ifibrmg of
|Trmrrf0tt Imb*r 8 %
Blau Memorial Collection
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ft
VH
£co Öfernberg
#on Sreufre
Srauen
fi'nb genannt
25. 25efyr’$ Vertag
(^ru&rttf gfebbttfen)
Q5erfin-;Cef pjlg
£>on ^rcuöc 5 trauen
jtnö genannt
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Sfinfetg 0t6df be« 43u$ee würben auf
extern 5rteben«bfitten abgewogen, einzeln
bennmmert wnb nomüerfafTcr gezeichnet
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I £eo Btcrnbcrg
r/von ^reube grauen
ftnb genannt"
HoDcUcn
23. 23efcr0 Derlag / ^rt'e&n'd? ^ebberfen
öerlm unb Üeipjig
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tfllc 3lcd>t« Vorbehalten
Copyright 1616 by B. Behrs Verlag (Friedrich Fedderzen),
Berlin und Leipzig
(Sebrucft bei £crrof6 & 3tcmfen, <5. m. b. /)., Vüitttnbtcg
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3tfe t>etter
ju eigen
55Ü&95
ÜTnljalt
7tU0 deinem Wefen ifl ee geboren ....
(2!r4fln Äoretta
. . . . 66
I)te Witwe
. . . . 105
.»altbübie
. . . . 127
t>er qläferoe »5trfd>
... 139
iDet 5rfii>meflec
... 167
5Me $li>re öer D<MFer
. . . . 178
£><xe Äei>
... 161
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2(u6 beinern Wefen ift es geboten...
(Bans tTJünchen war t>oü uon 6em ©£an6al, 6er
|lch im Äaffee &uitpol6 ereignet ^atte.
2Der 2Ml6bauer VUolf (Bontarb, 6er fleh nur fel=
ten öffentlich jeigte, h«ft* fich mit feinem ^reunbe
<Beorg2lltmann, 6em langen Philofophen, an einem
6er Keinen tllarmortifche niebergelaffen, jwifchen
6enen 6er tTJenfchenflrom bejUnbig fleh entgegen
flutet; un6 6er vornehme (Befch^ftefubrtr mar mit
feinem unterwürfigen ,,^abe 6ie <£&*“, mit 6em
er nur Perfonen ron 2Ung aufjuwarten pflegte,
herbeigeeilt un6 trug fogleicb mir einem großartig
hinter 6er <$>an6 geäußerten „VUiffen ©ie, wer 6ae
ißV" 6ie Äunbe non £ifch $u iifct>, bafj 6er be=
rühmte Äunßler, 6er in 6er ©ejeffion eben aus*
ßellre, 6er tUobanefopf mit 6en bufchigen 2lugen=
brauen 6ort un6 6em langen 23arte, 6ao JLofal
mit feinem 2>efuche auejeichnete.
3Die beiben Herren faßen, ohne bas kommen
un6 (Behen um ftch \)tv 3U beachten, in ih« Unter=
haltung »errieft beim (Blafe lee, ale 6ie blonbe
©ibby, 6ie fchone Äafflererin mit 6em tTJabonnew
fcheitel, 6 en öffentlichen Äaum, Umgebung un6 23e=
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ruf uergeffenö, plotslid? (Bontarö ju ^üfjen furjte
unö, mit öer ©firne Öen 2$oöen berubrenö, t>or
ihm auf Öen &nien lag.
2ln allen £ifd?en fuhren öie ©tubl* b*rum. 3m
i^intergrunöe f prangen öie (BüSfie auf unö recften
öie <b<£lfe über öie IRopfe ihrer Voröermänner, ober
famen berbeigeeilt. (Bontarb batte nad? einem
?lugenblid? öer 23efiur$ung öie (Bet'fieegegenwart,
öem tTj4öd)en txürerlid? öie <£anb aufe <$>aupt ju
legen unö fie am 2lrme fanft emporjurid?ten. 2lber
bae ttt£bd?en, ale wenn ee allein mit ibm auf
öer tDelt w<$re, blicfte (Bontarb mitten in öem
allgemeinen Aufruhr fnienö an, mit geröteten
VPangen, bc*d? wogenöem 23ufen unö öie <$>aare
fd?w4rmerifd? in öie ©tirn gewebt, unö oerbarrte
auch in öiefem Sluebrud? leud?tenber t>erjucfung,
ale öer <Befd?<£ftefubrer, öer fid? öurcb öie auf
geregte VHenge eine (Baffe bahnte, fie am *J>anÖ=
gelen? in öie <^obe rifj unö öie Craumwanöelnöe
bie $um Sufett nor fid? brrbrängte, wo er fofort
mit ibr abred?nete unö fie aus öem ilofale nerwieo.
2D ae n£d?fie war, baf? er fid? bei Öen beiöen
Herren wegen öer Seldfiigung, Öie ihnen wiöer*
fahren, entfd?ulöigte unö fie, öa fie fogleid? auf
brachen, mit beöauernöen Verbeugungen bie $um
^luegang geleitete.
2Ue öie eleCtrifchen Rampen in Öem ödmmerigen
Kaume auf$ifd?ren, flogen öie Äopfe Öer faßinier*
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ten Wenge t>on neuem nad) bem leerflebenben
£ifd>e; unb noch lange blieben tommenbe unb
gel?enbe (Bruppen uor bem uerlaffenen ©d?auplats
bes Äniefalls mit fud?enben klugen flehen, als ob
es bort tatf<Sd?lid? etwa« ju feben gäbe.
ITTiemanb tonnte fld? ben t>orfall erklären, am
wenigflen (Sontarb, ben bas tTj£bd?en taum jwei*
ober breimai bebient ^>atte, ohne uon ihm babei
beachtet worben $u fein.
*
©ibonia 4>iüe flammte oon tleinen ©d>uflers*
leuten unb war bie jungfle t?on elf blaffen (Be *
fd?wiflern. 'Jbve erfle Erinnerung beflanb barin,
baf fte eines tTladns wad? würbe unb im ge=
fpenfligen <J>alblid?t fab, wie bie Wutter, mit bem
©tocbeifen in ber <^anb, bem T>ater nacblief, ber
betrunken burcb bie Simmer fdjwanf te. tTJit 5anf
unb ©treit erwad?te man, unb mit Sanfc unb
©treit legte man ftcb nieber. Salb fafj bie ab»
gearbeitete iTJutter auf ber Äellertreppe unb
fammerte: „Wenn id? nur fdjon unter ber Erbe
idge!" Salb bonnerte es aus ber ©cbubmad>er»
wertflaft: „3d? fd?meifje euch noch alle jum
Cempel hinaus!"
Wie bie 2llten jld> angaujten, gaujten bie
jungen. 2lUe Ratten ber Äeibe nad? fd?on ein*
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mal am ^lußufer geftonben, um fld? in bie Ciefe
3 U flurjen. Reine ber ©chwejtern hatte ihren
ttlann aus einem anberen (ßrunbe genommen,
als um bem l^uolid^en £lenb ju entfliegen.
„Schlimmer tonn es nicht werben — auch ohne
Hiebe," fügten jte jich. tPenn bie tobenbe tTJutter
bunbertmal am läge fchrie: „tPartet nur, euch
wirb eo nod) anbers ergeben, wenn ich einmal
nicht mehr ba bin" — fo feb webte jebem etwas
auf ben Hippen, was jich nicht ausfprechen lief?.
?lber etwas örtliches war es nicht.
3n biefer ^uslichteit gab es tD^fcheleinen uor
bem (Dfen, ©d?ufterfd)emel, Putjeimer, jerfchrun*
bene <5><£nbe, rerweinte Riffen, fluche unb ,Suff
trifte — alles, was freublofe läge bebeutet. Hiebe
fprubelte in biefer tPfifle nicht. 2luch ©chonbeit
nicht. Rein tTJenfch tonnte genannt werben, ber
nicht fo begeifert wujrbe, bafj fein <£>unb mehr ein
©tud? 23rot uon ihm nahm.
tTur etwas gab es, woran ©ibby ohne Rümmer
jurucfbachte: tPenn fte 3 ur 2 lbt>ent 3 eit ftch mit
fremben Äinbern in bie Barfufjertirche flabl, um
bie Grippe anjufchauen, bie in einer 2tltarm'fche
aufgebaut war. 3Dann lag bie gan 3 e Reihe ber
fielen Rinbertopfe anbichtig über bie 2tttaz{d)tante
unb hing mit uerlorenen öliefen an bem fhroh’
gebeeften ©taü mit feinen blutroten tDarienglas«
fenflem, in bem bas Rinb in ber Rrippe lag unb
Jo
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ber d>d)e unb bae iEflein flanben; unb babinter
fttieten bie heiligen brei Ronige aue bem tTJobrem
lanb unb babinter bie Wirten mit ihren ©cbafen,
unb juleQt bie £ngelfcbaren, unb aUc beteten bae
Äinblein an . . .
Sie mürbe blau unb fd^marj gefcblagen, als ee
berauetam, baß fie mit farbolifeben Rinbern (Bo^em
bilber betrachten ging. 2tber ee half nichte. „tt>o
bifl bu wieber berumgeflrichenV" hieß ee, fo oft
fie $u fp£t aue ber ©chule tarn. „3ch wollte ein
bißchen anbeten geben," meinte fie. „3ch merbe
bicb anbeten" — unb bie (Dbrfeigen knallten. 2lber
fie lief? jld? fcblagen unb betete bae Rinblein an,
folange bie Rrippe flanb.
5 u ber Seit, ale fie erwaebfen mar, wohnte in
bem oberen ©tocfwetf bee Kaufes ein ©tubent.
3 Der t>ater b atte ihr unter Drohungen eingeprdgt,
baß fie freunblicb ju ihm 3U fein b^fte, wenn er fie
mit ©tiefein unb Rechnungen hinauf fefoiefte, ba
er ein guter Runbe war. £Er batte fleh balb in bie
uerfchuchterte ©chufleretochter verliebt. 2lber fie
wußte mit feinem (Bet ebe oon ihrer ©chonbeit unb
feinen (Befühlen, JDingen, bie ee hoch gar nicht gab,
nichte ansufangen. Sie fleh eines Zagee, ale er ihr
fagte, baß fie viel 3U fchon unb gut fei , um wirt=
lieh bae Rinb folcher Eltern fein 3U Connen, bae
fhtmme Jleib bei ihr Huft machte, f£r nahm ihr
bae T>erfprechen ab, baß fie bei ihm Sußucht
JJ
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fuche, wenn es ihr $u <£>aufe unerträglich würbe;
er wollte jle bann $u feinen Eltern bringen, bie fle
wie eine Cochter aufnebmen unb als Stau für ihn
beranbilben foüten.
£)as X>erfpred?en war idngjl rergeffen, als jle
eines 8benbs, aus ber ©tabt jurucftebrenb, an
bem erleuchteten Oebiube eines Äonferratoriums
vorüber Bam, hinter beffen rerfchlojfenen H4ben
MujtB ertönte unb fo Blar unb roll auf bie fülle
©träfe fchwoll, baf jle auf ber cjegenuberliegenben
^duferfeite flehen blieb unb juborte. ££ s war nichts
weiter als eine Chorprobe, aber bie braufenben
©timmenmaffen fchienen ihr befreit aus ber tn*
tterjlen ä£rbe aufjujubeln, wo jte lange im SDunBel
eingefchloffen waren; unb ror ihnen lofle jich ihr
eigenes eingebclmmtes Heben, bas $u <5>aufe nur in
ber Brampfbaften 2lbwebr ber Bitternis beflanb,
bie bort auf jte einbrang.
©o ging jte ror bem jtngettben ©chloffe ber
Menfchbeit auf unb ab, ober lehnte fleh gegenüber
an bie <5><luferwanb unb merBte nicht, wie bie Seit
verrann. j£s war Mitternacht, als jte enblich ror
ber Cur ihrer Mobnung anBam. ©ie war ver
fchlojTen. Man hotte jte $ur ©träfe auf bie ©träfe '
geflofen. 2Der heimfehrenbe ©tubent fanb jte
jitternb auf ber Creppe fttsen.
2lus furcht vor ben Mifbanbluttgen ber j<U>‘
3 ornigen filtern irrte jte jerfch lagen unb burch»
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froren bie gan$e flacht ratlos mit ihm umher, unb
am tTJorgen waren fie einig, baß fie in bem Äaffee,
wo er oerfebrte, oorerfi Stellung nahm, unb non
bort, wo fie täglich ftd? fprecben tonnten, ber
,$Ui 4 >tplan mit Überlegung ine tUert gefetjt werben
follte.
Aber es würbe eine gan3 anbere flucht baraus.
5 uerft fiel ibr auf, baß er bie Äeife ju feinen fßltern
unter immer neuen Porwänben b»nausfd;>ob. Alb
m^blict) fhinte fie nor einer gewiffen gemeinen X>er=
rraulicbfeir, mit ber fie non feinen Kommilitonen
aufgenommen würbe. Unb fcbließlicb begriff fie
mit fSntfetjen, baß er fie ihnen gegenüber als etwas
gan3 anberes ausgab, als feine Verlobte. 2 ) as
Äeijte wollte fie nicht ab warten. Unb eines Hages
war fie über alle Serge.
©eit Jenem Hage war bie febarfe Jlinie 3wifd)en
ihre Augenbrauen eingegraben, mit ber fie bie Welt
fo feinbfelig anfab- ©o lanbete fie in bem d>ffi3iers=
refiaurant einer (Barnifonfiabt. Als fie in ber grünen
Äattunblufe, einem ©ammetbänbeben um benote
unb in ben bäfftigen ©ebnurfebuben, bie aus ihres
Paters tUertfiart b*n?orgegangen, 3um 3 Dienfian=
tritt erfebien, fab man fie t>on oben bis unten an.
Schließlich aber feboß ihr ber Pachter, ein ,$ett=
wanfi mit niebriger ©tirn unb einem ©tiernaefen,
naebbem er fie noch einmal bureb ben Swicter uon
unten angefebaut, fo riel uor, baß fie ficb tn eine
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fhlgerecbte *£rfd>einung in fchwar$em ©ervtertleib
mit Äragen unb tTJanfcheften unb Schleifen auf
Sierlichen <J>albfchuben verwanbeln tonnte.
freilich machte er fid> für feine (Broßmut gleich
be3ablt, inbem er fle in einem unbewachten 2iugen
blicf an fleh riß unb, ebc ße es abwebren tonnte,
ibr feine tDulßlippen auf ben jugetniffenen tTJunb
preßte. Sie fagte fein Wort. SDenn fle wußte, baß
fle hilflos war, ba ße nun einem Serufe angeb^tte,
ber jebem tTJanne bas Äecht 3U geben fcbien, 3U
oerlangen, baß ße als 0pieljeug für ibn ba fei unb
ße baber ins Unrecht feste ober ber £<&cherlichteit
preisgab, wenn ße ibrer iEntrußung hätte Äaum
geben wollen.
Salb promenierten um bie ©tunbe bes (Be
fchäftsfcbluffes bie Äavaliere in ©cbaren vor bem
Äeßauranteingang, unb ße tonnte nur burcb hinter*
turen unb auf Schleichwegen wie ein gehegtes Wilb
beimgelangen. Äein einziger, ob verheiratet ober
unverheiratet, ber nicht einmal verfuchte, ßefur ben
lag ihres freien Ausgangs $u einer iiebesfabw ju
bereben. X>on < 5 >aufe aus gewohnt, feelifche tttiß*
banblungen $u ertragen, unb abgehärtet gegen
Schimpf unb ©chanbe, ba es tein fchmugiges
Wort gab, bas ße nicht wie ein iEcho aus ber
©chußerwobnung anmutete, nahm ße ben iHänner*
jargon mit äußerer (Bleichmutigfeit bin unb regi*
ßrierte bie ©ittenbilber, bie ßd> vor ihren wach'
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famen 2lugen abfpielten, als IDinge, bie (1c nid?»
angingen. Wut Bockte nur gegen biefenigen in ihr
auf, bie in 3ynifd?er “Derachtung be© Weibe© ftd?
nicht einmal mehr Wuhe gaben, ihr Anliegen in
eine galante ,$orm 3U Bleiben. Zle ihr ein Leutnant,
ben fle abgewiefen, ndfelnb erBlärte „ 3 <h badete,
e© würbe 3 bnen eine titbve fein," Bonnte fle ftd> nicht
mehr Reifen unb perfekte fd?arf: „Wäre ba© aud?
für 3 bre ^rdulein Schweflet eine £hreV" — um
fld? bamit auf bem 2lbfatj herum3ubrehen.
flad? einer folgen Gegebenheit war fte freilich
Borperlid? BranB unb jum Weinen aufgelegt, nicht
etwa wegen ber ihr wiberfahrenen KrdnBung,
fonbern wegen ber <£><SfjlichBeit ber Welt, wie fle es
nannte, au© ber e© nirgenb mehr ein Entrinnen für
fle gab. SDenn bas fchlimmfle war, bafj fle mit
ihrem fCmpftnben ganj allein flanb unb baher aud>
3ur 0 d? weigfamBeit uerurteilt war, al© wäre fle
burd? bie t>erh&tniffe unrettbar in ein £00 hinein*
geBnebelt, 3U bem fle non Hatur nicht geboren, im
<B»egenfaQ 3U ihren Kolleginnen, bie in bem aben*
teuerlichen JDunfl gefüllter £oBale mit ihren heim*
liehen XTJenfchenbe3iehungen, fchmeichelnben Ge*
röhrungen unb wiffenben GlicBen erfl ihre Schön-
heit entfalteten unb wohlig bahingauBelten, wie
Schmetterlinge in mittäglicher Sommerglut.
Schon oft hatte fte ££ntt<lufchung niebergeworfen,
wenn ein < 25 af 1 , 3U bem fle Zutrauen gefaft unb
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unbefangen freunblich war, weil er fle eine $eitlang
in eine menfchliche Unterhaltung 30g, am ©bluffe
bod? ben ,£aunsfuß jeigre unb fle belehrte, baß
es mit feinem tTJanne eine harmlofe Sejiebung fiur
fle gab, fonbern alles 3ulet3t auf bas (DualroUe hin
auslief.
0o harte f»t bie jüngeren (Dfjfoiere eines ^ufaren
regiments, beren ©tammtifch ju ihrem ©eroia
gehörte, tros aller < 5 >errenlaunen, in ruhrenber
tPeife bemuttert unb baher ZMumen unb fonfttge
f leine (Bef diente, bie fle 3U weilen mitbrachten, als
oerbienten Jlohn für ihr muherolles 2lmt unbe«
benflich hingenommen. piOQlid? aber war es
jwifchen einem Leutnant unb einem ^ahnenjunfer
jum JDuell gekommen, weil ber Runter fleh erlaubt 1
hatte, ihr bdnifche ^anbfehuhe 3u perehren, ob»
wohl er wußte, baß fein Dorgefe^rer fle ebenfalls
3U befchenfen pflegte. iDarauf befam fle pon bem
eifersüchtigen Äommanbeur einen Srief: £Er per»
bitte fleh, baß fle ollen feinen (Dfföieren ber Äeihe
nach &en Äopf perbrehe. JDa fetjte fle fleh hin unb
antwortete im (Bebauten an oft belaufchten, bas
get^ufchte tt>eib bloßftellenben tTtönnerflatfch —
inbem fle, anflatt für fleh, für bas ileib ihres < 25 e>
fchlechtes unb ber gan3en tUelt fprach: i£r t <£te
beffer, feine (Dfföiere 3U er3ieben, als bie üßhre eines
VOeibes an3Utaflen. IDenn fle perbrehe niemanbem
ben Äopf, am wenigften (Dffoieren, benen ein
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ttldbchen gerabe gut genug fct, um ihr am n<£chjlen
£age einen Fußtritt 3U uerfe^en. f£s Jam t>a$u, bajj
jtch bei einem Kittmeijker, ben ein ©tur3 beim
Kennen aufs Krankenlager geworfen, ein örief an
jle fanb, in bem ber Perungluckte, feines Perlob=
niffes ungeachtet, jte befturmte, feine Hiebe $u
erboren. 5 )er Kommanbeur fowohl wie ber
©chwiegervater bes £>r<Httigams baten baher ben
Kejtaurateur, bie gefährliche Perfon, bie bas Um
heil angerichtet, $u entlaßen, ©ie rechtfertigte jtch
mit keinem YDort. VPer glaubt einer Kellnerin V
3 hr ©tanb war kein 2 >eruf, fonbern ein Heben.
Pon ben (Dfffeieren war nicht einer aufgejlanben,
um für ihre Unfchulb $u 3eugen.
3 h re ^ausleute, beren enge Küche w^brenb ber
läge ihrer ©tellungslojtgkeit ihren ^aup taufen t=
haltsort bilbete, wunberten jtch ttber bie unheim»
liehe Kube, mit ber jte bie ©chicFung hinnahm.
„ ©ie haben ge wifj einen ©chat3, Fräulein ©ibby ! "
©ie fchuttelte wehmutig ben Kopf. 3 Die <£>aus=
frau jkrich ihr mit ber gefprei3ten *J>anb über bas
(Be jtcht, als glaubte jte ihr nicht.
„££s ijk fo." Unb jte fchauberte 3ufammen, im
CSebanken an bie (Bie r, ber jte entronnen, glücklich,
in armer Perborgenheit einmal t?or ihr jtd?er 3U
fein.
3n ber Hachbarfamilie befanb fleh ein geijkes*
gehörter 3 «nge, ber in ber VOahnoorjletlung lebte,
2 0t«rnb«rg, Uon S«ub* Sr#u«n (tnb genannt J7
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baf er ein <ounb fei. 3 n ^ cm Simmer, bas nur
burd> bie Wanb non bem irrigen gefchieben war,
lief ber arme Sefeffene lEag unb Had>t auf unb
ab unb f iefj furchtbare Haute aus, bie ftch manch=
mal wie bas 3ntnmern eines iTJenfchen, manchmal
wie tierifdjes (Bebrull anhorten: er bellte. Wenn
ihn ein VHenfd? anfah, niefte er gutmutig mit
feinem fchmalen ©d)dbel unb fhttjte eine Weile,
bis er plot 3 lid> hinter ftch fletfchenb, wie ron an=
beren ^unben gejagt, wieber mit feinem (Beb eil
banonjlurjte.
Wancbmal erfchien es ©ibby, als ob jte ebenfo
unfelig in eine SEruggejialt t?er$aubert fei, hinter
beren Wahn (ich ein anberes Heben t>erfed*e, fo=
wohl ihr wie ihren Verfolgern oerborgen, bie nur
bem 2Menbwer? ihrer Nuferen £6rfcheinung nady
jagten, ohne baf einer fte je um bes inneren Wefens
willen begehrte, bas jte nur beshalb nicht fahen,
weil jte es haften. 3 a, im (Brunbe genommen
hafte man jte; beim man wollte jte in ewige Un=
feligfeit hineintreiben, um jtch bes allgemeinen &e-
ft^es eines locFenben 3rdichts nid)t berauben $u
lajfen.
3e beutlidw jte aber jenes 3 weite Heben wie
einen riefenbafrett ©chatten hinter ihrer jetzigen
<5eflalt aufragen fühlte, um fo deiner empfanb jte,
an ihm gemejfen, allen ©chmerj unb um fo unbe^
friebigenber alle „Jreuben. Wie unwichtig erfchien
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ifyt ein ©tuef, bas fte auf 6er Buhne fah, 6er
Äoman eines Buches, 6ie ©chonheit eines ©pajier*
gangs im X>ergleich $u 6em ©chatten 6es an6eren
JDafein s, 6er als geahnte £Erlofung fleh grofj hinter
ihr erhob.
©ie mod>re nur immer fchlafen; un6 jle fchlief
un6 fchlief. 2tle ihre geringen türfparniffe fo weit
verbraucht waren, bafj fte wieber 6aran benfen
mußte, Arbeit ju fuchen, glaubte fte fo wohl be*
wahrt ju fein in 6er <banb auch 6es graufamflen
©chief fals, baß fte mit 6er ©leichgultigfeit einer
Va banque-©pielerin, hinter 6eren letjtem £infatj
ihre jweite, wahre <5eburt begann, bt'e erfle befle
©teile annahm, 6 ie ihr 6ie t>ermittlerin antrug.
££s war ein Hachtlofal. tt>er verachtet, fennt
feine ©cham.
2lls fte am erflen 2lbenb am Buffet flanb un6
fleh 6ie ©chneeglocfchen, 6 ie jte einer armen ^rau
aus 23armherjigfeit abgefauft, mit ernfier Um>
fh£nblid>feit in 6en (Büttel orbnete, als wenn fte
eine feierliche ^anblung vornehme, würbe fte mit
vielfagenbem Blinjeln in ben tTlebenraum gerufen,
wo brei (Blatjfopfe im ©mofing allein um einen
fl einen runben £if<h faßen unb fchon ben vierten
©effel für fte bereitgeflellt hatten. tTJan jog fte
an ber ©churjentafche näher heran unb flecfte ihr
vertraulich einen <2>unberttnarffchein hinein. ©ie
beff eilten ©eft; natürlich ein viertes Äelchglas für
v
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jie felbfl. 2Der Piffolo trug ihr ben Rübler
nad).
Sie foUte tanjeit . . .
„Jlacbe, Baja&o . . . Einmal mu^ man aüee
machen . .
Sic legte t >ie 5igarette bi« unb tanjte. 3Dae war
nach bem erflen (Blas.
3br gefummeltes, bleid^es (Befielt war gerötet
bis in bie (Dbren. 3br fonniges <£>aar leibenfebaft*
lid) aufgewublr ju fubnen VDeUen.
2tb fle ben febweren Änoten orbnenb in ben
t7acfen 3 urüd*warf, beugten ftd? ihre Anbeter mit
beifjem Rufern an ibr <Db*- „£ofen! (Sans auf
löfen!"
„Pergeffen . . . Hiebt ©erantwortlid) fein . . .
Unterfmfen unb als VDefen mit einem Strablenleib
auferflebn!" . . .
0i^ tanjte mit gefcbloffenen 2(ugen, bas (ßeflcbt
in bie ©oUe ^aarfut eingelegt, als wäre es noch
unerweeft, erfi bulb berauegebauen aus bem Stein.
3Die Secber butten bas tTJonofel eingeflemmt
unb ©erfolgten ihre Bewegungen mit begeiferten
Surufen, inbem fle ibr mit febäumenben beleben
jutranfen. 3Dann fingen fle bie fcaumelnbe in ibren
Firmen auf. (Brofj öffnete fle langfam bie 2tugen.
Hacbbem fle bas 3 weite (Blae binuntergegoffen,
rifj fle un©erfebens ben ^unbertmarffebein aus ber
Scbürjenrafcbe, fbwenfte ibn mit triumphieren*
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ber BuogelafjTenbeit in bie £ufr unb fy<xtte ihn wie
bet 2Mit$ an ihrer Sigaretre in 2>ranb geflecPt, bie
flamme wie eine Saubrerin über fleh werfenb, 6ie
fle uerwegen auffing unb, noch im ,$luge, mitten
unter bie brei 5<*une fcblug, baß fie entfett mit
ibren ©efieln aueeinanberjloben.
Had? bem britten 31 afe mußte man fle auf ibr
Simmer tragen. 2>er Piffolo faß bie jum tTJorgen«
grauen t>or ber Hur unb bewad>te ibren toten<£bn=
lieben ©d>laf.
3Da0 erfle, wonach fle am tTJorgen griff, waren
bie ©cbneeglocPcben, bie noch frifcb unb untrer«
febrt an ihrem (Bmrtel flecften.
2ile berfelbe Han 3 am 3 weiten 2lbenb t>on neuem
uonflatten geben follte, tat fie, als ob fle bie #uf
forberung nicht b&re, unb wich ben (Siflen, bie
fle bebiente, nicht oon ber ©eite, ©ie feQte eine
fo unnahbare iTJiene auf, baß niemanb fle am
3 ufprechen wagte. 3br Sefchu^er, ber PifPolo,
gab bie <£inlabunge£arte, bie man noch einmal
au© bem Hebem-aum fehiefte, flillfcbweigenb einer
anberen.
2lm britten Hage paefte fie ihre ©iebenfachen
unb wanberte weiter.
IDod? bae UnglucP wanberte mit. Hiebt© uon
alle bem f£lenb blieb ibr erfpart, bae fld) an bie
Hamen junger, Pfanbbau©, (Dbbachloflgfeit,
brutale VOivte, Perlaffenbeit in ÄranPbeir unb
2J
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Perjweiflung unb 23etteln nor feer Cur fle ner=
leugnenber Perwanbten Bnupft. Wae fle an beffere
3eiten erinnerte, Uhr unb Ohrringe, bie nod? non
bem ©tubenten aus bem ©chuflerhaufe flammten,
bie auf ein fabenfd?einigee 3acBet unb ihr letjtee
(BefchäfteBleib, war idngft jum Crobler gewanbert.
2tber ale man ihr in einem tUägbebeim, wo fie
wäbrenb ihrer ©tellungelofigBeit Aufnahme ge
funben, eine Prebigt halten wollte, unterbrach
fle ben <oauegeifllichen unb fagte ohne Porwurf:
„3<h will gewif nicht beffer fein, ale unfereiner
aber wenn bie, bie une nerachten, benfelben
Weg hätten gehen muffen, ben ich gegangen bin
— wer weif, wo fle gelanbet wären!"
2Denn fle fchaute non UnglucB ju UnglucB Blarer
hinter bie Welt unb trug ihre Paffton wie eine
23rahmanin, bie nod? in bie Wanberung non iDa*
fein $u IDafein nerflricBt, Hoffnung nach Hoffnung,
alle 2>egierben bee Hichtwiffenben, non ©tufe jtt
©tufe allmählich uberwinbet, bie ihr bae h*nmv
lifd?e 2luge ber leisten ££rJenntnie juteil wirb, bie
jur heiligen WunfchloflgBeit fuhrt, ©ie hatte er=
fahren, baf jeber, ob hoch/ ob gering, einmal in
feinem Heben burd? ben ©chlamm bee ££Bele unb
unb ber fliebrigfeit wanbern muff Unb auf biefer
Heibenewanberung war fle feist angelangt. ^rei=
lieh, wae babinter Bommen follte, war ihr nt'd?t
Blar. 2lber fle wollte hinburchBommen unb hielt
22
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bat>et Öen <5eifelhieben ber Sdncffatefahrt mit
ber Beruhigung beejenigen füll, ber fld? freut, fe
biester bie Hiebe nieberpraffeln, beflo fd>neller um
Siele ju fein.
f£rfl als fie im „Huitpolb" Stellung gefunbeit,
fonnte fte ihre Äeifefifle einlofen, bie fte bei ben
lebten ^uueleuten ule Pfanb für bas geliehene
3\eifegelb jurucfgelaffen.
ÜDen Pfanbfcbein über ihr teuerffes Eigentum
aber, bas fle auf it>rer gan$en XPanberfcbaft mit=
gefd>leppt, eine l>ya$intl?blaue Wa(ferflafd>e, bie
fte abergl4ubifd) liebte, weil fte auf bem weifen
Marmor ihres Wafd)tifcbes wie ein ötuef
Himmelsblau ausfab, batte fte verfallen laflen
muffen. JDas Hnnmelsblau in ihrem Heben war
erlofd>en.
t«*
*
❖
Wolf (öonrarb ftanb nid)t mehr in ben fahren,
wo ber ÄunfHer fid) für einen gemachten Wann
b<Slt, weil ihnBacfftfcfoe um ein Autogramm bitten.
Wttfeen erwarben feine Werfe ; Monographien
fchrieben ihre (25efcbid>te; feine 2tus|iellungen bil=
beten ben griffigen Sammelplat? bes Hanbes; fein
ttame bebeutete bem Äunbigen ein (Bejtirn. l£r
hatte, wie alle bebetttenben Äopfe, lange vergeblid>
um 2lnerfennung gerungen. 'Jetjt, wo fte ihm,
2 }
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einem T>ier3tgjdhrigen, mit allen Lorbeeren juteil
warb, war er nicht mehr oon ii>r abhängig.
3m (Gegenteil. f £ r oerachtete feine 23 ewunberer
ein wenig unb pflegte 3« fagen: „Utin XXVrt,
in bem bas 23 lut oon t>ier3ig 3abren f reift, wollt
if>r in einem 2lugenblicP burchbringen!" ilt r batte
jenen 2 lbflanb 00m Heben gewonnen, 3« bem
jtd) biejenigen herangewohnen, bie Antrieb 3um
fchopferifchen (Bejlalten genug in jtd? felbjt tragen
unb bie Nufere TDelt nur fo weit an jtd? beranfommen
laffen, als fte 3ur t>erflofflichung ibrer inneren <Be
flehte 3U gebrauchen ijt. ©elbft (Begenjlanb ber
Betrachtung 3U fein, war ibm luftig, ba bas ge=
wohnliche Urteil alle 2lbgrünbe ber T>erft<ünbnis=
loftgfeit auftut, unb nur ein gleich (Broker über
ein (Brofjes 3U reben ober 3U fdjreiben oermag. iDie
Cat war alles, nichts ber Äuhm. 2 )ie ein3ige wahre
(Befchichte bes Äunftlers fchreibt — bas&unftwerf.
r gehörte 3U benjenigen, bie auch ihr Heben 3um
&unflwert 3U gehalten oerflehen. iDaher lief ihn
ber Äniefall, mit bem fleh bie blonbe ©ibby plot3=
lieh in ben behüteten Äreis feines tUirfens geworfen
hatte, md?t los. ITJit bemVHenfcben, ber fniet, mit
ben bemmungslofen (Be walten, hatte er 3U tun. 3 Der
^unfe war ubergefprungen. 3 Der (Bejlalter fuchte
nad? bem orbnenben (Befetj.
2Us er ©ibonia <oille in ihrer tDohnung auf
fud?te, erfuhr er folgenbes, bas er fragenb unb
2*
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immer wieder fragenb wie ein gebulbiger 2tr$t all*
mählich aus ibr herausholte.
fltine Unerlofle, war fte non ihrer Irrfahrt nach
tTJunchen juruefgefehrt. Üe gab feinen tUann, ber
nicht im ^eer ber 23egierben hinter bem VOeibe her*
rannte; es gab feine ^rau, bie (treue hielt; es gab
für fie fein Äecht, für fte feine <£hre. Sum anbeten,
wie fte als Äinb bie Ätippe angebetet, hätte fie
nichts gefunben. 3Die VHuftf ber £rbe, bie fie einfl
aus nächtlichem Chorgefang oernommen, war für
fte oerfhtmmt. IDie gan$e tUelt erfchien ihr wie ein
einjiges, großes tVrgnügungslofäl, wo eine ober*
fachliche iTJenfchheit, ber nichts heilig ifl, in um
ernflem unb unfruchtbarem (Berebe unb (Behäben
bie Seit totfchUSgt, alle gleich oerclchtlich, ob aus
bem ©alon ober oon ber (Baffe. Ulan fonnte fte
hochflens einteilen in ©chlechte mit ber Teuchel»
masf e bes 23eff eren unb ©chlechte ohne biefe ttlasf e.
Unb bie mit ber tTJasf e oerachteten bie ohne tTJasf e.
©ie hatte nur bie ttlasfe nicht. 2lber ifl bas ein
UnterfchiebV tt>as brauchte fte beffer $u fein als
bie anbernV 2luf was wartete fteV 2tm (Blücf hätte
fte nicht teil. tUarum fiurjte fte nicht äuch fleh in
ben ©trubel ber Seriubung? ©innlos wär alles.
4>avt am 2lbgrunb, aus T>er$weiflung an ber
tUenfchheit, entbeefre fte ben tTJenfchen.
©ie faf in einer unbefestigten “Diertelfhinbe,
wie immer, wenn fte ausruhte, an bem oiereefigen
25
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Spiegelpfeiler bes Kaffees unb blätterte in einem
illuflrierten IRunflblatt. IDarin abgebilbete Figuren
unb (ßruppen nahmen fte plOQlich gefangen, unb
fle geriet in aufmertfameres betrachten unb fdbließ=
lieh ine Hefen unb lae mit immer größeren 2 lugen
t?on einem bilbhuuer, ber nicht nur ein bilbbauer
war, fonbern ale bie Stimme ber (lummen *£rbe
gefeiert würbe; ebel unb soll (Büte für alle *TJit=
gefchopfe; ooll Ehrfurcht oor ben Wunbern ber
Welt; oerfchwijlert mit bem Heib allee Scienben;
bie reine (Bipfelb&be einer fct?a(fenben Äraft, bie
ein Flammenmeer non < 25 lucf unb Schönheit in
unfer Heben fchleubere; eine gewaltige riatur; ein
Weifer unb Äeid^er, ber < 25 roßes unb ^eiliges aus
helbifchem ^erjen geboren.
Sie froflelte t>or Erregung unb wieberbolte (ich
mit troefenen Hippen biefe erfchutternben Worte,
bie ein überlebensgroßes, niegefebenes 23 ilb t>or ihr
aufturmten : ben Äünfller als bie jeugenbe Schöpfen •
traft; als bas Wunber 3wectr>oller Fruchtbarteit;
als ben tTJittler 3wifd>en tTJenfchlicbem unb CSott=
lichem — bie Hichtinfel in ber ^offnungslofigfeit
ber (Hrbe.
<£ine Welt (lur3te in Crummer; eine neue tat fich
oor ihr auf Wit einemmal begriff (le, warum fle
auf bem Soben, auf ben fte oerpfTan3t war, bem
tTJenfchen, wie er plOQlicb t>or ihr aufwud?s, nicht
batte begegnen tonnen. 2 )enn an ber Stelle, an
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bie fte gereift war, I achte bas freche Vergnügen,
praßte feer Saud), glOQte ber ©tumpfftnn ftd) an,
fpe£tafelte blutlofe (Befelligteit, um ftd) in Ürm
unb 3Dunfl aufjupeitfehen t>on bem inneren (tob.
tt>ie batte fte benfen fonnen, bafj bas £ier, mit bem
fte es bort ju tun batte, ber X ttenfd) war!
2iber er lebte; nur f>ier nid)t, wo fte non ©taub
unb Äaud) umnebelt, umberwanbeite. Unb — er
war in ihre TPelt bereingetommen! 3Die (Bemalten,
bie fte ba leibhaftig uor ftd) fab, uerfianb fte nicht.
2lber bie „©ebnfucht", bie fyiev mit ausgebreiteten
Firmen auf ber illeeresflippe ftonb; ber „(Bott=
fud)er", ber bort mit gefd>loffenen 2lugen ftd) jum
(Bipfel taflete; ber „<£>arfenfpieler", ber mit füfjem
Haut ben (Xrübftmt heilte; ber „fetter", ber bie
^alboerfunfette aus ben fluten hob — biefe gan 3 e
(Beflaltenwelt entrüefte fte ibrer Umgebung unb
nahm fte wie eine ebett<Befchaffene in ihrer tTJitte auf.
©ie batte faum ben Äopf bes VHannes, ber ben
(Befd>opfen allen ben d>bem eingeblafen, in bem
<?>efteabgebilbetgefunben, als fte in einer feltfamen
Permifchung t?on Iraum unb TPirflichteit bas (Be=
ftd)t eines (Bafles erbliche, ben fte eben bebient batte.
2Us wäre ein SLraumbilb plOQlid) ,$leifd> unb Slut
geworben, fafj ber Äunfller bruben an ihrem eigenen
Cifdje. 3Da erhob fte ftcb, als b^tte fle, flatt an einem
Pfeiler, bie gan$e Seit über unter bem Saum ber
Erleuchtung gefeffen, unb warf fid?, noch gan$ in
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bem <m£>ern Reiche weilenb, bingeriffen von bem
£>an£ gegen ihren C£rw ecfer, bem fle $u bienen unb
fo nabe $u fein begnadet war, wie ein (Duell plots*
lieh aus ber fSrbe bricht, mit uberftromenber ©eele
bem (Bafle $u ^u^en — bem erfien tTlenfcben. f£s
war tDolf (Bontarb. \
„J la$ mich bid? nie wieber verlieren" — rief fle,
nad)bem jte aUe& erfldrt tyatte, noch b eifj oon ber
2lnjb;engung unb Perlegenbeit, bie ihr bie füfje
Folter feiner fragen bereitet, unb pacFre ibn mit
beiben ^knben am 2lrmgelenf feji.
il£v f afjte fte ernj* ine 2luge unb b»dt ihr —
flatt einer Antwort — bie gebrummte Äed)te mit
feinem ^beringe bin.
„f£in Zünftler gehört ber ganjen TDelt," fagte
jte leicbt erjtaunt — wie es in bem <£>efte b»’*f, in
bem fte über ibn gelefen.
££r unterbräche ein Hecheln unb legte bie <^anb
gütig auf bie ihrige, intern er ibr, wie einem IRinbe,
verfidnblich $u machen fucbte, bafj bas tPerB bes
Äunjfters $war ber tt>elt gehöre, bafur aber feine
Perfon weit mehr, als bei anbern tTJenfchen, gans
ihm felbfi geboren muffe, weil er bas VPetrf, bas
er aus feinem ^nnerjlen grabe, fonf* gar nicht ber=
Vorbringen fonne, fonbern von feiner 0enbung
abgelenft werbe, ber juliebe er fogar auf (Benufi
unb (BlucP, wie man es gewöhnlich vergebe, ver«
Sichten muffe. iDenn bas VDerf bulbe hine anbere
U
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Hiebe neben |tch, fo wenig wie eine Ittutter, bie in
ihren Äinbern aufgebe, jlch baneben mit anberen
JDingen abgeben tonne, unb es ließe fid? baber feine
anbei e (Bemeinfchafr mit ibm benfen, als eine folche,
^bie feinem Wirten nicht burcb 2tufburbung eines
* weiteren ©chicffals Seit unb Äraft ent$iebt, fon*
bern jicb bamit begnüge, baß man über bie ^erne
hinweg miteinanber oerbunben fei, unb 3 war burcb
ein ileben in bemfelben (Beift unb ben gleichen (Be-
jtnnungen — was allein Äraft unb Reichtum ju*
führe, ba bas (Bottliche in bem, was uns wiber»
fpreche, nid?t ju jeugen oermoge.
©ie batte mit gefentren klugen 3 ugebort. ^etjt
hob fle bas <5,aupt ein wenig unb fagte in (ich t>er*
loren, als wennfieoonihmflchnichtper(tanben fühlte:
„3ch will bir nichts entjiehen unb ihr nichts ent *
3 iehen. . . 3d? will nichts anberes, als bich anfchauen
burfen unb biefem (Broßen unb ©chonen bienen."
r fah, baß er graufamer werben mußte, unb
rang jtch bie Worte ab: ,,©o mußt bu entfagen
unb oerjkben."
©ie faßte jicb an bie ©tim: „Wie tann ich bir
23ofes tun, wenn ich bich Keb habe! . . . Wo ich
liebe, oerflehe id>."
££r blicfte jte befummert oon unten an unb
fchuttelte fchweigenb ben Ropf.
5Da erhob fle ßch unb fagte mit ausgebreiteten
Firmen: „Erhöht will i<h werben... Jd? will
29
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nicht bemitleibet fein . . . tite ijl nicht wa^r, bafj
bu für bid? ba biff . . . 5um 2luegiefen ifl bir ber
(Beifi gegeben, ben bu in bir tr<ügfl, unb id? will
ein £eil fein non bem, wae bu bifi ..."
tUie ein Äunfiwerf jlanb fie in fd?oner üeiben=
fchaftlichfoit nor ibm, unb unwillkürlich nickte er.
5Denn tn^brenb er mit ber <2><£rre bee VDeiterblicfen*
ben in (Bebanfen einwenbere „Jet? gebe, bamit
jeber nehme," rechtfertigte er 3ugleid> ben 2luf
ber gluhenben 0eele, bie fld? oor ihm enthüllte:
,,©o bin ich . . . 4>ilf mir!"
3Den 3a rt in ber ^auft, fann er nergeblich nad?
einem 2lueweg.
„tt>ob*r nimmt ein iUenfd? bas 2\ed?t auf ben
anbernd" grübelte er.
„2Du h*ft mid? fchon erhöht" — antwortete fie
rafch unb tat einen Bchritt auf ihn 3U, bie flachen
^>4nbe inbrunjlig t?or ber 23ruf* jufammengelegt.
21 ber er ftellte ftd? nor jie hin, ihre <o&nbe feffelnb,
unb fagte fchonenb: „Unb hajk bu bamit nicht ge=
nug empfangend"
„Hein, oerbammt bin id? fo . . . 2>enn anbere
kann id? nicht mehr leben . . ."
0ie rijj bao (Befielt jur 0eite unb beugte fleh, ge*
waltfam non ihm fejlgebalten, im Btehen auf feinen
2lrm hinab. 0o weinte fte. 0ie weinte, baß ihm
angfl würbe.
*
*
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(Beorg 2tlrmann, ber gewöhnlich, bie 4>&nbt auf
bem Äücfen, wie eine vornüber fallenbe ^opfern
flange an ber ttlenfcbbrif vorbeitorfelte, wenn er
in (Bebanfen war, mufte alte 2Dinge auf eine p^tCo-
fopbifd>e Formel bringen. i£t entwicfelte bas ehe*
lict>e X>erb<<ni 0 3 wifcben Wolf unb Helene (Bon=
rarb fo: „Wolfo Heben ifl Jß-iebe; <J>elenene Hiebe
ifl ibr Heben . . . ^ur ibn ifl bie Hiebe eine toomifcbe
Äraft; für fle bae Element, in bem fle amtet . . .
££r ifl Äatfel; fte ilofung . . . Wenn fle nicht
ejriflierte, müfte fte für ibn erfunben werben."
Helene (Bontarb pflegte bei folcben Worten, ein
Hecheln in beiben Wangengrübcben, ben ©cbelmen»
feufjer auejuftofett: „Wenn mir nur ein Wenfcb
etf lehren tonnte, wao pbilofopbir ift!" iDenn wenn
Wolf bao CböO© war, war fte bie Welt am fiebern
ten ©cbopfungotag, flarer, blauer Fimmel — eine
von jenen Haturen, bie feinen (Sott brauchen, weil
(Bott fleh in t'bnen erfüllt b<*t- Wenn Wolf ihre
iHntfcbeibung anrief, unb fte antwortete: „3Du biff
ber wertvollere tTJenfcb, icb unterwerfe mich bir"
— fo pflegte er ju entgegnen: „Wer ifl mehr: bie
©onne, ober ber fte anbeterV"
Hoch nach 3 ebnj<übr%er iSbe verfolgte er, in ben
©effeljurücf gelehnt, ihre Bewegungen wie ein vor=
nehme© ©cbaufpiel unb fonnte ftcb an ihren (Be *
banfengehtgen, bie fte ber flcbere Äompafl ihre©
auogeglicbenen, feine 5weifel fennenben ^erjeno
5J
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führte, mit fo obfeftiuem Wohlgefallen erfreuen,
baß ein Unbeteiligter geglaubt b&tte, (te w<$ren gar
nicht miteinanber verheiratet. 2118 Ulobell für bie
binftecbenbe ©ebnfucbt tonnte er fie nicht ge*
brauchen. 2lber allen (Bottinnen, bie vollenbet aus
ben Wogen (leigen, aus ber Walbeslichtung her*
vortreten, ober beim aufgebenben tUorgen mit
glubcnbem ©dreier vom 23ergesgipfel rvinfen,
muß te )ie ihre lebensfrohen 5uge leiben. Unb wenn
ber Wert bes Weibes in ber 3Uufion beflebt, bie
Jle in bem Wanne bervorruft, fo verbanfte er ibrer
bobeitsvollen <£>eiterteit ben abgrunbigfien Äeich*
tum; uitb er brauchte bie große Hihie ihres Wefens
nur in feine Äunji einjujeichnen, um bie flare liefe
ber Welt fpielenb ju erfaffen.
„3n ber Ciefe fingen alle iDinge," erflehte (te;
unb fo gern fie im Heben lachte, batte fie für ein
Äunjitverf, bas bis $u biefem heiligen f£rnf ie nicht
binabreichte, nur ein 2lchfeljucfen. „(Drbentlict)
ober gar nicht" — mar ihr Wort.
3Der Äefpeft, ben (te bamit allem Wuchtigen sollte,
entfprach ber gütigen latfrafr ihrer eigenen ge*
biegenen £7atur. tUdbrenb er in prometbeifcher
Unjufriebenbeit mit bem ©teine rang, fchlichtete
unb richtete fie alle (Befehle unb (Befehle, bie
ununterbrochen an ein 4>au& anflopfen, um bas in
weitem Umtreis ein vielverelfteltes, reiches Heben
(ich angemurjelt bat. 3Das Hanbbaus, bas inmitten
$2
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eines großen, grünen (Barrens kg, hatte jte mit
fidlerer, ruhiger ^arbenfreuhigfett 3 U (einem er=
weiterten J d? ausgejialtet; unb außer bem <Be>
heimnis ber friffadenen Klarheit, bie in aüen
Krumen fchwebte, gab es nichts barin, was (Be
heimniffe barg.
(Bewohnt, tTJenfchen unb Perwicflungen, bie
in bas (Behege feines 2trbeitsfriebens einbrachen,
fowet'tfie feine perfon nicht beanfpruchten, ^elenens
tapferen <5><$nben ju überantworten, enthielt ihr
VPolf (Bontarb auch bie Gegebenheit mit ©ibonia
< 5 >ille nicht nor. iZv hrrtte ber wunben ©eele
fchließlich ben £roft feiner ^duslichfeit angeboten;
unb bat nun ,$rau Helene, an feiner ©tatt jich ber
4>tlflofen anjunehmen, wobei fein (Bebanfe war:
ber ©ache Seit $u lajfen. iDenn bas Heben ifl weife,
unb manche tPunbe h*ilt non felbjf.
„natürlich muffen wir ba helfen," unterbrad)
ihn Helene mit ehrfürchtiger Gefümmtheit, fofort
ffir ben neuen ©chuQling eingenommen, ber ein
fo uberw&tigenbes Seugnis für bie be3Wingenbe
Perfonlichfeit ihres tTJannes abgelegt. 5)enn es
war ihr nicht anbers, als fei eine biblifdje Hegenbe
VPirf lid>feit geworben, unb fte f^he, wie ber <$>eilanb
3 um erffenmal unerfannt in armer ^>utte einfehrte
unb bie einfachen ^ifchersleute plOQlich ben ©aum
feines (Bewanbes fußten, weil ihn fein Hichtfchein
nerriet.
i Öt«rnb*rg, t>on S«ub« Srnuen flnb gtnaniU 33
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Hoch ehe fici> Wolf in fein Atelier junicfgejcgen
batte, erjoog fie in ihrem rafcben tTHrleib fcfon
buntort fclänc, wie jle ber armen Hichrfud>ertn |
beiflebcn unb fttr bie Bewunberung ibree Vtlannee
bantbar fein tonne. JDenit es fd>ien fcbon, baj>
bae (Befühl bee itUbchene f»d> mit tont ihrigen
oereinte, um bie YPoge bcv Hiebe, bie ihm aue ber
IPelt cntgegenfdjwelJen follre, ftd>tbarer unb m<ld?
tiger vor ibm aufutwerfen.
3« flatternbem ©taubmantcl, weiter ^eber=
fraufe unb Peljf»Sppd>en, unter bem ihre blonben
^aare beroorcpiollett, t<$mpfte jtd> ©ibby mit oor=
geneigtem <^aupt bureb ben fnirmifd>en tTferag,
unb ihre ©chritre würben immer Iangfamer, je
mehr jte (Bontarbe Haubhauo (ich näherten. 3 ^ r
<J>er3 wußte vielleicht, wae cs wollte. 2lber ibr <£>irn
burebfubren nur ^etjen von (Bebauten gleich ben
fturmjerblafenen tTl^rjwolten. f£ß fiel ibr eine
Kollegin ein, bie einen alten hantier noch ba3u
gebracht hotte, jte 31t beiraten; ein grofjee Per
mögen von ihm erbte, alß er fd>on nach wenigen
tTJonaten jtarb; unb bann mit einem vornehmen
tTJanneeine glücflühe f£h* fchloß . . . 2 luch (Born
tarbß ^rau tonnte jterben — wer weift! 3u ihrem
34
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öerufe jurucWebreni! Hein . . . Hiebet* mit einer
^ratt teilen . . . Wie, mußte fte freilid) nid)t. Es
fd> webte ibr ror, baß er ße auf feinem 23eßt5tum
anßelle . . . vielleid)tale:iDienerin, wo er meißelte . . .
oielleüht alt? Ulagb. ^ebenfalls, baß ße ibn immer
anfd>auenfottne unb teilßabenan feinem riefenbaften
jDafein . . . 2)ann badete fie, wie te wdre, wenn fie
ibn witt$ig i'lein jaubern würbe, baß ße ibn gan$ für
ßd) bef<£ße unb nerßecf t mit ßcb forttragen fonne . . .
(Dber ob fte ßttrbe, wenn jte fein oergottertee
2Mut trdnteV . . . 2lle bas weiße ^aus in einiger
Entfernung v>or ibr attftauebte, ergriff ße breit
unb voll bie Entpßnbung, baß ße jet^t an bem
(Bartengitter entlang gebe, m<$brenb er bort oben
arbeite. Unb bie 2Mumen auf ber VUiefe, bie fein
v>aus umgab, fanten ibr glücUicb vor, weil ße
bort ßebett burfren . . . Eine fold>e ZMume $u
fein! . . .
üDie bunten ^l<Ümmd)en bes Ärohts fangen aue
ber Rafenß<Scbe unb fcbloßen um bae ^aue in ber
iTJitte eilten leud?tenben Äing, ben ße nun burd>=
fcbrt'tt. ?lls fie unter bae gl<üferne Dörbach bee
Einganges trat, ßel ibr auf, baß ber £3 turnt bier
nicht mebr binbrang.
3Dae ^erjflopfte ibr: öie war über bie Schwelle
bee Kaufes getreten. Eine tyolye, alte Äaßeitubr
mit lattgfamen, ruhigen Penbelfdßclgen, bie wie ein
ernßer Wächter aus bem Schatten aufragte, gab
3 ’ 55
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feem Heben fogleicb einen anfeeren Hbytbmus, feer
füd) aucb feer f£inrretenben aufjwang. 2tber jle er=
fuhr foforr, bafj feer heilige tt^cbfer feee Kaufes
jemanfe anfeeres war. ©tatt 311 YPolf (Bontarb ge-
leitet $u werben, fam ^rau geleite mit webenfeem
©cbulterfcb leier fürjllicb feie <^allentreppe herab’
gefebritten, fcblofj mir ernjtem ^dnfeeferuef mit ibr
23 etanntfcbaft unfe lief* ibr bann mit gajtlicbem
H Hebeln feen Vertritt in ihren ^mpfangeraum.
Sagbaft trat ©ifeonia ein.
Pompejanifcbes Äot unfe orangefarbene ©eibem
|loffe leuchteten t>on feen VP^nben unfe wieber=
holten jlcb im tPiberfcbein golfeener ©piegel. Um
efeelgeformte tTJobel mit fojibarem PorjeUanjierat
gruppierten jlcb auf Perferreppicben weißum*
rahmte ©effel unfe ©itspI^Qe. ©cblanfe Papyrus
(tauben flrebten aus getriebenen Äupferbecfen fo
boeb unfe feuftig empor, bafj feie < 25 em<£lbe an feen
tP<ünfeen lebhafter feabinter ben>or!eud)teten . . .
3 Dae tTJ^fecben aus feem Polte war in ein tTJ Greben«
reich rerfeQt. Unfe als jte auf feem nieferigen 23 ant=
fofa piaQ genommen, feae feer fecb0teiligen^enjler=
orfenung fees «Erterbalbrunbo folgte, bliefte f!e balfe
infeae^arbenwunfeer feeo Äaume 3urucf, balfe feureb
feie ©cbeiben feer liebten ©laenifcbe hinaus auf feie
grüne (Bartenlanbfcbafr, feie 3wifcben balb3U=
ge30genen tTJullgarfeinen tvoltig eingefcbloffcn
war, balfe auf feie wunberbubfebe ^rau, feie mit
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golbbraunen, fonnigen klugen por ihr faf unb wie
mit einer ^reunbin mit ihr plauberte.
$>er glifeme ^Eeertfdx würbe herangefahten mit
jllbernen Äuchenforbchen unb ben burchfichtigßen
Por3eüanfd>alen, bie auf tiefroten Unterlägen pon
japanifchem SLact fhmben; unb f?e £am ftd? fo ge=
feiert por in bem Reichtum ber ungewohnten Um
gebung, baf fi'e ben tTJann, um beffentwillen jie
gekommen war, fafl pergafj unb immer nur bie
be3aubernbe ^rau mit ben (Bruhchen in ben VDangen
unb ihren gefehlten <J>änbett anjlaunen mufj te, in
ber fte bie Schöpferin jener Schönheit ahnte, bie
ja nie in jhimmen J)ingen unb (Begenjlänben be=
ruht, fonbern lebenbiger (Beift iß, ber aus einer
fd>onen Seele ausßrahlt. VHit fcheuer Jliebe blicfte
fie 3U biefer Seele auf unb hielt befhÜnbig bas
lafchentuch in ber ^auß; fo feucht waren ihr bie
oanbßächen por perlegener (Blut.
Erß als Helene pon (Bontarbs Eigenheiten ju
erschien begann, wagte fte ein freieres Hädjeln.
Tt>ie ber arglofe tUann auf bas Stänglein jebes
Scheues hupfte, bas man ihm hinhielt. VPie er im
Iheaterfoyer einer fremben 2>ame, an ber ihn eine
tufällige Bewegung interefßerte, 3u ihrem Entfetjen
3urief: „Ums Rimmels willen, bleibenSiebochmal
fo ftehen!" tt>ie ber ernße Äunßler ttnblid) fein
fonnte unb gleich einem Äänguruh um ben £ifch
herum hüpfte, wenn er fröhlich war. XPie er, ge=
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wohnt, benöleiflift im tTJunb ju galten, im Arbeits-
eifer mit 6er glübenben Sigarre 6ie lifcbbecfe in
Branb 3 eignete . . .
©ie 6 as fo lieb unb arglos, baß ©ibby,
halb befcb<£mt von foviel 5 utraulich?eif, l>alb voll
©tol3, 3ur tTJitwifferin 6er intimen Hebensvorgäntfe
gemacht 311 werben, fct?lie^lict> vor hellem ££nt3Ücfen
über bief£igentümlid)feiten an berfelbflvergeffenen
flatur bes großen Cr&imers b^^baft in 6ie ver*
bergenben <£4nbe lachte.
£Tun er 34 blte Jrau ^elene 6iefc iDittge in 6er=
felben rbeinifchen iTJunbart, 6ie (Sontarb eigen
tümlid) war, un6 6iefe tlbereinfh'mmung führte
bei ©ibby 3U einer feltfamen Perwirrung bes < 25 e=
fühle. 3n6em fle Helene in benifelben frembartigen
JDialeEt fprechen b&«e, beit fle bei ihm 3um erflew
mal vernommen, war es ihr, als ob fle ihn felbft
vernehme, 3Utnal ba fle Helene auch biefelben 2tn=
fchauungen Rufern b^te wie ihn, manchmal fo=
gar inbenfelben?lusbrüd*en. ££rrotenb mußte fle ba-
her ftch 3uweilen an bie ©d)l<üfe faffen, um ftch ju
vergegenwärtigen, baß fle nid?t mit il>m rebe. ©0
Farn es, baß fle bas, was fle bei bem einen liebte,
auch bei bem anbern lieben mußte, unb fchließlich
ben einen nidn lieben fonnte, ohne ben anbern in
ihre Hiebe mit einjufVbliefen. i£s war ihr freilich
nicht bewußt, baß es alfo garnidn bie Perfon war,
ber ihre Hiebe galt, fonbern bie 'Kraft, bie fleh in
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beibcn tTJenfchen gleichermaßen offenbarte, unb bie
fte gemeinfam verwalteten, gebenb unb nebmenb,
jeber (Beifl von bes anbern (Beift. ©ie wußte nur
fo viel, baß fte bas fliegefannte, bas fte vor ihm auf
bie Änie ge3wungen, 311 ihrem iürflaunen in ber
©chonbeit bes Kaufes, beffen (Beifl feine (Battin
war, wiebergefunben unb beibe tTlenfcben ftch
baber im 23 eft tje beffen befanben, was fie ibr
Heben lang gefucht/ obne baran teihubaben, unb
nun in fid) überleiten mit wehem Verlangen
erfebnte.
Wie es aber oft gefebiebt, baß man ben Warnt,
für fleh allein gefeben, 3U leicht nimmt unb bas
volle (Bewicbt feiner Perfonlicbfeit erfi erfaßt, nach 3
bem man ihn ab ^etrn feines Eigens, Weib, tTJagb
unb iDiener unb ben gan3en ©til feiner häuslich 3
feit fennt, fo ging (Bontarbs 23 ebeutung auch
©ibby erfl in feinem <£>aufe auf, unb fte fd) 4 mtc
ftch fafl ber refpefrlofen Vertraulichfeit, bie fte
mit bem erffen Worte 3U ihm angenommen, weil
ibr eigenes (Befühl für ihn fo übermächtig vor ihr
flattb, baß fie baruber vergaß, auf ihn 31t fchauen
unb fld? 31t fragen, was fte ibrerfeits für ihn be»
beute.
3 e mehr fie ihn je^t unter <£>elettens Worten,
bie ibr einen ££inblicf gewährten in bie Wetrfflatt
unb (Befd)id)te bes (Benies, emporwaebfen fab/ um
fo mehr fd>rumpfre fte biefer fremben, beroifchen
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Welt gegenüber t>or flc^> jufammen. 2>ei einer ^rau,
in ber feine &unfl bas Urbilb bes Schonen befaß,
war es nach ib«t Ztuffaffung allerbings leicht, bas
<£>errlichflc ju fchaffen, ebenfo wie ibr £elenens
geiziger Einfluß ab feine ^reunbin, Beraterin unb
Helferin £rBl£rung genug baf&r fchien, baß alles,
was fein Weißel aus bem tTJarmor erwecBte, ben
Stempel abeligeniEmpftnbens auf ber Stirne trug.
Was Bonnte fle bagegen mit ibm rebenV
Wie ber SLaie nämlich gewöhnlich nicht weiß,
baß ber Äunfller fleh überall an bem Urquell ber
Äräfte anregt unb baber bas fprubelnbe Spiel
ungebrochener Wenfd>lichBeit bem abgeflanbenen
Waffer eines gebilbeten <J5efprä<hes t>or$iebt, fo
ahnte auch fle nid)t, baß ber fchopferifche tttenfeh
fleh t?or fremben (Dbren nicht gerne über bas unter»
hält, was bei ibm in bie UnausfprechlichBeit ber
liefen binabreicht, weil er bies ausmacht mit feiner
letjten £infamBeit, fonbern glaubte, ibm nichts
geben 3 U Bonnen, weil fle uon ber Welt feiner &unfl
nichts uerflanb.
IDaß man aber etwas $u geben haben mußte,
wo man empfangen wollte, fchien ibr unter ber
uerpßichtenben (öefetjlicbBeit bes tempelbaften
Kaufes, bas alle Wrwilberung bannte, ein er»
lofenbes (Bebot.
Was fratte fle, armes ÜDing, mit ihrem bißchen
Siebe frier $u geben V
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2tle $vau geleite bae fchongeflimmte ©eldute
anfd^lug, um ihren ©ajl jum 2ttclter ihres tTJannee
hinaufgeleiten $u laffen, wanbte ftd? ©ibby immer
wieberum unb fchaute, w<lhrenb ber SDreiHlang bee
(ßlocfenjeic^ene in 6er ©tille trdumerifd) nad?>
ballte, mit großen, wehmütigen 2(ugen in 6en &aum
$urucf, als ob fle fürs Heben von ihm 2ibfchieb
nehmen follte.
* #
2luf leifen {Teppichen, über ©tiegen un6 winfe
lige (B&n ge, würbe (le bis su einem abgelegenen
^lure geleitet, wo eine fchwere &elimportiere breit
von 6er Tt>anb herabftel. ^Dahinter befanb (ich 6er
Hlteliereingang, auf 6en bas fuhtenbe ^auemdbdjen
nur mit fd?weigen6er ^anbbewegung hin$ubeuten
wagte, unb jtch bann auf 6en Sehenfpiijen entfernte.
Ü>a jlanb jte benn allein vor 6er verhängten lur,
unfchlufjtg, ob fle eintreten, ober |1d) unbemertt
bavonjtehlen foUte. SDenn wie jte in bem ©chujler*
häufe fremb blieb, weil eine Srucfe fle mit einer
anberen Heimat verbanb, fo fühlte fleh bas Äinb
ber tliebrigHeit wieberum ausgejlofjen aus bem
anberen Reiche, weil es fchulbig würbe, inbem ee
hier anpochte unb, folange ee barin weilte, ben
reinen 23runnen $war aus ben ^nben fchlurfen
burfte, aber Heine 2iuejlcht fah, ihn 3» verwalten
unb in fleh 3U tragen als fein feliges (B>ef£f.
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Hange ffanb fte fo, an ben Hippen nagenb, bis
fte enblich leife anflopfre. 2lber trotz zweimaligen
<5>ereinrufene blieb fte wie gel<Sbntt in bem 2>unfel
Zwifchert £ür unb Portiere ftebcn, fo bafj (Bontarb
fchliefjlid? öffnete unb fte zufammengefauerr an ben
Cürpfoflen gelehnt fanb.
„Perzeih mir" — fagtc fte unwillkürlich unb
fchob ftd? in ben lichten &attm.
<£v bachte ftch nid?ts babei, obwohl ft* mit bem
unfeheinbaren tOort fleh bie Sentnerlaflen einer
Sünberin non ber Seele feufzte, unb zeig« feiner =
feite zur fünrfcbulbigung tTJobellierflocf unb bie
uon feuchtem £ott befchmierten Raubfischen h»«/
um ftch bann eilig unter bem fliefenben tPaffer
eines tPafchbeckene zu reinigen unb bee 2lrbeite=
mantele zu entlebigen.
tPSbrenb er hinter ber fpanifchen TDanb bamit
befd?äftigt war, wanberten ihre 2Mid*e, ohne baf?
fte ftch uon ber Stelle rührte, bie weiträumige YDerk
fkdtte ab, non ber rupfenbefpannten YPanbflSche
hinter ihr, über bie gebrodene tPolbung ber
£>ecFe, bie ftch zu ber d>berlid)tfd?eibe abfchrSgte
unb brühen in eine einzige (Blaewanb überging.
Sie überflogen bie weifjen (Bipehänbc, ^üfe unb
tTJaeken, bie um eine hoh*, bie an bae (Blaebach
tfofjenbe Palme, zwifdxn Pebbigrohrfeffeln, auf
(Beflellen h**umlagen, beflattnten bie großen £on=
maffett, ’bie vor Heitern ftch auf leinwanbbebecFten
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<£>ol3tritten türmten; unb blieben fchliefjlich — an
ber freien ©chmalwanb Rängen, wo eine 5immer=
treppe $u einer 3 u bne führte mit 3wei ©iQpbfoen
vor ben beiben, burd? ein £ifd;>chen getrennten
5enj*ern. N
©ebnfuchtig in ben Zinblüf verloren, fagte fie
in ftd? hinein: „iDu b<*f i es gut!"
££r trat ldc^)elnb hinter bem tUanbfchirm hervor
unb flatfchte auf ben ungefügen ConblocF. „$)er
Hebmbaufen ijl bas fd>6n(ie baran ..."
„Unb beine ^rauV . . . Unb bein i^eimV" —
fragte jte verwunbert.
„2lUee ijl ©toff. . . i£in Äunjfler muf ar=
beiten ..."
©ie horte nid)t 3U, fonbern brebte mit gefchlojfe’
nen 2tugen langfam ben Äopf über bie ©chulter
nach jener ©eite, wo jtd> bie beiben ^enfierpldtje
auf ber ££jtrabe befanben, bie jte nicht losliefjen,
unb fragte leife unb leib voll, als grübe fie fleh einen
fcolch in bas *ber3: „©itjt bort — beine 5™«/
wenn bu arbeite^"
i£t verjlanb unb fab ernjt auf jte herab, mit bem
£>aupt verneinenb.
„2Dort fttjen ich unb — bie jüßtnfamfeit," be=
tonte er.
öefch^mt richtete jle fleh in ber 23 üfte auf. iDod?
er 30g jle willf^bn’tt Me teppichbelegten ©tufen
empor unb geigte ihr vom ^enjler aus ben (Barten
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mit feinem, jwifchen bunBlen Cannen flimmern*
feem WajferbecBen imfe feem weiten ^afengrunfe,
blau t>on ©cylla unfe burdjßemt non jener kleinen
Primel, feie mitten im tDinter, wenn ein ©onnen
jhrabl auf fte füllt, gläubig feie Zlugen öffnet. ttUfe*
renfe er erBldrte, flogen weiße tauben auf feem Kanfe
feer ©d>ale ab unfe ju unfe tranBen.
„ÜDort mochte ich begraben fein," feufjte fie, feie
©tim an feer ©djeibe.
£r glaubte $u abnen, was in ifet uorging, unfe
fragte: „3br bubt jufammen beraten — feife ihr
eud> einig geworben V"
(Dbne ibn anjufefeen, bewegte fie uerneinenfe feen
Äopf. t
„tTJodneß feu nid>t in feiefem (Barten arbeitend"
IDasfelbe jhimme Verneinen, bas niemanfe t>er*
riet, weld>e VDunben feabei bluteten. iDenn wenn
fie vorher feavon träumte, unter feinen 2(ugen leben
ju feurfen, fo wußte fie, feitfeem fie feie Herrin fees
<J>uufes Bannte, baß fte b«r nid?t teilen unfe unrefe=
lieb fein Bonnte.
#ber er ließ nid>t los unfe begann abermals vor»
fiebtig: „öiß feu nicht mit ibr ausgeBommeni?"
3Da wanfete fie ibm voll feas (Beftcbt ju unfe fagte
einfach: „3<b liebe feeine ^rau!"
„Hiebfl meine ^rau*/" machte er.
„Perfiebß feu feas nichtV 3d> liebe fie," fagte
fie mit glubenfeetn (Beftcbt. „3<b Bonnte mich unter
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ihre legen , baß ihre ©ohle ben garten Boben
nicht berührt . . . 34) mochte ber geringfle £eil
ihres Heibes fein, bie gebogene Wimper t>or ihrem
2tuge, mir bem fie bich anfehaut . . . tT7oct>te nur
eine ©tunbe atmen burfen mit ihrem Blut unb ee
in mir klopfen fühlen wie beins ..."
£r reichte ihr bewunbernb bie Rechte. „Hiebt
kleinmütig fein," troflete er väterlich. „Stiles ifl ber
gleiche ©toff. tTJan kann aus jebem Hehm eine
(Bottin kneten ..."
“Perlest wanb fte ihre <^anb los, unb bleich t?or
ihm bie ©tufen hinabfehreitenb, blieb fle ror einer
Buffe, feinem marmornen ©elbflbilbnis, bas t?on
einem hohen (Be fleUe herabfehaute, flehen unb fprach
ee an: „3<h kann in beinen klugen nichte fein . . .
3 <h gehöre fa nicht 3 U euch, ich weiß ... ©0 fchicke
mich hoch fort unb laß mich wieber werben, was
ich war!"
Sie fchlang bie Slrme um basBilbnis unb weinte.
£5r folgte ihr nach unb fuchte fte $u beruhigen,
©anft entwickelte er ihr, baß fte als (Befch<Sft8=
fuhrerin ein Äunflgewerbehaus leiten follte; wie
fle bort in Perbinbung flehe mit feinen 3”fereffen
unb gemeinfam mit ihm wirken könne; allmählich
Stusflellungen barin peranflalten würbe unb auf
biefe Weife teilhabe an ber Welf bes ©chonen, bie
ihre ©ehnfuchr fei.
<oypnoriflert wie ein weinenbes Äinb, bem man
iS
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tTJirc^en er$ählt> würbe ße unter feinen Worten
ßiller unb fugte topffdnittelnb: „2tud? bus iß nicht
bus &ed>te ... 5 >u haß gefugt: ^ttte jebeni Ion
läßt ftd) bie (Sottin fneten . . . iPcr Beruf funn
es nicht tun ..."
SDie ?lbenbßunbe tum, unb bie ßntenbe Sonne
wurf burd) bie (Sluewunb bie erßeiv roten Hichter
in ben Raum. 3 n ^ em ßd? über h** ©türm in
ihrem "Jnneven legte unb uud) bie ^Dämmerung
ßill in bie ££cl*en ber Wertßutt et'njog, erinnerte
ße ßd> plotjlid) ber Stille, bie ihr fofort in bem
großen < 5 >uufe uufgefuUen wur, unb etwas pon ihm
$urud?tretenb, frugte ße mit erftuunrem Slu&brud*:
„Wo ßnb beine ÄinberV"
„3<h . . . habe teine Äittber" — untwortete er
jogernb unb ließ bie <^unb mit einer bebuuernben
Bewegung uit ßcb bcrabfullen.
„Äeine ÄinberV . . . 2>ie fd?one Jruu teilte
Äinber!" tTJit halb geöffneten Hippen blieb ße wie
eine ££rßurrte ftehen.
2lber als wäre ber lungc, btmtle iDrung, ihre
Heiligung 511 etnpfungen pon bem Hidtre, bus ße
uuf beibe (Sutten per feilt fab, plotßid) ju b»nim=
lifcher l\(urheit burchgebrodjen, fchoß ein uber=
irbifcher Schimmer in ihr fuhnee Jlntlitj.
Unb währenb bus ^euer ber ßntenben Sonne
hinter ihr in ber (Sluswunb gleißte unb ule flammen»
ber^eiligenfchein für ße bort ßebemubleiben fd)ien,
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ber ihre ganje (Bemalt in blutgolbeiteit 5ad*en um=
loberre, fällig fie in ber Hot ihres <oer$ens bie
<£><£nbe nors (Beftcht unb flehte aus ben $eucv
brclnben heraus:
„(Bib mir ein !Kinb . . . unb laß mid) gehn!"
f£ine bei- treiben tauben bes (Barteits raufchte
über ihrem Raupte an ber öcheibe noruber unb
nerfchwanb in bem ‘ölute bes YPeßens.
deinen 23art $erwuh(enb w>anberte Wolf (Boiv
rarb mit großen 0d>ritten in feinem 0tubier$immer
auf unb ab.
Hange Sudjerrcihen, aus ubereinanber jtehenben
2tuff4t3en gefugt, bereit (Bcfimfe eine (Balerie non
23ron$ejtatuetten belebte, 30 gett |td> in flrenger
(Bleichfornttgfeit bie VP^nbe entlang. ?lber unter
ben gefchloffenen Kolonnen ber nielett 2Mnbe, bie
mit ihren golbeiten Buchen titeln ringsum hinter
(Blasfd>eiben leuchteten, war nicht einer, ber ihm
bie ^rage beantwortete, bie ihn quälte.
Wie berÄunjtlcr an ben (Brunbrypctt ber menfd>=
liehen Öchicffaie oft gelaflfen norubergeht, weil er
bas Heben im farbigen ?tbglan 3 begreift unb in bem
vCropflein eines unfeheinbaren Hebcnerlebniffes bie
0chmer$en bes Uninerfums norerleibet unb hinter
|td) f^mpft, fo hatte ber 2\ummer, baß ihm bas
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Äinb verfagt blieb, wohl manchen ©chatten auf
Wolf (Bonrarbs ©tirn geworfen. 2tber feine f£fye
berührte bas nid?t.
<Es gab einen berühmten Srunnen von ihm, ein
grofjee ülufchelfalfbecfen, in beffen Witte ein
iRinblein, felig auf bem Äücfen liegenb, auf bem
Waflferfpiegel fchwamm, wdhrenb eine(Bruppe non
3ungfrauen, jum ©tamm ber überßiefjenben ©d>ale
jufammenge warfen, bie 2lrme nach ihm empor*
hob. 2Ue er bei ber Enthüllung bes Äunjlwetfs
von femanb, ber bamit feine Hebenserfahrung bar«
tun wollte, gefragt würbe, ob er auch felbjl Äinber
habe, hatte er entgegnet: „4>4tre ich bann ben
Rinberbrunnen gefchaffenV"
2lber bie ©ehnfud>t war nicht bas einjige. 3Das
fchlimmfle war ihm, bafj jich bieWefenheit^elenens
mit ihrer göttlichen ^eitevteit nicht fortfe^en unb
ihre ©chonbeit für bie Welt verloren gehen follte.
Wenn er jlch bie mütterliche (Befühlewelt vorteilte,
bie bas neugeborene Heben in ihrem liebreichen
fersen aufgefchloffen \>&tte, fo Barn ihm bie ganje
WibernatürlichBeit, bafj eine golbene Äraft unge*
nuQt verkümmern follte, ver$weifelt jum 23e-
wufjtfein. Wenn jie einmal nicht lachte, war
bie ©eele aus bem ^aufe entflohen, ©o würbe
etwas fehlen im ©peBrrum bes 2Uls, wenn ihr
Hecheln mit ihr begraben würbe — war feine
"Dorfiellung.
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■JDeshalb erwogen jte auch nie, ein Äinb nnju*
nehmen. Ja, wenn er ih r ein folches kleines tUefen
in bie 2lrme b&tte legen können, bas fein eigen
wäre, ohne in frembem ©chofje erjeugr 3 U fein ... *
2lber anbers wäre es nicht gegangen.
tTun wühlte ber 2luf ber anbetenben tTJäbchem
feele alle biefe^ragen non neuem in ibm auf. Sollte
er beiß fpringenbe (Duellen bes VDerbens, alle ££ner=
gien bes (Gottfuchertums, bie in geheimnisvoller
Sympathie fid? aus bem Unbekannten hier ben
VPeg $u ihm gebahnt, in Unfruchtbarkeit 3 uruck*
fchlagen unb unvererbt in flct> erf erben laffemf
■JDurfre er basV
£Er faß auf ber iehne feines roten ieberfeffels
unb beobachtete an bem YDallnujjbaum, ber fhein-
bar kahl im^rfihlittgswinb vor bem breiten ^enfker
fcbaukelte, bie neuen braunen ©proffen an bem
älteren fchwarjen £ol 3 e, bie erfken noch fejkge»
wickelten Sapfen ber ^R^tjchen baran unb bie
Bufchel von roten <£>änbchen, bie fchon überall
klein nach hem dichte griffen . . . TDebmutig
fummte es in ihm: iDas Blut von taufenb Jafyv*
hunberten lofeht feinen funken in mir . . .
2Da trat fein ^reunb 2lltmann ein, ber nach feiner
(Gewohnheit fofort pa<h bem Buche griff, bas auf
gefchlagen auf bem ©chreibtifche lag.
„piatoV" fragte er, nachbem er ben Banb ent»
täufcht wieber hinge worfen . . . „Bilbbauerjk bu
4 Sttrnbtr», Von Sreub* Sraufn flnb genannt 49
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wie Wolf (Bontarb ober wie PhibiaeV Warum
pbilofophierjt btt alfo wie piatoV"
„Weil er bie ,£rage aufwirft: 23e|tebf für ben
geiftigett Schöpfer bie fJotwenbigfeit 3 ur leiblichen
Beugung V"
„21 d) fo," machte 2Utmann, fofort uerflehenb.
„Blfo hoch Wolf (Bontarb!"
IDer ^reuttb nicfre.
„nun, wenn Plato bie verneint, fo geht
er baoon aus, baf ber Zünftler in feinem Werf
fd>on feine ©enbttttg erfülle, was bu natürlich
nicht 3 ugeben wirft, ba baa Werf ja nicht ©elbfh
3 wecf ijt, fonbern ber tTlenfcbbeit bienen foll. 2>a=
mit bu nicht auf halbem Wege fteben bleibft, mufj t
bu bah«* aud> alle beine fonfiigen Ärdfte in ben
JDienfi biefea Bielea ftellen unb gan 3 wie ein leib=
lieber “Pater für bein geijtigee Ät’nb forgen. £>aa
beifjt: ea hineinfetjen in einen felbftgefchaffenen
Äreia t?on berufenen Perwaltern, bie ihm gegen
ben Wiberjtanb bee Unwerta ben Weg bereifen
3 um ^er 3 en bee Polfa. Wer aber ift hierfür baa
natürliche tTJebium, wenn nicht ber leibliche ££rbe,
bae eigene ^leifch unb 2Mut, baa beine (Bebanfew
weit fennt unb feiner eigenen Kultur bient, inbem
ea ftch 3 um Uriger ber Kultur bea Wetfea mad)tV"
(Bontarb legte bie ©tirn in ftnftere galten unb
entgegnete: „2>ae hiefse i^anbel treiben mit ber
Hatur, lieber ^reunb, anjlatt baa (Bottliche um
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feinet felbjt willen ju tun, ober $um minbejten ein=
greifen in Swecfe, bie jtd> ber TPelrgeift felber fest.
1Penn er bas Korallenriff bilben will, fo l<$fj t er
3 war bie Hiebe ber ©trablentierchen baran arbeiten,
bie ben Korallen jtod? bauen, inbem jte ft<±> paaren,
aber ben fleinen Polypen leitet nichts, als ber
Crieb jum Polypen. Hun lebt ber tTJenfch aller*
bings nicht nur bas allgemeine planetarifche 5>a*
fein mit — wirf! bu fagen — , fonbern beju$t auch
bie Erkenntnis fernerer fosmifcber Siele — aber bas
berechtigt ihn nicht, freies, jtch felbfl beftimmenbes
Heben ju erzeugen, um es folchen SwecPen — einem
Kunjtwerf — unter 3 Uorben, bas übrigens in (Bottes
£7amen allein (eben mag, wie es jtch burchfesr.
^>ier f>anC>clt nur jtttlich, wer in bem beUfeberifchen
Haturfchlaf bes Elementaren bünbelt . .
2lltmann malte mit bem 2Meijlift oor jtch bin.
„34) bin gan$ mit bir einig . . . ftur büf bamit
Plato noch nicht recht — es fei benn, bajj bu ben
Kunjtler als #flbeten in Keinfultur fajfen woütejl,
ber jtch 3 U heiligen glaubt, inbem er bas Heben
flieht. 2lus bem Pollen einer menfcblicben Perfon*
liebfeit aber fchaffjt hu nur auf ber breiten (Brunb*
läge bes gan 3 en Hebens. iDenn wir jtnb, was wir
tun. tlnb haben uns fo gut felbjt 3 U erfchüffen,
wie bas Kunjtwerf. tPie willjt bu bas anfangen,
ohne bafj bu neben ben funjilerifchen auch alle
pbyjlfchen Cugenben ubjl!"
«* 5 J
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„(But, bem 23ilbhauer bewillig^ bu beit Sproß
aus feinen ilenben," fagte (Bonrarb rafch, inbem
er auffprang unb feine tt>anberung burch bas
Simmer wieber aufnahm. „23ewilligfi bu mir bas
gleiche auch als <2 bemann V"
„5Du tneinfi: bem tTUbchen!"
„34> bleibe bei meiner Raffung I"
2lltmann trat an bas ^enjler, t?or bem bie erflen
jarrblauen 2Mutentrauben ber (Blyjinien fchwebten,
mit benen ^rau Helene bie 2trbeitsr<üume ihres
(Batten umfpomten, unb begann:
„VPenn ich als ^reunb ... als bein unb ^elenens
Jreunb ..."
„ 34 > lege ben 2lfc$ent auf ben Philofophen,"
unterbrach ihn (Bontarb, ber wie ein ilowe hinter
ihm auf unb ab fchritr.
„tPie bu befiehl^," fagte 2lltmamt ernft, ohne
feine Stellung ju uercünbern, als wollte jeber ber
^freunbe uermeiben, bem 23licf bes anbem $u be-
gegnen. „tt>enn ich alfo nur als bie anbere Stimme
3U bir reben foll, fo fage ich alles, wenn ich aus*
fpreche, baß bie iEbe eine als ethifches 3 n f*i tut
uerjlttlichte tTaturbeftimmung ift. Erfüllt fie bie
tTaturbeflimmung nicht t>oll£ommen, fo mußt bu
f He erg<ün 3 en. 3 e hoher bein Timt im VPeltenplan,
um fo unjweifelhafter if* bein Äecht ba 3 U. JDenn
bie gortliche Satjung hebt bie menfchliche auf.
VPer (ich mit bem 3D<$monium eines fchaffenben
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(Beifite oerbinbet, mti^ ftd? baruber tlar fein. ££r
muf wijfen, baf bie Swecfe bes (Benies mit betten
bes f£bemanns nicht erfd)opft finb, fonbern baf
ber ^Rünfller 3 wifchen ben (Battungen (lebt . . . ÜDer
jtreite 2 lbam . . . ££r ragt ine tTJetapbyflfcbe."
„tTJein &ed)t, mein Äed)t, ja, ja!" rief (Bontarb,
ber fid) in einen ©effel geworfen, ungebulbig über
ben Äaum hinüber. „ 2 lber wo (lebt etwas ge*
fchrieben non einer Pflicht^ 3 n wiefern gebort bas
23dnb eines tTJclbcbens 3 U ben 5 wecfen, bie inner*
halb meines Zimtes liegend ©ie will jum (Bott*
liehen — gut, wenn ich fle recht oerjlebe. 2 lber was
gebt mich ib* (Bott anV"
„VPeif t bu nicht" — fagte 2lltmann nach einigem
©chweigen — „baf bie iDionyfosmclnaben einen
©telloertreter (Bottes nerjebrten, um (ich ben gott*
lid>en (Beift anjueignenV . . . 3Du flellfl ben ©teil*
oertreter (Bottes für fie bar — ob als tttenfd) ober
Rünjller, einerlei. Unb wenn fle bid) als Perfon
auch nichts angebt — ben (Bott gebt bie Kreatur
immer an . . ."
„iDrei tTJenfchenleben fteben auf bem ©piel,"
grübelte (Bontarb, ohne 3 U antworten.
„©ollen breiVDefenbeiten, breitPelten 3 ugrunbe
geben V"
(Bontarb lachte bitter auf. „deinen Kummer
machen, nicht weberun — b«t fie gefagt!" ££r um-
krallte feine ©tirn mit mächtiger ^>anb.
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„IDao ijlSchicffal," antwortete 2 Htmann achfeb
3 ucfenb, inbem er sogernb auf ihn 3 uging.
(Bontarb ^atte bie &ed)te oor fich auf bie ©ejfeb
lehne aufgelegt unb betrachtete lange erfchüttert
feinen Ehering: ©chicffal!
„Weißt bu, wao in unferen Trauringen eingegra*
ben fleht V"
„3« euren Trauringen*»!"
(Bontarb fhreifte ben (Bolbreif oom Ringer unb
hielt ihn bem ^reunbe hin.
„Amor fati,“ lae biefer auf ber 3nnenfeire unb
reichte ben Äing jurucf, inbem er bie <J>anb auf
(Bontarbo ©d>ulter legte.
„ 3 <h hnbe nur sub specie aeterni 3 U bir ge=
fprochen . . . bu wolltejl eo fo . . . "
(Bontarb wehrte mit einer Äopfbewegung ab.
„3<h weiß freilich, baß bie Philofophie &ie
^olge unferer iSntfchlüffe ifl, lieber 5 «unb . . ."
Äange, nachbem Slltmann gegangen, faß (Bon
tarb noch 3 ufammengefunten in feinem ©effel, unb
nur ein golbgerahmtee Slhnenbilb leuchtete noch
aue ber 3D<£mmerung auf, einer non jenen Äopfen,
beren klugen fich immer nach bem Befchuuer brehen,
welche Stellung man aud) 3U ihnen entnehmen mag,
unb blidte über ben Bücherreihen mit feinen um
ergrunblichen 2 tugen auf ihn herab.
* *
*
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iDer ,$rubling fcbof wie ein Kaufet) aus ber
Erbe. iTlan l)£tte bas VDad>srum fefjeln mögen,
um Seit $u baben, es in ber ©tufenfolge allnuib
lieber Entwicklung 311 genießen. ?tn burrett Stab
3auberten ficb fafk über £ 7 ad>t rofa Blutenfcbleier,
ivogenbe Belaubung, bie rollen Ketten grüner
fruchte.
< 5 >elene (Bontarb »erlegte ibr Heben gan3 in ben
(Barten, ©ie kauerte frühmorgens neben bem (B<$rt=
ner, wenn er »or bem aufgefcblagenen (Btasbacb
in ben Pflan3enkulturen arbeitete, ©ie balf abenbs,
in bem Kegenbogen bes VPafferftrablß jkebenb, ben
Kafen fprengen unb ben tE>ur3elkrei8 junger © tetmnv
eben tranken. Bettete jebe ein3tlne Erbbeere, bie
jteb im Beete 31t roten anfwg, in ein VTeft »on
^>ol3Wolle. ©ebnitt Kofen. Ked)te bie fanbgelben
Wege. Unb ibr weiter tTacken bräunte jteb über ben
gan3en 2lusfcbnitt ibres buftigen (Bartengewanbs.
iDie ©cbleppe bes Empirekleibes über bem blofjen
2 trm unb berabgefebneite BlütenbbSttcben im £aar,
empfing fte ihre (BÄjle unter kornblumenblauem
Fimmel, unb wenn fÜolf 3U ben tTJab^eifen in ber
Buebenlaube erfebien, batte flc fbm mit einem ent-
beckungsfreubigen „ 3 Das mufjt bu feben" raufenb
tDunberbinge 3U »erkunben — fei es, bajj flügge
Pogel »erteilt in ben Bufeben faßen, ober bie iukka*
palme ib**n erjken, glockenbebangenen Blutenfkab
trieb.
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©ie batte es ftct> nicht nehmen laffen, Öibont'a
4 >iUt Sentrum ber ©tabt einen Runflfalon ein»
Juristen, 6a ihr (Satte, wie fle behauptete, bie tlr=
fache war, baß fle ihre fVubtre Stellung verloren.
JDort 3etgte ©ibonia einer 3ablreicben öefucber»
fcbaft ihre Stoßen, antifen Por3ellane, tTJarmor»
plajlif en unb anbere 3ierlicbe (Segenffdnbe unb hätte
nichts von bem Äaufd?e ber Hatur bemerft, wenn
ibr <£>elene nicht 3uwetlen einen (Sranatbluten3weig,
(Solbregen ober einen mächtigen Äotbornaff 3um
©d>mucf ihrer fapanifeben Vafen bingefebieft
hätte.
©ie brauchte feinen ^rubling. ©ie trug ben
(Sott bes frühlings felber in fkh. 3 Denn bie große
©tunbe, nach ber fle mit wunben^ußen gewanbert
unb gewanbert — fle war gefommen. Unb fle batte
fleh 3um ©cboß unb (Sefäß machen burfen für bie
vereinten ©eelen eines tTJenfchenpaares, bie ibr bas
anbere J^eich bebeuteten, in ber Umarmung bes
einen von beiben getauft mit bimmlifebem (Seiff.
tlun war fle eingegliebert in bie Äette ber ££wig=
feit unb freiffe mit von ©fern 3U ©tern. ÜDenn fle
batte ein (Sottlicbes, bas 3wei fferblicfoe iTJenfchen»
bäupter umflrablte unb mit ihnen erlofcben wäre,
bem lobe entriffen unb bewahrte es in fleh als
felige Änofpe, in ber es fcblief unb wuchs, bis es
bie 2 (ugen auficblagen unb fle „VHutter" nennen
würbe. Hur bie leibliche Verwalterin bes neuen
5 $.
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Hebens wollte fle fein, beffen feetifche tTJutter eine
anbere war.
VDenn fte non Seit ju Seit Helene (Bontarb be-
fugte, fo faß fte faft fhimm t>or ibr unb fchaute
fte an wie eine ^eilige. ©ie fußte ibr regelmäßig
bie <J>anb, wie fte es bei feinen Heuten gefeben batte,
aber <£>elene ffiblt* aus ber iiDemut unb 2lnba<ht,
mit ber es gefchab, baß fte gan} anbere fHmpftn»
bungen babei bewegten, unb fte mußte, obn* t?on
ihrem Suftanb etwas 3U abnen, unwillkürlich baran
benfen, wie manche grauen, wenn fte ber tTJutter»
fcbaft entgegengeben, ftch in ibeale Tiefen unb
<0egenfl<Snbe rerfenfen, um ftch mit ©chonbeit ju
fettigen unb ibr (B»efet3 bem eigenen Blute ein3U*
pfla^en.
JDie bicfen Äugeln ber VDallnuffe fielen mit
bumpfem ©djlag auf ben Äafen, unb bie grünen
©cbalen gaben bas braune (Sebäufe frei, bas fo
merfwurbtg einem menfchlithen ^irne gleicht. i£s
fiel Helene nicht auf, baß ©ibonia bem <?>aufe fern
blieb. JDenn Tt?olf fchuf an einem neuen TPerf ;
unb wenn er arbeitete, mußte fle gan3 für ihn ba
fein.
©ie batte es feit längerer Seit fleh oorbereiten
febtn: T>on ben erflen Bleiftiftftrichen, mit benen
er Bewegungen oon ibr fefoubalren begann, unb
fluchtigen in Är eite btngefchriebenen tTotierungen,
mit benen er einen 2tft umriß ober eine Äontur
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fejllegte, bis 3 ur ©tijjterung bes 2 lufbaumotws
unb ben lebten phyßognomifchen ©rubicn, mir
bcm Wtfcher ober ein paar triftigen ÜDructern bes
ITufchpinfels in tuhnen ^arbflecfen bmg*fet$t.
Hun gingen bie Arbeiter unb (Beihilfen im <J>aufe
ein unb aus. Honmaffe würbe ungefähren, (Berufe
würben gewimmert, tTJarmorproben gebracht, £T7o=
belle boten jtch an, unb bie ganje geheimnisvolle
(Cmftgfet't bes Werbens flutete an^rau Helene vor«
bei. Wie immer in folchen Seiten fprach Wolftaum
ein Wort, weihrenb feine 2 lugen non innerem Üicht
leuchteten unb feine ©chl^fenaber, bie fonft verbeeft
lag, befl<£nbig in $acfigem ©piel arbeitete, diesmal
hüllte er fleh gan$ in ben ©dreier bes <25eheim=
niffes, unb <£>elene wußte nicht mehr non bem, was
ans Hicht wollte, als bas, was er über eine ^igur
ber (Gruppe, 3 U ber fte IHobell fttjen mußte, $u ihr
gefügt hutte. ©ie follte babei eine Haltung an«
nehmen — lautete feine Sinweifunej — als wenn
ihr bas Hiebfte, bas fle fleh benten tonne, entgegen«
gereicht würbe, unb fte öffnete ihm ungläubig bie
2 lrme. 2 lber baraus tonnte fte fo wenig erraten,
baß fte nur noch mehr in bie ©chauer eines bunt«
len iEntflehens htneinge$ogen würbe.
fEs gehörte 3 U feiner (Gewohnheit, oft mitten aus
ber Arbeit, ohne bas Werfjeug aus ber 4>ant> 3 U
legen ober ben Hichtfchirm abjunehmen, ben er
bann wie ein WÜQenfchilb auf bie ©time juruef«
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fd)ob, in ihre Ääume herunterjufotnmen, um nach
einigen 2 lugenblicfen, währenb beren er nur (lumm
neben ihr fafj unb ibr bei ber Arbeit jufchaute, in
feine X£>erf(fatt 3 urucf 3 ufehren. ^Diesmal trieb es
ibn förmlich um. ©ie empfanb, wie er (le auffaugte;
jebes TUimperjucfen, jeben 2 ltem auf ihren .Hippen,
jeben ©chatten, ben ein <£>aar auf ihre tDange
warf, regifhrierte; ihre formen, ihre Bewegungen,
jebe T>eränberung ihrer tTJiene als Baujloff in (ld>
tränt. Unb bie beftänbig auf (le gerichtete, (le burd ) 1
fd>wängernbe(Bewalt biefes fd)Opferifd)entüebens
banb unb feffelte (le fo, ba(j fie (Ich heilig würbe, nicht
allein, weil fein VDert in ben Kreislauf ihres Blutes
miteingefchloffen fd>ien, fonbern weil fie auch gan$
binüberfchmoh in ihren (Batten jum Aufbau bes
werbenben Lebens, in bas ihre IRräfte burch all
ihre 2 lbern unb Wafern überffromten.
Um bie Seit, als (Id) bas (Bipsmobell unter bem
Jammer, ber bie ^ohlform 3 erfd)lug, heraus*
gefch&t hätte, (feilte (Ich (Beorg 2 lltmann öfter bei
ihr ein, um ihr an ben länger werbenben 2 tbenben,
wo (le allein über ihrer ©tief arbeit faf , (Befellfch aft
3U lei(ien. £ r blicfte (le an wie ein treuer <£>unb,
ber ahnt, baf feine Herrin leibet, um fo wehmütiger,
ba er fah, wie (le, bas Luinigefld)t mit ben lächeln*
ben (Brubchen weich befchienen oom Lampenlichte,
in ruhiger, nichtsahnenber ^eiterfeit ihre ©eiben*
fäben 30 g ,
25ur<h <£>au6 bebte ein neuer Ion; fern unb
gebdmpfr: 2>er erwachenbe tTJarmor fang, ©ie
hielten bie lür ju ber <5>alle geöffnet, bamit man
burd> bas Ireppenhuus btrab bie neue iTJuftt bes
tTJeifete pernehme, ber broben ben tTJarmorblocf
formte. Unb fte unterhielten fleh babei unb laufet)*
ten in ben Paufen . . .
,,©ie brauchen wirtlich feine Äinber" — fagte
Ziltmann eines lages unb unterbrach ftd? mit er*
hobenem Ringer, ba ber lat tber arbeitenben tTJeifter*
hanb wieber einfetjte — ,,©ie h^ben Äinberglucf
genug ..."
Helene, ernfter als fonft, bliefte nicht oon ihrem
©chofe auf. 2>enn bas 05eheimnis, bas fle um*
fchnurte, fing an, fte namentlicher ju machen.
££ rft nach einer tUeile nahm fte feine 2>emertung
auf unb beutete bie buntle 2trt an, wie tPolf fte
biesmal umtreife unb etwas Unnennbares an ihr
ju fuchen fcheine.
25a fprach 2lltmann etwas aus, was fte bedng*
fügte. 3 nt) tm er nämlich, um fte ju beruhigen, er*
flirte, baf bie ©djaffenben gleich ben werbenben
tTJuttern immer auf ber ©ud)e feien nach bem
©chonheitsfioff ber pollfommenen 25inge, ftel i\)v
ein, bafj ©ibonia eine Seitlang ebenfo um fte herum*
gegangen war, wie VDolf es tat, unb bafj fte ben*
felben (Bebanfen, ben fle jetjt aus frembem tTJunbe
oernahm, felbft gebacht als bas tTJäbchen
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\
ihr juleijt bie <o<£n be fufjte. Unb (le fab (leb plots«
lieb jwtfcbcn beiben (leben im Bilbe einer Brunnen«
fdule, por beren beiben 2trmen rechts unb lints
tt>olf unb ©ibonia fnieten, bie gebohlten <o<£nbe
unter ben fliefjenben Äobren unb ben (Duell trinfenb,
ben fte felb(1 buben unb bruben fpenbere.
©Sie raffte bie ©tieferei in ibrem ©cbo(je ju«
fammen unb legte (te erregt neben (tcb. tX>4brenb
fte in bie Jiampe grübelte, erinnerte fte (leb mit
einemmal, bafj ©ibonia aueb niebt gekommen mar,
als YDolf wegen einer tTJobellfmung 3 U ibr febiefte.
2 lber als ( 1 e 2 llrmann nun naeb ibr ausforfefoen
wollte, unb biefer ibr mit porbeugenber HZile ins
tl>ort fiel, bafj man niebt nad? ibr 3 U feben braudje,
ba alles gut bei ibr (lebe, geriet (te infolge feiner
auo weicbenben Äebe weife in fo große innere Bangig
Ceir, baß ihre flafenflugel flogen.
©ollte (te 3 U ibr gebend
„X>ergiß niebt, was bu bem^beale fcbulbig bifl,
bas bu porflellfl," prägte (te fteb ein, wie VDolf es
' (te gelehrt butte. Unb (te perfebloß por ber unbe«
flimmten Ebnung lieber gewaltfam bie klugen, als
(tcb in biefem 2 lugenbli<f ben Trieben rauben 3 U
laffen, wo bas gan 3 e <^aus ihn gebieterifeb pon ihr
perlangte.
* *
*
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©ie $tttem t>or Erwartung, ate tPolf fte am
TPeibnacbtotage ftillfcbweigenb an ber<banb nahm
unb mit ihr jufammen bie kreppe binauffcbritt,
um fte ins Atelier ju fuhren.
££0 mar einer jener milben £age, wo ber ©cbnee,
ber morgen© gefallen ijl, in bertP^rme ber tTJittag©-
fhmbe wieber taut; unb ber flocfige 23aufd> auf
ben öaumdjten fiel weich Ijerab, ©cbneepolfter
rutfcbten t>on ben JDacbrinbern nieber, unb überall
tröpfeln t>on ©cbmeljwaffern unb binnen t>on
Sieben . . .
iDie (Blaowanb be© Atelier© febnitt einen blauen
Porbang aue bem r einen tTJittagebimmel unb
breitete ibn hinter ber blenbenbweifjen tTJarmor=
gruppe au©, bie noch niemanb gefeben b<*tt* unb
^eleneh© weit geöffnete 2lugen nun febauten. ©ie
fab ftd> oor ber biblifcben ©jene: tDie 3<*tobe
iCbtweib Äabef weil (Bott fte nicht mit Äinbern
gefegnet, ihre tTJagb Silbu3afob jumtPeibe gab,
unb 23ilb<* nun bas ihrem ©cbofje entfptrungene
Äinb ihrer Herrin 2\abel, bie neben ihr fafj, binöber*
reicht mit ben Worten: „Zue beinern Wefen ifl ee
geboren." 2lber w<£brenb bie tTJagb im tTJurter=
febmerje jauber t, ihr J2.ieb fte© binjugeben, unb Äabel,
jwifeben (Bram unb ©ebnfuebt geteilt, bie Frucht
au© anberem ©cbofje binjunebmen jaubert, bleibt
ba© IMnb unter ben vie r au©gejfcrecften Firmen
jwifeben ben beiben grauen febweben, bie <£><lnbe
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ine &icht erbebenb uor £ebenelujt, baß feiern im
erften 3ugenblic? feinen 3ubel b<$tte mit bittaue*
fchreien mögen — aber ber ©ebrei erfh'cfte in einem
Sluflkbluchjen, unb fle fanf wiber TPolf jurücf, ber
hinter ihr flehen geblieben war unb jie mit feiern
(Briffe aufrecht iDenn J^abel unb 2>il ha trugen
ihre unb ©iboniae Buge, unb ber göttliche Änabe,
beffen marmorner Körper, golben oon ber tTJittage=
fonne bur<hleud>tef, oor ihr in ber JLufr fd)webte,
baß fte ibn mit jlocfenben Irenen in ben ?tugen
entgeiflert anfab, war niemanb anberes — ale
©iboniae &inb!
©ie (lanb nicht mehr v or bem Äunfiwerf , f onbern
uor tUolfe großer Äonfefjton. Unb fofort mit ber
bumpfen Betäubung bee erjlen ©chmerjee fing
bae tt>erf an, ju ibr $u reben, unb offenbarte ibr,
inbem ee fleh leibhaftig uor ihr erhob, baß ftd) bae
gefürchtete £Erlebnie, aus bem ee emporgeffcegen,
t>on ber ©eele bee Äunfllere abgelöjl bätfe unb in
bem ©teine aufgegangen war — feine größere
(Befahr mehr für ibr (Blucf, ale bie tTJarmor=
gehalten, bie fhimm unb unbeweglich t?or ihr faßen.
freilich, etwae hätte fle unwieberbringlich t>er=
loren. £Etwae ^eineo, iDuftigee jerrann, jart wie
bie unberührte weiße ^locfe, bie im tnittagejfcrabl
jerfchmiljt unb nur eine £r<£nenfpur an bem feuchten
5 weige juruef l^ß t: £Ein tTJ 4bchenglaube, ein Äinber*
träum . . .
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2tber baför erhob ftch etwas ©tar£es hinter ihr.
gegen befien hartes Äecht es t einen XViöe rfpruch
gab. £>er Wann, befien ^anb fie unerbittlich am
2lrmgelenE h^lt, als wollte er ihre <£mpfinbungen
nach feinem VUillen b^nbigen unb formen, war — ~
ein ©d>opfer. Unb fte h^tte fein bewunbertes VUerf
gemorbet, wenn fie nicht ftch bemütigen wollte t>or
feiner unergrunblidxn $eugerifd>en ttlacht. 3Der
(Batte fchrumpfte uor bem ©chopfer jufammen,
unb fie felbji warb t>or feiner (Befialt, bie riefenhaft
hinter ihr aufjuragen fehlen, nur ein fauernber
©chatten, arm unb flein. Unb fie fühlte mit bem
kleinen unb <J>ilflofen. Unb warf bie Ehegattin
non ftch ab unb warb ein tUeib, ein bilflofes, fich
opfernbes tUeib, bas mit bem VDeibe fühlt. SDenn
fie erriet, baß es ein Äinb unb eine iTJutter gab,
bie einem Wanne gleidjgültig geworben unb ber
mitleibigen <£>elferbanb beburften.
©ie loße fich langfam oon ber Betrachtung bes
fdu'cffaluollen ©teinbilbes los unb fagte, noch
weich unb tnhtmerifch oon bem Kampfe, ben ber
fEngel ihres Bufens mit ihrem täte geführt hatte:
„Hun laß mich 3 u ihr gehn unb ihr beifiehn in ihrer
fchweren ©tunbe ..."
2Da gab VUolf, w^hrenb ber gan 3 en Seit nur ber
wunben ©eele feines VUeibes Angegeben, ihre feji«
gehaltenen 2lrme frei, nahm ihren Äopf swifdhen
feine nbe unb fagte, burch ihr tPort an feine
*4
’■*
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4>&vte gemahnt: „Öeltfam! iBine anbere tf* te, ber
wir verbauten, baß bie große Weihnacht für uns
gekommen ift . . . Unb bu erinnerjt mid? baran ..."
r/3ft n *<hf auc ^ m ' r *hr &*nb geboren V" fragte
fte, feinen 8ugen nabe.
„Wir jlnb bem lob enrriffen . . . 3Der ganjen
tTJenfcbbeit geboren ifl jebee Äinb . .
Priejierlicb beugte er fld? 3 um Äujfe auf ihren
Monben Scheitel.
2ln ber hoben Weibnachtetanne in ber tTJiffe ber
4>alle entjunbeten (ich bie Äer$en am bellen £ag.
%
9 Sr*rnbfrg, Uen Sw»b» Srauen fliifc ftnannt
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©tdftn Houtta
iDurch gati 3 iDeutfchlanfe ging ein Sichern . . .
fEe war jenes 2Deutjd}lanfe, wo flatt eines Äaifers
eine Puppe auf feem £l?rone fafj; wo feie ^eid>s>
furjicn regierten, wie man c in e befd)ließt;
wo j»d> jefee ©tafetrepublif feurd) eine d>ineftfche
tTJauer non feer anfeern fchiefe; feie C^feelflen feer
tTation als 2Mut3apfer an feen tUegen lauerten;
unfe feine leitenfee 3feee feas auseinanfeerfallenfee
Gtaaesgefuge mehr t>erf ittete, fonfeern ^aujf ftd?
gegen ^aujf erhob.
2luf einem folgen Sofeen gefeeiht $war fein Polf ;
feejlo üppiger aber fdyiefien feie 3 n ^i ü ^ ua bt<Üten
auf. Unfe feen mangelnfeen (Bemeinftnn tnup feie
^reufee am Ungewöhnlichen erfe^en. ©o gefunfe
aber war feie Chrij^enheit noch, feajj über feen be>
hegten ©treid) feer (BvSftn Jloretta ein Aachen
feurch alle Jß.anfee ging.
( Braf Heinrich uon ©ponheim, ihr (Batte , feer
jted) aus feem heiligen Üanfee 3 urucfgefehtt war,
lag noch nicht langer im Älojfer ^immerofee be*
graben, als feer ©ame feer Surglinfee, feen er mit=
gebracht aus geweihter igrfee, fea 3 U gebraucht batte,
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um bie erfen grünen £aubf<£bncben ju treiben.
2tber trenn ber heilige Sernbarb bie tTacbtigallen
pon ber (Btabeeßdtte , tro Horetta ebenfalls einmal
ruhen follte, auch pertrieben batte, fo ließ fte jicb
bie ^reube bod) nicht aus ibrem iteben bannen,
obwohl ££rjbifcbof Salbuin pon {Trier, ber m<kb=
tige Äurfurft, ein tTlann, ber brei Äaifer auf ben
{thron erhoben, ber jungen TDitwe, bie als Por*
munberin breier unerwaebfener ©ohne auf ber ein-
samen 23urg jurucfgeblieben trar, bie £e bbe an;
gefagt batte.
C£r errichtete im Sirfenfelbfcben, auf fpon*
beimifd)em <25runb, einen burglicben Sau, trie
febon Piele feiner {Trutjfeflen an ber Hahn, in ber
CEifel, auf bem <5>unsrucf, im tPeßerwalb unb an
ber tTJofel emporgetraebfen traren, unb ließ pon
bort aus in einem täglichen Ärieg, ber größten
Plage für ein Jß.anb, fengen unb brennen, plunbern
unb morben. Unb als auf einer ber enblofen
©treifereien, bei benen er Pieb, (Buter unb Heute
ber trebrlofen TPittre entriß, fein tTJann, ber XPilb*
graf pon 2\yrburg, pon bem jufammengefcbmol*
5 enen ^duflein ber (Bv&fin gefangen treggefubrt
trurbe, ergrimmte ber frirgerifebe 4 err bes Äur*
faates, ber in allen Kabinett* unb ^elbfcblacbten
5 U jiegen gewohnt war, bermaßen, baß er jicb an*
febiefte, feinen ganjen gUlnsenben Hebensbof auf
jubieten unb mit <bilfe feiner berüchtigten Sranb*
s* 67
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[eifern, tTJineng<lnge, ©cbleubermafcbinen un6
VUanbelturme ber (Brifm auf ihrer tTJofelfefle
©tarfenburg ben ,£angjtoß 3U geben.
5 Da lief auf einmal ein Sichern burd) bie Jlanbe . . .
iDer ffcSrffte tTlann bes Reiches, ber Bruber
eines beutfeben Äaifers unb (Dbeim bes Königs
uon Böhmen, biefer tttann, ber Äronen austeilre,
ber mit Äffern roll <Z 5 olb unb ©ilber auf bie
^omerfabrt 30g, ber gefurchtere Burgenbrecber
unb ffleifler fran30ftfcber unb italienifcber Kriegs*
fünf?, ber ßellrertretenbe Regent SDeurfcblanbs, bas
gefalbre < 5 >aupt, beffen Äreu3esbanner feit ber
©porenfcblacbt allen feeren roranflarterte, biefer
(Bewältige, ber nicht nur Äonige, fonbern TDelr*
gefchichte machte — würbe ron einem tDeibe ge*
fangen.
Unb bas ging alfo 3U.
3 Da bie arg bebrobte (Bv&fin fab, baß )ie ber
Übermacht ibree (Begners nicht gewachfen war,
wich jle bem reroiebtenben ©cblage aus, inbem fie
einen VUaffenfttüflanb febloß, um eine gunfiigere
(Belegenbeir 3ur Abrechnung mit bem gefährlichen
^einbe ab3uwarten. 211 0 jte balb barauf burch ihre
Äunbfchafter in Erfahrung gebracht batte, baß
ber Öfobifcbof mit wenigen Begleitern auf feiner
3 ?a<ht ron (Trier nach Äoblen3 bie tTJofel hinab*
fuhr, fchien ihr bie ©tunbe 3um <£>anbeln gekommen,
unb nach eiliger Beratung mit ihrem treuen ^elb*
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bauptmann Polfer von ©tartenburg unb öertram
von Paucouleur, t'brem ©cbreiber, flanb ber ver-
wegene Plan fefl.
2tm ,$ufje ber fcbroffen Hey, über ber bie ©tarfen=
bürg thront, fcbiebt fid> bas mit tUeibenbfifcben
bewacbfene Porlanb ber Portswiefe in bie tttofel.
iDabinter b<*t jid? bie ^lut ein unergrfinblicbee
2>ett gewfiblt, wo bao tDaffer in geheimnisvollem
tt>og fülle $u flehen fc^etnt. <5>ier würbe eine jlarf e
ÖÜfenfetre unter bem tUafferfpiegel non Ufer $u
Ufer gefpannt. Äeiftge würben in bem 23ufd)werf
ber £anb$unge verflecft, unb in ber verborgenen
2Mid)t lagen ibre Hachen in £ereitfcbaft . . .
2 tmfelfd)wai 3 flötete von ben ginflergelben
©cbieferb^ngen, unb bie VPeifjlinge fogen, wie fte
es in ber tTJittagebiQt 3« tun pflegen, in bicbtge=
brängtem Äranje am feuchten Uferfcblamm, als
bie furffirjllicbe £uffyad;>f, bas IDecP mit purpur*
nem Seltrucb fiberfpannt, um bie ^lufjbiegung
berumgefcbwommen fam. &ein £fiftd)en regte ftd).
tt>ie fcbopferifcbe (Beijler gern bas ©cbiffiein
treiben laffen, wo bie VOeUe es bintr>, öamit bie
(Bebanfen um fo bequemer ibre eigenen VUege
wanbeln fonnen, unb von tUerfen unb pinnen nur
ausruben, inbem fte $u neuen pinnen unb tUerfen
fibergeben, fo entwickelte ber babinfcbautelnbe
2Mrd?enfurjl feinen (Bebeimfcbreibern tPicfer unb
©d?oler, bie er ebenfalls mit an Sorb genommen,
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ohne auf feine Umgebung $u achten, wie ec bie
Pergamente feines reichen ©taatsarcbwes, itlumi=
niert mit funßreicben tTJiniaruren unb ^rxitiaXtn,
3U einer C^roni? bes Seitalters 3U verarbeiten ge=
bacbte. 23ei feiner Äurjjid?rigteit, einem Erbfehler
aller Angehörigen besJß-Ujremburger^aufes, bemerkte
er nicht, wie babei ein ^laggenjeichen mit bem
fponbeimifcben tDürfelbanner von bem Jlugtürnv
eben ber öurg ins £al hinab ftgnaliftert würbe.
3ie bie glatte tPafferftöcbe auf einmal vor feinen
- febenben Augen aufriß unb bie ange 3 ogene ©perr*
fette bie (Gefahr 3 eigte, in bie man hineinfuhr. Su
fpdlt. 2)enn fowie ber ,$lufj abgeriegelt war, brachen
bie bewaffneten flachen aus ber tUeibenbucbt bet-
vor — unb ber gewaltigße Äriegsfürß ber Seit
war gefangen unb würbe famt feinem (Befolge ben
fteilen ^elfenpfab hinauf vor feine Uberwinberin
geführt.
££twas Unerhörtes war gefchehen. JDeutfchlunb
war in feinem m<$cbtigßen ©ohne, bem reichten
unter ben „Sürßen, einem ©proß bes lujrembur*
gifeben Äaiferbaufes, 3 U ^all gefommen.
Aber ba 2>eutfcblunb nur von 2)eutfchlanb be=
3 wungen werben f onnte, fo muf te bie ftegenbe Äraft
wieberum 2)eutfd)lanb fein: C£in neues 3Deurfcb=
lanb, bas über bas alte triumphierte. i£in tX>eib
hatte es vollbracht. 'Jn aller ©rille, im fommer*
lieben ©cbweigen einer unbelaufcbten Wittags*
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jfunbe, war ee nor ftd? gegangen. VTCit bem laut=
lofen ^Iugelfd)lage 6er Schmetterlinge fd? webte
6er neue (?5ebanfe in 6te tPelt. Un6 6urd? bae
gan 3 e Gleich lief ein Faunen un6 fiebern.
t7aturlid) 6urfte 6er Papfi nicht fäunten, gegen
jemanb, 6er <5>an 6 gelegt an einen (Befalbten 6es
<£>errn, 6en Bannfftrahl $u fd?Ieu6ern. Hatur
lieh rief 6ie (Seijflichfeit, 6ie fich in bem, ihrem
(Dberhirten angetanenen ©chimpf gefr<$nft fühlte,
non 6en &an 3 eln $u 6en tPaffen. tlaturlid) lief
bae iDomfapitel 6ie Sungenfunfle feiner biploma
tifchften Propjle, Dechanten un6 2lrchibiafonc
fpielen, um 6ie Befreiung bee Äirchenfurjfen ju
erreichen. 3Die ©t£bte bee Crierer ©tifte fanbten
natürlich ihre reitenben Boten mit ^ehbebriefen
auf 6er ©pitje bee ©peere. Natürlich raffelten
Burgmannen, Jßeheneleute, alle ritterlichen “Da*
fallen un6 Perbunbeten bee hohen tPurbcntr^gers
ohrenbet^ubenb mit ben <oarnifd)en. ©ogar Äonig
3oh<tnn non Böhmen fuchtelte mit bem ©d)wert.
PTaturlich, natürlich- 2lber in feinem ber hohlen
Äuraffe, bie ba lärmten, ffeefre ein tTJann. TPo
war ein tTJannV TPo war jemanb, ber <35ut unb
Blut für ben gefangenen J2.eheneherrn cinfetjteV
hinter feiner ber lauten Drohungen marfchierte
ein <£>eer. Ute fchien, als wenn bae allgemeine £ad)en
auch bem ©t^rfften bae ©chwert aue ber <oanb
fchluge. ütir\ unheimlid?eo 3 ul?e ^ n war e0 / h<£tte
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ftd? iloretta mit ihrem fuhnen <$>anbflreich hie
fersen bes gan3en Volfes gewonnen, ftin ^roh 1
locf en, bei hem es ben tl achbenf liehen wie ©chuppen
non ben Bugen fiel, weil her revolutionäre (bei|l,
her in bem beginnen her (bräftn $um erflenmal
vernehmlich rebete, etwas in her Volfsfeele vor«
bereitet fanb, an bas man nicht röhren burfte.
IDer Burggraf non ^ammerflein, her bem f£r3*
bifchof bas Sanner 3U tragen verpflichtet war,
mußte non feinen IDienflmannen fogar hören, baß
er feinen im Volfe ftnben würbe, her ihm gegen
bie (bräfln folgen werbe, ober her (ich nicht barauf
freuen würbe, ben barten £ifenfopf fm hrrmelin*
verbrämten Äurförflenhut ben iEfelsritt burd>s
£anb machen 3U feben, ben man fonfl über bem
jenigen verhängt, her ben ©ebimpf von Weiber*
fchlägen auf fleh gelaben hat.
©0 jlanb benn alles tatlos beifeite, als hätte bie
über Hacht fo mächtig geworbene (bräftn nicht
nur ihrem (befangenen, fonbern 3ugleich auch feinem
gan3en Bnbang bie ^änbe gefeffelt.
IDoch wie jebe Verlegenheit, fo nahm auch biefe
eine anbere Wenbung, als tTJenfchenermeffen er*
wartete. 23 alb 3eigte fleh nämlich, baß her fitvy-
bifchof ben Häuf her IDinge f eines wegs fabelte,
fonbern, wäbrenb feine ^reunbe bie ^aufl noch in
her ICafche ballten, längfl mit feinem (befängnis
ausgeföbnt unb mit feiner ^einbin einig war. f£r
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felbft richtete bie 23ttte an ben heiligen Stuhl, bie
Surgfrau 3 U abfolrieren unb t>on bem päpfHühen
Sannfluch 3 U lofen. ütx gelobte, bie unfelige Swing-
burg im Sirfenfelbfchen ju fdüetfen unb bie (Gräfin
nimmermehr binnen ihrer ^errfchaft mit einer Se-
fefligung $u uberbauen. <£ntfchäbigte fte für alle
YÜäffer, tt>älber unb hinter faffen, bie er ihr ge-
raubt hatte. Perhieß ihr unb ihren Äinbern, baß
er ihnen nie mehr Habebriefe fenben ober ben Sann
über fte verhängen werbe, ©e^te ihr ein Jlofegelb
ron elftaufenb Pfunb ©über aus, mit bem fte ftch
einen eigenen tUitwenfuj erbauen unb ihren Äinbern
bas £rbe aufbeffern follte. J lieft Äonig Johann,
elf (ßrafen unb fEble famt ben fünf größten ©tobten
bes fCrsbistums 3 U ihrer ©icherheir mitftegeln. Se-
feftfgte bie ©übne auch noch burch Perpfänbung
t>on fecho trierifchen Surgen. Unb hing fchließlich
fein eigenes Siegel neben bas ihrige unter einen
^reunbfcbaftsoertrag, nach bem fte fleh gegen
febermann immer uerbunbene Reifer fein wollten.
f£in fchallenbes (Belachter ging burch bas
2 anb . . .
©cbon jweimal hatte fleh ber priefterliche Äecfe
nämlich t>on ^rauentränen bie gepanjerte Sruft er-
weichen laffen; einmal, als er Surg C£lt 3 unb ein-
mal, als er Äafiellaun belagerte, ttun be 3 ahlte er fo-
gar feine <5>aft mit teurem tTJinnefolb — behauptete
bie Stimme bes T>olfs. 2Doch was ftnb bie CEr*
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Jldrungen öer tUelt! 3^ re groben Urteile paffen
auf alles. 3 n ber Schattierung aber liegt bie C£r«
fenntnis. tUahr ift nur fo viel, baf hier ein
UOeib nicht nur bes Kriegers, fonbern auch bes
tTJenfchen <perr würbe. 2lber nicht etwa burch
einen Criumph, ber einen Stachel hinterst unb
ben (Srunb legt ju neuer ^ebbe, fonbern burch
jenen göttlichen Sieg, bei bem auch ber Beftegte
lächelt.
Unb bies Jam fo.
211 e ber atemlos erwartete <pornflofj bes aus=
fp<&henben TU<£d>ters enblich non ber Sinne bes
tPartturms fchmetterte, jum Seichen, bafj jtch ber
rote Äurfurffenbut inmitten ber gräflichen iDienfb
mannen in ber Cat nom ^lu^tal 3 ur Burg herauf
bewegte, umhalfte bie <Z5r£fm im (25lucf über ben
gelungenen 2lnfchlag ihre brei Änaben, bie ihre
iTJutter in furmifcher tttirfreube babei herum*
riffen, mit einer einigen Umarmung. 2lber als bie
©char ber Seifigen mit ihrem ^ang ben Burghof
betraf, ergriff fte fofort tYJitleib mit ber ge»
bemutigten <25rofe, unb fie gebot bem 'jjubtl--
gel^ute ber Äapellenglocfen Einhalt . . .
f£s herrfchte feierlid>es ©chweigen, unb bie
Schwalben fch wirrten ftumm um bie Curme, als
bie fchone ,5™tt bem hohen 4>ervn auf ber ^rei*
treppe bes tPohnhaufes, ihre Schleppe auf
nehmenb, entgegenfchritt, unb ba fte bas tTJit*
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gef&hl mit feinem Untern auf irgenbeine Weife
tunbtun wollte, ihm mit feen fc^erjenfeen Worten
l<£chelnb feie Rechte fearbot:
„Jet) baute fEucb, feaf Jt)t uns feie i£t>te fEures
öefuchee erweijl."
3Der Äurfurfl, 3 U beleibigt, um feie bargereichte
<5>anb ju ergreifen, aber bei feer befremfeenfeen 23e-
grußung auch fofort fchwantenb, ob ihn nicht ein
bofer lEraum genarrt feabe, entgegnete erjlaunt:
„So gefchah feie (Gewalttat nicht auf £Euer
(BebeifV"
„ji)v feit> mir von ^erjen willkommen," lächelte
Horetra mit grajiofer Verbeugung.
„Jt)t werbet mich alfo entlaßen unfe feen Waffen-
ffiliflanbnichtverunglimpfen," befahl er mit halber
#age.
Unwillkürlich traten ihre ferei Änaben, feie fleh
ehrfurd>tig im <J)intergrunfee hielten, bei feem
fcharfen £one rnüher 3 U ihr heran. 2 iber fte ließ
fleh nicht einfchuchtern, fonfeern lächelte in un-
beirrbarer <5>oflich£ eit:
„3Die Palme in feer <J>anb ijl uns lieber, ale feie
^riefeenstaube auf feem iDache."
titine feer fpielenfeen Schwalben flirte feabei fo
feicht an ihrem (Beftcht vorüber, baß ee fchien, als
hätte jle fi-oretta feae Häcbeln vom Wunfee gehufcht
unfe riffe es ale eine Äette von ©überlauten weit-
hin feurch feie Hüfte.
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Tt>enn ber Äurftirfl einen Zlugenblicf an ben
Zlbficbten Jlorettas ge 3 weifelt batte, fo glaubte er
ftd> fest obenbrein auch noch genasfuhrt unb machte
eine energifebe Tt>enbung, wie jemanb, ber es für
unter feiner VDurbe b&t, ein weiteres YDort ju t>er=
lieren, unb entrüjlet bauonfebreiten will. Zlber er
blieb in ber halben TOenbung unfcblufflg auf ber
Ireppenfhife flehen, jtd> nun erfl bewußt, bafj bas
lor für ihn uerfcblojfen war. 23leicb t>or 5orn
über feine (Dbnmacbt, Me in fo wabnwitjigem
tDiberfprucb mit ben wahren Ärdfteoerh&fniffen
flanb, paefte er ben ©aum feines febwarjen lalars
mit ber ^aufl, unb noch einmal bie gan 3 e tTlajefUt
feiner Perfonlicbfeit aufpflan 3 enb / herrfebte er mit
brobenber ©elbflbewufjrbeit:
„CEine (Bräfm uon ©ponheim wagt es, ben
Äampf mit Äaifer unb 2\eicb auf 3 unehmenV . . .
tTJufj man CEud) erinnern, wer oor £Eucb flehtV"
3Da legte Jloretta beibe Zirme rechte unb lints
um bie ©cbultern ihrer brei ZMonbfopfe unb ent»
gegnete, in ihrer tTJitte flehenb, mit feblicbter
©icberheit:
„3Die (Bnlftn t>on ©ponheim feilt fleh febem
gleich, ber f erblich if wie jte."
„ ©ie nimmt es für ihre &inber mit bem leufel auf'
— feste f e,ben kleinen in bie Zlugen Uücbelnb, hin 3 U.
$>er Zlngerebete Jochte, bureb ben Ieid>ten Ion
feiner (Begnerin, an ber alle feine tTJachtmittel ab*
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prallten, aufe neue im 3 nner j* en aufgewühlt.
IDurch bie Leihen ber herumflehenben 23urgmannen
aber ging bei ben VDorten ihrer Herrin ein ehr*
erbietigee öeifaltemurmeln, bei bem ber (befangene
herumfubr unb bie Perfammlung mit vernichten*
bem 23licPe map, tv^hrenb bie große <£>ofbogge bei
ber entflanbenen Bewegung tvebelnb burd> bie
tT?4nnergruppen fchritt. ©ie Pam auf bie frembe
£rfd)einung im bifchoflichen Calare $u, befchnüf*
feite fte gleichgültig, fchob fle beifeite, als wenn fte
Jluft rvdre, fchritt verächtlich an ihr vorüber unb
legte fleh wie ein ©teinbilb gemächlich ihrer Herrin
5 U £ußen.
5Dae furfurjlliche (Befolge fenPte ben ©lief jur
CPrbe.
„Hun, ÜDeutfchlanb hat noch <beere," fagte ber
Priefler enblich, inbem er fleh rroQig aufrecPre.
„jeh habe mehr," war iorettao fchonenbe ££nt*
gegnung, bei ber fle ben 2MicP mit ihrem Äätfel*
lächeln auf ihm fpielen ließ.
2lber ba er fle mit heraueforbembem ©tim*
runjeln verfldnbnielos anfunfelte, hielt fle nicht
langer mit ber ©prache jurucP.
„X X>a& ich habeV" fragte fle unb verneigte
fleh vor ihm. „3d? habe — iDeutfchlanbo
Äopf."
fEin ©chwalbenhaufen fchöttete ein gan 3 ee ©il*
bergelclute burch bie Jluft.
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5>er (befangene jucf te jufammen unb fagte barfd)
abbred)enb: ,„$öbt* mid) in mein “Derlies."
^reunblid) geleitete ibn iloretta, unter T>oran=
tritt bes Haueoogts, burd) oiele reicbbefcblagene
£uren. ©ie führte ibn in ben kunftooll geplätteten
^errenfaal, in bas teppid) belegte kuble ©d)laf=
geniacb unb 3uletjt burd) eine mit ©d)weinsleber
befleibete ©pitjbogentur in. bie bocbgewolbte
Bücherei. iDod) als fte ibn mit ber gan3en flucht
ber 2Uume bekannt gemacht barte unb nun fkeben
blieb, um ftd) 3U t>erabfd)ieben, fagte ber Äurfurfi, *
im begriffe meiterjugeben, unwirfd): „Um mein
(Befängnis bitte ich."
„ 3 br feib barin . . . JDie ganje Burg fleht ffud)
ju IDienfl."
(Dfyne ein tUort bes 2Dankes uerbarrte er in feinem
feinbfeligen ©d)weigen.
2>a jucfte fte bie feinen ©d)ultern unb fagte:
„(Bott bat C£ud) bergefubrt . . . Hiebt ich "
(Dbne eine Antwort 3U geben, warf er ben Siegel
hinter ibr 3U.
*
£>er Äeulenfd)lag ber erflen Betäubung ifl noch
nicht bas gan3e ©cbickfal. C£rfl wenn unter feinen
Auswirkungen ber unbebinberte (Bang bes JDafeins
überall in ben ©ackgaffen bes t>er3id)tes unb ben
uerfchutteten ©d)äd)ten unferer Hoffnungen enbet,
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uberfchauen wir, was uns betroffen I?at. ©o er-
fuhr auch Öfobifchof Balbuin erj* allmählich, baf
es mit feiner (Sefangenfchaft, bie ihm wieber unb
wieber als eine ©innest<$ufchung erf deinen wollte,
bitterer i£rnjl war, unb baf er vergeblich an feinen
Äetten rif.
tt>as ihn babei hauptsächlich verwirrte, war bie
Äobolbnatur ber Burgfrau, bei ber niemanb er=
raten fonnte, was fie im titvnft ober im ©d)er$e
meinte, tüvl^renb jte ihre Änaben unb bas 23urg=
gejtnbe anbielt, ihm mit tiefjier fShrfurcht 3 U be=
gegnen, fchien fle felbj* feiner bejUnbig 3 U fpotten,
ba füe feines (Grolles ungeachtet bas ßeinerne Ärug»
lein auf bem ^enflerjtms feines tt?ohngelaffes t£g=
lieh mit frifd?en 2 Mumen füllte unb, obwohl er es
fogar abgelehnt ^atre, an berfelben Tafel mit ihr
$u fpeifen, feinen Tifch mit ihren bejten X>orr<üten
befiellen lief, Trotjbem jte nie eine Antwort non
ihm betam, rebete jte ben Unverfohnlichen unent*
wegt mit ihrem holbefen £<kbeln an, wenn jte
ihm, von ibren Pfauen begleitet, in bem jierlid? ab=
gejhtften Tt>ur$g£rrlein begegnete, ©ie fniete jeben
tTlorgen in ihrem Setjftthle, wenn er in ber &a=
pelle bas heilige iTJef opfer barbracbte. tTJan horte
jte 3 U jeber ©tunbe wie eine Turteltaube lachen, unb
hoch ging in ber ftlbernen 2lmpel, bie 3 um (Be-
bächtnis ihres verewigten (Satten brannte, bas rote
Jtid>c nicht aus. ©ie lief einen ber grauen tTJonche
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»on Cijlcrs täglich um ^rieben beten unb |>te(r jur
felben Seit einen <Z5roßen bes Reiches in <£>afr.
Einmal fanb öalbut'n ben ^tauenlob auf feinem
2trbeit6tifc^>e liegen als jarte Anbeutung feiner Um
ritterlichfeir; einmal ben ^reibant mit einer ein*
gefchlagenen ©teile, mit ber jte eine Unliebe Hut**
amrenbung »erfolgte; ein anbermal ben tTJeifler
££d*hart; unb fo gab ee täglich eine neue@chelmerei.
Alles bas »erjfanb er nicht: ££in Wann, ber nicht
einmal bulbete, baß man feinen ^einb narrte, unb
einjl einen öänfelfänger, berbiestat, mitbenVUor*
ten »on feinem <2>ofe jagte: „SDer (Großen foll man
nicht mit ©chimpf gebenfen."
Aber trenn er in bem Verhalten ber lachenben
<25räfin auch nur bie Faunen eines leichtfertigen
unb oberflächlichen ©innes 3 U ernennen glaubte,
fo rerlieh ee ihm hoch 3 ugleich einen ©chein »on
Freiheit, freilich einen trugerifchen. -JDenn als er
jte, ron ihrer ^reunblichfeit »erfuhrt, eines lages
barum angehen ließ, feinem ©efretär, ber jte hoch
nicht befehbet habe, bie lore $u offnen, ließ jle ihm
burch einen einfältigen 23oren, ber ben ©cherj nicht
mertre, gan 3 ernjihafr melben: jte trerbe fein (Be-
fuch an bie 23urger »on Äochem weiterleiten, bie
einjl bie gefangenen Waulwurfe, um »ollig jtcher
»or ihnen 3 U fein, lebenbig begraben ließen.
Auch als er ein 3 treites tTJal für feinen Proto*
notarius tPicfer freien Ab 3 ug begehrte, 3 ur X>or*
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nähme wichtiger ©taatsgefcb<$fte, lachte fle nur
unb lief t'bn befebeiben: baf auf ber 23 urg wid>=
tigere ©taatsgefd)<£fte auf ihn warteten.
C£r begriff allerbings, baf feine Befreiung nun
allen anberen Gingen porging. 2lber wie fie er=
reichend ITJit Spannung erwartete er bie ©tunbe,
ba man bie öurg in t>erteibigungs$ujlanb fetjen
wfirbe. JDocb bie tPaffenfammern blieben gefcblof-
fen. Äeine ©djleubermafcbine warb auf bie Platt*
form eines Turmes j?inaufgevpunben ; nid)t ©tein
noch ©ramm $ur Überhöhung ber tHauern an
gefahren; nicht um einen tTJann bie Sefa^uttg
perfhÜrfr. Unb in ber lat blieb jebes ££ntfet3 ungs*
beer aus. Vt>as follte es auch! ££r war eine fo
fiebere (Seife l, baf iloretta nad> ben erflen Äampf
anfagen luflig ans £or anfd)lagen lief: „<faie r
werben weitere ^ebbebriefe angenommen." 3 a / f* e
machte ftcb fogar benSpaf, ibm bie ftegelbebange*
nen Sollen jebesmal mit ben tPorten ausb^nbigen
ju laffen: „VPieber einer, ber mich perleiten will,
CCuch ben Äopf pon ber Schulter 3U trennen."
©o biuberte noch ber Schein feiner fllacht —
als goffe aud) bas ©d)id?fal bie poIIc Schale bes
Rohnes über ibn aus — feine Befreiung, naebbem
er ber iTJacbt pollig enrtleibet war. 3 Da blitjte in
einem bellfeberifhen Slugenblicfe bie 2tbnung in
ib«n auf, baf ber an ibm perubte Greuel Bein ge=
wohnlicher Äecbtsbrucb war, ber ficb wieber heilen
* Srtriibrrg, Pon Srtube grauen (inb genannt j$ \
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ließ, fonbern auf einem Umfchwung 6er Welt be>
ruhte* 3 n & ev Spräche, 6ie man mit ihm führte,
fühlte er 6en neuen Seitgeijk weben, einen unabeligen
(Seijl, 6er nicht mehr bulben wollte, baß bas T>olk
für feine 5«rfken 6 ä fei, fon6ern ein Eigenleben für
6en Wenfchen forberte un6 an 6er bothgejkellten
Perfonlicbkeit nur achtete, was nach 2lb3ug aller
3njlgnien un6 Vorrechte 6er ^jürflenfchaft an na=
turlichem ^eingolb übrig blieb, So fehr ihm 6iefer
unausgegorene, über alles lachenbe, freche (Seijk
juwiber war, fo mußte er ihn hoch anerkennen.
IDenn er fkanb leibhaftig oor ihm unb hieß: Horetta
oon Sponheim!
■JDer alte (Seijk, 6er ihn auf feine Wacht pochen
ließ unb ihn in Sicherheit wiegte, hätte ihn in bie
(Sefangenfchäft geführt. Allein, wenn (Sott bies
wirklich wollte, wie man ihm entgegengehälten, fo
hätte er ihm bamit nur eine Prüfung jugebacht.
Unb aus keinem anberen (Srunbe war er auch jujk
biefer Ceufelin in bie <o<Ünbe gefallen, bie ihn mit
allen “Perführungskünjken weiblicher Unberechem
barkeit ju umgarnen fuchte, wie ihm fchien.
So jkanb er nun, bes Übergewichtes beraubt,
bas ihm Äang unb ^utjkenwurbe oerlieh, äls
Wenfch bem Wenfchen gegenüber, mußte es
(Ich jeigen, ob er ftch bei ber neuen Wachtprobe
als ein oon (Sott gefürfketer Wann bewahrte,
freilich bis ju bem (Srabe führte er bie menfeh*
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liehe (Bleichheit nicht bur <h, baß er auch bae auf
beiben ©eiten verübte Unrecht glefc^jleUte unb als
gegeneinanber aufgehoben anfah. ©onbern w<£h=
renb fi.oretta ihn ehrte, ale f^ünbe keinerlei 0<hulb
jwifchen ihnen, fe^te feine nachtragenbe iTTatur
allen ,$reunbli<hfeiten ber vermeintlichen (Sauf-*
lerin bae beharrliche Schweigen unb bie grimmige
tTJiene ber gefr^nften VDurbe entgegen unb fonnte
jtch nicht ba3U iiberwinben, anbere ale burch 23 oten
mit ber 23 urgberrin ju vermehren.
Slllerbinge 30g er babei ben Äußeren . . .
21 le er eines 2lbenbe bie bie auf ben 5 Dorn bee
feuchtere hrrabgebrannte Äer3e gelofcht unb fleh
eben 3ur Äuhe gelegt hatte, ertönte in bem benach 1
barten 23 ud)ergewolbe eine eigentümliche Stimme
aue bem SDunfel. ü£r richtete fich auf unb glaubte
feinen tTamen 3U vernehmen. £>a bie geiffcrhaften
Jlaute je nach einer tPeile fortfuhren 3U rufen,
tajfete er nach ber &er3e, unb nun unterfchieb er
beutlich, wie ee in tiefem Saffe heranfam: „tTJotje
nicht, 23 albuin." Äaum feinen d>hren trauenb,
öffnete er bie Qeitentur unb hob ben Äer3enhalter
in bie 3 Dunfelh«it bee Äaume. tTJiemanb war 3U
erblichen. r h«tt* «ber faum bie iDurchgangeture
wieber angelegt, ale ee abermale erfcholl: „tTJo^e
nicht, 2$albuin" — langfam unb bumpf, wie man
Äinber mit verbelltem (Eon vor einem örumnv
b£rcn grufeln macht. Wieber unb wieber bae <Se=
S3
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mach ableucbtenb, entbecfte er enblid? ben Papagei,
beit Horetta abgeriebtet unb mtt feinem 23auer
hinter bem gejaefren 2\aucbmantel bes Kamine
rerßeeft f?atre.
2lus allen fHcfen febien es ju fiebern, unb ben
perblufften ©taatsmann erfaßte bie Perlegenbeit
bes brotjelnben (Beiftee, bem gegenüber bem über*
legenen ^umor eines freieren (Semutes feine eigene
Äleinlicbfeit befeb^mt. it r ßampfte mit bem ^uße
auf unb irr an ßcb unb unjtcber nor ber unbeinv
lieben „Königin ber <oolle", wie er bie laebenbe
nannre, befd)loß er, feiner tDurbe einen
©toß ju geben unb jleb mit bem tPilbgrafen non
Äyrburg, feinem Hebensmann, ju perbinben, ber
langer als er auf ber öurg in ^aft, bem 2Utfel
bes r^npepollen tPeibes febon auf bie ©pur ge=
fommen fein moebte, unb mit ibm über ein tTJittel
$u beratfeblagen, bergemeinfamen^einbinQebacb
ju bieten.
* *
2tUe ^einbfebaft beruht auf Irrtum. IPenn bie
tTJen fd>en ftd) fennen unb nerßeben würben, g<£be
es feinen <^aß 3 wifcben ihnen, unb wer bas wahre
2lngeficbt feines ^einbes einmal gefeben bat, wenn
er mit frieblicben Sugen auf ber 23abre liegt, t>er*
ßebt nicht, warum er ihn im Heben mit feinem
(Enrolle perfolgte. 2Denn bie Hiebe ijf ber natürliche
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5uftanb unter benen, bie einer wie 6er anbere flerb=
lid? ftnb.
Weidner Priejter aber oerfhmbe bas tPeib!
Wilbgraf Friebrid? war ein tTJaitn, ber fid?
am wollen füllte, wenn er in ben Forjlett ber
Winterhauch unb bes ©oons bem Weibwerf nach*
ging. 2)ie 3agbhwnbe ber (Bv&fin fprangen, als
er eingebrad>t würbe, mit Freubengebell an ihm
hoch, unb bie brei Änaben Horetras waren fofort
feine Freunbe, weil {Ich fein &of in bem tTJarfiall
losriß unb ibm bis auf bie Freitreppe bes Herren*
Kaufes wie ein £4mmchen nachgelaufen fam. ©ein
rotlicheröart war wie bas23rombeergef?rupp feiner
W4lber. ?lber ber golbene tEropfen aus ben iTJofel*
lagen ber fponheimifd>en Weing4rtett, ben £ oretta
bem (befangenen f rebelte, fehmeefte ihm bes wegen
boch beffer als bie ©d)lehtn bes i^unsruefs. ££r
war feiner ber ritterlidjen Weiberfned>te, bie fofort
H4ber fchlagen, wenn fi'e einen ©<hur$enb4nbel
fel>en, fonbern liebte bie Frauen auf eine gan$ uw
ntobifche Weife, mit einer 2trt t*on begierbelofem
Wohlgefallen: als Äinber, als bie 3ugenb ber Welt.
tTJit "Polfer t>on ©tarfenburg, bem getreuen Äat
ber (br4fin, fchlof er bes wegen Freunbfchaft, weil
biefer feine (Tochter, bie wie eine ^eefenrofe blühte,
nad) feiner Herrin Horetta genannt hatte. Unb
wenn bie beiben tn4nner beim Weinfruge $u=
fammenfafjen unb, ohne (belehrte ju fein, mitein-
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anbei- pbilofopbiertett, fo k langen bei öurgfrau
jebesmal bie (Dbren.
©ie klangen t^>r and), als ber iCrjbifcbof eines
2tbenbs auf bet* kiflfenbelegten 2>ank ber ^enfter»
nifcbe fafj, um beim ^ad*elfcbein mit^riebrid? non
Äyrburg gebetmen Äriegsrat 311 bäten, riacbbem
ber gekrankte ^urft feinem Hebensmann nämlid?
bas 23 ilb ber oerrdtertfcben, r<£nke= unb bublfucb»
rigen ITeufelin entworfen batte, wie es feinen 2lugen
jtcb barjtelte, lad)te ber tDilbgraf ir£nen. ££r
lacbte fo unb<£nbig, bafj ber Äurfurfk erfcbrak, als
wenn er einem 2 lusbrucb bes VPabnftnns beiwobne,
unb es bauerte eine gute VDeile, bis ber uom Üacb*
bujien (Befdntttelte fo weit feiner mächtig war, bafj
er mit uberlaufenben klugen fcbliefjltcfo heraus»
prujkete: „£>as foll ioretta non ©ponbeim feirnf
Unfere iacbtaube Horetta t>on ©ponbeimV"
„2lber im ££rnjk" — fagte er 3ulet3t mit
gan3 fyeifev geworbener ©timme — „Königin
ber < 5 ) 0 Ile nennt 3br jte, Königin bes Rimmels
follte man jte beiden, wenn bas nicbf tTJaria felber
wäre ..."
tlnb nun entwickelte er feinemuerbitter ten Gebens*
berrn ibr gan3es (tun unb Treiben aus feiner wahren
(Duelle: ber lauteren (Duelle ibrer fprubelnben
Heiterkeit. Unb erklärte ibm: VDte bas abgrunbige
Himmelsblau benÖang ber'Dotlkommenbeit fänge,
fo tue es auch ibr ewig blaues (Bemüt, bas fte bod?
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über bie utterl&ßcn anberen <£bttßenmenfcben ßelle,
bie eben beshalb geborgene (Hlocfen unb &ummer=
linge biteben, weil ße in ©elbßabtotung unb ©ebw
fucbtsqual ewignacb jenen £ugenben ringen murren,
non benen fte nicht einmal etwas wiffe, ba bie
frißallene tDohlgeorbnetbeir ihres 3nneren ßd>er
auf ihrem febimmernben (Hrunbe aufgebaut fei.
TDenn aber irgenbwo, fo wohne (Bott in allen
heiteren ÜDingen, im “Dogellieb, im üinbenbuft unb
tüetlenfpiel; unb fo habe er, fern allem ©ries*
grdmigen, (Halligen unb (Hiftigcn, auch nur in
einem lichten <oer$en fein Element unb bie (Hr<$ßn
barum in immer gleicbbleibenber, fehnfuchtslofer,
in (Ich felbß feliger ^rohlithftit 3U feinem tt>ohl=
gefallen ßcb erfebaffen.
„bisher febien uns bas Aachen ©unbe," fcbloß
ber Anwalt ber “Derfannten. „tiefes Aachen mußt
3ht htlltg fprechen. Ute iß frommer, als unfer
fauertopßfcher £2rnß."
2 )er Äirchenfurß, burd> folche Worte unam
genehm an bie neue £ehre ber Wyßifer erinnert,
glaubte halb 3U uerßeben, warum ihm iloretta
feine^eit ben Weißer i£d hart htimlid) aufben lißh
gefpielt, unb fdmttelte prufenb ben Äopf. 2lber
ba jeber ßarte (Hlaube uber3eugt, fo würbe er um
willfurlicb 3urucfhaltenber unb berief ßd> 3um
(Hegen3eugnis 3un£cbß nur auf bie rudßofe 5 unge
ber tTJiflet<£terin.
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3Doch ber TUilbgruf fchnitt ibm fofort baoTUort
ab mit bem *£im»ant>, ber untruglicbjle ©piegel
für bie (Befmnung ber Eltern liege in bem t>er=
galten ber Äinber, unb wenn ibm Jloretta© Änaben
fSbrerbietung bejeugren, fo uerfpüre er barin ben
(Beiß, ben fie bei ihrer tTJutfer geatmet.
Hlocbte bem fo fein. 2>enn bie Anfluge be 0 Ö*r$=
bifchof© grunbete flct> auf fchwereren frevel, ©elbß
bie Bannbulle be© ©tuttbultem (Cf>rifli butte bie
T>erffocftbeit beo triumpbierenben tUeibe© nicht ju
brechen ocrmodjt.
,,?lllcrbing 0 ,''entgegneteberT>erteibigerironifd>.
„f£in arger ^eoel iffc begangen. ÜDenn wenn ber
2Mit3 uom Fimmel führt, mufj bie funbige <Erbe
|id> beugen. tDcr aber war bi« 1 bie ££rbe unb wer
ber Fimmel, frage id)^"
Unb ohne fid? burd> ben matten l^erwei© über
feine ungebührliche ©prad>e beirren ju laffen, er=
3 <$blte er, wu© ber (Bruf uon ©ponbeim, ba er
fühlte, buf er ben VPeg alleo^leifcbe© geben werbe,
alo feinen lebten tüillen tejüert bube. (£in ^imme=
rober tTJond) foüte künftig bie 23urgEapelle be=
bienen, aber nicht um ©eelenmeffen für ibn $u
jelebrieren, fonbem in einem ewigen (Bebet bie
t<$glid>e Erbitte an ben <5>errn ju richten, baf
feine geliebte (Battin Horettu nicht um ibn traure,
fonbem baf (Bott ibr bu© glucfliche Huchen erbulte,
ohne bao er im (Brube feine &ube ftnbe, unb bu©
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fatt ber Nachtigallen, bie von ber (Bvabeeft&tte
oertrieben feien, ewigen S neben unb Frühling
um ihn breite. 3Demt in ihrem Hachen finge bie
Welt.
£>er iHrsbifchof, noch unjicherer werbenb, ba er
fah, wie Horettas tiefen überall nur Hiebe er»
weefte, lief bas (Befpv&cb fallen unb fragte, mehr
bebauernb als anflagenb: „Warum l>at fe ben
WaffenfiUfanb gebrochen!"
„JDas möft 3hr ft felber fragen . . . Sie Uift
ben Wonch in ihrer Äapelle um ewigen ^rieben
beten," antwortete ber Wilbgraf bunfel.
3Der 2 \urfurf wanbte finnenb ben 2 M icf aus
bem genfer, unb es würbe plotjlich fo füll, baf
man bie 23urgmul?len brunten im 2lfcringferrale
rauften borte.
2lber ber Wilbgraf, burd? bie offenfchtliche
Wirfung, bie fein Wort getan hatte, ermutigt,
unterbrach bas Schweigen unb hielt feinem <5>errn
nun feinerfeits bie < 3 <Ürte t>or, ber (Br4fn fein
Wort $u gönnen unb fe mit hartn£d*iger t>er»
achtung 3 U frafen, womit er fd) übrigens felbf
am meifen fch^bige, ba ftch jemanb, aus beffen
(Dbem unb Wefen bie brennenbe (Bottcsfamme
raufche, nid>t aus ben &irchem?<£tern fubieren,
fonbern nur im 2(ustaufä? bes Hebens ergrünben
lafie. Was aber ihn angehe, fo h<£tte er eher feinen .
Hehenseib gebrochen, als gegen bie (Bv&fin ge»
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fochten, wenn ec roebee gewußt wae ec fet$t
wußte. (öleichwobl fchulbe ec bem Äucfucßen
3 Dant tfafuc, baß ec ihn 311c ^el>t>e aufgecufen.
3 Denn ohne bie £ehbe w<£ce ec nicht in (Befangen-
fdjaft gecaten. Unb ohne Oie (öefangenfehaft b^tte
ec nicht eefabcen, wie Hoterta non ©ponbeim lachen
£onne. Unb ehe ec 00c Hocetta non ©ponbeim ge=
ßanben, b^fte ec nid)t gewußt, was ein cecbteeTUeib
bebeute. Unb obne bae cechtetUeib 3U?ennen, wehre
ibm nicht aufgegangen, wie weife ,5ceiban£ ge=
fpcochen, als ec fagte:
X>on 5*eube ^cauen ßnb genannt.
3b* ^ceube feeuet alle £anb.
VDie wobl bec 5 *eube kannte,
5 >ec ^cauen 3uecß ße nannte . . .
2Dee &ucfücß ecbob ßcb, ate fchuttelte ec eine
l^bmenbe Unfchlüfßgfeit ab, legte bie <£>anb an
fein golbenes 2>cußtceu3, bas im 31'fchenben 2luf
caufchen bec abbeennenben Pechfacfel eeglubte,
unb fagte befreit:
„tt>ic wollen an ben tTJenfd?en glauben!"
„< 5 ) 6 ct ße an . . . ^cagt . . . Äebet . . . 3b*
^ceube feeuet alle Üanb ..." wiebecbolte bec
fd>eibenbe 2lbno£at bec (Bcelßn noch einmal, ben
bec Äucfucß nun felbß nicht meb* für einen advo-
catus diaboli btelf.
2?ie (tue öffnete ficb in fernes tTJublencaufchen
unb linbenbuftecfullte tT?ittecnad>t.
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5Der Äurfurjt trat arte (Seldnber ber monb=
bleichen Freitreppe, beit 2Mtd? binaufgeriebtet in
ben ©ternenhintmel wie in bas auegebreitete3nnere
einer großen ©eele, unb fog lang unb tief bas 23ilb
ber Waren ££ub£monie ein, bie er für feine 23ruft
erfebnte.
hinter ihm fuhr fein riefenhafter ©ebatren
fcbn&g an ber TPanbftöcbe empor — wie ein ent=
fliebenber (Seift.
$ *:*
4 »
IDie X>efper ging ju ££nbe. J)ie herrfcbaftlicbe
Empore, auf ber iLoretta bureb einen befonberen
(Sang non ihren TPobngem<£cbern $u erfebeinen
pflegte, blieb leer, nur frifcb gefebnittene Hilien
leuchteten uor bent uerlaffenen ©t'13 ber (Sebannten
über bie öruftung bes Altans.
Salbuin fafj mit feinem (Sefolge in reich ge-
fcbnitjtem (Seftubl, unb ein febr^ger HicbtbalEen
fiel bureb bie (thorfenfier weit in bae (Sotteebaus
unb borgte ber eifernen 4>errli<b£eit einiger <Se*
wappneter, bie fleh im JD^mmer bee ^intergrunbee
verloren, einen gefährlichen ©ebimmer. 3 n felt=
famem (SegenfaQju ihnen glutete bae (Slaegemdlbe
ber buntfarbigenChorfcbeibe, wo Chriftue ale^tie*
benefurft golben auf blauer tPeltenJugel thronte.
3n feiner weiten (Drbenstracbt trat ber Älofter*
bruber uor ben 2lltar unb hob bie <o<Snbe empor:
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„<D i^err! tTod? immer raf* ber Leiter auf
feem roten Pferbe babin, bem gegeben ifl, ben
^rieben 3U nehmen t>on ber £rbe, unb fchießt aus
feinem Äocher in bie üenben bes Polfes. Wo
er reitet, ber ^affenbe, wachfeniDornen unb Herein
auf ben liefern, unb 23lutfeen fammeln fld) im Cal.
(gebrochene Reffen, bie krummer ber Jütten unb
bie Üeichen ber C£rfd)lagenen be3eid>nen feinen Weg,
unb hinter ihm her fliegen Schwärme non Äaben.
Wir hnben uns bie 2lugen ausgeweint über bie
3ammernben, bie ber <£>uf feines Joffes 3ertritt,
unb bie Säuglinge, bie ben (Beift aufgaben in ben
Firmen oer3weifelnber tTJutter.
<2>eile bie Welt, o <^err, non biefem Wabnfmn
bcs Krieges, ber beine Schöpfung uertilgt. £aß
ben 2tberwit3 nicht langer Sieg beißen, wenn ber
fchwächer Oerujlete überwältigt wirb non bem,
welcher anfturmt mit ben graufameren Waffen.
Welcher Sieg ijl es, wenn ber Wilbere über ben
Sanftmütigen triumphiert^ Siegt nicht bas 23ofe
über bas (Sute, bie ^olle über bas ^immelreichV
Unb wehe, wenn ber Sieger ein3iebt in bie Wob 5
nungen bes ^riebens! Wie foüen ftch wieber bes
rUchffen erbarmen, bie ftebenbes (t>l unb Äot auf
bie ^einbe gefchuttet! Welche Tochter gefcbänbct
unb bie Siegel ber Käufer gefprengt, wie folleit
fie wieber gehorchen beinern (Sebot! Welche £obn
empfingen für bas tTieberreißen, wie follen fle auf
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bauen! iD ie 6en hungrigen jagten t>on feinem
Hifcbe, ben ©cblafenben 3errten aus feinem Sette,
ben ^rierenben in bie teilte fließen, um fleb unter
feinem iiDacbe 3U lagern, mie foüen fle mt'eber fleb
befebeiben unb einfugen in bie (Drbnung bes Cags!
Wie foU lieben, ber mit bem tTJorbflabl bes Kaffee
mutete! X>or bem Äreuje fnien, ber angebetet bas
< 25 lucf bes ©cbmertsV
iDu millfl, o <berr, baß mir 311 bir gelangen unb
bie ©eele erbeben 3U bir. 2lber unuollenbet muffen
mir ben Sau beines Tempels liegen laffen, um ein
tTotbacb aufsumerfen über unferem bloßen <oaupt.
Weib unb <?5eßnbe finb binmeggcfubrt, unb mir
irren nach ihnen in ber ^rembe. 2)er ^jofbunb ifl
jagen gegangen, unb bie Knaben uermilbern. 21U
unfere ©cb^Qe flnb uns geraubt, unb in bie Seit
unferer riiebrigfeit flnb mir 3urucfgemorfen. 3 Die
<oungernben uerfaufen ihre ©eele um ein iinfen*
geriebt. ©tatt Werfe ber ,£rommigfeir 3U tun,
muffen fle fld> üben in ben Werfen ber “Oernicbtung
unb ruflen gegen bie Wieberfebr bes ^einbs. X>er*
beert ifl bie ©eele ber ttlenfcbbeit unb ber ©fern
bes (Glaubens untergegangen. Wie foll aus ber
^ulle feines Wersens fpenben, beffen £er5ensfraft
uerfleget ifl!
j)rum laß ber Slinben 2 fugen enblicb fl<b offnen,
*£>err, unb erleuchte bie Wirten ber T>olfer. 3 Der
bu eingefet3t bas meltlicbe ©cbmert unb bem
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prießer gegeben bae geißliche — bu wollteß nicht,
baß ber <£>irt ber Seelen ße beibe vereinige in ber»
felben Scheibe unb ßd) verßriefe in bie ^dnbel ber
Welt. iDrum laß bie d>bren ber Pachter ßd? auf'
tun bem 3ammer, ber emporfchreit von ber ££rbe,
baß jie ben ^irtenfab nicht fuhren in ber Hinten
unb in ber Rechten bas Sd)wert ber (Bewalt.
VDehe ihnen, bie $u Eutern beßellt ftnb unb heim=
fueben bie eigene <^erbe. 3Dann tvirb bie Seif fommen,
wo bie Erwürgten burch bas Schwert glucflid?
gepriefen werben, baß fte bie Sufunft nicht fehlten.
2>enn alfo ßeht gefchrieben: „2lue ber XPurjel ber
©erlange wirb ein Saßlief fommen, unb ihre
Frucht wirb ein feuriger JDrache fein." Sie ane
fi£nbe ber Hage wirb aufgehen ber ©ame bee
Kaffee, ben flc gefüt, unb wer bie <$>anb baju reichte,
bie Sranbfacfel in bie Saaten $u fcbleubern, wirb
mitfchulbig fein bie ine fernße (Befehlest, tvo
immer einem Perhungerten bie ^>aut von ben
Änochen b<$ngt unb ein Sruber bae Slut feinee
Srubere vergießt. 2Üfo werben alle (Breuel feiner
Äriegefdjaren iiber bae <5>aupt bee ungetreuen
Pogtee fommen. £>enn bae Polt iß in feiner (Be-
walt unb weichee tPad>e in feinen <5><Snben, $um
(Buten wie jum Sofen.
Siehe hoch, mein (Bott, weichee iDuntel bae
fCrbreich bebeeft, unb wie ße wanbeln im ^inßern;
ein Irrlicht leitet ße. tPie ^rembe befriegen ßch
n
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Bruber besfelben Paters. 5)er (Braf neibet ben
(Grafen, Burgherr rettet gegen ben öurgberrn, unb '
Ätnber berfelben Heimat erwürgen ftch unterem»
anber. iDarum erbarme bich ihrer, ^err, bie nicht
feben, bafj fte (Blieber besfelben Jleibes ftnb. ££in
IDeutfcber wirb heulen über ben anbern, bafj fie
ausgerottet ben eigenen 0amen, entvölkert bas
Jlanb, ftcb berauben bes verbünbeten 23lutes, unb
am läge ber <J>eimfuchung ifi niemanb, ber ibnen
3U i<>ilfe kommt. iDenn plunbern fte 3ur &ed)ten,
fo leiben fte riot, unb fd>welgen fte $itr iiinken, fo
werben fte nicht fatt; ein jeglicher frifjet bas ^leifch
feines 2lrmes. 3Drum 3 ertrirt ihren t^aber, <£>err,
unb wirf auf bas Panier ber öruberlichkeit unter
ihren Selten.
5Der bu als ^riebensfurfi thronefi bort oben,
wenbe bein 2 lntlit 3 auf beine Wienerin, bie inmitten
bes tTJorbens betn Reiche bes ^riebens bie 23abn
bereitet unb weint um bie ©chmerjen ber ver»
bienbeten Welt, ©tdrfe ihr fehenbes <J>er 3 , bas
blutet unter ben Reiben bes Ärieges, unb fegne bas
Wert ihrer <>><inbe. 2(men!"
©o betete ber graue tTJond) ber (Bnüfin . . .
Wif wachfenber Unruhe waren bie Begleiter
öalbuins ber vernichtenben 2lnklage gefolgt, unb
entrüfiet unb befrembet warfen fte bei ben umfiur 3 --
lerifchen Worten von ber feelifdjen Pefi bes Krieges
unb ber ©chulb bes ungetreuen Wirten, bei bem
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heuen begriffe bea Surgerfrtegee unb ber Erhebung
ber Surgfrau ju einem ^riebensengel bie Äopfe
nach ihrem <£>errn hemm, um ihn ihrer mitfublem
ben Empörung 3U oerfebern.
Allein, er wies ihre Äunbgebungen rechte unb
linfe mit abwebrenber ^anbbewegung juruef . Unb
entließ bae ibn febeu beobad>tenbe (Befolge auch
mit (lummer (Beb<£rbe, ale nun bie Äer$en auf bem
2 Utare gelofcbt mürben. ITIitbem ewigen Hiebt ber
jtlbernen 2tmpel unb ben weifen Hilien, bie über
ber berrfcbaftlicben (Balerie ben>orleud>teten, blieb
er allein in bem (Botteebuufe 3urud*.
£ir mar barauf uorbereitet gewefen, baf in ber
. ^riebeneanbaebt Horettae ber £>an£ einer triunv
pbierenben Siegerin über feine (Befangennabme
auajtromen mürbe, unb baber um fo tiefer be»
troffen, nichts t>on einem ^reubenjubel 3U t>er*
nehmen, ber ihn bemutigte, fonbern eine munbe
Seele 3um Fimmel fcblucb3en 3U hören, bie ihn in
?lbgrunbe ber Scbulb (Darren lief, mo er bisher
auf bem fieberen Soben ber Selbftgerecbtigfeit
manbelte. 2tber m^brenb feine Begleiter als rechte
Äinber ber (Bewobnbeit ficb uor ber tUorgenrote,
bie ihnen hier in bie 2(ugen (lach, fofort ftnßer ab=
gemenbet hätten, mar er grof genug, (ich bem
Hiebt non ben Sergen bin3ugeben; unb trotj ber
fürchterlichen SlnÜlage, bie ihm in bie Obren gellte,
unb obwohl er fab, baf bie Seit noch nicht reif
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war für bie neue VDabrbeit ber (Bnüftn, fo bemutigte
er jicb boeb oor ber (Broße ihres (Bebanfens unb
fühlte (leb »n ber (leinen 23urgfapelle in biefem atem*
benebmenben 2 lugenblicf an ber tt>iege eines gott*
lieberen (Beijles (leben, ber balb feinen Siegeslauf
bureb bie tUelt antreten würbe.
VUieberum wecbfelte bie unfaßbare <Br£fTn bas
(Beftcbt. (Dber butte ftcb fein eigenes 2 luge oer*
wanbeltV Klar leuchteten bem Kurfurflen n£mlicb
mit einemmal bie 5 uge ber££ubdmonie, bie t'bm ber
VDilbgraf entfcbleiert butte, aus bem unergrunb»
lieben ^rauenantliij entgegen, unb er abnte, baß
bie febeinbarentt)iberfpruebc ihres tPefens irgenb*
wie einmunben mußten in bie menfebliebr (Broße,
bie ibn aus ihrem ^riebensgebet anfebuuerte. Sie
febloß ihn ein in ihr (Bebet: ihn, ben ^einb; ihn,
ben Sebulbbelabenen, befien (Bewiffen ber taufenb*
facbe tTJorb feiner Kriege belaflete; ihn, ben Kriegs*
furjlen, baß er gefront würbe )um ^urflen bes
Stiebend.
(Bott ndber, rerfanf er in bas Cborgeflubl . . .
tlur bie weißen Hilien auf ilorertas 2 lltan atmeten
ihm gegenüber ftill in ben Kaum. Unb bie große
Sammlung, bie er fonfl nur in ber (hrengen ££nt*
fagung feiner Kartb^ufer 3 eüe 3 U S. 2 llban fanb,
(am über ihn . . .
2tls er aus ber Kapelle trat, waren bie fpon*
beimifeben Scbafberben oom^elbe gefommen unb
7 Stcrnbfrg, Don Srnibt Sraum flnb genannt 97
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füllten in blofenbem (Bebr<Ünge ben Burghof. Unb
bao weife (Bewöge ber Hämmerfcharen umringte
ben £r£ger bee ^irtenflabeo fo btc^>r, baf er nicht
oor, noch juructtonnte. fßr war oon ben Udmmern
Jlorettae gefangen.
* 0 »
♦
öalbuin jogerte nicht langer, mit ber (Br<£fm
ju unterbanbeln.
3 Da tTJenfchlichfeit unb Plachftcht mit bem
^einbe, obwohl ein Seichen ber Starte, in ber Äe=
gel nur alo Sd>w£che auegebeutet werben, fo lag
ber erfahrene ^elbhauptmamt Horetras ihr feit
einiger Seit in ben (Dbren, bem (Befangenen bie
VDohltat ber milben ritterlichen < 5 >aft, bie er genof,
ju entziehen, um ihn enblich 3ur Pertragung bee
Swijlee gefügig 3U machen.
2 lber Horetta, mit bem triftaUenen BlicF, ber
ba3U gehört, bie unmerftiche Ausbiegung ber Äuroe
3U etfennen, bie ben tllann ine Bebeutenbe h*bt,
unb in bem geheimen (Bebanten an einen ferner
3ielenben Erfolg, als Brief unb Siegel einer Sühne,
oerwarf biefe &atfchl<£ge jebesmal unb blieb bei
ihrem tPort: „üt r muf oon felber tommen."
Unb er Cant.
„3ch glaubte fd>on, id> müf te Üiuch noch einmal
meinen Papagei fdnefen," empfing fte ihn lächelnb
unb lief ihn auf bem erhöhten pia^ bes^errenfaales,
98
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bejfen W<htbe mit (Senter Wirfereien gefchmucft
waren, auf bequemem ^altfhthle nieberfoen.
3Dic bunten (Blaerauten bee breiteiligen Äunb»
bogenfenfiere erhellten unb oerbunfelten jtch im
abwecbfelnben Kampfe r>on Sonnenlichtern unb
Äegenfchauern, beren Wiberfpielheroifche Scheine
über bie beiben (Beftchter jagte . . .
nach 2lrt fchwer rerfohnlüher Naturen, bie
ihre 2lnn<£berung gern in bie mitleiberregenbe
,$orm einee gefühlvollen Porwurfe fleiben, begann
ber Äurfurft bamit, fein öebauern über bie Per»
funbigung Horettae an ber geijllichen Würbe aue»
3 ufprechen, woburch er bie unfchulbige tlrfache
ba 3 u geworben fei, ihr ben pclpfilichen Sannfluch
3U3U3iehen.
Horettae <J>eiterfeit fchlug fofort um. 2lber ob»
wohl jte an jtch hielt, gab bie Ungebulb ihren
Worten eine fur 3 atmige ^>aj l, ale jte, mit einer
gewanbten ^anbbewegung nach ber lEur, entgeg»
nete: 2Der Äirchenfurjt fei entlaffen. Sie habe nur
ben Ädmpfenben gefangen. Wer aber fclmpfe, fei
fein (Seitlicher, fonbern ein Ärieger. Unb wer jte
befriege, fei ihr ^einb unb fonjf gar nichts. Unb
wer ihr als ^einb nahe, wolle jte toten. Unb wer
jte toten wolle, ben burfe jte wieber toten. iDenn
ihr Heben fei foviel wert wie feine.
Ute würbe gan 3 ftnfler, ba ein Wolfenfchilb bie
eben noch techenbe Sonne plotslich abblenbete.
r 99
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23albuin, befrembet burch beit heftigen Unter*
ton ber Äebe, bereute bie unglückliche Einleitung
ber Präliminarien augenblicklich unb fuchte ein*
julenken. £>och im Wiberflreit, Horetta einen
befferen 23egriff ron feiner Perfon beijubringen
unb hoch auch wieber nicht alle ©chulb auf jlch
ju übernehmen, fagte er ausweichenb: Er wolle
fleh einer iDame gegenüber nicht auf ben Äitter*
fpiegel berufen, fonfl fy&tte er allerbings auch auf
ben Waffenfhllflanb vertrauen burfen.
2lllein, wie flarke flaturen flark flnb in allen
ihren Wallungen, in ilufl wie in Unlujl, fo war
auch ilorettas Erregung nicht mit einem leichten
Wortefpiel hmweg$ut<£nbeln. tTJit frofüger Ent*
fchiebenheit enrgegnete fle vielmehr: Wer bas
©chwert erhebe, morbe Cbriflus. Unb wer bas
<B»efet5 ber üiebe unb (Beflttung außer (Geltung
fetje, hübe ^einbfeligfeit unb ilifl gewollt, unb
könne fleh nicht beklagen, wenn er bimergangen
würbe, ober erwarten, baß ber anbere fleh mit ber
2>ibel rerteibige, w^hrenb er bas ©chwert auf ihn
jucke. Uberbies fei ihr kein Wittel jur 23eenbigung
bes Krieges 3U heilig — rief fle bleich — wenn fle
bas 2Mut auch nur eines einigen ihrer Wannen
bamit fpare.
3 n friebfertigem ITone erinnerte ber nieber*
gefchmetterte ^urfl baran, baß fle fleh im Waffen*
flillflanb, nicht im Kriege befunben h<£tf*m
J00
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3Da fchuttelte Horetta auffiammenb ben Zud}--
fchleier 3urud? unb fchleuberte ihm bebenb entgegen :
JDiefer tVaffenfriebe fei ebenfalls nichts anberes ge=
wefen, als friegerifcher Swang unb b<$tte nur jur
^ortfetjung ber (Sewaltt&igfeiten geführt. Sie
aber mußte ftch für alle tunftigen ^lle enblich
Äubc perfchaffen por ber behäbigen öebrobung
unb Vergewaltigung feinerUbermacbt. Unb barum
habe fte bem Äriege ben Ärieg erflirt.
„3br bagegen habt" — fie fprang auf, unb bie
2lugen ßanben ihr POlltVaffer por htllemSorn —
„eine perjweifelte tTJutter im Rieben angefallen,
eine bilflofetVitwe, ein frieblichestVeibwiber ihre
riarurgejwungen, 3U impfen. (Dber glaubt 3hr,
baß es mir Vergnügen macht, mir bas ^erj aus
bem ileibe $u serren unb 3um reißenben £iere 3U
werbend 3ch baffe ben Ärieg wie ben £ob. “Jd)
baffe ben <£>aß wie bie <5>6lle. Unb ich, bie nur im
^rieben leben fann, muß mein 3<b mit ^ußen treten
laffen unb mich gegen meinen tVilfen ..."
3Die SornestrÄnen tropften ihr bie tVangen her=
ab . . .
SDa tTJännern bie C5runbe, aus benen grauen in
(fronen ausbrechen, faß immer r<$tfelbaft finb, fo
war 23albuin 3un<$chß por Staunen fpracblos,
um fo mehr, als er flieh -eines folchen Sturmes bei
ber immer lachenben (5r<Hfin nicht perfehen hatte.
2tber ber leibenfchaftlicheSornesausbruch ihres mit
XoJ
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,$ufjen getretenen Äect)te auf ^rieben rebete fchlief 3 =
lieh beutlich genug. fErfchuttert fab er mit einmal
bie blutenbe tUunbe ber bimmlifchen ©ebnfud)t,
aus ber bae ^riebenegebet ihres tVJonches jtromre,
unb fein <oerj blutete mit.
Salb burchftchtig, balb unburchftchtig werbenb,
atmeten bie bunten (Blclfer ber ^enfler bie j(agb
ber gepeitfd)ten tTatur . . .
fEr erhob (leb unb bat bie tUeinenbe, (leb $u
fajfen unb ju ihrer alten <£>eirer£eit jurucFjuJebren,
inbem er fte befchwor, in biefem 2tugenblicf, wo
er ber ©ubne halber brrgetommen fei, nicht mit
ibm $u jumen.
„TDer nid>t bofe fein fann, tann auch nicht gut
fein," fcblud) 3 te fte abgewenbet.
„ Hafjt mich biefelbe £Entfd>ulbigung für mid) in
2tnfprud) nehmen: tPer nicht bofe fein fonnte,
fann aud> nicht gut fein . . . Unb oergebt bem
Slinben . . . 3br feib ber tUabrbeit n<ibcr als id)."
X>on neuem auffcbluch$enb, fan£ fte auf ihren
©itj. 2lber bie Irenen, bie nun floffen, waren nid>t
mehr bie wilben tropfen bes rafenben TUetters,
fonbern bie hoch gefcbwollenen 2Mche, bie nach
bem ©türm erlofenb babinraufd>en, wie jte ber=
jenige weint, bem ein wobltuenbes iTJitgefubl bas
befummerte <oer$ enblicb- frei macht $u neuem
(Ertauben unb hoffen.
Unb unter biefen Irenen würbe betriebe geboren.
102
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£>enn w^brenb Horetta nod> flofweife in ibrc
<b<£nbe weinte, rief t>er Rurfurjt feinen (Bebeim=
fcbreiber herein unb bifrierte ibmbenÖubneuertrag,
ber bie beiben j* 4 rf jlen tTJenfdben ber Seit in ewiger
,$reunbfchaft oerbanb.
2Die tUimpern nod? 3ufammengetlebt non ben
rergoflenen Irenen, fußte Horetra bem fSrjbifcfoof
bie <2><£nbe.
„2tus Euerer <£>anb babe id? bas < 5 >eil enip=
fangen," webrte ibr ber Rircbenfurfi, w^brenb
iloretta aus feuchten 2tugen idchelte.
3 tus bem regennaffen tDiefengrun bes Hlofel
tales fcbwang jich ein Regenbogen über bie VUelt.
: 5 * *
*
2 Üs aberjur Ehrung bes abjiebenben (Befangenen,
3U ber Horetra bie (Drtfchaften ber gan3en (Braf
fcbaft entboten butte, ber feftlid>e 5 ug unter Ra=
pellengel&ute, 3agbbornfd>aU unb ©acfpfeifenron
mit Rreu3, Rringel unb tabuen ben Rurfürjten
aus bem <Tore 3um ,$luße binabgeleitete unb aud)
bem Ufer entlang noch eine weite ©trecfc neben
feiner 3?ad>t binmarfd^ierte, fang ber tPilbgraf
nach einer ttlelobie, bie er fi'<h eigens bafur erfunben
batte, immer wieber feinen Heiboers „t>on ^reubc
grauen ftnb genannt" über bie Ropfe ber bunten
tTJenge.
Hod) aus bem ©d>iff fang er ibn 311m Ufer
• 103
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binöber. Unb „ 3 b* $veube freuet alle Hanb" tonte
ee oom Ufer jurucf . . .
Unb bie Stimme fam in bem ganjen Äurffaat
nicht mebr jum T>erfhimmen. j)enn ber VUelt*
b<£nbel mübe, legte ber Äurfürf* mit immer wach’
fenber Friedensliebe Sebbe nach 5ebbe feitbem bureb
minnlicbe ©fibne bei, unb Hanbfrieben nach Hanb*
frieben mit ben ( 25 rofen bee Äeicbee fieberte bie
(Brennen bee Stifte vor ^euer unb ©ebtoert.
2tls aber tTJiftoacfos, Neuerung unb <oungere=
not, ber ©cbwarje lob unb bie Pefl ber oerbeerten
Seelen auch in bietrierifcben^anbebereinbracben,
öffnete öalbuin feine Äomfammern, bfilte alle
tUunben ber grof en £1ot unb tat in ber fCinfarm
feit ber Seile, bie er fid> in ber Äartbaufe 3U
©. 2 llban batte einriebten laffen, auf b arrem
Hager 23 ufje für bie ©unben ber Seif.
„2>enn toir haben bie ©aaten $erjfampfr unb
bae (Dbbacb ber2lrmen inZlfcbe oertoanbelt. tUir
haben bie Äraft ber tTJenfcbbeit bureb bae ©cbwert
gebrochen unb ihre ©eelen oerborben bureb bie
<o6lle bee Äriege."
Um Horettae <£>rab aber fangen bie flacbti*
gallen ib*e riefe ©ebnfuebt in bie neue tPelr.
Jo*
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$>ie tDitoe
3Der ^Dramaturg Kolf Perjtng buffe feine beiben
^reunbe, wie gewöhnlich nach bem {Theater, noch
ju einer piauberjhmbe in feine ^unggefellenwob*
nung mitgenommen.
3Der lange {Tenor (Bunnar (Bfcaarub marfchierte,
noch ehe er ben iTJantel unb feinen famtenen ’&ala-
brefer aus ber <£>anb gelegt, fogleich an ben tPänben
entlang, bie mit lilienfcblanfen präraffaelitifchen
iTJäbchengeßalten in bunnen ,$lorgewänbern be>
bängt waren, unb betrachtete bie Silber, bie er
fcbon hundertmal betrachtet butte. ÜDer dichter
(Suntber Sranbt faß fofort oor bem Schreibtifch
unb blätterte in ben berumliegenben Suchern, bie
er fchon bunbertmal gefeben. Unb ber (Bajlgeber
goß, nachbem er im rTeben$immer bie braunfeibene
©cbnurenjoppe angelegt unb ben blonben Kun|ller=
fchopf noch einmal r>or bem Spiegel aufgeburfiet,
ben bampfenben Cee in japanifche Schalen.
iDao ^eucr fummte unb bas üid)t erfüllte ben
fell= unb teppichbelegten Kaum, wie eine große
tUobnblure, mit rötlicher ^Dämmerung.
J 0 5
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2tber bie alte (Bemutlichfeit wollte ftch nicht ein-
ffellen. ‘Jn weitem 2lbflanb liefen fte beit leeren
IMubfeffel frei, in ben ftch ber tTJufifbiflorifer
tDitly VDegler fonff 3 igarettenrauchenb binein 3 U=
flegeln pflegte. 3um erflenmal fehlte er. Er hätte
fleh oerheiratet. Es war eine oerwitwete 5räu, eine
(Beigerin, bie er als SDirigentin einer IDamenfapeUe
bei einem Äaffeefonsert fennen gelernt hätte.
Einftlbig famen bie Stimmen ber 5Drei auo bem
Schäften ber Ecfen, wo fte, bie Ellenbogen auf
bie Äniee geffutst unb 3 wifchen ihren Seinen fyin-
burch äuf ben Soben bliefenb, wie eine £rauer=
* oerfammlung bmtmfafjen.
„iDafj er heiratet, oerjeih ich ihm . . . aber bafj
er feine gan$e 3ugenb 3 erheiratet ..." 2\opf
fchutrelnb oerflummte (Bunther wieber.
tTach einer TPeile fam es oon ber Cbäifelongue
her: „nein, nein, nein! . . . 211s ÄunfKer! . . .
Eine Scheunenpurjlerin, bie feinen reinen <Ion
greifen fann ..." (Bunnar hämmerte fleh mit ben
Änocheln ber Jaufl oor bie Stirn.
„So fann er fte wenigflene etwas lehren . . .
Hieben fann fte . . ." murmelte Äolf mit b*rab=
gezogenen tTJunbwinfeln.
(Bunnar behnte ben mächtigen Srufffajfen unb
3 upfte energifch bie VPeffe herunter. „tPenn fte
noch tTJanieren h^tfe! • • . 2tber tarentlos unb aus
bem (Bebufch . . . ’s »ff ein ^ämmer!"
JO«
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(Ständer fniff fp<!henb bie Zügen jufammen unb
jagte hinüber. ,,©ieh bid) mal um, (Bunnar! . . .
hinter bir h<£ngt Surne=3ones’ : Äonig Äophetua
legt bem Settlermdbchen feine Ärone ju ,£uf en . . .
■SDie Hie be iff immer bas Unfonoenrionelle."
„natürlich . . . 3Du bifl mit bem Äofenjhrauf
in ber Rechten geboren," ergriff Äolf bas tPort
unb machte mit einer welrm£nnifchen 4>anb
bewegung: „Sitte, betrachte bir meine ©chonbeits=
galerie einmal etwas genauer . . . Schaut bicb aus
meinem Venusfpiegel etwas anberes an, als buf
tigjle 3ugenb, bie unberührtere tllÄbchenbaftig
feit . . . Änofpe, finbliche ^rage, (Charme unb
ILraumV . . . ^at je ein tTJaler bie VDitwe t>er=
herrlichfV . . . tHan beratet einfach feine tDitwe.
(Dber will|l bu auch bas rechtfertigend"
(Bünther hielt eine tPeile augen 3 winfernb an jld>,
fchlug bebdchtig bie Seine tibereinanber unb be=
gann mit ruhigen tDor ten: „3hr werbet 3 ugeben,
bafj wir überall Erfahrung als hohes Hebensgut
fehlen, ©ie bebeutet: Reichtum, Äeife, Vollem
bung. Buletjt: Ärone bes tTJenfchenrums, ©chon-
heit. nur in ber Hiebe wollen wir ihrem welt=
beherrfchenben (SefeQ uns nicht unterwerfen. iDas
heift: beim tTJanne machen mir auch ba feine
2lusnahme. Seim tDeibe bagegen foll es ben Se-
griff „Hiebesfultur" nicht geben. 3^ r werbet ein=
wenben: Unfere Öiiferfucht auf ihre Vergangenheit
iol
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tfl ©orge ftir bie riach*ommenfchaft. Jd) meine
nun: SDamit m achen wir ben ^örfelberg 3 Utn Labo»
ratorium. tTJechanijteren eine Äraft, öie — wie
,$euer unb tTJeer — ju ben ewigen ^Elementen ber
©chopfung gehört. Ober ifl es etwas anberes,
wenn wir bem reinen Äorper, ben Leibenfchaft
gefugt, bas 23ranbmal Rialen tTJatels anbeften;
ben glubenben SDrucf fleh fuchenber <£><£ nbe als
einen Paragraphen in unfre Äechtsorbnung ein*
ßellenV 2lber bas tVeib h<*t auch geatmet unb ihr
23lut bas (Befühl jeber 2Uters|hife erfahren, bevor
uns ber 5ufall ihm in ben Weg geführt, Wenn es
nicht alle Liebesalter burchlaufen, verarmt fein
4>ev$. Unb feine le^te Liebe i(l — wie bei uns —
feine tiefße. Vielleicht mehr, als bei uns. 2Denn bas
Weib erlebt bie Welt in ihrem ganzen Umfreis an
bem geliebten Wanne, unb ich febe nicht ein, baß
uns etwas vorweggenommen fein foll von bem
früheren (Beliebten, ba fie bas ©tuet Welt, bas
wir für jte barßellen, nur in uns umfaffen fonnte,
unb ben Lebensinhalt, ben ber anbere verforperte,
in niemanb fonß, als in bem anberen . . . Was
euch wiberjlrebt — laßt mich ausreben! — iji bie
Vorßellung, baß ^Erinnerungen in ihr lebenbig fein
follen, bie fich nicht auf uns bejiehen. 2lber ich
behaupte, baß Vergangenes unb (Begenwirriges
ßch niemals jloren, fonbern baß eins ber humus
ift, in bem bas anbere allein gebeiht . . . ^ch weiß
J08
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natürlich, bafj wir alle t?on bem 2lrgwobn 6er Un*
treue angefreffen ßnb. 2lber — wie gefügt — 6a
tann ftd? nichts bigamifcb oermifcben, unb in
meinem ©inn iß auch 6ie leiste Hiebe — eine erße
Hiebe."
£>ie beiben ^reunbe batten nacbbenf lid? 3 ugebort,
unb (Bunnar fud>te je^t niefenb bie 2lugen Äolfs.
3Der aber erhob fJcb abwebrenb unb antwortete,
inbem er bie Iteefcbalen auffüllte: „JDas iß alles
gan 3 febon . . . 2lber bann Üennt ihr b<*lc bas
Heben nicht."
5Da t>erfet$re (Büntber, jebes Wort betonenb, aber
mit einem leifen Seben in ber ©timme: „3cb
nehme tiefe Erfahrung — aus bem Heben."
Seibe Suborer wanbten bei bem frembartigen
Cone, ber ihnen nicht entging, aufborebenb bie
Äopfe, wecbfelten einen faß beforgten SlicP unb
fragten gleichseitig: „Was bebeutet basV Wer iß
jieV . . . Seichte!"
„3 br Pennt ße b eite,“ fagte (Büntber jogernb.
„ÄennenV WirV"
„natürlich nicht perfonlicb."
„©o ers^ble hoch enblich!"
Äolf, rittlings auf feinem ©tuble ß^enb, unb
(Bunnar, bäuchlings auf bie Hbaifelongue bin*
geßreeft, batten ßcb 3 um £oren bereifgemacht,
unb (Büntber legte bie 2lrme auf bie Hebnen bes
©chreibtifchfeflelß auf unb begann.
109
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„3Die Sache liegt lange hinter mir unb ich Bann
mit 6er &uhe 6er 5)ifian$ baruber re6en . . .
lernte fte Bennen, wie man ftch in ein bübfches junges
3Ding verliebt. 3<h ^arte fte mehrmals in ihrem
fioljen, freien 23ebuinenfchritr in 6er tTJenge vor
mir hcrfch weben fehen un6 6achte: CE s muf fchön
fein, ©eite an ©eite mit ihr ju wanbern.
CEines Hages überrafchte ich ft«, wie fte 6en
tTJatelot neben (ich, baf 6ie Strahlen 6es 3uni*
nachmittags auf ihrem blonben Scheitel fpielten,
in einem weiten SatifiBleibe, bas 6en ange=
br dun ten i^als frei lief, im ParBe faf, mit ge=
fchloffenen klugen 6en &opf jurucftvarf unb mit
halbgeöffneten Hippen 6ie ©onne tranB, 6ie rot=
lieh auf ihr hingegebenes (Beftcht fiel, ^efe^ene
©trumpfe, 6ie unbelaufcht unter 6em fuffreien
ÄocBe hetnor traten, liefen rofige (Blieber hmburch=
fcheinen, unb um bas feine <banbgelenB trug fte
lofe ein bunnes (BolbBettchen . . .
3he werbet vergehen, baf bies rafftge 23ilb
, leibenber ©ehnfucht mich anjog, bas ich nun
fiorte, als ich hinter ben Sufchen ber tVegbiegung
hervortrat unb mich auf berjelben 23anB nieberlief .
Sie fafte ftch ans ^>aar unb idchelte mich in
rei 3 enber Verlegenheit mit Bleinen weifen Bdbnen
unb aufgefchrecften ftijrenaugen an.
3<h fah natürlich fofort, baf es Beine 2Dame
war, unb bie (Baffenvenus war — wie ihr wift
J Jo
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— nie mein ,$aü. Tibet ich fagte mir auch: 3Die
Rechtfertigung jeber Hiebe — ber tTJabonna wie
bee ^reubenmcibchene — liegt in bem qucUenben
IDrang nach ber eigenen $£rlbfung, bie wir in ber
©eele bee anbern ftnben; nach ber Uberwinbung
bee 3rbifchen in ber höheren, fleh felbfl oernichten*
ben 5eugung, in ber wir im (Sittlichen »erflnfen.
2lud> bae 3 mn POn 2trm 3 U 2lrm nur & a0
tTJartyrium bee Unjuldnglichen ... ber üDornem
weg jum leisten (Slüd? . . . bas ^einwerlangen aue
bem unfreiwilligen Heben in bae Urelement bee
entforperten ©eine. Unb biefe blaffe ©onnen»
anbeterin will ben (Sott gewiß nid>t in fleh be=
tcluben, fonbern in (ich flnben . . .
@ie h<*t meine Erfahrung barin nicht betrogen.
Wie fle in ernflem Heibeneauebrud? bem über fie
gefenften tllunb entgegensulechjen pflegte; wie fle
mit bem heimlichen Wimmern ber ©terblichfeit
in ihrer Weife bae leife Hieb ber Heibenfchaft fang
— haben mich gelehrt, baß Hiebe nicht (Slucf,
fonbern ber uerjöcfte IDienfl bee ©chicffale iff:
fleh ale einer ber ewigen ©rrome ber Welt in ber
©chopfung aufjulofen unb heilanbhaft für fle 3 U
opfern. Unb barin begegnete fleh unfere ©ehnfucht
— bae fühlte ich . . .
£Tun fragt ihr mit Red)t, wo meine Abneigung
blieb gegen bae Weib, bae ich nicht felbfi ine Heben
gefußt. IDenn ich vermutete natürlich, baß id?
\\\
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weber ber erfle war, noch ber leQte fein würbe.
2tber biefes triebhafte tDefen batte einen (Beifl in
mich geblafen, ber bas ^och aller Üttfyit abwarf,
als wenn bie iElettrijitdt, bie wir für uns arbeiten
laffen, plotjlich bie Apparate, in benen fle gefangen
ifl, fprengte, um wieber in fosmifchen ©rromen
babinjufdb weifen. <£>ier ahnte ich einen ber £Tatur=
geifler, in benen bie tTJenfchheit immer wieber unter*
tauchen muf, um fich an bem (Geheimnis ber ent*
moraliflerten &r<£fte 3U regenerieren. <bier wollte
unb burfre ich lieben, wie ein (Bewitter fleh über
bem Hanb enrl&bt unb weiter3ieht; wie bie CSrbe
Äegenguffe, ©onnenglut unb ©amen aufnimmt,
ben ber tPinb ihr 3uweht. ©ich nicht feffeln, wenn
man fleh umarmt; fleh nicht fluchen, wenn man
fleh trennt; unb hoch bie C£wig£eit ber Hiebe nicht
verleugnen, gefegnet von ben aufbauenben ©toffen,
bie in Streue weiter in uns Greifen unb ©ct> wingenf raff
werben, auf ber wir unfere 23 eflimmung erfliegen . . .
3ch bachte über ihre “Dergangenheit hinweg*
jutommen, inbem ich bie klugen vor ihr verfchlofj.
3ch machte mit ihr aus, bafj wir uns weber
unferen tTlamen fagten, noch von unferer <?>er , >
£unft unb unferent Heben etwas. tt)ir wollten aus
bem (ßeheimnis auftauchen unb wieber in bas ( 25 e*
beimnis entfehwinben, ohne fe wieber von uns $u
hören. Hiemanb follte von unferer Hiebe wiffen.
©ie follte gan3 ein tTJclrchen fein.
Ul
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Sie fcfywieg ju allebem ßill unb legte nur ihre
3 <ürtlid?e fe^Ianfe ^anb mit einem Paum merP liefen
leibenben ££d?eln meid? in bie meine. nannte
ße auch „Wein tTJctrd?en". 211s id? fügte, baß mir
uns beibe benfelben Hamen beilegen mußten, ent*
gegnete fie mit einem nad?benPlicben 2lufblicP:
„5Du — bleibß mein heimele . . ."
„TParum nennß bu mid? foV"
„tPeil bu ein heimele biß . . . weil id? bei bir
babeim bin."
3d? ^arre Peine ^urd?t, bas ©d?icPfal auf mich
3 U nehmen, bae mich aus biefem tDorte fogleid?
mit ernten 2tugen anfal?. SDenn ich batte gefagt,
baß id? es fd?on f<£nbe, einmal auf ber < 30 !?* bee
(Blucfs poneinanber 3 U fd?eiben.
2lber wenn id? mich aud? nicht por bem £Enbe
fürchtete, fo bangte mir hoch por bem Anfang . . .
titine ruhig gleitenbe ^Dampferfahrt, bei ber wir
uns, wie es Verliebte machen, auf bem trcUime--
rifchtn piatj am <$>ecP bes (DberbecPs hingegoffen
hatten, wo ße im Äeifefchleier, gan 3 in mid? per»
Proeben, an meiner @d?ulrer lehnte. tt>ir waren an
einem Pleinen Äbdnorte auegeßiegen unb faßen
unter ber Haube einer altertümlichen ITerraffe —
ße großäugig wie ein Äinb, ba ihr bie fd?if fs=
belebte Hanbfcbafr, ber HeifererPebr nach ben
Bürgen, bae frohlid?e 2tue unb ££in in umranPten
Pergolen unb alles neu war; was ich mit 2tbßd?t
8 Sttrnberg, üon Sreuö» grauen (Inö genannt JJ3
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fo eingerichtet bcitte. iDie Sonne tag untergebent
wie ein Äiefenbrillant auf ter Äante 6er gegen*
öberliegenten Bergwant unb bezahlte noch ein»
mal ihr reifee (Beflcht, 6ae auch meine Blid!e $<lrt*
lid> eintratrfen.
„3br {ußt mich bette," fagte fte, intern fte er*
fchauernt tie 2lugen fct>loß, „tu unt tie Sonne."
<£e {lang mir, ale fei ich unter tie flaturgotter
eingereiht . . . „2Du unt tie Sonne". . .
3Dae iDunfel war lange in tae enge^elfental ge*
funfen; ter@trom raufchte gebeimnienoller turch
tie ©title, unt fehwetrmenbe 3obanniewurmchen
rermifchten ftch mir faltenten Sternen in ver-
wirrenden Greifen. 3Doch wir faßen noch immer
<£>ant in v^anb in ter Hacht. (Dbwohl id? nach
ihr 3 itterte. JDenn mir graute uor ter erflen Be*
ruhrung, nor ten ©puren tee TDegee, ten fte nor
mir gegangen, unt in einer unbefttmmten “Dor*
Rettung non feelifcher Äeinlichfeit fürchtete ich,
in ten ©taub bcrabjuftnfcn.
2lber nie bat ein Vorgefühl mehr getclufcht. (Db*
wohl fte Bunter unt Spitzen ftch ungeniert lofen
ließ, non tianenbafter tTJdtchenhafrigfeir, tauchte
fte in marmorener Blan{beit aue tem tTJonten*
fchimmer, wie eine Brunnenfigur, an teren glatt*
gefpulte formen {ein tTJa{el tee Hebene haftet.
3<h nerfan{ in ihr <baar. 2Der gewaltige Strom
brantete tie ganje flacht hoch an tae Ufer.
m
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2 Hs ich am tttorgen oon einem furjen Ausgang
jurucffehrte, bei bem id) ihr Äofen taufte, fchob
fte mir in ihrer bemutigen 2 irt ßiUfchtueigenb einen
örief in bie £afd>e, ben fte mir unterbeffen ge=
fchrieben. 34 ) fab f»e in fprachlofem £rßaunen
an, ba fte hoch £ag unb Had)t bei mir war.
„ 34 > tann hoch nichts fagen . . . fo mußte ich
bir’s fcbreiben," erffarte fte fchuchtern.
T>on ber (Beliebten, bie gegenwärtig iß, weil fte
ben fpracblicben Haut als ju grob empftnbet, um
bas 3 U fagen, was unfagbar iß, ben füßeßen Hiebes*
brief! Unb bas foüre tUieberbolung eines geübten
23 raucbes fein! 3 n biefes Erlebnis foüre t£rinne=
rung hineinfpielen non gewohnten ^reuben! tlein,
auf einen folgen (Bebauten tann man nur einmal
tommen . . .
34 ) riß fte in bie 2 lrme unb fußte ihr bie
fchmeichelnbe <£>anb, bie jene famtenen VUorte ge*
fcbrieben. 2 lber plotjlich waren bie Sollen oer*
tauf 4 >t: ße batte ßch auf meine eigene ^anb gebeugt
unb hielt bie Rippen auf ben Äing gebrucf r, ben
ich am Ringer trug. <£ s war berfelbe pfauengritne
£urfis — ben ihr hier feht — unb ben id> wegen
feiner ^arbenfchonheit immer liebte, obwohl bie
Hiebe 3 U ber ^reunbin, bie ihn mir oerehrte, fangß
oergeffen war, unb id> brdngte beßurjt ihren tTJunb
hinweg unb fagte: „TPie fannß bu ben fremben
©tein fußen!"
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UZntt&ufd)t ließ ße ab: „2(ucb bas biß bod> bu!"
©ie batte einmal geklagt „bu willß mich immer
anbers haben, als ich bin"; unb nun wunfcbte ich
felbß, wie ße 3U fein unb wie ße ben Menfcben
famt ber ganjen ©pb<Sre, bie ßd? bißorifch an ibn
als Mittelpunkt angefetst bat, in meine Hiebe ein«
fließen 3U können.
Jd) fd)<£mte mich meiner C£iferfucht, bie fo weit
ging, baß icb öfter 3U ber Seit, wo ße beim3ukebren
pßegte, uor ihrer ^ausrur auf« unb abging, ohne
oorber mit ihr uerabrebet 3U haben, baß i(b ße
erwarten würbe. tTTie entbeckte ich einen (Brunb
3U bem leifeßen Argwohn, außer bem, was 3ugleicb
ber (Brunb meiner Hiebe war: ber 3 Dufr unb bas
feine (Drgan bes uon allen Broten umfpielten
Meibes. 2tm fcblimmßen war baber meine £Eifer»
fucbt auf bas (Bebeimnis ihres früheren Hebens,
bie id? nod? kunßlich baburcb geßeigert batte, baß
ich felbßbie Parole ausgegeben, ben Punkt niemals
3U berühren — woran ich nun gebunben war.
Hoch batte ich nicht ben Mut gefunben, ße 3U
fragen, woher ße bas (Bolbketrcben habe, bas ße
ums ^anbgelenk trug unb auch nachts nicht ab«
legte, ©ie mochte aus meinen 2Micken, mit benen
ich eines £ages ihren 2lnb<£nger, einen Äreis uon
kleinen Rubinen, an ihrem <balfe betradjtete, ein
Mißtrauen gelefen haben unb fagte ba her plOQlich
betrübt: „34> weiß, was bu jetjt benkß . , ." £ie It
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mit: aber fofort abwehrenb ben XTCunb 3 U unb
breite mir bann, mit ben ©chultertt fchlenkernb,
ben &ück en . . .
„3a, bu machjk immer Programme ..."
34) merkte, bajj jte bem Weinen nabe war.
2 tl 9 icb non hinten bie <2><ünbe auf ihre Schultern
legte unb jte bie 2 lrme hinabjkreichelte, warf jte jtch
herum unb vergrub fleh weinenb an meine Srujt.
„Zieh, küffe mich tot . . . bann ij* Äuhe mit mir!"
„JDann h^tte bich ja bie Weit nicht mehr . .
„Was liegt an mir!"
34? 5^9 fte auf meinen ©chof unb feQte ihr
auseinanber, was ein Wefen wie jte ber Welt be=
beute, inbem ich ihr erklärte, baf bie XXaturgeijfer,
bie jtch hie 2 llten unter ben Hymphen unb XXajaben
buchten, in Wirtlichkeit nichte anberes w<£ren, als
leibhaftige tTJenjcben, beren Lebenskräfte fo ge=
jkeigert feien, baf jte ab Halbgötter in bas ££le=
mentarreich hineinragten, unb baf mir in ihr mit
ihrem wilben Herjen ein folcher freunblicher JD^mon
3 ugefaüen, in bem ich mich verjünge, gefunbbabe,
gütig unb reif werbe. 34 > nannte jte meine d>fler=
braut unb entwickelte ihr, warum jte allem, was jtch'
ihr nähere, wie mir, bie liefen erfchliefjen, 'jjbeale
bilben unb 3 um <25eijt ber 2(uferjtehung werben
müffe.
©ie beruhigte (Ich allmählich unb hob bei meinen
Worten bas Äinn, als wenn jte 3 urücklauf<he auf
111
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eine Stimme, bie fern hinter ihr ^erÜ^me, unb
fagte juletjt mit ihrer t>om tDeinen uerbunPelten
Stimme: „iDu t?erffe^>fl grauen fo gut ju be*
hanbeln ... 2Du bifl fo anbere ale anbere . . . 3Du
uerachtejl uns nicht . . . Wenn bie eine Stunbe
nicht märe, bie ich immer furchte . . . Äannfi bu
bir benfen, welche V"
t>on neuem herrorfchluchjenb, fiel fle mir um
ben «^ale. „©0 anb<£chtig unb innig hübe ich nie
einen tTJann geliebt!"
Unb non ber inneren tUelt unb £7ot biefer Seele
hatte ich nichts wiffen wollen.
£Hit gefalteten <5>änben unb £r<hten in ben klugen
bliefte fle mich an.
„So frag’ mich hoch, heimele!"
3ch habe mein Programm natürlich nicht inne=
gehalten.
Sie war alfo (Chorijlin, ein Äinb deiner Heute,
unb flocht fleh fchon ale Schulm^bchen zweimal
am läge bie blonben Sopfe, weehalb ihr bie jhrenge
tTJutter warnenb ju erzählen pflegte, wie einmal
eine 3ungfrau war, fo flolj auf ihre ^aare, bafj
fle uor bem Spiegel flehenb fleh HocPen brannte;
aber ale fle begraben werben follte, ba gingen bie
■&aare nicht in ben Sarg.
&ur$ unb gut: ber Schleier bee tTJdrchme fiel
— unb bahinter erflanb eine TDirPlichPeit, bie ihr
treuherjigee (Beplauber uonfElternhäuelichPcit, bem
US ,
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eigenen tapferen Heben unb feinen befcheibenen
^reuben mir 3« einem viel blurvolleren tTUrchen
verwob.
££s war einer jener gan3 gewöhnlichen tPerteb
tage, nach benen abenbs oft ein flilles Hicht in uns
brennt unb bas 4 >et$ erfüllt mit fonntäglicbem
^rieben . . . Ütin (Be Witter war ferne vergrollt, unb
braunen im iDunfel rann ber liegen. tX>ir hatten
bas Such gefchloffen, bie Hampe gelofcht, unb ber
biblifche Preis ber Hiebe, ben wir febweigenb 3U-
fammen gelefen, fummte uns noch im d>hc . . .
„ 3 Dic Hiebe eifert nicht . . . Sie l<$jfet (Ich nicht
erbittern . . . jte rechnet bas Sofe nicht 3U . . . Sie
vertraget alles . . . Sie bulbet alles ..."
Sic lag in rojtger &orperlichfeit, als w<ke jte
eben aus bem Hotos gediegen, halb aufgejtÜQt
neben mir, mich mit unter ihre golbene <£>aarflur
nehmenb, unb ich wartete, ohne etwas 31t fagen,
bis ihre Stimme aus ber ^injternis tarn . . .
„ 3 Die Hiebe eifert nicht ... jte büjfet jtch nicht
erbittern ..."
<£r war ein Ingenieur gewefen, ber (Ich mit ihr
verlobt batte unb bann nach Äleinajlen gereift
war, um Srucfen unb Sahnen 3U bauen. Seine
3ufammengewachfcnen fchwar3en Augenbrauen
hatten ihr immer (Brauen eingeft ofjt. Aber gerabe
beshalb war fte bem Abenteurer erlegen, ber ver=
fprochcn hntte, nach ^ahresfrift 3urüct3uf ehren,
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um fle $u holen unb brüben mit aller Pracht bee
(Drients 3U umgeben. 3Doch balb blieben feine 23riefe
aue, unb er lief* fie im ©tich-
©ie er3<$blt* biee fluflernb, inbem fl* mich mit
ber freien <J>anb immer beruhigenb babei flreichelte,
fo baß id) öfter ihre c^anb feflhalren mußte, um
fle von meinem (Dhre 3U entfernen. Sie ich mein
Unbehagen nicht mehr meiflern tonnte unb mir in
ber Weife £uft mach«, baß id) mein tTJißfaUen
baruber 3U ertennen gab, wie fie bem erflen ge-
triffenlofen <B>lu dritter 3um (Dpfer fallen tonnte.
„<?5eb, heimele, bu muff nicht fo fchroff fein . . .
f£r hatte auch fein (Butee . . . Romm, ich habe ihn
hoch einmal geliebt ..."
£6twae 30g fleh in mir 3ufammen, unb ich fuchte
von ihr ab 3 urucfen. 2lber fle hielt mich fefl an fleh
gefeffelt, inbem fle mir bie 2lrme wie einen Sollfloct
3Ufammenlegte, unb fuhr fort _ . .
,,©ie rechnet bae 23ofe nicht 3U . . . fle ertragt
alles ..."
tit r war ein ©chaufpieler. 3hr Heben war ein-
mal oerfehlt, unb fle wollte fleh nun wenigflene
lieben laffen von einem, ber 3U lieben oerflanb,
rafenb, wie fle ihn täglich auf ber 23ubne 2lnnchen,
3ulia, 4*ro unb alle bie (Blöctlichen umarmen fah*
2lber nach wenigen Wochen bee Äaufchee mußte
fle erfennen, baß fle abermale betrogen war: f£r
war ein verheirateter Wann! ©ie nahm (Bift. 2tte
Mo
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fle 5« ftd? Jam, lag fie im Äranfenhaus, unb er
tniete weinenb vor ihrem Sette.
ttMhrenb fie nun er3<Ühlte, wie fie Öen um Per»
3eihung ^lefcenöen felber troflen mufte, fchien fle
mir ganj in vergangene Seiten $u entgleiten unb ju
vergeben, baf mein ^aar es war, bas fie babei
glättete; meine tPange es war, an bie fie babei bie
irrige anlegte. 3 Denn fle ItebJofle mid> gan$, wie
man einen Per3weifelten ju beruhigen fucht, unb
ich flanb fchon im Segriffe aufjufpringen, um mich
biefer SÄrtlichJeit ju erwehren, bie einem anberen
jugebacht fchien, als mir meine Folterqual bie
Frage eingab, mit ber ich fle vor ein UJntweber
— (Dber fleüen wollte:
„TPas wurbefl bu tun, wenn er heute wieber»
B<lmeV . . . ©prich!"
„£Er Bommt nicht mehr wieber ... fEr ijt tot . . .
Für mich ifl er tot, heimele ..."
©ie fagte bies fo einfach unb aufrichtig, baf
ich mich fofort entwaffnet in bie Äiffen $uru<#=
flnfen lief, unb pldtjlich von ber ^Erleuchtung er»
füllt war, baf fie in ber £at nicht mehr an ber
Perfon bes früheren «Beliebten hangen fonnte,
fonbern etwas ganj anberes liebte: 3 Das einflige
^Erlebnis, bas — berausgefch<Ut aus bem 3eitlichen
(Bewanb — von bem 3urüd*fchauenben 2tuge im
Eichte einer anberen Eiebe gefehen wirb, als bie
ehemalige gewefen, wie man eine 3urucPliegenbe
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Pbafe feiner 3u0enb liebevoll betrachtet, ale un»
oerlierbaren Seju3 in fich tr£gt unb fle ale ein
©tück feiner Erbengefchichte nicht auegefchaltet
wiffen mochte, ebne f<£big 3« fein, bie aueempfun»
benen Empfinbungen trieberjuerwerfen ober fort»
3ufet?en.
Unb ich horte weiter 3U unb b«lt ben Hieb»
kofungen, bie ihre v^nbe bei ber Erinnerung an
v erklungene ©tunben auf mein < 5 >aupt bluffen,
ale einem lieblichen 0pielefrieblicher2luegeglichen»
beit, mit jener l<khelnben ÜDulbung jlanb, mit ber
man jlch barmlofe (Dualen in gutmütiger Uber»
legenbeit gefallen l<Jf t, wenn man mit ber <£>errfchaft
bee Perflebenben über ben JDingen fchwebt.
riachbem jle mir auch ben Hegten nicht t>or»
enthalten, einen reichen Äobling, ber jle aus Eifer»
fucht tagelang einfchlof unb fogar feblug, bis fle
ihm fchliefjlich, 3ermartert an ileib unb ©eele, ent»
lief, nickte ich meiner Pertrauenofeligkeit Seifall,
bie mich fchon ohne biefen Seweio richtig batte
erkennen laffen, baf mid* keine ihrer Erinnerungen
einer ^>er3en8regung beraubte, bie mir 3ukam. 3 Denn
felbfl jenen (Befellen, mit bem fle kein (Befühl als
Entfetjen oerbanb, fchlofj jle nicht t>on ber 5 uge*
borigkeit oon ber (Bemeinfchaft aue, in bie fle alle,
bie ihr einmal nabegeflanben, wie in eine engere
tUenfchenfamilie aufnabm, unb jle batte auch für
ihn eine Entfcbulbigung. „Er konnte ja nichts
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ba$u, baß er c£ferf&d?t% war . . . 3Das ifl &ran£
beit."
©ie batte in bem einen bas Abenteuer, in bem
anbern bie Jfceibenfchafr, in bem britten bas leiste
tPirrfal geliebt, jeben anbers unb jeben erflmalig,
wie fie in mir bie Heimat fufjre, unb fte fegnere nun
felbfl bas t>^^lict>e <B>ef<heben ferngerucft als eine
unoermeibliche ileibensflation ibrer tPanberfchaft
unb barum als etwas (Smtes, bas fie non niemanb
fl <h befchmutjen lief.
3<h wollte bies freilich l<£ngfl nicht mehr, wie
es ber Hiebesneib fonfl fo gerne tut, ba ich meine
Perfon nicht mehr beleibigt fühlte, wenn ich an bie
Errungen ihres Gebens buchte, fonbern nur iTJitleib
empfanb mit bem ©chonen, bas in ihr beleibigt
war, unb bie buftige Unuerfehrthtit bewunberte,
mit ber fie aus ben tPiberlichfeiten ber Vüelt b er*
oorgegangen ..."
— (Bunther fchwieg. 2lber bie Jreunbe oer*
harrten weiter in ber gefpannten Haltung bes 2luf
merfens, als mache ber Üfoibto nur eine Paufe.
deshalb fagte er nach einer TDeile: „<bier fehlet
meine <25efchicbte."
„3a — aber fie ifl noch nicht $u i£nbe," erflclrte
Äolf, ohne fleh in feiner Erwartung beirren $u
laffen.
„tt>as wollt ihr noch wiffenV"
„Dilles," rief (ßunar ungebulbig.
J25
2)aß id? t>ie faufiifcbe Jbee, im 2tugenblid? bee
bocbflen (Blücfee ju ve^ichttn, allmählich preie»
gegeben batte — nahm (Bunter ben ,$<*ben wieber
auf — tonnt ihr euch benfen. Unb hoch Jam ee fo.
££e gefchab öfter, baß t<h in größerer (Befetl *
fchaft einen Cageeaueflug unternabm, wovon id?
ibr nur beiläufig 3U erbten pflegte. iDann trat
fie jebeemal, wenn id> mich bem 23 abnbof näherte,
— manchmal bei Flacht unb Flebel — unerwartet
wie bae tn 4 rchen hinter einem Pfeiler btrvor, um
mir noch einmal fluchtig bie bebenbe <£>anb 3U
reichen. 2tber balb Jam ich babinter, was fte
eigentlich ba3U trieb. 2 Ile ich tinee £agee bae
Äeflaurant verlaffen wollte, wo ich — wenn wir
nicht 3ufammen aßen — bae tTJittagemabl ein3U*
nehmen pflegte, fianb fte mir an ber Ireppen*
biegung unverfebene gegenüber unb flarrte mich
an, bie Rechte auf bem flopfenben 4 >er$en, mit ber
hinten ftch an bem Creppengelänber feflbnltenb,
lange fprachloe vor öefcbämung, bie fie mit
verlegenem fächeln befannte, baß fie burch bie
Porbänge ber ©chwungtur in ben ©aal b^tt*
blicfen wollen, wie fte ee fchon oft getan, in ber
2lngfl, ich wäre einmal plo^lich für fie verfchollen.
iDoch ich bachte nicht mehr baran, fte 3U ver=
laffen.
5 Da riß mich ber Ärieg aue ihren Firmen, ber
fürchterliche Ärieg, beffen eherner Pan3er allee
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tTIatürliche in ber Wenfchenbrufl erfh’cft; ber mit
6er rafenben ^olge feiner Ratafhropben 6em Emp»
finben (eine Seit l<£ßt $u rerweilen, weber beim
Heben, noch beim (tob; ber uns bie Sugel bes
eigenen ©chicffals aus ben ohnmächtigen <k<£nben
reißt; jeben Willen jum 23efu5 ertötet; unb in ber
^olle non ©tunben ben (Beijl um 3<*br$ebnte t>er»
wanbeit.
W^brenb ber beiben 3 a bte, wo ich t>or ben
(Lobesfchlönben ber feinblichen tTJorfer in ben
©chuQengr^ben lag, entfernte fid) hinter mir &ie
Welt jum (traumbilb. Sugleich meine Hiebe.
2 lber auch ihre ©ebnfuchtfcSmpfte (Ich w<$brenb
ber langen Urennungojeit ab unb ergab fich fcbließ»
lieh tr<Sumenb bem (Hlucf ber Entfernung, ©ie
hatte ficb auf mein eigenes 3Dr4ngen jur ©ebau»
fpielerin berangebt'lbet, wo$u fie immer ein beim*
liebes Talent b^tte, unb ich metfte aus ihren
Briefen, wie fie aus bem (traumbefiQ, 3 U bem ich
ihr geworben war, ihre Rollen mit 2Mut erfüllte.
tTJan lebt nicht rud*w4rts. ©eit ich in ber
Heimat bin, fließt auch mir bie Rraft 3 U meinen
(Be flalten aus bem (Duell ber oerwanbelten Hiebe.
3br fennt fie je^t. IDas blonbe Weib, bas burch
meine Sucher fchreitet, ift niemanb anberes als fie.
©0 (mb wir uns nabegeblieben: 2 tnbere, uom
©toffe befreit, in gleichseitiger Wanblung aber»
mals neu oerbunben.
J2S
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Unb mebr barf id) fit nicht feffeln. C£in großes
(BlucF bat fie mir geliehen: bie ungebunbene iliebee»
fraftfelber. (Belieben. 2Denn ein folcbeo VUefen ge=
borr ber tDelt, in bie fle herein)! wieber unter»
tauchen mag, immer tUitwe, immer wieber 23raut.
©ie bnt feine Äinber. Tibcv wir tTUnner aüe finb
ibre Äinber. Unb alle grauen feilten fle oerebren.
JDenn fie fommt non ben „^Huttern" ber Hit be, bie
in ben ewigen liefen fnjen.
Unb wenn wir eine ^rau 3<lrtlicb lieben, b<*t I»
uns erjogen baju.
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Böltbißie
tTTict)f aue 6er (BefeUfd?aft 6er $Engel, fonbern
aue 6em fcbwefeligen &ad?en 6er tPelt fc^reiten
bie ^eiligen 6crt>or. Unb 6er raud?enbe ©cblunb
wirb ibnen noch jum labetnafel . . .
fite war bie faranifcbe Beit, als biegelbm^bnigen
Könige 6er tTJerowinger, 6en Purpurmantel bea
byjanttntfdjen Äonfulo um bie ©cbultern, auf
i>ierfp<Snnigem <Dd?fenwagen burd? bie Jtanbe
fuhren.
%üffLtid)en ffanb bamala berühren un6 burd?
feine faulen ©tufen trocken 6ie Martern. Um 6 ie
blonblocfigen Ungeheuer aber, 6 ie ibn einna6men,
brebre ftd) ein i^ejrenfabbat t>on tTJeucbelmorb,
öublerei, triebifd>en Höften un6 Bluttaten gecjen
bae eigene ^leifd), i>en Äonigatocbter, öifcbofe,
Honnen, ^4njerinnen un6 gebungene &ned?te
in fcbamlofem öunbe auffubrten.
durften uerfauften ihre i£bre um eine ftlberne
©cbufTel. (Batten erwürgten ftcb im fHbebett.
Äonfubinen ließen ihre tfebenbublerinnen t>on
wilben <J>engf len ju lobe fcbleifen. tTJan lieferte
©cblacbten in 6er &ird?e unb tränt aue 6en
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0d)äbeln erfcblagener t>rrtt?an6ten bie tHinne
6er Cbrifienbeiligcn, bie bie nacfren (Belage im
2MntebertrunfenenVDufftinge enbeten. tTJt'c einem
<25räbergurtel von erbold>ten Äinbern, leben6ig
Per brannten, vergifteter Unfcbulb unb jerbacfren
dumpfen fieberten entmenfebte Häuber, gemalte
^äulnie unb tränte Cropfe ihre iTJolocbeberrfcbaft.
Unb wdb>rent> ber reifjenbe 2>ämon mit bem 0rier*
baupt, in bem bae Äonigebaue feinen Urabn ver*
ebrte, in bas männliche <25efcbled)t gefahren ju fein
fehlen, berieten bie £>ifcbofe auf einer eigene bterju
einberufenen 0ynobe allen f£rnftee über bie 5 r<t 9 e /
ob bie tUeiber ale menfcblicbe VUefen anjufeben
feien.
3m ZMutfcbein biefer &$Uenlanbfcbaft wanbeite
23altbilbie.
JDer ^ranBenfonig, ber bie Ärone mit ibr teilte,
war geworben; unb wie ee bem unterbruefteren
^begatten oft gefebiebt, begann ibr JLeben erft,
naebbem fld) bae Cor ber Hofburg hinter bem
0arge bee (£>ewaltmenfcben gefcfoloffen barte-
tTlit i£iferfucbt batte ber bäurifebe {Tyrann bar*
über gewacht, bafj fte mit nid)te anberem ftcb be*
febäfrige, ale wae feine untätige Perfon umgrenjte,
unb bie flacbeblonbe angelfäcb|tfcbe tTlagb, ale
0d)enfin an feinen 4>of verfdjlagen, mußte ge*
horchen, obwohl fte bae einzige ^erj war, bae
ben Hilferuf ber gemarterten fllenfcbbeif vernahm.
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ttadjbem jte nun ihrem Öelbjl: jurudfgegeben,
fprubelte ber fo lange Ptrjlegelte (Duell ihrer wunben
lliebe bal?er um fo brißer berpor, unb fte fh'ftete
IMojter unb fpenbete non ben Jonigltcben ©dxltjen,
wo immer eine flebenbe <oanb jtch nach ibr aus*
jftrecfte. 3etjt erjl fühlte jte jtcb als Üanbesmutter,
bie überall nach bem Rechten ju feben batte. Unb
fo faßte jte ben ££ntfchluß, ibr weites Reich nach
allen <oimmelsrichtttngen 3U bereifen, bantit jte ihre
Wohltaten bort ausjlreue, wo jte bie größte STlot
fdnbe, unb nacb Erfüllung ihrer irbifchen 2luf
gaben ben Schleier 3U nehmen. Sugleicb fcbwebte
ibr ber ( 0 ebanfe por, bie Welt, bepor fte ibr ent*
fagte, babei auch einmal grünblich fennenjulernen
unb t?ielleid>t ein troftlidjeres 3 i lb non ihr mit in
bie Rlojlerjelle $u nehmen, als jte es non ber blut*
befubelten ©cbwelle bes palaßes aus empfangen
batte.
ÜDenn ber 2Ub bes allgemeinen iEte ls umkrallte
ibr <b*rj fo fürchterlich, baß jte an bem ©chmer$
über bie perbeerte Schöpfung unb ber ©ebnfuebt
nach einem Üichtpttnfct pon ©d>onbeit manchmal
$u erliefen fürchtete, ©ie Jonnte über bie jarten
Filigranarbeiten, bie ber Runjller Eligius auf ihre
Sejlellung in <0olb mit angefchmieberen ©ma
ragben, Rubinen unb inbifchen ££belj*einen an*
fertigte, £r£nen pergießen. Unb wenn jte bie far*
bigen tTJiniaturen betrachtete, bie ber 2Ut*Ranjler
$ Sf»rnt>*r$, Don Sraiifn flu? gfminnr 129
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ftuboen für jte fammelte, üerfanfcjte in bentDunber=
feld) ber wehmutigflen (träume . . .
iDabei war bies alles noch nid)ts gegen bie Schon*
beit ihrer heimatlichen ^elfenfujie, wo ber ^ifch*
Otter wohnt unb in lang unb Seegraswatten bie
tTJowc watet, ober gegen beit gewohnten Rieben
ihrer Vnäbdjenjahre attf ber wogenumraufdjten
3 nfel, wo eine junge tTJufter mit ihrem Säugling
ungefährbet non tTJeer 3U tTJeer wanbern tonnte,
unb neben ber eingefaßten (Duelle an ber Straße
ein fupfertter 23 ed>er ,uir££rfrifcbung ber J\eifenben
hing.
SDies aber war bie Schönheit, bie fte auf ber
geplanten Äeichpfabrt 311 ftnben träumte. £>enn
jle machte jtch bas Chn'jlentunt nid>t fo bequem
wie biejenigen, bie jtch oor bem hänberingenben
Schwarm ber 2 lrmen, <?>ungernben unb Sieden
mit bem fünften Spn?d>lein „(Bo tt wirb euch nicht
oerlajfen" falthersig hinter bie Äloßerpforte retten.
Sonbern es wäre ihr als X>errat an ber tPelt er*
fd?ienen,thr < 5 )ilfeunbtTJitgefuhl 3 U ent3ieben, ohne
jtch oorher oerläfftgt 31t hüben, ob auf ber non
Blut unb (tränen 3errijfenen ££rbe nicht irgenb*
wo hoch nod) ein (Bnabenbom fließe, aus bem
ftd) bie tDurtben ben gleichen (troj* 3U fchopfen t>er=
mochten, ben fte in ber einfamen 5eüe 3U ftnben
hoffte. tt>ie tonnte es Selige geben, folange es Ver*
bammte gab!
JJo
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$vtunb unb ^einö rerfuchten freilich, |le roit
6er abenteuerlichen Unternehmung abjubringen.
iDcr gelehrte 2tu6oen, inbem er fte ror 6en Räuber*
häufen warnte, 6 ie im ganjen Reiche in 6en aus*
gebrannten Romerturmen häufen unb alle Wege
fperrten ober unfd?er machten. „JDer Weg jum
Fimmel if offen" — lautete barauf ihre Antwort.
(Braf Ebroin bagegen, ber ^auemaier ihres
fchwadjen ©obnee, bem fte bei ihrem um fd>
greifenben Einfuf nicht fchnell genug in einer
2lbtei eingefdfoffen werben fonnte, gellte ihr ror,
baf bie lange Reife, bie nur ihre Welrluf auf
wecfen werbe, ber Vorbereitung jur tlof erlichen
Entfagung wenig bienlich fei. „5D ie JDinge ber
Welt laffen uns nur bann in Ruhe" — erwiberte
fe biefem — „wenn fe in breierlei Weife burch une
gegangen jtnb: in ber ©el)nfud>t, im öeftj unb
in ber Erinnerung. 'Jtx ben lebten Rreis bce Er=
lebene bin ich noch nid?t eingetreten ..."
©o begab fte (ich benn auf bie ^ahrt burch bae
rief ge Reich, bas alle fränfifchen idnber oereinigte,
unb fuhr mit ihrem ©chiff beffen Segel unb
flaggen bae iTJuttergotteebilb fchmucfte, ben
Rheinf rom hinauf. 3hren ganjen ^ausfchatj, ben
fle famt allen Rleinobien in (Bolb rerwanbelt hatte,
führte fte mit fch. Unb fo fonnte fte aus rollen
<5>änben fpenben, wo ben ©iechen ein ^aue, bem
robenben Einfebler eine ^utte, ber rertriebenen
*• in
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Sauernfamilie eine neue ^ofjl^tte, bem armen
£>orf auf rauher eine Birche zu errichten,
l>em <£>ungernben einen ?Eifct> unb bem ^rierenben
ein (Dbbacb zu bereiten war.
Je weiter fle fld) aber von bem blutgebungten
Gchauplatz bee lajlerbuften Bonigsbofes, wo
Srüber ftd) wie TUerwolfe zcrfleifcbten, unb aus
ber verpejleten Üuft ibrer Umgebung entfernte, um
fo frieblicber breitete fleh bie tDelf vor ibr aus, bis
ber trübe $lov vor ihren Waren 2tugen jtcb lojle,
wie ber Bbeinfpiegel erglänzt, wenn fld> ber
tTJorgennebel aus bem Grromtal erhoben bat.
Gie fäb gerben langlobiger Gcbafe im tTJufcheb
fanb ber Ufer grafen, bie d5änfe an ben Sacb=
munbungen mit ben ^lägeln fcblagen. Gie horte
bas <i)irtenborn bod> non ben unzugänglichen
Gteinneflern ber (Bebirgsborfer, bie Bircbenglocfen
aus ben ©eitentälern fchallen . . . .Slofje unb
Hachen ber ©almftfcber begegneten ihr am lag;
unb bie (Blocfen ber <ialftergäule, bie mit VDein
unb tUaren belabene ^racbtfcbiffe aut hem SLeiw
pfab zu Serge zogen, läuteten burch bie flacht . . .
Gie glitt an ben 3 n fduuen unb umfcbäumten
Blippen wilber (Befäbtte vorüber, wo ©chiffer
bem rettenben Patron ber ©teuerleute ^eiligem
bäuseben in bie Sranbung gesellt; vorüber an
^elfenzacfen, wo bie aus Saumrinbe gezimmerte
Seile eines Blausnero mit ibtet ^olzbanJ aufragte,
132
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auf be r |fict> 6er büß en6e Wallfahrer nieberließ, um
6em frommen (Befangebrimten ju laufchen . . . (Blitt
vorüber an 6en Be rgesh<£ngen, von benen 3tvifd>en
6em malertfd^en 2D<lcbergewirr angeflebter £ehm=
dörren h»e unb ba noch bie Rampe eines verfallenen
Prachtbaues mit leuchtenben tHarmorbilbern ins
(Tal fchaute . . . (Blitt vorüber, tvo von bem£auben=
gang eines Herren jltjes bie Rofen in ben ©tront
hingen . . . £egte an, tvo jle abgehärmte grauen
jerlump tes £ innen auf b er © tranb bleiche ausbreiten
fab . . • (Bing vor 2 ln£er, um bem Kaufmanns«
3uge beyupehen, bem bruben auf ber großen <?>eer=
jtraße ein Überfall brobte . • • Unb flieg ans Üanb,
tvo bas Unwetter bie Weinbergterrajfen geftur3t
unb hrrabrollenbe ^elsblotfe Vt>in3erborf unb
^ifchernacben in ben (Brunb gefd^mettert hatten . . .
2lber wie leicht war all ber Kummer 3U heilen
gegenüber bem <£>6llenfhir3, bem fle entronnen!
l)ie banÜbaren Uferbewohner festen über Hacht
ben Bug ihres ©chiffes mit (Birlanben unb ßecften
Birfenbdumchen auf bas <oec£. 2lus ber Hochburg
ber ©unben war jle ausgelaufen, voll Bangnis:
mit fd)war3en ©egeln, auf einem ©trom von Blut,
3wifct>en ©ch^belbergen, eine unfelige ^ahrt 31t
vollenben — unb nun fchwebten rofablubenbc
Pftrftchhaine an fonnigen Berglehnen . . . 2 lus
ben Reben3eilen hob ftch ber Rarjl bes fleißigen
Widers in ben blauen Fimmel . . . Weiße Wolfen
J 33
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weibeten um Me rrdumedfcbe^albe bee 4 >ugel 8 . . .
Zm flachen 2 tnBerpl atj fchwemmten unb jlebten
(E>olbw<£fcher ben BofHichen ©anb, ben eine Flottille
oon Äiesnachen aus bem ©rrome ftfd^re . . . 5>as
&ab ber ©chiffsmübltn raufchte ben ewigen £aBt
feines pldtfchernben tDafferfalls, unb ©ommer-
fairer taumelten gegen ihr befr^njtee ^abrjeug,
bae — flatt grinfenber Heufetefratjen — 23 lumen=
Betten wibergefpt'egelt in ber liefe begleiteten . . .
■ST^rum jauchjte ihr erlofieö, banfbaree <oerj.
Unb bie <o<£nbe in bas ©piel ber Schmetterlinge
gebreitet, flanb fte in ihrem weiten luftigen ( 25 e*
wanbe, t>om Äbeinwinb umfächelt, mit feiben-
gl<ün3enbem ^>aar auf bem 2 >ecB unb weinte. Unb
bie glöcBfeligen £r<$nen fielen in ben heiligen Strom.
(Dbwobl nur ein leichter £ufrb<uich webte, blühte
fich bas burcbfonnte tTJarienfegel leuchtenb über
ihr, als wenn ce $erfpringen wollte.
2lber wenn ber VUinb fie anfangs nicht rafcb
genug t>on Silb 311 immer wechfelnben Silbern
fortreißen Bonnte unb ihre uorausfiegenben Sinne
t?on ££inbrucB 3U ££inbrucB jagten, in ber (Dual, bie
^ulle ber tUelt nicht eintrinBen ju Bonnen mit einem
einjigen aüumfpannenben, bie unter bie tUurjeln
greifenben SlicB, fo Bam nun eine rubeooüe ©amnv
lung über fie. Sie war unterge tauchten bie offen
barenbe £iefe bes Äaufcheö. Unb wer einmal mit
bem Übermaß bee trunBenen 2 tugee gefchaut bat,
\ 34
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fchweifr nicht mehr in 6ie Weite, um aue 6er
Summe 6er f£rfd>einungen 6ae berbebutragen,
wae jenen &e|t r>on Erfüllung gibt, 6en alles f£n6
Iict>e unferer Sebnfucht fchulbig bleibt. 5Denn es
gebort bas oergrof ernbe 2tuge 6er Hiebe 6a3U, bas
allein richtig fleht, über 6ie tote (Begenflclnblicbteit
hinaus 3U ernennen, was 6ie Piflon 6es ÜDings un6
fein leQtee Wefen ifi.
iDarum lag ihr Schiff nun überall trdumerifch
uor hinter, wie jemanb auf 6er ^>eimatbci6e liegt
un6, gebun6en im traben, bocb 6ie Fimmel bejl^t.
2Mid*te bas Wunber 6er flatur nicht aus 6em
2luge 6es ^oblenbirten wie aus 6em Kirchhof am
StromV 3Der Tautropfen, 6er aus 6em Hiebfrau=
mantelblatte rollt, legte bas Uniperfum in ihre
<£anb. 3n 6er bärtigen Richte auf gebohltem ,$els
ritt 6ie ganje Pbantaftif 6er CErbe. Sie nernabm
in 6em 6oppelten Schwung 6er 6en Stromlauf
umbiegen6en öergfcetten 6ie ITJuftf 6er Welt . . .
2lber anflatt 6er Weltlujl in 6ie 2lrme"3U jleuern,
lanbetejle an einem gan3 anberen Stran6.
3 e rolltoniger ndmlich Hclben un6 fernen auf
ihrer reid>befaiteten Seele fpieltcit, um fo weniger
lu6 fle 6er Schauplac? 6er 3auberifd>en Stun6cn
3um wohnlichen Perweilen ein. 2lls ihr 6er (Bau
graf, auf 6er umpbütfcberten Ufertreppe feiner oon
ölüten umfponnenen Pfal3 jlebenb, erfldrte, an
ihrer Stelle wür6e er fleh an rheinifchem Kebe»t=
J35
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hang einen fomtigen VPttwenfit? erbauen, entlegnere
fte Bopffcbüttelnb: 3n ber Äircfce wohne man nicht,
llnb fld) bem Hiebflen $u uermähltn, fei ber Hiebe
lob. 5)enn bie (Bmabe ber Piflon werbe nur
einmal gefchenft, unb (Gewohnheit uertreibe bie
(Seiner beo ©chonen. 3Der (Geifl bee ©chonen aber
müfie (Bott felber fein, ba nur (Gottlicheo aufblühen
fonne $u fchoner iBrfcheinung.
©o führte ftc bie einmal erlangte liefe, bie ein
(Grashalm fie gelehrt, 3 ur Ziefe überall. Unb balb
erfuhr fie bas letjte (Geheimnis.
££s war in einer tTJonbnacht. ©id> über;
fchneibenb faßten bie fchwarjen Serge bcn ©trom
in einen ©ee unb wie ein (Geiflerfchiff flieg bie
Pappelinfel aue ber ^lut, überflimmert t>on ©ter=
nen . . . (Geheimnisvoll raunten bie Wellen im
©chilf, unb einfame ^üttenlichter erglommen unb
ertofchen rings an ben ©d>rägen ber walbigen
<J>oben . . • Salthilbio fcbaute von bem ihres
fchaufelnben ©chiffes in bie leife verfchleierte
Kunbe, unb mailid>er VDohlgeruch mifdjte ih* aus
(Golblacffüße, herbem (Brün unb tÜafferfeuchte
einen h*m»tilifct>en £ran£, währenb fern unb nah
bie Nachtigallen aus bem ÜDuft berüberfchluch 3 ten,
in ben fich bie (Gebirge allmählich aufloflen . . .
3n leudjtenbe ©eibe verwanbelt, fcbwoll bas
tTJarienfegel, in bem ber tTJonbfchein lag, aus
bem 5Dun£el — ju <£>äupten ber überwältigten
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©chifferin. 5u ihren ^u^ett aber fchwamm ein
blenbenber ©chilb non bleichem ^cuer auf ber
^luf. Unb w^hrenb fte jwifchen ben beiben
©piegeln überflicfjenben (Blanke in ber £Tad?t
ftanb unb in bie raufchenben Waffer flaute, mit
benen fchon fo nieles iTl&tyrerblut unb auch ihre
eigenen frommen Irenen ftch nermifcht, fchien bie
Welt auf einmal ben 2ltem anjuhalten . . . 5)ie ©tro=
mung blieb ftilleftehn, plOQlid) friftallflar bis in
bie£iefe, unb im (Brunb ber Wogen erblicfte fie —
bas Bntlics (Bottes. 3Die <o<$nbe nor bas 2lngeftd?t
fd>lagenb, brach fie in bie Äniee unb hob bie 2lugen
nicht, bis ber Had?tigallenjubel non neuem einfetjte
unb ber ewige ©ang ber Wogen tvieber ju rauften
begann . . .
3Da beenbete fte ihre ,$ahrt unb reifte in bas
ittarnetal, um in ber 2lbtei nom Cheües, bie fte
felbft gegtrunbet butte, ben ©dreier ju nehmen.
Äeine Projeffion funbigte fie an, bie unter^ubeb
liebem, Weihrauch unb Äersenglanj etwa (Bebeine,
ein 2Meib, bie wunbertätige Partifel eines ^eiligen
ober gar einen ftagel non Chrifti Äreu$ in ebel-
fteinbefetster J Habe in bas begnabete IMofter uber=
führte. Unb bie Tonnen ihres Ilieblingsftiftes
wunberten ftch nicht wenig, bafj fie non feinem
ber bochwurbigen öifchofe, bie fte in &oln, in
tTJain$, in ©trafjburg unb Äonflanj befucfct hatte,
bas (Befcbenf eines Äeliquienftucfes mitbrachte.
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tTfd)t6 folgte ibt, als fie aus feer ©<Jnfte ftieg,
als ein YDagen, feer eine robe IConne trug.
2lber bas ^olserne 5^ßktn, f ,e *>on ihrer
Äbeinfabrt mitbracbte, t barg ein wunbertdtigeres
(Bnabenmittel, als feie llberrejle aller ^eiligen.
JDenn ab bas Äbeinwafjer, mit feem es gefüllt
war, unter feen b^ngenfeen Sweigen feer Slutbucbe,
feie mitten in feem (Barten fees Äreujganges ftanb,
in fupfernetn Sec fen fpiegelte, fea jeigte es fid), bafj
wer ficb über feen J\anfe feer ©cbale beugte, — bas
Slntlitj (Bottes im (Brunfe feer tDelle fab-
Unfe non feer ^eiligfeit fees Äloflers jlrablte ein
Hiebt aus über feie franfe VPelt.
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Bet gläfetite 6itfd)
„YDie fomme ich ebler tTJenfch unter biefe
Sauernlummel!" ^atte 2lmt0rid>ter ilynfer beim
JLiebeomabl laut unb pernehmlich ben Äetlner ge>
fragt — mit bem Erfolge, bafj er auo bem Greife
ber oftelbifdjen (Branben atebalb in ben VDefler*
walb perfekt mürbe.
£ßr 3trar erbliche eine (Bunjl barin, in ben
„TDejlen" t?erfd>Iagen worben $u fein, unb erflanb
ficb TVrobuch nach ‘Derobuch, im ^ntsucfen über
bie golbene < 5 ejtnnung biefer ilanbbewohner unb
bie Wellenlinien ber (Bebirgolanbfchaft, bie er jebem
öauernweib am ÜDungwagen, wie potn Jelbberrm
bugel herunter, in ber ,$^ne 3eigte.
2 tber fonjl ging unter ben ©taatebienern bes
(Drteo ba© Sprüchlein um:
„ 3 d> wein’ mir fajl bie Äuglein rot!
tTJein ©chats, ber muß nach ioeutjenrotb."
Unb ab ber jüngjie ©efretdr beo (Serichteo flolj
an ber ©eite beo ihm eben angetrauten ^raud?eit0
bem künftigen ittyfat 3ufutfchierte, ba fprang
ihm bao funge hubfche 2 )ing beim Slnblid? ber
paar <J><£ufer, bie fleh ba im ©d>nee verloren, auo
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bem ©dritten unb wollte allen $£rnflcs burch iBis
«nb ^locfen treiben wieber beimlaufen.
3 m (Brunbe lebte man in bem £>orfe nicht beffer
unb nicht f dichter, als in anberen borf lieben
fTejtern, in benen $wifchen ben tTJiflbaufen ber
Säuern ein paarSeamte wohnen; wo nachts noch
feine Hatemen brennen, weil es naefo einem 2lu8=
fprueb bes ^Rriegeroereinsoorflanbes eine febr ge=
funbe turnerifche llbung ifl, bei (Blatteis ftcb feinen
Weg im iiDunfel 511 fueben; unb wo bie ndchjle
Sabnflrecfe, auf ber nur tragen britter unb oierter
klaffe uerfebren, auf ©chuflers Wappen in einer
©tunbe ju erreichen ifl — fofem man nicht ein
febneit, im Äegen erfauft ober auf ber baumlofen
Safaltfhraße am ©onnenflid) barnieberjmft. 3 Die
mitfublenbe Srufl bes ^Itnerifaners, eines einge-
feffenen (Baflwirtfobnes, ber burch einen Sie r=
(Tafchenpatentuerfcbluß bruben jum tTJilliondr ge*
worben war unbnoeb alljährlich w^brenb ber3<*gb‘
$eit in feinem Heimatorte Hof hielt, batte bas £os ber
Seamten freilich einigermaßen gelinbert unb etliche
H^ufer bingejlellt, bei benen Äuche unb Schweine*
(lall nicht unter einem fcacbe lagen, unb felbfl ber
ILbeon bes Haufes nicht mehr als ©chilbwacht=
bauschen braußeit neben ber 3au<benpumpe (lanb.
Wer auf ein paar ©ommertage in ber alten
(Bajlwirtfchaft einquartiert war, in beren ^enflero
bie wilben Äeben fchwanften, fonnre natürlich
J4c
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nicht begreifen, wie man es in biefem 3byÜ nicht
follte ausbulten Bonnen, wo bie &otfcbw<Sn$cben
in ben (BericbtsaBten bauten, unb wo man morgens
vom Sette aus feben Bonnte, wie bie 2lebe bruben
dfenb am tUiefenbang ffanben. ©tunbenlang
wanbert man, obne einer tTJenfcbenfeele $u be=
gegnen, nur begleitet von bem Hieb ber £ele>
tjrapbenflangen, bie jld) enblos in bie VOeite jieben.
über Reiben mit ihren ^»unenblocBen! iDurcb Sa=
faltBrater, beren (Drgelpfeifenfdulen aus febwarjen
VFaffern aufjleigen, in benen bie gelbbaucbige UnBe
Blagt . . . VDdlber über ftd?, bie wie (Botterbaine
auf ben Äuppen fleben . . . 2ln bacbburcbriefelten
i£rlgebol$en bin, in beren violetter ^Dämmerung
ber ©eibelbafB blubt unb bie mobnblaue ^olstaube
gurrt . . . 3Das $brenmeer entlang, in bem bie
Äoggenfrauen ftcb wiegen unb biegen wie ©er=
pentintänjerinneninbuftigenÖcbleiergewdnbern. . .
Unb bie (Drtfcbafren um bie SergBegel wie boebge-
türmte Surgen . . . 3Der erjgl^njenbe ilicbtgurtel
um bie ^erne . . . JDie großen (Blocfen ber 4>eibe-
bueben, fo boeb von ber <£rbe, als eine ©d?af
berbe fie abfreffen Bann . . . 3Die ^latterlaute ber
2M<£tter! 3Der <Blan$, ber über bas (Bras ber i£rbe
läuft! Unb bas ewige TUinbesraufcben wie ein un-
jtcbtbares tTJeer . . .
tfJenfcben aber, bie in ber £7atur leben, ver=
Bebren nicht mit ber tTatur, wenn auch bie ?lpfeb
J4J
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b4ume wie treue <5>unbe bie ©trafjenrdnber be=
gleiten unb flct> jebem jur (Befellfcbaft anbieten,
ber norubergebt; bie Walbjlämme ben ©pa$ier’
gdnger fofort in ffurmifcbem Werben umfcbliefjen;
bie Wolfen ftcb nor bie ^enßer legen wie wartenbe
Rutfcben; unb Reefen unb Wege, Reifen unbS<£cbe
rufen: ©ieb micb, flef> mich! 2luf ben Poflfarten
ber (Bajftvirte, bie ben ^elbgerud) in ber Rocf=
tafebe tragen, prangt flatt ber £anbfcbafc ihr nücb :
ferner Sacfjleinfaflen; unb auf ibren ungebeeften
lifeben (leben wollene Slumen. JDer Sauer, ber
mit <£>eu unb <5>erbe unter einem 3Dad>e f<bl£fr,
nerjttjt feine <5>ofen in ber (Bericbtsjfube. Unb bie
anbern — V Pielleid>t bnt mancher non ihnen in
feiner guten Seit ben Wertber in ber SEafcbe ge=
tragen. 2lber eo wirb feine $artb<£utige Sirne auf
ben Wejlerwalb nerpflanjt, beren ©cbale nicht
fcbliefjlid) ju hartem Heber wirb, unb nieleo f<bl&ft
ein inmitten einer Senolferung, bie (teb ben lieben,
langen Winter bamit befeb^ftigt, auf bao ©<bmel=
3en bee ©djneee $u warten. 3Die einigen aber, bie
ben Ropf in bie Hanbfcbaft beben mochten, bie
armen Ruhe, bie falben, tTJilcb geben unb fahren
muffen $u gleicher Seif, werben unter bao iDoppeb
jod> gefoppelt, baf jie ben Slicf wie wabnjtnnig
in bie f£rbe bohren.
Hur ber junge Rechtsanwalt Sorfenbagen batte
in ben fünf fahren, bie er Piebprojeffe unb flach--
142
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barh<htbel fuhrt*/ von bent tt>e(terwalbe nichts
weiter angenommen, als eine immer größere ©title;
unh wenn er aud) r*on feiner mit Aachen erwachen»
hen unh mit £ad>en einfchlafenben ^rau fehr ver»
fchieben war, fo wußten jtd) hoch beibe harin einig,
haß hen verfeinerten tTJenfd?eit eine tPelt von hem
Säuern trennt. 2 Dentt wdhrenh er auf hen ein»
fatnen, geisblattverfponnenen tPalh wegen 311m
dichter geworben war, brachte ^rau XLy einen
Hebensftil mit, her fid) rom ÄimfHerifcben nid>t
weit entfernte. Eine alte rheinifd?e iraubenhoferin
hatte vor hem hamaligen Sr<Umgam fchon hen
Par3enfinger erhoben: „TOo herfe ©e bann fo e
fei iDam enuff uff he TPeflerwalb fchleppe bei hie
Äibbauern, wo (ich hie ©<£u um hie ©onn beiße!"
Unb hariit h<ttte fte recht. ÜDenn wer hen Säuern»
Mittel nicht an3iehf, höt unter Säuern einen fdnveren
©tanh; unh ^rau Hy liebte hie Äucffehr 3ur Hatur
nicht bis hahin, wo man fein Heimweh m hie
©churse fchneust unh hen ©uppenfroppen warm»
(teilt im ungemad)ten Sett. VDie fte tapfer gegen
hen ©d)lo(fer f impfte, her es als eine Seleihigung
gegen gan3 ^eutjenroth anfah/ haß fle ein ©chloß
angebracht höben wollte, um nachts hie ^atisture
3U verfchließen, fo mt'eb (le auch has CSefeUfchafts»
leben, has harin beftanh, haß hie „iDamen" mit
breitem Sucfel, auf hen Ellenbogen liegenh unh
hen iDecfelfrug vor (ich, in tabafsqualmerfulltem
143
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tt?irre 3 immer neben ben tH^nnern um ben langen
ungebecBten ^Etfd? herum faßen unb aus t>er*
fchmierten TPachstucbbuchlein Jß-ieber grohlrm
ober in heftiger <£>aueblufe auf ben Äegelfchub
jogen.
5u einem förmlichen Sollwert gegen bie T>er<
bauerung aber gefaltete fte ihren eigenen <bauebalr,
in bem bie auf bae ßoffelchen, mit bem man ben
SucFer umruhrt, unb ben feibig burchfehienenen
ßampenfehirm jeber (B»egenfBanb ein ÄunfBwerB
war, fo baß ber <$>err (Dberlanbeegerichteprdftbent,
ale er auf ber Äeoiftonereife feine Aufwartung
machte, nicht erftaunter h<hte im Türrahmen flehen
bleiben Bonnen, ale wenn er in einen gezauberten
Serg geraten wehe, Selbfl ber gluhenbe ^elb=
mohn, ber in feiner ÄrifBaUBugel mit ftchfbaren
©fielen immer auf bem fßßtif che flanb, war ihr '
manchmal uerleibet, weil ee eben AcBerblumen
waren unb Beine Äofen. Schließlich pßanjte fte
3 war all bie eblen Sorten: bie lachefarbene tTJa=
bame Abel Cbutenet, rofa umfdumre weiße Sour=
bonrofen, bie fafrangolbne tTJabameÄaoary; aber
nur fTCabame HrufchBy, bie SchneeBonigin, Bam
auf in bem fchlagenben tüinb unb Äegengepeitfch-
XDie ihre Äofenbeete inmitten ber ÄubemücBer
ber (BemarBung unb ber Oraeghten bee 3Dorf=
beringe, bmttr beren ßattemaun Sonntage bie
Äuhe weibeten, fianb fte felbft unter ber HZin-
J44
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i
wohnerfchaft. Wan Bann es einem ÄofenjBrauch
nicht gleich anfehen, wenn er nicht Brdfrig Wursel
gefchlagen hat im iErbreid). 3m erffcn 3<*ht borrt
eine Änofpe unb im 3 weiten 3<tht eine. t>erein$el=
rer werben bie Äofen unb faft 3 U fd?wer für ben
matten ©fiel. Unfruchtbare WafTerfchüffe treiben
hoch unb bie 2lugenreben bleiben 3 urücB. Hur ber
(Bärtner jteht, baß er nid>t w£chjl, fonbern rege«
tiert.
0o war auch ^rau £y an ber Wursel BranB.
tDie ©tille lajlete auf il>r mit bleiernem JDrucB, unb
bie ^infamBeit benahm ihr bie üebensluft. 0ie
war $u gefellig, als baß ihr ein Sud? ben Wen-
fchert erfe^te, unb ofme bie <25efellfchaft bes tTJdb*
chens graute fte ftch in ihrem eigenen *^aus. Allein
auf unbelebten Wegen $u ftreifen, w&re ihr er«
febienen wie ein ^all in ben Weltraum, unb wenn
jte mit i^rem Wanne hinauswanberte, ben fte mit
Seruf unb Äunjt teilen mußte, fo freute jte bes
feltenen Sejtises jtch fo unb^nbig, baß ihr vor
fragen unb 0agen unb ©icherleben 2luge unb
®hr festen für bie tlatur ringsum. “Vielleicht
war aud> geheime ££iferfu<ht im ©piele, weil fte
merBen mochte, wie er in jeber i£rfcheinung unter«
ging, gleich ovibifchen Götterlieblingen, bie jtch
verwanbeln in Saum unb ©traud). 5)a war er
ihr plötslid), obwohl fte bichr vor ihm flanb, auf
geheimnisvolle Weife entfehtvunben in ein Keich,
JO Stfrntifrg, T>on Srtutx jraufii flitö genannt J4S
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wohin |te nicht folgen konnte, und ße fab ßch ein»
fam, hilflos und grauend einem iDoppelwefen
gegenüber, das ihr eben traut und eben fremd fern
tonnte.
£>ann faß er da oben, wo fie ihm den fchonften
Äaum des Kaufes hergerichtet hätte, und ließ ihre
£and los; wußte nicht mehr, daß ße es war, die
ihm in das große dreiteilige ^enjler die ganse Hand»
fchaft gleichfam hereinholte; die ihn mit Äelim»
portieren und Polßertüren gegen jede Storung per»
fchanjte; und ihm die ££rde 3 ugelegt mit weichen
Teppichen, daß der ilaut feines eignen Schrittes
ihn nicht hindere, die Stimmen der Stille 3 U hören
und ihn 3 urucfriffe in die <2>afr l>er Umwelt aus
pißon^ren fernen. Und ihr VDirten und IDafein
erfchienen ihr ßnnlos. VUie haßte ße diefes weit»
abgefchiedene iDorf, wo einen feine tTJenfchenfeele
erreichen tonnte — diefes <baus, in dem ße pon
dem ewigen CEinßsen fror wie ein £Eis 3 apfen, ob»
wohl öie <bei 3 ung tt>£rme ßromre, daß die tX>4nde
pon Sprüngen 3 erriffen.
Sie übernachteten einmal in einem <25ebirgs=
hof pi 3 , das pon Eisbergen um 3 acft, drei Viertel
des 3ahres in Schnee gepaeft liegt bis unter das
2>ach, daß fein ^ohfeuer die &<$lte aus den Stein»
mauern treibt, und die Reifenden, in wollene 3Decfen
gehüllt, froßelnd im 23 ette liegen wie in (ßlerfcher»
fpalten — da hatte er wenigßens die <oand auf
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ihren Rüden gelegt, bie Warme, warme <J>anb, bte
jle nod? immer in (öebanfen bafür fufjte.
©ie lachte nicht mehr . . .
2lber eines lEages Üam (Ie mit einem iEntfchlufie
beim . . .
2ln ben ©chollen(lol 3 ber &orfgemeinfthaft wagt
fo leicht niemanb $u rubren. tt>er baju gebort, muß
tun, als ob ber (Drt, an ben er juf&Uig uerfd? lagen
iji, ber lieblichfie ^lecf ber £rbe für ibn fei. £>a=
rum batte ,$rau Hy geglaubt, ba(j fie mit ihrem
©d>id?fal allein (lebe. 2 lls (Ie aber eines ©onn-
tags ber ^rau ihres 23ürot>or(lebers, ber bas er(le
Rinbeben geworben war, einen ITrauerbefud? ab=
(lattete, ba horte fie ben ©d?rei ber f£infam£eit,
ben fie felbfl im tieffien <berjen rerfchloffen, aus=
brechen in lauter De^weiflung, unb (Ie mufjte ben
©d>leier auf bie ©tirne febieben unb weinenb auf
bas feine öatifltafchentucb beiden, w^brenb bie
fd?war 3 gefleibete tTlutter in Cobesbldflfe uor (Ich
bin wimmerte über bie langen 2lbenbe, bie nun
wieberf ehren würben; bie VDintermonate, ba man
(Ich morgens frage, warum man (Id? uom Hager
erbebe; über bie f£reignislo(igfeit unb la(ienbe
©rille (Id? ewig gleichbleibenber läge, ba man
(eben Regentropfen boren muß, beraufbas^en(Ier»
blech f<Ult, unb allein fei mit ber nagenben tttaus
im buntlen tTeben 3 immer, ben Räu 3 en auf bem
abge(iorbenen 23aum unb bem b*ul*nben flacht*
10 * J47
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wtnb. SDenn mit 6cm Äinbe fei ihr alles fort-
genommen, was fle habe, unb hinter 6en tleinen
,$enßern tonne fle je^t triebe r fttjen an ber menfchen» -
leeren Strafe, trie inmitten einer flucht non <25e»
f<5ngni0jeUen, in benen alle frier fchlafenb b»n*
bdmmern unb feufsen — allein unb tinberloe.
„Allein unb tinberlos!" Wir bicfgefchwoUenen
2lugen faß ^rau Hy am 2lbenbtifche ror ben fralb
jugejogenen 0actleinenrorb<£ngen, in beren n4cb ;
tigern 0palt bae (Cbrißuebaupt bes jerßießenben
Wonbes über ih* fcbwamm.
„Warum fraft bu geweintV"
0ie legte fanfc bie <J>anb auf feine &anb unb
fragte, ob ee ifrn ßore, trenn ße £enji Prigge unb
bie kleine einmal einlabe V
„2?ann laffe id> auch ^ans mitfommen . . . 3cfc
febne mid) nach einem Wenfchen!"
„fEinß baß bu gefagt, ich fei beine Heimat,"
unb bas Äinn jucfte ibr.
„5)u braucbß ein weibliches Wefen, unb ein
Wann braucht jutreilen einen Wann . . . Wir
beibe ßnb basfelbe . . . Wir erweitern uns
nicht-"
„3ß non beinen lebten Werten nicht eins fchoner
unb bebeutenber geworben als bas anbereV"
2lber er fchöttelte heftig ben Äopf unb rer»
wunßhte ben (Drt als eine Wuße, beren lEobes»
ßiüe alle 0timmen bes 3nnern jum Perßummen
J4«
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bringe; unb auch bae gähnenbe tTIenfcbenvolt utw
her mit jenem (Bang wie feine 2\ühe, bas ben 23eflen
fchließlid? tnube unb fchläfrig g ähne. <Dft fehle
ihm fchon ber 3Drang, bas 25ilb aue bem 3 locfe
$u hauen, bae bie ©eherfhmbe ihm aufgebecft, unb
bie ££rfcheinungen verblaßten, ÖJine tttafcbine aber,
bie nicht in lätigfeit gehalten werbe, muffe enblicb
einroflen. Unb wie biefee erlebnielofe 3Dafein <Duel=
len in ihm wecfen folle! 2tud> feinen ©tanb ver=
wunfchte er, ber $ur ££ile brängenb hinter feinen
©chaffenejhmben flehe unb ihm immer nur ein un=
gefähree Silb ber T>ifton aufe Slatt ju werfen er-
laube, bae ber ©chärfe ber X>ollenbung entbehre;
unb ber in ber emflgflen Seit, jwifchen ^aben unb
,$aben immer unb immer wieber in bie Iure träte
unb bae jarte VDeb jerreiße, wie wenn man einer
©pinne bae Vlet$ fo lange jerflore, bie fle nicht
mehr fähig fei r fleh neue ^äben aue bem Heibe ju
jieben.
3Da hielt ihn ^rau in bem flurmifchen 2fuf= unb
2f bgehen an, inbem fle ben 2trm in feinen 2frm fchob,
unb erinnerte ihn baran, wie ihn tTJänner ber
(Broßjlabt glucf lieh gepriefen, baß er nicht im engen
Sitfel von Literaten lebe, fonbern im (öanjen ber
wirfenbeit YDelt.
„TUae in aller Weit aber habe ich von folchen
C£feln, bie meinen, baß fle bochgeiflig mit mir reben
mußten, unb ftch fchließlich felbfl für ©ch&pfer
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kalten, Me nur nickt trie Mefer , 5 aulenjer‘ (Boetke
Me Seit haben, jeben üfinfall nieberjufckreiben!
(Beb mir mit tTJdnnern bes lalars unk 6er (Be*
fckiftigfeit!"
0ic fragte ihn, ob er glaube, baß fte einen lag
langer hier bliebe, t»o fle nickt begraben fein muckte,
trenn fte nickt gefunben ketten, hier fei fein <£le=
ment — trog allebem.
„tt>enn nur nickt jebe Äealit£t auf biefem leeren
0ckauplag fick riefenkuft t>or einen fieüte; jebes
(Ber^ufck in biefer (BrabesjWle ben ganjen Welt*
raum erfüllte! <J>abe ick hier je etwas empfangend
'jknmer abwebren unb abwebren unb bie 2lrme
flemmen gegen JDinge, bie mick nickte angeken unb
mick erbruefen!"
0ie 30g ikm bie ^anb, bie er ror bie 0rime
fcklug, rom (Bejickt unb 3wang ikn, fte an$u<
(eben.
„Unb ickd 3 Die mit ausgefpannten Firmen t>or
beiner Iure tUackt k&t unb bir Ä<ümpfe erfparr,
bie fonji ber ritterlicke (Batte für feine ÜDame ftckt!
tTJockteji bu einmal einen lag bie ittyrmibonen ab*
webeend 3ck übernehme gern bas dickten!"
3 Da mußten jie beibe l^ckeln, unb fte fegte ibm
bie Vorteile ihres juruefgejogenen ÜDafeins in ein
freunblickes £ickt; bewies ibm — immer mit ffcrei*
ckclnben <J><Snben — wie oft feine 0 ckw< 5 ne fckon
iEnten gewefen, unb nannte i kn ityr 2Mnb, bas fle
J 5 o
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noch immer mehr beh&ten unb betreuen möffe.
flur unter tTJenfchen muflfe er mehr.
freilich fein alter 3ugenbfreunb 4>ane Prigge,
ber bem tDeflerwalb bie fchieferbefleibeten, f&uber«
liehen 25al>nböfe mit tiefherabreicbenben ÜDadv-
helmen unb grunbemalten £<Üben t?erfd>afft batte,
bampfte wie gewöhnlich auf iDienflreifen im ilanbc
umher; unb £en 3 i tarn mit bem kleinen blonben
£od?en£opf allein, ^rau Zy, enblid) wiebe r einmal
in guter (Befellfchaft, war burchrotet wie ein &ofen«
blatt, unb 3lelein auf bem Schofj unb bie ^reunbin
auf bem Sofa neben ftch, lub fle alle im füllen auf
gehäuften ^ausfrauenforgen unb ben gan$en Berg
ihrer tragifomifchen Erfahrungen aus bem Zanö-
leben t>or bem uerfiehenben Äulturmenfchen erlojl
oon fleh ab. TPas bie Stabt automatifch t>erab=
reidyt, flnb hkr nämlich ^etneleutepofTe«, unb nur
mk bem grofj ten Energieaufwanb l <£fjt fleh burd>=
fetsen, baf? ber B<£cferburfcbe bie Brötchen im
Beutel bringt unb nicht in ben <£>ofentafchen. Be=
banfen mufj man fleh, wenn fle einem überhaupt
was bringen. B<£d?er, Barbiere unb tPirte gibt es
nicht. Sonbern bas eine ifl 4 err Hommerich, ber
aus (Befülligfeit auch femanb ein Brot uberldfjt;
bas anbere ifl <5>err Äolwinger, ber aus ,$minb«
lichfeit auch <oaare fchneibet; unb ber britte <£>err
<5>oljappel, ber auch einmal als (Saflwirt aufwartet,
fofern er nicht gerabe 2Mee hdmjuholen hat- Vt>ar»
151
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um nicht! Seainte unb Ähnliches X>olf jlnb ja nur
hergelaufene ^ungerleiber gegen ben Säuern, unb
wenn er auch nur fo t»iel(Brunb unb Soben beftQt,
wie ££rbe in einen Slumenropf gehr.
Unb bie iDamen tarnen auf T>oltswirtjchaft unb
Äunft unb (Batten unb Äinb; unb 3 lslein rutfehte
non bem Schof herunter unb fielite jtch ror bie
funtelÄugige Stau SLy , bie jtch ihre italienifche
Äeijebecte ans terrafottafarbener Seibe umge=
fchlagen hatte, unb jagte: „£anti, weift bu, hier
tjl’s wie im Himmelreich unb bu bijt bie ^rau
Königin!" (Dnfel Sortenhagen aber, obwohl er
jtch felbji (Beneralpermef erteilt hatte, in feiner
Älaufe 3U bleiben, tonnte bem ungewohnten 2Uang
ber tTJenjchenfh'mmen im Haufe nicht wiberjlehen
unb tarn herunter; unb er mufte mit ^ftelein um
bie tUette laufen, über bie (BrÄben fpringen, unb
bas febnige JDing fchof wie ein tüinbjpiel auf*bie
liefen uoraus unb 3urücf, mit hoch aufgeworfenen
Äocfchen. ££r machte ihr aus tUohntnofpen rot*
roefige tTJefbiener im (Barten, w^hrenb ihnen ber
5rofch auf bem Äanb ber Äegenbutte 3ufchaute
unb Schmetterlinge jtch an bie Hauswanb festen,
wanb ihr rofane tUicfen ins Haar, lief ihr ben
(Duecfjtlberrropfeit aus bem !Rapu3inertrejfenblatt
in bas gehöhlte H^nbchen rollen, unb bas balloenbe
2 )ing mufte bie flaturwunber gleich iTJutti unb
lEanri rorfuhren, unb es war ein 3«bel im Haus,
J 5 2
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als wenn bie Heinzelmännchen aus allen $£d?en
heroorfchlupften unb auf Creppen unb (Eifchen
turnten unb Polta tan 3 ten.
Aber auch bie Hanbfchaft entzauberte jtch, wenn
23ortenhagens (Sdjte Ratten. 5?ann erfdn'en ihnen
bte ganze (Segenb wie ihr eigner Part, bejfen 23ejuz
ihnen an ber Seite bes mitgenießenben tTJenfchen
ein grenzenlofes Äeichtumsgeftthl zutrug. Unb Frau
£enzi mußte bie tödliche Iluft probieren unb fagen,
ob jte nicht wie ein irunt aue 23ergqueüen fehmeef e;
fle mußte uor ben wilbgeformten Apfelbäumen
jlehenbleiben unb beipflichten, baß jeber feinen per-
sönlichen Cbarafter habe, wie ein Ülenfd?; jte muß te
fleh an ben&leeblattfchnttenbertPafferfpinnenim
iichrbraunen Sache mitentzücten; mußte heutigen,
baß man auf biefer welligen Hochebene mit ihren
tTJulbenfchatten unb bleich fleh in bie Ferne wie»
genben ^ugelfetten wie entforpert über ber f£rbe
fchwebe; unb muße bie ^arbenfreubigfeit ber UDelt
mitentbeefen an biefen 3Dorflein mit ihren roten
Scheunentoren, fchwar 3 unb weiß gefelberten (Sie»
beln, ihren bunten H<$h nen, golbenen 3Dunghaufen
unb bis auf bie CErbe reichenben Hloosbächern —
non lEannenpinfeln überragt . . .
Als es an bie Abreife ging, flammerte fleh hie
Äleine an beibe grauen an unb fchluchjte bitterlich.
„3hr lieben Frauenzimmer, ihr 3 wei lieben Flauen»
Zimmer," fchluchste jte immerfort unb beruhigte
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f!<b «ft, als ihr ber d>n£el einen moojlgen &ofett=
gaüapfel brachte, ber, unter 600 Kiffen ihres 23ert-
ebene gelegt, fte nach ibeutjenroth $urücf$aubern
follte. '
Kinber wiffen um bas tttuttertum im TDeibe;
unb ^rau Üy |>dtte am liebjten geweint, als bie
fleinen Ärmchen fte jum 2tbfct>teb umbaljten. 2tls
ber ÜfUttebnmmer bes öimmelbähncbens hinter
bem (Tonfelbeinfcbnitt uerflang, fiel ein grauer
©dreier über bie tDelr, unb nur bie träumenbe
Erinnerung Üehrte mit bem febweigenben tTJen»
fcfoenpaarejurüd? in bas jtillgeworbene 4>aue. Hange
Seit oerweilte fte bei ihnen, wieberbolte ihnen abenbs
bei ber Hampe liebe tDorte unb ließ (Bejtalten ein,
bie als ^ausgdfte mit ihnen beratfcblagenb unb
plaubernb 3ufammenfaßen. 3Das tPicbtigjte aber
war, baß fte eines (Tages (Dtto Kortenhagen ein
f^eftmit unbefebriebenen 2M<£tternauf bem 0cbreib»
tifebe auf feblug, bas ftcb allnnüblicb anfmg ju füllen;
unb er muß te es oft in fpdter £7ad>t, wenn er trot?
feines leifen (Trittes ^rau Hy beim Subettegehen
aus bem ©cblafe gewec£t batte, noeb berüberholen
unb oorlefen, was er ben (Tag über barangefebrieben;
unb oftmals fcblief bie warmwangige ^rau mit
bem <£>eff nm ^>erjen ein, l<$cbelnb, als wenn fte ein
Kinb im 2lrme hielte. J>as bauerte fo lange, als
bie Erinnerung ben 3D<$mmerfd>ein $u perbreiten
imjtanbe war, ber bie Nufere Welt umnebelt unb
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aus bem Wenfcheninnem eine anbee emporbebt.
2lber bie beiben Welten impfen ewig miteinanber;
unb juletjt brurft | 1 ch immer wieber bas ( 5 c|tcbt
ber Wirtlichkeit an bie Scheiben, unb ber Cräumer
muß aufmachen unb blief t wieber in bie alte Welt.
SDann kamen bie einförmigen Cage wieber mit
ihrem ewigen Slueblicf auf bie einfamen, menf ehern
leeren ^idchen, in bie nicht einmal ber Wedjfel ber
3abreö$eiten einen Unterfchieb bringt, nur baß bie
<5>afen Sommere im Staub unb Wintere im
Sch»'« ber Hanbfhraße fttjen; ee kamen bie
langen, einfamen Wochen, in benen man faß bae
Sprechen »erlernt, baßeeiDtto Sortenhagen fchien,
ale wenn er ßch im piaiboyer jebeemal bie Sprache
neu erzeugen mfiffe; unb manchmal wenn er 3 U
<oaufe laut für jid) hmfptach, »erßummte er mitten
in feiner Äebe vor bem geheimnisvollen 2 Mang
biefer frembartigen Haute. 2Ulee würbe ein Schreck*
nie. Wie ^rau Hy ewig von irgenbeinem (25er<üufch
ber ftopf in bie <£>ohe fuhr, ft* te, baß ein Haben
im Winb geigte ober ein 23ahn3ug fern burch bie
nacht 30 g, fo warb er, wenn er mit bem Äucfen
gegen bae bunfle ^enßer lefenb auf ber Chuifelongue
lag, plötzlich grauenvoll jich bewußt, baß er, nur
burch bie Scheibe getrennt, in ben fchwar 3 en Welt*
raum uberhing, ber abgrunbtief hinter ihm gähnte.
3Die angelehnte Cur bee neben 3 immere beunruhigte
ihn, ale fchaue ein (&efid)t burch bie bunCle (Öffnung
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ihres Spaltes. Wenn ein ,$ubrwerf abenbs mit
weither (leitbarer ^Latente bie Strafe beranfam,
fo fab er (Eleifter Äucfen an Äucfen bem fcblafenben
Fuhrmann auf bem Wagen jitsen, im iDorf fid? eins
nad) bem anbern oerabfebieben unb in bie <5)<Uifer
fdbleicben. 3Die &<iu 3 e ums <5>aus, beren gewohnter
&uf ihm anfangs wie eine 2 tbenbglod?e flang; ein
m<£benber Sauer, beffen Senfe nod) in ber ÜDunÜeb
beit räufelte, jagten ihm Schauer über ben Äucfen.
Allein — in £otenfiille unb ££infamfeir oerwanbelt
fld? biefTatur aud? am bellicbten £ag. £)ie men fd?en>
leere Strafe empfingt auf einmal lebenbige Wefen»
beit; gehörnte lEeufelsmasfen febauen über ben
Serg; frieebenbe Wolfen ffoÜuben geflammte
Äucf enf 4mme auf; ber Walb bot 2lugen ; ber Winb
einen bdmonifeben Willen; fenf recht fliegenbe
tTl^nner laffen jtcb im Äegengrau b^ngenb auf bie
Ütvbe berab; bie Sterne 3 ieben jtcb näher unb n<£ber
über bem <J>oupt bes bilflofen tttenfe ben wie ein
SDornengefcbling 3 ufammen; gefangen unter ber
lierwilbbeit ihn umfcbleicbenber Elemente, (lebt
er bem Wabnjmn nabe, in einem unbefannten Äeid?.
(Dtto Sorfenbagen febrie nachte im Scblaf, baf
ihm ^rau SLy entfett ben tTJunb jubielt unb ibn
rüttelte, bis er fd?weifjgebabet aus bem 2 lngf träum
erwachte ...
Sie febief te ihn felbff, obwohl ihr t>or bem Allein»
fein graute, 3 U feinem ^reunbe <*ans, baf er mal
J5«
herausfcdme aus biefem »erheben trieft unb was
anberes f &be. ^ans Prigge ^attc fchon lange ge*
fchrieben, baß bas ^remben 3 immer, bas er 3 um
flänbigen 2lb|ieigequarcier für ihn eingerichtet bube,
auf ibn warte. „2lm liebten fchenfre ich bir tin
CEifenbabnerbillet, (Dtto," fchrieb er. „3n jeben
3ug fpringen, ben bu grabe rauchen flebjl, unb in
Paris erwachen ober in Petersburg ober was weiß
ich! . . . bereit fein ifi alles . . . 5Das f£ifenbabner=
billet."
C£ s traf fleh, baß er ©trobwitwer war, als (Dtto
unangemelbeterfchien; unb feltfamerweifebebauerte
bies Üeiner ber beiben Feeunbe, fonbern fle idchelten
beibe barüber, baß fi'e wie 3 wei 3unggefellen fleh
allein im <2>aufe gegenuberjlanben. „23cjftmme, was
bu tviHfl, " fagte <2>ans, „ich binganj bein ©chatten . . .
ich bin nur bein ©chatten."
Unb fle fchlenberten burch bie ©traßen ber <25roß=
flabt wie $wei Prooinjler, ber ^err Äegierungsrat
unb ber ^err tTotar, unb (Dtto Borfenhagen be=
fam 2lugen wie ein 2>ub in ber tTJenagerie unb
freute fleh über bie Slutobupen unb bie Äutfcher^
fluche, über bie Firmennamen unb ben ©traßem
jlaub, über bie 23lumenb£nbler an ben £cfen unb
ben ©chuQmann im Perfebrsgewubh über bie
teerenben2lfphaltarbeiter jwifchen ben<Bleifen, über
bie gelbe Pofltram unb bie Seitungsausrufer, über
bie fallen bogenfloße, bie er befam, bas JDrahtne^
J 57
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$u ihren hupten, 6»c ©ticBluft im <£af6 unb bie
ftlbernen ÄellnerBnopfe, über bas fd?lechte Äefiau*
rationsefien, über (Betut unb ohren$erreijjenbes < 5e>
raffel, SenjingejtanB, wabnftnnige ©chaufenjier^
reBlame unb {eben Gebrauch feiner ausgehungerten
©inne. ©ie liefen jtd? burch bas flutenbe iTJenfchen*
gebr<ünge treiben, gefchoben non bem bichteften <25e»
wimmel, unb wenn 4><m s l<£c^>elnb non Seit ju Seit
„Hun, SÄuerlein?" fagte, fo antwortete (Dtto:
„2tch, tTJenfchen! tTJenfchen!" Unb bas war ihre
gan 3 e Unterhaltung, ©ie blieben nor ben Zbtatet-
B<£fien {iehen, nor ben SeitungsBiosBen, nor ben Hit*
fafjfüulen unb ben Ät'noeingdngen mit ihren giftigen
Hichtern.
„tUollen wir hinein, <5>ansV" . . . „3ch bin gan 3
bein ©chatten, (btto." £ s war noch Seit, (tch’s
ju überlegen . . . 3Doch fte überlegten gar nichts,
fonbern oergafjen bas Theater unb Äabaret, X>or*
träge, Äonjert unb SirBus unb {ianben auf einmal
wieber nor ber ^austüre unb gingen befriebigt
hinauf, ©ie nolten in allen Simmern herum; <J>ans
tifchte Ztt auf unb HuBwafaft, (Duittenpafien,
2tnchonisbrotchen unb Ärachmanbeln; unb jte afjen
Äraut unb Äüben burcheinanber; fanben bann,
bafj fle bie tUanbbilber umhängen müßten; fiellten
barnach ben tanjenben ^aun nom ©chranB auf ben
©chreibtifch unb ben bronjenen ^ifchjug nom
©chreibtifch auf ben ©chranB unb festen {Ich in
J58
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einiget Entfernung auf tue ©ejfel, um ihre (Brup>
pierungsfunjle ju begutachten, bis 4>ane fchliefjlich
fingerfchnahenb auffianb unb jenes mojige (Bewdchs
herbeibrachte, bas ^Islein feit ihrem Befuche in
i^eucjenroth immer unter bem Äopffcffen liegen
haben mußte. „Äennß bu bas nochV" Unb er
jted?re es bem Befuche 3 U Ehren l<£<helnb ber ^ejre
in bie <oanb, bie auf bem ^lammenbunbel ritt, bem
Beleuchtungskörper, ber über ihnen fdjwebte . . .
,,3d) hübe auch was nom Wefterwalbe mitge«
bracht."
2Da gab 4>an s feinem ^reunbe fchweigenb bie
• 4 >anb, jhrecfte ftch 3 um <5>oren auf bie£huifelongue;
unb ber -(Dichter las fein neues Wer?. Ein japa»
nifcher Lampion brannte hinter ihm wie ein roter
tTJonb, unb er las perlegen unb fcheu über bie erjle
Preisgabe feines innerßen 3chs unb ?ur 3 atmig por
Bewegtheit, nur pon träumerifchen Ausrufen bes
Ent 3 ucfens unterbrochen, bie ber Suhorenbe, bie
^>anb auf ben 2tugen, pon Seit 3 U Seit ba 3 wij'chen
warf. (Bleich am Anfänge fchon rief er: „<D, biefes
Bilb, wie bie ©onnenfcheibe blutrot in ben weiten
Birnbaum ftn?t! 3Du bifl ein 3apaner, (Dtto, bu
biß ein 3apaner!" nach einer Weile ßrecfte er,
ohne bie 2 lugen 3 U offnen, bie <b<$nbe über jtch:
„2Diefe Weite, (Dtto! nein, biefe Weite! . . . 3<^
fchwebe im iuftfchiff . . . iDurchßchtige ©chleier
pon Iannenfchui?gehegen auf ben <bohen, non bem
roten 23anb ber tfceibenroscbenblutc burcbfloch
ten! . . . 2)er bunfle Nahmen ber ,$riebhofe, mitten
auf fable £riefcblanbfcbr<!lgen gelegt! . . . 3E>ie ge^
wunbene lalfhraße wie ein ftlberner ^luf, auf ben
bie tTJdrcbenburgen ber tt>4lber herabfebauen, bie
in bie gUüferne^ügelfette ber ,$erne hinein, weit...
weit . . ." Unb immer öfter famen bie Ausrufe.
„<D, bas lies noch einmal!"
w @o aber jmingt bie Hatur jur VPahrhaftigfeit.
tTie täufebt jte bicb mit unterbaltenbem lanb über
bicb hinweg, wie bid) bie (Sroßfiabtftraße mit bem
fcbwinbelnb t>or bir abrollenben ^ilm ihrer Hieb 1 i
tigfeiten oon bir binwegjiebt, ohne baß bu in bem
^arbentanj ber (DberfUcbe inne wirft, welche leere
<£>ulle bu bift. 2lber gebe einen £ag über VPeßer
wdlber Deibel ©ie unterhalt bicb nicht, wenn bu
bicb nicht felbjt unterhalten fannft. ^>ie r gibt ee
nichts $u gaffen, weil ein ©ebutjmann einen Gabler
auffebreibt ober ber ©ebneiberin im vierten ©torf
ber Äanarienuogel aufs iDad? geflogen ifi. <5>ier
mußt bu bicb langweilen, wenn bu nichts mitbringß-
<£>ier febreit fle bir gellenb in bie ©eele hinein: <^ol?l
biftbu! 3Daß bu emporfdbrft unb an bir leibeft unb
bicb berumf<bl£gft mit allen (Gewalten, bis bu lebfl,
lebft, wahrhaft erlebft, was an ÜDir t>oruber$iebt*
„(Dtto, jieb bu hierher unb laß mich nach <beut 3 en=
roth jiehen!" ©o ging es fort; unb als ber Vw-
lefenbe nach bem leisten Äapitel, heifer unb er=
Wo )
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fchopft, bae <J>eft jutlappte, fprang *J>ane auf,
faßt* ib n um 6 ie Schulter, nannte ibn 23 abn«
brecher unb rief ein über 6ae anbere tTJal uolfer
fErfiaunen au6, waa er allea feinem £>orfe r»erban£e.
r brticfte ibm fein liebfieö japanifcbea Äeiapapier«
aquarell, auf bem ein blübenber&irfcbjweig in ben
tTJonb bineinragr, in bie <£>anb ; legte feine liebjle £ee=
taffe ba3U, auf bereu eierfcbalenbunnem Porjellan
ein meiner Leiber im Hebel träumt; ja baa irbenc
0enftopfchen, baa gerabe auf bem £if<he jlanb,
unb ibn am liebten mit allem belaben, waa
er ringaumber greifen fonnte. „betrachte ale
bein, (Dtto! betrachte biea ala bein <oaue!"
Hoch burcb bie gefchlojfene 0chlaf3immertur
rief er bem ^reunbe ju, bafj gleich ben ndcbjien
tTJorgen 0 chritte getan werben follten, um baa
neue (Beijleaftnb biuaua in bie TDelt 3U fenben . , .
'Jeben neuen Cag brdngte ^>ana feinen ^reunb
ju ben uerlocfenbjlen < 25 rofjftabtgenufTen, inbem er
fchon beim ^rubf^ucf bie ganje Jlijle ber Per«
gnugungen aue ber Seirung b^runterfragte. 2lber
biefer gelangte 3U ber Uberseugung, bafj baa (0e«
fubl, jtQt allea haben ju fonnen, fcbon <B»enufj
genug fei, unb fchliefjlich warfen fie baa 23 latt bei«
feite unb waren jtch baruber einig, bafj bie Seitungen
nichta ala Unglucf in bie TDelt gebracht bitten;
Eingebung unb (Blaube fei allea, unb nicbta baa
TDiffen, wie ber <£>elb bea neuen Äomana ea richtig
II Qttruberg, Uon Swuö* 5t\iu«n fint> gtimnnr m
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auofprecbe. ©o tarnen fte unnermerft wiefeer auf
feen Wefferwalfe . . .
„Sage mir, (Dtto, trae war feae erffe, wae feir
feie 2tugen für feae ©d>one geöffnet featV"
„IDae ifi ein merfwurfeiger (Begenffanfe. 3Du
fennfi oielleicbt feie bobmifcben (Blaotiere, wie fte feie
Jtanfegdnger oor langen n in feen TPeflerwalfe
brachten. 2Du mufjt nid?t an feen gelb unfe blau ge=
fprenfelten (Blaofyrup feenfen, au© feem feie tTJura=
nefen in (Gegenwart feer ^remfeen fcbttell nier 23eine,
0d)wan$ unfe <£>unfeefopf mit feer Pipette ^eraue ;
$upfen. £0 waren feuftige tt>efen: feuerbraune
ieufeld>en unfe weife £ferifibaumengel, rote unfe
weiße <J>irfcbe, fo fcblanf unfe $art, baß feu ^urd?t
feattejl, fte anjufaffen. ©olcbeitt milchweißer <^irfcb,
feer auf wafferbellem Äafemen t>on (Blaoffcibcbcn
fpajieren ging, ftanfe in feem öauernbaufe, in feem
id> ale ^unge oft bei meinem (Broßuater ju 23efud>e
war. CTaturlüb wußte id> feamale nicht, baß ich
ivegen fee© feinen, bockbeinigen <Befd>opfe0 auf feem
cf bretteben fo gern jum (Broßrater ging. 3Da$u*
mal faufte mir meine ITJutter noch, weil i<b fo
fd>nell auffeboß, feie 2lnjuge immer ju groß, fo baß
ic b erfl allmdblid) in meine Äleifeer bineinwuebß-
f5o gebt ee uns fa mit allen SDingen; fo ging’0 mir
auch mit feem^irfeben. 2Ü0 icb ib” l^rtgff uergeffen ju
haben meinte, wanfeelte er plotjlicb in monfefd?ein=
febimnternfeen Tt><Ubern geifferbaft nor mir l>ev,
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unb id? fab wieber bie roten Äaftanien am 2 >orf=
bacb, ber fo niebrig war, baf bie ^ubner im grae»
burd?wacbfenen tUaffer ^erumfpajierten, wie fonfl
nur bie £ 6 nten tun; ich fab wiebe r (Brofoutere
alten Änecbt, ber mid? auf bem ^ranjofengaul
mit ber roten ^alfterquafle reiten lief unb aud? im
Sommer ben wollenen „Pallentien" bid? um ben
<oals gefcblungen trug; fab bie tt>ed?bobben unb
tPecfbufen in ber ^enjterauelage be© ÖÄcPere; fab
bie ©cbnitjelbarre in bem Sd^Iafjimmer, in bem
mein 2 3ett (lanb; ben ÄdfefdfTg über bem (Bie bei*
fenfler, ben icb immer für ein Pogelbauer gebulten
butte; b^te bie < 5 >ammelm<!Ui 0 cben wieber in ber
tDanb unb febmeefte bue gun 3 e iDorf, bue fo feit«
fam nach tUalberbe, ^oljPoblenbrunb unb tTJilcb«
febweijern rieebt . . . 3 d? weif nicht, wo bae 31 er«
liebe VUefen bingeraten ifl . . . ich bube ibn nirgenbö
wiebergefunben, obwohl icb ihm jubrelung nach*
gewanbert bin unb immer noch, wenn icb in ein
£auernbuu 9 tomme, nueb meinem tTJ^rcbenbirfcb
fabnbe ..."
„itaf ibn! 3 cb bube ibn in beinern 23u<b mit
bleichem (Beweib uoruberfebreiten feben. 3Du bujl
ibn, d>tto, bu bufi ibn . . . Unb icb febe uueb febon
feinen Hacbfolger auftaueben, ben bu nicht wahr
nimm)!, weil er noch luftbell in Äuft ror bir fleht,
weil er bir noch $u nabe ijl, weil bu noch nicht in
beine neue IMeibung bineingewaebfen bifl, weil bie
»* 16 $
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umfcbuffenbetTJuchtbee Iruumee noch nicht walten
fann. ©oll id? bir fugen, wue bet neue auf feinem
Äucfen tr>if . . . C£in 2Mnb wirb auf bem weißen
<birfch babergerirten tommen — bae reine Äinb
ber tturur! Unb bu wirft e$ berunterbeben uni»
aufbeinem 2irm uns ©tabtmenfcben bringen, glaub
ee mir!"
2lber über (Dttoe (Beficht fiel ein ©chutten. fErnfi
fchöttelte er ben Äopf. „JDie Hutur ift fein Äinb...
Sie ift buntel unb gruufig . . . Unb Pielleicht flnb
beebulb bie Säuern bei uns fo fchweigfum unb
perfchloffen; wie bie Seeleute, bie immer bae
fürchterliche feben unb ben lob unb bie fEim
famfeit . . ."
„(Dtto, bu bift ein ©onntugsfinb; $u bir wirb
fle reben — fingen, (Dtto, fingen!"
„iDu weißt bae nicht . . . Sie ift ein fhimmer,
fieinerner Äiefe, mit bem man ringen muß — über
menfcblid? ..."
„So ringe mit bem Äiefen, (Dtto, bie er jumlMnbe
wirb, mit bem bu fpielen fannft. Äinge mit ibm!". . .
©o unterhielten fie fict> in biefen Etagen, in rer
einjelten (Befpr<!Uhen gleicbfam nur auerubenb pon
bem tätigeren ©cbweigen, bae jwifcben ihren br
freunbeten tTaturen tlingenbe f <iben fpann . . .
2tl© (Dtto Sortenbugen abreifte, butte er non ber
(öroßfiubt nicht Piel mehr gefeben, ulö ^ane Priggee
Pier tÜ4nbe.
m
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$rau Hy war gar nicht entjücft, baß er früher
befmCebrte, als fle ihn erwartet batte, ba fle be=
forgte, er b<*be bie erhoffte Befreiung oon öer
23urbe bes fcbwerblutigen ÖJinfleblerlebens nicht
gefunben. 2tber als er aUee berichtet b<*t«: wie bie
{Tage bingegangen, was <5>ans ju bem VUerJe ge=
fugt, bas jlcb f<bon auf ber Äetfe ins tTJ enfeben*
lanb befanb; unb als er noch taufenbmal mehr ge=
fragt worben war, als er beantworten Jonnte, lacbte
fle beKauf. bifl bu ja bie ganje Seit über im
VUeflerwalbe geblieben!!"
3Da würbe er jtcb befjen erjl bewußt unb erin=
nerte jicb, baß ber ^eutjenrotber Äofenapfel w<$b=
renb ber ganjen Seit wie ein Sauberjlab in ber
<5>anb ber reitenben <£>ej:e über ibm gefebwebt.
„Unb ba foll icb alfo auch bei ben 23auern
bleibend" — „VDeißt bu man fann in ber ©tabt
faum atmen . . . tHan erjücft . . . Hilft b<*ß bu
nur fyiet . . . nur blinjelnb fannjt bu bie 2lugen auf
machen uor ©anb unb ßecbenbem Seug . . . unb
beffcünbig meinjl bu, beine Hunge wirb febwarj,
wenn bu nicht bas Hafcbentucb beim 2ltmen uor
tTJunb unb tiafe b&tß. Unb ..."
„Unb besbulb foll ich b^bleibenV JDesbulb ganj
allein V Unb weil ich einen tTJann b<*be, ber bitr
©ebenes febaffen fann, nicbtV Unb weil ich all
bas Schone b»’*r mit ibm erlebt habe, m'cbtV Unb
weil ich ein großes Äinb b«be, neben bem ich nun
W
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einmal gar nichts anberes brauchen Hann . . . nid?t
©tabt unb Trubel unb Käufer unb tTJenfd>en ..."
Unb flc nahm feinen Äopf in beibe <5><lnbe,
fftreichelte, verfugte unb b^tfcbelte il?n:' „Unb ber
gan$e liebe Äopf mit allem, tpas barin ifl, tjl mein,
ganj allein mein! Unb Heiner braufjen abnt, tpae
ftd? in bem fufjen PerßecH unferer 2tbgefcbiebenbeit
alles perbirgt . . . 2tber fei fliU! 2)en &eiferan 3 en
beH ommjt bu an ben (Eürpfoflen gebangt, bamit
bu }eber$eit ju ^>ans Prigge flüchten HannjH auf bie
— tPejferrp&ber Deibel" . . .
fEr bitlt ßill wie ein (Dpferlamm unb fagte, fo
gut man mit gefehltem tTJunbe fprechm Hann:
„tllm . . . 2tb(lanb . . . mum, mm . . . pon ben
IDingen . . . mum, mm . . . fagt ^>ans Prigge ..."
166
I
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£>et Sritymefiet
Wenn man auf bem Kucten bee Kochueberges
fleht, 6er fld) ale leQter 2luel£ufer bee (Bebivgee
über Singen in 6ie fruchtbare Ebene uorfchiebt,
unb 6ie beüe offene Kheinlanbfd)aft uberfchaut,
6ie 6er fllberne ©trom mit feinen fdhiffoformigen
2tuen wie eine breite Hichtflraße beiter liefen
burchjieht/ fo buchte man nicht, baß unter bem
lachenben ©piegel bie Slfphobeloewiefen bee Zobee
liegen — wäre bie Erinnerung baran nicht burd)
eine ©anbfleintafel an ber Kapelle wachgehulten,
bie ftch mit weithin jlchtbarer HurmfpiQe über bem
bewalbeten Sergeeriegel erhebt.
Unb wenn bie Kirche bas irbifche Heben aud)
verwirft, fo gibt fie burd) t>iefe £afel, in weld)e
bie Hamen t>on achtjehn rerlorenen tTJenfchem
leben eingegraben flnb, hoch unwillkürlich }U er=
kennen, baß bas Überleben unferes göttlichen Teiles
noch nicht mit bem (Bvab in ben Wellen uerfohut
— mag ee immerhin in ber Tragik ber Welf be=
fchloffen fch einen, baß bie ^bee nur ftegt, inbem
ihr £r<£ger 3 ugrunbe geht.
,$reilid) w4re aber aud) mit ber Kettung unferer
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f$rperlichen Wefenbeit wenig gewonnen, wenn
fcamit nur unfere weltliche CSrfcbeinung au© Öen
fluten ge$ogen würbe unb bas CCwige nicht ebenfo
gut in bem Uberlebenben imflanbe wäre, feinen
Criumpb $u offenbaren über ben Cob — wie es
bei jenem tlnglucf ber ^all gewefen ift.
£Cs war am jweiten (Djlertage. Äbeinifche ©tu^
benten waren $ur „$eier ihres ©tiftungsfefies in
bem alten, fröhlichen Singen jufammengeftrömt,
unb bas Couleur beberrf d>te bie ganje, fich um bie
ftnjlere Surgmaffe berumlagernbe ©tabt, bie ihren
reichen ^laggenfcbmucf angelegt batte — bei ben
engen £äufer$eilen unb winfeligen (Bäjjchen ein
buntes, fejttich bewegtes Silb.
2lm Ufer bes fct>iffbelebten ©tromes unb auf
Weinbergs pfaben leuchteten bie farbigen Wutjen
auf. 3uge bicht befetjter Wagen fchlängelten fleh
bie ^abrwege $ur <£>obe bes Äochusberges, bes
©cbarlacbfcopfes unb- bes ©chlofbejirts hinan,
unb bie bärtigen alten <berrn mit bem ©turmer
auf bem grauen <£>aar fchojfen noch einmal in bie
Slute ber oerfloffenen Surfchenberrlichfeir, gleich
ben Pjtrjtchb^umen, beren roftge ©chleier wieber
über allen fangen fchwebten . . .
Wan batte einen ©alonbampfer gechartert, ber,
bewimpelt unb mit einer Äapelle an Sorb, bie
jlngenben Wufenfobne in (Befellfchaft ihrer J>amen
an ©anben unb Pappelauen ooruber führte, beren
16S
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btiftige Äuliffen im Sron3egolb bce errett (ßruncnö
crgl<ütt3ten.
Wenn man morgene vibcc Öen Waffern getagt
katre, fo tan3te man am tlacbmiftage — auf ber
fonnigen Surgterraffe broben, wo man weit über
bie wogige Serglanbfcbaft bes ^uneruefe hinüber
febaut — über Öen (ßipfeln, tief unter (td? bie
febimmernben ©cbleifen bee tTTabetals unb ben
füllen Äbein, auf bem bie ©<blepp3uge flein t?or=
iiber3ogen.
5 Dann fam in fefKicb erleuchtetem ©aale, t>on
beffen (ßalerien bie 2 Damenwelt 3 ufcbaute, ber große
Sommere, bem bie Chargierten in uollem Wicbo
probierten, mit feinen Crinffprucben, er brühe*
rungen unb ber unermublicben ©angeebegeijierung,
bie ein gleicbgejlimmter &reiö jugenblicber ^er3en
auolojf-
C£in ^aefebug, ber bem Äai entlang (teb mit
ber pbwantenben Äette feiner glubenben Hampione
pbantaflifcb in ben nichtigen fluten fpiegelte unb
bie gan3e i£inwobnerfcbaft bee ©t^btebeno an bie
^enjler lodte, befbloß bie bewerten Cage, bei
benen eine ^reube bie anbere abgelojl batte . . .
2 tla auf ben ©cblepp3Ügm, bie auf ber Singer
Äeebe t>or hinter lagen, Idngfl fein anberee Hiebt
mehr brannte, alo bie balbmajl gefegten ruhigen
riacbtfignale, begab (ub eine (ßruppe uon 3wan3ig
Perfonen, bie naebglubenben Silber warmen ££r=
• 169
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lebens in ber öruß unb fid? in froblid?er Unter«
haltung burd? bie JDunfelheir anrufenb, nad? bem
<?>afen, um (Id? auf bie anbere Ä^>cinfeire überfein
$u taffen, wo man nod? einen fpäten 5ug 3 U er=
reichen gebadete.
„£>er ©ang iß t>crfd?ol — len ... ber tUein iß
rer — raucht ..." fang ein etwas angeheiterter PbtlO :
löge in webmutigem 23aß hinter ben anbern ber.
3Der ©d?ijfer, beffen eigener flachen ju niebrig
geeicht war, fettete eigenmächtig einen größeren
fremben &al?n t>on ber Safe los, unb obwohl ihn
einer anfchrie, ob er aud? bas Sprichwort fenne
„tUer ben Äubesheimer oerfäumt, muß mit bem
Singer fahren" — wobei er allerbings poffenbaft
ben Ringer an bie fTafe legte — lachte bie jum
©d?er$en aufgelegte ©char (unb ber Schiffer mit
ihr) unb taßete ßd? forglos bie bunfte Hanbetreppc
hinab in ben umplätfcherten Äahn, ber unter ber
ßarfen Selaßtmg f ogieich bis an bie ££id>e einfanf.
„£>er ^ruhmeffer hat um ßeben Uhr morgens
^eierabenb . . . tUarum gehen wir fd?onV" pro«
jeßte ber Philologe mit bem geglichen ^errn, ber
ihn als lebten bie ©teinßufen hinableitete.
„herein in ben ©eelenoertäufer!" trieb ihn ein
©paßrogel 3 ur iCile an.
Perlenbes ^rauengeficher unb breites tTjänner
lad?en . . . 3^ unterbrod?en burd? einen jener un
fcheinbaren Vorfälle, bie manchmal unfer ©d?idS
J70
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&LJ
föl befHmmen. £ine r von ber ( 0 efeUfchaft, ber
fcbon mit eingefliegen war, würbe ndmlicb von
feinem < 5 >unbe gezwungen, am biesfeitigen Ufer 511=
rucfjubleiben, ba ber weifje $op im lebten #ugetv
blicke mit einem 0atse plotjlicb aufbeulenb wieber
aus bem flachen fcbofj unb mit tTJarf uttb Sein
burcbbringenben 3 amm *Uauten unb gegen alle
ilocfungen jur Rückkehr taub, fo lange auf ber
^afenmauer bin unb her tobte, bie fein <$>err not*
gebrungen bem winfelnben Ciere nacbfolgte . . .
3 Die laute Pergnuglicbkeit war mit einem tTJalc
babin unb fcbweigenb jtiefj ber Äabn vom Üanbe . . .
tTJan ^atte non bem ^acteljuge einen roten
Hampion mitgebracbt, mit bem man ftch bie ndcbt*
liebe tDafferpartie in eine venetianifebe (Bonbeb
fahrt $u verwanbeln gebadete. 2lber fowie man in
ben offenen Strom gelangte, kam ein ofHicber
TOinb über ben tUafferfpiegel gejkricben, ben bie
0<biffer bei ber Überfallt nicht gerne .feben, unb
bie Äerje fing $u flackern an unb — erlofcb mit
einem tTJal . . .
23 e<£ngjtigenb legte ftcb bte unvermutete ^infier=
nie, von welcher ber Hampion plotjlicb Verfehlungen
fchien, auf bie ^abrenben, unb unwillkürlich ruckte
man biebter jufammen unb hielt ftd> mit ber <£>anb
an 6eni Sooteranbe fefl. 5 um iEntfeQen aller be*
gann ber Philologe mitten in ber allgemeinen Se>
Hemmung wieber feine wehmütige tflelobie anju=
m
ßimmen, wie Hrunfene manchmal 3U tun pflegen
— was übrigens ben £inbrud? eines feltfamen
Hiefjfnnes macht — aber er fanb feinen, ber mit
einfftmmte, fonbern würbe fofort mit gebämpftem
0fi 3ur Äube verwiefen . . .
„i£s tau — mein bie tUel — len ins iTJe — er,"
fummte er sum brittenmal, ohne bie gegen ihn
gefebrte ££ntrüftung 3U begreifen unb vermummte
bann.
©o fuhr ber bicbtbefetjte Hacken eine ttVile in
tiefer JDunfelbeit babin. t*Jur bie fleinen £.icht=
punfte am fenfeitigen Ufer, an bie ftd? bie klugen
aller Pfaffen anflammerten, blinften fern herüber
unb man vernahm nichts anberes, als bie Äiemen
3wifdjen ben IDollen fnarren, bie angefhrengt gegen
bie ftarfe ©tromung anruberten, bas pidtfchern
bes tUaffers unb manch mal jenes verlorene (Surgeln,
bas fo geheimnisvoll fommt unb geheimnisvoll
geht . • • •
ÜDer ©chiffer fonftatierte gerabe an ben nacften
Älippen ber Äraufau, bie bicht vor ihm auftauch'
ten, baf man bie ©tromesmitte erreicht batte, als
auf einmal einer 3U fpuren meinte, baß ihm bie
.Süfje nafj würben, unb unjtcher unter fleh fühlte.
it r erjlarrte in ber taßenben Bewegung unb 3ifchte
tonlos htrvor: „tUajfer im öoot!" . . .
3Der ©chiffer vernahm es, griff bliQfchnell, um
bas losgelaffene Silber re<ht3eitig wieber auf3U«
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fangen, mit ber <£>anb nach ber 0treu unb über«
jeugte fich baoon, bafj bae ©icferwaffer tatsächlich
iiber bem Irittbrette jlanb.
0ofort fchleuberte er, w4b«nb alle entfett bie
3üfe unter ben ber 0eitenb4n?e herauf
sogen, ben 0chopfer unter fle.
2lber rrotjbem bie tTj4nner in rafenber iti le
fchaufelten unb fchaufelten, baf ber Wajferfrabl
ununterbrochen gegen bie öoorewanb platfchte,
(lieg bie ^lut b^ber unb b^ber empor. 3Die grauen
fielen 0cbreie aue unb flatnmerten fleh an ib re
ffacbbarn ober wollten auffpringen. iDoch ber
0dbiffer rief unentwegt bajwifchen „0iQen bfei=
ben . . . 2 (Ue 0 fttsen bleiben" unb immer lauter
„0iQen bleiben" unb ruberte, baf flcb bie Kiemen
bogen . . .
3Da warf ber erf e mit ben Worten „3et?t wirb’e
fcblimm" feinen Äocf ab unb fprang in ben
0trom.
Hun war fein galten mebr. „hierher, <£>err
^rubmeffer" ♦ • . „tTJeine arme tTJutter" . . . „2tch,
meine liebe, liebe 0chwefer" . . . „tTJein Rinb,
allmächtiger <5ott, mein 2Unb" . . . „(D helft mir
hoch" . . . wirbelte ber Wenfchenjammer burch»
einanber. „£e tau — mein bie Wel — len ine
tTJe — er" — bie jmgenbe 0timme bee Philologen
bajwifcben . . .
2lber alle Hilferufe oerbullten in bem -SDonner
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eines 23ahn$ugee, ber bräben am Ufer erleuchtet
rheinaufm4rte eilte.
„3Die fahren ine Heben unb mir in ben lob/'
meinte eine ^rauenjlimme noch . . .
3Der ©chiffer tat erff ben letjten Äuberfchlag,
als ihm bae Waffer fchon über ben <5,<$nben ftanb.
Unb nun trat bae ein, mae bie Heute ein Wunber
nennen; unb mae auch ein Wunber i|l, menn man
barunter nicht uerfteht, baß (Sott bae tlaturgefetj
burchbricht, fonbern ee einmal in polier Harmonie
malten idßt.
2tle ber ^ruhmeffer, ber bie 3 ulet$t fchmeigenb
auf ber ÄuberbanB gefeffen, nämlich fah, baß jte
alle perloren maren, richtete er jtch langfam pon
feinem piatje auf, breitete mitten über bie nach
allen ©eiten ^inmegfchmemmenben magerecht bie
2lrme aue unb fpenbete, felber fmfenb, über ben
perfmtenben Rupfern unb ^dnben bie große 2lb=
folution.
Unb m^htenb er bie feierlichen Worte bee Ego
vos absolvo fprach, perjhimmte bae Äocheln ber
iHrtrinfenben unb ee marb ©tille über ber Waffer=
fliehe, ale menn nichts gefchehtn m£re . . .
3nbem er aber bie fegnenbe Prießerbaltung ein
nahm, blieb er, bie über bie ^üfte perfunJen, in
bem ©trome (tehen. fCr ftanb in ben Wogen unb
perfant nicht . . .
£Er Perfan? nicht, fonbern jlanb aufrecht in ben
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fluten. 3Der Hachen unter feinen ,£ufen war nicht
gewichen unb im (Bleichgewichte trug ihn bie
Äreujesform feiner betenben (BebÄrbe . . .
3Da erinnerte er jid?, baf ee (Djtern war unb 2tuf
erflebungetag, wo bae tTJeer bie loten berausgibt,
bie barinnen jtnb, unb fab im (Beijte feine ver*
funfenen ^abrtgenoflTen aue ben TUogen empor»
fhreben; unb im Verlangen, mit ibnen unb für jte
aus ber Ciefe emporjufchweben, ließ er bie 8rme
weiter auegebreitet unb jeber tTJuetel feines febn»
lid? aufgereeften Äorpers warb ©chwinge, ange»
fpannt jum Zluferßebungeflug . . .
3Daß er w^brenbbeffen, auf bem unter bemTUaffer
treibenben Äabne jlebenb, ben ©trom binabfubr,
würbe ibm nicht bewußt. J)enn inmitten bes jlro»
menben VUafiers, bas ben ,$abrenben 6ber feine
fEigenbewegung t<£ufcht, nimmt man nur wahr,
baß man ftd> fortbewegt, wenn man fefle Ufer»
punfte ins 2luge faßt. Unb bas tat ber Aufwärts»
bliefenbe nicht, ber jur ^ohe $u Haie
glitt . . .
£Cr trieb an bem tTJublßein vorbei ... an ben
Jelfeitf opfen ber ^ibbel ... an bem Habegrunb . . .
an ber tniufeturminfel . . . fchoß pfeilfchneü burch
bie S4nfe bes Singer Hoches ... bie lange, mit
Weibenbufchen befkefte Äribbe bes neuen ,5ahr=
waffers hm . . . auf bie £ei|ien£lippen ju . . . trieb
bie ganje, weite, von (Gefahren umlauerte ©treefe
J 7 5
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bie $um klemenefanb hinab unb — m erftc ee
nid>t, fonbern fchwebte, t>on ber ©tromung $t»ar
3U (Cal ge3ogen, aber in feiner ££mpftnbung nad?
oben gehoben, wie ein (Beijl babin, ber, bie (Cobee*
laÜen abjftreifenb, aus ben fluten f dreier t.
■Da gewährten ,£ifd?er, bie in berfelbett nacht
unter bem kbcinflein ihre mit bem ©cblcppgnrn be*
bangenen flachen eben jur Ausfahrt rüfleten, ale
bertTJonb bieTDolfen teilte, plot3lich bie unirbifche
fCrfcheinung unb trauten ibren 2lugen nicht, als fle
faben, wie jtd) bas Bilb mitten auf bem kbeine
beranbewegte — eine aufrechte töejlalt, bie mit
febnlich geöffneten 2lrmen burch bie fluten 3U
wanbeln fchien. 2tber ale fle n^berfam unb jie bae
menfchliche VPefeit ernannten, wagten fie ee, bie
nachen loe3Uwerfen, ruberten hinüber unb fingen
ben ©d>iffbrüd?igen in bem 2tugenblid?e auf, ale
er ohnmächtig bintüber3Ujtn£en brobte.
©o bnt« »hn bie Balance ale ben einigen (Be>
retteten 3U bem Siele getragen, bae er nicht gefucht
batte — jene Balance 3wifchen bem (Seijft’gen unb
körperlichen, bie allmächtig ijl unb bie Elemente
3wingt, bem ttlenfchen 3U bienen, wie ajie all
unferem Beginnen, wenn nur ber erjle ©chritt non
einer 3entralen kraft geführt war, auch ber 3weite
unb folgenbe fleh t>on felbjl ergibt, weil ber ©chlüffel
bes uollenbeten (Cune bie (Liefen bee Unwerfume
auffcbließt, baß bie fCngel ber ^>6be unb bie 2D&
17 «
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monen 6er 2(bgrunbe herbeijtur3en, um ihm 5«
helfen unb an feinem Siege beteiligt $u fein . . .
2Ü0 6ie rafchent3unbli<hen Äbeingauer ihren
Pfarrherrn am anberen iTJorgen mit (Sirlanben
um ben 3weifpcbtnigen tt>agen heimfuhren wollten,
perbat (ich ber (Gerettete freilich bas gutgemeinte
Schmucf wert unb öffnete auch auffetne ber fragen,
mit benen ba© wunberfiichtige Polt ihn befturmte,
bie fhrengen Hippen.
3 Denn er fühlte in ber Eragif jener achtjehn blu=
henben tTJenfchenleben, bie ben lob in ber sEiefe
gefunben, baf aud> bie fcheinbar reinfle Hofung
be© Schicffal©, weil jte nur am £Ein3elmenfchen fleh
manifefiiert, fo lange bie fchmer3lichfle Sehnfucht
binterCäfjt, al© an ber göttlichen ^Erfüllung nicht
bie gan3e tTJenfchheit teilnimmt, fonbern ber ein-
3elne für fte ba© (Sleidmi© bleibt . . .
Unb ba© erjle 2lmt, ba© ber 2tufer|?anbene per=
richtete, war ein feierliche© Äequiem für bie Eoten,
bei bem er fo bleid) unb geijierhaft 3wifd?en ben
Äirchenfer3en jianb, wie er über bie vEiefen be©
Strom© gewanbelt war.
%
12 Stf rut>*rg, Don Srm&c $raurn fint» gtnannr
Ml
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£>ie Sal>te fcet Pöltec
2tle die tröpfelnden ©a^e, die an den feuchten
IDornenwdnden der (Bradierwerfe niederfd?leiern,
die iluft des tTJunjtertals nod? nid^t mit ibrem
tTJeergerud? erfüllten, und bieTDilbfprudeldesöa’
linengartens erf einige {leine 23adebütten fpeiflen,
f ieg mit den wenigen Familien, welche die warmen
(Duellen des abgefcfiebenen ,$ifcberdorfes auf
fucfttn, aud? ein oornebm gefleidetes ^rdulein ab,
das der ^eilfraft der örunnenfoble allerdings wenig
ju bedürfen fcf ien.
iDemt wie es $uweilen bei rafjtgen 23londinen
der *|{/ färbte ihre gefunde ^>aut ein fupferner
Zon, als w<£re jte eben aus peitfcfendem ©al$fcbaum
gediegen; und ob Äegen, ob ©onnenfcfein {lettertc
fe wie eine (Bemfe jwifcben den wild 3 erriffenen
Äluften und wol{enförmenden©d)roffen des nach
barlicfen Waldgebirges umber.
©teil fließen die Porpbytwdnbe dort am jen*
feitigen ^lufufer empor. Und wo der Äebrenbad)
durd) die ©cfyucbt, die er ftd? felbfi ins (Beflein
gewafcben, in die riabe furjt und eine breite ©and*
fcb welle abgelagert bat, ift die einjige Übergangs*
11 %
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feile offen geblieben, wo ein Hacken anjuiegen ver»
mag unb bie Sewobner ber ärmlichen ^ifc^er-
butten baber oftmals binuberfucbteten, um ibr
ü.eben ins <B?ebirge hinauf $u retten, wenn bas
* 2 >ocbwaffer bes burcb bie Serge beengten ^lujfes
ben wetten ICalBeffel in einen ©ee verwanbelte.
4 >ie r an bem bunBlen Eingang bes engen Reifen-
tores, ben Pappelreiben geheimnisvoll in bie Ciefe
begleiten, fleht ein ^brbaus »m Glatten bes
tt>eibengebufcbes, aus bem ber ^erge tritt, wenn
bas ^oluber bes Äeifenben unter ben Überhängen»
ben $£rlen ber fachen ^luffeite erfcballt.
ÜDiefer ^crge war es auch, beffen flachen bas
umberfreifenbe frembe 5^wlein balb täglich von
Ufer 3U Ufer trug.
©ct>on bas erfle tTJal, als bas prinjefinnenbafte
F»gurchen ben 3ierlichen, mit Äreu3bänbern ge*
gehaltenen ©chub in ben flachen feiste, errötete
ber bochgewachfene 3ungling bis über bie (Dbren.
2lls fte beim 3weiten tTJale ben Florentiner, ben
fle am Zirme trug, binuberfchwenBte, hafte er flatt
. bes grauen ©chifferwamfes feinen ©onntagsflaat
angelegt.
2 tte fle ihm bas britte tTJal in bem flachen gegen»
überfaf , war er fo in ben ZlnblicB bes feuerbäutigen
tUefens verloren, bafj er bas Äuber 3U gebrauchen
vergafj.
Bufjte bie Welle, bie bas buftige £T 7 äb<hen*
12* J 79
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bilb in ßd? getragen unb ihm burd? bie Serubnmg
ihrer <£<lnbe geheiligt fchien...
Sis ber arme Surf che eines 2lbenbs nicht mehr
mußte, was er tat. 3m Sd)UQ ber Sommerung,
bie fein (Beßcht perbarg, blieb er bebenb t>or ihr
flehen unb fagte, auf feine jufammengelegten <J>4nbe
nieberfchauenb, als wenn er ein (Bebet fpnlche: 2tch,
baß fie nicht feine ^rau werben fonnte. 2tber bas
XPort war ihm nod> nicht enrßohen, als er ße, be=
ßörjt über ben Älang feiner eigenen Stimme, mit
feinen beiben ungefügen <o<$n ben hilflos am 2trm>
gelent paefte, baß ße laut auffchrie.
J)ann fchlug ße ihm lacbenb mit bem Sdßeier=
enbe über bie £7afe unb fagte: Schabe, ße heirate
nur einen Ulamt mit ßeben 2lbnen. f£he er nicht
ßeben 2tbnen nachweifen tonne, w<$re es nichts mit
ihnen beiben. Unb ße wollte ßch babei ganj jer=
lachen . . . noch bruben t>om anberen Ufer winf te ße
l^chelnb mit bem Schleierenbe nach ihm $urucf.
„tUie befomme ich ßeben 2tbnenV" fragte erfrub
unb fpät, auf feinem halb ans Jfcanb gejogenen
Äahne jttsenb, unb wie eine (Crauerweibe über .
gebeugt in bas tUaffer, wo er noch immer ihr Silb
im tUeüengrunbe $u crblicfen glaubte.
„Was fragß bu mich, armer 3unge" — fagte bie
liefe — „in ber alle Silber $errimtenV 3^ h<*be
fein (Beb^chtnis für uerßoffeneiDinge. ^rage einen,
ber anfdfßg iß im Jlanb ! "
1 8 c #
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„TLbtt wenV. . . Tibet wen V" jammerte bertlnglucf-
licbe.
„YDenV" horte er ben famtbraunen (?5olblad? an
ber ^elswanb fpred^en, wo bas TPaffer ewig aus
bem ©rein in bas VDalbmoos tröpfelt. „VDenn ich
auch noch jung bin, fo waebfe ich hier febon lange
genug. Tile ber^beingraf noch aufbem unjugdng»
lieben ^elfennejl iiber uns borfete, wo jetjt ber
Fimmel bureb bie Burgruinen blaut, but mich fein
vEocbterlein mit eigner *£>anb gefeit, unb icb bube
mich fort unb fort gefamt bie auf biefen 5Cag.
©d?on bamals jtanb bas J^baus im Äicbterfpiel
ber ©ilberweiben, unb non beinern 2 lbn hinüber*
geführt fromten Äof unb Seifige in blintenben
Sügen über ben ^luf . . . £>as |mb freilich erf rier*
bunbert 3 abre ber. 2 tber rieileicbt weif ber <5>o=
lunber, ber 4lter if als id>, bir mehr uon beinen
2 lbnen 3 U fagen. .
5>a ging ber ^erge $u bem ^oluttberbaum, bcjfett
biefer Stamm ftci> ebenfalls aus einer ©palte ber
jleilen ^elswanb beroorfrummre unb ben mächtigen
©ebirm feiner weifen Blürenteller fcbrJtg gegen
bie ©onne feilte, unb flagte biefem fein £eib.
„JDafcommf bu allerbings an ben rechten," fagte
ber frumme ^olunberbaum. „3d> bube bie Seiten
bes grofen Äaifers gefeben, oor beffen Pfal$ ba
bruben bie Schiffe berTPelt anlegten. 3Der fr<£nftfcbe
lurm ragte in bie VPolfen, wo jet?t bie Burgtrümmer
18 J
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fiber uite brocfeln. flur bas ^fabaus fleht un=
veränbert an feiner ©teile, foweit id> juruefbenfen
fann. Unb beine 2tb«en buhen bie Winjer über*
gefegt, bie bruben auf fonnenburchglubten VDänben
bas YDeinlanb anrobeten; unb bie Ritten, bie ihre
©chweineberben mit ©ereilen um ben <J>als bruben
3 ur iEichclmaft führten ; unb bie (Großen aller Hänber,
bie jum <J>oflager bes mächtigen Äaifers ritten;
unb bie Äeifenben, bie bamals nicht in ben ©al$
quellen, fonbern in bem Weinen ttlunjler bruben
Teilung für ihre Reiben fuchten. . . ©ie alle führte
beine $& bre aus ben feuchten Sergen hinüber in
bie fonnige iEbene. 3 hübe freilich erjt neun*
bunbert 3 a bre gefeben. 2lber vielleicht weiß ber
wübe ©tachelbeerflrauch, ber älter iß als ich, bt'r
mehr von beinen 2lbnen ju fagen."
„©pricb etwas lauter," rief ber ©tachelbeer*
ftrauch, als ber 3ungling auch ihn um Äat an*
flehte. „3 eh bube mich nämlich von einem tTJartolf
etwas hoher am Reifen binaufpflan 3 en laßen, weil
mir bas hungrige Solf, bas alles an mir vorüber*
marfchierte, als ich tiefer unten ßanb, fchon bie
Seeren abriß, als fte noch hurt unb grün waren.
3d? glaube, bie gan 3 e ttMt iß nämlich an mir vor*
ubergewanbert. tttit 3o<±wieb unb Hausgerät,
mit Äarren unb Änechten, mit tt>eib unb Äinb
famen fte bamals. 3 weiß nicht, ob es fErobe*
rungsfahrten waren ober Äolomßenbeere. 3<h weiß
J$2
-- 2 ^» 3 e ssm
*
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nur, bafj fit wanberten unb wanberten. f£in (Stamm
mit feinem ^>4uprKng hinter bem anbern. 3<*hraus,
jahrein. £ag unb nacht. Unb itber bie ^^re beines
“Dorfahrs, ber fchon bamals in bem ^hrhnus
wohnte, w<ül 3 te fleh bie enblofe tHenfchenwoge aus
bem (Gebirge hinüber in bas fruchtbare £al. £Hebr
tann ich hir nicht melben bei meinen 3 wolf hunbert
^fahren. 2tber frage einmal bie 2 tta 3 ie, bie ifl <£lter
aie ich ..."
„tTTach jleben gan 3 en 2U?nen fuchfl bu fo lang, bu
tTJenfchenfu&n, beffen P<£ter hier fchon bas Äuber
führten, als ber Hegionefolbat noch über uns auf
ber bohernen (Salerie feines flrohgebed? ren Wart«
turms bie Pife fchulterte!" — lachte bie alte
fchrumpelige 2 tfa 3 te unb fchuttelte bie weifje iLotfem
peruefe ihrer 2Mörentrauben. „3<wbhh über beine
S&bre flnb bie&ohorten unter ihrem golbnen 2lbler
in bie fonnigen (Befilbt bes großen Stromtals ge=
3 ogen; unb bie Äaufmanns 3 uge, benen fte ben Weg
gebahnt, mit ber Pracht ihrer (5olb=, Silber* unb
££lfenbeingefchirre ; unb bie rornehme Welt, bie
fleh bruben an ben Äebenh^ngen Dillen baute, in
benen man auf gemalten ^ußboben ging, v^unf
3 ehnhunbert 3ahre reicht mein (5eb<$chtnis 3 urucf*.
2tber trenn bu mehr wiffen willjl, fo frage einmal
bie Xlinbe, bie ifl Älter als ich • .
3Da wanbte fleh ber ^dhrmann an bie üinbe.
Unb ber Hinbenbaum, ber fo alt war, baß feine
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2lße wie ein (Befleckt non Hindwürmern in die Hüfte
fuhren, wies ibn an die tTJißel, und die tTlißelBugel
mit ibten (Blasbeeren wies ibn an die UJibe. Un&
der alte jerfcQte <£ibenbaum, deffen tPurjeln fi<±>
wie bleiche (5er ippe in der nagenden XPelle
krümmten, fagte:
„2Du alfo biß das Äind meines alten freundes,
der mit mir grofjgeworden iß t>or dreitaufend
fahren. £>enn fooiel ßnd die £age meines Hebens,
mein Sobn. £Er b<*tte euer ^brbaus auf Pfabl=
roßen in den ^luf gebaut und fuhr, wie du, die
felibeBleideten 3»üger hinüber in den undurcbdring=
lieben Wald, in den ihr Steinbeil die erße Hicbtung
fd?lug. 3Dann gab er das Äuder feinem Sobn —
auch deinem 2lbn. 3Das war, als die TPeisfagungen
mißelbefrdn 3 ter Prießer unter wilden (Befangen
dort über uns t>or dem dampfenden (Botterßein
$um Fimmel fcballten.
Und aud) er gab das Äuder weiter an feinen
Sobn, jenen deiner Päter, der die erßen Pßuger auf
dem £?acben binuberfubr, wo ße 2Mod*b ^uß* «uf»
richteten, mit dem Sd)<£bel des Pferdes am (Bie bei.
JDann Barnen die Zage, wo ße mit gellenden
Scblacbtbdrnern, Äaubrogelßugel am ^>elm, aus
den Sergfpalten btrabßurmten, und die ££br*
deines 2lbns den erßen Ärieg in die Ebenen trug.
So wanderte das Äuder non <oand 5 U <oand.
Pom Pater auf den Sobn. Pon Äind auf&indes«
J8*
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Einfc. JDemt bie tt>anber3eiten haben nicht auf
gehört, wie bie tT 7 enfd?en t?on gejlern fagen, fonbern
ewig sieben bie t>olEer über Seine ,$dbre nach ber
großen 4 >eevftrafie ber tDelt . . . 3 Du bijE aus altem
23 lut unb weißt es... Unb wenn bu nor beinern
^«Sbrbaufe in bie liefe grdbfi, fo finbefl bu in ber
^Eotenflabt ber tTJenfcbbeif bie Ahnentafel unb ben
fCrbfcbaQ beines ölten ©ramms. "
„tTun babe ich Ahnen genug" — rief ber ^erge
gan3 oerwirrt. „Aber was plant fie um (Bottes
Willen mit ben nieten ,$dhrleutenV tDill jte alle
mitheiratenV" — fragte er mit einer 2trt non ££ifer=
fuebt unb trat 3U aüererjl nor ben tPafferfpiegel,
um ftcb 3U uberseugen, ob er non bem fürchterlichen
Altertum, mit bem er nerwur3elt war, nicht oer=
fchrumpft fei wie eine tHumie.
Aber wenn ihm auch sumkbft ber Äopf brummte
nor ben fcbwinbelnben Abgrunbenber Seit, bie unter
ihm Eiafften, fo bdmmertc ihm hoch allmählich
etwas banon auf, was es um bie 2tbnenfd>aft ijt.
TPenn fidjl bie ^ahrgdße an Sonntagen auf ben
©eirenbdnEen ber ,£dbre brdngten, war es ihm
beim 2 lnblicE ber ©d^atten, bie ben &abn im
^lutengrunbe lautlos begleiteten, als ob bie ganse
Abnenreibe feiner t>orfab«n in ber Ciefe, Äopf
an Äopf, gebeimnisnoll mit ihm fub**- Unb wie
er mit bem ererbten 2ln3uge feines "Paters beEleibet
ging, fo fd)ien es ihm auch, baß er in bem tDefen
1 85
I
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ferner 35 Urert?< 5 ter (lecke unb alle», was in ihrem 2Mut
gekreift, in (Ich aufgenommen ^abe unb als ber
allein noch lebenbe Perwalter, auf bem bie “Per*
antwortung für bas alte 5<*milienerbe ruhe, fortfe^e.
00 würbe er (Id? auf einmal ehrwurbig. Unb
3ugleid? bob ihn eine feltfame Unabhängigkeit, weil
er bas Äed?t, fogar bie Pflicht fühlte, fo unb nicht
anbers 3U fein, wie er war. Unb in bem fd?onen
&eid?tum, an unenblid?em v 0trang in ben liefen
feines Urgrunbes oerankert 3U fein unb (Id? im Utin
tlang3u beftnben mitoerwanbten, allgegenwärtigen
(Beizern, nahm er (Id? t?or, ftct> nichts 3U vergeben
unb (Ich ber uornehmen Prin3eflln keineswegs auf
3ubrdngen, wenn (le ben einfachen ^dhrmann etwa
auch (erst noch oerlachen follte.
Hlchtebefloweniger fiel ihm bas 4 >tv$ in bie
0d?ul?e, als fte eines tttorgens aus luftiger Äehle
wieber ihr helles holüber erklingen lief. Unb er
konnte kaum erwarten, bis fte bas 2luge t?on ben
regenbogenfarbenen 0chaumblafen abwanbte, bie
fit im fahren oon ber ruhigentt>afferfl<ld?e fd?6pfte,
um fchlieflich lachenb 3U fragen:
„Was machen unfere (leben 2 fl?nen, <J>err 5 ^hr s
mannV"
„Was bie (leben 2lhnen machend" antwortete er,
perlest oon bem fpielerifd?en Hon, unb fchwieg (le
mit (lehenber tTJiene an.
2lber ba (le ihre klaren, er(launten 2tugen t>oü b ü
JS6
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#
ihm auffällig, fonnte er 6ie frohe Kunbe nicht
langer in (Ich oerfchliefen unb erjd^Ire ihr nun
alle«, vom er non t>em (Bolblacf, bem ^olunber,
bem ©tachelbeerfhrauch, ber %ta$ie, ber Hinbe, ber
tHijlel unb bem (Eibenbaum erfahren.
Hautlos horte fie $u. 2Ms ber Äahn ans Hanb
(lief. 3Da fpritjte fie ihm bie Cropfen ihrer naffen
i£>anb ubers (Befielt unb entfprang in ihren weif *
(eibenen Pantöffelchen, inbem fie fern aus ben
Vt>albb4umen juruefrief: „3Das muf man mir erfl
beweifen, 4>erc F^htman!"
„tDie foll ich bas beweifen^" tonte bas (Echo.
5>a erinnerte er fleh an ben Äat bes alten titiben
baumes, holte ^arfe unb ©paten unb (Ing an, t>or
bem F^hrbaufe ben (Erbboben aufjugraben.
%le er faum bamit begonnen hatte, fnirfchte ber
©paten unb $um Porfcbein fam ein golbener
Fingerring, in bem bie 3nfchrift flanb: „3<h fchre
in mich 3 urucf . . ."
(E r grub tiefer, ba flirrte es abermals unb in
<J>4nben hielt er eine filberne ©örtelfpange mit
fchon eingelegten roten Felbern.
(Ein paar ©patenfliche barunter fch4lte (Ich bas
flache £4nn<hen eines fleinen £onl4mpchens aus
einer (Brunbfcholle.
©o grub er weiter unb warf bie oielgewunbene
©chlange einer bronjenen Slrmfpirale ans Iages>
lieh f.
* . 187
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5>anacb leuchtete ihm eine <J>al?fetre aus großen,
lajultblauen <25la?perlen entgegen.
Unb $u unterfi in 6er f£rbe beeilte er ein graue?
JTongef&f auf, 6a? ein fHenfcbenantltQ mit einer
balboerlofcbenen 3nf<hrift trug.
0o befebwor er Oie Seugen 6er Vergangenst,
einen nad? 6em anberit, au? 6en (Srunben empor,
un6 mit ibnen Btodlwettf um 0tod?werf, flieg 6a?
3<Sbrbau? herauf, blofgelegt bi? 3U 6en ^un6a=
menten 6er bunflen «Tiefe, umflttngen ron 6em
Faunen 6e? ewigen 0terben? un6 ££ntflebn?. . .
(Dbne ein tVort 3U fagen, flellte 6er ^i^rmann
6ie an? £id)t gehobenen 0cb<ÜQe t?or Sie frem6e
tVanberin bin, al? fte mit 6em 2lben6nebel in 6er
Walbfcblucbt auftauebte.
tTJit großen, run6en 2tugen faß 6a? Äschen
im ^elfenlocb un6 flog febreienb auf. Urton er»
fefoauerte. tTJif je6em 0tucf*, 6a? fte f<heu in 6 ie
«£>anb nahm, blickte fte 6en jungen bergen an-
64d>tiger an, un6 ihre klugen wanberten 3wifcfoen
6en Sauberbingen un6 ihrem ^errn fud?en6 bin
un6 b^t . . .
„3<h te bre in mich 3urud?" fTttflerte fie froflelnb
6ie tVorte 6e? Äinge?, 6en 2Mid? entgeiflert auf
6en geheftet, in beffen f£rfd)emung fte 6en Wun6er=
fprud> plotjlicb leibhafte <?5eflalt gewinnen fab-
211? fie 6ie "Jnfdvift 6e? Hampcben? entbeefte,
6ie lautete: „3D ie ^laatme in mir wirb nicht er«
J 88
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l&fcben," trugen ihr vor 6cm heiligen Qchauer
feiner ewigen Perfon 6ie Äniee febwad).
tTTir foefenhem 2item entzifferte fte fcblieflicb
6ie kirnen auf 6er Urne mit 6em tTJenfcbenantlitz:
„durften waren meine (Befpielen, alo aber 6er Io6eo
engel mir nabte, war id> ohnmächtig." 2>a fuebte
6 ie furebtfame 2fbnenfud)erin ©ebutz bei 6em, oor
6em fte ftcb fürchtete, un6 breitete 6ie 2trme nach
ihm aus: „(D, fo nimm auch mid>, rafftofetDanhre»
rin, auf in 6en ewigen Äing un6 laf mich an 6einet
©eite fitzen, 6er 6 ie ©eelen in hieVDelt bweinfdbrt
un6 führe mich, wie 6u 6ie t>olfer nom 3enfeir©
jum iDieofeito geleiteft, an 6en ©tran6 heo Jieben©
hinüber — 6er ^hrmann meiner ©eele!"
r fanf oor ihr hin un6 filmte ihr hie TDanher»
fufe, hie fte ju ihm berge tragen au© weiter ^erne.
JDa warf fte ihr vornehme© ©eihentleih ab unh
fetzte fleh wie ein £anhm<£hd)en fchweigenh $u ihm
in 6en ^brnacben . . .
„TDa 0 wirb man non uno einmal ftnhen in ferner,
ferner SeitV" — fragte er unh nerfcblof ihr zugleich
hen tTJunh mit Äuffen, w^brenh 6er©pecht feinen
<5)Och5eit0wirbel auo hem mailichen tUalhe er»
fchaüen lief.
„tUir »erbruefen hie Ufer" — antwortete fte unh
fog ftcb fofort wieher an feinen tTJunh, gefchaufelt
non hem fteuerloo treibenhen Äahn.
Unh wenn fte hie 2tugen auf eine ©eftinhe offnere
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unb bae »erfchlungene IDoppelbilbnie im tUafler--
fpiegel erblidfte, fo wußte jle nicht, ob bae (Befielt
ibree oorweltlichen IDafeine in ber liefe mit ihnen
glitt, 6a ihr fchien, als fei jle fd?on raufenb 'Jabve
im 2trme bee Hiebjlen babingefabren; ober bae Silb
ibree nachweltlichen Üebene, ba jie fühlte, baß jle
nach taufenb fahren noch fo an ber Seite bee ^4hr=
manne oon Ufer $u Ufer gleiten werbe.
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£>a* Uel)
i
3<b bube ein 2\eb im (Barten.
iDer franjo jtfcbe ^auptmann but bie &id? e broben
im TPalb gefcbojfen; unb ©acfi unb ©alla, feine
beiben braunen Algerier, buben bae ÄiQcben mir
beimgebracbt unb aufgejogen.
©ie focben für Mr. le capitaine in meinem <buufe.
2tle fie meinen (Barten entbecften, bupfte ©acfi
wie ein Äinb: „3<b morgen fpricb le Mr. le capi-
taine ... Le chevrillard kommen dans le jardin."
©eitbem fpajiert es in meinem (Barten.
3d? beft^e wertvolle alte Stiebe, feltene Porsei«
lane unb Pretiofen, foßbare 23u<bauegaben. 2tber
ee ifl mir nie eingefallen, bie Äebe barauf3U bringen.
j)a^ icb ein &eb im (Barten bege, fann icb nicht
oerfebtoeigen. 'Jd} flechte ee in febee (Befpr4<b ein.
(Dbue Übergang. VDo ee auch fei: 'Jd) bube ein
Äeb im (Bürten!
3cb tourte barauf, ungläubigem £4<beln $u be=
gegnen. iDenn ee ifl eine Slufforberung, mehr oon
ibm ju erjdblen. Unb fein tt>efen befebreiben, iß
(Blucf.
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Wie habe ich fonjfuber meinen (Barten gejammert!
Jn ben Äieß wegen foüre bae (Braß wuchern . . .
Statt be r (Oematißlaube auf bem ^>uge I foüten
fleh flechtengraue ,$elßblocfe ubereinanberwerfen . . .
Statt ber 3ierb<$ume follte permoofieß IDicficht
fchauern . . . 2tuf bem gefrorenen Äafen Weibern
roßchenbeibe glühen . . . Pan wohnt nicht bann . . .
£r ijf feine Hatur ... $Er iff fein Walb . . . 3ft
feine Wilbniß . . .
nun triumphiert er. <£in Äeh graf* in feinem
Schatten.
3hm perbanfe ich baß 3ierliche (Befd>opf unt>
bas (Blücf, etwaß 3U bejlsen, waß ich bem ent
juefenben £iere opfern fann.
3d> bin fo ffolj, alß fei ich heimlich jum Äonig
gefalbt . . . 34) offne bie (Bartenpforte, alß wenn i
ich in baß Parabieß eintr4te.
2tüe Schönheit iff mein. 2)ie Harmonie, bie ich
pormir wanbelnfehe, ifl in mich felber ubergegangen
3ch habe ein Äeh im (Barten . . .
II
Äein tTJenfch tm ^>aufe tut mehr etwa*.
feiner loff ben anbern ab auf bem Wege $u bem
(Barten. „Wo ijf baß 3$ehV . . . Äomm, Äig>
chen! . . . Wo bift bu, mein Tierchen V ..." Unt>
fühlt (ich erhöht, wenn ee mit jlchernbem Schritt
unb taffenben Haufchern n<$her unb näher heram
192
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$&gert unb fireicbeln l&$t, bae &reu$ einbiegenb
unter ber liebBofenben ^anb.
2 lle bie rote S a bne bee Aufruhr« webte, berfer=
Berte bie bolfd?ewijlifd;>e Äodu'n: „foae ift gar
nichts . . . 2Ule© muß perfcbmijfen werben!"
©ie ifl befebrt.
iDao Äeb bat (Ie bejaubert. ©ein fcbwarjee,
langgewimperte© 2tuge bat ben guten 2M icB.
Ute tjl, w^brenb (te bet Itfcbe faj?, 3U tbr in bte
Kucbe gekommen, bat ba© feuchte ©d^ndujcben,
gl<£n$enb wie fd>war$er üacf, auf ibre Änie gelegt
unb ibr mit bem T>orberlaufe bettelnb auf ben ^uß
gedampft.
©ie bat ©acfi auegeflodjen, bem ee mit para*
bierenb aufgeworfenen ©dritten unb ben <£>al©
wie ein ©cbwan gebogen nacbt£n$elt, wo er jtd?
bliden l<üfjt. Unb er idf t ftcb fo wenig obne fein
23 u£ett pon auoerlefenen (B»emufebl^ttern bliden,
ba© er wie ein Sr^utigam in ber <£>anb fr<£gt, wie
obtte fein rote© $e$.
2tber bie &od>in locft ibm ba© £ier mit gelben
Äuben weg.
©aUa fagt liflig: „3d? cuisinier . . . 'Jdb morgen
focben le chevrillard . .
J)ie Äucbenfee füllt auf ben Äucfen.
©aüa wirbelt — im 23 lit?en feine© weiten < 25 e«
biffeo — wie ein iDerwifd? um ftd? b^um unb will
berften por Ü.ad)en.
J 3 6t«rnb«r0, Uon Sreuöt Srauen gtnannr J93
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3ie ber gutmütige ©acfi mit feinen fcblanffet
braunen 4&nben ber (£ntfet$ten blinselnb Seiner
jufingerr. „©alla rigoler . . . 3 mmetr rigoler . ..
3d? auch rigoler . . . ©alla gutt . . . ©aefi gutt
. . . Ttttee gutt."
tTJein 4>am i(l t?oll ^roblid)Jeit. ££in guter <oaue*
geif* weilt in unfrer iTlitte. VPir baben alle ben
HiebeetranÜ getrunfen aus bem fanften 23lid?e bea
abeligen £iere.
Ubie 3ob^nni0beerfh:4ucber ßeben Bahl wie vom
Raupenfraß. Ute reeft fleh mit weißem Rinn an
ben 23ohnenjBangen hinauf unb hufebt bie 2Muten-
fcbmetterlinge ber roten Feuerbohne. Ute Bnubbert
bie RofenBnofpen ab . . . C£in Rofenblatt nad?
bem anbern oerfebwinbet in feinem 3 n nern ♦ • •
fEe rupft bie (DematisranBen wie aus einem Reff
uom ©palier herunter.
Tiber nur ent$ucl*te 23licBe begleiten fein grajiofeo
Hun.
„©alla gutt . . . ©acBi gutt . . . 2Ulee gutt ..."
C£e legt fld? am £7acbmittage in bem ^alblicbt
bee lEreppenbau fee wieberBduenb auf ben grünen
idiufer nieber unb binbert ben X>erBehr.
2lber einer fuhrt ben anbern l<Ü<belnb t>or bas
23ilb geheimnieuolier Unfcbulb, bie bort in grüner
tDalbeebdmmerung ju lagern glaubt.
t£>enn es fleh einfam fühlt unb mit bem eigen=
tumlt'cben F«plnut, ber wie bas Blagenbe ©timm>
m
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eben eines Weinen Vogels Wingt, über ben Äafen
jiebt, fo läuft alle* herbei, was (Dbren bat — ein
febütjenber &ing ber Hiebe.
3Die 23olfcbewifin dauert ftd? ju ibm nieber unb
preßt es mitfamt feinen angjtuoll jurücfgelegten
(Dbren an ihren Bufen. „Wan bat es fo lieb wie
ein Äinb!"
Wenn bas beben be (Befcbopf, beflen $arten
Rürper beßänbige lobesängjteüberfcbauern, abnte
— baß ibm bie Welt $u ^ußen liegt!
J)er (Beiß ber Hiebe iß in Äebgeßalt bei mir ein«
gefebrt unb bebient ftd> ber Weisheit, bie fcblanfe
(Blieber oerfünben.
III
IDie febleiernbe ^eber bee raufebenben Waffer«
ßrabls fät feuernbe gbelßeine. JDer erfrifebte
(Barten buffet wie eine Walbwiefe nach bem Äegen.
3Das Äeb fängt an $u fpielen.
tTJif gereiften Haufebern unb Üetf funfelnben
klugen forbert es mich iu neefenber Qrartßellung
heraus, auf es $u$ufcbreiten, um bannen groß*
bogigen, leichten Sprüngen hoch über öüfebe unb
öeete unb tropfenbe Sweige $u fielen, bis es meinen
23liefen entfebwunben. Äommt jurücfgeßogen,
bis ich wieber in bie <J>änbe f latfebenb tue, als wenn
ich es bafeben wollte. fliest uon neuem baoon bis
hinten an bie (Bartenmauer. Äebrt im (Balopp
is* J95
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jurucf. (Beht fluchtig. &aß heran, ßeht un b ent-
fchwebt ...
(Be fucht „(Beh^uchnis" . . .
Jd) will ihm eine (Befpielin fchaffen, bie um
es fei.
3m öretterßall bes <ointerbaufes halte ich eine
5iege — t>ie gan$e ^reube lEonis, bes 3 un 0 en
«oofleute, bei: jle tiglid? barfüßig an 2 3abn
bofcbungen unb VDeinbergsraine fuhrt, wo manM
buftenbe 2td*erwinben bas (Beroll uberfpinnen, ü)re
Hieblingsfoß — größere Hecferbiflen als f£ier>
bufche unb Caubißeln.
©ie iß ein rehfarbenes, gut gepflegtes, fcfon
gezeichnetes £ier.
%Uee evfchvicft, wie Zoni jle an ber ©taüfette
in ben (Barren fuhrt. <sat ein häßlicher Sauberer
ße oerwanbeltV 4>at ber £7achtmar ihr bie J ugenb
au 0 bem (£ute r gefogenV
VOie in gefchenfren ©chuhen bachß ße mir ihre”
fchlappenben flauen in umrennenber, plumper
tTeugier auf bas feine tDalbticr ju, bas ße m/f
vornehmer Siegung bes fchlanfen <J>alfes über bir
2l<hfel betrachtet . . . (Bine Prinjefßn neben einem
öauernweib! . . . (gleichgültig ijl es weiter . .
2)ie 3iege bemüht ßch rührenb, tTJänncfen $u
machen, ßemmt netfenb bie Porberfiiße ein, fptingt
mit bienernbem Äopfe Cerjengerabe in bie <J>6ht • *
— tt>er lacht nicht, wenn eine alte Äuh fofettiert ■
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(Loni jteb«n bie Irenen in ben Ttugen, unb in
t>erfd)<Smtem Erbarmen britrft er bem armen 5ipfel=
bart feinen Zpfel in ben tTJunb. 2lber — o T>er*
legenbeit über “Der legenbeit! Sie fnatfd?t ibn —
wie eine bicPe JDrufe an ben Rinnlaben — im gierig
fcbmat 5 enben,platmajtgentnaul . . . Heben einem
t£>efen, bae in fcbmecfenber t>orjtd>t mit jierlic^en
3<$bnd>en bie #fung fruifpert.
Unb jwifcbm bem VPammfcben unb tDfirgen
mit b&fjlid?er ©timme bas (Be mecfer aufbring*
lieber Ülutterliebe . . . Reine (Befpielin!
TUie ein X>orjiebbunt> fcbaut bae Reb ber ÜDaoon*
gezerrten nacb, ben T>orberlauf mit bem anmutig
gebogenen ^ufglieb oerwunbert erhoben . . .
ÜDann lagert ee f?d? in fd>mer 30 oUer tttubigfeit
auf bem Rafen, erfl auf bie Rniee, bann fid) auf
t>ie£rbe nieberlaffenb . . . 3mmer ein Silb. 3«nmer
X>ollfommenbeit. 2lucb im ©cbmer 3 .
0b ee regloe wie eine lerrafottafigur unter
fpiegelnber ©laefcugel fpa 3 ierenfcbauenb ror bem
<£feubugel liegt. 0b es ben Ropf in bie Rniefeblen
fd? lupft, wie eine £n te ine (Sefteber. 0b ee ftd) mit
enbloe«langen Seinen in ber iTJittagebiise wie ein
RÄngurub unter bie ^arrenbufcbe ffrecft, aud) im
©cblafe nod> bie b«Uborigen £aufd?er umber*
fd?raubenb. 0b ee non £id?tern unb ©chatten
geflreifr jld? burd> bie S£ume winbet. — 3mmer
ein Silb, 3 mmer **ne tDeibe ber klugen.
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Ute jiebt fucbenb burd? offene Cüren über bie
(Blaeveranba burd) Me geplattete £>aUe in Pariert«
3 immer unb ftnbet fld? vor bem bie auf bie öirbe
reicbenben Spiegel bee Crümeaue. tTJif verjfcfob*
nielofer (Hro^ugigfeit fhi^t te einen 3ugenblicf
vor feinem Silb unb tvenber fid? ab.
2lucb feine (Befpielin!
Über ben (Barten herüber aue verfcbloffenem
SretrerjlaU bae iTJecfern ber ^Mutterliebe bie in
bie Hacht.
0 Cragobie ber «£><&ßlicb?eitl ... 0 CragoMe
ber Schönheit!
IV
tMieviel atemlofee Staunen bat unter ber Sern-
fleinb4mmerung bee Hufjbaume, bie ben 2$eob>
achter becFte, in bas tMunber bee Cie reo ftd? ein*
geträumt! . 1 •
Hur ber (Bnmrocf verachtet mich, ba0 ich VDilb
im (Barten gefangenbalte, unb verlangt mit ££nt>
röfhmg, bafj ich te auefeoe.
2lber ich bube nur einen 3<lger gefannt, ber ein
4>tt$ butte unb nie ben menfeblicben 23licf rer* ^
geffen fonnre, mit bem ibn bae flagenbe 2tuge ber
fhimmen Äreatur jlerbenb anfab. fjebee&eb, bae **
ibm in ben S<bu$ fam, verfebeuebte er feirbem,
unb nur ilaubjeug war feine 2>cute.
Sie machen febr feine Unterfcbiebe jwifeben
m
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<5>eger unb 3<lger, jwifchen ©chfi*e unb ©chießer.
3ber fle flnb alle — £iger.
3dj foU mein &eh auefetjen, bamit ee nicht
*4nger im (Barten, fonbern in ber Freiheit bee
vt>albeo lebe.
3fl bas nicht, wie ber £mpffnbfame, ber feinen
<5unb $u lieben glaubte, inbem er ibn pergiftete,
bamit er in feiner »bwefenheit nicht in ber <5>ut
frember Heute juräcPbleibeV
2Ue wenn bae ©terbliche nicht lieber in ©chmerjen
lebte, ate fchmerjloe rerfchiebe.
'Jd) foll mein &eh auefesen! tTJein 2W 3Dae
arglofe (Befchopf, bae bie 23efHe im tTJenfcben
nicht fennt, mit flatfchenben (Dhren um fleh felbfl
bemmrpirbelnb por mir Äapriolen macht unb fleh
neben meinem Äorbfeffel nieberlegt, wenn ee jur
tTlahljeit gongt, ©oll ihm bie Freiheit geben, bie
ee ben tTJeisgem im grünen Äocf in bie <$><lnbe
liefert, baß jle ee ffalpieren unb feine bleiche &irn*
fchale in ihr ^agbjimmer hangen!
tTJ&ge ber wilbe 3<£ger ^wigfeit alle
hetjen, bie einem göttlichen VDefen ein Heib juju-
fügen imfianbe flnb!
3 d> betrage bie ©chüpfung um ihre 5wecf e —
fagen fle. 2Ue harten jle beetüilbeetPurf georbnet
unb regelten ber <binbin Äreißen!
Tonnen wir bie ©onne fleh nicht um bie iKrbe
brehen laffen, um uneV
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TOieviel atemlofe? Staunen bat unter 6er Sem*
fleinb^mmerung be? flußbaume, 6ie 6en Seob*
achter becfte, in 6 ae tDunber be? Cieree jid? ein*
geträumt!
V
2>aö Heb rubt in 6er tTJorgenfonne un6 lecft
6en lau non 6en (5r£fern.
mit flugen, bunfelglänjenben Siebtem wenbet
e? 6en fcbmalcn Äopf in 6em bunten Greift 6er
ITJenfcben umber, 6ie e? umringen: 3Die beiben
braunen mufelrnänner, Mr. le capitaine, bie rote
&6<bm mit 6er Proletariermißgunfl im <ber$en,
blonbe Hacbbawfinber, 6ie jfcinaltenSetfcbwefler*
eben, 6ie jlcb Sonntage ihre 2(rmengabe bolen, 6er
auf 6em 2l£tenauetrag bangen gebliebene kirnte*
biener, febongeifiige ^auegeüfte . . . ££e tfi, ale ob
alle in flummer 2lnbacbt ein (Botterbilb umfUnben,
bae (Befet$e 6er Jliebe gibt . . . £ine Oemeinfcbaft
von 2(nbetenben . . .
3«b vergebe ein alte? VPeietum: „VDer eine
Sterjmeife fabet, 6er ijl um Heib unb (Bur unb in
unferee Herren Ungnab."
3Dae heilige Cier!
JDer eine ifi verfunfen in bie jierlicben Schalen
feine? fpiijen^ufe?. iDer zweite in fein feelenlflare?
2luge. 3Der britte in bie feierliche Haltung feine?
Raupte?. 3Der vierte in bie leichten Jlinien feiner
200
friebsollen Bewegungen . . . 8ber bas meinen jle
nic^t. ÜDieiErfenntnis bestYJenfdjen b&t flc^ immer
an ein ©tue?, weil bas <Ban$e unfagbar i|t.
©ie empfmben alle — bie Bezauberung.
üEin £eil ber ©ebnfucbt eines feben if Heib ge*
worben in bem mafellofen Hier. Vüas würbe auf«
(Arabien, wenn es ben tTJantel ber CErfdjeinung
ploglid) ab würfe unb bas geahnte VDefen ent 3 auberr
bersortr<Ste!
5>as 2\eb if aufgefanben, fd>reitet mit sorge*
fhrecPrem <J>alfe unb ficbemben ©dritten bebenben
^ingerfpitjen ju, bie fd? örtlich ausfrecfen, bas
(Bebeimnis ber Boüenbung ju beruhten.
3Die i^ezen fcbme^en . . . CEin ewiges Hieb er»
Hingt . . . (Cauftinfelnbes ^rubb'cbf umfpielt bie
(Bolbgefalt eines Heben geworbenen SCraumbilbs. . .
tBas würbe gewefen fein, wenn fatt bes ftd?
opfemben Hammes bas Äeb in ber tTJorgenfonne
— ficb an bieRniee bes iErlofers gefcbmiegt hätte!
3 4> fdjließe bie (Bartenpforte, als hütete icb bas
<?>eil ber tBelf.
20J
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t>»n (Leo ©ternberg **
in 23. 23et>r« Perlag (£ricbricf> ,|jet>t>erfen), Berlin
unt> Äeipjig, weiter erfd>ienen:
3Dec X>enusbetg.
(8tfötd>ten. 2. Auflage.
5Dec 6elöenting* «aiiaben.
jfmXDeltgefang.^tungen.
(Bott bammett ein Polt.
2$rieget>td>tungen.
3Du fronet fiäcm t>es
Üt’benö. i£ine iluötrabl aus
feine« TOerFen.
ÄUftetl* @ebid>te. 2. Auflage.
@et>id> tc. 2. Auflage.
2tuefö£rlid>e Perjeicbniffe t>urd> je&c gute &ud>*
l>anMung ober t>om Perlag.
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Princeton Uni\
32101
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