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Kilburger 198
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Der Ceicbenbummler 235
Kalifornische Riesenfrücbte 236
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Gin Bittgesuch lDozarts 238
Blonde Jrauen 239
Zut Geschichte der Schattcnspielkunst 243
Pferdedressur in Jtalien 244
mit Jllustration.
« Die gestohlene Königin 245
Die Störche in Rolland 247
Ein Edikt gegen den Cuxus der Dienstmädchen • • 247
Sonderbare Rutschbahn 248
Die erste Cuise 248
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Der Rubin.
Kriminalroman von Sriedrid) 3acob$en.
(Tortsetzung.) ff (Pacbdrudi verboten.)
rnS badete einen Slugenblicf nach, bann naljrn er
Gbitf)3 §anb jwifchen feine Singer unb hielt
fie bort feft. „2Benn irgenb ein gerichtliches
Urteil auSgefprocfjen worben ift , (Sbith , bann
beginnt feine rechtliche 2Birfung erft mit bent
2lugenblidf, ba eine 2lbänberung nicht mehr möglidj ift.
2Bir Suriften bezeichnen biefen geitpunft mit bem SEBorte
„SlechtSfraft". 23evor alfo ein Urteil rechtsfräftig geroor»
ben ift, ^at eS für bie Partei feine 33ebeutung, eS ift
Qewiffermafjen gar nicht vorfjanben, eS änbert nidjts an
bem bisherigen SBenigftenS gilt bas von @he=
fdjeibungSurteilen, bie nic^t für „vorläufig ooQftredfbar"
erflärt werben fönnen. 2)ie 2lbänberung eines Urteils ift
aber immer möglich, folange bagegen ^Berufung eingelegt
werben fann. Sftach 2tblauf eines fDfonatS ift nun allere
bingS bie ^Berufung nicht mehr juläffig, unb baS Urteil
wirb alSbann rechtsfräftig, aber biefer 3Ronat beginnt
nicht mit bem GSrlafj bes Urteils, fonbern erft mit bem
SEage, an bem es jugeftellt worben ift, ober, genau ge*
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8
Per Uubin.
nommen, mit bem barauffolgenben £age. — Unter Au=
ftellung verftebt man bie mit ^Beobachtung geroiffer formen
erfolgte AuSl)änbigung beS getriebenen Urteils an bie
Partei ; es genügt, wenn fte entmeber an ben Kläger ober
an ben Söeflagten erfolgt ift. gür getuö^nlitf» erfolgt bie
Aufteilung in ber SBeife, bafi bie eine Partei baS Urteil
ber anbeten Partei auSl;änbigt, nadjbem fte es ficb vom
©eridjt bat geben taffen ; in (SfjefdjeibungSprojeffen aber I;at
bie Aufteilung von Amts rcegen ju erfolgen, baS Ijeijjt,
baS (SJeric^t mujj felbft baS Urteil ben Parteien auS=
l)änbigen. ©olange bieS nidjt gefcbeben ift, fann 33e--
rufung eingelegt merben, unb rocnn jel)n Aabre barüber
vergeben foUten ; baS @l)efdjeibungSurteil bleibt bis baljin
in ber ©cbroebe, es ift fo gut roie nicht vorbanben. —
•Jlun fagft bu felbft, baff bu nichts ©efdbriebenes befommen
baft, unb barauS redbtfertigt ficb ber ©d^Iufe, baff bein
2Jlann ebenfotoenig eine Ausfertigung erbalten t)at. ©in
bcrartigeS äktfeljen beS ©eridbtS märe an unb für ftcb faft
unbenfbar, aber eS erflärt fidf) aus bem Umftanbe, baf}
bie Alten burcb Seuer vernichtet roorben ftnb. SRun jiebe
felbft beine ©dEjlüffe."
@bitb b fl tte aufmerlfam jugebört. ©ie fdbien bie lange
unb grüitblicbe AuSeinanberfefjung auch verftanben, aber
bie allerlebte ^onfequenj noch nicht erfaßt ju haben, benn
fte entgegnete nur jögernb: „danach märe alfo baS ©be s
teibungSurteil noch nid^t recbtSfräftig?"
„©anj redE)t — ober mit anberen Söorten: bu bi ft
noch beute mit beinern -Kanne verheiratet!"
SDaS mar bie nacfte, verftänblicbe X^atfad^e ohne
juriftifdbeS Seiroerf, unb barauf fdbien ©bitb nidbt vor*
bereitet ju fein, ©ie rifj ihre $anb los unb fd^rie laut auf.
$aS Ungebeuerlidbe ber ©ntbecfung fjatte fie für einen
Augenblicf völlig gelähmt; fie badete nur an jtdb felbft
unb murmelte aHerbanb unverftänblicbe Söorte vor ficb bin.
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Kriminalroman ro)t ,friebridj 3 a cobfeu. 9
$ann aber fam ihr plöhlid) ein neuer ©ebanfe. ©ie
richtete ftd^ auf unb ftrich bie wirren $aare aus ber
©tim.
„23aS bu ba fagft, baS fann nicht möglich fein. 2Jlein
— 2Jiann ich meine er- — er Ijat ja wieber ge*
heiratet!"
$anS feufjte tief auf; er badjte foeben an bie aljnungS*
lofe fföaggi. „Seiber, barin liegt ja gerabe baS (Entfefc*
liehe. 35u felbft — bu Ijaft nur bein §erj oerfchenft,
aber nid^t beine §anb. 3)aS ©efefc fann bir nichts an*
haben, unb bie fehlenbe gorm wirb hoffentlich nad^uholen
fein. $er 2lnwalt beineS ‘•ölanneS wirb no<h leben, er
wirb wohl auch baS Urteil beft^en. (Er brauet es bir
nur einjuljänbigen, unb nach Ablauf eines fDtonatS Bift
bu frei. $er anbere — bein fDiann — brauet nicht
einmal etwas baoon ju erfahren, aber er h«t tro^bem
ein Verbrechen begangen, baS mit 3 U( $t§ aug beftraft
wirb, ©eine jweite (Ehe »ft nichtig unb o, arme,
arme !D?aggi, wenn ich baran benfe !" '
3n (EbithS fchönem ©efid)t ging eine Veränberung
por, eS würbe plöjjlich h«*l unb lauernb. Vielleicht ftieg
oor ihrer (Erinnerung jenes VUb auf, ba $anS unb
fDlaggi in bem oerroilberten ©arten ftanben, unb ber
SJlann fd^ü^enb feinen Slrm um baS blüljenbe 3Seib
legte.
$>ie ©eene gewann in ihren 2lugen eine anbere Ve*
beutung.
„2lrme •äJiaggU" wieberholte fte. „2ßie järtlidj bu
baS fagft! Sföarum ift biefe — $rau benn fo fefjr ju
Bebauern? §at fte nicht felbft ihr ©djicffal gewollt?"
„Sftein," entgegnete ber 3lnwalt, „nein, fte nicht!
©ie weih non nichts, fie ift baS Opfer eines SrrtumS ge*
worben, unb nicht einmal eines VetrugeS. 2)enn auch
ihr fUlann — bein 9J?ann, (Ebith, h^t fidj in bemfelben
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10
Per Hubtit.
unfeügen SBa^nc befunben, in bem bu felbft Bis heute
Befangen warft. @r Beging raof)l ein Unrecht, als et feine
Vergangenheit tjerfc^roieg, aber ein Verbrechen hat er
nimmermehr Begehen motten. Unb nun mujj er fo ^art
für feine Siebe Beftraft rnerben!"
©bithS ©eftcht mar immer fpifjer geroorben, ein un»
fdjöner $ug ber Seibenfchaft oergerrte ihre Sippen, fo bafj
bie fleinen 3äf)ne fid^tbar mürben.
„©eine Siebe?" fagte fie leife. „(ix hatte ja gar lein
Vedjt, feine Siebe gu oerf<henfen."
Unb bann marf fie plöhlich mit einer rnilben Ve=
megung ihre 2trme um ben Vacfen beS 9J?anneS, ber
finfter brüienb an ihrer ©eite fafj.
„§anS! $aS ift alles fo entfe^lich unb oerroorren!
Safi unS fort oon hier, ich fürchte midf! 3$ bin i a reidj,
mir fönnen leben, roo es flnS gefaßt. Verlauf mein
@rbe, gieb beine VrajiS auf, tafj uns ins 2luSlanb
gehen, irgenbroof)in! 2lber nur nicht hier — unter biefen
fdE)tecf liehen Verhältniffen!"
©ie hing an feiner Vruft unb fah ihn mit flehenben
Slugen an; bie Slngft oerflärte mieber ihr ©eficht. ©ie
mar fchöner als je.
Unb er fpürte einen faft unroiberftehlidjen $rang,
thöricht gu fein unb alles hinter fich gu roerfen.
2lber bann löfte er plötzlich ihre Slrme oon feinem
Vacfen unb brüdfte fie fanft in einen ©effel.
©r fe^te ftd) mieber neben fie unb fagte ernft: „Sbitlj,
bu h a ft ba ein fehr oerlocfenbeS Vilb auSgemalt, aber
ber §intergrunb ift grau unb nüchtern. 3$ habe bir
noch nicht alles mitgeteilt. Sßittft bu mir noch einmal
geftatten, als 3urift mit bir gu reben?"
„3uriftifche ®inge ftnb häßlich," entgegnete fte fchau*
bernb, „mas giebt’S nodh mehr?"
„3m VedjtSleben fnüpft fich immer eine $olge an
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Kriminalroman non ^riebridj 3 ac °bf crt - 11
bie anbere; wenn ba3 ^unbament unficfjer ift, bann bricht
ber ganje Sau jufammen. Sergegenwärtige bir noch
einmal bie 3:^atlad^e, bajj beine @he biä heute nic^t ge-
fdEjieben ift, bafj bu in ben lebten fünf 3 a fj*e n ebenfo gut
oerljeiratet warft, wie uor jener 3^it. Db na<h einigen
Üüßodjen bie @fje gefchieben fein fann, tft für ba§, was
id) fagen will, gleichgültig. ®enn ich fpredje je§t non
einer unraieberbringüdEjen Sergangenljeit. Süorauf beruht
bein Erbrecht an bem SRuhmannfcfjen ©runbftüd?"
„$odh wohl auf ber Slboption burch 2llfreb SRufjmann,"
fagte fie unruhig.
„^Richtig; gan^ allein auf biefer Slboption unb auf
ihrer ©ültigfeit, benn in beinen 2lbern fließt fein tropfen
non bem Stute ber gamitie Stuljmann. 9fun ift eä aber
ein alter, allgemein gültiger ©runbfafc, bafj jebe SRechtä*
banblung nach ben ©efefcen beSjenigen SanbeS beurteilt
roerben muH, in bem fie oorgenommen roirb, unb baS ift
in biefem $atle Srafitien. 3$ höbe mich heute früh mit
bem brafilianifd&en $Red)te befd&äftigt unb babei feftgeftellt,
bajj bie Slboption einer ©hefr au nur bann ©ültigfeit
hat, roenn fie au3brüdlid& non bem ©bemann genehmigt
roorben ift. $)eine Slboption ift alfo ungültig, benn bu
warft jur 3eit berfelben noch (S^efrau."
diesmal fc^rie (Sbith nicht auf.
25ie 9fad)ricbt, bafj ihre @l)e noch nic^t gefchieben fei,
hatte fie niedeid^t moraltfdj erfc^üttert, aber bie ©Eifienj
rourbe baburch nicht gefährbet, mäfjrenb biefe neue §iob§s
poft wie ein Äcutenfcf>lag auf iljr §aupt nieberfiel. Sie
mar einen 2lugenblid ftumm, bann aber lehrte bie Ses
finnung jurüd unb mit iljr eine wilbe (Energie.
„Daö ift unmöglich !" fagte fie heftig. „Da§ märe
eine ©raufamfeit ohnegleichen ! Sföaö höben biefe ttjörichten
formen baniit ju fd^affen, wenn ein ebler SRann feiner
2)anfbarfeit einen älusbrucf geben will? Unb glaubft bu
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12
Der Hubin.
benn, bafj mein 2lboptiooaier btefeä ©efe^ nidjt gefannt
haben foHte?"
„©anj geroijj, ©bitl). 2lber bu ^aft ihn ja fclbft be*
logen — oerjeih, ich meine, bu haft ifjn ja felbft in ben
©tauben oerfe|t, bafj bu lebig feift unb oon feinem
3J?enfc^en abljingeft."
„3<h machte greifen lebig unb gefdjieben feinen Unter*
fcf)ieb," entgegnete fie heftig, „ich ^atte ja feine Äinber,
bie Vergangenheit mar auägelöfdfjt!"
Unb bann leuchteten ihre Slugen plö^Iich auf.
„2tber, mein ©ott, bie ganje ©adje ift ja fchliefelidj
gleichgültig ! 3<h habe bie Slboption fdjrcarj auf roeifj,
unb fein 2Jtenfch auf ber ganjen SBelt befi^t bauon
Kenntnis, bafj fie raegen einer tf)örid)ten gorm oietteidjt
ungültig ift."
3Me Vlicfe ber beiben ruhten eine ©efunbe lang in*
einanber.
„2Beifj ich e3 nidjt?" frug §an3 gelaffen.
„$u?" ftammelte fie erfdjroden. „$u bift ja bodj
mein Verlobter—"
„$ch merbe eS oieQeidjt einmal fein," erroiberte §nn3,
„biä heute fleht noch eine ©chranfe smifchen bir unb mir.
2lber aud) abgefehen baoon — bürfen mir baS ©efefc
benn betrügen, ©bith?"
©ie ballte ihr Safihentud) in ohnmächtigem 3orn ju*
fammen. „28er mitb benn baburch gefdjäbigt?! 2öenn
ich nicht ©rbe bin, bann tritt Hamburg an meine ©teile,
baö grofie reiche Hamburg, bem eine halbe -äRitlion fo oiel
gilt, roie bir unb mir ein elenber Pfennig ! 2öiHft bu
benn einer Vettlerin beine $anb reichen?"
$>a3 le^te Argument mar oon einem ungeheuren ©e*
reicht.
2We§, ma§ ©bith befafs, ftammte tljatfächlich oon
fRuhmann her, ohne ihn mar fie ärmer alä bie erfte befte
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Kriminalroman non ^riebrich 3acobfen. 13
Stäherin in irgenb einem SBinfel Hamburgs. Unb §anS
SDtarquarbfen füllte in biefem 2tugenblicf feljr flar, baß
bie beabfidjtigte Verbinbung tnii Ebith jum großen Xeil
auf praftifdjen Erwägungen beruhte.
Er batte eS ja 2lgneS beutticb genug gefügt.
SDtit ißr hätte er — nieHeidjt nicht ohne ©eufjen —
einSeben »oll Entbehrungen ertragen tönnen; mit Ebith?
— nein!
Unb er brauchte nur ju fcfjweigen unb alles feinen
©ang gehen ju taffen, um bie reid^c Erbin ju erroerben ;
ob bie Stabt Hamburg eine halbe Million mehr ober
weniger befaß, mar ihatfädjlich gleichgültig.
freilich — eS blieb ein Unrecht.
§anS SJtarquarbfen hatte nicht nur bie fjöchfte SUbung
genoffen, bie einem SDtenfchen ju teil werben !ann, fonbern
bie beftänbige Vefdjäfiigung mit juriftifdjen Gingen hatte
naturgemäß feinen Sinn für Stecht unb Unrecht gefdjärft.
Vielleicht nicht immer auf moralifdjem ©ebiet; §anS
fonnte unter Umftänben feine $enntniffe ba&u oermenben,
um ein ©efeij ju umgehen ; aber er märe nicht im ftanbe
gemefen, eS j\u »erleben.
Unb fo rang er mit fid(j felbft.
Ebith, baS fluge, gewiffenlofere 2öeib, fah recht woljl
biefen $ampf in feinen SDtienen, unb fie !am ißm auf
bem natürlichen Söege ihres ©efchledjtS entgegen.
Sie fchmiegte ft<h an ihn unb fagte leife: „2öir ge*
hören jufammen, §anS, unb mein Schidfal liegt in
beinen $änben; miHft bu mich »erlaffen?"
Stein, baS wollte er nicht.
„2Bir fönnen nietleicht eine glüdfidje Söfung finben,"
entgegnete er auSweidjenb. „^dj werbe fofort nach Söalbau
reifen unb aunädjft Stachforfdjungen barüter anftellen,
ob meine fchlimmften Vermutungen wirtlich begrünbet
finb. ®aS anbere finbet fich bann fpäter."
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Der Xubttt.
©o fdjob er bie ßntfdjeibung IjinauS, ober eS fdljien,
als ob Gbitlj non einer neuen ©orge befallen würbe.
„9J2u^ baS benn fein?" frug fie beflommen.
„Unbebingt, ßbitlj. Sor allen Gingen fyanbelt e§ fidfj
barum, bir baS ßfjefdjeibungSurteil jufteüen ju laffen.
SBenn bu erft einmal frei bift, bann läfjt ficf) baS anbere
fdjon mit meljr Siufje überlegen. 3™ fd)limmfien gaHe — "
„2BaS benn? ©ag alles!"
„3DaS müfjte freilich oot fRecljtSfraft beS Urteils ge*
fdjeljen," fufjr er nad)benflidj fort. „3|cf) meine, wenn
bein 2JJann nodj nadjträglidj bie ©eneljmigung jur 2lb*
Option erteilte, fDioglidjerweife geljen bie ©eridljte barauf
ein."
Gbitl) faf) ifjren Scrlobtcn ftarr an.
„Sieber wollte id) auf alles »ersten," fagte fie
langfam.
elftes Kapitel.
ßS war bunfler geworben, unb bie Säume trieften
budjftäblid) oont 9icbel.
$urcf> ben bunftigen ©dreier fonnte man faum auf
wenige ©dritte baS £id)t ber Saiernen erfennen. 2)ie
bide Suft bämpfte ben ©d&all fo fefjr, bafj in ben »er*
ftreut liegenben Sillen non ^aroefteljube ber größte Särm
Ijätte ooHfüfirt werben fönncn, oljne bafj bie ©tragen*
paffanten irgenb etwas Ijörten.
©anj befonberS war bieS in ber Umgebung ber Sißa
Seterfen ber $all, bie ofjneljin fdjon ju ben oorgefd^obenen
Soften gehörte unb nacf) ber ©eite bes 9iuf)mannfcfjen
©artenS überhaupt feine fRacfjbarfdjaft befaj}.
$)ie alte ^ofep^a empfanb biefe einfame Sage ganj
befonberS peinlid).
©ie Ijatte oiele ^afjre auf ber ^acienba beS oer*
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Kriminalroman con ^friebrid? 3' ac obfcrt. 15
ftorbenen 2llfreb Sfuhmann jugebradEit unb bort aus»
giebige ©elegenljeit gefunben, fich an ben fanget jeglicher
■Jiadjbarfchaft ju geroöhnen. 55er furje Aufenthalt tu
Hamburg ^atte fie aber bereits baruber belehrt, bafs bie
SöübniS mitunter ber 9?ähe einer oolfreirfjen ©tabt oor»
jujie^en ift.
9Jtan las täglich in ben 3eitungen non 9iaub unb (Sin»
brudfj, unb bie alte Wienerin mar baburdj fchlieftlich fo
üerfdjudjtert morben, bafe fie in jebem uerfommen aus*
feljenben -äJtenfdhen einen Räuber unb ÜWörber ju erblicfen
glaubte.
(SS mar ihr beSfjalb ganj angenehm geroefen, bajj
(Sbith einen Wiener ins §auS nahm, aber bie Serfön»
lid&feit beS tuürbigen Sohn ©teoenS gefiel ihr feineSroegS.
55er SJienfch mochte ja non 55oftor -Biarquarbfen empfohlen
roorben fein, aber baS hinberte 3ofepf>a feineSmegS, iljn
mit fehr mifjtrauifchen Slicfen ju beobachten.
Unb babei hatte fte eigentlich gar feinen oernünftigen
©runb ju irgenb einem Argmohn. S°h n betrug fich
burdjauS forreft unb anftänbig; er mar bienftroiUig unb
ftetS nüchtern, unb fein glattrafierteS ©efidjjt geigte jeber»
jeit ben AuSbrucf größter Sieberfeit. (Sr unterhielt ftch
auch feh* häufig mit Sofepha in einer 2Beife, bie feine
Teilnahme an ben ©chicffafen ber gemeinfamen Herrin
burchblicfen liefe ; man hätte faft fagen fönnen, bafe er
eine geroiffe Neugier für bie SermögenSoerhältniffe (SbitljS
an ben £ag legte. 5)aS mar inbeffen bei 5>ienftboten
nichts UngeroöhnlicheS.
Auffälliger erfdjien ^ofepha ber Umftanb, bafj 3<>hn
©teoenS mit 9iero in einem beftänbigen $rieg lebte. 5)ie
55ogge mar aus Srafilien mit herübergefommen unb, ab»
gefefeen »on ihrer 55reffur auf ben Sölann, uon ziemlich
harmlofer 9tatur; aber fie jeigte gegen ben neuen 55iener
eine ganj he^oorragenbe Abneigung, mäljrenb 3<>h n feiner»
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Der Rubin.
feits alles mögliche tljat, um fich tu bie ©unft beS tiefem
ftarfen f£iereS einjufdjmeicheln.
©in $urift würbe ben ©rfolg mit einem „Verfuch am
untauglichen Dbjeft" »erglidjen haben, ^ofep^a aber 50 g
im geheimen noch ganj anbere ©djlüffe.
@r ift fein guter ÜDlenfch, bachte fte.
Unb nun war fie in biefer nebelfdjweren Hämmer«
ftunbe mit ©teoenS allein in ben ßüdjenregionen. $>ie
Aufwartefrau, welche tag§ über bie gröberen Arbeiten oer*
richtete, hatte fid) entfernt, brinnen im ©aton rebete
2 Jfarquarbfen mit (£bitlj.
Sofepha war flug genug, um baS Verhältnis beS
jungen RedjtSanwaltS mit ihrer $errin ju burdfjfchauen ;
wenn bie beiben nicht fdjon miteinanber nerlobt waren,
bann fam eS ftd^erlid^ heute jur AuSfpradje, unb eS war
jebenfaßs norauSpfehen, bafj ber Bewerber jum Abenb>
effen bleiben werbe.
Sofeplja ging in ihre ©tube unb fam gleich barauf in
§ut unb Regenmantel jurücf. „3ohn," Tagte fte, „baS
gnäbige gräulein hat Vefuch, ber wahrfcheinlich bableiben
wirb, unb bie ©peifefamtner ift leer. 3 <h mufj notwenbig
in bie ©tobt. 2 Bir haben jefct halb ©ed)S, ich benfe, bis
fteben Uhr fann ich wieber ba fein, ©eben ©ie im
gwifchen gut acht, unb wenn baS gnäbige Fräulein nach
mir fragt, bann fagen ©ie Vefcheib."
,,©<hön, gräulein Sofepha," entgegnete 3 oh»t bienft*
willig. „2SoUen ©ie mir einen ©efallen thun?"
„2öaS benn?"
„Rehmen ©ie baS Jrjunbcoieh mit."
Qofepha ftufcte. „SBarum foU ich baS mit*
nehmen? @S gehört ins §aus unb ift mir hinberlidj."
„ 3 m ©egenteil, gräulein 3 ofepl)a. ©ie glauben gar
nicht, wie feljr einjelne fDanten bei biefent nebligen 2 Better
beläftigt werben. Unb bann — "
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Kriminalroman non ^ricbricfj 3 aco ^ , ^ et, • 17
„2 ßaä roeiter?"
„34 fürchte mi4 »or bcr SBeftie," fagte 3<4n auf*
richtig. „2öenn ©ie ba ftnb, bann tljut er mir nid)t§,
aber unter oier Säugen mag idj nic^t mit iljm beifammen
fein. 6r fönnte midj fteüen unb ©ott meife ma3."
3ofep^a ba^te einen 2lugenblidE nacfj.
©o unrecht featte ber Wiener nid^t , e§ mar mit
bem §unbe merfmürbig. ©bitlj befanb fi4 ja au4 unter
ber Dbfjut non SDoftor ÜJfarquarbfen, unb 3ofo4a felbft
fürstete ft4 ein bijjdjen »or bem 2Bege. ,,©3 ift gut,"
fagte fte, „idj metbe 9?ero mitneljmen."
©ie rief ben §unb unb »erliefe bie 93iHa. 3<4n
©te»en§ Ijor4te iljr na4 ; baS ®eräuf4 non ber jufatten«
ben ©artenpforte brang nur fetjr unbeutli4 an fein Dfer,
e§ mar mirfti4 eine Suft, bie feinen Saut burdfjliefj. Unb
babei biefer fiirdfjterlictje -Jfebel, ber alles »erfinfterte unb
bie ©trafee einfam mad^te.
9?a4 Verlauf einiger Minuten ^örte ©te»en§ an ber
©alontljür fpred^en. ®oftor SDfarquarbfen oerabfc^tebete
fi4 non (Sbitfj.
Sefetere fagte: „Sälfo bu miffft mirflidj biefe SRad^t
nodf) abreifen?"
„©emife, um neun Ufer mit bem ßuriergug, ber na4
3talien gefet. 34 benfe, in einigen £agen roirb bie
.£jauptfa4e georbnet fein."
©te»en§ fjord^tc angeftrengt, aber er fonnte nichts
meiter feören. SDfarquarbfen »erliefe ba3 §au§, unb glekfe
barauf ertönte bie ©4elle im ©alon jmeimal, ba§ ge*
raöljnlicfje 3ei4en für 3ofepF»a.
3ofen ging leife über ben Äorribor unb öffnete bie
SEfeür; (Sbitfe ftanb mit bem SRücfen gegen biefe am fünfter
unb fafj feinüber naefe bem 9tufemannf4en ©arten; e§
mar braufeen alles grau in grau unb faft fo bunfel, als
ob fdjon bie ÜJiactjt feereingebro4en märe.
1901. III. 2
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18
Der Hubttt.
SteoenS war fo geräufchfoS eingetreten, baf? @bülj cS
fchmerlidj ^atte hören fönnen, aber bie feinen unb er»
regten fernen ber jungen grau fd)ienen bte fßähe beä
Cannes inftinftio gu füllen.
Sie roanbte ficb um unb fagte fd^arf : „2Ba§ roollen
Sie, $ohn? 3$ Ijabe nach ^ofep^a gefdjeHt."
„3ofep^a ift ausgegangen, gnäbigeS grciulein," ent*
gegnete SteoenS leife.
„2öoi)in?"
„2tuf 23eforgungen, gnäbigeS gräulein; fte mirb in
anberthalb Stunben gurüdfommen."
„®ut. .günben Sie ben Kronleuchter an."
@r gehorchte fdEjmeigenb, roäljrenb (Sbith mit oer»
fchränlten Strmen am genfter lehnte. Seine robufte ©e-
ftalt bercegte ftch geräufdjtoS über ben fEeppidj, aber er
mar bteSmal ungefd)idt, unb eine ber KrpftaHquafien
fiel mit letfem Klang auf ben gufcboben.
„2BaS mar baS?" frug (Sbitt; gufammenfdjredenb.
„fRidjtS; ich bitte um SSergeihung. "
2lls ber Kronleudjtcr brannte, begann SteoenS bie
Vorhänge an ben genftern niebergulaffen. @r !am babei
nahe an Sbith, bie noch immer ihren alten $ßla| inne
hatte, heran unb blieb abroartenb »or ihr flehen.
Seine SUtgen fudjten babei ben Teppich, es mar, als
ob er nid)t ben 9)lut habe, ihr in baS ©eficht gu bliden,
aber er fchien ebenfomenig geneigt gu fein, bie einmal
begonnene 2lrbeit gu unterbrechen.
9?ach einigen Sefunben trat (Sbitl) oon felbft beifeite
unb gab ba§ genfter frei. Sie fc§te fid} an ben Schreib»
tifch, öffnete ein gad> unb legte ihre Srofdje hinein; als
fte gleich barauf emporblidte, ftanb ber Wiener bidjt hinter
ihr unb orbnete bie galten ber ©arbinen.
2öenn biefe mechanifche Üljätigleit iljn nicht auSfchliejj«
lieh in 2tnfprudj genommen h a i* e , bann mufcte er bie
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Kriminalroman »on ^ricbridj 3 ac °bf crt -
19
Suroelenfaffette gefehen haben, bic in bent offenen gadje
fianb unb burdj ihre funftoolle Arbeit einen roertoollen
Snljalt oerriet.
@bitt; üerfdjlojj etroaS Saftig ben ©dfreibtifch unb fagte
ungebulbig: „Sinb ©ie benn noch nicht fertig? 2)aS
bauert ja eine (Sroigjfeit!"
„©leid», gnäbigeS gräulein — fo, jefct finb bie $enfter
bicht."
(SS roar fonberbar, bajj er biefe felbftoerftänbliche SEljai*
fache betonte; man oerhüHt bodj ftetS bie genfter, um
jeben (Sinblicf oon aujfen unmöglich gu machen, eS bient
gur Erhöhung bes VehagenS unb ber Sicherheit.
Slber (Sbith fühlte fich feineSroegS behaglich.
©ie fajj jefjt oollftänbig roie in einem ©efängniS,
jeber Verfehr mit ber Sluffenrcelt roar abgefchnitten ; roer
irgenbroie auf ber Straffe oorüberging, ber fonnte nicht
einmal menfchliche ©chatten hinter ben genfiern ber 33iUa
entbecfen, benn -ftebel unb 33äume unb Vorhänge lagen
roie ein breifacher ©Fleier groifchen feinem 3luge unb ben
Vorgängen, bie ft<h brinnen abfpielten. 2öenn man benn
überhaupt oon Vorgängen reben fonnte.
„Sftufen ©ie ben §unb herein," fagte (Sbitlj plöhlicf».
©teoenS fchlucfte ein paarmal, als ob ihm bie ßef)le
trocfen geroorben roäre.
„Sofeplja hat ben -Jfero mitgenommen, gnäbigeS
gräulein."
(Sbith antroortete nicht, ©ie fpürte ftatt beS big«
fjerigen Unbehagens plö§lid) eine fonbetbare 3lngft, unb
fte oermochte fid) bennoch über ben ©runb feine flare
3iechenfd)aft gu geben, ©ie blidte nur bem ©iener ftumm
in baS ©efidjt.
Sohn hatte in bem gimmcr nichts mehr gu tljun. (Sr
fah fich noch einmal um, machte eine Verbeugung unb
fdjlich auf ben gufffpifcen hinaus.
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20
Der Hubin.
2113 er bie Sl)ür hinter ftdj fiel ber non außen
ftecfenbe ©cf)lüffel geräufcßtog auf ben Säufer beg 5torrt*
borä ; er hob ihn auf, faß einen Moment barauf nieber
unb fcfjob ifjn bann langfam in bie Safdlje.
darauf ging er in bie ßüdje juriicf, günbete Sicht an
unb blicfte auf bie Uljr.
©g mar jefct gerabe ©ecßg, unb um Sieben rooIUe
gofeplfa jurücffehren.
©ine ©tunbe.
Sie in ber fleinen 23ißa hcrrfdjenbe ©tiHe mar jeßt
gerabeju bebrücfenb. Sie mürbe nur bann unb mann
burcß ba§ klingeln ber ?5ferbebaf)n unterbrochen, aber
biefeg ©eräufch erhöhte ben ©inbrudE ber ©infamfeit,
benn eg Hang burch bie bicfe Slcbelluft fo fern unb ge*
bämpft, alg ob groifcffen ©traße unb (harten nodh ein
raciteg öbeg gelb gelegen hätte.
gohn ©teoeng trat an ben ßüdjenfcfjranf unb brachte
eine angebrodhene gfafche Slotraein gum SSorfcßein; er
nahm fidfj nicht bie Seit, nach einem ©lafe ju fließen,
fonbern jetjte bie glafcße an ben SJlunb unb tranf gierig
in tiefen giigen.
Sabei oerfdhüttete er einen Seil beg gnßaltg, unb
bie rote gliiffigfeit rann auf bie roeifse Sedfe beg Erichen*
fchranfg. Sie entftanbenen glecfen machten faft ben ©in*
brucf, alg menn bort 23lut oergoffen märe, unb eg tropfte
einige ©efunben lang in gleichmäßigem gaÜ auf ben
gußbobcn nieber.
günf Minuten nach ©ec|g.
Ser 23lidf auf bie Ieife tidfcnbc ßüdßenuhr raecfte in
©teoeng einen neuen ©ebanfen. „Um neun Uhr gel;t ber
©djnetlgug nach Italien," hatte Softor SJtarquarbfen
gefügt.
2Senn irgenb ein 23eroohner $amburgg ben SBunfdh
hegt, ohne Sluffeßen aug ber ©tabt unb oieKeicht aug
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Kriminalroman non ^ricbridj 3 ac °bf eu - 21
$eutfd&lanb ju oerfdfiwinben, bann Ijat er ben §afen feljr
naf)e, unb bie beftänbig auälaufenben ©djiffe geben ü)tn
bie befte ©elegenfjeit, feinen 93orfa§ auäjufüljren. 2lber
wenn oiellcid&t bie Sßolijei babei in§ ©piel fommt, bann
Ijanbeli er bennodfj unllug, biefen bequemen 2öeg ju wählen.
fUenn bie Hamburger §afenpolijei ift mit Siedet in ber
ganzen 2Belt gefürchtet ; fte fteljt i^rer -ftem porter $oßegin
würbig gut ©eite.
303er gefreit ift, ber geht auf ben 53aljnf)of unb fährt
nacf) ©üben.
3oljn ©teoenS roarf nodf) einen 23licf auf bie ftetig
oorrüdfenbe Uljr unb begann bann eine fonberbare unb
fcheinbar jroecHofe Sfjätigfeit.
dt na^m au§ bem ^oljforb ein großes fdfjarffantigeS
©dffeit, holte fein ftarfeS, im ©riff feftftefjenbeS 3Jieffer
au§ ber Xafd^e unb begann an bem fcfjweren £olä Ijerum*
gufd^ni^en. ®ie ©päne flogen* nadfj allen ©eiten, e§ ent»
ftanb eine 2lrt ©riff, ber t>on einer fräftigen $auft mit
Sequemlicfjfeit umfaßt werben fonnte. '•
$a3 SDing fa| faft aus roie eine furje, wuchtige
ßeule.
günfjeljn Minuten nach ©ed;S.
©teoenä mar fo emftg bei feiner 2lrbeit, bafj bie
©dEjweifjtropfen iljm über bie ©tim rannen, unb bennodj)
mar fein ©efidfit feljr bla|.
Unb nun Ijob er plö^lidfj ben Äopf.
SBar baö nicht ber Saut einer ©d&elle?
®er 2on muffte aus bem ©alon gefommen fein, wo
(Sbith fidfj nodb immer allein befanb ; bie §errin rief iljren
Wiener herbei.
©teuenä warf einen 33licf auf fein Sföerf; bie fonber-*
bare 2lrbeit war noclj nicht gnnj fertig, ber ©riff lag nodj
ni<ht ficher genug in ber §anb.
SDer fUlann legte baS ©cljeit in ben Äorb jnriidf. (Sr
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22
Der Hubin.
naf)tn ftdj nicht einmal bie 3eit, baS Keffer einjuflappen,
fonbern ftedte eS offen in bie 23rufitafdje; bann ging er
hinüber in ben ©alon.
@bitfj fajj lefenb am Sifdj; fte blicfte erftaunt auf,
al§ ber Wiener eintrat, unb erhob ftdh bann unwillig oon
ihrem ©effel.
„2BaS wollen ©ie fdjon roieber? §abe ich ©ie etwa
gerufen?"
„3a," entgegnete er fürs unb fjeifer.
©ie beiben — §errin unb ©iener — ftanben ein«
anber faum ptei ©djritte gegenüber, unb bie Haltung
beS lederen tjatte fic§ auffällig »eränbert.
@r fd^ob ben einen gufj oor, ftedfte feine redete $anb
in bie Srufttafdhe unb mieberbolte: „Sowohl, ©ie ^aben
mich gerufen — ich roeifj eS genau "
@S fcljien faft, als ob er eine erregte 2lntroort Ijeroor»
rufen, ober als ob er ftdh felbft in gorn oerfetjen wollte,
um bann — ,
Slber ba* fam roieberum jener Saut bagtoifdljen, ber
iljn oorljin oon feiner 2lrbeit aufgefdEjredt l)atte, bicS»
mal ganj beutlicb bas furje fdjriHe 2tnfcljlagen ber elef*
triften ©c^el Ie an ber Slorribortljür.
(Sbitl) mürbe plötzlich ganj ruhig.
©ie fonnte noch leine Sl^nung oon bem Ijaben, maS
iljr oieHeidht in ber nädjften ©elunbe beoorftanb, fte fdfjob
baS uneljrerbietige ^Benehmen bcs ©ienerS nur auf ben
oorljin auSgefpro^enen ©abel, unb biefer ftcllte fidh jefjt
als unbeteiligt heraus.
„2Bir buben unS beibe geirrt," fagte fte. „@S ift
jemattb braufjen, fef)en ©ie nadj."
©teoenS oerliefj baS 3 *> nmcr - bem $orribor
brannte eine mattgefd;Iiffenc Simpel, bie ben staunt nur
notbiirftig erhellte, wäfjrenb baS 33cftibül burcf) einen ©aS*
fartbelabcr beffer beleuchtet mürbe. Stuf biefe 2öeife mar
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Kriminalroman oon ^riebridj 3 ac °bf en - 23
eS möglidh, bie braufeen fteljenbe fßerfon genau gu er»
fennen, roäferenb baS Umgefefjrte auSgefd^Ioffen blieb.
2113 3ofen ©teoenS bie Csntreetfjür öffnete, praÖte er
unroillfürlidh einen ©cferitt gurüd unb briicfte ficfj in bie
bunfelfie @de.
®iefe SBeroeguttg roar um fo auffälliger, als ber 9J?ann
ba braufeen ifem fcferoerlidj befannt fein fonnte; aber oiel»
leicfet machte gerabe in biefem 21ugenblid unb unter ben
obroaltenben Umftänben bie fraftoolle ©eftalt be3 §rem»
ben einen furdjterroecfenben (Jinbrud.
@3 roar fDiaj §umberi, ber Juwelier oom Herren«
graben.
§umbert fcfeien ba3 fonberbare Senefemen be3 Wieners
um fo roeniger gu beamten, als er feine ©eficfetSgüge nitijt
gu erfennen oermodEjte. (Ex überreichte feine $arte, frug,
ob baS gnäbige gräulein gu fprecfjen fei, unb fügte feingu,
bafe er in ©efcfeäften fomme, unb bafeer bie etroaS un»
gemöfenlidhe ©tunbe gu entfcfjulbigen bitte.
©eine ©timme flang babei ooßfommen gelaffen, unb
e3 roar Har, bafe er ficlj in einem gang fremben $aufe
gu befinben glaubte, ©teoen bagegen befafe aHerbingS
feine 2lf)nung oon bem roirHidjen ©acfeoerfealt, roofel aber
oermutete er irgenb roelcfje gefeeimniSooHe Segieljungen
groifdjen dbitfe unb §umbert. (Ex roagte eS bafeer nidfjt, ben
unerroünfcfjten 33efudE) unter irgenb einem nichtigen $8or»
roanb gurüdguroeifen. (Ex nafern roortloS bie ßarte ent»
gegen unb begab fitf) in ben ©alon.
@bitfe featte fidj ingroifcfeen roieber auf bem ©effel
niebergelaffen unb baS 23udh gur $anb genommen; bie
butdj eine ooHfommene (Sinfamfeit Ijeroorgerufene 23e»
Hemmung roar oon ifer gereichen. ©ie füllte bie
oon ÜJJienfcfeen unb bamit eine inftinftioe Scrufeigung.
Unb in biefer ©timmung nafem fie bie $arte aus ber
$anb beS Wieners entgegen.
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24
Der Rubin.
(Sine $ette oon ^Begebenheiten, beren jebe einzelne ge*
eignet ift, bas ©emüt ber ÜDlenfchen in Aufregung ju »er*
■fe^en, roirft in ihrem Slbfchlujj je nach Sefdjaffenheit ber
Sharaftere fehr »erfd)ieben. Siuljige unb p^legmatifd^e
Naturen werben burch bie «Steigerung ber Slffefte er*
fchüttert unb aus bem ©leidjgeroicbt gefcfileubert; ein ner*
»öfeS Temperament toxrb im ©egenteil bisweilen nieber*
gebrücft unb fällt ber 2lpatf)ie anheim.
@bitf) nahm bie Äarte unb las ben tarnen, ber einft*
malä ihr Eigentum gewefen war, ben fie »ieHeicht heute
noch trug.
«Sie liefj baS Heine Slättdjen auf ben Teppich fallen
unb bliche ftumpf barauf nieber. Tann fügte fie mit
einer fehr müben unb tonlofen ©timme: „3$ laffe ben
§errn bitten, einjutreten. Tragen Sie bafür ©orge,
bajj mir nicht geftört werben."
Sohn ©teoenS ging wieber hinaus. Ter Suwelier
hatte injwifchen ben $orribor betreten unb ftanb wartenb
unter ber Simpel.
@r war in tiefe ©ebanfen oerfunfen unb fah ben
Tiener !aum an, ber ihm nur ftumm winhe, »orauä*
gehenb bie ©alonthür öffnete unb ftch hinter ihr becfte.
SKS bie Thür wieber ins ©chlofi fiel , fdjlüpfte
©teoenä geräufchloS in ein anftofjenbeS bunfleS 3immer,
baS nur burch eine portiere uon bem ©alon getrennt war.
@in großer Dfenfchirm bot iljm bort ben willfommenften
Saufcherpoften.
Zwölftes Kapitel.
§an§ fDlarquarbfen h«he fich non (Sbith unmittelbar
in feine Söohnung am §erreiigraben begeben, um bort
bie notwenbigen Vorbereitungen für feine ffteife ju treffen.
@r wollte nur einige Tage abwefenb fein unb brauchte
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Kriminalroman non ^riebridj ^acobfen. 25
baffer nur einen fleinen §anbfoffer ju paden. 2)aS roar
in einer halben ©tunbe abgemacht, unb er ging fobann
in bie §umbertfdje 2Soffnung hinüber, um fidj bort ju
oerabfdjieben.
@r hatte babei nodj einen befonberen 3roecf im 2luge.
2)ie Vermutung fpradj aEerbingS bafür, baff 2Raggi
non ber Vergangenheit ihres VfanneS feine Kenntnis be=
faff, aber ganj beftimmte Sffatfadjen für biefe Annahme
lagen bis jefct nodj nicht nor. 9tun aber ergab fid) ganj
non felbft bie ©elegenffeit, biefen mistigen $unft feft*
§ufteEen.
3Jfaggi mar allein, benn 4?umbert hatte ffcff bereits
auf ben 2Beg nach $aroefteffube gemad;t; bie beiben
3JZänner rcaren maffrfdjeinlidj aneinanber oorübergefommen.
©ie ftidte an einer Vriefiafdje unb jagte ladjenb:
„gcff badete fd)on, mein ÜJlann fämejurücf; baS ift nänt=
Iidj ein ©efeffenf für feinen ©eburtstag, unb baoon barf
er natürlich nichts roiffen."
gffr hübfcheS mäbchenhafteS ©efiefft firafflte bei biefen
Söorten; fie fühlte fid) offenbar fehr glücflicff unb ju*
frieben im VoEbefiff beS ©eliebten, fie hatte i a feine
Stfjnung oon bem Unroetter, baS fdjon über ihrem bfonben
§aupte ftanb.
Stuf bie 2lufforberung ber jungen grau nahm $anS
$lah; er hatte fchon öfters ein Vüwberftünbchen gehalten;
fie nahm mohl an, baff er auch heute §u biefem 3n>ecf
gefommen fei.
„gffr 2Rann ift alfo nidht ju £aufe, grau $umbert?"
„Vein, benfen ©ie, er ift nach fjaroeftefjube ju gräu=
lein fRuffmann roegen beS groffen $RubinS."
3Jiarquarbfen erfdjraf. 2BaS gerabe oermieben merben
folltc, baS bereitete fid) jefft oor, unb es fonnte ju einer
ft'ataftropffe führen. Slber §anS tröftete fid) mit bem
©ebanfen, baff ber gumelier fich jebenfaES anmelben
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26
Der Hubin.
lalle, unb baff (Sbith ftc§ oor ihm oerleugnen laffen unb
ihn nicht empfangen toerbe.
,,©o?" fagte er möglidjft ruhig. „Sann tnu| idj mid)
oon Offnen allein oerabfdjieben, grau #umbert; idf oer«
reife nämlich auf einige Sage."
„2ld&, wirflich? Söohin benn, wenn id) fragen barf?"
„Slach Söalbau."
Ser StechtSanroalt fpradj bas 2Bort langfam unb
beutlidj aus unb betrachtete babei bie junge grau auf*
merlfam. SSenn fie irgenb etwas oon ber erften @he
ihres fDtanneS loufjte, bann muffte ber Drt ihr befannt
fein. Slber fie fiidte ruhig weiter.
„SBalbau? 2Bo liegt benn bas Steft?"
„Sief unten in ©übbeutfdjlanb. "
„Sich fo! 3« ber ©eograpljie bin ich immer ein
biffdjen fchroadj geroefen. SaS ift geroiff eine fehr weite
Steife?"
„Ungefähr einen Sag, grau §umbert. Slber mir 2lm
malte müffen bisweilen an ganj ferne ©ericfjte."
„■Ka, eS ift ja hübfdj, menn gh« ^rajis fo junimmt,"
entgegnete fie freunblidj.
Samit mar baS ©efpräch ju (Snbe, unb £anS hätte
fich merabfdhieben fönnen, benn er muffte nun, was er
roiffen wollte. Slber ihn feffelte noch ein anbereS $>|ntereffe
an feinen fJJlafc.
Sa faff fte neben ihm, bie junge blühenbe grau, bie
in foliben 93ürgerfreifen aufgemachfen mar, in hergebrachten
ehrmürbigen gormcn, welche gans befonberS heilig er*
fchienen in ben Slugen eines SBeibeS. 23ietleicf)t mar eS
bennodj nicht möglidj, fie oor einer bitteren Csrlenntnis ju
bewahren, unb was mürbe fie bann fagen, menn bie gönn
ber @he ä ertr ü mmc5: t t>or ihren güffen lag?
£anS brach bie gortfe^ung ber Unterhaltung gleidjfam
oom 3aun.
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Kriminalroman non ^riebricfj ^acobfen. 27
„3a, bic Vra^iS fjat rafcljer gugenommen, als ich er*
warten burfte," entgegnete er nacfjbenflich. „2Jlein ©ott,
was nicht alles burch meine §änbe geht! 2)enfen ©ie,
ba hatte ich neulich einen gaÜ, ber ©ie intereffieren wirb.
•Kamen barf ich natürlich nicht nennen, übrigens ift bie
©ad&e nicht in Hamburg oorgefommen. 23a lebt irgenbroo
ein glficflicheS 3)3aar, baS fdEjon mehrere 3ah*e verheiratet
ift. Unb plötjlich fteHi fich fyerauS, baf& ber ©tanbcä*
beamte einen gormfehler begangen hat, unb bajj infolge*
beffen bie gange @h e null unb nichtig ift. 2öaS meinen
©ie bagu?"
•Blaggi legte bie ©ticferei in ben ©dfjojs unb fal) nach*
benflid^ oor fich ^in. „$ann benn fo etwas überhaupt
»orlommen, §err ®oftor?"
„©ewij?, warum nicht? ©S gefehlt oielleid^t feiten,
aber irren ift menfd^Udj. "
„3ft benn baS SSerfe^en nicht roieber gutgumacljen?"
„gür bie 3 u ^ un f* Qinfl’ö gewifj; es bebarf nur einer
neuen ©hefchüejjung. 216er was bie Vergangenheit be*
trifft — "
3Kaggi nahm roieberum bie 2lrbeit gur §anb unb be*
fd)äftigte fich angelegentlich mit ihr. 3« ih«n langen
flieg ein gang feines 9iot auf, unb plöfcüch lachte fie leife.
„2öaS biefe 3uriften hoch für nwnberliche üKenfcljen
ftnb ! ©lauben ©ie benn roirflidj, $err $oftor, baff bie
beiben fich grämen werben über bas, was fn nter ih ncn
liegt?"
„SSürben ©ie es nicht ifjun, grau £umbcrt?"
„Slber ©ott bewahre! ©iner blofjen gorrn halber?
SDian ift ja in fotzen gäHen bodfj fo gut wie verheiratet
gewefen." Unb bann geriet fie ein Hein wenig in Ver*
wirrung. ,,©S ift fchwer, fich in eine folche Sage gu oer*
fe$en, befonberS für midh- — äüann reifen ©ie ab,
£err 23oltor?"
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28
Der Hubin.
Es mar ganz offenfunbig, bah fDlaggi bie Unterhaltung
abzubred&en wünfdjte. ©ie fpracfjen bann noch einige
gleichgültige 2Borte, unb als §anS fich oerabfdjiebete, fagte
er wie non einer plöfclicben 2lh nu ng ergriffen: „2Benn
irgenb etwas oorfommen foUte, grau £>umbert, bann
fchiden ©ie nur in mein Sureau. geh fomme morgen
früh * n äßalbau an unb werbe meine 21breffe fofort an
ben Sureauoorfteher telegraphieren. Seben ©ie recht wohl. "
Es wäre wohl noch 3eit gewefen, nach ©t. $auli
hinauszufahren unb bort Stbfchieb gu nehmen. 2lber $anS
fdjeute ftch, gerabe je^t mit 2lgneS jufammenjutreffen. ES
lam ja häufig genug »or, bah er tagelang burdj ©efd&äfte
»erl)inbert würbe, bie 2öof)nung feiner SJlutter aufzufuchen,
unb es war fchliehlid) gleichgültig, ob er wäfjrenb eines
folchen geitraumeS in Hamburg ober hunbert teilen füb=
lieber weilte, es giebt ja heutzutage feine Entfernungen
mehr.
©o fdhrieb er nur eine furze 2lnweifung an feinen
SBureauoorfteher ©chmibt, ah in ber erften beften 9fe*
ftauration eine $leinigfeit zu Slbenb unb nahm bann eine
SDrofdjfe nach bem Senloer Sahnhof.
Er fam gerabe rechtzeitig an, um ftch eine gahrfarte
für ben Schlafwagen löfen zu fönnen, unb zehn Minuten
fpäter fuhr ber D*3ug aus ber büfteren £aße langfam
ins greie.
$aS Söetter war womöglich noch abfdieulicher ge*
worben.
Hamburg fteht befanntlidh in bem Stufe, nächft Son*
bon oießeicht bie nebelreichfte ©tabt Europas z u fein,
aber es fommt hoch oerhältniSmähig feiten oor, bah baS
graue ©efpenft ber Storbfee fich mitten im ©ommer einfteßt.
§eute aber war eS mit einer 2)lacf)t gefommen, bie
etwas Unheimliches an fich hülfe unb felbft wetterharten
Seuten zu aßerlei Semerfungen Slnlah gab.
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Kriminalroman oott ^riebrid? ^acobfcit. 29
2US $anS bcn $ug Bcftieg , unterhielten ftdj bie
©djaffner untereinanber non biefem greulichen 9iebel. „3$
will froh fein, 11,6,10 wi* über bie nächften paar Kilometer
hinaus ftnb," fagte ber eine. „San fann faum bie ©jg*
nale erfennen, baS ift ja fchlimmer als im ©pätherbfi."
„93effer auf ber ©irede als im ©ängeoiertel , " ent*
gegnete fein $amerab. „(Ss ift ein ©pi§bubenroetter;
öiefe 9Jacf)t tnirb roieber mancherlei in Hamburg paf*
fteren."
„33ei mir ju §aufe giebt eS nidjtS ju ftehlen."
„Senn es bei bem ©tehlen bleibt — "
Sarquarbfen machte ficf/S behaglich-
(Sr rooHte bie 9iad)t gut fchlafen unb am nächften
Sorgen im fonnigen ©üben aufroadjen; baS mar ein
ganj netter 33orfa£.
Slber als er fidj hinftredt®, famen ihm allerlei ©e=
banfen.
3unächft fiel ihm bie Unterhaltung ber beiben ©djaffner
ein. Sie hatten roo h^ nur f° ^tngerebet, um ein paar
müfjige ©efunben auSjufiitlen, aber in ihren Sorten lag
hoch bie halb unbewußte Gfjarafteriftif ber Seltftabt, bie
unter Stacht unb fftebel begraben liegt unb fo entfetjlidj
niel unheimliche (Slemente in ihren büfteren ©affen birgt.
Stuf ber bunflen ©trede, in bem bahinfaufenben $uge
ift eS freierer als ba unten, roo baS Si^termeer §atn*
burgS, im -ftebel oerfchroimmenb, roie eine blutrote Solfe
über bem ©eroirr ber Sächer lagert. SaS hatten bie
fd)lid)ten Sänner jurn SluSbrud gebraut.
Sarquarbfen badjte an fein eigenes SBureau. 9?un,
baS mar raoljl ficher genug oerfdjloffen, unb es enthielt
faum etwas anbereS als Slften, bie wichtig genug fein
modjten, aber bennodj für (Sinbredjer wenig SlnjiehungS*
fraft befaßen. 2lber bann wanberten feine ©ebanfen weiter
nach ben reichen, uornehmen 3SiHen, bie oor Hamburg in
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30
Der Hubin.
ben ©arten »erftreut liegen, unb in benen §unberttaufenbe
an ©elb unb ©elbeSroert aufgefjciuft finb.
$Die meiften fiaben freilich ga^tretc^e Sienerfcljaft unb
fmb audfj fonft gut beroafjrt, es wirb fo leidet feinem ©in*
bredjer beifommen, gerabe bort feine Sfjätigfeit gu ent*
falten, t»o man befonberS aufmerffam unb toadfjfam ift.
2lber eS giebt aud; 2fuSnaljmen.
§anS SJfarquarbfen legte fiel) auf bie anbere ©eite
unb »erfudjte einjufdfjfafen; aber ba trat ein neues 23Üb
»or feine gefdjloffenen 2fugen.
2US er »orijin ben 3»9 Bcftieg, mar eine SDame an
ifjm »orübergegangen unb in ber grauenabteUung ber
erften klaffe »erfdjrounben ; er Ijattc if;r ©efidjt roegen
eines bitten ©djleierS nid^t erfennen fönnen, aber ©e*
ftalt unb 33et»egung mären iljm fo fonberbar befannt »or*
gefommen.
<E)er 3ug fjieft unb fufjr nadj einer Seile roeiter;
£anS fonnte feine Siulje finben. ©r trat fjinauS in ben
©ang beS ©cjjfaftoagenS unb fanb bort einen Sebien*
fteten, mit bem er einige Ieife Sorte roedjfelte. ©r frug
nad) ber gule^t paffierien Station unb erhielt bie 2luS*
funft, baf? bie Safjn bort naefj ÜBerlin abjroeige.
„3ft jernanb auSgeftiegen?"
„■Jiur eine einjige 2)aine aus ber erften klaffe."
„§aben Sie bas ©eftdjt gefefjen?"
„9tein, bie $ame trug einen ©djleier. "
„Sar fie jung?"
$er Beamte fabelte. „3dE) benfe boefj, $err, naef)
©eftalt unb 33eroegung ju urteilen."
Sarquarbfen fteUte nod) eine grage, bie fein IebfjafteS
^ntereffe »erriet. „§atte bie 2)ame fcfjroarje $aare?"
„©eroifi, §err, baS mcif} id» beftimmt. Sfabenfcfjroarj,
unb barum benfe id^ aucij, bafj fie jung geroefen ift."
$anS (jätte gerne noef) 9iä(jereS erfahren, aber nebenan
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Kriminalroman non ^riebridj 3 ac °bf en - 31
begann jemanb über bie Störung p fdfjimpfen. So
mußte ber Slnwalt abbrechen, aber er lag noch lange auf
feinem Säger unb grübelte barüber nach, ob ba3 wohl
wirlltch ©bitf) gewefen fein fönne, bie bei Siacßt unb
Siebel allein in bie SSelt hinau3fuf)r.
@in inftinftioeä ©efühl, eine innere Stimme beftätigte
bie fonberbare Vermutung, aber anbererfeits wenn
6bitß wirtlich Hamburg oerlaffen, roenn fte t>or ihrem
erften SJianne flüchten wollte, warum bann fo plößlicß
unb unter fo gehetmniSoollen llmfiänben?
SSieHeid^t lag in biefem Stugenblicf fc^on ein 23rief auf
feinem Schreibtifch, ber bie Sache aufflärte ; pnädjft
mußte ba§ gragejeicfjen fielen bleiben.
®er borgen hämmerte fcljon herauf, als §anö enblidj
einen furzen unruhigen Schlummer fanb, unb in feinem
Straum oermifcßte ficß ber Hamburger Siebet mit einer
fdjwarjen ©eftalt, bie noch nebelhafter unb fdEjattenartiger
einherföfjwebte. —
3n ben SBormittagSftunben war SBalbau erreicht.
•Dian mußte eine Siebenbahn benußen, um in ba§ ent»
legene Siäbtchen p gelangen. ®iefe führte noch weiter
bi§ in bie ßreiäftabt, wo ftd) ba3 Sanbgeridjt befanb;
SJiarquarbfen aber ftieg oorläußg in SBalbau aus, benn
bort follte ber Suftijrat ©erlach leben, unb oon biefem
hoffte er bie befte 2lu3lunft in ©bitljS Slngetegenheit p
erhalten.
SJiit bem #otelwagen „3um golbenen ßreufl" fuhr er
in ben Drt unb erhielt als feltener SBogel ba§ befte
3immer beä ©aft^ofs ; e§ war baSfelbe, worin oor fünf
fahren SJlr. SBurton gewohnt hotte. £an§ wußte natür*
li<h nichts üon biefem eblen ßnglänber unb hotte noch
weniger Kenntnis oon beffen S3ejiehungen p ber gamilie
§umbert.
Die erfte grage beS Slnwalts bejog ftdj natürlich auf
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32
Der Habin.
ben ©erladj, unb ba er fich bereits mit 9?ame
unb ©tanb eingefchrieben ^atte, fo fcf)ien felbft ber neu*
gierige DberfeHner nichts barin gu finben, bafe ein ßoßege
ben anberen auffucljte.
(Sr gab bie 2luSfunft, bafj ber §err ^uftigrat braunen
gwifchen ben SBeinbergen in einem eigenen Räuschen
wohne; er ^abe ft<h fchon oor fahren non ber ^rapiS
guriicfgegogen, fei feljr alt unb nehme nicht gerne 33e*
fudje an.
2) aS mar roenig ober oiel, mie man es nehmen wollte,
unb jebenfaHS nicht fehr ermutigenb. ^nbeffen ein S5er=
fuch rnufite immerhin gemalt werben.
§anS begab fich gunädfjft auf bie $oft, telegraphierte
feine 2lbreffe an ben Sureauoorftefier ©chtnibt in §am--
burg unb wanberte bann burdfj bie hügeligen ©affen beS
©täbtchenS hinaus in bie SÖSeinberge.
Unterwegs fam er auch an einem Suwelierlaben oor*
über. (SS war wohl ber eingige am Drt, ein unbebeutenbeS
©efchäft mit windigem ©cfjaufenfter. Ueber ber Xhür
ftanb ein frember 5Rame, aber man fonnte feljen, baf$
baS ©chilb überftridben war, unb bajj früher eine anbere
Sirma barunter geftanben h at ^ e ‘* ^r er ^ c 23uchftabe,
ein war noch jiemlidh beutlidj gu erfennen.
§anS betrat, einer plöfjlidjen ^bee folgenb, ben Saben
unb taufte einen fehlsten ©olbreif, wie ihn Verlobte gu
tragen pflegen.
„$ür eine $ame," fagte er babei.
„©oll idh bie tarnen gleich hineingraoieren?" frug
ber Juwelier.
„®ie tarnen?"
„9?un ja; bie SSornamen ber ^Brautleute. $aS ift
hier gu Sanbe fo ©itte."
,,©ut. 2Ilfo gunächft ben üftatnen §anS."
3) aS war in wenigen Minuten gefc^eljen.
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Kriminalroman rort ^riebricfy 3acobfett. 33
darauf blitfte ber Juwelier fragenb auf. „2öie Reifet
benn bie $ame?"
„@bith," entgegnete ber Nnroalt jöaernb, unb bann
ftrecfte er plö^Iidj bie |>anb aus. „©eben Sie nur her;
ber eine -Karne genügt, bie ©ebräudje ftnb nidjt überall
gleich."
$)amit roar baS ©efdjäft beenbet.
Schon unter ber ^hür roanbte §anS jtdj aber noch
einmal um unb frug: „Sinb Sie fdjon lange am Drte?"
„Sünf SJafjre, mein £>err."
„£iej$ Shr Vorgänger nidjt £umbert?"
„Sa, fo h»efe er."
„2öo mag ber SJlann roof)t hingelommen fein?"
„$er ift oerfchoüen," fagte ber ^ujnelier finfter.
„SBenn Sie etwa eine gorberung an ihn haben, bann
fchreiben Sie es nur auf 3h r SSerluftconto ; ber Nlann
fommt nicht mehr jutn 33orf<hein."
®ie Nntroort flang fo rauf) unb bitter, bafj $aits
füllte. „Sie ftnb roof;l nicht gut auf ihn ^u fprechen?"
„(Sr hat mir perfönlidj nichts getfjan," entgegnete ber
Suroelier. „2lber roenn man ein ©efchäft lauft, §err,
bann lauft man auch bie $irma, ein guter Name ift
©elb roert. 3$ nannte mich im erften 3jal)r „§umbertS
Nachfolger", roie es bei ©efdjäftsleuten üblich ift; aber
baS hätte mich faft mein Nettommee gelüftet. Seitbent
ich ben Namen auSgeftridjen habe, geht es beffer, aber
bie garbe ift burdjläfftg, ic^ muff noch einmal überpinfeln
laffen. "
Nlarquarbfen freute ftch, roeitere fragen $u fteHen,
weil er Nerbadjt ju erregen fürchtete; aber es mürbe ihm
flar, baff hier eine Shatfadje oorliegen müffe, bie ben
Nuf §umbertS oernicf)tet hatte.
@S roar laum anjuneljmen, baß bie Sdjeibung allein
biefe Söirlung heroorrufeit fomtte, beim roaS hat eine (Sfje
1901. III. . 3
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34
Der Hubiit.
mit bem ©efdjäft ju tfjun? 23ießeidjt fonnte ber $uftis=
rat ©erladj nähere 2Iu3funft erteilen.
fßoftor fJJtarquarbfen mürbe non bem alten §errn alä
College angenommen.
Er traf einen fÖiann, ben bie 3af)re mitgenommen
hatten, unb ber auä einem oieüeidjt urfprünglidh oor=
fidjtigen unb oerfdjloffenen ^urrftcn ein gef<hroä$iger
©reis geroorben mar. Siefe fofort Ijeroortretenbe Eigen*
fdjaft mar infofern für -Diarquarbfcn förberlicf), als nicht
SU befürchten ftanb, baff jener ftdj hinter ein ocrjäljrteä
Slmtögeljeimnis oerfchanjen raerbe, unb §anä ging baljer
gerabeSroegS auf fein 3*el lo§.
„$dj fomme, $err Suftijrat," fagte er, „in ber 2ln*
gelegenljeit meiner Klientin, ber gefd)iebenen grau Ebitl)
§umbert. Sie haben bie Sache oor etma fünf fahren
in |jänben gehabt."
®er fguftijrat badete nach. „§umbert? Süchtig, baä
mar eine meiner lebten Sadjen, beoor idh midh jur Siulje
fetjte. 2lber idh hß&e ben 3 Jl<wn pertreten unb nidjt bie
grau. "
„$a3 ftimmt, §err ^juftijrat. bie Sdheibung
rechtSfräftig geraorben?"
®er alte §err lachte in feiner etroaS finbifdjen 2öeifc.
„SJa, icf) follte bod) benfen, $err ftoßege, baff fo rcaS in
fünf fahren 3ei* h ai < bie SRedjtSfraft su befdhreiten!
2llfo grau <£ntmbert ift mirfUdj raieber aufgetaudjt? Sie
galt für uerfdjoßen, ebenfo roie ber SJtann. llnb nun
miß fie mohl mieber heiraten?"
SJtarquarbfen antraortetc nidjt bireft auf biefe grage.
„fDlödjten Sie mir nidjt bie näheren Umftänbe ber Sdjei*
bung erjählen, .§err ^uftisrat?"
„Slber gerne, §crr Sfoßege, unter unö giebt eö ja
bodj fein ©eljeimnis, unb bie Sadje mar fo merfroürbig,
bafe fie mir nodj lebljaft in ber Erinnerung fteljt. Sllfo
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Kriminalroman non ^friebridj 3 ac °bf cn - ‘35
eineä Tages fommt §umBert gu mir mit einer @fje=
fdfjeibungSflage. 2$ fage 3>h nen > war wie nor ben
$opf gefcljfagen, benn id& fannte bie Sßer^ältniffe gang
genau, bie Beiben Seutdjen lebten roie bie Turteltauben;
fie Ratten ja freilich feine $inber, unb bie grau mar ein
bifcdjen feljr auf Schmucf unb bergleidjen, aber barum
läßt man fid) bodj nocfj nicht fdjeiben! Unb nun mit
einemmal aus Weiterem §immel bie (S^efdbeibung wegen
gegenfeitiger unüberminbli<her Abneigung! 3amol)I, §err
College, baS mar eS ja gerabe: gegenseitig ! 3$ ging
natürlich gunädjft gu ber grau unb machte it)r 33orl)alt,
aber ba mar nichts auSguricljten, bie beiben waren fo
einig über bie Scfjeibung, wie fie eS ein paar galjre
früher über bie (Sfjefdfjliefjttng gewefen waren, ©rünbe
würben nicht angegeben, bie liegen ja allemal in folgen
Angelegenheiten ju tief, als bafc fte jemals an bie Ober*
fläche fämen. 9Za, gut alfo, ber $rogcf$ nahm feinen
Verlauf unb würbe im gweiten Termin beenbet, benn
Semeife waren ja nicht gu erheben, unb bei gegenfeitiger
Einwilligung unb finberlofer Ef) e wußten bie ©eridjte er*
fennen, was 9led)tenS war. ©leid) nach ißerfünbung beS
Urteils legte id) übrigens mein ^Jianbat nieber."
„6ie legten es nieber?" frug §anS gefpannt unb be*
flommen; ber alte Anwalt aber machte ein oerbriehlidjeS
©eficht.
„9iun ja, §err College, baS ift ja etwas ungewöhn*
lid), man thut es fonft nid)t gern. Aber .fjumbert hatte
mich fd|j(ed)t behanbelt, er war überhaupt ein etwas jäh*
zorniger SJiann. ©eben Sie nur acht unb urteilen Sie
felbft, ob ghnen nicht auch ber Aerger gu $opf geftiegen
wäre. Ta bin id) alfo — baS war nodj »or Anftettung
ber Eh e W e i^ ull 9 g ^age — wegen irgenb einer ^rogefjfadje
in bem §umbertfchen Saben unb werbe gufädig 3euge
einer giemlidj erregten SSerhanblung, bie gwifdjen bem
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36 D er Kubin.
guroelier unb einem fremben $errn ftattfanb. 33er
gretnbe ^atte einige ,3«* poor einen fcfjr feltenen unb
roertoollen Mithin pr gafjung übergeben unb behauptete
nun, bah Kunibert ben ©tein mit einer mertlofen gmi*
tation oertaufdjt habe. 33aS ©anje mar offenbar ein
jiemlich plump angelegter ©rpreffungSoerfuch, benn ber
9tubin, ben §umbert pr Raffung erhalten hotte, mar
aUerbingö ed)t geroefen, unb ber je^ige mar faljdj, aber
ber ©auner hotte fid) injroifdjen ©ott raeifj mo l) erums
getrieben unb offenbar ben Umtaufch felbft beroirlt. 9Za,
es gelang bann audj meinem $ajmifd)entreten, ben $o dy-
ftapler einpfdf)üchtern unb pr 2lbreife p bemegen, aber
es muh hoch moljt etmaS oon ber bummen ©efdjidjte unter
bie Seute gefommen fein, benn §umbert behauptete plöh*
lieh, bah man anfange fein ©efcE)äfi p meiben, unb bah
ich nidjt reinen 9)lunb gehalten hätte, ©erabe an bem
Vormittag, als bie ©dfjeibung auSgefprodjen mürbe, fagte
er mir 'S in baS ©efi<ht, unb barauf legte idj natürlich
mein 9Jlanbat nieber. — hätten ©ie baS nid^t auch ge*
than, §err ^ottegeV"
|>anS trat ber 2tnficf)t beS alten §errn natürlich bei,
aber er that es in einer ^erftreuten unb befangenen SBeife.
33ie foeben oernommene Cfrjählung hotte iljn mehr auf*
geregt, als er oerraten mochte, unb eS foftete ihn 9Jlühe,
auf ben eigentlidjen 3metf ber Unterrebung prüdp*
fommen.
„danach ift eS aüerbingS begreiflich," fagte er, „bah
©ie bas @h e f<h c *bungSurteil ber grau .fjumbert nicht p*
geftellt hoben."
„^ch?" trug ©erladh oermunbert. „9^ein, §err College,
ich befitje baS Urteil gar nicht, benn id) jeigte nod) an
bemfelben Vormittag bie Weberlegung beS 9JtanbatS bei
©eridjt an. 2lber bie (ShefdjeibungSurteüe merben ja bodh
oon 2lmtS roegen pgefteQt."
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Kriminalroman non ^riebridj 3 ac °bf c,t - 37
„3ft bag Sanbgericfjtggebäube nidfjt oor einigen
abgebrannt?"
„5öaljrljaftig, ba haben Sie redjt!" entgegnete ber
Suflijrat betroffen, „©erabe um jene 3eit mu^ bag ge*
roefen fein, oieUeidjt adjt £age nadfj (Srlafe beg Urteils.
3dj fefde inicfj gerabe j^ur 9lufje, bemt bie Sacfje §umbert
gegen §umbert mar meine lefcte."
„@g ift roofjl oiel oerbrannt?"
„SDie ^rogeftaften, fooiel id(j roeife, aHe. Unb Sie
meinen, bafi man bie SufteHung j, e g xirteilg oergeffen
Ijat? SSafjrfcijeinlidj mar fte gar nidfjt mehr möglidj,
benn mit ben SJlften ift natürlich audE) bag Urteil ner=
brannt. Uebrigeng oerfcljroanben auch bie Parteien jiem=
lidj rafdj aug bem Drte; aunädfjft bie $rau, bann natf)
einem überftürgten Verlauf beg ©efdfjäfteg aud) ber 9)tann.
2öer Ijatte ba benn nodf) ein ^ntereffe, fidjj um bie ©adfje
ju befümmern?"
greilidl), fo mufjte eg rooljl fein.
Sftarquarbfett oerabfdfjiebete ftdfj mit fernerem $erjen
unb lehrte langfam in bag ©täbtdjen jurüd.
®a roaren jroei ®inge, bie iljn lebfjaft befcfjäftigten.
3Benn fidb, roie roof)I faum ju bejroeifeln ftanb, bie
Slngaben beg $uftijratg beftätigten, bann mar eg überhaupt
nidjt meljr möglich, eine 9iedfjtgfraft beg (SljefcfjeibungS^
Urteils gu erlangen. 35enn ein Urteil, roeldjeg überhaupt
nic§t melir oorljanben ift, fann audjj nidjt meljr jugeftellt
merben ; bie gorm oernidfjtete Ijier, mie fo oft im 9tec!jtgs
leben, ben 3 n ^ fl It.
Unb bie golgett baoon roaren gerabegu unabfeljbar.
93on einer §eirat groifcfjen $ang unb (Sbitlj fonnte
natiirlidfj nicljt bie 5tebe fein, folange legiere nodj ge=
bunben roar; eg muffte oielmefjr ein neueg (SfjefdEjeibungg*
oerfa^ren eingeleitet roerben.
IDann aber !am eg fyeraug, baff §umbert in einer
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38
Der Kubtn.
ungültigen @fje lebte; er würbe unweigerlich wegen 53i*
gatnie Beftraft, unb wenn bie ©eridjte aud) wegen ber
eigentümlichen Sachlage milbernbe Umftänbc annaljmen,
fo mujjte immerhin auf ©efängniö nicht unter fedjS 2Uo*
naten erfannt werben.
Slrme SJiaggü
2ln Kunibert felbft badete SDlarquarbfen mit weniger
93ebauern, benn bie Grjählung bes 3 u füJ rat - ©etlad^
hatte in ihm einen fjäfeltc^en 93erbad)t wachgerufen.
2)er ^uroelicr befanb fi<h im 93efi§ eines feltenen unb
bcfonberS wertnollen 9tubinS, $anS h atte baS $rad)tftüd
mit eigenen 2lugen gefeljen unb non ber fachnerftänbigen
fDlaggi gehört, bafj ber Stein unzweifelhaft echt fei.
tiefer ©belftein würbe non $umbert in einer höchft auf*
fälligen -ÜSeife gehütet unb fogar not ben 2lugen ber
eigenen grau «erborgen gehalten; banad) lag bic 93er*
mutung fel)r nahe, bafj jener llnbefannte barnalS tljatfäd)*
lieh betrogen worben war, unb bajj er nur beSljalb bie
©erichte nid)t angerufen hatte, weit er ben betrug nicht
nachweifen fonnte. Senn er hatte noch ©erlad)S Sar*
ftellung bie 93ertaufdjung ber Steine erft einige Sage
fpäter bemerft, unb §umbert fonnte ihm baljer entgegen*
halten, bafs er wohl ben Umtaufdj felbft norgenommen
habe.
„2lrme fJJJaggi!" fagte §anS nod) einmal, als er alle
biefe ©vwägungen an feinem ©eifte oorüberziehen lief}.
(Sr war auf bem 2Bege junt 93al)nhof, um nad; ber
ßreisftabt ju fahren unb auf bem Sanbgeridjt 9?adj*
forfchungen art^uftellen ; man fagte ihm inbeffen, baf} ber
nächfte 3 U S erft i» einigen Stunben abgeben werbe.
So fehrte er einftweilen in bas §otel jurüd unb
würbe bort non einer neuen Iteberrafchung betroffen.
Stuf bem Sifdj feines ^inrnterS lag eine 93enad)rid)ti*
gung burch bas Selegrapbcnamt. Sie befagte, baf} bie
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■Kriminalroman non ,friebrict> 3 aco ^f e,t - 39
SDepefdEje, meldje §anS in ben GormittagSftunben an feinen
Gureaucorfteljer ©djmibt abgefanbt ^attc, in Hamburg als
unbefteßbar bcjeidjnet morben fei, ba ber Slbreffat cer--
fchrounben rccire.
Gine ©iunbe fpöter fafj £anS im 3«S C unb ft*h r nach
Hamburg jurüd.
Dreizehntes Kapitel.
25ie 2f)ür mürbe hinter 3Jiaj $umbert gcfdjloffen. GS
ftanben fidf bie beiben SJienfdjen gegenüber, beren §erj(en
einftmalö cor Sagten aneinanber gefdjlagen Ijatten, unb
bie gerabe beSljalb ben SBunfch ^egen mußten, niemals
roiebcr einer in beä anberen Singe feljen ju müffen.
Gbith mar burdE) bie Gegebenheiten ber letjten 2 mge
corbereitet unb cermodhte baljer menigftenS ben ©chein
ber Raffung ju mähren. §umbert aber mürbe burd) bie
unermartete Gegegnung fo coßfommen überroältigt, bafj
er lautlos flehen blieb unb nur eine unraißfiirlidje Ge*
roegung mit ber $anb nach ber ©tim machte.
Gbith brach juerft baS ©djmeigen.
„Sch &in eS mirflidj," fagte fie. „Kummer unb ©ram
mögen mich fa fo fefjr oeränbert hfl&en, baff non ber
alten Gbith nicht mehr ciel übrig geblieben ift, aber ich
bin eS bennodj, eS ift nicht nur mein ©eift."
Gr richtete fid) auf unb trat einen ©djritt cor. „2öaS
miflft bu hier?"
„Gin idj etma gu bir gefomtnen?" frug fie bitter.
„®u fannft eS mir glauben, ich hätte eine Gegegnung
mit bir gern cermieben, aber bieS ift tn ei n e SBohnung,
unb bu bift 31 t mir gefommen. Gor fünf fahren haft
bu mir bcine fEljür cerfdjloffen ; ich »iß nid;t ©leidjeS
mit ©leidfem cergelten."
,,Sd) muffte es nicht, Gbith," faßte er leife.
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40
Uer Kubtn.
$aS SluSfpredjen beS -Kantens Ijatte eine feltfame
2Birfung. $iefer eine Saut tnufete wohl Erinnerungen
werfen, bie mastiger mären als @ram unb 3orn.
Ebith fe|te fidj unb [tilgte ben $opf in bie §anb.
„3dj glaube bir, 9Jfair, bajj bu es nicht geraubt baft.
21 iS wir baS leiste 3)iat beifammen waren, fpradjft bu
ben Sunfch aus, bafe wir uns in biefem Seben niemals
wieberfeljen möchten. Unb bu fügteft noch etwas »on
einer Ewigfeit was id) nicht wieberljolen will. 33u
fiebft, baj$ wir nic^t einmal über baS $ieofeitS beftimmen
füllen, benn eS giebt ein Verhängnis, bem wir uns unter=
werfen müffen. 33ift bu mit biefer Erflärung jufrieben?"
Er war injwifdjen noch näher be^angetrcten unb er=
wiberte beflommen: „geh bin jufrieben, wenn bu mir
bie Verfidjerung giebft, baf} bu nicht meinen ©puren ge--
folgt bift, um mich ju quälen."
„9Ser non uns beiben ift juerft in bie grembe ge*
gangen, SDiag?"
Er fdbwieg.
„SSenn ich bicb quälen wollte," fuhr fte fort, „fo
fonnte ich in beiner 9iäbe bleiben; cS b^berte mich nichts,
bir überallhin ju folgen wie bein ©djatten. ®aS wäre
für mid) ebenfo peinooH gewefen wie für bid), Via?:,
aber wenn eine grau ihren .fmf? befriebigen will, bann
adjtet fte nid)t auf fid) felbft."
„3llfo bu begft feinen §ajj gegen midiV" frug er weicher
als guoor.
Ebitb beutete mit einer jögcrnben §anbbeweguitg auf
einen in ihrer Väfje ftebenben ©iuljl unb entgegnete:
„2Senn wir fchon einmal beifammen finb, mag aud) biefer
i)3unft erörtert werben, geh b fl be auf meinen Irrfahrten
nieleS burdjgemadjt, unb wenn fef;r fdjwere Stunben über
tnidj famen, bann madjte idj wohl ben Verfuch, bie ganje
©djulb an meinem ©djidfal auf beine ©djultern j;u
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Kriminalroman oott Jriebridj 3 ac °bf c n. 41
rocilgen. SSenn ich bid^ roirflic^ hätte fjaffen tonnen, bann
märe tdj roeniger unglüdEUch gcroefen. 2lber ich rnufcte mir
immer roieber fagen, bafi bu nicht ungerecht gegen mich
geljanbelt fonbern nur ijart."
„9iur ^art!" roieberfiolte er leife.
„$u roürbeft es heute üicUeicht nicht mehr fein," fuhr
fte fort. „3)u lannteft bamals nur mich allein, unb bu
roufjteft nidjts baoon, bafj nicht nur einjelne unfereS ©e*
fdjledjtS, fonbern bafj bie 3Jie^rja^I ber grauen, bafj
oielleicht äße, bie fcljön unb jung finb, fo leibenfdfjaftlidf)
nach ©lanj unb ©df)mucf begehren, bafj fie barüber mit*
unter ben Unterfdjieb j\roifdjen ÜRedfjt unb Unrecht »ergeffen.
$eute roeifjt bu es, fölaj."
„2Bie foll icf) baS roiffen?" frug er unfid;er.
3n (SbitljS SÖIicf glomm ein feltfameS geuer auf.
„©teile bid) nicht fo unerfahren," fagte fie heftig. „ s IBer
ein jroeües SSSeib nimmt, ber ift roie einer, bem bie 2tugen
aufgehen. -Dteinft bu, bafj idh meine 9ZadjfoIgerin nicht
femte? ©laubft bu, bafj ich gleidhgültig an ihr oorübev
gehen tann? 2ln ihr, bie jefjt beine Siebe befitjt? ^dj
habe fie gefehen, ich ha&e mit ihr gefprodjen, meine §anb
hat fte berührt, ©ie ift fd)ön, fchöner oielleicht, als id)
heute bin, aber nid)t fdjöner, als ich bamals mar,
bamalS, als bu mich oerbammteft ! ©ie hängt auch an
bem ©lang beiner ocrfludhten ©teine, fo gut mie ich;
fte fdhmüdt auch ihren roeifjen §alS gern mit Siaman*
ten unb fRubinen , fo gut roie id) ; fie roirft aud) be*
gehrenbe SSlirfe auf bie gleijjenbe Fracht, fo gut roie id);
roenn bu m i ch barum uerftojjen rootltefi , bann fannft
bu beine blonbe ©eliebte gleichfalls auf bie ©trajje jagen,
fte ift nicht beffer, fie hat vielleicht nur roeniger IjeijjeS
SBlut!"
©ie waren beibe aufgefprungen unb ftanbcn je£t bidjt
»oreinanber ; (übith mit flammenben 2lugen unb heftig
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42
Der Hubin.
gepnbem SKtem, fdptter als fie jemals geroefen mar, ber
9Jtann pd) aufgeriepet unb 3o™ im SSlitf.
Unb bann gefd;afj etroas ©eltfameS.
©bitl) breitete pliipid; bie Slrme auS unb roarf fie um
ben SJiaden beffen, ben fie »ieUeidjt fep oft in biefer
leibenfdjaftlicpn 9Beife geliebfoft ptte; aber eS mar fautn
/(u unterfd;eiben, ob fie ipi an fid; preffen, ober ob fie
it)n erroürgen rooHte.
Unb tüäpenb er banad; ftrebte, fid) oon ip loSjureifjen,
fltifierte fie mit fjeifjem 2ltent ein ©epimnis in fein Dp,
fo bajj er plöpid) laut auffepie.
©S mar fpät geroorben, unb SJlaggi rüftete fid; jur
9iacprul;e.
$aS ©epafeimmer ber (Seeleute ftiej? unmittelbar ans
SSopgemad), unb bie junge grau maepe in bem letzteren
ipe 9?acptoilette.
©imnat trat fie an baS genfter, fcpb ben 3Sorl;ang
ein rcenig beifeite unb lugte auf bie ©trafee.
®er $errengraben mar roie geroöptlidj um biefe 3^it
tot unb ftille.
9)lan fonnte fauin baS Sic^t ber Saterne erfennen,
beim ber üftebel mar mit bem ©intritt ber üftadjt noch
bieper geroorben, unb bie ©asflamtnen flimmerten nur
mie rote 33äHe burd) ben gleichförmigen grauen ©cPeier.
Kunibert mar nod; nidjt nadj £>aufe gefomnten.
®iefer Umftanb allein madjte s Htaggi nidp gerabe grojse
©orge, bentt eS gefdjal; bisroeilen, baf* ip 2Jiann auf
einem ©efdjäftSgange 33efannte traf unb fid) uon biefen
^u einem SrunE oerlciten liep SSenn man aber in §am--
burg einmal fneipt, bann mirb eS geroöplid) ziemlich
fpät.
gn fold)en, übrigens feltenen gäüen lief? 9)laggi ein*
fad; bie Santpe brennen unb legte fid) ins 33ett. ©ie
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Kriminalroman oon ,friebricb ^acobfen. 43
batte auch beute btefe 2(6fic^t, aber fie fonnte nicht redjt
gur 9tube fommen.
gunädjft brüdte fie ba§ ©efübl ber ©infamfeit.
©onft mar 2)o!tor -Dtarquarbfen, nienn auch nidjt in
unmittelbarer Stabe, fo bod) unter einem unb bemfclben
$adje; aber ber fuhr in biefer unfreunblicben 9tad)t mit
ber 33af)n nach ©üben, um irgenb ein gleichgültige^ ©e=
fc^äft abgutticfeln.
©obann bad)te SJiaggi mit einigem Unbehagen baran,
bafi tbr Sftann geroiffertnaben ein Vermögen bei fiel) trug,
©r batte bei feinem 23eggang nadj $artefteljube ben
großen 3iubin gu fitfj gefteeft, benn eä mar bod) feine 2lb=
fiebt geroefen, mit Fräulein Siubmann über baS ^ixmel gu
oerbanbeln. Sßenn nun auch fein SJienfcb ton biefer
IXbatfad^e $enntnid b a & en fonnte, fo fpielt ber .Sufall in
folgen ®ingen boeb häufig eine abfonberlidje Stolle, unb
eö mar gerabe beute eine Stacht, bie ba3 ©efinbel auä
ben SfSinfeln locft.
SJiaggi ftanb am fünfter un fc taufc^te. (Sinmal glaubte
fie befannte ©djritte gu ternebmen ; fie marf ein 2ud) um
unb öffnete ben genfterflügel.
gingen aber nur gttei ^3oligeibeamte torüber. ©ie
unterhielten fidj giemlid) laut über irgenb eine Gegeben--
beit, bie erft fürglid) gefaben fein muffte.
User einefagte: ,,3d) mar gerabe auf ber $auptroacbe,
fo groifeben Steun unb gebn. ®a§ $rauengimmer machte
ein Samcnto, als ob ba3 gröfjte 3Kalfjcur paffiert märe,
unb fcbliebüd) roeib man bodj noch gar nidjts ©e*
triff eä."
„Sta, oerbädjtig ift bie ©ad)e bod)," entgegnete ber
anbere. „ßin SJtenfcb terfdjrainbet bod) nicht fo ohne
mcitereä."
füllen fogar gmei fein."
„Um fo fdjlimmer. 3ft man fdjon braunen?"
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44
Der Hubitt.
„3$ benfe, eä rourbe gleich telephoniert. Uebrigenä
eine fdjeufelidje fRadjt."
„3amohl; eä wirb mandjeä pafficren."
$ie Beamten oerfchroanben um bie ©de, unb 5D?aggi
fdjlofe baä Sanfter. 2Saä fie gehört hotte, mar nur baä
unoerftänblidhe Sörud^ftücf einer Unterhaltung, bie zmifdjen
©idjerheitäbeamten nichts Ungeroöljnlidjeä ift, aber gerabe
baä ©eheimniäooHe ber Slnbeutungen regte unmiölürlid)
auf, benn eä liefe ber -^hantafie einen unbegrenzten ©pi eU
raum.
$ie junge $rau ging in baä ©chlafzimmer hinüber
unb legte ftd) zu 33ett. ©ie liefe bie 33erbinbungätf)ür
meit offen, fo bafe bie Sampe einen ©<hein fmreinroarf
unb baä ßifferblatt ber Ufer in 9)taggiä ©efidjtälreiä blieb.
©o rootlte fte mach bleiben, biä fDlaj h e intlam. 2lber
allmählich oerroirrten fich ihre ©ebanlen, unb ber ©cfelaf
lam über fte. 3 n einem quälenben Sraurn falj fie ihren
9)lann mit einer bunllen, unbefannten ©eftalt ringen,
fte oernahm baä ©eräufdj oon $ufetritten unb hörte baä
21echzen einer ©timme.
Unb bann machte fte auf.
2)ie Sampe brannte noch im 2ßol)nzimmer, aber eä
fiel ein fdjroarzer ©chatten in ben heHen $reiä, unb ber
©chatten bemcgte fid) leife hin nnb her; eä mufete irgenb
jemanb in ber ©tube fein, ben SJlaggi oon ihrem Säger
auä nicht jeljen tonnte, bort in ber ©de, roo ihr ©c^reib*
tifdj ftanb. ©ie erfdjral heftig.
äSenn baä §utnbert mar, bann märe er bocfj mol)!
nach ber 2lrt fpät heimfehrettber ©hemänner leife in baä
Schlafzimmer gelommen, um fich z ur ^ u h e $u begeben;
er mar ja fonft fo folibe, bafe er in einem 2luänahmcfall
leine 33orroürfe z« fürchten brauchte.
9Jlaggi rief leife ben 9Zamett ifjreä 9Jlanneä.
31Iä fie leine 21ntmort erhielt, unb ber ©(hatten plöfe*
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Kriminalroman non ^friebricfj 3 aco ^f el, • 45
lief) au3 feiner gleichförmigen Söeroegung in einen regungä*
lofen $uftanb überging, fafete 3>2aggi fiel) ein §erj,
fdfjlüpfte leife auä bem Seit imb fd^tic^ in biofeen ^iifeen
an bie Sljür.
Sßenn roirftich ein (Sinbrecljer ober fonfl eine unberufene
ißerfon im ßimmer mar, bann batte fie noch 3eit, bie
£ljür su oerriegeln, unb bann toolfte fie au§ bem $enfier
um §üfe rufen. Slber fie blieb roie gebannt auf ber
©dfjnjelle ftehen.
2ln ihrem fleinen ©efereibtifeh rechts in ber (Scfe beä
3immer§ fafe $umbert. (Sr hatte ben §ut nicht braufeen
abgelegt, fonbern neben fiefj auf bie ®iele getoorfen ; feine
beiben 2lrme lagen auf ber glatte be3 ÜDtöbelS, unb feine
Slugen blidlten ftarr auf einen beftimmten fPunft.
Scheinbar auf 5CRaggiö 33ilb, ba§ in einem Stafemen
ben 2luffafe fdhmücfte unb bie junge $rau im 23rautfleib
barfteHte.
„Slber SJlann," fagte fDJaggi erfdjroden unb sugleicfe
erfreut, „roa§ madbft bu benn ba mitten in ber fftacht?!
(SS ift ein Ufer oorbei, raarutn gefeft bu nicht in§ S3ett?"
(Sr brefete ben $opf nach ber ©eite unb fah fie an.
„3jch badete, bu fcfeliefeft, SDlaggi."
„$d; fjab’ auch gefc^Iafen, aber nur unruhig. Sßarum
fommft bu nur fo fpät, ©cfjafe?"
$as fleine ©chmoUen ging in einem ^örtlichen £on
unter.
•äJlaggi fcfjlüpfte in ihr 93ett j^urüdf unb rief: „3dj
glaube roirflicfe, bu fjaft mein 33ilb angegueft ; mach lieber,
bafe bu ins 33ett fommft!"
■Jfacf) einer Sßeilc fam er roirflich- (Sr hatte eine
$erje angejünbet, ftellte fie auf ben -Jiachttifch unb fe§te
fid; auf einen ©tufel neben Maggis Säger.
„©chlaf nur toieber ein, $inb, " fagte er fanft, „ich
habe noch 5 U tfeun."
Ä
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46 Der Rubin.
„3« tljun?" Sie junge grau ladjte unb jupfte iljren
SOiann am 9iocfärmel. „-Hütten in ber fftadjt? Su ljaft
roofjl einen fleinen SdjmipS, 9Jlänndjen?"
2lber bann mürbe fie nadjbenflid).
Er mar offenbar gar nidjt in ber Kneipe gemefen, feine
SUeibung rocfj nidjt nadj SabafSraud) unb ber 2ltcm
nidjt nadj Spirituofen. Sagegen mar ber 9locf ganj non
geudjtigfeit burdjjogen, als menn er ftunbenlang betn
fftebel auSgefetjt gemefen märe.
„2öo marft bu benn?" Trug 2Haggi mit einem leifen
fUHfitrauen.
„3unädjff auf $aroefte!jubc, " entgegnete er jögernb,
„unb bann — — im Sweater."
Saä fonnte ja möglidj fein, obmoljl bas Sfjeater
fdjon um elf Uljr ju Enbe ging, unb je£t mar eS ein
Uf)r oorbei.
2lbcr bie Erinnerung an fparoefteljube meefte -HlaggiS
©efdjäftsfinn.
„§aft bu ben 9iubin oerfauft?" frug fie unb ftüfcte
ftd) gefpannt auf ben Ellenbogen.
^umbert riidte bie $er-$e ein menig Ijinter bie 23ett*
garbine, fo baf$ fie beibe im ©djatten roaren. „ga," ent=
gegnete er leife, „idj l)abe iljn — Ijergegeben."
„gür roieoiel, 9Jlar?"
„Er fomrnt siemlid) teuer ju fteben."
SJiaggi legte fiefj mit einem leifen Seufzer in bie SUffen
jurücf. Sie mar eS ja gerooljnt, baf? iljr 9Jiann über
alle ©efdjäftsangelegenfjeiten ein IjartnädigeS ©djrocigen
bemafjrte, aber biefe Sadje ging iljr benn boc§ über ben
Spajj.
Unb al§ er nun aufftanb unb bie ßer$e ergriff, ba
fagte fie etroaS fpöttifdj: „Su follft ben 9tubin rnoljl biefe
■Jiadjt nodj faffen, maS?"
„ga," entgegnete er tonlos. „Siefe üftadjt. "
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Kriminalroman non ^riebridj 3 ac °bfcit. . 47
Unb er ging roirtlidb, er liefe fie allein. SDRaggi hörte
ifen bie Sreppe feinunterfieigen, naefe ber SSerfftatt gu.
23ie junge $rau lag, bie §änbe unter ben fcfemereit
blonben gledjten am ^interlopf gefaltet, in ihrem Bett
unb bliefte naefe ber ICecfe be§ 3immer8 empor. Nebenan
brannte noefe bie Sampe, $umfeert batte »ergeben, fxe
auSgulöfdjen, unb baä rötlicfee Sicfet gitterte über Amoretten
unb Sfofenguirlanben, bie eine roofelmeinenbe, aber giern*
Hefe ungefefeidte $anb an ben ffUafotib beä ©cfelafgimmerS
gemalt batte.
®iefe pauSbädigen (SngelöEöpfe »aren fonft für SJtaggi
ein 2lugentroft gemefen. 2öenn fie auch nadb einer oier=
jährigen ©fee aHmäfelidf» bie Hoffnung aufgab, jemals
einen fleinen, fliigellofen ©nget tfer eigen gu nennen, fo
tröftete fie boc§ ber Slnblid ber Stjmbole mit bem ©e=
banfen, bafe bie Siebe aud) ofene grüdjte Blüten über
baS Seben ftreut, unb bafe fte für bie Safere beS 2llterS
bie ©feegatten um fo fefter aneinanber fd;liefet.
Unb nun trugen bie Slmoretten plöfelicfe ein feäfelicfeeS,
oergerrteS Slntlife, unb bie Stofen batten eine roclfe, fränf--
licfee garbe.
SDie fable, unfiefeere Beleuchtung mar mofel baran
fcbulb.
Slßmäfelid; uermanbelte fiefe baS Sidjt in einen raiber=
märtigen, bunftigen Scfeein. ®aS Del in ber Sampe
ging gu ©nbe, unb ber Xag fam herauf. ©r butte mofel
ben Stebel oerfdjeudjt unb tonnte möglidjerroeife fd;ön
«erben, aber fein Beginn mar feäfelicfe unb troftloS, benn
er tlebte nod) an ber Stadjt, unb bie Stacfet mar ofene
Sdjlaf gemefen.
■äJtaggi ftanb auf unb büßte fidj in einen SJtorgenrod.
Sie fror, unb eS mar bodj Sommer.
So flieg fie bie kreppe hinunter unb betrat bie 2öert--
ftatt ihres SJtanneS. ÜDort ftanb ein fleiner fDiman, ben
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48
Per Hubitt.
$umbert bisroeilert gu benuhen pflegte, roenn er mitten
im Srang ber ©efdjäfte einige Minuten auSruhen roollte;
fülaggi ^atte ihm felbft ein Riffen gefticft, unb er fagte
öftere, baff es fidh gang befonberS gut auf biefem Riffen
träumen laffe. SludE) jefct lag er auf bem Siroan unb
fd)lief. #
SaS ßiffen mar unter feinem $opfe gufammengeballt,
unb er hatte bie bärtige 28ange feft f)ineingebrücft ; fein
©efid&t mar blafe unb übernächtig, unb bie bunflen £aare
fielen i(jm mirr in bie rceiffe ©tim, aber er fah hoch gut
aus, unb mehr traurig als fdjulbbemujjt.
2lber er hatte nicht gearbeitet.
Sie SBerlgeuge lagen mohlgeorbnet auf ihrem fßtafj,
unb ber befte 33emeiS bafür, baff ber ^uroelier feine
SBerlftatt nur aufgefucht hotte, um bort gu fchlafen, fanb
fidh auf bem lleinen Sifdjdjen am $opfenbe beS SimanS.
Sort lagen, genau mie bieS fonft oben in bem (Sh®*
gemach ber gatt mar, Uljr unb 33örfe unb ©djlüffel.
fDlaggi nahm leife bie lederen unb ging in ben anftoffen*
ben Saben. äöenn ihr 9Jlann bennoch oieHeid)t ben Siubin
gefaxt hotte, bann muffte baS loftbare ©tücf fid) im
'4-tretiofenfdjrant oorfinben, benn fDlaggi lannte gu genau
bie peinliche ©orgfalt unb iBorfidjt £umbertS.
2lber baS 2|uroel fanb fidh nicht im ©cf)ranfe oor ; auch
baS ©eljeimfach mar leer.
SRaggi lehrte mit fchmerem bergen in bie SBerlftatt
gurücf.
(SS mar gang Har, ihr fDlann hotte bie Arbeit nur
gutn 33ormanb genommen.
Unb füiaggi tniete plb^lidh neben ber einfamen Säger*
ftatt nieber; fie neigte baS §aupt auf bie öruft beS
(Schläfers, unb ihre blonbcn, aufgelöften §aare fielen mie
ein ©chleier über fein Jpaupt.
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Kriminalroman non (fricbridj 3 ac °bf en - 49
Vierzehntes Kapitel.
oergeht faum eine Vadjt in ber großen ©eeftabt,
too nid^t bie Haupttoadje im ©tocfhaufe burdj irgenb eine
Vad;rid)t alarmiert mirb. 23a roirb telepljonif<h ein ©in»
bruch gemelbet, ober eine blutige «Schlägerei jtoifdjen
Viatrofen unb Hafenarbeitern, ober oietteicht gar ein SJiorb.
23a3 le^tere fommt jroar nicht jebe Stacht oor, aber
bodj häufig genug. 23ie ^olijei ift gut organifiert unb
toachfam, aber fie !ann e§ nid;t oerljinbern, bah #iel ©e*
finbel aus aller Herren Sänber gerabe bort jufammenfommt,
roo bie Veute fo rei<h ift unb bas ©ntrimten fo leicht.
23ie 3Serbred|er oerfdjtoinben roie ©chatten in ben
©affen beS ©ängeoiertelS unb im $ielraum ber Sd^iffe ;
fie geben fidjj im Ie|teren gatte als entlaufene 3Jiatrofen
aus unb merben oft abfidjtlidj oerborgen gehalten, roenn
ber ©chiffsfüfjrer gerabe Mangel an Vlannfdjaft hat.
Vis baS Verbrechen in ben gelungen fteht, ift baS
Sdjiff in ©ee.
23aß aber aus bem eleganteren Viertel Huuiburg§
ber Vetoofjner einer Villa urplößlid) unb fpurloS oer*
fchroinbet, baS fommt iool)l äußer ft feiten oor. 3ft es
ein Kaufherr, ber an ber Vörfe ungliidlidh fpefuliert f;at,
bann fann man fidj'S allenfalls benfen. Ger ift eben
über baS große 2Baffer gegangen, um feiner Verpflichtungen
lebig 511 fein unb brüben eine neue ©jüftenj ju grünben;
aber baS ©erücht geht aisbann fchon feinem Huubeln oor»
auä, unb hinterbrein ift niemanb fid; über ben 3 ufammen*
hang unflar.
2lbcr eine Same — urplöfclidj unb ohne erfichtlidjen
©runb — abenbS sroifd^ett 2ldjt unb Veutt! ©o roar
baS Huuptpolijeiamt gegen l;al& S e h n Ul;r oon einer
äßadjftation antelepl;oniert worben. Sie Vachricht fam
oon ber Slujjenalfter, aus ber ©egenb oon Hutueftel;ube,
1901. UL 4
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50
Der Xubiit.
unb eä rourbe fofort ber ^olijeifommiffar Braun abge»
orbnet, benn ber galt als ein ©pe^ialift für Borfommniffe
in Dornef)men Käufern.
2luf bem 9teoier fanb Braun eine ältliche $rau ooit
frembartigem 2Iuöfef>en ; fie fd^ien ben bicnenben ©tän=
ben anjugeljören, trug einen Bfarftforb unb befanb fid)
in Begleitung einer großen filbergrauen $ogge.
(Sä mar 3°fepba auä ber Billa Be^rfen, unb fie cr=
jäljlte bem Bolij\eifommiffar folgenbeS.
Um fjalb fed^ö Uljr fei fte in Begleitung beä £>unbeä
nad) ber ©tabt gefahren, um (Sinfäufe ju madjen; in
ber Billa mären ihre Herrin, gräulein 9luf)mann, unb
ber Wiener jurüdgeblieben; erftere fjabe gerabe Befud)
uon bem Stecfytäanroalt SDoftor 3Jlarquarbfcn gehabt.
„3>dj mar roiÖenä," fuljr 3jofepf)a fort, „bereite um
fieben Uljr jurüd ju fein, unb fjatte baä audj bem ®iener
gefagt, benn ber £err Stedjtäanroalt ift mit meiner Herrin
fef)r befreunbet, unb idf) badjte, er mürbe rooljl jum
Slbenbeffen bableiben. 2lbcr ©ie miffcn ja, §err Hom=
miffar, roie baä in folgen fällen gebt. 3$ uerfäumte
midb unb !am fdjliefjlidfj obenbrein in bic 3rre, benn mir
leben erft feit furjem in Hamburg, unb idj fenne midb
in ben ©tragen nodb nic^t auä. ©o fam idb benn erft
nadb adjt Ubr beim, unb meine ©eele badjte nidjt baran,
baf? irgenb etroaä paffiert fein tonne, benn bie genfter
maren ^eH mie geroöbnlid), unb bie .ftauätljür mar im
©djlojj mie immer. 2lber als idb aufmadbte unb ben
$orribor betrat, ba mar eä mir fdbon fo munberlidb &u
9Jlute, benn eä regte fidfj feine 9Jtenfcf)enfeele, unb eä
märe bodb in ber Drbnung gemefen, bafj ber 3oljn, unfer
Wiener, mir entgegenfam unb mir bie ©acben abnaljm.
(Sr mar aber nidbt in ber Slüdfje unb nidjt in feiner
©tube unb nirgenbä. Unb alä -idj bann in ben ©alon
Ijineinging, ba mar baä gnäbige gräulein aud) fort. 25er
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Kriminalroman von ^riebridj 3 ac °kfen. 51
Kronleuchter Brannte, unb bie Borl)änge waren zufamtnen*
gezogen, es war alles fo orbentlicf) wie immer, aber feine
ÜJfenfcfjcnfeele im ganzen §aufe — feine 9)lenfdjenfeele!
Sa fjabc ich alles fielen unb liegen (affen unb bin auf
bie $ßolisei gelaufen, benn fo was fann bodfj nicht mit
rechten Singen sugetjen."
^ofepljaS Bericht fatn unter ©todfen unb ©dhludjzen
heraus unb machte ben Ginbrucf ber lauterften SBahrljeit;
bie ungebilbete unb in einem fjalbgioilifierten Sanbe auf*
geroadfffene Sienerin fdfjien unter bem Ginbrucf eines
übernatürlichen GreigniffeS ju fteljen, nach ihrer Bor*
fteßung hatte ja wol)l ber Seufel felbft bie ^nfaffeit bes
.fjaufeS geholt, aber fie mar bennocfj im richtigen ^nfttnft
auf bie ifJolijei gelaufen.
Kommiffar Braun ging bennoch feljr uorfidjtig unb
methobifdh oor.
Gr telephonierte junädhft nach bem Hauptamt wegen
ber Pfaffen ber Billa Beterfen; bie Bfelbebüdfer waren
audh bei Badht zugänglich, unb eS fam alsbalb bie 2lnt=
wort suriirf: „f$räulein Gbitl) Buhmann aus Brafilien
nebft Sienerfcbaft, letztere beftehenb aus ber mitgebrachten
Kammerfrau $ofepf)a unb bem erft in Hamburg enga*
gierten Siener ^oh» SteoenS aus Hamburg, angeblich
gebürtig in §ud, Gnglanb."
Bad; biefer amtlichen fjeftftellung machte Braun fid;
in Begleitung non ^ofeplja unb zwei Konftablern auf
ben Sffieg nach ber Billa Beterfen. Sen Kriminalbeamten,
welcher non fedjS bis neun Ul)r in .§aroeftel)ube ftationiert
gewefen war, beftedte er an Drt unb ©teile.
Unterwegs fragte Braun nad) ben ©ewohnheiten beS
Fräuleins, inSbefonbere, ob fie niemals abenbs ausginge.
GS war hoch immerhin bie fdjwadje 9JlÖglid)feit oorhan*
ben, bafe bie Same einen bringenben 2öeg uorgehabt unb
Zu ihrem Sdjubc ben Siener mitgenommen hatte. $ret*
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52
Der 2?ubin.
lidj liefe man bodfe in folgern gaU nidjt alle Sinter brennen
unb legte irgenb einen Zettel auf ben Sifcfe.
Befanntfdfeaften befafe gräulein fRufemann ni(fet, roie
er auf Befragen »on ber Wienerin erfuhr, mit 2luSnafeme
be§ SfedjtSanmaltS Softor SRarquarbfen, ber ifer aucfe
ben Wiener beforgt featte. Sagegen mufete 3jof e Pfea ein*
räumen, bafe iljre §errin am Slbenb juuor auägegangen
unb erft ftiemlidj fpät in einer Srofdfefe guriidfgefe^rt mar.
2öo fie geroefen fei, fonnte nicfet angegeben roerben, Braun
notierte inbeffen bie Sfeatfadje in feiner ©djreibtafel unb
feiste aud) ben ifem befannten -Kamen beS 2lnmalt£ fein^u.
Sann famen fie nadfe ber Billa.
©S mar injmifdjen elf Ufer geroorben, unb bie ©trafee
lag fcfemeigenb im bitten fRebel. Sie genfter be§ Kaufes
fdfeimmerten trüb burdfe ben bunftigen ©(feleier, man fonnte
glauben, bafe bort ©efeßfcfeaft fei ober fonft irgenb eine
Beranlaffung, bie ben ©cfelaf oerjögerte, benn bie be*
nacfebarten Villen maren bereite in Sunfel gefeüßt.
Braun poftierte bie beiben ifonftabler im ©arten unb
an ber ©trafee; er glaubte gnrnr oorberfeanb nicfet an ein
Berbredfeen, aber roenn bennocfe ein folcfeeS oorliegen foöte,
bann mar eS ratfam, äöadfeen auöjufteQen. Sie ©rfaferung
lefert, bafe ein Berbredfeer faft regelmäfeig an ben Drt
feiner Sfeat jurücffefert, um ju beobacfeten, ob bie ©pur
fdfeon »erfolgt mirb.
21(3 ber Äommiffar in 3ofepfea§ Begleitung bie »er*
fdjloffene Billa betreten unb junadjft alle Släume burdfe*
manbert featte, fam er bereits ju bem »orläufigen fHefultat,
bafe ein Berbredjen nidfet begangen fein fönne, roenigftens
nidjt ein Berbredfeen im geroöfenlicfeen ©inne. Senn nacfe
einem foldfeen finbet man umgeftürjte SRöbel, erbrodfeene
©dfeubfädfeer, Blutfpuren — ja, man finbet bodj »or allen
Singen baS Opfer.
Slber nicfets »on allebem mar ju entbecfen.
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Kriminalroman ron ^ricöridj ^acobfcn. 53
39raun faf) ftd^ in bie Söofjnung einer eleganten Same
oerfejst, bie beit Sag über ihren 33efdjäftigungen nachge^
gangen ift, unb nun allmählich baran benft, bie 9iuhe
aufgufuchen. Sa ftanb ein OeffeC an ben Sifdh gerügt,
unb über feinem ©i§ ^ing ein feines, nadj SSetld^en
buftenbeS ©pifjentafdjentudj ^alb gur @rbe; ba tag ein
aufgefdjlageneä S3ud& ; ba tag enbUdj eine angefangene
©tiderei, unb bie 9iabel mit bem roten ©eibenfaben
ftecfte noch in bem bunten SKufter.
Sie £uft beä gimmerS war etroaS bunftig, rote e§
ber f^aCt gu fein pflegt, roenn bei gefdjloffencn ^enftern
unb gufammengegogenen Vorhängen eine ©aSfrone ftun*
bentang brennt.
Sraun lieft fidf) in baä ©djlafgimmer (sbiths führen.
Sie roeifte, geftkfte Sede tag noch peinlich gtatt ge=
firichen über bem 33ett, bie gierlidljen SKorgenfchuhe ftam
ben baoor auf bem 2lngorafeH.
3m aßafdjgefd)irr befanb fich etroaS ©eifenroaffer.
2tber eS trug nicht bie geringfte ©pur jener unheimlichen
rötlichen Färbung, nach ber bie Kriminalbeamten fo forg»
faltig gu forfdjen pflegen, fonbern es roar bas s 2öafdh 5
roaffer einer Same, beren garte .fjänbe faum eine trübe
gärbung hinterlaffen. Sem Sett gegenüber ftanb ein
grojjer Kleibcrfdfjran!, beffen Sfjür angelernt roar.
Ser Kommiffar roanbte fid) an 3ofepl)a, bie blafß unb
gitternb feine Unterfuchungen mit ben 2lugen »erfolgte.
„©ie fennen natürlich gang genau bie Soilette 3h rer
$errin?"
„©eroijj."
,,©ut; fehen ©ie im ©djranf nach, etwas fehlt."
3ofeptja gehorchte unb fagte nad) einer ffieile: „3dj
fann ben Hantel nicht finben, ben baS gnäbige gmttein
bei fdjledjtem SBetter trug, unb bann ben roten Safcfjlif;
bie ©adhen hängen fonft immer obenauf."
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54
Der Kubtn.
,,9fatürlid), " entgegnete 33raun aufatmenb, „bie Sachen
rcerben moljl fehlen."
Er ging in ben Salon zurüd unb fc^te fich nadj=
benflidj auf einen Stuhl. Sie Sogge roar ihm nicht non
ber Seite geroidjen; fie fjatte ein paarmal gefnurrt, aber
auf 3ofepf)a§ 3 ur cben fofort 9iuhe gegeben. 3iun ftredte fie
fich mitten auf ben großen Smprnateppich unb roinfelte leife.
„Sljr gräulein ^at bie 3Silla heimlich oerlaffen," fagte
33raun enblich; „baö ift flar. Sie fommt auch Ijeute
roof)l nidjt mehr zurüd, benn jefct ift e§ äraölf Uhr."
Sann fiel fein 33Iicf auf ben §unb.
„SfiJaä h ü * benn ba3 Sier?"
„Eö fef;nt fid> nach feiner §errin," entgegnete ^ofepfja
fdjludjzenb.
„Sie hatten ben §unb mit fich genommen?"
„Sjarooljl, $err ßommiffar."
33raun ging in baä Schlafzimmer hinüber unb fehrte
gleich barauf mit ben Morgenfrühen jurüd, bie oor
Ebitlfä S3ett geftanben hatten. Er hielt bie zierlichen
Singer, bie jebenfaUä häufig oon ber Eigentümerin be*
nu§t mürben, ber Sogge unter bie 9iafe unb fagte babei
aufmunternb: „Such — oerloren !"
Es mar ein zweifelhaftes beginnen, benn ber Äom--
miffar mujjte red^t gut, baff bie Soggen im allgemeinen
feinen befonberS auSgebilbeten Spürfinn befitjen, aber
biefe hier feixen bodh eine 3Iu3nal)me oon ihrer Sippe
ZU madjen.
Sie nahm bie Spur auf unb burdjquerte ein paarmal
baä 3i mm er, als fie in bie 9fäl)C ber S()ür fam,
öffnete 23raun fie. Slber ber §unb betrat nicht ben $or*
ribor, fonbern umfreifte mieberholt ben Seppid), ftredte
fid) enblich auf bem früheren $Ia£ in ber 9iäf)c beä
Kronleuchters nieber unb fdjarrte minfelnb mit ber 3>or*
berpfote in bent meidjen Stoff.
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Kriminalroman oon Jfriebrid) ^aeobfen- 55
Sofepfea ^atte alle btefe Vorgänge ebenfo gefpannt
beobachtet rote ber Kriminalbeamte; fie roufete ganjj genau,
roorauf eS anfam, fie brauste nur an ifjre Sugenb j$u
benfen, bamalS fe$te man in Srafilien auch bic §unbe
auf 5Dienfd)enfährten, unb üieHeidjt roaren 9ieroS 3Sor=
fahren noch su biefem 3«Jec£e oerroanbt roorben.
„55er §unb hat bie Spur aufgenommen," fagte fie.
„2lber bie Spur führt nicht aus biefem Zimmer h* nuu 8>
mein ffräulein hat baS $auS alfo nicht tterlaffen."
55ie Sfeorljeit biefer ^Behauptung lag auf ber §anb;
bie 55ogge hatte feine feine Witterung, barin beruhte baS
gan^e ©eljeimnis.
2Iber fie roar jebenfallS treu.
55enn als ber Komtniffar genauer unterfucfjte, roarunt
ber §unb fo eifrig ben foftbaren Teppich äerfrafjie, ba
fanb er in bem floefigen ©eroebe eine $aarnabel liegen,
unb 3ofepha beftätigte auf ^Befragen, bafe fie ihrer -öerrin
gehören muffe.
SSenn baS ein corpus delicti roar, bann liefe firih
jebenfallS nicht oiel barnit anfangen. 33raun fteefte bie
fftabel fopfjcfeüttelnb in feine SBrieftafdje unb befolgte ba»
mit mehr eine ©eroofenfeeit als eine beftimmte Slbficfet;
er roar norläufig am ßnbe feines fJtadjbenfenS angelangt.
55a fagte ^ofep^a im 2one tieffter lleber^eugung:
„2Benn idj nur ben 9fero nidht mitgenommen hätte, bann
roäre baS alles gan$ geroife nidjt paffiert. 3lber biefer
unheimliche -JJlenfd), ber Stettens, rebete mir ja fo lange jju,
bis id) es enblid) tl)at. @r fürchtete fid) oor bem §unbe."
55er iBoIijeifommiffar fuhr mit bem Kopfe f) erum
unb ftarrte bie 55ietterin an. Heber (SbitljS iBerfchroinben
hatte er junäd)ft biefe jroeite ^erfon ganj oergeffett, bie
unter Umftänben eine fefer roid)tige 9iolle fpielte.
„3Ber roar biefer SteoenS?" frug er.
„55aS fann niemanb fo genau fagen, §err Komntiffar.
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56
Der Kubin.
©r wollte in ©nglanb gewefen fein bei feinen $errfcßaften,
unb er war ja aueß, was man einen anteiligen SJtenfdjen
nennt. Allein gräulein naßm il)n auf ©mpfeßlung bes
§errn SDoftor SRarquarbfen an, unb baS war boeß gewiß
eine juoerläffige Quelle, benn idß glaube, ber §err IDoftor
war mit bem gräulein fo gut wie oerlobt."
„2lber ©te nannten ißn foeben einen unßeünlidßen
Btenfcßen?"
^ofepßa würbe oerlegen. „2ldß ©ott, §err ^ommiffar,
idß ßabe oieHeid^t ju oiel gejagt. 3<ß mochte ißn eben
nießt, baS ift aEeS. "
©iferfücßteleien jwifdßen ber SDienerfcßaft finb nichts
Seltenes, baS wußte Braun aus ©rfaßrung. Unb bas
Berfdßwinben beS Wieners war an unb für fidß nodß
feineSwegS befonberS auffällig ; wenn ©bitß plößließ ab*
gereift war, bann batte fie ben Wiener oieEeicßt mitge*
nommen, wenn aud) nur bis an bie Baßn. Unb nun
madßte er fidß eine luftige Stacßt.
§ätte ber SJtenfdß einen Staub auSgefüßrt, bann mußte
eS in ber BiEa anberS auSfeßen.
3ur 39eftätigung feiner Slnfußt ließ Braun fidß in
baS 3immer oon ©teoenS füßren. SD a war aEeS wie
fonft, fämtlidße ©ffeften fanben fidß oor, nur bie gewöfjn*
ließe Äopfbebecfung bes SienerS feßlte.
Bon bort famen fie noeß einmal in bie $üdße.
®ie oor bem Äüdßenfdjranf befinblidßen roten $lede
madßten juerft ben Beamten ftußig; er faß ßier bie garbe,
bie am ßäußgften in feiner oorlam, unb eilte
barauf ju. 2lber bas war SBein, fein Blut.
Bor bem §erbe lag nod) eine $anbooE ©päne.
$aS gefdßärfte unb argwößnifcß geworbene 2luge beS Be»
amten entbeefte biefen unauffäfiigen Umftanb fofort, unb
nadß einigem Umßerfcßauen fanb Braun audß baS fonber*
bar jugefdinittene ©dßeit im §oljforbe.
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Kriminalroman non ^ricbridj 3 ac °J , f c,t - 57
6r naljm eä in bic £anb unb prüfte jebe einjelne
$afer; er fdjroang eä burdlj bie Suft unb führte batrtit
einen pfeifenben $ieb, fo baff ^ofcpTja laut auffdjjrie unb
iljn mit entfetten Slugen anftarrte.
„25a§ nehmen mir mit," fagte SBraun. „2öer bie§
Sing jurec^t gemalt fjat, bem mar e3 nicf)t um eine
müfjige ©pielerei ju tfjun ; idfj roeijj nid&t, rooju es benuijt
roerben foßte, aber bas roirb fic^ IjerauSfteöen."
$ann trat er oor bie fEljür ber 2Ma unb pfiff leife.
SDer Giebel Ijatte fiel) etroaS gefegt, man faf) in ber
fRacljbarfdEjaft einige Siebter, unb eine gemiffe Unruhe,
bie rneljr geahnt als gefpürt merben fonnte, fdfjien fidj
ber Umgebung bemädjtigt ju Ijaben. 33ietteic^t muffte
man fefjon, baff bie fBolijei bei ber 2lrbeit fei, unb baff
morgen ober oielmeljr Ijeute bie Teilungen einen fenfa*
tionetten 3lrtifel bringen mürben.
3u ben beiben im ©arten poftierten 5fonftablern ^atte
fi$ injroifdfjen als britter ber ©cfiuljmann gefeilt, melier
abenbs juoor oon fed&s bis neun Ul>r in §aroeftel)ube
ftationiert geroefen mar.
@r braute feine ^Beobachtungen in furjer gorm jur
9Relbung.
3roifdE)en fieben unb acf)t Uljt, genauer fonnte bie geit
nidjt angegeben roerben, fyatte ein großer, fdjroarjbärtiger
9Rann bie 33ißa fjleterfen oerlaffen. ®amals mar ber
Beamte in ber fJfälje beS Kaufes gemefen; gleich barauf
mar er roeitergegangen unb nicht mehr in jene ©egenb
juriidgefehrt. Qnbeffen erfcljien bie »on ihm befunbete
Sfjatfache bennodj oon größter 23ebeutung.
Um ^alb fed&s Uf)r mar fDoftor SJfarquarbfen bei
(Sbitfj gemefen, aber bie gefamte fßolijeimannfchaft fannte
ben Slnroalt genau unb muffte, baß er meber befonberS
grojf mar noch einen fdjtoarjen 33art trug; ^ohn ©teoenS
mar nach SofepljaS Slngaben ooHftänbig bartlos; es mußte
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58
Per Hubin.
ftdj beinnadj noch eine anbere -ßerfon bei (jsbith aufgehalten
haben, unb roafjrjdjeinlidj ftanb fie in irgenb meldjen
Beziehungen ju betn nodj ungelöften 9tätfel.
$ommiffar ©raun hotte nunmehr eine hoppelte 2tuf*
gäbe.
@r muffte erftenö jenen Unbefannten mit bem fchroarzen
Bart ermitteln, unb in biefcr Stiftung erfd)ien bie 2lu3*
fic^t auf ©rfolg aufjerorbentlich gering; fobann galt e§,
bie fßer[önlid)feit non 3>ohn ©teoenä ju beleuchten, unb
hierfür mangelte eä nicht an ben erforberlid^en §ilf3*
mitteln.
3Jlit 2lnbrud) be§ fDlorgenö fe^te fich ber grofje Apparat
in Beroegung.
•äJian hatte, ba Sohn ©teoenä nicht zurüdgefehrt mar,
feinen »erfchloffenen Koffer auf bie ^olijei fchaffen laffen
unb martete mit feiner Dejfnung nur auf ben richterlichen
SDurchfuchungäbefehl, ohne ben biefer Eingriff in frembe
Stedjte nicht ftattfjaft mar. Snjmifdjen mürbe aus ben
fDlelbebüchern feftgefteHt, baff ©teuenS oor feinem ®ienft*
antritt bei 6bith in ©t. fßauli geroohnt unb mit feinem
©tubennadjbarn, bem Bureauoorfteher ©dhmibt, Umgang
gepflogen hotte. letztere ftanb natürlich nicht in
ben Siften, aber bie aHmiffenbe Bolizei raubte e§ plötjlidj,
benn ©teoenS mar je|t eine intereffante ifierfönlichfeit ge*
roorben.
Braun fuhr felbft nach ©t. Bouli.
3uoor hotte er mit feinem (Shef eine Unterrebung
megen be§ BianneS mit bem fdjmarzen Bart. 2)lan fal)
bie Unmöglichfeit ein, auf ©runb biefeä unzulänglichen
©ignalementS bie betreffenbe $erfönlid)feit unter ben
fünfmaltjunberttaufenb Hamburgern herauä^ufinben, benn
ba3 l)iejj ein Bfeizenforn in einem ©ad »oH ©preu fudjen.
2Benn ber Unbefannte fein ©eroiffen in irgenb einer
2Beife belaftet hotte, bann hütete er fich fidjerlid), feine
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Kriminalroman non ^ricbridj 3 ac °t , f en - 59
©pur $u perraten; roar er aber unfdjulbig, bann mufete
er auf bie SBidjtigfeit feiner 2luSfage btngeroiefen rocrben.
©o erfcbien benn in ben -JJiorgenftunben an ben 2lm
fcblagSfäulen Hamburgs ein rotes ißlafat, rooburd) bie
ijkrfon, roelcbe abenbs junor &roifcben fieben unb adjt
ilbr bei gtäulein 9iubmann auf $aroeftei|ube einen 39e--
fuch gemalt f)aite, aufgeforbert rourbe, fid) ungefäumt
bei ber Kriminalpolizei zu melben. 9Jlan fagte fidj felbft,
baj? ber ©efudjte es roabrfdjeinlicb nicht tbun roerbe. 2tber
roenn er bas ^lafat las, bann roujjte er roenigftenS, bafs
man auf feiner ©pur fei, unb baS f)ierau§ entftefjenbc
©efübl ber Unfidjerljeit mar für bie Polizei ein befferer
SBunbeSgenoffe als ber finbigfte Kriminalbeamte, ben bie
alte §anfefiabt aufzuroeifen Ijatte.
fünfjebntes Kapitel.
SBäljrenb jener geit non fedbS bis neun Ufjr abenbs,
bie ber Hamburger ^oltgei fo au&erorbentlidj mistig unb
gebeimniSooll erfchien, batte ber Sureauuorfteljer ©cijmibt
mancherlei erlebt.
äSenn zufällig mehr als gewöhnlich Z u tbun roar, bann
blieb er juroeilen bis acht Uhr abenbS in ber ©spebition,
unb gerabe beute butten fidj bie ©efdjäfte ganz befonberS
get)äuft. ©o fam es, bajj ber ©Eprefjbote, burdj ben
Softor 3Jlarquarbfen feine plöfclidje 2lbreife anzeigte, baS
SBureau noch offen fanb unb bie SSifitenfarte mit ben
roenigen flüchtigen SBorten beS Slnroalts an ben 3lbreffaten
perfönlich abgeben fonnte. ©cbmibt roujjte ficb feinen
rechten 93erS aus ber ©efchicbte zu madben, aber er be*
regnete, bafc bie 2lbroefeuf)eit feines ßbefS minbeftenS
zroei bis brei Sage roäbren fönne, unb traf banad; feine
2)?ajjregeln.
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60
Per Kitbin.
$urg juoor war non einem augwärtigen Klienten ein
©elbbrief mit füitfbuitbert 3)iarf eingetroffen, unb bag
©elb foHte orbnunggmäjjig in ben SErefor eingefdjloffen
werben. 2X6er 5)oftor 9)iarquarbfen befanb fid) im 53cfit}
beg ©djlüffelg, unb bag morfdje ©djreibpult mit bem
lahmen ©d&fofj mar ein jiemlid) unfidjerer Slufbewafjrungg*
ort. ©o ftedte ©djmibt furj entfdfjlofjen bag fünffadj ge*
fiegelte Gouoert nebft gnljalt in feine eigene S3rufttafdje,
um eg entweber in feiner ^ßrioatwoljnung aufjuljeben
ober biä jur 9iüd!eljr beg 21nwaltg bei fid^ ju trogen.
®ag (entere bünlte if)n fdjliefjHdj noch om ftdjjerften.
@r tjerfdjlojj fobann bag S3ureou unb fuljr mit ber
$ferbebaf)n nadj ©t. ^kuli. 21lg er bie kreppe nadE)
feiner im $ofe belegenen Söoljnung emporftieg, fiel ifjm
etwag ein; er lehrte um unb fcljellte im SSorbertjaufe bei
grau -Ularquarbfen. Sie 2Bitwe öffnete ifjm felbft unb lub
iljn guootfommenb ein, naiver ju treten.
,,gcf) bin $war allein," jagte fte etwag anjüglicl),
„meine 9iidE)te ift auggegangen, aber wenn ©ie mit einer
alten grau oorlieb nehmen wollen — "
©cf)mibi brüdte Ijöflidf) fein Sebauern au§, bafs er
nic^t audj gräulein 2lgneg begrüben bürfte, im übrigen
wollte er nur fragen, ob grau 9Jtarquarbfen oieHeidjt fagen
lönnte, wie lange ber «§err Softor fortjubleiben gebenfe;
eö fei nur wegen ber ©efefjäfte.
grau 9)}arquarbfen wujtte gar nidljtg oon einer Steife
i^reö Soljneg; fte war etwag betroffen, wollte bag 9iäljere
erfahren, unb barüber fant ©djmibt in bie ©tube unb
auf bag ©ofa.
„SJtein ©oljn j^eigt fidt) jefjt fo feiten bei ung," flagte
fte, „eö ift mitunter, alg ob wir gar nid)t oorljanben
wären. 2Bag bie 21gneg anlangt, fo ift eg mir ja ganj
redjt, aber iclj bin boclj bie fDlutter, bag muffen ©ie felbft
einfeljen, §err ©d&mibt."
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Kriminalroman r>ott ^riebncfy 3 aco ^f en - 61
SDie gute grau empfanb nicht bag Saltlofc biefer
Unterhaltung mit bem Untergebenen ilfreg ©ohneg, aber
ber fdjlaue ©efchäftgmann fühlte fofort, roo er einfefcen
lonnte.
„3)ie ißrajig be§ §errn SDoltorg nimmt gu, " fagte
er pertraulich, „eg finb hübfdje Klienten barunter." @r
fchroieg einen SJloment, lächelte, rieb ftch bie $änbe unb
fe^te i)ingu : „.fjübfdje Klientinnen märe richtiger gefagt.
Sch glaube, perehrte grau 9Jfarquarbfen, bah n>ir bem*
nädjft eine Verlobung haben merben."
„21h mirllidj? ©ott fei 2)anl!"
grau SJlarquarbfen fuhr bamit he ra u3, ohne eä 5 U
rooüen, unb bann geriet fte hoch ein rcenig in 33erroirrung.
2)er brennenbe iJöunfch, mehr gu erfahren, lämpfte mit
bem itnllaren ©efüljl, bah biefeg Shema h°chft unpaffenb
fei; aber ©chmibt f;alf ihr geroanbt barüber hinmeg.
,,©ie merben eg alg 2ftutter natürlich guerft erfahren,"
fagte er bieber. „geh felbft erlaubte mir nur biefe 2ln*
beutung, um ©ie auf beporftehenbe 23eränberungen hin*
guroeifen. 21uch im ©efchäft — fogufagen. S<h gcbenle
mich nämlich felbftänbig gu machen."
„211g mag, §err ©chmibt?"
„Sch h a ^ e ein bihehen hinter mich gebracht," fuhr er
bebäebtig fort. „kleine bigfjerige ^hätiglcit perfchaffte
mir auherbem fehr auggebehnte ÜSerbinbungen, unb fo
hoffe ich benn als ©chiffgmafler eine folibe ©jifteng
gtünben gu lönnen."
grau SKarquarbfen ftrahlte über bag gange ©efidht.
Sh* oerftorbener fDiann hatte ja auch biefeg ©efchäft be*
trieben, unb fie muhte, bah cg einen bübfdfjen Grtrag ab*
roerfen lonnte. ®ag mar hoch fdjliehlidj etroag anbereg
alg SBureauoorfteher, unb roenn ©chmibt jefjt mit feiner
Söeraerbung um 21gneg heraugrücite, bann lonnte er auf
einen guten (Smpfang rechnen.
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62
Per Kubin.
Sie fam ihm ein bi^djen entgegen unb bemerlte:
„kleine 9iidjte toirb fidj feljr freuen, rcenn fie oon biefen
ä>eränberungen erfährt, benn biö^er — "
„2öir oerfteljen uns ooHfommen, " Ijalf ©djmibt ein.
„gräulein 2lgneS ^at ganz red^t, bie Stellung eines freien
9JlaitneS ift berjenigen eines 33ureaubeamten oorzuzieljen.
■JZacfjbem ich bei Shnen, oereljrte grau 2Jlarquarbfen, ein
fo freunblidjeS Gntgegenfommen gefunben habe, hoffe id)
auch, bemnäd)ft bei bent ©egenftanb meiner Üöünfdje eines
gleiten ©lüdS teilhaftig zu roerben."
9fa<h biefer fd)ön gebredjfelten ^hrafe empfahl er fidj,
benn es lag gar nicht in feinem -ftatureH, eine ©ad;e ju
überhaften.
grau SJiarquarbfen blidte iljm mit SUÜjrung nad).
Gin netter 9Jiann, badete fie bei fidj, unb fo fein! geh
mufe nur bie 31gneS heute abenb ins ©ebet nehmen; bu
lieber ©ott, roaS märe baS für ein ©lüd, roenn gleich eine
Doppelhochzeit gefeiert roerben fönnte!
9iadj einer 3Beile begab fte fid) in ifjre ßüdfje, um
nod) einiges ©efdjirr roegzuräumen; fie roarf babei einen
Slid auf bie Uhr unb tounberte fief), roie fdjneß bie 3«it
oergangen mar.
GS ging fd)on auf jeljn Uljt-
3Son ber $üdje aus fonnte man in ben §of unb auf
baS .fjinterljauS bliden, roo ©chmibt feine Söoljnung hatte ;
bie genfter ber legieren toaren I)cd unb beleuchteten auch
ben §of, fo bajj man ungeachtet beS bitten 9?ebelS ztem=
lieh genau erfennen fonnte, roaS ba unten oor fich ging.
Unb gerabe roäljrenb grau -Diarquarbfen am Jüchens
fenfter ftanb unb fjinunterfah, betrat ein -Diann ben §of
unb ging quer burcf) iljn nach ©djmibtS SSohnung. Gr
blieb in bem beleuchteten Deil einen SJioment ftehen unb
blidte auf feine Uljr. grau 2)iarquarbfen aber jog fid;
fopffchüttelnb oom genfter jurüd.
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Kriminalroman non ^ricbricfc 3 ac °bf c u. 63
„2Ba§ will benn ber f)ier?" murmelte fie unjiufrieben.
„3d; bähte, feit feinem SBeggug Ijätte ber fBerfeljr aroifhen
ben beiben aufgef)ört; ba3 ift bod) eigentlich feine paffenbe
©efeUfdjaft für ben jufünftigen 3Jtann meiner fftidjte. " —
©hmibt faj$ bei ber Sampe an feinem offenen ©djreibs
fefretär.
@r fjatte ben ©elbbrief mit ben fünfljunbert ÜJfarf
vor fidj liegen unb überlegte, ob er ifjn einfdjliefien ober
in feiner Srieftafdje auffjeben follte. Sa§ erftere mar
hoch oiellcidjt fixerer, aber eä roiberftrebte bem oorfihtigen
©efdjäftSmann, ben ©djein S u erroecfen, als ob er bie
frembe ©adje in feinen 23efi§ Ijätte bringen roollen.
Sa flopfte es an bie Sfjür, unb beoor ©hmibt bie
klappe beS ©efretärö fließen fonnte, trat ^oljn ©teoenö
in baS Zimmer.
,,n’ 2lbenb, ©hmibt," fagte er. „How do you do? 1 * *)
Ser Sureauoorftefjer erljob fid) unb ging feinem Söe*
fudj entgegen. „28o gum Seufel fomnten ©ie benn ber,
SteocnS?"
„Salfutiere, oon .fjaroeftefjube."
©teoenS fdjob bie .fjänbe nah feiner ©erooljnljeit in
bie Safdjen unb ging ungeniert im Zimmer auf unb ab.
„§abe enblidj mal ’n freien SUbenb," fufjr er fort
unb blieb oor ber 3iQ arren ^f le fielen. „Sie 2abp ift
abgercift, fomme bireft oom Sfafjnbof."
,,©o plöfclih?"
„Yes. Sljun ©ie bod) nid;t fo unfdjulbig; I^fjr §err
ift ja audj abgereift."
„Softor ÜDJarquarbfen?" frug ©hmibt »errounbert.
„3a, ber ift allerbingS mit bem fJieunufjrgug fort."
„Well, bie fiabp aud). Sonnen ©ie ftdj feinen 2?er3
barauf mähen, alter ©hlauberger? @3 ging ein bifjdjen
*) 2Bie geljt'ö Sfjnen?
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64
Der Kubin.
heimlidh ju , DaS ift aßes ; morgen roirb roohl maS in
ber Leitung fielen."
©djmibt mar über bicfe unerroartete Nachricht fo be*
ftürjt , bafj er ganj feinen ©elbbrief oergafj. $er an«
bere hatte injroifd^en ungeniert eine Bigarre genommen
unb ging nach ber 2ampe, um fie bort anjufteden. $ann
ftufcte er plöfclitf) unb falj auf bie glatte beS Schreib«
fefretärS.
„Goddam, maS haben Sie ba für ©elb ^erumliegen !"
„©3 ift nidfjt mein (Eigentum," entgegnete ©dfjmibt
mechanifd), nafjm ba3 Souoert, ftecfte e3 nebft 3>nljalt in
feine 23rieftafd;e unb barg bie letztere in ber inneren
53ruftfeite feines 5Rode3. SSäfjrenb er nach ber ©emohn*
Ejeit be3 ©rojjftäbterS ba§ $leibung3ftüd feft jufnöpfte,
mad)te ©teoenS ben 33erfud), bie BtS arre anjujünben.
$ie Btgarre brannte enblidf), unb ©tenenä fefste fiel)
auf ba3 ©ofa. @r blicfte qualmenb oor fich f)in unb fuhr
fort: „©o, nun feien ©ie nicht fchäbig, ©dfjmibt, rüden
Sie mit 3h*w Gognacfiafdje fjerauS, id) Ejabe nodjj feinen
tropfen genoffen unb fjabe einen nieberträdf)tigen $urft
auf roaS ©djarfeS."
©dpnibt f)olte fcfjroeigenb bie glafche nnb ein ©la3;
er glaubte nidbt redfjt baran, bafj jener noch ganj nüchtern
fei, benn ber ÜJiann mar ju aufgeregt, bie B'S arre ging
ihm rcieberbolt aus. 3 u Ie^t marf er fie hin unb ftürjte
ein grojjeS @IaS ßognac hinunter.
„Goddam, baS tE)ut gut! Söiffen ©ie auch, alter
^reunb, marum idh ju 3h ncn gelommen bin?"
„9?un?"
„Sie foßen mir ©elb borgen, ich bin clenb in ber
klemme. "
„9fcin," entgegnete ©chmibt jäh, „©elb befommen
©ie nid;t oon mir, ©ie »erfaufen eS bod) nur."
„§ahaha!" lachte ©teoenS unb mar f fid) in bie Sofa«
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Kriminalroman oon ,friebrid? 3 ac °bf e n.
65
ede, baff bie gebern fragten. „9lichtig eingegangen,
alter Sunge — ©ie haben alfo ©elb!"
(Sr richtete fid) roieber auf, ftrich mit bem 2!afdE)entuch
über bie ©tim unb fuhr fort: „5DaS mit bem Sorgen
mar natürlich Unfinn, fo abgebrannt bin idf) noch nicht.
2lber id(j möchte biefe 9lacht mal lumpen, man fommt fo
feiten in bie greifet. Unb babei foUen ©ie mir helfen,
benn allein ift baS langroeilig. ©ie haben ©elb, unb idj
auch, freihalten rooßen mir einanber nicht. Slbgemadjt?"
©dEfmibt mar fonft ein foliber, nüchterner 9Jlann, aber
er mar Hamburger. Unb bie SJlebraaljl bet Hamburger
macht bann unb mann „eine $af)rt" baS Sebürfnis baju
liegt in ber Suft unb in ber angeftrengten 2lrbeit, baS
bidfe Slut mufs biSroeilen in 2öaHung gebracht roerben.
■äJlorgen gab eg nicht oiel ju tl)un, ba ber $err ab»
raefenb mar, unb aufserbem mar ber Sureauoorfteher ge»
fpannt, etmaS Näheres über bie geheimnisvolle 9leife ju
hören, bie fein (Sljef mit gräulein fRuljmann unternommen
haben foHte. „SDHr ift es redht," fagte er, „bei biefem
fliebel fann ein Strun! nicht fdjaben. 2Bo moHen mir hin*
gehen?"
„Nehmen ©ie nur 3h ren Hantel; ich mache ben
güljrer," entgegnete ©teoenS.
Sluch einem geborenen Hamburger finb nid)t alle
©dhlupfroinlel befannt, bereu fid) bie alte §anfeftabt trofj
Sranb unb Saufpefulation erfreut, er müfjte benn pr
(Slite ber Kriminalpolizei ober äur $efe beS Serbredjer»
tumS gehören.
©dhmibt mar unter bem Söaljrjeichen ber SDoppeltiirme
aufgeroadhfen, unb man fonnte nicht behaupten, bafe er
fein Sebtag bie aOerbefte ©efellfrfjaft aufgefudjt halle, aber
als er am 2lrme feines SegleiterS eine äßeile burd; bie
nebeligen ©trapen gemanbert mar, ba blieb er hoch ftefjen
unb fah fid; etroas bebenflidh um.
1901. III. 5
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66
Der Hubm.
„9Bo finb wir benn, ©teoenS?" fagte er. „f£iaS ift
ja eine oerteufette ©egenb, ^ier bin ich noch niemals ge=
wefen."
„fDtöglicb," entgegnete jener gemütlich; „baS wirb
oielen fo gehen. Slber es ift h* ei ' irgenbroo h erum ein
$lah, wo ber befte ^Borttncin in gang Hamburg gefdjenft
wirb, «nb baS foll man bei biefem £unbewetter nid^t gu
gering achten."
„3Bie haben ©ie benn ben ißlais auSbatbowert?"
„SBenn man wochenlang nichts gu tljun hat» bann
fommt baS gang non felbft; unb aufjerbem bin id) non
Sonbon her mit einer befonberen Neigung für alte ©tabt=
teile behaftet. 3$ fag‘ Shnen, ©djmibt, fo ’ne 9lad)t
quer burd) SB^itec^apet , baS ift bodj ein anbereS ®ing
als in biefem galjmen jRrämernefi, ba ift man froh,
raenn bie alte Uhr oon ben $oppe!türmen ber $irdje
mieber burd) ben SRebel fdjimmert."
®er Sureauoorfteljer mürbe immer einfilbiger.
( Sr hatte oft genug non biefem roiiften ©tabtteil Som
bonS gehört, roo es faum ein §auS, einen SBinlet ober
einen Srüdenbogen giebt, ber nidjt oon irgenb einem
Verbrechen Zeugnis abtegen fönnte, unb bie Erinnerung
baran war ihm in biefem 2lugenblid äujjerft unbehaglich.
Vor ihnen lag ein breites gleet, roie bie f leinen fdjifp
baren Kanäle in Hamburg heilen, beffen fdjlammige §lui,
mit atlerhanb Unrat bebedt, langfam gmifchen ben ßeljr*
feiten hoher, fchroarger, baufälliger Käufer baf)ingog. ©ie
fdjritten über eine uralte fteinerne Vrüde, bie, mit
©raS beroadjfen, 3eugniS baoon abtegte, roie feiten bie
oerlehrSreidje 2lrbeit biefen oerborgenen SBinfel auffudjte;
fie entfernten ftdj immer weiter oon bem tröftlidjen Sicht
ber Saternen unb tafteten fidh gleichfam in eine Sunfel*
heit hinein, too jebeS Sauwerl unheimliche formen am
nahm unb jebe ©eftalt in fdjattenfjafte Umriffe gerfloff.
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Kriminalroman oon ^riebricfy 3 ac °bf e n. 67
»3$ gehe nid^t roeiter," fagte ©djmibt plöfjlidh, „hier
ift ntdjt einmal ein ßonftabler in ber 9iä(je."
„28ir finb auch am 3iel," entgegnete ©teoenS ge=
laffen. „2Ba§ roollcn Sie mit ben ßonftablern? ®ic
Seute, bie f;ier rooljnen, mögen oietteidjt ein Biftc^en ärmer
fein als anberSroo, aber ich falfuliere, bafj fie nidjt
fdjledjter finb. Sßorroärtö, 9Jlann, bie hinter ftube im
„SBIauen §ecljt" ift gerabe gut genug für biefe italienifdje
fJtadfjt, unb ber Teufel foH midj holen, roenn mir roieber
gerabe herauSfommen."
SBenige Minuten fpäter fajjen fie in einem fleinen
Sofal, beffen 2lu3ftattung nicht gerabe elegant, aber bocf)
fjinreidjenb behaglich mar, um 9iebel unb ©unfelfjeit wer*
geffen ju laffen.
Ser SBirt Ijaite bie beiben ©äfte in ein befonbereS
3tmtner geführt; er machte einen erträglich bicberen ©im
brudE unb fdjien mit ©teoenS gut befannt ju fein, benn
biefer nannte ihn „^jonaS" unb befteHte mit certrautichem
2lugenjroinfern „bie benmfjte 9ftarfe".
Ser 2Bein mar in ber gut, eine fernere, ölige
©orte, bie jebenfatlS auf geheimnisoollem äßege ben
greifjafen oerlaffen, aber baburch nicht an heimlichem
geuer eingebüfet hatte. 2113 ©cljmibt einige ©läfer beä
ungeroohnten ©etränfeS in $opf unb 9Jlagen fpiirte, fing
er an, fich behaglidj ju fühlen, unb legte beibe 2lrme breit
cor ftch auf ben Sifdj.
,,©ie ftnb hoch ein oerteufelter $erl, ©teoenS," fagte
er, „fo toaS ©uteS friegt man nidjt alle Sage. 23ei 3h r em
gräulein in §aroeftehube giebt’3 ba3 roahrfdjcinlidj aud)
nicht."
„fJiein," entgegnete ©teoenS fürs unb ftürjte fein
©la3 hinunter.
„UebrigenS ein netter Wiener!" fuhr ©djmibt gemütlich
fort. „Sa foUen ©ic bie ©chäfce in ber 23ißa hüten,
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68
Der Hubin.
unb fityen ftatt beffen l^ier. 91a, profit! 3ft Fräulein
Siuljmann bemt fo reich? $aben ©ie 3b 5 * Sin*
manten fc§on mal gefeben?"
©teoenS gab feine Slntwort, fonbern rief nach einer
^weiten $lafcbe. darüber fam bas ©efpräcb ins ©tocfen,
aber ©cbtnibt nahm eS roicber auf mit ber £artnäcfigfeit
eines ÜJianneS, bem ber 2Bein bie ©ebanfen einjuengen
beginnt.
„$räulein Sfubmann wirb jebenfaHs in ber nädjften
3eit fefjr reich werben," bemerfte er tieffinnig. ,,©S ift
3bnen hoch befannt, bafs fte ben alten, wüften ©arten
erbt?"
,,©S gef)t bie Siebe baoon; idb befümmere mich nicht
barum. "
,,©ie b«t ib« Mer, fag’ i<$ Sbnen. Sen ©arten
unb baS ©artenbauS. 9ia, wohnen wirb fie wobl fc|wer»
lidb in bem alten ©erümpel, fte wäre wenigftens fcf)ön
bumm."
©dbmibt lachte über ben ©ebanfen unb begann im
halben 9iauf<b cor ficb fjin §u fingen : „Summ — bumm,
ftumm — ftumm!"
©S war ein finnlofer 9ieim, ol)tte irgenb welchen 3u*
fatnmenhang, aber ©teoenS fd^ien fich barüber ju ärgern.
„2öaS brummen ©ie benn ba non „ftumm"? ©inb ©ie
ftumm, ober bin idb es etwa?"
Ser Süureauoorfteljer trnnf abermals fein grofeeS ©las
leer, ©r war offenbar einer oon jenen Seuten, bie feiten,
aber bann um fo Saftiger genießen unb infolgebeffen
fdbnell abfaflen. ©r fam febon in baS ©tabium ber 9iiif;r*
feligfeit.
„5ßir werben einmal alle ftumm fein," fagte er
fcblucfenb. ,,©ie unb idb unb gräulein Stubmann. Sie
oielleicht gute^t, benn fie ift bie jüngfte oon uns breien.
3d& gönne ihr ein langes Safein, benn fte fjat mir einen
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Kriminalroman con ^liebrid? 3 dc °bf en - 69
9H»aIen oom §alfe gerafft. Profit, ©teoenä ! ©tofjen ©ie
mit mir an, gräulein 9luf>mann foll leben! §ocf}!"
gofjn ©teoenS ftiefj nicfjt auf ben 2:rinffprud) an.
6r fajj blofj mit gufammengeprefeten Sippen auf feinem
©tuljle unb ftarrte unuerroanbt in eine finfiere 6cfe beö
3immer3. 2Ba3 fein leiblid&eä ober geiftigeä 2luge bort
falj, blieb ein ©eljeimniS, »ieKeidjt tiefer unb bunfler
als bie 9lacfjt braufjen unb als ba3 Söaffer beS gleeteS.
„©ie finb ein 9iarr," fagte er enblid) halblaut. „gdb
bin ^ier mit gfincn jufamtnen, um luftig gu fein, unb
nid^t um 2lltmeiberreben gu führen. $)ie glafcfje ift leer,
idfj fjabe ®urft nad; einer britten."
$iefe britte befteKte er felbft im üBorberginuner am
Süffett.
63 mar in ber oorgerüdten 9lacf>tftunbe fein ©aft
meljr oorfjanben, aber bie 23erljanblung grotfdfien ©te»en3
unb bem 2Birt mürbe bennodj im glüfterton geführt.
„63 fann boc^ nichts barauS entfielen?" fagte gona3
bebenflid;. „gdE) rnödjte ungern mit ber ^oligei gu fcljaffen
Ijaben. ©ie roiffen, baf$ bie Herren mir oljnefjin auf bie
ginger feljen."
„9lidf)t3," entgegnete ©teoen3. „63 ift mir nur barunt
gu tljun, ifjn für biefe 9iad)t auf gute 9Jlanier loö gu
merben; c3 foH iljm fein §aar gefrümmt merben, idi
bringe ifjn felbft auf ba3 gimmer unb tn3 23ett."
darauf begann gonaS au3 bem gnljalt oon groei
glafdljen eine britte gufammenguftctlen. Unb er mufote in
biefer £ljäiigfeit moljl einige 6rfaljrung bcft^en, beim bie
©ad;e nafjrn fcl;r rafdj iljren gortfdjritt, unb Steoenö
feljrte befriebigt in ba3 ^rinfjimmer gurücf, mo ©djmibt
ingroifcljen feinen 9lod au3gegogen Ijatte unb ungeadjtet
ber feuchten Witterung auf bie „oerbammte ^ilje" fcfyiinpfte.
$ie britte glafdfje braute ifjn gum ©d&reeigcn.
6r fal) niefit meljr, bafj ©teoenS iljm allein einfdfjenfte
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Iler Hubin.
unb felbft feinen tropfen meljr über bie Sippen Brachte,
er fam aucf) nid;t über bie paar nädjften ©läfer hinaus,
fonbern fanf in bie ©ofaede gurücf unb netfiel tn einen
(Schlaf, ben fein facfjnerftänbiger ©efäljrte auf minbeftenS
acht bi§ jeljn ©tunben SDauer fd)ät$te.
©teoenS rief ben 2Strt herbei.
„(5ä ift fo weit," fagte er. „Reifen ©ie mir, ihn
ins Sctt ju legen."
®ie beiben HJlänner mußten ben ©djlafenben tragen,
©djmibt mar fo regungslos, bafj ber 2ßirt ängftliclj mürbe ;
aber ber anbere beruhigte ihn mit einem fpöttifcfjcn
Säckeln.
„@r mirb morgen etmaS ^opfroeh haben, baS ift alles,
©lauben ©ie, bajj idj ihn um bie (Me bringen miß?
®aju bebarf eS nicfjt fo nieler Umftänbe, goddam, id)
falfuliere, bafi Hamburg genug naffe (Men hat."
3>n einem finfteren, nad) bent §ofe gehenben ©aft*
jimmer legten fie ©d&mibt auf ein unfaubereS 33ett.
©tenenS jog ihm bie ©tiefel aus unb bedte ihn mit beitt
9lod ju; jutior aber nahm er aus bem leiteten eine
S3rieftafdje, ftedte fie nor ben Slugen beS 2ßirteS ju fid)
unb fagte: „ffiiffen ©ie, 2j° n a3, baS ift für alle gäHe
beffer. ©ie fönnen ihm morgen fagen, baf$ ich baS SDing
aufgehoben ^ätte ; eS ift bei mir fixerer als bei 3hnen."
SDann mürbe alles ftiH unb bunfel.
Oottje^unfl folflt.)
%
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frau 3 das Scheidung
* Eine Ebegesebiebte
von B. €. Kaslner.
m
mit 3llH$trationen
von Geors scböbel.
(ItacbdriKk verboten.)
1.
|it einem ©djerjroort fing eä an. Sie
ganje 5£ifc^gefeHfd;aft lachte, als
ba§ (Stjepaar $8ölfert ftc^ fo brollige 3Bal;r=
Ijeiten über ben Sifdj gurief. fftietnanb badjte an ßrnfteä.
fBtan mar hoch jur ©eburtötagöfeier unb nicht flum $anf
eingelaben.
Unb fo lächelten fie immer noch, bie Santen, bie
33afen unb bie ©djroefter ber jungen grau, alä fdjon
SBorte, fdjarf toie fftabelfpißen , b er n& er5 unb hinüber*
flogen. 9lur 23urfharbt, ber ©d)trager be3 ©aftgeberS,
lädjelte nidjt. ßr ärgerte fich- Siefer SSölfert mar ihm
ein unangenehmer fDienfch; er mod;te ihn nid;t. Sljat
fich immer trag ju gute auf feine afabemifdje 33ilbung,
roie trenn ein Kaufmann, ein ©rofjhänbler, treniger ge*
fdheit märe. Ser ^ro^! 3Bic hochmütig er bafafj unb
feine lange 9lafe mit betn Kneifer in bie Suft ftredte.
72 vfrau 3&as Sdjetbnng.
s J?aefe Surffearbtä Meinung featte grau 3b« S a,1 ä
redjt, reenn fie ftefe nid^t aße§ oon bem ^prannen ge*
fallen Hefe, (Sr nidte ber feübfdfeen grau, bie p feiner
fiinfen fafe, aufmunternb p : „Dtedfet feaft bu, 3^«, gieb’3
ifem nur tücfetig. "
SDiefe leife geflüfterte fDiafenung war aber gar nidfet
nötig. ®ie grofeen, fdfetoarpn 2lugen ber jungen grau
funfeiten ofenebieS oor SfampfeSluft. Unb al3 ber un*
artige (Sfeemann nun gar noefe p behaupten reagte, baö
©dfeönfeeitäibeal ber ©riedjen, bie 33enu§, fei blonb unb
fdjlanf unb nic^t flein unb brünett geroefen wie fte, ba
roar’3 mit iferer ©elbftbefeerrfefeung oorbei. fftodfe • einige
fdfearfe SBorte fein unb feer, unb baö gefüllte ©eftglaä
prfprang flirrenb, non 3ba tnütenb auf ben SHfcfe ge*
ftofeen.
Sftacfe furjem ©dfereetgen erfeoben fiefe alle unter ner*
legenem Säcfeeln nom fEifcfe unb nerfudfeten, rociferenb fte
in ben ©alon prüdfeferten, burdfe gleiefegültige 9feben3*
arten über ben peinlidfeen SßorfatI feinroegpfommen. $ie
erjürnte £au3frau aber pg fiefe mit iferem ©dfereager
Surffearbt unb iferer ©dferoefter SJfarie in eine genfternifefee
beä (Sfejimmerö prüd, reo lefeteve nerfudfeten, bic auf*
geregt ©dfelucfejenbe p berufeigen.
Dnfel ©tepfean, Softor 33ölfert§ 23ater3bruber , ein
eingefleifdfeter gunggcfelle, featte ben (Sfeemann unter ben
2Jrm genommen unb in ba§ 9fauefe5immer gefiifert, bamit
er bort fein ©leiefegeroidfet raieberfenbe. (Sr fteHte fidfe nor
ifett fein unb rieb fidfe ein bifedfeen fefeabenfrofe bie £änbe.
„3a, ja, bic 2öeiber!" fagte er unb blieS ben 9taudfe
feiner Starre oon fiefe. „9Jfein guter $an§, beine grau
feat ben Teufel im Seibe."
ift nidfet ntefer auöpfealten, " grollte ber junge
©feemann. „2)iefe grau ift fo ftreitfüdjtig unb — roirf*
lidfe, e£ ift nidfet mefer auöpfealten."
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Don 8. €. Kafmer. ?3
„Vielleicht nerftehft bu eS nicht, fie richtig gu Be»
hanbeln," meinte Dnfel ©tephan unb ^ielt bann bem
Neffen in feiner langfamen, pebantifchen Vebeweife einen
furgen, aber einbringlidjen Vortrag über bie Veljanblung
ber grauen. —
drüben im ©alon waren bie weiblichen Sitglieber
ber gamilie oerfammelt. (Srft hotte man feine Meinung
nur burdj $opffchütteln unb eine berebte Stugenfpradje
auSgetaufcht. 2lber als Tante gettdjen baS ©ignal gab,
inbem fie uorfidjtig fagte: „gba war immer ein lebhaftes
Sefen," ba gab ’S fein galten mehr. 3mar tcife flüfternb,
aber um fo energifd^er würben Meinungen auSgetaufcht.
©ie fannten ja gba fdjon lange, ga, freilich!
@S war gut, bafj not ber Tf)ür beS ©alonS bicfe
portieren angebracht waren. Ober eS war nielleicht
nicht gut. Tenn hätte grau gba gehört, wie bie an*
beren grauen fie beurteilten, oieHeidjt hätte fie »erfudjt,
ihr aQgu lebhaftes Temperament ein wenig gu gügeln.
2lber fie hörte eS nicht, hingegen laufchte fte mit ge*
fpanntem Df)t ben Sorten VurfljarbtS, ber ihr auSein*
anberfefjte, ba| ihre ©he non Anfang an nichts getaugt
habe; biefer Senfdj, biefer Völfert, höbe immer einen
unangenehmen, fpifjfinbigen ©fjotofter gehabt, hochmütig
unb ironifcfj. ©r felbft — Vurfharbt — wiffe banon gu
erzählen.
©eine ©attin Sarie, bie ©anftmütige, hätte gar gu
gern gum ©Uten gerebet, aber bie beiben achteten nicht
auf fie.
$arl SBurffjarbt war geuer unb glamme. ©r fühlte
fidh- ©r war gang Verteibiger, gang Vefdjüfcer ber unter*
brücften grau. Tiefe felbft hotte eS eigentlich noch nie
fo recht etnpfunben, bah ih* Sann eine ©flanin aus ihr
machen wolle, aber ber ©djwager, ber baS behauptete,
mochte wohl recht hoben.
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74
<frau 3bas Sd?eibuncj.
©ie fdjaute unter grünen banfbar ju ihm auf. $DaS
roar fe^r nett non if)m, fo i^re Partei ju nehmen. §an3
roar roirflid) unauSfteljlich, unb fte gan§ unb gar im
Wedjt.
Sjefct famen bie anberen, um ftd; ju oerabfchieben.
Surfljarbt brühte, als er ging, bie $anb feiner ©djroä*
gerin fo teilnafjmSoofl, baff fte biefen ritterlichen §änbe*
brucf nod) nad) brei £agen fpürte.
®ie ©heleute oerföhnten fidj übrigens tnieber. greilid)
nidjt an bemfelben Slbeitb; fie mußten roahrfdjeinlid) nichts
non jener alten grau, bie fünf Wlänner begraben unb
mit jebent „roie im Fimmel" gelebt hatte. $iefe alte,
im (Shelebcrt fo grünblich erfahrene grau pflegte ju be*
haupten, es liefee fid) mit j e b e m Wfanne leben, ginge
man nur feine Wad)t unoerföhnt ju Sette. 3>ba unb
$anS Sölfert h a *ten offenbar feine 2th nun 9 non biefer
2BeiSf)eit, benn fte toaren fdjon ju öfteren -Walen nicht
nur unoerföhnt, fonbern heftig ftrcitenb fdjlafeit gegangen.
Serföfjnung jroifdjen £iebeSleuten pflegt in ber Wegei
fü& ju fein. Slber roemt oiele £age bagroiföhen liegen,
wenn man ftd) roirflid) h arte oben beleibigenbe SBorte g e*
fagt h«t, bann hot bie Serföljnung rneift einen geroiffen
Setgefdjmacf,
$)aS junge ©hepoar übertoanb bieSmal erft nach einer
2öod)e feinen ©roß unb fdjaute ftd) aud) jejst nodh mifj*
trauifd), beinahe fampfbereit an.
2)aS hotte einen ganj befonberen ©runb. SiS ju
ber benftoürbigen ©cburtStagSfeier mar es rneift §anS
gemefett, ber mit einem ^oferoort fdjltefjlid) ben grieben
mieberherfteßte. ^Diesmal aber mar er ftörrifdjer als
fonft.
Dnfel ©tephan hotte bamals bei ber oerunglücften
Slbenbgefeßfdjaft nur menig gefprod^en ; aber roaS er ge*
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Pott 8. €. Kaftner.
?5
fagt, mar nicht gut für 3ba gemefen. Gr mochte fte nicht
recht, benn fte F»atte ihm feinen Neffen unb ©efellfcbafter
genommen, mit bern er früher pfamnten gefneipt hatte.
Gr freute ftdj jetst, bafc §anS fo für feine $ummf)eit ge:
[traft mürbe. Unb fo träufelte er, roenn auch nidf;t in
böfer 2l6)idjt, bern erzürnten Gljemann ©ift in bie
Ohren.
Gr benfe fidj ben SJlann als Grjie^er, erflärte er, baS
Sßeib müffe gehorchen. Gin Gljemann, bern feine $rau
roiberfpräclje in ©egenmart anberer, gelte oor ben Seuten
als lächerlicher ©impel.
$anS hielt eiet auf feinen Dnfel Stephan. Gin fo
roeitgereifter unb oielbelefener 9Jlann mufjte bod^ bie
SSeiber fennen. Unb fo befdjlojt er, feine gnw nun
enblid) p ergeben.
9lber er fing es nid^t gut an. Gr falj feine 3ba jefjt
mit ben 2lugen feines Dnfels.
GS giebt ciele fDlänner, bie fcljmach genug finb, ihre
Gljeliebfien immer nach beut Urteil anberer p fdfjähen.
©efäHt fte benen, berounbert man fte, fofort ift ein folcfjer
SOlann rieftg oerliebt. $ört er bagegen ein mifjgünftigeS
2Bort, gefällt bas 38eibdEjen nicht, gleich ummölft fid^ feine
©tim, gleich fühlt er ftch unbehaglich unb betrachtet fte
mit fritifdjen SÖIicfen. $anS 23ölfert, ber tro£ feiner
breiten Schultern, feiner hohen ©eftalt unb feiner fühnen
©eftdhtspge ein roenig unfelbftänbig mar, lieft fiel» eben*
falls leicht beeinfluffen.
93or jroei fahren freilich hotte auch Dnvel Stephan
bie 2eibettfdf)aft für baS reijettbe s JJiäbd(jen nicht bei ihm
unterbrüdE ert fönneit. 2(ber jroei 3 a h rc finb eine lange
3eit, in ber oiel geuer gelöfcljt roirb. Unb fo mürbe
$anS jefjt ungerecht gegen feine $ r au. £jatte fte etroaS
in bent £auSl)alt allein beftimmt, gleich big §anS beit
§errn beS Kaufes heraus. Seftt hörte man ihn bei ben
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76 <$rau 3&as Sdjetimng.
geringfügigen 2lnläffen fagcn: „34 will eS fo! —
22arum gef4ieljt nic^t, was i4 befehle?"
2US gtöu 3b« merfte, bafc ifyr §anS fxe roirflidj S«
tgrannifieren anfing, ermatte all iljr $ro§. ©ie toiber-
fprad; heftig, unb fo sanften fic ft4 faft täglich- .£ianS
braute jeljt bie Slbenbe oft auswärts gu. fRief er oor
bem Slbenbeffen bur4 bas Selepljon: „34 fomme erft
fpäter na4 §aufe," fo eilte 3ba unoergiigIi4 gu ©4roager
unb ©4roefter unb blieb oft bis fpät in bie 5Ra4t bort.
5?am fte bann gurücf, fo war fte infolge ber ©ta4elreben
SurfljarbtS gereifter gegen iljren ©atten als oorfjer.
2 .
„3ba," rief §anS am Dfterfonntag frülf, wäfjrenb er
fi4 gerabe feine Sartbinbe umlegte, „3ba, fornrn mal
herein!"
©ie fam aus bem grüfiftücfSgimmer unb ftellte ft4
unter bie SEfjür, roftg unb frif4 in bem f)übf4en fOiorgen*
fleib.
„$omm mal Ijer, 3b4 en ," begann §anS auf iljten
fragenben SBlid; „nun wollen mir mal Ijeute vernünftig
fein. $omm fje* unb gieb mir ’nen glufe!"*)
„$Da bitte mi4 erft wegen geftern abenb um 33er«
geitjung!" fagte 3ba f4nippif4- »Hub auf beine abf4eu*
Ii4e Sartbinbc mag i4 bi4 fo wie fo ni4t füffen."
„fRa, benn ni4t!" brummteer. „$u bift bo4 immer
biefelbe. 2öiß man mal liebenSwlirbig gegen bi4 fein,
glei4 Ifaft bu ’ne Siffigfeit. 5Ra4 uur, bafc bu wieber
IjinauSfommft!"
3ba funfeite iljn mit ben f4margen Slugen an.
»Siffigfeiten? ©agft bu f4on wieber, i4 fei biffig? 34
oerbitte mir baS ein für allemal!"
*) ©iet;e bas Sitetbilb.
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Don 8. <2. Kajhter. ?7
„©o fei eä nicht, bann roerbe ich eS nid^t mehr
fagen."
„2tber idE) habe bodj gar nid)t§ gefagt," fchrie 3jba,
in frönen auSbredfjenb. „$u $8erleumbcr, bu abfdheu'-
lieber SBerleumber!"
„$ängft bu nun roieber fo an?" brüllte §an§, jettf
roütenb roerbenb. „2lber nein — ich miß nicht ftreiten,
heut am Dfterfonntag miß ich nicht, miß ich nicht, miß
ich nicht!"
(Sr hielt ftdh bie Dhren ju unb rannte im Simmer
umher.
„$clj h^be nidht angefangen, bu haft angefangen,"
fdhludhjte 3ba. „Unb ßarl fagt, bah bu immer anfängft.
Unb bafe bu ein ^rafeeler feifi."
„Unb Dnfel ©tephan fagt," fdjrie ihr §an§ ins ©e=
ftd^t, „bah bu eine Xanthippe bift, mit ber man nicht
leben fann. Sebauern thut mich ber Dnfel ©tephan —
jawohl, bebauern!"
„Unb ber ßart hat gefagt, bie Seit fäme fdhon auch
noch, wo bu beine lange 9iafe nicht inehr fo hoch tragen
fönnteft, unb ich thät’ ihm leib, bah ich mit bir [eben
mühte."
„■Ka, ba fannft bu ja ju ihm gehen unb bei ihm
bleiben, id) habe nichts bagegen."
„üffierbe ich auch! $eine ©tunbe länger bleibe ich
hier! D bu fEprann, bu graufamer!"
„(Sr roirb halb genug an bir haben, roenn er bidj
erft näher fennt."
„2Saö? (Sr roirb halb genug an mir haben? 0 bu,
bu, bu . . . bu Teufel !"
$ba reefte fidj in bie ^ölje unb oerfe^te ihrem (Slje*
gemahl mit ber fleinen Sauft e j nen tüdjtigen ißuff in bie
©eite. SUs er fte etroaä unfanft abroehrte, fchvie fie laut
auf: „(Sr fctjlägt mich, er hat mich gefchlagen!"
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78
^rau 3bas Sdjeibung.
„©efdjlagen? 3<f> bid^?"
$ang ladjte unb tackte immer lauter unb immer
l)öljnifcl)er. Gr fte gefdfitagen?! Gr ein Sgrann?! ©e*
Jungen! — Unb er lachte nod^ immer, alg mit lautem
$radj bie ßorribortljür ing ©d&lofc fiel.
2öag benn? SBar 3>ba etma fortgegangen ? ©oldfje
®ummljeit! ®ag mar bodj nid>t möglich ! 3)iit einem
©prung mar er am $enfter unb rijj eg auf. Slidfjtig,
ba lief fie im 2l6enbmantel, mit ber ©d£)leppe beg neuen
9Jiorgenrodg ben feuchten SBoben fegenb, ben $ut fcfjief
auf bem $opf, bie ©trafic hinunter, ^ebenfalls in iljr
jmeiteg |jeim, j$u 23urfljarbtg.
§ang mar faffungglog. 9iad^bem er einigemal mie ein
Siafenber burd) bie gimmcr gelaufen mar, bie if)m auf
einmal nidjt mefjr fefttäglid) fjell unb gemütlicfj, fonbern
büfter unb troftlog crfdjienen, fefcte er fid) an ben ©d;reib*
tifdj.
„Siebe 3ba!" fdjrieb er. ,,2»d) bitte ®ic^, fei oer*
niinfiig unb lotnm fofort roieber nad) §aufe.
5Dein §ang."
9iad) einigen Minuten übergab er an ber nädfjften
©trafecnede oen 33rief einem ®ienftmann; bann fefjrte
er in lein $eitn ju*üd unb martete.
ÜBergeblidj. $ba lam nidjt.
Gin paar Stunben Ijairte er. ®ann naljm er feinen
$ut unb ftürmte, bag §erj\ oofl bitterften ©roKeg, ba=
non. • —
Gg mar fpät nadjtg, alg er mieber Ijeimleljrte. $rot}=
bem Sicljt brannte, ftolperte er bebenflid). 3ßo mar $ba
unb bie moljluerbiente ©arbinenprebigt?
Gr oermijjte leineg oon beiben.
s DJtnna, bag SDleibdjen für aHeg, ftiefj aber am näd)fteit
borgen, alg fie bie 2l)ür jum Gjjjimmer öffnete, um
aufjutäumen, einen entfetten ©djrei aug unb fprang er*
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Don 13. <£. Kaftuer.
79
fdjrocfen baoon. SDer §err lag, fyalb auSgegogen, lang
auSgeftredt auf bem Sofa unb fcljnardjte gräjflidE).
8 .
3« ber befjaglidjen SBoljnung in Gljarlottenburg fafj
man in aller ©emüttidjfeit beim griiljftüd. ©o ein
Dftermorgen mit bem fein gebedten grüljftüdätifdj, mit
ben »ielen guten ©adfjen, ba§ mar gang nadj bem ©e=
fdjmad beS §auäljerrn. SBurltjarbt liebte eS, lange unb
gut gu tafeln, grau fDlarie Ijatte fdjon in ben glitter--
roodjen mit weiblicher .^lugljeit IjerauSgefunben, baf} ber
2Beg jum $ergen iljreS £errn ©emaljtä burdf) ben ÜJJagen
fitns-
•Jiadfjbem ifjrbiefeSrfenntniSaufgcbämmert mar, mürbe
grau üERarie gang §au3frau, gang Sirtfd&afterin. ©ie
gab ihre fleinen fDlaloerfudfje auf, ging aber felbft in bie
2Jlarltljalte, um immer bie jüngften ©emüfe, bie frifdjeften
gifclje, bie neueften 2)elifateffen eingufaufen. ©ie übte
nicht mel)r Planier, bedte aber gu jeber 9M)lgeit eigcn--
hänbtg ben £ifdf>.
SSuftte fte hoch nur allgu gut, bafs 5tarlS ©eficht fo*
fort firahlte, menn ifjm ein blötenmeife gebedtcr, mit
fiedereien unb Sölumen gefdjmiidter (Sfjtifch entgegen;
leuchtete.
©o audj heute am Dfterfonntag. ®anfbar unb gärt--
lich hatte ber gcinfdjmeder feine grau gefügt, efje er fidj
in bem betjaglidjen 2eljnftul)l nicbcrliefj. ©eine Slugen
funfelten oor 2öonne.
„Wariedjen, baS fjaft bu mieber großartig gemadjt!
Frager ©djinfen, felbft gebaden — famoS! Hub ba§ ift
alfo geftampfter ÜÜlolfa? geineS 2lroma!"
@r gojj fich ben nacf) arabifcfjer Slrt gubereiteten Kaffee
ein unb begann ben uon ber Hausfrau felbft gebadeiten
geftfuchen gu probieren, als plö&lid) bie elef trifche Klingel
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80 ,frau 3bas Sdjcibung.
fiürmtfdj ertönte. SDlarie, bie aufgefprungen war, ftiefj
an ber SE^ür mit ihrer ©chwefier gufammen.
„Um ©otteS wiflen," fragte fie entfett nach einem S3Iicf
auf beren oerweinieS ©eftcht, „was ift gefdjehen?"
„@r §at mich gefdfjlagen," fchlucljgte gba.
ßarl Surffjarbt roürgte ungeftüm an feinem ©tüd
buchen ; eS entftanb alfo eine Heine $aufe, elje er fragen
fonnte: „Söirflich? §at er bir eine regelrechte Ohrfeige
gegeben?"
„ga, ben Äantm hat er mir in ben $opf hinein*
geflogen, " fcljluchjte bie batwngelaufene grau unb taftete
eifrig jroifdjjen ben welligen fchwarjen .§aarmaffen nach
ber ©teile, mo eS ihr bodh eigentlidh weh tljun mufjte.
„5fta, bann haben mir iljn ja enblidj!" rief $arl
triumphieren^ ben lebten Siffen hinunterfcljludenb. „3:l)ät=
liehe -Dlifehanblung ift ja ber fdjönfte ©djeibungSgrunb."
gba betrachtete ihren ©cljmager erftaunt unb mit etwas
unbehaglichen ©efühlen. 2öar eS ber ©djeibungSgrunb
ober ÄarlS unäfthetifche 2Irt ju effen, genug, fie wanbte
ftdh mißmutig ab unb fdfjaute trüben 33lideS jutn genfter
hinaus.
©ie feufjte tief. 2Sie, wenn fie hoch lieber reueooE
umfehrte unb mit §anS grieben fdjlö&e?
2Iber nur einen Slugenblid hielt bie gute Sfegung
ftanb. $arl halte recht. 28eIöE)e Hoheit unb Sieblofig-
feit gehörte bagu, um gegen ein fd)wacheS äöeib bie §anb
gu erheben!
2J!it blifcenben Sleuglein, rot oon ber 2lnftrengung,
in einem 9ltem gut gu frühftiiefen unb gugleich feiner ©nt*
rüftung £uft ju machen, fprubelte Söurfharbt feine 3ln=
fcljulbigungen gegen ben »erhalten ©cljwager heroor. SDie
fleine unterfe^te ©eftalt mit bem anfehnlidfjen 33äucf)Iein
unb bem brohenb erhobenen 3lrm, bie ba im 3i |nmer
umherftapfte, machte einen beinahe fomifchen ©inbrutf auf
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Don 23. <£. Kaftucr.
81
gba. Xrofcbetn gingen ifjr jeine äßorte rote §onig ein.
(Sine foldje grau fo ju befyaitbeln!
2Ba§ rootfte er benn nodj, ber Unbanfbare? (Sin
bliiljenbeS, jdjöneö 2Seib mit einem golbenen Wumor unb
unnerjiegbarcr Weiterleit, Vermögen, gute gamilie — aß
looi. in. u
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82 ,frau 3^ as Sdfcibung.
baS roar 33ölfert mit feiner §eirat in ben ©cfjofj gefallen.
Unb al§ Danf für fo oiel ©lücf miß^anbelte er biefeS
^uroel! üBarum tbat er baS? „2Barum? -Jöarum?"
fcbrie Surf^arbt aufgeregt unb fdjüttelte, als ihm oon
ben ©cbroeftern, bie bebrücft nebeneinanber auf bem ©ofa
fajien, feine Slntroort marb, ben bicfen $opf.
gür iljn roar all baS ein Sfätfel. 5Bic fonnte man
fo mutwillig ben ftören? Unb am Dfterfonntag!
33urff)arbt lief es falt über ben Siücfen bei bem ©ebanfen,
bab er an Wolferts ©teile roäre. 2öaS roürbe ba aus
feinem ©onntagSbraten, bem prächtigen $uter, ju bem
SJlarie bie unoergleidjlidje güQung nach einem faiferlidjen
^offüd^enresept bereiten rooHte? lieber fein runbeS ©e*
ficht glitt einen -Bloment ein feligeS Säbeln, roie bie ©onne
manchmal bei ©eroittern burcb 2Bolfen bricht. Dann aber
feljrtc er gleich roieber ju feinem 2ieblingStl)ema, ju feines
©djroagerS fdjänblicbem ^Benehmen, juriicf.
©S hagelte nur fo oon ©d^ulbberoeifen gegen ben
pflicf)t»ergeffenen ©bemann, fo bafi 3ba, noch ehe eS
Slbenb geroorben, entfcf;loffen roar, ba if)r fo bitteres
Unrecht gefdjeben, bem ©atten bieSmal ernftlich Drob ju
bieten.
„'Du läfjt bich fdjeiben, ^unftum !" h fl Ue 33urfbarbt
erflärt. „ Hub bleibft bann bei uns. "
Die fleine pifante ©cbroägerin gefiel ihm febr. ©chon
bamalS, als er ftcb oerlobt IjnUe, gefiel fic iljm ganfl
aufserorbentlid). 2lber geheiratet hatte er boeb bie anbere,
bie ©title, ©anfte. @r hätte roäfjlen fönnen ; bie ©ebroe^
ftern waren noch Beibe frei geroefen, aber ihm b atte eS
eben ‘SUlarie mit ben fanften Slugen unb ben ruhigen
fleinen Rauben angetban, unb fo roar $ba feine ©cbroägerin
geroorben. ©r fj Q Uc feine 28abl nie bereut unb fühlte
ficb äufeerft sufrieben; aber eine grobe ©pmpatl)ie für
bie ©cbroägerin roar ihm geblieben. 3&a brachte mit ihrer
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Do» 23. <£. Kafütcr. 83
auägelaffenen $röblid)leit ftetä „2eben in bic ©ube", roie
©urfbarbt &u fageu pflegte.
Sa, gan& unpermutct, Ijntte fic^ Soltor ©ölfert, ein
©tjmnaftallebrer, um ba§ junge fDläbdjen beroorben, unb
ohne ifjn, ©urlbarbt, audj nur ftu fragen, oerlobten firf)
bie beiben. Sie alte Sante, bei roeldjer bie t>ertoaiften
©djroeftern gelebt Ratten, mar gaitn einoerftanben mit ber
„feinen ©artie". Ser ©dfjnjager fühlte fiel) übergangen,
»erlebt. Sa*u !am noch, baff ©urfbarbt ftdj einbilbete,
bie neuen ©erroanbten, ©ölfert unb Dnfel ©tepban,
batten ein ^od;miitirteS, unnahbare^ 5Befen gegen ben
Kaufmann, ben nidjt afabcinifd) ©ebilbeten. Sem mar
aber fidjer nid)t fo. 2öenigftens lag ber ©runb i^rer etroa§
refermerten Haltung anber^roo. ©urfljarbts ©enebmen
mar ju feiten, befonberS menn er ein ©laä Sßein ju »iel
getrunfen batte, ein menig plebejifdj.
2ll§ §anS unb 3ba §odbjcit madjten, fjnttc fidj bie3
unliebfam gezeigt, ©urfbarbt, benebelt roie er mar, Ijatte
ber jungen $ r£ w einige nidjt tnif?suücrftcfjenbe, fdjer.djaft
fein foHenbe, aber ^öcfjft unfeine 2lnbcutungen gemad)t
unb roar bafiir, jroar unauffällig unb leife, aber feljr
energifdj, oon Soltor ©ölfert juiredjtgeroiefen roorben.
Saä batte er biefem nie pcrjieben. (Sr feljntc ficb nadj
einer Gelegenheit, il)m bieö Ijeimjusableu.
Unb nun mar 3ba biev unb foUte l)ier bleiben; ba§
gelobte er fidj.
4.
©lit einem (Sifcr, ber einer befferen Sadje mert ge-
roefen märe, betrieb ©urfljarbt in ber erften ^rcube bie
Trennung ber ©ölfertfdjen (Slje. ©djoit einigemal mar
er beäljölb bei feinem ©edjtöanroalt gemefen, ber ben in
©efebäftsfadjen fonft fo praftifdjen Klienten mit einiger
©errounberung anf)örte. Sa6 roar ja eine ganj feltfame
Sölarotte, burdjauä bie erft jmeijabrige Gfjc einer ©er»
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84
^rait gbas Scfjcibitng.
roanbten auflöfen p moßen, bie @be mit einem (Satten,
ber i()m als ein liebenSroiirbiger, feiner föiann befannt
mar. 21 ßp eilig betrieb ber $err SlecbtSanmalt bie ©ad[je
nidjt. 23efonberS nid^t, als grau gba ficb roeigerte, bei
iljm p erfebeinen.
2lnfangS batte fich gba ganji gut in ber Stoße ber
„mijjbanbelten" grau gefallen; bie SBerroanbten maren fo
teilneljmenb, unb $anS oerbiente ©träfe. fftoeb einmal
batte er gefebrieben. SBurfffarbt tjatte ben 23ricf mie ben
erften ungeöffnet prüdfgeben laffen.
9lun maren aber fdjon fünf SBocben feit Dftern ner*
gangen, gba langmeilte ficb, fie füllte ficb neroöS unb
abgefpannt. gb re§ <5d;roagerS lautes ©preßen, fein
baftigeS (Sffen ftörten fie jetjt oft. ©ie fagte iE>m bieS
gerabcp, nabtn überhaupt fein 23Iatt oor ben SJtunb.
2lucb fant fie je^t oft ntürrifcb unb unfreunblidb p £ifcb,
manchmal moljl auch gar nicht, manchmal p fpät. ®aS
liebte ber fjausberr nicht. 2lnfangS febmieg er. 2US aber
auch feine fonft fo pünftlicbe grau, roenn fie mit ihrer
©dhmefter fpapren ging ober Söeforgungen machte, p
fpät nach §aufe fam, ba mürbe er ärgerlich.
Ueberfjaupt, S3urfharbt hatte fidh baS gemeinfantc
fammenleben anberS oorgefteßt: heiter, fröhlich, ©tatt
beffen gab eS finfterc (Seftdhter, bört e er abfällige 33e*
merfungen. ©agte er feiner grau jefjt einen leifen f£abel,
prompt ermiberte ftc: „2>u bift auch nicht anberS mie
Sölfert!" Dbcr: „®u fagft hoch p gba, fie braudhe
ftch nichts non ihrem fDlann gefaßen ju laffen. Söarutn
foß ich es benn?"
SDen StechtSanmalt fuchte 33urff;arbt nun nicht mehr
auf. 6r hatte eS plötzlich gar nicht mehr eilig mit ber
©djeibung. hingegen ging er häufig abenbS aßein in
bie ©tammfneipe.
23ci Sifdje mar eS gar nicht mehr gemütlich. ©S
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Do» 23. <E. Kaftucr. S5
roar il)in unbel)aglid), roenn er ein roenig laut feine Suppe
fdjlüiftc ober mit bem 9Jieffer aji, unb es traf il)n ein
halb erflaunter,' Ijalb ftrafenber ©lid aus ben großen
fdfroarnen ütugen feiner Sdjroägerin.
©racbte baS fDiäbdjen ©riefe in baS Siwwcr, f° f«gtc
3>ba unfehlbar: „$ür midj nichts? Natürlich, »nenn man
©riefe ungelefen fluuidfdjidt, oI)ne midj aud) nur flu
fragen!" Söieber traf bann ben §auSf)errn ein ©lid,
bieSmal ein oeriidjtlicher, oorrourfSuoller.
GS mar eine fd)roadje Seite ©urfl)arbtS, baf, er früh
morgens als erfter bie Rettung öffnete. Seit einiger 3«*
aber befam er fie nur ftüdroeife aus $baS 3i ,nmev '
manchmal fanb er fie audj gar nic^t mehr. „3um föonner*
roetter," fluchte er bann, „roer ift benn bi« §etr im
£aufe?" 2lber Qba gegenüber mäßigte er fich nod).
3ba begann allmählich feljr Iaunifdj unb unbered)en=
bar au roerben. (Sineä Nachmittags in ber fDcimmerftunbe
fafjen bie beiben Sdjroeftern in bem beljaglidjen 2öoljn =
jimmer beifammen, mieber roie je|t fo oft in ein feljr
aufgeregtes ©efprädj oertieft, Nlarie oerfdjroanb beinahe
in bem großen £el)nftul)I, ben fie fid) möglidjft nabe an
ben Dfen gerüdt ^atte ; es fröftelte fie tro§ ber grübjabrS*
fonne, unb fie füllte fid) mübc unb äufjerft unbebaglid).
3bre gönne Haltung briicfte bie angegriffene Stimmung
aus, in bie ber NJenfch oerfäHt, roenn feine gäl)igfeit bcS
3uf)örenS unb SJlitempfinbenS etroaS lange unb peinlich
in Slnfprudj genommen morben ift.
fDlit bem @efid)t nach unten lag nufammengefauert $ba
auf einer bic^t baneben ftebenben (Sljaifelongue, tute ein
bilflofeS ©ünbel. 3h r Safdjentuch, baS nur nod) ein
naffer Knäuel roar, lag am ©oben, unb Tie roifdjte fid)
jetjt bie 2lugen mit ber feibenen Schleife beS SofafiffenS,
in baS fie ihr ©efid)t oergraben ^atte. Gin lautes
Stöhnen erfdjütterte oon 3eit n u 3 e ^ ifj« ©eftalt. Sie
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80
t fran Sdjcibnmj
bot tuirf lidj ein 23ilb roilbcn ^ammerö ; Ijeute »raren es
jmei Sjaljre, bafj fie geheiratet l;atte.
„9Jiein £ochieit3tag i" roieberljolte fie immer mieber.
„3)?ein jmeiter .fjodjäeitStag!"
ÜDlarie mujjte nidjts mehr ju fagen als: „5öeine bodj
nidjt fo, gba; es fann ja alles nodj anberS merben!"
Sie Ijatte fid^ fc^on noüftänbig erfdjöpft. 2Ille iljre ge*
ringe SBeltmeiSljeit Ijatie fte bereite jum beften gegeben,
um bie ©cfjmefter ju tröften.
,.5lnberS rcerben?" rief biefe. „$8aS fotl benn anberS
merben? Vorbei ift’S für immer!"
3n ungeljeuerftetn ÜDiitleib mit ftc§ felbft unb i(jrem
Unglüd marf fie fidj aufs neue auf bie Gfjuifelongue,
unb baS frifdje STafchentud) war halb mieber burdjnäfjt
oon einer unaufljaltfamen ä^ränenflut.
®ie ©chraefter richtete fidj mit einem ©eufjer auf,
magte aber nidjts metjr §u fagen. 3)ian niufjte fte fich
ausmeinen laffen, ba beruhigte fie fidj am elften. —
SlbenbS um STd^t tarn ber (Datte unb ©djmager nach
.fjaufe. @r mar fdjledjtcr Saune. 2lnt 9?adjmittag Ijatte
er im ©efdjäft einen Srief oon !gbaS SiedjtSnnmalt er=
halten. ©ans furj unb biinbig lautete er: bantit bie
©djeibungofadje beS ßljepaareö Sölfert uovmärts gelje,
oadange er morgen eine 23efpredjung mit grau Möllert,
©ie möge piinftlidj oormittagS elf Uhr auf feinem Sureau
erfdjeinen.
SDamit eS oormärtS gehe! ®aS ging bem §errn
©djmager nidjt aus bem ^opf. 2BaS füllte baS fjeijjen?
©afj fie binnen furjent gefdjieben mar unb bann enb*
gültig . . . 9?a, ba Ijatte er fidj mirllid) eine nette ©uppe
eingebrodt. s Jlun beljielt er fie am Gilbe lebenslänglich
auf bem $alje!
©o oermitrt mie Ijeutc Ijaticn bie Slngeftellten ihren
(Sljef nodj nie gefeljen. SJiadjbenflidj unb unruljig im
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V
€in lautes Stöhnen erschütterte von Zelt zu Ztit ihre Gestalt. ($. $5)
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SS ^ran 3bas Sdjcibniig.
fjödjften Grab fam er nad; $aufe. gm Sforribor brannte
fein Sidjt. SilgneS, baS 3Jläb<^en, erroiberte auf feine $8or=
miirfe, bie kanten brinnen feien aud; nod; im ginfterit.
(Sr trat ein — richtig, ftodbunfel!
„3a, maS ift benn loS?" fragte er in baS $unfel
hinein, worauf SDJarie mit erfdjöpfter ©timtne Ieife unb
uornuirfSooll flüfterte: „3ba meint ben ganzen £ag, es
ift ja ^eute il;r ^weiter §od)jieitStag."
Surfljarbt oerftummte einen 2lugenblid oerbu^t. „9?a,
jum $onncrwetter," fdjrie er bann grob, „barum fann
bodj üidjt in meiner 2Bol)nung ange^ünbet rcevben, menn
idj [jeimfomme! 22aS l;at benn ber ^od^eitStag mit
meiner 53el)aglidjfeit ju tljun? üJiarfd), 2fgneS, bie Sainpen
angeftedt!"
(Sr ftür^te in baS (Stimmer nebenan. 2(uc§ fjier alles
bunfel. 2llS baS ©aS aufflammte, ftiejj er einen ©djredenS;
ruf aus. ®a mar ja nod) nicfit einmal gebedt! 5tein 2lbenb=
brot Ijergeridjtct! Unb ifjm fiel beinahe ber Klagen IjerauS!
(Sr wollte eben, faft fpradjloS nor (Stnpörung, in baS
SBotjajimmer jurüd, als il;m bie beiben grauen entgegen*
traten, beibe mit blaffen, müben ©efidjterit.
(Sr fdjalt feine grau Ijeftig aus. gn folgen Gingen
oerftanb er feinen ©pafj. ©ie flog infolgebeffen mie ein
grrmifd) tjin unb f;er, nom 33üffett in bie ©peifefammer
unb oon ba in bie itüdje, mo fic^ leiber feine grofsen
Vorräte me^r oorfanben. SlgneS muffte erft um Sluffdjnitt
roeggefdiidt merben, unb als nun enblicf) biefer unb brei
nod; ungepu^te Söüdlinge auf bein 2ifdj ftanben, ner*
finfterte fid) beS §auSljerru ©efidjt immer meljr. 2)aS
liebte er gerabe — foldje falten 23roden!
„äöarum fjaft bu benn nidjt für marmeS Slbenbbrot
geforgt?" fragte er feine grau.
„2ldj ©ott, ßarl, idj muffte gba tröften. 25u fjörft
bodj, ’S ift it;r §ocl^eitStag."
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Don 33. <£. Kaftucr.
89
SBäljrenb et mifjmutig laute, flaute er prüfenb halb
feine grau, halb feine Schwägerin an. $5ie eine fdjlief
beinahe ein, bie anbere geulte. 3a, fie geulte; bie
Sfyränen liefen iljr auf ben verfallenen ©djinfen herunter.
„5?a, 3*> a / fagte cr flereist, „madj mal ein freund
lidjeS ©efidjt!"
„$aS ift meine Sache!" fam bie biffige Antwort.
„3dj fei)’ aber gern luftige ©efidjter, roenn ich effe.
grüljer Ijaft bu bodj lachen lönnen. Ober war bas blofe
SJerfteUung, baS gan^e ©etljue? £i<h lernt man woljl
auch erft nach unb nach fennen."
3ba fdjwieg, ftarr vor Empörung. 2ßaS erlaubte ftdj
biefer SDfcnfcb jctjt auf einmal? (Sr butte ifjr bodj früher
nur Iwdjacfjtung unb ©alanterie gejeigt. 2llleS, was fie
tljat, Ijatte er red)t unb gut gefunben. ^unbertmal batte
er fie ein 3uwel genannt. Slber nun, feit fie I;ier wobnte,
fanb er immer etwas an it;r &u nergeln. 2Uar eS, weil
fie vielleicht halb eine geriebene grau würbe, unb ibr
£anS, ben er fürchtete, fie nicht mehr befchüfjte?
Sie fdjauerte jufammen in b e 'B em Sdjred. Scheu
ftreifte fie mit ben 2lugen ben Schwager, bie Sdjwefter,
bie beibe fcbweigenb unb fi^tlidj mijjgeftimmt in iljren
Kellern berumftodjerten. füllte fie bleiben als eine
©ebulbete, wäbrenb fie in ihrem fcfjönen §eim bie Herrin
war!
„®a ift etwas, baS bicb intereffieren wirb," fagte
Söurlbarbt fd^on jum jmeitenmal unb fcbob ifjr einen
Sörief über ben £ifdj ju.
2$on §anS, fdjofj eS 3&a burd& ben $opf. Slber fdjon
erfannte fie iljren 3 r *tum. 23om 9ledjtSamvalt — „bamit
bie ©djeibung fdjneüer vorwärts gelje".
3brem Schwager einen finfteren 23lid ^uwerfenb, rief
fie unwillig: „9ta, nun baft bu es ja erreidjt, nun bift
bu woljl frolj!"
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1
90 ^rau 3t>as Sd?eibun<j.
„SBiefo froh?"
„29eil bu boc^ ftu biefetn 3mecf immer gebest ^aft.
•Jfun ift meine @I;e glücflidb futfcl)."
„3«, baS ift and} roirfUdj roafjr, bu ^aft gefjefct,"
ftimmte SSJZarie lebhaft ntt.
„216er wenn es fo rccit fommt — ^ier bei eudb bleibe
ich natiirlid; nicht, ihr braucht feine 2Ingft ju ^aben,"
fuhr gba fort.
Surftjarbt flaute intereffiert auf. „Sßatum nicht?"
„SGBeil gerabe fjier, mo id) fo tljöridfjt irar — "
„Unb bann fann fie bid) nicht effen hören," ladjte
fSJiaric.
„UebrigenS," fagte gba fcbarf unb ftanb auf, „jum
StedjtSanroalt gebe ich morgen allein. $idb gebt bie ganje
Sadbe ja gar nichts an. freilich, breingemifcbt ^aft bu
bid) genug. 5lber fdjliejflicb — "
„9?a, roenn bu immer fommft unb rcie ’ne $oße über
bcinen SOiann fchimpfft!"
„Soßteft baS nicht eljer bu beforgt höben?" ermiberte
3>ba fühl, nahm iljte Sdjroefter bei ber §anb unb flog
fie pr £büt.
„fDlarie, bu bleibft l)i er !" lief ber Gljemann. 2lber
•äJJarie gef;ord;te bieSmal nicht. Sie murmelte etroaS unb
lieg ihn, ^um erftenmal ungefjorfam, aßein fifjen.
SJurfbarbt fdblug mit ber gauft auf ben Xifdt). 2)iefe
gba! ®iefe auffdffige fßerfon! Unb feine grau ^atte
ficb aud; fchon baoon anftecfen laffen. So tnaS non
Saunenbaftigfeit ! £a mar nichts mehr non ber heiteren
gröl)lid)feit unb bent luftigen Sadjen früherer geiten.
•äJlit bem f5 am iti en ä u road^ä batte er mirflicb eine nette
Suppe eingebrodt.
(5r blieb noch ein SBeilchen einfam unb großenb in
bem leeren (Sjjjimmer fitjen, bie Stirn in nacfjbenflic^e
galten gesogen. ff]lö^lich aber nerflärte fid) fein runbeS,
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bicfeä ©efidjt. (Sin ©ebanle war ihm geloinmen, ein au§=
gejeid;neter ©ebanfe.
5Dian brauste, wenn man fdfflau war, nicht «He Suppen
augjueffen, bie man ftd; eingebrodt hatte. 2Bie eleftrifiert
fprang er auf, eilte in fein gitnmer, fe^te fid^ an ben
Schreibtifd; unb fchrieb:
„$errn $>oftor Sßölfert.
(Srfud;e Sie, morgen 2>ien§tag ißunft elf Uf)r im
33ureau bes 9led)t3anroalt3 fDlüßer in mistiger Sadje ju
er feinen."
„So, Sbadjen," fcbmun^elte er, wäl;renb er bie Üepefdje,
welche fofort auf baä iEelegraphenamt foHte, in feine
S3rieftafdje legte. „So, ^badjen, nun marft bu fed;ä
Söodjen bei u n ä , nun fann bid; bein 9J?ann wieber
haben unb für immer befjalten."
®ann nal;m er feinen §ut unb ging eilenbä fort.
(Einige föiinuten oor elf tlljr trat ißölfert in baä
23ureau be3 9led;t3anmaltä fDtüller. (Sr fal) bleid; unb
finfter aus. 5Daö Ungel;euerlid;e fdjien nlfo wirflid; wal;r
^u werben. 2Ba§ er all bie SBodjen nidjt faffen fonnte,
nidjt für möglid) hielt i^ba, oon welcher er fid;
trotj allem, trofj aller Streitfud;t unb Saunenljaftigfeit
geliebt geglaubt hatte, beftanb auf ber Sdieibung. ©enn
wop fonft biefe Unterrebung mit bem 9techt3anwalt?
©ewif; wollte ber 9ted;tSoerbreljer il;n befd;wat 5 en, bafi
er fid; alä ben fd;ulbigen ©eit belenne. 3hm uiar’S gleidj.
Sieber bie fd;meralid;fte ©ewifjljeit, alä nod; langer bie
^fein ber letzten Sßochen.
9Jlit froftigem ©ruf? trat er ein, nachbem er feine
Sifitenfarte oorauägefd;idt. ©er Anwalt erhob fid) er*
ftaunt, grüfjte unb fal; il;n fragenb an.
„2Ba§ führt Sie ju mir?"
„3d; foinine auf 3h*e ©epefdje."
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92 ,fra» 3bas Scfjcibung.
„Das ift ein Irrtum, gdj Ija&e nicht an ©ie tc!c=
grapljiert."
„§ier ift fie."
ÜJiüder las, unb ber ,3 u f tt m m e n h ön 9 fdjien i&m Har.
Die ©attin l^atte ftd) anberS befonnen unb mit biefer
Depefdje ben ©emahl ^ercitiert. Sin fchlaueS unb »er=
nünftigcS Söeibchen.
Gr 50 g bie Uf»r. Sloch fteben Minuten $eit, um ben
Gfjemann aufaullären. Ctjne Umfcfjroeife madjte er iljn
mit ber Sachlage befannt unb riet ihm, feine Aufregung
ju betneiftern, fid) möglidjft referuiert »erhalten unb
bie ©adje an fid; ^eranfommen 3 U (affen. —
GtmaS »erfpätet fuFir ^ba in einer Drofdjfe ^um
StedjtSanroalt. ©ie fah »ermeint, aber entfdjloffen aus.
Die Begleitung beS ©djmagerS (jatte fie fd^roff abgelehnt.
9iid)t länger rooKte fie fid) gängeln (affen. 28aS mar
babei fjerauSgefommen? Die ©djeibung. 2luS nid^tö, auS
einem SSortmedjfel mit ihrem lieben, guten $anS. SKIer«
bingS, unfdjulbig füllte fie fid) nicht meljr; fdjon feit
Dagen litt fie an heftigen ©eroiffenSbiffen. 2lnbere grauen
maren bod) mof)l nidjt fo roie fie.
2Bie lieb unb fanft fprad) ’ÜJiarie mit ihrem SJIann!
2 £ie aufmertfam, ja gerabeju aufopfernb forgte fie für
fein Belagen unb iiberfah all bie ©dimädjen, bie er hatte!
Unb baS mar noch ein unangenehmer, anfprudjSüoUer
ÜJiann. Dagegen mar iljr $anS baS reine Igbeal. Gr
mailte nidjtä non il)r als ein roenig ©anftmut, ein menig
3iad)giebigfeit. £mtte er nidjt red)t, menn er »erlangte,
bah ihn beim §eimfommen »on feinem ferneren Beruf
ein lädjelnbeS ©eficht, ein freunblidjeS 2i>ort begrüben
foüte? Söic hatte fie immer barauf gepodjt, bah bie grau
biefelben Siechte haben müffe mie ber fDlann! ©ie aber
hatte bie ihren mibbraudjt, mar ted)tl)aberifd) unb ftreit=
füdjtig gercefen.
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93
Ton V>. <£. Kajtncr.
gel 3 t faf) fie e3 ein, aber nun nmr eS oiellei^t su
fpät. glj* ©atte beftanb jefct auf ber ©Reibung, roar
too[)I im ©runbe feines §erj\enS frolj, fie los j\u roerben.
2l(S grau $ba uor bein $aufe ausftieg, ucrfcljlucftc
fie tapfer iljre Sljränen unb eilte hinauf. $cr fierr
SDoftov crroartc fte bereits, berichtete ber 23ureauüor s
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94 V fvau gbas Sdjeibiiitg.
fieser, ber fie hineingeleitete. 2tdj, roie feierlich mar bie 3
aüeä unb roie ernftOaft ! (Sine fold^e 2 lngft überfiel fie
plöfclid), baff fie gitterte.
fDoftor ÜJlüDfer fajj an feinem Sdjreibtifdj, als fte ein=
trat. (Sine peinliche Vaufe trat ein.
„Weljmen Sie ^la^, gniibige grau!" fagte et enblid),
roäljrcnb er unentwegt rocitcrfdjricb.
grau gba fal) fidf; geljorfam nadj einem Si£ um
unb —
„§anS!" rief fie mit erftiefter Stimme.
ga, raaljrljaftig, ba ftanb ifjr ©ntte, bodjnufgcvid)tet,
ftols, crnftljaft. (Sr verbeugte ftd) fdjrocigenb unb Ijöflid;,
ganj, als rocirc fie eine greittbe.
Sie roarf il)in einen fdjeuen, bittenben ©lief ju, ben
er nicht fal). (Sr ftubierte baS ütapetenmufter.
lieber trat eine peinlidje ^aufc ein. ®er WedjtS*
anmalt fcfjrieb nod) immer. §atte er benn gar leine
gbee banon, roie iljr au Wüte mar, baff fie beinahe er=
ftidte oor Verlegenheit unb ^jerjllopfen?
Wun enblid) roanbte er fiel) um. (Sin fdjnellcr Vlid
flroifdjen il)m unb Völfert. fDann nahm er ein bideS
Valet Slften in bie .§anb, puüte erft fein ^incenes in
ber umftänblidjften Sßeife unb begann: „©niibige grau,
ich Ijrtbe Sie ju mir gebeten, baniit Sie Oier in ©cgeiv
roart ghreS ©atten Kar unb bcutlid) gljtcn beftimmten
SBiflen funbtljun, fid) non bem gljnen oerljajjten Wanne
fdjeiben 311 laffen. (Sr hat Sie alfo miffhanbelt?"
„0 nein, baS nicht," fdjludjätc gba.
„Wicht?" ÜDer WedjtSanroalt 30g feine Augenbrauen
hod) unb mufterte fie erftaunt. „Wun, jebcnfallö moHen
Sic fid) fdjeiben laffen. $aju müffen Sie bod) einen
^ureidjenben ©runb hoben. Vitte alfo, biefen ju nennen.
— Sie ro ollen fid) bod) feheiben laffen?"
„Wein!"
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Doit 2?. <£. Kaftncr. 95
„•Kein? 2lber gnäbige grau, id) mufs hoch bitten,
mid) Ijier nidjt beften flu galten. g()r $err ©emabl
märtet »oll Ungebulb, ba& er roieber geben fann; unb
ba er bie ©egenpartei ift, habe id) fein 9ied)t, ifjn nod)
länger auf^ufjalten. "
„2lber id) . . . ich" — grau gba jd)lud)Ste fdjmerslidj
auf — „ich id i 1 1 hoch gar nidjt . . . o $an§ !" Sie Ijob
beibe §änbc flefjenb gu ü)m auf. „fBcrjeif) mir bod)!"
fBölfert, bcr nod) immer, als gebe il)n bie gan^e ©c-
fdjidjte nichts an, bie SBänbc inufterte, liefe feine 2lugcn
jerftreut auf iljr haften.
„2öie? 3Baä fagteft bu?"
„^erjeibe mir!" flüfterte fie fd)üd)tern.
„2Barum foH ich bir Beleihen?"
„2lch $anS, bu tneifet eS ja! 2lber ^?arl ift gan^
allein fcbulb. Ter mollte burdjauS, baff id) mid) fcbeibcn
laffe," fd)ludj&te grau gba.
®abei manfte fie fo, baf} er auS purem SKitleib bie
2lrme um fie fcblnng.
„§ätteft bu mir bie $epefchc nidjt gefdjidt, mürbe id)
bir nicht Beleihen," flüfterte er ifer enblid) inS Dl)r.
„9Beld)e 2>cpefdje?"
„2lcb, ftell bid) nur niefet fo! 2)u rceifet fdjoit,
rcelcbe!" Unb babei füfetc er fie.
2llS baS ©cheibungSBerfabren fo meit gcbieljen mar,
legte ber SDoftor bie 2lften beifeite, gn feinem ernfteit
©efidjt pdte eS Bon Behaltenem 2ad;en.
$iefer fßrojef) mar enbgültig oerlorcn.
©S flopfte. $5er 33ureauoorftel)er glitt herein: ber
£>crr ®oftor möge entfdjulbigen, aber cs fei ein ©ilbrief.
$er fRecbtSanmalt öffnete unb lad:
„©ehr geehrter $err £oftor!
geh erftäre hiermit, baj$ ©ie auf mid) als gcugeti
nicht rechnen fönnen. gd) nehme alles jurüd, ich b^e
s '
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,f rau gbas Sdjeibimg.
96
mid) geirrt. 9Jlein ©djroager füll fid) mit feiner grau
nur miebev »erföfjnen. 33ei ifjtn ift fie gut aufgehoben
unb roof)I nerforgt. $ie $epefdje ift übrigens oon mir,
unb id} Fjoffe, baft fie ihren gmed erfüllt. @r foU iljr
allerbingS eine Ohrfeige gegeben Ijaben, aber roenn meine
grau es mir f o madjte, ich gäbe if>r auch eine.
§od)ad^tungS»oH
$ a r l 93urlbarbt."
EEoftor SÖIüUer unterbrüdte mit 9Jiül;e ein lautes
Sadjen, als er ÜBöHert ben SBrief jum Sefen gab. ®iefer
lieft il;n in feiner §Brufttafd;e oerfeftroinben. 2US er fich
non bem Slnrcalt nerabfehiebete, ber ihm oerftänbnisinnig
bic fpanb brüdte, lächelte er, aber in feinen Slugen bliftte
ctroas auf, baS für bic Heine ftreitfüdjtige grau gba he-
bcutungSuoK erfdjien.
Slber fie mürben nach biefer ©türm* unb EDrangperiobe
bennod) ein glüdlidjeS (Sfjcpaar. ©ie lernte Ufr fdjarfcS
Jünglein bcherrfdjen, er, ftreng unb gütig zugleich j*u
fein. $arl ©urffjarbt aber rieb fid) jeben -Düttag unb
ülbenb »ergnügt bie §änbc. ®ie ©djroägerin, bie ihn
nidjt effen hören fonnte, mar er toS, unb nie mieber in
feinem 2eben gab er bem ©djroager unrecht.
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die der fllenscb geflickt wird.
Kulturbild aus der Gegenwart. Uon Raus Scbarwerker.
?
mit t Illustrationen. (Dadxlruck verboten.)
D ie Kunft be§ fylicfcrtS unferer Körperfüllen ift jo alt
wie baä 9!Jlenfd)engcfd)Iedjt. Db @oa fdjon geflidt
fat, wirb jwar nidjt ausbrüeflid) berietet, aber e§ ift an»
juneljmen, ba baö wenig faltbare fDlaterial ber erften
„KleibungSftücfe" jebenfallä eine fäufige 2lu3befferung nötig
madjte. dagegen ift gan§ ftefer, bab bie treue fßenclope,
bie ©emaflin be§ eblen ®ulbcr§ Dbi)ffcu3, nieft nur
fpann unb webte, fonbern audj ffirfte, unb unfere Urafnen,
bie non Jacituö wegen ifjrer 2Birtfcfaftlid)feit gelobten
germanifdjen grauen, tfaten beögleidjen. Unb wie mufften
wir fodjjioilifierten Kinber beä 20. Sjafrfunbertö fclbft
feute nodj ferumlaufen ofne bie gefdjicften §änbc ber
fleißigen fjücferin unb beä efrfainen glidfd) ufterS !
fefaubert einem, nur baran j\u benfen.
§at man alfo ba§ ^liefen beö äufferen SJlenfcfen, ber
Kleibung, non jefer mit (Sifer geübt, fo ift bie Kunft,
ben 3Kenfdfen felbft gu fUcfen, oerfältniSmäbig jungen
Satumä. 2lu3 bem ädtertum wirb unä nur ein gad be-
rietet. fßliniuS ber jüngere, bet im 1. ^afrfunbert
nadj Gfrifto lebte, erjäflt non einem römifefen SRttter,
1901. III. 7
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98 n?ic ber ITtcnfctj geflitft rotrb.
ber fid) eine §anb aus (Sifen machen liefr, aber nicht ein*
mal ber Stelgfufj fdjeint befannt gemefen gu fein. -Jiidjt
anberS ftanb eS in biefer Segieljung im ÜDlittelaltcr. @S
lag and; banialS leine bringenbe fJlotroenbigfeit gur ©nt*
roicfelung einer $unft ber 9Jlenjd)cnflicfcrei oor, beim in
ben bamnligen Kriegen mad)te man grünblidjc Slrbeit
mit Speer, $eule unb Sdjmert, unb Seute, benen ein
©lieb abgetanen mürbe, oerbluteten fid) bei bem SRangel
an red)tgeitiger §üfe faft ausnahmslos auf bem Sdjladjt=
felbe. Son plafccnben Sampffcffeln, gufammenftofsenben
Gifenbafjngügen unb ähnlichen mobernen Sorridjtungen
gur Serftümmelung ber 9Jlenfdjen hatte man irid)t bie
leifefte 3lljnung. f$ür fünftlidje ©lieber mar alfo fein
bcfonberS großer Sebarf ba. 9?ur feljr menige Scifpiele
eineö äufserft primitinen ©liebererfatjeS merben beridjtet,
non benen baS befanntefte bie eiferne §anb beS SlitterS
©öfj o. Serlidjingen ift, beffen Sieben unb SBirfen in bie
erfte Hälfte beS 16. SafjrhunbertS faßt. 93on ba an aber
mudjfen mit ber Serbefferung ber Sdjiefjroaffen bie 33er*
fiümmelungen im Kriege, mit ber ©rfinbung ber fDlafdjinen
bie im Trieben immer mehr, unb gugleid) entmidelte fid)
bie ßunft ber fDtenfchenflicferei in einem ftaunenSroerten
©rabe.
©egenrcärtig ift baS rohe ^olgbein ober ber leberne
Sotberarnt mit einem §afen ftatt ber .ffanb, biefe erften
Serfudje auf bem neuen ©ebiete, nur nodj bei ben aßer=
ärmften ^noaliben gu finben; bem ^Bemittelten bagegen
roirb ein fo funftooßer ©rfafc für nerlorene ©liebmafjen
geliefert, bafi man ben Söerluft ber natürlichen ©lieber
gar nicht ober hoch faum bemerft. Unb nicht nur Slrme,
Seine ober §änbe, nein, aud) 2lugen unb 9?afen merben
bem UngHidlidjen, ber fie oerloren hat, mit foldjer 5Zatur*
treue nachgemacht unb mit folcher ©efdjidlichfeit befeftigt,
bah nur ber Äunbige ohne nähere Unterfuchung gewähr
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Ton r ? ans Sdjarmcrfcr.
mirb, fiatt einc§ gan»
zen einen geflidten
SWcnfdjcn oor fid; ju
Oabcn.
Sie Anfertigung
fiin ft lieber ©liebma»
ßen unb Körperteile
ift eben ein bebcuten^
her 3nb»ftriejnieig ge=
ivorbeti, mit bem mir
uns jeßt etmaS näljer
beschäftigen moITcn.
Am midjtigften ift
natürlid) ber 6rfa$
ocrlorcn gegangener
Arme ober Seine,
benn fjier ßanbelt eS
fid; nidjt nur barum,
einen ©djönljeitsfel)*
(er 311 oerbeden, fon»
bern baS fünftlidjc
©lieb fofl aud) bie
pßpfiologifdjen $unf»
tionen beS mirflidjcn
in bofjerem ober ge»
ringerem ©rabe aus»
üben. ®ie feberne
Unterarmfjülfe, bie
am ©tumpf beS Ober»
armes befeftigt mürbe
unb ftatt ber $anb
nur einen §afen befaß, mie ftc als Armcrfafc nodj oor nidjt
langer 3^it iiblid) mar, ift als oöllig unzeitgemäß unb wer»
altet ju betradjtcn. heutzutage fall ein fünftlid;eS ©lieb
Ehemaliger künstlicher Unterarm.
100
lÜtc ber Ificnfd) gcflicft tuirb.
bequem fifsen, ben nollen 2lnfd;ein beS roirtlicben ^ben,
bei möglicbft geringem ©eroidjt bod; feft, einfach unb bauer*
baft fein unb fo fonftruiert, baff eS bie mannigfachen
Verrichtungen auäjufüf)ren permag.
©ine foldje VoHfommenbeit ju erreichen, mar befonber3
Künstlicher Hrm neuester Konstruktion.
bei 2lrm unb §anb feljr fdjmierig unb erft in jüngfter
3eit möglich- $en erften befriebigenben Apparat biefer
2lrt fteHte ber §oHänber nan ifieeterben bcr, ber fogar
febon gingerbemegungen ermöglidjte. ©crabeju Verüljmt'-
beit erlangt b«t ber tunftnoHe 2lrm beä franjöfifcbcn
Xenoriftcn Sloger , ber jebe beliebige 93eugung unb
©treefung ber Ringer, be§ $anbgelenf3 unb VorberarmeS
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Don £70113 SdfartuerFcr.
101
geftattete. Sold) ein ßunftroer! foftet Ijeutjutagc 225 9Jlarf,
einen gang brauchbaren 2(rm geringerer Sorte lauft man
fertig fcfjon für 100 Üliarf, toäf)vcnb bie beftcn natürlich
Ehemaliges künstliches Bein.
eigenä für bie betreffenbe SfJerfon unb jmar genau nach
bem füiufter beS noch oorhanbenen natürlichen 2Irme3 an»
gefertigt roerben. ®ie tüeftanbteile finb Sinben» ober
äßeibenholj, Seber, ßautfdjuf, Hartgummi, Slluminium;
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102 2t>ic bcr ITtcnfdj gcflicft toirb.
bic Semeglicbfeit iuirb burdj ftäljleine ftebern unb ®arm*
faiten, bie bie ©teile bcr ©ebnen oertreten, crjeugt, bie
©elenfe tocrben burcb ©djarniere nacbgeabmt.
3» ganj glcidjer Steife oermag man heutzutage fünft*
liebe Seine berjufteflen, bie intern Präger baS ©eben unb
fogar einen fleincu ©prung geftatten. ©S mirb burcb
©iirtcl unb ©djnaßcn am ©tumpf beS oerlorcnen Seines,
an Jpüfte unb Üaific befcftigt unb fifjt bann fo natiirlid;,
bajj niemanb aljnt, eS fei feinem Präger nur angcflidt.
i£as frühere fünftlidjc Sein, baS aus fieber, einer ge*
frümmten ©taljlfcfjiene unb Ijöljernem §uf$ beftanb unb
feljr unooDfommen, fteif unb fcfjroerfäHig mar, iuirb !aum
noch angefertigt, feit Sott in Gfjelfea für ben WarquiS
o. Slnglefea ein fünftlicbeS Sein Ijerftedte, baS einen be*
fonberen WedmniSmuS für bie Seugung beS Änie* unb
gufsgelcnfs befafj. ©eitbent haben ütmerifaner, (gnglän*
bcr unb iDeutfdjc bieS Sott=2lnglefcafdje Sein bebcutenb
oerbeffert, jum Seifpicl ©clpbo in 9iero ?)orf, ber eine
gerfenfeljne anbradjte, SouglaS Slp in 3lod)efter, ber bie
Serocgungen nidjt burcb Wetaöfebern, fonbern burcb fom*
primierten ßautfdjuf Ijcroorbringt unb beffen ©prunggelcnf
auS einem freibciueqlidjen ©laSfugelgelenf befteljt. SDafür
foffet freilich ein folcbeS Sein 700 Warf, mäbrenb baS
fiinftlidbe Sein oon Stof- De. o. ©Sntard) in $iel mit finn*
reidjctn ÄmegelcnfmedjaniSmuS, befonberer 3eberoorrid)tung
für Seugung beS ßniegelenfS, ©tredung beS gufjgelenfS
unb gebcnmccbaniSmuS bereits für 150 Warf ju haben ift.
Obwohl größere ©efebäfte für Iünftlid;e ©Heber folcbe
Seine in Sorrat haben, ift eS bod; ftctS geratener, fid>
eines anmeffen ju laffen, ba nur bann eine ©ernähr für
oollfommen guten unb bequemen ©if> unb gänjlicbe
Uebereinftimtnung mit bem gefunbeit Seine gegeben ift.
2?er Hiinftler, an ben ber $>»nualibe ficb roenbet, nimmt
bann eine ©ipsform foroobl oon bem ©tumpfe beö per*
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Don Raus Scbanrcrfer.
103
lorenen, wie oon
bem anberen ge*
funben 23eine.
SDiefe Form wirb
auägegoffen, unb
fo ein DJJobetl bcS
fünftlidjen 33ei»
neä Ijergeftellt,
nad) bem bie
Sluöfüfjrung
ftattfinbct. 21 5 enn
man mit einem
folrfien 23eine
aud) feine SDauei*
inär^e auSfülj»
ren, ©djuljplatt»
ler tanken ober
Slabfaljren fann,
fo crmöglidjt cö
feinem Präger
bodj eine leidste
Fortbewegung
unb erfüllt über»
Ijaupt alle 2ln=
forberungen, bie
mau uernünfti»
gerweife an ein
lünftlidjcö ©lieb
ftellen fann.
Seine Grfillbung Künstliches Bein neu»**cr Konstruktion.
ift, wie bie beä
mobernen fünftlidjen 2Irme3, eine waljre 2Bol)ltljat für
alle jene, b|c baö Unglüd Ijattcn, eines iljrcr ©liebmafcen
j\u verlieren.
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104 lt>ic ber ITTcnfdj geflicft toirb.
2)aS weitaus oerbreitetfte unb am meifien benujjte
aller fünftlidjen Organe ift baS fünftlid^e Sluge, baS
„©laSauge", wie man im größeren ^ublifum fagt. ©S
ift erftaunlidi, mie oiele Seute eS giebt, bie ein ©laSauge
fjaben. ®iefe „©laSaugen" rnerben übrigens beutjutage
nid)t met)r, wie aüerbingS im Slnfange biefer ^nbuftrie,
aus ©las ober ^orjeHan angefertigt, fonbern aus ©mail,
für iRinber audj auS ©eöuloib unb Bullanit. ©ie bienen
allerbingS nidjt prn ©eljen — fo weit Ijat eS bie moberne
Söiffenfdjaft leiber nodj nidjt gebracht — aber fie Reifen
in oolltommener Bkife ber ©ntfteßung beS StntlifjeS ab,
bie burd) baS $eljlen eines SlugcS unfehlbar entfielt.
®aS lünftlidje Sluge ift ein länglidjeS Dtäpfdjen aus
ben oben genannten ©toffen oon ber ©röfee beS oorberen,
bei geöffneten Sibern fidjtbaren Teiles beS Slugapfels.
$ie §ornljaut unb bie Slegenbogenljaut finb in ber bem
gefunben Sluge genau entfpredjenben garbe barauf ange*
bradjt, unb ein gutes lünftlidjeS Singe wirb oon bem &aien
nidjt als foldjeS erfannt, ba eS felbft innerhalb gewiffer
©rennen bie oon bem gefunben Sluge auSgefüljrten 33c*
wegungen mitmadjt unb beim ©djliefjen ber Siber oon
biefen oötlig oerbedt wirb. Sludj bereitet ein paffenbeS
lünftlidjeS Sluge bei entfpredjcnber Sorgfalt in ber §anbs
l)abung leine Unannefjmlidjleiten für ben ÜEräger, inbem
ber anfänglich gefpürte ®rud fidj halb abftumpft unb
unfüljlbar wirb. ®aS lünftlidje Sluge ift aber nidjt nur
in äftljetifdjer, fonbern audj in gefunbljeitlidjcr <§infid)t
äufjerft widjtig. ©S fdjüfjt bie leere .§öljlung ober ben
oerlümmerten, sufammengefcbrumpften unb entjünbeten
Sleft beS oerlorenen SlugeS gegen baS ©inbringen äußerer
©djäblidjleiten (Stauch, ©taub), fowie gegen bie oft
reijenben Bewegungen ber Süimpern.
grüßet waren bie oon Boiffoncau in oerfertigten
lünftlid^en Slugen bei weitem bie beften, feit 1850 aber
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Don Raus Sdjam’crfer.
105
ifl ifjre Anfertigung
butd) 3}?üHer in Sau:
fdja (fEljüringen) in
fDeutfd&lanb ju Ijoljer
S3Iüte gelangt, unb
befonberS SJiüHer in
StfieSbaben, Dr. ßlau*
nig in Seipjig unb
^Mafenfa in 2>re3bcn
macljen jeßt fünftlid)e
klugen, bie bei glei*
djer ©djönfyeit fjalt*
barer, billiger unb
praftifdjer finb, als
bie ^arifer, baljer
non Autoritäten biefe
uorgejogen rocrben.
Sold) ein fünft*
lid)eS Auge braudjt
SU feiner £erfteHung
in ber Dtegel fünf bis
fedjS 4Jerfonen. gu*
crft :uirb aus Smail
ber SlugenbaH in ber
crforberlidjen ©röfje
Oergeflcllt, raosu man
fic^ entfpredjcnber
gönnen bebient.2)ann
beginnen bie 9Mer
ifjr 2öerf ; bie ÜDfalerei
mirb eingebrannt, unb
sulefjt ber SlugenbaH
Suredjtgefdjnitten unb poliert. UebrigcnS finb ftetS £aufenb<
Poti fünftlicfjen Slugen «Her ©röfjen, gönnen unb garbett’
GIpsforni eines künstlidjcn Beines.
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106 lUie bcr inciifd? gcflicft n>irb.
fdjatticrungen fertig auf ü?agcr, benn bcr 33ebarf ift fort*
laufenb bctriidjtlidj. (Sin fünftiidjeS Sluge fann nur etwa
9 bis IjödjftenS 12 Monate 3)ienfte tljun, ba bie fdjarfe
Sljränenflüffigfeit ben 0djmelj\ angreift. 2)ann muß es
burdj ein neues erfeßt werben.
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Doit fjaiis Sdjartrcrfcr. 107
s )iirf)t befonberS jaljlreid), bod; immerhin jaljlreidjcr,
als man gemöljnlid) annimmt, ftnb bic ^nljaber fiinftlidjcv
SWafen. s U?an fann feine 9tafe auf mannigfadje Söeife
Künstliche tlasen.
nerlieren, fdjon als ©tubent bei bev Üllenfur, im Kriege,
bei Unfällen, burd) ßranfljeit, befonberS ^rebö, unb il)t
Mangel ift nodj oiel cntftellenber als ber eines 3lugeS.
$)er Slnblicf eines ©efid)tcS ofjne 9?afe ift tfjatfädjlidj fo
abfe^reefeub, ba| niemanb, ber feinen „öefidjtSerler" oer=
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108 lüie ber lllcufcfj cjeflicft wirb.
loren Ijat, heutzutage ohne fünftlidjen Grfat} fidj öffentlid)
geigt, unb ift bie Siafe gut gcmadjt, fo wirb man fdjtoerlid)
barauf aufmerffam, bafj fie nid;t ed)t ift. 9)ian formt
fie fo, baff fie bem 93etrcffenben möglidjft »orteilhaft gu
©efidjt fteht, unb giebt ihr beffen natürliche garbe. 3ur
33cfeftigung benufjt man dritte ober Kneifer, bie fo an=
gebradjt finb, baff fte baS lünftlidjc Drgan an ber richtigen
©teile fefttjalten. 2US SJlaterial bient in ber Siegel Gellu=
loib, gang feine 9?afen roerben neuerbingS aud; noch aus
anbeten ©toffen Ijergeftellt, bie »reift ©eheimnis ber Gr*
finber finb. 25aljer ift auch eine feine fünftlidfe Siafe »er*
hältniSmäjjig teuer unb foftet beinahe fo »iel roie ein
lünftlidjer 2lrm.
ÜRatürlid) fteHt man aufjer gangen ©liebem unb Dt-
ganen auch Heinere Xeile foldjer her, bod; ift ber 33ebarf
banadj gering, unb es »ergehen 3<*h*e, elje eine gabrif
tünftlidjer ©liebmafjen einmal eine 53efteHung auf 2ln=
fertigung eines fünftlidjen gingergliebeS, eines halben
fünftlichen DhreS ober gar einer &ippe befontmt. ©oldje
£cile finb »erhältniSmäjjig fehr teuer unb bieten gang be=
fonbere ©djroicrigfeiten für eine fixere SBefeftigung.
3Jon fonftigen fünfilidjen Körperteilen, bie etira noch
angefertigt roerben, fdjroeigt beö ©ängerS ^öflidjfeit.
SDodj ift eS vielleicht nid;t überflüffig, ber populären
üiegenbe entgegengutreten, bah Sängerinnen ober Slabfaljrcr
fidj guroeilen falfdjer Söaben bebienten. ®ieS ift pure
SJerleumbung. Gin ©lieb, baS man ernftlidj anftrengen
muh, »erträgt leinerlei
3ur 9)ienfd;enfliderei gu rechnen ift eigentlid) aud; baS
Ginfefcen falfdjer gähne unb 9 an ä er ©ebiffe. ®och ift
biefe 2lrt »on SluSbefferung ramponierter 93lenfchlid)feit
heutzutage fo allgemein unb baljer febermann fo genau
befannt, baff roir barauf nicht näher eingeben rooHen.
M;l jebem, ber nidjt geflidt ift! 210er roie es helfet
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Pon I71111S Sdjamu’rfcr.
ion
ift, einen fauberen SJIicfen als einen 9life am 9iocf j^u
tragen, fo haben aud) jene, beren Unglücf e§ mar, ein
©lieb j\u »erlieten, alle Urfadje, ber fortgeschrittenen
STedjnif nnferer
Xage banfbar
fein, bie ihnen
ermöglicht, ben
33er luft mit
ffiürbc unb »er»
Ijältniömäfeiger
Seicfetigfeit
tragen. Unb un«
fere gefehlten fJJienfdjenflider mögen ihrem guten Sterne
banfbar fein, ber fie nicht jroeihunbert Safere früher ge«
boren merben liefe, benn bann mären fte ohne B^eifef al§
^eEenmcifter auf bem Scheiterhaufen »erbrannt morben.
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Künstliches U ordergl i cd eines Singers nebst fjerstcllungslorin.
Huf crstan den.
D o v eil c von UJoldemar Urban.
1- (nadjdrudt verboten.)
D er alte ©ennaro SombeUi, Don ©ennaro, wie er in
SRefina atfgemein hiefj, roar ein ©rieSgram burch unb
burdf). Die on ber 2Sanb ärgerte ihn, unb feitbem
er nid^t meljr ©inbaco bc§ fleinen ©täbtchenS am $ufje
bcS 33efuv8 mar, feitbem in bem ©emeinmefen nicht mehr
alleö nach feinem Äopfe ging, glaubte er, es müffe alles
*u ©runbe gehen. Daju famen mancherlei Seiben beS
3llter8. Die 2Uemnot mürbe immer gröber, bie Seine
moHten nicht mehr recht mit fort, unb bie Seroegungen
HeS jiemlid) biefen alten §errn mürben immer ferner*
fälliger, immer mühfamer unb hilflofer.
„3hr merbet ju fett, Don ©ennaro,“ hotte ihm vor
einiger 3eit fein 9Zachbar jugerufen, „3h* bürft feine
fDiaccarotti mehr effen."
Da mar Don ©ennaro feljr erfchrocfen unb fehr böfe
gemorben. 2BaS blieb benn für ihn oom Seben noch übrig,
menn er feine üDlaccaroni mehr effen burfte? 6r hotte
bem vorlauten 9Zachbarn ein berbeS, echt neapolitanifcheS
Schimpfmort an ben Älopf gemorfeit, roorauf bie beioen
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ttopctle Dott IDolbcmar ilrbatt. 1 1 1
fofi ((tuet 2age nicht mehr miteinanber gefprodljen unb ®on
©ennaro fogar gu feinem Sohne, bem §errn ®oftor ÜJiicol«
33ombeUi, gefügt hatte, man bürfe fid^ mit biefer 9Jienfchen*
forte — con questa razza di gente, roie fich $on ©ennaro
orrädjtlich auöbrücfte — nicht gu gemein matten. 2>ie Som*
bellis gehörten gtr ber fRobleffe unb mufften auf fiel) halten.
Gin 3ufaH hatte es gefügt, baff SDon ©ennaro feinen
©eburtStag am gleichen £age hatte mie ber $önig §um*
bert non Italien, unb obgleich man in Italien uon bem
©eburtStag meniger StuffjebenS macht als oom Namenstag,
fo mar Don ©ennaro hoch auf feinen ©eburtStag feljr ftolg
unb behauptete, baff in allen befferen Familien beS San*
beS ber ©eburtStag bie §auptfache fei, unb er feierte in*
folgebeffen feinen ©eburtStag immer fe^r umftänblicb.
©ang Siefina fannte ben ©eburtStag $on ©ennaroS, unb
raer ihm rooljl moHte, gratulierte ihm bagu. Qnbeffen
mürbe bem alten ^ppodjonber auch baS mit ber 3eit un*
angenehm, unb als ihm bie freunbliche ®onna Sucia, bie
aufmerffame SBirtin in ber „$accia JreSca", baS lef}te
ÜRal gratulierte, hotte er unrairfdj erroibert: „SBelche ge*
banfenlofe Slngemohnljeit ber Seute, jematib gum @e*
burtStage gu gratulieren! 3BaS habe ich benn baoon,
bah mieber ein 3 a h r oergangen ift? ®ajj mein Seben
roieber um ein 3af)r lürger gemorben? 3ft bas nicht oiel*
mehr ein ©runb gur Trauer unb gum 'äJlitleib? 3al)r
für 3af)r berfelbe £ang. Unb menn fünfunbgroangig ober
fünfzig Saljre oerfloffen, bann feiert tnan fogar Jubiläen,
lacht unb freut fiel) mic oerrüdt, als ob man SBSunber n>aS
auSgerichtet hätte, mo man hoch nur um fc mel feinem
©rabe näher ift. GinfältigeS SSolf! Unb menn jemanb
ftirbt, bann fleht man roeinenb unb llagenb an feiner
Sahre, als ob etroaS gang UitnorhergefehcneS gefd;ehen
fei, roo bo<h nur fommt, roaS fchliefflid) fommen mu&.
Säuerliches äJolf, lächerlich unb ünbifch gugleich!"
Digitized bydoogle
112
2Infcr|iaubcn.
®onna Sucia batte ftdfj natürlich bei bern alten £errn
entfdjulbigt fo gut eS ging. «Sie fjatte ihre befonberen
Urfadjen, eS mit ihm nic^t gu oerberben, unb groar nicht
nur, roeil er ihr eine f leine §t)potljef auf ihr Slnroefen
oorgcftrccft batte. ®afiir befam ®on ©ennaro, ber auch
nidjtä oerfchenfte, feine fedjS ißrogent $infen. ©leichrooljl
mar ibr ba§ ©elb barnalS — oor neun fahren — febr
roitlfommen geroefen unb fte batte bamit ein giemltcb
großes unb auch roertooUeS Terrain begablt, bas an ibr
©runbftüd anftiejj unb bas ibr heute einen prächtigen
SÖein lieferte.
2lber auch aufjerbem batte $onna Sucia ©runb, ben
früheren Sinbaco oon 9tefina oor allen ihren ©äften auS=
gugeicbnen, erftenS roeil er ein giemlid) anhänglicher unb
treuer ©aft in ber „gaccia greSca" roar, bann aber auch
feines <2obneS, beS 2)oltorS SRicola, rocgen, ber fid) fterb*
lieb in ihre Locher, bie feböne Goncetta, oerliebt hotte.
3)onna Sucia f;ätte biefe Sctbinbung febr gern ge*
fef)en, benn ber junge Strgt roar ein gebilbeter, netter
9Jlann aus guter, roohlbabenber f^omtlre, ber alfo alle
©croäbr für baS ©lücf ihrer Xodjter bot. 2ludE> ®on
Nicola unb nicht am roenigften bie bübfdje Goncetta fclbft
roaren über bas Srojelt ooUftänbig einoerftanben, nur
ber alte ®on ©ennaro machte aHerljanb Ginroenbungen,
ol)ne bodj gerabegu nein gu fagen.
®aS rooKte er offenbar ber gierlichen unb flinfen
Goncetta guliebe nicht tfjun. 2lber er roanbte bod^ alle
möglichen SDlittel an, um bie $eirat hinauSgufdjieben ober
gu oerbinbern. Salb roar es bie nodj immer gu geringe
^rastS feines ©obneS, bie als Sorroanb ber Sergögerung
bevbalten muffte, halb bie unpaffenbe 3ab*eSgeit, balb bie
eigene hinfällige Sefcbaffenljcit — !urg, er raubte immer
etroaS, unb roenn ®on ©ennaro noch einige 3al)re jünger
geroefen roäre, fo roürbe man gu ber Slnnabmc geneigt
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Zloocllc ron lüolbemar Urban. 113
gemefen fein, baf 3 er bie Ijü&fcfje ßoncetta feinem ©ohn
nicht gönnte unb fte am liebften felber geheiratet hätte.
®aS mar aber natürlich auSgefdjloffen, fchon (SoncettaS
raegen, bie niemals auf etroaS begleichen eingegangen
märe, unb fo blieb fdjliefelidj nichts anbereS übrig, als
bafj bie ©rieSgrämlidhfeit beS alten §errn, bie eigentüm*
liehe 33angig!eit unb 2lngft, baj$ fidf etroaS UnglüdlidjeS
ereignen mödhte, bie ja bei alten Seuten nichts ©elteneS
ift, ber einjige ©runb ber 33erjögerung mar.
(SS mar im Dltober, ein prächtiger, llarer, menn aud)
etroaS h e i&e* §crbfttag. ®ie ©rauben faxten in ber
©onnenglut an ben Abhängen beS 33efuoS, unb ihr Saub
färbte ftd) gelb unb rot.
„®aS geht fo nicht mehr fort," fagte ®on Nicola ju
feinem Sßater, „Goncctta h at recht. $ie Seute fangen
an, uns ju bereben, unb bie ©adje muf} ein Gnbe nehmen,
fo ober fo."
„$m, hm!" machte ber alte ©on ©ennaro. (Sr
roufjte fdjon, maS tommen foUte.
„3$ fehe auch gar nidjt ein, auf maS mir noch
märten foUen. Goncetta ift neunjehn, unb id£j bin fünf«
unbjraanjig 3 a h re /“ fuhr ©on fJlicola fort. „GS ift oer*
nünftigerroeife gar nichts bagegen einjuroenben. ©onna
Sucia ift eine hochachtbare $ rau , Goncetta ift ein braoeS,
fleißiges 2J?äbdhen, unb ihre Srilber finb orbentlidje
3Jtenfdhen. ©er eine ift 2Bafferbauinfpeltor in Sieapel,
ber anbere ift beim -Dlilitär. GS ift gegen bie Familie
aud) nicht baS geringfte einjumenben, unb bu Ijoft felbft
gefagt — "
„33ah," meinte ®on ©ennaro mäfelnb unb baS ©e-
fid)t etmaS »erädjtlidj »erjiehenb, „©onna Sucia lauft
Stein in ©ragnano baS S3aril für achtzehn Sire, ben
fie bann auf glafdjen füllt, auf bie fie (Stiletten mit „Vino
di Falerno“ ober „Lacryraae Christi“ liebt, unb bann an
1901. 111. 8
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114
2tnferjtanben.
bie gremben, bie auf ben 33erg tjinauffaferen, für jwei
Sire »erlauft."
„2Ba§ will benn ba§ feeifeen?" fuljr ®on 9JicoIa heftig
auf. „S)a8 tljun alle 2Birte, bie mit $remben ju tljun
Ijaben. Sie gremben toiffen nidEjt, bafe Söeine mit foldjen
Flamen nirgenbS wadfjfen, unb roenn fte bod^ 2Sein laufen
wollen, ber fo feeifet, fo ift e§ immer nod^ beffer, man
»erlauft iljnen guten ©ragnano für jwei Sire bie glafdjje
als bie ©iftmifd&ereien auö Neapel für fünf unb fedj§
Sire. Su Ijaft felbft gefagt, fßapa, bafe Sontta Sucia
eine l)od)acfjtbare grau ift, bie if;re ßittber ju guten unb
orbentlid)en fDtenfdjen erjogen feat, waä für eine grau
oljne 2J?ann gewife nidjts SeidfjteS ift. Su weifet felbft feljr
gut unb beffer als idj, wa§ bie ©irtfd^aft früher war,
ef)e Sonna Sucia fte fjaite, unb wa§ fte in ben jwölf
Sauren, in benen Sonna Sucia fte bewirtfdjaftet, gewor*
ben ift. 9fein, btt wittft nur einen SBorwanb Ijaben, um
ju unferer §eirat nein ju fagen. Unb wenn Sonna
Sucia aud) an bie gremben 2Sein ju jwei Sire bie glafclje
»erlauft, fo tljut fte nur redjt baran, wenn fte ftdb einen
fo guten SSerbienft nidjt entgegen läfet. Sie wäre bumnt,
wenn fte e§ anberS madjte. Sie ift ba§ ftdj unb ifjrer
gamilie fc§ulbig. @S ift an ber Familie gar nid^tS aus*
pfe$en, unb nur beitte eigene ©rieSgräm licljleit, bie ©e*
fpenfter am Ijellen lichten Sage fieljt, fudjt immer neue
$inberniffe unb Sßinlelpge."
„Su wirft fcljon nodf) fefjen, bafe icfe redjt feabe," warf
Son ©enttaro, etwas in bie Ginge getrieben, ein.
„■Jlein," entgegnete Son -Jikola, immer heftiger wer«
benb, „baS werbe id) nicljt feljen, fßapa, aber wir werben
feeiraten — nädjfien 3Jlonat fd^on, ganj gleichgültig, ob
bu einwilligft ober nidjt."
Sa3 ging bem Son ©ennaro offenbar p weit, @r
pflanzte fidE) jiemliclj gewichtig unb broljenb cor feinem
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ZTocdle oon tDoIbemar Urban. 115
Soljn auf unb erwiberte mit erhobener Stimme: „So?
$a3 wollen mir bodj einmal feljen ! $a§ märe mir wa3.
SJlit beinen fünfzig Sire im SJfonat wiHft bu heiraten?
33u fannft ja nodj nidjt einmal bie SJtiete für eine 2Boh ;
nung für bidj unb beine grau bejahen, menn ich bicft
auä meinem .§aufe ljinau3merfe."
mirb fcfion beffer werben."
„9Da3 fennen mir fdjon. heiraten unb bann auf bie
Safere com Sitten liegen. Unb bu wißft t(ier grofte SBorte
machen? „®anj gleichgültig, ob bu einwiHigft ober nicht"
— ift ba§ eine Siebe für bidj? gdj miß bir fdjon bei*
bringen, ma3 ficlj gehört, mein gunge. 93erlaft biclj brauf.
So barf niemanb con meinen $inbern mit mir reben,
bu nidjt unb auch bie anberen nidjt. Solange idj nodj
auf ber 2ßelt bin, bin i dj §err in meinem §aufe unb
in meiner gamilie. SJJcrfe bir ba§, Surfte, fonft foUft
bu mid) fennen lernen!" —
$a3 mar oormittagS geroefen. $um SDJittageffen mar
®on Siicola nidjt etfdjienen. Sßatjrfcheinlich ^atte er in
ber „gaccia grcSca" gefeffen unb babei mit (Soncetta ge*
fprocfjen. ®em alten ®on ©ennaro mar etwas unljeimlidj
ju 2Jiut. (Sr mar ein abgefagter geinb aller gefpannten
Situationen ; Scenen, wie er fte mit feinem Soljn am
Vormittag gehabt, roaren iljm im fjödjfien ©rab wiber»
roärtig. @3 märe audj gewift nicht fo weit gefommen,
wenn nidjt $Don Sficola feinen SSater burch feine eigene
$eftigfeit prooojiert hätte.
fftun ging ®on ©ennaro, zeitiger al§ gewöhnlich,
puftenb, feudjenb bie Strafte gegen ben 33erg ju Ijinauf,
nach ber „gaccia greSca", um bort feinen Schoppen ju
trinfen. (Sr mar neugierig, wie moljl feine Scene mit
Siicola bort aufgenommen worben war.
(Eigentlich Ijatte ja fein Sofjn recht. @3 war wirflicf)
nichts gegen $onna Sucia unb ihre gamilie einjumenben.
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116
lluferjlanben.
mar im ©egenteil gu münden, baf} fiel) alle 2Bitmen,
bie für fidj unb iljre ßinber forgen nutzen, an if»r ein 33ei*
fpiel genommen tjätten. Don ©ennaro roujjte feljr rooljl, rcie
Ijart unb forgenooll Donna Sucia im Slnfang Ijatte fämpfen
muffen, als iljre ßinber nodj flein unb bie SBirtfcljaft
fcfjledjt unb perlottert, mie fie fte übernommen, mar.
2öie Ijatte fid) baS alles geänbert in ben jroölf galjren !
Die Slinber maren grofj, unb bie „gaccia greSca", fauber
unb traulid) mit ^übfd^en SBeinlauben umgeben, etroaS ab*
feits non ber ©trajje, bie nadj bem 23efup*Dbferpatorium
Ijinauffüljrt, gehörte ju ben beliebteften ©aftljäufern in
ber ganjen ©egenb. SSeber ber grau noclj ben beiben
Dödjtern — ßoncetta Ijatte nodfj eine um einige galjre
jüngere Sdjroefter 9?amenS Slffunta — fonnte man aucij
nur baS geringfte nadjfagen.
2ßo man non ber galjrftrafje abbiegt unb auf einem
fleinen gufjpfab naclj ber „gaccia greSca" gelangt, blieb
Don ©ennaro einen Slugcnblid, auf ben Stocf geftüljt,
fteljen, um fidfj auS^uruljen unb baS ©aftljauS ju befeljen.
2öie freunblicJj unb nett, mie einlabenb unb anljeintelnb
baS alles auSfatj! hinter ben grünen -Eßeinlauben, aus
benen bie fauber gebedten Difd&e ^eroorlugten, Ijinter ben
alten Dlipen leuchtete baS §auS ber „gaccia greSca" f)er*
por, braunrot, mit grünen genfterlaben, mit 9iofen unb
ÜBeingeranf um bie Sallone; am ©iebel ftanb in meitljin
lesbaren fcfjroarjen 33udjftaben: „Faccia Fresca“, bar«
unter mar bie gaccia greSca*) abgebilbet, allerbingS in
etroaS oermafcljenen garben, unb unter biefer ftanb roieber:
„Locanda ed Osteria“. Sin baS §auS ftiefj ein großer,
rooljlgepflegter ©arten mit Sßeinpflanjungen, geigen* unb
*) Faccia Fresca (fprief) gattfefja) {jeijjt eigentlich „frifc^eS
©eficfjt", beutfef) roiirbe man etwa fageit: ©aftfjauS jur fronen
Saune ober äfjnücfj.
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Zlooelle oon lüolbemar Urban.
117
Delbäumen, ^3firft<^en, ein §ü^nerI)of, ein neuerridjteteä
•JBirtfdfjaftSgebäube. (Sä war ein Keines ißarabieS, baä
ba in üppiger $rucf)tbarfeit aus bem alten, mehrtaufenb*
jährigen SJaoaboben heroormucljs.
2luf ber ©teintreppe, bie außerhalb beS Kaufes nach
ber großen Soggia beS erften ©todeä ^inauffü^rte, ftanb
ein jungeä frifdjjeä föläbchen mit lebhaften fdjmargen
2lugen unb luftigen dienen, eine richtige gaccia $reSca,
unb minfte bem 2)on ©ennaro übermütig lacfjenb ju.
„Oh6, compare*) Geimaro, “ rief fie laut ^aHenb tjer*
über, „obö oheeeeeee!“
$aä mar 2lffunta, bie ©cljroefter (SoncettaS. ©ie fdjien
oon bem ©türm, ben $on ©ennaro angefacht, noch nichts
gu miffen, benn fonft fjätte fie ihm roof)l nicht fo luftig
gugerufen. bem 2lugenblicf that eS $)on ©ennaro leib,
gar fo heftig mit feinem ©ohne gemorben gu fein. (Sr
erfcf)ien ftch felbft als ©törenfrieb, als galliger, menfdjem
unb befonberS jugenbfeinblicher ©rieägram. (Sr mar
ärgerlich über ftch felbft, aber er fonnte bocf) nicht aus
feiner $aut heraus. (Sr mar nun einmal fo.
2lffunta mar mie immer oon einer flotten, flinfen
9tührig!eit, nahm ihm ©todE unb §ut ab, fragte, roaS er
trinfen moUte, mifcfjie ben ©tuljl mit ber ©djürge ab,
pujjte ein ©las rein unb Ilapperte unerntüblidh mit ihren
Keinen .fjäddhenpantoffeln über ben ©teinboben.
„2Bo ift (Soncetta?" fragte 3)on ©ennaro.
Dljne meitereä fchrie Slffunta mit ooÜen Sungen geHenb
burdfj baä $auS nach ifjrer ©cfjroefter, unb als biefe nicht
gleich antmortete, lief fie fort, um fie gu fudjen.
(SS bauerte auch nicht lange, fo trat ©oncetta aus bem
•ÖauS heraus auf bie Soggia.
*) Compare (auS con padre) eigent(id) ^Jate, h> er «ber in
ber weiteren SSebeutung oon ©eoatter gebraucht.
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118
Jlnferßcutben.
Soncetta roar in ber eine ungetoö^nlid^e ©djön»
heit. $>ie großen bunllen Slugen, baS reiche prädjtige
§aar, iaS in tieffchroargen, leidet gemellten Waffen um
baS ooale, roeic^ unb gart geformte ©efidjt fiel, ber
bräunliche, fammetartige Xeint unb ber feingeglieberte, form»
oollenbete 33au ihres Körpers mären eines ftarlen ©in»
brudS ftdjer. Söei aßer SSeichheit unb 3ort^cit in ber
gorm ging aber hoch auch eine geroiffe herbe ©trenge unb
ein ruhiger ©rnft burch ihr 2Befen. 2ftan halte faft fagen
. fönnen, fie habe etmas ^lafftfdjeS an fidj, jebenfafls ge»
mahnte ihre ^opfbilbung unb ber ftnnenbe, träumerifche
©rnft ihres SluSbrudS an bie -Jßeifterroerfe altheßenifdjer
$unft, bie man noch heute im fOZufeum in Neapel be»
munbern fann.
SDaS junge -JJtäbdjen hatte offenbar gemeint unb mar
nun in bem SBeftreben, fich oon bem SßorgefaUenen nidjtS
merfen gu laffen, etroaS oerlegen.
„3BaS befehlen ©ie, $on ©ennaro?" fragte fie gurüd»
haltenb unb mit niebergefchlagenen Slugen.
„Sich raaS, befehlen!" erroiberte ®on ©ennaro mürrifdj
unb polternb, „bu meijjt roohl, bafj ich nidjt beS 33e»
fehlenS megen hier bin. ©e$e bich h er ä« mir, ©oncetta.
2öar fflicola hier?"
©ie nidte ftumm unb fe§te fich fidjtlich bellommen
unb ängftlidh auf einen ©tul)l.
,,©r hat mich natürlich fchledjt gemacht, mie? $at er
nidht auf mich gefchimpft?"
„■Jlein, ®on ©ennaro. ©r hat nur ergählt, roaS groifdjen
Shnen unb iljm oorgefaßen ift."
„SDa haben mir’S. ^d) habe tnir’S gleich gebacht, bafj
er aßeS brühmarm roeiterergählen roirb, maS mir in ber
.fjifje herausgefahren ift. ©r ift aßein fdjulb baran. ©r
ift ein oerroünfdjt ^t^tger unb heftiger SBurfche unb
miß mit bem Äopf burch bie 2Sanb. 2>a giebt bann
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ZTopeUe uoit lüolbemar Urban. 119
ein 2Sort baä anbere. Sft’ä nidtjt fo? Sr ift ein toller
3unge."
Sr madjte eine $aufe unb ermattete tjietteid&t, baf}
Soncetta etmaä fagen foUte. 2lber baS junge SDiäbdEjen
fc^roieg. 2öar fte ju ftolj, üjn §u bitten? fragte er fidj.
„heiraten," fuijr er enbliclj mürrifdj fort, „ba§ ift
eine ftfjöne ©adEje, aber man mu| ben SSerftanb babei
braudjen. $interljer ift bann alles ju fpät. §abe id)
nid)t redjt, Soncetta?"
„3a, ®on ©ennaro," fagte fie fütjl. ©onfi fjatte fte
ifin auc§ immer mit bem oertraulidjeren „Sompare" an«
gerebet, Ijeute aber oermieb fie baS offenbar, unb bem alten
®on ©ennaro fiel baS auf, ebenfo mie if;re äuriidljaltenbe
ßälte.
„5Han lann bod) über folclje ©acljen rufjig unb oer«
nünftig fpredjen. -iJluf} er gleiclj auffaljren mie ein 2Bil»
ber unb mir ba§ 9Jleffer an bie $eljle fefjen? 2öaS fagft
bu baju, Soncetta?"
„9lidE)t3, ®on ©ennaro. 2öemt ©ie bie Beirat nidjt
roünfcfyen, fo roerbe idj ©ie beö^alb gcroifi nic^t beläftigen,"
antmortete fte.
„3dj l)abe ritc^t gefagt, baf} id) fte nicljt münfdfje,"
fuljr ®on ©ennaro polternb auf, „er lügt, toenu er be«
Ijauptet, baf} idj baS gefagt l)ätte. 3$ weine nur, baft
ba§ nid^t fo eilt. ÜJiufs benn baS nun auf einmal gleich
näd^ften SJlonat fein, Soncetta?"
©ie fjob ben 331id unb fal) ifjn fdjüctjiern an. ©ie
modjte am £on feiner ©timme ober an feinem ganzen
betragen nterfen, baf} er einlenlett motte unb jebenfallS bie
Slngelegenljeit nocl) nidjt fo »erjroeifelt ftanb, mie fie nadfj
ben Steuerungen SiicolaS glaubte anneljmen ju müffen.
,,©ie Ijaben ju beftimmen, Son ©ennaro," fagte fie
leife, aber roärnter unb inniger im £on.
„®as läfjt fic^ Ijören," ermiberte Son ©ennaro unb
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120
2Juferfianben.
nahm einen berben ©chlucf, „bas ift hoch ein 2Bort, über
baS fid) reben läjjt. 2Benn man mir aber ins ©efid)t
fd^reit : @s ift gang gleichgültig, ob bu einroiHigft ober
nicht, geheiratet rcitb bod^ — baS geht bodj nicht! 2)aS
mujjt bu bodj etnfehen, Goncetta?"
„SJiicola hat eS gereift nid^t fo fchlimm gemeint," fagte
fte befdjroichtigenb unb entfdjulbigenb.
„3$ fage bir, er ift ein »erroünfdjt hifciß« öurfdfe,
unb bu roirft noch einmal beine -Jiot mit ihm haben."
Gine jähe 3töte fcfjoft ihr ins ©efidjt, unb fie fah ihn
mit leuchtenben SBliden an. „Gompare — !" rief fte un*
roißfürlich bittenb.
„3dj fage, mir roerben barüber reben. — 2So ift beine
9Jlutter, Goncetta?" fragte er plötzlich ablenlenb.
,,©ie ift einfaufen gegangen, aber fie fann jeben
SlugenblidE mieber gurüdfommen."
„GiS eilt nicht. §eute ober morgen, ober einen oon
biefen Sagen, ©o oiel ift gereift, nächften -Dtonat roirb
es noch nichts, meine Siebe."
„2llfo im Segember, Gotnpare," ftieft fie plöfclich mit
fliegenbent Sltem unb fjodjroten SBangen h e *auS, „ober
im Januar, ober o, fage mann, Gotnpare! ©age
eine $eit, fei eS roelcfje eS fei."
„§ui, roie baS in bie fpöhe loht!" erroiberte er roie*
ber in feiner fonberbaren, polternben unb mürrifchen
2lrt. „$annfi eS rooftl nicht erroarten? 2£ie bie Räbchen
finb! 3cft fage, id) merbe mit beiner SJlutter reben, roie
fich’S für oernünftige Seute gehört, unb eS roirb fich
bann finben."
„Gompare — !" begann Goncetta, tief errotenb.
„©tili," unterbradj er fie, „bort fontmt $abre SJliufi
non ©an Somenico bei $rati. Gr braucht noch nichts
baoon gu roiffen. GS roirb fich fd^on alles finben, Goncetta.
©ieb mir bie §anb."
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Hobelte oon IPolbemar Urban. 121
25amit reifte er ihr feine fleifdfjige $anb über ben
$ifdj, unb ßoncetta brüdte rafd^ unb mit bem ganzen $euer
ihres füblänbifdjen KaturellS einen haften $ufj barauf.
®er ©eiftliclje, ber eben bie ©teintreppe nach ber
Soggia ijerauffdjritt, merfte an bem glühenben ©eftdjt
ßoncettaS unb an ihren aufgeregten leudjtenben Slugen,
bafc etwas VefonbereS oorgegangen mar, unb brof)te fdfjon
non weitem fcherjenb mit bem Ringer.
„®on ©ennaro, $on ©ennaro!" meinte er Iädfjelnb,
„3h* macht bod; nicht etwa böfe ©treidje?"
„@i was, $abre ÜRiuft, id; wollte, Sure Vefürcljtung
wäre noch am $la|e," erwiberte biefer, ärgerlich auf«
feufjenb.
Goncetta trat oon ber Soggia jurüdf in baS $auS,
wäfjrenb ihre ©cfjwefter bie Vebienung ber ©äfte über*
nahm. $urdh baS offene genfter hörte fte aber noch eine
lange S^t auf baS ©efptä<h, baS Son ©ennaro mit bem
Vabre fKiufi führte, ©ie intereffterte ftch aber nicht be*
fonberS bafür. ®ie beiben alten Herren waren leiblich
gute fjreunbe unb bebauerten beibe, bafs ®on ©ennaro
nicht mehr ©inbaco fei, fpracijen oon ber judjtlofen neuen
Seit, oon unorbentlicfjer Verwaltung, bem neuen Slrmen*
haus unb ben guten alten Seiten, Goncetta wartete mit
Ungebulb auf bie Küdfeljr ihrer -Kutter, in ber Hoffnung,
baf[ fich bann für ®on ©ennaro ©elegenheit biete, mit
ihr ju reben, „wie ftcfj’S für oernitnftige Seute gehört".
2lber ihre SJlutter fam ewig nicht jurücf, unb enblicf) ging
$>on ©ennaro wieber fort.
ßaum fünf Minuten fpäter fam ®onna Sucia nad;
§aufe unb fcljalt über ben jungen, ber il;r in einem
großen $orbe bie oon ihr gemachten Ginfäufe nad;trug,
weil er bie ijktroleumfanne, bie er in ber $anb tragen
follte, mit in ben Äorb gepadft hatte, um ftch’S leidet ju
machen.
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122
2Iuferjlant>en.
„$aft bu Don ©ennaro gefe^en, 9Jiama?" fragte
©oncetta aufgeregt.
Donna Sucia fab fte prüfenb an. „3a. 3$ 6in iljm
begegnet," antwortete fte bann.
„Unb bat er nichts gefagt oon — non -Jlicola?"
„•Kein. 2öaS foU er benn oon -Jlicola fagen?"
©oncetta nmrbe rot unb oerlegen, futjr bann aber bodj
mit einer geioiffen (Energie fort: ,,©r bat gefagt, baft er
mit bir reben wollte, wie fidh'S für oernünftige Seute ge*
t)ört."
3b« 9Jiutter begriff fofort, um was eS fieft banbeite.
„Du muftt bod) merlen, ©oncetta," fagte fie oertrau*
lieft, „baft Don ©ennaro eine waljre 3Jleifterfcftaft barin
bat, weber ja nodft nein ju fagen. 2öenn er ftötte mit
mir reben wollen, ^ättc er fc^on lange baju $eit gehabt."
„2lber — " begann ©oncetta beftürjt, inbem iljr bie
Dftränen in bie 2lugen traten.
„Sei nur ruljig, mein $inb," unterbrach fte ifjre
ÜDlutter, „bat uns ber #immel fo weit geholfen, wirb er
unä woftl auch nocft weiter Ijelfcn. — 2öaS ift baS ftier?"
Damit griff fie Ijaftig unb mit einer eigentlich burdj
nidbt§ begrünbeten erfeftreeften Aufregung nach einem
SBrief, ber auf bem Difcft lag. Slber faum batte fie baS
©ouoert in bie $anb genommen unb einen 33licf auf bie
2lbreffe geworfen, als fie il)n aud; fdjon wieber fallen
lieft unb mit ber §anb nad) bem §erjen fuhr.
„0 heilige ;Dlabonna ba broben!" ädjjte fie jum Dobe
crfChroden unb fiel in einen Stuftl.
„2BaS ift bir, SDlammina?" fragte ©oncetta ängftliCb-
„©in S3rief, ben ber ^oftbote oorftin brachte, ©r ift an
bieft. 2BeSftalb erfdjridft bu fo?"
Donna Sucia war eine fräftige $rau, bie ftd) burCh*
aus nicht oon jeher ßleinigfeit umwerfen lieft. Sie er*
bolte fieft auCh jeftt rafdh wieber, noftm ben S3rief mit
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HoncHe Don IDoIbcmar Urban.
123
einer entfd&loffenen beroegung roieber auf unb ftecfte iljn
in bie iEafdje.
„GS ift nichts," fagte fie mit einer errungenen SRufje.
,,©el), fiel) nad) bem Gffen, Goncctta. GS roirb ©ffenö*
jeit."
Goncetta mar ein überlegtes, ernftfjafteS Möbeln unb
begriff fofort, bajj ifjre Mutter iljr etroaS oerbergen mollte.
©ie machte &unäd(jft eine Ginroenbung, ging aber auf eine
roiebevfjolte 2lufforberung ber SDonna Sucia enblidj fort,
um in ber ßücfje ifjren Hantierungen objuliegen.
2llS fie allein mar, naljm Honna Sucia mit aßen
Seiten einer fjeftigcn Grregung ben ©rief roieber aus
ber Hafdje, um iljn ju öffnen unb ju lefen.
„2lllmäd)tiger ©ott," murmelte fie babei leife, „roaS
nun fdjon roieber? ©oß idfj nie im Seben 9tu!je befommen
oor biefem — biefent Unljeil?"
Mit angefjaltenem 2ltem unb mit einer ängftlidjen
Spannung, bie ftdj in ben meitaufgeriffenen Slugen unb
leije bemegten Sippen auSfprad), las fie:
„Siebes 2Beib!
92odj einmal Ijat es ber Himmel in feiner 9Zad)ftdjt
unb Siebe gefügt, bafj in meinem Seben eine Manbtung
&um befferen eingetreten ift. H eute morgen ift mir oon
ber bagnooerroaltung bie Mitteilung gemalt morben,
bafj id) infolge meines ©efucljeS oor brei Sollen, befonberS
aber infolge meines reumütigen betragenS unb meiner
guten güljrung roäfjrenb ber fünfjeljn ^aljre meiner
Strafhaft begnabigt morben bin, unb mir ber 9left meiner
©träfe crlaffen ift.
SDu fannft Hir roofjl fdjroerüclj oorfteßen, mit roeldEjen
©cfiiljlen icf) biefe botfdjaft ju Rapier bringe, um fie
Hir junädjft mitjuteilen. Gin lebenbig begrabener unb
roieber Sluferftanbener Hopft an Heine Hf)iir, ein Mann,
ber nadf) bem ©efe§ ben Hob oerbient, unb nur burdj
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124
2Inferjlanben.
bie ©nabe ber ÜJlenfcfeen lebt, ftredt feine $anb bittenb
j\u Sir, ju feinem 2öeibe empor: 33erjeifee aucfe Su mir!
23ergife Unglücf unb Scfeanbe, bie icfe burcfe meine wilbe,
unfinnige Sfeat über Sicfe unb unfere ßinber feerauf»
befcfeworen, unb reiche mir Seine ^elfenbe §anb, bamit icfe,
ein fo tief ©efaßener, wieber aufftefeen unb im Seben
roieber ju einer Stellung gelangen fann. Senfe baran,
bafe uns bie §anb beS fßriefterS an ^eiliger Stelle ge»
fegnet, unb fei meine treue ©efäfertin auch in biefer
fcfewerften Stunbe meines neuen SebenS.
Sucia! 3$ weife wofei, bafe Sir an ber fRüdfefer
eines im 3«<^t^aufe alt unb grau geworbenen -JRanneS,
ber, wie ein $eftfranfer feine Sfranffeeit, nur Scbanbe
unb Seferecfen um fidj feer oerbreitet, nic^t oiel gelegen
fein fann. 3$ weife fefer wobl, bafe icb für meine eigenen
$inber, bie miefe ja aucfe, wie alle 2öelt, für tot halten,
jum 2lbfcfeeu geworben bin, oietleicbt läbmenb unb ab»
fdjretfenb, oerpeftenb in ibr junges, faum begonnenes Seben
trete. Slber icfe fcfewöre Sir, i<fe will weber Sir noch
ihnen hinderlich fein, nur feben will icfe fie. 28eife
mich niebt jurüd, Sucia, benn Su bift mein 2öeib, unb
Seine ßinber finb auch meine Äinber!
Su weifet nicfet, was biefe fünfzehn 3afere aus mir
gemalt haben, geiftig unb förperlicfe. 2luS bem jungen,
übermütigen, bis jum 23erbred;en jäfejornigen unb leidet*
finnigen 9Rann, ber oor fünfjefen fahren in biefeS furdjt»
bare §auS, in biefeS ©rab ber Sebenbigen eintrat, ift
ein alter, müber unb gebrochener 2Rann geworben, beffen
SebenSaufgabe nur noch fReue unb Süfene ift. 3$ will
arbeiten, bafe mir bas 23lut aus ben Ringern fprifet,
Sucia, ganj gleichgültig was, bie niebrigften, bemütigenbften
Arbeiten, bie fein SDienfcfe oerricfeten mag, foUen mir will»
fommen fein, idfe will Sir auch nicfet befdjwerlid) fallen,
Sucia. So oiel ßraft habe icfe fcfeon nocfe, um arbeiten
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ZToreUe oon tüolbemar Urban. - 125
unb felbft oerbienen gu fönnen, roa§ ich braune. Sftur
in ©einer üRälje lafs mich fein, nur bie Suft lafj mich
atmen, bie meine ßinber atmen, bamit ich fte bod^ »oenigftenä
oon 3 e 't i u 3 e ‘* feh en fann, roenn auch unerfannt.
3<h befchroöre ©ich, Sucia, bei altem, ma§ e8 im
Seben ber 9Jfenfchen £eilige8 unb @^rraurbige§ giebt, roeife
midj nidht gurücf. 3dj fd^reibe ©ir oor^er, bamit ©u
nicht gu feljr über mein (Xrfdjeinen erfchrecfen foUft. 3dh
»oerbe morgen früh hier enttaffen, fann alfo oießeidjt fcljon
am ©onnerätag abenb bort fein — toirft ©u härter,
graufamer unb unerbittlicher fein al§ frembe fBienfdljen,
bie mir oergiefjen unb mich begnabigt Ija&en? ©u unb
bie $inber finb auf biefer 2BeIt meine einzige Hoffnung,
mein einziger ©roft. 2öirft ©u mir ihn oertoeigern?
3ch tnuj} fchliejjen. @8 ift fein SRarnn mehr, unb
mir ift hoch ba8 $erg fo ooß, fo gum gerfpringen ooß!
2ebe toofjt, Sucia, unb füffe bie $inber — unb »oenn e8
audh nur im ©raum ift — für micf). ©ein unglücflidfjer
©atte Seone ©porita."
3n ber @de recht8 mar ba§ grofje ©iegel ber .ßucht'-
hau8oer»oa!tung oon fyoggia, unter bem ba8 28ort ,,©e»
feljen" unb ein unleferlidjer 9iame ftanb.
„^eilige Jungfrau ba broben," murmelte ©onna
Sucia Ieife, nad^bem fie gelefen, „toa8 foß ba8 merben?"
§aftig oerbarg fie ba8 Schreiben rcieber, au8 gurdjt,
e8 fönne fie jemanb überrafchen unb fie banach fragen.
$eine ©eele in 9iefina foßte oon biefer unfeligen @e»
fdfjidjte erfahren. Sfudh ihre Sünber nicht — biefe am
aßermenigften. ©ie aßein moßte tragen, ma8 ©ott ihr
aufbürbete, mie fie e8 ja biöfjer immer gethan.
2 .
@8 mar Stacht. 3m tiefen ©chmeigen ruhte bie ge»
fegnete, üppig-frudjtbare ßampagna am gufje be8 5ßefuo8.
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126
nor
(Sin leifer, fofenber 2ßinb fuhr burch bie ferneren 23aum=
fronen, beren ffiaufchen fic^ mit bem Sollen ber SJleereS*
branbung oermifchte, bie fich an ber Duaintauer non
SReftna brach. 3” gewohnter ruhiger 2Beife fticfe ber
SBerg feine fRaudjwolfen in bie fternheöe, flare ÜRadjt.
92ur non $eit ju 3eit lohte unb brohte bunfelrotglühenb
eine geuergarbe oom ©ipfel be§ PergeS in bie 2uft —
baS einzige 3eicf)en in ruhigen 3 e iten oon ber anheim*
liehen, ftet§ gefahrbrohenben fRachbarfchaft.
fDonna Sucia fafj noch bei einer Petroleumlampe auf
ber Soggia unb nähte.
„SSoEfen mir benn noch nicht j$u S3ett gehen, 9Jiama?"
fragte Goncetta au§ bem §aufe h er auä. tft fcfion
fpät, unb e§ fommen heute bodj feine ©äfte mehr."
,,©eh nur ju SBett. ®u muht morgen mieber früh
herauf," antwortete ®onna Sucia, ohne oon ihrer 2lrbeit
aufjufefjen. „3ch muh hi er noch fertig machen."
Goncetta lehnte ftd) über bie $ en fterbrüftung heraus
auf bie Soggia unb fah ju ihrer fJJlutter hin, befrembet,
alä ob fte nicht recht Hug au§ bem oeränberten SBefcn
werbe, „©oll ich bir helfen, 9Rama?" fragte fie.
„fRein," erwiberte fßonna Sucia faft heftig. „3n3
33ett foßft bu gehen. 2ßo ift Sfffunta?"
„6ie fchläft fchon."
„9fa alfo. ©o fdjfafe bu auch- ©ute -Rächt."
■Roch immer jögerte Goncetta. Unwißfürlich braute
fte bie abweifenbe 3urücfhaltung unb fonberbare, &er*
ftreute fRachbenflichfeit ihrer 3Jiutter mit bem 23rief in
3ufammenhang, bei beffen Gmpfattg fie fo erfchrocfen war.
2Öa§ mochte ber S3rief enthalten hoben? fragte fidj Gon*
cetta. 2Benn fte ihre füRutter um 2lu3funft gebeten hätte,
fo würbe fie biefe oerweigert hoben, darüber war fidf
Goncetta flar, unb beäljolb fragte fie auch gar nicht.
Gnblidj trat fte aber hoch oom genfter jurücf, unb
3tuferfianben.
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Hopclle ron H?oJbcmat Urban. 127
Tonna Sucia hörte, roie fte ein Sicht angünbete unb aus
bet ©aftfiube hinauSging, mie fte meinte, in baS ©d)laf*
gimtner.
Tonna Sucia fd^rouBte bie Sampe etroaS ttiebriger
unb Iaufcbte über bie Srüftung ber Soggia gebeugt hinaus
ins greie. Giner ihrer §unbe fdhlug an. ©ie fuhr er*
fdjroden gufammen. 2ßar er fdjon ba? fragte fte fidf
©ie rief bem Tier leife gu, batnit eS ftch beruhige, unb
in ber Tljat mürbe eS auch raieber ftitt. 91id;tS mar mehr
gu cernehmen als baS fRaufdjcn beS SBinbeS in ben
Dliocn unb ba§ halb ftärler, halb fdjrocicher h er ü& erj
fdjatlenbe Stoßen ber Sranbung. Gin feiner, mürgiger
Gampagnabuft hauchte iljr aus ber fRadjt entgegen, roie
ber Tuft con Drangenbliiten, aber fie adjtete nicht auf
bie leifen 3<mber ber füblidjen fRacht. Tie ©orge erbrüdte
bie greube an einer glüdlidjen Statur.
5öaS mürbe nun merben, menn ihr SRann gttrüd*
fehrte? Stach fünfgehn Suhlen? ©in con 2Belt unb
SRenfdjen Iängft Sßergeffener, Totgeglaubter, ben fie felbft
hunbert* unb taufenbntal als tot begeidjnet, um bem
neugierigen fragen unb müßigen ©cfdjmäß aus bem SÖege
gu gehen. 2In ihrem ©eift gogeit bie fürdjterlichen
feiten corüber, bie fie burdjgemadjt hatte, bamals cor
fünfgehn fahren in Gampobaffo, einem fleinen Drt in
Slpulien, unb bann audj fpäter auf ihren ^rrfnt)tten nach
©alerno, ffJolicaftro unb enblich nach Steftna. $m ©treit,
im milben Säljgorn hatte ihr SJtann feinen geinb, feinen
itonfurrenien, ben SBeinhanbler Garufo, erftodjen unb fich
bann ber ©träfe burd; bie glud)t entgiehen moßen. Gr
mar aber faum eine Sffiodje nach ber Tljat gefangen unb
gu gmangig fahren Sagno cerurteilt morben. Tie ©träfe
mar hart, aber ber gaK mar ein fdjrcerer. Garufo hinter*
lief} eine galjlreidje §amilie, unb bie öffentliche SJteinung
mar gegen ben SJtörber. SJtan cerlangte, baj} ben un*
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128
Uuferjlanben.
auffförlidjen ÜRefferaffairen enblidt) einmal cnergifdh gegen*
übergetreten unb ein (Stempel ftatuiert mürbe. ©o mürbe
©porita verurteilt, unb ®onna Sucia ftanb allein mit
ihren oier deinen Stinbern in ber 2Belt. 3ßenn fte nur
noch allein geroefen märe! 2)ann hätte fte ft<h viel-
leicht helfen fönnen. Siber mit bent SSater ihrer Äinber
im 3«(hthaufe ging eS nicht, menigften§ in (Eampobaffo
nicht- Stein SDtenfdlj rooHte mit ifjr ju tf)un haben, fdheit
unb ängftlich mich man ifjr in bem Keinen Drt au3 ober
trat if)r rcoljl auch geljäffig in ben 2Seg, als ob fie ge*
morbet hätte.
©o oerfaufte fte benn aüe§, ma§ fie befah, unb jog
einige ßeit im Sanbe hemm, halb hierhin, balb bortl;in,
um bie ©puren beä SSerbre<henä, bie ihr roie ein f«hlei<hen*
be§ ©efpenft folgten, ju »ermifdhen — mit oier Keinen
Stmbern jog fie junächft nach ©alerno, non ba nach ^ßoli*
caftro, oon ba nach ^ortici, Neapel unb enblich nach
Slefina. Stein üöienfdh in Sieftna muhte etroaS attbereS,
als bah ft« 2BUme, ihr SJlann längft tot fei. ©ie glaubte
biefe Notlüge im ßntereffe ihrel eigenen gadfommenS
unb beS ehrlichen 9tamen§ ihrer $inber ntadEjen ju tnüffen.
©elbft ihre Stinbcr muhten nichts anbereä, als bah ihr
23ater tot fei. 2Boju hätte fte ihnen mitteilen foHen,
ma3 iljnen hoch nur Stummer unb ©orge verurfaefjt hätte?
2Kit eiferner Slttäbauer unb (Energie, mit raftlofem
gleifj h att e bie fdjroergeprüfte $rau e§ bann unternommen,
auf ben Ruinen il;reS Gebens eine neue (Edftenj ju be=
grünben, ihre Stinber ju orbentlidhen, braudhbaren -Uten*
fdjen ju erjieljen, ihren Sßohlftanb ju mehren unb fiel)
non ihrem tiefen unb unoerfchulbcten ßaH in ber Sichtung
ber Seute roieber emporjuarbeiten — ftinfjehn fchrcere
jahrelang! Unb nun, mo ihrem hdfjen 9iingen ein enb*
lieber (Erfolg minfte, mo fte ihre ©ohne leiblich unter*
gebracht unb auf bem beften 2Sege mar, auch ‘h re Töchter
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Honette non lüolbemar Urban. 129
ehrlich ju oerforgen, roo ihr ©efdjäft ein geortetes unb
rentables roar, wo iljt gleiji unb unermüblidje SluSbauer
enblidj jum 3iele i u führen nerfpradjen, traf fte mie ein
®onnerfdjlag bie Slüdfeljr ihres SJlanneS.
3m großen unb ganzen mar $)omta Sucia eine tljat*
fräftige, refolute grau, bie fidj nicht leidet in ©entimenta*
Iitäten unb ßopffjängereien »erlor. 3e£t ober fab fte
fidj bodj in einer Sage, in ber fte nicht fofort muffte,
roeldjeS »on ben ihr broljenben Hebeln fte als baS leister
erträgliche mäblen foHte. ÜJlahm fte ihren 3Jlann auf, fo
ging eS ibr mieber roie in dampobaffo. 2WeS mürbe
ben Krebsgang geben, bie „gaccia greSca" mürbe »eröben,
roeil fein SJlenfd) ntebr mit il)r ju ttjun hoben roollte,
ifjre ©ohne mürben in ihrer Karriere bebrobt, unb doncetta
mürbe bei ber fcbon ohnehin fchroierigen Sage gegenüber
$on ©ennaro niemals bie grau beS ®ott Slicola —
öießeicbt überhaupt nietnanbeS grau roerben.
©ollte fie aber beShalb ihren 9Jlamt jurücfroeifen?
dr mar unb blieb hoch immerhin ihr 2Rann, ber SBater
ihrer Sfiitber, unb fte felbft feine einzige lefste §ilfe unb
Rettung. $atte fie überhaupt baS moralifdje Siecht, ben
SOater ihrer $inber ton ihrer ©djroeße ju meifett, mentt
er fie betrat? 2öer fonnte miffen, mie ihre $inber, be=
fonberS ihre ©öfjue, bie ftcfj roohl nodj auf ihren S3ater
befinnett fonnten, barüber bauten? 2Ber fonnte miffen,
mie fich ihr ©djicffal in gufunft geftaltete, unb ob bie
$inber ihren 35ater nicht bod) nodj einmal brauchten?
Unb ob nidjt einmal eine ©tunbe fommett mürbe, in ber
ihre Hinber fte, bie SJlutter, für biefe §erjlofigfeit 3 ur
Sledjenfdjaft jogen? SBar baS nicht noch fchredlidjer als
alles, raaS entfielen fonnte, roeitn fte ber 2Baf)rheit bie
@hrc gab unb ber 2Belt geftanb, mie alles roar?
2luf alle biefe gragen muffte Sontta Sucia feine 2litt=
rcort, trofjbem fte ftch alle fölöglichfeiten aufridjtig unb
1901. III. »
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130
2tuferfeanben.
einbringlidh tjorfiitjric. ©ie lauste ängftlicf), bei jebem gu<
fälligen ©eräufdj gufammenfaljrenb, in bie 9iadE)t hinaus,
ohne gu einem feften ©ntfcfelufe fommen gu fönnen.
fßlöfelicfe Ijorte fte auf bem ©teingeröH beS 2BegeS,
feer Jur „$accia $reSca" hinauffüljtte, einen fcferoerfäHigen,
fdjleppenben ©cljritt. Sh* mar, als ob ihr oor ©dEjrecf
bas §erg ftiflfteljen miiffc. ©ie nahm oorfidhtig unb Ieife
feie Sampe uom SifdE) unb leuchtete bamit über bie Srüftung
hinunter, ©ie erfannte ifjn fofort, als ob ifjr jemanb
gugerufen hätte: $aS iftSeone, baS ift bein 9flann! $iefe
gufammengefunfene, unheimliche ©eftalt, bie ftch im um
geroiffen ©dhein ber Sampe aus bem SDunfel ber Stacht
loSlöfie, fidh roie ein brofeenbeS, rätfelljafteS ©d^icffal ber
„Saccia greSca" näherte, baS fonnte nur e r fein, ber £ot=
gefagte unb Sluferftanbene.
„Sucia!" flang feine roie oon frönen erftiefte ©timme
gitternb unb bittenb gu ifjr empor.
2)a ftanb fte auf, h a fü& wie unter bem Zwange einer
unmittelbaren Erregung, in einem natürlichen 2luSbrucfe
ihrer Snnerlidhfeit, unb eilte bie kreppe hinunter, ihm
entgegen.
„Seone, bift bu es?" rief fte ebenfalls leife.
SDer 2ttann fdhiett fehr, feljr rnübe gu fein, benn faum
hatte fte ihn erreicht, fo fafete er begierig, roie ein (Sr=
trinfenber nadh einem ©trofehulni, ihre -§anb, brüdte mit
einer fonmilftoifchen ©rregung feinen fDtunb barauf unb
fiel oor ihr auf bie ßniee.
„3^ein, nein, Seone, fnieen mufet bu nicht," [tiefe fte
aufgeregt unb ebenfalls mit ÜEhtünen im 2luge herttor;
„fomm nur, fomm hinauf!"
„Safe mich nur liegen, Sucia," murmelte er gerfnirfd&t,
„hier ift mein fßlafe!"
2öie oiel unb roie lange h°tte fte über eine Söfung
naefegefonnen, roie hatte fte fi<h alle 9Jlöglicl)feiten unb
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ZTocefle Dort tüolbemar Urban. 131
3ufäHe cergegenroärtigt, ohne einen 2lu§meg ju finben!
3b* SSerftanb batte fie im ©ticb geladen, aber üjr §erj
nid^t. 3b* §er^ fanb im erften 2lttgenblicf eine Söfung,
bie wie ein ©efe£, mie eine ^eilige $flidjt über fte farn.
©ie fonnte ihren fDlann nicht auf ber ©trafie liegen
laffen. ©ie braute eä nidjt über ftdfj.
©ie fafjte ihn f)elfenb unter ben 2lrm, um tfjn auf»
äubeben, unb fagte: ,,©teb nur auf, Seone! $Du fannft
nid^t hier liegen bleiben, ßomm nur. 3<b habe etraaä
ju effen unb ju trtnfen bereit gefteUt. 3$ badete tcol)!,
bafj bu fommen roürbeft."
„33u baft meinen 33rief erhalten, Sucia?"
„3a, lafj nur baS jefjt. 3$ n>eiB ja auch nicht, roie
atle§ roerben foH. ©ott roirb un§ ja mol)l Reifen. 3^t
fomm nur mit hinauf."
2J?it iljrer §ilfe erhob er fidj unb ftieg bann langfam
unb mübfam bie kreppe Ijinauf. ©ie fpradjen babei nichts,
nur als fie beibe in bie ÜHcilje ber nod; auf bem Stifdje
ftebenben Sarnpe gelangten unb beren ©dbein auf fein
©eftd^t fiel, mich fie unrcillfürlid) cor ifjm jurüd unb er»
fdjraf. ®a§ batte fte gang cergeffen, baft fünfjeF>n 3ab*e
gucfjtbauä fidj audj äufterlicb auSprägen. 2lber roenn fte
auch baran gebadjt, fo fürchterlich hätte fte eS ftdj bodb
nicht corgcftellt. ®a3 bartlofe, ftoppelige ©efidjt batte
einen ftumpfen, geiftlofen Slusbrud unb einen fdjmutjig»
grauen Seint. ®ie 2lugett mären matt, tnübe, boffnungS»
loS traurig, tiefe galten sogen fidj redjts unb linfS con
ber 9?afe jum fDiunbe b^rab — ba§ mar fein SJiann
mel)r, fonbern nur noch bie SRuine eines foldben. £)aS
mar fcblimmer als ein com £obe Sluferftanbener, bie
.gudjtljauSluft lag auf ihm unb batte ihn, mie eine
iPflanje, ber man baS Sicht entzieht, cerroanbelt.
@r bemerfte ihren erfdjrecften SQlicf fefjr mol)!, er fühlte
ihn, aber er fagte audE) nichts. 2Bebmütig=trautig cer«
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132
2luferftanbcn.
gog fid^ fein 2Jlunb etwas, wa§ wie ein Säbeln auSfalj,
als ob er fagen wolle : Xa§ wirb ftch fdjon roieber machen.
Silber eS war ein fo tobtraurigeS Sädjeln, baf} es au§»
fal), a(S ob er felber nicht baran glaube.
3)ann wollte er, mübe toie er war, ft<h am SEifdje
auf ber Soggia fefcen, fte Ijinberte ifjn aber baran unb
fliiftertc iT;in leife gu: „-Kein, nicht ^ier. ßommnurbort
hinein. 2)ort fönnen roir alles berebcn, wie es werben
foH. §ier Jönnten uns bie ßinber belaufdjen."
„$ie ßinber!" wieberljolte er feufgenb. „2Benn ich
fte nur einmal feljeit fönnte, Sucia!"
„3fl bodj, je£t fomm nur. @3 roirb fic^ fc£>on machen,
wenn idj auch nod) nid^t weift wie. SDu mufft auch an»
bere Kleiber ^aben. $a3 geht fo nidjt. ©leicfj morgen
früh merbe ich banadh gehen."
„3dh begabte fte natürlich. $Jiein, ich will bas nicht,
Sucia. Sch fjctbe ja ©elb, fiebenunbfechgig Sire unb breijjig
ßentefimi, was fte mir aufgefpart ijaben — bort — bu
roeifet ja rco. ©ie haben es mir bei meiner ßntlaffuna
auöbegaljlt."
„$)u wirft eS wohl noch braunen, fpäter, wenn bu
erft 5$ h«&® baran gebadet, ob bu nicht etwa
in Neapel ein Unterfommen fudhett lönnteft. Neapel ift
eine grofje ©labt, wo ber eingelne nid^t fo fefjr auf*
fällt. 2)enn fiehft bu, Seone, Ijier — ■ — es ift ber
$ittber wegen. $omm nur. SdE) «gä^Ie bir bas alles ba
brinnen."
$amit führte fte ihn bie Soggia entlang unb trat am
@nbe berfelbert in ein 3immer, baS fie gewöhnlich für
©äfte bereit Ijielt, bie bei iljr übernachteten. $a5 fam
nic|t häufig oor, aber an SCTlarfttagen unb an ^eiligen*
feften war eS hoch immer befetjt, fo baff eS nicht befonberS
auffallen fonnte, wenn fie auch einmal gu einer anberen
3eit einen gremben beherbergte.
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ZTooeHe oon tüolbemar Urban.
133
Sitte $eitlang blieb bie Soggia leer unb bunlel liegen,
bis enblidh ber ©cljein einer Kerje burdj ein offen fielen-
beS genfter aus ber ©chenlftube heraus auf bie Soggia
fiel, unb gleich barauf trat Goncetta mit einem Sicht in
ber §anb an baS offene genfter unb fah fid£j auf ber
Soggia um. ©ie hotte fpredhen ^ören unb woßte nun
nachfeljen, roaS loS mar. ©ie bemerlte aber nichts, bis
enblidh ihre 9Rutter roieber aus bem grembenjimmer her*
aus auf bie Soggia trat.
„2Sar nic§t jemanb hie*, 3Jlama?" fragte Goncetta.
$onna Sucia machte ftdj mit ber Sampe ju fdjaffen.
Goncetta überragte fie, unb fte wufjte nicht gleidtj, nmS
fie antworten fodte.
„3a, eS ift ein 5D?ann gefommen, ber baS Bimmer
mieten wifl,"' antwortete fie enblidh.
„Gin $rember?"
„3a, ein grember. Gr fommt aus Neapel. $er 2lermfte
ift foeben erft aus bem Kranfenhaufe entlaffen morben
unb foU nun in ber freien Gampagnaluft feine ©enefung
erwarten, ©eine ©aefjen liegen noch auf bem Safjnljof.
©ie foßen morgen früh geholt werben. "
„Gin dränier, 3Jiama?" fagte Goncetta etwas ängftlich-
„9fun, nicht gerabe ein Kranfer, benn fonft wäre er
ja nicht entlaffen worben, aber boef) auch lein ©efunber.
•äJiaclje nur rafefj etwas jtr effen, Goncetta, eine glatte
SRaccaroni, ein wenig Kalbsbraten, oon bem wir noch
haben, unb hole ein paar frifche feigen unb Drangen
aus bem ©arten. Gine fjlafd&e oon bem alten ©ragnano
fleht wohl noch brinnen auf bem Süffett."
„93on bem alten, -Kama? 3)ie glafdhe ju jwei Sire?"
fragte Goncetta erftaunt.
„fRa ja hoch, ein 9le!onoaleScent wir biirfen
eS mit bem Slermften nicht fo genau nehmen. SRidhte
nur aßeS he*- 3$ trage eS bann felbft hinein."
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134
21nferfianben.
2lfjnung§Io§ ging (Soncetta roieber baoon, um i^re
Veforgungen auSguridhten, unb ©onna Sucia trat mieber
in baS ffrembengimmer gurüdf.
„§aft bu fie gefeljen?" fragte fie ihren -Kann, ber roie
tergmeifelt am Xifd^e gufammengefunfen mar.
„Qa," antroortete er tonlos, „burdhS ©dhlüffelloch.
£5aS mar (Soncetta?"
„3a. §aft bu fie nicht roieberertannt? ©ie mar
bantals freilich erft vier 3 a hte."
„2öie fc^ön fie gercorben ift! ©ang bein (Sbenbilb,
mie bu fo alt marft."
„9Jian nennt fie baS fdfjönfte üDiäbdjen non gang
Kefina. "
3f)r ÜBiann fah plöfclidh ftarr oor fic§ auf ben Voben
unb ermiberte erft nach einer langen $paufe ferner unb
gepreßt: „®u haft recht, Sucia, es geht nidfjt. @S ift
meines VleibenS ^ier nicht. 3<h bin ein Verfluchter unb
©egeichneter, ber fein Sfedfjt hat, feinen ßinbern in ben
2Beg gu treten. -Kögen fie glücflidh merben, mie ich un*
glücflidh bin ! 9Jlögen fie ruhig unb frieblich ihre Sehens«
ftrafje giehen, mie ich ruljloS unb terbammt bie meine
giehe!" ®ann fi<h plöhlich aufraffenb unb feine ©ad&en
gufammennehmenb, fuhr er I;aftig fort: „gort, meg ton
hier, bafi meine 2Inmefenheit nicht bein reines, glücflidheS
§auS oerpeftet! ®ie ©ünbe roiH ich nicht auc h tiodh auf
mich nehmen, bafj ich baS ©ffidf meiner 5linber gerfiört
hätte. Kur fort, Iah mich nur hinaus, Sucia. 3$
tauge nicht unter bein ®ac(j."
,,©ei hoch ftiö, Seone. @s fennt bidh ja niemanb.
VIeibe nur. Korgen ober übermorgen merben mir ja
roeiter fehen."
©ie rebete ihm gu. 6r märe ja auf ber ©trajje gu=
fammengebrochen, menn fie ihn hätte gehen laffen. Unb
fo blieb er.
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Houelle non JDolbemar Urban.
135
3.
©S Jonnte nid&t auSbleiben, bafe ©oncetta in ungeroöf)n*
Iidfjer 2Öeife auf ben fremben ©aft aufmerlfam unb neu*
gierig rourbe, junädbft burcf) iljre 2)lutter felbft. $onna
Sucia tljat gerabe fo, als ob es fid^ minbeftenS um einen
©rafen ober bodf) einen feljr reifen #errn gefjanbelt fjätte.
Iföidjt nur ber alte ©ragnano am Slbenb feiner 2ln!unft
fprad) bafür, fonbern auch alles Spätere. 2lm nädEjften
borgen mußten frifdfje ©ier unb Sutter für ben gremben
bereit geftellt roerben, für bie „gaccia greSca", beren Herrin
für ftd) felbft unb iljre gamilie feljr b«uSljälterifdf> mar,
unerhörte $inge.
„©r ift mof)l feljr reidj?" fragte ©oncetta ü>re üülutter.
„SJiatürlicfj. ©r roirb uns fdjon bejaljlen," ermiberte
biefe fHüd^tig, „aber oor allem ift er ein 9Jlann, ber fjter
gefunb merben foU. S3erficl)ft bu? 2llfo nur immer baS
33efte. ©r mag mofjl fe^r fernere Beiten burd^gemad^t
Ijaben."
•Katürlid) entftanb nun in ©oncetta ber SBunfclj, ben
fremben auch einmal oon 2lngefidjt ju 2lngefid^t ju feljen,
unb fte l)ielt fiel} beSljalb fef;r oiel auf ber Soggia auf,
in ber Hoffnung, baff ber $rembe bodEj auch einmal Ijer*
austreten mürbe, ba ja fein Bimwer an bie Soggia fiiefj.
Slber biefe Hoffnung erfüllte fidj nidjt, unb ©oncetta mürbe
junädjft burd) ein anbereS ©reigniS, baS iljr ungleich
mistiger mar, mieber oon bem gremben abgelenft.
3b« Butter mar nadj Neapel gefahren, um bie Sachen
beS fjremben in Drbnung ju bringen, unb 2lffunta batte
mit bem 93ie^ ju tfjun, als plö^Iidb unb unermartet $oftor
•Jiicola SombeHt auf ber Soggia ber „gaccia greSca" er*
fdjien. ©r überragte ©oncetta, bie gerabe auf einem
Stubl ftanb, um einige SBeinranlen feftjubinben, fo feljr,
bajj fie i^n erft bemerfte, als er fdjon Ijinter i^r ftanb,
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136
Uuferjtanbeu.
fie um bie $üfte fafjte unb oom Stuhl Ijerunterjog —
bireft in feine 2lrme.
Sie t^ai furchtbar erfcf>rocfen unb oerteibigte ftc^
fdjeinbar mit grofser §eftigfeit, aber ohne befonberen @r*
folg, benn fdjon im nächften Slugenblicf hotte f« auf bei=
ben SBangen bie $üffe be3 ftürmifchen 3Jlebiginer8 ft$en.
„SDu bift roof)l nicht recht ftug, fRicola," ganfte fie
erregt unb errötenb, „hierauf ber offenen 2oggia! 2Benn
un§ nun jemanb ftef)t!"
Sie hotte feine SUjnung baoon, mie fdjarf fie beobachtet
mürbe.
„9iun, unb ma§ ift bann, menn un§ jemanb fie^t?
fDann fieljt er glücflidje fDfenfchen, bie fich burch
nichts in ber 2Belt ftören laffen," rief ber junge 2lrgt
flott unb übermütig. „2lbcr meifit bu auch, me§holb ich
heute fo geitig ln«* bin?"
„2öa§ ift benn gesehen? $u bift fo aufgeregt unb
fo — ungejogen mie nie!"
„3ch ^abc auch ©runb baju. SDon ©ennaro ^ot Hein
beigegeben."
„3Bie? @r roiUigt ein?" fragte fte ftürmifch.
„9Jicht mit Haren, bürren äBorten," erläuterte er,
„bu roeifjt ja, mie er’S macht. @r fagt nie bireft ja ober
nein. 2lber er hot ber alten Gicugga, bie im gmeiten
Stocf unfcreS JpaufeS mohnt, bie 2Bol>nung gefünbigt."
„Unb ba§ ift alles? 2öa§ h a * bas mit uns gu
fchaffen?"
„$aS fielet bu nicht? ®aS mirb unfere SBohnung,
ßoncetta. 6r h«t gur Gicugga gejagt, bafs er bie 2öof)nung
oom neuen ^oh* ob felbft brauche unb fie neu einrichten
rnolle. $ür men foHte er fte benn einrichten, menn nicht
für un§?"
„®u hätteft ihn hoch erft fragen foHen, ehe bu fo
jubelft. traue ber Sache hoch noch nicht fo recht."
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noueUe »ott IPoI&emar Urbatt. 137
„$u fannft bidlj batauf »erlaffen, Gonceita, es ift fo,
t»ie icf) bir fage. 3$ fenne bodj meinen SSater. Gr
fagt nicfjtä, aber er fieljt bie Greigniffe fommen unb richtet
ftd) ruf)ig unb praftifdl) barauf ein. SJlein 2 ßort barauf,
baff mir gum Sleujaljr heiraten. Unb nun fei luftig unb
guter ®inge. 3 $ Ijabe bir aucfj etroaä mitgebradjt. $>a!
Slimm."
®abei reichte er iljr einige 33 ergijjmeinnid)t, noclj tau*
frifdfj, offenbar foeben erft gepflücft.
©ie nafjm bie Keinen, gierlidjen 33lumen in bie^anb,
orbnete fie fauber unb ftifjte fie bann, Gigentümlid) ge*
rüfjrt, roie eä fonft nidjt iljre 2 lrt mar, banfte fie if)in.
„ 2 af$ nur," fuljr er flott fort. „(Sä ift ja nidjt ber
Siebe wert. 3$ roeifj ja bodfj, bafj bu gerabe biefe blauen
SBlumen feljr gern Ijaft. ®eäljalb braute idj fie mit."
„SBeifjt bu audfj roarum?" fragte fie, träumerifdpgärt»
Iidlj oor ftclj f)in blidenb.
„SSeil fie bir gefallen, »ermutig," erroiberte er.
„D nein, baä fjat einen gang befonberen ©runb, unb
wenn bu fyübfdf) artig bift, Slicola, fo ergäbe ictj bir baS."
„Grgäljle, ergäfjle. $omm, fefje bidfj unb ergäbe. 5Du
meifjt bodfj, raie gern idlj bidj erjagen fyöre."
®amit fe£te er ftclj auf einen ©tuf)l unb 50 g bie nur
leidet SSiberftrebenbe auf feinen ©cljofj. Goncetta, beren
offenem unb natürlidjein Söefen bie ^ßrüberie etroaä Un*
befannteä mar, fe^te fiel) auf fein $nie unb falj mieber
gerührt auf iljre SSIumen, bie fie noclj immer in ber .§anb
fjielt. ©ie groinferte etroaä mit ben Slugen, als ob il)r
bie Sfjränen ftd) roibermiHig Ijeroorbrängten, unb mifdjte
mit ber §anb barüber l)in. 25ann begann fie einfad),
mit einem leidsten ©eufger unb einer ‘meicljen Slüljrung:
,, 3 d£) ntufj immer, roenn id) biefe Slutnen fefje, an meinen
armen 33ater benlen, ber nun fd)on fo lange tot ift.
©leicfpool)! befinne id) mid) nodf) feljr gut, alä id) noclj
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138
Unferjlanben.
ein Heines Sinb war, mie er mich auf feinen ©dfjofj
nahm, mir bie §anb auf ben ©Reitel legte unb mit
flüfternber ©timme allerlei erjagte. @ineS 2lbenbS, baS
mar noch in ßampobaffo, mo mir früher mo|nten, eS mar
ein munberfyübfdjer ©ommerabenb, erzählte er auch-
„2öeifjt bu roohl, Goncetta, marum man biefe fleinen
blauen SBlumcn ba 33ergifjmeinnicf)t nennt?" — ©o fing
er an."
®ann ftch plöfclidj unterbred&enb, fah fie ihren -Jlicola
an unb fuhr mit ueränberter ©timme fort: „Slber baS
Iangroeilt bid& geroib, -Jlicola. 3h* 9Jlänner hobt ja feinen
©inn für fold&e empfinbfame ©efchidhten."
„(Stähle immerhin. SBenn bu erjählft, ift alles inter*
effant," proteftierte er UebenSmürbig.
„2llfo," fuhr fie mieber in ihrer traumverlorenen,
meinen 2lrt fort, „ich mubte es nicht, marum man biefe
blauen Slümchen SSergifimeinnicht *) nennt, unb iJSapa er*
jählte roeiter: $ls ber Hebe ©ott bie SSelt gefdhaffen
hatte unb alle feiere, S3ögel, -äJlenfdhen unb fPflangen,
ba gab er auch jebem feinen 9?amen unb fagte: Sftun geht,
fucht eudh einen hübfcljen $lab in ber neuen 2öelt aus
unb »ergebt nicht, mie ihr 2lber faum maren fie
fort, fo bajj ber liebe ©ott badjte, ftch nun etroaS aus*
ruhen ju fönnen, ba fam audh fchon ein Heines, unfchein*
bare§ 33lüm<hen mit bünnen Söeind^en jurüdl, lieb baS
blaue Köpfchen betrübt hängen unb mifperte ängftUch: Sich,
bu lieber ©ott, fei nur nicht böfe, bab ich meinen Flamen
mieber »ergeffen höbe. 3$ ttJeifs ja nicht mehr, mie ich
fjcibe. 2öaS foHen benn bie Seute oon mir benfen, menn
ich nicht einmal roeib, mie ich h^ifee ! ®a antroortete ber
liebe ©ott: Slber bu Heiner ©ebanfenfacf, mie fannft bu
*) StoÜenifch: Non scordar di me, roaö genau berfelbe
SluSbrudE ift mie im Seutfchen.
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Hooeüe oon H?olbemar Urban. 139
nur fogar beinen eigenen tarnen »ergeben? 3$ weifj
if»n auch nicht mehr. — $a mar nun bie ÜRot grofj, unb
baä Heine namenlofe Vlümdjen oergojj feine bitierften
S^ränen, bis ber Hebe ©ott enblich fagie: 5Run, geh
nur ^in unb fie^ ju, wie bu burch bie ©eit fommft,
nur — oergife mein nicht! ®a fchlid) bie blaue 33lume
befcheiben baoon, unb wenn eä bie Seute fragten: 2Bie
hei&t bu benn? fo antwortete eä ängftlidh : traulich: 33er*
gij} mein nicht."
(Sä trat eine Heine $aufe in bem Ieifen ©eflüfter ein.
5Der ©inb ftrich meid) unb wohlig über bie offene Soggia
unb nahm ben ©djaU ihrer ©orte mit fort, fo bafj ber
atemlofe Saufdier an ber Sljür jum grembenjimmcr roof)l
fah, maä burch bas ©chlüffelloch ju fehen toar, aber nichts
hörte.
„3>ft bas nicht hübfdj?" fragte Soncetta enblit^ fanft
unb fal) iljrem Verlobten fdjüchtern in bie 2lugen.
,,©o hübfdj roiebu, Eoncetta," antwortete biefer unb
Hißte fie göttlich auf ben ©unb.
Slber fte blieb in ihrer träumerifch’traurigen, weiten
SRüljrung unb fagte nach ein« neuen 33aufe: „^dj glaube,
ich mürbe auch eher meinen eigenen fRamen oergeffen, ehe
ich meinen Vater oergeffe."
„$u thuft recht," erwiberte er innig, „wahre Siebe
überbauert alles."
Vlöfclid) öffnete fich bie $hür, f)i nter ber ®on Seone
big bahin mit Hopfenbem $ergen gelaufoht, unb biefer trat
heraus, fdjjeinbar ruhig unb gemeffen, aber bod) in einer
tiefen Ergriffenheit unb getrieben oon bem unwiberfteh*
liehen ©unfdj, noch einmal bie §anb auf ben ©cheitet
feine JtinbeS gu legen unb ihm wie bamalä in fdiulb*
lofer, glücHidjer 3eit in bie reinen SHnberaugen gu fehen.
®ann wollte er gern ftch oon h‘ nnen ftehlen unb in
tieffter Verborgenheit ben gludj feines SebenS weitertragen.
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140
2Iuferjlanbett.
Unerfannt, als ein $rember, rooEte er an bem $eiligften,
tnaS iljm auf biefer SSelt noch lebte, oorbeifchleidjen unb
gleichfam im gluge einen 2lugenblid in bem feligen $a*
rabieS leben, baS er auf immer oerloren.
Soncetta ftanb fofort auf, als fie ben gebeugten, blei*
djen -Kann auf bie Soggia treten fah, unb flüfterte betreten
unb ihn fcheu anfetjenb: „Der $rembe!"
„9Jfein liebes $inb," begann Don Seone mit einer
fdjtnadjen, leidjt jitternben ©timme, ,,idfj bitte um k Ber*
gebung, wenn ich ©ie einen Slugeitblid ftöre. iJlber ich
habe einen nottnenbigen ©ang in bie ©tabt ju machen
unb möchte ©ie bitten, mir bis ju meiner Eiüdfeljr biefe
33rieftafdje — es finb fecfjjig Sire barin — auf jubernahren. "
Damit trat er, bie SBrieftafdje öffnenb, näher an
(Soncetta ^eran, bie ifjn mit tnadbfenbem ©rftaunen anfah
unb feinen Süd non ber hinfälligen, gebriidten ©eftalt
abmanbte. -Kedhanifd) griff fie nach ber Sörieftafdhe, mar
aber nor ©taunen unb Ueberrafcfjung feines SöorteS fähig.
Don Seone fuhr in feiner müben ©leichmäfjigfeit
fort: „^dh hoffe ^f>re $rau 3Jlutter nodh ju fehen, roenn
aber $m, roaS haben ©ie ba für fdjöne 33lumen?"
unterbrach er fi<h plöhlicfj unb tnieS mit ber £anb auf ben
f leinen Sergijjmeinnichtftraujs.
„Non scordar di me!“ erroiberte Soncetta mit fdhroerer,
ernfter Betonung unb ihn mit ihren grofjen bunflen
2lugen noE anfeljenb, als ob fie mit biefen 2Borten nodh
eine Siebenbebeutung, eine Mahnung nerbinben tnoEe.
Don Seone ftanb je^t bidjt bei ihr, unb mie non
einer geheimen ©eroalt, non einem überirbifchen 3 ß uber .
getrieben, legte er feine redjte $anb leidet auf ihren
©dheitel unb fal) fie einen furjen Sfugenblid innig an.
„Söeifst bu tnohl, Soncetta," fagte er mit leifer,
etmaS «ärmerer ©timme, „marum man biefe fleinen
blauen Blumen 33ergi|meii>nidht nennt?"
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Hooelle »on tPotbemar Urban. 141
Unb al§ fxe oor mafjtofem ©taunen nodfj immer nicljt
mufjte, ma§ fte fagen unb glauben foßte, fuljr er mit einer
fonberbaren, roie jugenblicfjeren, glüdlicfjeren Betonung,
rcie fte iljm »ieüeid^t noclj au§ langer 33ergangenl)eit et»
innerlich mar, fort : „ 2 Hä ber liebe ©ott bie SEöelt gefdEjaffen
Jjatte unb alle SCiere, 33ögel, DJienfdien unb $Pflanjen,
ba gab er aud(j jebem — "
©in erfcljütternber ©cf)rei burdfjljallte plö^Iid^ bie Soggia.
Qm felben 2 lugenblid fdfjlang ©oncetta in einer leiben*
fd^aftlid^en unb frampffiaften ©rregung il)rc Slrme um
ben §al§ be§ fretnben SJlannei unb rief mit glüdf*
liebem ©dfjlud&jen unb SBeinen: „93ater! SBater! Sieber
SSater!"
3 unäd)ft mar 2 )on Seone beftür^t unb erfdfjroden. ©§
mar offenbar nidjt fein SBiHe gemejen, fiel) il)r 5 « erfennen
ju geben, ©in natürlich, unbeäminglidjeä ©efüfjl, burdfj
bie lange unb Ijartc ©ntbeljrung uon SBeib unb Älirtb ju
einer unmiberftel)lidjen ©emalt angemad^fen, fjatte iljn
nerleitet, fidj ©oncetta ju nähern unb ben alten 3 <mlm r
auf fidj mirfen ju laffen. §ätte er auclj nur entfernt
geahnt, bafj iljn ©oncetta nadj fo langer 3 e ^ nrieber er*
fennett mürbe, märe e§ freier nid^t gefcljefjen.
„©ignorina," fagte er gögernb unb oerroirrt, ,,icf) meijj
nidjt id» oerftelje nidjt ©ine jufäUige 2 Ieljn=
lidEjfeit muff ©ie mof)l tauften, idj idfj Ijabe feine
Ätnber. “
„© 0 ?" erraiberte ©oncetta, bie Söorte fjaftig Ijerauä»
ftojjenb. „®u rciUft un§ oerleugnen? Un§ unb biclj felbft?
Unb meäljalb, ißapa? D, fage nicljtS, aus ^unbert*
taufenben Ijerauä mürbe idjj bid) erfennen in jeber $lei*
bung unb unter allen Umftänben. ÜUeinft bu, id) fönnte
beine 2 lugett, beinen Slid oergeffen, ober ben leidsten
$rud ber §anb auf bem 5lopfe, ober bie ©efdjidjte »om
33ergi|meinnid)t? D, nun oerftelje iclj, meöljalb e§ ber
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142
2Inferjtanben.
Or4Ör«»4C>r4Ö
alte ©ragnano unb weshalb alles frifc^ unb gut fein
mufete. $er fflefonaaleScent, ber in ber „$accia greSca"
ftcfj erholen wollte, war $apa. ©e£e bic^ ! 9lein, fage
nichts. ®u fotlft bidj erholen. 9Q?ag gewefen fein, was
mag. (Sä giebt auf ber 2Belt feinen befferen ^latj für
bidj als bie „$accia $reSca". §abe idj nid^t recht, Nicola?
©ief> iljn an. $aS ift mein $apa."
„(Soncetta — " begann $on 9iicola.
„©ei nur ftiU. $5u wiöft fagen, bafe er nicht recht
präfentabel ift, bafe er nidjt niel rorfteltt ober fein ©taat
mit if)tn gu madjen ift," fuhr fie immer eifriger unb ge*
fchäftiger fort. „$aS lafe nur meine ©orge fein. Sdj
will fdjon roieber gutmachen, was anbere nerborben hoben.
$aft bu nidjt felbft oorhin gefagt, bie wahre Siebe über»
roinbe alles? ©ie überminbet nicht nur alles, fie oerebelt
unb erhebt auch aöeS, benn ber 9ttenfdj liebt nichts, raaS
nidjt lieb unb wert ift."
©ie mar in ihrer $reube unb in ihrer Aufregung gang
geuer unb flamme. -EÖlehrcretnal nerfudjte ®on Seone fie
gu unterbrechen, um ihr bie fdjraeren SSermidelungen flar
gu madjen, benen fte im Segriff mar, fich auSgufctjen,
aber fie liefe ifen gar nidjt gu 2Sorte fommen.
„(SS ift mein SBater," rief fie in immer fteigenbem
2Iffeft, als Ijötte fie gealjnt, welche ©chmierigfeiten man
ifer bereiten wolle, „unb ich mödjte woljl wiffen, was
gwifdjen Fimmel unb (Srbe bann noch heilig ift, menn
nicht bem Äinbe fein SSater."
„Siebes ßinb, Ijäre mir gu, was idj bir gu fagen
Ijabe," begann SDon Seone enblich bringenb.
„‘JSaS wiHft bu fagen, 33ater?" entgegnete fte geprefet,
als ob fte fich gewaltfam gwingcn müffe, ruhig gugufjören.
„Soncetta," fuhr ®on Seone leife unb mübe fort,
„wenn wir beibe bie Sßelt auSmadjten, ober bodj alle
SJienfchen fo bädjten wie wir gwei, fo wäre alles gut, unb
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XToretle non IDolbemar Urban. 143
wir lebten in einem Varabiefe. 2lber baS ift nicht ber
gall, unb beSljalb ift es nötig unb in beinern roie in unfer
aller ^ntereffe unbebingt erforberlicfj, bafj ich noch einige
3eit fern non euch im Verborgenen lebe."
„SBoju, Vater?" marf fie aufgebracht baflroifchen.
„SBeShalb roie ein Tieb im Tunfein burch bie Vadfjt
fchleic&en? ©teilt man bir nach?"
„Vein, nein, niemanb ftellt mir mehr nadj, aber eS
märe ein neues, unerhörtes Unrecht, bös idt) bir unb
beinen ©efdfjroiftern gufügen mürbe, menn ich jefct auf
einmal roieber als Totgeglaubter unb 2luferftanbener unter
euch träte. Tie 9J?utier roeifj alles, ©ie rairb bir alles
erjählen, unb bu wirft begreifen, bafj alles fo fein tttufj,
roie ich fage. ©ei glücflidj, Goncetta, unb lebe roohl.
3<h roiH gern ben 9teft meines SebenS unb meines ©lüdfeS
opfern, um baS beine gu fidhern. Addio, mein liebes,
liebes ßinb."
Goncetta roar aufjer ftch unb meinte hefte Thränen.
„Tu roiftft fort, Vater? ßranf unb elenb roie bu bift?"
„2>ch ntufj, Goncetta. grage nur bie Vlutter, unb bu
roirft alles begreifen."
„ViemalS, niemals!" proteftierte fee heftig. „Ver*
fpridh mir, bafj bu roieber fontmen roitlft, ober fage mir,
roohin bu gehft."
„3<h miU nach Neapel. TaS ift ja nicht roeit. Tu
roirft alfo fdjon non mir hören."
„©d&roöre eS mir, bafj bu mir fdjjreiben roiHft, roo ich
bich finben lann," rief fte, ihn nodj immer fefthaltenb.
„3ch fdjroöre es bir, Goncetta, fo roahr idj bid) liebe,"
fagte er feierlich unb roanbte ftch jum ®ef)en.
2Bie t>erj\roeifelt roarf fte ftch roeinenb auf einen ©tuljl,
roäljrenb ihr Vater langfam unb mühfam bie ©teintreppe
hinunterftieg unb an einer Viegung bes felftgen gufjpfabeS
tjerfdhroanb.
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144
3luferflintbcit.
4.
$ie folgen biefcr ErfennungSfcene fonnten nic^t aus«
bleiben, unb fo gern $onna Sucia ba§ oermieben hätte,
muhte fie Eoncetta auf beren ftürmifdjeS Verlangen fd^Iie^«
lieh bodj bie gange SGBa^r^eit über SDon Seone mitteilen.
©ie tFjat baS fo fdjonenb rate möglich- ©djulb unb ©üljne
erhielten in ihrer IDarftellung ben mUberen ©<hein be§
Vergangenen, Entfernten. ®a8 Verbrechen felbft raurbe,
wenn auch nicht entfdjulbigt, fo bodj menfcfilich erflärlid»
burch bie Ieibenfchaftliche Erregung, beren Opfer 2)on
Seone bamalS geraorben, unb auch ba§ Entehrenbe ber
©träfe, baS furchtbare beS Vagno, beS .Suchlaufes,
raurbe frauenhafter unb weniger beftimmt burch bie
Entfernung non 3 ß it unb iHaurn, in ber Eoncetta baS
aUcS fab;.
©leichraohl trafen biefe 9Jlitteilungen baS junge 3J2äb*
djen in ihrem fnnerften. SDie reine unb garte Erinnerung,
bie fte au§ ihren $inbcrjaljren an ihren Vater im §ergen
trug, unb bie im Saufe ber $dt nrabl blaffet unb uer-
roifdüer, gleichzeitig aber auch ibealer unb fdjöner geraor*
ben, litt unter bem Veraufjtfein, bah ihr Vater ein —
Vlörber fei, gang entfehlidj- ©ie raeinte uiel. tagelang
ging fie herum mit bleichen, ftarren Sügen, als ob baS
junge, lebenSfrifdje ©efchöpf aHe Suft unb allen Viut gum
Seben oerloren h«tte.
2lber gerabe in ber ftarren ßurücfgegogenheit unb
Einfamleit biefer 2)age feftigten unb bichteten fich in
Eoncetta jene 2lnfid;ten unb Urteile über fich unb anbere,
bie für ihr ferneres Verhalten auSfdjlaggebenb raurben.
Vatürlid; entging bem SDon Vicola biefe Untroanblung
beä jungen VläbchenS, bas er täglich fab, nicht, aber er
glaubte, bah fie mit ber unbeftimmten Haltung 2)on
©ennaroS gufammenhing, unb bah fie raieber fdjrainben
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Hooelle oon tDolbemar Urban. . 145
mürbe, rcenn $)on ©ennaro enblidfj feine ©nmiUigung
jur ^od^jeit geben mürbe. 3« Sejug auf $Don Seone,
beffen SBieberauftaudhen er ja mit angefehen, badete er
fidh bie ©acfje nid^t fo fdjlimm, roie fie mar, unb tröftete
ftch befonberS bamit, bab er ja mieber fort mar, alfo
©runb ju meiterer Skunruljigung nicht bot.
©o lag er benn gerabe ju jener 3«it feinem Sßater
fortmäljrenb in ben Oljren, bod^ enblidh Klarheit ju
fdjaffen unb beftimmt ju erflären, mann bie ^jochjeit ftati*
finben foHte. @r felbft hatte auch baS SBarten fatt unb hielt
ben guftanb, in bem fidh alle befanben, für unerträglich.
35on ©ennaro fonnte fidj nicht mehr helfen. @r mubte
bei bem drängen unb ben ungeftümen äluSeinanberfefcungen
feines ©offnes fcfjlieblidj bodh einmal garbe befennen,
moUte fidf) aber auch baS Vergnügen nidht entgehen laffen,
bem jungen Räbchen juerft bie — mie er annahm —
freubige SBotfcfjaft oon feiner ©inmißigung ju überbringen,
unb fo fagte er ju feinem ©ohne: „ßein 2Bort meiter!
5Du bift ein unoerniinfitger SUenfch, Nicola. 3dj merbe
heute nadhmittag mit ßoncetta felbft reben. Sab mid) in
5Ruhe. @S ift ja bodh fein oerfiänbigeS 2Bort mit bir ju
reben. "
SDon 9ficoIa falj fofort, bab er feinen 33ater enblidh
bodh mürbe gemacht, unb lief in ber erften 2lufmaUung
feines ©lücfeS ju ßoncetta, um ihr alles ju beridhten.
■fiiiber (Srroarten mürbe biefe aber fefjr ernft. lieber il)r
©eftcht flog ein trüber ©chatten, unb fie mehrte feine Sieb*
fifungen mit einer fanften, aber feljr beftimmien S3e*
roegung ab.
„Sab baS," fagte fie. „©erabe menn bein S3ater je£t
feine ©inroiUigung geben moUte, fo fegt mir baS bie
Pflicht auf, bir aUeS ju fageit, maS idj auf bem §erjen
habe, unb maS bu roiffen mubt, elje idj beine $anb an*
nehmen barf. "
1901. III. io
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146 2tnferftanben.
„2üag fjaft bu benn auf bem bergen?" fragte er er*
ftaunt.
„®u Ijaft meinen Vater ja neulich fjier auf ber Soggia
gefehen."
„2l<h, Iah bodj bag. 2 Bag §at bag mit ung ju thuit?
Gr ift ja roieber fort."
„Gr fommt aber roieber, unb bamit bu ober bein
Vater mir nicht fpäter Vorroürfe matten fann, bafj idj
etroag oerheimlidjt hätte — "
„2lber bag Ijat bodh alleg 3eit big — nach ber §ocbgeit."
„fftein," fünfte ^artnädig fort, „bag foöft bu jebem
faßg jefct miffen." Unb fie erjäfjlte ihm bie ganje Sebeng;
gefehlte ifjreg Vaterg, roie fie fte oon ihrer Viutter er-
fahren, feufjenb unb roeinenb, aber mortgetreu.
Gnblid) mar fie ftiH, unb eg entfianb eine fleine ißaufc.
2lengftlicf) unb gefpannt faf) fie ihrem Verlobten ing ©c=
ftdjt, alg ob fte oon ihm ein Urteil erroarte. Slber ÜJiicola
fdhmieg gunäd^ft betroffen. $ie Sachlage mar hoch fc^Iitn*
mer unb fdfjredlicher, rcie er gebadet. Ginen 3 n<hthäugler
jum Sdhroiegeroater $u h a & e n erfd)ien auch ihm nicht
oerlocfenb. Vefonberg aber glaubte er fidler 511 fein, bah
$on ©ennaro nie unb nimmer feine Ginmilligung geben
mürbe, menn er baoon erfuhr. Gr mar ftolj auf fid)
unb feine gamilie, unb menn auch Nicola über etroag,
bag „niemanb muhte", ein Sluge jugebrüdt höben mürbe,
fo hätte bod) ®on ©ennaro bag niemalg getfjan.
Sangfam ftanb Goncetta nach einer SGBetle auf unb trat
etmag oott ihm jurüd. Sie fchien äuherlich ruhig unb
genteffen, aber ffticola muhte fdljon, bah fich bei iljr hinter
biefer ernften ÜRulje bie ganje unroiberftcfjlidje 2Bud)t unb
Seibcnfchaftlichfeit ihrer Seele oerbarg.
„$u meiht nun aHeg, Vicola," fagte fie leife, „unb
lannft natürlich thun, mag bir beliebt. 2)u haft feinerlei
Verpflichtungen gegen midh."
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Hopclle ©on IDolbemar Urban. 147
@r falj fie an. ©ie roar ungeroöhnlidh bleidj, unb um
ihren gierigen, feinen 2Jiunb durfte eS leidet. 3h r ganjeS
2Befen ftanb unter bem (Sinflufj eines feften, unerfchütter*
licken ©ntfcljluffeS, bemjufotge fte lieber alles auf ber Sfßelt
aufgab, um ihres 33aterS mitten.
„Unb roo ift bein SBater jettf?" fragte er enbliclj.
„3” Neapel bei meinem Sruber. @r ^at iljm eine
33efd&äftigung als Hafenarbeiter uerfchafft. 3J?ein 33ater
roottte es fo. Stber baS getjt natürlid) nicht. @r mürbe
ftdE) bei biefer garten Arbeit, ber er in feinem 2llter unb
in feiner ©ebrechHdjfeit ridjt gemachten ift, ju ©runbe
rieten."
„2lber roas fott benn mit ihm roerben?"
„Sr fommt roieber fjierfjer," erraiberte fie fe ft unb be=
ftimrnt.
„Unb menn er nicht roitt?"
„©o gehe ich flu iljm."
„2lber bu oerbirbft bamit alles," fuhr er fjeftig auf.
„©laubft bu, mein 23ater mürbe jemals in unfere 3?er=
binbung einmittigen, menn er baoon hörte? @r barf ni<fjtS
miffen, benn fonft märe fofort alles aus."
,,©o roerbe i<h eben nie beine grau," jagte fie ent=
fd^Ioffen.
©leidh barauf fchludhäte fie aber, überroältigt »on ihrem
©efüljl, f^merslicf) auf, unb als er rafdfj Ijinjutrat, fd^lug
fie bie 2lrme um feinen §als unb meinte bitterlich- SDaS
mar hoch baS §ärtefte, bie fdjmerfte Prüfung, bie fie fidj
felbft auferlegte, benn fie fjing an -Jlicola mit jebem ©e*
banfen, mit jeber gafer.
3Diefe eine unroiüfürlidje Sercegung genügte, um bem
jungen 2lrjt über fiel) felbft Klarheit unb @ntfd)loffenheit
ju geben, unb menn er überhaupt fcljroanlenb gemorben
roar, fo mar es jebenfatts in biefem 2lugenblicf bamit
»orbei. @r roufite, roaS er an Soncetta hatte, er fühlte
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148
2luferftanben.
m
es aus jeber ihrer 23eroegungen, aus jebem 33lid ihrer
2lugen. ©ie roar fein, mochte fommen, roaS ba rooöte.
„$öre ju, Soncetta, rote roir’S madhen," flüfierte er
Ietfe unb ^örtlich. „$u fagft einftroeilen noch feinem
3Jienfd^en etroas, läßt beinen 3Jater noch in -Jieapel, bis
hier alles »orbei ift, bis roir »erheiratet ftnb. fDann — "
„■Kein, fRicola," rief fte heftig, „baS fann ich nicht.
$a8 roäre fd^Ied^t unb betrügerifdj »on mir, fd^lec^t an
meinem 23ater unb betrügerifch an ®on ©ennaro gehanbelt.
3d) roiH nicht, bafj mein 23ater fcheu unb »erftecft in
feinen alten SEagen burd) bie SSelt fdjleicht. Er fotl
roiffen, baft er $inber unb eine gamilie bat, bie ihn auf*
rietet unb hält, roenn alle 3Belt ihn »erläjjt unb »erachtet. "
„Slber nur fo lange — "
„9fein, -Jiicola, verlange nic^t, bafj ein ßinb feinen
eigenen 23ater »erleugnen foH. fRicht eine ©tunbe. $)u
roürbeft mich niemals mehr lieb haben fönnen, unb id?
tnüjjte mich felbft »erachten, mich felbft cor mir fchämett,
bafj ich meinen eigenen SSater im 2llter unb in ber §ilf=
lofigfeit »erlaffen hätte, um eigenen Vorteils roillen. —
©ei ftiH, fRicola! 35u roeifjt nicht, roaS bu fagft. 2Bemt
es fidh um beinen Sßatcr hanbelte, roürbeft bu genau fo
banbeln roie idj jc%t. 3<h fann nicht anberS. Es mag
roerben, roaS roiQ."
9Jlan fah ihr an, bafj fie nidjt anberS fonnte. fDiefe
Erregtheit, biefe §i^e unb entfdjloffene $eftigfeit ihres
©efüljls, baS fie hinrifj unb ftärfer roar als fte felbft,
prägte ftch in jeber ©efte, in jebem 2ßort unb in jebem
Slicf aus. ffticola roollte etroaS erroibern, aber in bem=
felben Slugenblid, als fte noch tief unb heftig atmenb
unb mit blifcenben Sfugett »or ihm ftanb, fnirfd;te ein
Schritt in bem felftgen ©ritnb beS 2BegeS, ber jur 2öirt*
fdjaft hinaufführte, unb als fich 9iicola »orfidEjtig umfah
nach bem ©törenfrieb, bemerfte er feinen Später.
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Horetle oon lUolbentar Urban.
149
„®on ©ennaro!" tief er überrafcßt unb .leife. „@r
fommt woßl, um mit bir gu reben, ßoncetta. (Sr bringt
bir baS Sßwort, alfo fei !Iug, nur jefst, nur in biefem
äugenblid."
„9lebe bu mit ißm," fernste fte, nocß immer außer
ftcß, „icß fann eS nicßt. ©S ift mir unmöglich ©age
ißm alles, Nicola. $örft bu? 2lHeS treu unb waßr, wie
eS ift. ©onft muß idß eS tßun. Unb wenn er will, baß
ißn feine ßinber einft aucß lieb ßaben füllen unb im 2Uter
pflegen, fo wirb er midß unb bicß nicßt unglücflicß machen
wollen, weil icß meinen Sater lieb ßabe."
$)amii lief fie baoon, burdß baS §auS, bie SEreppe
tjinauf in ißre Kammer, wo fie atemlos oor Aufregung
unb fcßfucßgenb oor einem fleinen 9JluttergotteSbilb nieber*
fiel. SDie #änbe feft auf ©cßläfe unb Dßren gepreßt,
als ob fie nichts oon bem, was ftcß um fte ßerum er*
eignete, ßören möge, lag fte lange $eit betenb fo ba.
Unten auf ber Soggia ßanbelte es fiel) jeßt um ißr ganzes
SebenSglüdf, um ißre irbifeße (Seligfeit, ©ie brauste fieß
ja feinen Sorwurf gu madßen. ©ie ßatte geßanbelt, wie
fte muffte, wie eS iFire ^fließt war unb wie es ißr £erj
unb ©efüßl flar unb beutlicß, aber aucß unerbittlicß ftreng
oorgefeßrieben. 9Benn nun aber boef; bie fremben SJlenfcßen
ißr ©efüßl nicßt oerftanben? SBeitn fte in egoiftifdßer
SUeinlidßfeit unb $urgficßtigfeit fie falt ißrem ©efüßl
überließen, froß, baß fte mit foldßen raußett unb er*
niebrigenben Situationen nichts gu feßaffen ßatten?
rußiger , oerftänbiger SÖeltflugßeit ftcß oon ißr guriiefgogen
unb mit ßlatfcßbafen unb Settern ben $aH breit traten
unb ftcß, an ißre Sruft fcßlagenb, über ben armen ©ünber
entfetten? 22ar eS bodß nur ißr Sater, wäßrenb jeber
anbere ißtn gegenüber anberS fiißlte, füßl unb nücßtern
badjte.
'iSJfancßmal war es ißr, als ob fdßarfe, laute 2Borte
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150 2Inferftanben.
oon bet Soggia gu ihr heraufljaßien. Offenbar war Sfticola
mit feinem Skter in (Streit geraten. Dann aber mürbe
aßeS fiiß. ©o fehr fte auch ^ord^te unb laufchte, mar
bocf) nichts mehr gu oernehmen. ©ie mürbe unruhig.
2Bar eä entfliehen? 2Bar eä oorbei?
©ie fprang roieber auf unb fünfte bie &f)ür etraaä
auf, um fjinau§julaufcf)en, aber eä mar nichts mehr gu
hören. $a§ gange §au§ lag ftiß.
®a fcfjlich fie fadste hinunter, ©ie hielt eä nidtjt mehr
auä. ©ie rooßte miffen, ob fie glücfüdf) ober unglüdflidj
mar auf Sebensgeit.
2lber auch unten mar aßeä ftiß unb leer. 2luf ber
Soggia mar niemanb mehr. -Jficola mar mit feinem
SSater fortgegangen, unb roenn ®on ©ennaro auch bie
2lbftcljt gehabt hatte, ihr feine ©inraißigung heute mit*
guteilen, fo fjatte er fidj hoch mieber anberä befonnen.
3n fieberhafter Erregung unb Spannung beugte fidj
©oncetta über bie 33rüftung ber Soggia hinunter inä
greie, oießeid)t in ber Hoffnung, noch etraaä oom ©efprädf
ber $aoongehenben gu oernehmen. Slber eä lief} ftdf) nichts
hören, unb oergraeifelt fiel fte auf einen ©tul)l nieber.
©§ mar au§! $on ©ennaro h at *e feinen ©ohn be*
fcfjraaftf. ®aS echte ©olb beS mähren unb natürlichen
©efüfjfä mar gurücfgemiefen, beifeite gefdfjoben, oerbunfelt
burcfj ben gleifjenben ©dhimmer ber SSerfeltagäflugheit,
bie eä oerftänbig unb geboten fanb, fich gurücfgugiehen
oor ben fd^roeren Prüfungen beä SebenS. ©infam unb
oerlaffen, gebemütigt unb befchämt faf$ Goncetta ba unb
fafj trocfenen 2luge3 oor fich nieber. ©ie meinte nidjt
unb ffagte auch nicht, aber es ging burdh ihr inneres
mie ein 9üjj, unb eine troftlofe S3ergroeiflung bemächtigte
ftdh ihrer, ©ie fühlte ftdh ocrle^t unb oon 2öelt unb
SHenfchen gurüdfgeftoften, ba§ reiche, fchöne ©lücf ihres
HeigenS gerfchmettert, bie garteften Hoffnungen oernichtet.
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ZTonelle »on tPolbemar Urban. 151
Unb roarum baS alles? 2Beü fie ihren 33ater liebte unb
es unter i^rer Söürbe ^ielt, beit -äJtenfdhen zuliebe ihr
©lücf ju erfdjleidben, ficb burch bie Verleugnung ihres
VaterS ju erniebrigen.
5.
@S ging mit bem ©eljeimniä ber „gaccia greSca", roie
es mit allen ©ebeimniffen einer fleinen ©tabt gebt. ©rfi
fd^Iid^ eS leife unb nerftoblen non 2Kunb ju Vlunb, mit
bocbgegogenen Vraucn unter bem ©iegel ber tiefften Ver*
fchroiegenbeit tufdbelte eS einer bem anberen ins Dbt, bann
trat eS immer lübner, frecher unb unoerfdbämter auf, ner*
jerrt unb entfteßt ton ber ^latfcbfudjt ber Seute, bis eS
fdjliejjlicb bie ©patjen auf ben ®äcbern pfiffen. ®aS un*
menfcblidbe Opfer, baS ber alte $on Seone gebracht batte/
inbem er fid) felbft äcbtenb roieber non feiner gamilie,
bem einzigen §ort, ber ibm noch auf ©rben blieb, ^uriich
jog, mar nergebenS gebracht, ber 2luferftanbene mürbe
immer lebenbiger in ber ßlatfcbfucbt ber £eute, unb baS
Ergebnis mar, raie eS ®onna Sucia norauSgefeben. ®ie
„gaccia greSca" neröbete mehr unb mehr, bie gamilie
©porita fan! in ber 2ld)tung ber Seute, unb jeber §aber*
lump glaubte, gerabe roeil er audh nichts galt, fie über
bie Slcbfel anfeben gu bürfen. ®on ©ennaro batte feinen
©oljn mit allen möglichen Verfprechungen nach Veapel
gefanbt, mo er in einem ßranfenbaufe praftijierte, nur
bamit erft über bie ©efchichte etroaS ©ras roadhfen unb
Vicola baS VJäbcben, baS er ja nun bodj auf leinen galt
heiraten fonnte — roie $on ©ennaro es anfab — ner*
geffen foUte.
^Darüber mar ber 2öinter nergangen, roenn man an
ben Slbbängen beS VcfunS überhaupt non SBinter fpredjen
!ann. @S mar gebruar geroorben, bie Vtanbelbäume
blühten, unb bie fcböne h e ^e grüblingSfonne gli^erte über
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1 52 2luferftoni>en.
ben ©olf oon Neapel Bin. SDon ©ennaro faf$ oor feinet
£auStBür unb war griesgrämiger als je. SaS ging
i(jn ber ^tüBling an? @r Braute bie fliegen. 2)aS mar
aUeä, was er oom gtiüjling Botte- war furjatmiger
roie je. @in SarfcB non jmeiBunbert ©cBritt märe, wie
er bacfjte, fein S£ob gemefen.
„$>on ©ennaro, 3B r mtifjt ju Silber laffen," Botte iBm
fein 9?adB6ar jugerufen, „3B* werbet ju fett."
@S fehlte nic|t oiel, fo Botte iBm SDon ©ennaro als
SDanE für biefen guten 9tat feinen ßrüdfioc! jwifdBen bie
Seine geworfen. Sar ber SenfcB oerrürft? fragte er ftcB
erBoft. $aS Bifjdjen SeBenSfaft, bas iBm nodB Blieb, foHte
er aucB nodB burcf) bie aufgefd^nittene Siber laufen laffen?
SJkbre Siuft oon ©an fDomenico bei $roti ging oorüBer,
unb als er ben alten 3Don ©ennaro fo grämlicB unb wie
oon ©ott oerlaffen in ber ©onne fi$en faB, naBm er fi<B
einen ©tuBI unb fefcte fidB ju iBm.
„Sie geBt’S, $on ©ennaro? SaS madBt ber SZicoIa?"
fragte $abre Siuft.
„@r ift ein oermünfdBter Surfte, fage icB (SudB, fpabrc
Siufi, er märtet auf meinen S£ob."
„3B r fcf)t ju fcBwarj, SDon ©ennaro. Ser roirb fo
etmaS oon feinem ßinbe fagen!"
M, man wirb gut tBun, auf feiner $ut $u fein.
Sitte laufen fie fort, einer BierBin, ber anbere bort^in, unb
micB alten ÜJiann laffen fie Iran! unb Bilfloä allein Bier
fifjen. SftidfjtS ift gräfjticBer, Sßabre Siuft, als ber Äinber
Unban!. "
SDer ©eiftticBe faB ®on ©ennaro etwas aufmerffamer
an unb Bemerltc mit einiger SeforgniS beffen Boftig*ängft=
licBen, BWofen 33licf, wie iBn SlftBmateibenbe fo Böufig
BaBen unb wie er bei 23on ©ennaro aus bem grau*
faltigen, Bartlofen ©eficBt nodB mit Befonberer Sirfung
oorBanben war. SDer alte ©inbaco ino^te bodB oielleicBt
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Hocellc rort £>olbemar Urban. 153
!tän!er unb fein ©nbe näher fein, als man allgemein
glaubte.
„2ßarum fommt 3h* nid^t mehr in bie „^accia greäca",
$)on ©ennaro?" fuhr $abre 3Jliuft fort. „SDer Heine
©ang wirb ©udh roohtihun, unb ein ©laS mit gutem
alten ©ragnano ift bodfj auch nid^t ju Gerächten."
®on ©ennaro feufjte unb fagte furj: „3h* roiht’S ja,
ißabre 5Jliufi, roarum ich nicht mehr Ijinfommen fann."
9li^tS Ijatte ben alten §errn fo fe§r mitgenommen,
als bafj'er nid^t mehr, roie feit fo langen Sauren, in ge*
roohnter Söeife nachmittags nach ber „$accia greSca" hin*
fteuern unb ftdb bort unter bem Sßeingeranf ber Soggia
ju feinem Schoppen Söein fe£en lonnte. 3*beSmal, wenn
bie ©tunbe fatn, roaren bie fchmärjeften ©ebanlen in ihm
aufgetaud&t, unb er toar feft überzeugt, bah bie fo jäh
abgebrochene ©erooljnheit noch einmal fein £ob fein mürbe.
„3h* thut unrecljt, ®on ©ennaro," meinte ber ißriefier
jurebenb unb gutmütig.
„SfßaS?" braufte ®on ©ennaro auf.
„3h* fetb ja natürlidh §err in ©urem §aufe, unb rcenn
©ud(j bie £eirat ©ureS ©ofjneS mit ©oncetta nicht paht,
fo habt 3h* ja auch bie 9Jlittel in ber §anb, um fie ju
hintertreiben. ®as »erftef)t fich- 216er ich habe ©oncetta
beobachtet all bie 3eit h c */ unb ich muh geftehen, baff
3h* bem 5Jläb<hen unrecht gethan habt."
„3dh?" fuh* ®on ©ennaro hifcifl auf. „3h* 93ater
hat ihr unrecht gethan, aber nicht ich."
„Saht baS gut fein. ©S fommt für ©oncetta nicht
tnel bei bem ©treit barüber f)e*auS, mer ihr unrecht ge*
than hat. $aburch mirb baS Unrecht nidf)t fleiner. ©o
oiel fteht aber feft, bah *h* Später noch nicht ber ©dhledhtefte
ift, unb menn man ihn begnabigt hat, fo mirb man roobl
gemuht haben, roarum man baS gethan. ©inmal im Seben
muh boch fchliehlich gcfühnt unb oergeffen fein. ©S jeigt
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154
Ztuferfianben.
t>on nid^t oiel §erg urtb ©emüt, einen 2ßann mitfamt
feiner gewiß ebenfo tüdjtigen wie unfdfjulbigen gamilie in
aße ©migfeit gu ächten unb p oerbammen wegen einer
einzigen unglüdlidjen unb wilben fEfjat. 28ir ftnb aße
Sföenfdfjen, unb nur ©ott fteljt in§ ^cr^. 28er weiß, ob
monier, ber fidE) je$t brüftet unb grojj i§ut, bie Prüfung
auSgef)alten Ejätte, bie über SDon Seone unb feine Familie
Ijereingebrodjen ift."
„3fjt Ijabi mit ©oncetta gefprodjen, $abre fDliufi?"
fragte ®on ©ennaro etwas ruhiger.
,,2tatürIidE)."
„28aS fagt fie? 2Bie fielft fie aus?"
,,3dE) fuge ©udj, ®on ©ennaro," ermiberte ber ^Sriefter
mit etwas erhobener ©timme, „idj wünfdfje jebem Stiften
ein foldEjeS $inb. ©ie fäfyrt jebc SSod^e gmeimal nadfj
Neapel mit bem DntnibuS, unb jebeSmal pacft fie »orfjer
jufammen, was iljrem SSater nur irgenbmie ju ftatten
fommen fönnte. ®onna Sucia läfft fie natürlich gewähren."
„3$ weifi fdEjon. ©ie werben fidEj in Neapel treffen."
„28er?"
„ffticola unb ©oncetta."
„9?un, unb wenn audj? 3df> &in überjeugt, bafi baS
in aßen ©Ijren gefd)ieljt."
„Unb 3^ wollt nodj behaupten, baj} fie nidEjt auf
meinen £ob märten?"
„28er ift benn fdEjulb, bafj fie barauf märten müffen?"
„3^r Ijabt felbft gefagt, baß idj §crr in meinem §aufe
bin unb machen fann, was id) miß."
„Sowohl, baS fage idf) audj nodj, benn 3ljr tragt ja
audj bie Verantwortung. ®aS ift’S. 2Benn bann
aber einfant unb aßein im 2Uter, Iran! unb f)iIf!o§ oor
©urer f£!jür fißt, fo feljt nur ju, woran baS liegt. 3f)r
foßtet ©ud|j bod^ wenigftenS ben fölann, wegen beffen aß
biefeö Zerwürfnis gefdEjeEjen — idf) meine ©oncettaS Vater
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Hcmclle ron tüolbemar Urban.
155
— einmal anfehen. 2)a3 ift auch nid^t fchön, bah 3hr
ungefefjen jemanb uerurteilt unb abroeift. ÜJlan hat natür*
lid) feine Urfadfje, eine folc^e Vergangenheit unnötig an
bie grofse ©lode Rängen, aber eine getilgte ©cfjulb ift
getilgt. @3 Ijat niemanb ba3 Siedet, noch einmal ju
tilgen, roo bie ©eredEjtigfeit ber 9Jlenfd(jen unb roohl auch
bie be3 Rimmels iljre3 2lmte3 fdjon geroaltet."
„Unb 3h r meint, bah ba3 ginge, Vabre -Dtiufi?"
„©3 geljt aHe3 in ber SBelt, man muh e3 nur recht
machen. 3h r fönnt auch nachmittags mieber in bie „gaccia
gre3ca" fontmen. SBarum folt benn ba3 nicht gehen?"
„2lber bie Beute roerben fagen, bah — "
„Saht 3h r nur kie Seute fagen, nm3 fte roollen.
®a3 ift ihr gutes fRecjjt. 2luf biefer 2Belt fdjroa^t jeber
fo bumm, mie er mag. 2öa3 geht ba3 (Such an? üDiüfjt
3Sh r (Such beSljalb (Sure alten SEage cergäUen?"
3roei £age nach biefer Unterrebung hielt »or bem
$aufe be3 Son ©ennaro ein fcljredlicheS Ungetüm oon
einer alten ßutfcfje, roic fie fich nur bie älteften Beute,
bie noch *>ie SJlarterfaften ber Sanbpoftfutfchen gefehen
haben, oorftellen fönnen. 3« SRefina finb aber biefe SSe»
hifel nodh an ber S£age3orbnung, unb ba3 Sßknberbare
beftanb nur barin, baf? ®on ©ennaro in einer folgen
Äutfdhe nadh Neapel fahren moQte.
©djon lange, beoor bie Steife an&ing, ftanben bie 9Zach*
barn unb mühigc Vaffanten in fleinen ©ruppen um ba3
corfünbflutliche $ahtjjeug herum unb beratfchlagten, roa3
wohl $on ©ennaro in Neapel tljun mode. Einige rcaren
ber Meinung, bah er feinen ©ohn 9licola befudhen mode,
anbere glaubten, er hätte eine (Srbfcljaft gemacht, mieber
anbere muhten ganj genau, bah er fich operieren taffen
molle unb mahrfcheinlich babei fterben merbe. SDaher fam
e3 auch, b«h man fehr gerührt unb feljr mitleibig »on
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156
Jlnferftattbcn.
$on ©ennaro 2tbfd^ieb naf)m, als bie SReife rotrflid^ be*
gann, roie ton einem fdfjon halbtoten, unb beSfjalb mar
man audjj etroaS unwillig überrafcljt, als man if)n gegen
2lbenb triebet jurüdfommen fal), in berfelben $utfdf)e, ganj
unb ^eil unb, roie eS fd^ien, fibeler roie feit langer 3eit.
2lm näd&ften -Jiadbmittag, $unft tier Uljr, flieg SDon
©ennaro roieber gum erftenmal feit faft tier -äJtonaten
burdf) bie 33efutftrafje nadfj ber „gaccia greSca" hinauf. 3)a
unb bort, roo er torüberging, fal) man if)m neugierig unb
terrounbert nadj, aber ber alte $err fümmerte fidfj nidjt
barum unb ging langfam unb bebädfjtig roeiter. ©r füfjlte
fid) feister unb rooljler roie feit langer 3d*» unb als er
enblidj bie freunblidf)e, mit Stanfrofen umroudferte Soggia
ber w $accia greSca" erblidte, blieb er nadfj feiner alten @e*
roofjnljeit ein roenig flehen, um fiel) auSjuruljen. ©o falj
er fdjon ton weitem, roie Slffunta unb ©oncetta eifrig
auf ber Soggia fjin unb fjer liefen, als ob man i^n fcljon
längft entartet ficitte.
„Oh6, compare Gennaro! Oheeee — !“ fcljrie ifjnt
Slffunta in gewohnter 2lrt fdjon ton roeitem ju, unb ©on*
cetta lief if)tn aufgeregt unb mit blifcenben 2lugen ent*
gegen, ©erabe als er an ber fleinen ©teintreppe anfam,
trafen fte jufammen, unb ©oncetta griff, ofjne ein 2Sort
ju fagen, nacf) ber §anb ®on ©ennaroS. ®iefer bacfjte
erft, fie wolle iljtn beim .fjinauffteigen ber kreppe befplf*
lief) fein, bann füfjlte er aber, roie ©oncetta iljre Sippen
Ijeifj unb innig auf feine §anb prefjte, unb roie bie SCljränen
aus ifjren Slugen barauf fielen.
©S rourbe iljm rounberlidj ju -äJlute, unb unberoufjt
legte er feine anbere $anb leidjt auf iljren ©Reitel. ,,©S
ift gut, ©oncetta," fagte er ernft unb rooljlmeinenb,
„wenn bu midfj nur fjalb fo lieb f)aben roillft wie beinen
SSater, fo roerbe id) ftets jufrieben fein mit bent, roaS iclj
getban."
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ZToreüe oott iüolbemar Urban. 15?
„0, roie gut, tute gut ©ie finb," fcfeludfjjte ©oncetta
leife, „unb icfe roerbe ©ie Heben, folange icfe lebe unb fo
gut icfe fann, rote meinen eigenen 33ater!"
„3<fe fann es braunen. 2)u fiefeft, icfe bin ein alter
feilflofer 3Jiann, ber feinen grieben mit ben ßinbern
macfeen mufe. 2öo ift beine füiutter? 9Jlorgen roerben
bie 3Röbel «bgelaben. 3$ feabe fc^on alles mit SRicola
in Neapel beforgt. ,gum erftett Slpril fommt er roieber
nadfe fRefina juriicf, unb bann fönnt ifer heiraten, roann
ifer rooQt. 3fe* toofent natürlich bei mir, unb bein 33ater
fommt in bie „gaccia greSca", bamit beine SRutter einen
©rfafe für bidfe feat. Safe nur gut fein, mein $inb.
SJ3abre ÜRiufi feat recfet. 2BaS gefeen uns bie Seute an?
@S fcferoafet jeber fo butnm er mag, unb mit ber $eit roer«
ben fie ficfe fdfeon roieber baratt gewönnen."
©oncetta fealf ifem, glüdlicfe lacfeenb, bie kreppe fein«
auf unb rücfte ifem ben ©tufel äurecfet, roifdfete ben SCifdfe
ab unb feolte bie gufebanf. $ann trat aucfe 2)onna Sucia
auf bie Soggia unb beroißfommnete ®on ©ennaro aufs
feerjlicfefte.
„3cfe feabe eS fcfeon ju 3fe«m 9Ranne gefagt, SDonna
Sucia, nädjjften ©onnabenb ift bie Verlobung. $a tmtfe
er babei fein," fufer ®ott ©ennaro fort. „3cfe feätte ifen
fdfeon geftern mitgebradfet, aber er rooHte nidfet. ©r fagte,
er muffe ftcfe erft orbentlicfe feerauSmacfeen. $aS ginge
nicfet fo fcfeneH."
„$)on ©ennaro," fagte $onna Sucia, ifem gerüfert
bie §änbe reicfeenb, „icfe roerbe nie im Seben oergeffen,
roaS ©ie an uns getfean feaben. ©ic finb ber erfte, ber
uns roieber als eferlidfee unb anftänbige Seute anerfennt,
unb roie bie SJlenfcfeen einmal finb, braudfet eS nur eines
folcfeen SeifpielS, um tu folgen."
„$ein üßort baoon. 3<f) toufete fcfeon, roaS icfe tfeat. 2So
ift ber SGBeitt? Sßorroärts, Slffunta. Unb bafe er gut ift!"
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158
21uferftanben.
$ein Nlenfcb btefer SSelt ift jemals fo freunblidj unb
luftig bebient roorben als ®ou ©ennaro an jenem £age
in ber „gaccia greSca". 5)ie beiben jungen NMbchen mett*
eiferten barin, bem „©ompare ©ennaro" ben 2lufentljalt
fo angenehm unb gemütlich roie möglich gu madjen, unb
man mu| bie flotte Seidjtigfeit ber Unteritaliener, mit
ber fie fidj aus ben erfdjütternbften ©emütsftimmungen in
bie herglidjfte, freubigfte Saune oerfehen, fennen, um gu
wiffen, mit meinem (Srfolg baS gefcfjafj. —
Slber SDon ©ennaro h^l* auch 23ort. 2lm barauf--
folgenben Sonnabenb mürbe auf ber Soggia ber „Caccia
gresca" bie Verlobung beS SDoftorS Nicola SombeHi mit
©oncetta Sporita gefeiert. ©S ging habet mit adern bei
foldjen 2lnläffen üblichen $omp ^er. $onna Sucia
batte eS fich nicht nehmen laffen, baS 50?af)I felbft gu be*
reiten. ftöftlidj bampfenbe Nlaccaroni in rotbrauner ^3o*
miborofauce, mie fie nur ber Neapolitaner hetguftellen unb
gu mürbigen oermag, 93raten, ©eflügel, Dbft, fräftiger
alter ©ragnano unb roürgiger Sigilianerroein gierten bie
2!ifdje unb mürben mit einer SeiftungSfäbigfeit oertilgt,
bie ben Silagen ber Slnmefenben baS befte Zeugnis au §.
ftellte. f^rifd^e SBlumen, SBeildjen, Profus unb gelbe
Nofen prangten überall auf ber Soggia. 3)ie fd^önfte
3icr ber SEafelrunbe mar aber boch ©oncetta, bie glücf*
lidje Sraut. Sie fab, menn fte überhaupt einmal rul)ig
fab, groifchen ihrem Sater unb ihrem Bräutigam. ^h rc
Slugett fprüljten, unb ihr ganges gierlidjeS ©efid)t leuchtete
in jugenbfrifcher Neinheit unb Schönheit.
2luch ^iabre -Bliufi mar ba unb gab bem gamilienfeft
eine gemiffe ernfte SDBeihe, aber in allen — eS roaren
natürlich bie beiben Familien ooügählig ba — gitterte baS
erhebenbe, innige ©efüljl nach, bab burdj biefeS §eft nicht
nur groei junge hoffnungSfreubige Sllcnfdjenfinber gu ge=
meinfament ©lürf unb Seib fürs Seben miteinanber oer=
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HoocBe »ort IPolbemar Urban. 159
bunben rourben, fonbern bafi baburdj audj ein Stuf*
erftanbener bem Sehen unb feiner gamilie rciebergegeben
trurbe burdEj bie reine, fjeüige Siebe feines $infeeS.
®on Seone n>ar ber ©tißfte unter aßen unb bodj ber
©eroegtefte. @r füllte bie Säuterung, bie if)tn gefdEjeljen
war burdj bie treue Slnljänglicbfeit ßoncettaS, fet)r roof)!,
unb roenn er uon 3eit ju 3 e ^ gläcflid^ unb wehmütig
lad^elrtb feine §anb auf ben ©Reitel feiner Xodftcr legte,
fpradf es aus biefer ©eroegung, aus feinen 3üs en unb
aus feinen ©liefen roie eine (Srlöfung, roie eine 2luf*
erftefjung jum neuen, befferen Seben.
Zwei alte
Hansestädte an der Ostsee.
Reisebilder von lllax Rollweg.
mit ll Sllietratieae«. (IlaAdrudt verbeten.)
'Qto ber Söeltoerleljr noch burdj bie Oftfee eine nüchtige
J I ©traßc jog, ba gebieten bie hattfifchen ©iebelungen auf
ber baitifdjen ßüfte ju hoher 33lüte unb erroarben @^re
unb Steicljtum. ©obalb jeboeb £anbel unb SBerleljr neue
33aljnen einfcßlugen, oerblieb ber ©lanjj, unb jene ©täbte
mußten von ihrer einflußreichen Stellung jurüdtreten.
$>iefeä ©cßidfal ift rveber ©tralfunb unb ©reif 8»
roalb, benen mir im ©eifte einen Söefudj abftatten
rooHen, noch Söiämar unb Stoftod unb anberen erfpart
geblieben.
3n ber heutigen $auptftabt be§ StegierungSbejirlS
©tralfunb ber preußifcfjen Sßrooing Sommern haben fiel)
»on bem ehemaligen Steidhtum unb ber großen Vergangen*
heit noch fehr oielfagenbc 3«ugen unb zahlreiche dharalte*
riftifdje 3^0« erhalten, bie ein 33ermeilen barin für ben
gremben loljnenb madhen. £ie bcrrlicbett ßirdjen unb
ßlöfter, baä ftolje StatßauS unb zahlreiche ftattlidhe, im
eblen ©til erbaute öürgerljäufer unb bie feften iEfja*®
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r-7 ' r '"" '
1901. III
■
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162
&me\ alte Jfanfeftabte an ber (Djtfce.
geben ber ©tabt etroaS 2ntertümIidjeS unb ein malerifdjeS
©eroanb. ©ie ift an bem 2, 5 Kilometer breiten ©trela-
funbe ober ©tralfunber galjrtoaffer gelegen, ba§ bie
2>nfel Siiigen nom geftlanbe fdjeibet, unb bilbct eine teils
Das Knicpcrlbor in Slralsund.
won ber ©ee, tcilö non jmei großen unb unter fidj nu«
fammenljängenben Xcicf;en (granlen* unb Sinieperteid>)
umgebene gnfel, bie mit bem feften Sanbe mittels breier
®ämme (ßitieper*, Xriebfeer- unb granfenbamm) ju*
fainmenljnngt. kleine Dampfer (für grojje ift bie .£>afcn*
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Sdjills 6rab aul dem Knieperlriedbol.
einfaljrt ju feidjt) unterhalten eine tägliche 33erbinbung
jroijchen 9iügen unb ber (Stabt unb werben non ben
V
•»
bortigen SBabegäften niel benufct. 2öenn man ftcf) mit
einem biefer Dampfer ©tralfunb nähert, fo gemährt ber
alte .fjafen aud; ohne bie einftigen flotten mit .fjunbcrtcn
. Digit,
-Google
- '
164 ^ tuet alte ZfanfeftSbte an ber ©jifee.
tmn haften mit ben baBinter aufragenben $äcBern uitb
Stürmen ein ungemein ftimmungSooHeS Silb.
$>ie natürlidje geftigfeit ber Sage non ©tralfunb,
baä an ben Sinien Berlin — ©tralfunb, ©tratfunb — SPafe*
roalf— 2tngermünbe, ©tralfunb— Grampaä— ©afjnijj unb
©tralfunb— SRoftoc! ber preujjifdjen ©taatäbaBnen liegt
unb mit SartB burdj «ne HleinbaBn uerBunben ift, mürbe
norbem noch burcB anfeBnlicBe geftungSroerfe »ermeBrt.
fDiefe gortijifationen mürben 1808 gereift, aber 1816
nochmals roieberBergeftellt. 1873 ging ©tralfunb als
geftung ein, blofs bie jur ©tabt gehörige, bicBt neBen
ber granlenoorftabt im ©unbe gelegene l^nfel $)änBolm,
bie bis ins 13. ^a^rBunbert ©trela ober ©tralo Bie&,
Bat iBre Sefeftigungen BeBalten. 3>m übrigen frnb bie
28äHe ju öffentlichen Anlagen umgefcfjaffen morben, t>on
benen man in bie anmutige, abroechätungSreiche Hingebung
ber ©tabt BtnauSblidt.
£)ie ©rünbung oon ©tralfunb foH im 3aBre 1209
burch ben dürften Saromir I. tmn 9tügen erfolgt fein,
©eine Seroohner fcBloffen 1277 mit SüBecf, SBiSmar,
Stoftocf, ©reifSmalb unb ©tettin einen Sunb, ber nachher
bie ©runblage ber $anfa mürbe, melier bie ©tabt ebem
falls beitrat. ©chon im 14. 3nB r B un bert trieb ©tralfunb
auSgebreiteten £anbel unb eine roeitoerjraeigte ©djiffaBrt
nach ber liolänbifchen Hüfte, 9?orogorob, bem baltifchen
■Jtorben unb Sergen mie na<B (Snglanb unb ben flanbrifcBen
©tcibten.
1316 fcBlob $erjog @rich tmn ©acf)fen=Sauenburg
©tralfunb mit feinem §eere ein, ein lühner SluSfaH ber
Selagerten aber jerfprengte biefeS. SDer §er 5 og felbft
mürbe mit oielen Gittern unb Hnappen gefangen im
Triumphe in bie ©tabt gebracht, bie oon bem Söfegelb
bas fRatBauS unb ben SlrtuShof erbaute. Sefcterer ftanb
am 2llten 5DZarft auf ber ©teile ber jefjigen ^auptroadje,
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Ton 2TTar ffollnrec;. 165
Der TOarktplatz in Stralsund mit dem Ratbaus.
fiel aber mit als Opfer ber geueräbrunft uon 1680, bie
600 §äufer in 2Ifcf)e legte. 9fadj bem SluSfterben beS
Digiti2
166 <5n>ct alte RanfeftSbte an ber CDftfec.
Slügenfdjen gürftenljaufcä !ant ©tralfunb an Sommern,
beffen §ergöge bie ©tabtredjte nidft nur betätigten, fnn*
bern fogar auf gang Sommern auSbefinten, roofür iljnen
bie ©tabt gegen bie ©rbanfprüdje ber ©tedlenburger
weder beiftanb.
2leufjere unb innere Kämpfe erfüllten baS gange
14. unb 15. 3<if)^unbert unb bauerten audj im 16. nodj
fort. (Srft im Safjre 1615 machte ber bie Siebte unb
^iflidjten beiber Xeile genau feftfetjenbe ©rboertrag ben
langen ^roipifi^iten mit ben auf bie 9JZadjt ber ©tabt
ciferfüdjtig geworbenen pommerfdfen §ergögen ein ©nbe,
unb im folgenben fetjte audf ber Vürgeroertrag,
ber bie Seilnaljme ber Vürgerfdjaft an ber ftäbiifdfen
Verwaltung regelte, ben inneren ©treitigfeiten ein 3iel-
2llS bann wieber neue 3e r, Bürfniffe ben .£>ergögen
auSbradjen, würben biefe befeitigt burdj bie gemeinfante
9iot, bie in bem traurigen SDreifngjäljrigen Kriege über
baS gange Sanb fam. Vom 13. 2)Zai bis 24. $uli 1628
würbe ©tralfunb burcf) Söattenftein uergeblid) belagert.
9Zad;betn bie ©tabt im 2Beftfälif^en grieben mit gang
Vorpommern unb SJlügen an ©djweben gefallen, muffte fie
ftd; nadj einem heftigen Vombarbement im Dftobcr 1678
bem ©roffen $urfürftcn ergeben, fiel aber im grieben »on
©t. ©ermain an ©djwcben gurücf. 2lud) im 9Zorbifdjcn
Kriege würbe ©tralfunb 1715 oon ben uerbünbeien ^reujfen,
$änen unb ©adjfen eingenommen, jebod) 1720 gleidj*
falls wicber an ©darneben abgetreten. V. { cif)renb ber
9Zapoleonifcben Kriege würbe bie ©tabt beim ßinfaU ber
grangofen in ©djwebifcb : Vommern im Sluguft 1807 burd;
ben 3Jiarfd)aQ Vrune belagert unb gur Uebergabe ge*
gwungen; gwei 3«l)re fpäter fpielte fidj l)ier bas tragifc^e
önbe ber ödjiUfdien ©jpebition ab.
9)lajor fyerbinanb o. ©dfill, ber $ommanbeur beS 2eib*
IjufarenregimentS in Verlin, Ijatte im $rül)jaf)r 1809 ben
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Oie Jakobikirdn in SlraUund.
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168 5rr>ei alte Ifanfcjtäbte an ber ©jtfee.
fßlan entworfen, 5kcuj$en burdj ein füfjneS Unternehmen
3 um Kriege gegen Napoleon fortjureijjen. 2lm 28. 2lprit
oerließ er mit feinem Regiment, bem noch eine (Sompagnie
gufjjäger folgte, Serlin unb fe$te fid) gegen bie (Slbe in
SRarfd), muffte fidf aber fdjliejjlidj, oon ben mit ben
granjofen oerbiinbeten ^oUanbifd^en unb bänifdjen Gruppen
bebrängt, nadj Stralfunb retten, beffen er fich am 25. SDlai
burd) einen $anbffreid; bemächtigte. 2Wein fchon nach
toenigen 2agcn erfdjienen bie oereinigten §oUänber unb
hatten, 6000 SJtann ftarf, oor ber geftung. 3weimal
fdjlug bie etwa 2300 ffflann nälflenbe S3efaßung ben feinb--
lidjen 2lnfturm ab; bem britten Sturm, ber am 31. 9Jiai
erfolgte, muffte fie erliegen.
2$or bem alten $nicpertf)or erfdjöpfte ftch ber Sleft
ber tapferen SSerieibiger im Kampfe gegen ben überlegenen
geinb, unb h^r foHte auch Sd)iH felbft ben $elbentob
für bas sßaterlanb finben. SDen haßänbifd;en Dberften
2)oHemann l)ieb er noch aus bem Sattel, bann bur<h s
boljtte ihm felbft eine glintenlugel baS $aupt. (Sin in
ben Söürgerfteig ber gä^rftrafee eittgelaffener Stein be=
äeidjnet bie Stelle, wo er fiel ; an bem .§aufe Kummer 21
ift fein 9M>aiHonbübniS angebradjt. Sein Seidjnam ruht
auf bem ^nieperfriebljof , mo ihm ein ©rabbenlmal aus
©ranit errichtet toorben ift, jebodf fehlt ber Seiche ber $opf.
®iefer tourbe auf 23efel)l beS hoHänbifdjen ^ommanbanten
oom Slumpfe getrennt, in Spiritus gefegt unb bann lange
im üJlufeum ju Seiben aufbeioahrt. (Srft 1837 marb er nach
23raunfd)roeig gebradjt unb bafelbft nebft einigen bort be=
grabenen ^ameraben in einem befonberen 2Jlaufoleum bei*
gefeßt.
9iach bem mit Schweben abgefchloffenen groben !am
Stralfunb 1810 mieberum an biefeS jurüd. 3mar mürbe
bie Stabt nadjfjer noch einmal oon ben granjofen auf
lurje geit befefjt, aber im 23efreiungstviege geräumt.
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Poti War fjoUtrcij.
169
$urd) ben griebeit ju Jliel con 1814 fam fie nebft ganj
SdjtDebifd)--^ommern an 2)änematf unb non biefem enb«
lieb burdj ben
Vertrag oom
4. guli 1815 an
fPreufjen.
5öex einem
©ange burd) bie
Stabt machen
mir junädjft auf
bem fdjönen
2llten 3)Jar!tp[a§
§alt , um ben
1306 begönne«
nen ^'radjtbau
be§ StatOaufeS in
feiner altertüm«
licken 2öürbe ju
bemuttbern. ®ie
neuerbingS re»
ftauriertc^affabe
wirft burdj itjre
fieben frei auf»
ragenben, luftig
burdjbrodjencn
©iebel jnnfdjen
fdjlanfen 2ürm«
c^en ungemein
ftatt(id). 2er bie
ganj\e 23reite ber
Saffabe einnebmenbe grofje 9tatsfaal ift mit ben IebenS«
großen Porträts griebridj 2i$übelm3 III. f griebricb 28il«
belmö IY. unb SBilljelmS I. gefdjmiidt ; aufjerbem enthält
er noch bie Silbtüffe mehrerer fdjmebifdjer Könige unb
Das Scmlowcrlbor in Stralsund.
A
v
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170 §mci alte fjanfefläbte an bet Üftfcc.
anbere mertooHe ©emälbe. ferner umfaßt baä SRat-
Ijauä noch bie öffentliche Sibliotbef unb baä Sfeuoor*
pommerfdje [Dfufeum mit intereffanten Altertümern unb
Äunftgegenftänben.
hinter bem SRatljauä feben mir bie ju @nbe beä
13. ^^rliunbertä begonnene ^Jiifolaifirdje, baä fc^önfie
©otteä^auä ber Stabt, mit jroei mäßigen türmen auf*
ragen. Sjm inneren ift bemerlenämert ber Hochaltar,
ein fdjöneä, 1856 reftaurierteä §olgfd)nif$n)er! auä bem
14. 3>af)rtjunbert, bie Saffton barfteHenb, mehrere ge»
fdjnifste glügelaltäre unb bie Sronjegrabplatte beä 1357
geworbenen Sürgermeifterä §öoener. ferner meffingene
$fron= unb üöanbleudjter unb bie SRefte eineä gotifdjen
Saframentä^äuädjenä auä §o!j.
An bem [Reuen SUiarlt, &u bem man oom Safjnljof
über ben Sriebfeerbamm gelangt, liegt bie oon 1416
biä 1473 erbaute fötarienfirdje, gleid^ ber -Rifolaifirdie
eineä ber mädjtigften 2öerfe norbbeutfeber Sacfftein*
ardjiteftur, in ihrem Aeufjeren ben unoerfennbaren Stern*
pcl oon Äraft unb ©röfje tragenb. 3)ie 9Jiarienfird)e
[teilt ein breifdjiffigeä Sang* unb Querljauä mit @bor*
Umgang bar; jtoifeben ben Strebepfeilern liegen Kapellen*
reiben. 3rcei 25 [Dieter fjolje fd^öne $enfter in ©laämaleret
Ijat $önig $riebricb SSilljelm IV. ber $ird;e gefcbenlt.
367 Stufen führen ^u ihrem Murine empor, oon bem man
einen prädjtigen Auäblid über bie materifcb ringä oon
•Kkffer umgebene Stabt unb einen großen Seil ber ^5nfel
[Rügen l;at.
Siiblidj oon ber [Rifolaifirdje erbebt ftd; bie Safobi*
firdje, ein gotifdjer Sau mit brei Sdjiffen ungleidjer §öbe,
an ber Dftfeite gerablinig abgefd)loffen; über ber SGBeft*
front ragt ber Xurm mit reifer Seforation empor. 3m
inneren finben mir beadjtenäroerte Sdjnifjaltäre unb fc^öne
Säfelung in ber Safriftei. Ade Kirchen ber Stabt Ratten
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Poii tTTar Pollweg. 171
oorbem einen oiel reiferen ©cßmud bilbnerifcßer ßunft*
werfe aufguweifen, bie leibet gum größten Seil ber »an*
balifcßen Serwüftung ber Silberftürmer gum Opfer ge*
faßen ftnb.
9iocß ift gu ermahnen baS fRegierungSgebäube, ba§
3eugßau8, bas urfprünglicß eine Älofterfircße mar, unb
bas SoßanniSllofter, jeßt großenteils SlrmenßauS. 2113
SlranfenßauS bient bas 1407 oon gwei ©tralfunber Sür*
gern gur Slufnaßme mittellofer unb Iranfer gremben ge*
grünbete ©aftßauS, baä bem ßeiligen 2lntoniu3 geweißt war.
Sei einem 9tunbgange burcß Die ©traßen faßen bem
gremben nocß anberweitige Erinnerungen an bas ftäbtiftße
Seben alter 3dt itt3 2luge. ©cßöne ©iebelbauten non
Srioatßäufern fießt man emporragen, unb mit anfeßn*
ließen ^auSfaffaben wecßfeln graue ßlofterbauten, bie wie
träumenb unter feßattigem Saubbacß baliegen. 2lucß bie
Slßore, neben bem feßon erwähnten ßniepertßor befonberS
bas ©emlower* unb ba§ ^iiftertßor, fügen fuß ftimmungS*
uoß in baS altertiimlicße ©tabtbilb ein.
2lnt granfentßor befinbet fieß bie ftattlidße neue Sn*
fanterielaferne ; gwifeßen bem ßnieperbamm unb ber
©arnowftraße mit ißren ßübfcßen Sanbßäufern liegt bie
anmutige Srunnenaue. 3” ben 2lnlagen oor bem Knieper*
tßor ift auf einer früheren Saftion baS gotifeße ßrieger*
benlmal erridßtet. SDie Saljn gießt fteß oom §auptbaßn*
ßof füblicß um bie granfenoorftabt, bis gum §afen oon
©tralfunb, wo wir, gum 2lu3gang8punfte gurüclgelangt,
unfere SBanberung bur<ß bie intereffante ©tabt beenben.
3n bem niebrigften ÜEeilc oon Sorpommern, 4 $ilo*
meter unterßalb ber 9)iünbung beS feßiffbaren 9hjcfflüßcßen3
in ben ©reifäwalber Sobben, liegt bie ftreisftabt © r e i f 3*
w a I b , ber wir uns nunmeßr guwenben. 3ß*e 6nt*
fteßung ßängt eng mit ber um baS 3aßr H99 geftifteten,
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172 5>rc>ct alte fjanfejtäbte an her Oftfee.
1638 non bcn Schieben jcrftörten (Siftercienferabtei £ilba
ober ©Ibena gufammen. ^^re malerifdjen Ruinen liegen
4 Kilometer öftlidj oon ©reifäroalb bei bem gleichnamigen
SDorfe mit 33orroer!. £ier rourbe im 3ahre 1834 eine
Ruine Eldena.
mit ber ©reifotualber Unioerfität oerbunbene 21fabemie
ber StaatSmirtfchaft unb Sanbroirtfdjaft erridjtet, an
beren Stelle feit 1837 eine lanbnwtfchaftliche Schule ge*
treten ift.
3n bem ©ebiete be3 ^lofterS (Slbena befanbett [ich am
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Don iTtar f^oürocg.
173
nörblicben Ufer beS bort bte ©renje jroifdjen bem dürften»
tum 9tügen unb bem §erjogtum Sommern bübenben
glüfjdjenä
§ilba , baä
erft fpäter
9lectnifc,9tega
ober 9ipd ge»
nannt mürbe,
ergiebige
©aljquellen,
bereu ^Betrieb
fdjonll93er*
mäbnt roirb,
unb bortbin
berief ber 2tbt
»on ©Ibena,
ben giirft
Saromir oon
9iügen im
Sabre 1209
baju ermädj»
tigt batte,
bänifdbe,
beutfcbe unb
flaroifcbe ßo»
loniften.
3)iefe 2ln»
ftebler batten
einmübfameS
Äolonifie»
rungSroer! an
berüJtünbung
be§ 9tycf ju ooübringcn, benn felbft bie mäjjigfte ©tauflut
trieb anfangs ba3 fumpfige 2?affer IanbeinrcärtS. 3m
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Dit Rydcmündung.
174
©tret alte Fjanfeftäbte an ber (Djlfec.
^Ticebe fü^rertbe Sßaffevflra&e bilbet, in ftattlidjer 33reite
unb non ©djiffen reid> belebt, ins SJleer.
3lnfangS wohnten jene erften Slnftebler getrennt, halb
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LiiuiJ g -i i ia*i ii J^mii Ju im
176 Sroct alte IfanfcftSbte an bet <Dfifcc.
r«rür^>40f40c^0r40f40r40f40r«r40r^^
aber oerbanben fte fidj unb grünbeten, nadhbem fie be*
fonberä burdb (Sinwanberung aus bem aufblüljenben unb
feinen £anbel bi§ borthin erftredenben Sübecf oerftärft
worben waren, im Sahre 1241 einen SJiarltfledfen. 3«
ber ©efdjjictjte taucht er juerft unter bem 9?amen „@riphi§*
walb" auf; benn ber fctjäfjefjütenbe ©reif mar baS ge*
meinfame ÜBappentier in ben Sannern unb ©gilben ber
gürfien oon Siügen unb ber §erjöge non Sommern, nach
bem ftcfj ledere felbft als ba3 „©efchledfjt ber ©reifen"
ju bezeichnen pflegten. 1249 naljm Herzog 2Srati§lam III.
non Sommern ben neuentftanbenen -Dlarftflecfen ©reifS*
walb mit ber Sogtei oom $lofter $ilba ju Sehen unb
»erlief feinen Bürgern am 14. 9Jiai 1250 baä Sfibifdje
Siedet.
SDer hiermit bem prangenben Oranje ber beutfd&en
©täbte an ber Dftfee einoerleibte Drt roud^ä unb erftarfte
rafdf) burdSj bic Setriebfamfeü unb ben ©emeinfinn feiner
waeferen Bürger, ©reifSmafb fcljlof? ftd) im 3>nf) re 1281
bem Sunbe ber beutfd^en §anfa an unb naljm tätigen
älnteil an beren fiegreidben beimpfen gegen 9iorroegen
unb £)änemarf. einträchtig fd^loffen ftd; ihre „Sergen*
faljrer" unb bie „©dljonenfafjrer" ju einer „oberften" unb
„unterften ßompagnie" jufammen, bie mit ihren eigen*
tümlidben ©efefcen bis ind 18. 2»al;rhunbert hinein beftehen
blieben.
1325 ftarb bas ©efdjlecht ber dürften oon 9iügen au§;
baö Siecht ber (Erbfolge ftanb nunmehr bem §erjog
2Brati8lam IV. oon Sommern*SÖ3olgaft ju, mürbe ihm in*
be)}en oom Äönig ßhriftopf) ®on $äne»tarf ftreitig ge*
mad;t. 3 m nächften Sjafjr ftarb SBratiSlaw, nur un*
inünbige ©ohne hinterlaffenb. $a nahmen bie Sürger
©reifdmalbä ben älteften oon ihnen, ben jungen §erjog
Sogiälam, bei ftch auf; fie gaben bic Sofuttg auS: „Sieber
ben £ob als 2)äneinarf!" unb befchlofjen, mit ©ut unb
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178 ä5®e« alte £fanfeft5t>te an ber ©ftfee.
£eben für bie SSerteibigung beS fRedjteS ber „©reifen"
auf bie rüaenfdje @rb}d)«ft eingufteljen. 33ei ©riebenoro
unb SSöIfd^oro gefdjfagen , muffte £ergog §einrid) oon
Sftedfcnburg unb Äönig CSrxd^ non fDänemarl am 27. ^uni
1325 ben grieben oon SrobcrSborf fdjliefjen, burd) ben
bie S^fel SRügen mit bem gugeljörigen feftlänbifdjen S3e=
fi§ für immer mit Sommern oereint mürbe. $um ©C’
bädjtniä jener fjelbcnmütigen Kämpfe ftifteten bie ©reifö-
malber 1331 eine jäfjrlidje „©iegeSmeffe" unb baS „gürftem
ober SBedenfeft", bei bem Söier unb SSeifjbrot an bie
Sinnen oerteilt mürbe. 5Ric^t minber tapfer beroäfjrten
fidj bie ^Bürger ber (Stabt in bem gmeiten rügenden @rb=
fotgefrieg oon 1351, fomie in bem großen Kampfe ber
$anfa gegen $önig SBalbemar IV. Sitterbag oon SDänemarf,
bem ber für festeren tief bemütigenbe griebe oon ©trat*
funb am 24. SRai 1370 ein Csnbe machte. Sludj gegen
bie gefürsteten ©eetäuber, bie unter bem -Kamen ber
„S3italienbrüber" am ©djluffe jenes SaljrfjunbertS fo üben
tnütig baS .§aupt erhoben, gogen bie ©reiföraalber gu
gelbe, unb mieberum mar ba§ HriegSglüd ifjnen günftig.
2)iefe §elbengeit ber ©tabt, bie ifjren Bürgern nid^t
blofj SRuljm, fonbern audj reidje 33eute bradjte, f>at in
■Monumentalbauten ifjren bfeibenbcn SluSbrud gefunben,
bie nod) fjeute jeben SJefuSer oon ©reifSmalb entgüden.
fDamafS finb bie brei fjerrlidjen ©iebelljäufer an ber Oft*
feite beS ©rofjen SRarlteä cntftanben, oon benen unfere
^Huftration auf ©. 174 eines gur füarfteUung bringt,
gerner bie firdjlidjcn Neubauten in blüljenber ©otif : ber
Gljor ber ^afobifirdje, ber £urm (100 ÜJleter) unb ber
Sfjor ber Mifolaifirdje, fomie bie SEurmoorfjaHe unb bie
füblicfje Kapelle ber fDlarienfirdje. Sludj gefjn Sinnen*
Ijäufer mürben geftiftet, oon benen baä „2Saifen= unb
SlrbeitsfjauS" unb groei fogenannte „ßonoenie" in ber
Maforcerftrafje nodj fjeute beftefjen.
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Don ITtaj £joün>cg.
179
2)a3 15. ! 3 af)fljunbert braute bie ©rünbung ber ©reifs*
roalber Unioerfität, meldje bic ©tabt bem auch fonft um
bie Drbnung ihrer 33erhältni|fe hocßoerbienten mannhaften
©pnbifuS unb 33ürgermeifier Dr. £eintidh SRubenoro 311
banfen hatte. SHudj bie UnioerfitötSbibliothef mürbe burdj
9
DU Universität in 6rciltW4ld.
ihn gegrünbet. §erjog ©rnft Submig erbaute 1591 ein
neues UnioerfitätSgebäube, unb 23ogiSlaro XIV. feßenfte
ber §od)fchuIe im 3 a h* e 1634 einen großen £eit ber
©üter beS aufgehobenen ßlofterS ©Ibcna, aus beren ©in*
fünften fie noch jefct größtenteils ihren Unterhalt bezieht.
fRacß feinem 1637 erfolgten £obe begünftigte bie Königin
ßßriftine oon ©darneben bie ^ochfcßule gan§ befonberS.
180 Q>n>ei alte fjanfejtäMe an ber ©ftfee.
1750 mürbe t>on 2lnbrea3 ÜBJaper an ©teile ber alten ©e*
bäube bie je^ige Unioerfttät im Sarodffiil errichtet, ©eit
ber oierfjunbertjäljrigen Subelfeier im 18f>6 ftnb
nod) ja^lreidbe ftattlicfje Sauten Ijinaugefommcn ; naclj
1870 nmrbeit erbaut bie 2lnaiomie, baS Satljologijdje
unb ßljemifcfie Snftitut, nad^ 1890 bie Sibliotl>ef naclj 6nt*
rciirfen oon ©ropiuS unb ©cfjmieben, baS neue Sollegien*
gebäube, baS Sfjpfiologifdje unb S^filalifd&e
unb bie Slugenflinif, benen fiefj ein fppgieinifcIfeS Snftitut
anfdiliejjt. Sem Segrünber ber $odf)fdfjule l)at man auf
bem 9lubenotoplaf5e oor ber Unioerfttät ein non IjiibfdEjen
Anlagen umgebenes, 14 2JJeter IfoljeS gotifdjeS Senlmal
aus bronjiertem 3inf gefegt. Slufjer bem fReliefporträt
SRubenomS befinben fidjj baran bie ©tatuen SöratiSlaroSlX.,
Sogislams XIV., griebridjS I. oon ©darneben, griebridf
SffiilfjelmS IV. oon Sreufeen, Sugenf)agenS, 9JlemiuS’,
SernbtS unb (Srnft 2)Zori^ 2lrnbtS.
Gütige ^al;re oor ©rünbung ber Unioerfttät (1451)
Ifatte ©reifSmalb burd) Sürgermeifter $einridj 3lubenora
audj feine Serfaffung in 17 Statuten erhalten, bie 1651
teilroeife überarbeitet unb ganj ins §od;beutfd)e übertragen,
erft 1873 burdEj einen neuen ©tabtrecefj eine rccfentlidje
Seränberung erfahren fiat.
©djroereS muffte ©reifSmalb im Sreifjigjäfirigen Sriege
erbulben, nadibem bie Saiferlicben unter bem Dberften
Serufi eS eingenommen Ratten. Surdj Steuern unb Gin*
quartierung mürbe es fo gefdjäbigt, baff bie 9lot in furdjt*
barer Söeife flieg, unb man ÜJiünjen aus 3' nn mit ber
Snfdjrift: „Necessitas Gripswaldiae“ (Sie 9lot ©reifS*
malbS) prägen muffte. Sie §älfte aller §äufer in ber
Stabt ftanb oeröbet ba, alle oor ben Sljoren gelegenen
aber mürben famt Sirdjen unb fjofpitälern ^erftört. 2lm
11. Sunt 1631 mürbe ffkrufi in einem ©efed)t oon fcfirne*
bifdjeit Leitern erfdfoffen. Honig ©uftao Slbolf jog nun*
Pou ITtar ßoütoeg. 181
mef)r in bic Stabt ein, bie im 2Beftfälifdjen ^rieben mit
ganj Vorpommern unter fc^roebifc^e §errfdjaft !am, ba
Greifswald: tltarktplatz und Rathaus.
Bereits 1637 baS pomtnerfdje §erjog3f)au3 mit BogiS*
lato XIV. auSgeftorBen mar.
äßeitereS Unljeil Brauten bie Beiben Belagerungen
burcf) ben (Urofecn fturfürften (1659 unb 1678), fotoie
182 d>u>ei alte Fjanfeftäbte an bet ©ftfee.
ber ^Zorbifd^e Ärieg, in bem bie Stabt 1711 non Stufen,
Violen unb Saufen befe^t mürbe, foroie bie oerljeerenbe
geueräbrunft non 1713. 3n ben 3al)ren 1758 bi§ 1759
würbe ©reiföwalb bann norübergeljenb non ben f)3reufjen,
1807 bi§ 1810 non ben $ran$ofen befefjt. (Srft im 3 a h*e
1815 !am bie Stabt burdj ben Söietter tnit ganj
SSorpommern ju fjkeufjen unb mürbe bamit bem beutfdjen
SBaterlanbe jurüdgeroonnen.
33amalä jaulte bie alte, eljrenreiche §anfeftabt blojj
nodj 7000 ©inwoljner, jefct jät)tt fie mehr al3 breimal
fo niel. Sie macht mit ihren reinlichen Straften, ben
Kum 2lcil noch altertümlich frönen Käufern, ftattlidjen
Kirchen unb llnioerfitätägebäuben unb umgeben non ben
fdjattigen, urfprünglich auf ben alten Stabtwällen an»
gelegten, aber oielfad; erweiterten unb »erfdjönerten 2tn»
lagen einen ungemein freunblidjen unb antjeimelnben ©in*
brud.
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Hus der mikroskopischen
SHunderwelt des ölassers.
naturwissenschaftliche Betrachtung. Uon Dr. 0. Itlerker.
*
Mit 6 Illustrationen. (nadjdrudc verboten.
Sebermonn weife, bafe baS SGBoffer eine §auptqueffe beS
pflanjlicfeen wie beS tierifcfeen Sebent borfteHt, unb bafe
unjäfelbare 9Jliöionen belebter ©efcfeöpfe im flüffigen
Element wofenen unb ifere -Jiaferung finben. $aS Seben
ber ©ewäffer ift aber feineSwegS auf bie SJtpriaben Söefen
befcferänft, bie baS unbewaffnete 2luge barin wafernimmt,
benn mit 2lu8nafeme beS ganj reinen Quell* unb ^Brunnen*
wafferS unb Ilarer, fcfeneU fliefeenber 33äcfee befeerbergen
alle ©ewäffer ber (Srbe, fliefeenbe wie ftefeenbe, Süfewaffer
wie baS faltige üDleerwaffer, autfe nodfe nafellofe windige
©efcfeöpfe, bie erft unter bem üDiifroffop fidfetbar werben.
2öenn man einen tropfen aus mit ^flan^en gefüllten
SBaffergräben, Seicfeen unb Sümpfen ober ton -Kaffer, baS
lange geftanben feat unb babei ber Suft auSgefe^t war,
burdj ein gutes Wifroffop mit rtier* bis fiinffeunbertfacfeer
SBergrßfeerung betracfetet, bann erfdfeliefet fidfe bem SBefcfeaucr
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184 2lus ber mifroffopifcfjen tüunberroelt bes IDaffers.
plöfjlid) eine gan^ neue, ungeahnte 2öelt, benn er erblidt
barin oft £>unberte non »erfdjiebenartigen Vieren in
»oEer Sebenöt^ätigfeit.
SDer £oEänber Seeuroenljoef in SDelft war eS, ber im
3aljre 1675 mit §ilfe beS neuerfunbenen -JJttfroffopS
at§ ein anberer fiotumbuS uns biefe neue, bis balfin
bem blofjen Stuge »erborgen gebliebene Söelt entljüEtc,
bie an SSunbern ebenso reid^ unb nod) bei rceitent nteljr
beoölfert ift, mie bie »or unferem 33lid offen ju Sage
liegenbe.
3uerft l)ielt ber genannte gorfdjer biefe roinjigen be*
roeglicljen Körper ber mannigfaltigften 2trt unb ©eftalt,
in ber ©röjje bis jum »iertaufenbften Seil einer Sinie
fjerab, non benen einzelne 2trten fidj binnen »ier Sagen
auf 140 Millionen »ermefjren fönnen, für bie lebenben
„2ltome ber 2Belt", fpäter erfannte er Heine SierdEjen
barin unb nannte fie bem cntfpredfjenb „2lnitnalfula".
3m »origen Saljrljunbert !am für fte ber 9Zame 3° :
fuforien ober 3 n fufionS*, bas fjeifjt älufgufjtiercfjen in
Slufnaljme, ber barauf fiinbeutet, baji fte fid) maffenfjaft
einfinben, roenn man bie »erfdjiebenartigften organifdfjen
©ubftanjen mit Sßaffer übergiefst (infunbiert) unb fteffen
läfjt. 5)tan glaubte babei an eine fogenannte Urzeugung,
bas Reifet eine ©ntftefjung aus bem blofien Söaffer, offne
bereits »orfjanbene Organismen äfjnlidjer 2lrt, bie aber
»on ber fortfd;reitenben SBiffenfcfjaft feitbem als gabel
nadfjgeroiefen mürbe. Ueberafl, roo man bisher ben ©nt*
ftefjungSoorgang eines SeberoefenS roirflidf) bis ju feinem
Anfang »erfolgen fonnte, falj man es immer aus bereits
»orfjanbenen keimen entfielen, bie, foroeit nicbere ^flan^en
unb Siere in fommen, faft ftets unb überaE in ber
Suft unb im Söaffer gegenraärtig ju fein fdjeinen.
Sem auSgejeidjneten -Jiaturforfdjer ©fjrenberg in 33er*
lin, ber fein ganjeS Sieben bem ©tubium ber ntifroffopifdjen
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Don Dr. <S. ITTerfcr.
185
©efdjöpfe niibmete, fyaben mir in erfier Sinie unfere gegen*
njftvtige Kenntnis ber Jjnfuforien 3 U banlen. Stöeiti aucf)
€in aud) von Räderlieren bewohnter UJassertropfen (stark vergrössen). 1 fest*
gewachsene und m freilebende Infusorien, n Cuflblasen, o festgewaebsettes
Rädertier (Floscularia) , p Rotifer, zeitweilig festsitzend, q gepanzerte Rota*
torien, r ein wurmförmiges Rädertier der Ballung Callidina, s Apsilus lenti-
formis, s' Bakterien, t Brachionus, u eine Jflge , v Pflanzenfaser , w ein
Blaltstüdicben.
er fajjte nodj, töte alle feine Vorgänger, ba§ ©ebiet in
mel gu größer 9tu3bel)nung unb regnete gum Seifpiel bie
bebeutenb ^öT;er entroicfelten fltäbertiere, bie jefjt gu beit
•äBürntern geftelll werben, gu ben ^nfuforien.
186 2tns ber mifroffopifdjen IDunberipelt bcs IPaffers.
^Betrachten mir bie formenreiche 2öelt, roeldfje unä baS
33ilb auf ©. 187 in einem SSÖafferiropfen oereinigt geigt,
burdl) ba§ SDZifroffop genauer, fo geigt fid>, bah fich bort
neben pflanglidjen ©cbilben Siere oereinigt haben, bie
nur gum Seil eigentliche Snfuforien ftnb. Sie übrigen
gehören einer ftch uon aßen anberen nieberen Sieren fdjarf
jonbernben ©ruppe biefer mifroffopifch Beinen 93eroohner
beS SöafferS an , nämlich ben Stäbertieren ober
9t o t a t o r i e n , roeld&e mir nacfjftefjenb eingehenber gu
fchilbcrn öerfudfjen rooßen. Shr Stame fommt oon einem
aus einem ©aume feiner SBimperljaare beftehenben Näbers
apparat her, ben fte am ßopfe tragen.
Stuf unferem Söilbe fehen mir an einem fjalboerroeften
ifjflangenfäferdhen (v) oerfdjiebene ^nfuforien (1) fcft*
gemachten, roätjrenb anbere (m) frei im SBaffer umher*
fchroimmen. ©ie befi^en gleichfalls -JBimpern, bodb ift
beren Stnorbnung unb SBemegung berartig, bah ft« niemals
ben ©cf)ein eines rotierenben Stabes Ijeroorbringen fönnen,
mie baS bei ben Siäbertieren ber $aß ift.
Studb letztere fdjmimmen teils frei umher, teils fi$en
fie mit $ilfe ihres ©chroanganljangeS feft. 2luf ber 2tb*
bilbung fehen mir bie burd) feljr lange Söimpern auffaßen*
ben gloSfularien (o) an fdjroargen ©teindjen angeroachfen,
wohingegen bie Stotiferen (p) nur geitraeilig ftch an einem
Sllgenfaben (u) angeheftet höben, ©rohere unb Heinere,
ben SBorifaten ober mit einem £autpanger belleibeten
Stäbertieren angeljörige formen (q) madjen baS 83ilb
auherorbentlidE) lebenbig. Söährenb bie Oallidina (r), ein
nmrmförmigeS Stäberticr, unb bie an einem 23lättd)en (w)
fi|enben (Sremplare oon Apsilus lentiformis (s) nur
über fdjmadh entmidelte Siäberorgane oerfiigen, arbeitet ber
feine @ier mit herumfdhleppenbe Braehionus (t) eifrig mit
feinen gahlreidjett Gilien ober SBimpern.
Stii^t gunt Sierreich, fonbern gu ben tilgen gehören
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bte Salterien s'; n ftnb IjeHe Sufi*
blafen in unferem SSaffertropfen,
bie mit ihren fdljarfen, ftarf Iid)t=
bredjenben unb beSljalb bunfel er=
fcljeinenben 9länbern auf bem Silbe
fcfyr in bie 2lugen fallen.
$ie bereits furg d)ara!teri=
fierten roingigen 9iäbertierd;en, bie
nur in gang oereingelten gößen bie
©röfje eines Millimeters erreichen,
haben mit ben eigentlichen $nfu=
forien nichts gemein als bie ßlein=
heit, fonbern muffen, roie fcljon
bemerlt, ihrer gangen Drganifation
nach 5 U ^ en SBürtnern gegaljlt roer=
ben. teuere Unterfuchungcn höben
nämlich an biefen ebenfo ntannig=
faltig roie gicrlidfj geftaltetcn fEier=
chen eine oiel höhere Drganifation
nacfjgeroiefen, als folche felbft bei
ben ooUfommenften Snfuforien fid)
finbet. $ie Siäbertiere oerfügen
nicht allein über Munb unb 2lfter,
SDarmfanal unb Magen, foroie einen
mit förmlichen Söhnen bewaffneten
©dfjlunbfopf, fonbern fie befi^en
felbft ein roenngleidj nur äujjerft
einfaches unb noch fel)r unooll*
JommeneS Heroen* unb (Uefäfj*
fpftem; fogar 2lugen ober bodj
augenartige Organe finb oor*
hanben.
©ie finb über bie gange (Stbe
oerbreitet unb finben fid) im
Rotifer vulgaris (wirkliche
Cänge: 0,2—0.« millimeter) :
a fluge, b nervenzentrum,
c Sdilund, d Kauer, e Ulanen,
f Cnddarm , g Gxkrctions*
ergane, li llluskeln, i Gierstock,
k Drüsen.
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188 2lus ber tmfroffopifdjen tüunberroelt bes IDajJers.
fußen wie im faltigen SBaffer, jebocß oormiegenb in
erfterem , in ber flaren Duelle mie im ftagnierenben
Sumpfe, aber aucß an bem 2)JooS auf Sacßjiegeln, baS
nur jeitroeife geucßtigfeit erhält, meift bagegen bem
Sonnenbranbe auSgcfe§t ift. Sie Gtäbertiere befißen
nämlicß, roie SpaÜanjani juerft nacßroieS, bie merfmürbige
gäßigfeit beS äßieberauflebenS nacß bem Gintrocfnen, falls
biefeS nicßt aHju intenfio erfolgt. 3Ran finbet biefe
rcinjigen 2öefen ju allen SaßreSjeiten, einzelne Slrten
felbft unter bem Gife; bie meiften SpecieS unb bie größte
2J?enge non ißnen, bie mitunter baS 2Baffer gleicß einem
milchigen Ueberjuge bebedt, tritt freilid^ im §ocßfommer
an 2BafferpfTanjen ju Sage unb aroar in ©efeUfcßaft non
3>nfeftenlaroen, Sfrebfen, 2Mrmern unb ^jnfuforien.
Unterfucßt man eine berartige gunbfteHe regelmäßig
längere $eit ßinbureß, fo fann man maßrneßmen, mie eine
geftern noeß maffenßaft nertretene 2lrt ßeute plößließ ner=
feßmunben feßeint, roäßrenb eine anbere, bie oorßer nur
menige Gjremplare jäßlte, an ißre Stelle getreten ift.
Giacß einigen Sagen ober Söocßen roirb biefe bann oiel*
leießt oon einer britten erfeßt; es fann aber aucß nor»
fommen, baß bie erfte wieber an ißre Stelle tritt, mäßrenb
fte felbft ebettfo fcßnell oerfeßminbet, mie fie gefommen
mar. Sroßbem aber barf man fie nicßt für auögefiorben
galten : nur bie eine (Generation ift oorbei, mäßrenb be«
reits eine neue in ben Giern ftedt, bie auf bem ©runbe
beö SümpelS rußen ober au ber Dberflädße beS ©eroäfferS
frei umßertreiben, rnenn fie nicßt non ben Sllten an ein
£älmcßen ober Sllgenfäbcßen angeßeftet mürben.
2luf bie 33erfcßiebenßeiten in ißrer äußeren ©eftalt, mie
in ber SebenSroeife mürbe bereits ßingereiefen. Sie einen
bleiben jeitlebenS an irgenb einer Unterlage feft ans
geroaeßfen, anbere fitjen aueß moßl längere 3eit an einem
§älmdßen unb bergleicßen angeßeftet, nermögen ißren
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Pott Dr. <8. ITTetfcr.
189
3öofjnfi§ aber nadE> Selieben gu neränbern. Selbe Slrten
geigen Ianggefiredte fcbmale formen, oft mit unoerljältnis*
tnäjjig langen 2Bimpern jum Saften am Sorberenbe beS
Brackionus urceolaris (wirkliche tätige: 0,2 millimeler):
a Buge, b nervetizenlrum , c Schlund, d Kauer, e magert,
f Enddarm , g Exkreiionsorgan, li Muskeln, i Eierstock,
k Drüsen.
^örperä ; hieran fdjUefjen fich bann gleichfalls fpinbelförmig
fchtnale Söefen mit bebeutenb fiirjeren (Siliert ober 2Bimper=
haaren, bic als gortberaegungSorgane bienen.
3>n ber Seroegung feljen biefe £>aare aus roie groei
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190 2(us ber mifroffopiff en lünnberroelt bes lüaffers.
gu beiben ©eiten beä ffopfeä befinblife Staber, bic ftf
mit grofjer ©fneQigfeit brehen. ©fon unter einem nur
ffroaf »ergröfternben SJtifroffop ift biefe (Srffeinung gu
geroahren, unb fte ^nt eben ber gangen SUaffc bie 33e*
nennung Stäbertiere ober Stotaiorien »erliefen, roie auf
bie guerft beobachtete gorm ben Starnen Rotifer erhielt.
SDiefe ift gleif oielen anberen non einer mehr ober min*
ber berben, jebof in galten gufammenlegbaren unb leid) t
beroeglifen §aut umgeben, roährenb bie Sorifaten einen
feften §autpanger aufguroeifen haben. (Sr ift halb glatt,
halb geförnelt, in feltenen galten auf burf erhabene
Seiften in polygonale gelber geteilt, fann oorn unb hinten
mit fpifjen Bornen befefct ober oon einem geraben,
höfftens etroa§ geffrociften Stanbe bcgrengt fein.
2)ie größeren Sorifaten ffroimmen oerhältniSntäftig
träge umher, roährenb bie Heineren gormen unabläffig
in äufjerft lebhafter SBereegung ftnb. 3)?an fielet fte unter
bem SJtifroffop nach allen Stiftungen in betn SSaffer*
tropfen umherjagen, alles mit ben ftärferen Xaftborften
be§ Stäberorganä unterfufenb unb mit ben auä roten
ißigmentflecfen befteljenben Slugett betraf tenb. 3Me bisher
genannten Slrten leben frei im SSaffer, e§ giebt jebof
auf einzelne, rcelfc ein ©f maroherbafein führen.
©o häuft beifpielSroeife Notommata parasitica in ben
im SSaffer umhertreibenben kugeln oon Yolvox, einem
©ebilbe, ba§ ben Sllgett nahefteht. (Sin anbereS Staber*
tier ber gteidjen ©attung bagegen lebt nur geitmeife in
ben Kolben einer Sllgc (Vauclicria) unb ffroimntt bann
mieber frei umher. Stof anbere Stäbertiere bringen nif t
in baä gnttere il)re§ Söirteä ein, fonbern behalten bie
unumffränfte Drtäoeränberung bei, inbem fte ftf nur
an ber äufseren §aut anberer 2icre anheften. SBenn fte
junger oerfpüren, fo fteden fte ihre fpifjen liefern gum
SJtunbe heraus unb bohren ftf bolfartig in bie Seibcö*
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E>on Dr. < 5 . ITTerfer. 19l
wanb beS 9Jäl)rtiereS, um -ftalirung aus berfelben z u
faugen.
3(lS bie beiben £aupttppen bet fRäbertiere fönnen
Rotifer vulgaris unb Brachionus urceolaris betrautet
werben, erftereä bie langgeftrecften weid)l)äutigen formen
batfteHenb, baS anbere als djarafteriftifdjeS Söeifpiel eines
gepanzerten fRäbertiereS. Sei beiben tft baS fRäberorgan
nidjt voUftcinbig entfaltet, bocfj fönnen bie ftarfen SBorften
barin, tcelc^e bie Safiempfinbung vermitteln, beutlidj
roaljrgenommen werben. Siefe einen ©aunt bilbenben
2Bimperljaare fdjlagen in beftänbiger 9teifjenfolge rafc^ auf
unb nieber. 33ei einer beftimmten ©inftellung beS -üRifro*
ffopS finb aber immer nur bie in einer gewiffen Sage be*
finblidjen Sßßimpern ju feljen, bie alle ber 9ieifje nad) für
einen 2Roment in richtiger ©eljweite erfdjeinen. Saljer
fommt eS, bajj unfer 2luge baburdj einen äfjnlidjen @in*
brucf erhält, wie von ben ©peidjen eines in fdjneUer
Umbreljung befinblidjen SRabeS. Siefe Bewegung erzeugt
in ber näd)ften Umgebung beS SiereS Heine ©trubel im
2Baffer, bie fid) burdj fein verteilte $arbftoffe, wie 3nbigo*
ober $arminlörnd)en, beutlidj ficf)tbar machen laffen, wie
auf ©. 192 anfdjaulid) gemalt. $ier finb aber von ben
fffiimperljaaren auf jeber ©eite blofj zwei gezeichnet, um
bie 2)eutlid)feit nidjt zu beeinträchtigen.
Surdj biefe ©trubel wirb baS SBaffer an ber Deffnung
beS SRunbeS vorbeigetrieben, wobei ein Seil ber mit*
geführten ^[nfuforien u. f. w., welche bie ÜRahrung ber
Stäbertiere bilben, non ben Heineren 2)tunbmimpern feft*
gehalten unb nach bem ©djtunbe beförbert wirb. Stuwer*
bem bient baS 9täberorgan aber auch zur DrtSveränberung,
ba alle ntdjt fefififcenben formen ber Stäbertiere fidj mit
feiner §ilfe von ber ©teUe bewegen. Einzelne 2lrten,
barunter ber fdjon genannte Rotifer vulgaris, vermögen
ihren Aufenthaltsort inbeffen auch z« »eränbern, inbem
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192 2Jns ber mifroffopifd?ett IDiuiberroelt bes HXiffers.
fie nadj 21rt ber ©panner burdj 21uSftrecfen unb 2Sieber=
einjieljen beS Hinteren KörperenbeS frieren.
33ei aßen 9täbertieren ftnb bic 2lugen (a) lebhaft rot
gefärbt, rooliingegen alle übrigen Körperteile feine
gärbung aufjuroeifen Ijaben. $as Sluge liegt entroeber
unmittelbar auf bem fJieroenjentrum (b), ober es ift burdj
Die Strömungen, welche
das Räderorgan erzeugt,
werden durch Karmin*
kürnchen sichtbar ge*
macht.
c Schlund, d Kauer
(stark vergrössert).
feine fReroenfafern mit iljm oerbunben. ®ie mittels bes
$RäberorganS Ijerbeigeftrubelte ÜRaljrung gelangt junädjft
in ben ©df)lunb (o), oon rao fie mittels ber Söimpern
nadf) bem Kauer (d) raeiterbeförbert roirb. liefern, burdj
fräftige SRuSfeln in 23emegung ju feljcnben Apparat fällt
bie 2(ufgabe flu, bie fRaljrung grünblidf) ju bearbeiten,
beoor fie in ben 3Ragen (e) gelangt. 2ßol)l finbet im
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r>on Dr. <5. Werfer. 193
flauen feine gerfleinerung bcrfel6en ftatt, tute baS bei
ben ^nfefientaroen ober gar bei ben Säugetieren gefdjieljt,
immerhin aber mirb bod) burdj feine häufige Seroegung
bie SJialjrung »orljer mürbe gemalt, fo bafj fte für bie
dinroirfung oerfdjiebener am 2>armfanal anfjängenber
$riifen (k) beffer empfänglich ift.
SDiefer ßauapparat jeigt oft eine ganj fomplijierte 3't 5
fammenfehung; er beftefjt aus oerfchiebenen, burdj GJelenfe
miteinanber nerbunbenen (Sfjitinfiüdfen.*) 3$ re Semegung
geljt in ber SBeife oor fidj, bafj jroei »orbere, mit er*
habenen SängSleiften uerfeljene glatten bie Nahrung
faffen unb unter heftiger Semegung jroifdjen fidj burdj*
preffeit. SDie auf S. 194 roiebergegebenen Steile ftcllen
»ergröfjerte ßauapparate bar: a ben eines Rotifer non
oben gefeljen, b benfelben oon ber Seite, unb c ben $auer
eines gepanjetten Brachionus, befonberS ftarf oergröpert.
$aj? bei ben fdjmarofcenben Sfäbertieren biefer ßauer fidj
audj aus ber ÜDlunböffnung ^croorfd^ieben unb jum Stedjen
benu^en läfjt, mürbe oben angeführt.
$urdj einen engen Sdjlunb gelangt bie -JWjtung bann
in ben fragen, ber balb fugeiförmig aufgeblafen, halb
fchlauchförmig ift. 5Dafj in iljnt eine djemifdje Sleaftion
ber ermähnten Prüfen ftattfinbet, bemeift beutlidj bie Ser*
änberung ber garbe beS SpeifebreieS, beffen meift grüne
Teilchen balb eine graugelbe Färbung gewähren laffen.
2tn ben fKagen fc^liefet ftdj unterhalb ber dnbbarm (f),
ber fich jettmeife burch Fjeftige 3ufammenjiefjungen ent*
leert. ©leidjjeitig mit ihm münben auch bie dsfrctionS*
ober 2IbfonberungSorgane (g), bie man ihrer gunftion
*) Efjitin fjci&t jene Subftanä, bie bei SBürmern, Ärebfen,
©pinnen unb Säften ebenfo häufig auftrüt, tuie bei Sßflansen
bie GeHutofe, unb auS ber alte häutigen unb härteren Seite ber
ueifcfjiebenen Organe biefer Siere beftefjen.
1901. 111. 1J
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194 2I»s &er mifroffopifchcn IthtubcrtrcU bcs IDaficrs.
nach mit ben Stieren Dergleichen lann. 3n bet £aupt*
fadfje hefteten fte aus einet grojjen, gufammengiel)baren
SÖIafe, oon bet ftdj groei, oft »ielfach öerfd&lungene Ka*
näle abgroeigen. $iefe giefjen fich auf beiben Seiten bcS
Körpers bis gutn Kopfe hin, nehmen mittels bedherförntiger
Organe bie oerbrauchten (Säfte auf unb leiten fte jener
33lafe gu, bie fich non 3«»* iu 3^» burch feine SJtuSfeln
gufaininengefcljnürt, in ben ©nbbarm entleert. fDem 33lute
bet tjö^eren
ütiere entfpricljt
eine fatblofe,
frei in ber Sei*
beShöfjle girlu*
lierenbe glüf*
figleit. ©in be*
fonberer 2lt*
ntungSapparat
ift nid£jt vor«
Ijanben unb
wirb burth bie
§aut erfefct.
$aS untere ober Hintere Körpetenbe wirb meift gufe
genannt unb befteljt aus einzelnen ©liebem, bie nadfj
Slrt eines gernroljrS ineinanbergefcljoben unb mieber oor*
geftredlt werben fönnen. $a8 leiste ift gugleidj baS
bünnfte unb trägt gwei, auch woljl brei 3*h en r reelle
bur<hbof)rt ftnb. fCurch fte mänbet ber 3luSfüljrungS*
lanal einer paarig im gujje oorfjanbenen ®rüfe aus,
bie burch jene 3eh® eine glüffigfeit abfonbert, bie als
Klebmittel gum 2lnljeften beS gufjeS an irgenb einen
©egenftanb bient. 2lujjerbem enthält baS Körperenbe
noch SJluSfeln, bie burch ihre 3wfammcngicf)ungen bie
SBewegungen ber oerfchiebetten ©lieber beroirfen.
5lujjer biefen $uj}niuSfeln 'fl noch ein n&e* ben
b
UergrSsserl« Kauapparat« der Rädertier«.
a Rotifer, von oben, b Rotifer von der Seile,
o Brachionus (stark vergrSssert).
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Don Dr. ( 5 . lITcrfer. J95
ganjen Körper fiel)
evftrecfenbeö 9Jet$
oon 2Jlu§feIn (h)
»orljanben, bie ju«
mal bei ben unge*
panjerten SHäber*
tieren rooljl au§*
gebilbet finb. 3>ljre
einzelnen gafern
üben je nad) i^rcr
Sage nerfdjjiebene
gunftionen auö ;
bie einen beroegen
baS Siäberorgan,
anbere ben gufj,
unb mieber anbere
jdjnüren als foge=
nannte §autmu§*
fein ben ßörper
einmal eng jufam*
men, um il)n bann
burd) -Jiacljgeben
eine meljr fugcl-
förmige ©eftalt an*
nehmen ju laffen.
3)iefe ÜWuSfeln finb
an ifjrer beutlidj
roaljrneljmbaren
Duerftreifung leidet
ju erfennen. SDer
©ierftod (i) roie bie
Prüfen (k) jeigen
beibe ein fefjr fein=
lörnigeä 2lu§feljen.
Jortscbreitcndc Zellcntvilung (Jig. I bis 5) bei der
Eicntwidtclung eines Räderlieres. Sig. 6 und 7:
Rädertier. €i mit fast völlig entvv irkeltetn Embryo.
QJirklicbe Cänge: 0,04 tnillimeter.
196 2lns ber mifroffopifrfjcn lüunberroett bes ITaffers.
^öcljft merfroütbig ift bie auffällige Serfdjiebenhcit ber
©efd^Iecfiter bei ben Stäbertieren, inbent bie oiel Heineren
SJtännehen Schlunb unb ®armfanal nottflänbig entbehren.
Sie oerlaffen oöflig auägebilbet ba§ Gi, nehmen feine
Stahrung ein unb leben nur furje 3 e it- Sei liefen
Stabertierarten ^at man aber bisher gar feine 2Jtänncfjen
entbeefen fönnen; bei ihnen fd^eint baf)er immer eine
partfjenogenetifche, ba§ ^ei^t ohne uorljerige Sefrudjtung
ber Gier erfolgenbe gortpflanjung ftattjufinben. 3tn
übrigen legen bie 2Seibcf)en bünnfd&alige Sommereier,
bie ftdj wahrfdjeinlich ebenfalls partfjenogenetifch entwicfeln
unb aus benen bie SJtänncfjen fjeruorgefjen, unb hart»
fchalige, befruchtete SSintereier. fDie Gntwicfelung geht
ohne Serwanblung oor fidj.
3lus ben Sommereiern fdjlüpfen fchon nach wenigen
Stunben bie jungen Stäbertierdjen au§, wäfjrenb bie
SHnter? ober ©auereier einer längeren Siuhejeit oor ber
Gntmicfelung bebürfen. Son oielen Slrten werben bie
Gier, am hinteren ßötperenbe befeftigt, mit herumgetragen,
wie ba§ ja auch manche ßrebfe thun; bei anberen Staber*
tieren geht bie Gntwidelung im inneren oor fief).
2öie äße Gier, entwicfeln ftdh auch feie feer Stäbertiere
burch ben fogenannten gurcfjungSoorgang, inbem fiel) in
bem oorher burdEjweg gleichartigen Gi an einer Stelle eine
furche jeigt. fDiefe bilbet ba§ äußerliche 3ei<hen einer
im Smwren entftanbenen Scheibewanb, bie baä urfpriing*
lieh einhellige Gi in jwei 3eßen geteilt l)<ü- Salb folgt
eine jmeite unb brüte gurdje al§ 2lu3brucf ber im 3«*
iteren fortfehreitenben 3 e ßenteilung. So geht ba§ weiter,
big ba§ fogenannte SJtaulbeerftabium eingetreten ift, in
bem bie jahlreich oorhanbenen g ur d)unggfugeln an bie
©eftalt einer SJtaulbeere erinnern. SDie aisbann ge*
bilbeten 3eßen, bie immer noch an 3 fl hl junehmen,
liegen in jwei Schichten georbnet, beren innere Gntobernt
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Don Dr. <5. IHcrfer.
197
unb bcren äußere Gltoberm genannt wirb. #utcßt bilbet
ficß nod; eine britte, baS 3Hefoberm, unb aus ißnen ent=
fteßen nun burdß immer roeitergeßenbe gedenteilung unb
llmbilbung bie eingelnen Körperteile. Stuf ©. 195 »en
anfeßauließen bie Figuren 1 bis 5 bie fortfdßreitenbe gelten:
teitung, roäßrenb bie Figuren 6 unb 7 bereits bie äßim*
pern bes gufünftigen SiäberorganS gewaßren Iaffen.
©en 9läbertiercßen einigermaßen äßnlicß finb bie
gleichfalls mifroffopifeßen Särentiercßen, gur klaffe ber
fpinnenartigen Stiere ober Slracßnoibeit gehörig unb in
ber $eud)tigfeit beS SJloofeS unb im ©cßlamtn Iebenb.
©ie ßaben teils geglieberte, teils ungeglieberte nmrrn* ober
blutegelförmige Körper mit fußartigen Rödern am Saud;,
bie mit IraUenförmigen Sorfien befe^t finb. $cr nid;t
beutlicß oom Körper abgegrengte, mitunter feßnaugenförmige
Stopf geigt gmei ober meßr Slugen. ©ie pflangen ficß teils
bureß Gier fort, teils inbem fte lebenbige Sunge gebären.
3)lit ben Släbertieren, Särentiercßen unb 3nfuforien
ift aber bie mifroffopifeße Stiermelt ber ©eroäffer nod; bei
weitem nießt erfeßöpft ; befonbers bas ÜDteer bietet nod; eine
gange s JNenge oon formen, bie nießt gu biefen ©ruppen
geßören. ®aS oorfteßenb 9)litgeteiltc wirb inbeffen ge-
nügen, ben nterfwürbigen unb ßöcßft finnreießen Sau biefer
mingigen Scbcroefen erlennen gu Iaffen unb bargutßuu,
baß jeber tropfen Söaffer maßte aSunberircrle ber
©cßöpfung birgt.
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Sine Stimme aus
dem 7 er, seits.
Dovellette von 0. CysclI-Hilburger.
¥
(Hactjdrutk verboten.)
n un aber bag 2lllerbefte. fommt bag $auptftücf
beiner ©eburtgtaggüberrafd&ungen. "
„■Jiocb etroag, Üurt? @3 ift ja fo rote fo fdljon viel
ju viel, bu fottft mich bodb nicht fo verroöbnen."
„2Ü3 roenn fol<b ^rinjefjdEjen roie bu, bag von Sugenb
an fdfjon alleg gehabt bat/ roag bag §erj begehrt, über*
fjaupt ttodb j\u verroöbnen toäre! gür bi<b mufj eg fd^on
etroag ganj 33efonbereg fein. ^$afj auf!"
Unter feinen §änben finft ba§ Such von einem unförrn*
litten ©ebilbe. (sine ftarfe $oljplatte, eine biefe 2öalje,
ein Sridfjter, ber feinen Siacbett gerabeju beraugforbernb
gegen bie junge %tau auffperrt. „§errgott, roag ift bentt
bag? <2cbön fief)t e3 roa^r^aftig nidjt aus," verrounberte
fie fteb.
„Sag ift autf; nicht nötig, ßinb, auf bie inneren S3or*
güge fommt eg an. 2öag bag ift? §aft bu nodb feinen
Phonographen gefeben?"
„3fcb, ift bag roirflicb einer? 93or brei ober vier fahren,
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Don <Z. <2yfdl»KUbur<jcr.
199
idj tour bamalä gerabe fonfirmieri, I^abe idj 'mal einen
in einer 23orftetIung gehört, ober ich fafj ju weit ab, um
ihn richtig fel;en ju fömten. $atnalS mar e§ no<h etroaä
gang 9ieue3. Unb biefen hier foU ich wirflidh ^aben?
9?ein, ift baS fomifdj!" ©ie lacht. @3 ift ein filberneS,
helles 9Jläbdjenladf)en, oon betn [ie n?ei^, bafs eä allerliebft
ift. ©ie geljt beSljalb auch nicht eben fparfam bamit um.
„Safj mich fefjen, erfläre ihn mir genau."
®er 9JJann Iä§t ben Apparat funftionieren. Sine
frembe ©timme roünfcht ihr ©Uten borgen unb erfunbigt
ftc§ nach ihrem 33efinben. fRatürlidh ift bas mieber „furdjt*
bar fomifch", unb $rau 3™™ mufj uon neuem lacfjen.
„®aS ift ja eigentlich gräflich, ba fann man ja gar
nicht meljr baö ©cfüht h«^ n > allein i u fein, eS ift ia,
als hätten mir nun einen ©eift im gimmer."
„®ann foll e§ wenigftenS ein guter ©eift fein, ber
bir aUejeit etroaS Siebes fagen fann," erroiberte ihr ©atte
gut gelaunt. „2Sa3 idh je$t in ben STridjter fpred^en
merbe, bleibt bir, bu fannft eS immer mieber hören."
@r baftelt an bem Apparat, nimmt etraaS heraus, fe£t
ctmaS hinein, unb fpricfjt nun in ben Trichter: „3jrma,
mein Siebling, ich liebe bich über alles. S3Ieib mir
treu!" ®ann brücft er auf einen ßnopf, unb nun fcljallen
aus bem Trichter biefelben Söorte gurüdE. ®em 51lang
ift etmaS beigemifcht, aber es ift bodh $urts ©timme, um
uerfennbar, felbft feine fleinen SDialefteigentümlidjfeiten
fommeit gur ©eltung. SÖenn bie ülugen fdjliefjt,
fann fie fidf) reirflich einbilben, iljr fDlann fpräd^e gu iljr.
Smmer mieber muff $urt ben Phonographen gum
©predjen bringen.
„®a§ bleibt nun roirflidj fo für immer?" fragt fte
ungläubig.
,,©ereif 3 , bu fannft eS bir fo oft mieberholcn laffen,
bis bu es gar nicht mehr hören mngft."
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200 «Eine Stimme aus bem 3cufcits.
„D, baljin mirb’3 nie fommen. @3 finb ja fo liebe
9©orte — menigftenS bie erften. Söarutn fjaft bu aber
ba§ bumme „23leib mir treu!" Ijinjugefügt? 2)u meijjt
bod^, bafj idj bir treu bin, bir ftetä treu bleiben merbe."
„3sdEj fönnte ja aber bodj eines frönen £agcS fterben,
mie märe es bann?"
$Da faßt fie ifjm um ben §alS unb müljlt iljr ©e-
fidjtcljen an feiner bärtigen SSange feft, unb bie Xljräncn,
bie ftetS fo gern iljr Stinberladjjen abtöfen, rinnen iljr über
bie 2Bangen. „$a3 foßft bu nidjt fagen, audfj nidjt im
©djerj, überhaupt nie! 3^ miß nidjt baran benfen, bafi
baS möglich fein fann, ba müjjte idjj ja gleidj mit bir
fterben."
Siun muß er fte tröften, iljr oerfpredjen, lange, fefjr
lange ju leben, momöglidj emig, unb nodj immer toieber*
Ijolt fie fdjludjjenb : „SDaS überlebte idj ja nidjt, ba mödjte
idj gleidj mit bir fterben."
* *
*
SDennodj ftarb fie nidjt mit iljtn, fonbern lebte meiter,
als ber ©djlag mirflid) fam.
2lm SJtorgen mar er frifdj unb frö^lid^ aus bem §aufe
gegangen, Steine 2lfjnung burd^jitterte fie bei feinem 2lb*
fdtjiebsfujj, baß eS ber leßte gemefen fein fönne. Unb
nadj brei ©tunben fam bie Siacljricfjt, baß Sturt oon ber
eleftrifdjen ©traßenbafjn überfahren unb getötet morben fei.
©ine Unoorfidjjtigteit oon feiner ©eite, ein ungliidlidjcr
geljltritt auf bem oon Stegen unb ©dfjmuß glatten 2l3pljalt,
ein elenber .gufaß, baß nicljt bodj noeß im lebten Moment
ber SBagen ^um ©tefjen gebracht mürbe — hatte im Stu
ein junges 9)tenfdjenleben ooßer straft unb Söoüen oer*
nichtet.
2DaS mar nicht $u faßen, nidjt auSjubenfen. 3?idht
einmal bie oerftümmelten Stelle hatte bie blutjunge SBitroe
fe r jen bürfen, oon bent ©ntfeßlicfjen mar nichts über ifjre
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Don <£. <£\’feU*KiIburgcr.
201
©djweHe gefommen, unb nur Bei ber £rauerfeier in ber
SeicBenljaHe hatte fte betn, ber ihr bas Siebfte auf ber
Seit gewefen, auf eine 33iertelftunbe nahe fein bürfen.
$iefe ßranje unb 23lumcn, unter benen ber ©arg »er*
fdEjwanb, waren ba§ lefcte, ba§ man für ihren Siebften
getljan fjatte. ©otlte er tnirflic^ barunter ruhen — fü^l-
Io3, eine graufige, jerftücfte Saffe?
3ln biefem fünfte tafteten i^re ©ebanfen wieber unb
wieber ^erunt. ©ab e§ überhaupt eine Söglicfjfeit, biefeä
©ntfehlidje ficfj »orjuftellen?
„2lber fo weine bodj, $inb, e3 ift fa unnatürlich, bafj
bu fo ftarr baftehft," flüfterte ihr bie Sutter ju, bie neben
ihr ftanb unb in frönen jerflofe. 2lBer Qrma weinte
nid^t. 9tid)t als ber ©arg aufgehoben unb in bie ©ruft
gefenft würbe, nicht als Sefannte unb SJerwanbte famen,
um ihre Teilnahme au§jufprecf)en. ©rft Sodjen fpciter,
als in ihrem elterlichen $aufe, in ba3 fie jurüefgefehrt
war, baä Seben fdfjon Begann, in baä gewohnte ©eleifc
einjulenfen, famen ihr bie barmherzigen Xhränen.
San nahm zu §aufe jebe Stücfftcht auf fie, pflegte
unb oerzog fie wie ein franfeS 5?inb, aber auf bie $auer
»ermocfjte man hoch nicht, bie Sraueratmofphäre feftzu=
halten. gab ba junge ©dEjweftern unb flotte Sßrüber,
bie ihr SeBen geniefjen wollten, unb wenn fie auch in ber
oerwitroeten ©chwefter ©egenwart ihrer Suftigfeit Bügel
anlegten, fo merfte biefe hoch ben Broang unb empfanb
eä peinlich, bie berechtigte Sebenäfreubigfeit ber 3h rei1
ju ftören.
©ie oerfudfjte eä nun halb fo, halb fo, fich bas Seben
einjurichten. Sit 23erroanbten war fie ein fjalbe8 3 a h r
hinburch auf Steifen, bann lebte fie in einer berliner
^enfion, bann wieber ein Seildhen am ©enfer ©ee, um
ihr granjöfifch aufjufrifdEjen, zulefct mietete fie fidh — eä
waren injwif^en nahezu fünf $ahre »ergangen, in Berlin
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202 <Eine Stimme aus bem 3 e,I f«' ts -
eine Söoljnung, liefe ftd) ifere feiibfc^en SJJöbel fehiefen unb
nahm eine ältere ©efeUfdjafterin ju fidj. 2 )abei war e§,
als wenn bei jebem 2öed)fel iferer SebenSgeroofenfeeiten fid^
eine SJiauer jroifdien fie unb baS ©raufen ber Vergangen*
feeit fcfeöbe. SKit oierunbaroanjig galjren oermag auch
ber tieffte ©djmera baS Seben nicht ganj auSjufüKen.
92atürlicfe mußte grma in Berlin irgenb etwas oor»
nehmen, alle tfere Sefannten trieben irgenb etwas, ÜRufif,
Malerei, SBitbfeauerei ober mären litterarifch tljätig. öin
Stalentdjen ift ja fo halb ju entbeefen, wenn man bie
föiittel jur SluSbilbung beftfjt.
©djon in ihrer 3Räbc§enjeit unb fpäter als junge
grau fjatte grma waefer in allen möglichen Siebfeaber-
fünften gefünbigt unb namentlich in bet SJialerei nach Slugs
fage aller greunbe unb Sefannten, bie mit ihren Söerfen
grofemütig bebaut mürben, §eroorragenbeS geleiftet. gn
ihrer elterlichen SBoljnung unb auch in ihrem eigenen
^Berliner $eim mar jebe freie ©teile ber 2Banb mit ihren
©tillleben unb Sanbfdjaftsfopien bebedt.
9?un mürbe fie Schülerin eines berühmten Sanbfdjafters
unb malte in beffen Sltelier mit einem $u|enb anberer
mehr ober minber jungen, aber nur ben beften berliner
Greifen angef)örigen ®amen pfammen. gm Sßintcr fo»
pierte man bie Silber bcS 9)leifterS, im ©ommer 50 g man
mit ihm an beftimmten Stagen ins gteie unb malte nad;
ber fftatur greilicfetftubien.
gm geheimen pflegte ber ^rofeffor weiblich auf fein
„$amenatelier" ju fchimpfen, baS ihm bie befte Slrbcits*
jeit ftehle. 23aS h‘ n ^ erte aber nicht, bah er gegen bie
3)amen felbft oon oerbinblidjfter Siebensmürbigfeit mar,
namentlich aber gegen grma.
(Sinft featte er einen großen SluSfpruch gethan, ber
nodj in ben oerfdjiebenften ©djülerinnengenerationen fol»
portiert mürbe: entweber hätten bie Schülerinnen Talent,
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l?on <£. <2yfelI*KUt>urgcr.
203
bann aber wären fte fo Ijäfflidj, baff man fidj nidjt gern
mit ifjnen befdjäftige; ober fie feien f)übfdj, unb bann fo
talentlos, baff eS roieberum nid^t »erlogne.
grau grma mar mibcrfprud)SloS Ijübfdj, meljr fogar
als baS, unb in ber talentlos. Sennod) oerloljnte
es, fic§ mit iljr ju befdjäftigen. ©S mar jebeSmal wie
ein Wunber, wenn ber Weifter auf if)rem Seffeldjen fßlajj
naljm, Statur unb S3ilb oerglid) unb bann mit einem
Keinen Seufaer unb einer leifen Unfdjlüffigfeit begann,
bie garbeti ju mifdjen unb mit feden Striaen auf baS
Sübdjen ju fe£en. (Sofort jeigte eS ein ganj anbereS
(Seftdjt, bie ßorreftur war eben „mit Siebe" beforgt mor*
ben, wie alle mufften. SlUerliebft war es bann, wie bie
Keine Witwe oor greube unb Stola errötete; es ift bodj
etwas, twn einem fo berühmten Wann auSgeaeidjnet au
werben, unb gerabe inmitten eines SdjülerinnenfreifeS
wiegt bieS hoppelt fdjwer.
Unb wieber bei einem folgen Walausflug ins greic
ereignete eS ftdj, baff bie $orreftur befonberS lange 3eit
in Slnfprudj naljm. ©er Waler Ijatte für grau 3*»na
einen $lats etwas abgefonbert oon ben übrigen auSgefudjt,
es war ein wunberljübfdjeS Wotio, baS entfliehen wie*
ber „mit Siebe" beljanbelt werben muffte.
2llS ber ^rofeffor au feinen anberen Sdjülcrinncn
aurüdfcljrte, fiel eS auf, baff feine §anb etwas unfidjer
war. SDie junge Witwe aber fdjien Ijeute gana il)r Wählern
ladjen oerlernt a u fjaben , baS ifjr fonft nodj ebenfo
natürlich ftanb wie oor fünf Salden, ©ie beiben wed)felten
fein Wort mel)r, nur beim 2lbfd;ieb fanb ber Waler Seit,
Sjrma anjuflüftern : „Sllfo fjeute abenb bei bir, Siebfte!"
* *
*
(Sana faffungSloS fam 3rma a« -öaufe an, unb gog
fid), ^opffdjmeraen oorfdiü^enb, auf iljr gimmer aurüd.
Was Ijatte fie getljan! IJfjr gegeben! War
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204
(Sine Stimme ans betn ^enfeits.
es nid;t übereilt geroefen, Ijatte fte ftd) beim nidjt l;in*
reijjen lafferr, als ber -iÖtann , ber »ielumroorbene ÄünfiH
ler, Iiebeljeifdjenb t>or iljr ftanb? 2SaS roar in iljr ge»
fdjtncicbelie Gitelfeit, roaS Siebe? Siebte fie if)tt beim
roirflidj?
Gin füfjeS, fd^üd^ierneä ©efüljl, baS in if)r aufquoll,
roollte mit 3a antroorten. ©ie liebte iljn. 3ln ber roarnten
Grregung, bie über fie fam, fobalb er in iljre fftälje trat
ober gar iljre $anb erfaßte, fpiirte fie eS. ©ein 2Bcfen
in feiner Ijerrifdjen ©idjerljeit, burdj baS aber fo oiel
2BeidjeS flimmerte, roenn er mit i^r fpradj, unterjochte
fie. ©ie lädjelte unb errötete, als fie fiel) feine Söorte
ins ©ebädjtniS jurüdrief, bie er biefen borgen ju iljr
gefprodjen — ja fie liebte iljn.
flann man aber sroeimal Heben? ©ie hatte ja boch
itjren -filann geliebt mit bein erften unb ausfdjlieftlidjen
©efüljl iljrer 3>ugenb, hatte geglaubt, feinen ü£ob nidjt
überleben ju föntten. Unb nun füllte fie einen anberen
lieb Ijaben?
GS mar uiiht bas erfte 2Ual, bajj iljr ber ©ebanfe
an eine 2Sieberoerf)eiratung naljegelcgt mürbe, bisfjer
hatte fie iljn aber ohne ©djroanfen uon ftdj gemiefeti, unb
je£t fjatte fie $a gefagt, unb roieberum, oljne bafr es fie
eine Ueberlegung gefoftet fjätte. ©ie mar nod) fo jung,
ein ganjeS Seben fjinburd) lonnte fie bod) fchliefeUch nicht
allein bleiben. Unb mer fonnte miffen, maS bie 3 u ^ un ft
ihr nod) an ©lüd oorbeljalten hatte.
Ser ©ebanfe crfd)ien iltr aber bod) roieber mie eine
Sreulofigfeit gegen ihren erften ©atten. Sas ^örtliche
©efüfjl, baS fte jefst für einen anberen erfüllte, trieb fie,
fid) nun erft noch einmal fo recht in ben ©ebanfen an
ihre erfte Siebe ju oerfenfen. GS mar, als roenn fie
$urt bamit eine Gntfcfjcibigung bieten molle. 2Öenn fte
iljn je£t um 3lat fragen fönnte, mettn er il;r fagte, roaS
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Port €. (EyfcII'Kilbitrger.
205
bas Siedjte fei ! SB3enn fie nod) einmal feine liebe Stimme
hören fönntc, mie in früheren SEagen!
2)a bli^te ein ©ebanfe burch üjr $irn: fie fonnte e§
ja, fie bcfafj ja nodj bcn ^Ijonograpljen, ifjre Butter
hatte ihn erft fürjltdj mit anberen Sachen ihr gefenbet.
Sie hatte ben Slpparat mit leifem ©Raubet rafdj in ber
©arberobefamnter untergebrad)t, mie etroaS ju intern oer*
ftotbenen ©lüde ©etjörigcä, ba§ eigentlich hätte mit be*
graben merben muffen. Unter ben Stoßen in jenem
haften fpradjen eine Slnja^l bie Sprache be3 SEoten niel
unmittelbarer al§ jene glühenben 33räutigam§briefe, bie
fie in einer nerjmeifetten Stunbe ihm nadjgefanbt, inbem
fie fte ben flammen übergeben ^atte.
3efct lieft fie ber ©ebanfe nidjt loö, biefe Spraye gu
hören. @in roaljnroijtiger ©ebanfe, unb fie ahnte im oor*
aus, mie fie ba§ auftegen mürbe. Sie fühlte jefct fchon
etroaä non jenem ©rauen, ba8 eine vermeintliche ©eifter*
erfcheinung einflöfjt. Sie zaubert, fdjleidjt mie ein ®ieb
in bie ©arberobefammer, miH umfehren unb fann nicht.
2tdj, benft fte, meid) ein Unftnn, eS ift ja feine
Stimme, feine liebe Stimme
Unb fie fdileppt erft ben Apparat, bann ben haften
in ihr Schlafzimmer. Stiemanb roirb fie ftören, bie ©e>
feflfdjafterin ift einfaufen gegangen, ba§ fDläbdjen hat in
ber SUidje zu tljun. Stun ift ba3 SDing aufgefteHt, ihr
$8lid fudjt in betn haften: ba ift jene Stoße mit bem
blauen Sänbdjen, jene SRoUe — ach, f ic roeifj, roa§ fte ba
hören mirb, unb fte fefct hoch gerabe biefe Stoße ein,
taftet mit jitternben $änben nach bem ßnopf, unb hält
ba3 Dhr an ben Sdjaßtrichter.
„3rtna, mein Sieblittg, idj liebe bich über afleö.
SBleib mir treu!" ertönt e§. ($8 padt ihr .§erz mie mit
ciölalten .ffänbeit, fie läfjt loS unb finft mit einem 2öel) s
laut auf ben $eppid;, birgt baä ©efidjt in ben £anben,
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20G (Eine Stimme aus bem 3 c,I f c 'ts.
liegt unb mag ficlj nicht rühren unb hält fid; bie Dljren
J»
„3dj liebe bidj über alles — bleib mir treu!"
$ern im Sforribor fdjaflt bie ©locfe, eä fomnit jemanb.
fjaftig rafft fie fidj auf. 9iur er fall baS tiidjt fein, nur
er nid;t!
Slber fchon ^ört fie feinen Schritt nebenan im SBoljn*
jimmer. ®a§ ift lein fDlattn, ber gebulbig wartet, ober
fid^ meUeidjt gar wieber wegfdjicfen läpt.
<5ie tritt iljm entgegen unb lächelt ihn mit erblaßten
Sippen an, aber bie 3unge ift iljr wie oerborrt, fte «er*
mag fein 2Bort Ijeruorjubringen.
25er ftumme (Smpfang «erlept iljn, biöljer hat man
iljn nur afljufeljr oerwöljnt. „3öaS folt bas, 3*ma?
üöetdjer ßmpfang! 3ft bi* etwa bein Söort oon heute
morgen leib geworben?"
3l)r2ßort! 3«/ f»e hat eS gegeben, unb fte tritt iljm
nun beinahe bemütig näher. „Skrjeiljen Sie mir — mir
ift nid)t ganj wol)l."
2)a fieljt er, in meinem jämmerlichen 3ufianbe fie fich
befinbet, unb nun gewinnt eine füfje 3ärtlichfeit ben Sieg
über feine 93erftimmung. „3rma, mein $inb, mein Sieb,
bu bift franf. 2öaljrfdjcinlidj bie fjipe con heute morgen,
ftoinm, ruhe bidj aus, bu fleißige fleine Schülerin bu,
unb jugleidj meine §errin — " unb er jieljt fte mit fich
an einen laubigen genfterplafj unb bettet ihren ßopf
forgfatit an feine Schulter unb flüftert ihr eine giitle oott
füfjen, beraufdjenben Siebeäraorten inä Dljr.
3h* ©efidjt gewinnt roieber garbe, bie Sippen lädjeln
nun ganj natürlich, fte hört nur noch bie Söorte be3
Sebenbigett. 3a, fie liebt ihn — o wie feljr!
9?ad)bem er gegangen ift, «erharrt fie nodj ein Söeildhen
in einer glüdlidjen, jitternbeu 9?ad)empftnbung bc3 (Sr*
lebten. Sie fühlt feine $üffe noch auf ihren Sippen,
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£>ott <£. (EyfcK-Ktlbtirgcr.
207
jebeä feiner ©djincicftehoorte Ijört fie nod) im DIjre flingen.
llnb bann erinnert fie fidj plö^lidlj an ben Spul ttott
oorljin.
@3 fafjt fte mit einer pridelnben fReugierbe. fRodj
einmal tuitt fie Ijören, miß ergriinben, ob iljr bie Sföorte
ttod; ben gleiten entfefclidjen (Einbtud madfjen. 2Iber nein,
jc£t ift fte ja gefeit — anbere 2öorte liegen iljr im
Dfjr.
Sie t;at eine fcfjledjte ÜRacljt, in ber bie Stimme beS
Sebenben unb be§ f£oten abtoedjfelnb mit iljr fpredjen.
2öie geräbert ermaßt fte unb fann ftdj nidjt beftnnen, rca§
mit i^r oorgegangen. £a faßt if>r 33lid auf ben ^fjono*
grapsen, unb toieber fricdjt üjr ber ^nfelid^e Sd)auber
über ben Slitden. 211s gelte c3 bie SBerüfjrung mit etroa§
©räfjlidEjetn, fafjt fte ben Apparat, unb ftcflt iljn hinter
einen 33orljnng.
grüfj fomntt iljr Verlobter, unb bennod) fcljon un*
gebulbig. (Er bringt iljr 33lumen, fein ftegljaftcS Herren*
roefen burcpridfjt ben 53ann, unter bem fte fteljt, feine
ßüffe fdjjeucljen bie lefcte (Erinnerung an baä ©räfjlidfie
fjinroeg.
9?utt fommen gliidlidfje f£age, ein füfecS, innerlidjeS
Sidljfinben, ba§ jefct erft bie ©enmfjr giebt, bafj bie rafefje
Verlobung feine übereilte geroefen ift. §unbert fteine
entjüdfenbe Schönheiten, bie ber fßrofeffor an 3rma, bnn«
bert bebeutenbe unb liebenSrcerte (Sigcnfdjaften, bie Srnta
an bem fßrofeffor entbedt. Unb baju aße bie 2lufmerf*
famfeiten unb Ucberrafdjungen, unb uor adern ber be*
fonbere SReij be3 geheimen! (Es ift 3rma§ ßBunfclj, bie
SSerlobung nod) ein 23eilöfjen geheim ju halten, unb
ferner giebt iC;r roiberfirebenb barin nadfj. 3 1 ® 0 * ift
lange fdjon oen feinem ©cljeimniS mehr bie Siebe, ber
gan^e 23efanntenfreiS famt aßen Sdjülerinnen beö ?Jro-
fcfforö toeijj, nmö ftd) ereignet (jat, aber aße finb liebenä*
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208 CEtnc Stimme aus bem ^enfcits.
mürbig genug, bie 9Kasfe ber Unbefangenheit weiter ju
tragen.
3n bett erften Sagen lebt 3rnta wie in einem Sau*
tnel, roährenb beS ganzen SageS giebt eS faunt eine 2JIi*
nute, bie i(jr gehört , unb abenbS finft fte tobmübe ins
S3ett unb fd^Iäft traumloS bis jum borgen.
Slßmählicfe aber beginnt fte roieber, ftdfe innerlich 9iedjen*
fchaft abjulegen, unb mieber fommt ihr ber jroingenbe
SBunfch, ficf) mit bern oerftorbenen (Hatten in Sßerbinbung
ju fefcen. ©ie weift ben ©ebanlen non ftdh- iffioju auch?
$?aS fattn er ihr jefet nodfe fagen, ba fte hoch glüdflidh ift !
2(ber fte ertappt ftdh babei, bafe ihre 33Iidfe bie ©teile
fudhen, mo ber Vorhang fiel; ein roenig über bem ^hon° s
graphen hebt, bafe ihr gufe unroißfürlich bie SRid^tung
baraufhin einfefelägt.
©ie fann ihn ja fortfdhaffen laffen, irgenbmoljin, mo
fte ihn nicht fleht, nießeiefet ganj aus bem $aufe. 2Iber
baS ift baS 2BunberIi<he: es geht eine biabolifcfje ©eroalt
non bem S^ftrument au§, eS ift mie etroaS SebenbigcS,
ein Ungetüm, not bem fte ftdh fürdhtet, unb baS fte bennoch
an fidh todt. ©ie roagt eS nidht ju berühren, aber ihre
Überresten ©inne arbeiten : es ift ihr, als höre fte
3a fte hört, ohne ben Apparat nur anjufaffen, fte hört,
fobalb fte in feine 9?ähe fommt, unb eine grauftge 9Jlacht
reifet fte immer roieber bortfein.
„3rma, mein Siebling, ich liebe bidh über alles. Sßleib
mir treu!" Siefe ©timme fefeeint ftdh in fte felbft ge*
flüchtet ju hoben, fte flüftert in ihr, fte gellt, fte quält fie mit
SobeSgraufen. Sie ©timme ihres ©cmiffenS, fdheittt fie ifer.
SBofel fomnten ber jungen $rau Momente, in betten
fte bie §errfdhaft über fiel) felbft jurüefgeroinnt, in Denen
es ihr gelingt, bie gefpenftifefje ©timme jum ©chroeigen
ju bringen; aber bann ift fie plöfclich toieber ba, unb
fpriefet lauter als jttror.
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Pott <£. (Eyfell'Kilburger.
209
gmtner fonberbarer roirb SfrmaS Verhalten gegen ben
Verlobten, ©ie liebt ihn noch, mefer metteicljt als puor,
aber eS ift etroaS, baS jmifchen ihm unb if)r aufroäcfeft,
als roenn eine gefpenftifche §anb fidf> aus bem ©rabe
aufrichte.
$er Sßrofeffor »erftefet baS «ercinberte Söefen feiner
Sraut nicht, unb feine 2lrt ift eS nicht, lange bariibcr ju
rätfeln. @r bringt auf SeröffentUdjung bcr Verlobung
unb auf balbige fjocbaeit; fo glaubt er, alles 2Xbfonber®
liehe am einfachen ins rechte ©eleife *u bringen.
®a fteljt ihn Srmaaus entfetten Slugen an, als fei
ihr etroaS gürdfjterlicbeS jugemutet morben, iljre ganje
©eftalt jittert: „Safe mir .Seit, ich bitte bicfe, SSBerner."
Baff mir «Seit! $aS hat « in ber lebten SBodfje ptn
Ueberbrufe gehört, alle feine Sorfcfjläge finb bamit ab-
gefdbnitten morben. fDaS 2Bott reijt if;n auf, er hat
genug baoon. ,,©ut, ich roerbe bir 3 e ü taffen, aber
nur bi§ morgen, 3rtna. Sebem vernünftigen ©runbe gebe
ich nach, bu aber Ijaft überhaupt feinen ©runb für beine
Steigerung anjugeben. SDu mufft eS roiffen, roaS bu mir
mit beinern -Jägern jumuteft."
* *
*
2lm anberen SDlorgen, als 3*nta ihren Verlobten er*
märtet, padft eS fie übermächtig. SRur noch ein einziges
• Söial bie ©timme ihres ©atten hören ! SieHeicfet baff,
roenn fte ihr nod& einmal entgegentönt, fie jene innere
©timme jum ©cbmeigen bringt.
©ie jaubert nodh, aber es reifet fie hi»; nun finft fie
in bie ßniee, hodft oor bem Ungetüm, unb ihre ginger
fucfien ben 9Jlecf)aniSmuS. „grrna, mein Siebling, ich liebe
bid& über alles. SBleib mir treu!"
$ie 2Borte bröhnen iljr entgegen unb roül)len ihr
inneres auf, taffen ihre §änbe roie in groft erftarren unb
ihre §aare ^u Serge fteigen. ©S halt fte roie gebannt,
1901. III. u
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210 <Etttc Stimme aus bem 3etifcits.
eg ift eine magifdE)e ©eroalt, bie i^re Ringer immer non
neuem auf ben 3Jiec^aniömu§ briieft. Sie SÖorte folgen
ftd^ fdjneHer unb fdjneHer, fie oerbinben fidj ju einem
unljeintlidjen ©eifterdfjor. „Sileib mir treu — bleib mir
treu!" Sa§ ift ja nidjt augjuljalten, feine fernen er*
tragen bag, barüber mufe man ja nerrüeft roerben.
©o finbet fie ber ijkofeffor.
©ie Ijat iljn abroeifen laffen, fönne if;n nid^t feljen,
fte fei nidjt rooljl, Ijat fie ber ©efetlfdjjafterin gefagt, bie
fc^iicfjtern mit ber üDielbung bei ifjr eintrat. (Sr aber Ijat
bie Same einfadj jur ©eite geflohen unb Ija* fidjj beit
Sintritt erjmungen.
,,©inb bag Saunen, %vm a, ober bebeutet eg ben 33rudj?
(Srfläre mir, mag idj »on beinern 23eneljmen ju galten Ijabe.
Spielen laffe idj nid^t mit mir."
Sag ift nidjt bie ©timme eineg järtlid^en Siebfjaber§,
fonbern bie beg Seljrerg, beg $errn, ber eine Ungehörig*
feit rügt, ©ein SJlunb ift jufammengesogen, feine ©tim
nerfdjattet.
„Saft mid), id) — idj fann nic^t !"
(Sr glaubt nidjt redjt geljört ju tjaben. „Su fannft
nicljt? ©o gieb mir roenigfteng eine (Srflcirung. äöarum
fannft bu nid^t?" ©djmerjljaft fafjt er fte beim §anb-
gelenf unb blieft iljr in bie Slugen.
©ie aber neigt bag §aupt: „grage midfj nicljt," fagt
fte mit erlöfcfjenber ©timme, „eg ift unmöglidj."
Sa fiefjt er bie 33eränberung , bie mit iljrem reijen*
ben ©cfidfjt oorgegangen ift, bie eittgefunfenen 2lugcn,
ben entftellten 3)lunb, unb anftatt ju geljen, mie er
fidj im Slugenblicf oorgenomtnen, jieljt er fte an fidE).
„SSerjeilj mir, idj mar Ijeftig, aber idEj benfe, alleg roirb
fidj aufflären. 3 rma , mein Siebling, id^ liebe bic^ ja
über alles !"
Siefelbcn äßortc, bie iljr aug beut Slpparat entgegen*
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i
Don €. €yfelt‘Kilbunjer. 21 1
gefdjailt finb. Ser SCotc unb ber Sebenbige [preßen bic
gleite Sprache!
3itternb löft fie ftdj aus iljreS SSerlobten 2lrmen,
ftürgt an ben Apparat unb läfjt ben SedjaniSmuS fpielen.
„Sa, I)ör eS felbft! Sic Stimme meines oerftorbenen
©atten!" Unb es tönt burd) ba§3* mmer: »S^ma, mein
Siebling, idj liebe bidj über alles. Söleib mir treu!"
3 m erften Slugenblid oerfteljt bet Saler ben 3 “ ;
fanttnenljang nid)t. „Sas ift baS? Slüljrt biefe Sad»S=
rolle mirllidj oon beinern erften Sann l)er?"
Unb als fie nur ftumm nidt unb roeinenb bie §änbe
oor baS ©efidjt fc^lägt, rebet er ifjr gut gu: „2lber $inb,
biefer Spul neranlafjt bidj, mir ben 2tbfd»ieb 5 U geben?
Sei bod) oerftänbig. Sie ift es benn möglidj, bafi eine
fo liebe, fluge, fleine 3 * au ftdj fo unerhört ttjörid^t be=
nimmt? @S fann bir bodj nidjt im @rnft in ben Sinn
lammen, biefer Stimme audj nur bie aUergeringfte Se*
beutung beijumeffen? Senn bein erfter Sann bidj mir!*
lieb fo geliebt Ijat, fo mürbe er, falls er ju bir fpredjen
lönnte, bir freier fagen, b afj er bir jebeS ©lüd gönnt.
Siel)ft bu baS nid;t ein, mein Sieb?"
©emijj, fie fielet es ein, aber fie ftef)t nocfj ju feljr
unter bem ßinbrud beS ©raufenS, als bafe U;r 23erftanb
fpredjen lönnte. „Sie lann idj baS? @S ift bodj nun
einmal ba, es fpridjt ju mir. Sie lönnte id> barüber
Ijinroeglommen !"
„3tnta, baS ift ja 23errüdtljeit, nimm bid; bodj ju»
fammen!" ruft er Ijeftig.
„3dj lann es nidjt, eS ift mie eine Stimme aus bem
3enfeitS," ftammelt fie.
Sa erfaßt ben Saler ein geroaltiger 3°™ über biefe
unerfjörte Sljorfjeit, bie fein ganjeS ©lüd in grage ftellt.
Seine Iräftigen $änbe greifen in ben Apparat, fie jer=
briiden Sricfjter unb Salden, als mären fie IfSappe, ein
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212 (Elfte Stimme ans bem 3 cn feits.
«^=3<^Or4ör~»=cJEPr-»Or-*^r-ür-fcOr4C3«-4ör 40i«><5r«3<JOr«3rlO
f^aitftfd^lag oollenbet baö SSSert ber Betörung. @S ift
eine ganj inftirtftioe Stegung geroefen, nun fie^t er mit
jorniger 23efriebigung baoor unb roenbet ben ßopf jtt
grma. $)ie J)at aufgefdjrieen, bie §änbe mte fcfjüfcenb
auSgeftrecft, mit entfetten 2lugen.
„ ©o , mein ßinb," fügt er aufatmenb, „non je£t ab
roirb feine Stimme aus bem IJenfeiiS bid^ mehr bettm
ruhigen. ©S fommt je^t nur auf bidj an, ob bu ter=
nünftig fein roiHft."
Sie betrachtet ihn ganj oerftört. „$>u roeiftt nidjt,
roa§ bu mir bamit genommen ^aft, " fagt fte mit blaffen,
bebenben Sippen. Sie möchte ihm jürnen, ihm erbitterte
28orte fagen, aber feine riidftchtslofe $raft lähmt fte,
biefe fchlagbereite 9Jiännlid)feit, bie feinen Söiberfprudj
bulbet. Sie fteljt fo lange unb fo füjj fd)on unter ihrem
2)rud.
Unb fte roeijj es ja, tief innerlich fühlt fte’S: bieö ift
ihre (Srlöfung.
@r faflt: „3<h tttetfe baS nid^t? 58iel beffer, als bu,
thörichte grau. $ie ©eijjel h abe ich bir genommen, mit
ber bu bich roie eine mittelalterliche glageHantin blutig
gepeitfeht h«ft- SSerhegt bift bu gemefen, unb id) h a & e
ben buntmen B^uber serfdjlagen. geh h a & e ein Siech t
baju, benn je£t bift bu mein, unb roehe bem, ber bidj
mir nehmen roiH. Sieh mir ins Sluge, 3rma, fefter,
freier: roiHft bu nun glüdlidj rcerben? SBiHft bu?"
„3$ w»Q eS roenigftenS oerfuchen," ermibert fte
fdjüd)tern, unb bie Spänen rinnen ihr noch über bie
SBangen. —
SDajj ber SBerfudj gelungen ift, roeifj alle 2Selt. SDie
@he beö berühmten ÜJZalerä gilt als eine ber glüdlidhftett
ber 3^eich§^auptftabt.
<-«>
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f
Attentate und Attentäter.
6in Beitrag zur Psychologie des Uerbrecbers.
üon Otto haussier.
*
Htit IX JllMtratima. (Dacbdrudt verboten.)
D er abyd^eultdhe -Dteuchetmorb, bem $önig £umbert oon
Italien jum Opfer gefallen ift, unb ber bas (Snt*
fefcen ber ganzen 233elt erregt hot, bietet uns ben 2lnlnfi
ju einer allgemeinen Beleuchtung ber Attentate auf ge*
frönte §äupter unb StaatSlenfer, um bie SSerüber biefer
Untaten vom pfpdjologifchen ©tanbpunfte aus einer
näheren Prüfung zu unterziehen.
@3 giebt befanntUdh eine moberne Stiftung in ber
Äriminalpfpdjologie, bie in bem Verbrecher in erfter Sinie
einen geiftig franfen, anormalen, mangelhaft entroicfelten,
begenerierten ober um Saljrhunberte hinter ber Seit zu*
rütfgebliebenen SDlenfchentppuS fielet, unb befonberS ber
Italiener Sombrofo unb feine Schule h«&en fich bemüht,
bis ins genauefte auch bie förperlidjen SDlerfmale auf*
Zufudjen unb feftzuftellen, bie ihrer Meinung nad) ben
geborenen Verbredjer t>om ehrlichen ÜRenfdjen ober bem
©elegenheitSoerbrecfjer unterfdjeiben. Schienen nun auch
ihre Behauptungen ohne S^eifel weit über baS Siet
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214
Attentate uiib Attentäter.
Dit Ermordung Wilhelms I. von Oranitn durch B. ßdard am 10. Juli I5$4.
ftimmt ju fein feinen ; unb e3 giebt anbererfeitä getoiffe
33erbred)en, bie fein 9)ienfdj oon normaler geiftiger 33er*
anlagung begeht.
3u biefen gehören in elfter JJleifje eben bie Attentate,
^inauä, fo liegt ifjnen boc^ eine gewiffe SBafjrljeit ju
©runbe. @3 giebt in ber Sfjat 9Jfenfd)en, bie oermöge
ifjrer ©eljirnbefdjaffenfjeit, ifjrer pljpfifdjen unb moralifdjeit
Slcranlagung ge*
rabe^u oon bem
©djidfal jum
93crbredjcr be:
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2ir>
Don 0tfo Rangier.
oon benen nadtfteljenb bic
Siebe fein foß. ©djliefjen
mir gunädfjft jene aus, bie
aus perfönlidfjer Slac§fud;t
oerübt mürben unb alfo
unter ben ^Begriff beS ge*
meinen 9JlorbeS faßen;
ridjten mir unferen SÖIicf
oielmefjr auf Attentate,
bic aus unperfönlidjen 9)Jo*
tioen erfolgten, fo finben
mir, baff if;re herüber in
ifjrer geiftigen 33erfaffung
beftimmte -äJlerfmate gemeinfam Ijaben. Ser ed)te Sitten*
täter ift faft burdjmeg ein junger unreifer 33urfd;c, ber
nod; iiic^t bie SebenSmitte erreicht fjat; ein fanatifdjer, über*
fpannter ßljarafter, oft oifionär oeranlagt, oon äufeerft
engem ©efidjtsfreis unb geringem eigenen UrteilSnermögen,
©uggeftionen äufjerft gugcinglid) , baljer burclj 23üd(jer
ober ©enoffen leidet »erführt, ©r I)ängt pljantaftifdjen
•JBeltbeglüdungSibeen, feien fte nun politifdjer, fogialer
unb ift meift fo barin
uerrannt, baff er nichts
anbereS fiel)t. ©roffmamts*
fudjt unb ber Sricb, fid)
auf ben fölärtprcr IjinauS*
jufpielen, fidfj für feine
Sbeen ju opfern, baljer er
auefj ftets äße ©djutb auf
fidf) aßein gu neunten unb
feine ©enoffen, begiefjungS*
meife Slnftifter, unter fei*
nen Umftänben gu oerraten
pflegt, machen baS Süilb
ober religiöfer Slatur , nadj,
Trancois Ravaillac.
f)«inricb IV. von Jrankreicl),
ermordet 14. TDai 1010.
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216
Attentate mtb Uttentdtcr.
ä
George Uilliers, Herzog von Buckingham,
ermordet 23. August 102$.
eineä foldjen typifdjen Sitten»
täterö ooUftänbig.
Obwohl er in feinem en»
gen ^beenlreife ganj\ folge»
richtig ben!t unb rebet, ift er
bodfj als ein SJlenfd) oon anor-
maler ©eifteSbefdjaffenfjeit an»
äufehen , als ein oon einer
fijen 3bee Söefeffener. 9lur
bie Stiftung, bie fein 33er»
bredljertrieb nimmt, ift eine
golge ber äußeren Umftänbe
unb ber ©inwirlung feiner Umgebung.
^Betrachten mir in biefer 33eleudf;tung eine Anjaf)l ge»
fchidjtlid; berühmter Attentate unb Attentäter, fo roerben
wir baS ©efagte faft ausnahmslos beftätigt finben.
ßiner ber beften dürften unb ebelften Sljaratterc ber
©efchicfjte, ber ber 5?ugel eines fanatifd^en Üftenfchen flutn
Opfer fiel, war 28ilfjelm oon Slaffau, ^irinj oon Dnnien,
genannt ber Schweiger, ber ©rünber ber nieberlänbifdjcn
Unabl)ängig!eit. ©eboren am 14. April 1533 in $illen»
bürg, heroorragenb als Krieger wie als Staatsmann,
oon auSgejeidjnetem Gharalter, oereljvt oon feinem SSolfe,
bem er in langen Kämpfen
bie Unabhängigfeit oom
fpanifd^en 2»oc^e unb bie
religiöfe Freiheit errungen
hatte, trennte ifjn nur noch
ein «Schritt oon ber ßrlan»
gung ber ßrone bes burdh
itjn gefefjaffenen unabljängi»
gen Staates ber Aieberlanbe,
als er am 10. 3>uli 1584
burd; 9)ieudhelmorb enbete. 3obn JeIton
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Don 0tto liäujjlcr.
21?
2)er Sittentäter,
Söalt^afar ©6»
rarb aus Villa*
fanS in Vur*
gunb,roarl562
geboren, alfo
erft 22
alt. ®er fana*
lifd^e 93urfd^e
liefe ficfj burcfj
fpanifdje Ver*
fchroörer , bie
ihm feine £lj fl t
als religiös
IjÖdjftoerbienfts König flutUvIH. von Schweden, ermordet 16. mörz 1792.
lieh ^infleUten,
bis jum 2öaf)nfinn erfjifcen. 35iefe Hintermänner, unter
benen auch ber Herzog oon ^jJarma mar , tragen bie
eigentliche ©djulb an bem Verbrechen, ©erarb felbft hielt
fich für einen
Sftärtprer.
ben ©ommer*
tagen beS ^al;*
reS 1584 roeilte
äßilheltn I. in
berftiUen©tabt
SDelft. SllS er
am 10. Quli
mit feiner ©c=
mahlin unb ei«
nigenfjreunben
nach bem Silit*
tagSmahle aus
bem Sf'W““ 1
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218 Attentate uub Attentäter.
Ermordung des englischen Premierministers Spencer Perceval am II. mai ISI2.
feines §aufeS !am uub fid) in ben jmeiten Stocf begeben
moHte, trat ©6rarb auf iljn ju mit ber Söitte um einen
fJteifepaff, ^og gleichzeitig eine ^iftofe unter feinem fDiantel
Ijeroor unb feuerte fie auf bie ii3ru|t beö DranierS ab.
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Don Otto £}iiu9lcr. 219
tiefer fliirjtc ju Soben unb rief: „Slein ©ott, mein
©ott, erbarme bid; meiner unb meines armen SolfeS!"
SBenige Minuten barauf oerfdjieb er. ©erarb mürbe
ergriffen. 6r geftanb fein SBerbredfjen offen ein, baS
er für eine eble unb gottgefällige Sljat crllärte. 3iadj
ber graufamen Vuftij ber bamaligen $eit mürbe er
auf tnarterooHe 2Beife Eingerichtet, ©r ging mit ber
Spencer Perceval. ]obn Bellingbam.
SJliene eines Slärtprerä in ben £ob. fDafj flönig $f;i*
lipp 11. oon ©panien bie gamilie beS SDiörberä für bie
„löbliche unb hocf)finnige" Sljat in ben 2lbelftanb erhob,
fei als Seitrag ju ber Kultur jener Seit nur nebenbei
bemerft.
©benfo überlegt mar bie ©rmorbung §einridf)ä IV.
oon granlreid;, unb abermals mar ber SJiörber ein nod;
im jüngeren 5JlanneSalter ftefjenber ganatifer, ber für
feine 2f)at leinerlei perfönlidje Semeggriinbe Ijatte. 21m
14. 2J?ai 1610, alä £einrid) IV., ber befte Slönig, ben
Vranfreidj je befeffen , burdj bie engen ©tragen oon
Saris fufjr, um betn franfen §erjog oon ©uKp einen
Sefud) ju madfjen, mufjte ber Söagen in ber 9lue be la
Verronnene galten, ba Pie ®urdjfal)rt oon ein paar $ar=
ten perfperrt mürbe. 35a ftieg ein 9Jlann auf eines ber
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220
Attentate uttb Attentäter.
£interräber unb ftiefj betn Könige burdf) eines ber offenen
genfter ein Sftefjer in bie 33ruft. „3ldlj bin oerrounbet!"
rief Heinrich IV. 3 n betnfelben Slugenblicf traf ihn ein
jroeiter ©tofj, ber il)n tötete. $er Korber lief} fich, ohne
Sßiberftanb ju leiften, ergreifen. (Sr fjiefi gramjois 9ta*
oaiUac, war 32 gahre alt, aus Slngouleme gebürtig, unb
erft ©Treiber, bann ©djultefyrer geroefen. 2öegen ©dhul*
ben fam er ins ©efangniS. SBäfjrenb feiner §aft oerfiel
gut gelang. @r behauptete, leine SDlitfdjulbigen ju haben,
ertrug äße Dualen ber göltet ftanbljaft unb warb am
27. 2)lai auf bent ©reoepla^ hingerichtet, inbetn man ihn
nach abermaliger oorhergehenber golterung oon gerben
jerreijjen lief}.
Söie fehr bie franfhafte ©emütSftimmung unb ©eifteS*
richtung bei ben Sittentätern bas eigentlich SluSfcfjIag*
gebenbe ift, unb roie gering ber äufjere Slnlaf} fein fann,
ber ihrem exaltierten güljlen unb SBoHen ein 3iel gte^t,
jeigt fich befonberS beutlicf; bei ber ßrmorbung bes £er*
er in religiöfe
Schwärmerei,
hatte fßifionen
unb fafjte nach
feiner ©ntlaf*
jung, aufgereijt
Hugusl v. Kolzebue, ermord« 23. TDärz IS19.
burdh einige
Schriften , bie
ben ßönigSmorb
prebigten , ben
©ntfdhlufj, §ein=
ridh IV. ju töten.
Sange jögerte er
mit ber SluSfüh«
rung, bie iljm
enblidh nur ju
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Die Ermordung des Präsidenten Cincoln am 14. April IS65.
3af)re 1627, bie fläglidj fdjeiterte, teilgenommen, unb fia;
gut geführt. 2llS er nidjt, roie er hoffte, beförbert mürbe,
fteigerte ftc^ fein f£rübflnn immer rneljr ins franfTjaftc.
(Sr gab ben SDienft auf unb nerboljrte fic^, beeinflußt
burd) bie bamals meitnerbreitete, bem §erjog feinblidje
SBoIfSftimmung, in ben ©ebanfen, ber §erjog non
Söudingßam fei baS größte #inberniS ber $Sol;lfal)rt Gng*
Don ®tto f^anßlcr.
jogS non Sudingßam. tiefer aHmäcßtigc ©ünftling
gafobs I. unb ßarls I. non Gnglanb fiel unter ber $anb
3joljn gettonä, eines nerabfdjiebeten SeutnantS, als er ficfi
in ifSortSmoutl) am 23. Sluguft 1628 jum Gntfafc non
2a 9tod)eUe einfdjiffen rooHte. $elton mar non ©eburt
Srlänber unb non meland)olifd)er ©emütSart. Gr fjatte
anberGEpe*
bition nad)
Sa 9tod)elIe
unb ber 3n*
fei 916 im
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Attentate unb 2Ittcutätcr.
1
222
lanbS, unb ifjn ju töten eine preiSroerte EEljat, bie ifjrem
BoHbringer ben ®anf ber 9JJit= unb fJtadjroelt fidjern
rnerbe. Sr taufte fidEj ein geroöfjnlidjeS 3Jteffer für einen
©cfjiHing unb ftiefe es bem §erjog, als biefer fidj gerabe
in BortSmoutlj non feinen Begleitern nerabfdjiebetc, in
bie Bruft. Budfingljam ful)r mit ber $anb naclj bem
©djroertgriff unb fdjrie: „©otteS SJßunber, ber Sdjuft Ijat
miöfj geflogen !" $ann jog er fidEj baS Keffer felbft Ijer*
aus, fan! aber gleicf) barauf nieber unb ftarb eine Biertel*
Jtbrabam tincoln. OJIlket Boolb.
flunbe fpäter. 30 ^ $elton mürbe ergriffen unb ging
ber über itjn oerfjängten XobeSftrafe mit ber finfteren
Gntfdjloffenfjeit beS ^anatifevö entgegen, bie mir bereits
bei feinen uor ifjm genannten ©eifteSoerroanbten fennen
gelernt fjaben. Stuf bie grage twdjj SJtüfdjuIbigen fagte
er, baS Berbienft unb ber Siuljm ber EEljat lomme ü)m
allein ju. Slufjeicfjnungen, bie man in feiner Sßofjnung
fanb, gaben 3eugniS, bafj er ber feften Ueberjeugung
mar, cS fei feine Bflicfjt gegen ©ott unb baS Baterlanb,
ben §erjog als geinb beS ©taateS ju töten.
SBenigcr ©d)märmer unb ^Sfjantaft , aber ein ent=
fliehen ucrbredjerifdj ocranlagter Gljarafter mar 3o^ann
3afob n. Slntfarftröm, ber Btörbcr Stönig ©uftaoS ITT. non
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r
Don 0tto ßaiijjlcr. 223
Sdjroeben. ©eboren 17G2 als ©oljn eines DberftleutnantS,
rourbe er 5ßage am löniglidjen §ofe, bann gäljnrid; bei
ber Seibgarbe, nafjm aber bereits 1783 feinen 2lbfd)ieb.
(Sr roirb als ein SJienfd) non abftofjenbem Gfjarafter ge»
fdjilbert, noller 23ermeffenljeit unb ariftofratifdjen ©tolgeS,
ben baS Streben beS Königs nad) unbefdjränfter ©eioalt
unb bie öefdjränfung beS aUgu anmajjenben 2lbelS mit
finfterem $afi
erfüllten. 1791
nerbanb er fid)
mit mehreren
anberen ungu*
friebcnen
2lbeligen gu
einer äkrfdjroö*
rung gegen ben
Jlönig, er felbft
erbot fidj, iljn
gu ermorben.
Sange fudjte er
oergeblid) nacf)
einer günfttgen
©elegen^eit, Präsident Jame» fl. flarlitld.
baS Attentat
auSgufiiljren ; enblid) am 16. SJtärg 1792 gelang e§ il)m,
auf einem -DtaSfenbatl im Dpcvnljaufe gu ©todljolm, in
bie Stälie beS Königs gu fontmcn unb il)n burd) einen
2ßiftolenfdljuf} töblid; gu oerwunben. SJtan ftelltc ifjn brci
2Eage lang öffentlid) am Pranger auS unb peitfdjte iljn
mit Stuten, aber er oerweigerte ftanbljaft, feine 3Jiit*
fdjulbigen gu nennen unb erlitt am 27. Slpril ofjne
geicljen non Steue ben §en!crstob.
2Bo nid;t religiöfe, politifdjc ober fogialc Ültotine nor»
liegen, ift eS meift gcfränltcS Stcdjtsberoujjtfein, baS bei
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224
Attentate unb JlttcnKitcr.
baju ueranlagten, leibenfdjaftlidjen unb melandjolifdfen
(Sfjarafteren ju Attentaten füljrt. SEgpifd) für biefe Art
non Attentaten ift baS, roeldjem ber englifdje Premier*
minifter ©pencer ^ercetial am 11. 9Jlai 1812 jum Dpfer
fiel. Alö biefer an bem bejeidjneten £age bie SßorfjaUe
beS AbgeorbnetenljaufeS betrat, fdjofj eine unbelannte
$}}erfönlidjfeit ein $iftol auf il)n ab unb traf if)n töblid).
gleichen Augenblid trat ein 2Rann Ijernor unb fagte:
,,3d) bin ber Unglüdlidje. 9Jlein 9?ame ift SeQingljam.
©3 Ijanbelt fid) um eine ^rinatangelegenljeit. 35ie 9tegie*
rmtg l)at mir mein 9tedjt nerroeigert — id) roeif}, roa3
id) gctljan fjabe." ®ie 3üge be§ Attentäters geigen beut*
Ud) ben SMandjolifer. ®er 93erteibiger plaibierte auf
UnjuredjnungSfäljigfeit, aber ber ©eridftsljof nerroarf baS.
®er Attentäter mürbe am 18. 9Jtai geljcnft.
Als ©egenfat) ju biefem gafl, näntlid) als £t)p beS
au§ reiner überfpannter ^uflenbfd^ruärmerei unb bis jum
Cbark* aulkau.
35er Attentäter
fjätte fidj in ber
entfteljenben
allgemeinen
Verminung
leidjt retten
fönnen , net'
fd)tnäl)te aber
bieS ju tfjun.
©iner ber Ab*
georbneten, bie
fidjumbenfter*
benben 9Jtini*
fter bemühten,
rief aus : „2öel*
c^er ©lenbe Ijat
baS getljan!"
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Don 0tto ^änßlcr.
225
ganatiämuä gefteigerten greif)eitäbrange8 Ijeroorgegangenen
21ttentate8, fann bic ©rmorbung ßofcebueä burcfj ©anb
gehen. 3n ben 3eiten ber 9leaftion, bie ben 33efreiungä*
ftiegen folgten, mar eä befonberä ber ruffifd^e ©taatSrat
unb $idjter 2luguft o. ßofcebue, ber burdfj feine Seridjte,
toie burcfj feine ©cfjriften, in benen er ba3 Treiben ber
jugenblicfjen 28eltoerbefferer mit bem giftigften ©pott über*
fd)üttete, ben
fern „ruffifd&en
©pion" unb „Verräter am SBaterlanbe", ju befreien. 6r
nafjte ficfj am 23. 2Jiärj 1819 bem 2lrgIofen in -Dtannfjeim
mit einem Söriefe unb burcijboljrte ifjn mäfjrenb beä Sefenä
mit einem im 28am§ oerborgen gehaltenen Solide, inbem
er rief: „§ier, bu Verräter beS 93aterlanbeä!" 3n ber
eintretenben Serroirrung oon niemanb gefjinbert, ging
©anb bie Xreppe t)inab, trat oor bie Xfjür, rief: ,,§odf)
lebe mein beutfdf)e§ Skterlanb!" fniete nieber unb ftiefj ficfj
mit ben SSorten: „^dj banfe bir, ©ott, für biefen ©ieg!"
felbft ben ®olcf), aber oljne ficfj lebcnSgefäfjrlicfj ju oerlefcen,
19)1. III. 15
§afj ber beut*
fcfjen ©tuben*
ten erregte.
$er ©tubent
ßarl Subtoig
©anb, ein
überfpannter
unb oon (Sitel*
feit befjerrfcfj 5
ter junger
•Dfenfdj, fafjte
.ben 33orfa$,
ba§ beutfdbe
33olf oon
ßofcebue, bie*
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226
Attentate uttb Attentäter.
mehrmals in bie 39ruft. 3Jian Raffte ifjn inS ^ofpital
unb braute ifyn non bort am 5. 2lpril ins 3ud|jthau8.
SaS 9Kannf)eimer §ofgeridE)t fprod) am 5. 2Jtai 1820 baS
SobeSurteil über iljn auS, baS bann am 20. 3Jlai mit
bem ©cfjroert ooHjogen mürbe.
Sßolitifdjer Fanatismus braute am ®nbe beS großen
amerifanifcijen SöürgerfriegeS bem trefflichen ißräfibenten
bei. SOBährenb beS britten 2l!teS !am ein junger SJiann
in baS Sljeater, ber ben $räftbenten in mistiger 2ln*
gelegenst fpredjen &u müffen erflärte unb fidjj baburdfj
ßinlajj in beffeit Soge oerfdjaffte. Pöfclidj fiel ein
©cf)ujj in ber Soge, ber F*«mk« brängte ftdj jmifd^en
ben beiben Samen burdfj unb fprang über bie SSrüftung
auf bie SBüljne. Sort fd^raang er mit fomöbiantenljafter
Haltung einen Solch unb einen 9teooloer unb rief,
auf ben jufammengefunfenen ^räfibenten beutenb: »Sic
semper tyrannis!“ (©o ergebe eS aßen Sprannen!)
Kaiserin Elisabeth von Oesterreich, ermordet am
10. September 1898.
ber Union,
Slbraham Sin»
coln, ben Sob.
21m Slbenb beS
14. 2Xpril 1865
rooljnte Sincoln
mit feinet ©at*
tin, einer biefer
befreunbeten
Same unb bem
ÜDiajor Stath»
bone in einer
SßrofceniumS*
löge oon ForbS
Sweater ju
2öafhington
ber SSorfteßung
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Don ©tto ffänjjler.
227
Sincoln uetfdjieb in ber Morgenfrühe. Ser Mörber, ein
©dfjaufpieler Namens Sohn 2Bil*eS Sooth, ein 33ruber
beS gefeierten Sragöben ©broin 39ootf), roar in ber aH=
gemeinen SSerroirrung entfommen. (Sr roar ein fanatifcher
Slnljänger beS SübenS unb geiftig nicht mehr gang nor*
mal. 2ttS er bis ©areitS garm bei söoroling in Virginia
gelangt mar, holten ihn bie Verfolger ein. SBooth t>er*
teibigte fid) mie ein Nafenber in einer Scheune, in ber
er ftch oerbarrilabiert hotte, bis ihn eine Äuget nieber*
ftredte.
3Son SincotnS Nachfolgern mürbe auch SarneS Stbram
©arftelb baS Dpfer eines MeucljelmörberS. 21m 2. $uli
1881 mürbe er auf bem Söaljnhofe ber Sattimore^otomac*
©ifenbahn gu 2Bafl)ington oon einem ehemaligen Stbnofaten,
Charles ©uiteau, ber gu jener 3eit ein brottofer Stellen*
jäger roar, burdj groei Neooloerfchüffe fchroer »errounbet.
Nach langen qualuollen Seiben ftarb ©arfielb am 19. Sep*
tember 1881. Ser Mörber behauptete, nicht aus eigenem
Antriebe, fonbern infolge eines befonberen göttliihen 2luf*
träges auf ben fßraftbenten gefdjoffen gu hoben, unb fein
Serteibiger fudjte ihn als oerrücft fjingufteHen, rcährenb
er in SBirHichfeit ein frecher feuchter mar. (Sr mürbe
gum Sobe »erurteilt unb am 30. S«ni 1882 im ©efängnis
gu SSafhington gehängt.
SaS gleiche ©efdfjid mie feine beiben amerüanifdjen
Äotlegen traf ben fßräfibenten ber frangöfifdjen Nepublü,
Marie $ran$oiS Sabi Carnot. Cr mürbe am 24. Suni
1894, furg »or bem Slblauf feiner fßräfibentfd)aftSperiobe,
bei bem SBefuch einer Äunft* unb ©emerbeauSfteHung in
Sgon auf ber galjrt nach bem Shcater oon einem jungen
italienifchen Slnardjiften , Santo Caferio , burdh einen
Solchftoh töblid^ oerrounbet unb ftarb menige Stunben
barauf am Morgen beS 25. Quni. Ser Mörber befannte
ftch in bem am 3. 2luguft gegen ihn oerljanbelten fßrogeffe
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228
Attentate ntib Attentäter.
als SCnardjift unb leugnete beharrlich, Vlitfchulbige ju
haben. ©aferio würbe jum Sobe oerurteilt; er bewies
bei feiner Einrichtung in Spon am 16. 2luguft burdjauS
nicht einen SJiut, ber feinem freien Benehmen oor ©e*
ridjt entfprodjen hätte.
2Bir fommen mit biefem fDleudhelmörber ju einer
Kategorie oon 2lttentäiern, bie burdj eine ganje 9leihe
ebenfo graufamer als jiellofer ÜÖlorbthaten ben allgemeinen
2lbfdjeu wachgerufen haben unb beren Vrutftatte gerabe
Italien ju fein fdjeint.
(Sin italienifcher 2lnardjift ift auch Suigi Succfjeni, ber
am 10. September 1898 ju ©enf bie Kaiferin (Slifabetl)
oon Defterreidj erftad), obwohl bie hohe grau ber ffiolitif
rollig fern ftanb. 2öol)l burfte Kaifer granj gofeph in
ber Sanffagung an feine Völfer für ihre warme Seil*
nähme fagen, ber 9)iörber habe ftd) „gegen bie ebelfte ber
grauen erhoben unb in blinbent, giellofem §affe baS
§erj getroffen, baS feinen Eafj gefannt unb nur für baS
©ute gefchlagen f;abe". ®er Viörber, ber feine Untljat
im ©efängnis büjjt, rühmte ftch ihrer noch nachher; auf
bem ^olijeipoften erflärte er, er fei Slnardjift unb ohne
Vrot, unb er hoffe bie Reichen, (Sr gehört ju jenen tief*
gefunfenen Naturen, bie unter bem traurigen (Sinftufj
fdhranfenlofer Verhefung jeben moralifchen Ealt oerlieren
unb fo jum urteilslofen Söerfjeug für Verbrechen werben,
beren ftch bie 9Jlenfchheit ju fchämen ^at.
tilllein im oerfloffenen gafjrljunbert finb burdj ÜJlörber*
hanb gefallen: 9 Vräfibenten oon greiftaaten, 2 Kaifer,
1 König, 2 gürften, 2 Sultane, 1 Schah unb 1 Kaiferiit.
' * »
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{fiannigfaltiges.
pie j^frfdjwörung. — Nach bem ©einamen be§ ehemaligen
$önig§ Ströme von SBeftfalen „Äönig Sufticf" foUte man fchliefjen,
bafj man an bem £ofe biefeö SchattenfönigS nichts als eitel £uft
unb greube gelaunt hätte, höcfjftenä vielleicht, bafs h* n unb
rnieber ein enetgifcher ©efeht beö faiferlicf;en ©ruberä eine vor*
übergeljenbe ©erftitnmuttg hervorrief. 3ebod) ift e§ vielmehr al§
5Eh at T at ^ e 3 U betrachten, bafj bie luftigen fjranjofen auf einem
©ulfan tanjten, bafj bie fnorrigen Reffen unb 3Beftfalen burdj*
au3 nicht gern ba§ 3och ber grembljerrfchaft trugen, unb bafi
fie ftetä bereit roareit, mit ber SBaffe in ber §anb bie ©inbring*
linge ju vertreiben.
2)iefe Stimmung ber ©evölferung ivar bem „Äönig Sufticf"
unb feiner Regierung nicht nur uid^t unbelannt, fonberit man
mar im fraitjöfifchen Säger fogar geneigt, viel fchroärjer ju fehen,
alä e<3 nötig gerocfen märe. Ueberall mitterte man ©mpörung
unb ©erfchroörung; unb nicht genug, bah ntan ba§ Sanb mit
einem Nefc eigener politifcfjer Spionage umgeben hntlf/ fo rech*
nete man auch noch auf bie 2lngeberei ber Sanbeäfinber felbft,
unb für bie geringfte ®enunjiation, bie auf eine ©erfdjtvörung
hinmieä, ober für bie Namhaftmachung eines ©erfchroörerS mürbe
eine h°h e Belohnung auSgefetjt.
25urct) bie Steuern unb ©rpreffungen ber granjofen mar
baS Sanb auägefogen, unb namentlich unter ber Sanbbevölferung
mar mancher an ben ©ettclftab gebracht morben. Sluch jmei
©rüber, melche gemeinfchaftlich ein ihnen von ben alten noch
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230
ITlannigfaltiges.
lebenben Gltern übergebeneg Fleineg ©ut bemirtfcfafteten, fa^en
mit Sidferfjeit bem fommenbert Suin entgegen. Sie Ratten
leinen geller im §aufe, unb wenn fie nicft in ben näcfften
Sagen bie fälligen 3 ‘ n fe» 3«flen Fonnteit, füllte ifjr ©nt unter
ben Jammer Fomnten.
SBäfrenb fte ratlog baftanben unb oergebeng einen 2lugmeg
fudjten, 30g ein franjöfifc^er Sambour mit einer Meinen Solbaten=
abteilung oorüber unb machte mit lauter Stimme beFannt, bafr
bie Regierung für jebe Senunsiation bem 2lngeber tjunbert Sfaler
3 a 0Ie-
$ie Srüber beamteten bie 2 lufforberung fautn, aber alg bie
Solbaten oorüber waren, fprang plöfclidj Äafpar, ber 2 leltere,
auf unb rief: ,,3d) fab’g! 2Bir werben gerettet werben. SBruber
Seit — für bie Senunsiation eineg Serfcfmörerg werben fun=
bert Sfaler ge3aflt, eine finreidEjenbe Summe, um und »01t
ber näcfften ©efaljr, bie unä unb unfer ©ut bebroft, 3U be=
freien."
„Xu willft bod) nic^t — ?" fragte ber Sruber entfett.
,,3d) nicljt, aber bu! 2>u wirft feute nod; nadj Äaffel fahren,
in bag Slinifterium gefeit unb rnief alg Serfcfroörer beseidfnen.
2>u weifjt, bajj bu bamit nieft bie tlnwafrfeit fpriefft, benn
icf fabe tnief feit bem Seftefen biefeg fogenannten Äönigreicf eg
Sßeftfalen bemüht, unfere Säuern 3U einem etwaigen Äampfe
gegen bie fteinbe bereit 311 galten."
„Wentalg, Äafpar," braufte ber jüngere auf, „niemalg wirft
bu mief 3U biefem hoppelten ScfurFenftreicfe bereit finben!"
Äafpar liefe erft ben Sruber augtoben, bann fefte er iftu
mit ruhiger Stimme feine ©rünbe augeinanber, unter benen
ber fcfmerwiegenbfte, bafe fie ifre alten Gltern nieft barbenb
unb bettelnb aug bem £>aufe jagen laffen bürften, ben 2lug=
fcflag gab.
9 lur ein SebettFen machte Seit noef geltenb. „SBcttn fie
bief ergreifen, werben fie bief alg Serfcfroörer filtrierten."
„©laubft bu benn, icf mürbe ein 3 iarr fein unb ttoef einen
2 lugenblict fier länger oerweilen? 2 öir werben ben Gltern
ersäflen, bafe wir beibe ttaef oerfefiebenett Jlicftungen fiit
ftreunbe auffuef eit wollen, um bag nötige ©elb 3U leifen. 2)ann
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mannigfaltiges.
231
fäljrft bu nadj Äaffet, roäfjrenb id) jenfeitd bcr ©renje »er--
fdjroinbe."
©o gcft^a^ ed. Seit fufjr auf feinem Sldferfufjrroer! nad)
Raffet, ftellte jened in eine Sudfpannung unb machte fid^ auf
ben 2ßeg nad) bem ©d)loffe. 2lld er einen Sorübergefjenben
nadj bem SBegc fragte, blieb biefer ftefjen unb ftarrte ifjn an.
„33ift bu ed roirflid), Seit?"
25iefer, näfjer Ijinfcfjauenb, erfannte einen früheren Änedjt.
„Sa, ©örge, icfj bin ed."
„Unb road treibt bidj Ijierljer nac§ Äaffel?"
„3cf) miß einen Serfdjroörer anjeigen."
„Unb ©elb bafür einnetpnen?"
„SatürlidEj."
„35ann fannft bu roieber getroft nad) Jjjaufe gefjeit. Son
benen ba oben friegft bu nicfjt einen Safcen f)eraud."
„2)a irrft bu," entgegncte Seit, „id) t)örte nod) geftern bie
SelanntmadEjung, bafj jeher ^unbert £f)ater erhält, ber — "
„darüber braud[)ft bu mid) nidjt ju belehren, ©o fcfjlau roie
bu roar id£) längft. 2 lber ber fiönig Sufticf braudjt fclbft ©elb
genug für feine Sergnügungen. ©ie tjaben ficfi bafjer einen
©treidj auägebad^t, um bie 2 )enun 3 iationdgebül)ren 31 t fparen.
2 Bäf)renb ber 2 tngeber nämlicf) feine ©efcfjidjte erjä^lt, fifet ein
©direiber fjinter einer fpanifdjen SBanb unb fdjreibt alled nad).
Sft man bann mit feiner ©efd)id)te fertig, fo fieifjt ed: „®ad
mußten mir fdjon längft," unb fte fjalten einem bann bad Sud)
»or bie Safe, in meinem alled auf gef Trieben ift."
25iefe Sßorte trafen Seit roie ein $omterfd)lag, unb ald er
fid) oon ©örge getrennt Ijatte, taumelte er roie finnlod burd) bie
©tragen. 9llfo fotltc bie $lud)t bed Sruberd »ergebend geroefen
fein, unb er felbft mit leeren $änben roieber 3 urücf fefjren ?
IßlöfcUcl) fam i§m aber ein ©ebanfe, unb mutiger fdEjritt er
roieber feinem 3* e l e i u - Sabbern er bem »or bem üJiinifterium
ftefjenben SDiener fein Snliegen mitgeteilt Ijatte, rourbe er »or
ben 2 )ire!tor bed ©pionageroefend geführt, bem er mit lauter
©timme ben Sauernfoljn Äafpar ©cfjmibt atd Serfcfjroörer
benun 3 ierte.
2 Bad@örge »oraudgefagt fjatte, traf ein. @d rourbe fogleid)
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232
ITtannigfaltigcs.
ein Sudf) prbeigebraep, in weitem bie eben »erjeidpete SIuS*
fage 33eitö bereite »erjeidjnet ftanb.
„SaS wunbert midj um fo mep," fagte biefer Iädjelnb, „als
id| einen 33auernfopt ÜRamenS Äafpar Scpnibt gar nicfjt fenne.
3dj pbe biefen tarnen nur »orgefepben , weil mir ein guter
ijreunb riet, juerft biefe 2tuefage ju machen unb erft fpäter ben
richtigen Stamen ju nennen."
„Sann werben wir alfo jefjt ben richtigen Flamen ju pren
befommen?" fragte ber Beamte.
„3a, wenn mir baS ©elb beftimmt »erfprocpti wirb."
SaS gefdptj, unb 2kit nannte ben richtigen ÜRamen feines
SBruberS. Ser Sireftor tfjat, als wolle er nun baS ©elb prbeu
pleit, wanbte fief) aber plöpidl) um unb fagte: „333er bürgt
mir aber nun bafür, bajj ber je^t genannte 92ame ber richtige
ift ?"
SSeit erwiberte nadEj längerem $ögern: „Sdf) fann mief) mit
papieren über meine 33erfon auSweifen, unb berjenige, ben id)
angegeben pbe — ift mein SSruber."
„Um fo näpr liegt eS, bafj audj bu ein S3erfcpt)örcr bift,"
fagte ber Sireftor, „unb idj »erpfte bid) im 9iamen beS ÄönigS."
Srofc aller Beteuerungen würbe Beit inS ©efängniS geführt.
Sn einem fpäteren Berpr befannte er bann bie ganje 333ap=
pit, unb bie ©efepepe machte ein folcpS 2luffepn, bafs fie
audj ju Dpen beS ÄönigS fam. Siefer amüfierte fic^ fo über
biefe „Berfcliwörung", baji er »erfügte, man foüe jebem ber
beiben oerfc^worenen Sriibcr pnbert Spier jaulen. Sie Summe
genügte, um baS ©ut ben Brübern ju erplten, unb Äafpar,
ber fiel; barauf gefajjt gemalt ptte, nidjt epr jurüdjufepen,
alö bis bie granjofenprrfepft ein ©nbe erreicht ptte, gelangte
unbeplligt wieber in bie ^eiinat jurüdf.
Bon nun an aber würben bie „SenunäiationSgelber" auf*
gepben. 9Jt. §.
Ileue {pfhtbuttgett. I. Äettenaufjug für gflojjfjolj.
— SEBo friipr grunblofe SBege unb fepoere Saften baS Sugtier:
material angriffeit, wie aucf) ein grofjeS Sßerfonal an BebienungS;
mannhaften erforberlid) war, ba treten jefct mep unb mep bie
meepnifepn SranSporteinridjtungen mit iper Suoerläffigfeit
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mannigfaltiges. 233
incd)anisd)C transportcinricbtung für Cangbolz an der UJolga.
unb Jtegelmäfjigleit ein unb bieten ben größten SJorteit, ba ju
iljver 23ebienung nur roenige Seute erforberltct) finb. ben
mciften $äHen machen fid) bernrtige 2Intagen burdj bie eijielten
234
mannigfaltiges.
4e=>i~»S3
©rfparniffe fc^on int elften Saljre faft oollftänbig bejötjtt. —
ttnfer Silb geigt eine berartige fyörberbaljn, nämlich einen
Jlettenaufjug für glofsholj, meiner oon bet Jirma 2lrtf)ur Äoppel,
bje in biefer Sejiehung grofje (Erfahrungen unb reichhaltiges
SERateviat hat, erbaut routbe. Ter Äettenaufgug bient baju,
Sangholjftämme auS bet 2Bolga bis ju bem ca. 420 Bieter ent:
fetnten unb ca. 63 Bieter fyod) gelegenen ©tapelplafc ju förbern.
Tie Blafchinenftation ift, um einen geringeren ßettenjug ju et:
galten, in bie 3J?itte bet ©trede gelegt unb biefe mittels eines
Tunnels unter ber am Ufer laufenben (Sifenbafjn hinmeggeführt
worben. 3n 9tnbetracht beS ca. 12 Bieter wechfelnben
roafferbeftanbeS ift bie ©trede oom Tunneleingang bis 3 um
SBafferfpiegel transportabel auSgeführt unb !ann, bem Sßaffer:
ftanb eutfprechenb, oerfürgt ober uerlängert, ober bei ein:
tretenbem ©iägange oermöge oor bem Tunnel angeorbnetem
Sauffrane ganj ausgefallen unb beifeite gefegt werben. Ueber
jroeiljunbert Sangljoljftämme roetben in einer ©tunbe beförbert
Blan lann ficfj ba^er einen Segriff oon ber SeiftungSfähigfeit
machen, welche biefe TranSportmethobe gegenüber jeber anberen
aufweift.
II. Serbefferter S r e n n e t für © l ü h ft rümpfe. —
Selanntlid) entwideln bie ©aSglühftrümpfe eine um fo größere
£euif)tfraft, je höher bie Temperatur ber glamme ift, auf ber fte
angebracht finb. Blit bem gewöhnlichen Sunfenbrenner mirb nun
aber baS Blajimunt ber Temperatur nicht entfernt erreicht, unb
jmar hauptfädjlich beSroegen nicht, toeil bei ihm fich baS ©aS
nicht innig genug mit ber atmofphärifchen Suft oermifdjt. Sei
einem nerbefferten Srenner (©pfteni ©aint^aul), ben unfere
Bbbilbung oeranfchaulicht, mirb baS ©aS bereits heijj gemacht,
beoor eS in ben Sehälter gelangt, wo eS mit ber Suft in Se:
rührung tritt. 3« biefem 3'*>edf befinbet fich ber ßranj H, ju
bem baS ©aS mit ber §auptröhre G burch eine Heine 3»®eig:
röhre gelangt, nachbem ber §ahn R geöffnet ift, in bem mit
Söchern »erfehenen Sehälter E unb bilbet eine 2Irt oon Sor--
wärmer, ben man anjünbet, um bie in G eingelaffette BletaH:
fcheibe M möglichft heifs werben gu laffen. 2Beitn bann baS
©aS bei P ausftrömt unb fich mit &ei C unb D in ben
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mannigfaltiges.
235
unteren Teil ber fonifdjen Stöbre B einfliefjenben atmofpbä=
rifdjen £uft mifebt, fo befi^t e§ eine Temperatur, bie nach ben
ungeteilten Stcrfuc^en eine oollftänbige ©leicbmäjjigfeit beS ©e*
mengeä geroäbrleiflet. TiefeS ftrönit nun
aufroürtö unb roirb am oberen ßnbe »on
B angegünbet, um ben Strumpf A gum
©lüben gu bringen. TaS ©aä erreicht ba;
bei eine §ifce oon ungefähr 1800° ©elfiuS,
unb ber Strumpf entroicfclt eine erheblich
floriere £eucf)tfraft als bei ben gerobbte
liefen Srennetn. gr. 3i.
Jer ^eidjenßummfer mar uor etroa
acbtjig Sauren eine aübefannte ^erfönlicb=
feit SBienS. ßr Ijatte früher eine niebere
Seamtenftelle unb mürbe mit einem iäf)r=
lieben Stubegebalt »ott 85 ©ulben pettfio=
niert. Vermögen befafj er nicht, ba§ Stube=
gebalt reichte für bie befcbeibenfien £eben§=
anjprücbe nicht aus, unb boeb hotte ihm ber
2lrgt eine fraftige Äoft unb täglich ntinbe-
ftenä ein ©laä SBein oerorbnet. Slrbeiten
unb enterben tonnte er nicht mehr. 2Bie
nun gu tröftiger 5toft unb einem ©lafe
SBein lomtnen? T)aS mar bie fyrage, bie
feine Seele fort unb fort bemegte. Ta tarn
ihm eine§ TageS ein 3 e rtungsblatt in bie
§anb, er laS unb — plöfclicb bellte ficf)
feine trübe SJiiene auf, benn er hotte ge=
funben, roaS er fo lange »ergeblicb gefudjt,
täglich eine fräftige ifoft unb ein ©laS
SBein. Sofort eilte er feiner SBohmlttg gu;
hier angelangt, fudEjte er b a ftig ouS bem
geringen Sorrat an fieibmäf^e ein neugefteifteS ffiorbembdjen,
legte bie etmaö fabenfeheinigen fcfjroargen geiertagSbeintleiber
unb ben nid^t oiel tröftlicberen graef an unb trabte bann ber
Stabtgegcnb gu, in meiner ber rooblfjobenbe SJJittelftanb »or=
nehinlich fein Quartier aufgefchlagen. £ier tarn er oor ein
M-.
»WoO-
Uerbe*$erler Brenner
(System SainuPaul)
tiir 6lübstrUmpf e.
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236 mannigfaltiges.
§au§, »or meinem Xrauerlutfchen gelten, machte fid) mit
3iegenfdf)irm unb ßllettbogen burdj baö §eer ber ©affet- ©aljn
uttb trat:
„’ne X^rätt’ im Slug’,
3m §ergen aber froh,"
unter bie trauernben ©erroanbten, bie bem Seligen bie lefjte
ßfjre geben rooHteit unb ftd) bagu eben burch einen Meinen 3™ s
bijj ftärflen. 3 roar richtete fit^ mancher fragenbe ©lief auf beit
unbefannten SJtann mit ber heftigen Führung, aber berfelbe
meinte ju fd)ön unb natürlich unb hatte burdjaud richtig falfu-
liert, man roerbe bei foldjer ©elegenfjeit, jeben ßflat uermeibenb,
auch bem fretnben Seibtragenben ein ftiUeä ©läfcdjen gönnen,
jumal ja in ber Xobeöanjeige uon ben jaljlreidjen 3*eunben
bed ©erftorbenen bie 9tebe mar unb botf) niemanb miffeit fonnte,
„ma§ i(jm ber £ote geroefen". Kurj, bet ©raue griff in bitterer
Xrübfal roaefer ju unb lieft ben genoffenen ©lein ali I^ränett
rcieber über bie abgehärmten ©langen hinabbeftiUieren. Sie
Kutfd)er fuhren uor, man flieg ein, auch unfer ^>elb erlangte eine
mollige SBagenecfe, unb ald er nun fo bahingef^aufelt mürbe
auf ben meinen ©olftern, ba fam bie freubige ©eroifiheit über
ihn, fo unb nur fo fönne er bie ©orfdjrift beä ©rjteö befolgen.
Seit jenem erften glücflidjen Sebüt mar er ber eifvigfte Sefer
ber Sotenlifte; roo ein feinem 3n>ed entfprechenbed 2eichen=
begängnisl ftattfanb, mo „ben gasreichen fyreunben unb ©er:
ehrern beö Sahingefdjiebenen" angejeigt mürbe, baft bie ©e=
erbigung uotn Urauerfjaufe au§, um bie unb bie Stunbe er:
folge — unb fold^er jmecfentfpredjenben Seidjenbegängniffe gab
e§ in ber ©rofsftabt täglich roenigftend groei ober brei — ba falj
man ihn unbebingt unter ben Seibtragenben. SBaS fümmerte
eä ihn, bafj einjelne hämifche Leiber, benen ja auch ßrnftefte
nicht heilig ift, ihm ben Spottnamen „Seidjenbumntler" gaben?
— er trauerte riiftig meiter um bie »erblichenen ©rüber unb
Schmeftern. ©alb begannen fich feine hohlen ©Bangen ju runben,
unb feine 9iafe befam einen lieblichen 2lnflug uon ©urpur. ßr
brachte fein Seben faft an bie adjtjig 3 a ^e. e %.
«Äafifornlfe^e gtiefettfrüdjte. — Saö ©olblanb Kalifornien
gehört uuftreitig ju ben gefegnetften Säubern ber ßrbe. 3 1Dnr
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Mannigfaltiges
237
fann tnan feine ©olbflumpen mefjr mit bet ©Raufet auS bem
33oben graben, aber bem Spaten unb Pfluge beS 2lcferbauerS ge=
fingt eS, falls fiinftlicße Sleroäfferung begafft roirb, bem bürren
23oben n>afjrl)aft erftaunlicße ©rnten »on allen 9tafjrungSpflanjen
bet gemäßigten unb wärmeren 3 one S u entlocfen. ftitronen.
Drangen, Satteln, Dlioen, Srauben warfen neben ben beften
5lepfeln, 93irnen, 2lprifofen unb ^firficßen; baju Baut man mit
größtem ßrfolge alle ©etreibe?, ©emüfe: unb Söeerenarten in
norjüglicßer ©orte. greilicß ^ roaffer= unb regenarme
©übfalifornien für ben fleinen garnter nirf;tä ; bie 9?otroenbig=
feit foftfpieliger 23eu)äfferungSanlagen giebt nur bem begüterten
2lnfieblet 2luSficl)t, bovt fortjufommen. ©ut gelegenes unb be;
mäfferteS 2anb ftef) f , felbft wenn nocf> oölHg roüft, ßorf) im greife.
Slbcr bereits »erforgt Kalifornien ganj 9torbnmerir« mit Dbft
unb füfjrt fogar in immer fteigenben Stengen nad) Guropa auS.
Kalifornisdx RitsenrunkcIrQben.
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238
mannigfaltiges.
Seit jeljei haben bie talifornifchen Miefenfrüchte, bie ein ©erociS
für bie erftaunlitffe gruchtbarfeit unb Ulährlraft beS ©obenS ftnb,
bie Serounberung berer erregt, bie fie faljen. 2Jlan !ann fic^
fauin einen $ureid)enben Begriff baoon machen, roaS ber falü
fornifdje ©oben in biefer 2lrt TOonftröfeS (jeroorbringt. ©on 3««*
p Seit roerben in ben amerüanifchen 3 eit « n 9 e « Schiebungen
riefen^after falifornifcfjer Irauben, Slepfel, Äartoffeln, ßrbbeeren
ober Äohlföpfe veröffentlicht. 2Bir führen unferen Sefern — nad)
einer Sßhotograpljie — jroei ©iefenrunfelrüben »or Slugen, bie auf
einem laliformfdjen gelbe ju ber foloffalen ©röfse emporgerouchcrt
finb, rote unfer SUb fie jeigt. 3Jlan Ijat fie ftüfcen müffen, b a-
mit fie nicht burdj ihre eigene Schwere umbredjen. 5. 3
#tn |3iftgefud) gSojarts. — 3m ©eftfc ber gamilie
URenbelöfohnsSartljolbp befinbet fich ein merfroürbigeS Original*
fdjriftfiiicf HJlojartS, ein Sittgefud) an ben Stabtmagiftrat ju
SBieit. 2luf ber ©ufsenfeite fteht in brei SRefpeftabfäfcen:
„Stabt magiftrat! untertäniges Sitten SBoIfgang 2lmabe
SJlojartS, Ä. Ä. £ofcompofitorS, um betn Ijicfigen .§m. ÄapeH*
2JJeifter an ber St. StephanS^omfirche abjungirt ju roerben."
2>aS Schreiben felbft, oon SWojartS eigener $anb auf einem
Stempelbogen gefdjrieben, lautet:
,,§odjlöblid) §od)ioeifer Sßieiterifcher Stabtmagiftrat ! ©nä*
bige sperren ! 211S §err Äapellmeifter £offmann fran! lag, rooltte id)
mir bie greifet neunten, um beffen Stelle $u bitten, ba meine
9Hufifalifd)en Talente unb SQBerfe, foroie meine 2bnfunft im 2luS*
lanbe befannt fmb, man überall meinen SRanten einiger 5Rü<fftct|t
roürbiget, unb ich felbft am fjieftgen §öcf)ften §ofe als ©ompofitor
angefteüt ju fein feit mehreren 3 a *) rett bie ©nabe habe; fioffe
id) biefer Stelle nicht unroertlj ju fein, unb eines Ipochroeifen
StabtmagiftratS ©eroogenheit ju oerbienen. — SlUein Äapeß:
meifter hoffmann roarb roieber ©efunb, unb bei biefem Umftanbe,
ba id) ihm bie friftung feines SebenS oon §erjen gönne, unb
roünfche, habe ich gebaut eS bürfte vielleicht bem 2)ienfte ber
25omfird)e unb meinen gnäbigen Herren jum oortheile gereichen,
roenn id) bem fdion älter geroorbenen §rn. fapellmeifter für jefct
nur unentgeltlid; abjungirt roürbe, unb baburdj bie ©elegen^eit
erhielte, biefem ©edjtfcfjaffenen fflianne in feinem 2>ienfte an bie
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UTannigfaltiges.-
239
$anb p geben, unb eines fiodbweifen ©tabt*MagiftratS 9tücffidjt
burcb reirtlicbe Sienfte mir ju erwerben, bie idb burcb meine aud)
im fircbenfhjt auSgebilbeten fänntniffe p reiften »or attbern midj
fähig galten barf. Untertbänigfier Siener Sßolfgang Slmabe
Moprt, St. St. £ofcompofitor."
Sie Unterfdbrift fte^t benot ganj unten. SaS Saturn fehlt,
Mojart b a * eS »ergeffen. ©S roirb aber mit großer 2Baf)r=
fcbeinlicbfeit anpnebmen fein, bafj baS Schreiben in ben
testen Qa^ren feines SebenS abgefafit roorben ift. ©ielleidji
nicht lange benor iijn ber Sob baoon befreite, feine Sienfte
bem fbocbroeifen ©tabtmagiftrat non fflien umfonft anbieten p
miiffen. c. ep
JSfonbe ^trauen. — ®S ift eine ^atfad^e, baft oon jeher
bie bfonbe ©diönfjeit bei ben Äulturoölfern bie beoorpgte mar.
Sei ben alten ©riechen mar fie ohne grage bie Schönheit fd^led^t:
bin, baS gebt fdjjon auS ber Mptfjologie Ijeroor.
Sie brei ©rajien waren blonb unb golb^aarig bie Sipittp^en
Slurora unb bie fdjaumgeborene ©öttin ber Siebe, 2lpljrobite,
werben als lichte, rofige ©ottljeiten bargeftetlt, bie burcb ihren
Siebreij bie MenfdEjenftnber pr 2lnbetung ^inriffen.
SaS 3beal ber grauenfcf>önl)eit mar alfo bapmat baS ©lonb,
unb beS ißariS Urteil nur baS Urteil beS ganjen 2lltertumS.
Corner rühmt an ber Helena baS reiche, golbblonbe §aar, baS
in gleichmäßigen SBellen bie 'prten Schultern umflog. Unb
feitbem haben bie Sinter nicht aufgeljört, bie fdjimmernbe ©olbs
ftut beS §aareS p ner^errlid^en. SaS glänjenbe ©elocf ber
©erenife mürbe unter bie ©ternbilber »erfefct, unb ein einjigeS
blonbeS ©olb^aar ber Sfolbe, um ben g-lügel einer ©cbroalöe
geklungen, erroecfte SriftanS Siebe unb entjünbete bie Seiben*
fd^aft beS alten ßönigS 2Jlarfe.
Sie blonbe ^fjrgne mar eS, reelle bie beiben größten
ßünftler ©riecbettlanbS begeifterte, ben Silbljauer ^rajiteleä
unb ben Maler 2lpeßeS. §ora 3 , ißroperj unb anbere Siebter
fdjroärmten für blonbeS §aa r, unb blonb roaren auch bie §ulbs
geftalten ber großen italienifdjen Siebter beS Mittelalters. ©or
allen bie ©eatrice beS Sante unb SaffoS $elbin in feinem
„©efreiten Serufalem". SaS Porträt 2lnnibaS mar, roie man
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240 mannigfaltiges.
annimmt, bag ber blonben ©leonore oon ©fte. Slrioft prieg bie
blonbe 2lngelifa. ©g mar in bem 3eitalter, bag unter bem
©influfj biefer 3>id^ter ftanb, alg Ph‘Kpp ber ©ute, §ergog non
Surgunb, ben Drben beg ©olbenen Sliejjeg ftiftete, feiner blon=
ben ©emahlin gu ©Ijren.
3Hargarete oon Saloig, bie Sdjmefter beg ritterlichen Äönigg
grang I., roar aUerbingg brünett unb ebenfo SDlagbalene, bie
Tochter beg Äönigg. Slber felbft ein §ofpoet wie ©lement
SJlarot (1495—1544) fonnte nicht umhin, im §ochgeitggebicht
auf bie lefctere gu fagen: „Brünette eile est, mais pourtant
eile est belle!“ (Sie ift brünett unb ben noch fchön!) ©in
Seroeiö, mie fel)r bie Segriffe grauenfchönfjeit unb blonbeg §aar
alg gleichbebeutenb betrachtet mürben. Sie cntgüdenben grauem
föpfe Sigiang hoben blonbeg §aar, unb bie garten Slonbinen
mit ber rofigett, burchficfjtigen Hautfarbe, mie SRubeng fie ge=
malt hot, feffeln ung ebenfofehr, wie bie herrlichen golbfjaarigen
grauengeftalten beg Paolo Seronefe, ©iorgione, Sintoretto unb
Palma Sectio. SBenn roir bie güHe ber ung aug jener 3 e *t
erhalten gebliebenen Slabonnenbilber betrachten, fo mufj ung
bag Sorfjerrfehen ber lichten Haarfarbe auffallen.
Sag blonbe §aar mar befonberg in Senebig auf bag höchfte
geflöht. Sn feinem Suche „Von ber oollfommenen grauem
fchönljeit" bemertt ber glorentiner Slgnolo girenguola: „SBiffet,
bafj für roirflich fdjöneg §aar Stonb bie eingig roaljre garbe
ift"; unb SUoiug fdjrieb einen Sloman gur Verherrlichung ber
blonben grauen. 3luch ejiftiert ein Such: „La Pauleographie“,
melcheg gum greife einer Same oon Souloufe, genannt La belle
Paule, gefchrteben unb in Spon gebrudft roorben ift. Von biefer
Schönheit ift belannt, bafj fie, im ©egenfafc gu ben Souloufe:
rinnen im allgemeinen, blonbe Soden gehabt habe, unb ber Ver=
faffer ber pauleographie erflärt gang offen, eg fönne bei einer
grau überhaupt nur bann oon Schönheit bie Siebe fein, menn
jene Sebingung — blonbeg §aar — erfüllt merbe.
Sie fchönfte grau ihrer 3eit roar eine Slonbine, eine oene;
tianifche ©rafin, genannt Sa Sionbina. ©ang Senebig fchroärmte
für fie, folange bie Sionbina „in ber Stabt ber hunbert 3« :
fein" lebte.
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Mannigfaltiges. 24 1
Söerüljmte SBlonbinen toareit nad) ben „ÄoSmetifdien @tu=
bien" non ©djultfjeifj bie fdEjöne unb geiftoolle 9ölard)efa n.
SSafto, bie liebliche goljanna non 2lragonien, beren 3 ü 9 e und
SiaffaelS Ißinfel oereroigt, unb Sucrejia 33orgia, beren Sob unä
2lriofto oerfünbet. Unter anberen blonben Serüljtntljeiten tner*
ben 2lnna non Defterreicf) , SSarie non SBourboit, bie §er}ogin
non ©fjeoreufe unb enblicfj aucfj bie fcfjöne §erjogin non Songue:
»ille genannt. 2lucf) 2lgne§ ©orel, bie greuttbin ÄartS VII. non
granfreid), toar blonb; 2>iana n. ^SoitierS, ©abrieHe b’CSftreeä
unb 2Jfaria ©tuart Ijntten blonbeS §aar. ©in 3 e itS en °ff e ^ er
Königin, ber §iftorifer Srantöme, ber „bie golbenen Soden
9Jlaria3 über ben 9iid>tbtod toallen läfjt", oergijjt allerbingS
hierbei jener gorfdjung, toeldje biefeS ©olbgelod als eine Ißerüde
fjinfteßt. $ 0 $ mag lefctereS audj SBafjrfjeit fein, fo jeigt eS
nur, inie fefjr felbft bie Ijödiftgcftellten grauen jur noUenbeten
©cfjönfjeit blonbeS Jpaar für nötig hielten.
33on ber frönen 9finon be l'ßnclod, bie nod) in iljrem fieb=
jigften SebenSjafjre bie 2Jiänttenoelt ju feffeln toufste, toirb ge=
fagt, bafs ifjr §aar tnie gewonnenes ©olb glätte.
ÜJtabame be ©enignö unb gräuletn be la 93aHi&re erfanben
eine neue £aartracfjt für 23lonbinen. 2Rabante be la gatjette
unb 2Jtabatne be SJtaintenon bejauberten iljre 3 e i t 9 er *offen burdj
ifjr tounberoolleS Sölonbljaar. SBou jarteftem SBlottb toar bie
fdjöne Kaiferin ber grattäofen, ©ugenie, unb ber §erjogin non
SDtoucfjt) „golbene SBelle", ber SJtarquife n. ©allifet „leudjtenbeS
§aar" toar in aller 2)!unb. Db rotblonb, golbblonb ober afd) =
blonb — biefeS fdjimmernbe §aar fjat unleugbar eine ganj
eigenartige 2lnjieljung3fraft.
„2Ba3 idj SieffteS, 3 ar * e f* e ^ empfunben,
Söcir’ an biefeä blonbe £aupt gebuitbett — "
fingt Äonrab gerbinanb SDleper itt feiner Uleifepfjantafie, unb
eine nmnbemolle ©erettata beS ©tecdjetti, non SOlaScagiti in
SDtufif gefegt, lautet:
„25ein blonbeS §aupt, auf fanftett Sßfüfjl gefuitfen,
©Iüfjt tnie bie 3lofe, non SrautneSfüfje trunfen.
Sicfjt, tnie bie blonben Socfett bidj umfäumen,
Sädjelft bu lieblid; beinett SBottneträumen."
1901. m. 16
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242
mannigfaltiges.
25eutfdje Stomanfdjriftfteller gieren über iljre blonben §el=
binnen allen ©lanj beS JpimmelS unb ber ©rbe auS, benn ber
germanifcfjen 3Rptf)ologie nach finb bie blauäugigen unb blonben
SRenfdjen Äinber SBotanS, Äinber ber ©onne, bie bunletfarbigen
unb brünetten ftammen »on ben Silben ab. Stlfo: inaS bie
grauen anbetrifft, fo mürbe bie Slonbe bem Fimmel, bie 8rü=
nette ber ©rbe angeboren.
Socfy eben nur ber ©age nadj. gn SBirflidEtfeit ift bie
blonbe Haarfarbe feineSroegS baS Slbjeidjen eines ©ngelS ober
eines fanften iEäubdfenS. ©S roirb jroar im allgemeinen be*
Rauptet, Slonbiiten feien jarter, fanfter unb meiner als bie
Srünetten, in beren Slbern bas Slut Reiftet rolle, aber eine
foltf)e Seljauptung fte^t auf feljt fdjmadjen güfjen. „Srägt bie
engelgleidfe ©ebulb immer nur go!b= ober afdjblonbeS £>aar?"
ruft ein 3roeifler auS. „©iebt eS nidjt audj blonbe $ej:lein unb
golb^aarige $eufeld)en ?"
Slud) ipeinridj §eine l)at bie ©rfaljrung gemalt, bafj felbft
blonbe grauen falfd; unb treulos fein fömten, aber trofcbem
tragen all feine §immelSföniginnen, ©ngel unb SRabonnen
©olblocfenroellen.
©ine neue ©rfcfjeinuttg in ber Stoman* unb SBütjnenlitteratur
ift bie blonbe grau „mit bem ©irenenlädjeln unb ber Samppr*
natur". Sei iEurgenjero finbet fid) biefer iEppuS in faft fünft*
lerifd;er Sollenbung ausgeprägt, unb biefe blonben 3)ämonen
finb bie fcfilimmften, roeil man furdjtloS unb unbebingt in iljre
Stefce geljt.
£ljatfad)e ift eS, bafj eS metjr Srünetten in ber SDBelt giebt
als Slonbinen; bafs biefe aber mit ber 3 e *t ganj auSfterben
roerben, fanit idj nicfjt glauben. 2)odj blonb ober brünett —
bie iß er fön lief)! eit ift im ©runbe baS allein 2Bid)tige. SDer
roeiblidEjen ©üte, Slnmut unb SiebenSroürbigfeit gebührt bie
Äronc, unb biefe ©igenfefjaften finb auf Slonb unb Sraun gleid)
»erteilt, ©in SJtäbdjen ober eine grau fann brünett fein unb
bod) in i^rer ©eele bie ganje roeiblidje 3 ar ^ e ü bergen, bie
man l;auptfädjli(§ ber Slonben anbicfytet. 35aS SBunber ber
Siebe beroirft ber golbene ©onnenfdjein im ^erjen, nicf)t nur
ber ©onnenfunlen , ber auf blonben Sotfen flimmert. 2lud> ift
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.mannigfaltiges.
243
ber ©efdjmac! ber Siebter, ber fich gu ©unften bet Slottben
auSfpricht, burdjauS nicht ber ber Allgemeinheit, unb bie 5Blon=
ben ^aben roohl nur burdf) ihre oerhältniämähige Seltenheit
etwas »or ben SBraunen oorauS. ®enn baS Seltene reigt auch
bann, wenn ihm fonft leine anberen SBorgüge gur Seite ftehen.
ö. Bticcaub.
<?ur fäpcfdjt ä)ie ber .Sdjattenfptefftuufl. — mar in
erften Hälfte beS 18. SahrljunbertS, als in SBrünn ein ÜJtann
9tamenä Ä^ünet lebte, ber mit nieten anberen Starren feiner
$eit ben Stein ber SBeifen fuchte unb als ©olbntadjer in feinem
Saboratorium fo lange braute unb lochte, bis er fein Vermögen
unb §auS unb !pof bagu glüdlich burch ben Schlot unb in alle
SEBinbe gejagt h“tt c » ohne babei, wie fein College SSöttger in
3J?ciheit, roenigftenS eine anbere rentable ©rfinbung gu machen.
2 lber er roar trofcbem gum Srfinber geboren. ®enn als er eines
StbenbS oergroeiflungeooH frierenb unb tjungernb burch fein latjteä
3 immer rannte unb bie mageren §änbe gen £immel ftveefte,
non beut er Jjjilfe erhoffte, ba gewährte er gufällig bie eigen:
tümtiche gigur, welche ber Schatten feiner gerungenen §änbe
auf bie roeifie SBanb toarf. @r ^ie(t bie gigur feft, ftarrte,
ftaunte, wie ein 23lifc burchfuhr eS fein ©efjirn — unb bie
SdEjattenfpiellunft roar erfunben. Äljünel oerättberte nun bie
Sage feiner £änbe, nahm bie ginger 3 U §ilfe, probte unb ftu=
bierte unb fanb attmähtich eine 2 J?enge lomifdjer, origineller
giguren, bie ihn felbft in Staunen festen. 23alb lieg er fich
mit feiner Äunft öffentlich fefjen: fie faub Seifatt, unb ber @r:
finber erntete gotbenen Sohn. 3tun blieb er nicht in Sörüttn,
fonbern trat eine ftunftreife an, bie fich immer roeiter erftreefte,
je mehr bie neue ßunft in Stuf latn. Sieh hoch nicht nur ißrinj
©ugen oon Saoopeit, ber grojje gelbtjerr , beit Sdjattenfpieler
oor fiel) unb feinem Stabe auftreten, fonbern auch Jtaifer $arl VI.
überhäufte ben Ä'ünftler mit 23eifali, ber überall, wohin er laut,
3ulauf unb Serounberung fanb. 2lucf) ber Äurfürft oon Sachfen
unb griebrief) ber ©rohe liehen ben Schattenfpieler an ihren
ßöfen feine $unft geigen , unb fo h oc h geehrt rourbe berfelbc,
bah er in SBcrlin foroof;l als in SreSben 31 t ben §oftafeln ge:
3 ogen rourbe. lij.
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I
244 mannigfaltiges.
$
jPferbebreflfat in $taften. — Sie italienifcfjcn Äauaüerie.-
offijiere finb berühmt alä Leiter unb oerüben ganj merfrotirbige
§ufarenftii(fcf)en, ju benen fie ficf> felbft rote if)te Ererbe plans
mäfsig trainieren. $n ben großen ®tilitärfd)ulen 3 U üJtailanb,
Surin, 5Hom u. f. ro. üben bie Offnere ficf> aufä eifrigfte be=
Jltis der tnililärreilsdiule in Rom.
fonberä im §od); unb SBeitfprung über öinbernis ober ©rnbett.
Unfev 33Üb jeigt einen Dffijier in ber Sföilitörreitfd)ule 3 U 9tom,
ber fein 5ßferb abridjtet, ein §inberniä oljitc Sleiter ju nehmen.
Sies ift eine laitgroierige unb feine leichte, fefjott an bie 3irbi€=
breffur erintternbe 2 (ufgabe. Ser ^fjotograpl) [jat ben Vorgang
gerabe in bem 2 fugenblicf aufgenommen, in bent baö ipferb auf
Sßeifung feines SteiterS über bie Sdjraitfe fefct. Sa er aber tior
berfelben ftanb, £)at baS Stbbilb beS brauen SiereS infolge ber
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mannigfaltiges.
245
Perlür^ung eine fettfame, faft ungeheuerliche ©eftalt angenommen.
SaS Pilb ift hoppelt roertöoll: erftenS als 2)arftetlung eines an
fich intereffanten, tfjatfächlichen PorgangS, unb äroeitenS als ein
PeroeiS bafür, roie feljr bie Photographie, bereu 9taturtreue man
fo ju rühmen geroöhnt ift, unter Umfiänben bie ©ntfernungen,
©röfsen unb Perfjältniffe fälfdjt unb »erserrt. &. 3
5>ie geßofifene .Äönigin. — Äönig Subrojg XV. »on granH
reich ein höcfjft tunftreidjeS unb merlroürbigeS ©djachfpiel
au3 Perglrpftall mit frönen ©olb; unb ©ilbernerjierungen,
angeblich bie 3lrbeit eines fprifdjen ÄünftlerS auS bem
14. Sahrfjunbert. g-ür ben Äönig felbft hotte baS fchöne
Äunftroert lein fonberlidheS Qntereffe, ba er, ber jebem ernften
2)enlen abholb mar, jum ©chadjfpielen nicht bie minbefte ©e=
neigtheit »erfpürte, befto mehr aber für feinen ©nlcl, ben jugettbs
liehen SouiS ©taniSlauS Sanier ©rafen »on prooettce. $iefer
junge Prin$, ber fich eifrig mit flafftftfjen unb anberen ©tubien
befchäftigte , überhaupt etroaS SehrhafteS unb pebantifcheS in
feinem SBefen hotte, mar auch bem eblen ©chachfpiel ^olb.
©ineS XageS berounberte er baS -äJleifterroerl beS alten fprifchen
ÄünftlerS unb prieS eS ganj entfjufiaftifch , ba fagte fein ©rojj:
»ater mit gleichgültigem ©ahnen $u ihm: „Sßenn eS bir fo gut
gefällt, SouiS, fo nimm eS hin. ©S fei bein!" hocherfreut be=
banfte fich ber prinj für baS fchöne ©efdjenl.
Subroig XV. ftarb halb barauf. ©ein ältefter ©ntel tarn als
Subroig XVI. auf ben 2h ron unb enbete fpäter unter bem gaUs
beil ber ©uillotine, roorauf beffeit Pruber, ber im 2tuölanbe be=
finbliche ©raf »on prooence, ben ÄönigStitel annahm unb fich
Subroig XVIII. nannte. Ser fiebjeljnte Subroig roar nämlich
ber im ©efängniS beS Sentple geftorbene Heine ©ohn beS
guillotinierten ÄönigS. Sem ©rafen »on prooence roar es ge=
Jungen, »or ben blutigen ©cfjredniffen ber Peoolution fich ä»
flüchten; als ©nglänber »erlleibet enttarn er über bie ©renje.
©r begab fich juerft nach Prüfjet , bann nach Äoblenj, fpäter
nach Perona, auch nach Sillingen in ©chroaben, nach Planten:
bürg im h Qr J/ «och Sölitau unb fpäter nach ©nglanb, roo er baS
©cl)tof5 hortroeU beroohnte, in roeldjem er fich jiemlidj ficher
fühlen burfte. Senn roährenb feines UmherirrenS unb flüchtend
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246
mannigfaltiges.
oor ben republifanifchen Solbaten unb nachher oor ben fieg=
reifen KriegSfdjaren beS SBelterobererS Napoleon roar er mef)^
malS in ernfttiche SebenSgefahr geraten. (Einmal, rote er an
einem offenen genfter ftanb, fchofj ein — jebenfaUS ju ber %f)at
gehangener — Steuctjelmörber auf ihn, aber bie Äuget ftreifte
nur ganj roenig unb ungefährlich feine Jpaare, roeil ein junger
Wiener ihn noch eben jur rechten geit oom fjenfter roegrif. 3n
ber golgejeit roar er biefem Wiener fehr jugethan unb erroieS
ihm oiet ©uteS.
211S SßapoteonS ©lüdfsftern untergegangen roar, gelangte enb:
lieh ber ehemalige ®raf »on ©rooence als Subroig XVIII. auf
ben franaöfifdjen 2hron. 3?ebft anberen Äoftbarfeiten !am auch
ba§ alte fprifche Sdjachfpiet roieber in feinen ©eft^. Subroig
fteHte eg in einem feiner ©emächer auf, jur befonberen
3terbe begfelben. SineS £ageS aber, als er eS anfah, entbeefte
er ju feinem ©erbruffe, bafj eine ffigur fehlte, unb jroar bie
Königin. ®r lieft fogleich Slachforfcljungen anfteßen, bie aber
oergeblich blieben, Snblich rourbe auch bie $oliaei baoon be-.
nachridjtigt.
35iefe brachte halb ben Sadjoerhalt heraus. Sin föniglidjer
2)iener hotte biefe gigur, bie in mehrere Stiicfe aerbrochen ge*
roefen fei, bei einem Quroelier a« oerfaufen oerfucht, roelcher aber
bie Sache »erbächtig gefunben unb ben 2lnfauf abgetehnt höbe.
SBeitere Ermittelungen führten a« bem überrafchettben 9iefultat,
baf ber 3)ieb jener 2)iener roar, ber einft feinem ©ebieter baS
Seben gerettet hotte. 35ieS fchmerate Subroig XVIII. tief, unb
ernftlicf) nahm er ben SJtiffethäter felbft inS ©erhör. 2)iefer ge=
ftanb reumütig, er höbe auS ©erfehen bie fjigur aerbrochen unb
bann, roeil er bie ©ruchftücfe für recht roertoolt gehalten, bie=
felben au oerfaufen oerfucht, als ihm baS aber nicht gelungen,
habe er bie Stücfe in bie Seine geroorfen. -Der König tief feinen
ehemaligen SebenSretter nicht beftrafen, entfernte ihn jebodj auS
feinem ©alafte unb gab ihm eine ©nfteltung in ber ©rooina.
2(n bem fijrifdjen Sdjachfpiel fanb er nun feine f^reube mehr,
benn eS erinnerte ihn beftänbig an ben fcfjlechten Streich jenes
5Renfchen, oon bem er bis bahin eine fo überaus gute Meinung
gehabt hotte. 2)eSholb oerfchenfte er baS alte mevfiuürbige Schadj=
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mannigfaltiges. 247
fpiel, welches fpäter in baS ^iftorifc^e Sftufeum im §otel Glunp
ju IßariS fam, wo eS jeft nod) wegen feinet Schönheit oon ben
fchauluftigen Vefuchem oiel bewunbert wirb. (§3 ift oollftänbig,
bis auf bie feljlenbe Königin, welche g-igur nicht wieber hat er»
fehl werben fönnen, weil bie Slrbeit oon fo eigentümlicher 2lrt
ift, bafj fiel) heutzutage niemanb mehr barauf oerfteht. 5- u.
SHe Störche in .ÄolTanb. — 3BaS in £ollanb befonberS
auffällt, finb bie zahlreichen Störche. SBährenb fein Hier in
fcollanb fo erbittert oerfolgt wirb wie bie ©pinne, hot ber Storch,
faft abgöttifch oereffrt, wie ber 3biä im alten Sleggpten, bei ben
§oUänbern baS frieblichfte unb behaglichfte Hafein. Sticht bloß
auf Hürmen unb ©djornfteinen ber ©täbte unb Hörfer macht
man ihm SBohnpIäfe zurecht; man pflanzt auch allenthalben auf
ben SBiefen h<>h c ©langen mit Stabfränjen auf, um ihm ben
Vau beS Stefteö recht bequem ju machen, unb umfchlieft bie=
felben fogar mit fchönen ©polteren, bamit fich baS weibenbe
Vieh nicht baran reibe unb bie Stulje beS SieblingSoogelS ftöre.
©inen §oHänber, ber fich bie Hötung eines Storches ju fchulbett
fontmen tiefte, würbe allgemeine Verachtung treffen.
Her überall fo graoitätifd) einherfchreitenbe g-rofchoertilger
oerbanft biefe hohe Verehrung in §oIIanb nicht blofs feiner
Slüfclichfeit, fonbern auch bem ruhmreichen Veifpiele oon Sltutterj
liebe, welches eine ©törchin bei ber grofjen g-euerSbrunft ju
Helft (1536) gab, bie fich, unoermögenb ihre jungen ju retten,
lieber als Seidjentuch barüber beefte unb mit oerbrannte, ftatt
bie teure Vrut ju oertaffen unb ohne biefelbe ben flammen zu
entgehen. tt. %.
(bin (bbißt gegen ben ^uxus ber pienfttnäbdjen. — König
griebrich SBilhelm I., ber ftrengfte aller ^obenjoüernfürften, <r=
lief im Stooember 1731 folgenbeS ©efefc: „äßir fyriebrich 2Bill)clm
oon ©otteS ©naben König in ifkeufen u. St. m. tl)un funb unb fügen
hiermit ju wiffen: 9lacf)bem Sßir auffällig angemerfet, baf bie
HienftsSJägbe, fotoohl in ben Stabten, wie auch auf bem fianbe,
feibene Gamiföler, Stöcfe oon ©amrnet unb 2äfe gar häufig
tragen, fold)e3 aber nicht allein bem Hebit ber bem ganzen Sanbe
fo fehr erfprieftlichen 2BolI=SJtanufacturen hinberlich, fonbern auch
ben bereits oorljer ergangenen Verorbnungen entgegen ift; alfo
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mannigfaltiges.
3Bir ber 'Jiotburft ju fein erachtet, folgern ünroefen burcf) bie3«
felbige3 6 bict ju fteuern. 2 ßir fefcen, orbnen unb roollen bem«
noch ^iemit, baß nach Verlauf fed)§ fföonate nach bieffeö $ubli=
fation bicffelben 6bict3 feine Sienft=2Mgbe ferner feibene (Santi«
föler, 9iöde ober Sähe, auch nicht au3 Sammet tragen, fonbern
mofem fte nach Slblauf folt^er gefegten $eit bennoch melche ba«
mit betreffen Iaffen mürben, benenfelben foldje feibene unb fammete
Äleibung öffentlich auf ben Straffen abgenommen merben fott.
©egeben ju Berlin. SBilhelm." Jb-
.Sonberßatf 3SLitfdjß«8n. — 3m 3«h r « 1863 erfd)ien in
Nürnberg eine Brofd)üre über ben „Bau mohlfeiler ©Öffnungen".
Sarin Reifet eS unter attberem allen 6 rnfte 8 : „Sa ber Baugrunb
in ben großen Stabten ju teuer ift, fo errichte man aufferljalb
berfelben 2lr beiterb ör f er unb oerbinbe Sorf unb Stabt burd)
eine Straffe, beren Läufer platte Sädjer haben. 2ln bent einen
©nbe ber Straffe merben bie Käufer fef)r hoch gebaut unb bi3
jur Stabt merben fie immer niebriger. 2luf ben Sachern legt
man eine fHutfdjbahn an, auf meldjer bie Sorfberoohner morgen^
in bie Stabt jur ülrbeit fahren. Sie 5 roeite Läuferreihe ift in
ber entgegengefefcten Stidjtung geneigt unb auf biefet fahren bie
Seutc abenb3 nach Laufe." 2luf bie Beurteilung biefer originellen
Jiutfchbahn folgt noch ein 2lnfd)lag ber Äoften für ben Betrieb
einer fold)en SRutfdjbahn jroifchen Nürnberg unb 3 -ürtl). ®-
?ie erde ^utfe. — 3?och im 3“^e 1851 lebte in ÜDlann«
heim eine alte penfionierte Schaufpielerin, bie ©itroe be3 Äapelt«
meifterä Witter. Sie hatte bie Suife in „Äabale unb Siebe" junt
erftenmal gefpielt unb erinnerte fich mit finblicher fyreube
ftet3, roie Schiller ihr gebanft. 2113 er fie abenb3 nach ber
erften Borftellung nach Laufe begleitete, brüefte er ihr beim 2(b=
fchieb etmaS in bie L Q nb. 63 mar ein ganj fleines Porträt
oon ihm felbft, unb bie alte Same bemahrte e3 bi3 an ihr 6 ttbe
al3 ein L e »K 0 tum. Samal3 aber hatte fie e3 unfchliiffig be«
trachtet unb ben Biihnenbichter fcfjliefilid) gefragt: ,,©a3 foll ich
bamit?"
Ser junge Sichter aber hatte erroibert: „3a, felje Se, ba3
fann i 3() ne feiber net fage." 6 - 2 -
— ■ < «•■ >
UNIV. OF MICHIGAN,
JUL ln 1812
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Bif gliidtftdint guten
in $afdjcn T 3 ortljDgäbtfdjcr §etlanftalt in $cffau
^abcn bcu Dorjüglidien {Ruf biejeS nor nuit bolb 14 Sabren gegrünbeten fD!ufler.3nftitut?
längft aud) jenfettS be! Cjcan! in bet mirtjamften Steife oerbreitet. Denn Sßafdjen betont mt
icbon (eit 3al)ten außer feinen jablreicben beutfehen Patienten ßranle itid)t nur au! älalien,
'Jiuölanb, granlttid) !t., fonbern autb au! Amerila, Afrita unb Aficu, unb bie faft aQ jäl)r>
lid) ootgenommenen Sergrößerungen bet AnftaltSgebäube haben fid) immer niieber als un»
3urtid)cnb erwiejen. Durd) oerjebiebene Meubauten präditiafter unb origiitellfter Art. bie fid)
burd) ben Vlnfauf eines grojjeit 9iad)bargrunbitüdeS ermöglichen lieben , ift in bieiem 3aljrc
Sorjorge getroffen motbeit , iobaf; jeßt faft bie hoppelte Anjabt Seibenber SRaum finbet unb
fidi tro., betn and) bie oerwöbnteften Patienten bort in jeber ©ejiebuttg luie ju .{iaujc füllten
tonnen. Gs loitb ben Sefer interejfteren . ju erfobten, was eigentlich bei UMdjeti in Defiau
gebeilt wirb, ‘title Abnormitäten bis SidgratS. Sabmuugen. gufjlciben. Rlumpiüße, Sliid n>
marfidnoädie ic. ! Aatürlid) Überlauf! ben Unlunbigen iofort eine ©änfebaut ; beim et fiebt
im ©eilte einen großen OperationSjaal mit tcuflifd) blißenben 'Bieffern. blutigen ‘lüdjeut unb
anberen grufeligen Gingen ; ober er erinnert fi<b gar ber Wotij über ba! ©erfahren be!
Dr Gallot in Sßatis, ber armen Sudligen frifet) uitb fröhlich bie Söirbelfäule mit ©ewalt
einbriidt. um fie in bie normale fja^on ju bringen. Au bcrglcidien Sachen ift jebod) in ber
Safcbcn’icben Anftalt gar nidit }u beulen! Ohne Operationen, obite ©eloaltmittel, ohne
©ipsoetbänbe , ohne Stredbctt, nur burd) eigen! für jebtn einjelm n i5-a0 genau fonftruierte
©elentapparate ober ßorietts, perbunben mit pernüiiftigcr Scbcnsweifc, Sorgfältig geregelter
fuodienbiiocnbct Diät, (DJafiagen, Gleftriftetungen , Sübcr, Hebungen an 2urn< unb öanb»
apparaten jc. erjielt ber gewiffenbafte unb reich erfabtene Seiler be! Deffau'itbcn SnfiitutS
feine oft wpnberbaten Grfolge. fBiittels SRöntgenapparat! wirb ©iß unb Matur be! Seihen!
junädjit feftgefteUt , unb alSbalo gebt es an bie yerfteQung be! nötigen aut- Seberhiilicn,
©tablichiencn. Solfterungen-, lomplijierten Gbarnieren ic. juiammeugebauten SRüftjeugs, ba!
ben Patienten fofoit in ben ©tanh ietjt, ba“ giedienlagcr uertafjen unb, ohne ©chmetjen
ju empfinben, fid) frei bewegen ju tonnen! SBeldj wonnige Gntpfinbuttg burchftrömt bie
Stuft ioltbe! Armen , ber bie iioffnung fdjou aufgegeben batte , je wieber ©ebraud) pon
feinen ©liebmafjen machen ju föniien ! Sott 3al)t ju 3abr fteigert fid) bie 3“bl ber gliid--
tidi ©ebeilten , bie ihrem Metier uicbt Demi genug Ju fagen Wiffcu für bie überra dienbe
t ilfe, bie ihnen hier eitblid) ju teil geworben. Seinbrüchige, bie bisher ju monatelangem
ieienlager oerurteilt waren, erlangen mit Anlegung be! Ai-parat! f fort bie ffäbigleit.
Wieber 311 geben; Müdenmarföleibenbe , bie jahrelang im SRoflftubt juaebraebt haben, ge.
Winnen burd) ba! ©foliojenlorfctt Wiebet tjalt im ftötper; fiinber, bie an Serfrümmung n
leiben unb burd) bie Stredbettbebanblung febr beruntergetommen linb, erbolcit fid) hier fdnteU,
ba üe fid) mit ihrem Apparat bewegen, im Sari tummeln tonnen unb baburd) Appetit unb
Slutjirlulation haben.
Saichrn’s §eilanftalt liegt in geiunber gartenreidier ©egenb unb bod) nod) int
SQeidjbitbe ber ©labt Dcfiau. Der große Stomplej oon ©ebäuoen enibält neben fomfortabel
eingerid)tcten S'obnräuwen für bie Patienten bie Arbettsräume bes lireftor! nebft ben
ÜDerfftättcn feiner 'Mitarbeiter ; fobann einen großen mit aUtn möglidieir lurnaiparaten,
Dreiräbern )c. auSgeftatteten Jurniaal, einen brillant eingeriittcten Sefeialou , Spcife. unb
Gmpfaigsräume, Sabtjimmcr. ferner ba! burd) beu Mcubau entfianbene ©ontienlurbauS,
einen tlcinen ©laSpalaft mit ben ptädjtigften ftinbern ‘er iii lieben fflota auSgeftattel , fotnie
ein in feintr ganjeit Ginrtdjtuug böebit praltiid) angelegte! ©diulgebäiibe, in bem bie (leinen
Patienten auf allen nur müniebruSwertcn Giebieten burd) eigene S hrlräfte weiter geförbert
werben. Die Erwärmung ber fHäume g‘id)iebi burd) G.'iitral.HBarmwaif. r Anlage; bie Se«
leuebtunjf burd) Glelirijität Der bie Anftalt utngebeube ©arten ift parlartig unb nur für
bie Patienten beftimmt Die SBege oarin ftnb ben Seibeuben enlfpredienb uorjiiglieb gehalten.
Sei fd)led)tem Uüetter bietet eine berrlid) belorierte 'Jßanbelballt ©elegeiibcit jum fronte,
nieten Uebctall betriebt unter ben Patienten ffiöbliditeit , nirgenbo fiebt man oerbriefe.
lid)e ©efidjter , niemals Pernimmt mau Aeufecrungen be! ©dimerje! Gs fühlt fteb eben
jeber bür wähl unb geborgen, iröftliiber £ilfe ftdjcr, woju ba! mufterbaft gcjd)ultc Serfonat
niibt juleßt beiträgt.
Aud) ärjtlid)e Autoritäten, wie Stofeffor oon Bergmann, Srof r .ü ot oon Sepben,
ber Perftorbcne Solliitann-öallc )c. haben bie Grjolgc Saidjcn’s oerfebiebetttlid) unb rüdbatts.
Io! anerlannt. Da! 3nftitut fei habet athn, bie für bie obengenannten Seihen ©efieruitg
uub ©eneiutig fudjeit, mit ber 'JJtabnung empfohlen, ba! was fie ibun wollen, balb ju ibun.
3e früher man gerabe bei bieieu Rranlbeiten oor bie rechte 6d)titiebc gebt, je fieberet
barf man auch auf Grfolg rechnen. a;^ o6oc ©.inert.
| Union Seuticbe PerlagegcfeUfcbaft in Stuttgart, Berlin, Ceipjig.
PUBLIKATIONEN * *
von C. W. ALLERS.
IftH /llA 48 Bogen folio. mit 354 Jllustra-
|\UI|U Ulli Ulv CI Uv« tionen im Cext und 16 Extra-Kunst-
blättern, sämtlid) nad) Original-
Zeichnungen von e. CU. Allers. Jn Pracbtband mit Goldschnitt Preis 40 ITlarlt.
Die Ereignisse des letzten Jahres lassen das schöne Olerk seinen Platz im
Uordergrunde des Jnteresses der gebildeten und kunstsinnigen Kreise behaupten.
Da$ deutsche üägerbueb.
— iliustrationen nad) Ori-
ginalzeichnungen von C. Ul. Allers. Cext von Cudwig Banghofer. Extra-
Kunstblätter: 12 inonatsbildcr in Aquarclldrudc nad) Originalen von Bugo Engl.
Jn Prachtband mit Goldschnitt Preis 40 mark.
Uon e ' Hers und Bans Kraemer.
DlMIItmiU * eedädrtnis-JIusgabe. «
206 Seiten Quart, mit 1$7 Jllustrationen in ein- und mehrfarbigem Kunstdruck,
darunter 22 Extra-Kunstblätter. Elegant gebunden Preis 12 mark.
Ein würdiges Denkmal der Erinnerung an den grossen Coten, um dessen das
Jahrhundert überragende Beldengestalt uns und den kommenden Generationen in
QJort und Bild dauernd fcstzuhalten. üon allen Bildern des Altreichskanzlers,
so schreibt ein Uerebrer desselben, dürfen die AI I ers' sehen den grössten An-
spruch auf lebendige Aebnlichkeit machen. Bans Kraemer erzählt uns, bald
anmutig plaudernd, bald erhebend und begeisternd, aus alten und jungen Cagen
des eisernen Kanzlers. Das BJerk schildert den fürsten gemütvoll im Kreise seiner
familie und seiner freunde und gestattet manchen Einblick in Jntimitälen, mit
denen bekannt zu werden sich sonst keine Gelegenheit bietet.
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30 Blatt Originalzeichnungen in Cichtdruck. Gross-folio-format. Jn Prachtmappe
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