleu-
bert werben. 3)ie SBirfung biefer permanenten SBaffergefchoffe
ift unbefdjreiblidj. Jpören wir bie Söorte beS ?)rof. ©iliman:
„'Huf feine anbere Sieife »eränbert ber ÜJtenfd) fo »oUftänbig
baS Hngeficpt ber ©rbe, als burch biefe tjpbraulijd)en Arbeiten.
Serge fd)meljen tjinmefl unb »erfdjwinben ; ihre ÜJtaffe wirb in
ben tiefer liegenben glufethälern auSgebreitet; gan^e Schäler wer»
ben auSgefülIt mit reingewafchenem ÄieS unb ©anb, welche auS
ber groben gluth juvucfbleiben. Unterbeffen fliehen ber Sacra*
mento unb jeine fltebenflüffe wie aud) bet @. Soaquin getrübt
burch rothen Sehlamm. Sn ben Strömen entftetjen Sanbbänfe,
ja fogar ber Sufen »on ©. granciSco wirb mit Serfanbung
bebroht. 35ie Serhceruitg, welche gurücfbleibt, wenn ber ©runb
»om ©olbgräber oerlaffen wirb, ift unüerbefferlich unb er*
fchütternb." tReicpe Sh^ünbe unb fruchtbare ©efilbe am Suba
unb am obern ©acramento finb bereits mit einer Scbuttbecfe
überlagert unb unbewohnbar geworben. Stlie fdjrecflich biefe
Serheerungeti finb, geht auS ber SLI?atfac^e hetoor, bah in bem
reichen ÜDiftrift ©olb SRutt unfern ber Station IDutd) glat an
(43 1)
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ber Pacific »Sahn auf Die ©eroinnung eiueö ©ollarß ©olb
17,4 ©ub.=9Jiet. tranßlocirten ©djutteö gerechnet murbeu. ©ie
Ausbeute »du 2 SJtillionen ©oÖarß crheifchte bie gortfchmemtnuug
oon 34 800 000 Gub.«5)tet. ©chutt, mit meinem man 34,8 Duabr.»
^lm. 1 fSJteter hoch bebecfen förnte. 5Ran fielet, bafj bie ca!U
fornifche ©olbgeminnung nicht ebne einen bunflen ©chatten ift
©in erbitterter noch ungefchlichteter Äampf gmifdjen Bergbau
unb ganbmirtbfchaft entfprang auß jenen Serbältniffen. 3ebe
Partei tcimpfte mit allen ihr gu ©ebote ftebenben Mitteln, um
auf bie öffentliche Meinung, auf bie ©taatß* unb auf bie
Bunbeßbehötben gu roirfen. Söähreitb bie ©rubenbefitjer nlö
Bermüfter unb Berberber beß Sanbeß bargefteHt mürben, beren
©reiben balbmöglichft ein ©nbe gemacht roerbeit mühte, tonnten
fte ihrerfeitß nachmeifen, bah eine Slngahl t>tnt Bieberlaff ungen
nicht fomohl gu lanbmirthfthaftlichen 3mecfen, als oielmeht mit
ber Slbfidht, hohe ©ntfdjäbigungen oon ben ©rubenbefi^ern gu
etpreffen, gegrunbet motbeu feien- ©eben mit — mogu mir in
ber ©hat berechtigt — non biefeu Berroüftungen ab, benen gu
fteuern bie ©efejjgebung mit aller ©nergie beftrebt ift, fo läfet
fich nicht leugnen, bah bie ©ntbecfung beß ©olbeß bem £anbe
©alifornien unb ben Bereinigten ©taaten unenblid) mehr ©egen
alß ©djaben gebracht hat. Biemalß ift ein grofjeß üanb fo
fchnell ber ©ultut gemonnett morben, mie ©alifornien, melcbeß
gu Beginn beß 3ahreß 1848 oon 15 000 meift oon Biehgudjt
ftch ernahtenben SKenfchen bemohnt mürbe. Bach 2 3ahren mar
bie Beoölferung auf 100 000 gemachten; ber ©enfuß oon 1870
ergab 560 000 ©eelen; gu ©nbe 1877 betrug bie 3al)l bereits
938 000. 3n 30 3ahren hat fich baß £aub mit herrlichen ©e>
treibefluren bebecft. 3n ftolge bet ©ntbecfuug beß ©olbeß mürbe
©alifornien baß SBittelglieb im Berfehr beß öftlichen '^merifa’ß
uub ©uropa’ß mit bem öftlichen iSfien uub ber gangen pacififchen
(M5)
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SSelt. ©er ^>afen »on @. Francisco, baS berühmte golbene
übßt, ift jetjt einer bet Brennpunfte beS SBeltüerfebrS unb beS
SBeltbanbelS. SSäbrenb jucor nur ©egelfchijfe bie unermeßlichen
pacifijcben fRäume burcbjogen, gelten jeßt bie ©ampferlinien »om
Golden Gate auS nach Sapan unb <5t)ina , nach 91eu--6eelanb
unb Sluftralien. 2CGe Snfeln unb lüften beS großen DceanS
»erben in ben ©trom frieblic^cn BölfereerfebtS {jineingejogen.
SRenfchlicbe ©i»Üifation bat ihre ftarfen äöurjeln getrieben, an
Äüjten, welche $u ©oof’S 3eiten non 5Jienfc^en freffern bewohnt
würben. 3a, (Kalifornien ift baS fchtießenbe ©lieb in bem großen
CRinge bet ©ulturlänber geworben. 3[ud) ©btna «nb Sopan
»erharren nicht mehr in ber früheren 3folirung. ©aß fte hin«
eingejogen würben in ben ©front gemeinfamen menfchlicben
©ulturfortjchrittS, beruht wefentlich auf bem ©mporblüben ©ali»
fornienS. Schneller als man ahnt, jebreitet wohl bie 9Jienf<hbeit
ihren hoben Stelen entgegen. Bielleicht ift bie 3eit nicht ferne,
baß jene ^unberte »on SDiiöionen reidjbegabter SRenfdjen, welche
baS öftliche '3fien unb bie 3nfeln bewohnen, ben gleichen großen
9)rin$ipien ber Bilbung unb Humanität hnlbigen werben, ju
welchen bie cbriftlicben Bölfer »erpflichtet finb.
©ie ©olbprobuftion Kaliforniens, fowie ihr ©teigen unb
fallen, ergiebt jid) auS folgenben 3ahlen, welche ben ©ejammt«
werth bet SJuSfußr in SRiUionen 3Rarf angeben. Bereits im
Sabre 1848 betrug bie Ausfuhr 42; fie ftieg außerorbentlich
fchneD unb erreichte 1853 mit 273 ihr 5Rajtimum. ©in aß*
mähliches ©infen tritt ein; 1858 210; 1861 168; 1863 126;
1871 84; 1872 80; 1873 75,5; 1876 71. gegterere 3al)l be*
geichnet baS ÜJünimum, welches feit bem Sabre 1849—1876 bie
©olbgewinnung erreichte.
SBir bürfen ben fernen SBeften nicht »erlaffen, beoor wir
einen Blicf auf ben SDiftrift SBafhoe im ©taate fReoaba gewor*
(*36)
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fen haben. fRad) obigen Anbeutuugen über bie golbenen ©chäjje
©alifornienö fönnte man oieUeic^t glauben, baf) neben ihnen bie
eblen 8agerftätten beS centralen fRorbamerifa nur oon unter»
georbnetem 3ntereffe mären. 3n ber 2.hat tonn tnan ben ©olb*
lagerftätten ©alifornienS gleite ober ähnliche ©cbäfce, fei eS ter
»ergangenen Sat^hunberte, jei eS bet (Segenmart, an bie ©eite
ftellen. fRirgenb unb niemals aber hat man einen eblen ©rj»
gang gefunben oon bem fReidjthum beS ©oruftocf*®ang0. An
feinem anbern fünfte ber ©rbe hat bie ihre ©unft unb ©aben
io ungleich auStljeilenbe -Jiatur eine gleich 9™§e SRenge ooit
©belmetaü jufammengehäuft, als in jener erfüllten ©palte beS
oberen ©arfon»@ebietS, meldje ben tarnen bes unglücflichen
AbenteuererS ©omftocf für alle Beiten mit ber ©efdjidjte ber eblen
IDtetalle oetbinben mirb.
©inige ^eilige beS jüngfteu £age$, SRitglieber jener merf»
mütbigen politijch*religiöfen ©efte, melche % ©taatSmejen auf
bem ©runbfajj auferbauten: ©in träger üRenfch fann fein ©hrift
fein, — einige üRormenen liefen fidj ^u ©nbe ber 40er 3aljte
in bem unbemohnten milben 5)iftrift beS oberen ©arfon*§luffeS
nieber. ©ie fanben unb muffen ©olb. 33on SBrigham öoung
in bie neugegrünbete ©aljfeeftabt berufen, mußten fie ihr ©olb
ber ©emeiube übergeben, ©S biente ^um ©chmucf beS pracht*
ooden, auS ©ranitquabern erbauten JempelS ber Great Salt
Lake City. — 3ahllofe ©chaareit jogen mährenb beö folgenbeu
3ahr^ehntß bei SBafhoe oorüber itad) ©alifovnien, ol}ue bie ©djä^e
am ©arfon ju ahnen, ©rft im Satjre 1858 brachte man SBlörfe
eines bunflen ©rjeS nach ©rafj SSallep in Galifornien. 3Die
©chmeljprobe ergab neben ©olb einen reichen ©ehalt an ®il»
ber. daraufhin gegen oon ©alifornien Abenteueret nach SBafhoe^
unter ihnen $enr» ©omftocf, ber einen großen $heil beS noch'
ihm benannten ©augeS oon bem früheren öeft^er tOirginia für
XIV. 324.325. 4 (437>
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50
20 55ollarß faufte. Gomftocf fe|te inbe§ fein ruhelofeß SBanber*
leben fort, nadjbem er feinen ©angantheil für 6000 Dollars
»erfauft. „^eute — fo fchreibt o. 0tid)thofen im 3a|re 1863
— würben! 20 ÜKiüionen SDollarö ben Slntheil nicht aufwiegen.“
Die ©rgebuiffe beß 6omftocf*23ergbaueß flehen ohne ©leicheu
ba, wie folgenbe 3ahlen beweifen. Der ©ang fchüttete in bem
16jährigen betrieb 1860—1875 ©belmetall im SBerth non
840 fUtillionen fßtarf unb gwat 336 fötillicnen föiarf ©olb unb
504 fötillionen fötarf Silber. Daß 3ah* 1876 ergab eine 2luß*
beute non 71 530 000 fölarf ©olb unb 83 970 000 ÖRatf ©Über.
Die ©olbprobuftion beß einzigen ©omftocfgangß übertrifft um
baß 13fa<he bie gefammte $)robuftion Defterreich*Ungarnß. Bon
bet ©belmetallprobuftion ber weiten golb« unb filberretdjen
(Staaten unb Territorien weftlidj beß gelfengebirgeß erzeugt jener
einzige ©ang brei Siebentel. Der unglüdfelige (Somftocf mu|te,
wie wenige anbere Sterbliche ben Berrath beß irbifdjeu ©lücfß
empfinben. $hnungßloß hatte er ungeheuere Schätze befeffen unb aus
ber cfpanb gegeben. Statt ber oerlorenen neue gu juchen, gog er
ruheloß umher nach Dafota nach flteu fötejcico. Schwermuth
unb Bergweiflung ergriff ihn. @r ftarb oon eigener £anb, „elenb,
fchmujjig, unbetrauert, unbemerft unb faft ungefannt." (©. Sü§.)
Der ©omftocfgang fe|t unter 39° 20' nörbl. Breite, 5 fötei*
len öftlid) beß h°hen Äammeß ber Sierra flteoaba auf, baß
Streichen ift 9t. gegen £).— S. gegen SB.; baß fallen ift 40
biß 50') gegen Oft. Die fDteereßljöhe beß 9lußgehenbeu jchwanft
gwifdjen 1900 unb 2100 föteter. Die befannte Sänge beß ©an*
geß beträgt 6700 föteter. Di e gefammte ©angmä^tigfeit, ein*
begriffen bie ficfj abgweigenben Blätter unb Trümmer, fdjwanft
gwifdjen 20 unb 200 föteter. Der ©ang, eine mit ©tgfchalen
unb »3onen, mit rothen mb weilen Quargbilbungen, mit Thon*
maffen fowie mit gto|en Schollen beß fJtebengefteinß erfüllte un=
(4JS)
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51
geheuere Spalte liegt auf einet ©efteinSgrenge, nämlid) zwilchen
@penit, welcher bag üiegenbe unb fPropplit (einer ©arietät bed
Srachptö), reeller baä ^angenbe bilbet. 35er Spenit, ein alte*
re8 ©ruptipgeftein, bilbet, im äBeften be8 ©angeö emporragenb,
ben ÜWount 35aoibfon (2385 Sieter), ben ©ulminationSpunft
ber weiten Umgebung. 55ie fpenitifcfee ©efteinömaffe fd^eint ftd)
nacp ber Stiefe feilförmig unter bem 9>ropplit au^ube^nen, wel*
eher alö eine Diel jüngere üulfanifdje ©ruptiomaffe weithin bie
älteren ©Übungen übeifluthete. 35ie eblen ©angminetalien pon
Gomftocf finb: gebiegen ©olb, gebiegen Silber, Silberglanz,
9iethgültig u. e. a. 55iefe eblen Slineralien finb nicht gleid)*
mä&ig im ©angraum »erteilt; fie bilben oielmehr ungeheuere
linfenfötnüge, aud> wohl mit gijdjen terglichene ©rzförper,
©onanjaö genannt, beten bis jejjt etwa zehn größere aufjer Dielen
fleineren befannt finb. 35ie wicfatigfte üon allen ift bie ©olb*
$i(l*©onanza, welche bei einer ÜängenauSbehnung non 335 Sie*
ter bis in eine Sicfe non 213 Sieter Don ber Oberfläche fid)
perfolgen lüfct unb innerhalb 10 3al)teu ©belmetall im SBerthe
pon 172 Millionen Siarf geliefert hat- S5ie Stage: wie tiefe
unerhörten Schale in bie Seljenfpalte geführt worben finb, lägt
fid) zwar mit Sicherheit noch nicht beantworten; bafc aber 21)et*
malquellen babei mitgewirft, möchte nicht gu bezweifeln fein.
9iod) jetjt fprubelt au8 bet SOiefe ber ©angfpalte hetfeeS SBaffer
empor, weldjeö ben Jpduern bie 2lrbeit erfdjwert. — 35ie ©nt*
becfuug beö ©omftocf=@angö war e8 adeiit , weldie bie ©rfot*
fchung unb ©efiebelung be8 ©reat ©afin jwijchen ber Sierra
Dieoaba unb ber Söaljfatch * Äette bebingte. 35ie8 weite ©ebiet,
pon nicht geringerer 'Jluebehnung wie baö beutfcfae 9ieid), war
bis 1858 (mit äluönahme be§ Siormonen*35iftrift8) nur nott
fchweifenben Snbianern bewohnt, währenb fe^t bie weijje ©e»
Dotierung 100 000 weit überfteigt. Bwei anfehnlidje Stabte,
4» (IM)
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©olben j£)id unb IBirginia <5itp würben auf bem SÄußgebenben
beß ©angeß felbft erbaut ; mehrere anbere muffen fdbnell iu ber
Stacbbarjchaft empor. Der ©omftocf war auch bi* 93eranlaffung,
bafe baß ©reat 33afin nach neuen fcagerftatten beß ©belmetaUß
unb gwat mit gtücflicbem ©rfolge burebforfebt würbe. Die un*
terirbijehen <St^ä^e oon Topabe (^Suftin), fHeefe jRioer, SEB^ite
9>ine u. a. £>. finb oon ber Statut in 2Büftenlanbjchaften niebet»
gelegt; bie traurigften SSüftenräume, iu benen ©anbfläcfaen mit
außgebebnten ©aljebenen wechfeln. Die troefue, licbterfüllte
£uft geftattet bem 2luge unbegrengte §ernfichteu übet baß öbe,
naefte, jeglicher Vegetation (mit SÄußnabme bet ben tobtendbnlicheu
©baralter bet SEBüfte noch erhöben ben ©albeipflange) entbehrenbe
2anb. Dieje abflufjlofe Söüfte hat eine mittlere SReereßhöbe oon
1200 Söteter; in ihrem centralen Steile erhebt fie fi<h biß
1800 SJleter. Durch biefe Söüfte gieben jebr jablreiche, norb»
füblich ftreichenbe, fchmale bch* (biß 3000 SJieter) gelßgebirge.
ERocb ju Anfang ber Tertidreped)e branbete, oom merifanifchen
©olf beraufflutbcnb, ber ^tlantijche £>cean am öftücben ©teil«
abftura ber 3Babfat<b»Äette , wäbrenb in jenem paciftjchen ©olf
oon 2llta ©alifornia bie golbreichen SÄUuDionen fidj aufjubauen
begannen. —
golgenbe 3ufammenftellung bet ©belmetadprobuftion in ben
©taaten unb Territorien weftlich beß ÜRiffouri (welche wir bem
@eneral=©uperintenbenieu 3no. 3- 33alentiner oetbanfen) wirb
nicht ohne 3nterefje fein.
©olb.
©über.
1870
Doßatß 33 750 000.
17 320 000.
1871
„ 34 398 000.
19 286 000.
1872
„ 38 109 395.
19 924 429.
1873
„ 39 206 558.
27 483 302.
1874
„ 38 466 488.
29 699 122.
(«0)
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53
©olb Silber
1875 Dollars 39 968 194. 31 635 239.
1876 „ 42 886 935. 39 292 922.
1877 „ 44 880 223. 45 846109.
Die ©efammtbrobuftien beibcr ©belmetaHe ift bemnacb »on
51 auf 903/4 ÜJlillionen geftiegen. SBäijtenb inbefe im Sahre
1870 ba8 ©über nur ein Drittel ber probucirten SBert^e bar*
fteflte, beträgt e8 je$t mehr als bie £älfte.
SBerfen mir nun einen 2?licf auf bie ©olblagerftätten
2luftralien8, jenes munberbaten Kontinents, auf melcbem bie
Kiuilifation am fpäteften fefte ©ifje gefunben, um fobanit in
bcifriellofem SÄuffcfamung über ben Dften, ©üben unb Söeften
ftcb auSjubefynen. Sn ber $hat, roelcbe Bänbet fönnten fidh au
©chneüigfeit ihrer, auf fefteften ©runblagen beruhenben, Knt*
mitflung, Dergleichen mit ben auftralifd'en Kolonien, j. 23. mit
ÜBictoria, roeld)e8 auf 4160 Quabrat»5Reilen im Sah« 1836
224 Seelen, im Sahte 1876 bercn 840 300 jäfjlte! 2lud? in
Shiftralien (in Sictoria, 5Reu=©üb*3Balc8 unb DueenSlanb) ift
e8 bie Kntbecfuug beö ©olbeS gemefen, welche in mcnigen Sah1*
zehnten au8 unbewohnten SBilbniffen unb ©teppenlänbern mohl«
georbnete Staaten gebilbet hat.
bereits im Sahte 1841 hatte SB. 23. Klarfe, ein ©eiftlidjer,
in ben blauen 23ergen, etma 20 teilen non ©pbneti entfernt,
©olb gefunben unb <;war fomohl im ©eifengebirge al8 auch im
SJluttergeftein. Söenige Sahte ipäter fprach ©ir 9Rob. SDiutchifon
bie Ueberjeugung au8, ba§ ba8 gro§e ©ebirge, welches bie Oft*
lüfte 2luftralien8 begleitet — gleich fcem Ural — golbreidje Bager»
ftätten einfchliefjen müffe. Die erfte Kntbecfung einer reichen
2lllumon gefcfaah 1851 am ©ummerbiH'glufc (9feu*©üb = 2BaleS)
burch einen au8 Kalifornien jurücffehrenben ©olbgräbet fRamenS
.^atgraoeS. Schnell ftrömte eine gro&e 3alfl »on SRenfchen
(441)
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54
borthin unb eß würbe bie ©tabt Cpbir *m OueBgebiet beß
fölacquarie gegrünbet. 9toch in. bemfelben ?abre erfolgte bie
ISuffinbung beö ©olbeß in Victoria, unb gwar namentlich bei
©nmpie (20 5fteilen norblid) twn 33ri§bane), bei Biecfhampton
im S£l?al beß untern $itgrop*ftluffeß, bei Btanenßwoob am Surbe*
fin unb an »ielen anberen Orten. IDaß auftraliidie ©olb finbet
fi(f> theilß auf urlprüngücher hagerftätte, theilß im ©eifengebirge.
SDie erfte 2trt beß Sorfomntenß umfaßt oorgugßweije Ouarggänge,
welche in ungeheurer 9lngahl ben filurifdjen S£t>cufcfiiefer (bie
herrfchenbe Formation beß nerblichen Sictoria) burcbfe^en. 2>och
auch in ©ranit, in felfitifchem fWrphpr, in ^orphprit, in biabaß»
ähnlichen ©efteinen ber i'erfdjiebenften 91rt tritt baß ©db auf
unb gwar theilß in normal gebauten ©ängen, theilß in ©ang»
nefcen ober audj alß Imprägnation beß ©efteinß. ©ehr merf«
würbig ift eine befonbete 9trt non ©ängen, welche man nad)
ihrem Sau alß leitetförmige ©änge begeichnen fann. 3n einem
»ertical ober fteilftehenben ©rünfteingang erfcheinen nämlich
gasreiche, nahe hwrigontale, etwafl wellig gebogene Duargabern
unb frömmer, welche oon befonberem ©olbreichthum finb. ©in
tppifcheß Seifpiel für biefe 2Crt beß ffiorfommenß bietet WoodV
point in Sictoria. ©in mächtiger ©rünfteingang ift tyiex gut
©eite unb in unmittelbarer Serüfarung eineß altern golbführenben
Duarggangß emporgeftiegen, Sruchftücfe beffelben umhüllcnb.
kleine flad)Iinfenförmige Onargfßrper, reich an ©olb, jef$en im
©rünftein auf unb bebingen ben rngewohnliden Bieicbibum biefcr
8agerftätte, welche bem oberfilurifchen Shmfchiefer angehört.
Heber bie räumliche Sertbeilung beß ©olbeß in ben ©ängen finb
in Stuftralien eiele böchft merfwürbige ©rfahruugen gefammmelt
worben. SDie Seichaffenheit beß 9iebengefteinß fpielt babei eine
»ergleichßweiie untergeorbnete fRolle, »cn gro§er Sebeutung finb
inbefc bie wechfelnben formen ber ©angfpalten, bie fich halb er»
(44!)
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weitern, halb fcfjließen, hier auSbauchen, bort einen fcßarfen
£acfen bilben. Ueberbaupt ift baS ©olb feßr feiten gleichmäßig
in ber ganzen ©rftrecfung beö ©angeS »orbanben, fonbetn folgt,
and) wenn bie ©angfpalte eine gleichförmige ©ntroicflung be»
fißt, gewiffen 8inien (Shoot ober Run of gold ober Cbimney
ber ©alifornier) welche fcbief in ber ©angfläche »erlaufen. Senn
ein ©ang non einem anbern ein gufcßarenbeS 2rumm erhält,
fo bringt biefeS oft großen fReid)tl)um. ®o würbe bem ©olben»
@rowm©ang auf ffieufeelanb bureb ein Irumm folcße ©olbmenge
gugefübrt, baß „man ein »icle fßieter langes faft teincS ©olb.
banb »on wecßfelnber Streite entblößt fab" (©. Solff). — IDie
Babl ber ©olbgänge AuftralienS ift faft unermeßlich groß, jeben*
falls nicht unter 10 Saufenb gu fchäßen; »on ißnen freilid) bie
SRebrgabl unter ben heutigen SSebingungen nicht bauwürbig. —
Sie in (Kalifornien, fo entftammten aud) in Auftralien bie erften
©chäße ben AHu»ionen. ®a bie gerftörenben Äräfte ftetS ihre
Sirfung übten, mußten febon in ben früßeften 3eiten bie pri*
mären ©olblagerftätten gerftört u»b baS ©belmetall ben Strümmer*
maffen gugefübrt werben, ©o umjdjließen bereits bie ©onglo*
merate ber ©teinfcßlenformation reiche ÜNcngen non ©olb. Bon
größerer S?ebeutnng finb inbeß allein bie in ber Sertiär» unb
in ber recenten ©poche gebilbeten Allunionen ; man unterfcheibet
folcße, welche bem altern ober bem jungem ^liocän unb folcße,
welche ben nod) heute fortfehreitenben Salbungen angeboren.
SDie plioeänen Allunionen erfdjeinen tbeilS als Riegel, eingeln
ober gereiht, gu ^lateauS »erbunben, tbeilS als Ausfüllung alter
ftlußläufe, als fog. Deep leads. IDort ift eS bie Aufgabe ber
©clbgräber, baS alte ©tromgerinne tief unten auf bem Reifen*
hoben nach ©urebgrabung mächtiger ®eröHfchid)ten aufgufinben
unb gu »erfolgen, benn in bem ehemaligen Safferlauf, welcher
guweilen eine entgegengefeßte ^Richtung »erfolgte, wie bie bod>
56
auf ben SlfluoionSmaffen ftrömenben heutigen ©ewafjer, finbet
fic^ bet größte ©olbrei^tl)um. Sind) in Sictoria wiebetbolen
fid), wie in Salifornien, bie ©ecfen »on SBafalt, welche ficts übet
ben golbfübrenben '-SUuoionen auSbreiten unb bieielben cot bet
Serftörung fdjü^ten. fERan burdjbricbt in folgen gälten bie in
toertifale (Säulen geglieberte SBafaltbetfe unb gelangt ju ben golb*
reichen Slnfdjwcmmungen. Sllfl ^Begleiter befl ©olbeä im Seifen»
gebirge finb namentlich folgenbe 2Rineralien gu nennen: Ülmetbbft,
Binnfteiu, SRutil, 33roofit, 3kfon, ©appbnr, fRubin, ©emantfpatb,
Peonaft, SepaS, ©iamant. ©er ©olbgebalt bet tHDunionen
ift febr oerfdjieben, als mittleren ©ebalt fann man etwa 2 gr
©olb auf 1 Jonne üerwajcbener ©anbe annebmen. 3uweilen
fteigt iitbefj bet ©olbgebalt aufjerorbentlich, bis 15 unb 30 gr,
ja als totale Anhäufung nod) weit b<%r- 35k auftraliiehen
©eifeit, unb namentlich biejenigen Siictoria’ö, fteben allen anbern
»oran burch bie ©röfce ber ©olbflumpen (füugget, $)epite), welche
fie geliefert baben. ©er größte jUumpen, welcher jemals ben
gierig wüblenben ©räbern in bie jpänbe fiel, war ber SBelceme*
9iugget, gef. 1858, 60 m unter ber Srboberfläche am iBaferp*
<£nll bei SBallatat im uörblichen äMctoria. ©ein ©ewicht betrug
68,26 kg (1 kg geingolo wertbet 2777,7 9Jtaif). (Ss folgen
sJ)rcciouS=9iugget, gef. 1871, nur 4 in unter ber ©rbeberfiäcbe bei
IBerlin in Sßictoria, 50,41 kg jd}wer ; ber SBiefount (Santerburn
gleichfalls bei S3erlin in nur 5 m Stete gefunben 1870, wog
34,36 kg. 3lu<h DueenSlaub bat mehrere aufeerorbentlich grojje
91uggetß geliefert barunter eineu gu ©pmpie gefunbenen im ©e«
Wichte non 49,75 kg. ©ie Üluffinbung joldjer fRieienflumpen bat
auf bie allgemeine Sabreßprobuction beö betreffenben ©iftriftß
feinen merfbaren ©infhifc, fie wirft aber mächtig anregenb auf
bie ©olbgräber. 9tiemalö fanb man ©olbmaffen uon ähnlichem
©emidjt wie baöjenige biefer 9fugget8 auS bem ©eifengebirge
I4M)
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57
auf her primitioen Sagerftätte. 3ur Grflärung biefer Sfcßatfache
bürfen wir oieHeicht annebmen, baß bie oberen Steile ber ©än»
ge, »eiche bet 3erftörung unterlagen, golbreicber ge»efen unb bas
©olb in größeren Älumpen enthielten, als bie ber 3ertrümmerung
entgangenen tiefem ©angtbeile. Vielleicht ift auch jene Slnficht
nicht ganz gmnbloS, »eiche bie großen HluggetS nicht alö ur*
fprüngliche ©ebilte, ionbern erft burch bie ßctfeljung ber ©ang*
Waffen entftanben anniwmt. ©aS auftraliiche ©clb fcmmt nicht
immer in unregelmäßig umgrenzten Körnern oer; eS hübet oiel«
mehr zuweilen äußerft gierliche .ftroftallifatienen, tbeilS oon regele
mäßiger, tbeilS oon oerzerrter ©eftalt. hierhin gehört baS feg.
Spinuenbeiugolb oon QueenSlanb. ©aS regelmäßig frpftallifirte
©olb 31uftralien? ze*chnet fich gleich bemjenigen (Siebenbürgens
burch einen hoben Silbergebalt (15 bis 40 p(5t.) auS. ©aS
Silber begünftigt nämlich bie .fitpftadifation beS ©olbeS. Unter
ben golbprebucirenben Säubern ftet)t 'Äuftralien jeßt obenan, in’
bem fein jährliches ©rzeugniß auf 220 bis 240 fDtifliouen HJtarf
Zu jetäßen ift. ©ie ©efammtprebuction SluftralienS ergiebt fich
aus folgenben ©aten: Victoria erzeugte bis ©nbe 1877 ©olb
im SBcrthe oon 4000, ClueenSlanb 2117‘/s, Hteu'3üb>SBaleS
653 HJtillionen SOtarf. ©ie Summe biefer SBertbe (67701 2
HJtiÜionen ÜJiarf) entspricht einem ©emichte oon 2 457 532 kg
unb einem Volumen oon 126 cbm ©olb. — ©en auftralifcher
©olblänbern bot fich aueb Hleufeelanb nngereibt unb zwar mit
einer Probuction im Viert he oon 28 fDiiUionen SOJarf im Sabre
1875 (30 HJtiflionen im Sabre 1874). Hluf ber Hlotbinfel finb
eS »orzitgSmeife primäre Sagerftätten (©äuge in jüngeren ©mp«
tipgefteinen, feltener in älteren Schiefern), welche baS GbelmetnQ
liefern, »äbrenb bie probucticn ber Sübinfel bauptiäcblicb tem
Seifengebirge entftammt.
Hieben ben Vereinigten Staaten unb Sluftratim ift oon
<«r.)
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58
wefentlicber bebeutung für bie heutige ©olbprobuetion nur ba§
ruffifche fReich unb groar beffen afiatifcbe $älfte. Slud) ^ter
betätigte fid) bie Sbatfacbe, bafi jungfräuliche gänber golbene
Schäle bergen. 2)ie SL!?äter beö Ural würben erft gu beginn
biefeS Snljrtjunbcttg burd)forfd)t unb befiebelt; fie begannen eine
auffallenb ftetige ©olbernbte gu liefern. 5Rit bcm oierten 3a^t»
gebnt trat Seftfibirien als golbprobueirenb bertwr, bann Oft»
fibirien, beffen unermeßlichen Saubren unb ffialbgebirgen beute
ber größere Sbeil ber ruififdien ©elbgirobuction entflammt. 3>ie
uralijcbe ©olbgercinnung bewegt fid) wie biejenige ber bereinigten
Staaten unb ÖluftralienS, tbeilS auf primären, tbeilS auf fefun*
baren frigerftätten. Unter ben elfteren ragt berefowSf norböft*
lid) .fiatbariuenburg beeucr. 3>aS ©runbgebirge beftebt in jenem
Sbeile beö Ural auS norbjüblid) ftreid)enben, fteil aufgericfcteten
Schichten non Salf», Gl)ont', Sbcmfdnefer; eS wirb burchbrochen
noti gablreidien bis 20 fDieter tnäd)tigen (Sängen eines feinför*
nigen ©ranit (arm an ^elbfpatb, reich an (SifenfieS). ?n biefem
©anggranit fe£en nun Ölbern non golbfübrenbem Duarg auf,
welche ben ©egenftanb beS ©olbbergbau’S bilben. Ölud) bie ©iftrifte
neu föiiaSf unb Sroißf, gleichfalls bem afiatifcfcen ©ebänge beS
großen 9JieribiangebirgeS angeböienb, bergen golbfübtenbe Duarg»
ginge, ben gröberer fSuSbebnung unb wichtiger für bie $>ro*
buftion finb bie ©oibfeifen, weld>e fid) reu 61° bis gum 52°
n. br. auSbebnen, faft auSfcbließlich auf afiatijdier Seite. 3)ie
reichften ©ebiete finb etwa bie folgenben: ©oroblagobatSf, SagilSf,
biferef, ÄiichtimSf, ORiaSf, Sroißf, Äatid)fur, enblid) bie Ser*
riterien ber Safdjfircn, Septjaren unb Äcfafen. (Die uralifd)en
Seifen befteben nicht fowoßl auS Sanb, als oielmebt auS
Schichten hon reinem Sbon ober fanbigent Sbon, untermifcht
mit Steintrümmern. (Die SRäd)tigfeit ber golbbaltigen ÖllluDi»
cnen beträgt im blittel ’/, bis 1 Bieter, erreicht im fDlajrimum
(«4«)
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59
4 SJteter, ihre horizontale ‘äuöbehnung f«±>r»anft zwifchen 40, 200
unb 400 ÜJteter, feiten erreicht fie mehr als 1000 föleter (wie
biejenigen non Salbu! am Ui bluffe). 3)ie uralifchen Seifen
gehören ben fflufethälmt an, fie haben bemnad) nur eine geringe
Sreite, meift ^wifct'en 20 unb 40 Weter, feiten 100 füteter.
5)ie gdbführcnben Strafen ruhen nicht unmittelbar unter ber
Jpumuöf<hi<ht, fonbern werben oon unhaltigen Show, ©eröfl*
unb Sanbfd)ichten überlagert. Son ber 5Jtäd)tigfeit biefer Sagen,
melde abgetragen »erben muffen, hängt — neben bem )Reidj=
thum ber Seifen — ber ©ewinn unb bie SJtöglichfeit ber ?Iu8*
beutung ab. 2?ie üDicfe ber golbfreien SUIuoionett fcbwanft meift
jwifchen V, unb 4 Weter; |ie erreicht 20, felbft 40 fDteter. 3n
lehterem »falle fann nur ein großer IReicbthum ber unterlagern*
ben Seife bie Abtragung ber ftcrilen fötaffen ermöglichen. 2)ie
golbführenben 9lUuoionen ruhen meift unmittelbar auf bem
©runbgebivge, welches in jenen Steilen beö Ural auö frpftaüi*
nifchen Schiefern, ätalfftein ober Serpentin befteht. 2)er mittlere
Wehalt ber uralifcben Seifen beträgt 1,3 gr ©olb in einer
Sonne beS nerwafdjenen lERaterialö. 2)aö uralifdre ©olb finbct
fi<h meift nur in fehr üeinen .ftörnern unb Stättchen, zuweilen
inbe| aud) in §)epiten (Samorobof im SRufftfdjen genannt.)
SDet größte uralifche ©olbflumpen (zugleich ber größte welcher
jemals in ben brci ©rbtheilen ber £>fthemifphäte entbecft würbe)
fanb fid) im Sahre 1842 auf ber SBafäse 3arewc'2(lepnbrowfif
bei €GRiaSf. Sein ©ewicht betrug 36 kg, bie Oberfläche war fehr
uneben, löcherig mit ©inbrücfen welche oon Duarzfrnftallen her«
rühren. 3n Oftfibirien ift baS ©olb bis je|t nur im Seifen*
gebivge befannt; befonberö reich finb bie Sezirfe am obern
unb untern Senifei, ber Dlefrninöfifd'e Sezirf zwilchen ben fflüffeH
Clefma unb SBitim, ber DiertfchinSfifche Sezirf an ber A'ara,
enblid) baö ^murlanb. Äein Sheil 2lfienö, infcfern et jung*
(447)
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60
frauliches i*anb birgt, fcheiut beß ©olbeß gang gu entbehren. So
haben ficb auch in jenen Steilen Jurfeftanß, welche bie fRuffen
not wenig Jagten ihrem weiten Reiche einnerleibten, außgebehnte
©olblagerftätten gefunben, nämlich am obern SH, unfern Äultja
fowie im Cueflgebiete beß Sir 3)arja (Sajrarteß). <58 finb
üllhiBionen, welche auf ©neijj nnb ©ranit ruhen unb auß fcl?r
groben ©eröDmaffen befteben. 3lud> Snnerafien liefert nod'
fortwäbrenb ©clb, wie wir burch ben fühnen fhfchewalßfi er-
fahren haben. fRach Sfalfowßfp bat fid) bie ruffifcbe ©olbauß*
beute im lebten Sahrgehnt annähernb auf gleicher ^>öhe erhalten,
fie betrug im Sabre 1876 33 646 kg. ©ie Bahl bet bearbeiteten
©olblagcrftätten war in jenem Sabre 1130. 2)er Schwerpunft
ber §>robuftion liegt jefjt im ßftlidjen (Sibirien. SDie ©efammi»
menge beß ©olbeß, welche in fRufjlanb non 1753 (bem Speginn
ber firobuftion) biß 1876 (inclufioe) gewonnen würbe, beträgt
1 099 703 kg. 3)ieje Schäle betragen nicht bie Jpälfte berjenigen,
welche ©aliforien ober Sluftralien feit bem Sabre 1848 refp.
1850 geliefert haben. 2)ennoch ift bie ruffijehe ©olbprobuftioft
für ben SBeltmarft non größter SPebeutung unb wirb fidc not»
außfichtlich noch lange auf gleicher |)öbe erhalten, — eine ftolge
ber ungeheueren 3lußbehnung ber fibirijehen ©olballunionen,
weld'e gegen ben jftorben unb Dften hin nur feljr allmählich er«
fcfaloffen werben fönnen.
fPon gang untergeorbneter 33ebeutung für bie heutige ©olb»
gewinnung ift iSfrifa, roelcheß, wie wir erfuhreu, ben Pharaonen
ihre ©olbfdgäjje lieferte, ©ennoch fehlt eß auch in jenem fo
lange nerfchleierten ©ontinent nicht an ©olbbiftriften. 3tlß
folche finb gu nennen baß obere glufegebiet beß Senegal unb
SDjoliba, ein ©ebiet am oberen 9til, ferner Sofala, enblich
Sranßnaal. Sn Unterem Territorium ift baß ©belmetaü erft
(448)
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«1
oor wenigen Sahren (1871) aufgefunben worben; eö wirb berg*
mänuijeh gewonnen unfern SJiarabaftab (im notblic^ert 3h«il beß
Sanbeß) unb auß (Setfett in ben „©alebonia Fieibß" unweit
Sepbenburg. .jpiev fanb fid; aud) eine grefje jpepite, 6680 gr
fd)wet, uon lichter Farbe unb eigentümlich benbtitijdb'gacfiget
Sefdjaffenheit. — JDb baß innere -Slfrifa'ß nod' unentbeefte
©olblänber birgt? wer fönnte eß mit 33eftimmtheit Derneinen.
Um fo eher bürfen wir in jenen außgebebnten Säubern nod)
ungehobeue ©d)äj)e Dermuthen, ba bie Bewohner gum $heil ben
SÖerth beß gelben ©belmetallß nicht gu fennen jeheinen, wie man
auß folgenber SRittheilung ©ameron’ß erficht, „3ilß ich," fo
ergäbt er, „bei ^>ameb ibn Jpameb war, geigte er mir eine unge»
fit)r einen Siter halteubc Äürbißflafche ooH ©olbfötner, beten
©röfce oon bet ©pijje eines fleinen Fingere biß gu grobem
Schrot Dariirte. @r fagte, feine ©f lauen hätten biefe Äötner
in Äatanga beim ©ntleeren eines SBafferlochß gefunben unb fie
ihm mitgebracht, in ber ÜJteinung, fie feien als Schrot gu ge»
brauchen. <Da er nicht gewußt, gu waß jold)e fleine ©tücfchen
uuf}e wären, habe er fie nicht weiter beachtet." 2)ie ©ingebornen
fennen gwar auch baß ©olb, jetten eß aber nicht, weil eß fo
weich ift, giehen beßhalb baß „rothe Äupfet" bem „weiten" uor
(33. £. ©ameron, Guer butd' ülfrifa , £eipgig 1877, II. 281).
©o befteht in jenem fchioargen SBelttljeil noch je|t eine ©tufe
ber menfchUchen ©ntwicflung fort, welche bei ben ©ulturoölfern
vor jeber gefd)ichtlicbeu Ueberlieferung liegt.
©ine Umjchau über bie Sagerftätten beß ©olbeß hat unß
bie aujjetotbeutlidje SSeTbrcitung biejeß ©belmetaüe gelehrt.
Söegeichnenb ift aud), bah in ben eigentlichen ©olbbiftriften bie
terfchiebenften Formationen Dom ©belmetaß burchbrungen unb
imprägnirt finb. ©o finbet fid) im ©ebiet Don 23örößpataf
(«9)
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62
©olb im jungem Gruptipgeftein beS Äirnif, tu ben febimentärcn
©efteinen, in ben alten frpftaßinifd^en Schiefern; ade Gifenfiefe
jenes SlertitotiumS enthalten eine Spur pon ©olb, ja felbft
foffile .polier finb mit feinen ©olbförnern erfüllt, ©leid? einem
allgegenwärtigen $au<h, einer äura, burdjbringt baS ©olb auf
feinen 2agerftätten bie ocrfchiebenften ©efteine. läud) nacpbem
baS Gbelmetall in bie £anb beS ÜJlenfchen übergegangen, be*
wafert eS biefen Gharafter ber 'Mgegenwart. SDiit bem Gijen
ift eS baS oerbreitetfte unter ben föietallen, benn Schwerlich ift in
Guropa ein JpauS ober eine $ütte jo arm, bafe nic^t ein Strahl
pon ©olb barin leuchtete. Gin pergolbeteS jtreuj ober
Slmulet, golbener Srucf, pergolbeter Schnitt auf 23ibel ober @e»
betbuch wirb felbft bei großer Ülruiuth faum irgenbwo permifet.
31$cr fennt nicht bie jcfeönen SUorte unjereS Slrnbt: „Ser
©ott bet Gifen madjfen liefe, ber wollte feine &ne<hte!" ©ewife
auS Gifen unb Stahl macht man Schwerter, ©ewehte unb
äfanonen, Singe, welche oor^üglich geeignet ftnb, grembherrfchaft
ju brechen unb ferne 311 halten, ©ewife, an baS Gifen wirb
immer appellirt werben muffen, wenn bie Freiheit unb Selbftän*
bigfeit ber Stationen in ©efal)t, hoch auch baS ©olb fchirmt
unb Schüfet bie Freiheit. SaS erfannte jener römifcfee Siftator,
welcher oor 22 3ahrhunberten auf bem Gapitol einen golbeneu
Schafe mit Quaberfteinen permauern liefe, isflndj unfere erleuchteten
Staatsmänner erfannten im ©olbe eine baS Oteicfe befdjüfeenbe
SRadjt, als fte 60 ^Millionen SOiarf ©olb im 3u!iuSthurm 3U
Spanbau nieberlegten. SJlicfet baS Gifen allein, jonbern auch
baS ©olb im 3uliuSthurm beicfeüfet au feinem Steile bas
Söaterlaub.
So bewährt fiel) baS ©olb als ein grofeeS ©ut unb eine
grofee SJlacht, unb nicht ofene ©runb haben feit Sahrtaufenbeu
(ISO)
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bie SRenjcben nach einem jo mächtigen Schah gerungen. Hlucb
bie Sorte bes 6olumbu8, bah. wer bic8 aÜetBortrcffttcbfte ©ut
hefige, Biele Seelen bem $)atabieje gufiihreu fönne, iprechen, jo
frembartig fie unö auch Hingen mögen, eine unbeftreitbare Saht*
beit au8, wenn fie nur richtig gebeutet werben. Da8 ©olb ge»
wal)tt 5Jiittel be8 Sohlthunß, butd) welche niele 9)ieujcben nicht
nur nor materieller SRottj, jonbern auch hot fittlichen ©erahren
bewahrt unb au8 brohenbem Verberben errettet werbeu fönnen.
Sir wollen aljo nicht mit ^Miniuß bem ©olbe fluchen als ber
Duelle be8 menjchlichen ©lenbS. Äein Ding, fein ©ejdjicf ift
an fid) gut ober böje; unjet (gebrauch, unjete Seije gu hunbeln
unb ju leiben, wenbet aüe8 gum ©Uten ober sum Verberben.
Die Sahthunberte bev SSJtenjchengejchichte, unb jo auch ein jeber
Sag geigt uns guten unb Berberblichen (gebrauch beo ©belmetallS.
— DaS ©olb fpielt eine wichtige Stolle in bet ©ejchichte ber
menjchlich«n Vorftellungen. 3®ei grofje Sahnibeen waren es,
gu benen ba8 ©olb bie Veranlaffung bot, bie 3bee be8 ©Iborabo
unb bie be8 großen SDtagifterinm, be8 Steins bet Seijen. ©in
BolleS 3ahrtaujeub hiubutch h^rj^te ber ©laube, bah «8 möglich
jei, uneble SJtetaüe in ©olb gu oerwanbeln. Die jchaiffinnigften
Äöpfe haben ein lange8 fleifeigeö SDtenjchenleben geopfert, beu
Stein ber Seijen gu entbeefen, burch bejfen Vermittlung bie er*
hojfte Umwanblung gelingen muhte. Der ©enius bei ÜDienjch5
heit hat Bon jeneu beiben SahnBorfteUungen befreit. Die
«Stabt mit ben golbenen SDtauern jucht Viemanb mehr; an8 bet
Süchemie ift bie <5^emie geworben, bereu Aufgabe unb Stele
unenbUch erhabener finb a!8 bie geträumte Umwaublung bee
VleiS in ©olb.
So fteht bie SOietrfch^eit, ©ott Hob, nicht flill, fie jehreitet
fort au8 Dunfel gum Hid}t, oor ihr ber Sag unb hinter ihr bie
(«o
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(>4
9lad)t. ©in 3rrtl)um, ein Söktjn nad) lern anbern fällt batyn.
2>eveinft fommt audj bie 3«t — oieOeic^t ift fie nod) fern,
aber fie femmt geroif) — , irelcfye eine biitte SöafynporfteQung
äerftören nutb, bie jejjt nod) bie ©eiftev unb Jperjen bet SJlenfdjen
gefangen tyält, jener falfcfce ©laube, baf) ba8 ©olb ben ©ienidjen
gegeben fei gu eigenem 2eben8genuf). Söenn bereinft aud) biejer
Srrtfjum oeifdjminbet, bann roirb in SBaljtljeit bae golbeue Beit*
alter in bie ©rfdjeiuung treten.
3?onn, im SRcoember 1878.
3ni)alt.
'Pliuiuö. teolumbuls. ®iobcr. ©ijen unb ©olb. ©eibene« 3eitalter.
©arten Geben. Slbrapam. 'Salomo. £>ppir. Sarbanapal. Scbäfcc 9Jinioe«
unb söabplen«. g^^arao «Sefoftri«. Slegpptiiipe ©olbbergmerfe ©. 1 — 10.
2)ie ©itben ber äHclt. Ätojue. ©olb im römijepen tKcicp. Jpeilige« ©olb.
(5. Sulpiciu«. Spaniftp’IufUanijtbe« ©olb. Untcrmerfang 'Äftend. Sulla.
SMitpribat. 'lUarfu« Ülquiliu«. äntife ppbraulijepe 'Arbeiten. 3ipangu
iHntiglia. ©olbene« Äaftilicn. Sltapuatlpa. 2)orabo. Söraftlien S. 11 -20.
SBeiffagung ^efaia«. Xacitu«. Scurnia. ©olbbergbau in Ifärnten. SBlafl
©rlbetf mit „reinem unoerfeprtem ©eroifjen.'' ©olbjccpner ©rubenpau«.
SRauri«. $peopbraftu« f}>aracelju8. iöopmen. fDtäbren. Sdgefien.
Ungarn. Siebenbürg, ©rjgebirgc. OTartin Opip. SS5r54pataf @.21— 30.
iRömiicpc I8uue. leüurgolb uon 'Jlagpag. fRpein. 'Btofel. Gfnare-See.
Güalifernicn. Sfaoarb Xaplor’« Scbilbcrung. (ta(ifornif<be« XPal. ©olb«
füprenbe ©änge. Stlluoien ©. 31— 40.
glacpe unb tiefe Seifen, ©pinefen. .fcpbraulifipe Srbciten. ^rof. Siliman'S
©(bilberung. Sluffdnoung Galifornien’«. i'acijiftpc Seit. SBafpoe.
£enrp (Somftocf @. 41—50.
6om(toif'©ang. ©clb^ilMBonanja. ©rcat 5fafin. Üluftralien. ©larfe.
.Öargraec«. primäre tfagerftätten. äüiioicn. Deep leads. filugget'4.
Dleufeelanb. Jnuffrjdje« tlteicp. Sibirien. äftifa (jameren bei -öameb-
ibu-i>ameb. ©olb im 3«lin«tpurm. (Drei SBapnoorftellungen @. 51—64.
(4M)
Itu<f een tfttr. Unjjcr (Jb. (jbnmm) in Berlin, £cbcn«fctrgfttttajf 17 t.
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(Sottfrieb von Bouillon,
©on
Dr. 3ulitt5 ^roboefr.
ßerliti SW. 1879.
©erlag »on (Jarl £>abel.
(t. <£. ü.'ütnit|'iitii TJitlajsbsditioiiblnng.)
33. -Straff 33.
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Dai SRcd>t bet Ufbetfefeung in ircmbe Sptadsen wtrb ocrbebalten.
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-Ulan glaubt faum, wie ijattnätfig fid) felbft in unfern
beften allgemeinen ©efchichtöwerfen alte fabeln behaupten, bie
längft bei ben $iftorif ern allen ©rcbit verloren hoben, ja
oft ungweifelhaft »iberlegt pnb. SSenn fich eine foldje alte
fjabel gut ergabt, ^at fte ein unglaublich geben unb
löfft oerächtlicb felbft bie vernid)tenbfte äfritif bet ^iftotifd^en
gorfdjung von fich abprallen. ^>at fich gat ein viele 3ahr*
hunberte, ein über ein £albjahrtaufenb altes ©agengemebe um
bie hiftorifdje 2hatfaä)e gezogen, bann begegnet jebe ülufflärung
»ohl gor bem SBibetwiKeu berjenigen, bie pietätövoll bie gute
alte 3«t nur fcurd) bieö fDiebium bet ©age felgen unb nicht
aufgeflärt »erben »ollen.
©ang befonberö hat fi<h au8 leicht erfennbaten ©tünben bet
jfreuggüge, vornehmlich be$ etften, be8 Äreuggugeß xnr’ tSoyijr,
bie ©age bemächtigt. SBunberbav, überirbifch, märchenhaft er*
jdjien bie gewaltige Bewegung fchon bet 5R it »eit, felbft ben
2Jlit»irfenben babei: wie muhten fich biefe ©igen jehaften erft in
bet Sotge fteigern! .Seine 9)etfönli<hfett wieberum unter ben
Äreugfahretn ift von bet ©age mehr bevorgugt worben al8 ®ott>
frieb von Sfouidon; unb ttoh bet nun fchon einige fDecennien
alten iSufflärungen eines ©pbel fteht noch l?cute in faft allen
mit gu ©eftcht gefommenen populären ©ejchichtSwetfen, ja felbft
in foldjen, bie mehr fein »ollen, bie alte falfd>c Ürabition
übet ihn gum großen üheile unerfchüttert feft. «Darum fei eil mir
XIV. 326. 1* (455)
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geftattet, im Agenten ju oerfuchen, baS gufammenjuftetteit, waS
übet biefen gelben beS erfteit Äreu.cjugeS burd) bie gßtfdjung
beglaubigt ober wenigftenS wahrfcheinlich ift.
SDa eS fld) hierbei »ornehmüch um bie Stellung ©ottfrieb’8
im Äteujljeete unb $um Äteujjuge hanbelt, — feine Sebeutung
beruht ja eben auf ber Stfyeilnafyme an biefem 3uge — fo totrb
bicfer felbft etwas genauer non mir gefd)ilbert werben muffen.
^Bezüglich ber 33ergangenheit unfereS gelben rot bem Äteu^uge
muffen wir unS über^au^t fefjr befdjeiben, benn nur mangelhaft
finb wir über biefe $)eriobe unterrichtet, unb manche Sücfe, man«
d)e8 ©unfel bleibt ba für unfere ©rfenntnifc. ©leid) fein ©e*
burtSjaht ift nicht genau feftgufteßen. ©er jfranzofe ÜJtonnicr
giebt — freilidb ohne fJiacbweiS — 1060 als baS ungefähre ©e«
burtSjaht ©ottfriebS an, unb ungefähr um biefeä Sah1 wirb,
wie wir feheu werben, berfelbe aderbingS geboren fein. ©er
©eburtSort unfereS gelben ift wahrfdjeinlid) S3oulognc sur mer,
wo an ber Stelle jeineä »ermuthlichen ©eburtSfd)toffeS baS
StabtljauS mit bem hohen ©locfenthurm gebaut worben ift. ©8
ift baffelbe Sboulogne, wo 1840 BouiS Napoleon gefangen fafj.
©ottfriebö Slbftammung war bie erlauchtefte: fowohl fein
tßater ©uftad? o. S3oulogue al8 feine SDtutter 3ba, bie Schwefter
$ergog ©ottfriebS be8 33ucfeligen oon SRieberlothringen, führten
ibr ©efchlecht bis auf Äarl ben ©rohen gurücf. tMuS biefer
©he waren 3 Söhne h^norgegangen: ©uftad), ©ottfrieb unb
SJalbuin. ©afj bie ©tjiehung biefer Söhne eine gute unb fehr
religiöfe gewefen, fönnen wir auS bem ©harafter ihrer fDtutter
Sba fdjliefjen, oon weld)et hothgebilbeten unb frommen $rau
wir eine gleichzeitige 8ebenSbefd)reibung befi^en. Sie ftarb im
ätlofter Söaaft bei SBoulogne, nadibem fie ihren berühmten Sohn
nod) um 12 Sahre überlebt hatte, ©er Sßruber biefer fKutter,
ber fd)on genannte ^erjog ©ottfrieb ber 23ucfelige, ber treue
(««)
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unb mächtige greunb Jpeinric^ö IV., welcher mit ber befannten
greunbitt ©regorb VII., bet ©räfiit «JNatbilbe oon SloSfana, in
finberlofet (Sfye lebte, aboplirte feinen «Neffen, unfern ©ottfrieb.
Pachtern biefer £>beim, ein oorgüglicber, ^Dt^gebilbeter gürfi,
nach einem tbatenreicben geben 1076 in '.Antwerpen meuchlings
ermorbet worben war, erbte nufer £elb gunäbbft treb aüer 5Re»
clamationen ber großen ©räfin 'INatbilbe beffen bebeutenbe
Slllobialbefitjungen, barunter baS alte ©tammfcblof} ber lotbring*
{eben £)ergöge: Süouillon, oon welchem er feinen «Namen erhielt.
£iergu fügte uod) Äaifer Heinrich IV. burd) Söelebnung bie
«Dtarf '.Antwerpen, gab aber baß ^ergogtbum «Nieberlotbringen
nicht ©ottfrieb, jonbern feinem eigenen noch unmünbigen ©ohne
Äonrab. — @8 febeint nun, bafj ©ottfrieb in biefer 3eit
— 1076 — noch febr jung war, benn er lebt noch einflußlos
unb gurücfgegogeu unb bebarf gegen feine mächtigen «Nachbarn,
bie ihn, eben wobt feiner Sugenb wegen, bebrängen, beS
©cbufjeS beö Söifcbofö Heinrich oon gütlich. (Sinige Sabre bar»
auf aber böten wir febon oon feinem guten lotbringifcben
©d)werte: fo febeint alfo ein ungefähres 9lltcr oon 16 Sabre»
für 1076 gang annehmbar, unb wir erhalten fo als ungefährem
©eburtSjabr 1060.
33on ©ottfriebs weiterem geben bis gum 33eginn beS Äteug*
gugeS fteht nun nod) folgenbeS SBenige feft. 3u mancherlei
gehben erwehrt er fich tapfer feiner §einbe, bie fowohl ber faifer*
lieben als antifaiferlicben Partei angeboren. @o nimmt er g. 2*.
1082 ben ©rafen Stbeobor non glammeS, einen SBertrauten beS
JfaifetS, in einer gebbe gefangen unb hält iß» bis gum Stöbe
in 4pafft. 3luf ber anberen ©eite ift ©ottfrieb befreunbet mit
bem faiferlicb gefinnten SBifdjof Heinrich oon Lüttich, mit beffen
ebenfalls faiferlicb gefinntem «Nachfolger aber, bem Sifchof £>bert,
gerätb et in ©heit, als biefer ein päpftlich geftnnteS Älofter an*
(♦ST)
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greift, baS ©ottfrieb aus Samilienrücffichten fchüßen ju muffen
glaubt. Stuf jebe Art befeßbet fofort unfer £elb ben Taiferlich
geformten Sifdjof. Slu§ jenem .Klofter felbft, St. Hubert, haben
mir bie gleichzeitigen fftachrichten über biefe Vorgänge. Auch
mit ben faiferlich gefinnten Pifcßöfen non Perbun gerietb ©ott»
frieb in äfampf wegen ber Perbunfdjen ©rafenwftrbe. 58o ift
ba bie noch ^cute aller Drten gerühmte Parteinahme für ben
Äaifer? SBir jehen hi« ©ottfrieb, unbefümmert um ben großen
politifcßcn Söcltftreit, ganz aufgeben in feinen Prioatangelegen*
beiten: weitere ©eficßtSpunfte liegen ihm fern. SBer feiue 3«'
tereffen fränft, ift fein S«nb, ob Parteigänger beS ÄaiferS ober
papfteS: beibe fühlen in gleidjer Sßeife bie Söucßt feines ritter-
lichen Schwertes. Pegüglicb ©ottfriebS Petbeiligung an ben
Söelthänbeln fteht nur ein 8 unbeftritten feft: feine SLheilnahme
an Äaifet Heinrichs IRömerzuge (1081—1084). fRunmebr bat
fid) unfer ^elb alletbing8 offen ber faiferlitßen Partei ange*
fdjlojfen, unb 1088 empfängt er bafür Dom Äaifer ba8 ^ergog*
tbum IRieberlothringen. Aber Don ba ift e8 noch ein gut Stücf
5Beg8 bis zu b« Perberrlicbung SBeberS: „SBir fennen ihn
fchon, ben Sahnenträger be8 SReidjeS mit bem breiten lotßringi*
fchen «Schwerte, ber in ben .Kämpfen gwifdjen Heinrich IV. unb
bem ©egenfönige SRubolf ftetS treu 3U bem rechtmäßigen £errn
gehalten unb ficß in IDeutfcßlanb unb 3talien burcß £apferfeit
unb ^»elbenfinn wie burch ©roßmutl), Klugheit unb Seowmigfeit
berDorgetßan hatte." Sion biefer Streue unb Auszeichnung
wiffen eben bie gleidjg eiligen Duellen nichts. SSergeblith
tuchen wir ben fftamen ©ottfriebS d. Bouillon unter ben Ääm«
pen beS unglütJIidjen .KaiferS im Streite mit feinen Seinben im
Oteidje, etwa neben einem Sriebrich Don Staufen, ©in foldjeS
Schweigen ber Duellen beweift jebenfallS, baß ©ottfrieb fein
namhafter faifetltcher Parteigänger gewefen iß. ©rft eine
(458)
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ungefähr auS bem 3at?re 1144 ftammenbe Sflachricht, bte aber
in lofaler ©egiehung nnferem gelben nahe ftetjt — ber 5Rönch
fionng auS Süttich giebt fie in feiner ©etbuner ©ifchofSgefchichte
— berietet, ©ottfrieb fei mit gegen ben ©egenfenig unb Schwa-
ger Heinrichs, JRubolf »on Schwaben, gezogen. @8 fragt ficb
nun , ob — ©ottfriebS ©etheiligung am Äampfe Heinriche IT.
gegen Oiubolf 1080 angenommen — ba8 Schweigen aller an*
beren gleichzeitigen Duellen gu erflären wäre: unb unmöglich
fcheint mir ba8 nicht. Jfeine biefer Duellen giebt eine genauere
Slufgählung ber dürften, bie bamalS mit bem Jtaifer ausgewogen ;
mehrere nennt, aber nur gelegentlich, ohne eine oollftänbige 3luf*
gählung ber mid)tigfien Parteigänger zu beabfichtigen, ©runo in
feinem Sadjfepfriege. SDiefer ift aber nun bezüglich feiner ©Jahr*
heitSliebe überhaupt mehr al8 »erbächtig unb ein leibenfdjaftlicher
©egner Heinrichs IV. 3h*n, bem Anhänger be8 PapfteS, wäre
e8 zugutrauen, bafc er bie Üheiluahme ©ottfriebS an bem Äampfe
gegen SEubolf fogat abfichtlich oerfchwiegen, — übergeht er boch
überhaupt oft bie wichtigften SDinge. So »iel aber fteht jeben*
falls feft: befonberS h*r®or8ethou ha* ft<h ©ottfrieb al8
fatfetlicher Parteigänger in jenem Äampfe nicht, fonft wäre ba8
allgemeine Schweigen ber Duellen nicht gu »erftehen. äud) feine
8eiftungen auf bem JRömerguge werben »ielfach überfc^ä^t. 2)afe
g. ©. ©ottfrieb als bet @rfte bie dauern ber ewigen Stabt
ftürmenb betreteu hoben foU, wie Söeber noch ergählt, ift auS
bem einfachen ©runbe unrichtig, weil nach ftcherem Beugniffe
bie Seonina butch einige fölailänber überrumpelt würbe, bie
übrigen Stabttheile aber burch ©ertrag übergingen. Such
nicht eine ber gleichzeitigen Duellen »inbicirt ©ottfrieb ein ©er*
bienft bei ©rgählung biefer ©innahme. SlnbererfeitS fönnen wir
aber auch ouS ber ©etleihung beS JpergogthumS ©ieberlothringen
8
1088 feitenö beb Äaifetb auf bcffen SBütbigung ©ottfriebb unb
fein Vertrauen gu ihm fdjliehen.
SBir ftnb nun an bem fünfte angelangt, wo ber äufruf
ttrbanb II. gut ^Befreiung beb heiligen |®rabeb unfern gelben
aub feinen immerhin befchränften greifen auf eine 33atjn hinaub»
rijj, bie ihm ^öc^fte ©hre unb raffen $ob — unb fchliehlich in
bet ©efdjichte unb mehr noch in ber ©age einen heroorragenben,
ehrennollen ^)la^ für immer oerfchafft hat. ©he mit ihn jeboch
auf biefer meiter begleiten, merfen mit noch einen ©lief auf bie
trabitioneüe , non bet ©age oerflärte ©efdhidjte ©ottfriebb bib
l)iert)er. @8 ift begreiflich, ba| fpäter, alb ©ottfrieb bab in ge=
roiffet Vegiehung ^öchfte erreicht, beffen ein SOfenfct} nach bet
bamaligen Snjchauung theilhaftig merben fonnte,. biefem non
©ott fo ungeroöhnlich begnabeten SOlanne eine bementfprechenbe
Vergangenheit angebidjtet mürbe. @b mar nicht anberb benfbar,
alb bah bet Vefd)üher beb heutigen ©tabeb eine fo aller irbifchen
©hten »olle Jugenb gehabt hat«, wie fein anbetet ÜRenfch auf
©tben. £öchftet ritterlicher (Ruhm, .Kampfe für SBaifen unb
Jungfrauen, treue Eingabe für feinen Kai] er fcbmücfen fein
geben. (Sha^afteriftifch genug für ben h*ftorifchen SEßerth bie*
fer fpäteren Uebetlieferung ift ber Umftanb, bah betreffs beb
lebten $)un!teb, bet nicht in aller Slugen ein Vorgug mar, eine
anbere, antifaiferlich'papiftifche, gebart epiftirt, melche ©ottfrieb
alb petfönlichen ©eguer beb gebannten Äaifetb mit biefem in
Kampf gerathen unb ben Äaifet natürlich befiegen läht. ©in
9>unft nun aub biefer fpäteren Ueberlieferung hflt ft<h ntit be=
fonberet .partnaefigfeit biö heute behauptet. SDie überhaupt
gmeifelhafte Sheilnahme ©ottfriebb am Kampfe gegen fRubolf
non ©chmaben fehmüefte bie ©age noch in folgenber Söeife aub.
9lm Slbenbe not bet berühmten blutigen ©ntfcheibungbfchlacht
jmifchen ^jeiurith IV. unb Vubolf am 15. Dftober 1080 bei
(MO)
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£ohen=9Jiölfen an ber (Elfter fragte bet Äaifet feine durften, wer
ber SBürbigfte fei, am anberen Jage baS SfteichSpaniet gu tragen.
2)a warb ©ottfrieb non Souilion einftimmig als foldjer be*
jeidjnet. Unb berfelbe bewies in ber Schlacht, baf? bet dürften
Urteil richtig gewefen. 55enn »or bem jtaifer hergeljenb, ftief)
et im Kampfe bem ©egenfönig ben Schaft feines fPanierS in
bie Stuft, fo ba£ berfelbe am folgenben Jage $u UJterfeburg an
biefer SBunbe ftarb. SDie Jragweite unb jugleich ber Utfprutig
biefer 2>arfteüung ergiebt fid), wenu man fid> oergegenrcärtigt,
baf) bet Baß StubolfS bamalS allgemein als ein ©otieSgericbt
aufgefafjt würbe. 25em grofjeu ©regot waren nämlich fo un*
günftige fftadjtidjten bezüglich ber Sage feines ©egnerS ^>ein*
rid)8 IV. jugefommen, bafj er eS für gegeben hielt, bei bet @t*
neuetung beS SannftrahlS gegen Jpeinric^ IV. eine unfehlbare
fProphejeihung ju riSfiren. „3n biefem 3ahte", folt er gefagt
haben, „wirb ber falfche .König fterben". 9tun lag fein eigener
(Schilling auf ber Sahre! Stuwer feiner JobeSwunbe hatte er
nodh einen £ieb empfangen, bet iljm bie rechte $anb, bie
©djwuthanb, abgehauen, unb fterbenb füll er an feine Umgebung
nach einer Ueberlieferung bie 2Borte gerichtet haben: „2>a§ ift
bie £anb, mit ber ich meinem £etrn unb Äönig bie Jreue ge*
jdjwoten habe!" J)ie Sage machte alfo ben gelben non 3eru*
falem felbft jum Sollttrecfer biefeS ©otteSurtheilS , beffen 3ln»
benfen, bie in jener Schlacht abgehaueue £anb fRubolfS oon
Schwaben, in fDIerfeburg noch heute gu jehen ift. fftatürlich ift
biefe Jhat ©ottfriebS un jweifelljaft Sage, benn ein fol*
djeS Baftum hätte non ben gleichseitigen Duellen bie jurn Jljeil
fehr ausführlich ben Ball StubolfS erjählen, unmöglich »er*
fchwiegen werben fönnen.
3ch [prach »othin »»n bem Aufrufe UrbanS II. als bem
entfeheibenben 3mpulfe sum Äreugsuge: in ben gangbaren ©e*
(«» i
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fdjidjtSbüchetn finben mit freilich noch bis auf ben heutigen Stag
biefen 9tuhm faft burdjweg bem ©remiten Bieter »on AmienS
ninbicirt, obgleich btefcS für bie wifjenfcbaftlicbe ©efchichtSfor»
fdjung fchon feit lange als eine evmiefene $abel gilt. Allen
gleid?geitigen gerichtlichen Aufgetchnungen ift Bieter ein unbe«
beutenber ganatiJer, bet erft nach bem Aufrufe beS ^apfteS, in
€Rotbfranfrei<^ auf einem 6fel umljergiehenb, ein gudjtlofeS
33auernheer fammelt unb einen bet ungeotbneten Vorläufer beS
Äreuggugeß oeranlafjt. SDie fpäter fiegreiche bemofratifche Stra*
bition bet Äreuggüge hat bann biefen nur burd) feine Segeifte*
rung ^ernortretenben Ginfieblet an ©teile Urban« II. gefegt, bem
allein baS SSerbienft gebührt, guerft baS SBort auSgefptodjen gu
^aben, auf baS, fo gu fagen, fchon bie gange «Situation beS
AbenblanbeS gekannt mar. SDie 3bee eines ÄreuggugeS tauchte
fteilidj nit^t guetft in jener Seit auf: fchon bet grofce ©regor VH.
l)atte im 3al)te 1074 33oranftalten gu einem Äreugguge getroffen,
wobei freilich mel)t bie Unterwerfung ber gried)ifch*!atholifchen
Äircbe unb ber £ütfen unter bie Allmacht beß fPapfteS oor*
fdjwebte. Strategifch unb politifdj berechnenb war ber gtofce
splan ©regorS, gang mpftifch, ohne irbtfehe 3wecfe ber Urban®.
SDamalS fam aber ber ?)Ian wegen beS ÄampfeS mit Heinrich IV.,
ber alöbalb beS ^apfteS jfrüfte gang in Anfprud) nahm, nicht
gut Ausführung. ©rft Urban II. war bei gängigem fDatnieber*
liegen ber fatferlichen fDIacht in ber gage, ben großen ©ebanfen,
wie aber fchon gejagt, in anberer Auffaffung, wiebev aufgunehmen.
3m 3ahre 1094 hatte bte päpftliche 3Racht ihr 3beal erreicht:
ber ©ehorfam gegen fRom bübete ben SRittelpunft beS religißfen
SewujjtfeinS. 5Bar mau hoch fdjon fo weit gegangen gu lehren,
Ungehorfam gegen 9tom fei in jebem f$aüe Äe^erei (3»o, 33if<hof
non ©hattreS), auch einem lafterhaften Zapfte müffe man ooU«
Jommen ergeben fein (©rgbijehof ©ebharb non ©algburg). SBenn
(«*)
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nun fcbon beäwegen bie SXufforberung beS $>apfte8 eine gewaltige
Sitfung haben mufjte, jo fam noch ^in^u, ba§ bie 3bee eines
ÄreuggugeS felbft ben giinftigften ©oben oorfatib. Die non bem
Älofter ßlugnp im frangßfiicben ©barolaiö auSgegangene weit*
oeracbtenbe, aScetifcbe SJtpftif batte bamalö bie ganje ($hrifteu*
beit bur(bbrungen. ©on biefer fanatifd) • fd)wärmerifd}en Stieb*
tung jener Seit fßnnen wir unS immer nur eine ungenügenbe
©erfteflung machen; benn e§ über jebreitet 3. ©. faft unjet
ftaffungSoetmßgen , wenn wir t^ren, baf) bet Steliquien» unb
£eiligenbienft jo acut geworben, ba§ einft bie ©olfSmenge einen
abreijenbett heiligen 5Dtann, ben l>eili»3eit Stomualb, ©tifter beö
(SamalbulenferorbenS , beSbalb etfcblagen wollte, um bie ©tabt
in beu fegenfpenbenben ©efifc feiner ©ebeiite 3a bringen. ©0
waren begreiflicher Seife im 11. Sahthunbert bie jebon uralten
Sanberungcn gum heiligen @rabe gu nie erlebtet «£>ßbe gejtiegen,
benn waS fonnte e8 für eine folcbe, baS .jpimmlifebe mit bem
Stbifeben oermengenbe Steligiofität, ^eiligeres unb ÄoftbarcreS
geben alö eine Sallfabrt 311 jenen Dertern, bie beS Jpetrn 8u§
felbft betreten unb für immer geheiligt hatte, an baS ©rab beS
£errn, baö bie Ijeiligften Steliquien umj<blo§'t 3lDe SJtühfale
unb ©efabrett einet foldjen Säuberung febienen für ©hriftuS
felbft erbulbet, fie waren bie üerbienftlicbften Äafteiungen. DcS*
halb hielt £>ergog Stöbert non ber Stormanbie gar oiel auf eine
Fracht Prügel, bie er 1035 auf bet Steife 311m heiligen 8anbe
empfangen. 6r »erbot feinen ©egleitern bafür Stäche gu nehmen,
inbem er jagte: „Diefe ©d?!äge finb mir lieber als bie befte
©tabt meines ^ergogthumS." Unb nun ftie§ biefe SadfahrtS*
fuebt gerabe auf £inbetuiffe, nun würben gerabe bie heiligen
©tätten gefebänbet! 3a fdjon würbe bie SJtacbt ber Ungläubigen
fo brohenb, baf} ber grieebifebe Äaifet Alexius wieberholte Jpülfe»
gefuebe an ben ^aqaft fanbte, et mßge baS ©hriftenthum im
(*->«)
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Driente nicht uöllig gu ©tunbe gebeu (affen. — Aber bie ASce*
tif allein tjdtte bennodj einen folgen 3«g, wie ben erften Äreug*
gug, nicht gn ©ege gebracht; nod) ein wichtiges Moment fam
bingn: ber burdj bie unruhigen Normannen in gang ©uropa
perbreitele ©eift beS Abenteuers, beS ÄriegS, bet im Kriege felbft
feinen 3wecf fiubet. Dieie beiben ^Richtungen, bie AScetif nnb
baS burcb bie Normannen beförberte abenteuerliche .fpelbentbum,
haben, eng oerbunben, ben ungeljeureu ©rfolg ber Üreugprebigt
UrbanS II. auf bem ©oncil gu ©lermont, 1095, bewirft, bort,
wo ber fpätere Srfjlacbtruf ber Äreugfaljrer „®ott will eS",
„Deus le volt“, bie ftürmifche, begeifterte Antwort ber galjllofen
3ubörermenge war, bie in heiligen 3orn unb grettgeulofeS ©nt*
gücfen gugleidj gerietb, als bi« auSgeiprocben würbe, waS wie
eine Ahnung in allen gelebt: auSgugteben, um mit ben ©affen
baS ©rab beS ^»eilanbeS feinen geinben gu entreißen. DaS gtofje
©ort war gefallen, günbenb wie eilt 23lij$ in gelabener ÜRine.
Unb biefe Segeifterung erlofcb nicht, fie erfüllte oon ©lermont
auS in furger 3eit alle 8änbet beS AbenblanbeS, bi« mehr, bort
weniger Aufregung bewirfenb, am wenigften oerboltnifjmäfsig in
Deutfdjlanb: bort war ja ber papft gugleidj bet geinb beS
ÄaiferS, bort war auch am meuigften baö Sormannentbum gu
©influjj unb ©eltung gefommen. SDer erfte Äreuggug b“t einen
norwiegettb romanifch=normannif(hen ©Ijarafter. — ©ir über*
geben bie näcbften Aeujjerungen ber Segeifterung, jene gudjtlofen
Siorläufer beS ^auptgugeS, eine Art focialet Bewegung ber
Armen, bie nur 9lotb unb Änechtjcbaft oerliefjen unb ficb ben
Jpimmel bafür gu erobern gebachten. Sie fonuten bie Sollen*
bung ber Lüftungen nicht abwarten: einmal oerfammelt, würben
fie oon ber ’Jiotb gegwuugen, gleich äu marfchieren. Die meiften
(3) biefer 3»ge famen ja nicht bis über bie beutfdj*uugarifibe
©renge hinaus, «in einziger oon ben fünf bis in bie 9Iä be
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9licaea«. 3ngmifd)en war aber nun aud) bie georbnetere @r»
Hebung unb JRüftung fccö !?Ibenblanbe8 fortgefdiritten. 2lber aud)
hier mar fein einfyeillidiet ^Man: roie ein 2?annerl)err feine
SRüftungen »ollenbete, brad) er auf, bie erften fd)on im 3J?ärg
1096 unb non ba eljne Unterbrechung ben ©emmer unb £erbft
hinburd). Die einen gegen burd) Dalmatien, anbete burd'
Ungarn, anbere über bie 9llyen nad) Apulien, um »en bort nad)
6piruß übergufatyren, beim .fionftantinopel mar uon bem SJifdjof
Slb^emar ». melier bem Flamen nad) al« päpftlidjer hegat
bie erfte ©teile beim 3uge einna^m, al« allgemeiner ©arnmel»
pla£ begeidjnet morben. Die Aufregung mar unermefslid): ©täbte
unb hanbftrafjen maren neu bemaffncteit ©djaaren erfüllt, mer
fid) über hanb begab, fam au« einem jlriegSlager in ba« an»
bere. — Uebrigenö fd)Iof) fid) and) an biefen grofjen, georbneteren
3ug gud)tlofe« ©efinbel in SOlenge an, ba« unbemaffnet, ungefähr
10,000 jtepfe ftarf, bem ,£>aHptl)eere nadigog; bei ibm aud) ber
Gsremit i'eter. Diefer nahm bei bem Slrof) eine ähnliche ©teile
mie Bifdjof Slbhemar beim jtreugheere ein, aber lefjterem mar
ber 9Iad)trab entfliehen barin »orau«, bafj er einen außge»
fprodienen militärifd)cn ftüi)rer ^atte, ben er ftd) felbft ermäfjlt
unb ber „Äöuig Slafur" genannt mürbe. Slleld) ein Seif ber»
felbe regierte, fann man fid) ungefähr uorfteOen, menn man Ijört,
bafe bie dürfen il)m nadjfagten, bie Stafuren äfjen nid)t« lieber,
als ba« gebratene ftleifd) ber erfdjlagenen fteinbe.
Dafj biefe 53emegung unb Aufregung, bie bem Slnfruf
Urban« II. felgte, nun unferen gelben, ben ©oI)n ber frommen
3ba , bei feiner ungmeifelljaft ftarf ausgeprägten Uieligiefifät,
»ollftänbig ergriff, ift leidjt begreiflich- 2Bol)l m6glid), baff er,
mie berid)tet mirb, fdbon früher ben SBunfd) geäußert l)attcr
einmal in SBaffen nad) fPaläftina gu gieren. £>b er aber non
»ornljerein bie ?lbfid)t gehabt l)at, fein gange« heben biefer 3bee
«•SM
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gu wibmen, wirb fefr gweifelfaft burd) ba8 gafturn, bafc er be»
bufö feiner JRüftungen fein ©tammfdjlof) an ben Bifdfof »on
güttid) mit bet Bebiugung nerpfänbete, bafj ihm unb brei 9tad)>
folgern ba8 @inlöfung8red)t nerblieb.
SJiitte @ommer8, ungefähr im Sluguft, waten ©ottfriebS
Stüftungen noKenbet unb erfolgte fein Slufbrud) in Begleitung
feinet Brüber ©uftad) unb Balbuin, BalbuiuS ocn ^jennegau
unb mancher anberet ©belen. @r b°tte guerft non allen bebeu*
tenberen gürften feine JRüftungen »oUenbet, unb biefet Umftanb
fowofl, mie bie Beräufjerung feines BefijjeS, fprid)t teutlid) genug
für ben ©ifer unb bie Begeiferung unfereS £etgoge8. Ueber
bie ©tärfe feiueS £eere8 finb wir nid)t fidjer unterrichtet: ?lnna
Äomnena , bie 5£od)ter unb Biograph**» be8 bpgantinifd)en
Äaiferg iÄlejriuS, giebt 70,000, Dtaimunb o. 9lgile8 bei 9lutiod)ia
nod) 30,000 fJJtann als bie ©tärfe ber ©ottfriebfefen £eere8*
abtl)cilung an. ©8 ^at nun überhaupt feine eigene Bewanbtnifj
mit biefet gangen $eere8folge. 3ebet Olitter, felbft jebet anbere
©olbat, blieb in biefem <£>eere ohne ©leidfen nur io lange als
ihm gefiel bei einem ber gürften unb id)lo§ fid) nach Belieben
einer anberen ©djaar an; bie gange Bewegung war ja ba8 SSlerf
freier ©nifd)lief)ung.
SSJenn wir un8 bieje ßmanglofigfeit unb bie b^rrenben @e.
fahren »ergegenwärtigen, bann muffen wir gefielen, ba§ alle
biefe gaflreidjen unb gewaltigen .£>eere8maffen , bie fid) 1090
nad) bem Oriente wälgten, bodf uerloren gewefen wären, wenn
nid)t etwas SBaljre8 an bem gewefen, wa8 bie älteften Berichte
übet ben ÄTeuggug fo häufig betonen: CS^riftnS ber £ert fei
felbft ber güfrer be8 3**ge8 gewefen. ©leid) bet ältefte unb
befte Berieft beginnt mit biefer £)inweifnng auf ©frifti güfrer-
febaft: „§H8 bie 3ett erfüllet war, bie ©friftuS im ©oangelium
geiefct, inoem er fagte: wer mit mir fein will, nehme fein Äreug
(M)
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auf fid) unb folge mit nadj — ba entftanb bie grofce Sewe*
gung'1 u. f. w. „©eit bet Sdböpfung bet SBelt, feit bem
SDlpfterium beö ÄreugeS," fagt bet fWönd) {Robert, „gejdhah
nichts, biefem 3uge gu Dergleichen, bet ein SBetf ©otteS, nicht
bet URenfchen mar." 3el?o»al}, bet ^eilige ©eift, bet £eilanb
werben aller Drten getabegu als bie gelbberten be§ 3ugeß be*
geidjnet. Unb in bet $£ljat: maß märe au8 allen biefen ©paaren
geworben, ^ätte nicht jebem ©ingelnen baä Silb beö ^eiligen
©rabeö oot Singen gefdjwebt unb ihn gum Stußharren in ben
©efahten, gu ben l)elben^afteften Slnftrengungen , gur Orbnung
unb gum freiwilligen ©ehotfam ftetig aufgefotbett? 55er ®e*
banfe an G^iiftuö war ba§ geiftige, war baß eingige 23anb, wel*
cbe8 alle biefe buntgemifchten Sollet gufammenhielt — unb in
biefem ©inue war bet Jfjetr wirflid) bet gürtet beß 3ugeß.
gteilid) wefentlid) trug nun and? ein gweiteß fDloment gum @e=
lingen bet Unternehmung bei. ©ang befonberß günftig fiel bet
Slufbtud) bet .Kteugfahter tn eine 3eit, in welket bie Serljält*
niffe im Oriente wenig gu fräftiger Slbwehr geeignet waren.
55aß bßgantinifd)e Seid) wat gefdjwadht burd; bie Äämpfe mit
ben Üitrfen, unb beten Seid) fetbft hatte foeben 1092 burdb beit
Stob fBleleffdhahß feine ©inheit unb feinen 3ufawmenhang net*
loten unb war in einer unaufhaltfamen 3«fefuung begriffen, in*
bem fidh bie eingelnen Steile felbftftänbig malten unb gegeu*
feitig befel)beten. 55abei würbe ber 3ufammenhang biefer ein*
gelnen türfifdjen ©mirate in Äleinafien nielet Orten butd) d)tift*
lidje Staaten — armenijche unb griechiiche — unterbrochen,
unb enblidj wat überhaupt bie iürfifche ^errfdhaft bort noch fo
neuen 35atumß, baf) bie Seoolferung, audh ber türfifd)en Sanber,
Dotwiegenb chriftlich war. Sur in ben wichtigften Stabten
finb tütfifdje Sefafjungen: auf bem platten Sanbe ift feine ©pur
mufelmännifcber Seoöllerung. Secbnen wir h*ergu nun ncct?
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bie JRiualitat biefer afiatifdjen Selbfcbufen unb ber ägtjptifdhen
??atimiben, fo ift flar, bafj bie Settjciltniffe be8 SJtorgenlanbeS
»tele ©hancen für ba8 Äreugheet boten, freilich bauernb war
nicht auf bie Uneinigfeit ber SJtuhamebaner gu rechnen: ber
gemeinfamcn ©efahr gegenüber rnufjte fidh ber 38lam fhliefelidh,
mie audj gefchah, nach SJtöglidbfeit gut SSbmeht Bereinigen.
©he ich nun bie JDarftethmg be8 erften ÄreuggugeS felbfk
oerfuche, will ich mich uormeg über bie mid) leitenben @eftd?t8«
fünfte erflüren. ©ine nur annäfyernb ctfdjöpfenbe 3)arftellung
biefeS großen £elbenguge8 gn geben, fann nicht in meiner 3b=
ficht liegen. SDennoch müffen mir ftetS ba8 ©äuge im Üluge
haben, menn mir ©ottfriebS (Stellung in bemfelben richtig er«
fennen unb mürbigen moOen. lieber biefelbe mitl i<h nun gleich
bemerfen, bafj fie nach ben Berichten ber SHugengeugen unb
SRitmaDfahrer ^ergog ©ottfriebS burchauS nicht bem Silbe ent«
fpricht, mie e8 un8 gemöhnlich entmorfen mirb. ©r ift nicht
ber Slgamemnon be8 BugcS, mie ihn Staffo unb Berber begeich*
nen, er erfdheint nid?t einmal al8 ber primus inter pures, 3Da«
mit ber gefet aber felbft über ben SBerth biefer Seugniffe urteilen
fann, miH ich ihn in Äurgem mit biefen SBallbtübetn, beten
Sendete jeber hiftorifdhen SDarfteQung be8 ÄreuggugeS gu ©vunbe
liegen müffen, befannt madjen. 3d) uetbinbe Damit gugleid)
noch einen anberen 3roecf. ÜDiefe Stimmen reben mitten au8
ber großen Semegung felbft gu un8, fie geben un8 oon ber
gangen geiftigen ©rregung jener Beit ba8 getreuefte S3ilb. Se»
fonberS «harafteriftifche Sleufjerungen berfelben glaube ich be8halb
nicht oerfd)meigen gu bürfen. 9lut anf biefem SBege. menn mir
bie ba8 Äreugheer beherrfchenben Slnfchauungen, menn mir feine
3eit »erftehen lernen, fonnen mir ein richtiges Silb unfeveS
gelben geminnen, ber ber entfehiebenfte SSuSbrn cf biefer 3eit ift.
©in richtiges Sagebud) führte fRaimunb oon 2lgile8, ein
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tfletifet oon guter, aber ungebilbeter, niebriget Statur. Sr ge*
hörte jur nächften Umgebung beb ©rafen fRaimunb oon Souloufe
unb beb Sifcbofb IHbhemar, er trug felbft bie t)eÜiv\e üauje im
Äampfe gegen Äerbuga. — Sr tft frifd), fel)t naio unb begciftert
für ben tjeiltgeu 3»ecf beb 3uges, aber gugleid) fanatiid) unb
rol). 33or allem ift er auch ^rooengale uub eingenommen für
feine ganbbteute unb ifjren Führer Otaimunb oon Stouloufe.
33on feiner naben, fanatifd)=rol)en lärt l)ier ein paar cfyarafte*
riftifdfe ©eifpiele. St rotH unb eine „herrliche" $h°t beb
©rafen con Slouloufe ergäben; eb ift folgenbe. ä$on balmatini»
fcfjen ©lacen t)<rtt bebrängt, läfft berfelbe, um bie übrigen in
©Freden gu je^en, fec^S ©efangenen bie klugen aubreifcen unö
9tafen, lärme unb Steine abfchneiben. „SÖei ber Sinnabme con
täntiodjieu", er^ä^ft er ein anbermal, „ereignete fid) nach fo
langen 2)rangfalen etroab Ijöcbft Singenehmeb unb Srgöfjlicheb:
ein türfifdjer Steiterbaufen , mehr alb 300 SJtann, ftürgte, con
unb heftig »erfolgt, in einen &bgrunb: eine gteube 3« feben,
fo fetjr mir autb bie umgefommenen $)ferbe bebauerten." Unb
benfelben SOtann befeelt bie glübenbfte Oieligiofttät! ^immltfcbeb
unb 3tbijd)eb, Sbleb unb ©emeineb liegen in ber 9Jlenfd)enbruft
ja überhaupt nahe bei einanber: aber fo unoerhüHt erfcheint bei*
beb neben einanber nur im SDtittelalter unb befonberb in ben
Äteujjügen. 2Bit »erben fehen, baff auch ber fromme ©ottfrieb
felbft gegen befiegte fteinbe fein Srbarmen fannte.
Sin j»eiter 2agebud)»etfaffer mar Sulch®1 c. Si)artreb, auch
ein Älerifet, ber mit bem 9iormannent)eere 30g, beffen JÄufjeid)*
nungen aber burch einen bornirten Suthufiabmub unb abenteuer*
liehe 2öunbetgefd)id)ten feljr an Süertt) einbüfcen. Sr cerliert
auch bab .fpauptheer halb aub ben iÄugen, ba er fid) bem Srubet
©ottfriebb, Salbuin, bei feinem 3uge gegen Sbeffa anfd)lief)t.
Sticht bab äBidjtige, jonbern nur feine eigenen Srlebniffe »ill et
XIV. 3*6. 2 O69)
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aufgeicbnen. 5)er bei Söeitem midjtigfte Augengeuge ift ber bem
■Warnen nacp unbefannte 93erfaf[er ber gesta Francorum, ein
gu»erläjfiger 23eoba<pter »on flarem unb ruhigem Sölicf , ber
immer bab Söefeutlidje , fomeit er eb non feinem ©tanbpunfte
aub erfennen fann, im Auge bepält. 5)abei ift aucp er erfüllt
»on ber allgemeinen 23egei|'terung beb 3wgeb, aber opne barura
in bliuben (Entpufiabmub unb Aberglauben gu »erfaUen. 23on
feiner 'Perfönlid^feit miffen mir nur, baf) er, ein Witter, mit
23oemunb aub Amalfi gog unb bei beffen ©(paar bib gur 23c-
fiegung Äerbugab blieb, ©päter fcplop er fidj einmal Wobert
»on bet Wovmanbie unb Waimunb »on Souloufe an. SDiefer
Unbefannte giebt uns nun bas treuefte unb un»erfälfcptefte 23ilb
beb «ftreuggugeb. ©eine cparafteriftij(pe (Einleitung paben mir
fcpou oben mitgetl>eilt, für feine Ijiftorifdje Unparteilidjfeit jebotp
bei aQer 23egeifterung geugen ©teilen mie folgenbe: „2Ber fann
bie Ä'lugpeit, beu «fttiegbtupm , bie Sapferfeit ber Sürfen be=
f<pteiben? 3<p miß bie Söaprpeit fagen, bie mir Wiemanb »er*
mehren foll: mären fie feft im ©tauben (Eprifti, nie patte eb
mastigere, fräftigere, »erftänbigere Ärieger gegeben." ©tete ift
et mapooll, madjt aucp nicpt grop Dfüpmenb »on beu erbulbeten
SJefdbroerben unb Anftrengungen. (Sr füprt bie uacfteu Spat*
fatpen an unb fagt pöcpftenb: „©clcpe plagen unb Wotp bul*
beten mir um (Eprifti unb beb peiligen ©rabeb millen." Aucp
bab 3tbifcpe meifj er nai» neben bem Jpimmlifcpen gu fcpäpen,
mie ja bie Äreugfaprer überpaupt, bie fiep g. 23., alb im «Kampfe
bei SDorpläum enblicp bie erfepute «pülfe eintrifft, nacp ipm gu»
rufen: „8apt unb im ©lauben (Eprifti tapfer fämpfen, mill’b
©ott, fo müffeu mir alle reicp merben!"
Wad) ben 23ericpten biefet Augengeugen nun fann fein
Smeifel baran fein, baf) »on einer Süprerfcpaft ©ottfriebb nicpt
gerebet merbeu fann. 3a unfer $elb tritt fogar gegen »erfdjie*
(470)
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bene anbeve dürften begüglid) feines OlnjehenS unb @tnfluffeö
gurücf. £>b leglereS ©erhältnifj in jenen SDarfteHuiifle« nun
gang genau ber SBirflicfcfeit enlfpridjt, fönnte nach meiner Sin»
fid?t bod) beSmegen im 3toeifet fommen, roeil jene ©erichterftatter,
nue mit gejel)en, im ©efolge anbe rer dürften befinblid), biefen
il)t befonbete» Sntereffe guroenben — eiu Umftaub, ber non
©pbel gar nicht berücffidjtigt morben ift. ©o niel aber laffen
biefe Duellen butch it?re Uebereinftimmung immerhin ungmeifel»
haft erfeunen, bafj brei anbeve Sürften au ©ebeutung ©ottfrieb
gernijj gteicbfommen, unb einet non ihnen eutfdjieben mit nie!«
mehr ©echt als ber lothtingifche Jpergog ber Sül)rer beb 3uge0
— menigftenö in feinet erften Jpalfte — genannt metben fönnte.
£a6 ift ©oemunb non 2arent, ber blaffe, nerfehloffene ©ohn
Oiobert ©uiecarbs, ein ^öd^ft begabter, burd) unb burch niidj»
terner ÜJiann, ehrgeizig, rücffidjteloS unb nerjdilagen, unb ener*
gifch auf ein gang beftimmteö Siel gerichtet. ©on religiöfem
©nthufiaSmuS merfen mir bei ihm nicht niel, unb fchon feine
Seitgeuoffeu glaubten an foldjen nicht, ©ein ©egenftücf ift
ber fchmärmerifd) teligiöfe, eigeitfinnige unb leibenfdjaftlidje ©taf
Oiaimunb non üoulouje, ber burd) feinen unruhigen ©hl9e4
unb burd) feinen grcfcen Dieid)thum fich aud) mehr alö ©ottfrieb
bemetflich macht, fo bafe bie morgenlänbifchen Duellen faft au6=
fd)lief)lid) non ihm berichten, ©üblich ift ein höchft bebeutenbev
OJienfd) ber jüngere ©ruber unferes Jpelben, ber jd)on burch
jeinen SBud)ö übet alles ©olf hetoorragenbe ©albuin, ein uu*
erfchrocfeuer uub unerfchütterlicher SJiann, gemanbt unb thätig,
ber fyätere 9iad)folger ©ottfriebö in Serufalem unb ber eigent«
liebe ©egrünbet beö OieidjeS. ©omohl er mie Oiaimunb non
Souloufe mürben, charafteriftijch genug, nou iljten ©emahlinneu
auf bem Suge begleitet, unb bie ©albuinS, ©obehilb non 6ou*
2 * (471)
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•20
djeb, büfcte iljren fügten ©ntfd)lufj gu 9Dieraafd) in Äleinafien
mit betn ü£obe.
3n Äonftantinopel faf) man nid)t ol)ne ©orgen bem Jperan*
rüden ber tateinifcben ©paaren entgegen. 5ftan fagte, eb feien
meijr Pilger alb ©ferne am pimmel, alb ©anb am fDleere,
man argwöhnte bei einem 5ll)eile ber jtreugfaljrer, befonberb bei
©oetnunb, feinblicfye Stbfid^ten auf Jfonftantinopel. Sin gleich-
berechtigte ©unbebgenoffenfdjaft fomofyl alö an gewaltfamen
SBiberftaub war bei ber eigenen ©ctywadje nidjt gu benfen, aber
ber Äaifer Sllepiub war ber SDtann bagu, aud) unter ungünftigen
©erljältniffen feinen ©ortljeil gu »erfolgen, unb feine nüdjterne
©efonnenljeit fühlte fid) ber ptyantaftifdjen ©egeifterung ber
Pilger gu überlegen, als baff er nicht »erfudjt hätte, burd)
biplomatifdje @ewanbU)eit, felbft oljne £l)eilnat)me am jfreugguge,
Slntfyeil am ©ewinn gu erlangen. ©ie »ergangene ©röfje feines
SReidjeb feilte ifym ben üitel für bie Stnfprüdje geben, bie er
gefonnen war, auf bie gu erobernben 8änber, fo weit biefe einft
unter griedjifdjer ,perrfd)aft geftanben, gu ergeben. — 2 )ab
©lüd führte bem Sllejriub guerft ben ©ruber beb Äönigb »on
fftanfreidj, .pugo »on ©ermanboib, gu, einen eitlen, imübet*
legten ©lenfdjen, ben ber Äaifer burd? rafcheS ©rfaffen feiner
fd?wad?en ©eite halb gut geiftung beb 2el?nbeibeb gu bewegeu
wufjte. ©ang anberen SBiberftanb ftellte feinen planen unfer
pergog »on 2otl?ringen entgegen, ber balb barauf anlangte unb
erflärte, fein eingiger 8et?nbl?err fei 3efub ©hrtftw8 » unb nur
biefem benle er fortan gu bienen. ©etfelbe war bie ©onau
beruntergegogen bis gut ©reuge Ungarnb, wo er faft ben gangen
©eptember binburcty burd? ©ertjanblungen über ben ©urd?gug
burd? Ungarn aufgehalten würbe, (Snblid? i'tbcrwanb ©ottfrieb
bie ©d?wierigf eiten unb gelangte ol?ue Äämpfe an bie bulgariid?e,
bann an bie griechifche ©rengc, wo er, in fRiffa, »on einer
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21
faiferlidren ©efanbtfehaft begrubt lrutbe. ®iefe verfpracb bie
beftc 9lufuahtne unb 93 erpflcgung.
3n aber erfuhr ©ottfrieb von ben 93orgängen
in bet «^auptflabt unb füll fid) burd) bie 9Jlif)ftimmung übet
£ugo8 93creitwifligfeit bis gur ^Münberung beö 8aubc3 haben
hinreifjen (affen. 91 m 23. (Dezember lagerte fein £eet vor Äon»
ftantinopel. Jp ier fanb eine reiultatlofe 3ufaminenfimft gwifcheu
©ottfrieb unb £ugo ftatt, bann erlebten ein 93otictjafter be§
ÄaiferS, ber ben Jpevgog gu einer verfßnlieben Untervebung nad)
ber ^auptftabt einlub. 2)er ^)erjeg, gewarnt not ber griediifcben
Üreulofigfeit, verweigerte biefe. ©vbet glaubt nun, weil
9lnna Äcmitena ficb auf ein berartigeS früheres 93erfpreehen
©ottfriebS beruft, ©ettfrieb habe bei biefer Ablehnung ber
3ufammenfunft bie üeiftung bcö 8ebn8eibe$ verfpreehen. 9lnna
Äomneua ift aber anerfanntermafjen parteiifef) unb hat oft feljt
unverbürgte 9iad^rid?ten , unb ba8 monatelange ©tehenbleiben
ber @aehe auf bemfelbeit ©tanbpunfte fdreint mir faum ver»
einbar mit folebem 93erfpredicn. ©ewife tjat ©ottfrieb betreffs
biefer ©ibeöforberuug nur auSweidjenbe, nidjt gerabegu ab«
fditagige Antworten gegeben, bie nun 9tnna von ihrem ©tanb*
fünfte oljne SöeitercS als 93erfpreeben begeiebnet. 3d) glaube
alle weiteren 2batfad)en fpredjen für biefe Uluffaffung. —
3unacbft begieht ©ottfrieb bie vom Äaifet angebotenen Guar«
tiere in §)era: bort glaubte 9UejriuS ba8 ^eer gwifdien 93ethvfju8
unb bem füieere am beften gu ifolireu. 9todwnal8 lehnte babei
ber J^ergog jebe Unterrebung ab. Cfr wünfehte ohne Ä'ampf bie
übrigen dürften erwarten gu fönnen, benn ben getjnöeib wirflich
gu leiften, war er, wie auS 9Wem l>ert>orge^t unb au<h @vbel
glaubt, burchauS nidst willens. 9We weiteren barauf begüg=
lieben Unterhanblungen be8 ÄaifetS febeiterten an ©ottfriebS
aueweiehenbem Benehmen, ©t traue, antwortete er nad) 9(nna,
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und? nidjt bem jfaifer fomeit, um eine perfönlicbe 3ufammen*
funft gu Tragen. fDfonat auf SSRcnat eerftrid) fo, ber ©intet
ging gu ©nbe, oon allen ©eiten näherten ftrf> bie anberen
@d?aaren ber ©aDfabrer, barunter ber gefürchtete 33oSmunb, unb
alles fdiien für SllepiuS oerloren — benned) gewann feine
©dilauheit. 3unäd)jt oerhinberte er jebe ©ommunication ©ott»
friebS mit ben herangiel)enben ftübrern ber anberen £>eere.
93oemunb, nid)t mehr oielc fJJfärfche entfernt, wufete niditS oon
©ottfrieb, biefer nichts non ber nahen ^)ülfc. 21 m 3. 9lpril
1097, am ©rünbonnerftage, entjcblofc ftd) nun JKejriuS, ©ewalt
anguwenben, fud)te bie Sotljringer in ^>era eingufddiefjen unb
ohne offene ffelbfd)lad)t bnreb fortwährenbe Angriffe gu unter*
werfen. 9lber an ber ©ntfcbloffenheit beS ,£>ergoge8 unb an bet
©nergie feines gewanbten, unerfebroefenen S'ruberS 23albuin
febeiterte bet ^)lan, bie ©infdjliefcung mt&Iaug nid>t nur, fonbern
©ottfrieb griff iogar bie dauern ber dpau^tftabt felbft an, frei*
lid) ohne jebe ShiSfieht auf ©rfolg. 3n biefer Sage fam gu
2üepiu8 bie 9fad)rid?t, ba& 3?oSmunb feinem Jp cere oorauS nad)
Ü'onftantinopel eile: ©efahr war in jebem SBerguge. Deshalb
oetfud)te SllejriuS noch einmal ben ©eg ber Unterhanblung unb
£ugo fam gum gweiten fWale inS lothringifdje Säger, würbe
aber oon ©ottfrieb auf baS 9lbftojjenbft e empfangen. „Du, eines
ÄönigS @ohn, bift ein ©flaue geworben unb willft nun mid»
aud) gum ©flauen madbeu?" ©o foll er ben 2lbgefanbten nach
2lnnaS 23erid)t angefahren haben. fJJfit aller SBeftimmtheit er*
flärte er, wie hier felbft 9lnna einräumt, er werbe Weber ben
SehnSeib leiften, nod) narb SllepiuS ©unftb oor ber Slufunft bet
Uebrigen nad) Elften überfein. StleriuS unternahm hieraufhin
am ©harfreitage mit allen Kräften einen 91 u 8 fall gegen bie
ftranfen. — Die Duellen geben nun über ben 2luSgang biefeS
ÄampfeS wibetfpred)enbe 93erid?te. ©pbel oerwirft hier baS
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23
3eugnih bet ©eften, bie et fonft burcbang alö leitenbe, befte
Duelle anetfennt, unb bte, tute bte anberen, ©ottfrieb ben
®ieg gujprecben; et glaubt bi” ber allgemein als jebr ungu*
»erläffig befannten 9lnna, bte Slejrtuß fiegen läfjt — allein
au§ bem ©rwtbe, »eil 5 Jage fyäter ©ottfrieb bie ftorberung
be8 ÄaiferS erfüllte unb, ohne 9tad)ricbt »du 3?oSmunb0 ?ln*
näberung, ben SBajaDeneib fcbwur. 3<b glaube, bah trctj biefeS
Sluggangeg ben ©eften auch bi” gu folgen ift, ba§ gum menig»
ften ber Äampf entfcbeibungblcö blieb, SBarum feilen »it bi”
allein bem fo guoerläffigen SHugengeugen, bet felbft ben
Jürfen »olle ©erecbtigfeit gu Jb”l »erben läfjt, nid)t glauben?
5lUr muffen ficber baö fjftotio ©ottfriebö gu bem pletglicben
Umftbwunge »o anberg fucben. 3d) bin übergeugt, bah unie*
reg gelben ©ntfcbluh auö folgenben (Srwägungen b”»orgegangen
ift. @t batte biöljer gehofft, burd) feinen gäben SBiberftanb ben
Äaifer gum fltacbgeben gwingen gu !önnen, burd) bie £art>>
nätfigfeit aber, mit ber SUejdug auf feiner ftotberung beftanb, unb
in golge beten et jejjt fogar bie gemaltfamcn Angriffe ltidjt ge»
ftbeut b«tte, würbe eg ib» beutlid), bah Sllejriug bis gum
Steufserften entfdjloffen »at, feine Slbfidjt burd)gufübten.
3)a muhte fidj ©ottfrieb fragen, welche 9tad)tbeile auS einem
fetnbfeligen SBerbältniffe gu beu ©rieten, bag ja auch nach einem
©iege ©ottfrieb«) geblieben fein »ürbe, für bat) gange Unter»
nehmen erwadbfen fonnten, »ie »iele 33ortbeile bagegeu ihre
greunbfcbaft brachte. §üt ©ottfrieb muhten aber biefe 6r=
»ägungen entfcbeibenb werben, für ihn, für ben eS fein b»bete§
3iel alg bie ^Befreiung beS ^erliegen ©rabeg gab. ©elbft gegen
6 ^ r i ft c n gu fämpfen ftatt gegen Ungläubige, muhte ihm
als bem Ijeiligcn 3»etfe beg 3uge8 »iberftrebenb etfcbeinen.
3De§l)aIb glaube id> bem ^Berichte Sllberte »on Slacben, ©ottfrieb
habe gefagt, et fei nicht auggegegen um cbriftlicbe fReicbe gu
(475)
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24
ftürgen, er wolle, womöglich mit beS ÄaiferS $ülfe, d^riftltc^e
SBaffen gegen Serufalem tragen. Sollte er fyier feine Äraft im
Kampfe um irbifche ©hren oergeuben unb erfchöpfen? ©ewifc
nur als ?$oIge folget ©rwägungen ift ber plöfjlicbe SBedjfel in
©ottfriebS Verhalten erflärlid;. 55em ^eiligen ©nbgweäfe gu
Siebe beugte er feinen ritterlichen ©tolg, würbe er SSaiall beS
griedjifcben ÄaiferS. ®aö würbe ihm gewifj nid^t leidet, aber
etwas leichter hoch, wenn er eS als Sieger ober nach einem un«
entfcbiebenem ©efechte, freiwillig, um weiteres Stutoergiefjen gu
nermeiben, tljat.
fDiit bem }o non ©ottfrieb gewonnenen Silbe fteht au*
alles Söeitere im beften ©inflange. Sogar Soemunb fteüte
wiber SllejriuS ©rwarten feinen planen burchauS feinen großen
SBiberftanb eutgegen, weil auch er ein gutes ©inoernehmeit mit
bem Äaifer für fchlechterbingS nothwenbig h*elt. Selb ft er
hatte fchon oort)er feinen Leuten befohlen, fi* im chriftlichen
Lanbe in ©chranfen gu h^ten, gebühre ben pilgern beS
£etrn ! Stber wenn Soemunb alles aus Sercchnung beS eigenen
SortheilS that unb ben @ib fchwor in ber Slbfidp, ihn nicht
gu leiten, fo war bagegen ©ottfrieb nun, feinem ©harafter
gemaf}i aufrichtig auf SüejriuS ©eite, bis biefer fpäter bur*
üüergeffen aller Serfptechungen unb burch fei« unehrliches Se*
nehmen gegen bie SBadfahrer beren Sertrauen unb Sichtung oer*
fchergte. ©eine ©rgebenheit geigte bamalS ©ottfrieb bem .ftaifer
nornehmlich bei ben Serhanblungen mit ben fpater eintreffenben
dürften, bei benen er bem Äaifet burch feinen ©influfj öfter
n üblich würbe. SDafüt würbe er felbft auch non bem Äaifet
reiflich befchenft unb auf jebe Slrt auSgegeiihnet. — Unter bem
Setfprechen, binnen Äurgem perfönlich ein ^»eer naihguführen
unb bie Äreugfahrer mit Lebensmitteln gu unterftüfjen, fah nun
SllejriuS bie Jpeere nach Slpen fcheiben. — SDort muhte ber erfte
(476;
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Angriff bem Äilibfd) 3(rölan, bem ©mir ocn 3conium, gelten.
68 war 6nbe äpril 1097, a!8 baß Bereinigte lotbringifd)e unb
italienische Jpeer oon ©balcebon nad) dtifomebien aufbrad), wäl)*
renb äbbemar, Utaimunb unb Bogmunb noch in Äonftantinopel
waren, lederet üornebmlitb, um bie Betpflegung ber Pilger mit
bem Äaifer gu orbnen. 3)ennocb litt baß £eer, baß non 9tico*
mebien balb nad) 9ticäa aufbrad), SEdangel an adern, biß Boe*
munb felbft anlangte nnb ber 9iotl> burd) regelmäßige änfubt
con tfebenßmitteln äbbilfe oerfcbaffte. ©benfo femmt in bie
Belagerung 9licäaß nad) bem einftimmigen Beriete ader üueden
erft mit bem ©intreffen Boßmunbß bie netbige ©nergie. 2)iefe
Belagerung, Sowie bie Befieguug beß gum ©ntfaße Ijeraugetom»
menen Äilibjd) ärßlanß tonnen wir rafd) übergebe»: ©ottfrieb
füdt feine ©tede fowebl bei ber Belagerung als in ber ©d)lad)t
anß; ein Söeiteveß bören wir nid)t con ibm. 8118 allmählich
ade ©paaren in il)re ©tcduugcu cor Sdicäa eingerücft waren,
gäßlte baß Jpecr nach einem Briefe Urbanß II. au älejriuß
300.000 SUann. 6ß ift bieß bie geringfte ©d)äßung: ber ader»
bingß in Solchen ©adjen unguoerläjfige Saldier giebt fogar
600.000 an. Uebrigenß ging wegen beß SJlangelß einee einbeit*
lieben ^laneß unb Dbetbefel)lß bie Belagerung and) nad) ber
Befiegung ätßlanß red)t langfam oorwärtß nnb gelang erft
bann, alß gried)ifd)e ^>ülfe gefommen war äuf ber einen ©eite
mar nämlid) SRtcäa bureb ben iogenannten aßfanifd)cn ©ee gebeeft,
beffen SBeden bamalß nod) bie ©tabtmauer befpülten. äuf biefem
SBafferwege batten bie Belagerten fid) bisher ungebinbert oer»
prooiantirt. 5 )a faben ade SBadfabret gum elften dftale baß
Bortbeilbafte beß gried)ijcben Bünbniffeß flat cor äugen: man
bat älejriuß um bie nötigen gabrgeuge, unb bieiet ging bereit*
widig barauf ein. SRun erft würbe ber SBiberftanb ber Belager*
ten gebrochen, aber baß Die f ul tat bet Belagerung war für bie
(«7;
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•2«
Äreugfahrer hoch ein fc^r überrafchenbeö. Sei einem auf Ser*
anlaffung beö griecbifchen 33efetjlö^aberö allgemein »crgenommenen
©türm gu SPBaffer unb gu Banbe, liefe plöfclicb bie Sefafeung
»erabrebetermafeen an 2 ©teilen bie ©riechen in bie ©tabt; fo»
fort waren bie Slfeere wieber gefcfefoffen, unb auf ben Stürmen
wehten bie faiferltcheit Bahnen. ÜDie unmittelbare Uebergabe an
ben Äaifer war ben Selagerten, al8 fte fid) einmal ergeben
mufeten, alö baS Seffere eTfchienen. 9Ran fann ftd) ben ©roll
ber überlifteten Traufen gegen bie falfdfen ©riechen benfen, aber
bennod) trug man Sebenfen, offen ©ewalt gu gebrauten. @r*
flärlid) wirb eö unö aber fein, wenn wir nadb folchem Sotgange
unferen gelben nicht mehr non ber alten ^reunbfdfeaft gegen
9lleyiuS erfüllt feben: bie hänfen hielteu fid) nun ihrer ©ibe
auch lebig, nachbem ber Äaiier hier unb fpäter feine Serfpredmn*
gen fo fchlecht erfüllte. 3nmt »erfuchte berfelbe, bie gange ©aöfee
mit gewohntem ©efcfeicfe gu nertheibigen unb gu bemänteln, unb
befdfeenfte fogar dürften unb .fpeer gur ©ntfd?äbigung, aber ba8
gegenfeitige Sertrauen war bod) feitbem unwiberbringlid) »er*
loten. ?lm 27. 3uni »erliefe baö ©htiftenheer baö Bager »or
fJlicäa, um burch ^h^gieit, ©ilicien unb bie ^äffe be§
Slauruö nach ©»rien gu gelangen. 3ngwifd)ett hatten fidh
bie dürften genügenb über bie 3uftänbe ber gu burdfegiehenben
Bänbet unb bie Serhältniffe beö SDrienteß überhaupt informirt.
@d)on »or ber Uebergabe Sicaaö hfltte man 2 fRitter nach
Äairo nu ber ben ©elbfcfjufeu feinblichen ^Regierung »on 2legp»*
teu gefchidt, ebenfo gingen, wahrfcheinlich in biefer 3eit, ©efanbte
gu ben armenifdjen dürften. 3eigt bieö »on Umficfet uub §)Ian,
fo fann man beibe bagegen nicht auf bem uuit beginnenben
9Rarfd)e finben. 9Ran batte fich — unbeabficfetigt wie eö
fcheint — in gwei ^eereömaffen getheilt, unb beibe »erloren bie
Fühlung unter einanber. Sei ber einen, wo Soemunb, wenn
(«78)
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27
aud) nicht förmlich eingefetjt, bcd) nnbeftritten ben Oberbefehl
batte, befanb ftcb aud) üanfreb, fein fetter, bet, wie bet
SBetfünber feines fRul)meS, fRabulf »on (5aen, fagt, nach .junget
unb fSnftrengung »erlangte, wie anbere fDfenfchen nad) Uebet»
ftu§, SBobHeben unb fRube, ber barnadc bürftete, nicht »on ficb
gu reben, fonbern »on fid> reben gu madien. tiefer ruhmeS*
hungrige, abenteucrburftige £elb war wie immer unerm üblich
bem $ecre weit porauS unb brachte guerft bie überrnfchenbe
fRachrid't »on bem SBieberanrüden .ftilibfch SIrelanS, ber nad)
ben geringften Eingaben ein .fpeer »on 150 000 9Rann heran»
führte. ?lm 1. ?nli tarn eS bei IDornläum jur Sd)lacht.
Soemunb hatte bei ber gunächtt angegriffenen £ecreshälfte, wie
auS allen Ouellen etfidrtlich, auch wähtenb bet Schlacht bie
Oberleitung unb Heit mit fDtühe ben Äampf im Stehen, biß
enblich ber braufenbe fRuf „©ott will eS" bie Ölnfunft beS beut»
fchen unb frangöfifchen .öeereS »erfünbigte. 3?ei biefer anbern
JpeereShälfte, bie gum ©lüde nicht gu weit entfernt geweicn war,
um auf bie fflufforberung 2?oömunb8 gerabe noch im fritiid?en
fDtement eingreiien gn fennen, h^ren wir nichts non einem Ober*
befehle, baS Jpauptuerbienft bei ihr fiel aber bem '.IMichof Slbhemar
gu, bem eS gelang, bie üürfen, bie nun überhaupt feinen gäben
SBiberftanb mehr leifteten, im IR ü den gu faffen. S5en fchwie»
rigften Stanb bei biefem JpeereStbeile fanb nodi ©ottfrieb, beffen
fRitterfchaft einen »on ben dürfen befehlen Riegel nicht gu er*
flimmen »ermechte. Grft guletgt wirb mit £ülfe anberer biefer
SBiberftanb gebrochen. Äilibfch 'ÄrSlan wagte nach biefer fRiebet*
läge ben ftranfen nicht mehr, ben fDurdtgug ftreitig gu machen,
fuehte aber ihren ÜRarfd) butdi 33erwüftung beS ftanbeS unb
bureh möglichfte Segfchaffung ber SebenSmittel auS ben chril’t*
liehen Ortfchaften, fo t>iel er fonnte, gu erfchweren. SfBie eS bei
biefen iterhältniffen noch möglich würbe, baS grofee £eer gu
(♦791
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28
»erregen, ift nicht redjt auS beit Quellen erfichtlicf), gewif) h^te
man bod) mehr auf bie Äraft beS flanbeS felbft geregnet als
auf mitgenommene Vorrätige. SSahrfcheiuIich haben bie Slrmeniet
Dielfach jur Verpflegung beigetragen. ©ehr bebenfliche 9Roth
litten fidjet bie ßhviften hier noch nid)t, benn wenn auch unfere
Duellen ooti manuigfacheu (Entbehrungen erzählen, fo fehen mir
bod> Don ber Sei benSherrlic^feit, bie fpätere ©efdticbt*
fdjreibet nn§ porfiihren, auf biefem 2h«l« beö 3«ge3 noch
menig. 2uch im Uebrigen gelangte man ohne beionbere ©d)wie*
rigfeiten nach ben armenifchen Veftfjungen in (Eilicien, wo fich
bie Vepölfevung überall ber dtriftlidjen ©ad)c anfd)lo&. ^ptet
trennte fid) — unweit 5Jleraafch — ©ottfriebS Vruber, Valbuin,
Don bem .pauptheere unb roanbte fich j« ber folgenreichen (Eppe»
bition über ben (Euphrat nach (Ebeffa, baS er, bis er ieinem
Vruber in Seruialem folgte, behcrrfchen foüte. ©aS übrige
^)eet marfchierte uunmehr auf baS fptifdje 31 n tio d?ia. — ©af)
hier ein ernftlidjer Sßiberftanb ju übcrmiiibcn mar, mußten bie
Äteujfahrcr, aber bafj fie h**r ber ©chauplatj für jahrelange
Äämpfe unb fDtüben erwartete, baö ahnte gewife feiner pon
ihnen. fBlerfroürbig genug war ber (Emir oon 3(ntioihia, Vagi
©ijan — gerabe wie Äilibfch 3lrßlan bei ber Ölnfunft beS Rxea$*
heereS oor Vicäa — abmefenb, als bie chriftlidien ©(haaren ficb
feinem Reiche näherten. (ES ftanben ftda nämlich gerabe bamalS
bie beibeit Parteien ©prienS: bie cS mit ben fchiitifchen §ati*
mibett unb bie eS mit ben ©unniten in Vagbab halten, in
offenem Kampfe gegenüber. Vagi ©ijan, ber auf Seiten bet
3legppter ftaub, war mit ben dürften Don 3lleppo unb Serufalem
auf einem Sucje gegen (Emeffa begriffen, als et Äuube pon bet
herannahenben @efaht erhielt. (Er forberte feine Verbünbeten
ju einem gemeinfamen Angriffe auf bie (Stjriften auf, aber beibe
lehnten ohne (Erfenntnifc ber gemeinfamen ©efahr biefeS Ver»
WW)
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29
langen ab, unb ber alte ©mir eilte allein mifjmuttyig nach Stu*
tiodhien. SRachbem et fyier bie Uebermacht ber geinbe gefehen,
machte et eine eutfc^loffene ©djwenfung in feiner $)olitif. 5 Laß
wellten alle ©treitigfeiten mit ben ©unniten jagen gegenüber
biejeu ©(haaren ber ©Triften, bie £ob unb Vernichtung brohten?
©eine Verbünbeten wollten ihm uicht helfen — je gab et fie
preiä unb warf fich feinen biS^eri^en ©egnern in bie Sirme:
nad5 VagbAb, fDcöful, ©amaßfuß, ja nad} ©meffa, baß er eben
noch befriegen wollte, janbte er Voten unb forberte |>ülfe unb
gemeinfamen heiligen Ärieg gegen bie Ungläubigen, ©abei oer=
gafj er webet gu werben, waß er oon Arabern befommen formte,
noch bie ©tabt jelbft in beften Sßertheibigungßguftanb gu fe^en.
©ie d^riftlidjen ©inwol)ner, bie ihm cerbädjtig waren, mußten
alle Vorräthe unb ©d)äjje heTauögeben unb würben fogar jum
2heil »erjagt, nur bie SÖeiber unb Äinber behielt ber ©mir alß
©eifein gutücf. Snbeß hielten, im prächtigen, unb wohlangebau«
ten 2hflle beß Drontcß gelagert, bie ©hrifien Äriegßrath, ob
man nid)t bie oafprochene gried)ijdhe Jpülfe unb baß grühjaht
abwarten feile, ehe man ben Singriff eröffne. ©cd) braug bie
Meinung berer but(h, bie fofortigen Angriff nerlangteu. ©ie
SJiaferegeln würben hie^» getroffen, unb ©ottfrieb erhielt mit
feinen Lothringern bie nötblichen fDiauern neben ben fProoencalen
gut Verennung guertheilt. Slber baß djriftliche .peer geigte wenig
Luft gu einer energifdjeu Velagerurtg: bie Umgegenb war burd)
Slnfd}lu| ber eingeborenen ©hriften ben Äreugfahrern unterworfen,
baß fruchtbare Lanb, bie Derhältnijjmäfnge 9tuhe nadj ben fKär»
fchen, bieß alleß lub gum ©enuffe nach ben ©trapagen ein.
Unb fo ergab fich baß .peer ber äöaüfahrer ber Unthätigfeit
unb — fo lange bie Vorräte reichten — ber forglofefteu
Ueppigfeit. ©ine folche IReaction nach großen Slnftrengungen
ift ja in. ber menfdjlichen jftatur begrünbet, aber wir müffen
(481>
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30
unß bod) wunbern, wenn wir bören, bafe biefe fDiäuner, bie jum
heiligen .Stampfe anßge3ogen waren, fogar eine grofje Stn^abl
ÜDirnen bei fid) Ratten, fo baf} enblid) ber S3ijdwf Slbbemar mit
ben ftrengften ©trafeu gegen biefeß Unwefen »orgel)en mufjte.
Äeinem ber Bürften jcbocb fönneu mir auß biefen Buftänbeu
einen SJorwurf tnad'en, benn gewi§ batte feiner bie 5)tadjtf bie*
fer Bügellofigfeit entgeget^ufteuern. SJalb — gegen @nbe 5t 0»
»ember — mar alles uerprafjt, unb an bie ©teile beß lieber*
fluffeß trat nun bei fdjledjter SBitterung bie fdjrecflidjfte Otetl):
SMätter, S3aumrinben unb baß gleijd) gefallener ’JJferbe unb
Dtinber mürben nicht ineljr alß 9tabiuugßmittel nerfd)inäl}t. ®aju
bracb — mie erflürlid) — eine töbtlidje Qfpibemie auß, bie ben
fiebeuten 2^eil beß ganzen .jpeercß babinraffte unb auch unieren
gelben auf baß Jilraufenlager marf. Statürlidj benufcte SJagi
©ijan bie eutmutbigenbe Bage ber (S^viften unb bebrängte fie
burcb fortmäbrenbeu fleiuen jfrieg nod) mehr. Unb jcbsn batte
fein Slufruf feine Süirfung getban: auch feine bißberigeu Bembe
nergaßeit ben alten Jpa§ unb ©treit gegenüber ber gemeinfam
bem 3ßlam brobeufceu öefabr, unb 3t»ei non biejeu mären fd)on
auf bem SBege, ein @ut)a§beer beran3ubringen. 3nm ©lücf für
bie Btanfen ftiefjeu biefelbeu aber auf 33üemuub unb Dtobert
»on Blanberu, bie 3u SHequifitionen außge3ogen waren, unb mut*
ben burcb bereu tapferer» Äampf beftimmt, ihre Slbfid)t gan3
auf3ugeben. ©üblich ^alf bie Unterftüfcung ber ent^ufiaftifdjeu
23e»ölferung unb ber cilicifdjen Bürfteu unb bie Bufuty: burcb
bie baß SDtittelmeer beberrfdjenbe genuefijdjc Blotte meuigftenß
auß ber bringenbjteu 9totb; gugleicb brachte nun baß b^au*
uabenbe grüljja^r beffere SBitterung.
Slucb ber ^)er3og genaß mieber unb 3eigte halb, bafe jein ge*
fürdjteter Sinn uidjtß an .Straft uerloren batte. 3u ©t. ©imeonß*
bafen unweit Stntiodjia lag nämlicb bie genuefijcbe B^tte nur
(*«)
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31
Anfer, unb oon ihr wollte S3o6munb Söerfmeifter unb 3itnmet«
leute Idolen, bie man bei ber Belagerung perroenben wollte. Bei
biefet ©elegenheit fam es nun gu einem größeren Stampfe, ba
bie Surfen auf bie aug @t. ©imeonahafen 3utücffehrenben einen
SlußfaÜ machten. 2)ag djriftlicbe ^peer eilte aue bem Säger gu
jpülfe, unb eg entjpann fidj ein blutigee ©emeljjel. Alle Duellen
finb nun bei beffen ©d)ilberuug beg Sobea poll übet ben furcht*
baren ©<hlad)tenmuth unjerea Jpelben. 23acji ©ijan hatte nam*
lid), um ben 2)futl) feiner Sruppen gu erbosen, bie 2hote Au*
tiod)ieng fchliefjen taffen : fo war bei ber flucht balb bie gut
©tabt führenbe Brücfe oon Slüchtenben angefüUt, unb eg ent*
ftanb ein fc^recflidjee ©ebränge, fo baff niete gertreten, niele in
ben glufj geftürgt wurbeu. 35er jpergog, an ber ©pijje ber
lottjrinigifd>en Steiterei, war aber fo unwiberftehlid) ootgebruugen,
bafj er fdjcn mit ben erften gliic^traen bie Brücfe erteilte unb
nun erbarmungglog unter ber fötaffe wütbete. ©in wahret
©djwabenftreid) wirb ba oon ihm berichtet. $Dtit einem
©chlage füll er ben fRumpf eineg Sütfen getrennt haben- beffen
untere .pälfte aber oon bem 'Pferbe in bie ©tabt getragen fei:
fo feft, fagt ber @tjronift, habe jener Saugenid)tg im ©attel
gefeffen. Srofc biefeg ©iegeg würbe Antiochien hoch enblidh nur
burch Betrath ben (Shriften überliefert, wobei begeichneuö ift, baf)
ber Berräther, ein nicht unbebeuteuber ffliann, fid) an Boemunb,
als ben uermeintlicheu Anführer ber ^raufen, wanbte. 35iefer
erflärte nun ben dürften, et habe ein Mittel, bie ©tabt ohne
grofje Anftrengung eingunehmen, boch werbe er baffelbe nur
bann gebrauchen, wenn man ihm ben Befijj Antiochieng gu*
fidjere. ©rft nach wiebertjolten Abweifungen, nad’bem fchon ber
Anmarfch eineg gewaltigen (Sntjatghcereg gemelbet worben, ginget}
bie dürften auf Boemunba Anerbieten ein, ber nun bie ange»
fel)enften dürften, barunter natürlich ©ottfrieb, in bag ©eheim*
(483)
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32
nife einweibte. fftacfebem bie Sluöfübrung beS SBerratfeeS gelun*
gen, traf bie unglücflicfee ©tabt ein furchtbares Sötutbab, ba8
fein älter, fein ©efcfelecfet oerfcfeonte. ©elbft bie cferiftlidjen din*
wohnet fcnnten ficfe häufig nur butcfe änftimmung geiftlicfeer
Siebet nor bem Slutburfte bet droberer retten. Unb auf JRaub
nnb fpiünberung folgte bann wieber bie unbefonnenfte S3et*
fcbleubetuug bet wenigen üßorrätfye, bie man nocfe oorgefunben.
Särrn, Subei unb geftlicfefeiten erfüllten bie ©tabt, nacfebem bie
cbriftlicfeen dinwobner ben entfefelicfeen 5Jtobergeru<b burcfe notb*
bütftige Reinigung batten befeitigen müffen. SBeld) ein IBilb
ber 3«d)tloftgfeit ber SERaffen, bet £>fenmacfet bet dürften entrollt
ficb ba not unfeten äugen, jumal wenn wir bebenfen, bafe man
in fünfter Beit ben geinb oor ben $bcre« erwarten mufete
unb nicfet einmal einen ooOftänbigen drfolg erhielt batte —
benn bie non bem ©ebne 5?agi ©ijanö oertbeibigte ßitabeHe,
gegen weld)e bie ©tabt offen unb ungefdjüfct lag, featten bie
dbriften nicht nehmen fönnen! Söelcfe ein freoleö, oermegeneä
©piel batte aber aud) ber rü<fficfet8lofe 33o6munb gezielt, burdb
beffen dgoitSrnuö bie dinuabme bis auf ben aufeerften SRoment
»erfcfeoben war! IDenn fcbon am brittcn Jage nach ber dr*-
oberung, am 6. Suni, erfdbien oor äntiodfeien ba§ «Speer faft be8
gefammten SRorgenlanbeö, unter ber gübrung ÄerbugaÖ oon
2R6ful, jener noch heute bebeutenben ^anbelöftabt am Tigris,
in beren 9täbe bie krümmer oon SRiniöe liegen unb non bet
ber Sftuffelin feinen Flamen bat. 25ie numerifcben ängaben
über fein £eer fcbwanfen gwifcfeen 300— 600,000 9Rann: gewife
überboten biefe £eere8mafjen bie oor äntiocbien unb burcb bie
früheren äkrlufte febr jufammengef^mol^enen dbriftenfcbaaren
bei weitem, aber bie gübrung unb dinigfeit liefe aud) bei ben
SJtubamebanern »iel ju wünfcben übrig, ©leid) anfaugS batte
Äerbuga ben gefeler gemacht, 3 SBocfeen bi«bur$ ©ottfriebö
(4M)
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33
Stoiber (Balbuin in Ebeffa gu belagern, ftatt fofort auf Antiodjin
gu matfchieren, woburdj bie Entfdjeibung wahrfcheinlid? eine gang
anbete geworben wäre. (Balbuin würbe fo in Söafyrfyeit ber
(Retter beö ganzen Äteuggugeö: planmäßig Ijielt er ba8 feinbliche
£eet feft, wehrte feine 'Angriffe ab unb folgte ihm fogar bei
feinem Abzüge — freilich nicht ftarf genug, ben 9ERarfd) bet
Sütfen ernftlid) ju erfchweren. (Sine Abtheilung lothringifcher
(Reiterei, bie gum (RecognoGciren gegen ben t)erannai)enben $einb
aubgefd)itft mar, würbe guerft »on Äetbuga oernichtet, unb mit
beren Verfolgung gelangten bie Slütfen not Antiochien an, wo
fie fich fofort mit ber EitabeOe in Verbinbung festen, ÜRatür»
lieh war nun mit einem Schlage aller 3ubel ber Ehriften in
Antiochien gu Enbe — leiber gu fpät. SDenn eingefcbloffen »on
einem überlegenen fteinbe unb zugleich innerhalb ber SRauetn
non bet nahen Eitabelle, in welche Äerbuga gleich Verftürfungen
geworfen, fortwül)tenb bebroht unb bebrängt, fah man fich nun
ohne alle (RahrungSmittel in ber fchlimmften Sage. Dennoch
würben bie erften ©türme jferbugaö mit iolchem fDiuthe ab«
gewiefen, bafj biefer auf eine fofortige forcirte (Einnahme »er«
giftete unb befdjlofj, burch Abfchneiben aller 9tahrung8mittel
unb unauSgefefcte Anvgriffe auö bet EUabeÜe bie granfen all«
mählich SU ermüben unb gut Uebergabe gu gwingen. 3u bem
Swecfe führte er baö ^>eer über ben Dronteä gutücf unb »et*
fchangte fich hott mit 2BaU unb ©raben.
©8 folgte nun eine fchrecfliche 3«t für bie Eingefdjloffenen.
3n wenigen Sagen waren alle Vorräte erfchöpft: @ra8, Vaum«
rinbe, ba8 gebet »on (Riemen unb Sohlen würbe »ergehrt, baö
Aafi gefallener Shiere war eine geefetfpeife, um bie man fich
raufte. Unb bei biefen Entbehrungen hatten bie (Belagerten feinen
Augenblicf (Ruhe, fonbern mußten täglich, ftünblid) fämpfen.
Der ^)ßhfhunft adeö £elbenthum§ unb aller Reiben für bie
XIV. 326. 3 (465)
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34
jfreugfaljrer, ein Uebermafj oon ©leub, ©efatjr unb iHnftrengung
fällt in biefe Sßodjen. Salb würben bie 'Angriffe aus bet (Sita-
belle, in bie jterbuga immer frifdje Gruppen warf, fo gefäfjtlid},
baß man bem jperjog non ?otßringen allein bie Sertßeibigung
aller übrigen SBerfe übertrug, alle anberen ©treitfräfte aber
gegen bie Gitabelle, wo Scemunb bie Seele bet Sertljeibigung
mar, concentrirte. .piet mußte jeter mit tBnfpanuung aller Äräfte
ccm fUiorgen HS jurn tÄbenbe fämpfen unb bann in ber 9tadjt
oft nod? auf SJacße jiefjen. @8 fam cor, erjagen bie ©eften,
baß mitten im ©ebränge ein gedienter uncerfeßrt aber fraft=
erfcfecpft jufammenfanf. Unter folgen Sertjältniffen erreicht aber
enblidj alle menfdjlidje Äraft unb ©netgie ißr ©nbe. SBaS
SBunber, baß balb ciele fid? auS bet fyojfnungölofen gage ju
retten fugten? 3ebe 'Jiadjt gingen Sergweifelnbe gu ben Sürten
über, anbere fugten in l)eimlid?et ftludjt ißte SKettung. ©irid«
läufer mürben fie fpäter fpöttifdj genannt, ba fie ftd? an ©triefen
oon ber Üftauet fyinabließen, aber ciele namhafte Diitter cet*
feßmäßten biefen 2Beg nid^t, um fidj auS einer cerlorenen ©adje
3u retten, unb felbft ©tepljan ccn SloiS, ber ©djwager .beS
Königs oon ©nglanb, entflog auf biefe SBeife. 'Auf ben Seridjt
bieje8 ©tepßanS ßin , ber übrigens bis ju feiner ©rfranfung cot
Antiochien eine gan^e 3eit ßinbutcfy mit bemSovftfje im großen
ÄriegSratße bet dürften betraut geroefen unb ein burd) feine
$)erjönlidjfeit feljr einneßmenber 5J?enfdj mar, gab aud? ber
Äaifet SUejriuS ben ©ebanfen auf, bie Selagerten burd) ein
gried)ifd}e8 Jpeer ju <ntfeßen: fo fyejfnungSloS Hang feine ©djil-
betung. üDie Äunbe oon bem ©djeitevn tiefer lebten Hoffnung
gelangte merfmütbigetmeife mit SöinbeSeile nad) Slntiodjia unb
beS 'JfadjlS hie§ cS plößlidj: alleS fei oerloren, audj bie dürften
wollten fliehen. 3n regellofet gludst ftürgte bie ÜÄenge $u ben
2ljoien; aber jum ©lüde etveidjten Slbljemar unb Soemunb
(4(W)
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35
aßen norau$ nod} jeitig bie 9lu8gänge unb brauten ba8 »et»
groeifelube «peer wieber jum ©leiben. — 3n biefer hödjften fRoth,
wo nad) aßet menfdlichen ©eredjnung bet Untergang gewifj,
alte irbifdje .pülfe unmöglich fd}ien, mufste fid} bie Hoffnung
bet fo übermenfchlid} bebrängten SSaßfahrer mit erneuter 3n*
brunft auf bie Jpütfe bebjenigen richten , in beffen tarnen unb
auf beffen ©eheifj ja biefer gan^e 3ug unternommen war. ©on
aßeu irbifd)en ©ddacfen gereinigt, bie ja leibet bie urfprünglid)
reinen ÜJiotbe biefer Bewegung fo fetjr »erbrängt unb »erbunfelt
hatten, brad) nun bie geläuterte glamme ber retigiöfen ©egeifte»
rung mit »erboppelter ©ewalt t)er»or. 3Har eä uidjt unbenfbar,
bafj ber .petr feine Ijeüicjcn Streiter im Stid}e lieft unb ben
Ungläubigen überlieferte? ©alb fteigerte fid} biefe religiöse @t=
regung 31t ©iftonen. 2>ie ^»eiligen, bie 3ungfrau SOiaria, ber
jpert felbft erfd}ieu ben ©liefen feiner Ätieger, wenn fie ermattet
»on junget, Qrleub unb Slnftrengung in Schlummer gefunfen
waren, unb »ethiefc ihnen Sieg unb balbige (Stlßfung. 3*oei
folget ©ifiotien waren non befonberer Sßirfung. ^eter ©ar=
tljolomäuö etflärte, ber heilige tflnbreaö fei iljm erft^ieneu unb
habe ihm bie ^an^e ge$eigt, mit welcher 3efu 2eib am Äreuje
öurdjftodjen ; fie fei in ber ^eterfcfirche »ergraben , in ihrem
©efi^e werbe man afleS (Slenbeä lebig werben! 3wölf SJiann
mußten einen ganjen üag lang graben, unb beS iilbenbä enblieh
würbe natürlich auch bie 2an$e gefunben. (Sinem anberen, bem
9)riefter Stephan- erfdjien ber Jpert in ber SRarienfircbe, als
feine ©efäl}tten äße, inbem fie weinenb unb flagenb s))[almen
fangen, ermübet eingefchlafen waren, unb fprad): „3d} bin e8,
Ghriftu8, wa8 fürd)tet ihr bie Beinbe? ©efel}tt euch ju mit
unb geht in ben Äampf, fo werbet ihr in meinem Flamen fie»
gen.“ ©egeiftert eilte biefer DJtenid} in bie Bürftenoerfammlung,
erzählte wa8 er gefehert, unb etflärte, er wolle fid} oon einem
3* f»8T)
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36
Sturme ftürgen, burd? Seuet fyinburdjfdjreiten: unoerfehrt werbe
er bleiben gum 3eugniß, baß er bie SBaljrtyeit gerebet habe,
gingen ffen non ber Begeiferung fdjwuren bie Surften fogleid)
auf Äreug unb ©oangelium, fte würben niemals eon bem Kampfe
für ba8 ^eilige ©rab ablaffen. „So lange nod) »iergig Streiter
mir folgen,“ rief Snnfreb, „ftede id) ba8 Schwert nicht in bie
Scheibe." Unermeßlicher 3ubel »erbreitete ftd) burd) bie gange
Stabt. „Söahrlid)," fagt Sttbel, „e8 ßat etwas §urd)tbareS, ft<h
biefe SRenfcßen gu benfen, fterbenb »or junger, in ©rmattung
baßinfinfenb, unb boeß ©ott unb feine ^eiligen cor ben leib»
ließen 2tugen, »ergweifelnb in einem Äugenblicfe, bann mit gott»
begeiftertem 3ubel in ben Äampf ^tnaueftür^enb!" Äurge 3eit
nach ber eben ergählten Bifton wählten enblicß bie Sürften einen
Dberanfüßret unb gwar Bofimunb non Tarent. 2luf 14 Sage
befam er unbefdßrünfte Bollmacßt, um eine bureßgreifenbe 3)iS«
ciplin bestellen unb nach ©rmeffen ßattbeln 3« fönnen. Dem
ftürmifchen Berlangen ber 9Renge wiflfaßrenb unb ohne 3aubern
bie leßte ÜRöglicßfeit bet fRettung ergreifenb, orbnete nun
Boemunb, nachbem er burd) bie energifchften, rücffichtSlofeften
fölittel 3ucht unb Drbnung wieOergejcßaifen hatte, er ließ g. B.
um bie Bergagten auS ihren Berfteden gu treiben, bie Stabt
angünben, fo baß über 2000 Raufet nieberbrannten — ben 2lu8*
gug gegen Äerbuga an. — 3öaS für ©eftalten mitffen baS ge*
wefen fein, bie am 28. 3uni 1098 nach Bodenbung aller Bot*
fehrungen anS ben Slßoren SntiocßienS gogen? SBaten boch
felbft bie dürften fo ßeruntergefommen, baß g. B. ©raf fRobevt
»on Slanbem »or Schwachheit nicht mehr gu §)ferbe frßen fonnte!
3um ©lüefe war auf Seiten ber Seinbe bie Siege8gu»erfidjt fo
groß, baß man gar feine Berfudße machte, ben 2tufmarfcß ber
Sranfen gu hebern. 2118 bem gerabe beim Sdßachfpiete fißenben
Äetbuga ba8 SSuSrüden ber ©haften gemelbet würbe, fagte er:
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„Safjt fie nur alle IterauSfommen, bamit fie befto gewiffer »er»
berben." 5lber eS fam anberS. 35ie gutgeleitete unwiberftehliche,
Bezweifelte Sapferfeit bet GIjriften einerfeitS, bie fehr gelccferte
©intradjt be8 buntgemifepten türfifepen £eereS anbererfeitS be»
rettete bem leiteten eine »otlftänbige Slieberlage. Unfer ©ottfrieb
tbat wie immer im .Kampfe feine »olle Schul fcigfeit, aber
3?oemunfcS umfieptiger güprung, feiner ©ewanbtpeit unb ©nt»
fcploffenpeit im Kampfe mar »bne Stage ber Sieg in erfter
ginie ju »erbanfen. 3ulefct brangen beibe gelben jugleicp mit
ben beiben Sicherten (»on glanbern unb ber Siormanbie) in
gefcploffener £inie unb in »ollem SioffeSIaufe »er unb warfen
alles »or fid) nieber.
3dp habe biete .Kämpfe genauer jcpilbern ju muffen
geglaubt, weil in ihnen reept beutlicp bie lleberlegenbeit SBoemunbS
gegen ©ottfrieb ^croortritt. ^lufeet burep feine ritterliche un=
geftüme Sapferfeit im Kampfe ragt ©ottfrieb nirgenbS her*
»or, währenb überall SBoemuub beutlid? als bie «Seele beS
ganzen £eereS erfcheint; er »Tbnet mit ben ©riechen bie
Sßerpflegung, »or Slicäa bringt fein ©rfepeinen erft Sluf} in
baS gange Unternehmen, bei tTorpIäum theilt er mit JBifcpof
Slbpemat baS ^auptoerbienft beS Sieges, unb ihm giebt bort
baS Vertrauen ber dürften unb bie eigene Ueberlegenheit
ben Oberbefehl; 33oetnunb gelingt eS in Sßerbinbung mit
JRobert »on glanbern ben erften ©ntfapeerfuep SntiocpienS burd?
bie dürfen glüeflid) abguweifen, er holt bie genuefifchen SBerf*
meifter unb 3immerleute aus SimeonSpafen, et bewirft bie
Uebergabe SlntiocpienS ; S3oemunb übernimmt bann bei ber
^Belagerung KerbugaS ben fchwierigften $>often gegen bie Sita»
belle, »erhinbert mit Sbhemar bie ?jluc^t beS muthlofen £eete3
unb rettet enblicp als erwählter Dberanführet butch ^terftellung
bet SDiSciplin unb wohlgeplanten Singriff baS cpriftlicpe ^teet auS
(489,
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38
ber »ergweifeltften Sage. 2Bo bleibt ba £affoß unb Berber«
Agamemnon ?
üftit bem Stege über Äerbuga war ber ©rfolg beß
Äreuggugeß im ©reffen entfliehen — bentt Scbreden unb
©ntfefjeu ergriff baß gange 3Jforgenlanb not biefetn £eere, baß
webet junger noch Schwert gu fällen »ermochte. 3unä<hft
gwang aber bie ©tfchöpfung ber Struppen unb SHaimunbß SBiber*
ftreben, 23e€munb baß oerfprochene Antiochien einguräumen, bie
dürften bagu, bem £)eere ben gangen nodj übrigen Sommer gur
©rholung non ben Strapagen gu gönnen. 25iefe 3eit ber SJiuffe
benujjte ©oltfrieb gu einem Sefucbe feineß SBrubetß SBalbuin in
©beffa, bann gu einer wenig erfolgreichen Unternehmung auf baß
©ebiet »on Aleppo. 3ngwijchen wudhß, befonberß nachbem eine
wiebet im <£>eere außgebrochene ©pibemie ben ÜJtann hinweg*
gerafft, beffett SSirfeu immer auf bie ©intrad>t ber dürften ge*
rietet gewefen war, ben päpftlichen Legaten 33ifchof Abhemar,
bie Spaltung über ben 23efi^ Antiodjienß im ^>eere immer
mehr, ©ottfrieb, feinem SEBorte getreu unb bei feiner eblen
9tatur neibloß gegen ben SRormannen, trat fofort, wie bie meiften
Anberen auf Soemunbß Seite. Natürlich loderte ein folcher
Streit ber dürften auch wieber bie ©inigfeit unb bie 25 iß*
ciplin beß $eereß, gumil in golge biefeß 3wifteß auch ber
Aufbruch beß 3uge8 immermehr hmaußgefcheben würbe, ©ß
gab ftürmiiehe 3ufammenrottungen unb brohenbe Aufforberungen,
enblich nach 3erufalem aufgubrechen, aber eß ^attc ftch ein
merfwürbigeß Stoden beß ganjen Unternehmenß bemächtigt.
Auch nachbem ber 33eftjj Antiochienß baburch entfehieben war,
bah ©oemunb mit ©ewalt bie ^rooengialen anß ber Stabt ge*
worfen, waren bie dürften noch immer nicht gum SBeitermarfche
fdjlüffig. 9iur ber unruhige JRaimunb non Stouloufe war rührig.
Sßadjbem ihn bei ber ©innahme einer anberen Stabt — beß
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39
nach entfefclicfcem geiben eroberten SRaaraß — beT (chlaue 23oS*
munb wieber um alle 33ortheile gebracht, griff er gunächft mit
ber .£>ülfe Stöberte »on ber Siermanbie unb Stanfrebß unb »et*
ftarft burcb freiwilligen Slnfchluf) »ieler anberet Ätieger bae
trip olitanif che Slrfaß am 14. Sebruar 1099 an. Slm 1. 2Dtärg
enblid) brachen auch ©ottfrieb unb Stöbert »on ^lanbern aue
Stntiodjia über gaobicea nacb ©ibellum, jüblicb »on Uripoliß
gelegen, auf, unb griffen biefe Stabt an, balb aber eilten fie
auf bae £ülfegefuch bee nicht glücflichen Staimunbe biefem nad)
Slrfaß gu .£)ülfe. Sille ©elbanerbietungen bee @mirß »on Sri*
poliß für bie Stäumung feines ©ebieteß würben »on fämmtlichen
dürften — natürlich mit Slußnahme 33oSmunbß, ber ja in Sin*
tiochien gitrücfgeblieben — wie fdjon früher »on Staimunb gutücf*
gewiefen, unb ee fcheint baher ohne 3weifel, ba§ bamaie ©ott*
frieb über bie Eroberung »on Sripoliß mit Siaimunb noch ein*
»erftanben war. Slber balb bricht auch hier Uneinigfeit aue,
inbem Sanfreb, entgegen feinen erft fürglid) eingegangenen 93er*
Pachtungen, aue Staimunbe ©ienften in bie ® ottfriebS über*
tritt. £ö<hft watjrfc^einlid) ba^e bei ber gaugen Sache 33o£ munb
in Slntiocfaien wiebet feine £anb im Spiele, ber in folcher un*
mittelbaren Stühe »on Slntiochien feine -fjerrfchaft feinee alten
Stioalen auffommen laffen wollte. Sanfreb war gewifc »on
»ornherein nur auf 93o6munbß 93eranlaffung mit Staimunb ge*
gegen unb nur in ber Slbficht, beffen gangee Unternehmen gu
»ereiteln. Unfchwer gelang eß ihm nun, fowohl ©ottfrieb alß
Stöbert »on ftlanbern gur Dppofition gegen Staimunb h»«wber*
gugie^en. 2Bar bod) fd>on früher ©ottfrieb entfdbieben auf Sei*
ten ber Stormannen gegen Staimunb gewefen, unb gang beutlich
lä|t fidh h‘w auch ein beftimmteß ültoti» erfennen, welcfceß ben
£ergog gegen Staimunb Partei gu nehmen beftimmte. ©ottfrieb
war »oll beß feljnlichften Söunfcheß, »on allen biefen £dnbeln
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befreit gu werben, bie ftd) in feine reinen Greife brängten unb
ihn ^inberten, ben heiligen ©nbgwecf beö ÄtiegeS enblich au§*
gufühten. Sollte man Ijier wieber monatelang liegen, um 9tai*
munb STri^oItö erobern gu tjelfen? 25ie antiraimunbfche Partei
erftärte alfo: biefe nufjlofe Selagerung »etgögere bie ©tfüOung
beö ©elübbeö, erft fei 3erufalem gu befreien, bann fönne man
Sripoliö mit leichter fütühe gewinnen. 2>aö gange Solf, bie
s])roDen<?alen felbft nicht ausgenommen, unterftü^ten biefe SJlei»
nung. ISIS bet ©treit fo weit gebieten, erfchien eine ©eianbt*
fdjaft beö griecbiicben ft'aiferö im Säger unb »erfünbete, Sllcjriuö
gebenfe gegen 3ohanniö mit einem ^eere in Sprien eingutreffen
unb bie dürften nach 3erufalem gu geleiten. 2>abei führte bie*
felbe fjcftige Älagen über bie Sefifjergreifung Slntiochienö burdj
Soemunb. Sofort trat natürlich fRaimunb auf bie faiferliche
©eite unb »erlangte Sluffdjub beö SBeitermarfcheÖ bis gut 9ht*
funft beö gtiednfchen $eereß, aber bie Partei ©ottfriebö ent*
gegnete, ber jfaifer ^abe fid) ftetö eibbrüdjig gegen bie 2öaQ*
fairer gegeigt, er werbe auch jefct feine Setfptedjungen nicht
pünftlidj erfüllen: „SSit müffeit eorwartö, ®ott felbft, gu beffen
SDienft wir unfer ©elübbe abgelegt, wirb unfere Sache glücflich
t}iuau§ führen." @0 fatalen bie dürften nach 0taimunb »on
^gileS. Schließlich brach ein Aufruhr ber ^rooenealen felbft
ben Sßiberftanb fRaimunbö. 3h* ©ifer, ihre Segeifterung war
uidjt mehr gu hallen: fie günbeten ihre 3elte an unb gogen
ftürmifch unb ungeorbnet »on bannen. 3)aö war für ©ottfrieb
baö 3«<heu. nun auch mit ©netgie ben 2lufbru<h gu betreiben.
@t billigte offen baö Senehmen bet SEruppen, ging im Saget
umher unb ermahnte bie Seute, an ihrem lobenöwerthen ©nt--
fdhluffe feftguhalten. 9iothgebrungen, wenn auch gahrreTnitfchjcnb
unb mit tiefem ©roß gegen £ergog ©ottfrieb im bergen, mußte
fich Siaimunb fügen: am 13. 9Jlat (1099) brach baö £eer »on
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Arfa8 auf. — 3ngwifcben war — nod) wäbrenb bie SöaQbrüber
in Antiocbta rafteten — in bem ^eüiflcn ganbe, »obin fld) nun«
mehr ber SDtarfd} richtete, eine grojje äkrdnbetung Dor fid) ge*
gangen. 2Der Ä^altf Don Aegppten hotte nämlich nach bet
fRieberlage ber ©elbfcbufen bet Antiodjia feine freunblidbe föiiene,
bie er bis babin ben <5l>riften gezeigt, plöfclicb geänbert. @r
glaubte, nad? folcben Kämpfen fönuten beibe Parteien nicht
mehr gefährlich fein, liefe bie fränfifdien ©ejanbten in Äetten
werfen unb ben ©elbfdjufen Serufalem unb ^)aläftina entreifceu.
3)ann fanbte er in Segleitung bet wieber freigegebenen fränfi*
fd>en ©efanbten öotjebafter inß djriftlicbe 8aget Dor Atfaö mit
bem Anerbieten, bie ©briften feilten in uubewaffneten Raufen
gu 2—300 SJtann bie be^ae Stabt ungefäbrbet befudmt —
anberenfallö aber brobte er mit feinem gangen 3<?nie. fRatür»
lid} waren bie ©efanbten mit grünblicber Abfertigung entlaffen
»orben.
33om 16. 9Jiai bis 7. 3unt würbe nun ohne befonbere ©e*
fSbtbung Dem jtreugbeer ber SBeg nad? 3erufalem gurücfgelegt;
anfänglich gwifdjen 8ibanou unb bem ÜReere in leicfet gu Der*
tbeibigenbem Sietrain, in §olge beffen baö |>eer aud) mehrmals
beS fRacbtS marfebierte, um befto rafefeer auS ber gefährlichen
^)affage gu fommen. ©ann ging’S ron 33erptu8 über Sibon,
SrjruS unb §)tolemai8, wo man am 29. 5Rai in tiefem Trieben
$)fingften feierte.
3<b mu& bie* bamn erinnern, bafj wenn wir noch immer
furgweg non bem „Äteugbeere“ fpredjert, wir nicht oergeffen bür*
fen, baff eS nicht mehr jenes £eer ift, baS oor 91ic5a nach ber
geringften Scbätgung 300,000 (Streiter gäblte, fonbetn ber auf
nur ca. 21,000 5Rann gufammengefcbmolgene fReft biefeS £eere8.
SDer ungeheure Abgang ift nicht nur auf bie fBerlufte burdj bie
(Schlachten, Seuchen unb (Strapageu gu fefcen, fonbetn Diele *})it*
(«»)
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42
ger waren uneingebenf ißreS ©elübbeö in 9lntio<hia unb (Ebeffa
geblieben ober gar, burch alle bie iibermenfchlichen Reiben phpfif<h
unb moralifd) gebrochen, wieber nach £aufe 3urücfgefeijrt. 28ar
jo bie 3&hl gwav fietit, fo war bie ©iegefyuoerfidjt bagegen in
biefem @Hte*SReft nach ben glorreichen ©iegen befto größer, unb
ber ©chretfen ber lateinifdjen Söaffen ging nor bem £elbenheere
feer. — 2öer fönnte nun annäßernb bie ©efühle jdjUbern, bie
biefe ©(haaren, bie unferen frommen £ergog erfüHten, als im
SRarfche über fRamla hinauf man nun bem 3*ele immer näher
fam, baS 3 Saßre »oü allen SeibS, ©efaßren unb Slnftrengungen,
wie fie nur je fDtenfchen erb ulbet, unermüblich erftrebt worben
war! 3n bet lebten ©acht war bie ©egeifterung, bet ftürmifc^e
2)rang nicht mehr 31t bänbigen; eine @d)aar nach ber anberen
fe^te fich in ©ewegung, oft ohne alle Drbnuug, manche mit
entblößten ftüßen, in ber Sülle ^eifeefter Slnbadjt, bie meiften in
eiligem Saufe, -um jeben £>rt, jebe ©urg juerft gu gewinnen.
(Enblich lag nur noch ein ©ergriicfen Bor ihnen, hinter biefem
3erufalem. 9JHt bem leßten Ülthem würbe er oon ©(haar auf
©d)aar erflommen, unb nun lag Bor ben ©liefen beö lebten
ftünfgehntel jener 300,000 Äreujfahrer bie ^eiltcve ©tabt mit
ihren Shürmen unb 3i«nen. 3n biefem Slugenblicfe war gewiß
alle weltliche Suft, waren alle weltlichen ©ebanfen Berfcfawunben:
alle ftü^ten auf bie Änie unb priefen in 2h*änen bie ©nabe
beS £errn, ber fie bis hierhin geleitet l^atte. SOfan war fo
fiegeSgewiß — troß ber hoppelten Uebermacht ber ©ertßeibiger —
baß man fdjon am 13. 3uni oßne alle SlngriffSmittel einen
©türm unternahm — freilich ohne (Erfolg, fo baß wan nun»
mehr 3U geregelter ©elagerung fchtitt, wieber wefentlich unter»
ftüßt »on ber nor 3ohpe liegenben genuefifchen glotte, 9 ©chijfe
im ©an3en. 2)ann würbe noch, unter bem $ohne bet ©arace*
(4»*)
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43
nen, eine feierliche $)rocejfion um Serufalem big auf ben Delberg
gehalten. Olber man nergafj babei nicht bie irbifcpen Singe.
(Schon bamalS fanb eine Scrathung ber dürften ftatt, wem bie
Ärone be§ beiltgen ©rabeS ju theil werben folle; aber ber
ÄleruS, ber b*ngugegogen würbe, proteftirte: man muffe ein
geiftlicbeS JDberljaupt einiefceu, bem gebühre 3erufalem. Sie
2?erathung blieb ohne fRefultat. 91 m 15. 3uli enblich !am ber
2ag, an bem Serufalem fallen füllte. fRachmittagS, in berfelben
©tunbe, wirb erwähnt, in welcher ©hriftuS feine ^affion Bollen»
bet, ^tte ©ottfrieb feinen Sthurm hart an bie flauer heran»
gebracht, bie ftallbrücfe würbe auSgeworfen unb ©ottfrieb unb
(Suftach betraten unter ben erften bie ÜRauern bet heiligen ©tabt.
©leichgeitig war am ©tephanSthore non Sumfreb unb Robert
non ber 9?ormanbie örefche gelegt, unb enblich erfchien auch ben
$>roBen<?alen, bie anfangs bie ^inberniffe nicht bewältigen fonn»
ten unb eS überhaupt einmal nicht gern ohne SBunber thaten,
nom Delberge herunter ein [Ritter in leuchtenber Lüftung, mit
bem ©chübe auf Serufalem htnbeutenb: ba gelang auch Don
biefer ©eite ber ©türm.
©in entfefclicheS ©emetjel folgte nun in ben ©trafjen unb
in ben Käufern. JRaimunb fagt: „[Rebe ich bie Wahrheit, fo
ftnbe ich feinen ©lauben: im Stempel ©alomoniS reichte baS
33lut bis an bie Äniee ber fReiter unb an baS ©ebif) ber
$)ferbe." S3on ©ottfrieb wirb berichtet: „Äeine ^Münbetung
fam ihm in ben ©inn, er ftrebte nur, im SBlute ber ©aracenen
bie Söefcpimpfung ber heiligen ©tabt gu rächen." „Stanfreb unb
©ottfrieb," h«§t eS bei einem 9lnberen, „waren bie erften in
ber ©tabt; eS ift unglaublich, wie nie! Slut bie beiben an
biefem Stage Bergoffen haben." Sem SSlutbabe folgte bann ein
Staumel beS ©iegeS, beS ©ntgücfenS unb ber tSnba^t am heiligen
(♦95)
c? trr
[7* I VE B SIT 7)
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©tabe. Sm 23. Suli enblid? fcbritten bie dürften gut 2Bal)l
eines weltlichen .£>errn oon Serufalem: ihre; 2Bal)l fiel auf 9tai*
munb non Slouloufe. ©r war burch fReichthum uub bie ©tärfe
feines £eerc8 bet fDlächtigfte nnb, nachbem Sboemunb in Sn*
tiochien jutücfgeblieben, feiner Stellung unb feinem unruhigen
©hrgeige nach ber Sebeuteubfte. 3)ennoch bin id) geneigt, gu
glauben — etinuern wir unS bei allgemeinen Dppofition ber
dürften unb bcS SBolfeS not StfaS gegen ii)u — ba&, ^ätte
©ottfrieb ben ©hrgeig ober beffer gefagt, weniger SBefdjeibentjeit
befeffen, eine Gaubibatur gegen ihn anguuehmen, biefen gleich
bie erfte SBahl getroffen hätte. ©ewijj ift: man bot tRaimunb
guerft bie jtrone an, aber er, lagt fein ©efehidrtfehreiber Dtai«
munb non SgiieS, er manbte fid) ab: niemals werbe et an bie«
fet ©tätte eine itbifdje Ärone tragen, einem anberen aber, wel*
djer fie auf ftd) nehmen wollte, werbe er nicht entgegen fein,
©eine febwärmerifebe grömmigfeit mad)t biefeS fDtotio nidit
unwaljrfdjeinlicb , aber er aud) nod) anbere gute ©rünbe
gur Sblehnuog: er fannte bie SJienge feiner erbitterten SBiber*
facher im lireughccre wohl, er hatte felbft an feinen, bet DiS«
ciplin entwöhnten ^vonenpalen feinen feften £alt mehr. ©8
wirb auSbrücflich begeugt, ba& man gleich bur<h alle erbenflichen
böfen SRachreben feine Söahl gu nereiteln fud^te. ©üblich mochte
ihn nicht befonberS gelüften nach biefet bornennollen jfrone.
Söir werben gleich feljen, wie faft unüberwinblich fdjmierig
bie SBerhältniffe in §)alöftina für ©ottfrieb waten. 9tad}
{Jtaimuub’S Ablehnung fonnte feine grage mehr übet bie Sföatjl
fein: ber ,£>ergog non Lothringen würbe gum Sefdjühet beS
heiligen ©rabeS gewählt unb nahm bie 2Bahl an1)- 3)en
1) Stach einigen wenig uerbürgten Nachrichten hätte man atlerbing«
(*»«)
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Äönigfltitel oermicb man nad) bet älteften {Rad)rid>t auf ben
frommen SBunfdr bet {Ritter, fpäter unb heute legt man @ott*
ftieb ähnliche SBorte in ben Stunb, wie fie {Raimunb gefptodjen
hatte: er wolle nicht ba eine irbifdje .fttone ^aben, wo bet
£eilanb eine SDornenftone getragen habe.
Saft fd}eint eS , al® habe {Raimunb feine ‘Ablehnung balb
bereut: er wollte nämlich, im ©efifje be® ©aciböthurme® , be®
fefteften fünftes ber $auptftabt, biefen bem neuen {Regenten
nicht räumen unb fonnte enblid) nur mit Stühe unb burd) £ift
baju bewogen werben. {Rachbem auch noch ein Patriarch ge*
mahlt worben war, erhielt man nad) einer {Rut)e oon nur weni*
gen Söedjen fdjon bie {Rad)rid)t non neuen {Rüftungen ber
Segppter, al® beten ©ammelpunft balb Ulöfalon ermittelt würbe,
©ie ©tarfe be§ feinblichen ^eeveS, bem man unoerjüglid) ent*
gegenrüefte, wirb auf 200—500,000 Siann unb batübet au*
gegeben, unb bet Uebermuth betreiben fdjeint groft genug gewefen
ju fein, benn Diele führten feiert betten unb ©triefe für bie
©efangenen mit fid). Stögen bie 3al)Ienangaben aud) über*
trieben fein, gernif) war e® ein gewaltige®, weit überlegene® Jpeer,
bem bie nad? ben Ijödjften Angaben 20,000 Stann ftarfen (Stiften
in jubelnbcr ©egeifterung entgegenjogen. ©ie eilten in bie
®d)lad)t, tjeifjt eß, wie gum ©djmau® unb jum §efte ! „SBir
badjten," meint {Raimunb oon iflgile®, „bie S«tnbe feien furcht*
fam wie bie £irfd)e, unfd?ulbig wie bie gämmer, benn wir
Wußten, baff bet Jpetr für un® ftritt." 9lm 14. Sluguft würbe
ber ungleiche Äampf bei Slßfalon gefdjlagen unb bie feinblid?e
Uebermad)t glorreich befiegt: nicht burd? ftrategifdje ©ewanbtheit,
fonbern einfach burd? bie unmiberftehlid?e ©egeifterung unb
Bor ©ottfrieb noch ben £>erjog {Robert oon ber Sotmanbie bie Ärone,
aber ohne ©rfolg, Angeboten.
(«7)
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$apferfeit bet tjelbenmütljtgen ©htiftenfchaar. Aud? übet ben
SJefifc Abfalond brach nod) einmal jroifc^en ©ottfrieb unb Nai*
muitb ein (Streit aud. ©ie ©efafcung non XUöfalon beftaitb
nämlich aud ben ©elbfdjufen, bie, in ägpptifchem ©ienft, bei bet
Eroberung 3erufalemd Naimunb ben ©aoibdthurm überliefert
unb non ihm bafüt freien Abgug erbalten Ratten: fie pflangten
jefjt bie gelbgeichen iljreö fRetterö in Adfalou auf, unb baburd)
mar uad) ber bamaligen Äriegdfitte allerbingd bie Stabt in
Naimuntd öefi| gegeben. Aud) bie übrigen dürften roareu
bedmegen biedmal auf Naimunbd ©eite, aber .^ergog ©ottfrieb
blieb unerfd'ütterlid) feft unb oerlangte felbft bie ©tabt in 23e«
fifc gu nehmen, gemifj aud bemfelben ©runbe, wie 33cemunb
betreffd 2-tipolid: er wollte einen fo mastigen unb oetfeinbeten
ÜJiann nid)t in feiner Nachbarfd)aft Ijaben. Naimuub gog im
Born oon bannen — unb bad ©djlimmfte war: Adfalon blieb
ben Aegpptern, benn aldbalb ^atte bie 33efafjung oon jenem
©treite Äunbe unb oerweigerte bie llebergabe. Aud) bie anbe»
reu dürften oerliefjen nunmehr, mit einziger Audnal)me Sanfrebd,
nadjbem fie oon ©ottftieb Abfdjieb genommen, bad heilige £anb
unb gogen nadj Norben. ©er eigentliche äbreuggug ift hiermit
beeubet. 5?Xucf> unfere guten ©eroährdmänner oerlaffen und ba»
mit. Sowohl bie Negietungdweife ©ottfriebd ald ber innere
3uftanb beb Neid)ed finb und burch ben ÜJlangel beglaubigtet
Nachrichten feht wenig befannt. Nur fo oiel ift erfichtlid),
ba§ bet bamalige 3uftanb f>aläftina’d wenig erfreulich «or:
überall fehen wir bie fchrecflichfte ©ntoolferung. ©ie ein*
geborenen ©hriften waren bei Annäherung bed Äreugheered gum
größten 2heü »on ben Ntuhamebanern niebergemacht worben,
bie ©aracenen felbft waren umgefommen ober oertrieben, bie
gurücfbleibenben granfen aber fel)t gering an 3al)l; benn bie
(493)
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weitaus meifteu Ratten, wie SBilhelm u. JptuS fagt, nach uoll*
brachtet SBaHfahrt uub ©rfüHung ihveS ©elübbeS mehr ©ehn*
fudjt, nach £auje jutücfjufe^ren, als fid? in bem wenig einlaben»
ben ’Paläftina anguftebeln. ©in troftlofeS 33ilb $eigt unS ber
Anfang beS neuen SJieidjeS. öS genügt ju jagen, ba{} mit ©in*
fd}luf) ber 80 Witter JanfrebS im ganzen ganbe faum 200
JRitter bei ©ottfrieb gutücfblieben, baf) im 3ahre 1101 nur 900
SDRann gufjuolf oorhanben jinb, unb feafj ein ©efetj erlafjen
würbe, „baff, wer ein uerlaffeneS gehen 3aht uub Jag im 3?e»
fij} gehabt unb in bet Jrübfal auSgetjarrt ^abe, baffelbe burd}
Verjährung erwerben Ijaben uub gegen jeben 'änfpruch beS bauen«
gegangenen früheren ©igenthümerS gefchüfit jein jode." Seiden
3uftanb fejjt baS uorauS!
Sir befifcen noch ben Vericht eines 'Pilgers, beS ©nglänberS
©eawulf, ber 1102 unb 1103 in ^aläftina reifte unb überall
nur Jrümmer unb ©lenb jah, auch jehr über bie gefährliche
Unficferheit ber -peerftrajjen $u Hagen hat, ba überall ©aracenen
auf ber gauer lägen. Unb bis ju biejer 3«l waren jeit ©ott*
ftiebS Job nur gertjdjritte gemacht worben!
©o femtte §ul<het mit 9iecht jagen: „Sir würben oet*
loren gewejen jein, wenn bie uon Slegppten, 'Petfien ober SOiejo«
potamien bamalS einen Angriff gemacht hätten!" B«m ©lücf
war ber ©Freden, ben baS Äreujheer uerbreitet, noch 3U frijdj
unb läbmte baS ganje SWorgenlanb. Sa8 eS bei joldjen 3u»
jtänben bamit auf fidj fyat, ba| ©ottfrieb 3um ©efefcgebtt uub
Drganifator ber bürgerlid'en Snflitutionen in feiner einjährigen
unfidjeren tRegierungSjeit gemacht wirb, ift leicht erjtdjtliih- 3>ie
fogenannten tSjftfen neu 3erujalem, bie ©ammlung aller feuba»
len unb bürgerlichen SRedjte, würben, wie fie unS uorliegen, ca.
150 3ahre nach ©ottjrieb’S Job gejdjtieben uno jinb ein Ver«
(«!.)
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fu<b, bie tierloren gegangenen lettres du Sßpulcre, bie nielleitbt
70—80 Sabre nad) ©ottfrieb gefammelten ©efejje, möglic^ft gu
refiautiren. ©ottfrieb batte wirfli<b audj in feiner unftdjeren
Sage anbere, Sorgen, unb für Srümmer unb menfdjenleere
Stabte beburfte e8 feiner großen ©efeijgebung. freilich bat ein
ffrangofe, SßRonnier, in ben Sif$ung8beridjten ber frangofifeben
Slfabemie eom Sabre 1873 in ber breiteften Seife ©ottfrieb ala
©efefjgebet unb großen Drganifator gefeiert, et legt aber babei
eine gänglicbe 3gnorang begüglid) ber Äritif ber Quellen an ben
Sag unb baut fein gangeS ©ebäube auf ben anerfannt fagen*
bafteften fecunbdren DueHeu auf. Sei ibm ift nicht nur ©ott»
frieb ber Rubrer beS 3uge8 , fonbern er tbut eigentlich aQed
allein, „©r oernidjtete", ljei§t e8 g. S., „bie felbfcbufifdjen
Surfen tbeilS, tbeilS warf er fie in bie Steppen SuranS gurücf,
non wo fie nidjt mel)t nadj Seiten gurücffebrten", (sic!) er ift
ber 0tetter ©utopa’8 unb bet gangen ©fjriftenljeit. „@t ging
nadf Slfien, um baffelbe auSgufübren, wa8 fein Sltjn, Äarl ÜJtar«
teil bei ^oitierg getban." „3)a8 war ©ottfrieb," fagt er enblid},
„ber ala 3ei<ben be8 Siege8 fein Sännet auf ber .ftuppel be8
Sempel8 entfaltete, unb biefeS Sännet — war ein frangöfi*
fdje8 panier!" 35arum alfo fo niel ©eidjrei. Sir wollen
^ertn SKoitnier ba8 SRecbt nidjt ftreitig machen, unfern gelben
al8 feinen SanbSmann gu betrauten — Soulogne sar mer liegt
hart an ber frangßfifcb«germanif<ben Spracbgrenge, bodj fo, ba§
e8 nod? gum frangofifeben ©ebiete gu rechnen ift — aber wir
muffen un8 bodj entfliehen bagegen nerwabren, ba§ ba8 lotbrin*
gifdje panier im 11. Sabrbunbert ein frattgöftfdbeö genannt wirb!
©ottfrieb batte burd) feine beutfebe fOfutter feinen beutfeben Sanb*
beftfj erworben unb war burd) ben beutfeben Äaifer fpäter gum
$ergoge non Sotbringen erbeben worben. 3u feinem Äaifer
(500)
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ftanb et gegen beit Papft, uttb als treuer ©efolgSmann war er
mit bemfelben nad) Italien uttb in 9iom eingegogen. Ober feil
etwa baS lotljringifdje Scanner barum ein frartjöfifdjeS fein, weil
biefeö beutidje Oleicf>Slanb ein halbes Sahrtaufeub fpüter uns non
ben ^rangofen entriffen worben ift? 3n baS ©ebiet bev unfrei»
willigen Äontif fdjeint eS aber gu gehören, bafj unS SDeutfdjeu
£eu Pionnier in betfelbett Arbeit an einer anberen ©teile bei
au ben paaren ^erangejogener ©elegenheit bornirte ^iftorifdje
2ltrogang norwirft!
9lodi eiue ftreube war unferem ©cttfrieb befd)ieben gu er=
leben. 31m 21. SDecember 1099 langten Bocmunb uub ©ott«
friebö Bruber, Balbuin, »on ©beffa, non 25,000 fDtatin be=
gleitet, in Serufalem an, um enblidj il)r ©elübbe perfönlicb gu
erfüllen, unb am 24. SDecember beS lebten SaljreS im 11. 3al)r*
hunbert feierten bie brei glorreicbften gührer beS elften Äreug»
gugeS gemeinfam einen erljebenben SBeihnachtSabenb in Bethlehem
felbft. geibet fam aber aud) in Begleitung BoßmunbS ber
©rgbifchof SDagobert, ber neue Patriarch non Jerufalem, ein
fyerrfdffüdftiger Sßriefter, ber halb ©ottfrieb mit immer
wadjfeuben Sortierungen brängte unb bei bem frommen Jfjergoge
nur gu wenig Söiberftanb fanb. ©nblicb ging er in feinen 21 n*
fprüdjen fo weit, baf) er erflärte: bie ©tabt 3erufalem, heilig
unb bem Jperrn geweift, erforbete einen geiftlid)en, feinen weit»
liehen Dberhetru. Unb waljrlidj, am erften Dftertag 1100 über«
trug ©ottfrieb bie ©tabt Serufalem feierlich unb offentlid) bem
Patriarchen, fictt felbft aber gelobte er als ben gehnSträger beS
heiligen ©rabeS unb beS Patriarchen. Pur ber 9Rie§braucf>
bet ©tabt würbe einftweilen noch bem £ergog norbehalten. ©o
war ber .£>etgog uur nodj bet gweite fPann beS PeidjeS, als er
am 18. 3uli 1100 »om Stöbe baljingerafft würbe. Ueber bie
XIV. 326. 4 (SOI)
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nabereu Umftfinbe ticfeg StobeS feijlt un§ jebe glaubwürbige
9iad)tid}t. ©efto mehr weifj bic Sage barüber gu berichten.
Weben jener ©rgüblung oom 2BieberauSbrud)e beg Quartanfiebers
geben noch bie Ueberliefermtgen, er fei burdj beu ©euufj eines
uergifteten ©ranatapfelS geftorben, bann: ein türfifeber ©mir,
entließ fegat ber Patriarch ©agobert felbft ba^e ibn vergiftet,
^eftattet würbe unfet ^>elb auf bem ©alourieitberge neben bein
©rabe beS ©rlöferS.
SB?aö für ein 33ilb haben wir nun een ©ottfrieb gewonnen?
Cbne 3weifel fönnen wir tiefe SReligiofität unb glüngenbfte
Witterlid)feit für bie beibeit ©rnnbgüge feines ©barafterS erflären:
ein ?öwe in ber Sdjladjt, ein ftinb im grieben. ©in alter
©efdjicbtjcbi'eiber fagt: „@r war eben fo bemütl)ig wie tapfer,
er war ein heilig« fDiöndj im jWcgSgewanbe, wie im bergog*
lidjen Sdjmucfe." „@r hält“, fagt Spbel, »unter allen Slufecb*
tungen ber weltlichen Seite ben geiftlidjen ©^arafter beö 3«ge8
mehr als einer ber ©enoffen feft: ihm ftebt nur baS heilige
©rab »or bem 9luge, unb »öllig fremb ift ihm jeber ©ebanfe
an ^errfchaft ober 2anberwerb." Ohne grage ftebt er in weit*
lid)en SDingen gegen manchen feiner ©enoffen gurücf. ©r ift
etwas fchwerfäflig gum ©ntfdjluf) unb ermangelt ber Snitiatioe:
nirgenbS tritt er fübrenb unb geftaltenb beroor. Selbft als er,
oon Sebnfucht nach 3erufalem gegogen, unwillig über bie burd)
Waimunb entftebenben SBergögerungen ift, bebarf eS noch ber 9ln»
regung eines Stanfreb unb beS 93olfSaufrubrS, ehe er b^nbelnb
eingreift. Soemunb ift gewanbter, genialer, energifcher, jRaimunb
rühriger unb unternebmenber, fein 23ruber SJalbuin, wettfichtiger
unb fd;öpfetifd)er, aber an Sfauterfeit beS ©barafterS, an uner*
fchütterlicher fteftigfeit in ber Widmung auf ben heiligen ©nb*
gweef beS 3«geS fann fich feiner »on allen mit ©ottfrieb meffen.
(.WS)
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51
■Ji ei bl o8 unterteilt er ftd) bet weltlichen Rührung S3o§ntunb8,
aber burdjauS nidht läfct er fidj burä; beffett Ueberlegentyeit auS
feinet eigentümlichen 33afyn nur einen ©djritt »erbrängen, ®e«
wifj ein ebler, ein ganger ÜJtann!
Die fdjwärmerifd^religiöfe fRidjtung in S3erbinbuug mit
bem Stittert^um erfannten wir als bie ©djopferin beS gangen
ÄreuggugeS, biefelbe SBerbinbung macht ben Gljarafter ©ottfriebS
auS: beSwegen ift er, wie fein anberer, bet redete unb wahre
ßiepräfentant jener 3f*t unb beS ÄreuggugeS, ja ©ottfriebS
©tyarafter ift ber ebelfte Susbrucf feiner großen 3«t. Darum
hat auch mit nie irrenbem Safte ihn »or aßen anbereu glängen*
ben gelben beS erften ÄreuggugeS bie Sage mit ihrem fünften
Diabem gefdhmücft.
(503)
£tu4 von (JNkr lUiH(t (2b. <Äiimm) in Vtrlin, e(böiti«rjtrftrj|j« IT«.
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$08
}it|ijfiologiftl)c null pfndjolBgifdjr pommt
in ber
©pn
Dr. $rrmann (fljltyoflf,
^tofefjot ju ^pcibelberg.
ßrrlhi SW. 1879.
©erlag »ott 6a tl $abel.
(£. <f. tnitrH|’iib> JJfrlBßsbndjbanälnng-)
83. JSfI6«Im » ©traSt 33.
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$aö 9ted)t bet Ueberfefcung iit freinbe ©praßen wirb Dorbebalteu.
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ie gaPung meinet J^emafi möge meine gefet nicht fürsten
Iaffen , bap ich etwa beabfidjtige, pe im fRadjfolgenben mit ben
haarfpaltenben Etagen ber gautphppologie gu behelligen obet aud}
pe in bie ergtünbeten obet unetgrünbeten liefen bet pfpdjolo*
giften ©prathbetradpung tjinab$ufül}ten. 9Jieine Abpdp ift nut
bie, ein allgemeineres Snterepe für gwei methobifche ©runbfäpe
ber mobernen ©ptachwiPenfchaft gu erwecfen, ©runbfäpe, welken
ihr IRecht, gerabegu als bie oberpen unb widjtigften leitenben
fftormen bet gorfchung gu gelten, erp in ben lebten 3al)ten nach
unb nach unoerfümmert gu 2;heil 3U werben begonnen pat. £Die
gwei ©runbfäpe lauten:
(SrftenS: SDer piporifche gautwanbel beS formalen Sprach*
ftoffeS »ollgiept pch innerhalb berfelben geitlichen unb örtlichen
Segrengtheit nadh auSnah möloS witfenben ©efepen. 5Die8
ift bie phpfiotogifche ©eite ber fprachtichen gormenbilbung
unb »umbilbung.
3weitenS: Sille Unregelmäpigfeiten ber gautentwicflung
pnb nur fcheinbar joldfe. ©ie beruhen nämlich barauf, bap bie
Sgirfungen ber phppologifdhen ©efepe gahlreiche 3)ur<hfreugungen
unb Aufhebungen erfahren oon bem pfnch ologifdjen Triebe,
bePen SSirfen barin befteht, bap ©prachformen, im Begriffe ge--
fprodjen gu werben, mittels ber SoeenaPociation mit ihnen nahe
Iiegenben anbeten ©ptachformen in unbewupte Betbinbung ge*
bracht unb »on biefen lepteren formal beeinpupt unb lautlich
umgeftaltet werben.
XIV. 327. I* (507)
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4
3d) wöfyle .ein beutjdjeß unb ein gtiedjijdljeß Seifpiel, um
furg baß SBerljältnijj biefet beiben ©runbjäfje gu einanber flat
gu machen.
©ermanijdjeß h, norbcrn gutturaler gricatinlaut ch, wie
eß befanntlid) auß inbcgermanifdjem k burd) bie erfte Sautner*
fdjiebung entftanben war, tyat in unjerer heutigen ©pradje an*
lautenb unb inlautenb not nadjfolgenben SSocalen ftanbig nur
nod) ben Sautwertt? beß ©pirituß aßper. $ber im 3tußlaut
bet Sßorter behauptet berielbe Saut nod) Ijeute [einen alten
notieren Söertl), jo bafj mit in golge beffen hoch gegenüber
hoher, höher, höhe, ferner schmach gegenüber schmähen, nach
gegenüber nahe, näher burdjauß lautgefejjlid) normal fprecfyen.
3n ©emä&fyeit beffelben ©ejefceß mu| benn aud) auß altfyodjbeut*
feiern unb mittelbodjbeutjdjem rüch „hirsutus“ neuljod)beutfd}
rauch werben, ba gugteid} alteß ü in au übergebt. SDieje laut«
gefe^lid) gu forbetnbe gorm beß tS&jectinß liegt befanntlid) nod)
in ber ©pradje Sutljerß, bei bem ©fau „rauch non ged" ge»
nannt wirb, alleinig nor; unfere jefcige ©prad)e waljrt i^Ten
©ebraud) wenigftenß noch in bem ©ompefitum rauchwaaren.
SEßenn wir nun fonft fyeute rauh jagen, fo barf bieje gorm
feineßwegß etwa jo angejeljen werben, alß erleibe fyier einmal
jeneß Sautgefefc eine 9lußnafyme. 23ielmel)r ift nufer rauh auf
nidjtpfypftologijdjem, auf pfpd)ologifd)em SBege l)erbeigefül)rt, in«
bem auf bie fogenannte unflectirte gorm, baß alte rauch, bei
witfenber 3beenaffociation bie berfelben ©ippe angeljßrigen gorrnen
mit glejtion, rauher, rauhe u. f. w., bei benen h im Snlaut
ftanb unb lautgefejjlid) gum ©pirituß aßper nerflüd)tigt war,
©influfj gewannen.
3m griedjjifdjen wirb nadj befanntem attifdjem ©ontractionß*
gejefee ca gu t], wie in ben neutralen ^Muralen ytvrj, ent], vefrj
auß yivect u. f. W., in auß eaQ u. a. 2Ritl)in ift Zuixpdi
auß Zioxyürea bie ftrict lautgefefjlicfy entftanbene iflccufatioform
(SOS)
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5
oon ItaxQdrrjg. 3)ie anbere audj ^iftcrifc^e SRealitat .genießenbe
STccufatiöform hoxQÖirjv ift aber anberet Vtrt : ein fiautgefeß Ijat
fle nid)t ju Stanbe gebraut; oielmeßt ift fte fo gebilbet, baß bie
Sbeenaffeciation bet Spredjenben taS Ulomen hoxQÜiriq an bie
Kategorie beret wie lllxißjdöqg unb aHet nudj bet erften 2)e*
dinaticn gefyenben unbewußt ßeranrüdte.
5J?an pflegt feiere auf pfpdjofogifcfjem ©ege, burd) ten
pfpdjifd^en 3fct bet 3beenaffcriaticn inS 35afein gerufene Sprach*
formen wie nfjb. rauh, griedj. -loxqctirjv abweepfefnb halb als
jjormübertragun gen, balb als ‘Jnalogiebilbungen, enb*
lidj audj mit 93erüdfid)tigung beä pfpdjologifdjen ©ntftehungS*
grunbeS als 91 ffeciationSbilbungen ju bejeidjtten. $>et
UerminuS „falfcbe 9lnalogicbilbung“ ift »erwetflich, weil et
mit bet Sadje ein «i<^t ju redjtfertigenbeS ßbium »erfnüpft;
bem bie unbewußte unb teflejrionelofe fprad)fdjöpferif<he Sttjätig*
feit ift naturgemäß nicht an bie burdj fRcfieirim unb a poste-
riori gewonnenen ©rammatiferregeln gebunben.
93ei bem genannten griedjifdjen 93eifpiele Iwxqüttjv giebt
eS 3ebermann ju, baß eS unftattßaft fein würbe, etwa -tjv, bie
(Snbung, auS -ec auf lautlichem ©ege werben ju Taffen. Schon
bie alte ©rammati! evfannte in foltern formen fo ju jagen
©ntgleifungm, nach ihrem JerminuS „SJietaplaSmen". SlnbetS
bei bem beutfdjcn 33etfpiel. @8 giebt leibet noch ßeute Sprach*
forfcher, welche bereit fein würben, ßiet bie 'ünnaßme ber 9lna»
logiebilbung oon ber £anb 3U weifen unb liebet ba8 Üautgefeß
ju beßnen, etwa fo: „ju weilen wirb gevm. h aud} auelautenb
gu Spiritu8 aSper, 3. 93. in rauh". Slnbere, bie e8 etwas ge*
nauet nehmen, brüden fieß wohl fo auS: „germ. h wirb freilich
auSlautenb gefefcmaßig 3U ch, allein in rauh ift eS auSnahm 8*
weife 3U Spiritus aSper geworben mit tRüdfidjt auf bie*
felbe ©ntwidlung im 3nlaut, in rauher, rauhe, rauhen*.
9Tudj baS ift noch unflattljaft. 55a8 phpflologifdje @efe| ßat
(509)
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6
unter allen Umftänben fernen ungehemmten, nicht abirrenben
Setlauf gehabt. 5Bir fehen bteö an ber thatfädjUcben ©pifienj
beS rauch im alteren Seuhochbeutfch; wir hätten e8 aber auch
anjuetfennen , wenn wir nicht fo glüdlid) waren, baS ältere
rauch ju beft|en, unb wenn innerhalb bet gefammten neuhoch*
beutfdjen ©prachüberlieferung nur bie Deraualogtfirte ftorm rauh
nachweisbar wäre.
I.
Unfer erfter @afj „bie Sautgefefce wirfen ausnahmslos" ift,
wie ben Sadjgenojfen befannt, in ber jüngften Beit mehrfach als
Sljriom aufgeftellt worben. 2)amit er allgemein anerfannt unb
in ber fütethobe befolgt werbe, wirb man forbevn: Seweift unS
bie {Richtigfeit biefeS eures ©runbfafjeS! 2>aS ift bis jefjt aller»
bingS noch nicht gefchehen. 3<h will im golgenben »erfuchen,
waS fidj nach biefer ©eite hi« tljun lä^t.
©inem 3nbuctionSbeweife pflegt man &*i entpiri»
fehen Sichtung unferer Beit mit Sedjt am meiften ©lauben ju
fchenfen. Äßnnte man barauf hinweifen, bah ade bisher er*
lannten Sautgefefje ber Sprachen eben folget 2lrt finb, bafe fie
unS in auSuahmSlofeu SBirfungen entgegentreten, nun, fo beftäube
überhaupt ein Bweifel nicht, würbe überhaupt ein SeweiS non
unS nicht geforbert werben. ©in folget SeweiS aber nach
» ollftänbiger 3nbuction läfct fich auS fehr naheliegenbem
©runbe für unferen ©runbfah nicht erbringen. ÜRan hat erft
feit wenigen 3abren, burdj allerlei barauf führenbe SBahmehmun»
gen beftärft, »ollen ©ruft bamit gemacht, bie formalen Um«
wanblungen ber Sprachen barauf hin anjufehen, bafc fie, forneit
fie rein phpfiologifcijen UtfptungeS finb, bie folgen ausnahmslos
mirfenber ©efefce feien.
9ln ©teile beS fehlenben »ollftänbigen SnbuctionSbeweifeS
für unferen ©ah treten mehrere SBahtfcheinlichfeitSgrünbe.
(SO«)
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7
{Diejenigen (Sprachgebiete, auf welchen man guerft bie 23e«
obacptungen einer confequenteren {Durchführung bet lautgefep«
liehen ©tfepeinungen gemacht hot finb bie überhaupt in metpo»
bifeper ^inffebt lehrreichften mobernen ©pracpentwicflungen.
3n allen lebenben 33olf8munbarten erfcheinen bie bem {Diateft
eigenen gautgeftaltungen jebeSmal bei weitem confequenter burep
ben ganzen ©praepftoff burcpgefüprt unb »on ben Angehörigen
ber ©praepgenoffenfepaft bei ihrem (Sprechen innegehalten, als
man e8 »om ©tubium ber älteren tobten Sprachen per erwarten
feilte. 3ebe echt wiffenfchaftlich angelegte bialeftologifche 23 e»
arbeitung einer mobernen 23olf8munbart fann hierfür 23eftäti«
gungen in 3Jtenge liefern. Aue biefem ©tunbe ftnb auch
mit ben jüngeren ©prachentwicflungen fich befchäftigenben
©ptaepforfeper , wie bie tomanifepen, getmamfepen , flaoifcpen
©rammatifer, bie erften gewefen, welchen ba8 23ewuptfein oon
ber abfoluten ©efepmäpigfeit bet Sautbewegung fiep aufbrängte.
{Damit ich «in 23eifpiel gebrauche: wer oermöchte innerhalb be8
ganzen heutigen italienifcpen unb ftangößfepen ©pracpftoffeS auch
nur ein ecpteS, b. i. oolfStpümlicp tomanifepeS SBort naepgu*
weifen, in bem fiep altlateinifcpe gutturale k unb g oor ben
23ocalen e unb i ber Sßerwanbelung in palatale Quetfcp* be«
giepung8meife 3if<plaute (ital. ts b. i. tsch unb dz b. i. dsch
in Cicerone, genere, frang. s unb z b. i. weiepeö tönenbeS
sch in Cic^ron, genre) entgegen patten? 3n bet im 23olf8*
munbe tobten lateinifepen SJtutterfpracpe bürfte e8 fcpwer fein,
mit leicptem ©uepen auf eine ober einige berartige burepgreifenbe
©efebmäpigfeiten pinfidptlicp bet gantgeftaltung gu ft open. «Dicfe
©cpwierigfeit barf aber niept gu bem oergweifelnben ©epluffe
»erleiten, bap im Altlateinifcpen unb bei feinet ©ntwicflung au8
oorpiftorifepen ©praepppafen folcpe burepgreifenbe lautumgeftal*
tenbe ©efepe niept gewaltet patten, fftein, eine richtige SJtetpobe
läpt fiep non bem 23elannten unb oot Augen giegenben übet ba8
(Hl)
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8
%
Unbetannte unb in weitere Setne 3urücfroeichenbe belehren. ©o
wirb auch {jter bie Sotbetung an und geftedt, gu glauben, ba§
baö an ben neueren ©pradjentwicftungen ©abrgunebmenbe auch
für bie älteren ©pradjen unb ©pracbherioben gilt. Unb btefe
Sotberung ift fo lange nicht abgumeifen, alö eö nid)t auö ber
Statut bet ©adje mahrfcheinlid) gemalt werben fann, bafj bie
hbpftfdfe S^ätigfeit beö 5D?enfdjen bei bet Aneignung, 9tepro*
buction unb admäblidjen formalen Umbilbung bet oon ben
SBorfabren ererbten ©prache in oetfchodenen 3abrhunberten eine
wefentlidj anbere gewefen fein muffe alö in ben bet ©egenmatt
gu liegenben jüngeren ©pradjperioben.
aber auch baburdj wäc^ft bie 2Ba^tf<^einlit^feit bet unbe*
bingten ©eltung beö ©afceö oon ben auönabmßloö mirfenben
gautgefe^en, bafj aud) baö Material ber alten unö nur burd)
bie fdjnftlidje aufgetchnung überlieferten ©praßen feineöwegö biö
jefct fidj erfolgreich gefiraubt ^at gegen bie praftife^e Änmenb*
batfeit biefeö ©runbfa^eö. ©Ö ift in neueret unb neueftet 3«t
mehrfach auf baö 3$odfommenfte gelungen, auf oerfdjiebenen ©e»
bieten bet älteren inbogermanifchen ©praßen gauterfcheinungen
alö burdjauö confequent burdjgefühit gu etweifen, oon welken
bie ältere oergleidjenbe ©ptadjforfchung eine mehr ober weniger
grofje Söienge oon außnahmen ftatuiren gu müffen glaubte.
©inmal fonnte bieö gefdjehen unb ift fo gefdjeljen, baf) eö
gelang, bei fortgefefcter einbringlicbet Sorfdjung baö ©alten
mehrerer ©efefce nacbguweifen in Süden, wo man biöhet nut
oon ©inem ©efefce unb mehrfachen außnahmen beffelben wu§te.
3ut 3duftration biene unö ein 8eifpiel, unb gwat eineö bet
fTappanteften.
33or nunmehr etwa brei 3ahren etfchien unter bem litel
„@ine auönahme bet erften Uautoerfchiebung“ in Äuhnö 3eü*
fdjrift für oetgleichenbe ©prachforfchung XXIII 97 ff. ein auf»
fa£ oon Äatl 33 er net, weichet ein ©rgängungögefefe gu bem oon
(Mi)
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9
9taßf unb ©timm gefunbenen gennanifchen 2autner?<hiebungßge*
fefce braute. 2)iefe Slbhanblung, non großer Tragweite für bie
gefammte ?aut* unb gctmenle^te bet inbogermanijchen ©praßen,
machte eß unter Anbetern fonnenflar, marum in unjeren neu*
hodjbeutfchen SSßtern vater, mutter inlautenbe tenuiß t, nicht
wie in bruder bie mefcia d nach fonft burchweg geltenber 9?e=
gel, einem unb bemfelben urlprünglichen t in lat. pater, mater,
frater entricht. 35ie älteTe ©rammatif »ermochte ijier nur re*
gellofe flußnahmen $u fetjen non ber jonft burcbgetjenben £aut*
nerf^iebungßregel, nad) welcher inbogermanifcheß t fid) $u ger*
manifchem P (engl, th), barauf weiterhin ju hochbeutfchem d
cet|d}oben jetgt. ®urch ©ernet weif) man jefct, bafj baß ur*
fprünglidje t in ben Söörtern für „©ater, üJiutter" einet) eitß
baß t in lat. pater, mater, unb baßjenige in bem 2Borte für
„©rubet“ anbererjeitß, baß t in lat. frater, im festen ©runbe
ptjpftologifdj bod) nicht ein unb berfelbe gang gleich be|d)affene
ober unter gleichen ^tjpftclocjifei^en ©ebingungen fte^enbe 8aut
war: in ber ©ctonungßweife ber inbogermanifdjen ©runblprache
ging bem erfteren t eine tiefbetonte Silbe, bem leiteten t ber
Rechten beß SSorteß unmittelbar oorauß, wie eß in fanßfrit.
pitär-, mätir- gegenüber bhrätar- geblieben ift. Unb ©erner
hat gegeigt, bah unb wie fid) auß biefet urfprünglich nerfdjie«
benen SJeeentlage fehr natürlich tie SDiffereng beß inlautenben
35entalß in jenen unfereu ©erwanbtfchaftßwörten bruder unb
Tater, mutter etflürt. Stuf bemfelben lebten ©runbe beruht
bie ©erfchiebenheit beß ©onfonantißmuß in leiden, schneiden
unb gelitten, geschnitten; ferner biejenige in ziehen mit h unb
gezogen mit g, in erkiesen mit s unb erkoren mit r. @ß
hat hier alfo nicht, wie man lange 3eit hinbutd) glauben fonnte,
eine unb biefelbe Urfache nerfchtebene SBirfungen gehabt, eß h«t
nicht ein Spradjlaut unter gang gleichen ©ebingungen gweierlei
©lege bet ©erwanblung eingefchlagen; fonbetn wir h°ben oon
(SU)
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10
Urfprung an »erfdjiebene pßßftologifdje Sorbebingungen, unb
biefe haben naturgemäß »erfdjiebene folgen.
3)er anbete SBeg, auf bem man 3U bemfelben 3tele, bie
ejrcluftt>e ©iltigfeit ber Sautgefeße immer flaret fid) ßeraußflellen
311 feßen, gelangte, tft eben ber, baß man einen großen Sfcfyeil
ber formalen drfdjeinungen im ©pra<hftoff, welchen man früher
ebenfallß als bie Söirfung ber ^pßologifdben ©efeße aufgufaffen
gewohnt war, auf pfßcholo gifcße Urfacßen gurücfguführen
lernte, hierauf nähet eingugeljen wirb Aufgabe beß nacßfolgen*
ben Slßeileß meiner Slbßanblung fein.
3a, eß fanu enblid) aud) golgenbeß wohl noch alß ein
38aßrfd}einlid5feitßgrunb für bie SRicßtigfeit unfereß ©aßeß an«
gefüßrt »erben. 3)ie befcßränfte ©eltung ber 8autgefeße ift
allgemein anerfannt. SJiinbefienß eine eingefdjränfte ©eltung
unfereß ©aßeß ift eß eben weldje überhaupt bie ©tunblage
bilbet, auf ber »on Anfang an bie ©ßradjwiffenfchaft aufgebaut
ift. @ß ift gang unleugbar, baß bie ältere »etgleicßenbe ©ram«
matif nur in fo weit, alß fie nach bemfelben ©runbfaße »on ber
©jcclufiöität beß SBirfenß ber Sautgefeße unbewußt »erfuhr, gu
IHufftellungen gelangt ift, welche allgemeinen ©lauben fanben
unb 3U finben beanfprudjen burfteu. Sur fo weit erftrecfte fid)
bie ecßte Söiffenfcßaftlichfeit unb wiffenfdjaftlicße Sicherheit, alß
unferem ©aße ßraftifcße Befolgung auch fcßon »orßer in ber
fßradh»iffenf(^aftlid?en gcrfcßung, wenngleich unbewußt, gu Slßeil
warb. 3)a, an bem fünfte begann nachweißlich immer ber
©treit ber Meinungen, wo unfer ©aß »on irgenb einer ©eite
praftifdh »erleßt gu werben anfing. 3eß will gum 3®e<f beß
befferen Serftänbniffeß wieberum einige Seifßiele wählen.
3m ©tiedjifdjen ift nach einem allgemein anerfannten Saut»
gefeße urfprünglidjeß iulautenbeß j gwifcßen Socalen außgefallen.
©in -j- war nach altem inbogermanifcßen Sraudje baß gut
Silbung benominati»er (»on ©ubftantioen abgeleiteter) Serba we«
(514)
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jenllidje formale Hilfsmittel; imb bie griedifden fogenannten
Serba contracta wie Tincua, (piXeio, öovlow mären, mie fein
einziger ©pradjfotfc^er bezweifelt, urfprünglid Serba auf -ajw,
-ejw, -ojw. Sllfo 3. S. neiQctto auS *neiga-jw >) „einen Serfud
madjen" fommt mittels biefer j*bilbung non neiget „Serfud,
9)robe“, dniikoto „jum $nedt maden“, ftto&oiü „8otyn geben“
auS *öovkn-jw, *fnoi>r>-yo ebenfo non dovkog „ftnedt, ©flaue“,
ftiodog „8ol}n, ©olb". SBäfyrenb allen alfo bieS eine gemeinjame
fefte SafiS ift, biffentirte aud fcitljer fd^ou jofort eine beträgt*
lide Snzatjt non ©rammatifern , wenn eS fid irgenb wer bei*
fommen lief;, aud nod in einer anberen ©eftalt baS alte SDeno*
minatioa bilbenbe -j- $wifden Socaleti, nämlid als griedUd -C-,
mieberfinben unb j. S. neigä^w fo gut wie neigävj auf eine
©runbform */i£«pajw, alSSDenominatinum non beni Atomen neiga,
jurücffüljren ju wollen.
©erfelbe ftorfder, ber mit Unrecht bie Slnfidt non bem
Uebergange beS inlautenben interoocalifdjen -j- in gried).
attfgefteüt fyat unb bisher baran feftfyalt, ba§ neiga^w unb
neigäw formal töüig tbentifd unb oerfdiebene Sffianbelungen
einer unb betfelben ©runbform feien, berfelbe gorfdjer (@. (Sur*
tiuS) läfjt fidt> bann wtebetum feinerfeitS mit 9iedjt nidt bie
3bentificirung beS grie^ift^en SBorteS 9sns ,,©ott" mit lat.
deas, melde anbere ©pradjoergleidjet aufred)t galten, gefallen.
@t Ijat äfynlide, b. I). im $>rincip gleic^geartete ©rünbe gegen
biefe Sergleidung, mie fie Slnbere gegen feine Dlnfidjt über baS
t in nsiga^u geltenb maden, oor allem nämlid ben, ba| auS
nrfprünglider SDentalmebia inbog. d = lat. d auf griedifdem
Soben nad bort fyerrfdenben 8autgefefcen niemals bie (SSpirata
9, fonbern immer nur d, bie SCRebia, werbe.
Ober, um aud ein »aterlänbifdeS Seifpiel ju fejjen, wenn
feit ben Sagen ber gorfdungen 9iaSf8 unb 3 a f- ©rimmS über
bie germanifden 8autnerfdiebung8gefc^e eine neue ©tpmologie
(SIS)
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aufgefteOt watb, weldje ein beutjdjeS SBort mit gtiechifcben unb
lateinischen nervlich , habet aber Abweichungen uon bera Äanon
bet feftgefteflten burcfcgrcifcnben @onfonantenent?pre<bungen ftcb
geftattete, fo ift einer folgen (Stpmologte ncn wiffenfcbaftlicb be»
rufener ©eite niemals ncQer, unbebingter unb allfeitiger
Seifall gu I^eil geroerben, mochte fte aud} »on ©eiten ber Se»
beutung ober in §iuftcbt auf bie fonftigen ?autner^5ltnijfe nod)
fo jel)t fich empfehlen. S?er in bet grofjen JReihe mit h- an«
lautenbet echt germanifeber SBortcr, wie Kund, hundert, hora
herz, haupt, hehlen, holen u. f. f., ftetS bem h- ein k- (x-,
c-) im ©liedüfdjen unb gateinifdfen gegenüber fte^en fab (e8 ent«
fprechen nämlich in bi- fen ©praßen ber 9ieibe nach xvwv canis
„^)unb", s-xarov centum „bnnbed", cornu „£orn“, xa(jdtu
cor(d) „Jperg", caput „.ftaupt", celare „bcblen“, xaXtw caläre
„rufen, berbeibolen''), bem fträubte ftch aud) biöher f$en fein
wiffenfchaftlicheS ©ewiffen, (ateinifd)e mit h- unb griediifdje mit
©pirituS a8per beginnenbe SBörter für uroerroanbt einem germa«
nifd)en mit h- anlautenben Sporte gu leiten. 2)ie 3bentität un»
fereS SerbumS haben mit lat. habere ift tro'jj ber großen Ser«
locfung gu ihrer Anetfennung noch immer eine umftrittene grage.
An bie Uroerroanbtfdjaft beibet Serba glaubt, roäljrenb aller»
bingS Anbeve weniger ffeptifd) ftnb, aud) eine Angabi folget
gotfdjer nicht, benen bie Sotbroenbigfeit, in ber $becrie ba8
ebne alle ßrinfdjränfung au8nabm8lofe 2Shfen ber gautgefefce
anguerfennen, gut Beit nod) nicht eicleucbtet.
Alfo nur baSjenige, wa8 fie auf bem feften Soben bet
[tricten .panbbabung ejrdufiDer SSautgefefoe gewonnen batte, nur
ba8 behauptete auch f<bon bie ältere oergteidjenbe ©prad)forfcbung
allein al8 ein Object be8 ftcheren, allen 3»eifel au§fd)liefjenben, bem
f^lüpftigen Seteicb ber fubjectioen Sermutbungen entrüdten SBiffenS.
3u ben inbuctioen SeroeiSgrüuben, bie unferen ©afe roabr*
fcbeintich machen, fommt nun enblicb noch ein IDebuctionS»
(»16)
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beweis. @8 ergebt fich au8 bem Siefen bt8 fpradjlichen
gautwanbelS felbft, baf) fcic ihn beherrfchenben ©efefce, fo«
weit fte phhfiologifdjet 3lrt finb, nott)wenbig einheitlich unb auS«
na^m6lo8 wirfenbe fein muffen.
@8 borf wohl jefct als allgemein gugeftanben betrautet wer*
ben, bafs ber 8autwanfcel fid) burchauS bem ©prechenben
unbewußt, baljer rein medjanifd? DoUzieht. ©o Semanb
bie8 annoch nicht glauben follte, bem liefje fi<h mit Slaufenben
ton 3?eifpielen anfchaulid) machen, wie ba8 Eintreten bet laut-
lieben Umwälzungen, benen bet formale ©prachftoff burd) bie
3abtbun^ev*e h*n unterliegt, bann böllig unbenlbar wäie, wenn
irgeub ein SPewujjtfein Don bem SBerthe unb ber functionellen
©eltung ber SBörter unb SBortformen unb einzelnen SBortele*
mente bei ihrem ©ebraudje in bem alltäglichen IRebeauStaufch
obwaltete. Unzählige gormzerftörungen, bie biftorifcb ftattgefun*
ben ba6en, ha^en foldjen ©prachftoff betroffen, ber un8 reflecti*
renben ©rammatifern al8 etwas STbefentlicheS zum ßwede teS
IBebeutungSauSbrucfeS erfdjeint. GafuSformen werben beim 9lo*
men burd) ba8 Spalten ber SluSlautSgefe^e untenntlidj, ipet*
fonalenbungen, bie anfänglich formal gefdjieben waren, fallen
beim 23etbum burd) bicfelbe Urfadjc {pater unterfchiebSloS zu«
fammen, unb alles baS gef<hiet)t nachweislich fehr häufig, ohne
bafj bie @prad)e immer einen ©rfafc für baS oerloren ©ehenbe
hat. ©benfallS auf bem tetbalen ©ebiete oerwifchcn fid) SenipuS«
unb ÜJlobuSunterfchiebe in golge ber lautgefefjlidjen ©oolutionen,
unb baS 9lufhören ber fpntaftifdjen ©ebrauchsbifferenzirung
ift minbeftenS ebenfo oft, Dielleicht üfter, erft eine golge beS
formalen BerfaöS als eine Urfache beffelbeu. 9Ule Setzungen
biefer 9lrt würben ohne 3weifel unterbleiben, wenn bie fptechen*
ben 3nbiDibuen beim ©prechen eine ebenfolche reflectircnbe ©tel«
lung wie wir analpfirenben ©rammatifer zu ben Don ihnen
gebrauchten ©prad)formen einnähmen. ÜJlan hat bi* ©prad)»
(517)
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formen in #injtd}t auf ihren ©ebtaudj unb Berbraudj öfter mit
ÜJlüngen üerglichen. ©ie bet eine SJlünge im Jpanbel unb
©anbei ©mpfangenbe unb ^uögebenbe nicht 5Rü<fftd}t gu nehmen
pflegt auf bie (SonfetBirung be§ ©eprägeS, mie ben connentio*
neQen (SourSroerth bet 3Rünge bie mehr ober minber grobe 3Lb*
nüfcung beö ©eprägeö nicht beinträchtigt, fo auch bei ben
Sprachformen: bet in bet alltäglichen {Rebe fte 33erroenbenbe
mitb oon feinet bewußten SRncfftd^t auf Schonung unb {Rein*
ertjaltung bet Sautform geleitet. 5)e8 ©rammatiferä ift e8, mie
beö ^eralbifetö bei bet ÜJlünje, bem formalen ©epräge feine
be»u§te ^ufmetfjamfeit gu jd)enfen.
©otin, fo fragt man meiter, h“t benn bie auf phhftologi*
fchem ©ege gefdjehenbe formale Umbilbung bet Sprache, menn
fich biefelbe rein mechanifch unb unabhängig oon allem menfch*
liehen ©ollen ober fftichtroollen BOÜgieht, ihten eigentlichen
©runb?
fDlan hüt «18 lefcte SEtiebfeber gut „ 33ermitterung " bet
Sprachlaute eine 8rt Bon „vis inertiae“ angefehen. Bequem»
lichte it foO e8 bemitfen, bah bie alten reinen gotmen nach*
läffiger unb bähet allmählich meniger rein unb boH hetBotge*
bracht metben. 3)ie an Stelle bet alten Saute fpäter gefprodje»
nen fingeren follen bemgemäh auch ftetS bie minbet enetgifchen,
eine geringere Slnftrengung ber Spracborgane etfotbernben
fein. S)ah biefe BetrachtungSmeife eine Ijödhft unBollfommene,
einfeitige, ba8 ©efen bet Sache burdjauS nicht etjdjöpfenbe ift,
läht fich leicht geigen.
Bequem unb meniget bequem, leichter unb fchmeret au8*
gufpredjen — finb an fich feljt relatioe Begriffe, ©em einen
3nbioibuum ober S3olfe ift ein beftimmter Sprachlaut ober eine
beftimmte Berbinbung Bon Spradilauten ^öd>ft bequem unb ge»
läufig, unb e8 läht aubere Saute ober Sautoerbinbungen mit
Seidjtigfeit barin übergehen. ©inem anberen SnbioiCuum ober
(5»8)
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Slolfe macht h»nwieberum betreibe gaut, biefelbe gautmbinbung
in bet 2lu§fprache bie allergrößten ©chwierigfeiten, unb eS fub»
ftituirt uiuoiOfütlid) SlnbeteS au bie ©feile jenes ihm nicht ober
feht ferner aussprechbaren. SRadj nuferen Gegriffen gilt im
allgemeinen eine jogenannte SDtebia als leichter unb bequemer
für bie auSSpradje beun eine fogenannte StenuiS. Unb bie @r*
fcheiimag, baß romanifdje SSolfet StenuiS in ÜJtebia, namentlich
im 3n(aut in »ocalifdjer Umgebung, oerwanbeln, bie ©panier
g. 23. colorado anftott lat. coloratus, bie 3taliener luogo an»
ftatt lat. locus fagen, fcheiut biefer unjeter 23orfteüung non geistig»
feit unb ©cpwierigfeit bet auSfpracbe gu entsprechen. 2lbet bei
unjeren germanijchen 23oreltern muß gur Beit ihrer erften 8autoer jchie»
bung wohl gerabe baS Umgetehrte bet gaH gewefen, t, k leidster
als d, g fprechbat gewefen fein: fte oeränberten ja gerabe baS
d neu lat. edo, griech- edo^iat in baS t oou gotß. ita, nieber*
beutfch ete „ich effe", baS g non lat. ager, gtiech- aypog in
baS k »on goth- akrs „2lcfet“.
9Jtit bet ausschließlichen Bwrücfführung beö Sprachliche«
Sautwanbelö auf ben 23equem!idjfeitötrieb ift eS aljo nichts;
wenn audj immerhin nicht geleugnet »erben fann noch f°H, baß
baS unbewußte ©treben nach Ärafterfparniß eine große DftcHe
bei ben lautlichen Umwanblungen in ber Sprache fpielt. 35er
eigentliche ©tunb aber für ben Sprachlichen Sautwanbel ift in etwas
auberem gu fucheu.
Söenn gwei eingelne Snbiuibuen A unb B in £inficht auf
bie auSfptadje eines SprachlauteS ober genauer auf bie gähig»
feit bagu fidj »erfchteben oerhalten, jo wirb eS bem unbefangen
Urtheilenben hoch offenbar am ndchften liegen, biefe (Srjcheinung
auf eine S3erf^iebenheit bet ©pr ach Organe gurücfguf ähren,
welche bem A etwas ermöglicht, was B nicht fertig bringt, ober
umgefehrt. @ang ebenfo muß eS gwifdjen gwei 23ßlfetinbioibuen
fein: bringt ein 23olf ober eine SDRunbart A einen 2aut x nicht
(519)
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16
ober nur mit Dieter SJiütje ferner, ben baG 33olf begiebungGweife
bie fföunbart B bequem auGfpridjt, fo ift baran ganj gewiß
bauptfacblicb eine »erfr^iebene Sefcbaffenbeit ber ©pracborgane
fdiulb. 35ie S3er|(biebenbeit ber erganifdjen 93efäbigung !ann
natürlicb burdß Uebung (worüber fogleicb mehr) überwunben
werben: ba§ SobioiDuum A erreicht eG bureb Uebung, baG auG»
fpreeben 31t lernen, waG ibm SlnfangG ©cbwierigfeiten machte, non
bem 93clfe A erlernt burdh Uebung ein jeber nach unb nach bie
ihm 5tnfang8 frembe ©pracbe beö 93clfeö B.
©an} berfelbe Umftanb, 93erf<biebenbeit bet ©pracborgane
nämlich, muh aber offenbar auch oerantwortlicb gemacht werben,
wenn bei einem unb bemfelben SSolfe auf gwei Der»
feßiebenen fünften feiner ftorifeben ©pradbent»
wicTlung fieß baG Derfcbiebene 33erßalten in ^inRcßt auf bie
s3u8fpracbe eines SauteG geigt. 23ir gelangen alfo ^ier gunücßfi
311 bem ©dbluffe: eingetretene SBerfcßiebenbeit, b. i. einfach 93er*
änberung ber ©pradjorgane ift im allgemeinen bie
eigentliche ltrfacße be8 ^tftorifeben 8autroanbel8 ber
@pr neben. SBeiter aber ergiebt ficb barauG für unferen
3wecf ffolgenbeG.
©inb bie ©pracborgane eineG 3nbioibuumS ober eines
S3ol!eG einmal unfähig, be3iebungSweife auf irgenb einer be*
ftimmten ©tufe ber fpraeblicben ©ntwicflung unfähig geworben,
einen beftimmten 8aut x ßetDorgubringen — eG ßanbelt ftdh
mmer nur um bie unbewußte ober nicht 3um 33ewußt*
fein fommenbe ^erootbringung, benn bewußt bringen wir
ORancßeG fertig, waG unG im unbewußten 3uftanbe nicht gelingt
— , fo bringt baffelbe Snbioibuum ober 23olf benfelben ©praeß«
laut nicht nur in einem ein3elnen Satte nicht ober nicht mehr
heroor, fonbern eG Dermag ißn unter allen gleichartigen Umftän*
ben nicht 3U fpreeben. ©ehr natürlich: bie Urfacße, baS einmal
erfolgte 33eränbertfein ber ©pracborgane, bauert fort; warum
(S20)
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faßte bie SBirfung nidji überafl bei oorliegenber gleicher Urfadje
biefelbe fein?
SBermag ber Olomane in einem einzelnen 23orte nid)t tnefac
baß alte lateinifcbe k cor e uub i guttural t^erDorjubringen, jo
entgeht bei fam fein eingigeß k in berfalben ©teßung cor ben
palatalen 2$ocalen ber 9>alatalifirung gu ital. ts, frang. s.
äkrmanbelt fiel? in einem gaße ober in einigen gäflen bie Sluß*
fpradje beß lateinifdjen j im grangoftfcben gu 3 (roeicbem tönenben
sch), in jeter g. 33. auß lat. jactare, in juste auß lat. justas, fa
muffen nofamenbig afle in’ߧrangöfifd)e übergegangenen lateinifcben
33orter mit j, nämlid} aud) joindre auß lat. jüngere, joug auß
jugum, jouer auß jocari u. f. ro., »on berfalben ifautumroanbe*
lung betroffen roerben.
©elingt eß bem ©riechen uidjt mehr, ben e^emalß auß*
lautenben SDental am SBortenbe im Neutrum ber Pronomina
to, u/.io, oerglicben mit lat. is-tud, aliud, mit gur 31 uß»
ipradje gu bringen, fo ift nidjt gu ermatten, ba{j fam in anbereu
gäflen bie .peroorbringung beß gleichen ifauteß in gleicher SBort»
fteßung gerät!}: eß mu§ unabmenbbar baßfelbe ©ejefj beß 3lbfaßß
auch ben 33ocatio ©ingulariß bentaler 9!eminalftämme, mie
7i al auß *riald oon nalg, bie 3. ©ing. 3mperf. t'yeQs auß
*eq>eQ£T = altinb. abharat (oergl. lat. -t in ferebat) treffen.
2Bat eß butd) bie 9iatur feiner ©pradjorgane bebingt,
bafc ber Jpodjbeutfabe nieberbeutjebeß k aufeer im 3lnlaut gu
ch rnerben lief}, fo gefdjat) biefe SBanbelung beß k überaß, unb
in feinem ber Söörter dach, suche, ich, sicher u. f. m.
fonnte bet in* unb außlautenbe ©uttural in l)od}beutf(ber Bunge
auf bem alten unoetidjobenen ©tanbpunfte oerbleiben. Unb
bringt eß mieberum bie S3ejrt)affenl}eit unferer Drgane mit fid},
bafj mir baffelbe ch je nach ben oorl)ergebenben 33ocalen oer=
idjieben außfared}en, nad} a in dach, sache alß fogenannten
ach-, nach i in ich, sicher alß ich-8aut, nad} o, u unb e
XIV. 327. *■ 2 (121;
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mieberum etmaS oerjchieben gefärbt, jo jrnbet feines ber oon uns
gesprochenen ch eine ejrceptionetle SRettung oor aßen biefen mannig*
faltig oariirten 9lffectionen.
9Han fann gegen unfete ganje bebuctioe ^Beweisführung
immer nod) ben ©inroanb geltenb machen: gut, eS ift genau jo
roie bu barftetlft, roenn unb jo lange als e8 ftd) nur um ein
einzelnes jpredjenbeS 3nbioibuum ^anbelt; aber eine ‘JDRunbart,
jei fle aud) oon nod) jo bejchränftem, localem Umfange, ift Doch
immer »on einem (Somplej: jprechenber 3nbioibuen gebilbet; ba
fönnen folglich bie ©prachorgane ©injelner ober eines S^ljcileö
ber bie SDRunbart bilfcenben 3nbioibuen bie ftähigfeit ber 2lu8*
fpracbe bemalten, welche bem anberen Steile abhanben fommt;
babutd) entfielen oetj^iebene gautformen au8 einer unc berfelben
©runbfottn, alle auf phbftologifchem aßege; später fdjliehen
fich bie ©rjeugniffe be8 ©preebenö bet (Sinjelnen ober ber
SBrud^tljeile be8 SDialeftS ^ut Summe ber Den SDialeft auS*
madjenben SBortformen gujammen; jo bietet bann ber fonft
einheitliche 3Dialeft Doch nicht ba8 öilb burdjauS einheitlicher
bauten twieftung bar.
SDie SDRöglichfeit, bah awijdjen oerjd)iebenen fPerfonen inner*
halb berjelben SDRunbart wirflich einige Abweichung in ber ßaut*
entroicflung beftehen fann, ift nicht in Slbrebe $u fteClen. SRament*
lieh fl<h jwijdjen bet altern nub ber jungem ©eueration
wohl öfters eine jolche SBerjchiebenheit beobachten laffen. SöaS
aber afyuleugnen ift, baS ift zweierlei: erftenS, bah berartige
Abweichungen jemals mehr als hödjft minimale unb in enge ©renjen
eingejchlofjene jein fönnen; jweitenS, bah fte fidj auf lauget benn
eine furje IDauet fijeiren unb neben einanber eine jebe ba8 gelb
behaupten fönnen.
@8 liegt junächft in ben Umftänben begrünbet, welche bie
inbioibueHe ©eftaltung unb allmählich etfolgenbe Umgeftal*
tung bet ©prachorgane bebingen, bah ftd? &ei ben ©enoffen
(SK)
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19
cinc§ unb beffelben ÜMaleftS, wenn wir bie ©renge beS ©ialeftS
fo enge als möglich, wo möglich nicht über eine eingige «Stabt,
ein eingigeS 35orf hinaus, gieren, ber gautwanbel ftetS als ein
möglichft einheitlicher geigen muff.
3Bie bie ©eftaltung allct phbfifcpen Organe beS ÜJ?euf<hen,
fo hängt auch bie ©eftaltung feiner Sprachotgane norgugSweife
non ben flimatifchen unb ©ulturnerhältniffen ab, unter benen er
lebt. Obwohl im Allgemeinen befannt ift, baff g. 33. baS net*
jdjiebene Älima ber ©ebirge unb ber ©benen anberS Zungen unb
SBruft unb Äeljlfopf ber 33ergbewol)net, anberS biefelben Organe
bei ben 33ewohnern bet SRieberungen auSbilbet, fo ift eS hoch
eine bisher in ber Spradjwiffenfchaft noch t?tel gu wenig gewür»
bigte Shatfadje, ba§ fid? bei gleichen ober ähnlichen flimatifchen
unb ©ulturnerhältniffen überaus gleiche ober ähnliche phonetifcbe
Neigungen ber Sprache ober ber SJlunbart gu geigen pflegen.
3<h fann mich auf eine ausführliche Söegrünbung biefeS Sa£eS
burch SBeifpiele hier leiber nicht einlaffeu. 3d) will beehalb nur
baran erinnern , wie g. 33. am jt'aufafuS fogar nicht urnet*
wanbte benachbarte 33ölferfd}aften, bie inbogermanifchen Armenier
unb Sranier unb bie nichtinbogermanif^en ©eorgier unb
anbete, in ber ^auptfadje faft baS nämliche 33ocal» unb ©on>
jonantenfpftem haben. Snnerhalb einet unb betfelben Sprache
herrfcht ober herrfchte norbem, wie befonberS bie gotfcbungen
bet lebten 3ahre auf nerfchiebenen ©ebieten übergeugeub ergeben
haben, faft butdjweg continuirlicher Uebergang gwifchen ben
eingelnen, bie ©efammlfpracpe bilbenben SDialeften; g. 33. im ©er:
manifchen non bem Alemannifchen bet Alpen bis gu bem SRieber*
fächftfchen bet 9Rotb* unb Oftfeefüften. ©S ift mit faum benf*
bar, ba§ mit folget ©ontinuität bie ©ontinuität ber flimatifchen
Uebergänge auf bemfelben fftaumgebiete caufaliter nichts gu
fchaffen habe.
AuS folgen ©rfcbeinungcn wie ben genannten wirb eS fchon
I * (593)
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20
gu einem Steile flat fein, u>ie ooöenbg unter Söeroohnern ©inet
©tabt ober ©ineg SDorfeg, welche alle ©in Ätima beherbergt,
ba§ 33anb einer unb berfelben ©ultur unb gebengweife umjd)liefet,
fid) idjroerlid) anbere alg nur fjöc^ft minimale unb faum graphifd)
begeidjenbare Unterjdjiebe ber £autentwicflung ^erauöbilben fönneu.
(II fommt aber nod) ein anbereö Moment in Setradjt, bag
eielleidjt nod? mistiger ift.
©rofe ift, wie man weife, bie 2Rad)t beö fftacfeabmungo*
triebeg, befonberg beö in fortbauernber Uebung fid} beliebigen*
ben. 3d) wähle gum SBergleic^e bag 23eifpiel non bev Äunft
beg ©djreibeng, welche wir ade befanntlid) burd) 9iadjal>mung
erlernen. 5)ie Äinber einer unb berfelben 5Bolfgfd)ule pflegen
fid) unter ber Anleitung eineg unb befjelbeu Sefererö leicfet alle
eine unb biefelbe ^anbfcferift augugeroöfeneu. 2Ran hat aud) be*
merft, bafe gange ©egenben unb Groningen bei einer unb ber«
ielbeu ©eneration einen im SBefentlic^en gleichen SDuctue ber
©cferiftgüge geigeu. 55aS wirb feauptfäd)Ii(fe roofel baburd) be*
wirft, bafe eö meift ein unb baffelbe ober einige wenige ©cfeul*
leferenSeminarien finb, welche mit ihren Böglingen alg Seferera
bie nämliche ©egenb oetfotgen: fo fuljrt fid) alfo faft alleg in
ber ©egenb ©efdfriebene auf einige wenige SOiuftertppen gurücf.
SDie beftänbige 9fad)al)mung biefer unb bag hingufommenbe
gegenfeitige Slbfefeen ber allgemeinen ©cfereibeigenthümlichfeiten,
bie fidj unwiüfürlid) oom ©inen auf ben Zubern »erpflaugen, et*
hält fo ben allgemeinen einheitlichen Slppug aufrecht bei aller
inbioibueüen SBefonberbeit ber ©ingelnen in ber Jpaubfchrift.
3a uoch mehr: gange eingelne SSölfet uuterfcheiben ftd) in einet
SBeife, bafe eg für fic charafteriftifch wirb, burd) ih*e SCrt gu
fchreiben; ein einigermafeen geübteg Singe nermag ben grangofen
unb ben ©nglänber unb ben 35eutfd)en aug ihrer £anbfd)rift
herauögufennen.
Um wie oiel gröfeer, wie oiel langjähriger, unauggefefeter unb
(»24)
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21
intenftoer ift bie Hebung bcS ©prechenlernenS burdh ^Nachahmung!
Sobalb bec füRenfd? a!8 Äinb im ©Iternhaufe bie erften STnfänoie
be8 Spred?en8 gemacht, ift et t>on ba ab fein gangeS geben
lang unbewußt am fetten feinet Sprache nach bem SRufter
Anbeter, am Ungleichen feiner SRebe« unb Au8fpracb8roeife an bte
bet SRümenfdien. Jmmet ähnlicher wirb bie Sprache be8 be’ran»
wachfenben &'inbe8 bet ber @ltern unb übrigen $au8genoffen,
immer ppllfommenet feine gertigfeit, bie Spradjlaute genau ebenfo
herporgubringeu , wie e3 fte pon feinet Umgebung hört- Unb
berfelbe fid> hier im engeren SRaume ber Pier ^auöwänbc bar»
bietenbe, unbewußte Anglei<hung8preccf) poHgieht fi<h täglich
unb ftünblid) auch gwifcljen ben etmadjfenen Bewohnern betfel*
ben Stabt cber beffelben ©crfe8. ©ie Sprechweife ber (Singel*
nen finbet, wo fie nur ORiene machen fönnte, ihre eigenen SBege
gu gehen, fofort unb immerbar ihren ^Regulator an ber ber
übrigen DrtSgenoffenfdja ft, unb fo muffen nethgebrungen inner»
halb beffelben SBeichbilbeS ade Bcrfchiebenheiten bet gautbilbung,
beren 5Rögli«hfeit wir ja bei ber SDtöglichfeit inbipibuellcT ©iffe-
reng ber organif eben Beanlagung bet Gringelnen gulaffen mußten
in ber fJ>raj:i8 oetfehwinben ober wenigftenS fid? auf ein unmerf*
bare? Minimum rebuciren
AnberS aber ift e8 fchon mit bet Sprache ber mit einem
Orte A nicht 3U einet communalen unb focialeu (Einheit per«
bunbenen nächften ©rengortfehaften B unb C. ©ie Bewohner
pon B unb pott C fornmen nicht im alltäglichen unauSgefetjten
SSerfehr mit benen pon A gufammen ©aber fönnen ftd? bei
jenen immerhin fchon fRüancirungen unb Abweichungen oon
bet Sprache ber Drlfcfaaft A nicht nur auöbilben, fonbern auch
bauernb feftfefcen. 5Bir haben e8 aber bann auch nicht mehr
mit einem unb bemfelben ©ialefte gu thun, fonbern ftetjen al8«
balb por einer ÜRehrheit pon gocalmunbarten : biefe fönnen unb
bürfen immerhin eine Berfehiebenbeit ber lautlichen (Sntwtdlung
<i»)
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22
bet ©pratbformen geigen, ja geigen biefelbe in burtbauS natut*
gemäßer SBeife.
II.
SBirb bet ©ab non bem auänabmfllofen SBitfen bet 8aut«
gefefce unbebingt jugegeben, fo bebatf bie ^Berechtigung bet
gweiten im Eingänge non unö auSgejpredjenen gorberung, baff
man Diel mebt unb in Diel weiterem Umfange alö früher bie
pfpcbologijcbe SL^ätigfeit bet 3beenaffociation alö ben anbeten
£auptgrunb ber formalen ©pratboeränbetungen anguerfennen
Ijabe, an fic^ !aum nodj einer ausführlichen Segtünbung. SBaS
biefen fPunft anbetrifft, fo bürfte ftatt beffen Dielmebr bie gtage
^Beantwortung ^etfd^en, ob benn aud? baS gorftben nad) bet
2lrt nnb SBeife bet pfptbologijcben 9lff octationöt^ätigf eit beim
Sprechen fidj ju einet n)i{fenfd;aftlid)en 9Jiett?obe berangubilben
geeignet fei.
£>ie „3ufdlligf eiten bet Slnalogiebilbungen" finb fdjon ein«
mal unlängft non einet ©eite als fUtoment geltenb gemalt
motben, um bie 93efttebungen bet mit bem Änalogieptincip
operitenben @pra<bforftber $u biScrebititen. 3n ber
bertjcbt gegenüber ber unausweichlichen ©ewalt, mit bet bie
pbbftologiftben ©efe^e bet Sprache auftreten, einige greibeit bet
Bewegung bei ber affociirenben ©precb« unb ©pracbumforraungS*
tbatigfeit. ©oweit oon greibeit beö SSiQenS überhaupt gerebet
wetben fann, fommt biefelbe ^ier, als bei einem pfpdbiftben Slfte,
ju ibret ©eltung, wie ein nabe liegenbeS Seifpiel flat machen
möge.
3>ie bis in bie inbogetmanijcbe ©runbfpracbe jutütfgebenbe
uralte Serfcbiebenbeit bet ISblautftufe im ©ingulat unb $)lural
beS 3ubicatiDö $)erfecti bet primären Serba bauert auf germa«
niftbem SBoben bis in bie mittelbotbbeutfcbe, faft fogat bis in bie
ältefte neubo<bbeut[<be Beit b'nab fort. 9lo<b mittetbocbbeutfcb
(5J6)
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23
t)ief) eö wir stürben gegenüber ich starb, nod) bei Sutijet ich
beiss neben wir bissen. 9leul)od)beutfd) befielt bieö 23erl)5lt«
nifj nur noch in fel)t wenigen gäQen fort, j. 33. in ich ward:
wir wurden, ich weiss (alö Perfeft ber ftorm nad?, fogenannteö
Präteritopräfenö): wir wissen. 3m übrigen tjat in unferer
heutigen Sprache ftormafforiation ftattgefunben: eö hd&t jef)t
im Plural wir starben, nid^t mehr stürben, nad) OJtafjgabe beö
©ingularö; umgcfehrt im Singular ich biss, nid)t mehr beiss,
nad) bem Plufter beö ^luralö. SBorauf beruht eö benn nun,
fo fragt man leid)t, bafj Ijier baö eine Ptal bie Analogie beö
©ingularö, baö anbere Plal bie beö piuralö bie obfiegenbe
Äraft ift? 2?ei ich biss nad) wir bissen jdjeint allerbingö
ein ©runb fid) barjubieten: ba auf neuhod)beutfd)er ®prad?ftufe
baö alte früher ich btze lautenbe ^Sräfene burd) lautgefe^lidje
SDiphthongirung beö langen i $u ich beisse geworben, fo empfahl
fid) wohl auö biefem ©runbe ba8 '.flufgebeu ber formen mit bet
‘Äblautftufe ei im Präteritum unb bie Änalogiebilbung ich biss
nach bem Plural beö Präteritumö. $bet bet bem Präteritum
oon sterben wirb fid) faum mit Sicherheit etwa! barübet fagen
laffen, warum bie Sprache behufö einer Uniformirung ber Prä*
teritumöformen cielmehr ben ©ingular auf ben Plural wirfeu
liefe unb »on ber @infül)tung eineö ich sturb nach wir stürben
Slbftanb nahm, ©benfo wirb in jafelreicfeen anberen fällen ber
lüffodationöbilbnng ber ©prachforfcher eine Antwort nicht jur
-fpanb haben auf bie gtage: warum gerabe biefer 23erlauf beö
pjpdjifchen Slfteö? warum muhte bie gorm A bie gorm B beein*
fluffen unb nidjt umgefehrt?
33ei folcher Freiheit ber Bewegung, wie fie ber ©pradje in
ihrer ^ormaffotiirenben Shätigfeit offenbar gufteht, wirb, fo fdjeint
eö, ba0 ©tmitlelu ber butd) gormaffodation bewirften Sprach«
neränberungen immerfort mehr ober weniger ben ©hatafter beö
blofjen Sfiathenö unb 5£aftenS behalten. SDet 33orrourf fcheint
(i*7)
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24
nidit gu umgeben gu fein, ba§ bet baB 3ffociation8princip fyanb»
babenbe ©pratbfotftber gwat ttscljl SJiandjeö burcb einen glütf*
litben ®riff aufflären möge, in 33egug auf 23iele8 aber immer
an ben „glauben werbe appelliren muffen“.
Um bem §orfdf?en nad) ben fpradjlitben fformübertragungen
ben (Sbotafter einer echten SBiffenfcbaft gu »erleiben, e8 übet ben
23etbacbt eineB planlofen fRalbene bitwu8gubeben, wirb bcr 23er*
fu<b gemacht werben muffen, bie bieberigen mittele ISnwenbung
be8 SlnalogieprincipeB bereite gewonnenen fieberen (Srgebniffe
ober einen genflgenb großen Stbeil berfelben gu ffaffifitiren. 9tur
fo wirb man gu feben »ermögen, wie, b. i. ob nadf irgenb einer
ratio unb nach weither, ba8 ©alten bet flormaffociation »or
fi<b gebt-
3)aB 6intbeilung8princip ber gefammten fptacblicben Analogie*
bilbungen fann offenbar ein mannigfatbeB fein. Seicht fteljt man
inbeb, bab bie 3beenaffociation immer nur foltbe gwei S)inge
combinirt, gwiftben benen icbon »erber ein gewiffee 23anb, ba6
bet ibeologifcbcn (Kombination ale J^anbbabe bienen fann, be*
ftebt. ©o aud) bei ben ©pratbformen. ®ic beeinfluffenbe §orm
A unb bie beeinflubte B fteben febon »orber notbwenbig in
einem gewiffen 23erbältnif} irgenb weither Srt gu einanber, fonft
»ermothte eben eine (Sinwirfung beB A auf B »ermittele ber
beim fpradjlicben ^er»crbringen be8 B tbätigen ^beenaffociation
offenbar ni<bt ftattgufinben. 23on b SBicbtigfeit
nun i ft , wie fidj ebenfalle leidet begreift, bie 23eftimmung
bet Ärt beB gwiftben beeinflufienber unb beein*
flufjter gorm fdjon guoor obwaltenben gegenfeitigen
SJerbältniffeB. 3dj glaube nitbt gu irren, wenn idj ber
ÜJleinung bin, baff eben Ijterin bet oberfte ©intbeilungegrunb
für eine wijfenftbaftlitbe Snorbnung ber fpratblitben Analogie*
bilbungen gefunben werben mufj.
Setratbten wir no<b einmal unfere @ingang8 erwähnten
tSJH)
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25
jtoet SRnfterfäHe oon 2lffociation8biIbung: ni)b. rauh anftatt
rauch nach rauher, rauhe u. f. ro., griecbifd» -üixQcirrjv an*
ftatt -coxockrj nach 'A Ixißiadrjv unb ©enoffen. @8 heftest
in beiben §äHen ein alsbalb fid^ fühlbar madjenber Unterfcbieb
be8 ibeclogiidien iBerfyältnifjeS smifdjen ber SJtuftetform unb bet
barnadj umgebÜbeten ftorm. 3« bem germanifcfyen SBeifpiele
fxnb e8 anbete formen beffelben 3öorte8 ober beffer
beffelben Stammes, roeldje auf eine $orm i^tcr Sippe
nmgeftaltenb einmitfen. 3?ei bet griedrifcben SlffociatienSbilbung
2ioxQacr]v nad? 'Atxifiicedrjr, ’ArQttdrjV u. f.' f. ift ba8 nidrt
bet ^aO, fonbetn füt bie SReugeftaltung einet fiorm roitb bie
entfptecfyenbe föotm eines gan3 anberen glejrionS*
jpftemg mafjgebenb.
SDie ©emeinfamfeit be6 SEScrt ft offeS ift in bem germaniidjen
$aQe rauh ba8 SHgens, weld}e8 bie 3beenaffociation mirffam
merben fä§t. Somit fönnen mit 2lffociation burd> ftof flicke
Ausgleichung biejenige nennen, roeld?e ftd?, mie hier, jroifcben
perfdjiebenen formen eines unb beffelben SBorteS obet jmifdhen
netfdjiebenen au8 bet gleiten SBurgel obet bem gleichen Stamme
abgeleiteten SBortern bezieht.
9iict)t ©emeinfamfeit be8 Stoffes, fonbern ©leicbljeit bet
gunction unb Jöebeutung bet gorm ift eS, melbbe ben Altgriedjen
ein ibeologifdjeS 93anb um unb 'Alxipiädijv, beibe
Aecufatioe, ju fdjlingen ttieb, bem jufolge bann etftere §orm
fidj lederet 3U Siebe in Zioxqüttjv ummaubelte. 2118 Affociation
butd) formale 2lu8gleid)ung fann man bemnad? biejenige be*
3eid;nen, meld?e 3roifd?en ben entipredjenben formen oerfebiebener
SSörtet obet 3mijdjen ben entfpted)enben ©Übungen au6 per*
fdjiebenen SBurgeln obet Stämmen ft dj poügietyt. *)
Unter biefe 3mei Kategorien laffen ftdj fdjon eine redjt
gro§e SJfenge bet fpradilid)en AffociationSbilbungen alsbalb unter*
bringen. 3$ Perfudje bieie Unterbringung mit einet Anga^l non
(S»>
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©eifpielen, welche ich nur bem neueren .£)e<hbeutfcb( ben rotna*
nifcben ©praßen unb bem Altgriecbifchen entnehmen will.
©on ben au&er rauh bereits im ©orhergefjenben ermähnten
Watten gehört gu ben Affociationen bur<h ft offline Ausgleichung
auch bie 9ieubilbung wir starben anftatt stürben im $Mutal,
fowie ich biss anftatt beiss im ©ingular beS fPräteritumS.
Auf bem ©ebiete beS neuljochbeutfchen Clemens finb non
ganglid) gleicher Art tote rauh bie Wormen schuh unb floh: mljb.
schuoch, vlöch folgen bem &wtgefefj betreffs beS auSlautenben
©utturalS unb erforbern als birefte Sortierungen schuch, floch;
schuh nnb floh fiub ftofflid) angeglidjen an schuhes, schuhe,
an flohes, flöhe mit regelrechtem h in inlautenber Stellung.
©S oermag aber auch, wenn nach ben 8autgefefcen eine
2)iffereng gwifchen Auslaut unb Snlaut eintritt, im ©egentheil
bann bie im AuSlaut entfprungene Bautgeftalt obguftegen; bieS
ift gefdjehen bei unferem 9tomen wert. ttttittelhocbbeutfch htefi
eS im 9iominatio unb Accujatio w’ert mit t, aber ber ©eniti»
lautete werdes, ber IDatio werde mit d, wie noch ^eute baS
gu berfelben ©ippe gehörige würde gang normal baS alte d bei*
behält, ©ei wert aber hettfd)t jefjt in ben obliquen ©afuS
wertes, werte baS t in Wolge bet ftofflichen Ausgleichung, gu
welcher bie enbungSlofe Sonn wert bie ©eranlaffung gab.
3)a8 alte ^articip oon bem ©erbum gedeihen mar nicht
gediehen, fonbern baS jefct gum 2lbjectio erftarrte gediegen, unb
gwar hat biefe Worm ihr g anftatt h nach berfelben alten Uaut*
reget, nad) welcher eS gezogen oon ziehen Ijet^t (eergl. oben
©. 9. ). SBährenb nun gediegen heute abfeitS fteht oon bem
©pftem beS ©erbumS gedeihen, ift gu biefem ein neues $)articip
geformt worben, bem baS h anftatt g gugefallen ift auf bem
Aoege ber ftofflichen Ausgleichung.
©ei ben ftarfen ©erben wie fliegen, kriechen, bieten,
ziehen herrfchte früher nach altem gautgefefc in einigen Wormen
CJ80)
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27
com ^räjenBftamme bet ©iphih°n8 eu anftatt ie, g. 33. in bet
2. unb 3. $>etfon ©ingulariS 3nbic. ?)räf. fleugst, fleugt nnb
im 3mperatio fleug. Sprichwörtliche SicbenBarten unb bie ©pradje
bet §)oefie bieten noch jcfct häufiger biefe ollen formen bot;
man benfe nur an „wa8 ba fleugt unb kreucht", an Den ©ejang*
bud)8oer8 „zeuch ein gu ©einen %^oxenu u. bergl. 2Benn jej)t
in gewöhnlicher Siebe fliegst, fliegt, flieg gelten, fo bat ftoffticbe
Ausgleichung biefen an Hai}! wenigen formen baS ie ber weitaus
in ber SRehrgaljl feienben übrigen mitgetl)eilt. ©ie 23olf8jprache
gebt in einigen ©egenbcn nod) weiter, inbem fte auch bei anberen
ftarfeu Serben als ben ber ermähnten AblautSflaffe angehörigen,
bei essen, geben unb ähnlichen, biejelbe ftoffticbe 'Ausgleichung
bejonberö ber 3mperatioform mit bet burd) bie meiften formen
be8 ^räjenSftammeS hinburchgehenben Bautgeftalt ber SBurgel
oerjucht: Smperatioe wie ess, geb, werf anftatt ber älteren
iss, gib, wirf fennt bie ©cbriftjprache noch nicht, aber i*n 33olfS»
munbe trifft man fie jcbon häufiger an.
©leichfaQS nod) iöigenthum ber 33u[gärfprache, aber auch
jcbon hier unb Da in bie Siebe ber ©ebilbeten fid) bineinmageub
ift bie ©uperlatioform mehrst, die mehrsten anftatt meist, die
meisten: mehrst, bie Sieubilbung, ift angebaut an ben ©om*
paratio mehr, bie Ausgleichung aber auch bier eine ftoffticbe.
©ie ©eclination ber italienifcben Sprache bietet un8 unter
anbeten foIgenbeS 33eijpiel ber ftofflichen Ausgleichung, bautet
bei ©ubftantioen ber lateinijehen gweiteu ©eclination ber ©in*
gulat italienijch auf -co, -go au8, jo wirb bei ber ^luralbilbung
bagu ein boppelteS Verfahren beobachtet, ©inmal finben wir im
Plural -ci, -gi (b. i. auSjpradjIich -tschi, -dschi) mit bem laut*
gejefemäfjigen Uebergange ber ©utturalen in Duetjchlaute oor
folgenbem i: amici „Breunbe", porci „Schweine“, asparagi
„©pargeln" oon amico, porco, asparago. ©obann aber er»
jeheinen auch ^totale jolcher SB Örter auf -chi unb -ghi (ge*
(Ml)
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28
fpredjeti -ki, -gi), alfc mit aufgehobener $>alatali|itung (ge»
quetfehter Sluöfpracfce) : vichi „enge Waffen", luoghi „Derter“ non
vico, luogo. ©inige ©ubflantine haben beibe formen neben
einanbet, 33. finb non mendico „23ettler" mendici unb men-
dichi, non sarcofago ,,©arfophag" sarcofagi unb sarcofaghi
in Webrauch- füatürlich ift in ben 33ilbmtgen auf -chi, -gbi
bie IBerlefsung beß £autgefe£eß nur eine fdjeinbare: ber unner*
änberte k-, g-8aut beß ©ingularß ift auf bie $)luralform über«
tragen worben. Unb eß ift intereffant, tyex baß auch bei ben
fprachlichen Sieubilbungen gcltenbe aQgemeine Siaturgefefc ju
beobachten: wo bie Äraft eine geringere ift, ba ift entfpreebeub
auch bie Sßirfung berjelben eine weniger Durchgreifenbe. 2Bo
eine bet in SRebe ftehenben ^Muralformen beß 3talienifchen weniger
ber ©inwitfung beß zugehörigen Singularß außgefefjt war, ba
fehen wir bie ftormübertragung unterbleiben. <gß heifet asparagi
„Spatgeln", nicht asparaghi offenbar weil non biefem SBorte
ber Singular unnergleid)!ich weniger im ©ebrauche war alß bet
Plural, barum feinen foldjen <5influ§ auf bie §orm biefeß gewinnen
fonnte. SDaffelbe ift ber ©runb, warum auch Greco ben Plural
Greci (nicht neranalogifirt Grechi) hat: man fpridit niel häufiger
non ben ©riechen, alß non einem ©riechen. ^Dagegen bei bem
9lbj eftin greco „griechifch" fjetfet eß grechi; hier fonnte wieberum
bie SJfacht beß ©ingularß übet ben Plural fich ftärfer erweifen,
ba non einem vino greco beifpielßweife nicht feltener alß non
vini grechi bie Siebe ju fein brauchte. 33on il mago „bet
3auberet“ bilbet man alß bie gewöhnliche ^lutalform i maghi;
aber man fagt i tre Re Magi „bie heiligen btet Könige": in
lefcterem ©ebrauche ift Magi faft jum ©igennamen geworben,
bähet bem Singular mago gegenüber felbftänbiger unb feinem
fcrmumgeftaltenben ©influffe entrüeft.
3n bet lateinifcfjen 93erbalfierien befteht befanntlich nielfad?
(SS2)
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29
eine 23erfduebenl)eit ber Betonung jioijchen fermen eines unb
beffelben (SonjugationSparabigmaS. 3- 55- bei am«, ämas, ämat,
ämant ift bie erfte ober 3Bur$elfilbe betont, bei amämus, amätis
aber unb bem Snfinitio amäre rücft ber Slccent auf eine BilbungS*
filbe fort. Sa nun in ben romanifdjen £ocbterfpracf)eu betonte
©üben anberen Sautgefefcen unterließen als unbetonte, fo mu§te
jenes lateinifdje iÄccentuationSoerljältnifs in nicht wenigen gälten
Sifferen^en ber Sautform bei eiuem unb bemjelben ÜempuS ober
SftoöuS eines unb beffelben Berbunts $ur golge haben. 3m
gtanjöfifdjen entroitfelt fid> in betonter offener (auf Bocal jd)lie§en*
ber) ©ilbe auö lat. a oer uacbfolgenbem jftafal (m, n) ai (ogl.
faim auS fames, mainauö manus, pain auS panis); in unbetonter
©ilbe aber bleibt baS a (ogl. ami anS amicus). Semnacf) ent:
ftanb bei bem Berbum amare folgenbe altfrangöfifche (Konjugation:
aim. = amo,
aimes = ämas,
aime(t) = ämat,
aiment =• ämant;
aber
amons = amärnus
amez = amätis
amer - amäre.
SÄuS lateinijehem furjem e wirb in betonter offener ©ilbe fran«
jöfijdj ie (oergl. liävre aus lepörem, fievre auS febris, bien auS
bene, tient, vient auS tenet, venit u. f. tu.), außerhalb ber
Jonfilbe aber bleibt e (oergl. venir auS venire). Satjer con*
jugirt lat. levare im 9lltfranjöfifd)en fein §)räjenS alfo burd?:
lieve = levo,
lieves = lävas,
lieve = levat,
lievent = levant ;
(5J3j
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30
aber
levons = lev&mus,
levez = levätis,
lever = levdre.
SDiefc 33erfd)iebenformigfeit erträgt aber bie Sprache auf bie
IDauer nidjt, unb fo tritt ftoffltc^e AuSgleidjung ein. 3m
sfteufrangöftfdjen fiegt bei amare bie Sautform mit bem 93ccali§»
muß bet betonten Silbe: nous aimons, vous aimez, 3ufrn.
aimer ftnb bie Analogiebilbungen nad) ben übrigen formen.
Umgefel)rt bei levare: neufraug. je, il leve, tu leves, ils levent
l)aben fid} nad} nous levons, vous levez, lever gerietet.
ÜRefyrfadje ftofflidje AuSgleidjung ift in ber italienüdjen
Spradje bei bem lateinifdjen Serbum ire „geben“ norgegangen
unb bat bie gange sj)^fiognomie befjelben non @runb au8 oer*
änbert. @8 giebt bei biefem im Stalienijdjen befectiocn 23erbum
gunädjft formen, bie wie bie entfpredjenben lateinifd;en mit i
anlauten, 3. 50. ire 3nfin., ite „ibr gebt" unb ito „gegangen".
SDaneben fommen gang biefelben formen aud) mit bem 3ufafj
g- am Anfänge nor: gire, gite, gito. SJlit biefem g- nun unb
feinem Urfprunge bat e8 folgenbe 33ewanbnif). 3n allen ben-
jenigeit formen, wo im Cateinifdjen i ober e bei bem SSerbum
eo, ire anlautenb oor einem SSocale [tanb, muffte fid) im 3ta»
lieuifcben barauS gunäc^ft j, bann wie au8 jebem j enblidj dS
(weidbeß dsch), gefdjrieben gi entwicfeln ; baljer g. 58. giamo
„laf)t un8 geben", giate „ibr moget gelten" = lat. eamus, eatis,
burd) "jamus "jatis, *jamo *jate ^inburc^ (nergl. gia „fdjon“
au8 jam, giacere „liegen" au8 jacere u. a.). 3»n 3mperfectum
mußten jo gunäcbft "g^va, „id)" unb „er ging" au8 ü'bam,
tfbat, ’g^vano au8 icbant entfpringen, aber in ber erften unb
gweiteu ^evfoit be8 Plurals giviimo, givate au8 iebiunus, iebatis.
IDenn in betonter Silbe bleibt lateinijcfyeß langes e italienifd) e
(534)
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31
(Bergt. cred^va = credebam, er4de, merc/de = herAtem,
merc/dem u. a.); aber in unbetonter gebt eß wie furgeß e, b. b.
»ortjer gu biefem Berfürgt, in i über (oergl. bie SHbnerbia tardi,
lungi = lat. tarde, longe, fptnr. ragioni =-ration6s, mit e Bor bet
Sonfilbe: migliore, midulla=meli<fcem, medulla).5) -iftun gleiten
ftd? juerft bie Smperfectformen * geva, *gevano unb givarno,
givatc fo auß, ba§ giva, givano entfteben. ^»ietnaib enblid)
fann ftdb baß gefammte SSerbum mit bem girnifj, fo gu jagen,
beß anlautenben g Bor i Übergaben, fo bafj auch jene gire, gite,
gito auftreten neben ben Bon SHterß ber allein berechtigte« ire,
ite, ito. @8 fann aber umgefebrt auch nach bem SDJufter eben
biefer leiteten SBerluft bcS g in ben übrigen formen ftattfinben
unb fo ein neues Smperfettum iva, ivämo, iväte, tvano ge*
bilbet werben. Unb auf biefe SBeije mag nunmehr in italienif<bcn
©rammatifen getabegu Bon gwei Serben, ire unb gire, gerebct
werben4).
3m ©riecbifcben finb bie ©tämme ber fRomina nnki-g unb
n rjxv-s i- unb u-©tämme. demnach erwartet man alß reget»
redete formen beß 55atinuß fpturaliß, beffen ßafußfufflj: -ot ift,
noh-at, wie eß fa im 3onijcben auch b«f)tt unb *?r rjxv-oi. SDie
gornten nnleai unb nfat-ot beruhen auf 9ieubilbung butdj
ftofflicbe 91u0gleid)ung. 3m ©enitio fpturaliß fteben nö/.ivtv unb
ntjxecuf für *noiij-ojp, * nrjxeS-wv, bergen formt latent baß
ftammljafte alte -r-, -v- alß fpäter lautgefejjlicb gwijdjen Socaten
außgefadeneß -j-, (b. i. v, beutfcbeß w). Son nnlswr,
nrtxstov unb Bon anberen Gafuß ber Stet, g. 35. bem fftom. $lur.
nö'Ueg, nfattg in uncontrabirter gorm, außgebenb fcbritt ber
uniformirenbe Stieb ber ©pradje gu ben SJffociationöbilbungen
7in?.e-oi, nrjt-ai, alß wenn b*w nölt-, nijx6-> b. i. e-Stämme,
gu ©ruube lägen.
• 3Die Slbjectioa tivovg unb xQ''o°vg nebft ihre« ©leiden finb
(■'351
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32
utuegelmä&ig in $>infi{bt auf itjre Setonung. SJlan foüte fie
tecliniren :
Sing. 9lom. ivvnvg au8 tvvoog,
@en. *evrov au8 eivöov,
Sat. ^evvijj au8 evvöit),
Ütccuf. ttvovv au8 evroov u. f. m. ;
ferner
Sing. 9iom. *x(!vo°ug au8 XQvaeng,
@en. xquoov au8 xpuoi'on,
3)at. XQvotp au6 XQvaitp,
SJccuf. *xQioovr auS XQl'at0V u. [•
@8 Reifet aber befanntlid) bei erfterem ei’vovg, eivov, elvy
u. f. i». mit burcbgebenbem täccent auf ber erften Silbe; um«
gefe^rt bei leßterem xQva°^ X(fl’ao^> XQva<P u. f. m., ftänbig
auf - ber Scblußftlbe ber contraßirten formen accentuirt. äucb
baa ift ftofflicße täuSgleidjung. Sei ivvnvg geben bie gcfeß«
mäßig auf ber erften Silbe betenteu 6afu8 fJiominatio unb
Jtccufatio be8 Singulars unb SRominatio be8 $>lural6 ben &u8*
j<blag; bei xpvaovg »eichen umgefeßrt eben biefe (Safu8 bem
»erfübreriftben SDiufter ber übrigen unb ißrer sMccentuation.
3luf bem ©ebiete be8 griedjifcben SerbumS mirb 311 einigen
9)rafentia mit e al8 SBurjeloocal ta8 ftarfe perfect burd) ben
tilblaut o gebilbet. wie ztiQwpa , xixhnfa, ösdoQxa ju tQtqxu,
x/.e7iTM, öt(>xnfiai ; bei anberen mie nirrXexo, ßißXiqa bleibt,
roie man fid? metbanifcb auSbrüdft, ba8 £ »on nXexio, ßXtrzw
befteßen. 3n SSaßrlpeit aber unb fpra^ßiftorifcß fann tywc non
einem Seftebeubleiben nid?t bie SRebe fein. 2>ie »erglei<benbe
Spradbroiffcnfcbaft [teilt feft, baß nur bie erftere SBeiie, bie ber
s})erfectbilbung mit o-'Äblaut, nom ©riet^ifdjen au8 bem inbe;
germanifeben SDiuttererbe betübergenommen marb. IDie perfecta
(536)
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33
it£nke%a, ßißkecpa empfingen ben f-Socal burd) einen jüngern
unb fpegiell griechifcben SprachbilbungSaft; et warb ihnen »on
ben ©räfentien gum 3»ecf bet ftofflidjen Ausgleichung auf*
gebrungen, benn eine functioneüe Sefceutung bat bie griechtfche
<Sprad)e bem Serbalablaut niibt beigulegen gewufjt, wie bie
getmanifche.
Soweit glaube ich nun meinen 8efern binreichenb an Sei»
fpielen flar gemacht gu baten, waS man unter Umgeftaltung bet
Spracbformen burch Affociation mit ftofflidjer Ausgleichung gu
cerfteben ba*- ©lögen fie mit nun geftatten, ein ähnliches
Silb »on bet Affociation mit formaler Ausgleichung gu ent»
werfen.
3u ben AffociationSbilbuugen butdj formale Ausgleichung
gebärt cor allem baS in allen (Sprachen fe^t bebeutenbe heer
bet fogenannten ©letaplaSmen, heteroflifieu u. betgl. (Sobalb
ein Konten tbeilweife ober gang in eine anbere üDeclination, ein
Serbum in eine anbere Konjugation als bie ihm urfprünglich
eigene Übertritt, baten wir eä mit biefer Art ber Analogiebilbung
gu tbun. SDurch ben Sprachgebrauch fügt es fich fo, bah einige
burcb 3«bl ober häufigfeit bet Seifpiele geläufige unb für bie
Unterfcbeibnng ber eingelnen formen ober Ableitungen <barafte»
riftifche SilbungSweifen allmählich bie Dberbanb über anbere in
bet genannten £inßd)t weniger begünftigte itjreö (gleichen ge*
winnen. 3ene erfteren, als bie bie Sprache überwieg enb be*
betrfchenben groben Spfteme gieben alSbann baS Uebrige in ihren
Sann unb geftalten baS urfprünglich heterogene burch bie ©lacht
ber Analogie nach unb nach i“ ihnen (gleichförmigem.
3m hodjbeutfchen foa^te eS bie lautgelefcliche Kntwicflung
ber Sprache mit fich, bah int ©eniti» beS Singulare »on maS*
culinen Subftantioen nur bie utfptünglichen a-Stämme, SBßrter
wie tag, fisch, wolf, eine beutlidie ©nbung, -es ober -s, ret*
teteu. Kbemalige nicht a-Stämme hatten burd) ba8 SBitfen ber
XIV. 327. 3 (537}
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34
Au0laut8gefefce ihre (SafuSenbung im ©enitio SiugulariS ein»
gubüfjeu, unb jo finb noch im aRittelhochbeutfchen bie ©enitioe
SingulariS, oon vater, bruoder, alten r-Stämmen, (*= lat. patr-,
fratr-, griech- natQ-) , at8 des vater, des bruoder angutreffeu.
3Rit biejen formen ohne -s ^at man allein bie griedjifdje Sil»
bungSmeife oon naxQ-ög gu ibeutiftciren ; benn ftüheteS auSlauten*
be8 -s mar in ber germanifchen Sprachentmicflung, gu meldet
unjet ^ erbeut jcb gehört, lautgejejjmäjjig abgefallen; ba8 -s non
tages, fisches, wolfes mar nicht ein urfprünglid) auSlauten*
beS, jonbern bahntet ftanb noch eine Silbe, roeldje ber Abfall
betroffen ^at. 3)ut<h ihre fRettung einer ©afuSenbung -es, -s
aber mirb bie Kategorie bet a-Stämme hinfichtUch bet ©enitio*
Siugulari8*Silbung hinfort bie mafjgebenbe; burd) formale AuS=
gleidjung mit ihr entfielen auch bei vater, bruoder bie jüngeren
©enitioformen vaters, bruoders.
£tnroieberum in einem anberen fünfte, betreffs ber Silbung
beS Plurals, finb eS nicht bie a-Stämme, melche im ^ocbbeutfdjen
bie gemeine Analogie bet ÜRaSculina begrünben, fonbern oiel»
me^r bie i-@tämme. @8 finb SBörter mie gast, balg, utfprüng«
lidje i-Stümme gasti- (= lat. hosti- „grembling"), balgi-, beren
Plural in bet gorm gäste, bälge an bem Umlaut, bet SBirlung
eines ehemals in ber Schlufjfilbe enthaltenen i-8aute0, ein
©hatafterifticum bet §)lutalbilbung geminnen. Um biefen for«
malen Sßortljeil auch gu erlangen, entfalteten fid) bie meiften a-
Stämme auch gut Annahme ber Umlaut8form im Plural; baher
nunmehr audj wölfe, vögel, äeker, nägel oon ben urfprüng*
li<hen a-Stümmen wolfa-, fogla-, akra- (griech- == ayQo-, lat.
agro-), nagla- gefagt mirb. aJUttelhodjbeutfdj h*e6 e® noch ohne
ben Umlaut g. 33. die vögele, nagele. 3m fReubodjbeutjchen
flehen bie menigen fidj ber allgemeinen formalen Ausgleichung
entgiehenben umlautSloS gebliebenen ^Murale mie tage, arme,
hunde nunmehr als Ueberrefte, bie für bie fonft entfehmunbene
(SS»)
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35
alte 33erfdjiebenl)eit bet ©tammflafjen bis auf biefen $£ag jeugen,
unb oom heutigen ©tanbpunfte als Ausnahmen oon bet Siegel ba.
ßwifdjen fogenannter ftarfet unb fchwacber obet n-5)eclina»
tion finbet auch mannigfache formale Ausgleichung in ben neueren
9>l)ofe« beS ©ermanijchen ftatt. 2Die (Sntfdheibung im Äampfe
3®ifchen beiben SBÜbungSweifen pflegt noch immerfort feljr bet*
fd)ieben auSjufatlen. SBit befliniren heute der hahn, des hahns
gegenüber älterer unb noch heute nid^t auSgeftorbener SBeife
der hahn, des bahnen. Gcbenfo fiegt in nod? nielen anberen
fällen Me ftarfe ©eclination über bie fdjwache, 3. 35. auch bei
schwan, mond, stem, herzog, äuge, beren alte ©ingulargenitioe
schwanen, monden, Sternen, herzogen, äugen ben Sieubil«
bungeu schwanes u. f. f. gewichen ftnb. Umgefehrt gewinnt
aber bie fcbwadje SDedination ber ftarfen einen $heil iljreS er»
erbten JerraiuS ab, wenu bie Affociation burdj formale AuS«
gleidjung 3. 58. bie neuen 58ilbungSweifen der hirte: des hirten,
der rabe: des raben anftatt ber früheren hirte: hirtes, raben:
rabens ^erbeifü^rt.
£>ie Sßortcempofition termag häufiger bie fonft »erbrängten
alten (JafuSformen 3U wahren unb ttjut bieS 3. 58. bei schwanen-
gesang, monden -schein u. a. 5Sber nicht weniger ift bie SBort*
3ufammenfe^ung anbererfeitS auch ein gelb, auf bem fidf bie
affoeiatite 9ieubilbung noch weiter oorwagt als fonft. QrS finbet
fogar bie fonft oetmiebene formale Ausgleichung 3Wifdjen maS*
culin- neutraler unb femininer ITeclination ftatt, wenn wir im
Sompofitiini liebes-gram unb geburts-tag, ferner regelmäßig
bei allen femininen auf -ung unb -schaft, regierungs-rath, ge-
sellschafts-local mit bem oon ben ÜJlaSculinen unb Neutren
fommenben @enitit=s fpredjen.
Sn ber germanifdjcn (Sonjngation heilen fich ebenfalls noch
heute bie 3®ei großen klaffen ber fogenannten ftarfen ober pri*
mären unb ber fchwachen ober abgeleiteten 5Berba einanber bie
3* (S39)
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36
5Bage im .Kampfe um8 ©afein, wenn auch, wie befaunt, im
Allgemeinen baS 3»n8l«in bei bet formalen auSgleicbuug ftd)
gu ©unften bet fd) wachen S3erbalbilbung ju neigen begonnen
bat. SDie fdjwache 23erbalbilbung \)at wobl Siege unb @r»
oberungen wie bie Präterita bellte, glimmte, mahlte, backte
an ©teile bet oeralteten boll, glomm, muhl, buk (DaS ^)articip
$)räteriti bet leiteten beiben aud) jefct noch ftetS ftar! gemahlen,
gebacken) gu oergeicbnen. @8 finb ferner fdjwad) geworben:
hehlte, verhehlt anftatt ber frfiberen hal, verholn (üergl. noch
baS abjectio unverhohlen), beSgleicben beneidete, beneidet, wo»
für ebemalS benitten galt, aber eS ftnb bagegen umgefcbrt
aud) früher f<hwad)e Serba burdj bie formale au8gleid)ung gu
ftarfen geworben; ich frug fommt auf neben bem älteren ich
fragte (aber im ^articip nodb ftetS fd)wad) gefragt), ich pries,
gepriesen b0* älteres ich preiste, gepreist fcbon oöHig oer«
brängt. 2)ie ©djriftjpracbe fefct, wie bie angeführten 23eifpiele
buk unb backte, fragte unb frug bartbun, nicht immer fogleid)
einen feften SDamm gegen baS ©d)wanfen beS Sprachgebrauches
gwifdjen alter gorm unb auf formaler auSgleidjung beruhenbet
9leufd)öpfung. aber wie außerhalb bet ©dbrift» unb Literatur*
fpracbe bie auSgleidbungSoerfucbe nod? ungleich häufiger angetroffen
werben, baS geigen einmal Silbungen ber SolfSbialefte, wie bie
hier gu ganbe im fPfälgifdjen üblichen ?)atticipien gelidde, be-
didde ftatt geläutet, bedeutet (oom Snfinitie pfälg. laide, be-
daide, wie schraiwe, paife, graife u. a. flingenb), genösse
ftatt geniesst unb oiele anbere mehr, baS beweift ferner baS
Beugnife oon 23ilbungeu beS fdjergenben SBolfSmunbeS, wie ge-
schonken, gemorken, gewunken, geschuinpfen anftatt ge-
schenkt, gemerkt, gewinkt, geschimpft, bafür fann enblich
auch bie (Sigentbümlicbfeit ber ©prechweife ber Äinber er«
innert werben, eon benen oiele gerabegu aße ftarfen SSerba
fcbwadb flectieren unb g. 23. ich esste, trinkte fagen. aßeS bieä
(MO)
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37
finb momentan nod) ©pradjfeljler unb manche bet formen
»erben e8 »orau6fid^tIic^ immerbar aud) bleiben, unb ber fprac^*
meifternbe ^urift pflegt gemeiniglidj Derartige (Dinge al8
©pradjfrüdjte ber Verirrung nidjt wenig gu perporrefeiren. Slber
bie Ijiftorifdie ©pradjwiffenfdjaft »eift audj biefen ©ebilbeu
bcS unbewußten, nidjt reflectirenben »olfStßümlicßen ©ptecpenS
unb <Sprat^fc^5pfeu8 itjre gute ^Berechtigung gu, inbem fie ben
be8 piftorifdjen ©inneS baaren ©pradjreiuiger belehrt, baß fetjr
»iele, ja bie alletmeiften nuferer jeßt fdjriftgemäß geworbenen
formen anfänglich auch nichts anbeteS waren, alö ebenfoldje
Sprachfehler unb Sßeritrungen beS auSgleidjeuben pfpchologifdjen
StriebeS, bis fte ber alles Ijeiligenbe UfuS JprannuS auf eine
höhere JRangftufe beS (DafeinS erhob.
SBetfudje ber formalen (SuSgleidjung gwifdjen ben beiben
großen Kategorien ber ftatfen unb bet fchwadjen Serba macht
unfere ©ptad)e aud) täglich bei ber Smperatiobilbung. Stan
fagt befanntlid) im Smperatio ^eutjutage gleich fpradjridjtig
bleib unb bleibe, fahr unb fahre, ferner folge unb folg, lerne
unb lern. SEBofyer tjier bie (Doppelformen? (Den ftarfen Serben
tarnen nou £aufe aus bie formen oßne fdjließenbeS e, ben
f<h»ad)en aber umgefeljrt bie mit e gu. 3llfo finb bleib, fahr
eiuerfeitS nnb folge, lerne anbererfeitS baS ed)te 9llte. ©egen«
feitige 9lffociation8bilbung ruft als jüngere gotmen bleibe
unb fahre bort, umgefe^rt folg, lern auf biefet ©eite in’S
geben.
(Die tomanifepen ©praßen ^aben bei ihrer (Konjugation
einer ^)articipbilbung »eite ?(u8bel)nung gegeben, welche im
gateinifd)en nur erft in fpärlidjen Slnfängen fid) oertreten geigt.
(Die gn ben ^räfentien unb ^erfecten acuo acui, minuo minui,
tribuo tribni unb wenigen anberen gehörigen ^)articipien auf
-utus, acutus, minutus, tributus, finb bie Stuft er geworben für
eine große Stenge »en Seubilbungen; iljten ISuSgang treffen
(Ml)
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38
wir in bet gorm italien. -uto, franjöf. -u gerabeju als bie Siegel
an bei faft allen Serben »ornehmlich bet tateiuifchen jweiten
unb britien (Konjugation im {Romaniken. @o bei ital. tenuto,
franj. tenu „gehalten"; ital. venuto, franj. venu „gefommen";
ital. dovutu, franj. du „gemufft"; ital. veduto, franj. vu„ gefeiten" ;
ital. avuto, franj. eu „gehabt“ ; ital. voluto, franj. voulu „ge»
woHt"; ital. paruto, franj. paru „gefdjienen"; ital. venduto, franj.
vendu „oevfauft" ; ital. perduto, franj. perdu „oerloren" ; ital.
ricevuto, franj. re<?u „erhalten"; ital. vissuto, franj. v6cu „ge*
lebt"; ferner franj. rompu „gebrochen"; vaincu „gefiegt", couru
„gelaufen" u. f. w. Um e8 gut erfläten ju fönnen, roie fich biefe
Formation oon fo geringem Urfprunge au8 fo ungeheuer au8*
breitete, ha* man wohl bie Annahme einer HJlittelftation ju
machen : ich &en?e, bof) ft<h nach fDlafjgabe beS SerhältniffeS bei
ben wenigen latetnifdhen ÜJiufterbilbungen acutus neben acui,
minutus neben minui, tributus neben tribui ba8 -utus im Sul»
gdrlateinifchen junächft überall ba einfanb, wo bad $)erfectum
auf -ui oorhanben war. <5o führten alfo ^auptfäc^tic^ bie $er»
fecta wie tenui, debui, habui, recipui, volui, parui bie Serba
teuere, debere u. f. w. ju ben neuen §)articipieu oulgärlateinifd)
tenutus, debutus, habutus, reciputus, volutus, parutus. 21 u
folcher «Staffel !lomm bann ba8 -utus leicht weiter empor, fo
baff e8 nachgerabe auch bei fehlenbem perfect auf -ui in 2ln»
wenbnng fam, beifpielSweife bei venutus neben bem perfect veni,
bei vixutus (ital. vissuto, franj. v^cu) neben vixi, bei vendutus
neben vendidi. 3)ie alten lateinifchen ^Barticipien haben fith
»or biefem SBuchern be8 -utus jum 5£heil( fo weit fie nicht ganj
auSftarben, abfeitS in einen 2Bin!el jurücfgejogeu , b. h- ftnb in
nicht mehr als 9)articipien gefühlten fftominalbilbungen erftarrt;
j. S. ital. detta, franj. dette §. „©elbfdjnlb" ift = lat. debita
(nämlich pecunia), ital. vendita, franj. vente g. „Setfauf" =
tat. vendita.
CMS)
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39
3n bem griechifchen grammatifchen Unterrichte »erfeljlt wohl
fein gelter, ben Schüler auch ft^ott in bet Duarta auf ben
ß^arafter ber formen Iu>xQatrjv, dr]ixoai)evi]v als ©tetaplaSmen
aufmerffam gu machen. 55ber bet gehret fönnte unb feilte
meines ©rachtenS weitergehen in bem gwecfbewufjten Verfahren,
bem Schulet für bie ©jrifteng »on metaplaftifchen gormen, b. i.
eben baS äSalten bet Slnalogiebilbung in bet Sprache, bie Singen
gu offnen. So fönnte g. SB. burchauS erfptiehlich bie 33ilbung
beS ©eniti» SingulariS bet ÜRaSculina wie veaviag, TtoXurjg
anbetS als eS meift gefc^ie^t, wenn eS überhaupt gefehlt, »et»
ftänblidj gemacht werben: veaviov, noXimv finb nicht etwa auS
veaviao, noXixao , »on ben «.(Stämmen veavid-, noXixd-
pluS bet ©enüioenbung -o, entftanben, benn auS ao wirb nach
attijeben GontractionSgefehen befanntlich «w, nicht ov- Slber baS
-ov »on veaviov, noXixov ift eine Sormübertragung »on bem
gleichen ©afuS bet fogenanuten gweiten SDeclination, bet bet o.
Stämme, »on Innov auS "tttio-o; oo wirb ja regeltest im
ättifdjen gu ov contrahirt.
©inem benfenben Schüler ift eS, wie ich auS eigener ©r»
fabrung weih, ein SBebütfnif) gu wiffen, warum im
©tiechifchen Xiwv Xeovx-og, aber im gateinifchen leo leönis unb
nicht leontis beclinirt wirb, ©inem folcheu fage bet gehret,
bah bie n»!Declinatiou beS gateinijepen bie ältere fei, bie nt-üDecli»
uation beS ©riecpifchen bie jüngere, unurfprünglichere. 9Jiit bem
gateinifchen ^armonirt ja hier baS ©ermanifche, ahb. lewo,
©en. lewin = nhb. löwe, ©en. löwen; übetbieS weift baS
©riechifche jelbft mit bem auS Xewv mooirten (abgeleiteten)
feminin Xeaiva „göwin" auf bie urfprüngliche iSbroefenheit beS
i im Stamme »on Xewv hin, benn Xeaiva ift auS einem
maSculinen n-Stamme abgeleitet in betfelben SBeife, wie xixxaiva
»on xexxwv xexxov-og fommt. 2)ie SDeclination Xeovx-og,
Xeovf-i n. f. w. fann nur entftanben fein, in bem bet fRominatio
(MS;
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40
©ingularid, bet im ©tied)tfd)en bet n« unb nt-@tämmen in
betn gemeinfamen Sudgang -tav gufammenfiel, bem Somen Set«
anlaffung gut £eteroflifie, gum Sudweidjen in bie glejrion bet
9>articipia $)räfenti6 auf -w» unb bet SBßrter wie yepcov gab.
Slfo auch in Uwv unb feinet SDeflinatiou gewagten wit einen
Serfud) bet formalen Sudgleidjung : bie ©ptad)e madft ben Se»
ginn, bie 3weU>eit non n- unb nt^Declinatlon aufgubeben unb
SDeinberrftbaft bet Storni bed nt-|)arabigmad cingufübreu.
Suf bem ©ebtete bed griedjifc^en Setbumd Seifpiele oon
Sffociationdbilbungen, weldje bie Senbeng ber formalen Sud*
gleidjung befunben, in großer Stenge oorgufübren, würbe mir
nid}t fdjwet fallen. 3dj begnüge mtc^ mit bem |)inweid auf
bad ©ine, wie bie beibeu großen oon Slterd fjet neben einanbet
berge^enben ©pfteme ber Serba auf -n unb auf -m ft<b fort»
wäfyrenb gegenfeitig gu beeinfluffen fudjen. SDad Stuftet oon
Ivo) unb ©enoffen bewirft in bet anberen ©ruppe bie analogifdjen
Steubilbungen wie dsixvvw neben älterem deixw/u. SBie um*
gefeiert bet ©ieg unb bie SQeinberrfcbaft aud) gu ©unften bet
Sonnen auf -jut audfaden fann, geigen befonbetd bie äolift^en
©eftaltungen bet fogenannten Setba conttacta, bie für rpiUu),
öoxifiooj äolifd) etfcbeinenben formen <pü.t]fu, doxifxwfu\ an
bem ©^araftcr biefet ald fo befdjaffenet Steubilbungen gweifeln
beute nur noch wenige ©pradjforftbet, oon ben bie edjte biftoriftbe
SOtetbobe befolgenben fein eingiget.
Städ)tig geigt fidj bet Stieb bet formalen Sudgleidjung
auch auf bem ©ebiete bet gtied)ifdjen SBortbilbung im weiteren
©inne. SBie bet ÜDeutfdje bei liebee-gram, geburts-tag nad)
bem oben ©efagten geminina an bet etfteu ©teile bet SBort*
compofttion in bet SBeife oon Stadculinen bebanbelt, fo geigt
auch bie gtiedjifdje ©ptacbe eine weitgebenbe Stioetlirungdtenbeng
bei bet ©eftaltung bed elften ©liebed nominaler ©ompofita.
©ebt feiten finb ©ompofita mit femininen ber erften ©eclination,
(4M)
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41
welche wie ßovi.Tj-q>r>Qog, n vlrj-önxog ben ©tamm bcö elften
©liebeS in feinet richtigen Sonn aufnehmen. ©onft fügen fid?
foldje Seminiua faft burdjweg bet Analogie bet maSculinen ober
neutralen ©tämme auf -o-, fo baf) xipo-xQcaia , obgleich »on
tifiij fommenb , benfelben „©ompofition8Bocal“ -o- aufweift,
ben ctQiazo-xQaxia oon aQtaxo-g feinet eigenen Statut gemäf),
„organifch", wie man nach früherem Staude fich auSbrücfte,
befifct. Aud) confonantifche ©tämme befleiben fid} in bet ©om«
pofition mit bemfelben -n- bet o-©tämme, baljer naido-xQißt] c,
naxQo-xxovog, / ur/TQn-xtovog, trotybem baf) bie einfachen 9lo*
mina nicht n naido-g, 6 nazpö-g unb nod) weniger 17 firjTQo-g
nad) bet gmeiten 25eclination lauten.
gür bie ©ompofttion unb SBortbilbung mit 3a¥ro5ttern
finb e8 im ©riechifchen einzig bie brei auf -a auSlautenben
©arbinalia enxa, ivvia, dexa , beten gorm bie fRidjtfchnut für
bie übrigen abjugeben pflegt: neben ben auch Borhanbenen unb
nach ©rammatiferbegtiffen eingig regelrechten nevxi-novg unb
oxxw-novg befifet bie ©ptache nevxa-nnvg, nxxa-nnvg, benen
ba8 a in bet ©ompofttionSfuge nur burdf bie Analogie oon
enxä-Ttnvg, öexü-novg aufgebtungen ift. ©benfo beruht bie
burchgehenbe ©nbung -äxig bet SKultipHcatioa nevxaxig „fünf«
mal", hl-axig „fedjSmar, oxtäxig „achtmal" u. f. w., nnU.axig
„Bielmal, oft“ eingig auf bet SSerallgemeinerung beS AuSgangeS
Bonj snxaxig, ivaxig, dsxaxtg, beun bie eigentliche Sorm be8
3ahlaboetbialfuffipe8 war, wie bie ©pradjoergleichung batguthun
Betmag, -xig unb nicht Bon £aufe au8 -axig.
©0 Biel übet formale Ausgleichung als ba8 wefeutliche
bet gweiten $auptart bet fprad)lichen AffociationSbilbungen nach
unfetet ©iutheilung.
@8 fann, wie leicht gu geigen ift, praftifch bet gall eintreten,
ba§ bie ftoffliche unb bie formale Ausgleichung ft<h als einanbet
(MS;
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entgegen wirfenbe Triebe erweifen. So führt, um nur ein
Seifpiel gu nehmen, bie formale Ausgleichung eine ftofflidje Set*
fchiebenheit herbei in einem folgen §aDe wie bei ber Plural*
bilbung burd} Umlaut im .£)ochbeutfchen: inbem wölfe, nägel
formal mit bem Plural non alten i- Stämmen wie gäste, bälge
ausgeglichen baS ö, ä als SButgeloocal befommen, entfernen fie
fich ftofflich oon ihren Singularformen wolf, nagel. SbenfaHS
baS StTeben nach einem umgelauteten Plural h<d im Pfälger
SDialeft an einem eigentümlichen SRifwerftänbnif} beS Plurals
die fisch „pisces" feinen AnfnüpfungSpunft gefunben: auS bem
Plural die fisch, ben et mit die bisch, die fichs, ben pluralen
gu der busch, der fuchs in ber AuSfptache ber Pfalg, auf eine
ginie ftellte, hat fi<h ber pfälger ben Singular der fusch ge*
bilbet, ftoffliche Ser f Rieben heit auch hier bei ber formalen AuS*
gleichung gewinnenb.
Aber eS fann auch — unb baS ift für unS hier wichtiger
feftguftellen — fich ereignen, ba§ beibe gactoren eiumüthig mit
einanbet gu bemfelben 3iele ^imoirfcn. ^Darnach entfielt eine
britte $auptart ber AffociationSbilbungen, bie ber auf ftofflich*
formaler Ausgleichung betuhenben.
Sebeutenb mehr bet germanifchen fchwachen Serba bilbeten
norbem unb noch *m ÜKittelhochbeutfchen ihr Präteritum burdh
ben fogenannten IRücfumlaut, b. i. in ber SBeife wie brannte
oon brennen, kannte oon kennen, sandte oon senden u. a.
noch t^eut in ©ebrauch finb. ©hemalS h*t c8 i- 33- auch
stallte oon stellen, satzte oon setzen, sankte oon senken,
hankte oon henken, schankte oon schenken, hörte oon hören.
2Benn nun bafür in heutiger Sprache bie formen stellte, setzte,
senkte u. f. w. eingetreten finb, fo läfct ftd) jchwer lagen: hat
hier bie Analogie beS PräfenS unb feiner gorm gewirft ober ift
Da8 Serhältnifc bei anberen fchwachen Serben, welche oon Anfang
an präfenS unb Präteritum nicht burch bie SBurgeloocalifation
(J46)
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43
uuterfdjiebeu, wie sagen sagte, lieben liebte u. afynl., rnaf)5
gebenb geworben? 3m elfteren galle würbe ftoffliche Ausgleichung,
im Unteren formale »orliegen. £Da8 Süchtige wirb aber fein, bah
beibe Urfachen im S3etein ju berjelben SBitfung geführt haben.
2>iefelbe ftofflidpformale Ausgleichung fdjafft fogar mitunter aus
einem einigen SBerbum in ber Wolge beren jwei : auS bestellen
mit bem alten Präteritum bestallte unb bem Particip bestallt
entwicfelt fidj auf bem befchriebcnen 3Bege einerfeitS bestellen
bestellte bestellt, anbererfeitS, inbem ber SJocal beS Präteritums
fi<b »erallgemeinert, bestallen bestallte bestallt. Unfer mich
dünkt als PräfenS gehörte anfänglich mit mich däuchte als
Präteritum, eigentlich einem potentialen Dptati» (b. i. Gfonjuncti»
ber milberen ober jweifelnben AuSjage in ber Art »on ich möchte,
dürfte u. a.), gu einem ©pfteme jufammen. 3efct fönnen wir
gu mich dünkt ein mich dünkte als neues Präteritum, umge*
fehrt ju mich däuchte ein mich däucht alS junges PräfenS
neueften ©eprägeS circulireu laffen, unb nicht einmal bie »er«
fliehen en treidelte S3ebeutung, wie fie wenigftenS bei bestellen
unb bestallen wahrgeuommen wirb, braucht ft<h tytx gu jeigen.
SBenn wir oben ©. 29 f. baS franjöfifche aimons, aimez,
aimer burdj ftoffliche Ausgleichung beS alten amons, amez,
amer mit ben formen aim, aimes, aime, aiment entfielen liefen,
fo muh hinäugefügt werben, bah auch hier formale Ausgleichung
mit im ©piele fein fann. 3>a bei manchen Serben, j. 23. bei
porter, eine 23erfd}iebeuheit bet ©tammform burd) bie »erfchiebene
^Betonung ber einzelnen formen nicht eutftanb, fo fann baS 23or«
bilb biefer bie llniformirung beS PatabigmaS »on aimer, lever
mit beförbert haben.
3m ©riedjifchen lauteten, wie bie Sprachvergleichung er*
mittelt, ber Accufati» ©ingularis unb ber fRominati» piuraliS
beS £unbenameu8 »orhiftorifch einmal nicht xvv-a, xvv-eg, fonbern
*xvov-a, \xvnv-eg »on berfelben ©tammform, welche bet
(M7)
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44
sftominatio xvwv unb ber SSccatio xvov immerfort wahrten.
3nbem nun in jenen jtuei GafuS bie formen xvv-a, xvv-ec,
filier griecfyijdje dleubübungen, eintraten, fann einmal bie Analogie
ber Stammform in ben GafuS ®eniti» Sing. xw-6g, ©atio
Sing, xw-i, ©enitiu ?)lur. xw-wv, reelle non jeher nur xw-
wat, gewirft hohen; bann hohen mit eS natürlich mit ftofflidjer
Ausgleichung ju tljun. GS ift aber auch nicht auSgefchloffen,
bie 23eeinfluffung burch baS ^arabigma anberer dlomina, weldje
bereits früher nicht ober nicht mehr einen Unterfdjieb ftarfer
(lautlich ungefchwächter) unb fdjroadjer (lautlich gefchroächtet)
Stammform5) malten, angunehmen: wenn etwa bei nnvg
fdjon früher gleichmäßig nod- in allen GafuS gu ©runbe lag,
fo »ermochte auch baS ein Antrieb für baS ^arabigma non xvwv
gu fein, ftdj einförmiger fyinftdjtlicfy ber Stammform gu geftalten.
Solche Söirfung aber ber ©eclination oon ;toc;s ober überhaupt
anberer dtomina auf bie oon xvwv ift unter ben Baden ber
formalen Ausgleichung gu regiftriren.
GS leuchtet auf ©runb biefer Seifpiete wohl fofort ein, baß
bie Bade ber eereinten ftofflichen unb fotmalen Ausgleichung oon
norn herein immer einen gang beftimmten ober richtiger gang
leicht gu beftimmenben Gharafter tragen. ®S liegt bie Sache
ademal fo, baff ein bei einem Bormenfpfteme oorhanbeneS SB er*
hältniß ber ftofflichen Gleichheit burch feine Analogie gu»
rücfwirft auf ein anbeteS nebenliegenbeS Borwenfpftem
mit bis bahin befteheuber ftofflidjer Ungleichheit. ®»e
ber Kategorie ber ftofflichsformalen.AuSgleichungen gufadenbe ober
mit Sicherheit guguweifenbe 3al}l öon ©pracherfcheinungen mitb
feiten eine fehr große fein im 23erhältniß gu ben Baden ber burch
ftoffliche ober burch formale Ausgleichung adein fleh öodgiehenben
AffociationSbilbungen.
innerhalb beS SereidjeS ber Bauplatten ber AffociationS*
mitfung wirb man weiterhin Untergruppen ftatuiren fönnen.
(M8J
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©ine foldje mögliche Unterabteilung ift, um nut biefe gu et*
mahnen, bie in partielle unb totale StuSgleic^un^. ©ämmtlicpe
bifi^et angeführten 33eifpiele waten gätle bet totalen Ausgleichung:
bie nadjgebilbete gorm machte fidj in bem fünfte ber fRadj* ober
fReubilbung gang unb oößig bet als ihr SERufter fuugirenben
gleich- 3<b erwähne, um baS 8ilb gu »eroollftänbigen, batum
noch einen Baß ber partiellen Ausgleichung.
A18 ein Seifpiel bet partiellen formalen AuSgleidjuug
biene golgenbeS. 3n gtiechifchen ©rammatifen, felbft folgen,
welche eine wiffenfchaftliche Haltung anftteben, wirb noch heute
unbebenflich gelehrt, bie ©ontractionSregeln, ba§ ta attifch
unb oa attifch ta (wie in *a iSna aiöw u. a) werbe, erleibe
eine Ausnahme im {Reutrum $)lurali8 folget Abjectina wie
XQvaeog XQvoovg, änXnog a/iXoig. 3)a foü alfo gegen bie
{Regel xQv0ia ÖU XQva<* anftatt gu *xPvaV< anXoa gu anXä
anftatt gu *änXü geworben fein. 3)aS {Richtige ift »ielmehr
eingig bieS, waS man auch bem ©chüler nicht Befehlen foOte:
jene gwei gautgefefce haben hier nicht bie minbefte 3nhibirung
erfahren, aber eS hat fich anftatt beS {ProbucteS betfelben in
XQvoä, anXä ber AuSgang - a eingebrängt nach ber Analogie
aller übrigen {Romina im {RominatiwAccufatio fPlut.; nur baS
-a als ©nbung fchien bem Sprachgefühl für baS {Reutrum fpiut.
ein genügenbeS ©harafterifticum gu fein. Aber ein Unterfdjieb
beS -a in XQv°ü > anXä oon bem in xaXä, ayaiXä u. f. W.
befiehl ja bodj: bort ift baS -a lang, h*et nicht. fDieS nun
rührt eben baher, bah eS bei ber Ausgleichung ber fchliejjenben
©ilbe mit -t], -fo in ben lautgefejjlich eutftanbenen »erfdjollenen
gormen *anXw wenigftenS ihre Quantität gelteub gu
machen gelang, bewahrte Quantität neben ceränberier Qualität
begeidjnen hier bie formale Ausgleichung bem ©tabe nach als eine
partielle.
3Die »orhergehenben S3erfuche, eine fpftematifche Anorbnung
(W9J
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ber auf pfychologifcbem SBege etfolgenben fpradjlichen 9ieubilbungen
ju ffijjieren, litten ben 3wecf, wenigftenS bie SCRöglidjfdt einer
folgen ju geigen. ®ie ftnb trofc ihrer Unoodftänbigfeit hoffentlich
bod) geeignet, erfenneu ju laffen, wie bie Oftetbobe ber @r*
forfdjung ber Slnalogiewitfungen feineöwegS auf ein blofje8 plan*
lofe8 SRatfyen unb Umbertaften ^inauSlauft. 3ft erft einmal auf ejc*
actem 2Sege feftgeftellt, ba§ eine ©prachform bet bie Sprache
beberrfchenben gautgefefce wegen eine Analogie» ober 2lffociation8-
bilbung fein muff — unb biefe Seftftedung mufj immetbar »or*
bergeben — , fo wirb fidj in ben adermeiften Süden bem Sorfcber
ba8 SBeitete unmittelbar oon felbft ergeben, b. b- e8 wirb eineö
langen ©ucbenS für ibn febr feiten bebürfen, nach welchem 3Jtufter
ober welchen SDtuftern bie ülnalogiebilbung fidj ooflgogen habe.
3$ geftatte mir jum ©«bluffe biefer Unterfucbung noch
einige jufammenfaffenbe SBorte öon adgemeinetet Senbenj.
3ur (Smpfeblung ber in biefcm Sßortrage gef^ilberten
metbobifchen ©runbfäfce ber oon anberen unb mir »ertretenen
fpradjwiffenfchaftlicben JRidbtung batf junäcbft ohne Ueberbebung
gefagt werben: ba8 33ertrauen ju ber abfoluten ©efefcmäfcigfeit
bet gautbewegung, wie e6 unfer erfter ©runbfafj au8fprtcbt,
ift e8 , woburd) bie ©prachwifjenfchaft bet naturwiffenfchaftlicben
(Soibenj nabe fommt , unb woburd) fte in SBegug auf Sicherheit
ihrer SRefultate aden anberen biftorifchen SSiffenfcbaften fo febr
überlegen ift.
@8 barf ferner gefagt werben, bah eine aderfeitö richtige
Slbgrenjung be8 9lntbeil8 ber 8eibe8« unb bet ©eelenorgane an
bem fprachlidjen Sotmenbeftaube unb beffen ©ntwtcflung, biefe
Slbgrenjung, bie wir ja »ot3ug8weife erftreben, immer ein8 ber
ergiebigften, ja not ber $anb wohl ba8 am notbwenbigften in
Snwenbung ju bringenbe SJlittel ift, um bie fdjon fo »ielfach
cerbanbelte Srage nad) bem SBefen ber ©prachwiffenfdjaft ihrer
8ofung beträchtlich näher ju führen. Die befannte Sroge meine
(550)
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idj, ob bie ©pracbwiffenfchaft gu ben Statut« ober ©eifte8wiffeu*
fünften gehört, ober, wie fte wohl ric^ti^er gefteOt wirb, inwie*
fern bie äBiffenfdjaft »on ber ©ptadje SRaturwiffenfc^aft, in*
wiefern fte anbererfeitS ©eifteSwiffenfdjaft ift. Denn bajj fie
gum guten Sltjeile eben beibeS gugleid) ift, ba8 fängt ja wohl
gerabe burd? bie Slefultate ber geute »on ber „junggrammatifchen“
Stiftung (wie man un8 getauft bat) an, am trefflidjften bargetban
gu werben.
Gnblich b«be ich nod) ben einen gang befonberen SBunfd),
bajj mir folgenbe Slbjtcht gleicbfam nebenbei bei meinen »oran*
gebenben Darlegungen gu erreichen gelungen fein möchte.
©trictefte Befolgung ber fpradjlichen gautgefejje unb plan*
mäßige .fjaubbabung be8 SlnalogieprincipS, biefe beiben oberften
methobifchen ©tunbfäfce bet mobernen ©pracbwiffenfchaft, fcbeinen
mir gwei Dinge gu fein, welche bei nicht wenigen Gelegenheiten
auch bie $>rajti8 be8 grammntifchen Sprachunterrichts auf ben
©pmnafien unb böbexett Schulen gang wohl gebrauten fönnte.
3dj b°ffe mich nicht gu täufdjen, wenn id) »orauSfetje, bajj meb*
tere meinet gut SOuftration bet tbeoretifchen Sebauptungen ge*
brausten SBeifpiele barnadj angetban ftnb, anfchaulich gu machen,
wie auch ber praftifcbe Schulmann beionberS beim griecbifdjen
Unterrichte »ielfach in bet ©chule bie fchönfte Gelegenheit habe,
echte fprachwiffenf<haftli<he ÜJietbobe gu üben, felbft ohne ein ei*
geutlidjet ©ptadjBergleicber gu fein unb in ©pracboergleichetei am
ungeeigneten Orte gu ejrtraoagiren. Sei bem Darlegen ber
eingelfpradjUchen gautgefe^e unb beim Serfolgen ,bcr Sinologie*
wirfungen in bet fprachlidjen Botmenbtibung braucht man ja febt
häufig übet ben SRabmen ber biftonfdjen (Sntwicflung ber Gingel*
fprache gar nicht b<aau8gugreifen.
5Benn im Uebrigen meine Sßorte etwas bagu beitragen fönnten,
in weiteren Äreifen ber ©ebilbeten bie woblwoüenbe 3«neigung
gur ©pracbwiffenfcbaft unb fpracbwiffenfcbaftlichen SfJtetbobe gu
<M»)
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»ermefyten, fo würbe id) barin ben fct)önften Bol)n fiuben für
mein — id) weifj nidjt ob immer gelungenes — ©emüfyeu,
unter einet großen SJienge oon SDfaterial eine geeignete Auswahl
ju treffen, um cermittefS beffelben bem Baien einen genügenben
©inblie! in fadjroiffenfcbaftlidje ^rincipieufragen ju gewähren
unb iljn wo möglich fogar ju einem Urteil in öenfelben ju be*
fähigen.
^.nmertuutgen.
1) 3JIit einem * bejeidjnet man nach allgemeinem {pradjwiffenfebaft*
licken Srautbe erfcbloffene germen, folc^e , bie niebt biftoriftb belegt
finb, fonbern nur gemutbmajjt ober au8 irgenb welchen ©rünben BorauS*
gefegt werben.
2) £Dte ©intbeilung ber Slnalogiebilbungen in bie jwei Kategorien
ber .ftojflicben* unb ber „formalen* Ausgleichung b«t ju ihrem Urheber
^aul in beffen SSeitr. j. @ef<b- b. beutfeb- ©pr u. Biter. VI 7. jf.
3) SSergl Die}, ©ramm. b. roman. ©pr. I4 150, 173, 177.
4) De8 Die j'f eben ©ramm. b. rom. ©pr. II4. 157 fragenb auf*
gefteflten lat. *deire bebarf e8 fomit gar nicht, um ital. gire, ebenfo
wenig be8 altlateinifcben Smperfedd ibam ftatt iebam, um ital. iva
neben giva ju erflören.
5) 3ur Sßeranfebauliebung be8 Unterf^iebeS Bon ftarler unb
febwacber ©tammform ift am lebrreiebften im ©rieebifeben bie Decli*
nation ber ©Örter wie jr*njp: ber ©enitin nurp-ot;, ber DatiB na. rp-t
finb Bon ber fcpwaeben ©tammform na.rp-, ber AccufatiB na.Tip-0. aber
unb ber 'piuralneminatiB Bon ber ftarfen ©tammferm narep-
gebitbet.
(552)
CPnid ton «rtr. Ungar (tlj. CBrimm) in Bttlin. B&enttagerfti. 17 ».
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5kr
unb
kr Mtm kr <£«ft»r
in ber ^eugett.
35on
Dr. ®. ÜUIjliss.
ßrrliit SW. J879.
©erlag Don ßarl £>abel.
(£. #. i'nötrtti’iitn Ücrlng'ibm^ljaiiiliBng.)
33. Wit&flm.etrrt« 33.
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2>as Ueberfefcungöredjt in fmnbe «ptadjen rctrb oorbeljalten.
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<S9tr cm unb Gultur! Unb abermals ftefyt ftnnenb ber gorftber
am DJieereSftranbe unb fie^t bem Spiele bet SBellen gu, bie
Blutb an Blutb ftdj mit bem SlUoatcr Cfeanofi in feierlicher
Stube »ermöblen! Sang bebnt ficb bet 3)ünenftranb, foweit ba8
jcbweifenbe Öluge rubt, unb ^iutet ibm firecfen ftch fruchtbare
©elänbe, unb blinfen in bet Berne bie bßcbragenben Stürme reich
geworbener ©labte. Blur unb ©labt blübenb gemalt bat fte
ber ©trom, bet fid) febnt nach langem Saufe mit ben SBogen
beS DJteereS feine Stellen gu einen! Sßeit ftnb feine äSaffet her*
gezogen oom glängenben 5)om ber 9Hpen, ben ber DJtenfcb ©ott=
barb nennt; gefreut bflt fttb ber junge Blufj im SJlngeficbte ber
trojjigen Serge feiner $eimatb; geläutert bat er feine Blutben
im blauen Sobenfee unb gefprengt bat er mit JDonnergewalt
bie weiten DJtaffen beä SuragebitgeS, bie ihn b*ubern wollten
in baß weite Übat feine fchäumenben wirbelnben SBellen frei gu
ergiefjen. Unb bcfpült bat et mit nie ermaitenbem Bluffe bie
DJtauern oon ©trafcburg unb ©pcper, non SBormß unb DJtaing,
bat feinen Snwobnern getrieben DJtüblen unb DJtafdjinen, bflt
liebreich aufgenommen alle bie Säcblein unb SBaffcrabern, welche
ihm barboten bie bunfelen äfämme be8 Söaßfenwalbeß unb beß
©cbwargwalbeä blaujcb immer nbe Äuppen.
Unb weiter mu&te fein Sauf ficb mühen. 35ort wo bie Dtabe
ihm gufenbet bie grünen SBellen, ba mufjte er mit DJtanneßtreb
ficb ben SDurcbgang erfämpfen gu ben fübnginnigen Surgen, bie
mit blibenben Benftern einfimalß auf ihn bernieberfaben unb bie
XIV. 32». 1* '(355)
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4
mauergeiualtigen üfütme 3afr funberte lang {Regelten im eini*
gen Strome beS 93ater JRfeinS. Unb bei ©obleng reicft ifm
bie SRijrenfanb bie rebenumfrängte 83raut, bie jugenbfrifdfe fDiofel,
unb mit »ereinter Äraft fenben fte Äöln’8 SEBaaren unb Scannen
finab bem ft<f fentenben Banbe gu. ©ocf tnitbe wirb enblicf
im flachen ©elänbe ber Strom ber muffeligen Arbeit; mit be*
fähiger Sreite treiben be8 alternben 9lfenu8 ©ewaffer bafin,
unb bie Scf ne fenbet et auS unb bie ©nfel im Üieflanb mit ge=
tfeilter äfraft gu mirfen unb ftfaffen. Unb gur Binfeu unb gur
tRecften gefen ab bie »eräftelten 2lbern, unb bet ©aal reicft
bie breite $anb ber 5Jiaa8, ber Scftuefter »om Blrbennenwalbe,
unb bie Scfelbe fommt au8 ben ©aueu ber Söaflonen mit bem
©efcfmifterpaar ben gemeinfamen ©ang angutreten finein in bie
Urflutf, »elcfe ben ©rbfreiS trägt. ©er alte fRfein aber roenbet
fi<f feitroärtS; et bleibt treu feiner Stiftung im 3ugenbalter unb
in bet 9Ranne8!raft unb nacf 9iorben geigt ber Stern, bem er
malig »ergefenb guftrebt! —
Unb mie be8 Strome8 ©ef(fi(fte fo aucf ber ©ang
ber ©ultur, bie ficf entroicfelte in feinen ©aueu unb bie ifrer
2Menbung gugeft in ben lefeten Safrfunberten. Bange ßciten
blieb eingefcf (offen ber rotirenbe Strom ber (Jioilifation in feinem
33ette, fomeit e8 fi(f ftrecft »cm reicfen S3afel bis gum nicft
ärmeren .töln. 5Sber bie nie raftenbe Slrbeit bet SReugeit liefe
enblicf ben eingefcfloffenen, fegenSreicfen glutfen ber cultureUen
3been, bie ficf an be8 JRfeinS ©eftaben entroicfelt falten, ener»
gifcfen ©urcfgang! üftit ©emalt brauften bie fier lange gurücf»
gefallenen ©eDanfen finauS gut JRecften unb gut Binfen nacf
9iorben unb nacf ©üben, unb neues Beben, neue .Kraft ging
ben Banben fftben unb brüben gu »on ben ©aueu unb ben
SBienfcfen am SRfeine. ©ocf bem BebenSfpenber, ber gu »iel
©nergie, gu »iel bpnamifcfe ©ewalt »erbraucft, geft enblicf ber
erfaltenbe Dbem felbft au3. Scfioacf unb lafm fiegt fein Beib
(55«)
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5
babiit, wabreub jeine .Kinber wacbfen unb gebeiben; et wirb bie
33eute fceö näc^ften 9täuber8, bet frech feine ©lieber gerbadft unb
fid) brüftet beS IRaubee. 2tber enbli<b bringt i^m ©rlöfung,
bem jRbeinlanb unb bem (Kulturftrom in jeinen erfalteten 'übern
ber ©tern, bem er ua<b korben gugeftrebt ijt!
9iad) manchem barten ©trauf) fdjlägt fein ©obu im Sterben
beS beutjdjen Süaterlanbeb bem frechen SBegelagerer auf’8 £auf>t,
ber oerjucht Ijat, mit feinem oerpefieten S3Iute neues geben bem
unter feinen ©djlägen abfterbenben Oi^einlanbe aufgugiefjen, unb
frei unb einig wirb ba8 IRbeinlanb, foweit bie beutjfbe 3unge
flingt. CReue .Kraft oerleibt bie Siebe bet Äinber unb ©nfel ben
fcbou abgeftorbenen ©auen, unb feine (Kulturarbeit bie 23erl
binbnng be8 fRorben'S unb ©üben’S ©uropa’g in <£>anbe=
unb ©anbei, in Steen unb Sitten wirb ba8 JRbeinlanb mit
ftijcbem 5Rutl)e in 33älbe mietet leiften, fogut wie bie ©olfeu,
welche ber JRorbfee entfteigen, mit neuem ©egen wieber beleben
bie Quellen, meidje ihren Utjptung ^aben am ©ottbarb unb
am gicbtelterge, in ben graufengauen unb im ©cbwabenlaube.
©o gut ba8 ©ewäffer ftetö oon fReuem beginnt ben ewigen
SReigcn, fo fieser wirb gu neuem Sebeu ermaßen, oon feinen
Äinbcrn geftüfct, bie barnieteT gelegene .Kraft bet Oibeinlanbe,
bie gwei 3abrtaujeube lang bem bergen (Suropa’8 unb ber cul*
tuteüen ©eit oermittelt Ijat bie ©ebanfen cioilijaterifdjer unb
reformatorifeber Slbätigfeit. Sa ©trom unb (Kultur! —
©8 mar ein reiches, buntes geben, welches bie jRb««lanbe
im 15. Sabv^unberte ben SDHtlebenben barboten. SDie ©täbte
am SRljeiu ftanben auf bem -^ebepunft ihrer 5Racbt. $Die
SRadjt beS ^uloerS, bie glübenben ©efeboffe au8 ben galfonetten
unb gelbfdblangen, bet „faulen ©retbe" unb „bet groben Siefe*
oerbarben ben ^Raubrittern im JRbein* unb im ©dbmabenlanbe,
in granfen unb in ber ©djweig ihre ©djlicbe unb ©dringen,
welche fie früher bem ©äumerguge unb ber ©agenreibe gefteDt
(SS7)
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6
hatten. 3u ©trahburg unb gu 3ürich, gu Spepet unb gu SBorm«,
gu Äöln unb gu Söafel lebte ein mannhafte«, waffengeübte« @e»
fchlecbt, Da« gu Sd)uf$ unb Slruf} Slaufenbe non waffenfähigen,
wehrhaften Männern fteßen fonnte. SDe« Sßolfe« jbraft in ben
Stabten warb geübt in feftlit^en (Spielen. 53ei ben großen
greifchiehen in ben r^einifdjen Stabten warb nadj uralter Sitte
guerft nach bem Vogel auf ber Stange mit bet Sfrmbruft unb
bem Stahlbolgen gegielt1)- 5>ie praftifchen Schweiger fiub Die
erften, welche $)uloer unb ©lei auch bei ben 3ielturniren beoor*
gugten. Schon 1472 wirb ba« grofje gretfchiehen gu 3ürich uut
für Vüchfen auSgefchrieben. £>ie Söaffe war biö gegen 1600
ba« glatte Sftoljt für gwetlothige Äugeln mit gerabem ober ftummem
Schaft, alle 3üge — „hohlnäthige SRofjre" waren netboten*).
Vor bem Veginn eine« großen geftfdjiehen« war ber gange
hohe fRath in ^Bewegung. 3)a muhte non 5tath«wegen ein
ftäbtifdjer Grebit bewilligr werben, geftrebner ober „^ritfchmeifter"
würben befteüt ober gar oetfcprieben, auf bem Schiefjplan witt»
ben bie Schranfen aufgeftedt, Äaufbuben würben errichtet, für
Verbergen geforgt, ©efdfenfe würben auögewüljlt, alle 3nnungen
unb ©ewerfe famen in Slhätigfeit. Unb waren bie hohe» ©äfte
unb bie ehrbaren SJlännet non ben benachbarten Stäbten em»
pfangen, hatte manch’ guter Schuh ba« 3iel getroffen, war manch’
fdjlechter SBifc ben ^ritfchmeiftern gelungen, fo fdjritt gum
Schluffe ein feierlicher 3ug oon SRathö^erren, nornehmeu 3ung*
frauen bet Stabt, Stabtpfeifern unb Slrabanteh auf ben bunt»
bewimpelten geftplah- SDort würbe nach gehaltener Stnrebe ein
Ärang ben Vertretern einer befreunbeten Stabt gereicht, unb
biefe hatte bie Verpflichtung ba« nächfte greifdjiehen gu halten,
bamit ba« Ätänglein nicht oerweife3). Spiel unb Slang fchlofj
bie ftäbtifche geierlid)feit, bie« wahre Vürgerfeft, ba« dürften unb
Vauern, Sübelrge unb Vürger gu frohem Sireiben, gu @rnft unD
Schetg. gu Uebung unb Slnfprache oereinigt hatte. £ier würben
(558)
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bie alten 33ünbniffe ueunerftärft, t)tet würben neue 33etbinbungen
angefnüpft! ,£>ier geigte fich ber reiche fPatrigier im ©ammt«
gewanb unb ©uffenhofen, ber 33auer in Gfamifol unb SBruftflecf,
bet Sürft in ^elg unb ©eibe, ber SJtßnch in jfutte unb jfapuge!
Unb ba8 33olf8feft oerfchßnten bie anmutigen 3ungftauen mit
bem fofett gewunbenen ©djleier über bem Raupte unb ben gül*
benen .fettlein um ben weiten £al8, unb bie fraftftrpfjenbeu
^Bauernmöbel mit ihren fiatternben SBänberhauben, ihren bunt»
geftreiften fRöcfen unb bem fftägelefträufechen am fammtnen, h»<h*
gehenben üJlteber! - Unb bagwifcben wälfdje ©aufler unb fah*
tenbe ©änger, fdjnippifche j? ammcrgofen unb liebreigenbe dürften»
pagen; ein lebenflwarmeS SSilD non bet Äraft ber beutfdjen
©täbte. @8 war bie Seit, non bet ein beutfcher 3eitbu<hi<hreiber
fagte: „ba ba8 ©terben, bie ©eifjelfahrt unb bie 3ubenf<hlacht
ein 6nbe hatte, ho& bie SBelt wieber an gu leben unb fröhlich
gu fein." Unb getabe biefer ^ßljepunft beä Sieben 8 barg in fich
ben Äern beö 33etfalle8, unb wähtenb bie ©täbte am 9U)eiu
fcboffen unb taugten unb bie ©trafjburger fidj freueten am |)irie«
brei, ben ihnen bie Bürit^er noch warm im 5£opf ben SRhein
herab in einer gahrt gebracht hatten4) ba leuchtete im Dften unb
im SSBeften bie fDtorgenrßthe einer neuen 3eit auf, beren ©onne
mitHave! ba8 fDlittelalter begrüßte unb einem neuem Seit alter
ben SSiflfommgtuf} bot.
^ern im £)ften am 33o§poru8 ba hatte gur Beit ber
höchften S3lüthe bet rheinischen unb hßd?&eutfchen ©täbte ber
lefjte ^aläologe ben #elbenfampf mit bem jugenbfrifdjen dürfen*
flamme gefämpft, ber uon ba an 3ahrh«nberte lang ber ©chredfen
JDfteuropa’8 blieb unb auf bie ©eftaltung ber politifdhen 33er»
hältniffe au ber SDonau unb am9lh£*n 0Dtt tiefgehenbftem 6in»
ftu§ warb. 9ioch immer war ba8 gealterte SJpgang ber reichfte
©tapelplafc ber geiftigen 33ilbung8elemente be8 ÜRittelalterö ge«
wefen. -iRoch ftrahlte be8 ©onftatin ©tabt im ©chmucfe prächtiger
<w»)
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8
SDenfmäler, noch barg e8 immer eine erftaunliche SBijfenSfüfle,
welche bie 9iähe be8 Orients mit bcn getftigen, nid^t geringen
©djafcen ber Araber unb Werfer bereid^ert batte4). Unb biefer
ganje ©ttom geiftiger ßtegfamfeit, platonifcijer Sbeen unb ber
2öeiS^eit befi £>ften8 ergofj fidj mit ben geretteten gried^tfdjcn
©affifern, bie man bort bisher meift nur bem tarnen nad) ober
nu8 Ueberfefjungen gefannt ^attc, nach bem Söeften auf JpeS»
perien8 banfbate gluren. ©n glücfliche8 ©eichicf woflte e8, bafc
bamalS getabe bie 33uchbrucferfunft nom ßihein au8 nach
3talien gelangt war, unb Albu85ftanutiu8 lief) ju Senebig 1488
in feiner berühmten Sudjbrucferei 3um erften SDtale 28 griedjifdbe
©affifer mit ber 3)rucferfcbwärje unb ben fcetteru bet 9)tainger
Äünftler nemelfältigen 6).
ÜJtit ben griecbtfcben ©affifern unb ben fliid^tigen SJtännern
Bon S^anj 30g ein in 3talien bet gan3e ©trom be8 Hellenis-
mus. 9Kit ihm brang bis 3U ben Ijöcbften Greifen ber Hierarchie
unb in bie gelehrten Äreife ba8 alte Heibenthum, unb unter
bem ßJtantel beS ©jriftenthumS uerehrten 9)apft unb iSaie, Äle«
rifer unb $)rofefforen bie antife Söelt, bie altclajftfche Äunft,
bie geidjtlebigfeit unb ben gormenfinn beßenücbet Anfdjauung.
Unter folchen Anregungen feierte balb unter bem 23eifaU ton
Zapften wie ßlicolauS V., Alejranber VI., 8eo X. in Stalien bie
Äunft unb bie SBiffenfchaft ihre h^c^ften SJriumphe. 3ene
feunen mit unter bem SRamen ber fRenaiffance unb wohlbefannt
finb bie ÜReiftermerfe Bon geonarbo ba SJinci unb fRafael
©angio, Bon 2eon Alberti unb ßRidjelangelo. 2)iegotm
unb ber 3nhalt ber heßenii^hen Anfd)auungen Bon SÖahrheit unb
Äritif, Bon ^Religion unb ©laube hieß als Humani8mn8
feinen fiegreidjen Grhyug in bie He^en unb ©inne ber Stalifer.
SDie erlauchten ©eifter bort an ben Hochfchulen Bon Bologna
unb §loren3, ein gicino unb SBeffarion, ein ?)oggio unb
gaubino 3ogen unter bem S3anner platonischer 3been 3U gelbe
(560)
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gegen bie Serguicfung beg djriftlidjen ©ogrna’ß mit ben attfto*
telifchen Seiten, gegen baß ©dju^opfthum, wie man bie ©djo»
Iafttf treffenb genannt hat 7).
©d?on not bem ©rwachen beg huroaniftifdjen ©eifteß Ratten
in ©eutfchlanb unb jmar am Niefcerthein in Jjpollanb fiel? etnjelne
Stimmen erhoben gegen bie Broangßjade beg ©cholafticißmuß,
beffen Schnüre bie beutfdfen Uninerfitäten umfcblungen hielt unb
in beffen winbbeuteligen ©treitigfeiten baß SDiarf bet ©djrift*
gelehrten 3U Ä5ln unb £eibelberg, 31t Safel unb ffreiburg, ju
Strier unb Tübingen, 3U 3Dtaing unb Sütjburg im 14. — 15. Bahr*
hunbert fid? ne^ehrt hat8). ©erwarb be ©roote ober latinifirt
©eratbuß mit bem Seinamen Nlagnuß hatte 31t ©eoenter
eine hohc ©chule etrichtet, welche fid^ Äenutniffe erwerben foflte
ebne auf bem ©ieefenpferbe bet ©ißputationen 3U reiten, unb
beren Jbeilnel)mer bie SBibet aiö clafftfc^e ©ittenlehrerin lafen.
Unter feinem Nachfolger Siabewpn aug Utrecht oerbreitete fich
biefe Srüberfchaft „nom guten SBillen" ober „nom gemeinfamen
geben“ — fratres in commune viventes — über ben gan3en
Nieberrljein unb gan3 Norbbeutfdjlanb. 3luß biefem ©ollegium
ging bet Setfafjer beg nach bet Bibel gelefenften Sucheg h«roor:
©homaß oon Äempen, ber Serfaffer ber in Jpunberttaujenben
non ©jremplaten in allen Sprachen »erbreiteten ©chrift: de
imitatione Christi, ©ein eigener ^rieftet feilte barnach jeber
werben, unb währenb bie hehre beg ^oOänberß einerjeitß baß
SSnfehen ber 3Ügellofen ©eiftlidjfeit untergrub, oerlieh fte anberer*
feitß bet auß 3talien nach ©eutfdilanb unb befouberß in baß
Nheinlanb gelangten ^umaniflifdhen Nidjtung eine wefentlich
chriftliche Safiß. ©em ©influffe beß SBerfdjeuß, baß auf bem
Souboirtifd) ber ©ame Dom ©tanbe unb in ber elenben Äamrner
armer heute noch beute 3U frühen ift, unb baß nicht weniger alß
2000 Auflagen erlebt hat. ift eg mit 3U banfen, bafe ber non
£eßperien überflutbenbe ©trom beß ^umanißmuß bei ben beut»
(sei)
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fdjen $elleniften nic^t gut friuolen ©laubenSloftgfeit umfdjlug, wie
bei ben bol)en ©eiftlicben in 3talien, bie Anfang beS 16. 3abtbun*
bertS gum ©ntfejjen bcS puritanifcben 2luguftinermöncb8 au8 bem
©adjfenlanbe weltlicher waren al8 gürftenbiener unb Bangfnecbte9).
2lm Dberrijein wirfte für bie ©rijaltung be8 djriftlidjen
@inne8 im ©eifte bet Dppofition gegen bie 93erborbenbeit ber
©eiftlicbfeit nic^t gum minbeften bie feurige Snnigfeit unb
ergreifenbe 28nl}ri)eit eine« ^rebigerS wie 3obann Jaulet,
beffen ©cbriften 1498 gu ©trafeburg guerft gebrudt würben.
3m ©eifte biefeö oberrbeinif<ben SJlpftiferS wirfte fein £anb6«
mann, nur mit fd)ätfetet 3unge, 3ob«nn ©eilet, genannt »on
Äa if er 8b erg. ©r legte feinen in berber @prad)e abgefa&ten
9>rebigten feineö greunbeS ©ebaftian Srant’8 fliarrenfdjiff gu
©ruube, ba8 jener alemannifcbe ©atirifer mit S8tfdj5fen unb
fWöncben beoölfert batte. 3m felbigen ©eifte fpottete Jbotna8
füi urner, ein WrangiSfanetmöncb ooü tntterböfer ©priicbe, gegen
bie entartete Äircbc im 33rei8gau unb im ©unbgau, unb wobin
fonft ibn fein unfteter Sebenäwanbel führte 1 °).
25ie5e fUJöftifer unb ©atirifer be8 0?brinlanbe8, gu «gwOanb
unb im Sllifatenlanbe, liefen gwat Uprer oppofitioneüe ©pratfre
gegen bie ©ntartung ber Äirdje »ollen Sauf, bod) eerleugneten
fie bie Äirtfce nicht fd^lec^t^in, fonbern machten uur §ront gegen
bie ibr anbaftenben ©ebredjen. äuf alfo »orbereiteten 33oben
fam bie ©aat be8 beutftben £umani0mu8 unb halb ber
beutfdjen ^Reformation! @6 war eine ßeit Schwanger ooH
itnauSgegobrener 3been unb oppositioneller Jbatenluft!
SDie gweite Hälfte beö 15. 3abtbunbert8 erftbeint in geiftiget
©egiebung für ©eutfdjlab als eine Uebergang8periobe »om ÜRittel»
alter gu ben 3been ber SReugeit. ßuerft geigt fidj bie Umwälgung
in ber Literatur unb gwar im Greife bet gebilbeten ÜRänner
befonberS an ben .£>ocbfcbulen unb in ben 9ieid)8ftäbten be8 SR^ei«*
lanbeB. 3« £eibelberg am ^ofe be8 Äurfürften fPbilipp batte
(MS)
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fid) eine Slreua geiftig fyocfyfteljenber 5ERänner gefammelt, in beten
Seelen guerft ber ^rogef) bet ©ähruug ber neuen ©ebanfen not
ftch ging, melche baß Stubium ber neu entbecften ©laffifer, bie
aue Slalien famen, mit fid? brachte. ©cn $)rimuß beß SRufen*
fifceß gu £)eibelberg, bet „feinen" Stabt, wie fie ein Sohn bet
fRIjeinlanbe auß neuerer 3«l betitelt, oerehrte man in Sodann
non ©albctg, bem Spröfcling altrheiuifchen 91belgefd)le<htß,
ber nachher ben Sijchofßftuhl gu SSormß gegiert l?at. Dbmohl
im ©ienfte beß Äurfürften unb beß gVaijerß 5Raj: gu pljeren
biplomatifchen Senbungen »ermanbt, blieb er bod? burchbrungen
oon bereinig jungen, göttlichen 23egeifteruug, bie er fid? gcjdjöpft hatte
auß ©aftalia’ß Duell auf heßperifd?em Soben. 9Jtit Oiubolph
Slgricola, bem SBater bev beutfd?en ^mmaniften, bem nertrauten
greuub 8utl?et’ß unb 5Jleland?thon’ß nerbanb il?n unb eiuen
©ietrid? non $Mennin gengu £eibelberg baß 23anb ebfer ^reunb*
fd?aft. ©er liierte im greunbfd?aftßfrange mar ber heitere Sol?n
beß fDtainlanbeß, ber nom .ftaifer fDtajc gefrönte poeta laureatus,
ber SRitter unb ©id?ter ©onrab Gelte ö. ©erachtete mürbe mit
feinem gewanbten nieljeitigen Sftion gum geiftigen -£?cbel ber
gangen t)umaniftijd?eu S^^ätigteit in ©cutfd?lanb unb befonberß
im ^>fdlger 8anbe. @r rcarb ber ©rünber unb 23orftel?er ber
fogenaunten r^einif d>en ©cf ellfdjaft, einer gelehrten ©efetl«
fd?aft, beren 33unb bie Slugen beß jüngeren ©efd?led?tß ^inteufte
auf bie SBeißljeit unb bie SBerfe ber ©riechen unb IRömer, auf
^hilofophie unb iSlterthumßfunbe, beren SDiitglieber römifche
Sujdjriftenfteine auffudhten uub alte <£>anbfd?riflen auß ben ülofter*
bibliothefen heraugogen, meld?e bie ©laffifer mit faiferlidjen $)riui*
legien ebirten unb an ber^janb nonSicero unb Duinctilian
auf bie Feinheit ihrer Sprache bebaut maren.
3u Strasburg, Schlcttftabt, SBafel, fPforgheim wirften ahn*
liehe ©efellfchaften — Poeten faulen genannt — mit bcrfelben
Jenbeng, beren 9JtitgIiebjd?aft oft bie ^requeng oon Jpod)fd)ulen
(»63)
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übertraf. Gnge Segieljungen einten biefe {R^einläaber mit ben
gelehrten £umaniften gu Nürnberg unb gu ’^ugöburg. SDort roirfte
ber ©eograph unb ©(obuäoerfertiger SBiübatb ^itfheimer
nnb ber ©chulmann Heinrich ©roninget, hi** ber befannte
intrigier 6 onrab sPeutinger, melier bie&arte be$ römifchen
SReidjeö entbecft unb fyeraitSgegeben ^at11) nnb bet gelehrte
Somprebiger 3o^finne8 Jpa ubfdbein, latinifirt Oecolampadius.
Sie Uuioerfität felbft gu Jpeibelberg blieb nod) fangen in beu
Sanben beö ©cholafticiömuö, unb noch immer ftritten fidj l?ier
9iominaliften unb 9tealiften in ben Surfen unb ben fcehrfälen
mit Söorten unb ©djiügen um ben Sorrang.
Sine weitere Srefdfe in bie Seftung ber Derfnödjerten 2^eo*
logic im JUjeinlanb (egten burdf ihre SBirffamfeit auf theologifchem
unb philologijdjem ©ebiete gwei weitere, metfwürbige 9Jtänner,
weldje rheinifcbem Soben entftammen, 3ohann Söeffel non
©reningen unb Soljann JReuchlin con $)forgheim. Sener ein
in bie jtünfte ber fcholaftifdjen ©ialeftif eingeweiljter Geologe
fämpfte mit itjreit eigenen SSaffeu gegen ben ©<hlenbrian be8
©djolafticiömuS, biefer ein oorgiiglichet Äeuner bet griechifdfeu
©prache gog biefe guerft in ©eutfdjlanb in ben Äreiö ber
afatemifdjen 8c^rti)ätigfeit Ijerein unb war mit feinem unioer*
feden SBiffen ber <£>auptoertreter ber universitas literarum, welche
ber eb(e ©alberg am 9lecfarftranbe gu grünben fid> bat) 3iet
geftecft fjatte. Seibe Sltänner übten burd) ben gasreichen ÄreiS
ihrer ©dptler einen gewichtigen Ginßufj aut) auf bie SilDung
unb bie tMnfchanung ihrer 3eit. SBeffel’8 ©chule lebte im
©tiden fort alö Serläuferin ber reformatorifchen (Bewegung;
gu (Reuchlin’8 ©chülern gehören (Könnet wie üJZelanchthon unb
Goban £effe, Ulrich non Jütten unb 3acob SBimphe«
ling, ©eifter, welche tief in baä Käbetwerf ihrer ©poche ein«
gugreifen ben (Beruf hatten 1 2). Unb balb fodte bie literarifche
Bewegung baö gefchiebene gahrwaffet afabemijcher SUjötigfeit
(5 64)
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netlaffen nnb auf offener SBüljne SBeflen fchlagen, weldje beö
SSolfeÖ 3?ewu§tfein unb feine St^atFraft gewaltig aufgurütteln
im ©tanbe waren. ©er Sauerteig beß .£umauiemu8 Ijatte in
ben ©eiftern im Stillen gewieft; auf feiner S3afie feilte in 23ä!bc
burch ba8 Sluftreten be8 SDRen^eS non SBittenberg ju 2Borm8
bie ftille ©äljtung anbere, »ilbe unb gefährliche 23aljnen ein»
fchlagen !
2Ba8 non Dr. SJtartin Butt) er in feinen SUjefen bie et
an bie ber ©tiftefirdhe 3U SBittenberg am 15. JDfteber 1517
angefdblagen h^f auegefprodjen, mar: bie Verwahrung be©
beutfeheu Völlegefühles gegen einen gemeinen .£>anbel, ben ber
Slblafjfrämer Siegel mit beß (Seelenheil nngefdjeut trieb,
ber Hinweis auf bie j^eilTraft bee ©rlöfere, baS wieberljaHte
meit unb breit im beutidben Oieic^e. bei ftürft unb Söauer, bei
©eiehrten unb Bürgern. JDie gan3e Dppofition gegen bie Ijicr»
ardhifdjen 3nftitute, gegen beä ^Sapfteß $>rincipat, gegen SSerf*
heiligfeit unb ^eiligenfult, gegen ©ölibat unb ©eremonienwefen
hatte bamit ba§ SBort ber ©rlöfung nom Vanne beß 3auberer8,
bie wichtige 3auberformel ber energifdjen Stljat gefunben. 2Rit
ben fchneibigen glugfdjriften bcS fühnen SÄuguftinermöndjce, ber,
ftammenb au8 thüringifchem Vaucrnblut, feine 9?ü(ffid)t 311 nehmen
hatte gegen ^öfifdjeß SBejeu unb ^umaniftifd^en ©eift wie
©raSmuS non 9i otterbam unbVeatuC 0^ Ir e a n u ß , weldjc nur
intra parietes clerieorum wirfen fonnten, „an ben djriftlichen
Ülbel beutfeher Nation non beß «hriftlichen ©tanbee Vefferung“
unb „non ber babplonifchen ©efangenfehaft unb ber djriftlichen
Freiheit" war baS fdjwere ©i8 beS haften geifteS in ©eutfdjlanb
gebrochen. 9We ©tänbe fühlten ficb eine in ber Vegeifterung
bei Anhörung ber Sinflagen gegen 9iom, in bem ^>affc gegen
wälfdhee ^Ifaffenthum unb fird)lid)e SJti&bräucbe. Unb babei
waren biefe ©onnerworte gefdjriebcn nicht im Batein ber Äterifer,
fonberu in ben mit foldher Äraft unb gülle nodj ungehörten Bauten
(.'.65)
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bei heutigen SOlutterfpradbe. See 5Jl6n<bletn8 ©adje gegen ben
gu Diom gewann im romifcben fReid? mit bei ©dfnetlig*
feit einee SranbeS bei ©turmwinb eine unetmejjlicbe Popularität.
9Jtan erhoffte Sefreiung bet Äiidje oom IRömertbum, man et=
feinte giei^eit ber Religion unb gugleicb bie ©rünbung eines
»on Pfaffenberrfcbaft befreiten beutfcben JReicbeS. Sille Slugen
jaljen auf ben ©nfel 9Ka;ttmilian’§, ben Äaifer Äarl V.
Unb ber 23ranb, ber gu SBittenberg unb SöormS aufgeflammt
mar, itjn fd)ürten bie Sertreter breier ©tänbe im 5Rb«nlanbe:
9Utter, ©eiftlidjer unb Sauer, ba§ feine flammenben gunfen
bi§ 311m Fimmel lobten unb gang Seutfd)laub auf Sabtbunbette
baS Siebt ber Slufflärung »erliefen warb13).
Ser Dritter unb ©cbriftfteller, ber $elb beS ©cbwerteS unb
beS ©eifteS, ber unermüblidJe Sorfämpfet für bie DReidjbibee unb
bie goSlöfung beS Seutftben Den JRom unb ben Papiften, ber
^Bannerträger ber ©ebanfen, bie brei Sabrbunberte n ai) iljm
in ben bergen ber beutfdjen Sugenb nodj aufglttben feilten, baS
mar ber ©obn r^einifdjev ©rbe — Ultid) oon Jütten, ©e»
boren auf ©djloj} ©tedelberg an ber Äingig, etmudjö er in
möndjiget 3«tbt gu Bulba, ftubirtc gu Äöln, am ©ifce ber ©d?o*
laftif in Seutfdjlanb, bann in ©rfurt mit bem lateinifebeu
Sinter ©oban Jpeffe unb beenbete gu granffurt a. b. Dber
feine ©tubien. 5RubeloS trieb eS beit gemanbten ©cbriftfteUer,
ber mit gleicher ©djneibigfeit gateiu unb Seutfdb ban^babte, in
ben beutf^en ©auen ttmber. Sie 3bee beS ÄaifertbumS, mie
eS Äaifet fötaj: unter Anleitung eines anbeten {R^einl5«ber8,
beS Äutfürften Sertbolb »on #enneberg auf bem fReidjS*
tage gu SBormS unb ©onftang mieber butte aufridjten mollen,
war gu ©runbe gegangen an bem PartifulariSmuS ber beutfcben
Magnaten, bie gmar gu geben nabmen, aber bem Äaifer feinen
gebenSgebovjam mehr leifteten. 3u SBormS marb 1495 bie
erfte fReidjSfteuer befdjloffen, marb ber „ewige gaubfriebe"
(M6)
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oufgeriddet, warb ba8 fReikSfammergerikt eingefefct, beffen Si£
f^jäter 2Befjlar würbe, warb baS SReik gu 3w>e<fen ber IReikS*
uerwaltung, bet {Reit^SredjtSpfleae unb ber 5Reik8»etkeibiguna
in getyn greife eingekeilt worbert. feurig forberte Äaifer SRaj:
gu ©onftang 1507 gur 58ertl)eibigung beö IReikeS gegen bie
übermütigen SEBälfk«« unb bie intriguauten grangmänner auf,
allein auf bem fRümerguge fam 2Raj: nur bis Orient, unb con
ba blieben gefdjieben bie ©efkitfe 55eutfklanb8 unb StalienS.
33enebig fottte für feinen ürojj gegen ben ^aifer gegüktigt wer»
ben, allein eS blieb beim guten Sßiflen. 2>a fkleuberte Jütten
feine glugfktift exhortatio ad Maximilianum in bie SBelt unb
forberte ben lebten fRitter auf, an bie Spi£e bet ©priftenljeit gu
treten unb baS JReik gu retten. 3u«t gweiten SRale trat pulten
epokemakenb auf im (Streite ber ©djolajtifer mit bem £uma*
niften fReuklin. SDamalS warf er mit einigen gleikgeftnnten
üRännern feine fatirifd)en 23ranbpfeile als epistolae virorum ob-
scurorum 1516 — 1517 in baS feinblidje Saget. ©in jubelnbeS
©eläktet riefen bieje im berbften SRönkStone gefd)riebenen ging*
blattet in gang SDeutfdjlanb fyeroor, unb nikt gum wenigften
oerfyalfen fie bem ^umaniSmuS gum Siege über bie 5Röndj8*
fippfkaft 3118 ber wacfere $)irff)eimet ben Sieg be6 $umani8*
mu8 mit feiner „Äpologie JReuklin’8" oollenbet fyatte, brak
Jütten in bie triumptprenben Söorte au8: „2)a kr ©eutfken
Ijabt kr ben Sieg 6apnion’8 (JReuklin’8), ben kr ben 3ai»en
ber fkänblikften 9ö2enfkcn, ber Üpeologiften entriffet. greut
euk benn unb flatfkt in bie $änbe! @8 erftarfen bie
Äünfte, e8 fräfHgen fik bie SBiffenfkaften, e8 erwaken bie
©eifter, »erbanut ift bie Barbarei. S)er ji'etfer ift gefprengt,
bet SBürfel geworfen (jacta est alea! Jputten'8 Sßablfpruk),
gurücfgeljen fönnen wir nikt meljr. 2>en 55unfelmännern Ijabe
ik ben Stritf gereikt; wir finb bie Sieger!"14).
2>ajj einem folken 9Jlann wie Jütten Suker’8 Auftreten
tMI)
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gu SBermfl, wo biefen nichts weniger alfl bafl ©chicffal »on ^>u§
erwartete, ^o<6 begeiftern muhte, war felbftoerfiänblich. 3n rafl*
lofer Slhätigfeit fdbrieb er glugfdbrift auf giugfdbrift, entfenbete
er §)feil auf $feil gegen bie beutfcben Surften, gegen befl ^apftefl
©ewalt, barunter bie berü^mtefte: „Älag’ unb Bermnhnung
wibet bie ©ewalt be8 {Papftefl". Söie berfSRöndb au8 S^üringen
fcbrieb jefct ber {Ritter Dom {Rhein in ferniger, beutfdher @pradje.
2luf ber ftolgen Burg, wo bie 5Ral)e an bem ^or^prfelfen beö
{PfäljerlanbeS ficb brid^t, auf ber ©bernburg, „bet Jperberge
bet ©erechtigfeit", ba tagten bamalfl bie eblen ©eifter im beut*
fdben 8anbe: ein Jütten unb ein Sranj Don ©icfingen, bet
5Deminifanet 5Rartin Bucer unb bet IDomptebiget Decolampabiufl.
2Rit ©ewalt wollte ber {Pfälger $aubegen, ber im {Reiche wohl»
befannte ©icfingen, ber auf feiner Burg juerft ben ©ottefl*
bienft nadj eoangelifcbem {Ritufl eingefiiljrt ^atte, bie Surften*
macht Dernichten unb bie {Reichfloerfaffung umwanbeln unb ber
{Reformation gum 5)ur<hbrmhe Der^elfen. .^utten’A feurigem Bu«
reben joDte efl gelingen bie beutjdje {Ritterjc^aft unb bie beutfdjen
©täbte gu einigem Raubein gu oermßgen. ©t forberte auf „ba§
bie gween ©tänbe, an benen bie meljrer SDRac^t beutfdher {Ration
gelegen, untereinanber gut Bereinigung unb gut Steunbfdjaft
fommen". 3m #erbfte 1522 hatte ber ©icfingen nach Sanbau
bie rheinifche {Ritterfcbaft eingerufen. 5Me Herren Dom .fireidhgau
unb bem SBeftricb, bem Jpunbrücf unb bem {Rahegau, bem SBafl*
gau unb bet Drtenau untergeiebneten am 10. 'Kuguft bie Urfunbe
„brüberlicben Berftänbniffefl" unb wählten ben Srang gum £aupte
befl Bunbcfl ber rheinifdjen {Ritterfdhaft 1 5).
©8 Ijaubeltc ficb offen um eine möglidjfte Ablehnung frember
©ericbtflbarfeit, ©rhaltung unb Befeftigung gegenfeitiger frieb*
lieber Begiehung, wechfelfeitigen Beiftanb in Sehben. 9lber im
{Reiche war mit {Recht ber ©laube Derbreitet, bie Berbünbeten
beabficbtigten Der Slllem „bem SBorte ©ottefl bie Sihüren gu
(5«S)
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öffnen!" Denn auf bie ©bernburg unb ihre 23ewobner waren
bamalS bie äugen aller beutfdjen ‘Patrioten gerichtet; fie war
unter ©icfiugen’S ©djug bie „nefte SSurg ©otteö", non ber
Suther fo begeiftert fang; bort ging auö unb ein Philipp 9tte*
landet hon, ber gamuluS üuther’0, ber nur aügu milbe 9Reffe
SReuchlin’0, bet Bon feinen ©djuleinrichtungen genannte praeceptor
Germaniae. @r übermittelte bem gur Dhflt bröngenben „gräng*
djen" bie änfidjt üuther’8 Bon bem bewaffneten ©ingreifen.
Der aber meinte: „ein ©hrift ift gang UI,b 8at e*n PafpBuö,
ber nur leibet, ber (Sljrift mufc fid) ohne ben geringften SBibet»
ftanb gu serfuchen gebulbig brücfen unb fdjinben laffeu". äüein
ber Pfälger fRitter bachte anberS, al8 bet fachfifche 33auernfohn.
©i h°n im ©eptember 1522 fiel ©icfingen mit ^eereömacht ein
in ba8 ©ebiet be8 Äurfürften non Syrier, {Richarb Bon ©reifen*
flau’8. 3n biejem wollte et einen perfönlidjen geinb unb gugleidj
bie geiftliche unb weltliche gürftenmacht mit einem ©chlage
treffen. 3n einer änfprache an feine Gruppen erfldrte et, er
göge wiber bie geinbe beä ©BangeliumS, bie SBifdjßfe unb Pfaffen,
günfmal berannte et bie SJlauern ber alten äugufta Dreoirorum,
fünfmal nutzte er gurücf ; ber 3ugug feiner S3erbünbeten blieb
aufl; er wich nach feiner 33efte Sanbftuhl. Dort belagerten ihn,
ben oerlaffenen greiheitöfämpfer, bie oerbünbeten gürfteit non
Drier, bet Pfalg unb Reffen unb et fiel „ber legte beutfdje SRitter“
wütbig im ©terben feinet angeftrebten 3ioIe, „nachbem er ©ott
bem £errn in feinem bergen gebeichtet". 93iele Sieber fangen
oon ihm unb Hangen burch gang Deutfchlanb:
„gianj ©icfingen, ba8 efcel S3lut,
ber hat gar ciel ber Sanjfnecht gut.'
Die Hoffnung beS SiolfeS — bie 3«f»«ft Deutfdjlaubö —
fie war gebroden in bem oben gelfengemache gu 8anbftuhl, unb
gu ©tabe war getragen ber ©ebanfe mit ber religöfen ©ewegung
eine politifche gu Betbinben, ein freies S3olf mit freiem ©eifte
XIV. 338. 2 (563)
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in 5)eutjd)Ianb ju gewinnen. 93alb foHtc tbm gum S£obe fein
getreuer ftteunb Jütten folgen. 2U6 ©eäebteter »ar er oor bet
Äataftropfye über ben fRtjein in bie freie Schweig geflogen, wo
ihn 3®ingli ju 3üttcb freunblidj aufnabm. SDott »erfaßte et
feine lefcte politische ©treitfchrift »gegen bie Scannen" (in
tyrannos), gugleicb bet {Radjetuf für ben tobten gelben »on
ganbftubl. 3uf ber 3njel Ufnau int 3üri<bet ®ee »erblich am
1. September 1523 bet tobeömübe Äampfet für SBabrbeit, 9Red»t
unb gteibeit, ben gegen gürftengewalt unb f)faffenmad5t
im bergen, im Körper bie »älfdje Äranlbeit. 9Rit ihm fanf
bet lefcte ©tetn beS politischen unb fird)li<ben SReubauS oon
2)eutf<hlanb, ben auffübren foUte bie beutfdje 3Rei<b8ritterfcbaft 1 *).
©3 foflte fobalb nicht mehr bet SBablfprucb be$ ©itfingen im
9tb«n^al ®on 9DRunb gu ÜJRunb tönen:
•
SJtlein ©ott bie (51jr,
Uieb’ ben gemeine 9lufc,
SBefcbinn bie ©eraptigfeit.
2Bar ber ©ebanfe mit bet fircblidjen gugleid} eine politifdje
{Reformation gu »erbinben auch am 2Rittelrbein gefcbeitert an
bet ©egnerfdjaft bet durften unb bet ©nergieloftgfeit bet beut»
fdjen SRitter, fo führte biefe 3bee an ben ^odbgeftaben beS 9Rbeinfl,
in bet freien ©chweig, ein anberer {Reformator burd}: Ulrich
3wingli. @t ift unftreitig eine ber reinften unb ebelften @e*
ftalten ber {Refonnationögeit, bet mit Jütten unb ©icfingen ben
3been beö gortfcbritteS unb beä ^umaniömuS im heutigen ©inne
be8 SBorteS am näcbften ftebt. 3lß Seute^riefter am 35ome gu
Süricb mad}te et gleidjgeitig mit Luther Dppofition gegen ben
abla|ftam, bet in bet ©cpweig nicht »eniger fdjänblich als im
{Reich betrieben warb, gegen baö ©eremonienwefen unb bafl SBerf*
heiligtbum. ©<hon 1520 »erorbnete in einem ©inne bet {Rath gu
3ürith : e8 füllte nur nach bem SBorte ©otteß bafelbft geprebigt
»erben bütfen. SDie neue 8ebte fanb in bet freien @dj»eig
(S70)
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balb 33ctfaU in aHen Scalern. 3u SBafcI fdbritt bie Äirdjen»
fpaltung uorwärtS burdj 3obanne8 DecolampabiuS, ben bet
©idfingen »on bet ©bernburg ^ier^et gefonbt batte, in ©<haff*
Raufen burcb @ra8mu8 (Ritter, in ©laruS burdb 53olentin Sfdbubi,
in Sern burcb Sercbtbolb fallet, ben greunb SCRelandjt^on’ö.
Swingti’S Sehre war in manchen Segnungen, jo in bet
Saufe, bem Abenbmabl, freier geftaltet wie bie Sutber’8, unb ba bet
Schweiger (Reformator gugleidlj in politifcber Segiebung jebet 3oH ein
(Republifaner war, fo war e8 unnermeiblidb, baf} e8 gwifcben bem
53 et tretet bet ortbobojreren unb Cer freiftnnigcren Set)re gum
Sörudje fommen muffte. (Der ©djwarmgeift jfarlftabt, bet Stifter
ber Silberfiütmerei, be8 übertriebenen 53uritani8mu8 be8 ©otteS*
bienfteS, welker mit bem communijiifdjen SBüblet £bon,®e
SRünget in enget 53etbinbung ftanb, batte burcb Schmähungen
gu Sofel gegen bie „fo geiftlofe wie nicbtsbeufenbe Sudbftabeu*
tbeologie" Sutber gegen fidb aufgebracht unb gugleidb enge Se*
giebungen mit ben ®<bweiger (Reformatoren angefnüpft.
Son fo eminentem 53ortbeil nun ber Ausbreitung unb gefti*
gung ber (Reformation eine ©inigung ber Sutberaner im (Reiche
mit ben beutfdben ©täbten ber ©cbweig gewefen wüte, unb ob*
wobt Sutber felbft mit bet oberrbeinifdben ©tobt ©trafjburg,
bem Sinbeglieb gwifcben (Rorb unb ©üb »erbanbette, wo Sucer
trotj allen £inberniffen fräftig für ben Sieg ber (Reformation
wirfte, fo lam e8 bo<b bei ben beftebenben innerlichen ©egen*
fäfcen gwifdben Sutber unb 3»ingli gu feiner ©inigung. Sei
ber 5Rarburget (Disputation, wo Sutber unb 3»ingli, Sucer
unb Dftanber, £>ecolampabiu8 unb Sreng erfcbienen waren, lieb
e8 ber 3«loti8mu8 ber Sutberaner gu einer Serftünbigung über
be8 AbenbmableS Seteutung nidbt fommen. 5Rit (Recht rief bet
®robiani8mu8 Sutber’8 bem ©cbweiger gu: „3b* b®&t nicht ben
rechten ©eift", nemtich nicht ben ber Unbutbfamfeit unb bet
Drtbobojrie. §ür Sabrbunberte blieben bie (Reformirten unb bie
2* (571)
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Lutheraner oon einanber gerieben, unb baö auöeinanbergehen braute
Unheil unb 23 lut mit ftd> für bie $>rotefianten beö {Rorbenö unb
bie {Reformirten beö ©übenö, bejonterö aber für bie {Rheinlanbe,
»o bie Surften balb ber, balb jener ßefyte hulbigteu unb bet
SBedjfel beö ©laubenö für Surft unb Untertan auf ber üageö*
OTbnung ftanb.
3mingli ftarb wie ©icfingen auf bem Selbe ber (Sljre ben
#elbentob, bodj jetu 2öort ging nicht unter, eö blüht noch heute
auf religiofem unb politischen ©ebiete bort, »o ber {Rheinftrom
oou ben ©djneegipfeln bie tofenben SBaffet erhält.
3n IDeutjchlanb nahm bie Sahne bet nationalen {Reform,
»eiche ber #anb beö fterbeuben {Ritterö Dom ©eift, Ulrich oon
4>utten’ö entjunfen »ar, ber beutfdje 23auer auf. 3u ber
mittelalterlichen ©ntwicflung ber ©taube »areu groar bie ©täbte
unb befonbetö bie rheiuifchen unb fcbwäbijchen »ohlhabenb unb
mächtig geworben; fte fchüfcten ihre bicfen {Stauern unb ihre
jchneibigen ©affen; allein ber »ierte ©taub ber 33auetn mar »eit
hinter ihnen gurücfgeblieben. 5Ran hatte ihnen oon ©eiten beö
Slbelö unb bet \}o\)en ©eiftlichfeit bie oerhrieften Siechte genom*
men, man hatte bie ©emeiuben ber ©eiben unb beö ©albeö
beraubt, man hatte bie ©emeinfreien bejonberö in ©übbeutfch*
lanb unb am {Rhein genötigt alö geibgebing unter ben „@chu$“
bet hohen Herren gu treten, man hatte ben „atmen 5Rann"
mit Stöhnen unb 3ehuten geplacft »ie baö liebe Sieh- Sie
hatten fein {Recht unb fein ©ericht, alö baö oon ihrem Jptannen
ihnen gufommenbe. ©o »ar eö gefommen, bafj fchon cot ben
{Reformationen einzelne S3auernfchaften mit ©eroalt gegen ihre
©emalthaber aufgetreten waren, unb bafe bet 23unb beö „armen
Äonrab“ (oon „foan {Roath" = fein {Rath) in ©chmaben Sin*
fang beö 16. Sahrhunbertö üaufenbe oon Anhängern bejafc.
3?ie S?e»egung beö „armen Äonrab“ in ©ürtemberg »ar 1514
oon #erjog Ulrich, bem 23auernfchinber, mit Solter unb genfer*
(»«)
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beil unterbricht worben. Allein bie ©Sprung im {Recfar* unb
Dbmfyeintfyal »erblieb unter ben gebrühten ©auern unb ben
gefdjunbenen Äleinftäbtern. 3u bem »orhanbenen ©rennftoff in
ben »Seelen bet geplagten ©ewohner beS platten SanbeS treten
bie reformatorifdjen 3been guther’S unb SwinflH’S bagu. SDie
{Reformation »erbreitete in ihrem ©efolge nicht blo§ ben @e*
bauten ber religiöfen Befreiung, fonbern erregte auch ben SBunfdb
nad) Politiker unb fogialer Umgeftaltung, gumal bort, wo {Rifi*
ftänbe aller 21 rt bafüt einen fruchtbaren ©oben norbereitet hatten
Dh«« bie {Reformation wäre eine allgemeine ©thebung,
wie fte ber ©auernfrieg fat? , nicht percorgebracht worben, aber
bet ©ruh war fcbon »or ber {Reformation »orhanben. ©er
©ebanfe, baft an ber SBiebergeburt ber beutfdjen {Ration bie btei
Stäube: {Ritter, {Bürger unb ©auer »ereint mitarbeiten mü&ten
gehörte fchon bem ©eifte .£mtteri8 an. 3n Dbetfcljmaben »om
©obenfee bis gum weftlichen ©nbe beS ScbwatgwalbeS hatte beS
fterbenben {Ritters 9luge bereits baS 8anb»olf in ©ährung ge*
fehen; er felbft hatte agitatorische ©erbinbungen mit bem ge*
meinen {Rann auf bem Sanbe angefnüpft. SöaS er nicht weiter
bauen tonnte, baS »»[(brachten {Rannet wie SBenbel £iplet non
Nürnberg am {Recfar, ShDma8 {Rünger auS Thüringen, bie
»erfannte gcuerfcete, ^ubmaier, ber Reformator im Sdjwarg*
walbe. ©on ber freien Schweig he* wehte bet gewaltige 2Binb
in bie Shalungen beS SchwargwalbeS, wo noch auf eigenem
4jetm freie ©auern, bie {Radjfommen bet {Römetbegwinger, bet
Sllemannen häuften. 3» äöalbSljut, im Sanbe bet £auenfteiner,
tönten guerft bie Sturmglocten , welche ben gemeinen {Rann gu
ben SBajfen riefen, ihn aufrüttelten bie alte Schmach, ben ©faffen*
unb Sprannenbruh abgufchütteln. Unb balb fanb ber {Ruf SBiber*
hall am ©obenfee unb im Sällgäu, im ©Ifafj unb in ber $falg,
am {Recfar unb am {Rain, an ber Sauber unb am {Rhein. 3)ie
©ewegung war oon ©eginn an eine bemotratif<h*religiöfe mit
(#73)
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bet abfidjt ben jfaifer an bie ©pi^e be8 neuen ©emeinmefenS
gu fteflen. ®ie moUten nicht mehr bem Slbel geborgen, fonbern
nur bem Äaifet, erflärten bie Säuern in bet Umgegenb non
SBalbSbut, alö fie im 3uli 1524 mit einer f<^t»ar3«rot^« gelben
JReid)8fabne »oran in bie ©tobt gogen. Sielfacb ftanben an bet
©pifce bet aufrübrerifcben Sauernfcbaften Pfarrer, ^räbilanten
genannt. 3bre ,£>auptforberungen fteHten fie als „gmolf Slrtifel“
gujammen, unb blibfdjnefl fanb bieS SBtanifeft beS gemeinen
3Ranne8 al8 glugfdjtift Serbreitung in gang SDeutfcblanb. SDieS
micbtigfte Slttenftücf bet gangen politifdjen 5Refotmation8geit, net'
fafjt mabrfdjeinlicb non bem Planer ©^riftop^ ©Rappelet in
Lemmingen, »erlangte in mit ©teilen au8 bet b- ©cbrift be*
legten furgen SBorten bie Slbfdjaffung ber Seibeigenfcbaft, bie
Sernicbtung bet auSfcpejjlidjen Diente be8 2lbel8 unb bet ©eift*
liebfeit auf 3agb unb gifdjfang, IRücfgabe ber ©emeiubemalbuugen
unb ber ©emeinbeläubereien, Sefdjränfung ber großen unb
3ebnten, Reform be8 ©ericbtSmefenS, SBabl ber ©eiftlic^en butdj
bie ©emeinben. ©8 finb lautet Verlangen, melcbe nach bem
35utd}brudje bet 3been SRouffeau’8 »om contract social im Ser»
laufe bet frangöfifdjen {Renolution nach 3a^rl)unberten auf beutjcben
Soben realifirt mürben. 3)ie 3ufammenfteBung bet gorberungen
ber Säuern machte felbft auf hohe #dupter, mie Äurfürft 8ub»
mig non bet $)falg ©inbruef; er fdjmanfte in feinen Slnficbten
unb bat auch nachher nur mit Süibetftreben, als bie 3lu8f(brei*
tungen bet ©mpörten gu ftarf mürben, bie Säuern mit ©eroalt
niebergefcblagen. 2)er Sauernfobn Dr. 8utber erfannte bie JRed)t*
mäfjigfeit mehrerer gorberungen beS aufrübrerifcben SolfeS an
unb rietb ben gürften 5lnfang8 gu einem bifligen Slbfommen.
SBäre ein Ulrich »on Jütten ober ein ©iefingen jefct an bie
©pifce bet tief gebenben Semegung, bie au<b bie ©tdbter ergriff,
getreten, bie beutfebe ^Reformation batte am ©nbe febon nor
(574)
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Saljttjunberten erreicht, maß unß nadlet Dom Sgeften \)tx in
anberer gorm halb aufgenötbigt würbe!17)
3u £eilbronn, einer ©tabt, bie man jum ©ifce beß fünftigen
Sauetnreicheß erfieft ^atte, fafj bet Sauernaußfcbufj, 2Benbel
£ibler an ber ©pifje, unb berietb übet ben ©ntmurf einet
SReicbßoetfaffung. 3obanneß ©djen: nennt fie ein wabteß
SJieiftetftüd ^ellfidjtiger, gerechter unb patriotifcbet ^olitif für
bie bamaltge 3«t! Stber fcbon b“tteu »bie ©chtecfenßmännet"
unter ben SReDolutienären burch bie Untbat oon SBeinßbetg ben
gangen Slbel unb bie dürften im {Reich gegen ficb in Söaffeu
gerufen. SDie rabifate Partei, ben {Ritter glotian @ei?et non
©eperßbetg Dom oberen 9Recfartl)ale an ber ©pifce, wollte Ser«
nicbtung beö 3unfet* unb ^faffentbumß unb Slbfchaffung ber
•Rleinftaaterei. ©8 ^anbelte fid> für Ärummftab unb fronen
um einen Äampf auf geben unb Stob! Daß blutige JDfterfeft
gu 2Seinßberg entflammte aud) ben 3ßtn gutber’ß, ber überbauet
ber fübbeutfcben Bewegung ber ©eifter gu ferne ftanb. ©t
brauchte ©ewaltbabern wie Slnton oon gotbringen, Ulrich oon
SBürtemberg unb tot SSMern bem gelbbauptmann beö fdjwabifchen
Sunbeß Sttudjfefe oon SBalbenburg nicht zweimal gugurufen:
„man fotl fie getfchmeifcen , würgen unb ftedjen, heimlich unb
öffentlich, wer ba fann, wie tolle ^unbe".18) 5)ie ganbßfnedjtß*
banben ber dürften unb Sifdjöfe, ihre ^ellebatben unb galfonette
würben überall balb ^>err übet bie oereingelten Sauernbaufen.
SRur wenige ©chaaren ftanben unter ftiegßfunbiger gübrung,
wie ber „beOe“ $aufe auß bem Dbenwalb unter ber beß ©ö£
oon Setlidjingen unb bie „fcbwarge ©d)aat“ auß ber {Rotten«
burger ganbfchaft unter ber geitung beS friegßtüchtigen glorian
©e^er. 2)aß „etangelif^e £eer" brach fi<h bie .Köpfe au ben
SBRauern ber SRatienbutg, ber «£>ocbDefte oon SBürgburg, beten
reoolutionare {Bürgerschaft bie Aufrührer bortbin gerufen butte.
2)ort unb bei Königßbofen Derbluteten bie fränfifchen Säuern,
<”3)
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bei Söhlingen tcfclug bet iru(bfe§ bie Scfcmäbifcben auffl Jpau^t,
bei $febber8beim in ber Dbeinebene fanfen bie ^folget unb
©Ifafcer cot Äurfürft gubmig unb bem ©rgbifdjof Did'arb oon
Üriet auf bie blutige ©rbe. ©8 mar ba6 Sauernbeet „ein
Diefenleib in 5Baffen , aber menig brauchbare ©lieber“. 8uf
ben ©chajfotten unb unter ben Dutbenfireichen nerblutete bamald
bie befte Jfraft be8 beutfdjen SelfeS. Jaufenbe non tüchtigen
Sürgern gingen gu ©runbe burd) bie ©djlachten unb bie #inricb*
tungen, burdjSledjtung uub Verbannung, burcb junger unb ©lenb.
3»ar im CR^cinlanbe mären gasreiche Surgen gebrochen morben
unb manch’ jflofter niebergebrannt , aber ben Vorteil baoen
jogen bie dürften, meldje bie .Rlefter aufboben unb gu ftaatlicben
3»ecfen benu^ten. 3n biefet Segiebung aUerbingö festen bie
dürften fort, ma8 bie Säuern angefangen Ratten. Unb obmobl
beö ganzen SeginnenS ©ebanfe gu ©runbe gegangen, unb für
3abrbunberte beö rbeinifchen Sauernoolfe8 Söiberftanbßfraft ge*
brechen mar, fo b°Ue ber gemaltige ©türm bod) einige ©t*
leidjterungen mit im ©efolge für ben „armen fDiann". ©o
batte Äurfürft gubmig V. »on bet f)falg nach bem ©iege bei
9}febber§beim eine Serfammlung ber ©bien in feinem 8anb be*
rufen, bet er empfahl jeben aufreigenben 9lnla§ gu meiben; bie
Sefchmerben ber Säuern gegen bie öffentlich« ©emalt unb bie
Sitten um ©rleidjtetung in gtobnen, 3ebnten u- f- »• tollte eine
eigene ©ommiffion prüfen. „2)er freien gehre be8 reinen ©nan*
gelium8 foflte aber non oben fein £>inbetnif} in ben ffieg gelegt
metben" 1 »).
2)ie Deformation ging nach bem $obe be8 greibeitöfämpferß
Ulrich »on Jütten, nach bem Diebergange be8 ehrgeizigen
©{(fingen unb nach ber Diebetlage ber beutf^en Demofratie
gmar ihren befannten ©ang meiter, aber e8 maren im ©to|en
unb ©ahgen bie gürften unb eingelne freie ©täbte, melcbe ben
Deigen ber Deformation fortfebten unb nicht ba8 gang« beutfehe
(iU)
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25
33olf ba8 bet Seljte »om freien ©»angeliunt felbftbetou&t guge-
ftimmt Ijdtte. (Der Äurftttft Subteig Y. Wat gu unentfdjloffen
um am (ReidjStage gu ©peper 1529 bie (Rolle gu fielen, weldje
itjrn ba8 ©efdjidf nadj bet (Bebeutung feiueä Sanbeö guwie8.*°)
3teat bie tljeinlänbifdjcu (Reid)8ft5bte: ©ttafeburg, (Rürnbetg,
©oftnifc, Sinban, ^eübronn, (Reutlingen, äöeifjenburg a./©.,
2Bin8fyeim untergeidjneten am 19. Styril „»ff bem ,£mf)" ben
(Proteft gegen ben (Reid)8tag8abfcfyieb, wonad) fidj bte 2lnt)äuger
bet neuen Sefyre bem (Befdjluffe bet (IReljrfyeit gu fügen galten,
allein »on ben tljeinifdfjen »ielcn dürften toar nur einet bei bet
füljnen Stfyat: (Philipp, Sanbgtaf »on Reffen.11)
Süäljrenb am £)berrl>ein bie reformatorifdje (Bewegung fo
»iel»etfpred)enb begonnen ijatte unb ©ebaftian Büglet »on feinen
SanbSleuteu, ben ©trafjburgern, fagen fonnte „fie traten nidfjt
anberS, als ob fie »oll Seufel waten, alfo ijat baß ©»angelium
in iljnen gerumpelt", war ba8 gange (Refultat beS ^rogeffeö: ein
(Biertel (Proteftanten auf bem red)ten, ein (Drittel auf bem linfen
Ufer*2). 9lm 5Rittelrl)ein war e8 noä) fdfylimmet; gu jföln
fyatte bet ©rgbifdjof Hermann »on SBieb unb fpäter ©ebfyatb II.,
Sfcrudjfefe »ou (Balbenburg, »on oben tjerab beu ^)roteftanti8mu8
begünftigt, allein et fanb feinen ©ingang in bem „tyiöigen ©öden".
(Die wenigen (Hnfyänget bet neuen Seljte mufjten flüdjten unb
begtünbeten gn Ärefelb unb ©Ibetfelb bie Seinwanb* unb dudj*
iubuftrie. Slbgefdjrecft modjte bie SBürget »on bet neuen Seljre
Ijaben bie gatce gu SfRünftet, bie ftd^ halb in ein Srauerfpiel
»etwanbeln feilte. 3»« ©d?wcirmet au8 ^>ollanb, San dRattljpß
unb San (Bodfelfon Ratten bort mittelft bet toUften 9)l)anta8men
ftd> bet beutfdjen Sijdfjofftabt bemächtigt unb bie rofyeften £rau*
meteien be8 Äommuni8mu8 unb bet (Bielweibetei bafelbft eine
3eit lang in ©gene gefegt. 9Rit geuer unb ©djwert rottete
bie (Reaftion in SBeftpfyalen bie wiebertäufetifdjen Sbeen
in bet golge au8, unb bis auf ben heutigen Sag blieb
(177)
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26
im alten ©adjfenlanbe, auf ictljer ©rbe, ber ÄattoHciSmuS in
intenftoer SBeife bie tetrfdjenbe anfdjauung**).
Dietr ©tfolg ^atte bie Deformation am SRieberrfjein in
•ipollanb aufeumeifen. 35ort Ratten bie genannten 23 rüber befl
gemeinfamen 8eben8 ben 23olf8boben gehörig Berber eit et; puppet
oon ©od) unb Dudjrait Bon SBefel Ratten bafeibft fdten Bor
Butter gegen ba8 ^faffenregiment geprebigt, gegen 2Berfpeiligfeit
geeifert unb ftct auf bie auguftinifdje 8etre berufen, gutter’8
©«triften mürben in ben getnerb« unb fyanbelötfyätigen ©täbten
ber Dieberlanbe mit 23egei[terung gelefen. 2)ie crften 9Qftärtprer
ber neuen Eeljte, 'axoei SSugufiinermöndte £einrid) 23oe8 unb
3otann ©fdj erlitten ju 3lntmerpen anno 1523 fyelbenmütfyig
ben geuertob; 8utter befang ifyren glammentob in bem Siebe:
„ein neueä Sieb mir ^eben an u. f. m." 2lu8 biefer ©aat
fprof) bet neue ©laube in ben ©täbten Slntmerpen unb Dotter»
bam, Srügge unb Slmflerbam mädjtig empor. Unb ob bet
ÄaifeT Äarl V. in feinen ©tblanben gemäfj bem 2Botmfet ©bift
Uaufenbe mit ©ctmert unb ©djeiterljaufen ^inrid^ten medtte
laffen, mit jäfyer .Kraft erhielt fidt brunten in ber ©bene bie
neue £epre unb fog neues 23tut au8 bem gerotteten ©rbreidj.
23alb flammte aud) t*er 9e8en Üprannenmactt ber politifdje
greiteitSfinn empor, ba8 muttentbrannte 23olf ftürmte Äirdjen
23ilber unb Slltäre, unb nadj jmölfjätrigem Kampfe totte fidt
ba8 2anb an ber SDünbung beS DteinftromeS, nadtfolgenb ben
23rübern in ber ©dtmeifl, frei gemadtt Born ^)faffenttum bet
3efuiten unb ber £enfer§terrfdtaft fpanifcter ftürftenfne<tte*4).
Unb biefer burctgreifenbe ©ieg ber Dppofttion auf firdj*
lictem unb politif(ten ©ebiete in ben meit fidt betnenben, bem
SDeere abgerungenen Diebetlanben mar eng oerfnüpft mit ber
Beränberten ©onfteUation beö #anbelS» unb 33erfetr8äuge8, mit
bem in feiner Didjtung geänberten ©trome bet ©ultur.
Deben bem ,£>umani8mu0 unb ber Deformation mar
(S78)
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ba8 britte gro&e ©reignifj, welches epodjemachenb wirfte unb bie
neue Beit einleiten foDte, bie ©ntbedfung non SNmerifa. 3n
erfter 8inie mar jd)on bet ©ang beS SSetfetyrfi geänbert worben
jum fRadjtheil ber oberitalifdjen ©täbte, fowie ber (Zentren im
{Rhein* unb iDonauthale burdj bie auffinbung beS @eewege8
nach Dftinbien um bie ©übfpi^e Slfrifa’S is). 35er@trom beS
SßetfehreS bewegte fi<h feitbem allmählich nicht mehr non 9torb*
italien, SSenebig unb ©enua au8 nach ben reichen 3»nen 3nbien8,
fonbern !am in bie £änbe ber fpanifchen, portugiefifchen unb ferner*
hin ber niebetlänbifdjen ©eeftäbte. 5)ureh bie auffinbung amerifa’8
mit feinet jungfräulichen ^)robuftenweIt aber ftrömte neues
geben juncct auf bie ibetifdje £albinfel uub ben SRorben ©utopa’8»
unb balb folgten als Slaufchmittel bie ©r^eugniffe auS £ollanb,
granfreich unb ©nglanb nach. 8ür bie iubifchen ©ewitrje, für
©eibe unb ©efchmeibe, für bie {Rohprobufte SDRittel* unb 5Rorb,
amerifa’S, 9RetaUe unb garbhßljer, balb auch 3uderrohr unb
Kaffee lieferten Antwerpen unb ©ent, Slmfterbom unb 23rüggc
SRaffen »on Such unb geinwaub, gebet* unb ©laSroaareu,
©pifcen unb Tapeten, Sroncen unb anbere ÜRanufacturen.
Slber nicht nur ber birefte <£>anbel mit ben unaußgebeuieten
tranöo^eanifchen ©efilben tief iu ben SRieberlanben einen coloffalen
©onfluj: oon {Reidhthum unb guj:u8 tyxvox, auch ber 3»»if<hen*
hanbel, bet aömählig gan$ in bie .£>änbe ber {Ricberlanbe fam,
führte ben nieberrheinifchen ©täbten immer neue Duellen be8
SSohlftanbeS ju. 33enebig, bie ftolje Königin ber Jpabria, unb
©enua, bie 33ehcrrfcberiu be8 ligurifchen ÜReereS, würben im
Verlaufe be8 16. unb 17. 3ai?T^unbert0 »on ihrem &hrcne het’
abgeftofjen; Sötftgge unb antwerpen würben bie Königinnen be8
Sßelt»er!ehr8. 5Rit bem {Riebergange ber oberitalifchen ^>anbel8*
empörten fan! auch in tapibet SBeife bie Sebeutung ber rhei»
nifcheu ©täbte. 2)er gan$e 3»if<benhanbel nicht nur, beu bisher
jwifchen 9iorb unb ©üb ©trafjburg, ©peper, SBormß, Köln u. a.
(««)
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28
»ermittelt Ratten, glitt mit bem »eränberten 3uge ber 93erfebrS»
mege feinen 3ubabern am SR^eine au8 ben £änben, auch bie
eigene 9)robuftion »etlor mit bem Slnffcbmung ber Snbnjttie in
ben Dieberlanben an ©nergie unb Schwunghaft. Äöln »er*
fanbte je^t faft nur noch SBein ben Strom hinab, unb eine be»
beutenbere Dolle als 3»if<benhlab erhielt fidf nur mehr baS
©ir-potium am ÜJtain, granlfurt. 5ßon SBeltftäbten würben
bie rljetnifcben Zentren in ben nädjften Sa^bunberten gu
SJinnenmärften ^erabgebriieft , welche ben totalen Sßerfeljr
»ermittelten unb bie Umgebung mit ihren Snbuftrieartifeln gu
eetforgen nur 23eruf batten.
SDagu tarn als biubernbeS Moment bie innere Schwäche,
welche in Böige bet anbauernben Deformationswirren ben Schcof)
bet ©üvgerfchaft übertam; „bie Butber, bie §)apft!" war ja baS
Belbgefchrei , welches ein Sabrbunbert lang gu Stra&burg unb
jtölu, gu Branffurt unb SBormS bie ©emütber in Aufregung
erbiell. Bei ber war auch bet Sufjere Äitt, welker bisher bie
rbeinifchen unb übrigen beutfehen ^»anbelSftäbte »erbunben batte,
bie Stäbtebünbniffe unb bie £anfa bem Sahne bet ©egner
unb innern £>hvofition erlegen. SDaS bünbifche SBefen ging gu
©runbe im Kampfe gegen baS erftarfte Büeftentbum, beffen
SJiacbt bie Safularifationen, welche in Böige ber Deformation
eintraten, auf eine bominirenbe £öbe gebracht warb. 5)er rbei*
nifebe Stäbtebunb war im Seginn beS 14. SabrbunbertS gu
einer äbgweigung beS fchwäbifchen geworben, unb beffen ©lütbe
brach bie Schlacht bei SDßffingen 1388 unb ein 3abt barauf ber
Banbfrieben beS SBeinlßnigS SBengel, bet ben 23unb als „wtbet
©ott, baS heilige römifche Deich unb baS Decht für ewige 3eiten
aufgehoben, abgetban unb abgefagt" erflärte56)- ®ie «£>anfa
unb ihre Deugeftaltung, wie folche gu Bübec! ber 23ürgermeifter
SB ul len Weber auf bemofratifcher SßaftS »erfucht batte, würbe
burch faiferliche ©inmifebung gu Dichte gemacht, unb ihr lebtet
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$elb fiel 1537 als Opfer eines blutgierigen Surften unb eine«
beteiligten ^atrigierregimenteS. ÜRit ihm fanf auch baS Sanner
ber £anfa, baS Sa^unberte laug auf allen füteeren geljerrfcbt
hatte, allmählich fyiuab in ben ©taub beS ©piefjbürgerthumS
unb ber Sßerfnöcherung * 7).
2)ie ©ultur, bie ihren SluSgang einft non ben günftig ge*
legenen JR^einlanben genommen hatte, mar überhaupt mehr
peripherifch gemorben, bie frifdjen Mochtet überflügelten bie grau
gemotbene 9Rutter. $Da lag im Stanfenlanbe npag ^teinob beS
9ieicbeS", baS an CfRacht unb @hren reiche Nürnberg, bie alte
SRoriS. SBeit ragte eS im fRorbgan empor mit feinem gewaltigen
3innenbau, feinen gum ^immel ftrebenben SDomen, feinen ftolgen
©iebcln, unb innen regte fid) ein thatfräftigeS, freies, in aüen ©emerben
gemanbteS SBolf. £ier feierte bie SRenaiffance ihre Triumphe
auf beutfdjem Soben! 2Da ermecfte ber 93ilbfjauer Slbam Ärafft
ben tobten ©tein gum geglieberten geben, ba gof) Bieter 23ifd^er
mit ^o^eitSooßer ©chönheit bie gierlichen 23ilbungen beS @e*
balbuSgrabeS, ba fr^nitt 93eit ©tofj auS ©icheuflöfcen liebliche
©ngelSbilber, l)ier enblid) geic^nete bet 9Rann, ber norbifdje
Äraft mit maljchet Äunft gu binben muffte, ber beutfdfe SRichel
Slngelo feine »on ©eifteSgluth burdjtränfte« ©eftalten, l)ier fdjrieb
er feine ©efefce ber menfdjlichen ©eftalt nieber, bier mßlbte er
bie SUefentbürme gum©<hufce feiner Heimat, Wibrecht 2)ürer,
ber ^Reiftet in 33erfinnli<hung germanifchet ©emüthStiefe unb
marliger Sluffaffung. S3on ihm foll fein greunb nnb 3eügenoffe
Sftafael ©angio geäußert haben: „©iefer mürbe unS 2l0e übet»
treffen, menn er, mie mir, bie Slorbilber beS SllteithumS oot
SHugen gehabt!“*8) 3« Nürnberg en blich fang unb fchufterte
$anS @ad}8, ber SReifterfänger trefflicher SReifter, ber fd)on im
3ahre 1523 baS gob ber „SBittenberger SRathtigaö" oerfünbet
hatte. 3a fRürnbetg tonnte bamalS in bet erften #ülfte beS
16. 3ahrhunbertS mit Sftecht als beS Reiches geiftige £auptftabt
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gelten, unb 2tenea8 ©ploiuS au8 ©iena, ber nacbherige f)apft
9)iu8 II. ruft bei ihrem Slnblicfe auS: „2Ber ift prächtiger, als
ba8 SJlünfter be8 h- ©ebalb ober be8 h- 2ourentiu8? 3Ba8 fefter
unb bertjcbenbet al8 bie König8burg? SBiemel Sürgerhäufer,
ber Könige würbig, ftnbeft bu bort! Die .Könige ber ©djotten
rnö^ten wünfdjen fo herrlich 3u wohnen al8 Nürnbergs gewöhn*
liehe Sürger, faft alle Kaufleute, Künftler unb .panbwerfer!" —
2Merbing8 hätte ber enthufiaftifd)e 3taliener 70 3al)re nachher
ben ©eiftlidjen 3U ®t. Sorenj ba8 Slbenbmahl mit Srot unb
SBein außtheilen fehen, faum wäre feine 8obrebe fo begeiftert
geflungen. @d)on 1324 war ba8 neue Äirchenthum 3U 5Ritrn*
betg »oDftänbig unter SDRelanchthon’S iHegibe eingeführt, ber ba»
jelbft au8 einem 2luguftinetfloftet ein erfteö ©pmnaftum etfdjuf!* 9)
9loch höheren ©chwung nahm Kunft unb SBiffenfcbaft
in ben fliieberlanben! Dort floffen ja im 16. unb 17. 3ahr*
hunbert bie SReichthümer be8 Orients unb ber neu entbeeften
©rbtheile 3ufammen; bort bienbete beim ©inguge 3U Antwerpen
jelbft eines SBeltherrfcherS mübeS 3luge bie finnenberüdeube
Fracht unb ber lufttaumelnbe Sieichthum. flftafart’S uufterbliche
garben hflben ja un8 ©pätgeborenen ben $Mnfel eines IRubenS
erfeht, ber würbiger folgen 0f?eij nicht hätte auf bie Seinwanb
jaubern fönnen!
Klaubern würbe bie ©eburtSftätte ber mobernen 9Jlaler!unft
im korben30). Die ©ebrüber ©pd Ratten e8 Anfangs be8
15. 3a^r^unbcrtö oerftanben bie Malerei »on ber fchematifchen
Sehanblung be8 SpgantimiSmuS lo8gulöfen unb ihr bie 9tatur
3um ©ubftrat gegeben. 3n ber 3«<hnung war ftreng unb ernft
#an8 SDiemling, ber mit liebenSwürbiger ©mpftnbung in feinen
meift fachlichen Silbern einen ^o^en ©rab uon gebenSwahrheit
unb realiftifcher SoQenbung erreichte. 9luS feiner Schule gingen
bie SSugSburger 9Jtartin ©chongauer unb $an8 ^>olbein hertwr.
SStlein erft ba8 ©tubium ber Slntife, bie 55nf<hauung biefer in
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grei^eit oollenbeten Bßtttienwelt braute bie »iebcrlänbtfc^e fötaler»
fdfyule auf eine Ijöfyete ©tufe bet SluSbilbung. 5ln bet @pifje bet
4>iftotien*9Raletet fteljt bet fdjon genannte fPetet $>aul IRubenS
auß Slntmerpen, abet ju Äöln geboten. Sr ift eine bet glcingenb*
ften, begabteften unb öielfeitigfteu Srfdjeinungen in bet Äunft*
gefdjibijte. SluSgegangen non bet dtadbafymung bet 33enetianet
bilbete et fidj halb einen eigenen Staaten« unb gormenfteiö,
beffen SJlittelpunft Ieibenfdjaftlid^e Seaegung, füfyne Slfticnß*
traft, tiefe Smpfinbung. St tief ein ©efdjledjt oon ©eftalten
inß 5)afein, baß fid) mit überfd)»ellenbet Äötperfraft jebem 33er»
langen gemadjfen geigt. 25amit nerbinbet ftdj bei iljm „bet
Ijinteifjenbe 3aubet feineö leud^tenben frifdtjen mit breiten, füfynen
3Jteifterfttid)en befyanbelten Soloritß" , eine lebhafte, ftrmlidje
33eljanblung beS gleifdjeß, in weldjem man baß Slut rollen gu
feljen meint. 2)et jfatljolicißmuß mar Ujm nur ^ormfadje, baß
betoeifen feine lirdjlidjen Silber; feine 3)atftetlungen bagegen auß
bet flaffifdjeu SBelt — fo bie ämagonenfdjladjt, bet trunfeue
©ilen, 33enuß auf Sptljera — finb mit tyobet SBegeifterung er»
fafjt. Unter feinen ©djületn nimmt 2htton »an 25 pdf bie
erfte ©teile ein. ©ein ©tpl gefyt in mafjooHete, eblere ©cbön»
fyeit übet, feine JDarfteHungen beljanbeln mit 33orliebe baß pfp«
dfjifdje Sehen unb gelten manchmal übet in baß ©ebiet beß ©enti*
mentalen. Sßäfyrenb bie Srabanter mefyr ber f)ljantafie ljulbigten,
nehmen bie ^jollänber bie 9latur fidj gum 33orbilbe. 3fyt ÜRetftet
ift5Rembranbtüan{Rijn. Sercanbert in ber Anatomie, braute
et eß gut Sollenbung in ber fRic^tigteit ber hinten, bet 9ln»en=
bung bet 9>erfpeftioe, in bet Sel)anblung ber Sidjteffecte. St
madfyte bie SJlaletei, oljne iljt bie Sbeale gu nehmen, gut
JDarftederin menfd^lid^er 33erljältniffe unb Ijat mit SRubenß unb
JDüret ben meiften Sinflufj auf bie Sntmicflung bet batfteQenben
Äunft bis auf bie ffteugeit auSgeübt.
Sine eigene Srfinbung bet Ijollänbifdjen Äunft ift bie
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©enre^iOtalerei, bie jo recht bem SBefen unb ber 33etra<htungS«
weife ber Weberlänber eatfprid>t. 33reug^el au8 Antwerpen griff
gu ben 33auernf eenen, Datib Stenier fdjilbert 33olf8fefte unb Strinf«
gelage, bie aHerbingS oft in’S Dritiale auSarten. Der feefe Junior
unb baS ntagifdje .geöbunlel feffeln in ben behaglichen Dar«
ftetlungen SSbrian’S tan Dftabe, Peter SBouoermann Bereinigt
mit ©lücf ©enre unb ganbfehaft; 3«cob JRuiSbael wieberljolt in
feinen ftimmungStotlen fcanbjdjaftäbilbern ben germanifchen 9tatur*
bienft: man fleht ben ©turmwinb in ben ©ichen rauften unb
hört ben 33ad) fchaumenb übet bie .Klippen ftürgen.
Slber nicht nur in ber SJlalerei fam ber hohe ©ulturgrab
ber 9tieberlanber gut ©rfcheinung, aud) anbere gelber geugen
ton ihrer lebenSfrüftigen Sthätigleit 3 x).
SBährenb in Deutfdjlanb unter bem Drucfe bleierner SReaf»
tion ©ingen unb ©Sagen oerftummt war, blühte in #oHanb mit
£oofb unb SSonbel bie Poefie auf. SBährenb ferner am ÜRittel»
rhein in ber SBiffenfchaft nur eingelne DiSciplinen, wie bie ©eo«
graphie mit ©ebaftian fDlünfter in bie iSrena traten, erwachte
brunten, wo ber ©trom bem SUleere nahe, auf allen ©ebieten
beS SEBiffenS ein reger ©ifer, ein warmblütiges ©tubium. Den
füblichen ©ternenhimmel befchrieben ©mben unb £outmann,
3acharia8 Sanfen hat mit bem Pttfroffop bie neue SGBelt beS
Äleinften etfunben, £an8 fHpperSljei fdjlofj bagegen mit bem
gernrohre bie SBunber beS ©ternenhimmelS auf. SlnbrS SBefal,
ton SBöefel ftammenb, lieg feine corporis humani fabrica 1543
gu Safel erfcheinen unb büfjte feine bahnbrechenben anatomifchen
SSerfuche mit ber SBerurtheilung gum geuertobe. 3u <£>«<»3 f<hliff
am Stage ein armer 3ube SriDengläfer unb bei ber 2ampe ftubirte
er bie Älaffifer, eß war Saruch ©piuoga, ber SLlorfämpfet
beS Pantheismus, ber an bie ©teile beS S3ibelgotte3 bie blanle
3bee aufftetlte, aber bennoch über ben Dualismus ton ©eift
unb SUtaterie, .Kraft unb ©toff nicht hirwuSlommen fonnte.
(584)
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33
Söäfjrenb fo am Stieberrbein auf aßen ^bafen beS menfch»
liefen gebenS, in Religion unb fPoIitit, in Äunft unb SBiffen»
fc^aft, in Hanbel unb Snbuftrie ein reidjgegliebertefl geben mäh*
renb beS 16. unb 17. Sa^unbettS erblühte, butte ba$ übrig*
Stbeinlanb eine total »eränberte Steßung in bet europäifdjen
©ulturgefcbichte einnebmen muffen.
Stad) bet Stieberlage, melche [Rittertbum unb Sürgertbum
in Jütten in bem Söauernaufftanb erlitten Ratten, nahmen bie
Surften baS [ReformatiönSroerf in bie £änbe. 2)et @runb*
gebanfe mar babei bie ©tdrfung ihrer eigenen Stacht, unb balb
mufjte befjljalb bie centrifugale [Richtung ber Surften mit bem
Sutofratentbum ber Habsburger JD^naftie in ©onfiift fommen.
SDie beutfchen Äaifer Dom £aufe HabSbutg toufcten, je mehr bie
einzelnen üterritorialberren in ben Stbeinlanben Dom gebender»
banbe fict) loSgulöfen fugten, mit befto größerer ©nergie ben
©chmerpunft ihrer SDRad^t nad) bem £>ften ber 35ouau ju terlegen.
S3e3eicbnenb bafüt ift bet Ort ber [Reichstage. Stoch 1532 matb
ber [Reichstag, bet ben $)roteftanten geitlidEjen Stieben gab, ju
Nürnberg abgebalten; bie nacbften für bieSteibeü ber $)roteftanten
angefefjten [ReithSconcilien fanben im SDonaulanbe gu Augsburg unb
gu |5affau Statt. ©pe^et fab bie lefcte [ReicbSDetfammlung 1570
in feinen Stauern; non ba an blieb bet [Reichstag faft ftänbig
gu [RegenSburg, bi« 1663 biefer UfuS gut Siegel mürbe. S)ie
SBabl unb bie Ärßnung beS römifchen Jtaifeö beutfd>cr Station
gu Swuffurt am Stain termocbte nidbt ber $batfa^c Abbruch
gu tbun, bafj baS [Reichsregiment an bie $>onau graoitirt marb,
unb baf) bie SR^cinlartbe für baS unter bem ©influffe ber HabS*
bürget ftebenbe [Reich ihre 33ebeutung Detloren butten32).
©ine natürliche Sot8e bet Verlegung be8 ©chmerhunfteS im
[Reiche nach bem £>ften unb gugieid) ber Uneinigfeit ber Herren
am [Rheine, melche bie [Reformation unb noch mehr bie fcfuitifche
Steaftion Deranlafjt butten, mar baS SBachStbum beS ©influffeS
XIV. 3S8. 3 (585)
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bet SSeftmadjt. 3e becentraliftrtcr bie JR^etnlanbe feit SRitte
be8 16. 3afyrf}unbert8 mürben, befto höher flieg bte 23ebeutuug
unb befto mehr roudjS bie SlngiehungSfraft be8 geeinigten
granfreich’8. ®d}on Äßnig j£>eiuridj II. fonute als „fRetter bet
beutfdjen greiheit" ben a3erfuc^ machen STufttafienS Äßnigthum
unter bem £aufe 93aloi8 biß an ben 3ftyeinfttom gu ermeitern.
Ratten ihn bamaI8 bie mannhaften Surgen »on ©tra&burg im
33unbe mit ben ©chmeiger ©tdbten unb bie »on ©pepet, metche
„nimmermehr, nimmermehr ä la Messine“ (mie in 5Refc) riefen,
nicht an bie 3innen thret 9Rauerringe »etmiefen, bet IRäubet »on
ÜRefs, Stull unb 93erbun, „ber ©tatthalter beß JReidheß", mie er
fldj nannte, ^ätte bamal8 fd}on erteilt, ma8 mit gleicher 8ift,
aber noch größerer ©eroaltthat fein fRathfomme 2oui8 XTV. bem
9th«*»lanbe angethan hat*’)- 8Ba8 im 16. 3ahrhunbert bem
grangmann nicht glüefte, bie ^eftfe^ung am Hnfen IRhetnufet,
beffeu Söebeutung a!8 Sßerfehrßftra^e in SRitteleuropa er mohl
erfannt ^atte, ba8 foQte feiner ©Flauheit unb ber ßerriffenheit
feiner ©egnet bem Wtangofen ba8 nächfte Sahrhunbert in bie
£anb liefern.
SDa8 alte SBiberpartthum groifdjen bem £aufe 5Baloi8»33ourbon
unb £ab8burg»a3rabant mufete bet fdjlaue ©arbinal SRuhelieu,
ber Einiger granfreithS, mit bem SRantel beß 33eiftaube8 gegen»
übet ben fProteftanten in SDeutfdjlanb gu cerbecfen. '218 ber
SEBinterfßnig gu Sßhmen feine #aut unb bie feiner ^falger gu
SRarft getragen hatte, al8 ber ©chneefßnig »erblutet am 93oben
lag, ba glaubte ber SBalfche feine ©tuube gefommen. 5)ie erfte
rheinifthe aRadjt, ba8 Äurfürftenthum »on bet $falg, mar »er»
müftet unb »erbrannt »on ber #anb beß ®paniet8, geächtet
meilte fein ebelbenfenber $urft grtebridj V. im SluSlanbe, bie
Beit mar getommen für bie 2)ra<henfaat ber granfen. JDie
beutfdje Äraft 33etnhatb’8 »on Söeimar muffte bem Gatbinal ba8
©infallthor in bie SRheinlanbe unb bie 9)affage gum SDonau*
(SSO)
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35
gebiete, beß ©lfa§ unb ben Sreißgau erobern, unb bet ©djmad}«
contract 3U SRünfter beftätigte bem natürlichen 9teidjßfeinbe feine
©rrungenfchaften: baß Dberr^eint^al 3m: ginfen unb fcie ©in*
faflpforten: 9>hilippßburg unb Sreifad} 3ur Siebten34).
Die 3eniffen^eit Deutfd)lanbß, bie D^nmadjt beß SÜeit^eö,
baß @intnifd)ungßred}t ber grangofen unb ©djweben liegt bofu*
meniiri im grieben non SBeftphalen auf grünem Difdje. SRodb
h»i)er war bie ©inbufse auf culturellem ©ebiete, weldje befonberß
bet SBeften unb bie 9ti)einlanbe im 30 jährigen Äriege erlitten
haben.
©ebaftian SDiünfter ^atte in feiner Äoßmographie SJlitte
beß 16. 3al)t^unbettß feine £eimath, bie falj, ben SRittel*
punft ber rljeinifthen ©aue, alfo furg befd&rieben: ss).
„ÜRan finbt in biefer ganbfdjafft, fo bie ^fal^ jefcunb be*
greifft, maß ben ÜRenfdjen 311t geibß SRa^rnng »nb auffenthalt
notlj ift, »nb fonberlidj umb ^epbelberg; aufjethalb bem ®e*
birg ift baß ©rbfreith aufj betmafjen fruchtbar »nb an ben
Sergen, in ben SUjäletn »nb auff bet ©bne. 2ln ben Sergen
wachft fonberlid^ guter SEBein »nb Äeftenbäum, bie Später
feinb mit mancherlei) Dbftgärten gejicret, bie ©bne bringen
mancherlei Äornfrüdjt, bie 3Bälb »nn bie Serg lauffen »oH
£irfcen »nb anber wilben St^ier".
Unb wie warb nach ben SBirten unb Drangfalen beß jfriegeß,
ber ein SCRenf^enalter wiithete, baß reiche Sanb am {Rhein ge*
fdhänDet! Der blüfyenbe ganbftrich, bet fit^ ben SRecfar entlang
30g, bie ©aue an ber Sergftrafje, baß üppige ©elanbe am £art»
gebirg, bie freunblidjen ©täbtchen unb Dörfer in ber ©bene
»on SBeifjenburg biß Sadjerach, weld}’ trauriger Slnblid! Äroaten
unb ©panier, bet Schwebe unb bet gtangoß, greunbe unb
geinbe Ratten ^iet gekauft, alß gelte eß ben ©ultnrboben 3U »et*
nieten unb bie grudjt »on 3ahrhunberten mit einer g»he bem
©rbboben gleich 3U madben. Daß gan3e {Rheinthal warb eine
3* (53 T)
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©inöbe; bie gelbet ftarrten »on IDtfleln unb Dornen, bie SBein*
berge waren »on ©eftrüpp überzogen, ftatt auf woblbabenbe Ort*
fünften ftiefj mau auf lebmgebaute Jütten, in beneu Slrmutb unb
@lenb, oft SRaub unb Verbrechen häuften**). Die ftolge
Vefte £eibelberg, mit ihren gegacften 3innen, ipren gierigen
©Srten, ihren Söaff er fünften unb (Statuen war in fo trauriger
Verfaffung, bafj bet ©obn griebricb’8 V.( Äarl Subwig, als er
im Oftober 1649 in bie IReftbeug feinet Väter eingog, nicht ein»
mal eine genügenbe Unterfunft für fidj ftnben fonnte.
Von ben 500 000 Vewobnern, welche bie Äurpfalg im Sabre
1618 jaulte, waren 1648 faum nod? 48 000 »orbanben; an
manchem Orte batte faum einegamilie ba8@lenb langer Sabre
überbauert.
3m ^erjogtpum SBirtemberg gingen pon 1634 — 1641
345 000 Vewobnet gu ©raube; baS Sanb jaulte fieben Sabre
»or bem ©nbe be8 grauenboßen ÄriegeS etwa nur noch 47 000
©inwobner. Vicht weniger als 8 ©täbte unb 45 Dörfer, im
©angen 36 000 ©ebäube waren bort »erbrannt. SBä^renb ba8
Sdeid) im Saufe be8 Krieges »on circa 16 SJliüionen Vewobnern
auf etwa 4 UJtiHionen berabgefunfen war, alfo etwa £ ber Ve=
»ölferang »erloren batte, mußten bie 9ibeinlanbe mit Subegriff
ber Vecfat* unb Vtaingegenben faft ber ©inwobnergabl »er*
Irren haben* 7). Der Söoblftanb, bie ©ulturfäbigfeit, Äunft
unb Söiffenfchaft waren hier auf ein ÜJicnfchenaltet »ernidjtet.
Selbftoerftänblicb war auch ber SBertb be8 8anbe8 auf8 Sieffte
gefunfen. Vur ein Veifpiel für »tele: gu Viafjbacb, einer ber
©emeinben mit bem fru(btbarften Voben, gwifdjen Dürfbeim unb
Veuftabt warb n ad) bem Kriege ein üftorgen be8 beften Sebm*
felbeS um einen Saib Vrob betgegeben! *8). Der Staat unb
bie Äircbe gegen »iele ©emeinbegüter, SBalbuugen unb SBeiben als
bertenlofeS ©ut na<b bet ScbrecfenSgeit au fitb, als gute Veute.
Da8 Volf batte afleS Vertrauen auf ft<b unb auf bie 3ufunft
(SM)
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terloren, eine fcpufc« unb tecptlofe $eerbe! 2lber bie Sage beS
3ammerS, welche bet fRbeinlänbet ©rimmelShaufen, bet ©chult«
heifi gu {Renten im ©cijwargwalbe, in feinem Simplicius Sim-
plicissimas mit }o plaftifdjet Slnfchaulichfeit unb pertraitähnlichet
©dfür fe gefcpilbert hat s 9), erhielten balb ihre nod) fchtecflicheten
9la<hfolger! — Der breifjig jährige Ätieg hatte baS Sanb be*
fonberS am Dbertijein gum ©chladjtfelb ©uropa’S gemacht, mogu
eS feine centrale Sage, feine mistigen ^äffe, feine reifen unb
unb wohlßtuirten ftäbtifc^en (Sentren in erftet Sinie befähigen.
Äaum abet mar granfreidj im europäifcfeen Kampfe um bie
Hegemonie auf beutfchem ©oben als SRitfieger hetcorgegangen, fo
begann fein abfolutiftifd^er unb länbetgietiget ^crtfc^er bie .ftanb
nach bet ©renge auSguftredfen, welche ihm bie gtofje 93erfehtS»
paffage, baS frudhtbarfte ©elänbe, bie fefteften ©täbte in bie
Saf^e liefern feilte. Die ©efdjichte bet tRhetntanbe feit bem
erften Dritttheit beS 17. 3ahrhunbertS bis gum 6nbe bet napo*
lecnifchen ^ertfdjaft befielt im 3Befen in bet grage: wer foH im
Siheinthal baS ©cepter führen, ber Deutfdje ober ber grangoje?
©S ift bet alte ©treit um baS Dominium, ben fdjon ©äfar unb
Slrionift, ©etmanicuS unb 2lrminiuS, ben Slömet unb ©ermanen,
§)apft unb Äaifer um ben 9i^etn feit gwei 3ahrtaufenben ge«
führt haben. Unb bod) mufcte bie ©unft bet Sage, bet Sauf
ber ©eitenflüffe einem geeinten 2lnwohnet gut Siechten gum 93or*
theil gereichen; nur über einen gerfplitterten ©egnet fonute bet
Slömet, bet ©allier, bet granfe, bet grangmann eine Seit lang
£>ett werben.
55uS ben Siuineu beS SBohlftanbeS net 1618 hatte bet fluge
unb politifche Äatl Subwig im befteu Shetk bet Slheinlanbe, in
ber Äurpfalg, ein aufblüpenbeS, mäfjig befteuerteS, beoelferteS
unb fcpulbenfteieS Sanb gemacht. Durch Deffnung eines SlfpleS
hatte et ©olonifteu auS bet ©chweig unb aus £oflanb, auS
granfreich unb ©nglanb h^beigegogen ; butch Seftätigung bet
(589)
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alten (Redete unb (Berleibuug neuer 9)riöilegien hob er bie ©täfcte;
burd? @chujc unb (Dulbung »erfßbnte er bie religißfen ©egen*
fäfce in feinen Banben; er gab bem Fürftentbum einen geeigneten
SRittelpunft in bem anfblütjenben gRannbeim, nadjbem fein (Ber*
fudj 3Borm8 gut ©apitale gu machen, an ber Unflugbeit ber
(Bürget ber alten, brcuutergefommenen (ReidjSftabt gefcbeitert
mar40). 2)a8 Banb »ernarbte bie gefdjlagenen Söunben,
ba fam baS 3abr 1674, unb bamit begann bie fdjredlidje ^eriebe
für bie ©aue an bet Sergftrafje unb am $artgebirg, am (Redfar
unb an ber (Rabe, am Sfl^eiu unb ÜRain, in benen mit frechem
Uebermutbe bie frangöfifdjen 2R orbbrenn er gwei (Degennien lang
mit Feuer unb Schwert gehäuft ba^eu- 91 He (ReutralitätSoer«
fidbetung half bem wadfereu Äurfürften nichts gegen bie (Ränfe*
fucbt unb bie (Brutalität be8 „aOerchviftlicbjien" jfßnigS Bubwig’S
„beS ©rofeen“. 9118 in ber (Rorbpfalg anno 1674 bie gerben
be8 ©eneral Surenne branbten, fcbänbeten unb raubten, unb
ber Äurfürft tfatl Bubwig ficb an jeinen SBetter mit öefchwerben
wanbte, ba gab ibm ber übermütbige (Despot gur 9lntwort: „was
benn ein Äurfürft non ber (ßfalg gegenüber einem Äßnig non
Frankreich oermßge?" 9U8 bet Äurfürft aber al8 beutfdjer BanbeS*
betr banbeite unb offen auf beS (Reiches ©eite trat, ba nahmen
be8 ÄßnigS ©olbaten @ermer8beim ein unb fchleiften e8, oet*
beerten ba8 gange Dberamt, ba8 in feiner (Rabe lag, häuften
wie £unnen unb Sartaren an ber (Bergftrafje unb gaben linfS
unb rechts oom (Rheine bie blubenben ©täbtdben ben Flammen
$rei841). <Det griebe gu (Rpmwegen lieferte bem Freibeuter gu
Claris gwei weitere Sb^e non (Deutfdjlanb au8, Rüningen unb
Fteiburg im 33reiSgau. (Balb wufjte er auch burdb £>interlift
unb ben Sßerratb eines beutfchen Fürften fich in ben (Beftfc ber
(Bormauer be8 beutf^en (Reiches, bet freien ©tabt ©tra&burg, gu
fefeen. 9Rit feinem (Berlufte war ftrategifch baS gange (Rbeinufet
in bie ^jänbe beS UfurpatorS geliefert. Bujremburg unb Stier,
(690)
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SBeifcenburg unb Oggersheim mußten balb mitten im Rieben
tranjöfifd^e 3Bappen unb SBefajjungen aufnehmen. Die SReunionS»
fammem machten mit einem SRechte, baS ijalb bem SacobiniSmuS,
halb bem 3efuitiSmu8 entlehnt mar, Slnfpruch auf alle 8anbeS»
tijeile, bie einft mit ben an granfteid) abgetretenen ^rociujen
näher ober entfernter nerfnüpft waren. 9DRan forberte bie ©raf»
fchaft 3*» eibrütfen als eine ehemalige Depenben3 beS 33iSthumS
SDRefc, nachbem bie8 £anb feit einem halben 3al)ttaufenb unter
felbftftdubigen 9Reich8fßrften geftanben mar! Unb ba8 SReich fanbte
33oten auf 33oten an ben wälfdjen SRäuber, unb JCaifer unb
Äurfürft, ißfalggraf unb ©djultheif} brachten ellenlange 33eweiS*
fchriften unb umftänbliche 23efchwerbeaften nach 9)ari8, wo mau
ihnen mit £ohn ober mit glatten ®u8flüchten antwortete.
9iach bem SuSfterben be8 @immern’j<hen ÜJtannSftammeS be8
^aufe8 SöittelSbach'Äurpfalg mit Äurfürft Äarl 1685 füllte ber
unfeltge ©he*>u«^ 1561 echtbeutfchen Mochtet Äatl Subwig’S, bet
^faljgräfin ©lifabeth (S^arlotte mit bem wälfchen ©ecfen ^hütyfc
£et3og non Orleans eine noch fchrecf liiere Sranbfacfel bem
^>fälget 8anbe an^ünben. Obwohl bie $Pfal3gräfin „nach bem
£erfommen be8 pfälgifchert ÄurhaufeS aller SRechte auf founeräne
unb SehenSgüter non SBater unb SDRutter h«t" entfagt hatte»
machte bet SRaubJönig gubmig XIV. bennoch nach bem Üobe
ihres S3tuberS ©rbfcljaftSrechte auf bie ^)falj geltenb. Die 35er*
hanblungen mit bem beutfdjen SReidjStage gingen bem Sauber*
biebe 3U langfam; ba8 SBaffenglücf beS ÄaiferS gegen ben auf«
gehegten ©rofjtürfen machte ihn beforgt; in einem SDRanifeft oom
24. ©eptember 1688 mifchte er ftch in bie Äöluifche ©oabjutor*
wähl ein, nerl^te 23apern gegeu Oefterreich unb erflärte Deutfeh»
lanbS griebe mit bet Üütfei mache feinerfeits 3um Schuf} beS
eigenen SanbeS bie 33efef(ung ber beutfdfien SBeftgre^e noth*
wenbig. Die Ufurpation ber $urpfal3 begann nach biefem non
SRaubluft uub Sefuitengeifte biftirtem Schriftftücfe. Die ^fäfyer
Ji91)
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©tobte, jomie bie fdjufclofen 9teidj8ftabte SBormS, ©peper, ja
felbft Heilbronn unb SDtaing wußten Anfang Ditobet be8 3abre8
frangöfifdje ©arnifonen aufnebmen. Slm ganzen SR^citic bis gum
SDtittellauf oou SDRain unb Stedar würben bie gtangofen ÜJleifter.
Unb als nun bie proteftantifdjen gänber ©nglanb unb Hol*
lanb gur Antwort auf ba8 6bi!t Bon StanteS unb ba8 beutfdje
0teid) gur Antwort auf gubwig’8 SÖtanifeft gum Suube gegen
bie übermütbige SQtilitärgewalt ber ftangöfifdjen SDRonartbie gu*
fammentraten, ba nahm ber „aUetcbtiftlidjfte Äönig", be8 Zapfte!
erfter ©obu gut Sanbitenracbe gegen bie unfcbulbigeu rbei*
nifcben (Stabte unb Drtfd)afteu feine erbärmlitbe 3uflucbt. 3n*
ftifter beS SefebleS: de brüler le Palatinat war ber ÄriegS«
minifter gounoir; man wollte ba8 nach beut SlugSburget Sünbnifj
nerlorene DrleanS’ftbe ©rbtbeil nur al8 einen wüften Strümmer*
baufeu bem geiube überlaffen. Anfang 3annar 1689 gogen bie
frangöfifcben beerben unter ber Slutbunbe SDtelac unb SRontclaS
Slnfübtung auf ba8 linfe Sft^einufer. Salb loberten gu SDtanu*
beim unb Heibelberg, gu 2Borm8 unb ©peper, gu 9)forgbeim unb
Äreugnadj, gu granfentbal unb Syrier bie erbarmungSlofen
glommen auf; wie eine Höllenbrut wüteten bie organifirten
SDtorbbreuner im gangen Stbeinlanbe, uou bet gauter bis gut
SDtofel. Silit nielen (Zentnern Aulner 8 fprengten bie Sarbaten
ben Bielbewunberten Sau beS @cbloffe8 gu £eibelberg ; gu ©pepet
riffen bie äöütbericbe au8 ben ©ewölbeu beS SDomeS bie ©ebeine
ber alten beutf^en Äaifer nnb Könige b etau8 unb warfen jte
auf ben Singer, „gleicbfam als ein oerredteS Sieb".
SBo jefct am Stbein unb an bet SJlofel, an bet Stabe unb
am Stedar gwifbben anmutbigem ©rün geraffene $bürme unb
gebrodene 3iunen gum Himmel tagen, ba bat tu neungig oon
bunbert gäUen ber Satbar au8 bem SJeften gebrannt unb ge«
fprengt, nerbeert unb nerwüftet. Sin 1200 Drtfcbaften gingen
bamalS gu ©runbe, wer gäblt bie SDtenfdbenlcben, bie Betloren
(&»»)
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gingen unb bie frönen, welctye bet ^»unnenföntg beS 17. Satyr»
tyunbertS ben Ueberlebenben erpreßt tyat? — Nocty tyat gtanfteitty
bafüt non ©eutfdjlanb feine Vergeltung getroffen; aber ein Satyr«
tyunbert fpäter riffen bie eigenen Unterttyanen beö ^falgoerwüfterS
eigenen getb fammt ben ©ebeinen feines ©efctylectyteS auS ben
©rüften oon St. ©eniS unb warfen fie in ben Äotty. 1789
unb 1793 fam für baS ^>auS Voutbon bie Vergeltung für baS,
waö gubwig XIV. 1689 unb 1693 ben Äaifetgröbern ju Spener
angettyan tyatte! 4*). —
©aS Volf im Ntyeinlanb tyatte bie innere Äraft oerloten
irgenbwie bet ftemben Snoafion SBiberftanb §u leiften; gebrottyen
war baS ÜKatf ber Vürger unb Vauern feit bet Nieberwerfung
beS VauernfriegeS unb feit ben Verwüftungen beS 30iätyrigen
Krieges, Sdjlimmet aber nodj als ber Vranb ber Stabte unb
bet fRaucty bet ©örfer, fctylimmer als bie Verheerung beS Selbes
unb ber Naub beS ©uteS war bie ©ntnationalifirung beS
gangen ganbeS, welctye mit ber politifctyen Veinfluffung oon (Seiten
granfreictyS .jpanb in $anb ging. 3n fflaoifctyer Nactyatymung
beS £ofe8 oon VerfatUeS unb feiner £errli<tyfeiten wanbte man
ftcty ab oom ^eimifttyen unb Nationalen unb äffte in SJtobe unb
©raityt, in Spradtye unb Sitte, im Ütyun unb gaffen frangöfifdjet
2lrt nacty. @8 war bie Seit ber SWongeperücfcn unb Änietyofen,
ber entblöfjenben Äorfetten unb bet ungetyeuren Neiftötfe, gugleid)
bie $>etiobe, wo mit ber franjöjlfctyen gaeonirung bet Slbfolu*
tiSmuS in jebet gorm, beffen ^auptoertreter gubmig XIV. mar,
feinen fiegreittyen ©ingug auf beutfctyen Voben tyielt. 3JUt bet
übertriebenen gürftengewalt, ber Veradtytung oon Vütget unb
Vauer, bet £errfctyaft ber Jpoffctyrangen unb Vebientenfeelen fam
gugleidty oom SBeften tyetüber ber ©rutf oornetymet Vigotterie,
bei bem neben bem gäetyet baS Vreoier lag unb baS Äreu3
©tyrifti auf bem tief entblößten Vufen tying. gerbet ©otteS
gingen in biefet Verwalfttyung rtyeinifctye $öfe ooran.4*) ©et
(591)
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futpfülgifdje gu £eibelberg unb bet lanbgtäfli$‘tjefft<be äu Äaffel
bilbeten bie SSermittlung gtoifdjen bem gidjte »on {8erfaille8 unb
bem SDunfel im öftlidjen {Reid). jfein Sßunber war e§, wenn
eg in bet Äurpfalg nad) bet »erbetblidjen Älaufel be8 9b 8 toi cf et
griebenö gu einer toasten ©egenreformation !am, ba§ bie 3efuiten»
güglinge am {Rfyein faft 2000 ßrtfdjaften in ben {Rljeinlanben
gurütfbradjten in ben aHeinfeligmadjenben ©djoofj, baf) Äirdjen«
guter unb Pfarreien gu ©unften bet IReaftion eingegogen aut*
ben, ba§ bie firdjlid?e 4?terardjie ben »erlorenen Soften am {Rfyein
toiebet gu gewinnen fdjien. 3n biefet 5Rotfy toat eg bet neue
©tern im Dften be8 5Reidje§, »on bem ben bebrängten ^rote»
ftanten ^ilfe farn. ^reufjen’S Äönig braute e8 im Tonern*
bet 1705 burcfy Slnbroljung »on ©egenmafjtegeln baljin, baf) in
bet Äurnfalg bie fogenannte {ReligiontSbeclaration gu ©tanbe
fam, weiche bie pfälgifdjen Äir^enner^ältniffe gefefclid) regelte
unb bem eingeriffenen SlerroriSmuö einen {Riegel »orfefcte. SHIein
gwat bie äufjerlidje grei^eit ber {Religion war bamit fyergefteUt,
aber ber ©eift b e 8 3efuiti8mu§ erhielt fid) am $ofe bet
jhirpfalg in gleichet 9Rad)tfpl)5re unb {ein ©influfj wufjte immer
neue .£jänbel gtoifdjen {Reformivten unb guttyeranero angugetteln,
beten 9lu8trag ba8 gange 18. 3al)rl)unbert erfüllte44).
@o fyatte fid) atlmä^lid^ in ben {Rfyeinlanben aud) bort, wo
bie {Reformation burdjgebrungen gu fein Jd)ien, in bie mafj*
gebenben Äteife, in baö £ofleben, in bie {Regierung ber ©eift
fird)lidjer {Reaftion unb pfäffd'djer Sntolerang eingcbrängt. ©e*
nufcfudjt unb 58erfdjwenbung auf Äoften ber Untertanen gingen
bamit £anb in £anb. SMe ©ürger mufjten einfdjneibenbe
©teucrn aller Qlrt gafylen, bet S3auer über ©ebüfyr grofynbienfte
leiften unb ben Sireiber madjen bei ben {Patfotrejagben. ©in
un»erl)ältni§mä£)ige8 33eamtenl)eer, ein £aufe abeliger ©djmatofcet
faugte ba8 Sanb au8. 2luf 100 ©eelen fam in ber Äurpfalg
gu Äatl üfyeobot’f! Seite« ein {Beamter; bei einer ©inwotjnergaljl
(594)
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»on runb 1 200 000 Ratten bie 614 Duabratmeilen nid)t weniger
ald 12 000 StaatSbiener gu ernähren. SDaS £eet beftanb tbat«
fachlich au8 Offizieren ohne Solbaten; füllte eine $>arabe ab»
gehalten werben, borgten fid} bie 9tegiment8inbaber bie Solbaten
auS ben fftadjbargarnifonen. SDie Seamten würben babei nur
nad) ihrer .fjofqualität befahlt; ber geibfutjdjer erhielt' 300, ber
aSiceletbfutfd^er 250 ©ulben, wäbrenb ftt^ ein professor philo-
sophiae mit 200 begnügen muffte. SUlerbingä fehlte eS babei
nicht an manchen guten Anregungen, unb bie Äutpfalj war im
JRfyeinlanbe einer ber beftregierten (Staaten. So entftanb 1755
unter ben Aufpijien beS Staates gu granfentfyal eine feljr be»
beutenbe ^orgeDanfabrif. Üud}*, Seiben* unb SBollenfabrifen
reiften baran; jeit 1773 begann man mit großen ©elb«
opfern burd? einen Äanal bie Stabt mit bem 9tfyein ju »er«
binben. „SDamalS johlte bie Stabt gegen 30 gabrifen, unb oon
ben 3302 ©inwobnern gehörten 1200 bem gabrifwefen an"
Äunft unb SBiffenjdjaft warb zwar nad) bem SRufter ber fran*
jßftfdjen fBlouardjie mehr als fcbmücfenbeS Seiwerf angefeben,
als um ihrer felbftwiden gepflegt, allein ihr Setrieb übte auä)
manche wohltätige Shitfung auS. ÜJiit ^injugie^ung beS ©traf)»
bürget ©efdjidjtfdjreiberS Sd^öpflin grünbete Äarl S^eobor im
Oftober 1763 bie pfälzijdje Afabemie ber SBiffenfcbaften. SDie
gelehrten Ijiftorifdjen unb antiquarifdjen SJionogtapbien »on
Äremer, üarnep, ©toDiuS, Sd^öpjflin hoben Anfprucb auf bleiben«
ben SBerth; fie legten ben ©runb gut rheinischen ©cfcbicbte unb
Archäologie. 3u ÄaiferSlautern entftanb 1769 eine lanbwirtb*
fdbaftlidje ©efeUfd^aft, welche ber Äurfürft 1770 als „pbhfifalifcb5
Sfonomifcbe ©efellfcbaft" betätigte. 3n ihrer praftifcben SBir!«
f amfeit warb biefe für bie ganbwirtbfcbaft am 9t^ein »on großer
Sebeutung. „SDie beutfcbe ©efellfcbaft" gu ÜJiannhetm füllte für
nationale Silbung baS Gentrum werben. SDie Statuten waren
barum ber Acad&mie fransaise nacbgebilbet unb bie Arbeiten
44
bet ©efellfcbaft ftub oon SBertb für bte beutfc^e Literatur. Seffing
unb SBielanb, Älopftotf unb Äaftner waten fföitglieber. 3Rit
gleichem fDläcenatentbum warb füt bte Äunft «Sorge getragen.
Oteidje Sammlungen bou ©ppgabgüffen unb Äu^ferftic^ea befanben
ficß gu üJiaunbeim, bag Äabinet gu Düffelborf mit feinen Scßäßen
an „fftieberlänbern" befaß europäiftßen SRuf. Sludj bte btarna*
tifdje Äunft fattb eifrige pflege; 1779 warb gu SDtann^eim eine
beutfcße (Ration alfcßaubübne gegrüubet, unb unter Scannern wie
Sfflanb erhielt bag frangöfifd^e Dperngetänbel unb bag finnreigenbe
©atlet einen gefnnben ©egenfaß in beutfe^er ^auömannflfoft * 5).
£at bodj Sfflanb „bie Säget" im ©ürf^eimet Stßal gebietet
unb guerft gut Aufführung gebraut am $oftßeater beö dürften
Bon Seiuingen, „beg 3ägerg bou ber 9)falg", bag gu Dür!ßeim
fid? erßob, big bie ganfaren ber fReuolutiongljorben bie fRecitationen
übertönten unb bie 33ranbfacfel warfen in ben Sempel ber rtjcinift^en
Üßalia. „Die (Räuber" beg „JRegimentgfelbfdjeererg" Stellet, bie
$>roflamation bet Sturm« unb Drangperiobe gingen unter großem
Applaug im Sanuar 1782 gu dRannßeim über bie SÖretter. Die
3bee gum „giegfo" fa^te ber ©rünber unferer neuen National«
literatur in ben (Rßeinlanben, wo er unftet alg glüdjtling um»
berirrte. Die ©ebaufen barin füllten balb in bie 5Sirflid)feit
überfeßt werben aber oon anberer Seite bet- —
Der Unterbrütfung beg 3nbioibuumg, welche ber Degpotig*
mug beg fTangöftfcßen SRonardjen big gum waßnwißigen : „ber
Staat bin idj!" getrieben ^atte, mußte naturgemäß einefReaf»
tion folgen. Sie fam alg fdjranfeulofer greißeitgruf, alg ein
2Butbf<btei gegen AbelgpriBÜegien unb ^riefterBorredjte, alg (Rache*
alt gegen gürftengewalt unb Sßeamtenbrucf, alg Slugrottung oon
ätleinftaaterei unb ©roßmaungfucßt. Die ganfaren oon $)arig
im 3«bte 1789 brauten bie ©rflärung bet SolfgfouBeränität
unb bet ÜRcnfcßentechte, unb wie ein Sauffeuer Berbreiteten fitb
bie (ReBolutiong«@ebanfen, bie jebem auf bet Bunge lagen,
(5»6>
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länge bcS Slheine8. 35a8 lange mifchanbelte 33olf warf jubelnb
bie SMongepetücfen ab unb tangte mit ber 3acobtnetmüf}e um
ben neuerrichteten Steiheit8baum, ben man an ©teile beö herr*
fchaftlidjen ©algenS errichtet ^atte4 s). 35ie leibenfchaftUcpen
SJtaffen fauchgten bltnb einem ®t. 3uft unb einem ©ulogiuS
©chneiber jubelnb gu, unb bie Älubbiften »ou SJlainj proflamirten
unter einem Sorfter ben rheinifchen greiftaat. 35er ©eift bet
Jütten unb ber §>räbifanten, ber ÜOtünjer unb ber 3?urgenftürmer
feiert wieber gefommen, aber bie SSefreier au8 bem Stanfenlanbe
mufjten balb bet 33egeifterung ben falten Söafferftrahl folgen ju
laffen. 35urch ben Stieben »on guneöiHe fam Selgien unb ba8
ganje linfe fRljeinufer an bie fra^ßfifdje Slepublif; bie 1152
Duabratmeilen beö fünften 8anbeS im 3etfallenen beutfchen
(Reiche würben eingekeilt in bie »ier ^Departements, (Roer, ©aat,
(Rhein unb SRofel, 35onnet8berg, unb bie frangöftfcheit Sommiffäre
wufjten nic^t weniger gu faugen unb ju branbjdjatjen als bie
Slmtmänner unb ©erichtSherren. 2>a8 JR^cinlanb war befreit
»on bem mittelalterlichen SBuft, allein burch frembe £ilfe.
Sinfen commanbirten bie (Reurömer ben Untertanen, jur Siechten
befahl ber Äorfe ben Surften, bie 1806 jurn (Rheinbunbe gu*
fammentreten mufjten.
©ine neue ©onne war blutroth im SBeften ©uropa’8 auf»
gegangen; ihre Strahlen fielen nach krem 9luffteigen am $0=
rigont juerft auf bie (Rheinlanbe; unter ihrem Strahle fchmol^en
bie Soufcal« unb Stohnred)te, ba8 33eft!jaupt unb bie leibeigen»
fchaft, fanfen ÜRitren unb fronen in ben ©taub, fte brachten 31cm
SSeidjen Pfaffen unb genfer. 3ber e8 war ein frembeS Sicht,
ba8 aufgegangen war! 35ie Beit war wieber gefommen, wo burch
ber 35eutfchen Schwäche unb Uneinigfeit, wie 3U beS 9luguftu8
unb bet Smpcratoren (ßerjobe, »erloren ging ber ©trom unb fein
©ebiet, ber 3U »ermitteln ben 53eruf hat 3Wifdjen (Rorb unb ©iib,
gwifchen Oft unb SBeft in ©uropa. @ine8 neuen SEprannen
(S9T)
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Despotie mu§te ben beutfd)en SDtidjel mit §)eitfd)en}d)lageu oom
trunfenen @djlaf erwecfen; aber bet SBeginn unfereS SaljrljunbertS
falj trauernb bie ©ermania im f^mar^en ©ewanbe unb gebrochen
im €DRarf ben 93ater SRfyein am SBobeit liegen. — Dem vae
victis! im Söeften antwortete jum SCrofte oon Dften Ijer ein:
exoritur quondam nostris ex ossibus ultor!
(598)
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^nmerkuttgrit.
1) 93gl- Silber ton ®. greptag: aus fcern Saßrbunbert her JRefor-
mation. ©. 305.
2) Sgl. a. £>. ©. 304 u. ferner ©. 306—328.
3) Sgl. ba8 ßübftße Stlb in ©cbert’S ®ermania ,ftäbtifd)e8 grei«
fließen". ©. 1 57.
4) lieber ben »armen $irfebret, »gl. ©. greptag a. £). <3. 333
— 335; ber Straßburger gifcßart ßat befanntlidj biefe bama!8 epccße«
madßenben jwei $irfebreimfen »cn 1456 unb 1576 mit föftlicßem, ale-
mannijcßem .^umor befcbrieben.
5) Ueber bie Sebeutung »on Spjanj im 15. Saßrlmnbert »gl.
gr. »cn 4)etl»alb’« (5ulturgefd)i<ßte, 2. Sufi. II. Sb. ©. 415 ff.
6) Sgl. über SlbuS SlanutiuS, ben potenjirten D. ©panier be8
15. 3aßrßunbert8, Smbrcije Dibot: Aide Manuce et rhellenisme
ä Venice. 1875. SDie Sucfcbrucferfunft lam »on ÜJlainj unb ©traß*
bürg, Safel unb Nürnberg au8 1462 nad) Samberg, 1467 nad) Otom,
1469 nad) Senebig unb üllailanb, 1472 na<ß glorenj, 1476 natß s))ari8,
1473 nad; ©panien unb ben Siebertanben, um 1480 nad) (Snglanb,
1472 nad) Dfen, 1483 nad) ©todßolm, 1488 na<ß Sonftantinopel,
1490 nad) Äcpenßageu. 3n circa 40 Saßren ßatte fttß „bie ftßroaqe
Äunft* »on Slainj au8 über ganj Suropa »erbreitet bi8 $u ben Ungarn
utib ben dürfen unb ber ultima Thule im Sorben.
7) Ueber ben Humanismus in Stalien »gl. unter anberen SBerfen
Hellwalb, öulturgefcßicßte 2. Sufi. II. Sb. ©. 415—427, Henne am
Ölßpn, Äulturgefd)id)te ber neueren Seit, I. Sb. ©. 56 — 71.
8) SDie beutfdjen Unieerfttäten im Sßeinlanbe würben geftiftet:
1386 Hcibelberg,
1388 JMln,
1402 SBürjburg,
(SW)
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48
1454 5Erier,
1456 greiburg im 0rei8gau,
1460 0afel,
1477 SRainj,
1477 Tübingen.
9) lieber Storno« »on Äempen ober a Kempis »gl. $ienne am
SRfypn a. £>. I. 0b. ©. 75 — 76 unb 3o§. ©<§err, ®e{d)i(bte beutfefcer
ßultur unb ©itte. ©. 351.
10) lieber bie oberttyeinife^en 5Jl»ftifer unb ©atirifer biefer 3«it
»gl. in Äürje : $au8ratfy, bie oberr§einifc§e 0e»6lferung @. 27—28,
0ilmar, beutje^e fftationalliteratur, 10. Slufl. ©. 274 — 277, ©. 304
—307.
11) lieber bie SEljdtigfeit ber $umaniften ju §eibelberg unb bie
rljeinifefye ©efellfeljaft »gl. £>äuffer, @efcl)td)te bet rfyeinifdjen fPfalj, L 21).
©. 427—439.
12) lieber SBeffel unb iXeuc^lin »gl ^duffer a. £., I. 2§., ©.
442 — 448, $enne am IRfyjjn a. SO., I. 0b. ©. 81 — 83, ©etyerr
a. O. ©. 258.
13) lieber bie SBirfung »on 9ut^er’8 Auftreten »gl. ©cfyerr a. D.
©. 267 — 270, 4>enne am SRfjpn a. £). I. 0b. ©. 109 — 116. 0e»
fannt ift bie ©age »om 2raum beS Äurfürften griebrief) »on ©actjfen
»en ber geber beS ÜJlfndje«, bie fo waebfc, bafj fte »ou SBittenberg nact)
iKom an bie breifa^e Ärone be« f)apfte8 reiche unb bieje jum SBanfen
bringe. 3)ie 0olf8fage fprid>t bie 0ebeutung unb ben ©inbruef »on
Hutljer’8 SEljat einfach unb roal)r au8.
14) liebet ben merfwfirbigen geuergeift Jütten »gl. Ä. £>agen,
jur politifdjen @efd)td>te ©eutfdjlanfc«, unb ©djerr a. £>. ©. 259 — 260,
263 — 264 ; eine $>robe au8 ben epiatolae virorum obecurorura {. a. £).
©. 406 — 407; über Jütten »gL nod) ©djerr: ©ermania ©. 176—177
unb §enne am IRljpn. I. 0b. ©. 94—99, 119 — 123.
15) lieber ben IRittertag »on ?anbau »gL ©elbert, ÜRagifter Sodann
0aber8 Sieben unb ©djriften, ©. 50—54. ®ie Urfunbe be8 „brüber.
litten 0erftdnbniffe8" fte^t bei ÜJlünd), granj »on ©iefingen, II. 0b.
©. 188—193.
16) lieber beS ©iefingen lefjte feiten »gl. ©elbert a. £>. ©. 58 —60,
31. 0ecfer, bie $falj unb biefPfdljer, ©. 639—643; er liegt begraben
in ber Äirefje ju ?anbftul>[; bafelbft t>atte er bie erfle proteftantifdje
Pfarrei gegrünbet. 9lodj jefct ftc^t ber SBeftridjcr 0auer im gewaltigen
©turmwinb feinen ©eift, ber gleich bem SRobenftciner unb bem ginben*
(600)
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49
fcbmit bei nabenbein Kriege fich böte» taffe; »gl. baju 'Dlebliß, gabrten
bur<b bie 'Pfalj, ©. 13 — 18.
17) Ueber Bwingli’ß 9 ehre unb Seben »gl. 'Dicrifofer, Utrid;
3wingli nach ben urfuitblicben Quellen; außerbem »gl. ©d)loffer’ß 29clt»
gefehlte IX. 33b. ©.509 —511, 520 — 530, £mme am 9ü)pn a. O.
I. Sb. ©. 123—130, 137 — 139, 247—149. ©cßloffer bezeichnet üutber’ß
3(nfid)t alä „bie unfinnige tfcbre ben ber Ubiquität* a. D. ©. 529.
£>bne 3weifcl bat ber ©tarrfinn Luther’« bem (Srftarfen beß Haren, re»
formatorifc^en ©efcanfenß unenblid) ge trabet.
18) lieber ben Sauemaufftanb bgl. baß cingeljenbe Söilerf ben
SSJilbclni Bimmennann, . ©efc^id^te beß großen Sauernfriegeß*; er bat
bie Quellen eingeßenb barin gcroürbigt. dußerbem finb richtige Sbeen
über feine Sebeutung in beffen ©efebiebte beö beutfd>en Solfeß, III. Sb.
©. 191 — 236; ogl. ferner ©chloffer’ß IBeltgefc^ic^te IX. Sb. @.-190
bis 499, Sdjerr, Schichte bcutfdjer ßultur unb ©itte ©. 271—274.
Cbne 3»dfel war ber Sauernaufftanb in feiner innerlichen 3bee ber
Sorläufer ber frangöfifdjcn 9iebolution auf beutfebem Soben!
19) ©o unb ähnlich wütbet gütiger in feiner glugfebrift: ,wiber
bie mörberifd;en ubb räubcrifd?en Netten ber Säuern*, ©d^err nennt
bieje ©ebrift ein Pamphlet. Ser 9)lann mußte eben auf jwei Slchfelu
tragen: er fonnte bie Surften nidit aufgeben, olme feine Neformalien
ju gefährben.
20) Ueber üubroigß V. Sorgeben ju ©unften ber Säuern in ber
Äurpfalj »gl. $)äuffer, ©efebiebte ber rbeinifeben 'Pfalj, I. Sb. ©. 537
bi« 538.
21) Ueber ba« fonberbare Serbalten be« Äurfürften »on ber 'Pfalj
wäbrenb be« ©peprer Neidjßtageß »gl. ©elbert a. Q. ©. 194 — 196;
4>äuffer bemerft a. O. 3. 542 er hätte nach Ueberreicbung ber prote*
ftation bie faiferliche Diajeftät »on gemaltfamen ©dritten abgebalten.
5£h«tfä(hli«h füllte fein Nachfolger griebrid) II. unter Plelancbtbon’ß
ilufpijien bie Deformation feit 1545 in ber pfalj ein, ließ bie 9Ji eff e
beutfeh lefcn, baß Jlbenbrnaßl unter beiberlei ©eftalt außtbeilen unb er-
laubte ben priefiern bie Gbe. Ser erftc ©otteßbienft nach proteftanti»
(d)cm Dituß warb am 3. Sanum 1546 ju $eibelberg abgebalten; »gl.
£äuffer a. Q. ©. 601.
22) Sgl. £)außrath, bie oberrbeinifcht Seoßlferung in ber ©efcbidjte.
©. 28—31.
23) Ueber baß 2Bibettäufertbum ju Plünfter »gl. $enne atu
Dl>mt a. Q. I. Sb. ©. 141 — 146.
XIV. 3*ö. 4 COOl)
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24) lieber bie ©ntmicflung ber ^Reformation in ben ©ieberlanben
in Äürje »gl. p. Äurfc, ijehrbud? ber Äirc^cngej^idjte, § 140, 6, § 158,
1, § 169, 6. Surd) bie ©erbinbung mit granf reich — ®eufen — unb
ber ©<hroei$ fam fpäter in ben ©ieberlanben baß reformirte ©cfenntnifj
jur perrfchaft. 3)ie freie ©chweij, baß freie $mllanb begünftigten bie
humanere ücljre Bwingli’ß unb ©alpin’ß, im ftarreren bcutfcben ©orben
unb in ©littelbeutfchlanb hat bie ftrengere, ortbobojre ütnjdwuung Vuther’ß
bie £)berhanb gewonnen
25) Ueber bie Slenberungen im ©terfebrßwefen nach biefcn großen
(Intbecfungen »gl. ©üdjek, C^efe^irfjte beß SBelthanbelß, ©. 149 — 156,
tpenne am a. O. II. ©b. © 64—66, .petlroalb a. O. II. ©b.
©. 477—478.
26) Heber baß (Snbe beß rbeinifchen ©täbtebunbeß ©litte beß 15. 3ahr-
hunbertß »gl. ©lenjel, @ef<hichte beß rljeinifd>en ©täbtebunbeß im 13. 3abr*
hunbert ©. 66, .penne am IKhpn, allgemeine (Sulturgefchichte III.
Sb. ©. 269 — 270. 9!ad) bem gatle Bon ©tainj 1462 mar baß
©d;icffal beß rheinifd?ctt ©täbtebunbeß befiegelt; »gl. ©artholb, ©ejchubte
ber bcutfcben ©täbte, IV. Sl). ©. 289—293.
27) Ueber ©ullenwebcr’ß IKeformibeen Bgl. ©cberr, ©efchtchte beut-
jeher (Sultur unb ©itte ©. 284 unb ©artbolb, @efch. Söullemoeber’ß
in Siaunter’ß l>iftor. Safd)enbuch f. 1835 ©. 1—200; in Äür$e »gl
©artholb, ökfcb- b. beutfchen ©täbte, IV. SEI?- 5.360—371. (Sr
wollte für bie panfa, waß Jütten für ben Slbel unb ben ©ürgerftanb
beabfichtigtc: eine freie beutfche ©ation auf ©runb beß ©roteftantißmuß.
Ueber ben ©erfall ber £>anfa pgl. ©artbolb’ß ffierf, IV. Sh- <*• m. ©t.
28) Ueber ©ürnberg’ß Äunftblütbe Bgl. .penne am ©h9n a. JD.
I. ©b. ©. 638 — 541 unb ©artholb, @ef<h- b- beutfchen ©täbte, IV. Sh-
©. 323—324.
29) 2)ie iaudatio Bon ?leneaß ©pluiuß finbet [ich jum Sl)eil bei
©artholb a. £). IV. Sl). ©. 256. ©och hfu*e bietet ein ©unbgang
burch ©ürnbcrgß ©tragen baß befte ©ilb Bon mittelalterlicher profan-
unb Äird;enbaufunft. S6al)re Äleinobien auß biefer ©eriobe finb Ber-
einigt im gennanijcbcn ©iujeunt bafelbft. 3ur Slluftration ©ürnberg’ß
Bgl. baß ©ilb Bon gr. Änab in ©d;err’ß ©ermania ©.241: ,'Patrijier-
hauß in ©ürnberg*.
30) Ueber bie nieberlänbifd>cn ©lalerjchulen unb ihre ©ebeutuug
Bgl. 3Ö. ?übfe, GSrunbrifi ber Äunftgejchicbte 7. Stuft. ©. 286 — 305.
pier auch ein Stbfchnitt über bie flanbrifcijen Seppidje u. f. w. ©. 363
—394 ; auperbent $enne am ©hVn a. £>. I. ©b. ©. 539 — 540,
©. 549—555.
(«o»)
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31) lieber bet 9lieberlanbe §ortfd;ritte in Äunft unb 2ßiffcnfrfjaft
u>äl;renb biefer periebe ogl. ^ellnwlb a. D- II. SB. @. 483, £>enne
Slm SKbpn a O. I. 33b. @. 381, 38G, 397, II. 33b. ©. 309—309.
— ©ebaftian DJlünfter, ber Äi'Smoprapl; beö IG. 3al)rl'unbert« war
geb. 1489 ju 3ngell;eim in ber Pfalj, warb 1529 profeffor ju 33afel
unb ftarb 1552 an ber peft. ©eine ÄoSmegrapl;ie erfebien ju 33ajel
1541 mit rcl;en SIbbilbungen unb Äarten. (§« ift ba« erfte Uniuerjal«
lejifon für Q5eograpl;ie, @efd;id;te, 9laturgefd)id;tc unb Stl;nclcgie, weldje«
bie 9ieujeit l;eroorgebrad;t l)at.
32) Die beutfdjen 9ieid;6tage unb tyre @cfd;id)te »gl. bei Daniel,
ftanbbutb ber beutfd;cn IKeitb«« u. ©taatenred?t«gefd;id;te, II. 511;. 2 33b.
©. 317—567. II. SEI;. 3. 33b. ©. 1 — 209. — 3u Sranffurt im 9iömev
langen bie Silber ber bafelbft gewählten Äaijer; ben lebten pia(j nimmt
Ä'aifer ftranj II. ein.
33) lieber $einrid>’8 II. ©alten in ben 9il;einlanben »gl. S3artl;olb
a. £). IV. 511;. ©. 401 — 404. S3ci ber »ergeblid;en 33elagerung »du
SDleb 1552 burd; Äaifer Äarl V. fang man im beutfdjen 'Helfe: ,bie
SDiefie unb bie fölagb, l;at bem Äaifer ben SEanj »erjagt". (§« liegt
©timmung barin.
34) Hgl. über bie ©irfungen be« 30 jährigen Äriege« auf bie
©tcflung beb !Heid;c« ©djerr a. £). ©.280 — 282; beffelben Hrf.’s ©er»
mania ©. 236—238; im 'Allgemeinen »gl. über bie präpenberang gvanf«
reid;« feit bem 16. 3af;rl;unbert .frellwalb a. £>. II. 33b. ©. 516—520.
35) 33ci Piünfter in ber 2. 'Auflage ber ÄoSmograpl;ie »cm 3-
1628 ©. 1053.
36) Die ©djilberung ber Äurpfalj nad; bem 30jäl;rigen Äriege
»gl. bei $>äuffer a. O. II. 33b. ©. 584; ba« £>eibelberger ©djlojj warb
in feinen fünften Steilen, bem £)ttc-^)einrid;«bau unb bem griebridjfl«
bau, 1556 - 1559 unb 1601 im reinen Dienaiffanceftiele l;ergefteflt ; f bei
8übfe a. £). II. 33b. ©. 126 u. 128, fowie §ig. 361.
37) lieber bie 33e»elferung«abnal;me in Deutfdjanb in biefer periobe
»gl. Hernie am DiljJjn a. D. II. 33b. ©. 6 — 7; er nimmt an, bafj
Deutjdjlanb wenigften« */i feiner 33e»elferung »erloren l;abe; »gl. ferner
©d;err, (Germania ©. 237—238.
38) 9tad; einer Plittljeilung be« t!el;rer« 3. ©djneiber ju Piujjbad),
au« 3lrd;i»alien gefdjöpft.
39) ©rimmelfiljaufen geb. ju ©elnljaufen 1625 fdjilberte in feinem
©impliciu« feine eigenen 3lbenteuer in Deutjdjlanb, granfreie^ unb äKujj*
lanb; er ftarb 1676. Die ©e^ilberung ber franjefifdjen ©ittenjuftänbe
(603;
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barin IV. Sßucb 3. — 6. 6ap. finb bemerfenSmertl; ; balb fam c« audj in
2)eutfd)Ianb äljnlid)!
. 40) SBfll- über bie 5£hätigfeit Äarl Submig’8, be« SBieberherftefler«
ber fcäuffer a. £>. II. 33. ©. 580-608, 642—687.
41) lieber bie folgen be« jmeiten SHaubfriege« für bie SHtyeinlanbe
Dgl. $äuffcr a. £>. ©. 628 — 642.
42) lieber bie sßermüftungcn in ber 'Pfalj unb überhaupt am Dibein
in ben 3ahKn 1688—1690 ugl. ^>auffer a. £>. ©. 766 — 786; £auä*
ratty a. D. S. 32 — 33; über bie ißermüftung ber 5Kci$4ftabt ©peper
Dgl. Ä. 3Beifj, ©efcfyidjte ber ©tabt ©peper ©. 84—92. ©peper unb
SBorrn«, üliannljeim unb 4>eibelberg mürben buihftäblid) in ben ©^reefenS«
tagen 1689 Dom ©rbboben oertilgt; in ©peper blieben nur bie Üranb«
mauern beS Some« f teilen, ju $eibelberg überftanb bie Herftörung nur
ba« .£)au« „pm SHitter*. lieber bie mannhafte ^'faljgräfin ©lifabetl'
©harlotte Dgl. ben ausführlichen ©ffap Don £)äuf{er a. £>. ©. 712 — 734.
©ie mürbe bie ©tifterin ber ÄonigSbpnaftie ©rtean«.
43) lieber ben tonangebenben ©influjj 5ranfreid/S auf cultureKem
©ebiete Dgl. ©d?err’ö ©ermania ©. 275 — 276, 294; £>ellmalb a. C.
II. iß. ©. 516—525; über ben frangöfifd^eit $of f. £>enne am Oipmt
D. O. II. 33. ©. 92—117.
44) Heber ben 3efuiti«mu8 in ber Äurpfalg Dgl. bie ©arflellung
Don $äuffer a. £5. II. Iß. ©. 786 — 843. 2)ie Äirdjenljänbel bauerten
unter 3ol)ann 3Ui(l;elm unb $tarl Philipp bi« SJiitte be« 18. 3al?i'*
tjunbert« an.
45) lieber bie ^fäljer 3uftänbe Dgl. §äuffer a. 0. II 33. ©. 905
bi« 957, befonber« ©. 925—926, 930—941, 943—950, 955—956.
©ine treffenbe Scbilberung ber 3uftänbe im Äurfürftentbum ’Pfalj ©nbe
be« 18. 3al)rtjunbert« entrollt 6. Srauenitaat in ber 'Uiagbeb. 3eitung
50iai 1879.
46) 33gl. bie furje ©Ijarafteriftif be« §reil?eitstaumel8 bei £>au«ratlj
a. D. ©. 35 — 37 ; bie Veibeigcnfd)aft blieb bi« jur tKebolution. ©ine
un« »orliegenbe fülanumiffion Dom 24 Slpril 1780, auSgcftellt Dom §ürit-
bijdjof ju ©peper für eine ©djultbeigentod^tcr Don ©be«ljeim bei ©ben«
foben, entläßt biefe bebingung«meife au« ber ifeibeigcnfdjaft jura 3mecfe
ber äkrtjeiratl)ung mit einem 'JJiüller ju 3trjl;eim. 2)er Slft foftet nid;t
meniger al« 322 §1. 38 fr.
(*sm)
Tturf ton flna»r (*6. UJrimni), Bttlm, ifdjönfbtrflrrftr. II«.
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i*ari' von JLinne
<5e&äcfytnifjre&e
bei bet %t\n in bet Äßnigl. 9lfabemie bet SBiffenfdsaften
am 10. Januar 1878 in ©tocffyolm
gebalten von
betem gegenwärtigen ^>täfe§
illalmflen.
ßerlin SW. 1879.
Sßetlag non (5 a r l Jg> a b e I.
(t. iß. t'n&tritrsttjr Hitlnßsbndjbiniilting.)
'13. 9S?irb«1m > Strafe 33.
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!Dad 8Red)t bcr Uebfrjefeung in frfmbe Sprachen tüicb »crbtbaltcn.
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uvarl ginnaeuS würbe in einem einfachen ^fartbaufe in ber
ÄapeQanSmobnung SRäöljult am 13. dJlai — alten ©tplS — 1707
geboren. <Der SBater mar 9tilS ginnaeuS unb bie dftutter
Äriftine SBrobetfonia, beten Sßater Pfarrer in ©tenbrobult
gewejen war. 9ta<b bem letztgenannten .Ritcbfpiele gog im fol*
genben 3abtc 5Ril8 ginnaeuS, wo er jefct gum Pfarrer er»
nannt worben war, unb bort legte er balb einen größeren ©arten,
ben fd?cnften in ber gangen ^roning, an. 9^adE> einigen Sauren
erhielt ber ©obn Äatl jeine eigenen ©artenbeete gu bejäen unb
gu pflegen, unb bieje Sbt^eilung beS ©artenS würbe „jfarl’8
©arten" genannt. ©djon im Sllter »on fed)8 Safjren batte ber
Heine Änabe bort ein ©jremplar bon SlUem bem, was im größeren
©arten beß SBaterS war, fictj aufgegogen.
Sie früher Sfcournefort, ber größte SBotauiler be8 17.
SabrbunbertS, jo war auch Äarl ginnaeuS für baS geiftlidbe
5lmt beftimmt worben. 3m 3abre 1717 würbe Äarl in ber
Stioialftbule in 23cj:iS aufgenommen, wo er als $)flaugen!ennet
bei bem fReftor gannaeliuS, ber felbft bie 3)flangeufunbe liebte,
fe^r in ©unften ftanb. 5Bon ^flangen fpredjen gu büren, ihre
Flamen unb ©igenfcbaften gu lernen, baS war fo febr bie eingige
Neigung beS Änaben, baf) alle übrigen ©tubieu oerfäumt würben.
3m 3abre 1724 warb er inS ©pmnafium werfest; aber au<b ba
XIV. 329. 1 • (607)
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würben bie geiftlidjen ©tubien »erfäumt, weldie gu bet 3^it tie
pauptfädjlidjfte Aufgabe be8 @pmnafium8 bilbeten. ÜJiattyematif
unb ftubirte er gwar mit Vergnügen, aber bod) immer
uorgugäweife 93otanif; unb bie Äametaben nannten ifyn „ben
fleinen 9?otanifer". 9118 ber 93ater 1726 nad) -SBejriö !am, um
nadj ben ©tubien feines @ofyne8 gu fragen, erflärten bie Seljrer,
bafj fie auf iljr ©ewiffen fidj oerpfiicptet füllten, bem 93 ater gu
ratzen, feinen ©ofyn in bie gefyre bei einem Srfdjler ober
©djneiber gu geben, weil fie übergeugt feien, bafj er „mit ben
5?nd}em nid^tö auSridjten föirne". ©et Äummer be8 33ater8
über biefe ^iobSpoft war unbefdjreiblicß. ©er 3ufaH führte iljn
nun gum fProöhtgialargt ©öfter Siotljman, ber ein guter
ftreunb beS Steftor gannaeliuS war unb ber butdj biefen bie
Anlagen be8 ©ol)ne8 fennen gelernt tjatte. „SEBoljl feien bie
gehret", fagte Siotljman „im SRedbte, bafj ber Änabe nie 9>re»
biget werben fönne; er felbft aber fei übergeugt, bafj ber 3unge
mit ber 3cit ein berühmter fÄrgt werbe, ber in ber 3ufunft eben
fo gut wie irgenb ein ^rebiger fid) gu ernähren »ermöge".
©oftor 3totl)man liefj je£t ben jungen 8innaeu8 in fein #au§
eingiefyen unb unterridjtete iljn in ben erften ©rünben ber
ftologie unb ber 93otanil SBäfyrenb feines Ijiefigeu 2lufentl}nlt8
ftubirte ginn aeu8 bie Slumen nad} ber SJtetljobe »on Slourne«
fort. fRotljman gab itjm aud) $liniu8 ©djriften über Statur»
gefdjidjte, unb jefct würbe bie römifdje ©pradje bem ginnaeuS
ebenfo lieb, wie bie 9Biffenfdjaft, bie er ftdj burd} fie aneignete,
©ie furge unb prunflofe 9lu8brucf8weife be8 ^liniuS übertrug
ftdj balb auf ben Süngling unb gab iljm eine gewiffe ^ertigfeit,
ftdj fewofyl in ©d)rift wie in Siebe lateinifdfj auSgubrücfen, wa8
iljm in ber 3ufunft t>on großem Stufen würbe.
3nbeffen al8 8innaeu8 1727 ba8 ©pmnafium oerlaffen
(608)
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unb fidj nach bet Slfabemie begeben füllte, befam et »cm fReftor
be8 ©pmuafiumö Ätof ein 3eugnifj folgerten 3nhält$: „Sie
bie 3ugenb in ben Spulen mit fleinen Säumen in einet Saum*
fdjule oerglidhen merbeu fann, wo eö guweilen, obgleich feiten,
gefdjicljt, baf) junge Säume trofc aßet auf ftc oerwenbeten Sorg*
falt nicht gut arten, fonbern in »ilbe «Stämme augarten, aber
wenn fie fchliefjlid} umgeje^t unb nerpflangt »erben, nerlaffen fie
i^te »ilbe 2lrt, »erben ft^öne Säume unb geben angenehmes
Dbft; — fo unb in feiner anbern &bfid}t »irb jefct biefer 3üng*
ling gu bet 2lfabemie entlaffen, wo er üielleicht in ein foldjeg
Jtlima fommt, bag fein 3unehmen im Skchöthum begünftigen
»ütbe." 9Rit biefem »cnig empfehlenben Beuguiffe reifte 8 in*
naeuö nach 8unb, wo er Unterftüfcung non einem Sermanbten,
$>rofefjor $umerug, gu gewinnen hoffte. Sei feiner Ülnfunft
in 8unb läuteten ade ©loden bet Stabt. 8innaeu8 fragte,
weffen Seerbigung eS fei unb erhielt gur Antwort, baf? ber 5)om*
probft £umeru§ beftattet »erbe. 2)ieg »ar ein fthweter Schlag
für üinnaeug unb feitbem fonnte et nie ©lodenläuten ertragen,
©lüdlichctweife traf er jefct feinen früheren 3nformator, ©abriel
4P öf, unb rourbe, ohne fein unuertheilhafteg abgaugggeugnif?
oorgeigen gu brauchen, alg beffen JDigcipel bei bet Sfabemie eiu*
gefchrieben, wo er balb burch feine botaniichen Äenntniffe unb
burch feine ©igenfchaft ald 5Rebicin Stubirenber non bem ge*
leljrten 9>rofeffor, fpäter ärftater, Ä'ilian StobaeuS, in beffen
j£>aufe er auch wohnte, befdjüfct würbe. .£>ier fah et gu feiner
großen greube eine größere Sammlung non Steinen, Sögeln,
Schnecfen unb gepreßten ^flangen unb erhielt ©elegenheit, ftd?
felbft ein Jperbarium gu fammeln unb bie gefammelten ^flangen
mit ben Sefdjreibungen »on SEournefort gu Dergleichen. 55i<>
flächte burch ftubirte Üinnaeug; unb ba St obaeug non feiner
(60»;
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9Jiutter aufmerffom gemalt worben war, bajjj Siebt bie gange
9ladjt in SinnaeuS’ 3immet brannte unb man fürchtete, bafj
er beim Sicht eingefdjlafen märe, jo überrafdjte ©tobaeuS ihn
eine ^ladjt unb fanb il?n mit ©tubien befc^äftigt unb non einer
2Renge ©ücbet umgeben, bie berfelbe einem beuticben SDlebicin*
©tubirenben, ber auch in ©tobaeuS’ £aufe wohnte unb bet
freien Butritt gu feiner ©ibliothef befafe, entließen l)atte. !Äm
folgenben Sage gab ©tobaeuS auch bem SinnaeuS freien
3utritt gu feinet ©ibliothef, unb befc^ü^te ihn ferner auf’S ©efte
lief? fid) »on ihm fogar in bet eignen gratis Reifen unb oer»
ipradj, benfelben, wenn er fo fortfaijre wie et augefangen tjabe,
gu feinem ©rben eingufeßen. 2)effen ungeachtet ging ber junge
SinnaeuS, nach einem ©efud) wäbrenb beS ©ommerS in ber
£eimath, im £erbfte 1728 nach ttpfala, wo „man SJiebicin unb
©otanif unter ben ^rofefforen JRogberg unb SHubbecf befjer
ftubiren fßnne, unb wo aufcet einer ftattlichen ©ibliothef ein be*
fonberer botanifcher ©arten unb t»iele Stipendia regia et mag-
natum ftch fänben, woburch ein armer 3üngling eorwärtS fommen
fönnte." SinnaeuS fet$te h^ feine SieblingSftubien eifrig fort
hatte aber mit großer Slrmuth gu fämpfen unb litt oft ^Mangel
am 9iothwenbigften. (Sr wünfd)te fid) jfe^t gurüef gu ieinem
©ßnnet ©tobaeuS in Sunb unb bereute tief, ba£ er ungehorfam
non ihm fortgegangen war. (Sr war nach ©erlauf eines 3al}reS
burch bieS SDlifjgefchicf gegwungen, ft<h bagu gu entfd)liefjen, auf
bie Slufforberung beS ©aterS gu £aufe gu fommen, um in ben
geiftlicben ©tanb eingutreten gu oerfuchen. ©or ber Slbreife ging
er bann eines SageS, um oon bem Qlfabemie* ©arten, biefem
(einem irbifdjen §)arabiefe, iäbfchieb gu nehmen, ©erabe im
©egriffe, eine feltene eben aufgefpreffene ©lume abgufchneiben,
bie et als eine liebe (Erinnerung in feiner Äräuterfammlung auf»
(«10)
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bewahren wollte, würbe er oon betn SDomprobfte £>. ©elfiuö,
bem älteren, angerebet, welker wäljrenb ber Unterhaltung mit
bem jungen unbefannten Söianne in SBerwunberung über jeine
Äenntuiffe in ber SSotanif unb übet feine genaue SDarfteüung
oon bem Snhalte be8 ©artenS geriet!). fftadjbem 6elfiu8 ben
8innaeu8 näher fennen gelernt, unb nachbem er feine biirftigen
SBerhältniffe erfahren hatte, lieh « ih» 3“ fi<h fommen, um in
feinem £aufe gu wohnen unb an feinem Stifche gu effen, aud)
gab er ihm freien Butritt gu feiner oorgüglidjen botanif(hen
SBibliothef. (Selfiuö empfanb täglich mehr unb mehr ©efaHen
an 8innaeu8 unb btefer begann jefjt butd) prioate ©ollegien
in bie üage gu fommen, fid) „Schuhe nnb anbere ÄleibungS*
ftücfe" gu »erfchaffen. 2innaeu8 fchrieb jefct in golge ber
SDiSputation »on SBallin: „de nuptiis arborum“ einige
SBogen über ben redeten 3ufammenhang mit „sexu plantarum“,
welche Schrift bem D. ©elfiuS überliefert würbe, ber baö
SJianujfript gum fjDrofeffor ber SDtebicin unb SBotanif, Dlof
fRubbecf bem jüngeren, fanbte. Sflubbecf würbe jefct bem 2in»
naeuS ein ©önner, nahm ihn gum 3uformator für feine Söhne
unb gab ihm freien Sutritt gu feinet SBibliothef. — 9118 bet
bejahrte £>lof {Rubbecf 1730 oon ber SBerpflichtung, allgemeine
SBorlejuugen gu halten, unter 33ebingung fich einen SBifatiuS gu
cerfchaffen, befreit würbe unb ba ber SSbjuuft 5)reuft, ber guerft
hiergu au8erfehen würbe, bei ber Prüfung oon {Rubbecf aber
„nicht ba§ gehörige 5Rafj geigte“, fo würbe 2innaeu8 gerufen,
oon bet gacultät ejraminirt unb mit 9lprobation angenommen,
obgleich $>tofeffor fRogbetg e8 für gewagt hielt „einen noch
nicht bteijährigen Stubenten gum SDocent gu machen unb nod)
mehr ihm öffentliche 93otlefungen aufgutragen." SBon biefem
Stage an fchien bie Sonne befl ©lücfeS bem,8innaeu§ gu
(611)
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lächeln. 3Rit ©efdjicf unb mit bem Seifall Met ^ielt et bie
ihm anoertrauten Sotlefungen unb bet feinen prioaten bota«
nifdjen (Syfutfionen ^atte et balb einen gtofcen 3ulauf t»ou
3)raftifanten, woburch feine öfonomifche Stellung »erbeffert
würbe.
©urdj bie Sermittlung bet sperren Stubbecf unb Dlof
unb AnbteaS (SelfiuS erteilte ginnaeuS e8, auf Äoften bet
Äßnigl. ©ocietat bet 2öiffenfdjaften in Upfala eine Steife nach
8applanb 3u unternehmen. @8 war wäfyrenb be8 grühlings nnb
be8 ©ommerS 1732, bafc et biefe in fo oielen cfjinfichten merf*
würbige, an Abenteuern reiche, ja bei mehreren (Gelegenheiten
lebensgefährliche, aber jum sJRufceu ber Sliffenfchaft Doch glücflich
ooHenbetc Steife auö führte.
9 Rad) ber ftüdfehr 1733 h^i fcinnaeuS auch ÄoQegien
in ber 9>robirtunft not einer anfehnlichen 3al)l »on ©tubirenben
unb erwarb ftch hierbutch SERittel gu feinem Unterhalte. Snbeffen
würbe im 3ahre 1734 burch einen Äangletbrief oerorbnet, bafc
fein ©eeeut in ber ÜJiebicin bei ber Afabemie non Upfala gum
„Abjuncten in Praejudice" herbeigegogen werben bürfe, woneben
auch »erboten würbe, folche fPerfonen öffentlich lehren gu lafjen,
bie nicht felbft bie gejefclichen groben ber Lehrer abgelegt haben.
2)urch biefe Serorbnung würbe giunaeuS gezwungen, auf bie
Sotlefungen gu »ergichten, in welchen er fich bisher oon fo gahU
reichen 3uhörern beehrt gefehen, bah »tele oon Den Aubitorien
ber ^rofefforen leer ftanben. SDieö war ein harter ©chlag für
ihn, bem alfo jebe SBirfjamfeit als üehrer bei ber Afabemie be«
raubt würbe. Jfurg batnad} erhielt er oon fReuterholm, bem
Sanbeflhauptmamt für ülalefarlien, ©elb al8 Unterftüjjung gu
einer Steife in bie Sergwerfe biefer i'irooing. Sei bet Stücffehr
nach ftalun hielt Stnnaeufl Sotlefungen in ber 9)robirfunft
(«IS)
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uni) in bet SJiinetalogie not einer großen Slnjatjl »on Buljörern.
SDurdj biefe SBorlefungen unb burdj eine nie tjt unbebeutenfce
prioate mebicinifdje $)rajci8 erhielt er fogar ©elegenfyeit, etwas
©elb gn fammeln. @r befanb fid? Ijier alfo fefyr wofyl, fafy aber
felbft ein, „bafe er nie auf einen grünen 3weig fommen würbe,
wenn et nidjt {Reifen nad) bem 2lu8Ianbe madje unb JDcftor
»erbe; unb baburdj bie Steilheit erhalte nadj bet {Rücffeljr fid),
wo es iljm beliebte, niebergulaffen". 3n galuu »erlübte Sin«
naeuS fid^ mit ber Stehler »ou bem ©tabtargte fDlcraeuS
unb unternahm anfangs beb SaljreS 1735 eine {Reife inS 2luS=
lanb. —
3m grüljling !am 8 in naeuS über £elfingborg, ^elfingör
unb Hamburg nadj SSmfterbam in «£)oQanb. UeberaU befalj er
©arten, 23lumeufammlungcn unb SRaturalieufabinette. 3m 9Ko»
nat 3nni nafym er ben 25ofter8grab in .fparbewp! unb gab ben
24. 3uni 1735 feine ©rabualbiSputation auS: „Hypothesis
nova de febrium intermittentium caussa“. 5£)er be*
rühmte 33 o erbaue war bamalS ^rofeffor bet ÜHebicin in 8epben.
9iad) biefer Unioerfttät ftrömten bie ©tubireuben »on allen 9k=
tionen unb auep 8innaeuS wünfdjte biefen auSgegeidjneten
Beßrer gu fyören, weSfyalb er fid) entfd)loff für einige 3«t leine
{Rütfreife aufgufdjieben, obgleid) feine {Reifefaffe fo erfdjöpft war,
bafj er in einer SDadjftube wohnen unb auf bie bürftigfte 2trt
leben muffte. Snbefjen erwarb er fid) balb greunbe wie SDoftor
3. %■ ©rono», ^rofeffor »an IRopen, 8awfon, Ärarner,
Sieberfüpn unb Snbete. ©ronc» »erlegte jefct auf eigene
Äoften 8innaeu§’ „Systema naturae“, weites bamalS nur
14 goliofeiten füllte, aber bod) bie ©runbelemente gu bem gtof)«
artigen ©pftem enthielt, baS fd)lief)lid) butdj feinen gleiß unb
feine Arbeit in einer geerbneten golge ade {Reitze bet 91atur
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umfaffen foUte. 3n einet fpateren Auflage biefeö SBerfeö äufeerte
ginnaeuß in bet Sßortebe: „3t fafy ben ©Ratten beö fyßtften
28efen8 cor mit ^erfcfjreiten unb idj mürbe Don ©trfurtt unb
Semunberung erfüllt. 3t fuc^te feine ©puren in bem ©anbe
— meldje jfraft, melt^e SBeiö^eit! 3t fall bie Spiere nur burt
bie ©emätie hefteten, bie ©emätfe nur butt bie leblofen 95ar»
tifeln, unb biefe roieber bie ©rbe bitben. 3t fal) bie ©onne
unb bie ©tetne oljne 3afyl frei in bem SRaume ftmeben, in bet
^>anb gehalten Don bem Sßefen bet SBefen, bem Zünftler beö
großen SJteiftermerfe". 25er furge ©runbrifj Don ben btei Steifen
bet Statut, melden Sinnaeu§ in bem „Systema naturae“
gegeben fyatte, erregte bie 9lufmerfjamfeit 9111er. Boerfjate
felbft, beffen 3eit fo in 9lnfprut genommen mar, bo§ fogar
Rietet bet ©rofje, nat^bem maß erjagt mirb, mehrere ©tunben
auf eine Unterrebung märten mujjte, münftte, na t bem biefer
©runbrifj il)m mitgetljeilt mar, ben 33etfafjet auf feinem £anb«
gute, roo fid) , in geringer ©ntfernung Don Sepben, eine tot*
jüglite Sammlung epotifter ©emätfe befanb, ju fe^en.
@r faty, prüfte unb beriet^ ben SHnnaeub, feine Söof}«
nung in £ollanb aufguftlagen. Unb ba Sinnaeuö ermibette,
bafj mie gern er aut termeilen mßtte, iljn bot feine büvftigen
SBerljältniffe jmängen, ben folgenben 2ag nad) ©tmeben jurürf*
äufeljren, fo gab BoerljaDe iljm einen (SmpfeblungSbrief an
Butmann, ^)rofeffor bet Botanif in iÄmfterbam. 9iad)bem
Butmann ben jungen ©tmeben fennen gelernt tjatte, beauf«
tragte er il)n mit ber $ülfeleiftung bei einet Beitreibung feiner
©ammlung ton ©emätfen auö ©eplon unb futte iljn 3U über«
reben, in Sflmfterbam ju Detroeilen, bot ifym eine prächtige Söolj»
nung mit 9lufroartung unb Äoft bei feinem eigenen Sifdje an,
mel^eä Slnerbieten iHnnaeuö mit 25anf aut oorläufig annaljm.
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@ine$ 2age$ fam bet reiche Sürgermeifter in Amfterbam, ©eorg
©lifforb, um feinen Argt Soerhaoe um fRath gu fragen unb
erhielt bann folgenbe Antwort: „@S fehlt 3h*ien 9li<ht8 gu einem
glücflichen geben als ein Argt, bet täglich für ©ie forgen, weil
Sie ^p^jodjonbtifc^ finb, 3h« ©iät beftimmen unb in wichtigeren
fällen mich um SRath fragen fann. 3<h fenne einen jungen
Schweben, ber fleh augenblicflich in Amfterbam aufhält, biefen
empfehle ich 3h*»eu auf’S SBefte. @r ift aufjerbem ein oortrejf*
lieber Sotanifer unb fann 3h«n ©arten auf .jpartefamp orbnen".
©ert i^atte ©lifforb, ber einer non ben ©ireftoren bet Oft*
inbifchen Compagnie war, mit grofeen jfoften unb äufjerfter
Fracht einen ©arten angelegt, ©ie ©ewächie aus bem füblichen
©uropa, auS Afien, Afrifa unb Ametifa würben bort gebaut;
unb aufjerbem befanben fid) bei ^jartefamp mehrere Herbarien,
eine cor^üglic^e botanifche Sibliothef unb feltene unb
Sögel. ©lifforb folgte bem IRathe, unb ginnaeuö fonnte ein
jo guteö Verbieten nicht abfchlagen. „Alfo bleibt ginnaeuS
bei ©lifforb" — fchreibt ginnaeuS jelbft — „wo et wie
ein $)ring leben fann, ben größten ©arten unter feiner pflege
erhalt, alle bie $)flangen, bie im ©arten fehlen, oerfdjreiben unb
alle bie Sucher, bie in ber Sibliothef fehlen, faufen barf".
ginnaeuö ooOenbcte fjier feine „Flora Lapponica“, bie in
Amfterbam gebrueft würbe. SSährenb beS Aufenthalte in Jparte*
famp unternahm er eine IReife nach ©nglanb um Glifforb’S
©arten mit allerlei norbamerifanifchen ©ewäcbfen, bie mit grofjem
©rfolg bei goubon gebaut würben, 51t oermehren. An ben be*
rühmten fRaturforfcher $an8 Sloane, jpäter Stifter beS Sri*
tifh SDlufeumS, erhielt er oon Soer ha oe folgenben fdjmeichelhaf*
ten ©mpfehlungSbrief: „ginnaeuS, ber biefen Srief überbringt,
ift allein würbig Sie gu feben unb oon 3h«en gefehen gu werben.
(eis)
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S)er, welcher Sie Seibe gujammeu fie^t, ber fdjaut gmei SRäuner,
beffen ©leidjen bie SBelt faum noch befiel." ginnaeuS, bet
fefyr gemünfcht hatte, ©nglanb gu befugen, gog jefct in !urget
Seit großen 5Rujjen non bet auf Äoften feines ©önnerS ©lif*
forb bahin auSgeführten fReife. 3)ie reichen Sammlungen non
Sloane mie auch bie ©arten in ©helfea unb ßjrforb gaben
ihm reiche ©elegenheit gu mehreren neuen Unterfuchuugen; bort
machte et auch bie ^erfonlidje 5Befanntfc^aft mit auSgegeichneten
9taturforfd)cvn »ie SRiller, ©allifon unb SilleniuS. 3a!
SDilleni u8, ber im Anfang 8innaeuö falt empfangen batte
mürbe fpäter jein befter greunb unb »er juchte ihn gu Überreben
„mit ihm gujammen gu leben unb gu fterben". SinnaeuS
lehrte jeboch nach |>ollanb gurücf, um nach SBoDlenbung beffen,
waö er burdj bie Pflicht gegeu feinen 2B»bltbäter ©lifforb als
geforbert anjah, Schweben roiebergujehen. ÜRachbem er baS #er>
barium georbnet unb Alles in ©lifforb’S ©arten miffenjdjaft*
lid? beftimmt hatte, arbeitete er „Musa Cliffortiana“ unb
„Hortus Cliffortianus“ auS, als eine SDanfeS* Abftattung
an feinen ©önner.
ginnaeuS hatte mähvenb feines Aufenthaltes bei ©lifforb
aufjev Flora Lapponica unter mehreren anbereu Serien auch
„Genera plantarum“ unb „Critica botanica“ »oOenbet.
üDiefe anhaltenbe Arbeit in ber nebeligen fcuft »on £otlanb
fdhraächte EinnaeuS’ ©efunbheit unb er feinte [ich nach einem
befferen Älima, „obgleich er in all bem SBohlftanbe lebte, ben
ein Sterblicher fidj wunfthen fann“. Ungeachtet aller locfenbeu
Anerbieten, fomohl »on 23oetha»e als »on ©lifforb tonnte
SinnaeuS boch nicht gum SBleiben »ermocht merben, jonbetn
entjdjlofj fich nach einem furgen 23ejud?e in ^ranfreich nach
.jpaufe gutüdgufehren. 3nbeffen mollte er »on feinen greunbeu
C«1C)
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13
unb SBefannten in Senbeit 2lbfdbieb nehmen — wettet 2lbjdbieb8«
befud) feine fRücfreife tetgögern liefjs. 2118 nämlidj $)rofeffdr
pan fRopen l)örte, ba§ Sinn aeu 8 reifen wollte, bot er Ujm aOe
meglitben 93ortljeile, wenn er nur bleiben unb ifym beljülflidj
fein wollte ben äfabetnifdten ©arten gu orbnen unb „itjrn feine
Fundament« botanica bemonftriren wollte". SinnaeuS weldjet
eintolj, bafj feine ^rtncipien bierburcb bei einer glängenben 2lfa*
bemie eingefübrt werben würben, entfiel o§ jt<b gu Derweilen unb
entfdjulbigte fid? beißlifforb bamit, bafj et „biefeS au8 feinem
anbern ©runb tfyue, al8 um ftd> unb feinen würbigen ©lifforb
gu ebren.“
3m 9Rai be8 3aljreS 1738 »erlief SinnaeuS Jpodanb unb
reifte nadf) $)ari8. 33on tan fRoten Ijatte er einen fdjmeidjel*
Ratten ©mbfefjlungSbrief an 3uffieu, ben älteren, ^tofeffot
ber Söotanif in ^Dari8. IDiefer S3rief unb ba8 ©eriidjt non
Sinnaeu8’ ©enie unb tfenntniffen, weites i^m nadj $)ari8
DorauSgegangeit war, teranlafjten, bafj Sinnaeu8 in bie glän*
genbften ©efetlfcfyaften non gelehrten ÜRännern eingefütjrt würbe.
2>ie beiben 23rüber 3uffieu erwiefen ifym jebe mögliche 2tuf»
merffamfeit unb er fonnte ^ier bie großen Herbarien ton SEour«
nefort, 33aillant unb anberen burdjforfdjen. SDer jüngere,
S3ern^arb be 3uffieu führte ifyn nad? Fontainebleau unb
anberen ©teilen, um itym bie fcbönften ©ewädjfe, bie fidj in ber
Umgebung ton f)ari8 fanben, gu geigen. 33ei einem 23efutb in
ber Slfabemie ber SSiffenfdjaften würbe SinnaeuS am ©djluffe
bet 3‘ifammenfunft burcb bie 5Radjrid)t, bafj er gum correfpon»
birenben 5Ritgliebe bet Slfabemie gewählt worben war, über*
rajdtt. 2lud) Ijier in ^ari8 würben itjm grofjc 33ortf;eiIe ange*
boten, wenn er bleiben unb Fmnjofe »erben wollte, aber „Ijöljere
fReigung geg ifyn nadj feinem S?sterlanbe“. 35ie Siebe gur £ei*
(6J7)
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math unb bie Sehnfudjt, feine Staut wieberguiehen, beeilten feine
Siücfreife. @t fam im September 1738 nad) Schweben gurücf
unb nach einem furzen Sefudje bei feinen ©Itern in Stenbrohult,
reifte er nach galun, wo je£t bie Setlobung mit feiner 3u§er«
wählten gefeiert würbe; bann begab et fleh nad? Stocfljolm, um
fein ©IM gu »erfuchen. Sr badete ft<h bi«1 iefet «1$ Sltjt feinen
Unterhalt gu erwerben; ba et aber Sillen unbefannt war —
fdjteibt er felbft — wagte Siiemanb, fein theureS Beben feinen
.£>änben anjunertrauen, ja, fogar nicht einmal feinen ^>unb, fo
baff er anfing an feinem gortfommen im Banbe gu gweifeln.
©cwohnt im 2lu§lanbe alö Princeps botanicorum gefeiert
gu werben, war et hier gu Jpaufe — nach feinem eigenen 2lu8*
brurfe — „wie ein Älpmenoö, non ber Unterwelt gefommen,
fo ba§, wenn Binnaeuö jej}t nicht »erliebt gewefen, et un»
feblbat wieber fortgereift unb Schweben »erlaffen b«kn würbe."
Salb leuchtete aber ber Stern bet Hoffnung wieber auf
unb nach einigen gelungenen Suren gewann 2innaeu8 1739
ba§ Sertrauen »on mehreren Äranfen, würbe mit bem gelehrten
Äapitän ÜJiartin Sriewalb befannt unb butch ihn mit bem
Saron Slnbreaö »on köpfen, fpäter 9teid)Sratt) unb ©raf,
unb mit bem Äommergienrath 3ona§ Sllftromer. 3m Serein
mit bieten Scannern ftiftete Binnaeuö je£t bie üönigl. 9lfa*
bemie bet SBiffenfchaften in Stodfholm, bereu erfte 3ufummen*
funft ben 2. 3uni 1739 gehalten würbe, wo Sinnaeuö burdb
baö Booö beren erfter $>räfeö warb. @8 war beim Siieterlegen
biefet SBortführerfchaft, ba§ Binnaeuö bie geiftreidhe Siebe
„Ueber fERerfwürbigfeiten bei ben Snfeften" hielt, welche bie
3uhörer entgücfte unb allgemeine Sewunberung gewann. SDurd?
ben BanbmarfchaQ, ©raf S. ©. Steffin, welcher fdhoti lange
burch auölänbifdhe 3ournale unb eine auögebehnte auswärtige
(«13)
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©otrefponbeng mit ten ijetODna.-jenben fDfännetn in anberen
gänbern b «8 ?innaeu8’ ©enie unb grofce Berbienfte in @t»
fabrung gebraut b^te, würbe beim fRcidjStag 1739 ein jäbr*
lidjeß £onotar non 100 SDufaten bem 8innaeu8 gugetbeilt,
gegen Berpflicbtung, im ©ommer ßffentticb auf bem Bittet*
baufe S3otanif unb im SBinter übet ba8 SRiueralienfabinett beö
BetgfoHegium8 gu lefen; auch erhielt er ben Stitel Ißniglidjer
Botanicu8.
JDaffelbe 3abt 1739 würbe SinnaeuS burch bie Bermitt*
lung be8 ©rafen ©. ©. $effin gum iäbmiralitatäargt in ©tocf=
bolm ernannt. 3n bem Sagaretb bet glätte befanben fidj tag*
lieh 100 bt8 200 Äranfe unb bieö gab ihm eine norgüglicfce
©elegenfyeit, feine mebicinifche ©rfabrung gu erweitern. @r
toibmete fid? hier nicht allein bem Beobachten bet Jtranfbeiten,
fonbern machte aud? eifrige Unterfucbungen über bie SBirfungen
ber einfadjen SHrgneimittel ; unb ba er einfab ba§ bie patbologifcbe
Sluatomie, welche gu biefer 3«it wenig ftubirt würbe, non ber
größten Söichtigfeit für bie .peilfunft fei, fudjte unb erhielt er
@tlanbni§ auf bem .ffranfenbaufe Öeicheneffnungen angufteüen.
Unter ginnaeuS’ Berbienften um bie Qrntwicflung ber fölebicin
müffen biefe feine Bemühungen eine wiffenfchaftlicbe Unterfu*
djung ber in bem menfehlichen Äßrper uadj bem £obe eintretenben
Betänberungen eingufübreu, hoch gefd}ä&t werben. Ben biefer
3ett an bemerft man in ber fchwefcifdjen Literatur einen siel
gtߧeren Beidjtbum an patbologif<b*anatomifcben Beobachtungen
unb eine weit flarere ©inficht ber Botbwenbigfeit, ba6 ©euten
bet «Rtanfbeitefpmptome auf bie jbenntnifi ber patbologifdben
Beränberungen be8 Organismus gu begrünben, als man fte
gu jener Seit in ber reiferen Literatur Dieter anberer Uänber
antrifft.
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üinnaeuö’ SÄnfeben al8 9lr5t wud)8 jefct een Jag gu Jag
unb feine ?>rairi8 nahm in gleichem ©erbaltniffe gu. @r felbft
ergabt, baff er gu biefer Beit ebenfo oiel allein cerbiente wie
bie anberen Sfergte in ©tocfbolm gufammen; beffenungeadjtet
fefjnte er fiel) beep nach feiner 3ugenbliebe, ber ©etanif, welche
jefct bei ihm ben cerfcpiebenaTtigen ©efepäften beb praftifepen
'Jtrgteö patte weidjen ntüffen. @r fdjreibt bamal8 in einem
©riefe an Roller: „SBenn id} nach Upfala fäme, würbe id)
bie mebicinifcpe 9)raj:i8 aufgeben unb miep nur mit ©otanif
befepäftigen".
8innaeu8 feierte jept feine .gwepgeit mit feinet ©erlebten,
Sara ©lifabetp SJtorea unb „naep biefer Beit fam e8
ipm nie niepr in ben Sinn non ©cp weben »eggugiepen“. —
3nbefien würbe er burep bie ©ermittlung non Jeffin gum $)ro*
feffot ber tpeoretifepen unb praftifdjen SJiebicin in Upfala im
fDiai 1741 ernannt unb fing im .fterbfte feine ©orlefungen über
„Historia morborum“ an. 3Rof4n, welker im Borger»
gepenben 3apte gum 5)rcfeffct ber ©etanif ernannt worben war,
erhielt 1742 bie Gfrlaubnifj ber ©ererbe bie ^rofeffur mit 8in*
naeu8 gu taufepen, „bamit jebe ffiiffenfcpaft ipren rechten fDtann
befommen würbe". 3ept patte alfo 8innaeu8 ben 5öirfung8<
freie, in weitem Pt burep fein @enie unb feine Äenntniffe am
meiften leiften fonnte, erhalten. Sein fRupm unb feine (5pre
iowie bie bev Unieerfität Upfala cernieprte fiep täglicp. 9IQe bie
Schriften au8 ber 9laturgefcpiepte, bie SinnaeuS aUmäplig
perauSgab, aufgugäplen unb beren 3npalt au8 einanber gu fepen,
erlaubt mir nicht bie Beit unb ftebt auep nicht in meinen Äraften.
3cp mu§ jeboep ^tnjufüfgen, ba§ obgleich er ftep con biefer 3«it
an pauptfäcblicp ber ©aturgefepiepte wibmete, er boep ftetS mit
ber ©earbeitung mebicinifcp=wiffenfcpaftli(per fragen befepäftigt
(620)
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17
war. 3>urch feine @<pler gab et eine grofje SJtenge mebicinifcher
Slbhanblungen h^auS, in welken wir feine mebicinifd?en 2ln«
fisten unb gehren fennen lernen.
35er grofce (finflufj, ben er als Sichrer auf bie (Sntwicflung
ber ärgtlidjen Bilbung in ©Sweben auSübte, !ann nicht hoch
genug gefä^t werben, unb ich hätte gewännt, ba§ bie 3eit
mir bie gasreichen Beweife, bie eS für bie au§erorbentli<he unb
in Meier £inficht erft in fpätefter 3«t anerfannte Bebeutung
beS SinnaeuS für fein Baterlanb giebt, ausführlicher mitgu«
theilen erlaubte. 35em $>rofeffor £>tto $jelt, welcher gut
Subelfeier in Upfala »origeS Jahr „jfarl non Sinnö als
Wrgt" in ,£>elfingfer8 auSgab, haben wir bie gutwitflung biefet
Wrage gu »erbanfeu.
BefonberS SinnaeuS’ Berufungen über 3)iätetif, ober
wa8 man in unferen Jagen bie Sehre ber prieaten ©efunbljeitS«
pflege nennen würbe, waren ausgezeichnet unb ihrer 3eit weit
»orauS. <5r fdjreibt felbft an fallet 1743: „.fein 9)rofeffor
in Upfala hat feit 60 Jahren mehr 3uhüret als ich gehabt; bie
35iätetif trage ich gang unb gar nach eigenen Beobachtungen
»er, unb wenn e§ mir »ergönnt würbe, meine Slrbeit gu »er«
öffentlichen, fo gweiffe iCh nicht baran, baf? e8 Bielen gu 9lufsen
gereichen unb Beifall gewinnen würbe".
SRäcbft Boerha»e hat fltiemanb in mcbicirtifdjer Jpinfic^t
größeren (Sinflufi auf SinnaeuS aitSgeübt als ber berühmte
iSrgt <Sau»ageS, mit weichem SinnaeuS währenb mehrerer
Jahre peinig forrefponMrte unb 'Jlnfichten auStaufChte. Jm @nbe
beS JahreS 1741 fdjreibt SinnaeuS an ©aunageS: „Jch
ftubire täglich Jl)te ^hppulogie; ba ich aber in ber ÜRathematif
nicht genug bewanbert bin, fo entgeht mir BieleS. Bon bem,
wa8 ich auffaffen fann, finbe ich mit Bewunbetung, wie Sie
XIV 3K>. 2 (f.2l)
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18
tief« al§ Semattb »ot Spnen in bie Söiffenfdpaft eingubtingen
nermocpt paben." 2Dur<p Saunage8 erhielt ginnaeuS Äennt«
nt§ non b« Sepanblung gewiff« Äranfpeiten mit <Slcf tricität ;
unb au8 biefet 33«anlaffung würben in Upfala »erfcpiebene 33«»
fudpe üb« bie £eüfraft ber Gleftricität angefteflt, unb auf 2ln=
fudpung ber gafuttät erfcpien am 28. 'September 1752 eine 15*
niglidpe SSworbnung weldpe geftattet, „bafe ein boppelteb Sie*
gi«ung8*@tipenbium bemjenigen Stubirenben bet SRebicin,
welcp« für bie &u8füptung non ©leftrifiroerfudjen bei Ätanfen
angefteDt wirb unb weldp« bei ben 33eoba(ptungen felbft gehörige
Gontrolen unb Semerfuugen gu fammeln weife, gegeben werben
barf“. Sebodp «ft jefet in ben lefeten 30 3apren ift e8, bafe bie
grofee Stolle ber Gleftricität bei b« Teilung »on Äranfpeiten
fidp geltenb gemacht pat.
Stuf ©runb ber Gtfaputng, welcpe et butcp feine au8ge»
bepnten Steifen im ganbe, wäprenb welcher er aufeer auf nieleS
tSnbere feine 3[ufm«!|amfeit aucp auf bie pflege ber £au8tpi«e
ridptete, erworben patte, würbe feine tKeufeerung über fragen in
SBegug auf bie Stpierargneifunbe nidpt feiten non ben 33epörben
eingeforbert unb fein ©utadpten gröfetentpeil8 beftimmenb für
ba8 eingufcplagenbe 53«fapren. Gr fdprieb audp felbft für weit«e
Seferfreife einige Sluffäfee über bie Jtranfpeiten b« .pauetpiere;
unb man fann fagen, bafe burdp bie Äenntnife, bie er nerbreitete,
bie Stotproenbigfeü einer befonberen Unterricptßanftalt für biefe
Hwecfe mept unb mepr flar peroortrat. G8 war aucp auf feine
Ölufforberuug unb auf feinen 23orfcptag, bafe ber po<pö«biente
9>eter pernqnift b« ©rünber ber Sdpwebiftpen SSpietavgeneU
funbe würbe. 23on biefet Seit an begann biefe in Sdpweben
tpren $)lafe al8 ein wicptigeS ©lieb ber allgemeinen unb b«
prinaten pauSpaltnng gut Slnerfennung gu bringen.
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8inuaeu§ fyil feine Stnfidjten unb feine ©rfahtung in bet
Sttebicin nidbt in trgenb einem mehr umfaffenben SBerfe »er*
öffentlich!, fonbern er h<*t fie nur not einem gasreichen Äreife
non Schülern, bie er um ftd? fammelte unb welche fpäter nach
Anleitung feiner 33orlefungen eine SRenge wiffenfthaftlichet ©e»
genftänbe bearbeiteten, ausgesprochen. Söofyl Ijat 8innaeu8
felbft gwei fpftcmatifdje 3tb^anblungen in SOiebicin herauggegebeu,
nämlich Genera morborum unb Clavis inedicinae; bie
Äürge aber, bie in btejen Arbeiten ^errfdit, geigt beutlidj, bafc
fte nur gur Unterlage für feine mündlichen auggegeidfneten 33or*
trage beftimmt waren. ©r »erlangte, baff fo wie ber §)fyt>ftfet
feine ©äffe auf Gjrperimente ftüfct, fo auch ber 9ltgt feine 2ln»
fisten auf 33erfudhe unb ^Beobachtungen grünben muff. SDutch
^Bereinigung ber anatomifchen, betanifdhen, p>t?r>ftolocitfd?en, dhe*
ntifthen unb mechanifdjen SBahrheiten mit ben gefyrfätjen ber
ÜRebicin ift bie rationelle £eilfunbe entftanben. 35er rationelle
Slrgt muf mehr ein ©fleftifer fein, alö blinb unb einfeitig ben
Snfichten einer gewiffen ©dhule huldigen.
©8 ift höcbft merfwütbig, wie 8innaeu§ gu biefer 3«l
flinifdhe ©tubien für bie mebicinifche Ausbildung empfahl.
„3n Äranfenhänfetn", e§, „wo mehrere jtranfe gepflegt
werben, fann nicht nur bie fRatur ber Äran?h«t genau beobachtet
unb befchrieben, fonbern auch bie Söirfung ber Argneimittel er*
forfcht, nnb wenn ber 2ob folgt, bie ©inroirfung ber jtranfheit
auf bie Drgane fichtbar gemacht werben".
55ie Beit erlaubt nicht, baö pathologifche ©pftem be8 8 in»
naeug, weicheg er in feinen „Genera morborum“ bargefteQt
hat, burchgugetjen. @8 war überhaupt eigenthümlich für 8 in*
naeuS’ ©enie, mit 8ei<htigfeit ba8 ©leichartige unb ba8 33er*
fchiebenartige in ben wechfelnben Phänomenen gu unterfcheiben,
2* («23)
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wie et aud) bie TRannigfaltigfeit bet ©tfdjeinungen unter all»
gemeinen ©efichtfipunften ju orbnen »erftanb. 3Die bamalige
fo unüoQftänbige Äenntnifc »om feineren 23aue be8 fDteufchen»
förpetö unb »or SlUem bie mangelhafte ©inficht in bie S3ejie*
hungeu ber Äranfheiten ju ben anatomifdjen SBeränberungen
malten bie Slnwenbung bet t^eoretifd^en begriffe auf bem ©e=
biet ber Erfahrung unmöglich.
5Die Sletiologie ober bie Äenntnifc ber Utfadjen ber Äranf*
heiten, welche immer eine wichtige fRofle in ber SRebicin gezielt
hatte, war für 8innaeu8 »om gröfeten 3ntereffe. 2lm meiften
bemerfenSmerth in biefer £inficht ift feine Jhect‘e Bon „exan-
themata viva“ ober bie Sßorfteflung, ba§ anftedenbe Äranf*
heiten »on „fleinen Jh‘eren" unb „lebenbigen Urfadhen“ h^ucr»
gerufen werben unb auf jenen beruhen. SBenn wir heute be«
benfen, welche grofje 5Roöe mit fRüdfid)t auf anftedenbe .Rran!»
heiten, bie Sehre oou $fianjen = f)arajttett in bet mebiciuif<hen
gotfdjung fpielt, fo fehen wir, wie Sinnaeuä fchon ahnte, wa§
bamalö noch nicht bewiefen werben fonnte. ©ehr merfwürbtg
ift e§, bah er gu feiner Seit genaue Äenntnifs oon bem Äräfce»
thiere, Acarus scabiei, befafj, beffen @ifc in ber £aut ift
unb bie Urfadhe bet Äräfce bitbet; getabe biefelbe Sehre, welche
fpäter unb nach oielem SBechfeln erft 1834 burch IRenucci ooH*
ftänbig fonftatirt würbe.
3n unften Jagen hören wir fowoljl unter bem SBolfe wie
unter ben Sterben fo oft oon ©lutpfropfett, Thrombosen,
fpredjen unb bie ©rfahrung fpäterer Seiten hat bargetljan, ba§
9>erfouen, welche baran leiben, nicht feiten plöjjlidj geftorben finb,
weil fie gegen ben SRatf) be8 SÄrjteS fich nicht ruhig »erhalten
hatten. 3n biefer J^inficht hat 8innaeu§ eine merfwütbige
ISnficht geäufjert, nämlich ba§ faferige Slblagerungen in bie ©e«
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fä§e, fogenante „^olppen" »on ihrer ursprünglichen (Stelle
loögerücft, plöfclidhe (Srfticfung »erurfachen fönnen, wefihalb Stube
für SSOe ^Diejenigen, He baran leiben, nothwenbig ift. C?8
mu§ bemerft »erben, bafj eö erft in ben lefceu 25 Sauren
gelungen ift, bie Sehre »on Shtombofen unb (Smboli gu
entwideln.
8iunaeu8 gab 1752 eine abljanblung IjerauS, bie tn’S
grangöfifche überfefct würbe, über bie Stothwenbigfeit für eine
SPiutter, felbft ihre Äinber gu näbren; unb er äußert „bafj ohne
gwingenbe @rünbe eine ÜJiutter fich nie bem entgiehen muff, ihr
Äinb felbft gu ftiOrn" ; er gefleht aber bocb gu, bafj wirfliche
.^inberniffe in biefer $inficht fidb »orfinben fönnen. 3n 33egug
auf Kimmen bemerft er, bafc bie Söiildh biefer gtauengimmer
burdj bie für fte unge»obnte Sebenöweife unb burdj baö oft
unbewegliche geben, wogu fte gezwungen »erben, nicht feiten
fdblecht »irb, unb rath beSljalb, baff eineSlmme jeben Sag fid^
in freier 8uft bewegen möge — Sehren welche erft weit Später
»on ben Sergten »öllig anerfannt worben finb.
Sn 33egug auf bie Setyanblung beö SBechfelfieberö , welche
Äraufheit SinnaeuS fdhon feit feinen jüngeren 3aljten ftubirt
unb über welche feine @rabualbi8}>utation ^anbelte, räth 8 in«
naeuö, aufjer ßbinin, Uebergiejjen mit faltem SBaffer nach »or«
bergeljenber (Erwärmung, eine SBebanblung welche auch erft io
lederen Seiten alä fehr wohlthuenb, befonberö um StücffäOe gu
»erhüten, anerfannt worben ift.
Unter ben Urfadjen ber S<h»inbfucht hebt 8innaeu8 an
mehreren Stellen feiner Schriften baß (Sinathmen »on feinen
Stoffpartifeln her»or, unb er entnimmt einen fpredjeuben 33ewei§
für biefe feine Erfahrung »on ben Steinhauern in Orfa ätirch*
S>iel in SDalefarlien, welche in großer 'Ängahl unb oft »or tem
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30ften SebenSjabte an biefer j?ranff)eit ftarben. Sluch biefeS ift
et ft nabe 100 3abre fpäter allgemein anerfanut.
Schon 1742 finbet ftd^ in ben Setbanblungen bet Slfabemie
bet SBiffenfchaften ein non SinnaeuS mitgetbeilter galt non
Slp^afi, »o bet Äranfe wäbrenb eines falben SabreS „alle
Subftantioa cergeffen hotte, fo bafj et fict) nicht eines eingigen
fltamenS, ja, fogat fi<h nicht ber 9iamen feinet Äinber, feinet
gtau ober feines eigenen, noch weniger beffen non 3emanb
Slnberm erinnern fonnte. Söenn man ihn bat nachgufagen, ant*
»ortete er: „Äann nicht". SBenn er Semanb oon feinen 2lmtS*
genoffen nennen wollte, geigte et auf ben SorlefungSfatalog, wo
beffen 3tame ftanb."
Unter ben mebicinifdjen 2öiffenf<haften bearbeitete 8innaeuS
eigentlich bie ^Ijarmafobpnamif, ober wie ältere Qlergte fie nannten,
„Materia medica“, unb bieS gang natürlich beS naben Sujammen*
Ranges wegen, in welchem bie Sotanif unb bie ^>Ijartnafognofie
gu einanber fteben. 25ie „Materia medica“ beS ginnaeuS
würbe oon ben Beitgenoffen bo<b gepriefen unb würbe wäbrenb
einer langen 3leibe oon Sabren ein Sßorbüb für bie Schrift*
fteOer über biefen Segen ftanb. ©r fchreibt in Segug hierauf
an feinen greunb äbrabam Säe! 1739: „3ch hotte beute einen
Srief oon SronotiuS unb tan 31 oben unb höbe oon ihnen
mehr Schmeicheleien über meiue Materia medica erhalten, als
ich jemals ton ber gangen SBelt gu erlangen gehofft hotte",
fallet nennt biefe Slrbeit „Commodissimum praelectionibus
compendium inter optima auctoris“.
Dijne auf weitere ÜJtittbeilungen über biefe für ihre 3eit
merfwürbige Arbeit eingugehen, fei eS mit hoch geftattet gu er»
wähnen, wie fcinnaeuS, ba bie ^ergte auf ihren Stecepten eine
ÜJlenge tetfehiebener ÜJUttel gufammenmifchten — eine ©ewohn»
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heit, bie mähtenb cieler folgenben SDecennten, ja, biß unfre Stage
üblich gemefen ift — mit fräftiger Stimme cot bie?em 5Rifs*
brauche (nämlich cor ben gufammengefefjten ftotmeln) marnte
unb anrieth lieber einfache Heilmittel $u gebrauchen unb nicht
mehrere gufammenjumifchen. SDie oon Sinnaeuß eingeführte
Dichtung bei ber SBearbeüung bet Materia medica mürbe fyüter
aufgenommen unb in bet nächften 3eit con mehreren Skrfaffem,
unter Slnberen ©lebitfch, Spielmann, Söiurrap unb 93er«
giuß befolgt.
Unter ben mebtcinifchen 9Siffenfchaften, melche Sinnaeuß
mit beionberm Snterreffe bearbeitete unb motin er, mie fchoit
ermähnt ift, 93orlefungen h'dt, nahm auch bie SDiätetif einen
$>lat3 ein. 9Jiit Hülfe feinet jahlreichen, fcbarffi tätigen 33eob«
achtungen ift bie praftifdje 3lnroenbung, bie er ber SDiätetif ab*
jugeminnen cerftanb, merfmürbig. Seine 93orlefungen hierüber
cermehrten baß 3ntereffe baran unb jeugten con einer Äenntnifc
in ber Heüfncbe, bie fehr benterfenßmerth ift. SDie SDiätetif
ober bie Sehre con ber natürlichen Sebenßmeife beß Sötenfchen,
beruht nach bet SSnficht beß Sinnaeuß auf fethß Hauh^ebin»
gungen, nämlich »fttfche Suft, ät'örperbemegungen, Sdjlaf, 9tah*
rungßmittel, SMußleerungen beß Äörperß unb ©emüthßberoegungen."
@r ftellte bie Sehren ber SDiätetif auf bem ©runbe biefer ad*
gemeinen Säfje bar, unb fuchte fie auf bem ©ebiete ber Heil*
lunbe angumenben. 9Bit h®ben fchon ermähnt, baff er eifrigft
auf bie Pflicht bet 5Jtütter, felbft ihre Äinber gu füllen, brang.
SDie Sugenb ermahnt er, mährenb ber Stubienjeit fich in Äärper*
bemegungen 311 üben, unb bie SEBichtigfeit beß 9lufentbalteß in
ber freien Suft hebt er oft hercor. SDaß 93 orthei Ihafte ber ge*
räumigen 9Bohnungen unb ber frifchen reinen Suft entmicfelt er
Har unb übergeugeub, mie auch bie ©efahr 3U früh in neuge*
(«*?)
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baute Raufet eingugieben wegen ihrer geudjtigfeit unb umeineu
guft. ©benfo geigt et bie ©c^äblic^feit bet Seetbigungen in
ben jtircben. „^Derjenige, bet feiue ©efunbbeit bemalten !wiU,
nrnfe bie guft, bie er atljmet, nicht weniger forgfältig alß bie
Sßabtung, bie et geniest, wählen." ®t warnt bauet, in gu nie
brigen 3immern gu fcblafeu ober in folget guft gu uetweilen,
bie mit Unremtid^Ieiten , »erfaulteu Stoffen unb ftiüftefyenbem
SBaffer in 23erübrung gefommen ift. 35eu öebötbeu bet Stabt
fagt et, liegt eS ob, barüber gu wachen, bafe alle SHrt Unrein*
liebfeit oon ben Stabten genau entfernt wirb u. j. w. 25 it
fetten hier ©ebanfeit, bie erft in ben aUerlefcten Seiten ©ebör
gewounen unb in bet Sehre uon bet ©efunbheitßpflege ftcb gel*
tenb gemacht haben.
23iel mehr fönnte nodb »on ben großen SSerbieuften, bie
Sinnaeuß um bie mebicinifcbe 2Biffenf<baft unb ben Unter*
riebt in unfrem ganbe ficb erworben bat, gefagt werben, wie et
ben ©ebraueb »on »erf<biebetien Droguen eingefübrt nnb wie et
bie Sehre »on ben ©iften entwicfelt I^at ; baß ©rwäbnte wirb
aber genügen, um gu geigen, wie grofc Sinnaeuß auch alß
9lrgt war.
3)ie fiöt)e feiner ©löfee erreichte Sinnaeuß in feiner (Sigen*
fdjaft alß >J)tofeffot an ber Uniuerfität Upfala. Sein Dtubm alfl
gehret unb 23etfaffet wud)ß nicht nur Saht für 3abt, fonbern
Jag für Jag. 2)ie 'Jlngabl ber Stubenten, welche »or feinet
Seit gewöhnlich biß 500 ftieg, betrug. 1759 ba ginne 9teftot
war 1500. $luß 'Rufjlanb, Norwegen, 55änemarf, ©nglaub,
.£>oUanb, Schweig, ja, fogat auß 2lmerifa, um nicht ginnlanb
gu nennen, famen junge geute, nm feinen Unterricht gu geuie&en.
„35a er jebm Sommer botanifirte", fdjreibt et felbft, „hatte et
ein paar ^junbert 3»höter, welche Äräuter unb 3nfeften fam*
(628)
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melten, Beobachtungen anfteUten, Bögel fdjoffen unb 3>rotefoU
führten. Unb nadjbem fie non sIRorgen8 7 Ufyr bis 9 Uhr
Abenbß jeben SBlittwoch unb ©onnabenb (Sjccurfionen gemacht
Ratten, teerten fie mit Blumen auf ben .£)üten gur ©tabt ju*
rücf unb begleiteten mit Raufen unb SSalbhorn ihren Anführer
gum ©arten".
SDtehrere AuSgeichnungen, fowohl in wie aufjer bem Sanbe,
famen ginnaeuß ju S^etl. (Sr hatte bie Aufmerfjamfeit unb
Bewunbetung non gang (Sutopa gewecft. Ser jt'önig »en
Spanien wollte ihn nach SDtabrib berufen, bot ihm atligen
©tanb, 2000 ^>iafter in ©eljalt unb fogar freie Ausübung feiner
Religion. Sie Äaiferin Äatijarina non fRufclanb machte ihm
bie idjmeidjelljafteften Anerbieten; aber er ging nicht barauf ein;
feine größte Belohnung war oieOeid^t ber (SntfyufiaSmuS, ben er
in jeinet .peimath bei feinen (Schülern heroortief. 3n Böige
biefer ©abe beö i*innaeuß, feilte ©fixier hiugureifjen, erlangte
©djweben eine jeltene SOierfwürbigfeit burch bie Steifen junger
gelehrter SDlänner, wie noch fein fcanb ein ©leidjeß gegeigt l^at.
Siefe ©d)üler beö ÜinuaeuS ober, wie er felbft fie nannte, feine
Apoftel gegen auS nach allen SBelttheilen, um bie Statur gu ftu»
btten unb beren ©chä£e heimguführen. Alle gelehrten ©eieil*
fchaften wetteifetten, ginnaeuö unter ihren SÖlitgliebern rechnen
gu bütfen. Sie Brangöfifche Afabemie ber SBiffenfchaften, wo
bie 3al)l ber auswärtigen SJlitglieber nicht acht überfteigen barf,
ertheilte bem 2inn6 biefe Außgeichnung 1762; unb er war ber
erfte ©<bwebe, ber bamit beehrt würbe.
Aber aud) in feinem Baterlanbe würbe fcinnaeuß auf
»ielfacbe Sßeife geehrt unb gefeiert. 3m 3ahre 1746 befchloffen
»ier ber oornehmften SDlaeceneit, ben fProfeffor Sinnaeuß mit
einet SDtebaiUe außgugeidjnen, bie auf ber einen ©eite fein S3ruft-
(V/3)
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bilb, auf ber anbern folgenbe 3nf<brift enthielt: „Carolo
Gustavo Tessin et Immortalitati effigiem Caroli
Linnaei, CI. Ekeblad, And. Höpken, N. Palmstierna
et C. H£rleman Die. MDCCLVI“. — SDiefe 3lu§geidjnung
war für ginnaeuS um fo wertvoller, ba fte bet fRadjwelt
geigte, wie gro§ feine SBerpflidbtung gegen beu ©tafen jfarl
©uftao Steffin^war, welcher feit ginnaeuö’ Dlücffeljr nad>
bem SBaterlanbe fidj als beffen ©ouner erwiefen ^atte. ©raf
Steffin lief* 1758 eine SRebaiDe gu S^ren be8 ginnd prägen.
Stuf ber einen Seite mar ba8 99tlbni§ beS ginne, auf bet
anbern waren bie brei {Reiche bet fRatur bargeftellt; übet i^nen
bie Sonne unb mit ber Umfdjrift „Illustrat“, iäudj auf bell
©rafen Steffin Anregung beehrte Äönig Slbolpi) fttebrif
ben ginnaeuS 1747 mit bem SEitel eines StrfiaterS. 3m 3Vre
1753 würbe giunaeuß fRitter beß (furg guoor geftifteten)
5Rorbftern=SDrben8 mit bem äßaljlfprudje: „Famarn extendere
f actis“. ©t war bet ©rfte oon ben fdjwebift^en ©ele^rten,
ber biefe SiuSgeidjnung erhielt. 3m 3al)re 1757 warb et in
ben 2lbelSftanb erhoben unb nannte fid) »on Sinn 6. So*
W0I5I Äönig 2lbolf f^rebrif wie bie geiftreidje Äönigin guife
Ulrife erwiefen ginne ade föniglidjen ©naben. SDie ©e*
fdjidjte weif) gu ergaben, mit weldjer föniglidjen ©nabe unb
Slnerfennung Äönig ©ufta» III. ginn <5 unb fein Anbeuten
beehrte.
©8 war jefjt ba8 Zeitalter ber dRaecene. Söie gering, wie
Vffnung8lo8 bie Stellung beS wiffenfc^aftli^en 3Ranne8 wä^renb
ber rauben Beiten ber langen »erarmenben Kriege gewefen fein
mufjte, ift leidjt eingufe^en. 2Bot)l würben befonberS in ben
geiftlidjen Familien — welchen im gangen proteftantifcfyen ©utopa
bie SMffenfdjaften fo oiele iljrer »orneljmften 3Ranner gu »er*
(630,
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banfen fyabtn — fraftige Naturen ergogen, welche fic^ ber fyctjeren
©ilbung wibmeten; biefe lehrten fic^ aber natürlich am meiften
bet gaufbaljn gu, welche bie .Kirche ihnen anbot. Äein SBunber
alfo, bafj bei ginnaeuS, welket fidj nach ferner fRucffe^r wie
ein unbefannter gtembling oorfam, bet im ftemben ganbe ben
freigebigen ©chu£, worunter er guerft feine .Kräfte geprüft, ^od)
gu ft^ä^en gelernt hatte, bie Uebergeugung tief wurgelte, baf),
wie er e8 einmal auSbrücfte: „ohne SRaecene bie SSBiffenfchaften
ebenfo wenig gefeimt haben, wie ©amenförnet ohne ©onne".
@8 war ber geiftreidje Ä. ©. Jeffin, ber fein eigentlicher
SRaecen würbe. Heber biefen ungewöhnlichen ÜJlann mag übrigens
ba8 Urtheil wie e8 auch fei auSfatlen, — mag e8 immerhin fein,
bafs ginnaeuS ihm eigentlich eine glängenbe 3'crbe mehr in
ber Fracht, womit et fich gu umgeben liebte, war — ba8 gtofje
SOerbtenft hat et jebenfallS für @<h weben, beffen größten tarnen
gerettet gu haben.
5)a8 Slrdji» auf ©rifsbetg. welches bem £>ber«$?ammerhertn
greihett 6. 3. ©oube gehört, oerwahrt eine ©ammlung oon
30 ©riefen oon ginne an Jeffin, welche nebft manchem 3uge,
ber lebhaft bie ©itten unb Die ©timmung jener 3eit begeidjnet,
bie innerliche ©rgebenheit ginnö’S für Jeff in in baS fdjönfte
gicht [teilt. Da bie ©enu|ung biefer ©riefe mit gefäßigft ge»
ftattet worben ift, fo fann ich nicht unterlaffen einige wenn
auch ft>T3e SluSgüge auS benfelben mitgutheilen, befonberS ba ihr
Snljalt bisher nur hödjft Söenigen befannt geworben ift. Diefe
©riefe berühren theilS ©ärtnerfunft, theilS feltfame fRaturgegen*
ftänbe, theilS bie SBirffamfeit ginnö'S als gehrer unb gor«
fcher. 9Ran fielet ihn, wie er eine ©elbbewifligung für eine
[Reife nach bem ©ap feinem ©chüler Äöhler gu oerfchaffeu fucht.
@t ergäbt ben gottgang feiner Arbeiten, Darunter einer, bie nie
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28
herau8gegeben mürbe, ein „Lexikon historiae naturalis“, meldjed
Bon einem BruffetS in granfreich befteHt mar. 8innö fdjreibt
in Begug barauf: „(Sin jfnoten bleibt mit aber noch, nämlich
ba8 Berbot be8 Äönigl. ©angelleüGoIIegium’, meines bie ©träfe
non 1000 2i)alern Silbermünge bem Betfaffer anbrohet, melcber
feine SRubimateria in8 5Su8lanb gu jd)icfen magt, um nobilitirt
ober Boit auSmärtigen Buchbtucfern gebrucft gu metben; ich
fürchte bie Strafe, noch mebr aber, al8 BerbotSbrecher uerut«
t^eilt gu metben". 3« einem Briefe au8 bem 3ahte 1757
fommt golgenbeS oor: „Seine 9ftajeftät ernannte mich am @nbe
be8 lebten 9teich8tag8 mit einem entt'e^lt^en Raufen Bon $lnbe*
ren gum ©belmann". SBie befannt ift, mufjien bamalS bie
©rnenuungen ben Stänben be8 fReidjeS gur ©enehmigung
Borgelegt metben. SGRit berechtigtem Stolge fügt beSljalb
Sinnö hing«: „SBenn ich mit mehreren Ruberen gufammen Ber»
motfen merbe, Berieft e8 nidjt meinen @hrfleig; menn ich aber
gufammen mit SBenigen Bermorfen merbe, fo mirb c8 mehr
fühlbar."
£5er ha«Mä<hliche, immer mieberfehrenbe ©egeuftanb in
ben Briefen ift bie unoergänglicbe, marme 2lnhängli<bfeit
2innö’8. 2)et erfte Brief ift Born 11. 9tyril 1740 batirt, gu
einer 3eit al8 Steffin fdjmebifdiet ©efaubter in fPariS mar.
@r lautet fo: „3n bem 2Bohlftanbe, morin ©ott unb ©raf
Sleffin mich Derfe^t haben, lebe ich fel)t gufrieben unb reichlich.
Borigen Sommer unb £erbft la8 ich öffentlich bie Botanif;
im SBinter unb jefjt noch fahre ich fort in ber fKineralogie über
bie Steinfammlung be8 BergcoQegiumS mit 300 3«höretn °^er
mit fo Bielen, mie 5£riemalb’8 3immer auf bem SRitterhaufe
faum aufnehmen fann; ich h«Ne nie Bermuthet, meber bafj fo
Biele Bon meinen SanbSleuten bafür Beigung h«öen mürben,
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29
notb ba§ idj ihnen ein fcldjeß erroünfcbteS Sßergnügen, wie fie
fi<b eS merfen laffen, hätte oerfcbaffen fcnnen".
„So oiel wie früher alle meine ©ebanfen auf Historiam
naturalem rieten gu fönnen, batan oerbinbert mich freilich
Praxis medica, für welche ber gnäbige HerT ©raf mir ©m*
Pfeilungen gegeben iat; bocb iabe idj einen $raftat beenbet, um
ibn biefen Sommer in ^ollanb brucfen gu laffen unb einen
gweiten, welcher balb in Stodbolm fertig gebrucft fein wirb, ber
ben Flamen meines großen SDtaecenS noch preifen wirb, wenn
toit oerftummen." (©8 war bie gweite Auflage oon „Systema
naturae“.)
„Sille treuen Schweben preifen ben ^odjwoilgeborenen ^>ertn
©rafen; unb ich mufj eS bod) am meiften. 2)et Hett ©taf
nahm mich, peregrinum in patria, ohne ©mpfeblung oon
©önnern, ohne mein eigenes 23erbienft auf; fe^te mich an feinen
eignen Stifdj gwifdjen bie Sßornebmften im JReit^e; gab mir
SBo^nung in feinem eigenen Calais ; empfahl mich bei beu
Höchften im ganbe, oerfdjaffte mit jährliches ©eljalt unb eine
©brenftetle, bamit ich im ^ranfenbaufe bie .Kraft ber Heilmittel
prüfen unb fte für bie SluSerwablten befchreiben fönue. 3d;
babe alfo unoerfennbar ©ott unb bem ©rafen Seffin all mein
©lücf gu oerbanfen."
SJian fielet, eS ift oiel oon ber fyocbgeftimmten Slrtigfeit,
bie in bem bamaligen S3riefftile üblich war; was aber ebenfc
ungewöhnlich bamalS wie jefjt erfcbeint, baS ift in allen folgenben
Briefen gu feben, nämlich wie £innö mit berfetben Slnbäng;
liebfeit, mit berfelben 2>anfbarfeit bemfelbem SJtanne, na<bbem
biefer gefallen unb oergeffen ift, wie gut 3eit, ba er auf ber
Höbe feines ©lücfeS ftanb, ergeben bleibt unb wie 8innd bann
ebenfo freimüt^ig feine 93erbinblichfeit auSfprid)t; eS fann bem
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30
aufmerffamen £efet fogar nicht entgegen, wenn et »ielleicht auch
nicht bie ungleichen 5)aten bet Sahn beß Seffin fennt, bah
bie eigentümlich lebhaften, nicht feiten ftarfen Außbrücfe non
33ricf gu Sötief wechfeln unb anjubeuten fcheinen, wann etwas
»ergeht.
Mehrere biefet Briefe finb ffteujahrßwünfche. 3« einem
folgen »om 1. 3annuar 1749 »erfichert £inn4, bah „berfelbe
Jperr, bet meine ©lücffeligfeit in biefet SBelt gefchaffen hat» mit
feinem ©tue! obet Unglücf mit folche $ieube ober folche Stauet
beb ^erjenß »erutfadJen muh, wie fte nut ein gärtltcbeß Äinb
am Sdjicffnle feines halben SSaterß nehmen fann, unb biefeß fo
lange, wie ©ott mit hier in bet 2Belt gu leben geftattet".
Seffin ftanb gu biefet Seit fdjon in gekanntem Verhält*
niffe gu bem ^»ofe.
3n einem folgenben Stiefe auß bem 3ahre 1751 heiftt eß:
2) et allmächtige ©ott fchenfe 6uter ©pcellcug fo »iele glücfliche
Sage, wie ©ure ©jrceßeug mit glücfliche Stunben gegeben haben,
nnb führe ©ure ©jccelleng, wie et eß fchon lange gethan hat,
butch eine bßfe SSelt unb gwifchen bie unbanfbatften 33üfewi<hter
binburch, fo bah fein eingigeß £aat au bet theuren §)erfon ©uret
©pceHeng berührt wirb". 2>amalß watSeffin fchon in offenem
Streit mit bet ^ofpartei.
®ß war aber nicht für fid? allein, bah 8inn4 banfbat war.
3m September beffelben 3ahreß fchteibt et: „©otteß Aümadht
erhalte ©ure GpceDeng, welche fo »iel wahre Söiffenfchaft in un*
ferem fReidse erweeft unb fo belebt haben, bah fte wähtenb bet
Beit ©urer ©xceQeng wohl anwurgeln fönnen, unb wir alfo bet
Frucht »erfid)ert werben.“
3n bem ffteujahrßbriefe »on 1752 fagt er: „Sa ich beim
Söedifel beß 3ahre§ meine Abrechnung abfchliefte, etfcheiut mir
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toiebet baS grofje «Kapital, mit welchem id) mid) bei ©ott unb
bei (Suter (SjrceHeng Derfdjulbet finbe.
(Suret (Sjrcefleng jdjulbe id):
1) ben (Srebit, ben id) butcb (Sure (Srcelleng bei ber Station
1738 erhielt.
2) Die 2tbmiralität8*2lnftellung butd) bie (Smpfeblung (Suter
(SjcceHeng bei bent Slbmital Slnfarcrona 1739.
3) Die ^leufion t>on 100 Ducateu jäbtlid) burd) ben Sin»
trag (Suret (SjrceDeng beim 9teid)8tage 1739.
4) Die ^rofeffur iu Upfala, Don ber id) jefct lebe, burd)
ben Sbrief (Suter (SjrceOeng au8 fpariö an ©eine (Sjrcelleng
ben ©rafen Ä. ©pllenbotg 1740.
5) Eitel unb SBürbe Don 2lrfiater bei ©einer «£>od)feligen
fDtajeftät im 3al)te 1747.
6) Die ©nabe, bie id) bei 3b*cn jefcigen SJtajeftäten im
3al)te 1750 gehabt ^abe.
Summe: 2lüe bie ©unftbegeugungen, weldje id) dou meiner
Dbrigfeit unb meinem SSaterlanbe erhalten, unb all ben SSortijeil,
ben id) hier in ber Söelt gehabt h“be, unb ebne welchen id)
beinahe „naeft wie eine Stabei" gewefen wäre". (St brüeft weitet
feine Seforgnif) für ben Saß aus, baf) Eeffin „allen ©laug,
alle Roheit unb SJtacbt nieberlegett unb in einem ruhigen «fpafen
antern werbe". „Die Staturfunbe, bie 2öiffenfd)aft, welche ©ott
felbft gu ber ooruebrnften bee SJienfdjen gemad)t b^t, in welcher
er feine SüeiSbeit unb 93tad)t ben ©(erblichen b“( geigen wollen,
welche lürglid) Don (Surer (Sgceßeng bulbteid) aufgenommen unb
bem ©cputje bet SJtajeftäten empfohlen worben ift, würbe ohne
9lmme ber lÄuägebtung anheimfanen"1
2118 Eeffin aber 1754 in Doßfommener Unguabe war,
beifit e8 im SBriefe Dom 21 Februar : „Sure (Sjrceßeng mit meiner
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32
unterbänden Antwort gu beläftigen, habe »<b nid^t ©agen bürfett,
»ort ber allgemeinen ©onfternation niebergebrüdEt, »eld?e biß gu
ben ^irtenfinbern gebrungen ift. ©oft Bergeibe bem Diebe,
welcher eß ©agt, [icb an bem flarften Siebte feftgufc^e«, bei ©el*
djem 2We gu {eben haben; er ©itb aud) guerft ©eggeBuj)t, bann
fdjeint eß noch fiaret".
3n einem ©tiefe Bom 28. 9iooember 1755 lieft man:
„iRiemanb ift fe mitbe, Sßiemanb fo beftänbig ©ie ©ure ©jrcel*
leng", unb im SReujabtßbviefe 1757 fdjreibt Sinncf: „um bie
non @urer ©jrcetleng mir eraiefene bobe ©nabe niemalß gu oer*
geffen, habe icb öon bem 28. 3unt 1739 an nie unterlaßen,
©enn id) meinem ©otte für baß ©ffen Danf gefagt habe, ibn
immer gu bitten, ben ©rafen Deffin gu fegnen. Dieß, ©eldjeß
groifdjen meinem ©otte unb meiner (Seele geheim gewefen ift,
ermähne id) nur gelegentlich". „3dj muh mich alß
einen feljr nad)läjftgen SJienfdjen befennen, welcher täglich fehlt;
habe id) aber jemalß abfidjtlidj et©a§ getlian, gebrochen ober
gebadjt, »eldbeß ©urer ©jrcetleng unangenehm ober fdjäblidj fein
fönnte; habe id) jemalß gum SRacbtbeile ©urer ©jrceHeng f^redben
hören unb bauen nicht jdjmergenben Sntbeil genommen, fo
forbere id) ben aOwiffenben unb allmächtigen ©ott auf, bah et
mid) unb bie füieinigen alß bie fd)äblid)ften ©inmohner ber
©rbe außrotten möge. &Re anberen fehler fönnen mir an*
haften; gegen ©ute ©jrcetleng aber habe ich unb ©erbe eine un*
beflecfte Seele haben, ©ielleidbt habe i<h offenbergig gebrochen,
»enn Slnbere fdb»iegen". @ß war in biefem 3al)Te, bah 2 eff in
feine Stelle alß ©ouoerneur beß Ätonpringen niebcrlegte; unb
baffelbe 3al)r wibmete 8inn4 bem SLeffin bie 10. Auflage
Bom „Systema naturae“ in nod) ausführlicheren, noch wärmeren
Slußbrücfen alß früher.
;636)
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33
SDen 8. ftebiuar 1757 fd)teibt Sinne: „6utc 6rcelleng
con böjer SBelt unb ungläubiger Arbeit niebergebrücft gu
leben, bat mid) oft gegrämt; id> habe aber aud) bie ©tärfften
Derjcbminoen jcben, wäbrenb bie ©d)u>äd)eren auegebalten haben".
B3d) bin je|t tamit befdjäftigt, meine ©arcinaS gu |am=
mein, bamit id) bereit fei, wenn eö gilt; id> geid)tte Ölließ auf,
maß (Sott meinen klugen b»er in ber SBelt i^at fetyen laffen,
bamit id) baren in bem Buche berid)ten !ann, meld)eß gum
10. SOial »er ber gangen Süolt 6urer ISjrceüeng mein unge*
beucbelteß (Slaubenebefenntnif) barlegen trieb". 3m ©ommer
batte fid' Seif in nad) Ölferö auf baß Sanb gurüefgegogen.
Sinne mar bann bort eingelaben unb |d)reibt im 3uni 1757:
„3d? b°bc 6uet 6jrceHeng gu bem glücflidjen Saubleben gu gta*
tuliren, welcbeß einen eijdmpfteu jtörper erfrifd)t unb ein ent*
fräfteteö (Semütb erquieft 3ebeß 9Dial, wenn 6ute 6)tceUeng
aufß Saub gefommen finb, habe id) (Sure 6jrcelleng ron neuem
fid? erholen leben, wie ein Sorbeer im ©ommer ron feinem
jd)wülen 2Binterl?aufe in bie frifdjc Suft ncefe^t. (Sott gebe,
bah 6ure ©jeeOeng 3bren (Sebanfen ein wenig 9iube gönnen
wollten, bafj {olcbe nicht, immer gelaunt, gulefct bredjen".
„Berboppelt wirb meine ©ebnfucht nad) bet 3eit, ba id) baß
(Slütf haben werbe, (Sure 6rcelleng frei ron Äummer auf bem
fcfaöneu ölferö, wie in einem irbiieben $)arabiefe gu jeben". —
„3m nädsften ÜDionat 3uli, ba ich auß bem afabemi|d)eu
3oche befreit werbe, wirb, wenn (Sott mir Seben uub (Sejunbbeit
bewahrt, bieß (Slücf mein erfter unb größter SBunld) fein. SBenn
id) bann ben Äammctbenn SDe öeer unb beffen ^rau mit*
bringen fann, worum id) mid) bemühen werbe, wäre ee gut.
(@6 war ber berühmte 6ntomolog 5)e (Scer, welchen Siun4
alß fReifegejeUjcbafter gu erhalten hoffte.) SJenn uidjt, fo rer*
XIV. 379. 3 («37)
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fuche id) allein ben 2Beg bahin gu finbeu"; unb weitet in bem»
ielben Stiefe: „SDteine Lebensbahn ift beinahe ausgelaufen; mein
©lücf ift e§ gewefen, wäljrenb bet 3eit in Schweben, ba ©ure
@ycelleu3 beffen 3ügel gelten, gu leben. 3<h habe baS ©lücf
gehabt, ein Reiner ©atelleS gu einem fo ftrahlenben ©ibuS gu
fein, uub habe non ©utet ©rcelleng all mein geringes Sidjt er-
halten".
3n bem SReujaljrSbriefe non 1758, worin Linnö wieberum
fein SDebet airfgä^lt , fchliefst er feinen 23rief mit folgenben
SSorten: „211S ©egengabe habe id) nichts anberS als ein reines,
banfbareS, unbeflecfteS .£erg, welches id) fd^on längft gang unb
gar ©urer ©jcceHeng gewibmet habe, unb ©ott taffe eS feinen
®d)lag an bem Stage mehr fdjtagen, ba ich bie ©nabe, bie
©ott unb mein Steffin mir erwiefen, nergeffe".
3n bem fReujahrSbriefe non 1761, als bie ©onne beS Sief f in
mehr unb mehr gu finfen aufing, ift Sinn £ ebenfo innig unb
banfbar, wie jemals früher unb fährt aud) ebenfo in ben fol«
genben 3ahren fort.
3n bem SReujahrSbriefe non 1763 fdjteibt et: „SSenu je»
malS ein Sterblicher unbefchäbigt über bie größten SReere in
ben fd?werften ©türmen gefegelt hat, fo haben baS gewif) ©ure
©jrceDeng gethan. SDie .£>anb beS Sillmächtigen, weld>e bie ©ei-
nigen führt, hat auch ©ure ©jxelleng fich eines ruhigen £afen8
mit wohlbehaltenem ©d)iff unb ©nt erfreuen laffen, wo ©ure
©jrceHeng unter 3h«m Feigenbäume fijjen , ben feltfamen Sauf
biefer Söelt betrauten unb ben unenbüchen ©ott greifen fönnen,
welcher ©nrer ©jrcelleng Rarere ‘Äugen, als jemanb Stnberem in
bet SBelt, gegeben hat um feine 5Rad)t unb SBeiSheit gu er«
fchanen".
3m SBriefe nom 27. SDecember 1768 beantwortet Ltnn4
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ble ^Benachrichtigung Don bem barten <Sdjlaflc, welcher ben
Steffin burd) ben Stob feiner fo liebenSwiitbigen , einft jo be=
wunberten ©attin getroffen batte» uuter Slnberem mit ben SB er«
ten: „Den ©cbmerg ©urer ©jrcelleng fann mein ©ebanfe itidjt
ohne blutenbeS ^>erj anfebauen. ©8 ift mir, als fäbe ich ©ure
©jxeUeng, mit ©ilberbaaten gefrönt, in ben fonft fo b“bf<ben
3immern auf Stferß, bie jefct Don einem biebten Srauernebel
»erbunfelt finb, bin unb bet geben, nnb bort Hagen:
„Non quae soletur,
Non quae labentia tarde tempora
Narrando fallat amica adest.“
(Stiebt mehr ift bie ffteunbin, welche trßftet unb welche mit
Unterrebung bie langfam ftiefjenbe Seit Dertreibt.)
©r trßftet weiter feinen SDiaecen mit beglichen unb wur«
bigen Söorten. Diejer Sörief ift btt lefjte an Steffin felbft in
ber Sammlung. @8 folgt barauf ein anbeter Dom 26. 3anuar
1770 an ben bamaligen $ofintenbanten, greiberrn grebrif
Sparte, ben ßrben beß Steffin; barin wirb mit tiefer Stauer
bie ^Benachrichtigung oon beffen Sobe beantwortet. ©8 beifit
in bem Briefe: „9118 mein Bater unb meiue 5Jtutter ftarbeu,
rübrte e8 mid) nicht fo febr als wenn ©eine ©jrcellenj ftarb.
3cb weif; gewifi, baf) icb ben febwargen 9teib feinen tbeuren
fftamen niemals habe nennen böten, ohne bafj e8 mich in’8 in* .
nerfte Jperg gefdjnitten I^at; id) biu babei gewib niemals ftill
gewefen, fonbern habe oft cum perieulo gefprodjen. SBann
wirb bie glücf liebe 3eü wieber bdmmern, bafi baS SBaterlanb
eineu ©einer ©jrcefleng ©leieren wiebet befommt".
Die 30 Briefe umfaffen bie 3eit Don 1740 gu 1768. ©ie
fangen mit S eff in als ©cbwebenS glängeitbem ©efanbten bei
bem mäcbtigften £ofe Don ©uropa an, unb fcbliefien mit feinem
3* (63»;
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Stöbe in Slrmutb unb ©ergeffenbeit; fte fangen mit bem noch
in bet £eimatb unbefannten unb überfeinen 8iune an, al8
er bie jweite Auflage feines „Systcma naturae“ auSgiebt, unb
in bem lebten ift et ber ©eltberübmte, welcher bie lef)te £anb
an ein unfterblicheS ffierf legt. 9luf ber einen (Seite ift e§ ber
©eltmann, ber Staatsmann, wenn man fo will, welcher in bem
©türm ber ©reigniffe auf bet JDberfläcbe »ergebt, auf ber am
beten ift e8 ber fRaturforfcher, welcher rut)ig, bewufft unb ftcher
eine neue unb mächtige 9lber in ben tiefen unn>iberftet)lid)en
©trom ber Äultur ^cremteitet. ©on ber ©irffamfeit beS ©inen
ift bie $rudjt gweifelbaft ober fd)on »erniebtet, wabrenb er felbft
lebt; »on ber fceö Slubern ift fie ein mächtiger Antrieb, welcher
feine ©inwirfung auf 3al)tbunberte auöübt, unb welcher
willig unb banfbar »on ben ©oruebmften anerfannt wirb:
„2luf?et ©bafefpeare unb ©pino^a", fagt ©oetbe, „bat
Meinet »on ben Verdorbenen auf mid) eine feiere ©irfuug alö
8inn^ auSgeübt" •
SDie 3«t, welche biefe ©riefe umfaffen, ift zugleich bie
grofje 3eit beS 8inn£ als fProfeffor in Uf>iala. @8 gebührt
nicht mir, ibn als fRaturbiftorifer ju fchilbern; — eS ift auch
nicht »on fRötben; — wir wiffen ja ade, waS baS ©apital,
weites er fdjuf unb einfetjte, gu ber menf^lichen ©ilbung bei»
getragen b«t. ©in Seber weih wie e8 jeben Stag wachft.
©iner oon unfren »ornebmften fRaturforfdjern fagt: ,,©enn
ber ©chwebe nach fremben, entfernten 8änbern ift,
»on aüem ©diwebifcben, ber 9tame 8inne baS lefcte wa0 ihn
»erläßt".
3ft baS rühmliche Slnbenfen be8 großen SRanneS in fo
weiten Greifen lebenbig, fo ^iemt eö fich, bah *8 nod) *)fyex,
(MO)
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37
nodi fräftiget bei bem SSolfe, au8 welchem et hetnorging, leben»
big ift.
3Ba$ id? mit l)ier »orjutragen etlaubt habe, b<*t nur Sln=
fpruch auf baö 3ntereffe be§ SlugenblicfeS; mit hoffen aber, bafj
bie Beit nicht fern ift, ba fein Söüb 1 ) in SBronje wütbiger non
bem größten Sohne SchwebcnS j»i neuen Sahrhunbetten jprecheu
wirb, wähtenb ber Frühling in Fracht unb bet Sommer in
geftfcbmucf 3ahr nach 3aht feinen unfterblidjen tRuhm feiern
werben.
(«0
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38
3Uunerhuug.
1) 2)ie .Hönigl. Slfabemie bet 3ßiffenfd?aften erlief am 5. äpril
1872 bie folgenbe ©inlabung jur ©rrichtung eines
2)cnfmal8 für Äarl non Sinne:
,91(8 bie Ä'önigl. 9(fatemie ber SBiffenf (haften im Satire 1849 ba8
Schwebifcbc SBolf ju einem Scnfmal für ben bamalS fürjlich ^in^e^an-
genen Scrjeliuä beijutragen aufforberte, entftanb auch bie »frage, ju
gleicher 3eit ein Stantbilb ju ©hren be8 Sinne, ,be8 Üater« ber 9ta-
turgef (pichte*, gu errichten, beffen für jeben Schweben tpeurer 9tame
noch ^“te auch in ben entfernteren ©egenben, wohin eurcpäifchc Gioi.
lifation getrungen ift, lebt unb in höherem ©lange ftrahlt, Je weiter
eine wahre fWaturforjchung ihre mächtige SBirfung auSübt.
©ie SSerhältniffe geftatteten c8 bamal« nicht, biefen ©ebanfen ju
nerwirflichen. 2)a aber in fecb« Salden ber hunbertfte &obeStag be8
Sinne eintrifft, fo l>at bie 9l!abemie ben Seitpunft für angemeffen ge.
halten, jept auf biefen Sorfchlag jurücf jufommen ; unb beähalb wenbet
fie fuh an ba8 fchwebifche 3iolf mit ber 9lujforberung, bureb Bereinigte
Äräfte baju beijutragen, baß ju bem genannten Sage, bem 10. 3anuar
1878 bie Sfronje-Statue bc8 Sinne auf einem öffentlichen s)Maße in
Schweben® $auptftabt errichtet werben möchte, um in fünftigen Seiten
bauen 3eugniß abjulcgcn, wie Schweben feine SBerbinblichleiten gegen
feine großen 'JJiänncr anerfennt unb il)r Slnbenfen bewahrt, unb um
fünftige ©efcplechter ju ermahnen bureb geiftige Saaten ba« SJaterlanb
ju ehren unb ba8 Sicht ber 3Babrl>cit über bie 2öelt ju verbreiten * .
©ine bamalS entworfene ungefähre Äoftenberecbnung für ein ein-
fache« unb nicht große« Stanbhilb lieg eine Summe non 45 000 Äronen
erfcrberlich crfcheincn, welche Summe am Schluff be« 3c»hreS 1877 auch
beinahe gcfammclt war. SBährenb ber 3eit aber unb im Sufammen*
hange mit her grage, wo bie Statue ihren $>lap ha^cn feilte, würben
reichere (beitrüge angeboten ju bem 3wecfe ein größere« uub f<hönerc«
(64Ü)
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39
Stanbbilb $u errichten unb bie $auptftatue mit oier altegorijdjen gi*
guren, bie Sinneifcben ©iffenf chatten: ©otanif, 3^cIogie, SEJiincralogie
unb OTebicin barfteflenb, ju umgeben. SDaju Ratten in bet $auptftabt
|)rieate bie Summe non 30 000 Äronen gezeichnet unb aujjerbem net«
pflichtete lief; bie Stabt»©erwaltung non Stocfholm, für bati pMebeftal
unb für bie Aufhellung be« Stanbbilbe« bie ju 25 000 Äronen bered)»
neten Au«gaben jn tragen.
2Die Äonigl. Afabemie ber ©iffenfehaften nahm mit IDanf bie«
Anerbieten an, obgleich babei bie Abjtcht, bie Statue bi« jum 10. 3a»
nuar 1878 fertig ju erhalten, nicht erreicht werben fonnte.
Auf biefe SBeife fann ber ®elbbetrag, welcher gegenwärtig für ben
jjwecf ber Statue bi«ponibel ift, auf 100 000 Äronen gefcbäfct werben,
welche Summe für ba« betreffenbe gro§ere unb fchönere Stanbbilb al«
hinreichenb angefehen wirb
§ür ba« Siobelliren ber Statue nach bem neuen 'plan ift ber ©ilb»
hauer, ber $)tofeffor gritfjiof Äfellberg gewonnen, beffen Arbeit
fchon fo Weit fortgefchritten ift, bafj bie Sertigftellung be« IDenfmal«
frfjon im Saufe be« näcbftfommenben Satyre« 1879 erwartet werben barf.
(64.1)
Druif een #tfcr. Ungtr ($6. ®lrimm) in Vttlin, 6djontfcerfltrfti. 17 ».
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Äntfer irieönri) I. öarlmroJTit’s
£ob imb ©rob.
©on
$)rof. Sepp in SJiüntfyen.
fierütt SW. 1879.
SJetlag non (5 a r l £ a b e I.
(C. i0. L'ütrriti'jtfet JJtrlngshnttjhonblunB.)
33. 'ÜJtlfetlm ■ strafe« 33.
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2)00 fRedjt ber Iteberfefeung tn frembe Sprachen bleibt oorbebattcn.
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(Scbelling fpracb oft non bet gSttlidjen Sronie in bet ©efdjidjte.
3ft e8 nid)t eine foldje, wenn bet SBeltbeglücfer Napoleon, wie
bet alte @aturn, auf bie äufjerfte Bnfel im SSeltmeer 3um langen
©d)lafe »erbannt war, freilid) otjne bafj feine 5Bieberfel)t ba8
golbene 3«talter jurücfbtadjte! 5Sber baS bütfen wir un8 met«
fen: unmfebenS fiidjt fid) in bie ©efdjidbte etwas $>oefie ein,
benn bie 9-Mjantafie will audj ju IRedxte fommen; ja bie 9latio«
nen fügten in bet tiefften ©tniebrigung ifyve Beftiebigung in
©ebanfen bet Borwelt: feine Äritif tebet iljnen bie8 au8. ©e*
fyeimnifwoller foOte ber grofjte ©ibeline $riebrid> Barbatoffa im
SJlorgenlanbe »etfdjwinben, unb feine ©ebeine eben ba il)r ©rab
finben, wo einft bie be8 tprifdjen £erafle8 ruhten, fo baff bie
^)t>önigier mit talismanifcber Berefyrtfng 'Partifel in bie Kolonie
nad) bem ^eiligen @abe8 mitnatymen. 2Sie fie ftanbbaft 3Jtel«
fart8 Sluferfteljung erwarteten, fo fnüpfte bie beutfdje Station an
bie erfeljnte SSiebcrfefyr be8 JRotf)batt8, ber unwitlfürlid) an bie
©teile be8 rotbärtigen 3)onnergotte8 einrncfte, bie ©rwartung
bet SReugeftaltung be8 i)ieid)e8 in alter 5Radjt unb ^errlic^feit.
£>ie 5Seltgefdjid)te ift ein göttlidje§ ©ebicfyt, wenigften8 in»
fofern, als bet 9timbu8 früherer ©ottwefen mit bet Bett um
ba8 <£>aupt immer neuer fyiftorifdjer Könige unb £eroen ftd)
legt unb ber ©agenfreiS fie nerflärt, wie im abenblidjen @on*
nenfdjein bie liebte 2Bolfe bie Ijodjften Berggipfel umfdjwebt.
$arl bet ©rojje ift biefer 8potljeofe teilhaftig geworben, in«
bem bie SOßptfye Ujn ben erften Äreujjug oollfü^ren unb bie
Ärone auf bem Delberge nieberlegen läfet: aber Ijöljere Watte
fotlen it)n nädjtlit »on Serufalem ober ©onftantinopel im ©türm
burd) bie Söfte bis oot ben Äaiferpalaft in Slawen getragen
1* (647)
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XXV. 330.
4
haben. Um jo weniger tonnte 33arbarofja ber SBerherrlidjnng
entgegen, ba er wirtlich bie Äreugfahrt angetreten unb butch ben
glorreichen Sieg bei 3fonium, 17. ÜRai 1190, ben Orient eT*
{füttert tjatte, bod} mitten in feinem £elbenlaufe ge^eimnifenoU
non ber SBeltbühne abgetreten war. ^>ier nerfdjlingt ftd? ber
abenbldnbifdje fReligionßtreiß förmlich mit bem morgenldnbifdjen,
benn ba ift eß ber 2Rehbi, auf beffen ©rfcheinung nic^t blofe bet
©rufe gartet, wie bet 3nber auf ben geinten Sloatar ober baß
lefcte £erabfteigen unb bie 3ncarnation beß ©otteß Sifcfcnu.
©er ©liaß folle wieberfommen, fo erwartete man in ben Sagen
(Jfyrifti: im gelbe non £ababremmon ober ORegibbo werbe et
bie geinbe ©otteß biß gut SSerni^tung fdjlagen, aber felber ben
Sob finben.
©ieß bilbet ben 3nfyaU bet iSpotalppfe aller Stationen,
©liaß ift ber ^immelßgott, ber auf bem Marmel feinen Shton
nebft Drafel Ijatte unb mit feurigen fRoffen im ©onnerwagen
burch baß girmament fahrt. 3n ©fdjobat not bem fRorboft*
tfyore non ©amaßfuß wallfahrtet man gum ©tabe beß mit gött*
lidjem ©lorienfchein umjtrahlten Propheten- ©benfo hflbe id}
fein ©rabroelp bei Sarepta betreten, ©ie Samatiter nennen
ihn £attafd)eb, baß ift = Stifcbbi , ben 3utücfführer, fReftau»
tatet unb JReftitutor, unb laffen ficp’ß nidjt nehmen, bafe ber
netloren gegangeue SS^eil ihteß SSolteß einft nom ©nbe ber SBelt
heimtommen werbe. 6ß ift ber allgemeine 33ölfermeffiaß, bet
einen neuen Fimmel unb eine neue ©tbe f<haffen foU.
©er erfte fReichßgtünbet fifct in bet 3bee beß SJolfeß auf
golbenem Stuhl in ber ©ruft gu 9ladhen, baß blanfe Schwert
nor fich unb feben ’Jlugenblicf gum SBeltgerichte bereit: feine
©ebeine ruhen inbe§ im ©ome. jfatl ber ©rofce ift aber aud)
in töergeßtiefe eingegangen unb wirb im entfdjeibeuben ORoment
heroortreten, um unter bem 2lbb ilbe ber ©i'dje Sggbrafil ben
gro&en Sag herbeiguführen. 3n feine gufcftapfcn ift im »Rational»
glauben Satbaroffa getreten; aber .wdhreub Heinrich bet Söwe
mit feinem SBappenthier auf bem 3nubermantel ftatt ber SBolfen
l«S)
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be8 Rimmels ben ©eifterweg burcf) bie fhifte non 3oppe’8 ©tranbe
bie jut 8utg in SBraunfdjweig 3urücflegte, weilt Äaifer ERot^bart
noch immer im Offen. IBerflärt butcfy bie ^)oefie ftehen bie
grofjen SJlänner bet Vergangenheit im VoIfSgebädbtnifc. SBa8
unterem nüchternen profaifdhen Verftanbe als märchenhaft unb
pbantaftifdb oorfommt, h®t feine politifche Vebeutung. fJJlan
mufj auf bie 3>hantafie bet ÜBölfer wirfen, um ihnen 31t impo*
niten unb fle leichter 3U regieren. ©er religiofe ©laube erhält
^Rationen jugenblich unb wirft wie eine fRaturfraft.
©ie 3bee ent3Ünbet bie ^eilige Vegeifterung unb fpielt in allen
fRationalfämpfen wie 5Religion8friegen bie erfte SRolIe. Sludj bie
Äreu33Üge finb, wenn man will, bet Traumwelt unb frommen
Kontemplation entfprungen, haben aber bodj eine feljr realiftifcbe
©runblage. ©et 38eg um 3lftifa herum nad) 3nbieit war noch
nicht gefunben, Slmerifa unb 3tuftralien nicht entbedft: wobin
feilte Kuropa ben Ueberfcbuf) feinet Veoölferung, ober nodb beffet
gefagt, feine nadbgeborenen ^rinjen unb Stifter entfenben, bie
auch befifjen unb regieren wollten? ©eilten neue Kolonien unb
.£>anbel§unternehmungen gebeiben, fo beburfte e8 be§ SRücfgriffeS
unb ritterlichen Stngriffö auf bie Urbeimatb ber URenfchheit. ©ie
Äreu3fabrten mögen un8 bei oeränberten Verhältniffen fabelhaft
abenteuerlich »otfommen, bamalS waren fte eine europäifcbe
SRachtfrage unb haben sugleidb bie SBogenbranbung ber gum
38lam belehrten faufaftfdjen ©tämme auf 3ahtbunberte jurücf«
geftaut. 3Ba8 ift heute Venebig gegen ©rieft, wa8 ©enua gegen
SRarfeille, »on $Hfa unb Slmalft nicht 3U reben! ^ber im SRittel*
alter fpielt ein gutes ©tücf italienifcher ©efchicbte fich an ben
Äüften oon ©ptien unb 3egppten, im jonifcben, ägäif^en unb
fdbwarjen föteere ab. ©ie £anbel8flotten ermöglidhten auch allein
bie Äreusfahrten, bie Kroberung unb lange Seljauptung ber
afiatifchen ©eeftäbte, unb wer oertheibigte bis gulefct noch Kon«
ftantinopel gegen bie Stürfen? Sreche ber trocfene ^»iftorifer
hoch lieber ben ©tab über Vonaparte’S §e l b 3 u 3 nach 2le»
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gppten unb Sptien, ba8 ihn noch ben Sultan el Äebir nennt,
ruie übet feinen ^eerjng gegen fütoSfau.
9ßur mit foldjen Unternehmen barf Vatbatoffa’8 £eet»
fahrt »erglühen merben; beftanb hoch gugleich bie Slbftcht, felbft
im Oriente 8ehen8l)ftrfchaften gu grünben. [Reich unb jfitcfje
ftanben auf ber ,£>öhe ihrer 9Jla<ht, unb e8 beburfte »ohl be8
religißfen SnthufiaSmuS, foOte bet Äaifet fich eon [RegenSbtirg
au8 an bie Spifce eon lOOOOO au8etlefeuen Ätiegcrn [teilen.
Der ©ejchichtfchteiber barf nicht ben ÜRafjftab bet Seit ber
©ifenbahnen an bie $)etiobe ber 3?reuggüge legen, foubetn mu§
gerechter SBeife bie Vergangenheit nach ben batnalS maltenben
3been beurtheilen. SDie @h*e bet ©hnftenheit ftanb auf bem
Spiele, für beren Schirmherr ber Äaifet galt, 3erufalem, ba8
©ottfrteb oon Vouiüon am 15. 3uli 1099 erftürmt hatte, fiel
in Sultan Salabin’8 #anb, am 2. Dflobet 1187 gegen bie
Lateiner butcp ba8 8agaru8thor im Serben au8, um ft<h gefan*
gen gu geben ober loSgufaufen. 9lm 18. Dftober traf bie Un»
glücföbotfchaft in [Rom ein; gmei Jage barauf mar Ißapfi
Urban III. eine Eeicpe.
sjlach ber Schlacht bei -£>ittin am 4. 3uli fiel in furger
Srift fPaläftina in bie £anb Salabin’8, an 100 000 ©haften
geriethen in mu8limifche ©efangenfdjaft unb mürben militärifch
nach £pru8 (Sur) abgeführt, mo ihre iÄuSlieferung gegen 5Hb*
gäbe ber SBaffen, [Reffe unb Schale »er fich ging (Sonntag,
27. 3uli). Dahin mar &ume8 (@raf SRaimunb »en Jtipoli8)
nach jener [Riebetlage geflüchtet: ihn löfte ber ÜJiarft8 (Äonrab) ab,
ber allein ben ÜJtuth aufrecht hielt. Die Stabt mar ber Sammel*
plah aller gerfprengten granfeit (Srcng) unb mürbe burch ®rä«
ben unb Verfangungen »erftärft.
üonrab »on ÜRontferrat räumte 1187 ben (Joloniften au8
St. ©ille8, fWontpellier, SRarfeille unb Varcelona ben feg.
grünen ^alaft in Jpru8 ein; fie bilbeten bie procen^alifche
©ommune. Schon nor feiner Slnfunft nahmen bie ©enuefer
unb $>ifanet fich eifrigft ber Stabteertheibigung an, oon geift«
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lieben unb weltlichen Obern beö heil. 8anbeS angefpornt unb ge*
hoben burcb bie ber hier fi<b fammelnben ftranfen, ja bie
§>ifanet wagten wäbrenb ber Belagerung fogat eine Unter*
nebmung gegen 9tffa*)- 9lm 1. 9loo. rütftc ©alabin oon &ub§
gegen ©ut auS, traf am 13. oor ber ©tobt ein unb lagerte erft
neben einem glüfjcben, 9Ra8 ei 9lin, um nach brei Stagen auf
einen naben Berg, nadj Seil dRafdjuf, übergufiebeln. ©cbou am
25. begann ber allgemeine ©türm: feine ©ebne EERalif el Slfbal
unb el 3ab<f/ fein Bruber üftalef el 2lbel, ber gröberer oon
Böt ©ibelin, unb fein 9Reffe Stafiebbin führten bie ©djaaren
perfönltcb an. ‘Mein ÜJlarfgraf Äonrab oon SRontferrat
ermannte ficb, bieS lefcte Bodwerf gu galten, unb fdjlug bie
©türmenben gurücf, ja gewann in ber ©ploefteroigilie beim
SSuSfad gu SBaffer unb gu 2anb fogat bie Dbetbanb.
@<bon am 9. 3uli toar 9lffa (3ean b’Slcte), baS Bod*
wer! ©prieuS, butd) Uebertumpelung ohne ©djwertftreid^ ge*
faden, ©eine SBiebereroberung foftete einen gangen Äreuggug
mit einer bal&™ üRidion abenblänbifcben ÄriegSoolfS, iubem
faum ber gebnte 3Jlann baoon fam, auch fielen 180000 ©atacenen.
©uibo oon Sufignan, bet Urbeber jener Unglüdfcbladjt,
wodte, auS ber ©efangenfebaft erloft, im 3uni 1188 in StpruS
eingieben, aber bet fERarfgraf oergieb ihm feinen ftafl nicht unb
hielt ihn unb Staufenbe oon pilgern ein 3abt lang auSgefcbloffen,
bis berfelbe nach einem fiegteidjen ©efed)t an ber 8eonteSbrüc!e,
5. 3uli, mit 700 SRittern unb 9000 ftufjgängetn am 27. Üluguft
1189 gur Belagerung oon 2lffa eintraf.
3n ©ut, f^reibt3bn al Slttr (©.20), wohl nach 3ma beb bin,
batte fid) admäblidj bie 3ab! ber ^ranfen, namentlich feit ©ala*
bin ihnen auS ©täbten unb Burgen freien ibgug gewährte,
aufjerorbeutlicb oermebrt; ihre DReicbtbümer fonnten in oielen
3abren nicht aufgegebrt werben. 3Jicndbc, ^rieftet unb oiele
ihrer Boraebmen unb fRitter fleibeten fid? febtoarg unb gingen
in Stauer wegen beS oerlorenen BeftbeS oon Bait ul mufabbaS
(3erufalem). 2>er Patriarch oon ÄubS burcbeilte ade ganbe
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ber granfen, um Gruppen gu werben unb bie SBelt aufguregen,
bamit Serufalem befreit werbe. «Sie [teilten ben SReffiaS wei»
nenb auf einem Silbe neben einem atabifdjen Spanne bat, bet
it)n ftblug, unb fpracfyen : „@o fteht e8 um ©hrtftuS, ihn fchlägt
SRuhammeb, ber Prophet ber SRuSlime, er oerwunbet unb tobtet
ihm" 55ieS oerfe^lte feine SBirfung nicht, wer nicht felbft auS«
rücfte, ftellte feinen Gsrfafcmann ober gab @elb nach Sebatf.
@ine ÜRutter teraufierte ihr $au3, um mit bem (SrlöS ihren
einzigen ©obn auSgurüften .... SRachbem fie bis @ut ge«
fommen, wogte bie CQlenge bin unb bet, unb ba man gut See
Sorrätbe unb ÄriegSbebarf in ÜRaffe bet^eifübrte, würbe bie
©tabt nach 3nnen unb äujjen gu enge. 55er äuSmarfch nach
äffa erfolgte am 8. fRagab (22. äug. 1189), bie änfunft um
SRitte be8 ÜRonatS.
9tie war ein ftattlicbereS Äteugheet im 9Rorgenlanbe auf«
getreten, als baS neue, faiferlidj beutfc^e. ©alabebbin a8©a«
juti Dergeidjnet: „5)er Äönig bet fDeutfdjen, ber £ochmüthigfle
unb Unertraglichfte, fprach bie guoerftchtliche Hoffnung au8, bie
Äirche in ÄubS wiebet in feine ©ewalt gu bringen. Äeine
frühere Sebrängnifj fommt bet jefjigen gleich, helfet e8 bei
Smabebbin 1189. 55er Äabi 5)iabebbin ging als würbiget
Sote beS ©ultanS an ben £of eon Sagbab ab, um £ülfSmittel
gu erlangen. S5ie SRenge, gahlloS wie ber ©anb am ÜReete,
nahm bie Äirche Äumfima („beS UnrathS", für Äiärna, „ber
äuferftehung" in 3erufalem) gum Biele. 3fer SRarfch bis Äon«
ftantinifa bauerte mehrere SRonate. 55er Äönig oon fRum gab
unS butch ©^reiben oon ihrem änrüdEen Äunbe. Ungeachtet
bet Serlufte war eS bodj ein ©ewoge wie baS SBogen oon fteben
SReeten."
3faaf ängeluS, ber im Süubnif) mit ©alabin ftanb, be«
tonte gugleidj, bah baS Sreitaggebet in bet üRofdfee gu Äonftan»
tinopel oon ben bortigen SRuSlimen abgehalten werbe, entfchul»
bigte fich wegen beS unaufhaltfamen 55urchmarfche8 beS beutfdjen
ÄaifcrS, wie Diel Unglücf er felbft erfahren, unb ba§ biefet gewife
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fein Lanb nicht mehr erreichen, nie wieber rücffehren werbe.
@8 waten bie ^eereStrümmer unter ftürmifcher gührung
beS 9icthbart8, welche am 17. 9Jiai 1190 bie ©djladjt bei
3fonium (Äunta) fchlugen. 3ßorwätt8 ging e8 auf ben 2Begen
LUejcanber’8 be 8 ©rofjen. Sßon bet SSnrg ©ibilia in Lpfao»
nien fam bet ^Befehlshaber bem Smperator ehrfurchtSooH ent*
gegen — eine bet lebten Qrfjren.
3bn al*8lttr, bet -fpiftorifer, geb. in ©agira 1160, geft.
in OJtoful 1233, erflcirt: „SSäre nicht burch 2Wah’8 gnäbige gü*
gung bet SDialef el Sllamän geftotben in bem Slugenblicfe, al8
er ben ©infaö in ©prien bewerfftelligen wollte, fo ^ätte man in
späteren Jagen non ©prien unb 2(egppten fagen fonnen: £iet
herrfchten einft bie 9DRu8lime." ©ubail (93pblo8), ©ibon,
(Säfarca, iÄtfuf unb 3oppe, ja felbft bie SRömermauetn non Libe-
rias wollte ©alabin ben 2)eutf<hen ootweg bereits gerftören.
2fuf nach 3erufalem! war bie ©timmung bet ©ieget. SDaS
beutfdje £eer raftete in graSreicher ©egenb am Slbfyang be8 @e*
bitgeS, bi8 nach gwei Jagen SRangel an Lebensrnittel e8 fort»
trieb, ©ofort galt e8 ben ©alef obet@pbnu8 (©alpcabnuS)
in ©ilicien gu erreichen, beffen eiSfalteS SBaffer fonberbar
non Slergten gegen ©icht nerorbnet warb, obwohl ein Jrunf
barauS einft bem welterobevnben 5Kaceboniet beinahe baS Leben
gefoftet hätte. ber fteinernen 33tücfe waren Legaten beS
ÄönigS Leo II. non Armenien eingetroffen, mit welken
fich griebrich übet bie weiteren ©chwierigfeiten be8 SBotmarfcheS
berieth , er aber ihre SKittheilungen geheim.) golgenben
JageS nun ftieg man baS ©ebirge unter ungeheuren 33ef<hwerben
hinan: SRitter unb Knappen trugen niele ihrer franfen unb er*
fdjopften ültitfämpen auf 33etten unb Sßahren nach ber ^>öhe an
fchwinbelnben 9lbgtünben unb SSilbbächen norüber. 9luf bet
©übfeite be8 33ergguge8 ruhten fte auf einer glur, inbefj ber
Äaifer, ben 9>a§ gu umgehen, eilig an’8 Ufer h”l°bgeftiegen
war unb gegen ben SBitlen ber ©einen fich bem Strome an*
»erbaute, beffen SBogen il)n fortriffen (öinifauh 3tin. Diic. 1, 14).
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5fta<b anberer SBerfion war iljm baß Ueberfeijen gelungen unb
et hatte jenfeitß baß 9Rahl eingenommen, aber oon Jpifje erfdjöpft,
gu haben gewagt, wobei er plöfclidj entfräftet unb gum Job«
erfdflafft war. @ß war Sonntag, ben 10. 3uni.
$Daß 5Betf, weldjeß bie gortfeüung oon SBtl^elm oon
5£pruß bilbet, L’estoir de Eracles Empereor *), berichtet:
„3wei armenifche ©bie, bie Srfibet ©onftang unb SBalbuin oon
©amarbaiß famen gum SJtarfdjall ber ©eutjdjen im Auftrag
ihreß ^»ernt gioon (geon), bem Äaifet bie 2Bege unb ^äfje
burd) Armenien gu weifen. 2) a ber 3«3 an ber 23rMe fid}
ftopfte, fpracben fie, man fönne auch burdj ben Bluff paffiren.
Sofort ftieg gebric gu Oiof;, unb mit ihm fein Soljn, ber
Schwabenhergog. SDie ©aoaliere aber fpracben: Sir, wir wollen
oor (Sud) hinüber unb ©ucb bie $)affage geigen. ©r ^ie§ fie
mit feinem Sohne, bem $ergog, oorangeben. 9llß fie nun jen*
feitä fidj umwanbten, fallen fie, wie ber Äaifer ftc£> in ba8
SBaffer Ijinablie^, einen fRitter oor unb hinter fid?, ba fie aber
inmitten ber Strömung famen, überftürgte fidj baß 9te§, baß
er ritt, unb et fiel in ben Bluff. 3?urd) bie außgeftanbene ^»i$e
unb nunmehrige SKkfferfälte eerlot er bie Äraft, fidj gu fselfen,
bie Slbern feines Äörperß öffneten fi<b, ?o bafj er ertranf. Seine
geute waren fo beftürgt, baf; fie fid) nicht gu rathen mufften,
wie fie ihren Jperru wieber gu geben bringen fönten. 5Der STob
beß groffmacbtigen .£>errn war ein fernerer S3erluft für bie
©hriftenheit, er erfolgte 1190 am 4. iKuguft, einem Sonntag.
9Ran gog ben geib auß bem glufje unb balfamirte ihn gut 35e»
gräbni§, fo wie eß bem jfaifer giemt, trug ihn nach ber Stabt
9lntiod)ia unb beerbigte ihn in ber £ir<be St. $>eter an bet
linfen Seite beß ©ho*8 neben ber Sepultur beß ©ifdjofß
©obert (ilbbcmat) oon §)ui. IRedjterbanb ift ber ^latj, wo man
bie gange beß ßonginuß auffanb."
91 bu Sdfama, ber Gomoilatcr, erftattet im Such ber
„Sbeiben ©arten", S. 156, Bericht: „55er Bürft oon Armenien,
gafun ibn 3ftifan ibn gaün, trat in 93otmäfäigfeit, übernahm
(65*)
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11
bie gübrung be8 3uge8 unb genofj ©aftfreunbfdjaft mit Unter»
halt. 3n 2arfu8 erholten fie ficb einige 3cit. Der heutige
ifönig wünfdte im glufje ju baben, um ben 6d?mufc ju ent»
fernen, alö eine Äranfbeit üjn befiel unb er inS £öüenfeuer
ftürjte. ^ud> biefj e8, bafj, als an einer ©teile beim Uebergang
bie ©eilen feine OJiannen mit fortriffen, er eine anbere gurtb
auSwäblte, um ben übrigen oorjugeben. ^>ier magte fid) bet
Äonig ni(bt ohne 5Befcrgni§ hinein, al8 ein ©afferfebwaü ibn
mit fortrifj gegen einen Saum, fein ^jaupt febwer oerlrfcenb.
SJtan jpg ben faum nod) Sltbmenben au8 bem ©affer, unb ÜRalif
(ber Teufel an ber ^pilenpforte) brachte ben füialif al Sllamäu
mit gamilie unb ©epäcf in bie ^öDe."
„SlQab bf§te ben beutfdben 2pramten unb bebanbelte ibn
gerabe fo wie ben^>barao beim (Srtrinfen im ©eltfiuf}, wo
ber ©eg jur Verbrennung in’8 einige geuer fübrt", fdjrieb ©a»
labin an ben ©mir al üiSfabfilär am 30. ©ept. 1190, wie 2lbu
©djama nod? ©eite 171 f. nadjträgt. Unb bem Äßnige non
ÜRagreb (3afub ibn 3uffuf, Veberrfder non SDlareffo) tbat er
burdj ein ©djreiben ju wiffen: „2118 ber beutfebe Jiönig mit feinem
nerfiuebten £eere nad ©djam (©orien) fam unb fie mahnten,
un8 auß bem ganbe ju nerfagen, fdjicften mit bie ©olbaten be8
SRorbenS gegen fie . . . ©ein Vater war ein oerfiud)ter Sitter,
ber fein £>eer in’8 ©efängnif) ©igln (eine Slbtbeilung ber ^)6lle)
führte. Veim Uebetfebcn riffen ibu bie ©affer fort unb fo
fanb er ben Job. 68 blieb ihm nod? ein ©obn, ber lefjte Sin»
führet ber gefdjlagenen fDienge: oietieidt b°t er ben ©eeweg
na<b Slffa norgegogen au8 gurdt oor bem ganbwege. ©ären
unfere ütruppen ihm bei Slntafta gunorgefommen, fo wäre er,
ftatt im glufee, im fDleere ber muSlimijdjen ©dbwerter unter»
gegangen."
2lbu ©dama fährt wie oben ©. 156 fort: „©ein ©ol)n
folgte ihm unb e8 b'*&( bafj bie Sftufterung ber Äricger noch
übet 40 000 Leiter unb gu&gäuger ergab. Von ber Umgebung
feinet Vaters war ein SLbeil ju ©unften feines Vruber8 ge»
(655)
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ftimmt. 3b n Saün hatte ftch non ihm cerabfc^tcbet. 3n brei
Sfbtheilungen matfdjirten fie gegen Slntafia, iubef) bie Äranfheit
ihnen fefyr jufefcte. Sie ÜJlehtjahl ging auf Stöde geftüfct,
anbcre ritten auf ©fein, ohne baS Sanb ju fennen, weites fie
paffirten. Angenehm »at bet 5ßeg burch baß ^»alebiner Sanb.
9118 ber £err Bon SCntafla ju ihnen fam, fdjaarten fie fidf um
iffn; ber Äönig bat ihn, ju erlauben, baff et in bortiger 93urg
fein ©elb unb ©epäd nieberlege. 2luch erhielt er SebenSmittet
gegen ©elb für fi<h unb feine Ätieger, unb ba er fpäter nicht
mehr aurüdfehtte, bemächtigte fid) ber $rin$ Bon 9lntafta ber
Sachen. Sie baoon famen, nahmen ben 2Beg über JatabuluS
(JripoliS), ©abala unb Sabifija (Saobicea) in großer ©ile. Sie
©efafeungen ber unterwegs gelegenen Orte Berringerten burd)
SluSfälle ihre Sah*- 3JIH bem Könige bet Seutfdjen trafen
überhaupt im Saget Bon 2lffa nur taufenb Streiter, unb biefe
in uotlftänbigfter ©rfdjopfung ein: h‘« «tagen fie nad? einiget
Seit ben Oieifeftrapajen." 2(18 Saturn für ba8 ©nbe ber 9Jtüh*
fale wirb ber 12. SuMjiggat 586 (10. 3uni 1191) angegeben.
„2(uf bem fDiarfche gen 2lntafia", n>itI3bn al 91 tir S. 31
»iffeu, „lagerten fie fich an einem gluffe, unb ber Äönig flieg
hinab, um $u baben. ©t ertranl hi« an einet Stelle, roo ba8
SBaffer nicht bis jur SDftitte eines ÜOlanneS reichte. 9Wah h°tte
an feiner SöoS^eit genug, ©in Sohn, ber ihn begleitete, über»
nahm al8 9la<hfolget ben Oberbefehl unb führte bie Jtuppen
nach ’Antafia. SJtanche hatten gern ben SRüdjug angetreten,
Sintere lieber ben ©ruber al8 Äönig gefehen, unb lehrten ^ettn.
Sie .£>eerfchau ergab noch 40 000 9Jiann, aber fPeft unb Job
Betfolgten fie unb bei ber änfunft in Slntafta fahen fie auS, als
ob fie ben ©räbern entftiegen."
3mab bemerft nod), bafj ber jbönig («perjog!), ob bet ftar»
fen ©erlufte auf ber Sanbreife beftür^t, ben Seeweg cingefdflagen
unb mit höchftenS taufenb ÄtiegSfähigen taS 3iel «reicht h®b<-
©ebrochenen .iperaenS unb machtlos wiber 2BiHen trat et unter
ben übrigen granfen jurüd, fein 9Rame oetlot an Snfehen, fein
(65C)
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©ommanbo war gu nid>te, halb barauf ftarb er, nadjbem er fid)
unglücflid) genug gefüllt.
©alabin war gut unterrid)tet, wenn aud) 3lbu ©d)ama
©. 177 ben ©ultan nur im Traume aufforbern läfjt: „©djreibe
eine ©iegeSbotfdjaft über ben beutfdjen tfönig. 2lQat) fyat ben
SJtalif ei 2Uamän feiner 5Wad)t beraubt, benn mit 200 000 Strei-
tern ift er ausgewogen unb l)at nun weniger als 5000 ÜJtann
unter fid). Stm 22. SDul»l)iggat ging ber ÄönigSfoljn unb ein
©raf 5?aniat (5öaliat»5MoiS) mit 2ob ab. Äonb ^)ari (©onte
£enri) erfranlte unb täglid) ftarben 100 bis 200 Oranten im
?ager. Ueber baS SBerfdjeiben beS beutfd^en jüjnigSfcl)neS em»
pfanben bie grenbfc^ ben größten ©djmerg, fie günbeten ein ge-
waltiges geuer an, Derbrannten aber babei fämmtlidje Belte mit
allem Snljalt, fo baf) nur brei für bie fSUtfnaljme ber ©olbaten
fielen blieben. SDie SDiuölime erbeuteten einen SJtantel mit per-
len unb Jeftbaren Änöpfen befefct, ber gu ben ©ewänbern beS
SJialif al 2Uamän gehört l)aben foü."
©efteljeu wir unS bie bittere 3Bal)rl)eit: Don bem ftattlid)»
ften Äreugtyeere, t>aS nc(fy auSgegegen, fanben fid) bei ber Sin*
funft in fPaläftina nur fünf fProcent gufammen, bie anberen
waren tobt ober gerftreut, etwelche wol)l aud) gefangen. Slud)
oijne fidj mit einem £eete ju fd)leppen, ift in ber ©lutl) ber
fprifdjen ©onne faum DorwärtS gu fomnien: wer fonnte fid) aud)
Dertjetjlen, baff bet fiebgigjä^rige ©reis lebenb oon biefem Buge
nie mel)t gurücffefyren werbe, fonbern unerwartet baS Opfer beS
giebevS ober ©onnenftidjeS, ber SDpfenterie ober $)eft werben
muffte, wenn it)m nid)t mit unb ol)ne 33ab bie Äraft auSging
unb il)n bet ©djlag traf. SDie SDeutfdjen Ijatten gleid) beim
SluSgug $tiebrid)S bie Hoffnung aufgegeben, baff er wieber gurücf»
lehren werbe, fdjreibt ber Slnnalift Don IReinfjarbSbrunn @. 45.
SDie ©rfyebung eines neuen Äaifergefd)ted)teS, baS bie Söege
ber $ofyenftaufen wanbeit, unb beren iöurg ^o^engoUern im SDefu«
matenlanbe, genannt 00m ©onneubetge mons solorius, nur einen
5£agritt oom ©taufen abliegt, gab bem großen ©eifte beS Steigs»
(657)
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fangletS ein, um bem SSolfSglauben an bie SSiebertehr beS alten
ÄaiierS gerecht 31t werben, womöglich IBarbarojja’S ©ebeine au§
bem ÜJiorgenlanbe gurücfbtingen gu laffen — gewi§ gur heil*
fameten Sefriebigung ber Nation, alö wemt $l)ier8 ben £eich*
nam 9tapoleon’8 non ®t. Helena nach ber ©eineftabt fchaffen
liefj, um — unwillfütlich ben ©eift ber JReoolution unb ben
JfriegSbämon neuerbingS ^etaufjubefc^wören. Der hierzu 8b'
georbnete mit gwei jüngeren ^Begleitern bat bie altberübmte 23aftltfa
»on StnruS, ben Ärön u ngSmünfter ber lebten Äreug*
fönige aufgebecft, aber bie gemauerte ©rabftätte leer gefunben.
©enug baff fie nun non breiunbbreifjig bemolirten Raufern unb nom
©(butte ber 3ahrt)unbeite befreit, ben 9lugen bet Üteifenben offen
liegt. ÜRan nergleid)e bie ©rgebniffe in bem ftreng wtffenjchaft*
lieh gehaltenen SSerfe: „Heerfahrt nadj DpruS gur 8u8grabung
ber Äatbebrale mit öarbaroffa'S ©ebein", 1879. 3ngwif<hen ift
ber SJie^enfcbaftfiberidjt übet bie mit nebft meinem ©ohne 33ern»
batb unter ©ontrole (?) beS jöngftcn Sribertcianifd^en .fjiftoriferS
annertraute ©jrpebition oon unnorbereiteter ©eite — auf mehr
eifersüchtigen als berechtigten unb b«Maten SBiberjpruch ge*
ftofjen. SSBurbe ©atbatoffa in SpruS beigefe^t*? unb wenn: ift
bie auSgegrabene foloffale Äircbenruine fein ©rabbom? 2Bie ich
gelegentlich ber Skfprechung meines 23ud>eS in frangöfifchen
SBlattern erfahre, gucft man bort faft nornehm bie Achteln, eine
©rgängung ber IReifeforfchungen Gsrnft Sftenan’S in 9>hööi3ien
für überflüffig erachtenb. 2Bem fommt bie @h*e 3U ftattcrt, ba
— wie fieben ©täbte um bie ©eburt $omet’§ ftritten, fo nicht
weniger um bie ©rabftätte fjriebricb I., beS jRothbart, u. 3.
©elenfe, SatfuS, Qlntafije ober Slntiodjia, ©iS ober fDtohfueftia,
bie £auptftabt geo’S, bann @ur, b. i. 5£pruS, 8ffa ober $)tole*
maiS unb enblich — ©heiter! 2Bir folgen barum bem Äreug*
gnge ©chritt für ©chritt, inbem bie ©djlachthaufen ber Deutfchen
unter Rührung beS faiferlichen ©ohneS, ^tergog griebrich’S oon
Schwaben, bie geid^c beS großen lobten mit fich führten.
Die über ben entfestigen SBerluft niebergefchlagene .jpeet»
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fchaar gelangte nach StarfuS, wo Äönig £eo fte freunblidj auf*
nahm unb man bie ©ingeweibe beS ÄaiferS ceremoniöS beifefjte.
(58 wirb in bet ©ophienfirdje gefächen fein, in welker
£eo II. am 6. 3anuat 1198 im Seifein aller feiner SBütben*
träger burdb ben (Jr^bift^of Äontab tion SBfn^burg jum Äönige
oon Armenien gehont unb bem tReidhe lehenSpflichtig würbe. 3n
SRamiftra erfranfte griebrid}, empfing jeboch ben Sefudf bc8
ÄathotifoS. Slm 19. 3nni fam ber ^>ergog in ©t. ©imeonS*
hafen, am 21. in3lntiodhia an. £ier erfuhren bie armenifdhen
©efaubten ba8 Ableben be8 ÄaifevS mit ©d^retfen; erft am
26. 3«ni fam bie Sotfdjaft im 2ager ©alabin’8 oor 5lffa an.
fRadb all ben ©tragen, au8geftanbener #i£e, £ungerleiben uub
SDurft fugten bie ÄricgSmannen in ber ,£)auptftabt ©OrienS @r*
holung; aber ber lang ungewohnte, oieüeidjt ju retdjlie^e @enu§
an ©Reifen, befonberS fruchten, braute eine ©eud^e 3um 3lu8=
bruch unb bie $>eft oerfolgte bie krümmer beö Ämt3heere8. 5)ie
Siichofe oon Söürjburg uub fJReifjen, ber SRarfgraf oon Sabcn,
ber Surggraf oon 5Ragbeburg, bie ©rafen oon JpeUanb, datier»
munbe, SBalbenberg unb ber Sogt $riebridh oon Serg würben
ihr £>pfer.
3ngwifdheu erfolgte in ber nod? au8 ber erften 3«t ber
©hriftenheit ftammenben ?ßeter§firdt>e Slntioctjia feitlidh 00m
Hochaltar eine Seftattung „nach beutfdhem Sraudhe",
bie unglaublich fdjiene, wäre fie uidht burdj mehrfache gleich*
jeitige Sorfommniffe erhärtet. 3Die £hatfa<h«n finb fultur*
hiftorifdh wichtig unb gugleich in’8 ältefte 9teligion6gebiet ein*
fchlägig, fo bafj wir mit beren SluSfühtung für bie Äeuntnifj
bet germanifchen wie hcllenifd^en Soweit einen wefentlidhen Sei«
trag liefern. 5Ran l)öre! 3118 £er3og S® elf VII. am 12. ©ept.
1167 nach ©rftürmung be8 8eoninif^en ©tabttheilS oon fRom
a!6 eine8 ber lebten JDpfer ber oon ba geholten Ißeft in ©tena
oerftorben war, würbe fein 00m gleifdje gelöfteö ©ebein übet
bie Serge nach ©teingaben 3ur {Ruhe gebraut. SDiefelbe Se*
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hanbluug erlitten bamalS bie Seichen be§ fReidjfifanjterö {Reinalb,
Gfrgbifd}of6 »on Äeln, «nb SDaniel’ö, SifchofS »on $>rag.
3u £eiligfreug im (Stift bei SBien liegt ber auf bem Hreug*
gug in ©prien, ungewifj wo? »erftorbene £>ergog griebridh
»on D efterrcid) im Hapitelhaufe begraben. 3m »origen 3abr*
hunbett fanb ÜRarquatb Herrgott in biefer ©ruft eine Keine
jfifte, ungefüllt mit ©ebeinen. ftriebrid) mar 1198 more teu-
tonico beftattet worben. {Rad) ber urfun blich »erbrieften Hifte
mit 33arbaroffa’$ £aupt unb ©felett gu fudien, mad>te id? bie
weite Steife, Ijatte aber nid)! baS „^errgottöglücf".
Submig ber SRilbe, Sanbgraf »on Stljüringen, hatte
feine $ahrt »on Srinbifi nach Stpruö gurüdfgelegt, wo ihn Hon*
rab »on SRontferrat aI8 Setter mit allen (Sfyren empfing. 5Radj
»ergroeifelter Selagerung »on ä^arou (3ean b’ücre) lieh er, auf
ben Stob erfdjöpft, fidj gu ©(piff bringen, ftarb aber noch auf
bem ÜReere ben 16. DK. 1190, be»or fie Gppern erreichten, unb
erfuhr auf ber 3nfel ba8 ©djicffal ber äuSroeibung ber ©ebärme
fowie ber Stu8fod;ung in ber Pfanne, worauf gleifd) unb fDiarf
in einem Hirdjlein »on ©ppern beftattet würben. SOtit welken
©efahren unb SDifdjfalen aber bie ©ebeine beS dürften burd) bie
ungeheuerlichen ©türme beS SD^ecreö an bie Ufer »on Senebig
gebraut würben, haben bie 3eitgcnoffen abergläubifd) genug
aufgenommen, ©o arg galt nämlich bie Sluflehnung beS
{föeeteö wiber bie unnatürliche 3umuthung Seichen übergujehen,
bah ©djiffafiele, welche bie Jförper »on Siebten mit fich führen,
bie brohenbfte SBogenbebränguifj außguftehen hatten. Da nun
gut Äenntnih ber ©chiffer gelangte, e8 fei bie förderliche Reli-
quie beS dürften auf ihr ^ahrgeug gebracht worben — man
hatte gleich bei ber (Sinfd}iffung ben gahrlohu begahlt! — bran»
gen fie hartrmefig mit bet gorberung in feine ©efährten, bie
©ebeine in bet Stiefe beS 9Jieere8 gu begraben, um nicht bie
{Rettung ber Sebenben in aller Skife gu gefährben. {Rur ba*
burch, bah bie trauernben Segleiter jener ©ebeine ©elb »er*
fprachen, begegneten fie fluger SBeife ben brohenben Anläufen
(660)
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ber ©djiffSleute unb vereitelten beren malitiöfen Sefchluf} wenig*
ftenS für ben 3tugenblitf. $18 aber bie ©efahr brohenber würbe
unb vor bem ©umult ber ©türme bie SSellen aufbrauften,
wieberholten bie ©djtffer bie vorigen Klagen unb festen mit
brohenben Söorten ben äßäcfctern wegen Ueberbotbwerfung ber
Änocbenrefte gu, fo bafj biefe@teine im ©arg verfdjloffen, als wären
eS iljreS dürften ©ebeine, unb biefen unter SBeljeflagen bet
rafenben @ee preiSgaben. @o brauten fie unter bem ©djufee
bet gütigen Sorfehung, fchiffbrüdjig unb nur bis jum {»alben
8eib umgürtet, mit vieler fRoth bie ©ebeine beß befagten dürften
an’S ©eftabe von Senebig, unb langten bamit am 24. ©egember
in SRepnerSborn ober {ReinharbSbrunn an, um ihn in ber Äirdje
bei ben ©räbern feiner Sätet etyrerbietigft beigufehen.
Eanbgraf Bubwig, ©emaljlber Ijeil. ©lifabeth, erfuhr
baffelbe ©chicffal. 3m Segrijf, ftd) nach bem gelobten Sanbe
eingufchiffen, ergriff ihn baS lieber unb raffte ihn ber Job Ijin«
weg, 14. ©ept. 1227, nadbbem ihm ber Patriarch von 3«rufalem
noch bi? le£te JDelung erteilte, ©arauf beerbigte man ihn gwar,
als aber im folgenben 3afyre bie mit ihm auSgegogenen t^ürin*
giften ©bien von ber Pilgerfahrt nach Serufalem gurücffehrten,
„gruben fie ihn wieber auS unb enthäuteten ben Äörper nach
forgfältigem $uSfochen, worauf bie ©ebeine fchneeweij) erfc^ienen.
2Ran vetjd)lofj fte in einem äufjerft fauberen ©darein, tranSportirte
fte auf bem IRücfen eines BaftthiereS unb fefcte fie unterwegs
jebe Sacht in einer Äirdje bei, wo ununterbrochen Stgilien ftatt*
fanben. 3« Samberg würbe ber Bug vom Pontifer (Sifdjof) unb
gangen ©leruS unter ©locfengeläute empfangen, ber ©arg auf»
gefd)lojfen unb bie ©ebeitte ber bahin geeilten troftlofen SBittwe
©lifabeth gegeigt; bie Purpurbecfe um ben ©djreir. verblieb ber
Äathebrale. ©nblich fefcte man unter feierlichem ©epränge bie
©ebeine im Senebiftinerftift gu fRepnerSborn bei. ($nn. {Reinl).
©. 260 ff.)
©ben baS war baS BooS beS grofceu Sarbaroffa. ©nglifche
wie italienifche, beutfche unb arabifche Autoren geben barüber
2 (66t)
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XIV. 330.
18
gleichseitig allen nur erttnmfdjten äuffchluf). tteber leinen Äteug*
gug ejriftiren fo Diele ©efchichtSquetlen, wie über ben brüten. 3n
Eonbon unb Djrfotb fchlummert noch manches banbfcbriftlicbe
SHaterial, unb baS fraugöftfche ©taatSarchio bewahrt nicht nur
3mabebbin ooUftänbig, fonbern auch bie arabife^e £anb»
ft^rift einefl ägpptifcfjen Sij^ofS übet bie Äreugfaljrten. 3n 2)a*
maSfuS bejrnbet fich eine noch gar nicht berührte ^auptquelle
auS jener 3eü, baS SBerf oon 3bn al*2fäfir in fünfuubgwan*
gig großen golio»33änben, ein Unicum, wooon bie 33iogtaphie
©alabin’S allein einen ganzen 33anb auSmadjt, unb lange &a»
$itel über al 9Ralif al 2lamän, unferen „beutfchen Äßnig* han“
beln. 2)aS Original ift SBafüf, b. h- 9Rof<heegut, unb barunt
unoeräufjerlich. 2>er Sßerfaffer lebte in IDamaSfuS unb ftanb
ben ©reigniffen gang nahe. SEßien befifct ein gehnbänbigeS @e*
fdjichlSmerf oon 3bn gurat3), leibet unpunftirt unb fchwer
lesbar, wieber ein Unicum mit reichem Snljalt übet bie tilget»
fahrten ber 2lbenbläuter. ©ben erhalte ich bie ÜJlittheilung auS
SßatiS oon 9JI. SBarbier be SJiegnarb, ba§ auf Anregung
hin bie bortige Bibüothef 1200 granfen für bie nötigen 2b*
fchriften auSgeworfen habe.
3uoörberft fchreibt 33inifauf, welcher als Äoplan ben
Jtönig {Richatb gßwenherg in biefem jfteuggug begleitete, Itin.
Ric. 1, 56: „5Rau fchmücfte ben Äörpet beS ÄaiferS mit fönig*
lichem 9>runf, um ihn nach 2ntiochia gu bringen. Dort ent*
fernten fie nach mannigfachem 2uSfochen bie Änocben oom
gleifche, unb gwat ruht baS gleifd) in ber Kirche beS 2hoftelftbeS,
bie ©ebeine aber führten fie gut See nach &btuS, SBiQenS fie nach
3etufalem gu übertragen." 5Rit felbftänbigem ©riffel oergeichuet
33 eucbif t oon §)eterborough ©hton- 1170—1199, 566:
„3)er gange Äörper warb in Stücfe gerfchnitten, baS gleijch ge»
focht, bie ©ebeine herauSgegogen, gleifch unb ©ehitn in 2ntiocfaia
beftattet, baS ©felett aber bis SlpruS mitgenommen
unb hier bei gefegt." SDie übereinftimmenbe Nachricht ent»
nehmen wir JRoger oon .jpooeben, 2nnal. 2ngl. 359, bei
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19
SaBile Scriptor. rer. anglic., <&. 65: „©ingeweibe, ©ebtnt unb
gleifcb fohlen fie in Sikffer ab unb beftatteten fie in bet Stabt
Sintiocbia, nachbem fie bie Änodjen bason entfernt." £iergu
fommt 5(bt JRabulf non <5ogge#^aIef Cbron. terr. s. um 1228.
SBitfyelm Bon 9tewborougb (Hist. Ang. — 1197) compilirt
II, 37: „9iad) Bielem Suefocben trennte man bie .Rnodjen nom
gleifcbe unb brachte bie gleifcbtbeile in ber jtirdje beö Sipofiel»
fifeeS gut Stube, bie ©ebeine aber führten fie auf bem
ÜJteere b i 8 3;pru8, 3B i I lenö, fie nad) 3etufalem gu
tranSferiren". 2)ie englifrben Autoren finb batübet ohne
SluSnabme einig.
@Ieid)nabe fte^t bem ©reigniffe bet 33ifd)of Sicarb ncn
©rernona (f 1215), welcher Chron. cod. Estens. S. 612 für
bie 23eifefcung in 2pruS arcae tumulo eintritt. SebenfaQS auö
beften Duellen fdjöpfte baS gleite 3ewsni& SlnbteaS 25au*
boto, beffeu Starne am $>ortalbogen beö ^eil. ©rabmünfterS in
Stein genauen ift, + 1354. Seine Slnnalen S. 314 (ÜKuratori
XII) ^aben baS ©ewicbt eines autljentifcben ^Berichtes. Slun
folgt Buallart mit feinet $ilgerf<hrift4), 1587, bie auf giem*
lieh richtigen ©tfunbigungen beruht, bemt an Drt unb Stelle
fab man bamatS Bor Schutt unb Krümmern nichts mehr Bon
©räbern. 3n feine gufjftapfen tritt ein anberer .poQänber,
©otooicuS, Itiner. Hier. S. 121, welcher auSbrücHid} ber
Äatbebrale ober Äitche teS bl- ©rabeS erwähnt, worin Drige»
neS unb bie ©ebeine Sarbaroffa’S ruhen feilen."
Dr. Äootwpf auS Utrecht erf unbete, in Schriften wohl
belejen, fich münblich genau, wagte aber auS gurcht Bor ben
Arabern nicht Born Schiffe gu fteigen. @r fab Bor fich am
linfen ^afentburm noch gehn foloffale ÜJlarmotfäulen in gleiten
Slbftänben, ebenjo bie Stabttbürme. Sille SJiauern aber über*
ragten bie überaus bohr« SBänbe ber Äatbebralruine, worin
SUmetich im j? önigSornat feine ^odjgeitSfeier begangen
haben foD. ©igentlich beftanben nach bet Seite ber Dftpforte
gwei Tempel, ber größere unter bem 2; Hel beS heil- ©rabeö,
2* (MSJ
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bet Heinere ©t. 3obann gemeint. 3m größeren lag bet
jtörper beö großen Dtigeneö beftattet neben bem ^oc^altat,
außetbem bi eß eö, baß an bemfetben Orte bie ©ebeine beö er*
truufenen Äaiferö Btiebricb I. ißie [Rufyeftatt gefunfcen. 9io<b faß
man »or bem Dfttbore eine £apelle, wo bie (tcropbönijifcbe)
Brau (S^tiftum anrief; ben ©tein, worauf er faß, galten bie
33enetianer 1124 nach bem SRatfuöbom ^eimgebrad^t. Studj
SDanbolo gebenft biefeS ©teineö, fowie beö Ijiet batüber er*
richteten ©aloatorfitdjleinä. Unfer Sieifenbe fab bie räubetifdjen
©tranbbewobner ohne Unterjcbieb beö ©efcbled)teö haben unb iu
ben JRuinenlödjetn ficb bergen, wie er meinte ju JDrgieu. fftut
ein maurifebeö Bifcberboot lief in ben teeren ^>afen ein: oieUeicbt
trägt non folgen Sefucben ber fog. 9Hgierif<be Sb^tm am ©üb»
ranbe ber ©tabt feinen Flamen. ©omit nennt et bie Sobanniö*
firtbe — im noch erhaltenen ©pitalbau, unb ©t. ©aloator,
exigaum saceUum — am ©tabtbrunnen.
©cbon «£>ieronpmuö macht ep. ad Pammachium geltenb,
ber atejranbrinifcbe Äitcbenlebret fei in Stpruö beftattet; bamalö
beftanb nur bie SDtetropolitanfircbe, bie großartige Safilifa, welche
93if«bof ?>aulinuö, noch nor ber Gonftantinifcben Üteugfitcbe unb
Slnaftafiö gu 3erufalem erbaut, unb Gufebiuö, ber&irdjenbiftorifer,
erngeweibt ^atte, bie Goncilöfitcbe ber illrianer. Gugefippnö
1155 unb 3obanneö oon SBürgburg 1165 wieberbolen alö ^)il»
ger unb 33efd,'teiber beö beü- 8anbeö: Tyrus Origenem celat
tumulatum. ISutb 2Bilbelmoon5£pruö, ber ©ejcbi(btfd)reiber
bet Äteugguge, legt 1184 feine Autorität bafür ein, XIII, 1:
„Stpruö bewahrt noch ben Körper beö Dtigeneö, wie man
fitb bureb ben Slugenfcbein übergeugen !ann." ©taf 33urcbarb
non SJiagbebutg, genannt de monte Sion, orientirt unö noch
1283 gang beftimmt bureb bie 91otig: „Dtigeneö b«t bafelbft iu
ber Äircbe beö heil- ©rabeö feine 9iubeftätte, »on einer fDtauer
eingefaßt; ich ba&e a» Ort unb ©teile bie 3nfcbtift gefeben
(cajus titulum ibidem vidi). SD Ott f in b aueß ©äuleu con
(««)
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ORarmot unb anberem ©eftein non einet ©tofje, bie
Srftaunen er»e<ft.“
@t meint bie tieftgen Solennen bet Äatfyebtale, bie lüngft
bie 3ufmerffamfeit bet fReifenben erregten, »ollenbS jefjt, wo id)
fte freilegeu liefe. 3el)nlid)e fommen in $pru8 nic^t »ieber not.
31{o bie nod) heute »on ben ©inwof)nem fogenannte Äatfee»
btale erhielt nad) bem Umbau »äfyrenb ber ,$etrfd)aft bet 8a»
teinet ben Xitel jum ^ etl. ©tabe, »eil bet 6rjbifd)of Sanoni*
fu8 8. sepulcri in Scrufalem »ar. 55ort hatte Äaifet (Souftantin
guerft bie 33aftlifa be8 ^eil. ÄreujeS unb bie 3uferftef)ung8rotunbe
übet bem heil. ©rabe gegrünbet, unb bort ftanben in bet ÄapeUe
unter ©olgat^a bie ©arfopbage ber ftanfifd?en .tönige, bis 1244
bie Sbateümier unter |>ujamebbin ®atfa*6han baS
,$eilanb8grab abermals »erwüfteten unb bie ©ebeine ©ottfrieb’8
»on Souilion, betSalbuine unb 3malridje herauSriffen, im 3ugujt
1244. $ie ängabe Sutdjatb’S ift an £)rt unb ©teile gar nidjt
mifejuoerftehen, unb SotooicuS gerabe barum mistig, »eil et
DrigeneS unb Sarbaroffa in betfelben Äirdje ilpr ©rab ftnben
läfet, »o bie brei riefigen ©aulen non SRoiengranit baS £aupt»
portal, bie hetrlidjen ©ienitfolonnen in j»ei SReil)cn bie ©eiten»
fdjiffe ftüfeten. Son ben Syriern, bie fold)e Saften auf Slöfeen
ober ©djijfen oom fRillanbe ^etbeif^afften unb biß Saalbecf
fcbleppten, lernten bie fRömer ben JranSport ber Dbelißfen auf
fRiefenfaferjeugen.
3ud) bie italienischen ^iftorifer galten an bet Seifefeung
Sarbaroffa’S in ber ^atl?ebrale »on 2pru§ feft. 5)ie (J^rouil
beS $)aolino bi ^)ieto, worauf fidj ber »ol)l erfahrene
5)aläftinapilger ÜJiariti 1765 beruft, lafet Sarbaroffa in ber
„gotfyifdjen" ^auplfirche ju ©ur fein ©rab eintfyun: bet unter»
fdjeibenbe 3u8brucf für Saftlifa, bp$antinifd)e, romanifche unb
germanifche SBaufunft ftanb bnmalS nod) nic^t feft, auch bei unS
bis nad) Sefftng unb ©oet^e nid)t.
Sbrafo fPater 3lbefonfo bi 8uigi ober ber »erbiente
®efd)id)t8fotfcber 8. 8. Brebiani, ber 1784 $)lan unb $)ro»
(e«s)
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gramm 311t ©rünbung ber Academia Crusca in gloren3 unter
©rofche^og geopolb entwarf. 25et ©uatbian be$ §rau3i8fauer»
^ofpigeS in @ur Iam gerne 3U ben Ausgrabungen unb gab un8
nach bet SBiffenfdjaft feines DrbenS baS SBort, ijier fei
Satbaroffa begraben. 5Ran wei§ ja, baf) bet ©rbenSftifter
gtanjiöcuS non Affifi fdjon 1219 perfönlidj feine ©rüber
in SIfa etngeführt hatte. ©on fParteiintereffe, bie SUjatfadje 3a
falfchen unb ben Sendet 3U Berfehren, !ann bei aß ben ©hroniften
feine Siebe fein. ^ödjftenS fann man non ben fyalbwegö bittet*
gitenben JDeutfchen fagen, baff fte baS treue Abbilb beS Berun»
glfidten Jtreu33ugeS unb bet Auflöfung ber S^eilne^mer ge*
währen.
Ansbert, bet mit im 3«ge war, ober bie ßfterreidjifdje
Cuefle, ©. 73, begleitet bie üeidje beS ÄaiferS nur bis Antiochta.
©benfo ßRagnuS tton {ReicherSberg, f 1195, Ann. R. 516,
unb bet Annalift Bon ©t. Slafieu (Contin. 322). üDie
Annales Egmundani auS bet Abtei 3U ©gmonb in £oßanb
(9)er$, Mon. Germ. XVI, 470) melben: „{Rachbem ber römifche
Äaifet auf eine elenbe StobeSart Berblidjen, würbe fein Ä'örper
auSgcweibet, wegen bet Söeite ber {Reife fleißig mit ©al3 ein*
gerieben, auf eine Tragbahre gelegt unb unter bem 3ammet beS
feeres nach Antiodjia gebracht, fobann in bet 93aftlifa bcö heil.
9>etru§ im ©ingang beS ©IjoreS mit ber würbigften ©hrerbietung
beftattet." SDie Annalen »on ©teberburg bei SBolfenbüftel
Bon 1000 — 1195 (autore Gerhardo, f 1209), ©. 223, bann bie
tton ßJiarbach, welche in erfter {Reihe bis 3um 3ahre 1262
reichen, 165, unb jene Bon {ReinharbSbrunn, @. 516,
bieten benfelben 3nhalt. aber ©raf SSilbranb Bon £>lben*
bürg fah felber 1211 baS faiferlidje ©rabmal 311 Antiodjia
unb erfuhr für gewif), baff baffelbe nur bie SBeichthcile
einfchliefje. @r fchreibt wörtlich peregr. XIV, 17: „3n biefet
Äirche wirb bie Äatljebra bcö heil. {PetruS ge3eigt. ©benba ruht
auch im ßRarmorfatg baS Bleifd) b e ß IfaiferS grieb*
rieh, feligen ©ebdchtniffeS." 3ur ©rgdngung aber i>erfl<^ctt
(66«)
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nod) ein heutiger 3a^tbudjf^reibeT beö XIII. SabtbunbertG, ber
SSerfaffec ber Geata epiacop. Halberstad. (Mon. Germ. XXIII,
110): „Äaifet griebtidj ift in SpruS begraben, in bet
3ofyanne8fircbe." SBarum er bieje nennt, teer weif) e8? t»ieOeid?t
fannte er eben nur bie eine mit Flamen, ober eö finbet eine 93er«
»edjölung ftatt, wie mit gleidj (eben »erben.
Senaten wir bie franjßfifdjen DnellfdjTiften, fo
läfet bie fogenannte Oefdjidjte be8 Äaiferö JperafliuS, bie altefte
unb befte, nod) im fDtorgenlanbe gefd)tiebene, berfommen,
bet Äaii'er fei $u ®t. ^eter in Slntioc^ia linterbanb im <5^or
neben bem 23ifd)of (IHbbemat) non $)up begraben worben. —
SEßir fßnnen beifügen, ba§ in ber Sßorbatle berjelben äfirebe 1112
and? ber ritterliche ütanfreb 3ur ©rabeärube eingegangen war.
3n all biefen SRadjrichten liegt Weber ein birefter, noch inbirefter
Söiberfptucb, fonbern bie nur wenig lücfenbaften Aufzeichnungen
ergänjen fid} babin: e$ fanb eine breifache 93 ei f e^ e ftatt:
einmal ber ©ingeweibe in ber 93aterftabt be$ b«1- fPauluö ju
Jarfuö, unb »on -£>erz, ©ebirn unb ben jerftücften Äörper*
tbeilen in Antiocbia; fobann führten fie bie ©ebeine mit bem
Raupte (!) in einer bühnen Äifte bis $pru8 mit, um fie hier
prooiforiid) beijufe^en, in bet Meinung, fie fpäter nach 3eru»
falem ju bringen, ©ine ©opbienfircbe, ®t. ^eterSbom unb
Äreuj- unb ©rabfatbebrale tbeilen ficb in feine fterblicben Ueber*
refte. 3)ie nambafteften atmenifd)en Duellen (Rec. armen.
403, 478) fpreeben roobl »on bet Segröbnifj in Antafta, boeb
giebt SBartan an, ber Äaifer fei in ber benachbarten ^»auptftabt
©iS (fötopfueftia) beftattet worben — inbem er ben Flamen ©ur
»iellei^t falfdb gelefen. ©efdjab bie ©epultur in äntiodjia mit
bem ganjen Üeibe, fo b^tte eä feiner 3«ftücfelung unb Ablöfung
be$ SleifdfeS »on ben ©ebeinen beburft.
Sion ©flmunajar, bem Äonig ber ©ibonier, ber entfernt
auf bem ©cblacbtfelb gefallen, brauten feine ©etreuen nur ben
Äopf nach Äabt al*9Ruluf, bet föniglidjen ©ruft, auch SRogaret
Apollo, genannt »on bem auf bem ,£>ügel geftanbenen 93aalö-
<667>
x' \. l.
r ''•% r? P, Digitized by Google
i * . t * ,*■ <r T; Vi
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tempet nor bem Sübtßore bet «Stabt, non roo bet alte 2)u»
rigßello uacfy Sdjäßen grabenb am 19. 3anuar 1855 glücflidj
ben Sarfepßag erhoben Ijat. 2)ie8 ßieß nach plföttijifdjer SBeife
ben in bet Sternbe ©ebliebenen bet feinen älätern begraben. 3n
altbeutf<beu ©räbern finbet man nid)t feiten Sdjäbel, roeldje
nadjträglidj uon gamiliengliebetn mit in Cie ©rube genommen
würben. So erßob füngft Dlfar graal in ber ©ailburgftraße
ju Stuttgart aul einet Sllemannengruft bal ifolirte Haupt einel
Äriegerl, bem burd) einen furchtbaren Sdjroerttjieb bal Dcciput
roeggehaucn mar, neben bem Sfelett einet offenbaren ©reiftn,
»ielleidjt feinet trauernben Butter ober äüittroe.
SDie befdjriebene altljeibnifd) beutle Sitte für bie H«m*
füßrung etroa in fernem 8anbe gebliebener dürften, beten Jpitn*
fcßaale häufig ber Sieger jum Srinfbecher oerroaubte, fam gerabe
in ber 3eit ber Äreujjüge ftarf in ’ilnmenbung.
‘518 33atbarei mußte e$ bem ©olumbul unb ben nachfol*
genben Gonquiftaboren ootfommen, roeun fie in ben Jpüttcn ber
3nbianer 5Dlenfd)enfnod)eu aufgeßangen fanben: fie badjteu nur
an jfaraiben, Äaribana ober jfanibaleu (beibel ift ©in Söort).
©beufo entfejjlid} bünft el uni, toenn bie d)inefijd;en Äuli’l in
©alifornien noch heute bal ^leifd^ oon ben ünochen i^rer uer»
ftorbenen Sötüber fdjaben, um bie lobten in bie Ijeimiidje ©rbe
gut üöegräbnifs ju fenben. (©in Söilb biefel Verfaßten! braute
füngft bie Ueipg. 3lluftr. 3eitung, 1875, S. 480). aber folcße
33atbaren toaten einft auch nnfere SSorfaljien, unb bie Uebung
cererbte fid) geraöe bei ben Häuptlingen, ba fie ficß auf ÜJlumi*
fiten nicht oerftanben. ©nblicß braute *})apft Bonifaj VIII.
im Anfang bei XIV. SaßrßunDerll fraft ßoßenprieftetlicßett
Verbote! bal wüfte jp^onimen in Abgang. SDod> befteßt noch
an gürftenßöfeu Die Sitte, Heti unb Gingeroeibe com Körper
gu trennen, fo im Haufe H^lburg, roie in 23apern, roo Dal
Hetj bei IJanbelßenn regelmäßig in bem oom apoftel ber 23a»
fuoaren^St. Siupert, gegrünbeten, acßtecfigen &ircßlein gu 'Ält»
1668)
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otttng beigefefct wirb, wie baS $erg fccS erften Sarbaroffa int
urfprünglidjen £)ftogon St. ^>etet’8 gu ^ntiodjia rutjt.
©rft ©nbe SluguftS brach ^rtefcridj »on Schwaben mit
ben ©ebeinen be8 33ater8 »on bet bergumgürteten fprifdjen
#aupfftabt auf unb »erfolgte mit ben Krümmern te8 beutfdjen
^>eere§ ben Üanbweg über gaobtcea obet Satafia. Äonrab »on
SJiontferrat, ber £elb be8 JageS, feitbem er Salabin gleicbjeitig
gut See unb gu ganb gurücfqeworfeu, fam brei Jageritte »on
JpruS bis JripoliS entgegen, wo bet £ergog am 3. September
eingetroffen. £ier gingen fie gu Schiff, hoch gwang bcr Seefturm
fie gur Umfe^r; erft nadj einigen Jagen festen fie tie gahrt
fort unb lanbeten in JpruS, wo ©raf Stbolf »on ,£jolftein
bie Hoffnung auf einen glücflicbeu iäuSgang aufgab unb fyeim»
fehrte. 33ereit8 jammerten bie granfen: „SUlal) ift mächtiger
al8 ber ©hriftengctt!" unb »on ben dauern »on 9lffa eridjoQ
unter 9>ljantafie, b. h- ©pmbel* unb §)aufcnfd)Iagr beim erften
©intreffen ber 9fad?tid;t »om Sdjidfal te6 ÜJlalif al Sllamän
ber ^ö^nenbe 9iuf ber „Ungläubigen" nach bem ©hriftenlager:
„©uer .König ift ertrunfen!" SSerne^men wir nun gleicbgeitig
arabifche Berichte, fo melbet Soljaebbin ibu Sd)ebbab, ber
9Me8 miterlebte unb 1234 mit neuugig Sauren ftarb, im ?eben
SalabinS c. 69. „©er .König ber 3lamanen hat im falten
glufc bei JarjuS fein ©nbe gefunben, worauf mau iljn in ©ffig
auSfocfjte, ba8 ©ebein in eine Äifte (in loculum) padte unb
gum JranSport in bie Ijeilige Stabt beftimmte." JpruS war
ba8 burd) ben Jpelbenmuth be8 SJiaTfgrafen Äonrab gerettete
33ollwetf be8 fReidjeS, e8 galt bereits für uneinnehmbar, ©aljiu
mochte man Sd)äjje in Sicherheit bringen, unb ein folcper war
gewifc bie Äaifcrreliquie.
©er ©ichter ber gereimten Äreugfahtt be8 Sanbgrafen 8ub*
wig »on Jhüringen (2luSg. ». b. .£>agen) läfct gur Serherrlidsung
feines gelben ben .Kaifer griebrich 1190 im ?aget »or $)tole*
maiS erfdjeinen unb aud) SalabinS SBater 2l»ub »on ben Jobten
66»)
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erwecft werben. Slber fo früh auch bie ©age fid) SBatbareffa’S
bewältigt, inbetn fie ben Äaifer fogar lebenbig in bie ®efan*
genfchaft ©alabiu’8 fallen unb nach Sabplon (bei Äairo) ab*
führen läfjt, ^alte ich bocf) nicht bafür, baff bet ©hronift non
SBeingarten fdjen beeiuflufft ift, fonbetn feine Angabe, ba*
£eet habe benfelben bis not Sllfon mitgenommen, wa8 bet änna*
lijt be8 ©djmeijerfloftetG ©ngelberg nadjfchreibt, ift eine muffige
33orau$fefcung ferne »cm ©cbauplatj, wie ber 'JJiönch oon ©t. Sla*
fien eS falfd) auffafft mit bet Angabe: ©ingeweibe unb Bleifdj
habe man bei SEarfuS, bie Änedjen in SCntiodjia beftattet.
2)er ©chroabenherjog gtiebtid?, »on €DRalif al 3al?it unb al
9)iu3jafat auf bet Sanbfeite genecft, ging mit feinem bis auf
fömmerliebe fRefte gufamniengefchmolgenen .£>eere nad) ca. brei»
wöchentlichem Aufenthalt in SEpruS unter ©egel unb lanbete am
7. Dftober AbenbS im Saget »ct Alfa, wo et als naher Set*
wanbtet beS ÜRatfgrafen für einen $einb beS ÄönigS ©uibo
galt unb bie SBdlfchen gegen fid? Ijatte. 2)ie arabifdjen ©hro*
niften nennen ihn wie feinen Sätet Sftalif el Alamän. SBcldfe
9tiebergefd)lagenheit, welken SEobeSfdjrecf hätte ber Sorweiö bet
©ebeine beS groffen SEobten im ©hriftenheere Ijeroorgetufen, wie
alle SSunben »on neuem aufreiffen unb faft unglüdbringenb er*
fdjeinen muffen ! SDer Eintritt beö Schirmherr» bet ©hriften«
heit war baö Serhängnifj biefeS Jireu^ugeS: feilte bie Äataftrophe
burc^t Sorführung feinet 8eid;enrefte ben greunben etft recht an*
fraulich unb einbringlid) gemacht, bagegen ber 3ubel befl barübet
triumphirenben $einbe8 auf’S ,§öcbfte gefteigett werben? Um nur
©in Seifpiel anjufühtert theilt Soljagbbin©. 129 mit: „©in
angelegener 0f?itter war »er Affa in ©efangenfehaft gerätsen,
bie grauten fuchten ihn mit ©elb loSgufaufen. 55a man ihnen
ben Seidjnam auslieferte, erhoben fie eine grofje unb anhaltenbe
SBeheflage. ©o oft ihr Auge auf bem Seichnam ruhte, warfen
fie fidi mit bem Angefid>t jur ©rbe, ftreuten ©taub auf ben
iüopf unb e8 befiel fie ein Ärampf: baS ©ehdmnifj feiner £et»
funft bewahrten fie aber angftlich." 9iod) einmal fei eS gefagt:
(670;
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»cid)’ unfäglidje {Riebergefcblagenhcit tjdtte bie Sorfühtung betrat»
fetleidje »erurjachen muffen. Sö »ar pfpdjologifd) unthunlid)!
Unter ben Slugen beö jungen £ol)enftaufen entftanb im
Säger »or $)tolemai8 gur pflege ber Äranfen ber beutfdje
Dt ben, welker balb aud) in Jpruö Sefijj erwarb. Slber nid)t
» _
* Mo| SRänner »ibmeten fid) bem SDienfte ber Sarmhergigfeit,
fonbern auch 5)amen. fSbu@d)ama rnelbet*): „SRitte Dftober
1189 lanbeten auf einmal 300 löbliche grauen ber granfcn auf
einem ©d)iff in Slffa, roefdje »on ben Snfeln fommenb, fid) bem
gottgefälligen SBetfe ber SBartung SIrmer unb SBerlaffener wib*
meten. @ie mußten bie Serwunbeten auf ben ©chlad)tfelbern
* auffudjen“. 3)ann Reifet eö »eitet: „3)ie SRamlufen »id)en »or
ihnen erfüllt »on Siebe (ober @l)rfurd)t) gurütf, ot)ne fid) ba*
burd) gebemütl)igt gu fühlen, ba ihnen baö Siebeöthor »erfdjfoffen
blieb. Sei ben greng (granfen) gilt bie Sh^fistoi für ben,
ber fte auöfjalten !ann, als feine ©djanbe! (Sine nai»e Seiner*
Jung beS Orientalen). 3m Jpeere ber geinbe gab e8 aber aud)
fonftige Söeiber gu {Rofc mit ganger unb Sifenhelme, welche nach
ÜRännerweife fämpften, fte ftürgten an ihrer ©eite fid) itt’d ©e*
wühl, nur bie ©djmucfjachen an ben güfcen eerricthen baö SEBeib.
Slm ©chlachttage fanben wir manche ftarfe ?Otatvone, bie, ben
{Reitern ähnlich, nur hwabmatlenbe Äleibet trug; ber 2hat*
beftanb ergab ftd) erft, wenn man fte plünberte unb entfleibete.
Sllte SBeibet gab eö in SRenge, weldce bie ORenge anfeuerten;
fte faxten, ba8 Äreuj wolle ben Slnfampf unb baö Serfd)»inben
ber 3flfamiten; baö ©rab beö SRefftaö muffe ihnen entriffen
werben." ©olche SBalfpren, welche bie Seiber ber (gefallenen
»om SBahlplafje aufhoben, felber mitftritten unb unö an bie
ÜTiegöjungfranen ber Simbern unb Teutonen erinnern, fornmen
|<hon 1147 im gweiten Äreugguge bet 2)eutjd)en unb grangofen
»or. —
Sor Sinbrud) ber SBinterftürme (Snbe {Rooember 1190) fegel*
ten bie granfen »orforglich jutücf nach ©ur unb legten fid) tge*
»or Sinter. {Rach ber Saubung jfönig {Richarb’ö »on Snglanb,
(«7i;
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23. ÜJlat 1191, entwich ber 3Ratfl8 nach ©ur int Sorgefübl,
baf) e8 mit feiner Jperrfchaft halb ju Gnbe gelje. 28it erfahren
nicht, ob man batyin wäbrenb ber Selagerung Grfraufte ja
©djijfe ftberfitbrte.
9iun nämlich brach nicht nur unter ben Selagerern bie ^>eft
ober eine fcorbutartige ®eu<he au8, fonbetn raffte au d) ben ebtea
erg o {j gticbricb fcbon am 20. 3anuat babin. SBäre, wie
ein $iftorifer „nach ber neuen SJtetbobe" fid) einfallen lä§t, bie
8abe mit Satbaroffa’8 ©ebein bei oQ ber Serwirruug ohne
©ang unb Klang im 8agerfanbe »erfdjarrt worben, fo ^ätte
man au8 Pietät ben ©obn bod? neben bem Sätet betten muffen.
SluSbrucflid) berieten bie 2lnnalen uon IReinbarbSbrunn, 44,
50, 54, man b«be ben Kaiferfobn mit ber Sabre be8 SRitterS
Slbalbert ton ^iltenburg jufammen in Gin ©rab oerfenft.
(Eiusdem tumbae loculos sortitus). 2)ie Gesta episc. Haiberst.
110 ergangen, er fei nachträglich erhoben worben, um bei ben
SDeuifcbbetren ein wftrbigee Scgräbnife ju finben.
Konrab, ber ©iegeSbrib uon SpruS, war uon Anfang an
bie ©eelC bet Selagerer »or SIFfa, wo bie burch Selfenfprengung
erhielte (nßrblidje) Anfuhr für bie tyrifcben ©chijfe ber Jpafen
be8 Sftarfgrafen ljte§. Gr ^atte bie nächften ^nfprüdje an
ba8 lateinifche Königreich mit ber £anb ber Glifabetb, Sechter
5Hmalri<h’8 II., erworben, bereu ©cbwefter ©ibptla a!8 ©attin
@uibo’8 oon ßufignan ben 3wiefpalt in’8 8anb gebracht. 3)a8
3abr barauf würbe ber eiferne Äon rab uon 3Rontf errat,
nacbbem ihn fein ritterlicher ©egner ©alabin bereits als König
oon 3ctttfalem anertannt tjattc, in einer engen ©affe überfallen
unb unter bem JRufe „£>u foHft webet fütavfgraf noch König
fein", niebergeftofeen.
„?lm 28. Slpril 1192 würbe in @ur ber 5Rarft8, SlUab
oetfluche ibn", erfchlagen, fo melbet 91 bu ©chama ©. 196.
„3wei Siänner famen jut ©tobt unb nahmen ben Gbriftenglau«
ben an, befucbten oielfad) bie Kirche, ^rieftet unb SRöndje ge«
wannen fie lieb, auch her fDiarfi‘8 fab fte gern. "JMö^lich griffen
(672)
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fie ihn an unb tßbteten ihn; fie würben nethaftet unb hmgerid)»
tet, man erfuhr, bah fie ÜSffaffinen waren. Äonb £ari (.£>ein*
rid) non Champagne) Ijeiratljete feine SBittwe (5. ?Dtai)." 3mab«
ebbin fd)reibt: „SDer 5DiaxflS genoh bie ©aftfreunbfchaft be8
BifchofS unb hatte feine 5ll)nung bbh einem Unglücf, mad)te
nach bet 5Ral)lzeit ein <Spicl unb bann einen Spazierritt — als
jene beiben SfJiätmet ihn mit ÜJieffern angriffen unb nerwunbeten.
6inet banon floh in bie Jt'ird)e, wohin ber 5Rarfl8, al6 er fid)
Bermunbet fal), fid) tragen lief). Äaum hatte it)n bcrt ber eine
SJißrber erblicft, al8 er ijerbeifpringt unb il)m neue SJlefferftidje
beibringt, ©rgtirfen, werben fie als fötitglieber ber iSmaelitifchen
SDrbenöbrüberfc^aft erfannt. Berl)ött, wer fie jum ÜJtorbe ge»
buugen, erwiberten fie: ber englifd)e Äßnig."
„Bei ber Eroberung Slffa’8 hatte bet 9J?arffö, ein umfid)tiger
unb tapferer fföann, ber in aß biefen Ätiegen feinen ©influfj
geltenb machte, SWah’S glud) über il)n! Bon ©eite be8 englifdjen
ätönigS einen £teubrud) erfahren unb war au8 beffen €Rä^e nad)
feinet ©tabt @ur geflüchtet." ©o 3bn al 3Hfr, ©. 46; trof)bem
fährt er ©. 51 fort: „Slm 13. IRabbia II biefeS 3al)re8 würbe
bet SJtarflS, 2Wah ocrflucäje ihn! £err in ©ur, einer ber arg*
ften Teufel ber granfen, umgebrad)t. ©alabin hatte nämlich ba8
£aupt ber SSmaelier, ©inän, aufgeforbert, ben englifchen .König
unb ben ÜJtarftS umbringen ju laffen unb bafür 10 000 3)inar8
auSgefeht. (Srfterem fonnte man nicht beifommen, auch trieft
©inan e8 nicht für augezeigt, bamit ber ©ultan nicht Bon ben
granfen befreit würbe, ©elbgiet lieh ihn ber Gtrmorbung be8
9Karf!8 juftimmen, bähet fchicfte er zwei SKänner in ÜJtönd)8»
gewanb, welche in ©ur fed)8 Sölonate ein frommes 2eben führ*
ten, fo bah bet SRarfiS ihnen Bertrauen fchenfte. 9tad) einiger
Seit lub bet Bifdjof ben SKarftS z«t Üafel, an ber er fid) mit
©pei8 unb Slranf gütlich that. ^Darnach fielen beibe Uebeltl)äter
über ihn her «nb brachten ihm fchwere SBunben bei u. f. w.
Beibe würben h*Hfl*rt^tet." 3mmethin eutfanbte bie SKörber
ber SSlte nom Berg.
C«7S)
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Sofort lefen wir im Itiner. Ricardi 340: „Äonrab mürbe
unter lautem 2Bel)flagen apud hospitaie begraben, ^»terju ftimmen
bie Gesta episc. Haiberst. 140 mit ber Angabe ber 3ol)aune8*
fitere — e8 ift ba8 3ol)annitetfpital gemeint, wa8 mit für tintig
galten, »ätyrenb Annal. Egmund. 470 bie jbreugfttd)e alö @rab»
ftätte aufgeiebnen.7) grüner nennen bie Gesta irrig bie 3o»
l)anni8fird)e al8 23egräbnifeort 33atbatoffa’8 ; bie Duellen ftnb fyiet
cntfdjeibenb, beren Slufjcbreibung nod) im Orient erfolgte.
drft bet britte äfönig be8 lateinifdjen [Reiches Setufalem
Salbuin II., batte fid) 1124 ber Stabt unb geftung Strjrud mit
SSei^ülfe ber Senetianer bemächtigt, nadjbem ber Singriff nom
11. gebruar bis 27. 3uni währte. 3m föniglidben ^alafte, beu
un8 befannten Sieben Stürmen, »erlieb er jofort 1125 ben
Äanonifern be8 f)eil. ©rabeS ba8 „Älöfterlein“ (Jafale SDetina, ober
al ©airratn, 2)eir [Rama, „|)öbenfloftet“, oberhalb ber grofjen
Duelle, TODDcn bie SBafferleitung8) auSgebt, mit allem ganbbeftfc
unb 3uoentar gu bleibenbent (Sigentbum. $iergu fommt 1141
nod) bie Sletlei^ung be8 ©artenS aufjer ber Stabtmauer, womit
be8 nod) ^eute blfi^enben S3oftan gum erften 2Jiale ©twäbnuug
gefd^ie^t, wo ich unb 33ernbarb öfter gufprachen.
ütjruS war ein reiches 93i8tbum, wie Söilbranb »on Dlbeu*
bürg 1212 fdjreibt. $)apft 3unoceng H. (1130—1144) traf
eine neue iDiögejanorbnung, trennte bie 5Retropolitan»
fitd)e 2.pru8 »om Matriarchat Sinti odbia, unb nerleibte
fie3erufalem ein. @8 gef djal) unter 6rgb. guldjer 1135,
weither als [Rachfolget SBilbelm'S 1145 felbet ben Stuhl in ber
SDaoibSftabt beftieg unb unter S3albuin III. am 15. 3uli 1149
ben [Reubau ber ©rabfirche einweibte. &u8 folgern Slnlaffe
fanb wofyl au d? bet Umbau ber alten Säulenbafilifa in
ÜtjruS ftatt, inbem man burd) Slnfajg oon brei Slbfiben bie
Äatbebrale uach ÜRorgen orientirte, wäbreub ursprünglich ber
Slltar weftlid) ftanb. SDiefe [Reftauration ift auffaHenb nirgenbS
beutfunbet, meHeidjt weil fie bem SSaumeifter wenig (5^re machte.
68 würbe nämlich ba8 lombarbifdbe Spftem ber SDecfen*
(674)
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Wölbung tute in ben fpätromanifchen Kathebralen auch hi«
angetrant; ba aber feine ©erftärfung ber Säulen, bie eigentlich
nur auf bie ©eitenmauern unb ben ^of^erneti 9>lafonb berechnet
waren, auch feine Umwanblung in Pfeiler ftattfanb, jo
war ber 3ufammenbruch nur e®£ Srage ber nadjften 3£it- 2)«*
bei würbe bie SRetropole auf ben Sitel Kteuj* unb ©rab*
fit che umgetauft.
Solche ©rabfirchen ftanben aufcet ^aläftina in Sörinbifi,
©arletta, „in IKonte fPetegtino“ bei Stoja in bet ©ampagna,
welche als ©efigungen ber h«f- ©rabfitche in 3erujalem 1144
unter ^>apft ©öleftin II. aufgeführt finb, wie bie gleichen Sitel8
in 2lffa bahin gehörte ober h®ig war. 3n ihr würbe ber
burch einen ©turg au8 bem fünfter »erunglüdte Heinrich oon
©hampagne alö Süularfürft beö lateinifchen Königreichs 2lu*
fangS September 1197 begraben unb lag ba bis gut Stabt*
erftörmung burch Sultan ©halil Slfdjraf, worauf ba8 grauen*
hafte ©hriftengemefcel nebft ©raub unb 3erftörung erfolgte, fDiitte
9Kai 1291. @o lange war bet ®om gu @ur in ©hriftenhanb.
©rgbifchof SBUhelm hatte fich 1129 burch Abtretung ber
9Rarienfitd)e in SpruS an bie Kanonifer be8 heü- ©rabeS,
feine fDiitbrüber, oerbient gemacht; als 3««g£a unterfchrieben fich
bie Kanonifer oou ÜpruS: $>etru8, ©alteriuS, 3ohanne8 unb
#ugo, bagu alle ©ifdjöfe be8 gelobteu 8anbe8 unb König ©al*
buin II. 3)tei weitete Verleihungen erfolgten burch ©rgbifchof
Petrus 1161, 1162 unb 1163, lefctere untergebnen ©ualter,
2)efan ber Kirche oon SprttS, äBilhelm, ©rgbiafon, Slimo, bet
©antor, Siainalb, ©d)agmeiftet; 9ftatheu8 unb Dbo, ^hüiph,
äBilhelm unb ©irarb al8 Kanonifer. Sie ruhen in ber Käthe*
brale, wo ich noch in ben legten Sagen im ^auptfchiff hinter
bem Kreugbalfen auf ©erippe ftiejs, bie mit filberburchwirften
©ewänbern ba lagen; id) lief! fie unangetaftet unb nahm nur
eine ©orbüre mit ben jchwatgangelaufeuen SJietaDfäben h«au8.
©ei ber geitweiligen Slbtretung be8 SJiarienfirchleinö, ba8
wir jpäter in ber £anb bet SDeutfchen finben, wirb mit Vad}*
(675)
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brucf heroorgeljoben : Gß gefdjieljt bteö „unter Vorbehalt ber
SÖürbe unjeter 5Jlutterfirdbe, welche bet erfte ©itj Don
SJ: p r u 8 war". 2)aß ©bnftcnt^um in Stpruß ftammt auß bet
9lpoftelgeit unb non ber Snwefenljeit beß heil. ^auluß, unb feit
bem 3ahte 196 bejaf} bie ©eeftabt eigene 93ifd)6fe. SDet ÜJletro»
politanbom woQte al8 bet uriprungliche bifdjcflidie ©tuljl auf
gewifje ß^rentecbte nicpt Dergid)ten.
SDet non Vcnebig gum fprifchen 93aüo befteUte ©iorgio
SJlarfigli begegnet 1243 bie ergbifdjßflidje Äitcbe gum ^eili*
gen Äreuge (sanctae crucis archiepiscopatus Tyri), wie biefelbe
anberwärtß gum tjeil. ©rabe genannt ift. 3n ihr lief) Äönig
Slmalticb am 29. Üluguft 1167 fid) mit bet gtiedjifdjen f)rin»
geffin SSaria trauen, worauf ber nachmalige ©efdjichtfchreiber
ber Äreugjüge, SBilljelm, bie SBürbe eines Grgbiafonß erhielt.
Gbenba empfing Slmalrich 11. 1198 in ©egenwart beS dürften
Vchemunb dou iHntiocpia bie jfrone, unb 3fabeHa, Softer ber
Gomnenin 50laria gut Gemahlin (De Mas Latrie II, 146).
9Rad;bem bie ©tabt am 27. 3uni 1124 in bie £anb ber
gtanfen gefallen, nimmt be Vogu£ gleich baß nächfte 3ahr für
ben Umbau bet Äatbebrale in Slnfptuch- Üpruß würbe ber ©i£
einet fränüfdjen ©raffc^aft unb hatte a!6 firchliche SRetro*
pole ?)^onigien8 bteigeljn ®uffraganbifd)öfe unter fi$.
grüner hatte fie alß Gencilfaal bet 31 ri au et ben jtitdjen»
gefdjichtfchteiber Gufebiuß, ben gut Verantwortung oorgelabenen
iÄthanafiuß in ihren Säumen gejehen, jefct amtirte tjiet Sil^elm,
ber $iftorifer ber Äteuggüge. Von einem neuen Aufbau ift ur»
Junblidj nirgenb bie Sebe; bieß führt felbfloerftänblidj barauf,
bafj bie Ghtiften bie Vafilifa beß ^aulinuß wieber begogen. 3Ber
in aller SBelt baut benn einen SJlüufter mit fehleren Gewölben
»on oorn herein auf ©äulen?
Vermuten liefje fidj, bafc in ben jt'riegßfäljrlid)feiten baß ljeil.
Jiteug Don 3erufalem einmal gerbet gebraut warb, geft fteht,
bajj Grgbijcfjof ^eter Don Übruß biefeß 3)aUjbium in ber
glorreichen ©c^lac^t bei ber Sömerbrücfe am Sußfluf) beß 3or*
(«76)
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33
ban au8 bem ®ee ©ennefaret ben 15. 3uli 1158 als ©iegeS»
panier Borantrug. Äönig ©albuin III. überwanb f)iet bie .peer*
fcbaaren SRurcbbinö, unb Born bamaligen Sagerplajä rührt noch
beute bet fftame ©efafin el granbfdji, bie SJiagagine ber ^tan*
fen, fyer. ©er fränfifcbe üRetrepolit fPetruS führte ben .pirten*
ftab Ben 1154 bis 1163 unb war gugleicb ÄanonifuS bet ^ei(.
©rabfirche gu Serufalem.
©a8 Äteu3 ift feit unterer SluSgrabung am '^oftament bet
f üblichen ©borfaule eingebauen gu feljen. gälten wir ben ffteu*
bau mit gegebenen ÜRauern unb fernerer SBölbung fomit nach
SDRitte be§ XII. 3abrbunbert8 ju feßen, fo ftanb biefe 2Irc^i-
teftur wenig übet Biergig 3a^re. ©djon am 29. 3uni 1170
rüttelte ein ©rbbeben einige $eftung8tbürme jufammen, bod) am
20. ÜJtai 1202 warf ein noch furchtbarerer, Bon ©©2B. au8*
gebenber ©toß bie neue Äreug* unb ©tabfitdje übet ben Raufen,
fo baß bie ©aulen bei ©errüefung bet ©afen alle nach füblidjiet
(Richtung fielen. ©a8 nieberftürgenbe ©ewölbe mit bem freuj*
tragenben 8amme al3 ©<^lu§ftein, beefte bie ©täber be8 ßtigeneS
wie ©arbaroffa’8 ein, febon im jwölften 3al}te nach beffen ©ei*
feßung, nur bet ©bezogen hielt fi<b* warb aber butd) bie für
StibertaS unb ©afeb fo Betberblidje ©rberfdbütterung 1837 nach*
trSglidb bet^fl®wotfen. ©en gefammten, ftellenweife bis 13 £uß
hoch liegenben ©dbutt lief} idf) burd) meine @cbaar Bon Slrbei»
tem, beten 3&bl guleßt über 150 flieg, binnen Biet 2Bo<ben au8
bem Äirdbenraume feßaffen.
2lber wo bleibt bie weltberühmte ©afilifa be8 ^)au»
linuS wäljrenb bet mubammebanifeben err f dt?a ft,
welche Bon bet erften ©tabteroberung bureb bie trabet 538 bis
1124, Bolle 486 %a\)ie bauerte? ©ufebiuS, ber Äirdbenbiftorifer,
bet nach bem Bietjäbrigen ©au 313—316 bie ©inweibeprebigt
hielt, wibmet ibt einen $anegprifu8 unb nennt fie bie erfte,
größte unb bcrrlidbfte in gang ^Ijönijtett. ©ie 9Jlu8lime wan>
beiten fie felbflBerftänblid) in eine großartige 3Rof<bee um. SBel*
d)e8 ©djicffal fie erfahren, barüber werben hoffentlich arabifdje
XIV. 330. 3 (617)
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Duellen noch 9luff<blufj gebe«. (Sinnig ben Flamen ^aben wir
erfunbet, bet juerft burd) unfere ©jrpebition jur Äenntnif) ©uropa’8
!am, uub biefer bietet mir ben Scblüffel, »orerft felber auf bie
grage $u antworten.
SJtanarab Reifet im ÜJiunbe non Dtal) unb gern ber Drt,
wo wir ba8 Sterrain um 23arbaroffa’8 ©rab auSljoben. Stuf bie
©inbeimifeben ^or^enb, erflärte jelbft ber beutfehe ©eneralconful
baB SBort mit Drt be8 Siebtes, pbönig. Ma unb ner, Feuchte.
SBaS liegt näher, als ben Dtamen nod? com einftigen ,£>erafle8»
ternpel ijerjuleiten, weidbet an ber ©teile gefianben? 3d} erlaube
mit babei ben Söorbebalt, bafj 93Relfart rnd^t Stabtgott9, fonbern
eher ©rbgott, SanbeSgott bezeichne. 3)er ©otteSname febrt in
.fjamilfar unb Sanft SJtedjlar, SDtelcbior, wieber, wo »on Stabt
unb 8anb nicht bie Diebe. Äönig be8 8idjte8 biefe ber ©ott
»on Sur.
Unb bodb ift DJtanärab fein jufammengefefcteS Sßort, fon»
bern eine SBerbalfotm »on nur, leuchten, wie ber fiebenarmige
Seudjter im Stempel SDRenoral) Reifet. SDagu ftimmt im Status
constr. DJiinaret bet Stburm, wo Sonnnenauf» unb Untergang
auSgerufen, audb ber ©intritt be8 DieulidjteS beobachtet warb.
Unter bem Kalifen al SBalib würben am SDfdjamiffi el
Äebit, ber großen äftofebee ju SDamaSfuS, bie erften Söiinarete
»on Steinlagen in luftige $öbe aufgebaut, bie Siorbilber bet
äUeften unb ^ödjftcn Jtircbenttiürme. 91 ber feine Spur ftubet
fidb »on einem feieren , etwa bem SDtarfuStburm in Sßenebig
ähnlichen öauwerf, bafj bie 9)?anarab ba»on ben Diamen führen
füllte. Äeine SJlofcbee ohne ©ebetStburm unb wäre er »on^)o4,
»on wo ber SDiuebbin feinen SRuf ju ben fünf StageSjeiten er»
fdjaQen läfjt. Stber wahrfcheiulid) war an bie alte SBaftlifa be8
9>aulinu8, bie nur wenig übet 300 3abre bem
»erblieb, ein, nur für einen Stpliten berechnetes Stbürmcben an»
gebaut, wie ich «och 1845 über ©inet Säule be8 3upitertempel8
in 9ltben traf, ba8 in feiner SMenbung als Sängenfu&maf) bie
StageSjahl be8 3ahteö enthielt; ebeufo auf Dlfroforinth-
(«8)
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Stuffallenb erfährt Sütanäral) aud? bei ben h^tnifchen Autoren
bie lanbläuftge ©rflärung „Bichtort* ober wo man Sicht an*
günbet, unb im weiteren Sinne „©ebetrufSpIatj", gleich niedine.
©er 9lame 5)tinäret mürbe guerft bem (Phar°8 iu älejranbria
beigelegt, bet als Seud)tthurm bei affen arabischen ÄoSmo*
graphen «'wen eignen 2lbfd}nitt hat- 3alfut enthält leibet non
ber SJianärah gar nichts. (Sine neue ©ntbeefung ift eS immer*
hin, baf) SoftrateS non (SniboS mit (einem in gothifdjer Borm
auS mächtigem Siered au(fteigenben, im 9lchtecf fich nerjüngenben
unb mit einem {Runbthurm in ber £ohe non 354 f$u& ab*
fchliefcenben ^>^anat , beffen £idjt auf hnnbert Seemeilen weit
leuchtete, 273 b. (Sh- unter ^h^a^eh^D® ben elften 8nfto§ gum
Sau Bon ÜJiinäreten unb djriftltdjen ©hörnten gab.
2BaS fragen mir erft nach bem SJtinfiret! ©ie 9Jlu8lime
gercannen bie Äathebrale beS (PaulinuS im 3ahte ber Stabt’
einnahme, fie tauften baS (Prachtgebäube auf äguptifdjen Säulen
in SDianärah um, unb erhielten biefelbe in ©tanb bis fie 1124
©pruS an Salbuin Berieten, a!(o faft fünf 3ahrhunberte. 9fta*
näral) lautet ber ©itel beS WetropolitanbomeS nach feiner erften
Ummanblung in eine munberhertliche SJlofchee, bie 8 euchtenbe
mie bie Bon Sultan ©ori el ©aib 981 gegrünbete el Sgralj
in $airo bie ©längenbe, el Sachra in Serufalem bie Bern
Seifen, unb el 2lf(a bie IHeuperfte. ffichlan! einer ber Bielen
nomina instrumenti et loci, mie fie bie Slraber gebrauchen.
©ie SRifche im (Sljot h*uter bem Hochaltar fam mir immer
fo flein für bie ergbifchöflidje Äathebra nor. (Sine foldje
Äathebralntfche befteht mohl in ber ^agia Sophia gu Spgang,
fie reichen aber in bet üHrchiteftur nicht bis gut ßeit ber .fi'reug*
güge. 3e^t wirb mir flar, ba| eS bie Äibla gut ©ebetSrichtung
ift, welche bie fDiuhammebaner nach ber Stabteinnahme 1291 in
ber mittlern 2lpft8 anbrachten, genau in ber $orm eines oblongen
Äegelburchf^utttS, wie fie auch in ber altdjriftlichen gelfenhtppel
nachgehauen ift. ©ie SRauten am Seben unb um ben Sogen
ber jtibla in ©tmiS ftnb alfo muSltmifd?. 3»eimal biente bie
3* (679)
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tprifd>e Jbathebrale gut fBiofdjee. Siebet int SBefi^e bet ©ee*
feftung eigneten bie Slcgppter fidf> bie mittlerweile mit einem
breifadjen Effor cerfeheue #auptfirche abermals an unb fonuten
nicht uml)in, bie 9tijdje bireft nad) SDften im fDtittelchor ju et»
öffnen, bei einem SReubau Ratten fie biefelbe [üblicher angebracht.
2)ie beiben Sreppenthürme rechts unb linfS »om C5ljcre mußten
bie ©teile ber fölinärete oertreten. SBRir fällt babei bie Semer»
fung beS älteften SOlanneS non SpruS, Ijabfdji Äetaim, ein , ber
nach @ut fam, als erft breije^n Raufer ftanben: er fagte, wenn
man bie SEhurmtreppen (retjjtg ntie ijnfg ccm .ftirdjenchor) bis
gur ^»öl)e hinangeftiegen, habe ftch gar SluSblicf bis Epp er n
eröffnet. 2)ie Umftehcnben famen feinem Eebäcptntff gu ^>ülfe
unb [teilten 1874 burch bie Erinnerung an fo unb fo Diele ^afdfa
fein Sitter auf 112 Saffre feft. SDte SDletuali, welche heute bie
halbe Einwohnerfchaft bilbeten, bauten aber unter ©cheidj
ganger fidf guerft 1766 an.
3bn Eubair fchreibt: „2)et .£>afen Don ©ur ift in jeber
£inficht bem non Slffa oorgugiehen. Säffrenb unfereS SlufenthaltS
in@ur (1185)befuchten wir eine ben URuSlimen Derbliebene
ÜRofdjee unb einer bet ©djeiche ©ur’S ttjeilte unS mit, bie
©tabt fei im 3ahre 518 (27. 3uni 1124) genommen worben,
Slffa aber gwangig 3ahre früher burch junger gefallen, fo
baff bie Einwohner mit ihren gamilien unb Äinbern in ber
J^auptmofchee fleh oerjammelten , um fich gegenfeitig gu
morben, waS 3 Hat) abwenbete (Eoetgen’S Seitr. 278, 280)."
3bn Eubair betont: „Sei ©ur am ganbthore befinbet ftch
eine gute fiieffenbe SHuetle, bie fi<h über ©tufen hiuab ergiefft,
Srunnen unb laufenbeS Saffer giebt eS bort in SJJlenge, febeS
£au8 ift bamit nerforgt."
ES iff fchwer gu fagen, wann bie Äibla in ber HJtanürah
nad) ber ©tabtgerftörung eröffnet würbe? lieber breihunbert
Saffre bis auf ben brufifchen Etoffemir gaeffrebbin erfahren wir
nur Don geborftenen Sogen unb 9Jiauertrümmern. Erft ber
Sieberaufbau ber Raufer führte gum Sau ber heutigen weft*
C6M)
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liehen Äuhpelmofchee mit bem Slfyum beS ©ebetruferB. 23er
9tame ÜJtanärah ift aljo auB [langer Sergejfenheit gerettet unb
in bie 2Berfe über 9tr<hiteftur einjutragen. SBahrfcheinlich fyatte
bie alte Söafiüfa wäfjrenb ber ©aracenenherrfdhaft ihr Gebern*
bad) eingebüfct, »ie unb wogu follte man eB erfef)en‘? ©tehen
bie primiticen SDioft^een gu SERebina unb SDleffa mie el Slmru in
Stltfairo nicht auch bachloB? ^Dagegen »erfudf)ten eB bie Ghriften
nach bem SBiebergewinn ber Äathebrale mit einem fdhwer*
fülligen ©ewölbe, baB im |>au|>tfd)iffe unb ben ©eitenhallen,
fowie im jheujbalfen fdhon gwßlf 3aljre nach Satbaroffa’B Sei*
fefjung tjerabftürjte. 2)ie ' brei ^ortalfäulen »on agpptifdtjem
IRofengranit fcheinen wegen ihrer Schwere ungerüeft am lieber*
gang gum Guerfchiffe fortgeftanben gu fyaben, bis ber Grbftofj
audj fie ju Soben ftürgte, wobei eben bie beiben herdförmigen
2)oppelfaulen beB £auptthorc6 ftumpf würben, eine britte ihren
fRücfgrat brad). 2)urch Serfdjleppung ^aben fie jum St^eil
ihren ©tanbort geänbert. 11 )
Söer flimmerte ficf> nad) .ftonrab’S »on ÜRontferrat £ob
um bie ©ebeine beB ©ibelinenfaiferS ? SRiemanb, feilten wir
meinen, wenn nicht bie anwejenben 23eutfdhherren. 3enet
JITPIX02, beffen SDenfftein bet frangöfifdje Gonful 23urighetlo
im Gtyan non ©ibon uns abtrat, ift wohl berfelbe SLtjeoborid^
»on ©arepta, welcher 1195 bem beutfehen Drben ju 5£pru8, wo
fie baB SRarienfirchlein befaßen, fein ^>auB $um Sefitjd ein*
räumte, fftiebrich II. läfct ben Drben »on jeinem ©rofjoater
herrühren, alfo »on ben Ihranfenwärtern währenb beS ÄreujjugeB
unter Rührung beB alten Sarbaroffa. 3ebeufaü8 wollte er ben
Sohannitern unb Scmpletn eine beutjehe fRitterfdjaft an bie
©eite fefjen. «Hm wenigften gleichgütig burfte ber »on allen
■»Rationen gefeiertfte fSRonatdj unter ber h»henftaufif<hen Familie
ben Äaifern Heinrich VI. uub iPhWph fein, welchen alB ©öhnen
unb fRachfolgeru Sarbaroffa’B bie Ghre feineB $aufe6 oblag:
unb man wahrte fie!
Äennte noch ein Sebenfen über §riebti<h’B I. ©rab in
(681)
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©pruS obwalten, fo übethebi un8 Stnabebbin, ©alabin'S
Äangler unb SluSferttgrr militärischer ©epefdjen, bem ade amt»
lid)en Slftenftiicfe gu ©ebote ftanben, jeben ßmeifelS. ©chilbert
er bodj aud) ben grauenhaften 9Cnblitf beS ©chladjtfelbeS oon
£ittin.
©en ©ert bietet 2lbu ©d)ama, ber „©olmetfd) ber ©ra»
bition“ , helfen Urahn ‘Äbubefr als 3mam am gelfenbom in
ÄubS beim (Einbringen ber fronten erfragen warb. (Sr fpielt
©. 203 guoörberft auf bie geinb}d?aft beS üRarfiS, beö ©uf
(geopolb non ©eftemich) unb beö ÄaiferS (Heinrich "VI.) gegen
Äcnig SRidjarb non (Snglanb an, unb fährt ©. 233 fort, wie
bie Sfegppter unter ©alabinS ©ohn SDialif al Slbil im dJlonat ©a*
wal 593 (17. 3ug. — 15. ©ept. 1197) 3affa in ©türm nahmen,
2Ule§, wa8 geben hatte, auSmorbeten unb bie ©tabt plünberten
unb gerftörten, ja bie ©aufteine in’S 5Reer warfen. 3n ber
ßitabefle halten fi<h öiergig fränfifche SRitter, welche, um ber
©efangenfdjaft gu entgehen, fid> in bie Ärrd^e guriufgogen unb
gegenfeitig mit bem ©djwerte töbteten. ©aS (Srftaunen ber
SDtuSlime, welche bie ©hür erbrachen, war grefe. ©ie ©otfchaft
non biefem Unglücf erging Schriftlich an ben beutfdjen Äenig
welcher gugleidj £ert oon ©igilien (©ifillija) war, mit ber
bringenben ©itte gu fomnten unb bem weiter motioirten
2(petl an feine Pietät: „©ie ©ebeine feiueS ©aterS
ruhten bis gut ©tunbe in ©ur in einem ©arge in
fdjön oergierter ©eibenhüüe, unb fähen bet ©efreiung
auS bet ©efaugenfdjaft entgegen. '2ber er fönne nur in ©eit
ul mulfabaS (^>auS beS <£>eiligthumS , b. h- Serufalem) beftattet
werben, wenn eS in unferer £anb fei." (©oergenS Slrab.
Duell. ©. 188. 219. ff), ©ie fRacbricht wirb ©arbatoffa’S ©ohn,
Heinrich VI. fdjwerlich mehr erreicht haben ; benn wäljrenb er
Selber bem fogenannteu beutfchen Äreugguge nachfolgen wollte,
raffte am 28. ©ept. in SUleffina ber ©ob iljn hinweg, ©ie
granfen belagerten ©ibnin oom 28. SRoo. 1197 bis 3. gebruar
(68*)
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1198, gwei SRonate unb Reben Sage, btö Re auf bCe 9ladjric^t
Bom 2obe bcö beutfdjen ÄönigS abgogen.
Unter Rührung be8 ifReichSfanglerS Sifcbof Äontab oon
SBürgburg eröffneten nämlich 1197 bieDeutfdjen einen neuen
Äreuggug, unb fdjlugen ©alabin’8 Srubet dRalel al 9lbel im
helbenmüthigen «Streit Bor StpruS empRnblid} auf’8 #aupt.
(Ramentlich (egte ber ©raf ©chaumburg ben ©mir Slffama oon
Söairut in ben ©taub an berfelben Srüdfe übet ben Äaftmije,
wo wahrenb ber oiermonatlidjen, fruchtlofen Selagetung oon
$pru8 buTdj Äonig Salbuin I. an ber ©pifce oon Behntaufen*
ben eine oorgefchobene Gruppe oon fecpgig (Rittern unb
Rebenhunbert ^uRfnechten um URitte ÜRarg 1112 im ÄafteH
(5Belp Äa8mi) beim furdjtbarften Äatnpf gegen ba8 ©rfatjheer
Üoghtefin'8 oon DamaSfuS faft fammtlich oerbluteten. Die
(RacJjridjt oon Äaifer Jpeintich’8 Job machte bie beutfehe Äreuj»
fahrt rücfgängig, ohne bafj wir babei oon einet SBadfa^rt gn
Satbaroffa'8 ©rab (joten.
-§iet ift oiel beutfdjeS 23lut gesoffen, unb ber über bem
©ingang gum einftigen ©rabmal be8 ÄabmuS in ©tein ge»
meifjelte ÄelcR bat für un8 gleite Sebeutung, wie für bie 5Ru8«
lime. 35er SRamlufenfultan Sarfuf wühlte nämlich Käs el
fatuwwa, ben „Äel<h be8 JRitterthumS" gum erblichen ^>au8»
Wappen, wotau8 ein $runf bie ©teile be8 (Ritterfchlag'8 Bettrat,
fein ©ofyn SSRelif al ORanfut brachte ihn 1405 aud) am Sab
eit (Raufara ober DfcReirun an bet ßmajaben»2Rof<hee in
DamaSfuS an. Den ©hriften mag er al8 ÄelcR be8 9Rärtprthum8
gelten ob aQ be8 SluteS, ba8 fie in ben Äreuggügen, in8befonbere
bie DeutfcRen auf bem britten Äreugguge uub gerabe Riet Mm
Sorwerf oon Spru8, nergofjen.
Der glufj Äafimije unb ber biblifdje Äabumim finb notR*
wcnbig ein unb betfelbe, unb bafj ber heilige ÄaSmt gerabe in
InruS fein SBelp Rat, ift für ÄabmuS entfdjeibenb. Son ©anft
ÜRafcpuf baneben läfjt ficR nicht beftimmt fagen, ob er eine $)et»
fon ift, wie in ©t. SRedjlar ber alte ÜRelfart fortlebt. ?luch bie
(6*3;
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in atter SSelt oerbreitete Sarbata, auf beren geft bie Jt>rier
ein Slbonißgärtchen ^errichteten , fyat auf mpthologifcbeß 9tlter
Slnfpruch unb nertritt hier Ulftarte. 33ebeutfam entbedfte ©hnon
ber SOiagier in einem greubenljaufe feine Helena alß oerirrte
SBeltfeele, um fie loßgefauft unb heOfehenb gum {Reiche beß
Sidjteß gurücfguführen. 5Bon ^ier auß Ijat ber {Rame £aßmi
fich übrigens im 3ßlam »ererbt, wie jene ber {Patriarchen, unb
3bn al Sltir führt allein über achtzig ÜRdnnet biftorifd} auf, bie
ihn trugen. 2Bahrf<heinli<h rührt bie le^te {Reftauration »on
©ultan 33arfuf lier, unb ift nicht an ben ebenfo angebrachten
fonftigen Äeldh bei griechifcfjen Äirdhen gu benfen.
3n ber tprifchen Ä'athebrale weihte SMjdjof Äonrab »on
£alberftabt, ber mit gu ben SBählern Äaifet {Salbuin’ß »on
ßonftantinopel gdl)lt uub am 7. Oftober 1204 ba lanbete, tn
Slbmefenbeit beß ©rgbifdjofß ben neuen 33ifdhof con ©ibon, uub
befümmerte fich »m ben Söieberaufbau ber fJRauern, welche beim
©tbbeben ccllftänbig eingeftürgt waren (SMbranb 170). Sllß
SBobltbater bet ©tabt geptiefen, ging er am 29. fJRdrg 1205 in
Slffa gu ©dhiff nach 33enebig.
Ob biefer Äonrab auch etwaß für bie eingeftürgte ^jaupt*
finhe gethan, ift nicht augegeben. 2luSführliche ßrwdhnung
finbet, welche {Reliquien er nad) Jpaufe gebraut unb wie er
biefelben nach ber eben erfolgten ©rünbung beß lateinifdhen
Äaijertbumß auß ßonftantinopel 1205 unbegabt mitnal)m.
Sibcr für {Reliquien wie Söarbaroffa’ß geib h&Uo bie Seit we*
niger ©inn, wdhrenb auch ben 3lbt SDtartin »on $)äriß unb
Heinrich »on Ulmen ber bamalß fdhwerwieqente SSorwntf beß
2>iebftal)lß heiliger ©ebeine trifft. (9iöl)rid)t II. 14. 219 f. 229).
ßß erregt gerechten Unmutl), wie bie leichtgläubigen Äreug«
fahret gange «Kapitalien auf ben Stnfauf falfcher Äuochen »on
ben ülltären in ßonftantinopel oerwanbten, um bamit bie Äirchen
beß Slbenblanbeß gu eutweihen, wie bie jüngft enbltch gefchloffe*
nen römifchen Äatafomben biefelben »erbdchtigen Jobtengebeine
lieferten. {Ridjarb SJowenherg galjlte im gelobten Sanbe oiet
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©efäffe boD ^Reliquien mit 32000 Spaantinern furj Bor feinet
Slbreife 1192. Söerth haben bagegen bie metallenen ©erätfee
ju ©ultuSjmecfen, welche hauptfächlich bie fDomfchäfee in fDiaing,
Äöln, Syrier, 8imburg, Samberg bilbeu unb au8 ber ©ieben*
hügelftabt am SoSporuS flammen, Born golbenen Spjan^. SBie
gerne gäben mir aU biefe jfnocheu pfeubonpmer Jpeiliger für
Sarbaroffa’8 £aupt!
2öir empfinben hier eine ^iftorif^e 8ücfe, bie ber Ä'reujjug
be8 6nfel8, gtiebrich’8 II., ber fiep lange genug befann, nidjt
ausfüllt. SDiefer gweite Sarbaroffa lanbete in Sairut, ©ibon,
©arepta unb Jpru8, unb erfdfien am 7. ©ept. 1128 in SJffa.
3jabella, bie Grbtochter beS JitularfönigS non Serufalem,
3ohaun »an Srienne unb ber Solantpa, nahm in ber peil- ©rab»
fitcpe ju Ölffa ben überfanbten SerlobungSring be8 äfaiferS in
©mpfang unb liefe fidj auf ben Sefepl ipreß Sater8 burd) ben
Patriarchen non Serufalem in ber Äatfeebrale oou Jpruß
gut Königin b e § CR ei dj eö frönen. 1225. 2lbel unb ÄleruS
pulbigten ifer unb oeranftalteten 15 Jage lang grcfee Mtli<b*
feiten, bei benen Journiere, ©elage unb ^eerfcpau abtoedjfelten.
Segleitet Bon Salian III. oon ©ibon, ©rjbifcpof ©imon oon
Jpruß unb oielen SBürbeträgern Bevliefe fie ©prien unb lanbete
im Dftober gu Srinbifi, mo am 9. ÜRoüember bie feierliche Ser»
rnäfetung erfolgte.
5)iejfreuj* unb ©rabfircpegu Jpruß blieb feit 1167 Ärönungß*
fatfeebrale: noch «pugo uon ©ppern empfing am 24. ©ept.
1269 hier bie ©albung. 2)et ©ibeline au8 bem Slbenblanbe
Berfuchte e8 mit frieblidjer ©roberung. ©alabin’ß ©nfel al Äamil
hatte ben ©mir gadjrebbin 1226 au ihn gefanbt unb ihm bie
{Rücfgabe aller nach ber ©flacht Bon £ittin gemachten ©robe*
rungen gugefagt. 8ag er bod) felbft mit bem älteren Stüber
al ÜRuagam, ©ultan Bon IDamaSfuß, in $epbe unb brang beß*
halb in ben Äaifer »egen Sefdileunigung ber Ueberfahrt.
3n gimafol l>atte bet fDtarfdjaß Bilangieti nebft ben fvjrifdjen
SRagnaten ben Äaifet bei feiner ?anbung auf ©ppern am
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21. 3uli 1228 empfangen; bie 3nfel felbft bilbete feit 1196 ein
Sehen bed SReicheS. SRad) bet Sanbung in SITfa fd)lug bet Äaifer
bet SDeutfdjen auf bem £ügel Bon SRicorbane, ijalbmegS 2(ffa
unb Äaipha, wie früher SRichatb Sowenig Saget; e8 ift Stell
jtarbanp an ben Quellen be8 33elu8, bem @ee ©enbeoia bei
PliniuS, bet nun Berfumpft ift. ^»iet Berfagten bie ©ro&meifter
bet Templer unb 3oh«nniter im Flamen be8 Patriarchen ©erolb
bem am 29. ©epf. 1227 päpftlidj ©ebaunten ben ©ehorfam.
SDatauf 30g et 31t Sanb nach 3«ffa-
3Ba8 mit liegen, ©iegen unb Unterliegen, mit ©ttömen
Bergoffenen 33lute8 in ben Äreu33Ügen unter bem Aufgebot be8
chriftlichen SlbenblanbeS fdjwet erteilt war, gelang ber faifer*
litten ©taatSfunft ohne SBeitereS. gtieblich erreichte griebridj
am 1. gebtuat 1229 bie Abtretung Bon Serufalem, S3ett)lei)em,
SRamla, Spbba, Stibnin, SDRontfort, ba8 halb in bet ©tarfenburg
eine iDeutfchorbenSBefte auf ^eimifc^em ©tunbe 3um 9Racpbilb
erhielt, bann fRajaret unb 3lffa mit 3ehn an ber ©trafje liegen*
ben fünften unb bie freie pilgerftrafje al8 föniglichen 33efi§
3ugeftanben. 311 ^amil befielt £ebron, 9Rablu8 unb Liberias
für fich- 2lm 17. 5Jlär3, ©onnabenb, überreichte ©chamSebbin,
ber Äabi oon SRabluS bem Äaifer bie ©djlüffel ber hl- ©tabt,
unb biefet betrat Boll greube bie ©rabfitdje ©^rifti, bie SDeutfchen
ftimmten ©djladjtlieber an unb beleuchteten bie Käufer, ©onn»
tag8 fetjte bet £ohenftaufe fid) in bet 3luferftehung8firche, fpä»
teren ÜJionarchen 3itm SJorbilbe, bie Ärone auf8 £aupt, fie oom
Slltare nehmenb 3ut @hr« be8 ewigen ÄönigS, wobei bet SDeutfd)*
meifter Hermann Bon ©al^a bie Urfunbe oerlaS. ©o gefrönt
30g er nach bem Palafte Iw befreunbeten 3ol)anniter. Slbet
noch beffelben S£age8 belegte bet ÜJietropolit Bon ©afarea bie
heiligen ©tätten mit bem 3nterbift, natürlich im Auftrag
be8 Patriarchen ©eorg, unb noch Bor 3lbenb8 fprengte bet
^aifer, bet eben ade DtbenSljeere feinen befehlen unter*
thänig etflüren wollte, Bon SRiemanb gegrüßt, 3um 3affathore
hinaus.
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©eoor griebrtd) am 1. 9Jtai oon 2lffa jur $eimfeht 31t
Schiffe ging, ^atte et bem {Ritter ©alian oon Sibon bie .put
beS SdjloffeS (bet Siebentbiirme) 3U JpruS übertragen. 3118
Statthalter SprienS, weites ein SReid^Ste^en bitben füllte, lief}
et feinen ÜJiatf^att SRt d^ar b gtlangiert gurücf. SHm 14. ü)tai
1874 hc^ i<h bet fDfanärah, ID03U bie heutigen Syrier
noch aufcer ber ÄaUjebrale baS SBeicbbilb am Drte bet
©rüber regnen, eine glatte mit bet Snfdjrift: Marescalcus auf.
Riccardus de principatu marescalcus Filangerius Dom not*
mannifdjen ©efchlechte ber filii angerii fommt bei fRiecarbo ba
San ©ermano 1225 oor. (Sr wirb in ben ©enealogten be8
.paufeS noch 1240 a(8 faiferlidjer Statthalter aufgefühtt, fein
©ruber Sotario aber 1243 in JptuS anmefenb genannt. 3m
felben 3ahte fammelte bet oenetianifche ©ailo SJtarfilio ©iorgio
unter einem guelftfchen Dogen im Flamen bet Königin Sllijc oon
(Sppetn bie Sarone beS {Reid^eö 3um .Kampf mibet bie gibelinifdje
Partei, bie Stabt mürbe mit cpülfe bet ©euetianet erobert unb
felbft bie ©urg ergab fidj nad) 28 tägiger ©egenmehr, (über
Philipp »an SRontfort fefcte fich 1243—1269 als perr oon
JpruS feft, uettvieb bie bisher oerbünbeten ©enetianet auS ihrem
Guartier unb begünftigte bafür bie SDRarfeider mit Freiheiten.
(Sbenfo bie ©enuefen, melche nach breijahrigem (Selonialftieg
1258 im Seegefecht not JpruS gegen ben oenetianifchen 3lbmiral
Sorengo Jiepolo ihr Slbmiralfchiff nebft brei ©aleeren einbü|ten,
fomie ihren Jhurm in ISffa, unb nach einer 3meiten ©ieberlage
ba ihre ©ieberlaffung aufgaben unb mit ihrem Gonful nach
JpruS üfcermanberten. Sur blieb nun «pauptftapelplatj bet
©enuefen auch unter bem Sohne 3ohnnn oon üftontfort,
bis 1277 ©enebig fein Stabtbrittheil 3urücferhielt unb SRontfort
baö Sanct fütarfuSfirchlein mit Jhurm fomie bie 3er*
ftörte Kaufmanns löge auf eigene Äoften mieber in Stanb fe^te.
©Sittlich fließen mir noch in ben lebten Jagen in ber linfen
SlpftS bet Äathebrale, mo auch noch ein 9lltar 3um ©orfdjein
fam, auf bie befterfjaltene ©rabtafel eines ebenfalls normannifdjen
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©aoalierß Dom Safyre 1266, Messire Barthelme Chayn, bet
aud) bei SRarfigli alß »enetianifttjer gehenttäger Barth, de Chaym
auftritt. ©in 23aiQi Don Gaen unb bie eigene ÜBaiOage bafelbft
!ommt nod) lange genug Dor. SBie bod) bet 3ufaH fpielt : biefe
©eeftabt im fernen SBeflen ift pi)3ni3ifdje ©rünbung, eine alte
Äabmußftabt, wörtlid) Jtabuma ober Äabmea, unb no<h lange
Jfal^im, jtathum, Äat^em unb Äal)em geheimen. @o !am bet
fRilter Don ber tprifdjen Äolonialftabt felbet alö Äolonift nad*
bem alten Soruß 3)ie Äirdhhöfe finb oft bie SReliquienbe^altet
ardfiteftenifdjer Sempelfragniente, unb wie oft burdjwanbelte id>
bie an bie ©übfeite bet Äatlfebrale ftofjenben ÜRetualigräber,
weldje nad) einem ©tjftem Dom ebelften weiten SRarmor brei«
ftufig aufgebabrt leibet feine 3nfdjrift mtdj erfennen liegen.
5Rod) giebt eß im glbenblanbe gamilien ©alabin unb ©ata<?in,
weldje mit bem Flamen bie ©rinnerung an bie S^eilna^me ihrer
©erfahren an ben Äreu^jügen beutfunben. ©ielleicbt weift baß
©efdfledft üRatiara eine Beziehung auf Spruß nadj; baß
eben, am 27. 3uni 1879, bem Dberften gujian ÜRanaro in
33at$ano bei 5Railanb geftiftete fRationalbenfmal bringt midj auf
ben ©ebanfen.
2tld wir juerft am ©i$e bet einftigen Königin beß fBleeteß
eintrafen, befrug ich bie Slelteften ber ©tabt um ihr ©orroiffeu.
©ie waren einig: bie Äatljebrale fei über bem geidtnam
eineß ©ifd) ofß unb eineß Äönigß erbaut. 9llfo wiebet
Driunoß unb gerbrif, Drigeneß unb gtiebtidj nebeneiuanber,
nur faxten fie bie ©rabftätten alß Slnlajj jum Äirdhen*
bau auf! Unb nun h<f& eß, bie ©teinijütten einet ganjen Drt»
fd)aft innerhalb ber SRanaral) ginauöfdjaffett, um auf ben ©runb
ju fommen. SBäbrenb bie mit ber $)acififation beß gibanon
betrauten granjofen 1861 neun ÜRonate in ©ut lagen, h°tte
©rnft fRenan fidj jwei fölonatc unb gwangig Sage in Sptuß
Derweilt, auch ba unb bort in ben ©runb gegraben, ba bie
faiferlidje ^Regierung ihm Rimbert gegionäre aur ©erfügung
ftellte, aber in bet $atl)ebrale wenigftenß ni^tß gefunben, et war
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baför anberwfirtß um fo ftnbiger. SBeiter braute id) tjerauß,
bafj in bet ^älfte 3eit feit meinet elften 2tnroefenl)eit (1845)
bet SBali con Damaßfuß augenfdjeinlid) nad) fRenan’ß Söeifpiet
ben Agenten bcö ganal, ÜRidjel Sara gefjeifeen Ijatte: „grabet!"
Diefet nafym ben fDtaurermeifter gu Jpülfe, uitb fie ftiefjen im
testen ©eitenfdjiffe auf gwei ©arge. Da fein gunb non ©olb
bie Arbeit lohnte, liegen fie bie ©adje liegen: bie ©arfopljage
müßten ncdj im Söoben ftecfen, Ijief) eß. @o Heg id) benn gwei
Älafter tief ben fyier giemlid} loderen Urbau abbeben, unb flieg
auf ein ©teinbeden oou blenbenbem Slabafter, ben Dauftrog
ber erften t ft en , baß ältefterljaltene Saptifterium
gum Unterlaufen ber Täuflinge. Darüber lagen con ^aufteinen
fdjarfgejdfnitteue ©urten unb ftarf profilirte fRippen, fowie ber
adjtcdige ©djlufjftein ber Dauffapelle auß ber Äreugriltergeit
bie Stuf merf famfeit erregte. 51 n beiben ßnben beß bie jtreugform
einbaltenben 93edenß führen btei (Stufen fyinab. ämerifanifdje
{Reifenbe, weldje unter güfytung beß ?)rof. ©trong com tfyeolo»
giften Seminar in 9Rabifon bie Sußgrabungeu in Sugenfdjein
nahmen, begriffen ben SBertlj ber gunbe wofyl, unb balb nad)
bet $eimfeljt lief ein ©djreiben con 9Rt. ^at fielt) in fRew*
Dorf ein, iljm bie con meinem ©oljne aufgenommene Beic^nung
für fein fertigeß 53ud? über d^riftlicgc 2?aptifterien gu cerabfolgen.
Daß alfo war, ber gange nach abgefdjäfjt, bet erfte im
©<butt cerborgene cermeinte ©atfepljag! aber o ber öarbatei!
ber SDfaurermeifter Ijatte mit fernerem Jammer (martello) ©tüde
abgejefylagen, benn biefeß SBolf lägt fidj’ö nidjt nehmen, bafj in
folgen monumentalen ©teinen unb „gegoffeuen" Säulen (9Raßbub)
©olb cetfdjloffen fei, unb wir, funbig bie 3nfd)riften gu lefen,
nur gu iljnen fämen, um barauß gu erfahren, wo bie granfeu,
einft ©ebieter beß ganbeß, bei intern Ülbguge Ujre ©djäfce cer«
borgen Ratten. 5Bo fanb fid) ber anbere ©arg? 3d) begriff
nun bie SBerlegenljeit, womit bie Ijöflid) gefragten mit ber 2lnt*
wort gögerten. ©leid) in ben erften Dagen meiner SSnfunft warb
td) im SRadjbarljofe an bet Dreppe antife ©arfopfyagplanfeu mit
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bem CSRebufenfopf unb BeftonS tragenbe (Renten gewahr, oon
herrlicher grtedjifdjet Arbeit. ©er Araber lief) fie mit für blanfeS
©olb ab, mir aber war nod) mistiger, als ber flajfijcbe SBertb,
inne 3U »erben, woher biefe SJiarmorffulpturen ftammten? 91a»
türlid).auS ber Äatbebrale! aber eS fam ^erauS, bafj bie beiben
©tücfe oom 3»eiten, ebenfalls jetfcblageneu ©arfopbag berührten
in Böige ber Derbängnifjoollen ^Nachgrabung non 1860, bie nicht
ffulpirten Streite »aren einfadb oermauert ober ju Stufen Der*
»anbt. ©ieS fonnte nur ber benfmürbige ©arg beS in ÜpvuS
al8 ©onfeffor mit Job abgegangenen gefeierten jbird)enlebrerS
JDrigeneS, jenes Abälarb ber alten &ird)e fein: im XIII. 3abt*
bunbert fab man noch ben Slitel an ber SBanb. ©er fo in
beiben ^»aupttbeilen erhaltene benf»iitbige ©atfopbag »urbe
mit ben übrigen tbeilS auSgegrabenen, tbeilS Don mir ange*
Tauften Antiquitäten, worunter ein Unicum: bet ertrunfene
unb als ©eniuS gut £ßbe entfebwebenbe OJteliferteS,
in fünfzehn Giften $u ©ebiffe nad) Berlin gebracht, »0 9>tof.
fPipcr, ber ©onferDator beS djriftlicben SJtufeumS bie ©rTlärung
abgab, ihr SEBertb beefe allein bie Äoften bet ©jrpebition.
ÜBo aber finbet fi<h noch ein SKeft Dom ©tabe SarbatoffaS?
3d) erwartete einen ©atfopbag auf üier ©äulenfüfjen, wie ber
(in meinem $aläftina*2Berf I, 377, jweite Aufl. 483 abgebilbete)
©ottfrieb’S non IBouillon unb feiner Slachfolget, woraus bie
©bareSmict im Auguft 1244 beim ©räuel ber SSerwüftung in
ber beiligen ©rabeSfirche bie ©ebeine riffen unb Derbrannten,
wie fie auch baS £eilanbSgrab — nicht gum erftenmal! — jer*
fiorten. ©ie ©arfopbage in ber AbamSfapelle unb bis ju bem
einen beS^alb Dermauerten ^ortalflugel betauS erhielten fich noch
bis ju bem 33ranbe am 12. Dft. 1808, worauf ber faiferlidje
Sölaurermeifter ©alfa ©omnenoS Don fDlitrdene fie Danbalifch
gerftorte, ben ©ott Derbamme, obwohl er in bet ©rabfapelle bei
ber fReftauration im SJloSfowiterftbl 1810 feinen Manien auf
einen ©enfftein granirte, bamit ©briftuS bei ber Auferwecfung
ber lobten ben $Pfuf«het nicht überfebe. — @S folgte inbefj an*
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ber8. ©amftag ben 30. ÜJtai !am bei ber Slbraumung beS
lebten Schutthaufens im Itnfen Duerbalfen weftlid) »om ©a«
friftei*(5ingang ein feltfamer SJtauerfaften in 93orfchein, ber ab*
folut feine liturgifdhe 33ebeutung ^aben fann; man betraute
biejen prooiforifchen Slufbau nur! nahegu ein Quabrat non
fünfthalb gu| nach aufjen, mit bet Deffnung »on »ome, unb
ba bie ©argplatte fehlte, famen bie fftägel an ber 3nnenwanb
in Sicht. 5Ba8 war baS? @in auSgewadbfener üftann fonnte
hier nicht ruhen, wohl aber — bie Äifte mit ben ©ebeinen bei*
gefegt fein, wo»on ©ohaebbin fdhteibt. SBie fam fonft biefer
improoifirte SRauerfaften in bie Äatljebrale? .£ier alfo ruhte
bo8 Änodjengerüfte Söatbaroffa’S gegenüber bem ©arg De8 Dri*
gene8 — unter einem SDadje fonnte man feit bem ßinfturg beS
JDecfengewölbeS unb bem Safte bet ©äulen ber jtatfjebrale nicht
mehr fagen. Steunb SRö^ric^t ijat gut äufjetn: einen abfolut
gwingenben ©runb, baf) ^ier ber Äaifet ruhte, giebt e8 nicht.
9lud^ ber juribifdje {Ritter fann gu 100 33eweifen noch ben 101.
»erlangen, bem ©efammtmaterial unb ber ÜJioral auSroeichen,
unb bie ßentnerfdjweTe eines |)rogeffe8 an ein £aar, einen
©pinnwebfaben ober Strohhalm Rängen, um eine entgegengefefcte
©ntfdheibung gu treffen; wer aber Slboofatenfün fte au8*
fdjliefft unb bie SEotalanfchanung ftch wahrt, wirb mir beiftimmen.
äßet beantwortet bie Stage, wohin bie ©ebeine SBarbatoffa’S,
»on Skter unb ©ohn famen? Söutben fie wie bie bet Äteug*
fönige gu 3erufalem ^etauSgeriffen, als nad) ber unter furcht*
barem ©emefcel erfolgten ©rftürmung »on Slffa am 18. 5Rai
1291 bie ©Triften »on SEpruS nod? beffelben ÖlbenbS unb in ber
9fad)t mit ihren £abfeligfeiten gu Skiffe gingen unb ohne
SBiberftanb flüchteten, worauf ©ultan ÜRelef el Slfd^raf mit feinen
Slegpptern unb 2)ama8cenern bie ©tabt gänglich geiftörte ! ©inb
fte mit bet Äatpebrate in ©taub gerf allen? was fragen wir noch
lange, ift hoch Kanaan ein 8anb, wo oft bie atfdje eines gangen
SBolfeS eine eingige $alme nährt? Unb bodj fönnen wir an
biefe 23etnadhläffigung »on ©eite ber Stanfen nidht glauben, fo
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wenig wie an baß SRorfchwerben unb bie balbige Suflßfung bet
oom gteifcbe gelßften Änodjen. 5Sogu Ratten fte mit einet Pietät,
wie bie Äinber 3ßraelß beim Sußgug auß Segppten bie ©ebeine
3ofeph$ in einet eigenen Babe neben bent Bunbeßgelte mit*
geführt, alß um fie nach Serufalem ju bringen — ober bet Jpet*
matb wiebergugeben?
SBit haben nur (Sine fRachricht, baff bet in fDleffina mit
Job abgegangene Äaifet Heinrich YI. (BieQeidjt nach Sauren?)
über bie Slpen gebracht würbe: trans Alpes portatus est; aber
im 2>om ber (Salier liegt et nicht. ©ine Äunbe bringt benn
auch übet bie 3ranölation beß alten Barbaroffa gu unß, inbem
ber Shr°nift beß Älofterß Bauterßbetg (eineß beutfchen ©lermont)
bei £alle 1190 (Germ. sp. 51. A) fchreibt: „6t würbe non
ben Äriegßleuten in bie Stabt Seleph getragen, wo fie feine
(Singeweibe beftatteten; ber Äßtpet würbe fobann nach ‘Sntiochia
gefchafft unb außgefotten unb baß gleifd) in betfelben Stabt bet
6tbe übergeben,, bie ©ebeine enblid) nach @f>eher gurücfbe»
fßrbert unb eingefargt". 6ß gefchah wohl oor bem ©infturg
ber Äathebrale 1202, unb beoot Sffiilbtanb oon Dlbenburg alß
Sbgefanbter beß SBelfen Dtto IV. auf ber {Reife burd) «Serien
1211 3ptuß berührte, wenigftenß fchreibt et h^ »am ©rabe beß
{tauschen Äaiferß ntchtß mehr. Bringt man in Snfchlag, baff bie
Reliquien beß Äaiferß wie üftartyrfnochen nacf)3mab*
ebbin in ©olbfticferei unb Seibenhemb gefafft waren
unb fo auß bet Äathebrale Bon Syruß nach bem SDom ber
Salier am StR^etne Betbracht würben, wie leicht fßnnen fie mit
bem Beibe eieß ^eiligen Betwechfelt, noch in einet Sa*
Triftei, wo nicht auf einem Sitar außgefteHt fein! SDer (S^ronift
de monte sereno foH Äontab geheimen haben, er Bezeichnet
ebenfo gang allein fpartenfitdjen im bayerifchen ^odjlanbe alß
ben Drt, biß wohin unfer Batbatoffa auß 3talien h^außlam,
um nom Bayetljergog Heinrich bem Böwen bie IReichßhitfe gegen
bie SBalfchen in Snfpruch gu nehmen.
2)er Sranßyort gut See wie gu Banb ^atte immerhin
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Schwierig! eiten; unfere SRittheilung übet bie Ueberfutjr bet ©e»
beine beS Äreugrittere ganbgrafen gubtoig oon Shnringen oon
Gppern »eg macht bteö anfc^autt<^. Shemiftoflee ©ebeine
»utben burd? Sreunbe oon ÜRagnefia, »o er in Verbannung
ftarb, heimlich nach SUtifa gurütfgebracht, ba e8 öffentlich nicht
gefächen Durfte, wie ©otneline fRepoe fchreibt. 2)ie[e .peimlich*
feit »ar auch angegeigt, falle bet com hoppelten Vannfttabl
getroffene Jfaifet Sriebrich II. bae jfnodjengerüft bee großen
Slbnen gu Schiffe nehmen hief): gilt boch ben Seefahrern bie
heute bet Sraneport einer Reiche für fturmerregenb.
S3ef<baut man ft<h ben ÜRauerfaften, »ie er nad) oollen 700
3abten ungerftört, ungetbrocheu noch bie ©ifenftifte im 3nnetn
haftenb geigt, fo macht bie6 allerbinge ben ©iubrucf ber forg*
faltigen ^erauenahme bet barin aufbewahrten gäbe. 2Bir fielen
merfwütbig auf bem 23 oben ber SJlelfartinfel, benn gleich baneben
einige Schritte rechte tieft ftch im SRaturfeie eine nod) eßenhoch
mit SSaffer erfüllte Kammer, ein Äanalgemölbe »on oiergehn
fPif gange, acht Vreite unb »ier £öhe aue, bae gewif} gum
©antharue ober SReinigungebrunnen im Vorplafc ber 23afilifa
bee fpaulitiue gehörte. 3) er Duerbalfen ber Äirche mit bem
bteifachen @hor nimmt biefen fRaurn ein, nachbem nicht mehr
»ie in ber erften 3eit ber ^riefter 9lngefichte ba ©emeinbe
celebrirte, fonberu iht ben {Rücfen gufehrte unb gegen Dften ge=
»anbt bie Verfammlung hinter fich h«tte. 2)urch biefe S3er*
fefcung bee SSltare ift auch ber alte Saufbrunnen auf ber rechten
ftatt linfen Seite.
2Ber »eifc, ob bie erfte 23afilifa mit ihren prächtigen
ägpptijchen Säulen nicht getabe bie Stelle bee ßJtelfartheilig*
thume ober tprifchen $erafleetempele einnahm, an welchen
Karthago ben Sehnt ablieferte. So noch in ^jannibal’e Sagen,
ber hier lanbete unb feine Sd)ä£e in Säulen gofj, »ie ee fchon
bamaie ^ie^. @t galt bereite für ben älteften Sempel, benn
£erobot erfuhr oon ben *J>rieftern, bah er 2300 3al)te oor feiner
Seit, b. t. 2750 o. @h-r gegrünbet »orben. 23on ben Seifen im
XIV. 330. 4 (693)
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SReere Ijat ©ut ben Flamen, bal bie ©rieten in j£pru8 übet*
festen, unb Don l)ier ift bie Benennung ©uropa’l aulgegangen:
e! ift bal gaub bei ©tebol ober Sonnenuntergänge!, ©teb
heißt nämlich Stbenb. SBon hie* mürbe ein £t)eil bet Reliquien
bei ©ottel nach ©abel überführt, bal biefelbe Sage h<*t unb
einet mit fdjmaten SBaufce an bet Urfunbe hängenbeu 'Petfchaft
gleicht. ^emponiui 9Rela III, 6 fchreibt: „2)aß bu bie hei*
lige (Äabel) ßeißeft, rührt oon feinen bort beigejefcten
(Gebeinen". ©abel mar aber auch ©abit genannt, roeü el,
mit bem iRofenfaben umhegt, ein unzugängliche! $aram befaß,
©ein ©ott feiert all £u«gabarn in bet celtibcrifdjen äBelt feine
Sfuferftetjung. 35ie phönigifche ©ultur fteht bem ©hriftenthum
Dielfach nähet all bal 3ubenthum; menigftenl fennt fDldjel feinen
geftorbenen, im ©rabe tubenben unb auferftaubenen ©ott, autb
feine älltarreliquien. S3om £eraflelgrab in £prul aber galt,
mal Sudan oom äftartetempel gu ©pblol melbet: „@rft begeben
fie bie üJipftetien bei »Äbonil fäbrlicb mit lautet SSehflagen,
bann opfern fte ii)m all einem lobten, bei folgenben Sage!
aber jagen fte, er fei miebet lebeubig gemorben unb fchitfen ibn
gen £immel". 2)al §eft bet Üluferroecfung ging aber in 'Phi*
ni$ien nicht ju Öfter«, fonbern in bet fünften Sageijeit tot
fidb- SBit ergäben bie®, um bie ©ebeutjamfeit bei Ortei flat
gu machen, mo Satbaroffa fein ©rab gefunben. 3n Jptul
fann man IBorftubien zur biblifcben ©eniftl machen, benn hier
ift ppgmalion bet SfRenjchenbilbner gebürtig, hier Slthama! bet
SRann bet Äabmultochtet 3no tjeimifc^, bie ihren ©ohn üReli»
fette! in ben fiebenben Äeffel marf unb inl ÜReer ftür^te. iSion,
meldje bie erften 33aumfrüchte foftete, heißt bie ©emahlin bei
ttjrijchen ptotogonol — &bam Äabmon. SDie ©noftifer faßten
ben Utmenfchen Stbamal mannroeiblich auf, mie bie 33ibel
not bet Trennung bet SRippe ben Dtbam. ienophon bietet
nach Pliniul VII, 49. Siemerfung im Periplul bie Ueber«
liefetung, bet 3nfelfönig Don Sptul ^abe 600, fein ©ohn 800
3ahre gelebt.
(SSW)
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51
©o urweltlid) ift Ijier 2tHe8. 5)em beutfdien Äaifer tpat
man an, waB non ben alten ©öttern erjagt wirb. ®iobor
melbet, III, 162: „9tod) gel)t bie (Sage non einer britten ©eburt
beB üDionpfoB, ben bie Grbenföhne gerfleifcbt unb gelobt,
üDemeter aber, inbem fte bie ©lieber wieber gufammenfefcte, non
neuem geboren habe". 35et ©ott non 9lpfa fyiefc banon 3^9*
reuö, „ber Setftürfte*. @o ift eB bie Sgpptifdje 3fi8, welche
bie ißartifel beS non SEnphon unb feinen ©efellen jerhadten
?srohnleicbnam8 ihteB DfiriB fammelte unb bae fef)lenbe
©lieb mit $el} ergängte. ©benfo »arb ber ©otteBfohn ^)oru8
üJtaneroS in ^artifel jerfleifdit unb fein Seib gum ©ebäd)tnif)mahl
berumgereid)t ('JMutarcb 38. 17). SEpro, bie ©tabttocbter, fonft $e>
rafleB (HJielfartB) ©eliebte genannt, hat non ©retheuB (Äreta ift ©o»
Ionie) ben Stefon gum ©pröfjling, welchen ÜJiebea, ba er ein
©rei8, in ben breifüfcigen ßauberfeffel geworfen, bie aud)
ihren eigenen ©emaljl 3afon gur SBerjüitgung fd)lad)tet unb
focht, bagu ihren 33ruber SHbfprtoB gerftiicft. Sud) ^eliaB SEöd)ter
fod)en ihren Später gur SBiebetbelebung, aber fötebea, bie Reiterin,
lafjt ihn unerwecft 1 2).
©rfaffen wir ben anthropologifdjen Moment, fo wirb nur
non ©öttern unb Halbgöttern ergafylt, wa8 mit ben
5Renfcben, gulefgt nod) mit Sarbaroffa gefdiah, inbem
man ihre Änod)en ale SPebingung ber Sluferftehung nom net*
weSlid)en ftletfd)e gefonbert. H*er fehl* blofj nod) ^et 2runf auö
ber ©tirnfcpaale, wie ber Slttabeg Soghtefin au8 bem ©e^irn*
becfen be8 nach einem unglücflicben Treffen bei 2ibevia8 1108
non ibm erfdilagenen ffteffen Äönig 33albuin’B I. feinen ©miren
Sein frebengte. 2)a8 war aud) beutfcbe ^g>elbenfittc, unb man»
cbeB ©ranium in ©afrifteien, worauB man bem Sßolfe @t. 3o«
banneB ©egen bot unb bietet, mag bafyer ftammen. $ber non
bem nach ©peper tranBportirten gtofjen ©taufer ift nach bem
©ergeidmiffe ber im $>om ruhenben Äaifer feine ©pur, aud)
wie 23ifd)of Haneberg mich wieber^olt fdmftlicb nerficherte, nicht
eine leife Ueberlieferung, obwohl leine ©emahlin SPeatrip bort
4 * (695)
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52
rußt. ©in glüdlicßer 3ufaß fönnte bod^ auf bie ©ebeine führen,
ba flc hoffentlich noch ejcifttten; {ebenfalls wiffen mir in golge
biefet Uuterfudßungen jeßt meßr al8 bisher »on bem merlwüt*
bigen @d)icffal bet Äaiferleidhe. Sludh ben Hellenen ging eS
nicht beffet. Ohne $)elop8 Schulter fonnte SEroja nicht et*
obett werben (fo alt ift bet fReliquienglaube). f>biloftet foU fie
»on bort jurücffyolen, fdljeitert jeboch bei ©uböa, worauf ein
giftet »on ©retria, SDamarmenoS, fte in fein fReß bringt unb
an SDelpbi gurüdfteOt. Slber auch ?>ifa im ^eloponneS rühmte
[ich be8 f)aHabiumS ber Schultet be8 |>ero8 in eherner Sabe
gum SBahrgeidjen, wenigftenS »or §)aufania8 3eit.
Deutfdßlanb ftetjt bei bem SBerfuehe, bie ©rabftätte be8
großen ÄaifetS gu ©ßren 3U bringen, ja wo möglich fteh feiner
©ebeine gu »erfidßern, nicht allein, ©in Suftrum nach bem Sin*
tritt unferer ©jrpebition ift ein frangöfifcher Sngenieut inSEuuiS
eingetroffen, »on ÜJtonf. ßaoigerte, bem ©rgbifdhof »on Sllgiet
entfenbet, um ben 33au eines £oSpitalS unb fWiffionShaufeS
auf bem gubwigSßügel gu leiten, in beffen fRäße unfer feliger
greunb |>anebetg gu ^)orto Carina beim alten Karthago, ber
SEJochterftabt »on £pruS, eine beutfdße Slnftalt geftiftet hatte, aber
bei ber Ungunft ber 33erßciltniffe unb bem ÜRißtrauen ber Araber
t»ieber abgog, SBidenS fie nach ©onftantinopel , eoentueü, wenn
ihn ber 5Eob nidht »»eggerafft hätte, nach SEptuS ober 9)anea8
gu »erlegen. £>et ^ügel, auf »»el<hcm 8ubwig IX., bet#ei*
lige, als leßter föniglidher Äreugritter am 25. Sluguft 1270
»erfcßieben, würbe am 8. Sluguft 1830 »on puffern 23ep an
ÄönigÄarlX. »on granfreicß abgetreten, 8oui8 Philippe
ließ 1841 bafelbft feinem Slßn eine Äapeüe errichten unb beffen
fföarmorftatue barin aufftellen. ®(eidh»iel, ob ber ißunft bie
Jartßagifcße SBptfa ober äfropoliS ift ober nicht, »erfolgt bet
SRetropoIit ben 8ieblingögebanfen , bie unfeheinbare Äapeüe
burdh einen monumentalen SDom gu erfeßen, unb nach frei*
willigem 3ufammenfchuß eines ^heilS bet ©elbmittel 1877 »om
33ep perjönlich ben günftigen ©efdßeib 3U erholen.
(696)
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53
©egenwartig »eiferen ein paar italienifdje grangisfanet ba
lateinifdje ,£>ofpig in StnruS, wadfere fDiänner, bie bem
SBclfc gugleidj ärgneien fpenben. {RidjtS wate letaler, als in
bet SRanärah im linfen ©hDt ben am läugften beftanbenen Slltar
wiebet aufguricpten, nnb, fei e8 burch einen beutfcpen ?)ater, ba8
Slnbenfen ©arbaroffa’S burch ein Libera unb De profundis,
{Requiem obet Jobtenamt 5(ngefi<ht8 feinet ölten ©rabftdtte er«
neuem unb fortfeiern gu laffen. 35er Orient hält für heilige
Pflicht, bie ©rdber großer Könige, ber Patriarchen unb Pro*
pheten gu erbauen, unb gu ben ©rabtempeln unb SföelpS gu
pilgern; auch 35aoib gilt für einen {Rebp, unb ©atbaroffa ift
unfer Prophet. 5Rahe liegt e8 fürwahr, bafcbaSbeutfcheSReich
fidh ba8 Serrain ber SJionärah abtreten laffe! @8 ift
für unfere Station ein ^etltijcr ©oben, unb im ©runbe
hoben wir fchon bie .Jpanb batouf gelegt, inbem all bie 3n«
fafcen auSgefauft unb bie ©inbauten im fRatnen oon jtaifer unb
{Reich bemolirt worben jtnb.
3«h fptc^e \)\et bem wacfern beutfcpen ©encralfenful $he*
oborSBeber in ©airut unb unferem ©eBollmädhtigten am ^ofe
be8 ÄaiferS uon 5Raroffo, meinem alten greunbe unb ©önner
au8 ber Beit meines erften Aufenthaltes in Serufalem 1846, für
ben geleifteten ©ciftanb öffentlich ben SDanf au8. {Reben ihm
hat ber auf bie Araber in unb um SfcpruS über mächtiges 3ln=
feilen gebietenden ©ffcnbi Suffuf ibn SRamluf un8 fräftigen
@c hufj nerliehen. @t ift ber ©nfel be8 helbenmüthigen Sürlen*
agaS bei der ©ertheibigung 3ean b’Acre’ö gegen ©onaparte
unter ISchmeb Pafcha, beffer befannt unter bem {Ramen SD f dse^*
gar, ber ©djlächter, welcher einft bei einem ©olbatentumult ben
©djulbigften in ©tücfe hQ“en unb im SRenagefeffel -gcfoc^t
©tücf für ©tücf fammt ber ©rühe durch bie Aufrührer gut
©träfe freffen lieh — bis auf bie Änochen? — 3<h ha&c auch
als ©ielgereifter eine ©olbatennatur unb meine feften ©lieber,
aber nie eine ftarfere Sauft gefühlt, als fo oft 3uffuf tflga gu
unS in bie ÜJianärah Tarn, ben gortfdjritt beS SBerfeS gu be=
(«97)
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54
fdmueit, bie SRed^te auf bie 33ruft legte, unb bann gu Sippe unb
©tirn fuhr, um bie Steinzeit feiner ©eftnnung, bie SBaljrfyeit
feiner SBorte, unb bie {Reblidjfeit feiner ©ebanfen, fpmbolifth
auSgubrütfen, unb wenn id> bann ihm bie ^>anb brüdte.
iBbgefe^en non allen fjiftorifdjcn Erinnerungen befijjt $piu8
noch feinen fibonifdjen ^>afen, unb nadjbem bie Uelegrapheii*
ftaticn tefteljt, wirb auch bie Slnlänbc für bie SDampf boote
halb bngufommen unb ein Heiner ©tapelplaf} für jlauffartei*
fdjfffe nidfjt auSbleiben. ©d)on fdjwirrt bie Slbtretung oon
9!leyanbrette an Englanb nadi beffen 39eftfcnahme oon Eppern
burd) bie guft, unb wirb, wa? nid?t auSbleiben fann, non bort
mit britifdhem ©elbe bie 33ah n burdh bie SBüfte an ben Eu*
pl)rat geführt, fo bürften bie ©eeftäbte an ber fprifdhen .Stufte
unzweifelhaft mehr geben befommen. ES fcbeint ber beut*
fcben Station wütbig, b i e § Äaifergrab nicht mehr au?
ben 31 u gen gu o edieren. SRöglid}, bafs mit nädjfter 3eit
eine Eolonic an bcm fParabiefeSbrnnnen be? o Ijen liebed
4, 15, nun {Ra8 el 3tin, fid? anpflangt, wie bie beutfdjen
£err.pelcbriften oorljaben.
2)ie ÜRanürah wirb einen würbigen öefif? bilben, wie ba8 1869
burd) ben mächtigen Ärenpringen beö heutigen 3R eid^eö
angetretene Jpofpital ber Johanniter in Jerujalem. Johannes
oon SBinterthur fafet bie Hoffnung aller üDeutfcbgefinnten ba*
maliger Beit in bie SBorte eotl religiöfer SBeihe: „kommen
wirb unfer £eitanb, ^riebrid), in gewaltiger SRajeftät unb bie
oerrettete Äirdjc reformiren. Er wirb fommen, benn er mu|
fommen, unb wäre fein ge i b iu taufenb (Stüde ger*
fd)nitten, ja wäre er gu IBfdje oerbrannt; benn e8 ift im {Ratlje
©otteS alfo befdbloffen. Sßenn er 9llle8 oellbracbt, wirb er mit
großer 9Rad)t über ta§ SOteer giehen unb auf bem Oelberg ba?
{Reith nieberlegen." So ber SRinorit, bagit ber Springer Ehre*
nift: „2Ran mepnet wol, ba8 oor bem jüngften tage epn mecb*
tiger SteiGger ber Ehriftenljeit werben fülle, ber frebe machen
fülle enter ben fürften, onb bann full oon üm epne meerfahrt
(6$ü)
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55
»erben, onoe ber fülle baö fyeiligegtab gewonnen, onb ben nene
»an grefceridf nmbe frebiS willen, ben fyer machet, op fycr nid)t
a4o getueffet ift."
„9tidjt nur DtigeneS, fonbetn aud) griebrid} Bar*
baroffa liegen in ber Itatljebrale üonJpruä begraben",
fdjreibt fPococfe 1738, na$bem er bie grofie Äirdjrnruine mit
brei Skiffen ge]d)ilbert, bie in .palbcitfel auälaufen. Suf bet
$Rorbfeite falj man ned) Strümmer beä et$b. ^atafteS. 3a et
lä§t ben Äaifet »egen ber ^ladjbarfdjaft ber ©rabftatte im glufjc
©abmp, ben bie bReifenben gemeiniglid) ©aftmir fyiefjen, umfom*
men, inbem er com »Pferbe fiel unb burd) bie Schwere feiner
■©affen unterfitnf. 9lad) bem lebten großen ©rbbeben in 2pru8
am 9leuja^r8tage 1837 oerbreitete fid) in ganj Sprien baö @e»
rüdjt — .pett ©eneralfonful 3Beber ift mein 3euge unb er*
ftattete felbft bem IRcicbSfangler^mte Bericht: babei fei Äaifet
Barbatoffaä golbene Ärone auS bem Beben ber 5Jta*
närafy in Borfdjein gefommen! Seltne Sagen entfpringett
au8 bem 3nftinfte bet Böller, fo oft ein ©enbepunft bet Beiten,
eine neue Periobe in bet ©eltgejdjichte eintritt. —
^mnrrHnugen.
1) £>epb @efd). beö €i»antet)flnbeld I, 343. 353. 36!*. f. 338.
2) Recueil des Historiens des Croisades. II. Par. 1859 137. ©oer*
gend 'Urab. Ouellenbeitr. SBerl. 1879. I, 13 1. 136 f. 139. 155. 1 59. ‘3 70.
S'] S3gt. ßibliotheque des croisades par Michaud-Reinaud IV. 489. 499.
4) . Viaggio di Gerus. 1587 ©. 315: I corpi dei quali (martirizzati)
ui riposono, et parimente quello del gran dottore Origene, posto nel muro
dietro l’altar grande della Chiesa, chiaroata il S. Sepolc. L’lmp. Federicoi,
che mori nell’ ispeditioue della terra s. similinenti ui e sepelito. Sie
Xetailangabe ift ben 'Jtotuen über 2ltitiod)ia nadjaebilbet; ber '.Hutor be»
mäntelt bantit, baß itjm bte eigene 'llnfdjauuttg fefjlt.
5) Stelle Auteurs occidenteaux des Recueil des historiens des croi-
sades. 1859. III. — L'estoire d'Kraclcs beiß! ber Ütel ju_föl)ren bes
3erufületii’6robererd .^eradiub. Xen 3"l)olt btlbet bie Wefd)id)te bed
heil, t'anbes in attfran^öfifdier Spradje, alb SSeriafier finb mehrere, jeben*
falls in Sprien anfäffige, fränfifdje Diitter anjufehen. Xie puelle entgalt
biele fjödn't roertljDolle Angaben, namentlich in Bejug auf bte fränftfd)*
fprifepen !üerl)ältttiffe.
6) Ar-raudatain, „bie beibett Glärten" 3. 148. 1 8 1 . 185. Gioergend
129. 144. 146. — 7) SRöhrid)t jttr <J5eid)id)te ber Äreujjüge II. 225.
8) Conductus aquarum. Roziere Cartul. ©. 4. 25. 56.
9) Roziere Cartul. ©. 25. 31 138—230. 3d) berichtige fofort ben
folofialert 3rrtl)Um 3. 140: Concedimus eis ecclesiam beate Marie, qua
(099)
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5G
Tvri prima fuit sedes, salva nosire matricis ecclesie dignitate. 2) er
Btabonnenbienft rüßrt erft aus bem VI. gaßrß. (wenn mir oon Bteledjet
IBelifanta, ber ßeibnifcßen £immelsg6ttin aller Runter abfeßeti). Sie
äflforte: que Tyn prima fuit sedes gehören an ben Scßluß! Sie giliale
fonnte bocß nie matrix, unb $aulinus«!8au nidjt itaiß Btaria Reißen.
10) Sluö jwei je jtoeifßlbiaen SBörtern befteßenb müßte ber pßönijifcße
föigennante minbeftens brciooralig gefprocßen roerbett; für melekkiret ift
felbft bie Bunftion unrichtig.
11) Bolnet) berid)tet, Seife nad) Sqrien II, 159: „SaS merfwür-
bigfte ©ebaube oon Sur ift ein altes ©ernäner int Süboftwinfel. (£$
mar eine djriftlidje Äirdje, maßrfcßeiitlid) oon ben Äreuafaßreru erbaut,
inbeß ift nur ber ßßor noch übrig. Dtaße babei liegen unter einer ffllaffe
oon Steintrümmern jtoei fcßüne Säulen mit einem breifad) eit guß-
geftell oon rotljem (Granit, beffen ©attung in Stjrien ganj unbefannt
ift. Sfche^ar, ber alle llmlanbe ausplüiiberte um feine fDlofdjee in
Slffa ju fcßmftcfen, toollte and) biefe fortfcßaffen l affen, feine Sngenieure
aber fotmten fie nidjt einmal beroegen. ^unbert Sdjritte ootn ißor ift
ein eingeiaUener ißurm mit 15 bis 16 (fuß tiefen Sruitnen, bas SBaffer
hält jwei biö brei guß unb ift baS befte an ber gangen Äfifte. 3nt
September benterft man bie fottbcrbare (Srfcßeinung , baß es fidj trübt
uttb einige Jage rötßlidjett Jßon abfeßt. Sann feiern bie Ginwoßner
ein großes gett, befucßen in Blaffen beit iüruttnen nnb gießen einen
(Sinter Seetoaffer ßinein, bas nad) ißrer Bleinuttg bie Äraft Ijat, baS
Cuelltoaffer toieber flar unb ßell ju uiadjeit."
1?) Stießt flaffifd) oorgetragen, aber in 'Dtärdjeti lebt ber beutfcße
(Glaube an bie Sluferfteßung aus ben erßaltenen Änochenreften. So
fdjneibet im Bruber duftig St. Bieter an Sonar’S Stelle alle ©lieber
beS Jobten loS, wirft fie in einen Äodjfeffcl, bis alles gleifd) oon ben
.tlnodjen gefallen, nimmt bas toeiße ©ebein IjerauS, breitet es über eine
Jafel uub reißt ©lieb an ©lieb. Stuf fotßanen breimaligen Stuf: „Jobter
fteß auf!" erljebt fidj ber ©eftorbene jung uitb fcßön. 3m giidjeroogel
erßebt oon brei 3u,tgiranen bie jüngfte bie jerftüdten ©lieber ißrer
beiben Scßweftern aus bem sölutfeffel, legt Äopf, Sinne, Stumpf unb
SBeiit in natürlicher Orbnung, unb fie fcßließen fidj xu neuem lieben an-
einattber. 3"1 'Btärcßeii oom Biadiaubelbaunt fummelt Blarlenicßen, nacß-
bent bie böfe Stiefmutter Brüberdjeu gefchlacßet, gefodjt, uub bem Sater
riitn (fffen oorgeießt Ijat, bie Änocßen alle unb oergräbt fie im feibenen
Jucß unter bem Bladjanbelbaum, worauf baS Brübercßen unter Sonnet
unb 23liß wieber erfteßt. JrenloS oerleumbet wirb bie fd)üitc £nlb,
Äönig Offa's II. ©emaßlin in ben BSalb ßinauSgefüßrt unb ißre Änäblein
getöbtet; aber ein SBalbbruber fügt bie jerftreuteit ©lieber jufammen
unb belebt fie mit bem Heießen beS ÄreujeS (Jßors Jammer), Siefelbe
löebeutung ßat bas erbleidjte ©erippe im BJärdjeu ber Ungarn (wo ©ifen*
laciS Scßulterbein oerlorett geßt), bei ißolen unb SKauadien, wie im
fiunifcßen üpos Äalewala ber .yelb Semminfainen im Sobteureidje Suo-
nela uingefommen, gerftücft unb in ben Jobteitfluß geworfen, aber oon
ber Btutter aufgefifcßt wirb, weldje ben Soßti wieber gufammenfeßt,
Äuodjen an ilnochen, ©lieb an ©lieb, unb er lebt wieber auf. (Btann-
ßarbt ©erman. 'Dhjtß. 63 f.) — Sie fRabbiueu taffen auS bem unoerweS-
Iid)en Jüeiudjen kJ u 6 im tRücfgrate bei ber Üluferfteßung bes Jobten ben
^etb beS Btenfcßen neu aufgebaut werben. Jalkut chadasch fol. 1 42, l.
5Hus ißm wirb woßl and) 3ödfoa gebilbet feilt! ^leußerft inerfwürbig ift
bie Borausfeßung ber (Jngelberger Slnnaten: „35a würbe ber kJeib ^beö
ÄaiferS auf einer Jragbaßre) natß 'Untiocßia gebradjt, unb baS Scßul-
terbein nebft einer Stippe jngleicß mit ben (5 ingeweiben (Y) bafelbft
ber (frbe übergeben."
(700)
Drud »ca ®«br. llnjcr (Sß. (Stimm; in Ctrlin, £(tän»bftßfr)tr. 17«.
S/imbeinhölile
Hasenmuscheln
Kedbeinhöhle
obere Hachcnhohle
Gaumensegel
rechte Mandel
mutige
Kehldeckel
Stimm bänder
Kehlkopf kuorpel
Luftröhre
Speiseröhre
ÜHircfyfcfjnitt in ber SDlittellime beö mettfdjlidjcit Äopfeö unb £ialfeö
(ved)tc .ftälfte).
K
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menfcpcfte
Mmm- uttb 5vradj-©C0an.
'gTorhrctcj,
gehalten am 23. gebruat 1878 im gvauenbilbungß* herein ju
granffurt a. 9K.
»cn
Dr. Jllrtj firfsgttt,
Slrjt für Setlfotfs SRa^cn* unb Dtafen» Äranfc bafelbfl.
9)iit 14 .^otjfdjmtten.
ßcrlin SW. 1879.
23er lag uon 6a tl £>abcl.
(«f. «ff. l'übmtj’sd)! UfrlagsbadjtjaaiilLing.)
33. ©ilfcdoi . Strafe 33.
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3)aä Medjt ber Ucbcrjcfcung tn frcmbe ©pracbcn mitb corbefyalten.
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^2Jie Sprache ift etwaß fo SBidtigcß im mcnfdjli^cn
£eben, baß eß fidß »ol?l »erlernt, wenn man, »enigftenß im
Allgemeinen, biejenigen Organe, welche Stimme unb Sprache
entfielen taffen, fennt, fowie mit ihren Serridj tungen unb ben
Sebtngungen bet SEon* unb gautbilbung einigermaßen uertraut
ift. 3dß »iH ^ier »erfudjen, in mßglidhfter Äürje fowoljl ben
Sau unb bie Serricfytungen beß menfchtichen Stimm* unb
Sprach orgaueg, fo»ie auch Sßefen unb Sübung bet Stimme
unb Spraye Kar ju machen.
SDaß Stimm* unb Sprach* organ feßt ft<h 3ufammen auß
bem Keßlfopfe, als bem SORunbftödfe, auß bet 8uftrößre, als betn
SBinbroßre, unb auö ber (Rachen*, SRunb* unb fttafen^ßßle, als
bem Anfaßroßre. SRunbftüdE unb Söiitbroljr bringen bie ©tim*
me, unb beibe Dereint mit bem Anfaßrohre bie Sprache ßeruor.
SBir Dergleichen bie unferer Setraehtung unterteilten Organe am
beften mit einer Orgel; nur ift unfet Stimmorgan »eit Doll*
f ommener als biefe : benn »it bringen auf einer einzigen pfeife,
bem Keßlfopfe, alle jene oetfdjiebeuen SEonhßßen unb Klangfarben
hetoor, welche bie Orgel nur mittels ißrer gasreichen pfeifen
jum Streit 3U erzeugen im Stanbe ift. hierbei muß jeboch feft*
gehalten werben, baß ber Sergleich unfereß ©timmorganeß mit
einer Orgel ein leineßwegß praegnanter ift: man Dergleidjt eben
in ber Serlegenßeit, ganj (Paffenbeß nicht ßnben ju fßnnen, Un»
crflärteß mit bem am meiften ähnlich Srfcheitenben, um fo gurn
»enigften ein einigermaßen richtiges Serftänbniß 3U et3ielen.
XIV. 831. (705)
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33et>or wir nun beit Äetylfepf felbft betrachten, ift eS Dottbeil*
h®ft, gunächft baS 2öinbtol)t mit beit Zungen, fobann baS 9fn*
fafjrobr in feinen eingelnen Steifen in .ftiirge gu befpredjen. —
©a8 SBinbroljr ober bie guftröfyre tft ein im 33orberljalfe unb
in bem oberften Sbeile ber Sruftböb^ gelegenes elaftifdjeS Stofyr,
beffen hintere SBanb ber Speiferol)te eng anliegt unb wie biefe
auS einer befynbaten unb gufammengiebuugSfäbigett, mit ÜJtuSfel*
fafern rerfe^enen £aut befteljt. ©er übrige Scheit ber Luftröhre,
alfo bie Seitenwänbe unb bie Sorberwanb ift gum größten Sbeile
fnorplidjer Statur, fo gwar, bafj borigontal fid) auf eiuaitber
reifyenbe fdbmale Knorpel ftreifen, welctje eine grofje (Slafticität be*
fifjen, non mit 9Jtu8felfafern burdjfefjten £autftreifen non ein*
anber getrennt werben. Sniterlidj ift bie Luftröhre, wie Äet)!*
fopf, fftafe, 9Jtuubl)6l)le, Zungen mit einer @d)leimbaut über*
gegen, beren Sdjleimbrüfengebalt ein geudjtbleiben ber glädje
ergielt. 5Die gortfefjung ber 8uftrefyre ftnb bie 2uftrö^renäfte,
welche immer feiner werbenb, fdjliefjlid) il)ren (Snbpunrt in ben
fogenannten 8utigenbläScben finbett. ©er gange butcb biefe Ser*
äftlung ber ?uftrö(jre entftanbene Körper ftnb bie beiben 8uugeit,
welche als 8uftreferooir bem SBinbro^re bie gut ^ternorbringung
ber Stimme notfjige 8uft gufü^ven. — @be wir nun in ber
anatomifdjen Sefdjreibung weiter geben, möchte i<b nod) etwas
eingebenber bett S3ergleich mit ber Drgel auSfü^ren. Um einer
Drgel Sone entlüden gu fönnett, mu§ oor üttlem bnrdb Steten
beS SlafebalgeS, weiter im SDtenfdjen burdj bie 8ungen bar*
geftetlt wirb, bet fogenannten Sßinblabe — einem ijermetifd)
gefdjloffenen SRaume — 8uft gugefü^rt werben, ©abutdb nun,
bafj burd) baS 9lufgieben ber 9tegifter unb baS 9Heberbtüdfen
ber Saften entfpredjenbe klappen ber SBinblabe geöffnet werben,
ftromt bie bort angefammelte 8uft in bie betreffenben pfeifen
unb bringt hier bie gugeberigen Sone Ijernor. ©ang ähnlich
erhält eS fid? beim SKenfdjen. Bnbem wir burd) Bufammengietjung
unferer $tbemmu$feln, inSbefonbere CeS BwerdjfelleS, ben Stuft®
(706)
*
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7
forb verengern, unb baburdj bie Sungett gufammenpreffett, treiben
wir 8uft au§ bern ©lafebalge, ben Zungen, in ba8 SBinbrohr,
bie Suftrßljre, an berem oberen ©nbe ber Suftftrom in ben Kehl»
fopf unb an bie ©timmbänber, unfere einige pfeife, gelangt.
3nbem wir ferner burd) unfemt SBiHen auf bie SReroen unb 9)Ru8’
fein be8 KehlfopfeS unb be8 AnfafjrohrcS einwirfen unb fo biefc
ftimm* unb fpradjergeugcnben Drgane in »erfdjiebene ©paunungs*
juftänbe unb Stellungen ju eiuanber bringen, erzeugen wir
Jone »on oerfcbiebener ^>o^e, ©tärfe unb Klangfarbe, fowieleine
fBtenge eigenthümlicher ©eräufche.
SRadj biefet fleinen Abfdjweifung feljren wir wieber gut
Anatomie unfereS ©egenftanbeS gurücf. 2)a8 Anfafcrohr, beftefjenb
au8 bet JRadjen«, SJtunb* unb 9Rafenhöhle , ftctlt einen untegel*
mäßigen, aber beiberfcitS fpmmettifchen, mitoielfad)en23orfprüngen,
Jrennuttg8wänben unb Abteilungen oerfeljeneit ^o^lraum bar.
Sie JKatenp^le ober ber ©djlunb »erläuft ber »orberen §läd?e
ber SBirbelfäule entlang unb fetjt fid) hinter bern Kehlfopfe in
bie ©peiferohre fort. SDie SOtunb* unb 9^afent?öl>le gehenf »on
ber SRathenphfe in berem oberen Jljeile faft fenfrcdjt nach oorne
ab. $)iefe beiben fohlen finb burd) eine Ijorigontale fnödierne
SBattb, ben Ijarten ©aumen, in ihrem oorberen Abfchnitte oon
einanber getrennt, fo baf) bie SRafenhöhle übet ber 9Jiunbt)öhle
liegt. 9tach hinten ftehen fie burdf bie 9iachenhöhle mit einanber
in 93etbinbung, inb'em ber Abfchlufj nur butd) ein bewegliches
^autftücf, ben weiten ©aumen, in beffen fDtitte ba8 3apfchen
frei her unterhängt, bewirft wirb, fobalb bie tu biefem fogenannten
©aumenfegel etngelagerten 9Ru8feln »on ©eiten be8 SReroen«
fpftemS bie erforbetliche Anregung erhalten. 33ei erfchlaffter
SDRuöfulatur be8 ©aumenfegelS hängt biefeS gerabe herab unb
berührt bie 3unge; e8 bilbet aisbann bie hintere SBanb ber
SDRunbfjöhfe «nb ben Abfchluft biefet gegen bie SRachenhöhle-
Seitlich grängt ba8 ©aumenfegel an bie beiben ÜJtanbeln. SBefent*
liehe Jheile ber SDRunbljohle finb noch bie 3unge, bie 3üh«e, bie
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8
Sangen unb beren ben Munb bilbenben Slänber, bie Sippen. —
2)ie üftafenhohle wirb burdh eine {entrechte, non Born nach hinten
giehenbe Sanb in gwei Hälften geteilt. SBeiberfeitö finben fidb
brei Mufdheln, bie untere, mittlere unb obere. SDie fftafenböhle
fowie bie hinter il)r liegenbe unb bort audj mit ihr in 33er»
binbung ftehenbe fRadhenhöhle reifen bt8 gut unteren Sdhabel*
flache.
9ladh biefen SluBeinanbetfehungen wirb man ohne SeitereS
finben, bafj bie 9iad)enlj6l)le ober ber Sdjlunb ber gemeinfame
Seg für bie ein* unb au8geat()mete Suft, fowie für ©peifen
unb ©etränfe fein mu§. $m unteren ©nbe ber fRadjenhöhfe
t^eiit ficb bet Seg, inbem ber Borbere ftane Schlauch ber Suft,
unb ber hinter biefem gelegene, wäfyteub bet ©d)lingpaufe Bon
Borne nach hinten gnfammengebrüdfte, ber Nahrung gum JDurcb«
tritte bient. — Serfen wir, beBor wir weiter gehen, nod>
einen 33Hcf auf ba8 fo mannigfach geftaltete Slnfafjrobt gurücf,
fo treten unS fofort bie gafylreidjen ^emmniffe, welche bie im
Äehlfopf entftanbenen £6ne auf ihrem Sege gur Säufeenwelt
pafftren muffen, Bot Singen. Sag Sunber alfo, wenn bie
menfdblidje Stimme als folc^e in ihrer urfprünglidjen Feinheit
nicht an unfer £>hr treten !ann! Senu^t bet Menfd) unter 3u»
hülfenahme ber gugehorigen MuSfuIatur bie Bielen ^inbernijfe
be8 Slnfa^rohreS nad) einem gewiffen Spftem, fo bilbet ftdj ber
Äehlfopfton, bie Stimme, gut Spraye um. ' 2)a gibt e8 33o!ale
unb Äonfonanten; ba gibt e8 ©aumen», Sippen», Sungenlaute
unb betgleidjen. Sluf alle biefe werben wir fpäter ausführlicher
gn fprechen tommen.
33etrachten wir un8 nunmehr ba8 ^auptorgan, ben Äehl«
topf. JDetfelbe liegt in ber Mittellinie be8 33orberhalfe8, bicht
unterhalb be8 UnterfieferS; beim Sptedhen, Singen unb Schlingen
tann et in ausgiebiger Seife gehoben unb gefenft werben; and)
ift eine feitlidje 33erfchiebung in giemlidh bebeutenbem ©rabe
möglidh, woburdj ändere ©ewaltthätigleiten leicht an ihm ab«
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9
gleiten. S3ei Scannern tritt er oft äufsevft beuilid) am £alfe
tjeroor, tote überhaupt ber Äehlfopf be8 9Jtanne8 f djärf ere Um«
riffe befifct, als bet toetbli^e; am meiften fpringt bie oorbere
.Kante, b. i. bie 2Jtittellinie , vor; btefen SBorfprung h«t man
SlbamSapfet genannt, — ein eigentümlicher 9iame, toie e8 ihrer
Kehldeckel
WRicujkiorpU
LuftTöhe/c1
jtttlbtituie
fftflur 1.')
Sie Äcfjlfopffnorpet unb oberen Stinge ber 8uftröljre oon born, burd)
©anbtnajje oerbunben.
noch niele au8 ben Äinberjahten bet Sföeb^iu in biefer gibt.
2) et Äehlfopf ift non mancherlei 3Beid)theilen umlagert, nach
beten (Entfernung man ihn be§ Genaueren unterfuchen tann:
nach unten hängt er mit bem oberen (Enbe ber Luftröhre burch
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ein ftarfeS elafttjdjeö 23anb gufammen; et befielt im SBefentlidjen
au8 fünf mit einanber betoeglidj oerbunbenen .Knorpeln Bon
fe&t Betriebener ©röfjc, gorm unb 23eftimmung. ©eine ©eftalt
ift eine jtoat unregelmäßige, aber beiberfeitS fpmmetrifdje; feine
untere Deffnung ift runblid} unb Heiner als feine obere, tneldje
Sigur 2.
Äeljtfopf ooji (jiuten gtfetjen, uadj Gmfernimg bet SDtuöfelu, mit ben
Änorpetn uitb Säubern.
fftnfecfig erfdjeint. Da 8 ganje .Knorpelgerüfte ift mit SDluSfulatur,
locferem 3eHgewebe unb ©djleimljaut befleibet unb erhält ßiet»
butdj bie ©eftalt eines Jurten 5iol)re8. 3n feinem oberen 9lb*
fdjnitte, gerabe Bon feiner uovberen SDlittellinie auSgefyenb, oer*
laufen beiberfeitS nad) hinten 3»ei ©eiueb 8 falten, welche ftaffel*
weife übereinanber liegen, unb non beuen ba8 obere ?)aar meljr
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fauliger, baä untere meljr {einiger Statut ift; ba8 lefjtere ift ba8
eigentliche Stimmbanbpaar, wetdje8 jut (S^eugung bet Stimme
von weientlidjem ©influfje ift.
3)a8 ganje ©erüft bei ,£et)lfopfe8 wirb vom fRingfnorpet
getragen, bet au8 biefer Urfadje autfy bec ©runbfnorpel genannt
Kehldeckel--
falsches Stimm band
Tasche
Knorpel-
<513111- 3.
Hai Äefjlfopfmuere von Ijuiteii gefeljen. ®ie t)intere Staub iu bev ®tittel=
littie burdjfdjirittett uttb beibe Steile auSeiitanbergetegt.
wirb. 6t fyat ofyne viel ^)^antafte bie gorm eines ©iegelringeö
unb fifct unmittelbar bem oberften Änorpelljalbting bet üuftiöljre
auf.
JDet gröfjte Änor^el be8 ÄeljlfopfeS ift bet ©cljilbfnotpel.
@t ftellt eine grofje längliche, beibetfeitß gleidjmäfjig gefdjweifte,
in bet ©litte gefniefte glatte bat, weldje an ihren vier ©den
(tu)
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I
12
je einen runblicpen 3npfen Ijat, berat beibe untere bie ©elenf*
»etbinbung mit bem Slingfnorpel bewerfjtelligen; bie beiben
oberen «erben burd) banbartige (Stränge mit bem unmittelbar
oberhalb beS ÄeljtfepfeS gelegenen , fyufeifcnförmigen 3nngenbeine
oetbunben.
Siffnr 4.
SMngfnotpel; a oort üorne, b üoit hinten.
Sigut 5.
Sdjilbfnorpel; öon üorne.
£)et widjtigfte Änorpel beö ÄeljlfopfeS ift bet ©iefjbeden»
fnotpel, welket paarig »ortyanben ift. 35ie alten Anatomen
fyaben biefem Änorpelpaare jenen feltfamen fRamen gegeben,
weil efl iljnen bei an einanber gelegten 3nnenfläd}en bem
©djnabel einet ©iefjbedenfaraffe, eines ^jenfelfrngeS, äfynlidj ju
fein festen. SDer einzelne Änorpel fyat bie ©eftalt einer brei*
fettigen 9)pramibe mit abgebogener ©pifee, welche, wenn bet
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Äefylfopf fid) im meufflidjen Äörpet beflnbet , nad) rücfwärtfl
jeigt. — Sluf bet ©pi§e ft$t bet ©antorini’ff e Änorpel auf. —
2)er ©iefjbecfenfnorpel Ijat jwei Soitfäfce, beten einer nadj oorne,
bereu auberet nad) aujjen unb hinten weift. ©r ift mittels
©eien!, welches non feinet concaoen SBafiS mit bem oberen
Stanbe bet Hinteren £älfte, bet glatte, beö StingfnorpelS gebilbet
wirb, mit biefent äufjerft beweglid) oerbunben.
2) et fünfte Änorpel beS Äef)IfopfeS ift wieber unpaarig;
eS ift bet Äeljltecfel, meldet in bet 23udjt, bie beim Sufanimen»
b
Sigur 6.
3ted)ter öiefjbecfertfitorpel. a oon tunen unb hinten; b oon oorne aufjen.
treffen bet beiberfeitigen glatten beS ©d)ilbfnorpel« in beffen ÜRitte
gebilbet wirb f angeljeftet ift. SBenn man ben Äeljlfopf aufjett
betaftet unb auf bem SlbamSapfel nad} aufwärts gleitet, fo trifft
bet taftenbe Singet unwidfütllf in einen ©palt; biefet ift bie
Sln^eftungSfteHe beS ÄefylbecfefS, melier in gwei auf einanbet
fenfredjten Stiftungen gewölbt unb oon oorne n ad) hinten be=
weglidj ift. 6t legt fid) beim ©flingen mit bem Hinteren
Steile bet 3uuge gemeinfam auf bie obere Deffnung beS Äel)l=
lopfeS, inbem biefer wcftenb beS @dj linfacteS, wie Sebet an fid)
felbft beobaf ten !ann, nad) oorne unb aufwärts fidj bewegt. —
2)aburdj bafj bet Sungengrunb beim ©djlingen fidj auf ben
Äel)l!opfeingang legt, refp. ber J?el)lfopf ftdj unter ben 3ungen*
grunb herauf fd)iebt, oetmag wäljrenb beS ©djlingenS baS ©enoffene
(J13)
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U
auch bann nicht in ben Äehlfopf eingubringen, wenn bet Äefyl*
bccfet fehlt ober »erlernt gegangen ift. SDlan hat lange geglaubt,
bem Äeljlbetfel fade währenb beß ©Chlingacteß bie Hauptrolle
beim Sßerfdjluffe beß Äeljlfopfeß gu; boc^ fyaben bie neueren
Uuterfudjungen biefe bem Sungengrunbe gugewiefcu. 9lu<h ift
man ba unb bort bet SSnfidjt, ber S3crfdjlu§ fceß Äehlfopfeß beim
Schlingen »erbe gum großen Stfyeil burd) ben ©d)lufj ber ©timm»
rijje mit bewirft; man Ijat bteß barauß f fliehen wollen, ba§
bei ©timmbanblähmungen, wenn bie©tintntbänber ntdbt gefdjloffen
werben fönnen, häufig ©peifett in bie Suftröljre gelaugten. Crß
ift biefet ©Chluh aber beßwegen woljl nicht gerechtfertigt, weil
man bei (Srfranfungen beö Äehlfopfeß überhaupt mit großer
5öahrf<heinlid>feit annchmen barf, bah biefem Organe auch baß
richtige Stnpaffungßgefühl »erloren gegangen ift, ober auch bie
anberen beim ©düingacte in S5etradit fommenben Organe bei
Grfranfung beß eineu felbft mit ergriffen finb. S^atfadfe ift
aber, bah beim ©ehlingacte unter normalen 33erhältniffen bie
Bunge ftcf> fo über ben Äehlfopf lagert, bah fein Eingang be-
, beeft ift. JDieß fann man feljr leicht mit bem eigenen Sinket
nachweifen: man ift nidjt im ©taube, ben in ben {Rachen
geführten ginger ohne 9lnwenbung non ©ewalt auch in ben
Äehlfopf gleiten gu laffen.5)
S3etradjten wir jef$t bie im Äeljlfopfe außgefpannten beibeu
fogenannten ©timmbänberpaare. 3«h bemerfte fchon oben, bah
baß obere $)aar — bie fallen ©timmbänber, auch SEafchenbänber
genannt — mehr häutiger üftatur feien. 35iefelben haben mit
ber ©timme birect nidjtß gu thun. JDaß unterhalb biefer gelegene
Jöänberpaar l>at ein fehnigeß, weifjglängenbeß Sußfehen; in ihm
haben wir bie eigentlichen ©timmbänber »or unß. 3wif«hen
biefen unb ben SEafChenbäubern befinbet fiCh jeberfeitß eine 23ucf)t,
welche alß bie SOiorgagni’fChe SEafdje begeidjnet wirb. üDie beiben
Sänberpaare entfpringen oorne in ber SRittellinie beß Äehlfopfeß
»om ©Chilbfnorpel nahe beffen Gcinfdjnitteß , alfo an feiner
(TU)
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jfnicfungßfante, bic, wie Mannt, bem Slbamßapfel cntfpricht.
$Die Stafdjenbänber nehmen il>ren 9fußgangß$unft etwas weitet
nach eben unb aufjen, alß bie wahren ©timmbänber; hinten
treten beibe $)aare an bie ©ie^tccfcn* cber ©teQfnovpel t )cran
unb jwar an beren n ad) »orne geridjteten gortfä^e, bie ^genannten
©timmfortfäfje; bie Slafdjenbänber wieberum etwaß über nnb nach
Sigur 7.
2>a$ im Äefjifopffpicgel gefdjene 23ilt> beö Ä'eljlfopfeä beim Siulauten.
Sigur 8.
®asfeibe beim (Sinailjmtn.
aufjen toon bem Slnfajje ber wahren ©timmbänber. IDaburch
bafj biefe lederen fowohl norne alß hinteu in ihren 9lnfafjpunften
einanber naher liegen alß bie Safchenbänber, ift fofort erfichtlid),
baff, wenn bei ber erforberlicheu 9Dtußfelthätigfeit bie ©timm«
bänber fidj bewegen, wenn bie wahren ©timmbänber behufß bet
ber Swnbilbung fidj berühren, bie Safdjenbänber immer nod)
einen merflichen Slbftanb »ou einanber aufweifen muffen.
Söährenb baß Stafdjenbanb nun ein mit nur geringer $Dtuefu=
latur oetfehener ©chleimhautwulft ift, enthält baß wahre ©timm=
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baub einen anfebnlidjen fßtuSfel, welcher bet bet ©timmbilbung
oon erheblichem Sntereffe ift. SDie wahren ©timmbänber feigen
auf bern JDurcbfchnitte ungefähr bie fjorm eines SDretedö. SBäb»
tenb ihre obere glätte als ^origontat im Berbältniffe gut fenf»
recht gebauten ÄeblfopfSwanbung angefeben werben fann, ift
beten untere glädje eine febr abfcijüffige, fo gwat, bah biefelbe
ohne befonberen SÜbfafc in bie fenfrecbt abfaHenbe SBanb beS
unteren ÄeblfopfabfcbnitteS übergebt.
Beim gewöhnlichen Slt^men liegen bie ©timmbänber mehr
ober weniger an ber SEÖanb beS ÄeblfopfeS; fie ftnb erfdblafft;
fte bewegen fich nur in gang geringen SDimenftonen, am beut«
Haften beim ISuSatbmen, wobei fte pdf einanber etwas nähern,
©ollen Jöne im menfcblicben Äeblfopfe beroorgetufen werben,
fo muffen ausgiebigere Bewegungen ftattftnben. ^)iergu ift bie
2lrt ihrer Slnbeftung befonberS bienlicb. 9öir wiffen bereits,
baff ber ©iefjbeden« ober ©teüfnorpel auf einer fugeligen @e*
lenffläche beS 9iing!notpelS auffifct unb fo eine febr freie Beweg»
liebfeit ihm eigen ift. 5Da für gewöhnlich bie ©timmbänber ftd)
nicht berühren, fo fönnen aud) bie ©timmfortfä^e ber ©teil»
fnorpel, ba au biefe bie ©timmbänber angebeftet finb, ftcb nicht
berühren. 3e nathbem nun bie jt'ebtopftnuSfeln in oetfcbiebe»
nem @rabe unb in »erfcbiebener 3ufammenfteQung einwirfen,
werben Jöne ber »erfdfiebenften 8trt ber&or8e&rac^- 55®
gewöhnlichem 3u8atbmen fchon eine leichte Bewegung ber ©timm»
bänber ftatt ba*, f° 3»ar, bah bet gwifdjeu ihnen gelegene
JRaum — bie fogenannte ©timmri^e — ft<h etwas »erengt, fo
muh beim ^»eroorbringeu oon Jöncn bie ©timmn^e ftcb noch
mehr »erengern; biefelbe wirb naljegu gänglich gefchloffen; ftnbet
»ollfommener ©<hluh ftatt, fo fautt in biefem Slugenblicf ein
Jon nicht entftehen, ba in folchem galle ein gum Jöneu notb*
wenbiger Waftor, baS IDutchftrömen oon 8uft burdj bie ©timm»
ri^e, nicht oorhattben ift. 3e bö^er mau beim ©ingeu in ber
©cala fteigt, befto mehr werben bie ©timmbänber oon beu ent»
(716)
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fprechenben fDtubfeln in bie Sänge gezogen unb gefpannt. ©ei
beit galfdttönen erteilen bie ©timmbänber bie gröffte ©pamtung,
unb zwar bejonberb in bet Sänge. ©ingt man eine ©caia, fo
fteigt bet Äehlfopf mit bet .Jpöhe beb üoneb im Jpalfe empor.
@b mitten hierbei bie äufeeten Äehlfopfmubfeln unb biefe bringen
but<h ihre 3ufammenziehung gleichzeitig eine entfprechenbe ©er»
änbetung bet Äetjifopffnorpcl zu einanber heruor unb unterftüfcen
fo bie SSirfung ber inneren .ft'ehlfopfmubfeln. SDenfen mit baran,,
bafe bie ©timmbänber Dom Slbambapfel, aljo ber SÖiittellinie beb
Äehlfopfeb, ,‘getabe nach rücfroärtb ziehen. Söirb ein Sion an«
gefchlagen, fo fpamten fich, mie mir fchon miffen, bie ©timm»
bänbet oor 2tUem ihrer Sänge nach; eb muh atfo ber oon oorn nach
hinten gebadete SDurchmeffet beb Äetjltopfeb fid) oerlängern, unb
bieb beroirfen bie inneren Äehlfopfmubteln fchon; je höhet aber
ber Sion mitb, um fo länger muh ber SDutchmeffer beb Äehlfopfeb
metben, unb hier treten fdjUehlich bie äußeren Äehlfopfmubfeln
immer mehr in SEhätigfeit, inbem fie ben Äehlfopf h*ben unb
gleichzeitig in golge ihrer eigentümlichen Sage unb Slnheftung
bie beiben ©eiten beb Äehltopfeb zufammenbrücfen, alfo ben hier
in Setradjt fommenben SDutchmeffer tergröhern, moburch bie
Shätigfeit ber eigentlichen üehlfopfmubfeln nicht unerheblich
unterftü^t mirb. 3m giftelregifter mitten alle hierher gehörigen
fSJiubfeln mit; bähet eb auch leichter ift, mit giftelftimme laute
Slöne zu fingen, alb mit ©ruftftimme. 3m Sruftregifter mitten
nämlich uur einzelne ©fubfeln unb zwar cornehmlich ber eigent»
liehe ©timmbanbmubfel; alle anberen treten in ben ^»intergrunb,
ba ber Äetjltopf bei ©rufttönen feine normale runbliche gotm
behalten muh- SDarnach ift eb tlar, bah ftaftDoöe ©rufitöne
meit gröbere Uebung unb änftrengung bebingen, alb galfetttöne,
ba bei lejjteren ja teine 3folirung bet SMrfungeu einzelner
SRubfeln nothmenbig ift.
SBab ich iw Se^teren aubeinanber gefegt \)a.he, betrifft
bie mähren ©timmbänber, alfo bab untere ©aat. ü)lit
XIV. 331. 2 (717)
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9te<fft fann man mid) nun fragen: maß foQen bie falfdjen
©timmbänber, was fyat eS mit fcev gwifdfyen bem magren unb
falfdjen ©timmbanbe gelegenen fötorgagni’fdjen £afd)e für eine
Bewanbtnif)? SDiefe Brägen ftnb ferner gu beantworten; man
fjat fdjon alle möglidjen ©eutungen oevfudjt. 35urdj Unter*
fudjuug mit bem Äetylfopfjpiegel fann man fouftatiren, baff beim
Slnfdjlagen eines SEoneS baS falfc^e ©timmbanb fidj feft auf
baS waljre legt, unb um fo fefter, je ftärfer unb fyöljer bet fyer*
»orgebradjte Ston ift. @8 wirb alfo beim Singen bie ÜKorgag«
ni’jdje Üafdje jebenfaöS gefd)loffen, ja wal)rfd)eiulid) »ollfommen
auSgeglidjen, unb fann biefelbe alfo feinen Stefonaugraum ab»
geben, weldjeS le&tere oielfältig behauptet worben ift. ©ie bürfte
»ielmefyr ben ©timmbänbern bei iljren auSgebeljnten Bewegungen
baS ÜJtaterial gut Blä^enauSbe^nuug bet erfteren Ijerge6en.
©inb bie ©timmbänber gefpannt, fo ftrtb bie SBänbe ber Üafdje
»erbraust; legen ftdj bie ©timmbänber gegen bie feitlicfye SBanb
be$ ÄefylfopfeS, fo entfteljt beiberjeitS bie SHorgagni’fdje £afd)e.
SDie falfdjen ©timmbänber treten in etelen Bälleu für bie wahren
©timmbänber ein. Bei gäljmung beS einen wahren ©timm*
banbeS fann Ijäuftg bennodj beuilidj, wenn audj etwas raufy,
gefprodjen werben, weil baS falfdje ©timmbanb ber franfen
©eite bie {Rolle beS erfranften wahren ©timmbanbeS übernimmt.
SDaS @leid?e finbet oft ftatt, wenn ein ©timmbanb butdj @e*
fdjwüre ober äljnlidje ^roceffe gu ©runbe gegangen ift. Börner
bürften bie falfdjen ©timmbänber beim SSnfdjlagen oon Baifett«
tönen erfyeblidj mitwirfen, inbem fte burd) fefteS Slufliegen auf
ben jefyr oerbünnten wahren ©timmbänbern biefe leiteten gegen
ben ftarfen, »on ben fcungen nad) oben btingenben guftftrom
gu ftüjjen, audj einen Stfyeil ber ©timmbanbbreite fdfjwiugungS»
unfähig gu madjen fc^einen.*)
3d) Ijabe fdjon »orljin angebeutet, baff bet Äeljlfopf
äufterlid) aud) »on 5RuSfelu umlagert ift, bie beim Sltljmen,
©predjen, ©ingen oon gtofjet SBidjtigfeit finb. ©ie »erbinben
<n*)
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19
ben Äefylfopf nad) unten mit bem Sruftbein, nach oben mit
bem Zungenbein, refp. bem Äepfe. Aufjet biefen an bem Äel)l*
fopfe felbft angehefteten 9Jlu8feln gibt eS noch anbere ^>al8-
muöfeln, bie ben elfteren %il3 um» theilS überlagern. Sebecft
»on allen biefen SJiuöfeln liegt bem {Ringfnotpel unb bem oberen
J^eile bet Suftröhre »orne unb auf allen beiben ©eiten bie
©djilbbrüfe auf. ©ie beftefyt auS gwei ©eiten* unb einem
©littellappen. Seim weiblichen ©efchledjte ift biefe JDrüfe im
Allgemeinen gtöfjer al$ beim männlichen unb oergröfcert fid)
ungemein, in welchem 3uftanbe fie Äropf genannt wirb unb
nicht feiten Anlajj 3U ernftlichen Sefchwerben beim Athmen gibt.
55a fommt e8 manchmal »or, ba§ Semanb über Athemnoth
flogt unb bieö Uebel allem Anbeten, nur nicht feinem oielleicht
faum bemerfbarett Äropfe jur Saft legt. 55ie8 erfcheint um fo
etflärlicher , als fid) häufig bie ©djilbbrüfe nad) unten 1)*«»
gwifdjen Sruftbein unb Buftröhre cergröf)ert unb in biefem @ng*
paffe bie leitete gufammenbrücft; in foldjem gälte ift beim
bloßen «^infeben ber Äropf fchwer 3U erfennen unb auch bie
©itelfeit fpielt nicht einmal bie Angeberin. SDerartige Ärßpfe
werben aber meift leicht befeitigt, währenb anbere, fehr in’8 Auge
fadenbe oft eine äufserft langwierige, manchmal fogar refultat»
lofe Seljanblung mit fich bringen.
9iad)bem nunmehr im Allgemeinen ein Ueberblicf über
bie anatomifdjen unb functioneOen 33erl)ältniffe beS menfchlichen
©timm» unb @prad)=organe8 gegeben ift, werbe ich, beoor wir
3U bem 3Weiten Steile unfereö £l)ema8 fd)reiten, einige er»
länternbe Semerfungen gum Atf)mung§med)ani8mu8 geben. SBenn
berfelbe un8 h*K aud) weniger feinem eigentlichen Bwecfe
nach intereffirt, fo ift e8 boch 3um leichteren Serftänbniffe
unferer Aufgabe bienlich, ein SöenigeS barübet 3U fprecheu.
SDurd) bie Atmung wirb bie Suft in ben Bungen beftänbig
erneuert refp. ben lefjteren ber ©auerftoff ber atmofphärifdjen
Buft ftetig 3ugefül>rt, um ba8 bei feinem ÄteiSlauf burch
2* (H9)
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20
ben Äörper mit itoßlenfäure überlabene ©lut oon bietet ju
befreien unb ißm ben jum 8eben nothwenbigeu ©auerjtoff
»iebet einzuoetleiben. 3>ie 8ungen finb in ber ©tußhöhle her«
metifcß eingejdhloffen unb füllen biefe neben anbeten 6inge»eiben
ootlfommen au$. SDieS fommt batjer , baß ber atmofphärifche
guftbrucf, »eldb« burcp SERunb, sJla)e, &et)lfopf, Suftrßhre unb
beten fernfte 2lefte auf ber 3nuenfläd)e ber 8unge, b. h- ber
8ungenblä$dhen, al$ ©nborganen ber 8uftrößrenäftchen laftet, tote
8ungen fo lange auöbehut, bi« iljre äußere Oberfläche fich
überall ben ©ruftranbuugen enge angefdjmiegt Ijat. @o ejrifttrt
in ber ©rufthßhl« fein leerer 9iaum; aud) bilbet ft<h bafelbft
beim SUhmen feiner ; fobalb fid) nämlich bie 23ruft^ö^Ic außbehnt,
alfo ber bie ändere guitgenoberflädje belaftenbe ©ruftforb ftdj
»on biefer entfernen will, fo bebnt naturgemäß bie noch unter
bemfelben IDrucf fteßenbe, in ben Zungen befmblidje atmofpßä*
rifcße 8uft jene leßteren fo lange au«, al« bie ©elaftung ißrer
äußeren gläbße abnimmt. @o erflärt ficf) alfo ba« ©inftrömen
non 8uft in bie Zungen auf meehanifcßem 3Bege: bie 8uft wirb,
»ie beim ^umpwerfe, eingefogen. Seim äuSatßmen ber 8uft
oerengt fidß bet ©ruftforb, »oburcß ein SDrucf auf bie jungen
unb bie in biefer enthaltene 8uft auögeübt wirb, welch’ leßtere
al«bann butcß bie Suftrößre entweicht. Bur ©ilbung ber ©timme
unb Sprache ift, »ie wir fpäter feßen »erben, bie SluöatßmungS*
pßafe »on größter SBicßtigfeit.
©eoor wir nunmehr Sluffdjluß über ba§ SBefen unb bie
©ilbung ber menfcßlichen Stimme unb Spraye zu erlangen fucßen,
muß ich ben 8efer noch mit ben Mitteln befannt machen, mit
welchen man im ©tanbe ift, ben Äeßlfopf be« lebenben fDienfcßen
unferem iJluge zugänglich gu machen. S)a e8 oon ber 5Runb*
höhle zu unferem ©timmorgane feinen gerabeu ©kg gibt, biefer
an ber lauteren Diadjenwanb oielmehr redjtwinflig nach unten
»erläuft, fo ift e« ohne 3uhülfenahme oon Snftrumenten uumög*
lieh, ba8 Jt'ehlfopf«3nnere »ährenb be« Sebeue zu erforschen.
(730)
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‘21
ftigur ll.
Haltung ber Bunge unb (Sinffitjrung be$
Äeljlfopffpiegele.
(7*1)
ftigur 9.
2ln ber Stirnbinbe befeftigter JReflcctor.
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22
2)iefer SJlangel ift wohl ftetS gefüllt, unb fpeciell in unfetem
Sabrhunbert finb mannigfache 35erfuche gur Söfung biefer grage
gemacht worben. SDie erften fteOte 1827 Vabington an; ihm
folgten anbere; boch fcpeiterten alle an ben mancherlei Schwierig*
feiten, bie ficb entgegenftellfen. ©rft 1854 gelang eS bcm ©efang*
lehrer ©arcia in Sonbon mittels eines fleinen, in ben fRachen
eingefübrten Spiegels bie ©timmbänber gu fefjcn. @r benutzte
feinen Spiegel aber nur gu 33erfuchen über Stimmbilbung, nicht
aber auch 3ur ©rfennung unb Teilung non ©tfranfungen be§
StimmorganeS. 2) er Umftanb, bah ber Ä’ehlfepffpiegel nicht
non einem Slrgte erfuitben würbe, mag wo 1)1 am meiften bagu
beigetragen hoben, bah betfelbe gunäcbft gar nicht befannt, am
wenigften aber gebfthrenb gewürbigt würbe, ©laubte hoch felbft
Slürcf, ber 1857 in SBien auf feiner Älinif mit einem non ihm
felbft fonftruirten Äehlfopffpiegel bie erften Verfuche gut (Sr*
fennung ber Äehlfopffranfheiten machte, nicht an bie 33ebeutung
feiner (Svfinbung. ©rft ©germaef, bamalS in f)rag, ber non ben
Verfugen Srtrcf’S gehört unb non biefem einen Äehlfopffpiegel
fich entliehen hotte, machte auf bie ungeheure Tragweite ber
(Srfinbung aufmetffam. @t führte auch bie fünftlidje Veleudj*
tung ein, wäljrenb 3:ürcf unb ©arcia fidh nur beS Sonnenlichtes
gu bebieuen wuhten. ©r machte alfo bie Äehlfepfuntetfud^ung
non ben SBitterungSeinftüffen nollfommen unabhängig, ein 35er*
bienft, welchem bie tafche Verbreitung unb 33erwenbung ber ©r*
finbung 3um groben Shcile gugefdjrieben werben muh-'
SBaS nun bie Unterfuchung felbft anlangt, fo finb bagu nur
ein Sicht unb gwet Spiegel erforberlich- 2)et gröbere Spiegel
(§ig. 9.) ift hehl gefc^liffen unb bient gum Sluffangen beS StcpteS
ber Sampe; ber fleinere Spiegel (gig. 10.) hot baS Äeljlfopf*
innere wiebergufpiegeln, nachbem baffelbe oorher erleuchtet ift.
2)ieS wirb erreicht, inbem man auf ben in ben Oiachen einge.-
führten fleinen Spiegel — ben fogenannten Äehlfopffpiegel baS
mit bem groben Spiegel aufgefangene Sicht fallen labt. 3Der fleine
(TM)
6“
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23
Spiegel, »eldjet in ber SRitte bet dinieren Diadpenwanb unterhalb
beß ääpfcpenß in einem SBinfel non etwa 45° mit feiner Spiegel-
fläche nad) uorne unb unten geneigt ift, wirft baß empfangene
Sicpt, entipreepenb betn ©efepe ber Straplenbrecpung nadp unten
auf ben Äeplfcpf unb erleuchtet pierburep benfelben. 3m gleidpen
Slugenblicfe fpiegelt fiep bet Äeplfopf in bem fleineu Spiegel
(Siepe gig. 11.) unb unfer Singe ift alßbann im Staube, in
biefem ben elfteren gu beobadptat. JDer grofje Spiegel ober Sie*
flcctcr mup pietbei mcglidbft nape bem beebaeptenben Sluge an*
gebracht fein; meift befefligt man ipn auf ber Stirne.
So ift man alfo mitteiß eines fepr cinfacpen STpparateS
im Stonte, Kopien, bte 3aprpunberte lang erft naep bem Uobe
in Slugentepein genommen »erben fonnten, jefjt wäprenb beß
?ebenß fdwn gu betraepten unb bort lofaliftrte Äranfpeiten ju
erfennen unb ärgtlid) gu bepanbeln. — Stuf äpnlicpem SSege,
»ie ben jleplfopf unb bie Suftröpre, unterfuept man auep bie
SRafenpöple non pinten, inbem man ben gur 23efi<ptigung beß
Äeplfepfeß in ben 9iad)en eingefüprten Spiegel fo umfeprt, baff
feine Spiegelflädie ftatt naep oerne unten naep norne oben ge*
rieptet ift.
SSenn »ir unß nunmepr gum Srennpunfte unfereß peutigen
Spemnß »enben, fo tritt gunäepft bie grage an unß peran:
SBaß ift Stimme? SRan nerflept unter ipr ge»öpnliep ben Sluß*
bruef unb 3npalt bet klänge, bie ein mit normalen Organen
netfepener SRenfep pernorjubringen nermag. SDtefe unter Sei*
hülfe beß SBinbropreß im ÜRunbftücfe, bem Üeblfopfe, entftanbene
Stimme wirb im anjapropre gut Spraepe. ©enau genommen
fennen wir alfo niemalß bie Stimme eineß SReniepen, ba biefe,
epe fie gu unferem Opre bringt, baß Slnfapropr paffiren mu|,
alfo gur Spraepe wirb, ©ine abfolute ©tenge gwifepen Stimme
unb Spraepe »erwögen wir baper gar niept feftgufepeu. SBir
»ernepmen eben bie im Äeplfopf entftepenben üöne niept alß
&öne, fonbern alß Älänge, b. p. alß SBofale ober Sofalflange.
' (7W)
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24
35a nun biefe lefcteren fd)on ein ©lement bet Spraye finb, fo
ift eine fdjarfe ©renge gwifdjen ©timme unb Sprache unmöglich-
3ur Jonergeugung ift eS nothwenbig, ba§ bie ©timmbänber,
bie beim gewöhnlichen athmen, wie befannt mehr ober min*
ber ben feitlidjen Äehltopfroanbungen anliegen, fic^ einanbet
beträchtlich nähern unb gugleid) in ©pannung nerfejjt werben,
©inen gweiten gactor gur ©rgeugung eines Joneö ftnben wir barin,
bafj bie im SBinbrohre, alfo bet Luftröhre, bepnbliche 8nft unter
erhöhten SDtucf burd) forcirte auöathmung bei nahegu gejchloffe*
net ©timmrifce gefefct wirb. Ob nun bie bierbutdj in ©djwin*
gungen nerfefcten ©timmbänber, ober ob bie fdjmingenbe 8uft*
faule beS SBinbrehreS, ober ob beibe, ©timmbänber unb guft*
faule, gemeinfam ben Sion entfielen laffen, ift bis jefjt noch nicht
etwiefen. 3umei[t wirb angenommen, baf? bie an bie gefpannten
©timmbänber anpraDenbe £uft in töuenbe Schwingungen »er-
lebt werbe. 35ie anbere Stnftcht, baff baS eigentlich Jönenbe im
Äefylfopfe bie ©timmbänber allein feien, fyat in unferet 3«it nur
wenige Bertreter mehr. 35aljingegen ift man neueftend geneigt,
beibe Slnfidjten gu oereinen, fo gwar, baf) beibe gactoren gleichen
antheil am Jonen hätten. 3ur ©tüf)e biefer Behauptung wirb
geltenb gemacht, baf) beim Söeglaffeu ober Beränbern aud? nur
eines ber beiben gaetoren immer erhebliche Unterfchiebe in ben
Älängen wahrgunehmen feien. 5)iefe gange &rage pafft auch,
begreiflich, auf bie 3wngeninftrumcnte überhaupt, bereu Jheorie
ton ben ÜJteiften gwat als feftftehenb betrachtet, in neuerer
3eit hoch in 3»eifel gegogen worben ift.
Söenben wir unö nunmehr auf einige Slugenblicfe ben Be*
bingungen ber Jonbilbung gu. 35er Jon ift bie einfachfte gorm
beS ©chadeö. 55er ©chall ift jebe Bewegung, bie oon einem
normalen Ohre gehört wirb, folgen folche Bewegungen in
gleiten 3»if<h«nüutnen Unb gwar in ber ©efunbe wenigftend
16 auf einanber, fo pernehmen wir einen Älang. ©inen Jon
netnehmen wir, wenn ein elaftifdjer Körper in penbelartige
(7«)
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25
Schwingungen gerate, welche bie umgebenbe 8uft ftofetoeife in
Bewegung fejjt, nnb wenn btefc ©töfje fo rafd) auf einanbet
folgen, ba§ baS £>ht bie eingeln nidjt mehr wafjrnehmen Tann.
2Sitb biefe einfache ©cbroingungSform ceräntert, fo treten Sieben»
töne auf. Stegen biefe mit bem primären Sion in fyarmonifdjem
SBerljältniffe, fo entftel)t auS bem einfachen Eon ein Klang.
SDie Ba^l bet Schwingungen eines tongebenben Körpers in
einer gewiffen Beit beftimmt feine Eonhöf)e; unb biefe l)ängt
ton bet ifänge beS fdjwingenben Körpers ab unb fiept gu biefet
in umgefeprtem Serpältniffe: alfo, je länger eine ©aite, befto
tiefer ber Eon. ferner bängt fie ab ton bem ©rabe ber ©pan«
nung: je ftraffer bie Spannung, befto fyöljet ber Eon. ©rittenS
wirb bie £öf}e beS EoneS beftimmt burdj bie SDicfe ober ben
Duerfdjnitt beS fcpwingenben Körpers : je bicfer bie ©aite, befto
tiefer bet Sion. 33iertenS ift ber ©rab ber SDicptigfeit beS fcpwin*
genben Körpers mafjgebenb: je bitter bie ©aite, befto popet ber
Eon. SDie ©timmbänber beS mcnfcpUcpen KeplfopfeS geben bem»
nacp einen um fo pöperen Eon, je fiirget fie überhaupt finb
ober je mept fie gefpannt werben. SBegen bet geringeren 8änge
bet ©timmbänber finb im Allgemeinen bei grauen unb Kinbetn
bie Eöne pöpet als bei ÜJiännern.
SDie ©tärfe eines EoneS bängt ton ber AuSbepnung ber
Schwingungen, feine ©röjje ton bet fDtaffe beS fcpwitigenben
5JtaterialS ab. SDie Klangfarbe ift burcb bie 2lrt beS fchwingen«
ben SftaterialS, butcp bie $otm bet ©cbwingungen bebingt.
fRetne Eöne paben feine Klangfarbe, ba fie burdj einfache ober,
hoppelte 'Penbelfcpwingungen cntftepen; fie fönnen nur an Stimm«
gabeln mit abgeftimmten fRefonangropten pettorgetufen werben.
©in gut entwicfelteS unb auSgebilbeteS jugenblicpeS ©timm*
organ tetmag brei Dftauen unb mehr gu umfaffen. fRacp ber
©töfie befl KeplfopfeS, inSbefonbere nach ber ©eftalt bet ©timm«
bänber unterfcpeibet man bie menfcplicben Stimmen in niet
Stimmlagen: Sopran, Alt, Eenor unb SSap. 3eber ©timm«
(*»)
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26
umfang fann fi<ß auS groei bis brei auf einanber folgenbe refp. iu
eiuanber greifenbe JReißen ober ütegifter »on Slönett gufantmen»
feßen; biefelben ßaben gewiffe Serftßiebenßeiten beS Klanges.
Klangfarben ober timbres oetmag ein ©äuget innerhalb feines
©timmumfangeS minbeftettS gwei gum SluSbrucf gu bringen;
biefelben finb burtß Serlängeruttg ober Serfürgerung beS 5tnfaß*
roßreS bebingt. Sei ber menfcßlicßen ©timme unterfcßeibet man
»ier Slonregifter: 1. baS Stuft», 2. baS galfettregifter, 3. ben
baö erftere nad) unten fort'eßeuben ©troßbaß ober baS ©cßnarr»
regifter unb 4. ba§ an baS galfett nacß oben fidj anftßließenbe
Kopfregifter.
SDie Slöne beS SruftregifterS ßaben eine getoiffe Klangfülle
unb werben mit ooDem ifltßem ßeroorgebracßt. ©ie finben in
ber gangen Sruft einen 9teionangraum, ber ißnen ihre gftöe
unb ©röße »erleißt. SDie naturgemäße ©pracße beS ÜJtanneS
bewegt fi<ß innerhalb beS SruftregifterS. SBiK man ßößere
Sone ßeroorbringen, fo muß man gum galfett» ober giftelregifter
greifen; botß befißen foldße weniger Klang, ©tärfe unb güHe.
©o wenig uns bie galfetttöne beS ÜJtanneS anmutßen, fo feßr
finben wir ©efatlen an benen ber grauen, ©ie finb weit wollet
unb fd>öner als beim üJtanne unb werben faft auSfcßließlicß gut
©pracße benußt. Söie baS Sruftregifter ber grauen um eine
Dftawe ßößet beginnt als bei ÜRäunern, fo reießt aueß ißt giftel*
regifter eine Dftaoe ßößet ßinauf, beginnt aber giemlicß auf bet»
felben $öße wie beim ÜJtamte. Sei ben ©troßbaßtönen, welcße
fieß an ben normal tiefften Sion beS SruftregifterS anfeßließen,
empfinbet baS Dßr eine merflicße Qtbnaßme beS Klanges, ber
©röße unb ber ©tärfe, bis fie feßließließ nur meßr als ©etäufcß
angefproeßen werben fönnen. Son ben £önen beS KopfregifterS,
weites gunäcßft als gortfeßung beS weibli(ßen galfettS betraeßtet
werben muß, läßt fttß baS ©leieße fagen, wie »om ©troßbaß.
Seim ÜJtanne ift baS Kopfregifter bei SBeitem weniger umfang»
teieß, als bei grauen, bei welcßen eS bementfprecßenb aueß ßößere
(7M)
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27
Sebeutung fyat. Seim SJtanne werben auch einige gwifchen
Sruft« unb gatfettregifter gelegene, fünftlich geübte £öne, Äopf*
töne genannt-, fie finb größer unb »oller alö bie be§ Saljcttö.
Sie im Äehlfopfe entfteljenben Sone fönnen fic^ »ermöge
ber Sauart unfercS Stimm« unb Sprad) organeS fo*
wohl nach unten in’ö SBinbrohr, bie Luftröhre, alö
nad) oben in’8 Slnfajjrohr, Sladjen*, Söiunb« unb Siafeuhöhle
fortpflanjen, woburd) bie fogenannte Siefonanj entfielt. 33ei ben
Srufttönen ift bie Stimmte entfpredienb beu Schwingungen
ber Stimmbänber abwedj'elnb gefcbloffen unb lcid)t geöffnet: in
ffolge beffen finbet ber Srufttcn währcnb bcö Scbluffe§ ber
Stimmbänber in ber 8uftröl)re unb in ben Zungen einen Sie*
fonanjraum, woburch fie, wie bereits befannt, eine befonbere
Sülle unb ©röfje erlangen. Sei ben Salfetttönen fdjlie^t
fidj bie Stimmrijje nie gauj; fie flafft immer etwas, in Böige
welchen Umftanbeg biefe 2öne nidjt nad) unten tefoniren fönneu,
ba ja bie i?uft beftanbig entweid)t; biefe aber finben ihren Sie*
fonan^raum im 9!nfafcn>hre: fie fd)einen nidjt auö ber Sruft,
fonbern auö bem Äopfe ju fotnmen. Sa§ weiblidje Balfettre»
gifter fcheint tiefen Sebingungen nicht 3U unterliegen; wenigftenS
finbet innerhalb beffelben ein annähernber Sd)luf} ber Stimm*
bänber ftatt, fo bafj bie 8uft nicht beftanbig nach oben entweiht,
»ielmeht bie Luftröhre unter erhöhten Srucf jefjt unb fo jur
Siefonang geeigneter macht.
Ser (Sinflufj, welchen baö Iflnfafcrohr auf ben im Äehlfopf
entftanbenen Son auäübt, ift ein mannigfaltiger, entfprechenb ber
Sauart beS erfteren, bie (Singangö erläutert würbe. Sehufö
©intheilung ber innerhalb beS &nfafcrohre§ entftehenben Sprach«
laute unterfcheibet man: 1. Sen Siachenraum, 2. ben Siafen*
rachenraum, ber über erfteren liegt unb burch ba8 bewegliche
©aumenfegel »on biefem abgefd)loffen werben fann, 3. bie
Sölunbhöhle unb 4. ben ÜJlunblippenraum. Sie SJiunbhöhle
reicht »otne bis an bie ©dhnribegähne; unb ber SRunbUppenraum
(727)
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liegt jwiichen ben 3äi?nen einet» unb ben Sippen fotoie bet 33acfen=
wanb anbercrfeitß. 3um fRafentacbenranm gehört auch bie
fRafenhhle mit ihren fftebenhöhlen , welche alß 9iefonanjräuine
bienen, Selbftöerftanblich fann ba« fHnfafjroht in feinen 55i*
menfionen bei ber ihm in teigem SDtafje augehörenben fBlußfula*
tur, bei bet greibeweglichfeit bet Bunge . ber fcippen nnb bet
Saugeuwaub in mannigfacher Seife »eränbert werben. $ie
fjffolge banon ift, ba§ bie bem Äehlfopfe entftrömeuben 2Jne
ebenfo cielfachen 3J?obificationen unterworfen werben fönnen.
£ierburd) entfielen bie terfchiebenen Sprad)laute, bie allen
©praßen gemeinfdbaftlid) finb. Senn auch in feiner Sprache
alle Spracblaute, welche ber SRenfch ^ernotbringen fann, gefun*
ben werten, fo ift bodj jeber normal befchaffene fPtenfd) f<*h* g,
fammtlicbe £aute, bie in ben »erfchiebenen Sprachen angewenbet
wetben, burd? Uebung $u erlernen; benn bie Organe, welche jur
3?ilbung berfelben bienen, finb bei allen fDfenfchen gleich-
5Ran unterfdjeibet bie Sprachlaute in 5kfale ober Selbft*
lauter unb in Äonfonanten ober ÜJlitlauter. @ine befonbere
Stelle nimmt ba§ H ein. Sei ihm fteht baö 2lnfaf$rotyr, fowie
bie Stimmrijje weit offen. ÜDie fftafe ift burch mögliche Jpe*
bung beö ©aumenfegelö eon ber SRunbhöhle abgefperrt. wirb
foniel 8uft alö möglich außgebaudjt unb jwar mit einem gewiffen
Sto§e, fo bafc bie aubgehaudhte guft auf ihrem Sege burd) ba8
9lnfaf}rohr fid? allenthalben an biejen Sänbeu reibt unb fo mehr
ober weniger beutlidje ©etäufdje erzeugt. SDie ©riechen unter»
fdjieben einen rauhen unb einen weichen £au<h; ber erftere ift
baö foeben befchriebene H, bei welchem alfo bie Stimmrifce
weit geöffnet ift. 2>er weiche £auch, refp. beffen 3«<hen würbe
non ben ©riechen jebem ein Sott beginnenben SBofale norauö«
gefegt, infofern nicht ein harter £au<h gehört werben feilte. 2)et
erftere entfteht, inbem iu folgern galle »or ber fSuefpradje be«
betreffenben fßofale§ bie Stimmrihe auf einen ÜJloment ge*
fdjloffen wirb. Sd}lie|t man bie Stimmn^e nicht, fo tönt ber*
(7Jf)
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29
felbe SBofal nicht mit präcifem Anfa£e, fonbetn eö gebt ihm ein
me^r ober weniger beutlid^er £auch oorauö, bet fogenannte
barte H*baud). 3Ran fann fid? baoon leicht überzeugen, wenn
man beutlich unb bintereiuanber „Abenb" unb „haben", „Alp"
unb „halb" auöfpticbt.
©öd ein 33ofal entfteben, fo mufj bet 9Runb mehr ober
weniger weit geöffnet unb baö ©aumenfegel höbet ober tiefer
an bie hintere {Rachenwanb angebrücft werben, wobutcb bie
{Rafenböble gegen ben Suftftrom abgefperrt wirb unb bet im
üeblfopfe gebübete Son bie dJlunbböble unb ben SRunb paffirt.
Sei bet Silbung ber SSofale fommen am meiften bie 3ungen»
beweguugen, wie SBor* unb {Rücfwärtöfchiebung , Hebung, 3Böl*
bung, Aufrichtung, ©enfung unb Abflachung ber 3unge, ferner
auch Setlängermtg unb SSetfürjerung ber {ERunbjpaltc in betracht.
25ie ©teüung beö Äeblfopfeö richtet fich im SBefentlichen nach
berjenigen beö 3nngenrüdfen8 unb noch mehr beö 3«ngengtunbe8.
Sei u unb o fteht er am tiefften, bei a befinbet er fich in
mittlerer Stellung, unb bei ä, e, i fteigt er am höchften. 35er
mitflingenbe {Raum beö Anfafctobreö ift am größten, am weiteften
bei ä ; ihm folgen abwärts a, ö, o, e, u, ü, i. 25ie Sänge beö An«
fafcrobreö ift am bebeutenbfteu bei ü unb u, woran fich ö, o, a,
ä, e, i fchliefjen. 25ie dJUutbf palte ift am breiteften bei a; biejem
folgen ä, o, ö, u, ü, e, i. 35ie {Kunböffnung ift am größten
bei a, bann ä, e, i, ö, o, ü, u.
3<h h«öe hiermit begreiflich 3n machen gefucht, wie ein So»
fal entftebt; fein SBejen aber haöe ich noch näher gu erflären.
3)affeU>e hängt mit bem Söefen ber .Klangfarbe ober beö Tim-
bres jufammen, unb erft #elmbol§ ift eö gelungen, Aufflärung
hierüber <$u fchaffen. „T)ie Sofale finb oerfchiebene .Klangfarben
ber ©timme, beroorgebracht burch bie {Refonanj bet für beftimmte
Stouböben abgeftimmten ÜRunb» unb {Rachenhöhle." 35en!en wir
unö eine hohle {JRefftngfugel oon beftimmter ©röfje, burch eine
Deffuung ber äußeren Suft jugängig. {Rehmen wir eine Stimm«
(7MJ
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30
gabel unb fdjlagen biefelbe an, fo ^ören wir nur einen gang
fdjwachen Jon. galten wir aber bie angefdjlagene Stimmgabel
oor bie ßeffnung bet ^o^len 3Refftngfugel unb ^cren wir alß*
bann ben Eon feljr beutlid? , alfo »erftdrft , fo wiffcn wir, baff
bie ^o^lfugel auf bcn Stimmgabelton abgeftimmt ift, b. h- ber
£ohltaum ber Äugel befrist eine folche Stußbeljnung, ba§ bie in
ihm enthaltene £uft oon einem beftimmten Eene in OJiitfcbwin»
gungen oerfefct werben fann unb alßbann ben primären Eon ber
Stimmgabel oerftärft. ferner folgert fidj hietauß, ba§ luftljal»
tige ^ohlräume oon beftimmter ©rö§e für beftimmte Ebne ab*
geftimmt unb biefe im geeigneten $aUe su oerftctrfen in bet
Sage finb. 3 5aß SERaterial ber SBanbungen fold^er .gwhlräume
fommt nicht in {Betracht; eß finb oielmehr wefentlich gornt unb
©rohe beß ^»ohlraumeß im ü8erl)cütuiffe ju beffen Deffuungen
bie beftimmenben gactoren. 25a nun ber SRenfct) oermöge feiner
SORußfulatur im Staube ift, feinet ÜRunbhöble unb feinem
sjJlunbe bie oerfchiebenften formen unb Sußbehnungen gu geben,
fo leuchtet eß ohne SBeitereß ein, bafj bie SKunbhöhle auf bie
oerfcbiebenfieW Eene abgeftimmt ift, tefp. werben fann.
Seim 3lußfptechen ber einzelnen Sofale nimmt fowohl
3Runb= unb {Rachenhöhle, wie auch SRunbfpalte für feben ein*
jelnen Sofal immer biefelbe §orm unb Slußbehnung an; baher
fommt eß auch, ba| für jeben Sofal ber ©igeuton ber 9Runb*
höhle ftetß ein anberer aber fonftanter ift. Sei bet glüfterfprache
entftehen bie Sofale burch SÄnblafen ber auf bie eiitgelnen So*
fale abgeftimmten SRunbhöhle, unb ber hietbutd} erwecfte ©igen»
ton berfelben mifcht fich ben ©eräufchen, welche bie glüfterftimme
erjeugt, bei. 33ir fönnen, wenn wir bie einzelnen] Sofale
flüftern, beten oerfchiebene aber fonftante Eonhöhen wahrnehmen.
2>ie ©igentöne finb fowohl bei ©twachfenen wie Äinbern für
bie einseinen Sofale gleich, fobalb nicht oerfchiebene SDialecte ge*
fprochen werben; bie lefcteren oeranbetn bie Eonhöhen fehr
bebentenb.
(*30)
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31
@8 ift befannt, bah bei ber teilten Sßofalbilbung bie jftajeithöhle
burdj ba§ ©aumenjegel »on ber SDiunb* SRat^etiljöijle abgejtlo|jeu
wirb, ©eftieht bie§ abfittlit ober unabfittlit nictjt, jo ftromt
aut Suft burd) bieje; l)ierburd> gerätb bie in ber jftajenl)öi)le
enthaltene 2uft in 9Ritjt»ingungen unb eS entfteht fo bet
eigentümliche jftafenton. get)lt baS ©aumenjeget, ober ift eS
nicht noHfommen, ober auch gelähmt, jo ift bie cSpradje beftän®
big eine näfelnbe.
Söir fommen uunmehr gu ber großen ©ruppe ber ©onfo*
nanten. „©in ©onjonant ift ein im Slnfahrohre ibe§ menfts
liehen ©timmorganS erzeugtes, balb mit, halb ohne jfehlfopfton
beftehenbeS ©eraujt, 31t befjen Buftanbefommen erforberlit ift,
bah minbeftenS gwei einanber gegenüberftehenbe Speile beS !Hn*
jahrohreS fo fich gegeneinanber bewegen, bah fie fit entweber
auf einen SBtoment oöüig berühren unb fo ben 9Runb!anal gäng*
lieh oetjchliehen, ober both bis gut SÖUbung einer ©täHrijje »er»
engen, in »eichet bann baS ben ©pratlaut ober baS hörbare
©pratgeiten bilbenbe ©eräuft entfteht." SDie reinen ©onfo*
nanten entftehen ohne SBeihülfe ber tßnenben ©timmbänber; bie
anbeten, »eite biefeS ©lementeS in ber lauten ©prate nitt
entbehren fonnen, ftnb 2, 5R, 91, % 9t (ng), SB, bisweilen aut
© (j), @, @tr 33- 25ot ift bei biefen nitt bet ^ehlfopfton
baS SBejentlite, fonbern ftetä ba8 im SHnjahtohre gebilbete ©e«
rauft-
3m ©angen teilt man bie ©onjonanten entfpretenb ihrem
©ntftehungSorte ein in brei fogenannte SärtifulationSgebiete (gig.
12). 2)a8 erfte umfaht ben 3ungengrunb, ben hinteren £heil
beS Irrten ©aumenS, ba8 ©aumenjegel unb bie SRatenhShte.
25aS 3»eite ftlicht fit bem erften nat oorne an unb begreift
bemnat ben »orberen Slheil beS hätten ©aumenS, ben Bungen*
rüden mit bet ©pitje unb enbigt an ber £interfläte ber 35hne.
IDaS britte enblit wirb begrengt non ben SBorberfläten bet
©tneibegähne unb ben SBiunblippen.
(731)
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32
3hter @ntftehungö»eife und) man bie (Sonfonanten in
fünf Familien ein, unb g»ar 1. in ©toft* ober 23erfcblu§laute.
SDiejelben entfielen, wenn baö ©aumenfegel gehoben, alfo bie
SRafen^ö^le gegen bie Söiunb * fftacbenböhle abgefd^Ioffen »irb.
2Bir unterfdjeiben brei Wirten £, 8. 9>' laute, für jebeö Ülrtifu«
Sifliir 12.
©<f)eTna ber 3 Urtifulationb- foroie beb L>@ebieteb.
lationBgebiet eine 31 rt. 3ebe 3(tt enthält einen aeidjen unb einen
harten 8aut. 3)ie erfteren g, b, b, unterf Reiben ftd) »on ben
leiteten, f, t, p, baburch, bafc bort bie Stimme mitflingt, mäh3
renb hi«* bet gan$e ©prathlaut in bem flappenben @eräuf<h be=
fleht, »eld)eß in bem änfatjrohre gebübet »irb. @8 mürbe un8
ju »eit führen, audj über ben Nahmen unfereS 33ortrage8 h*Hauö*
(7*2)
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33
geljen, wollte id? bie oerfcbiebenen Unterabteilungen bet 33er*
(djlu{jloute (owie ber übrigen im golgenbett nod) befpredjen*
ben ©onfonanten auSfüljren unb erläutern. 9tur (ei es nod)
geftattet, ben foeben gegebenen Unterfdjieb awifdjen weiten
unb garten 33erfd)luf}lauten an einem Seifpiele flar ju machen.
25enn man fönute mir lagen, ba§ beim StuSfpredjen (owofyl
jl
Sto§- ober
B
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58erfd)lu&’Saute
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SRetb> ob. 33laS-
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ob. fRefonanten
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III.
II.
i.
StrtifulattonS*
® e b i e t.
i’
ginur 13.
(SBftentattfdje Säbelte ber fünf Äonfonanten . gamilten.
»on ba wie pa bie ©timme gehört werbe. 3ebod> wollen wir
einmal barauf achten, weif großer Unterfdjteb $u Sage tritt,
(obalb ba unb pa möglidjft (djarf unb genau auägefprodjen wirb.
33ei ba tjören wir bie ©timme bereite einen Slugenblicf früher,
beoor ber ©d)lu| ber Sippen burdjbrodjen wirb unb baö a an*
lautet, ©preßen mir hingegen pa au8, fo fiuben wir otyne
SBeitereß, ba| erft mit beni IRofale a bie ©timme mitflingt.
XIV. 331. 3 <Vii>
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34
3)ie gweite gamilie bet Gonfonanten ift bie bet fReib* ober
Slaßgeraufdjlaute. SJielelben entfielen, fobalb in beit Bet*
fdjiebenen Stttifulationögebieten bet Serfdjlufj fein Boüfommenet
ift, fo baff nur eine Verengerung beS 9(nfafcrol)te§ an bet betreffen *
ben ©teile eintritt unb Ijierburd) eine IReibung bet 8uft bie gotge
ift. 9lucb bie {Reibungslaute fann man in »ei<be ober tönenbe
unb in batte ober tonlofe eintbeilen. 3m erften 2lriifulation8*
gebiete finben »it j unb <b*gaute, im gweiten ba8 frangöfifcbe g
unb ba8 weid}e f (in SRofe) unb ba8 fdjarfe 8 (in Stoff), im
britten ba8 » unb ba8 f.
2)ie britte gamilie umfaßt bie 8*£aute (gig.12 unb 13). ©ie
fteljen gwifcben ben {Reibungslauten unb bet folgenben gamilie,
ben 3itterlauten. 3n bie btei SlrtifulationSgebiete laffen fte fid)
audj nicht eintbeilen, »eil fie nicbt »ie bie übrigen in bet ÜRittel*
linie ber SKunbradjenljöfyle, fonbern beibetfeiS an bem ©eiten*
ranbe ber 3u«i0«umtte gebilbet »erben. 3)ie S*gaute entfteben
baburdb, bafe bei abgefdjloffener {Rafenradbenböble butcb Snftem*
men beS Sorbeten SE^cilcS ber 3unge gegen bie ©djneibegäbne
unb ben garten ©aumen bet ©eitenränber bet 3«nge gegen bie
Botberen Sacfgäbne bet ORunbfanal fo abgefdbloffen wirb, bajj
nur neben ben Hinteren Sacfengäbnen gu beiben ©eiten ber
3unge eine JDeffnung bleibt, burcb welche bie Suft nach Borne
gut ÜRunböffnung gelangt. Sei ihnen ift baS {Dtittonen bet
©timmbänbet eine Sebingung ihres gautwerbenS.
35ie Bierte gamilie umfafft bie ©ebnart* ober 3iNerlaute.
IDiefelben entfteben baburcb, bafj bem guftftrome leicht bewegliche
Jbeile beS 2lujatjrobre8 entgegengefteHt »erben, fo baf) biefelben
mebt ober minber ergittetn unb in ©cbwingungen getatben.
Sei ihnen bebarf eS gum gautwetben be§ 5Ritt6nen8 ber ©tim*
me. 35er bem erften SlrtifulationSgebiete entiprecbenbe 3»tber*
laut ift jenes 8t, »elcheS entftebt, inbem ba8 ©aumenfegel, inS*
befonbere aber baS 3Sbf<hen burcb ben guftftrom in heftige
©<b»ingungen gerätb- 3)aS 8t beS gweiten SlrtifulatfonSgebieteS
(7S4)
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35
ift ba8 gemöbulidje unb entftetjt burd) ©djmingungen be8 oot«
beren Uljetleö bcr 3unge, inSbefonbere beten ©pifce- $Der 3ittet«
laut beä britten SrtifulationSgebieteS wirb bet feinem Äulturoolfe
gu ©pracbgmetfen »ermenbet; e8 mirb burdj ©tattern ber Sippen
gebilbet unb finbet mobl bie bäufigfte Stnmenbung »on ©eiten
ber Äntidjer, wenn fie iljre ^)ferbe gurn ©teben bringen mol«
len (br).
25ie fünfte Familie enthalt bie fRafenlaute ober fRef onanien.
Diefelben unterfdjeiben ftd) non aßen übrigen ©onfonanten
roefentlidj baburd), baf) bei ihnen ba8 ©aumenfegel ^erab^ängt,
alfo bie 9iafenbeble bem non unten tjeranfbringenben Suftftrome
offen ftebt. 2)er fRafenlaut be8 erften 2trtifulation8gebiete8 ift
ba8 Hintere n ; e8 entfpricbt bem mit gmei Sudjftaben geftbriebenen
u*Saute in ben SBßrtern: ©ang, .Klang, 3mang. 23ei biefem
Saute legt fid) ber Hintere J^eil ber 3u«ge mehr ober minber
bod) unb feft an ba8 ©aumenfegel. Der fRefonant be8 gmeiten
SÄrtifulationögebieteä ift ba8 gemobnlidje n unb entfteljt, menn
bei gegen bie oberen 33orbergäbne gebrangter 3«wge bie Suft
»on unten b^ burdb bie fRafenboble ftrömt. 3m britten 2lrti*
fulation8gebiete finben mir ba8 3R, meld)e8 bei getroffenen
Sippen entftebt, fo gmat baf$ bie in bie nad) au§en gefcbloffene
SRunbböble eingetretenen ©djadmeden nad) bem SRat^en bin gu*
rüdgemorfen merben unb bann ben in bie SRafen^otjIe bringenben
Suftftrom »erftarfen.
Der gufammengetefcten ©onfonanten fönnen mir ^cute nur
meljr in Äütge gebenfen. ©8 ift fef)t fermer gu fagen, ma8 man
unter einem gufammengefefsten ©onfonanten gu »erfteben b“t-
Um bicS flat gu machen, beburften mit »ieler SBorte unb langer
3eit. SBir fönnen aud) füglicb über bie Definition be8 gufam»
mengefefjten ©onfonanten ohne 9tacbtbeil binweggeben unb moden
nur feben, mie er gu ©tanbe fommt. ©8 gefd)iebt bieö, menn
gleicbgeitig ober febr tafd) auf einanbet bie eingelnen übeife
SfafatjrobreS für gmei ober mehrere ©onfonanten eingeftedt merben.
(734)
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36
(£0 erübrigt noch ber Sotlftänbigfeit falber, ber Serbinbung
ber totale mit Äoufonanten gu Silben Gfrwäbnung gu tbun;
fie fanu auf gweifadje SBeife not ficb gelten. (Sntweber beginnt
bie feilbe mit einem Sofale, welchem ein einfacher ober gufam»
mengefefjter (Sonfonant folgt, ober ein foldjer macht ben Anfang
mit barauf folgenbem Sofale. SBenn bie Silbe mit einem So«
fale anlautet, fo ift baö Slnfa^robr weiter geöffnet, alfl bei ben
barauf folgenben (Sonfonanten; beginnen lefctere eine Silbe, fo
finbet baä Umgefebrte ftatt. Sei ben Sofalen ift ber fcuftbrucf
auf bie Stuft» unb Saudjorgane ein geringerer bem ©rabe nadj,
aber ein auögebebnterer alö bei ber Sonfonantenbilbung.
@0 ginge über baS Bwecfmäfeige hinaus , wollte id} nodj
ausführlicher über bie Silbenbilbung fpred)en, wollte id) über»
baupt alle hier etnfd^lägigen Stagen auch nur fürgeftenS erörtern.
3<b glaube, ba{j ba0 bieder ©efagte einen befriebigenben
©inblicf in ba0 menfdjlicbe Stimm« unb Sprachorgan im M»
gemeinen bot tbuen laffen, aud) bie Segtiffe oon bem SSefen
unb ber Silbung ber menfchlicben Stimme unb Spraye einiger»
mafjen geförbert bot.
3Utmcrhmtgcn.
1) ®ie einzelnen giguren ftnfc ben SBerfen »on üufcbfa, ÜRerfel
unb ©toerf entnommen.
2) Sergl. auch be« SSeifafferS ©ctjrift ,Ue6er ben ^uften", granf-
furt a. SR. 1879.
3) Sergl. bie oben angelegene ©d)rift.
(T8fi)
Truif ven Unjtr (Sl). #nmm) in Vrrtin, fcdicntbfr^trfirafe» 17 1.
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3)<is kr %nm
in k«lturi)trd)iii)tlifl|rt unb aflftdifdjrr ßtiic|ung.
23on
Dr. ÜIoj Sdja^ler.
«erlitt SW. 1879.
33 erlag »ott Garl $abel.
(<C. <t. tuhrritj’*cjjt Brrlagibact]{jaaälmig.)
38. ■ errafit 33.
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35a* JHfdjt bcr Ueberftfcunfl in ftcmbe ©ptadjcn »irb eorbebalten.
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(Einleitung*
*£t>enn mau im gewöbnliten geben üott „3tonie“ fpritt, fo
»erfleht man meift nur barunter eine gewiffe §orm beö 2lu8»
btuefs, welche im Sefentliten fid^ baburt fenngeitnet, ba| ba8
©egenteil t>on bem gejagt wirb, wa8 gemeint ift; fei e8
ba§ bet Stebenbe bie '.äbftcbt h®b mifjoetftanben gn werben, aljo
über feine wahre SJteinung gu tauften, jei e§, ba§ et babei bad
tid)fige SSerftanbnife feinet wirfliten SKeinung oorauSfebt. 3m
elfteren §alle begiebt ftt jebot bie 3tbfidjt beö SJiifterftänbniffeS
nur auf benjenigen, gegen melden bie 3tonie fit richtet, nitt
aber auf bie unbeteiligten 3ubö*et. 3m ©egeutbeil gewinnt
bie 3tonie etft baburt eine ©pijje, bafj bie gelteren burt bie £ü Eie
bet 3tonie binbureb bie wabte ÜJteinung, nämlicb ba8 ©egen»
teil non bem ©efagten, erfennen, wobutt bet SBetroffene,
welcher baö ©efagte ahnungslos für aufrittig hält, ihnen later»
Ut, gewiffermafjen als ein leittgläubiget 5Dumm!opf, erfteint.
3m gweiten jfalle, nämlit wenn bet ironift Siebenbe nitt bie
Äbfitt gu tauften f^at, fonbetn ba8 Serftänbnif) feinet wahren
SEReinung ootauSfejjt — eine fform, bie im gewöbnliteu geben,
fowohl im ©ruft al8 im ©terg, eine »iel gröbere Stolle fpielt,
al8 man fit beffen bewußt ift, g. tö. in f ölten gang ttioialen
SBenbungcn wie: „ba8 ift eine ftöne ©eftitte!" unb taufenb
anbeten ähnliten, bie fofort »on 3ebem im gegeutheiligen ©intie
XIV. 332. 333.
(T39J
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4
»erftauben »erben — , fyat bie 3ronie bie 33ebeutung entwebet
beö inbireften Jabelö, »enn namlidj ein genfer ober ein Vergeben
gelobt, ober auch be8 8obe$, wenn ein tüdjtigeS 5Ber!, eine »er«
bieuftlidje £aublung, ©igenfdjaft u. f.f. — unb gwat gerabe inSDem,
»a8 fie auögeicpnet — in fdjergfyaft freunblitper SBeife getabelt
wirb, ©ieö ©ebiet beö ironifdjen 33erpalten8 Ijat einen fe^t
weiten Umfang, ba eö »on bem (Syrern beö liebenSwürbigfteu
SßoljlwoflenS (im itonifcpen Jabel) bis gum ftpneibenbften £ol}n
(im ironifdjen 8obe) eine unenblidje fReilje »on SKobififationen
umfaßt.
©leidjwoijl bilben alle biefe formen bet 3ronie, weil fie
lebiglidj eine jubjefti»*perfönlidje 33ebeutung Ijaben, nidjt
ben ©egenftanb unfetet Unterfudjung unb finb pier aud& nur er«
wäfynt, um fie auäbrüdflid) »on betfelben au8gufd)lie|en. 9lnr
biejenige Seite ber fubjeftioen 3ronie, welche einen äftljetifdjen
unb beS^alb unter bem Schein perfcnlidjer Bonn »erborgenen
allgemeinen SBertty befifct, fann für un8 in Brage fommen,
obann aber baS gro|e, fulturgefdj id^tlid) Ijödjft bebeutfame ©e«
biet bet objeftioen 3tonie, welche guweilen felber mit ironifcfyet
5Rebenbebeutung al8 „3tonie beö ©djitffalS" begeidjnct gu werben
pflegt, b. I). ba8 ©lement bet 3tonie alfl negati» tr ei-
ben be Ävaft beö fulturgefdfyidj tlidjen ©ntwicfelungö«
ptoceffeö.
Seoor wir aber biefe beiben Sorten ber 3ronie, bie wir
futg als „fulturgefdjicptlicpe" unb als „äftfyetifdje 3ronie" be*
geidjnen fönnen, näpet in’8 'Äuge faffen, ift e8 — um ben Ijiet
leicht eintretenben ÜRifjoerftaubniffen »orgubeugen — notpweubig,
un8 gunäcpft über ba8 SBefen ber 3tonie überhaupt, fowie über
ben Umfang iljreS ©efammtgebietö gu orientiren.
Syrern utfprünglidjen Söortfiun nad? bebeutet 3ronie (»om
griedjifcf) el'pco ) bloö ba8 „fReben mit einer beftimmten, nur
(7*0)
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5
feem {Rebenben befaunten 5£enbeng". Snbern nun auf festeren
§)unft, nämlich auf ben nerborgenen 3wecf beö fRebenß, bet
£auptaccent gelegt wirb unb eß für baß Verbergen einet geheimen
Slbftcht fein beffereß flRittel giebt, alß ben ©djein angunehmen,
bafj man gerabe baß ©egentheil ober wenigftenß etwaß non betn
SBeabfichtigten gangi33et}cbiebeneß begwetfe, fo liegt bie 33ebeutung
bet „Srouie" alß einet 33 er ft eil ung beß fRebenben fefyr nahe.
JDte ältefte befannte gorm folcher Sßetftellung ift bie bet „fofra»
tifehen 3ronte", welche barin befielt, ben ©tbein angunehmen,
alß ob ber fRebenbe über eine bem gewöhnten 33ewuf)tfein ge»
läufige ©ache nidjtß SBeftimmteß wiffe unb ben Sßunfcb hege,
fidj barübet bei ben „©achnerftänbigen" Stat^ß gu erholen; ba«
butch erhält biefe 9lrt ber Stonie bie gotm ber Stage. JDafj
©ofrateß unter biejem ©ehein beß ©idiunterri^tenwollenß bie
tiefere p^ifofop^ifd^e 9lbft<ht nerbarg, bie „©achoerftänbigen"
burdj ftetigeß SSBeiterfragen fchliefelid) gu 3Biberfprü<hen mit fid?
felbft unb baburd) gu bem ©ingeftänbnif* 3U bringen, bafj fie
felber nidjtß wüßten, ja baf} nielmehr baß ©egentheil non 2)em wahr
fei, waß fie bißh«r bafür gehalten: biefe fdjon ben fubftangieUen
Snhalt bet Sronie betührenbe Uenbeng fann crft fpfiter in 33e«
tracht gegogen werben, ba wir eß hier »werft nur mit ihrer
formalen 33ebeutung 3U tljun haben.
Slriftoteleß charafterifirt ben „3tonifet" alß ©egenfah gum
„fRenommiften" (älagonifoß) , inbem er in bie richtige SRitte
gwifdjen 33eiben benjenigen h*«f*ent, ber „einfach bie SBahr*
heit" rebet. 3« ber Sthat entftetlen beibe, ber Stonifer wie bet
gtofjfpred&erifche Stuf fchneiber , bie SBahrheit, aber auß entgegen*
gefegten ©rünben unb nach netfchiebener fRidjtung hi«- SDiefer
©egenfafc wirb am prägnanteren burch bie beiben lateinifchen
Slußbrücfe dissimnlare unb eimulare gefenngeichnet, inbem näm»
lieh erfterer unferm beutfehen „nerheimlichen, nethehleu", ber
fMl)
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gmeite unferm „heucheln, übertreiben" entfprid)t. Unfere SibeS«
formel, ba§ ber ©djnjßrcnbe „nichts als bie SBahrheit unb bie
gange SBahrheit" gu fagen gelobe, richtet fid) baljet mit großer
Sorficht gegen beibe formen ber Unwahrheit. 3« bet $hat ift
ber oon bem alten ©tagiriten aufgefteüte ©egenfafj, felbft in ber
form beS äußerlichen Verhaltens, fchlagenb* ber fRenommift, al8
gro&fptedjetifdjer Bügner, ift oorlaut, lärmenb, eitel, phantaftifch,
unoorfichtig abfprechenb; ber 3tonifer bagegen geigt fid) wort»
farg, fdjeinbar fid) unterorbnenb, aber aufmerffam auf jebe Vlöjje,
gurüdhaltenb im StuSbrud feiner Smpfinbung, feine ©eberben
be^errfdienb.
Sing ber nnrfjamften SRotioe für bie fomifche SBirfung
unb non wahrhaft braftifdjem Sffeft ift bafyer ber Äampf gwijchen
ben Vertretern biefer beiben Sjrtreme, gwijchen ‘-bem 3ronifer
unb bem SRenommiften. Um bie SBirfung beS jd)lief)lid)en SRe»
fultatS gu oerftärfen, nimmt ber Srftere, ber ©reßjprecherei beS
Betteten gegenüber, anfangs ben ©cbein gutmütiger ©laubig«
feit an, um ihn — wie $)ring -£>einrid) ben eblen SRitter galftajf
bei ber Srgüljlung beS ÄampfeS mit ben (Steifleinen — fic^
möglidjft tief in feinen Bügen perftriden gu taffen, bis fchließlid),
nad) Slufbedung bet Sattheit, bie Unoerfdämtljeit beS ©roß»
pral)lerS in fläglid)e Vefdjämung umfdjlägt; eine Vejd)ämung,
welcher fic^ freilich folftajf burd) neue lügenhafte SBenbungtn
ober burd) bonhommiftifd)e Vertufcßung gu entgiehen fud)t.
UebrigenS haftet ber 3ronie ebenfowohl wie ber fRenommage
eine oerborgene Buft an ber SSäufchung, eine ©djabenfreube
über bie gutmütige Vornirtheit beS ©etäufdjten, ja unter Um»
ftänben etwas SefuitifdjeS an. £)enn baS „3efuitifd)e" *) beruht
theilS in ber beabfidjttgteu £äufd)ung, baß ber SRebeube gwar
bem SB ortlaut na<b bie SBahrheit fagt aber gugleidj mit bem
Sorte eine Vebeutung oerbinbet, welche baS ©egentheil oon
(142)
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7
SDem enthalt, waß bet Slnbere barunter »erftehen foQ, theilß
barin, bah et nicht bie ganjc SBahrheit fagt, fouberu getabe
baß SBefentlicheJoerfchweigt, woburd) jugleich baß Unwefentliche
eine:Bebeutung erhält, ;welche oielmeht bie SBahrheit in Un»
Wahrheit netfeijten mu§. Befjtereß ift namentlich ber ©harafter
beß ©ophibmuß, jeneß antifen 3efuitißmuß, gegen ben ©ofrateß
mit feinet pofititen Stonie anfämpfte.
SBenn bie fofratifdhe Stonie l)ier alß „pofitiB" bejeidjnet
»itb, fo liegt bie Berechtigung bagu in bem Umftanbe, bah fie
fich eben babutch »on bem negatioen Verhalten beß ©ophißmuß
untetfcheibet, bah fie nicht wie bet leitete auf Betfehrung bet
SBahrheit in Unwahrheit, fonbetn oielmehr getabe auf (Sutbecfung
bet SBahrheit, b. h- auf -ßeraußfchälung beß wahren Äernß auß
bet ihn tetbergenben |>üUe bet fonoentionellen Borurtheile auß»
geht. 5)ie SJtethobe ift in beiben fällen eine itonifche, b. h-
formell negatioe, aber fofern bie fofratifdje Stonie ihre negatioe
©pifce gegen etwaß an ftch Siegatioeß — fei biefeß nun Bot*
uttheil ober ©o^tötnuß — rietet, muh baß Siefultat, bem
fubftanjieüen 3wecf gemäh, nothwenbig ein pofttioeß fein, b. h-
bie 3tonie wirb burd) bie 3erftorung beß negatioen ®<heinß
felber pofttiö.
JDiefe 2)oppelfeitigfeit bet Stonie, bah fie froh ihrer nega»
tioen gorm, b. h- alß BerfteHung beß itonifchen ©ubjeftß, hoch
ihrem lebten 3wecf nach butchauß pofitio fein unb fo ber fub-
ftansieUen SBahrheit aufrichtig bienen fann, ift nicht nur afthe*
tifch, fonbetn auch fulturgefchichtlich oon weittragenbfter Be--
beutung: wir werben fehen, bah bie 3tonie — welche ftd) ge»
fchi<htli<h wie inbioibuell überhaupt immer erft bann entwicfelt,
wenn bie gebiegene (Sinljeit beß Bolfß« ober Snbioibualbewuht*
feinß auß ber Unmittelbarfeit beß ®mpfinbenß emporgerüttelt
unb butch ben jerfehenben öinfluh beß refleftirenben Berftanbeß
(HS)
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8
in eine 3wiej}>attigfeit beS 3)afeinS getrieben wirb — »om älter»
tljum bi§ auf bie ©egenwart eine [Reihe non SBanblungen
burch läuft, welche fid} fämmtlich auf ben ©egenfafc einefi pofi*
tioen unb negatioen SnhaltS als eigentlichen 3»lS beS ironifd?en
Verhaltens gurücffühten laffen. Sßir lönnen beö^alb bet Äürge
falber, in £>infiCht auf beu fubftanjieHen 3*»edf , biefen ©egen*
fab als ben ber pofitioen unb ber negatinen 3tonie be*
getanen.
Snbeffen ift, wie fchon bemertt, baS Sßefen ber Sronie mit
biefem ©egenfaß, ba er immerhin innerhalb bet fubjeftioen
Sph“re oerbleibt, noch feineSmegS erfchöpft. 25ie Stonie fann
nämlich nicht bloß als theoretifcheS Verhalten eines ironifcben
SubjeftS gegemibet einer bornirten Stellung aufgefaßt »erben,
fonbern auch objeftio als bie praftifdje äuflöfung eines ge*
gebenen VerhältniffeS burch feine eigene Äonfequenjen, inbem
bie naturgemäße gortbilbung beffelben als SBibctfpruCh gegen bie
in ihm gu tealifirenbe 3bee fith ermeift. 3m ©roßen unb
©angeu fann biefer ^rogeß als bie 3ronie ber ©efchiChte
bezeichnet »erben, fofern fi(h in ihm baS 3beal bet allgemein*
menfChlichcu ©ntwicfelung burd) eine unabfehbare [Reihe oon
hiftorifCh aufeinanber folgenben Stufen gu tealifiren ftrebt.
äuch in biefer gaffung ber 3ronie läßt fiCh eine negatioe
unb eine pofitioe Seite unterfcheiben. £Die erfte liegt barin,
baß jebe gefChiChtliChe ©poche als ein noth»enbiger»eife einfeitigeS
unb befchränfteS Streben nach [Realisation bet 3bee erfCheint,
»elcheS burCh feine eigenen IRefultate »iberlegt »irb; bie pofitioe
grünbet fiCh auf baS erftchtlich ironifche Sethalten beS „SB eit«
geiftcS" gegen bie [Repräsentanten jenes ibealen StrebenS, b. h-
gegen bie hiftotifCßen gelben. SßaS biefe nämlich »öden, ift
ZunäChft, ihnen felbft meift unbewußt, nicht bie fRealifation bet
Sbee — unb barin liegt ißte Sdjulb — fonbern ißt eigenes
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heroifdjeS 3ntereffe: fRuhm @^re, 5Ra<ht, ^»errfchaft; unb wenn
fie btefi 3ntereffe unter bem panier eines ibealen, b. h- auf bie
{Realifation ber 3bee gerichteten ©trebenS gu »erfolgen behaupten,
fo reben fte wahrer, alS fie felber glauben. 35enn eben hierin
befteht bie Sronie ihres ©djictfalS, bafc ihre Seibenfchaften , an
benen fie als an ihrer ©chulb untergehen, in ber $hat füt beu
SBeltgeift bie wahren £ebel gut ©erwirflichung feiner weltge«
fthithtlidjen 3wecfe abgeben. ©inb biefe feine ßwecfe, welche
aber nach einer gang anberen fRidhtung h*n liege» als bie
Slbficbten ber ihm bienenben gelben, erreicht, fo werben bie
lefcteren cntweber wie ©afar unb SBallenftein ermorbet, ober
wie Napoleon auf eine wüfte 3nfel »erbannt, wenn fie fi<h
nicht felber, wie ÄarlV. in eine melancholifche ©infamfeit
gurüdgiehen ober wenigftenS wie 2U er an ber in ihrer 3ugenb
fterben. ©raufarn aber erfd^eint biefe 3ronie, wenn eS fidj
Wirtlich einmal um ein »on ber 3bee wahrhaft erfülltes 3nbi»i»
buum hanbelt; gewöhnlich übernimmt bann bie fRaticn felbft, ber
eS angehört, bie ironifdje SRotlc beS SBeltgeifteS, inbem fte eS
gum Sohn opferfreubiget Eingebung entweber wie 9t r i ft i b e 8
ben „©erechten" oftracirt ober wie ©ofrateS ben ©iftbed^cr
trinfen ober wie ©olumbuS in betten »erfdjmachten läfjt.
2öenn bie im SBeltprogef) liegenbe 3ronie ber ©efchichte,
bie wir furg als „fulturgefchichtliche 3ronie" begegnen tonnen,
burchauS ber objettiuen gorm biefeS ©egriffS angehört, fo par»
ticipirt bie „äfthetifdjc 3ronie", b. h- ber ironifd>e 3nhalt in
$orm fünftlerifcher 9lnf^auung fowohl an ber objectioen wie an
ber fubjefticen gorm, an ber festeren feboch nur infofern, als
bauon, wie fchon ©ingaugS bemertt würbe, bie rein perfönliche
©egieljung auSgufchliefcen ift, fo baf) fte wefentlich allgemein*
menfcbliche ©ebeutung behält. 2)enn felbft ba, wo eS fich, wie
in ber „©atire" unb in ber „jtarrifatur" fcheinbar um beftimmte
(T4i)
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§)etfönlichfeiten fymbelt, ^aben bicfe gormen bo<h nur infoweit
äftbetifchen SBerth, alß biefe $>etf6nlichfeiten alß typijcbe Sie»
präfentanten ganger Älaffen, aljo in ihrer aflgemeinen etlichen
23ebeutung, aufgefafjt werben. S)aß „IßaßquiU" tyat, weil eß nur
bet petfönlichen ©atire bient, eben beöljalb Temen böseren äft^e»
tifchen Sßertb- —
5)er ©runb nun, warum bie äftbetijdje 3tonie an bet ob»
jeftioen fowohl wie an bet fub jeftioen §orm participirt , liegt
barin, bafc bie funftletifche Slnfdjauung felbet fowot)l objefti»,
b. b- bem S3olfßgeift einet beftimmten $)eriobe fulturgefchichtlichet
©ntwicfelung immanent unb unbewußt witlfam, alß auch fab>
jeftio, b. b- in bet fonfreten gorm fünftlerifcher 9>robuction auf»
tritt. SDiefe leitete ha* felbftöerftänblid) ihre Quelle in be»
ftimmten 3nbioibualitäten, bie burdj itjve ©chöpfuugen bie bem
Sßolfßgeifte immanente äfthetifche Sffieltaufchauung in lebenbigen
©eftaltungen tealifiren. 3u biefem ©inne fann man g. 33.
jagen, ba& ^>^ibiaö ben ©riechen U)t „Supiteribeal", Siaphael
ben romanifcben Siölfern bet JRenaiffance U)r „fÖlabonnenibeal*
gefcbaffen, inbem fie bie in biefcn 336lfern unbewußt lebenben
SHnfcbauungen gu fonfreten ©eftaltungen erbeben.
2)ie objeftioe gorm bet äftbetifdjen Stouie ift, wie leicht
begreiflich, »en bet fulturgefchichtlichen 33etradjtung jcbwet gu
trennen, weil fie einen wesentlichen 2he»t bet fulturgefchichtlichen
©ntwicfelung fclbft bilbet; ebenfo fchwierig ift aber anbererfeitg
bie Trennung bet fubjeftioen j$orm berfelben oon ihrer objeftioen,
weil lefjtere ja ben wefentlichen 3nhalt bet erfteren bilbet unb
wenigftenß butch fie notbwenbig bebingt ift. ©ß wirb bähet
bei bet fulturgefchichtlichen SSetrachtung nicht gu umgehen fein,
auch cmf biejenigen funftgefchichtlichen ©rfcheinungen, namentlich
im 33eteich bet $>oefte, aufmetffam gu macheu, in benen baß
©lement bet 3tonie gut ©eltung gebracht eTfcheint. Uebtigenß
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fann tyter fogleicb bemetft werben, baff fid) bie fünftlerijcbe Ser«
wertljung itonijcbet 3been nidjt blofj auf bie $>oefie befdjräött,
fonbern baf} aüe .fünfte gu »erjcbiebenen 3eiten mehr ober weniger
baran üfyeil nehmen, wo»on am ©cblufj einige ©eijpiele ge*
geben werben foBen.
1. Qie hnlt«rgefdiid)tlid)C öebcutung Iler 3tonie.
SBenn einer ber größten SDenfet bet SReugeit bie SB eit ge»
f dudjte alb ben „gortjcbritt in bem ©ewufetjein ber greibeit"
befinirt, fo foll bamit — gleichgültig, ob man babei an politijcbe
ober fittlidje ober an geiftige Freiheit im SlUgemeiuen benft —
gunäcbft nur aubgejprocben werben, baf} bie aBgemeine tnenfcb»
liebe ©ntroitfelung überhaupt auf ein ibealeb Biel ficb richtet,
weiter aber, ba biefer gortjcbritt ein unenblicber, jebe ©tufe
in bemjelben alfo gugleid) mit relatioer Unfreiheit behaftet ift,
bieb, bah bab 3beal ficb burebaub ironijeb gu ber SBirflicbfeit
»erhält. Söie febon oben bemetft würbe, erfebeint nämlich jebe
9>bafe ber gejd)icbtlicben ©ntwicfelung, wenn man jeben eingelnen
gortjcbritt an bem 3beal mijjt, alb bie objeftiu*itonifc^e SBiber*
legung ber 3bee, welche in ber ihr ootaufgehenben gut ©erwirf«
Hebung gelangte; ironijd) beshalb, weil an bie unbebingte Söahr»
heit unb abjolute ©eltung jener 3bee jo lange geglaubt worben
war, bib ihre SBiberlegung, b. h- &er fRadjweib ihrer ©ejdjränft»
beit, oft genug mit bem BRärtprerblute ihrer ©laubigen, in bab
eherne 33ud> bet ©ejcbidjte gejebrieben würbe. 3lbct bie neue
3bee, bie triumphireube ©iegerin übet baß alb bornirt erfaunte
Sllte, »erfättt übet furg ober lang berjelben 3ronie beb ©cbicffalb,
unb eb geigt ficb jcbliefelicb, ba§ in bem unaufhaltfamen f ultut*
procef) nach ber einen ©eite hin überhaupt ber ironijebe ©inn
liegt, bafj eb nid)tb gefteb unb Unwanbelbareb in ber SBelt giebt,
ba§ nicht nur bie ^Realitäten beb 2)ajeinb in ihren wecbfelnben
gormen, fonbern auch bie fie etgeugenben unb begeiftigenben
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3been unb folglich mit ihnen bie einanber ablöfenben Sbeate bet
SJienfchheit fortwährenber 33ernicbtung unterwerfen finb.
£>enn was hilft eS, ftdj bamit tröften gu wollen, bafe bei
biefem fonfequenten SBerwefungSprocefe, ben man (,©efdjid?te bet
SJienfchbcit" nennt, aus jebem gu ©taub gerfallenben SebenSfreife
fid} ber Äeim gu einet ^ö^eren ©p^äre geiftigen Gebens entfaltet,
wenn baS le£te Biel in ber Unenblidjfeit Hegt, b. 1). unerreichbar ift?
Unb wenn nur wenigftenS fold)e SBanblung ftetS auch wirf*
lieh eine SJietamorphofe bet weltgefchichtlichen fPfpche gu einem
höheren Sehen wäre; aber bie Sronie Hegt in höherem ©rabe
auch barin, bafj ftatt beS gu etwarteuben ©chmetterlingS ftch oft
genug blof) ein efler SBurm auS ber Satue ^erauSfdhält, bet
unfern Stbfdjeu ober unfet ©elä<hter erregt; unb groar finb eS,
um biefe 3ronie noch weiter gu potengiren, meift gerabe bie
ebelften unb höchften 3been, welche ber gerfejjcnben jfraft beS
wetthiftorifchen SatumS am meiften auSgcfefct gu fein fcheinen.
SBelche SBanblungen hat nicht beifpielSweife bie reine unb ihrem
S3eruf nach weltbeherTfchenbe Sehre beS icealen 33egrünberS beS
©hrffi««thwm8 Saufe ber 3ahthunberte erfahren muffen! ÜJian
erinnere fich ber SDRiÜionen, welche feit faft gwei 3ahttaufenben
für baS ^rincip bet „felbfifuchtSlofen ÜHenfcheuliebe" auf gahl»
lofen ©cbladdfelbern bluten, auf ben Sutobafe’S ber fpanifchen
Snquifition oerfohlen, in ben ÜJtetjeleien bet ^Bartholomäusnächte
ad majorem dei gloriam ftch gerfleifchen laffen mußten! SOian
benfe aufeerbem an bie Stiefe jener taufenbjährigen fRadjt rohet
^Barbarei, Welche auf ben ftrahlenben ©lang ber antifen Äultur*
blüthe in Äunft unb SSiffenfchaft folgte, unb man wirb eS
nicht mehr fo uuerflärlich finben, wenn — non ber frioolen
SBeltanfchauung beS UJlateriatiSmuS abgefehen — felbft tiefere
JDenfet in ber SBeltgefchichte nichts SlnbereS fehen als ein gu»
fammenhangSlofeS ©piel beS blinben unb unoernünftigen BufaQfl.
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Dennoch giebt e8 gegenüber foldjer pefftmiftifc^ett SBeltan»
fdjauung, bie nur $u leidet au8 ber Grtfenntnife rejultirt, baß tu
bet weltgejdjichtlidhen (Sntwicfelung fein feftcö ©efefc ftetigen
gortjdhrittS ejriftirt, eine gorm ber ^Betrachtung, welche — obwohl
felber mit bet 3tonie »erwanbt — boch bie Duelle tieffter SScrfo^»
nung in [ich birgt ; eine Duelle, au8 bet oon jeher bie cbelften Qjeifter
ben üethetranf troftuoUer ^Beruhigung geköpft habe»: biefi ift
bet echte ,£>umot, ber allein im ©tanbe ift, bie Unnahbarfeit
ber uitenbHchen 3bee mit ber Sejdjränftheit beö enblidjen 3nbi»
»ibuumS ju »ermitteln. 5Dic8 beS Näheren nachzuweijen, ift hier
inbefe noch nicht ber Sugenblicf gefommen; junachft ha^cn wir,
»on bem oben gefennjeidweten ®eficht8pnuft auö, einen furzen
fRücfblic! auf bie ^auptfäc^lidhftexi (Sntwicfelungöftabien jene8
9)roceffe8, ben man unter bem SJitel „SBeltgejchicfcte" ju begreifen
pflegt, 3U werfen, ehe auf ben dharafteriftifchen 3nf)alt ber ein=
jelnen großen @po<hen eingegangen werben fann.
1818 baS eigentliche ^rincip ber weltgej^ichtlidhen @nt»
wicfeluug, b. h- «18 ba8 wahrhafte 58ewegung8gejefc be8 ge»
fammten |)roceffe8 ift, wie tytx jogieich in gorm einer &hefe be«
hauptet werben fann, jener tiefe SBibetfprudj jwijchen bem
Sbeal unb ber SBirflichfeit ju betrachten, ber oben al8
„Sronie ber @efchi<hte“ bezeichnet würbe.
©<hon in ber altbiblijchen ÜJlpthe »om „©ünbenfatl" fpridjt
fich ba8 ^)riucip biejeS Sewegung8gefefce8 auf ebenfo unbefangene
wie braftifche SBeije au8. Da8 $)arabie8, al8 bie8 lofaliftrtc
©pmbol ber noch ungeftörten, unmittelbaren Einheit be8 @eifte8
mit bet Sftatur, enthielt befanntlich neben bem „Saum be8 gebenS"
auch ben „SBaum ber @rfenntui§“. 3n bem göttlichen Setbot,
»on ben fruchten be8 legieren zu effen, liegt aber felber fdjon
bie inbirefte Sufforberung baju, b. h- bie Seftimmung, baß bie
Einheit be8 ©eifted mit ber SRatur, in golge einer ©dhulb, burdj
(74»)
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©rfenntnifj aufgehoben unb fo bet Anfang be8 $>roceffe8, b. b.
bet crfte Stritt auf bem unendlichen Sßege gut Freiheit , ge*
macht »erben foüe. SBäte bie8 nicht feie Slbficht ©otted ober,
was baffelbe befagt, nicht bie göttliche ©eftimmung be8 SJtenfchen
gewefen, fo hätte ja bet ©rfenntnihbaum gat nicht gepflangt gu
»etben brauchen. 5)ie «Schlange, als «Symbol bet Unenblidjfeit
be8 ^roceffeS, erfcbeint nun felbet aI8 biefe »erforderte Sronie,
ba§ ba8 göttliche ©eichen! bet Freiheit be8 ©eifteS immer nur
al8 abftrafte8 3beal, al8 Ie£te8 gu erfttebenbefl 3iel, niemals
aber als »olle 58ahrheit in ber SBirfli^feit gu erfaffen fei, fo baß
fte im ©runbe alfo immer al8 ihr ©egentbeil, als Unfreiheit, ftch
tealifiren muffe, ©leidjroohl ift ohne 3»eifel bieS unenbliche
«Streben nach Freiheit »on unenblich hühctem SBerth ale jene
ungeftörte ftabile ©inljeit mit bet 9tatur, in »eichet ba8 2-h^
fich glüdflich fühlt, ohne freilich banon gu »iffen; unb man fann
baher ba8 Feigenblatt, womit 21bam unb @»a, als bet ©lifj bet
©rfenntnih in fte eingefchlagen war. ftch nothbürftig befleibeten,
nicht nur als baöSpmbol be8 erwachten fittlichen ©efühlS betrachten,
fonbern auch «18 ba8 etfte ©latt in bem gtofeen Folianten bet
menfchlichen Äulturgefchichte, »ot 9lHem aber als ben erften
FreiheitSbrief unb als ba8 @hten«3>idlom füt bie ©efähigung,
in aller Äunft unb SBiffenfchaft nach ben hödjften 3ielen gu
ftreben. ©8 fcheint inbefc, als ob biefe 9lu8jtcht füt ©ott, ba e8
freilich gu fpät war, etwas überrafdjenb gewefen fei, benn fonft
würbe et nicht, mit einem Slnflug be8 ffteibeS bet antifen ©ötter,
ben ©ngeln, wie bie ©ibel ergabt, gugerufen haben: „«Siehe,
nun pnb fie geworben wie unfet ©inet — unb wiffen, wa8
gut unb böfe." 3Bäre biefe biblifche 35atfieQung be8 $>roeeffe8
nicht fo gweifeDoS nai» unb ernfthaft gugleidj gemeint, fo möchte
man bet biefen Sßorten Sehooa’8 felbet faft an fjtonie benfen.
SDafüt mufe et fich aber gefallen laffen, bah ihm fpätet bet Teufel,
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tote un8 beffe« neufter großer (S^ronift wahrheitsgetreu mittheilt,
übet bie ©mancipation be8 SDtanfdbengeifteS »on bet €Rat«tetnl>eit
baS ironifdje Äompliment madjt:
Sin wenig fceffer ttfirb’ et leben,
§ätt’ft Du if>m nid;t ben ©c^ein be8 ^)immel8liibt8 gegeben;
©r ntnnt’8 Vernunft unb braud)t’8 allein,
Stur ttjierifcber al8 jebeS SLljtet }U jein.
Denn bte ©mancipation ttoit bet Statur — gum 3rofdE bet
33er»itflicbung beS 3beal6 geiftiger f?reü>eit — Ijat ihre eigne
3ronie betritt, bajj trotj 9Wem bet ©eift mit bet Statut behaftet
bleibt, jo ba§ jene SSermirflichung nut als ein unabfehbarer Äarnpf,
als ein unenblidjeS Streben banad) erfdjeint. Diefer .ftampf ijt
eben baS erhabne Drama bet 2Heltgefchichte, beffen einjelne 9lfte
burdj bie grabweife fid) gu ©unften beS ©eifteS ceränbernbe
Stellung bet beiben fämpfenben SJtädjte begeidjnet »erben.
©tfter Slf t: £>rientaliSmu8; Uebetgewalt bet Statur, gigan*
tifdjeS Gingen beS ©eifteS mit bem Stoff, wetbnnbcn mit bem
bumpfen Sdjmerggefüht feinet relativen Dl)nmad}t. —
3»eiter2lft: |>etleni8mu8; ©tringen eines ©leichgewidjtä
gegen ben Stojf, Statut unb ©eift in fdjeinbaret 33etfö^nung,
#eiterfeit beS fit^ nunmehr gleid'beredjtigt fühlenben ©eifteS,
SEBelt bet Schönheit. —
Dritter iS ft: SDtittelolterlidheS ©hriftenthum ; ©rhebung
beS ©eifteS übet bie Statut im 9>rincip gefegt, in SBirflidjfeit
aber nur in bem negativen Sinne einer abftraften 23erinnetHdiung
einetjeitS unb einer ebenfo abftraften Serienfertigung bet getftigen
grei^eit anbtetfeitS, bähet »erbunben mit einet auS biejem SDRife*
»erftänbnijj erzeugten, rohen 93erän§etli(bung bet religiöfen ©mpfin*
bung unb thatfäd)licben barbarifdjen Unfreiheit. —
33 i et t er 31 ft: SDtaberne 3eit; bet ©eift beftnnt ftd) auf
baS in’S ©egent^eil »erfehrte ^rincip bet Freiheit beS SubjeftS
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unb [ud>t in ber ^Reformation unb bet äftbetifdjen SBibergebutt
(fRenaiffance) bie gormen feiner ©flaoetei Den ftd) abgufto&en.
SDiefer jfampf führt 3unäd)ft auf ber einen ©eite ju friooler
gormlofigfeit überhaupt, auf ber anbern gu einet abftraften IReaction
bagegen. 3n bet franjöfijdjen JReoolution planen biefe ©egen»
fäfje aufeinanber, ohne baf) eS, ba bie Äonjequenjen beö $)rincip8
nicht in rein ibealem ©inne gejogen »erben, ju einem enb»
gültigen, pofitioen SRejultat fame. 35er Äampf bauett baber
fort unb breitet fid} übet ade ©paaren beS praftifcben Sebenö
aus. &ber baß öewufjtfein über feine 33ebeutung unb fein 3icl
ift butdj baS Siebt ber neueren ^^ilofop^ie ju tjö^erer Älarbeit
gelangt. —
SDiefe $auptafte, in benen ficb bis jefct bie weltgefehidjtlicbe
Stragöbie abgefpielt bat, gliebern ficb weiter gu befonberen ©eenen,
in benen bie oetfebiebenen ©ba rattere, b. b- bie gegenjäfjlicb be»
ftimmten SBolfSgeifter unb beten IRepräfentanten, bie weltgejebicbt«
Heben Snbioibuen, in Stction treten unb baburd) bie $anblung
fortfpinnen. 35ieS b*€r iw Detail gu betrauten, fann ebenfo
wenig unfere Aufgabe fein, als eine 2$ermutbung barübet ju
wagen, welche weiteren Ufte Heb in ber 3ufunft no<b an bie ge»
f<bilberten anfebtiefjen bürften. Söettadjten wir baber jene £aupt»
epodjen ihrem eigentlichen SBefen nach nähet.
SDie als unlösbar ftd) etweifenbe SBerbinbung beS ©eifteS
mit bet Statut nimmt gleichwohl, iw Saufe bet ©ntwicflung,
eine fteHg wcdjfelnbe gorm an, b. b- baS SSerbältnif) ber dlatne
jum ©eift ift einer ftetigen ÜJiobiftfation unterworfen; einet
ÜJiobifitation, bie fid) als Äampf jwifeben beiben ebarafterifirt.
3n ^inftdbt auf baS 3U errcicbenbe 3iel erfebeint bie diatur als
baS negatioe ©lement unb, ba fte jwar befämpft, be^w. 3U einet
relatioen Unterwerfung gebracht, aber nie Döllig befiegt werben
fann, als bie ironifdje dRacbt gegen baS unenblicbe düngen beS
(7SS)
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©eifteö nach Sefteiuug. Sie ift baß Stoffliche, bte materielle
Schroete, bie eiferne Äugel, bie bet ©eift in feinem irbifchen
©efängnifc mit fid^ fdjleppen mu§ unb bie ihn felbft am Ar-
beiten hebert. SDenn baß Schlaraffenleben beß $>arabiefeß ift
ju ©nbe; Abam muh „arbeiten", nicht nur um ju leben, fonbern
auch um eine Familie ^u grönbeivu. f. f. 93oQenbß in bet erften
$>eriobe bet Uebermächtigfeit ber Statur, im JDrientalißmuß,
prägt fich biefe iremfdje Stellung bet Statur gegen ben ©eift
ju berbfter ©eftaltung auß: im S taat alß abfoluter SDeßpotißmuß,
b. h- alß bie 3rouie gegen baß allgemein menfchliche Stecht per»
fonlichet Freiheit, in ber Äunft alß $inaußfchroeifen bet $)hantafie
in’ß Äolofjale, Ungeheuerliche, grahenhafte, b. h- a!S 3tcnie gegen
baß ©efefc ber Schönheit, in ber Steligion einerfeitß alß bie
Angft »or bet blinben SÖtacbt bet anthropomorphifirten Statur-
gemalt in ben ©öttern, anbrerfeitß alß peffimiftifche üHefignation
(g. 33. im bubbbaiftif<hcn Atheißmuß), b. h- alß 3ronic gegen
bie im ^Srtncit> gefefjte ® ottätjnlidhf ett , in ber Sittlichfeit
»otlenbß alß batbarifche Selbftjucht unb ©raufamfeit, b. h- alß
3ronie gegen bie SBitlenßfreiheit beß Snbioibuumß.
3m SDrientalißmuß fann übrigenß bie 3ronie, ber in ihm
noch hertfdjenben Untercrbnung beß ©eifteß unter bie Statur
halber, nur in biefer ihrer objeftioen gornt etfcfceinen; jut Sub-
jeftioität fehlt ihm eben bie höhere Freiheit, bie Selbftänbigfeit
beß Selbftberouhtjeinß, melche ber ©eift erft in ber Antife er-
reicht. £Der Orientale bemegt fidf baher meift in Staturertremen;
er ift phlegmatifch ober tigerhaft leibenfdjaftlich, in feinen 33or-
ftellungen gigantifch-groteßf ober bijarr-fleinlich n. f. f. , unb ade
biefe ©egenjäfje finb in bem ©tunbton einet bumpfen 33er-
innetlichung geftimmt, ber oft — mie bei ben Aegpptern unb
3nbern — ben ©fjatafter einer tiefen ÜJielancpolie an ftch trägt.
Auf biefem Stanbpunft ift mohl Stefignation unb Selbftquäleret
XIV. 33S. SJl. 2 (7SS)
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in aßen formen, aber feine 3ronie möglich; benn biefe ift nur
$robuft ber fReflejrion, lefctere aber »ieber nur alö 33eftnnung
beß 33erftanbeß auf ficb> feibft unb feinen Suftaub benfbar. £iert>on
aber ift in bem norantifen Drientalißmuß gar nid^t, unb auch
in ber antifen Sßelt nicht eher bie JRebe, a(ß nach bem 33rudh
ihrer ©inheit mit ber fftatur, 91 ber ber ungeheure gortfdjritt
»um Orientalißmuß gum ^eßenißmuß ift ber, ba§ baß CRSthfel,
»aß in jenem bet SJienfch fiep felber »ar, non biefem gelßft
»urbe: eß ift baß fRäthfel jener geheim nifwoßen ägDptifcpen
Sphinj:, Me, alß eß non Oebipuß errathen »ar, fiep für immer
in bcn 9lbgrunb ftürgte. —
2)ie antife Söelt ift baß Sünglingßalter ber SRenfcpheit;
in ihr fcpauen wir mit ftaunenber Stützung jene wunberbare
93erföpnung beß ©eifteß mit ber Statur, jene ^armonifc^e 93er*
fcpmelgung beiber Elemente gu einem heiteren Dieid) ber Schönheit
an, »eiche — »ie aud) im ©ingelleben beß SRenfcpen bie 3ugenb
— nur einmal unb auf furge 3eit i^rc herrliche S3lütpe ent-
faltet iSber biefe furge 93lütpegeit feibft pat nach rücf* unb not»
»ärtß Uebergangßftabien: eine norbereitenbe ©poche oerfcplofjenen,
herben Änoßpenbafeinß — biefe bilbet ben 3ufammenhang mit
bem Drientalißmuß — unb eine ©poche biffoluter ©ntblätterung
unb profaifcper ©rnüchterung — hier fnüpft fich baß aßet
poetifdjen 3ßufionen baare SRömettpum, bie lebenbige 3>ronie auf
bie 3bealität beß ^eßenißmuß, an, biß an ihm, alß cß an feiner
eignen Korruption erfticfte, bie ©efcpicpte feibft bie 3ronie übt,
ba§ eß ben JDünger für eine oöflig neue Söeltgeftaltung abgeben
mujj. So anmutbenb nun auch ein 33licf auf jene herrliche
Schöpfung beß SBeltgeifteß , bie petifleifche 3eit ber flafftfcpen
äntife, »äre, fo haben »ir bocp, um unferm 2hma gerecht gu
werben, unfere 9lufmerEfamfeit oorgugßweife auf jene Uebergangß*
ftufen am 9lnfang unb ©nbe berfelben gu richten.
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©ang abgefeben »on bem fytftorifdj nachweisbaren 3ufantmen»
bang bet antifen mit ber orientalift^en SBelt, treten unS in ibt
eine {Reibe oon {beeilen {ßorftellungen entgegen, welche nur au8
folget iBerbinbung erflärt werben fönnen; gunädjft bie 3bee be$
gatumS, als einer blinben unb abfoluten üRacbt gegen bie freie
Selbftbeftimmung, einer 5Racbt, ber felbft bie unterblieben ©öfter
unterworfen waren. SDie fpticbwörtlicbe „SBlinbbeit beS gatumS"
ift aber nur ber fpmbolijcbe Stuöbrucf für bie Unbegreiflicbfeit
feines SBaltenS, obgleich bie SBorfteOung non feiner Unabwenb«
barfeit fidj nidbt feiten mit ber 2U)nung einer in ibm ficb auS*
fptedjenben bötjeren (ibeeden) {Rotbwenbigfeit uerbinbet. {Der
5Di<bter brüeft bie8 febr begeitbnenb baburdj auS, baf? er e8
fibilbert al8
, fca« grofje gigantifbe «Scbidfal,
SSeldjeS ben ÜRenf^en erbebt, wenn e8 ben SRenftben gemalmt. *
{Dennoch entflicht biefe SBorftetlung nicht gang bet antifen 2ln«
febauung; richtiger (im antifen Sinne) mühte e8 oielmebr (bureb
UmfteQung ber beiben S£b«le b«8 Pentameters) ^et§en:
„SöelcbeS ben 9Jtenfcb«n gemalmt, wenn ti ben HJienfcf'en erbebt.*
Unb fo gefa§t, liegt bie im {Begriff be8 ftatumS auögebrücfte
3ronie bet ©ef<bi<hte flar gu Stage.
{Die praftifebe gotrn beS gatumS als einer unerflätlicben uitb
unabwenbbaren ÜRacbt offenbart fidj in ber mpftifeben Drganifation
beS DrafelS, beffen boppelfinuig progo^etifeben 2luSjprü<be oft
einen burcbauS ironifeben ©barafter ba&en- s^l8 ÄröfuS in {Delphi
begüglicb feines gelbgugeS gegen ©pruS anfragte, erhielt er bie
Antwort: „SBenn SDu über ben ^»alpS gehft, wirft SDu ein gtofceS
{Reich gerftören." ©rfreut über biefen glücfoetbei&enben {Befdjeib,
hanbelte er banacb unb gerftörte in bet Sthat ein gto&eS {Reich,
aber — eS war fein eigenes, benn et würbe con ©pruS ge«
2 * (7»)
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fd)Iagen unb gefangen. @8 ift bieS einet bet Dielen SBeläge für
ben antifen ©ophiSmuS: ba8 Oralei fpradj bie 5Bat)rheit, aber
e8 war nicht bie gange SBahrheit, unb fo fdjlug bet unmittelbare
©inn in fein ©egentheil um, b. h- et war eben itonifd) gemeint.
2lm braftiidjften geigt ftch bie 3ronie be8 OrafelS in ber 9Jh)t^e
Dom OebipuS. ©einem SBater gaioS, Äonig Don J^eben, bet
fich eineä unnatürlichen 8after8 fdjulbig gemacht, würbe Dom
Otafel Derboten, fich 311 Derheirathen, mit ber 25rohung, bafc im
ftall beS UngehotfamS bet auö bet @he tjerüorgeljenbe ©ohn ihn
etfchlagen unb feine eigene SJintter ^eirat^en werbe, SaioS h et»
rathet trofcöem bie Sofafte, OebipuS wirb geboten unb Don feinen
unnatürlichen Sltetn butch tfluSfefcung bem Stöbe geweiht. ©r
wirb inbe§ gerettet, nach Korinth gebracht unb bort als ©ohn
beS ^olpboS erlogen. 2118 er jebo<h erfährt, baf) fPolpboS nicht
fein S3ater fei, wenbet er fich an ba8 Orafel, um feine $erfunft
gu erfahren, ©tatt beffen erhält er Don biefem bie SBatnung,
„et folle fich »otfehen, bah er nicht feinen 33ater erfdjlage unb
feine SJiutter heiwthe". 3n ber SBorauSfefcuug, bah biefe fid) in
Äorinth befinben, wanbert et au8, trifft auf ber ©reuge Don
Theben auf einen fDiann, bet ihn beleibigt, unb erfchlägt ihn
— e8 ift SaioS. Unwiffenb beffen lommt et nach Sieben un&
heirathet bort bie 3olafte. — ©0 wirb gerabe bie StuSfefcung
be8 ÄinbeS für 8aio3 bie Urfache, baff ftd) ba8 ©efhicf an ihm
erfüllt, unb ebenio führt bie 2lu8wanbetung be8 OebipuS gerabe
gu bem 2lu8gang, ben er baburch oermeiben will. JDaS ift bie
Sronie in ber gangen fataliftiichen ©ntwicflung. OebipuS ift an
fich fdjuibloS, benn einen Seinb gu etfchlagen, galt bem antifen
Sßewuhtfein als fein Verbrechen; nur bah eS gerabe fein Vater
war — aber eben hierin war er unwiffenb — macht bie Sthat
gu einer im antifen ©inne gu fühnenben ©thulb. OebipuS ift
auch hievon fo übergeugt, bah er, um fich 3U beftrafen, fich &ie
C756)
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8ugen auBfticht. SDiefe ©elbftbefttafung etfdjeint bähet unferm
mobetnen ©efüfjl in gar feinem SBerhciltnifj gu bet 2;hat, b«
man Ijßdjfteiie Uebereilung »orwerfen faun, gu fielen, unb bod>
ift gerabe biefe fatatiftifc^e Stonie beB ©efctjicffl bet eigentliche
©runbcharafter bet antifen Stragßbie.
hierin erfennen mit gugleid? bie ©renge bet antifen ©itt«
liebfeit: ba bet ©eift gwar nicht mehr, wie im ßrientaliflmuB,
ber SRaturmad)t unterworfen ift, jonbern ibr gleichberechtigt gegen«
übet fteljt, bod) aber an fte gebunben bleibt, fo erhält baB ©djicffal,
ttofc feinet tieferen etbifcben SBebeutung, bie gorm einet bunflen
fRaturmacbt, bie alB fReib ber ©ßttet porgeftellt wirb, weichet ftd)
oorgugSweife gegen bie ©tßfce unb ben ©lang bet ^eroifd^m ®e*
fehlerer richtet unb bie tücfifcbe 5Racbt beB bßfen 3ufaUB benufst,
um fte in ©djulb gu ftürgen unb biefe ©djulb bis in’B britte
unb eierte ©lieb fortwucbern gu (affen. 60 erfc^eint baB antife
©cbicfial furchtbar unb erregt ©raujen burdj ben ungelßften
SBibetfptucb, bafj e§ halb alB fittlidjefi ©efefc, halb ale blinbed,
gegen bie Freiheit beB ©eifteß bafeerfönteB SRahitwalten erjd)eint
SDet „9leib bet ©ßttet" fdjwebt, gleich einem SDamofleßfcbwerbt,
füt baB heßenifcbe Sewufjtjein über jebem @lücflid)en. 5>ahet
bie unferm mobernen ©efüljl faft fomifcb etfcbeütenbe gludjt beB
gteunbefi beB ^olpfrateS, alB biefem bet ben ©ßttetn geopferte
fRing gutücfgebracbt wirb; benu er etfeunt barin bie unoetfßhu*
liebe Slbfidjt ber ©ßttet, ben $)olpfrate8 gu terbetben. Such in
ber rübrenben ©rgählung bet 3ünglinge ©leobiB unb 93pton —
beten SJJutter , auB $teube übet bie @btfurd}t, welche ihr »on
ihren Äinbetn gegollt würbe, gu ben ©ßtteru gebetet, bafj fte
ihnen baB bem ÜJtenfchen ©rfprie§li<bfte gu $b«l werben (affen
mßchten — fpricht fich jene tragifche 3tonie auf braftifdje SSeife
auB; benn .frerobot ergäbt, baf) nach jenem ©ebet bet SRutter
bie Sünglinge in bem Stempel eingefchlafen unb nicht wiebet et«
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wadjt feien, wobutch bie ©ottheit habe anbeulen wollen, ba| bera
SRenfdjen ju ftetben erfptiefjlichet fei, als ju leben: eine gegen
bie SRutter offenbar itonifd) genutete ©ewäljtung ihrer Sitte.
9tn biefet ©teile tritt bie fc^on oben angebeutete Sorberung
an unS fyeran, einen ©eiteublicf auf baS objeftio*ä|thetifche SBor*
fteHungSgebiet ber Slntife ju werfen'; unb wir fönnen uns ter*
felben um fo weniger entziehen, als fa baS gefammte ^eüenif^e
©eifteSleben, namentlich baS teligiöfe unb ethifdje, mit fünft*
letifdjet 9lnf<hauung gleichfam burchtränft ift: alle religiöfen unb
ethifdjeu 3been geftalten ftd) mit einem Söorte bei ben Hellenen
ju fonfreten ©chönheitSgeftaltungen unb finb mit biefen fo innig
oetbunben, in ihnen gewiffetmafcen fo oollftänbig aufgegangen,
bafj fie ohne biefelben gar nicht oerftänblich finb. Snbefj t^anbelt eB
ffdj eben nur um bie objeftioen, b. h- aus bem SBolfSgeift felber
gebornen äfthetifdhen Sorftellungen ; bie fubjeftioen Sormen werben
fpäter in Setracht 3U gieren fein.
SDie antife SBelt ftcClt in ihrer SBahrheit, wie bemerft, baS
heitere fReid) einer jeitweiligen Serföhnung beS ©eifteS mit
ber Statur bar, b. h- fie ift baS SReich ber Schönheit als jenes
nur einmal erreichten JRuhepunfteS in bem Äampf bet beiben
©femente, in welchem ber ©eift fid) ju einer ber Statut eben»
bürtigen, ihr an Äraft »ollfommen gewachfenen SOtacht empor*
gearbeitet hatte. ®enn ©chßnheit ift eben wefentlich ooHfommene
Harmonie oon ©eift unb Statur, oßHige ©leichberechtigung oon
3fnhalt unb §orm, ©inheit oon 3bee unb ©eftaltung. — allein,
wenn biefe Serföhnung baS SBefen ber antifen SBelt auSmacht,
fo ift fie eine foldje in Söirflichfeit bo<h nur waljrenb jener
furjen ftulminationSepoche beS ^eQeniSmuS, welche jwifchen ben
9)erferfriegen unb ber f)ertfleifchen Beit liegt: oor* unb nachher
b. h- in ber UebergangSepocpe 00m DrientaliSmuS jum $eHeni8mu8
einerfeitS unb oon biefem jur alejcanbrinifch*rßmi{<hen Äultur»
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epocpe anbrerfeitS ftnben »ir bie antife 3Seltanf<hauung nicht
minbet in einen tiefen 3»iefpalt ber SÖorfteQungen oerfenft, bie
in ihrer äußerlichen ©eftaltung ein unoerfennbateS ©epräge be8
häßlichen, ber SSergerrung, be8 SDämonifchen fogar an fid) tragen.
SBie »ir in ber orientalifchen .fhinftanfchauung bicfeö 9Jtoment
be8 häßlichen al8 Uebermiegen be8 finnliiij Statuthaften beob*
arteten, fo finben wir e8 in jener erften Uebergang8epoche nicht
minber als jben 3nhalt ber älteften religiö8=ethifdjen jfunftnor»
fteCfungen ber Hellenen. ©<hon in ber Stfyeogonie begegnen un8
bie älteften ©ötteroorftellungen in foloffalen SDimenfionen , au8
benen fidj ber Äampf ber neuen, m endlicher »orgeftedten ©ötter
mit ben „©igonten", ,$titanen" u. f. f. ent»idtelt. SIbet ba8
©roteSfe, ttyierifdfy 33ergerrte behauptet auch fpäter noch fein Stecht.
ÜDie „Spflopen", „Kentauren", „Sirenen", „©rajen", „8amien",
„©mpuien", „^atppen", „(J^iraären“, „©ilene“, „©atprn",
„§aune" unb ähnliche, gegen bie reine Schönheit be8 gtiechifchen
3beal8 ironifd) ficß oer^altenben ©eftalten »erben gwar burdfy
bie reinere Slnfdjauung als ©efdjöpfe einet niebereu Sphäre er«
fannt, nichts beftomeniger aber mit hinüber genommen in ba8
heitere Steidß ber echten Schönheit. 3a, felbft ba8 ©raufige fehlt
in biefem Steigen nicht, »ie bie „©tinnpen" bemeifen unb be»
fonberS bie „SJtebufe". 3n ber ÜJtebufe, bet eingig fterblichen
Mochtet bet „©orgo", bereu $aupt bie friegetifche ©ßttin be8
©ebanfenS, Athene, abgefdjlagen, bilbeten bie ©riechen bie 3Jor«
fteüung be8 S£obe8fchrecfen8 aHmältch gu einet burdjauS ebelen
Borm furchtbar» erhabener Schönheit au8. SJtan fann in ber
JDarfteQung be8 SJtebufenhaupteS recht beutlich ben gortfchritt
bet heöenifdjen 2lnfcbauung com bloß ©raufigen gum ©rhabenen
etfenuen: guerft »ar e8 blofi ein oergerrteS 3;ht«geft<ht, bann
eine 5Ra8fe mit blßfenber 3«nge, enblich ein ntenjchlicheS ©efid^t;
aber »eich’ mächtiges <£>aupt, 3eu8ähnlich in ©tim unb Äinu,
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bie tollen Sippen wie im Stobegframpf ergitternb, bie großen
Slugen wie im SBaßnftnn roUenb; nur bie mit flattern burcß*
fiocßtenen Socfen erinnerten nod) an bie fTÜßere ©Übung. @o war
eg entfeßlid) angufcßauen unb bocß ton übermenfdjlid)*gewaltiger
©djönßeit. £Die ebelfte, b. ß. milbefte ©eftaltung beg fföebufen*
ibealg ßaben mir in ber fog. „©onbaniniftßen fKebufe* 3U er*
Tennen, einem bet ßötßften Striumpße ber ßellenifcßen ©fulptur
tn ber äftßetifdjen Verarbeitung beb £äßli<ßen jum furcßtbar @t»
ßabenen: fie fteHt bte 3tonie beg üobegfampfeg gegen ben ^eiteren
Sebenggenuß, aber audj beg ©efpenftigen, um nicßt gu lagen
©eifterßaften, gegen bag rein ©eifttge bat. 2)enn alle jene, meßr
ober weniger bem ©ereitß beg bloß ©aturgewaliigen angeßörenben,
b. ß. gegen bag ©eiftige — fei eg in ber gorm beg roßen ©atur*
genujfeg, wie bei ben ©ilenen, ©atirn, Raunen u. f. f., fei eg
tn bet gorrn beg feinbfelig ©Öfen, wie bei ben £>arppen, ©ßimären,
Sirenen u. f. f. — ftdß negatit oerßaltenben fPßantafte*©d)öpfungen
erhalten ißre jfraft unb ©ebeutung aug bem £iaßltcßen, alg bem
itontfcßen ©egenjaß gu bem burcß ben ©etft befeelten ©djönen.
©ie werben baßer befämpft unb befiegt; bag griecßifcße $eroen*
Sllter wibmet ftcß biefer Aufgabe, um ben ©oben gu ebnen für
ben Stafbau beg 9tei(ßeg ber reinen ©tßönßeit. 3ßre ©ot»
fteüungeu erßalten ftcß gwar aucß fpater, wie bemerft, aber bocß
nur in bem ©inne ton fDlärcßen, mit beten ©eftalten bie jugenb»
ließe ^ßantafie fptelt. JDieg geßt fcßon baraug ßetoor, baß bte
Sronie, welcße in bem gangen Äreife biefer .fcaßlicßfeitggeftaltungcn
nicßt gu terfennen ift, baburcß ißre objeftioe ©ebeutung terliert,
baß fte einen fomifcßen ©eigefcßmae! erßcilt. Snbem bie ibeale
©mpfinbung felbft ftcß ironifcß gegen biefe gefpenftigen @e»
ftaltungen gu oerßalten beginnt, terlieren biefe ißre objeftite
(Realität für bie ©orfteDung unb werben gu bloßen f>ßantafie*
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bilbern einer fatirtfdjen Saune ^erabqcje^t, b. h- alö religiös*
etbifdje SRächte übermunben.
IDiefen fomifdjen Qfymrfter, bet aber in £inficht be$
itonifchen ©ubjeftö burchauS naioer, gleidjfam inftinftioer jRatur
ift, geigen gang unnerfennbat foldje ©eftatteu wie bet „9>an",
bie „©ilene", „©atirn", „Saune", felbft bie „©pflepen" u. f. f.,
bereu 33er^ältnt§ gu bem trontfdjcn ©ubjeft burchauö baS ®e»
präge eine« objeFti»en$umot8 trägt. Söir jagen be8 „objeftioen"
$umorg; benn im fubjeftioen, alfo bemühten ©inne mar bet
$umor bet antifen SBelt überhaupt unbefanut. SDie Sitten,
namentlich in bet ©pätblüthe bet bellemfcben Äuttut, befaßen
bie ©atire, bie fPerfifflage, bie fParobie, bie Srioolitüt — tautet
Sonnen bet 3tonie — aber Feinen $umor. SDenn gu bicjem
gehört, meil er mefentlid) poftti»*fubftangiellen Snljallg ift, bafj
baS 3nbi»ibuum nicht nur fähig fei, bie innere fRothmenbigfeit
be8 SBeltproceffeg ftd) gum 23eroufctfein gu bringen, jonbern auch
übet bie partifulare Sefchranftheit l}ittau@ fid) auf einen ©tanb»
punft gu erheben, auf roeldjem eg ftd) felbet alg fraget beö un*
enblicheu fProceffcg begreift: bie ©rfenntnifs biefeg ibealen
3tel8 fc^t eg thatfächtich in beu theoretifchen SBefth beffetben unb
»erleiht ihm bamit bie Äraft, fich gegen bie ©nblichfeit unb
©itelfeit aller ©ingelbeftrebungen, auch feiner eignen, ironifd) gu
»erhalten. 3lber meil folcheg Verhalten eben bie ©rfenntnifj beg
Sbealg unb bie tieffte Siebe gu bemfelben gut SBorauSfefgung hat,
fo fchmingt ftd) bag ironifche ©ubjeft gleidjgeittg gu einet burchaug
felbftfuchtgfreien unb reinen ^Betrachtung bet meltgefchichtlid?eu
Semegung auf, b. h- bag ironifche ©ubjeft mitb im tieferen
SBortfinne humoriftif d).
SDet £umor nun in biefem fubjeftioen ©inne mar bet
antifen 3Beltanf<hauung noch etmaS SrembeS, ba ihr bie SRofh*
menbigfeit be8 ^roceffeS noch nicht al8 pofiti»e Sronie beg 3beal8
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gegen alle Sßirflitfeit gum Sewufjtfein gefommen war. Objefti»
bagegen fann ba« Verhalten be« antifen ©ubjeft« gegenüber jener
fomift^gefpenftigen ©eftalten aQerbtngö al« ^umoriftif<b auf»
gefajjt werben. 3a, biefet feinet eigenen SBabrfjeit gleichfam uu*
bewu&te $umor wenbet fit fogar gegen bie ibealen ©öttet felbft;
et läfet ben ^Donnergott, ben „erhabenen 93ater ber ©ötter", unt
feinen befttänft«menftliten ©elüften genug gu thun, bie ©e«
ftaüen »on SEtjieren, be« ©twan«, be« ©tier« u. f. f. annehmen
unb binbet bae »erforderte 3beal bet ©tönheit, bie ©öttin ber
Siebe, an einen grämlichen, Ijinfenben ©robfehmieb. Unau«»
löftüt erfchant baber ba« ironifte Qielädjter ber »erfammelten
©ötter, al« £ephäfte« ihnen ba« ©taufpiel be« gefangenen
8iebe«paar«, äphrobite unb Sire«, in einem ftätjlernen 9iejj »er»
ftrieft, geigt; wobei es bem unbetbeiligten Sefer übetlaffen bleiben
mag, gu beurteilen, ob nicht ein gut ©tücf biefeö ©eiächtet«
boch auch auf Äoften beö fi<h felbft bamit ironifiretiben antifen
£ahnrep« gu rechnen fei.
9lbet in biefet Umwenbung ber ironifchen ©pifje, biefem
Ueberfptingen ber 3tonie »on ber SRaturfeite auf bie ©eite be«
©eifteö, geigt fit bereit« eine Befreiung be« Unteren au« bet
Änecbtftaft ber erfteren, unb bamit öffnet fi<b ein Slbgrunb bet
beHenifdjen SBeltanftauung gegen bie orientalifche, mit ber fte
bi« bahin not behaftet war.
Söenben wir un« je^t über bie 23lüthegeit fort gu bem gweiten
Uebergang«ftabium bet antifen Söeltanftauung, weite« un« ba«
tragifte ©taufpiel be« inneren 3erfehung«proceffe« jener ge»
biegenen ©iuheit be« heDeniften 5Bolf«bewu|tfein«, ben tiefen
S3rut in bem hannonifteu Seben ber ©tönheit, »or 9lugen
führt, ©rft jefjt tritt, wie bemerft, al« Äonfequeng ber fit ent»
wicfelnben fReflepion be« ©eifte« auf fit felbft, alfo al« fRefultai
einet »erftänbigen 3tätigfeit, bie fubjeftioe §erm ber 3tonie
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neben ber objeftiten auf, unb gwar in allen ihren Segnungen:
inbioibueB bei ben Sophiften unb ©ofrateS, äfthetifch in bet
eblen gorm bet antifen SEragöbte, unb noch mehr in ber bis gum
beifcenben ©arfaßmuS unb ber fchärfflen Satire gugeipijjten
3tonie bet Äomöbie be§ 2lriftop^arte8, bis fte in ben Satiren
beS gucian »oBenbS baS ©epräge ftiüolct SEraoeftirung aller
pofiticen 3beale, namentlich beS ganzen ©ötterolpmps, annahm.
©8 mögen h*er au8 ber unetfchöpflichen ftunbgtube »on Sei»
fpieleu nur einige wenige, barum bejonberS intereffante het00t*
geheben werben, weil ftd? an ihnen bie Vebeutung bet antifen
3tonie in ihren »eTfdjiebenen ©eftalten geigt. ©inS ber eminen«
teften ift baß geben, bie öffentliche SEhätigfeit unb ber SEob be8
©ofrateS; eminent auch baburch, ba§ h*et erften 5Knle ber
Vegriff ber Sronie, al8 biefer beftimmten SBeife eines negatioen
Verhaltens beS ©ubjeftS, außbrücflich auch burch baS beftimmte
SBort bezeichnet wirb: bie „fofratifche Sronie" ift fo gu fagen gu
einem populären SEppuS für eine gewiffe humane Spanier gewor«
ben, bet SL^or^cit einen ©piegel »orguhalten unb bie aufgeblafene
©itelfeit ad absurdum gu führen. Sbet bieS ift nur bie eine
unb burchauS nicht wefentlichfte ©eite in ber ironifchen Stellung
beS ©ofrateS, ba biefe BJlanier eben nur bie gorm feines Ver«
haltenS betrifft. Vielmehr breitet fich in bem gangen gegenfeitigen
Verhältnis, in welchem ©ofrateS unb baS l^eQenifc^e VolfSbe»
wuf)tfein gu einanber ftanben, bet wahre 3nhalt biefer Sronie auS.
©ofrateS ift non einem gewiffen ©tanbpunft moberner Suf»
flaterei auS, ber befonberS burch bie ?)opulatphilofophie beS
»origen 3ahrhunbertS in Sufnahme gefommen, als ein 3beal
allgemein menfehlicher ©röfce, ja getabegu — auch ber Sehnlich»
feit beS ©chidfalS halber — als ein antifer ©i^fluS geptiefen
worben. Sber fo erhaben unb plaftifch in fich »oBenbet fein
©harafter »or unfern Sagen fteht, fo wirb burch folgert Vet*
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gleich hoch bet Scbmerpunft feinet wahrhaft toeltbiftorifchen S3e*
beutung netrücft. Sofrateß war g. 33. nichts weniger alß ein
fRigorift im Sinne ÜRoieß=9Renbelßfohn’fcher ÜRoralphilofophie.
fRidjt in bet fRefignation auf ben ©euuß bet gteuben bet SBelt
auö ©rünben einet bem antifen ©eift ganglid) ftcmben ÜRoral*
priiberie fudjte er feine ©tärfe, fonbern in bet ©rhaltung bet
Unabljängigfeit beß ©eifteö auch innerhalb bcß ©euuffeß. SDiefe
Freiheit unb Selbftänbigfeit beß ©harafterS, bie felbft baS
Temperament, refp. bie eigene fRaturfeite in bet ©etnalt behält,
ift etmaö niel £öhete§ alß bet ©ehorfam tot bem fategorifchen
Smperatin befl föioralgefefce«, unb in biefet ©eifteöfrei^eit beruht
baß eigentliche SQJefen bet fofratifchen ^ebenßphilofophie. Stber
in bet ©rringung biefet ©eifteöfreiljeit liegt anbererfeitß , baß
Sofrateß ftch gegen bie unbefangene ©inheit beß antüen ©cifteS
mit ber fRatur felbet negatin oerhalten mußte; unb biefet SBrudj
mit bet ©ebiegenbeit beß antifen fcebenö führte notljwenbig gur
3etftöruug bet etlichen Unmittelbarfeit, bet immanenten Sitt*
licßfeit beß 33olfßbewußtfeinß gu ©unften einet refleftirten
ORotal. SDenn bie SRoral ift eben bie Säuflöfung bet gleichfam
inftinftioen 9Rad)t ber ihrer felbft unbewußten ftttlicheu ©mpftn»
buug Durch ©rhebung ihreß 3nt)altß in baß refleftitenbe 0ewußt«
fein. 2)ie antife Sittlichfeit, baß ©ttyoß, felbft im Sinne oon
©ewoßnbeit unb Sitte, war national, allgemein, ©emüthßfache;
bie fotratifcbe ÜRoralität gehört bagegen, ba fie Sllleß bet $rü»
fung beß inbioibueHen SSerftanbeß unterwirft, bem 3nbi»ibuum
an; bie nationale ©ewißßeit ihrer felbft hört auf, Sdjwerpunft
beß £anbelnfl gu fein, um biefen in baß Söiffen, tefp. in baß
©ewiffen be8 Subjeftß gu oerlegen. 3nbem nun Sofrateß
biefen Stanbpunft fubjeftioer ©eifteßfreUjeit gegen jene, übrigens
ohnehin fcijon in bet 3etfeßung begriffene ©inheit beß ethifchen
JBolfßbewußtfeinß geltenb machte, mußte er notßwenDig auch alle
(T64j
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in bemfelben wurgelnben SßorfteBungen, namentlich ben ©lauben
an bie ©ötterwelt, jerftören. ©ofrateö woBte entfd}iet>en nur
ba8 ©ute unb SEBaljte, aber et woflte e8 als Bewufjtfein beS
@ubjeft8, b. h- als bewujjteS ©ejefj für ba8 £anbeln be8 3nbi*
nibuumS, unb bamit tpb et bte fubftangiefle 23afiö beö antifen
Sebenö überhaupt auf. — 3n biefem ©heben aBein liegt fcbon
bet ©tunb feiueö ironifcben Verhaltens, beffen gangeS ©etjeirn*
nih batin beftebt, bah er, mit Sünglingen unb Söiännetn jebeS
Berufs auf bem fDiarfte unb in ben SGöerf ftätten in ein ©ejpräch
fid) einlaffenb, fdjeinbat unbefangene Stagen übet (Dinge that,
bie ihnen geläufig waren, als ob et fidj unterrichten wofle, unb
bann, »on Srage Zu Stage fortfchmtenb, fie ju Behauptungen
nnb Suseftänbniflcn braute, bie ihren früher auSgefprochenen
Slnfichten wiberfprad)en, fo baß baö JRefultat (wie in Diele« pla*
tonijchen (Dialogen) ein burchauS negatioeS war: nämlich bte
oöflige ©elbftgerfterung beS bisherigen SntjaltS beö naioen 33olf8*
bewuhtfeinS. — iMBetbingö bejah biefe ironifche SDiethobe auch
eine wefentlid) pofitioe ©eite, thcilS in ihrer Slnwenbung auf
bie felbet negatioe (Dialeftif ber ©ophiften, theilS auch iß bireftem
©inne; welch’ Untere Sotm er in f (herzhaftem Hinweis auf feine
SRutter, bie Hebamme war, als ob er fie oon ihr geerbt, feine
,$ebammenfunft" nannte, b. h- bie Äunft, bie in 3ebem fchlum*
mernben ©ebanfen ber SBahrl)eit an’ö Sicht gß jtctjen. Stber eS
muh boch auSbrücflich wieberholt werben, bah felbft bieö SBecfen
beö BewuhtfeinS burch 9tefle!tiren auf feinen 3nhalt iuiofern
boch einen negatiuen ©hatafter hatte, als barin baö 9)rincip ber
Sütflöfung beS antifen ©tljoS lag; unb fo ift nicht abzuleugnen,
bah ©ofrateö burch feine .^ebammenfunft wefentlich bazu bei*
trug, bie fd)öne Söelt beö antifen SebenS unb ber religioS'fünft*
lerifchen Slnfchauung z« gerftöten, ober, wie feine änfläger e8
auSbrücften, ,bie Sugenb gu oetführen unb bie ©öttergu leugnen".
30
£dlt man bieä feft unb beurteilt man btefcS gange, auf bic
3erftörung ber naiten (Einheit beS antifen Bebens gerichtete
Streben beS ©ofrateS tom ©taubpunft Cer Stntife felber au8 —
unb baS ift für bie richtige SBürbigung feiner Serurtheilung
nothmenbig — fo faun man nicht fagen, bafc biefe butcbauS
ungerecht mar. 5)a8 l>etlenifcf>e SolfShemufjtfein, obmohl bereits
angefreffeu uon bem ÄtebS bet (Sntfittlichung, fühlte inftinftio,
baf; eS ihm mit bet fofratifcheu 3ronie an’S Beben ging, ©ein
großer 3«tgeuoffe 3triftcphane8 hat biefe negative ©eite bet
fofratifchen ^Mjilofop^te febr roohl erfannt unb in ben „SBolfen"
hart gegeißelt, freilich ebenfo fehr auch bie Serberbtheit, in bie
baß atbenifdje SOolf bereits »erfunfen mar. SBeiter muff auch
bei feinem ?>rocefe gmifchen ber ©djulbigerflärung unb ber 33er*
ortheilung gum Stöbe unterfchieben merben. 3ene begog ftd} bloff
auf bie fünfte ber änflage, biefe auf baS fernere Sethalten beS
©ofrateS bei feinet Sertheibigung. 2)enn nicht nur, bafc er
btefelbe Söeife beS SroniftrenS, mie auf bem fDtarfte, auch gegen
feine Sftichter anmanbte, um fte in äBiberfprüche gu termicfeln,
fonbem er fpradj auch, als ihm — nach &em athenifchen ©efefc,
baS bem 3ln gef tagten eine ©elbftfchafcung ber ©träfe geftattete —
bie betreffenbe Stage torgelegt mürbe, melier ©träfe er fidf für
fdjulbig erachte, mit hohn»oller 3tonte eS auS, et habe terbient,
auf ©taatSfoften im $)ptaneum erhalten gu merben, als @iner,
ber ftdh um baS Saterlanb mohl terbient gemacht. @o fam ber
Antrag auf StobeSftrafe feitenS feiner 2lnfläger gut @eltung.
SlllerbingS fonnte ©ofrateS nicht anberS haubeln, benn burch
eine Seftimmung auch ber geriugften ©träfe hätte et baS ton
ihm burch fein gangeS mafellofeS Beben unb feine nur ber SBahr*
heit gemibmete öffentliche SBirffamfeit tertretene ^rinct? auf*
gegeben, hierin liegt bie fataliftifdje 3tonie unb baS echt £ta*
gifche feines ©efdjicfS, mit bem mir auf baS Snnigfte fpmpathi*
(76«)
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31
fiten fönnen, ohne bie innere Utotproenbigfeit beffelben in|9lbrebe
ftellen gu bütfen. JDa§ bie 3ltpenet fpäter, auß Dieue über ben
2ob beß roaprpaft großen fffianneß, feine Slnfläget uerbannten,
woburcp fiep autp an biefen baß Saturn ber gangen Stragöbie ooQ*
gog, war nur eine infonfequente ©cpwäcpe unb gugleicp ein Be»
weiß, bafj bie JReflejcion autp im Bolfe bereitß ben et^ifd^en
©runb feineß nationalen 8ebenß angefreffen patte.
2öir werben f pater, bei bet Betrachtung ber äftpetifcpen
3ronie, fepen, wie biefe ©elbftgerftörung beß antifen ©tpoß fiep
nur aflgubalb biß gum ©jctrem peffimiftifcper grioolität (g. 33.
im Sudan) fteigerte, biß fte im römijdjeu itaifertpum einen
fruchtbaren 33oben für einen aller Sbealität baaren praftifpen
SJtaterialißmuß fanb.
3)aß fRßmertpum, auf welcpeß wir noch einen Jürgen fRücf»
blicf gu werfen habe«» erfcpeint überhaupt nach ber ©eite beß
5>^antafie= unb ©emütpßlebenß alß eine 3tonie auf bie antife
©cpönheitßwelt. @ß bebarf nur eineß SBlicfeß auf bie ©efcbicpte
wie auf baß $>rioatleben, auf ^unft wie auf bie SBiffenfcpaft
bei ben fRomern, befonbetß in ben lebten Saprpunberten Bor bem
töKigen Untergange beß Stltertpumß, um taufenbfacpe 33eläge für
biefe Behauptung gu finben. 2Baß ipre religiöjen Borftellungen
betrifft, fo finb ipre ©öfter feine auß ber eigenen ©mpftnbung
gefcpöpfte Originale; fonbern ber gange römifche Olpmp ftellt
fiep (ebiglich alß ein auß ben büftern ©eftalten beß etrußfifcpen
Äultuß unb ben heiteren ©ebilben Der peQenijcben ©öttetwelt nur
äußerlich oerbunbenet Älompler religiöfer itppen bar, welche im
tiefften ©runbe nur in iprer Begiepung gum ©taate eine SBapt*
peit befifcen. 35aburcp wirb notpwenbig bet ©laube gum 9lber*
glauben: bie poetifcp*religiöfe ©timmung oerpärtet fiep gu pro»
faifepet Äultußpflicpt, unb bie ppantafieooUe Sebenbigfeit beß
peQenifcpen ©ötteribealß Berflücptigt fiep in froftig-aflegorifepe
(767)
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32
Sebeutjamfeit. SDenn ba bie alten {Religionen eine eminent
totale ©ebeutung Ratten, fo muffte burd) bie ©erpflangung ihrer
üppen auf einen ftemben ©oben — unb bie {Römer fugten
nicht blofj etrurifdje unb Ijetlenifdje, fonbern auch Sgpptifcbe, ja
ade ©ottbeiten ber eroberten l'änber bei fidj gu afflimatifiren,
in ber SReinung, babutd) gugleid? beren ftaatlicbe Slb^ängigfeit
gu befiegeln — bieS römifcbe f)antbeen gu einem blofjcn Äon*
glomerat oon ©pmbolen ber Söeltberrfcbaft oerfnöcbern. Slbge»
feben oon bem auf abergläubifd)et gurd)t berubenben ÄultuS
befaßen unb oerebrten bie {Römer ihre ©ötter rote ein ©emälbe»
fammler bie SBetfe berühmter 3Reifter, bie auS ber lebeubigen
©djöpfungSfraft eines ihm unoerftönblicben ftemben ©eniuS ent*
fprungen finb. SluS berfelben Duelle ftammte aud) ihre Äunft
unb bie ©ud)t, auS allen Räubern, namentlich .peüaS, üaufenbe
oon Äunftroerfen nadj {Rom gu fcbleppen. {Rur in bet iätdji*
teftur, biefer auf bet fünftlerifcben ©erwertbung rein praftifcber
3roecfe berubenben Äunft, geigen fte ficb original, in alten anbern
erbeben fte fid) tautn gu einet tjo^eren ©tufe als gu bet einet
mebt ober weniger froftigen {Radjabmung ber ©riechen.
3Ba8 ihre SCBiffenfc^aft betrifft, fo baben fic fitb nur in
einem eingigen ©ebiet — unb getabe bie§ gehört bem nüchternen
©erftanbe an — in bet SutiSptubeng auSgegeidjnet; in alten
anberen ©ebieten, namentlich aber in bem bet f>bil0iop(fe, waten
fte nichts als pebantifebe unb einfeitige {Racbtreter bet ©rieeben.
3n bet ÄriegS* unb ©taatstunft, foroie in bet ©erebfamfeit, alfo
in alten roefentUcb oerftänbigen ©pbären, waten fie ÜReifter, in
alten übrigen ftümperbafte Äopiften unb ©arbaten. ©ei bet
©ettaebtung bet äftbetifdjen Sronie, wo wir noch einmal auf
bie {Römer gutücffommen muffen, wirb ficb bieä noch entiebiebeuer
betauSfteden. ©eben wir jejjt gum ÜRittelalter über.
SBoran bie antife ®d)önbeit$welt j<beiterte, nämlich an bem
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33
unabweisbaren ©ränge beS ©eifteö nach Serfelbftftänbigung feiner
felbft als freier Subjeftiuität: bauen gebt baS Gbriftentljum als
feinem ©runbfmncip auS; unb wenn eS fidj bort als feinfifelige
9Rad}t gegen bie baraonifdje S3etföbnung beS ©eifteS mit ber
üRatur erwies, fo bilbet eS \)\ex im ©egentbeil ben fruchtbaren
Ä'eim für eine höhere @tufe ber ©ntwicflung im gefchicbtlicbeu
$>roceh- ©amit aber wirb eine ungeheure Äluft jwifchen bem
Sütertbum unb bem SRittelalter aufgetiffen unb eine uölHge Um»
februng aOet SBerbältniffe beS geiftigen ©afeinS beruorgebracbt.
©iefe Umfebrung, welche wir in ihren ^auptformen etwas nabe
betrachten muffen, uerleibt junäcbft bem ©eift beS 9RittelalterS
eine wefentüch ironifcbe Stellung gegen ben ©eift ber Slntife,
Weiter aber wenbet ficb biefe 3ronie, ba baS ^rincip mit bem
ihm unabäguaten SRittel feiner JRealifation , bem germanifcben
SSarbaventbum, in tiefen SBiberfpruch gerätb» gegen ben mittel»
alterlicfcen ©eift felbft, unb bie 33erwitflichung bet 3bee fchlägt
in ihr uoDfommeneS ©egentbeil um. ©aber baS ©epräge bum»
pfeu ScbmergcS unb tiefer Dual, welche baS geiftige geben beS
SöiittelalterS cbaracfterifirt uub ihm eine gewiffe Ulebnlicbfeit mit
bem DrientaliSmuS uerleibt. 3« ber ©b“t entfpringt biefer
Schmerj auS berfelben Duelle, nämlich auS ber ©ifferenj beS
©eifteS unb bet IRatur; nur bah im DrientaliSmuS eS ber ©eift
ift, welcher unter bem ©rucf beS Stoffes leibet, währen b im
IKittelalter bie fRatur, b. b- bie Sinulicbfeit, ficb gegen bie
SBernichtung burch ben ©eift fträubt. 3n>ifcben SBeiben ftebt bie
ruhige unb heitere Schönheit beS antifen gebenS.
©ie lÄuflöfung ber gebiegenen ©inbeit uon fRatur unb ©eift
in ber Slntife, welche im SRittelalter als fdjatfer ©ualiSmuS beS
33emu|tfeinS, nämlich als ber bewufjte SBiberfprucb eines bieS*
feitigen (blofj natürlichen) unb eines jenfeitigen (bloh jgeiftigen)
©afeinS beS flRenfcben erfcheint, muhte notbwenbig ju einer
XIV. Bt 383 . 3 (76»)
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34
Unterbrücfung alles 2)effen führen, was mit bet fftatur, b. h-
bcr finnlichen SBelt, gufammenhängt. ÜDie SRatütlic^feit beS 55a»
fetnS, meines bem ^eOenijcbeu geben jenen wunbetbaren ©h<**
rafter göttlicher .jpeiterfeit oerlieh, bie allen Schmerg alö etwas
HnfchöneS empfanb unb oon fich abftiefj, foU nun ihrerfeitö, als
ein Schlechtes gegen ben ©eift, abgeftofjen unb oernidjtet werben.
S)amit wirb aber baS S3ebürfni§ beS Schönen felbft als „fleifch*
liehe Steigung" unterbrüeft unb an feine Stelle baS Sebürfnifs
beS „^eiligen" gefegt. ÜRit feinem @efüf)l für biefe Äoniequenj
erflärt baher auch Vifchet in feiner Sefthetif, bafe „baS 3beal
beS SJtittelalterS in einem gewiffen Sinne nahe an bie ISufftel*
lung beS ironifchen ©efefceö trete: baS ^»äfeliche ift fchön"; rich=
tiger aber muhte et umgefehrt fagen: für baS fütittelalter wirb
baS Schöne felbft gu einem Mählichen, nämlich Sünbhaften, weil eS
ber Sinnlichfeit eine ©leidjberechtigung gegen baö ©eiftige gewährt.
55aS fUtittelalter ift baher unäfthetifdj, infofern ihm baS Schöne,
biefe Ijarmonifdhe SDurehbringung oon Sinnlichfeit unb ©eift,
überhaupt nicht mehr als Kriterium für bie fünftlerifehe ©rfchei»
nung gilt; aber ba in ihm ber Schwerpunft ber SBttfung nach
ber Seite beS ©eifteö hin oerrüeft, b. h- bem finnlichen ©ebiet
entgegen ift, fo oerwanbelt fich anbererfeitS feine Schönheit,
gegenüber bet Veräußerlichung beS Schönen in ber antifen ©e*
ftaltung, in eine innerliche.
SDieö Streben nach Verinnerlichung enthält aljo, auf Seite
ber Slnfchauung, eine Verfemung ber fihönen ©eftaltung in
oergogene, bürftige, unharm onif che, furg häßliche formen, mithin
einen fcheinbaren 9iücff<hritt gut oricntalifdjen Vetgerrung — auf
Seite beS ©eifteö bagegen eine ©rßebung ber wefentUch förpet*
liehen Schönheit ber Slntife gum fpecififch geiftigen SluSbrucf
innerlicher Seelenfchönheit. 2>ieS ift bie wefentlich pofitioe Seite
beö mittelalterlichen 3bealS, butch welche fich bie mittelalterliche
(7JO)
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35
Äunftanthauung, trofj aller SSergerrung im Sleufjern, bod) gut
orientalifc^en Äunftanfhauung in einen noh f djärferen ©egen«
fajg fteQt olö gur antifen.
©iefe beiben ©eiten bet mittelalterlichen Äunftanfhauung,
»eihe übrigenö, roie mit fefyen roerben, ebenfo fehl eine etfyifdje
unb (ulturgefchiehili<he ®ie eine äft^etifcbe 53ebeutung ^aben,
mußten beö^alb fyier ftrenget »on etnanbet gefhieben metben,
meil bie in ifynen gegen bad ^tincip fih entmicfclnbe Stonie an
biefet SBerfchiebenfyeit heilnimmt unb o^ne biefe Unterfdjeibung
nicht gu »elfteren märe. Raffen mir gunadjft bie eine, pofitioe,
©eite in'ö Äuge.
©aö antife 3beal geht nollftänbig in bie fdjöne Äörpetform
b. ty. in bie plaftiihe ©eftaltung auf, eö geigt SlUeö auf ber
©djaale, road eö an ibeeßem Snfyalt befifct; baö mittelalterliche
3beat giefyt bie in hm gä^renbe ©mpfinbung bagegen oon bet
Oberfläche nah 3nnen gurücf, fo baf$ bie £üQe etroaö Sieben»
fachliche^ , ja Jpinbetliheö ift. ©o erfheint biefe Snnetlihfeit
alö 3nnigfeit beö ©mpfinbenö, nicht b!o§ in ber ilunft, fon«
betn aud) auf ben anberen ©ebieten beö ©eifteö, auf bem bet
JReligionin bet^orm bet Änbaht, bet23ergücfung unbBerfnirfhung,
bet Äöfefe überhaupt ; auf bem beö öffentlichen 8ebenö alö rittet«
lidje S^re, ©reue, gatte 8iebe; auf bem beö §)ti»atlebenö alö
gemütvolle £äuölihfeit beö garailieuljeerbeö, ©ittfamfeit ic.
Stile biefe Segtijfe finb bem Ältethum in biefet fpecififhen S3e«
beutung gänglih fremb. ©teilt man nun non biejem ©efidjtö«
punft and bie ©eftaltungen ber antifen ©hüuljeitSroelt benen
bet mittelalterlichen Änfhnuung gegenüber, fo tritt bei ber erfteren
fogleih ber ÜJlangel gn Sage, bafj hnen baö SDRoment folhet
Snnetlihfeit, b. lj. bet 3nnigfeit bet ©mpfinbung, fehlt, ©ie
VÜenifhen ©etter finb herjloS, fall, roie bet 5Ji atmor, in melhem
fie gebilbet finb, unb beihalb laffen fie unö auh falt, fo fel)t
3* 17T1)
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36
aud) untere änfdauung burdj bie 6dj8nbeit bet gorm dftbetifcb
befriebigt wirb. ©in „Apollo", eine „JBenuS" ift als ^laftifc^e
©efammtrorm fdjön; fein J^eil bat &or bem anbern einen SSorgug;
in ber maletijcben 35arftetlung beS B@bttftu8“, ber „SJtabonna“
ift e8 porgugSmeife bet .Ropf unb in biefem wiebet ba8 3(uge,
al8 „Spiegel bet (Seele" , worin fidj bie äftbetifebe SBirfung fon*
centtirt. 3n bet ©licflofigfeit bet antifen ©ottergeftalt brüeft
fidb nid)t blofj, wie man gemeint bat, bie ©rbebnng übet be*
fcbrSnfte f)erfdnlid>feit, foubem ebenfo febr ber ÜJtangel an Seelen»
baftigfeit au8. SRic^tS befto weniger tritt, tom äftbetijcben @efi<btÄ»
punft au8, bet fein Uebetwiegen be8 geiftigen übet ba8 finnlidje
Element gelten lä&t, bie ©iffereng in bet formalen ©rfdjeinung
be8 mittelalterlichen 3beal8 al8 ©inbtuef befl ^äfelitben gu Sage,
nnb wie febr wir, hob »Her Setjertung bet ©eftalten in bet
Schilber ung gröblicher ÜJtättprerfcenen unb in bet ©arftellung
bet mageren, edigen nnb in jeber SBeife unfdjßnen #eiltgenge»
jtalten be8 SJtittelalterS, ton bem oft wunbetbaren SHuSbrud tiefftet
3nnigfeit unb ©mpfinbnng gerührt werben, e8 bleibt immetbin
ba8 ironifdje SRefultat befteben, ba& biefe gange mittelalterliche
SBelt eine SBelt be8 ©lenbS, ber finn liehen ©rtßbtung, bet Sich*
Selbft»3erjieif<bung ift.
£ier berühren wir nun beu ^)unft, wo bie negatioe Seite
be8 mittelalterlichen 3beal8 gut ©eltung fommt.
©er ©eift foU übet bie Statur betrieben unb frei werben —
bteS mar ba8 ^tincip. äbet inbem biefe Aufgabe einem in
tiefftet Stobbeit fteefenben Sarbaten tbum, ba8 noch nicht einmal
wie bie Hellenen gu einet ©leicbfteHu ng be8 ©eifteS mit bet
Statut gelangt war, anoertraut würbe , fo geftaltete fi<b bie ge«
fotbette '.Befreiung fofort gu bet mif} »etftdnblicben SluSeinanber»
reifjung eines finnlidjen ©ieffeits unb eines geiftigen 3enfeit8,
unb ba8 ^)rincip, welches — wenn überhaupt einen — nur ben
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Sinn tjaben fonnte, baß im SRenfehen f elbft bet ©eift übet
bie Statut hercfdjm fotle, würbe in bie ungeheuerliche gorberung
»erbaflhornifirt, baß bet bteffeitige fDlenfch als finnlicße unb
fd^led^te ©jrifteng gu ©unften einet nach bem $£obe gu ermartenben
jenfeitigen geiftigen ©jrifteng oernichtet werben muffe.
2>ie8 ift bie furchtbare 3tonie, wel^e in bet einfeitigen Äon*
fequeng ber tbriftlidjen 3bee gu Sage trat unb aus welcher alle
jene entfeßlichen ©atbareien gu etfläreu ftnb, welche bis auf ben
heutigen SLag in bet ©efeßiehte be8 ©htiftenthumS bem ©oangelium
ber fittlicfcen Freiheit unb aUumfaffeuben Siebe in’8 ©efidjt
fchlagen. Slber hiermit nicht genug: ba8 ©eiftige, obfehon in ein
abftrafteß 3enfeit8 hbpßftafitt, beburfte immerhin auch innerhalb
be8 ©ieffeitS einer gleichfam fqmbolifchen Vertretung; bie rohe
©innlicßfeit be8 Vatbaren allein genügte nicht, um folche .fcppofta»
fitung feftguhalten ; e8 war eine Vermittlung gwifchen bem
SDteffeitß unb 3enfeit8 erforberlich; }o oerwanbelte fich ba8 ©einige
in ba8 ©eiftlicße, b. h- e8 trat eine bieffeitige ^onopolifirung
be8 ©eifteS ein, welche bie 3ronie gegen ba8 ^rincip bet all*
gemein menfchlichen Vefreiung be8 ©eifteS ooHenbete. 3n bem
©egenjaß be8 ©eiftlichen unb be8 Baien, in welchem jener allein
aHe8 SBiffen oon ©ott, alle ©eheimuiffe beß 3enfeit8 für fich
referoirt unb fich baburch als „©eelforger" unb „©ewiffenSrath",
b. h- gum Vermalter unb Vormunb ber Saienfeele erhebt, tritt
bie 3ronie gegen ba8 ?)rincip, auf ©eite be8 Baien, ptaftifd) einer*
feitS al8 abfolute ©ntfagung auf geiftige ©elbftftdnbigfeit über»
haupt, anbrerfeitS in bet „Slnbacht" als abfolute Veräußerlichung
jenes unmittelbaren SinheitBgefühlS mit bem al8 3eufeit8 ge»
festen ©eifte auf: ber ÄultuS wirb fo feßr gu einem abftraften
gormelraefen, baß er gerabegu als totale ©ntgeiftigung, als birefte
3ronie auf ben etßifchen 3nhalt ber grömmigfeit, erfcheint. Von
bem geiftlofen, weil rein medjanifchen lateinifchen 3Rofenfrang*9lb»
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leiern , wöbet bet fromme Üalienifcbe Sanbit an feinen näcbften
ÜJtorb benfen fann, für ben er meOetc^t fd&on »orber abfolution
empfangen bat, biß gu ber mecbanifcbeu ©rfinbung ber cbiuefijcben
©ebetfltrommel ift nur ein Heiner Schritt.
aber biefe jebet Sernunft wiberfprechenbe Serfebrung beB
principe in fein ironifdiefl ©egentbeü rächt ficb nun auch an
ben ©eifteBpädjtern felbft. @8 liegt in ber 9iatur folgen SerufB,
bafc bem SSräger beffelben, im ©egenfajj gu bem oielfadi mit bem
3rbifd)en unb SBeltlicben »erwachfenen 8aien, beffen Seelenbeil
gu »erwalten ibm obliegt, ein befonberer SflimbuB »on 3en*
fettigfeit beiwohnen mufi; er bat babet für ficb nicht nur nichts
mit ben weltlichen Sntereffen gu tbun, fonbern muf) fie auch auB*
brücflicb auB feinem geben uerbannen: fo fefjt er ficb, bet
£eiligfeit halber, but<b bie©elübbe ber „armutb", ber „Äeufd)»
beit" unb beB „©eborfamB" außerhalb ber ftttlicben SDrbnung ber
©efeQfcbaft heraus, inbem er bie brei ©runbpfeiler, auf benen
biefelbe ruht, für ft<b gerftört; burcb baS erfte ©etübbe entfagt
er bem ©igentbum, burdb baB gweite bergamilie, butcb baB
brüte ber petfönltcben greibeit. aber nicht nur, baf$ er fte
für fitb gerftört, fonbern er fe^t fie baburcb auch für bie 33or*
ftellung beB 8aien gu etmaB Unbeiligem, ber göttlichen Sefttmmung
beS IJJtenfchen Unwürbigem, ober boch minbeftenB 3nbifferentem
herab. IDieB ift bie tiefe Unftttlichfeit, welche im SBeten beB
ÜJlönchBtbumB liegt unb felbft bann liegen würbe, wenn baffelbe
in feiner gci^ichtlichen ©eftaltung »oUfommen bem Segriff ent*
fprochen hätte. 2)a§ bieB nun, wie befannt, nicht ber gall war,
bafc »ielmebr ^abfu^t, ©rbfchaftflfchleicherei, Slnbäufung un*
geheurer fReichtbnmer, ©ntfaltung eines unerhörten ©langes —
alB 3ronieauf baB „armutbBgelübbe" — , bafjUnjucbt, Schlemmerei
unb fcbeublicbe Setbrechen aller 9lrt — alB Sronie auf baB „©nt*
baltfamfeitBgelübte“ — , bah geiftlitber |>ochmutb unb blutigfte
(774)
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39
©eifteSbeSpotie — als 3tonie auf baS „©ebotfamSgelübbe" —
pd) als bie praftitcpen JRefultate biefer wiberpnnigen Verfebrung
beS fPrincipä erweifen mußten: baS tft bet bet wie ein
giftiger 9Rebel übet bem ganjen geben beS HDRittelalterS auS»
gebteitet ift uub melier auch heute noch baS flare ©onnenlicbt
bet geiftigen greibeit nut erft in oereinjelten tSufblipen burtfj*
feinen läpt.
Hieben bem HJioncbtbum gab eS abet im HJiittefalter noch
eine gweüe gorm, in meldet baS Vebütfnip nach Vermittlung
mit bet als SeufeitS gefegten 3bealwelt pd) oerwirflicbte, abet pe
bilbet infofern einen ©egenfaf) gegen baS HRcncbtbum, als biefe
Vetroirflicbung feine geiftlidje, auS bem religiöfen Vebürfnip ent*
fpringente annimmt, fonbern oielmebt weltlichen ß^atafterS ift:
baS JRittertbum. Slber wie bie geiftlidjen 3beale bet Slrmutb,
Äeufcbbeit unb beS ©eborfamS beim 5Ren^t!)um, fo fdjlugeu
auch bie weltlichen 3beale bet „@l)te", „gtebe" unb „Streue“,
weil p e nicht minbet als jene einet wahrhaft fittlichen ©runblage
entbehrten, nut ju balb beim JRittertbum in ihr ©egentbeil um;
ja man famt fagen, bap Pe Söanb an Sßanb mit ihren ©egen*
fäpen wohnten unb p<b mit fRobbeit, frecher SSMOfür , ^»interlift
unb batbatifchet ©taufamfeit fepr wohl vertrugen. Darin liegt
bie Stonie biefer auS Demfelben ©runbirrtbum wie bei bet geift*
liehen, bet $eiligfeit, entfprungenen Sbealität. Ulm frappanteften
Jeigt ftd) biefer äöiberfpruch in jener gtoteSfen Verbinbung beS
mönchifchen unb ritterlicheu ©lements, wie pe fich in bet rohen
9>bantaftif ber Äteugjüge, biefer gtoteSfen 3ronie auf bie geipige
^Befreiung, barfteHt. DaS ©tab ©b*iftii eine tobte, leete £ülfe
alfo, ein entgeiftigleS ©tuet @rbe, füllte wiebererobert werben:
baS „^eilige ganb" butfte nicht in ben $änben bet Ungläubigen
bleiben. Daß fepeint nun gunäcbft ein febr erhabner ©ebanfe,
unb et war bod) nichts weitet als ein foloftaler 3rttbum beS
(775
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au8 jeinet Berti jjen^eit binauß nad? einet tealen Sergegenwärtigung
beß ibeolen 3enfeitß fid^ fehnenben ©emütbß. 9Rit allen Äräften
flrebte bet au8 feinet 3ufammengehörig!eit mit bet SRatur l>er«
außgeriffene ©eift in fi<b wieberguftnben, aber et »erwethfelfe
bie b!o§ äußerliche, lofale ©jrifteng be8 geschichtlichen ©ottmenfchen
mit bet geiftigen ©egenwättigfeit unb fud)te im ©taube, »aß
ihm längft in eine SBelt jmfeitß bet «Sterne entrüdt worben war.
5)ie Äteuggugßprebiger Ratten ftd) an ba8 SBort erinnern joDen,
ba8 an bcmjelben ©tabe bereits ben Sängern, bie ben 8eib
©^rifti fugten, gugetufen würbe: „2Saß fud>t ihr ben fcebenbigen
bei ben lobten; et ijt nicht ^ict, et ifi auferftanben.“ — SDerfelbe
Srrtbum, b. h- biejelbe Sronie auf bie ©inbeit beß Srbifchen unb
©eiftigen, fpricht ftch in Dielen anberen ©tjcbeinungen beß SJlittel»
alterß, g. S. im SBunberglauben unb in bet ^Reliquien»
»etehrung auß: biejeß 3ei<be«. biefeS Stücf Knochen, biefcr
feßen Studj ober roftiger jRagel — abgejebeu »on bem Settug,
bet bamit getrieben würbe — foH alß unmittelbare ©egenwart
eineß ©eiftigen gelten; baß reine §)rincip beß getifdjbienfteß.
Unb welche ÜJlittel — um gum SRittertbum gutücfgufebten —
würben für jene gabrt nach bem ^eiligen ©tabe in Sewegung
gefegt! 9Ran fing gunächft, gut Sorbereitung, im eigenen fcanbe
bamit an, »iele Saufenbe »on Suben abgufdjladjten ober bodj
auöguplünbern, bann tucfte bet berühmte Äreugeßptebiger, ^)etet
»on Slmienß, mit einem Raufen gufammengelaufenen ©efinbelß
butd) Ungarn , wäbrenb überall geraubt , geplünbert unb
anbete angenehme 3erftörungen betrieben würben, biß einige
wenige — bie übrigen würben »on ben erbitterten Ungarn tobt
gefdjlagen — nach Äonftantinopel gelangten, bie bann auf bem
SDRarfte alß Sfla»en »erlauft würben; eine Sronie beß Sdjicffalß,
bie fte »oQIommen »erbient hatten. Später haben fid) bann bie
dürften bet Sad?e angenommen unb großartige SRittergüge »er»
076)
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anftattet. iftodj triefenb Born Slute bet gemorbeten ©inmobner
SerufalemB, marfen fldj bie frommen SBaDfabrer an bem enblidj
eroberten ©rabe nieber , um inbrünftige SDanfgebete für biefen
Segen gum Fimmel gu rieten. Unb ma8 mar oon aDem bem
foloffalen SBlutBergiefjen ba8 SRefultat? ba§ ba8 ^eilige ©rab
fdjliefjlicb mieber in bie $änbe bet Ungläubigen gelangte; bodj
nein, aud) etmaB ?)ofttioe8 mürbe erreicht: gange Sdjiffßlabungeit
ton ^eiliger ©rbe mürben nad) ©uropa gerafft. ©8 ift !anm
möglid), firfc eine blutigere 3ronie auf ben Söaljnftnn gu benfen,
au8 bem biefe, mit geringen Unterbredjungen , »olle gmeifyunbert
Saläre banernben ©Sfapaben entfprungen maren.
Set SBa^nfinn in biefet 93erfetyrung be8 bem ©briftentbum
gu ©runbe liegenben 9>rinrip8 ber ©rbebung be8 ©eifteö übet
bie fRatur liegt nun fdjltefjlid), aud? für ba6 befd?ränftcfte 23e*
mufctfein, fobalb biefeS einigermaafeen gut SBefinnung fommt, fo
flar am Sage, baf) biefeS notbmenbig felbft in eine ironift^c
Stellung bagegen gebrängt mirb. ©8 macht ftd) habet febou
früh — fobalb bie $Rad?t ber SaTbarei in ®tma8 ber SRorgen*
bämmerung einer gemiffen Sßilbung gu meinen begann — ba8
Sebürfnffj im Solfe geltenb, Satire an ben itjm eingeimpften
üDogmen gu üben: bie burleßfen Sraoeftirungen bet $)affion8»
fpiele baUen nod> eine gemiffe, uaiofomifebe Sebeutung; halb
aber entmicfelte ftdj bie Satire in entfebieben oppofitioneller gorm.
Schon »or bet [Reformation erft^ienen, unterftüfit bur<b bie neu»
erfunbene Äunft be8 fcetternbruefe, in 93etbinbung mit bem noch
älteren -£>olgfd)uitt, gablreidje Pamphlete, morin ba8 ^abfttbum,
bie 9Rönd)8* unb fRonnenmirtbfcbaft, bie 2lbla|fräraerei unb bet
SRi&braucb bet DbreBk*id)te beifjeubfter Söeife Berböbnt unb
an ben pranget bet Ceffentiidjfeit geftedt mürben. So feben
mit auch b»er> am @«be be8 5Rittelalter8 — getabe mie gut 3eit
be8 abfterbenben 2lltertbum8 — bie SReflejrion be8 ermacbenben
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Sewufjtfeind fiep in ironifcper SBeife gu ben Äonfequengen bed
mipuerftanbenen $)rincipd feines eigenen, fubftangiellen gebend»
inpaltd »erhallen, unb gwat gefcpiept bied auch pier wie bort in
gotm ber Satire. aber biefe Satire befcpränfte fid) nicpt auf
eine poetifcpe 3tonifirung ber oben gefcpilberten formen, bed
?>abfttpumd, bed fDtöncptpumd u. f. f., fonbern bad ©efüpl, aud
bem biefe 3ronie entfprang, reagirte auch gegen bad Sewuptfein
felbft unb erfüllte ed mit ber tiefen ©mpfinbung oon bem ©lenb
bed JDafeind überhaupt, aud biefer ©mpfinbung allein finb jene
metfwürbigcn Srfdieinungen gu erflären, welcbe, wie bie beliebten
ÜPbtentangbarftellungen , eine bem fHRittelalter eigentpümlidpe,
butcpaud peffimiftif<p=ironifcpe SBeltanfcpauung bofumentiren. 3n
biefen „Slobtentängen" — namentlich wie fte fpäter burdp ben
genialen ^jolbein fünftlerijcp oerwertpet würben — waltet ein
Jpumor, ber, weil feine Äomif aud bet ©rfenntnip bet Sämmer*
licpfeit aller irbifdjeu 3>racpt unb jgjerrlidjfeit ftammt, gerabegu
©raufen erregt.
Söenn fiep bie in ben Sobtentäugen unb anbern ähnlichen
©rtepeinungen burledfer art ojfenbarenbe Sileltanfcpauung ald eine
peffimiftifcp’ironifcbe eparafterifitt, fo fuepte ber niebergefcrücfte
unb um feine ©afetndfreuben betrogene ©eift auch auf optimiftifcp»
ironifepe SBeife, burep eine abwerfung aller ipu brüefenben geffeln,
gu einem wenn auch nur geitmeiligen ©enup bet Selbftbefreiung
gu gelangen. SDapin gehörten bie ftaftnacptd* unb ©arneoald*
EoDpeiten, beten 3tonie batin liegt, bap ald ©egenfap gu bet
in ben gaften beabfieptigten ©ntiagung auf irbifepe ©enüffe gut
gäuterung unb Heiligung ber ©eele, bad fromme ©ubjeft einen
Sßorratp ftnnlicper ^reuben in möglicpftem Uebermap »orroeg
nimmt, barin bem Jpamfter gleicpenb, wenn er für ben SBinter
fammelt. 3nbem ipm aber oon biefen Sreuben nieptd ^ofitioed,
fonbern nur bie ©rinnetung bleibt, fo fpringt auep pier bie 3ronie
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auf bie anbere ©eite über, inbem biefe Erinnerung bie bem
Eenuh folgenbe Entfagung nur um fo fühlbarer macht uub bie
gaftengeit gu einer 9lrt geiftigen jfahenjammerß ftempelt. iSehn«
liebe Etfcheinungen, bie alle auß berfelben Duelle flammen, nämlid)
auß bem untilgbaren ©ebürfnifj nach ©elbftbefreiung beß Eeifteß,
treten auch in ber SBolfßliteratur auf, wie bie gum Sh*M poffen»
hafhironifchen Etgählungen „Sill Eulenfpiegel", £homaS 9Rurner’ß
„©chelmengunft", ©ebaftian öraubt’ß „fRartenfchiff", bie ©inn*
fpriidje unb Allegorien non £anß @ad?ß uub niete anbere ä^n*
lieber Art.
Bur bewußten unb tenbengiöfen ©atire geftaltetc fid) inbeft
bie biß babin bod) nod) ihreß Erunbeß wie il)reß Bielß meift un*
bewußte unb barum harmlofe Sronie erft in ber {Rcformationß*
beroegung, mit welcher eine neue $)hafe in bem Äampfe beß
Eeifteß um feine greiheit beginnt: bie moberne Beit.
©aß Entmieflungßprincib ber mobernen Söelt liegt bereits
in bem ber {Reformation unb ber {Renaiffance gleichmähig gu
Erunbe liegenben Eebanfen ber {Reftitution ber ©elbftbeftimmung
beß Eeifteß. „{Reformation" unb „{Renaiffance" finb nur gwei
©eiten, nämlich jene bie etl)ifd?e, biefe bie äftbetifdje, berfelben
{Bewegung: bet Eeift befinnt fid? enblid) nadi ber langen, fchmad)*
nollen ©flaneret, in ber et unter bem ©ruef ber Äitche jdjmadjtete,
auf fid) felbft unb feine eigentliche Seftimmung, frei gu werben
in fid', unb t>etfud)t , biefe Ueffeln abguwerfen; in ber {Refor*
mation baburd), baf) baß ©ubjeft wieber in fein urjprünglid)eß
{Recht bet fittlid'en ©elbftbeftimmung eingelegt wirb, intern baß
eigne Eewiffen als bie höchfte richterliche Bnftang über ben 3n*
halt beß religißfen Bemüht jiiußreftituirt wirb; in bet {Renaiffance
baburch, ba§ bie fünftlerifche Anfdjauung fid) oon bet firchlichen
Srabition emancipirt unb gum Bemuhtfein barüber fommt, bah
baß wahre 3‘d aller Äunft nid)t bie $eiligfeit, fonbern bie
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Schönheit {ei. Auf baS eigentliche SSefen biefet SBiebergeburt
tann infcefj h^ ebenfo wenig wie auf bie noch niel eutfchiebener
auftretenbe SDppofition gegen bie ©eifteSfflanerei, bie fiep in bet
Literatur funbgab, eingegangen werben; wir werben bei 8e»
Pachtung ber äfthetifchen 3ronie noch auf beibe gurücffommen.
2 5a8 Streben nach Selbftbefreiung beS ©eifteS — ein 9)rincip,
baS fcpon im Urcpriftenthum gefegt war — bleibt inbefc auch
jefct, wenigftenS nach ber einen, nämlich teligiöfen, unb bamit in
Sufammenhang auch nad^ bet )>oItttf(^ * foctalcu Seite tjin, in
gweifather Segiepung ein befdjränfteS unb einfeitigeS: eS wagt
Weber bie lebten Äonfequengen {eines 9>rincip8 gu giepen, {onbetn
bleibt nod? im gormelroefen unb Aberglauben befangen, noch
burchbringt eS bie gange, tultioirte ÜJtenfchheit. 2>ieje ®e»
fchränftheit unb ^)artilularität bringt in baS SBewu&tfein bet
europäijchen Äulturoölfer eine tiefe Spaltung, welche gu nach ft 3«
einem t>ielj&t)rigen, erbitterten Kriege bet tatholifchen unb proteftan*
tifchen 3Jiächte führt, biß butdj ©rfcpöpfung eine Art Ausgleichung,
aber feineSwegS eine SSerfopnung ber ©egenfäfoe erfolgt, bie auch
heute noch in berfelben Schroffheit einauber gegenüberftehen. 3ene
nach bem 30jährigen Kriege eintretenbe ©rfcplaffung geigt ft<h
gunäcpft als eine (Spocpe ber @ntü<hterung unb Snbiffereng, welche
fd)lief)lich — in nothwenbiger Äonfequeng — befonberS auf bet
tatholifchen Seite, ba eS fi<h hiet oorgugSweife um bie äu&ere
gorm hanbelte, gum StepticiSmuS unb gut grinolität führte;
gwet gormen bet negatiüen 3ronie gegen bie 3bealität beS StrebenS,
bie fid) als bie theoretifche unb praftifche Seite berfelben Sache
barfteUen: bie ^eriobe beS fRofofo unb beS SopfthumS.
@ewöhnli<h pflegt man biefe gormen nur in äfthetifcper
SJebeutung gu nerftehen. Allein baS 3opfthum unb ber $et*
rücfenftpl hatten auch eine wefentlidj fociale unb ftttliche S3e»
beutung. Denn ihr SSefen ift überhaupt Söerfehrung aller natur»
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gemäßen 93erhältniffe in ißt ©egentheil. SBie burdf ben 3opf
unb bie Perrüde ba8 in natürlichem goefenwurf feßöne menfeß*
liehe £auptßaar in einen burch bie jfonoentionalitfit ber 3Robe
geforberten fünftlicßen IRegelgwang gepreßt ober gang »erborgen
würbe, fo etfeßien bie gefammte SBeltanfcßauung burch eine bem
wahren ©Uten* unb ScßönheitSgefeß »öllig wiberfpreeßenbe
SBidfür unterjocht. £ätte biefe SBidfür nur ba8 ©epräge einer
SRobelaune gehabt, fo wäre fie als 9luSbrncf bet 93ergweiflung
an bem gortfeßritt bet ethifchen wie äfthetifchen SBeltanfcßauung
mehr beS 93ebauetn8 al8 ber 93eracßtung werth gewefen; aber
in biefem SBaßnfinn war leibet ÜRetßobe. .jpanb in ^>anb mit
bem tief entsittlichten 3uftanbe beS polüifchen unb focialen 8eben8,
beffen fRicßtSwürbigleit fich an ben $ßfen, namentlich an bem
gtanfreicßS, foncentrirte unb oon biejen Zentren fteß allmählich
nach ber Peripherie auSbreitete, big baS ©ift auch baS gefunbe
SMut ber Nationen gu gerfeßen begann, ging auch bie 93er»
fälfchung beö gefunben ethifchen unb äfthetifchen ©efüßlS. SBie
man eS als hödjfteö „3beal" ber ©artenfunft betrachtete, bie
malerif<h*natürli(he Untegelmäßigfeit in bet frönen ©tuppirung
beS 93aumfchlag8 gu architeltonifch*langweiliger ©pmmetrie gu.
guftußen, fo bah ein Strauch nicht mehr als folchet erfcheinen
burfte, fonbern in bie ©eftalt eines PilgeS ober einer Ppramibe
ober gar eines beliebigen Stetes gegwängt würbe — , wie man
in ber Slrcßiteftut bie naturgemäße SBeftimmung ber geraben unb
gebogenen 8inte abficßtltch umfehrte, fo baß, wie fchon bie ge»
wunbenen Säulen be8 3efuitenftplS unb bie gange 93erfünftelung
ber eblen fRenaiffance in ben 99arocfftpl beweifen, ba, wo ber
S3licf, bem architeftonifchen ©efeß ber Schwere gemäß, {Ruhe unb
geftigfeit »erlangte, getabe bie gefeßwungene , wo et geießtigfeit
unb fchwung hafte ^Bewegung forberte, bie gerabe fcinie angewanbt
würbe: fo waltete in allen ©ebieten beS £eben8 bie bewußte unb
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barum frioole Umfehruug in’S Unwahre unb Unnatürliche ob.
2)a Statut unb Äunft in gemiffem ©inne ©egenfäfce bilben, fo
glaubte man baöSbeal überall in bem möglichft Daturroibrigen
ju finben : inbaltöooQe Daicetät mürbe in Äofetterie, eble ©mpfinb»
famfeit in gefünftelte Sentimentalität, bie {wrmlofigfeit beö un*
befangenen fRatutmenfchen in gleifsnerifche Sbpüenhaftigfeit, echte
Slragif in ^o^leß 9>atho8, furj, aüeö ©ubftanjiefle in lügenhaften
unb leeren ©<hein uerfehrt, in meldiem nur bie felbftgefäüige
©itelfeit be8 frioolen ©ubjefte 33eftanb SDa| neben biefer
Heuchelei eineß ibealen ©djeinß einerfeitß bie offen eingeftanbene
Senbeuj fchamlofer Frechheit unb fittlid^er SSerfommenheit in bem
$afdjen nach (Erregung gemeiner ©innlidjfeit fid) breit machte,
anbrerfeitß eine fpeic^elledferifdje Äunft fid) — ironifdjet Söeife —
fogar bcr ebleu unb feufchcn Elntife alß fo^^iftifc^eu 33ocroanbe8
für eine leberne unb froftige EtOegoriftTung teß EtöfolutiömuS be»
biente, !ann bann meiter nid)t SJSunber nehmen.
&ragt man aber nach bem tieferen ©runbe biefer tiefen
Äorruption, fo ift ju fagen, bafj auch h*et ber Mangel an grei»
heit nach jeber Dichtung hi» eß war, nämlich eben ber Elbfolu*
tißmuß bet fich felbft oergötternben ©elbftherrfchaft, meliher jeben
geiftigen Eluffchroung, jebe (Erhebung gur Söahrheit unb Dücffeht
gut fJiatur unmöglid) machte. Elber ber ©eift fann folche ©nt»
mürbigung auf bie Sänge nicht ertragen; eß giebt überall eine
©reu je , jenfeitß beten er, gefnechtet unb entmürbigt mie er ift,
fich wiebet auf fich »»b feine göttliche SSeftimmung befinnt unb
fo, burd) 9ioth unb 3ammer gereinigt, feine ©pannfraft miebet»
finbet, um entfünbigt burch eine SSluttaufe bie fchmachooüen
Ueffeln Der Süge unb Unfreiheit abjumerfen. 31 uf bem politifd)*
focialen ©ebiet gefchal) bieß, nachbem — gerabe mie oor ber
Deformation in ben einzelnen fatirifchen Eingriffen gegen bie
religiöfe ©eifteßfnedjtung — fdjon manche Vorläufer ben nahen*
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beit Umffwung »erfünbet, wie bie Gtncpflopäbiften , Siouffeau,
SBoltaire^u. f. f. in ber frangöfiffen SReoolution, bie wie
ein weltgeff if tlif er Dtfan über bie entfittlif te SJtenif Ijeit ba*
fyet rafie unb ffrecflif freie 23al)n für bie ©elbfterpebung beb
gur $refeit wiebetgeborenen ©eifteb ffuf; auf bem wiffenffaft»
litten ©ebiet war eb bie Äantijf e $>l)iloiopf)ie, auf bem
fünftleriffen bie SBin cfelmann = 8ejfing’ffe Äritif, eine nift
minber tief eingreifenbe, wenn auf ungewaltfame Steooluiion,
Welfe ber 23ergerrung unb gügenfjaftigfeit beb Äunjigeff madb
ein @nbe maf te. Unb alb ber 33lifc biefeb regenerirenben ®e*
banfenb in bie oerbumpfte unb gewitterffwüle Sltmofpljare ein«
ff lug unb ein greKeb üif t in b ab gur ©elbftparobie ber ibealen
SBeftimmung beb ©eifteb »erfeljrte Sewufctfein beb 18. 3<ft»
Ijunbertb einff lug, ba eröffnete ftf , wie mit einem ©f läge, eine
freie, flare äubfift unb aub bem neubefrufteten 33oben beb
geiftigen Sebenb fprofeten plöfjlif in überqueöenber Äraft eine
Steife wunbetnollet ©ewäffe empor, ber bid)te Söalb unferer
großen nationalen 25if ter.
Ueber ben weiteren Fortgang beb bittet bab (Element ber
Sronie in ftetb neue Stiftungen getriebenen SBeltproceffeb müffen
wir unb Ijiet auf furge Jänbeutungeu bejdjränfen. 9)tan erfennt
in ber mäanbriffen Sitfgacflinie ber gejfiftlifen ^Bewegung
immer baffelbe ©efetj, ba§, wegen bet ungenügenben unb ein»
feitigen SBerwirflif ung ber alb 3tel ber Bewegung gefegten 3bee,
bie .Ronfequengen beb ©trebenb ftetb in fr ©egenfeil nmjd)lagen.
3n betreiben SBeife, wie ftf aub bem Urf riftenfum , bab bie
3bee ber allgemein - menfflifen grefeit unb btübetlifen Siebe
alb iPrindp aufftellte, bie furftbarfte ©eiftebfflaoerei unb ber
büfterfte Sieligiouf afj entwicfelte, fo führte bie frangöfiff e Sie*
»olution, weife ebenfallb „grefeit, ©leiffyeit unb SBrüberlif feit"
auf f te gafyne ff rieb, nif t nur gu ben ff eufff ften 33erbref en,
{7*3)
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fonbern aud) gu einer ©eifteStprannei unb einem ganatiSmuS be$
^affeö, bet iljre eigenen 33ertreter, non ben ©ironbipen bis auf
IRobeSpierre herab, jelbft oetfchlang. Siegt hierin fcpon eine
Sronie beS ©djicffalS, fo ooDenbete pch biefelbe gegen bie gange
Sbealität bet revolutionären Bewegung baburdj, bap fte im
Äonfulat unb im Äaiferteich unterging, beffen 3beal einet euro*
päifcpen ©efammtmonarchie bann felber auf bem unfruchtbaren
gelfen £elena’8 »on feinem ironifdjen ©efcpicf ereilt würbe. Unb
waS war ba8 pofitioe JRefultat aller biefet riefenhaften unb
SRiHionen oon SRenfdjen oevnichteuben Äämpfe? IDie JReftau*
ration, b. h- bie angebliche restitutio in integrum. 5lbet bap
biefer Status quo ante nur ein ©djein war, bewies eine neue
fReoolution, bie oon 1830, welche iprerfeitS — wie bie oon 1789
butch ba8 9Rapoleoaif<he Äaiferreich — burch ba8 intriguante,
fleinfrämetifcpe fonftitutionelle Äonigthum SouiS Philipp’# um
ihre grüßte betrogen würbe. 58bet auch Souis Philipp mupte
— gwar nicht auf eine wüfte 3«fel, ba et fein £ero8 war,
fonbern al8 ^h^fter mit feinem fRegeufchirm — auf bie SBanbet*
fchaft gehen, ald bie gebruarteoolution loSbrach, welche ben fleinen
SReffen be8 großen äDnfelS guetp auf ben $)räpbentenftuhl unb
fchlieplich auch »ieber auf ben Sthron erhob, bis auch et fein
Helena in ©hislepurft fanb, nacpbem bie ©itelfeit ber frangöpfchen
©loite bei Seban, ähnlich wie früher bie ©itelfeit unb grioolität
beS militairifchen ©pigonenthumS griebrich’S II. bei 3ena —
ihre ironifcpe Sßiberlegung gefunben hotte. — 3ena erinnert unS
an bie tiefe ©tniebtigung beS beutfchen 33olf8, aus welcher Pep
baffelbe butch bie au8 bem ©ntpupaSmuS für bie 3bee ber
beutfchen ©inheit unb Freiheit geborene freiwillige Sluttaufe bet
greiheitSfriege emporraffte, um — al8 Sronie auf biefen ©nthu*
paSmuS — oertrauenb auf bie 3ufagen einer freien SBerfaPung,
welche ber SRoth entprept waren, in golge bet SBiener Äonferengen
(7M)
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unb ber Äarlßbaber S3efd^lüffe in neue ©eifteßfeffeln ßefd^laßen jn
»erben, biß benn fchlieftlich trojj 5Raa&tegelungen ber fog. „be*
magogifchen Umtriebe", trotj beß eifernen Drucfß, ben man auf
bie Freiheit ber miffenfchafilicben 8e^re »ie auf bie religißfe unb
politifche Uebe^eugung außübte, baß ©efäfj bet beutfdjen ©ebulb
einmal wirflicb überlicf. Unb wenn aud) balb barauf »ieber,
in golge beß OJiangelß an richtigem Berftänbniff fowohl über
bie 3irie »ie ber einpf^lagenben SBege, um biejelben 311 er*
reichen, bie fReaction nach 1848 ihr £auyt »ieber erhob, fo roar
bod) für bie Bufunft ein neueß unb nicht mehr umguftü^enbeß
9)rincip gefegt: ber ‘Jlbfolutißmuß war für bie Äulturoßlfer im
engeren ©inne auf immer unb in jeber gorm eine Unmöglichleü
geworben. Der ©ieg, ben Deutfdjlanb in neuefter Bett fiber
granfreich errungen, hotte beßhalb auch für Deutfdjlanb bießmal
eine pofitioe Solge: bie ©inbeit beß nationalen Bewufjtfeinß unb
bie burd) bie feftbegrünbete fDiacbtfteUung erreichte ©elbftachtung
beß beutfdjen ©eifteß.
SBirb ber SBeltgeift aud) ^iegegen »ieber feine ironifdje
9Rad)t außüben? Daß ift gang ge»ifj, fobalb bie 5Roth»enbig!eit
einet weiteren ©ntwicfelung gegebeu ift — unb folche ÜRothwenbig*
leit wirb im SBellproceft feiner eigenften Statur nach immer nach
einer gewiffen Beit eintreten. Db roir, baß lebenbe ©ejdjlecht,
biefe neue ^>l>afe ber gefchichüichen 3ronie noch erleben — »er
mag bieß fageit?
2öir jcbliefjen hiermit bie Betrachtung bet fulturgefdjicht*
licken Bebeutung ber Bronie, um und nunmehr gut Betrachtung
bet fubjeftioen gormeu bet äfthetifcheu 3ronie 3U roeuben, oon
bet »ir in objefttoer Begietjuug bei ber fulturgefdjicbtlichen Be*
trachtung beß SBeltyroceffeß bereitß mehrfache ?leu|etungen 3U beob*
achten ©elegenheit hotten.
1
XIV. 932. 333. 4 (785)
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II. Sie iifUjeti frfjr firbetttattg bet 3ronie.
33enufcen wir biefen Sluhepunft, um gunächft eine furge lieber*
fiept über ben bifferenten 3npalt ber hauptfächlicpften biefer
formen »oranguicpicfen , epe wir bieS ©ebiet inj einigen £aupt«
punften feiner gefcpithtlitpen ©ntwicflung gu betrauten »et*
fucpen.
3u etfier 8inic ift auf leine auch in etbifcpet Vebeutung
bebeutung8»oDe Steigerung beS in ber 3ronie überbaupt auSge*
brücften negatioen Verhaltens beS ironifcpen SubjeftS aufmerf*
fam gu machen, bie in bem Älimaj: beS ©arfaftifb^en, Sa»
tiri'cpen unb grioolen liegt. Vei ben erfteren beiben fann
eS bem ironifcpen Subjeft als lebten 3wecf — wenn »ieQeidtf
auch nur fcbeinbat — um etwas $)oftti»e8, nämlicb um baS
3beale, gu tbun fein; unb fie unterfdjeiben fiep nur barin, bafj
ber „SarfaSmuS" ftcb fleflen ein ©ingelneS ricptet, wäbrenb bie
„Satire" ihre SBaffe gegen ein fiep geglieberteS ©ange führt,
um eS in allen feinen feilen gu »etnicbten. 2)ie „Brioolität“
bagegen nimmt nicbt einmal ben Schein an, als ob il}r bie ibeale
SBaptpeit ßwecf fei; im ©egentbeil beruht ihr rein negatioeS
Sßefen in bet hopnooOeu Verleugnung allet 3bealität. Sie
finbet ein felbftjücptigeS Vepagen barin, alles „©tpabene in ben
Staub gu gieben", alle ebelen ©mpfinbungen als Selbftbetrug
ober als bewufjte 8ttge ber materiellen Segier pingufteöen. Sie
erfcbeint bahcr als innerfter Jtern aller jener ©eftaltungen, welche
auf ber VerauSfefjung biefeS IDogmaS beruhen, aber ihre fcblimmfte,
»erdcbtlicbfte fjorm erhält fie bann, wenn fie unter bem peuch*
lerifcpen Schein einer aufrichtig ebeln ©efinnung lebiglid} auf
Vefriebigung finnlichen ©enuffeS auSgeht. ©S ift bieS überhaupt
baS Äenngeicpen beS praftifcpen ÜJtaterialiSmuS, gleicpoiel ob
fich berfelbe in offener Schamlofigfeit gu jenem SDogma befennt
unb in mephiftophelifcher SBeife an allen Regungen beS ®efüljl8r
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an febem enthufiaftifdjen ©treben beö ©eifteö bie burd) bie 5Ra»
türlidjfeit unferö ©afeinö nothmenbig bamit »erfnüpfte ©Ratten«
feite egoiftifd)er ©innlidjfeit, alö fei biefe baö »efentlidje unb
hinftcbtlid) bet 9Jtoti»irung einzig roirfiame ÜKoment, mit innerer
©enugtfyuung gefliffentlidh hrroorhebt — ober ob er feine frioole
©efinnung alö baö {Refultat philofophifther Uebergeugung bargu»
ftellen unb bie lulturfeinblidjen Äonfequengen betfelben mit bem
erborgten glittet einet fophiftifdjen ©d)einlogif auöguftaffiren
fid) bemüht. — Sber aud) ber tljeoretifdje ÜRaterialiömuö,
obfdjon auf lmffenfdjaftlicber 33afi§ beruhenb unb barum
»on ebleret Statur, !ann fid) bod) nicht gänglidj bem ©tanb«
punft ber grioolität entgiehen, weil auch er auf ©runb feinet
rein mechaniftifchen (Srflärungöroeife beö gefammten SBeltorganiö*
muö alle ©elbftänbigfeit ibealer 3i»ecfmä§igfeit leugnet unb
alö einjige Uriad?e aller ©ntwitflung baö burdjauö gufäHige ©piel
gttedloö bewegter 9ltome behauptet1). Sille grioolität ift baher
wefentlid) ffeptifä), unb gwat nicht blofc in religöfem, fonbetn
in bem gang allgemeinen ethifdjen ©inn einer iHbleugnung allet
unb jeber nicht materiellen fölottoe im SBereic^ beö ©efüfylö* unb
©eifteölebenö. 2118 objeftioe (ärfcheinung werben mit fie bähet
hauptsächlich in allen jenen gefdjidjtlidjen Sporen auftreten
fehen, welche alö SHuögangöpijafen einer großen 3«t bie Äot*
ruption unb SBerbetbnif) berfelben »or ihrem Untergange in gleich*
fam naioer ©djamlofigfeit gut ©cfjau tragen ; fo in ber römifchen
Äaifergeit »or ber £)errfd)aft beö ©hriftenthumö unb in granfreid)
»or bet großen fReoolution.
Unter ben anberweitigen gormen ber Stonie beruhen, ihrer
$enbeng nach, bie ^etfifflage unb baö 'Uaöquill auf bet
grtoolität; fie »erhalten ftdj ungefähr gueinanbet wie ber ,,©at*
faömuö" gur „©atire" , b. h- bie erftere ift auf ein Qjingelneö, baö
ledere auf ein ©angeö, alö beftimmt abgegrengteö Dbjeft, ges
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richtet. ©ie gehören bereitö bet literarifchen gorm an, ebenfo
— aber in höherem, äftbetifd) berechtigtem Sinne — bie ^atobie
unb bie £rat>eftie.] SDiefe beftcheu beibe in bet ironifchen 9lach»
bilbung^eineS gegebenen ©toffS ju bem Bwecf, benfelben lädjet*
lid} $u machen; fte unterfcheiben ftdj aber batin, bafj bie „^atobie*
bie gorm beS 93orbilbe8 beibetjalt, nm barin einen biefem analogen,
fomifchen Inhalt als 3ronie auf ben @rnft beß Originals einju«
fchlieften, wähtenb bie „Slraoeftie “ ben 3nl)alt beS 93orbilbeß bei»
behält, um ihn bur<h ©infchliefjung in eine trioiahfomifche torm ju
ironiftren. Beifpiel bet erfteren ift bie „Batrachompomathie"
(&tof<hmäufefrieg) als 3ronie gegen bie honierifche 3ltaS, BeifpieC
ber zweiten bie „Heneibe" non Blumauet als 3tonifuung beS
Birgil’fchen ©poS. Beibe flnb im ©runbe harmlos (ober fönnen
eS hoch fein) unb haben feiueSwegß ben 3wecf, mit ihrer 3toni«
firung bie ibeale Bebeutung ihrer Botbilbet jerftören ju wollen.
9lm meiften auSgefefjt ftnb ihrer fomifchen fBiacht baS falfche ^athoS
unb bie beflamatorifche ©efpreijtheit. UebrigenS ift wohl bie
Üraoeftie, weil fte nur auf formale Äomif außgebt, nicht aber
bie 9)arobie auf SSorbilber im ©inne »on bereits bidjterifch ge*
ftalteten Originalen befchränft; fonbetn baS Borbilb unb Objeft
bet 3ronifirung fann ^ter auch bem wirtlichen geben entnommen
werben, wie z- B. ber „Donquidjote" »on ©ercanteS eine $aro»
bttung beS fich felbft überlebt habenben JRitterthumS ift.
Sllß bilbliche f)arobie fann man bie jfarrifatur bezeichnen,
aber auch bie in bet erjät)lenben fParobie auftretenben ©eftalten,
fofern ftch eben bie 3tonie gegen fte richtet, erfcheinen für bie
Borftellung felber als jtarrifaturen ber gefchichtlichen SSorbilber.
2>enn baS SBefen ber „Äartifatur" befteht nicht, wie^egel meint,
in einer „©haraftiftrung beS .glichen", fonbern umgefehrt in
einer SSerhäfjlichung beS <$^araf teriftifc^en, nämlich in ber ironifch
gemeinten Uebertreibung eines SDtomentS, baS als folcheS nicht
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fdjon tjäfeltcb, fonbern nur auffallenb unb baburcb für baS bamit
behaftete Dbjeft ober Snbioibumn cbarafteriftijcb ift. (Srfcheint
Semanb g. 33. burcb eine etwas grobe 9iafe auffallenb, bie an
ftd) woblgebilbet fein !ann, unb biefe fSuffäOigfeit wirb bis in’S
jfoloffale übertrieben, jo erfdjeint biefe Uebertreibung fomifdj.
hierin beruht bie SBirfung ber formalen JJarrifatur. SBeiter^in
»erftebt man bann auch unter Jtarrifatur bie ironifebe lieber»
treibung non geiftigen (Sigentbümlich feiten, wenn fie burd) ib«
(Sinfeitigfeit ber 3ronie einen SngriffSpunft barbieten. @o war
bet 2triftopbanifd}e ©ofrateS eine Äarrifatur beS wirflidjen, unb
bie Äomif liegt bter gerabe in ber äu&erlicben äebnlicbfeit, um
ben inneren SBibetjprudj um jo auffälliger gu machen. (Sin
©eijpiel geiftiger Äarrifatur auS neuerer 3eit ift baS befannte
S3ilb 21b- ©djröbterS „bie trauernten Sobgerbet", beffen Sronie
ficb gegen bie epibemijcb geworbene Sentimentalität bet alt=büffel*
borfet IRomantif in ben „Srauetnben 3uben", „Strauernben
«RönigSpaaren* u. f. f. wenbete, eine 9üd)tung, welcher mit jener
Äarrifirung plßfelicb ein (Snbe gemacht würbe. —
ferner !ann noch baS (Spigtamm, als praftifebe gorm
fatirifdjer 3ronie erwähnt werben, obfebon baffelbe im ISlter»
tbume feineSwegS biefe 33ebeutung batte. Sßielmebr nerftanb man
barunter furge unb pointenoofle Snfchriften, wie fie auf Slempeln,
öffentlichen ©ebäuben, ©rabmäletn u. f. f. angebracht gu werben
pflegten, Später ©innfprücbe in poetijeber ftorm, welche furge
SebenSregeln, auch wohl nur launige ober melanchelifche (Sinfäöe
unb bergl. enthielten. 3lbet fchen bei ben SRomern, g. 33. in ben
(Spigrammen beS SJlartial, erhielt biefe gorm einen norwaltenb
fatirifchen (Sbarafter. — 35ie bö<bfte unb ebelfte jform ber 3tonie
enblich ift ber £umor. SBäbrenb alle anberen formen bie tiefe
JDiffereng gwifdjen bem 3beal unb ber SBirflicbfeit befteben laffen,
fei eS baf) fte ficb auf ©eite beS 3bealS gegen bie fcplecbte SBirl*
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liebfeit ftetlen, wie bie Satire, ober umgefefert auf Seite bet
SBitflicbfeit gegen ba8 3beal, wie bie ftrioolität, fo ift jmar ber
£umor auch mit bem S<bweT3 jener JDxjferenj erfüllt, aber in*
bem ber #umorift ficb xtic^t nur bie innere Sßotbwenbigfeit beS
unenblicfeeu ^toceffeS, ber ja auf jener 2>iffereu3 berufet, jurn
©ewufetfein bringt, fonbern auch über bie partifuläre ©efcferänft«
beit hinaus fi(b felber auf einen ibealen Stanbtpunft erbebt unb
als Präger be8 ?>roceffe8 weife, gelingt e8 ifem, in ficfe felber bie
Unnabbarfeit be8 Sbeald mit ber ©efcfetänftfeeit be6 SnbioibuutnS
ju Detföbnen. Söenn biefe ©eTfßfenung ben Scfemer3 bet fRicfetig*
feit be8 inbiuibuellen 35ajeiu8 nicht auSfdjUefet , fo ift biefer
S(bmet3 bocfe nur ein fßeflejr ber in bem Söeltprocefe felbft au8«
gebrütften Sebnfucbt nach ©oUenbung, beren 3«l aber in bet
UnenbHcfefeit tievjt. Slber bie ©rfenutnife biefeS 3«elö fefet ben
$umoriften tfeatfäcfelicb in ben tbeoretifcfeen ©eftfe beffelben unb
perleibt ibm bamit bie Äraft, ficb gegen bie ©nblicfefeit unb
©itelfeit aller @in3elbeftrebungen , aucfe feinet eigenen, ironifcfe
3U »erbalten. SBeil nun folcbeS ©erhalten bie wahrhafte (Srfennt*
nife be8 3beal8 unb bamit bie tieffte Siebe gu bemfelben 3ut 93er*
au8fefeung bat, fo fcfewingt fid> ba8 ironifcfee Subjeft gu einer
burcbauS felbftfucbt8lofen, reinen unb heiteren ^Betrachtung ber
weltgefcfeicfetliiben ©ewegung auf, b. fe. ba8 ironifdje Subjeft
wirb im tieferen SSortfinne bumoriftifcb. @in6 bet glängenbften
unb ebelften ©eifpiele be8 echten $umoriften gewährt un8 3ean
$aul.
fftacfe biefen erflätenben Slbfcfeweifungen geben wir nun 3ut
gefcbicbtlicben ©etracfetung biefer »erfcbiebenen fubjeftio«äftbetifcben
formen ber 3tonie über, wo»on wir »om aitertfeum bi8 auf bie
©egenwart nicht minber gasreiche ©eifpiele antreffen werben, al8
»on ben bereits in ber »oraufgebenben fulturgefcfeicfetliifeen Se»
trachtung erwähnten objeftio«äjtbetifcfeen formen, bie mit jenen
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meift £anb in £anb gehen. — 3uüörbcrft tft, wooon wir ben
©runb bereite Eingänge angabeu, gu bemetfen, baß bem Orienta»
liemub, fo reich er an objeftio«äflhetif(hen formen ber Sronie
tft, bodj ebenfo wie bem Haf fliehen SUterthum bie gu beffen
Äulminatioueepoche bie fubjeftioe Borm ber 3rouie burdjaue
fremb mar. <5rft mit bem Erwachen beö refleftirenben SBewußt«
feine, b. i j. in ber fofratifchen Seit, erf^eint bie Stonie ale aflhe»
tifeheß unb et^rfdjeö Verhalten bee ©ubjefte.
SBerfen wir gunäehft einen ©lief auf bie fitnftlerifdje Ser»
Werbung ber Strome in ber Sfntife, fo bietet inebefonbete bae
©ebiet bet $)oefie unb namentlich bee JDramaß einen außerorbent«
lieh reichen ©toff bar. ©oroohl bie Jragöbie wie bie Äomöbie
enthält ein wefentlid) ironifchee (Element, bae immer auf ber
JDijfereng bee Sbealß gegen bie SBirflicßfeit beruht. Sn ber
erfteren ift ee bae Saturn, meldjee fleh ironifch gegen ben gelben
»erhält unb ihn bem Untergange guführt, in ber Äomöbie ift ee
bie ibeale SBahrljeit felbft, an ber bie Vertreter ber fehleren
SBirftichfeit gemeffeu unb lächerlich gemacht werben. fDie erfte
gorm fönnten wir, ba fle eben mit ber fchon bestochenen ob«
jjefttoen gorm bee gatume gufammenfaOt, bei ©eite laffen unb
nur an bie großartigen ©chöpfungen bee äefchplue, ©ophofleß
unb <5utipibe6 erinnern, wenn nicht bie auffatlenbe ©rfcheinuug
gu erwähnen wäre, baß nach “item ©ebrauch am gefte ber großen
ÜDionpflen nach ben brei üblichen, eine Ätilogie bilbenben £ra*
göbien, ale fomifchee 35ef|ert gleichfam, ein fogenanntee „©atir=
brama" auegeführt würbe (Sß ift fehr gu bebaueru, baß mit
Sluenahme einee eingigen folgen ©tücfe, ber „©pflope" »ou
©uripibeß, nidjte weiter erhalten ift. ©ooiel fleht inbeß feft,
baß bae ©atprbrama fdneemege ale mit ber Äomöbie ibentifdj
gu betrachten ift, fonbern baß ee »ielmehr eine Serwanbtfchaft
mit bet ürag&bte geigt SBenu man fleh erinnert, baß bie Stra*
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gobie utfpriinglicb burdbauS feine ^anblung mit traurigem 9lu8«
gange barftellte, jonbern einfach eine ^eroifc^e SJtytfye, befonberS
au8 bem ©agenfreife be8 33acdbo8, bem gu @^ten ja ihre Stuf*
fü^rung oeranftaltet würbe, bebanbelte (man leitet baber auch
Sragobie Den tragos, 33ocf, ab, womit bie bocfgfüfcigen Begleiter
be8 £Diont>fo8 gemeint waren, aljo wörtlich „SöocfSgefang“; eine
S3ebeutung, bie ber be8 @atirbrama8 febt oerwanbt ift), jo er«
fdjeint biefeS poffenbafte Slubängfel an bie tragijdbe Trilogie,
wobureb gleidjfam bie ernfte fJJiptbe unb ba8 tragifebe fPatboS
bet leiteten parobirt würbe, al8 eine Weitere ©elbftironifirung oon
ed^t fomifcher SBitfung. 6troa8 2tel)nlid?e8 finben wir in ben
SRartenfpielen ber §)a)fion8bramen be8 ÜJiittelalterS. 2)er Stoff
be8 ©atirbramaS würbe beöbalb niemals, wie bei bet Äomöbie,
au8 bem unmittelbaren Stoff geitgenöffifeber 23erfebrtbeiten,
fonbern, wie bei ber Stagöbie felbft, au8 bet (Sföttermptbe unb
#eroenfage entnommen, bie ja an folgen objeftio ironifdjen ®e*
ftalten, wie wir faljen, feineSroegS arm waren. 3)ie Qtyöxt
würben bureb ©ilene unb ©atirn gebilbet, habet bet fRame. @8
batte nur gang furge 3)auer unb eine febt einfache Sabel, ba bet
Bwecf nicht war, ben ernften ßinbruef ber ihr oorauSgebenben
Sragöbie gu ftören, fonbern lebiglicb ben einet fdjlie&licben 808»
fpannung ber tragifeben Söirfung bureb barml°f« @rbeiterung
ber Buffbauer. 3n bem genannten „@bflop8" befebränft ficb
bie Sabel barauf, baf) ©ilen unb feine ©öbne, bie ©atirn,
welche burdb ade 5Reere ben non Giraten geraubten 33acd)u8
fueben, an ber jtcilifcben Äüfte gefebeitert unb in bie £änbe
$>olppbem8 gefallen finb, ber fie gu feinen ©cbaafmelfern macht.
UfpffeS fommt bagu unb nerbinbet ftcb mit ben ©atirn, bie ihn aber
bureb «b« Scig^cit im ©tid) taffen. Sfcrofcbem gelingt e8 ibm,
ben ©pflopen gu blenben unb bie ©atirn gu befreien, mit beneu
er ficb benn ftbltefjUcb einfdjifft. — 3Ran fiebt, ba{} ba8 @ange
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»iel gu harmlos mar, um ben bebeutenben ©inbrucf bet ernften
Eragöbie mefentlidh abgufdjmächen. SftidjtS befto weniger liegt in
bet £fyatfad)e felbft, baf) bie Trilogien mit bem ©atirbrama
abgefdjloffen mürben, ein pfpdjologifch bebeutfamer Bug. nämlich
bie Einbeulung auf baS Sebütfnifj einer fubjeftioen Befreiung
»on bem 2)rucf, ben baS ernfte $Drama ftetS auf baS ©emütl)
bet 3ufd)uuer auSübte. «Solche ^Befreiung rcirb aber, opne bie
SafiS ber poetifdjen SBirfung gänglich aufgupeben, eben am
beften burcp eine ^armlofe Sronifirung be§ ©rnfteS erreicht.
Eicrin fdjeint mir bie mapre Sebeutung beS alten ©atirbramaS
gu liegen.
UebrigenS mag, namentlich als baS ©atirbrama feit @o=
ppofleS als 9iad)fpiel ber Etagöbien »on bet Sühne oerfcpmanb,
bieS mopl Slnlafc gu einer befonberen Umgeftaltung beffelben
gur ^omobie gegeben haben. SDie Umgeftaltung betraf bann
mopl gunäcpft ben Snpalt, ber nicht mehr ber 5Jlptpe, fonbern
ber ©egenmart entnommen mürbe, fobann aber auch bie gotm,
bie fich aufcerorbentlich reich entmicfelte. 3lm »ollenbetften geigt
fich biefe ©eftaltung ber fomijehen 3ronie in ber ariftoppa*
nifchen üomöbie.
StriftoppaneS ift trojj feiner oft betben ©päfce unb poffen«
haften ©cftaltungen nichts meniger als ein friooler ©pahmadpet.
ffior feiner jatirifchen ©eifcel ift allerbingS nichts ficher, maS bem
antifen ©efüpl als el)tmürbig unb heilig galt: bie ©tfepe unb
bie gange ©taatSoerfaffung, bie ©ötter unb E^oen nicht minber
mie bie in ben Sotbetgtunb tretenben geitgenöffifepen 3nbioibuen
mürben oon ihm bucpftäblicp auf ber Sühne an ben pranget
gefteQt unb bem ©elädjter beS SolfS preisgegeben. ©ofrateS
felbft, bet boch auf anberem SSege nad) bemfelben 3iel ftrebte,
entging feinem patobitenben Uebermuth nicht; aber, mie fttiebrich
ber ©ro§e ein fPaSquiü auf ihn niebriger hängen lieh, bamit eS
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bequemer gelefen »erben fönne, fo ^atte ©ofrateS, wohl »ifjenb,
baß er bamit allein ber gegen ißu gerichteten ©atire bie ©pi$e
abbrethen fönnte, ben SEJiut^, felbet bei bet Aufführung ber
„SSolfen" gugegen gu fein, ja jogar, ber 93erglei<hung mit ber
ihn traneftirenben ÜJtaSfe halber, aufguftel)en. — Über wa8 per*
ftfflirte benn im ©runbe Ariftopbau^ AnbereS als bie »erfebrten
©eftaltungen, bie aus bet urfhtünglidjen ©inbeit be8 gebiegenen
fittlid?en SebenS bet Athener berauSgetreten »aren: bet alte
©ötterglaube war bereits im SBetjdjwinben, bie ©taatSnerfaffung
unb bie @efeße burd} feile Seftecblidjfett unter»üblt; bie Saftet*
baftigfeit bet Beit hatte in etfcbrecfenber Söeife gugenommen: fo
fpiegelte et ben Athenern in feinen parobifdjen ©eftalten nur bie
gange 3erfabrenbeit unb ©ntwürbigung ibreS eignen SebenS
»ieber, inbem er ficb bagegen itoniftb »erhielt. 3m tieferen
©runbe aber »at e8 ibm bitterer ©rnft mit feiner Uebergeugung —
bie8 ift bie ed^t ibeale ©eite feiner Äomif — unb bie tiefere
Sronie berfelben liegt fcf)Iießli<b noch barin, baß er bie Athener
über feine fomifcben Figuren, bie bod? lebiglitb ©atiren auf fie
ielber »aren, gum Sachen, b. b- gut unbewußten ©elbftoerlachung
braute. 2BaS feine $)erfifflitung be8 ©ofrateS betrifft, bie man
ißm mehrfach »erbaut bat, fo liegt aud? b'erin eine gewiffe ibeale
^Berechtigung, fofern ficb barin ba8 SJewußtfein offenbart, baß
©ofrateS butcß fein, wenn auch auf bie ffiahrßeit gerichtetes
©treben, bod) im ©runbe ben BetfeßungSprogeß beS antifen
SebeuS befcßleuntgte unb burd) baS einfeitige ©eltenbmacbeu ber
fubjeftioen ©eifteSfreißeit in ftorm nerftänbigen SRefieftirenS einen
fDtangel an SJewußtfein übet bie notbwenbigen folgen baoon an
ben Jag legte. SDicfer $)unft ift eS, welcher bem AriftohbaneS ein
Stecht gur 3ronifirung biefeS ©trebenS oetleiben mußte. <Daß
er bieS Stecht über baS üJtaaß auSbeutete, barf man ißm als
fomifchem 33olf8bicbter nicht gu b°<b anrecbnen. @S ift aber
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wefentlid) barauf ©emicbt gu legen, baß 3Jriftop^ance feineSwegS
bamit bie 9M)ilofopl)ie als foldje ironiftren will, fonbern lebiglich
bie an ft<h unphilofophifcße, weil bloß negatioe ©cßeinphilofophie,
wie fte ftd^ in ber 35ialeftif ber ©ophiften batfteMe, unb ein
fold)' negatioeS, fophiftifcßeS (Element lag, wie wir fahcn, auch
in ber jofratifchen Stonie. 5)a3 3etrbilb, welches er oom
©ofrateS machte, war fretltd^ feljr übertrieben; aber eben beShalb,
weil 3eber ja ben wirflichen ©ofrateS als ebeln (Eharafter fannte,
liegt nichts ^ämifdjeö , fonbern nur tyarmloS ÄomifcljeS barin,
wenn et feinen ©ofrateS auf bet ^)alaftra einen SRantel fteljlen
unb ftdj , um bem Slettjer nähet gu fein, in feinet ©tubirftube
in einem jfäfeforbe bis an bie SDecfe gießen läßt u. f. f. SDaß
fein ©ofrateS außerbem feine ©chüler an ber fRafe herumführt,
ben glohfpruug berechnet unb baS Ungerabe als ©erabe beweifen
will, enthält fdjon eine Diel bireftere ©atire auf bie jofratifche
JDialeftif.
[Reben ben formen beö regelmäßigen SDramaS gab eS, in
bet nachperifleifchen Seit, noch nerfd)iebenartige Reffen, [Kimen
genannt, welche in einer 2lrt improoifirten SDialogS beftanben unb
»on ^offenreißern bei beu ©aftmäßlern unb auf öffentlichen
flößen aufgeführt würben, ©pater würben fie auch auf’ö $healet
gebracht; auch bie [Römer nahmen fie auf. ©ie haben jeboch
für unS fein befonbereS Sutereffe, ba fie fich, wie eS fcheint, auf
bloße Äarrifirung beftimmter ^)eriönlichfeiten unb (Entfaltung
grober ©päße befdjränften , ohne einen tieferen äfthetifcßen ober
etlichen 3wecf.
3n 3eiten um ftdj greifenber Korruption, wenn alle früher
als unantaftbar, heilig unb fcft geltenben SBorfteHungen unb 93er»
hättniffe iu’S ©chwanfen fommen unb ber taumelnbe ©eift nitgenb
mehr einen £alt finbet, muß nothwenbig baS allgemeine JDafeiuS»
gefühl entweber in 93ergweiflung gerathen, ober, wenn ber ©eift
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noch ftarf genug ift, feine fubjefti»e Freiheit unb 33efonnenhett
gu bewahren, ben 3weifel an ädern gum principiellen ©fepticiSmuS
auebilben, bet allen 3bealen mit ftioolem £ol)n in’S ©eficht
ladjt- ©in 33eijpiel folget antifen grioolität ift bet im gweiten
Sabrbunbert nach ©hr. lebenbe Äunftrebnet Sudan. „Äunft*
rebner" ift Ijier ttid^t etwa als ein SRebner über Äunft, waS wir
beute Sleft^etifer ueuneu, gu »erftehen, fonbern als ein Zünftler
ober genauer Sirtuofe im {Reben, b. h- als ein 3Rann, ber nidyt
nur über äQeS geiftreid) gu jpredjen oerftanb, fonbern auch but<h
bie {Rebe felbft baS 3öiberfiunigfte plauftbel gu machen im ©tanbe
war. iJIber bod) nicht blofj auS ©rünben felbftgefäfliger ©itelfeit
»erfuhr Sudan fo, fonbern auS innerem 33eruf gut ©atire, für
welche ihm bie bamaligen Suftänbe einen nur allgu reichen ©toff
barboten; ja er »erfdjonte fid? felbet: nicht unb »erfaßte g. 33.
eine ©chrift, in bet et bie »on ihm ebenfalls geübte jfunftrebnerei
in ihrer gaugen Nichtigfeit unb Sügenhaftigfeit barfteHte. Namentlich
aber richtete er bie fcharfen Pfeile feiner ©atire auf alle fub*
ftangieden ©eftaltungen beS antifen SebenS, »ot ädern gegen bie
gelammte ©öfter» unb ^eroenwelt — £>omer g. 33. mar ihm
ein »olfSoerberbenber Sügner — , gegen bie 9)h*l°fDhhen . bie
(Rhetoren, bie ^iftorifer; fobann gegen bie 2lu8artungen in ber
©lgieljung unb geiftigen Nerbilbung überhaupt u. f. f. Um eine
SSorftedung »on feinet unS fdjon gang mobetn anmuthenben
2Beife beS 3tonifireu8 gu geben, mag hi« «ne ©teile auS ber
SBotrebe gu feinen „wahren ©ef<hi<hten" angeführt werben. Nachbem
er barüber feine 33crwunbetung auSgebrücft, bah bie ÜRenfchen
ftd) je hatten eiubilben fönnen, bah on ben ©rgählungen (beS
^omet u. 21.) auch nur ein wahres äßort fei, erflärt er, bah «
gwat auch nichts SliahreS gu ergaben höbe, aber er fei wenigftenS
aufrichtig genug eingugefteben, bah er lüge. SDaS fei wenigftenS
eine 3Bat)rbeit; bann fchlieht er mit ben SBorten: „3<h erfläre
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alfo feierlich, baf) id) Don SDingen fdjreibe, bie id) Weber felbft
gelegen, noch Don Zubern gehört habe unb bie ebenfo wenig
witflid) als je möglich finb. 5Run glaube fle, wer guft bat!"»
unb nun beginnt et, bie 9luffd)neibereien ber fReijenben unb ®e«
lehrten burd} lächerliche Uebertreibung gu perfiffliren. 3n feinem
„Jragifchen 3euö", welcher bie grage über bie (gjriftenj ber
©ötter behanbelt, läfjt er BeuS ein« allgemeine ©ötterDerfammlung
berufen, weil bie Opfer, welche bie SRenfcben ben ©öttern brachten,
burd) bie fteigenbe Slufflärung [ich bebenflid) Derminbert haben.
tSud) bie batbarifchen ©ötter finb eingelaben, weil bieS hoch eine
allgemeine gebensfrage fei; ja biefe erhalten fogar, ba alle nach
ber Itoftbarfeit beS fJRaterialS ihrer Silbfaulen rangirt werben,
ben Vorrang, fo baf) bie golbenen unb filbernen 23arbarengötter
ben Sorfif) über bie marmornen unb erzenen ^eHenengötter er»
halten. fRad) biefer ironifchen SMSpofition werben nun Der«
fchiebene $>läne gemacht, unb in ber SDiSfujfion barüber beefen
bie ©ötter gegenfeitig felbet bie jchwacben «Seiten ihrer ©ött»
Uchfeit auf u. f. f. tDurd) biefe gange Sluffaffung, welche in
ihrem tiefften ©runbe auf bet SBorauSfejjung ber gäd)erlid)feit
ber gangen ©ötterwirthfehaft beruht , gieljt fid) eine fchneibenbe
3ronie hinburch, bie, Dom ©efiditSpunft ber Slntife auS, burdjauS
baS ©epräge bet ftriDolität beftjjt. 35enn bie grioolität, alö rein
negatine 3ronie, hat, wie gefagt, nicht, gleid) ber pofitioen, bie
ibeale SBahrheit gur SBorauSfefjung , in welcher bie gefinnungö«
Dolle Satire bie ©infeitigfeit unb SBerfchrobenheit fich fpiegeln
läfjt, um batin ihr eigenes ßerrbilb gu erblicfen, fonbern e$
epiftirt für fie überhaupt nichts als SBergerrung, güge unb Schein,
unb fie finbet nur ihr Vergnügen baran, ben Schleier ber
^eudjelei, unter ben biefe fid) nach ihrer Snficht oerfteefen, herab»
gureifjen.
5)iefer Bug bet trioolität prägt fich, nach ber 3erftörung
(787)
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62
bet gebiegeneu ©inbeit be8 antifen 8eben8, in allen »eiteren
©ntwicflungSformen beS ISltertbumS, fowobl in etlicher wie
fiftbetifcher 93ejieljung, au8. 3Ba8 bi* {Römer betrifft, fo haben
wir in #inficht ihrer objeftinen 8eben8geftaltungen bereits eben
eine furge ©barafteriftif oon beren 3nbalt gegeben ; aber and) in
fubjeftiwüftbetifcher ,£inficbt tragen ihre ^robuctionen burchauS
ba8 ©eptage einer ©ntibealifirung, worin an ftd) fchen ein
ironifcheS SRoment gegen bie antife 3bealroelt liegt; einer ©nt*
ibealifirung, welche gwar »on ben ebleren ©eiftern, wie 5öirgil,
,£>otag, ©enefa u. 8t. gefühlt wirb, beren eruüchternbem ©influfj
fie aber hoch ft<h nicht entziehen fönnen, wenn fte ihn auch unter
einer beni antifen ©eifte felbft gang fvemben Sentimentalität gu
»erbergen fuchen. 2)enn gerate in biefer fentimentalen gärbung
fpricht ftch bie geheime ©tfenntnif) beö SßerlufteS jener fubftan gietlen
Sbealität auS, welche bie Slntife in ihrer {Reinheit unb Unge»
brochenheit charafterifirte. ©leichwohl ift e8 non Sntereffe, biefe
©ntibealifirung ihrem SBefen nach «“her in’8 Stuge gu faffen.
@8 ftnb baran gwei fehr »erfchiebene ©eiten gu untetfdjeiben.
©inerfeitS nämlich erfebeint ba8 aftbetifche ©ubjeft, betauSgcriffen
wie e8 ift au8 ber fonfreten unb lebenbigen ©inbeit mit beT
{Ratur, in ficb refleftirt unb über ficb unb feine Stellung gut
Säulen weit refleftireub, wa8 ihm, wie wir an $otag unb befonberS
an ben 3bhllenbi(htern fchen, eben jenen faft mobetn fentimentalen
Stnftridj »erleibt; anbererfeitS nerbichtet fi<h bie ©ubjeftimtat in
ihren leibenfcbaftlichen {Regungen gu einer ebenfalls refleftirten,
unb baburth raffinirten 8üfternbeit, welche, — im ©egenfafc gn
bet unbefangenen ©innlicbfeit ber eblen Slntife — burchauS friool
ift. 9Rit beiben ©eiten ift, immer au8 ber {Reflexion ftammenb,
eine Ülbficbtlicbfeit unb Äünftelei »erbunben, bie felbft bem bw*
»orragenben Talent ben ©tempel be8 ©emaefaten unb groftigen
aufbrüeft. 5)a| fich f<hliefjli<b batau8 für ben ©eift baS 23e*
<?9S)
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63
bürfnifc entwicfelt, gu bem flauen Sn^alt überhaupt, al8 einem
an ftdj unwahren, eine itonifche ©tellung gu nehmen, ift eigentlich
felbftnerftänblich; bafj abet gerabe in biefer negatioen SBenbung
bie römifchen' SDichter ihr SBefteö leiften unb am wenigften al8
blo§e {Rachahmet erlernen, währenb ba8 ernfte SDrama ben aller»
niebrigften ©tanbpunft einnahm unb nur heöenifcpe SRpthen be«
banbeite, bie8 liefert auf’8 {Reue ben 23ewei8 ihrer ursprünglichen
9)oefielofigfeit: bie tömifdjen ©atirifer, (Spigrammatifer unb
Äomöbienbicpter beft^en baber allein, ebenfo mie bie 2lrcbiteften
in ber bilbenben $unft, eine gewiffe Originalität. SSenigftenö
gilt bie8 non ihrer Röteren 2lu8bilbung, benn ihr Urfprung bafirt
aÜetbingS tbeil8 auf etrurifcben Elementen, wie bie „geScenninen"
unb „Stteltaneen", welche in improoifirten SJBi^eleien unb bialogi»
firten Reffen beftanben, bie bei öffentlichen 2Jolfefeften probucirt
würben, tbeil8 auf gried)ifcben Slrabitionen, wieg. 23. bie,Romöbien
be8 ^MautuS unb Slereng al8 {Rachbilbungen {Dtenanbrifcper ©tücfe
gu betrachten finb. @8 bilbeten ficb fogar, ähnlich wie ber
moberne £an8wurft unb ähnliche Figuren, beftimmte Sippen au8,
g. 33. ber 5Raccu8, ber prieilegirte {Rart in ben 23olf8ftücfen,
bet ^appuS ober 33ucco, eine sflrt politifcher Äarifatur, unb
ähnliche mehr.
Da8 ÜJi ittelalt er fennt — aus ©rüuben, bie früher be«
rcitS angegeben würben — ebenfowenig wie ber oorantife Orienta»
liSmus bie fubjeltine $otm ber Sronie. @rft gegen 6nbe be8
15. 3ahrhunbert8 , b. h- mit bein Seginn ber reformatorifchen
23ewegung in Äunft, Söiffenfchaft unb {Religion, begann fith bie»
felbegu entwideln. Sß}a8 bieÄunftreformation ober bie „{Renaiffance“
betrifft, fo ift biefe „SBiebergeburt“ nicht als ein Butücfgteifen
auf bie Slntife, im ©inne einer SBieberherfteHuug ber biefer
eigeuthiimlichen formen gu faffen — bie8 wäre fctjon be8halb
unmöglich gewefen, weil ba8 maletifche ©chönheitöibeal ber cprift*
(iv»)
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64
lidjen Äunft eine fpecifxft^ anbete SBebeutung hat ali bai plaftifche
Sdjöhnbeitiibeal bet antifen — fonbern nur in bem Siune, bafj •
jefjt, am ©nbe bei SKittelalteri, überhaupt bie ©djöuljeit ftatt
bet fircblicben Jrabition bie roefentlidje SBebingung bei Äunft»
fdjaffeni würbe. SBJenn baljer bie ätunft nodj imtnet bie ©egen*
ftänbe beb SDogmai als SRotioe bchanbelt, fo finb biefe für bie
äft^etifd>e Sluffaffung webet bte -fpauptfache, noch bleibt fic bat*
auf befdjränft, fonberu fie bemächtigt fid) allmählich bei gan*
gen äfreifei allgemein * menfdjlicher SDlotiue , felbft bet antifen
SRtjthe uub bet irbifchen Statut: bai ©ente unb bie üanbfdjaft,
bie profane £iftorie unb bai (Stillleben finb fo ali äjthetifd}*
ironifche Söiberlegungen bei mittelalterlichen SDogmai oon bet
•DiiferabilitätbeiSDieffeiti unb bem ©lenb beiSDafeini gu betrachten.
©ntfdjiebener, weil nod) bewußter, ftellt fich bie giteratur
in ironijche ßppofition gegen bie in bet Kirche geübte ©eiftei*
herrfchaft. 3»« ber älteften SDofumente tiefer Särt finb ber aui
bem 3ahre 1472 ^errü^renbe „©ntchrift", ber, ali eine Satire
auf bai i^abftthum , eine SLraneftie ber ^affionigefchichte ent*
hält, unb bai 1470 erfdjienene Defensorium inviolatae virgini-
tatis beatae Mariae virginis, eine offenbar ironifd) gemeinte, gang
materiell gslj^tioloflifd^e '.Sbljanblung über bie unbeflecfte ©tnpfäng*
nifj, worin bie SBeweife für beten natürliche SOlöglichfeit theili
aui bet antifen ÜJipthologie , theili aui ber 9taturgef<hichte ber
ftifche entnommen worben! — Slufeetbem mag \)iet noch beiläufig
an bie Ungaht fatirifcher SBetfe erinnert werben, welche fdson in
ben erften 3ahren ber ^Reformation überall auftauchten, an bie
epistolae obscurorum virorum , mit beuen ber eble SReuchlin
unb feine ©enoffen in groteifem Äüdhcnlatein bie SDummheit,
SBoiljeit unb gieberlichfeit ber ÜRönche branbmarften, an bie
Satiren bei ©raimui, befonberi aber au bie geiftooHen ^)am*
phlete unb ^arobien bei genialen gif djart, g. SB. „ber Sienen*
(800)
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65
fotb beS Ijeiligen rötnifcben StnmenjdjwatmeS", „Slfler ^raftif
©rofemutter“, „3efuitenljütlein" , „oon @. fDomiuici, befl
fPrebigermöndjS, uub ©. §rangi8ci SöarfüfcerS artigem geben
unb großen ©teweln", „bet 2?arfüf)er ©eften» unb Äuttenftreit*
«. a. nt. 23ei ^ifdjart, ber leiber gu wenig befannt unb nod)
weniger anerfannt ift — er ift einet ber glängenbften ©lerne am
#immel ber beutfdjen giteratur, welche it)m aud) Ijinftditlid) ber
®prad)bilbung aufcerorbentlid) »iel gu banfen Ijat — fdjiOert bie
Sterne in allen fRüancen, non ber garteften 3lnfpielung biß gu
einem in ber $Dtm faft frioolen (JpniemuS, bem aber niemals
ber -£>intergrunb einer tiefen ftttlidjen Uebergeugung unb waljr*
haften Sbealität mangelt. fDenn erfämpft immer für 2)a8, wa$
wir eben als $>rincip ber d?riftlidjen ffikltanfcfyauung erfflnnten,
für bie @eifte$freif)eit in faft allen fRidjtungen, namentlich für
ben ProteftantiSmuS gegen bie Sefuiten, für edjte ©ittlidjfeit
gegen {jeudtelnbe gremmelet unb jette 3lrt non fßerfetjrtljeit unb
fflidjtSmürbigfeit ber Seil- fDabei befifjt er eine umfaffenbe,
burd) bie fSntife geläuterte 33ilbung, eine tiefe ©innigfeit beS
©emütfyö, wahre änbaebt (wie feine frommen geiftliden gieber
beweifen) unb mannhafte ^urdjtlofigfeit in bet 33erfedjtuug feinet
Uebergeugung. @r fafjt ben proteftanttömuS im ftrengften SBort*
ftnne auf, nämlid) als einen Proteft gegen alle auS ber Siet»
fe^rung beS djriftlidjen PrincigtS tn fein ©egentljefl fliefjenben
•ftonfequengen.
Sutereffant ift ber Unterfcbieb feiner ©atirif oon ber fei*
neS großen fatljDlifd)en 3eitgcnoffen (SeroanteS, beffen „2)on
Duidjote", a(S 2raoeftirung beS burd) bie ©rfinbung beS PuU
»erS unb bie (Sutwicflung beS Poligeiftaats bem Untergang an»
heim gefallenen SflitterthumS , nur beSfyalb eine ^ö^ere epoche*
matfyenbe 33ebeutung als gifdjart’S SBerfe gewonnen Ijat, weil
er burdt feine mehr obfeftie-fünftlerifde gorm fidb bem populären
XIV. 33». 333. 5 (801)
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66
©efdjmacf leistet angupaffen oermodjte. ©et eble Witter »on
Ja Qflandja ift nid)t eigentlich nertüdft, obfdjon et bem Urtfyeil
beS gefunben 3ReufdjenoetftanbeS fo gu Ijanbeln fcpeint; er Ijat
nur, wie man gu fagen pflegt, einen Sparten gu oiel, unb bie»
fet Sparten ift in feinen &opf fyiueingefommen butcf) bie Set»
tiefung in bie pljantaftifdjen Säuberungen beS SRittertljumS,
weldjeS gu feinet 3«t bereits eine abgetane SSBelt war. könnte
man bie SorauSfefcung gelten laffen, ba§ bie Sebingungen feinet
$)fyantafiewelt nod) in bet Ssirflidjfeit epiftirten — unb für iljn
epiftiren fie eben — , fo erf<fyeint fein ©enfen unb $anbeln nicht
nur gang oernüuftig, fonbern fogat h^chft ebel, ja ergaben. ©afi
bie SSirflichfeit biefet SorauSfetjung nicht entfpricht : btefer tronifdje
SBibetfpruch beS 3beal6 mit bet SBitflidjfeit brücft ifynen allein
ben Stempel beS SBafynfinnS auf. liefet SBiberfprudj ift bie
Duelle, aus bet ÖetnanteS einen aufjerorbentlicfyen jReidUbum
»on fomifdjen Situationen fdjöpft; unb, ba bie 28irflid}feit felbet
baS 3beal als ein bornirteS, b. fy. als einen 3ttt^um wibetlegt
tyat, fo wirb bie gigut beS „fRitterS oon bet traurigen ©eftall*
felbft gu einet Äarrifatur beS JRittertljumS. ©ie Reinheit beS
immanenten SBifjeS unb bie Seudjtfraft beS objettioen, mit einem
leifen melandjolijdjen Anflug unS anmutljenben Juniors, ben
©ernanteS in biefem merfwürbigen Sudje ent micfel t, womit
et beiläufig gefagt, ben fRoman im ftrengen SBortfinne überhaupt
erft geraffen l)at, ift um fo intcnfioer unb pacfenber, als bet
SDichtet bie fünftlerifdje (Sntfyaltfamfeit befifct, nie fubjeftio gu
wetten: et ergäbt mit eodfcmmenem 'Jnfdjein oon ©rnft bie
Saaten feines gelben gerabe fo, als ob bie realen Sebiugungen
für jein ^anbeln in »oder ©eltungsfraft epiftitten, als ob bie
SBinbmüfjle nur fDtaSfe, in SBafyrfyeit aber ein feinblidjer fRiefe,
baS Satbierbecfen nur ein maSfirter SRitterfyelm wäre u. f. f.;
unb eben biefet ocrfteQte örnft oerleiht bet 3ronie eine unwibet*
(«02)
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67
jieljltdj-fomijdje SBirtung&fraft, währenb wir und jugleich einet
aufrichtigen ühfilnahme fü* ben tapferen SRitter nicht enthalten
formen. 25a$ ©egenbilb 25ou Quichote‘8 hübet , al8 SSertreter
ber nüchternen SBirflichfeit, fein tölpelhafter Änappe ©ancho
^anfa, ber, felbet eine niebrig*fomifche ^ignr, unö immer wie*
ber an ben 3Öuftoni8mu8 bed fRitterS, ihn parobirenb, erinnert.
3n tiefer inhaltöooHen unb boppelfeitigen ©eftalt poten$irt
ficht nun bie 3tonie bed fünftlerifchen ©ubjeftS, ald erhoben ju
einem ©tanbpunft freier Umfchau über ben SBechfel aller ©t»
icheinung, ju ber gorm bc8.£)umorg, welche fich in biefer©in»
fachheit unfercö 2Biffen8 juerft in ©eroanteä offenbart. 3n
ihm bricht bie tenbenjiöfe ©pifce ber Satire ab unb bie 33itter»
feit bed ironifchen tSewufctfeinö milbert fich ju einem halb h«*
teren, halb melancholifchen Säbeln über bie ©itelfeit alles irbi»
fiten Treibens. 3tber baS Sä?cfeu beö^umorö bleibt feineSwegö
ein fo einfaches; je nach ber JRichtung bed 33licfS, ben et auf bir
SSeltbeweguug richtet, fpringen facettenartig fehr »erfchiebene
©eiten an ihm hevoor, beren jebe eine anbere Strahlenbrechung
bed ironifchen EichtfunfenS repräfentirt. ^Derjenige, welcher unS
ben größten fReidjthum an humorifttfchen ©eftalten batbietet, ift
©hafeSpeare.
25er Uebergang »on ©eroanteS gu ©hafeSpeate bilbet
— weniger in jeitltc^er ©egiehung, a(d in Jptnficht auf bie 33et
fihiebenheit ber Jöeltanfchauung — ein Sprung, bet atlerbingä
burch eine fReihe »on UebergangSformen »ermittelt wirb. 25ahin
gehören ber bürgerlich’fomij^e JRoman ©nglanbä ald 3ronie
auf bie ^rüberie ber Stugenbmufter, bie berb naiuraliftifdjen
fRomane ?ielbing8, bie an’8 wüft*5riuole ftreifenben ©rgäljlun*
gen©molIetS, enblich, ald ©ha feäpe are am neideten ftehenb,
bie bereits entfdjieben humoriftif<h:fentimentalen fRomane ©olb»
fmith’S unb ©terne’S. Jpier treffen wir alfo auf ein neueä
5* (803)
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68
©lemeut, baS atlerbingS, wie fd)on bemerft, leife im Don Oui»
chote anflingt, nämlich auf jene Die moberne ffieltanfdjauung
roefentlich umgeftaltenbe §orm ber fubjeftioen ©mpfinbung, welche
man mit bem fRamen bet „©mpfinbfamfeit" bezeichnet unb bie
fpäter in baS ©jctrem einet »eidlichen fRührfeligfeit unb ©rnpftn»
belei (Sentimentalität) auSartete. Söaß ShafeSpeare betrifft,
fo fdjepft et gerabe auß bet unenblich zarten gcinfühligfeit, bie
ihm bie ©mpfinbfamfeit feines fRatureflS Berlieh, im herein mit
einet wahrhaft wunberbaven Qbjeftioität bet ©eftaltungßfraft,
bie Älatheit unb Sicherheit beS SlicfS für alle SOerhaltniffe unb
©eftalten ber lebenSnollen Söelt, aber auch für alle SBiberfprüche
in bem ©etreibe ber einanber burchflechtenben Sntereffen. ©t
begreift SltleS unb barum Beleiht er 9WeS, unb fo erhebt er fid},
inbcm et 3ebeS innerhalb einer geroiffcn ©venze gelten läfjt, über
biefe ©renzen hiuauS zu einem Stanbvunft wahrhaft freier $n*
fchauung: bieS ift bie ©runbbebingung feines £umor8.
©8 fann h*er felbftoerftanblich nicht erwartet werben, bah
wir bie ohnehin jebem ©ebilbeten befannten ©eftalten, in benen
ber Shafefpeare’fche £urttor fi<h oerförpert zeigt, ihrem inneren,
fo fehr oerfchiebenen ^SBefen nad) fämmtlich zu djarafterifiren
Berfuchen; wir muffen unS bamit begnügen, barauf hiuzuweifen,
ba§, Bon bem an bie ©tenze beS $riBolen ftreifenben £umor
„galftaffS", biefeS unfterblichen $ppu8 ftdj felbft ironifirenber
fRichtSwürbigfeit, bis zu bem tragifdjen .pumoT „|)amlet8" hw*
auf, feine Dramen unS eine Steibe fein nüancirter formen ber
3ronie barbieten, wie fle in nollenbeterer ©eftaltung faum benf*
bar ftnb. *Ramentlid) brüeft fid) in feinen Starren, biefen 5Beifen
in ber fomifchen 2Ra8fe, eine $üQe unb Äraft ber Sroniftrung
gegen bie unbewußte ^hor^ett unb ©efchränftheit beS auf feine
S3erftänbig!eit fid) fteifenben Subjetts auS, bie neben ber fomi*
fdjen SBirfung oft, wie im „gear", wahrhaft erfchütternb wirft.
(804)
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Kur in gweien feinet ©tücfe lüfct et ftd> gu einet bie göttlidje
ftreiljeit feines $umorS befdjtänfenben .^erbigfeit fatitifdiet SBelt»
anfdjauung fyetabftnfen, nämlid) im „Simon non Sitten" unb
in „SrocluS unb ©reffiba", biefet, falls baS ©tütf ed?t ift, für
©fyafefpeate faft unbegreiflichen Sraoeftirung bet t)eQenifd)en
äntife. (2lu<h bet „SituS SnbronifuS“ gehört in gewiffem Sinne
bagu.) 3BaS feinen „galftaff“ betrifft, fo mag hier bie unfetö
SBiffenS nod) nid)t aufgefteflte 33ermutl)ung 95lafc finben, bafc eS
öielleidjt nidjt gang gufällig ift, wenn ber luftige bitte Kitter in
allen ©ingelpeiten eineu üoQen Äontraft gegen ben „Kitter öon
bet traurigen ©eftalt" bilbet; unb gwar nid)t nur in ber äußeren
©rfdjeinung als biefe feifte ftleifd)maffe gegen bie bürre Srotfen»
t)eit 3)onquid)ote8 gehalten, fonbern aud) in geiftiger 33e*iel)ung:
biefer ift ein bieberer, butdjauS reblidjer, wenn auch »etfcprobenet
3bealift, ber in einet Seit, ba baS Kittertljum nid)t mel)t ejriftirte,
eS in feiner urfptünglid)en Sattheit gu reprobuciten unternahm,
galftaff bagegen, wenn wir bie il)n eerflärenbe l)umotiftifd)e £ütle
»on il)m abftreifen, ift, nod) innerhalb berKittergeit ejriftirenb, wenig
mel)t als ein materialiftifdjer 8ump, ein gewiffenlofer Sdjwinblet,
ein beuteljdjneitenber ^oltron, ein Sdjletpmet unb Kenommift
— beibe alfo ^auifaturen beS KittertljumS unb bod) ben fd)tei*
enbften ©egenfaf) gu einanber bilbenb. SBir überlaffen eS ben
Stjatefpeareologen, bie grage, ob biefem fontraftirenben Parade*
liSmuS irgenb eine biftorifd) nachweisbare 3ntention beS 3>idjter8
gu ©runbe gelegen hake. gu entfdjeiben.
Slber aud) neben ben bramatifdjen ©eftalten, gu benen ftd)
bet Shafefpeare’fd)e $umor »erförpert, ift ber SDidjter unet«
fdjöpflidj an itonifdjen Söenbungen unb Situationen. 9Ran
erinnere fid) beifpielSweife an bie 3tonie bet Antworten bei bet
©pifobe bet Ääftcfcenrät^fel („Kaufmann non SSenebig"), an bie
petfiffiirenbe SSMeberljolung ber SBorte Shplodfs burd) ©ratiano»
(805)
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al8 9>ortia ihn aufforbert, fein 9>funb Sletfdj gu nehmen, aber
fein ©lut gu nergiefjen: „©eit, ein wahrer IDaniel, nicht 3ube?",
an bie fdjmetg* unb gugleidj b°^n»<?lle 3ronie, mit welcher $ring
Heinrich, als ^>oinS auf feine grage, was er wohl benfen würbe,
wenn er im £inblicf auf bie Jfranfbeit feines ©aterS weinte,
antwortet: „3<b toürbe bicb für ben pringliftften Heuchler baltcn",
erwiebert: „©o würbe 3ebermann benfen, unb bu bift ein gefeg*
neter Änedjt, baf) bu benfft, waS 3ebermann benft. deines
®tenf<ben ©ebanfen galten ftd) beffer auf ber grofsen ^eerftrafje
als bie betnen“ u. f. f. — , an bie fentimentale Ironie, mit
welcher Hamlet ben 3)orif’fd;en ©d’ätel apoftrepbirt unb an bie
bittere 3ronie, womit er bie fdjnelle ^teiratb feiner Butter nach
feines SSaterS Slobe erflürt: „Defonomie, Defonomie; bie IRefte
beS 8eid)enfcbmaufeS feilten bie falte Äüdje für bie $ocbgeitS*
tafel liefern!“; an bie perfifflirenbe 3ronie, mit welcher (in
„Äßnig 3obann") ber übermütbige ©aftarb ftaulconbribge ben
feigen unb treulofen ^ergog non Deftreid) maltraitirt. ©onftange
wirft Sefjterem feinen SBanfelmutb »or:
4>aft gefroren,
3ch foUe beinen Sternen nur certrauen ; unb jefct
Srittft fclber bu ju meinen fteinben über?
2)u tragft ein ?6wenfeU? $fui, wirf e8 ab
Unb häng’ ein Äalbfefl um bie f daneben ©lieber!
£>efterr.: £>a! fpräch’ ein ÜJlann bie SBorte nur ju mirl
©aftarb: Unb häng’ ein ÄalbfeÜ um bie fdjnfben ©lieber!
Oefterr.: ©ei beinern 8eben, Schürfe, wag’« ju jagen!
©aftarb: Unb häng’ ein ÄalbfeH um bie {daneben ©liebet!
9Jtit biefem SRefrain begleitet nun ^anlconbtibge jebe weitere
9eu§erung beS #ergog$, bis er ihn enblich gum ®d)weigen bringt:
Defterr.J ^Sr1, ÄSnig Philipp, auf ben Garbinal —
©aftarb: Unb häng’ ein halbfett um bie fchnöben ©lieber!
(806)
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71
Orfteti.: @ut, ©djurF, ich ftedfe deinen ©pott je$t ein,
©eil . .
Saftarb: (Sure £ofen »eit genug baju; u. f. f.
mad)t aud? nadlet bie praftifdhe Stnroenbung oon feiner
fronte, inbem et in bem batauf folgenden Äampfe bem £ergog
ben Siopf abfdjlägt, aber ihn bann nicht mehr oerhöljnt.
25er SSuSbtudf „£umor“ im Sinne biefet $orm ber Ironie
ift englifdjen UrfprungS; Shafefpeare fanb ihn bereits not, gab
bem 1 31* orte aber felbft noch feine tiefere S3ebeutung. 5Ran
erinnere fid> an bie biefen auSbrncf fetter perftfflirenbe 9ln*
wenbung, welche .Korporal 9lpm unb $)iftol, biefer „brüllende Teufel
auS ber alten Äumöbie", baoon macht. üttan bejeicbnete anfüng»
lieh bamit — auf ©rund ber bamaligen phpfiologijdben ©rflä*
rung, weldje bie 5£emperamentSanlage auf bie flüffigen ©lemente
in ber leiblichen Äonftitution gurüdfführte — bie baburdj beftimmte
•Steigung gu einer, im englifdien ©Ijarafter überhaupt liegenben
franfhaften gaunenljaftigfeit. Senn 33ifd)er eS aber einen „glücf*
liefen Sufatl'' nennt, „ber baS Sott fo befeftigt hat<\ weil cö
„an bie geiftige glüffigfeit beS Äcmif^en, worin alles gefte fidj
auflöft, erinnere“, fo »ergibt er, ba§ gerabe ber Sluflöfutcg alles
heften gegenüber ber .£>umor felbet baS fefte SJiaaf} bleibt, wo*
mit bie Sanbelbarfeit ber pfiffigen Sirflidhfeit gemeffen wirb.
UebtigenS fyat baS lateinifdje Sott (humor), welches glüffigfeit
bebeutet, ben Slccent auf bet erften Silbe; bie ©rflarung fdjeint
alfo faum genfigenb. Sie bem fein mag: Shafefpeare befijjt
bie Sache, tefp. ben 3nl?alt beffen, was wir tyüti „Jpumot"
nennen, im tiefften Sinne, wägend baS Sort felbft erft durch
5£i etf unb Schlegel, bie eigentlichen Sieberentbedfer biefeS gu
ihrer 3«*t faft oetgeffenen ©eniuS, gut ©ejeichnung jenes 3n*
haltS in ©ebraud? fam.
3m ©egenfafc gum „KlafficiSmuS“ ber Äntife pflegt bie
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burch ©Ijafefpeare oertretene ^Richtung bet 9)oefte als IRoman*
ticiSmuS begegnet gu werben. Sofern barunter nur baö biefe
{Richtung d^arafteriftrenbe , wefentlidj moberne Gilement bet
entbftnbungbooHen Stimmung beS in fich felbft refleftirteu Sub*
jeftö oerftanben wirb, !ann ber 2luSbrucf für S^afe|t>eate ©ültig*
feit ^aben; aber »on SDem, was man fpäter als JRomanticiSmuS
begeicßnete, non jenem ungefunben ©emifd) ^o^ler Sentimenta«
lität unb eitler Schwärmerei in’S Blaue hinein ift et burchauB
frei. 2)ct Uebergang non ber gcfunben unb fraftnoBen fRomantif
ShafefpeareB gu ben fpäteren fchwäcßlicben äuSwüchfen berfelben ift
jeboch feineSwegS ein fdjroffer. ßunächft ift anguetfennen, baß bet
JRomantiSmuS beS 18. Saßrhunberts ftd) als pofitioe fReaction
gegen ben ftinolen SfepticiSmuS ber 3opfjeit unb weiter im
engften SKnfcßluß an bie gortbilbuug bet geitgenöffifcßen
fophie (Äant — gicßte — ScheBing) entwidfelte. £ier tritt nun
— gerabe wie bei SofrateS — bet SluBbrucf „3ronie" als be»
wußteS Bemalten beS romantifchen SubjeftS auf: bie ($rf<heinung
ber romantifchen 3ronie ift eine fo ho<h intereffante unb
burch ihren (Einfluß auf bie Bilbung beS mobernen BeroußtfeinS
fo bebeutungSoofle, baß wir fte ihrem Urfprung unb SBefen nach
etwas nähet in’S 9luge faffen muffen.
3)ie erfte bebeutenbe gorm ber romantifchen Stonie erfcheint
in 3ean sJ)aul, als bem Bertteter beS fentimentalen ^jumorS,
tepräfentirt. 3eau $)aul erhielt eine ftarfe Anregung non #ippel(
bet feinerfeitS wieber burch bie Üecture Sterne’S in feiner Dichtung
als ^umorift beeinflußt war. Bon Nippel, ben man ben
mobernen SSbraßam a Santa (Elata nennen fönnte, hut et
auch bie oft an’S Barocfe ftreifenbe manieritte ©efudßtheit bet
Sprache angenommen, obgleich er im 3nhalte eine ungleich
größere Sliefe, namentlich nach Seite bet ©emütßsinuigfeit unb
bet bitßterijchen ©mpftnbung, befißt. Slber biefe ©emüthSinnig«
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feit fenn3eid}net fid}, ba fte nicht mehr unbefangen unb nato ift,
fonbern, als mit bet {Reflexion in fid? behaftet, fentimental et»
fdbeint, sugleid) baburdj, bafj fte fi<h ihrer bewufct ift. 3ean
$>aul ift nicht bloß humoriftifdh, fonbern et will eS auch fein, et
macht gewiffermaafjen ein ÜRetier barauS. @8 ift daher erflärlid),
ba§ et baS ©ebürfnifc füllte, bieß fein ©ebiet fogat wiffenfdhaft*
lieh gu ergtünben unb fo t)at et benn in feinet „33otfchule bet
fBeft^etif" eine ?>atap^rafe be§ .£)umorS unb bet mit ihm net«
wandten formen ber Sronie gegeben, welche uns bie SDRft^e et=
leichtert, ben fpecififd&eu ©fjaraftet feines Humors gu fchilbern.
6t befinirt ihn, im ©egenfajj gu bem blo§ Äomifcfyen, als „eiu
auf baS Unenblidfje angewandtes (SnblüheS", was eigentlich um*
gefel)rt fein müjjte, ba bie Unenblidjfeit, nämlich baS Sewufjtfein
ber 3bee, »ieluieht im Subjeft liegt, welches mit biefem fötaafje
baS ©ndlicbe, bie wirflidie Seit unb bie auS ihrer Snblidhfeit
entfpringenben Siberfpricche, mifjt. ©pater Bergleicht er ben
£umor mit bem „IBogel 3Retop8, welcher gwar bem Fimmel ben
©dhwang jufehrt, aber bod) in biefer fRichtung in ben Fimmel
auffliegt- SDiefet ©aufler trinft, auf bem Äopfe tangenb, ben
SReftat hinaufwärtS . . . „@o entfielt jenes Sachen, worin
noch ein ©chmerg unb eine ©röf?e ift." SDieß mag genügen,
um gu 3eigen, bafj jene ©ebrodjenheit beS romantifchen ©ubjefts,
bie auS bem ©efnhl beS Siberfprud)8 gwifchen ber unendlichen
3bee unb ber endlichen Seit entfpringt, fich bei 3ean ?)aul als
abfoluteS ©rfüötfein mit bem fubftan^iellen ©ehalt bet 3bee et*
weift unb bähet auch in bem 2lu8drucf berfetben, als humoiiftifdhe
Seltanfdwuung, butdhauS pofitiö unb energifdh etfeheiut.
#iegu fteht nun bie ihrer ßeit hochbetühmte „3ronie"
©cblegel’S in einem eigentümlichen ©egenfafc. 3uf ben 3«*
fammenhang ber ©chlegel’fdhen fRomantif mit bem fubjefticen
3bealiSmuS $ichte’$, als beffen negatioe Äonfequeng fte erfcheint,
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fönnen wir Ijier nur anbeutungGweife eingeben, obfdjon fie bann
ihre tiefere Segrünbung finbet. 2)er fubjeftioe ÄriticiGmuG Äant’S
»erbichtete fi<h in 3ean $)aul — fowie nach anberer ©eite fei«
in SBilbelm non $umbolbt unb ©filier — $u einer jwar
ebenfalls prägnant fubjeftioen unb felbftbewufeten, aber bod) felbft«
fmhtGlofen Originalität beG SlnfchauenG; ber fubjeftioe SbealiGmu«
f^idjte’ö, b. fe. bag §)rincip beG abfoluten SfbtfeumG, fpifet ftd)
bagegen in ©cfelegcl $u einer ©elbftbewufetbeit $u, in melier
baG fütoment beG aügemein>fBlen}<hlichen auG bem 3d)tfeum di*
minirt unb an ©teile beffelben bie 3« fäll igfeit partifularer
3 ebb eit, b. b- beö geiftigen ©goiGmuG, gefegt würbe. Set
gid?te ift eG nicht bieG ober jenes ©elbftbewufetfein, fonbern baG
©elbftbewufetfein, alG biefe Äraft beß ©eifteG überhaupt, worin
fein §)rincip wurzelt: eG ift bie iw fBtenfcben ftd) wiffenbe 3bee,
waG er als baG abfolute fefet; bei ©djleget, in welkem baG geift*
»olle ©ubjeft alG einzelne ©jriftenj mit bem ?lnfprutfe an abfolute
Sebeutung unb allgemeingültigfeit auftritt, ift eG lebiglid) ber
bie 3bee wiffenbe SJtenfcb, ber nun alG abfoluter SJtaafeftab gilt.
Slucfe baG ©ingelfte unb Sföillfürlicfefte, waG ber SDtenfd? unb
namentlich ber „©chlegel" genannte SJienfd) weife, ift nunmehr
abfolut berechtigt. — ©§ ^anbelt ftd) nun weiter nur noch barum,
biefe abfolute 33ered)tigung beG ©ubjeftG burd) fRadiweiS ber ifer
gegenüberftefeenben Sornirtbeit gu beftätigen. 6G ift beGbalb bie
fortwäbrenbe Semüfeung ©cfelegel’G, überall in ber ©egenwart
Sefcbrünftbett, Serfebrtbeit unb Unfäfeigfeit 3U entbeefen. ©in
wivffameG SDtittel bagu ift bie Sergleübung ber ©egenwart mit
bet Sergangenfeeit; benn biefe ift unfd)üblicfe, man fann fie ohne
fRadjtbeil für ftd) ibealifiren, weil man barüber bittauG ift. ©o
mufe ftd) benn nicht nur bie 9lntife, fonbern auch bie SBeiGfeeit
bet 3nbet unb baG fatbolifd)e 5Rittelalter bagn gebrauchen laffen,
nad) SefinDen ben ibealen üJtaafeftab für bie 9tid)tGwürbtgfeit
(S 10)
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ber geitgenöfftfchen 33eftrebungen abgugeben. S)ic8 i[t ble inljalt*
lid^e ©eite ber ©djlegel’jchen 9iemantif; bie anbere, formale,
gewährt bie birefte Äritif, bie nothwenbiger Seife negatio ift:
fte nerwenbet bag Epigramm ftatt ber ernftljaften Prüfung, bie
fchonungglofe ©atire ftatt ber Erörterung ber $>rincipien, bie
£>erfifflage ftatt ber ruhigen Sibcrlegung. 33a febod> ba8 auf
fein 33efferwiffen eitle ©ubjeft fid> nicht burcb heibenfchaftlichfeit
fompromittiren barf, weit eg ftd> fonft alb innerlich interejfirt
nerrathen würbe, fo nimmt bie Äritif bie SJliene fcheinbarer
Äälte an, unter welcher ftdj ber ,£)ochmuth nerftecfen fann, b. h-
bie Äritif wirb ironifch.
Sir haben in bet obigen Sharafteriftif gunädjft ^riebrich
©djlegel, al8 ben geiftnollen S3ertreter bet romantifcben Ironie,
im 9luge gehabt; bodj bürfen wir feinen 33tuber Silbe Iw nicht
gang unberücfficbtigt taffen. Um eine SBorfteUung non beffen
Seife beS ÄritifirenS gu geben, wollen wir eine ©teile aug feinet
JRecenfion bet berliner Äunftaugfteflung oom 3ahre 1802 citiren,
bie non Anfang big gu Sitbe ironifch gehalten ift. Er ift näm«
lid? ber Snfidjt, bie gange 'JluSftetlung fei fo mifetabel, bah man,
um überhaupt einen Erunb bafür gu finben, gu ^ppottjefen feine
Buflucht nehmen muffe. „Sine foldje" — fährt er fort — „war
g 33-, ba§ bie Sfabemie nach ihrer Seigljeit eine fdjerghafte
Prüfung beb öffentlichen ©efdjmacfg habe anftellen wollen, wie
fd^Iec^t ein jfunftwerf wohl fein bürfte, ehe bag ?)ublifum eg
merlt. 33a wäre e8 beim fehr lobenömürbig, bah felbft 5öor*
flehet unb 8eljret gu biefet ergöhlithen Unteihaltung bie ^)änbe
geboten haben u. f. f. ÜJtan fönne aber nod) eine gweite $ppo«
thefe gu £ülfe nehmen, bie auf bem Erunbfaf) ber Stolerang
beruhe, bah allen Äünftlern non $>rofeffion erlaubt fein foUe, fo
fehlest gu malen, wie fle wollen, ohne bah fie begtjalb aufhören,
für redjtfchaffene unb waefere 8eute gu gelten. Unb um bieg gu
(811)
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»etanfdjaulidjen, fyaben fidj nidjt wenige »on ben ^rofefforen,
Settern uttb Stitgliebern bet Slfabemte geopfert. @8 ift, als ob
fie bamit ifyren talcntlofen unb auf jebe 5Srt untauglichen ©d)ü*
lern guriefen: 2a|t Den Stutl) nid?t ftufeu! ©ei)t, fo arbeiten
wir unb finb bennodj gefdjafcte uub nüfjlid)e Sürger beß ©taatß
unb finb bennod) gu »nb Söütben gelangt"! — Unb waß
fteDt er on tie ©pifce biefer 9Jteifter ter Stittelmäfeigfeit? 2)ie
Arbeiten beß Steifterß bet herrlichen Sietenftatue, ©ottfrieb
»on ©djabow! Söir wären begierig, waß freute bie Äünftler
über folcbe 2lrt gu fritifiren fagen würben. Äe^ren wir jefct gu
griebrid) guriicf, bet benn bod) »iel tiefer unb umfaffenber ift.
Sei il)m gewinnt bie 3ronie nodj eine anbete §otm, welche
mit bem im 9iomantifdjen liegenben ©lement beß ©entimentalen
»erfnüpft ift. SDiefe 3*onie reagirt nämlich, »on aufien in fidj
gutüdfeljrenb, gegen baß ©ubfeft felbft, baß fid) nun, ba fie ft<h
auf feinen fubftangieQen Snfjalt ftüjjt, felbet leer unb »etlaffen
fühlt. SDiefe Seere ergeugt baß Verlangen nad? ©rfütltfeiu, baß
aber bei ber inhaltßlofen ©ehnfudjt fielen bleibt, bie unbeftimmt,
weil gieHoß, in’ß wefenloß Unenbliche fid) auöbreitet, ohne auf
etwaß Äonfreteß gu treffen. $ierauß entfielt jene romantifche
©d)wümetei in’ß Slaue unb, in ©nnangelung »on Sefferem,
einerfeitß in’ß jpmbolijd) außftaffirte©innli(^e(„8ucinbe"),anberer»
feitß in’ß phantaftifch'Ueberfinnlicfce hinein, ©tatt beß ©eifteß
fielet fo baß romantifche ©ubfeft ©eifter, eß wirb geipenfterfüdjtig,
mpftifdj, wunbet« unb monbfüdjtig; nach bet ©eite ber Äunft
erfdjeint baß ^oetifdje baljer in ber ftorm beß ?>!jantaftif djeu,
baß ©djene in ber beß 3ntereffanten, baß ©rhabene in ber
beß ©ejpreigten, unb nur baß gadwrlidjc bemalt fein wa^reß
Söejen, aber — fofetn eß nur negati»en 3nl)alt ^at — nicht in
ber gorm fubftangieQer Äomif, fonbern in ber beß »er nieten»
ben Söifceß unb »eradjtenber 3ronie. 3ene ©eite bet roman*
(812)
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tifd?en 3ronie, bic Dotfjin alä bie ©ehnfudjt nadj bem SBunber«
baren unb ©efpenftertjaften begeidjuet würbe, ift bann non $ off*
mann unb meiter, im fpeciftfdh romantifdjen ©inne, non 8ren»
tano, Slrnim u. 3., fomie Don ber altbüjfelborfer SJialerfdmle
fünftlerifd) oermerthet morbeu.
9Die Detfdhiebenen formen ber 3ronie bei unfern großen
Älaffifern aufgufudjen, mürbe unS gu meit führen: gerbet,
SBielanb, felbft ©filier (g. 8. in ben Genien) gaben ihren
poetifdhen ©ebanfen häufig eine ironifdhe ©enbung, bi8 ©oetlje
fte in iljrer reinen 9iegatiöität al8 geinb aQeS 3bealen in feinem
„fDtephifto" nerförperte. ©er Teufel, ein $)robuft ber mittel»
alterlid)en ^^antafie, al« ©pmbol bet au8 ber 8brei§ung beö
SDieffeit« Dom 3enfeit8 nothroenbig entfpringenben ©ehnfudjt nadh
einer SBerföfynung, bie aber al8 Verführung gum Vöfen torge»
ftetit mutte, erhält bei ©oethe einerfeit« bie tiefere Vebeutung
ber abfoluten 3tonie gegen alle 3bealität menfdjlichett ©heben«,
alö eine« Dergeblidjen unb refultatlofen 5lingen8 nad) ©ahrheit,
anbererfeit« aber and) ben ed) t philo fophifdjen ©inn, ba& ba8
fftegatioe für bie ©ntmicflung be8 geiftigen Beben« überhaupt ein
nothmenbige« Moment fei; e8 ift, mie ©ott felbft anerkennt,
.... ein SE^eit öon jener Äraft,
SDie ftetö ba8 23ßfe toill unb ftetS ba8 ©ute f (hofft.
hierin liegt gugleid) für bie ljumoriftifdje ©eltanfdhauung ein
DetföhnenbeS ©Iement. ©enn freilid) ©ott bei ©elegenheit feine«
Bmiegefpräc^S mit bem Teufel bemerft, ba| „Don allen ©eiftern,
bie oerneinen, it)m ber ©djalf am menigften gur 8aft fei", fo
fann bie« Don bem abfoluten ©tanbpunft ibealer ©ichfelbftgleidj»
heit roohl begreiflich erfdjeinen, für ba8 in bem tiefen ßwiefpalt
be8 ©eifte« mit bet SRatur fid) abarbeitenbe Söienfchenbafein erhält
aber biefe ©djalfheit ben tragifdjen Veigefdhmaif einer ben Jtampf
(813)
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felbft beljohnlächelnben 33oSheit. So reprcifeutirt ber Jeufel, al8
33ater ber 2üge, bie ironifche Jrinität beS .glichen gegen ba8
Schöne, beö 33öfen gegen baS ©ute, be8 galfdfen gegen bie SBahr*
heit: bie abfclute ^Regatioitdt.
3n ähnlichem SSerhaltnifj, wie 3ean ^)aul gu jfant unb
Spiegel gu fo fteljt nun — eine weitere ftorm — bie
Sronie Solger’8 gum 5)}pftici8mu8 ScheUing’8; unb wie Spiegel
au8 bent tief etilen ©runte beS felbftiudjtSlofen gichte’fchen
SubjeftioiemuS heraus gu ber Äonfequeng einet faft frioolen
©elbftoergßtterung bei geiftreichen SubjeftS gelangte, fo ergebt
fid) Solger auS bem mpftijdjen ©runbe beS objeftioen 3bealifl»
mu8 Schelliug’S gu einer, auch einen ©egenfafc gu ber negativen
3ronie Sdjlegel’8 bilbenben, tra giften Söeltanfchauung. ©r hat
beSljalb — befonberS brüeft fich tieS in feinem „Srmin" au8 —
in bem ^ewufetfein ber tieferen Raffung beö SegriffS, bie Jen*
beng, foldje tfuSbrücfe, wie „2öih", „Betrachtung“, „3ronte" in
einer Bebeutuug gu nehmen, bie oon bem gewöhnlichen Sprach»
gebrauch gang abmeicheub ftnb, uub meint, 2)aS, wa8 man bi8»
her barunter oerftanben habe, fei nur „ Schein wifj“ unb „Schein*
irenie", bie nichts werth feien. Um e8 furg gu machen, fo ift
gunädjft batauf ^tnguroeifen , ba§ Seiger — auch bieö ift ein
©egenfaf) gegen Schlegel — bie 3ronte bnrdjauS nicht praftifdj
übt, inbem er nichts weniger als ironifch ift, fonbern nur al8
Siefthetifer ihren Begriff gu beftimmen fud)t. ©t fleht fie barin,
ba§ „ba8 Schöne burch feinen inneren SBibetfpruch", ber au8
ber unlösbaren Berbinbung mit bem 3Birflichen, als ©emeinem,
fiammt, „mit ber gangen übrigen ©tfcheinung oor ©ott" (b. h-
»or bet abfoluten 3bee) „in 9lichtigfeit oerfinft . . . biefe fftich«
tigfeit ber 3bee, als baS wahrhafte 8008 beS Schönen auf bet
©rbe, ift aber jugleich mit einem höheren 3«ftanbe bet Berewi*
gung oerbunben . . . unb baburch entfteht bie übetfchwengli^e
(81«
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©eiigfeit, bie mit bet SBefymutf) unb butd) fie bei folgern 2ln*
bticf burdj unfere ©eele ftrömt“. abgelegen oon bet mpftifd)»
theofephiftben §orm biefet Sorftellung wirb in bem ©ajje alfo
im ©runbe bodj bie 3tonie nur als biefe (Strebung bet fd)önen
©rfcbeinung, bie aber gugleicb 33eruicbtung ibter fRealität ift, in
bie 3enfeitig!eit beS 3beaI8 auSgejprocben; ein SSibeifprud}, bet
fitb fixt ©olger gu bet fünftlerifdjen ^)^antafie auflöft: „bie
menichlicbe ©Köpfung als fftachfdjöpfung ©otteS ift bie Äunft".
üJtit biefen Söorten fdjliefjt et biefe ©rörtetung, bie alfo gang
mit bem ÜRefultat ber ©beding’ fdjen S^eotie, gegen bie et fid)
äu§erlid} cppofitionell oertjätt, übereinftimmt.
Grnblid} haben mit noch eine gönn ber 3ronie namhaft gu
machen, welche fidh — wieberum als ©egenfaj} gegen ©olger,
wie bie beS leiteten gegen ©Riegel — an bea abfoluten 3bea»
liSmuS -.ftegel’S, als negatioe Äonfequeng feinet Diateftif, an*
fchliefjt: bie 3ronie «£>eine’S nnb bet SBeltfchmerg be$
jungen Deutfchlanb überhaupt. Denn inbem $eget als
baS allgemeine ©efefj aHet 8eben$entwicflung ba$ im begriff
beö ^>tcceffeö felbft liegenbe 9>rincip beS SöibetfpruchS auffteHte,
hatte er gugleicb bamit bie Definition bet reeltgefdjicbtlidjen 3tonie
gegeben. DaS fRätbfel beS fortbauernben UebetfpringenS jebet
©eftaltungSform bet 3bee in iljr ©egentheil war bamit gelßft,
aber auch baS Vertrauen an ein in biefem ewigen SBedjfel blei»
benbeS ©ubftangieOeB uetnid^tet. — 3n ^>eine fetjen wir bähet
ben ®elbftüerni<htung$proge§ bet Slomantif fid) ooDgiehen. ©in*
gelne ©pmpiome baoon haben fid? bereits früher gegeigt: geht man
bis gu ihrer erften Quelle gurücf, fo erfennt man, bafj fdjon im
©oetbe’tdjen Sauft bet Slnftofj bagu gegeben ift: cS ift ba$ oiet*
fach gemifcbraud)te unb fcbliefclicb lät^etlic^ gemachte 2öort „Bet*
riffenheit", welches Sluffdjlufj übet biefe ißerbinbung giebt. tflbet
in ©oethe felbft wirb fie, weit et übet ihr fteht, butch freie
(81»)
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Dbjeftioirung(,,$auft'')projicirtunbäfthetif<h bewältigt; in Spron
(„ültanfreb') bagegen ftnbet foldje Befreiung beß äfthetiidjen
©ubjeftß nid)t ftatt ; hier wirb fie nicht gum äphetifchen Objeft
herabgefejp, fonbetn eß ift bet *Dict>ter jelbft, welcher ficb alß
gerrifteneß ©ubjeft in jeinem SBerfe abfpiegelt. 3uglei<h aber
Ißft er pdj burd) baffelbe bodj auch wieber »on fid} loß unb ent-
leert ftdj gut ironifchen 3nbiffereng: baß äfthetifdje ©ubjeft, alß
Präget beß SBeltjchmergeß, wirb blajirt.
35ieß ift auch ber (Sljnrafter ber ^eine’fchen 3ronie. 3m
tiefften ©runbe entfchieben fentimental oeranlagt, aber pan frauf»
haft nercöfer geinfühligfeit für jeben ©c^ein eineß fBerbachteß,
alß ob et barin alß 3nbioibuum aufgehe, pürgt er pd? — ficket
in bem »orgefapten 33efcblup ber jdpieplichen 3erftörung — in
ben ocöen ©trom romantifcher ©mppubuug, um pe bann mit
einem Änatlejfeft in’ß ©egentheil umfchlagen gu laffen. SDiefc
©elbftgerpeijchung beß fentimentalen ©ubjeftß, worin bet ©enup
ben tiefften ©djmerg unb ber ©d^merg ben eigentlichen ©enup
gum 3nhalt hat, führt aber notljwenbig entweber gunt ©elbp»
morb, alß bet eingig möglichen etlichen fcöfung beß 3n?iefpalta,
ober gut eitlen ©elbftbefpiegelung , b. h- gut gripolität, neben
welcher, in oerhältnipmäpig befonnenen ©tunben, ein gereifter
©algenhumor nebenher läuft.
3n biefem ©elbftoernicbtungSprogep, ber alß ©elbftironifirung
beß romantifchen ©ubjeftß erfcheiut, hat bann bie 3ronie ber
Sftomantif unb biefe überhaupt, nadjbem pe alle ©tufen ihrer
©ntwicftung burdftaufen, ihr @nbe erreicht. Der SBeltjchmerg
beß fPef firniß muß beruht baher auf einet anbern ©tunblage,
nämlich auf bet p^ilofop^ift^en ©rfenntnip ber ©rünbe, auß
benen baß ©lenb beß fDafeinß alß nothwenbig pdj entwidelt, unb
wenn bet moberne 9MPmift lftn unb wieber — namentlich in
ben poetifcpen Serwerthungen feineß sPrincipß — ben $on ber
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Stonie anfdjlägt, wie bei .pieronpmuS 8orm, fo ift et bodj
weit Bon ber ©itelfeit entfernt, ftdj in biefer gorm ju einer fub*
feftinen ©rpabenheit aufjufpreijen, gefcpweige benn eine gefin»
nungölofe unb inhaltsleere griBolität gu ajfeftiren.
3fnf)ang:
Hie 3ronie in beu oerfdjirbeimt äänlleu.
Jpegel fagt Bon ber fPhilofophie einer 3«t itgenbwo, fie
fei ber Sn^alt biefer Seit felbft, in ©ebanfen gefafjt. 3>em
entfpredjenb fennte man Bon ber Ä'unft einet Beit fagen, fie
faffe ben 3nhalt berfelben in Slnfdjaungen; genauer au8»
gebrüeft: bie Äunft fei bie fonfrete DbjeftiBirung bc8 geiftigen
3uhalt8 einet 3eit in bet gotm bet 2lnfchauung. .pierauS er»
giebt fi<h fdbon mit Utothwenbigfeit, bafj, wenn fi<h in btefem 3eit»
3nljalt ein SBiberfprucb $mifthen 3bee unb SBirflidjfeit entwicfelt
— unb biefer 2Biberfpru<h ift e8 ja allein, weither eine 3eit
über ftd) felbft hinaus treibt unb burdj ben 93ru<h mit ber in
ihr erftrebten, aber als ungenügenb erfannten 3bee in eine neue
©ntmicflungSphafe brängt — , bie Äunft nid?! nur barau parti»
cipiren, fonbetn fid) gerabe in ihr biefer ironifche Umfdjlag be8
SeitibealS in fein negattoeS ©egenbilb auf fonfretefte SBeife
auSprägen wirb. SSeläge für bieS itonifdje Verhalten beS 3eit»
geifteS innerhalb bet Betriebenen sptjafen ber fulturgefdjic^tlidben
©ntwidlung, unb jwat in ber gotm äfthetifdjer Slnfdjauung,
haben wir in ben aphoriftifdben Semetfungen ber beiben paupt»
abfepnitte unfter 'Hetradjtung japlteich gegeben, unb e8 bebürfte
beSpalb feines 33eweijeS mehr, bafj bie Äunft überhaupt, ihrem
ffikfen nach, neben anberweitigen <Datfteßung8fovmen, au<b bet
gorm ber 3ronie alö fföittelS ber ©arfteßung fähig fei. SBir
XIV. 332. 333. 6 (»17J
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fjaben j. 33. gefefyen, ba| bet eigentliche £ebel in ber äftetiften
Shrlung fowoljl bet Sragöbie wie bet Äomöbie in bet ironiften
SteDuug liegt, welche bort bie Subftanaialitat bet borntrten
SBitflic^feU gegen bte 3bee, *l}iet bie ftttlite 2Ratt bet 3bee
gegen bie bornirte unb felbftfu^tSnolle 3Birflid)feit einnimmt.
©ine anbere grage aber ift bie, innerhalb weiter ©teuren
fit bie einzelnen Äünfte — biefen SluSbrudf im engeren Sinne
»etftanben — an biefer 33etn>etttyung bet 3touie für Bie afteti-
fte Sßitfung ju beteiligen netmögen, b. I). in meldet befonbeten
SBeife fit jebe tfunft ihrer fpecififten fRatut nah "bet gorm
bet 3tonie ju bebienen im Stanbe ift. Um bieje grage gtünb»
lit gu erörtern, wäre c8 freilich erforberlit, gunot ba8 bejonbete
SBefen bet einjelnen fünfte au8 bem 33egriff bet Äunft felbjt
IjetauS ju entwitfeln. 2>ie8 würbe un8 jeboch »on unfern 2tema
alljumeit entfernen, unb fo muffen mir un8 benn aut w biefer
33ejieljung auf einige allgemeine ‘Jnbeutungen beftränfen. Boj
nätft ift nun leicht ehxjufeljen, baff ftd) bie Äünfte, ba fie fit
überhaupt auf bie Stafdjctuung bejieljen, burd) bie Bormen bet
leiteten, [IRaum unb Bett, in [einen einfachen ©egenfajj gefteüt
werben, weiter furj al8 ©tuppe „ber Äünfte bet fRaumanftauung*
unb als ©tuppe „bet fünfte ber Beitanftauung" , genauer bet
fimultanen unb bet fucccffinen 'Jlnftauung, bejeitnet wer-
ben fann. 3ur erfteren ©tuppe geböten bie auSftliefelit auf
ba8 £>tgan be8 9luge8 fit bejiefyenben fünfte: 2lrtiteftur,
§)laftif, fötaletei, gut ^weiten bie auf 9luge unb £% ftt
begie^enben: SDRufif, SJtimif unb ^>oef i e (benn nitt nur
ba8 Dljr, fonbetn aut ba8 'Äuge 'fl einer fucceffteen 'Änftauung
fähig)- ferner erfennt man bei näherer Stufung bet einzelnen
©liebet jebet ©tuppe eine beftimmte 3ietanberung in bem ®e»
witt8»etSltni| ber beiben für jebe Äunftbarftellung nott)Wen»
bigen ÜJtomente be8 ibellen 3nljalt8 unb be8 ©eftaltungS*
(818)
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materialS. 3n bet SSrcbiteftur 3. 35. ift offenbar bie Schwere
unb bet Umfang beS SJtaterialS in unoerbältnipmäpigem Uebet»
gewicht gegen bie baburdj netpnnlichten 3been, in ber ^Maftif
finbet bereits, obfchon noch baS ÜJtaterial baffelbe ift (Stein,
5RetaD u. bgl.) butch bie Segrengung beffelben auf einen ge»
ringeren Umfang bei gleichzeitiger Vertiefung beS ibeeOen ©ebaltS,
eine gewiffe Ausgleichung gwifihen beiben Momenten ftatt, bis
in ber ÜJlalerei baS ©ewicht beS 5Raterial8 (garbe, 8einwanb)
gu einem Minimum fdjwinbet, wäbrenb umgefebrt bie bargufteßcn»
ben 3been an 9tei<htbum, STiefe unb Subftangialität pcp bis gn
einem entfdjiebenen Uebergewicht über bie S3ebeutung be8 ÜJtate»
tia!8 erbeben. SDetfelbe gortfchritt finbet auch auf Seiten bet
Äünfte ber fucceffioen Anfchauung ftatt, unb gwar in ber Art,
bap fiep gnaifcben beiben fReiben ein gang beftimmter fJaratleliSmuS
offenbart, meiner nur butcp bie Verfcbiebenbeit ber AnfcpauugS»
formen — bort beS räumlichen Veieinanbet ober bet IRube, hier
be8 zeitlichen Vacheiitaubet ober ber 33emegung — nicht gu »ölliget
©leicpbeit ber SBirfung gelangt. 3n biefem Sinne fann man
mit Schlegel bie Slrch itef tu r a!8 eine „geftorne fDiufif, ober
umgefebrt bie >JDlufif als eine „in Blup gebrachte Arcbiteftonif“,
bie ^laftif als eine „erftarrte fDiimif" ober umgefebrt bie
SDiimif als eine „bemegte$>laftif" (genauer >]Maftif ber Bewegung)
bie SJtalerei als eine „ ftjrirte 'Poefte" ober umgefebrt bie $)oe*
fie, nach bem Vorgang beS alten SimonibeS, als „eine rebenbe
(b. b- fuccefftt) Pch entwicfelnbe) 5Ralerei“ bezeichnen 3).
betrachtet man ferner — unb bieS führt unS näher gu ber
oben aufgeworfenen Brage über bie oerfchiebene 33etbeiligung ber
einzelnen fünfte an bet ironifcben 3)arpetIung&form — bie bei»
ben 9fteiben unter bem ©epdjtSpunfte ber ibeeden Subftangialität,
fo leuchtet ein, bap gerabe bei ben Äünften, wo ein Ueberwiegcn
beS ftofflid)en 35atfteflungSmaterial8 ftattpnbet, auch am weiften
6* (81»)
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84
»ob einer folgen (ideellen Subftang) abfttaljirt wirb, unb ba&
mithin bie ben Anfang bet beiben Steifen bilbenben fünfte,
bie Slrdjiteftur unb bie SDiufif nämlid}, bie abftrafteften, bie
baö ©nbe bilbenben bagegen: bie SRaletei unb bie 9)oefie, bie
ibeell fonfreteften fein muffen, wäljrenb $>laftif unb ÜJiimif
gwifd&en biefen ©yttemen bie SJiitte bilben. 33ei ben fünften
ber erften ©ruppe bürfte bie8 otjne 3Beitereö einleudjtenb fein,
aber audj bei benen bet gweiten, b. in bem gottgang »on
bet ÜJiuftf gut SJtimif unb »on biefet gut $)oefte, ift bet gort«
fdiititt »om Sbftrafteu gum jfonfreten im 2lu8brucf bet 3bee
un»etfennbar. 25ie ÜJtufif g. 33. »etmag nur gang allgemeine
Seelenregungen, wie greube, 3orn, Sdjmetg, Seljnfud)t u. f. f.,
aber nidjt fpecielle ©mpftnbungen, wie Siebe, ©iferfwfyt u. f. f.
auSgubrüdfen, wa8 fdjon ber SJlimif möglich ift; am aflerwenig«
ften »etmag fte ben beftimmten Sn^alt ber greube, be8 Sdjmerge«
u. f. f. gu »etfinnlicfyen. 9lm fonfreteften Ijinftdljtlicb bet lüet*
ftnnlidfjung eines ibeeQen 3nl)alt8 ftellt ftdj allerdings bet poetifcfje
ÄuSbrucf bat, weil et ba8 SJtittel be8 SBotteö al8 2)atftellung8»
form »om ©ebanfen befi^t.
liefet im SBeten bet Äünfte felbft begtünbeten 2)iffetengen
falber nimmt nuu bie ironifdje gotm auch eine gang »et*
fdjiebene Stellung in bet funftlerifdfyen IDatfteHung ein, b. fy. fxe
wirb, ba fte wefentlid? fonfteter Statur ift, am wenigften
ftuben iu benjenigen ^fünften, welche, wie bie Slrdfiteftut unb
fütufif, einen meljt abftraften ©Ijarafter geigen, metjr fdjon auf
bet gweiten, foufreteren Stufe, weldje burdj bie i'laftif unb
bie SJtimif begeidjnet wirb, am meiften aber auf ber Ijödjften
unb fonfreteften, b. Ij. im ©ebiet ber ÜJialeret unb ^oefte.
SBenn Ijiet »on irenifdjen Äunftformen bie SRebe ift, fo
bütfen baruntet felbft»erftänblicfy nid?t foldje ©eftaltungen »er*
ftanben werben, welche, wie bet 3efuitenftpl unb ßopfftpl, al8
(8*0)
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85
8u8witdbfe einer im 3erfebung8proceff begriffenen äftbetifcben
(fntwicflungöpbafe , ftdb felber al8 objeftioüronijcbe formen
gum ibeeüen 3nbalt ber .Runft »erhalten; eine Slrt unbewußter
äftbetifcber ©elbftironie, roeldje fidb, ba fie auf etfyiifyfultur»
gejdjicbtlidber SBafiS beruht, b. b- alle Serbältniffe beö nerbotbenen
ÄultutlebenS berührt, fogat in ben ^fünften 3 weiten unb brüten
JRangeö erfennen läßt, 3. 33. wenn ber ©artenfunft ber 3opf»
ftplperiobe e8 befonberS gefdbmacfüoö erfcbien, bie Slnmutb bet
freien Statur 3U Bedungen, inbem man bie ©ebufcbe, ©träumet
unb Säume in arcbiteftonifd) fteife formen (^pramiben, £>be*
liefen u. f. f.) 3Wängte ober gar in Stfyiergeftaltungen (Slepbanten,
Pfauen u. bgl.) Berfdbnitt. — ©onbern b'er fann lebiglidj Bon
benjenigen äffbetijdb'berecbtigten formen ber 3ronie bie ffiebe
fein, in benen biefeS üftittel in bewußter SBeife gum Sluöbrudf
fubftangieller 3been angewanbt wirb, b. b- Bon ben fubjeftin*
ironifcben formen in ben oerfcßiebenen fünften.
SSBaS gunäcbft bie Slrdjiteftur, alö bie erfte, ibeenärmfte
nnb batjer abftraftefte in ber Steife ber fogenannten bilbenben,
b. b- auf bie räumliche (fimultane) Slnfcßauung fidb begiebenben
fünfte, betrifft, fo finben wir ©puren foldjer fubjeftioen Sronie
guerft in berjenigen Saufunft, welche als bie arc^iteftonifc^e Ser*
förperung beö mittelalterlichen 3beal8 gu betrachten ift, in bet
gotbifcben nämlich; ©puren, welche offenbar auf baffelbe 33e*
bürfniß einer he*tere» 33erf&bnung mit bem als fünbbaft per*
boneöcirten 2)iej|eit8 gurücfgufübren pnb wie bie gleichzeitigen
„Sorten* unb gaftnachtefpiele " unb bie „Straneftten bet
?la)fion§gefdbidbte": e§ finb jene abfidbtlichen ,£>äßli<bfeit8*
btlbungen, jene ^Dachtraufen* unb SBaff erfpeier, £auf«
fteiuträger unb ©äulenfnaufe in §orm non großen nnb
SDtadjenleibern, welche gum Stßeil al8 ornamentale Serfleibungen
ber gemeinen 3wedfe be8 33au8 fungiren, gum Stheil aber auch
(«*«>
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als ard)itettonif<h*befotatit)e ©liebetungen, aber mit entbieten
bumoriftiid)*fatirifcbeT SRebenbebeutung, bienen. Sie ftnb wefent*
lieh plaftifd)er SRatur, aber gerabe b^tn fpricht fid) bie ab*
flrafte Segiebung gum tonftruttioen ©ebanten beä SauwetfS
beutlid) auS, wabrenb in ber §>laftif als felbftänbiger £unfi,
foldje fatirifdjen Segnungen ftd) nicht bloS äuffetlid) anbaften,
fonbetn Die ©efammtform felber beftimmen, b. b- nicht bloff
ornamentale, fonbetn lonftruftioe Sebeutuug ba^en- Ohnehin
bat bet fünftlerifche Statt ber alten Saumeifter überall bafür
geforgt, biefen farrifatnrartigen Silbungen ftetS einen unter*
georbneten, ja oerftedften fpiaff anguweifen, inbem fie biejelben
entroeber äuffetlid) an architeftoni|(h bebeutungSlofen SteDen, wie
bie SBaffetfpeier, anbrachten, ober, wenn im Snnern, nur ba, wo
fie mit bem erhabenen 3®edf beS Sauwerts nicht in offenen
Sßiberfprud) treten tonnten, fonbetn nur gleichfam oerftoblen
mit fdbaltbafter 3tonie gegen bie ^eiligleit beS ber 42nbad)t ge*
wibmeten SRaumeS berootlugen mochten.
Obgleich wir bie objeftioeu Sormen bet 3ronie auS bert
oben angeführten ©rünben au8fd)lieffen mufften, fo tonnen wir
bod) nicht urnffin, eine jolcbe gotm im Sereich ber ^rchiteftur
gu erwähnen, weil fie ficb nicht, wie bie oorbin angeführten
©eftaltungen, nur auf bie ornamentale Seite bezieht, fonbetn
fi<h auch wefentlich gegen baS fonftruftioe ©lement berfelben gu
richten fcheint. 3n ber Stljat hanbelt eS fid) aber babei gar
nicht um eine befonbere architettonifche ©eftaltung, fonbetn bie
3tonie, weide ftd) barin auSfpricbt, wenbet fich oielmebr gegen
bie Sergänglidjfeit biefet Äunft überhaupt, fowie beS non iffr
eingefchloffenen ÜebenStreifeS: wir meinen bie 9R ui ne. SDie
SRuine, als 3ronie auf bie Schönheit unb ©roffartigteit beS
monumentalen SauwertS — beun biefe ©temcnte bilben bie Sor*
bebingungen beS äftbetifch*itonifchen ©inbructS einet 0tuiue —
(8Sii)
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erwectt in bem ©efchauet nothwenbig bie ©mpftnbung bet 2Behs
muth, namentlich trenn bie 9?efte noch eine, wenn aud? lüden*
hafte ©otftellung »on bet ehemaligen Fracht unb £etrlid)teit
bcö ©aug gewahren; biefe SBehmuth ha* aber ih1* Quelle lebig»
lieh in bem @efühl, bafc bag 35ktf, unb trenn eg 3ahrhunberte
übeibaueite, bo<h fehliefclich bet 9iatutma<ht anheimgefallen ift,
einer ÜRacht, beten unetfchöpflidje Sebenöftaft, wie fie fich nicht
nut in bet 3erftörung, bie bet „3ahn ber 3«t" an bem SBeref
augübte, fonbetn auch in bet Uebetwucherung mit ftifchet ©ege»
tation offenbart, mit tragifchrironifcher ©Htfung gegen bie @nb«
lichfeit alle8 menfchlichen ©chaffeng an bag ©emüth anflingt.
Slbet getabe in biefet Uebetmacht bet Statut über bie Äunft liegt
guglcich bet afthettfdje (Sinbrncf, ben bie {Ruine macht, wenn
auch biefet ©inbrucf nicht mehr, fei eg ein architeftonifch* fei eg
ein ptaftif«h>äfthetif<het, fonbetn ein malerifchet ift. 35euu bie
©egeidjnung beg „fpittoregfen", welche für bie fdjöne SBitfung
einet {Ruine gebraucht wirb, befagt eben nidjtg Slnbereg, alg ba§
bag ©auwetf nunmehr gur fRatur, b. h- gut malerifchen Staffage
bet 8anbfchaft gehört.
3n bet $>laftif, alg biefet im eminenten ©inne ibealen
$unft, tonnen foldje tamfaturartigen ©Übungen, worin ftdj bie
Sronie gegen bie ©ornirtheit unb ÜUjorheit beg wirtlichen 8ebeng
augjpricht, nut eine feljt untergeorbnete Stellung einnehmen.
3wat bringt fie h^r, wie bemertt, in bie fonfttuftioe ®e*
fammtgeftaltung felbet ein, wäljrenb fie in bet '?lrd)iteftut nut
alg beforatioeg (Element auftritt, aber bet bet 3tonie überhaupt
anhafteube ©hataftet ber {Refleftivtheit, b. h- bie ©erftanbigteit
bet ironifchen ©egiehungen wibetfpri<ht jener naioen Unmittel*
barteit unb etnften 3bealität, welche bag eigentliche SBefen bet
^Maftif augmadjt. « güt bie jubjeftin*äfthctifche 3ronie bietet ba*
her bie $)laftif wenig ©pielraum, wie beun in ben ©lüthe*
(823)
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88
epodjen biejet jfunft in bet Ühat feine ©put fic^ baoon finbet
unb bie £enbeng gut plaftifdjen Äarrifatur crft bann auftrüt,
menn in ben 3eiten beS Serfallß bie SReflejrion unb int Setfolge
bamit bie raffinirte grioolität ©runb unb ©oben geminnt.
©elbftoerftänblich muffen mir babei oon allen jenen objeftio«
ironifcpen ©Übungen, roelche, mie bie antifen ©atirn, ©ilene u.
f. f., unmittelbar auß bem etlichen ©orftellungßfreife beß fultur*
gerichtlichen 8ebenß felbft betootgiugen, abfeljen, ebenfo non
foldjen plaftifchen SBetfen, meld)e als ©er finn Hebungen oon ©eenen
tragijeben ober fomiidien Snhaltß, bem ©ebiet ber SDidjtung ent«
nommen mürben, mie „bie Sliobibengruppe", ber „gaofoon", ber
„non 9lmor gebänbigte ©entaur“, bie gabireichen bacdjifchen
fReliefß u. 91. m.
SBeffen äftbeHicbe ©mpfinbung übrigens meber gänglid) un»
gebilbet notb nerbilöet ift, ber mirb fich ohnehin ben farrifatur»
arttgen ober aud) nur in’ß fomifthe ©enre emfchlagenben SBetfen
ber Plaftif gegenüber beß ©efüblß nicht ermehren fönnen, ba|
fte an ftd) bem ibealen ©harafter ber $)laftif niept homogen ftnb;
mögen eß bodj felbft bie mobernen ©ilbpauer, melcpe fiep in
folcpen SDarfteHungeu gefallen, meil ber menig äftpeHfch gebilbete
©eift unferß ^ublifumfl barau ein brutaleß ©efallen finbet, nur
in oereingelten fällen, berartige ©eftalten in einem größeren
SRaafjftabe außgufüpten, b. p. in einem folcpen, melebet allein ber
hohen unb eblen ©attung ber §Maftif gufommt; oielmehr be*
gnügen fte fiep — auß richtigem 3nftinft für bie ibeelle .Klein*
heit biefer ©ppäre gegenüber ber Roheit beß plaftifdjen Sbealß
— bamit, fie in miniaturartiger ©röfce bargufteHen, montit fie
»on felbft auf baß Stioeau ber „Slippfadjen“ unb bamit gu blo§
formell beforatioer ©ebeutung herabfinfen. — Stoch ftärfer unb
gerabegu abftopenb mirfen gemiffe ©Übungen, bie mir nur beß*
halb ijiet bei bet ^laftif ermähnen, meil fiep fonft fein ^piafc
(8«)
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89
für fte ftnbet: nämlich bie §>robucte ber SBadjSfigurenfabinette
unb bie Automaten. 3nbem bie erfteren ber reinen plaftifdjen
gorm, bie l)iet übrigens gar nicht auf ©eftaltung einer 3bee,
fonbern lebiglidj auf mßglichft ireue 9laiurfopirung SSnfpruch
macht, nidbt nur burch fRaturfärbuitg bie SBirfungSfraft ma«
tcrietler gebenbigfeit ^injufügen, fonbern biefe nod) burch reale
33efleibung, natürliche £aare u. f. f. in gang unfünftlerifcher
Seife gu »erftärfen Suchen, »ährenb bie gweiten fogar burd)
wirtliche, bet fftatur nachgeahmte ^Bewegung eine auf trugerifdjen
Schein berechnete 3Hufion organischen 8ebenS hernotrufen »ollen,
fo entfteht eine SBirfung, bie mehr ben (Sharafter beö ©efpenfti*
gen als ben be8 fünftlerifch Schönen h«t unb, ftatt äfthetifch
»ohlthuenb gu fein, »ielmeht äfthetifchen 9lbfd?eu gur gotge hat.
Daburd) aber ftellen fich biefer 3rt §)robuctionen felber als flagrante
Satiren auf bie echte Äunftmirfung bar, unb oerbienen, fofern
■fte oft unter SSufwanb nieler 9Rühe unb Äoften her3ef*cElt gu
»erben pflegen, allenfalls bie SBegeicpnuug non Jfunftftücfen,
aber fidjetlich nicht bie »on Äunftroerfen.
'3m umfangreithften ift baS @ebiet, welches bie 3ronie auf
bet lebten Stufe ber bilbenben fünfte, in ber UJialeret, ein*
nimmt; nicht nur weil biefe überhaupt über bie größte fBfannig*
faltigfeit an 3been gebietet, fonbern weil fie bur<h ihre DarftellungS'
mittel, namentlich baS Kolorit, bie realfte SBirfuugSfraft befiftf.
5Die ÜJialerei befdjränft fiep baher nicht, wie bie fPlaftif, auf bie
gleidhfam geitlofe unb baher immerhin noch abftrafte Sphäre ber
3bealität, fonbern wenbct fich an bie Realität beS Gebens felbft,
an baS geitliche Dafein ber Dinge, um bie barin enthaltenen 3been
in einer biefer Britlichfeit entfprccpenben gorm gur DarfteQung
gu bringen. Der ÜHenfch in feiner gefchicptlichen (Spfteng —
leiteten 3u8brucf [omohl im allgemeineu wie im inbioibuellen
Sinne genommen — ba8 tyrn in feiner gitfälligen Bewegung
C8SS)
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unb cparalteriftifcpen Stpätigfeit, bie fRatur in iprer angenblicf«
liefen ©timmung: baS ftnb bic ibeellen Dbjefte bet üRaleret.
hierin liegt aber guglei<p bie größere 8etcptigfeit einet itonifdjea
©etradptungSweife com malerifdpen ©efidjtSpunfte auS. Denn
eS ift eben bie 3ufalUafeit unb ©ergänglicpfeit ber geitlicpen
©jifteng, weldpe, weil fte an ftep etwas fRegatioeS enthält, gut
Stonifitung ber barin fi(p offenbareren 3been antreibt.
@8 ift bereits ein ©eifpiel felget 3tonifitung. „ 3>ie trau*
emben 8opgetber“ non 2lb. ©tpröbter, angeführt, welcpe fidj
alö maleriftpe fParobirung gegen bie iprer 3eit podjgepriefene
altbüffelborfer {Romantif riipteten. ©ielfatp werben autp tronifdje
SRotioe, welche bereits burep bie §>oefie »erwertpet ftnb, auf baS
©ebiet ber SJialerei übertragen, boep paben folcpe mept nur einen
iUuftratioen SBertp, weil ipnen bie Originalität ber malerifcpen
Äonceptiou mangelt, wie bie „©eenen auS Don Quidpote" oon
©epröbter unb auS ber „3obftabe" »on .£>af enfleoer. 3»
biefen DarfteGungen pat bie 3ronie ben ©parafter beS fomifcp«
©atirifipen. 3u®eilen »erbinbet fi(p bamit ein GRoment beS
‘Megorifcpeu, wie in ber Spierfabel, wooon als ein aDferbingS
auep nur iHuftratioeS ©eifpiel bie meifterpaften unb eept ironi«
fepen Äompofitionen Äaulbaöp’S gurn ©oetpe’ftpen „JReinefe
ftucpS" angefüprt werben mögen. Stllegorifcp erfipeinen foltpe
tronifepen SERetamorppofen, weit fiep unter ber SpiermaSfe eine
fatirifepe ©cpiloerung bes entfprecpenbeu menf(plicpen £anbeln8
unb DenfenS »erfteeft.
2lbet biefe 2lrt ber ironifttenben Allegorien ift feineSwegS auf
baS Spietreiip bef(präuft. ©ranboille pat, neben feinen male«
rifepeu ©atiren: „SReicp ber SRarionetten" unb „(Sine anbere
Sßelt »on ?>liniu8 bem Süngften", in feinen „©elebteu ©turnen"
gegeigt, weldjen fReicptpum an geiftoollen ©egiepungen bie poeti*
fepe Äarrifirung ber fPflangenwett gu liefern oermag. Ueberpaupt
(826)
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bietet für bie 5Ralerei ober 3eSnung, allgemein gefprochen : für
bie glädjenbarftellung, bie Äarrifatur ein oiel Ijomogeneteö
unb barum banfbarereö ®ebiet bar als für bie plaftifche 2)ar*
ftellung, unb groar nicht nur in bem früher angebeuteten ©inne
einet ^otengirung be8 (J^aratteriftifd)en in’8 £dfjlicbe, fonbern
auch in bem böseren einer gebanfennollen Uebertragung oen
formen einet ^ebenSf^^äre auf eine anbere, gum 3»«f poetifdjer
©atire. IDiefet inbireften unb barum gerabe anmutigen 3ro*
nifitung gegenüber nimmt nun bie birefte malerifcbe ©atire eine
gewiffermaffen entsaftete ©teüung ein: b^1 ift befonberS
bet pointenreicbe ©aoatni, welcher freilich in ben meiften fällen
bei feinen Äarrifatureu mehr Söertb auf bie ironifc^e Sßijjpointe
alt! auf ben bamit oetbunbeuen fubftangietbbumoriftifihen ©ebalt
legt, ©cbon bie SBabl feiner SRetioe weift barauf bi«: e® ftnb
©eenen au§ bem nieberen 33olf8leben unb au§ bev ©rijetten»
wirtbfebaft, bie SLotlbeiten ber SKaöfenbäHe, baö ^Raffinement ber
bemoralifirten mobernen ©efellfcbaft, namentlich ber jeunesse
dor4e beS forrumpirten ftangöfifeben ©alonlebenö u. f. f., jeneö
©emifdj oon eleganter güberlichfeit, ajfeftirter 331afirtbeit unb
frioeler Sieben 8 roürbigfeit, bie öaoarni mit fc^arfer (Sbarafteri'tif
jwar, aber nicht ohne geheimes ffioblgefallen an bem pricfelnöen
{Reig folcher biffoluten drifteng, perfifflitt. — ferner finb auch
bie JDarfteDungen ber gasreichen iduftrirten Sßi^blätter bierbet
gu rechnen, beten Bronie fid) meift mit einer politifcb'focialen
Ülenben3 oerbinbet. —
Söenn bie lefctere §orm ber illuftvatioen Äarrifatur, eben
ihrer gegen bie äftbetif^e SBirfung inbifferenten Senbeng ba^er»
bereits jenfeitS bet ©renge ber malerifchen Sronie ftebt, fo macht
fie wenigfteuS feinen befonbern Slnfptucb auf Äunftwertb- klimmt
biefe Slenbeng aber mit folcher 9>rdtenfion, wie bei ben £ogartb’*
Sen Äompofitionen („©ie ^»eiratb nach ber 5Robe", „9lu8 bem
(827;
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92
geben einer Sublerin" u- f. f.), toHenbS eine fpecififcb morali*
firenbe Söenbung, wobei bie gefammte Kempofttion ftch lebiglidj
als etn Konglomerat ton lauter tenbenjiöfen Schiebungen bat»
fteUt, fo hört mit ber objeftiten Unbefangenheit bet 5öirfung
auch ba8 äftbetifche Sntereffe als folcheS auf unb ber malerifdje
3nbalt finft auf ba8 {Riteau eine8 poefielofen moraliflrenben '
{Rebu8 betab, bei welchem (aufjer etwa in technischer Sejiebung)
pon fünftlerifchem SBertb überhaupt nicht mehr bie {Rebe ift.
Solche Kompofittonen (ober genauer: Kombinationen) gewinnen
baber burch SlranSpofition in bie profaifche Söorterftärung erft
ihre wahre Sebeutung, wie benn bie gichtenbetg’fcben Kom»
mentare $u £ogartb in ber £bat nicht nur intereffanter, fonbern
aud} geiftooOer erfcheinen als bie Driginalfompofitionen felber,
weil b*er ba8 SRittel, worin bet reflerionSmä&ige Snbalt jum
®u8brudt gelangt, nämlich ba8 SBort, an fid) eine bem reflefti*
renben (Denfen bo*«o8enere ^otm SBenn baber bie @ng*
länbet fo Diel SBefenS ton -£>ogattb als „großem Äünftler" machen,
fo beweifen fte — wenn biefe Sejeicbnuug fich auf mehr als auf
bie tecbnifcbe ÜReiftcrfchaft beheben foü — bamit nur, ba§ ihnen
für ba8 wahre SBefen ber malerifchen (unb überhaupt äfthetifchen)
SBirfung eines KunftwerfS ba8 Serftänbnifc abgeht.
©ine binfithtlid? be8 fombinatorifcben (ftatt fompofitioueCen)
6h^after8 terwanbte {Richtung b^ 2B. »• Kaulbacb in feinen
fpmbolifch=h*fi0Tif<h«n SDarftefl ungen eingefchlagen , beuen eben*
falls biefeS refUrionemäfcige SBefen anhaftet. SDiefelben nehmen
— wie in ben ftreSfen an ber Slu&enfeite ber SRünchener ^)ina*
fothef — huweilen eine auSbrücflid} fatirifche Söenbung, wogegen,
abgefehen ton anberen ©rünbeu (3. S. ber monumentalen Se*
ftimmung beS ©ebäubeS, welche folcher fleinlichen Sroniftrung
ber mobernen Kunftgefchicbte wiberfpricht), berfelbe ©inwanb wie
gegen bie ^»ogarth’fthen Kompofttionen erhoben werben fann.
(828)
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Slber aud? wo — wie in beu großen Sanbgemälben beb ürep«
penhaufeö im Neuen Nlufeum gu Serlin — fotche fatirifdje
Steitbeng nicht oothanben ift, fonbern bet monumentale @ha‘
rafter in bem ©rnft beb bargefteflten Snhaltß gewahrt fdjeint,
bleibt ber Siberfprudh gwifchen bem Jombiuatorifchen, b. h- butcb»
aub ber Neflejrion entftammenben ©epräge ber Äompofitionen unb
ber malerifdjen SBirtung , welche ergielt werben fotl, befte^en.
Sie anberb — b. h- äfthetifdj beftiebigenb — erscheinen bagegen
bie nur grau in ©tan (b. h- fatblob) be^anbelten arabebfenartig
»erfd)lungenen Äompofitionen beb ftch übet ben ,£>auptbilbetn
hingiehenben griebbanbeb, worin bie Seltgefdjichte in hMmoriftifdj*
fatirifcher Seife iQuftrirt wirb! SEeft^etif dj befriebigenb nur
barum, weil in i^neu ber leiste ^umoriftif^e Inhalt unb bab
SKittel bet IDarfteElung — gleichfam ein iduftratioeb Slawen*
relief — einanbet ooUfommen berfen. 3n Naturfarben gemalt
würben fie ned? unerträglicher fein alb bie ^auptbilber.
©eben wir nunmehr gu ben fünften bet gweiten ,|paupt*
gruppe über.
Diefelbe Steigerung in bem Umfang unb ber Stiefe bet
itonift^en iäubbrucfbfäljigfeit wie in bem Fortgang non bet 2lrd}i«
teftur gut $>laftif unb oon biefer gur Nialerei ftnben wir nun
auch in ben brei Äünften biefer gweiten, auf bie fuccefftoe Sn*
fdjauung begogenen ©ruppe: ber SJiufif, ber SDiimif unb ber
%> o e f i e. Saö gunädjft bie SOtufif , alb biefe in rhptbmifchen
Sohlflaug oerwanbeite Bewegung ber empfinbenben Seele,
betrifft, fo geigt fidj il)re Skrwanbtfdjaft mit ber ihr parallelen
Äuuft ber anbeven ©ruppe, bet arduteftur nämlich, fd)on batin,
bafj fie iljrer abftraften Natur falber unfähig ift, bie Stonie alö
fonftruftioe auSbrucfßform gut ©eltung gu bringen, fonbetn fid?
bamit begnügen mufj, biefelbe alö äußerlichen Sibetfpruch gegen
ben ©mpfinbungöinhalt in bloß beforatioer Seife gu oerwerthen.
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Sie in ber SÄrdjitefiur bie poffenbaften ftrafeen alg ironijche
SDeforation beg ernftbaften, begw. heiligen 3®ecf8 beg ©ebäubeg
fungiren, fo fönten in brr SERuftf poffenbafte Sorte, ireldje mit
einet ernften SRelobie uerbunben »erben, ober umgefebrt: Sorte
ernftbaften, begw. traurigen 3nbalt8 in SBerbinbung mit 5JMo«
bien heiterer 9tatur, fold^en ironifd)en Siberfprucb ^eroorbringen.
3u beiben 9lrtcn ber 3ronifirung liefern bie gasreichen 93änfel*
fangetlieber braftifc^e 33elage. 5Denn bie Äomif beg ©änfel»
fängerliebeg beftefjt eben in bem Äontraft ber parobirenben Änit*
teloerfe mit bet Ptelobie, inbem fRaubfcenen unb „Ptoritbaten*
in luftigem, @djnurren unb tjeitere Siebet in traurigem fRbSfl*
mug Borgetragen »erben. 3uweilen haben foldje Parobien einen
ec^t fünftlerifdjen ©barafter, »ie beifpielßweife bie prächtige, Bon
melobifd)em patbog übergueDenbe Äempofition gu bem fcijon in
ber poetifdjen gorrn ircnifdj gemeinten Siebe „3(18 fftoab au8
bem Äaften trat". (Sud) bie Parobie auf bie romantifdje 33al*
labcn-35i^tung gehören ^ier^cr ; in ihnen liegt bie Sronie nicht
nur in ber monotonen Sieberfeolung bet Sorte, fonbern auch
in ihrer 93erbinbung mit bem fontraftirenben mufifalifdjen
mu§, g. 33. in ber aug bem biofeen fRefrain „©bewarb unb Äuni*
gunbe, Äunigunbe unb ©bewarb" beftebeuben SaUabenparobie.
«u<b Biele Stubentenlieber fallen in biefe Äategorie.
^Dergleichen mufifalifche 33urlegfen ftellen ftdfe inbcfe, ifereg
butdjaug batmlofen unb anfprutbßlofen ©barafterg »egen, Bon
Born herein aufeerbalb einer ernftbaften fritifc^en Sütbigung.
SlnbernfaCfg würben fie entfchieben gu Berwerfen fein, weil bet
bann liegenbe Siberfprucft gwifdjen 3n^alt unb gorm, worauf
allein bie fomifdje Sirfung beruht, bag eigentliche Sefen bet
ÜRuftf, a(8 tJlugbrucf feelifthet ©mpfinbung, Böllig Bernidfetet. ©8
ift ba^er fdjon alg ein Piifebraucb, ber nabe an grioolität ftreift,
gu betrachten, wenn gewiffe Salgerfomponiften ihren beteten
(SJO)
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Üangmelobien giemlidj lange Sntrobuctionen Berau8gufd)i<fen pfle-
gen, beren abfid)t!id) fdjwermütpge Älängc unb getragenes Slempo
burdjaub ben (finbruef maepn, als ob c8 fid^ um eine Spm»
Päonie ernften Stpl8 pnbele, um, wenn bie (üfmpfinbung bet
Huptet nadj biefet (Seile pn geftimmt ift, plöfclid) in ben ftöp
lidjen SÖaljettaft umgufdjlagen. gi tool nennen mit foldje ÜJlanier,
weil barin lebiglid) bie Intention liegt, burd) ben raffinitten
Äentraft mit bem noraufgepnben ftimmungSBotlen (Srnft bet
gleidsfam ibealen (5inleitung8melobie bie rein materielle Üuft am
Slang fünftlidj nod) gu fteigern. — SBööig gut frioolen fParobie
ftnft aber bie fßlufif prab in jener, guerft non Offenbar
angebapten JRidjtung bet Operettenfabrifation, wooon nament»
lidj bet „DrppuS" — obfdpn nod) bei weitem ba8 ortginalfte
unb fubftangiedfte SBetf Offenbad)’8 — , „SDte fd^öne |>elena*
unb niele anbere 5Rad)werfe bie 33etage liefern. Um inbejj nid)t
ungeredjt gu fein, wollen wir gern gugeftepn, ba§ bet „Orppud"
— abgefeljen non bet fipn im SSorttept entpltenen Satire auf
bie antife ©öttermelt, weldje übrigens oiel feinet unb bann äftp»
tifd) wirfungöBoHer ptte bepnbelt wetbeu muffen — guweilen
aud) in ed)t fünftlerifdjer unb burd) feinen 33eigefd)ma(f rnüfter
griBolität Berunreinigter §orm bie mufifalifdje Sronie in 3ln»
wenbung bringt; g. 33. in bem in feiner 2lrt wirflidj flafftfcpn
„£ittenliebe" unb aud) in ber an bie 33änfelfängermanier ctin»
nernben „3Irie be8 ^ringen non Ärfabien".
SBena wir biefet frisolen SRptung bet mobernen Operetten»
mufif gegenüber nod) an etngelne ironifdje Slnflänge in ben
3Setfen bet großen fDleifter etinnern, fo gefd)iep bieö nur, um
auf ben 'Sbgtunb pnguweifen, ber gwifcpn ecktet Äunft unb
gemeiner Slftetfunft liegt. Solche Slnflänge, bie aber felbfloer»
ftünblid) ipe Bolle öftptifdje 33ered)tigung burd) bie objeftin»
fünftlerifcp Intention be8 3nplt8 erplten, finben wir g. 33. in
(831)
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9 «
bern meifterhaften SanitfcharewfBlarfch in ben „IRuinen mm
SSthen" büh 3?eetho»en, i« bcm „Stpthentang“ ia ©lutf’S
,3pb<0enie", ja jum $heil auch in bet bämonifch'buvleSfea
Sdjlufjpaffage ber \flrie SamielS im „greifchüfj", fowie in bem
teigenben SReeitatio ber ©rgählung ^enndiens u. f. f.
Slber alle bieje auf ironifdje 33erwerthung beS muftfalifchen
SluSbrucfS tenbircnben formen begtünben fid^ bod) mebt ober
weniger immer auf baS 33erhältnifj ber iBRelobie jum 2Bort*
inbalt, unb eS mu§ wieberholt werben, bafj an ft<h bie reine
SBRuftf ebenfowenig wie bie reine $r<hiteftur ber 3roniftrung fähig
ift, man müfjte benn gewiffe mufifaltfdje äletgerrungen, ähnlich
wie bie erwähnten architeftonifchen 53erjerrungen im Bopfftpl
u. f. f., bahin regnen, welche aber in beiben ©ebieten nichts als
mufifalifdje (bejw. architeftonifcbe) Äarrifaturen im ebjeftinen
Siune beS SöertS, b. h- unbeabftchtigte (Satiren auf baS wahre
SBefen ber SDRufif (be$w. ber Strdjiteftur) finb. 2)et ©runb beS
SJiangelS an gähigfeit, in fubjefttoer SBeife ju ironifiren, liegt
— fowohl für bie SRufit wie für bie ‘Ärdjiteftur — eben barin,
ba§ bie Sronie eines beftimmten DbjeftS bebarf, auf welches fle
ju refleftiren nermag, um fich bagegen, feines norauSgefefjten
negatinen 3nhaltS halber, fritifch ju »erhalten. 2) et ÜJiufif wirb
aber erft burdj baS untergelegte 2Bort ein beftimmteS (fonfreteS)
Dbjeft gegeben (ebenfo wie ber 'Urcbiteftur butch ben objeftioen
3wed beS ©ebäubeS); an ftdj bleibt fte »öllig innerhalb ber
Sphäre ber Unbeftimmtheit, nämlich innerhalb ber Sphäre ber
gan$ allgemeinen (abftraften) ©mpfinbung, unb bamit gebricht
ber reinen SOiufi! baS nothroenbige Subftrat für bie gorm beS
tranifchen SuSbrucfS.
Söenn wir bähet oben con „ironifchen '-Änf längen“ ia ben
SBerfen ber großen ÜReifter fprachen, fo fcheint gwar bei einigen
berfelben, bie bet reiuen (wortlofen) ÜJiufif angeboren, ebenfalls
(»32)
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foldj fonfreteS Subftrat gu fehlen; man barf habet aber nidjt
»etgeffeu, baft ftatt beffea bie gange £anbluug ben erforbet*
licken fonfreien .pintergrunb biibet unb bafj mithin bie ja auch
ben 3nbalt beö SBortS bilbenbe ÜBorfte lluug, »eldje baS eigent*
liebe Subftrat für bie 3touie abgiebt, ebenfalls »orljanben ift,
wenn fie aud) nie^t in ber $orm beä SöorteS auSgebrücft ift.
sJJlit 33orfteflnngen bat aber bie SDlufif ebenfo wenig wie mit
.fjanblungen bireft gu tbun4); fie finb iljr alfo etwas grembeS,
unb batin liegt bie sJÖiöglicbfeit eines SBibetfpru<bS bamit, folg»
lieb au<b bie einer ironiieben (Stellung bagegen.
SDie ÜJUmif ftebt nun, ihrer fonfreteren 9tatur halber, in
tiefer iöegiebung gegen bie ’Ulufif ebenfo im Gottheit, wie bie
9>taftif gegen bie Ölrd;iteftur, nub felbft gegenüber ihrer parallelen
Stbroefterfunft, ber ^Maftif, enthält fie ein SJloment, baS ihr einen
gröberen fReitbthuin an irenifeben UluSbrucfSfetmen gewährt, ttäm»
lieb baS SDioment bet Bewegung, woburdj fie fitb eben fpeci«
fiftb non ihr unterfduibet. 3)enn in bet Bewegung, b. h- in
bem fuccefftuen 2ÜJe<bfet oerfebiebenet mimifeber »ÄuSbrucfSfotmen,
liegt bie 'Biöglicbfeit beS UebergangS einer Sotm in eine anbete,
ihr wiberfpredjente, fie auflöfenbe, unb bamit bie ftäbigfeit beS
3tonifirer.S. — 3)et SJiufif gegenüber erfdjeint bie Söiimif aber
baburdj fonfreter, bafj fie im Stanbe ift, ben befonberen 3nhalt
ber (jmpfinbung fowohl bem SDiotio als ber actionellen @nt*
wicflung uadj butcb bie ©eberbe unb bie ©eftifulation gu oerfinn*
lieben. Sie erhalt baburd) einen wefentlicb bramatifdjen Sb“’
rafter, inbem fie — aud) ohne -pülfe beS SBortS — boeb in ent»
jdjiebener SBeife beftimmte SJorfteHungen unb .panblungen aus*
gubrüefen »ermag. Sdjon bet ebarafter^oHe SEang, wie et als
plaftifd) wecbfelnber SluSbtucf bet inneren (Seelenbewegung, mit
weither beftimmte aScrfteOungen oerfnüpft finb, in ben oerftbieben»
artigen Slationaltängen, befonberS bei Den oon bet nioeüirenben
XIV. 333. 333. 7 (831)
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Kultur noch nicpt überfitnifjften 23ölfern erfdjeint , gebietet über
gasreiche itonifche SORotioe, gröfctentpeilS iu fomifcher gotm. 3)afc
bie alte Pantomime, bie iljrer Statut nach »efentlid) auf 3tnpto*
otfation innerhalb eines burd) bie Jrabiticu geheiligten StahmenS
beruht, bie ©atire in allen Stüancen anwenbet, barf als befannt
eorauSgefefjt »erben. SDie heutige 33aflett(Sn$eTei ift freilich nur
eine traurige ©elbftironifirung beS im Stange liegenben beben»
tungö= unb amnuthSootlen SthbthmuS unb »erhält fich gut SDtimif
alö echter Äunft ungefähr fo wie bie JDffcnbach’fche (Sancanmuftf
(womit fte ftch bähet auch gern oerbinbet) gu 23eethooen’f<her
ober SDtogart’fdjer ©pmpboniemuftf. — 2lu<h gewiff« ^tobuc»
tionen bet 2lfrobatif unb ©omnaftif gehören gum Stheil in baS
©ebiet ber mimifchen 3tonie, g. 23. bie (Soolutionen bet ©ro*
teSfreiter im SitfuS, bie unter bem ©chein, als »eilten fie Steit»
untenicht nehmen, fich al'ftchtlicp in poffenhaftet SBeife ungefchieft
unb ängftlich ftellen, bis fie fchltefclich bie gemagteften Äunft*
ftücfe probuciren, unb ähnliche ©rfepeinungen.
2Sa8 enblich bie ^ oef ic, bie lefcte in ber Steihe bet auf
bie fucceffioe Snfchauung fich begiehenben Äünfte unb bie hoffte
§orm fünftlerifcter JDarfteUung überhaupt, betrifft, fo fann hi«
nur oon ihrem 93erhältnif) gu ihrer ber erften $auptgruppe an»
gehörigen parallelen ®ch»efterfunft, ber SDtalerei, bie 9tebe fein,
ba fte bereits früher, bei 23efprecpung ber literarifchen 3ronie, in
Setracht gegogen »urbe. 2)er SDtalerei gegenüber befinbet fie
fich nun ebenfalls, ähnlich wie bie SDtimif ber ^laftif gegenüber,
bebeutenb im 33ortheil unb g»at hauptfädhlich butch bie fuccefftoe
Statur ihrer SDarftellung, »eiche ihr nicht nur überhaupt einen
unenblich größeren 9tei<hthum an fonfreten 33orftellungen gewährt,
fonbern auch ben SBecpfel biefer 23orfteDungen felbft, worin bie
SOtöglicpfeit eines SBißerfpruchS unb bamit bie ber 3ronifirung
gegeben ift. 2lber auch non biefem burch bie fuccefftoe Statur
(834)
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bet poettfchen Darftetlung gewährten 33ortbeü abgefeljen, befinbet
ftch bie oefie fchon burd) ihren fonfreteren ©^arafter fo»ohl bet
5Jtaletei »ie auch bet fBlimif, ja allen Äünften gegenüber in einet
»iel günftigeren Stellung. Denn eS giebt für ben äuSbtutf oon
Sbeen, für bie fünftlerifd^e ©eftaltung eines ibeellen SnljaltS
fein fonfretereS DarfteQungSmittel alb bie Sprache. SlUetbingb
ift in unfetm gaHe »obl gu unterfdjeiben gmifchen berjenigen
gorm bet 3tonie, »eld}e bet §)oefie nidbt als folget, fonbetn
bem fprachlichen ©ebanfen* unb (SmpfiHbungSauSbtucf überbauet,
alfo auch bet ^rofa, gugänglid) ift. Selben »ir non biefet lederen
allgemeinen 33ebeutung bet fptachlichen Sronie ab, um fpecieU
uut bie poetijche 3ronie in’S Sluge gu faffen, fo »erben »it
biefelbe auf ben ©egenfafc bet fomifdjen unb tragifchen
3t o nie gu befdjränfen haben, »obei eS gang gleichgültig ift, ob
bie gorm betfelben, äußerlich betrachtet, eine projaifche ober poetifdje
ift, b. h- ob fte in freiet ober gebunbenet IRebe gum SuSbrncI
fommt. £at hoch fchon bet alte SHriftoteleS batauf aufraetffam
gemacht, bafj eS ebenfowohl oerfiftcirte §)roja als $)oefle ohne
metrifche gorm gebe.
2Sit haben jenen ©egenfajj fchon früher in beiläufiger
SSeife ermähnt unb müffen hier, gum Schluß, noch einmal batauf
gurücffommen, »eil barin für bie hödjfle ©attung bet fPoefie,
für baS Drama nämlich, ein »efentlicheS Sßeftiminungsmoment
liegt, äöirb nämlich bie Stonie gang allgemein als bet un*
enbliche SBibetfptuch g»if(hen 3bee unb SBitfdchfeit gefaxt, fo
fommt eS füt ben obigen ©egenfajj nut batauf an, auf »elcheS
bet beiben gegenfählichen Momente, 3bee ober SBirfichfeit, in
£inficbt bet äfthetifchen 38irfli<hfeit ber Accent gelegt »itb. 3»n
Äomijdjen ift eS bie ©nblidjfeit beS bie bornirte SBitflidhfeit
»ertretenben SubjeftS, welche im Sßibetftanbe gegen bie Uneab*
Hchfeit ber 3bee als felbftfüchtige Sefcbränftheit blöfcgelegt unb
7* (835)
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beim Unterließen ber (enteren burd) Radien oernichtet teirb. @8
macht babei feinen Unterfchieb, ob biefe 6nbli<hfeit ft<h nur in
ber unfchulbigeren gorm anfpruchßDoUeT Dummheit ober in ber
etljifch gugefchärften gorm intriguanter SBoö^cit unb fcheinheiligeu
grioolitat äufcert; nur für bie fomifcbe SBitfung mad)t bieß in»
fofern einen Unterfd^ieb, alß im leiteten galle baß ben «Sieg ber
3bee über bie fchledjte Söirflichfeit feietnbe Aachen eine ftttlich
größere ©enugthuung gemährt, bie nid^t ohne ben Seigefchmacf
einet berechtigten ©djabenfreube ift. 3m Dragifcben ift eß nun
gmar ebenfaQß bie (Snblichfeit beß ©ubjeftß, »orin ber ©runb
für ben Untergang beß gelben liegt; aber biefer felbft tritt bi«
nicht, »ie in ber jfomobie, alß Vertreter ber fdjlechten SBirflich»
feit im Äampfe gegen bie fittlidbe QJiacht ber 3bee, fonbern um*
gefebrt feiner 3ntention nach alß Sertreter ber 3bee im Äampfe
gegen bie befchränfte Söirftidjfeit unb beten jubftangieUen SDRädbte
auf. hierin fbbeint nun gunäcbft eine baß ©efühl tief oerlefcenbe
Ungerechtigfeit beß ©djicffalß gu liegen, eine beifjenbe Sronie
auf j'ebeß ibeale ©treben. 3Qein ,eß finb babei ber
ffiirflicbfeit gm ei ©eiten gu unterfdjeiben. Daß gefd)id)tlicbe
Dafein, b. b- bie 2Sirflid)feit ber thatfächlidjen SBerljältnrffe, ha*
gmar einerfeitß bie 33efchränftbeit an fidj, bafj eß ft<h erbalten
unb, im 2Biber|prud) mit bem ©efefc ber ©ntmicflung, bie ge*
»orbene gorm beß fiebenß fauftant bemalen miü; gegen biefen
©tabilißmuß tritt nun ber helb, alß Qtepräjentant beß iöeeOen
gortfcbrittß, in berechtigtem Äampf. Slnbrerjeitß aber finb mit
mit jenem Dafein bie gotmen ber ©itte unb fubftangieQen 3«*
ftanblicbfrit alß ^ofttio berechtigte ©lemente oerbunben, ja felbft
in ber Silltäglichleit beß hergebrachten liegt für bie ©mpfinbung
etmaß ß^rtoürbige8; gegen biefeß Qjlement [teilt fich nun ber
helb nothmenbigermeife ebenfaQß in JOppofition unb nerfäUt
bamit bereitß einer, menn auch noch geringen ©chulb. 3®eitenß
(836)
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aber ift aud) an bem gelben felbft neben feinet ibealen ©eite
eine feljr reale ^erncrju^eben, nämlich bie in jebem fubjeftioen
|)atboS ber Beibenfdjaft liegenbe SBefcbränftbeit, bie fid} als 3tr»
tljum in ber Seurtbeilung ber realen Sßerljältntffe, als Uebet*
eilung im $anbeln, als 33ergreifen in ben Mitteln, audj als
perfönlicbe (Jfjarafterfeljler wie (Sbrgeig, Siubmfucbt u. f. f. offen«
baren. IDiefe beiben ©eiten, b. b- bie in gewiffet Begebung
berechtigte $)ofttion ber SBirflidjfeit unb bie (äiufettigfeit beS
gelben felbft, bilben nun gufammen bie Älippe, an welcher baS
ibeale ©treben beö gelben, weil eS mit fich felbft in SBiber«
fprud) gerätb, {^eitert, unb ba es ganj in biefem Kampfe auf«
ge^t, feine Gcjriftenj überhaupt jerfchellt. Aber wenn er als
eingelne (Spfteng an biefem SBiberfprudj gu ©runbe gebt, fo wirb
bocb bie 3bee, gu beren Vertreter er fidj aufwatf, burdj feinen
.Kampf felbft über ibn bi«au8 fdjliefjlich gum ©iege geleitet.
SDafj er felber non ben drückten beffelben nichts meljr geniefjt:
barin liegt bie Ironie feines tragifdjen ©efcbitfS; baf* er in bet
llebergeugung non bet fltotbwenbigfeit beS enblicben ©iegeS bet
3bee, ben er nicht mehr erfthaut, untergebt: barin liegt anbrer«
feitS bie SBerföbnung, b. b- bie äftbetifcbe SBirfung, welche feiner
echten Sragobie fehlen barf.
35ie Grrfenntnifj biefer inneren »erföbnungSDotlen Slotb»
wenbigfeit, bie fi<h ebenfo auch in bet groben Slragifomßbie beS
weltgeschichtlichen ^roceffeö offenbart, führt ben benfenben @eift
allein gu jener häuften unb fittlich wie äftbetifch berechtigtften
Sorm bet 3ronie, welche wir früher als bie bBm°tiftif<be
SB eltanfdjauung begegnet haben, in welcher allein bie SBiber«
fprüdje beS Bebens gu einer halb beiden, hn[b webmütbtgen
Ausgleichung gelangen.
(837)
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Anmerkungen.
') 3u Seite 6. 2Mefer SluSbrucf enthält, feinem urfprünglichen
SBortftnn nach, felbet eine 3ronie gegen feine eigentliche Sebeutung, wenn
man fleh babei an bie lautete 2üal)rt)aftigfeit beS ©faraftere 3<fu, ßon
beffen 9iamen bie 3efuiten ben irrigen ableiten, erinnert.
a) 3« ©• 51. 3n meiner Ülbljantlung „liebet materialiftij^e unb
ibealiftifcbe 3Beltanfd)auung" im 113 $eft ber „Seutfcben 3eit» unb
(Streitfragen" habe ich biefe Stellung beS ttjeDretifctjen ÜJtaterialiamuS
näher ju cntwicteln uerf liegt.
3) 3« 0. 83. 9tur auS bem Umftanb, bag man bi6l;er bie ÜKimif —
l’ermuthlicl) ihrer in Vergleich mit bet DJiufif unb ber ^oefte fet;r unter»
georbneten SluSbilbung halber — nicht in ba6 Snftem ber fünfte im
engeren Sinne aufgenommen Ijat (obfcgon bereite ber alte SlriftoteleB ben
,S£an$* ale bewegte piaflif unb bamit ale echte Äunft begegnete), fo bag nur
bie anbern fünf Äünfte ale echte fünfte gelten füllten, erflärt ee ftd), ba§
man ba6 non mir aufgeftetlte allein naturgemäße ©ntheilungSgcfeg »er*
fannt hat. Selbft unfer bebeutenbfter 9lefthetifer, 93i feger, quält fleh,
im Slnfcglufj an feinen 9Jieifter >$>egel, mit einer SDreitgeilung ab, inbem
er bie brei bilbenben Äünfie (Slrcbiteftur, fMaftif, QJialerei) auf bae Sluge,
ale Organ ber .bilbenben sP^anta|lc‘’, bie SCRuftf auf bae Dl;r, als
Organ ber .empfinbenben pl>antafie *, unb bie poefie .auf bie ganje,
ibeetlgefegte Sinnlicbfeit', als Organ ber , bid^tenben fPhantafie* bezogen
wiffen will, gür bie SSiberlegung biefer fefjon burth il;re ©efebraubtbeit
fich niept empfehlenben <Sintl>cilung ift hier nicht ber Ort: nur beiläufig
mag auf baS Unlogifche in ber Äcorbination ber brei Momente: ,3luge*,
.Ohr* unb .gefammte ibecll gefegte Sinnlichfeit* aufmerffam gemacht
werben. SDenn entweber finb in bem britten fERoment: .gefammte ibeetl
gefegte Sinnlichfeit* 5luge unb Ohr, als bie beiben höchften, mefentlicg
geiftigen StlnfchauungS» unb SSorftellungSorgane, bereite mit einbegriffen
(838)
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uiib bann fcnnen fit nkfyt mehr bie Kriterien für befonbere Äunftforraen
abgeben, fonbern c« fönnte überhaupt nur ein« Äunft, bte poefte, ejriftiwn
— ober jene« britte Ploment hübet neben Singe unb £)Ijr ein befonbere«
£>rgan ber ©innlicbfeit, bann hätten ledere beiben überhaupt feine
ibeelle Söebeutung: eine SHternatioe, bie nach beiben ©eiten einen SBiber«
fprucp enthält. (Sbenfo »erhält e« ftcb mit bem Unterschiebe ber „hüben-
ben*, „empftnbenben* unb „bichtenben Phantafie.* Sluch fyier ift non
einer loglfcbrn Äcorbination feine Siebe.
3Ba« aber ben Mangel an 3lu«bilbung ber Ptimif al« Äunft betrifft
— ein Ptangel, ber, ti'ie gefagt, allein ber ©runb ift, bafj man fte nicht
ätoijdjen SOin’lf unb Poefie al« gleichberechtigte Äunftgattung einjureifyen
wagte — fo erflärt ftch berfelbe einfach au« bem Umftanbe, bag man
Sowohl für bie Plufif wie für bie Poefie ein Ptittel erfunben hat, bie
in ber 3eit Borüberfliegenben Probuctionen berfelben — bur<h bie Steten-
unb bie IBuchftabenfchrift — ju fijriren; wa« für bie Plimif bi«her
trog aller, fchon früher angefteflter Skr juche niept gelungen ift. „-Dem
Ultimen picht bie Stammelt feine Äränje", biefer ©ag gilt baber nicht blo§
für bie ©cpaufpielfunft, bie fiep neben ber muftfalifpjen (recitatorifchen)
auch bet mimifchen JDarfteflungämittel bebient, fonbern auch für bie ntinti»
fche Darfteflung im engeren ©inne al« bewegte plaftif (5. SB. im ®ha*
raftertanj). Slllein man überlege hoch einmal, auf welchem ©tanbpunft
unfre Poefie unb SÖJufif ftepen würben, wenn fte jener §ij:irung«mittel
ebenfaH« entbehrten; b. h- wenn wir Bon ben äöerfen eine« ©oppette«,
homer, ©pafefpeare, ©oetpe u. f. f., eine« ^topbn, Seetbooen, Picjart
u. f. f. nicht« weiter wägten al« etwa bie Siamen ihrer 5?erfaffer! SMren
nicht Plufif unb Poefie, bei gleichem Plangel an tfijrirung ihrer pro-
buctionen, in ber gleichen tfage wie bie Ptimif, nämlich ftch auf bie 3m-
proBifation, bezüglich auf bie Xrabition befchränfen ju muffen? SDiit
anbern Störten: würben wir, wie Bon ber echten Ptimif nur noch bie
Slationaltänje unb Pantomimen übrig geblieben ftnb, Bon ber Plufif unb
ber poefie mehr hefigen al« 3$oIf«melobien unb SJolffilieber? Unb enb-
lieh: wenn e« auch richtig ift, bah bie legieren beiben Äünfte burch jenen
SSorthetl ber §ijrirung«möglichfeit in ihrer (Sntwicflung fich weit über
bte Ptimif erheben fonnten, barf bie« für bie äfthetifche äBiffenfcpaft ein
©runb fein, um ba« echt fünftlerijche SBefeu ber Pltrnif ju oerfennen
unb fte barum überhaupt au« ber Steige ber fünfte §u ftreichen? 3J?an
fege anbrerfeit« 3. 33. ben Sali, bag Bon ber gefammten antifen Plajtif
— biefer parallelen ©ehwefterfunft ber Plintif — feine ©pur übrig
(839)
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104
geblieben wäre (wa« leicht l;ätte gegeben fönnen), unb frage ftch bann,
reelle JRidjtung oljne Jene SBotbilber bie moberne piaftif genommen haben
fönnte?
*) 3u ©.97. hierin liegt auch berörunb baoon, ba§ bie reineSRuftf —
worauf |4»on öfter oon anbrer ©eite h« aufmertfam gemalt worben
ift — nichts Unfittliche« barguftetlen »ermag; benn auch ‘n bera 23e* '
griff ber Unftttlichfeit liegt ein 2Biberfpru<h gegen eine beftimmte 3Sor«
ftellung, fle beruht alfo felber auf einer 93orftellung. Vermöchte bie
SÖJuftf ohne pfeife ber üJtimif ober ber Sprache tBorftettungen auäju»
brüefen (ftatt, wie e« thatfächlich ber galt ift, nur (Srapfinbungen), bann
wäre fie auch unfittlicher unb ironifdjer SluSbrucfäformen fähig.
(MO)
3)tu<f een Bffcr. Unjtt (V). Qtrimm) in Btrlin, e^ömrtttättfttaSt 17«.
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?i( X>a(0<>bcfftcme.
93on
Dr. filctfdb
in ©örltfc.
fl erlin SW. 1879.
93 e r I a g von ßarl £>abel.
(£. iS. tnbniti’iitir Bfttaoibnitijjiinblmig.)
31. ffiilbttm-StiaS« 33.
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®o8 SRecfjt ber Uebetießung in frembe Sprachen bleibt oorbetjalten.
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*lu8 ber Steife ber ©belfteinc Ijat man eine ©ruppe ab*
gefonbert unb mit bem tarnen bet £albebelfteine belegt, nicht
allein, wie bieö aQerbingS häufig behauptet wirb, weil fie bie
©igenfdjaften, welche ben eigentlichen ©belfteinen ihren 2Bertlj
geben, £ürte, ©lanj, lebhafte gatbe ober EDurc^fid^tigfeit, in
geringerem @rabe befifcen — , fonbern in Dielen Ratten allein
beS^alb, weil fie fo häufig in ber Sftatnr oorfommen, baff fie,
»erglidjen mit bem fwfyen greife bet feltenen ©belfteine, faft
wertlos ftnb.
@o Ijaben 3. 58. bie gasreichen #albebelfteine ber Duarg*
familie ben 7 ten Jpärtegrab unb übertreffen hierin ben foftbaren
StürfiS unb ©belopal, bie nur ben 6 ten £5rtegrab befitjen; fo
wetteifern ber Ärpftatlquarg (Sergfrpftall) an 3Durcbfi<htigfeit,
ber Slmethpftquarg , ber 5£opa8quatg (335!)mtf«^er SopaS), ber
£paginthquarg u. St. an ©urchfichtigfeit unb lebhafter garbe
mit ihren foftbaren 9iamen8Dettern au8 ber Dieilje ber ©bei*
fteine Iten unb 2ten langes, unb einer ber angeführten, ber
Slmethnftquarg, liefert burd> feine ©efdjichte ben ftriften SBeweiS,
bafs nicht immer bie ©igenfdjaften, fonbern oft nur bie häufig*
feit beö S3orfommen8 ben Unterfc^ieb gwifcfjen ©belftein unb
XIV. SM. , . (M3)
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4
•Dalbebelftein bebingen. (Denn bet Slmethtyft galt im Sllterthura
unb SJHttelalter für einen feßr foftbaren ©belftein fo lange, biß
et in neueret Beit, befonberß in 33 raftlten , in foldjen ÜKaffen
gefunben würbe, baß ftd» fern SBertß naturgemäß fo ßerab«
minberte, baß et unter bie 3aßl bet ^jalbebelfteine »erießt würbe,
unb eß ift gang unzweifelhaft, baß baffelbe mit anbern ©bei»
fteinen lten unb 2ten Sangeß gefcßeßen würbe, fobalb fie ir*
genbwo maffenßaft gefunben würben.
2lu(ß barin fteßen bie ^»albebelfteine nicht hinter ben eigent»
lieben ©belfteinen jurücf, baß ihre nähere (Betrachtung beö
Sntereffanten mancherlei bietet, ©efeßiehte unb Sage befdbäftigen
ftdj mit manchem »on ihnen, unb zu ben heute noch faum er»
reichten fünftlerifdjen (Darfteflungen, bie baß flaffifdje Sllterthum
in ©emmen unb Äameen unß überliefert hat, haben oorzugß»
weife bie .£albebetfteine baß Material geliefert.
SDie weitauß größte 3aßl ber £albebelfteine nun finb
Sarietäten eineß unb beff eiben Stineralß, beß Duatzeß, ber,
ein wahrer Sroteuß beß fölineralreid^ß , in ben oerfeßiebenften
färben unb (Durch ft eßtigfeitßgraben unb unter ben oerfeßiebenften
Flamen auftritt; ba nun biefe Samen Dielfach oon auberen ©bei»
fteinen betfelben garbe entlehnt würben, unb beßßalb Ser*
wecßfelungen feßmer z« Dermeiben finb, fo will ich Derfucßen,
biejenigen Sarietäten beßDuarzeß, bei benen biefe Serwecbfelungen
am leicßteften oorfommen, unter folcßen (Bezeichnungen uor«
Zufuhren, baß in benfelben fowohl iljre 3ufammengehörigfeit alß
Duarze, alß auch iß« äußere (Sehnlichfeit mit ihren foftbaren
SamenßDettern guglet«^ angebeutet ift.
(Der Same Du arz ftammt auß bem SSittelalfer unb ift ein
ben (Bergleuten entlehnter SÄußbrucf. lieber feine ©ntfteßung ift
man nicht ganz einig, benn wäßrenb ©inige anneßmen, baß er
auß ©ewarg, Don ber oft warzenförmigen Dberfläcbe biefefl
SSineralß, entftanben fei, halten eß Slnbere für wahrfcheinlich,
(M4)
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5
baf( Quärge fociel wie 3®erge bebeute, eine Sautnerfchiebung,
bie wir auch fonft bet quer unb awerch in ben Söorlen Quetfacf,
Bwercbiacf u. j. w. buben, unb ba§ bie Bergleute beß fötittel»
alterd, bie ja gerne überall ©nomen unb 3®erge faben, bie
häufig grofe unb fcbon außgebilbeten Är^ftaOe Bwergc ober
Quärje nannten.
SDiefeß Mineral nun, beräQuarj, befte^t auß reiner Ätefel«
fäure (Si) unb ift eineß ber am bäufigften auf ber ©rbe not»
fommenben ÜJtineralien; et bilbet fowobl für fid) mächtige
Reifen unb ©änge, alß auch in Berbinbung mit anberen föline»
ralien bie größten ©ebirge, 3. B. ben ©ranit, unb ba er feiner
bebeutenben jgjärte »egen eine grofje JDauerbarfeit b“t unb auch
allen djemijdjen 3etjcbungen aufß £artnäcfigfte wiberftebt, fo
tritt et auch in ben jüngeren gormationen ber ©rbe muffen»
baft auf, in mächtigen ©(bitten alß Äieß unb ©anb, Ueberreftett
frübeter ©ebirge, bie j»ar burdj jabrtaufenblange Jbätigfeit
bet glutben zerrieben, aber nitbt aufgeloft werben tonnten.
SDiefer groben ©iberftanbßfähigteit ift eß auch aujuftbteiben,
bafc ber Quarz fo häufig in ber gorm fogenannter Jeufelßfteine
ober Jeufelßmauern nortommt. SDie ©ebirgßf chidjt , in ber ein
mächtiger Quarzgang biß jur Oberfläche reichte, fchwanb allmählich
im Saufe ungezählter 3abrtaufenbe unter bem ©ingufj ber
Verwitterung. 5)er Quarzgang aber wiberftanb berfelben unb
ragte enblidj alß ifolirter mächtiger gclß über bie ©bene bernor,
unb baß Volf, baß ftcb baß ifolirte Vorfommen nicht ertlären
fonnte, tief ben Jeufel zu .£>ülfe. —
©a auch ber geuerfiein eine ber zahlreichen Varietäten beß
Quareß ift, fo repräfentirt bieß SüHncral fo recht eigentlich bie
ältefte ©ioilifationßftufe beß SERenfcbengefchlecbtß, benn er ift
baß $auptmaterial , auß bem bie SRenfcben zu ber Beit, alß fie
noch nicht bie Bearbeitung ber ÜRetalle fannten, ihre äSaffen oer»
fertigten, Söleffer unb ©ägen, ©peet« unb $)feilfpifeen ; unb alß
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6
bann im Verlaufe bet Sabrtaufenbe bie DatfteKung be8 ©tableS
gelang, war et manches Saljrbunbett lang ba8 #auptmittel, ba8
geuet gu ergeugen, «nb bi8 not einem 9Renf<benalter noch ent»
fdjieb et bie ©cblacbteu, inbem et als glintenftein ba8 wefent*
liebe ©tud am <Sd^>lof|e bet $anb* geuer»28affen mar.
2)er Duarg ftpftatlifirt im hexagonalen ©pftem, unb gwar
geigen ftch bie jbrpftatle meift als fed^Sfeitige ©äulen, mit fecbS*
feitiget ^pramibe gugefpifct. ©ein fpegififd^eS ©ewicht ift
2,6 — 2,7. Äein anbereS SRinetal bringt e8 gu fo Joloffalen
JftpftaQen, benn fie fommen nit^t feiten in ©äulen not, bie
ein {Dieter lang unb 16 — 18 cm bitf ftnb ; ja in DRabagaSfat
bat man fogat {RiefenftpftaHe non einem {Dieter S5uchmeffet
gefunben.
SJon ben frpftallifirten 33arietäten betrachten mit gunä<bft
ben reinften,
1. benÄrpftallquarg, gewöhnlich 23ergfrpftaH genannt. @r
ift, tneil et au8 reiner Äiefelfäure ebne alle fätbenben 23 ei»
mifehungen beftebt, ndlfommen fatbloö wafferbeö, burefefic^tig,
boeb enthält et fowobl wie bie anberen, fpäter gu nennenben
frpftaHifitten Du arge, nicht feiten @inf<hlüffe non anbern 5Diine»
talien (©blorit, 2l8beft, {Rutil, ©ebwefelfieS, ©olb, ©trablftein),
bie, häufig als baarförmige Ärpftalle in ber buTd^fte^ttgen Duatg»
maffe eingebettet, bann ben ©teinen ben tarnen $aarfteine
geben. 33efonber8 fd)ön feben foldje ^tpftaHquatge au8, wenn fie
grüne ©trablfteine enthalten, inbem fte bann gang (Siöftüdfen
gleichen, in benen ©raöbalme eingefroren finb. 3n ber SLbat
hielten bie ©riechen unb {Römer ben Ärpftatlquarg für wirflicbeS
6i8, weSbalb fie ihm auch ben Flamen xQvoTallog (Krystallos),
@i8, gaben, unb glaubten, weil et »orgugSweife au8 ben fdjnee*
bebeeften ©ebitgen ber ©djweig gu ihnen gelangte, baf? bie lang*
bauernbe unb bodjgrabige Äälte, ber bie8 6t8 bort au8gefefct
gewefen, bewirfe, bah «8 bie gäbigfeit »erloren habe, wiebet
( 84«)
L
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7
aufjutljauen. 3)ennocb trauten fie bem ftrieben niemals gang;
benn obwohl fte foloffalc ©ummen für ©efäfje auS Ärpftall*
quarg begablten, fo rietljen fte bo<h, biefe feiner großen äBärme
auSgufefcen. 3ut Äaiferjeit mürbe mit $rinfgefä§en auS Ärpftafl«
quarg in IRom ein großer 8uru0 getrieben; eS mitb unS uon
folgen berietet, für bie Jaufenbe »on nach unferm
©elbe bejaht mürben, unb 9tero mufjte, als et ben 33erluft
feiner £errfcbaft erfuhr, feine empfinblicbere SRac^e an bet
unbanfbaten Seit gu nehmen, als b afc er feine toftbaren ÄrnftalU
gefäfje jerfcfelug.
68 ift mobl erflätlidj, baf) ein fo üetfcbmenbetifch üppiges
Seitalter fo gro|e ©ummen für foldje Ärpftaügefäfee be jaulte,
benn bie Jperftellung berfelben au0 biefem fDiineral ift ja auch
beute nedj mit großen ©chmierigfeiten unb langmieriger Arbeit
»erbunben, unb eS ift nicht gu leugnen, baf? bie abfolute Warb*
lofigfeit unb 2)urchficbtigfeit für ein 2tinfgefäf? eine feljr fchü|*
bare ©igenfcbaft ift; bie ©laSfabrifaticn aber mar bamalS noch
nicht fo meit, um ein »ötlig farblofeS ÄrpftaHglaS ^erguftellen.
SDafj man auch ©iegelfteine unb anbere ©djmucffachen auS
Ärnftallquarj herfteHte, »erftebt fid? oon felbft, aber auch bie
altrömifcbe 3Webigin bebiente fidj feiner als inneres &rgneimittel,
unb bie 6birurgie benufcte Äugeln aus ÄrnftaUquarg als ©renn*
gläfer, um Sunben bamit auSgubrennen.
SLrofcbem ber ÄrpftaUquarg faft in allen £anbern norfommt,
merben grofje unb fdjöne ÄrpftaDe boch immer noch b°d? bcja^lt,
ba fie nicht febr ^äufig finb unb oft nur mit großer ÜJlübe
unb ©efabr gemonnen merben. @ie fleiben gemßbnli<h fohlen
aus, bie ficb im 3nnern bet Reifen finben unb beren ©ot«
banbenfein bie ÄrpftaBfucher in bet ©dbroeij burd) ben bohl«*
5£on ermitteln, ber beim Slnflopfen auf bie gelSmanb entftebt,
menn eine folche Höhlung (Ärpftallfeller genannt) nid)t gu meit
hinter ber angeflopften ©teile liegt. SDiefe 2)rufen müffen bann
(847)
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8
frft burcp mübfame Sprengarbeiten geöffnet »erben, unb ba fie
oft an recpt unwegfamen ©teilen »orfommen, jo ftnb bie Arbeiter
häufig gegwungen, fiep an ©eilen petabgulaffen unb }o mit
Lebensgefahr ihre fcpwierige Arbeit gn »errichten.
&uf URabagaöfar »erben gtofje Blöcfe beS reinften ÄrpfiaH*
quargeS in großer 3opl gefunben, jo bah »an fie bagu benupt
hat, -Jlormalmetermahe heraus gu arbeiten. 3u»eikn fommt eS
»or, bafe ein ©prang im ärpftallquarg gerabe fo günftig liegt,
bah baS burchfaDenbe Licht bie Snterferengfarben geigt unb ba*
burch lebhafte ^Regenbogenfarben entftehen. 9Ran nennt folche
©teine fRegenb ogenq uarg unb »erarbeitet fie gu pübfcpen
Bijouterien.
2. 3Die g»eite Barietät beS frpftallifirten DuargeS ift ber
IRaucpquarg, gewöhnlich JRaucptopaS genannt, »on mehr ober
weniger intenfioer IRaucpfarbe, bie bis gum tiefen ©chwarg gehen
fann, fo bah bie ©teine ihre IDurcpficbtigfeit einbüjjen. 2)er
fätbenbe (Stoff fcheint eine flüchtige organifche ©ubftang gu
fein, unb bie gatbe »eränbert fich bei »orfieptigem ©lüpen.
5Äucp biefe Barietät wirb gu allerlei Bijouterien, $)etfcpaften,
©cpalen unb ©epmueffaepen »erarbeitet.
3. SDet SlopaSquarg, gewöhnlich böhwifcher SEopaS, auch
Gitrin genannt, ift burepfteptig, weingelb, oft mit fepönem ©olb»
fepimmer, unb wirb »ielfacp gu ©epmueffaepen »erarbeitet, bie
jenen auS bem eblen $opaö fept apnlicp fepen. Slm päufigften
wirb er auS Brafilien eingefüprt, boep fommen auch *n ^bpmen unb
©cplefien fchöne JopaSquarge »or. Bon bem eigentlichen 3-opaS
unterfepeibet er fiep burep geringere ^>ärte unb geringeres ©ewiept
auep hot ber eble SEopaS mepr geuet unb fepöneren ©lang.
4. SDet «fjpagintpquarg, auep fpanijepet SEopaS ober
Jppagintp »on Äompoftetla genannt, wirb in ©panien gefunben
unb pat bie fepöne OJlabeirafarbe beS eblen ^pagintp. @r eignet
fiep »orgüglicp gu Siegelfteinen unb ©epmuefjaepen, bie oft
(H»)
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9
einen gang brillanten (gffctt machen. 6g fdjeint, ba§ bicfe
SBarietät beg Ouargeg neuetbingg burd? ©lühen gewiffcr Smethpft*
quarge ^ergefteUt wirb, wenigfteng fommen in neuerer 3«it
.fipaginthquarge im ^anbel unter bem Sftamen gebrannte §tme*
t^rjfte »or.
5. SDet iXmethbftquarg ober 2lmethhft. 6t ift ein Duarg
»on frönet, »ioletter garbe, ber, befonberg wenn bie garbe
recht intenfio ift, immer nod? häufig gu beliebten Schmucffachen
»erarbeitet wirb. 5Die Sllten fdjrieben ihm bie .Kraft gu, ben»
jenigen, bet ihn trug, »or Ürunfenfyeit gu fdjü^en, unb nannten
ihn bähet mit bem griedjifchen Slawen ämethhft (gu beutfch: ntr^t
trunfen). ©r würbe big auf bie neuere 3eit gu ben wagten
©belfteinen geregnet, unb bie Sitten hielten it)n fogar für einen
ber aUerfoftbarften, inbem fie it)n bem Saphä gleich fchäfcten.
Seit aber ©tafilien ihn gu Saufenben »on Sentnern einfütjrt,
ift er faft werthlog geworben unb wirb nun gu ben -£>alb*
ebelfteinen gegählt. SJtan nimmt gewöhnlich an, baf) et einet
geringen 33eintiichung »on ÜJiangan feine »iolette garbe »er»
banft, bie fidj beim ©lühen »ollftänbig »eränbert.
Uebrigeng muh man ftetg im Üluge behalten, baf) mit bem
5Ramen 2lmethhft gwei gang »erichiebene (Steine begeiebnet
werben, bie an SBerth febr »erfd)ieben finb, ein Unterfchieb, ber
häufig felbft »on ben Juwelieren überfehen wirb. 61 giebt näm*
lieh neben unferm »iolctten Quarg, 5tmetl)9ftquarg, auch einen
»ioletten jt'orunb1) (alfo SÄmethhft'-Äorunb), ber auch gum
Unterfchiebe »om Slmethhftquarge orientalif eher Slmetbhft
genannt wirb. 5Än garbe ift berfelbe bei SEagegtidjt bem ämethhft»
quarg »oflfommen ähnlich, hoch tritt ein lebhafter Unterfdjieb
fofort her»or, wenn man beibe Steine Slbenbg bei 8idjt betrachtet.
SDet Slmethvftquarg »evliert nämlich bei Sicht aufjerorbentlich; felbft
bie fchönen tiefbunfeloioletten Stüde erfcheinen bläh unb faft
.grau, wähtenb ber 3lmethhftforunb an garbe nicht »erliert, fein
CM»)
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10
Violett nielmehr in ein !eud)tenbe8 JRothniolett übergebt. 9lufjet«
bem übertrifft er ben 9lmethpftquarg auch um gwei (Stufen ber
.^ärtefcala (9) unb ftebt im greife etwa achtmal fo hod}, wie
ber ISmethttflquarg. SBiH man alfo Slmethpftforunb faufen,
fo nerfäume man nicht, ihn oother bei Sid^t 3U fehcn, unb hüte
fid}, einen folgen ©chmucf etwa burd? 9lmethpftquarg gu ner»
noDftänbigen, wa§ nur bei StageSlidjt nicht auffallen wirb, bei
9lbenbbeleu<htung aber feljr fehlest auöfehen würbe. —
9ludj non bem unburchfichtigen, bem gemeinen Ouatg,
werben einige Varietäten gu ben #albebelfteinen gerechnet.
1. ©er SRofenquarg, ber feine mehr ober weniger lebhafte
rofenrothe Barbe nach ©nigen einer Seimifchung non Vitumen
(©bharg), nach 9lnberen bem SSitan nerbanft. 6r wirb, wenn
ferne Barbe recht fdjön ift, gu ©chmucffachen nerarbeitet.
2. ©aöDuargfahenauge ift ein nerfchieben gefärbter
Duatg, ber im Snnern gasreiche parallel gelagerte, feibenglän*
genbe Slmianth* (Slöbeft*) Safern enthält, bie bem halbburchfidj«
tigen ©tein befonberS bei ^Bewegung einen ähnlichen gidjtreflejc
geben, wie ihn ba8 9luge ber Äatjen geigt. ©amit bieö beffet
hernortrit, mujj er an feinet Oberfläche gewölbt (mufchlig) ge«
fchliffen werben.
3. ©er (prafem (nQaaiog, lauchgrün) ift ein Duarg, ber,
innig mit ©trahlftein burdfwachfen , biefem feine fdjöne grüne
Barbe nerbanft. © führt im £anbel ben Flamen ©matagb«
mutter, weil man früher glaubte, bafe et ba8 SOluttergeftein beö
©maragb fei. © wirb nielfach gu ^übfchen ©chmucffachen
nerfchliffen, bie aber bie üble ©genfdjaft haben, baff ihre an
fich fchöne lauchgrüne Barbe beim fragen leicht matt unb
flecfig wirb.
4. ©er 91 nanturin, ein gelber ober tödlicher Duarg, ber
in feiner gangen ©laffe fleine Sprünge ober auch ©limmerfchüpp*
chen enthält, bie wie ungählige golbene fünfte burchfchimniroi*
(8S0)
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11
5Jlan finbet ihn jwar an nicht wenig gunborten, boch finb fd)ßne
föpemplare nicht häufig. 3n 33enebig ahmt man ihn bntdj einen
©laSflufc, ber im 3nnern Heine Äupferfrpftafle enthält, nach, unb
biefer fünftliche Sloanturin fieht uiel brillanter aus, als ber na»
tätliche, bem er jebod) an .fpärte nachfteljt. 9)ian hält baß 23er*
fahren in SBenebig geheim, bodj hatte auch bie Sofephinenhütte
auf ber SBienet ffieltauSftellung fehr fronen funftlichen Sloanturin
außgefieQt.
5. ÜDer 3a8pi8 ift ein feuetfteinartiger Guarg, bet aber
burd) »erfdjiebene fERetaQorpbe, »orgugSroeife ©ifen, oetfdhieben»
artig unb oft auf8 Sebhaftefte gefärbt ift. 35er (Stein fomrnt
fdjon im 2. Such 2Roje8 oor, unter bem tarnen Sajchphe als
einer ber 12 ©belfteine, mit benen ber Sdjilb be8 |>obenpriefter8
gefdhmücft war. 6r tritt in allen möglichen lebhaften garben,
auch geftreift auf, unb wirb gu allerlei ^Bijouterien »erarbeitet.
35er gried)tfd?e 55id)ter DnomafritoS (500 u. ©Ijr.) fpridjt fd}on
»on bem frü^Iingfarbenen 3a8pi8, an welchem fich ba8 £erg
ber Unterblieben erfreue, wenn man beim SDpferbringen biejen
Stein bei fid) trage. „3h» »erben bie Söolfen feine trocfenen
gelber befeuerten unb Segen fpenben.“
dine 3. ©ruppe ber Jpalbebelfteine au8 ber Quatgfamilie
fa§t man unter bem tarnen
dhalcebone gufammen unb »erfteljt barunter biejenigen
Duarjuarietaten, welche au8 einer bitten, trübburchfdheinenben
SHaffe mit fein fplitterigem Srudje beftehen, ein eigcnthümlich
fanfteS 9lu8feben, unb oft feböne wenn auch matte garbe haben.
Sie finb balbburdhficbtig unb unburdhfichtig, haben nur geringen
©lang unb enthalten immer etwas Sthonerbe unb ®ifen. Sie
beftehen au8 einem innigen ©emenge amorpher unb ftpftaUini*
fdhet j¥iefeterbe unb finb mehr ober weniger porös, weshalb fte
fidh leicht fünftlidj färben laffen.
£Die dhalcebone würben oielfad) Bon ben Sitten gu gefdhnit»
(8Slj
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12
tenen ©teilten benufet: gu ©cmmen, wenn feer ©egenftanb Der*
tieft in ben ©tein gegraben war, um als ©iegelftein gu bienen, gu
6 am een, wenn er übet ber Fläche beS ©teineS ergaben hereortrat;
unb gang befonberS beliebt waren gu biefem 3»ecfe folche ©teine,
bie auö minbcftenS gwei eerfdjieben gefärbten ©Richten beftatt*
ben, inbem fidj bann ber ergaben ober certieft gefdjnittene ©e=
genftanb ocn bem anberS gefärbten ^intergrunbe um fo beut»
liehet abhob. ©cl$e ©teine mit eerfdjieben gefärbten ©djidjten
nannten fie Dni;jc, ein 5Rame ber aud) ^eute noch gebräudjlid)
ift, unb mit bem man ben ©attungSnamen beS ©teineS
cerbinbet, g. 33. ©halrebonpj:, ©arbonpr, Äarneolonpjr :c.
SDer 9tame £>np)c femrnt auS bem ©riedjifchen unb bebeutet
Fingernagel, unb bie griec^ifdjen £>id}tet fnüpfeit an ihn bie
fPtytlje, bafe bie Csnojre bie cerfteinerten Fingernägel ber 33enuS
feien, bie ihr Slmor mit ber ©pifee eines Pfeiles befd^nitten
habe, biefe wären in ben SnbuS gefallen unb bort, con ben
Margen gefammelt, in SDnpjre cerwanbelt worben. — 23ei ber
aufeerorbentlid) tyoljen ©tufe, auf ber bie 5£ed)nif bei ben 3llten
ftanb, fünftlerifO cotlenbete Betonungen in ©tein gu fOneiben,
ift eS erflärlid), bafe biefe JDnpjre, baS becorgugte fDiaterial für
folche Äunftwerle, fo beliebt waren, bafe man fie fdjon gu §)li=
niuS’ 3eiten auS ©laSflüffen fünftlid) nachahmte. — 3uch fold)e
Dnpje würben gefd)i(ft oerwenbet, bie brei farbige ©cbichten
Ratten, inbem man bie eine Farbe für ben .pintergrunb, bie
gweite für bie FleifOpartien, bie britte für bie ©ewanbung bet
Figuren benufete.
9ÜS SBarietäten beS gemeinen ©fyalcebon unterfepeibet
man ben ©Ijalccbonpjr, wenn graue unb weifee ©dachten
abweepfetn, ben fRegenbogenchalcebon, wenn er gegen baS
Sicht gehalten irifirt, ben 9>unftchalcebon ober ©teppa**8«
ftein gu ©pten &eS burep ^feilfcpüffe getöbteten heiligen ©teppan,
wenn er weife ift unb blutrotpe Fledfen hat, ben Solfencpal«
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c e b ott ber auf fyellgtauem ©runbe bunfle wolfenartige ©teilen
geigt, ben -fjalbfarneol ober ©erad?at, wenn et gelb i ft, unb
ben SJioffaftein ober 9K ooeadjat. gelterer ift ein ©Ijalcebon,
auf bem fid} fdjtoarge, rotlje ober btaune moo8artige Betonungen
finben, bie man früher wirflid) für pflanglidjen UrfprungS Ijtelt,
bie aber »cm BnfUttationen »on SRanganojcpb Iserrüpren. ©ie
werben »ielfaO füuftlid} nadjgealjmt, befonbetS in Dberftetn,
wo man überhaupt bie Gtyalcebone jeijt in aßen «arben färbt. —
Sieben bem gemeinen ©Ijalcebon unterfdjeibet man al8 3 wette
9tr t ben eblen ober rottyen ©balcebon, gewöfynliO Karneol ge«
nannt. ©eine garbe ift blutrot^, burdj ©elblidjrotfy in8 Vlafj»
to% übergefsenb, unb man unterfdjeibet wieberum je nad) ber
garbennuance »erfdjiebene Varietäten be8 Äarneot. Die blutroten
nennt man männliche, bie blajjrotljen weiblidje Äarneole.
©ie pomeranjenfarbigen werben ©arbet genannt, unb wedj«
fein weifje ©l)alcebonjd)iOten mit ben farbigen, wa8 beim Äarneol
ijäuftg »orfommt, fo tritt ber fd)on oben erwähnte Vame Dnpjc
3U bem Vamen bc8 ©teineS tyingu, bet bie befonbere garbe be«
geiOnet, alfo Äarneolonuj:, wenn rotfye unb weifje ©djiOten,
©arbonpr, wenn gelbe unb weifje ©djidjten abwcdjfeln. ©te
berüljmteften ©emnien unb ©ameen be8 2Utertl}um8, bie als bie
foftbarften ©djätje nocp l)eute in ben SRufeen unferer ^>aupt«
ftäbte aufbewafyrt werben, finb in foldjc Karneole gefOnitten
unb ber befte Vewei8, wie Ijod) bie Sdteu biefe ©teine fdjäfjteu
ift ber, ba§ $liniu0 berichtet (37, 2), ba§ bet berühmte {Ring
be8 ^olpfratcS, burdj beffen Opfer er fid> »om fReibe ber ©ötter
über fein ju gtofjcS ©lücf lo0 ju faufen gebaute, feinen Vkrtfj
einem ©arbonnp oerbanfte.
©ie britte 2ltt ber ©tjalcebonc ift ber grüne, »on bem
man brei Varietäten unterfdjeibet , ben ©IjrpfopraS, ben
heliotrop unb ba8 $)la8ma.
©er 6fyrpfopta8 ift bie helle, apfelgrüne Varietät, gu
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ötingfteinen unb anberen ©chmucfiachen ein fetyt beliebter ©tein,
ber auch »egen feines nic^t häufigen SSorfommene in giemlid)
hohem greife fteht. ©eine fdjöne h£H8rwne Barbe oerbanft er
einet SBeiniift^ung oon fRicfeloppb, woher eö auch fommt, baff
bie ffarbe »erblafft, wenn ber (Shrpfoprae längere 3«t ber
trocfenen SBärme auSgefe^t wirb, g. SB. beim Siegeln, ober
wenn er lange in ber ©onne liegt. (Sr gewinnt aber bie frü-
here lebhafte Färbung wieber, wenn man ihn in feuchte (Srbe
legt, ober in einer erwärmten Sluflofung »on falpeterfaurem
9iicfelorpb eine Beit lang liegen läfjt.
(Sin .pauptfunbort beS (Sljrpfoprae war früher im Serpentin»
felß bei Äofemifj in ©trieften, hoch ift biefet Bunbort jefjt gang
auegebeutet.
Unter heliotrop »erftetjt man bie bunfelgtüne 93arietät,
bie mit rothen fünften oetfehen ift, unb bie aufjerorbentlich
häufig gu ©iegelfteinen benufjt wirb.
2)ie britte Varietät, bae $)laema, unterfcheibet fich oon
bem nötigen burch ihre weh1 gtaegrüne Barbe, unb baburch,
bah fte mehr burdjfcheinenb ift. 2)ae §>laöma war lange 3«it
nur burdp antife ©emmen aue ben 9tuinen Siomö befannt, hoch
hat man ee in neuerer Seit an oerfchiebenen Drten wiebet
entbeeft.
23it fommen nun gu einem atlbefannten unb jehr beliebten
.£>albebelftein, bem Slchat, ber eigentlich feine mineralogifche
(Einheit barftellt, fonbern aue einer mehr ober weniger großen
3ahl ber foeben betrachteten SJlineralien, (Sljalcebonen, 3a8pi8
unb anberen Duargarten fchichtenweife gufammengefcfct ift. 3e
naepbem nun biefe oerfchiebenen Dnargoarietäten Streifen,
Blöden, fünfte ober 3^icl)ttungcn ber oerfchiebenften 9lrt bilben,
unterfcheibet man IBanbadjat, geftungeachat, SRegenbogenachat,
SSolfena^at, Strümmerachat, ^unftachat, ©tcrnachat u. f. w.
SDer 91 chat fommt oorgugöweife in mehr ober weniger
(844)
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fugelfßrmigen ©tütfen, ben fogcnannten 2tcbatmanbeln oor, bie
ftd^ in einer plutonifdjen gelöart, bem ^ORelapljvr ober td)wargen
9)orpbpt ftnben. 3^re (äntftebungöart ift geologifcb feljr inter»
effant. SDer 3Relapbbt ift in einer feijr frühen $)eriobe ber
©rbgefdjidjte, jnr 3eit ber ©teinloblenbilbung unb be§ 3e<b*
fteineä in feurigflüffigem 3uftanbe auö bem (Stbinnern ferner»
gebroden, nnb bei bem allmählichen @rftarren unb (Srfalten bet
teigförmigen Ijeifjen OJlaffe bilbeten ficb int 3nnern betfelben
bureb auffteigenbe 2)ampfblafen manbelförmige $obltäume auö.
©pater alb bie fDiaffe längft erbartet war, aber immer nod)
eine b<>be $emparatur tjattc, löften bie, biefelbe burebfiefetnben
fftegenwäffer einen j£beÜ bet ÜJlelapbpr enthaltenen Wiefel»
fäute auf unb festen fte, wenn flc auf ihrem Söege in bie
^oblraume famen, in concentrifcben ©dachten an bcn SBänben
berfelben ab. @o füllten fich manche biefer fDtanbeln ganj unb
gar, wäbrenb anbere nod) im 3«nern einen ,£>oblraum enthal*
ten. grübet fanb im gürftentbum ©irfenfelb in ben bortigen
ÜKelapbptgebirgen ein nollftänbiger ©ergbau auf biefe Ädjat*
manbeln ftatt, benn bie Slcbatfcbteiferei ift bort »or$ug8weife in
ben ©täbten Db erftein unb 3bat feit bem 16. 3abtbunbert
in ©lütbe. 3n ber Umgegenb biefer beibeit nur eine halbe
SJieile »on einanber entfernten ©täbten befinben fi<b an ber
oberen 9iabe unb beren jablreidjen ÜRebenflübcben in allen
Ibälern jabllofe ©cbleifmüblen, in benen allen bie Slcbatfcblew
ferei betrieben wirb. 9lHe werben burdb SBafferfraft getrieben
unb e8 befinben ficb an jeber SBelle neben einanber mehrere
grobe, {entrecht ftebenbe ©djleiffteine, an benen bie Schleifer,
auf einem trogartig auSgeboblten £oljgeftelle liegenb, bie gübe
gegen fPflöcte geftemmt, bie im gubboben befeftigt finb, bie
Sldjate anbrüefen unb burd) gefcbicfteS Umwenben bie beabfidj*
tigten gormen erzielen, ©eit etwa 50 3abten «ahm bie £>ber«
fteiner Sld^atinbuftrie einen bebeutenben SÄuff^wung, alb man
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bbrt baS Verfahren lernten lernte, bie natürlichen gatben bet
©teine burd? fünftlidje S3et)anblung wefentlidj 51t »eridjönern.
SDie alten Sftömer, benen ja lebhaft gefärbte Dnttre für aufjer*
orbentlich werth»oll galten, fannten bieö Verfahren bereits, wie
f|)liniu8 berichtet, inbem er ergäbt, bafj bie garben ber Steine
fchöner würben, wenn man fte in «£>onig legt. SDian hielt biefe
Stelle lange für eines ber gahUofen SJlärdjen, bie ftd? bei
fPliniuS finben, bis fich nun hetauSfteDte, bah PiniuS nur bie
erfte £älfte beS Verfahrens befdjrieben hat. SDic eerfchiebenen
Schichten in ben ?ld?atmanbeln haben nämlich einen feljr »erfchiebe*
nen ©rab non fPorofttät, fo bafj, wenn man fte in »erbünntem
^>onig längere Seit liegen läfjt, einige Schichten »iel, anbere
wenig ober nichts non biefem Stoffe auffattgen.
£ä§t man barauf Schwefelfäure in berjelben Sri auf bie
Schichten einwirfen, fo entftehen bie lebhafteften gärbungen, in«
bem einige Schichten fchwarg, anbere lebhaft braun werben, bie
fich bann non ben wenig »oröfen, weil bleibenben fcharf abgretigen.
@S fcheint, fcafj fich bieS Verfahren bei ben tönüfthen Stein*
fchneibern als ^>anbwerfSgeheimni§ non Sahrhunbert gu 3ahr*
hunbert »ererbt h°t, unb eS war lange aufgefatlen, bafj bie
römifchen Steinfchneiber, bie ihre Steine in JDberftein laufen
famen, »iel fchöner gefärbte (Sameen unb ©emmen »erfauften,
als man im Vitlenfelb’fchen fant>. Von einem folgen römifchen
Steinfdhneiber erfuhr ein Dberfteiner baS Verfahren, unb ob*
gleich biefer eS guerft auch geheim hielt/ würbe eS boch balb
befannt unb nun gang allgemein angewenbet. ^ietburch ge*
wannen bie gabrifate fo aufcerorbentlich an Schönheit, bafj ihr
Slbjafj fich erheblich fteigerte unb Dberfteiner $änbler mit ihren
geföhliffenen Achaten fogar bis Sübamerila lamen. SDort ent*
bedien biefclben unerfdjöpfliche SJtaffen »on Slchatmanbeln,
beren ©ewinnung »iel leichter war, als ber müljfame Vergbau
in bem harten 9Jtela|?hPr ber £etmath, »»eil in Sübamerila
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baS Vhtttergefiein »erwittert war, bie afatmanbel« aber, bet
Verwitterung wibeTftebenb, ftd) in großen 3Rengen in bet lode»
ren @tbe fanben. Von nun an würben bie 9lf atmanbeln ja
Saufenben »on (Jentnern auö 8merifa naf Dberftein eiugefübrt,
unb bet Vergbau im 9Jlelapb»t bat faft ganj aufgebört. Uebtigenß
ift ba8 oben angeführte Verfahren, mit £onig unb ©fwefel*
taute ju färben, nicht ba8 einjige, unb fowohl in fJtom al8 in
JDberftcin werben noch anbete Viethoben als befonbere £aab«
werfSgebeimnifce geübt. —
3>ie lefjte ©ruppe ber #albebelfteine au8 ber Familie be8
Dtiarje8 finb bie Dpale. ©ie finb unfrpftalliniff, haben
muffeligen Vruch, $arjglanj unb enthalten alle einen jiemlif
hohen fProjenfaf? non SBaffer, ber jwiff en 3 unb 12 p@t. ff wanft,
©aber ift ihr ©ewif t auf geringer, a(8 ba8 ber anberen Duarje
(2,1), unb bie Starte entfprif t nur ber 6. «Stufe ber ^ärtefcala,
ift alfo um eine ganje ©tufe geringer, al8 bie ber anberen Ouatje.
©ie Cpale finben ftf »orjugSweife in »ulfaniff en ©efteine«,
unb man ficht fie al8 eine allmählif burf au8trodnen erhärtete
Äiefelgallerte an. 3n Äalitauge finb fie »oHfommen lö8lif.
©inige ©teine biefer ©ruppe jeifnen ftf burf wunbetnoDe
Farben auö, unb ber eine berfelben, ber eble Opal, muffte feinet
Seltenheit unb feineß hohen $reife8 wegen ffon früher oon
un8 unter ben wahren ©belfteinen aufgeführt werben, obwohl
er in mineralogiffer £infif t felbftoerftänblif in biefe ©ruppe
gehört.
.Raum weniger ff ön al8 ber eble Opal ift
1. «Der geueropal. @r ift bpacintbrotb unb fpielt oft
ftar! in’8 ffeuergelbe. Vefonber8 ffßne ©tüde irifiren an ben
lichteren ©teilen farminrof unb apfelgtün unb biefe ©tüde
geben auSgejeifnete ©f mudfteine ab, benen man am »ortheil»
bafteften ben muffeligen ©fnitt giebt. ©ein ^auptfunbort
ift ju Villa fecca bei 3intapan in Vlepifo, wo er in einem
XIV. 354. 2 (847)
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tradjptifdjen Srümmergeftein Dorfommt, unb fdjön irifitenbe
<StMe »erben fefyt tjo$ bejaht.
2. 25er gemeine Opal unterfd^eibet ftd) nur baburd}
oon bem eblen Opal, bafj tljm fcab biefen aubgeitbnenbe jdjöne
^arbenfpiel feljlt. Uebrigenb lommt et in ben oerfcbiebenften
färben »or, unb man unterfdjeibet banadj alb Varietäten ben
weiten, 5Jli opal, ben gelben, SBadjbopat, ben apfelgrünen,
Ptabopal, ber ftd) »ie ber ©ljrpf oprab bei Äofemifj in ©djlefie«
ftnbet. Sftofenrottje Opale merben ir SReljun unb Duincp gefunben.
3. Söeniger burdjfidjtig, wie bie bieder genannten Opale, ift
bet Jpalbopal, ber nur an ben Äanten burdjfdjeinenb ift @8
fommen aud) non iljm fdjön gefärbte Varietäten Bor, häufig
bilbet er baö Verfteinerungbmittel foffiler £olgarten unb ^ei|t
bann ^olgopal.!
4. 25et ^)pbropl)an ift eine intereffante Varietät be8
Opal8. @r geidjnet fid) baburd) au8, bafj et fe^r leidet feinen
Sßafferge^alt abgiebt, baburd) unburd^fid^tig wirb unb garbe
unb ©lang oerliert, biefe ©igenfdbaften aber fc^neü wieber er*
langt, jcbalb man il)n in SSaffer taudjt 3um ©djmucfftein
eignet er ftd) unter biefen Umftänben nidjt, bod} wirb er feiner
<Seltenljeit wegen V4? begabt, ba er in Oftinbien al8 9lmulet
getragen wirb.
5. (Sbenio ift ber jtafdjelong , audty Perlmutter opal
ober jfalntücfen opal, giemlidj felteu. @r enthält etwas weniger
SBaffcr alb bie anberen Opale unb fd)fine ©tütfe werben gn
wertvollen ©djniutfftcinen Derfäliffen.
6. 25utd) einen fef)r V&en ©ifengeljaft ift ber 3abpopal
ober Opaljabpib auögegeid^net. @r ift unburdjfict)tig, gelb,
braun biß rotl) unb ift in ber Sürfei bcfonberb gu 2)old?= unb
©äbelgriffeit beliebt.
7 9118 le^te 9lrt beb Opalb, miewofyl er ni<bt alb 'Sdjmucf»
ftein benufjt wirb, fütjre V nod? bettölabopal ober ^palitty
(8S8)
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an, ber als uoHfommen burchfichtige, glasartige 9Raffe in pielen
plutonifcheu gelSarten oorfommt.
Die bisher betrachteten £albebelfteine bejtanben ade wcfent»
lieh auS Äiefelfäure unb gehörten jur Familie beS SQuarjeS.
SBir fommen nun ju einigen, bie ber gamilie beS gelbfpatijS
angehören. —
Der gelbfpatb ift ein Mineral, welches auS einer Ver*
binbung oen fiefelfaurer $he«erbe unb fiefelfaurem Stali befielt,
unb #ärte 6 hat (unb ein ipec. ©eroicht non 2,53 — 2,58).
Sluth biefeS SJlineral ift ein wesentlicher Vcftanbtheil ber all»
perbreiteten gelSart, beS ©ranitS, ber ein ©emenge au$ Ouarj,
Sclbfpath unb ©Ummer ift. ©in befonbereS Sntereffe fnüpft fich
an ben geibipath baburdj, bah er* wenn et perwittert, gu
fP or jeltanerbe wirb. SBährenb ber gemeine ^elbipath in un=>
burchficljtigen ÄrpftaHen jiemiith häufig ift, werben nur wenige
feinet selteneren Varietäten ju ben ^albebelfteinen gerechnet
unb jwar ^unächft:
1. Der SÄbulat ober eble gelbfpath , bet fidj bur<h eine
poDfommene Durchfidjtigfeit unb fchönen ©lanj auS^eichnet.
Slber auch Bon 'hm werben nur jwei Varietäten als ©belfteine
gum ©chmucf benu^t, ber ©onnenftein unb bet SOtonbftein.
@8 finb bieS iSbulare, bie ftch oorjugSweife in ©eplon unb in
ben ©djweijeralpen finben, bie einen mogenben 8ichtfchein in
ber Diefe 3eigen, ber bejonberS herbortrit, wenn ber ©tein
mufchlig geidjliffen ift. 3ft biefet wogenbe 2ichtfd?ein röthlich,
fo heifeen biefe Steine ©onnenfteine, ift er bläulich, fo werben
fie föionbfteine genannt. Schöne berartige ©jremplare werben
hoch befahlt unb machen einen auSgejeidjneten ©ffeft, befonberS
wenn fte mit fleinen Diamanten eingefaßt werben.
Die jweite 2lrt bcS SelbfpathS ift ber 21 m a<$ onenftein,
ein ftelbfpath, ber fid) burch feine lebhafte grüne garbe auS*
jeichnet. ©ein fftame fomint batjer , bah wan ihn juerft am
2* (859)
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Amagonenftrom entbedte, bo<b fanb man ihn fpäter audj am
Simenfee in fRufjlanb. ©eine garbe rührt Bon Äupferofljb bei-
Aud) ber nädjfte #albebelftein, berüabrabor, tft ein felb»
fpatbartigefl fUHnerat, ba# aber in feiner «bemiftben 3ufammen*
fefjung ftatt befl Äalifl Äall unb Patron enthält. Aud) ber
fcabtabor ift ein mefentlidjer ©emeng tfyeil einiget ©ebirgflarten,
unb geidjnet fi<b bur<b einen munberfcbönen garbenfdjillet aufl,
ber grofce Aebnlidjfeit bat mit bem garbenfpiel ber Augen in
ben Gebern befl $fauenfdjmeife8. ©r mürbe guerft im Sa^re
1775 non ben fDtiffionären ber beutftben 33rübergemeinbe auf
ber ®t. sJ)aulflinfel an ber gabraborfüfte entbedt, mo er ftdj in
großen ©tüden alfl ©efdjiebe finbet, mie audj an ber norbameri*
fanifcben Äüfte Bon gabrabor. ©pdter mürbe er aud> in
Cftuftlanb gefunben. Anfangs mürbe er mit bem labraborifirenben
gelbfpatb Berroecbfelt, aber burdj bie Unterteilungen von Älap«
rotb unb ©uftau 5Rofe ift er megen feinet jfalfbaltigfeit alfl
eigentbfimli^efl SJHneral feftgeftellt.
©in bei ben Sitten fefyr bodj gefärbter ©tein ift ber 8a für»
ftein. @t fommt aufcerorbentlicb fetten aud) fr^ftaOiflrt Bor,
unb gmar im tefferalen ©Aftern alfl Sfi^ombenbobefaeber, gemöbn«
lieb aber ift er berb. ©eine garbe ift ein brddjtigefl JDunfelblau,
bafl Bon ibm ben fftamen gafurblau bat. ©eiten ift er gang
tein, gemöbnlitb geigt er b«De glede unb Abetn, unb febr häufig
golbgelbe fünfte, bie, aufl ©djmefelfiefl beftebenb, ibm gmar
ein febr febönefl Anfeben geben, ft(b aber letdftt gerfefien unb
ben fdjönen ©tein bann nerungieren.
3)ie 3abl ber in ibm enthaltenen SBeftanbtbeile ift eine
grofje unb feine ebemifebe 3ofammenfebung febr fomplight
grübet mürbe er allein gur Anfertigung ber ftbönen fWalerfarbe
befl Ultramarin Bermenbet, bie aufl bem feingefcblemmten ftloer
befl Safurfteinfl beftanb. 5Da biefe garbe jefjt Biel billiger fünftlicb
(860)
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bergeftellt wirb, fo ift fowobl bie garbe, al« and) bet gafurfteiu
bebeutenb billiget geworben.
(Sin fdjöner grünet, jefct fe^r beliebtet unb aud) ben 9Ute»
fdjon befannter ©tein ift bet Sötaladjit. @t befielt au«
loblenjaurem Äupferoj^b mit SBaffet. 9118 5Rinetal ift et leine«*
weg« feiten, woljl aber finb ©tücfe, bie gu ©<bmucf »erarbeitet
werben tonnen, nidjt häufig. 3n gro|en SMaffen wirb et im
Ural gefunben, unb eß Ijat ftd) in Utufelanb eine f6rmlt(^e
9)tala<bitinbuftrie entwiclelt. SMe großen ^tadjtflüde au8 9Ka*
ladjit, Sßaien unb Sifdjplatten, befteben nid)t etwa au8 einem
©tücfe biefeS ©teineö, fonbern finb nur mit bünnen ©cbicbten
beffelben belegt, ba et fid) feinet geringen £ätle wegen
(3,5 — 4) in bünne glatten getfägen lä§t, bie bann gang wie
bie goutniere bet beffeten $>olgarten »erwenbet werben. (Sine
befonbere Äunftfertigfeit geigen bie rujftfdjen Jennifer barin,
ba§ fie grofee glasen mit »Wen tleinen SJtalacbitftücfen fo
jauber fournieren, baf) man nid)t im ©tanbe ift, bie gugen gu
etfennen. —
(Sine ähnliche tflnwenbung, wie bet SBRaladjit, bat bet burcb
feine fdjöne rotbe garbe außgegeicbnete SJtanganliefel ober
JRbobonit, beffen 9tame oon bem griedjifcben 28ort qoöov
(rhodon), bie Uiofe, Ijerfcmmt.
(Sr beftefyt au« einet SBerbinbung ber Äiefelfäure mit
SDtangan unb Äalf, unb wo er wie bei Äatbarinenburg in gtöfje*
ten SDiaffen oorfommt, wirb er gu ©tbalen, glatten unb »er*
fd)iebenen Äuftwerfen »erarbeitet. SBerübmt ift bie fcbone gtofje
Söafe au8 SRb°^on^> bie bet Äaifet »on JRufelanb bem cflettei*
<biftben Äaifer fd?enfte unb bie 1873 auf bet SBiener SBelt»
außftellung gerechte« 9lufieben erregte.
£Die ^>ärte be« SRbobonit ift 5—5,5 unb habet läfet er fub
iticbt fo leid)t bearbeiten, wie bet SDtaladjit.
Unter @agat ober 3et »erftebt man im engeren ©inne
(Ml)
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22
eine gut SSraunfohle geljßrige 9>fd»fot)le, feie mit ©Tbljatg
burchbrungen, pechfchwarg, glängenb unb fo wenig fprßbe ift,
bafc fie ftd? fdjneiben , feilen unb brtdjfeln läfjt unb eine fchöne
Politur annimmt. 35a jebod? aud) bie ber Steinfohle angehß=
rige Äännelfo^le, bie ber eben genannten in allen ©igenfchaften
feljt ä^nlid? ift, in ©nglanb gleichfalls gu Schmucffadjen Der.
arbeitet wirb, fo wirb auch biefe im weiteren Sinne mit gu
bem ©agat ober Set geregnet. Such biefer £albcbelftein war
bereite ben Sllten befannt. 35ie aufserorbentlidje fceidjtigfeit,
bie tiefe Schwärge, ber fchßne ©lang empfahlen biefen Stoff
fcbon lange als SEtauerfchmucf, unb im 35epartement be l’Slube
in Sangueboc hat fith feit Saljr^unberten eine fct)r auSgebehnte
Snbuftrie barin entwicfelt, bie aber feit Safyrgetjnten bebeutenb
abgenommen hflt. SetjtereS fönute auffallenb erfd>einen, weil
feit einigen 3ahren wohl fein Stein bei ber 35amenmelt fo be.
liebt ift, als ber Set, unb nicht blof? als Sdjmucf, fonbern auch
als Änöpfe unb Schnallen in grabegu foloffalen Nlaffen Der«
wenbet wirb. 35ie ©rflärung liegt barin, ba§ faft alle biefe
Slrtifel, bie jefjt gu fo billigem greife als Set Derfauft werben,
Nachahmungen finb, theilS auS ©laß, t^eilS auS Hartgummi,
theilS auS noch anberen Stoffen. 35ie auS ©laS beftehenben
Set. Nachahmungen unterfcheiDen fid) Don bem echten Set burch
Diel grofjere Schwere, bie auS Hartgummi baburch, baf) bie
tiefichwarge $arbe beim ©ebraud) nicht fo bauerhaft ift,
fonbern in ein fa^leS ©raufdjwarg ubergeht, freilich finb bie
Schmucffachen auS wirtlicher .ffohle fehr Diel tljeurer, als bie
fpottbilligen Nachahmungen.
911S lebten in bet Neihe ber ^aibebelfteine führe ich nun ben
©ernftein Dor, unb ba berfelbc fowohl in naturwiffen«
fchaftlicher, als auch in fulturgefchichtlichcr ^>infid?t wichtiger unb
angiehenber ift, als irgenb ein anberer, fo fei eS mir erlaubt,
etwaö genauer auf ihn eingugehen.
(MS)
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23
SBcnn man ben Sernftein auch pereingelt an ben per»
fdjiebenften fünften bet (Srbe unb in perfcbiebenen geologifcbe«
©(hinten angetroffen bat, fo ift bodj b^ute noch, wie oor Saßt*
taufenben, bie Äüfte bet Dftfee bie eigentliche ^>eimatb, bet
weitaus etgiebigfte ftunbort befjelbett.
3>ie Oftfee ift gwat ein 33innenmeet, unb bat alö foldjeS
feine @bbe unb ftlutb, fte weitst fowohl in ihrer geograpbif<hen
Slußbebnung als im ©alggebalte ber fRorbfee, auch finb ihre
SBelten weniger b^tb unb fürger al8 auf ben größeren ©teeren,
bennod) beruht e8 auf Unfenntniß biefeß ÜJieereö, wenn eß, wie
häufig, mit einer gewiffen ©eringfcbäßung bebanbelt wirb.
2>er äftbetifche ©inbrucf ber Oftfee ift fogar in mancher
JBegiebung ein befriebigenbeter, alö ber ber meiften anbeten
©teere.
@o macht ftd? g. 33. ein anbereö SDieer gur (Sbbegeit, mit ben •
(Sümpfen unb Tümpeln, bie eö bann umgeben, burchauS nicht
feßön, bie Oftfee erfdjeint immer uferootl, unb wäbrenb fte bei
©onnenfehein unb SÖJinbftitle ungmeifelbaft pon allen norbifdten
©teeren baö lieblichfte ift, wirb auch fie in ftürmifcher 33e»
wegung fo großartig, bah bie SBerfe eines h«mifchen SDic^terd
bfefeö ©teer treffenb fdjilbern:
„herrlich, trenn’« im ©onnenglanje, unermeßlich liegt unb fctjtoeigt,
„Schöner, trenn im trilben Janje SBeH’ auf ©eile fchaumenb fteigt.
©tir war e8 pergönnt, alö Jfnabe wieberbolt bie ©ommet«
ferien am Dftfeeftranbe gugubringen, unb ba wirb mir ber
33ernftein, beffen golbglängenbe ©tücfchen mit immer neuem
Jubel begrüßt würben, wenn wir fie, befonberö häufig nach
ftürmifchen Jagen, gwifeßen ben glatten ©efeßieben unb bem
Seetang am ©tranbe fanben, ftetö eine fonnige 3ugenberinne*
rung bleiben.
(863)
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24
ttnb eine ähnliche Stoße faiett bet Sernftein in bet Äinbheit
bei ßRenfchengefchlechtl, in ben Anfängen bet Gefcbichte.|
3 )a bringen pljönicifdje ÜHänner bal Gleftron, ben
©onnenftein, ben 93ölfern, bie bal Sftittelmeer umwohnen, aul
fabelhafter gerne, oom fönbe bet SBelt all gröfcte Äoftbarfeit;
trab wähtenb fich bie frönen Griechinnen mit iijm fchmücfen,
unb bie SDit^ter biefel begabteften aller 23ölfet oon ihm fabeln,
bafc bie glängenben @ teufe oerfteinerte Spänen foldjer Heroinen
feien, bie non ben Göttern mit tragifchem Gejchicfe ^etmqefuc^t
würben, entbeeften gtiedhifebe ?>h^0l0P^en fa ihm jene 'm ®»eufte
bet SBtenfchheit heute fo gewaltige vljpfifaltic^e Äraft nnb nennen
fte nach i^m bie Gleftrigität. —
SDet erfte, bet ben Sernftein erwähnt, ift «pomer (950 o. Ght.).
— SDtan Z®aT in neuerer Seit bezweifeln wollen, ob .poraer
mit bem SBorte Gleftron ben Sernftein, unb nicht oielmehr eine
SRetafllegiruug aul Golb unb ©Uber (4:1) gemeint höbe;
ich glaube mit Unrecht; — ba§ bie urjprünglicbe SSebeutung bei
SBortel Gleftron ber 23ernftein war, ift unbeftritten, bie zweite
SJebeutung ber ÜJletaßlegirung tritt uni etft bei §>aujanial unb
9)liniu8, alfo faft ein 3ahrtaujenb jpäter entgegen, unb el ift
wohl fetjr wahtjcheinlich , ba§ man etft eine geraume 3eit nach
bem 33efanntwerben bei Serufteinl barauf oerfiel, eine ihn in
ber garbe nachahmcnbe ßJietafllegirung mit bemjelben Stamen
Zu bezeichnen. 2)te Seit aber, in welcher ber ©ernftein ben
Griechen befannt würbe, bürfte gwifchen bie ^Dichtung ber 3Ual
unb bet Dbpffee faßen. 3n ber Dbbffee erwähnt Jpomer ihn
btei mal, in ber 3tial gar nicht, unb biel fpricht ftarf bafür,
bah et ihn noch nicht fannte, all er bie Slial bichtete (bereu
frühere (Sntftehung auch ohnehin aßgemein angenommen wirb),
ba bei feiner Steigung, glängenbe Äoftbarfeiten aulführlich Zu
fchilbern, er ihn wohl fo wenig in ber 3lial übergangen haben
würbe, wie in ber Dbpffee.
(864)
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25
Sa bie gasreichen ©teilen bet 3liaß, in benen alleß auf*
gestylt wirb, waß eß bamalß an töoftbarfeiten gab: fei eß bei
bet ©djilberung beö ©djmudeß bet ©öttinnen, fei eß, ba§ ein
überwunbenet j£>elb bent Uebetwinbet bie ©chäfce aufjäljlt, bie
et erhalten foDe, wenn er bem Ueberwunbenen baß geben jchenft,
ober bei Aufgählung bet Äojtbatf eiten, bie Agamemnon bem
erzürnten Achilleuß alß ©ühne, ober bie $>riamuß bemfelben
alö göjegelb für ben geidjnam feineß ©oljneß £eftot bietet,
ober ber greife, bie StdjiO für bie SBettfämpfe bei beß ^atrolluß
Stobtenfeier außfefjt — alle biefe unb oiele ähnliche ©teilen
beweijen, bah £omet bamalß ©belfteine im Allgemeinen unb
auch ben 23ernftein noch nicht fannte.*)
©eit jpomerß Seit blieb nun ber SBemftein wäf)tenb beß
gangen Alterthumß einer ber fyo<bgejcbä|teften ©belfteine, grie*
chifcbe unb römifd'e SDidjter greifen ihn, unb bejonberß feiert
ihn ber tömijdje SDidjter ©tartial, bet oorgugßweife ben im
SJetnjiein oft eingefdjloffenen Snieften mehrere ^übfdje 6pi«
gTamme njibmet. Alß ©eifpiel biene folgenbeß:
2)ie Söiene im Sernftein.
@anj im ©ernfteintropfen »erborgen erblidfft bu bie SBiene
Deutlich, al« büßte ring« eigener $onig fte ein.
SBürbigen gobn trug ttobl fte baeon für baß geben »oll Arbeit,
©lauben möcfjt icb, baß fo felber fie fterben gewollt!
33on 9lero wirb unß berichtet, bah er einen römifchen
fRitter in bie ,£>eimath beß 33ernfteinß fchidte, um grofje föiaffen
beß foftbaren ©teineß gu holen, bie bei einem ber Diiefenfefte,
bie ber Ä'aifet bem römifchen SBolfe gab, gum ©chmud oets
wanbt würben.
@ß fcheint, bafe bamalß ber ^ernftetn auf oiet biß fünf
»erfdjiebenen SBegen oon ber Sßorbfüfte Deutfchlanbß an bie
Äüfte beß aJtittelmeereß gelangte, nämlich t^eilß »on bet SSeft*
füfte ©chleßwig*^)olfteinß unb ben frieftfehen Sufeln, an benen
(86S)
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26
auch teute noch ©ernftein uorfommt (alfo 9torbfee*©ernftein)
auf bem Seewege butdj Me SJteerenge Bon ©tbrattar (wohl
bet ättefte , Bon ben pönijiern eingefdjlagene 5Beg), ttjeitS Bon
bemfelben ^unborte übet Sanb nach Piafftlia, bem heutigen ÜRat*
feille, unb auf einem fRebenwege übet bie Alpen nach bem Po,,
ferner Bern Samlanbe t^eiCS übet bie ©egenb beS tätigen
Prefjburg nad) bem abriatifdjen SReere, tljeilö ben kregel auf*
warte unb ben IDniepr abwärts nach bem PontuS ©upmuS, bem
heutigen fchmar^en 9Reere.
3ahlreicbe SRün^enfunbe im ©aterlanbe beS ©ernfteiue#
beweifen noch ^eutc ben damaligen regen ^anbef8»erfebt , unb
fo ift ber ©ernftein bet erfte ©ermittlet geworben jwifdjen ber
boten ©ioilifation ber fübeuropätfchen ©ölfer unb ben norblicten
©arbaren an ben Äüften bet Dftfee.
Auch übet baS Söefen beS ©ernfteinS hatten bie alten
fRömet unb ©tiefen fdton fetr richtige Anfichten, inbem fie
itn für ein ©aumhar$ erflärten, unb wenn auch bie meiften
ben ©aum, eon bem er flamme, für bie Schwarzpappel hielten,
fo nimmt doch fdben piiniuS ganj richtig an, bah et in baS
gidjtengefcblecbt gehöre. fRur in einem fünfte irrten fie, in«
bem fte annabmen, bah ber fragliche Saum noch 3U ihrer 3eit
in fernen Sanben wachfe, unb biefer Srrthum ift natürlich, ba
ja bie ©inficht, bah eS frühere ©rbperiofcen mit eigenem Pflanzen*
unb üh^leben gab, Bon bem nichts weiter erhalten blieb, als
waS fich in fpäteren ©rbichichten fonferoirte, erft bie geige oet*
hältnihmähig neuer ©ntbeefungen ift.
31 ber bann folgten anderthalb Sahrtaufenbe, bie nicht nur
feinen gortfebritt in ber ©rfenntnif? ber SRatur im allgemeinen
unb unfereS ©ernfteinS inSbefonbere machten, fonbern biefe, wie
fo manche andere SBahrheit, bie baS Alterthum erfannt hatte,
mit bem Schutte ber Unwiffenbeit unb beS Aberglaubens be»
bedften, unb felbft bie Anfichten ber gelehrten fRaturfotfchev beS
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16. unb 17. SaljrfyunbcTtß geigelt einen foloffalen fRücfjchritt
gegen bie richtige (Srfenntnifs ber Sllten.
@rft im »origen Sabrbunbert bricht ftd? bie richtige änfidjt
non ber foffilen ^arjnatut be8 SernfteinS allmählich SBa^n.
©eitbem bat unfere jfenntniff ber Dlatur beffelben tafd)e $ort*
fdiritte gematzt, unb groat »orgugSroeife burd) bie Arbeiten non
®d)t»eigger 1819, Sodann 6l)tiftian iStjcfe unb Dr. 35e»
renbt in SDangig, bann feit 1845 burd) bie bebeutenben Arbeiten
beö $)rofeffot ©öppert in 33reölau unb enblid) burdj ^rofeffor
3abba<b in jfenigbberg.
©d)on früher bei Gelegenheit be8 ßcf>igramm8 non ÜJiartial
führte ich an, ba§ ber Sbernftein häufig fogenannte @injcblüffe
enthalte, unb bteie (Sinjcblüffe haben «8 beit oben genannten
Slatuvfovfd'ern möglicb gemacht, ein jehr beutlichcß Slilb be8
JBernfteinwalbeß gu geid'iien.
3>et SSernftein floh alß ein mehr ober weniger bünnflüjfigeS
£arg auß ben SBurgeln, ben 3roeigen unb ber JRinbc feines
3?aume8, unb jchlof) Ijänftg Snfeften unb Steile beb SBalbeß,
bie ber 23inb binfübrte, SMiitben unb SBlättchen, auch ©tiide
»on ber JRinbe ober ©amen ein.
S?a8 bünnflüjfige £arg umgab biefelben ooHfommen, er*
härtete, unb erhielt fo biefe garten tbierijehen unb pflanglidjen
Hheile in einer SBcllfi'mmenbeit, bie e8 heute nod) möglid) macht
an SDiinnfcbliffen bie feinfte ©truftur berjelben unter bem 5Ri*
frojfope gu erfennen. fftatürlich fonferoirte er aud? Steige unb
fRinbenftücfe be8 0aume8, au8 bem er gefloffen, unb fo war
e8 benn möglich, ben 33ernfteinbaum felbft feftguftellen, fo wie
auch über bie 33äume unb fPflangen, bie im S3ernfteinwalbe
fonft noch tnuchfen, unb bie Snfefteu, bie ihn belebten, eine
foldje SJienge ton öingelheiten gu ermitteln, baff fid) au8 ben*
felben ein giemlich »ollftänbigeS SMlb jener um ^Millionen 3ahre
entlegenen 3eit herfleQei1 Itch-
(»67)
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@o würbe beim ermittelt, baf) bie ©emfteinbäume gut
Stertiärgelt wachfenbe, mit unfern gidjten nahe Derwanbte (Joniferen
waren, beren einer ©ßppert ben 9iamen ©ernfteinfichte, Pinites
guccmifer, gegeben fyat. Slufcet biefer ©ernfteinfichte gab eß im
©ernfteinwalbe noch gegen 30 Slrten anbeter giften unb Samten,
20 ©ppteffen unb S^ujaarten, Don benen bie eine mit unferm
heutigen iiebenßbaum (Thuja occidentalis) DÖflig übereinftimmt
unb in jenem ©albe am häuftgften gewachfen gu fein fdjeint;
ferner eine ©irfe, eine (Stle, eine .fiainbucbe, groei ©udjen,
fieben (Sichen, brei ©eiben, eine jfaftanie, eine Sltagie unb
einen ^ampljerbaum, fobann aufeet gasreichen Slrten Don tilgen,
gledjten, üebermoofen unb &mbmoofen, eine iStge, ein garren«
traut, unfere ^jeibelbeere, unjete gonicera, eine ©erwanbte
unfereß Äaprifoliumß, unb gahlreidje anbere £ai betrauter unb
©albpflangen, bie gum Shf^ DDn ben heutigen nicht gu unter«
fdjeiDen finb, mit einem ©orte eine ©albflora, wie fie heut*
noch ähnlich im nörblicben Slmerifa gefunben wirb.
greitich untetfdjeibet fidj bie glora beß Sernfteinwalbeß auch
wiebet in Dielen fünften Don ber heutigen glora beß nßrblichen
Slmerifa, fo unter SInberm auch in einem für unß gang wefent*
liehen fünfte: eß wirb bort fein ©aum gefunben, ber ftd) im
^>argreid?thum nur annähernb mit ber ©ernfteinfichte meffen
tonnte.
|>ierin fteht nur ein ©aum bet SetMgeit ber ©ernfteinfichte
nahe, biei n SReujeelanb wachfenbe Dammara australis, Don ber
baß SDammavharg fommt.
SMe 3abl her Shierarten aber, bie biß jefjt im ©ernftein
gefunben unb wiffenfchaftlich beftimmt finb, unb bie fidj gufammen«
fe£t auß gliegen, Slmeifen, Käfern, «Schmetterlingen, Spinnen,
Saufenbfüfjen unb (Sruftaceen, beläuft fteh bereitß auf über
taufenb Sitten unb wirb jebenfaltß noch bebeutenb oermehrt
werben.
(M8)
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29
©el}en wir nun ju ben tfagerungSoerhältniffen über, in
benen bet 8ernftein heute im ©amlanbe gefwtben wirb.
@t fommt bort junächft in ben Sraunfe^len füljrenben
Schichten not, aber hoch nur fpärlich unb nefterweife, fo ba§
feine Ausbeutung in biefen Schichten nicht lohnenb ift; bie
eigentliche 8 ernfteinfdjidbt ift bie fogeng, nute „blaue
6tbe", welche unter ben 8raunfohlen führenben Schichten in
einer SRächtigfeit oon 4—20 gu§ liegt unb auS einem grün*
lieh grau gefärbten Königen ©anbe mit häufigen filberglänjen«
ben weifcen ©chüppchenbefteht. SBenn biefe ganj djarafteriftifdje
Schicht bet „blauen @rbe* bei 8 o^roerfu^en gefunben wirb,
fo ift man ftdjet, im eigentlichen SReidje beS 8ernfteinS $u fein,
fie ift überall, wo man fte noch auffanb, fo reich, bafc jebet
Äubiffufc berfelben Vtr — ^ ?)funb beS werthoollen ©teineS enthält.
Soeben faßte ich, bafc Die Barbe bet blauen @rbe grünlich
grau fei, unb in bet $£hat wirb niemanb, bet bie groben ber»
felben in einet ©ammlung fte^t, begreifen, wie fie ju bem Sßamen
bet blauen 6rbe fommt.
Unb bennoch ftebt fte an Ort unb ©teile, wo ich ft* im
Sahte 1860 in bet 8entfteingräberei ©affau im ©amlanbe fah,
blau auS.
m ift bieS ein optifcheS Phänomen, baS ich nicht «tflären
fann, unb baS tjödjft übertafchenb ift.
8ieHeidjt liegt eS in bem ©egenfafce ber gelblich weiten
©anbfchichten, bie batüber liegen, oieHeidjt fpielt ber JRefler
»on Fimmel unb 9Reer eine fRofle babei.
Jhatfache ift eS, bafj ich i« wieberholten SRalen groben
auS ber auch auf- mich ben ©inbtucf einer bläulichen ©deicht
machenden drbe nahm, unb fie auS ber Schachtel wiebet fort»
fchüttete, weil ich, fobalb ich ft* in berfelben hatte, immer wie»
bet glaubte, jufäHig eine ©teile bet Schicht getroffen gu haben,
bie bie charafteriftifche Barbe nicht geigte, bis mir bie Slhatfache
(86»)
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30
feftftanb, baß bie „blaue 6rbe," nur wo fie als mäeßtige Scßicßt
anfteßt, bläulich erfeßeint, in groben aber grünlichgrau auSfießt.
SDiefe „blaue Gfrbe" nun liegt im H13B. beel Samlanbeö faft
überall ungefähr 100 $uß unter bet ©rboberfläcßc unb wirb
tßeilö bureß Stagebau, tßeilö, wie jeßt in ^)almnic!en, bergmännifeß
auggebeutet.
2Bo bie ©ernfteingräberei im Stageban betrieben nrirb, wie
früher 3. ©. in Saffau, ba werben bie oberen Scßicßtcn ber
fteilen, faft fenfreeßt gum Hlleete abfaCfenben 100 big 150 ftuß
bo^en SDünen abgegraben, big bie Schießt ber blauen @tbe
»oUftänbig entblößt ift. SDiefe wirb bann in regelmäßigen fleinen
Serraffen oon 8 Boß ^>ötje bureß eine Hleiße langfam rürfwärta
feßreitenber Hlrbeiter mit fleinen hölzernen Spaten 3otl für 3ett
abgeftoeßen; wäßrenb bie oor ißnen fteßenben Stuffeßer bie auf biefe
SBeife an’8 Sicßt fommenben ©ernfteinftüefe in Säcfen fammeltt
SDie Scßwierigfeit biefer HJletßobe liegt im anbringenben
SBaffer, welcßef*, ba bie blaue Schießt faft immer tiefer liegt,
alö ber Seefpiegel, oft bureß bie 9>ump* unb ©cßöpfoorricß*
tungen nießt entfernt werben fonnte. SDennocß würbe bet Stage*
bau früher beoorjugt, weil man nicht perftanb, bie 3lu8$imme*
rung fo eingurießten , baß ber locfere feine ©anb buteß biefelbc
abgeßalten würbe. SDieg ift jeßt gelungen, unb baö ©ernftein*
bergwetf ju §)almnicfen liefert ganj enorme (Erträge. @8 wirb
ßier bie ganje HJlaffe ber blauen Gerbe ju Stage geförbert unb
bie gewaltige Hßaffermaffe, welcße bureß SDampfmafcbinen au8
bet StSiefe geßoben wirb, gleich baju oerwenbet, bie blaue @rbe
bureß ein Sßftcm oon 6 Hießen gu fcßlemmen, oon benen jebeS
folgenbe engere HJlafeßen ßat, al8 ba8 ootßetgeßenbe.
3lm Scßluße ber sptocebur ift bie gefammte Gerbmaffe bureß
bie Hieße gewajeßen, wäßrenb bie barin enthaltenen ©ernftein»
ftücfe gleich in 6 oetjeßiebenen ©roßen fortirt in ben einzelnen
Hießen liegen.
(870)
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9tatiirltd) erftrecft fir bie 5Bernfleinfd)id}t aud) weit unter
bem WeereSboben fort, wirb ^ier leicht burd? bie ftürmifc^cn
Segen aufgewühlt unb baher ber ©ernftein, bet nur wenig
fdjwerev ift, al§ ba8 ÜJicerwaffet, oon ben Sellen an ben Stranb
geworfen
früher begnügte man fidj, ihn bem ÜJiceve bmr Sröpfen
mit Käfremefien ab^ugewinnen, jefjt gefc^ieht bieg theil8 bunt)
©aggermafdjinen, wie in ©cbwarjort, theilg burd) Maurerarbeit,
wie in ''Palmnicfen.
SDie auf biefe Seife gewonnenen ©ernfteinmaffen finb ganj
ungeheuer, im 3af)re 1876 allein in ber $>ro»ing $>reuhen
2700 Gtr. unb bennod ) ift bei ber fron jefct feftgefteüten enot*
men ^läd?enau8behnung ber blauen (Jrbe nicht ju befürchten,
bah in abfehbarer Beit ber Cfrtrag beg ©ernjteing fich oermin*
bem wirb. Ulun enthalt jwar bie blaue @rbe neben ihrem
©ernftein aur |>oljrefte, aber boch nur in fo geringer Wenge,
bafe man unmitlfürlid) bie «tage aufwivft: So ift ber ©ern»
fteinwalb geblieben, wo finb bie mächtigen Stämme h*nge»
fommen, bie biefe ungeheure Wenge oon .£>atj lieferten, wo
finben fid) wenigftenS bie mächtigen foffilen Kohlenlager, bie
fich boeb wenige gufi über ber blauen (Srbe in ben Sraunfohlen«
chichten erhalten haben?
@8 ift bieg nor eine bet ungelöften tRäthfelfragen, bie ber
©ernftein bem forfrenben Wenfrengeifte feit nunmehr 3000 ^
3ahren aufgiebt, unb bie in ber oerfriebenfteu Seife, aber big»
her nirt genügenb beantwortet worben ift. SDie 6inen nehmen
an, ber ©ernftein fei an ber Stelle, an ber er entftanb, liegen
geblieben, bie Stämme beö ©ernfteinwalbeg aber feien bunh
Weereefluthen fortgefr»emmt. Slnbere wollen umgefehrt eg für
wahrfreinlir halten, bah ber ©ernftein gar nirt an feinem
feigen guttborte entftanben, fonbern burr bie gluthen anges '
frwemmt fei. 3r fann beibe 3nfirten nirt für wahvfr^nlir
(871)
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galten, unb wenn ich mir erlauben barf, bie meinige au8gu»
fpredjen, fo ift e8 folgenbe.
Vefanntlich hot ber ©auerftoff ber ^tmofp^äre eine fehr
! ftarfe Verwanbtfchaft gu bem ^o^Ienftoff be8 .fjolgeS, eine $th«t»
fache, bie wir täglich beim Verbrennen beleihen fehen, ba ja
I biefer Verbrennung8proge§ nur bann befielt, baff fid^ auf leb»
hafte SBeife unb unter geitererf^einung ber ©auerjtoff bet ätmo*
1 fp^äre mit bem Kohlenftoffe be8 .fjolgee gu Kohlenfäure uet*
binbet. Kann nun ber atmofphärifche ©auerftoff in genügenbet
SJtenge an ben Kohlenftoff hetantreten, »je bei einem im freien
angegünbeten ?euer, fo erfolgt eine »otlftänbige Verbrennung,
welche bie Seftanbtljeile be8 jpolgeS fammt unb fonberS in ga8*
1 förmiger ©eftalt in bie SJtmofphäre überführt, unb nur bie
i Ijöc&ft unbebeutenbe Slfcbe gurücfläfet; wirb bem ©auerftoffe abet
bet 3utritt im gaufe be8 Verbtennung8proge§e8 abgefperrt, wie
bei ben Kohlenmeilern, fo bleibt ein ftarfer Südftanb non
Kohlenftoff, bie Kohle, gurütf, ein ^rogeji, ben wir unnoll*
fommene Verbrennung ober Verfolgung nennen. Veibe f)ro»
3effe nun, bie »ollfommene wie bie unnoDfommene Verbrennung
1
' finben auch bei bem .fjolge ftatt, weites unter bet Oberfläche
ber ©rbe liegt, nur ba§ fte hier oiel langfamer unb ohne $euer»
erfcheinung uor ftdj gehen, e8 »olljieht fich h*er ber 9>roge§ ftatt
in ©tunben in Saljrgehnten unb 3ahthunberten. 2)en Veweifl
für biefe Vorgänge liefern un8 oiele Kirchhöfe, in benen man
oft fchon nach wenig 3ahrgehntett bei angeftellten Vathgrabungen
feine ©pur bet hölgernen ©arge mehr wieberftnbet, wie bie«
3. V. auf bem S£rinitati8firchhof 3U SDreSben bet Wall ift.
SBerben nun SBälber burch ©anbfchichten überbecft, fo »cd*
3ieht fich biefer Iangfame VerbtennungSprojef? fo lange, bi«
etwa barauf folgenbe ©chichten, bie ben Bntritt be8 ©auerftoffS
hemmen, ihn unterbrechen.
©8 fcheint mir ungweifelhaft gu fein, bafj bie PoQftänbige
C87»)
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33
unterirbifche Verbrennung bie Kegel, unb bie unuoUftänbige
(bie Verfehlung) bie Sluönahme ift, benn fonft müßten mit bie!
Kefte ber foloffalen Vlalbungen, bie ja p jeber 3eü in ben
leßten ©rbperioben bie (Srboberfläcße bebedten, überall in unge*
heuten Kohlenlagern finben, währenb biefelben bod), »erglichen
mit ben SSalbmaffen, welche nur feit lOOOOO 3ah«n entftanben,
jehr unbebeutenb finb. Huch ift eß mehr »ie wahrfcheinlicß,
baß biefet langfame ^ro^eß baö ^>arj ber Vernfteinfichte all* /
mählich fo weit umänberte, bah eö baburch erft p Vernftein
würbe, baö Reifet, biejenigen chemifchen unb ^pftfalijc^en ©gen*
jehaften erhielt, bie ben Vernftein non bem heutigen Vaumhatj
unterfcheiben.
1 \
£>er Vernfteinwalb ftanb alfo bort, wo fich heute noch ber .
Vernftein finbet . in ber blauen @tbe unb füllte fte im Üaufe \
ber Sahrtaufenbe Schicht für Schicht mit Vernftein; er würbe
mit Sanbfchichten überbeeft, fei eö weil ber Voben fich fenfte, j
ober weil ber Seefßiegel ftieg, baö <£>olj oerbanb fich mit bem <
Sauerftoff ber ^uft unb oerflüchtigte fich, unb nur bie spärlichen
Kefte, bie burdj bie Umhüllung beö Vernfteinö gejehüßt waren,
finb unferer 3eit erhalten werben.
Vier bie gleichmäßige (Srfülluttg ber blauen @rbe mit Vern*
ftein fieht unb bie mele Dnabratmcilcn große Sluöbehnung ber*
felben in’ß iäuge faßt, ber fann wohl nicht barait gweifeln, baß /
ber Vernftein h«er auf feineT urftminglichcn gagerftätte liegt unb
nicht bloß pfällig h'ueingefpült würbe, baß aber bie Stämme .
eon ÜJleereöfluthen fortgefpült würben, erjdjeint nicht glaublich, I
weil biefelben ftlutßen woßl auch ben Vernftein felbft mitge*
nommen haben würben.
SDie auö bem Vleere ftammenben Verfeinerungen aber, bte
fich nicht grabe häufig in ber blauen @rbe finben, fonnten feßr
woßl butch Sturmfluthen, welche bann unb wann Seeeinbrüche
unb Ueberfchwemmungen in ben an ber Küfte waeßfenben Vern»
fteinwälbern cerurfadfen, in biefelbe gelangen, unb beweifen
UV. 314. 3 (873)
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34
baher nichts gegen unfere Annahme. 3n bie über ber Sern*
ftetnfdjidjt lagernben jüngeren tertiär* unb ©ilumaljdjidjten, in
benen fid? ber Sernftein unregelmäßig, nefterroeife finbet, in
biefe Schichten ift er aud ber blauen (ärbe hineingefpült, gerabe
jo, wie man ihn in ben Sanbjchichten, bie burch bie £hätigfeit
bed SDieereß jeßt gebilbet werben, gleichfalls nad) 3al)rtaujenben
nefterweife fiuben würbe, wenn il)n nicht bie SDienfchen jo jorg.
faltig auffammelten.
$Die oerhältnifimäßig fpätlichen Sernfteinfunbe in alteren
Schichten bagegen, g. S. im ©ppd gu Seegeberg ober in einem
bet jfreibe gugerechneten Sanbftein bei Hemberg in ©aligien
beweijen, baß ber Sernfteinbaum in biejen früheren gormattoneu
fdjon feine Vorläufer gehabt l)at.;
35er beutjche lltame Sernftein fommt »on bem plattbeutjdjen
SBorte börnen, h0(hbeutfch brennen, Reifet alfo fooiel wie
Srennftein, weil er befanntlich, an eine glamme gehalten, fich
entgünbet unb angenehm riechenbe 35ämpfe entwicfelt, wedhalb
bie werthlofen fleinen Stüde unb Abfälle oielfath gum Tauchern
gebraucht werben, foweit fte nicht gur ©eroinnung ber werth*
»ollen Sernfteinfäure ober beß fe^r gefehlten Sernfteinladed
bienen.
25ie großen Stüde liefern bad SDtaterial gu ben }d)önen
Schmudfacßen, bie heute noch wie oor 3000 3ahren wegen ihrer
leuchtenden garbe unb ihre« fd)önen ©langed jo hoch im SBerthc
gehalten werben.
35ie Searbeitung bed Sernfteind ift eine oerhältnißmäßig
leichte, ba bie $ätte beffelben nur 2 biß 2,5 ift, et fich aljo
leicht burch 93ieffer, Säge unb geile bearbeiten unb mit treibe
politen läßt.
Seine garbe ijt fehr Derfd)ieben unb geht Dom unburch*
ftdjtigen &reibeweiß burch alle ©rabe ber 35urchfichtigfeit unb
alle Stufen oon gelb unb braunroth.
35ie 5)lobe h<*t gu oerfchiebenen Seiten beim Sernftein fehr
(874)
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35
gewechfelt, beim währenb bie iHömer bie braunroten ©tüde,
bie fie nach ber garbe Hjreö feurigen SBeinb Falerner nannten,
für bie werthoollften gelten, werben l)eute bie wenig burd)*
fufetigen weingelben fogenanntcn fumftfarbigen (Äumft wirb
in ber SDangiget ©egenb ber 2öei§foljl genannt) am Ijödjften
begahlt. Ueberhaupt ift ber SBerth beb Sernftcinb feit bem
SUtertijume fe^r h*runl*T8e0an8*nf unb wenn er bamalb bem
©elbe gleich gehalten würbe, fo muffen eb tjeute fdjon fetjr
fdjöne ©tüde fein, wenn fie ben SBerth beb ©ilberb erreichen
feilen (15 ©ramm 1 üfyalet).
freilich wirb eine Slrt Sernftein auch heute noch fe tjocij
begahlt wie bab ©olb unb noch i)öl)et, bab ift ber auf ber
3nfel ©icilien gefunbene Sernftein. JDerfelbe geiebnet fid) burdj
eerf^iebene garbeneigenthümlicbfeiten eor bem norßifcben Sern*
ftein aub, inbem ficb unter feinen ©tütfen fo leudjtenb hpacinth«
rothe finben, wie fenft nirgenbb, aufjerbem aber haben »iele
©tüde bie merfwürbige ©igenfehaft ber gluorebceng, b. h-
fie geigen bei auffadenbem üfcageblidjt eine gang anbere garbe
alb bei burchfaUenbem. ©o erfdjeinen rötliche ©tüde bei auf*
fallenbem Sageblichte mit grünem unb weingelbe mit bläulichem
©dummer. — 3ft bie 3ahl ber Drte auf ©icilien, wo fid)
biefer aubgegeidjnete Sernftein finbet, auch greff, io ift er bod)
überall fo feiten, bafj ftd? baraub fein h*>her ?)reib hinlänglich
etflärt; fo finbet er fich bei 5Jlibtretta, fRicolofia, ^)etra*
lia, ©aftrogiooanni unb gang befonberb bei ßatania, bei
legterem Drte in ben Slnfpülungen beb gluffeb ©imeto. Sludi
bei ben anberen genannten Drtcn finbet er fich iw SHIuoium,
offenbar aber auf fecunbäret üagerftätte, inbem er hö<hft wahr*
fcheinlid? aub feiner urfprüitglicben ifagerftätte, ben auf ©icilien
fehr oerbreiteteii Äalfen unb fDlergeln ber Sertiärgeit h«au8
gefpült würbe.
©b fcheint, ba& bie Sitten ben ficilianifchen Sernftein nicht
fannten, wenigftenb erwähnt feiner ihrer ©chriftftefler, baf; auf
3* f87S
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36
biefer 3fnfcl ein Stein gefunbeu würbe, ben man für biefe©era;
iteinart galten föunte; bie erften fidjcrn unb guoerläffige*
fßachrichten über ihn Ijaben wir erft in neuerer 3«t.
@in orangefarbiger ©ernftein finbet fidj, aber auch
feiten, bei Bologna, unb in Rumänien fommt ber fogenannte
fdjwatge ©ernftein bor, oon bem ich eine fehr fdjöne 2lu8=
Wahl i 3. 1873 auf ber SBiener SBeltauöfteüung falj. &tofc
feiner bunfeln, bem Kolophonium ähnlichen garbe, geigt auch er
bie eigentümliche IDurdjfichtigfeit unfetö ©ernfteins.
©ei ber ©erarbeitung gu ©chmucf macht unfer norbifcher
©ernfteiu bie fünfte SBitfung, wenn oerfchiebenfarbige Stücfe
gwecfmä&ig gufammengefteUt werben, fo baf) eine gatbe bie
anbere ^ebt, g. ©. mattgelber unb hpacinthrother, unb in biefer
$infi<ht würben fich noch biel fetjönere ffiitfungen ergielen taffen,
wenn man ihn auch mit anbern Stoffen, wie (Slfcnbein, 3et
ober @benholg paffenb oerbänbe.
Anmerkungen.
1) ©. $eft 277 biefer Sammlung: 2)ie Sbdfteine. S. 21 u. ff
2) «Die einigen 2 (gleicblautcnben) Stellen, bie Bon (Einigen als
©emeig angeführt »erben, tag ferner auch anbere (Sbelfteine al« ben
©ernftein tannte, beweifeu m. (£. eher baS ©egentheil. (Sr flieht einem
foftbaren Ohrgehänge fowohl in ber 3liaS wie in ber Obpffce
bie ©eiroorte; rply’kyvct /mopoevra, (trigleua, moroenta). 2)aS
le^te SSort fann, weil eS nirgenbS weiter norfommt, nicht gut
enträthfelt werben, eS bürfte bähet wohl baS ©erat ben ftefetn,
mit tpaffow ber alten SErabition gu folgen unb eS mit , funft.
B oll" gu überfein; triglena aber heigt „breifad) glängenb"
unb bie $9pothefe bürfte fehr nahe liegen, bieS einfach auf bie uns burep
griechifche 'Dtüngen überlieferte fehr alte §orm ber Ohrgehänge gu be-
gehen, bie eine breieefige glatte mit brei Ohrgtocfen barftellt.
(87«)
Htuif oen CSebe. Hnger (11). (Brlmui) in Berlin, ed)onrb<rg«rjtr. 17 a
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J.j.'f *1 WU* 1 » 1»*T
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Graphische Darstellung einer Vitalitätstabelle
lieber
iUöljr|'d)emltfl)kcit5rcd)nun0.
Bortrag, gehalten im 2efe» Bereit! gu Jatnowi^
am 17. gebruar 1879
Don
Dr. ß. (Geifert l)einter,
93etgfd)ul-2)irector in Sarnoroifc.
®lit einer littjograptjirten 2afet:
@rapftffd)c ®arftcUu»fl einer ÜHtalitätetabeQe.
£ erlitt SW. 1879.
B erlag »ort 6a tl £abel.
(t. tf. t'stmt)'id)i Hrrtagsbaitibanillnag.^
31. 33.
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35aö SKed)t bcr Ueberfefcuitg in frernbe ©pradjeu bleibt oorbeljalten.
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„iUCan biete bem ©lücfe bie Hanb!“ lauten bie ftdj oft
wieberbolenfcen fcocfungen gur Beteiligung an Lotterien unb
anbeten ©lücffpielen, unb üaufenbe laffen fid} burdj berartige
Slufforberungen »erleben, bie ©elegeneit 3um SBagnifi gu be*
nufcen, ohne baff fie fid) genügenb flat mailen, ob bie SluSfichten
eines ©ewinneS unb ber ©enuf; bet mit bem (Spiel »etbunbenen
Aufregung ben ©infaf* lo^nt. Sebet hofft, baff ihm bie ©lücfS«
gßttiu günftig fein werbe, SlUeS harrt mit banger (Erwartung
ihrer ©penben, um bann in ben überwiegenb meiften gäüen in
ben Hoffnungen getäujcht gu »erben.
©8 ift wahr, ohne SStohl» ohne 33iHigfeit »erteilt ber
glMice 3ufaQ feine ©aben; aber fodte betfelbe jeber Kegel
fpotten unb eS nicht möglich fein, »enigftenS einen ©djluf) über
baS 2lngemeffene beS ©infames in einem befannten ©piele gu
gewinnen?
Um biefe gtage gu beantworten unb um überhaupt be-
ftimmte iänhaltßpunfte für bie Beurteilung bet bei ©Iücf fpielen
auftretenben 9Jloglid)f eiten gu gewinnen, wollen wir »on ber
Betrachtung eines fee einfachen unb in gang ©eutfdjlanb be=
fannteu SottofpielS auSgehen. 3n »ielen STBirtljS^äufcrn finb bic
XIV. SS5. 1* (819)
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4
mit Sübfrüdjten, ©onfect unb begleichen banbelnben ^auftrer
eine befannte @rf Meinung. *^3>ief eiben fudjen gumeift ihre SBaare
nicht burcb bireften SBerfauf, fonbern burcb ein ©lücffpiel in bie
$anbe ber ©äfte gu bringen. 2)et £aufirer brauet gu ,bem»
felben 90 8ottofteine mit ben laufenben SRummern oon 1 bis 90,
»eiche, nach ber 9Jrt beö oerabrebeten Spiels, blinblingS oom
Spielet gegogen »erben. SDaS einfac^fte «Spiel ift „gerab ober
ungerab", welches wohl allgemein atS eine ©rinnetung ber
Sd)ulgeit befanut ift. 3)er Spieler entfdjeibet fid) not bem
Sieben etwa für „gerab". Stimmt bie gegogene 9lummer bi«*
mit überein, ift biefe alfo eine gerabe 3«bi, |o ba* et gewonnen,
im entgegengefefcten gatte oerloren. Unter ben 90 Hummern
ftnb eben fo oiele gerabe, »ie ungerabe 3«^en, babet bie 9tu8»
fisten auf ©ewinn unb ©erluft einanber gleich- SBurbe alfo
um einen ©rofdjen gezielt, fo hätte .^änbier bem gewinnen»
ben Spieler SBaare im SBert^e oon einem ©rofdjen gu über»
geben. 5)a er aber ben ©elbeiufafc beS Spielers in allen gäHen
eingie^t, bat er fowo^I für biefen, wie [für ben ©ewinn, alfo
im ©angen für gwei ©rofchen bem glüdlicben ©ewinuet SBaate
auSgubänbigen.
©twaS oerwicfelter ift ein gweiteS, oon |>aufirern oielfad)
geübtes Spiel, ©ei biefem werben auS ben oorbanbenen 90 Sfotm*
mern brei blinblingS gegogen; ift bie Summe ber gegogenen
brei üftummern fleiner als 100, fo ba* bet Spieler gewonnen,
ift fte gleich ober gröber als 100, oerloren. ©ine nicht gang
einfache Rechnung, bie b*« natürlich, wie jebe matbematifche
©ntwicflung, übergangen wirb, geigt, bah man bie 3ab*en Bon
1 bis 90 genau 24 952 mal gu je breien fo gufammenftellen
fann, bah bie Summe ber combinirten Hummern fleiner als
100 ift. 9tun laffen ftd) 90 Hummern überhaupt 117 480mal
gu je breien gufammenfaffen, unb [baber giebt eS 117 480 weniger
(880)
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5
24 952, ober 92 528 (Kombinationen, für welche bie ©unime bet
brei jebeSmal jufammengeftellten Hummern gleich oberfgtöfcet
als 100 ift. -n (Soll nun ba8 gefdjilberte Hajarbfpiel als reell
gelten, mufj ber ©eminn großer al8 ber (Kinfafc fein, unb jmat
tnufe ficb oer^alten:]
©eminn ju ©infafc, mie 92 528 : 24 952. 25a8 33er^dltni§
bet lebten ßafelen ift faft genau 3^:1, ober angenäbert 3|:1.
•Demnach mu§ bet ©eminn 3J mal fo b°<h wie ber @infa$
fein, ober, ba bet Jpaufiret auch hier ben ©elbeinfafc be8 ©pieletS,
gewöhnlich 25 Pfennige, ftet8 einjiebt, e8 muf ber ©ewinnet
für ben ©infajj unb ben ©eminn, alfo im ©anjen für ba8 4|fadje
be8 ©infames Söaare erbalten. ©emöbnlich giebt bet Haufttcr
bem ©pieler fogar angeblich ba8 ^fünffache an 2Baare. 2)a8
gefdbilberte ©piel erfebeint b*etna^ al$ ein burd)au8 reelles,
beffen 23eranftalter fogar, wenn er nicht auf feinen SSerbienft
an ber auSgetbeilten 2Baare rechnen fönnte, mit ©ebaben at«
beiten mürbe. 2lu8 ber geführten Ueberlegung ergiebt fid) aber
auch, mie unmabrfcbeinlicb e8 ift, bei biefem ©piele auf ben
erften 3«8 3« geroinnen, unb follte ftcb baber bie bei OJiancbem
fo beliebte ©rjäblung oom „glücflicben erften 3wg" b“up8CT
mieberbolen, fo barf im JDurdjfcbnitt als ftebet angenommen
merben, bafj bei fünffacher SBieberbolung jener glücfliche 3ufaH
nur einmal eingetroffen fei unb fich Biermal mobl im SBunfcbe
be8 ©ptelerS, nicht aber im 33ef<bluffe be8 tüctifchen ©efehiefd
gefunben habe. —
3n Borftebenber ^Betrachtung über bie Hoffnungen, meldbe
ein 3ug bei ben gefchilberten Bottofpielen bietet, finb bereits bie
©runblagen einer SBetrachtungSmeife Bermertbet, melche bei 33e*
urtbetlung aller SL^atfadben ihre 33ermenbung finbet, bie febeinbat
gar feinen ©efefcen gehorchen, beren SBefen alfo burch bie Boü*
ftänbige 'SBiUfüt bebingt, nur oom 3ufaH abhängig gu feiu
(8*1)
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fdjeint; ober bereit ©efefce un8 bodj gut Beit nod) gu unbefannt
finb, um baö SBefen ber ©rfdjeinung, wenn aud) nur angenähert,
butd) bie gorm einet mathematischen ^bljängigfeit augbrücfen gu
fßnnen. 3ur erften 2trt bet ©rfcheinungen, bereu $)tincip alfo
ber 3ufaH, bte abfolute Unregelmäf)ig?eit, au8mad)t, gehören
alle reinen £agatbfpiele, unb bie bei biefen oorfommenben
Sfößglichfeiten waren eö auch, welche ben erften Slnftojg gu ber
matljematifchen Se^anblung betfelben gaben. SDiefe Unteriuchung
ber bei gufaüigen ©reigniffen benfbaren fDtßglichfeiten h°t ft<^
in überrafdjenb furget 3eit gu ber für baö 5Berfi<herung$wefen,
bie @tatiftif mtb bie SRaturwiffenfcbaft fo wichtigen unb nod)
immer an SBebeutung gunehmenben Safyrfdjeinlidjfeitflredjuung
entwidfelt. 9tur biefe Sßa^rf^einlicbfeilSrec^nung ijat bie SBtlbung
unb ©rljaltung non ©efellfchaften gur Hebend unb geuet*5Ber»
fidjerung möglich gemalt; fie bilbet bie ©tunblage für eine
nupringenbe SSnwenbung ber Statiftif, unb ihr allein »erbanfen
wir rtidjt nur bie fo weit getriebene ©enauigfeit bei unferen
pnfüalifd^en, befonbetS bei aftronomifchen SJteffungen, fonbern
fie ijat auch im lejgten 3al)rgehnt ein ÜJiittel geboten, um in
geheime unb oerwicfelte ©rfcheinungen ber Äörperwelt eingubringen.
©elbft ohne mathematifche Jfemttniffe, welche aflerbingS bie
weitere Stuöbilbung biefet SBtffenfcbaft in fep bebeutenbem
ÜJtafje in Slnfprud) nimmt, gewähren' bie einfachen unb 3ebem
faßlichen ©runbleljren betfelben einen @<hlüffel gum Sßerftänbnift
vieler beachtenswerten Vorgänge im praftifdjen unb wiffen»
fdjaftlichen Heben.
3)a8 SOerbienft, ben erften Sfoftofc gut 9lu«bilbung bet
SBahrfcheinlichfeitörechnung gegeben gu haben, gebührt bem §ran*
gofen 33 la if e ^afical, jenem berühmten Hiteraten be8 fiebgepten
3appnbert8, beffen S3erbienfte bie Jpologie, bie ?>pfif unD
aRatpmatif bereicherten. 35ie theologifche Hiteratur »erbanft
(882)
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iljm ble 9>ro»ingial*Brtefe gegen bie 3efuitenr ein föteifterwert
frangöfifchet fProfa, welkes mit ben befannten, 120 Saljre f^äter
erftheinenben ©treitf Triften geffing’S gegen2@öfce nicht nur
oielfadh im 3nijalt, fonbern auch in ber Borgüglichfeit ber gönn
u'nb bet fatprifcpen Schärfe bet ^olemil übeteinftimmt. 3n bet
^nfi! lehrte er baS Barometer gu #öhenmeffungen unb meteoro»
Iogifdjen Beobachtungen benu^en. SBeitauS am bebeutenbften
finb aber feine Gcntwicflungen in bet SRathematif, unb bet oon
ihm laufgeftellte unb nach bem gotfcher benannte $)a8cal’fche
Üehrfat} befifjt für bie neuere ©eometrie gleite Söichtigteit, wie
fie für bie älteren Streite beS mathematifchen SEBiffenS bet pptha«
goräifdje Befjtfafc beanfprudjt. SDiefet geiftige $eroS geriet^ im
Sommer 1654, als et eben 30 3ahre 3äljlte, in bie £änbe
eines fübenteuererS, beS <$^et>alter’8 be 9Jt4r4, weither fich als
Spielet einen berüchtigten tarnen gefthaffen hatte, 25ie golgen
biefeS BerfehrS mochten für fPaScal Beranlaffung bieten, übet
bie »etfthiebenen fDtöglidbfeiten im SMrfelfpiet nadjgubenfen.
Pascal theilte bie hierüber geführten Unterfuchungen feinem be=
rühmten ©oHegen germat mit. SDiefer, bei feinen Seitgenoffen
hauptfächlich als SDidjter unb $>arlamentSrebner befannt, behauptet
in ber ©efdjichte ber ÜERathematif ebenfalls einen ehrenooHen
9>lat}; unb wie ber ^aScal’fdje @afj für geometrifthe Unter*
fudfungen, bilben bie germat’fthen Säfce für gahlentheoretifche
ßntwicflungen eine ©runblage.
3n biefem, gwifchen germat unb Pascal geführten Brief*
wethfel würben bereits, mit »ollem Beroufctfein non ber Bebeutung
beS ber ^Rechnung unterworfenen ©ebiets, fompltcirte Aufgaben
ber SEßahrftheinlithfeitSrechnung gelöft. SBir erfahren, ba§ bie
äußere Beranlaffung, welthe $>a Seal gut fDtittheilung an germat
trieb, ein Streit beS erftern mit feinem ©enoffen be 5Röt4 war.
Beibe würben oon einem nicht »oDenbeten Spiele abberufen,
(W3)
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8
unb ba bie Sluöftd^ten, baS ©piel ficgreid^ gu beenben, »et«
fdjieben waren, erhob ftd) bie Stage, wie bet ©infafc gu l^eilen
fei. Dem ß^enalier wollte baS richtige, »on $)a8cal Ijetgeleitete
Slefultat nicht einleucbten, unb $)adcal berietet hierüber 1654
an Setmat: „3dj ^abe feine 3eit, Sfynen bie Böfung einer
©djwierigfeit gu überfenben, über welche Vetr be ©4t 4 febt
erftaunt war; benn et ift ein geiftreicher ©ann, aber fein ©athe*
matifer. Daß ift, wie @te wiffen, ein grojjet Seglet". Unb
als Setmat fpüter Böfungcn mittheilte, welche fPaScal bereits
gefunben ^atte, fcbtieb biefer : „3$ Zweifle jefct nicht mehr, baf
ich auf richtigem SBege bin, nacbbem id) mich in fo metfwütbiger
Uebereinftimmung mit 3h«en beftube. 3$ fehe wohl, bie SBafyr»
beit ift biefelbe iu Douloufe wie in fPariS".
Der gwifdjen $)a8cal unb Settnat geführte Sriefwechfel
würbe erft 1679 veröffentlicht. Doch war bereits lange norhet
Äunbe über bie non ihnen geführten Unterfudjungen gu §a<h=
genoffen gebrungen, unb h*«bur<h .angeregt, veröffentlichte bet
befonberS als f}>hbfifet berühmte ^ollanbet ©hriftian VutjghenS ,
bem wir bie ^enbeluht unb bie verbefferte ©inrtchtung bet
2aj^enuhren oerbanfen, im 3ahre 1657 eine ^h^crie ber SBürfel*
fpiele. 3n biefer Arbeit würben gum erften ©ale bie Vau})t*
fäfce ber SBahrfcheinlicbfeitSrechnung in elementarer SBeife ent*
wicfelt. 3h*n folgte 1666 ber befannte ^bÜofobh Sarud) ©pinoga.
©ine non eiuem Sreunbe geftellte Aufgabe bot ihm Gelegenheit,
bie ©runbfäfce ber neuen SBiffenfchaft in fchorfer, fachgemäßer
SEBeife aufgufteHen.
Um biefe ©runbprincipien bureb ein möglichft einfaches
Slaifonnement gu entwicfeln — »on einet ftrengen Verleitung
fann hi« nicht bie Siebe fein — betrachten wir bie mit einem
einzigen SBürfel möglichen 2Bürfe. Derfelbe fann nach bem
SButfe bie fedjS Derfdjiebenen ßahkn 1, 2, 3, 4, 5, 6 geigen.
(884)
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9
£abe id) jebod) notier gewettet, bafj bet Sürfel eine beftimmte
3ai?l, etwa 4, geige, fo ift füt baö ©ewinnen meinet Sette nut
eine ßRöglidjfeit »orfyanben, nämlidj eben bie, 4 gu werfen, afle
anbeten fünf Büße finb ungünftig. 5Ran fagt nun, bie matt)e=
matifd)e Safyrjd^einlidjfeit, meine Sette gu gewinnen, fei
©et 3ä^Iet biefeS SBrutfeeS, 1, giebt bie 3afyl bet mit günftigen,
bet Sßenner, 6, bie 3al)l aller notljanbenen 5Röglid)feiten. Unb
hiermit gewinnen wir bie grunblegenbe ©rflärung bet Satyr»
f<tyeinli(tyfeit8vc(tynung :
©ie Satyrfdtyeinlidtyfeit eines ©reigniffeS wirb burcb einen
S3rud> auflgebrücft, beffen 3ät>ler burcty bie bem erwarteten @t*
eignifj günftigen Baße, unb beffen fRenner burdty bie Summe
aßer übertyaupt benfbaten, fowetyl günftigen wie ungünftigen
Büße, gel'ilbet wirb; norauflgefebt, bafj Feine Urfat^e befannt
ift, welttye baS ©intreten einer SRöglictyfeit gegen eine anbere
begünftigt.
©ie mattyematifdtye Satyrfdtyeinlittyfeit, aus ben neungig
fRummern beö »ortyiu erwähnten SübfructyttyänblerS eine gerabe
gu gietyen, ift tyietnaity ober ©enn 90 »evfdjiebene Sßum*
metn fonneu überhaupt gezogen werben, unb oon biefen 90 3ügen
finb 45 bem erwarteten ©reignifs, auf eine gerabe 9?ummer gu
treffen, günftig. fRacty berfelben Sctylufcweife ergiebt ftd? für
bie Satyrjttyeinlitbfeit, ans ben erwähnten 90 fRummern brei gu
gieren, beten Summe unter 100 ift, mit IRücffidtyt auf bie früher
»orgefütyrten 3<*tyl«n rfffM ob« natye iV ®‘e Satytfdjein»
Hdjfeit, welche uns bisher nur einen unbeftimmten Hinweis auf
ben ©rab unfereS etfatyrungS» ober netgungflgemäfjen SB«5
traueuß barfteßte, brücft fid) alfo jetyt in beftimmten 3atylen
au8, weldtye eine Jöergleidtyung ber Satyrfctyeinlittyfeit unter »er»
fdtyiebenen Umftänben erlauben, ©ie äufcerften ©rabe biefer
mattyematifctyen Satyr jdjeinlidtyfeit finb 0 unb 1. 9iufl bebeutet,
(885)
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baf) ba8 erwartete ©reigniff gar nicht auftreten tann, ©infl, baff
jeber mögliche gaO bem ©intreffen bcö erwarteten ©teiguiffe«
günftig ift. ©in8 brücft alfo bie ungweifelbafte ©eroiffbeit aus.
Um ben biöfyer erläuterten Segriff prafttfd) Berwertben gu
tonnen, ift eine ©rgängung beffelben notljtg. Äebren wir gu
bem Borbin gebrausten Seifpiele beö ©pielö mit einem Söürfel
gurücf. 3 ft) batte gewettet, 4 gu werfen. SDie 38al)tfcbeinlt(bfeit
hierfür ift ■$, bagegen biejenige, nidst 4 gu werfen, £. Soll alfo
baS geführte Spiel reell fein, fo muff ber Bon mit gu erwartenbe
©eroinn fünfmal fo gro§, wie ber ©iufaf} fein. JOber BeraU*
gemeinert: 3ft bei einem cpagarbfpiel gwijcben gwei Spielern
bie ©abrfcheinlichfeit beä ©ewinnenS eine Berfdjiebene, fo müffen
bet reellem Spiel auch bie erwarteten ©ewittne nach bem Set*
bältnifj ber 2\}al)rfcbeinlicbfeiten berart Betfdjieben fein, baß bet
grßffern Söaljrfc^einlidjfeit ber tleinere ©ewtnu entfpridjt. fDiefe
Ueberlegung, in matbematifche gorm gefleibet, liefert bie S3e*
bingung, baf) bie auS ber 2Babrfd)einli<bfeit beö ©ewinnenS unb
bem ©ewinn felbft gebilbeten sProbufte für beibe Spieler ein*
anbet gleich feien. 25ie SSMffenfc^aft bat biefe $)robufte mit
bem 2Iu8bruct „matbematifche ©rwartung" begeitbnet. IDabet
fann bie eben bergeleitete Sebingung auSgefprochen werben:
„Sei reellen ©lücffpielen finb bie matbematifcben ©rwar*
tungen ber Spieler einanber gleifb".
SDie wenigen, bisher aufgefunbenen ©rflärungen unb ©runb*
fätge befähigen unS, gut Unterfuchung be8 in unferm Staate
Berbreiteten ©lücffpielS gu fcbreiten, beffen launtfcbe ©rgebniffe
minbeftenS einmal in febem Sabre bie gange SeBölfetung in
Aufregung Berfe^eu, beffen Sftefultate Bon 21 It unb 3ung, ©rofj
unb Älein mit gleicher Spannung erwartet werben. SBir werben
bie Serwenbbarfeit ber bergeleiteten ©äfje burch eine Seurtbeilung
ber $>reuf)ifcben Jflaffenlotterie erweifen.
(88«)
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35ie ^reujjifdje Älaffetil ctterte beftebt nad) ihrem je^igen
$>lane auS 80 000 ©tammloofen unb 15 000, gu ben ©emirmen
ber gmeiten, britten unb eierten Älaffe auSgugebenben ffreiloofen,
melcbe bis gu ihrer ÜluGgabe für ^Rechnung bet ?otteriefaffe mir*
fpielen, mit 43000 in oier JElaffen mtbeilten ©eminnen. ©iefet
nach bem IJMane mitgetbeilte SBortlaut mirb butdj bie folgenbe
©thilberung einer Biegung oerftänblidser merben.
Sor ber 3<fbHng bet erften Jflaffe merben bie fRummern
fämmtlicber 95 000 8oofe in eine, bie Bah1*« fämmtlicber 4000 ©e*
minne, melcbe bei biefer erften Biegung nach bem feftftebenben
flaue ber Lotterie berauSfommen muffen, in eine anbere Jombola
gelegt. 35ie 3al)l eines jeben 8oofeS ober ©eminnS befxnbet fid)
in einer fleinen unburebfiebtigen jfabfel. SDie Jombolen finb
leidet bemeglidje Jf>ol?trt>!inbct auS ®la$, oielleicbt fm breit,
1 m im SDurdjmeffer. SDie 3iebung finbet öffentlich ftatt. 58er
jebet Jombola, melcbe auf erböten ©ftrnben aufgefteOt finb,
ftebt ein Böflling beS berliner ffiaifenbaufeS, meld)em baS 3ieben
ber Hummern aufgetragen ift. Sebet äbnabe nimmt aus feiner
Jombola eine fRummer; berjenige, melcber bie 8oo8nummer ge*
gogen, übergiebt biefe einem ^Beamten, ©ine .Klingel gebietet
©title, unb ber Beamte ruft bie gegogene fRummer mit lauter
©timme auS. 2)ann nimmt et bie nom gmeiten Knaben ge*
gogene ©ercinnnummer, melcbe ebenfalls laut »ertfinbet mirb.
3ft bet gegogene ©eminn nicht ber fleinftmöglidje, merben Soofe
unb ©eminnnummer gmeimal auSgetufen. 5Rad}bem 100 9tum*
mern gezogen finb, merben bie Jombolen ftnrf gebrebt unb b ier«
bnrd) ihr 3nbalt burebeinanbet gefcbüttelt.
3ebeS 2oo8, meldjeS gegogen mirb, geminnt alfo; bie gurücf*
gebliebenen, nicht gegogenen 2oofe bilben bie Mieten. 5Bon ben
95000 Eoofen, bereu fRummern fich in ber einen Jombola be*
finben, gelangten jebodi nur 80000, unb gmar bureb S3erfauf,
(887)
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in bie .£>änbe beS $)ublifumS; bie überigen 15 000 Soofe, welche
aber ebenfalls mitfpielen, »erben »on bet ©enetal*£otterie*3)irec*
tion gu ißren ©unften gurücfbebalten. SDer auf eine biefer
15 000 Hummern bei bet Siebung bet erften Älaffe fallenbe
©ewinn fließt alfo in bie Äaffe beS Unternehmens. Sei jebem
in baS ^hiblifum fallenben ©ewinne »irb bem ©ewinnet eines
bet nicht gegogenen, btß^cr non bet ©irection gezielten 2oofe
als greilooS für bie folgenben Älaffen auSgebänbigt. SDie
bet im fPublifum »orbanbenen 8oofe bleibt alfo nadf bet 3iebunfl
ungeänbert, gleich 80000; unb bie SDitedion befißt, ba fo»obl
mit jebem in baS 'fPublifum, »ie mit jebem gu ibten ©unften
fallenben ©eminne ibt eines bet bis babin gezielten Soofe ent*
gogen »irb, nur noch 15 000 weniger 4000 ober 11000 Soofe,
welche in bet folgenben gweiten Älaffe gu ihren ©unften mit*
fielen.
2)er ©ang bet folgenben 3iebungen ift jettf leicht erfichtlich.
9Kit jebet jflaffe minbert fich bie 3«bl Bon Lotterie*
SDitedion gu ihren ©unften gezielten ?oo)e um bie 3abl bet
in biefet Älaffe gegogenen ©ewinne, »äbrenb in ben ^jänben
beS 9>ublifumS beftänbig 80 000 ?oofe bleiben. SDa mit 2lb*
fchluh ber britten klaffe inSgefammt 15 000 ©ewinne gegogen,
alfo auch 15 000 greiloofe »edbeilt würben, ift bie SDitedion bei
ben ©ewinnen bet eierten .Klaffe nicht mehr betbeiligt.
Suchen wir, wie groß bei ben oerfchiebenen 3«bungen bie
matbematifche Sföabtjcheinlichfeit eines ©ewinnS unb bie matbe*
matifche ©rwartung, gu welcher bet Sefiß eines 2oofeS berechtigt,
ift. Sei ber erften 3»ebung beftßt baS ^)ublifum 80000, bet
Staat 15 000 2oofe; unb ba fich bie ©ewinne im SWgemeinen
gleichmäßig nach ber 3«^t bet 8ooje toettl)eilen, fallen »on ben
möglichen 4000 ©ewinnen 3369 auf baS ^ublüum. SDie SBabt*
fcheinlichfeit, baß ein SooS gewinnt, ift ci)ei 0,042. SDie
(SU)
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13
gefammte ©umme bet für bie erfte Älaffe auögeworfenen @e»
winne beträgt etwa 314 400 SDtatf, welche fidj jwifdjen ©taat
unb 9>ublifnm nach bem SSerhältniffe bet gezielten 2oofe theilt.
Hiernach fällt auf baß $)ublifum eine ©ewinnfumme non etwa
264 900 ÜBtarf; bet im ÜJlittel ju erwartenbe ©ewinn beträgt
alfo WtfoV EDtultiplicirt man biefen mittlern ©ewinn
mit bet eben berechneten SSahrjcheinlichfeit beffelben, jo ergiebt
fich als SBerth bet mathematijchen ©rwartung für bie 3iehu,*g
bet etften .Klaffe ^teujjijchet Lotterie 3 SDRatf 31 §)fg. 3)ie8
wäre bet reelle SSetth eineß üoofeß, welches nur bie üheilnahme
an bet erften Jilaffe gejtatten wftrbe.
3n genau gleichet Sffieife wirb bie Rechnung für bie folgen«
ben Siebungen geführt. 2tuf bie zweite Älaffe fallen 5000 ®e«
winne mit einet ©ewinnjumme oon nahe 556 200 SJlatf, auf
bie britte .Klaffe 6000 ©ewinne mit 945 900 SDtarf. Söei bet
werten Klaffe, bem ©Iborabo aller ©pieler, betheiligen fid) nur
bie 80 000 8oofe beß ^ublifumß an 28 000 ©ewinnen, welche
jtdh in folgenbet SBeife oertheilen: 23 630 ©ewinne betragen
210 jKatf, 2000 ©ewinne 300 5Rarf, 998 ©ewinne 600 ÜKatf,
710 ©ewinne 1500 5Jtatf, 577 ©ewinne 3000 9Jlarf, 45 ©ewinne
6000 SEftarf, 24 ©ewinne 15 000 9)larf, 8 ©ewinne 30 000 fötarf.
©nblich finb noch 8 Hauptgewinne oon je 45 000, 60 000, 75 000,
90 000, 120 000, 150 000, 300 000 unb 450000 Üttarf.
3n bet folgenben Heinen Tabelle finb bie mathematifchcn
SBahtjcheinlichfeiten unb ©rwattungen für bie »etfehiebenen
Klaffen ber ^reufjijchen 8ottetie jufammengeftetlt.
Klaffe
I.
1
II.
III.
IV.
SBabrlCbeinltchffit
0,042
0,055
0,07
0,35
(Sncartung . . .
3,31 SDtf
6,24 SDtf.
11,00 Vtt.
138,96 3Jlf.
(889)
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9Rit »ollem Stecht mirb alfo »om ^ublifum bie Biegung
bet »ierten Rlaffe als bie mafegebenbl betrachtet. 9tid)t ohne
Sntereffe ift eS, bie äüahrf<heiulich!eit gu »erfolgen, ;toeld)e fich
für ein 8oo8 an ben »erfchiebenen Stagen bei bet 3i«hun8 »ierter
Älaffe bietet. SDa täglich 2000 Stummem gezogen »erben,
nimmt biefe 3«hung 14 Stage in Ötnfpruch- SDie fßaljrfdjeitt*
liebfeit beS ©eminnenS für ein 8ooS beträgt am erften Stage
alfo etma unb ftnft beftänbig, bis biefelbe für ben lebten 5£ag
auf ben neunten S£h*il» alfo auf 5V, gefallen ift. äSber biefe
SBafyrjcbeinlidjfeit allein beftimmt ben äBerth eines in ben lebten
Stagen gu »erfaufenben SoofeS nicht. Um biefen gu finben, ift
bie mathematifcbe ©rmartung, gu melier baß S008 ben Sn^abet
berechtigt, alfo bie ©röfce ber noch nicht gegogenen ©eminne, gu
berücfftcbtigen, mie and) baS ben £anbel mit Üotterieloofen trei*
benbe fPnblifum richtig ahnt.
SDcr SBerth eines gangen SoofeS, melcbeS fich an fämmtlichen
klaffen betheiligt, beftimmt fich burch bie Summe ber mathe*
matifdhen Gcrroartungen in ben »erfchiebenen Älaffcn. .'SDutcb
2lbbition ber in ber Stabetle hi«fü* angegebenen Söerthe finbet
fich 153 9DRarf 51 $)fg. SDer sJ)rei8 beS £oofeS ift, ein*
fchliefelich ber ©cbteibgebühren, 160 SORarf, alfo mit bem ge*
funbenen reellen SBerthe faft übereinftimmenb. SDer ©eminn
beS ©taateS rebucirt ftch bemnach auf bie »om ©eminner ein*
gegogenen ^)rogente; »on febem ©eminn finb an ben ©oßectenr
2 $>©t., an bie .Raffe ber @eneraMJotterie*SDirection 13f p6t. gu
gahlen. hiernach ftellt fich bie fPreuf}if<he Lotterie »om ©tanb*
fünfte bet SSahrfcheinlicbfeitSiecbnung aus als ein burcbauS
reelles Unternehmen bar. SDie ermähnte Abgabe an ©taat unb
Gollecteur trägt ben ©haftet einer in ben meiften fällen »ohl
gern gegahlten ©teuer. £)b eS gerechtfertigt ift, bah ber ©taat
SSeranftalter eines berartigen ©lücffpielS »irb, ift eine grage,
(WO)
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15
bie atlerbingd nod) Don anberen ©efichtdpunften, ald bemfenigen
bet Sterilität be8 geführten ©pield, beurteilt werben muh, ficb
aber in einem Sortrage übet bie fPringipien ber Sahrfdjein*
lichfeitdrechnung nicht entfcheiben läfjt. —
3m Sorftehenben würbe bie grage gefteHt, mit welcher
Sahrfcheinlichfeit ein einjigeö beftimmted ©reignih erwartet
werben fann. Sei Dielen Vorgängen lautet bie grage jeboch
etwad Derwicfelter, nämlich, mit welcher Sahrfcheinlichfeit man
bem ©intreffen irgenb eined ©reigniffcd bei einer gewiffen Ültt Don
©Meinungen entgegenjehen barf. (Sin Seifpiel witb bie Aufgabe
beutlidjer machen. 9Jtit welcher Sahrfcheinlichfeit barf ich h°ffen,
mit einem Sürfel eine bet 3ahlen 1 ober 2 gu werfen ? Offenbar
ftnb unter ben 6 überhaupt möglichen Surfen 2 meinem Sor*
haben günftig, unb baher bie gefugte Sahrfcheinlichfeit f. 9tun
ift | = i + i, alfo bie Sahrfcheinlichfeit, 1 ober 2 gu erhalten,
gleid) ber Summe ber Sahrfd)einlichfeitcit, welched jebeß biefer
©reigniffe für [ich bietet. 2)ie Setallgemeinerung beß in biefern
{Refultate liegenben ©afceö ift flat. Som bisher ©efagten wohl
gu unterjcheiben ift bie ©rohe ber Sahrfcheinlichfeit, welche für
bad gleicbgeitige Auftreten mehrerer ©reigniffe gilt. Sie
grofj ift bie Sahrfcheinlichfeit, baf) bei einem ©piel mit gwei
Sürfeln ein beftimmter Sürfel eine 2, ber anbere eine 3 geige?
3»ei Sürfel fönnen gu 36 Derfchiebenen gäHen, gu 36 Der*
fchiebenen ©ombinationen ber Bahlen 1 biß 6 (Snlafj geben.
SDer Surf (2, 3) fann nur auf eine eingige 2lrt gebilbet werben,
unb bähet ift feine Sahrfcheinlichfeit SDie Sal)tfcheinlich*
leit, bah ber erfte Sürfel eine 2 geige, ift bah ber gweite
eine 3 gebe, ebenfalld unb ba gleich i-b erlennt man,
bah bie Sahrfcheinlichfeit für baß gleichgeitige ©intreten ber
beiben Sürfe bad ^robuft ber Sahtfcheinlithfeüen für bie eingelneu
Sürfe ift. 2)ad hier geführte Slaifonnement Iaht fidj allgemein
(891)
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burdifüijren imb liefert folgenben ^auptfafj ber SBahtfchein»
lichfeitSrechnung: Die SBahtfcheinlichfeit für ba8 gteid^geitige
Auftreten mehrerer ©reigniffe wirb erhalten, inbem man bie
SBahrjcheinlidjfeiten bet eingelnen (Sreigniffe mit einanbet multi*
plicirt.
Auf ben bis jefct aufgeftellten ©ätjen beruht baS gange
@pftem bet SBahrfcheinlidifeitSrechnuug. Dütfeu aber biefe rein
tl)eeretifd)en ©rörterungeu, welche ohne SRütffidjt auf bie @r*
gebniffe ttjatfächlicher Vorgänge geführt würben unb nur auf
ber bod) widfürlidjen (ärflärung bet mathematifchen S33a^rf<^ein»
lidjfeit beruhen, ben Anfpruch erheben, bei wirtlichen Vorfällen
berüdftchtigt gu werben? Sei ber Unterfuchung über bie $)reuhifcbe
Lotterie würbe aHerbingS, DieHeidjt etwas ooreilig, bie 3uftimmung
hierfür in Anfpruch genommen, treten wir jefct biefer wichtigen
grage, ob wir hoffen bürfen, bah «ne theoretifch berechnete
SBahtfcheinlichfeit fich bei ber wirfltchen Ausführung ber 6r*
fcheinungen wiebetfinbe, näher.
Die SBahrfdjeinlichfeit, mit einem SBütfel eine beftimmte
3ahl, etwa eine 1, gu werfen, ift Darf nun bei einem
@piel mit einem richtig gearbeiteten SBürfel erwartet werben,
bah ber fechfte Streit aller SBürfe eine 1 geige?
@8 fteht Sebent bie ÜHöglichfeit gu ©ebote, biefe §rage
burch ben Serfuch gu löfen, unb eS wirb fi<h im Allgemeinen
feine Uebereinftimmung gwifchen jener gorbetung unb bem prafti*
fchen ©rgebnih geigen. 3a, wir fönnen eine folche nach unferen
93orauSfehungen gar nicht erwarten. Denn würbe ftetS genau
ber fechfte $h«l ber SBürfe eine 1 bringen, fo hätten wir einen
gefehmähigen Sorgang unb nicht ein butdj rein gufäHige Se«
bingungen h*N>0*geruf3ne8 Gfreignif) »or unS. Aber bie 5Ri<ht*
übereinftimmung gwifchen Rechnung unb Seobadjtung wirb um
fo mehr fchwinbeu, alfo bie 3ah! ber geworfenen 1 fich bem
(892)
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fechften Steile ber überhaupt oorgefommenen SEBurfe um io mehr
nähbrn, je gröfjer bie 3atjl bet SBüife wirb. Unb hierin liegt
berjenige ®ajj ber Söabrf<heinli<hfeit8rechnung, welcher bie Sin*
wenbung berfelben für ba8 praftifche lieben fiebert, nämlich : ©ie
mit £ülfe bet mathematifcben SBahtjcheinljchfelt berechnete 3«hl
für bie fDtöglicbfeit eines ©teigniffeß ftimmt um fo mehr mit
bem ©rgebni§ bet 3Birflid}feit überein, je größer bie 3al?l bet
^Beobachtungen wirb.
©iefet wichtige @afj läfjt fid) fowobl burch tl>eoretifcfoe
Unterjuchungen, mie burch bie praftiiche Beobachtung erweifen.
SÄufgefteOt würbe er burch 3acob SBernoulli, ber erfie in ber
©ejchichte auftretenbe SJlathematifer be8 berühmten ©efehrten*
gefchleditS bet SBetnoulli'8 in SBafel, welches ber SBelt fieben
berühmte fTOathematifer fehcnfte, in welchem über 3wei Saht*
hunberte htoburd) ber ©euiuS ber SSiffenfdjaft heiwifch war.
©er Stammvater Safob SBernoulli würbe burch ben Stob
an ber SBcHenbung feines grunblegenben SBerfS über Sßahrjchein*
lichleitSrecbnung, ba8 ben obigen ©ah Verleitete, getjinbert. 9taeh
feinem eigenen ©eftänbnif} h3* er ftd> 20 Sahte mit bet ^>er*
leitung biefeS @at3e§ befaßt, ©och erft 8 Sahre nach feinem
Stöbe, 1713, würbe burch feinen flleffen S^icclauS SBernoulli
ba8 berühmte 2£erf, bem er jeiu lieben gewibmet hatte, bie
Ars conjectandi, bie Äunft beö BermuthenS, bem ©ruef über*
geben.
Sn bem Bernoulli'icben Safte fpricht fich ba§ ©efe£
be8 3>ifaH8 au8; nicht in einjelnen ober wenigen BäHen, nur
in ber fötafje, im ©urdjfchnitt einer großen 3ahl von Beob*
achtungen tritt baffelbe auf. SDeßljalb hat ber Sftatbematifer
^oijfon baffelbe auch alö ba8 ©efeft ber großen 3ablcn be*
zeichnet, ©in auffallenbeä, intereffanteS SBeijpiel für bie SBe=
ftätigung biefeS ©eiejjee burch bie ©rfahrung lieferte ©aufj,
XIV. 535. 2 (695)
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18
welkem bie 2lu0bilbung bei 2Babrf<heinli<hfeitßrechnung über*
baupt oiel Derbanft. 3« ©öttingen, wo ©aufe Don 1807 biß
gu feinem 1855 erfolgten $£obe ber Sternwarte oorftanb, bfltte
berfelbe lange Seit bie ©ewobnbeit, allabenblicb mit benfelben brei
greunben gu fielen unb notirte einige 3«bre binburd},
wie Diele äffe jeber 5E^cil«e^mer in ben Detfdjiebenen Spielen
batte. 9iatb einer dou ©antot wiebergegebenen fDlittbeilung
geigte fidj, baft nabegu übereinftünmenb oft ein 3eber dou ihnen
fein, ein, gwei, brei unb Dier äffe erbalten batte unb biefe ein»
gelnen ängablen auch baß Don ber 2Babrfcbeinli<bfett0recbnung
Dorgcftbriebene Serbältnifj boten.
Siöbet würbe angenommen, bie SBabrfcbeinlicbfeit eineö
©reigniffeö laffe fid) ftetö tbeoretijcb Dorber, wie man fagt,
a priori, beftimmen. Sei .fpagarbjpielen wirb bieö in ber £b<rt
häufig ber galt fein; aber eß ift bo<b faum glaublid;, baff bie
im ^ublifum verbreiteten unb meift richtigen ännabmen über
bie ©bancen eines ©liicffpielß auf bein SJege tbeoretifeber ©r»
örterungen gefunben feien. üüenn gum Seiipicl ber bei Seginn
beß Sortragß eingefübrte £aufirer bei feinem Spiele „brei
■»Hummern unter bunbert" ben nabe richtigen Sa£ anwenbet,
bem gewinnenben Spieler baß Sietfache beß ©infujjeß gu oer»
gelten, fo ift er bietgu nicht burd? Rechnung, foubern burch @r»
fabrung ober Ueberlieferung geführt worben, ©ß ba* fi<b eben
burch aufcerorbentlich Diele Serfuche gegeigt, bafj im ©urchfchnitt
unter 5 Spielen bet Spieler oiermal verliert, ©ine Saht»
fcheinlichfeit, welche fid? in biefet SBeife erft nachträglich burch
baß ©rgebnifj gabireicher Serfuche ergiebt, beifit 3Sabrf<beinli<b»
feit a posteriori. 3« ib*er Seftimmung hat man bie ängabl
bet bem betrachteten ©reignifj günftigen Sorfommniffe burch bie
©efammtgabl ber Serjuche gu tljeilen. JDicfe SBabrfcbeinlicbfeit
a posteriori wirb bei ber Ucberficht aller folgen Sorgänge
(8»4)
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19
«
benutzt, welche ju jo Dielen ÜJtöglichfeiten Stnlag geben ober
bereit ©rgeugung 311 wenig befannt ift, als baß bie [Rechnung
bie Silbung ber einjelnen ÜJlßglicfjfeiten netfolgen fönnte. ©elbft»
Derftänblid) ftimmt bei allen Vorgängen, beten 5ßal)rfcheinlichfeit
theoretijch, aljo a priori aufgefteflt werben fanu, wie j. 23. bei
SBütfelfpielen ober ber ^reußifchen £Iaffen=8otterie, biefe 23ahr=
jcheiulichfeit mit ber burd) gasreiche Berfuche ober 23eobad)tungen
a posteriori gefuübenen überein. 3n bieder Uebereinftimmung
liegt eben bie 23ebeutung beS oon 23etnou Ui aufgefteHten
. ©atjeS über baS ©efefc ber großen Saniert.
3ft einmal in irgenb einer SBeife, alfo entweber burd)
[Rechnung ober 23eobad)tuug, bie Söa^ri^einli^feit eines 6r«
eiguiffeö ermittelt, fo läßt fid), ielbflDerftänblich immer unter bet
23ead)tung beS 23ernoulli’ichen ©aßeS, baß bie ©rgebniffe
ber 2öal)tfcheinlichfeit8rechnung nur für bie ÜRaffe bet ©reiguiffe,
nicht für ben einzelnen §aU ©eltung Ijaben, biefe Söahrfchein«
lidjfeit bei weiteret SBiebetljolung beS betreffenben ©teigniffeS
Derwertijen. 2luf biefem 23erfaljren beruht bie wiffenfdjaftlidje
©tatiftif, inebefonbere bie 23eDÖIferung8ftatiftif unb baS 23er=
ficbetungSwefen.
2Bir fabelt hiermit ein ©ebiet betreten, beffen 23ebeutung
für unfete heutigen fokalen Berhältuiffe unermeßlich ift. Söoljl
nur [ehr 2Benige werben fid) unter ben ©ebilbeten unfereS 23olfeS
befinben, welche nicht in böhetm ober geringem 9Raße bei einer
23erficherung betheiligt finb. Daher möge bie ©runblage bet
SebenSoerficherungen, bie 23e»ölferung8ftatiftif, h*” eine ^ut3e
©rwähnung finbeu.
Der 23egtünber einer wiffenfdjaftlichen 23ehanblung bet
23eDÖlferung8ftatiftif ift ©bmunb vpallep, ^auptfächlid^ burch
bie oon ißm juerft gelehrte Berechnung einer Äometeubahn be=
!annt. Derfelbe [teilte 1693 bie erfte Bitalitdtötabelle auf,
2* (894)
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20
»
b. b- bie erfte Tabelle, aub beten 3®bl€n man ©bluffe auf bie
SBabrfcbeinli<bfeit gieren fonnte, ba§ in einem gewiffen Silier
ftebenbe 9)erfonen noib eine angegebene SReitje oou Sagten am
lieben bleiben, fallet? Ijatte bie gum ©nt würfe feinet Tabellen
nötigen Safylenangaben ben JRcgiftern bet Stabt 23teblau ent*
nommen. 3m golgenben »erbe bie SluffteQung einet foldjeu
Tabelle angebeutet, wobei wir bie in SBirflidjfeit allerbingb
feiten, gu ^allep’d 3eit aber für öreblau tfalje geltenbe 2ln»
nabme julaffen, ba§ bet öeoölferungbguftanb eine lange SReilje
»ou Sagten unoeränberlicb fei, alfo bie feftbleibenbe 3«bl bet
jatyrlid) ftattfinbenben ©eburteu mit betjenigen bet JobebfäUe
übereinftimme. £>en folgenben Susfübtungen ift eine wirflidje,
nach Öeobadjtungen im .Sfönigreidi Saufen aufgeftellte SiitalitätS*
tabeile gu @runbe gelegt, welche butd) eine 3eid)nung gtapbifcb
- wiebergugcben oerfudjt wutbe.
©b feien alfo in einer abgefcbloffenen 33et>ölferungbgruppe
wäbrenb eineb jeben Sabreb 100 000 Äinbet geboren wotben,
unb nach ben 3»fammenftellungen bet Stanbebämter im Haufe
bicfeS Sabreb 53 965 Äinber im Sitter unter 10 Salven geftorben,
fo ftnb 100 000 - 53 965 = 46 035 Äinbcr unter 100 000 @e*
butten ootl)anben, welche bab 10. Hebenbjabr erreichen. SDem=
nadb ergiebt ficfo, wenn wir ben 18 ernoulli’fiben Sa£ über
bab 33etbältni§ bet großen 3f»bteu anwenben, alß SBertb bet
SBabrfdbeinlitbfeit, bafj ein jtinb bet oon unö beobachteten öeoolfe»
tungögruppe fein 10. Sebenbfabr gurücflege, tVoVoV» ober, biefe
3abl alö 2)ecimalbrudb gejdjrieben, 0,46035. gerner finbe fitb
burdj ftatiftifcbe 3ufammenftellungen, baff 56 682 ‘perfonen unter
20 3abren im Saufe beb Sabteb aubgefdjieben feien; fo befteben
unter 100000 ©eburten 100000 - 56682 = 43318, weld^e bab
20. Hebenbjabr gurücftegten, aller&iugö immer unter 3Babrun3
ber erwähnten öoraubfetjung, .baff wäbtenb ber lefetoevfloffenen
(896)
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21
20 3atyre bet SeoölferungGjuftanb burdbauG ftationär blieb,
©ie Sßatyrfctyeinlictyfeit, ba| ein 9teugeborner fein 20. Satyr et»
teidtye, ift aljo 0,43318. ©ie 3atyl bet not beginn beG 30. SebenG»
jatyteG ©eftorbenen finbe ficty gleich 60978, fo haben 100000 —
60978 = 39022 Seelen untet 100000 ©eburten ityt 30. 3atyt
angetreten, unb bemnacty ergiebt ficty atG Sßertty bet SBatyrjctyein«
lictyfeit, bat; ein fltengebcrner minbeftenG 30 3atyre alt werbe,
0,39022. 3« gleicher SBeife lätyt ficty bie Tabelle, welctye bei
unG nacty einem SnternaQ »on 10 gu 10 3atyren weiterfetyreitet,
fortietyen unb hiermit bie SBatyrfctyeinlictyfeit beftimmen, ba§ ein
flleugeborner ein beftimmteG ©ecennium, alfo ein Slltet non 10,
20, 30 Satyren u. f. w. erreiche. ©octy greift bie SÄnwenb*
barfeit ttnferer Tabelle hierüber noch weit tyinauG. ©G tyatte
ficty gefunden, non 100 000 ©ebutten überleben 46035 ityr 10.
43318 ityr 20., 39022 ityt 30. SebenGfatyr u. f. w. 23on 46035
fPerfonen, welctye ityr 10. SebenGjatyr erreictyt tyaben, gelangen
bemnacty 43318 über bie Schwelle beG 20., 39022 über bie beG
30. 3atyreG; unb bemnacty ift bie SBatyrfctyeinlictyfeit , ba§ eine
10 jährige $>erfon nacty 10 3atyren nodty lebe, ||JJ| = 0,94098;
unb bie SBatyrfctyeinlictyfeit, ba§ eine 10 jätyrige fPerfon nadty 20
3dtyren noch lebe, IHH - 0,84766. -SDiit ,$ülfe unferer Stabelle
läfjt ficty alfo allgemein bie SBatyrfctyeinlictyfeit feftftetlen, welctye
bafür an^unetymen ift, baty eine in einem beftimmten ©ecennium
beG älterG ftetyenbe ^erfott nacty sSblauf einer gewiffen Slnjatyl
non ©ecennien nocty lebe.
©ie nereinfactyenben SBebingungen, welche wir bei 93erfoIgung
unfercG SbeengangG ju ©tunbe legten, fallen bei Slufftellung ber
in bem praftifeben geben ^u oerwerttyenben Stabellen fort, ©ie .
3atyl ber ©eburten unb JobeGfälle, überhaupt bie S3eoölferung .
eineG ganbeG witb nie für längere 3*it ungeänbert bleiben,
ferner bürfen bie Tabellen nictyt für ein 3ntemtl oon 10 gu 10
. («»o
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Sauren, fonbern muffen oon Satyr $u Satyr fortfetyreiten. Auch
otyne in mattyematifctye Unterfudtyungen einjugetyen, wirb man
motyl erfennen, ba| alle auf bie SebenSbauer bezüglichen @r»
gebniffe um fo genauer berücfjtchtigt werben fennen, je häufigere
unb genauere Aufteilungen man non bem BeoölfcrungSzuftanb
in einem beftimmten 3eitmomente tyat. Dem Bebürfnifje biefet
Aufteilungen bienen bie großen SSolf Sjätylungen ; unb bie fRectynung
fann um fo junerläffigere {Refultate auS ityren ©rgebniffen auf bie
SBatyrfctyeinlictyfeit ber gebenSbauer mactyen, je tyäufiger ftdty biefe
BolfSjätylungen wiebertyolen, je gröfjere ÜRaffen fie umfaffen, unb
je mehr genaue Angaben eS ermöglichen, biefe ÜRaffen in ©ruppen
gleidtyen Alters, gleichen ©efctylectytS, gleicher Befchäftigung unb
gleicher gcbenSweife 3U zerlegen. Sebe neue BolfSzätylung bilbet
eine §)robe für unfere BitalitätStabellen ; was bie Beobachtung
eines BenuS* Durchgangs für nnjere Äenntniffe bet 3atylen»
»ertyältniffe im @onnenfpftem, bebeutet eine BolfSzätylung für
bie ©tatiftif.
ÜRit .fjülfe ber BitalitätStabellen werben bie ^Rechnungen
bet gebenSoert<tyerung8=©efeflfctyaften auSgefütyrt unb intereffante
fragen über bie SBatyrfctyeinlictyfeit gewiffer gebcnSuertyältniffe
beantwortet. Sm ftolgenben möge wenigftenS ejne Borfteflung
übet biefe Anmenbungen bet SBatyrfctyeinlictyfeitSrectynung gemeeft
werben. Bei einem (Styepaat fei ber ÜRann 40, bie grau 35 Satyte
alt, fo beträgt nacty bet bei unfeter Betrachtung benujjten Bi«
talitätStabelle bie SBatyrfctyeinlictyfeit, bafj ber ÜRann nocty 10 Satyre
lebe, 0,83, bafj bie grau nacty biefer 3eit noch am geben fei,
0,87. 5Bir werfen folgenbe fragen auf:
1) SBie gtofc ift bie SBatyrfctyeinlictyfeit, ba§ Beibe nocty
10 Satyte leben, alfo bie @tye nocty 10 Satyre bauere?
Da jwri Gnreigniffe gleichzeitig ftattfinben, nämlicty ÜRann
unb Brau fid, beibe nocty nacty 10 Satyren beS DafeinS freuen
(898)
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follen, ift bie gefugte Söabrfcbeinlichfeit ba8 fProbnft au8 ben
SBahrfcbeinlichfeitenbet einzelnen Gfreigniffe, alfo 0,83-0,87 = 0,72.
2) 38ie grof) ift bie SBabrfcheinlidjfeit, bafc bie Orb« nad)
10 Sohren burd) ben Job getrennt, alfo wenigftenS einer bet
©begatten au8 bem geben gefd)ieben fei?
©ntweber befielt bie ©be nad) 10 3abren, »bet fie bat
geenbet. £)ie Summe au8 ben 3Babrfd)einli<hfeiten für biefe
beißen ©reigniffe ift baber, ba eines berfdben {ebenfalls ein*
getreten ift, bie ©ewifcbeit. 1; unb bemnad) bie SBabrfcbeinlid)*
feit, ba§ bie ©b< aufgebört habe, 1 — 0,72 = 0,28.
3) 3öie grofs ift bie SBabrfcbeinlichfeit, baf} nad) 10-3ab«n
ber 9Jiann, ober bie ftrau, ober beibe, alfo jcbenfalfö einer bet
<äbe3attten noch lebe?
2>ie 3Babrfd)einlid)feit, baß nad) 10 3ab«n ber ÜJtann ge*
ftorben, beträgt 1 —0,83 = 0,17, biejenige, ba§ nad) biefet 3«t
bie ftrau tobt fei, 1—0,87 = 0,13; unb bemnad) bie SBabr*
fd)einlid)feit, ba§ beibe @beSatten nad) 10 Sabren aus bem
geben gefchieben feien, 0,17-0,13 = 0,022. $ierau8 folgt für
bie 3Babrfd)einlid)feit, ba§ nid)t je bet bet beiben ©blatten
nad) 10 Sabten geftorben, fonbern minbeftenS nod) einer bet*
felben am geben fei, in gleitet SBeife wie bei ber gweüen grage
1 — 0,022 = 0,978. SDemnad) batf man, felbftoerftänblich unter
beT BorauSfefcung eines normalen 3«tlauf8, faft al8 gewif) an*
nehmen, bafj bie Jiinber nad) 10 3at)ten nid)t ebne jebe elterliche
Stüfce feien. —
3n biefen Betrachtungen würben für bie Bebanblung ber
räthfelbafteften, unaufgeflärteften aller ©tfcheinungen biefelben
©efe^e nerwanbt, wie fie bie 3Sabrfd)einlichfeit für nur nom
3ufall beben jebte BorfäDe, 3. 93. für ba8 SBütfelfpiel, aufftedt.
3ft man aber wirflich berechtigt, geben unb Job eines fDienfdjen
in gleicher SBcife als einen rein jufädigen Botgang aufaufafjen,
(899)
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wie baS fallen einet beftimmten Stummer im Sürfelfpiel? —
SDie SDauer eines Gebens ift burd) bie (Sonftitution , baS
SLemperament, bie LebenSmeife, burd) ben Staub bet allgemeinen
©efittung beftimmt. 3ebe biefet Qfinwitfungen ift jebodj feine
foldje, baf? fid) hieraus mit fdjarfet Sicherheit baS SUter eines
SnbioibuumS beftimmen liehe. 3)enn in jenen tarnen greifen
mit eine Unzahl Don Urfachen, theils befannter, meiftentheilS
jebod? unbefannter Statur gufammen, welche in einer für unS
unaufgeflärten ober hoch mathematifch nicht barftellbaren Seife
baS Lebensalter bebingen. 9lQe biefe, auf eine beftimmte sPerfon
wirfenben (Sinflüffe finb in ihrer 3ntenfitat unb ber 2lrt ihres
äuftretenS jum groben Slheile burd) baS älter, welches biefe
Werfen fcbon erreicht hat, beftimmt; baS Lebensalter, welches
eine beftimmte fPetjon erreichen wirb, ober auch bie Beantwortung
bet grage, 0b &ieje ^etfon nad) einer beftimmten Steihe non
Sahren noch leben wirb, hängt alfo im ädgemeincn, aud) in ftreng
mathemathijchem Sinne, Dom älter, welches biefe <perfon glücflid)
erreicht Ijat, ab. Senn nun bie äunahme erlaubt ift, bah alle
übetigen (äinwirfungen als rein jufäDige auftreten, fid) alfo fein
Beweis bafür erbringen laffe, bah biefe Urfachen auf bie Ber«
längerung ober Betfütgung beS LebeuS übet ober unter ein
mittleres Bläh in ungleicbmäfjiget Seife mtrfen, fo ftnb wir
aHerbingS berechtigt, bie Sahrfcheinlichfeitövechnung bei fragen
über bie LebenSbauer in ber gefdhehenen Seife anjuwenben.
Stellen mir baS ©efagte burd? ein Beijpiel flar. 2)ie Summe,
welche brei auS ben Stummem 1 bis 90 blinbliugS gezogene
Bahlen ergeben, hängt hauptfäd)lid) ab »on ber ängahl ber (5om*
binationen, in welcher fich biefe Summe burd? bie äbbition je
breier Bahlen oon 1 bis 90 bilben Iaht, äuhetbem mirfen noch
tiele anbere, äuherft nerwicfelte Urfachen, welche in ber änorb*
uung ber 90 Stummem unb in ber perfönlidjen ©iSpofition beS
(3oo;
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Spielerß liegen, mit. 35a aber biefe lebten Urfacpen alle alß rein
gufätlige auftreten, alfo fein ©runb befannt ift, nacp weither
biefelben einen 3^8 oorgugßmeife begünftigen ober außfchüe&en
füllten, bürfen mir auf baß gefcpilberte Spiel bie @efet$e bet
SBahrfcheinlicpfeit anwenben. 35aß ©leicpe gilt für baß gebenß»
alter beß SJlenfcpen. 3 ft bei jebem ÜJtenfcpen baß fcpon erreicpte
Sllter ber pauptfaftor, nad) welchem fiep bie fernere hebenßfäbig-
feit ridjtet , unb treten alle übetigen ©inmirfungen alß rein gu»
fällige auf, bie eben fowopl in günftigem wie in ungunftigem
Sinne mirfen fönnen, fo paben wir baß gleite JRecpt gut Sin«
.wenbung ber SBahrfcpeinlichfeitßrechnung, wie bei bem erwähnten
Spiel „brei Ulummem unter 100"; nur bafj wir bie 3Bal)t*
fcpeinlicpfeiten nicpt wie bei biefem ©lücffpiel burd? tpeoretifcpe
Betrachtungen a priori, fonbern burcp Beobachtungen a posteriori
beftimmen. ©benfo lä§t fiep bie entfepeibenbe $rage, ob in ber
Spat alle ©inflüffe mit Sußnapme beß erreichten SllterS alß rein
gufäQige aufgufaffen feien, nicht burcp jpeculattoe Betrachtungen,
fonbern nur burcp bie Uebereinftimmung bet mit Jpnlfe bet
SBaprfcheinlichfeitßrecpnung erhaltenen Siefultate mit fpäteren
Beobachtungen ermeifen.
35iefe Beobachtungen finb feit etwa 150 3ahren mit pülfe
ber 3ahlen, welche bie Beoölferungßftatiftif cioilifirter fcänber ge»
währt, für bitfe angefteflt worben unb haben gegeigt, bafj bei
cinilifirten Böllern in ber Spat alle ©inflüffe mit Maßnahme
beß erreichten Sllterß unb beßjenigen ©influffeß, welcher fiep butep
bie fortfdjreiteube .pope ber Gimlijation ergiebt, alß gufällige
aufgefapt werben müffen. 35utcp bie Senbetung ber hebenßmeife
unb bie Sorge für ffteinlicpfeit, melcpe bie fortfepreitenbe ©e»
fittung bebingt, wirb bie üebenßbauer ber uerfepiebenen iSlterß*
flaffen etwaß geänbert; ba aber biefet biß jept noep nicht genau
erfannte ©influf) ein geringer, uub aufcerbem fiep berfelbe bei
(»01)
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ben Staffen mit nach längerer 3eit merflich änbern fann, batf ber«
felbe nernachlaffigt unb bie 2eben8bauer bei ^Betrachtung grofeer
SenölferungSgruppen als ftunction ber 3Bahri<heinIichfeit an»
gefeljcn werben. 22ie fehr ftdj bei ber Sergleichung umfaffen»
bet Staffen bie äBirfungen ber Snbinibualität auSgleichen unb
wie gerechtfertigt eS ift, in »ielcn menfchlichen £anblungen @t=
fcheinungen ju erblicfen, welche fith nach ben ©efefcen bet
SSahrfcheinlicfafeitSlehre pclljiebeu, geigt bie überrafcheube Segel»
mäfjigfeit, welche utt8 in normalen Beiten bie ©riminalftatifti! im
©efüge bet 3! erbrechen nad) 21 rt betfelben, nad) 3llter unb ©efcblecht
bet ühäter nachweift, eine Segelmäfsigfeit, welche ben berühmten
©tatiftifer 33elgien8, Duetelet, gu bem 2lii8fpruche neranlafete:
„©8 giebt ein S3ubget, welches mit erfchütternber Segelmäfcigleit
gezahlt wirb, bie8 ift ba8 Subget be8 ©efängniffeS, ber ©aleere
nnb be8 Schaff ote!"
©iefer 9Iu8fpruch ift aHerbingS mit gtofjer Sorftcht aufgn*
nehmen. S)enn nicht nur bebarf jebe Slnwenbung ber SSBahr»
fcheiulichfeitSrechnung auf ba8 ©efeOfchaftSleben be8 Stenfchen
ber beftänbigen ©ontrole burch bie ©rfabrung, woburch fid) fchon
oft eine behauptete Segelmäfjcgfeit a!8 Säufchuug etwieS; fonbern
nor tflllem hat man bie non rohem Stateriali8mu8 nerfochtene
Steinung gurücfguweifen, aI8 ob bie 3abl bet SDiebftähle, bet
Storbe unb anberet Setbrechen, welche nach biefen ©tgebniffen ber
©tatiftif auf eine 33eoölferung8gruppe faden, bie golge eines über
SlUe henfchenben unabänberlichen ^atumS fei, Welches fich unberührt
non menfchüchem SBtrfen unb Äönnen noQgiehe, biejenige ©igenfdjaft
bet menfchlichen Satur, welche man bie Bteiijeit beS SBiUenS
nennt, aufhebenb. Sur ba8 ift gu folgern, bafs im Mgemeiuen
auch bet 2BiHe beS Stenfchen feine ©ntfdjlüffe nicht unabhängig
non äußeren, auf ihn einwitfenben Umftänben fa|t. 5Der 3BiHe
beö Stenfchen erfcheint faft nie, unb am wenigften bei für fein
(902)
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©efdjicf wichtigen (äreigniffen, als reine 2Bil!für, bie , loflgelöft
non ber Außenwelt, ohne Otücfftd^t auf biefe fein SBitfen be*
ftimmt. 3)ie häufigere Söiebetholung foldjen 2BiHen8 fenngeidjnet
ben 2Bal)nfinn. S)er fogenannte freie SBitfen be8 normalen
SJtenfcben tritt nielmebr nur als bie Vefugniß auf, gwiidjen »et«
itbiebencn SfRöglichfeiten eine SBaßl gu treffen. SJtöglidj finb
niele SBablen, aber bebfyalb ift nicht für jebe berfelben gleite SSaljr«
fdseinlichfeit norbanben. SDiefe wirb burch bie mehr ober weniger
fcfcarfe Abwägung aller für unb wiber einen (fntfdjluß fprcchen«
ben folgen, bureb ©ewoßnheit unb äußere Veeinfluffung beftimmt
unb fomit bie a^t f d^ein tid>fcit, einen ober ben anbern S3ei<hluß
gu raffen, eine fet?r »erichiebene. Söenn wir baljer fötaffen ber
©efelljcbaft betrauten, bie groß genug finb, um in benfelben alle
fDtöglidjfeiten, welche auf bie Raffung eines VefchluffeS wirfen
fönuen, nielfacb angutreffen, bürfen wir un§ niebt wunbern,
wenn baö (Jrgebniß im ©roßen unb langen ben Vebingungen
ber Syabrfdjeinliebfeitßlebre entfpricht. äöenn Bemanb 6000mal
mit einem ri<btigen SBürfel wirft, wirb er jebe ber Ballen 1 bis
6 etwa 1000 mal erhalten. !?lu8 biefet fRegelmäßigfeit eines nur
ben ©efeßen ber SBatjtfcheinlicbfeit unterliegenben Spiels folgt
jeboeb nicht, baß bet Spielet falfd? , fonbern umgefebrt, baß er
richtig gefpielt habe; unb in gleicher SSeife folgt auü ber feftenDuote,
weldie bie ©eburt, ba§ Verbrechen, ber Job, furg, fo »iele ©r*
fcheinungen im 9Dienjd?cnleben geigen, fein falicheS Spiel, b. h-
hier bab Spalten eine« für ben SJienfdien unabänbetlidjen, »orher
beftimmenben $aium8, fonbern umgefehrt baS Spiel beS Bufallö,
bie SJiöglichfeit ber freien SBaf)I, welche aüerbingS burd) äußere
Verhältniffe, befonberS burd) bie Buftänbe innerhalb ber menfeh*
liehen ©efeüfchaft, beeinflußt unb hietburd) gu einet mehr ober
minber wahrfcheinlichen gemacht wirb.
SSie aber, wenn bei 6000 SBürfen nicht jebe 3<*hl etwa
(903)
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lOOOmal Auftreten, wenn eine ftatiftiftße $£ßatfad)e aucß bet ©e»
tracßtung großer Waffen feine beftimmte fRegelmäßigfeü geigen
fotfte? fallen bei einem SBürfelftjiel bie uerfdßiebenen Hummern
— immer eine feßt große 3aßl »on SBütfen »orauSgefeßt — nidjt
gleid) oft, fonbetn ein ober mehrere 3aßlett in weit überwiegen»
bem Waße, fo fließen wir, ber SBürfel fei falfd), b. ß. außer
bem 3ufaQ wirft bie 8age be8 ©cßwerpunfte8 gefeßraäßig auf
bie erjtßeinenben SRummetn ein. Unter gewiffen 33orau8feßungen,
wenn un8 g. 33. bie ©eftalt beß SBütfelä genau berannt ift, wirb
e8 fogar möglitß, au8 bet 3ufammenfteUung ber in nerfdßiebenet
9tagaßl erfcßeinenben fftummern auf bie 8age be8 ©cßwerpunftS
im Sßürfel 311 fdjließen, alfo biejenige Urfatße, weltße bie 9(b»
Weisung »on ben ©ejeßen ber Söaßrfdßeinlicßfeit bewirft, gu er*
grünben. SDie Uebertragung auf ftatiftifcße 3ufammeufteüungen
ergiebt ftd) fofort. 2So bie ftatiftifcße ©onberung bet ©tfcßei*
nungen feine feften, fonbern wecßjelnbe 3aßlen liefert, wirb bie
©tfcßeinung nicßt nur buttb gufädige, fonbern aucß burcß gejeß«
mäßig auftretenbe ©ritnbe beftimmt, beren ftUrfungen in bet
Waffenbeobacßtung ficßtbar werben. Unb wie ficß oorßin bie
Aufgabe ftedte, ben ©cßwerpunft beß SBürfelS gu finben, tritt
jeßt bie ftorberung auf, au8 bem ftatiftifcßen Waterial jene ficß
in ber Waffe nicßt nerlierenbe Utfacße gu ermitteln.
$Die SBerwenbung bet SBaßrjcßeinlicßfeitSrecßnung gut göfung
berartiger Aufgaben wirb bereits burcß bie beiben älteften Ser*
noulli’8 -angebeutet; bocß erft bem ©enie beß 8aßlace gelang
eß, bie Jpülfßmittel ber fRecßnung gnr ^Bewältigung folget fragen
auSgubilben. ©ine ber intereff antefteu Sßfungen, welcße 8aplace
burcß bie 9tnwenbung bet äöiffenicßaft beß gefunben Wenfcßeit*
»erftanbeS — wie er bie äöaßrfcßeinlicßfeitdrecßnung nennt —
auf berartige Aufgaben erßielt, werbe im golgenben mitgetßeitt.
bereits feit etwa einem fjaßrßuubert ift ben ©tatiftifern
(S04)
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belannt, baß meßr Knaben wie SDiäbdjen geboren werben, golge»
rungen über baö Uebetwiegen eines ©efd)led)t8 bürfen an biefc
5£ßatfadje nid)t angefnüpft werben, ba Änaben unb fBiäbdjen in
terjdjiebenen ©egenben ber ©terblicßfeit in fetjr oerfdjiebenem
©tabe au8gefe$t finb. ©aö Uebetwiegen ber Änabengeburten
finbct jebocb allgemein ftatt ; fo werben im beutfdjen SReidje auf
100 8)iäbd)en etwa 106 Äuaben geboren, gaplace, welcher
biefeö Serßältniß gu beginn beö Salftßunbertö für granfreid)
auffudjte, fanb, baß für alle üDepartementö, bie genaue ©eburtö*
liften liefern fonnten, fidpbie ©eburteu ber beibeu ©efdjledjter
wie 22:21 oerfyielten. ©ine 2lu8naßme bilbete nur 9)ariö, für
welche ©tabt ftd) ein öerljältniß 25 : 24 ootfanb. 2)er Unter«
fdjieb ber beiben 33ert)ältniffe fdjien betn forgfanten fDiatljematifet
groß genug, um ber Urfadje beöjelben nadjgufpüten. S5urdj
eine gefcßicfte Siedfnung fanb berfelbe, baß man mit einer SBaljt»
fcfyeinlidjfeit gleidj |f|, alfo mit natyegu uoller ©ewißfyeit, be«
Raupten fönne, biefe Slbweidjung ber 33erl>ältniffe finbe in feinem
3ufaÖ, fonbern in einer gefeßmäßig witfenben Urjadje tljre S$e»
grünbung. @8 gelang ißm, biefe Urfadje gu ermitteln. £Die
bem ginbeltjaufe in ^ariö gugefüßrten Äinbet riefen für Claris
bie aufgefallene äuönaßme Ijeroor. 3n biefeö würben audj
£inber aufgenommen, welche außerhalb ber ©tabt geboren waren,
unb gwar, wie bie Giften ber tUnftalt geigten, gumeift Söläbcßen.
^ierburdt würbe bei ©inredjnung ber ginbelfinber ein abweüßen«
beö ©eburtÖDerßältniß ßeroorgerufen. 3118 bie giubeltinber auö
bet Sledjnung fortgelaffen würben, ergab fid) für §)ari8 baSfelbe
33erljältniß , wie für bie überigen SDepartementö.
©ewiß lodt biefeö söeifpiel beö berüßmteu ÜJiatljematiferd,
weldjer bie fdjeinbare 3luönaßme bei einer ftatiftifdjen Siegel burd)
eine regelmäßig wirten De Urfadje ertlärte, bagu an, aurfj auf anberen
©ebieten ber ©tatiftif ba8 ©leidje gu »erfudjen. SBo^l wäre eö
cm
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g. 53. hochbebeutfam, in biefer SBeife einen beftimmten, butch Sagten*
angaben als unanfechtbar ^ingefleDten ©runb für bie entfefclidje
Steigerung bet Verbrechen gegen geben unb ©icherheit in ben
lefcten Sauren, welche baS 53eben!en aller Patrioten hernorruft,
aufftellen gn fönnen. 2lber jebet 53etfuch, in biejet SBeife 5luf*
flärung über Erfdjeinungen ber ©efeUfchaft gu gewinnen, bebatf
bet äufjerften 93orfid)t. Äeine Eticheinung ift fyier mit genügen*
bet Sicherheit ttjeoretifd) tjerleitbar , jebe VorauSfejjung, jebe
Sinnahme wirb nur burd) bie ^Beobachtung gewonnen, 35ahet
bebarf auch jebeö 9fechnungSrefultat be8 nachträglichen VeweifeS
butch bie praftifdje Erfahrung. Slber bie bisherigen Erfahrungen
ber ©tatiftif finb nicht nur räumlich wie geitlich im 5Bergleict>
gut üftaffe bet unS berührenben Erfdjeinungen gering, fonbern
fie erftrecfen fich auch meift auf fdjwer übetiehbare ©ombinationen
ber ben SJtenfdjen beeinfluffenben Verhältniffe. 2>aS Mittel,
burch welches bie SRaturwiffenfchaft gut iölüttje gelangte, baS
Experiment, ift bem ©tatiftifer »erjagt, ba jeber mit ÜRafjen
angeftellte Verfuch, wenn er überhaupt möglich ift, fchwere ®e*
fahren birgt. 2)ahet ift er gegwungen, fi<h an bie Ergebniffe
gu halten» welche bie Erfdjeinungen ber ungerichteten, in fo
nerwicfeltem 3ufammenhang ftehenben wirflid)en ©efelljchaft bieten.
Er fteljt ihren S3ewegungen gegenüber wie ein ^hhftfer, bem bie
einfachen ©efejje ber glüjfigfeiten unb ©afe unbefannt wären,
nerwicfelten meteorologifchen $)rogeffen. <Daher ift bie SluSbeute,
welche bie 3Sahrjdje«nlid}feit8rechnung bisher gut Slufflärung
gefeHfchaftlidjer unb fpegieQ wirttjfchaftlicher ©treitfragen liefern
fonute, gering, wie bie iparteifämpfe ber ©egenwart, bie noch
immer nicht geflärten Slnfichten über fdjeinbar fo einfache wirtl)*
fchaftliche gingen, wie über greihanbel unb ©chuhgoU, geigen.
Stber eine wiffenfchaftliche ©tatiftif ift hoch ber eiugige gaben,
welcher uns, allerbingS nur bei 53eachtung ber größten Vorficht,
(906)
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in biefem gabprinth oerworrener Qtnfic^teu unb ©vfd’einuugen
gurecht leiten fann. —
@ref}er, wie auf bem ©ebiete ber Statiftif finb bie Sriumptye,
welche unfere tRedjnung bei bet Slnwenbung auf bie Statur*
wiiienfchaften errungen hat- 3)urch ihre Benufjung erreichen bie
Beobachtungen einen ©rab ber ©enauigfeit, welcher uns nicht
nur über bie Unoollfommenheit unfever Sinnesorgane hinweghebt,
fonbern jogat in manchen «allen erlaubt, bie Ungenauigfeit
berfelben burch 3«hl nab 3Rah feftguftetlen. 3m 3ahre 1809
ueröffentlichte ©auf?, ber gürft ber ÜRathematifer, wie er wegen
beS SReicpthumS feiner Arbeiten auf fo oielen mathemathifchen
©ebieten, wegen ber Schärfe feiner Beweife unb wegen ber än»
wenbungen, welche feine p^pfxfalifc^cn Arbeiten im praftifchen
geben fanben, genannt würbe, in feinem unterblieben SBerfe
Theoria motus corporum coelestium (BewegungStl)eorie ber
.piinmelsförpet) eine SRettjobe, burch Becoielfältigung ber Beeb*
achtungen bie Schärfe ber ÜReffung 3U erhöhen. Sehnliche Söeen,
wenn auch in ber Bcllftänbigfeit wie ©auf}, behanbelten
gegenbre unb ga place um etwa biefelbe Beit. 2)et Bwec!
unb baß '])rincip ber oon biefen gorfchern oerwenbeten SRethobe
fann burch ein einfaches Beifpiel gezeigt werben. SDie gänge
einer ©treefe foU burch birefte SReffung ermittelt werben; man
beruhigt fid) jeboch nicht mit einer einmaligen ÜReffung, fonbern
biefe wirb niermal unter Stufweubung ftetS gleichet Sorgfalt unb
mit benfelben ober hoch, foweit wir ju urteilen oermögen, gleich
genauen Apparaten wieberljolt. SDie fRefuliate biefer ÜReffungen
feien :
12,342 xu, 12,351 m, 12,346 m, 12,349 m;
fo wirb man, felbft wenn man mit feiner ^heor*e ber gehler =
auSgleidning befannt ift, als wahrfcheinlichfteS «Rejultat biefev
ÜReffungen bas arithmetijehe ÜRittel ber oiet Beobachtungen, alfo
(907)
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12,342 + 12,351 + 12,346 + 12,349
4
= 12,347 m fegen. SDiefeS
alte Betfabren, welches ein gewiffet maibematifchet 3nftinft jeben
9>raftifer bei berariigen 5Reffungen anwenben läßt, erfahrt in
bet non ©auf} entwicfelten ÜRetßobe feine ©rflärung unb @r»
Weiterung anf fdjmietigere Probleme ber Beobachtung. Äeiue
ÜReffung, welcher 9lrt fte auch fei, ift abfolut genau; bie fie be»
einfluffenben fehler fegen fidj au§ ben oerfd)iebenaTtigften Ur*
fachen jufammen. $£bfitö liegen fie in gewiffen Keinen ©on*
ftructionSfeblern felbft ber beftgebauten 3n[trumente, tbeilS in
äußeren, ber bireften {Rechnung nicht zugänglichen, meift meteo*
rologifchen Borgängen, tbeilS in Unoollfommenbeiten ober mo>
mentanen Trübungen unferer Sinne. ©ine Trennung biefer
. oerfcbiebenartigen geblerqueßen ift faft niemals möglich; um
ihren ©influß bennodj aus ben Beobachtungen auSjufcßeiben,
»enbet bie Stbeorie foIgenbeS Berfabren an: {Dian benft ficb
jebe Beobachtung non zwar febt fleinen, abet außerorbentlich
oielen Störungen beeinflußt, welche eben fo gut nach ber einen,
wie nach ber anbeten {Richtung einwirfen, ober, wie bie matbe»
matifdbe SluSbrucfSmeife fagt, abfolut gleich, aber halb pofiti»,
balb negatio auftreten fönnen. 3ebet bei ber SReffung ficb
»«flieh einftellenbe gebier entftebt nach biefer ©runbaunabme
burch eine ©ombination jener pofitiuen unb negatioen gebiet;
nach ber 2lrt biefer ©ombinatiouen »erben baber oetfchieben
große gebier in oetfchiebener Sab1 auftreten muffen. {Rehmen
»it an, baß bei jeber ÜReffung 100 ©runbfehler auftreten, beten
jebet bie abfolute ©töße f habe unb baS ÜReffungSrefultat balb
oergrößern, balb oerfleinern fßnne. {Die größte Ueberichreitung
beS richtigen {RefnltatS, bei welchem alle gebier nach gleicher
pofitiner {Richtung zufammenwirfen muffen, ift lOOf. fDiefer
gebier fann nach unferer $beDlle nur einmal oorfommen. SDer
(908)
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33
näehft «Heinere mögliche geilet ift 98 f. @r entfielt, wenn 99
unferer elementaren gebier f alg pofttio, einer berfelben alg negativ
auftreten ; unb ba jeber bet 100 elementaren geiler als negatio
auftreten fann, wenn wir ba8 SBalten beg abfolutcn 3ufallg bei
ber Silbung unferer geljler ooraugfefcen , fann bet gebier 98 f
in 100 nerfchiebenen Söeifen gebilbet werben. 35emnad) ift bie
2Babtfd)eintid)feit für bag Auftreten beg geblerS 98f 100 mal
fo groft wie bie, baf) ftd) bet geiler lOOf »orfinbe. SDernädjft*
fleinere genfer ift 96 f, burd) 98 pofitioe unb 2 negatioe ©runb»
feljler gebilbet. ©ine einfache 9ied)nung ergiebt, baf) biefer
geiler in 4 950 oerfdjiebenen SBeifen entfteljen fann. SBir er*
fennen )<hon, baf) nach unferer SL^eorie bet geblerbilbung fid)
für bas Auftreten ber »erfd)iebenen gebier oerfd)iebene, burd) bie
3ied)nung beftimmbare 3Babrfd)einlid)feiten ergeben unb fid) ba*
bet, bie Uebereinftimmung unferer Slbeorie mit bet ©rfabrung
oorauggefejjt , in einer grofjern 3<>bl ÜDR Beobachtungen jeber
gebier in einer ganj beftimmten Anzahl »orfinbcn mufe. 35a fid)
alfo bie Abweichungen ber gefunbencn Beobad)tungSrefultate Dom
wirflicb tintigen SBertbe nad) einem beftimmten ©ejefce gruppi*
ren, wirb eö burd) Beachtung biefeö ©ruppirungggefeheg aud)
möglich, ben richtigen ober oielmebr, ba wir immer nur mit
9Jtöglid)feiteit unb 2ßabrjdjeinlid)feiten, nie mit ©ewipbeiten ope*
riren, ben wabrfd)einlid)ften SBertb ber gefugten ©röfje auS
ben feblerbaften Beobachtungen ju fiuben. 35ie ©ntwicflung bet
Oieebnung füljrt auf bie Bebingung, baf) biejenige ©röfje bie
wabrfcbeinlidjfte fei ,* für welche bie Summe auS ben Duabraten
bet Abweichungen gwifeben ihr unb ben einzelnen Beobachtungen,
alfo bie Summe ber gel)lerquabrate, möglid)ft Hein fei. 35iefer
golgerung Derbanft bag Berfabren feinen Oiatnen alg „Oft etbobe
ber fleinften Ouabrate". S)ag ^rinjip beS aritbmetifcbeu
9)iittelS, wie eg Dorbin an bem Beifpiele einet gängenmeffung
XIV. 335. 3 (»US)
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34
erläutert würbe, jtedt ftdj als eiue einfache Folgerung unterer
2^eorie bar; uub umgefebrt wirb e8 , wie ©au § nadfgewiefen
hat, möglich, bie gange S^eorie über bie 33ert^eilung ber geilet
aufgubauen, wenn ber ©ebraud) be8 arithmetifdjen SRittelS al8
richtig gugeftanben wirb.
SDiefe auf rein abftraften 3been aufgebaute Sljeorie über
bie ©ntftet)ung unb Sertbeitung ber geiler barf natürlich erft,
wenn ihre 33raud)barfeit tu auSreich enbern 9Jta§e burdj Vergleich
ihrer Stefultate mit benen bet ^Beobachtung beftätigt wirb, beu
ÜJieffungen ber fPrajriS gu ©runbe gelegt werben. SDiefe $>robe
ift nun für neuere, wie ältere SBeo bachtungen Dielfach in forg»
famfter SBeife aufigefüljrt worben. @o h“t g. 58. ber befannte
Uftronom SBeffel 470 ^Beobachtungen eines Sternortfi, welche
»on SBrable^ gu Anfang beö ad)tgehnten Sahrijunbett, alfo cor
mehr al8 150 fahren, auSgeführt würben, einer Prüfung unter»
gogen. 2)et SBergleich gwifcheu St^eorie unb ©tfaljrung fteQte
fich wie folgt:
gebier in '/«> 2Sinfelfecunben
jtoifdjen:
atnjabl nach
ber
Sporte
ber
Erfahrung
o unb i
95
94
1 „ 2
89
88
2,3
78
78
3,4
64
58
4,5
50
51
5,6
36
36
6,7
24
26
7,8
15
14
8,3
9
10
9 , 10
5
7
über io
5
8
Summe ber Seobadftungen
470
470
(910)
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35
SDic in biejem, wie in jo manchem anbern ©eifpiel gefunbene
Uebereinftimmung barf nicht nur als bie fdjönfte ©eftätigung
ber burd) bie S^eorie ber fleinften Duabrate erhaltenen iRejultate,
jonbern überhaupt als ein ©eweiS für bie SRichtigfeit ber in ber
SöahrfcheinlichfeitSrechnuug benufcten ^ringipien betrautet wetbeu
50tit $ülfe biejer 9Reth»be, welche ^au)>tfä^Itcb auf aftro»
nomifche ©eobadjtungen angewenbet wirb, erteilten bie ©e*
ftimmungen für bie ©eweg ungen ber ©eftirne einen aufcerorbent*
lid^en ©rab bet Schärfe. SBenn eS ber Sßiffenjchaft eines
Ab am 3 unb 8e»errier’S möglich geworben ift, aus ben geringen
Störungen, welche ber planet UranuS geigte, aus ben geringen
Abweichungen, um welche er fid) bei feinem gaufe non bet be*
rechneten ©ahn entfernte, mehrere beftimmenbe (Elemente eines
bis bahin non feinem Sterblichen beachteten Planeten gu ent*
becfen unb ber ©eobachtung ben JDrt am £immel angugeben,
wo ftch baS bis bahin nur geiftig erfannte ©eftirn auch bem
förderlichen Auge geigte, wenn eS bem SRenjchen gelungen ift,
in biejer Umfaffung ben ©ebanfen bet Schöpfung gu erfennen,
hat er bev Anwenbung ber SBahrfcheinlichfettSrechnung nicht gum
SRinbeften biejen (Erfolg gu banfen. 3a, bieje 9Retl)obe ber
©eobachtung macht eS unS jogar burd) fRücfichlüffe auf bie IRatur
ber auftretenben fehler möglich, (Erfahrungen übet bie SBirfungS*
weife unferer Sinne gu ermitteln, liniere Theorie lehrt, bie
Abweichungen, welche fich in ben ©eobachtungSfehlern auSjprechen,
nach ber ©röfce ihrer Bahlenwerthe in gemifje ©ruppen getlegen.
??allö biefe ©ruppen bebeutenb non bet burd) bie $the<me bet
SBahtfcheinlidjfeit geforberten AuSbehnung abweichen, liegt ein
Angeidjen oor, bah aufcer gufälligen ©inflüfjen fich anbere, welche
nach beftimmter 5Regel wirfen, geltenb machen. 3n ber gweiten
^alfte beS »origen 3ahrhunbertS mu|te ein Ajftftent ber Stern;
warte gu ©reenwid) entlaffen werben, weil berjelbe jo bebeutenbe
3* (911)
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36
33eoba<htung8fehler beging, bafj feine 33erwenbung ungeeignet
etfd)ien. SBenige 3ahrieh*»te fpäter würbe in biefetn SSorfomm*
nifj nur eine befonberS auffällige 33eftätigung jener, in ber
Drganijation eines jeben ^Beobachters begrün beten Urfac^e gu
fehlerhaften ^Beobachtungen erfannt, welche ^eute bei aßen feine*
ren Unterfuchungeu als bie perfönlichc ©leidjung beS 93eob*
adhterS SJerücfftchtigung finbet. Unter biefer perfönlidjen ©leidjuug
»erfleht man biejenige Abweichung in ber S£l)ätigfeit ber ©inneS*
organe bei »erfdjiebenen $)erfonen, infolge bereu fie gur Auf*
faffung beffelben ©reigniffeS burd) ©eficf)t unb ©eher »erfdjiebene
3eit braiuhen. S3on gwei ^Beobachtern, bie unter gleidhen Um*
ftänben ben Durchgang eines ©ternS burdj baS gabenfreug eines
Fernrohrs beobadhten, bemerft ber eine biefeu fötement inbegug
auf ben ©d)lag einer $)enbeluhr etwas früher als ber anbere.
©iefer Unterfchieb in ben S3ewu§tfeinS*6mpfinbungen ber beiben
Beobachter hetfjt ihre perfönlidhe ©leidjung. 2)icfelbc bleibt bei
gwei geübten Beobachtern giemlid) fonftant, fann aber bis gu
einer halben ©eeunbe fteigen. Sn enger Berbinbung mit ihr
fleht bie fogenannte phbftologif^e 3«*t, weldhe bie Beitbauer an*
giebt, bie gwifdjen einem äufjern ©inbruef unb einer hierburd)
fo fchneß wie möglich »eraniafcteu Action »erfliefjt unb beren
Beftimmung in neuefter 3eit ber ©egenftanb zahlreicher, intet*
effanter Berfuche geworben ift. @o h«i baS in bet Aftronomie
gefammelte unb mittelft ber SBahrfcheinlichfeitSrechnung georbnete
SDtaterial ber BeobachtungSfehler einen Anlafc gur ©ntbeefung
unb Ausbeute williger phhftolcgifdher üljatfachen gegeben. 3e
gasreicher berartige Seblerbeobachtungen oorliegen unb auf je
weitere 3eitr5umc fich biefelben für baS eingeine 3nbieibuum
»erteilen, befto eher bürfen wir taffen, oudj nn ihnen ©efe&*
mfifcigfeiten gu entbeefen, welche »ielleidht eine fpätere ©eneration
gur charalteriftifchen SBerthfchüfcung für bie fachliche Jüdjtigfeit
C91S)
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37
beS Beobachters oermenbet. 3)ie com einzelnen 3nbiöibuutn in
ber ©ejellfcbaft unb bet ber Beobachtung gemachten gehler bilben
beffett fpegielle ©tatiftif.
Slbcr bie 2Bahrfcheinli<hfeit8rechnung hat unS nicht nur be* '
fäljigt, ein fdjarf gefidjtetcö BeobadbtungSmatcrial gtt ermetben
unb an biefem bie SRichtigfeit ber »on unS nufgeftellten fRatur*
gefefce gu prüfen; fonbern in ben testen 3crt)^e^nten ift fte felbft
alö SDeuterin ber ©rfcheinungen aufgetreten unb hat eine ^tngaljl
bis bahtn unoermitielter ©efefje als BJirfungen berfelben Urfadsen
erflärt. $n ber bpnamifchen Slheotie bet ©afe lehrt bie SSahr»
fcheinlich!eitSred)nung, alle unS befannten ©efefce ber ©afe auS
betten beS abfoluten 3ufallS 3H ermitteln.
3Die erften Anfänge biefer &h«mie rcidjen merfmürbiger
SBeije bis auf bte Seit ber Begtünbung ber 3Bal}rfcheinlichfeit8«
rechnung gttrücf. 3tt ber gmeiten Hälfte beS fiebgehnten 3ahr*
hunbeTtS hatten bie gorfcherBople unb URariotte bas ©efetj
entbeeft, nach meldtem gujammcngebrücfte ober auSgebehnte, auf
einen fleinetu ober gröfcern {Raum gebrachte Suft ben $)rucf
auf bie SBänbe beS fte einfdjliefjenben ©cfäfjeS ättbert. ÜDaS
{Refultat biefer Bcrfuche liefert ein überrafdjenb einfaches, unter
bem {Ramen URariette’S befannteS ©efetj: 2)ev IDrucf ber 8uft
ober überhaupt eines beliebigen ©afeS änbert fidj im umge«
fehrten Berhältniffe, wie baS oott ihr eingenommene Bolumen,
oorauSgcie^t, bah hie Ücmperatur beS ©afeS ftets biefelbe bleibe.
IDaniel Beruoulli, ein {Reffe beS bereits ermähnten BerfafferS
ber Ars conjectandi, tüchtig als fflrgt, berühmt als {fRathematifer,
fuchte in feiner im 3al)re 1758 erjehienenen ^nbrobpnamit
biefeS merfmürbige ©ejefe Cer gasförmigen Körper burd) 3n=
nähme über ihre atomiftifdje ©onftitution gu ertlären. 3)enn
baS im 5Ra ri ottc’fdjen ©efe^ auSgebrürfte Berhalten ber gaS*
förmigen Körper, nad) meld)em bieje einen non ihrem ©igen*
(9IJ)
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38
guftanbc abhängigen 5)rucf auf bie fte umfchliefjenben SBänbe
üben, ift gewifj ein ^öd?ft eigenthümlicheg; eg tritt bieg noch
beutlidjer heroor, wenn man an bie ©igenfdjaften ber feften unb
* flüfftgen Äörper benft, »eiche auf ben erften ©lief nidjtö Analoges
geigen. Unferer ©eneration ift burch bie Dielfachen Slnmenbun*
gen bc8 OKariotte’fdjen ©efefjeg, burch ben ©ebrauch, welche
baö praftifche Üebeu non ben ©igenfdjaften- ber oerfebiebenften
©afe macht, baß ©cfühl ber ©erwunberung über bie merf*
»ürbigen ©rfcheinungen ber gagförmigen Äörper fehr geminbert.
3u 3eiten 3)aniel ©ernoulli’g aber, wo nur wenige ©afe be*
farut waren unb man eben begonnen hatte/ ihre eigtuthümlichen
©igenfdjaften gu ftubiren, trab bieg ©efühl in »oller ©tärfe auf
unb brängte gu Annahmen, welche bag Slbweidjen im ©erhalten
ber ©afe »on bem bet feften unb flüffigen Äörper erflärlidj
machen follten.
©riechifche hatten bereits eine 3tnfid?t augge*
bilbet, welche bie ©igenfdjaften, ©iuwirfungen unb »ilenberungen
eineg jeben Äörperg aug ber Annahme herguleiten f uchte, bet
Körper fei feine ftetige SJtaffe, fonbern beftehe aug fehr fleinen,
burch 3wifchenräume getrennten S£^eitd)en. SDiefe Teilchen,
Sltome genannt, finb feiner SMenbetung mehr fähig, fonbern nur
ber ©emegung unterworfen; unb alle ©rfcheinungen ber Körper«
Welt beruhen nach biefet fttnftdjt auf SOtiidjungen unb Drtgoer»
änberungen ber ültome. 3Die fiih entmicfelnbe fftaturwiffenfdjaft hat
biefe ^jppotljefe nicht nur guläffig, fonbern für bie ©rflärung ungäfj*
Iiger, befonberg djemifdjer ©rfcheinungen unentbehrlich gefnnben.
9lur feften ftdj nach ben SSuffdjlüffeu bet ©Ijemie bie meiften ©tojfe
nicht birect außeinfachen Atomen, fonbern aug gefeftmäfjig gebilbeten
Sltomgtuppen gufammen, fo bafc bie fftatur eineg jforperg weniger
burch bie in ihm enthaltenen ätome, wie burch bie oou biefen ge*
bilbeten ätomgruppen bebingt wirb, ©ine folche 'Ätomgruppe Ijei&t
(»i«)
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39
fJRolefül; fo lange ein Äötpet in feinet chemifchen 3ufammenfet3ung
ungeönbert bleibt, befielst et auS benfelben ÜRolefülen. Daniel
Sernoulli nahm nun an, baff bie ein @a6 bilbenben fleinften
^eilc^en, alio, wie bie heutige Siffenfchaft fagt, bie baffelbe
gufammenfefjenben 9Rolefüle ohne jcben ©influfj .auf einanber
feien unb jebeS ÜJiolefül eine beftimmte Bewegung Ijabe. Sei
biefet Sewegnng ber fDiolefüle, welche nut ben ©efefjen beS
3ufaDS unterworfen fein foO, in welcher alfo jebe SewegungS* •
ridjtung gleich oft fid) oorfinben ioQ, roetben in febem äugen»
blicfe gewiffe fBiolefüle gegeneinanbet, anbete an bie 3Banb beS
umfchliefjeuben ©efcifjeS prallen. SDiefe in ihrer Bewegung ge»
ftörten fBlolefüle foflen fid) bei bern Stofe wie poUfommen clafti»
fche jförper perhalten, alfo nach ben ©efefeen über elaftifche
Äörper gurücfgeworfen werben. 9Ran benfe fid), fagt Sernoulli,
ein cplinbtifcheS, fenfredjt ftefeenbeS ©efäfe unb barin einen be*
weglichen Stempel, auf welchem ein ©ewicfet liegt. Die ^>öf)lung
möge änfeerft fteine Äerperchen enthalten, welche fi<h mit gtofeet
©efchwinbigfeit nach offen ^Richtungen hin bewegen. Dann
würben biefe Äörperchen, welche infolge ihres unaufhörlichen
änpraOenS ben Stempel tragen, ein ©aS barftellen. 3e gtofeet
bie 3ahl ber in einer beftimmten 3*it ben Stempel treffenben
Körper ift, befto gröfeer wirb baS ©cwidjt fein, welches non ben«
felbeu fchwebenb erhalten wirb. Sirb alfo bie Höhlung beS ©e«
fäfeeS nach irgenb einem Serhältnife oerringert, mit anberen
Sorten, baS Solutuen beS ©afeS perfleinert, fo wirb bie 3al)l
ber ben Stempel treffenben Stöfee in gleichem Serhältnife per«
gröfeert, bemnach ein in gleichem Serhältnife oergrßfeerteS ©ewicht
getragen. Somit gelangt Sernoulli ju einer fcharfen @t!lä*
ruttg beS ihm anfgefaHenen ©efefeeS.
SDiefe fdjatffinnige ^pppothefe blieb über ein Sahrfeunbert
unbeachtet. Die Siffenfcfeaft war befd)äftigt, ben immer mehr
(915)
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40
anftgwellenben Stoff über baS Sergalten bei ©afe butdg genaue
Serfudje ju fisten. SDaS merfroürbige, ebenfadS burcg ein
äugerft einfacgeS, allgemein geltenbeß ©efeg barftedbare 23er»
galten ber ©afe gegen bie ©inflüffe bet 2Bärme, neue Sluffcglüffe,
welcge man übet baS Sejen bet SBärme gewann, liegen enblicg
ben SBunjcg wiebet aufleben, bie oerfcgiebenen, burcg i^te ©in*
facggeit fo merfwürbigen ©efege, welcge baS Setgalten bet ©afe
bei Ulenberungen beS S5rucf$, beö SolumenS unb bet Semperatur
regeln, aus einem 9>ringipe gerguleiten. 2)iefe8 $)rinjip war in
Sernoulli’S änficgten über bie ©onftitution ber ©afe bereits
gegeben. $Die Säge ber SSBärmelegre nßtgigen gur Slufftedung,
uicgt ber <£>ppotgefe, fonbern beS weglbegrünbeten SageS, bag
jene Slenbetung im 3uftanbe cineö ÄßrperS, welche unjer ©efügl
als eine £emperatur*@rgßgung begeicgnet, mit einet Setgrßgerung
ber SBirfungSfägigfeit ober, wie ber tecgmfcge 9lußbrucf lautet,
bet lebenbigen Äraft ber fleinften Slgeile beS ÄßrpetS, bet 5Rolefüle,
ibentijcg fei. Serbinbet man biefen uttjweifelgaft tintigen ©ag
mit ber Set noulli’fcgen £ppotgefe über baS SSefen bev ©aß*
form, fo wirb eS mßglicg, alle biSget für bie ©afe aufgefunbenen
©äge mit £ülfe ber SBagrfcgeinlicgfeitSrecgnung, ber ©efege bet
grogen 3^len, welcge baS Spiel ber in igrer Sewegung nur
bem 3ufad unterworfenen ÜJiolelüle regeln, gerguleitcn. Sefon«
betß beutfcge gorfdjer, 61 au fiuS in Sonn unb füieper in
SreSlau, gaben ficg burcg bie ISuSbilbung biejer bpnamifcgen
Slgeorie ber ©afe goge Serbienfte erworben. £Die Setracgtnng
gat ficg jebocg nicgt barauf befcgränft, bie befannten ©efege als
Folgerungen eines ^rin^ips gerguleiten, fonbern bie burcg bie
matgematifcge 9lnalpfe gewonnenen Folgerungen erfcgloffcn, ber
experimentellen ©rfagrung »oranetlenb, neue ©ebiete ber Unter»
fucgung, welcge biSger in allen Fäden baS Stefultat ber {Recgnung
beftätigte. 2)ie Serfucge über ben SteibungSwiberftanb, welken
<»16)
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41
ein ©a8 ber ©ewegung eines anberen entgegenfegt, übet baS
gegenfeitige SDurdjbringen, bie Abforption ber ®afe, über baS ©er»
mögen ber ©afe, eine $em}>eratur*©rhöhung weiter gu leiten, finb
tgeilS burdb bie bpnamifcge Siheorie getoorgerufen worben, tgeilS
erhielten fie burdi biefe erft größere ©ebeutung. Selbft bie geringen
Abweichungen gwifegen Sheorie uub ©rfagrung, welche überigenS fo
augerorbeutlich flein finb, ba| eS bet mit ber peinlicgften Sorg*
falt auflgefübrten ©erfuche beburfte, um biefe Abweichungen feftgu*
fteden, fönnen jene $beDm nicht erfchüttern. SBie bie Grntberfung
ber ftarbengerftremtug 3unachft als ein ©egenfag gut SSetlen*
theorie beS 8icgt8 aufgefagt würbe, heute übet bei bet weitern
AuSbilbung berfelben eine ihrer ©runbftügen geworben ift; wie
fid) auS ben geringen «Störungen, welche bie Planeten bei bem
Umlaufe um bie Sonne geigen unb bie gunächft bem fftewton’»
fegen ©efeg gu wiberfpredjen fcheinen, bie fiegerften ©ewetfe
für baffelbe unb gahlreiche JpülfSmittel gut ©rfenntnig unfcreS
IBeltfpftemS ergeben, fo finb auch bie äugerft geringen Ab»
weiebungen oon ben ^orberungen ber St^eoric, welche bie ©afe
geigen, beftimmt, ber SJ;h«orie größere AuSbilbung unb ©egrün*
bung, unferer .fteuntnig über bie 9iatur ber eingelnen ©afe
grögere Ausdehnung gu oerleihen. 5)ie bisherigen fRefultate fegen
oorauS, bag bie eingelnen SDtoletüle beS ©afeS feinen ©influg
auf einanber auSüben, eine Anficht, welche nur für eine unenbliche
©erbünnung bet ©afe, alfo für einen idealen Suftanb, richtig
fein fann. 2>ie gu unferen ©erfudjen gu ©ebote ftegenben ©afe
finb biefem ibealen 3uftanbe wogl nage gerüeft, aber boch noch
ju weit non ihm entfernt, als bag fidh nicht bie gegenfeitige
Sirfung ber föiolefüle in fleineu Abweidhungen fönnte bemerfbar
machen. Sie finb 3wijcgengliebet einer Äette, beten Anfangs»
glieb ber flüffige ober fefte, bereu ©nbglieb bet ibeal»ga8förmige
3uftanb ift, eine Anficht, welche bureg bie con ©ailletet in
UV. Ui. 3** (917)
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42
f>ati8 mtb $>ictetin ©enf erreichte Uebcrfüljrung beS SauerftoffS
SBafferftoffö unb StidEftoffö in ben flüffigen unb feften Slggtegat*
guftanb eine weitete experimentelle 93egtünbmtggefunbenfyat. 2)odj
teid^t unfere Theorie Ijeute fdjon au$, um un8 ein burd) mot)l*
begriinbete 3<d)l<nwertf}e unterftü^teö SSilb »on bet SBirffamfeit
bet SJtolefüle bei ben widjtigften ©agarten ju »erraffen. £iet=
nadj bewegen fidi bie einzelnen 5Jtolefüle mit au§erorbentlid)
großer ©efdjwinbigfeit; bennodj ift in golge bet feljt fyofyen
bet fortwätyrenb einttetenben Stö&e jwifdjen ben SJtolc*
fülen bet 3Beg, welken ein SJtolefül jwifdjen jwei fic^
folgenben Stößen gurücflegt, im ©urdjfcfynitt aufcerorbentlid) flein.
Um eine Stnjdjauung tjietüber ju gewinnen, fügten wit ben
mittletn äBeg ein, b. I}. benjenigen 2Beg, welket, »on bet ©e*
fammtja^l bet SMefüle jurüdgelegt, biejelbe SBegfumme Uefett,
wie bie Summe bet »on ben einjelnen fDtolefülcn wirHid) ge*
machten SBege. 3)ie folgenbe Tabelle liefert bie »on ©laufiuS
für einige ©aöarten beredpneten, füt eine Temperatur »on 0°
unb 760 mm Sarometerftanb geltenben 3aplen:
@a«
UJJittlere
@ei<J)ttinbigfcit
in Steter:
Stittlcrer
ffieg in
7>*oo StiHimeter.
5Dnr<pf<pnitt«;ial)l für
bie ©tß|c eine« Stc
lefüt« pro ©ectmbe
in StiQioncn.
Snft
485
86
5,7
©auerftoff
461
89
5,2
©ttdftojf .
492
84
5,9
Söaiferjloff
• 1844
160
11,5
©in ©rftaunen übet bie gtofje 3«pl bet Stöfje obet, wa8
baffelbe wate, übet bie Äleinpeü be8 jwifdjcn jwei Stöfeen eines
ÜOßcle!ül§ liegenben mittletn SßegeS wäre niept geredptfertigt.
(»18)
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48
©ic beftätigen eben nur bie alte (Erfahrung, bafc bie*
jenigen Sftaum« uitb 3eitgrö&en, welche fich gur ©intheilung
unfeter ©ewuf3tjeinS=©mt)finbungen als geeignet erweifen, 31t
SRauni« unb 3eitgro§en auf mannen anberen ©ebieten bcr Statut
in feinem einfachen Verhältniffe ftehcn. UebcrigenS ift bei S3e=
ttachtung bet mitgetheilten Tabelle nicht gu Betgeffen, bafc ihre
Angaben nur ©urchtdjnittStcfultate barfteflen. 91ach bem ©r*
gebnifc bei- ffiahrfcheinlichfcitSrechnung legen nur etwa 37 p©t.
bet 9Jiolefüle ben mittlern 2öeg wirtlich gurücf. ©tma 19 p©t.
machen einen gröfcern 5Beg, währenb 44 p©t. bcr 9Jtelelülc
bereits not ©nrchmeffung beS mittlern SBegS in bie SBirfungS*
fphöre anberet 9Jtolefüle gerathen unb hierburch in ihret Se«
wegung abgelenft werben. —
©er 2lu8flug in baS ©ebiet ber SSahrfcbeinlichfeitSrechnung
ift beenbet, ber Sriumhhgug, welker unS bie ©rgebniffe mathe*
matifdjen ©djarffinnS »orführte, gefchloffen. 3Rit ©tolg bütfen
wir auf baS SJlaterial, welches metrfc^lic^eö Söiffen innerhalb
weniger Sahrhunberte auS fdjeinbar fo geringem Anfang fd)uf,
gurücfblicfen. 9ladjbem bie SSBahrfdjeinlichfeitSrechnung burch bie
Betrachtung ber gewöhnlichen ©lücffpiele ihre ©runbfäfce ge*
Wonnen unb h'etbur<h felbft baS ^rioiale jum ©egenftanbe
wiffenfchaftlicher gotfchnng gemacht hatte, mei§ fie biefe ©runb*
fd^e anguwenben, um in ber ©tatiftif ber menfchlichen ©efcll*
fd?aft, in ber Verfolgung ber ©eobachtungSfehler bem Snbiuibuum,
in bet bnnamifcben Sh£Dr*e bet ©afe ber Materie ihre ©efefje
abgulaufdjen. ©ie Sluffaffung, welche wir Bon ben 9taturgeicfjen
hegen, beginnt infolge ber '.Äuffchlüffe, welche bie SBahrfcheinlid)*
fcitSrechnung über baS SBefen bet gasförmigen Äötper Berfchaffte,
eine anbere 3U werben. 3n bem ©tgebni§ ber VorfteHungcn,
welche bie heutige 9)hbfif über bie ©afe gu hegen — mit bütfen
fagen, gegwungen ift, erfcheint gum erften 9Jiale ein 9iatur»
(919)
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gefefj nidjt als eine feftftetjenbe, aber nad) bet ÄuSbehnung
unferet ©rfeuntnif} gruublofc, nicht ^erguleitenbe [Regel, fonbern
als ba$ SRatürltd^^Söa^rfdjetnlic^e unb baljer auch, mit fRücfftcht
auf bie unenbliche ber @ragel»irfungen gwifchen ben 2Ro«
lefütcn, al8 baS eingig SRögliche. 5DaS [Raturgefefc tritt nic^t
als ein itnabänberlidjeS gatum, fonbern als bie ftatiftifr^e [Regel
einer 9tng4t)l eon ©ingelereigniffen ein. 2öer fann ^eute ahnen,
gu melden (Jrgebniffen burd) bie »eitere Verfolgung biefeS ©c*
banfcnS bie [Raturmiffenfchaft geführt wirb? ©ine [Reihe neuer
gorfd)ungen wirb mit biefen Betrachtungen hewufbefch»oren,
bercn lefcteS 3*el »ieUcir^t ber Beweis beS @afceS fein wirb:
„3)aS ÜRögliche ift baS Voth»enbige."
(950)
Xrui een ®ffcr. Dnger (2t' ©nmm) in 8<rlfn, ©d?ün»f«tg«fu. 17*
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(Sffdlidjtf kt Penagftien
unb
öer 300I0 gifdjr it (ß it r t c tt.
58 on
Dr. med. fflilljelm Stridur
in JJranffurt a. 3Ä.
fiedi» SW. 1879.
23 e r l a g coit Sari £ a b e l.
(£. 16. l'Dbtritj’sdit Btrligsbüi^lianbliing.)
33. fSilfetlm • Strafe« 33.
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®aö SNedjt bev Ueberfefcung in frembe Sprayen mtrb oorbefjalten.
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joologifdjen ©arten btben ihren Kamen »on bem gonbonet
3nftitut erhalten. Sie ftnb in ihrer einfadjften gorm eine bet
älteftcn Grfcbeinungen ber (Sulturgefe^idjte unb fommen fcbon bei
ben 6l)inefen, 3nbern, ©riechen, Römern unb ben SJleficanern
not ber fpanifdben (Eroberung not. SBäfyrenb fie urfprünglicb
eine Stnfammlung ein^eimifc^er Spiere, wie bei ben Körnern
gut Betforgung foftbaret tafeln waren, bei ben ©fyinefen,
Kiericanern unb bis jur Keu$eit bem ©lanj ber fürfttic^en ^>öfe
unb ber Guriofität bienten, bat bie Keujeit fie weiter entwicfelt
unb ^oberen 3wetfen bienftbar gemalt. Ginmal ^at man ge*
fmfjt, wa8 natürlich nur in einem mäßigen Älima tbunlid) ift,
aller Boten jufammenjubringen unb nad) ihren geben#*
nerbältniffen ju Unterbalten, fobann bat man ben 3®ecf bet
Beobachtung ihrer gebenSuerbältniffe unb bie Slcclimati*
fation in ben Borbergrunb gefteöt. geibet ergab ftd) aufjet ben
bisher erwähnten 3»ecfen noch ein weitetet: Beiträge $u liefern
3ut Grforfcbung ber bisher faft unbefannten Äranfbeiten bet
frei lebenben £btere, jumal in ber Stiftung bet SBitterungS»
einflüffe, ba in anberem Älima bie Kacbabmung bet normalen
SebenSbebingungen immer nur eine unooDfommene fein fann.
Unglöcflicbermeife finb gerabe bie tbeuerften unb beim publicum
beliebteften SE^iere, bie antbtopoiben 3lffen, jugleic^ bie empfinb»
XIV. 336. 1* (923)
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4
lidjften gegen bie ©inbrüdfe mtfereS Älimag. 35a8 in btcfer
.fjinfidjt erhielte wiffenfc^aftli^e Sölaterial ljat bet oerbienftoolle
©irector beS goologifdjen ©artenS gu granffurt, Dr. med. veter.
9)iat ©djmibt, gufammengefteHt in feiner „Soologifdjen Älinif"
Berlin 1870—72.
©en tHbfdjnitt gwifdjen ben alten, bem ©lang unb bet
Uieugierbe be8 £ofe8, unb ben neuen, bet Siffenfdjaft bienenben
3oologifdjen ©arten tonnen wir woljl in bie Segrünbung beS
Jardin des plantes in f)ati8 (patentirt 1626, errichtet 1636)
fefjen, ober oieQeidjt nodj richtiger in beffen füeorganifation
(1794), wo bie eigentlich fpftem atifd^e wiffenfdjaftlidje Slug-
nutjung beffelben im größten SDtafeftab begann, wenngleich
beffen ©inridjtung mehr bie einer SOlenagerie war, unb ber
weite SRaum, welchen man heute mit S^edjt ben ühieten 5U 9e'
währe« fudjt, erft in bem Sonbonet goologifdjen ©arten im
Regent’s Park gegeben war. 3m 3ufammenljang mit ber
Sorliebe für naturwiffenfdhaftliche ©tubien beim großen publicum
feit bem ©rfdjeinen »on 3llej:anbet o. ,£>umbolbt’8 &o8mo8
unb ben baran anfnüpfenben Streitfragen trat nach Sieber*
herftetlung be8 eutopäifdjen ftriebenS feit 1856 eine lebhafte
©rünbunggtljätigteit in biefem &ache ein. 3n ©eutjdjlanb würben
fefjt guerft goologifche ©arten al8 2lctien*Unternehmungeu
gegrünbet. ©ie SMütljegeit bet goologifchen ©arten fällt etwa
in bte 3ahre 1862 bi8 1865, wie au8 bet am ©djluh biefer
ISbljanblung gegebenen dhronologifdhen Ueberficht heT^orge^t.
©ie bamal8 in ©eutfdjlanb unb bem öftiichen ©uropa ge»
planten Unternehmungen gerfaUen in oier Älaffen:
1. in foldje, welche gu ©tanbe tarnen unb noch fortbeftehen;
2. in foldje, weldje gwar gu ©tanbe tarnen, aber nach furgern
23eftetjen wieber eingegangen finb;
3. in foldje, welche in befdjränfter Seife in’8 Sehen traten,
fo bafj fie wefentlich auf cinljeimifche Sfcljierc, jebenfallS
(3*4)
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5
mit au8fd)Iu§) ber foftfptcligen {Raubtiere, ihr Stugen»
merf richteten;
4. in folche, welche über baS ©rünbungSftabium überhaupt
nicht hinaus gelangten, wie benn fdjon 1862 oon ber
©rünbung joologijcher ©öden in 8eipjig, Königsberg
JRiga unb Sremen bie Siebe war, welche heute (6nbe
1879) nicht netwitflicht ift (3- @. 3, 2.)
55enn ein goologifcher ©aden ift ein überaus ToftfpieltgeS
Snftitut. 3118 Unternehmen, welches ftdj burch feine eigenen
©innahmen erhalten füll, ift eS nur möglich in einet großen
reichen «Stabt mit wohlhabenber, bichtbewohnter Umgebung unb
gasreichem ^rembennerfehr. Söodheilhaft ift auch, wenn bie
«Stabt birede Seeöetbinbung h^r °ber 'wenigftenS jaljlreiche,
auswärts wohnenbe patriotifche SBürger, burch beren ©efchenfe
bie ungeheuren Koften für bie ©Bibentljaltung beS Üh<etbeftanbe8
Berminbert werben.
25ab, wenn man auf eine grobe SBoQftänbigfeit beS St^icr
»orrathS 3lnfpruch machen will, ber ©arten nicht in einem
erceffi» het§en ober falten Klima liegen batf, Berfteljt fid) oon
felbft. Such bie niebrige Sage am glufj muh Betntieben werben,
weil eine Ueberfchwemmung , wie ber goologijchc ©arten in
Köln ju feinem 9lad)tl)eil erfahren hat» ben 3:l)ierbeftanb oer*
nieten , bie ©ebäube unb Anlagen fthwer befähigen fann.
31 m 11. SJlärj 1876 um 3 Uhr SJtorgenS brang baS Sihein*
waffet plöfclich in ben ©arten unb gerftörte bie in SSorauSjtcht
biefeS ©reigniffeS errichteten Schubbämme. Sei StageSanbruch
ftanben 18 SJtergen unter SBaffer, welches in einzelnen Ühie»
behältern bie ^öhe oon 4 §ub erreichte, ©in grober 21^1
bet SRauboögel crtranf, unb wenn mit grober 3lnftrengung bei
bet nerhältnibmabig furzen 3)auer ber Uebetfchwemmung auch
bie foftbarften $h'ere ßerettet werben fonntcn, fo begijfede fidj
(M4)
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6
bet burch ©lementarcreigniffe Ijetbeigefü^rte ©d}aben immerhin
auf etwa 6000 «Biarf. (3- ©. 18, 306.)
@in goologifcher ©arten ift ein fetjr compltcirteS, fdjmierigeS
Unternehmen. SBelche SJiüfye bereitet, um nur ©ingelneS gu
erwähnen, bie 2lu8wahl gefunben §utter8, bie Bewahrung bet
Schiere »or fröhlichen 2Bitterung8einflüffen, bie Sefchnffung gu*
terlöffiger, ruhiger SBdrter, — benn eine ausgiebige (Jontrole
ift ja nicht möglich, — unb bennoch taffen epibemifcb auftretcnbe
Ätanf^eiten ber unb 33erbauung8organe, beten Urjadjen
man noch nid^t genfigenb fennt, nicht feiten ben gangen Beftanb
einer ^ietflaffe fort, ©o trat in ber 3cit Dom 13. — 16. Sanuat
1877 im goologifdjen ©arten gu granffurt plöjjlicb eine foldje
BKenge oon ©rfranfungSfdllen bei ben Spieren auf, wie bied
feit Sefteljen beffelben (1858) nodj nicht beobachtet worben mar.
@8 war ein epibemifd)er Äatarrh, ähnlich bet ©tippe beim
SERenfdjen, ber halb mehr bie Schleimhäute bet '3thmung8organe,
halb mehr bie ber SerbauungSwerfgeuge ergriff, unb einen
großen SEljeit ber SSieberfäuer unb ber SRaubthiere befiel. Sei
entfprecheitber pflege genafen bie Patienten balb wieber, nur
bie fünf 9lilgau»8lntilopen oermochten fich nicht gu erholen,
fonbetn gingen trojj aller angewen beten Sorgfalt gu ©tunbe.
(3- ©• 18, 181.)
9luf ber anbern ©eite fallen bie unberechenbaren Faunen
unb Borberungcn be8 $)ublifum8 unb bie Ungunft be8 SBetterS
befonberS bei folgen ©arten in’8 ©ewicht, welche feinen ©tocf
Don Ulbonnenten beftjjeu, fonbern allein auf ba8 6intritt8gelb
angewiefen finb. 33a fßnnen fdjon ein paar tegnerifdje ©ommer»
fonntage ein 3)eficit hrrbeiführeu.
Um bem $>ublifum 9teue8 gu bieten, hfll *>wn neuetbingl
mit (Erfolg mehrfach begonnen, ©eewaff eraquarien mit
goologifdjen ©arten gu oerbinben. 3h“ Anlage auch ^lä^en,
CM«)
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welche entfernt »on bet SReeredfüfte liefen , ift erleichtert butd)
bie Qrrfinbung, fiyiftliched Seewaffer gu bereiten. (3. ©. 18, 349.)
25ie Anlage unb bad ©ebeiben goologifdjer ©ärten fteht in
engem 3ufammenhang mit ber Siebe unb bem Berftänbnif),
weldjed ein Bolf ber $^ieq>flege entgegenbringt. Unter ben
cioilifirten Nationen bilben in btefer £inficht Grnglänber unb
Staltener bie beiben äu&erften ©egenfaf}e: 3)ie Grnglänber, welche
immer auf 3u<ht ber $>fetbe, fRinbet, gähnet u. f. w. foldje
(Sorgfalt mwenbeten , wo jeber 9>ar! feinen Söilbftanb, jebe
größere Stabt ihr Slquarium fyat, — unb bie Staliener, welche
bie ärgften St^ierquäler ftnb unb felbft bie Singoögel aud»
rotten.
Grrnft Stiefel in Berlin Ijat bieö J^ema mit Unpartei*
lidjfeit unb ©rünblic^feit erörtert. (St^ierleben unb Tierpflege
in 3talien. Oieifebemerfungen aud 3talien 1873. 3- ©•
15, 167.) Gfd tye i§t ba (S. 71): „SDie Sage bet T*e*e *« Stalien
ift im ©rofcen unb ©angen eine recht bebauetlidje unb bie Silier«
fdjufjoereine Ijaben Ijiet noch ein unenblidjed gelb ber SL^ätigteit.
9tur glaube man nicht, in SRadjaljmung bet fremben ©efefj*
gebung mit Verboten unb Strafen eine burchgreifenbe 93er=
änberung etwirfen gu fönnen. ÜJtan greife bad Hebel an bet
SBurgel an unb oerbreite in ben Schulen eine »emünftige 9tatur
lehre." — gerner (S. 134): „3n gloreng ift ber Berfuch, einen
goologifchen ©arten eingurichten , an ber 3nboleng flägtich ge»
fcheitert. 3n 5£urin, alfo an ber Stelle, wo für Beobachtung,
pflege unb 3uth* het T‘ere oerhältnifimäjjig noch bad regfte
3ntereffe Ijcrrfc^t, hat man, wie mir oon glaubwürbigfter Seite
»erfidjert worben ift, einen großen ©lephanten, ein ^radjtthier,
weil fein gutter gu theuer festen , einfach oergiftet." ©nblidj
(S. 187): „&18 ©arbinal SlntoneUi oor einigen 3af)ten gebeten
würbe, ein ©efefc gegen bie Ttoquäleref gu geben ober hoch
burch ©eiftliche gegen bie Barbarei wirfen gu laffen, erwiberte
(9*7)
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8
et: „son bestie!“ (©8 ftnb ja nur Spiere!) 5Ba8 et geftattete,
war bie ©inridfytung einer Äaffe, woraus bie ju töbenben ?)ferbe
gefüttert würben, ba fte früher im $of bet SlbbedEerei Bot junget
ben ßal! non ben SBänben abnagten."
©ije wir auf’S ©injelne eingetyen, woQen wir bemetlen, bafj
bet Serfaffet ben Jardin des plantes in ^ariS 1841, 1852 unb
1876, ben joologifdjen ©arten in 2)reSben 1864, ben in Äßln
1871, ben in ^annouer 1875, ben Jardin d'Acclimatation im
S3oi8 be Soulogne 1876 befugt Ijat unb ben granffurter joo*
logtfdjen ©arten feit feiner ©rünbung auf’S ©enauefte fennt.
®ie non ber joologifdjen ©efeOfdjaft auSgefyenbe 3eitfdjrift:
„35er joologtfdje ©arten" unter bet fucceffiüen Leitung non
SEßeinlanb, 33ru<b unb SRoU , weldje mit 9luSnafyme beS Ber*
griffenen erften SafyrgangS nodj noflftünbig ju fyaben ift, ent»
halt bie noQftänbigften Sftadjridjten über bie fDlenagerien, joolo»
giften ©arten unb Aquarien aller Sänber. 2Bir tyaben fte
burdijweg mit „3- ©." citirt. 5Da tro|j jal)lreid}er Stufforberungen
mandje ©arten nod) nie eine ffltittfynlung an bteö Gentralorgan
eingefanbt ijaben, fo mar bet 33erfaffer für biefe auf bie $ftad&«
rieten angewiefen, roeldbe ^>ett 9>ljilipp Seopolb SRartin ira
brttten Üfyeil feines !8ud)eS: „SDie ^)rajti8 ber fftaturgefdjicbte"
(SBeimar 1878) gegeben fyat. ©affelbe wirb citirt.
2Bir gefyen nunmehr gut gefcfyidjtlidben 5)arfteüung
über, lieber bie joologifdfyen ©arten ber Sfjinefen Ijat Dr.
jur. et med., fowie aud? licent. theol. SBictor Slnbreae in
Sranffurt berietet. (3- ®. 3, 178.) SDaS ^eilige S3ud) ber
Sieber @d)i*ftng erwähnt bereits einen folgen ©arten, welken
ber SSlijnfyerr ber 5tfd)eu»2)t)naftie, 3öen«2Bang (1150 n. &jt.)
anlegen lief) unb welchem er ben Flamen „$)arf bet SnteDigenj“
beilegte. 6r beftanb nodj um bie ÜJlitte beS Bierten SaljrljunbertS
B. ©Ijr. unb enthielt ©äugetijiere, 33ögel, @di)ilbf röten unb
Stfdje. griebrid} SRüdert überfefct baS betreffenbe ©ebidjt
(OT8)
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9
(<Sd)t*Äing, cfeineftfcheß giebetbucb, gefammelt pon ©onfuciuß,
bem SDeuticfeen angeeignet pon g. 9R., ältona 1833, S. 282)
folgenbetmafeen:
1. Der mädjt’ge giirft 2Sen*2Bang
3m SBalbgebeg i?in*2Jo
Siebt an öergniigt unb froh
Der gähnten Siebe @ang,
Die nitbt ber SJlenfcben IKnblitf freuen
Unb fitb gufatnmen jpielenb freuen,
SBeifeglangenb ficb burcb’ß 2Balbgebüf<b gerftreuen.
2. 3m 5öalbgel;eg Sin-ffto
Den mäfbt'gen Surften 2Ben*9Bang
greut mancbc3 SBoßelS Sang,
Der firr unb fecf nicht flob;
Sie picfen in bem Saubgebäum
Die Äcrner, bie er Iäffet ftreuen,
Unb »ollen jingenb ihren Danf erneuen.
3. Der mä^t’ge Surft SBen-ffiang
3m SBalbgeljeg 8in«So,
8nt äbcnb gebt er fo
Dem SBeiber froh entlang,
2Bo in ben rotl;beglängten Släuen
Sieb golbne gijebe jpieienb freuen,
ffiie im fPalaft ber $ofjtaat feiner Dreuen.
33on gelähmten (Slephanten in (S^fna berichtet ber 2Didfeter
8i*tai«pe, welcher unter bet Dbong«Dpnaftie (618 — 905 n. Sh*-)
lebte.
SDer 8öroengwinger beß JEönigö Darinß ift auß bem 33uch
JDaniel befannt. SBenn eß richtig ift, bafe älejanber ber
©rohe feinem Seferer Slriftoteleß pon feinen afktifd)en gelb»
jügen ade Dhiete fenben liefe, welche biefet gut ©earbeitung
feiner Slaturgefchicfete beburfte, fo wäre bieß baß erfte ©eifpiel
(9M)
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eineg goologifdjen ©artenS gu wiffenfdjaftlidjen 3mccfen. 2>ie
9tömer bagegen gelten in ihren ©Iiratien unb gifdjteichen bie
Spiere mehr gum ©ebraud} bei ihren fd^welgcrifc^en ©tahlen.
(3. 1, 193).
2>te Haltung ber Siaubt^iere gu Äampfftnelen gehört ebenfo
menig hierher, als bie Slbridjtung ber Glep^anten gu friegerifdjen
Smecfen. (3. ©• 19, 381). ÜRontcguma, ber lefctc agteftfdje
£errf<her in ÜRejrico, f^atte in einem feiner gufthäufer eine
SJtenagerie, eine lange Steife non Söafferbehaltern, SBogelhäufern
unb Ääfigen mit roifben Spieren. 35ie 93ogeIhäufer enthielten
gefieberte 33emohner auS allen ^heilen beö fReidjeS, »om riefigen
9lnben«2(bler unb ©eier bis gum ©oltbvi. gut bie SRauboögel
bienten 500 Truthähne täglich gut Nahrung. SDie SBafferoögel
mürben in gehn groben, fifd^reic^cn ftinftlidjen Reichen, mit
fubem ober Salgmaffer gefüllt, baS burd? Sd)leuben gu* unb ab»
floh, unterhalten. 9luch Schlangen unb ©ibechfen mürben ge«
halten, lieber 300 SBarter maren angeftellt, melche unter 9lnberra
auch bie gebern gu fammeln Ratten , melche bie ÜBögel oerloren
unb melche ben agtefifchen gebcrfünftlern einen SL^etf beS gu
ihrer SRofaif benötigten Materials lieferten. Schon fUtonte»
guma’S ©erfahren Ratten folche SRenagerien unterhalten; auch
in ben benachbarten Staaten f ollen ähnliche ©inrich tungen be»
ftanben hoben. (3. ©• 6, 74).
©in meitereS 9Roti» gur Haltung oon S^ieten mar bereu
$etlig!eit. So bie ber meiben ©lernten in Siam, 9>egu
unb 91 oa. 35et 5>eutfche ©ottharb 9Irt »on JDangig, roelchet
in hoßänbifdhen ÄriegSbienften in Siam ftch aufhielt, ergäbt,
bah 1562 gmei meifce ©lephanten, im SBefifj beS ÄönigS oon
Siam, einen Ätieg beS Königs oon 9>egu gegen Siam oet«
aniahten. JDiefer bot nämlich, meil in $)egu ber meifje ©lephaoi
ein heiliges $hiet ®ar, bie grölen ©elbfummen, um beibe gu
erhalten, unb als biefeS abgefdjlagen mürbe, fiel er in Siam ein,
(930)
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eroberte bie ,£>auptftabt unb führte bie ©lepbanten mit © c*
malt fort.
3ur 3«t Sobocufl ©dmuten’ß (1636) mürben in bem britten
Äönigßpalafi ber $auptftabt oon ©iam 6000 gabme ©lepbanten
gehalten, unter benen ©(Routen ben meinen alö eine 9Jietf*
mürfcigfeit nennt. 3u @. Äämpfet’ß 3«it (1690) mufste ber
gö^rer bet Äonigßelepbanten ftetß ein 9>ung oon ©eblüt fein.
9118 ©ramfurb unb Dr. ginlapfen in ©{am maven (1822) unb
bie 9lubieng beim Äönig in Sangfof oorüber mar, gehörte e8
gut ©tifette, bie $remben nun auch gum fPalaft ber roeifjen
©lepbanten gu führen, bie auch bamal8 noch einen SBertlj Ratten,
ba§ fie nicht mit ©elb gu begabien maren. 3n allen bubbbifti*
fd)en fjänbern, in melden bie ©eelenmanberung gilt, finb bie
meinen (Slep^anten oerebrt al8 ^etltge SLljiere, in melcbe bie
©eelen großer föniglicber Verfahren übetgegangen finb. Süet
einen folcben aufftntct, mirb glängenb belohnt. 1822 maren
fedjß meifje ©lepbanten im ÄönigSftatle, mehr al8 je guoor, roa8
al8 ein feljr gutes 3eid>en angefeben mürbe. 2)a8 3$olf nennt
bie meinen ©lepbanten „Könige", unb bie Äonige oon ©iam
reiten ni<bt auf benfelben, roeil ber ©lepbant eine ebenfo gtofje
SKajeftät fein fönne, al8 bet jpenfdjer felbft-
3eber bet meinen ©lepbanten in 93angfof hatte einen
eigenen ©tat! unb gehn SSärter gur ©ebienung; ihre ©toftgäbne
maren mit .©olbringen umgeben, ibr Äopf mar mit einem ©olb*
nefc, ibr fRücfen mit einem ©ammetfiffen bebccft. 5Dtefe @le»
Pbanten ftnb 9Hbtno8. 3n ben ©lepbantenftäQen merben aud>
9llbino« 9lffen gebalten, melcbe bie ©lepbanten not jlraufbeiten
bemabren foOen. (3- ©• 19, 382).
9lucb meifje ^>f etoe galten gunaebft in Qlfien für befonberß
heilig. 9118 Xerjceß an ben ©trpmen fam, [pachteten bie
SRagier btefem ©trom metjje fPferbe ($erobot 7, 113). 9lucb
ber ©onne meifje, als bureb ihre §arbe bem 2i«btgott gemeibte
(931)
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3>ferbe 311 opfern, biefe ircmijcfye ßulturjttte unb teligiöfe
ißbantafie, ftnbet fidj ^tn unb mieber in ©riedjenlanb, felbft in
3talien. Äaftor unb ^oHuy, bic beiben gidjtgötter, reiten auf
fdjneemeifjen $>ferben. 6amillu§ 30g nad? bet (Einnahme 93eji’8
in einem mit meinen hoffen befpannten SBagen triumpbirenb
in bie ©tabt ein, ma8 oon ben 3ei*ije«offen als ein Uebetgriff
be8 5Jienfd)en in ba8 fRec^t unb bie |>errlid)feit beS ©onnen»
unb .£>immel8gotte8 gerügt mürbe. (95. £ebn, (Eulturpflanjen
unb £au8tbiere. 2. 8lufL Berlin 1874, ©. 44 ff.).
3)ie Söienfcpen beö mefteuropäifcben SJUttetalterß lebten
abgejc^loffeu iu Älöftern, Burgen nnb befeftigten ©täbten;
Steifen mar mütyfam unb gefährlich, fo gingen fte ihrer übiet*
liebe nadj, inbem fie in ihrer Stäbe eigene Stäume für bie
Sb'ere einrid^tcten. ©cpon im geboten Sabrbunbcrt unterhielt
ba8 Älofter gu ©t. ©allen einen „Sminger" mit „allerlei milb
©etbier unb ©eoögel," Bären, 3)ad)fe, ©teinbocfe , ÜJturmel*
tljiere , Steuer, ©ilberfafanen , mie foldjeS t^eils in ben nahen
Sllpen Raufte, tbeilS als ©efdjenf frember ©äfte bem Älofter
»erebrt mar. 3n ben ©räben ber SteidjSftäbte unb Herren»
ftblöffer mürben £bie*gärten angelegt, meift mit ,$irf<ben befefct,
fo in Sranffurt 1399, ©olotburn 1448, ftriebberg 1489, 3üricb,
Sucetn ic. (3- ©• 8, 62).
3n bem jfranlfurter |)irfcbgraben befanben fiep 1400 nur
3mei ©tücf, ein ^irfdj unb eine «£rinbin, meldpe leitete bet 3ube
©ottfdjalc! oon Äteugnacb bem Statbe gejdjenft batte. ©djen
1408 aber batte man für ba8 befannte „|)irf^effenw, meines ber
Statb jährlich einmal l^ielt, bie 2Bal)l gmifeben mehreren .£)irfcben
in jenem ©raben, unb 1444 gab e8 beren fo eiele, bafj ber
Statb ben £errn oon galfenftein unb ©ppftein bie erbetene (Er*
laubnifj erteilen fennte, burdj ihren 3äger einen ^itfdj für
ihren übiergarten gu SJtüngenberg einfangen 3U laffen. 3n
1556 fdjeint ba8 Slufgieben oon $itf<hen im ^irfdjgtaben ab*
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gefdjafft worben $n fein. (®. 8. Kriegf: granffurter Sürget»
3»ifte unb 3uftänbe im IBUttelalter. granffurt 1862, ©. 275).
©djcn in ber ÜJiitte beS iecbSjehnten 3aijtljunbert8 (1551)
jal) gelij: glatter 6 23ären im ©tabtgraben 3U 33ern. gut
baS fpätere ©Uttelalter unb ba8 fech8$ehnte 3«^tl)uubert h«t
3oljanne8 SBoigt (geb. 1786 im ©teiningenfcben , f 1863 in
Königsberg) neben feinem großen SBerfe: ©efe^td^te ©reufceuS
(9 3?äpbe. Königsberg 1827 — 39) unS ein farbenreiches 33üb
non ber Thierpflege an beutfdjen £öfen entworfen. (o. ©autner,
^ifterijcheS Tafdjenbud) I. 1830, ©. 195. VI. 1835, ©. 291).
$Die 9ieftbenä beS ^ocbmeiftcrS beS beutfdjen DrbenS jn
©iarienburg ^atte auch einen Thiergarten, worin fid) beS
©leifterS ©tenagerie befanb. -£rier würben nidjt nur ^irfdje,
Siehe unb anbereS fleineS Sßilb unterhalten, fonbern auch ein
göroe, ben bet ©leifter 1408 gefdjenft befam, erhielt ba feinen
3winger. SDort ftanben fünf auSgejeichnet grojje Suerodjfen,
oon welchen ihm Dier ber ©rofjfürft SEBitolb Don gitthauen als
©efchenf überfanbt hatte. ©tan unterhielt hier ferner ©ieerfühe
unb ©teerochfen (?), mehrere SBären in einem feften 3winger unb
Derfchiebeue 3lffengattungen. Sion biefen lefcteren nahm bet
^odjmeifter auch manchmal jurn 3eitDertreib einige mit in feine
SBohnung, wo fie juweilen auch allerlei Unfug trieben, wie fie
benu einmal in beS ©teifterS Kapelle geriethen unb bort bie au=
gemalten ^eiligen auf eine jämmerliche SSeife ^erbrachen unb
befubelten. Sie in bem hedjmeifterlichen Thiergarten bei bem
einige teilen Den ©tarienburg entfernten DrbenShaufe ©tuhm,
welcher noch ton größerem Umfang gewefen ju fein fdjeint, fo
waren auch hiw befonbere £irfchhüter unb Thierl)irten angeftellt.
(Sinen Tl)eil biefeS Thiergartens nahm ein fleiner $atf ein,
welcher ber Kaninchengarten l)ief), weil hier ber ©leifter eine
grofce ©tenge Don Kaninchen hielt, bie in einem mitten in biefern
§>arf errichteten 33erg ihr £ager hatten. Ueberljaupt fanben
(933;
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mehrere £ochmeifter on ber pflege unb Unterhaltung biefer
nieblichen ©hiete ein gang befonbereS Vergnügen, weshalb man
fre auch auf ihren Steifen nicht feiten mit .Kaninchen für ben
©hiergarten befdjenfte.
3m fedjSgehnten 3al)r^unbert, wo ein ©hiergatten gum
fürftlichen Vergnügen gehörte, wanbten fid) bie dürften, um
mit fremben St-^ieren prunfen gu fönnen, norgugSweife an bie
Seherrfcher non Preisen, bie $ochmeifter, fpäter bie £ergöge.
©chon .1518 lieh fid? ber Jfurfürft 3oad)im I. »on Sranben*
bürg Bern ^odjmeifter in Preufjen einen äuerodjfen gufenben,
um ihn a!8 felteneS ©djauftücf in feinen SE^iergarten aufguneljmen;
gu gleichem 3i»ecfe fanbte nachmals ber £ergog Bon Preufjen
bem .Könige Bon ©änemarf einige foldje 2luer gu. ®n ben
^»ergog Sllbrecht wanbte ftd) auch ber ©taf SBolfgang b. ©bet*
ftein um ein Paar ©lenbe für fein „©hiergärtlein, bafür ihm
fdjon Bon föniglidjen, furfürftlichen unb fürftlichen Potentaten
Bon allerlei SBilbpret bie gnäbigfte Seförbetung gefcheheit fei."
SDer ©rghergog gerbinanb Bon JDefterreich, ©otjn beö KaiferS
gerbinanb I.r bat 1558 ben <£>ergog bou Preufjen für feinen
©hiergarten gu Prag um etliche Paare mit ber Stoffe unb er*
bot fi<h gu ©egenbienften. ©er .fpergog fcheint bamalS biefe
Sitte erfüllt gu haben, 1566 waren aber bie wilben Pferbe in
Preufjen bereits fo feiten geworben, baff ber £etgog eine aber-
malige Sitte beS (SrgbergogS nicht mehr erfüllen fonnte, bagegen
bat berfelbe „um fedjS junge Sluerödjflein, barunter gwei ©tierle
unb Bier .Kälber." Sei beni 3uftanb ber Söege unb bet ©tanS*
tjortmittel jener 3eit ift eS nur gu natürlich, bah ein großer
©heil l>er jung eingefangenen ©lenthiere, Üluerodjfen u. f. w. nicht
lebenb ben £>rt feinet Seftimmung erreichten. Soigt h&t Klagen
beS Pfalggrafen £>tto Heinrich (1533) unb Bon £etgog SBilhelm
Bon Saiern (1541) aufgegeidjnet, bah bie ihm gugefanbten ©hiere
auf ber greife Betenbet feien. Um fo metfwürbiger ift bah ein
‘934)
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großer prächtiger 2lueroch§ glücflich bis nadj Sötaing in ben
Sthiergarten bcS Äurfürften ©rgbifchofS Sllbrecht (1514—1545)
gelangte. — Äaifet griebrid) II. war ber ©rfte, welcher, feine
freunbfd)aftlid)ett S3erhältniffe gu morgenlanbifchen ,£ertf<hern
benufeenb, frerabe Stetere bel)ufS naturwiffenjdjaftlicher gmedfe
fommen liefe. ®r bejafe Bornen, £iger, Beoparben, Kamele,
©iraffen jc. @r üeranftaltete muh 33ioifectionen. (%. t. [Raumer,
©efcfeichte bet ^)o^enfta«fen III. 571, 1824).
Sluch in ben [Rieberlanben ift bie Anlage non ©t)ier»
gärten feljr alt (3- ©. 5, 368). 3n „beS ©rafen $aag“ gab
eS im tiergehnten 3ahthunbert ein galfenljauS, ^ȟhnerhanS,
£unbe» unb BßwenhauS. Stach 33üren unb ein ©romebar »erben
genannt; bie Sßwen würben nteifl mit Scfeaffleifch gefüttert,
©ie £etgßge ton ©elbetn hielten fich wilbe 3;^ierc in 3ftofenbal,
©ran unb SRpmwegen ; eS gab befonbere Bßroenwüdjter, Papageien»
SEReifter, Bnlfoniere unb ©eflügeUSBächter. ©er galfonier £)tto
genofe eine ?)enfion non 12 ^funben, ein anbter 9lamen6 glorenS
hatte ein ©infommen non 10 fPfunben unb bagu 4 $)funb 2la8»
gelb; Sfebranb „ton ben .£mnbcnw hatte «nfeet feinen Kleibern
18 f)funbe unb 4 Schillinge :c. 3n gehn SRonaten, ton Dctober
1398 bis 3uli 1399, würben in (Rofenbal allein 260 Schafe
für bie Bßwen gefdjlachtet, aber auch 200 SBßlfe Würben in ben
Iefeten fünf SRonaten beS SaljreS 1384 gu gleichem Swecfe ba»
felbft niebergema<ht. ©er Bßwenwüchter ^ouwelsfen begog
1664 täglich 3®“ ©roten (etwa 10 Pfennige) ©efealt.
©ie Stabt ämfterbam hielt ftd} ebenfalls Bßwen unb er»
hielt im 3«hre 1477 gwei auS Spanien, 1483 gwei aus Portugal
ton Äaufleuten gum ©efdjenf. ©inige 3al)re fpäter terfchenfte
ber [Rath fünf ober fccfeS Bornen an bie Stabt BübecJ; auch
©ent befafe eine Bßwenjammlung. 9lud) ber Papagei, für
beffen SSerbreitung in ©uropa bie Steife ton SIlopS ©aba SRofto
nach bem Senegal unb ©ambia epochemadjenb war, war gu
(9JS)
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folgen ©efttyenfen beliebt. 1458 oetetyrte ber JRatty boh 9iurn*
tyerg bem ©rgbifdjof Bon ÜJiaing einen Papagei unb fanbte
itym benfelben nacty 9lfttyaffenbutg. Der ©ittttty war um 25 fL
Bon 9lnton paumgartner gefauft; bie Sergolbung be8 §aufe8
fam auf 7 ©ulben; ber SBote, bet ben Sogei trug, erhielt
1 ©ulben; bag Stucty um ba8 Sogeltyaug toftete 9 (Schilling
4 geller; ba8 §a§, in welttyeS ba8 4)au8 gefteflt würbe, 4 ©ttyil»
ling 8 geller, unb ber Sutyrlotyn 8 ©ttyifling 2 Jpeller , fo ba§
bie gange ©enbung auf 50 Pf., 1 ©ctyiOing, 11 gellet gu fielen
fam. 1460 Bereite bet 9latty aucty ber Äönigin Bon 93 olj*
men einen ©itticty, ben man gleictyfatlg um 25 fl. Bon 9t. Paum»
gartner faufte unb ber mit allem 3ubetyör auf 65 Pf., 1 ©ttyil-
ing, 11 geller gu flehen fam (3- ©. 14, 267).
SBann ber ©leptyant guerft natty Deutfctytanb fam, ift notty
nid^t genügenö aufgeflärt. ©ewötynlitty wirb 1551 al8 ba8 Satyr
angegeben; am 2. Sanuat biefeö 3atyte8 tyabe bet erfte ©leptyant,
ber burcty Deutfttylanb gog, in einem ©afttyofe gu 33 tijren (9Wg.
3tg. 5. Sug. 1875. 33.) übemactytet, welttyeg notty fetyt „gum
©leptyanten" tyeityt unb in bem ber ©leptyant bilblitty bargefteHt
ift. ©ang ifolirt finb 9t. Bon Ber8net’8 Angabe in feiner
©tytonif Bon granffurt (I, 429), baty 1443 auf ber granffurter
SJteffe ein ©leptyant gegeigt worben fei (3. ©• 16, 467), unb
bie be8 ©anonieug ©ttyurg (1572), wonacty bie8 1480 gefctyetyen
fei. 53ereit8 1343 fommt in ©trafjburg, 1404 in ^ranffurt ein
^au8 gum ©leptyanten Bor. fRatty gi^inger’8 (©ityunggberittyte
ber SSiener Slfabemie ber SBiffenfctyaften X, 311) 9lngaben, mit
welttyen obige nittyt gang ftimmen, tyatte ÜRajcimilian II. einen
männlidjen afiatifctyen ©leptyanten, ben erften, welttyer lebenb natty
SDeutfitylanb fam, 1551 au8 Spanien mitgebrattyt, im SJlärg 1552
fam er nacty SBien, wo er im Baufe beS Ptonatg 9(ptil ben 93e=
wotynern gut ©ttyau geftetlt würbe. Sei bem ©ingug, welttyen
SJiarimilian am 7. 5Jiai 1552 al8 Äönig Bon Sotymen in SBien
(9W)
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hielt, foU biefet ©lehh“nt mitgeführt morben fein, ©t rourbe
bann in bie Menagerie gu ©berSborf aufgenommen.
93on ben fürfilic^en Menagerien jener Beit ift unS ©enauereS
befannt übet bie faft gleichgeitig gegrünbeten öfterretdjifchen
unb fächfifchen.
9tach Bifcinger (SBiener ©ihungSberichte X, 300) mürbe
bie ältefte Menagerie beS faiferlidjen $ofeS gu ©berSborf, (füb=
öftlid) oon SBien) burch Maximilian, Äaifer gerbinanb’S 1. älteften
6oljn, ca. 1552 gegrünbet; fie mürbe noch oon Äaifet SRubolf II.
(1552 — 1612) anfeJjnlid? mit fremben gieren bereichert, jcheint
aber unter ben nadjfolgeuben Regenten miebet eingegangen gu
fein. 3Die gmeitältefte Menagerie, bie gu IReugebäu, mürbe
ebenfalls oon Maximilian innerhalb beS oon ihm gmifcben 1564
unb 1576 angelegten üuftjchloffeS gegrünbet. Äaifer {Rubolf II.,
melcher ben 33au biefeS ©djloffeS 1587 ocUenbete, h°t biefe
Menagerie burch ben '.Hnfauf vieler fremben SE^iere oermehrt,
£eopolb I. erroeiterte fie abermals unb feilte fie in gmei 3lb*
theilungen: bie ber milben unb bie ber ftieblichen SE^iere. Unter
Seepolb I. hat fi<h hi” aud) baS ©reignifc gugettagen, meines
.burch C5^amtffo’S ©ebidjt: „Die fcömenbraut" allgemein befannt
gemorben ift. 2)aS ©djlofj tReugebäu mürbe 1704 burch bie
ungarifcheit jRebellen oermüftet unb bie Menagerie vernichtet.
Unter Äarl VI. mürbe fie mieber IjergefteUt unb 1738 burch bie
Uörnen auS ber Menagerie beS ^ringen ©ugen oermehrt, melche
ber Äaifer nach bem 1736 erfolgten SEobe beffelben angefauft
hatte. fReifsenbe SEhiere blieben auch noch nach ber 1752 erfolgten
©rrichtung bet ©djönbrunner Menagerie gu fReugebciu; erft
1781 mürbe bie lefjtere aufgehoben. (iBergeichnifj ber in IReuge*
bau gehaltenen SEhiete bei gi^inger a. a. D., @. 317—319.
25a8 @<hlo& fReugebau im 3«ftanb oon 1649 abgebilbet in
M. 3eiller, SEopogr. Sluftr.) 2)ie britte Menagerie, melche ber
öfterr.=faijerl. £of ber Beitfolgc nach bejah, war bie oorn bringen
XIV. S3«. 2 (»37)
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(äugen 1716 im ©eloebere angelegte ÜRenagerie. SDie in bet«
felben gehaltenen SLljicre fint non ginget (a. a. D. 322 — 334)
auf geführt; hetoorguheben ift befonberö ein weifcföpfiger ©eier
(Gyps fulva), melier fid? fthon um ba8 3aht 1 706. mithin gehn
Sahre not ©rrichtung ber (äugen’fdjcn ttRenagerie, im ©eloebere
befanb, unb !urg oor 1824 ftarb, nad)bem er 117 3ahre in ber
©efangenfdjaft gelebt hotte. £>ie S<hidfale biefer SRenagerie
nad? bem 1736 erfolgten üobe be8 ^ringen (äugen finb fd)on
oben erwähnt worben.
SBeuiget oollftänbig ftnb bie *Ra<hri«hten über bie furfürfUid}«
fä<hfif<hen unb föuigli(h»polnifchen SRenagerien in JDteSben,
weldie idj nach ^afche’ö bipIomatifd)er ©efdjidjte oon 3)re8ben
(1817) w 3- ©• 19/ 244 gufammengeftettt habe, jfurfürft Slugufit I.
(reg. 1553 — 1586), ber fo oiele Sammlungen in 25re8ben ftif*
tete, hot au<h gu biefer ben ©runb gelegt. 1554, alfo ein Saht
na<h feinem ^Regierungsantritt unb gwei 3ahre, nadjbem Äaifer
SRaj: II. bie SRenagerie gu ©beröborf bei SBien gegrünbet, befahl
Sluguft, baö fdjon oon feinem ©ruber SRorijj angeorbnete 2hot=
hau? ber ©rücfe gu befdjleunigen unb eine Söwengtube bann gu
erbauen. 1558 war auf bem Stblofchof ein Äampf jagen, grg
weldhem man auch bie 86wen oon bet (älbbrücfe holen liefe; 1612
würbe ein neues üöwenhauS am Stall (am üReumarft, wo bi8
gut ©rbauung be8 neuen ©aleriegebäubeS bie ©emälbegaletie
unb baö hiftorifdhe SRufeum fid> befanben) erbaut unb bie ©rüden*
löwen barein gebraut. SDieö 8öwenhau8 war oom Sdjlo&fetter
au8 gugänglith- 2lu8 bem ©critfet be8 ©nglänberS Dr. med.
©bwarb ©rown über feine 1668 — 1673 butch fRiebetlanb,
SDeutfdjlanb, ^»Ungarn :c. :c. gemalte Steife (fRürnbetg 1686,
S. 286) etfehen wir, baf? unter bem Äurfürften 3ohoun ©eorg II.
(reg. 1656—1680) neben ber im ©omplej: beö 5RefibengfchIoffe8
auf bem linfen (älbufer gelegenen göroengrube fi(h auf bem reihten
Ufer noch eine gweite ttRenagerie im jogenannten SagbhauS be*
(»»»)
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fanb, Tod Säten, Söölfe, güchfe k. gehalten würben. Unter bem
Äurfürften Stuguft II. (als £önig Bon $olen 9toguft I.) »utben
am 27. Dct. 1722 bie @d)lofi* ober @tatl*Böwen nach ÜReuftabt
in ba§ ooüenbete SägerhauS gebracht. S)ie je&t hier Bereinigte
ÜRenagerie 3U nerme^ren, fanbte ber j?önig*Äurfürft 1731 unter
ber Leitung be$ $rof. Dr. med. 3ohann Graft ^ebenftreit
(1703—1757) eine wiffenfchaftliche Grpebition nach Sftica, über
reelle $u Betgleichen ift: Gine fächfifdje Gjrpebition nach SSfrica
1731 ff., tom SRinifterialrath Dr. Äarl Bon SB e ber, SDirector
beö ^auptftaatSarchineS, im 9trdjiB für bie fächf. @ej<hichte 1865,
III. 1—50. .£>ebenftreit§ Serichte finb abgebrucft in 3oh- Ser*
noulli’8 Sammlung furjer [Reifebefchreibungen, Serlin 1783,
Sanb 9—12, wonach ich a. a. £). eine furze Ueberficht gegeben habe.
Ueber bie 9Jienagetien, reelle bie fyeffifdjen Banbgrafen in
ber 91 ue bei Gaffet unb auf bem Äatlöberg (2Bei§enfteiü,
hinter bem heutigen Dctogorr übet 3Bilhetm8höhe) unterhielten,
habe ich SRittheilungen au8 bem Gnbe beb fiebjehnten unb 9ln=
fang beö achtzehnten 3ahr^un^ctI® (3- 3- SBinfelmann, Sefchrei*
bung Bon Reffen 1697. 3- &■ 16, 73. 3ach. Uffenbach;
[Reifen 1753. 3- @. 12, 252) gemacht, »eiche in bie [Regie*
rungfljeit beS Banbgrafen Äarl (reg. 1673 — 1730) falten. *
SDie [Rachrichten be§ [Ritters Solanb über bie ÜRenagerie
bei ^otSbam anS bem Saht 1702 hat @. griebel (3. ©. 16,
434) mitgetheilt.
[Racb ben SRadjrichten, welche baS Söerf: London and- its
environs (Bonbon 1761. 6, 156) Bon ber alten ÜRenagerie im
So wer giebt, war barnalS bie Böwenfammlung befonberS reich,
boch gab eS auch £iger, 2eoparben, Chanen, 9tffen, unb unter ben
Sogein einen ©olbabler, »eichet bereits 90 §al)re in ber @e*
fangenfdjaft lebte.
SDer 3eitfoIge nad) haben wir jejjt bie Bierte unb zugleich
auch jüngfle ÜRenagerie beS öfterreichi!<h*faiferli(hen $ofe$ zu
2*. (939)
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Schßnbrunn gu ermähnen (§i^iu g er, a. a. £)., S. 334). Sie
würbe 1752 burcf) Äaifer grang L uub Äaifetin SRatia £herefia
in bern weftlichen Streit beä Schlo § gartenb nach bem CDRufter ber
SJtenagerie beS bringen @ugen uon Sauopen butdj ben auö
$otIanb berufenen £of gär tuet Stbrian oan ©tecfbonen angelegt.
Stoch in bemfelben 3al)re würben fämmtlidje in ber faif. SRena»
gerie im Seluebere befinblich gemefenen $b*ere unb bi« wenig01
frieblidjett ^tete, welche fich in ber faiferlichen SRenagerie gu
Steugebäu befanben, ba^in gebraut unb eine Slngabl mitunter
feht feltener Siliere in ©ngtanb unb $oQanb angefauft. 3nt
Auftrag be8 Äaiferö machte Sticolauö 3acquin con 1754—59
eine Steife nach SßeftinDien unb Sübamerifa, um ^flangen für
ben botanifchen ©arten uub SEtjiere für bie SRenagerie gu fam=
mein. 2)a§ fatferlidje ^aat nahm folcheä 3ntereffe an feiner
SRenagerie, bafc e8 fich 1759 — 60 in beten SRittelpunft einen
achtecfigen Saal erbauen lief}, au8 beffen ^üren unb genftern
man bie Spiere beobachten fonnte. ^>ier pflegten ber Äaifet unb
bie Äaiferin währenb ber Somm etsStefibeng in Schßnbtunn bie
SRorgenftunben gugubtingen. 3n bem Saal felbft waren öiele
ber felteaften J^iere au bie SBinbe gemalt.
j Stad} bem Stegierungäantrit t Äaifer 3ofep^e II. 1781 würbe
bie [faif. SRenagerie gu St eugebäu gänglid} aufgegeben unb bie
bafelbft -nod) befrablidjen teiftenbeu } Stetere nach ©cfwnbrunn ge»
bracht. äud} Äaifer 3oieph 1 ueranftaltete gwei wiffenfchaftliche
Steifen gut Hebung feiner j SRenagerie; bie erfte, 1783—1785,
nach Storbamerifa unb jDjttnbien, bie groeite' 1787—1788, nach
Sübaftifa, 33le De fcaace uaö Sourbon. 3n ben folgenben
3ahren würbe unter Äaifer j gran g II. bie SRenagerie uon Sehen»
bruan gwar umgebaut, auch bu*<h Slnfauf uon h^umgiehenben
SRenagetien (1799, 1824 unb 1826) unb burch einen £i}eil bet
uon ber öfterreichifchenjSjrpebition nach Srafilien unter SRifan,
Statterer, ^>o^l unb Sdjott 1819—21 ^eimgebrac^ten Statur»
(340) .
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fdjäfce bereichert, im ©an^en !am fie aber bod) ^etab butd) bie
ÄriegSereigniffe, befonberS feit 1809, unb burd) bie iäbgweigung
äweier Snftitute, Bon benen fogleid) bie {Rebe fein wirb. ©in
SHdjtblid in bet ©efdjidjte bet Schönbrunner SJlenagerie war
1828 bie Slnfunft bet ©iraff e, welche DJtehemet Slli bem SBienet
-£jof 3um ©efchenf gemacht hatte- 3Ran wie bie im 3al)t
3UBor nach fPariS geriefte ©iraffe eine Umwälzung in ber SJlobe
bernorgebracpt hatte, ivie e8 ©iraffeftifuren, «Äämme, *9>iano«
ferte’8 n. f. w. gab. Sehnliches Sluffe^en mu§ bie ©iraffe in
SBien Beranlafjt haben, ba e8 übet fie eine ganje, Bon ginget
(a. a. £>., S. 309) Berjeichnete Stteratur gab. Seiber fiarb bie
©iraffe fdjon im fotgenben 3a^re an Änodjenftafe am ©eien!«
fopf beiber ^interfdjenfel, nacpbem fie 10 5Ronate unb 13 Jage
in ber SRenagerie gehalten worben war. Die beiben abgeneigten
3nftitute, oon welken oben bie Diebe war, waren: a) bie 3Re»
nagetie im f. f. ^ofnaturalien* ©abinet, gegrünbet 1800 jum
3wecf ber ^Beobachtung fleinerer, meift inlänbifdjet J^iere, welche
in folge be8 33ombarbement8 Bon SBien am 31. £>ct. 1848 burch
SSranb nernidjtet würbe, unb b) bie SRenagerie im !. f. Hofburg«
garten gu SBien, 1805 errietet, 1835 aufgehoben. Den SSeftanb
beiber Sammlungen hat fifjinget (a. a. £>., S. 628 — 667 unb
S. 669 -708) Bezeichnet.
Unter Äaifer ferbinanb L würbe bie Schönbrunner 2Re«
nagetie burd) Umbauten unb burch Snfäufe au8 f|>riBat=9Renage*
rien (1837, 1846) erweitert unb wiffenfdjaftlich nujjbar gemacht
burch* Snljeftung Bon Jafeln mit bem wiffenfchaftlicpen CRamen
unb bem SSaterlanb bet Jh^e.
©benfo würbe bie Snftalt unter jtaifer franj 3ofcph Bet’
beffert burch -^erftellung einet Dieihe Bon (Ställen für Sumpf*
Bögel ber wärmeren 3one unb burch ©tbauung zweier Schlangen«
Ijäufer. Den Stanb ber DRenagerie bi8 jum 3ahre 1853 hat
fifcinger (a. a. £>., S. 344—403) in wiffenf<haftli<her SBeife
(Wl)
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bargeftellt; gasreiche Rotigen übet bie jäteten ©reigniffe pnben
fid? in bet 3eitfcprift: ©et goologifdje ©arten. Rachrichten non
Sifcinger übet bie ^Bereicherungen burd) St^eobor oonJpeuglin
nnb bie Rocaraerpebition finben Pd) in ben ©ifeungöberidjten
1855, 58b. 17, 6. 242 nnb 1861, 23b. 42, ©. 382.
SBir haben au8 bem ©ingangS biefeö 23ortrage8- angeführten
©runbe (©. 4) ben Jardin des plantes in 9>ari8 nicht in bet hifto*
rifchen Reihenfolge aufgefühvt nnb geben hier feine ©eidjichte im
3ufaramenhang. ©ie beiben ßeibärgte ßubwig’fl XIII, £4rouarb
unb @up be la 53rojje würben oon bem Äönig ermächtigt, in
feinem Ramen ein £au8 unb 24 fRorgen ganbeS in bet 5Bor»
ftabt @t. SSictor gu taufen, um einen botauifchen ©arten für
ÜRebicinalgewächfe anlegen gu tonnen. ©a8 ©bict mit ben spet*
fonalernennungen erfolgte am 15. Rtai 1635. Rach mancherlei
©dpcffalen bet Slnftalt erwarb fich ©harleö gtanpoiö ©ufap
(geh. 1698, feit 1732 Sntenbant be8 Jardin des plantes, geft.
1739), aud) auf bem ©ebiet ber Raturtunbe gebilbet, unter
gubwig XV. baS 33erbienft, bie Suftalt neu gu beleben; et fdjenfte
bet Snftalt auch feine eigenen Sammlungen, unb oetanlapte,
bafj ©raf 23uffou fein Rachfolget in beten Leitung würbe. 3n
biefer 3eit entfaltete ber Jardin des plantes feine fdjönfte 23lüthe;
Sßuffon mit ©aubenton unb S3ernarb be 3ufpeu, benen ftch fpätet
Sntoine gaurent be 3ufpeu, Rouelle, ftoutctop, ßacoiper, 5Bin8»
low, portal :c. jc. anfchloffen, malten ihn biö gut frangopfcben
Reoolution gut erften wiffenfchaftlichen Snpalt ber 2öelt. 4 Sm
33orabenb ber Reoolution ftarb SBuffon (f 16. Sprit 1788.)
©urdj 33efcblu§ ber conftituirenben SBerfammlung würbe 1790
bet Jardin des plantes au« ber ÜBetwaltung beä ÄonigÖ auf bie
©taatStaPe übernommen, unb burch ©onoentöbefchlup com
23. 3nni 1792 baö ÜJtufeum ber Raturgefdjicbte unb bie 23iblio»
thef gegtünbet, welche fdjon am 7. ©eptember 1794 eröffnet
(942)
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werben tonnten. Auf ©rögoire’8 Bericht würben jährlich
150 000 grancg gut Unterhaltung ber Anftalt bewilligt, ©leid)«
geitig würbe bie oon Bubraig XIV. gegrünbete, non feinen 2Rad)=
folgern oermehrte föniglidje ÜJlenagerie oon Berfaitleg h*erhet
übergefiebelt. ©chon feit 1792 hotte eö fid) barum gehanbelt,
ber bur<h Slbfdjaffung be8 ÄönigthumS (21. ©ept. 1792) hercen«
Io$ geworbenen Betfaifler SJtenagerie burdh ben Arcbiteften 9Dlo=
linoö eine neue Unterfunft gu fchaffen. @8 war ba8 Berbienft
oon Betnarbin be ©t. ^ierre, bafc bie S^htere erhalten unb in
ben Jardin des plantes oerpflangt würben, wo fte balb fo popu»
lär würben, baf; bie ©ammlung burdj ©efchenfe fi<h rafth oer«
mehrte. 1797 würbe ©affal nach Afrifa gefehlt, um f“r
bie Anftalt gu erwerben. Unter bem ©onjulat erreichte bie reot=
ganifirte Anftalt tafch ihre gweite Blüthe. ©in fo bebeutenber
©elehrter wie ©haptal förberte al8 UJtinifter bie innere wie äufjete
£hötigfeit beö Jardin des plantes, beren ewiges 35eu!mal bie
Annales (20 Quartbänbe, 1802 — 13) unb Memoires (20 Quart»
bänbe, 1815—30), Nouv. annales (14 Quartbänbe, 1832—35)
unb Archives (10 Quartbänbe, 1840 — 58) du Museum
d’histoire naturelle geworben finb.
Auch tag gro§e ffierf oon ©uoier: Histoire naturelle des
mammiferes oetbanft feine ©ntftehung wefentlich ber SJlenagerie.
1802 würbe bet ©arten bebeutenb nach ©übmeften erweitert unb
ba§ ©chweigerthal (valide suisse) angelegt.
Allmählich würbe auch ber ftinangnoth ber Anftalt gefteuerf.
©. ©uoier, welcher feit 1795 bem Jardin des plantes a!8
Behrer ber oergleichenben Anatomie angehörte, hotte noch im
3ahr 1800 an %>rof- Hermann in ©trafcburg gefchrieben, ba§
bie Beamten am Jardin des plantes gwölf SDtonate rücfftänbigen
©ehalt gu forbern hotten. (G. L. Duvernoy, notice hi-
storique sur les ouvrages et la vie de M. G. Cuvier. Paris
1833. ©. 130.) ©uoierö Borlefungen trugen gang befonberS bagu
(94JJ
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bei, ben Siubm bet änftalt gu beben. 2>u»ernop (a. a. £)., S. 73)
fagt: „(Seine SBotlefungen über öergleidjenbe Anatomie gogen in
einem grofcen .fjörfaal eine überaus gasreiche Bu^oretf^aft an.
2We mären gefeffelt burcb bie fiare ^Darlegung ber ©efetje ber Or*
ganifation, welche er mit moblflingenber, allgemein »erftdnblicher
Stimme machte. Sein einfacher, beutlicher JBortrag war et=
läutert buvch Präparate auS bem fölufeum bet »ergleichenben
Unatomie unb bnrch Sfiggen, welche er mit ber gre§ten Sicher*
beit unb ©efchicflichfeit geichnete, ohne feinen freien 33ortrag gu
unterbrechen."
3BaS bie Literatur bet Sftenagerie betrifft, fo erfchien 1861
baS fPracbtmerf in ©rofjfolio [mit fchwargen unb colorirten
Äupfern: La m4nagerie du musöe national d'histoire naturelle
etc. par les citoyens Lacepede et Cuvier. Avec des figures
peintes d’apres nalure par le cit» Mardchal et grav^es par le
cit. Miger. (»ergl. Duvemoy, a. a. D. S. 159.) (ES ba*
eine lefenSwertbe biftorifche (Einleitung »on Lacdp&de, in welker
bie 5Jienagctien nach ihrem BtüedC iu »ier Älaffen eingetbeilt
finb, unb ift befonberS wichtig baburch, bajj non »ielen Spieren
bie erften getreuen (Hbbilbungen nach bem lebenben ©remplar
gegeben finb. 1817 erfcbien eine neue (ÄuSgabe ba»on in gwei
JDftaobänben, welche mit 58 Äupfertafeln »erfeben unb auf ben
Stanb »on 1817 ergdngt ift. 25en Stanb non 1821 gibt
3. <£>• 99t oller in feinem Suche: ^ariS unb feine Seroobner.
(©otl)a 1823 S. 210—216.) Sebeutenben ButtathS erhielt bie
SOicnagetie burch fUiebemet 9lli, ^>afd?a »on 'tlegppten. (Sr fanbte
einen afrifanifcben (Slepbanten, arabifdje $)ferbe, Antilopen ac
unb enblicb eine »om Statthalter »on Senaat eingefanbte ©iraffe,
welche, jung gefangen, »on ben Arabern jener ©egenb mit
Äameelmilch aufgegogen worben war. fftad) einem breimonatlichen
Stufentbalt in Äairo würbe fie auf ben 9ftil nach Stlepanbrien
gebracht unb in Segleitung »on brei gu ihrer (Ernährung be*
(9*4)
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fiimmten Äiifyen nad) SDRarfeille Berfdjijft, wo fte am 14 9lo»
Bember 1826 lanbete. Sie mar bie erftc ©iraffe, mel$e je ben
frangefiidjen ©oben betreten t)atte; ein groeiteS, Born $)afd)a bem
.König Bon ©nglanb 3um ©efdjenf beftimmteö ©remplar, ftarb
auf ber Steife in SOtalta.
!Die frangöftfcbe ©iraffe mar bamalö 22 üllonate alt; fte
mürbe in SRarfeifle überrointcrt unb »erlief bie Stabt am
20 SDtai 1827 3U $ujr, am 5 3uni traf fte in 89 on ein unb
mürbe bann in fieinen £agereijen nad) §)nri8 tranSportirt.
2Da8 grcfje 2luffeljen, meldjeö bieS Stiper erregte, gab ft<^
hmb in einer SDtenge Bon miffenfdjaftlidjen Slbljanblmtgen, reelle
jefjt in frangöfifdjen 3«tfd)riften erfdjienen.
SBir ermähnen Bon bieten : im elften ©anb ber Annales des
Sciences naturelles (1827) bie Arbeiten non Geoffroy .Saint-
Hilaire unb Mongez, in Memoires du museum d’hist. nat. XIY.
bie ©eobacfytungen non Salge imäljrenb. ifyreS Aufenthaltes in
SJiarfeille, enblid) bie auf ein anbereS, 1844 in Souloufe uer*
ftorbeneS ©remplar begiigliche fcfyr umfaffcnbe unb aud) Ijifiorifd}
mistige Abljanblung Bon 3dp unb SaBocat in ben M<Sm. de
la soc. d’hist. naturelle de Strasb. III. (groriep’8 Stetigen
9tr. 599. Auguft 1830.) ©in gmeiteS nad) 8onbott beftimmteS
©rcniplar traf im Auguft 1827, anbcrtljalb 3aljre alt, fcafelbft
ein, Bcrenbete aber fdjon im Dftobcr 1829 ebenfalls an ©elenf*
franfljeit maljrfcf) ein lief), meil e8 in Afrifa aur mcite Strecfen
gelnebelt auf bem JRitrfen Bon Äameelen tranöportirt morben mar.
2)en Stanb be8 Jardin des plantes Bon 1849 gibt baö
Söerf mon ©SquireS unb Söetl.: SDer Jardin des plantes
unb feine Sammlungen. (Stuttgart 1849), ben Bon 1861 ein
9teifeberid)t boh Dr. Söeinlanb (3. ©. 3, 21.).3
3n ber neueften Seit (3* ©■ 19,220) hat unter ber guten
pflege be8 £errn ^)uet, früher Unterbireftor be8 goologifc^en
©artenS in ©ruffei, jetjt Snfpeftor beö Jardin des plantes, biefl
(9*5)
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3nftitut ein gang anbereS Slnfefyen befommen. 2)ie ©ehege unb
Ääftge finb hübfdj unb reinlich, bie Siliere {eben gut au8 unb
bte natürlichen golgen finb, bafe man bort auch juchtet.
5)er erftejoologifche ©arten im eigentlichen ©inne
be8 2Borte8, unb gmar ber erfte in ©nglanb nicht nur, fonbern
in ©uropa überhaupt, mar ber beö Earl of Derby in j?nom8*
lep, bie fogenannte Knowsley Menagerie (3. ©. 3, 71). lieber
biefelbe erfchien ba8 nur gut Sßert^eilung , uid^t für beit 23uch»
hanbel beftimmtc $)rachtmetf itt ©rofcfolio: Gleanings from the
Menagerie and aviary at Knowsley Hall. Hooped quadrupeds.
ÄnomSlep 1830 mit 59 gemalten ober in garben gebrudten
tafeln, gegeidmet unb lithogtaphiri »on 58. £arofin8, unb Uloten
non 8otb SDerbp, herausgegeben »on 3ohn 6bmarb ©re». 2118
biefe ÜJlenagerie beim Sobe be8 Earl of Derby aufgelöft mürbe,
bilbete fie ben ©runbftocf be8 Regentspark. — 3m 3ahre 1825
bilbcte fich bie Zoological Society auf 'Anregung be8 bamaligen
9>räfibenten ber Royal Society, be8 $>hpfifer8 ©ir £umphrep
4Daop(fl829) unb be8.@eographen@ir©tamfotbiRaffle8 (fl826).
3n bem Aufrufe, ben biefe berühmten 9laturforjd)er bamal8
an ba8 brittifche $)ublifum erliefen, finben mir gmei fünfte al8
bie mähren 3*»ecfe ber ©efeDfchaft heroorgehoben: nämlich 1.,
Stiftung etne8 umfaffenben Ü)hifeum8 für auSgeftopfte Stetere,
unb 2., bie 33egrünbung ber großen ftehenben ÜJlenagerte,
in melcher man befonberS folche frembe ©äugethiere, 33ögel unb
gij<he holten follte, melcpe mßglicpermeife gegähmt merben
fonnten.
2)ie 3bee fanb 2lnflang; fchon 1829 begabten allein
bie UJlitglieber ber ©cfeflfchaft an Beiträgen bie Summe oon
1650 £. 9Jlan miethete ein gro§e8 ©tücf £anb in bem Regent’s
Park unb brachte unter bem 9lamen Zoological Gardens bie
Menagerie im greien unb in Käufern unter, $ier alfo finben
mir gum eiftenmal ben Flamen „ 3oologi}chet ©arten“. 5Rit
<M6J
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27 ,
[Recht fagt @. 2:. Sennett in Der Sorrebe gu beni SBerfe: The
gardens and menagerie of the zoolog. soc. delineated (2 Sänbe,
gonbon 1830): „3)ie ©rricbtung ber goologifdjen ©cfeQfdjaft
bilbet einen 3lbfdjnitt in bet ©efchicbte bet SBiffenfcßaften in
©nglanb." 1838 mar bet ©arten jdjon non übet 1000 oerfcbiebenen
2lrten »on ©äuqethieren unb Sögeln beoölfert; bie ©efellfdjaft
jaulte 3011 SRitglieber, beten jeteS einen 3al)fe8beitag non 3 £ -
unb ein ©intrittSgelb non 5 i‘ be^aljlte. 9tid)tabonnenten be*
galten 1 Sh. füt ben Sefucb; auS Dtefer Quelle gingen 6000 £
ein. 2)ie ©efammteinnahme betrug bamalS icbon 15 000 £ unb
hat ficb jeßt itodj bebeutenb oetme^rt. ©eit 1849 würben
auch [Reptilien aufgenommen, bencn jcßt ein großes ,£>auS ge*
wibmet ift, unb feit 1852 würben bie ©üß* unb ©eewaffet*
aquarien in großartigerem BRaßftabe im ©arten angeführt.
(B- ©• 3, 71.) Ueber bie fcortfdjritte erfdjeint in Bwifdjenrdumen
ein 93erid>t in $orm eineö Katalogs ber hier gehaltenen 2b>ere,
ber leßte 1879 im Umfang von faft 600 ©eiten.
2Bit früher fd)on (©. 13) ber 2h*«bPeile tn ben
[Rieberlanben wdhtenb beS 14. unb 15. 3ahrb»”bertß gebaut
(3- ©• 5,. 368). Sei biefer [Richtung beS SolfScharafterS- war
eS teidjt, burd) bie lebhafte Schiffahrt aus ben ^oQänbtfd^eu
Kolonien in Iflfien, Ulfrifa unb Slmetifa Stbie« ^eT^ci^ufc^affen.
IDiefer ©elegenheit haben wir eS uieBe'icbt gu oevbanfen, wenn
bie ©aoerp (f 1639), Sreugel u. f. w. SDarfieüungen, wie bie beS
^arabiefeS, PeS DrpßeuS, mit 2-hieten auSftatteten, welche ebenfo
uaturtreu behanbelt finb, wie bie gleidjgeitigen 3taliener biefelbeu
fdhematifth behanbelten. ©in [RhinoceroS, baS 3000 ^)funb wog,
fam 1741 auS Sengalen nach 2lmfterbam.
SSäffrenb beS 17. SabthunbertS beftanb in Qlmfterbam als
beliebte SolfSbeluftigung bie Verberge „gum blauen 3an" mit
einet anfehnlichen fDienagetie. ©ie ging 1784 ein.
3m ©djloffe 8oo beim #aag befaß ber ©rbftatthalter
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SRaturalienfammlungen uttb ÜRenagetien. 5)et SDireftor betbet,
Slrn. Voebmar, gab »on 1766 — 1784 in ^oUänbijcber Sprache
31 Vefchreibungen metfmürbiger, aub ben .Kolonien hierher»
gebrachter 2btere beraub unb begleitete fte mit Slbbilbungen. Von
JRenfner inb granjöfifcpe überfe^t, erschienen biefclben 311 2(mfter*
bam gejammelt »on 1767 —1787 unb bann nod) einmal
* hoDänbifch 1804. SRad? bet Vertreibung beb Srbftatthalterb
burch bie franjöfifc^c Snoafion (3anuar 1795) mürben 1797 bie
in 2oo nod? übrigen Sll)iere nach 9>atib gebraut unb bem
Jardin des Plantes einoevleibt.
(3- 2. 8. 4P o u e I, Histoire des deux Ophaus. Fol.
9>arib 1803 ©. 22).
SRut breije^rt URonate bauerte bie 9Renagerie, meldje .König
8ubmig aub bem £aufe Vonaparte 1809 unter ber flufftcht oon
Vrolif bem älteren unb SReinmarbt errichtete; nach ®uflöfung
beb Äönigreichb ,§oIIanb mürbe pe am 17 3uli 1810 oerfteigert
3manjtg 3at)re nach SSieberherfteöung beb Äcnigreichb unter
bem ,£aufe Dranien 1835 regte ber Vuchhanbler ®. g. SBefter*
mann bei ber Regierung bie Errichtung eineb goologifchen ©artenb
in Shnfterbam an nach bem OTufter beb gonboner, gunächft ohne
Erfolg; erft, nacbbem 1838 fich bie ©efeUfchaft Natura artis
magistra gebilbet hatte (meldje feit 1852 ben Vamcn „.König»
licpe 3Dologifd)e ©efellfchaft" fül)rt unb feit 1847 eine miffen«
fchaftliche 3eitfcptift: „Verträge 3ur Ühierfunbe" beraub*
gibt) fonnte ein ©runbftücf erroorben unb ber ©arten eröffnet
merbbn. 1840 mürbe bie berühmte can 2lfen’fche 5Renagerie
angefauft unb 1841 SBeftermann gum ©ireftor gemählt.
©eitbern ift biefer erfte goologifche ©arten beb Eontinentb
in beftänbigem ©ebenen unb gortfepreiten geblieben.
. Ehe mir jur Vetracbtung beb erften goologifchen ©artenb
in 3Deutfd)lanb übergehen, haben «ir noch bet ephemeren
Stuttgarter SRenagerie 3U ermähnen, beren Entftehen erft
CM8)
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in’8 neunzehnte 3al)rbunbert faßt. (3 ®. 16, 96.) 5Det erfte
Äönig ocn äöürttemberg, Btiebricb, befahl 1812 ein feniglicbeö
ganbgut mit 8uftbau8 in bem foqenannten ©tßcfacb jwifcben
(Stuttgart unb S3erg , wo idjon früher Siliere gehalten werben
waren, ju einer Menagerie einjuridjten. 3)ie ©ebäube waren
1814 Bcßenbet. 35ie fDienagerie enthielt 54 äffen, 3 ©lepbanten,
einen $apir, einen üeoparben, 5 33ären, eine 9iilgau = äntilope,
5 Ä'ameele, ein 8ama, ein 3$icenja, 8 3«bu8, 6 93üffel, 2 Duagga,
2 Söiber , 3 Äangurul), 2 (Mrtelttjiere, @eper, äbler> ©trauten,
40 Papageien :c. jc. äm 30 JCftober 1816 ftarb Äßnig griebricb,
unb gleich nadj^er befahl fein ©ol)n unb fliacbfolger, Äönig
SBilbeim, wohl unter bem ©inbrucT ber in geige be$ SJlifj»
waebfeä im 8anbe berrfebenben 9iotb, ben 33etfauf ber Menagerie
welcher im 9leeember 1816 begann unb ©nbe 1818 Bcßenbet
war. ©in$elne Jljiere faufte ber Jfönig Bon 23apern unb ber
©rofeberjog Bon 23aben. töefonberä intereffant war baä ©cbicffal
beö großen ©lepbanten, welket um ben sJ>ret8 Bon 3300 §1. an
ben fDienageriebcfiger ©arniet in Berlin Berfauft würbe. äl8
berfelbe mit bet übrigen -Bienagerie am 15. SDtär^ auf einem
Äiiftenfafyrer gu Sßenefcig eingefdjijft werben foßte, weigerte er ftdj,
bie ©injehiffungöbrüefe $u überfebreiten, welche unter feiner Saft
naebgab. 5)a8 roieberbolte SBorentbalten beö a!8 üctffpeife ihm
gegeigten gatterd erbitterte ba8 aufgeregte Sb*«* f° fe^r , baff
eö ben ÜBärter ©amiflo JRofa mit bem JRüffel erfaßte, 3U ©oben
fcbleuberte unb bureb Sertreten mit ben güffen auf ber ©teße
töbete; gunäcbft plünberte ber ©lepbant einige Dbftbuben. 9lun
würbe Militär requirirt, welches eine glintenfatBe auf ibn ab»
feuerte. 35a8 $£b‘er flüchtete jef)t in eine enge ©aefgaffe, erbrach
bort bie Jb“r ei«60 $aufe8 unb oerfuebte bie kreppe tjinaüf ju»
fteigen, welche aber unter ihm jufantmenbracb. SBeitere zahlreiche
©ewebrfebüffe machten, baff er wie tobt jufammenftürjte; halb aber
ftanb er wieber auf, brach bie ftarfe Sfcb1"« ber Kirche ©an
* # (M9)
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Shtiomo |an bet fRina bet ©tfeiaooni auf unb bilbete fidfe im
Snnern burcfe eine Wenge gufammengetragener Setftüfele eine
?lrt 58erid)angmtg. ©nblicfe würbe et burcfe eine in bie Wauer
gebrodene ©djicfefcfearte mit £ülfe eines ÄanonenfcfeuffeS am
16. Wärg erlegt. SDie jfanonenfugel blieb in bem grofeen jfßrper
ftecfen, bet nacfe bem Stöbe 4622 Pfunb wog. SDa8 ©feiet unb
bie |)aut famen in bie Sammlung nacfe Pabua.
2Bir fommen nun gu ber 33etracfetung beö goologifdfeen
©arten? itf SB er litt, beö erftcn in SDeutfcfelanb. (ÜRartin @. 29).
©eine Vorgänger waren ber 1725 gegrünbcte Sägerfeof mit
?luerocfefen, ©Icfecn, 23ären, IRobbeu, Ralfen :c. ic. unb bie
Wettagetie auf ber Pfaueninfel bei PotSbam mit 9lffen,
ÄängurufeS, Sama, 93ärcn, 2Bölfen, wilben ©cfeweinen, 33ibern,
Ubiern :e. jc.
SDie Anlage beS goologijtfeen ©arten? in ber gafanerie bei
©fearlottenburg ift einer 5(nregung beS prof. Dr. Sicfetenftetn
gu »erbanfen. SDerfelbe oerfafete im Ufaguft 1840 ben plan
für einen goologifefeen ©arten unb feilte ifen Sllejranber »on
^umbolbt mit, weldjer erft im 9lo«ember ©elegenfeeit fanb, beit»
felben bem Äönig oorgulegen. 35er Äönig erliefe JTabinetSbefe^l
Dom 31. Sanuar 1841, in weitem er gut JluSfüferung biefeS
Planes gufagte: 1. bie Abtretung ber ^afanerie bei ©fearlotten»
bürg, 2. eine Untcrftüfeung au§ ©taatSmitteln , 3. ben gröfeten
Streit beö SSfeierbeftaitbeS non ber Pfaueninfel, 407 an ber Bafel.
2luf biefe günftige Antwort fonntc Sicfetenftein eine @e=
feflfcfeaft bilben. SDurcfe ©rlafe Dom 8. September 1841 würbe
bie ©taatsfeülfe bafein »räcifirt, bafe 54000^ auf fünf Safere
unoerginSlicfe, non ba an gu 3 p(5i. DerginSlicfe ber ©efeHfdfeaft
bargeliefeen würben. SDiefe Summe würbe fpäter auf 75 000 Jt
erfeßfet.
SDie ©inriefetung beö ©artenS gefefeafe unter Leitung beö
(950)
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©eneralbireftorb üennö, bie ^crftellung bet ©ebäube burcb
^rof. Stracf unb Baurath (Santian. Am 1. Auguft 1844 fonnte
ber ©arten eröffnet werben, gichlenftein ftarb am 2. September
1857. Bon nun an trat eine lange Beit ber Stagnation ein,
biß mit ber Uebemafyme ber 5)ireftion buvch Dr. Bobinub, ben
bisherigen Leiter beb ©artenb gn äföln, im Oftober 1869 eine
neue Blüthe eintrat (3. ©. 12, 219). 25er $i)ierbeftanb war
(Snbe 1870 auf mehr alb 250 Säugetiere unb über 760 Bögel
geftiegen, gufatmnen 305 Arten oertretenb, in einem SBertlje oon
etwa 162 000 JL
fRadjbem jdjon feit einer SReilje »on 3«hren bie 3bee eineb
goologifchen ©artenb in granffurt aufgetaucht war, etfehien
fte enblich alb ein fefter ?)lan unb (Sntfchlufs gegen bie SDiitie
beb 3ahreb 1857, aubgetjenb oon ad^t Herren alb prooiforijehem
(Somite. 25nrd) Befchlufj beb Senatb Dom 8. Oftober 1857
würben bie Den biefein ©omitö entworfenen Statuten genehmigt.
25arin würbe ooiläufig bab .Kapital ber ©eieUjchaft auf 50000 gL
feftgefe|t, geteilt in 200 Aftien gu 250 gl., welche nicht Der*
3inblid) ftnb, fonbern ftatutengemäfj amortifirt werben. Aftionäre
unb ihre gamilien fönnen unentgeltlich bie Anftalt befugen. —
9(l§ 2ofal würbe ber etwa 14 fötorgen grofje geerfe’fche ©arten
an ber Bodenljeimet ganbftrafje in Aubftcht genommen unb für
10 3abtc gemiett)et. 25ie erfte ©eneraluerjammlung würbe auf
ben 7 SOfärj 1858 anberaumt. 3n berfelben würbe bet befinitioe
Borftanb gewählt unb ber Befchlufc gefafjt, bab Aftienfapital gu
Derboppeln. Bereitb oor ber (Sröffuung beb ©artenb, welche am
8. Auguft 1858 erfolgte, waren fämmtlichc Aftien begeben.
25ie 3nhl Abonnenten betrug (Snbe 1858: 1052, 1859:
1382, baoon 1058 gamilien unb 324 (Singeine. Am 1. Otto*
ber 1859 würbe ber Dr. med. veter. 9ERap Schmibt gum
25ireftor bes ©artenb ernannt, welker noch i«fct biefe Stellung
befleibet. 25agu würbe gut Bertretung ber wiffenfctjaftlichen
C951)
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Seite ber fünftalt ein miffenfchaftlither ©efretär in ber fPerfon
beß Dr. 35a»ib griebr. SBeinlanb ernannt, meldet baß Organ
beß ©artenß rebigiren unb goologifthe Verträge galten foHte.
JDiefeß Organ, „5Det joologifdje ©arten", trat am 1. Oftober
1859 in’ß Sehen unb ift oon Dr. SBeinlanb biß jum ©nbe
beß J3al)reß 1863 geleitet motben. 1864 übernahm $)rof. 23 euch,
1866 Dr. fRoll bie Eeitung.
Dr. SBeinlanb »erlief 1863 granffurt. ©eine ©teile ift
nicht miebet befefct morben. 3h*e ©retrung mar ein ©yperiment,
gegrünbet auf bie Zunahme größerer ©mpfänglictjfeit beß ^)ubli*
fumß für bie miffenfchaftliche Aufgabe beß ©artenß, alß fid) fpäter
IjeraußgefteUt h«t.
3u materieller .fnnfidjt blühte ber ©arten auf; batb fonnten
{Raubtiere, meldje anfangß auß oerfdjiebenen ©rünben auß*
gefd)loffen maren, angefdjafft merben. 5)er ^rofpeft hatte bar*
über gefügt: „2)ie meiften milben unb fUifdjfreffenben SE^iere
foBten auß einem joologifdjen ©arten außgefchloffen fein. 3)a
nämlidj biefelben nicht anberß alß in Ääfigen gehalten merben
fönnen, fo gehören fie mehr in baß 53ereid) oon BRenagetien. 5>iefe
J^iere intereffiren um fo meniger, alß fie, gemö^nlidi lidjtfcfyeu,
fidj bei Sage »erfrieren, fdjlafen, unb nur SRadjtß ihre unruhigen
SBanberungen beginnen. 2lud) ^aben fie ben fftadjtljeil, bafj fie
meiftenß bie ©erudjßneroen unangenehm berühren."
5Der Haltung »on fRaubthieren fonnte man fich um fo
meniger entziehen, alß biefelben oon außmärtß roohuenbeti granf*
futtern alß ©efchenfe angeboten mürben, ©ine im 3ahte 1866
in golge ber friegerifchen unb pdittfd}en ©teigniffe eingetretene
Ätifiß ging halb oorüber.
3ujmif(hen trat bie s))la^ftage in ben 33orbergrunb. SDie
goologif^e ©efelljdjaft hatte ben ©arten an ber 23ocfenheimer
Sanbftrafce auf 10 3al)re, aljo biß 1868, für 5000 gl. jährlichen
$achteß gemiethet, baß BRiethßoerhältnijj mar biß ©nbe 1873
(952)
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33
cerlängert »erben. 2)ie ftäbttfd^en Seßorben überließen (3- ©.
13,351, 15,123) ber ©efellfdßaft gut ©rünbung eines neuen
goologifdjen ©artenS bie im Dften bet ©tabt gelegene $fingft«
»eibe auf 99 3aßre padjtweife, ebenfo mehrere um bie Summe
con 78,000 gl. noeß angufaufenbe ©runbftüdfe ebenbafelbft gur
©rrießtung bet Cefonomiegebäube, unter bet Sebiugung, baß
bie ©efellfcßaft für bie ißt überladenen 37 fBtorgeu 8anb eine
$ad)t con 10 gl. pro fDtorgen gaßle, welcße ißt aber für bie
erften geßn 3aßte nadjgufeßen fei, unb baß alles 3n»entar nadj
99 3aßren bet ©tabt anßeimfafle. ©rft naeß bem granffurter
grieben com 10. 9Hai 1871 fonnte bieö ^rojeft cerwirflidßt
»erben. Slm 16. 3uli 1872 fanb eine öffentlidje SBetfammlung
ftatt, in »elcßer bie ©ntfdßeibung gefaßt »urbe, gur Anlage eines
neuen goologifdjen ©artenS bie $)fingftroeibe gu »äßlen. ©8
conftituirte fieß fofort bie „fltcue goologiftbe ©efeUfc^aft" mit
500,000 gl. Kapital, bie alte ©efellftßaft trat mit ißren Slftioen
unb ^afftcen in biefelbe ein unb ber Vertrag mit ber ©tabt
»urbe collgogen.
©tßon am 3. SJtdrg 1873 fonnte ber erfte ©patenftiiß ge«
feßeßen, am 24. fDldrg ber erfte Saum geprangt »erben. 3>er
Umgug, welcßer bie Sßiete con neuen pfpdßologifcßeu ©eiten in
feßr intereffanter Seife geigte, ift com SDireftor ©tßmibt (3- ®-
15, 175) iu angießenber IDarfteUung gefeßübevt. SefonberS
merfȟrbig war bie am 18. gebruar 1874 unb in ber barauf
folgenben Ulacßt be»irfte Ueberftcbelung beS ©lepßanten (3- ©.
15, 283). 2lm 31. ©egember 1873 betrug bie 3 aßl ber üßiere
1108 in 260 Slrten; ißr Sertß bezifferte fieß auf 46,360 fl.
(3- @. 15,340). 93om 8. Sluguft 1858 bis 31. IDegember 1873
ßatten in ben IRäumen beS alten ©artenS 1,276004 ^»erfonen
cerfeßrt (3- ©• 15, 347).
2lm 29. fötärg 1874 fonnte ber neue ©arten eröffnet »er«
ben, botß corläufig oßne iSquarium unb befinitioeS ©efellfeßaftS*
XIV. J3G. 3 (MS)
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34
tjauS (3. ©. 16, 267). ©a8 leitete mürbe am 16. ©egembet
1876, bag Aquarium am 16. Suli 1877 (3. @. 18, 345) er«
öffnet.
©er neue ©arten ift in ben Jahrgängen 16 unb 17 bet
eft genannten 3eitfdjrift »on ©ireftor ©ebrnibt unter Seigabe
»on planen auöfü^rltd? befebtieben.
Sit baten bet bet ^Bearbeitung »otliegenber ©djrift ben
©runbfafc »erfolgt, mit befonberer SBegiebung auf ©eutfdjlanb,
bie goologifdjen ©arten fo gu bebanbeln, ba§ mit nur je einen
Übertreter eines üßringipS ausführlich befpredjen, alfo ben Jardin
des plantes megen feiner Sicbtigfeit für bie 3o»I»gie unter
©. 6u»ier, bie Zoological gardens al8 ben erften ohne
3nitiati»e be8 Staate 8 entftanbenen, ben 3ool»8'f«b«n ©arten gu
Serlin al8 ben erften in ©eutfdjlanb, ben gu granlfurt als ben
erften auf bem Sege ber 2lttienau8gabe in ©eutfdjlanb gegrün«
beten. Sollten wir in biefer Seife alle fpäter nachgefolgten in
ihrer ©ntmicfelung befdjreiben, fo mürbe mobl SRiemanb un8
©anf miffen. Sir gieben baber »or, bie üßermeifung auf bie
Duellen über bie ©ingeibeiten bet am ©chluffe gu gebenben
(bronologifdjen Ueberficht ber ülleuagerien unb ©arten beigugeben
unb baten fd^lie§Iich, a!8 ein neues |)ringip »ertretenb, noch ben
Jardin d’acclimatation gu $ari8 näher gu betrachten.
@be mit bieg aber tbun, haben mir übet einen ber menigen
gelungenen üBerfu^e »on ÜScclimatifation gu berichten, meldje in
ben ©a8cine bi ©an JRoffote in ben ÜJlaremmen, eine ©tunbe
»on $)ifa gegen bie ©ee bi« entfernt, einer »on ben ÜDlebiceern
gegrünbeten Ianbe8bertlichen3Reierei mit frönen ^)inienmalbungen,
gu ©tanbe gefommen ift (3. ©. 15, 103; 16, 36). ©8 ift biw
ba8 ©romebar bomefticirt. 9DRan fennt nicht genau ba8 Sah»
ber erften ©infübrung biefer SJ.b*eTC- Sabtfdjeinlicb gefebab «8
unter bet ^Regierung be8 S3eförberer8 bet SRaturmiffenfcbaften,
be8 ©rofjbergogg gerbinanb II. »on ©ogcana (1621 — 1670).
(9M)
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S)ie erfte ?Rad)tid)t, welche wir übet iljr Sorfean benfein in biefem
ganbe befifeen, ift auS bem 3<tre 1690, woraus Ijeroorgetjt, bafe
urfprünglit fetö ^Jaate biefet Spiere au8 StuniS eingefüljrt, ba«
rnalS aber fdjon auf fed)8 SRännten unb ein eingigeS SBeibdjen
tebucirt waten. SDer ®rofel)ergog gtanj II. au0 bem ^»aufe
ßotljringcn liefe 1738 unb 1739 wiebet fieben {Paare auS StuniS
einfüferen; bie 3al)l ber Stfeiere beiberiei ©efdjlecfetö featte bis
1784 fit auf 170, biö 1789 auf 196 gefteigett. SDie im
3al)re 1739 eingefüljrten Stfeiere fofteteu jebeS biö ßioorno
440 StcS- fRad) einet {Rotig uon 1692 waren bamalS btei
Stunifier gut pflege bet Spiere angeftelit.
{Rat ben {Ratritten, weite bet ehemalige fdjtoebifdje ©onful
inßioorno, Dr. 3acob ©raberg»on.£>emfö, inben Nouvelles
annales des voyages ({(Rärg 1840) mitgetfyeilt tyat, lebteu bie
Spiere bamalS frei auf einem {Raum non etwa gwangig italieni*
ften SReilen Umfang, welket auf ben »iet ©eiten oom @et$io,
Arno, bem ÜReet unb einer ©tacfetwanb eingefafet war; berittene
SBädjtet muftetten ftc SRorgenS unb AbenbS. ©ie waren in
bie btei Abteilungen bet 3uttfMen, ber Süden unb ber Arbeite*
tljiere eingeteilt. Alle ftroärmten frei unter in bet ©egenb,
welche fo niel Aefenlitfeit mit bet non StuniS Ijat, unb näferten
fit felbft ben gröfeten Steil beö 3<tre8. {Rur bie 3uttftuten
würben turge 3eit bot bem SButf ((5nbe SDegember) in Jpütten
mitetgebratt unb mit trocfenem £eu gefüttert. {Rat bem
SButf würbe bie {Kutter mit iferem Sungen in einen eigenen
©tall gebratt. 25a baS 3unge erft nat groei bis brei Stagen
fit auf ben Seinen erhalten fann unb bie {Kutter fit nie
niebetbücft, um bemfelben baS ©äugen gu erleittern, fo featte
bet ©artet bie Aufgabe, baS 3unge auf feinen Arm gu nehmen
unb bem @uter gu näljern, biö nat groei bis btei Stagen baS
füllen felbft biefe Seroegung maten tonnte. Aber erft nat
gwci bis brei {Konnten liefe man bie {Kutter mit bem 3ungen
3* (»»)
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allein in bem burd) feine SBafferläufe gefährlichen Jetrain herum*
ftreifen. Die SBeibchen »erben trächtig bis gum Sitter non
21 3atjren; manche Dtomebare erreichten hier $in Älter non
30 3ahren. 5Rit bem Älter non 2£ 3af?ren mürben bie fötännchen
eon ben SBeibdjen getrennt unb bis gum Älter oon 4 Sauren
auf befonberen Söeiben gehalten. Dann mürben fie ben ÄrbeitS*
Dromebaren gugettjeilt unb junächft gegähmt, inbem fte gmei
SJionate an bie Ärippe gebunbett, gefuttert unb gereinigt unb
baburd) allmählich an baS 3ufammenfein mit SJtenfchen gemöhnt
mürben. SBaren fie fo mett gegähmt, fo mürben fte mit alten
Dromebaren, meldje ihren Jragfattel aufgefchnaßt hatten, hinaus*
geführt unb butch SBärter baju angehalteu, nach bem fDtufter
beS alten, ftd) niebergufnieett unb ben Sattel gu tragen, beffen
Saft allmählich »ermehrt mürbe.
Die ÄrbeitSfameele mürben t>om fftooember bis ÄnfangS
5Rai im Stall gehalten, bie übrige 3eit meibeten fie frei. Sie
trinfen nur einmal im Jag, nur bie trächtigen SBeibthen haben
ein größeres Sebürfnif) nadj Oietränf, baher für biefelben SBaffet*
gefäffe bereit geftellt merben. Die ÄrbeitSfameele maten hödjft
nüfjlidj bei ber Sebauung ber auSgebehnten Domäne, ba fie nur
bie Hälfte ber fltabrung beburften unb bie hoppelte Ärbeit oet*
richteten, mie fßfetbe, meldje aufjetbem bei ber megelofen 33e*
fchaffenheit beö 0obenS bei San JRoffore nur mettig oermenbbat
gemefen mären. Sie tranSportirten mit größter Seichtigfeit 23au=
materialien unb SBirthfdjaftSgegenftänbe in bet Ärt, ba& btei
gufammengefoppelte Jhiere ®on einem Jreiber geleitet mürben.
ÄnfangS 1840 belief fidj bie 3abl ber Äameele in San iKoffore
auf 171, nämlich 1 3ud)tbengft, 66 ÄrbeitSbromebare, 58 3ud)t*
ftuten, 39 füllen unb 7 Säuglinge, gufammen 91 männliche unb
80 meiblidje Jtjiere.
3n ^ariS bilbete ftch 1854 auf Änregung bes «jperrn
©eofftop St. £ilaire, DireftorS beS Jardia des plantes,
(95«)
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eine 9lrriimatifation8gefelIicbaft, welche ihr SuOetin lierauSgibt.
©iefelbe ftellte fidj gur Aufgabe, neue SL^icr» unb Sflangenarten
in ©uropa eingufübren. $Su8 ihr ging eine gweüe ©efeßfdjaft
beroor: Sociötd du Jardin d’acclimatation, welche ein 21 fiten»
Kapital non einet föiiflion Francs in Slftien uon 4000 f$rc8.
aufbracbte unb non bet ©tobt 'Paris auf 40 3al)te 20 ^eciaten
(etwa 95 SJlotgen) 2anb im Soi8 be Soulogne gegen eine
Siente non jährlich 1000 $rc8. eingeräumt erhielt. (5Jtartin,
a. a. D. ©. 88).
2>ie Anlage beS ©artenS begann 1858; am 9. OctDber 1860
fonnte ber ©arten eröffnet werben. 5)et ©arten ift gang in ber
SJrt ber mobernen goologifdjen ©arten angelegt. ißarfartig grofje
SBiefen wed)feln mit Saumgruppen unb Keinen Rainen, ©legant
gegeicbnete SSege unb gufjpfabc burdjgieben ba8 bewegte üerrain
unb Sache, SBafferfälle unb Üeidie beleben bie 2anbjcbaft. 2)ie
©rohe be8 £errain8 erlaubt e8, bah neben gabllofen guhgängern
auch Me ©quipagen unb Leiter fidj nach ©orjoart bariu bewegen.
(3.©. 1, 180; 2, 108).
5Öa8 bie cingelnen 3weige ber !?lcclimatifation8tbätigfeit be«
trifft, fo baten wir unS hier nur mit bem neuen ©arten gu be*
fcpäftigen, wie et nad) ben 3erftörungen burd? bie ©ommune
Wiebet aufgelebt ift. @8 ift nicht gu leugnen, bah feitbem im
3ntereffe feineö ftnanciellen ©ebeibenS bie Serwaltung be8
©artenS bem ©efchmacf be§ tßublifumS manches 3ugeftänbnih
bat machen muffen, welches bem eigentlichen 3®ecfe be8 ©artenS
fvemb war (9J?artin €>. 90).
3)ie beutfche Selagerung batte nach einem Sriefe be8 Direc«
tor8 »cm 20. ftebr. 1871, (3. ©. 12, 127) bie Anlagen nur wenig
befd?äbigt, aber ein großer 2beil ber Sammlungen mufjte ner»
gehrt werben. 3»ei afrifanifche ©lepbanten, »ier ©lanb»l8nti*
lopen, gwei Äameele, ade ^irfche, bie fRilgau :c. jc. würben bie
Seute be8 SdtepgerS. ^Dagegen nernichtete bie #errfcbaft ber ©om*
(MT)
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niune faft »etlftänbig bie grucht »ieljäbriger Slnftreugung
(3. ©. 14, 387; 16, 65).
3ut ©ntfchäbigung bewilligte bie ©tabt ^ati8 180 000&rc8.f
bte 2lcclimatifation8gefelIfcbaft legte noch 35 000 %tc8. baju,
verfcbiebene goologifcbe ©arten fcbenften Sibiere unb balb mar
ber garten frönet al8 je juoor. SBefonberS beachtenswert ift
ba8 nabe bem ©ingang gelegene $)almenbau8, fobann bie ebenba
bepnblitbe Magnanerie eine 3ud?tauftalt für ©eibenraupen ver»
ftbiebener 51 rt (Bombyx mori, Bombyx cynthia, Attacus Pemyi),
ba8 Slffenbanö, wo interefjante 3ü<btung8»erfucbe gelungeu ftnb,
bie ©telgvögel, ©traufee, SalegallaS, gafanen, ^>itbner unb Sau*
ben. 9luf weiten Diafenplä^en tummeln ficfe ©cfeafe unb 3iegen.
3)er fogenannte „grofee ©taU" enthält jmei afrifauifdje @le*
pfeanten, welche ber Äönig von Italien al8 ©rjafc für bie wäfe*
renb bet Belagerung verehrten gejchenft ^at, ferner Äameele,
3ebra8 unb 3«bu8. ©in anbrer benachbarter ©taU enthält eine
intereffante ©oOection von 30 §>oup8 au8 ben franjofifchen $ai*
ben (Landes), au8 ©panien, ©cbottlanb, 38lanb, 3ava unb
©iam. 5We biefe Sbiete fielen gur Belüftigung, bejm. 8oco*
motion be8 fPublifum8 gut Verfügung. @8 werben nämlich in
bem naben üiobf Äarten auSgegeben, welche jum Oieiten unb
Saferen mit ben genannten S£:^ieren berechtigen, unb nicht nur
©lepfeanten, Äameele unb ?)ferbe tragen ihre ©ättel, jonbern ©fei,
3ebra unb felbft ber ©traufe giefeen ihre Süagen, in welchen man
ben ©arten burchfabren fann. flticfet gerabe bebeutenb ift ba8
tÄquarium, bagegen ift Ijöc^ft merfmürbig bie Sammlung aller
Jpunberaffen (3. ©• 16, 67), bie SBaffervogel, welche ben ©raben
unb Seich in ber ganzen £änge be8 ©artenS beoölfern, unb bie
5lnjlalt für Sftäftung von ©eflügel.
@8 unterliegt wohl feinem 3»eifel, baff bie folgenreichfte
5lcclimatifation bie ©infübrung be8 ÄameelS in Sluftralien
(958)
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War, inbem baburd) 3uerft feie ©rforfcbunt; beß Snnern bicfeS
trocfenen SBelttßeilß ermöglidjt würbe.
©er ©ebanfe, baß Itameel bei ©ntbecfungßreifen in SSuftra*
lien ait3uwenben, fdjeint juerft in ber Sonboner geograpßifdjen
©efeflfdßaft außgefprocßen worben gu fein, benn @ir fRobericf
©lurdjifon erwähnte in feiner ^räfibialabreffe »on 1844
(Journal of the R. geograph. soc. vol. XIV, pag. CII.):
„91nbre wieber fagen mit unfrem Vlitglicb 9Jlr. ©oroen, baß
eine »oOftänbige ©rferfäsung beß 3«nern non Sluftralien nie ju
©tanbe fonimen wirb, beoor wir Äameele auß unferen öftlidßen
Sefißungen baßin einfüßren unb bamit bie große, burcß ben
SBaffevmangel bebingte ©djwierigfeit überwinben'*. @<ßon
einige 3aßre fpäter finben wir biefen ©cbanfen »erwirflidjt,
benn £>err ^orrocfß führte 1846 bei feiner ©ppebition nadj ©üb*
auftralten ein Äameel mit ficß; in größerem üJiaßftab würben
biefe Stbiere aber erft 1860 bei ber unter gütyrung non Surfe
außgefcßicften ©rpebition non Melbourne nacß bem ©elf non
©arpentaria angewenbet. ©ie fRegietung ber ©olonie Victoria
b^ttc mit bem 2tufwanb non 5000 ?)funb ©terling 25 jfameele
nebft 3 inbifeßen SBärtern burcß |>errn 8anbe0ß auß 3nbien
betbeifebaffen Iaffen. 1861 benußte SKacfinla» bei feiner ©jepe*
bition Jur 2luffutßung Vutfe’ß einige 3U biefem 3t»ecf »on SDiel*
bourne nacß Stbelaibe übergefüßrte Äamele auß ber »on £anbellß
importirten 3«ßl- 3n großartiger SBeife naßm ft<b ettbltrb
Sßomaß ©Iber, einer ber reiebften ©runbbefißer in ®üb*2luftra»
lien, ber ©aeße an; er feßiefte 1866 $errn ©tuefe» nacß 3nbien,
um Äameele 3U laufen; 124 würben in .turratfeßi eingefeßifft,
wooen 121 in Sluftralien glüefließ lanbeten. ©in ©ußenb afri*
fanifeßer Treiber fam mit ißuen. ©ie auftralifcße Vegetation
eignet ficß »ortreffHcß für bie jfameele. 3ßre .£>öße unb ißt
langer $alß geftattet ißnen, baß £aub in einer ©ntfernung oom
Voben abjuweiben, wo ^ferbe unb JRinber bei weitem nicht bin«
(9J9)
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aufreichen fönnen. Sie nertragen jebeS ©rünfutter unb freien,
foniel bcfannt, Bon allen SBaumarten beS 8anbe$. 3h* anberer
SBorjug: bas> SBaffer lange entbehren gu fonnen, lä§t fidj burdj
Uebung bebeutenb fteigern. (Sin nid?t an SBaffermangel gewöhntes
jfameel geht nicht fparfam mit feinem Süorrath um unb roitb
balb traurig, bahingegen ein anbereS, an (Sntbehrung gewöhntes,
Sage lang marfcbirt, ohne ju leiben.
SDaS junge Äameet ftet)t mit gehn 3ahren in bet 33lüthe
feinet .traft, etwa wie ein oierjährigeS ^ferb, unb bleibt noch
30 3«fyte in arbeitsfähigem 3uftanb. 33ei ihrer Slbricbtung ift
bie Jpauptfadje, bie Shtere mit ©ebulb unb wreunblüfcfeit gu
behanbeln. 35ie Soloniflen muffen fid> baS beim Dchfengefpann
übliche ©djteien unb ?>eitft^en abgewöhnen. @|n burdj 50lif}»
hanblung in 5Buth BerfejjteS dfameel ift ein furchtbarer ©egner.
@8 fa&t ben fUtenfcfyen mit ben 3ähnen ober wirft U}n butdj
einen ©tofj nieber unb zermalmt ben Körper teS fteinbeS, inbem
eS fid) mit ben Änien auf ihn ftürgt. SDie ©dhwierigfeiten i^ter
Slnwenbung finb oerfchieben. Einmal, bajj fie ihrer Unabhängig»
feit bewu&t, nicht hetbenweife beifammen bleiben, fonbern um»
hetwanbern, baher ©ehege für fie nöthig finb; fobann, ba§ ficb
Dchfen unb befonberS ^>ferbc fehr fchwer an äfameele gewöhnen,
unb enblich, ba§ jfameele manchmal butdj ben ©enufj giftiger
Äräuter, befonberS beS Gyrostemon ramalosus, evfranfeu.
SDie ßeiftungSfähigfeit bet Bon (Slber au$ Äanbafjar ein»
geführten ßaftfameele ift aufcerorbentlidj. 6ie haben fchon mit
je 600 $funb SöoHe beloben täglich 17—18 engl. 9RI. gurftef*
gelegt unb babei 4—5 Sage ©urft gelitten. (Sin Äameel trug
eiuen Afghanen mit ber *J)oft in einet 2Bod)e 350 engl. 9JM.
weit; ©tuefep ritt 80 engl. 3JM. in einem Sage. ®ie fReit»
fameele (ans föiefton) fönnen in einer ©tunbe 7 — 8 engl. 9RI.
gurüefiegen. — liebet ben SlcclimatifationSgarten gu @h»äi*eh »»
. SHegppten (bei Äairo) ift gu Bergleichen 3* ©• XIV, 426 unb
(960)
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bie in Sien erfdjeinenbe 3«tf<brift: „<Die -£>eimat“ 1879,
Str. 40 ff. — Sag bie Aquarien in ben goologifdfen ©arten
nur tbeilmeife »ermögen: 2)a8Stubium ber fcebenS gemobn»
ijeiten ber Saj'fer tbiete gu ermöglichen, gu roiffeuidjaftlit^en
Arbeiten baö Material bergugeben, ba8 Ijat bie goologifcbe
Station gu Neapel geleiftet, welche Dr. Anton SDobrn mit
SDiübe unb Dpfetn in8 £eben gerufen ^at. Sie fyat fi<b in
erfreulicher Seife entmicfelt. 3n bem erften, 1871 gebrueften
Programm, melcbeg bie 3bee be8 gangen Unternehmens barlegte,
mar bie Aufteilung oon »iet ArbeitStiftben in AuSficbt genom»
men, roeldje fremben Scologen gur Verfügung gu fteQen mären;
biefe ftiegen in menig Sagten auf 24 Snfdje. 23ereit8 im erften
23etrieb8jabr 1874/75 Ijaben 36 Staturforjcber in ben Sabora*
torien bet goologifeben Station Stubien an Seetbiereu oorge»
nommen: aufjer 15 ©eutfeben je 5 ©nglänber, JpoDänber unb
Stoffen, 4 Staliener, 2 Defterreicber. Aber aud) nach aufjen
erftreeft fid) bie Sirf jamfeit bet Station; fie fenbet ben au8mät=
tigen Unioerfitäten, üaboratorieu, ÜRufeen unb fPrioatfammlungen
Seetbietc in foldjer ©onfetoirung, mie oon ben Auftraggebern
oerlangt mirb. Stur fo ift eS bem ©eleljrten im geftlanb mög*
lid?, fid? SRaterial oon Seetbiereu gu oerfebaffen, meldjeß für
miftojfopifcbe Unterfutbuug noch tauglich ift. (^)reu§ifcbe 3abr*
bücber, 33b. 35. 3eitfcbr. f. miffenfdjaftl. 3ool., 33b. 25.) Auch
bie 33ibliotbef, beren lebtet Jfatalog 1879 erjebien, ift fc^on be*
beutenb unb eine befonbre görberung ber hier arbeitenben 3ootoäen-
2)a8 33ebütfnifj bet an 3<>b* unb AuSbebnung gunebmenben
goologifeben ©arten muffte auch ben £bieTbanbel in ben altflaffi-
fdjen Stätten Dftafrifa’8 fötbem unb orgauifiren. Stäbere ?Diit-
tbeilungen über biefen ©egenftanb ftnben fid?: 3- ©• HI, 70.
XY1I, 113, 229. 2)ie ^auptftabt biefeS $anbel8 ift Sonbon,
aber ein beutfefjer Jpäubler, Jtarl 3amra^ au8 Hamburg, b&t
bort einft bie erfte Stolle gefptelt. 2>ie beiben größten beutjeben
XIV. 336. 3** (»61)
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3tyetf)änfiler fittb ^ageuberf unb Steife (aus bem ^amtooerfcben)
in Hamburg, ©ie ocrforgeu liiert nur bie europäijeben, fonbern
aud) bic amerifanifdjen ü^iergärten. .^agenbetf inSbefoitbere
bat fidj burd) [eine in gablreidjen ©täbten gut ©d)au gepeilten
„ibiwfarananen" allgemein befannt gemacht. 5Die jefcige £aupt=
begugSquelte für aftifanifdje Siliere ift bie ägpbtifcbe f))roöing
£afa. ©er ©uegfanal bat ben 93egug bet Üb^re feb* erleidjtert.
^agenbec! bat [eine Agenten in ©ueg unb ©battum. ©le*
bbant, ber an £)rt ltub ©teile 80—400 SJtf. foftet, fommt in
(Europa auf 3-0 000 €Oif. , eine ©iraffe ftatt 80—200 auf
2—3000, eia StbinoccroS ftatt 160 — 400 auf 6 — 12 000, ein
junger üöwe ftatt 8 — 20 auf 600 — 2400 9Jtf.
3)a§ nadjftebenbe tbronologifdje SBergeicbnifj fann nur für
bie neueren unb eingelne ber älteren Snftitute auf ©enauigfeit
Slnfprutb madjen. ©iefe wichtige ©eite ber @ulturge[d)icbte ift
bisbet fo grengenloö oernacfcläffigt worben, baff eö mir oon »ielen
felbft ber größeren älteren Slnftalten «id^t möglich war, baS 3abr
ber ©rünbung unb ber etwaigen Aufhebung gu ermitteln, unb
baff ich mich beöbalb begnügen muffte, bie ungefähre Beit au*
3ugeben:
©beräborf 1552. — Steugebäu ca. 1570, ootlftänbig
aufgehoben 1781. — ©reöben 1554. — ©an Stoff ote, ca.
SJtitte beS 17. Sabrb- — äJerfailleS ca. 1666. — Äaffel,
©nbe beö 17. Sabtb- — 9>otöbam, Slnfang beS 18. Sabtb- —
Jöeloebere (Söieit) 1716—1736. — ©d)önbrunn 1752. —
$>atiö G- des pL) 1794. — Stuttgart 1812—1816. —
Sonbon 1828. — ©ublin 1830(3. ©.XIX, 272). — 31 nt.
fterbam 1838. (3- ©. V, 318. IX, 375. XIII, 330. OJt. 12.)
— Antwerpen 1843. (3. ©. XIV, 312. ÜJt. 22.) - SJerlin
1844. - Stfiffel 1851, (3. ©. XIV, 214. 9Jt. 42) 1876 in
ftäbtifdjen SBepb übergegangen. — ©ent 1851. — SRatfeille
1854 eröffnet, 1869 an bie soci4t4 d’accümatation übergegangen.
(362)
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43
(3. ®. IT, 59. 160, m, 15, X, 382, XVIII, 323.) — 9Jta,
bri D 1857. (3. ©. VI, 381.) - Kotterbam 1857 (3.©. IX,
307. 9J1. 91.) — 9Jlelbourne (Sliifftalten) 1857. — granf*
futt a. 9R., Socfenlj. ganbftv. 1858, »erlegt 1874. — Äopeu*
tragen 1858. (3. ®. III, 238, XI, 54, XII, 19.) — Äöln
1860. (9)1. 43.) — sPari$, j. d’acclim. im Bois de Boulogne.
(3. ©. I, 180, III, 45, X, 314. m. 88.) - 2)re8ben 1861.
(3- ©. I, 120. 134. 182, V, 416, VIII, 341, X, 120, XII,
247, XV, 86. 3R. 48.) — £a ag 1863. (3. ©. III, 233, XI, 323.)
— Hamburg 1863. (3- ®. IV, 94, VIII, 460, XII, 92.) —
Sölten 1863, eingegangen 1866. (3. @. III, 207. 218, IV, 94,
VII, 464.) — 9Jlünd)en 1863, eingegangen 1866. (3- ©•
IV, 45, VI, 184.) — SRoefau 1864. (3- ©• IV, 44, XV, 438.)
— Steel au 1865. (3. @. IV, 257, XVI, 136. ÜR. 41.) —
#anno»et 1865. (3- ©. VIII, 415, XII, 247. 9R. 71.) —
£arl8rut)e 1866. (3. @. VII, 180. ®i. 72.) — $ejit) 1866.
(3- ©• XVIU, 336.) — Slumenau, ^ro». @t. Katharina,
Srafilien 1870. (3. ©. XIII, 16.) — >}>l}ilabelpl)ia 1874.
(3. ©• XV, 375.) - granffurt a. 9R. (f. 1858), ^ftngft*
rceibe 1874. — Safel 1874. (3. XII, 351, XV, 86,
XIX, 121.) - ©incinnatt 1875. (3. ©. XVI, 411, XVII, 67.)
— fünfter 1875. (ÜR. 81.) — ©alcutta 1875. (3. ©•
XVII, 70). — 5)üjfelbcrf 1876. (SK. 52.)
(9€3)
T mit rer. Wct-r. Ungri (tfc. ®rimm) in tirltn, € (bciirbrr jttftr 1t».
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